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Blätter für literarische Unterhaltung.
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Zahrgang 1843.
Erster Band.
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(Enthaltend: Nr. 1 — 181, Beilage Mr. 1, Literariſche Anzeiger Nr. I— XIV.)
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Brocker Borarbeiten zur roͤm.
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Burkbardt, Pr., poetifche Peldblumen-| ge — II. elecluse. 1260,
Eränge. 842. if e Kirche. 1058, Dirk, A. 248. 312.
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Th. Deifere.) 1061. W. 2. paffow.) Dennide, Baron. 148.
Burns’ Schweſter. 123, — Burns im Gitate, 1261 Depping's neuefte Arbeiten. 1446.
Scanzöfifchen. 1140. Slairville. 1136. Desbordes⸗ Valmore. 479.
Buſſiere. 72. Claring. Maler⸗ Gänge: 842. Desnoyers, &. MA.
Bust, Mrs. Forbes, historical memoirs|Slarfe, Macbonalb. 21: Despaz. 452.
of the queens of France. 3230 Starke, Sir. 3 . Desperciere Bonaventure. 83.
Butler’s Denkmal. 1360. Stavel, 5. 8. B. 468. Desportes : -Balmore. 300,
Byron.
Galderon be Ta Barca ‚Med. 731.
Camden⸗Geſellſchaft. 772,
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Sampbeil, Katherine. 123.
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lee. 484, * ie einfa Einkerkerung
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Somper, @ , een. Zen Sal dem) biätter. 750, riefe und Tagebuch
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Oettenhofer JF M., Ertlaͤrung. 460. ziftelön. 55. Waldemar Kiein. 1328.|®avin, Dr. 3? 1311,
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‚Sm. 312. Gegenwart in Deutichland. KXuffag.) | Ger Geel, Fr ;, Borfchumgunt Hhentafk (Ueberf,
—ñ E F., die Menſchenraſſen. 1025. 1. Art. 93. 2. Art. 225. 3. Art. ierunde )
Ecenemistes - hnanciers du lBieme siecle.| 4. Art. WI. San den Strom. 908.
Blourens. 373, Der Gehorfam gegen bie en. 436,
— Lord F., Mediterranean aket-cFoa, 100. Gelb eine alte Here.
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Eichel, — Schauſpiele von König Gu⸗8. zit. \ (Befpr. v.8. Aleris.) MI.| 1. 785.
fan II . von Schweden. 1466. Br, 3 » — — die deutfche Wiche Literas
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Editvos, —— v., der Karthaͤuſer.
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min. m ber Kriegeſchawlat In J Sahie, Sy: Andre. , die Hegelſche Philos 6 — Par Du
Zaun, H. S. der Kriegs 6 in In=| fopbie. oldenes Daar. .
Sem. 707. Gabouard, A. 50. Goldprobuction. 1200.
Sarıy, ®. 308. 200. Galerie compidte des tableaux des|&olowin. 996.
208. eintres etc. 1251. Gonen, Se Baptista, Ignez de Castre.
| 736. Galerie des contemporains illustres par| (X. b Dortugkt, v. A. Wuttich.) 62%.
444. un homme de rien. 152. 1191. Gore, Mrs
Fimı ifche Bildwerke. 288. Galerie von Portraits und Biographien. |@orle. 740.
; . 328, Goßmann, 2. Be irn bed Krerzes. 3,
i. 1148, rag 432, Gottis, Mad
— Th. 132, Gallet, A. 704. Gottheif, 8 . und Sagen aus der
étis, J. F., Biographie universelle des | Sans : Fr. v., Sapphira. 778, Schweiz. 433.
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Fenerbach, E., das Weſen bes Ehsiften| du * de Vienne, 970, Sottiched. 656
*46 ist, Gasi, instrusdion publique au 10itme|Gournerie. 933,
De te dplanatie rangale Mn 104 a ae
A, De sparin. . raham.
sous Louis XIV. Sauthier, 4. 148, Sranbville. 313. SM.
- - — — — — ——
1".
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ſſpiele 1481. Histoire de l’Helvetie 1134. Irokeſenhaͤuptling. 883,
Gulpes von A. Karr. 424. Histoire litteraire de la France. 1219, Irreneinſ errung. 1244.
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deutfchen Slommatie Hook, 5. Sanngipr, KR. ©, Iphigenia in Deiphi.
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den Niederfachfens. 231. Jacob. IM. Komig, B., Regina. (Belpr. von R.
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zog Wilhelm. so. Zagemann, 2. v., Deutfüie Städte und | König, K Die neuefle Zeit in ber
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— a im. 939. Zarnes. r ce 1m, Koreft an Letronne. 816.
Hegel. m Franz aubert, Gra Kortüum, F., Die Entftehungsgefhichte
Beben, I 5. Jauffret, E. 635. des Jeſutenordens. 1 es ü u
I Boländifche Preislieber. |Iay- 756. Kranfheiten, erbichtete und eingebilbete.
Anger v. 2. DHauthal.) 397. Feonne b’Arc. 832.
ge Infant von Portugal. 532. Jeſſe. 444. 708, Krafinsti. 940.
Heinri jR IV. Briefe. 1072. Zefuiten die. 1134. Ihre Angriffe auf Kraufe's wait ber Gefchichte ber Menſch⸗
Heifter, K. v., Ethnographiſche und ge⸗ das uUnterrichtsweſen. 1 heit.
Tide Rotigen über die Zigeuner. 1107. |Tlustrations de l’histoire de France. 932. |Kronika Wiganda * Marhurga. 1331.
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meinmtöht 1466. Samen 8. (Herausgegeben von| F. Tornen. ) 561.
Heller, R., Eine neue Welt. 760. 8. Freili gratb. .) 3. W. — Eine Run, I ., Märkifche Sagen und Märchen.
Henſe, '&. &., Deutfche Dichter der Gegen⸗ Religqusie.
wart. 513. — Arumorabiien, Zweiter und britter | Kunftbeftrebungen ber a CAufl.
Heralbik. 52. \ Theil. 134 v. A. Hallmann.
erloßſohn, &., Fahrten und Abenteuer In ber Geimat 1327. Kupferftihfammiun de koͤnigl. Biblio⸗
’ — Enzian.. — Ingerslev, 6. F. 50. thek zu Paris. 932, II 167
* +
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Labssiaye ‚„ Ed., Becherehes sur la Biterarif Pk ,‚ Berliner. 817. Maurice.
— dv. et polit. des femmes. eitesarif ed Gigenthumsrecht in England. Mauriz, sit von St.⸗ Blaſien. 640.”
, — in Amerfla. 1467. Mayenburg, A., Die Bellsfage vom Pülner
Sk, Eouife. >82. ' eiteratur, ſchoͤnwiſſenſchaftl. ber Ruſſen. Bu.‘ ”
ewig. 923. 900. 623, 8* — [Dir 3weilampf. 9.
Aurtelie._ SI9. Literaturzeitung, neue fü webifä. 140. | Mehan
kereir, 3. 313. 830. Loch, Gap. Grenville. Me aub. 35.
&scrois, 9. SR. kodore, Roman a. d. Engl. v. A. Gräfin) Me 932.
!eteuige.- 160. 380. v. 0. 851, Memoire ofthe late Lord Bydenham. 756.
Ladoucette, Le Troubadour. 861. ehe, 3., Weber die gothifche Literatur, | M&moires et, prophötice du petit homme
Sofarelfie. 120. befonders über piſilas und den Codex| rouge.
time, M. 52. argenteus. . Mendelsfohn , 3, Wilde Bitumen. 1068.
—— Reife in Schweben. 885. ein J 38 us. — ne etMarie Louise. 864.
J., ze pehologifche Forſchungen
* korent, Dr. R. 640. und Sammlungen. X Bf
— 424. 488 de W., Der Proceß. Wa. Meon. 932.
Lang, NRiüter u., Memoiren. (Bon %. ur Ip) Bilder aus ber Laterna magica|Mercier, A. 216.
Kurtzel.) 1. nes Blinden. 727. Merlinau, A. ©. 8. Gebiäte 553,
—— 2 Biäten des Alters. 355. — — Dei zogei in San Garlo. 851. | Meffias, ber rote ©
Louis de Leon. Metaxa,
Lofberg, " 2 204. Lubojatky, — 1840. 935. Bun, © =, Hinterlaffene Schriften.
Sothburp, ZU. ducas, * 033.
Sau, @., Die —— 143. Luden. —58* ©. Serhihte be Wiege, D-, Rorbligter. 963.
taube, D., Sräfin Shateaubriand. 1001. „„Denticen (Befpr. v. vr. may .|Michaud, „ Biographie ı universelle. 58.
tandon, Eh. 6Gi6. eudwig F., Wartburgſtinmnen. —X Michel, X
Saunay, E. de. 479. — Gedichte. 594.
Midiewicz,, %., Borlefungen über pwi⸗
füe Siteratus und Zuftände 1114
Layer Die legten Stumben unb eyncer, ®., Kuͤnſtlerleben. 1458.
ã * 984. ‚F. A. A., Notices et mömoires
der Tod in allen Staffen der Geſellſchaft. Maberiy, Mrs.
1317. Machet im Driginal. 1007. —e— 1023. 12%.
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repos d’un ouyrier. 123. Maithus. Mobnile, DO. 194.
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is. 880. Manceriil “ne 1056. Moniteur,, 1 neue Auflage. EN a
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Ineays» “1 Wann 1060. Monumente. 1004. berſet
rivei :Durocher. SG. anner®. Moore, Tb.
u ,‚ DOrla. 156. Marbach, ©. O., —— und/ Morgan, Sir T Charles. 1232.
ee —
Die Albigenfer. . ar ‚PR 4. orris
m Ric, 3 livres. die r Marcus de Serris. 492.
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%e, H., ðeſchichte ber franzoͤſ. Revolu⸗ Marie saure. 479.
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». Frhr. Bud berg: Benninghaus> Warmier, ber Rußland. 1239.
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Siohiöres. j Massimo :d’ o, Niccolo de ni Ueberf. v r. anz.)
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Sieber eines Befangenen. 921.. - 1MRaupieb. . Rapoleon, Gterfwürdige Aeußerungen. 871.
Yyı
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Narrative of @ 3 voyate in the Feriobie, ©& Ehrifen In d. fuangdf. Pros san, 3 —* v., a*igß von einer
inz Reiſe na wede
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Robnagel, X ‚ Leffing’® Dramen. 518. Philoſophie bee Hebrder. 1228. Rapp sZovialid, Atelanen. 751,
Ned, RR ‚rund ge ber Phrenologie Paitofopt Re bie, auf der Univerſitaͤt Athen Raquer, Condy 212.
(Beſpr ur Hohnbaum.) 33. im At sche, Raspaii. WB,
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Rurtpelsrpehition bes Hudſonbay⸗ Com⸗ Gietiämus I € England. 1100. Raumer, 8, Geſchichte der Paͤbagogik.
pany.
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sages de Rome. 603. Bisi und Häring.) % Ange; v. K. — 5 4
Nougarède de Fayet. 635. Pitres Chevalier. 8. — Manuela Avileg. |Reader. 740.
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rg franzoͤſ. 344. Pixerecourt. etc. 635.
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Dirk r% & 1447 a ab. (Bon — —— lea ch
Dettinger, €. M., Helene. . (Bon Deencour * dur * burg und Tirol
v’Dlincourt. 276, m en Ei Stalien. wars nad
Drient, neue Schriften über ben. 36, yoliräe Poefi ie. 1143. Reife eines Beehdeutfäen durch bie 9b=
Orleans, Herzogin ». Policei, parifer. 1416. pyrenaͤen. yoes v. W. v. Luͤde⸗
ige 16) —* er (uni Deinifhes Zonmal in Giasgem. 720. |mufttnenne.
e. iſche urnal in ow. eratur. M 2
Ortlepp, e eier eines politifchen Tag⸗ Polniſche Literatur. 1108. sraff.) u 9 Mary
wächtere. 1077. Pongerville. 848. Reifefliggen aus dem Morgenlande. 700
Dtto, $., „ Ecroeipeefogen 56. — 232. Reifeftigzen. Gpifteln an Mad. v. PB.
Dzenne, Louiſe Ponroy, 4. 312, 432, Heine's Nachfolger. 714,
Pablo de Segovie. 336. Ponfard, Lucretia. 611. 9. Reithard, J I., Gedichte. 1023.
Paͤpſtl. Höflichkeit 316. vr überfegt von A. Böttiher und|Reli Fey, Sheolgie und Philofophie. (Vor
Pamphlets, politifche. 1035. Delders. 839. pen.)
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Paris, Slifton. TR. Poſtans. 1092, een v. Dorow.) 150 »
francais de ia|Poussin. 400. G. T. De la puissance | Ren 048.
biblisthöque du roi. 831. americaine etc. 1323. Reffel, De Bir ef einer Univerfal-
Pariſer —— Bau 146. Prabel, Fr 180. a — 2 075,
ng. Pratl, Zibe. eventlow⸗ Farve, Graf, Daͤnemark
Pariſer Kunſtſammlungen. 1167. —28B* —ã— — ſeine Koͤnige. 550, und
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- war beyond the Rocky meuntains. 201.|Prescott, W. H., Gefdicte ber Re Verung Revue des &conomisteg, 33.
— — in England. 904. — und fabella’8 der —* Revue du Nord. 964,
Pascal. 20. en. Zngep u Br. — Raume Reybaud, Dime, Eh. 432. 624.
2* cu in bie Academie Pur 136 Irlande. 1003. 2. [anbaus 2. 776,
angeite. :Dften, A. v. Keine Sceften. 84 zis,
5* ropo ee Pindustrie de la * For Du euil. 4392.
2 Beni ſchte Schriften. (Geraud⸗- en France. 1364, Khetz, WB. v., Cine Reiſe in das F
v. B. —XX Angez.Die Kirche. 216. feuer d. heil Patricius. ( Aufſatz) ML
. v. 8. &. Jacob.) —— Ride, A.
Paſſow, @. A. 876, Provence illustree, 784. Kiedhefl, 2. 3, Died 1457.
Paturot, I. 188. |Umg, 9. &, Der aöttinger Dichterbund. Rien —*
ecquenr. ⸗ nal⸗
XR —X 1089. | do. "
vo
ktrr, der rt. Mio⸗ , Betz zum ja ne num Deut
u aber .v.8. v0. Raumer.)6l. gt S., Gedichte. 554. in
Wer, I- ns. Seixaute ans du Théatre francais. WR.
14
Sqherr, Satıte und leiſe Eleder. 1074. 5 we Ge
Nurtraßen
Bin, 3-, in Piemens gemeinen Mon.
Seiher, Ih., Die Kunſt der dramat.|Cchiff, D., Sunbert und ein Gabber. 76.| fetet
Boy — 3 — ier, in N Eulen, 789, 816, 904 — Beat) Sa. *
Boger. 553. 738. Schilder und Bock. 9. — — —— |@ u e sier Schweſtera (M. 6.
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aͤusler.
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de, ea ( v 2. eouife. E58. eigen, PP fen deutiher Spruͤch⸗
Si 2 unb „0033 (Befpr. v. eu A m. —* de. BR Stein, je ——— u u. mn
o w
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det. (Befpr v. Fr. v. Floren⸗
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webifche Eiteratur, Rotisen über. 402,
—— zrodia Archoologfi Krajowej. . .
So⸗GHſche Ständeverfammt ap: von einem
Engländer TH,
Stens, ., Pre Auge
Stent. 73%. hr
& rife durch einige Gegenden
aba, — * *
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Sıstarem „ Vie. le: BRecherches sur la|@&ibome, . 2, fels.) 347.
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en.
douverte des pays situ&s sur la oöte
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Corsa. 1412 Silvio Het, 0, frungönte . Straf, und Befferutgsfnfleme, die neuern.
Sauter. 492 imon, J
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Baorarela. 72. #16. imo, 8 , Ehaffecare eis Wermitrier|Gtranf, en Set 3uac ber Reis Des
Gdöfer, 3. W. Rn Hanbbud) On der Geſchichte/ zweier Rafionen. 502. Diario AR
ser beutfchen Fiter Sinclair, 8. 280. ©t. s Roche. 31.
‚Gr. Ger 553. Smith. 136. 444. —— F., Forſchungen u. Erläuterungen
‚zb, Kortun 558, Soci6t# desberds duRhin, —** ber Gerichte des Ges
‚8, Bea —— 31, 1212, en Krieges.
“u
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Zimofeew, A ,‚ Elifabetb Kulman. (X. d. Herz Albrecht v. Preußen. 658. Hoch⸗ u. WWohlgeboren. 463.
Aufl. über! v. K. F. v. re Volksbuͤ —*8 Wolowski. 120.
— — Afhude. Volksdrama, alte. 16. Wright, Th 4 Biographia britannica lite-
entänge. . raria. 1%
öpffer, Komifche Btätter. 1020 ae Srangöl wur, D-, ya der deutſchen uni⸗
Tommaseo,, N., Studi critid. 1059.
Toms, ©. 708. Vorwärts! —EE 1177. —* es, s Okt.
Zorfeder, 8: Blüten ber Liebe. 553. Buillefroy. 120. Zeitgebanfen. 106,
Waagen, Dr. G., Ueber eo Stellung, Zeitſignale. 921.
— ht, ie — 925. welche der Sauiuni ber Bildhauerei | Beitungsftatiftit, engl: 1076.
endurg * zoiſche Frage/ u. Malerei unter den Mitteln menſch⸗ Zevort, Ch. 559,
ers Cote, 1 licher Bildung zulommt. 853. Biegen, Sch. v., Worte ber Erinneru
Zrentoweli, 8. F., Shomanna. 343. Wackernagel, B., Neuere Gebichte. 835. J 6. 8 Schwarz. 1418.
Zribulet. 908. Wadernagel, 8. E. P., Der Unterricht — Sine Geisfihen, „(arten
Zrollope, Mrs. 584. 1464. in ber Arutterfpead. 879. Sübemann.
Tropus, K., Lebensgeifter. 22. Waldbruͤhl, W. v., —8 Balalaika. — —** Schriftſte *
Trube 1068. 99. Zur Kenntniß der a. af se.
X. Kitten. v., Buch der | Walter, W., Sammlung deutſcher Volks⸗
re — ai. », Bad bei, ©, Bammlung bar 8 zufner, Bi, Bebid
— — —
Blatter
für
iterarijhe Unterhaltung.
Sonntag,
— Rt].
1. Sanuar 1843.
Zur Nachricht.
Bon diefer Zeitfchrift erfcheint außer den Beilagen täglich eine Nummer und ift der Preid für den Jahrgang
12 Thur. Alle Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Beſtellung darauf an; ebenfo alle Poftämter,
die fih an die koͤnigl. ſaͤchſiſche Zeitungserpebition in Leipzig oder das koͤnigl. preußifche Grenzpoflamt in
Halle wenden. Die Verfendung findet in Wochenlieferungen und in Monatöheften ſtatt.
Alle Mitarbeiter haben neue Chiffren erhalten.
Die Memoiren des Ritters von Lang. *)
Es dürfte unfern Lefern ſchon binlänglih bekannt
fein, dag das Jnutereſſe dieſer Memoiren weit über die
tuhgtige Derföntichkeit hinausgreift, die ſich hier eigenhaͤn⸗
dig ein wäürbiges und gerechtes Denkmal gefest. Der
Nitter von Lang gehört unter die feltenen Männer, die
inmitten bed öffentlichen Elende und ber politifchen Auf:
Kifung unfers Volks Kraft und Charakter genug befaßen,
die Demoralifation des eigenen Welens von fich fern zu
erhalten. Nur ein folher Dann kann der bewußtvolle
Darfteler diefer unglücklichen Epoche werben.
Lang fiand den traurigen Ereigniffem ſchon amtlich
uohe, als das heilige römifche Reich unter dem Stoße
ws außen und der Laft feiner eigenen Dinfälligkeit zu:
mmufıne. Er aß und trand mit den vornehmen,
Ispeiteiten, gottverlaffenen Wächtern, die um bie Truͤm⸗
mer um Staubroolten unferer politifhen Exiſtenz herum:
- jappelteen. Er dDurchlebte alle Sphären einer durch Despos
ind entneroten, durch doppelte Ariflofratie zum Helo⸗
mem herabgemürbigten Geſellſchaft. Ec fah, wie diefe
zehtiichhen Ohnmachten und dieſe harakterlofen Voͤlker ein
Ranb der Fremden wurden; er fah aber auch nad) den biuti:
gen Kampfen und dem Erwachen eines neuen Lebens
das ganze, oft geheime Zreiben der deutfchen Reſtaura⸗
tien und die Maßnahmen des Abfolutismus, das Driefter:
uw Bureaukratenthum, die Adeldwirtbfchaft, womit bie
pelitifche Errungenſchaft vernichtet und die deutichen Völker
Gruſten der Privilegirten aufs neue lahm gelegt wer:
den felten.
Uns dies Alles, role «8 erlebt und empfunden wurbe,
bat der liche Mann mit feſter Dand und mit einer
fernen, unerbittlihen Steenge in die weiten Faͤden fei:
2) Memoiren bes Karl Heinrich Ritter von Lang.
Eftzzen aus meinem Leben und Wirken, meinen Reifen und meiner
It Braunfdnveig, Bieweg und Sohn. 1842. 8. 4 Thlr.
ned eigenen Lebensgefhides verzeichnet. Daß er in feiner
amtlichen Wirkſamkeit und Nähe, bei feinem durchdrin⸗
genden Urtheile und dem übergewichte feines Charaktere,
oft härter an die einzelnen Perföntichkeiten und ibre
Thaten getroffen, als c6 bei uns gewöhnlich ift, dieſer
gerechte Uebermuth, oder Unmuth kann wol keinem gefins
nungsvollen Manne die Mittheilungen verleiden; denn
zufegt iſt es immer nicht das perfönliche, fondern das
öffentliche Skandal, die ganze große, genug befannte, aber
immer wieder vergeffene Mifere unfers politifhen und
focialen Daſeins, an weiche fih die Betrachtung des
Verf. und des felbft Füchtigen Leſers heftet. Wenn aber
der Verf. in Ausficht ſtellt, daß uns Gegenmärtigen jene
politiſche Ohnmacht und Erbaͤrmlichkeit bald nur noch
der Schatten einer verfuntenen Welt und die beutiche
Reichstagsdiplomatie eine verflingende Sage fein wird, fo
wollen wir e8 glauben, weil wir es gerade bei ſolchen
Enthüllungen und Schilderungen nah dem Leben am
lebhafteſten wünfchen muͤſſen. Vielleicht ift nad) einer fo
gründlichen Ertoͤdtung alles öffentlichen und allgemeinen
Lebens einer Nation die Veröffenttihung dieſer und aͤhn⸗
liher Schriften ſchon ein fichere® Zeichen, daß die Deuts
fen, die Herrſcher und die VBeherrfchten, mit ber freiges
gebenen Erinnerung an bie alte Schuld eine neue Epoche
des palitifhen Lebens beginnen.
Der Ritter Lang (geb. 1764) war der Sohn eines
fhwäbifhen Pfarrers im Fuͤrſtenthume Ottingen: Waller:
ftein. Bei dem frühen Tode feines Waters verlebte er
eine unruhige, heimatlofe und gedrüdte Jugend, in der
er zeitig Selegenheit hatte, feinen Charakter zu bilden und
feinen froben Lebensmurh zu befefligen. Als ein glän-
zender Kopf verfchaffte er ſich auf eigene Kauft einige
Kenntniffe und bezog damit fehr bald die Lniverfität
Jena. Hier lebte er zwar armfelig, aber Iuflig, und
hatte nad) drei Zahren von Rechtswiſſenſchaft und allge:
meiner Bildung ſich fo viel angeeignet, baß er bei dem
Gerichts: und Megierungshofe des Fuͤrſten zu Öttingen,
wo er eine Secretaicftelle eroberte, al& ein gelehrter, fleißi:
ger und übermüthiger Züngling den Haß der alten Zoͤpfe
und den Neid der Höflinge erregte. Wenn es viele fol
her Gerichte in Deutfchland gegeben hat, und es gab
deren unzählige, fo ift unfern Vätern die Rechtshuͤlfe und
die Öffentliche Ordnung viel beſchwerlicher als förderlich
gewefen. Jeder mußte an einem folhen Hofgericht in
Jedes pfulhen. In den Seffionen, erzählt Lang, ging
es ganz befonderd bunt zu. Um 10 Uhr famen bie
Herren erſt herbei, das mündliche Gerede ging Ins Weite
und alle Augenblide auf ganz fremdartige Saden und
Tagesereigniffe über; oft, wenn ein Rath glaubte, er trage
eine Erbfchaftsfache vor und dann im Streiten der naͤchſt⸗
figende Rath oder Präfident die Acten ſelbſt nachſchlagen
mollte, handelten fie von einem Ochfenverfauf, oder von
einer fremden Sache. Mit dem Sclage 12 Uhr war
Eeiner der Raͤthe mehr zu halten; dba hieß ed: Herr
Secretair, da gebe ich Ihnen alle Acten, madıen Sie den
Schwanz dazu, und fo ging's aus der Eeffion fort ins
Wirthshaus. Wenn Lang dann felbft fortging, fo liefen
ihm die Juden nah und wollten wiffen, ob ihre Sachen
in der Sefffion vorgeflommen. Der Präfident war als
ein felbfländiger Mann und firenger Auffeher in Mis⸗
eredit beim Fürften und dem Gerichte, und Lang mußte
bald diefe Ungnabe theilen, weil ihn der Präfident vor:
309g und als einen vielverfprechenden Juͤngling ſchaͤtzte.
Zuerſt wurde Lang beim Kürften der Sreigeifterei be:
fhuldigt; und es wurde deshalb befohlen, er folle
entweber am Ofterfefte das Abendmahl nehmen, oder fort:
gejagt werden. Lang hätte gern das letztere gemählt,
aber der Hofiude und feine Speifewirthin, denen er bei
feinem geringen Gehalte verfchuldet war, baten ihn in
die Kirche zu gehen: fie fingen ihn auf und fließen ihn
hinein, wo ihn dann ber Pfarrer mit einer wahrhaft
Gatilinarifchen Rede empfing. Als ihn bald darauf der Fuͤrſt
ungerechterweife drohte, daß er ihn fünftig durch einen Cor:
poral in bie Sefjlon werde bringen laſſen, fo verlor Lang doch
die Geduld und nahm auf der Stelle feinen Abſchied.
Mit einigen Empfehlungen an Reichshofraths-Agenten
begab ſich jegt der junge Lang auf gutes Gluͤck nad Wien.
Diefe Stade wurde damals von Rechts⸗Reichs-Praktikanten
förmlich belagert, wie von folchen Leuten, die irgenb eine
diplomatifche Anflellung bei einem der vielen beutfchen
Höfe erhaſchen wollten. Es verſtimmte ihn nicht, daß
er nicht fobald eine Anftellung fand; er behalf ſich kuͤm⸗
merlih, machte Belanntfchaft mit tüchtigen und gelehr:
ten Männern, befuchte die Bibliotheken und fehte feine
Studim auf jeder Weife fort. Nach einiger Zeit fund
er ſich genöthige eine Hauslehrerftelle in Ungarn anzu:
nehmen ; aber bier gefiel es ihm wenig und er kehrte bald
wieder in Ausficht einer Secretairftelle nach feinem lieben,
sauberhaften Wien zurüd. Unter den zahllofen deutfchen Ges
fandten und Mefidbenten machte ihn enblidy der würtem:
bergifche Sefandte, Baron von Bühler, zu feinem Pri⸗
vatſecretair. 200 Thaler Schalt, wenig Arbeit, das
machte ihm die Stelle annehmlich, aber mweber bie Bes
fhäfte nody der Herr Gefandte waren bem jungen, ſtreb⸗
famen und übermüthigen Lang angemeffen. Mit vielem
Humor harakterifiren Die Memoiren die damalige Reiche:
biplomatie und ihre Vertreter. Alle Poſttage, woͤchent⸗
ih zweimal, nachdem der Gefandte ben ganzen Bormit:
tag bei andern, ähnlichen Diplomaten, Wechslern, Agen⸗
ten und Juden Erkundigungen eingezogen, mußte der Se:
cretair eine diplomatiſche Note darlber entwerfen. Nach⸗
dem biefe Trivialitaͤten und on dits unter unzähligen
und laͤcherlichen Händeln zwiſchen Herr und Schreiber,
3 B. ob man Verzeihniß oder Verzeichnuß fchreiben
müffe, den ganzen langen Tag lıbes waren zurechtgeſtellt
und mit taufend Schnörkeln für ben würtembergifchen
Seheimenrarh mundirt worden, fchaffte man fie als wich⸗
tige Depefchen in der Nacht auf die Poſt. Diefen De:
peſchen war indeffen noch ein geheimes, für ben Herzog
ſelbſt beflimmtes und in franzöfifcher Sprache ſtyliſirtes
Bulletin beigefügt, da6 dem Deren Gefandten ganz bes
fondere Arbeit und Mühe machte, wenn er nicht, wie es
oft gefhah, dieſe Klatfchereien und Stadtgefhichten von
einem alten Franzofen, deffen Gefchäft dies war, fchon
ſtyliſirt kaufte. Ein wahrer Sammer ging aber im Haufe
bes Sefandten los, wenn der Staatskanzlei eine minifte:
eielle Note, z. B. um Erlangung eines Paffes, mußte
übergeben werden. Da konnten nicht genug crhetoriſche
Zierathen, auffallende Eingangs » und Schlußformeln,
ungewöhnte Redensarten und koſtbare Papierjorten bers
beigefhafft werden, und felbft die Meinfchrift, wegen im:
mer noch mislungener Schnörkel und Striche, mußte
zehn bie zwoͤlf Mal wiederholt werden, und nod öfter
die Couverte, bis auch der Siegelabdrud endlich einmal
untadelig ausgefallen. Die Depefhen und Aufträge,
welche die Sefandtfhaft aus MWürtemberg erhielt, waren
von gleicher Beſchaffenheit. Der Gefandte mußte Todten:
[heine erheben und Legitimationen, dies fand obenan ;
dann für den Herzog Beſtellungen bei Handwerkern und
Kaufleuten machen, alte Bibeln und Incunabein von fei:
nem Secretair aufgabeln laffen; beide mußten aud die
Reichshofraths⸗Concluſa von vielen Jahren ber zufammens -
bringen und bdergleihen. Den Landsleuten gab gewoͤhn⸗
ih Lang Audienz und Beſcheid. Daß aber diefe Ans
Deutungen von dem Xreiben der damaligen Reichshofs⸗
Diplomaten und : Polititer wahr find, davon nur ein Bei:
ſpiel. Einſt war in der Nacht ein Courrier im Hoͤtel
des Sefandten angelommen, der am Morgen die Köpfe
und die Bulletind von ganz Wien in Alarm und Muth:
maßungen feste. Eins diefer Bulletins ſagte:
„On dit que son Excellence Monsieur le Baron de
Bühler, Ministre plenipotentaire de S. A Monseigneur le
duc de Würtemberg avait recu la nuit passece un courrier
qui a remis des depöches de sa cour d’une tr&s-haute im-
portance, et qui doivent concerner, & ce qu’on presume, la
nouvelle dignit6 e&lectorale, qu’elle est düe & cette maison
illustre il y a long temps.’
Als Lang dieſes wichtige Bulletin las, befremdete es
ihn um fo mehr, daß ber Geſandte ihn, die wichtigſt⸗
Perſon in diefer Angelegenheit, nicht hatte zur Unter:
ı
kitung und Berathung ber Depeche ziehen laſſen. Aber
— wis ergab fh, als er endlich Ddahinterfam: Die
wärtembergifche Mote hatte zwölf paar Schuhe zu einem
Hefte verlangt, und diefe Commiſſion hatte, mie ge:
wich, den Reichshofrath und die Wolke der Gefandt:
Kfm in Bewegung und politifhe Combinationen gefeßt.
Der Eluge und feurige Juͤngling wurde auf diefe
Reife förmlich zur ewigen Verachtung dieſer vaterländi:
fien Diplomatie und politifhen Spielerei gezwungen,
dran folder Art wurde allenthalben Zeit, Kraft, Geld
uud Stellung verſchwendet, und es iſt wohl zu begreifen,
wie dieſes Heer deutſcher Diplomaten und politifcher
Künfter, die das Geheimniß der Weltregierung fi an:
geboren glaubten, den Fall des Reichs und die allgemeine
Verwirrung eher fördern ale aufhalten mußten. Lang,
der fih jezt mit Ernſt in die Staatswiſſenſchaften ver:
ieft und dabei ſich auch das geiſtreiche Weſen und die
allgemeine Bildung ſeiner Zeit anzueignen ſuchte, hatte
fi) an die Preisfrage Joſeph's II. „Was iſt der Wucher?“,
gemacht, und zwar nicht den Preis, doch eine ſehr er:
munternde Belobung und die Anwartſchaft auf oͤſtreichi⸗
ſhen Staatsdienſt erhalten.”) Joſeph flarb und mit
ihm die Hoffnung Lang's, in Oſtreich angeftellt zu wer:
den. Er erariff daher mit beiden Händen bie Gelegens
beit, bei einem ungarifchen Gerichte für feinen Herrn
Sefaudten den Anwalt in einer Geldangelegenheit zu
mahen. Die Befhreibung, die Lang von bdiefem Ber:
kehr mit Magyaren gibt, iſt hoͤchſt geiftreih und launig.
Ja Ungarn, wohin er ſich nun begab, dauerten damals
Die Vorbereitungen zu einer gerichtlihen Stellung der
Parteien fo lange, daß der junge Lang, ohne feine Ge:
ſchaͤfte zu verfaumen, ein herumzichendes und Luftiges
Leben führen konnte, ja, um ſich die Zeit zu vertreiben,
wie er fogar nad Belgrab und befah fi die durch
m Krieg vermäftete tuͤrliſche Grenze. Der Proceß foll,
wetang verfichert, jegt noch nicht zu Ende fein. Bei fels
wmRädtchr nach) Wien fandte der Sefandte feinen Secre:
ksiz m einer gleichen Angelegenheit nach Frankfurt; Yang
mar hier glücklicher, obſchon er fid die Zeit damit ver:
ib, daß er unterbeflen mit einem reichen Dollähber auf
acht Tage nach Amflerdam reifte, mo er für feinen Deren
des feinfte Papier und Siegellad zu diplomatifchen Noten
fzufte und fi damit in große Gunſt und Anfehen fette,
(Die Fortſetung felgt. )
Karl Immermann. Blätter der Erinnerung an Ihn.
Drrausgegeben von Ferdinand Srelligrach. Mit
Smmermann’6 Bildniß in Stahlfli nach einer Zeich⸗
zen; von Leffing. Stuttgart, Krabbe. 1842. Gr. 12,
1 Zr 15 Nor.
Bas wir an verſchiedenen Stellen dieſes Buches, aus
Deieſen Imermananꝰs an Freiligrath ſelbſt und an Andere, ers
2) Erft fpäter iſt dieſe Feine Schrift im Drud zu Noͤrd⸗
üngen (1791) erfchienen, unter dem Zitel: „Sin Botum
Über den Wucher, von einem Manne sine voto.” Sie machte
den
B irer Zeit viel Aufſehen.
/
feben, mit wie viel Intereffe Immermann „ben Entfaltungen
eines fo Tönen und frifchen Talents“, wie Freiligrath's, gr
folgt it: fo begreifen wir leicht, daß der junge Mann bei Ims
mermann’s unerwartetem Tode ſich lebhaft gebrungen fühlte,
bem Gedaͤchtniſſe des Dichters nad) Vermögen „sin Denkınal’
zu fegen. Es häfte darum immerhin auch nur ein kleiner Kranz
des Andentens fin dürfen, wenn folder nur friſch ‚auf das
friſche Grab des Dichters gelegt worben wäre. Nun aber, nach⸗
bem fich der dankbare Sänger zwei Jahre Zeit genommen hat,
durfte man auch wol ein wirkliches Denkmal erwartın, wie es
den begrabenen Dichter ehren Eönnte. Statt beffen erhalten wir
„Blätter des Andentens“. Blaͤtter find es nun freitich, 89 eng-
bebrudte und auh an Immermann erinnernde; baß es aber,
wie dee Herausgeber meint, kaum einer Erwähnung bebürfe,
wenn ein folches, von Mehren zufammengetragenes Werk nichts
Ganzes, nichts Erfchöpfendes brachte — darin irrt Hr. Preis
ligrath fehr. Nach fo langer Zeit mußte etwas Befriedigender
zes gegeben werden. Er entfchuldigt fi damit, daß er ja nur
Blätter der (Erinnerung darbiete, fcheint aber, wenn wir une
doch einmal an portifche Bilder halten follen, bei dieſer Ent
ſchuldigung in feiner Vorrede vergeffen zu haben, daß er uns
einige Briten vorher eine keine Tempelhalle verfpricht, von
Freunden des Verſtorbenen auf deſſen Grabe errichte. Wir
aber, follen wir denn glauben, daß die vier Männer, die bier
neben bem Berausgeber Beiträge geliefert haben, bie einzigen
Freunde Immermann's wären, die etwas aus dem Reben des
Dichters oder aus ihren Studien feiner Werfe hätten mittheilen
Eönnen? Rein, lieber wollen wir doch annehmen, Kreitigrath
fei nicht thätig genug gewefen, die Kreunde und Berehrer Im:
mermann 8 zum Bau einer „Tempelhalle“ zu verfammeln, und
er babe zulegt, weil er mehr den mahnenden Werleger, mit
dem längft abgeſchloſſen war, im Ohr, als des Dichters Ver:
bienfte vor Augen gehabt, biefe flüchtig gefammelten Blaͤtter
raſch zufammengebunben und hingeworfen, Blätter, die ihrem
Inhalte nach nicht einmal fo mannichfaltig find, daß der ‚Der:
ausgeber das Verdienſt hätte fuchen können, fie nad) cinem
finnreicden Gedanken anzuorbnen und die Lüden zu ergänzen.
Denn zwei Beiträge beiprechen eine und biefelbe Dichtung Im⸗
mermann’s, unb zwei andere erzählen uns von benfelben Bes
ſuchen des Dichters in Jena — Weimar. Von ben übrigen
Werten, aus ben andern Lebensregionen des Dichters erfahren
wir aud gar nichts. Ja, felbft was man von ber Witwe Ims
mermann 8 aus ihres Gatten Tagebuchdlaͤttern, mithin als Beitrag
des Dichters felbft zu feines Andenkens Ehre, herausgebracht
hat, berührt eben benfelben Wefuch in Weimar. Cr gibt uns
Immermann's Gedanken im Goethe'ſchen Haus und in der Fürs
ftengruft, Betrachtungen voll Seift und Gemuͤth, die uns Im⸗
mermann's Perjöntichkeit ſehr lieb machen. Diefe Mittheitungen
und das dem Büchlein beigegebene Büdniß des Dichters, nach
einer Zeichnung Lefling’s, in Stich gut ausgeführt, find es auch
fon allein werth, daß man ſich dies Büchlein anfchaffe, in
welchem alfo Immermann felbft zu feinem Andenken mehr als
feine Freunde gethan hat. Betrachten wir indet doch auch,
was diefe Berebrer zur „Tempelhalle aus Blaͤttern“ geleiftet haben.
Zum Anfang und zum Schluß ftehen zwei Gedichte. Was
Gottfried Kinkel „bei Kart Immermann’s Zod’ empfune
den bat, iſt im feinen gefünftelten Strophen weder ticf elegiſch
noh in feinen Gedanken recht charakteriſtiſch ausgeſprochen.
Auch Freiligrath's Schiußgedicht iſt wenig bedeutend, ſchwer⸗
faͤlliger, als wirs von ihm gewohnt ſind, und ohne die Ein⸗
heit eines ſchoͤnen, herrſchenden Grundgedankens.
Zwei Beſprechungen über Immermann's „Merlin“ find
von Kinkel und Levin Schuͤcking. Freiligrath meint,
beide Gommentare zu dieſem dunkelſten und am wenigſten
bekannt gewordenen Gedicht ergänzten einander aufs fchönfte.
Une iſt es aber vorgelommen, als ob Kinkel's Beſprechung
neben Schuͤcking's viel umfaflenderer und tiefer eingeben:
den Arbeit nicht blos zurüdfiche, ſondern ganz entbehrlich
werde. Menigftens entwidelt er keine eigenthämtiche Anſicht
über den „Merlin”, während er uns das Gedicht weber in deffen
ſymboliſcher Bedeutung noch aͤſthetiſchem Werthe fo nahe bringt
als Schüding. Diefer behandelt mit großer Kenntniß unb viel
Geiſt die mittelaltertihe Sage, in welche der Dichter feine oft
räthfelhaften Anſchauungen niedergelegt hat, dann ben Dichter
feibft und deffen eigenthuͤmlichen Eritifch = poetifchen Dualismus,
und endlich das Gedicht, in deffen Entwidelung und Bedeutung.
Beide Kritiker blicken, gelegentlich des Gedichts „Merlin“, nad
Goethe's „Fauſt“ und möchten gern bem jüngern Dichter einen
Vorzug geltend machen. Sie ſprechen von einem gluͤcklichen
Bund Immermann’s, während doch Goethe’s Griff in die vein
menſchlichen Berhättniffe des Mittelalters echter und gluͤcklicher
fheint als Immermann's Einbräten in die uns fremb gewor⸗
denen moftifchen Anfchauungen jener frühern Zeit. So gibt
auch Goethe mehr Lebensweisheit, während Immermann viel
Schulphiloſophie vorbringt. Und was an Immermaun unver:
ftändlicher ift, Tann darum nicht für tiefer gelten, ald was man
bei Goethe fo huͤbſch faffen kann. Und wenn nun Schuͤcking
mit allem liebevollen Studium, das er dem Immermann’fchen
Gedichte gewidmet bat, doch bekennt, daB ihm ein huͤbſcher
Theil deffeiben unverſtanden geblieben fei: foll man dann fo un:
bedingt in die Befchwerbe einftimmen, das beutfche Volk habe
lange Zeit feinen Antheil an Immermann's Dichtungen genom:
men? . Seine SPoefie fetbft ift gewiß nicht ganz ohne Schuld
dabei. Um fo mehr muß es in Verwunderung fegen, daß ein
fonft fo dharakterfefter Mann fi von diefer Theilnahmloſigkeit
fo fehr verftiimmen und erbittern ließ. Der echte Dichter fchafft
aus innerer Nothwendigkeit und findet in dem Hervorgebrachten
die Dauptbefriedigung, bie Befriedigung feines fchöpferifchen
Inſtinkts. Im Punkt fremder Anırlennung war Immermann
nicht immer Mann. -
Wir finden weiter unter den Crinnerungsblättern eine
Mittbeilung von D. 2&. B. Wolff in Lena: „Wein
Verhältnig zu Immermann.” Geht do! Wolff's Verhaͤltniß
zu Immermann! Ad ob wir um Wolff's willen von ‚Immer:
mann hören wollten! Was wir hier von Immermann erfahren,
{ft zwar nicht von ganz befonderer Bedeutung, würde fi aber
doch noch anziehender ausnehmen, wenn es nicht fo breit und
mit mehr Geift erzählt würde. Wolff’s eingefchaltete Be:
urtbeitung der „Epigonen“ dehnt ben Auffag ſehr aus, ohne
etwas bejonders Geiftreiches über den Roman beizubringen.
Die Mittheilungen Wolff's über Immermann's Beſuche in
Jena und Weimar werden ergänzt und fortgefegt im Auffage
Sriedrih von Müller’: „Immermann in Weimar‘, mit
einigen interefjanten Briefen des Dichters.
| Die fünf Briefe Immermann’s an Freiligrath drehen fich
um des Dichters Iebhafte und licbenswürdige Theilnahme an
dem jungen Lyriker und an beffen Gebichten.
Aus verfchiedenen Briefen Immermann’d an Wolff geht
biefe Theilnahme Immermann's an freiligrath hervor. Und
wenn er bier einmal dem jungen Sänger das Prognoftikon
ftellt, dee Mangel an Bildung und Kenntnifjen und die Ungunft
ber Situation müffe zu baldiger Erichöpfung führen: fo mag
Freiligrath, der mit liebenswürdiger Unbefangenheit diefe Auße⸗
zung in dem Büchlein mit aufgenommen bat, darin eine defto
nachdruͤcklichere Auffoderung finden, fi in gediegenen Produc⸗
tionen lebbafter, als es feit einiger Zeit gefchehen, hervorzu⸗
tbun. Wir möchten lieber feinen eigenen, als von ihm’ übers
fegten Gedichten begegnen; wir wünfchen ihn lieber gu den Fuͤ⸗
fen ber deutfchen Mufe, als ſtets nur unter dem Schreibtiiche
der englifhen Dichterin Hemans zu finden. l.
Riterarifche Notizen aus Frankreich.
ine neue Ausgabe der gefammelten Werke des fruchtba:
zen Romanſchreibere Balzac erfcheint unter dem Zitel: „In
Comedie humaine. Osuvres completes de Balzac.'" Wahrſchein⸗
lich wid Balzoe mit diefem pomphaften Zitel fagen, daß feine
nomie sociale et politique,’’
Werke das Bild des menſchlichen Lebens in allen feinen Schat⸗
tirungen geben. Aber es iſt dies grundfalſch. Balzac if fo
unwahr wie ber größte Theil ber übrigen Romandichter, bie
am meiften en vogue find. Seine fruchtbare Phantofie bat
Ihm eine ganz eigenthümliche Welt gefchaffen, aus der ex feine
Geftalten, wie er ihrer bedarf, herausgreift. Er gibt, fo zu
fagen, nur den Schatten bes Schattens einer Welt. Es gelingt
ihm wol, wie auch Paul de Kock, hier und da z. B. einen
alten pariſer Ppilifter mit einiger Naturwahrheit zu ſchildern,
aber in den eigentlichen Hauptpartien feiner Romane iſt nirs
gend Fleifh und Leben. Seine Werke werden viel gelefen, aber
menn fie den Reiz der Neuheit verloren haben, fo wird man
kein Wort mehr davon reden und fie in einen Winkel werfen.
In diefer Beziehung bat der geiftreihe Homme de rien, weis
her die „Galerie des contemporains illustres’‘ fchreibt (M. de
Lomeny), Recht, wenn er Balzac mit der Mademoifelle be Ecu:
dery, um deren Werke man fich ehedem riß, wie jet um den
neueften Roman bes Berf. des „„Pere Goriot’, vergleicht. Ihre
Romane find ebenfo unwahr, aus ebenfo erlogenen Befüht
zufammengewoben wie bie Balzac'ſchen. In den Romane
beider Schriftfteler herrſcht diefelbe Süßlichkeit, nur daß Jeder
dem Gefchmade feiner Zeit Huldigt.
Der neueſte Roman von Eugen Sue: ‚Therese
Dunoyer”, hat ein großes Auffehen ‚erregt, befonders weil
er, wie in den Buchhaͤndleranzeigen gefagt hat, gaͤnzlich aus
ber Wirklichkeit gegriffen if. Mit. Rebe bat Sid Nie
(M. Zorgues) in einem geiftreichen Feuilleton nachgewiefen,
wie gänzlich falfch dies ift und wie die gemeinen Kerle, welche
die Haupthelden diefes Romans find, nur in der wüflen Phans
tafie Sue's exiſtiren. Die Welt ift wahrlich beffer, als diefe
aufgedunfenen Romanfchreiber fie darftellen möchten.
Ohne ben wohlverbienten Ruhm bes vor einigen Monaten
verflorbenen Gismondi fchmälern zu wollen, muß man doch ge⸗
ſtehen, daß fein bekanntes Werk über die Freiſtaaten Itallens
manche ſehr ſchwache Partien enthaͤlt und ſpeciellen Arbeiten
noch eine reiche Ausbeute läßt. Unter denſelben iſt eine kürz⸗
lich erſchienene Geſchichte von Genua zu nennen, die manche
Punkte, die Sismondi nur oberflächlich berührt und oft gaͤnz⸗
lich vernachlaͤſſigt hatte, erſchoͤpfend behandelt: „Histoire de
ia république de Genes”, von Emile Vincens (3 Bde,
| Paris 1842). Dee Verf. diefer Schrift, frangöfifcher Staaterath,
bat Genua felbft länger ale 20 Jahre hindurch bewohnt. Er
bat Gelegenheit gehabt, die Archive der ehemaligen Repubfitt
zu benugen, und außerdem hat er auf der großen Bibliothek zu
Paris noch manches intereffante Document gefunden. Befon-
dere Ausbeute haben ihm die intereffanten Berichte ber franzö⸗
ſiſchen Geſandten zu Genua geboten. Sein Stil iſt einfach und
einem exnften hiſtoriſchen Gegenſtande angemefien.
Seit Heinrich IV. von Frankreich, ber fi von der Ein⸗
richtung feiner chriſtlichen Republik die Wiederkehr des goldenen
Zeitalters verſprach, hat die Idee von einem ewigen Frieden
zw wiederholten Malen in edeln Köpfen gefpult. Gin neuer
Vorſchlag, wie berfeibe zu begründen fei, findet fich in einem
Kleinen GSchriftchen eines franzöfifchen Arztes Namens P. RM.
Marhand, das ben Zitel führt: ‚Nouveau projet de traite
de paix perpetuelle,” Wir koͤnnen uns bier in keine nähere
Auscinanderfegung dieſer Lieblichen Träumerei einlaſſen. Biel
gediegener und pofitiver ift folgendes Werk, das mit dem eben
genannten zufammengebalten werben Tann: „De la paix, de
son principe et de sa réalisation“, von Pecqueur (Paris 1842),
Diefe Schrift, bie von der Gefellfchaft der chriftiihen Moral
gefröne ift, bildet mit zwei andern vom nämlidhen Verf. eine
Folge. Diefelben führen den Titel: „Des arınees dans leurs
rapports avec l’industrie, la morale et la libert6, ou les
devoirs civiques des militaires‘’ und ‚Theorie nouvelle d’6co-
Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockkhaus. — Drud und Verlag von F. 4. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
iterarifbhe Unterhaltung.
Rontag,
— ⸗ Nr. 2. mom
2. Sanuar 1843.
Die Memoiren Des KRitters von Lang.
( Bortfesung aus Nr. 1.)
Obi Lang fehr gern in dem ſchoͤnen Wien ges
bieten wäre, fo fagte ihm doch diefe triviale Stellung
fo venig za, DaB er Der Ruf eines Geheimen Hoffecre:
. tits beim Fürſten zuu Wallerſtein mit 400 Gulden Ge:
halt, die er aber nicht qusgezahlt bekam, annehmen mußte.
Kit em Beginn diefer neuen Laufbahn entwickelt fich
auh in den Memoiren ein neues Bild von dem Hof:
und Regierungsteben eines Beinen deutfhen Fürſten: «6
iR voii Interefle dieſes Bild, und zu bemerken ift nur,
daE dieſer Kurt kein ſchlechter Fürſt feiner Zeit war. Der
Türk und der newe Secretair kannten ſich fchon beide,
denn Lang war früher in defien Bibliothek Amanuenfis
geweſen und darum fortgeſchickt worden, weil durchaus
feine neuen Bücher ausfgetrieben werden konnten. Die
Regierung des Laͤndchens (das Collegium naͤmlich) war
damald bei dem Fuürſten mit Haupt und Gliedern in
Unguade gefallen. Der Fürft überließ ihr beshalb nur
unter großen Beſchraͤnkungen die Verwaltung der höhern
Yelicei und Juſtiz, feine Finanzlammer, das dürre Ges
we des bloßen Rechnungsweſens, ftellte aber alle Ver:
ungen au die Hauptkaſſe, alle Geldlieferungen, Er:
whangen, Beräußerungen, die Bewirthfchaftung feiner
chen Höfe, alle Dienftbefegungen, Begnadigungen,
a Raatsrechtlichen , tirchenrechtlihen uno reich6gerichtlis
den Segenftände zu feinem ausfchließenden, unbefchränf:
za Befehl, den er aus einem Gewölbe neben der Hof:
Ehe, Gabinet genannt, ergeben ließ und wohin auch
De Recurfe, Klagen, Dinuncdationen in clien und jeden
Juſtiz- Policei= und Kameralangelegenheiten gebracht
werden konnten. Lang wurde in bdiefem Gabinet als
Seheimer Hoffecretair angeftellt. Der Fuͤrſt gab ſich fein
garzes Leben hindurch mit folgenden ftaatsrechtlichen Lieb:
Imas3edanten ab, und wir fehen aus denfelben, daß die
Meinen Höfe auch eine Politik hatten, denen alle andern
Adagten feindlich geopfert wurden: 1) wollte er Die
Erbassküche an die Herrſchaft Dachſtadt ducchfegen, was
ihm aud gelang; 2) in Elſaß die an Frankreich gefalles
am fleckenſteinſchen Lehen einziehen; 3) dem Reichspraͤ⸗
laten in Neresheim die 1764 durch Vertrag eingeräumte
Reichsunmittelbarkeit wieder zu nichte machen; 4) ber
Reichsſtadt Nördlingen allen Betreidehandel im Rieß per:
ren und dafür eine eigene Sperre in Wallerftein errichten,
zu welchem Zwecke Lang alle Sonnabende zur Beobachtung
des Verkehrs auf der nördlinger Sperre verweilen mußte.
Der Dienft, den Lang beim Fürften verfah, wurde fchred:
lich durch das Iaunenhafte Welen, dem ſich diefer Kleine.
Fuͤrſt oft in den wichtigften Dingen hingab. Lang, die
andern Beamten, die Solticitanten, das Bolt, Alle muß:
ten oft Zage und Nächte im Vorzimmer warten, bis fie
der Fuͤrſt, obgleich fie oft beftellt worden waren, vorließ.
Sing endlih nah fangem Harren dem Secretaie ber
Stüdsftern auf, der ihn ins Gabinet führte, fo gedieh
es nicht felten, zum Schredien der Außenflehenden, zu einer
dreiftündigen Unterhaltung, in welcher von Europa, Afien, -
Aftika und Amerika, von archivalifhen Raritäten und
endlich auch vom Fürftenthume Wallerftein gefprochen
wurde. Dabei war des Sürften Art zu arbeiten eine
feltfame. Er fchichtete nämlich alle eingehenden Berichte,
nachdem er fie geöffnet, neben feinem Schreibtifche hoch
auf, fo hoch als nur fein Arm reihen konnte; hatten
aber die Gefchäfte eine folche Höhe erreicht, fo wurde be=
fchloffen den Haufen Eleiner zu madhen. Im Plaudern
zog alfo der Fuͤrſt bald oben, bald unten, bald aus der
Mitte einen Brief hervor, griff fchnell den Gegenſtand
auf, erlauerte jede Gelegenheit, wo vielleicht gerade das
Gegentheil von Dem, worauf die Gollegien angetragen,
durchzufegen moͤglich wäre, bemerkte mit einigen Worten
feinen Beſchluß und gab die Sache dem Secretair zum
Eppediren. Mit felten wurden aber auch die Sachen,
aus irgend einem Grunde, mit einem wahrhaft tumul:
tuarifhen Berfahren in die Kanzlei gefchleudert. Leider
erwuchſen jedoch aus diefen ſchockweis an die GCollegien
fliegenden Gabinetsentfchliefungen beinahe ebenſo viele
neue Drachenkoͤpfe. Die Regierung naͤmlich, empfindlich,
daß die Befchtüffe oft in den nöchigften Sachen Sahre
lang ausblieben, glaubte dem Fuͤrſten das Unrecht das
durch fühlen zu laflen, daß fie endlich alle Monate, mit
abfchriftlicher Beilage des erſten Berichts, im jeder einzel:
nen Angelegenheit eine neue Erinnerung eingehen ließ.
Es konnte darum bei den ambulirenden Erpeditionen des
Fürften und dem zufälligen Derausziehen nicht fehlen,
daß am Ende in ein und derſelben Sache oft fünf: und
fechferlei verfchiedene Entfchließungen unter demfelben Expe⸗
ditionsdatum ankamen, denn Journale zur Conttole ließ
er durchaus nicht paſſiren. Manche Sachen gelangten
fo nie zu einem Ende. „Ich weiß”, erzählt Lang wört:
ich, ‚einen armen Teufel, ber viele Sabre lang im
Kerker zu Harburg faß, weil die Regierung nicht wußte,
welches von den vorliegenden Urtheilen an ihm vollzogen
werden follte, ob er al& Dieb gehangen, ausgepeitſcht, Ins
Zuchthaus geſteckt, des Landes vertiefen, oder mit ange:
technetem Arreſte entlaffen werben ſollte. Am Ende hat
ee felbft der Sache ein Ende gemacht und war burchges
brochen. ”’
Bei diefem Stande des Dienftes war es ein guter
Zufall, daß der Fürft ald Director des ſchwaͤbiſchen Bra:
fenbundes (das fürfllihe Haus war naͤmlich noch zu kei:
ner Virilſtimme auf dem Reichdtage gelangt) feinen Secre:
tair Lang nach Frankfurt a. M. fandte, um bei der Kaifers
wahl und Kaiferfrönung ale Beobachter dem Hofe zu Wal:
lerſtein mitzutheilen, was dort Merkwürdiges verhandelt
werde, und ob vielleicht für das Intereſſe der Bleinern
Stände gewirkt werden könnte, mworunter den Reichsgra⸗
fen befonders das Prädicat „Mir am Herzen lag. Die
Belchreibung von Dem, was Lang zu Frankfurt fah und
that, follte jedermann leſen, weil fie auf. die traurigen
Verhaͤltniſſe unfers damaligen Öffentlichen und privatlichen
Lebens ein helles Licht fallen läßt: und wären nur bie
Folgen eines ſolchen Zuflandes für uns nicht gar zu
ſchlimm gemwefen, fo würden fie jeden ernften Deutfchen in
die heiterfte Stimmung verfegen, denn der fiharfe, un:
befangene Lang fah und erkannte tiefer als der Dichter
Soetbe. Lang wurde einem fchwäbifhen Grafen, dem
Heren Reichserbtruchſeß Grafen von Truchſeß⸗Walddurg,
und einem ifendurger Regierungsrathe beigegeben, von
denen ihn der Legtere zum Protokolliten und der Aus:
fertigung der Srafentagsdeputation, der Erſtere bei der
bevorfiehenden Geremonie als eine Art Gentilhomme ge:
brauchte. Für diefe Stellung mußte er bei dem Reiche:
erbmarfhallamt noch ein befonderes Protectorium Iöfen.
Die erfte bochwichtige Angelegenheit, die dem Diplomaten
Lang nun unter die Hände kam, war ein Geſuch des
Reichserbmarſchalls Grafen von Pappenheim, baß unter
denjenigen jungen Grafen, melde die Ehre haben, nad)
dem KReichsceremonfel die Speifen auf die kaiſerliche Ta⸗
fel zu tragen, auch die jungen Herren Grafen von Pap⸗
penheim möchten zugelaffen werden. Die gefammten
deutſchen Reichsgrafenlande aber kamen über dieſe Zu:
muthung, die einen ungeheuern Courtier: und Eſtaffetten⸗
wechfel veranlaßte, in den gemwaltigften Alarm; es wurde
abgefchlagen, fintemal, unbefchadet der perſoͤnlichen Würde
der Herren Srafen von Pappenheim, ihre Herrſchaft felbft
Leine wirkliche Reichsgrafſchaft, fondern nur eine reiche:
ritterfchaftliche Befigung fei. Nach diefem Sturme follte
auf dem Reichstage zu Frankfurt nocd ein weit größeres
Ungewitter zufammenziehen und auch Lang wurde ploͤtz⸗
ih nach Offendach, in das Werde der deutſchen Reiche:
grafen > Deputation, einberufen.
Das kaiſerliche Hoflüchenmeifteramt hatte nämlich ein Ver:
zeichniß ſaͤmmtlicher Schäffeln, 37 an ber Zahl, mitgetheilt, um
fie zur Auflegung auf die Zafel an bie hierzu beftimmten
Reichägrafen zu vertheilen. Nun war aber feit Garolo Magno,
oder auch etwas fpäter, das reichsgefeamäßige Herkommen, das
jeberzeit bie erfle Schüffel von einem Schwaben, die zweite von
einem Wetterauer, bie dritte von einem Kranken, und bie vierte,
und fo allemal bie legte, von einem weitfälinger Grafen getragen
werden mußte. Allein nach biefem Zurnus hätte es ſich getrof:
fen, daß bie fiebenundbreißigfte Schüffel, al& bie allerlegte, wie:
der auf einen fchwäbifchen Grafen gelommen wäre, worüber alle
anmefende Schwaben, benen doch fogar felbft bei einer allgemeis
nen deutfchen Keichscollegialfchaft zugelommen wäre, mit dem
St.⸗Georgenſchild voranzuftehen, in den heftigften Unmillen aus:
brachen, während gleihwol auch keiner der andern Stände drs
Reichs diefer fiebenunddreißigften Schäffel fi annehmen reolite.
Es ſchien wenig zu fehlen, daß es nicht gar zu einem bürger:
lichen Reichögrafenktriege gekommen wäre. Die Eaiferliche Hof:
Eiche ſchiug es geradezu ab, dieſe verwuͤnſchte fiebenundbreißigfte
Schuͤſſel etwa wegzulaffen, welches ihr auch nicht zu Yerbenfen
war, weil fie fi darüber mit allen Küchenzetteln von Kaifer
Rudolf's Zeiten ber auszumeifen vermochte. Endlich doch fam
gleihfam wie vom Dimmel her der geiftreiche Einfall, aus bie:
fer großen Schüffel vier Eleinere gu machen, worauf bann bie
letzte richtig wieder auf einen Weftfälinger kam,
As Gentilhomme des Reichserztruchſeſſen hatte Lang
nun ber Krönung felbft beizumohnen. Er vergleicht fie
mit einer „altteflamentlihen Judenpracht“, hinter welcher
fi die größte Nichtigkeit des politifchen Deutfchlande
verftedte. Die in. ganzen Streichen berbeigeflogenen deut-
[hen Profefforen und Docenten, fagt Lang, riſſen ſich
um bie naffen Drudbogen der neuen Wahlcapitulatien,
um zu erforfchen, an welcher Stelle etwa aus einem
Komma «in Semikolon geworben, welche Abänderungen
fie fi dann zum Verdienfte anrechneten. Am lebendig:
ften wurde nad) Lang's Beobachtung auf biefem Reiche:
tage die Rachefoderung ber franzäfifhen Emigranten ver=
tceten. Sinntiches, luſtiges Schlemmerleben mar dabei in
einem fo hohen Grade vorhanden, daß der Herr Kurfürft
von Mainz unter einem Gefolge von 1500 Menſchen
fogar aud eine Amme und einen Kapaunemflopfer mit:
gebradyt hatte.
Lang mar jet beſonders durch die archivaltfchen Kennt=
niffe, die er fi im Folge der Wallerftein’fhen Staats⸗
projecte erworben hatte, dem Sürften eine werthe Perfon .
geroorden, doc aber auch fuchte wiederum der Fürft es
zu verhindern, daß dem muthigen, ftrebfamen Lang die _
Flügel zu ſehr wuchfen, vielmehr wollte ec ihn in dieſer
untergeordneten Stelung abnugen. Lang ließ fih das
nicht gefallen; denn als ihm der Fürft den Poften über
das Arhiv, den er fhon längft verfehen, und ruͤhmlich
verfehen hatte, deshalb abfchlug, meil er nicht fehs Schub,
fondern nur fünf Schuh lang fei und wenig repräfentire,
fo nahm Lang biefen herben Scherz übel und ging feiner
Wege. Mit fhönen Kınntniffen jegt in Archivſachen
ausgerüftet, überließ Lang dem Zufall, wohin er Ihn trei=
ben würde, denn ein fefter, bedachter Lebensplan führte
im damaligen deutfchen Reiche nicht leicht zum Ziele. Er
wollte wieder nad dem fhönen Wien gehen, aber der
Zufall führte ihn nah Göttingen, und bier nahm er
feine Studien, namentlich die hiftorifchen Wiffenfchaften,
wieder auf und vermeilte mit großem Eifer und ohne
Geld wol einige Jahre an der ‚dortigen Univerfität, im
Umgange und der Freundſchaft tüchtiger Männer. Er
ie eine Preisfiage „Conamsentatio de dominii utilis
atura, indole atque historia” und hatte das Gtuͤck, dem
Kürten Hardenberg, der ſich zumellen auf feinem hand:
wein Stammgute aufhielt, in Folge diefer Abhandlung
iateſant zu werden. Sein Glück war damit gemacht,
ke ir Kürft, der damals (1793) in Anſpach Minifter
se, wufte das Talent aus der Maffe der jungen Aben-
ser ſchon herauszufinden. Der Minifter übertrug jest
aim Rang die Einrichtung feines eigenen Familien⸗
achiss und bie Gefchichtichrefbung feines Daufes; fo
faunıe er die Kenntniffe und Zalente bes jungen Dan:
nee kennen lernen, und nad zwei Jahren machte er
denfeiben, obgleich die Familiengeſchichte der Hardenberg’:
fen Familie ihrer freien Behandlung wegen nicht gefiel,
zum Director des königlichen Archivs in Anfpady mit einem
Sehafte von 1000 Gulden. Lang's Wirkfamkeit erhielt
num einen freien, vollen, feinen Kräften und Kenntniffen
angemeffeuen Spielraum. Ci entfernte zuvoͤrderſt, Die
Sinecuriften von der Anſtalt und gab dem Archive felbft
eine höhere wiſſenſchaftliche Ordnung; er fchrieb ferner
eine Reihe nicht öffentlich gewordener, aber vwoichtiger
Denkſchciften über die Erwerbungen bes preußifchen
Staats; er redigirte einzelne Theile des Archivs, machte
feinen Inhalt fo viel ald möglich praktiſch und zugäng:
lich und benugte denfelben zu eigenen werthvollen wiſſen⸗
fhafttihen Arbeiten. Lang erlangte fehr bald durdy feine
ausgebreiteten Kenntniffe, feine Rechtſchaffenheit und Thaͤ⸗
tigkeit ein ſolches Zutrauen und einen Einfluß bei dem
Minifter, daß er ihn als einen in Reichsſachen erfahrenen
PRaun der Geſandtſchaft auf dem Congreſſe zu Raftatt
guerchrilte; überdies follte er auf demfelben noch das
Sutereffe der preußifch = anfpachifhen Länder befonders
wahrnehmen. Als er mit dem Minifter zuſammenkam,
ſcheint ihm diefer noch den Auftcag gegeben zu haben,
das Hardenberg'ſche Intereſſe gegen das des Minifters
Deugwig zu vertreten, denn Lesterer war ſchon auf Erftern
Rache und Lang erklärt hieraus die Ablehnung des
Kar Gabinets, die Unterwerfung Nuͤrnbergs anzu⸗
—XX
Die Darſtellung des Congreſſes zu Raſtatt duͤrfte
zum wol der wichtigſte Paſſus in den Lang'ſchen Me:
mern fin. Man kann das Fragment dieſes Diplo:
matiſchen Schauſpiels ald Deutfcher nicht ohne Unmillen
ze Scham leſen: wäre das Ungluͤck von Deutfchland
euch ſonſt abzuhalten geweſen, baffelbe mußte ſchon ein-
treten, weil es eine folche bodenlofe Diplomatie abwenden
Et. Alles war bier von unferer Seite gott: und
geißeverlaffen, frivol, hochmuͤthig, leichtſinnig und über
die drehende Gefahr zum Theil völlig im Unklaren. Der
Baf. der Memoiten charakteriſirt mit großer Umftänd:
het das zahlloſe, unermeßliche Heer deutfcher Diplo:
matın, Unterhaͤndler und Politiker, die fih in Raſtatt
verfammeitm. Das luflige Schaufpiel, einen Bonaparte
ib an der Spitze eines folhen Gefandtfchafts : Puppen:
yield zu fehen, hatte Lang durch feine verfpätete Ankunft
wiäumt. Dagegen traf er die andern franzoͤſiſchen Col:
ken und wurde mit denfelben bekannt. Diefe beftanden
zuerft aus Herrn Treilhard, von Anfehen, wie man auf dem
Theater einen Notar fiebt, nur nicht im ſchwarzen, fontern im
farbigen Brad, gleihfam hberbeigerufen, um für das deutfche
Reich das Zeftament zu machen, immer mif ben Bänden fech:
tend und plaidoyirend; dann Herr Bonnier, immer ſchwarz ger
kleidet, einem wohlgenährten Stadtpfarzer gleichend, abır dabei
trogig und flumm; Monſieur Jean de Bry, cin ſchwarzes,
langes und hageres Männdyen, mit feurigem Auge, der ſich ges
gen bie beutfche Langeweile burdy emfiges Ireiben der alten
Wiffenfchaften,, befonder® der gricchiſchen Claſſiker, fchügte.
Allen Dreien fab man bie tiefe Verachtung vor dem deutſchen
Weſen in jeder Miene an und wie fie ihre zum befchloffenen
Vorwärts gerichteten Krallen gar nicht verbargen.
Die Wenigſten konnten die Rolle, welche bie drei
größern Döfe, befonders Öſtreich und Preußen, bei dies.
ſem Congreffe in Raftatt fpielten, recht begreifen. Lang
ſtellt auch die Wahrfcheinlichkeit auf, daß der öftreichifche
Gefandte Graf Lehrbach der englifche Agent zugleich ges
wefen ſei. Oſtreich hatte das deutfche Reich in geheimen
Artikeln ſchon laͤngſt aufgeopfert, von feiner Seite den
Rhein als Grenze anerlannt und die Meichafefle Mainz
zu übergeben verfprochen, nachdem es fid im Frieden zu
Campo:Formio mit Frankreich in einem Separatfrieden, fo
gut wie Preußen früher zu Bafel, für feine Berlufte in.
den Niederlanden eine Entfhädigung In Stalien. ausge:
macht und fich noch eine weitere an der bairifchen Grenze
bis Wafferburg ausbebungen hatte. Als nun aber
Frankreich auftrat und fowol die Nheingrenze anerkannt,
als für die Verluſte deutſcher Fuͤrſten auf dem linken
Rheinufer (nad Separatverteägen) ihre Entſchaͤdigung
dieffeit des Rheins foderte, fo fing die öftreichifche
Politik nun ihre fonderbares, damals räthfeihaftes Spiel
an, das mit dem Untergange bes beutfhen Schatten
Eörpers enden mußte. Dflreih gab die franzöfifchen
Foderungen in umbhüllten Bedingungen zu, andecerſeits
predigte es, beſonders damit Preußen nicht vergrößert:
werden follte, die Integrität des beutfchen Weiche.
Mit Staunen und Jubel wurde von ben Heinen Für:
ften, Prälaten und Herrſchern des Reiche die vom erften
öftreihifhen Gefandten mit Pomp auf dem Gongrefie.
gegebene Erklärung von dem anerfannten Princip der:
Neicheintegrität aufgenommen, ale zu eben diefer Zeit der
zweite Gefandte die heimliche Übergabe ber Feſtung Mainz
mit den Franzoſen verhandelte, während dazu der dritte
Öftreichifche Gefandte in „bittere Thränen‘ ausbrad und
bei dem allerhoͤchſten Reichsoberhaupte auf Snterceffion
anzutragen vorfchlug, „damit biefe beffagenswerthe Über:
gabe zurücgeftellt und die großmürhig ausgemwirkte Inte⸗
grität des Reiche gemahret werde”. Man meiß in der That
nicht, wen der Zorn uͤber dieſe Thatfachen, die ung eigentlich
erſt jegt allmälig zur Kenntniß und Erkenntniß kommen,
gelten fol. Feder raubte, jeder wollte fich mit feinem
Dominium aus den Trümmern retten, und die Motion
ſelbſt, die ftand da ohne Recht, ohne Gefühl für die
Schmach ihrer Zhellung, ohne gefchichtlichen Inſtinet,
denn dee Despotismus und der Drud diefer unzählbaren
geiftlichen und weltlichen Herren, die Thrannei Ludwigs XIV.
hatte jie zu einer. recht: und bewußtlofen Heerde von
Hindus gemacht. Sage Niemand, daß Deutfchland durch
— ——— —
Uneinigkeit gefallen fet, das tft hoͤchſtens auf den Egois⸗
mus einzelner Cabinete anzuwenden; es fiel, weil das
deutſche Volk durch politiſchen Abſolutismus das Natio⸗
nalbewußtſein und dann uͤberdies jeder einzelne Buͤrger
unter dem Scepter des Abſolutismus uͤberhaupt jedes
politiſche Bewußtſein verloren hatte. Das damalige
Deutſchland mit ſeiner voͤlligen Entnervung des politi⸗
ſchen Volksgeiſtes und der Verſumpfung ſeiner ſocialen
Verhaͤltniſſe und Zuſtaͤnde wuͤrde ſich vor dem Andrin⸗
gen des neuen politiſchen Lebens nicht haben halten koͤn⸗
nen, und wenn alle die Hunderte von Souverainen eine
Politik, ſelbſt wenn Deutſchland nur ein fuͤrſtliches Haupt
gehabt hätte. Wenn man und darum jegt bei unferer
erwachten Begeifterung für die Bröße unfers Vaterlands
immer wieder von der beutfchen „Einheit vorfpricht und
vortrinkt, fo dürften wir deffenungeachtet immer noch auf
dem Punkte wie im Congreſſe zu Raftate fliehen, fol
umter diefer Einheit die blos atomiftifche der Gabinete
und nicht die verfianden wurden, die aus der Gemein:
ſamkeit freier volksthumlicher Inſtitutionen und Berfaf:
fungen hervorgeht. Im Gegentheil wären wir immer
noch der große atomiltifhe Haufen, den man auf Con:
greifen verdußern dürfte, oder nicht.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notizen aus England.
Ein Auffag über neuere Staatsmänner im „Dublin
monthiy magazine’ enthält folgende Stelle: „Es ift auffal⸗
lend, wie empfindlich die Rechtsgelehrten (natürlich nur die
großbritanniſchen) im Betreff ihrer Geburt ſind. Sobald fie
anfangen berühmt zu werden, fangen fie auch an — fei es in
Kolge der Verbindungen, die fie angelnüpft, oder in Folge ber
VBorurtheile, die fie bei ihren juriftifchen Studien eingefogen —
ſich auf die ariftofratifche Seite zu legen, und möchten Jeder⸗
mann glauben maden, daß fie aus Magnatenblute ftammen.
Die mwiderwärtigfte Frage an cinen vom Glüd begünfligten
Sadmalter ift: „Was war Ihr Herr Vater?’ Auch ift in der
That die Zahl Derer fehr groß, die auf der Bahn bes Rechtes
aus niedrigen Berhältniffen zu den hoͤchſten im Staate gelangt
find. Der gegenwärtige Generalfiscal von England, Sir 3.
Pollock, ift der Sohn eines Sattlers. Kin Laden in Sharing:
Croß Lin London und allen Jagdfreunden wohlbefannt), jegt
im Befig der Herren uff, gehörte vordem Pollod Pere, der
fein Gefhäft den dermaligen &igenthümern verkaufte Der
Bater des Generalprocurators, Sir William Follett, treibt
nod jest in der Nähe von Ereter Holzhandel. Sir John Wils
liams, Advocat an der Queen’s- bench in England (es gibt
audy eine Queen’s-bench in Irland) ift der Sohn eines york:
fhirer Roßkamms. Bir Eduard Sugden, Kanzler von Irland,
it der Sohn eines Barbierd. Doh macht Sir Eduard eine
Ausnahme; er rühmt ſich feiner Herkunft. Als er bei der cam:
bridger Wahl, wo Lord Mounteagle ihn durch eine Majorität
von 28 ſchlug, auf der Rednerbühne fland, rief ihm Einer aus
dem Haufen zu: „Sort, fort, du Barbiersfohn !’’ Ganz ruhig
antwortete Sir Eduard: „Der Unterfchied zwiſchen Dem, ber
das fagte, und mir befteht einfach darin, daß, wenn er der
Sohn eines Barbiers wäre, er fein ganzes Lebelang es zu
nichts Anderm gebracht haben würde; ich bin der Sohn eines
Barbiers, babe mich aber etwas höher hinauf gemacht.
und als er vor einigen Jahren bei einem conſervativen
Handwerkerverein in Lambeth den Vorſitz führte, ſprach ee
ebenfo unbefangen von feiner Geburt. Sir Cduarb wer
frühere Schreiber beim Notar (entfpricht dem englifchen con-
veyancer) Herrn Groom. Das wurde ihm opponirt, als er
ih um die Advocatur bewarb, und ohne das kräftige Aufttes
ten bes verfiorbenen Francis Hargrave, eines ebenfo liebens⸗
wärbigen als gelehrten Mannes, ber für bie Bulaoffung des
Candidaten auf den Grund feiner durch jurifkifche Schriften ers
wiefenen Fähigkeit ſtimmte, hätte die Oppofition ben Widerſoruch
durchgeſetzt. Der Vater des Kronanwalts Platt, eines der ausge⸗
zeichnetſten englifchen Redhtsgelehrten, war Schreiber des verftorbes
nen Lord Ellenborough. Baron Burney’s Mutter verkaufte politis
Ihe Flugſchriften. Lord Kenyon, ber nacheinander Generaifiscal, Bas
ronet, Oberkanzleidirector und Lord Oberrichter an der Queen's-
bench wurde, auch nebenbei 300,000 Pf. St. hinterließ, hatte
als Schreiber bei einem Advocaten angefangen. Lord Hard:
wide, in feinem 34. Jahre Generalfiscal, war der Bohn eines
Geſchaͤfts mannes in Dover, der wegen Faͤlſchung gehenkt wurde,
Lord Eldon war der Sohn eines Koblenmeflers in Rewcaſtle
am Tyone, und fein Bruder, fpäter Eord Stowell, borgte 40 Pf.
zu feiner Eauipirung. Lord Tenterden's Vater war in Ganters
bury Bartfcheerer, Lord Langdale feines urfprünglichen Zeichens
Geburtshelfer und Lord Campbell, fowie die zwei Gergeanten
Zalfourd und Spankie eröffneten ihre Laufbahn als Berichte
erflatter für bie „Morning chronicte,‘
— — — — —
In einer Zeit wie bie gegenwärtige, wo Viele fparen
möchten und Wenige fparen Binnen, haben die fogenannten
Sparkaffen überall wohlverdiente Beachtung gefunden. Aber
ein Bortheil berfelben, obglei ein tief in das Staatenleben
eingreifender, dürfte noch nie deutlicher hervorgehoben worden
fein als in der Schrift: „The history of Savings’ banks in
England, Ireland and Scotland”, von Sohn Tick pratt
(London 1842). Der Verf. ift Juriſt und erſcheint in Bolge
des ihm von der Regierung ertheilten Auftrags, die Statuten
der Sparlaffen, Annuitätens unb Dariehnögefellfchaften in
England und Wales zu unterfuden, von vornherein zur Zu⸗
fammenftelung einer ſolchen Geſchichte und zur Abgabe eines
Urtheils befähigt. Es ſcheint jedoch auch, daß er feinen Auf:
trag mit Treue und Eifer vollftcedt Hat, und das drückt fih
ebenfalls. in feinem Bude aus. Hier rühmt er denn naments
lich von den Sparkafien, daß fie nächft bem beträchtlichen Nuten
für die arbeitenden Claſſen ein Braftvolles Werkzeug zur Erhal-
tung der Öffentlichen Ruhe feien. ‚Wer feine Eriparnifje‘‘,
fage er, „dem Staate anvertraut bat, ber ift atıch bei ber
Sicherheit diefes Staats betheiligt, und war nicht im Ver⸗
hältniß zu feiner Einlage allein, fondern für den Betrag ſaͤmmt⸗
licher fo angelegten Sparpfennige. Könnte ex baber vergeflen,
daß es feine Buͤrgerpflicht ift, zu Verhütung öffentlicher Uns
ruhen mitzuwirken, wird fein perfönliches Intereffe ihn ſchnett
genug daran erinnern Es gibt Feine ftärkere Überzeugung von
ber Wichtigkeit des öffentlichen Friedens und des Stantscreditt-
als diejenige, die auf individuellem Grunde ruht. Und wer
dies eine Stütze des Defpotismus nennt, einen Dalt für die
jedesmalige Regierung, follte auch bebenken, daß es folglich
nicht um bie Stabilität ber dermaligen Regierung, fondern im
Aligemeinen und für jede Zeit um Ruhe, Drdnung und gutes
Regiment fi bandelt. Der Werth diefer Bemerkung macht
in dem gerade jegt.fo ſchwer bedrängten (England fi doppelt
geltend, denn als Hauptrefultat der dem Werke beigegebenen
ehferichen und ausführlichen Zabellen ſtellt fich hervor, dag am
20. Nov. 1841 in den dur England, Wales, Irland und
Schottland beftehenden 555 Sparkaffen 824,162 Perfonen bie
Sefammtfumme von 22,915,940 Pf. Gt. niedergelegt hatten.
Berantwortliher Herausgeber: Heinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. 7. Brockhaus in Leipzig.
— En MA A A.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
(Beföiuß auß Str. 2.)
Malnz war (30. Dec. 1797) von der öftreichifchen
Politik faumı den Franzoſen übergeben worden, als bie
fratzoͤſiſchen Befandten in einer energiichen Note erklaͤt⸗
ven, daß jeht ohne Umſtaͤnde der Mhein als Grenze an:
zuerlennten fei (19. San. 1798), und mitten im Waf⸗
frufürkoude (25. Fan.) wurde die Rheinſchanze bei
Mannheim weggenommen.
Da entſtand — fast Lang — ein unglaublidhes Beulen
und MWehliagen von Leuten, die wenigftens inſofern zu bemitleis
den waren, dab ihnen fo etwas in ihrem libermaße des Glau⸗
ben und der fallen Hoffnung nur einigermaßen unerwartet
——
t a und Tr it m
Ecklaͤrungen, wie jegt noch bie Integrität des Reiches und die
Abtretung bei Iinlen Rheinufers zu gleicher Zeit als Grundar⸗
£ilel bes Friedens beftchen könnte; bis man denn die beruhigende
Grflärung barin fand: bie N fe he Pi ch vos
b ‚ tonbern eine ſymboliſch ibealifche,
rg — oder her, bo noch dieſelbe Verbindung
des allerhöcften Reichsoberhaupts und deſſen allergetreueſten
Srrfürſten und Stände des Reiche forttieftehen, zumal des bloße
füeinbare Berluft auf der einen Geite Yurdy die effectiven Cats
Wärigungen auf der andern vollfommen rebintegrirt werben follte.
Wie nun aber Alle begierig waren, wo die Entſchaͤ⸗
\aangen herfommen folten, und Die, welche es ſchon
nee, ſtillſchweigend die Achſeln zudten, eröffnete am
15. März die franzöfifhe Gefandtfhaft die Löfung mit
der katzen Erklärung: daß diefe Entſchaͤdigung in der
Serularifation der geiftlihen Güter zu ſuchen ſei. Das
Sigaal zur Plünderung war hiermit gegeben, die größern
Siaͤnde entwarfen ihre Plane auf Bisthuͤmer oder Fetzen
Isven, die Pleinern hafchten nach irgend einer Abtei und
der geringſte Edelmann fuchte dee Kirche irgend einen
Schafhef zu entreißen. Gewiß ein berrlihes Schauſpiel.
fah die geiftlihen Gefondten als geächtet an und.
Dan
isnen jegt überall aus dem Wege. Es regnete gleichſam
Bimmel herunter die igquidationen der Schuld, die jeber
Glen Sthein erlitten haben wollte, mit Bezeichnung ber
De, vie er Yafür zur Entſchaͤdigung wünfchte und bie er
derh feine Regocianten bei den drei Geſandtſchaften von Frank⸗
rrich. Dfveich und Preußen zum Theil durch ausgewirkte uns
mittelben Empfehlung der Miniſterien durchzuſetzen fuchte, wos
bei man serausfegte, daß die arıne Arichedeputat ion ſelbſt nichts
weiter ;u than haben würde, als die von den brei Mächten ge
sebmigte Ausiheilung gehorſamlich gutzuheißen. Unterdeſſen
derfachten die geiſtlichen Schaͤflein, den Wölfen, von denen fie
fi) umgeben fahen, noch allerlei bewegliche Borſtellungen zu
machen, B. daß es eine —— waͤre, ſolche gottge⸗
mweihte Güter an ſich zu ziehen, daß ihre Pluͤnderung bald ans
dere nach fich ziehen würde, daß, wenn eine Sntfchädigung bars
aus zu geben ſei, fie nicht ausfchließend von der geifttichen, ſon⸗
bern auch von der weittichen Geite geliefert werben müßte; baß
man ſich ja auf guͤtliche Abfindungen in Geld ober nur theil⸗
weiſe Abtretung verſtehen koͤnnte.
Ferner ſetzten die betroffenen geiſtlichen Fuͤrſten den
kandverluſt am linken Rheinufer in Ihren Anfchlägen
herunter, proteficten, daß das beutfche Reich wegen Vers
lufte fremder Länder, wie die Erbſtatthalterſchaft in Hol⸗
land ſei, einſtehen ſolle; und als dies Alles nicht vers
fangen wollte, fielen fie untereinander felbft ab, Die Bi⸗
ſchoͤfe wollten die Güter der Kloͤſter preisgeben, die Erz⸗
bifhöfe wollten wieder die Bisthuͤmer opfern und zu bies
fem Plane die drei geiſtlichen Kurfürften durch die ges
meinſchaftliche Theilung von Salzburg, Muͤnſter und
Dulda bewegen. Mainz mollte fogar zu Allem ſtimmen,
wenn man nur dafür forge, daß Mainz der beutfche Patriarch
und Primas werde, denn ohne einen „Archi-Cancella-
riss Imperü per Germaniam werde man das liebe deut:
ſche Vaterland doch wol nicht beftchen laffen”. Da ins
beffen Niemand, auch die Franzoſen nicht, über den Ge⸗
fammtbetrag der deutſchen Verluſte am linken Rheinufer
im Reinen war, fo unternahm der Archivarius Lang
felbft eine Statiſtik diefer Länder zu entwerfen und druden
zu laflen.
Da Preußen durch bie im Frieden von Campo⸗Formlo
gefegten Artikel vor der Hand nicht auf Vergrößerung
Anſpruch machen konnte, fo erfläcte es jest, das grofmie
thige Opfer bringen zu wollen und für die Verluſte am
Rhein nichts zu begehren, wenn Öftreih die für die Nies
derlande ergriffenen italienifhen Staaten wieder aufgeben
wollte. Diefe Erklärung, deren wahren Sinn man ans
fangs nicht erfaßte, verurfachte eine ungeheure Freude
unter den beſtimmten Opfern, aber bald follte auch biefe
zufammenfallen. ſtreich ließ ſich durch dieſe Grimaffe
weder erſchrecken, noch konnte es Preußen in der That
von einer wirklichen Entſchaͤdigung abhalten, das um fe
weniger auf die Secularifation verzichten durfte, als «6
ben Genoffen der basler Separat:Friedensfhlüffe, Baden,
Heſſen⸗Kaſſel, dem Erbſtatthalter, Würtemberg, Huͤlfe und
Vertretung ſchuldig war und dem Haufe Zweibruͤcken
ein volles Antheil der auf dem Anfall fichenben pfalgs
2.013
bateifchen Lande fihern, mie bie Abreißung des Stüdes
von Altbaiern bis Wafferburg hindern wollte. Indeſſen
batte man früher an die Secularifation der geifllichen
Güter nicht gehen weilen, fo konnte man bald genug:
nicht zu weit greifen. Man beachte nun nicht aller
"Band und Leute in Anfchlag, fandern auf) commtereielle
Vortheile, Rheinzölle, Kriegsſchaͤden und die geiſtlichen
Güter wollte man nit nad Flaͤchenraum, fondern nad
ihrer meift geringen Population, nah dem Maßſtabe ih»
rer fchlechtverwalteten Einkünfte und nah Abzug aller
darauf haftenden Schulden Überwiefen haben. Beſonders
machte Lang diefe Dinge im Intereffe Preußens geltend.
Denkt man fid aber zu diefem Menfchen: und Länder:
wucher ein tolles und taumelndes Sinnenleben, das, wie
Lang erzählt, trog fo vielem Jammer und Berlufte in
Raſtatt aufgefchlagen war, und auf der andern Seite
eine große, aber für ihr Schickſal faſt gleihgültige, wenig:
ſtens unthätige Nation, fo kann man fi des Grauens
Uber diefes Spiel gewiß nicht erwehren!
Da nun die Frangofen, fagt Lang, jegt eigentlich
immer noch nicht recht wußten, was fie wollten, da fer:
ner Öftreih das gewuͤnſchte Stud von Baiern nicht ers
fangen konnte, England über die Fortſchritte Frankreichs
in Malta, Koppten und Italien Gift und Flammen fpie,
fo gerieth der Congreß in foͤrmliche Stockung; er wurde
am 8. April von der aiferlihen Gefandefhaft aufgelöft
und am 12. Mai erflärten die kampfluſtigen Franzoſen
aufs neue den Krieg. Über die Ermordung der franzöfl:
ſchen Gefandten erklärt fi Lang ungefähr fo, wie fie
ſchon in der neueften Zeit aufgefläre worden ifl. Er
fagt beſtimmt aus, daß oͤſtreichiſches Militair, und zwar
von der Escadron eines Rittmeifters Burkardt, den Mord
ausgeführt habe; er getraut fid) aber nicht zuzugeben,
noch glaubt er, daß es mit Bormwiffen eines höhern Com:
mando, noch viel weniger des Eaiferlihen Hofes ſelbſt
gefhehen ſei. Kaͤme es auf fein Dafürhalten an, fo be:
kennt er zu glauben, der Graf von Lehrbach habe auf
feine Kauft dieſe gräßliche That herbeigeführt, im Aufz
teage der Engländer, denen ein ſolches tragifches Schau:
fpiel der Wuth und Rache als ein Pfand der erneuerten, un:
verſoͤhnlichen Feindſchaft zwifhen Deutfhland und Fran:
teich geften follte. Die Motive, die Lang angibt, müffen
hier auf fich beruhen. Der preußifhe Gefandte, Herr
von Dohm, fuchte auf Drt und Stelle bie Spuren bie:
fe6 voͤlkerrechtswidrigen Verbrechens zu entbeden, efne
Sache, die ihm von den größern Höfen, und zwar von
Preußen auch, fehr Übel genommen wurde.
Dee zweite Theil der Memoiren hebt nun damit
on, wie Lang als preußifcher Kriege: und Domainencath
bei der Kammer zu Anſpach fungiert. Er hatte die Lan:
beshoheitsfachen, das Schul⸗, Kirhen:, Stiftungss und
Gefaͤngnißweſen des Landes zu. verwalten und zeichnete
fih in diefem Wirkungskreife durch Humanitaͤt, Libera:
lismus, Thätigkeit und ftrengfte Rechtſchaffenheit aus. Es
ift mit großem Intereſſe zu lefen, von welchen Grund:
fägen er geleitet wurbe, wie er in die damals emporblü⸗
bende Innere Politik des preußifchen Staats einging und
10.
%
wie er ohne Ruͤckſicht die Perfonen und Zuflänbe maß
und beurtheilte, mit denen er in Beruͤhrung kam. Cr
hatte jest das Unglüd, in kurzem das dritte junge Weib
zu begraben ;, "feine äußern Berhältniffe hingegen "warn
duch Erpfhaft bluͤhend und: gänzlich unabhängig gewor⸗
den. 8 gegen den Herbft 1805 leitete und vollendete
er die Grenzberichtigungen zwifchen Baiern und Preußen,
ein Geſchaͤft, auf das er viel Werth legt und das nur
feine Gewandtheit und außerordentlihe Geſchichtskenntniß
der fraͤnkiſchen Länder gluͤcklich beenden konnte. Als
1806 nad der unglüdlihen Kataftrophe Anſpach an
Baiern fiel, zog er es vor, ein bost beguͤterter Mann, in
die bairifhen Dienfte zu treten. Zu feiner „Geſchichte
des Furſtenthums Baireuth“ fügte er jegt noch Die „Ans
nalen des Fuͤrſtenthum Anfpach” unter der preußifchen
Regierung, worin die Charakterificung dee Perfanen im
Lapidarſtyl aligerneines Auffehen erregte. In den Kriegs⸗
jahren felbft leitete er die Angelegenheiten bes anſpachi⸗
(den Landes mit Stud und Zufriedenheit fort, aber ale
einen felbiländigen, unbeugfamen Mann, der feinen Bor:
gefegsen wol oft zu fchaffen machte, ſcheint man ihn end:
id nah Münden felbft gezogen zu haben. Man trug
ihm bier auf, die AUcchivangelegenheiten zu brforgen, und
er brachte es auch trotz vieler Dindernifie dahin, den
großartigen Plan eines Reichsarchivs zu entwerfen und
zu vollziehen. ferner dirigirte er das bairifche Adelswe⸗
fen und nahm auf Grund biefes Amts an der neuen
Conftituirung des Landes Theil. Als nach bem Sturze
Napoleon's befonders in Baiern die politiſche Reaction,
da6 Bureaufratenwefen und bie Adelswirthſchaft bereinbrach
und Lang, obfhon jegt felbft Ritter, feinen vechtfchaffes
nen und ernften bürgerlichen Charakter immer noch nicht
verleugnen mochte, fo nahm er, tief gekraͤnkt, aus feinem
Öffentlihen Wirkungskreife Abſchied und brachte die übri⸗
gen Fahre feines Lebens auf einem, aus der Wildnig
ſelbſt gefchaffenen Landgute bei Anſpach in vielfacher lite:
rariſcher Tätigkeit zu. Durch feine berühmten „Dam:
melburger Reifen”, bie er allerbing6 anonym herausgab,
bat er ſich auch dem größern Publicum als ein gebildes
ter, geiftreicher und talentvoller Mann bewährt. Er
durchreifte in feinen fpäteften Jahren ganze Theile von
Deutfhland, den Torniſter auf dem Rüden, und hat
fein graues, aber noch munteres Haupt am 27. März
1835 zur Ruhe gelegt.
Leider müflen ſich unfere Bemerkungen über den
zweiten Theil der intereffanten Schrift auf diefe trodenen
Notizen beſchraͤnken, da ber Übrige Inhalt, fo wichtig,
man muß fagen, fo unechört er auch iſt, in d. BL. wol
kaum befprodhen werden dürfte. Wie die Reftauration
in Srantreih, fo trug fie auh in Deutfchland, na⸗
mentlih in Baiern ihre herben Früchte. Adel, Höfi-
ſche Sollicitanten und Emporkoͤmmlinge drängten ſich
jegt in die amtlihen Stellungen Derer, die bieber
dem neuen politiihen Geifte mit Ernſt und Nach⸗
druck gehuldigt Hatten, und namentlich Lang erbiefe
yon diefer Seite eine Üble Vergeltung feiner fruͤhern
Verdienfte um das Land. Wie die Reaction in Frank:
ms, ſo mufte fie auch in Deutſchland in allen
anllihen Sphären eime furchtbare Demenalifation her⸗
wien: GSeellenjägerei, Verfglenderung der öffent
ken Oder, Gruufamtelten und ſchreiende Rechtsver⸗
nun, die um fo grauenvollee find, je mehr das Ge⸗
dinij auf ihnen gelegen und zum Theil immer liegen
a — das find fe bie Gapitel, zu welchen die Lang’
ka Remoiren eine Meibe von Belegen und That:
bien liefen. Man follte das Buch gerade wegen biefer
Enthälungen nicht verbieten, fondern mit einem ehrlichen
and guten Gemwifferr Die Thatſachen aufs neue unterfu:
den, de immer noch zum Dimme um Race ſchreien.
Unfern Leſern mögen dieſe Memoiren als eines der
wichtigſten Actenfiüche für den Charakter unſerer Zeitge⸗
ſchichte beſtens empfohlen fein. Auguft Kurgel.
Über deutſche Nationalgeſetzgebung.
1. Über dentſche Rationalgefeggebung. Gin Beitrag zur Gries
lung gemeinfamer, für ganz Deuiſchland gültiger Gefegbücher
uns zur Abſchaffung Des roͤmiſchen und franzdjifchen Rechte
iasbeſondere. Bon A. G hrift. Zweite Auflage. Karlsruhe,
Mile. 18412. Gr. 8. '22Y, Nor.
2. Dos römifhe Recht am Permannsdenfmale. Gin Beitrag zur
Berbefierung des Rechtsſtudiums in Deutfchland, vom Juſtiz⸗
tath X-Rautfuf. Berlin, Springer. 1842. Gr. 8. 15 Rgr.
Schon bei Ariſteteles wird bie alte Grage, ob man das
biöherige Recht nit codificiren und neue Legislationen geben
fole, aus dem einfachen Grunde bejaht, daß Alles in ber Belt
fortichreiten und fi beffern müfle. In Dekrſchland hat ſich
eine fo einfade Antwort nicht geben laſſen, weil man lange
3eit hindurch uickt recht sinig darüber werden Eonnte, was es
wit dem Fortſchritte der Dinge in der Welt für eine Bewandts
ziß bode. Den erfien Anftoß gab das Preußiſche Landrecht und
biefed Unternehmen wird als erſter Verſuch achtungewuͤrdig und
als Beijpiet nüglich bleiden. Dann beganu 1814 der von Thi⸗
baut angeregte Etreit um eine neue Gefeggebung, der indeß zu
keinen Erfolgen führte, weit Thibaut eine deutſche Nationalges
kigebung verlangte und einem ſolchen Unternehmen ſich politis
(x Eäwiezigkeiten entgegenfellten. Nach dem 3. 1830, ale
zn cn manchen Orten liberal geworden war, kam wieder bie
War af Sefegbücher, boch diesmal in cinem ſehr verkehrten
Die frciiinnıgen Leute in manden Fleinen beutfchen
Etsarn mlündeten mit großer Zufriedenheit, daß man ihnen
aches ætm Diagın auch deutfche Geſetzbuͤcher verſprochen habe:
a Beripchen, welches zum Heile Deutſchlands nicht in Gr:
Klug gegangen iſt. Es wäre, wie unter den ungedulbigen
Ira cm Berge Sinai, welde das Geſetz nicht erwarten Eonns
ken, ein goldenes Kalb — ober vielmehr eine Anzahl ſolcher Käls
ber — eutfianden und die wahre Gefehtafel darüber zerſchlagen.
Diefer Riberalisinus und fiin Geſchwaͤt ift jegt vorbei;
kefüz erwacht aber die Cobificationsfrage aufs neue, und bieds
mal a5 Rationalfrage- Mag jener Liberalismus eine wider
zärtige Reminifcenz bieiben und uns durch feine freifinnigen
Kerssartın nicht wieder daran hindern, der Frage und wo
wözik, anch der Antwort darauf etwas näher zu kommen.
Def die Geſetzgebung Deutfchlande, das Preußiſche Sands
it wit eingefchloffen, auf die Länge nicht mehr beibehalten
werben Ian, daß ein längeres Sögern und fiellenweiles Kuss
in den einzelnen Staaten cin großed und das Erſcheinen
ganjer Scegkücher in diefen Staaten das größte Ungluͤck ift,
2a Riemzay Ieugnen. Die Schrift von Chriſt hat biefes auf
ke bärbizfe und eindringlichfie Weile gezeigt und dabei mit
kr baranf pingerwieien, daß die Deutfchen ih fchämen müf:
R tin beutfches Hecht zu befigen und, wie es gerade fein foll,
= eigen, franpöfiliem und —
fo ed Gott gefiele, auch
1
rufſiſchem Rechte zu leben bereit fein waͤrden. Es müßte
die Zeit endigen, in weicher man bie oͤffentiichen Einrichtungen
als ein aͤußerlich Gemachtes und Begebenes bewußtlos hinnimmt
und befolgt. Das Bolt müßte erkennen, daß die orbnungsvolle
Gliederung feiner Verhaͤltniſſe im öffentlichen und Privatleben
fein Gigenthum, fein Erzeugniß ift, und daß ihm biefes endli
in ber gedankenmaͤßigen Form allgemeiner Säge auch Mar
ausgefprochen werden und vor das Bewußtfein kommen müffe.
In diefer Geſtalt eriftirt das Recht noch nicht, man hat Feine
andere Reductionen des Rechtsſtoffes auf die gebanfenmäßige
Borm, als Lehrbücher, und begreift oft den Sinn einer legisla=
“tiven Arbeit fo wenig, daß man Geſetz- und Lehrbuch gar nicht
voneinander zu fondern weiß. Daß jeder einzelne Bürger ein
einfaches vater!ändifches Gefegbuch habe, aus dem er ſich Raths
erholen koͤnne, und die Juriſten entbehrlich würden, iſt dabei
nicht der Zweck. Daß dem Volke ſein Recht in gedankenmaͤßi⸗
ger Form ausgeſprochen und vor das Bewußtſein geführt wird,
ſchließt noch jene detaillirte Belehrung des Ungelehrten nicht in
ſich, die ſich ohnehin nicht durch einfache und noch weniger durch
ausfuͤhrliche Geſetzbuͤcher erreichen laͤßt Es verhaͤlt ſich hiermit
wie mit der Offentlichkeit der Rechtspflege; man täufcht fich,
wenn man glaubt, daß bie einzelnen Leute in Frankreich alle in
die Gerichte gehen und diefe controfiren oder ſich belehren. Auf
ben empirifhen Erfolg im Cinzemen kemmt es aber auch gar
nicht an; es genügt, daß bie Rechtspflege oͤffentlich ift, denn
fhon durch diefes Princip nimmt das Volksbdewußtſein daran
Theil. Ebenſo ift es mit Gefegbücern. Es kommt gar nicht
barauf an und wirb auch nie erreicht werben, daß bie einzelnen
Bürger fi feibft vom Rechte belehren koͤnnen; darum aber
handelt es ſich, daß das Hecht als ein ausgefprochenes nationales
Geſetz daftehe und fo vor das Bewußtſein der Sefammtbeit trete.
Leider find wir nun nicht in der Lage, behaupten zu dürfen,
daß der friſche und Träftige Geift des Volks das Nothwendige
auch nothwendig machen!und fo hervortreiben werde, wir müffen
umgekehrt hoffen, daß das unter glüdtichen Zeitumſtaͤnden raſch
ergriffene Refultat jenen Geift erft wieder aufrüttele, wir muͤſſen
erwarten, daß jett die Bedeutung des Bollvereins und ber leb⸗
bafter werdende Verkehr die Nothwendigkeit eines deutſchen Ges
ſezbuchs praktiſch Klar mache, und daß unter diefen Umffänden
die nationalen Anftande s und Ehrenrüdfihten — die in ber
Schrift von Ehrift aus fehr richtigem Takte vorangeftellt find
— überhaupt noch Beachtung finden werden. Bon bem Werthe
und Unmerthe des jegigen Rechtezuftandes und der Nothwen⸗
digkeit einer deutfchen Rationalgeſetgebung fol hier nicht weiter
die Rebe fein. Die ganze Frage ann in der Meinung aller
Urtheitsfähigen bereits für entfchleden gelten. Damit man aber
bie Sache doch nicht zu Leicht nehme und meine, dergleichen
laſſe ſich — da man ja fo viele gute Suriften habe — leicht
ing Werk richten, mollen wir die Schwierigkeiten und Hemm⸗
niffe betrachten, weiche ſich einer deutfchen Nationalgefeggebung
entgegenflelen, und in biefem Punkte die Chrift’fche Schrift zu
vervollftändigen fuchen.
Das erfle Hinderniß iſt das allgemeine Leiden bet allen
roßen Unternehmungen: die vis inertiae. &ı lange bie Ma⸗
Eine noch nicht ſtillſteht ober ein gelegentliches Nachſchieben
noch helfen kann, entfchlicht man ſich nicht zu durchgreifenden
Reformen. Diefe Bedaͤchtigkeit hat man indeffen eher zu loben
als zu tadeln, fie bat uns in den Jahren unmittelbar nad
830 vor dem Unglüde einer ganzen Anzahl deutſcher Geſetz⸗
bücher bewahrt. Gegenwärtig nahet fich ein neuer unb brin-
genberer Anftoß, und wir bärfen hoffen, daß e8 am Ende nicht
an Thatkraft und Entfchloffenpeit fehlen wird, ſobald die Noths
wendigkeit der Sache unverkembar einleuchtet. '
Das weite Hinderniß iſt die Vereinzelung und ber Partis
eularismus. Mit einzelnen Gefegbüchern in ben einzelnen Staa⸗
ten wird — wie Chrift bündig nachweiſt — nicht genügt, fons
bern geſchadet: es wirb bie Wiflenfchaft des Rechts, auf bie
wir flolz fein dürfen, getödtet, den Univerfitäten cin empfindli⸗
her g beigebracht und der Particularismus und bie Zer⸗
Prindy erhoben. Run aber entäußern bie
einyelnen Staaten in einer Beziehung ihrer Souverainetät, fos
bald nicht ein jeber ſich felsft feine Belege gibt und über den
einzelnen Geſetzgebern eine durch Bereinigung Aller hergeſtellte
Macht erſcheint, von ber die Gefekgebung ausgeht. Auch ift
wol mancher einzelne Staat auf feine Befonberheiten ſtolz und
glaubt allein bie Kräfte zur Erſchaffung einer guten Geſetzge⸗
bung zu befiten. Man bat befonders in Kleinen Staaten ges
wiffe herkoͤmmliche Orakel, denen man «6 zutraut, etwas völlig
Ausreichenbes zumege bringen zu koͤnnen, unb mit denen man
leicht ſich dahin verftändigt, die Benugung fremder Kräfte nicht
gern zu feben. Auch dieſer Particularismus ift zu überwinden.
Die Vereinigung zu einer deutſchen Rationalgefeggebung würde
eine völlig freie fein und die Souverainetätsrechte nicht beein«
trächtigen, da jeder Staat das Geſetzbuch — ebenfo wie bie alls
gemeinen Geſetze bes Zollvereins — ald das feinige zu fancixen
und zu publiciven hätte. Dan ift nicht mehr fo aͤngſtlich wie
fruͤher und erblidt in einer innigern Verbindung des beutfchen
Volks nichts, was Souverainetätsrechten Gefahr drohen könnte.
Der Glaube einzelner Beiner Staaten an ihre eigenen Kräfte
ift aber meift eine Taͤuſchung. Dieſes wirb ſich bei der Betrach⸗
tung bes britten ſich entgegeuftellenden Hinderniſſes geigen.
Diefes Hinderniß, das größte von allen, liegt in ber
Schwierigkeit der Sache. Muß man dringend für ben Entfchluß
zur Abfaflung eines Nationalgefegbuche fprechen, fo muß man
ebenfo dringend auf biefe Schwierigkeit hinweiſen, da biefelbe
dis jet oft überfeben if. Man traut fich leicht zuviel zu, man
bat bisher Geſetze genug abgefaßt und zweifelt alfo nicht, daß
mit ganzen Geſetzbuͤchern auch fertig zu werden fei. Nor dem
nähern Eingehen wollen wir indeß nur eine cinzelne Thatſache
bervorbeben. Wir dürfen behaupten, daß bie Rechtswiſſenſchaft
in Deutſchland auf einem beimeitem hoͤhern Standpuntte flieht
als in Frankreich, ja, ale in irgend einem andern Lande. Dene
noch bat das franzoͤſiſche Recht in Curopa eine Wichtigkeit ers
langt, bie weder feinem Werthe noch dem Standpunkte der
feanzöfifchen Jurisprudenz entfprechend iſt. Außer feiner An⸗
wendbarleit in den Rhbeinlänbern, hat man es faft überall, wo
eine neue Legislation nöthig war, zum Grunde gelegt und bie
Codes theilweife woͤrtlich überfest. So bafirt fich bie Legisla⸗
tion ber wefteuropäifchen Staaten, Griechenlands, der italienis
Shen Staaten, mehrer Schweizercantone und Hollands mehr
ober weniger auf franzöfliches Recht. Won einer folchen euros
päifchen Anerkennung beutfcher legislativer Arbeiten ift aber
noch nie die Rebe geweſen. Das kommt nicht von ber allge:
meinern Verbreitung franzoͤſiſcher Spradye und Sitte, fondern
rabezu von dem Wertbe der frangöfifchen Codes her, die —
5 viel fig gegen ihren Inhalt in materieller Hinſicht einwenben
läßt — body auf eine Weife redigirt find, daß man fie wenig.
ftens für durchaus brauchbar halten muß. Gerade die Redac⸗
tion ber Geſetze iſt es, welche man in Deutfchland — fo hart
diefee Vorwurf auch klingt — erſt zu lernen bat. In Franke
reich bat man einen glüdtihen Takt gehabt und bie rechte Art
der Rebaction — einzelne Misgriffe ungerechnet — getroffen.
In Deutfchland hat man ‚mar auch nicht daran gedacht, daß
die Abfaffung ber Gefege eine Kunft fei, weldde man verfteben
möüffe, man bat aber jenen Takt, der mit ber franzoͤſiſchen
lichkeit zufammenhängen mag, nicht gehabt, und fo
gang unbefangen dem Hange zur Gruͤndlichkeit nachgegeben und
des Buten zuviel gethban. Eine Kunft ber Geſetzesredaction exi⸗
flirt alfo noch gar nicht, und man bat es immer nur einem
richtigen Gefühle der Rebactoren zu banken gehabt, wenn guts
gefaßte Geſeze zu Stande gekommen find. Um das Gefagte
zu beweifen, braucht man nur die preußifchen Geſetzbuͤcher mit
den franzoͤſiſchen zu vergleichen und neuere Legislative Arbeiten
ins Auge zu faffen. Unfere Proceßgeſetze ſchwanken zwiſchen dem
Charakter von Belegen und Inftructionen und Geſchaͤftsanwei⸗
fungen für die Gerichte. Der würtembergifche Entwurf eines
Danbelgefegbuche von 1839 verzweifelt fogar, baß in Deutſch⸗
Land das zu codificirende Material ſich finden laffe, und nimmt
12
ben Code de commerce zur blages bie theoreti
Ghmwäcen und Fehler des Code find auch zum Eye ara
beibehalten, die einfache praͤciſe Yaffung & aber verloren ges
gangen unb ber Entwurf if etwa noch eiamal fo umfangeeih
und ausführlich) geworben als der Code de vommerce (8
iſt zu erwarten, was aus dem heſſen⸗darmſftaͤdtiſchen Civilgeſeg⸗
buche werden wird, bei welchem nach oͤffentlichen Nachrichten
ebenfalls der frangöfticye Code zur Baſis bient. Der befannte
Entwurf einer Wechſelordnung für Sachſen von Ginert kuͤndigt
fi ſeibſt als ein Lehrbuch für Die Genbeldisute am und ik —
obgleich von einem fo anerkannt auögezeicmeten Rechtegelehrten
verfaßt — auf eine Weile redigirt, daß man feine Brauchbar⸗
keit beftreiten muß. Hieraus kann man abnehmen, daß die’bes
zeichnete Schwierigkeit allerdings eriflirt. Wir müffen aber
noch mehr von uns verlangen, als bie Franzoſen geieiftet has
ben: wir müffen mit größerer theoretiſcher Schärfe das Mate
rial feſtſtellen und dann nit im Verlaſſen auf richtigen Takt,
fonbern prineipgemäß beffen Gobification vornehmen. Cs ift
bei dem Srotze, den wir auf den Standpunkt der Jurisprudeng
in Deutfäptand haben dürfen, gar nicht zu begreifen, wie man
ein franzöftiches Geſetzbuch, weiches, ungeachtet der aprieriichen
und unbiftorifchen Richtung, der Zeit, in welcher die Codes ents
fanden, ganz blind der Autoritaͤt der Altern Zurijten folgt, Im
Deutſchland zur Grundlage nehmen und fi fo in zweiter Pos
tenz der Autorität ſolcher Rechtöiehrer ergeben Tann, die ben
unferigen weit nachſtehen. In Deutfchtand feibft ift dad Mate
rial & unfern Gefegen zu finden und die Adoption eines frem⸗
ben Geſetzbuchs kommt mit einem apriorifchen Seſetzmachen ganz
auf Eins heraus. Gteht aber das Material feft, fo reicht man
mit der guten Abfiht und ber Anficht, die Ehriſt heat; es
braudge uns um die Form nicht bange zu fein: Verſtand und
rechter Sinn trage mit wenig Kunſt fi felbft vor, auf keine
Weiſe aus. Chrift koͤnnte, abgefehen von ben Lehren der Er⸗
fahrung, confequentenweife die Sache nady feiner eigenen Lehre
fo einfach nicht finden: er verdammt allgemeine und abflract
gehaltene Geſetze und ebenfo detaillirte Geſeze. Er erfobert:
„Nur wenig Anordnungen des Öffentlichen Rechts, wie z. B.
Sorge für die Minderjährigen, Vorſchriften wegen der (Ehe,
wegen ber Erbſchaften, wegen ber Grund» und Liegenfchafts«
bücher und für das erfahren. Alle andere Beltimmungen,
was nur im Unterfchiede des Öffentlichen Rechts Vorſchriften ber
Wiffenfhaft bes Rechts find, wären überfiäffig und ihre Auf:
hebung, ſelbſt in unfern, aus biefen Zuftänden bervorgegangenen
Staatögebitben, würbe nur vorübergehenb uns auffallen.” Es
möchte indeß ſchwer fein, nad) biefen Grundfägen Geſetze zu re:
digiren, auch möchte babei ber Zwec einer Todification: ben
Rechts ſtoff in der Form der Allgemeinheit zum Bewußtſein zu
bringen, nicht zu erreichen fein. Es fcheint, als ob in Deutfi
land die Theorie erſt der Anwendung vorangehen müfle, benr
was bisher in Deutſchland über die Codiſtcation gefchrieben if
bat nur bie Frage: ob, nicht aber die Frage: wie, erſchoͤp
Rach Entſcheidung ber erften Frage, müßte man ſich nun übe
bie zweite verfländigen, denn es flände der deutſchen Gruͤndtich
keit und Tuͤchtigkeit Abel an, wenn. fie nicht einmal bis an bi
Schwierigkeiten ber Sache durchbränge und fich durch fo mean
Ken misgluͤckten Verſuch und das Beiſpiel der europälfchen An
ertennung, welche bie franzoͤſiſchen Codes: gefunden haben, nich
warnen ließe. In diefem einen Punkte, bei ber bezeichnete
zweiten Frage: wie, find uns andere Nationen auch fdyo:
theoretify voraus und befigen darüber eine Literatur, die un
noch fehlt. Da uns nach Entſcheidung der Brage: ob, jest bi
zweite Frage näher rüdt, fo ift zu erwarten, daß man fich, ef
man frifhweg Geſetbuͤcher madıt, ernfllih mit ihrer Löfan
chaͤftige. Es wird alsdann nicht fehlen, daß wir eine Flarer
und beffere Theorie über die Art und Weiſe der Gobification eı
balten, als fie von Bentham und feiner Schule, Cooper, Meyt
u. J. ſtizzirt ift, und daß fo gänzlid in der Form misgläch
legitiative Berſuche, wie ſich jest nachiveiſen lafien, ferner nid
vorkommen werben. 4.
Werantwortliger Dezauögeber: Heintib Brodhaut. — Drud und Verlag von E. I. Brodhaus in Leipzig.
ld tfter
für
literarifdbe,
Unterhaltung.
Mittwod,
Stimmen der Beit.
L Lieber der Gegenwart. Königsberg, Theile.
22%, Nor.
2%. Ghrenfpiegel des deutſchen Volles und vermifchte Gedichte.
Bon Friedrich v. üchtritz. Düſſeldorf, Schaub. 1849.
&. 8. MM NRgr
3 Gedichte von Kriedrih Hebbel. Hamburg, Hoffmann
und Gompe. 1842. Gr. 8. 1 Ihr.
4, Eebensfomptome von 3. Horwig. Berlin, Lefecabinet.
1842. 8. 1 Ahle.
1842. 8,
Bier fehr verſchiedene Gedichtſammlungen von vier fehr
verfchiedenen Dichten aus Königsberg, Düffeldorf, Ham⸗
burg und Berlin. Wir wollen uns der Mühe überheben,
ipre Ähnlichkeit und Verſchiedenheit in voraus aufzufuchen,
und unfern £efer der Berlegenheit, fidy zu zwingen uns zu
folgen, oder unferm Witze den Zwang anzufehen, und ſich
frei zu madyen. Das Einzige, was ich vorausfhide: wir
haben ed mit vier Dichtern zu thun und ihre Gedichte
paffen unter den Zitel. Sie find Stimmen ber Zeit.
Das liege ſich freilich von allen echten Gedichten Tagen,
denn fein Dichter ſingt aus feiner Zelt heraus. Auch
wenn er als Prophet einer Fünftigen auftritt, ſingt er doch
wu mit den Organen, welche in der Zeit, in welcher er
ik, erifticen und Geltung haben. Aber ihre Beziehung
x Zt Liegt näher; fie haben das Bewußtſein in
Sb, das fie in Relation zu derfelben flehen und daß «6
ie Aufgabe ift, an derfelben mitzuarbeiten, was an
Yan ill.
Keck und dreiſt fleht dies den erfigenannten Liedern an
dr Stimm gefchrieben. Sie nennen fich felbft „Lieder der
Geyumart” und find? aus Königsberg. Der Dichter
bidmwört in der Widmung ale Zauberer die entfchwuns
denen Zage :
Vergangenheit erftcht aus ihrem Grabe;
neuen Schmerz fügt fich die alte Klage:
Daß nichts Beſtand ats die Verweſung habe,
Daß eine Zeit der andern Leiche trage,
Daß nur aus Todtenſchaͤdeln die Geſchichte
Die ew'gen Monumente ſich erreichte.
€, nod fo jung und ſchon zu biefer Meflerion gelangt!
jung iſt noch der Verf., wir bören fogar, fehr jung.
Teer es gibt in der Jugend eine Zeit, two man mit dem
Zede kokettirt. Die Periode dafür, die fentimentale, mein:
za wir indeß, fei voruber. Sie hing mit der Sehnſucht
— — Nr. | 4, —
4. Januar 1843.
nach dem Ideale zufammen, mit dem füfen, traͤumeriſchen
Schmerze, mit dem Hinhorchen nach der Sphaͤrenmuſik,
was jegt mit allem Schwärmen längft abgethan und aus
dee Mode ifl. Der Realität gehört die Welt, alfo auch
bie Jugend an; fie ſchwaͤrmt nur nach vorwärts. So iſt
es denn auch hier gemeint. Man ſchichtet die Todten⸗
ſchaͤdel zuſammen, um Platz fuͤr das kommende Leben zu
gewinnen, der ungenannte Dichter iſt ein Dichter des Vor⸗
waͤrts; mit Maß in der Form, in der Geſinnung ſo weit
voraus als die Kuͤhnſten unter den Kuͤhnen. Er fuͤhlt
ſich gedrungen den Reigen fortzuſetzen, den er in ſeiner
Wallhalla feiert: Boͤrne, Heine, Anaſtaſius Gran, Karl
Bed, Frelligrath, Lenau, Gutzkow, den Nachtwaͤchter (Din:
gelftedt), Herwegh.
Er ift ein Dichter, der, was er fpricht, fühlt, und mas
er fühle, ift ihm In dem Augmblid Wahrheit. Aber ob
ibm dann nicht Bedenken kommen, wenn er diefen Rei:
gen feiner Erwählten muftert, die voran waren im heiligen
Kampfe, und darunter fo manden Abtrünnigen erkennt
— Einige geißelt er dafüc —, daß ein Umfchlag möglich
it, ja, daß ein Umfchlag in der Übergipfelung felbft ber
dungen ift? Den Dichter und den Mann der Wahrheit
darf das freilich nicht abhalten vorwärts zu gehen, und
vor Allem nicht den Juͤngling; er muß denken: du bift
durchaus wahr, bei dir muß die Wahrheit treu bleiben,
denn du haft die Bewußtſeinskraft in dir, dag du dir ſelbſt
treu bleiben wirft, Wo wäre je etwas Großes zu Stande
gefommen ohne diefe friſche heilige Überzeugung. Aber
gingen die Andern nicht von derfelben Überzeugung aus?
Sehen wir ab von Börne, der im Unmuth über fein Va⸗
terland in der Fremde verfümmerte und flach. Kann er
noch jest Deine als Vorkaͤmpfer für feine Sache anerken⸗
nen? Wer fand höher, wer war gefelerter als der wiener
Spaziergänger, der Dichter bes „Schutt? Dit welcher
mächtigen poetifhen Kraft bat er an bie alte Welt und
ihre morfchen, wankenden Ruinen gefchlagen und hat fich
jest, in Verzweiflung oder in Unmuth, warme Stuben
dazwiſchen eingerichtet. Seien die Motive, welche fie wols
len, das Factum ift Bar, er bat der Sache, deren glüs
hendſter und glücklichſter Vorkämpfer er war, den Rüden
gewandt. Wo ift Karl Beck, der mit dem keckſten Übers
muthe die alte Philiſterwelt zerzaufte und feine Raketen
des Wiges in den dunkeln Dimmel ſchoß? Hat er nur
-
14
eine der theffalifchen Deren, den bleihen Mond’ bezaubert,
daß er für eine Nacht ſchwarz ward. Er ift heimgekehrt
in die braunen Haiden feines Ungarlandes, Freiligrath
gehört kaum bahin. Seine Europamüdigkeit kam wol
nur von der Müdigkeit, am Comptoirtiſch zu fliehen, wähs
rend ihm die tropiſchen Düfte und Farben aus den Cor:
tefpondenzbriefen finneberaufchend entgegenathmeten. Er
bat feitdem die Ruine von Rolandéeck wieder ins Leben
gefungen und, damit nicht zufrieden, auch den altın go=
tbifchen Lölner Dom. Seine Zubunft ift noch innig vers
fchwiltert mit der Luſt an der Vergangenheit. Lenau —
von dem nachher. Gutzkow? Gehört diefer noch zu den
Sturm: und Drangmännern, nachdem er feine ‚Briefe
aus Paris” gefchrieben? Der Nachtwaͤchter iſt noch ſehr
jung und war ſehr unzufrieden, und hat gewiß wie Alle
Grund dazu; aber er fol auch in Paris unzufrieden gewelen
fein, und — wird er nie umkehren? Herwegh fteht jegt ba,
wo früher Anaftafius Grün fland, nur daß er noch Feder
und allgemeiner gegen Vergangenheit und Gegenwart
kaͤmpft; aber auch er ift ſehr jung, und was mehr, er
iſt ein echter Dichter. Die Zeitungen laffen ihn fagen:
wenn ed zur Frage kaͤme, entweder Dichter oder Politis
ter? fo babe er bereitd entſchieden. Die Zeitungen find
freilich eine Autorität, die nie lügt, aber die allgemeine
Menfchennutur ift auch eine Wahrheit mit einem fo alls
mächtigen Schöpfungs : und Gaͤhrungsproceß, daß bie
Klügften unter den Klugen noch fein Schema der mög»
lichen Umfchläge, die aus der Gemuͤthswelt hervorgehen,
gefunden haben. j
Der Sturm und Drang ift da; unleugbar. Es ift
ein biftorifches Factum, daß alle Edlern und Beſſern ſich
binausfehnen nad freiern Zuftänden ale die, welche man
uns bis da als gut, als nothwendig gefchildert hat. Wagt
man es doch fogar nicht mehr une das Öegentheil beweis
fen zu wollen. Es find nur noch die morfchen Policeis
ſchranken. Und weshalb weichen fie nicht folcher begeiftere
ten Kraft! Es find nicht mehr Sängerflüge allein, das
Volk fühle mit feinen begeifterten Barden. Warum tra⸗
gen fie nicht daffelbe mit in ihre Senfeit hinüber? Die
Hemmungen thun es nicht. Die Cenſur konnte laͤngſt
nicht mehr hindern, nur Ärgern. So muß denn alfo doch
eine moralifhe Kraft da fein, die noch zu überwinden
wäre. Wo ift diefe heimliche Scheu zu fuchen, daß «8
nicht gelingt, wie die Kühnen wollen? Entweder ift das
Senfeit noch gar zu unklar, oder es iſt noch Anhaͤnglich⸗
keit an der Vergangenheit im Volle. Wir meinen Beides.
Wo ift das neuconftruirte Gebäude ?
Es ift nicht hier und nicht dorten,
Es ſchaukelt ſich wie ein unfchuldiges Kind auf des Sängers
blühenden Worten
ließe fih mit Immermann antworten. Selbſt der Bes
griff fehlt noch in voller Klarheit den Bewußteſten. Und
wäre der Begriff volftändig, conftruirt in allen Details,
fo bliebe er doch nur ein Begriff; nicht um deswil⸗
len, weil er noch nirgend zur Wirklicykeie wurde, fondern
weil es im Berftande allein wurzelt, weil Gemüch und
Phantafie nichts damit zu thun hatten. Iſt es ein Kaͤth⸗
fel, weshalb die wahre Dichternatur fich davon abmendet,
wenn fie nahe am Ziel iſt! Wir find ein Volk, in dem
das Gemuͤth ſich nicht verleugnen läßt. Ich füge, Gott
fet Dank, daß wir es find. Er ift unfer feftefter Schild.
- Dafür daß er nicht zu groß werde, und die Ausficht und
Umſicht verdede, iſt geforgt.
Und meshalb gelingt der Bau nicht? Weil man alle
Sundamente der Vergangenheit verwirft, weil jeder von
heute, von ſich an batiıt. Das Volk fühle, ohne «6 ſich
bewußt zu fein, heraus, daß das nicht die Art iſt, daß «6
thöricht fei, anzunehmen, die Vorzeit tauge fo wenig, daß
der Weiterbauende nicht bdiefen und jenen Stein, wenn
nicht zum Eds oder Grundflein, doch als Pfeiler, Drnas
ment brauden folle. Es ift die eingeborene Pietät, die
ba iſt, wie fie fih auch Mühe gibt, fi) zu verleugnen.
Die am weitelten voran find, fühlen das auch in ihrer
Dde. So lange das große Gefolge mit Sang und Schell
den Geiftern folgt, werden fie die nicht Inne; es geſchieht
erſt, wenn fie mit ihren größern Kräften den Worfprung
gewonnen, daß ihnen die Maſſe nicht folgen kann. Ein
eigenes Gefühl mag fie dann befchleihen, ſich fo allein zu
feben, und um was? Um eine dee; das ift freilich ſchoͤn,
mit der MWolluft des Märtprergefühls verbunden. Aber
um eine Idee zum Bellen der großen Maffe, die fie in
ihrer letzten Gonfequenz nicht faßt. Das ann Verach⸗
tung, bittere Verachtung erzeugen und einen haͤßlichen
Umfchlag, mit noch haßlichern Motiven. 1
Damit ſei nichts gegen den jungen Dichter der „Liee
ber der Gegenwart” gefagt. Er ift im Sturm und Drang
geboren, der nur aus der Negation feine Begeifterung
faugtz; er muß mit. Gluͤck auf zur Fahre. Wir haben
nicht6 dagegen, wenn er die Genannten anredet:
Ihr Heldengeifter, beutfchem Blut entfproffen,
Die Ihr des Wortes fcharfe Schwerter ſchwingt,
Rad) des Jahrhunderts fchönften Kränzen ringt,
Des Rechts, der Freiheit treue Rampfgenoflen :
Du heil'ge Schar, bie, Glied an Glied gefchloffen,
Trytaͤus“ Sturmgefang, den Paͤan fingt,
Kriegemüthig in bes Keindes Reihen bringt
Auf des Gedankens lichten Sonnenroffen.
Es liegt in der Natur der Sache, daß er Boͤrne fuͤr den
Märtyrer deutſcher, freier Geſinnung erklärt, den Frank:
reich zum legten Dienft feine Erde leihe:
D Deutfchland! Land der Kürften und Barone !
So reichlich lohnſt bu deinem freiften Sohne.
und
Er ſtarb an deinem Schmerz, an deiner Schande
Und liegt begraben in dem fremden Lande!
und daß er Alle, die nicht in Boͤrne's letzte Rhapſodien
einſtimmten, Poͤbel nennt, treue, wohlbeſtellte Schweines :
huͤter, die ihrem allergnaͤdigſten Gebieter die Hand kuͤſſen
und die ihm, dem neuen Heiland ins Angeficht geſpien
und ihn geſchlagen haben. Er iſt jung und iſt begeiſtert,
und für eine Perſon. Mir hören ihm ferner gern zu,
wie er Deine, den Dichter, wieder aus feinem Herzen
reißt und begräbt:
— in das meite Grab
Leg’ ich al deinen Dichterruhm,
Und den Geiſt, den titanenträftigen,
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wer
le MER.
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nad al bie himmliſchen Gaben
Deiner Gele,
Und ich reif deinen Namen
Yus meinem Herzen,
Und leg’ ihn auch hinein,
und dann Alles zu mit dem Epaten,
Gin einſamer Iodtengräber,
sin, wie Judas Iſcharioth, um ſchnoͤde Sitberlinge den
fa) an die Pharifäer verriet; wir hören ihm gern zu,
das am deshalb feine Anfiche zu theilen. Wir Iefen mit
zocı grijerm Vergnügen, wie er, in noch unerkalteter Bes
giheeng für Anaftafius Grün, die gebäffigen Infinua:
tonm gegen denfelben von ſich weiſt und abermals, in
deſſen Weiſe fi hineindichtend, fingt:
Kein! Ich kann es nimmer glauben, diefes Euggerücht
von bir;
GBicher it} uns hergeſendet aus des Beindes Hauptquartier;
Denn wer Dichter, dem die Gottheit ſelbſt den Himmels⸗
ſchluͤſſel lieh,
Beust vor einem kaiſerlichen Kammerſchluͤſſel nicht das Knie.
Ver auf lihten Bergespöhen jagt dem Wild der Freiheit nach,
SS, fünnahr, ein ſchtechter Diener in bes Fuͤrſten Schlafgemad).
Ebenfo lich ih erwarten, daß Freiligrach ihm nicht genug
thet, weil /
feines Ganges Mufe
Rear fen und ſchuͤchtern an der Freiheit Pforte
anfiopfte; denn:
Rod) ſtrahlten nicht des Friedens Morgenröthen ;
Reg seite und Verſoͤhnung nicht die Palme,
Roh if der Kampf der Bott, zu dem wir beten,
umd er ruft ihm die bekannte Lehre zu, welche den Dich»
ter bereite in den Zeitungen gepredigt wurde, bie er aber
gewiß ald Dichter, auch gern in Verſen tieft:
Partei! Yarteil Bier gibt es keine Mitte;
Du Juste- milieu, gebörft dem Weltgerichte;
Da, Gchredgeipenft, mit ſchwankem Geiſtertritte,
Bas wandeiſt du am Tage der Gefchichte?
Dad Beib will ſich mit Helden nur vermählen,
de willen, was fie wollen, was fie wählen.
dugüchjeliger Dichter, dera die Freien nicht erlauben
Mat, der herunter fol aus feinen lichten Höhen,
mfzyi zu werden. Auch diefer Irrwahn ſei vergeben.
& Ein nothwendige Gegenpol dafür, daß unfere Väter
va Die foberten, er folle ald blut: und fleiſchloſes
Ben zuiſchen Dimmel und Erde ſchweben. Das Er:
hau flat dem Extreme, es ift das unabmendbare Natur:
# Bıram dem jungen Dichter alfo verargen, daß er dem
Yan Chetus in den der Drang ihn führte, nachſpricht.
Kr Eins frage ich. Wir haben viele Dichter gehabt,
ie 5& von allem pofitiven Glauben losyerungen haben;
% Inne aber feinen, der glaubensleer anfing. Ein Dich⸗
Werne, der ſich nach Offenbarung und Erloͤſung fehnt,
im die in dem 6000Ojaͤhrigen oder 1800jährigen Leben
Bi en zu Geſicht oder zum Bewußtſein gekommen
Kin ausruft:
Aus weffen Lenden
Bi de, o Herr, den Himmliſchen uns fenden?
Ber A fo auserwähtt in unfern Tagen,
da eu gen Gott in feinem Schoos zu tragen?
Sihgefianten — mohlverftanden im Begriff; uns
Ya Dichtern fliehen ihm wenige zur Seite — verlans
15
gen nicht nach einem Meſſias; er iſt in jedem felbſt.
Wie, deutete dies Verlangen vielleicht auf eine ganz an⸗
dere Wurzel, auf eine jener dunkeln koͤnigsberger Verbin⸗
dungen, die Darauf ausgingen, einen Meffias zu machen?
„Bald wird erzeugt ber MWelterlöfer fein’, ſchließt trunken
die Dithyrambe. Und nun muß Lenau büßen, daß er den
Zweifel mit dem Glauben vertaufcht hat.
— — Zu bes Gedankens Purpurtrauben
Biſt du, ein Fuchs, umfonft emporgefprungen.
Sie hingen dir zu hoch, bir iſt's mislungen,
Das Streben, jene füße Frucht zu rauben.
Drum ſchleichſt du fort, wie ein beflegter Ritter,
Und nennft die hoben Zrauben berb und bitter,
Dich felbft zu täufchen und die Welt zu trügen.
Geſetzt, der Verf. wäre erſt 20 Jahr, was wird er im
vierzigften, was im fechzigften Sahre fein? Nach den Er:
fahrungsfügen der Pſychologie das gerade Gegentheil von
Dem, was er jegt ift. Möge ihn fein echter Dichterberuf
vor diefem traurigen Schickſale behüten und ihm einen
Weg zeigen, wo auch fein Gemüth Nahrung finde. Fort:
jufchteiten, d. h. auf dem eingefhlagenen Wege weiter zu
süden, ift faum denkbar. Mit Vergnügen gewahren wir
um deshalb alle die Momente feiner Poefie, welche ſich von
der Negative frei halten und von der Pietät Zeugniß ablegen
(3. B. gegen Schön), die zum deutſchen Blute gehört.
(Der Beſchluß folgt.)
Das Elend der Tellus. Ein Berfuch das Publicum in das
große Raͤthſel hineinzuführen. Bon P. Sceitlin.
St. Ballen, Tribelhorn. 1842. 8. 26’, Near.
Menſchliches Leben ift vergängtih, zu kurz für feine Be⸗
firebungen, unbefriedigend in Genüflen, der Plage und Noth
voll, überhaupt gedruͤckt durch phyſiſche und moralifche übel.
Dem Verf. ſchwebte dieſe alte Wahrbeit lebhaft vor Mugen, es
war ibm aber nidt nur um eine Darftellung des Elends zu
thun, fondern bauptfädhtlih um Antworten auf das Woher?
Warum? Wozu? — ein fchauerliches Räthfel, wie cr ed nennt,
welches noch Niemanb befriedigend loͤſte, was der Verf. auch
nicht .befriebigend ıdfen ann und es daher „‚nur darftellen und
nachdenken und anwenden’ lehren will. Das Thema, ſpricht
er, interefiirt viel ftärker als felbft das Dimmelreich auf Ers
den; denn dieſes ift inwendig, unfichtbar, das Elend fchauerlich
ſichtbar; jenes ift allenfaus für die Vernunft, diefes für Phan⸗
tafie und Gefühl, als „viel allgemeiner verbreitete Potenzen“.
Alfo behandelt die Schrift folgende ‚Kragen: „Was verftchen
voir unter dem Elend ber Zellus? Wie wollte man ſich beflen
Entftehimg erklären ? Welche Anftrengungen und Mittel find vers
ſucht worden, es zu heben oder body zu mildern? Welches was
ren die Erfolge, oder wie ſteht das Elend zur Zellus? Wie
ertlären wir uns bie Entſtehung dee Cünde und des Unglüde?
Welches ift der Endzweck dieſes tellurifhen Elends, wirb «6
ewig dauern, und wozu mag des Verf. Anjicht benugt werden ?’'
Nur einiges Wenige gibt Ref. von den Antworten. Unter
Elend verficht der Verf. alle intellectuelle moralifche und phyſi⸗
ſche Unvollkommenheit, was bunfel iſt, dunkel macht und zum
Dunkel fuͤhrt, das Gerade kruͤmmt, das Rechte umkehrt, jedes
Unglück der Menſchbeit ber Entſtehung bed Elends werben
die Angaben tes Moſes, der Inder, Ägypter, Perſer, Griechen,
fpäterer Philofopben angeführt. Es zu heben fuchten Reli⸗
Hionsflifter, Sittenverbeſſerer, Geſetzgeber. Eigentliche Troͤſter
für alle Welt waren nur David und Chriſtus. Aber die Mit⸗
tel und Zröftungen haben nicht ausgereiht, Gelige finden wir
Beine. Der Menſch ift Sünder durch Gchulb geworben und bes
darf einer Art Wiedergeburt als Umfehrung, ben Urſprung ber
Sünde und wie daraus das Ungläd entfproffen, vermögen wir
nicht einzufehen. Doch läuft die Tellus einer Veränderung ents
gegen, wird eine Grneuerung zur Vervolllommnung werben
müffen, Das Wann ift verborgen. Lord Byron ſprach einft
in feiner Nachtanficht des menſchlichen Dafeins :
And if I Jaugh at auy mortal thing,
'Tis that | mey not weep — .
und unfer Verf. ruft: „Odre auf, Sünde unb Unglüd! höre
auf, entfegliches Doppelelend! Laß mich wenigftens im @laus
ben, in der Sehnſucht, in der Hoffnung, Zuverſicht und Freude,
daß du für Alle und alfo auch für mic) einmal ein. Ende auf ewig
nehmeft, ruhen, zu den Sternen ſchauen und fanft in dieſem
Schauen einſchlafen.“ Kür den einen ober andern biefer Gegen⸗
fäge entfcheide fich der Sterbliche, oder gar für. beide. .
Vocabulaire du Berry, par un amateur du vieux lan-
gage. Paris 1842.
Es ift dies eine neue und fehr vermebrte Ausgabe eines
Keinen Werkchens, das vor ſechs Jahren erfchien und das von
allen Kreunden der alten Sprache mit ermunterndem Bei⸗
fall begrüßt warb. Die erfte Skizze ift in bem vorliegenden
Werke zu einem ftattlichen Wörterbuche angefchwollen, das nicht
nur fehr reich ift an den intereffanteften linguiſtiſchen Bemer⸗
ungen, fondern das zu gleicher Zeit fehr anziehende Mittpei-
lungen über die Sitten und Gebräude einer wichtigen Provinz
von Franfreid enthält. Berry iſt zwar weniger reich an origis
nellen Ausdruͤcken ale bie Provinzen, die weiter von ber Seine
abliegen, aber es hat immerhin eine ganz betraͤchtliche Anzahl
diefee wahrhaft franzöfifchen Worte vom alten gallifchen Stamme
beibehalten, die fpäter von bem einbringenden romanifchen Idiome
verbringt find. Diefe mots espaves (verloren, verirrt, unbe:
fannt), wie fie Rabelais in feiner alterthuͤmlichen Sprache fehr
bezeichnend nennt, find durch die feinern, abgeſchliffenern Aus⸗
drüde, die der Iateinifhen Sprache entlehnt find, nicht immer
ganz erfegt, und es ift zu bedauern, daß das neuere Franzoͤſiſch
fie ‚verfchmäht. Sie verleihen dem Dialekte diefer Provinz einen
ganz eigenthümlicdhen Reiz. Wir können und nicht darauf ein:
laſſen, einzelne Beiſpiele diefer kernigen, derben Ausdruͤcke bei
zubringen. Ebenſo wenig wollen wir dem Verf. auf das
ſchluͤpfrige Feld der Etymologie folgen. Es fei uns nur er:
Iaubt, bier ein paar einfache Bemerkungen mitzutheilen, bie
uns beim Durdpblättern diefes reichhaltigen Vocabulaire aufgeftos
Ben find. Der Dialekt von Berry (l'idiomo berrichon) bat
im Ganzen Etwas, was an Rabelais erinnert. Es Liegt dies
in einer großen Derbheit, zum Theil aber auch in dem unglaubs
lichen ‚Reichthbum der Synonymen. Um bem Lefer einen Begriff
von diefer Überfülle finnverwandter Wörter zu geben, mag es
enügen, wenn wir fagen, daß biefer Dialekt allein mehr als
Ausdruͤcke für die verfchiedenen Arten von Koth und Schmuz
von dem flüffigften bis zum fteifften und klebrigſten hat. Wir
haben ſchon gelagt, daB dieſe Mundart ferner eine große Anzahl
alterthuͤmlicher Wörter und Wendungen behalten hat, die im
mobernen Zranzöfif ganz verloren find. Es war deshalb ein
gluͤcklicher Gedanke bed ungenannten Verf. diefes Vocabulaire,
daß er befondere Ruͤckſicht auf die veralteten Ausbrüde nimmt,
bie ſich in den Altern Autoren, finden und die in biefem Dialekte
allein noch fortieben. Auf diefe Art hat mandye dunkle Stelle
der frühen franzoͤſiſchen Schriftfeller eine Erklaͤrung gefunden.
Wir finden aber, wie gefagt, in dieſem intereffanten Werke
außer den rein ſprachlichen Erörterungen noch manche beach⸗
tungswerthe Notiz über die Sitten und Gebräuche der Bewoh⸗
ner von Berry. Wir heben einige derfelben aus und laſſen uns
dabei vom Zufall leiten. Wenn nad) vollgogener Zrauung das
neuvermählte Paar aus ber Kirche zuruͤcktommt, fo greift ber
16
Dann zu einem Garteninftrumente, begibt fich in. den Garten
und arbeitet einige Augenblide lang. Während beffen hat bie
junge Frau ihre Spinbel hervorgeholt und einige Baden gefpons
nen. Diefe Foͤrmlichteit wird als ber eigentliche Anfang bes
neuen Haushalts betrachtet. Sie ruft gewiffermaßen den Neus
vermählten wie Nothwendigkeit eines angeftcengten Fleißes ins
Gedaͤchtniß. Am Abend vor der Hochzeit verſteckt fi die Braut
mit mehren ihrer Freundinnen in die Wölbung bed Kamins,
über bie ein großer weißer Laken gefpannt if. Der Bräutis
gam muß nun mit feiner Hand unter biefen Vorhang fahren
und alle Hände der Mädchen berühren, um zu fagen, welches.
bie Finger derjenigen find, die feine Lebensgefährtin werben ſoll.
Der Berf. diefer intereffanten Schrift bat ſich nicht ger
nannt, aber es fcheint mehr als Zufall zu fein, daß der Buchs
druder auf ben Umſchlag des Werks die Ankündigung von
zwei Schriften Aber Botanik gefegt hat, die vom Grafen Jau⸗
bert herausgegeben find. Diefer geiftreicge Deputirte, der durch
feine ungeftüme Beredtſamkeit ebenfo bekannt ift als burdy feine
wiffenfchaftlichen Unterfuchungen und feine Reiſen nad dem
Drient, fiheint in ber That ber Verf. biefes Werks zu fein, das
feinem Geifte und feinem Fleiße gleiche Ehre madıt. 6.
Notizen aus Italien.
Diejenige Literatur, über welche uns Deutfchen Börres uns
ter der Bezeichnung Volksbuͤcher eine Üiberficht gegeben hat,
ift in Italien noch fehr reich. Ein Berzeihniß und Bericht über
biefe vielgelefenen, allgemein zugänglichen Schriften müßte für
Kenntniß des italieniſchen Volkscharakters mannichfach lehrreich
fein. Die Mehrzahl derfelben ift veligiöfen Inhalte, Leben ber
Mabonna, ber Beiligen; unter den neueften hauptſaͤchtich das
ber heiligen Filomena. Gin großer Theil gebört den Sagenkrei⸗
fen des Mittelalter an, wie bie „Beali di F'rancia “, „Gue-
rino meschino‘‘, „Ms. gigante Morante.” Wenige find komi⸗
ſchen, modernen Inhalts, wie „„Bartoldo’ mit feinen Abkoͤmmlin⸗
gen. In Neapel geben ſolche Vuͤcher aus ber Druderei des
Nicola di Simone hervor. In Rom find auch venetianifche
Drude der Art zu haben. Ic kaufte biefe Sachen bort bei ei⸗
nem alten zerlumpten Krämer im Borgo vecdhio, links an der
Straße, welde von ber Engelsbrüde nad der Piazza Ruflicucci
und dem Vatican führt. Gebrudt werben fie bei Balbaffari.
Auch die Preſſen von Viterbo und Tobi find in biefem Kreife
thätig. In Lucca ift Mehres diefer Art bei Domenico Maree⸗
candoli und bei Francesco Bertint erfhienen. Natuͤrlich ſtets
con approvazione,. con permesso. BVenedig fcheint au für
biefe Erzeugniſſe wie für das fonftige Buͤcherweſen ciner ber
bauptfädhlichften Pläge. Am Eingang der Kirche San: Marco
gegen ben Marcusplag, am Dogenpalaft unter ben Ballen ges
gen bie Lagunen haben bie Händler ihren Kram aufgefchlagen.
Das alte Volkösdrama, das Puppenfpiel, ift in Italien
noch nicht erlofchen. Auf der Riva de’ Schiavoni in Venedig ift es
jeden freundlichen Mittag ober Abend zu fehen. Auf bem Wege
von Mailand nach Genua fpät Abends in Novi anlangend, fas
ben wir auf einem freien Plage eine zahlreiche Volksmenge vers
fammelt, weldye mit gelpannter Aufmerkſamkeit der Darftelung
eines Puppenfpielers folgte, welcher bei Kerzentiht im Freien
fpielte. Der Italiener ift dußerft ſchauluſtig; faft jedes Staͤdt⸗
hen bat fein Schaufpielhaus. Wei diefer Anlage des Votks ift
e8 boppelt zu verwunbern, daß fi ein cigentlih nationales
Drama in Italien nie gebilbet hat; wäre es, wenn Italien fich
als eine Nation fühlen Eönnte? Am Freitag, während ber Ads
ventszeit und der großen Kaften find in Rom bie Theater ge=
ſchloſſen. In ben legten Zagen vor Afdhermittwod wird, um
die Luft noch bis auf die Hefe zu genießen, audy bei Tage ges
fpielt. Am Morgen vor Aſchermittwoch fab ih im Theater
Zorbinone Roffini’s „Moſes“ mit eingelegten Ballets. 7.
Verantwortlicher Herausgeber: Leinrih Brokhaus. — Druck und Verlag von FJ. A. Brodhaus in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Donnerstag, u — Kr. >.
5. Sanuar 1843.
Stimmen der Zeit.
(Beſchluß aus Nr. 4.)
Au ptiver Gegenſatz gegen ben vorigen jumgen Saͤn⸗
ger tritt der uns wohlbekannte ehrenwerthe Dichter Fried⸗
rich d. Uhtritz im feinem „Ehrenſpiegel des deutſchen
Bel" auf. Ob er zu den Zufriedenen mit dee Gegen:
war zu reinen fei, laſſen wir umentichieden, aber er ges
bit nicht zu den Malcontenten mit der Vergangenheit,
daf er allein von ber ungeberenen Zukunft das Heil des
Vaterlands erwartete. Seinen Standpunkt fpeiche bie
Mivmanz des Gediches an einen Fürſten ans, an den
— der dem greifen, unerichöpften Dichter,
Bon deſſen Mund dad Herz wie Honig tönt,
Der Köuigegnabe hellſte Weihnachtslichter
Entflemmt, bes Lebens Abend ihm verſchoͤnt, —
Tom, dem fein Bott erſt halb die Gunſt geboten,
Die es in Zukunft reicher zollt — dem Todten.
Seine Tendenz aber wird Bar ans. der Rhapfodie, „Die
Fit" uͤberſchtieben, die als Prologus die Wilder des „Eh:
onfpiegel” vorführt. Sie hat von Cheops' Pyramiden
& Alles erlebt,
Dod nicht von Trümmern komm’ ich heut’ zu fingen,
Rt in die Fremde führe ih Euch. hinaus,
A Eurer Heimat Grenzen foll mein Lied
Saharren, Cuch mit raſchem Fluͤgelſchlag
Ins fernen Nebeln ber Vergangenheit
Bis in ben Glanz des heut'gen Tages tragen.
& wühlt nicht in Truͤmmern, um nur Schutt zu finden,
ſendem ruft im Morgenroth des deutſchen Eithenwaldes
ve greien Erſcheinungen der Vorwelt zur Anſchauung. Wir
Men Kart den Großen und Eginhard und Emma in ans
muhem Bildern und altdeutſchem Versmaße geſchildert,
der vonüglich gelungen iſt; demmaͤchſt in großem Sprunge,
we foger über Die Hohenſtaufenzeit hinfortgeht, das
Butungfeft. Prolegus, der den in Naht zuſammen⸗
* Glanz der Hehenſtaufen bedauert, ruft aber
sr. x
i D ber Herrlichkeit,
Der bein Sitt' und Kun, bie ſich im Gchatten
Des ßen Papſt⸗ und Kaiſerkampfs entfalten !
Die zwei gethürmten Dome fleigen auf,
As hebe fehnfuchtspoll die Melt die Arme,
Den Simmel zu erfaffen. Selbſt der Stein
Bergißt der Därt’ und der granitnen Schwere;
Sr Müpt in Rofen, fleigt in ſchlanken Gpigen,
Schießt aus in feinfter Bierath, — recht ein Wild
Der rauhen Menſchenherzen jener Tage,
Die ebenfo ein lindes Wehn durchdringt
Und fanft in fanften Blüten fproffen madht.
Bon Minne tönt des Sängers Mund
und in einer der vielen Weiſen, in denen die ritterlichen
Sänger von Mai und Liebesiuft gefungen, führt uns der
Dichter das MWartburgfeft vor. Die Blüte edler Sitte,
die in zartefter Milde ins Auge glänzte, ift bald vorüber;
in den Burgen tönt ſtatt holden Minneſangs wüfte Raus
feret und Becherklang. Die Mufe hat fi des Bürger
enge Werkflatt erkoren, der Dichter führt uns in das
reiche, mächtige Leben der Städte und zaubert und Hans
Sachs' Brautzug, ein hoͤchſt gemütbliches, friſches, deut⸗
ſches Bild hin, in dem er die erſten Geiſter und Maͤn⸗
ner der Zeit, einen Willibald Pirkheimer, Georg Frunds⸗
berg aufführt. Die Erfindung ift glüdtich, der Ton mei⸗
ſterhaft getroffen. Weshalb aber der Dichter nöthig hat,
ernft gemeint, oder ironiſch, dies Bild zu vertheidigen,
wie es in den darauf folgenden Rahmflüden gefchiebt, iſt
uns nicht faßlich. Es beißt da:
Ihr mwerbet den Rhapſoden hoffentii
Richt tabeln, daß er, der in Fuͤrſtenhoͤh'n
Mit Euch verfebet hat, und ben flogen Flug
Nur auf den hehren Bipfeln deutichen Lebens
Ausruben wollen, bei des Handwerksmanns
Brautiuft und Iäppifch rohen Soͤldners Einſpruch
&o lang verweilt hab’. Haltet body auch Ihr
Ridge niedrig, was ung, wie der Kriegermuth,
Das Bürgerwohlfein jener Tag’ ins Ders
. Aus unferd Volkes lichtem Kern zwei Strahlen
Mit Eräftigend fruchtbarem Schimmer gießt.
Und find der Dichter, Weife, Künftter, Held,
Die auf der Reichsſtadt Straßen uns begegnet,
Nicht Kieinod’ in dem Ehrenfchage Deutfchlands.
Gewiß, das find fie. Wer bezweifelt's? Wer's aber bes
zweifelt, weshalb an den Worte verfchwenden! Die Res
formationdzeit beruhrt der Prologus nur. Sie hat Gro⸗
Bes, Gewaltiges, Derzerfchütterndes erzeugt, das Erfreuliche
liegt aber mehr im Reiche des Gedankens, das Bild faßt
es weniger. Der preußifch gewordene Deutfche führt ung
lieber zu dem Regenerator des Hauptſtaats des proteftan:
tifhen Deutfchlands, zum großen Kurfürften. In einem
fein tüfternen Bilde wird uns der Süngling vorgeführt,
der fih aus den Armen der Verführung losringt, ſtuͤr⸗
miſch den Lockungen im Haag enteilt, um als Held frei zu
Unelnigkelt gefallen fei, das iſt hoͤchſtens auf den Egois⸗
mus einzelner Cabinete anzuwenden; es fiel, weil das
deurfche Voll durch politifchen Abfolutiemus das Matios
nalbewußifein und dann überdies jeder einzelne Bürger
unter dem Scopter des Abfolutismus überhaupt jedes
politifhe Bewußtſein verloren hatte. Das damalige
Deutſchland mit feiner völligen Entnervung bes politi:
ſchen Volksgeiftes und der Berfumpfung feiner focialen
Verhaͤltniſſe und Zuflände würde fi) vor dem Andrins
gen des neuen politifchen Lebens nicht haben halten koͤn⸗
nen, und wenn alle die Hunderte von Souverainen eine
Politik, felbft wenn Deutfchland nur ein fuͤrſtliches Haupt
gehabt hätte. Wenn man uns darum jest bei unferer
erwachten Begeifterung für die Größe unfers Vaterlands
immer wieder von der deutſchen „Einheit“ vorſpricht und
vortrinkt, fo dürften wie deffenungeachtet immer noch auf
dem Punkte wie im Gongreffe zu Raſtatt fichen, foll
unter diefer Einheit die blos atomiftifhe der Gabinete
und nicht die verfianden wurden, die aus der Gemein:
ſamkeit freier volksthuͤmlicher Inftitutionen und Berfaf:
fungen hervorgeht. Im Gegentheil wären wir immer
noch der große atomiltifche Haufen, den man auf Con:
greſſen veräußern dürfte, oder nicht.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notizen aus England.
Ein Auffag über neuere Staatemänner im „Dublin
monthiy magazine’’ enthält folgende Stelle: „Es iſt auffal:
iend, wie empfindlich die Nechtögelehrten (natürlich nur die
großbritannifchen) im Betreff ihres Geburt find. Sobald fie
anfangen berühmt zu werden, fangen fie auch an — fei es in
Kolge der Verbindungen, die fie angelnüpft, oder in Kolge der
Vorurtbeile, die fie bei ihren juriftiichen Studien eingefogen —
fh auf die ariftofratifche Seite zu legen, und möchten Jeder⸗
mann glauben machen, daß fie aus Magnatenblute ftammen.
Die widerwärtigfte Trage an cinen vom Glück begünfligten
Sachwalter it: „Was war Ihr Herr Vater?’ Auch ift in der
That die Zahl Derer fehr groß, die auf der Bahn des Rechtes
aus niedrigen Verhältniffen gu den höchſten im Staate gelangt
find. Dex gegenwärtige Generalfiscal von Gngland, Sir 3.
Polo, ift der Sohn eines Sattlers. Gin Laden in Sharing:
Froß (in London und allen Zagdfreunden mwohlbefannt), jet
im Befis der Herren GSuff, gehörte vordem Pollod Pere, der
fein Gefhäft den bdermaligen Eigenthümern verkaufte. Der
Vater des GBeneralprocurators, Sir William Kollett, treibt
noch jetzt in der Nähe von Ereter Holzhandel. Sir John Wils
liams, Advocat an der Queen’s- bench in England (es gibt
auch eine Queen’s-bench in Irland) ift der Sohn eines york:
fhirer Roßkamms. Sir Eduard Sugden, Kanzler von Irland,
it der Sohn eines Barbiers. Doch macht Sir Eduard eine
Ausnahme; er rühme fich feiner Herkunft. Als er bei ber cam:
bridger Wahl, wo Lord Mounteagle ihn durch eine Majorität
von 28 ſchlug, auf der Rednerbühne fland, rief ihm Einer aus
dem Haufen zu: „Fort, fort, du Barbierefohn !’’ Ganz ruhig
antwortete Sie Eduard: „Der Unterfchieb zwiſchen Dem, der
das fagte, und mir befteht einfach darin, daß, wenn er der
Sohn eines Barbiers wäre, er fein ganzes Eebelang es zu
nichts Anderm gebracht haben würde; ich bin ber Sohn eines
Barbiers, habe mih aber etwas Höher hinauf gemadht.
und als er vor einigen Jahren bei einem conferbativen
Danbwerkeroerein im Lambeth den WBorfig führte, ſprach ex
ebenfo unbefangen von feiner Geburt. Sir Gbuarb wear
früher Schreiber beim Notar (entſpricht dem englifchen con-
veyancer) Herrn Groom. Das wurde ihm opponirt, ale er
fih um die Advocatur bewarb, und ohne das Präftige Auftre⸗
ten des verflorbenen Francis Hargrave, eines ebenfo liebens⸗
wärbdigen als gelehrten Mannes, ber für die Zulaſſung des
Sandidaten auf den Grund feiner durch juriftifche Schriften exs
wiefenen Faͤhigkeit ſtimmte, hätte die Oppofition den Widerſpruch
durchgefeht. Der Vater bes Kronanwalts Platt, eines der ausges
zeichnetften englifchen Rechtsgelehrten, war Schreiber des verſtorbe⸗
nen Lord Ellenborough. Baron Burney’s Mutter verkaufte politis
ſche Flugſchriften. Lord Kenyon, ber nacheinander Generalſiscal, Bas
ronet, Oberkanzleidirector und Lord Dberrichter an der Queen’s-
bench wurde, audy nebenbei 300,000 Pf. &t. Hinterlich, hatte
ale Schreiber bei einem Abvocaten angefangen. Lord Hard⸗
wide, in feinem 34. Jahre Generalfiscal, war der Sohn eines
Geſchäftsmannes in Dover, der wegen Faͤlſchung gehenkt wurde.
Lord Eldon war der Sohn eines Kohlenmeflers in Remcaftle
am Tyne, und fein Bruder, fpäter Lord Stowell, borgte 40 Pf.
zu feiner Eauipirung. Lord Zenterben’s Water war in Ganters
bury Bartfcheerer, Lord Langdale feines urfprünglichen Zeichens
Geburtöhelfer und Lord Gampbell, fowie die zwei Sergeanten
Zalfourd und Spankie eröffneten ihre Laufbahn als Berichts
erflatter für die „Morning chronicle.”
— — nn —
In einer Zeit wie die gegenwärtige, wo Viele fparen
möchten und Wenige fparen Bönnen, haben die fogenannten
Sparkaffen überall mohlverdiente Beachtung gefunden. Aber
ein Vortheil bderfelben, obgleid ein tief in das Staatenleben
eingreifender, dürfte noch nie deutlicher hervorgehoben worben
fein als in der Schrift: „The history of Savings’ banks in
England, Ireland and Scotland”, von John Zi Pratl
(London 1842). Der Verf. iſt Juriſt und erſcheint in Folge
des ihm von der Regierung ertdeilten Auftrags, die Statuten
der Sparkaſſen, Annuitätens und Darlehnsgeſellſchaften in
England und Waled zu unterfuchen, von vornherein zur Zu⸗
fammenftellung einer foldhen Geſchichte und zur Abgabe eines
Urtheils befähigt. Es fcheint jedoch au, daß er feinen Auf:
trag mit Treue und Gifer vollſtreckt hat, und das drückt fich
ebenfalls in feinem Buche aus. Hier rühmt er denn naments
lid von ben Sparkaflen, daß fie naͤchſt dem beträchtlichen Nugen
für die arbeitenden Glaffen ein Eraftvolles Werkzeug zur Erhol⸗
tung der Öffenttihen Ruhe feien. „Wer feine Erſparniſſe“,
fagt er, „dem Staate anvertraut bat, der ift auch bei der
Sicherheit diefes Staats betheiligt, und zwar nicht im Bers
hältniß zu feiner Einlage allein, fondern für den Betrag fämmt:
licher fo angelegten Sparpfennige. Könnte ex daher vergeflen,
daß es feine Bürgerpflict ift, zu Verhütung Öffentlicher Uns
ruhen mitzuwirken, wird fein perfönlicyes Intereffe ihn ſchnell
genug daran erinnern Es gibt Feine flärkere Überzeugung von
der Wichtigkeit des öffentlichen Kriedens und des Staatseredite
als diejenige, die auf individuelem Grunde ruht. Und wer
dire eine Stütze des Defpotismus nennt, einen Dalt für bie
jebesmalige Regierung, follte auch bedenken, daß es folglich
nicht um die Stabilität ber dermaligen Regierung, fondern im
Aligemeinen und für jede Zeit um Ruhe, Ordnung und gute&
Regiment fi bandelt.” Der Werth diefer Bemerkung macht
in dem gerade jetzt ſo ſchwer bedrängten (England ſich doppelt
geltend, denn als Hauptrefultat der dem Werke beigegebenen
zahlreichen und ausführlicyen Tabellen ſtellt fich hervor, dag am
20, Nov. 1841 in den dur England, Wales, Irland und
Schottland beftehenden 555 Sparkaſſen 824,162 Perfonen bie
Scfammtfumme von 22,915,940 Pf. St. niedergelegt hatten,
Berantwortliher Herausgeber: Heinrih Brodhaud. — Drud und Verlag von F. 4. Brockhaus in Leipzig.
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Die Memoiren des Ritters von Lang.
(Bella aus Mir. 2.)
Mainz war (30. Dec. 1797) von der öftreichifchen
Dolitit. kaum den Franzoſen übergeben worden, als die
feanzöfiigen Geſandten in einer energiſchen Note erklaͤt⸗
ten, daß jeyt ohne Umflände der Rhein ale Grenze an:
zuerkennen fei (19. San. 1798), und mitten im MWaf:
fenftiüffande (35. San.) wurde die Rheinſchanze bei:
Manheim weggenommen.
Da entſtand — fast Lang — ein unglaublidhes Beulen
und Wehliagen von Leuten, die wenigftens infofeen zu bemitleis
den waren, daß ihnen fo etwas in ihrem Übermaße des Blau:
bens und der falſchen Hoffnung nur einigermaßen unerwartet
Hat kommen fünnen. Man füllte bie Protokolle mit wechfelfeis
tigen Beileidsbezeigemgen und Ereuzigte ſich mit mannichfaltigen
Erklaͤrungen, wie jett noch bie Integrität bes Reiches und bie
Abtretung des linken Rheinufere zu gleicher Zeit als Grundar⸗
tikel des Friedens beflehen könnte; bis man denn die beruhigende
Erklaͤrung barin fand: die Integrität bed Reich fei keine roh
finnticye, koͤrperliche, fondern eine ſymboliſch idealiſche, nach wels
er, Aheingrenze hin ober ber, body noch biefelbe Werbindung
des allerhöcften Reichsoberhaupts und beffen allergetreueften
und Stände des Reichs forttiefleben, zumal der bloße
fiheinbare Berluft auf ber einen Geite durch die effectiven Ent:
fhädigungen auf der andern volllommen rebintegrirt werden follte.
Wie nun aber Alle begierig waren, wo die Entſchaͤ⸗
digungen herfommen follten, und Die, welche es fchon
mußten, flillfchweigend die Achſeln zudten, eröffnete am
15. März die franzoͤſiſche Geſandtſchaft die Löfung mit
der kurzen Erklaͤrung: daß biefe Entſchaͤdigung in der
Serularifation der geiftlihen Güter. zu fuchen fe. Das
Signal zur Plünderung war hiermit gegeben, die größern
Stände entwarfen ihre Plane auf Bisthlimer oder Fetzen
daven, die kleinern haſchten nach irgend einer Abtei und
der geringſte Edelmann fuchte der Kirche irgend einen
Schafhof zu entreißen. Gewiß ein herrliches Schaufpiel.
Man fah die geiftlichen Gefondten als geächtet an und-
ging ihnen jetzt überall aus dem Wege. Es regnete gleichſam
vom Bimmel herunter die Liquidationen der Schuld, bie jeder
am liaten Rhein erlitten Haben wollte, mit Bezeichnung ber
Objecte, die er dafür zur Entſchaͤdigung wuͤnſchte und bie er
durch feine Regocianten bei ben drei Geſandtſchaften von Frank⸗
eich, Dftreih und Preußen zum Theil durch ausgewirkte uns
mittelbare Empfehlung der Miniſterien durchzuſetzen fuchte, wos
Bei man vorausfente, daß bie arme Reichedeputat ion ſelbſt nichts
weiter zu thun haben würde, als die von ben drei Mächten ges
nehmigte Austheilung gehorſamlich gutzubeißen. Unterdeſſen
verfuchten die geiſtlichen Schaͤflein, den Wölfen, von benen fie
3. Januar 1843,
um 02. m mn nn
fi umgeben ſahen, noch allerlei bewegliche Vorſtellungen zu
machen, B. daß es eine Gewiſſensſache waͤre, ſolche gottge⸗
weihte Güter an fi zu ziehen, daß ihre Pluͤnderung bald ans
dere nach ſich ziehen würde, baß, wenn eine Entſchaͤdigung bars
aus zu geben fe, fie nicht ausfchließend von der geiſtlichen, fons
bern auch von der welttichen Seite geliefert werben müßte; daß
man ſich ja auf gütliche Abfindungen in Geld oder nur thril⸗
weiſe Abtretung verftehen koͤnnte.
Ferner ſetzten die betroffenen geiftlichen Fuͤrſten dem
Landverluft am linken Rheinufer in ihren Anfchlägen
herunter, proteflicten, daß das beutfche Reich wegen Vers
luſte fremder Länder, wie die Erbſtatthalterſchaft in Hol⸗
land fei, einflchen ſolle; und als dies Alles nicht vers
fangen wollte, fielen fie untereinander felbft ab, die Bis
[höfe wollten die Güter der Kıiöfter preisgeben, die Erz⸗
bifhöfe wollten wieder die Bischümer opfern und zu bies
fem Plane die drei geifllihen Kurfürften durch die ges
meinſchaftliche Theilung von Salzburg, Muͤnſter unb
Fulda bewegen. Mainz wollte fogar zu Allem flimmen,
wenn man nur dafuͤr forge, daß Mainz der deutfche Patriarch
und Primas werde, benn ohne einen „Archi-Cancella-
rins Imperii per Germaniam werde man das liebe deut:
(he Vaterland doch wol nicht beftchen laſſen“. Da ins
deffen Niemand, auch bie Franzofen nicht, über den Ge⸗
fammtbetrag der deutſchen Verluſte am linken Rheinufer
im Reinen war, fo unternahm der Archivarius Lang
ſelbſt eine Statiſtik diefer Länder zu entwerfen und druden
zu laſſen.
Da Preußen duch bie im Frieden von Campo:Formie
gefegten Artikel vor der Hand nicht auf Vergrößerung
Anſpruch machen konnte, fo erlärte es jest, das großmuͤ⸗
thige Opfer bringen zu wollen und für die Verlufte am -
Rhein nichts zu begehrten, wenn Öftreich die für die Nies
derlande ergriffenen italienifhen Staaten wieder aufgeben
wollte. Diefe Erklärung, beren wahren Sinn man aus
fange nicht erfaßte, verurfachte eine ungeheure Freude
unter den beftimmten Opfern, aber bald follte auch biefe
zuſammenfallen. ſtreich ließ ſich duch biefe Grimaſſe
weder erſchrecken, noch konnte es Preußen in der That
von einer wirklichen Entſchaͤdigung abhalten, das um ſo
weniger auf die Seculariſation verzichten durfte, als «6
den Genoſſen der basler Separat:Friedensichlüffe, Baden,
Heſſen⸗Kaſſel, dem Erbſtatthalter, Würtemberg, Huͤlfe und
Vertretung fchuldig war und dem Haufe Zweibrücken
ein volles Antheil der auf dem Anfall flehenben pfalgs
141
bairiſchen Lande ſichern, wie die Abreißung des Stückes
von Altbaiern bis Waſſerburg hindern wollte. Indeſſen
hatte man früher an die Seculariſation der geiſtlichen
Güter nicht gehen wollen, fo konnte man bald genug:
niche zu weit greifen. Man beachte nun nicht aller
"Band und Leute in Anfchlag, fondern au commeerrielle
Vortheile, Rheinzölle, Kriegsſchaͤden und bie geiſtlichen
Güter wollte man nicht nady Flächenraum, fondern nad)
ihrer meift geringen Population, nad dem Masflabe ih⸗
rer fchlechtvermalteten Einkünfte und nad Abzug aller
darauf haftenden Schulden Überwiefen haben. Beſonders
machte Lang bdiefe Dinge im Interefje Preußens geltend.
Denkt man fih aber zu diefem Menſchen⸗ und Länder:
wucher ein tolles und taumelndes Sinnenleben, das, wie
Lang erzählt, trog fo vielem Jammer und Berlufte in
Raſtatt aufgefhlagen war, und auf der andern Seite
eine große, aber für ihr Schickſal faſt gleihgültige, wenig:
ſtens unchätige Nation, fo fann man fi des Grauens
über diefes Spiel gewiß nicht erwehren!
Da nun die Franzoſen, fagt Lang, jest efgentlid)
immer noch nicht recht wußten, was fie wollten, da fer:
nee Öftreih das gewänfchte Sch von Baiern nicht er:
langen konnte, England über die Fortſchritte Frankreichs
in Matta, Ägypten und Stafien Gift und Flammen fpie,
fo geriet) der Congreß in foͤrmliche Stodung; er wurde
am 8. April von der kaiſerlichen Geſandtſchaft aufgelöft
und am 12. Mai erflärten die kampfluſtigen Franzoſen
aufs neue den Krieg. Über die Ermordung der franzäfl:
fen Gefandten erklärt fih Lang ungefähr fo, wie fie
fhon in der neueften Zeit aufgeflärt worden if. Er
fagt beftimmt aus, daß Öftreichifches Militair, und zwar
von der Escadron eines Nittmeifterd Burkardt, den Mord
ausgeführt habe; er getraut ſich aber nicht zuzugeben,
noch glaubt er, daß es mit Vorwiſſen eines höhern Som:
mando, noch viel weniger des Lafferlihen Hofes ſelbſt
gefhehen ſei. Kaͤme es auf fein Dafürhalten an, fo be:
kennt er zu glauben, der Graf von Lehrbady habe auf
feine Fauſt diefe gräßliche That herbeigeführt, im Auf:
trage der Engländer, denen ein ſolches tragifches Schau:
fpiel der Wuth und Rache ale ein Pfand der erneuerten, un:
verföhntichen Feindſchaft zwiſchen Deutfhland und Frank;
reich gelten follte. Die Motive, die Lang angibt, müffen
Hier auf fich beruhen. Der preußifhe Gefandte, Herr
von Dohm, fuchte auf Ort und Stelle die Spuren die:
ſes völkerrechtöwidrigen Verbrechens zu entdeden, eine
Sache, die ihm von den größern Höfen, und zwar von
Preußen auch, fehr Übel genommen wurde.
Der zweite Theil dee Memoiren hebt nun damit
an, wie Lang als preußifcyer Kriege: und Domainenrath
bei der Kammer zu Anfpach fungirt. Er hatte die Lan:
beshoheitsfachen, das Schul⸗, Kirchen⸗, Stiftungss und
Gefaͤngnißweſen des Landes zu. verwalten und zeichnete
fi in diefem Wirkungskreiſe durch Humanität, Libera⸗
lismus, Thätigkeit und firengfte Rechtfchaffenheit aus. Es
iſt mit großem Intereſſe zu lefen, von welchen Grund:
fägen er geleitet wurbe, wie er in die damals emporbluͤ⸗
hende innere Politik des preußifchen Staats einging und
16
% &
wie er ohne Rüdfiht die Perfonen und Zuftände maß
und beurtheilte, mit denen er in Berührung kam. Er
hatte jegt das Unglüd, in kurzem das britte junge Weib
zu begraben ; "feine äußern Berhältniffe hingegen ‘waren
durch Erhfhaft bluͤhend und gänzlich unabhängig gewor⸗
den. 8 gegen dem Herbft 1805 leitete und vollendete
er die Grenzberichtigungen zwifchen Baiern und Preußen,
ein Geſchaͤft, auf das er viel Werth legt und das nur
feine Gewandtheit und auferordentlihe Geſchichtskenntniß
der fränkifhen Länder gludlih beenden konnte. Als
1806 nad der unglüdlihen Kataſtrophe Anſpach an
| Baiern fiel, zog er es nor, ein bort begütester- Mann, in
die bairifhen Dienfte zu treten. Bu feiner „Geſchichte
des Fuͤrſtenthums Baireuth“ fügte er jegt noch die „Ans
nalen des Fürſtenthum Anſpach“ unter der preußifchen
Regierung, worin die Charakterifitung dee Perfanen im
Lapidarſtyl aligergeines Auffehen erregte. In den Krieges
jahren felbft leitete er die Angelegenheiten bes anfpadyis
fhen Landes mit Glüuck und Zufriedenheit fort, aber als
einen felbflandigen, unbeugfamen Mann, der feinen Bor:
gefesten wol oft zu fehaffen madkte, ſcheint man ihn end⸗
ih nah Münden felbft gezogen zu haben. Man trug
ihm hier auf, die Archivangelegenheiten zu beforgen, und
er brachte es auch trotz vieler Hinderniſſe dahin, den
großartigen Plan eines Reichsarchivs zu entwerfen und
zu vollziehen. Ferner dirigirte er das bairifche Adelswe⸗
fen und nahm auf Grund diefe® Amts an der neuen
Conftituirung des Landes Theil. Als nad) bem Sturze
Napoleon's befonders in Baiern die politiſche Reaction,
das Bureaukratenmwefen und die Adelswirthſchaft hereinbrach
und Lang, obſchon jegt felbft Ritter, feinen rechtſchaffe⸗
nen und ernflen bürgerlichen Charakter immer noch nicht
verleugnen mochte, fo nahm er, tief gekraͤnkt, aus feinem
Öffentlichen Wirkungskreiſe Abſchied und brachte die übris
gen Fahre feines Lebens auf einem, aus der Wildnif
ſelbſt gefchaffenen Landgute bei Anſpach in vielfacher Lite:
rariſcher Thätigkeit zu. Durch feine berühmten „, Dam:
melburger Reifen”, die er allerdings anonym herausgab,
bat er fih aud dem größern Publicum als ein gebilde:
ter, geiftreicher und talentvoller Mann bewährt, Er
ducchreifte in feinen fpäteften Jahren ganze Theile von
Deutfhland, den Zornifter auf dem Rüden, und bat
fein graues, aber noch muntere® Haupt am 27. Maͤrz
1835 zur Ruhe gelegt.
Leider muͤſſen ſich unfere Bemerkungen über ben
zweiten Theil der intereffanten Schrift auf diefe trodenen
Notizen befchränfen, da der Übrige Inhalt, fo wichtig,
man muß fügen, fo unerhoͤrt er auch ift, in d. Bl. wel
kaum beſprochen werden dürfte. Wie die Reftauration
in Frankteich, fo trug fie auch in Deutfchland, na:
mentlich in Baiern ihre herben Früchte. Adel, Höf:
fe Sollicitanten und Emportömmlinge drängten ſich
jege in die amtlihen Stellungen Derer, die bisher
dem neuen politiihen Geifte mit Ernfl und Mad:
druck gehuldige Hatten, und namentlich Lang erhielt
yon dieſer Seite eine Üble Vergeltung feiner fruͤhern
Verbienfte um bas Land. Wie die Reaction in Frank⸗
11
rich,
amtlichen Sphaͤren eine furchtbare Demoraliſation ber:
j i tfeplenderung Der öffent:
vorbeingen: rei, Be
Ken Gelder, Grauſamkeiten umd ſchreiende Rechtsver⸗
lezonzen, die um fo grauenvoller find, je mehr das Be:
Yimniß auf ihnen gelegen und zum Theil immer liegen
wid — das find fe bie Gapitel, zu welchen bie Lang’:
Ben Memoiren eine Reihe von Belegen und hat:
hen liefen. Ban follte da6 Buch gerade wegen biefer
Enthillungen nicht verbieten‘, fondern mit einem ehrlichen
und guten Gewiffen die Thatſachen aufs neue unterfu:
den, die immer noch zum Dimmel um Mache fchreien.
Unfern Lefern mögen dieſe Memoiren als eine der
wichrigften Actenftäde für den Charakter unſerer Zeitge⸗
ſchichte beſtens empfohlen fein. Auguſt Kurtzel.
Über deutſche Nationalgeſetzgebung.
%. Über deutſche Nationalgeſeggebung. Gin Beitrag zur Erzie⸗
kung gemeinfamer, für ganz Deutſchland gültiger Geſetbuͤcher
unb A Abſchaffung des römischen und franzoͤſiſchen Rechte
ind
ondere. Bon X. Ghrift. Zweite Auflage. Karlsruhe,
Müller. 18412. Gr. 8. 22%, Nur.
2. Das römifcge Recht am Hermannsdenfmale Gin Beitrag zur
Verbeſſerung des Rechtsſtudiums in Deutfchland, vom Juſtiz⸗
rath X. Kaulfus. Berlin, Springer. 1842. Gr. 8. 15 ter.
Schon. bei Ariſtoteles wird die alte Frage, ob man das
Bisherige Recht nicht cobificiren und neue Legislationen geben
folie, aus dem einfachen Grunde bejaht, daß Alles in ber Weit
fortfchreiten und fi beffern müfle In Dektichland hat ſich
eine fo einfache Antwort nicht geben laflen, weil man lange
Zeit hindurch nit reiht sinig darüber werden Eonnte, was «8
mit bem Fortſchritte der Dinge in der Welt für eine Bewandts
niß base. Den erften Anfloß gab das Preußiſche Landrecht und
dieſes Unternehmen wirb als erfter Verfuch achtungswürdig und
als Beiſpiel nüglih bleiben. Dann begann 1814 der von Thi⸗
bauf angeregte Streit um sine neue Gefeggebung, der indeß zu
keinen Erfolgen führte, weil Ihibaut eine deutfche Nationalges
febgebung verlangte und einem folchen Unternehmen ſich politis
Schwierigkeiten entgegenftellten.. Nach dem 3. 1830, als
man an manchen Orten liberal geworben war, kam wieber bie
Rebe auf Geſetzbuͤcher, doch diesmal in sinem fehr verkehrten
inne. Die freijinnigen Eeute in manchen kleinen beutfchen
Gtoaten verfündeten mit großer Zufriedenheit, daß man ihnen
neben andern Dingen auch deutfche Gefegbücyer verſprochen habe:
cin Beriprechen, welches zum Helle Deutſchlands nicht in Er⸗
fülung gegangen if. Es wäre, wie unter den ungebuldigen
Juden am Berge Sinai, welche das Geſetz nicht erwarten konn⸗
ten, ein golbened Kalb — ober vielmehr eine Anzahl folder Käls
ber — entflanden ımb die wahre Gefeptafel darüber zerfchlagen.
Diefer Liberalisinus und fiin Geſchwaͤt iſt jest vorbei;
dafür erwacht aber die Gobificationdfrage aufs neue, und dies⸗
mal als Nationaifrage. Mag jener Liheratiismus cine wibers
wöärtige Reminifcenz bkiben und uns durch feine Freifinnigen
Redensartın nicht wieder daran hindern, ber Krage und wo
möglich auch der Antwort darauf etwas näher zu kommen.
Daß die Geſetzgebung Deutſchlands, das Preußiſche Lands
seht mit eingefchloflen, auf die Länge nicht mehr beibehalten
werben kann, daß ein längeres Zögern und flellenweifes Aus⸗
beſſern in den einzelnen Staaten cin großes und das Erſcheinen
ganzer Gefegbücher in biefen Staaten das größte Ungluͤck ift,
wird Niemand leugnen. Die Schrift von Chrift Hat biefes auf
bie bünbigfle und eindringlichlie Weiſe gegeigt und dabei mit
Recht darauf hingewiefen, daß die Deutfchen fih ſchaͤmen müf:
fen,. fein deutfches Recht B befigen und, wie es gexabe fein foll,
nad) roͤmiſchem, franzöfiihem und — fo «6 Gott gefiele, auch
ſo mußte ſie auch in Deutſchland in allen
rufſtſchem Rechte zu leben bereit fen tmärben. Es müßte
bie Zeit endigen, in welcher man bie oͤffentlichen Einrichtungen
als ein aͤußerlich Gemachtes und Gegebenes bewußtios hinnimmt
und befolgt. Das Volt müßte erkennen, daß die orbnungevolle
Gliederung feiner Verhaͤltniſſe im öffentlichen und Privatleben
fein Gigenthum, fein Erzeugniß ifl, und daß ihm biefes endli
in ber gebantenmäßigen Form allgemeiner Säge auch ir
ausgefprochen werben und vor daB Bewußtſein kommen müffe.
In diefer Geſtalt exiſtirt das Recht noch nice, man hat Feine
andere Reductionen des Rechtsſtoffes auf die gebanfenmäßige
Form, als Lehrbücher, und begreift oft den Sinn einer legistas
“tiven Arbeit fo wenig, daß man Geſetz- und Lehrbuch gar nicht
voneinander zu fondern weiß. Daß jeder einzelne Bürger ein
einfaches vatertändifches Geſezbuch habe, aus dem er ſich Raths
erhoten Eönne, und die Zuriften entbehrlich würden, iſt dabei
nicht der Zweck. Daß dem Volke fein Recht in gebanfenmäßis
ger Form ausgeſprochen und vor das Bewußtfein geführt wird,
ſchließt noch jene detaillirte Belebrung des Ungelehrten nicht in
fi, die ſich ohnehin nicht durch einfache und noch weniger durch
ausführliche Geſetzbuͤcher erreichen laͤßt Es verhält fidy hiermit
wie mit der Offentlichkeit der Rechtspflege; man täufcht ſich,
wenn man glaubt, daß die einzelnen Leute in Frankreich alle in
die Gerichte gehen und diefe controliren oder fi belehren. Auf
ben empirifhen Erfoig im Einzeinen kommt es aber aud) gar
nicht an; es genügt, daß die Rechtspflege öffentiich ift, denn
fhon durch diefes Princip nimmt das Volksbewußtſein daran
heil. Ebenſo tft es mit Gefegbückern. Es kommt gar nicht
darauf an und wird auch nie erreicht werben, daß bie einzelnen
Bürger ſich ſeibſt vom Rechte belehren Pönnen; darum aber
handelt es fich, daß das Recht als ein ausgefprochenes nationales
Geſet daſtehe und fo vor das Bewußtſein der Geſammtheit trete.
Leider find wir nun nicht in der sage behaupten zu dürfen,
daß der frifche und Fräftige Geift des Volks das Rothwendige
auch nothwendig maden!und fo hervortreiben werde, wir müffen
umgekehrt hoffen, daß das unter gluͤcklichen Zeitumſtaͤnden raſch
ergriffene Reſultat jenen Geiſt erſt wieder aufruͤttele, wir muͤſſen
erwarten, daß jetzt die Bedeutung bes Zollvereins und ber lebs
bafter werbende Verkehr die Nothwendigkeit cines beutfchen Ges
ſetzbuchs praktiſch kiar mache, und daß unter biefen Umfländen
die nationalen Anftande s und GEhrenrüdfihten — die in ber
Schrift von Chriſt aus fehr richtigem Takte vorangeſtellt find
— überhaupt noch Beachtung finden werden. Bon dem Werthe
und Unwerthe des jeßigen Rechtszuftandes und ber Nothwen⸗
bigfeit einer deutſchen Nationalgefeggebung fol hier nicht weiter
die Rede fein. Die ganze Frage Bann in der Meinung aller
Urtheitsfähigen bereits für entfchleben gelten. Damit man aber
die Sache doch nicht zu Leicht nehme und meine, dergleichen
toffe ſich — dba man ja fo viele gute Juriften habe — leicht
ins Werk rihtin, mollen wir bie Schwierigkeiten und Hemme
niffe betrachten, weiche ſich einer deutfchen Nationalgefeggebung
entgegenftellen, und in dieſem Punkte bie Chriſt'ſche Schrift zu
vervollſtaͤndigen fuchen.
Das erſte Hinderniß iſt das allgemeine Leiden bei allen
roßen Unternehmungen: bie vis inertise. &ı lange bie Dias
Eine noch nicht ftillfteht ober ein gelegentliches Nachſchieben
noch beffen kann, entfchticht man ſich nicht zu durchgreifenden
Reformen. Diefe Bedaͤchtigkeit hat man indeflen eher zu loben
als zu tadeln, fie bat uns in den Jahren unmittelbar nadh
1830 vor dem Unglüde einer ganzen Anzahl deutfcher Geſetz⸗
bücher bewahrt. Gegenwärtig nahet ſich ein neuer und brin-
genderer Anftoß, und wir dürfen hoffen, daß es am Ende nicht
an Zhatkraft und Entſchloſſenheit fehlen wird, ſobald bie Noth⸗
wendigkeit der Sache unverkennbar einleuchtet.
Das zweite Hinderniß iſt die Vereinzelung unb der Partis
cularismus. Mit einzelnen GSefegbüchern in ben einzelnen Stans
ten wirb — wie Ehrift bündig nachweiſt — nichk genügt, ſon⸗
bern gefhadet: es wird bie Wiffenfhaft bes Rechts, auf die
wir flolz fein dürfen, getöbtet, den Univerfitäten rin empfindli⸗
cher g beigebracht und der. Particularismus und bie Zer⸗
12
riſſen heit HPriacip erhoben. Run aber entäußern ſich bie
eingeinen Staaten in einer Beziehung ihrer Souverainetaͤt, fos
Bald nicht ein jeber fich felbft feine Belege gibt und Über. ben
einzelnen GBefeggebern eine durch Vereinigung Aller bergeftellte
Macht erfägeint, von ber die Geſetzgebung ausgeht. Auch iſt
wol mancher einzelne Staat auf feine Befonberheiten fol, und
glaubt allein bie Kräfte zur Erſchaffung einer guten Geſetzge⸗
bung zu befiten. Man hat befonders in Heinen Staaten ges
wifle berkoͤmmliche Orakel, denen man es zutraut, etwas völlig
Ausreichendes zumege bringen zu koͤnnen, und mit benen man
leicht fich dahin verftändigt, die Benutzung frember Kräfte nicht
gern zu ſehen. Auch dieſer Particularismus ift zu überwinden.
Die Vereinigung zu einer deutſchen Rationalgefeßgebung würde
eine völlig freie fein und die Souverainetätsrechte nicht beein»
trächtigen, ba jeder Staat das Geſetzbuch — ebenfo wie bie alls
gemeinen Belege des Zollvereins — als das feinige zu ſanciren
und zu publiciren hätte. Wan ift nicht mehr fo ängftlidy wie
früher und erblidt in einer innigern Verbindung bes deutſchen
Volks nichts, was Souverainetätsrechten Gefahr drohen koͤnnte.
Dee Glaube einzelner Peiner Staaten an ihre eigenen Kräfte
ift aber meift eine Taͤuſchung. Diefes wird ſich bei der Betrach⸗
tung des dritten fich entgegenftellenden Hinderniffes zeigen.
Diefes Hinderniß, das größte von allen, liegt in ber
Schwierigkeit der Sache. Muß man dringend für ben Entſchluß
zur Abfaflung eines Nationalgefegbuche fpredhen, fo muß man
ebenfo dringend auf biefe Schwierigkeit hinweiſen, da biefelbe
bis jest oft überfehen if. Man traut ſich leicht zuviel zu, man
bat bisher Belege genu abgefaßt und zweifelt alfo nicht, daß
mit ganzen Geſetzbuͤchern auch fertig zu werben fei. Mor bem
nähern Eingehen wollen wir indeß nur eine einzelne Thatſache
bervorbeben. Wir dürfen behaupten, daß bie Rechtswiſſenſchaft
in Deutfchland auf einem beimeitem böhern Standpuntte fteht
als in Frankreich, ja, als In irgend einem andern Lande. Den⸗
noch hat das frangöfifche Recht in Curopa eine Wichtigkeit er
langt, die weder feinem. Werthbe noch dem Gtanbpunlte des
franzoͤſiſchen Jurisprudenz entiprechend iſt. Außer frinee Ans
wenbbarfeit in den Rhbeinländern, hat man es faft überall, wo
eine neue Legislation nöthig war, zum Grunde gelegt und bie
Codes theilweife wörtlich überfest. So baftrt fich die Legiälas
tion der wefteuropäifchen Staaten, Griechenlands, der italienis
fhen Staaten, mehrer Schweizercantone und Hollands mehr
ober weniger auf franzoͤſiſches Recht. Bon einer foldyen euro:
paͤiſchen Anerkennung beutfcher legislativer Arbeiten iſt aber
noch nie die Rebe geweſen. Das kommt nicht von ber allge⸗
meinern Verbreitung franzoͤſiſcher Sprade und Sitte, fondern
erabezu von dem Werthe der franzöfifcyen Codes her, die —
o viel fich gegen ihren Inhalt in materieller Hinſicht einwenden
läßt — body auf eine Weile rebigirt find, daß man fie wenig⸗
ftens für durchaus brauchbar halten muß. Gerade bie Redac⸗
tion ber Geſetze ift es, weiche man in Deutfchland — fo hart
diefee Vorwurf auch klingt — erſt zu lernen bat. In Frank⸗
reich hat man einen gluͤcklichen Takt gehabt und bie rechte Art
der Redaction — einzelne Misgriffe ungerechnet — getroffen.
In Deutfchland hat man zwar auch nicht daran gedacht, daß
die Abfaflung der Geſetze eine Kunft fei, welche man verftehen
möüffe, man bat aber jenen Takt, ber mit ber franzoͤſiſchen
Oberflaͤchlichkeit zufammenhängen mag, nicht gehabt, und fo
ganz umbefangen bem Dange zur Gruͤndlichkeit nachgegeben und
des Gaten zuviel getban. Bine Kunft der Geſetzesredaction exi⸗
flirt alfo noch gar nicht, und man hat ed immer nur einem
richtigen Gefühle der Redactoren zu banken gehabt, wenn gut»
gefaßte Belege zu Stande gelommen find. Um bas Gefagte
zu beweilen, braucht man nur bie preußifchen Geſetzbuͤcher mit
den franzöftfchen zu vergleichen und neuere Iegislative Arbeiten
ins Auge zu faflen. Unfere Proceßgefege ſchwanken zwiſchen dem
Sharakter von Geſetzen und Inftructionen und Geſchaͤftsanwei⸗
fungen für die Gerichte. Der würtembergifche Entwurf eines
Handelsgeſerbucht von 1839 verzweifelt fogar, daß in Deutfch-
Land bas zu codificirende Material ſich finden Iaffe, und nimmt
den Code de commerce zur dlage; bie oreti
Schwaͤchen und Fehler des Code find * um K
beibehalten, die einfache präcife Faſſung N aber —— ge
gangen unb ber Entwurf if etwa noch einmal fo umfangreich
und ausführlich geworben als der Cade de oommerce. 86
iſt & erwarten, was aus bem beffensbarmftädtifchen Givitgef:
buche werden wird, bei weldem nad oͤffentlichen Nachrichten
ebenfalls ber frangöfifche Code zur Baſis dient. Der befannte
Entwurf einer Wechſelorduung für Sachſen von Einert fündigt
fi feihf als ein Lehrbuch für die Hanbelöieute an und it —
obgleich von einem fo anerfannt ausgezeichneten Stechtögelehrten
verfaßt — auf eine Weiſe redigirt, daß man ſeine Brauchbar⸗
keit beſtreiten muß. Hieraus kann man abnehmen, daß bie” bes
zeichnete Schwierigkeit allerbings exiſtirt. Wir muͤſſen aber
noch mehr von und verlangen, als die Franzoſen geleiftet ha⸗
ben: wir muͤſſen mit größerer theoretiſcher Schärfe das Dates
rial feftftellen und dann nicht im Werlaflen auf richtigen Takt,
fondern prineipgemäß deffen Gobification vornehmen. Es ift
bei dem Stolze, ben wir auf den Stanbpunft ber Jurisprudenz
in Deutſchland haben dürfen, gar nicht zu begreifen, wie man
ein franzöfiiches Geſetzbuch, weldes, ungeachtet ber aprisrifchen
und unhiſtoriſchen Richtung, der Zeit, in welcher die Codes ents
fanden, ganz blind der Autorität der aͤltern Zuriften folgt, in
Deutfhland zur Grundlage nehmen und fi fo in zweiter Pos
tenz ber Autorität ſolcher Reditsichrer ergeben kann, bie den
unferigen weit nachſtehen. In Deutfchland feibft ift das Dates
rial zu unfern Gefegen zu finden und die Adoption eines freme
den Seſetzbuchs kommt mit einem apriorifchen Geſetzmachen ganz
auf Eins heraus. Steht aber das Material feft, fo reicht man
mit der guten Abfiht und bee Anficht, die Chrift hegt, es
brauche uns um bie Form nicht bange zu fein: Berſtand und
rechter Sinn trage mit wenig Kunft fich felbft vor, auf Keine
Weile aus. Chrift koͤnnte, abgefehen von ben Schren der Gixs
fahrung, confequenterweife die Sache nad) feiner eigenen Lehre
fo einfach nicht finden: er verdammt allgemeine und abftract
gehaltene Geſege und ebenfo detaillirte Geſete. Er erfobert:
„Rur wenig Anorbnungen bes Öffentlichen Rechts, wie z. 8.
Sorge für bie Minderjährigen, Borfchriften wegen der Che,
wegen der Erbſchaften, wegen ber Grund» und Liegenfchaftee
büdyer und für das Werfahren. Alle anbere Beftimmungen,
was nur im Unterfdyiede des Öffentlichen Rechts Borfchriften der
Wiffenfhaft des Rechte find, wären überfläffig und ihre Aufs
hebung, felbfl in unfern, aus biefen Zuftänden Bervorgegangenen
Staatsgebilden, würde nur vorübergehend uns auffallen.“ ds
möchte indeß ſchwer fein, nad; biefen Srundſaͤten Gelege zu rr⸗
digiven, auch möchte dabei ber Zweck einer Gobification: ven
Rechtsſtoff in ber Form der Allgemeinheit zum Bewußtfeln wu
bringen, nicht zu erreichen fein. Es fcheint, als ob in Deutfdhe
land die Theorie erſt ber Anwendung vorangehen müffe, denn
was bisher in Deutſchland über die Gobification gefchrieben if,
hat nur bie Stage: ob, nicht aber die Krage: wie, erfchöpft.
Rad) Entſch ung ber erften Frage, müßte man fi) nun über
die zweite verftändigen, benn es flände der beutfchen Gruͤndtich⸗
feit und Tuͤchtigkeit übel an, wenn fie nicht einmal bis an die
Schwierigkeiten ber Sache durchdraͤnge und ſich burch fo mans
hen misglücten Verſuch und das Beifpiet ber europälfchen Ans
erfennung, welche bie franzoͤſiſchen Codes gefunden haben, nicht
warnen ließe. In dieſem einen Punkte, bei der bezeichneten
zweiten Frage: wie, find uns andere Nationen auch ſchom
theoretiſch voraus und befigen darüber eine Literatur, bie ung
noch fehlt. Da uns nach Entſcheidung der Frage: ob, jeht bie
zweite Brage näher rüct, fo ift zu erwarten, daß man ſich ehe
man friſchweg Geſegbuͤcher macht, ernfllih mit ihrer Löfang
beſchaͤftige. Es wird alsbann nicht fehlen, baß wir eine Harere
und beflere Theorie über bie Art und Weiſe der Gobdification en
halten, als fie von Bentham und feiner Schule, Gooper, Meyer
* — BR X r en er der Form misglüdte
a ‚ wie egt nachweiſen laſſen, ferner n
vorkommen werben. fern Pa
Berantwortlicher Gerausgeber: Heinzih WBrodbaub. — Drud und Berlag von 8. %. Brodhaus in Eeipzig.
Bılä tter
literariſche.
Mittwoch,
Stimmen der Beit.
1. Lieder der Gegenwart. Königäberg, Theile. 1842. 8,
72%, Rgr.
2
2.6 iegel des beutfchen Volkes und vermiſchte Gedichte.
—— v. üchtrigg. Düſſeldorf, Schaub. 1843.
®r. W Nor.
3. Gedichte von Friedrich Hebbel. Hamburg, Hoffmann
und Gompe. 1842. Gr. 8. 1 Ihr.
4, Eebensfymptome von A. Horwig. Berlin, Lefecabinet.
1842. 8 1 Zhlr
Bier fehr verſchiedene Gedichtſammlungen von vier fehr
verfchiedenen Dichten aus Königsberg, Düffeldorf, Ham⸗
burg und Berlin. Wir wollen uns der Mühe überheben,
ihre Ahnlichkeit und Verſchiedenheit in voraus aufjufuchen,
und unfern £efer der Berlegenheit, fi) zu zwingen uns zu
folgen, oder unferm Wie den Zwang anzufehen, und fich
frei zu machen. Das Einzige, was ich vorausfhide: wir
haben es mit vier Dichtern zu thun und ihre Gedichte
paffen unter den Titel. Sie find Stimmen der Zeit.
Das ließe ſich freilich von allen echten Gedichten fagen,
denn fein Dichter ſingt aus feiner Zeit heraus. Auch
wenn er als Prophet einer künftigen auftritt, fingt er doch
aur mit den Organen, welche in der Zeit, in welcher er
lebt, exiftiren und Geltung haben. Aber ihre Beziehung
ze Zeit Liege näher; fie haben das Bewußtſein in
fi), daß fie in Relation zu derfelben flehen und daß es
ihre Aufgabe ift, an bderfelben mitzuarbeiten, was an
ihnen ill.
Ke und dreift fleht dies ben erfigenannten Liedern an
der Stirn gefchrieben. Sie nennen fich felbft „Eieder der
Gegenwart” und find aus Königsberg. Der Dichter
beſchwoͤrt in dee Widmung als Zauberer die entſchwun⸗
denen Tage:
Vergangenheit erfteht aus ihrem Grabe;
Zum neuen Schmerz fügt fich die alte Klage:
Das nichts Beſtand ats die Verweſung babe,
Daß eine Zeit ber andern Leiche trage,
Daß nur aus Todtenfchädeln bie Serhichte
Die em’gen Monumente ſich vrrichte.
Ei, nod fo jung und fhon zu bdiefer Meflerion gelangt!
Denn jung iſt noch der Verf., wir hören fogar, fehr jung.
Aber e8 gibt in der Jugend eine Zeit, two man mit dem
Tode kokettirt. Die Periode dafür, die fentimentale, mein:
tem wie indeß, fei vorüber. Sie hing mit der Sehnſucht
— NA —
für
Unterbaltung.
4. Januar 1843.
nad dem Ideale zufammen, mit dem füfen, träumerifchen
Schmerze, mit dem Hinhorchen nady der Sphärenmufll,
was jegt mit allem Schwärmen Längft abgethan und aus
dee Mode if. Der Reatität gehört die Welt, alfo auch
die Sugend an; fie ſchwaͤrmt nur nach vorwärts. So ift
e6 denn auch hier gemeint. Man fhichtet die Todten⸗
fpädel zufammen, um Plag für das kommende Leben zu
gewinnen, der ungenannte Dichter ift ein Dichter des Vor⸗
wärts; mit Maß in der Form, in der Gefinnung fo weit
voraus als die Kühnften unter den Kühnen. Er fühlt
fid) gebrungen ben Reigen fortzufegen, den er in feiner
Wallhalla feiert: Boͤrne, Heine, Anaftafius Grün, Karl
Be, Sreiligrath, Lenau, Gutzkow, den Nachtwaͤchter (Din:
gelſtedt), Herwegh.
Er iſt ein Dichter, der, was er ſpricht, fuͤhlt, und was
er fuͤhlt, iſt ihm in dem Augenblick Wahrheit. Aber ob
ibm dann nicht Bedenken kommen, wenn er dieſen Rei⸗
gen feiner Erwählten muftert, die voran waren im heiligen
Kampfe, und darunter fo manchen Abtrünnigen erkennt
— Einige geißelt er dafür —, daß ein Umfchlag möglich
if, ja, daß ein Umfchlag in der Übergipfelung felbft ber
dungen ift? Den Dichter und den Mann der Wahrheit
darf das freilich nicht abhalten vorwärts zu gehen, und
vor Allem nicht den Süngling; er muß denken: du bift
durchaus wahr, bei dir muß die Wahrheit treu bleiben,
denn du haft die Bemußtfeinskraft in dir, dag du dir felbft
treu bleiben wirft. Wo wäre je etwas Großes zu Stande
gefommen ohne diefe frifhe heilige Überzeugung. Aber
gingen die Andern nicht von derfelben Überzeugung aus?
Schen wir ab von Börne, der im Unmutb über fein Bas
terland in der Fremde verfümmerte und flard. Kann er
noch jegt Deine als Vorkaͤmpfer für feine Sache anerken⸗
nen? Wer fand höher, wer war gefelerter als der wiener
Spaziergänger, der Dichter des „Schutt? Mit welcher
mächtigen poetifchen Kraft bat er an die alte Welt und
ihre morfchen, wankenden Ruinen gefchlagen und bat fich
jest, in Verzweiflung oder in Unmuth, warme Stuben
dazwiſchen eingerichtet. Seien die Motive, welche fie wol⸗
len, das Factum ift klar, er hat der Sache, deren glüs
bendfler und glücklichſter Vorkaͤmpfer er war, den Rüden
gewandt. Wo ift Karl Bed, der mit dem keckſten Über⸗
muthe die alte Philiſterwelt zerzaufte und feine Raketen
des Witzes in den dunkeln Himmel fhoß? Hat er nur
-
14
eine der theffalifchen Heren, den bieichen Mond’ bezaubert,
daß er für eine Naht ſchwarz ward, Er iſt heimgekehrt
in die braunen Haiden feines Ungarlandes. Freiligrath
gehört kaum dahin. Seine Europamüdigkeit kam wol
nur von der Müdigkeit, am Somptoirtifch zu fichen, wähs
wend ihm die tropifhen Düfte und Farben ans den Cor:
refpondenzbriefen finneberaufhend entgegenathmeten. Er
bat feitdem die Ruine von Rolandseck wieder ins Leben
gefungen und, damit nicht zufrieden, auch den altın go⸗
thifchen koͤlner Dom. Seine Zukunft iſt noch Innig vers
ſchwiſtert mit der Luft an der Vergangenheit. Lenau —
von dem nachher. Gutzkow? Gehört diefer noch zu den
Sturm: und Drangmännern, nachdem er feine „, Briefe
aus Paris” gefchrieben? Der Nachtwaͤchter iſt noch ſehr
jung und war ſehr unzufrieden, und hat gewiß wie Alle
Grund dazu; aber er fol auch in Paris unzufrieden gewefen
fein, und — wird er nie umkehren? Herwegh fleht jegt ba,
wo früher Anaftafius Grün fland, nur daß er noch kecker
und allgemeiner gegen Vergangenheit und Gegenwart
kaͤmpft; aber auch er iſt fehr jung, und was mehr, er
it ein echter Dichter. Die Zeitungen laffen ihn fagen:
wenn ed zur Frage kaͤme, entweder Dichter oder Politis
fer? fo babe er bereitd entfchieden. Die Zeitungen find
freilich eine Autorität, die nie luͤgt, aber die allgemeine
Menfchennutur ift aud eine Wahrheit mit einem fo alls
mächtigen Schöpfunge: und Gährungsprocef, daß die
Klügften unter den Klugen noch fein Schema ber moͤg⸗
lichen Umfchläge, die aus der Gemuͤthswelt hervorgehen,
gefunden haben. j
Der Sturm und Drang ift da; unleugbar Es iſt
ein biftorifches Factum, daß alle Edlern und Beſſern ſich
binausfehnen nach freien Zuftänden ale die, welche man
uns bis da als gut, als nothwendig gefchildert hat. Wagt
man es doch fogar nicht mehr une das Gegentheil beweis
fen zu wollen. Es find nur noch die morſchen Policels
fhranten. Und weshalb weichen fie nicht folcher begeifters
ten Kraft! Es find nicht mehr Sängerflüge allein, das
Bolt fühlt mit feinen begeifterten Barden. Warum tras
gen fie nicht daſſelbe mit in ihr SSenfeit hinüber? Die
Hemmungen thun es nicht. Die Genfur konnte laͤngſt
nicht mehr hindern, nur ärgern. So muß denn alfo doch
eine moralifche Kraft da fein, die noch zu überwinden
wäre. Wo ift diefe heimlihe Scheu zu fuchen, daß es
nicht gelingt, wie die Kühnen wollen? Entweder ift dad
Senfeit noch gar zu unklar, oder es iſt noch Anhaͤnglich⸗
keit an der Vergangenheit im Volke. Wir meinen Beides,
Mo ift das neuconflruirte Gebäude ?
Es ift nicht Hier und nicht dorten,
Es ſchaukelt ſich wie ein unfchuldiges Kind auf des Sängers
blühenden Worten
ließe fih mit Immermann antworten. Selbft der Bes
griff fehle noch in voller Klarheit den Bewußteſten. Und
wäre der Begriff volftändig, conftruirt in allen Detaite,
fo bliebe er doch nur ein Begriff; nicht um deswil⸗
len, weil er noch nirgend zur Wirklichkeit wurde, fondern
weil er im Berftande allein wurzelt, weil Gemüth und
Phantafie nichts damit zu thun hatten. Iſt es ein Raͤth⸗
fel, weshalb die wahre Dichternatuc fi) davon abmender,
wenn fie nahe am Ziel ift! Wir find ein Volt, in dem
das Gemüth ſich nicht verleugnen läßt. Ich füge, Gott
fet Dank, daß wir es find. Er ift unfer feftefter Schild.
- Dafür daß er nicht zu groß werde, und die Ausſicht und
Umſicht verdede, iſt geforgt.
Und weshalb gelingt der Bau nicht? Weil man alle
Sundamente der Vergangenheit verwirft, weil jeder von
beute, von ſich an datirt. Das Volk fühlt, ohne es fich
bewußt zu fein, heraus, daß das nicht die Art ift, daß es
thöricht fei, anzunehmen, die Vorzeit tauge fo wenig, daß
der Weiterbauende nicht diefen und jenen Etein, wenn
nicht zum Eds oder Grundflein, doc als Pfeiler, Orna⸗
ment brauden folle. Es iſt die eingeborene Pietät, die
da ift, mie fie fih auch Mühe gibt, ſich zu verleugnen.
Die am weitelten voran find, fühlen das auch in ihrer
Ode. So Lange das große Gefolge mit Sang und Schall
den Geiſtern folgt, werden fie die nicht inne; es geſchieht
erſt, wenn fie mit ihren größern Kräften den Worfprung
gewonnen, daß ihnen die Maffe nicht folgen kann. Ein
eigenes Gefühl mag fie dann befchleihen, ſich fo allein zu
fehen, und um was? Um eine Idee; das ift freilich ſchoͤn,
mit ber MWolluft des Märtprergefühls verbunden. Aber
um eine Idee zum Beſten der großen Maffe, die fie in
ihrer letzten Confequenz nicht faßt. Das kann Verach⸗
tung, bittere Verachtung erzeugen und einen häßlicyen
Umſchlag, mit noch häßlichern Motiven, 1
Damit ſei nichts gegen den jungen Dichter der „Lie⸗
bee der Gegenwart’ gefagt. Er ift im Sturm und Drang
geboren, der nur aus der Negation feine Begelfterung
faugtz er muß mit. Gluͤck auf zur Fahrt. Wir haben
nichte dagegen, wenn er die Genannten anredet:
Ihr Helbengeifter, beutfhem But entfproffen,
Die Ihr des Wortes fcharfe Schwerter ſchwingt,
Rad) des Jahrhunderts fchönften Kraͤnzen ringt,
Des Rechts, der Freiheit treue Kampfgenoffen :
Du heil'ge Schar, die, Glied an Glied gefchloffen,
Zrotäus' Sturmgefang, den Paͤan fingt,
Kriegsmüthig in des Feindes Reihen dringt
Auf des Gedankens lichten Sonnenroffen.
Es Liegt in der Natur der Sache, daß er Boͤrne für den
Märtyrer deutfcher, freier Geſinnung erklärt, den Frank:
veich zum legten Dienft feine Erde leihe:
D Deutſchland! Land der Kürften und Barone !
So reichlich lohnſt du beinem freiften Bohne.
und
Gr ftarb an deinem Schmerz, an deiner Schande
Und liegt begraben in dem fremden Lande!
und daß er Alle, die nicht in Boͤrne's letzte Rhapſodien
einflimmten, Pöbel nenne, treue, wohlbeftellte Schweines
hüter, die ihrem allergnädigften Gebieter die Hand küffen
und bie ihm, dem neuen Heiland ins Angeficht geſpien
und ihn gefchlagen haben. Er ift jung und ift begeiftert,
und für eine Perfon. Wir hören ihm ferner gern zu,
wie er Heine, den Dichter, wieder aus feinem Herzen
reißt und begraͤbt:
— in das weite Grab
Leg’ ih all deinen Dichterruhm,
Und ben Geift, den titanenkräftigen,
Und all die himmliſchen Gaben
Deiner Seele,
und ich reif deinen Ramen
Aus meinem Dergen,
Und leg’ ihn auch hinein,
und fharre dann Alles zu mit dem Epaten,
Gin einfamer Todtengraͤber,
mei er, voie Judas Iſcharioth, um ſchnoͤde Silberlinge den
Seund an die Pharifüer verrieth; wir hören ihm gern zu,
ohne um deshalb feine Anficht zu teilen, Mir leſen mit
noch groͤßerm Vergnügen, wie er, in noch unerkalteter Bes
griflerung für Anaftafius Grün, die gehäffigen Inſinua⸗
tionen gegen bdenfelben von ſich weiſt und abermals, in
deſſen Weiſe fih Hineindichtend, fingt:
Kein! Ich kann e8 nimmer glauben, diefes Euggerücht
von dir;
on bir;
Gier iſt's uns bergefendet aus bes Feindes Hauptquartier;
Denn wer Dichter, dem bie Gottheit fetbft den Himmels
ſchluͤfſel Lich,
Beugt vor einem Eaiferlichen Kammerfchlüffel nicht das Knie.
Ber auf lichten Bergeshöhen jagt dem Wild ber Freiheit nad,
I, fuͤrwahr, ein fehtechter Diener in des Kürften Schlafgemady.
Ebenſo ließ fidy erwarten, daß Freiligrath ihm nicht genug
that, weil
ſeines Sanges Muſe
Kur ſcheu und ſchuͤchtern an der Freiheit Pforte
anflopfte; denn:
Noch ſtrahlten nicht des Friedens Morgenröthen;
Roch reichte und Berföhnung nicht die Palme,
Rod) ift der Kampf ber Bott, zu dem wir beten,
und er ruft ihm die bekannte Lehre zu, welche dem Dich:
ter bereits in den Zeitungen gepredigt wurde, bie er aber
gewiß, ald Dichter, auch gern in Verſen lleſt:
Yartei! Parteil Dier gibt es keine Mitte;
Du Juste- milieu, gehörft dem Weltgerichte;
Du, Gchredgefpenft, mit ſchwankem Seiftertritte,
Was wandeiſt du am Tage der Geſchichte?
Dies Weib will fi mit Helden nur vermähfen,
Die wiflen, was fie wollen, was fie wählen.
D unglüdfeliger Dichter, dem die Freien nicht erlauben
fr zu fein, der herunter foll aus feinen lichten Höhen,
um Partei zu werden. Auch diefer Irrwahn ſei vergeben.
Es ift der nothmendige Gegenpol dafür, daß unfere Väter
vom Dichter foderten, er folle als blut: und fleijchlofee
Welen zwiſchen Himmel und Erde ſchweben. Das Er:
trem folgt dem @rttem, es ift das unabmwendbare Natur:
geſetz. Warum dem jungen Dichter alfo verargen, daß er dem
geoßen Chorus , in den der Drang ihn führte, nachſpricht.
Aber Eins frage ih. Wir haben viele Dichter gehabt,
die fih von allem pofitiven Glauben loßgerungen haben ;
ich kenne aber Beinen, der glaubensleer anfing. Ein Dich⸗
terjüngling, der ſich nach Offenbarung und Erloͤſung fehnt,
dem aber in dem 6000jährigen oder 1500jährigen Leben
nichtd davon zu Geficht oder zum Bewußtſein gekommen
ift, dee da ausruft:
Aus weflen enden
Wirft du, o Herr, den Himmliſchen uns fenden?
Wer ift fo auserwählt in unfern Tagen,
Den ew'gen Bott In feinem Schoos zu tragen?
Seine Gleihgefinnten — wohlverftanden im Begriff; un:
tee den Dichtern fiehen ihm wenige zur Seite — verlans
15
gen nicht nah einem Meſſias; er iſt in jedem felbft.
Wie, deutete dies Verlangen vielleicht auf eine ganz ans
dere Wurzel, auf eine jener dunkeln Eönigsberger Verbin:
dungen, die darauf ausgingen, einen Meffias zu machen?
„Bald wird erzeugt der Welterloͤſer fein’, ſchließt trunken
die Dithyrambe. Und nun muß Lenau büßen, daß er den
Zweifel mit dem Glauben vertaufcht hat.
— — Zu bes Gedankens Purpurtrauben
Biſt du, ein Fuchs, umfonft emporgefprungen.
Sie hingen dir zu hoch, bir iſt's mislungen,
Das Streben, jene füße Frucht zu rauben.
Drum fchleihft du fort, wie ein beflegter Nitter,
Und nennft die hohen Zrauben berb und bitter,
Dich felbft zu täufchen und die Welt zu trügen.
Geſetzt, der Verf. wäre erft 20 Jahr, was wird er im
vierzigften, was im fechzigften Jahre fin? Nach den Er:
fahrungsfügen der Pſychologie das gerade Gegentheil von
Dem, was er jegt iſt. Moͤge ihn fein echter Dichterberuf
vor Ddiefem traurigen Echidfale behüten und ihm einen
Weg zeigen, wo auch frin Gemüth Nahrung finde. Fort
zufchreiten, d. b. auf dem eingefchlagenen Wege weiter zu
rüden, ift faum denkbar. Dit Vergnügen gewahren wir
um deshalb alle die Momente feiner Poeſie, welche ſich von
der Negative frei halten und von der Pietät Zeugniß ablegen
(3. B. gegen Schön), die zum beutfchen Blute gehört.
(Der Beſchluß folgt.)
Das Elend der Tellus. Ein Verſuch das Dublicum in das
große Mächfel hineinzuführen. Bon P. Scheitlin.
St.: Gallen, Tribeihorn. 1842. 8. 26’, Ngr.
Menſchliches Leben ift vergaͤnglich, zu kurz für feine Be⸗
firebungen, unbefriedigend in Genüffen, ber Plage und Noth
voll, überhaupt gedruͤckt durch phyſiſche und moralifche übel.
Dem Berf. ſchwebte dicfe alte Wahrheit lebhaft vor Augen, es
war ihm aber nit nur um eine Darficlung des Elends zu
thun, fondern bauptfählih um Antworten auf das Woher?
Warum? Wozu? — ein ſchauerliches Räthfel, wie er es nennt,
welches noch Niemand befriedigend loͤſte, was ber Verf. au
nicht „befriedigend ibſen kann und es daher „nur darftellen und
nachdenken und anwenden‘ lehren will. Das Thema, fpridt
er, intereſſirt viet flärker als felbft das Dimmelreih auf Er⸗
ben; denn dieſes ift inwendig, unfichtbar, das Elend ſchauerlich
fihrbar; jenes ift allenfalls für die Vernunft, diefes für Phan⸗
taſie und Gefühl, als „viel allgemeiner verbreitete Potenzen”.
Alſo behandelt die Echrift folgende ‚Kragen: „Was verftchen
wir unter dem Gtend der Tellus? Wie wollte man fich deffen
Entftehimg erklaͤren? Welche Anitrengungen und Mittel find vers
ſucht worden, es zu heben oder doch zu mildern? Welches was
ren bie Erfolge, oder wie flieht das Glend zur Tellus? Wie
ertiären wir uns bie Sntftebung der Suͤnde und des Ungluͤcks?
Welches ift der Endzweck dieſes tellurifhen Elends, wirb es
ewig dauern, und wozu mag des Verf. Anficht benugt werden 2’
Nur einiges Wenige gibt Ref. von den Antworten. Unter
Elend verficht der Verf. alle intellectuelle moraliſche und phyſi⸗
fee Unvolllommenpeit, was dunkel iſt, dunkel macht und zum
Dunkel führt, das Gerade kruͤmmt, das Rechte umkehrt, jedes
Unglüd der Menfchbeit. über Entſtehung des Elends werben
die Angaben tes Mofes, der Inder, Ägypter, Perfer, Griechen,
fpäterer Philofopben angeführt. Es gu heben ſuchten Reli⸗
gionsflifter, Sittenverbefjerer, Geſetzgeber. Eigentliche Zröfter
für alle Welt waren nur David und Chriſtus. Aber die Mit⸗
tel und Zröftungen haben nicht ausgereicht, Gelige finden wir
keine. Dee Menſch ift Sünder durch Schutd geworben und bes
16
darf einer Art Wiedergeburt als Umfehrung, ben Urſprung ber
Sünde und wie daraus das Ungluͤck entfproffen, vermögen wir
nicht einzufehen. Doch läuft die Tellus einer Veränderung ent:
gegen, fie wirb eine Erneuerung zur Vervollkommnung werden
müffen. Das Wann ift verborgen. Lord Byron ſprach einft
in feiner Rachtanſicht des menſchlichen Daſeins:
And if I laugkh at auy mortal thing,
'Tis that | mey not weep — .
und unfer Verf. zuft: „Hoͤre auf, Sünde und Unglüd! böre
auf, entfegliches Doppelelend! Laß mich wenigftens im @laus
ben, in der Sehnſucht, in dee Hoffnung, Zuverfiht und Freude,
daß du für Alle und alfo auch für mich einmal ein Ende auf ewig
nebmeft, ruhen, zu den Sternen fchauen und fanft in diefem
Schauen einſchlafen.“ Kür ben einen ober andern biefer Gegen⸗
fäge entfcheibe ſich ber Sterbliche, oder gar für beide. 9.
Vocabnlaire du Berry, par un amateur da vieux lan-
gage. Paris 1842.
Cs ift dies eine neue und fehr vermehrte Ausgabe eines
Heinen Werkchens, das vor ſechs Jahren erſchien und das von
allen $reunden der alten Sprache mit ermunterndem Bei⸗
fol begrüßt ward. Die erfte Skizze ift in bem vorliegenden
Werke zu einem ftattlichen MWörterbuche angeſchwollen, das nicht
nur fehr reich ift an den intereffanteften linguiſtiſchen Bemers
ungen, fondern das zu gleicher Zeit fehr anziehende Mitthei⸗
lungen über die Sitten und Gebraͤuche einer wichtigen Provinz
von Frankreich enthält. Berry iſt zwar weniger rei) an origis
neflen Ausdruͤcken ale die Provinzen, die weiter von ber Seine
abliegen, aber es hat immerhin eine ganz beträchtliche Anzahl
diefee wahrhaft franzöfifchen Worte vom alten gallifchen Stamme
beibehalten, bie fpäter von bem eindringenden romanifchen Idiome
verdrängt find. Diefe mots espaves (verloren, verirrt, unbes
kannt), wie fie Rabelais in feiner alterthuͤmlichen Sprade- fehr
bezeichnend nennt, find durch bie feinern, abgefchliffenern Auss
druͤcke, bie der lateinifhen Sprache entlehnt find, nicht immer
ganz erſetzt, und es iſt zu bedauern, daß das neuere Franzoͤſiſch
fie verfchmäht. Sie verleihen dem Dialekte biefer Provinz einen
ganz eigenthuͤmlichen Reiz. Wir können uns nicht darauf eins
Laffen, einzelne Beiſpiele diefer kernigen, derben Ausbrüde beis
ubringen. Ebenſo wenig wollen wir bem Derf. auf das
—** Feld der Etymologie folgen. Es ſei uns nur er⸗
iaubt, bier ein paar einfache Bemerkungen mitzutheilen, bie
uns beim Durchblaͤttern dieſes reichhaltigen Vocabulaire aufgeſto⸗
Ben find. Der Dialekt von Berry (l'idiomo berrichon) bat
im Ganzen Etwas, was an Rabelais erinnert. Es Liegt dies
in einer großen Derbheit, zum Theil aber auch in dem unglaub:
lichen Reihthum der Synonymen. Um bem Lefer einen Begriff
von biefer Überfülle finnverwandter Wörter zu geben, mag «6
enügen, wenn wir fagen, daß biefer Dialekt allein mehr als
$O Autoräde für die verfdiedenen Arten von Koth und Schmuz
von dem flüffigften bie zum fteifften und Etebrigften hat. Wir
haben ſchon gelagt, daß diefe Mundart ferner eine große Anzahl
alterthümlicher Wörter und Wendungen behalten hat, bie im
modernen Franzoͤſiſch ganz verloren find. Es war deshalb ein
glücklicher Gedanke bes ungenannten Verf. dieſes Vocabulaire,
daß er befondere Rüdficht auf die veralteten Ausbräcde nimmt,
die fi in den Altern Autoren, finden und bie in dieſem Dialekte
allein noch fortieben. Auf diefe Art hat manche bunkte Stelle
der frühern franzoͤſiſchen Schriftfteller eine Erklaͤrung gefunden.
Wir finden aber, wie gefagt, in biefem intereffanten Werte
außer ben rein fpradjlichen Grörterungen noch manche beach⸗
tungswerthe Notiz über bie Sitten und Gebraͤuche ber Bewohs
ner von Berry. Wir heben einige berfelben aus und laffen uns
dabei vom Zufall leiten. Wenn nach vollgogener Zrauung daB
neuvermählte Paar aus der Kirche zuruͤckkommt, fo greift der
Denn zu einem GBarteninfirumente, begibt fi in. ben Barten
und arbeitet einige Augenblide lang. Während beffen hat die
junge Frau ihre Spindel hervorgeholt und einige Baden gefpon-
nen. Diefe Foͤrmlichkeit wirb ats ber eigentliche Anfang bes
neuen Haushalts betrachtet. &ie ruft gewiffermaßen ben Reus
vermählten wie Nothwenbigkeit eines angeftrengten Fleißes ins
Gedaͤchtniß. Am Abend vor der Hochzeit verſteckt fid die Braut
mit mehren ihrer Freundinnen in die Wölbung bes Kamin,
über die ein großer weißer Laken gefpannt iſt. Der Bräutis
gam muß nun mit feiner Sand unter biefen Vorhang fahren
und alle Hände der Wäbchen berühren, um zu fagen, welches
bie Finger derjenigen find, die feine Lebensgefährtin werben ſoll.
Dee Berf. diefer intereffanten Schritt hat ſich nicht ges
nannt, aber es ſcheint mehr als Zufall zu fein, daß der Buch:
bruder auf den Umſchlag des Werks die Ankündigung von
zwei Schriften Aber Botanik gefegt hat, die vom Grafen Jau⸗
bert herausgegeben find. Diefer geiftreiche Deputirte, der durch
feine ungeflüme Beredtſamkeit ebenfo befannt ift als durch feine
wiffenfchaftlidyen Anterfuchungen und feine Heifen nad dem
Drient, füheint in der That ber Verf. biefes Werks zu fein, das
feinem Geifte und feinem Fleiße gleiche Ehre macht. 6.
Notizen aus Italien.
Diejenige Literatur, über welche uns Deutfchen Börres un⸗
ter der Bezeichnung Volksbuͤcher eine Überficht gegeben hat,
ift in Italien noch fehr reich. Ein Berzeihniß und Bericht über
biefe vielgelefenen, allgemein zugänglidden Schriften müßte für
Kenntniß des italienifchen Volkscharakters mannichfach lehrreich
fein. Die Mehrzahl derfelben ift religiöfen Inhalts, Leben ber
Madonna, der Beiligen; unter den neueften hauptſaͤchlich das
der heiligen Filomena. Ein großer Theil gehört den Sagenkrei⸗
fen des Mittelalter an, wie bie „Reali di Francia”, „Gue-
rino meschino‘‘, „Ms. gigante Morante.” Wenige find komi⸗
fhen, modernen Inhalts, wie „Bartoldo‘‘ mit feinen Abkoͤmmlin⸗
gen. In Neapel gehen ſolche Bücher aus der Druderei des
Nicola di Simone hervor. In Rom find auch venetianifche
Drude der Art zu haben. Ich Laufte biefe Sachen bort bei ei⸗
nem alten zerlumpten Krämer im Borgo vecchio, links an der
Straße, weldhe von der Engelsbruͤcke nach der Piazza Ruflicucci
und dem Vatican führt. Gedrudt werben fie bei Balbaffari.
Auch die Preffen von Biterbo und Todi find in biefem Kreife
thätig. In Lucca ift Mehres diefer Art bei Domenico Maree⸗
candoli und bei Francesco Bertini erfchienen. Natuͤrlich fiets
con approvazione,. con permesso. Venedig ſcheint audy für
biefe Erzeugniſſe wie für das fonftige Buͤcherweſen ciner der
bauptfäcdhlichften Pläge. Am Gingang der Kirche San: Marco
gegen den Marcusplag, am Dogenpalaft unter ben Ballen ges
gen die Lagunen haben bie Bänbler ihren Kram aufgefchlagen.
Das alte Volksdrama, das Puppenfpiel, ift in Stalien
noch nicht ertofchen. Auf der Riva de’ Schiavoni in Venedig ift es
jeden freundlichen Mittag ober Abend zu fehen. Auf bem Wege
von Mailand nady Genua fpdt Abends in Novi anlangend, fas
ben wir auf einem freien Piage eine zahlreiche Volksmenge vers
ſammelt, welche mit gefpannter Aufmerkſamkeit der Darſtellung
eines Puppenſpielers folgte, welcher bei Kerzenlicht im Freien
ſpielte. Der Italiener iſt aͤußerſt ſchauluſtig; faſt jedes Staͤdt⸗
chen bat fein Schauſpielhaus. Bei dieſer Anlage des Volks iſt
es doppelt zu verwundern, daß ſich ein eigentlich nationales
Drama in Italien nie gebildet hat; waͤre es, wenn Italien ſich
als eine Nation fühlen könnte? Am Freitag, während der Abe
ventszeit und ber großen Kaften find in Rom bie Theater ge=
—* In den letzten Tagen vor Aſchermittwoch wird, um
die Luſt noch bis auf die Hefe zu genießen, auch bei Tage ge⸗
ſpielt. Am Morgen vor Aſchermittwoch ſah ich im Theater
Tordinone Roſſini's „Moſes“ mit eingelegten Ballets. 7.
Verantwortlicher Herausgeber: Leinrih Brockhaus. — Druck und Verlag von F. U. Brodhbaus in Leipzig.
‚Blätter,
für
literariſche Unterhaltung.
Donnerstag,
— Nr. 5. —
5. Januar 1843.
Stimmen der Zeit.
(Beſchluß aus Nr. 4.)
As pofitiver Gegenſatz gegen ben vorigen jungen Saͤn⸗
ger tritt der uns wohlbekannte ehrenmwerthe Dichter Fried
rich v. Üchtrütz in feinem „Ehrenſpiegel des deutſchen
Volks“ anf. Ob er zu den Zufriedenen mit dee Gegen:
wart zu rechnen fei, laſſen wir umentichieden, aber er ges
hört nicht zu den Mafcontenten mit der Vergangenheit,
daß er allein von der ungeborenen Zukunft das Det des
Vaterlands erwartete. Beinen Gtandpumft fpricht die
Widmung des Gediches an einen Fürffen aus, an den
— der dem greifen, unerfchöpften Dichter,
Bon beffen Mund bas Ger, wis Honig tönt,
Der Königsgnabe hellſte Weihnachtstichter
Satflammt, des Lebens Abend ihm verfchönt, —
Ihm, dem fein Bolt erſt halb die Gunſt geboten,
Die es in Zukunft reicher zollt — dem Todten.
Seine Tendenz aber wird Bar aus der Rhapfodie, „Die
Zeit“ überfchrieben, die ald Prologus die Bilder des „Eh⸗
renfpiegel” vorführt. Sie hat von Eheops' Ppramiden
ab Alles erlebt,
Doc nicht von Trümmern komm’ ich Heut’ zu fingen,
Nicht in die Fremde führe’ ih Euch hinaus,
In Eurer Heimat Grenzen fol mein Lied
Berharren, Euch mit talhem Fluͤgelſchlag
Aus fernen Nebeln der Vergangenheit
Bis in ben Glanz des heut'gen Tages tragen,
Er mwühlt nicht in Truͤmmern, um nur Schutt zu finden,
fondern ruft im Morgensoth des beutichen Eithenwaldes
die großen Erfcheinungen der Vorwelt zur Anfchauung. Wir
ſehen Kart den Großen und Eginhard und Emma in an
muthigen Bildern und altdeutſchem Versmaße geſchildert,
das vorzüglich gelungen iſt; demnaͤchſt in großem Sprunge,
ver ſogar über die Hohenſtaufenzeit hinfortgeht, das
Martburgfeft. Prologus, der den in Nacht zuſammen⸗
begenden Glanz der SDohenftaufen bedauert, ruft aber
Besser aus: \ '
D der Herrlchkeit,
Der edalu Sitt' und Kunſt, die ſich im Schatten
Des großen Papft: und Kaiſerkampfs entfalten!
Die zwei gethürmten Dome fteigen auf,
As hebe ſehnſuchtsvoll die Welt die Arme,
Den Dimmel zu erfaffen. Selbſt der Stein
Bergißt der Haͤrt' und der granitnen Schwere;
Er öluͤht in Rofen, ſteigt in ſchlanken Spigen,
Schießt aus in feinfter Zierath, — recht ein Wild
Der rauhen Menſchenherzen jener Tage,
Die ebenfo ein lindes Wehn durchdringt
Und fanft in fanften Blüten ſproſſen madıt.
Bon Minne tönt des Sängers Mund
und ir einer der vielen Weiſen, in denen die ritterlichen
Sänger von Dlai und Liebesiuft gefungen, führt uns der
Dichter das Wartburgfeft vor. Die Blüte edler Sitte,
die in zartefter Milde ins Auge glänzte, ift bald voruͤber;
in den Burgen tönt ſtatt holden Minnefangs wüfte Raus
ferei und Becherklang. Die Mufe hat fi des Bürgers
enge Werkſtatt erforen, der Dichter führt uns in das
reiche, mächtige Leben der Städte und zaubert und Hans
Sache’ Brautzug, ein hoͤchſt gemütbliches, friſches, deut⸗
ſches Bid bin, in dem er bie erften Geifter und Män:
ner der Zeit, einen Willibald Pirkheimer, Georg Frunds⸗
berg aufführt. Die Erfindung iſt glüdlich, der Ton mel:
ſterhaft getroffen. Weshalb aber der Dichter nöthig hat,
ernft gemeint, oder ironiſch, dies Bild zu vertheidigen,
wie es in ben darauf folgenden Rahmſtuͤcken gefchieht, iſt
uns nicht faßlich. Es beißt da:
Ihr werdet den Rhapfoden hoffenttich
Nicht .tabeln, daß er, der in Kürftenpöh’n
Mit Euch verkehet hat, und den ſtotzen Klug
Nur auf den Hehren Bipfeln deutfchen Lebens
Ausruben wollen, bei des Handwerksmanns
Brautiuft und Iäppifch rohen Soͤldners Einfprud
&o lang vermeilt hab’. Haltet doch auch Ihr
Nicht niebrig, wa® ung, wie ber Kriegermuth,
Das Bürgerwoplfein jener Tag’ ins Herz
Aus unfers Volkes lichten Kern zwei Strahlen
Mit Eräftigend fruchtbarem Schimmer gicßt.
Und find der Dichter, Weife, Künftier, Held,
Die auf der Reichſsſtadt Straßen uns begegnet,
Nicht Kieinod’ in den Ehrenfchage Deutfchlands.
Gewiß, das find fie Wer bezweifelt's? Wer's aber ber
zweifelt, weshalb am den Worte verfchwenden! Die Res
formationdzelt berkhrt der Prologus nur. Ste hat Bro:
Bes, Gemwaltiges, Derzerfchütterndes erzeugt, das Erfreuliche
liegt aber mehr im Meiche des Gedankens, das Bild fat
es weniger. Der preußifch gewordene Deutfche führt uns
lieber zu dem Regenerator des Hauptſtaats des proteſtan⸗
tifhen Deutfchlands, zum großen Kurfürften. In einem
fein tüfternen Bilde wird uns der Juͤngling vorgeführt,
der fih aus den Armen der Verführung foseingt, ſtuͤr⸗
mild den Lodungen im Hang enteilt, um als Held frei zu
Fe | - a er
werden. Vortrefflich iſt auch Hier im Metrik und Sprache
die ſonſt wenig troͤſtliche Poeſie der Zeit wiedergegeben:
D web bir, Brandenburg! wie liegſt bu gleich dem Armen,
Der bülftos aͤchzend ſtirbt, ohn Hülle zum Erwarmen,
Mit Wunden überbedt, die ihm ein Frevler ſchlug,
ade. Hab’ ihm frei aus feiner Huͤtte trug!
“Der flotge Wallenßein mit feinen Kaiſerlichen
ft wie ein gift’ger Wind ob dir dahin geftrichen,
Mannsfeld hat dich belehrt, was Sölbnergier vermag,
Der Schwede Wrangel kam grimm wie der jüngfle Tag.
Und er, bes Landes Troſt, der junge Pring, ber einft
ie Laft des Kurhuts trägt, was biickſt du hin — und wehrt,
etrübte® Brandenburg, wenn er dem Blid begegnet,
Der dich in Ängften fonft als Hoffnungsftern gefegnet ?
Immer enger fchließe fih nun der Dichter der naͤchſten
Geſchichte an, immer wärmer wird feine Sprache. Fried⸗
rich's Preis wird im Tone der Grenadierlieder von einem
Preußen gefungen; der Öftreicher verſtummt nit ihm ge:
genüber. Dann tritt Weimar in die deutſche Geſchichte,
das geiftige Leben erwacht, es wird Alles berührt, was in
biefer reihen Zeit da6 Leben bewegte. Die Revolution,
ber Befreiungskampf, Leier und Schwert, die noch wichti⸗
gern Friedenskaͤmpfe, bis der Dichter, ganz in die Gegen:
wart Üübergehend, mit einem Gedichte fließt, das in Sinn
und Form unferer neueflen Epoche ganz angehört. Es
fängt an:
Hört mich, Sachſen, Baiern, Schwaben, Preußens, ſtreichs
weite Gau'n,
Hört mich Alle, bie der beutfchen Sprache reiche Schachtebau’n! |
Eure Königin gebietet, fie ermahnt euch, hört fie an!
Fahret fort, euch immer inu’ger, brüberlicher zu umfah'n,
"Immer mehr die alten Zwiſte zu vergeffen, treu gefellt,
Und ihr werdet, ich verfünd’ es, tapfer fteh’n der ganzen Weib!
Denn nit Tapferkeit, nur Einheit war es, was euch einft
bra N
Nur mit eig’ner Kraft im Bwiefpalt Tieß bie Kraft der Deut:
ſchen nad.
Die chrenhafte Gefinnung des Dichters ift, fowie feine
gründliche Auffaffung alles Deffen, was er poetiſch verar⸗
beitet, befannt, doch hörten wir ihn noch nie fo begeiftert
mit vollen Tönen die patriotiſch durchgefühlte Überzeugung
ausfprechen als in diefen legten Gedichten, wo alles Kuͤnſt⸗
liche zuruͤcktritt und die Diction ein freier Strom ebler
Gedanken wird, die die glücklichſte Form gefunden haben.
Möchten fie eindringen und das werden fie, wo fie Lefer
finden. Zum Schluß nur noch fehs Verſe aus dieſes
Dichters Biden in die Zukunft:
Wiſſenſchaft und Kunft in Bluͤte ranken fih zur Sonn’
empor
Offen fleht des deutfchen Handels Pfaden icbes deutfche Thor,
Oder wird doch, darauf trau ich, wo man noch mic Niegeln
hemmt,
Bald vom Drang des neuen Seife, frieduch⸗ freubig aufge⸗
emmt!
Keime ſind im frohen Wirken, wo das Auge weilen mag
Und der Sitte heil'ger Tempel ruht noch feſt im deutſchen Hag-
Der Gegenfag jener beiden Dichter iſt ausgeſprochen. Bei⸗
der Aufgabe: mit allen Kräften, die der Gott ihnen gab,
fi in die Strömungen und Wirbel der großen Zeitfragen
zu ſtuͤrzen; Sener, um, der Vergangenheit enteilend, in der
ungewiſſen Zukunft das Heil zu fuchen, Diefer, um bie
ungewiſſen Biber ber Vergangenheit zu einer troſtreichen
Gewißheit duch die Poeſie zu geflalten, damit wir Kraft
geroinnen, in die Zukunft zu bliden und zu leben.
Don dem dritten Dichter, Friedrich Hebbel,’ dem
Verf. des vielbeſprochenen Zrauerfpiel® „Judith“, ermartes
ten wie nichts Anderes." Wer fo keck die alte Mythe aus
dem eigenften Gedanken umconſtruirt und das Alterthum
bienftbar den Fragen der Gegenwart machte, der müßte
als freier Sänger doch ganz und allein in ihren Wirbeln
und Strudeln leben, er müßte mit dem Entzliden vote
%. Grün und Herwegh fi von den Sturmwolken tra:
gen und ſchaukeln laffen und, wegfliegend über die Baͤch⸗
fein und Blumen, nur der großen Zukunft ſtarr ins Auge
bliden. Weihe Überrafhung! Es find Gedichte über Al⸗
lerlei, über Liebe, Luft, Schmerz, Ungeduld; Sonnenfchein
und Regen, wie fie zu aller und jeder Zeit aus der Bruft
eine echten Dichters auffleigen mögen. Mit immer ftei:
gender Verwunderung blidten wir weiter und weiter, faft
auf jeder Seite durch dem Eräftigen und ſchoͤnen Ausdtuck
ſelbſt eigenften Gefuͤhls uͤberraſcht und gefeſſelt. Michts
von eminent genialen Gedankenſpruͤngen, die in pikanten
Antitheſen ben Chimboraſſo und Devalagiri aneinandet
binden, aber ſolche Gedanken und Gefuͤchle, die zu eines
Jeden Sinn fprehen und in finniger, naiver Act kurz
und lieblich ausgeſprochen. Wollten wir Preben mitthei:
len, mas uns beſonders anfprah, fo müßten wir Seite
um Seite ercerpiren. Woher dee Dichter in der Jetzt⸗
welt, der da fingt:
, Rauſche nur vorüber, Wind!
Bühl im Laub und Enide,
Während ich mein füßes Kind
An die Bruft hier bräde!
Neſtle aus dem dunkeln Haar
Ihr die junge Rofe,
Wirf fie ihr zu Füßen dar,
Während ich hier koſe!
Dder:
Der Blinde figt im tiefen That
Und athmet Fruͤhlingsluft,
Ihm bringt ein Hauch mit einem Mal
Des erſten Veilchens Duft.
um es zu pfluͤcken, ſteht er auf,
Sucht, bis die Nacht ſich naht,
Und ahnt nicht, daß fa irrem Lauf
Sein Buß 'es längft zertrat.
Dder, oder, oder — wir bitten bie Lefer nicht nach diefen
Proben zu urtheilen, denn vielleicht griffen. wir ungluͤck
ih; es find nod viel ſchoͤnere, glüdlichere da, in dene
fid) die ganze füße Gemuͤthswelt aus der Bluͤteperiode dee
Goethe'ſchen Liederpoeſie vergegenwärtigt. Kreili wenn
man den allerliebſten „Bubenfonntag” mit dem fuͤrchter
lihen Gedicht „Der Priefter” zuſammenhaͤlt, entdedit nunız
bie finftern Spuren, wohin eines Dichters Sinn verirrem
mag, und wenn wir in dem letzten Theil der Gedichte:
„Ein Buch, Sonette” — vortrefflihe Sonette! — Iefen:
Rein! öffne deine innerflen Organe
und miſche dich im Leiden und Genießen
Mit allen Strömen, die vorüberfließen,
Dann dienſt du dir und dienft dem hoͤchſten Plane,
49
und fürchte uicht, fo in bie Melt verfunfen,
Di ſelbſt und dein Ureig'nes zu verlieren:
Der Weg zu dir führt eben durch das Gange !
fe Mm wir freilich, daß auch diefer junge Dichter fich
mh ganzer Seele den großen Zeitfragen widmet. Aber
wa fo wunderbarer, daß er dabei fo frifh und heiter wie
ra Dichter aus der alten Zeit Eonne: und Wonne⸗,
Scheide: und Meidelieder fingen kann. Diefe werden
feanern, ich meine und hoffe ed, wenn die Sturm:
und Drangfragen laͤngſt ale werwundene Momente eines
Lebensproceffes zu den zeponicten. Acten gefommen find.
Wir machen ed unfern Lefern zur Pflicht, fich nicht mit
unfeen Auszügen zu begnuͤgen; Friedrich Hebbel ift ein
Dicker, der gekannt, genoſſen zu werden verdient.
Nicht minder der Dichter der „Rebensfpinptome” ; ein
mut Name U. Harwis, aber ein Talent, das aus ſeibſt⸗
eigenem tiefen Gefühl fchöpft, und wenn feine Form fo
ghucklich abgerumdet und wohlgefaͤllig wäre, ats feine Ge⸗
danken und Gefühle friſch, kraͤftig und eigen, den beften
fich an die Seite flellen dürfte. Er ift auch ein Dichter,
der entfchieden feine poetifhe Kraft in den Strom der
Zeit wirft, aber, mit noch friſchem jugendlichen Sinn und
Beusäth,, beichäftigen ihn die einzelnen fpeciellen ragen
weniger, ex laͤßt fie bei Seite Liegen, um auf den Flügeln
des Morgenrothes emporzufliegen. Ernſte Gedanken und
ferudige Wehmuth, vor allem Hoffnung auf das Beſſer⸗
werden, auf die Heilung der Zerriſſenheit:
Ihe Hummen Buͤcher der Geſchichte,
Geſchrieben mit dem Voͤlkerblut,
Ihe gebt von Bräbern wol Berichte,
Dod; nimmer von ber debensglut,
ruft er, die Poefie fol ihm, was der Gefchichte fehlt, er:
gingen. Ex ruft ſich zu:
— Kaur' did in dir zufammen,
Benn dir Gewalt den Raum benimmt;
Und sehr an. keinen eig’nen Flammen,
So lang ein einz’ger unten glimmt.
Denn draußen — das find Einzelſtuͤcke,
Die nimmer fügt der Salte Sinn,
und eh ſich füllt wege sine. Luͤche,
Da flirht wol Wander drüber Hin.
und draußen weiß man nichts von innen
und nichts von Dem, was borten wallt;
Man ſieht die Thränen nur, die rinnen,
Und hört den Zubel nur, ber fchallt.
und was im Herzen tief mir flutet,
Und wie es mit dem eben ringt,
und all bie Thraͤnen, bie es odetet,
Eh es verzichtend unterfinft —
Das meßt Ihr Alles nach bem Tropfen,
Den auswärts bat ber Sturm gejagt,
Und all das Strömen könnt Ihr ftopfen,
Bern Ihr Ye Deutungsformel ſagt.
Der Geſang iſt ihm die Vermittelung des geiſtigen Le⸗
bensproceffes:
D Heine Lieber, kleine Worte,
Wie feid Ihr ernfl, Drakeln gleich!
Entſproſſen einem heiligen Orte,
Des ‚Herzens ſtillem Prieſterreich.
Er gelobt:
Und fingen werd' ich, werde finnen,
So lang ˖ ich was im Herzen ba’,
und find’ ich einftend nichts auhr drienen,
So geb’ ich ſchwrigend in das Grat. -
Der Raum gebriht uns, aus bdiefen erniten und freudigen
Stimmen der Beit mehr als Laute auszuheben. Möge
man aus dem „Frage“ Überfcheiehenen mehr die Art im
Beben des Dichters entnehmen, ald die Bedeutung feis
wer Poeſie: oo
Herz, was nutzen beine Schläge,
Alles bleibt auf feiner Stel;
Iſt die Zeit denn jegt fo träge,
Diver fag’, bift du fo ſchneil? "
Seine Auffaffungsgabe und der Ernft und die Aufrichtig:
keit feiner Poefie ift fo eigen, urfprünglich und natürlich,
Daß der neue Dichter alle Beachtung verdient. Namentlich
leſe man den Abfchnitt „Friedensmanifeſte“ überſchtieben.
Es wäre zu bedauern, wenn er eine Zeit fang unter der Übers
maſſe poetifcher Gaben, die jeder Markt bringt, unbeachtet
bliebe. Nicht daß ein echte Talent meiſt doch durch⸗
dringen muß, aber in den folgenden Stationen tritt es
gewoͤhnlich bitterer auf. Die Freudigkeit und Hoffnungs:
feifche ift aber in dieſem Dichter fo eigen und ſchoͤn.
MW. Alerie. -
Der VBicomte d'Arlincourt.
Der Pilger, von Wicomte d’Ariincourt. Aus dem Franzoͤ⸗
fiiden von Paul Bauger. Zwei Abtheilungen. Karlsruhe,
Macklot. 1842. 8. 2 Thlr.
In einer furdtbaren Kritif bat 3. Janin den Verf. bed
„Peleria”', wie es fcheint, auf immer fligmatifict. L’auteur à
jamais ridicule d’Ipsibos, wie er ihn nennt, müßte ein eigenes
Süd haben, diefe Bezeichnung je wieder loe zu werben, unb
er kommt in bem vorliegenden Werke biefem Ziele um feinen
Schritt näher. Im Gegentheil! Geiſtesarmuth, Geſchmackloſig⸗
beit, Eitelkeit und Duͤnkel können ſich nicht deutlicher conterfeien,
wie in biefer Schrift geſchehen. Daß dies inhaltieere, gedanken⸗
lofe und langweilige Buch — nur zur Herzensfreude der pari⸗
ec Blauftrümpfe geichrieben — dennoch in Deutfchland einen
erſetzer fand, ift eine von ben unbegreiflidhen Sapricen unferer
Zeit. Der Bicomte b’Arlincourt, wie er ſich im Laufe feines
Werkes wenigftens dreißigmal mit allen Lettern ſchreibt, gehört
befanntlich zu jenen etwas confujen Leuten in Srankreid. bie
den Legitimismus mit siner fragenhaften Wergätterung der Bo⸗
naparte’fehen Erinnerungen verfchmelzen, in dieſem politifcheg
Kombabenthum fchwebend, ſich bie einzig Treuen nennen unb
an ihre eigene Zugend glauben. Zu biefer Glique gehört der
Berf. des „Pelerin”, aber ſicher nicht zu ben geiftreichen Leuten
in ihr, fonft wäre es ibm nit vorbehalten gewefen, ein fo uns
ſaglich armfeliges Buch zu ſchreiben. In eben diefem politiſchen
btraum, ber im Grunde genommen. nichte ift, als ein moyen
d’opposition wie ein anderes, und dem Leine Spur von Rechtes
gefühl zum Grunde liegt, iſt es ihm auch möglid geworben,
durch die befannte fabelhafte Erzählung „Der Wahnfinnige vom
Mauville“ einen öffentlichen Skandal in Deutſchland zu erre⸗
gen, deffen leztes Stadium ihn mit den Tribunalen in Ver⸗
wicelung gebracht hat. Vielleicht hat Hr. d'Arlincourt dies
Refultat gewänfdt, um feinem faft verfchollenen Namen einen
neuen Glanz zu verleiben. Lag biefe Abſicht wicht vor, fo gibt
es eine mertwuͤrdige Probe von bem Urtheil und ber Weltlennt⸗
ms des Den. Vicomte, daß er bie Erzaͤhlungen eines notorifch
geiſteskranken jungen Menſchen — ber fi, wie alle. Seiſtet⸗
Franken, für gefund Hält — ohne alle Prüfung für baare Münze
hinnahm und als ſolche wieber auögab. Wie leere muß ber
Kopf eines Autors fein, ber zu foldyen Hifterien greift, um feine
Seitenzahl voll zu machen! Zur Chreurettung leichtfinnig vers
unglimpfter Ghrenmänner aber fei hier aus den lauter
Duelien verfihert, daß diefe ganze Erzählung nur den Einbils
dungen geiftesfranfer Perfonen entnommen if. Raͤchſt diefem
unerhörten Capitel zeigt und ber Verf. die Stärke und ben Ge⸗
ſchmack feiner poetiſchen Srfindungen in einer Menge von Ga»
gen und novelliftifcden hors d’oeuvres, bie fi fammt und fons
ders durch Roheit und Widerfinn bemerklich machen. So ver:
dient 3. B. die Sage von Stolberg wirklich als ein Meiſter⸗
flüd von Unfinn Auszeichnung. Da wo uns bie Albernheit der
Erfindung nicht begegnet, ift e8 die ſchamloſeſte Eitelkeit, die
hen Platz einnimmt, oder eine fo bobenlofe Riedrigfeit wie
die in der Baftboffcene zu Lüttich. Zum Ernſt fehlt dem Verf.
jebes Material, da er nichts weiß und zu jeber Beobachtung,
zu jeder Reflexion unfähig ift; aber völlig unerträglich wird er,
wenn er es unternimmt, launig und wigig zu fein. Die Ge⸗
Ichmacdtofigkit, in welche er alsdann verfällt, ift wahrhaft uns
erreichbar.
Das Ziel feiner Reife iſt befanntlih Steiermark, die Re⸗
fdenz des erlauchten und vertriebenen Königflammes. Nachdem
ee uns in aller Rebfeligkeit beeichtet, wit, welchen Leuten von
Stande er zufammengetroffen, weidhe Süßigkeiten ihm gefagt
worben. und welche erlauchte Perfonen er mit Vorleſung feiner
poetifhen Erzeugniffe unterhalten hat, kommt er gluͤcklich in
Kichhberg an unb wird natürli wie ein erfehnter Herold ber
Lesitimiftenpartei in Frankreich empfangen. Für ben Effect
biefee Scene iſt, wie fi von felbft verfteht, das ganze
Buch gefchrieben, welchem jeder Ioyale Legitimift natürlich
ir Abnahme verbunden if. Dies tft das Geheimniß des
ſatzes ſolcher Buͤcher in Frankreich! Er findet ben Herzog
von Bordeaux noch ans Krankenlager gefeſſelt, feine Muſe vers
ſcheucht ſeine Schmerzen. Wir 8*— dann einige Seiten, die
etwas weniger langweilig find als der Reſt, einige Audrufungen
und Bermunderungen, die man einem befperaten Parteimann, wie
Hr. dV’Arlincourt iſt, gutmuͤthig und laͤchelnd vergeibt und dent
dei fih: was doch das menfchliche Auge Alles zu ſehen vermag,
wenn es einmal burch ein fo oder fo gefärbte Glas zu fehen
gewohnt iſt! Endlich, nachdem „‚Eubwig Anton und Marie The⸗
zefe geruht hatten, mit ihrer gewohnten Guͤte die ſchmeichelhaf⸗
teften Worte an ben Verf. zu richten‘, nimmt er von ihnen
Abſchiebd. „D, mit welchem Schmerzgefuͤhl“, ruft er aus, „riß
ich mich von jenem Palaſt der Berbannung los, wo ich foldhe
Größe gefeben und mo eine ſolche Zukunft weilte! Dirjenigen,
die in Frankreich wünfden, daß der treue Royalift Kirchberg
nur wie Dante’ Hölle, alle Hoffnung vor der Thüre laſſend,
betreten möchte, nun, biefe mögen felbft dahin geben, mögen
dort eintreten — vielleicht werden fie beim Weggehen die ihrige
dort zurüdteflen!” Solche Ausrufungen machen auf un® einen
eigenin, widerwärtigen Eindrud. Niemand fchlägt gewiß Treue
und Loyalität Höher an als wir, und Niemand ſympathiſirt
mehr mit ihrem Schmerz. Allein an ben Schmerz der franzoͤ⸗
ſiſchen Royaliften glauben wir einmal nicht, fo lange fie einer
feits mit den Bonapartiften, anbererfeits mit den Republikanern
und Sommuniften kokettiren und beide ihre Alliirten nennen.
Doc zuruͤck zu unferm Pilger, ber, wie er erklärt, bie Politik
Haft. Das Menſchenleben ift eine Pilgerſchaft; der Eine pile
get nach Wahrheit und Recht durchs Leben, der Andere nad)
lamz und Reichthum, der Dritte nach Ehre und Ruhm, ber
Bierte na Genuß und Sinnenrauſch: — unfer Verf. pilgert
nad huldvollen Blicken der Großen, nach Berührung mit vor |
nehmen Ramen, nach Entzuͤckungen magenſchwacher Frauen
und nach Sagen und Erzählungen, die er für romantif hält,
burch die ganze Welt. Er fucht dergleichen jest in Petersburg
und Mosfau und wird fie im näcften Jahre in’ Ierufalem und
) Vergl. den Bericht darüber in Nr. 1 6. BI.
Bagdad fuchen. Habent sibit Daß er aber nach biefer Tancen
Pilgerfhaft in Deutfchland nicht ein Wort a tiel über Uns
fer Ecben und Weſen, kurz, nicht einen Gedanken über Deutſch⸗
land und feine Bewohner mitzuthellen weiß, Ber der Aupuſ⸗
nung werth wäre, bad muß uns als Beweis gelten, wie fi
ber Verfaſſer in fich felbft verſenkt umberreift, und wie bie
ganze Welt für ihn in feiner zuhmgekrönten Perföntichkert
rein aufgeht. 8
ee eg gnaugnuf
Dihterunwiffenpgeit.
Es it doch immer gut, wenn unfere neuen Poeten auch
etwas von ber Literatur des Atterthums wiffen und ihr Lateih
noch nicht gany vergeffen haben. Dazu haben wir ſchon früher
manchen Beleg gefunden und jetzt finden wir ihn in Freilig⸗
rath's Buche über Immermann *). In dem vortrefflichen Aufs
fage aus -Immermann’s Reiſetagebuche über das Goethe’fche
Haus wird ( S. 163) ſowol dem Erſtern ale Goethe ſelbſt
die Unwiſſenheit aufgebuͤrdet, als haͤtten fie ben Römer Lucau
mit dem Griechen Lucian verwechſelt. Dann ift auch ber lateis
nifche Vers (Lucan. Pharsal. VII. 717.) faifch gedrudt, fobaß
er gar feinen Sinn gibt. Er lautet aber richtig:
Sollicet immenso supcrest ex nomine multum
flett
Seilioct immense super est ex homise multam.
Immermann bat fo in feinem Tagebuche gewiß nicht geſchrie⸗
ben, denn er war gut und grümbli in der Meife unterrichtet,
bie man jegt gar zu gern als Pedanterie begeichnet. 9.
Literariſche Anzeige.
Schriften von 9. Koenig,
Neu erfcheint foeben bei mir und ift in alley Buchhand⸗
lungen zu erhalten: .
Regina.
Eine Herzensgeſchichte
8. Koenig.
Gr. 12. Geh. 1 Thir. 6 Ngr.
Diefe Erzählung bildet bas erfle Bändchen einer Samm⸗
lung unter dem Titel: „Deutſches eben in beutfigen
Rovellen.”
rüber erfchienen von 9. Komig in meinem Verlage:
Die hohe Braut. Ein Roman. Zwei Theile.
8. 1833. Geh. 4 The.
Die Waldenſer. Ein Roman. Zwei Theile. 1836.
8. Geh. 4 Thle.
Die Bußfahrt. Trauerfpiel in fünf Aufzigen. 1836.
8. Sch. 20 Near.
Reipgig, im Ianuar 1843.
$: A. Brockhaus.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodbaus. — Drud und Verlag von E. 1. Brockhaus in Retpzig.
\
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Zreitag,
Weibliche Schriftfteller.
Es if In ber Ichten Zeit viel von dem Beruf der
Frauen, aud unmittelbar, öffentlich, mafjenweife zu wir⸗
Sen, gefagt werden. Diejenigen Männer, die in ben
Frauen die Martha⸗Naturen fehen, die nichts wollen ale
fie zu dienenden Geiftern, zu abfläubenden, menn aud)
nur moralifcgen Kchrbefen zu machen, haben ſtark
gegen irgend eine Emancipation, welcher Art fie fei,
proteſtirt. Sie haben offenbar gefürchtet, von der haus:
lichen Behaglichkeit etwas einzubüßen, wenn fie die Frauen,
ihre rauen, dem Schriftſtellerleben ſich zuwenden ließen.
Sie haben am die gefälteten Sabots, an die Suppen, an
.die Ragouts, an ben flarken oder ſchwachen Nachmit⸗
tagskaffee gedacht. Es find ihnen bie Kinder eingefallen,
für deren erfte (warum nicht auch für die zweite?) Er:
ziebung die Frauen zu forgen haben. Alles das Ift ih:
nen umvereinbar mit dem publiquen Leben der Zrauen
erfibienen und fie haben: wehe, wehe, Über die gerufen,
welche die Feder ergreifen. Andere find toleranter gewefen,
fie find von dem Standpunkte der Männlichkeit auf ben
dr Menſchlichkeit übergegangen: fie haben die Frauen
u ſelbſtaͤndige Geſchoͤpfe betrachtet, fie haben fie nicht
als untergeordnete, fondern als ihnen gleichfiehende Gei⸗
Arr angefeben. Die weiblihen Erfahrungen, ber Frauen
Beobachtungen, ihre Ideengaͤnge find ihnen wichtig er-
fhimm; fie haben Ihnen ein wichtiges, oft ein gldubiges
Dir geliehen. Zu biefen Letztern wird fich offenbar ber
Kritiker wenden, wenn er ein gerechter, ein wahrer Kriti:
ker fein will. Die Kritiker find im Allgemeinen trübs
felige Geſchoͤpfe; fie altern fehnell, weil fie mehr urthei:
ten als produciren. Sie betrachten das Leben wie ein
Schauſpiel, an dem pofitiven Antheil zu nehmen, fie fich
fire zu gut halten. Welt fie gelangweilt find, langweilt
Der Schaufpieler fie. Das Sahrhundert wird fchnell von
Ihm abgeſchaͤumt; kaum daß der Bart ihre jugendliches
Kinn umzieht und ſchon fällt vom Schädel das Haupt:
Baar. Da fie nie an Andere glauben, glauben fie
noch weniger am ſich ſeibſt. Das Leben ift ihnen zur
Beide geworden; fie anatemifien an ihm herum, fie fer:
ben mad jeder Hafer, nach jedem Nero, nach jeder
Mackel; Haben fie Alles zerlegt, entdeckt, zerfchnitten,
fa bleibt ihnen nichts unter ben Händen, als eine blu:
6. Sanuar 1843.
tende, Ieblofe Fleifhmaffe, in der die fchlotternden Kno⸗
hen den Halt nicht mehr bieten. Durchlaͤuft man, nach
bem Erſcheinen eines jeden noch fo unbedeutenden Werks
die zahllofen Urtheile, die die Literarifhen Blätter alsbald
wie Regen auf baffelde, barmherzig oder unbarmberzig,
fenden, betrachtet man die Kreuz: und Querzüge, durch
die ein ſolches Wert hindurch muß und in benen «6
mittels der Eritifchen Feuertaufe entweder Aſche oder uns
verwuͤſtliches Pergament wird, fo erflaunt man über bie
vielen Verſtandeskraͤfte, die ber Kritiker vergeudet und
auf die meift Niemand ale der Betheiligte Rüdficht
nimmt. Wie im Kaleidoflop liegen die bunten Bilder
vor und. Was einfadh in drei oder ſechs Morten hätte
ausgedrüdt werden koͤnnen, wird uns in weitfchweifigen
Büchern vorgetragen. Nicht daß wir die Kritik angrei⸗
fm, daß mir ihr ihre Wichtigkeit rauben mollen, wir
möchten nur, daß fie ein Handwerk würde. An unſe⸗
ver Zeit iſt fie allerdings eine Profeffion, ein Handwerk
geworden, daher ihre Entwürdigung, bei aller Würdigung,
daher ihre Vorurtheile, bei allem Urtheile. Da Jour⸗
nale erifliren, warum nicht auch eine Jury für diefe
Journale, warum nicht Afthetifhe Richter, die über ein
etwas wichtiges Werk ihre Gut oder Schlecht ausfprächen?
Statt ihr drängen fiy Knaben, Minderjährige um bie
Erzeugniffe der Reifen, drängen fidy ohne Erfahrung an
Dinge, benen fie nicht gewachſen find und denen fie den⸗
noch aufs Gerathewohl einen Ruf aufbauen oder ihn zer:
trümmern. Damit wollen wir aber nicht geſagt haben,
daß nur Schriftfteller Schriftfteller beurtheilen follen, wir
glauben im Gegentheil, daß 'diefer Weg zu Kämpfen ohne
Mürde, zu Leidenfchaften ohne Kraft Anlaß geben würde,
wir wollen nur den Wunſch ausdrüden, daß die Kritik
aufhören follte ein Handwerk zu fen. Mir möchten
den jungen Prieftern der Mufe, die im fchneeigen Ges
wande der Srühlingsbläte einherfchreiten, den nagenden
Schmerz erfparen, in fpäter Nacht bei einem bunkelflat«
ternden Lichte ein vielleicht ihnen ſelbſt fchön duͤnkendes
Merk In den Schlamm ziehen zu müfien, weil Neid
oder Rache ihnen eine hämifche Kritik für den Lohn eines
Paars gelber Glackhandfihuhe aufgedrungen hat. Die
Kritik muß frei, nicht gegwungen, unmittelbar, nicht bes
bingt fein. Sie muß von gediegenen Männern ausge⸗
ben, bie ducchdrungen von bee Wahrheit und dem Ernſt
23
dee Sache, aus Liebe zur Sache, biefe beleuchten. Es
würde aledann auch bie Parteilichkeit ſchwinden, bie bie
Kritik im Allgemeinen den Stauen ale Schriftiteller ge:
gegenüber zeigt. Wie dem Manne die Sphäre der Ge:
ſchichte, der Philofophie, ber Abftraction gehört, fo dem
Meibe die Sphäre des Gefühl, der feinern Beobachtung,
der Reflerion. Wenn der Mann fhafft, fo beobachtet
die rau; wenn er Welten durchfliegt, fo geſchieht es ihr,
an die Erdſcholle gefeffelt, fih für biefe zu paſſioniren,
dieſe mit den glaͤnzendſten Farben zu ſchmuͤcken. Der
Mann wird Zwecke, das Weib ſehr oft nur Zeitvertreib
haben. Dem Mann das Ganze, dem Melde bas De:
tal. Frauen find felten tüchtige Olmalerinnen, aber ihre
Minaturbilder find daguerreotypmäßig; fie find wahr und
correct. Da fie Muth, aber Leine Kühnheit haben, koͤnnen
fie, wenn auch nicht Geſetzgeber, doch Geſetzvollſtrecker ſein.
Um aber zu vollſtrecken, muß man wiſſen, um zu wiſſen,
muß man beobachten. Herbart ſagt in ſeinem „Lehrbuch
der Pſychologie“, daß bie innere Wahrnehmung, der Um:
gang mit Menfchen auf verfchiedenen Bildungsflufen, die
Beobachtungen des Erzieher und Staatemanne, die Dar:
ſtellungen der Reifenden, Geſchichtſchreiber, Dichter und
Moraliften den Stoff zur Pfychologie gäben. Das Reich
dee Wahrnehmung gehört gleichzeitig der Ftau mie dem
Mann, fie foll mit ihm in Gemeinſchaft Sandkorn auf
Sie darf
Sandkorn, Erfahrung auf Erfahrung legen. °
alfo auch die Sphäre des Dichters und Moraliften be:
eübren, ja, fie gehört vecht eigentlich in fie umd zu ihr.
Deswegen find denn aud weibliche Schriftſteller nicht
allein beachtenswerth, ſondern auch nothwendig, nicht al⸗
lein nothwendig, ſondern auch naturgemaͤß.
In letzterer Zeit traten einige Schriftſtellerinnen auf,
die jede in ihrer Sphaͤre Vorzuͤgliches leiſten. Wir wollen
uns heute auf die Ördfin Joa Hahn⸗Hahn beſchraͤnken,
kommen woi aber auch ſpaͤter auf Frau von Paalzow,
auf Frederike Bremer u. ſ. w., welche letztere, obgleich Aus⸗
fänderin, ſich durch Überſetzungen fo in Deutſchland feſt⸗
geſetzt hat, daß ſie unverſehens mit ein Glied in unſerer
giteraturkette geworben iſt.
Aus den erfien Werten ber Sräfin Hahn, die fie in
Gedichten dem Nublicum bdarbrachte, ließ ſich ein weit:
fichtige6 Talent, eine fhöne rhythmiſche Sprache, aber
noch fein aufergewöhnliches Genie abftahiren. Es wa⸗
gen dieſe Buͤcher die Praͤmiſſen ihres Geiſtes, die Bluͤ⸗
ten, die die Frucht zwar andeuten, doch nicht geben; der
Duft der Poeſie, aber ohne das Fleiſch des Verſtandes.
Sie wirkte auf Einzelne, nicht auf Alle; ihr Talent
wohnte im Boudoir der vornehmen Frau, es hatte ſich
noch nicht unter Saͤulengaͤnge oder in das Gewuͤhl der
Maſſe gewagt. In ihrem erſten Roman „Aus ber Se:
ſellſchaft trat fie fhüchtern und behutfam in das zügel:
freie Reich der Prof. Sie prüfte fih und Andere, fie
blickte hierhin und dorthin, fie malte Bilder und Situatio:
nen, Charaktere und Charakterlofe. Ste fhöpfte aus ſich
und der Erfahrung, aus fi und ber um fie gezogenen
Umgebung. Religion, Literatur, Kunft, Alles lag ‚Han:
tiſch in ihr; es firebte der Entfeffelung, der Aufklaͤrung
zu, aber es wußte noch nicht, wohin es ſich mit der un-
endlihhen Sehnfucht wenden follte. Die Verf. war vor:
erft noch Lyriker, fie hatte noch nicht die neue Form bes
griffen.
— „Jenſeits der Berge“ ſtreifte ſie die Schuͤchtern⸗
heit ab, die arbeitende Raupe war zum Schmetterling
geworden. Wie ſie ſo lieblich im Urtheil auf- und ab⸗
ſchwebte, hier irtte, dort das Rechte fand, von Natur
und Kunft glei mächtig angezogen, das Hoͤchſte bald in
der Erhabenheit der italienifhen Scenen, bald in ben
Merken der Menſchen ſuchte. Ste redete von Allem, von
Michel Angelo und von Rafael, von der Brenta und
dem neapolitanifhen Meerbufen. Dies liebte, das haßte
fie. Sie Hatte aus nichts Arg, fie lief wie ein Kind
unter Weihnachtsgaben dem erleuchteten Zannenbaum
einher; fie Elatfchte in die Hände vor Freude oder flampfte
auch wol einmal mit dem Fuße aus Zorn. In der
Movelle „Mutter und Tochter“ glühte eine Cactus—
fpeciofusblüte,; in die binein goß fie viel Sonnenlicht,
viel Sarbenpradht, viel Thautropfen. Sie zeigte ein Herz,
durchdrungen von Liebe, aufgelöft in ber Unendlichkeit des
Schmerzes, hingegeben den myſtiſchen Troͤſtungen eine
Geiſtes, mit dem fie leife und wohlig verkehrte. „Aus
der Geſellſchaft“ und „SSenfeits der Berge” waren bie
erſten Flugverſuche. Die Verfaſſerin glich dem Bild:
bauer, der feine Form aus Thon knetet, der fie im
Geiſte ſchon marmorweiß fieht, der aber noch nicht dem
carrarifchen Block ohne Geäder und Fehler gefunden,
oder, hat er ihn gefunden, noch nicht angemeißelt bat.
Nun erfhien die „Gräfin Saufine”. Sie lehrte uns
viel diefe Fauſtine, diefes Meerweib, diefe zum Vampyr⸗
gefchlecht ſich Hinneigende Gräfin. Aber fie lehrte uns
nicht die Verf. lieben, fie lehrte fie uns fürchten. Wir
fahen auf einmal in eine dunkellodernde, Recht und Ge:
rechtigkeit verwirrende Phantafie, in eine über bas Geſetz
hinausftrebende, wildsegoiftifche Perfönlichkeit. Die fchöne
Fauftine, die in ihrem, mit rothen Vorhaͤngen verziertem
Schlafgemach erhabene Gedanken fpinnt, die fie hinaus:
trägt in die Welt, mit Menſchen und Geiftern verkehrt,
Sonnen: und Mondlicht malt, Fauſtine bezieht doch Als
les nur auf fih. Sie ift die Vergdttlihung des Egois⸗
mus, eine bespotifhe Seele, die nichts über fih, kaum
etwas neben fich fieht, der Alles zum Zwecke dienen, At:
les Mittel fein muß. Erſt liebe Kauftine Andlau (fie if
allerdings fehr anmuthig, wenn fie liebt; es ift ein wet⸗
terleuchtendes, zauberhafte ſchoͤnes Weſen, das ſich in ihrer
eigenften Eigenthümlichkeit bewegt), dann liebt fie Mengen.
Weil fie nun nichts über fich, über die ihrem emancipieten
Geiſte zur Wahrheit gewordenen Irrthuͤmer anerkennt, fo
ſchreibt fie Andlau: „fie babe ihn vergefien”. Das Reich
der Pflicht iſt ihr fremd. Sie iſt gewohnt aus jeder Blume
Honig, aus jeder Frucht Nahrung zu ſchoͤpfen. Daß
Blume und Frucht nicht ihretwegen allein ba find, daß fie
auch eine felbfländige Exiſtenz haben koͤnnen, fällt Fauſti⸗
nen nicht ein. Sie thut zwar fo, als wiſſe fie's, aber
das iſt S. 266 Leine Wahrheit, nur Spiegeifechterei.
Eben dieſe Spiegelfechterei tritt uns ©. 295 noch be⸗
tröbender entgegen. Der grünenbe Kranz ber treue ift
abarmlich zerzauft. Angftlich Käufe Fauſtine, das emanci-
yate Weib, vor ihrem Schidfat hin und ber. „IH
ft dich heirathen“, ruft fie ängfllih, faft komiſch, da
ir zweite Liebhaber energiſcher als der erſte if. „Sie
ws: ein leidenfchaftlicher Charakter’, fagt bie Verf., „und
ker nur ſchwankend, ehe ein energifher Entſchluß in
&x Wurzel gefaßt. Um ein großartiger Charakter zu
kin, fehlte ihr nichts — als Strenge gegen fich ſelbſt.“
Die Verf. fühlte alfo, als fie „Fauſtine“ fchrieb, daß «6
Etwas gibt, das das Leben und die Zwecke regeln, das
eine Seffel an die mwoltüftigen Formen des Daſeins legen
muß. Der taufendfarbige Diamant, das Indifche Gedicht,
Stern und Rofe, Glanz und Duft, womit Zauftine ver:
glihen wird, koͤnnen nur mittels der Erkenntniß des über
fie waltenden Geſetzes des Schönen, der Ginheit beftehen,
aber Fauſtine iſt aus lauter heterogenen Elementen zu:
fammengefegt, fie bat bald Engel, bald Dämon, bald
Liebe, dad Haß in fih. Vor Allem iſt fie — Egoift.
Ihte eiſte heilige Liebe hat fie aufgegeben; ihre Ehe und
ihre DRutterpflichten find für fie Schattenbilder. Sie
fagt: fie fei müde, nicht des Lebens, nicht der Liebe, aber
vom Leben, vom Lieben. S. 362 wiederholt fie den
Gedanken: „Ich habe das Meinige gethan. Nun iſt's
genug flr die Welt. Es war allerdings genug für die
Wet; fie hatte Andlau geopfert, fo mußte die zweite
Liebe der Nemefis anheimfallen und in der zweiten
Sauftine felöft die genußfüchtige, liebenswürdige Fauſtine,
bie alle Berhälnifje durchgekoſtet, alle Freuden erſchoͤpft
hatte. Sie flirbe im Kofler; fie fucht int der Religion,
was das Leben, was die Liebe, was all ihr Egoismus
ihr nicht bieten konnte; natürlih, daß fies nicht fin:
bet, daß fie die Flügel am Käfig round gefchlagen und
daran verblutet ifl. „Eine ſolche feingeiflige Vampyr⸗
natur verbrennt und verbraucht den Andern, dann
Eh ſelbſt“, ſagt die Gräfin Hahn von ihrer Zaufline.
kan man diefer nun Unmoralität, Egoismus, mehr als
Semstdlte vorwerfen, fo muß man doch geflehen, als
Diätung, ale Bild, ift Faufline intereffant. Das
Bad if dem heißen Sommertage gleich, über den bin:
über wol kuͤhle Lüftchen weben, deſſen Hauptbeſtandtheil
aber Glut iſt. Die Natur ſteht im Zenith; Goldkaͤfer
ſchmirren, Thautropfen zittern an Grashalmen, Blüten
dufte ihr Arom — es iſt Alles traumartig, maͤrchen⸗
haft in dem Buch. Die Sprache oft nachlaͤſſig vornehm,
oft kindlich poetiſch, oft uͤberraſchend grandios. Die Ge:
danken lieblich, der Dialog paradox. „Fauſtine“ iſt kein
Reman, ſie iſt ein mit Byron'ſchen Elementen geſchwaͤn⸗
gertes Gedicht.
(Dee Beſcluts folgt.)
Lebensgeifter. GBegenwärtiges und Zulünftiges, von Karl
Tropus. Leipzig, Hunger. 1842. 8. 2 Xhlr.
Das Büchlein fol, nad) bes Verf. Wunſch, als Commen⸗
tar zu unfern fchönften Hoffnungen betrachtet werden, und er
meint, daß es mehr Wahrheit enthalte, ale er oͤffentlich ſelbſt
geſtehen dürfe. Der kargen Erzählung lägen Facta zum Grunde,
bie fi zu einem rein tünftterifchen Gebilde in der Folge ge-
flatten ließen. „Das Buch fell anregen und entflammm!"
Aber doch nur Die, weiche mit den Anfichten bes Verf.,
oder den Anfichten, welche er in dem Buche ale die feinigen vorträgt,
einverflanden find! Es ift gewidmet an Graf Bengel: Sternau,
Ludivig Feuerbach, Johann Jacoby, Franz Lifst und Arnold
Ruge, und die eingeflochtenen Aphorismen überwicgen bie zum
Grunde liegende Erzählung dermaßen, daß der Verf. es felbft
nicht in Abrede ſtellt, daB fie das eigentliche Fundament find,
um die erſt fpäter das lofe Gewand einer gefchichtlichen Fabel
gefhlungen wurde. Diefe Aphorismen, längere und ?ürzere,
werben ihre Sreunde finden; ob fie diefe aber anregen und ent⸗
flammen werden, bleibe bahingeftellt, ba fie gewiß fehon ebenfo
lebhaft als der Verf. angeregt und entflammt find. Es heißt
unter Anderm: „Eines der freieften, muthigſten, reblichften
pubiiciftifgen Inftitute find die Deutichen, ehedem Halliſchen
Jahrbuͤcher für Wiffenfchaft und Kunſt, die, früher von Preußen
aus redigirt, endlich mit Leib und Seele nach Sachſen au:
wandern mußten. Ruge ift ein waderer, ebrenwerther Strei⸗
ter, ber um fich eine tüdhtige Schar erprobter Mitlämpfer ges
fammelt; wie nennen nur Strauß, Feuerbach, Köppen. Auch
der uneigennüsige Verleger, ber freibeitsdurftige Dito Wigand,
muß rühmlichft genannt werben und hat auf ben Dank aller
eiberalen, im Leben und in der Wiffenfchaft, den volften An⸗
ſpruch. Seit der Zmangsüberfiedelung der Deutſchen Jahr⸗
bücher hat fig das gebildete Deutfchland diefem freimüthigen,
publiciſtiſchen und mwillenfchaftlihen Organe immer mehr und
inniger angenähert und mit feinen offenen, herrlichen Tenden⸗
zen befreundet.”
In dem Romane findet fi ein Entwurf einer allgemeinen
Verfaffungsurkunde in 97 Artifein und ein Plan zu einer Nas
tionalsepräfentation in 15 Artikeln. Mach diefem legtern treten
die Volksrepraͤſentanten als Zribunen auf; die Rationalrepräfens
tation hat ihren Sie in keiner Refidenz eines Fürften, und der
Rationalverfammlung liegt es 0b, über innere und Außere Ins
terejfen der einzelnen Staaten zu wachen. Der Rationalrath
forgt für eine intellectuelle, induftrielle und mercantile Entwide:
lung bed ganzen Staats und foll auch eine allgemeine Seemacht
begründen. Da die Anfichten des Ref. in diefen Stuͤcken ſehr
entfernt find von benen bes Verf., fo beginge er ein Unrecht,
wenn er fih zum Richter über ihn als Dichter aufmürfe, da
die ganze Dichtung, wie gefagt, nur die verfuchte Perfonificie
sung der zum Grunde liegenden Gedanken if. Gbenfo wenig
aber fühlt er fich veranlaßt, gegen ihn als Verfechter des ents
gegengefegten Syſtems aufzutreten, einestheild, da er dies
nicht ifE und in mehren Punkten gern dem Verf. beiftimmt,
anderntheild, da hier nicht ber Ort dafür ift und die entgegens
gefegte Partei der Streiter ebenfo wenig ermangelt als die des
Verf. Der Roman fließt damit, daß jene beregte Volksver⸗
tretung von einem Kürften wirktidh ins Leben gerufen worben
ift, und ber Held bes Romans und feine Freunde, früher ats
Demagogen verfolgt, fommen zu Ehren. Jener wird Präfibent
des Nationalraths, ein liberaler Prinz wirft mächtig ein, und
das Buch fchließt mit dem Votum: „Mag die Zukunft uns Als
einer an Fruͤchten reichen, ſchoͤnen, freien Zeit entgegens
uhren.’
Fiat, wenn auch die Wuͤnſche darüber, was unter dem
„Solch eine” zu verftehen, ſehr verfchieden find. Meine Wünfche
find, wie gefagt, verfchieden von denen des Werf. über Das, was
einer Volksverſammlung obliegt, die vollauf zu thun hat, wenn
fie nur Rath gibt, die Stimme des Volks wirklich ausſpricht
and die Handlungen der Regierung überwacht, als ohne welde
legtere, und zwar eine Eräftige, kein Vorwaͤrts möglich, fonbern
nur ein Ruͤckwaͤrts zu fürchten if. Andern Wuͤnſchen und an-
been Träumen bleibe ihr Recht unbenommen. Wir freuen uns,
wenn fie offen und deutlich ausgefprochen werden, es kann mur
zur allgemeinen Berflänbigung wirken, und wir bedauern aufs
ridtig, wenn ber Berf., aus Genfurrüdfichten, mit andern hat
hinterm Berge bleiben müflen. Warum unternimmt e8 aber
24
Niemand, In einem utopifchen Romane das Deutſchland ganz fo
und volftändig zu ſchildern, wie er es fi) auf jenem Wege
erreichbar denkt. Die Meiften haben einen auferflandenen Michel
emalt. Wohlan, unternehme es ein Dichter: das künftige
Deutfäland nach Ruge⸗VFeuerbach⸗Herwegh'ſchen Gedanken zu
malen, nicht die Kämpfe darum, fondern die Eerungenfhaft,
das feiende, in feiner neuen Geſtait confervative, legitime, über
allen Zweifel anerfannte, freie Deutfchland mit völliger Gleich
heit der Bürger, ohne Stände, ohne, oder mit Schattenfürften,
mit einer regierenden Vollsverfammlung, mit Nachbarn, bie
‚fig wohl oder uͤbel dabei befinden, und mit ber erfehnten Flotte.
Dann weiß Jeder, woran er fi zu halten hat, ob er mit ars
beiten fol, diefen Zuftand herbeizuführen, ober, ob es beffer ift,
am Alten feftzuhalten und nur zu fliden und zu reftauriren.
An der poetifhen Malerei des ewigen Weltfriedens iſt die Poeſie
und Theologie noch immer gefcheitert; auch der Evangeliſt Jo⸗
hannes hat uns das taufendjährige Reich nicht Mar und wüns
fhenswerth zu ſchildern gewußt, 2 wenig als Dante die Freu⸗
den des Paradieſes. Das freie Deutfchland ift eine leichtere
Aufgabe. Wenn das Bemußtfein erſt da und Mar ift: fo und
nicht anders muß es werden, damit wir Alle befriebigt und
gluͤcktich werden, alsdann finden fi die Mittel und Wege
von ſelbſt. 10.
Literarifhe Notizen aus Frantreid.
Le Leman, ou voyage pittoresque, historique et litt&raire
à Geneve et dans le canton de Vaud, par M. Bailly de
Lalonde. 3wei Bände. Parts 1842.
Dee Verf. fhildert in zwei ſtarken Bänden eine Reife,
die kaum drei Monate gedauert hat. Indeſſen würde man fidy
täufchen, wenn man glauben wollte, daß er alle geringfügi-
gen Greigniffe feiner Reife aufs breitefte erzählt. Die Perfön:
lichkeit bes Reiſenden tritt bei diefem Werke faft gänzlich in
den Hintergrund, und es ift nur dadurch fo fehr angefchwollen,
daß der Verf. fih in die ausführlichften Schilderungen Deffen,
mas er gefehen hat, einläßt und forafältig jebe biftorifche und
artiſtiſche Notiz auflieft, die er auf feinem Wege findet. So
ergeht ſich ber Verf. in langen geognoftifchen und botanifchen
Betrachtungen und zählt uns die Ramen aller Winde auf,
welche die Fläche des Genferſees Träufeln. Unter den zahl⸗
reichen Excurſen, die ber Verf. feinem Werke einfchaltet, be⸗
finden ſich mehre, die nicht ohne Intereffe find. So verbienen
befonders die Notizen über mehre Handſchriften 3. I. Roufs
feau’s, die bisher zum Theil noch unbelannt waren, hervor:
gehoben zu werden. Hr. Lalonde hat diefelben mit großer Auf:
merkſamkeit ducchgefehen und Alles, was er von den zahlreichen
Veränderungen und von den verfihledenen Varianten fagt, kann
als Beleg zu der Behauptung Rouffeau’s dienen, baß vieleicht
nie ein Menfch mit mehr Anftrengung ale er gefchrieben habe,
@in gemiffer Hr. Coindet, mit dem Hr. Lalonde befannt ges
worden war, befißt ungefähr 120 Briefe Roufleau’s, von bes
nen der größte Theil noch gar nicht gedrudt iſt. Bei mehren
derfelben zeigt fidy die ganze Sonberbarkeit Rouffeau’s, bie in
feinen fpäteen Jahren immer mehr beraustrat. Er pflegte
nämlich, wahrſcheinlich um ben Perfonen, mit benen er fidy
unterhalten wollte, feine traurige geiflige Stimmung auszus
dräden, mit folgenden vier Berfen, bie mit dem Briefe felbft
in weiter keiner Verbindung flanden, anzufangen :
Pauvres aveugles que nous sommes!
Ciel, ddmasque les imposteurs,
Et force leurs barbars eoeurs
A s’ouvrir aux regards des hommes.
Diefe merkwürdige Art, feine Briefe anzubeben, die Rouſſeau
im 3. 1770 angenommen hatte, dauerte indefjen nicht lange;
wahrfcheintich fühlte er felbft die Lächerlichkeit berfeiben. Ging
der wichtigfien Stüde diefer Sammlung ift ein Brief vom Bas
tee Rouffeau’s an Frau von Warens. Der alte genfer Uhr⸗
macher aehat fi wenig erbaut darüber, daß fein Sohn, ſtatt
ein ordentliches Handwerk zu lernen, feine Zeit mit den Ba⸗
bern hinbringt. Außer ben Notizen über Sean Jacques find
in dieſer Reiſe die biographifchen Nachrichten von der Familie
Mallet (P. H. Mallet, der Geſchichtsforſcher; Mallet s Prevoft,
Kr — —* ⸗ Dupan, De 3. %. Mallet,
nom) hervorzuheben. erhaupt der literariſche Theil
dieſes Werts —**— reich. haup
L’Espagne artistique et monumentale.
Unter ben neuern artiftifchsliterarifchen Publicationen zeichnet
fich ſowol was känftierifche Ausfährumg als Wediegenheit des Tex⸗
tes betrifft obiges Werk vortheilhaft aus. Die artiftifche Beforgung
bat der bekannte Villas Amil übernommen, der Text aber wird von
namhaften fpanifchen Gelehrten verfaßt. Der Rebacteur sen schef
it ein gewiffer Don Patrlcio de la Efcofura. Unter den Haupt⸗
mitarbeitern nennen wir nur die Namen eines Martinez be la
Rofa, Eugenio de Dihoa, von dem naͤchſtens ein ausführlicher Katas
log der ſpaniſchen Manufcripte, weiche auf der großen parifer Bis
bliothek aufbewahrt werden, erfcheinen fol u. f.w. Beim Durch⸗
blättern dieſes großartigen, prächtig ausgeflatteten Werkes ift
uns befonderd die Verſchiedenheit aufgefallen, die unter ben ab»
gebildeten architektoniſchen Monumenten herrſcht. Alle verſchie⸗
denen Gtyle ber Baukunſt fpielen hier untereinander herum.
Es iſt dies eine Eigenthuͤmlichkeit, die jedem Kunftfreund in
Spanien auffallen muß. In Gordova findet man Moſcheen,
in Granada einen Palaft aus ber Zeit dee Mauren, in Toledo
eine prächtige gothifche Kirche, in Madrid Gotteähäufer im
Stile Ludwig's XV. Auch die Römer haben hier die Spuren
ihrer Derrfchaft gelaffen. Gatalonien, befonders Tarragona, ift
voll von Waflerleitungen, von Landſtraßen und Bollwerken, bie
an bie geftürzte Macht der Derrfcherin der Welt erinnern. Die
Verf. der Einleitung zu diefem Werke führen biefe Idee, bie
wir bier nur anbeuten Zönnen, aueführlidher durch. Dieſes
Werk hat befonders deshalb cine fo hohe Bedeutung, weil in
Spanien befonderd die Kunft zum Verſtaͤndniß der Gefchichte
dienen fann. Ein geiftreicher Kunſtkenner hat in einem Auf⸗
fage über die reiche Gemätbefammlung des verftorbenen Aguabo
ben Gedanken ausgefprocdhen, daß man erft dann ben flarren
Charakter eines Philipp IT. verfteht, wenn man fi in bie
tieffinnigen Bilder eines Murillo und Velacquez verfenkt hat.
Ebenfo Laßt fi behaupten, daß nur Demjenigen das Verflände
niß ber wichtigen Geſchichte Spaniens aufgeht, der die zahl⸗
reihen Überrefte ber fpanifhen Architektur ftudiet hat, denn,
wie bie Verf. der Einleitung zu diefem Werke mit Recht fagen :
die Gefchichte Spaniens ift volftändig in feiner Baukunſt
Der Präfident be Broffes hat im Anfange bes vorigen
Jahrhunderts den Franzoſen in feiner Gefchichte der von Salluſt
behandelten Epoche ein Muſter gegeben, wie das Leben der
alten Welt aufzufaffen und darzuftellen if. Er bat indefien
erft in neuerer Zeit würdige Nachfolger gefunden. Gewöhnlich
haben fi die Hiſtoriker, welche die alte Welt behandeln, von
dem Wufte philotogifcher Gelehrſamkeit nicht losmachen koͤnnen.
Erſt Lerminier, der bisher nur einzelne Stubien über bie rös
mifche Gefchichte herausgegeben hat, und Michelet, der bie Ge⸗
ſchichte Roms ausführlicher dargeftellt hat, genügen den Ans
foderungen einer wahren Hiſtorik. WBefonders ift das Eunftreiche
Wert Michelet's, das ſich an bie großartige Geſchichte Nies
buhr’s (von M. de Golbery ins Franzoͤſiſche überfegt) anlehnt,
beachtungswerth; nur hat vielleicht Michelet gar zu viel Kunſt
hineingetragen. Seitdem find nun bereits mehre xecht vexs
dienſtvolle Arbeiten aus dieſer neuern hiſtoriſchen Schule her⸗
vorgegangen. Zu denſelben iſt ein ſoeben erſchienenes Werk:
„Cictron et son si&cle’‘, von A. J. Gautier, zu zählen, das ſich
zwar nidht zu einer fo freien Anfchauung, wie fie Michelet's Ge⸗
ſchichte bietet, erhebt, das ſich aber doch vortheilhaft von bem
neigen biftorifchen Arbeiten über das Alterthum units
eidet.
Berantwortliger Herausgeber: Heinrih Brokhaus. — Drud und Berlag von 8. 4. Brodbaus in Leipzig.
4
Blatter
für
iterarifbhe Unterhaltung.
Sonnabend,
7. Zanuar 1843.
(Behind aus Nr. 6.)
Nach der „Fauſtine“ erfchien „Ulrich“. „Ulrich“ hat
ſchon zu viel von der routinirten Schriftſtelerin, von
der Praxis des Buchhandels. In „Ultich“ iſt allerdings
Doefie, aber eine raiſonnirende, eine forcirte Poefie. Die
Epifode „Die erfie Liebe‘ wäre ein Stud Kaufline, wenn
zit Ekel und Widerwille fih Ins Ende miſchte. Melufine,
das liebliche, träumerifche, durchſichtige Geſchoͤpf, das bie
Villa Pliniana zur Staffage bat, die in ihrem Roſamouſſelin⸗
kleide kaum die Erde beruͤhrt und dann in wahnſinnig
entzuͤckender Liebe Ulrich in die Arme ſtuͤrzt, Meluſine
iſt und bleibt die Maitreſſe eines vornehmen Deren !!
Daß fie es vor ihrer Liebe zu Ulrich war, beklagen wir
zwar, aber wir entichuldigen es boch, aber nach Ulrich
no fündigen, nach Ulrich noch den Leib verfaufen, den
Ulrich durdy Liebe und Küffe geheiligt hat, das iſt ver:
bredyerifch, das macht, dab man Buch in die Ede des
Zimmer ſchleudert und ſich aufgelöft, fchmerzerfülle aufs
Sopha wirft. Indeß — man nimnit das Buch doch
wieder auf, man will doch ſehen, was aus dem Ulrich
wird. Ulrich iſt eine liebebedürftige Natur; da Melufine
iin fo arg mitgefpielt hat, will er nun in der Ehe (ein
verbrauchtes Mittel für viele Männer) ein frifches geifti:
98 Bad nehmen. Aber fiehe da, er trifft auf eine Frau,
die zwar ſehr ſchoͤn ift und liebenswürbdig thut, bie aber
einen Zug des Eigenſinns zwiſchen der Stine figen bat.
Mittels diefes Eigenſinns findet fie denn auch die Kräfte
m fih, Ulrich am Hochzeitabend in ben bereitfichenden
Zimmern mit dem Hut auf dem Kopf und den vielen
Wachslichtern um fie herum, auf die Frage: was fie
wole? zw erklären: Ich will allein fein! Jetzt und im:
mer, fagt Ulrich beſtimmt. Unika bleibt allein, nicht etwa
Hs am Hochzeitabend, fondern Jahre, fondern ihr Leben
dindurch. Unika liebt Ulrih, aber fo weit geht bei dem
eisenfinnigen Weibe die Liebe nicht, daß fie dem geliebten
Mann um den Hals füllen und fagen follte: Vergib bie
Berganımpeit! nen, das Wort kommt nicht. über bie
feſtgeſchloſſenen, feingefchligten Lippen. Verſoͤhnend neben
dieſem Unweib fleht ein Weib, ein echtes, rechtes Weib,
ein Weib, fo zart, fo lieb, fo gut, fo fanft, daß es Einem
wie Mondſtrahl ins Herz dringt. Margaretha ift ein
Weib; in ber findes der Lefer die gefuchte, oft vermißte
Weiblichkeit der Verf., für die kann er fi) enthuflasmis
ten, an die kann er berauffehen, für die darf er Thraͤ⸗
nen veraießen. Durch Margaretha gewinnt ber Lefer
wieder Vertrauen zu der Berf., er fängt an zu ahnen,
baß der Dichter oft duch allerlei Waffer: und Feuerproben
hindurch muß, ehe er vollftändig geläutert if. Er nimmt
Fauftine niche mehr für einen Fehler, fondern für el:
nen Irrthum. Mit dem Charakter Ulrich's wird Sein
Mann und noch weniger eine Frau zufrieden fein. Der
lodere Here weiß ſich gang prächtig feinen Liebesfchmerz
mit Actricen und bdergleihen zu heilen; er zerftteut ſich
duch Unwürbiges, nachdem er für das Wuͤrdigſte ent:
glüht war. Das Ganze ift wieder im die f[chillernden
Farben der Phantaſie getaucht; es fleht da wie ein
Genrebild des Jahrhunderts, wie ein treues Conterfei
einer Zeit, in der die gefellfchaftlihen Zuftände mit den
natürlichen confus durecheinanderlaufen. Zwar iſt «6 aus
dem Leben und der Erfahrung gefchöpft, aber es iſt den⸗
noch mehr wahr als erhebend, mehr betrübend als be:
(ehrend, ed bat allo ald Roman feinen Imed verfehlt,
denn ber Roman fol uns neben bem Boͤſen aud das
Gute und zwar beides im rechten Lichte zeigen; die Lich⸗
ter der Gräfin Dahn fallen nicht geradezu auf die Vils
der, fie find nur hier und dba als Zufälligkeiten anges
bracht, fie macht uns nachdenklich, traurig, zumellen fo=
gar ſchwankend, ein Beweis mehr, daß fie ſelbſt mit fich
nicht im Reinm, auch Andern nicht das Wahre zeigen
fann.
Die „Reiſebriefe“ ftellen die Individualitaͤt der Verf.
heraus. Was fie im Roman in Bildern und Situatios
nen metaphorifh ausgedruͤckt hat, ſpricht ſich Hier pofitiv
durch daB „Ich” aus. Kaufline, die Graͤfin Schönborn,
Ulrich u. ſ. w. haben genug geredet; num redet die Verf.
ſelbſt. Man kann der fpielenden, über ben Strom des
Lebens hinfchwebenden Libelle doch endlich nahe kommen,
man weiß doch endlich, daß die Gräfin Hahn eine Abfos
lutiftin, eine Ariſtokratin ift, die bei all ihrem gelehrten
Sprachvorrath, bei al ihrer Gedankenfuͤlle, bei all ihrer
erſtaunenswerthen Freiheit nicht eine von der Erde losge⸗
loͤſte Seele, fondern ein Geiſt ift, der mit Starrheit an
geroiffen Formen lebt. In ben „Meifebriefen” zeigt fie
ihee Kraft und ihre Schroäche, ihren Hochmuth und ihre
Demuth. Bald ift fie liebens⸗, bald haffenswürdig, bald zieht
«
fie in ben Krieg, laͤßt ihre Fahne flattern, ſchlaͤgt rechts und
lines, oft blindlings drein, bald ruht fie an Waldbaͤchen,
phantafire auf Spaniens Boden, fhlummert unter Pinien
‚und Gppreffen oder Laufcht den Geſaͤngen der Nachtigall.
Be hat in die „Meifebelefe” ihre gange bezaubernde,
Herausfodernde, inethumreiche Individualitoͤt gegoffen; fie
bat uns vergoͤnnt, tiefe Blicke in ein Herz zu thun, das
manden Kampf gewagt, manden Schmerz durchrungen,
manchen auf Erziehung und Vorurtheil gebauten Grund:
fag durchgelämpft hat. Die Gräfin Hahn iſt eine aus:
gezeichnete und, was mehr ift, eine edle Natur, aber fie
wandelt nod) in den Irrgaͤngen des Lebens; ihr Plebt noch
viel von dem Ariſtokratiomus, der das Menſchliche feucht,
an; fie ift mehr Welt: ats Himmelsbürgerin. Sie hat
viel Sehnſucht, viel Kummer, viel Ungeduld, fie ſteht
noch im, nicht Über dem Leben. ihre Bliderbefchreibun-
gen, ihre Bewunderung für Murillo, ihre politiſchen An⸗
fichten über Spaniens Zuftände verrathen ein feines, durch
und durch feines Urcheil. Man fieht immer diefe Gräfin
Hahn, wie fie nachläfig auf ihrem Sopha ruht, über Dies
oder Jenes redet, Diefes oder Jenes lobt, Dies oder Jenes
angreift, oder auch, man fieht fie in der Alhambra ftau:
nend, hingerffien, entzuͤckt, aber doch immer fie, ſich nicht
vergeſſend, ſich drängend in den DBordergrund des Buche.
Es iſt das Seibfigefühl, das fie dazu treibt; mag ihr
das Schickſal Manches verfagt haben, fie fühlt, es hätte
the Alles gewähren follen. Sie hat ein Recht an Süd,
ein Berlangen nah Befriedigung. Die Gräfin Hahn
iſt unſtreitig eine Schriftſtellerin unferer Epoche, fie ſpie⸗
gelt in fich viele Zeichen der Zeit, fie ringe nah Ent:
feffelung, nad) Wahrheit, fie legt die glühende Wange an
bie Kälte des Lebens, fie umfaßt mit Kraft, ja mit Def:
tigkeit das Bret, das ihr der Schiffbruch ließ; fie ſtuͤrzt fich
In Abgründe oder rudert auf Dceanen. Eie mifcht ſich in Al⸗
led, will Alles wiſſen, über Alles urtheilen. Auch dazu hat
fie ein Recht; indeß entfleht daraus doch eine Vielrederei,
die ihrem Talent Abbruch thut. Sie fpricht zu viel, fie
iſt nicht fanft, nicht gefammelt genug. Das Blappert
und fummt in ihren Briefen, daß man Augenblide der
tiefften Ermüdung, wie etwa am Rheinfall bat, wo man
fich herzlich, vom betäubenden Eindrud binmeg, nad)
Ruhe fehnt. Die Gräfin Hahn ift unruhig, irrwiſchar⸗
tig, fie hat immer offene Augen; nie ſinkt fie und feiert
den großen Moment ber innern Einkehr. Wie Eva hat
fie für Alles Gründe, für Altes Borwände. Der Stil
iſt im Allgemeinen ſchoͤn, fie geht nicht auf Stelgen, fie
ſchlendert natlırlich durch die Hecken ihrer Gedanken, aber fie
bat doch im Stil ihre ariſtokratiſche Seite mit hineingebracht,
diefe Puͤckler'ſche Vornehmthuerei, die franzöfirt und af:
feetict, die ein Ragout von ausländifchen Vögeln bietet,
indeſſen unfer gefunder Magen fi) herzlich nach edytem
deutſchen Saft, na Harmonie und Einfachheit fehnt.
War die Gräfin Hahn in ihren „Reiſebriefen“ ein
bischen uͤbermuͤthig, eim bischen mwegwerfend, ein bischen
abfprechend, fo überbietet fie fi von diefer Seite in den
„Erinnerungen aus und an Srankreih”. Warum theilte
fie dem Publicum eine naiv geflandene Erfhöpfung mit,
die fie, von Spanien kommend, in Frankreich empfunden
babe? Wer erfchöpft ift, hängt von Migraine, von Va⸗
peuts, von Wind und Wetter, alfo von unberechenbaren
Zuftänden ab, die das Urtheil verruͤcken; der ſoll nicht
ſchreiben, der ſoll fi ausenhen. Die Mrinuerungen“
find neben einem bominicenden Verſtande, neben einem
immer f&lagfertigen, neben einem zu allem MWiderfpruch
aufgelegten Urtheil voll weiblicher Ungerechtigkeiten, Par:
teilichkeiten, Ungereimtheiten, die uns um fo bedauerlicher
erfchtenen find, als ein ſolcher Geiſt Freier, unmittelbarer
daftehen müßte. Warum iſt denn frankreich eine ge-
ſchminkte und galvanijirte Rieſenlelche, warum fchüttelt
unfere lieblihe Gräfin den franzöfiihen Staub von ih:
vem Gewande und fürzt fich jubelnd in die Arme des
Rheins? Eben weil fie eine excluſive, eine wegwerfende, ja
eine trogige Natur iſt. Sie prüft nichts; was ihr ges
fällt, das gefällt ihr; was ihr misfält, das misfällt ihr,
aber fie bleibt nicht fiehen, fie fragt ſich nicht mit ber
Hand auf der Stirne: Iſt dus recht, iſt das ſchoͤn, iſt
das wahr? Gie ift capricids und in dieler caprichäfen
Form offen und ehtlich. Ob fie aber mit diefem, Ihrem
innerften Welen zu ben Quellen des Verfländniffes ge:
langen, ob fie nit vielmehr der harmonifchen Haren
durchſichtigen Darftelung entbehren wird, das laflen wir
unentichieden. Wir glauben fie noch keineswegs eins mit
fig, wir halten fie für unbefonnen: in der Begeiſterung,
unfähig zur völligen Beherrſchung des Stoffes, der welt:
lichen, aber keineswegs ber Sokratiſchen Ironie anheimge:
fallen. Sie bat Augenblicke tiefen Unglaubens; fie iſt
dann in einem fehmachtenden Zuſtande, klaͤglich aus ih:
vem Element herausgeſchnellt, bis irgend ein glücklicher
Zufall fie wieder in die fanften Schwingungen bringt,
wo der Pendel des Derzens zwiſchen Religion und Poefle,
Wahrheit und Schoͤnheit, Wiffenfhaft und Kunſt gleich⸗
mäßig und beſchwichtigend auf- und abſchwebt. Da fie
nicht ſowol das Leben als taufend Meine Plane vor Au:
gen hat, fo iſt fie noch nicht zu einer allgemeinen philo⸗
ſophiſchen Lebensanſicht gelangt; fie trinkt noch nicht aus
dem kargen Becher der Enthaltfamkeit, fie hat noch kein
inneres Maß. Natuͤrlich, daß ihre Bücher eine haſtige
Angft, eine Üüberreizung und Gättigung verrathen, bie
wir für die Menge als gefährlich bezeichnen müffen. Da
fih nämlich die Graͤfin Hahn in Altes miſcht, da fie
bald von Religion, bald: von Poefie, bald vom Staat, bald
von Wiſſenſchaft und Kunft, bald vom Werftande, bald
vom Herzen redet, fo trägt fie auch über Alles ihre An:
fiht und zwar im natürlihften, oft im verführerifhen
Gewande vor. Sie wirkt, fie hat Einfluß, aber ihr fehle
Sanftmuth und Güte. Sie hat fi) aus dem Leben
herausgefprocyen, fie muß. fi) wieder in baffelbe hinein:
fließen laſſen. Oft zerſtoͤrt fie das Vorhandene, aber Sf:
ters noch gibt fie nichts Hoͤheres; fie ift mehr Frau als
Menſch, mehr abelig als menſchlich. Die ariſtokratiſchen
Rechte gelten ihr zu viel; die hochherzigen Thaten, zu
denen und die Gefuͤhle für die leidenden Bruͤder anfeuern
fouten, find ihr fremd. Weil fie Alles auf ſich beziehe,
iſt fie ſelbſtſuͤchtig; fie iſt nicht aus der Natur wie eine
„entfeffelte Blume“ hervorgefproffen, fie iſt eine Zimmer⸗
eine Salonbluͤte. Daher ihr Mangel an einfacher Wahr:
heit, aber auch ihre Sehnſucht darnach. Wir zweifeln
nit, Daß die Beifin Dahn, wenn fie die Afthetifche
Wettaufchauung inne haben wird und fh von dem Einfluffe
des Hußern zu dem lodſagenden Gedanken erhebt, eine
nicht blos wirkende, fondern auch bleibende Erſcheinung
werden wird. Sie wird ſich zur Vermittlerin der Poefie,
jur Bermittlerin der wahren Gefühle, zur Dolmetfcherin der
rein geiftigen Beſtrebungen emporfhwingen. Mit dem Stern
auf der Stirn wird fie voranfliegen und ein Wegweiſer für
die Unkundigen, ein Tröfter für die Bedürftigen fein. Daß
fie es noch nit ift, liegt lediglich an einer gewiſſen ſinnli⸗
hen Breite ihrer Schriften, bie fie der Sammlung ent:
ziehe. Sie ift eine Heftige Natur; die Gewitterregion
Liegt ihr nahe, fie fehleudert Blige, wo fie Sonnenftrahs
fen fenden ſollte. Das wird bald beffer fein, fie wird
vermittelnder, freumdlicher, umgänglidyer werden. Die
Lehren, die fie von außen empfängt, werben nicht unbe:
nupt verübergeben. Sie wird erkennen, daß die Litern:
tur viel von ihr verfängen, aber nur Gediegenes empfan:
gen darf. 11,
Zuc Nachfolge Chef. Kine Legendenfammlung von
Eduard von Bülow. Leipzig, Brodhaus. 1842.
8 1 The 6 Ngr.
Diefes, mit der nachgeſuchten Approbation bes hohen ka⸗
tholiſchen Confiſtoriume im Königreihd Sachſen verfchene Werts
dien enthält zwar nur längft Bekanntes; indeß da immer wies
Ber neue Leſer beranwachlen, denen: das Alte neu fein muß,
fo kann es wol fein, baß der Autor einem Bedarf unferer Lite⸗
ratur damit genuͤgt. Auf jeden Fall hat er den richtigen Ton
gefunden, worin die chrifttiche Legende vorgetragen werden muß;
es ift einfacher, fchlichter Stil, der Ton der Überzeugung, ein
tunfitofer Wortrag, ein Anlehnen des Wunderbaren an das Ras
tärtiche durch poetifche Laͤuterung. Der Verf. verfichert, in kei⸗
wer der vorhandenen Legendenfammlungen, in Verſen ober Profa,
in Rorbs oder Sübbeutfchland, zu poetifchen oder kirchlichen
Imeden gefchrieben,, die Bedingungen, welche ex fich ſelbſt ges
Belt, erfüllt gefunden zu haben, und Ref. gefteht ihm zu, daß
er geleitet, was in diefem Fach zu Leiften ifl. „Die echte ers
hasene Poeſie ift ja die Schweſter ber Religion, und ein cins
trächtiges Zuſammenhalten beider wird jederzeit nur zu ihrem
eigenen Frommen in ber Erhebung und Laͤuterung ihrer Gäu:
bigen gereichen.“ So fast er fehr ſchoͤn in der Vorrede, und
dieſes Wort iſt auch die Brille, durch welche der Beurtheiler
die einfachen, gemuͤtoͤlichen, oft ergreifenden Erzaͤhlungen leſen
muß Sie find zwar mehr geſchrieben für Leute, welche nicht
urtheĩlen, ſondern ſich dem Eindruck blind hingeben. Der vor:
liegenden Legenden find zwoͤlf: 1) „Die heiligen drei Könige”;
2, „Der heilige Chriſtophorus“; 3) „Der heilige Einſiedler Pau⸗
vas3 4) „Die beilige Maria aus Agypten“; 5) „Der heilige
Meidior” ; 6) „Die heilige Theodora von Alerandrien” ; 7) „Der
beitige Sregorius vom Steine’; 8) „Die heilige Pfalzgräfin
Genovefa”; 9) „Der heilige Alexius“; 10) „Der heilige Wald⸗
bruder Meinhard⸗; 11) „Die ungetreue Bottesbraut”; 12) „Ro:
bert ber ZIeufel”. „Die heilige Maria aus Agypten“ fefelt bie
Phantafie des Lefers gleich einer Novelle und ift die Trägerin
der chrifktichen Glaubenslehre von Vergebung ber Sünderinnen.
Ghriſtophorus“ geigt, daß bie Gottesverehrung durch bie That
der des Glaubens und Betens an die Seite geftellt werden Tann.
So ift jede dieſer Legenden ein Beleg zu irgend einer chriftichen
der vor dir hier war? Hebe dich
dieſer, Niemand war bier als ich ſelbſt. Das arme Ding
Haji, dem fie vorher gefehen, ſich verwandelt habe.
Blaubends ober Gittenichre. Sol ein Buch kann nur Ge:
tes wirken und muß fih eines großen Yublicums erfreuen; es
iſt für Frauen und Männer, für Gebildete und Ungebildete, für
Erwachſene und für Halberwachſene; es paßt für höhere Stände
und aud für das Wolf, und zwar ben Volksbibliotheken vor
allen, mödıten wie «6 empfehlen. 12.
Specimens .of the popular poetry of Persia, and the
songs of the people inhabiting “he shores of the
. Caspian see. Collected and translated by Alexander
Chodsko. London, printed for the Oriental Transla-
tion Fund. 1842,
Gin Intereffantes Werk, eine Sammlung ber ungebrudten
Dichtungen Rordperfiens, welche Chodzko aus bem Munde des
Volks fammelte. Die Gitten, ber Charakter, die Gebräudge
der Vollsflämme, unter. welchen bdiefe Wollsgedichte im Gange
find, erhalten durch fie manches neue Lit. Das längfte und
am meiften anzichende Stück dieſer Sammlung ift betitelt:
‚Abenteuer und Gtegreifdichtungen des Kurroglou, Banbitens
inſtrels des nördlichen Perſiens.“ Kurroglou blühte in ber
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, war zugleich als Bandit
und Dichter berühmte und iſt noch der Rationalfänger und
Mufterheid feines Volkeſtammes; ja, fein Feſt wird noch gegen:
wärtig gefeiert, ohne daß feine Abenteuer oder Geſaͤnge retitirt
werden. Kurtoglou iſt in der That die Perfonification ber
Bitterlichleit diefee Romabentribus. Gr freifte umber, um ir⸗
gend eine reiche Karavane zu plündern, ober einen wohlhabens
den Diftrict zu berauben. Dft trieb ihn auch die bloße Luft zu
Abenteuern und Gefahren. Die Weiber behandelte ex in ht
ortentalifher Weife und betrachtete fie wie Thiere, welche auf
dem Marfte verkauft, ober wie jede andere Beute durch das
Schwert gewonnen werben, wie Spielzeug, welches man wegs
wirft, wenn ber Reiz der Neuheit verſchwunden if. Doc ift
ber in bdiefen Geſängen geſchilderte Charakter der Weiber wird
lich von der Art, daß die geringe Achtung, in der fie bei bem
Krieger fiehen, gewiſſermaßen gerechtfertigt wird. Die Prins
zeſſin Righara zum Beiſpiel hört von des Räubers Heldenmuth,
wird von Liebe zu ihm ergriffen und fendet ihm einen Liebes⸗
brief mit ihrem Bildnis. Kurroglou geht unverzüglih nad
Konftantinopel und erhält Zulaß im Palafle, ba er ſich als
Haji oder Pilger verkieidet hat und vorgibt, er bringe eine
Borfhaft von ihrem Water, welcher gerade auf einer Pilgers
fahrt nad Mekka begriffen war. Während er als Chavuſch
‚oder Bote angelündigt wird, wieft er feine Verkleidung ab.
‘Die Prinzeffin erfcheint mit ihren Dienerinnen.
Wo if ber
Bote? fragt fie eine berfetben, welche ihn angelündigt hatte.
Bei Allah Tchwöre ih, antwortete diefe, daß dieſer Mann bort
bee Haji war und einen Turban auf feinem Haupte trug. Die
Dienerin wendet ſich zu Kurroglou und fragt: Wo iſt der Hai,
weg, Rärrin! antwortete
kommt gur Prinzeffin zuruͤck und fchwört bei Allem, u we
n!
ruft die Pringeffin, du Haft mie in der That einen allerlichs
ften Haji eingeführt. Ohne Zweifel Hat er dir einen Kuß oder
:fo etwas gegeben. Wohlan, ihre Mädchen, bringt bie Ruthen
ber! In einem Augenblide war das Mädchen an die Falaka
befeftigt und unzählige Streiche fielen auf ihre Kußfohlen nies
der. SKurroglou fuchte zu vermitteln, aber ber Zorn der Prins
zeffin kehrte fih nun gegen ihn ſelbſt. „Gott bewahre Jeder⸗
mann”, heißt es Hierbei in der Erzählung, „unter die Nägel
eines wüthenden Weibes zu fallen!’ Gin Hagelregen von
Schlägen fiel nun auf Kurroglou. D Prinzeffin! xief er aus,
haft du nicht Mitleid mit mir, fo erbarme dich doch deiner
Dienerinnen; ihre Hände und Küße werden ſchwielig vom Schla⸗
gen! Da fagte die Pringeffin: Kommt, ihr Maͤdchen, wir wols
‚len etwas Wein zu und nehmen und dann zurädlchren, um
dieſen Encheibärtigen Betruͤger abermals bundggubläun! Damit
gingen fie, kehrien aber wieder zucäd und gaben ihm eine
zweite Tracht Prügel; er aber entflüpfte in einen Teich und
währeud die Mädchen mit Gteinen nad ihm warfen, fiel ihm
glädticherweife der ihm gefendete Brief ein, deſſen ex ſogleich
erwähnte. Alſobald war die Scene verändert. Wenn bu Kurs
roglou bit, rief da die Prinzeffin, fo vergeibe mic, mein Kurs
soglou! Wenn ich dich beleidigte, fo geſchah es, weit ich nicht
wußte, wer du warft; wenn ich dich ſchmaͤhte, fo ſteht es bir
frei, mie die Zunge auszuſchneiden; wenn ich dich flug, fo
erlaube ich dir, mic die Hand zu verflümmeln; nur verzeibe
mir! u. ſ. w. AS er aus dem Waffer kam, war ihm bie
Prinzeffin mit eigener Hand behülfliih. Man brachte ihm einen
Mantel, der ihm ganz gut paßte; die Deingeffin und Kurroglou
ſchlangen Jeder den Arm um des Andern Raden und fo vers
eint gingen fie in den Kioft und tranten nad türkiſchem Ge:
brauch, er zuerft, dann fie, einen Schluck Wein aus bemfels
den Becher. Ratürli ging die Prinzeffin mit dem Banbditen
durch. Aber ein werthvolled But war für Kurroglou fein Roß,
Kyrat, an welches ex begeifterte Oben richtete, die zu den volle:
thaͤmlichſten unter feinen @efängen gehören. Zuletzt ging Kurs
roglou an des Königs von Perfien Hof, um fi ihm auszulies
fern. Zwei Hofleute überrebeten ihn, mit ihnen die Nacht zus
zubringen ; da tödteten fie fein Pferd, und Kurroglou, der den
Beriuß feines Lieblingsroffes nicht überleben wollte, bot feinen
Kaden freiwillig den Streichen der Meuchelmoͤrder dar.
Mehre perfifche Sefänge ſtammen aus dem Harem des Ichtver:
Rorbenen Könige, Zutteh Ali Schah; er war ſelbſt Dichter, und
eine Sammlung feiner &hafelen, unter feiner Leitung niederge⸗
ſchrieben, befindet fich im Britifchen Mufeum. Einige berfelben find
grobfinnlicher Natur. Die Gefänge der Ghilanie, Mazenderas
nis und andere Stämme an der Küfte des Kaſpiſchen Meeres
haben die Gigenthümlichkeit, daß fie, wie die Pfaimen, In einer
Art parallelifivender Diftihen gefchrieben find. Chodzko Hat
und durch dieſes Wert mit einer ganz neuen Literatur bekannt.
gemacht; denn die andern Reijenden nahmen an, baß die Ge⸗
fänge der Barden (Aufhids) aus Firduſi, Sadi und Nizami
genommen feien. Man Hat den Wunſch geäußert, daß auch ber
Driginaltert dieſer Lafpiichen Dichtungen veröffentlicht werben
möge, indem man glaubt, daß die reine Bendfprache fi in
diefen abgelegenen Gebirgsgegenden unvermifchter erhalten habe
als in den Klachländern,. die fo häufig eine Beute arabifcher,
mongolifcher und türkifcher Eroberer gewefen find. 13,
Literarifhe Notizen aus Franfreid.
Wir haben in unfern flüchtigen Rotigen über bie neuen
Erſcheinungen der frangöfifcyen Literatur zu wiederholten Malen
der Romane des talentvollen Pitre⸗Chevalier erwähnt.
Der größte Theil derſelben fpielt in der Geburtsgegend des Verf.
und derfelbe iſt gewiffermaßen als der Walter Scott ber Bre⸗
tagne zu betrachten. In jedem neuen Werke entwidelt fid das
Zalent des Romandichters immer Eräftiger und origineller und
fein neuefter Roman: „La chambre de la reine‘, ift den beften
Erſcheinungen der Begenwart auf diefem Gebiete an die Geite
zu flellen. Ungeachtet der großen Productivität bes Verf. find
feine Bilder doch ungleich fleißiger gearbeitet und forgfältiger
ausgeführt ale der größte Theil dee Werke ber übrigen neuern
feanzäfifchen Romanſchreiber.
Bor kurzem ift ber Iehte Band der Borlefungen über Ras
turrecht von Jouffroy erfchienen (‚Cours de droit naturel pro-
fessé par Th. Jouffroy‘‘), und wir können nun ben Verluft, den
Seankreich durch ben Tod biefes jungen Philofophen erlitten
bat, in feinem ganzen Umfange beurthellen. Unter den vers
ſchiedenen andern Worlefungen, bie im Drud erfcheinen, find
defonders bie von Michel Chevalier über Rationalölonomie her⸗
‚vorzubeben, deren wir in biefen Blättern zu wiederholten Malen
ewwähnt haben. Sie find ebenſo gebisgen in ber Form wie im
Inhalte. 2.
Bibliographie.
Aleris, W. Der falſche Woldemar. Roman. 3 Baͤnde.
8. Berlin, Buch. d. Berliner Leſecabinets. 6 Thir.
Andaluſien. Spiegelbilder aus dem Suͤdſpaniſchen Leben.
Aus denTBriefen eines jungen Deutſchen. Herausgegeben von
W. Häring (W. Alerid). 8. Berlin, Buch. d. Berliner
Leſecabinets. 1 Thlr. 15 Nor.
Anderfen’s, H. ©., Bilderbuch ohne Wilder. Aus dem
a ueertragen von 8. M. Fouqué. 8. Berlin, Befs
er. er.
Aue, &. von ber, Tafchenbuch der Liebe, Freundſchaft und
Oefeligkeit. 16. Anclam und Swinemände, Diege. I Ihir.
Rgr.
Die frech bedraͤute, jedoch wunderbar befreite Bibel, oder:
Der Triumph des Glaubens. Das iſt: Schreckliche, jedoch
wahrhafte und erkleckliche Historia von dem weiland Licentia⸗
ten Bruno Bauer; wie ſelbiger vom Teufel verfuͤhret, vom rei⸗
nen Glauben abgefallen, Oberteufel geworden und endlich kraͤf⸗
tiglich entſetzet iſt. Chriſtliches Heidengedicht in vier Geſaͤngen.
Gr. 12. Reumünfter bei Zuͤrich. Ao. 1842. 9Y, Ngr.
Blumenfpiele. Vom Berfaffer des Werkes: Der Selam
des Orients. Gr. 12, Berlin, Burmeiſter. 1 Thlr. 10 Nor.
Brömel, A. T., Die freie Berfaſſung Norwegens in ik
rer gefchichtiichen Entftchung und weiten Entwidelung, ihrem
Wefen und ihren Kolgen. Ifter Theil. — Auch u. d. T.: Die
freie Berfaffung Norwegens in ihrer geſchichtlichen Entftehung,
nebft einteitender Vorgefchichte. Gr. $. Bergen. 2 Thlr.
Das Ehegefeg in feiner Hiftorifchen mit ber Vernunft
Abereinftimmenben Bedeutung. Gr. 8. Berlin, Hirſchwald.
2 gt.
Erwiederung auf „Prüfung des Durchſuchungérechtes von
einem Amerikaner“, mit Benierfungen über einige andere zwi⸗
fhen Großbritannien und den Vereinigten Staaten anhängigen
Streitfragen. Won einem Gngländer. Überfegt aus dem Eng»
lifhen. Gr. 8. Berlin, Sonas. 15 Nor.
Gebichte. 3 Abtheilungen: Pfyche. Lieder : Träume und
Trümmer. Nachleſe. — Auch mit dem Umfchlag : Zitel: Samm⸗
lung von Gedichten. Breit 12. Wismar, Schmidt u. v. Coſ⸗
fe. 1841, 42. 22%, Nor. |
Heſekiel, ©., Der Winternadhtstraum.
Gr. 16. Berlin, Scherk. 10 Nor.
Jahrbuch der deutſchen Univerfitäten von Heinr. Wuttke.
I. Winterhaibjahr 18123. 8. Leipzig, Weidmann. 25 Nor.
Knappich, J. M., Reden am Grabe. Mit ciner Vor⸗
rede von J. M. v. IStimenfee. 2 Bändchen. 8. Ravens⸗
burg, Gradmann u. Knapp. 20 Nor.
Kopf, D. T., Altes und Neues aus der Mappe eines
alten Päbagogen. Gin Beitrag zur Geſchichte des Volksſchut⸗
und Erziehungsweſens im nördlichen Deutfchland. 3 Theile. 8,
Berlin, Wohlgemuth. 1 Tolr. 10 Ngr.
Lubojagyfy, F., 1840. Hiſtoriſcher Roman. 3 Bände.
Gr. 12. Grimme, Berlags:Somptoir. 4 Thlr. 15 Nor.
Nachhall auf das Köiner Dombaulied von &.Prug. Ler:S.
Stettin, Müller u. Comp. 2), Nor.
ReventiowsKarpe, Graf E., Dänemark und feine Kö-
nige bie zum Antritt bes Dibenburger Hauſes. 2 Bände.
Gr. 8, Kiel, Schweres. 2 Thir. 15 Kgr.
Slawismus unb Pfeudomagyarismus. Vom aller Ülens
fehenfreunbe, nur ber Pfeudbomagyaren Zeinde. Gr. 8. Leipzig,
D. Wigand. 15 Nor.
Voigt, J., Codex Diplomaticus Prussicus, Urkunden»
Sammlung zur dltern Gedichte Preußens aus dem Koͤnigl.
Geheimen Archiv zu Königsberg, nebſt Regeſten. Zter Band.
Gr. 4. Königsbere, Gebr. Bornträger. 2 Thir.
Eine Arabeske.
Werentwortlicher Herausgeber; Heinzih Brodbaus. — Drud und Berlag von 8. U. Brochaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifihe Unterhaltung.
Sonntag,
Über Bevölkerungskunde.
1. Hanbbuch ber Populationiſtik oder der Wöllers und Mens
fihenkante nach flatiftiihen Erhebniſſen. Bon EChriſtoph
Berneulti. Zwei Abtheilungen. Ulm, Gtettin. 1841.
Gr. 8. 3 Thlr. 227% Nor.
3, Gtatiftifke Überfiht der Bevölkerung der oͤſtreichiſchen Mons
ardjie nach den Ergebniffen der Jabre 1834— 40, Dargeftellt
von Siegfried Becher. Stuttgart, Cotta. 1841. Gr. ð.
2 Thir. W Rer.
3. Über die Abhängigkeit der phyſiſchen Poputationsträfte von
den einfachſten Brundfloffen der Natur mit fpeciellee Anwens
dung auf die Bevoͤlkerungeſtatiſtik von Belgien, Bon ers
dinand Bobbi. Leipzig, Brodhaus und Avenarius. 1841.
mp. 4. 13 Atr.
Die drei hier zu befprechenden Schriften begegnen ſich
in dem Dbjecte. Die zweite flele aus einem einzelnen
Staate und für beflimmte Jahre die Materialien, forgfäl-
tig gefammelt und überfichtlic geordnet, zufammen, deren
Gebrauch uns die erſte Schrift lehrt und deren willen:
ſchaftliche Erörterung auch in der zweiten Schrift verfucht
wird. Die dritte endlich macht den Verſuch, die Geſetze,
weiche die erfte nur aufzeihnet, auch zu erflären und auf
ein höheres Geſetz zurückzufuͤhren. Das Anfammeln fla:
tiſtiſher Daten würde eine bloße Spielerei fein, nicht
wertbooller, als das Sammeln von Wappen, Gchmetters
lingen u. dgl. bei Anaben iſt, wenn es nicht zu dem Ende
geſchaͤhe, damit aus diefen Daten Schluͤſſe gezogen, ihre
Gründe erforſcht, aus ihnen das Wefen der Verhaͤltniſſe
und daB Geſetz der Kräfte erkannt wuͤrde.
Es Enüpft fi) ein eigener Reiz an diefe Unterfuchungen
übre die Geſetze der Bevölkerung, und wenn man fie mit
einer fo wunderbaren Regelmaͤßigkeit und Sicherheit mals
ven und Creigniffe, die uns in jedem individuellen Kalle
is Producte des Zufalls oder als befondere Schidung
erſcheinen, und die das letztere für das Individuum auch
jedenfalls find, in der Maffe der Faͤlle einer Ordnung
und Beſtimmtheit unterworfen fieht, welche, wenn alle ers
foderlichen Unterlagen gefammelt wären, die zuverläffigfte
Berberberehnung erlauben würden: fo iſt man wol ges
meigt, Hier noch einen geheimern Bezug, ein noch zu ent:
raͤthſelndes tieferes Geſetz zu vermuthen und von bieraus
uoch weitere Einblide in die geheime Werkſtaͤtte der Nas
tar zu erwarten. Und doch ift die Sache nicht fo my:
fteriös und bezlehungsvoll, wie fie ausficht; was aber
wunderbar und gebeimnißreih an ihr ift, das wird wahrs
fheintih immer der menfchlihen Forſchung unergruͤndlich
bleiben. Es handelt ſich hier nicht um pythagoraͤiſche Zah⸗
Ienbedeutfamkeit und ebenfo wenig um willkuͤrliche Gefege.
Wie überalt, fo iſt auch bier Die große DVerfaffung der
Welt auf das Grundgeſetz des Gaufalnerus gegründet und
im Bereih unferer Erde find es verbäftnigmäßig wenig
einfache Kräfte, durch welche diefe gewaltigen Refultate
und diefe in unendliher Diannichfaltigkeit ſich drängenden
Erſcheinungen erzeugt und beherrfcht werden. Erſt wenn
wir an jene letzten Gründe felbft und wieder an ihre Bes
jiebung zu dee Geflaltung höherer Organismen, der
Pflanze, des Thiers, des Menfchen kommen, rühren wie
an die für den trdifchen Blick wol ewig undurchdring⸗
lihen Schleier der Geheimniſſe. Welcherlei Kräfte da
oder bort wirken und was da vorgeht, ift erfannt worden,
aber das innerfte Wefen diefer Kräfte und das Wie der
Operation bleibt verborgen. Ebenſo wenn wir die Wire
tungen der Geſetze, die wir für die Tauſende von Faͤllen
berechnen und in ihrer naturgemäßen Nothwendigkeit ers
klaͤren mögen, fi nad Raum und Zeit und auf die Ins
bividuen vertheilen fehen, trifft es fich wol, daß der aufs
merkfamere Bli in dem gerade jetzt, gerade fo, gerade
unter diefen Umständen erfolgenden Eintreten Das zu ah⸗
nen vermag, was wir Scidfal, Fügung nennen, was
aber in Wahrheit die erziehende Hand des großen Welt
meifters if. Er bat auch die Kräfte gewedt und in
Wirkſamkeit gefegt, die über die Bewegung der Bevaoͤlke⸗
ung gebieten. In ihrem gleichmäßigen. Wirken begegnen
ihnen in dem weitern Raume, der gemefienen, längern
Zeit, der größeren Zahl uͤberall die Bedingungen, unter des
nen ihr Wirken eintritt, und fo wirken fie für das bes
fiimmte Maß von Raum, Zeit und Zahl mit unveränders
licher Sicherheit. In diefem groͤßern Maße verfchwinden
alle die Abweichungen und befondern Bedingungen des Ins
dividuellen und heben ſich gegenfeitig auf. Aber fie mas
hen fih in der Vertheilung auf Raum und Zeit im
Einzelnen geltend und in ihrer unendlichen Mannichfaitigs
keit, Ihren feinen Schattirungen, Ihrem Zuſammenwirken,
ihrer Abhängigkeit von Tauſend aͤußern ſcheinbaren Zus
faͤlligkeiten, höhern Fügungen, fpotten fie jeder Vorherbe⸗
flimmung, und nur foweit auch bei ihnen ein gleichmaͤßi⸗
80
ges Geſetz in einiger Ausdehnung waltet, mag es von
ſchaͤrferer Beobachtung erkannt werben.
Der Verf. des unter Nr. 3 genannten Werks hat es
allerdings verfucht, die wahre causa movens, oder doc) eine
von ihm für die hauptfächlichite gehaltene causa movens,
die in allen Populationsverhäftniffen wirken fol, nachzu⸗
weifen und uns damit einen wichtigen Schritt näher zu
dem Innerſten des großen Haushalts der Natur zu führen.
Wir koͤnnen dieſen Verſuch nicht für wahrhaft gelungen
halten, auch wenn der Verf. in der Sache ſelbſt nicht ge⸗
irrt haben ſollte. Wir koͤnnen aber auch, aus ſpaͤter dar⸗
zulegenden Gründen, keineswegs bebauern, daß der Ber:
fuch von Hrn. Dr. Gobbi angeſtellt worden if. Durch
fein ganzes Merk zieht ſich allerdings eine lange Kette
phpfitatifcher Hppothefen, Über weiche wahrſcheinlich noch
lange Zeit geftritten werden wird und die wir hier nicht
eröctern wollen, uns auch nicht competent bafür halten
innen. Aber das können auch wir fehen, daß man alle
diefe Hypotheſen zugeben kann, ohne die praktiſche Bedeu:
tung derfelben für den vorliegenden Zwed in dem Werke
recht uͤberzeugungsvoll nachgewiefen zu fehen, ja nur eis
gentlich zweckmaͤßige Anflalten zu dieſer Nachweiſung in
den Werke zu finden. Die Sache iſt nämlich die. Der
Verf. geht von bee Hppothefe des Laplace aus, wonach
alle Planeten unfers Sonnenſyſtems aus der urfprüng:
fihen Sonnenatmofphäre entflanden find, und kommt in
ihrem Verfolge auf die ganz wefentlihe Bedeutung ber
Sonne, ganz befonders aber auch des Waſſers für die
Populationskraft. Er bite fih nun an das Waller
und zeigt zuvoͤrderſt in einer ſehr intereffanten Unterſu⸗
chung, die man aber, wenn man nur das auf dem Zitel
Verzeichnete ats die Aufgabe diefes Buchs fefthalten wollte,
viel zu ſpeciell finden würde, die Einwirkung des atmos
ſphaͤriſchen Waſſers auf den gefammten organifhen Proceß,
namentlich auf die Veraͤhnlichung der Nahrungsmittel in den
erften Nahrungswegen, auf die Refpiration, auf die Wär:
mevechältniffe, auf die Etektricität und auf das Licht. Er
gibt dann eine Darflellung der hydrographiſchen Verhaͤltniſſe
in Belgien und darin in der That eine fehr lehrreihe und
verdienfttiche Waſſerſtatiſtik diefes Landes. Daran chließt
fih die Darftellung und Berechnung ber phyſiſchen Popu:
Iationskräfte in Belgien. Hier erfahren wir weniger Neues
und haben denfelben Gegenftand lieber als von Hrn. Gobbi
von dem Berf. der Schrift Mr. 1 behandelt gefehen, ber
den Einfluß vielfeitigerer Momente ine Auge füßt. Denn,
obgleih Hr. Gobbi in der britten Abhandlung nunmehr
den Zufammenhang zroifchen den hydrographifchen und dem
Populationgelementen darzuftellen unternimmt, fo iſt das
doch nicht auf eine und irgend faßlihe und einleuchtende
Weiſe gefchehen. Er hat und gezeigt, wie fi die MWaf:
ferverhättniffe und wie fih die Bevoͤlkerungsverhaͤltniſſe in
den verfchiedenen belgifchen Provinzen verhalten; daß aber
die letztern von ben erftern abhingen, das hat er, unſers
Dafuͤrhaltens, nicht gezeigt und, wenn von einer unbeding-
ten und bauptfächlichen Abhängigkeit die Rede fein follte,
nicht zeigen können. Sa, er muß felbft in feine Berech⸗
nungen einen Gegenkampf frembdartiger Elemente aufneh⸗
men, und dieſer Gegenkampf, der aus ſehr verfchiebenartis
gen Momenten berrühren kann, bücfte die Hauptſache bei
dem ganzen Verbältniffe und nicht fo Leicht zu berechnen
fein wie die hydrographiſchen Verhaͤltniſſe und die Kopf:
zahlen. Wenn man auch alle Hypotheſen des Verf. und
alle feine Schlüffe daraus zugibt, fo lernt man doch nur,
wie fi bie Populationskraft in 5. B. zwei Ländern un:
ter übrigens ganz gleichen und nur in Betreff des Hydro»
graphifchen abweichenden Vechaͤltniſſen verhalten würde.
Eine zufällige Volksſitte, eine religioͤſe Anficht, eine Mo⸗
biftcation der Gefeggebung, ein außeres Ereigniß, die Eins
führung eines neuen Erwerbszweiges, das Erlöfchen eines
andern, eine Veränderung in dem Handel des Auslandes
Eönnen das ganze Verhältniß total alteriven und auf den
wirklichen Stand der Sache ben gewaltigften Einfluß dus
Bern, fodaß uns aus der Dorftellung des Berf. nur ber
nach den bloßen natürlihen Verhaͤltniſſen mögliche Stand
der Sache hervorzugehen ſcheint. Das waren noch vers
aͤnderliche Momente, die wir anführten. : Bleibenderer Nas -
tur find das Klima, die orographifchen. Verhältniffe, die
Umgebung eines bewegten Stuatenfpfiems u. dgl. Dente
fih doch einmal der Verf. diefes Belgien mit allen feinen
jegigen hydrographiſchen Werhältniften nah Neuholland
verfegt und frage er fih, ob es da feine heutige Bevoͤlke⸗
rung und gerade fo vertheilt haben würde. Das aber ift
nicht zu verfennen, daß dieſes Wert, was nur mit fehr
beträchtlichen Opfern zu Stande gebracht worden fein
kann, ein Werk eines riefigen Fleißes, großen Scharfe
finns, mächtiger Combinationsgabe ift und, wenn wir auch
feine Hauptaufgabe nicht erreicht halten können, do bei -
Selegenheit ihrer Erſtrebung eine große Reihe hoͤchſt in⸗
tereffanter und lehrreicher Unterfuhungen, Notizen unb
Berechnungen zu Zage fördert, bie es jedenfalls zu einer
ſehr wichtigen und verdienftlihhen Leiftung machen.
Bleiben wir aber bei den Unterfuchungen über die Pos
pulationsverhättniffe fiehen, fo darf es uns nicht irre ma⸗
hen, daß fie bis jegt Uber eine gewiſſe Grenze nicht zu
dringen, den wahren legten Schlüffel nicht zu finden vers
mocht haben. Denn abgefehen von dem geheimen Reize,
den bie Betrachtung der Gefege einflößt, die das wunder
barfte Raͤthſel des irdiſchen Dafeins, das Leben felbft be=
herrſchen; abgefehen von der Foderung, die die Möglichkeit,
bis zu einem gewiſſen Punkt in diefe Geheimniffe einzu⸗
dringen, an den wahrheitsdurftigen Geiſt richtet, auch bei
ihnen feine Kraft zu bethätigen; haben biefe Unterfuchuns
gen auch ihre fehr praktiſche Wedeutung, fofern fie Anz
haltepunkte gewähren, um zu beurtheilen, ob der Verlauf
dee auf die Bewegung der Bevoͤlkerung bezüglihen Mo⸗
mente unter unfern Umgebungen ein naturgemäßer fei,
oder nicht, und in legterm Falle uns anfpornen, die ſtoͤ⸗
renden Einfluffe aufzufuchen und möglihft zu heben. Sie
geben uns neue Kriterien an die Hand zur Prüfung dee
fociaten Zuftände. Sie dienen unmittelbar zur-Grundlage
wichtiger Anftalten, haben deren ficheres Wirken erft moͤg⸗
lich gemacht, zum Shell zu ihrem Entſtehen den erften
Anlaß gegeben. Man mußte bereits eine gewiſſe Kennts
niß der Mortalitätägefege haben, bevor man auf die Idee
si
dr Eebenswerfiherungsanftaiten kommen konnte, und an
dem Mangel diefer Kenntniß find Hunderte von Leichen⸗
tafen bankrott geworden. Se forgfältiger, vollftändiger,
auf immer feinere Beziehungen ſcharjfinnig durchgeführt diefe
Unterfudyungen werden, deito mehr tritt «6 heraus, in wie
vifacher Dinficht fie praftifch benuge werben Binnen,
In dem zuerft angeführten Werke werden fie von el: -
arm verdienfivolfen Gefehrten, der fich, voie auch das Werk
auf jeder Seite beweift, duch lange Jahre mit diefen For⸗
ſchungen befchäftige und dabei mit allen dazu erfoderlichen
Eigenfhaften, Kenntnijjen und Gaben ausgerültet ans
Wert ging, in einer Vollſtaͤndigkeit, mit einer fichern Bes
erundung, gewiffenhaften Sorgfalt, fcharffinnigen Berech⸗
nung angeftelit, wie zur Zeit noch von feinem Deutfchen,
und es kann dafjelbe mit den Franzofen, die ſich hierin,
wie in den eracten Wiffenfchaften überhaupt, mit Bors
liebe und Glück bewegt haben, ruhig In die Schranken
treten. Suͤßmilch's„Goͤttliche MWeltordnung” iſt nicht
bios in den Daten veraltet; fie fußte auch auf unfichern
Grundlagen und mehrfachen Irrthuͤmern, wenngleich für
ihre Zeit ihe Verdienſt ein erhebliches war. Bickes bat nur
Bruchſtucke gelicfert und mehr Materialien jufammenges
fette, als Geſetze erforſcht. Weide Schrifefteller find durch
Bernoulli weit überfligelt. ,
Ein ungludtihger Gedanke, der in Wahrheit manchen
Leſer von dem Merle abſchrecken kann, war aber jedenfall
das verwidelte Wert „Poputationiftil”. Muß man denn.
aus jeder Unterabtheilung einer Wiſſenſchaft — die vors
Hiegende Unterfuhung iſt ein Theil der politifhen Arith⸗
metik — audy gleich eine eigene Wilfenfhaft machen und
dnen neuen Namen dafür erfinden? Doc das iſt Ne:
denſache. Wichtiger, daß der Gebrauch des Werks für
manche Lefer allerdings durch einen andern unglücklichen
Gedanken des Verf. erichwert wird, daß er nämlich eine
Imliche Zahl aus großen und Pleinen, mehrfach verbun-
vn Lateinifhen Buchſtaben bejtehenden Bezeichnungen
zar Abkırzung gewählt hat, die eine curforifche Lecture
dei Buchs ſehr ſchwlerig machen. Wer befonders ſich
nit regelmäßig mit den eracten Wiffenfchaften, in denen
i wei Öfter vorkommt, befchäftige und dadurch
(den an Ähnliches gewoöͤhnt ift, dem wird es ſchwer, das
Mes im Gedächtnis zu behalten, jede Verwechſelung zu
wamseiden und ber Unannehmlichkeit zu entgehen, daß man
an manchen Gtellen ſich erft quält, aus dem Zuſammen⸗
hange zu errathen, was das Zeichen bedeute, und endlich
dech noch im Werzeichniffe nachſchlagen muß. Unfere Zeit
veiends will dad Studium möglihft bequem gemacht und
je wichtiger es ift, der politifchen Richtung der Zeit auch
in gründlicher flaatswiffenfchaftlidher Kenntniß den rechten
Kern und inhalt zu geben, befto mehr follte man bar:
nach fireben, auch die tiefern Lehren und mühfamern Uns
terfuchungen einem möglichft weiten Kreife Gebildeter ge:
niefbarer zu machen. Mit einer geringen Naumvermeb:
rung bätte der Verf. die Wirkfamkeit feines Werks we⸗
ſentlich erhöhen und weiter verbreiten koͤnnen, und wir bes
dauern diefen Übelſtand um fo auftichtiger, je höher wic
fonft den Berf. umd frine Lriftung fchägen.
Als Statiſtiſche verliert feinen Werth, ja wich ſchaͤd⸗
lich, ſtatt zu nuͤtzen, ſobald es den Charakter ber Richtig⸗
keit, in manchen Faͤllen der abſoluten, in andern wenig⸗
ſtens der annaͤherungsweiſen oder der durchſchnittlichen
Richtigkeit verliert.” Dit Recht beginnt daher der Verf.
mit den Mitten, die abfolute Bevölkerung zu erforfchen,
und mit der Bemerkung, daß und warum in vielen Ans
gaben derfälben, wider Erwarten, fo viel Ungewißhelt
bericht. Gleiches tritt bei der relativen Bevoͤlkerung, d. h.
der Bevölkerung im Verhältnig zum Areal ein und nicht
immer iſt bier eine Vergleichung zuläffig; wie denn Übers
haupt der Statiftiler fortwährend die Augen nad allen
Seiten hin offen haben follte — feider nur zu felten auch
wirklich bat —, um alle befondern, auf die von ihm be:
trachtete Erſcheinung influicenden Umftände in Anſchlag
zu bringen. Kine Tabelle über die Bevölkerung der euros
pälfhen Staaten im J. 1840, wobei jedoch die deutſchen
Staaten zuſammengerechnet ſind, zeigt uns die groͤßte Dich⸗
tigkeit der Bevölkerung in den Niederlanden (6,158), bie
geringfte in Schweden (293). Hier rührt die geringe
Dichtigkeit aus Elimatifhen, in Servien (724) rührt fie
aus gefchichtlich = politifhen Urfachen ber.
(Die Bortfegung folgt.)
ar >
Ein neuer Roman von Gapitain Marryat.
Percival Keene. By Captain Marryat. Drei Bände. Bons
bon 1812.
über dieſen neueften Roman Marryat's äußert fi die „LI-
terary Gazette” folgendermaßen : „„Percival Keene‘, vom Vers
faffer des ‚Peter Simple‘, verräth die Abficht eines Gegenfages,
und ber Verfaſſer von „Ialob Faithful‘ hat ihn redlich durchs
geführt. Die Familie des Delden und fein Eintritt ins Leben
werden mit fprudeinderfi fatiriihen Humor gefchildert. Schon
die erſten Seiten find voll Leben und Gift. Dabei fieht Allıe
aus wie Wahrheit und Wirklichkeit. As Percival zur See
geht, marlirt fi in feinen Gabettenftreichen das Talent und
bie Erfahrung eines Mannes, der das Ding Eennt und im
Stande ift, e8 auszumalen. Später werden feine Abenteuer noch
intereffanter und die Erzählung bleibt durchaus friſch und Erdfs
tig. Nirgend ermattet fie und erlaubt dem Lefer nicht, im
gortgange ber Geſchichte ſich zu langweilen. - Bom Anfang bis
nde bietet das Buch eine leichte, unterhaltende Lecture, unb
obwol bereit# ein populaires Lüftchen den literarifchen Feberftug
des tapfern Gapitains bewegt, wird es bemfelben doch eine hers
vorragende Feder beifügen.”
Die „Literary Gazette” genießt auch in Deutfchland Ans
fehen und wirb bisweilen fogar ohne Angabe vertrauensvoll aus⸗
gefchrieben. Das erftere verdient fie und letteres läßt fie ſich
gefallen. Aber ihr Urtheil über „Percival Keene‘ Elingt im
Ganzen ebenfo gezwungen wie bie Gleichnißrede am Schluſſe,
und wer die Beziehung des Herausgebers zum „tapfern Gapis
tain’’ kennt, braucht nicht juft cin boshafter Menſch zu fein, um
in bem geipendeten Lobe die Babe der widerfpenftigen Minerva
zu erbliden. Aber wir find allzumal Sünder und ermangeln
des Ruhms und am Ende ift es kein fo gar ſtrafwuͤrdiges Vers
brechen, das Buch eines Freundes, bem wir außer Ruͤckſichten
auch Verbindlichkeiten ſchulden, in einer Weife zu loben, die ben
£efer Leicht merken läßt, daß es nicht gem gebeten if. Das
mit foll über „„Percival Keene” nicht von vornherein der Stab
gebrochen fein. Keineswege. Zuvoͤrderſt liefert dieſe Seenovelle
ben Beweis, daß, obſchon mit Seeromanen, wenn auch nice
das Meer, doch ein Fluß gedämmt werden kann, ein folder im⸗
er noch einen BVerleger findet. Zweitens bemeift fie, daß,
wenn fi Roman keinen andern Reiz beſitzt als bie barin er⸗
zählten Abenteuer, felbft ein Marriyat nicht vermeiden Tann,
mutatis mutandis fich zu wiederholen. Ich will jedoch nicht
weiter numeriren. Daß die Gefahr ber Wiederholung bei einem
Roman, der im Käficht eines Schiffes ſpielt, groͤßer ſein muß
als bei einem, der eine Weltſtadt, ein Paris oder London, zum
Schauplat bat, begreift fih leicht. Was kann denn einem ſee⸗
fahrenden Manne Wichtiges begegnen? Gin Schiffbruch⸗ eine
Jeuersbrunſt/ eine Schlacht; es gibt kaum ein Viertes oder
Fuͤnftes. Allerdings laſſen dieſe Dauptaccidents ſich auf das
verſchiedenartigſte eins und ausführen und bieten Gelegenheit,
die verfchiedenartigften Sharaltere abzuconterfelen. Aber ein
Roman, in weichem das gefchieht, befigt dann audy andere Reize
als die darin erzählten Begebenheiten und gehört eo ipso in
eine andere Kategorie als Marryat 6 „Percival Keene”. In
„percival Keene paſſirt nicht viei Neues, oder richtiger, wer
Marryat's frühere Seenovellen geleſen hat, braucht „Percival
ſſen, was darin vorgeht. So⸗
unter andern Namen. Per⸗
reſpectabeln Seehelden.
Keene”' nicht zu leſen, um zu wi
gar bie Perfonen kennt ex bereite
aval ſteht in Reih und Glied mit allen
Bob Groß ſputt in allen Seenovellen. In diefen ſtolzirt ein
Tommy Dott auf dem Halbverdeck jedes inienfchiffe, und felbft
Gapitain Delmar, bie erfte Violine im Ordefter, geigt laͤngſt
gehörte Melodien. n
Deffenungeachtit bin ich weit entfernt, „Percival Keene“ —
Überfegungen werben fon kommen — nit eben zu em:
pfehlen, der nad einem Seeroman luͤſtern iſt, weil er noch
feinen geleſen hat. Die Erzaͤhlung ſchreitet raſch fort, die
Charaktere ſchaͤlen ſich zum Theil ganz geſchickt aus, der
Dialog tft lebendig, die Leute zeben, wie ihnen ber Schnabel ges
wachſen ift, und Marryat bat ihnen diefen Schnabel etwas wer
niger als ihren Vorgängern ins Gemeine wachſen laſſen. Das
Befte, was gelchieht, geſchieht zur See und die Skizze des ‚auf:
gerollten Gemaͤldes zeigt einen Zufammenftoß mit dem Beine,
die Verfolgung des flichenden und tühnes Entweichen vor der
Abermacht. Hier ift Gapitain Marrpat zu Baufe und tout à
son aise, in fhönfter gloire. Man fieht den Enthuſiasmus ber
Matrofen, fieht die Offiziere in ehrerbietigem Geborfame die ere
haltenen Befehle vollſtrecken und fieht dem Sapitain in ‚feiner
Seldſtbeherrſchung, im vollem Gefühle feiner Verantwortlichkeit,
in feinem anſpruchsloſen Heroismus. Rachdem man das geſe⸗
hen, ſollte Marryat Ginen weiter nichts ſehen laſſen. Je⸗
der Verſuch im Pittoresken mislingt ihm. Ein Landſchafts⸗
maler iſt er nicht, weder zu Waſſer noch zu Lande. Eine
regatte, eine Brigantine, einen Kutter malt er vortrefflich.
ber daruͤber iſt kein Himmel, daneben fein ufer, daruntır fein
Maffer. Cine Action reißt uns fort. Aber die Acteure tom:
men felten zum Vorſchein und noch feltener können wit uns
ein Bild machen von ihrer aͤußern Erſcheinung, von ihren Ge⸗
ſichtern, ihrer Kleidung, ihrer Haltung. Das iſt inſofern
ſchiimm, als von unſern neuen Bekannten uns kein deutliches
@rinnerungszeichen bleibt. Ohne Einzelnheiten wurzelt kein
Ganzes im Gedaͤchtniſſe. Woran uͤbrigens Marryat's Novellen
nicht allein krank liegen, „Dercivat Keene“ aber ſchwer leidet,
das iſt gegen den Schtuß hin — ob es biege ober breche — das
' Haftige, unceremonieufe Aufräumen von Begebenheiten und Per-
fonen. Es war durchaus keine Rothwendigkeit vorhanden, den
Capitain Delmar tobtzufchlagen, und Dberft Delmar muß eis
gentlich auch nur ein Böfewidht fein, weil die Erzählung einen
Schluß haben will. Denno ift der Schluß als folder gut.
Bon der Helbin als folcher laͤßt fi das ſchwerlich fagen. Ex
laͤßt fi überhaupt von ihr wenig mehr ſagen, als daß ſie
fi) außerordentlich rar madıt. Bei ihrem erften Auftreten ges
winnt fie die Bunft des Leſers und er erwartet etwas von ihr.
Sie mag auch eine ganz buͤbſche, angenehme und freundliche
Perſon fein. Nur befommt man davon nichts zu ſehen, fondern
muß es errathen, und beim Anlauf, den Marryat nimmt, ihre
Derantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. —
erſonlichkeit zu ſchitdern, üͤberſchlaͤgt er fi. Schön nennt er
fie, das ift wahr. Aber er rechnet auf bie Courtoiſie des Leſers,
ihm zu glauben, denn daß Percival ſich in fie verliebt, beweift
nichts. Percival hätte ſich auch in eine Haͤßliche verliebt. ins
deffen ift der Verf. zu loben, daß er ſich mit dergleichen Schil⸗
derungen nicht befaßt. Er verſteht ſich darauf ebenſo wenig
wie auf das Entziffern weiblicher Gefuͤhle und das Srgruͤnden
weicher Empfindungen. Und daher iſt es ein lobenswerther Takt,
es fo flüchtig als möglich zu verfuchen. Beine Stärke liegt im
Grfinnen einer ſchnurgeraden Geſchichte, worin es Ichhaft zus
geht, bie Menfchen um ein Haar breit verloren wären und das
Glül mit. Windesfchnelle umfegt. Zwiſchendurch bewährt er
ſich a‘8 gewandter Beichner derber, nachhaltiger Gefuͤhle, eines
tüchtigen Putriotismus, ftrenger Pflichterfuͤlung und eiferner
Dieciplin. Daß er dabei den Mechanismus des Seemannste⸗
dens volltommen inne hat, ift nirgend beftritten worden. Dies
feg Leben ift feine Welt, folglidy eine enge. Was er von der
Außenwelt gefeben, bat er eben nur gefehen, nicht begriffen,
nicht fludirt. Und besbalb iſt meines Erachtens Marryat ein
einfeitiger Novelliſt. Aber fein „Percival Keene” wird über:
fest werden. 14.
————— — — — — — ———— —————
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Wir haden der trefflichen Zeitſchrift Für National:
Stonomie („Revue des économistea“) dereits zu wiederholten
Malen’erwähnt. Diefelbe erfreut ſich unter der Leitung ber erſten
Rationalötonomen Frankreichs eines guten Kortgangs. Einer der
thätigften Mitarbeiter ift Charite Dunoyer, Mitglied des Ins
ftituts, Die erften Hefte dieſer Zeitfchrift brachten einen treffs
lichen Auffag aus feiner Feder. Cr widerlegte in bdemfelben
die Einwendungen, die man gegen die Soncurreng, dieſe maͤch⸗
tige Triebfeder ber menſchlichen Thaͤtigkeit, erhoben hat. Ebenſo
beachtenswerth iſt fein Artikel „Sur les pretentions de notre
temps à l’esprit pratique‘ und feine „Nouvelle nomenclature
des arts qui agissent sur le monde materiel’’; ferner verbies
nen die Auffähe,, in denen Blanqui feine Reiſebeobachtungen in
der Zürkei niederlegt, hervorgehoben zu werben. L. Reybaub,
der fi durch feine „Etudes sur les röformateurs modernes’’
einen Namen gemacht hat, nahm anfangs einen lebhaften Ans
theil an ber „Revue des Sconomistes‘’, ſcheint fi aber von
dee Redaction mehr zurüdgezogen zu haben. Sein letter Aufs
fag enthielt mande gewagte Behauptung. Er ſprach fi im
demfelben gegen jede Subvention, jede Belohnung, jeden Bars
fhuß und ſelbſt gegen die Zuſicherung eines Mininums ber
Ginnahmen aus, durch die der Staat große Unternehmen
unterflüßt. Ganz vortrefflid ift ber Auffag von Hippol. Daf
farb: „Etat financier de l’Angleterre et sur les mesures pro-
posess par les wighs et les tories.’”
Unter dem Zitel „L’Herbier” (Herbarium) gibt Als
feed Leroux eine Sammlung anmuthiger Gedichte Heraus, die
in dee Form und Richtung an die wenig bekannten Horfien des
berühmten Botanikers Trinius erinnern. Der junge franzoͤſiſche
Dichter entnimmt naͤmlich ebenſo wie ber Freund Ehamiflo’s
feine Bilder der Pflanzenwelt, ohne jedoch in die Dürftigkelt
der fogenannten Blumenſprachen zu verfallen. Unter der
großen Menge von Poeſien, obſchon das große Publicum
ihnen eine fo geringe ÄAufmerkſamkeit ſchenkt, heben wir fonft
noch befonders eine Sammlung von Liedern hervor, zu denen
ſich ein jugendlicher Dichter Amand Gucrin durch bie großartige
Ratur ber Bretagne begeiftert dat. Sie führt den Zitel „La
Bretagne”. Ginige dieſer Porfien erinnern an die Dichtungen
von X. Brizeux, im Algemeinen aber gelingen bdiefem jugends
lichen Dichter die Schilderungen wilberer
Naturpartien, wäh,
rend der Verf. der „Marie ſich mehr in einer idylliſchen Ruhe |
gefällt. 2.
Drud und Verlag von E. A. Broddeuß in Eeipaig.
|
Blätter
für
lite rariſche Unterhaltung.
9. Jannar 1843.
Über Bevölkerungskunde.
(Bertfegung aus Rr. 5.)
Der Verf. kommt nun auf die Serualverhättniffe. Eine
moͤglichſt volkommene Gleichzaͤhligkeit beider Geſchlechter
pifde die zutraͤglichſte Zuſammenſetzung der Bevoͤlkerung und
ſcheine auch die Tendenz dee Naturgeſetze zu fein, da zwar
überall mehe Knaben als Mädchen geboren würden, aber
auch allerwärts die Knaben und namentlich im erften Le⸗
bendalter etwas ſchneller abftürben. (Ob letzteres wirklich
oflerwärtd der Fall iſt und nicht blos in den heutigen eus
ropäifchen Zuftänden?) Nichtsdeſtoweniger ergeben bie
Volks zaͤhlungen nur felten ein ſolches Gleichgewicht beider
Geſchiechter. Faſt aus allen gebt eine merkliche Überzahl
der weiblichen Individuen hervor und nur zuweilen findet
fi die entgegengefeßte Erſcheinung. Aus ben darüber bei:
gebrachten Angaben heben wir aus, daß in Europa nur
in Hanover die maͤnnliche Bevölkerung die weibliche Über:
wies. Hier fommen naͤmlich auf 1000 männlihe In⸗
dividuen nur 957 weibliche; in allen andern Staaten {fl
das weibliche Geſchlecht zahlreicher als das männlidhe, am
fürfften in Böhmen, mo auf 1000 Männer 1102 Weis
kr tommen. In den Bereinigten Staaten von Nords
wwike und bei der weißen Bevölkerung einiger anderer
emeitanifchen Ränder dagegen ift das maͤnnliche Geſchlecht
jam Iheil beträchtlich Überwiegend. Freilich find die An:
sehn nicht überall zuverläffig, wie e6 denn in dem ans
führten Beifpiel von Böhmen dem Berf. ungewiß blieb,
& das Militaie mit in Anfchlag gebracht war, oder nicht.
Aus der zweiten Schrift erfehen wir aber, daß 1837 das
Verhaͤltniß der männlichen zur weiblichen Bevoͤlkerung, mit
Einſchluß des Militairs, mie 1000: 1100 fland und feit
1834 der männtichen Bevölkerung auf 1000 14, ber weib:
ühen 18 zugewachlen war. Kine Auslaffung in ben
Zählungen dürfte übrigens in der Regel eher das weib:
Ihe als das männliche Gefchlecht treffen. Bemerkens⸗
weh iſt es auch, daß in den großen Städten Europas
das weibliche Geſchlecht noch entichiedener im Vortheil if,
am mem in Rotterdam (1241 Weiber: 1000 Männer);
wovon mir Petersburg (528 Weiber : 1000 Männer),
Moskau (644 Weider : 1000 Männer) und Rom (891
Veiber: 1000 Männer) auffallende Ausnahmen machen.
In Warſchau dagegen ſteht das Verhaͤltniß ganz anders
ds in den ruffifchen Hauptflädten (1139 Weiber : 1000
Männer). Das männliche Geſchlecht ift mehr von dus
fern, willtürlichen, den Einrichtungen und Stiebungen dee
Menſchen entflammenden Umftänden abhängig, während
das weibliche den Naturgefegen treuer unterthan bleibt.
Der Berf. beleuchtet das Verhaͤltniß aber auch, wie nös
thig, nach den einzelnen Lebensftufen. Werden mehr Kna⸗
ben geboren und ſitirbt der Überfchuß nicht fofort, fondern
innerhalb einer gewiffen Zahl von Sahren erft ab, fo
muß die Gefammtzahl der lebenden Knaben bis ins Alter
der Ausgleihung nothwendig etwas größer fein. Und
nimmt man an, die Natur beabfihhtige nicht nur völlige
Gteichzähligkeit in den Pubertätsjahren, fondern in ber
Totalität, fo folgt daraus, daß umgekehrt im höhern Alter
das meibliche Geſchlecht etwas zahlreicher fei und daher
aud) fpäter noch die Eterblichleit des männlichen, wenn
au um fehr weniges, größer fein müffe. Dagegen wenn
ein Misverhältniß befteht und 3. B. die männliche Bes
völferung bedeutend überwiegt, fo muß doch eben unter
ihrer größern Zahl auch in den höhern Lebensjahren die
Sterblichkeit größer fein und dadurd das Gleichgewicht
bergeftellt werden, fodap man keineswegs berechtigt if, aus
dem bermaligen Nachruͤcken der männtichen Population auf
ein baldiges Voreilen derfelben oder eine Überflügelung der
männlichen zu fchließen. Entgegenftehende Anficyten wer⸗
den vom Verf. ſcharfſinnig befämpft.
Hierauf die Vertheilung nad den Alter&claflen, wo
der Verf. freilich nicht fehe zahleeihe Daten aufbringen
Eonnte. Er zeigt jedoch auch darin, daß die Lebensver⸗
bältniffe oft weit mehr, als man gewöhnlich annimmt,
differiren, und daß aud in dieſer Beziehung befonders
ftädtifche Bevoͤlkerungen eigenthümlich befchaffen find. Diefe
Abweichungen können von zweierlei Urfachen herrühren, von
einem namhaften Zu: oder Abflug von Individuen einer
befondern Altersclaſſe — und dies wirkt befonderd in
den Städten — und von einer verfchledenen Abſterbeord⸗
nung. Je ſchneller die Geburten abfterben, deſto weniger
zahlreich werden die höhern Glaffen fein und Daffelbe muß
fich ergeben, bleibt das Mortalität6gefeg unverändert, waͤh⸗
rend die Zahl der Geburten merflidy zunimmt. Hier vers
wirft nun der Verfaſſer die gewöhnlichen Berechnungen.
Wenn unter 1000 Berjtorbenen 8 im Alter von 20 —
21 Jahren find, fo urteilt man gewoͤhnlich, daß von
1000 Geburten 8 im zwanzigften Jahre ſterben und con⸗
ſtruirt darnach bie Abſterbeordnung. Allen es iſt Mar,
daß das nur dann richtig gerechnet iſt, wenn die Zahl
der jaͤhrlich Geborenen der Zahl der jaͤhrlich Sterbenden
gleich iſt. Dagegen waͤre es z. B. in dem Fall, wo auf
1000 Geſtorbene 1400 Geborene kommen, ganz falſch
berechnet. Es waͤre aber auch unrichtig, zu ſagen, von
1400 Geborenen ſtuͤrben 8 im einundzwanzigſten Jahre;
denn wenn 20 Jahre früher nur 1200 Geborene waren,
fo find auh nur auf 1200 Geborene 8 im einundzwan-
zigſten Jahre geftorben. In einer abgefhloffenen und ſta⸗
tionairen Bevölkerung muͤſſen naturgemäß die Altersclafien
von Jahr zu Fahr abnehmen , wenngleich nicht in einer
orbentlichen Peogreſſion, da die Mortalität in dm erſten
Jahren fchnell abnimmt und fpäter wieder ſteigt. Die
Berminderung wird aber noch bedeutender fein, wenn und
je vafcher die Zahl ber Geburten waͤchſt (vorausgeſetzt,
daß fi die Abſterbeordnung verlangfamt). Dies weiſt
ber Verf. auch an Beifpielen und namentlih an dem von
Belgien nad, was zugleich ergibt, wie fehr die Wirklich-
keit von der Berechnung. bifferirte und daß dieſe Berech⸗
nung die Gtaffen ven 1 — 30 Jahren zu Klein, die über
40 viel zu groß finden Tief. Noch macht der Verf. an
Diefer Stelle einige fehr begründete Andeutungen: daß man
bei Berechnung der Wehrkraft, der Statiftit der Selbft:
morde, der Schufftariftit nicht die abfolute Bevoͤlkerung
zum Grunde legen, fonbern die Lebensverhälmiffe beruͤck⸗
fihtigen fol. Er fagt in leßterer Hinſicht:
Betragen die Schullinder in A 0,12 und in B 0,10 der
Beoditerung, fo folgt daraus noch nicht, baß bie Jugend in A
allgemeinen Schulunterriht genieße. Denn machen bie fchuls
fähigen Kinder in A 0,16, in B 0,12 der Population aus, fo
erhellt, daß dort ein Viertel, bier nur ein Sechstel derfelben
ungeſchult find.
Ein anderes Moment iſt die Verthellung in eheftand>
tiher Beziehung. Der Verf. bebauert, daß die wenigften
Volksliſten, außer der Zahl der Verheiratheten und Nicht:
verbeiratheten beiderfei Geſchlechts, auch noch bie der Ver:
roitweten und Gefchiebenen, der noch nicht heirathsfaͤhigen,
der verheirntheten und unverhelratheten Meiber in gebaͤr⸗
fähigem Alter ermitteln laſſen. Bon befonderer Wichtig:
Leit ift das Verhaͤltniß ber ſtaͤdtiſchen Bevoͤlkerung zu der
laͤndlichen. Dan ift gemohnt und hat auch einen gemif:
fen Grund, in einer ſtarken ftädtifchen Bevoͤlkerung ein
günftiges Zeichen für die Cultur des Landes zu erbliden.
Indeß fhon der Verf. macht darauf aufmerkfam, daß hier
manche Trugſchluͤſſe möglich find, und wir möchten hinzu:
fügen, daß es auch bier eine Grenze gibt, über welche
hinaus ſich immer dunklere Schattenfeiten einftellen, daß
nicht alle Gründe mehr fortwirken, welche ehedem die Cul⸗
tur vornehmlich an die Stäbte bannten, daß die verbeſſer⸗
ten Gommunicationsmittel auch hierin eine neue Reaction
beginnen koͤnnen, und baß jedenfalls bei Würdigung des
ftädtifchen Weſens zwifchen großen, mittleren und Eleinen
Städten forglih zu unterfcheiden fein wird. Ferner find
bie Berfchiedenheiten in nationaler, heimatlicyer und kirch⸗
licher Beziehung zu beruͤckſichtigen. Ebenfo bie Beſtand⸗
theile der Bevoͤlkerung in gewerblicher Hinſicht; die Ber:
theilung in oͤkonomiſcher Beziehung, namentlich die Ar⸗
menzahl. Freilich eine der ſchwierigſten Aufgaben der Sta⸗
tiſtik. Auch eine Statiſtik des Wahnſinns (der Selbſt⸗
morde), der Taubſtummen und Blinden hat ihr Intereſſe,
und es iſt wuͤnſchenswerth, daß bei dem allen auch bie
Geſchlechter, die Lebensvechältniffe, die Gewerbs⸗ und Vers
mögensclaffen, die örtliche Vertheilung nach Stadt, Land,
befondern klimatiſchen Einflüffen ſorglich berüdfichtigt wer⸗
den. Überhaupt bedeuten ftatiftifhe Gefammtzahten fehr
häufig ebenfo wenig, wie die Theilzahlen, aus denen fie
ſich zufammenfegen, in den rechten Händen fehr viel bes
deuten tönnen.
In dem Abfhnitt von den numerifhen Verhaͤltniſſen
ber Gebotenen fpeicht der Verf., nachdem er zuvoͤrderſt
die Wichtigkeit diefer Unterfuhung ans Licht geftellt und
einige intereflante Nebenfragen, zu deren Löfung es zur
Zeit meift an Daten mangelt, angedeutet hat, zuvoͤrderſt
von Einrichtung dee Geburtsliſten. Es müflen alle lebens⸗
reif gewordene Kinder In befondere Rubriken, jenachdem
fie maͤnnlichen oder weiblichen Geſchlechts, lebend oder tobt,
ehelich oder unehelich, einzeln oder als Zwillinge zur Welt
gekommen find, an dem Drte ber Geburt und mit ges
nauer Vermerfung des Datums eingetragen werden. Dar⸗
auf von der Bahl der Beborenen und ihrem Verhaͤltniß
zur Geſammtbevoͤlkerung. In ganz Europa rechnet man
auf 28 Seelen einen Geborenen, werden gegenwärtig in
einem Jahre geboren nahe an 9 Millionen, alfo per Tag
24,600 und per Stunde 1025. Bei der Unterfuchung
des Beburtenverhältniffes find namentlich drei Punkte zu
erforfchen: die localen Abweichungen deffelben, die tempo=
rairen Schwankungen und die wahrſcheinlichen Urfachen
diefer Deränderungen. Der wahrſcheinliche Einfluß des
Klimas und der Stämme muß in der Regel durch andere
wirkfamere Urſachen neutralifirt werden. Nirgend aber fin=
det fich die Fruchtbarkeit auch nur annähernd fo groß, als
fie der phyſiſchen Natur nach fein follte.
Da jedes Weib zwiſchen 18 und 45 Jahren füglih alle zwei
Jahre ein Kind zur Welt bringen Tann und die Weiber diefes.
Alters meift ein Fünftel oder über ein Sechstel der ganzen Bevolke⸗
zung ausmachen, fo follte auf 12 oder gar auf 10 Einwohner
eine Gebunt kommen. Auch in den fruchtbarften Ländern if
aber die Ftuchtbarkeit kaum Halb fo groß. Sie muß demnach
weit weniger von ber natürlichen Propagationsfähigkeit eines
Volke, ald von vorhandenen Umftänden, welche bie Ausübung
jenes Vermögens hemmen oder befchränten, abhängen, und na=
mentlich alfo von allen, welche das frühe Heirathen hindern,
oder auf Enthaltſamkeit in der Ehe hinwirken.
Ein wichtiger Sag gegen die Theorie von einer na=
türlihen Tendenz zur Übervoͤlkerung. Won weſentlichem
Einfluffe iſt Hier die Mortalität und namentlich die der
Kinder. Je raſcher die Kinder weafterben, deſto mehr wer⸗
den erzeugt, je vafcher die Erwachfenen, defto mehr wird
geheirathet. Auch ein ftetiger Abflug von Einwohnern
mag das Geburtenverhältnig fleigern. Mit zunehmendem
Wohlſtand, leichterm Lebensunterhalt vermehrt ſich die Mes
production; doch wirken bei größerm Wohlſtande auch wie:
ber die vermehrten Bedürfniffe und die verminderte Mor:
talität der Kinder retardirend ein. Aus einer Unterfus
hung über die Fahreszeiten und Monate der Geburten
ergibt fih, daß auf die ſechs Wintermonate weit mehr
86
Geburten kommen als auf die Sommermonate; daß das
Maximum auf den Februar (den März), dad Minimum
auf den Juli (und Juni) füllt, für die Empfängniffe alfo
das Maximum auf den Mai, das Minimum auf ben
Detober; daß das monatliche Maximum das Minimum
um etwa übertrifft; daß auf dem Lande die Ungleich:
beit noch flärker ift als in den Städten. Die Tag» und
Nachrgeburten verhalten fi nahe wie 4:5. Hinſichtlich
der Zodtgeborenen fcheint aus den vorhandenen Daten mit
Zuverlaͤſſigkeit hervorzugehen, daß das Verhaͤltniß insgemein
zwiſchen vier und fuͤnf Procent betraͤgt, ſich aber nach ein⸗
jenen Ortlichkeiten ſtark vermehrt und vermindert; ferner
daß unter Unehelichgeborenen weit mehr, wenigftens bie
Hälfte mehr, oft das Doppelte, Todtgeborene vorkommen.
Auch deshalb finden ſich in großen Staͤdten mehr Todt⸗
geborene. Im Sommer follen Zodtgeborene etwas felte:
ner fein. Merkwürdig iſt die geringe Proportion bei den
Soden. Die Knaben bilden bei den Zodtgeborenen eine
auffallend große Mehrzahl; in Preußen, wo das Verhaͤlt⸗
niß der männlichen zu den weiblichen Geburten wie 105,9
:100 ſteht, ſteht e8 bei den Todtgeborenen wie 135,0 :
100. Dffenbar hängt dies mit bdenfelben Urfachen zu:
fammen, die überhaupt die größere Sterblichkeit des maͤnn⸗
lichen Geſchlechts noch fange nad der Geburt bedingen.
Hinſichtlich der Unehelichgeborenen ergibt fih, daß fie in
gewiſſen Ländern weit häufiger vorfommen ats in andern,
in Städten mehr ald auf dem Lande und feit 40 — 50
Jahren in vielen Laͤndern bedeutend zugenommen haben;
doß ſich aber bie oͤrtlichen Verſchiedenheiten gar nicht auf
allgemeine Urſachen zurüdführen Lafien und biefelben gar
nicht für oder wider die Moralität eines Volks, auch nur
in Beziehung auf den geſchlechtlichen Umgang zeugen, da
befonders die Nichtentftiehung ſolcher Geburten noch keines:
wege für größere Enthaltfamkeit buͤrgt. Mit Recht wuͤnſcht
der Verf., daß bei Angaben über dieſes Verhaͤltniß ermits
tt werde: wie viele Kinder von Witwen geboren werden,
Ve keinen Vater angeben können, mie viele vom Vater an:
erlamt werden, tie viele aus fogenannten natürlichen Ehen
und Soncubinaten hervorgehen, wie viele durch nachfols
gende Ehe legifimirt werden; Alter und Stand der Mutter;
ob es ihre erfied amehelihes Kind iſt u. f. f.; wie fich das
Berhältniß zur unverheiratheten Bevölkerung des gebär:
fähigen Alters ſtellt. Hinfichtlic der Mehrlingsgeburten
kann als das gemöhnliche Verhältnig in Deutfchland das
von 1 : 84 betrachtet werden. Db fie ein Zeichen größes
vs Reprobuctionskraft find, bleibt zweifelhaft, da fie fich
keineswegs in allen den Jahren häufiger zeigen, wo bie
Sehurten fehr zahlreih waren. Auch meiß man noch
nicht, ob fie in ärmern oder wohlhabenden Glaffen, bei
ehelihen ober unebelihen Geburten häufiger find. Hin⸗
fichtiich der Gefchlechtöverhältnifie machen die gemifchten
Paare nur etwa ein Drittel aus und bei den übrigen
prävaliren die weiblihen. Unter Zwillingsgeburten find
frühzeitige faft dreimat häufiger als unter einfachen, und
faft ein Drittel werden todtgeboren; auch ift ihre Sterb:
lichkeit im erfien Jahre weit größer; ob auch fpäter, iſt
noch nicht ermittelt. Ausführliche Unterfuchungen ſtellt
der Verf. uͤber die Gruͤnde des Übergemichts der männ:
lihen Geburten und die darauf Einfluß habenden Um⸗
flände an, ohne jedoch, fon aus Mangel an austei:
enden Daten, zu einem ihm felbft genügenden Refultate
zu kommen. Merkwürbig find bier und zugleich die Bes
rechnung erfchmwerend die großen periodifchen Schwankun⸗
gen. Ob die Behauptung gegründet ift, daß jenes Über
gewicht in den Gegenden am größten fei, wo in Folge
ſchwerer Arbeiten die Muskelkraft vorherrſcht, ift noch nicht
gewiß; ebenfo wenig weiß man, ob es mit ber größen
Fruchtbarkeit in fleigendem Verhaͤltniß zunimmt, wie es
ſich bei Exfigeborenen oder bei Legtgeborenen ftellt; wol
aber daß es bei ehelichgeborenen weit flärker ift als‘ bei
unehelichgeborenen.. Wichtig würde es fein, wenn ſich die
Berechnungen von Hofader und Sadler beftätigten, mo:
nach die weiblichen Geburten fogar zahlreicher find als bie
männlichen, fobald dee Mann gleichen Alter mit der
Frau oder jünger als fie ift, wogegen die männlichen Ge:
burten ganz beträchtlich zunchmen, je mehr der Mann bie
Frau an Jahren übertrifft. Doch find die Beobachtungen
beiweitem nicht zahlreich und ausgedehnt genug. (Sie dürfs
ten übrigens aud auf das Verhaͤltniß der Altersclaffen
zu richten fein, ob nämlich das Verhaͤltniß fih auch m
hoͤhern Lebensjahren beider Theile gleihbleibt.) In Städ:
ten fcheint die Überzahl der männlichen Geburten Eeiner
zu fein als auf dem Lande. Über den Einfluß der fons
fligen rtlichkeit fehlt e6 noch an Beobachtungen. Bel den
Juden ift jenes Übergewicht auffallend groß. Anhangsweife
befpricht der Verf. in diefem Abfchnitte noch Größe und
Gewicht des Menfhen in den verfhiedenen Lebensſtufen.
(Die Fortfegung folgt.)
Pasquier's Aufnahme in die Academie frangaise.
Wir haben vor einiger Zeit ber Aufnahme Pasquier’s in
die Acaddmie francaise beigewohnt. Diefe Feierlichkeit hatte
ein großes Publicum herbeigezogen, das neugierig war zu fehen,
mit welcher Stirn ein Mann, ber auch nicht einen einzigen Lie
terarifchen Zitel bat, fi mit Ghateaubriand, Lamartine, Nobirze
und wie bie großen Dichter und Profaiften alle beißen, auf eine
Bank fegen würde. Wan begreift kaum, wie bie Wahl der
Alabemie auf einen folden Mann, ber nie die Feder zu einer
literarifhen Arbeit angeſetzt bat, fallen Eonnte, befonders ba ein
Dichter wie ber Verf. vom „Cing-Mars”, von „Stello” ⁊c.
fih mit ihm zu gleicher Zeit um ben vacanten Pla& bewart.
Die Zagesblätter haben über biefe fonderbare Wahl, die im Gas
Ion ber Mad. Recamier abgelartet ift, ben bitterfien Spott reg⸗
nen loffen. Der „National” unter Anderm, der in feinen lites
rarifhen Artikeln ftets fehr pifant zu fein pflegt, erinnert bei
biefer Gelegenheit daran, daß ber große Cid, ats er ſich einft
in einer Geldverlegenheit befand, zu einem Geldwecheler ging,
ihm eine verſchloſſene Kifte einhändigte, bie, wie er fagte, mit
Juwelen gefüllt fei, und auf biefes Pfand eine bedeutende
Summe erhob. Kinige Zeit barauf zahlte er biefe Schuld ab.
Nachdem er dies gethan, öffnete er bie Kifte und zeigte, daß: fig,
ftatt mit Diamanten, blos mit Sand angefüllt fei. Der Kanze
lee Pasquier fol nun, wie ber „National behauptet, auf eine
ähnliche Art verfucht haben, wie groß fein Credit fei. Gr
führte naͤmlich bie Akademiker, bie feine Anfprüche auf eine
Stelle in ber Akademie in Zweifel zogen, in das Heiligthum
feines Schlafgemachs, holte eine große Kifte hervor und fagte:
„Ss ift wahr, daß ich nie als Schriftftellee aufgetreten bin
und daß ich fo vielleicht Feine Anwartſchaft auf einen Play in
der Academie francaise zu haben ſcheine. Aber beruhigen Gie
fih. Diefe Kifte enthält meine Denkwuͤrdigkeiten, die für die
Geſchichte unferer Zeit von unfhägbarem Werthe fein und bie
zugteich unwiderleglich darthun werden, daß in mir Stoff zu ei
nem großen Schriftfteller ift. Wählen Sie mid) immerhin, meine
Herren; die Werke, die nad) meinem Tode von mir erfcheinen
follen und bie in dieſer Eoftbaren Kifte enthalten find, werden
zeigen, daß ich würbig bin, im Kreife der 40 Unfterblichen zu
figen.” Wenn aber nun, fragt das wigige Journal, das dieſen
bizarren Vergleich zwiſchen dem würdigen Kanzler Pasquier
und dem Eid, ber ftets feinem Worte unverbrücdlich treu war,
anftellt, wenn aber nun die Kifte leer wäre? Pasquier hat
recht gut gefühlt, daß es ihm obliege, bie Wahl der Akademie
einigermaßen zu rechtfertigen. Er hat beshalb alle feine alten
Papiere zufammengefuht und eine Auswahl von den Heben,
die er in der Deputirten» und Pairskammer gehalten hat, her⸗
ausgegeben. Wir wollen der politilchen Werth diefer Reden,
von denen bereits vier Bände erfchienen find, nicht beftreiten, aber
wir £önnen dreift behaupten, daß ihre Form durchaus nicht clafs
fish ift. Auch feine Antritterede ift ſchwach. Man hatte von
einem Manne, ber in den Staatsgeſchaͤften ergraut iſt, erwar⸗
tet, daß er einige lichtvolle Blicke auf die Zeitgefchichte und auf
die Politik im Allgemeinen werfen und daß er namentlich bie
Epoche, von ber er in feiner Lobrede des Biſchofs von Hermio⸗
polis zu reden hatte, in einigen gluͤcklichen Strichen, zeichnen
würde. Aber dem war nicht fo. Er begnügt ſich, das Leben
des Hrn. v. Frayſſinous, das fo viel Stoff zu intereffanten Ber
trachtungen geboten hätte, ganz einfach zu erzählen, und noch
dazu in welder farblofen und dürftigen Sprache! Mignet, ber
die Rede Pasquier's zu beantworten batte, fand Fein leichtes
Spiel, wenn er in allem Ernfte beweifen wollte, daß Pasquier
der Akademie würdig ſei. Seine Rede ift ganz meifterhaft,
wenn man fie ale Yerfiflage betrachtetz indeffen wiffen wir
nicht, ob Mignet fie als folche angefehen wiffen will. „Sie ba»
ben fehr unrecht”, ſagt er zum Neuanfömmling, „wenn Gie
fih der Ehre, die Ihnen die Akademie ermeift, für unmürbig
halten. Ihre Beſcheidenheit laͤßt Ihnen Ihr eigenes Verdienſt
verkennen. Sie haben die gerechteften Anfprüce darauf, Mit:
glied diefer glänzenden Verſammiung zu fein; denn haben Sie
nicht Vorfahren gehabt, die ſich durch die Kraft und den Glanz
ihrer Berebtfamleit einen unvergängliden Ruhm erivorben ha»
ben. ie find ficher berechtigt, in der Akademie zu figen, beren
befondere Aufgabe es ift, die Reinheit der Sprache aufrecht zu
erhalten, benn haben Sie nicht unter drei Königen bie erften
Staatsämter bekleidet?” Hierauf lehrt er fi von der Jam⸗
mergeftatt Pasquier's ab und zeichnet mit Meifterhand das Bild
des Hrn. v. Frayffinous, gewiffermaßen um dem neuen Akade⸗
miler zu zeigen, wie man einen folchen Gegenftand behandeln
müffe. Während Pasquier fi in feiner Rede nur iin den Bei:
nen biographiſchen Details herumtreibt, ſtellt Mignet fi) auf
einen wahrhaft erhabenen Standpunkt und wirft über das weite
Feld ber Zeitgefhichte einen freien Bid. Vor mehren Jahren
fhon hat Armand Marraft einmat im „National“ in einem
glänzend gefchriebenen Aufſatze das Leben des ehrwürdigen Kanzlers
geſchildert; aber damals fehlte diefee Satire noch ein koͤſtlicher
Zug, denn Pasquier war noch nicht Akademiker. 6.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Reue Schriften über den Orient.
Die „Revue orientale” des Dr. Barrachin, von der wir
in d. Bl. zu wieberholten Malen geredet haben, ift nach kur⸗
zem Beſtehen wieber eingegangen. Wahrfcheinlich find bie Uns
terflügungen und Subventionen, auf die der Redacteur, der in
feinem Proceffe mit Reſchid-Paſcha etwas zu ſehr als Char:
latan aufgetreten ift, gezählt hatte, nicht regelmäßig eingelaus
fen. Denn die Theilnahme an ben Ereigniſſen des Orients ift
feldft gegenwärtig nody groß genug, um einer den morgenläns
bifchen Intereſſen gewibmeten Zeitſchrift, wenn fie mit Umficht
geleitet wäre, ein längeres Beſtehen zu fihern. Aber Hr. Bars
rachin erging fi) gar gu fehr in allgemeinen Phraſen über bie
verfchiedenen Nationalitäten u. f. w., flatt uns aus dem Gchate
feiner Beobachtungen intereffante Mittheilungen gu machen.
Geltdem find uns über die orientalifchen Werhältniffe in vers
fhiedenen Werken mancherlei Belehrungen geboten. Bon Dem,
was über die verſchiedenen jungen Nationalitäten, die, wie
Lamartine fagt, aus dem Gchutte des zufammenbrechenden türs
kiſchen Reiche hervorwuchern, gefagt iſt, dürften leicht die Mits
theilungen von Gyprien Robert das Beſte fein. Der Verf.
dieſer Auffäge, die in der „„Revuc des deux mondes“ erfchies
nen find, Eennt die Levante und namentlich die nördlich von
Griechenland gelegenen Partien der Türkei aus eigener Ans
fhauung. Auch die Reifeffiggen von Thouvenel, der durch eine
Reife in Ungarn befannt ift, und die von Buchon, einem ber
thätigften Herausgeber des ‚‚Pantheon litteraire‘, die beide
Griechenland betreffen und beide von der „Revue de Paris‘
mitgetheilt find, enthalten manche intereffante Schilderungen.
Roch wichtiger, befonders für die Kenntniß der neuern (Sreigs
niffe im Orient, ift die Schrift: „Deux anndes de l’histoire
d’Orient”, von M. be Eadalvene und Barrault. Beide Verf.
dieſes inhaltreichen Werks find mit den orientalifchen Verhaͤli⸗
nifjen innig vertraut. Hr. Barrault bat den Drient bereift und
Hr. de Gabalvene Hält fi als Director der Paketboote der
franzoͤſiſchen Regierung bereits feit mehren Jahren zu Konſtan⸗
tinopel auf. Er ſteht bafelbft in einem hoben Anfeben und ſoll
fogar an mehren ber Verhandlungen, welche die Pforte mit
Agypten gepflogen hat, Theil genommen haben. Schon früher
hat Hr. Cadalvene in Gemeinichaft mit Bra. Barrault eine
Gerichte des erſten Krieges zwiſchen Ägypten und der Türkel
(1832 und 1833) herausgegeben und außerdem kat Grfterer
nody mit einem gemwiffen M. de Breuvery ein intereflantes Werk
unter bem ‘Titel „L’Egypte et la Turyuie” erfcheinen Laffen,
in dem fich ſehr intereffante Mittheilungen über diefe beiden
Länder finden. Den Inhalt des neuen Werkes, beflen Titel
wir oben angeführt haben, bilbet eine Gefchichte des Krieges,
der im Jahre 1839 zwiſchen dem Gulten Mahmub und Mebes
med All ausbrach, bis zum Abfchluß des Julivertrags.
Le portefeuille du comte de Forbin.
Der Redacteur ber Zeitfchrift „La France litteraire‘
bat fi durch Veröffentlihung wichtiger Werke der Malerei um
die Kunft ein bedeutendes Werbienft erworben. Wir haben von
ihm verfchlebene, mehr ober weniger umfaffende Sammlungen
von Kupferſtichen. Er beſchenkt gegenwaͤrtig die Kunſtliebhaber
mit einer neuen Gabe. Es iſt dies eine größere Sammlung
höchft intereffanter Zeichnungen, die den Zitel „Le portefeuille
du comte de Forbin’” führt und von der bereits bie erften
gieferungen erfcdienen find. Der Graf Korbin war Director
der großen Sammlungen bes Louvre und einer der geiſtreichſten
Kunfttenner der neuern Zeit. Gr hatte den größten Theil
Europas, namentiih Spanien und Stalien und die Levante
fetber bereift. Einen Theil feiner Wanderungen bat er in vers
f&hiedenen Werken (3. 8. „Souvenirs de la Bicile‘, von denen
eine neue Ausgabe vorbereitet wird) auf eine anziehende Art
beichrieben. Überall, wo er gereift war, hatte er ſeibſt Zeich⸗
nungen entworfen und was nur an Bildern und andern Kunfts
fhägen zu finden war, aufgefauft. Aus der reichen Samme
lung nun, die er nad) feinem Zcde binterlaffen hat, wich Br.
Shallamel eine Auswahl treffen, von ber man ſich bei bem Ger
ſchmacke dieſes Gelehrten und Kuͤnſtlers viel verfprechen kann.
Der Schwiegerfohn des Grafen Forbin, Hr. von Marcellus,
Verf. eines ausführlich in d. Bl. befprochenen Reiſewerks über
den Orient („Souvenirs de l’Orient”, 2 Bde.) und befonders
befannt dadurch, daß er die berühmte Venus von Milo dem
parifer Louvre gewonnen bat, wird bie Seichnungen mit einens
erläuternbem Texte begleiten.
Berantwortlier Deraubgeber: Heinzig Brodhaus. — Drad und Werlag von B. X. Brodhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienitag,
10. Sanuar 1843.
Über Bevölkerungskunde.
( Bortfegung aus Nr. 9.)
Ein dritter Dauptabfchnitt betrifft die Statiftit der
Chem. Zuerſt das Verhaͤltniß der DVerheiratheten zu den
Unverheitatheten. Jede Volkszählung folte nicht nur er⸗
geben, wie viele Individuen von jedem Geſchlecht verhei⸗
rathet und nicht verheicathet (verroitwet, gefchieden) find,
fondern auch welcher Altersclaffe fie angehören. Unfkreitig
ift nicht ſowol das Verhältniß zur Population, ald dus
zu den Erwachſenen in Betracht zu ziehen. Die Ungleich⸗
heit der Trauungen in verfchiedenen Jahreszeiten hat meift
conventionnelle Urfahen; weſentlichere liegen natürlich den
Schwankungen in den Jahrgaͤngen zum Grunde.
Die Ehen find frequenter, wo man jünger und allgemeiner
beirathet: weit mehr Individuen erreichen das vierunbzwanzigfte
als das fechsunddreißigfte Jahr und jüngere find weniger bes
daͤchtlich. Sehr verfchiedene und erfreuliche wie unerfreuliche
Urſachen bedingen aber das frühere Heirathen. Man heirathet
jüuger und häufiger, wo der Erwerb leichter und ficherer ift,
wo die Bebürfniffe geringer und mwohlfeiler, wo die Sitten eins
facher find — wo alfo wenfger Luxus herrſcht —, wo man fi
mehr vor Erzeugung unehelicher Kinder fcheut, und eben fo aber,
wo man forglofee und um die Zukunft unbelümmerter Tebt,
wo das Volk keinerlei höhere Bedürfniſſe kennt. Fabrikarbeiter
heirathen gewoͤhnlich früher — weil bei dem neuern Fabrik⸗
ſoſtem viele Arbeiter ſehr bald den höchſten Grad der Brauch⸗
barkeit, alfo den hoͤchſten Lohn erlangen und dieſer ziemlich fir
erſcheint —, weil ber Arbeiter, um zu erwerben, durchaus kein
Capital bedarf, alfo deshalb nicht erſt Grfparnifie zu machen
braudgt, weil ferner bie Kinder ſchon fehr früh etwas verdienen
können und bas Kabrikieben die Pubertät oft früher entwidelt
zn a. m. Im Handelsſtande heirathet man fpäter, weil der
Erwerb Iange fehr unſicher und veränderlich if und ein ans
ſehaliches Gapital voraudfett. Wo die Lanbleute Grundeigen⸗
thümer fein wollen, werden fie fpäter und feltener (?) heira⸗
tigen, als mo fie größtentheils Pächter oder gar nur Zagelöhs
ner find. Die Leibelgenihaft befördert wahrfcheintih frühes
Hcirathen, ſowie orientalifcher Despotismus — denn bie Vor:
Wr faut weg, wo man fein Gigenthum erwerben kann, oder
dafeibe ſtets ungefichert iſt.
Mon fieht, auch in dieſen einzelnen Beifpielen beftd-
tigt der Berf. den allgemeinen Say: daß die Menſchen
mit dem Heirathen warten, überhaupt wirthſchaftlich vor»
fichtig - nd, fobald fie ein Ziel vor fich fehen, durch deſſen
Erreigung fie ihre Lage weſentlich verbeffern zu koͤnnen
hoffen, während fie zur Heirath eilen "und alte Vorſicht
aufgeben, wenn fie von der Vorſicht hoͤchſtens fo viel era
warten können, daß es Ihnen nicht fchlechter geht als fett,
und audy das nicht ficher verbürgt fehen.
Mit der Civiliſation vermindern fi gewöhnlich die Ehen,
weit mehr als die Erwerbmittel unfere Bedürfniffe zunehmen.
Aus demfelben Grunde ift die relative Zahl der Ehen in vielen
Gegenden im Laufe des vorigen Jahrhunderts Heiner geworben.
Umgekehrt mag hier und da die Verbreitung bes Kartoffelbaus
gewirkt haben, indem er die unterften Glaffen in ben Stand
fegt, noch armfeliger zu feben. Unter fonft gleichen Umftänben
wird fie ferner Heiner, je größer die Dichtigkeit der Bevdlke⸗
tung if, weil bann befonders der Erwerb von Grundeigenthum
immer ſchwieriger wirb. .
Einige, wenn auch directe Hinderniffe, wie das kirchliche
Colibot und die Gonfeription, fcheinen auf die Bahl der Ehen
body wenig Ginfluß zu haben. Indem bie einen zu heirathen
gehindert find, find andere dadurch begänftigt. Anders wi
Geſede, die überhaupt die Vollziehung einer Ehe erſchweren.
Diefe vermindern die Zahl der Shen und vermehren die ber
unehelichen Kinder.
Der Verf. zeigt an Beiſpielen, wie und warum die
Zahl der Trauungen, in Folge aͤußerer Ereigniſſe, in ein⸗
zelnen Jahren fo betraͤchtlich abwcicht. Bei einer groͤßern
Mortalitaͤt ergibt ſich zugleich eine groͤßere Frequenz der
Trauungen und umgekehrt. Zur Berechnung der mittlern
Dauer der Ehen wuͤnſcht der Verf., daß in allen Sterbe⸗
regiſtern, ſo oft eine Ehe durch den Tod zerriſſen wird,
die Dauer derſelben ſorgfaͤltig eingetragen und daſſelbe hin⸗
ſichtlich geſchiedener Ehen irgendwo verzeichnet werde. Das
gewoͤhnliche Verfahren der Berechnung dieſes Verhaͤltniſſes
verwirft er aus guten Gruͤnden. Ferner wuͤnſcht er, daß
uns die Eheliſten Auffhluß gaͤben, wie viele zum erſten
Male Heitathende find, daß fie fpecificieten, wie viele Hei⸗
rathen zroifchen beid- ober einfeitig Xedigen oder Verwitwe⸗
ten (und Befchiedenen) gefchloffen merden. Aus dem zeit⸗
berigen Daten erfieht man jedoch fchon, daß anderwaͤrts
beträchtlih mehr Weiber als Männer zur Ehe gelangen
und daß auch, was die Protogamen betrifft, auf zehn les
dige Männer etwa elf Jungfrauen heirathen. Wuͤnſchens⸗
werth ift in unfern Zuſtaͤnden (einige) Verfpätung ber
Ehen. Die vorhandenen Daten leiden aber an dem Man:
gel einer Trennung der Protogamen von den Wiederver⸗
heiratheten; ſowie es an allem Anhalt gebricht, die Heiras
thenden nicht blos nach ihrem abfoluten, fondern auch nach
ihrem relativen Alter zu claffificiren, woraus doch über eis
nen ber dunfelften Punkte ber Bevoͤlkerungslehre, nämlich
über den Einfluß des Aftersverhäfeniffes der Altern auf
0
dieſen Encbelbärtigen Betrüger abermals bundzubläuen! Domit
een fie, kehrien aber wieder zuräcdt und gaben ihm eine
zweite Tracht Prügel; er aber entfchläpfte in einen Teich und
während die Mädchen mit Steinen nad) ihm warfen, fiel ihm
glädlicherweife der ihm gefendete Brief ein, befien er ſogleich
erwähnte. Alfobald war die Scene verändert. Wenn bu Kurs
soglou bift, rief da die Prinzeffin, fo vergeihe mir, mein Kurs
zoglon! Wenn ich dich beieidigte, fo geſchah es, weit ich nicht
wußte, wer du warft; wenn ich dich ſchmaͤhte, fo ſteht es bir
frei, mie die Zunge auszufchneiden; wenn id) dich ſchlug, fo
erlaube ich dir, mir die Hand zu verſtümmeln; nur verzeihe
mir! u. f. w. Als er aus dem Waſſer kam, war ihm bie
Preinzeffin mit eigener Hand behülflich. Man brachte ihm einen
Mantel, der ihm ganz gut paßte; die Prinzeffin und Kurroglou
fdylangen Jeder den Arm um des Andern Raden und fo vers
eint gingen fie in ben Kioſk und tranten nad türlifdem Ges
brand ‚ ex zuerſt, dann fie, einen Schluck Wein aus demfels
ben Becher. Ratürlich ging die Prinzeffin mit dem Banditen
durch. Aber ein werthuolles Gut war für Kurroglou fein Roß,
Kyrat, an welches er begeifterte Oden richtete, die zu ben volks⸗
-shümtichften unter feinen Befängen gehören. Zuletzt ging Kurs
roglou an bes Königs von Perfien Hof, um fi ihm auszulie⸗
fern. Zwei Hofleute überrebeten ihn, mit ihnen die Nacht zus
zubringen ; da töbteten fie feln Pferd, und Kurroglou, der den
Verluft feines Lieblingsroſſes nicht überleben wollte, bot feinen
Nacken freiwillig den Streichen der Meuchelmoͤrder dar.
Mehre perfifche Sefänge ftammen aus dem Harem des letztver⸗
florbenen Königs, Jutteh Ali Schah; er war felbft Dichter, und
eine Sammlung feiner Ghafelen, unter feiner Leitung niederge⸗
ſchrieben, befindet fi im Britiſchen Mufeum. Einige derfelben find
grobfinnlicher Ratur. Die Geſaͤnge der Ghilanis, Mazendera⸗
nis und anderer Stämme an der Küfte des Kaſpiſchen Meeres
haben die @igenthümlichkeit, daß fie, wie die Pfalmen, in einer
Art parallelifirender Diftichen gefchrieben find. Chodzko hat
uns durch biefes Werd mit einer ganz neuen Literatur bekannt
gemacht; denn die andern Reiſenden nahmen an, daß bie Ge⸗
fänge der Barden (Auſchicks) aus Firduſi, Sadi und Rizami
genommen feien. Man bat den Wunfch geäußert, daß auch ber
Driginaltert diefer kaſpiſchen Dichtungen veröffentlicht werben
möge, indem man glaubt, daß die reine Zendſprache ſich in
diefen abgelegenen @chirgsgegenden unvermifchter erhalten habe
als in den Kladjländern,. die fo häufig eine Beute arabifcher,
mongolifcher und türkifcher Groberer geweſen find. 13,
Literarifche Notizen aus Frankreich.
Wir haben in unfern flüchtigen Notizen über die neuen
Erſcheinungen ber franzöfifchen Literatur zu wieberholten Malen
der Romane des talentvollen Pitre⸗Chevalier erwähnt.
Der größte Theil berfelben fpielt in ber Geburtsgegend des Verf.
und berfelbe iſt gewifleemaßen als ber Walter Scott ber Bre⸗
tagne zu betrachten. In jedem neuen Werke entwidelt ſich das
Talent des Romanbichters immer teäftiger und origineller und
fein neueflee Roman: „La chambre de la reine‘’, ift dem beften
-Sefcheinungen der Gegenwart auf diefem Gebiete an bie Seite
zu flellen. Ungeachtet der großen Productivität des Berf. find
feine Bilder doch ungleich fleißiger gearbeitet und forgfältiger
ausgeführt als der größte Theil der Merle ber übrigen neuern
franzöfiichen Romanſchreiber.
Bor kurzem iſt der Iepte Band der Borlefungen über Ras
turrecht von Jouffroy erfchienen („Cours de droit naturel pro-
fesse par Th. Jouffroy'‘), und wir fönnen nun ben Verlufl, den
Frankteich durch ben Tod dieſes jungen Philoſophen erlitten
hat, in feinem ganzen Umfange beurthellen. Unter ben vers
jchiedenen andern Rorlefungen, die im Drud erfcheinen, find
defonders die von Michei Chevalier über Nationalölonomie her⸗
vorzuheben, deren wir in biefen Blättern zu wiederholten Malen
t haben. Sie find eb
En da find ebenfo gebiegen in der Jorm wie im
Biblisgraphie.
Aleris, W:, Der falſche Woldemar. Roman. 3 Baͤnbe.
8, Berlin, Buch. d. Berliner Leſecabinets. 6 Thlr.
Andalufien. Spiegelbilder aus dem Suͤdſpaniſchen Leben.
Aus denTBriefen eines jungen Deutſchen. Serausgegeben von
W. Häring (8. Alerie). 8. Berlin, Buch. b. Bertiner
Refecabinets. 1 Thir. 15 Nor.
Anderfen’s, H. C., Bilderbuch ohne Bilder. Aus bem
DER apertragen von 8. M. Fouqué. 8. Berlin, Beſ⸗
er. gr.
Aue, &. von ber, Taſchenbuch der Liebe, Freundſchaft und
Defeligteit. 16. Anclam und Swinemünde, Diese. I Ihir.
er.
Die frech bebräute, jedoch wunderbar befreite Bibel, ober:
Der Triumph des Glaubens. Das ift: Schreckliche, jedoch
wahrbafte und erftedticye Historia von dem weiland Licentias
ten Bruno Bauer; wie felbiger vom Teufel verführet, vom reis
nen Glauben abgefallen, Dberteufet geworden unb endlich Eräfs
tiglich entfeget iſt. Chriſtliches Heibengebicht in vier Gefängen.
Gr. 12. Reumünfter bei Züri. Ao. 1842. 9Y, Nor.
Blumenfpiete. Vom Berfaffer des Werkes: Der Eelam
des Orients. Gr. 12, Berlin, Burmeilter. 1 Thlr. 10 Nor.
Brömel, %. T., Die freie Verfaſſung Rorwegens in ike
rer gefchichtiichen Entftchung und weitern Entwidelung, ihrem
Weſen und ihren Kolgen. Ifter heil. — Auch u. d. T.: Die
freie Verfaffung Norwegens in ihrer geſchichtlichen Entftehung,
nebft einteitender Vorgefchichte. Gr. 8. Bergen. 2 Thlr.
Dos Chegefep in feiner hiftorifhen mit ber Vernunft
übereinftimmenden Bedeutung. Gr. 8. Berlin, Birfchwatb.
Ta Nor.
Erwiederung auf „Prüfung des Durchſuchungsrechtes von
einem Amerikaner“, mit Bemerkungen über einige andere zwi⸗
fhen Großbritannien und den Vereinigten Staaten anhängigen
Streitfragen. Von einem Engländer. berfegt aus dem Eng⸗
lifchen. Gr. 8. Berlin, Jonas. 15 Nor.
Gedichte. 3 Abtheilungens Pſyche. Lieder - Träume unb
Zrümmer. Nachleſe. — Auch mit dem Umfchlag : Titel: Samm⸗
lung von Gedichten. Breit 12. Wismar, Schmidt u. v. Coſ⸗
ft. 1841, 42. 22%, Nor.
Heſekiel, G., Der Winternachtstraum. Kine Arabeöfe,
Gr. 16. Berlin, Scherk. 10 Rear.
Jahrbuch der deutſchen Univerfitäten von Heinr. Wuttke.
I. Winterhalbjahr 18*?/,,. 8. Leipzig, Weidmann. 25 Ngr.
Knappich, 3. M., Reben am Grabe. Mit siner Vor⸗
rede von I. M. v. Ilimenfee 2 Bändchen. 8. Havenss
burg, Gradmann u. Knapp. 20 Nor.
Kopf, D. T., Altes und Neues aus der Mappe eines
alten Pädagogen. Gin Beitrag zur Gedichte des Volksſchut⸗
und Erziehungsweſens im nörblichen Deutfchland. 3 Leite. 8.
Berlin, Wohlgemuth. 1 Tolr. 10 Nor.
Lubojagfy, F., 1840. Hiftorifcher Roman. 3 Bände.
Gr. 12. Grimma, BerlagssComptoir. 4 Thlr. 15 Rgr.
Nachhall auf das Kötner Dombaulied von E.Prug. ker :B.
Stettin, Müller u. Comp. 2%, Nor.
Reventlow⸗Farve, Graf E., Dänemark und feine Koͤ⸗
nige bis zum Antritt bes Didenburger Haufes. 2 Bände.
Gr. 8. Kiel, Schwert. 2 Thlr. 15 Near.
Stawismus und Pfeubomagyariömus. Vom aller Men⸗
fegenfreunde, nur der Pſeudomagyaren Feinde. Gr. 8. Leipzig,
D. Wigand. 15 Nor.
Voigt, J., Codex Diplomaticus Prussicus, Urkunden⸗
Sammlung zur dltern Gedichte Preußens aus dem Königt.
Geheimen Archiv zu Königsberg, nebft Regeften. 2ter Band.
Br. 4. Königsberg, Gebr. Bornträger. 2 Thir.
Berantwortlicher Geraußgeber: Heinzih Brodhbaus. — Drud und Berlag von 8. X. Broddans in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonntag,
8. Januar 1843.
Über Bevölkerungskunde.
2. Handbuch der Populationiſtik oder der Bbllers und Mens
ſhenkunde nad) flatiftiichen Erhebniſſen. Won Ehriſtoph
Bernoulti. Zwei Abtbeilungen. Ulm, Gtetin. 1841.
Er. 8. 3 Ihir. 32% Nor.
I, Statiftifc&e Überficht der Bevölkerung der öftreichiichen Mons
archie nach den Ergebniflen der Jabre 1834— 40, Dargeftellt
von Siegfried Becher. Stuttgart, Cotta. 1841. Gr.d.
2 Thir. W Ne.
3. Über die Abhängigkeit der phyſiſchen Populationskräfte von
den einfachſten Brundfloffen der Natur mit fpeciellee Anwen⸗
dung auf die Bevötkerungsftatiftit von Belgien. Bon ers
dinand Bobbi. Leipzig, Brodhaus und Avenarlus. 1841.
Imp. 4. 12 Thlr.
Die drei hier zu befprechenden Schriften begegnen ſich
in dem Dbjecte. Die zweite ſtellt aus einem einzelnen
Staate und für beflimmte Jahre die Materialien, forgfäl-
tig gefammelt und überfichtlich geordnet, zufammen, beren
Gebrauch uns die erfte Schrift lehrt und deren wiſſen⸗
ſchaftliche Erörterung auch in der zweiten Schrift verfucht
wird. Die dritte endlich macht den Verſuch, die Geſetze,
weiche die erſte nur aufzeichnet, auch zu erklären und auf
ein höheres Gefeg zurüdzuführen. Das Anfammeln fla:
tiftiiher Daten würde eine bloße Spielerei fein, nicht
werthvoller, ald das Sammeln von Wappen, Schmetter⸗
lingen u. dgl. bei Knaben iſt, wenn es nicht zu dem Ende
geihähe, damit aus diefen Daten Schlüffe gezogen, ihre
Gründe erforfcht, aus ihnen das Wefen der Verhältniffe
und das Beleg der Kräfte erfannt würde.
Es knuͤpft ſich ein eigener Reiz an diefe Unterſuchungen
über die Geſetze der Bevoͤlkerung, und wenn man fie mit
einer fo wunderbaren Regelmaͤßigkeit und Sicherheit wal:
ten und Ereigniſſe, die uns in jedem individuellen Falle
als Producte des Zufalls oder als befondere Schidung
erſcheinen, und die das letztere für das Individuum auch)
jedenfalls find, in der Mafle der Fälle einer Ordnung
und Beftimmtheit unterworfen fieht, welche, wenn alle ers
foderlichen Unterlagen gefammelt wären, die zuverläffigfte
Vorherberechnung erlauben wuͤrden: fo iſt man wol ges
neigt, hier noch einen geheimen Bezug, ein nody zu ent:
raͤthſelndes tieferes Geſez zu vermutben und von hieraus
noch weitere Einblide in die geheime Merkftätte ber Nas
tae zu erwarten. Und doch iſt die Sache nicht fo my:
ſterioͤs und beziehungsvoll, wie fie ausfichtz mas aber
wunderbar und geheimnißreich an ihr ift, das wird wahrs
fheinlih immer der menſchlichen Forfhung unergruͤndlich
bleiben. Es Handelt fi) hier nicht um pythagoraͤiſche Zah⸗
lenbedeutſamkeit und ebenfo wenig um willfürlicye Gefege.
Wie überall, fo ift auch bier die große Verfaſſung der
Welt auf das Grunbgefeg des Gaufalnerus gegründet und
im Bereih unferer Erde find es verhaͤltnißmaͤßig wenig
einfache Keäfte, durch welche biefe gewaltigen Refultate
und diefe in unendliher Mannichfaltigkeit fi) drängenden
Erſcheinungen erzeugt und beherrfcht werden. Erſt wenn
wir an jene legten Gründe feldft und wieder an ihre Be⸗
jiehung zu der Geftaltung höherer Organismen, der
Pflanze, des Thiers, des Menfchen kommen, rühren wir
an die für den irdifchen Blick wol ewig undurddrings
lichen Schleier der Geheimniffe. Welcherlei Kräfte da
oder dort wirken und was da vorgeht, iſt erkannt worden,
aber das innerſte Weſen diefer Kräfte und das Wie der
Operation bleibt verborgen. Ebenſo wenn wir bie Wir⸗
ungen der Gefege, die wie für die Zaufende von Fällen
berechnen und in ihrer naturgemäßen Nothwendigkeit ers
klaͤren mögen, fi nach Raum und Zeit und auf die Ins
bividuen vertheilen fehen, trifft e8 fich tool, daß der aufs
merffamere Blid in dem gerade jest, gerade fo, gerade
unter diefen Umſtaͤnden erfolgenden Eintreten Das zu abs
nen vermag, was wir Schidfal, Fügung nennen, was
aber in Wahrheit die erziehende Hand des großen Welts
meifters if. Er bat auch die Kräfte gewedt und in
Wirkſamkeit gefegt, die über die Bewegung der Bevoͤlke⸗
zung gebieten. In ihrem gleihmäßigen. Wirken begegnen
ihnen in dem weiten Raume, der gemeffenen, längern
Zeit, der größern Zahl überall die Bedingungen, unter des
nen ihr Wirken eintritt, und fo wirken fie für das bes
ſtimmte Maß von Raum, Zeit und Zahl mit unveränders
licher Sicherheit. In diefem groͤßern Maße verſchwinden
alle die Abweichungen und befondern Bedingungen des In⸗
dividuellen und heben fich gegenfeitig auf. Aber fie mas
hen fi in der WVertheilung auf Raum und Zeit im
Einzelnen geltend und in ihrer unendlichen Mannichfaltig⸗
keit, ihren feinen Scattirungen, ihrem Zuſammenwirken,
ihrer Abhängigkeit von Tauſend Außern fcheinbaren Zu⸗
faͤlligkeiten, hoͤhern Fuͤgungen, fpotten fie jeder Vorherbe⸗
ſtimmung, und nur ſoweit auch bei ihnen ein gleichmaͤßi⸗
r0
ges Geſetz In einiger Ausdehnung waltet, mag es von
ſchaͤrferer Beobachtung erfannt werben.
Der Verf. des unter Nr. 3 genannten Werks hat «6
allerdings verfucht, bie wahre causa movens, oder doch eine
von ihm für bie hauptfächlichfte gehaltene causa movens,
die in allen Populationsverhaͤltniſſen wirken fol, nachzu⸗
weifen und uns damit einen wichtigen Schritt näher zu
dem Innerſten des großen Haushalts der Natur zu führen.
Wir können diefen Verſuch nicht für wahrhaft gelungen
halten, auch wenn der Verf, in der Sache ſelbſt nicht ges
tert haben follte. Wir koͤnnen aber auch, aus fpäter bar:
zufegenden Gründen, keineswegs bedauern, daß der Ver⸗
fuch von Hrn. Dr. Gobbi angeftellt worden ifl. Durch
fein ganzes Werk zieht fich allerdings eine lange Kette
phyſikaliſcher Hypotheſen, über weiche wahrſcheinlich noch
lange Zeit geſtritten werden wird und die wir hier nicht
eroͤttern wollen, uns auch nicht competent dafuͤr halten
koͤnnen. Aber das koͤnnen auch wir ſehen, daß man alle
dieſe Hypotheſen zugeben kann, ohne die praktiſche Bedeu⸗
tung derſelben fuͤr den vorliegenden Zweck in dem Werke
recht uͤberzeugungsvoll nachgewieſen zu ſehen, ja nur ei⸗
gentlich zweckmaͤßige Anſtalten zu dieſer Nachweiſung in
den Werke zu finden. Die Sache iſt naͤmlich die. Der
Verf. geht von der Hypotheſe des Laplace aus, wonach
alle Planeten unſers Sonnenſyſtems aus der urſpruͤng⸗
lichen Sonnenatmoſphaͤre entſtanden ſind, und kommt in
ihrem Verfolge auf die ganz weſentliche Bedeutung der
Sonne, ganz beſonders aber auch des Waſſers für die
Populationskraft. Er haͤlt fihb nun an das Waſſer
und zeigt zuvoͤrderſt in einer fehe interefjanten Unterfus
chung, die man aber, wenn man nur das auf dem Xitel
Berzeichnete als die Aufgabe diefes Buchs feſthalten wollte,
viel zu fpeciell finden voürde, die Einwirkung bed atmo⸗
ſphaͤriſchen Waſſers auf den geſammten organifhen Proceß,
namentlidy auf die Verähnlichung der Nahrungsmittel in den
erften Nahrungswegen, auf die Refpiration, auf die Wärs
meverhältniffe, auf die Etektricität und auf das Licht. Er
gibt dann eine Darftellung ber hydrographiſchen Verhältniffe
in Belgien und darin in dee That eine fehr lehrreiche und
verdienftliche Waſſerſtatiſtik diefes Landes. Daran fließt
fi die Darftellung und Berechnung der phyſiſchen Popu⸗
Lationskräfte in Belgien. Hier erfahren wir weniger Neues
und haben denfelben Gegenftand Lieber al6 von Hrn. Gobbi
von dem Berf. der Schrift Nr. I behandelt gefehen, der
den Einfluß vielfeitigerer Momente ins Auge füßt. Denn,
obgleih Hr. Gobbi in der beitten Abhandlung nunmehr
den Zufammenhang zwifchen den hydrograpbifchen und den
Populationselementen darzuftellen unternimmt, fo ifl das
doch nicht auf eine und irgend faßlihe und einleuchtende
Weiſe gefcheben. Er hat uns gezeigt, wie fi die MWaf:
fervechättniffe und wie ſich die Bevoͤlkerungsverhaͤltniſſe in
den verfchiedenen belgifchen Provinzen verhalten; daß aber
die letztern von den erflern abbingen, das hat er, unfere
Dafuͤrhaltens, nicht gezeigt und, wenn von einer unbeding-
ten und bauptfächlichen Abhängigkeit die Rede fein follte,
nicht zeigen können. Sa, er muß felbft in feine Berech⸗
nungen einen Gegenkampf frembdartiger Elemente aufneh⸗
men, und biefer Gegenkampf, der aus ſehr verfchiebenartis
gen Momenten bercühren Tann, dürfte die Dauptfache bei
dem ganzen Verhältniffe und nicht fo Leicht. zu berechnen
fein wie die hydrographiſchen Verhaͤltniſſe und die Kopf:
zahlen. Wenn man auch alle Hypotheſen des Verf. und
alle feine Schlüffe daraus zugibt, fo lernt man doch nur,
wie fi die Populationskraft in 3. B. zwei Ländern un:
ter übrigens ganz gleichen und nur in Betreff des Hydro⸗
graphifhen abweichenden Verbältniffen verhalten würde.
Eine zufällige Volksſitte, eine religioͤſe Anficht, eine Mo⸗
biftcation der Geſetzgebung, ein aͤußeres Ereigniß, die Ein:
führung eines neuen Erwerbszweiges, das Erlöfchen eines
andern, eine Veränderung in dem Handel des Auslandes
koͤnnen das ganze Verhältniß total alteriren und auf den
wirklichen Stand der Sache den gewaltigften Einfluß dus
Bern, ſodaß uns aus der Dorftellung des Verf. nur der
nach den bloßen natürlichen Verhaͤltniſſen mögliche Staub
der Sache hervorzugehen feine. Das waren noch vers
änderlihe Momente, die wir anführten. Bleibenderer Nas -
tur find das Klima, die orographifhen. Verhältniffe, die
Umgebung eines bewegten Staatenſyſtems u. dgl. Dente
ſich doch einmal der Verf. diefes Belgien mit allen feinen
jegigen bydrographifhen Werhältniffen nah Neuholland
verfegt und frage er fih, ob es da feine heutige Bevoͤlke⸗
tung und gerade fo vertheilt haben würde. Das aber ift
nicht zu verkennen, daß diefes Werk, was nur mit ſehr
beträchtlichen Opfern zu Stande gebracht worden fein
kann, ein Werk eines riefigen Fleißes, großen Scharfs
finns, mächtiger Combinationsgabe ift und, wenn wir aud
feine Hauptaufgabe nicht erreicht Halten können, doch bei
Gelegenheit ihrer Erſtrebung eine große Reihe hoͤchſt ins
tereffanter und lehrreicher Unterſuchungen, Notizen und
Berehnungen zu Tage fördert, die es jedenfalls zu einer
fehr wichtigen und verdienftlichen Leiſtung machen.
Bleiben wir aber bei den Unterfuchungen Über die Pos
pulationsverbättniffe ftehen, fo darf es uns nicht irce ma⸗
hen, daß fie bis jegt über eine gewifle Grenze nicht zu
dringen, den wahren legten Schlüffel nicht zu finden vers
mocht haben. Denn abgefehen von dem geheimen Reize,
den die Betrachtung ber Geſetze einflößt, die das wunder⸗
barfte Raͤthſel des irdifhen Dafeins, das Leben felbft be:
berrfchen ; abgefehen von der Koberung, die die Möglichkeit,
bis zu einem gewiffen Punkt in dieſe Geheimniffe einzu:
dringen, an ben wahrheitsdurſtigen Geift richtet, auch bei
ihnen feine Kraft zu bethaͤtigen; haben biefe Unterſuchun⸗
gen auch ihre fehr praßtifhe Bedeutung, fofern fie An⸗
haltepunkte germähren, um zu beurtheilen, 0b der Verlauf
der auf die Bewegung der Bevölkerung bezüglichen Mo⸗
mente unter unfen Umgebungen ein naturgemäßer ſei,
oder nicht, und in letzterm Falle uns anfpornen, die ſtoͤ⸗
renden Einflüffe aufzufuchen und möglichft zu heben. Sie
geben und neue Kriterien an die Hand zur Prüfung der
fociaten Zuftände. Sie dienen unmittelbar zur-Orundlage
wichtiger Anftalten, haben derem ficheres Wirken erſt mögs
lich gemacht. zum Theil zu ihrem Entſtehen ben erſten
Anlaß gegeben. Man mußte bereits eine gewiſſe Kennt⸗
niß der Mortalitaͤtsgeſetze haben, bevor man auf die Idee
31
der kLebensverſicherungs anſtalten kommen konnte, und an
dem Mangel diefer Kenntniß find Hunderte von Leichen»
taffen bankrott geworden. Se forgfäftiger, vollſtaͤndiger,
auf immer feinere Beziehungen ſcharfſinnig durchgeführt diefe
Unterfuchungen werden, deſto mehr tritt es heraus, in wie
vielfacher Dinficht fie praktiſch denutzt werden koͤnnen.
Sr dem zuerſt angeführten Werke werden fie von ei⸗
nem verdienftvollen Sefehrten, der fi, wie auch das Werk
auf jeder Seite beweift, durch lange Jahre mit diefen For:
ſchungen beſchaͤftigt und dabei mit allen dazu erfoderlichen
Eigenfhaften, Kenntnijjen und Gaben ausgeruͤſtet ans
Werk sing, in einer Vellftindigkeit, mit einer fihern Bes
gründung, gewifjenhaften Sorgfalt, fharffinnigen Berech⸗
nung angeftelit, wie zur Zeit noch von feinem Deutfchen,
und es kann dafjelde mit den Franzoſen, die ſich hierin,
wie in den eractın Willenfchaften überhaupt, mit Vor⸗
tiebe und Gluͤck bewegt haben, ruhig in die Schranken
treten. Suͤßmilch's,Goͤttliche Weltordnung” iſt nicht
blos In den Daten veraltet; fie fußte auch auf unfihern:
Grundlagen und mehrfachen Irrthuͤmern, wenngleih für
ihre Zeit ihr Verdienft ein erhebliches war. Bickes bat nur
Bruchſtuͤcke gelisfert und mehr Materialien zufammenges
ſtellt, als Geſetze erforfcht. Beide Schriftfteller find durch
Bernoulli weit überflügelt. ,
Ein unglüdliher Gedanke, ber in Wahrheit mandyen
Eefer von dem Werke abfchreden kann, war aber jedenfalls
das verwidelte Wort „Populationiflif. Muß man denn
aus jeder Unterabtheilung einer Wiſſenſchaft — bie vor:
licgende Unterfuhung ift ein Theil der politifhen Arichs
metik — auch gleich eine eigene Wiſſenſchaft machen und
einen neuen Namen dafür erfinden? Doc das ift Ne:
benfache. Wichtiger, daß der Gebrauch des Werks für
manche Lefer allerdings durch einen andern unglücklichen
Gedanken des Verf. erfchwert wied, daß er nämlich eine
inmlihhe Zahl aus großen und Meinen, mehrfach verbuns
denra lateiniſchen Buchſtaben beilehenden Bezeichnungen
zu Abkuͤrzung gewählt bat, die eine curſoriſche Lecture
des Buchs ſehr fchwierig machen. Wer befondere fi)
nit regelmäßig mit den eracten Wiffenichaften, in denen
dergleichen wol öfter vorkommt, befchäftige und dadurch
ſchon an Ähnliches gewöhnt ift, bem wird es ſchwer, das
Alles im Gedaͤchtniß zu behalten, jede Verwechſelung zu
vermeiden und ber Unannehmlichkeit zu entgehen, bag man
an manchen Stellen fich erſt quält, aus dem Zuſammen⸗
hange zu errathen, was das Zeichen bedeute, und endlich
doch noch im Verzeichnifie nachſchlagen muß. Unfere Zeit
vollends will das Studium möglichft bequem gemacht und
je wichtiger es iſt, der politifchen Richtung der Zeit auch
in orümdlicher flaatsreiffenfchaftlicher Kenntniß den cechten
Kern und Inhalt zu geben, defto mehr follte man dar:
nach ſtreben, auch die tiefern Lehren und mühfamern Uns
terfuchungen einem möglichft weiten Kreiſe Gebildeter ges
nießbarer zu machen. Mit einer geringen Raumvermeh:
rung bätte ber Verf. die Wirkſamkeit feines Werks mes
fentlich erhöhen und weiter verbreiten koͤnnen, und wie bes
dauern diefen Übelftand um fo aufrichtiger, je höher wir
fonft den Berf. und frine Leiftung fchägen.
Alles Statiſtiſche verliert feinen Werth, ja wird ſchaͤd⸗
lich, ſtatt zu nuͤtzen, ſobald es den Charatter ber Richtig⸗
keit, in manchen Füllen der abfoluten, in andern wenig⸗
ſtens der annaͤherungsweiſen oder der durchſchnittlichen
Richtigkeit verliert.‘ Mit Recht beginnt daher ber Verf.
mit den Mitten, die abfolute Bevölkerung zu erforſchen.
und mit der Bemerkung, daß und warum in vielen An:
gaben derfälben, wider Erwarten, fo viel Ungewißhelt
herrſcht. Gleiches tritt bei der relativen Bevölkerung, d. h.
der Bevölkerung im Verhaͤltniß zum Areal ein und nicht
immer {ft bier eine Vergleichung zulaͤſſigz wie denn uͤber⸗
haupt der Statiſtiker fortwährend die Augen nach allen
Eeiten hin offen haben follte — feider nur zu felten auch
wirklich hat —, um alle befondern, auf die von ibm bes
trachtete Erſcheinung influirenden Umflände in Anfchlag
gu bringen. Eine Zabelle über die Bevoͤlkerung der euros
pällhen Staaten im 3. 1840, mobei jedoch die deutfchen
Staaten zufammengerechnet find, zeigt uns die größte Dichs
tigkeit der Bevoͤlkerung in den Niederlanden (6,158), die
geringfle in Schweden (293). Hier rührt die geringe
Dichtigkeit aus Elimatifchen, in Servien (724) ruͤhrt fie
aus gefchidytlich = politifyen Urfachen her.
(Die Bortfegung folgt.)
in —r— — — ————
Ein neuer Roman von Capitain Marryat.
Percival Keene. By Captain Marryat. Drei Bände. Lon⸗
bon 1842.
über biefen neueften Roman Marryat's dußert ſich die „Li-
terary Gazette’ folgendermaßen : „„Percival Keene‘, vom Vers
faffer des ‚Peter Simple‘, verräth die Abficht eines Begenfapet,
und der Verfaffer von „Jakob Faithful‘ hat ihn redlich durchs
geführt. Die Familie des Helden und fein Eintritt ins Reben
werden mit fprudelndem fatiriihen Humor gefchildert. Schon
die erften Seiten find voll Leben und Geiſt. Dabei fiebe Ace
aus wie Wahrheit und Wirklichkeit. Aus Percival zur ce
geht, markirt fi in feinen Gabettenftreihen das Zalent und
bie Grfahrung eines Mannes, der das Ding Eennt und im
Stande ift, es auszumalen. Später werben feine Abenteuer noch
intereſſanter und bie Erzaͤhlung bleibt durchaus friſch und kraͤf⸗
tig. Nirgend ermattet fie und erlaubt dem Lefer nicht, im
Kortgange der Geſchichte fih ‚zu langweilen. -. Bom Anfang bis
Ende bietet das Buch eine leichte, unterbaltende Lecture, und
obwol bereits ein populaires Lüftchen den literarifchen Geberftug
des tapfern Gapitains bewegt, wird es bemfelben doch eine herz
vorragende Feder beifügen.”
- Die „Literary Gaszetto” genießt auch in Deutfchland Ans
fehen und wirb biöweilen fogar ohne Angabe vertrauensvoll aufs
gefchrieben.. Das erftere verdient fie und letzteres läßt fie ſich
gefallen. Aber ihr Urtheil Über „Percival Keene“ Elingt im
Sanzen ebenfo geswungen wie bie Gleichnißrede am Schluffe,
und wer bie Beziehung des Herausgebers zum „tapfern Gapis
tain“ Bennt, braucht nicht juft cin bosbafter Menſch zu fein, um
in dem gefpendeten Lobe die Gabe der widerfpenftigen Minerva
zu erbliden. Aber wir find allzumal Sünder und ermangeln
des Ruhms und am Ende ift es fein fo gar ftrafwürbiges Vers
brechen, das Buch eines Freundes, bem wir außer Ruͤckſichten
auch Werbindlichkeiten fchulden, in einer Weiſe zu loben, die den
Lefer leicht merken laͤßt, daß es nicht gern geicheten if. Das
mit fol über „„Percival Keene’ nicht von vornherein der Stab
gebrochen fein. Keineswege. Zupoͤrderſt liefert dieſe Geenovelle
den Beweis, daß, obſchon mit Seeromanen, wenn auch nicht
das Meer, doch ein Fluß gedämmt werden kann, ein folcher ims
mer noch einen Verleger findet. Zweitens beweiſt fie, daß,
wenn “ Roman keinen andern Reiz befigt als bie barin er⸗
zählten Abenteuer, fetbft ein Marryat nicht vermeiden kann,
mutstis mutandis ſich zu wiederholen. Ich will jedoch nicht
weiter numeriren. Daß die Gefahr der Wiederhotung bei einem
Roman, der im Käficht eines Schiffes fpielt, größer fein muß
als bei einem, ber eine Weltftabt, ein Paris oder London, zum
Schauptatz bat, begreift ſich leicht. Was kann benn einem fees
fahrenden Manne Wichtiges begegnen? Gin Schiffbruch eine
Jeuersbrunſt, eine Schlacht; e⸗ gibt kaum ein Viertes oder
Fanftes. Allerdings laſſen dieſe Hauptaccidents ſich auf das
derſchiedenartigſte ein⸗ und ausführen und bieten Gelegenheit,
bie verfchiedenartigften Charaktere abzuconterfeien. Aber ein
Roman, in welchem das gefchieht, befigt dann auch andere Reize
als die darin erzählten Begebenheiten und gehört eo ipso in
eine andere Kategorie ald Marryqt's „Percival Keene“. In
„Percival Keene”” paffirt nicht viel Neues, ober richtiger, wer
Marrmat’s frühere Seenovellen gelefen hat, braucht „„Percival
Keene” nicht zu lefen, um zu wiſſen, was barin vorgeht. So⸗
gar die Perfonen kennt er bereits unter andern Namen. Per:
cival ſteht in Reih und Glied mit allen zefpectabeln Gechelden.
Bob Groß fpult in allen Geenovellen. In biefen ſtolzirt ein
Zommy Dott auf dem Halbverdeck jedes Linienſchiffs, und ſelbſt
Capitain Delmar, die erſte Violine im Orcheſter, geigt laͤngſt
gehoͤrte Melodien.
Defſenungeachtet bin ich weit entfernt, „Percival Keene“ —
Überfegungen werden fon kommen — nicht Jedem zu em⸗
pfehten, der nach einem Seeroman tüftern ift, weil er noch
keinen geleſen hat. Die Erzaͤhlung ſchreitet raſch fort, die
Charaktere ſchaͤlen ſich zum Theil ganz geſchickt aus, der
Dialog ift lebendig, die Leute veben, wie ihnen der Schnabel ges
wachfen ift, und Marryat bat ihnen biefen Schnabel etwas we⸗
niger ald ihren Vorgängern ins Gemeine wachſen laſſen. Das
Beſte, was geſchieht, geſchieht zur See und bie Skizze des auf⸗
geroliten Gemaͤldes zeigt einen Zuſammenſtoß mit dem Feinde,
die Verfolgung bes fliehenden und kuͤhnes Entweichen vor der
Abermacht. Bier ift Gapitain Marryat zu Haufe und tout a
son aise, in fehönfter gloire. Man fieht den Enthuſiasmus ber
Matrofen, fieht die Offiziere in ehrerbietigem @eborfame die er⸗
haltenen Befehle vollſtrecken und ſieht bem Sapitain in ‚feiner
Selbſtbeherrfchung, im vollem Gefühle feiner Verantwortlichkeit,
in feinem anſpruchsloſen Heroismus. Rachdem man das geſe⸗
hen, ſollte Marryat Einen weiter nichts ſehen laſſen. Je⸗
der Verſuch im Pittoresken mislingt ihm. Ein Landſchafts⸗
maler iſt er nicht, weder zu Waſſer noch zu Lande. Eine
Fregatte, eine Brigantine, einen Kutter malt er vortrefflich.
Aber daruͤber iſt kein Himmel, daneben fein Ufer, darunter kein
Waſſer. Eine Attion reißt uns fort. Aber die Acteurs kom⸗
men felten zum Vorſchein und noch ſeltener koͤnnen wir uns
ein Bild machen von ihrer aͤußern Erſcheinung, von ihren Ge:
fihtern, ihrer Kleidung, ihrer Haltung. Das ift infofern
ſchiimm, als von unfern neuen Belannten un tein deutliches
Geinnerungszeichen bleibt. Ohne Cinzeinheiten wurzelt fein
Sanyes im Gedaͤchtniſſe. Woran übrigens Marryat's Novellen
nicht allein krank liegen, „Percival Keene“ aber {wer leidet,
das ift gegen den Schtuß hin — ob es biege oder breche — das
daſtige, unceremonieufe Aufräumen von Begebenheiten und Per⸗
fonen. Es war durchaus Feine Nothwendigkeit vorhanden, den
Sapitain Delmar todtzufcjlagen, und Oberſt Delmar muß eis
gentlich auch nur ein Böfewicht fein, weil die Erzählung einen
Schiuß haben will. Dennoch ift der Schluß als foidher gut.
Bon der Heldin als folcher laͤßt fich das ſchwerlich fagen. Es
täßt ſich überhaupt von ihr wenig mehr fagen, als baß fie
fi außerordentlich rar macht. Bei ihrem erften Auftreten ges
winnt fie bie Gunſt des Leſers und er erwartet etwas von ihr.
Sie man auch eine ganz hübfche, angenehme und freundliche
Perſon fein. Nur belommt man davon nichts zu ſehen, fondern
muß es errathen, und beim Anlauf, ben Marryat nimmt, ihre
erföntichleit gu ſchitbern, überfchlägt er fi. Schön nennt er
„ das ift wahr. Aber er rechnet auf die Gourtoifte des Lefers,
ihm zu glauben, bean daß Percivat fi in fie verliebt, beweift
nichts. Percival hätte fi auch in eine Däßliche verliebt. In⸗
deſſen iſt der Werf. zu loben, baß er fih mit dergleichen Schil⸗
derungen nicht befaßt. Er verfteht ſich darauf ebenfo wenig
wie auf das Entziffern weiblicher Befühle und das Ergruͤnden
weicher Empfinbungen. Und daher iſt es ein lobenewerther Takt,
es fo flüchtig als möglich zu verfuchen. Seine Stärke liegt im
Erfinnen einer fehnurgeraden Geſchichte, worin es Iebhaft zus
geht, die Menfchen um ein Baar breit verloren wären und das
ud mit Windesfchnelle umfegt. Zwiſchendurch bewaͤhrt er
fi) a!s gewandter Zeichner derber, nachhaltiger Gefühle, eines
tüchtigen Patriotismus, ftrenger Pflihterfülung und eiferner
Disciplin. Daß er dabei den Mechanismus des Gcemannsles
bens volllommen inne hat, iſt nirgend beftritten worben. Dies
fes Leben ift feine Welt, folglich eine enge. Was er von ber
Außenwelt gefehen, hat er eben nur gefeben, nicht begriffen,
nicht flubirt. Und besbalb ift meines Erachtens Marryat ein
einfeitiger Novelifl. Aber fein „Percival Keene” wird über
fegt werben. 14.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Wir Haben der. trefflihen Zeitfhrift für Rational:
dtonomie („Revue des economistes” ) bereit6 zu wiederholten
Malen’ erwähnt. Diefelbe erfreut ſich unter ber Leitung ber erſten
Rationalölonomen Frankreichs eines guten Fortgangs. Einer der
thätigften Mitarbeiter iſt Charles Dunoyer, Mitglied des Ins
ſtituts. Die erſten Hefte dieſer Beitfchrift brachten einen treff⸗
lichen Aufſat aus feiner Feder. Gr widerlegte in demfelben
bie Sinwendungen, die man gegen bie Goncurrenz, biefe mädys
tige Triebfeder der menſchlichen Thaͤtigkeit, erhoben bat. Ebenſo
beachtenswerth ift fein Artikel „Sur les pretentions de notre
temps à l’esprit pratique‘ und feine „Nouvelle nomenclature
des arts qui agissent sur le monde matériel“; ferner verbies
nen die Aufſätze, in denen Blanqui feine Reiſebeobachtungen in
der Türkei niederlegt, hervorgehoben zu werden. L. Reybaud,
der ſich durch feine „Etudes sur les reformateurs modernes”
einen Ramen gemacht hat, nahm anfangs einen lebhaften Ans
theil an der „Revue des &conomistes”, ſcheint fi) aber von
dee Redaction mehr zurüdgezogen zu haben. Sein letter Aufs
fag enthielt manche gewagte Behauptung. Er ſprach fi im
demfelben gegen jede Subvention, jede Belohnung, jeden Bors
ſchuß und felbit gegen bie Zuficherung eines Minimums ber
Einnahmen aus, durch die der Staat große Unternehmen
unterflüst. Ganz vortrefflih tft der Auffad von Hippol. Dufs
farb: „Ntat financier de l’Angleterre et sur les mesures pro-
posees par les wighs et les tories.”
Unter dem Titel „L’Herbier” (Herbarium) gibt Als
feed Leroux eine Sammlung anmuthiger Gedichte heraus, die
in der Form und Richtung an die wenig befannten Poeſien bes
berühmten Botanikers Irinius erinnern. Der junge franzöfifche
Dichter entnimmt naͤmlich ebenfo wie ber Freund Shamiflo's
feine Bilder der Pflanzenwelt, ohne jedoch tn die Dürftigtete
des fogenannten Blumenfpradhen zu verfallen. Unter ber
großen Menge von Poeſien, obſchon das große Publicum
ihnen «ine fo geringe Aufmerkſamkeit ſchenkt, heben wir fonfk
noch befonbers eine Sammlung von Liedern hervor, zu denen
fi ein jugendlicher Dichter Amand Guérin durch bie großartige
Ratur der Bretagne begeiftert bat. Sie führt den Zitel „La
Bretagne’. Ginige diefer Porfien erinnern an bie Dichtungen
von A. Brizeur, im Allgemeinen aber gelingen biefem jugenb=
lichen Dichter bie Schilderungen wilberer Naturpartien, wähz
a Verf. der „Marie“ ſich mehr in einer idylliſchen Ruhe
8 2 ®
Berantwortliher Herauſsgeber: Heinzih Brof haus. — Drud und WBerlag von 8. U. Brodbaus in Eripaig.
Blätter
für
liferariiche Unterhaltung.
Montag,
ö—7 Nr. 9.
9. Januar 1843.
Über Bevölkerungskunde.
(Beortfegung aus Nr. 8.)
Der Verf. kommt nun auf die Serualverhälmifle. Eine
moͤglichſt vollkommene Gleichzaͤhligkeit beider Geſchlechter
biſde die zutraͤglichſte Zuſammenſetzung der Bevölkerung und
fcheine audy die Tendenz der Naturgefege zu fein, da zwar
überai mehr Knaben ald Mädchen geboren würden, aber
auch allerwärts die Knaben und namentlich im erfien Le⸗
bensalter etwas ſchneller abfiürben. (Ob letzteres wirklich
allerwaͤrts der Kati iſt und nicht blos in den heutigen eu⸗
ropdifchen Zuftanden?) Nichtsdeftomeniger ergeben bie
Volkszaͤhlungen nur felten ein ſolches Gleichgewicht beider
Geſchlechter. Faſt aus allen geht eine merkliche überzahl
der weiblichen Individuen hervor und nur zuweilen findet
ſich Die entgegngefegte Erſcheinung. Aus ben darüber bei:
gebrachten Angaben heben wir aus, daß in Europa nur
in Hanover die männliche Bevölkerung die weibliche über:
wiege. Hier kommen nämlich auf 1000 männlidhe Ins
dividuen nur 957 weibliche, in allen andern Staaten iſt
das weibliche Geſchlecht zahlreicher als das männliche, am
ſtaͤrkſten in Böhmen, wo auf 1000 Männer 1102 Weis
bee fommen. In den Bereinigten Staaten von Mords
amerika und bei der weißen Bevölkerung einiger anderer
amsritanifchen Länder dagegen iſt das männliche Geſchlecht
zum Theil beträchtlich überwiegend. Freilich find die An:
gaben nicht überall zuverläffig, wie es denn in dem ans
geführten Beilpiel von Böhmen dem Verf. ungewiß blieb,
ob das Militalr mit in Anſchlag gebraht war, oder nicht.
Aus der zweiten Schrift erfehen wir aber, daß 1837 das
Verhaͤltniß der männlichen zur meiblichen Bevölkerung, mit
Einfhluß des Militaire, wie 1000: 1100 ſtand und feit
1834 der maͤnnlichen Bevölkerung auf 1000 14, der weib:
lichen 18 zugewachſen war. Kine Auslaffung in den
Zählungen dürfte übrigens in der Regel cher das weib:
liche als das maͤnnliche Geſchlecht treffen. Bemerkens⸗
werth iſt es auch, daß in den großen Staͤdten Europas
das veribliche Geſchlecht noch entſchiedener im Vortheil iſt,
am meiſten in Rotterdam (1241 Weiber: 1000 Maͤnner);
wovon nur Petersburg (528 Weiber: 1000 Männer),
Moskau (644 Weiber : 1000 Männer) und Rom (891
Weiber: 1000 Männer) auffaliende Ausnahmen machen.
In Warſchau dagegen ſteht das Verhaͤltniß ganz anders
aid in den ruffifchen Dauptflädten (1139 Weiber : 1000
Männer). Das männliche Geſchlecht ift mehr von dus
Bern, willkuͤrlichen, den Einrichtungen und Stiebungen der
Menſchen entflammenden Umftänden abhängig, während
Das weibliche den Naturgefegen treuer unterthan bleibt.
Der Berf. beleuchtet das DVerhältniß aber auch, wie nos
thig, nach den einzelnen Lebensftufen. Werden mehr Kna⸗
ben geboren und ſtirbt der Überfchuß nicht fofort, fondern
innerhalb einer gewiffen Zahl von Jahren erft ab, fo
muß die Sefammtzahl der lebenden Knaben bis ins Alter
der Ausgleihung nothiwendig etwas größer fein. Und
nimmt man an, die Natur beabfichtige nicht nur völlige
Gleichzaͤhligkeit in den Pubertaͤtsjahren, fondern in der
Totalitaͤt, ſo folgt daraus, daß umgekehrt im hoͤhern Alter
das weibliche Geſchlecht etwas zahlreicher ſei und daher
auch ſpaͤter noch die Sterdlichkeit des maͤnnlichen, wenn
auch um ſehr weniges, groͤßer ſein muͤſſe. Dagegen wenn
ein Misverhaͤltniß beſteht und z. B. die maͤnnliche Be⸗
voͤlkerung bedeutend uͤberwiegt, ſo muß doch eben unter
ihrer groͤßern Zahl auch in den hoͤhern Lebensjahren bie
Sterblichkeit größer fein und dadurch das Gleichgewicht
bergeftelfe werden, ſodaß man keineswegs berechtigt iſt, aus
dem bermaligen Nachruͤcken der männlichen Population auf
ein baldige Voreilen derfelben oder eine liberflügelung der
männlichen zu fchließen. Entgegenftehende Anficdyten wer⸗
den vom Berf. fcharffinnig bekämpft.
Hierauf die Vertheilung nad) den Altersclaffen, we
der Verf. freilich nicht fehe zahlreiche Daten aufbringen
Eonnte. Ex zeigt jedoch auch darin, daß die Lebensver⸗
bältniffe oft weit mehr, als man gewöhnlich annimmt,
differiren, und daß auch in Diefer Beziehung befonders
ftädtifche Bevoͤlkerungen eigenthuͤmlich beſchaffen find. Diele
Abweichungen können von zweierlei Urfachen herrühren, von
einem namhaften Zu: oder Abfluß von Individuen einer
befondern Altersclaſſe — und dies wirkt befonders in
den Städten — und von einer verfchledenen Abfterbeorbs
nung. Je ſchneller die Geburten abfterben, deſto weniger
zahlreich werden die höhern Claſſen fein und Daffelbe muß
fi) ergeben, bleibt das Mortalitätsgefeg unverändert, wähs
rend die Zahl der Geburten merklid zunimmt. Hier vers
wirft nun der Verfaſſer die gewöhnlichen Berechnungen.
Wenn unter 1000 Beritorbenen 8 im Alter von 20 —
21 Jahren find, fo urtheilt man gewoͤhnlich, daß von
1000 Geburten 8 im zwanzigften Jahre flerben und cons
ſtruirt darnach die Abſterbeordnung. Allein es iſt klar,
daß das nur dann richtig gerechnet iſt, wenn die Zahl
der jaͤhrlich Geborenen der Zahl der jaͤhrlich Sterbenden
gleich iſt. Dagegen waͤre es z. B. in dem Fall, wo auf
1000 Geſtorbene 1400 Geborene kommen, ganz falſch
berechnet. Es waͤre aber auch unrichtig, zu ſagen, von
1400 Geborenen ſtuͤrben 8 im einundzwanzigſten Jahre;
denn wenn 20 Jahre fruͤher nur 1200 Geborene waren,
ſo ſind auch nur auf 1200 Geborene 8 im einundzwan⸗
zigſten Jahre geſtorben. In einer abgeſchloſſenen und ſta⸗
tionairen Bevoͤlkerung muͤſſen naturgemäß die Altersclaſſen
von Jahr zu Jahr abnehmen, wenngleich nicht in einer
ordentlichen Progreſſion, da die Mortalität in dm erſten
Jahren fohnell abnimmt und [päter wieder ſteigt. Die
Berminderung wird aber noch bedeutender fein, wenn und
je -rafcher die Zahl der Geburten wählt (vorausgefegt,
daß fih bie Abſterbeordnung verlangfamt). Dies weit
ber Verf. auch an Beifpielen und namentlid an dem von
Belgien nad, was zugleich ergibt, wie fehr die Wirklich⸗
keit von der Berechnung bifferirte und daß dieſe Berech⸗
nung bie Glaffen von 1 — 30 Jahren zu klein, die über
40 viel zu groß finden ließ. Noch macht der Verf. an
dieſer Stelle einige fehr begründete Andeutungen: dag man
bei Berechnung der MWehrkraft, der Statiſtik der Selbſt⸗
morde, der Schuiftariftit nicht die abfolute Bevoͤlkerung
zum Grunde legen, fondern die Lebensverhäftniffe beruͤck⸗
fihtigen fol. Er fagt in leßterer Dinficht:
Betragen die Schulkinder in A 0,12 und in B 0,10 der
Bevdlterung, fo folgt daraus noch nicht, baß die Jugend in A
allgemeinen Schulunterricht genieße. Denn machen bie fchuls
fähigen Kinder in A 0,16, in B 0,12 der Population aus, fo
erhellt, daß dort ein Viertel, bier nur ein Sechstel berfelben
ungefhult find.
Ein anderes Moment iſt die Vertheilung In eheftands
ticher Beziehung. Der Verf. bedauert, daß die wenigften
Volksliſten, außer der Zahl der Verheiratheten und Nicht:
verbeicatheten beiderlei Gefchlechts, auch noch die der Ver:
roitweten und Gefchiebenen, dee noch nicht heirathöfähigen,
der verheiratheten und unverhelratheten Weiber in gebär:
fähigen Alter ermitteln laſſen. Bon befonderer Wichtig⸗
keit ift das Verhaͤltniß ber ftädtifchen Bevölkerung zu ber
laͤndlichen. Dan ift gemohnt und hat auch einen gewiſ⸗
fen Grund, in einer ſtarken ftädtifhen Bevölkerung ein
günfkiges Zeichen für die Cultur des Landes zu erbliden.
Indeß ſchon der Verf. macht darauf aufmerkfam, daß bier
manche Trugſchluͤſſe möglich find, und wir möchten hinzu:
fügen, daß es auch bier eine Grenze gibt, über welche
hinaus ſich immer dunklere Schattenfeiten einftellen, daß
nicht alle Gründe mehr fortwirken, welche ehedem die Eul:
tur vornehmlich an die Städte bannten, daß die verbeſſer⸗
ten Eommunicationsmittel auch hierin eine neue Reaction
beginnen koͤnnen, und daß jedenfalls bei Würdigung des
ftädtifchen Weſens zwiſchen großen, mittlern und Heinen
Städten forglich zu unterfcheiden fein wird. Herner find
bie Verſchiedenheiten in nationaler, heimatlicher und kirch⸗
ficher Beziehung zu beruͤckſichtigen. Ebenſo die Beſtand⸗
theile der Bevölkerung in gewerblicher Dinficht; die Der:
theilung fin oͤkonomiſcher Beziehung, namentlich die Ar:
menzahl. Freilich eine der ſchwierigſten Aufgaben ber Sta⸗
tiſtit. Auch eine Statiſtik des Wahnſinns (der Selbſt⸗
morde), der Zaubflummen und Blinden bat ihr Intereffe,
und es iſt wünfchenswerth, daß bei dem allen auch die
Geſchlechter, die Lebensverhältniffe, die Gewerbe: und Wers
mögensclaffen, bie Örtliche Vertheilang nach Stadt, Land,
befondern Elimatifhen Einflüffen ſorglich berüdfichtigt wer⸗
den. Überhaupt bedeuten ftatiftifhe Gefammtzahlen fehr
bäufig ebenfo wenig, wie bie Theilzahlen, aus denen fie
ſich zufammenfegen, in den rechten Händen fehr viel bes
deuten koͤnnen.
In dem Abſchnitt von den numeriſchen Verhaͤltniſſen
der Gebotenen fpricht der Verf., nachdem er zuvoͤrderſt
die Wichtigkeit dieſer Unterfuhung ans Licht geftellt und
einige interefjante Mebenfragen, zu deren Löfung es zur
Zeit meift an Daten mangelt, angedeutet hat, zuvoͤrderſt
von Einrichtung der Geburtstiften. Es müffen alle Iebenes
reif gewordene Kinder in befondere Rubriken, jenachdem
fie männlichen oder weiblichen Geſchlechts, Lebend oder tobt,
ehelich oder unehelich, einzeln oder als Zwillinge zuc Welt
gefommen find, an dem Orte der Geburt und mit ges
nauer Vermerkung des Datums eingetragen werden. Dars
auf von der Zahl der Geborenen und ihrem Verhaͤltniß
zur Geſammtbevoͤlkerung. In ganz Europa rechnet man
auf 28 Seelen einen Geborenen, werden gegenwärtig in
einem Jahre geboren nahe an 9 Millionen, alfo per Tag
24,600 und per Stunde 1025. Bei der Unterfuchung
des Beburtenverhältniffes find namentlich drei Punkte zu
erforfchen: die localen Abweichungen beffelben, die tempos
rairen Schwankungen und die wahrfcheinlichen Urſachen
diefer Veränderungen. Der wahrfcheinlihe Einfluß des
Klimas und der Stämme muß in der Regel durch andere
wirkfamere Urfachen neutralifict werben. Nirgend aber fine
det ſich die Sruchtbarkeit auch nur annähernd fo groß, als
fie der phyſiſchen Natur nad fein follte.
Da jedes Weib zwiichen 18 und 45 Jahren füglih alle zwei
Jahre ein Kind zur Welt bringen Tann und die Weiber diefes
Alters meift ein Künftel oder über ein Sechötel der ganzen Bevoͤlke⸗
zung ausmachen, fo follte auf 12 oder gar auf 10 Einwohner
eine Geburt kommen. Auch in den fruchtbarften Ländern ift
aber die Fruchtbarkeit kaum Halb fo groß. Sie muß demnad
weit weniger von ber natürlichen Propagationsfähigkeit eines
Volks, als von vorhandenen Umftänden, welche die Ausübung
jenes Vermögens hemmen oder befchränten, abhängen, und nas
mentlich alfo von allen, welche das frühe Heirathen hindern,
oder auf Enthaltfamkeit in der Ehe hinwirken.
Ein wichtiger Sag gegen die Theorie von einer na=
ehrlichen Tendenz zur Übervoͤlkerung. Don wefentlichem
Einfluffe iſt bier die Mortalität und namentlich die der
Kinder. Je rafcher die Kinder wegſterben, deſto mehr wer⸗
den erzeugt, je vafcher die Erwachſenen, defto mehr wird
geheirathet. Auch ein ſtetiger Abflug von Einwohnern
mag dad Geburtenverhältniß fleigern. Dit zunehmendem
Wohlſtand, leichterm Lebensunterhalt vermehrt ſich die Mes
production; doch wirken bei größerm Wohlſtande auch wie:
der die vermehrten Bedürfniffe und die verminderte Mor:
talität der Kinder retardirend ein. Aus einer Unterfus
hung über die Sahreszeiten und Monate der Geburten
ergibt fih, daß auf die fechs Mintermonate weit mehr
86
Geburten kommen als auf die Sommermonate; . daß das
Maximum auf den Febiuar (den März), das Minimum
auf den Juli (und Juni) fällt, für die Empfängniffe alſo
das Maximum auf den Mai, das Minimum auf ben
Detober; daß das monatlihe Maximum das Minimum
um etwa */; übertiffft; daß auf dem Lande die Ungleich:
heit noch flärker ift als in den Städten. Die Tags und
Rachtgeburten verhalten fih nahe wie 4:5. Hinſichtlich
der Zodtgeborenen fcheint aus den vorhandenen Daten mit
Zuverläffigkeit hervorzugehen, daß das Verhälmiß insgemein
zwifchen vier und fünf Procent beträgt, ſich aber nach eins
jelnen Ortlichkeiten ſtark vermehrt und vermindert; ferner
daß unter Unebelichgeborenen weit mehr, wenigftens die
Häffte mehr, oft das Doppelte, Todtgeborene vorkommen.
Aud) deshalb finden fih in großen Etädten mehr Todt⸗
geborene. Im Sommer follen Zodtgeborene etwas felte:
ner fein. Merkwürdig ift die geringe Proportion bei den
Suden. Die Knaben bilden bei den Zodtgeborenen eine
auffallend große Mehrzahl; in Preußen, wo das Verhaͤlt⸗
niß der maͤnnlichen zu den meiblihen Geburten nie 105,9
: 100 flieht, flieht es bei den Todtgeborenen wie 135,0 :
100. Dffenbar hänge dies mit denfelben Urfachen zu:
fammen, die überhaupt die größere Sterblichkeit des männs
lichen Geſchlechts noch fange nach der Geburt bedingen.
Hinſichtlich der Unehelihgeborenen ergibt fih, daß fie in
gewiſſen Ländern weit häufiger vorfommen als in andern,
in Städten mehr ald auf dem Lande und feit 40 — 50
Jahren in vielen Ländern bedeutend zugenommen haben;
bag ſich aber bie Örtlichen Derfchiedenheiten gar nicht auf
algemeine Urſachen zurückfuͤhren laflen und biefelben gar
nicht für oder wider die Moralitaͤt eines Volks, auch nur
in Bezlehung auf den gefchlechtlichen Umgang zeugen, da
befonders die Richtentftehung folcher Geburten noch keines:
wegs für größere Enthaltfamkeit buͤrgt. Mit Recht wünfcht
ber Verf., daB bei Angaben Über diefes Verhaͤltniß ermits
telt werde: wie viele Kinder upon Witwen geboren werden,
vie keinen Vater angeben können, wie viele vom Vater an:
erkannt werden, wie viele aus fogenannten natürlichen Chen
und Soncubinaten hervorgehen, wie viele durch nachfols
gende Ehe legitimirt werden; Alter und Stand der Mutter;
ob es ihr erſtes uneheliches Kind iſt u. f. fe; wie fi das
Berhaͤltniß zur unverheiratheten Bevoͤlkerung des gebärs
fähigen Alters ſtellt. Hinſichtlich der Mebrlingsgeburten
kann als das gewöhnliche Verhaͤltniß in Deutfchland das
von 1 : 84 betrachtet werden. Ob fie ein Zeichen größes
ser Reproductionskraft find, bleibt zweifelhaft, da fie fich
keineswegs in allen den Jahren häufiger zeigen, wo bie
Geburten ſehr zahlreih waren. Auch weiß man noch)
aicht, ob fie in armern oder wohlhabenden Claſſen, bei
ebeligen oder unehelihen Geburten häufiger find. Hin⸗
fichtlich der Geſchlechtsverhaͤltniſſe machen die gemifchten
Paare mur etwa ein Drittel aus und bei den übrigen
prävaliren die mweiblihen. Unter Zwillingsgebutten find
frühzeitige faſt dreimal häufiger als unter einfachen, und
foft ein Drittel werden tobtgeboren; auch ift ihre Sterb:
lichkeit im erſten Jahre weit größer; ob auch fpäter, iſt
noch nicht ermittelt. Ausführliche Unterfuhungen flellt
der Verf. uͤber bie Gehnde bes Übergemwichts der maͤnn⸗
lichen Geburten und die darauf Einfluß habenden Um⸗
flände an, ohne jedoch, ſchon aus Mangel an ausrei⸗
chenden Daten, zu einem ihm ſelbſt genügenden Refultate
zu fommen. Merkwürbig find bier und zugleich die Be:
rechnung erfchwerend die großen periodifchen Schwankun⸗
gen. Ob die Behauptung gegründet iſt, daß jenes Über:
gewicht in den Gegenden am größten fei, wo in $olge
ſchwerer Arbeiten die Muskelkraft vorherrſcht, iſt noch nicht
gewiß; ebenfo wenig weiß man, 0b ed mit der größern
Sruchtbarkeit in fleigendem Verhaͤltniß zunimmt, wie es
fih bei Erfigeborenen oder bei Legtgeborenen ſtellt; wol
aber daß es bei ehelichgeborenen weit flärker iſt als bei
unehelichgeborenen.. Wichtig würde es fein, wenn ſich die
Berechnungen von Hofader und Sadler beftätigten, wo⸗
nach die weiblichen Geburten fogar zahlreicher find als die
männlichen , fobald der Mann gleichen Alter mit der
Sram oder jünger als fie iſt, wogegen die männlichen Ge:
burten ganz beträchtlich zunehmen, je mehr der Mann bie
Frau an Jahren übertrifft. Doc find die Beobachtungen
beiweitem nicht zahlreich und ausgedehnt genug. (Sie dürfs
ten übrigens aud auf das Verhältniß der Altersclaffen
zu richten fein, ob nämlich das Verhaͤltniß ſich auch in
hoͤhern Lebensjahren beider Theile gleichbleibt.) In Städ:
ten ſcheint die Überzahl der männlichen Geburten Meiner
zu fein als auf dem Lande. Über den Einfluß der fons
ftigen Ortlichkeit fehlt e8 noch an Beobachtungen. Bel ben
Juden tft jenes Übergewicht auffallend groß. Anhangsweife
befpricht der Verf. in diefem Abfchnitte noch Größe und
Gewicht des Menfhen in den verfciedenen Lebensflufen.
(Die Fortſetzung folgt.)
Pasquier's Aufnahme in die Academie frangaise.
Wir haben vor einiger Zeit ber Aufnahme Pasquiers in
die Acadsmie francaise beigewohnt. Diefe Feierlichkeit hatte
ein großes Publicum berbeigezogen, bas neugierig war zu fehen,
mit welcher Stirn ein Mann, der auch nicht einen einzigen lie
terarifchen Zitel bat, fi) mit Ghateaubriand, Lamartine, Nodicæ
und wie bie großen Dichter und Profaiften alle beißen, auf eine
Bank fegen würde. Man begreift kaum, wie die Wahl ber
Akademie auf einen ſolchen Mann, ber nie bie Feder zu einer
literariſchen Arbeit angeſetzt hat, fallen konnte, befonders da ein
Dichter wie ber Verf. vom „Ciag-Mars”, von „Stello” x,
fi mit ihm zu gleicher Zeit um ben vacanten Platz bewarb.
Die Zagesblätter haben über biefe fonderbare Wahl, die im Gas
lon der Mad. Recamier abgelartet ift, den bitterfien Spott reg⸗
nen laffen. Der „National” unter Anderm, der in feinen lite
rarifhen Artikeln flets ſehr pilant zu fein pflegt, erinnert bei
diefer Gelegenheit daran, baß ber große Cid, ats er ſich einft
in einer Geibverlegenheit befand, zu einem Geldwecheler ging,
ihm eine verfchloflene Kifte einhändigte, die, wie er fagte, mit
Juwelen gefüllt fei, und auf biefes Pfand eine bedeutende
Summe erhob. Einige Zeit darauf zahlte er dieſe Schuld ab.
Nachdem er dieß gethan, Öffnete er bie Kifte und zeigte, daß fie,
ftatt mit Diamanten, blos mit Sand angefüllt fei. Der Kanze
lee Pasquier fol nun, wie der „National” behauptet, auf eine
ähnliche Art verfucht haben, wie groß fein Grebit fei. Er
führte naͤmlich die Akademiker, bie feine Anfprüche auf eine
Stelle in ber Akademie in Zweifel zogen, in das Heiligthum
feines Schlafgemachs, bolte eine große Kifle hervor und fagte:
„Ss ift wahr, daß ich nie als Schriftfteller aufgetreten bin
und daß ich fo vielleicht Feine Anwartfchaft auf einen Pla in
der Academie francaise zu haben ſcheine. Aber beruhigen Sie
fih. Diefe Kifte enthält meine Denkwuͤrdigkeiten, die für bie
Geſchichte unferer Zeit von unfchäpbarem Werthe fein und bie
zugleich unwiderleglich darthun werden, daß in mir Stoff zu ei
nem großen Schriftfteller ift. Wählen Sie mic immerhin, meine
Herren; die Werke, die nach meinem Tode von mir erfcheinen
follen und die in dieſer koſtbaren Kifte enthalten find, werden
zeigen, daß id) würbig bin, im Kreife der 40 Unfterblichen zu
figen.” Wenn aber nun, fragt dad wigige Journal, das vielen
bizarren Vergleich zwiſchen dem würdigen Kanzler Pasquier
und dem Cid, ber ſtets feinem Worte unverbrüchlich treu war,
anftellt, wenn aber nun die Kifte Icer wäre? Pasquier hat
recht gut gefühlt, daß es ihm obliege, bie Wahl der Akademie
einigermaßen zu rechtfertigen. Er hat deshalb alle feine alten
Papiere zufammengefuht und eine Auswahl von ben Reben,
die er in der Deputirten» und Pairskammer gehalten hat, her⸗
ausgegeben. Wir wollen der politilhen Werth biefer Reden,
von denen bereits vier Bände erfchienen find, nicht beftreiten, aber
wir können dreift behaupten, daß ihre Form durchaus nicht clafs
ſiſch iſt. Auch feine Antrittsrede iſt ſchwach. Man hatte von
einem Manne, der in den Gtaatögefchäften ergraut ift, erwar⸗
tet, daß er einige lichtvolle Blicke auf die Zeitgefchichte und auf
die Politik im Allgemeinen werfen und daß er namentlich bie
Epoche, von der er in feiner Lobrede bes Bifchofs von Hermio⸗
polis zu reden batte, in einigen gluͤcklichen Streichen, zeichnen
würde. Aber dem war nicht fo. Er begnügt ſich, das Leben
des Hrn. v. Frapffinous, das fo viel Stoff zu intereffanten Bes
trachtungen geboten hätte, ganz einfach zu erzählen, und noch
dazu in welder farblofen und dürftigen Sprache! Mignet, ber
Die Rede Yasquier’s zu brantworten batte, fand Fein leichtes
Spiel, wenn er in allem Ernſte beweifen wollte, daß Pasquier
der Akademie würdig ſei. Seine Rebe iſt ganz meifterhaft,
wenn man fie ale Yerfiflage betrachtets indeffen wiſſen mir
nicht, ob Mignet fie als ſolche angelehen willen will. „Sie ha⸗
ben fehr unrecht”, ſagt er zum Neuanlömmling, „wenn Gie
fi der Ehre, die Ihnen die Akademie ermweift, für unmürbig
halten. Ihre Beſcheidenheit laͤßt Ihnen Ihr eigenes Verdienſt
verkennen. Sie haben bie gerechteften Anfprüche darauf, Mit:
glied biefer glänzenden Verſammiung zu fein; denn haben Sie
nicht Vorfahren gehabt, bie fi) durch die Kraft und ben Glanz
ihrer Beredtfamleit einen unvergänglien Ruhm erivorben ba»
ben. Sie find ficher berechtigt, in der Akademie zu figen, deren
befondere Aufgabe es ift, die Reinheit ber Sprache aufrecht zu
erhalten, denn haben Sie nit unter drei Königen bie erften
Staatsaͤmter bekleidet?“ Hierauf kehrt er fi von der Jam:
mergeftait Pasquier’8 ab und zeichnet mit Meifterhand das Bild
des Hrn. v. Brayffinous, gewiffermaßen um dem neuen Akade⸗
miler zu zeigen, wie man einen folchen Gegenftand behandeln
müffe. Während Pasquier fich in feiner Rebe nur in den klei⸗
nen biograpbifchen Details herumtreibt, ſtellt Mignet ſich auf
einen wahrhaft erhabenen Standpunkt unb wirft über das weite
Feld der Zeitgefchichte einen freien Bid. Bor mehren Jahren
Thon hat Armand Marraft einmal im „National“ in einem
glänzend gefchriebenen Auffage bas Leben des ehrwürdigen Kanzlers
geſchildert; aber damals fehlte dieſer Satire noch ein koͤſtlicher
Zug, denn Pasquier war noch nicht Akademiker. 6.
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Neue Schriften über den Drient.
Die „Revue orientale“ des Dr. Barrachin, von der wir
in d. BI. zu wieberholten Malen geredet haben, ift nach kur⸗
zem Beſtehen wieder eingegangen. Wahrſcheinlich find die Uns
terflügungen und Subventionen, auf bie der Rebacteur, der in
feinem Proceſſe mit Reſchid⸗Paſcha etwas zu fehe als Char:
latan aufgetreten ift, gezählt hatte, nicht regelmäßig eingelau⸗
fen. Denn bie Theilnahme an den Ereigniſſen des Orients ift
feldft gegenwärtig noch groß genug, um einer ben morgenläns
bifchen Intereffen gewibmeten Zeitſchrift, wenn fie mit Umſicht
geleitet wäre, ein längeres Beſtehen zu ſichern. Aber Dr. Bars
rachin erging fid) gar zu ſehr in allgemeinen Phraſen über bie
verfchiedenen Nationalitäten u. f. w., flatt uns aus dem Schatze
feinee Beobachtungen intereffante Mittheilungen zu machen.
Geitbem find uns über die orientalifchen Werhältniffe in vers
fhiedenen Werken mancherlei Velchrungen geboten. Bon Dem,
was über die verfchiebenen jungen Nationalitäten, die, wie
Lamartine fagt, aus dem Gchutte des zufammenbredyenden tür⸗
Tischen Reichs hervorwuchern, gefagt iſt, dürften leicht bie Mits
thellungen von Gyprien Robert das Befte fein. Der Verf.
biefer Auffäge, die in der „„Revuc des deux mondes“ erſchie-
nen find, kennt die Levante und namentlich die nördlich von
Griechenland gelegenen Partien der Türkei aus eigener Ans
fhauung. Auch die Reifejfizgen von Thouvenel, der durch eine
Reife in Ungarn befannt if, und die von Buchon, einem der
thätigften Herausgeber des ‚Pantheon litteraire‘, die beide
Griechenland betreffen und beide von ber „Revue de Paris’
mitgetheilt find, enthalten mandye intereffante Schilderungen.
Roch wichtiger, befonders für die Kenntniß der neueren Ereig⸗
niffe im Drient, iſt die Schrift: „Deux annees de l’histoire
d’Orient”, von M. de Cadalvene und Barrault. Beide Berf.
dieſes inhaltreichen Werks find mit den orientalifchen Verhaͤlt⸗
niffen innig vertraut. Hr. Barrault hat den Orient bereift und
Hr. de Gadalvene hält fi als Director der Paketboote der
franzoͤſiſchen Regierung bereits feit mehren Jahren zu Konſtan⸗
tinopel auf. Gr ſteht dafelbft in einem hoben Anfehen und fo
fogar an mehren ber Verhandlungen, welche die Pforte mit
Aaypten gepflogen hat, Theil genommen haben. Schon früher
hat Dr. Sadalvene in Gemeinſchaft mit Bra. Barrault eine
Gerichte des erſten Krieges zwiſchen Ägypten und ber Türkel
(1832 und 1833) herausgegeben und außerbem kat Grfterer
noch mit einem gewiffen M. de Breuvery ein intereffantes Wert
unter dem Titel „„L’Egypte et la Turyuie’ erfcheinen laſſen,
in dem ſich ſehr intereſſante Mittheilungen über dieſe beiden
Laͤnder finden. Den Inhalt des neuen Werkes, deſſen Titel
wir oben angeführt haben, bildet eine Gefchichte des Krieges,
der im Jahre 1839 zwifchen dem Sultan Mahmud und Mebes
med Alt ausbrach, bis zum Abſchluß des Julivertrags.
Le portefeuille du comte de Forbin.
Der Redacteur ber Beitfhrift „La France litteraire‘
bat ſich durch Veröffentlihung wichtiger Werke der Malerei um
die Kunft ein bedeutendes Werbienft erworben. Wir haben von
ihm verfchledene, mehr ober weniger umfaffende Sammlungen
von Kupferftihen. Cr beichenkt gegenwärtig die Kunftliebhaber
mit einer neuen Gabe. Es ift dies eine größere Sammlung
hoͤchſt intereffanter Zeichnungen, die den Zitel „Le portefeuille
du comte de Forbin’ führt und von der bereits die erften
Bieferungen erfchienen find. Der Graf Korbin war Director
der großen Sammlungen des Louvre und einer ber geiftreichften
Kunftlenner ber neuern Zeit. Gr hatte den größten heil
Europas, namentlich Spanien und Stalien und die Levante
felber bereit. Einen Theil feinee Wanderungen hat er in vers
ſchiedenen Werken (3. B. „Souvenirs de la Sicile‘, von denen
eine neue Ausgabe vorbereitet wird) auf eine anziehende Art
beichrieben. Mberall, wo ex gereift war, hatte er ſeibſt Zeiche
nungen entworfen und was nur an Bildern und andern Kunfls
ſchaͤßen zu finden war, aufgefauft. Aus der reichen Samms
lung nun, die er nach feinem che hinterlaffen bat, wirb Pr.
Shallamel eine Auswahl treffen, von ber man ſich bei dem Ger
ſchmacke dieſes Gelehrten und Kuͤnſtlers viel verfprechen kann.
Der Schwiegerfohn des Grafen Forbin, Hr. von Marcellus,
Berf. eines ausfüprlih in d. BI. befprochenen Reiſewerks über
ben Orient („Souvenirs de l’Orient”, 2 Bde.) und befonders
befannt dadurch, daß er bie berühmte Venus von Milo dem
parifer Loupre gewonnen bat, wird bie Seidhnungen mit einen
erläuterndbem Texte begleiten.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Berlag von J. A. Brodbaus in Leipztg.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienftag,
—— Kr. 10.
10. Sanuar 1843.
Über Bevoölkerungskunde.
( Bortfegung aus Nr. 9.)
Ein dritter Dauptabfchnitt betrifft die Statiſtik der
Shen. Zuerft das Verhaͤltniß der Verheitatheten zu den
Unverheiratheten. Jede Volkszählung follte nicht nur ers
geben, wie viele Individuen von jedem Geſchlecht verhei⸗
rathet und nicht verheicathet (verwitwet, gefchieden) find,
fondern auch welcher Altersclaffe fie angehören. Unftreitig
iſt nicht ſowol das Verhältniß zur Population, ald dad
zu den Erwachſenen in Betracht zu ziehen. Die Ungleich⸗
heit dee Trauungen in verfchiedenen Jahreszeiten hat meift
conventionnelle Urſachen; weſentlichere liegen natürlich den
Schwankungen in den Jahrgaͤngen zum Grunde.
Die Ehen find frequenter, wo man jünger und allgemeiner
beirathet: weit mehr Individuen erreihen das vierundzwanzigſte
als das fechsunddreigigfte Zahr und jüngere find weniger bes
daͤchtlich. Gehe verfchiedene und erfreuliche wie unerfreufiche
Urfochen bedingen aber das frühere Deirathen. Man heirathet
jünger und haufiger, wo der Erwerb leichter und ficherer if,
wo bie Bebürfnifle geringer und wohlfeiler, wo die Bitten eins
facher find — wo alfo weniger kuxus herrſcht —, wo man ſich
mehr vor Erzeugung unehelidher Kinder fcheut, und eben fo aber,
wo man forglofer und um die Zukunft unbelümmerter Tebt,
wo das Volk keinerlei höhere Beblirfniffe kennt. Fabrikarbeiter
heirathen gewöhnlich früher — weil bei dem neuern Kabrils
foftem viele Arteiter ſehr bald den höchſten Grad ber Brauch⸗
barkeit, alfo den hoͤchſten Lohn erlangen und bdiefer ziemlich fir
erfcheint —, weil ber Arbeiter, um zu erwerben, durchaus Teiln
Sapitai bedarf, alfo deshalb nicht erſt Erſparniſſe zu maden
braucht, weil ferner die Kinder fhon ſehr früh etwas verdienen
können und das Fabrikleben die Pubertät oft früher entwidelt
u. a. m. Im Handelsſtande heirathet man fpäter, weil der
Erwerb lange fehr unſicher und veränberlich ift und ein ans
ſehnliches Capital vorausfekt. Wo die Landleute Brunbeigens
thũmer fein wollen, werben fie fpäter und feltener (?) heira=
then, als wo fie größtentheils Pächter oder gar nur Tagelöh⸗
ner find. Die Leibeigenfhaft befördert wahrfcheintih frühes
Heirathen, ſowie orientallfcher Despotismus — benn bie Bor:
ſicht fallt weg, wo man kein Eigenthum erwerben Tann, oder
daffelbe ftetö ungefichert ift. '
Man ſieht, auch in Diefen einzelnen Beiſpielen beftd:
tigt der Verf. den allgemeinen Say: daß die Menfchen
mit dem Deirathen warten, überhaupt wirthſchaftlich vors
ſichtig find, fobald fie ein Ziel vor fich fehen, duch deſſen
Erreihung fie ihre Lage weſentlich verbeffern zu Finnen
hoffen, während fie zur Heirath eilen und alfe Vorficht
aufgeben, wenn fie von der Vorſicht hoͤchſtens fo viel er⸗
warten koͤnnen, daß e6 Ihnen nicht ſchlechter geht als jetzt,
und aud das nicht ficher verbürgt fehen.
Mit der Civilifation vermindern ſich gewöhnlich die Ehen,
weil mehr als bie Erwerbmittel unfere Bedürfniffe zunehmen.
Aus demfelben Grunde ift die relative Zahl der Ehen in vielen
Gegenden im Laufe des vorigen Zahrhunderts kleiner geworben.
Umgekehrt mag hier und da die Verbreitung des Kartoffelbaus
gewirkt haben, indem er die unterften Claſſen in den Stand
fegt, noch armfeliger zu leben. Unter fonft gleichen Umſtaͤnden
wird fie ferner Eleiner, je größer die Dichtigkeit der Bevoͤlke⸗
zung if, weil dann befonders der Erwerb von Brunbeigenthum
immer ſchwieriger wird.
Einige, wenn auch directe Hinderniffe, wie das kirchliche
Götibat und die Gonfertption, ſcheinen auf bie Zahl der Shen
doch wenig Ginfluß zu haben. Indem die einen zu heirathen
gehindert find, find andere dadurch begänftigt. Anders wirken
Geſetze, die überhaupt die Bollgiehung einer Ehe erſchweren.
Diefe vermindern die Zahl der Shen und vermehren die ber
uneyelichen Kinder.
Der Verf. zeigt an Beiſpielen, wie und warum die
Zahl der Trauungen, in Folge aͤußerer Ereigniſſe, in ein⸗
zelnen Jahren ſo betraͤchtlich abweicht. Bei einer groͤßern
Mortalität ergibt ſich zugleich eine größere Frequenz ber
Trauungen und umgekehrt. Zur Berechnung ber mittlern
Dauer der Ehen wuͤnſcht der Verf, daB in allen Sterbes -
regiftern, fo oft eine Ehe durch den Tod zerrifien wird,
die Dauer derfelben forgfältig eingetragen und daſſelbe hins
ſichtlich geſchiedener Ehen irgendwo verzeichnet werde. Das
gewoͤhnliche Verfahren der Berechnung diefes Verhaͤltniſſes
verwirft er aus guten Gründen. Ferner wuͤnſcht er, daß
uns die Eheliften Aufſchluß gäben, wie viele zum erften
Male Heirathende find, daß fie fpecificieten, wie viele Hei⸗
rathen zwiſchen beid- oder einfeitig Ledigen oder Verwitwe⸗
ten (und Befchiedenen) gefchloffen werden. Aus dem zeit
berigen Daten erfieht man jedoch fchon, daß anderwärts
beträchtlich mehr Weiber als Männer zur Ehe gelangen
und daß auch, was die Protogamen betrifft, auf zehn le⸗
dige Männer etwa elf Jungfrauen heirathen. Wuͤnſchens⸗
werth ift in unfern Zuftinden (einige) Verſpaͤtung der
Ehen. Die vorhandenen Daten leiden aber an dem Mans
gel einer Trennung der Protogamen von den Wiederver⸗
heiratdeten; ſowie es an allem Anhalt gebricht, die Heira⸗
thenden nicht blos nach ihrem abfoluten, fondern auch nady
ihrem relativen Alter zu claſſificiren, woraus doch über ef:
‚nen ber dunkelften Punkte der Bevoͤlkerungslehre, nämlich
“über den Einfluß des Altersverhäftniffes der AÄltern auf
38
das Geſchlecht der Kinder, Auffchluß zu erwarten wäre.
Die Verehelihungsprobabilität betreffend, fo ergibt fi we:
nigftens für die franzöfifche Bevoͤlkerung, daß bei der Ge:
burt eines Knaben 49 gegen 51, und bei der eines Maͤd⸗
chens 55 gegen 45 zu metten iſt, dag das Kind einft
heirathet. Auch die gewöhnlichen Berechnungen der mitt
fern Fruchtbarkeit find nicht ganz zuverläffig und fallen
gewoͤhnlich etwas zu niedrig aus. Es wäre lehrreich, auch
über die Sruchtbarkeit einzelner Glaffen, die Zahl ber fies
rilen Ehen, den Einfluß des Alters u. a. m. ftatiflifche
Daten zu erlangen. Aus manchen Beobachtungen fcheint
bereit6 hervorzugehen, daß die fruchtbarften Weiber nicht
die find, die fchon vor dem zwanzigften Jahre heirathen,
und daß fpät erft Heirathende in höherem Alter noch Kin:
der haben, als andere. Es wäre zu wuͤnſchen, daß in den
Geburtstiften aufgezeichnet würbe, wie alt die Mutter (und
der Vater) des Geborenen ift und das wievielte von ihr
Geborene das Kind ift. (Das wäre dann aud) mit den
Eheliften zu vergleichen, woraus das Alter der Altern bei
ber Heirath hervorgehen follte.)
Ein wichtiger Abfchnite betrifft die Verhaͤltniſſe der
Sterblichkeit, die Statiftit des Todes. Das abfolute
Sterbeverhältniß iſt nach Ort und Zeit oft beträchtlich ver:
fehieden und vermindert ſich insgemein mit den Kortfchrits
ten der Civiliſation. Für England und Frankreich befon:
ders ift eine flarke Abnahme feit 60 Jahren außer Zwei⸗
fl. Die Meinung jedoch, das Verhältniß fei am klein⸗
ften in nördlichen, am größten in füdlihen Ländern fins
det der Verf. nicht nachgewiefen. Größere Volksdichtigkeit
bedingt keineswegs eine vermehrte Sterblichkeit; weis haͤu⸗
figer fieht man das Umgekehrte; wol aber fteht einer groͤ⸗
Gern Mortalitätsziffer auch eine größere Geburtsziffer faft
immer zur Seite. jedenfalls iſt es unerlaglih, auch die
ungleiche Fruchtbarkeit und, die Zahl der Zodtgeborenen
und Fruͤhtodten in Betracht zu ziehen, fo oft die reelle
Sterblichkeit eines Volks gemeſſen werden foll. Die Mor:
talität variiert nod mehr und öfterer als die Geburtszahl.
In Sterblichkeitsjahren werden zudem fehr viele bereits
ſchwaͤchliche und dem Tode nahe Individuen meggerafft,
weshalb dann die naͤchſten Jahre oft um fo weniger Todte
zeigen. Dit den Fortfchritten echter Civilifation muͤſſen
diefe Fluctuationen mehr und mehr verſchwinden. Bel
ihrer Unterfuhung follte aber insbefondere nachgewieſen
werden, welche Claſſen der Bevoͤlkerung vornehmlich affi⸗
cirt werden und in welchem Verhaͤltniſſe in epidemiſchen
Jahren die Sterblichkeit der Kinder, Greiſe, Armen ıc.
ſteht. Ebenfo follte bei der Berechnung des Einfluffes der
Jahreszeiten auf die Sterblichkeit namentlich zwifhen den
Alterclaffen unterfchieben werden, fowie auch zwilchen
Stadt und Land Berfchiedenheiten obzumwalten feinen.
Auch die Berechnungen über den Einfluß der Gefchlechter
und des Alters auf die Sterblichkeit laſſen noch viel zu
wünfchen übrig. Erwieſen iſt die große Sterblichkeit im
erſten Lebensjahre, wiewol auch dieſe ſich nicht gleich bleibt.
Ebenfo, dab hierin das weibliche Gefchlecht vor dem
männlichen begüunftigt iſt und daß die Mortalität im ers
fen Lebensalter unter den unehelichen und Findelkindern
überaus groß if. Manche Gründe laſſen vermuthen, baß
durch die Fabrikbeſchaͤftigung die Sterblichkeit überhaupt
und infonderheit die der Kinder vermehrt werde. Doc)
fehlt es zur Zeit an directen numerifchen Belegen. Den
Einfluß der Podenimpfung auf die Vermehrung der Ber
völferung haͤlt ber Verf, ohne das Wohlthaͤtige der Sache
feldft irgend in Abrede zu flellen, für nicht fo hoc.
Denn jede Zunahme der Bevölkerung fege ſchlechterdings
eine verhältnißmäßige Vermehrung der Subfiftenzmittel
voraus, ba aber eine ſolche dusch die Ausrottung dee
Poden nicht befördert werde, fo fei ar, daß mit der Ver⸗
minderung der Sterblichkeit eine angemeffene „ Verminde⸗
rung der Geburten eintreten müffe. Mit Kraft ſetzt uͤbri⸗
gend der Verf. die Michtigkeit einer WBerminderung ber
Kinderferblichlrit auseinander und’ glaubt, daß es in der
Maht des Menfhen fiche, dem Tode die allermeiften
Opfer zu entziehen, die er bisher unter ben Kindern ges
fodert hat. Die Sterblicykeit, die am erften Tage auffal=
tend ſtark und überhaupt im erften Jahre am flärkiten
ift, nimmt von da an von Monat zu Monat ab, ohne
daß jedoch hierin eine conftante Proportionalität ftattfände.
Die Alterömortalitdt kann Direct und indirect berechnet
werden. Das directe Verfahren ift das einfachfle und zu=
gleich das allein zu einem zuverläffigen Reſultate führende,
wofern es auf zahlreiche und vieljährige Beobachtungen
bafirt werden kann. Es befteht darin, daß man die Mit:
telzahl der in einem Jahre Verftorbenen von jeder Alters
claffe durch die Geſammtzahl der gleichalterigen Lebenden
dividirt; denn find diefe beiden Größen mit gehöriger Ge⸗
nauigkeit ermittelt, fo muß fid) daraus unleugbar dag
reelle Mortalitätsverhältniß ergeben. Leider fehlt es aber
dermalen noch durchaus an den erfoberlihen Documenten,
um eine folhe Berechnung vorzunehmen. Die inbirecte
Berechnungsart ftügt fi) auf die Mortalitätstafeln. Aber
diefe ergeben in ihrer jegigen Einrichtung die wirkliche Abs
fterbeordnung keineswegs. So viel fcheint jedoch aus den
bisherigen Unterfuchungen hervorzugehen, daß namentlidy
für das männliche Gefchlecht zwifchen dem zwanzigſten und
fechsundzmangigften Jahre eine größere Sterblichkeit ein=
tritt. Dagegen fcheinen die dreißiger Jahre für das weib⸗
liche Sefchlecht gefährlicher zu fein als für das maͤnnliche.
Die Jahre, in denen ſich bie Menſtruation verliert, zeigen
fih für das weibliche Geſchlecht nicht fo Eritifch, als man
geglaubt bat, und ebenfo werden die fogenannten kritiſchen
oder klimakteriſchen Jahre duch die Statiſtik nicht beſtaͤ⸗
tig. Die Angaben, aus denen man fchloß, daß die Ehe
ein Lebensverlängerungsmittel ſei, ftellen fih, ber Kritik
des Verf. gegenüber, völlig ungenügend dar. Hinſichtlich
ber Mortalität der MWöchnerinnen verdient unterfucht zu
werden, ob und in welchem Berhältniffe eine Niederkunft
bei den erſten Geburten, für jede Altersclaſſe der Mütter,
für Unehelichſchwangere u. dgl. lebensgefährlicher fein mag.
Auch über den Einfluß der Gewerbe und höhern Berufs
arten auf die Sterblichkeit fehlt e6 noch ganz an verbuͤrg⸗
ten und genügenden Daten. Am meiflen muß «6 befrem⸗
den, baß über die Verhäitniffe des Militairs in biefer Be⸗
giehung noch fo wenige Unterfucgungen angeflellt find, und
um fo mehr, da die vorhandenen auf fehr ungänftige
Erfheinungen hinmeifen. In den Gefüngniffen war die
Sterdlichkeit natürlich früher fehr groß, bat fidy aber neuer:
dings fehr vermindert. Daß fie felbft geringer fel ale
wuter Freien, erlärt der Verf. fur einen Irrthum, bei bem
man nicht berüdfichtigt habe, aus welcher Altersclaſſe die
Mehrzahl der Gefangenen herruͤhrt. Die Armuth anlans
gend, fo berechtigten parifer Berechnungen zu dem Schlufje,
daß fie die Sterblidykeit wenigſtens verdoppelt. Zur Sta:
tiſtik des Todes wuͤrden auch Angaben Über ben relativen
Sinfluß der verfchiedenen Todesurſachen auf die Mortali:
tät, forsie über die Morbilitäe (Frequenz der Erktankun⸗
gen) und relative Toͤdtlichkeit der Krankheiten gehören.
KHimmt die Mortalität mit der Morbititäe parallel zu und
ab? Über den Setbftmord ergibt ſich auch aus den noch
ungenügenden Unterlagen body fo viel, daß er in manchen
Ländern häufiger ift als in andern, in Städten häufiger
als auf dem Lande, daß er in neuerer Zeit und mit der
fortfchreitenden Giolfifation merklih zugenommen, daß er
weit häufiger von männlichen als von weiblichen Perfonen
und vorzugsweije in gewiffen Altern verübt wird. Die
Mordthaten fcheinen in gleichen Verhältniffe abzunehmen,
wie die Selbftimorde zunehmen. Die Zahl der Seldſtmorde
unterliegt aber großen Schwankungen und zumeilen wird
dee Setbftmord epidemifh. Die Daten der Longävitäte:
ſtatiſtik find noch ungenägend. Saft ohne Ausnahme fin:
det man jedoch unter den über 80 Jahre alt Geftorbenen
mehr weibliche; zweifelhaft it e8 aber, ob mehr Weiber
ale Männer über 100 Jahre alt werden.
Einen welentlihen Theil der Bevoͤlkerungslehre macht
das Studium der Zu⸗ und Abnahme, oder der Bewegung
dee Bevölkerung aus. Um den Anwachs einer Bevoͤlke⸗
mg im verfchiedenen Zeiten zu vergleichen, ift es offenbar
nithig, das Verhaͤltniß des Zuwachſes innerhalb eines
Jahres zur Bevölkerung zu berechnen, und zwar das mitt:
km aus einer mehrjährigen Periode. Diefes Augmenta⸗
tiendrerhaͤltniß finder ſich indeſſen nicht richtig, wenn
man, wie bäufig geſchleht, den mittlern jährlichen BZumach®
mit der Bevölkerungszahl am Anfang der Periode ver:
geht, fondern es muß auch der mittlere Populationss
fland der Periode in Rechnung kommen. Aus ben Ans
gaben des Verf. über den Zuwachs der Bevoͤlkerung in
Europa ergibt fi: daß fie in den meiften Theilen -diefes
Belttheits, in alten, aus denen Data vorliegen, im Stei:
sen it, DaB aber der jährliche Zumadıe nur in den wer
nigften 1 Procent oder darüber — am meiſten in Eng:
ind (1,48), am wenigſten in Belgien (0,7) beträgt und
daß in vielen die Vermehrung bereits wieder und merklich
abuinımt. Beſondere Beruͤckſichtigung erfobert aber auch
die Statiſtik der Sin: und Auswanderungen. Kerner iſt
auch die relative Zunahme der verfchiedenen Beflandtheite
der Bevoͤclklerung zu unterfuchen, bee Stand berfelben in
Betreff der Sexual⸗, Alters :, Gewerbs⸗, Wohnorts >,
Stammwerhaͤltniſſe. Ferner der Einfluß außerordentlicher
Zufände auf die Fortſchritte des Bevoͤlkerung.
(Der Beſchluß folgt.)
Koh’ Reife nah dem Kaufafub.
Reife durch Rußland nah dem kaukaſiſchen Iſthmus in
den Jahren 1836 — 38. Von Karl Koch. Gtute
gart, Gotta. 1842. Gr. 8. 23 Thle. 10 Re”)
Es ift diefer fchägbaren Unternehmung, bie in Sammlung
werthvoller Reifefchitberungen fortfährt, in d. Bl. fchon oͤfter
mit verdientem Lobe und mit Theilnahme gedacht worden. Biel
leicht war es eben jegt nicht der rechte Zeitpunkt ein größeres
Werk über Rußland in bdiefe Sammlung aufzunehmen. Die
verfchiebenen Schriften des trefflihen 3. ©. Kohl über Rußland,
ufanımen zehn Bände füllend, haben uns an eine fo wiſſen⸗
N haftliche, fo tebenvolle, fo geiftreihe Behandlung diefes Stoffe
gewöhnt, daß es Außerft ſchwer fallen muß, nach einem fo ber:
vorragenden Werke durch irgend ein aͤhnliches über benfelben
Gegenftand noch eine regere Theilnabme zu erwecken. Der Reiz
ber Darftellung, welder die Kohl'ſchen Schriften auszeichnet,
fehlt dem vorliegenden Werke zu ſehr; der Verf. ſtellt ſich
Au fehr auf feinen fubjectiven Standpunkt, er greift zu wenig
den Schacht tieferer Reflerion und allgemeiner Wiffenfchaft
binein, als daß er mit einem Dann, wie Kohl if, auch nur
von weitem um ben Preis ringen Tönnte. Inzwiſchen führt
ihn feine Wanderung doch durch Gegenben, bie jener Reiſende
nicht ſpeciell geſchildert hat, und für biefen Theil feiner Arbeit,
die ald Supplement zu feines Nebenbuhlers Schriften bienen
kann, find wir ihm zu aufridhtigem Dank verpflidtet. Wo er
jedoch mit diefem auf demfelben Terrain yufammentrifft, da
wirb ber Unterſchied ber Auffaffungen auf lehrreiche Art fichts
bar und es zeigt fi, wie weit bie Kunflform auch in ber
Reiſebeſchreibung ihre Rechte und ihre Bedeutung geltend macht.
Dies ift beifpielsweife der Kal mit der Schilderung des Weges
zwifchen Petersburg und Moskau, welche auch bier den Cingang
des Buchs bildet. Diefe Schilderung, welcher Kohl fo viel Reiz,
Neuheit und Anziehungskraft zu geben mußte, baß unfer Ins
tereſſe daran auch nicht einen Augenblidt lang erlifcht ober
ſchwaͤcher wird, erfcheint hier ziemlich einfarbig, gleichſam grau
in grau gemalt, und bie Ränge bes Wegs wird, um wenig zu
fagen, dem Lefer fühibar. Kohl glänzt in bem Stil Benvenuto
Gellin!’s, Alles iſt Thatſache des Beiftes, Anſchauung, unmittels
bares Bild; Koch dagegen erinnert an den „Anacharfid’” und feine
Rachbildner, in feiner Schitberung bebt fi nur etwa das Wild
des alten Nowgorod, biefer fabelhaften Erſcheinung des ruſſi⸗
fhen Mittelaiters, als mit Wärme gemalt, hervor. In mans
her Beziehung gibt bie vorliegende Neifebefchreibung aud ges
rabezu bie Kehrfeite dee Kohl'ſchen Blider, bie allerdings mit
unverfennbarer Vorliebe gefchaffen find. Die ruflifchen Staͤdte⸗
anfichten 4. B. fallen eher unter unferer Erwartung aus, waͤh⸗
rind fie bei Kohl fi mehr beroorheben als wir erwarteten.
In den Heifebegegniffen weiß der Verf. nicht immer bas Ans
ziehende von bem Unbebeutenden zu trennen, unb er trifft die
feine Linie bes guten Geſchmacks nicht fo wie Iener. An Bus
firömen ber Thatſachen, an Wiſſenſchaft und beweglicher ſchwung⸗
bafter Keflexion fteht ee feinem Vorgaͤnger weit nach, dem an
tiefen Gindringen in das Material, an Kenntniß und überblick
wol nicht leicht Jemand gleichkommen mag. Dagegen liefert er
in großer Anzahl kurze und brauchbare Reiſenotizen unb em:
pfiebit fi damit den Retfenden, weldye ibm nachfoigen. Hierin
grenzt fih denn auch das Verdienſt biefer Schrift befonders ab.
Bon Moskau nimmt au er den Weg nad Drel, Woros
nei und Azow. Wir begegnen auch bier unter Anderm einer
jener charakteriſtiſchen Räuberfcenen, bie uns auch Kohl fchildert
und aus w bervorgeht, wie wenig ber Hufle zu ſtarken
Verbrechen disponirt ift, und wie felbft die Straßenräuberei bci
ibm den Sharakter der Yrellerei annimmt, um ſich mit einer
gewiſſen Gutmuͤthigkelt auszufpredden. Bine ausführliche Schil⸗
derung ber KRofadenftämme parallelifict biefelben befonders mit
den Webuinen Arabiens, ohne genugfam zu berüdfichtigen, daß
TU | [05
*) X. u.d. T.: Reifen und Länberbefchreibungen ber ditern
und neueften Belt. Mit Karten. Dreiundzwanzigſte Lieferung.
0
7
dieſelben ——— überall dieſelben Sitten erzeugen
werben. Lieblich und willkommen find die Lieder, welche er mit:
theiit und mit denen dee doniſche Koſack feinen Water Don,
den er, weil er aus dem Imanfee entſpricht, zaͤrtlich Zwano⸗
Pd (Iwansfohn) neant, gu befingen liebt. 3. B. das eins
ade Lien:
Tichiy Don Stiller Don
Biniy Don Blauer Don |
1 sehirok Und breit
I globuk Und tief u. f. w.
Diefes feines faſt vergötterten Stromes gedenkt ber Koſack
wnabläffig und feldft bei dem Xoaft, ben er bei feinen Gaſt⸗
mahlen dem kaiſerlichen Herrn zubringt: „Es lebe der Kaifer“,
zuft er, „im felfigen Moskau und wir donſche Burſche am
fanftfließenden Don!” Im achten Gapitel wird Neu⸗FTſcher⸗
keſſien gefchildert und hier beginnt jener werthuollere Theil dies
fes Reifeberichts, deffen wir oben gedachten. Ciskaukaſien, mit
der Hauptſtadt Stauropol, bie nomadifirenden Nogaier, ein
Miſchlingsvolk von turkomaniſchem Stamm, mit Mongolen und
Komanen gemifcht, und den krimſchen Sultanen tributpflichtig,
in 10,000 Fitzhütten, etwa 70,000 Seeten ſtark, wohnend; bie
Truchmanen (Zuraner), etwa ‚10,000 Seelen ſtark, und Kalmüs
ten, felbft nach der Auswanderung von 1771, welche 60,000
Seelen entfernte, immer noch der ftärkfte, 28,000 Kitzhütten ‚bes
wohnende Volksſtamm, werben in ihren Sitten, Gebräudyen, in
ihren fitttichen und politifchen Verhältniffen mit dankenswerthem
Detail gefchildert, und bie Städte Georgieffst, Pjatigorok, Kons
ftantinoff u. f. w., traurige Flecken, dargeftellt. Die Reife durch
bie Kofadenlinie gibt Anlaß zu ausführlicher Darftellung diefer
eigenthümlichen Militaircolonien und führt zu dem Kabardah⸗
gebirge, das ſchon dem Kaukaſus angehört. Won hier an be:
- ginnen bie Zfcherkeffendörfer und die berühmte Kette von Veſten,
“mit welchen Rußland die Faukafifchen Völker zu bezwingen hofft.
Jenſeit des Leögen wird zuerft die Veſte Uruch bei dem großen
Dorfe Borof befuht. Die Flora wird bier ſchon ganz die kau⸗
Zafifche, die Bevoͤlkerung von Aul ſchon ganz tfcherkeffiih. Die
Srengbeflimmung für biefen Volkeftamm ift aͤußerſt ſchwierig,
da die Maffe des Volks fi laͤngſt mit feinen Nachbarn viels
fach gemifcht hat. Nur die Herrenfamilien haben ſich rein er:
halten, und infofern beißt ber ganze norbweftlihe Kaukaſus
nit mit Unrecht Tſcherkeſſien, obgleich Abofen, Zataren, No⸗
gaier unb Offen bie überwiegende Bevölkerung bilden. Diefen
großen Landftrih, ben Kabarbah:, ben Kuban : Labafreis, bie
Küfte, dann Abaffate, den Tatarenkreis und den Nogaikreis ler-
nen. wir zuerft mit allen ftatiftifchen Einzelnheiten kennen und
erfreuen uns hiernächft an einer warmen und lebendigen Dar:
ftellung der Volksthuͤmlichkeit jener, jegt fo viel befprochenen
tſcherkeſſiſchen Bevölkerung, welche in Ciskaukaſien auf 650,000
Köpfe angelchlagen wird. Wie Bell nnd Marigny theilt auch
der Verf. Proben tfcherkeffifcher Kriegslieder mit; er lehrt uns
dies nüchterne, tapfıre, abergläubige, aber hochherzige Volk ger
nau Eennen und ſtellt befonders fein Religionsfoftem lichtvoll
und klar bar, in weichem bie Verehrung des Kreuzes Hand in
Hand mit ber feiner alten Götter Tſchiblah und Zieges u. f. w.
fortbeſteht. Wir- find vem Verf. für dies lobwuͤrdige ethnogro
phiſche Bild zu Dank verpflichtet.
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Wenn die wahre Bibliomanie mit all' ihren ſonderbaren
Ausartungen in England zu Haus iſt, ſo muß man Frankreich
als das Land nennen, wo die Bibliographie bie meiſten wah⸗
ren Liebhaber zählt. Die Societé des bibliophiles Fann als ein
Gentrum derſelben gelten. Die Leiflungen dee Geſellſchaft auf
dem Gebiete der Bibliographie find, befonbers was Iiterariiche
Suriofa und Raritäten anbetrifft, ſehr anerkennungswerth.
Außer ben erften Gelehrten von Paris nehmen noch: mehre
befannte Bibliophilen daran Theil, die durch ihren Reichthum
in. den Stand gefegt werden, ben oft wunderlichen Launen der
Boucherwuth nachzugehen. Das „Bulletin du bibliophile‘, das
bereits felt einigen Jahren von Charles Nobier rebigirt wird,
bitder eine förmliche Fundgrube für die Kenntniß ber alten
Drude, der bibliographiſchen Geltenheiten, der Editiones prin-
eipes u. ſ. w. Unter ben verfchiedenen Mitarbeitem an dieſer
Zeitſchrift zeichnet ſich befonders Babriel. Peignot, Bibliothelar
in Lyon, aus, der durch eine große Anzahl werthvoller biblio⸗
graphiſcher Abhandlungen, z. S. fein „Képertoire des biblio-
graphies apéciales“ u, f. w. ruͤhmlichſt bekannt fl. Sharles
Rodier ſelbſt, ber als Dichter, Sprachforſcher und Proſaiſt fo
hoch ſteht, bat bekanntlich den Umfang feiner bibliographiſchen
Kenntniſſe in feinen „Mélanges tirés d’une petite bibliocheque‘’
bereits bewiefen. Seine Auffäge im „Bulletin du bibliophile‘‘
zeichnen fih durch einen glänzenden Styl und oft durch einen
glücklichen Wit aus, der felbfk die trockenſten @rörterungen der
Bibliographie zu beleben weiß. So heben wir z. 3. einen
Auffag über die Druckfehler hervor, der aus feiner Feder rührt.
Ch. Rodier ift nie nur einer der ausgezeichnetſten und viel=
feitigften Schriftſteller Frankreichs, ſondern auch einer der frucht⸗
barſten. ine vollfländige Sammlung ſeiner Werke würde als
lein eine ziemliche Bibliothek ausmachen. Außerdem iſt er aber
noch bei einer Menge von Journalen betheiligt und ficht noch
der Leitung verfchiedener Kiterarifcher Unternehmen vor, die ſei⸗
nem Namen Ehre machen. So hat er ganz Fürziich erft wies
der Die Herausgabe einer ganzen Bibliothek franzöfifcher und
ausländifcher Meifterwerke übernommen, von ber bereits einige
Bände erfchienen find. Diefelben enthalten bis jest die „Md-
moires du cardinal Retz’’; „‚L&gendes populaires de la France‘,
die eine neue Ausgabe der „‚Bibliotheque bleue“ bilden; ‚„Nou-
velles vieilles et nouvelles“, yon Nodier, Töpfer, Baron von
Peyronnet, Arthur Dudley.
Schriftſteller aus den hoͤhern Claſſen der Geſellſchaft ſind
nur ſelten im Stande, das Leben des Wolkes aufzufaflen und
barzuftellen. So ift z. B. die Pringeffin Amalie von Sadıfen,
die mit befonberer Vorliebe das Leben der mittlern Stände zeich⸗
net, eine wirkliche Ausnahme. In ber Regel greifen die Schrift⸗
fteller, bie auf den hoͤhern Sproffen ber gefellfchaftlichen Leiter
ftehen, ihre Geſtalten und Bilder aus ben Kreifen, in denen
fie fich bewegen. &o fpielen 3. B. bie Romane der geiftvollen
Comtesse Dash (Gomteffe Ging Mars) faft immer in den
glänzenden Salons der ariftokratifchen Geſellſchaft. Die Gräs
fin D. D., Verf. des Romans „La princesse Sobleska’” und
bee „„Memoires d’une femme de qualitoô“, iſt ein anderer fol=
der vornehmer Bas- bleu. Auch ihre Romane bewegen ſich in
ber Sphäre, in der fie felber heimifch ift. Ihr neueſtes Werk:
„J.a duchesse de Grammont. Roman historique ’, enthält
einzelne anziehende Schilderungen aus dem ehemaligen Gefells
ſchaftsleben.
Die Franzoſen wenden ſeit einiger Beit dee Geſchichte ber
pyrenäifhen Halbinfel eine befondere Aufmerkſamkeit zu.
So erfcheinen zwei große, fehr umfaffende Geſchichtswerke über
Spanien, von denen jedes ſchon zu einer beträchtlichen Bändezapt
angefhwollen ift, nebeneinander. Es find dies die Geſchichte
Spaniens von Rofleums St.: Hilaire und die von Gherled Roc
mey. Von letzterer ſind vor kurzem der fünfte und ſechste Band
erſchienen, die das Werk indeffen noch nicht beſchließen. Ta
biefen neuen Bänden findet fich befonders ein höchſt Interefianz
tee Abſchnitt Über die Echtheit des Cid. Kerner heben wir
noch ‚eine Schilderung der Revolutionen und Kriege hervor, die
im 13. Jahrhundert den Norden Spaniens verbeerten. Dex
Verf. Enüpft hieran eine Geſchichte ber Vorgänge im ſüdlichen
Frankreich, fodaß fein Werk auch für die franzölische Geſchichte
nicht ohne Inteveffe it. Man erkennt in diefer Hiftorifchen Schrift
gründlide und umfaſſende Studien und befonders eine fehe
glückliche Darftellungsgabe. 2.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodbeud — Druck und Verlag von F. X. Brochaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung:
Mittwod,
11. Sanuar 1843.
über Bevölkerungskunde.
(Beſchluß aus Nr. 10.)
Sinen befondern Abfchnitt widmet der Verf. der ſta⸗
tiſtiſchen Erforfhung ber Lebensdauer. Er hat es aber
dabei hauptſaͤchlich mit einer Darſtellung ber wichtigſten
zeitherigen Mortalitätstafeln und einer ſcharfſinnigen Kri⸗
tie derfeiben zu thun und kommt zu dem Schluſſe, daß
man, um moͤglichſt richtig die wieklichen Mortalitätögefege
zu beftimmen, nicht nur bie Altersverhältniffe der Geſtor⸗
benen, fondern auch die der Lebenden, und überdies noch
die Zahl der Geborenm von allen Jahrgaͤngen, welchen die
Geſtorbenen und Lebenden angehören, Eennen follte. Be⸗
fäfe man jedoch auch von nur 10 — 12 Jahren voliftän:
dige und genaue Liften der jaͤhrlich Geborenen, ſowie der
jährlich in jedem Alter Geftorbenen und der in jedem
Alter (nady mehren Zählungen) Lebenden, fo müßte man
mit großer Zuverläffigkeft aus den beiden erften die Ord⸗
nung für die erften Lebensjahre und aus ben beiden letz⸗
ten die für alle folgenden Stufen beftimmen können. In
einer zweiten Abtheilung des Werks (S. 441 fg.) betrach⸗
tet nun der Berf. die Bevölkerungsverhältniffe einzelner
Staaten, indem er bier, wie in allem Vorhergehenden, el:
an geoßen Reihthum ſtatiſtiſcher Daten beibringe, kritiſch
peaft und umſichtig anwendet. Übrigens ſieht man aus
dem ganzen Werke, daß für diefe Unterfuchungen noch ſeht
biel zu chun iſt und daß auch die Staatsverwaltung ih:
nen nach Vieles vorzuarbeiten bat.
as Bernoulii im Allgemeinen, verfucht Becher in dem
zweiten Werke für einen einzelnen Staat, den großen oͤſtrei⸗
hiſchen Staatenſtaat. Allerdings iſt hier das Darſtellen vor:
hertfchend. Obwol er auch das Dacgeſtellte beſpricht und
Schluſſe daraus zieht, Erklärungen aufſucht, und obwol
wir die Art, wie er das thut, keineswegs unter dem Maße
billiger Anfprüche finden, fo dürften feine desfallſigen kei:
Rungen doch weder den Anfoderungen Bernoulli's noch
dem von Hoffmann gegebenen Beiſpiele vollkommen genuͤ⸗
gen. Allerdings war auch er durch die Mangelhaftigkeit
feiner Unterlagen beſchraͤnkt; das Vorhandene hat er mit
Eifer, unter Beruͤckſichtigung der von Bernoulli, deſſen
Schrift ihm bereits bekannt war, gegebenen Winke, be
must. Wichtig wird aber das Merk hauptſaͤchlich durch
die große Maſſe von ftatiftifhen Daten, bie es in Be:
treff der Bevoͤlkerungsverhaͤltniſſe des großen Kaiſerſtaats
beibringt. Der erſte Abſchnitt iſt der Bewegung der Be⸗
voͤlkerung gewidmet und betrachtet zuvoͤrderſt die Bevoͤlke⸗
rung nach der Anzahl beider Geſchlechter, des Militairs
und der Vertheilung nach dem Flaͤcheninhalte, bei alle
dem, wie durchgehends in allem Folgenden, die einzelnen
Provinzen unterſcheidend. Die Ein: und Auswanderun⸗
gen werden befonders betrachtet. Kerner wird daB Ver:
haͤltniß der Städte, Marktflecken, Dörfer, Häufer und Fa⸗
milien zum Flaͤcheninhalte im Allgemeinen und nad) den
einzelnen Provinzen und es wird die Bevölkerung nach
ber Religionsverfchiedenheit dargeftellt. Hierauf das Ber:
hältniß der Geburten nach den Gefchlehtern und mit Bes
rüdfichtigung dee unehelihen und todtgeborenen Kinder.
Bei den Trauungen konnte er wenigftens die Lebensjahre,
in denen beide Gefchlechter die Verbindung eingegangen,
angeben, woraus man freilid das gegenfeltige Verhaͤltniß
noch nicht ermeflen kann. Das ergibt fih, fo fagt er,
daB vom 24.—30, Fahre und über 60 Jahre die Mehr:
zahl des männlichen, und vem 30. bis Über 50 die Mehr:
zahl des weiblichen Geſchlechts fich verheirathet. Es ift
dad aber falſch ausgedrüude und er hat fagen wollen, daß
in den Jahren von 24— 30 und über 60 mehr Mäns
ner al6 Weiber, und in denen von 30—50 mehr Weis
ber als Männer heirathen. Denn bie ganz große Mehrs
zahl des weiblichen Geſchlechts heirathet allerdings bis zum
dreißigften Jahre. Er gibt ferner die auf das ledig und
verwitwet Heicathen bezüglichen Zahlen an. Die Zapf
der Trauungen, wo der eine Theil ledig, ber andere ver:
witwet war, beteug im Durchſchnitt ein Viertel aller ge:
trauten Paare. Man vermißt aber bier die Angabe des
Gefchtechtsverhättniffes. Hinſichtlich des Confeſſionsverhaͤlt⸗
niffes bemerkt er, daß die Zahl der proteftantifhen Trau⸗
ungen fehr gering fei und die Eingehung von gemifchten
Shen feit 1834 beträchtlich abgenommen hätte. Bel dem
die Mortalität betreffenden Abfchnitte hatte er den Bors
theil, die Altersclaffen der Verſtorbenen angegeben zu fins
ben. Auch hier war die Sterblichkeit des weiblichen Ges
ſchlechts geringer. (Nur Dalmatien und 1837 auh Be
nedig und Galizien maden davon Ausnahmen.) Die mei
ſten Zodesfäle kommen in Dftreih unter der Ens vor,
weit Wien dazu gehört; darauf folgt bie Militairgrenze,
darauf die italienifchen Provinzen. Die geringfte Sterbs
Kichkeit findet man in Dalmatien, Ungam, Siebenbürgen,
Ag.
Sprim und Tirol. Ganz angemefien dieſem Verhaͤlt⸗
niſſe und den obigen Lehren Bernoulli's entfprechend fin:
det man in benfelben Provinzen, welche die geringfte
Sterblichkeit haben, auch die geringſte Reproduction, das
egen die gsößte in der Militairgrenze und Italien, ron
die Sterblichkeit am größten war. Die größte Sterb⸗
lichkeit hat von der Geburt bis zum vierten und vom
fechzigften bis zum achtzigſten Jahre flattgefunden. Die
meiften Sterbefälle in Folge der Blattern kamen in Ga:
lizien, dann in Stalien vor, fehr wenige in Öftreich ob der
Ens, im Küftenlande und in Dalmatien. Durch Un:
gtuͤcksfaͤlle kamen die Meiften in Galizien, Böhmen und Ita:
lien, duch die Hundewuth auffallend viele in Siebenbürgen,
durch den Selbftmord die meiften in Oſtreich unter der Eng,
Böhmen, Mähren und Galizin, die wenigſten in Dal:
matien, im Küftenlande und in Zirol, durch Mordthaten
om meiften in Galizien, Sstalien und Dalmatien um.
Der ſlawiſche Stamm vermehrt fih am ſtaͤtkſten, nad
diefem kommen die Deutfchen; eine Ausnahme von bieler
Regel bilden Öftreich "und Tirol, wo die Vermehrung
ſchwach iſt; die am menigiten ſich vermehrenden Unter:
thanen find bie Magyaren.
Eine befondere Abtheilung iſt der Vertheilung der Be:
völkerung nach Stand und Beſchaͤftigung gewidmet. Hier
gibt ber Verf. zuvoͤrderſt eine Hauptüberficht der verfchie:
benen Kategorien und Belhäftigungen der Bevölkerung in
den Jahren 1834 und 1837, unterſchieden nach den Pro:
vinzen und mit den Rubriken: Geiltliche, Adelige, Be⸗
amte, Honoratioren, Gewerbleute und Künftter, Bauern.
Don der ganzen Bevölkerung kommen ungefähr auf 1000
Individuen im Durchfchnitte 2 Geiftlihe, 3 Beamte,
7 Gewerböleute und Kuͤnſtler, 11 Adelige, 13 Militairs,
54 Bauern, 186 Individuen des Nachwuchſes von ber
Geburt bis zum funfjehnten Lebensjahre, 29 des Nach:
wuchſes vom fechzehnten bie achtzehnten Jahre und 187
in Beine dieſer Kategorien gehörige (mobei es dunkel bleibt,
woraus fich diefe Claffe, außer den Mentiers, dem Ge⸗
finde und den SProfetarieen, zufammenfegt), fowie 508
Sreauenzimmer. Die größte Zahl der Geiftlihen haben
Ungarn und bie Lombardei, bie melften Adeligen Ungarn,
Siebenbürgen und Galizien, die meiften Beamten und Ho»
noratioren Ungam und die Lombardei, die meiften Ge:
werbsleute und Künftfer bat Böhmen, die meiften Bauern
haben Ungarn und Galizien. Aus dem ber befondern Be:
teachtung der Geifttichkeit gewidmeten Abfchnitte hebe id)
aus, daß 1839 in den beutfhen und ſlawiſchen Provin⸗
zen 55 Perfonen vom katholiſchen zu akatholifchen (1837:
54), dagegen 489 (1837: 484) von afatholifchen und
99 (1837: 75) vom jüdifchen zum katholiſchen Glau⸗
bensbekenntniſſe übergetreten find. Hier wie in den fol
genden Abfchnitten dient viel zur Darlegung der beftehen:
den Einrichtungen. Zur Civilverwaltung gehörige und
aus Staatskaſſen befoldete Beamte zählte man 1839
37,989 (367 mehr als 1837), wozu nod 5557 Prak⸗
titanten, 1765 Diumiften, 38,223 Diener, Wächter und
Auffeher, 52,728 Arbeiter kamen. Die Bezuͤge betrugen
34,690,624 Gulden. Dazu kamen nod an Penfioniften
s
1138 Beamte, 9327 Beamtenwitwen, 744 Diener, 1249
Dienerwitwen und 7403 Kinder mit 5,517,179 Gulden
Bezügen, und an Provifioniften 11,445 Männer, 74,155
Witwen, 7758 Kinder mit 1,148,511 Gulden Bezügen.
Der active Gtand ber Militairmacht belief fi) 1830 auf
465,132 Mann (53,818 weniger ald 1834.), Davon
ftanden 281,833 in den beutfchen, 120,329 in den un:
garifchen, 63,770 (1834: 103,542) in den ftalifchen Pro:
vinzen. Die größte Anzahl war verhältnißmäßig in Ga⸗
lizien flationirt (1837: 81,271 Mann, 16,085 mehr. als
1834). Hinſichtlich des Gemwerbflanbes geben genaue Tas
beilen über deſſen Vertheilung in die einzelnen Branchen
Aufſchluß. Ein befonderer Abſchnitt ift den Lehr-, Erzie⸗
hungs⸗ und Bildungsanftalten gewidmet und bat in fel:
ner fpeciellen Ausführung großes Intereſſe. Auch in Öft-
reich bat ſich die Frequenz der Univerfitäten, mit Aus:
nahme jedoch der italienifhen, vermindert. Die meiften
Schulen haben Zirol, wo auch allein mehr fchulbefuchende,
als ſchulpflichtige Kinder gezählt werden, die Lombardei,
die Militairgrenze, Mähren und Böhmen, bie menigfter
Dalmatien, das Küftenland und Galizien. In Tirol
kommt eine Schule auf 512, in Dalmatien eine auf
7140 Einwohner. Merkwuͤrdig iſt der Unterſchied zwis
ſchen der Lombardei, wo eine Schule auf 696, und dem
Benetinnifhen, wo eine auf 1310 Einwohner kommt.
Noch kommen am Schluffe einige Nachträge aus bem
Jahre 1840. Friedrich Bülau.
Gfroͤrer's Allgemeine Kirchengeſchichte.
Veranlaßt duch Hrn. Profeſſor A. Fr. Gfrörer’s „Allge⸗
meine Kirchengeſchichte“ haben wir früher in d. Bl.) —8
erſten Band und uͤber die erſte Abtheilung des zweiten Bandes
dieſes Werkes unſern Leſern einige zeitgemaͤße Gedanken vor⸗
gelegt und, im allgemeinen Intereſſe, auf den ausgezeichneten
Werth diefer Kirchengeſchichte, fo viel an uns Liegt, aufmert⸗
fam zu machen geſucht. In derfelben find über fehr bedeutende,
von neuem aufgeregte Kragen, bie Bierarchie und ihre Verhaͤlt⸗
nie zum Staate betreffend, fo nöthige als erwuͤnſchte beleh⸗
rende Auffchläffe zu finden. Mit klarem, erleuchtetem Berflande
bat der Verf. die Aufgabe einer chriſtlichen Kirchengeſchichte in
unferer Zeit aufgefaßtz mit gruͤndlicher Gelehrlamkeit und viel:
feitig geübtem Zalent Hat er feine Aufgabe gelöfl. Wir willen
nit, was bie Gelehrten vom Fach zu den neuen Anfichten und
vn der von bisheriger Routine abweichenden Methode des Verf.
agen werben; find aber überzeugt, baß wahrhaft civilifirten
Männern des Jahrhunderts feine Arbeit, als Befriedigung eines
unabweislihen Bebürfniffes, willkommen fein werde. Jeder
Gebitbete, jeber denkende Geſchaͤftsmann ſieht fi, zum Vers
ftändniß und zur Würdigung unferer Beit, faft täglich dringend
aufgefobert, über Entſtehung und Ausbildung ber Kirche und
deren alte Wirren gründlich fig zu unterrichten. Zur Beur⸗
theilung ber erneueten Anſpruͤche der Bierarchie können weber
liberale. noch minifterielle, abfprechende Phrafen genügen; mit
ihrem Wefen Tann nur das Stubium der Kirchengeſchichte une
befannt machen. In biefer Beziehung hat ſich Dr. Gfroͤrer ein
namhaftes wahres Verbienft erworben. Wir glauben baber bie
Fortſetzung feines Werkes (Band II, zweite Abtheilung), wie
feüger bie erſten Lieferungen, mit gleicher Unparteitichleit als
eine gelungene, aus felbftändigem Geiſte hervorgegangene Arbeit
unfern Lefern empfehlen zu müffen und ihnen einen moͤglichſt
gebrängten Bericht über bicfe Fortfegung ſchuldig zu fein.
*) Bergl. Nr. 12 f. 1841 und Nr. 26 f. 1848, D. Red.
4
Der Werf. erzaͤtit bier bie Geſchichte der Kirche vem
Kaiſer Konſtantin bis zu dem Papſte Gregor J., d. i. von
323 bis 622 chriſtlicher Zeitrechnung. Mit gleichem befonnenen
Berſtande und lichtvoller Auffaſſung bes Charakters verſchiede⸗
ner Zeitperioden, mit gleicher moͤglichſter Unparteilichkeit und
gruͤndtichem Gtubium der Quellen, wie in ben beiden erſten
Lieferungen, weiß er in ber Fortſetung bie ftufenweile Ent:
widelung ber hierarchiſchen Macht nad, wie jolche ſich Dom
4. bis zum 7. Jahrhundert in den morgenlaͤndiſchen Bis:
thämern, und noch confequenter im Abenblande, durch kiuge
Serechnung ber Inhaber des Stuhis von Rom, ausbilbete.
Bir erinnern und nicht, ben Unterfhieb theoretiſcher Gpigfins
digkeiten ber byzantinifchen Kirche und bes praftifchen, auf Bes
gründung theofratifcher Macht gerichteten Verfahrens der Rad:
folger St.⸗Peter's in irgend einer Kirchengefchichte fchärfer
und beutlidder bezeichnet gefunden zu haben. Der Verf. ſchil⸗
dert, geftügt auf die aͤlteſten Zeugniffe, großentheils mit ben
eigenen WBosten der Zeugen, bie Gharaktere und Syſteme ber
jenigen Perfonen, durch weiche die fruͤhern Streitigkeiten kirch⸗
licher Parteien aufgeregt wurden. In Erforſchung der Motive
ihrer Danblungen verräth er Menfchentenntniß, beren Reſultate
leider nicht immer erfreulich find, und noch weniger in einer
andern Zeit zur Nachahmung reizen. follten. ‚Möchte es auch
ſcheinen, daß ber Verf. bisweilen zu kuͤhn über die Beweg⸗
gründe von Handlungen urtheüt, die vor mehr als taufend Jah:
sen verübt wurden und über deren Zuſammenhang in den Schrif:
ten ber Beitgenofien keine Aufklärung gu finden if: fo wird
man doch geſtehen mülfen, daß Hr. Gfroͤrer pſychologiſche Gruͤnde
fuͤr ſeine Bermuthungen geltend zu machen. weiß. In
auf die Kämpfe der kirhlidden Parteien haben wir in bem
Werke oft Anlaß gefunden, zu bemerken, wie in dieſen Kämpfen
der Sieg felten dur größere Heiligkeit des Zweckes, baͤufiger
durch Prieſterſchlauheit und gewoͤhnlich mit Huͤlfe weltlicher
Gewalt ſich bald auf die eine, bald auf die andere Seite neigte,
fobaß bie goͤttiiche Offenbarung, auf welche fi alle Parteien
beriefen, in ein Gezaͤnke über unverftändliche, widerfprechende
Säge zerriffen wurbe, bie bald als alleinfeliamachend, bald als
ewig verdammlich gelten ſellten. Einheit kam in dieſes Chaos
nur, als ber alte roͤmiſche Herrſchergeiſt ſich des damaligen
Bolksglaubens, ſogar im Bunde mit heidniſchen Ceremonien,
bemaͤchtigte und dadurch den geiſtlichen neuen Rom die Welt⸗
herrſchaft ſicherte, welche das alte Rom durch Waffengewalt und
mütifche Künfte erworben hatte. Des Berf. Schilderungen bier
ſer Berhältniffe und Zendenzen find von hohem hiſtoriſchen und
pükhen Intereſſe und der ernſtlichſten Erwaͤgung in unfern
Toga würdig; ihre Werth wird noch gefteigert durch feine un:
(te, von allem Schwulft freie, fo klare ald Lebendige
Derſtellung. Jeder gebildete Leſer fühlt fi lebhaft angezogen,
ziht aleln dutch den Gegenfland ber Unterfuhung, fondern
acch durch bie Darftellung, bie eindringend zum Verſtande wie
zum Semüthe ſpricht und vielfachen Anlaß gibt zum Rachden⸗
ten über die wichtigſte Angelegenheit der Menfchheit. Und dies
ſes Nachdenken wird ihm erleichtert, indem ex in dem Werke
das Material der Gelehrſamkeit zu einem georbneten, verbun:
denen Ganzen für allgemeines Verſtaͤndniß verarbeitet finbet,
was ibn in den Stand feßt, ohne gelehrte Mühfeligkeit, aur
mit Hülfe ber Logil und bes gefunden Verſtandes, ſachkundig
über tirchliche Fragen zu urtheilen. Der ſinnige Leſer wird dem
Bırf. auch dann für deſſen Forſchungen dank ar ſein, wenn er
vielleicht mit deſſen Meinungen im Einzelnen nicht immer über:
einkimmen ſollte. Denn in dem gewiſſenhaft treuen Auszuge
bed Berf. aus den Acten ber kirchlichen Proceſſe find ſelbſt die
Gründe eines abweichenden Urtheils unſchwer zu finden, was
als ber ſicherſte Prüfftein ber Redlichkeit eines biftorifchen Be:
i anerfannt werden muß.
Fi diefen allgemeinen Bemerkungen wollen wir ben Ins
halt der vorliegenden Abtheilung in ber Kürze anzeigen und
dar) angezogene Stellen aus dem Werke felbft dem Leſer Ans
laß zu eigenem Urtheil geben. Das erſte Capitel (das fiebente
Bezug
des zweiten Bandes) "Hat bie überſchrift: Die Donatiften
und ihre Gegner. Prisecillian und der Kampf wiber ibn.
Bilhof Martinus von Tours.“ Die Donatiften bildeten eine,
auf verfländige Auffaffung der chriſtlichen Lehre und, anfangs,
auf moraliſcher Gefinnung geflüste Sekte, beren Gegner bie
fogenannten Rechtglaͤubigen, bie- bonatiftifche Anfiht nur bes
tämpften, weil fie der Tatholifchen Herrſchſucht gefährlich zu
werben drohte. ©. 547 fg. beißt es: „Seit bem Ende des
3. Jahrhunderts findet fich bei den lateinifchen Wätern bie
Behauptung, daß die Seligkeit jedes Chriſten von feiner Theil⸗
nahme an der allgemeinen chriſtlichen Gemeinde bedingt fei.
Diefelde fand anfangs allgemeine Zuflimmung, was natürlich
war, da die Kirche bamals der überwiegenden Mehrzahl nad
aus guten Menſchen beſtand. Als aber in der Mitte des
3. Jahrhunderts ein gemiſchter Menſchenhaufe in die Kirche
eindrang, als in Folge von Konftantin’s Belehrung Geld» und
Ehrgeiz Zaufende ſchlechter Menſchen zum chriſtlichen Bekennt⸗
niß vermochte, mußte jener Grundfag angefochten werben. Am
ſtaͤrkſten thaten dies die Donatiften. &ie flellten ihm bie Lehre
entgegen: bie Kirche Chrifti fammt ihren Segnungen Sei nur
ba, wo ber heilige Geift wirkte. Der heilige Geift wirke aber
nur auf fittlich gute Seelen, nicht auf Verworfene und Schlechte.
Eine Gemeinde, welche grobe Günder in ihrer Mitte bulbe,
babe fich ſelbſt vom Leibe des ‚Herrn losgetrennt. In einer fols
hen Kirche koͤnne der heilige Geift nicht durch die Sacramente
feine Gaben ausſpenden; alle in ihr vollgogenen Sacramente
feien leeres Gepränge ohne Kraft u. f. w. Sie behaupteten
weiter: die Katholiken Afrikas feien dadurch, daß fie Verraͤther
und Böpenanbeter als Brüder anerkannten, von Chriſto abges
fallen und der Önadengaben verluftig geworden. Sie erklärten
fie daher für nicht beffer als Heiden, und bemgemäß tauften fie
Alle, bie von ben Katholifen zu ihnen übertraten, won neuem.
Ein fo ſcharfes Urtheil, das über bie re tgläubige Kirche von
Afrita den Stab brach, mußte die Anhänger ber lehtern tief
beleidigen, die Katholiken bebarrten bartnädig bei der alten
Überlieferung, baß nur, wer ber allgemeinen, durch bie Wifchdfe
vertretenen Kirche angehöre, das Himmelceich erben fünne.
Sie zogen weiter einen Schluß, welder eine zweite Kluft zwi⸗
fhen ihnen und den Donatiften aufthürmte: „Da jeder Chriſt
(ſagten bie Katholiken) das Wohl feines Rebenmenſchen auf
alle Weiſe zu befördern ſuchen muͤſſe, fo fei es nicht bloß ers
laubt, fondern heilige Pflicht, Sole, welche ih aus Irrthum
oder Hartnaͤckigkeit der Gemeinfchaft der Kirche Gottes entzögen,
im Nothfall mit Gewalt einer Anftalt zuzuführen, außer wels
her Niemand felig werden möge. Die Mittel, Verſtockte zu
zwingen, befige aber nur ber Staat, folglich komme es ber
Kirche zu, die Huͤlfe der Staatsgewalt aufzurufen, bamit dieſe
Biderſtrebende und Abtruͤnnige durch bürgerliche Strafen zur
Kuͤckkehr in den Schoos der alleinſeligmachenden Kirche nöthige.”
Die Donatiſten ihrerſeits ſahen in dieſer Lehre einen neuen Bes
weis des Werberbniffes, das in der katholiſchen Kirche herrfcht ;
fie wielen fie mit tiefftem Abſcheu zurüd. Der roͤmiſche Kaifer,
fagten fie, möge über bie Leiber feiner Unterthanen verfügen,
er möge ihnen ihr Gelb nehmen, aber über ihre Seelen habe
er keine Gewalt; biefe feien frei und ſtehen in Gottes Hand.
Donats Nachfolger, Parmenianus, bewies im 3. 370 in einer
Streitſchrift die Verdammlichkeit ber katholiſchen Partei, weil
fie zur Zeit bes Konftantius gewagt, Soldaten egen Beken⸗
nee Jeſu autzufchiden und Bekehrungen burch finete zu
erzwingen. Auch fpäter, als Auguftin gegen bie Donatiften
auftwat, kamen fie wieder auf biefen Vorwurf zuruͤck. In ſei⸗
nem Buche gegen Auguſtinus ſagt ber donatiſche Biſchof Peti⸗
lianus: „Haben die ÄApoſtel irgend Jemand verfolgt, oder hat
Chriſtus Einen der weltlichen Macht überliefert? Du aber, ber
du dich einen Jünger Chriſti nennft, willft bie Miſſethaten der
Heiden nachahmen Meint ihr Gott dadurch zu bienen, daß ihr
uns mit eigner Hand mordet? Ihr Elenden irrt, wenn ihr dies
glaubt; Gott will Eeinc ‚Henker zu Prieſtern. Chriſtus wollte
die Menſchen durch fanfte Überredung zum Glauben bewegen,
4
nicht fie mit Gewalt dazu zwingen. Warum erlaubt She nicht
en Soden feinem freien Willen zu folgen, da doch Gott fetbft
dem Menfchen den freien Willen verliehen hat? Was hängt
Ihr Euch an die Fuͤrſten diefer Welt, in welchen die Ehriſten⸗
‚beit ihre Feinde von jeher erkannte! Auf aͤhnliche Weife ſprach
fich der bonatifche Biſchof Baudentius aus: „Bott hat ben Mens
fihen nad} feinem Ebenbilde und darum frei gefihaffen. Warum
wollt Ihr ihm durch menfchliche Willkuͤr entreißen, was Gott
ihm verliehen! Iſt es nicht wahrer Hochverrath, daß menſch⸗
liche Anmaßung ſich unterwindet, zu rauben, was Gott und
geſchenkt, und daß fie erſt noch ſich ruͤhmt, dieſen Raub im Ra⸗
men Gottes zu verhben!! Gin Menſch, ber Gott vertheidigen
will, beleidigt dadurch den Höchften, denn er kann nicht anders
denken, als daß Gott zu ſchwach ſei, das ihm widerfahrene
unrecht ſelbſt zu raͤchen. Der allmaͤchtige Gott gebrauchte der
pheten, um das Wolf Ifrael zu befehren, nicht Fuͤrſten übers
trug er dieſes Befchäfts der Heiland der Seelen, Iefus Chris
ſtus, fandte, um feinen Glauben zu verkündigen, Fiſcher aus,
eine Soldaten.’ Diefer Auszug aus Gfroͤrer's Nachrichten von
der verkegerten Sekte wird genügen, offenbar zu maden, daß
die Donatiften, durch ihre Sefinnungen, eine viel veinere Mo:
ra) verfündeten als die fogenannten Rechtgiäubigen, welche bie
Menfchen mit Gewalt alleinfelig machen wollten und dadurch
die Moral felbft vernichteten, die ohne freien Entſchluß unmoͤg⸗
Uch iſt. Die Anwendung ber Lehre der Donatiften auf neuere
kirchliche Zuftänbe bleibt, wie billig, bem Scharffinn des Leſers
fetbft überlaffen. Den weitern Inhalt biefes Sapitels, Priscis
Han und die biutdürftige Verfolgung biefes unfchulbigen Schwaͤr⸗
mers, den der raͤnkeſuͤchtige unbeilige Hofpfaffe Ithacius hin⸗
richten ließ und den der große Wunderthaͤter Martin von Tour
nicht vetten Tonnte, obgleich er ein gutes Wort für ihn eins
Iegte, dieſe denkwuͤrdige Geſchichte koͤnnen wir hier nur andeus
ten, und in Bezug auf bie Eehre, die aus ihr hervorgeht, auf
das Werk felbft verweiſen.
(Die Bortfegung folgt.)
Literarifhe Notizen aus England.
Miß Blamire.
Ziemlich ein halbes Jahrhundert nad) dem Tode der Miß
Blamire, der „Muſe von Gumberland”, haben zwei Verehrer
ihrer Dichtungen, deren nur wenige bei ihrem Leben In Drud
erfchienen. find, es über fich genommen, diefelben zu ſammeln
und nebft einem biographifchen Memoir und erläuternden No:
ten in einem zierlichen Bande zu veröffentlichen — unter dem
Zitel: „Thg poetical works of Miss Susanna Blamire, ‚the
Muse of Cumberland‘. Now for the first time collected by
Henry Lonsdale, M. D. With a preface, memoir, and notes,
by Patrick Maxwell” (Cdinburg 1842), Kein Freund ber
Dichtkunſt wird «8 bereuen, die Sammlung zu lefen. Bier je
doch etwas von ber Dichterin nad) Anleitung bed Memoir. Gie
war 1747 in Gumberland geboren und bie Zochter geachteter
Ütern, erhielt eine gewöhnliche Erziehung und ſtarb unverhei-
zathet und unbefcholten zu Carlisle im I. 1794. „In ihrem
DW. Jahre“, fchreibt der Biograph, „beſaß fie eine gefaͤllige
Geſtalt, etwas uͤber mittelgroß, und, obwol ein wenig pocken⸗
narbig, trug doch ihr Geſicht das Gepraͤge der Guͤte. Ihre
dunkein Augen ſpruͤhten Feuer und bei der erſten Bekanntſchaft
mußte man fie lieb gewinnen. Ihre Landsleute nannten fie
a bonny and varra lish young lass, was fo viel heißt als
ein fehönes, junges, lebhaftes Mädchen. Das Ungezwungene
und Kreundliche ihres Wefens Löfte die Schüchternheit ihrer uns
tergeorbneten Umgebung. Jeder und Jede bemerkten fogleich,
daß fie ihnen wohl wolle und ihr Gluͤck nach Kräften zu meh:
ren ſuche. Ste nahm Theil an ihren gefelligen Zuſammenkuͤnf⸗
ten, bie in Gumberland merry neets heißen, und gab durch
ihre huͤbſche Geſtalt, ihr huͤbſches Tanzen und ihre hübfche Luſtig⸗
teit dem Vergnuͤgen einen Reiz, ven es ohne fie entbehrt haben
würde. Man bat mir gefagt, ſolche Gelegenheiten hätten the
fetbft viel Freube gemacht, zuerft habe fie die verfchichenen
Schattirungen um ſich her mit ſcharfem Auge gemuflert und
dann fei fie dem Vergnuͤgen mit lebhaften Intereſſe gefsigt.
Ehe noch die Heiterkeit des Abends die bei beriei Bufammens
fünften anfangs fleife Zuruͤckhaltung geſchmeidigt, amufirte fie
das verihämte Naͤherkommen irgend eines jungen Landmanng,
der zögernd feinen befcheidenen Krapfuß zog und fie um die
Ehre ihrer Hand zum Zanze bat. Mit herzlicher Gutmuͤthig⸗
keit ftand fie auf, fprang im Zimmer umher und verſcheuchte
dadurch die Befangenheit, die den freien Ausbrudy der Luft, das
laute Lachen des Frohſinns gehemmt hatte.” Miß Blamire
war 19 Jahr alt, als fie das erſte größere Gedicht fchrich
Sin Jahr fpäter vermählte fi ihre Schweſter mit dem Oberfl
Graham auf und zu Sartmore und Suſanna begleitete fie nad
ihrem ſchoͤnen Wohnfige in UntersPerthfhire. Bier machte fie
fi mit den Sitten und der Sprache des Landes, mit ber
Volkspoeſie und der Volksmuſik fo vertraut, daß fie zulegt in
Schottiſch faſt ebenfo fertig dichtete wie in Engliſch. In weis
der vermandtfchaftiichen Beziehung ihr Schwager zum Verf.
des berühmten Liedes fland: „Oh tell me how to woo thee”,
bat der Biograph nicht zu ermitteln vermocht, und das ift zu
bedauern, indem bieraus ſich ergeben würbe, ob Walter Seott
fi wirklich hat anführen laſſen, ats er jenes Lied in fein
„Minstrelsy of the Scotish Border” aufnahm. Bon ihrem
3. Jahre an Eränkelte die Dichterin und ihr Biograph gibt
der Bermutbnng Raum, daß eine ungluͤckliche Liebe, unglüdtich
buch das Dazwilchentreten der Verwandten des Geliebten, die
Veranlaſſung geweſen.
Ein neuer Roman von James.
Abermals ein Buch und zwar eine dreibändige Novelle
von G. 9. R. James, betitelt: „Morley Ernstein, or the
tenants of the heart (London 1842) Das Buch hat eine“
Vorrede und biefe Borrede haben zwei englifche Kritiker in Ars
beit, d. h. unter die Scheere genommen — XAinsworth in fels
nem nicht befonders erheblichen „Magazine” und das keines
Lobes bedürfende „‚Athenaeum‘‘, Ainsworth perfiflirt ſeinen
Gollegen auf drei enggedrudten Seiten, redet gricchifch und Tas
teiniſch, deutih und franzoͤſiſch und ſchleppt einen Ballaſt von
Citaten herbei aus Homer und Shakſpeare, Tom Jones und
Hamlet, Jago und Anaftaflus, Rowena und Othello, Rebekka
und Humphrey Klinker. Und wozu? Um es lächerlich zu ma:
den, daß der Held der Novelle, Sir Morley Ernftein, bis an
den Rand aller Arten von Verſuchungen gelangt und nicht
faͤllt. „Dieſe großmüthige Ruͤckſicht für feine Eefer, ‚to raise
the mourals and to mend the heart‘, fagt Ainsworth, „hat
den Berf. auf dem Zelde beengt, wo unfere großen Novelliften,
dfe Altern tie die neuern, ihre Stärke entwidelt haben.” Das
„Athenaeum’ ift — „einigermaßen in Verlegenheit, wie es
fein Urtheil ausdrüden ſoll“, doch klingt fein Tadel im Ganzen
gemaͤßigter. Alles dies hat James ſich durch ſeine Vorrede zu⸗
gezogen, denn hätte er darin nicht die Theorie feines Syſte mse
auseinandergefeßt, fo fländen zehn gegen eins zu wetten, daß
weder Ainsmorth noch das „‚Athenaeum‘ an der praßtifchen
Ausführung Anftoß genommen haben würde. Ernſtein, bee
Held ber Novelle, iſt ein in Vorkfhire, nahe bei Doncafter, ges
borener Baronet deutfher Herkunft, erbt ein großes Vermögen
und kommt beim Antritt feiner Volljaͤhrigkeit in deſſen Befte.
Seine feften Brundfäge führen ihn aus langem Kampfe mie
feinen Leidenfchaften zum Siege. Den Gegenfag bildet Graf
Eieberg, der Verſucher zum Böfen, und die Bermittlerin zwi—
ſchen Beiden iſt die tugendhafte Julie Carr. Außerdem fehlt
es nit an Nebenperfonen, von benen jedoch Eeine überflüffig
erfheint. Die Darſtellung ift feifh, der Ton gefund, die
Sprache rein und felbft einige Digreffionen find zum Vortheit
der Erzählung. 3
Verantwortlicher Herausgeber: Deinrih Brodbaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brodhaus in Leipzig.
Blatter
für
literarifde Unterhaltung.
Donnerdtgg,
— Nr 12, ——
12. Januar 1843,
Niebuhr's Reliquien.
Niebuhr's Leben und Denken liegt jest in feinen Brie⸗
fen auf da6 klarſte vor uns. Die unerfchütterliche Recht:
lichkeit feiner Gefinnung, fein fireng : fittlicher Ernſt, fein
edler Patriotismus, fein echt willenfchaftliher Sinn, feine
große Zärtlichkeit für Altern, Gattin und Kinder, feine
aufopfernde Liebe für Freunde — Alles dies macht ihn
jeglichen Lobes werth. Und dies kann auch da nicht ge:
fdymätert werden, wo Niebubr bei dee Erregbarkeit feiner
Gefühle und bei der Stärke feiner fubjectiven Überzeugun:
gen ungerecht gegen Einzelne, wie 3. B. gegen den Für:
fen Hardenberg, mard oder zu herben, Leidenfchaftlichen
Tadel über gewiffe Beftrebungen und Anfichten ausfprach.
Ganz ungetheilt aber ift fein Lob als Geſchichtſchreiber
Roms im In: und Auslande, weit feine Gefchichte, wie
die bedeutendften Philologen und Rechtögelchrten anerkannt
haben, vor Alien Savigny, fo folgerecht, im Ganzen ge:
nommen, durchgeführt iſt, daß man es nur als bie größte
Ungerechtigkeit anfehen kann, wenn Jemand über ihn im
fummarifhen Verfahren den Stab brechen wollte, etwa
wie P. v. Kobbe mit Teidenfchaftlicher Erbitterung — aber
furlich ohne Erfolg — gethban hat. Wenn dagegen Män:
ar von Geiſt und Gelehrſamkeit, wie Dttfried Müller,
Goͤttling, Rubino, Rein, Niebuhr's Anfihten im Einzel:
zen berichtigten oder Fehler aufdedten, fo iſt dies mit vol:
ler Bewunderung feiner großartigen Unterfuchungen gefches
ben und der Widerfpruh in einer ſolchen Weife geübt,
dag Niebuhr ſelbſt, der emfige Korfcher, es gebillige haben
würde, er, der die „Römifche Geſchichte“ für das Merk feines
Lebens erklärte, das feinen Namen, des väterlichen nicht
unwerth, erhalten follte, das er niemals laͤſſig aufgeben
würde.
Bekanntlich gab Niebuhr noch bei feinem Leben eine
Sammlung Meiner philologiſcher Schriften heraus, deren
Vielſririgkeit die verdiente Anerkennung gefunden hat.
Statt rines zweiten Bandes, zu dem, wenn wir nicht
irren, Heffnung gemacht wird, erfcheint jegt eine Samm⸗
tung ber nichtphifologifchen, meiſtens ungedrudten Auf:
füge aus der Hand des Sohnes und eine vom Vater zur
Belehrung eben diefes Sohnes aufgelegte Sammlung von
Heroengeſchichten aus dem griechiſchen Alterthume, unter
dem Titel:
1. Nachgelaſſene Schriften B. ©. Niebuhr's nicht⸗
philologiſchen Inhalts. Hamburg, F. Perthes. 1842.
Sr. 3. 2 Thlr. 20 Nor.
2. Griechiſche Deroengefchichten. Bon B. G. Niebuhr
ſeinem Sohne erzaͤhlt. Hamburg, F. Perthes. 1842.
Sr. 8. 67 Nur.
Marcus Niebuhr, der Sohn Liegt Neferendarius bei
der koͤniglich preußifchen Regierung zu Merſeburg), bat
fi durch diefe Veröffentlichungen ein großes Verdienſt um
die Merthhaltung des väterlihen Namens erworben, und
Viele, die nur von Niebuhr’s „Roͤmiſcher Gefchichte” etwas
tiffen oder beiläufig gehört huben,, werden ſich wundern,
denfelben Mann bier über neuere Gefchichte und Politik
fo einfichtsvoll reden zu hören, ihn in der Finanzwiſſen⸗
ſchaft und Landwirthſchaft fo wohl unterrichtet zu finden,
mit einem Worte eine Wielfeitigkeit von der feltenften Art
wahrzunehmen. Um fo mehr verdiente das Unternehmen
feines allgemein wiſſenſchaftlichen Intereſſe wegen in d.
Bl. befprochen zu werden.
Was nun den Inhalt von Mr. 1 anbetrifft, fo iſt
der nichtphilotogiihe Nachlaß Niebuhr's bier nicht volls
ftändig mitgetheilt worden. Ausgeſchloſſen find die rein
polemiihen Schriften, als ‚Preußens Recht wider den
fähfifhen Hof” (Berlin 1814) und die gegen den Gehel:
men Juſtizrath Schmalz, weil fih Niebuhe ausdruͤcklich,
in der Vorrede zu feinen‘,,Kleinen Schriften” und in den
Briefen („Lebensnachrichten“, III, 212), dahin ausgeſpro⸗
den hatte, daß polemiſche Schriften ebenfo wenig ale uns
freundliche Außerungen aufbewahrt bleiben follten. Die
esftere Schrift nennt der Herausgeber „einen wahren Spies
gel deutfchee Gefinnung”. Aber wir billigen es, daß „te
alte aber vergeffene Erinnerungen nicht wieder hat wecken
wollen, die um der deutfchen Einheit willen begraben bleis
ben follen”. Ebenfo find auch einzelne in Zeitfchriften ab-
gedruckte Auffäge von blos vorübergehendem Intereſſe nicht
mit aufgenommen werden. Dagegen finden wir hier bie
aus Holland gefchriebenen Gireularbriefe, die nash unges
druckt waren, und eine Anzahl aus dem „Preußifchen Cor:
tefpondenten” entlehnte Artitel, welche die größere Hälfte
des Bandes füllen und ein befonderes Intereſſe haben.
Bekanntlich ward Niebuhr im J. 1808 vom Miniſter
von Stein nach Holland geſchickt, um bei dem fo bedauer⸗
tichen Buftande der preußifchen Finanzen dafelbft eine Anz _
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feihe zu neyociren. Er kam im März 1808 an und blieb
bie zum Aprit 1809. In dieſer Zeit ſchrieb er an feinen
Vater und an feine Angehörigen eine Anzahl Circular⸗
briefe („Lebensnachrichten“, I, 333), in denen er theil® -über
den Gang feines Geſchaͤfts berichtet, theils aber, und dies
in einem noch höhern Grade, die Mefultate feiner Beobach⸗
tungen und Studien des Landes mittheilte. Diefe Briefe
wollte er ſpaͤter überarbeiten und herausgeben : das legtere
iſt nun in gegenmwärtiger Sammlung geſchehen, aber ohne
Zufäge von feiner eigenen Hand, die wir nun blos pie den
fhon gedrudten Briefen Nr: 163 — 179 entnehmen können,
zu deren Ergänzung das bier Begebene wiederum dient.
Allerdings find jegt 34 Jahre vergangen, feitdem Nie:
buhr jene Briefe fchrieb, aber fie enthalten doch noch viel
Wahres, Brauchbares, ja Meues, da Holland, fo viel ug:
‚fere Zouriften auch die Welt durchſchwaͤrmen, felten einen
Reiſenden fo lange feffelt, als Niebuhr, durch die Verhaͤlt⸗
niſſe genöthigt, hier verweilt hat. Daher konnte er aud)
nicht allein nach Eindrüden, fondern nady Überlegung und
berichtigtem Urtheile feine Wahrnehmungen mittheilen. Es
gilt dies nun ganz befonders von der Natur und phyſi⸗
hen Beſchaffenheit des Landes, wo die Bemerkungen über
die torfhaltigen Moore, die Polder, die Dünen und An:
ſchwemmungen, die Deiche, die Marſchen und über ähn:
liche Gegenftände alle Aufmerkſamkeit der Phyſiker ver:
‚dienen, ſowie die über Lands und Gartenbau das ns
treffe der Landwitthe. Welche wichtige Reſultate Niebuhr
aus ſolchen Beobachtungen für die Geſchichte zu ziehen
mußte, ift aus vielen Stellen feiner „MRömifchen Ge:
(dichte und aus den Briefen im zweiten Theile der „Le:
bensnachtichten“ bekannt. Der längere Aufenthalt im
Lande geftattete ihm den Beſuch der wichtigſten Städte,
Amfterdam, Utrecht, Haag, Rotterdam, Gouda, Leyden,
der berühmten Dörfer Saardam und Broek, mancher klei⸗
nern Drtichaften, in deren Befchreibung uns überall der gebil-
dete Reiſende entgegenteitt, ſowol wo er über die äußern Ge:
genftände ald über die innern Einrichtungen urtheil. Im
ber erjiern Beziehung nennen wir die Schilderungen ange:
fehener Bibliotheken, wie dee zu Leyden, beren vollftänbi:
ger Genuß ihm freilich durch Wyttenbach's Ungefaͤlligkeit
nicht geftattet war, und berühmter Kirchen, wie des Doms
zu Utrecht, der Öffentlichen und Privat: Gemäldefammlungen
und der Denkmäler berühmter Helden und Staatömänner.
Die große Vertrautheit Niebuhr's mit allen Perioden ber
niederländischen Geſchichte macht diefe Belchreibung fehr
Iehrreih und gibt Veranlaſſung zu allerhand Ereurfen,
wie über Rupter, „‚unftreitig den größten Seemann, der
jemals lebte, und deifen republifanifche und menfchliche
Zugend feiner Körpergröße gleich war”. In der zweiten
Beziehung verdienen die gemeinnügigen Anftalten, Die
Waifen:, Acbeite: und Krankenhaͤuſer erwähnt zu vorrden,
wo wir überall den kenntnißreichen Dann mahrnehmen.
Das intereffantefte Stud — und aud nah F. W. Deth⸗
mar's „Freundlicher Erinnerung an Hollond und feine Br:
- wohnen” — iſt unftreitig der Reiſebericht über Friesland,
Groningen und Drenthe, diefe Länder der unverfälfchten
frieſiſchen Ration, wie fi Niebuhr ausdruͤckt, die jedoch von
den Amfterdamern kaum ber Beachtung werth gehalten
wurden. Niebuhr beflimmte zu diefer Reife feine lang:
genährte Vorliebe für die friefifche Nation, in beren Sit:
ten und Gewohnheiten er mehrfache Ähnlichkeiten mit den
vaterländifchen Dithmarſchen zu finden hoffte. Daher er:
halten wie bier die forgfamfte Beſchreibung diefer Provin:
zen, ſowol der wichtigern Städte Enthunfen, Groningen,
Dokkum, Leumaarden, als mehrer Meinerer Städte und
Dörfer mit reihlihen Nachweiſungen über die Beſchaffen⸗
beit des Bodens, über den Aderbau und die dazu noͤthi⸗
gen Geräthfchaften, über Wohnungen, Kleidung, Gebräus
che, Charakter und Landmaße der Frieſen, ſowle über ihre
alte Verfaſſung, ihre Rechte, ihre Sprache, Alterthümer
(3. B. die Hünebedden in Drenthe) und Gefdichte, deren
Verdienfllichkeit und Nutzbarkeit (wir glauben, auch noch
für die Jetztzeit) durch die Mühe erhöht wird, mit wel⸗
her Niebuhr diefe Nachtrichten einfammelte. Denn bie
friefifhen Bauern waren nicht blos ſcheu, fendern auch
voll Widkrwillen gegen Fremde, die ihr fo merkwuͤrdig ab:
geſchloſſenes Land befuchten.
(Der Beſchluß folgt.)
Gfroͤrer's Allgemeine Kirchengeſchichte.
(Zortſequag aus Nr, Il.) .
Das folgende Gapitel handelt von dem Erzbiſchof Ambros
fius von Mailand und von den römifchen Patriziern als Bifchöfen.
Ambrofius war ein großer ehrwuͤrdiger Charakter, Wir willen
nicht, ob in neuern Zeiten viele Kirddenfürften fein erbabenes
Beifpiel nachzuahmen das Gluͤck hatten; ficher ift, daß nur
durch eine fo fromme Geſinnung, durch eine, feiner moraliſchen
Natur entfprungene, fo lebendige Überzeugung von ber Heilig⸗
keit einer Religion der Liebe und der Menſchenfreundlichkeit, wie
Ambrofius in feinen Handtungen beurkunbete, der Kirche das
Anfehen einer göttlihen Anſtait erhalten werden kann. Dieje⸗
nigen dagegen würden irren, weiche durch brutale Nadhäffung
ber Künfte eines Athanafius (der, wie unfer Verf. fagt, „nicht
in den Wegen der Apoftel gewandelt”) der Hierarchie die ver⸗
lorene Gewalt wieder zu erwerben verfuchen moͤchten. Mit
Muth, doch ohne Reidenfchaft, arbeitete Ambrofius den Aria⸗
nern entgegen; burd ein fo mürbevolles als Huges Be⸗
tragen enteräftete er die Intriguen und die Gewalt der Artas
nifhen, von ber Kaiferin Suftina begünftigten Hofprieſter⸗
partei. Gin WBeichüger und Wohlthaͤter des Volks, fonnte
er auf deffen Beilland in ber ihm drohenden Gefahr
rechnen. Seine fittlih Fromme Würde flößte fogar den gegen
ihn ausgefendeten Sotdaten Ehrfurcht ein und entwaffnete
ſie. Seibſt den großen Theodoſius wußte er, wegen einer
von bem Kaifer, im Born, gegen bie Theſſalonier verübten
Graufamkeit zu demütgigender Buße zu beftimmen, nicht
duch heuchleriſche Künfte, fondern durch firenge, doch die
Würde des Kaifers nicht verlegende Beredtſamkeit; daher biefer
auch dem Erzbiſchofe nicht gram wurde, fondern ihn ale Va⸗
ter ehrte. Genf, aber mit chriftliher Demuth und Milde ſprach
er zu bem weitlichen Herrſcher; die kecken Hofleute verwies
er in bie ihnen gebührende untergeorbnete Stellung zurüd.
Seine Sunft bei dem Kaifer benugte er nicht, um Geld oder
Ehrenſtellen für fih ober feine Scüslinge zu bitten, ſon⸗
dern um Milde gegen SBefiegte, Anordnungen zum Wohl
dee Menfchheit dem mächtigen Gebieter zu empfehlen. Richt
Herrſchſucht, nicht Priefterftol;, die Übergeugung von ber
"Heiligkeit der Religion gab ihm Muth und Kraft, bie
Unabhängigkeit der Kirche von willkuͤrlicher weltlider Ges
walt zu vertheitign und zugleich die Bade bes Works
gegen Bebrädung der Großen zu befpügen. „Wir ſehen“, fagt
der Berf., „an dem BWrifpiele des Erzbiſchofs von Mailand, wie
die Geiäftserfahrung und der politifche Geiſt, welcher bie gros
Sg vömifchen Familien auszeichnete, ſich mit den Grundfägen
des Ghriftenthums vermählte.” „Waͤhrend bes zweijährigen
Kampfes (gegen die Arianifche Hofpartei) übte ber Erzbiſchof
auf feine Gemeinde einen Sinfluß aus, ungefähr wie einft bie
roͤmiſchen Tribunen in ben beflen Zeiten der Repubtif auf das
Bott. Die Gemeinde bewies am eine Anbänglichkeit ohne
Gleichen. Wie die Glieder eines Körpers bewegten ſich auf feis
nen uf die Dunbderttaufende Mailande. Die Charafteritärfe
und Die Zugend bes Erzbiſchofs war es, was diefes innige Band
zwiſchen ihm und ber Menge ſchlang.“ „Glorreich ging Am⸗
brofius aus dem Kampfe bervor ; er hat bamals den Grund zur
Unabhängigkeit der lateiniſchen Kirche gelegt.”
Gapitei 9. „Hieronymus. Rufinus. Das Moͤnchthum im
Abendiande. Jovianus, Sarmatio und Barbatianus. Pauli:
nus von Nola.' Der Berf. zeigt an einer Reihe von Maͤn⸗
nern, wie der Oſten, in Beziehung auf das Mönchtkum, auf
den Weſten eingewirkt bat. Der befchränfte Raum d. Bi. nds
tbigt , mit dieſer allgemeinen Inhaltsanzeige uns zu begnügen.
Capitel 10 handelt von bem Kirchenvater „Auguftinus, Peta⸗
gius und Caͤlrſtius. Von dem Streite zwifchen den Anhängern
der Willensfreideit und der Gnade ıc. Der Verf: fcheint mit
befonherer Vorliebe bei dem Eharalter ded Auguftinus zu ver:
weilen, welcher allerdings auf fein Jahrhundert und die folgenden
Jahrhunderte entichieden einwirkte, fobaß noch gegenwärtig die
deutlichſten Spuren feines Geiſtes, feiner Lehren und feiner
Handlungsweiſe ſich in den Zufländen der Kirche nachweiſen laf-
fen. Dbglei nun wir nicht leugnen können, daß ein fo lange
dauernder Einfluß nur aus einer reihen Quelle von Geift und
Thatkraft zu .erfiären fei, fo müflen wir doch geftchen, daß wir
in die faſt unbedingte Bewunderung, die der Verf. diefem Kir:
chenlehrer zollt, nicht durchgaͤngig eingehen können. Doch
iſt bier der Ort nicht, unſere abweichende Meinung ausfuͤhrlich
zu begründen. Wir erlauben uns nur einige Andeutungen in
Bezug auf Kuguftin’s Lehre vom Suͤndenfall und daraus ers
foigter Berworfenheit des menſchlichen Geſchlechts und von ber
Gnade, im Widerfprudy gegen tie Anhänger der Willensfreibeit.
Die Pelagianır, gegen welde Auguſtin mit allın ihm zu Ges
dote fichenden Waffen kämpfte, lehren: „Der Menſch iſt frei
geboren. Icder befigt in der Kreiheit feines Willens die Kraft,
das Gute ober das Böfe zu wollen und zu thun. Nur von
dan hängt es ab, ob er gut cher böfe fein will. Cine Erb⸗
fanıe gibt es nicht. Indem Adım das Gebot Gottes übertrat,
Kadett ex nur fich ſeibſt, keineswegs feinen Nachtommen. Der
Zod, fen er litt und den wir erleiden, ift nicht Folge feiner
She. Er wäre geitorben, wenn cr auch nicht gefündigt hätte.
Seber Reugebcrene befindet ſich in demfelben firtlichen Zuftande,
im welhen Adam vor den Kalle war. Gott will, daß allen
Venſchen geholfen werde und daB fie nach dem leiblichen Tode
jum ewigen Deile gelangen. Verſchiedene Wege führen zu bems
felben. Fromme und rechtichaffene Heiden gefallen Gott burch
re Zugend und werden nad) dem Tode der Seligkeit theilhafs
tg. Der volllommenfte Weg aber ijt das Evangelium und bie
Reiigion Jeſu, denn das Beilpiel Chrifti und die Belehrungen,
weildye er uns gibt, erleichtern und den Gehorfam gegen Gottes
Gebote, indem fie unfern Verftand erleuchten, unfer Herz rüb:
men. Audy läßt Sott in die Gemuͤther Derer, welchen es ernft
in wit dem Chriftentyum, auf uͤbernatuͤrliche Weife feine Gnade
eiufrömen. Nur muß diefe Gnade durch Anjtrengung verdient
fein. Sie kommt nur zu Denen, welche fie durch tug:ndhaftes
za erringen tradjten, und wenn fle kommt, thut fie doch
dent freien Willen keinen Sintrag‘ u. f. w.
öpfers kam, befaß er eine Vollkommenheit
des Pribes und ber Seele, und genoß in Folge deflen cines
Side, von dem wir uns gar keinen Begriff mehr machen
Saunen. Sein Verſtand war himmliſch und ber tiefften Erkennt⸗
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niffe fähig, fein Wille gänziic frei, ſodaß er Gutes ober. Wh:
fee nah Willtuͤr waͤblen konnte. Gin Reiz zur Eünde regte
fih nit in ihm, die vernünftige Seele deſaß vor dem Falle
vollfommene Herrſchaft über bie Sinnlichkeit, ſodaß nie ein
Streit zwifchen der Vernunft und wilden Begierden ſtattfand.
Auch beſchwerte der Körper die Seele nicht. Derſelbe war vor
bem Balle weber dem Zode noch irgend einer Krankheit unter:
worfen. Das Paradies, in welchem Adam lebte, vereinigte
alle Seligkeit in fi, felbft in feinen Träumen umfchwebten
ihn gluͤckliche Bilder. Die Ihiere gehorchten ihm, die Früchte
des Gartens zeichneten fi durch ihre Zrefflichkeit aut. Alle
biefe Wonnen gingen durch den Fall Adam's nicht nur für
ihn felbft, fondern auch für fein Geſchlecht unwiederbringlich
verloren. Denn in ihm und durch ihn fündigten alle Denfcen,
feine Nachkommen. Darum ift der Zod, der Sold der Eünde
Adam’d, zu Allen bdurchgebrungen. Jener Fehitritt bat bie
ganze menſchliche Natur vergiftet, die fittliche Kreiheit ift vers
loren. Jeder Menſch bringt mit der Geburt ein fo verberbtes
Herz mit auf die Welt, daß er aus eigenem Antriebe nur Bo⸗
fee, nichts Gutes thun kann. Als ein durch und durch verdors
benes Geſchlecht unterliegt ber Menſch mit vollem Rechte dem
göttlichen Fluche. Gleichwol hat der Herr aus lauterer Barm:
herzigfeit von Ewigkeit ber den Beichtuß gefaßt, aus dieſer
Mafle des Verderbens Einige zu retten. Denjenigen, welche
er zu biefer Seligkeit beftimmte, gibt er die Mittel dazu; alle
Andere, welche nicht zu der Heinen Zahl der Auserwählten ges
bören, trifft woplverdientes (?) ewiges Verderben (!!). Unb
zwar erfolgt bie Erloͤſung durch Chriſtum. Alle Heiden, ſowol
die, welche vor Chriſtus lebten und alſo nichts von ihm wiſſen
konnten, fowie die, welche nad) ihm lebten und nichts von ihm
willen wollten, find ewig verloren. Da wir von Natur durch
und durch verdorben find, fo ift es Unfinn, die göttliche Gnade
von der Ruͤckſicht auf unfer größeres oder geringeres Verdienſt
abhängig zu machen; denn wir find vor Gott Alle auf gleiche
Weife nichts wert. Nach freiem Willen ertheilt Gott feine
Gnade. Welche er, vermöge ſeines ewigen Beſchluſſes, erwaͤh⸗
ten will, die erwählt er. Kur für diefe Auserwäpiten ift Chriftus
in die Welt gefommen und geftorben.‘
Dies ift die Lehre des heiligen Auguftin von der Erbſuͤnde,
von der Verworfenheit der menſchlichen Natur, von der Gnade,
die Gott, nad) Willlür, von Ewigkeit her nur für einige Wenige
aufiparte, benen zu Liebe er die große Anftalt der Erlöfung durch
Chriſtum anorbnete, vermuthlih weil er dies nicht auf ein«
fachere, leichtere Art zu Stande zu bringen wußte. Wir müf:
fen gefteben, daß wir in den Meinungen des rechtgläubigen
Kirchenvaters nur hoͤchſt unmwürbige Begriffe von der Gerechtige
teit und Barmberzigkeit Gottes und überdies eine ganz verfchrte
Anſicht von der Moral entdecken können. Einen Priefter, wel«
cher ſolche Grundfäge, wenngleich nicht erfand, doch zu einem
Syſtem ausbiltete und fie zur Richtfchnur in der blutigen
Verfolgung Andersdenkender machte, könnten wir unmöglich
„einen außerordentlihen Wenfchen” nennen, „ber weit feine
Zeitgenoſſen uͤberragte“. Wie rein und erbaben lautet bas
gegen die Lehre des Pelagius, welche Auguftin als kegeriſch
verfolgte! Wenn „ber ganze bobe Klerus Afritas in ben Gonr
cilien“, die den Pelagius verbammten, „wie ein Mann zu
ibm, dem Auguftin, ftand”, fo mochte es eben keine Ehre fein,
diefen zu überragen, d. i. zum Vortheil der Prieſtermacht zu leis
ten. Dem geringften Grade von gefundem Menichenverftande mußte
es leicht werden, jene Lehre zum Gefpötte zu machen. War
ber Verſtand Adam's himmliſch und ber tieflten Erkenntniſſe
fäbig; war fein Wille gaͤnzlich freis regte ſich kein Reiz zur
Eünde in ihm; befaß feine vernünftige Seele vor dem Kalle
vollkommene Herrſchaft über die Sinnlichkeit, fodaß nie ein
Streit zwifchen ber Vernunft und wilden Begierden flattfand:
fo.war ja feine Übertretung bes Geſetzes ohne allen zureichen-
den Grund und bei einem Menſchen von himmliſchem Verſtande
wirtiih moraliſch unmoͤglich. eines unbegreiflichen Abfalls
wegen mwurben jedoch alle feine unfchutbigen Nachkommen vers
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urtheitt, ein verworfenes Geſchlecht zu fein, das nur Wöfes,
nicht Gutes aus eigenem Antriebe thun kann!! Wenn aber
nur auf fremden Antrieb, durch bie willkürliche, unverbiente
Gnade des Bern, der Menſch Gutes thun könnte, wäre damit
nicht alle Moral, jede Tugend, bie moralifche Zurechnung felbft
vernichtet ? — Was follen wir uns vollends bei einem Gotte
denfen, der voraus wußte, daß fein volllommener Menſch Adam
u Bau kommen würde,’ und doch diefen erſchuf, damit alle
Keine Nachkommen verworfen und verfiuht würden? Wo hat
Jeſus Shriftus jemals ſolche Lehre von feinem allgütigen Vater
geprobigt? Wenn er ſprach: „Niemand kann zu mir fommen,
es fei denn, daß Ihn ziche der Vater, der mich gefanbt Hat”:
ſo heißt, dies ganz einfach: „Nur gute Menfchen, deren inneres
Derz fi zu Gott angezogen fühlt, fönnen mit mir und meiner
Lehre übereinflimmen.” Unmoͤglich Tann „folgerichtig” aus jenen
Worten die Auguftinifche Lehre herausgedreht werden. Endlich
tft die Behauptung Auguftin’®: „Jeder Menſch bringe mit ber
Geburt ein verderbtes Herz mit auf bie Welt, unb wir feien
von Natur durch und durch verborben”, diefe Lehre, Tage ich, ift,
die Wahrheit zu fagen, reiner Unfinn. Der Menſch trägt in
fi die Fähigkeit des Guten wie des Böfenz feine Natur if
darum nicht verdorben. Die menſchliche Natur ift auch nicht
nach den anfänglichen Zuftänden des Kindes oder einer noch
rohen Geſellſchaft zu beurtheilen; erft in ber Entwickelung ber
cioilifirten Gefellſchaft offenbart fi die Menfchennatur. Dies
{ft vor Allem zu bedenken. Unfer Verf. fagt: „Auguftin’s
Behauptung einer völligen Verderbniß menfclicher Natur bes
ruht am Ende auf ben Grlebniffen feines Innern”, d. h.
Auguftin führte vor feiner Bekehrung, wie er felbft fagt, ein
mit Sünden beflecktes Leben; er war ein Sklave der Wolluft.
Alſo hielt fich der fündige Auguftin fir ein vollguͤltiges Muſter
der menſchlichen Natur? Seine Indivibualität war ber allge:
meine Typus! Es hat aber von jeher gute, edle Menfchen gegeben,
die ſich durch GSittenreinheit auszeichneten; warum follten bdiefe
nicht Zeugniß geben von der Güte ber menfchliche Natur?
Zu bdiefen Bemerkungen eben wir uns veranlaßt durch
bed Verf. Neigung, bes Auguftinus Lehre von der Berderbniß
der menfchlihen Natur zu vertheidigen. „Der Menſch, fo
ſcheint es uns”, fagt Hr. Gfrörer, „ift von Natur durchaus
feloftifch, er fucht nur fein Vergnügen, feine Ehre, feinen or:
tHeit und gebt barauf aus, den Andern als Mittel für feine
Zwecke zu benutzen. Zwar geſchieht es in Folge gemiffer Ein»
richtungen, daß dieſe Selbftfucht nicht zu grell und ſchamlos
bervortritt, aber fie ift Ddefienungeadhtet vorhanden. Denn
ftelt euch in Gedanken einen Zuftand vor, wo die Macht der
Geſetze gegen Eingriffe in fremdes Eigenthum, gegen Woluft,
gegen Ausbrücde des Haſſes, der Rache, ber beleidigten Eitel⸗
feit, wo endlich die Angft vor dem Tadel ber öffentlichen Mei:
nung aufgehört hätte — was würde dann zu Zage Eommen? —
Kurz, ed ift Erfahrungsfag, daß ber Menſch von Natur ein
fetoftfüchtiges und böfes Geſchoͤpf fei. Auguftin hätte demnach
in einem Hauptpunkte recht.“ Wir erlauben uns dagegen zu
fragen, ob bie Seibſtſucht und Schlechtigkeit wenn auch noch
jo vieler Individuen über die Natur des ganzen Menfchens
geſchlechts entfcheiden könne? Stehen die guten Menſchen außer:
halb der Natur ihres Geſchlechts? Sind die Einrichtungen und
Sefege, wodurch ber Böfe in Schranken gehalten wird, nicht
auch ein Auafluß der menſchlichen Natur, bie fih nur in der
Geſellſchaft offenbart; denn wer die Menfchennatur beurtheilen
will, fol das Ganze, nicht einzelne Theile ins Auge faflen s
bas Ganze aber zeigt fidh nur in den Banden der Gefellfchaft,
nit in dem Agregat ber Individuen. Der Menſch ift, feiner
Natur nach, durch und für die Gefellfhaft und außer ihr ein
vernunftiofes Thier. Die Sprache, die den Menſchen von an-
bern Geſchoͤpfen der Erbe unterfcheibet, ift nur in der Gefell
ſchaft möglich. Es ift nicht in einzelnen gegebenen Räumen
und Zeiten, fondern in der Entwidelung, in der Gefchichte der
Menfchheit ihre Natur zu erforſchen. Iſt es enblich ein Irr⸗
tbum, wenn. „Manche die innere Stimme (bed Gewiſſens) zu
dem Weſen des Menfchen zählen und darin einen unabtrenn
baren Beſtandtheil der menſchlichen Natur ſehen“? Dieſe
innere Stimme iſt das Organ ber moraliſchen Natur und
der Menſch bringt dies Organ, wie Aug und Ohr, bei
ſeiner Geburt mit auf die Welt. Die Gegner Auguſtin's koͤnn⸗
ten aus ſeinem Syſtem ſchließen, daß daſſelbe nur auf von Na⸗
tur Verworfene anwendbar und für wilde Voͤiker berechnet ſei,
von wahrhaft edeln Menſchen aber und einer ſittlich civiliſirten
Geſellſchaft durchaus entbehrt werden koͤnne.
Hr. Gfroͤrer ſagt: „J. J. Rouſſeau, der noch einen ſtaͤrkern
Gegenſatz zu Auguſtin bildet als Pelagius, behauptete, der Menſch
ſei von Natur gut und werde blos durch die geſellſchaftlichen
Einrichtungen verdorben. Wäre Rouſſeau ſtatt 1178, erſt 1800
geſtorben und hätte er die franzoͤſifche Staatsumwaͤlzung mit
allen ihren Greueln eriebt, fo würde er vielleicht feine Anſicht
geändert haben.” Wir dürfen unfern Widerſpruch gegen dieſe
Anficht‘nicht verfchweigen. Rouſſeau's Behauptung war fo eins
feitig und verkehrt als jene des Auguftinus: er hielt den Bus
ftand ber Kindheit für den Raturzuftand und bedachte nicht,
daß diefer ſich exit in ber Sntwidelung offenbart. Jedes orga⸗
nifche Wefen ift nicht nach dem Zuſtande des Kindes, bes Em⸗
bryo, fondern in feiner vollen Ausbildung zu beurtheilen; flus
fenweifes Entfalten verfciebener Kräfte iſt bie Bedingung fets
ner Natur. Auch find die organifchen Wefen nicht nach einer
gewiffen Zahl von Individuen, ſondern nach den Eigenſchaften
ihres ganzen Geſchlechts zu beurtheilen. Bei der Geburt kommt
der Menſch noch nicht fertig aus den Händen der Ratur; er ift
auf diefer Stufe weder gut noch böfe; er trägt nur bie Faͤhig⸗
keit der Zugend und des Lafters in fih. Was übrigens bie
franzoͤſiſche Revotution betrifft, fo war fie gerade die natürliche
Bolge ber frühern gefelfchaftlichen Einrichtungen, welche wol
als verborben. angeklagt werden dürften. In ber evolution
aber war nicht Alles Greuel, Lafter und Verworfenheit; bie
Greuel wurben von den Zöglingen des alten Regime verübt.
Wellen Schutd war bie VBermwilderung bes Volks? Dennoch, mit⸗
ten in der ungeheuern Aufregung und wilden Gährung der Maſ⸗
fen zeigte ſich Häufig die moratifhe Kraft und unverwuͤſtliche
Güte der menfchlihen Natur in ihrer ganzen Größe. Seibſt in
den Charafteren, deren Außerer Anfchein Schauder erregt, ente
bedit, bei ernfter Korfchung,--der tiefere Menſchenkenner noch
moraliſche Elemente, die während ben Ausbruͤchen des Vulkans
nur in verzerrter, unnatürlidher Geftalt zum Vorſchein famen..
An diefem vicfenhaften Ereigniß ift nicht blos die Zahl der
Todten und Gemordeten, es find auch die Thaten und Tugen⸗
ben der Helden in Rechnung zu bringen. In dem entfeglidhen
Kampfe der alten und neuen Zeit war die Doffnung auf Ber:
befferung des geſellſchaftlichen Zuftandes, melde bie Menſchen
beſeelte, kein Beweis der Verworfenheit menſchlicher Natur; fie
war nicht einmal eine Taͤuſchung; fie war ein ehrwuͤrdiger Glaube,
ebrwürbiger als die Lehre Auguſtin's — von angeborener Schlech⸗
tigkeit — eine Lehre, bie ihn zur blutigen Verfolgung ber Pelagia=
ner trieb, weit diefe an Freiheit und moralifche Kraft glaubten.
Wir kehren zur Kirchengefchichte des Hrn. Gfrörer zuruͤck.
Der Verf., deffen Unterfugungen wir mit großer Aufmerkſam⸗
keit und lebhaftem Intereffe gefolgt find, wird es uns nicht
übel deuten, wenn wir bie Lehre bed Pelagius gegen ihn in
Schutz nahmen.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notiz.
Die Herausgeber des Wiederabbrucis bes alten „Moniteur’”,
der für die Geſchichte der franzöfifchen Revolution von fo hohex
Bedeutung ift, fehreiten der Vollendung ihres Werts rüflig ente
gegen. Die lebten Hefte, welche bis jest erfchienen find, ſchlie⸗
fen die politifche und ’parlamentarifche Geſchichte der legiälatie:
ven Berfammlung. Die Abtheilung der Constituante fowie
auch die Sonvention iſt bereits zu Ende geführt. 2.
Verantwortlier Deraudgeber: Heinrih Broddaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Freitag,
Niebuhr's Reliquien.
(Veſchluß aus Nr. IR)
Niebuht's allgemeine Urtheile über die damaligen Mies
derlaͤnder können um fo mehr als glaubhaft angenommen
werden, weil Miebuhr von Jugend an den Miederländern
einen ganz befondern Antheil zugewendet hatte. Und fo
bat er auch jegt von Einzelnen, mit benen ihn theils fein
Geſchaͤft, theils dee Zufall zufammenführte, viel Gutes zu
erzählen und die Wohlthaͤtigkeit, Arbeitfamkeit, Drönungs:
liebe, angewohnte Rechtlichkeit, Geſetzlichkeit und nament⸗
Ich die außerordentliche Höflichkeit der niedrigſten Claſſen
vielfay zu loben. Ein längerer Aufenthalt ließ ihn aber
auch manche Schattenfeiten erkennen. Dahin rechnet er
wie Schwierigkeit naͤherer Belanntfchaft, indem ein Aus:
laͤnder, und nenn er ſelbſt Jahre lang im Lande ver:
weilte, der Nation doch immer fremd bleibt, ferner den
Mangel an Dxiginalität (Friesland ausgenommen) und
Beiftesfrifche, das Überhandnehmen von Vorurtheilen und
de Urtbeilstofigkeit der mriften Kaufleute, die freilich kein
Wunder ift, wenn man die Lehrjahre der jungen Kauf:
ente erwägt, die fie ganz zum Knecht herabwürdigen und
u Gefühl in ihnen rfliden. Das traurige Bild, wels
hiervon entworfen ift, dürfte auch noch jet in an⸗
den Laͤndern als in Dolland Anwenbung finden und er
net an die treffenden Bemerkungen, die F. Perthes
use einigen Jahren über die Bildung der jungen Leute,
die ſich dem Buchhändlerflande wibmeten, veröffentlichte.
Ferner rügt Niebuhr den häufigen Mangel an Anſtand
sad an dem Gefühle für äußere Dieinung, das hartnädige
Aeben an Parteianfichten, die geringe Bildung der Frauen,
du politifchen Fanatismus in allen Parteien, den unfeli-
gen calvimiflifcyen Meligionseifer und die plumpe Tyrannei
ker hollaͤndiſch⸗ reformirten Kirche. Unter den visien Bes
weien mag es an der Anführung des einen genug fein, daß
men gegen einen regisinnigen den großen Dichter Wondel,
gar nicht nennen durfte, weil er in feinem Alter zur roͤ⸗
miſch⸗atholiſchen Kirche Üübergetreten war, während Myns
here Bilderdyk, trotz feiner frivolen Gedichte, als ein fehr
ueligidfer Mann galt.
Was nun die perfönlichen Bezüge Niebuhr's betrifſt,
fe wurd ihm fein amtliches Geſchaͤft ſehr erſchwert, es zog
Gh gewaltig in die Laͤnge und da Ihm Land und Leute
wenig bebagten, feine Frau auch fehr durch das Klima
13. Januar 1843.
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litt, fo erneuern fich hier diefelben Klagen wie bei feinet
eömifchen Geſandtſchaft. In freien Stunden gab er fid
viel mit hollaͤndiſcher Sprache und Literatur ab, ja, der
Sinanzmann konnte fogar daran denken, ſich von feinen
boffteinifhen Freunden biftorifche Werke [hidden zu laffen,
um bie Gonftitution des alten rapublikaniſchen Dithmar:
fhen zu erläutern. Für das gemöhnliche diplomatifche Le:
ben war er [dom damals verdorben und da ihm bei Aus
dienzen, biplomatifchen Diners, Repräfentationen und aͤhn⸗
lichen Bellen die weltmaͤnniſche Saffung (mie fpäter im
Rom) fehlte, fo enthalten feine Briefe bittere Klagen über
die Langweile bei ſolchen Gelegenheiten; in den hollaͤndi⸗
(hen großen Geſellſchaften befand er ſich ebenfalls fehr un⸗
wohl, da er fein Kartenfpiel verftand und ſich ſchwer Ars
gerte, wenn die Wirthin es gar nicht für möglich hielt,
daß er nicht fpielte. Wir machen ihm aus diefer Unkunde
ebenfo wenig einen Vorwurf als Steffens, dem in Kopen:
hagen Ähnliches widerfuhr; aber als Diplomat mußte
Miebuhr auf folhe Vorkommenheiten gefaßt fein, die nım
einmal der Weltlauf — nenn auch nidt gerade zum
Stud — mit fi bringt, oder ſich wenigſtens nicht dar:
über ärgern. Unter den Perfonen, mit denen er verkehrte,
wird mit befonderem Lobe der Minifter der auswärtigen
Angelegenheiten, Roel, und der ehemalige Gouverneur des
Caps, General Zanffens, erwähnt, unter den Gelehrten
verdankte Niebuhr am meiften den Unterhaltungen des Pros
feſſors Bruͤgmans in Leyden, während er die gehoffte wiſſen⸗
ſchaftliche Ausbeute bei dem berühmten Phyſiker van Swinden
in Amſterdam nicht fand, ja fogar mit Mühe bei ihm Zutritt
erhielt. Ebenſo wenig gefällig bezeigte ſich Wyttendach in
Lenden gegen den deutfchen Phllologen, den feine jegigen
Landsleute, ein Geel und Bake, seit freundlicher aufges
nommen haben würden. Beſonders anziehend find die
Mittheilungen über den König Ludwig, Napoleon’s Bru⸗
der, deſſen Herzensgute und Redlichkeit von Niebuhr eben⸗
fü belobt werden nis von Goethe und Strombeck. Auch
bier wird der heldenmuͤthigen Befinnung gedacht, mit weis
cher er fein Leben bei den furchtbaren Überfhmwemmungen
1809 ausgeſetzt bat, wie er in einem Boote duch Die
Eisſchollen fuhr und die Bootsleute durch fein Beiſpiel
ermunterte. Er, der in feinem Palafte, um ſich wohl zu
fühlen, einer Temperatur bedurfte, die für einen Gelundern
erſtickend ift, hatte damals 16 Stunden zu Fuß, zu Pferde,
— *
zu Wagen in dem gräßlichen Orkane vom 21. Febr. 1809
auf dem Deiche ausgehalten, und daß er dies ertragen hat,
zeigt mol ſtark von der Tiefe feiner Gemüthsbewegung.
Bei allen diefen Erzählungen und Korfhungen iſt Nie:
buhr's eigenes Gemuͤth auf das tiefite von der unglüd:
lien Lage feines WBaterlandes bewegt, wie aus vielen
Stellen hervorgeht. Bei feiner großen Anhänglichkeit an
den. Miniftee Stein, in dem er den Megenerator des preu⸗
ßiſchen Staats erblickte, traf ihn die Nachricht Über deffen
im Sommer 1808 aufgefangenen Brief wie ein Donner:
ſchlag aus heitern Himmel. Den genauern Hergang hat
Varnhagen von Enfe (,Denkwuͤrdigkeiten“, III, 170 fg.)
erzählt; es iſt ergreifend, wie fi Niebuhr daruͤber aͤußert,
er will den unglüͤcklichen Brief nicht rechtfertigen, aber er
iſt weit entfernt, ihm den Sinn unterzulegen, in welchem
ihn die franzöflfchen Journale genommen haben. Von ber
Zeit an nimmt die trübe Stimmung noch zu:
Wir können durchaus — fagt er — nur vom Tage zu
Tage leben und Niemand kann wiffen, ob das Ganze, zu bem
er gehört, um acht Zage noch beftehen wirb.
Gegen den Minifter Hardenberg zeigt fih fchon bier
die feindliche Sefinnung, welche im Jahre nad) Niebuhr's
Ruͤckkehr aus Holland, im Mai 1810, feine Entlaffung
von den Kinanzgefchäften und aus dem activen Staats:
dienfte zur Kolge hatte.
Der zweite größere Auffag in Nr. 1 enthält eine An:
zahl Niebuhr'ſcher Auffüge aus dem „Preußiſchen Corre:
fpondenten”. Diefe Zeitfchrift, welche zuerft am 2. April
1813 erfcyien, dürfte vielen Lefern fchon dem Namen nad)
unbekannt fein, aber ed war eine wohlüberdachte Unter:
nehmung in jener politiſch aufgeregten Zeit und unter
Niebuhr's Auffägen, der diefelbe redigiete, find die hier
mitgetheilten Auffäge allerdings der. Aufbewahrung werth,
wie fchon in den „Lebensnachrichten“ (1, 478) geurtheilt
worden if. Die meiften derfelben find leitende Artikel,
wie fie die Sprache der heutigen Journaliſtik nennt, aber
freilich weit gruͤndlicher und mit beffern hiftorifhen Kennt:
niffen gefchrieben als viele Artikel, die ſich jegt mit diefem
Titel brüften. So heißt es gleih in dem Auflage vom
genannten Tage:
Wir müffen noch nicht genießen wollen, fondern nur fiegen
und unfer Zaterland befreien und feine Freiheit feft begründen.
Die Rettung liegt in unfern Bänden: das Gluͤck hat ſchon mehr
getan, als der frömmfte Schwärmer je hoffen durfte. Vom
Süd wollen wir nicht mehr hoffen, als Gott uns ſchon gewährt
hat. Wir müflen nie träumen oder täufchen, daß ber Feind
ſchwaͤcher, der Kampf leichter fei, als er if. Es fchadet ja’
nichts, daß man hört, daß er noch mädtig ift, daß er große
Scharen verfammelt und heranführt, da wir uns flark wiffen
und die edein Bundesgenofien unfers Königs; da wir nur bie
Wahl haben, weiche der König ausgeſprochen bat, und nur da⸗
zum des Lebens froh find, weil von feiner andern die Rede fein
tann. Won uns hängt es ab, daß die Macht bes Baterlandes
wachſe, und wie fie waͤchſt und ſich begründet, fo nimmt bie
des Feindes ab.
Ein zweiter Auffag: „Der Krieg und das preußifche
Heer’, ſtellt einzelne Artikel aus der Zeit vor und nad) der
leipziger Schlacht zufammen, erwähnt ded guten Geiſtes
im Heere an einzelnen Beifpielen, vergleicht die Macht eines
Volkskrieges mit der Macht Frankreichs und gedenkt dee
theilnehmenden und thätigen Liebe des englifchen Volks.
Wir — Schreibt Niebuhr — die wir noch wehrlos zu ‚Haufe
find, wir wollen uns ber Xortrefflichkeit unfere Heeres nidt
rühmen; auch if die innige Liebe nicht ruhmrebnerifch, fondern
vielmehr fill über den Gegenſtand, für den fie gluͤht. Wir
rihten unfer Gebet und unfere Hoffnung vertrauensvoll empor,
in biefen Tagen vorbereitender Entfcheidtung. Das willen wir,
baß Feine Armee in der Welt der Sache würbiger ift, für bie
fie ſtreitet; das fühlen wir, daß wir Unthaͤtigen tief unter den
Geringften in ihr flehen.
Ein fehr wahres, noh für unfere Tage wohl zu bes
berzigendes Wort! Und dann:
Die Preußen find über ibre Thaten fo ftille wie der fie
bende von feiner Leidenſchaft: was die ganze Seele erfüllt, dars
über verliert man ſich in froher Beſchauung, darüber kann man
am wenigften Worte machen. Es ift fogar IAftig, wenn man
Andere Worte und Lob darüber machen hört. In einigen klei⸗
nen beutichen Rändern ift man unferer Armee mit großen Lob»
preifungen entgegengelommen. Die £eute follten uns aber nid
rühmen und von unfern Thaten reden, fehrieb einer unferer Ofs
fiziere, fie follten nur ganz natürlidy finden, was wir gethan
haben, unb desgleichen thun. Auch die Rufjen haben von dem
lömenmüthigen Wefecht ihrer Garde bei Kulm nur wenig ges
fprodyen und das war ein vom Süd belohntes Thermoppylaͤ.
Mir Eönnen diefe Bemerkung nicht ohne den Zuſatz
vorüberlaffen, daß bie Krieger aus jener Zeit fich diefe
nationale Befcheidenheit und Selbſtverleugnung auch noch
in unferer Zeit erhalten haben und daß man wol vergeb>
lich nach Driginalen in der ganzen preußifhen Armee fucht,
die bei Katzbach und Waterloo ſchwoͤren und fluchen.
Der dritte Auffag Handelt mit vieler Einſicht von ber
Lage Frankreichs unter Napoleon im Frühjahr 1814 und
gibt im Gegenfag zu dem Rapport des Herzogs von Bafs
fano an feinen Kaifer über die preußifche Kriegserflärung
in aphoriftifch = Eräftigen Sägen die Schilderung aller Be⸗
leidigungen, die Preußen feit dem Unglüd von Jena burdy
Napoleon erlitten hatte, in der That ein trefflichee
Sommentar zu den Worten des General Foy: „Napo⸗
leon war gegen Preußen ohne Edelmuth und Mitleid.”
In einem vierten Auffage find mehre Artikel über Die
kirchlichen Verhaͤltniſſe Englands vereinigt, namentlich
über die irländifhen Katholiten, denen Niebuhr fchon
in feiner „Roͤmiſchen Gefchichte” eine fo warme Theil⸗
nahme bewiefen hatte, über die Rechte der Katholis
fen und tiber die englifche Meformation. Derſelbe richtige
politifhe Blick zeigt fih in den Auffägen über Sicilien
und über die Schweiz. Bon ganz verfchiedener Art iſt dee
Auffag über die doniſchen Kofaden und ein anderer, ob
e8 „Niederland“ oder „das Niederland' heißen müſſe.
Der Gebrauch unferer echten alten Sprache, fagt Niebuhr,
der Sprachgebrauch unferer niederdbeutfchen Brüder, die
Analogie, der würdigere Ausdruck entfcheiden für „Nies
derland“ ſchlechthin. |
Über die vermifchten Auffäge in zweiten heile vom
Nr. 1 müflen wie ung kurz faffen. Gedrudt waren
fhon: einige Nachrichten über Wilhelm Level und den daͤ⸗
nilſch-oſtindiſchen Handel unter feiner Verwaltung (Mr. 1),
über die Trennung der Union von Nordamerita (Nr. 6),
die Vorrede zu von Vincke's Schrift über Großbritanniens
Si
(Rr. 7) und das Vorwort zum neuen Abdend der lbers
fegung von Demofthenes’ erfter philippifcher Rede (Mr. 13).
Dagegen werden bier folgende Auffäge neu bekannt ge:
macht: „Uber die Perioden des Genies in der Literatur
(Nr. 2), „Über Icland” (Mr. 3), ein „Memoire sur la
guerre entre l’Angleterre et la France” (Mr. 4), „Uber
Englands Zukunft” (Mr. 5), ‚eine Apoloyie zu der eben
genannten Vorrede (Nr. 8), „Über das franzöfiihe Wahl:
gefeg von 1816” (Mr. 9), „Über die fpanifhe Staates
fchuld und bie Finanzmaßregeln ter Regierung ſeit der
Revolution‘ (Nr. 10), das „Schreiben eines Proteltans
ten an einen Katholiten (Nr. 11), „Über ftändifche Ber:
faffung” (Nr. 12). Diefe Auffäge haben ſaͤmmtlich einen
eigenthümlichen, noch für unfere Zeit geltenden Werth
duch gruͤndliche hiſtoriſche Kenntniſſe, lichtvolle ſtatiſtiſche
und finanzielle Überblicke und Eroͤrterungen, wahrhaft Li:
berafe Gefinnung und dur die Billigkeit und Verſoͤhn⸗
lichkeit in Religionsfachen ; namentlich gilt dies von Nr. 5,
10, 11 und 12.
Eine ganz befondere Zierde dieſes Bandes iſt die Ab:
bildung des herrlichen Basreliefs von Rauch, mit dem bie
dankbare Erinnerung König Fiiedrich Wilhelm's IV. von
Preußen die Grabſtaͤtte Niebuhr's in Bonn gefhmüdt hat.
Daffelbe ſtellt ihn nebſt feiner zweiten Gattin Marga⸗
retha, die neun Tage nad ihm flarb, in der edeliten,
würdigften Meife dar. Bon Niebuhr's Bilde bezeugt der
Herausgeber, daß es mol das aͤhnlichſte fei und feinen
Ausdrud in ernſter Stimmung fehe treu und lebendig
wiedergäbe. Es follte alfo in den Händen aller Vereh⸗
ser Niebuhr's fein.
Nr. 2. Wir wiffen aus Niebuhr's Briefen („Lebens⸗
nachrichten”, I, 485 fg.), daß er fih in Rom damit be:
ſchaͤftigt habe für feinen Sohn Marcus Erzählungen aus
der griechifchen Mythologie zu ſchreiben. Diefe Erzählun:
gen find aufbewahrt worden und werden jegt dem Publi:
am überliefert. In ihnen erfcheint Niebuhr fehr liebens⸗
wiodig und wird bei Allen, die das Eleine Buch zur Hand
weh, durch die zarte Sorge gewinnen, in welcher er
Sindergefchichten aufzufafien und feinen Geift den Begrif⸗
fen eines Kindes anzupaffen verftanden hat. Es find nur
die Sagen von den Argonauten, von Hercules, von den
Herakliden und von Dreftes, aber man fann bei ihrer Le:
fang nur wänfhen, daß audy andere geachtete Schrift:
heller dem Beifpiele eines Niebuhr, Jak. Grimm und
& Jacobs folgen und die deutfche Jugend im folchen oder
aͤhnlichen Kinderbüchern belehren möchten. 9.
Sfrörer’3 Allgemeine Kirchengeſchichte.
(Beſchiuß aus Nr. 1%)
Der Inhalt der weitern Capitel ift folgender: Gapitel 11.
Das Papſtthum bis auf Leo. Gottesdienſt. Feſte. Gebräuche.
i i Ausbreitung der Kirche. Patricius von Irland.
Gapitel 12. Geſchichte der byzantiniſchen Kirche vom
Gencit ga Chalcedon bis zum Beginn bes J. Jahrhunderts.
Die monophnfitifcden Haͤndel. Das Henotikon des Kaiſers
320. Die Kaifer Anaftafius, Juſtinus I., Juſtinian I. Ein
Ib des Letztern auf die Angelegenheiten ber Kirche. Wieder⸗
ausbrucy der Origeniſchen itreitigkeiten. Die drei Gapitel.
Jakob Baradai. Johannes Phitoponue. Die angeblichen Schrif⸗
ten des Areopagiten Dionyfius. Geift der Byzantiner.
Capitel 13. Die Kirche in den neuentftandenen deutfchen
Reichen. Die Vandalen. Odoaker. Die Oftgothen in Italien.
Theoderich, Boethius, Saffiodorus. Die Longobarden. Der h.
Geverinus in Roricum. Die Burgunder und MWeftgothen. Die
anken. Biſchof Gregorius von Tours. Salvianus von Mars
eille, Sidonius Apollinarie. Das Moͤnchthum im Abendlande.
tus von Nurfia. Neuer Ausbruch der Pelagianifchen
ndel.
Sapitel 14. Das Papſtthum von eo I. bis Anfang des
fiebenten Jahrhunderte. Gregor der Große. Belehrung der .
Angelfahfen. Der Abt Auguftin. Die altbritifhe Kirche. Cor
lumba.
Wir bedauern, daß der befchränfte Raum db. BI. nicht ger
ftattet, über bie hoͤchſt Iehrreichen und allgemein intercffanten
Gegenftände, die in dieſen Gapiteln verhandelt werden, une
weiter zu verbreiten; wir müffen ung mit ber nadten Inpalte:
anzeige begnügen, welche wir nur durch einige kurze Auszüge
aus dem Werke und durch wenige Bemerkungen näher bezeichs
nen können.
In Abſicht auf den Gottesbienft und auf Firdhlicde Feſte
ft aus Gapitel IL folgende Stelle bemerfenswerth: „Unter
richt in der Schrift galt (im 4. Jahrhundert) für den wich⸗
tigften Theil einer guten Erziehung. Allein ciner weiten
Verbreitung ber Bibel ftanden zwei unüberfteiglihe Hinder⸗
niffe im Wege: die Unkenntniß des Leſens und der hohe Preis
ber Handſchriften. So fam es denn, baß die große Maffe, die
ungebeure Mehrheit der Bevoͤlkerung bes roͤmiſchen Reichs, in
Hinficht der Religion auf den Öffentlichen Gottesdienſt befchräntt
blieb. Und diefer öffentliche Gult hat in unferer Epoche eine
merkwuͤrdige Veränderung erfahren, fo fern eine Menge heid⸗
nifger Gebraͤuche und Kormen in ihn eindrang. Diefe That⸗
ſache ſteht fo feſt, daß ſelbſt die Flugften unter ben Wortfühs
seen des Papſtthums nicht für gut fanden, fie in Abrede zu
ziehen. Statt zu leugnen, haben fie Dem, was zu Zage liegt,
licher eine günftige Seite abzugewinnen geſucht. Baronius,
der berühmte Cardinal und Geſchichtſchreiber der Kirche, fagt:
„Ss ift weitbefannt, daß auf göttlichen Befehl aus dem Golde
und Silber der Ägypter Gefäße zum heiligen Dienfte Jehova's
gegoffen wurden. Gleicherweife hat auch die chriftiiche Kirche
viele Gebräuche, die aus dem Heibenthume flammten, zu ihrem
Dienfte umgeformt, wie aus Beugniffen mander Väter erhellt.
In Abſicht auf Weihnachten, als Geburtstag Chrifti, ſagt Hr.
Gfroͤrer: „Dieſes Chriftfeft ift das wichtigfte unter den neuen, erſt
im 4. Jahrhundert entftandenen. Und gluͤcklicherweiſe ken⸗
nen wir feinen Urfprung ziemlich genau. Weit und breit war
im roͤmiſchen Reihe um das 4, Jahrhundert ber Mithrass
bienft verbreitet, felbft in unſerm füdlichen, von den Römern
befegten Deutfchland, wofuͤr Hunderte von fteinernen Inſchrif⸗
ten zeugen, die man aus der Erbe gegraben hat. Beſonders
aber in Rom zählte ber Mithrasdienft zahlreiche Verehrer.
Diefe aus Perfien ftammende Religion zog durch ihren prächtis
gen, bie Phantafie beftehenden und geheimnißvollen Cult bie
Gemüther wunderbar an. Die Mithrasbiener nun feierten am
25. Dec. den Geburtstag bes fiegreichen Sonnengotteö, natalis
invicti solis, benn ber unrichtige alte Kalender berechnete ben
Anfang des Sonnenjabrs, flatt auf den 21 —23., auf den
25. Dec. Man begreift, daß ber römifchen Kleriſei, fobalb es
dort einmal zum ernfllidden Kampfe mit bem Deidenthume kam,
viel daran gelegen fei mußte, dieſe beidnifche Beier zu verdraͤn⸗
gen und eine chriſtliche an ihre Stelle zu fegen, welche im
Stande war, den übergetretenen Heiden Erſatz für jene praͤch⸗
tigen Feierlichkeiten zu gewähren. Wirklich ift dies der Urfprung
des Chriftfeftes. In demfelben feste die roͤmiſche Kierifei dem
Geburtstage des heidniſchen Gottes den bes chriftlichen entgegen,
indem fie den Zag und auch gewiffe Kormen aus dem Heiden⸗
thume entiehnte. Und zwar fällt bie Entſtehung bed neuen
Feſtes gerade in die Zeit bes entfcheibenden Kampfes zwiſchen
der neuen und alten Religion. Gichere Spuren weifen nämlich
darauf hin, daß bie Feier des Chriſtfeſtes am 235. Dec. unter
dem Begiment des Papfles Julius (337— 352) eingeführt
worden fein muß, folglich um bie Beit, wo bie Kaifer Conſtans
und Gonftantius zuerfi bie Art an bas Heidenthum legten und
vernichtenbe Gefege gegen bie alten Goͤtter zu fchleubern begans
nen. Unter dem Nachfolger des Julius, dem Papſte Liberius,
erſcheint Weihnachten als ein gewöhnliches Feſt, wie man aus
einer Stelle des Ambrofius erficht. Man kann fi nicht wuns
been, wenn ein offenes Zugeftänbniß dieſes Thatbeſtandes paͤpſt⸗
lichen GSchriftftelleen fauer wird. Selbſt gewiſſe Proteflanten
nehmen, wie ich bemerfe, Anftoß daran. Gleichwol find bie
Zeugniffe zu ſtark und laut, ale baß man zweifeln bürfte, for
fern anders der Hiftorifchen Wahrheit ihr Recht gelaffen werden
fol.” Der Verf. führt mehre Beweife an, daß hbeidnifche
Gebräuche und Feſte in den chriftlihen Gottesdienft übergine
gen: „Die Kirche hatte zwar ben Sieg über das Heiden⸗
tbum errungen, aber während der legten Kämpfe und bes
Triumphs nahmen die Sieger unvermerft Denkweiſe, Meinun⸗
gen, Gebräuche der Beſiegten an. Gin unerbhörter Umſchwung
fand im Laufe bes 4. Jahrhunderts flat. Noch zu Anfang
deffelhen rüdte Arnobius ben Heiden vor, daß die Götter, die
fie anbeten, größtentheil® tobte Menſchen feien, und 100 Jahre
fpäter wird die Verehrung eben ſolcher Todten Chriſtenthum ge⸗
nannt ꝛc.“ Bei Augufltinus findet fi folgender Ausſpruch
des Manichders Fauſtus: „Ihr Katholiken feld nichts Anderes
als eine Abart von ‚Beiden (schisma), nur bie gefellige Vers
faffung (conventus) ift geändert, nit das Weſen. Non
den Heiden habt ihr den Glauben, daß Alles aus Gott fei, mit
herübergenommen. Die Opfer der Heiden habt ihr in Agapen
umgemandelt, ihre Bögen in Wärtyrer; bie Schatten der Ber:
florbenen fühnt ihr (wie bie Heiden) mit Weinſpenden und
Mahlzeiten. Ihre Feſte feiert ihe noch mit ihnen an den Gas
lenden und Sonnewenden.“ Auguftin fucht zwar bie Einreden
des kecken Mahners zu widerlegen, aber nicht mit Gluͤck, benn
Bauftus hat den geſchichtlichen Stand der Sache kühn und kurz
ausgefprochen.
Sm 13. Capitel ift die Geſchichte der Kirche in den neu
entftandenen beutfhen Reihen in Gallien, Spanien ꝛc. eine
hoͤchſt gelungene Arbeit, ber ſich ſchwerlich eine frühere über
biefen Gegenftand an bie Geite ftellen dürfte. Die Darftellung
geftattet Beinen Auszug.
Im 14. Sapitel finden wir eine faft unbebingte Verehrung
des Papftes Gregor I. ausgefprochen, mit welcher wir nicht
durchgängig übereinftimmen. Doch können wir, um biefen Auf:
fag nicht zu ſehr auszubehnen, unfere abweichende Anficht nicht
näber bezeichnen. Wir verweilen auf den fehr gründlichen Ars
tilel: Gregoire I. in Bayle's „Dictionnaire historique’’. Übris
gens verkennen wir nicht bes Verf. chrenhaftes Beſtreben, ger
recht zu fein auch gegen bie Fatholifche Kirsche und ihre Helden.
Nach Allem, was wir über die Kirchengeſchichte des Hrn.
Sfrörer angeführt haben, wird ber Leſer, wie wir boffen, mit
uns übereinftimmen, baß diefe Schrift von Allen gelefen und
fludirt zu werden verdient, welche mit ber wichtigſten Angele:
genheit der Menſchheit und mit ber Haltbarkeit der erneuerten
Anfprüde ber Hierarchie auf eine jedem Gebildeten zugängliche
Weife fih gründlich zu unterrichten wünfcen. 15.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Es ift eine alte Klage, daß unferer Jugend gar zu viel
vom Alterthume vorgerebet wird, fodaß fie ſich in der Gegens
wart gar nicht zurecht finden kann. Das ausſchließliche Stus
dium der alten Autoren, namentlidy bes Plutarch und Tacitus,
fegt den jungen Leuten einen griechifchen und römifchen Herois⸗
mus in den Kopf, der für unfere Zeit nicht mehr paßt. Unfere
Vorzeit ift felbft reich genug an fchönen Beifpielen bes Muthes
und eines hoben und herelichen Sinnes. Mir brauchen dethalb
nicht bei jeber Gelegenheit auf Horatius Gocles und Gcäpola
zurüdzulommen. In Frankreich wird vielmehr barauf gehalten
ats bei uns, baß die Jugend bie großen Begebenheiten und bie
großen Männer der vaterlandiſchen Geschichte kennen und
lieben lernt. Diefer echt nationelle Sinn geigt ſich nicht nur in
bee Vorliebe, mit ber in den franzöfifcken Schulen bie Geſchichte
Frankreichs getrieben wird, fondern befonders in ben hiſtoriſchen
Werken. Die franzoͤſiſchen Hiſtoriker befchäftigen ſich nicht nur
mie großer Bortiede mit vaterländifchen Stoffen, fonbern fie
verlieren aud) nie, ſeibſt wenn fie die Geſchichte anderer Länder
und Wöller darfiellen, aus bem Auge, daß fie für ihre Nation
ſchreiben. Es kann dies eine gewiſſe Ginfeitigkeit (ein Vort,
für das der Branzofe kein Äquivalent hat) zur Foige haben,
aber diefer Nachtheil wird dadurch, daß cin ſolchee einfeitige
Merk oft im Gtande iſt, bas nationelfe Selbſtgefuͤhl zu heben,
reichlich aufgemwogen. Unter ben ausführlichern Werken, deren
Zweck es iſt, dem Wolfe bie beruͤhmten Männer des Vaterlandes
In ihrer ganzen Größe als wuͤrdige Vorbilder vorzuhalten, vers
bienen „Les gloires de la France” eine befondere Erwähnung.
Diefe Galerie, zu ber bie beſten Schriftfteller Frankreichs bei⸗
feuern, enthält gang treffliche Biographien. Unter denen, bie
bis jegt bereits in den Buchhandel gekommen find, heben wie
bervor: 1. „Histoire de Godefroy de Bonillon‘, von M.
d’Eranvillez; 2. „Histoire de Bayard’’, von Delandinc be Gt.s
Eiprit; 3. „Histoire de Suger”, von Alfred Rettement,, das
befonders intereffant ift; 4. „Histoire de St.-Vincent de Paul”,
vom Abbe Orſini; 5. „Histoire de Mad. de Sevigne”, von
Walfh, von ber nebenbgi gefagt feit einem Jahre brei verfchies
dene Eebensbefchreibungen erſchienen find. Die naͤchſten Theile
werden „La reine Blanche”, von Danielo; „Malebranche‘',
von Lourdoueix; und „Cardinal de Berulle”, von Genoude ent:
halten. Jede Biographie dieſer Sammlung enthält einen ziem⸗
ih ſtarken Band, deffen Preis ſehr mäßig ift.
Ein junger rühmlichft befannter ‚Hellenift, Namens Mynas,
der dom franzoͤſiſchen Minifterium des Unterrichts beauftragt ift,
Grichenland und Kleinaſien wiſſenſchaftlich zu bereifen, hat
kuͤrzlich mehre fehr wichtige Manufcripte eingefchidt, die ber
großen parifer Bibliothek einverieibt werben follen Unter bens
felben befinden fi namentlich ein phyſikaliſches Werk von Theo⸗
dor Laskaris, cin wichtiger Sommentar zur Metaphyſik des
Arifloteles, zwei intereffante griechiiche Lexika, drei Stüde von
Ariftophanes, die zwar nicht neu, aber mit ſehr wichtigen Scho«
lien verfeben find. Außerdem wird beſonders noch eine fehr ſchoͤne
Handſchrift citirt, die dem 14. Jahrhundert anzugehören ſcheint.
Diefelbe enthält die „Affifen von Serufatem” und ift um fo
wichtiger, ba das auf der Bibliothek zu Paris befindlihe Exem⸗
plar, das Graf Beugnot herausgegeben hat, fehr luͤckenhaft ift.
Eine merkwürdige Erſcheinung ift es, daß in Frankreich,
wo der Sturm ber Revolution die Ariftofratie in ihren Grund⸗
feften erfättert hat, Werke über Heraldik noch von
©eiten des Publicums eine fo lebhafte Theilnahme finden. Ober
follten die zahlreichen Yublicationen diefer Art nur auf Koften einis
ger adelſtotzen Familien erfheinen, welche den matten Glanz
ihrer Geſchiechter wieder auffriſchen möchten? Unter den Wer⸗
fen, die ausfchtießtich der Geſchichte altadliger franzoͤſiſcher Fa⸗
milien gewidmet find, verdient trog ber großen Anzahl, die täg-
lich herausgegeben werden, nur ein einzige® hervorgehoben zu
werben. Es find dies: „„Les archives genealogiques et histo-
riques de la noblesse de France”, von M. Laine. Bon bie:
fem fehr umfaffenden Werke, das zum Theil fehe gründliche
biftorifche Studien enthält, iſt vor kurzem bereits der ſiebente
Theil erſchienen. Derfelbe Liefert die Geſchichte der alten Ge⸗
ſchlechter der Auvergne, und obgleich er manches unnüge Detalt
enthält, wird ber Hiſtoriker doc in ihm eine reiche Lefe eine
zeiner Facten finden. 2.
Berantwortlider Herausg eber: Hei.rın Brodbaus. — Drud und Berlan von F. U. Brodbaus in Reipgig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
14. Sanuar 1843.
Profeſſor Leo über die franzöfifche Revolution.
te der franzoͤſiſchen Revolution von Heinrich eo.
Aus dem Lehrbuche der Univerfalgefcdhichte beſonders abgebrudt.
Volle, Anton. 1842. @r. 8. 2 Apr. 15 Rer.
Ich hatte eben das Wert von Droz über bie Urfas
chen der franzoͤſiſchen Revolution *) gelefen, als Ich dieſes
Bud von dem bekannten Profeffor der Geſchichte in Halle
lad. Wenn ih das Gefühl bezeichnen foll, was mich bei
Lefung diefes letztern ergriff, fo muß ih es ein Gefühl
der tieffien Scham nennen. Nein wahrlih, ein ſolches
Buch macht uns Deutfchen wenig Ehre, uns, die wie
immer fo ſtolz auf unfere unpurteiifche, tiefere Geſchichts⸗
auffafliung find und die Sranzofen fo gern der Xeiden:
ſchaftlichkeit, Oberflaͤchlichkeit und Verdrehung der That:
ſachen beſchuldigen. Welcher Contraſt zwiſchen dieſen bei⸗
den Werken; das des Scanzofen im Geiſte wahrhaft chriſt⸗
cher Geſinnung gefchrieben, voll Gruͤndlichkeit und allfeis
tiger Würdigung der Thatſachen, eine wahre Bereicherung
der Wiſſenſchaft und der öffentlihen Moral; das dee
Deutſchen Leidenfcyaftlich, gebäffig, im hoͤchſten Grade par⸗
wüfch und abſichtsvoll gemacht, vor Allem aber ohne alle
Eyar von humanem Wohlwollen, von hriftlicher Liebe.
Hr. Leo hat fi) zum Champion eines Syſtems auf:
mern, Das ſich vorzugsmeife das chriſtliche nennen möchte;
a [deine fich in diefer Rolle zu gefallen und je mehr Laͤrm
und Spectakel er verrichtet, defto mehr fcheint ihn dieſer
eleibafte Kampf, bei dem außer dem Namen noch nichts
Chriftliches zum Vorſchein gefommen ift, zu erfreum. DD
nein, nichts Chriftliches. Hr. Leo vergönne diefe Behaup⸗
tung einem Manne, den er gewiß fogleih nach beliebter
Manier zu den Meologen, den Hegelianern, zu denen die
fh von Sort loßgefagt haben, werfen mollen wird, der
Ya ober verfihern kann, daß er die melterlöfende Kraft
des Chriſtenthums und die heilige Perfon ihres Stifters
in fe tiefiter Seele verehrt, wie wir es von manchem lau:
ten Eiſtter In feinem Sinne nicht annehmen zu können
glauben. Mir halten es wirklich an der Zeit und find
der Biſſigung vieler Chriftlichgefinnten gewiß, wenn wit
die ernſteſte Misbilligung eines Treibens ausfprechen, tie
6 Leo, Hengſtenberg und Ähnliche nun fchon feit Jahren
wäführen, wodurch fie eine heilige Sache für und für
*) Dierlber berichten wis nädftene. D. Red.
entwelhen und dem Chriftenthume mehr Schaden bringen
und Gegner erwecken, als alle Feinde beffelben nicht im
Stande find.
Die Geſchichte zeigt uns, daß jede Idee ſtets zwei
fehr verſchiedenartige Bekenner gefunden hat, ſolche, die fie
in ihrem Wefen auffaßten, fie im Geifte und in ber
Wahrheit zu erkennen und fich einzuverleiden firebten, und
ſolche, die vermöge ihrer individuellen Unfähigkeit fi nur
bes Buchſtabens, der aͤußern Form bemächtigen konnten.
Je weniger fie im Grunde an dieſem bloßen Gedaͤchtniß⸗
und Verftandeskram hatten, deſto ſtolzer waren fie auf
biefen Beſitz. Diefe legtere Claſſe iſt es auch, welche von
jeher fi) der Polemik bemächtigt, ſich dem aͤußern Kriege
zugewandt bat, in deren Schoofe Rechthaberei, Spibens
ftecherei und wiüthender Fanatismus wucherte. Wem der
Innerlihe Anbau einer Idee unbequem ift, der wird fie
ſtets zum Dedmantel Außerer Zwecke gebrauchen.
Dem Ghriftenthume, dieſer tiefiten, heiligſten morali⸗
[hen Grundidee der Gefchichte, iſt es eben nicht anders
gegangen. Es hat Belenner im Geiſte und in der Wahr⸗
beit, es hat Buchflabenanbeter gehabt, und leider bis jetzt
von legtern nicht wenige. Die Greuel der Spanier in
Südamerika, die Bartholomaͤusnacht, die Religiondkriege,
die Judenverfolgungen, die Snquifition u. f. w., alle die
unzähligen Abfcheulichkeiten, die im Namen des Chriften-
thums begangen find, hatten ihren Entftehungsgrund in
ienen Buchflabenfanatitern, denen Chriſtus ſelbſt ebenfo
fremd wie unbegreiflich war. Umgekehrt haben die eigents
lichen Befoͤrderer des Chriſtenthums, die ſich in die gött:
liche Perföntichkeit ihres Deren und Meifters wahrhaft
verfenkt hatten, denen das wirkliche Welen des Chriftens
thums aufgegangen war, die in alle Weltgegenden feine
befeligende Wahrheit trugen, ſich wenig um jene advocatis
ſche, dogmatifch :todte Buchftabenkfauberei bekuͤmmert, fie
haben ſich an die Liebe gehalten, mit Streit und Lärm
zu machen, innig überzeugt, daß das Verſtaͤndniß des wah⸗
ren ChHriftus unabhängig fei von dialektifchen Unterfuchuns
gen, und daß Demuth und Einfalt des Gemuͤths genuͤg⸗
ten. Geduld und Liebe find ihre Waffen gewefen, die,
wie der Regentropfen zulege den Marmorſtein ausboͤhlt,
fo zulegt auch in das verhärtetfie Gemuͤth einzubringen
vermögen; Zetergefchrel und Werkegerung, diefe Praris der
Pharifäer und Schriftgelehrten, hochmuͤthige Rechthaberel
34
und wuͤthende Partikelſtreitigkeiten war ihnen fremd. Wenn
einzelne große Maͤnner, wie Luther und Calvin, ſich hier
und da auf aͤhnliche Weiſe verfuhren, ſo hat man ihre
Chriſtlichkeit nicht in dieſen Verirrungen zu ſuchen, ſon⸗
dern man verzeiht ſie ihnen in Betracht ihrer Verhaͤltniſſe,
der menſchlichen Schwäche überhaupt und um ihrer an:
dern unendlichen Verdienſte willen. Mer wahrhaft von
der Goͤttlichkeit Chriſti durchdrungen ift, der wird mit
Nothwendigkeit zur Nacheiferung und zu moͤglichſt voll
tommener Nachahmung diefes fittlichen Muſters im eige⸗
nen Leben ſich geteieben fühlen; feine ganze Erfcheinung
wird ein Hauch von jener göttlichen Liebe durchwehen,
die uns in Chriſtus fo überwältigend entgegentritt umd
zur Anbetung zwingt. Wo ſolche Spuren, wo folder
Enfluß nicht bemerklich ift, da kann man mit Gewißheit
behaupten, daß Chriftus noch nicht erkannt, noch nicht
eingekehrt ift, und wenn fi) auch nod fo große dogma⸗
tifche Gelehrſamkeit, noch fo zelotifches Eifern für die
Partei zur Schau trüge. Aber jedem Unbefangenen, ber
überhaupt einen Mapftab für chriftliche Liebe im Herzen
hat, kann man kuͤhnlich die Entfheidung Uberlaffen, ob
in fämmtlihen Schriften Leo's ohne Ausnahme nur
die Teifefte Spur jener wirklich chriſtlichen Geſinnung, Die
an das Vorbild und den Gründer unferer Religion erin:
nert, zu finden ſei? Die Entfcheldung wirb leider ver:
neinend ausfallen müffen. ‘
Was foll man nun zu einer fo feltfamen Erſcheinung
fagen, zu einer Individualität, die es fi) vorgenommen
zu baben fcheint, den Maßſtab der Chriftlichkeit an die
ganze Geſchichte zu legen, jede ihrer Ereigniffe und Per:
fonen mit diefem Maßſtabe zu meſſen, und zwar auf fo
abfprechende, allezeit fertige entfcheidende Weiſe, wie auch
wol die tiefften chriſtlichen Gemuͤther fich nicht erfühnen
möchten — und der doch von dem Mefen des Cheiften:
thums nicht die leifefte Dämmerung aufgegangen ift, fon:
dern die recht eigentlich in ihrer hochmuͤthigen Setbflüber:
hebung, Semüthsverhärtung, unlautern Leidenfchaftlichkeit
und buchflabendienftlihen Schriftgelehrtenthbum einen recht
anfchaulichen, warnenden Gegenfag bilder? Wäre eine fol:
che Erſcheinung nicht zu allen Zeiten häufig genug gewe⸗
fen, fo würde man ſich davor entfegen, dennoch aber tritt
fie in Leo's Geſtalt auf eine fo kecke, ſcharfe Weiſe her:
vor, daB man mol im Geifte unfers SSahrhunderts und
im Geifte wahren Chriſtenthums fid zum SProtefliren da⸗
gegen aufgefodert fühlen muß.
Ziehen wir ungefähr ein Drittel des Buchs ab, wels
ches die Kriegsgefchichte der franzoͤſiſchen Republik erzählt,
nebenbei bemerkt für den Mann von Fach viel zu unges
nügend, für den Laien viel zu weitläufig, zu wenig an⸗
ſchaulich, zu fehr mit militairiſcher Gelehrſamkeit koketti⸗
rend, à la Thiers, mit dem Hr. Leo überhaupt bie auf
das größere Talent und die größere Gewandtheit des Fran⸗
zofen in feiner entfchiedenen Derzlofigkeit und feinem leicht
fertigen ſich Anftudiren einzelner Branchen der Wiffen:
ſchaft große Ähnlichkeit hat, nur daß diefer es zufällig für
gut findet, die Repräfentatioregierung in der Regel zu vers
treten, 2eo dagegen zufällig die Partei des kirchlichen Ze⸗
N
lotismus und der Haller'ſchen Reftaurationsidee nach fans
gem Erperimenten ergriffen hat: — fo befleht der uͤbrige
Theil in einer grellen, einfeitigen und übertriebenen Dars
ftelung aller Greuel, die im Verlaufe ber franzoͤſiſchen
Revolution fi zugetragen haben. Dirt einer wahrhaft
ekelhaften, hoͤhniſchen Schadenfreude wird all jener Jam⸗
mer ausgemalt und ins grellſte Licht gefegt. Der ewige
Refrain iſt dabei, daß dieſes die Strafe der Sünde ge
wefen und die Folge, weil das ganze franzöfifche Volk von
Gott abgefallen fei. Das heiße ſich allerdings dus Urheil
bequem machen. Bon einer billigen Beurtheilung der vers
fhiedenen Individualitäten,, von einer Unterfcheidung der
einzelnen Charaktere und Motive keine Spur. Alles wird
in einen Topf gegoffen und mit der allgemeinen Brühe
der Verdammniß uͤberſchuͤttet. Selbſt die anerkannteften,
großartigften Charaktere werden mit demfelben verleumbe-
rifhen Geifer befprist, an dem Hr. Leo einen fo großen
Überfluß zu baden ſcheint. Turgot z. B. wird in eine
Claſſe mit Calonne gefegt, weil er bie Zünfte und die ins
nern Zölle in Frankreich anzutaften wagte. Das war ein
Vergehen gegen das göttliche Mecht des Beſtehenden, folg⸗
id ein Abfall von Sort. Selbſt das Hoͤflingsunweſen
rechnet Dr. Leo mit zu den organifch = göttlichen Inſtitu⸗
tionen, und die Minifter, welche «6 zu reformiren fuchten,
werden des Frevels gegen die göttliche Drbnung der Dinge
und der fündhaften, hochmuͤthigen Willkuͤr mit derfelben
ruͤckſichtsloſen Bitterkeit angelage wie Jakobiner und Des
bertiften. Edle Naturen, die felbft noch bei einzelnen Ver:
ieeungen den hoͤchſten Anfprudy auf Theilnahme und Hody
achtung haben, Lafayette, Bailly, die Roland u. f. w.,
werden mit bderfelben frechen, übermüthigen Geringſchaͤtzung
behandelt wie Marat und Cloots. Es ift gar leicht im
3. 1842, wenn man ruhig al6 Profeffor in Halle fige,
über die Verirrungen, in welche der Strudel der Revolu⸗
tion Alles fortrig, den Stab zu breden. Aber Hr. Leo
möge fi) die Frage aufwerfen, wenn er überhaupt zu eis
ner Einkehr in ſich ſelbſt noch fähig iſt, welche Role er
denn wol gefpielt haben würde, wenn die Vorfehung es
gewollt, daß er 1792 in Paris gelebt Hätte? Und er
möge e6 uns als unfere feftefte Überzeugung glauben, daß
es uns fehr wahrfcheintich fei, wie fein Name alsdann
neben Anacharfis Cloots oder Hebert in größter Nähe
figurirt haben würde, denn herzlofe Excentricitaͤt iſt der
Charakter der ſowol bei ihm als bei jenen wahnfinnigera
Unglüdtichen als bervorftechend ins Auge fällt. Wer aber
zurechenbarer, jene Unglüdlichen, die in einer viren, je⸗
den feſten Haltes entbehrenden Zeit wie im Raufhe zu
ſolchen krankhaften, der göttlichen Drönung der Dinge wi
berftreitenden Anfichten und Handlungen gleihfam bewußt⸗
(06 getrieben wurden, oder Dr. Prof. Leo mit feiner Pſeudo⸗
chriſtlichkeit und göttlichen Verbammungstheorie in einer
Zeit und in einem Volle, wo alle Gelegenheit zur Er⸗
werbung chriftlicher Sefinnung und gefunder Lebensanfidye
gegeben ift und mo nur die abfichtlichfte, verftodtefte Wil
eür zu folhen Manifeftationen und Richtungen führese
Bann? Die Beantwortung biefer Frage ift für uns we=
nigftens Seinen Zwelfel unterworfen. Auch wiſſen wir,
Pi)
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wer mehr Mitleiden verdient, Hr. Anacharſis Cloots oder
dr. Leo, wir zollen es Jenem mehr wie Diefem — und
daß Jener eine atheiſtiſche Kebensanficht predigte, Dieſer aber
eine Anſicht, die ſich mit dem Namen unſers Herrn und
Meiſters aͤußerlich ſchmuͤckt und damit prahlt, das eben
macht uns Jenen noch ertraͤglicher wie Dieſen. Uns iſt
die nackte, traurige Unwahrheit lieber als die geſchminkte,
das Heiligſte beſudelnde und profanirende. Nein, wenn
künftig Dre. Leo wieder etwas über Gloots, oder Marat,
sder Hedert ſchreibt, fo gebe er zuvor in fein Kämmer:
kin, fchlage an feine Bruft und rufe: „Gott fei mir
armen Sünder gnädig.”
(Der Beſchluß folgt.)
Romanenliteratur.
l. Die Rofe von Zifteldn. biung aus den Scheeren von
Gmilie Ztygares Garten. Aus dem GSchmwebifchen.
Drei Theile. Berlin, Moria. 1842. Gr. 12. 2 Thir.
13 Rear.
Schon die erfien Geiten verfegen ben Lefer in die dankbar
romantiſche Sphäre des Schleihhandele, dem die Lage von
Zifteldön oder der Diftelinfel mit ihren Selfenufern und den
nahen Paternofterfäheeren fo guͤnſtig iſt. Gr macht die Bekannt:
fchaft des Scyteihhändiers und Serräubers Heraldſon, nebft feiner
Samilie. Birger, der aͤuteſte Sohn, fcheint des Vaters Wilbheit
ererbt zu haben, während Anton, der jüngfte, ſchwach und ſcheu,
nur am wilden Seemannsieben Theil nimmt. Gabriele,
Die Hofe von Ziftelön, wird als Eleines, liebliches Kind vorge:
führt, und Erika, ihre Wärterin und Grzicherin, zeigt ſich als
RRarkes, entfchioflenes, Eräftiges Veſen, das Allen Achtung gebie⸗
tet darch bie der Zugend und eines flarfen Charakters.
Sie bat das wilde, verbrecherifche Treiben der Maͤnner durch
ſchaut, aber fie fchweigt und weilt unter ihnen, denn fie gelobte
ver fierbenden Gattin Deratidfon’s, die Kinder zu fchügen. Birs
ger liebt fie, fie aber fehlägt ihn aus in einer verhängnißvollen
Radıt, und er erfüllt feine Drohungen und begeht in ber Ber:
weifiung ein Verbrechen — mit dem Water ermordet er den
Yttieutenant, der den Schleichhaͤndlern nachſtellt. Der Heine
Iaten, welchen ber Vater mitzugehen zwang, iſt Zeuge des
Bates unb wird wahnfinnig. Birger verläßt das Vaterhaus
ur abe das Handwerk des Schleichhaͤndlers auf; Reue nagt
on ſrinem Derzen, milder kehrt er zurüd und Erika reiht dem
Deirenden die Hand; fie Hat füh einen heil feiner Schuld
murhdrieben, weil fie ihn in jener Etunde verſchmaͤhte. Birger
Adtet nım feine ganze Energie auf das Gute und Grifa wals
m eis Haus frau auf Tiftelön, während Heraldſon feinem vers
kerhten Bergen noch in Worten, Fluchen und Wuthausbrüden
een den wahnfinnigen Anton Luft macht. Als Gabriele ſchon
derangewachſen ift, verlobt fie fi mit dem Sciffscapitain Ro:
Er ift ein Beweis, wie wenig in jenen Gegenden ber
Achen if der Sohn des gemordeten Iadıtlieutenants der Held;
Küt ia des Baters Stelle, verfolgt die Schleichhaͤndler und
die Rofe von Ziftelön. Er liebt fie — fie iſt aber Braut —;
seh; Jahren man den Bräutigam für tobt hält, tritt
feinee Bewerbung hervor. Beine Liebe wird ermwibert,
Gefühle für Rofenberg bat Gabriele auf ihn uͤbertra⸗
‚ fir ahnet nicht, daß fein Vater von ben Ihren ermordet
Aber Erika, Birger, ſelbſt der Water find gegen bie
Sutiadung, und Anton vor allm, und als er die Schweſter in
w jungen Lirutnante Armen findet, befchließt er Water und
[
Bruder anzugeben. In feinem Wahnſinn hätt er fi für den
Waffergeift, dem die Sage eine flete Sebnſucht nad der Meer
restiefe in die Bruſt gelegt; er meint aber nur erlöft zu wer⸗
den, wenn er das Verbrechen enthüllt. Gabriele verlobt fidy
aber mit dem Sohn des Gemordeten, und in diefem Augenblick
der Geligleit kehrt ibr erſter Bräutigam zuruͤck; fie hatte un.
ter zweien zu wäblen, fie entfagt aber beiden. Ihr Bater
und Bruder follen auf Anton's Angabe verhaftet werben, fie
wollen fliehen und werden gefangen unb gebunden. Gabriele
fledt das Haus an und den Augenblid ter Verwirrung benußen
fie zur Flucht; fie find eingefchifft, da entdeckt Birger, daß Erika
fehlt. ie ift in das brennende Haus zuruͤck, Birger zwingt
den Vater mit überiegener Jugendkraft umzukehren, fie fallen
den Häfchern in die Hände, Erika ift tobt; Heraldſon und fein
Sohn fterben auf dem Schaffot, Anton ftürzt fidh ins Meer,
und man fieht bie Rofe von Ziftelön, welche man in den erften
Seiten als Knospe begrüßte, nun verwelkt in Zicffinn unb-
Trauer, als altes Mütterchen wieder. — Diefem Roman fehlt es
gewiß nit an Bandiung und der Leſer kommt nicht aus der
Spannung heraus; man möchte beinahe zweifeln, daB biefelbe
Beber, weiche „Emma's Herz’ und den „Profeflor und feine Zoͤg⸗
linge“ ſchrieb und fi in jenen beiden Werfen mit fo vielen
matten Geflatten abgab, auch diefes beliebte, Eräftig charalteris
firte Wert hervorgebracht habe. Alle Nebengeftaiten find gelungen
und fämmtliche Charaktere von Anfang bis zu Ende treu durch:
. geführt. Die Mutter des Jachtlieutenants Arve ift eine ſtarke
Frau, body in ganz anderer Art ftart als Erika; Gabriele
fcheint des Waters Muth mit allen Zugenden ihres Geſchlechts
zu vereinigen; fie ift die Liebliche, wenn auch nicht ganz fehler⸗
freie Heldin, während bie fanfte, Liebende, in ihrer Liebe uns
glädliche Joſephine, in ihrem Verhaͤltniß zu Arve, trog des
wenig huͤbſchen Außern, trog des Verſchmaͤhtſeins, boch das In⸗
terefie bes Lefers auch zu feſſeln vermag. Arve’s Briefe aus
dee Lehrzeit und fein Verhaͤltniß zur Frau Zollverwalterin find
mit viel Humor vorgetragen, und die guten, einfagen Antwors
ten ber Mutter treffen immer ben Nagel auf den Kopf bei ihr
ven Rathſchlaͤgen und Ermahnungen, unb charalterifiren bie
ſchlichte, wuͤrdige Buͤrgersfrau, weiche durch Religioftität und
ie mfrengſten Begriffe von Recht reichlich die feine Bildung
erſetzt.
2. Willibald's Lieder.
Eine Phantaſie von Helmine Hart
Zwei Theile.
VR
Magdeburg, Greug.- 1842. Gr. 12. 1 Ipir.
gr.
3. Herzog Wilhelm. Roman in yeei Abtheilungen von Hel⸗
ine Hart. Magdeburg, Baͤnſch. 1843. 12. 1 Thrr.
gr.
Dem erftern Werke find Anſichten über Muſik, dem zweiten
eine Periode aus ber kurlaͤndiſchen Geſchichte als Stoffintereffe
beigegeben ; Erſteres deutet auf gründliche muſikaliſche Kenntniß
der Verf., das Zweite gibt allerdings einen interefianten Mor
ment. Der Ausführung beider Werte mangelt aber gänzıich
jene pfochotogifche Wahrheit, die man im 19. Jahrhundert in
Romanen, Novellen, Gedichten, ja fogar in Märchen verlangt.
Es tauchen eine Menge matter Frauenbilder, liebliche, füße,
ätberifche oder kuͤhne Erfcheinungen auf Ws fprecdhen und hans
bein ohne alle Natur; es werben Detail gegeben, bie nicht zur
Verfländigung des Ganzen gehören, und eine Menge Perfonen
aufgeführt, weiche keine andere Beftimmung haben, als bie, daß
fie da find und einige fentimentale oder bumoriftifche Worte fas
gen. Es fcheint fein beftimmter Plan entworfen, kein Charak⸗
ter ift ausgeführt, es liebt und ſpricht und feufst und fingt Al⸗
les burcheinander und eine auf Kothurnen einherfchreitende Sen⸗
timentalität ragt aud beiden Werken hervor. Die Liebe des
Gomponiften zur Gräfin, mit den fo oft ſich wiederholenden Abe
fchieben auf ewig, vermag nicht das Intereſſe der Refer zu feſ⸗
feln, und alle die ſchoͤnen Mädchenerfiheinungen, alle jene Hel⸗
binnen des erften und zweiten Romane, die man von ‚der Kinde
beit an beranwachfen fieht, mit Ihrem Liebeln und Zändeln, er
regen enblid nur Ungebuld. Sie find ſich beinahe alle aͤhnlich;
wenn auch eine Ulrika in ihrer Kindhelt einmal wilbe Pferde
veitet und fpäter noch zuweilen trotzig ift, fo ſpricht fie doch bei
andern Gelegenheiten wie die Sanften, Liebenden, Schmachten⸗
den, und bie Liebe und Freundſchaft erhält auch immer benfels
ben ſchwaͤrmeriſchen, weichen, aͤtheriſchen Anſtrich, welcher fo
leicht ermübet. Doch ift die Verf. richt ohne Talent. Die erften
Seiten von ,‚Willivald’8 Liedern ”, die Schiiberung des alten
Kapellmeifters, die der erften Liebe des jungen Somponiften find
fehr gut und verhießen Gutes — fo auch bie erflen Gapitel von
„Herzog Wilhelm‘ —, der Hang zu einer Eräntelnden Sentimen⸗
talität verdirbt jebocdy immer ben guten Eindruck; auch wird Als
les zu ſehr in die Länge gezogen, zu fehr ausgeführt, jedes
Thema erſchoͤpft; es bleibt dem Eefer nichts zu ahnen und nichts
zu benten übrig, er muß Alles Iefen, ja fogar mehr, als er wiſ⸗
fen möchte. Au ift nichts Hervorragendes in biefen beiden
Romanen, woran man ſich anftammern Eönnte; fein großer
Held, kein großer Gedanke, es foll Alles groß fein. Die Spradye
ift aber ſchoͤn; die Verf. muß fehöne Briefe ſchreiben, zu Reife:
ober Gefellfchaftsbriefen hätte fie Talent. Yrauenromane find
gewöhnlich die. gematten oder gefähliffenen Fenſterſcheiben, wos
durch man in der Verf. Herz fieht, und wenn man audy bier
mit ben Figuren der Scheiben nicht zufrichen ift, fo kann man
doch auf die fchöne Seele, ben gebildeten Verſtand der Berf.
ſchlieben.
4. Victorine, ein Roman von Henriette von Biſſing.
Zwei Theile. Hanover, Hahn. 1842. 3 Zhir.
Unfere fo blafitte Eefewelt noch durch ben Verlauf einer
Erzäͤhlung zu fpannen, ihr Herzpochen und langes Grwarten
zu erregen, zeugt von Zatent, und dieſes Talent befigt die Verf.
in vollem Maße; es fpridt ſich befonbers in dem erften Theil
der „Bictorine” aus. Die fchöne, fo natürlihe und doch fo ges
feitte Sprache, der edle Zon des Vortrags, bie geläuterten Ge⸗
fühle, die durchdachten Meinungen und Anfichten, Alles gibt dem
Lefer das Gefühl, ſich in gebildeten Kreifen zu befinden, und
trotz allen Spannens der Erwartung, weldye die Begebenheiten
erzeugen, fieht man ſich nie von ber Furcht vor Gemeinheit und
Revoltirendem ergriffen, wozu ein Verhaͤltniß wie das des hafs
fenswürbigen Falkiand mit der reigenden, unerfahrenen Bictorine
bei mandyer andern Reber wol Anlaß geben moͤchte. Die Art,
wie ec fie umgarnt, für fi zu gewinnen ſucht unb als feine
Braut aufführt, ift ſehr zart gehalten; Victorinens Charakter
ift der Lichtpuntt bes Ganzen und verleiht der fonft fo gering»
geſchaͤzten Stellung einer Gefellichafterin eine größere Wichtig
feit. Die Grundfäge der reinen Ghriftenlehre mit Rath und
That werden giädiih in ihrer Wirkung dem pietiſtiſchen Wefen
und Ginfchreiten entgegengefeßt. Des jungen Grafen Abenteuer
im griechiſchen Befreiungskriege bilden eine gluͤcklich gewählte
Epiſode und find in geböriger Kürze mitgetheilt, um nicht zu
ſehr vom auplag bes Romanintereffe abzuleiten. Die Ins
triguen, weldye die Sräfin Waldenburg und ihren Sohn tren⸗
nen, find ſeht gut eingefäbelt und burdhgeführt. Ref. follte nur
meinen, baß fie ein wenig zu ſchnell bei der jungen Gefellfchaf:
terin Erfcheinen ſchwinden. Auch ift die Verlobung des jungen
Grafen mit Victorine etwas demüthigend für legtere, da fie in
dem Kugenblid, wo D an eine andere Braut glaubt, feibft dazu
erflärt wird, ihren Namentzug mit dem feinen vereint erglän:
zen fiebt, ohne daß man ihre Sinmwilligung vorher verlangt
hätte: In jegigen Zeiten beglüdt ber Heirathsantrag eines
Grafen die Bürgerliche nicht mehr. fo unbedingt, um ihrer Sins
willigung ſchon ganz gewiß zu fein; unter feinem Verhaͤltniß
follte die Darreihung der Band am Alitar ald Gnabenfadye dar⸗
geftellt werben.
Theils etwas weiter ausgedehnt, als das Intereffe des Leſers
bedurfte. Das ift aber auch der einzige Tadel, den diefer huͤb⸗
ſche Frauenroman in und erregte; befist die Verf. auch nicht
das Talent der Gräfin Hahn » Hahn, die großen Leidenſchaften
der vornehmen Welt mit ihrer unter ber Lavadecke der Conve⸗
nienz brennenden Flamme darzuftellens verſteht fie fih auch nicht.
Überhaupt ift die este Haͤlfte des zweiten.
wie die gemüthliche Freberile Bremer auf die Detallmalsrei bes
bäustichen Lebens, und Fann fie auch nicht ganz wie Frau von
Paalgow bie Tpannenden Verwirrungen eines Geſchichtsfadens
erfinden ımb Löfen: fo Liefert fie doch in „‚Wictorine” ein Merk,
weiches von jeber biefee drei ausgezeichneten Schriftſtellerin⸗
ven einen Funken enthält und ben Weruf ber Autorin bes
undet.
5. Die Abenteuer in ber Weihnachtekrippe. Gin Maͤrchen von
Sarl Eitner. Berlin, A. Dunder. 1843, ia Thlr.
gr.
Elegant ausgeftattet und mit bäbfchen Kupfern verfeben.
Der Weihnachtsabend wird geſchildert; brei Alterniofe Kinder
begehen ein kleines Verſehen — geben in bie Shriftmette, effen
GShrifttarpfen, das Vergeben wird geftraft, indem man fie allein
läßt und ihnen nicht beſcheert. Gin ihnen von einer alten Koͤ⸗
din zum Troſt gereichter Trank fcheint fie beraufcht zu haben,
ihre Träume nehmen die Geflalten der Wirklichkeit an, bie
an ber Weihnachtskrippe aufgeklebten Figuren bemädhtigen fig
der jugendlihen Phantafle und fpiegeln ihnen Grfcheinungen
unb Erlebniſſe ohne allen Zufammenbang vor. Sie feben Sim⸗
fon, den heiligen Chriſtoph, einen Kreuzritter; fie ſehen David
und Goliath Fämpfen, Johannes den Zäufer Jeſum taufendz
fie betreten das Land der Ewigkeit; Zauberer, Einſiedler, alle
möglichen frembartigen Geftatten ziehen auf und ſchrecken fie.
Zulegt aber ſchweben die beiden Geftaiten bes Papfles und eines
Minds, indem fie einander eintrachtsvoll umfchlungen halten,
auf zum Himmel und verſchwinden endlich in einen Strahlen⸗
fern, und Ghriftus erfheint in feiner Glorie und ruft: „Gehet
bin, in meines Vaters Haufe find viele Wohnungen.” Da ers.
wachen bie Kinder und haben ſich wol mehr über die vor ihrem
Bette ausgebreiteten Weihnachtsgeſchenke gefreut ats über die
prophezeite Vereinigung bed Katholieismus und des Luther⸗
thums. Kür Kinder iſt dieſes Maͤrchen zu verwirrt, für Er⸗
wachſene zu kindiſch; es ift ſehr breit erzählt und nicht poetifch
genug ausgefhmädt, um all das Durcheinander zu verfüßen.
12
—
giterarifche Anzeige.
Allgemeines
Bücher-Zexikon «-
Wilhelm Heinfius.
Neunter Band, weldyer die von 1835 bi6 Ende 1841
erfhienenen Bücher und bie Berichtigung früherer Er⸗
ſcheinungen enthält. Serausgegeben von
Otto August Schuls.
Erfte Zieferung, Bogen 1—10.
(A— Beschreibung.)
Seh. Jede Lieferung auf Drudpap. 25 Ngr.,
auf Screibpap. 1 Thlr. 6 Ngr.
Die erſten firben Bände bes ‚Allgemeinen Bücher⸗ .
von Heinsius ( 1812— 29) find jet aa est Eon“"
im herabgeſetzten Preiſe für Pi Thlr. zu erhalten; audy
werben einzelne Mände zu verhältnißmäßig erniedrigten Preifen
erlaſſen. Der achte Band, weldger die von 1828 bi8 Ende
1334 erfchienenen Bücher enthätt, koſtet auf Drudpap. 10 Thir.
15 Ror., auf Schreibpap. 12 Thlr. 20 Mor.
Eeipzig, im Zanuar 1843,
S. A. Brockhaus.
Gr. 4.
Verantwortlicher Herausgeber: Deinrih Brodbaus. — Drud und Beriag von 8. U. Brochaus in Eeipzig.
Blätter
fir
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
. Profeffor Leo über die franzöfifche Revolution.
chiuß aus Mr. 14.)
Es mag fehr an * Zeit ſein, den unvernuͤnftigen An⸗
preifungen ber franzoͤſiſchen Revolution ‚ wie wie fie von
jungen, unreifen Leuten jegt häufig boren müflen, auf eine
überzeugende Weiſe entgegenzutreten. Hr. Leo ſchlaͤgt in feiner
fanatifdgen, unmahren Übertreibung jedenfalls aber den falfchen
Weg rin. Allerdings ift jene Theorie, nad) welcher nichts
Großes ohne eine angemeffene Bergiefung von Blut,
ohne eine Bluttaufe geſchehen könne, ebenfo unmwahr als
undriftih und namentlich mit einer richtigen biftorifchen
Auffafjung dee heutigen moraliſchen Zuftände und Stim⸗
mungen im ſchneidendſten Gegenſatze. Im Sinne der böch:
Ben Weltregierung mag Alles, was geſchieht, nothwendig
fein und felbft aus Verbrechen und Greuel mag zulegt
das Bute erwachſen. Eine foldhe Anſicht müffen wir gläus
big annehmen, wenn wie audy die DVerkettung der Folgen
nicht mit unferm kurzſichtigen Auge erreichen können.
Eine wahnfinnige Schlußfolgerung aber würde es fein,
wenn wir hierin eine Auffoderung finden wollten, um
ebenfalls durch Verbrechen Gutes ftiften zu wollen. Die
merafffche Ordnung in der Geſchichte der Menfchheit zeigt
uns deutlich genug, wie aus jeder Übertretung des moras
Uſchen Geſetzes Schlimmes entftchen muß. Nicht Leiden:
ſchaft, nicht Haß, Rache, Schwaͤrmerei u. f. w., nicht der
Schrecken erzeugt wahrhaft Großes und ſittlich Bleibendes,
fondern einzig und allein die Liebe. Jene in mwüfter Be:
fangenbeit des Schreckens und rafender Leidenfchaft voll:
brachten Thaten, welche man jest To hoch feiert, fie has
ben allerdings einen Keim des ſittlichen Merderbend in
Fraufreich zuruckzelaſſen. Jene trunkene Erregtheit, jene
wilde Leidenſchaft, welche junge Leute von ungebildetem
firttichen Gefühle als etwas Erhabenes zu bewundern ſich
eiauben, wie Hein und verwerflich erfcheinen fie neben wahr:
Yaft fittficher Größe, die ſtatt auf Leidenſchaft und Illu⸗
ſten auf Liebe und Wahrheit gegtuͤndet iſt. Unbegreif⸗
dd, wie eine Schule, welche über alles Unbewußte
im Handeln der Menfchen ihre Berdammungsurtheil aus⸗
Deich umd nur das woüfländig Bewußte als frei und ver⸗
utuftig anerkennt, eben jene Periode der Gefdgichte, welche
mter dem Ramen der franzoͤſtſchen Revolution begriffen
wird, zu felern ſich erkuͤhnt, einen Zeitraum, ber ſich durch
— wahnfinnige Bewußtlioſigkeit auf beiſpielloſe Weiſe
charakteriſirt und der bei jedem Gebildeten Schauder und
moraliſchen Ekel erregen muß. Wenn ſolche ſcheußliche,
bewußtloſe Proceſſe noͤthig find, um einen hoͤhern Grad
von buͤrgerlicher Freiheit zu erreichen, fo wäre es Niemand
zu verdenken, wenn er bei ſolchem unvernünftigen Dis
lemma ſchwankend innehielte und ſchaudernd zurücktraͤte.
Aber, Gottlob, dem ift nicht fo. Solcher rein unvernünfs
tigen Widerfprüche gibt es nicht in der moralifhen Ord⸗
nung der menfchlihen Dinge. Der Weg zur bürgerlichen
Freiheit IE auch der Weg der Sittlichkeit, der beroußten
Überlegung, der Wahrheit, der cheiftlichen Liebe. Eben die
wahnfinnigen Thaten der franzöfifhen Jakobiner geben el
nen deutlichen Beweis davon, wie unendlihen Schaden
der guten Sache durch folhe Mittel, durch fo thierifche
Handlungsiweife erwaͤchſt. Menforlicer Berechnung nad
ftände es jet beffer um den Sieg einer vernünftigen, zeits
gemäßen bürgerlichen Freiheit, menſchlicher Berechnung
nad wären ſowol Frankreich als auch Deutfhland [dom
weiter fortgefchritten nad dem Ziele eines öffentlichen bürs
gerlihen Rechtlebens, wenn jene gräßliche demagogiſche
Orgie nicht die Begriffe verwiret, das moraliſche Gefühl
vergiftet und um allen Much und alles Vertrauen ger
bracht hätte,
Es ift ein großer Irrthum, zu glauben, die feanzöfifche
Revolution habe jene Ideen von bürgerlicher Freiheit und
rechtlichem Staatsleben erzeugt, die jeht bie gebildete Wett
erfüllen und die nach unferer innigften Überzeugung mis
hoͤchſter Conſequenz in den einfachen Lehren des Chris
ſtenthums liegen. Diefe Ideen find. gewiffermaßen immee
dageweſen; gegen Ende des vorigen Jahrhunderts traten
fie uns nicht nur lebendig im emglifchen Staatsleben und
in den jungen Freiſtaaten von Nerdamerika vor Augen,
ſondern ihre Sortentwidelung, das Streben nad ihrer dus
Bern Geltendmachung und Realifirung lag auch im Geijte
der Zeitz die allmälige Entwidrlung des Keime war noth:
wendig, als bie franzoͤſiſche Revolution wie ein Ungewit⸗
tex bean Thenfube und alle biefe Keime anf längere
Zeit zerſtoͤrt
Für Frankreich bot fie die traurige Folge gebabt, daß
alle wirkliche moraliſche Freiheit, alle wahrhafte innerfte
Überzeugung, alles wabrhafte Heldenthum, jeder tüchtige
Rechtsſinn, jedes ſtabile, unwandelbare Sittlichkeitsgefuͤhl
gewichen if, ohne weiche Eigeuſchaften eine bürgerliche
% € .
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2
Freiheit denkbar. Das Zerſchlagen ber alten Misbräuche
umb Vorrechte, welches auf ruhigem, ſittlichem Wege eben⸗
falls haͤtte zu Stande kommen koͤnnen, iſt um dieſen Preis
zu theuer erkauft. Alle jene Vorrechte und Geſetze, die den
firgchen Anfederungen der Jetztzeſt atterdings roidgefpras
Gen, hätten durch ruhige. Geſetzgebung beſeitigt den
koͤnnen, wenn auch nicht ſo ploͤtzlich, ſo mit einem Schlage,
wie in der Nacht vom 4. Auguſt. Durch welche Geſetz⸗
gebung laſſen ſich aber die geiſtigen und fittlichen Gebre⸗
chen beſeitigen, welche in einem ſo verwahrloſten Zuſtande
von herzloſer Schwaͤrmerei, niedrigem Servilismus, ſcheuß⸗
licher Grauſamkeit, Irreligioſitaͤt und Selbſtſucht uͤber das
Belt von der Herrſchaft dee Guiliotine bie zum Sturze
Napoleon’s bereingebrochen find? Die Form der Freiheit
HE in der That mit dem Verluſte des Geiftes der Frei:
heit zu theuer erkauft gewelen, und wenn wir mit Xeo
auch nicht annehmen — Gott bewahre Uns vor ſolchem
pharifäifchen Aburtheilen —, daß das franzoͤfiſche Volk eins
mal in Grund und Boden verdorben und dem Zorne
Gottes (nebenbei auch dem Schwerte feiner Nachbarn) für
immer verfallen fei, fo glauben wir doch, daß es von bie:
fen geiftigen Wunden lange nicht genefen und eine ſchwete,
Innerliche Arbeit zur Sühne und Selbſterziehung zu ver:
richten haben wird.
hr Deutfchland aber hat die franzöfifche Revolution
den Nachtheil gehabt, daß unfere Kräfte, ſtatt auf ver:
nönftige Umgeſtaltung ber Staatsformen gerichtet zu wer:
den, fi nun gegen bie Übertreibungen der franzöftfchen
Revolution menden mußten. Nicht nur unfer Blut und
unfer Geld, auch unfere geiftigen Kräfte wurden in Ans
fpruch genommen und geopfert zur Bekaͤmpfung bes Un:
ſinns unfereer Nachbarn. Wir wurden irre an der Sache
der Freiheit, weil wir fie zu fo furchtbarer Stage werden |
fahen; wir verloren ben guten Glauben an fie, und bie
Furcht bemädptigte fi unfer, beim Fortfchreiten auf ber
Bahn vieleicht ähnlicher Anarchie und Roheit zu verfallen.
Es hat lange gedauert, bi6 das Geſpenſt der franzöfifchen
Nevolution nicht drohend zwifhen unfere Wünfche und
Beduͤrfniſſe getreten ift, und noch bi6 heute hat es feine
Macht nicht ganz verlosen; namentlih ſpukt es noch
Immer vor den Augen unſerer Großen und Maͤchtigen,
und der junkerliche Eigenes forwie der herrifche Beamten:
ſtolz weiß es noch immer trefflih zu benugen, um zu
ſchrechen und zuruͤckzuhalten von Dem, was doch einmal
nothmendig iſt und vom Ehriſtenthum ebenfo geboten wird,
wie von verfländiger Augheit. Auch dem Pfaffenthume
bat die franzöfifche Revolution. errvünfchte Gelegenheit bare
geboten, alle jene Greuel und jene Gottloſigkeit mit buͤr⸗
gerlicher Freiheit im Allgemeinen zu identificiren. Die
RNevolution ift ein terminus technicas gerworden, den man
als Bannſtrahl gegen jedes Streben, und ſei es aus noch
fo tiefschriftlichem Gemtthe entfprungen, allen Denen ents
gegenfchleudert, welche ba glauben, daß noch viel zu thun
fei, che das Meich Chrifti ſich im Geifte und in det
Wahrheit Hier auf Erben geltend machen werde. Zu bies
fm pfaͤfftſchen Weſen gibt Leo's Bud; einen befonders
intereffanten Beitrag. Es zeige and nebenbei, wie die
unchriſtlichſten | Mittel von diefem fogenannten „chriſtlichen
Fanatigmus nicht gefcheut werden, wenn es fih um
ucchführung ihrer Abfichten handel. Das Werk von
Leo predigt ziemlich unverhohlen, wenn auch nicht, mi
ganz diresten Worten, einm Krkuzzug gegm Fran d
natürlih in msjorem Dei gloram. Mobespiewe ghill
tinirte luſtig darauf los zur VBeförderung der Tugend,
zur Auscottung des Laſters; unfere pfäffifhen Staates
männer möchten Frankreich mit Blut Überfirömen und aus
dev Reihe der Voͤlker vertilgen, Alles der Gottesfurdt
wegen und ber Froͤmmigkeit. Es ift immer Daſſeibe, es
mag fih nun hinter die Religion verftedden oder hinter
bie Fretheit, Hinter die Philbſophie ober eine andere ſchoͤne
Sahne aushängen; «es ift das alte Bild von unferer Frau
Baſe Schlange, die ehem uns dann recht ficher hat, wenn
wir uns recht prahleriſch über unfere Mitmenſchen erheben.
Diefe Eriegerifche Froͤmmigkeit und dieſe chriſtlich⸗ geema⸗
niſche Luft nad Pulverdampf faͤngt jetzt an ſich recht
beeit zu machen; ſie iſt Modeton geworden, ſeitdem man
damit Anklang bei einer hohen Perſon zu finden glaudt,
bie man nicht verſteht. Unſere Generale find jetzt ſehr
fromm, gehen Morgens in die Kiche und machen Nach⸗
mittags Kriegeplane gegen bie Franzoſen. Sonderbar,
wie fich die Zeiten ändern!
8. von Florencourt.
t. Biographie universelle, publ. par Mickaud. Banb
69 — 71.
2. Biographie universelle des musiciens par F. J. Fetis.
Band 5— 7.
Das unermeßliche Denkmal, das Michaud zur Ehre ber
verfchiebenartigften Gelebritäten aller Länder und aller Zelten
errichtet bat, warb im 3. 1811 begonnen. Im 3. 1828 wer
man mit dem 92. Bande bein Buchflaben 3 angelangt. Aber
nachbem die Herausgeber noch einen Anhang von drei Vaͤnden
binzugefügt hatten, in benen fie alle Götter, Söttinnen, alle
Dalbgötter und andere mythologiſche Perfonen behandelten, ſahen
fie doch ein, daß das Werk noch lange nicht vollſtaͤndig ſei.
Während fie das Leben der Todten, deren Namen mit ben
Buchſtaben O und P anfangen, fchrieben, hatte der Zoch ſchon
eine beträchtliche Anzahl Titerarifcker, politifcher und artiftifcher
Größen, deren Anfangsbuchftaben A und B waren, hingerafft.
Sie fahen fi alſo genäthigt, an ein Supplement zu denen.
&ber ehe man bei biefer Nachleſe am Iepten Buchſtaben bes Ml⸗
phabet® angelangt fein wirb, muß ſchon wieber beim erfien ame
gefangen werben, und das wird fo fortgehen, bis am jüngften
| Gericht alle diefe Berühmtheiten nah ihrem wahren Wert he
emefien werben. Der 69. Band, ber zugleich den 14. des er⸗
n Supplements bildet, enthält den Schtuß des Buchftaben Ke
und führt den Buchſtaben € bis zur Gpibe Sal, Ge enthält
ganz vortreffliche Artikel, und wie könnten, wenn es ber Rates
geftattete, bier eine reiche Auswahl der werthoollften Notizen
aus ben verfchiebenen Biographien, bie in bdiefem Theile mit-
getheitt werden, ausheben. So ift der Auffag, ber bem beweg⸗
ten Reben Lafayette’s gewidmet ift, hoͤchſt bea
vo der —— | Aneldoten. Ei
gypten zu er⸗
und ohne Unterflügung irgend einer Reglerung
e Berhbaͤitniffe noethigten, diefe p n
obern. Aso ihn bi
fine, be m reife Eenaparte verwistitäite, fallen
* wollte er wenigſtens auf eigene Koften die Barba:
aten einneimmen. Diefe a durch eine Stelle
uns unkefannten MReimoiren von St.⸗Prieſt belegt. Bekannter
Wort NRapoleon’s, der von Lafayette in voller GSenats⸗
fügte: „Tout le monde en France parait corrige
*
ercopt€ Lafayette. Vous le croyez trangnille: eh bien, je’
vons dis, moi, qu’il est tout pret a recommencer.” ber
wir dürfen uns nicht zu weit in dieſe Details einlaffen. Wir
degnuͤgen uns daher nur im Worbeigehen auf zwei Notizen auf
werkſam zu madyen, don benen bie eine Labourdonnaye und bie
undere Laie betrifft, umd bir beide aus der gemandten Feder
Durozoir’8 gefloffen find. Leider zeigt fidh. indeffen auch bier,
daß die royaliſtiſche Kichtung, welche die Herausgeber ihrem
Verke aufgepraͤgt haben, ber unparteiiſchen Würdigung zumweis
im Eintrag getban Hat. Schr intereffant find die beiden Ars
tikel Kotzebue und Krudener. Auch bie beiden übrigen Bände
(70 und 71), die im Jahr 1842 noch erfchienen find, enthals
ten einen wahren Schatz bicgraphifcher, kiterarifcher und hiſto⸗
zifher Bemerkungen und wir wünfchen fehnfichft, daß die Her⸗
ansgeber ihr Werk mit gleicher Schnelligfeit und Gediegenheit
fortführen mögen. Es ift dies eins von ben Werfen, denen
keine Literater etwas Ähnliches am die Seite zu flellen hat und
auf das bie franzöfffihe Ration flolz fein kann.
Zuůu gleicher Zeit erwähnen wir noch ber Fortfegung ber
trefftichen „Biographie universelle des imusiciens” von Fetis,
von der voriges Jahr den fünften bis fiebenten Band gebracht
bat. Der verdienſtvolle Herausgeber biefts Werkes hat mit
dem größten Fleiße und mit einer unermeßlichen Belefenheit die
Biographien der wiätigfien wie ber unwichtigſten mufifalifchen
Sompomiften zufammengetragen. Indeſſen bat ihn wol daß
Berlangen, regt vollfiändig zu fein und gar nichts auszutaffen,
etwas zu weit geführt. &o hat er ber mythologiſchen Perfon
Yan einen voliflänbigen Artikel gewidmet. Ebenſo wenig iſt der
Kaifer Rero vergeflen, der, während er mit kaltem Auge den
Brand Rome anflierte, ruhig die Lyra ſpielte. So figurirt
£ubwig XIII. von Frankreich in diefer Biographie ber Muſiker,
weit er ein vierfiimmiges Lied componirt hat, dad mit den
Sorten „Te crois, ô beau soleil‘ anbebt. 6.
Literarifhe Notizen aus Daͤnemark.
3u ben von chſten reuen Erſcheinungen auf dem Gebiete
Whsttetriffiihhen Literatur in Dänemark gebören: „Gen
i M, Novelle af Borfatteren ti em Hperbagshifterie”, heraus:
tguhen von 3. 2. Heiberg und „Raer og Fiern“, Novelle von
X Berfaſſer. —3*8* ſich beſonders Goethe zum Mus
gnonmen zu haben, ben er jedoch beimeitem nicht er⸗
Der Verf. Hat hier in Nr. 1.in mehren, durch einen
kter zufammiengehaltenen Epiſoden ein daͤ⸗
Thema varlirt: nicht wahre Liebe, ſondern die
it, die man für bad Portrait einer theuern Perl
Eiglishtbeit , on
füsit, wird Hier geſchildert. Der Held der Novelle, Trolle, liebt
Granmızisamer, bie mit feiner erſten Geliebten, Elara, eine
it haten. Des Verf. hätte ohne Zweifel beffer gethan,
e
ur
in⸗
(in auftlaͤrte, doch den magiſchen Schleier zerriſſe, welcher
vernichtet. Niht
conſequent
durchgefuͤheter
Ge sine Wlnen- und: alle: andy: ohne Mhnenftale, gebiedett ohne
—
eniger iſt Trolle ein intereſ⸗
rates ex tft Ariſto⸗
1’ Yebanterte,”" arg — im Ganzen en Mebentroßrhiger ausacbitbe:
ter Menſch. Bon den uͤbrigen Charakteren, bie in diefer No⸗
velle ſpielen, dat keiner beſonderes Intereſſe, zeichnet ſich keiner
durch ODriginalitaͤt aus. Was biefer Novelle mangelt, iſt ein
eigentticher Weltzuftand. Gituation und Hanblung hat fie ge-.
mıg, aber ein eigentlicher Geſichtskreis fehtt ihr; es ift ein Ges
maͤide ohne Dintergrund. Dagegen herricht in ihr eine größere
Abwechſetung, ein tieferer Blick in die Entwickelung des Chas
rakters und in bie Geſchichte dei Keidenfchaft ats in den meiften
fruͤhern Novellen deffetben Verf., um nichts zu fagen von dem
Geſchmack und dem Geſchick, womit bie verfchiedenen Epiſoden
verbunden und geordnet ſind.
Die zweite oben genannte Nodelle iſt im Ganzen ge:
nommen in einem weniger boben Styl gefchriebens der Con⸗
traft zwiſchen Hintergrund und Worbergrund, Gorigont und
Situation ift nicht fo ſehr in die Augen fallend. Ste fpielt
übrigens in unferer eigenen unmittelbaren Jettzeit und bewegt
fi zum Theit um ihre ephemeren Intereffen. Poeſie, Thea:
ter und Politik machen die Quinteffenz nicht allen ber Conver⸗
fation, fondeen, wie im wirflichen Leben, auch bes Gedanken⸗
lebens aus: Es iſt nur das liebende Paar, welches wacht und
betet und nicht politifirt. Der Gefichtskreis ift demnach neber
‚licht genug; der Novelle Himmel ift fo dunkelgrau; es ift ein
"echt langweilige® Topenhagener Rovembermetter, welches bie
handelnden Perfonen umgibt, und ein Paar. von biefen fcheint
"auch zu den Menſchen zu geßören, auf deren Laune bas Wetter
“einen wefentlihen Ginfluß hat. Wan ben Charakteren, weiche
‚in diefee Rovelle vorfommen, ift Frit German der intereffantefte.
‚Er ift edel und babei Leichtfinnig, ohne charakterlos zu fein,
: gutmüthig, ohne einfältig zu fein, kuͤhn und flo. Wagner ift
‚ein guter zuverläffiger Dann, aber doch Fein wefentlidder Cha⸗
rakter in der Novelle. Brau German iſt eine Copie don taus
: fend Drfginalen. Herr Alfred iſt ein echter Ditettänt im eigents-
"ten Sinne des Worts. Die Unbebeutenheif und Geiftesleer-
beit des Dilettanten, alles Dohle und Nichtsfagende, welches
' diefe Art Menſchen charakterifirt, it fein Lebensprincip, fein eis
ı gentliches Weſen; er if ein daͤniſcher Typus, ein Metallſpiegel
ı für alle Ditettantenz; ber flüchtige Enthuſiasmus, bas faliche
: Streben, der gaͤnzliche Mangel an Lebens: und Weltanſchau⸗
‚ung, Talenteitelkeit, Verachtung ber mehr praftifchen Seiten
des Eebens, ber affectirte Kampf gegen Formen und Materien,
kurz gelaat, alle Ingredienzien eines Prachteremplars: von el:
nem Dilettanten find in biefem geiftfigen Automaten, dem der.
Berf. den Namen Alfred gegeben hat, enthalten.
C. 8. Ingerslev's Schrift: „Om det laerbe Skolewe⸗
ſens Tilſtand i nogle tydſke Stater og i Fraukrig tillige
med VBetragtninger og Forſlag angaaende det laerde Under⸗
viisningsvaefen i Danmark”, hat auch für Deutſchland Ins
tereſſe. Was der Verf. in dieſer Schrift dem Publicum vor⸗
i legt, finb die Ergebniſſe einer 1839 auf königliche Koſten unters
ı nommenen Weile, auf ber ev Beobachtungen über eine Anzahl
deutfher und frangöfifher Unterrihtsanftelten
anſtellt. Inhalt des Buchs iſt folgenber: Zuerſt fchildert
' der Berf. dad Schulwefen ber von ihm befuchten Staaten in
folgender Ordnung: Preußen, Gachſen, Baiern, Würtemberg,
ı Hamburg, Frankreich. Godann felgen Wetradhtungen und Vor⸗
‚ flüge, das Schulweſen Dänemarks betreffend. Endlich ift ein,
. Beil, und Erläuterungen enthaltender Anhang hinzugefügt.
Die Beobachtungen find uͤherall mit einem lebendigen une auf:
merkſamen Bil angeftelt und big Merichterfta mit. ebenfg
vier Sachkenntniß und Erfahrung als Eifes und Intereffe für
den behandelten Gegenſtand abgefaßt. Dieſeibe wird daher mit
Nusgen gelefen werden können, obgleich fie theilweiſe denſelben
Gegenſtand behandelt, worüber wir por nicht langer Zeit eine
aus brtiche Pa ſehr tg in don
: dem verbienflvollen norweg eckor Bugge erhalten baben,
allein Länder bereffl‘ u
. ber. nicht. dieſelben Laͤr ſich ia derſelben
Bee bemuhe Ya, ſich mit ausm Un bekannt „zu
2
machen, ſondern auch wenige Ahge gemeinſam mit dem
Reckor Ingersien hat, . Ihrer gr Dorftellung eine bes
fimmte Farbe geben, wozu wir z. B. eine entidiebene religioͤſe
Haltung, eine ſtarke Tendenz zu humaniſtiſchen Principien, eis
nen praßtifchen Geiſt, eine gewiffe Begrenzung, verbunden mit
Klarheit und Überfchautichkeit innerhalb dieſer Brenzen, rechnen.
Der Unterſchied zwiſchen ihren Arbeiten iſt thells im Umfange
derfelben zu fuchen, indem Rector Bugge's Buch das ganze Un:
terrichtöwefen (Eiementarſchulen, Buͤrgerſchulen, Realſchulen,
SGymnaſien) umfaßt, theils in ber Behandlungsweiſe, indem
Rector Bugge ſich vornehmlich bei der allgemeinen Organifation
des Unterrichtswefens aufhält, während Rector Ingersieo insbes
fondere ausführlidde Nachridyten von dem Bang und ber Mes
thobe des Unterrichts, von ber Dieciplin u. f. w. mitgetheilt
bat. Beide dieſe Momente find gleich weſentlich und nothwen⸗
dig zu einem klaren unb burdpbringenden überblick über das
Unterrichtöwefen in beffen Ganzheit, und man ift darum beiden
Berfaffern die Bemerkung ſchuidig, daß feiner von ibnen ſich
einfeitig bei tem einen aufgehalten und das andere beifeite ges
feat bat, fondern daß fie, wie man von forgfältigen und ſelb⸗
ftändigen Beobachtern erwarten konnte, beide einander in biefer
Binfiht bekräftigen unb ergänzen. 16,
Bibliographie.
Genealogiſch⸗hiſtoriſch⸗ſtatiſtiſcher Almanach. 2Ofter Jahr:
gang, für das Jahr 1843. Gebildet aus dem 19ten Jahrgange
für das Jahr 1842 und aus Ergaͤnzungen dazu, nebſt alpha⸗
ey Degifter. Weimar, Landes: Induftrie = Gomptoir.
. , Nor.
Amtilkais, der Dichter und König. ein Leben bargeftellt
in feinen Liedern. Aus bem Arabiſchen übertragen ven F.
Rüäsckert. Stuttgart, Sotta. Sr. 8. 1Thlr.
Das belletriftifche Ausland, herausgegeben von K. Spinbs
ler. Kabinetsbibliothek der claffifhen Romane aller Nationen.
Ifter und ?ter Band. Enthält: Die Töchter des Präfidenten.
— Auch u. d. T.: Die Zöchter des SPräfidenten. Erzaͤhlung
einee Bouvernante von Friederike Bremer. Aus dem
Schwediſchen überfegt von G. Sint. Mit Portrait der Ver⸗
fofferin. Gtuttgart, Brandt. 16. 4 Nor.
Beine, H., Die Alpen. lſte bis Ite Kieferung. Golberg,
Hof. Br. 8. 1 hir.
Blom, G. P., Das Königreich Norwegen. Statistisch
beschrieben. Mit einem Vorwort von C. Kitter. 2 Theile.
Mit 2 colorirten Karten. Gr. 8.
4 Thir. 15 Ner.
Bube, %., Gotha's Grinmerungen an die denkwuͤrdigen
Junitage des Jahres 1842. Mit Lithographirten Darſtellungen.
Sotha, Glaͤſer. Br. 8. MO Nor.
Budberg⸗Bennighauſen, R. Preiherr., Gerichte.
Bertin, Buch. d. Berliner Lefecabinets. 8. 20 Nor.
Dablmann’s, F. ©., erfter Bortrag an der rheinifchen
Hochſchuie. 28. November 1842. Bonn, Marcus. Gr. 8.
3%, NR
gr.
Dannenberg, ©. W., Synchroniſtik der Schredendtage
Hamburgs von 5. bis 8. Mai 1843 und deren Folgen. Ifter
Band. PBamburg, Herold. 8. 1 Zpir. 10 Nor.
Fitzau, D., Gedichte. Soldin, Siebert. 8 1 Zr.
Sriedtänder, A., Die Lehre von ber unvordenklichen
Zeit. After Theil. Dogmengefäichte und Roͤmiſches echt. —
Au u. d. T.: Die Lehre von der unvordenklichen Zeit. Gine
von bee Juriſten⸗Facuitaͤt zu Heidelberg gekroͤnte Preisichrift.
Marburg, Elwert. Gr. 6. 13 Nor.
Fuͤrſt, J., Zur Würdigung eines Künflterausfpeuchs über
drei Gemälde der Berliner Ausftelung. Nebſt einem Aufruf zur
Gmanzipation. Berlin, Jonas. Br. 8, 5 Rgr.
Leipzig, Weber.
Gr. 8.
Gerold. Gr. 8.
d 8 ‚ Der huͤrnen Segfrich unb
bem —88 En altdeutfche Gage. Koh ihn *
über den Geiſt bes germaniſchen Heſdenthume und Die Bedeu⸗
tung. feines Sebenfege für ge Geſchichte. Schaffpaufen, Hurs
&
ter. Gr. 4. x.
— — Das Weibnaditslripplein und Prinz. Schreimund
und Prinzeffin Sdroeigfiln. Ein Chriſttagsduͤchlein. Schaff⸗
haufen, Hurter. Gr. 16. 10 Nor.
Habn-⸗Hahn, Ida Gräfln, Die Kinder auf dem Abend
berg. Kine Weihnachtegabe. Berlin, X. Dunder. 8. 10 Nor,
Bust, #. 3., Die Gtetfcher und bie erratifdhen Biöde.
Golotburn, Jent u. Baßmann. Gr. 8. 1 Zpir. 221, Not.
Kalisch, M., Herr J. J. Sachs vor den Richterstuhl
der öffentlichen Meinung gefordert. Berlin, Oechmigke.
Gr. 8. T'% Ngr
Kod, Ch. Paul de, Die große Stadt. Reue Biber
aus Paris. Aus dem Kranzöfifhen von D. von Birkeneck.
2 Bände. Leipzig, Literar. Muſeum. 8. 1 Thlr. 20 Nor.
Kornfeger, A, Stuben: und Reifebilder eines phantaſti⸗
ſchen Mediziners. Nene Folge. Bamberg, Dreſch. 8. 1 Ipir.
tindow, ©. £. W., Das Bluͤcher⸗Feſt oder der 16. Des
cember 1842. Drama mit Gefang in einem Aufzuge. Berlin,
Oehmigke. Gr. 8. 15 Nor.
Reybaud, Mad, Eſther und Chazeuil, oder Gott raͤ
die Todten. Novelle nach dem Franzoſiſchen von W. v. G.
Gera, Heinſius. 8. 1 Tholr.
Reybaud, Ch., Gott raͤcht bie Todten, oder dad Fraͤu⸗
lein von Chazeuil. Aus dem Feanidſthen van O. von Bir:
tened. Leipzig, Literar. Mufeum. 8. 224, Nor.
für die kuͤnftige
Stellung rt Juden in Preußen. Hamburg, DBerenbfohn.
r. 8, rx.
Rupp, J., Über den chriſtiichen Staat. Rede am 15.
Dctober 1842 in der König. deutſchen Gefellfchaft gehalten.
Königsberg, Voigt. Gr. 8. 10 Near.
Salzmann, B®. G., Lehrbuh der Tonkunſt. Wien.
I Ihe. 9 Nor.
Schäffer, 3.8.9, Der Kölner Dom und feine Bollens
bung in ihren Beziehungen zum beutfchen Vaterlande, resp. zum
Proteftantismus. Magdeburg, Schmilinsky. Ler.:8. 7 Har.
Schiefier, ©., Grinnerungen an Wilhetm von Bumbolde.
Ifter The. Iſte, Ate Hälfte. Won 1767 His 1794. Gtutte
gart, Köhler. Gr. 8. 2 Thlr. 7’ Nor.
Schnabel, ©. R., Die Wiſſenſchaft des Rechtt. (Naturs
recht.) — Auch u. db. T.: Das natürliche Privatrecht. Wien,
1 Thir. 10 Nor. _
Strauß, D., Himmel, Hölle und Teufel, oder was hat
der Menſch vom Himmel zu hoffen, von der Hoͤlle zu fürchten
und vom Zeufel zu halten? WBaugen, Reichel. 16, 4 Y Nor.
Die legte Soirée der Gräfin Zolfa, oder der Nemeſis
Walten. Roman von ber WVerfafferin der Gräfin Loͤwenmark.
2 Xteile. Gera, Heinfiue. 8. 2 Thlr. 15 Nor.
Über Partpei und Partheinekmen der Königsberger Zeitung.
Königsberg, Voigt. Ler.:B. 6Y, Nar.
Das dentwürdige Unglüds» Jahr 1842. ine forgfältige
Rießer, G., Beforgniffe und Hoffnungen
Darſtellung aller in dieſem Jahre vorgekommenen Denfwürdigs
feiten und Ungluͤcksfaͤlle nebft ſchüeßlich beigefügter Beſprechung
über alle Berhättniffe. Nebit Plan von Damburg und Abbils
bung der abgebrannten Gebäude. Leipzig, Phnide u. Sohn.
Gr. 8. W Nor. |
Bogel, ©. F., Schelling oder Hegel oder Keiner von
Beiden?! — Ein SeparatsBotum über bie Eigenthuͤmlichkeiten
der neueren deutſchen Phitofophie, mit befonberer Beziehung auf
die, vom Beten &H. Prof. D. Friedrich Jacob Fries zu Sena
in feiner „Gedichte der Phitofophie” neurrlih hierüber ausge
fprochenen Anſichten. Leipzig, Rein. Gr. 8. 11%, Nor.
Berner, D., Des Kaifers Traum. Geſchichtliche No⸗
velle. Gera, Beinus. 8. 1 hir. ah
Berantwextiiger Oerengeber: Hetarih Brodhend — Deud‘ sub Berlag von. V. U. Mrsdyaus in Letpz is.
Blaͤtter
für
lit erarifche Unterhaltung.
Montag,
Geſchichte der chriſtlichen Philofophie von Heinrich
Ritter. Zwei Theile — Auch u. d. T.: Geſchichte
der Philofophie. Fünfter und fechöter Band. Ham:
burg, 5. Perthes. 1841. Gr. 8, 5 The. *)
Nach langem Zwiſchenraume übergibt der wärbige
Berf. feinen zahlreichen Freunden die erfehnte Fortſetzung
feiner „‚Sefchichte der Philofophie. Wenn die Verdienfte
der erften vier, die alte Philofophie behandelnden Bande,
in Hinfiht auf Form und Inhalt ſchon dankbar aner:
fannt wurden, fo befriedigen die vorliegenden beiden Bände
faſt ein noch größeres und bringenderes Beduͤrfniß. Denn
der vorzugsmeife theologifhen und dogmatifhen Auffaf:
fung gegenüber bedurfte es einer neuen Durchfotſchung
der Werke jener Männer, um die philofophifhen
Ergebniffe derfelben dem jegigen Stande der MWiffenfchaft
gemäß im Zufamenhange und unpartelifch darzulegen.
Ueber diefen Standpunkt der Auffaffung und Behand:
lung find Die heutigen Meiſter und Chorführer in der
Phitofophie nicht einig und der Verf. ſagt (S. 17) zur
Bertheidigung des feinigen: Das Chriftenehum iſt keine
Philoſophie, und nicht der Gedanke, fondern der Wille
% das erfle, auf welchen erſt das Wiſſen des Guten
Me Die Wiflenfhaft, der ausgebildete Gedanke kann
sur nur ein ſpaͤteres Erzeugniß des Lebens fein: man
amd erſt einen kräftigen Willen in feiner Seele, einen
ſichen Haltpunft für dad weitere Leben gewonnen haben,
ehe man wiſſen kann. Der vernünftige Wille führe zum
Biffen, und die Entfhlüffe des Willens leiten die Reife
des Gedankens ein.
Recenſent moͤchte nicht das unbedingte Gegentheil
des bier Geſagten behaupten, wol aber dem Clemens von
Alexandrien beitreten, wenn er aͤußert (Th. 1, ©. 464):
Erkenntniß und Handeln, Wiffen und Wollen ftehen in
ine nothwendigen Verbindung; eine Lehre, welche Spi⸗
mo noch vollfländiger entwidelt. Der ausgebildete Wille
R (geihiwie Der ausgebildete Gedanke) erſt ein fpäteres
Ehztagniß des Lebens, und cohes MWiffen und rohes Han:
deln gehen Hand in Hand. Der Wille kann, vor allem
Wiſſen, noch gar nicht den Beinamen des Vernünftigen
verdienen, ober Beſchlüſſe faffen, die als Haltpunkt für
°), Zuletzt berichteten wir über dieſes Werk in Nr. 61 d. BI.
2 r_ viet D. Red.
— Kr. 16. —
4
16. Sanuar 1843.
das ganze Leben zu betrachten wären. Diefe und aͤhn⸗
liche Gegenfäge und Trennungen (fo Geiſt und Herz,
Denten und Fühlen, Vernunft und Offenbarung, Ra:
tionalismus und Supernaturalismus u. f. mw.) find unter
georbneter Art und bedürfen einer tiefen Durchdringung
und Berföhnung.
„Das Chriſtenthum ift keine Philoſophie“; das heißt:
die Zotalität feines Weſens tft keineswegs auf den Be:
griff einer philoſophiſchen Schule oder Dischptin binabzus
bringen; wol aber enthält es philofophifche Elemente, oder
(wie Andere behaupten) das Weſen und den Inhalt
aller wahren Philofophie — fonft wäre ja auch
eine Gefchichte der chriftlichen Phitofophie ganz unmoͤg⸗
ih. Wenn nun aber Grund, Boden und Lebens»
quell der chriftlichen Philoſophie fi ohne Zweifel im
Neuen Zeftamente findet, fo wuͤnſchten wir, daß der Verf.
feine Geſchichte nicht mit den Gnoſtikern und Apologeten
begonnen hätte, fondern mit einer Darftelung der Phi⸗
lofophie des Neuen Teſtaments. So wenig man bie
Sokratiker ohne Sokrates, die SPlatoniker ohne Platon
begreifen und wuͤrdigen kann, fo wenig die Kirchenväter
ohne Chriftus und die Apoſtel. Erſt wenn diefe Grund⸗
lagen hervorgehoben und ins rechte Licht geftellt find, wird
man darlegen und ertoeifen können, ob und wo bie Kits
henväter fortgefchritten oder zuruͤckgegangen find, was
lehrreiche Entwidelung, was verkehrter Zufag und wels
ches Derdienft ihnen beizulegen ift. Die Philoſophie des
Paulus, Johannes, Jakobus und der Evangeliften ift
unendlich tieffinniger als die eines Baſilides oder Valen⸗
tinian; und andere dhriftlihe Philofophen ſtehen nicht
über ben heidniſchen durch ihre eigene Kraft und Weis⸗
heit, fondern durch die des Neuen Teſtaments. Was
im Berhättniffe zur Stoa und Akademie als Fortſchritt
erfheint, iſt es nicht im Verhaͤltniß zu den Lehren der
Bibel, und Platon und Xriftoteles würden mit Hülfe
berfelben keineswegs hinter Irendus oder Tertullian zus
ruͤckſtehen oder zuruͤckgeblieben fein.
Vielleicht antwortet der Verf. auf unfern Wunſch
wie Neander (Kirchengefchichte I, ıx):
Die Geſchichte der apoftolifhen Kirche iſt mir etwas zu
Wichtiges, als daß ich mich entfchließen Eonnte, fie gleich diefem
geſchichtlichen Werke mit einzuverleiben. Ich feste fie daher
bier überall nur voraus und behalte mir die Mittheilung der⸗
feiben als eines befondern Werks noch vor.
Sollte es denn aber für das Verſtaͤndniß der Sachen
und für die Lünftlerifhe Abrundung ihrer Werke nicht
beffer gewefen fein, wenn beide Meifter das Fehlende
darin aufgenommen und eingefügt hätten? Wenigſtens
hoffen wir, daß Hr. Ritter (wie es Neander gethan) daſ⸗
felbe noch nadhliefern werde.
An der Vorrede fagt der Verf.:
Man wird vielleicht befürchten, daß dies Werk cinen zu
großen Umfang erhalten dürfte, wenn man findet, daß ich ber
Philoſophie unter den Kirchenvätern zwei Theile gewidmet babe.
Wir theilen diefe Furcht nicht, denn der Stoff erfo⸗
dert eine fo umſtaͤndliche Erzählung. Wol aber entſteht
uns eine andere Beſorgniß, wenn der Verf. binzufügt:
Dieſer Furcht mag die Erklärung begegnen, daß ich bie
patriftifche Philoſophie, gegen bie gewöhnliche Meinung, für
wichtiger halte als die Philofophie unter den Scholaftifern.
Mir ftellen uns naͤmlich auf die Seite der gewoͤhn⸗
lichen Meinung und würden e8 fehe bedauern, wenn der
Berf. die Scholaftiler verhältnigmäßig kürzer behandeln
wollte als die Patriſtiker. Jene find noch weniger be:
kannt, noch öfter misverflanden und mishandelt als dieſe,
und die Meiften begnügen fich Oberflächlicyes über fie
zu wiederholen, anftatt die ernfte Arbeit meiläufiger un
mühfamer Forſchung zu übernehmen.
Sn philofophifcher Beziehung hat die zufammenhän:
gende, abgerundere Syſtematik der Scholaftiter mehr
Gewicht als die zerftreute Polemik der Patriſtiker, und
es war leichter, der heidnifhen Religion und Mythologie
gegenüber fiegreich zu bleiben, als alle die philofophifchen
Richtungen und Gegenfäge durchzudenken und auszuar⸗
beiten, welche auf chriftlihem Boden emporwuchſen und
emporwachfen durften. Hinſichtlich der Form ftehen bie
Patriſtiker den Scholaftikern nicht voran, mol aber find
diefe Hinfichtlich des Inhalts weit vollftändiger und man-
nichfaltiger. So bleibt zwar bie Naturphilofophie aud)
bei ihnen nur untergeorbnet; doc) zeigen Albert der Große
und Roger Bacon in biefer Beziehung mehr Eifer, Ar:
beit und Ausbeute als alle Patriſtiker zuſammengenom⸗
men, und wo wäre unter biefen eine Ethik, welche ber
des Thomas von Aquino, ein Syſtem fcharfer Begriffe:
beftimmungen, welches dem Duns Scotus könnte gleich:
gefegt werden? Der Verf. gefteht die Schwäche ber pa:
triſtſchen Philofophie felbft an mehren Stetten ein (fo
S. 76, 89, 95, 105) und die neuere Kritik hat mit
Recht darauf aufmerffam gemacht, daß die Willtür und
Schwaͤche vieler dogmatifhen Beſtimmungen bamit in
nothwendigem Zuſammenhange ſtehe.
Die Zeit der Patriſtiker war (nur mit Ausnahme
des chriftlihen Elements) in allen Beziehungen eine alte,
dahinfterbende, zu neuem Leben unfähige, und ſelbſt bie
Macht des Chriftenthums konnte keine friſche Jugend
hervorrufen; das 12. und 13. Jahrhundert zeigt dage⸗
gen überall (in Staat und Kirche, in häuslichem und
öffentlichem Leben, in Künften und Wiffenfchaften) eine
neue, eigenthuͤmliche, hoͤchſt mannichfaltige, Überall durch⸗
brechende und ſich geftaftende Lebenskraft. Schon des⸗
halb ſtehen die Scholaftiter, in ber Xotalität ihrer Um:
‚gebungen aufgefaßt und betrachtet, höher als die Patri⸗
filter. In SKonftantinopel, in Abpffinien, im Innern
Afien wirkte das Chriſtenthum ganz anders al& In ben
beutfhen und romanifhen Völkern, und die, an fid
gleichartige, Offenbarung trug in weſentlich verfchiedenen
Ländern und Zeiten auch fehr verfchiebene Fruͤchte. Mit
Recht behauptet deshalb der Verf.: es fei das Weſen des
Chriftenehums In keiner, durch beflimmte Kormeln aus:
gefprochenen Summe der Lehren zu finden, und eine
philofophifhe Unterfuchung deffelben nicht zu fliehen, ſon⸗
dern zu volllommener Einſicht und Verklaͤrung nothwen⸗
dig und beilfam. Allein nicht Jeder, welcher diefe Auf:
gabe zu Löfen verfucht, trägt den wahren Glauben, oder
die rechte Erkenntniß, als untrüglihen Maßſtab ſchon in
fih; vielmehr fallen bei der Berührung und Wechſelwir⸗
tung die oft mitgebrahten Schladen und Irrthuͤmer zu
Boden, welche vereinzelt wol noch lange und anmaßlich
forgelebt hätten.
Die alte Philofophie (fagt der Verf. Th. I, ©. 40)
war mehr eine Vorbereitung auf die chriſtliche als eine
Betätigung der heidnifhen Religion. Indem diefe neue
Lehre (S. 35) von den Vorurtheilen, von der Hoffnungs⸗
lofigkeit der alten Religionen befreite, gab fie auch der
Philoſophie eine kräftige Anregung, in die Tiefe einzu:
dringen und ihr Nachdenken zur Löfung der wichtigften
Fragen anzufpannen. Das Ziel (S. 42), welches die
chtiſtliche Philofophie verfolgt, iſt viel zu groß, um an:
nehmen zu dürfen, daß wir ihm fchon fehr nahe gekom⸗
men fein follten. Wir können und (5. 69) nicht zu
der Meinung Derer bekennen, welche davon überzeugt
find, daß die chriſtliche Glaubenslehre ein für allemal
feftgefege fei durch die Unterfuchungen der Kirchenväter,
der Scholaftiker, oder des Jahrhunderts, in welchem die '
kirchliche Reformation zu neuen Seftftelungen der Glau⸗
bensartitel führte. Wenn, wie nicht zu bezweifeln ift,
in der patriftifchen und ſcholaſtiſchen Philofophie nur eine
einfeitige theologifhe Richtung berifchte, fo müflen wir
auch die Richtung der neuern Philofophie, feit Herſtel⸗
lung der Wiffenfhaften (mie einfeitig fie auch zulegt ge⸗
gen bie dhriftliche Theologie ſich erklären mochte), ale dazu
beftimmt anfehen, eine nothwendige Ergänzung der fruͤhern
Einſeitigkeit einzuleiten. Mögen wir uns freuen (&. 70),
wenn wir jegt zu einer billigern Schägung der Verganz
genheit zurüdgelehre und im Stande find einzufehen, daß
die theologifche Richtung in der Philofophie nur in Vers
bindung mit ber weltlichen die richtige Einfiht in das
Weſen der Dinge uns gewähren kann. Beide Richtun—
gen find jege (S. 71) untereinander auszugleichen.
(Die Bortfegung folgt.)
Sonez de Caſtro. Trauerſpiel in fünf Aufjlgen von
Zo&o Baptifta Gomes. Nach ber fiebenten ver-
befferten Auflage der portugiefifhen Urfchrift überfegt vorr
Alerander Wittich. Mit gefchichtliher Einleitung
und einer vergleichenden Kritik der verfhiedenen Ignez⸗
Tragoͤdien. Leipzig, Brodhaus. 1841. Gr. 12. 20 Ngr.
João Baptiſta Gomes, der Verf. diefer Tragoͤdie, die biex
zum erſten Male in deutſcher Überfegung dem unermeflihen
Yantheon der dentſchen Literatur einverleibt wird, if derjenige
Dichter, auf welden bad moderne Portugal die größten Hoff:
aungen einer Wiedergeburt feiner dramatifchen Literatur fehte.
Das tiefgebeugte Land wurde hierin wie in fo mandyen andern
Erwartungen getäufht. Gomes flarb zu früh, um jene Deff:
nungen erfüllen zu können. Sein Hauptwerk iſt die vorliegende
Zrogövie, ein Eieblingsftüd bes portugiefifchen Publicums, wie
ſchen der Umſtand beweift, daß fie in nicht gar langer Zeit fies
den Auflagen erlebt hat.
Die Dichtung iſt ſchon infofern interc ſant, als fie augen:
rinsich ganz aus dem Geiſte der portugiefifchen, durch Frank⸗
sich und die frangöfifche Literatur des vorigen Jahrhunderts
sermittelten Xufllärung hervorgegangen iſt, an deren Einfüh⸗
sung der gewaltige Pombal zu Grunde ging. Portugal hat
wor niemals in gleichem Maße wie das verſchwiſterte Spas
sten dem Fonatiemus, dem Dbfcurantismus und jener das
Leben tödtenden, dafür aber die Leiche mumifirenden Ein⸗
balfamirungslurft des Katholicismus ober vielmehr ber katho⸗
lijchen Hierarchie gehuldigt. Nichtsdeftomeniger gehörte es naͤchſt
Spanien länger als irgend ein anderes Land Europas zu den
werthvollſten Zumwelen im Roſenkranze Gr. Heiligkeit des Pap⸗
ſtes, bei denen das Gebet des Dberhirten der Ghriftenheit Iäns
ger und mit befonderm Wohlgefallen vermweilte. Und mandem
deutfihen Eefer, der das für die neuere Befchichte allerdings un:
bedeutende Läudchen aus den Augen verloren hat, mag es wol
noch gegenwärtig nur von dem dunkeln Schleier bes katholiſchen
Aberglaubens umpüllt erſcheinen. Die Tragödie des Gomes ifl
ganz geeignet, dieſen Wahn zu gerflören und zu zeigen, daß,
freilich) wol nur in den gebildetern Claſſen, das Princip der
Auftlärung auch in Portugal Wurzel gefchlagen und den mor⸗
[hen Bau der Dierarchit und des mittelalterlichen Feudalſtaats
erſchuͤttert Hat. Der Dichter weiß nichto mehr von der Mutter
GSottes und dem hunderttaufend Heiligen, nichts mehr von ber
Almadıt des Papfles und den Privilegien der Kierifei, nichts
mehr von bem abfoluten “SH des Königs; ja felbft des Chris
ffenthums und der chriſtlichen Kirche geſchieht mit keinem Worte
Erwähnung. Beraunft und Zugend find feine Gdttinnen, bie
Pflicht die hoͤchſte Inſtanz, an die feine Helden appellicen , ber
König nur der erſte Staatödiener, der dem Wohle des Volkes
feine liebſten und höchften Intereſſen zu opfern bat. Der Ber:
nunft tritt die Gewalt der Reidenfchaft, der Pflicht des Königs
We Pflicht bes Baters, dem Zwange der Gonvenienz treten die
Wertungen der Ratur, dem tobten Geſetze die ewig lebenden Men:
eercchte fireitend gegenüber. Um biefen Gonflict, um biefen
Iytunft der Aufklärung und ihrer Tochter, der franzoͤſiſchen
Reveistion , dreht ſich die Brundidee bes ganzen Dramas nad
Sem und Gehalt.
Während das Stück nad biefer Seite hin von dem ins
fiuffe der franzöfifchen Ideen und ber feanzöfifchen Literatur ſtark
infeiet erfägeint, bewegt es ſich andererfeits mit einer gewiſſen
Fecihelt und thut offenbar einen nicht unbedeutenden Schritt
serwärts zur Emancipation von ber literarifchen Herrſchaft des
Srengofentbums, der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahr⸗
hunderts die pyrenaͤiſche Halbinſel, wie die ganze Welt, vers
feien war. Der Dichter hat fi nicht nur frei gemacht von
dem Zwange und der künſtlichen Steifheit bes klappernden
VLerandeiners, fondern auch von dem Joche der franzoͤſiſchen
Regelrechtigkeit, ber fogenannten Einheiten des galliſirten Ariſto⸗
Wei. In dieſer Beziehung folgt er mehr dem Vorbilde der
dien chen: und fpanifgen Dramatiler des 16. und
17. Jeiptanderts. Aber auch die comventionnelle Hofſprache ber
freugöfähen Tragiker, den rhetoriſchen Bombaſt, die fleifleinene
Gefabenpelt und den folzierenden Hahnenſchritt der franzoͤſiſchen
dat er abgethan. Beine Sprache, obwol zumellen
Bi
übe Erguß des Gefühls und ber Leidenfchaft. Ihe Fehler if
ia Gegentheil, Daß fie zu lyriſch, zu wenig dramatisch iſt, oft
Wu Sentimentale binüberfireift, was ſich namentlich in den vies
a amübenden Snterjectionen, dem ewigen Ach und Ob und
Ifig und unbehülftid, iſt doch der freie, oft nur zu reich⸗
Ja und Rein ausfprit, im Ganzen aber nicht indioiduell
genug, zu gleihförmig und eintönig, zu allgemein gehalten, in
einem unterfchiebslofen, das ganze Stück durdhzichenden und
aus allen Hauptperfonen widertönenden Gefühlspathos dahinfließt.
Überhaupt ficht man es dem Stücke an, daß es die Zu:
gendarbeit eines zwar begabten, aber noch unreifen, in feinen
Sünglingsideaten noch befangenen Dichters ifl. Die ganze Le⸗
bensanſicht, die ihm zum Grunde liegt, iß die eines braufens
den Jünglingskopfes; es fehlt die männliche Kälte, Beſonnen⸗
beit und Entſchloſſenheit, die männliche Energie, Willensftärke
und Thatkraft; die Springfeder der Entwidelung ift überall
nicht der Wille, nicht die thatenluflige Leidenſchaft, fondern
das von Gefühlen und Affecten beflürmte, wankende und ſchwan⸗
Eende Herz im Kampfe mit Vernunft und Pflicht. Gelbft der
alte König und der greife Sancho erfdheinen von diefem Gtrus
dei ergriffen, und die Partie, in ber der trockene Verſtand, die
Intrigue und Planmaͤßigkeit felbftbemußter Abfichten ein Bes
gengewicht gegen bie Überflüffigkrit der Gefühle und Affecte in
die Wagſchale hätten werfen follen, wir meinen die Charaktere
und bie Thaͤtigkeit der feibftfüchtigen, ehrgeizigen, intriguanten
Hofmenſchen, Coelho und Pacheco, tritt nicht nur ſehr in den
Dintergrund gurüd, fondern ift auch offenbar die ſchwächſte am
ganzen Stücke. Daher dann der Mangel nicht eigentlich an
Action, aber an der draſtiſchen Form der Action: bie Handlung
verläuft an einem nie abreißenden Faden von Herzensergießun⸗
gen und Ausbrücen bes Affects. Daher der Mangel an indi⸗
vidueller Färbung der Diction, -die vielen fhönen Redensarten
und allgemeinen, oft zwar treffenden unb inhaltsvollen, meift
aber (für uns wenigfiens) abgedroſchenen Sentenzen. Daher
endlich der Mangel an Individualifirung der handelnden Per:
fonen und mannidfaltiger,, durdhgeführter Sharakterifiit. Die
Figuren des Dichters haben alle eine anverfennbare, zu ſtark
marfirte Bamilienäpnlichkeit : faft alle ſtehen auf einer jugend:
lich = idealiſtiſchen Baſis, der König, Sancho, Ignez und geles
gentlih auch Don Pedro fprechen viel von Pflicht, Bernunft
und Tugend und ſuchen ihre da widerfireitende Reigungen zu
belämpfen. Namentlich erfcheint Don Pedro ganz wie rin feine
Ideale auf Leben und Tod vertheidigender, unfelbfländiger,
von feinen Affecten bins und bergeworfener Jüngling, der in
demfelben Augenblicke gegen feinen Water fi) auflehnt, wuͤthet
und tobt, und in Reue und Zerknirſchung über dies furchtbare
Vergehen fid) dem Water zu Füßen wirft, einen Moment fpäter
aber dieſe Unterwürfigkeit wieder bereut, in fein obnmädhtiges
Toben zurüdfällt, von — befänftigt, zum Gehorſam zurüds
kehrt und in den Kerker ſich einfperren Läßt, dort aber wieder, von
feinen Affeeten übermannt, mit den Mauern und Gifenftäben
des Kerkers ringt und endlih am Schluffe des Stüds rache⸗
ſchnaubend die Bühne verläßt.
Am .gelungenften tft die Compoſition, bie dramatiſche Ent⸗
wickelung. Hier zeigt fi) das Zalent des Dichters in feinem
beften Lichte. Mit richtigem Takte hat er nicht nur das echt
Tragiſche in der Befchichte der unglüͤcklichen Ignez herausgefühlt
und ift daher im Gegenfage gegen feine Vorgänger mit biftori-
fher Treue den gegebenen Daten gefolgt, fondern auch bie
einleitende Erpofition wie bie ganze Anordnung des Stoffe, die
Reipefolge der Scenen, das Ineinanbergreifen der Handlungen
und handelnden Perfonen, die Vorbereitung ber Kataftropbe
verräth einen feinen Sinn für organifche Gliederung und künſt⸗
lerifche Abrundung. Nur der eigentliche Schluß, jenes rache⸗
ſchnaubende Drohen und Toben des Prinzen gegen die Mörder
feiner Ignez ift untragifch, weil es eine zu fchreiende Differenz
in der Bruft des Zufchauers zurüdläßt.
Schließen wie ad, fo Fönnen wir freilich bem Überſetzer in
feiner Borliebe für fein portugiefifhes Schooekind nicht ganz
beitimmen. Nach portugieſiſchem Maßſtabe mag die Tragoͤdie
allerdings zu den Meifterwerten gehören. Allein auf ben deut⸗
fhen Parnaß verpflanzt, auf dem fie mit einem Shakſpeare,
Goethe, Schiller und den Heroen aller Zeiten und Länder in
Berglei tritt, dürfte es ihr ſchwer fallen, ſich unter ben
63
Meifterwerten einen Plat zu erringen. Der „portugieſiſche
Schiller” mag Gomes mit Recht genannt werden können. Wie
aber unfer deutfches Vaterland in religiöfer, politifcher,, wiſſen⸗
fchaftlicher und Lünftlerifcher Hinfiht das zurüdgebliebene Pors
tugal weit überragt, fo liegt zwiſchen dem portugiefiihen und
dem deutfchen Schiller noch fo manche Stufe, bie die portugie⸗
fifrhe Bildung erft noch zu erfleigen hat, ehe fie Schiller's
Höhe erreicht. Nichtsdeſtoweniger ift es fon an fi ein vers
Dienftliches Unternehmen, das deutfhe Yublicum mit Dem bes
Tannt zu machen, was irgendwo für meifterhaft gilt und natios
nale Bedeutung gewonnen hat. Insbefondere aber war es Zeit,
die deutfche Literatur, in beren univerfellem Umkreiſe nun eins
mal kein Glied von dem literarifchen Leibe der ganzen civiliftrs
ten Welt fehlen darf, wieder einmal an bad fafß vergeflene
Portugal zu erinnern, das nad) Kräften bemüht If, aus ben
Trümmern feiner großen Vergangenheit ſich eine neue Zukunft
zu gründen. Der Überfeper hat es an Fleiß und Sorgfalt nicht
fehlen laffen. Seine Übertragung lieft fi gut, und wenn auch
die Sprache hier und da flüffigee und gewandter fein könnte,
fo wird man nicht nur nirgend geftört, fondern fühlt fich im
Ganzen auch von Iufitanffcher Luft ummeht. Auch die gefchichts
liche Einleitung und die vergleihende Kritik der verfchiedenen
Zanezs Tragöbien dienen an ihres Stelle dem loͤblichen Zwede
be6 ganzen Unternehmens, 17,
Literarifhe Notizen aus Franfreid.
Über Ifidor Eöwenftern’s Reifebud: „Les Etats- Unis
et la Havane, souvenirs J’un voyageur“, ſchrieb Michel Cheva⸗
ter einen Artikel, der in vielfacher Hinſicht und was die Prins
eipien betrifft, werthvoller ift als das befprochene Buch. Michel
Chevatier fagt, baß er das Bud) Loͤwenſtern's, der ein gebore⸗
ner Öftreicher fei, mit vieler Neugier aufgefchlagen habe. Je⸗
doch von den erften Seiten an habe er gemerkt, daß Löwen:
flern Land und Volk falfh, d. h. misliebig auffaffen werde.
„gr. Löwenſtern“, fagt er, „bat Sprache und Bitten eines
Mannes, welcher der guten Geſellſchaft angehört. Wer an bie
Salons der Hauptftadt Öftreiche gewöhnt iſt, wo den Berich:
ten reifender Fremden zufolge eine ausgefuchte Zeinheit, eine
raffinirte Urbanität herrſcht, muß natürlich das Leben in einem
Lande unerträglih finden, welches ben Ideen einer unerbitts
lichen Gleichheit unterworfen ift, wo der Zufammenfchmelz als
ler Glaffen die Zierlichleit, die Anmuth und den Geſchmack
verbannt hat, Eigenſchaften, welche der englifche fonft fo reich
begabte Stamm von Haufe aus nur in mittelmäßigem Grade
befist. Ich war a priori auf eine geiftreidhe Kritik vorbereis
tet, denn man hat zu Wien vielen Geift, obſchon man fich
feinee nur wie eine verbotene Frucht bedient, aber auf cine feft
begründete Kritik. Als ich aber entdedte, daß ber Verf.,
„poussé par la manie seule de courir le monde‘, nur reifte,
um ſich zu zerficeuen, um neue Eindrüde zu empfangen, um
den Genuß des Unbelannten zu haben, da blieb mir Fein Zwei⸗
fet mehr übrig, Hr. Löwenftern werde vom Anfange bis zum
Ende misvergnügt, gebrüdt, zornig fein, gornig wie ein Mann
von jovialem und mohlwollendem Charakter e6 zu fein vermag.
Hätte er, getrichen von der Leidenſchaft für Volksverbeſſerung,
Rordamerika burchreift, um fi über die Mittel zu unterrich⸗
ten, durch welche eine Ration von 17 Millionen Menfcen, die
fi unter die Ägide der Arbeit geftellt haben, ſich ein allgemei⸗
nes Wohlfein begründet und dad Elend vor die Thüren des
Landes verwiefen bat; wäre er nad Amerika gegangen, um
dort das Gemälde einer Geſellſchaft zu ſuchen, im weicher der
Arbeiter in Feld und Stadt jenen zügellofen Gewohnheiten nicht
unterworfen iſt, weile, man muß es jest ausfpredden, wo
Einige bei uns zu Lande die oberfle Gewalt für die Menge In
Anfpruch nehmen, fo oft in Quropa die arbeitenden Claſſen bes
laſten, verfchlechtern,, entfittlichen; bätte er, betrübt über bie
verworfene Lage jener unglüdlichen @efchöpfe, weldye bie euro:
Berantwortlier Herausgeber: Leinrih Brodhaub. — Drud und Berlag von E. U. Broddauß in Leipzig.
pälfhen Fabriken beudlkern und bie, den Kopf nach unten,
fid in den Abgrund eines ſchandvollen Lebens flärzen, gewänfcht,
bie Grundzüge zu einer genauen Parallele zwifchen ihnen und
jenen 10, Arbeitern des Lowell zu gewinnen: — fo würde
er über bie taufend Verdrießlichkeiten, Langweiligkeiten und Bes
zwungenpeiten hinweggeſehen haben, welche in biefem Lande der
Freiheit Denjenigen beläfligen und einengen, welcher ber gebils
deren Glafle Europas angehört. Als ein gutlauniger Mann
würde er dann das Ding wie eine Garnevalsfcene, wie ein
Vaudeville angefehen haben u. f. w. Aber von dem Augens
blide an, wo Löwenftern eine Vergnügungsreife machte, mußte
er fi graufam getäufcht fehen. Beifreid unb muntern Der:
zens, fuchte er fi zu vergnügen; er fuchte Menſchen, die fich
mit ihm vergnügten, aber er fand nur folche, für welche das
Bergnägen ein Frohndienſt ift, welche das Sichgehenlaſſen und
dad Lachen aus vollem Herzen nicht kennen; er glaubte, auf
der jenfeitigen Küfte des Atlantiſchen Meeres Brauen zu finden,
die In einem Salon ihren Thron auffchlagen; er rechnete viel⸗
leicht darauf, Europa in dem liebenswürdigen weiblichen Ges
ſchwaͤhe zu vergeffen, welches das Dafein in den Geſellſchaften
von ehemals, die Paris feit 50 Jahren immer mehr verliert,
die aber Wien nod bewahrt bat, mit fo reihem Zauber ums
gab. Er fand ohne Zweifel ſchoͤne Frauen, von nicht gemeis
nem Verſtande, vortreffliche Bamitienmütter, ihrer Pflicht bins
gegeben, liebenswärdig gegen ihren Gemahl, zärtlich gegen ihre
Kinder, unermüdlih in der Sorge für ihren Daushalt, aber
welchen eine bis zum aäußerſten firenge Meinung, bei Strafe
des Brandmarkens mit glühendem Gifen, gebietet, gegenüber
jedem Fremden, der fich ihnen in einem Balon vorftclt, ja ges
genüber Iebem, der nicht ihr Ehemann iſt, eine eifeene Ruhe,
die Haltung einer Matrone, das Schweigen einer Bildfäule zu
bewahren. Er mußte ſich aufs graufamfte in der neuen Welt
langweilen.’ Doch gefleht der Berichterftatter, daß bas Buch
nicht denfelben Eindruck auf den Lefer made; es fei angenehm
zu leſen; man finde barin fehr ergöglidhe Sittenſchilderungen,
bes Verf. Urtheile feien lebendig, oft boshaft, aber nie böswillig.
Neue Erſcheinungen ber frangäfifchen Riteratur. ‚‚Traite
el&mentaire de la science de l’homme consideree sous Lous ses
rapports‘‘, von G. Gabet (3 Bde.); „Le vrai patriotisme ou la
vocation deSaint-Bernard, essai d’une piece soliloque (!)”, vom .
Grafen Bichi; „Histoire d’Angleterre depuis les temps les plus '
recul&s’', von 4. Rode, Profeſſor ber Gefchichte (2 Bde); |
„La philosophie de l’absolu en Allemagne daus ses rapports *
avec la doctrine chretienne”, von Gh. Buol; „Recueil des i
inscriptions grecques et latines de l’Egypte, &tadiees dans _
leur rapport avec l’histoire politique, l’administration inte- “
rieure, les institutions civiles et religieuses de ce pays de- ?
puis Ja conquete d’Alexandre jusqu'à celle des Arabes”’, von:
£etronne (erſter Band, mit 17 Kupferplatten); „Revolutions des.,
peuples du Nord’ (Rußland, Schweden, Norwegen, Dänes_
mark, Gngland, Boten und das nördliche Deutfchland ), von"
3 M. Chopin, vierter und letzter Band. 438,
>
giterarifhe Anzeige. x
*
Clementine.
R
LT
— — — —
Motto: Woman’s lore! how strong is it im }
weaknevs, how beautiful in ite gwilt. ' ı
Bulwer, Pelham. 4 q
——— — —
Gr. 12. Geh, 1 Thir. *
Leipzig, bei F. A. Brockhaus. 2*
— ——
°
Blätter
für -
literarifhe Unterhaltung.
⸗
Dienſtag,
m m U
Sefchichte der chriftlichen Philofophie von Heinrich
Ritter. Zwei Theile.
(Vertfetung aus Rr. WM.)
Nachdem der Berf. im erften Buche ſehr Mar und
lehrreich vom Begriffe der chriſtiichen Phitofophie und
ihrer Eintheilung gehandelt hat, fpricht er im zweiten
Bude von den Selten dr Gnoſtiker. Man kam
deren Lehren (S. 96) als Übergänge aus der vorchriſtli⸗
hen in die chriſtliche Philoſophie betrachten. Sie zeigen
eine Wermifchung von orientalifchen, griechifchen uͤnd
riftlichen Beſtandtheilen (S. 115) Bor Allem be
ſchaͤftägen fie fi mit der Frage nad) dem Grunde des
Übels umd des Böfen, und weil den meiften unter ihnen
dafſelbe bei der Annahme eines allmädıtigen und allguͤ⸗
tigen Gottes unbegreiflih und unerklaͤtlich erfchten, fa:
men fie nicht nur zur bdualifiifchen Annahme zweier Urs
weten, fondern bildeten auch bie Lehre von Emanatlonen,
Aonen u. ſ. w. mit einer grengenlofen, ganz undhiloſophi⸗
ſchen Willkür ans. Die Öffenbarungen ber heiligen
Schrift (S. 161) erfchlenen Ihnen nicht genügend, well
(e weder umnzweldentig, nod ausreichend den Lauf ber
Viltentwickelung bezeichneten, befonders weil fie über die
Wöde Seite des weltlichen Daſeins keine genityende
‚Autbenft gäben. Den Guoſtikern erfhien Alles, was
niht der Erkenntniß angehört (S. 242), nur als etwas
Sringfügiges, ja Sleichguͤltiges; und ein gelftiget Hoch⸗
much ihrer Lehre (&. 244) gewann auch wol auf ihre
Handlungen einen ſchaͤdlichen Einfluß. Alte Emanationss
ifre (S. 259) Binnen wir der chriftlichen Denkweife
nicht entfprechend finden, weil fie unvolllommene Zwi⸗
ſchenglieder zwiſchen Gott und feinen Gefchöpfen ein:
ſchiebt und daber der innigen und unmittelbaren Ge:
meinſchaft mit Sort, nad) welcher der Chriſt firebt, un:
wmsängiihy Abbruch thun muß. Moch fchneidender ftellt
B& die Lehre vieler Gnoſtiker in Widerfpruch mit der
drifshen Denkweiſe (&. 261), wenn fie, die finntiche
Welt verachtend, auch die Werke in ihr und das han:
deinde Eden ale etwas Gleichguͤltiges für die Gewin⸗
sung bes Heils betrachten. Rur in der Ruhe des be:
Wanficen Lebens fuchen fie die Seligkeit; fie fehen in
Yes finnlidyen Leben nur den Schein, feine Wahr:
be verfennen fie. Hiermit hänge auch die Schroffheit
% Unterfchiede zufammen, welche diefe Gnoſtiker zwiſchen
17. Sanuar 1843.
ben Raturen der Menfchen ſehen, zwifchen den geiftigen,
den feelenartigen und den materiellen Menſchen, wodurch
bie Vorurtheile der alten Welt, weldye Volksgenoſſen und
Barbaren ald Weſen verfchiedener Natur betrachteten, in
einer andern Geſtait erneut werben.
Gewiß flehen die gnoftifchen Lehren (S. 283) von
der chriftlihen und kirchlichen Anfiht der Dinge ab.
Während fie ein weitlaͤufiges Syſtem von Schwaͤrme⸗
veien fi erfinnen, um in diefem die Grundlage ihres Les
bens zu entdeden, während fie vor allen Dingen verlangen,
daß wir in diefen Iuftigen Bildern ihrer Phantafie heimiſch
werden ſollen, um mit ber rechten Lehre ausgeräftet uns
in dieſer Welt zurechtfinden zu koͤnnen, hält die chriſt⸗
liche Kirche vor allem Übrigen das praßtifche Leben diefer
Welt feft und erwartet nur von ber Sefinnung der Liebe
und dem mit Bott vereinenden Geiſte Belehrung und
Auffchtuß über die Raͤthſel diefer und einer hoͤhern Welt.
Das dritte Buch handelt von den Apologeten,
oder Vertheidigern des Chriſtenthums gegen Heiden unb
Gnoftiter, von Juſtinus, Athenagoras, Theophilus, Ras
ttanus, Irenaͤus, Zertullianus. inige unter ihnen fu:
hen die alte Philofopbie für ihre Zwede zu benugen und
mit denfelben zu verföhnen, Andere ftellen ſich ihr feind⸗
Itch entgegen, und ſelbſt jene (fo Juſtinus) vertrauen
mehr dem Beweife des Glaubens und der Kraft (S. 299)
ale den Stunden menſchlicher Wiffenfchaftl. Dem ſittli⸗
hen Gehalte des Lebens (S. 303, 291) Legen fie, abs
weichend von den Gnoftifern, das größte Gewicht bei
und noch jest iſt der Ausſpruch des Briefs an den
Diognetus wahr: was die Seele im Körper tft, das find
die Chriſten in der Welt. Ähnlicherweiſe hebt Irenaͤus
(S. 354) den Gedanken einer Erziehung ber Menfchen
durch Sort hervor, welche den Zoͤgling durch verfchiedene
Stufen feiner Vollendung und dem volllommenen Schaum
Gottes zuführen fol. Nicht von Natur, wie die Gnoſti⸗
Ber lehrten (S. 355), follte der Menſch gut ober böfe
fein, fondern durch feine eigene Wahl. Zur Seligkeit
des Menſchen gehört indeß nicht allein die Heiligkeit des
Willens, fondern auch die Bolllommenheit aller feiner
äußern Verhaͤltniſſe. Gern flimmen wir dem Verf. bei,
daß die Anfänge der chriftlihen Philoſophie (S. 362)
nicht unfcheinbarer find, als die Gedanken eines Thales
oder Sokrates; doch darf man nicht vergeffen, dag für
1
: 6
diefe Männer ber Anfang fehr ſchwer, für jene (mit dem
Evangelium in der Hand) fehe leicht war. Daher hat
Zertullian durchaus Unrecht in der Art (S. 365), wie
ec den Sokrates mishandelt, die Philofophie als Werk
dee Dämonen betrachtet, alles Wiſſen verachtet und für
ven Slauben allein die Regel (S. 368) aufflellt: mas
die heilige Überlieferung fagt, iſt glaublich, weil es abge»
fhmadt iſt; es ift gewiß, weil es unmoͤglich: credibile
est, quia ineptum est; certum, quia impossibile. Mit
diefen Anfichten flimmt es ſchlecht zuſammen, wenn Ter⸗
tullian die Überzeugung ausfpriht (S. 374): daß jede
Meinung nur infofern ein wahrer Fortſchritt fei, als fie
auch das Alte und die bewaͤhrten Güter der Vorzeit zu
bewahren wife; oder wenn er anerkennt, daß Gott fich
au in der Natur (S. 376), feinem ſchoͤnſten Werke,
offenbare und dies Merk Lediglich für die Menſchen ee:
ſchaffen fei.
Das Näthfel des Boͤſen in der Welt ift nicht erklaͤrt,
wenn Tertullian fagt: es lag in dem Beſchluſſe Gottes
(S. 401), daß der Menf frei fei, und deshalb hielt er
feine Altwiffenheit und Almadt in ſich ſelbſt zurüd, da:
mit das Boͤſe gefchehen könne; — auch geſchieht man:
cherlei (S. 402) ohne den Willen und den Befehl
Gottes.
Am Berhättniffe zum Evangelium, zu Paulus und
Johannes erfcheinen die Gnoftiter und Apologeten eher ale
Ruͤckſchritt, oder als willlürliche und fragmentarifche Auf:
fafjung,, denn al8 wahrhaft höhere und umfaffendere Ent:
widelung. Erſt in der alerandrinifhen Katedeten:
ſchule (viertes Buch), bei Clemens und vor Allem bei
Drigenes, treten Gedanken und Beziehungen hervor, welche
man im echtern Sinn als philoſophiſch anerfennen muß.
So arbeitete Clemens mit Recht barauf bin, das Chri⸗
ſtenthum von der jüdifchen Engherzigkeit loszumachen.
Ihm ift es gewiß (S. 424), daß die Vorſehung Gottes
nicht allein auf die Juden ſich habe erſtrecken koͤnnen,
fondern ebenfo fehr den Heiden zugemendet gewefen fei.
Er rechnet Diejenigen, welche die Phitofophie nicht als
ein Wert Gottes anerkennen wollen, zu Denen, weldhe
der Allgemeinheit der göttlichen Vorfehung zu nahe treten.
Die Phitofophie (S. 4237) erzog die Griechen, wie das
Sefeg die Zuden zu Chriſto; und die mannidjfaltigen
Kenntniffe der Philofophie oder die Wiſſenſchaft über:
haupt find nothwendig zum Werfländniß der heiligen
Schrift (429). Zur wahren chriſtlichen Einſicht ge:
hört (laut Clemens) auch der wiſſenſchaftliche Beweis der
Glaubenslehten, und er erwartet durch diefen die Vollen⸗
dung Defien, was aus dem Glauben zum ewigen Leben
fi entwideln fol. Glauben, erkennen und handeln ſteht
ihm im engften Zuſammenhange und Mechfelverhältniffe
(464), und ebenfo gebt durch feine ganze Lehre (457)
der Gedanke hindurh vom Zufammenhange aller Dinge
untereinander, von einer Harmonie und Symphonie
aller Geiſter, welche in ber Einheit ihres Weſens ge:
gründet if.
In noch umfaflenderm Sinne ald Clemens ſuchte
Drigenes (185--254 nach Chr.) Chriſtenthum und Phi:
..
loſophie zu verföhnen. Wenn dies auch in damaliger
Zeit und mit den gegebenen Beſtandtheilen nicht vollſtaͤn⸗
dig gelingen Eonnte, wenn fi auch Schwankungen, Irr⸗
thümer, Willtür und Widerfprlche zeigen, fo bleibt doch
Origenes des größten Lobes würdig ale einer der regſam
fen und firebfamften Geifter, und es liegen in ihm fo
viel Elemente weiterer Gedanken und Entwidelungen, fo
viel fermenta cognitionis, daß man nur wenige Philofe:
phen und SKirchenlehrer in diefer Beziehung ihm gleich
flelen darf. Gewiß gingen feine Beſtrebungen, wenig:
ſtens zum Theil, Über den Gefichtskreis feiner Zeit hin:
aus; und nad ihm verloe man bie breite, umfaflende
Grundlage für eine chriſtliche Phlofophie aus den Augen
und ſtritt mit Scharffinn oder Verblendung faſt nur
über einzelne Fragen.
Jene Achtung des Philoſophiſchen hindert aber den
Origenes nicht zu lehren: der chriſtliche Glaube (S. 480)
gewähre allen Menfchen eine heilfame Überzeugung, wäh:
rend die Philofophie immer nur auf Wenige einen Ein-
fluß gewinne. Aber fein Hauptbeweis für die Wahr⸗
beit und Heilſamkeit des chriftlihen Glaubens iſt -das
praktiſche Leben der Chriften. Kin jeder Glaube ohne
Werke ift ihm ein todter Glaube, in ber Sünde erſtor⸗
ben; der wahre Glaube bewährt fih nur im Siege über
die Sünden. Daher iſt ihm der Glaube der Einfältigen,
welcher ſich in ihren Thaten offenbart, größern Werthes
als die Worte der fogenannten Weifen, welche durch ihre
Thaten widerlegt werben; denn er ift die Grundlage je:
des wahren Erkennens, weil in Wahrheit nur der Gute
einfichtig und ein Lafterhafter verftändig if. Nur von
einem reinen Herzen kann Gott, das Biel alles unfers
Denkens, erkannt werden; wer aber nicht glaubt, kann
nicht erkennen. Des guten Weges Anfang ift, das Ge-
rechte zu thun (S. 484); dieſer praktiſche Weg führe
aber zum theoretifhen Ende, in welhem nur ein Thun
erfunden wird, das Gott Erkennen.
Laut Drigenes ift Gott unveränderlih und eine un-
theilbare (S. 490) Einheit. Daher betrachtet er audy
den Sohn Gottes gewiffermaßen als Schöpfer (S. 496)
und fieht Gott den Vater nur infofern als Schöpfer an,
wie der Sohn den Befehl des Vaters volljog Der
Bater kann ihm in keiner Weile als Vielheit gedacht
werden, während der Sohn in Dielen verfchleden ift und
wirft, mithin als DVielheit gedacht werden muß. Man
kann fagen (S. 500), «6 liege hierin ein Beſtreben, den
Begriff der unveränderlihen Einheit Gottes, wie er beim
Platon fi findet, mit dem Begriffe der Energie, in welchem
Ariftoteles das Weſen Gottes auszudrüden gefuht hatte,
zu vereinigen. Jener platonifche Begriff ift im Begriffe
Gottes des Vaters, diefer ariftotelifche im Begriffe Des
Sohnes dargeftellt, und indem beide zu einer Einheit
verbunden werden, ſcheint beiden philofophifhen Lehren
ein Genüge gefchehen zu fein. Doc ift es ſchwer, im
Begriffe des Sohnes die Vielheit und Veränderung mie
dem bleibenden Weſen deſſelben zu einigen (S.501) und
zu verfiändigen.
Wegen des Zufammenhanges aller Dinge in der Weite
8
mußte Drigenes fegen, daß der Abfall ber Geiſter von
Gott die ganze Welt durchdringe und kein Geift gedacht
werben koͤnnte, weicher nicht in einer nähern oder ent:
feratern Weife an ihm Theil hätte. Auch die Geifter,
welche nicht gefallen fein follten, werben in das Schidfal
der übrigen Welt verflohten und haben an der Eitelkeit
und den niedern Zuftänden Theil, weiche alle Dinge ber
firenlichen Welt erfahren muͤſſen.
Das Böfe iſt wefentlih nur ein Mangel des Guten
(5. 524), it an den Dingen das Nicht: Seiende. Ge:
ſchoͤpfe können nicht die ganze Vollkommenheit des Schoͤ⸗
pfers faffen. Soll die Welt begreiflih fein, fo muß fie
igre Grenzen haben in der Zeit wie im Raume; body iſt
neben dem ewigen Sein au ein ewiges Werden. Nicht
die Nothwendigkeit Ienft den Lauf der Welt (S. 527),
fondern biefer hängt von der Freiheit des Willens ab,
weiche in verfchledener Weife vom Guten fi) abmendend,
auch Grund verſchiedener Weltbildungen werben muß.
Da der Abfall der Beilter von ihrem gemeinfamen Grunde
fie in verfchiedene Arten des Dafeins zerriffen und in
(&. 531) Imietracht gefpaften hat, fo war es nöthig, fie
miteinander zu verbinden nach einem nothiwendigen Ge:
fege, wenn aud mit Bewahrung ihrer Freiheit, und dies
iſt dadurch geſchehen, daß die verfhiedenen heile dieſer
finnlichen Welt wie Glieder eines lebendigen Wefens zu
einem gemeinfamen Zwecke vereinigte wurden. Alle Un:
terfchiede in der geiftigen Welt (S.533) find Unterfchiede
des Grades; doc bleibe zwifhen Geiſtigem und Körper:
tichem, Bernünftigem und Unvernünftigem ein flrenger
Begenfag. So kann die Seele zwar verſchiedene Grade
der Bernunft haben, aber nicht aus einer vernünftigen
zu einer unvernünftigen werden. Diefe Welt (S. 537)
iſt ein Schauplag für die Entwidelung der Vernunft
und die Geſchichte der Welt ift ein Durchgeborenmerben
ver Geiſter durch die verſchiedenen Stufen ihres Lebens,
wm zu ihrem Urfprunge wieder zuruͤckgebracht zu werden.
Ale Zeitläufte, wie gewaltig fie auch die Welt verändern
migen, haben nicht in phyſiſchen Kräften, fondern in
ethiſchen Zwecken ihren Grund. Selbſt der Teufel wird
Eh zutegt der Herrſchaft Gottes unterwerfen; denn kein
Veen kann auf die Dauer der Wahrheitökraft des
Wortes Gottes widerſtehen.
Im fünften Buche trägt der Verf. die Geſchichte der
Streitigkeiten über die Trinitätslehre vor. Daß ein
Analogon derfelben fich bei Platon findet und bie meiften
Miloſophen fih bemüht haben, fie ihren Syſtemen an:
zueignen, ober benfelben gemäß umzudeuten, iſt allerdings
VBeweis einer weſentlich philofophifhen Grundlage und
Bedeutung. Woher kommt es nun aber, daß, bis auf
den heutigen Tag, fo viele Chriften laut oder im Stil:
len dieſe Lehre bekämpfen, ober doc, gleichgültig zur Seite
tiegen lfm? Wahrſcheinlich weil fie meinen, daß dieſe
mit den Worten der Bibel und einer einfachen Aus:
Lsung berfelben nicht uͤbereinſtimme, ſondern zuviel bin:
ein- oder herausgedeutet werde. Sie würden ſich die phi⸗
tlephifche Erklärung von dem einen, unveränderlichen
Sett, von feinem Abbilde dem Sohne, und einem heilis
gen und heiligenden Geifte wohl gefallen Laffen; ſchwer
aber wird ihnen anzunehmen, daß alle Beduͤrfniſſe und
Seheimniffe der Speculation mit Recht auf den gefchicht:
lichen Chriftus übertragen werden, daß diefer von Emig:
feit vorhanden, Schöpfer und Erhalter der Welt und
(mit Zurüdfegung feines unermeßlihen Wirkungskreiſes)
als einzelner Menſch fo lange in Paldflina gelebt habe.
Sie fragen: ob dies laut rechter Exegeſe evangelifh und
apoftolifch fei, oder fich diefe weitere Entwidelung zum
erften Keime etwa verhalte wie Plotin zum Platon? Sie
innen ſich nicht barin finden, philoſophiſche Begriffe als
Perfonen zu betrachten, oder, beim Zugeftehen dieſes Be:
dürfniffes, den heiligen Geift nur vorübergehend als Taube
erfcheinen zu fehen. Auch ohne Trinitaͤt ſei ein unmits
telbares Verhaͤltniß der Gefchöpfe zu Gott und eine ge:
nügende Offenbarung möglih und wirklich; weshalb diefe
ganze Lehre nicht zum Weſen des Chriſtenthums gehöre,
oder doch ein Geheimniß, und zwar ein entbehrliches Ges
heimniß bleibe. Wenigſtens follte man mit Petrus Lom:
bardus aufrihtig fagen: ich weiß es nicht, ich erforfche
ed nicht; ich tröfte mid, da Engel es nicht wilfen und
Jahrhunderte nicht faffen.
Einwürfe diefer und ähnlicher Art find von den An⸗
bängern der Trinitaͤtslehre ſtets als oberflächlih, platt
und gottlo® zurücgeroiefen, aber beffenungeachtet immer
wieder erneut worden; ein Beweis, daß nad all dem
unermeßlichen Bemühen, diefe Lehre aufzußlären und zum”
Derftändniß derfelben zu zwingen, immer wieder neue —
vielleicht tantalifche Arbeit noͤthig wird. Mit Recht bat
der Verf., unter Zurüdfesung all ſolcher Zweifel, die
philoſophiſchen Beſtandtheile diefer Begriffe hervorgehoben
und fie fo erklärt, daß auch Unitarier auf die Erörterung
eingehen könnten; ob aber eifrige Trinitarier diefe vorzugs:
weife philoſophiſche Betrachtungs- und Erklärungsweife
genügend und erfchöpfend finden dürften, ift eine. an:
dere Stage.
Das feste Buch iſt dem wichtigſten aller Kirchen:
väter, dem Aurelius Auguflinus gewidmet. Die Dar:
ftelung feiner Philofophie wird dadurch erfchwert, Daß
ſich feine Überzeugung durch fortgefegte Unterfuchungen
über wichtige Punkte anderte und Krüheres deshalb von
Späterm verfchieden if. So erfcheint ihm Werth und
Bedeutung der Phllofophie anfangs von viel größerm
Gewichte als nachher, und in gleihem Maße werden
feine Urtheile über die heidnifchen Philoſophen firenger,
toährend ihm Anfehen und Entſcheidungsrecht der Kirche
bergeftalt in ben Vordergrund tritt, daß er fügt (Th. 2,
S. 171): auch dem Evangelium würde ich nicht trauen,
wenn mich das Anfehen ber katholiſchen Kirche nicht dazu
bewegte. Nur was unmittelbar und zunddft mit dem
Chriſtenthume zufammenhängt, ſcheint ihm nothwendig
und rathſam; alles Andere gehoͤrt dem philoſophiſchen
Stolze an und iſt tadelnswerth, weil es ſich von der De⸗
muth entfernt, welche Chriſtum allein als unſern Lehrer
anerkennt. Mit einer einſeitigen Auffaſſung dieſes Satzes
ſtand die voͤllige Vernachlaͤſſigung der Phyſik und Natur⸗
philoſophie in Verbindung und nicht minder knuͤpfte ſich
die umfelige Behauptung daran: man müffe Kegereien
wie Verbrechen befltafen und zum Glauben zwingen.
Mechtfertigte man doc zur Zeit Ludwig's XIV. die ver:
dammilichfien Verfolgungen ber Proteftanten durch Bezug:
nahme auf Auguftinus. Trotz diefer und andern Schatten:
fetten erhoben ihn feine Schriften auf Jahrhunderte hinaus
zu einem Hauptlehrer der abendlaͤndiſchen Chriftenheit.
Der größte Vorwurf, welchen Auguftinus den Phi:
loſophen macht, if, daß fie durch ihre eigenen Kräfte zur
Erkenntniß der Wahrheit kommen wollten. Die Anficht,
daß diefe Kräfte doch auch Gabe Gottes find, wird nicht
bernorgehoben, fondern erläuternd hinzugefügt: die Wil:
fenfchaft hilfe ohne die Liebe nichts: nur die Liebe erbaut,
die Wiffenfchaft blaͤhet auf (S. 193). Nicht die Schwäche
der menfchlichen Wernunft (S. 196) iſt der Grund, wes⸗
wegen bie philofophifchen Forſchungen mislingen mußten,
fondern ihr fittliches Verderben, ihr Stolz; wenn bie
Vernunft durch Gottes Hülfe gefund ift, ift fie den hoͤch⸗
fen Aufgaben gewadhfen. Weil den Heiden und auch
den heidniſchen Philofophen die wahre Froͤmmigkeit fehlte
(S. 198), muf man ihnen jede Tugend abfprechen.
Es ift eine unverftändige Neugier, das Verborgene der
Natur erforfchen zu wollen; dies geht über unfere Kräfte,
ja die phpfifchen Kenntniffe (S. 200) find etwas geradezu
Unnüges. So hat die Zorfhung des Auguflinus einen
durchaus theologifchen und beſchraͤnkt theologifchen Charakter.
Der Beſchluß folgt.)
Beiträge zur Gefhichte der älteften ſpani—
fhen Poefie.
Le canconiero de Juan Alfonso de Baena ou collection
d’anciens troubadours espagnols inédits. Vier Bände.
Paris 1842.
Diefes Werk ift für die Kenntniß ber Anfänge ber caftilis
fyen. Poefie von ber höchften Bedeutung. Alfond von Baena,
von dem diefe Eoftbare Sammlung altfpanifcher Romanzen und
Lieder herrührt, lebte im Anfange bes 15. Jahrhunderts. Gr
flammte aus einem angefebenen jüdifchen Gefchlechte, bekehrte
ſich aber zum Chriſtenthume und warb in der Folge Gecretair
des Könige Johann's II. Selbſt ein gefälliger Dichter, fand er
einen befondern Gefhmad an den älteften buftreichen Blüten
der fpanifchen Poeſie. Er legte daher eine Sammlung berfele
ben an, die nad) Verlauf mehrer Jahre zu einem bedeutenden
Umfange angefchwollen war. Das Cremplar biefer wichtigen
Sammlung, das er feinem Könige überreicht hatte, warb der
Bibliothek des Escorial einverleibt, wo es lange vergeflen blieb
und ohne daß man es für ber Muͤhe werth gehalten hätte, eine
Abſchrift davon zu nehmen. Erſt Rodriguez de Caſtro ſchenkte
ihm einige Aufmerkſamkeit. Er ſpricht in feiner „Biblivteca
espahola vetuse’’ daven mit großer Ausfuͤhrlichkeit und citirt
die Anfänge und den Schluß jeder Gantiga ober ‚jedes Desire
und einige längere Bruchftüde. Während ber ſpaniſchen Unab⸗
haͤngigkeitskriege verſchwand das koſtbare Manuſcript. Man
glaubte, daß es ganz verloren ſei, bis man endlich durch den
Katalog der unermeßlichen Bibliothek des bekannten Richard
Deber (Th. 9, Nr. 952) erfuhr, daß es in bie Dände dieſes
fonberbaren Bibtiomanen gelommen war. Als diefe veichhaltige
Dibliothek verfteigert ward, kaufte die franzöfliche Regierung
biefe koſtbare Handſchrift, die jegt nun auf der großen Biblios
thet zu Paris aufbewahrt wird. Wie wichtig biefe Sammlung
für die Geſchichte der Altern fpanifchen Poefie ift, Tann man
befonders aus der längern Notiz fehen, welche tbr die beiden
verbienftuolen Tiberfeper der MBonterwel'figen kiteraturgeſchichse
Spaniens (Madrid 1 gewismet Yalyn. Cie Führen bie Bier
men wen 63 Zrobaboreö an, ih itmen das Werk nur aus
den Auszügen, die Robrigueg de Caſtro gibt, befannt war. Der
Herausgeber beffeiben, F. Michel, der durch feine gediegenen
Arbeiten über die ältere Geſchichte Frand chs befannt ift, bat
fi daher durch biefes neue Werk ein großes ft um bie
ättere fpanifche Literatur erworben. 6.
Notiz.
Negerfllaven eine Einrichtung ber Natur.
Was Newman in feiner „History of insaots’” bie merk⸗
würbigfle Thatſache in ber Geſchichte der Ameifen nennt, koͤnnte
den Bertheidigern des Sklavenhaltens zum Beweife dienen, daß
ſolches — eine Einrichtung der Natur iſt. „Die merkwürbigfte
Thatſach⸗ *a ber Geſchichte der Ameifen”, fagt Newman, ‚iM
die einer ndern Gattung eigene Gewohnheit, Die Arbeites
einer andern Gattung wegzufangen und zu zwingen, für ihre
Gemeinde zu arbeiten, fie mithin complet ale Sklaven zu bes
handeln. Die wegfangenden Amelfen find, laut meiner bishes
rigen Beobachtungen, roth oder biaßfarbig, die Sklaven hinges
gen glei den mishandelten Eingeborenen Afrikas kohlſchwarz.
Die Zeit des Sklavenfanges dauert ungefähr sehn Wochen und
beginnt nie, bevor die männlichen und weiblichen Ameifen nahe
daran find, aus ihrem Yuppenzuflande zu treten, woburd bie
graufamen Räuber die Kortpflanzung des Geſchlechts nicht bins
dern. Auch ſcheint dies die Abficht des Inſtinets, denn wären
die Sklavenameiſen Lediglich für die Sklaverei gefchaffen, zu
welcher fie beflimmt fcheinen, fo müßte das yon felbft aufhören,
bafern ihre Neſter angegriffen würden, ehe die beflügelten My⸗
sioden abgezogen oder im Begriff fichen abzuziehen, um die
Pflicht der Kortpflanzung aufs neue zu erfüllen. Sobald die
rothen Ameifen fih auf einen Raubzug begeben wollen, ſchicken
fie Spähet aus, die Gegend zu erkunden, wo ein Regerftamm
lagert, und fobald bie Späher das entbedt, ehren fie zurüd
und erflatten Bericht. Bald nachher rüdt das Heer der rothen
Ameifen aus, an der Spitee ein Vortrapp, der beftändig wech⸗
fett. Die ihn bilden, laufen nur ein wentg voraus, machen
dann Halt, laffen das Hauptcorps vorüber und ſchließen fig
der Nachhut an. Andere treten an ihre Stelle. Der Bortrapp
beſteht hoͤchſtens aus acht oder zehn Ameifen. Sind fie in ber
Naͤhe der Regercolonie angelommen, zerftreuen fie fi, rennen
durch Gras und Gefträudy und jagen umher, als wären fie fi
zwar ber Nähe des Begenftandes bewußt, den fie ſuchen, wüßs
ten aber noch nicht genau, wo ihn zu finden. Haben fie end⸗
lich die Riederlaſſung entdedt, eilen bie vorderſten flürmifch
zum Angriff. Die wachehaltenden Neger widerfegen fih; man
kämpft und nicht felten werden die Angreifer getödtet. Schnell
erreicht die Kriegsbotfchaft das Innere des Neſtes; zu Tauſen⸗
‘den ftürgen die Neger hervor; die rothen Ameifen Sammeln ſich,
wüthenb entdrennt ber Kampf; doch ſtets endigt er mit ber
Niederlage der Neger, die fih in die innerften Räume ihrer
Wohnung flüchten. Nun erfolgt die Plünderung. Mit ihren
Präftigen Kinnbadin zerreißen die rothen Ameiſen die Wände
des ſchwarzen Ameifenhügels und werfen fidh in das Herz der
Gitadelle. Wenige Minuten und jeder Räuber kommt zuruͤck,
beladen mit der Puppe eines ſchwarzen Arbeiters, bie er tvog
der Wachſamkeit und Stärke ihrer Düter erobert. Die leben⸗
bige Beute mit fi nehmend, ziehen die rothen Amelfen im
volllommener Ordnung nad) ihren Neftern, wo allem Anſcheine
nad die Puppen gleich ihren eigenen behandelt werden und Die
Arbeiter, fobalb fie fi entwidelt, der Gemeinde mit größtem
Fleiße und muthmaßlicher Gutwilligkeit dienen. Sie beffern
das Reft aus, Höhlen SBänge, fammeln Rabrung, füttern die
Larven, tragen die Puppen in die Sonne und verrichten Alles
und Jedes, was die Wohlfahrt der Kolonie erheifcht, betragen
fi mit einem Worte ganz fo, als erfüllten fie ihre urfprängs
liche Beſtimmung.“ 3.
Derantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockhaus. — Druck und Berlag von J. A. Brockhaus in Leipzig.
— — Te — — — ——— — — , EINE (nn
Blaͤtter
für
literarifde Unterhaltung.
itter. Zwei Theile.
( Beſchius aus Nr. 17.)
Erkenntniſſe der Sinne und bes Verftandes (S. 210)
umterfcheiden ſich dadurch, daß jene nur für Cinzelnes
gelten , diefe aber aligemeine Bebeutang haben. Die
Wahrheit kann nicht vergehen (S. 221), ebenfo wenig
wie das Sein und das Wefen, weil es ja kein Gegen:
theil diefer Dinge gibt, in welches fie untergehen Einn:
tm. Alle vergänglihen ſinnlichen Erſcheinungen bilden,
in Eins zufammengefüßt, die Welt; Gott hingegen ift
der Inbegriff aller ewigen Wahrheiten. Gott ift die
Wahrheit (&. 222): wenn wie fie erfennen wollen,
müflen wir uns von den trfigerifhen Erfcheinungen bes
Sinnlichen und der Welt abwenden zu den untrüglichen
Kennzeichen, in welchen das Urtheil der Wahrheit Liegt,
zu der Wahrheit, welche man durch den Verſtand und
den innern Geift erkannt, welche immer diefelbe bietbt
und in feinem trligerffchen Bilde erblickt wird.
Die Subflanz der Seele kann kein Körper fein, weil
fie fi fonft unmittelbar als einen Körper erkannt haben
würde. Wäre fie körperlih (S. 228), fo müßte fie es
wien, ba ihr nichts gegenmwärtiger ift als fie ſelbſt, und
Ihre Erkenntniß der Art bes Körperlihen, zu welcher fie
gehörte, müßte eine unmittelbare fein, eine Erkenntniß
duch Anſchauung, fomwie fie von ihrem Leben und Den:
fen, von ihrem Wollen und Erkennen eine unmittelbare
Anfhauung hat. Ste iſt weder als ein Theil Gottes
(5. 236), noch als ein Ausfluß deſſelben zu betrachten,
weit fie ſonſt weder das Böfe in fi aufnehmen, noch
im Guten eine weitere Ausbildung erfahren könnte. Gott
iſt nicht über dem Sein und bee Bernunft (S. 238),
fendern er iſt das hoͤchſte Sein und die volltommene
Vernunft. Gott kann die Vernunft in uns nicht haf:
"a (S. 253), welche er uns gegeben bat zum .VBorzuge
ver den umnvernünftigen Thieren, die Vernunft, ohne
welche wir auch nicht glauben könnten. Der Glaube
gehört zu den Grundlagen ber Wiſſenſchaft; wer nicht
glaubt, wird nicht erkennen. Es gibt Vieles, was wir
nur glauben, ohne es zu wiſſen (S. 255); aber nichts,
was wir wäßten, ohne es zu glauben. Selbſt für das
Dafein dee Körpermelt müflen wir den Glauben in An:
fprudy nehmen; die Erkenntniß der allgemeinen, ewigen
Sefchichte der &eiftlihen Philoſophie von. ein rich
flärkte Wie.
Wahrheiten iſt uns beimeltem ficherer als die Erkennt:
niß des Körperlichen. |
Die Liebe ift nichts Anderes (S. 263) als der ver:
Erſt durch die Liebe wird der Glaube
thätig; dee Glaube ohne Werke ift tobt. Die Liebe muß
nothwendig der Erfenntniß vorausgehen; denn um Gott
zu erkennen, müflen wir es verdienen. Seine Erkennt
niß kann nur ald Belohnung unſers Strebene oder um:
ſerer Liebe eintreten.
Bir Binnen Gott (&. 268), den hoͤchſten Gegen⸗
fland unſers Denkens, nicht dur einen andern Gedans
ten ausdrüden. Mit größerer Wahrheit denken wir Gott,
als wir über ihn ſprechen; mit größerer Wahrheit iſt er,
ale wir ihn denken. Um Gott zu denken (S. 272),
müffen wie uns vom Zeitlihen reinigen; fein Begriff
kann in feiner der Kategorien ausgedrhdt werden. Zwi⸗
[hen ihm und der Welt (S. 276), dem Schöpfer und
dem Gefchöpfe bleibt ein wefentlicher Unterſchied; und
das Fefthalten an der Freiheit ift die ficherfle Schugwehr
gegen den Pantheismus. Die Welt IfE gefchaffen aus
Nichts; denn außer Gott war nichts, aus welchem fie
hätte gebilber werden können, und wäre fie aus bem
Weſen Gottes gemacht, fo würde fie Bott gleich fein und
ein unveränderliches Welen haben. Die Schöpfung ber
Welt (S. 311) tft das größte Wunder. Es gibt Beinen
Raum außer der Welt, und ebenfo Beine Zeit außer ihr.
Selbſt die Materie, als der niedrigſte Grad des Daſeins
betrachtet (S. 314), muß als etwas Gutes angefehen
werben, benn fie ift dee Form wenigſtens fähig. Die
Eörperliche Natur iſt nicht blos des Böfen wegen und
nah dem Falle der Geifter entflanden; fie gehört vlel⸗
mehr zur Schönhelt der Welt und dient zum Guten.
Das Böfe oder das Übel bezeichnet nur die Beraubung
(S. 315) des Guten. Das Unvernünftige ift weſent⸗
ich nur ein Mittel, das Bernünftige dagegen der Zweck
dee Welt (S. 325); auch die niedeigfte Seele muͤſſen
wir höher flellen als den höchften Körper.
Gott wollte feinen vernünftigen Sefchöpfen nicht bie
Macht zu fündigen rauben, damit offenbar würde (S. 340),
wie viel Übel ihr Stolz und mie viel Gutes feine Gnade
bewirken inne. Pelagius fuchte die Unterfuchung über
die Mickfichkeit des Guten und Böfen fern zu halten -
von ber Frage nad) dem Grunde diefes Gegenfages in
70
Sott. Er unterfcheidet dreierlei (S 341): das Können, |
das Wollen und das Sein der Menfhen. Das Können,
d. h. da6 Vermögen, gut oder böfe zu fein, hat ort
gegeben; bie beiden andern Punkte aber, da6 Wollen des
Guten oder des Böfen und das Gut- oder Boͤſeſein,
kommen jebe Kraft abfpricht, fich des Boͤſen zu entledigen.
Sie glaubt die Gerechtigkeit Gottes durch eine unbegreif:
lihe Gnadenwahl zu ehren, und fieht in diefer nur eis
nen und theilwelfen zweiten Schöpfung einen Erſatz für
! die erfte einſt größere, reinere und fchönere Schöpfung.
fieht er nur als eine Sache des Menſchen an. Auguſti⸗
nus hält diefe Anficht für oberflächlich und die Wirkſam⸗
feit Gottes irrig befchräntend. Auch das Wollen der
Geſchoͤpfe bewirkt Sort in ihnen, möge es durch Äußere
Einwirkungen veranlaßt werden, oder ſich durch ihre in:
nere Thaͤtigkeit vollziehen. Doc hängt vom Willen Alles
ab, mas unfer ift (S. 347), unfer Werth und unfer Un
werth, unfer Verdienft und unfere Verdammung. Unfere
Freiheit im Guten läuft indeg nur darauf hinaus, daß
wir Gott und unterwerfen. Das Böfe kann fih nur
am Sein finden und alfo am Guten, denn alles Sein
als folches ift gut. Ein hoͤchſtes Boͤſes kann es nicht
geben, denn «6 würde die Beraubung alles Seins fein.
Der böfe Wille gebt von Gott nicht aus, weil er nichts
il. Gott weiß die Sünde zwar vorher (SG. 354), aber
er beftimmt fie nicht vorher. Da der Menfch durch feine
Sünde (S. 362) ein Sur aufgab, welches ewig hätte
fein Eönnen, fo wurde er dadurch aud einer ewigen
Strafe würdig; die menfchliche Natur und die menfchliche
Geſchichte iſt feitdem durchaus umgeändert. Die Sünde
hat die Ordnung ber Welt verkehrt; fie iſt nicht eine
Sache nur der Einzelnen, fondern des Ganzen. In
diefe geftörte Ordnung tritt jeder Geborene ein, und es
bedarf daher nicht erſt einer befondern fündigen That,
um bie einzelne Seele in das Verderben zu flürzen, fon:
den von Natur und in ihrer Wurzel gehört fie der ge⸗
flörten Denfchennatur und dem Berberben an. Sie find
- alle eine verderbte Maſſe, eine (S. 370) Maffe des Ko:
the8 und der Sünde geworden. Am wenigfien (S. 379)
darf den Ungläubigen ein gutes Werk zugeftanden werden.
Aus Barmperzigkeit hat Gott fih eines Theils
der Menſchen erbarmt und aus diefee Maffe ausgewählt,
um an ihnen feine Gnade zu erweifen. Der Menſch bat
hierbei kein Verdienſt und feine guten Dandlungen ges
ben dieſer Gnade nicht vorher (S. 380), vielmehr macht
Gott die Menfchen gut, damit fie gute Werke thun, und
feine Gnade ift unwiderſtehlich. Niemand ift der gött:
lihen Gnade würdig; denn wäre dies der Fall, fo würde
Gott fie fhuldig fein, und wäre er fie fchuldig, fo wäre
fie keine Gnade. Nice für Alle (S. 391) ift Chriftus
geftorben, niche Alle bat Gott retten wollen; denn fonft
würden fie Alle gerstter fein: ja, die Wenigſten bat er
retten wollen, denn die meiften Menfchen find dem Ber:
derben anheimgefallen.
Diefe ſchroffe Anficht des Auguftinus verdammt alle
Heiden (forie die meiften Chriften), ſtellt das Wefen ber
menſchlichen Freiheit in ben Hintergrund, leugnet eine
ducchgreifende Erziehung und eine allgemeine Erloͤſung
dere Menfchen,, betrachtet das Boͤſe ale bloße Verneinung
und läßt den, von Gott rein erfchaffenen Adam durch
die Schuld der Erbfünde die ganze Schöpfung Gottes zu
Grunde richten, während fie ihm und allen feinen Nach⸗
Trotz bdiefer und anderer Schattenfeiten war bie Lehre
des Auguftinus damals die folgerechtefte und tieffinnigfte.
Statt weiterer Ausbildung zeigt fich indeß ſeitdem in ber
morgenländifhen wie In ber abendländifchen Kirche ein
immer zunehmender Verfall, von welchem der Verf. im
fiebenten Buche handelt. Am Schluffe des fechsten und
fiebenten Buches finden wir hoͤchſt Ichrreiche, aber keines
Auszugs fühlge Betrachtungen des Verf. über Augufinus
und die patriftifche Philoſophie überhaupt. Im Mittelalter
wird die philofophifhe Entwidelung, aus ſchon angebeuteten
Gründen, mannichfaltiger, umfafiender, dauerhafter; body
brachte auch fie die Dinge zu einem vollftändigen Ab⸗
fchluffe. Anſtatt hierdurch (mie in Hellas und zur Zeit
der Patriftiker) zu ermatten, bewegt ſich feitdem der le⸗
bendige Strom ber Gedanken (alle Hemmungen überwins
bend) durch die Jahrhunderte vorwärts, und fowie der
Berf. zeigt, daß die Mängel der patriftifchen Philoſophie
nicht unbedingt vom Übel waren, fondern auch fördernd
wirkten, fo fann man Sleiches von den fpätern Jrrthuͤ⸗
mern, gläubig und verftändig zugleich, behaupten. Aud
die neueſte Kritik des hriftlichen Lehrſyſtems, welhe man
wol eine nothwendige, unvermeidlihe Skepſis nennen
koͤnnte, wird nicht mit einer bloßen Verneinung enden;
fie wird vielmehr die Schladen nur ausbrennen, damit
das echte Metall ſich von neuem doppelt glänzend bewähre.
Vorftehende Eurze Auszüge aus dem trefflichen, lehrrei⸗
hen Werke des Verf. genügen in keiner Weife, den teis
hen Inhalt irgend darzulegen; fie follen nur darauf aufs
merffam madhen und zum Leſen deſſelben auffodern.
Ebenſo gehen unfere eingeftreuten, befcheidenen Bemerkun⸗
gen nicht darauf aus, einen Meifter zu hofmeiftern, dem
wir feit Jahren befreundet find und zu deſſen dankbaren
Schülern wir uns zählen. $. von Raumer.
Über Wolff's „Allgemeine Gefchichte des Romans“, *)
Ih will in voraus geftehen, daß ich das Buch nicht gele⸗
fen habe; da mich aber die verebrliche Kedaction b. BI. drängt,
meine lang verzögerte Anzeige endlich zu bewerkſtelligen, ſo kann
ih nit umhin, es zu recenfiren, obne es gelefen zu haben.
Wenn ich darin ein Verſehen begebe, fo wird es hoffentlich da⸗
durch ausgeglichen, daß ich es offen befenne; Jedermann zue
Warnung, daß er meiner Recenſion mit Behutfamteit folge.
Ich babe es nicht etwa um deswillen nicht gelefen, weil es mir nicht
zufagte, oder ich dem Autor nicht bie Gabe, über die Sache zu
ſprechen und mid, zu feffeln, zutraute, fondern weil das 6941 eng⸗
gebrudte Seiten ftarke Buch keines ift, das man in einigen Ta⸗
gen, ja nicht einmal in einigen Wochen — wenigftens mir gebt
bie Gabe dafür ab — durchlieſt, fo durchlieſt, um es beurtbeis
len zu Sönnen. Ich habe es nicht gelefen, weil mir die Zeit
dazu feblte und weil nad dem Gindrud, den bag Blätter
darin bervorbrachte, ed mie werth ſchien, daß ich es läfe. Ich
*) Allgemeine Geſchichte des Romans, von beffen Uxrfprung
bi8 zur neueften 3eit. Bon O. &. B. Wolff. Iena, Maufe_
1841. 8. 3 Thir.
a
babe fo viel darin geblättert, nachgeſchlagen und bineingelefen,
daß ich mir gerraute, eine lesdare Recenfion darüber zu ſchrei⸗
ben, und der Leſer follte nicht merken, daß ich es nicht geiefen.
Uber der Brad der Achtung, den mir der Fleiß des Verf. und
Das, mas id; daria gelefen, einflößte, macht es mir zur Pflicht,
wenn fie nicht ſchon vorher da war, mid) der Lockung zu ent:
beiten. Ich könnte, um ganz gewiffenhaft zu handeln, mein
Schreiben baräber auffhieben, bis ich nad) meiner Überzeugung
im Stande wäre, darüber zu urtheilen, was auch aufridhtig
meine Abſicht war; ich weiß aber nicht, wie lange ber Aufſchub
dauesn würde, und glaube damit weder dem Autor, noch dem
Berleger, nody der Rebaction d Bi. einen Dienft zu thun.
Andy die gewichtigern Erſcheinungen auf dem Markt unferer Eis
teratur werben von dem reißenden Zageöftrome fo ſchnell weiter
getrieben, daß es Seitens ber Kritit nur exfle Bürgers und
Rettungspflicht tft, darauf aufmertfam zu maden. Bür bie
eigenttiche Kritik ift erſt Tpäter Beit.
Was wäre auch die Kritik eines ſolchen Werkes! Ich meine
bie gewiſſenhafte, gründlich würbigende. Man wirft ſchon dem
Berf. biefer „Allgemeinen Geſchichte des Romans’ feibft vor,
das er über Bücher ſpreche, die er nie gelefen habe. Ich weiß
durchaus nicht, inwieweit biefe Anklaͤger Recht haben; aber
die Präfumtion ſpricht dafür. Gin wahrer Polyhiftor müßte
das fein, der alle Romane, die guten und fchlechten, vom Ans
beginn, wo man Romane ſchrieb, von den milefiichen Erzaͤhlun⸗
gen, von den Griechen und Römern, durch die Koliantenromane
des verlöfchenden Mittelalters bis zu allen Probucten der Spas
nier, Engländer, Deutſchen gründlich gelefen und flubirt hätte!
Imwiefern dies nothwendige Bedingung fei, um bie Gefchichte
des Romans zu fchrriben, laſſe id dbahingeftellt. Aber wenn
nur Der das Wer? zu beurtheilen ein Hecht hätte, der ſeibſt dies
fer Bedingung genügte, fo möchte es dem Verf. leicht fein, jes
den feiner Recenfenten aus dem Sattel zu heben. Unb wer bie
Romane von X bis 3 kennte und fühlte ſich gebrungen, eine
grünblicdge Kritit über das Buch zu fchreiben , würde feine Kris
tie nicht wieder ein Buch werden, dickieibiger als das Driginal?
Der gluͤcklichſte Fall für einen Autor, wenn Kritik ein Gluͤck,
iſt, wenn fein Gegenftand auch einen andern Schriftſteller
iebhafı beſchaͤftigt hat, und biefer fidy veranlaßt findet, bie Ars
keit des Grftern mit feinen eigenen gewonnenen Anſichten ver:
geichend durchzugeben. Auf diefem Wege entflanden bie beften
Kitifen, deren wir uns In Deutfchland rühmen, z. B. bie bes
Uhmte Solger’fche über A. WB. v. Schiegel's Dramaturgie.
Ih fe tadein oder oben, es find Würbigungen der Bade. Gine
er Manie der Kritit bat viel Belftvolles hervorgebracht,
aber wenig gerecht Würbigendes, bie der Parteien. Mit fefter,
srausgefaßter Meinung laͤßt fich fehr leicht und trefflich über
Ves fchreiben, was in unfern Kram taugt und nichts ja, es
fogar grünblich recenfiren, auch wenn man nur ober:
Michtich gelefen hat. Dee fubjective Standpunkt bes Schrei⸗
iſt eine nad) allen Regein der Strategie fortificiste Feſtung,
der er nach Luſt feuern kann, wenn auch die Kugeln nicht
Ziel treffen. Auch eine ſolche Kritit Hat ihre Vorzuͤge.
Bir für einen Scharfrichter das Gtubium der Halsmuskeln
wichtiger iſt als bie ganze Anatomie, braudht man nur bie
Sqwãchen des Gegenſtandes zu ſtudiren, und die Kritik ſtellt,
wenn auch etwas Cinfeitiges, doch etwas Wahres auf. Der fo
Kritiärte lernt und das Publicum auch. Da aber das Gegen:
gift fehtt — Berleger und Freunde pflegen e8 zwar zu beforgen,
aber nicht immer geſchickt —, fo würde es nur in fıltenen Faͤl⸗
ien fein, wo ſich der Autor nicht lieber aller Kritik befchiede
und zufrieben wäre mit einer trodenen Relation, die das Publi⸗
cam wenigſtens auf den Inhalt feines Werkas aufmerkſam macht.
Diefen kennen zu lernen, bat der Verf. ein überfichtliches
Berzeichniß voraufgefhidt, für das Lefer und Krititer ihm
ich dankbar fein müflen. Nachdem er im erften Abſchnitt
gemeine Betrachtungen über das Weſen und den Begriff bes
Iemans und die Pänftliche und natürliche Gintheilung bdeflelben,
Ieie über die Erzaͤhlung und Novelle gegeben, liefert er im
zweiten einen überblick der Geſchichte des Romans ſeit den aͤl⸗
teften Zeiten bis zum Schluffe des 17. Jahrhunderts. Welt zus
süß führt der Berf. den Lefer, und mander Romanenfreund
wird erflaunen, wenn ihm die Bücher Hiob und Muth als bie
erften Romane der Welt vorgeführt werden. Gegen die Zus
ziehung des Buches Efther, welches der Verf. auch dahin rech⸗
uen will, möchte ich protefliren. Cine Familie zu bilden bes
ginnt der Roman erft bei und mit ben fpätern Griechen, und
zwar erſt im 4. Jahrhundert unferer Zeitrehnung. Gin dhrifts
licher Biſchof einer der erſten Romanfchreiber, und ein vors
treffiiher, und ein Roman mit fo wunberbaren Begebenheiten,
daß unfere neue Srfindungskraft mit ihren Motiven dagegen
matt erfcheint! Nachdem des Longus berühmter Hirtenroman
erzählt und befprochen ift, führt er uns zu den Römern, den
fpdtern natürli, wo der Roman dad üppig: frivole und fervile
Kleid anlegen mußte, in welchem es der Poeſie allein verftattet
war, in den Kaiferpaläften zu erfcheinen. Darauf tritt eine
lange Paufe ein. Die Völkerwanderung war ber Ausbildung
bes Romans nicht günflig. Er verlangt, trog ber weiten Meer:
und Landreifen, welche die Helden des griechifchen Biſchofs und
ternabmen, einen bequemen Sitz am häuslidhen Herde. Die
Famitlie ift, trog der Altern Poftreiferoinane der Engländer uns
Deutſchen, fein Grund unb Boden. Erſt nach den geiftlich romans
tiſchen Epopden tauchen die normannifchen und bretonifchen Ros
mane auf, die uns auf ein ganz anderes Feld der chriſtlich⸗
myſtiſchen NRitterpoefie führen. Nach Jahrhunderten, mo biefe
Doefie allein berrichte, betraten die Amadis-Romane mit bem bes
rühmten Amadis von Gallien zuerft ben neuern, breitern pros
faifhen Boden. Weit ift ihre Verbreitung. Ked und munter
fpringen bazwifchen die Novellen der Statiener und Spanier
wie kuͤhne Parteigänger, Verwirrung anrichtend, unter ben Troß
dee ſchwerfaͤlligen Armeezuͤge. Die fpanifchen allerliebften
Schelmenromane erweden auch in Frankreich ein neues Genre
bes komiſchen Romans, ber aber an Feinheit, Keckheit und
Wärme jenen muthwilligen Schöpfungen durchaus nicht gleiche
tommt. Da erfteht eine markige Heidengeftalt, fo im Scherz
ats im Ernſt in Spanien, Gervantes, und in Frankreich ber
noch unerſchoͤpfte, dunkele, wunberbar FEräftige, mächtig bie
Thorheit geißeinde Rabelais. Darauf wieder eine füße Schaͤfer⸗
periode in Spanien, auch ber Engländer Sidney fchreibt feine
„Arcadia. Während die Scubery unter Ludwig XIV. mit ihren
Romanen entzüdt, fpufen in Deutfchland die Bagabundenromane,
wilde im entfeglichften Zuſtande unfers Waterlandes, dem Dreis
Bigjährigen Kriege, ihre efelhafte Nahrung im Aas auf den
Heerftraßen, im Brandgeruch der bertoüffeten Dörfer zogen.
Wir Deutfche Eönnen nicht ſehr ftolz auf unfere Anfänge fein,
und body waren bie erften Nachklaͤnge der Anfänge die Lohen⸗
ſtein ſchen, „Arminius“, bie „Aftatifche Banife” noch trübfeliger
als die im „Irrgarten dir Liebe umtaumelnden Gavaliere” und ber
buch die Wahrheit der Schilderungen des Elends und der Vers
worfenheit ausgezeichnete „„Simpliciffimus”. Da im Vaterlanbe
nichts Troͤſtliches zu baben ſchien, begab man ſich auf Reifen
und fuchte auf ber „Infel Felſenburg“ die in ber Heimat getruͤbte
Häusiichkeit und die Ruhe des Familienlebens.
Der dritte Abfchnitt befpricht die Familienromane bis zum
18. Jahrhundert. Da erfcheinen in Formen, die zum Theit
noch heute gelten, Le Sage, Richardſon, Marivaur, Prevoft,
Fielding, Smollet, Sterne; in Deutſchland Gellert, Duſch, Gere
mes. Ob Hr. Wolff wirklich die neunbändige „Sophiens Reife
von Memel nad) Danzig” burchgelefen hat? Ich nahm in meis
ner Jugend mebrmald Anfäges ed gelang nicht. Wohin find die
Romanheroen ihrer Zeit: Schummel, Wegel und der fruchtbare,
gefeierte 3. G. Müller! Die fentimentale Periode brach ein,
veranlaßt mit durch Den, der fie am wenigften veranlaflen
wollte, Goethe. Selige Zeit, wo Siegwart's Thraͤnen alle
Baͤche in Deutfchland falzig machten !
Der vierte Abfchnitt ift den übrigen Gattungen des Ros
mans im 18. Jahrhundert gewidmet. Welches bunte Gemiſch!
Walpole's „Schloß von Otranto”, die Rabeliffe (herrliche Zeit, wo
ih fie verſchlang!), Warmontel, Blorien, Wieland, Klinger,
Heinfe, Hippel, Jean Paul. Benedikte Raubert und die brei-
ten, bebaglichen, humpentoͤnenden, burgvertießfchauertichen , ket⸗
tenraffenden Ritter: und Räuberromane. Da Spieß, Benko⸗
wis, Gramer, Vulpius, Große, Baczko, Meißner, Feßler und
— Zſchokke, der merkwürdige Mann, ber in bie Gegenwart bins
eintebt und ſich nicht übertebt bat.
Der Roman in den vier erften Decennien des 19. Jahr⸗
Hunberts bildet in vier Abtheilungen den Schuß. Es iſt ein
langer Schluß 263 Seiten. Und doch wer kann in biefem
Naume nur Alles berühren! Da erfcheinen im erften Decennium
72
Damals galt Menzel's Urtheil, ber fo ziemlich Ihm alle Poeſte
abfprah und ihn zu einem breiten, geſchickten SBerfificator
machte! Das fchrieb feine junge Schule nad, man las es in
allen Zagessiättern. Daß ein Lebendiger fidy erheben, regene⸗
riren kann, follte cin wohlmwollender unb beſonnener Literar:
hiſtoriker ſtets im Auge bebalten. Als folchen müffen wir Hrn.
Wolff nah biefem Buche erkennen und überlaffen ihm deshalb
bie Frage zu beantworten, ob er alle neuern Romanenfcreiber
mit dieſer Beruͤckfichtigung gewürbigt hat. Gollte nun Gchreis
ber dieſes ſeibſt unter den fo Beurthellten fein und in fich bie
Regung fühlen, daß des Autors Zotalurtheil manchen Mobifle
aur Franzoſen, die Producte und die Antagoniften der Nebolus 1 Cattonen unterliege, fo fol ihn das doch nicht abhalten, a
tion, die Stael, Benjamin Conftant (wenig bedeutend auf bie:
fen Gebiete), die Genlis und Cbateaubriand. Die deutfche vos
mantifhe Schule ift, etwas willkuͤrlich, was bie Beitabtheilung
betrifft, in das zweite Decennium eingepfercht, die Tied, Schle⸗
gel, Novalis, Arnim, Brentano, be la Motte Fouqué, Hoff:
mann, auch Kichendorff, allerdings ein Legter Sproß biefer
Säule. Seine Wirkſamkeit gehört indeffen doch einer fpätern
Periode an. Die dritte Abtheilung beſchaͤftigt fi mit den hiſto⸗
rifchen Romanen der neueften Zeit. Wer zählt die Völker, nennt
die Namen! Und alle fcharen ſich noch heute um ihren Schöpfer
Walter Scott; nicht der größte Dichter feiner Zeit, aber der
gluͤcklichſte Bergmann, der Schäge, unerfchöpflide, aus dem
Heiligthum des Wolkslebens ans Licht förderte und für lange
Zeiten den richtigen Weg wies, wie fie zu gewinnen, wie am
gedeihlichſten auszubeuten fein: Gr war der Zauberer, der,
wider Abfiht unb Willen, die Bedeutung bed Volkslebens auch
im Romane uns evident vors Auge führte. Der edle Tory bat
für alle Zeiten bie Hofpoeſie aus dem Felde gefchlagen. Endlich,
in das vierte Decennium mit Recht verfegt, erhalten wir eine
überſicht der Bamilien» und Tendenzromane der neueften Zeit.
Was wirb das fünfte Decennium bringen? Wirb der bürgers
lich ſociale Roman oder der Hiftorifche vormwalten? Mir fcheint
28 ein gutes Zeichen, daß die Theilnahme zwifchen beiden
ſchwankt. Die Politit darf das Pamilienintereffe nicht vers
drängen, aber das Familienintereffe ift fortan dürftig ohne An:
ang an die böhern Intereſſen des Bürgers, ohne feine Ans
knuͤpfungspunkte an das Staates und Volfsieben.
Hr. Wolff hat in diefer Arbeit ein Werk geliefert, welches,
abgefehen vom Urtheil über fein Urtheil, ald Gompendium von
großem Verdienſte bleibt. In den Altern Perioden wird ſchwer⸗
lih etwas Bedeutendes übergangen fein; auch in der neuern
Literatur finden ſich fo ziemlich alle Namen von Ruf (ganzem,
balbem und Viertel: Ruf) erwähnt. Daß unter den biftorifchen
Romanſchreibern Rellſtab nicht genannt ift, ift wol: nur ein
Austaffungsfehler, da weit minder bedeutende als der Verf. von
„A812 aufgeführt und charakterifirt find. Diefe Charakteriftit
ift, fo weit ich fie gelefen, treffend. Auf Anfhauungen, die
Revolutionen in der Kritik hervorbringen, ift es nicht abgefehen.
um deshalb wäre es eine falfche Anfoderung, immer Neues zu
erwarten. Er hat mit Umfidt, was Andere und er ſelbſt ges
fagt, zufammengetragen und dem Zweck gemäß verfchmolgen.
Das Ganze ift überfichtlih, die Verbindungen find mit Geſchick
gemadt. Daß im uUrtheil jeher Lefer ſich wiederfinden folle, ift
ebenfalls eine unmödgliche Aufgabe. Die beurtheilten Eebendigen
werben ebenfo wenig überall befriedigt fein Es geben Kloskeln
über diefen und jenen Autor durch alle Literaturgeitungen unb
biographifche Artikel, die von A bis 3 nachgefchrieben werben,
von denen aber der Autor, wenn er ein ehrenhafter ift, in der
Stille an die Zukunft appellirt. Die Kritil der Zeitgenoflen
laͤßt ſich nicht ändern; bei Aufnahme folcher Refumds, bie dies
fem den urfprünglidhen Genius, jenem das Talent ber Form:
gebung abfprechen, follte aber ber Verf. eines Compendiums
befonders vorfichtig fen, fo lange es ſich von Lebenden banbelt.
Wenn biefes Werl vor zehn Jahren erſchienen wäre und Br.
Wolff Hätte alle Banalphrafen über Smmermann aufgenommen,
wie würde diefer Dichter in feiner Literaturgefchichte erfcheinen !
Verantwortlicher Derauögeber: Heiurich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. X. Brodhaus in Leipzig
ertennen, daß er im Ganzen mit Umficht und sine ira et s
urtdeile. Das Buch läßt ſich trefflich ieſen. Gin Wunſch ent
fand bei mir, wie, wenn es möglich gewefen wäre, aus ben ber
Lefewelt unzugänglihen Romanen ber frühern Zeit einzelne
Städe ale Stylproben mitgutheilen? 3. B. aus den erften Ro⸗
manen bed Longus, des Petronius, aus „Amadis von Gallien‘,
dem im „Irrgarten ber Liebe umtaumelnden Gavaliere” u. f. w.
Wenn das Buch dadurch noch dickleibiger geworden wäre, fo
wäre es zugleich lehrreicher geworben und bebielte für alle
Folgezeit einen Werth auch als Lehrbuch. Aus dem einen
Bande hätten ſich freilich dann zwei Bände entwideln müfs
.fen, was bei ber Größe ber Aufgabe indeffen wol zu recht⸗
fertigen war. 10.
Literarifhe Notizen aus Kranfreid.
Es ift dem Dichter verliehen, laͤngſt abgeſchiedene hiſtoriſche
Geftalten aus dem Schooſe der Vergeſſenheit heraufzuziehen
und fie der Gegenwart näher zu bringen, als es der Hiſtoriker
vermag. So ſcheint Lenau durch feinen ‚„Bavonarola’ im
Deutſchland das Intereſſe für biefen freien Geiſt wieder ange
regt zu haben. Wenigſtens find feit diefer trefflichen Dichtung
glei mebre hiſtoriſche Werke erfchienen, bie das Leben diefes
großen Mannes behandeln und bie zum Theil wenigſtens durch
bas Gedicht Lenau's veranlaßt zu fein fcheinen. Wir ers
tauben uns bier baher auf ein franzoͤſiſches Werk aufmerffam
zu madıen , das eben die Preffe verlaflen bat und das eine
ziemlich umfaflende Biographie Savonarola’s gibt. Es führt
den Zitel: „Histoire de Fra Hieronimo Savonarola”, von P.
3. Sarle. Der Berf. hat, nachdem er vor einiger Zeit eine Schrift
über das Dogma ber „Hoͤlle“ Dante’6 („Traité suriedogme de
P’Enfer‘‘) herausgegeben hatte, eine Reife nach Italien gemacht,
um die biftorifhen Quellen zu einer Geſchichte Savonarola’&
an Ort und Gtelle zu fludiren. Borliegendes Werk ift eine
Frucht dieſer Reiſe, und man muß dem Verf. deſſelben fuͤr ſeine
intereſſanten Unterſuchungen Dank wiſſen. Beſonders lobens⸗
werth iſt, daß der Abbe Carle weder in das uͤbertriebene Lob
eined Pic de la Mirandola, der aus Savonarola einen Deiligen
macht, noch in ben bittern Spott eines Scarponio, ber ihn in
ben Koth zieht, eingeſtimmt hat. Sein Werk ift in einem ge
mäßigten Zone abgefaßt. Es beginnt mit einer Ginleitung, bie
einen Überblid über bie Hauptereigniffe der Kirche und des Pon⸗
tificats insbefonbere gibt. Einzelne Partien, z. B. bie Zeich⸗
nung Savonarola's, als er in Florenz feine gluͤhenden prophe⸗
tifchen Predigten hielt, find dem Verf. befonders gelungen.
‚ Unter ben herrlichen Romanzen Rüdert’s iſt bie von der Heiz
ligen Dttilie eine der lieblihften. Das Leben biefer Deitigen,
die erſt erblindet, dann aber bucd Gottes Gnade dad Augens
licht wiedergewinnt, bat ben Stoff zu einem Kleinen Wertdhen
geliefert, das in einem etwas uͤberſchwaͤnglichen Tone gehalten,
aber im Ganzen recht lesbar ift. Es führt den Titel: „Histoire
de Sainte Odile, patronne de l’Alsace’, von em Baron
Marie Theodor bs uffiere. Der Name des Verf. iſt Duxcch
eine Geſchichte der Belehrung vom Abb Ratisbonne der fatho-
lifchen Welt bereits befannt.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerdtag,
Wir Deutfchen haben einen befondern Namen für
eine gewiffe Art von Schriften, der andern Nationen,
„8. den Engländern und Franzoſen, unbefannt if. Er
it nidt einmal deutfhen Urfprungs, hat ſich aber all:
mältg bei uns eingebürgert. Wir meinen bie fogenann-
ten publiciſtiſchen Schriften. Der Kreis von literarifchen
Erzeugnifſen, den dieſer Mame in fich begreift, ift uͤbri⸗
gene bald ein ſehr meiter, bald ein fehr enger; der Bes
geiff iſt ſeht ſchwankend und willkürlich und hat nament:
lich tm Laufe der Zeiten manche Mobdificationen und Er:
weiterungen erfahren. Im vorigen Jahrhundert fiel eigent:
Lich nur das Staatsrecht in den Begriff der Publiciſtik;
ein Public war ein Schriftfleller, der Unterfuchungen
über beutfches Staatsrecht anftellte cder über deutſches
Staatsredht ſchrieb, wie Böhmer, Puͤtter, Häberlin u. f. w.
Allmaͤlig erweiterte fich jedoch der Kreis der hineinſchla⸗
genden Gegenſtaͤnde, und in dieſem Augenblide pflegt
man fo ziemlich Alles unter den Begriff Publiciſtik zu
mbriciren, was im näherer oder entfernterer Beziehung
pur Geftaltung unfer6 gefammten äffentlichen Lebens ftcht,
wit Ausnahme der eigentlichen pofitiven Fachwiſſenſchaf⸗
ta und der fhönen Künfte Alle literarifchen Erſchei⸗
amgen, welche einzelne Fragen der Gegenwart in Be:
Hung auf Recht, Staat, Kirche, Schule, Sitte u. f. w.
handeln, welche namentlich außer dem rein wiffenfchaft:
: Ehen, theoretifchen Zwecke auch noch eine praßtifche Xen:
benj haben, fei es nun, daß fie direct auf Einfährung
einer neuen Inſtitution oder nur Indirect duch Anregung
bes oͤffentlichen Seiſtes darauf gerichtet find, heißen jet
yablichftifche Schriften, und ein Publiciſt will ein Jeder
fin, der irgend eine Brofchhre oder irgend einen längern
Zitumgdartifel über eine der taufend obſchwebenden Fra:
ya geſchrieben, welche die Gegenwart in Beziehung auf
woher ſittlich⸗ pofitäfches Leben zu beantworten bat. Wir
ſind indefien der Meinung, daß wir trog dieſer Unzahl
son Competenten dennoch an wirklichen und tüchtigen
Publiciſten Höchft arm find.
in der That mehr, als nothdürftig verfländig uͤber
2) Die Aufgabe des Abvocatenftandes in conftitutionnellen
Eimten. Bon K. Steinader. Braunſchweig, Vieweg und
Ka. 1841. Br. 8. 25 Nor.
Zu einem folhen gehört |
19. Januar 1843.
ö— c — —— —— — — ——
irgend einen oͤffentlichen Gegenſtand ein paar Saͤtze zu⸗
ſammenzuſtellen oder mit der Schlafmütze auf dem Kopfe
und der Pfeife im Munde ein Buch träge und gemaͤch⸗
ih zufammenzutragen. Der wahre Publiciſt, dee bie
öffentliche Meinung feines Volks befruchtet und reinigt,
der fein Volk duch Die fiegende Auseinanderlegung und
Darftellung feiner. Anfhawungeweife und Überzeugung auf
eine höhere fittliche Stufe erhebt, von deſſen Schrift an
eine wirkliche Bereicherung des Nationaigeiftes, eine nee,
hoͤhere Enswidelungsphafe des Volksbewußtſeins bafirt,
der muß vor allem ein Menſch ſein, der von dem Strahle
des Genius berührt und entzuͤndet iſt, der den Gegen⸗
ſtand, über den er ſchreibt, mit feinem Herzblute genährt
und deſſen Dichten und Trachten, befien Leben in feinem
Objecte aufgeht. Nicht eine tobte, begeifflich-logifche Dar:
legung, nicht eine bloße hiſtoriſche Aufjählung and An⸗
einanderreihung reiht dazu hin, fondern ber Begriff und
das Factum follen erfl in einer fchönen, großartigen Pers
föntichkeit Fleiſch und Blut gewinnen, fie follen erſt in
einer kraͤftigen und fittlihen -Perfönlicpkeit zu neuem,
wirklichem Leben beraufbefchworen, gleichfam wiedergeboren
werden, wenn fie nicht Das bleiben follen, was fie bis
dahin waren, todt, irrelevant, nicht vorhanden für bie
Begenmwait. Werfen wir nun einen Blick in unfere fos
genanmte publiciſtiſche Literatur und fehen uns nah Nas
men um, in benen ſich diefe beiden Momente, Kenntniß
ber Sache und harmoniſche Geftaltung derfeiben in einem
großartigen fittlichen Charakter eng durchdringen und mit⸗
einander zufammenfallen, fo müflen wir befennen, daß
wir deren nur wenige erbliden können. Wenn biefes
auch im der Natur der menfchlihen Dinge liegt, indem
bas wahrhaft Bedeutende, Fruchtbare und Große ſich
überall nur felten findet und es zw viel verlangt wäre,
wenn wir mehr große Reformatoren und Politiker wie
große Dichter und Kumſtler haben wollten, fo iſt es doch
eine bedenkliche Erfcheinung, dag man eben auf diefem
Felde noch nicht einmal die richtige Anſicht von den Er:
fobernifjen gewonnen zu haben [deint, die dazu gehören,
am etwas Zlchtiges zu leiften. Und doch gilt auch Bier
ber Sag, und zwar ganz befonders, daß ſchlechte Leiftun:
gen ſchlimmer find wie gar feine. Jeder junge Mann,
ber einige allgemeine Edge über Staat oder Kirche aus
feinen Deften ſich eingelernt hat, glaubt fich jege berufen,
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diefe wohlfeile Weisheit als Kriterlum an das Beſtehende
zu legen, defien organifdye Gliederug und reale Nothwen⸗
digkeit in vieler Beziehung er ebenfo wenig zu durchſchauen
verfteht, als er im Stande ift, eine Abänderung, wie welt
fie bei den gegebenen Zufländen bes Lebens möglich und
‚ausführbdar, anzwgeben. Worzugsmeife aber find es die
fogenannten Sunghegelianer, welche in ihrem Schulhoch⸗
muthe und ihrer einſeitigen, unredlich geiſtloſen Begriffs⸗
conſtruirung und Begriffsſpielerei weiter nichts bewirken
als Verwirrung der Debatte, Verruͤckung der Frage, Ab⸗
ſtumpfung eines lebendigen, ethiſchen Bewußtſeins und
Laͤhmung jeglicher Thatkraft. Der Kampf, der auf ver⸗
ſchiedenen Gebieten des ethiſchen Lebens der Gegenwart
mit einer moraliſchen Nothwendigkeit ſich entſponnen hat,
kann ſchwerlich dadurch gewinnen, wenn Leute fih hin⸗
einmifchen, denen Natur und Erziehung nun einmal jegs
liches Organ verfagt hat, um concretes Leben zu erfaſſen.
Wenn dieſen vermoͤge ihrer geiſtigen Armuth die ſoge⸗
nannte abſtracte Speculation genuͤgt und Bergnügen
macht, fo follen fie wenigftens auf diefem Gebiete blei⸗
ben und ſich nicht in Regionen wagen, wo ein friſchet
Lebensodem weht und wo außer dem formalen Verſtande,
der freilich auch unentbehrlich iſt, noch eine Fuͤlle anderer
Eigenſchafter, geſunde Sinne, Phantaſie, Liebe, Natur⸗
und Menſchenkenntniß erfoderlich ſind.
Der bloße Gedanke auf dem Felde der Moral, der
Politik, des ſocialen Lebens u. ſ. w. iſt nur ein bedeu⸗
tungsloſer Einfall, wenn er nicht in einem tuͤchtigen
Charakter verarbeitet wird. Erſt dadurch wird er zu ei⸗
ner moraliſchen, publiciſtiſchen Macht. Der bloße Ge⸗
danke iſt ein Samenkorn, wie deren Millionen alljaͤhrlich
in der Natur verloren gehen. Nur wenn es auf frucht⸗
baren Boden faͤllt und dort Wurzeln und Zweige treibt,
wenn er zu einem maͤchtigen Baume erwaͤchſt, kann man
ſich daran erfreuen. Legen wir dieſe Anfoderungen als Map:
ftab an unfere Publiciften, einerfeite zeitgemäße, richtige Ge⸗
. danken, zeitgemäße Gegenftände, andererfeits Lebendigwerbung
und Wiedergebärung bderfelben in einer bedeutenden Perſoͤn⸗
lichkeit, wo fich die moralifche Bedeutung für den ganzen
Makrokosmus mikrokosmiſch in einer befondern Seele wis
derfpfegelt und das organifche Leben einer publiciftifgen
Wahrheit in einem einzelnen Charakter dem übrigen Volke
erſt als Beiſpiel und Bild vor Augen tritt, fo müuffen
wir befennen, daß Deutfchland nur menige Publiciften
befigt. Die Namen find leicht genannt und aufgezählt.
Zuerſt Zuftus Möfer in feinen „Patciotifchen Phantaften”,
wiewol die Stimmung und der Ton in bdenfelben fchon
unſerer Zeit nicht mehr genügt. Sie find local, behag:
lich, confervativ, ironiſch, nicht allgemein, reformatoriſch,
zuͤrnend und begeiftert. Die Idee einer völligen Umge⸗
ftaftung und Wiedergeburt all unferer politifchen Ber:
hältniffe, die lebhafte Überzeugung von der ganzlichen
Verfaultheit unſerer Inſtitutionen, von der Unſittlichkeit
unſers gefammten oͤffentlichen Lebens tritt noch nicht le⸗
bendig hervor, wiewol fie fhon im Keime darin enthal:
ten iſt. Eine folhe in ſich einige, feſte und zufriedene
politifche Stimmung, wie fie in Juſtus Möfer uns noch
anweht, wäre ſchon zehn Jahre fpäter eine moraliſche
Unmoͤglichkeit getwefen, vielleicht werden wir nach voll:
brachtem Kampfe, nach voliendeter Reorganifirung unſers
Öffentlichen Lebens Leichter und beffer mit dem Grundtone
bed herrlichen Mannes ſympathifiren koͤnnen.
Schloͤzer kann unſerer Anſicht nach [hen Weniger
hierher gezählt werden, er iſt zu flach, roh und geiſtlos,
als daß er auf die tiefern Individualitaͤten im Volke viel
eingewirkt haben koͤnnte, und nur dieſe Wirkung iſt
doch eine bleibende, fruchtbringende, wahrhaft volksthuͤm⸗
liche. Seinem Muthe, ſowie ſeiner fuͤr die damaligen
Zeiten leichten und klaren Behandlungsweiſe laſſen wir
übrigens Gerechtigkeit widerfahren.
Der eigentliche Heros unferer Publiciſtik iſt unſtteitig
Fichte, natuͤrlich nicht in Beziehung auf feine rein fpecu=
lativen Arbeiten, fondern auf diejenigen feiner Werke, die
an das moralifhe Bewußtfein aller feiner Zeitgenoffen ge:
richtet find. Und auch er iſt immer nur eher ein wer:
dender, als fon ein fertiger und vollendeter Publiciſt.
Er hatte fih erft durch das ganze Miſere der Scholaftik
und des Schulgezaͤnks durchzuarbeiten, wie e6 damals im
Bildungsgange eines deutſchen Profeffors begründet war,
ehe er zu dem vollen Bewußtfein feines Berufs als Er—
weder und Leiter des Öffentlichen Lebens in Deutfchland
gelangte. Und als er mit der ganzen Kraft feines Rie⸗
ſencharakters ſich diefem Berufe gänzlich Hingeben wollte,
als er mit der ganzen Kraft feiner Liebe das ganze Vote
in feine Arme fchließen, als er die Arena bes öffentlichen
Lebens, ein Kämpfer, wie e6 wenige gegeben hat, befre-
ten wollte, raubte ihn uns der Tod. Einen entfcheiden-
den mehr directen Einfluß auf einzelne concrete Zeitfra⸗
gen bei Geftaltung unſers politifchen Lebens zu äußern,
war ihm daher nicht vergoͤnnt, aber er wird noch lange
als ein Mufter und als ein Inbegriff der weſentlichſten
Eigenfhaften uns vor Augen ſchweben, bie zu einens
deutſchen Publiciſten gehören.
Die Adam Muͤller, Johannes Muͤller, Gentz, Kotzebue,
Schlegel, die Schmalz u. ſ. w. übergehen wir hier natürlich
thells mit Mitleiden, theils mit Verachtung. Dagegen
verdienen Arndt und Niebuhr unfere Verehrung unb
publiciffifhe Anerkennung, wennfhon die Zeitverhättniffe,
die gefeffelte Preſſe und bei Legterm noch Hypochondtie und
fpecielle gelehrte Forſchung fieverhindert haben, Das zu leiften,
was fie vermöge ihrer Einficht und ihres Charakters haͤtten
teiften können. Auch Goͤrtes ift zu nennen, mwiewol er
immer mehr Lärm machte und. für den Augenblid er=
bigte, als nachhaltig erwärmte und bleibende, unzerſts c
bare Eindrüde in dem Nationalbemußtfein zuruͤckgelaſſen
bat. In neueſter Zeit treten uns noch Boͤrne, Jakob
Grimm, Dahlmann und der Frieſe Uwe Lornſen entgegen.
| Zrog feiner leidenſchaftlichen Einſeitigkeit, feines Nangeis
an hiſtoriſchen und politiihen Kenneniffen, feiner Leiche-
gläubigkeit und feiner gar zu ſpringenden, unzufammert=
hängenden Darſtellungeweiſe verdient Börne gewiß. Dem
Namen eines Publiciften und eines fehr einflußreichern
Pubticiften. Er war der Mothfchrei, der fich der gpreg-
| ten Bruſt des deuiſchen Volks endlich entrang, und Man
75
degreift Teiche, wie damals er ebenfo und nit anders
fingen konnte. Nicht die einzelnen Wahrheiten, welche
hat Ah in unferm Volle mit einem Male eine allge:
meine publiciſtiſche Thaͤtigkeit entwickelt und wenn wir
Boͤrne fagte, geben ihm feine große Bedentung — er | bis jetzt auch uͤberall nur erſt Keime ſtatt reiſer Früchte
hat wol mehr Jeriges als Wahres behauptet — ſondern
der Ton der Wahrheit, den er zuerſt ruͤckſichtslos und
ſicher wieder anſtimmte, ſtempelt ihn zum wahren Publi⸗
chen. Boͤrne mar es, der in einer ſtlaviſchen Zeit, two
auch die befjern Männer fidy nicht mehr voll umd ganz
aussufprechen wagten, wo Hofpubliciſten und boctrinaires
Profeſſocrenthum das oͤffentliche Bewußtſein des deutſchen
Volks faſt in Schlaf geredet oder an ſich ſelbſt irre ge:
macht hatten, zuerft wieder ein BBeifpiel freier Sprache
and unabhängiger Denkweiſe aufſtellte und mit der Sicherheit
eines ethiſchen Genies feiner moralifchen Entrüftung freien
Lauf lief. Sein Gegner Gervinus firebt vergeblich, ihn
in diefer natürlichen, rein aus dem Bewußtſein gefchöpf:
ten Sprache zu erreichen; bei dem ehrlichften Willen und
bei unendlich größerer Einſicht in Einzelheiten kann er
fi doch von Pedanterie nicht losmachen, und vor laus
ter todter Gelehrſamkeit kann die volle Seele des Indi⸗
vidunme, kann ein tüchtiger, einheitlicher Charakter nicht
immer fiegreih zum Durchbruche kommen. Die Anfos
derungen, welche Gervinus an den Publiciſten der Ges
genwert madıt, find die richtigen und wahren; nur ges
nügt er felbft diefen Anfoderungen nicht, woran früherer
Büdungsgang, frühere Lebensarmuch Schuld fein mögen.
Die beiden Meinen Schriften Jakob Greimm’s und
Dahlmann’s über die handverfche Angelegenheit find
ꝓubliciſtiſche Meiſterſtucke, in denen der perfönlihe Cha:
rakter über dem Dbjecte nicht verfchwindet. Erſterer wird
jedoch ſchwerlich wieder auf diefes Feld zuruͤckkehren, wo:
bin er nur durch den Drang der Umflände für den Aus
genblick gefchleudert wurde, und ob Letzterer aus den Schids
falen der legten Jahre geläutert und gekraͤftigt, in fels
am publiciflifchen Berufe beftärkt, oder ob er gebrochen,
für die Publiciſtik verloren, zum gewöhnlichen deutſchen
deifeſſor herabſinken wird, das wird bie Zeit gar bald
hen. Es iſt nicht zu verkennen, daß die Welt über
Dehlmann mandye Gewalt oder manche Verfuchung we:
aigſtens ausübt, und ſelbſt feine übrigens vortceffliche Bros
[(Züre iſt nicht frei von manchem Hinterhaͤltigen.
Die großartigfte Erfcyeinung auf dem Zelde der Publi⸗
ciſtik in neueſter Zeit ift unftreitig der Frieſe Uwe Lorn⸗
im. Ein ſittlicher Riefe, fchließe er ſich würdig unfern
größten Charakteren, einem Luther, Stein, Fichte u. ſ. w.
an. Alle diefe Dinner haben einen gewiffen Typus
miteinander gemein; es ift die flarke, urfprüngliche Seele,
die fi) mit Nothwendigkeit auf ein großes, weſentliches
Ziel richtet; es ift das edelfte, unerſchütterlichſte Walten,
wie es aus edelſtem Gemüthe und richtigem Verſtande
ensfpringt. Uwe Lornfen bat fi) in feinem Werke über
Die Unionsverfaffung Dänemarks und Schleswig. Holfteins
en Deatmal gelegt, deflen Anfhauung nicht bios den
Deutſchen nördlich der Elbe, fondern auch den Suͤddeut⸗
(den in feiner firtlichen Größe und Schönheit zugute
kaumen wird.
Seit dem Tode des vorigen Könige von Preußen
erbliden, und daneben gar vieles Unkraut, fo ift doch
nicht zu verkennen, daß der Fruͤhling eines neuen, öffent:
lichen Lebens gekommen iſt und daB fich auf dem Felde
der Literatur nach dieſer Seite hin ein allgemeines Re-
gen und Weben, ein Spriefen und Wachen zeigt, was
uns endlih auch zu allgemeinern Hoffnungen berechtigt.
Manche jüngere publiciflifhe Scheiftfteler, wie z. 3.
Nauwerck, laffen Ausgezeichnete erwarten, zu den tuͤch⸗
tigften gehört aber unſtreitig der Verf. dieſes Werks, der
Advocat Steinader in Holzminden. Eben Das, was
wir als erſtes Erfoderniß eines jeden Publicifien aufſtell⸗
ten, jene völlige Congruenz der Wiſſenſchaft und der Ges
| finnung, jenes Ineinanderverwachſenſein des fittlichen
Menden und des Schriftftellers findet ſich bei ihm in
vollfommenfter Weife. Hier ift keine leere Begriffsdeduc⸗
tion, feine todte Gelehrſamkeit, fondern ein frifches, fitt:
liches Leben weht und an und Eräftigt unfer Bewußtſein
und bereichert unfere Überzeugung.
Einen vollftändigen Auszug aus dem Werke zu ge:
ben, erlaubt theil® der Raum nicht, theils ift dee Inhalt
defielben fo gedrängt und gedankenreich, daß fih kaum
etwas Unmefentlidyeres ausfcheiden laͤßt. Wir wollen da⸗
her nur Eurz einige Punkte beſprechen.
Zuerſt fucht der Verf. die Unentbehrlichkeit des Abvo⸗
catenftandes zu beweifen und namentlich manche Vorur⸗
theile gegen benfelben zu widerlegen. Diefer Anfang iſt
unflreitig der ſchwaͤchſte, etwas langweilige Theil ber
Schrift. Man merkt dabei, daß der Verf. felbft prakti⸗
ſcher Advocat ift und daß auch er von dem Unweſen
leiſe influenzirt iſt, vermöge deffen unfere Advocaten in
Ihren Parteifchriften und Entgegnungen ſich verpflichtet
glauben, auf jeden Einwand des Gegners, fei er auch
noch fo Leer und unfinnig, ſich weitläufig einzulafien.
Übrigens gebt es faft allen unfern publiciftifchen Schrif⸗
ten fo, daß fie erft mehre Seiten hindurch etwas falba:
dern, bis fie in den Kern ber Sache eindringen und fe:
bensvoll zu arbeiten anfangen. Nur ſehr Wenige ver:
ftehen «8, gleich von vornherein mitten in den Gegenfland
bineinzufpringen. In dieſer Kunft find uns Franzoſen
und Engländer noch weit überlegen. Gobald aber der
Verf. auf die Mängel des heutigen Advocatenflandes
übergebt, fommt er fchon mehr en verve; feine Schilde⸗
sungen werden fiharf und lebendig.
Leider muß man befennen, daß eine große Menge Abvocas
ten burch den materielliten Gigennug, durch Feilheit der Gefins
nung, durch widerliche Rabulifteret, durch bersitwillige und em⸗
pörenbe Dienftfertigkeit gegen alle ungerechte, wie gerechte Zus
muthungen, durdy ekelhafte Kriecherei und Speichellederei gegen
Hoͤherſtehende, ſowie durch brutale Infotenz gegen Solche, von
welden nichts zu erwarten ift, ihren erhabenen Beruf auf eine
abſcheuliche Weife entehren; leider ift es eine Thatſache, daS in
feinem Stande (? — auch nicht bei der Geiftlichkeit?) ber buͤr⸗
gerlichen Gefellfchaft ſich fo viele niedrige, gemeine Gefinnung,
o viel Sefühllofigkeit gegen die Leiden der Menfchheit, fo viel
moralifche Unzuvertäffigkeit und ſchmudiger Egoismus findet, ale
in dem der Advocaten.
26
Sodann kommt Gteinader zu den Urſachen biefe
Verfalls. Die Regierungsmarime, bie
in den legten Saprbunberten faft hiſtoriſch geworden iſt, nad
welcher Freiheit des Willens überhaupt nur als ein Reſervat
der Staatögewalt betrachtet, den Staatsangehörigen aber von
diefer ein in die kleinſten Detalls gebender hiſtoriſcher Schut
verlieben. wirb, und nad) weicher die Staatsgewalt ſich für bes
rechtigt Hält, die ihr untergebenen Individuen um ihres eigenen
Beften willen in der Freiheit der Entfchließung und ber Ber:
fügung über ihr Eigenthum zu befchränten, —
unter dieſer empörenden, unchriftlihen Marime bat das
Verhättmig der Advocaren und ihre moralifher Zuftand
vor Allem gelitten.
Menn man das Erziehen und Regieren durch bloßes
Berbieten und Strafen bei Individuen und Völkern Uber:
haupt nur in den Bufländen der Kindheit und Roheit
uläffig finden kann, dagegen alled eblere und gebildetere
ufammenleben der Menfchen ficher auf freie Leiftungen,
auf freien Beruf und geiftigen Zrieb begelinder tft, Dinge,
die durch den Stod und dergleihen Strafen nicht befoͤr⸗
dert, fondern im eigentlichften Sinne abgetödtet werden,
fo ift es freilich völlig unbegreiflih, wie man auf einen
Stand je diefe Mafregeln hat ausdehnen können, deſſen
ganze Thätigkeit alten auf freier Geiſtigkeit und innerer
Anfttengung beruht. Was würde man dazu fagen, wenn
man den Dichter bei namhafter Geldſtrafe beföhle, im
einer beflimmten Zeit ein gutes Gedicht zu machen? Was
würde man dazu fagen, wenn die WBortrefflichkeit eis
ner Predigt nach der Menge der Zeilen und Buchſta⸗
den abgemeffen werben follte? In der Xhat, die Anwen:
bung von Scharffinn und Beredtfamkeit, die Anwendung
von Studium und Fleiß bei Abfaffung der Rechtsſchrif⸗
ten läßt fi) ebenfo wenig mit Gewalt erzwingen, wie
Rechtsſinn, Umficht, Dienfchenliebe u. f. w., und ohne biefe
Eigenfhaften ift Eeim guter Advocat denkbar. Ehre und
Freiheit find die beiden einzigen Bebingungen, unter Des
nen fie ſich entfalten Einnen, und nimmt man biefe und
fest an deren Stelle Drohung, Knechtfchaft und Unehre,
fo braucht man ſich nicht über die nothwendige Kolge der
Depravation zu wundern. Dadurch aber, daß die Staats:
gewalt vorzugsweife den Abvocaten als Beutelfchneiber und
Betruͤger überwachen zu muͤſſen glaubte, hat fie nicht nur
die edlern und freien Beſtrebungen unterdrüdt, fondern
fie hat ihn recht eigentlih zum Kampfe mit dem Ge:
fege und zuc Umgehung defjelben inftigirt, fodaß eben jene
Beutelfchneiderei u. ſ. w. erſt recht hervorgerufen find.
So wiederholt fi auch hier das Geſetz in der moralis
ſchen Weltordnung, daß falfhe Mittel eben das Gegens
theil von Dem erzeugen, was fie hervorbringen wollen.
Steinader zeigt auf fchlagende Weife, wie 3. B. durch
das Ausfchliefen der Advocaten von gerichtlichen Verbands
Nlungen bei Bagatellfachen, bei Ablöfungen und Gemeinde:
theilungen u. f. w. diefe nun eben die heimlichen Zuflüfterer
und Rathgeber werben, die nun jeder Controle enthoben find.
Er zeigt, wie jene Überwachung der Advocaten, vermöge
ber ihre Leiftungen nach Zeile und Buchſtaben berechnet
werden, eben zu unendliher Weitläufigkeit, Oberflächlich:
keit u. ſ. w. verführt hat. Er zeigt ferner, wie in Preus | b
Berantwortliher Deraubgebir: Heinrich Broddaus — Druck und Verlag von F. X. Brodbaus in geipzig. |
Sen, einem Staate, wo ber Adrocat noch unchrenvoller
geſtellt iſt als in andern Ländern, eben bie Verpflichtung
der Juſtizcommiſſaire, über ihre ‚vertraulichen Verhandtuns
gen und mit ben Glienten Protokolle aufzunehmen und
felbe ben Richtern zur Einfihe zu geſtatten, dieſe zur
abfichtlichen Verfaͤlſchung derfelben zwingt. Er weiſt
nach, wie die Abhängigkeit des Advocaten vom Nichter,
zumal vom Unterrichter, denſelben nothwendig kriechend
und ſervil machen muß u. ſ. w. Um das ganze Elend
unſers deutſchen Advscatenwelens in einem Bilde recht
sufammsengefoßt zu fehen und um zugleich bie Gruͤnde
und Motive deutlich zu erkennen, weshalb es fo gewors
den fei und fo werden mußte, nehme man das Buch
ſelbſt zut Hand. Wir wollen bier nur noch kur Stein
acker's Vorſchlaͤge zur Abhilfe andeuten.
Diefe beziehen. ſich faft ſaͤmmtlich auf Hebung bes
Öffentlichen Bewußtſeins und des Rechtsfinnes im Volke
überhaupt. Steinader bat volllommen recht, wenn er
ben Advocaten nicht als ifolirte Erſcheinung betrachtet,
ſondern feinen ſittlichen Zuſtand mit dem ſittlichen Zus
ſtande des ganzen Volks in Zuſammenhang fegt. Auch
bei jedem andern Stande ließen ſich die moraliſchen
Krankheiten nachweiſen, bie ſich duch das Syſtem der
Unfteiheit entwickelt haben. Jeder Stand, alſo auch der
des Advocaten, ſteht mit dem ganzen Volke in engſter
Wechſelwirkung. Was ben Zuſtand des einen hebt, hebt
ben des andern. Ohne Rechtsſinn im Volke Erin Rechts:
finn beim Advocaten und fo umgekehrt.
(Der Beſchluß folgt.)
Br ee a
or kurzem ift beim frangäfifchen Miniſterium bes Unter:
richts ein ausführlicher Bericht des bekannten Reifenden Ziffter,
der auf Koften dev franzöflfchen Regierung Kieinafien bereift,
eingelaufen. Wie es fcheint, darf man ſich von biefer wiffene
ſchaftlichen Expedition, die beſonders die Tempelruinen zu
Magneſia zu beruͤckſichtigen hat, bedeutende ardyäoloaifhe Ente
deckungen verfprechen. Der gegenwärtige Minifter des öffentlichen
Unterrichts wendet feit einiger Seit den wiffenfhaftiihen
Entdetungsreifen eine befondere Aufmerkſamkeit zu. Er if
beſonders glüdtik in der Wahl der Gelehrten, denen er foldhe
umfaffende Unterſuchungen aufträgt. So verdient die Sendung
eines jungen Drientaliften, Charles d'Ochoa, der in biefen Zas
gen von Paris abreift, befondere Billigung. Derfelbe begibt
fih nad) Gentrafafien und wird namentich die nordweftllih von
Hindoſtan gelegenen Länder burchforfchen.
Dr. von Avezac, Mitglied der Geographiſchen Geſellfcha
zu Paris, hat dem frangdfifchen Miniſter des Kriegs eine ee
intereffante Abhandlung überreicht, in der er das Syftem der ſo⸗
genannten Römerftraßen Im alten Numidien und Nauritanien
auseinanderfegt. Er nimmt dabei befonders Rüdfiht auf das
Verhaͤltniß derſelben zur gegenwaͤrtigen Beſetzung dieſer Gegen
den. Dieſe wichtigen Straßen werden, ſo weit man bie jest
ihre Spuren bat auffinden koͤnnen, in drei verſchiedene Arten
eingetheilt. Zur erſten gehören eine ununterbrochene Linie, bie
am Meere entlang läuft, und mehre directe Verbindungen Ger=
ſchiedener Seeftädte. Das zweite Syſtem ift eine Straße, Die
ſich parallel mit der zuerft erwähnten giebt, bie fi) aber aa
Dften zu in verfchiedene Beitentinien verzweigt. Die dritte Axt
bilden bie verfchiebenen kleinern Straßen, welche bie beiden
groben Hauptwege untereinander an verfchiebenen Stellen Ber:
inden.
Blätter
für
Sreitag,
—— KR. 20. ——
literarifhe Unterhaltung.
20. Sanuar 1843.
Die Aufgabe des Advocatenftandee.
Beſchluß aus Nr. 19.)
Steinacker's Vorſchlaͤge find folgende: 1) Einfuͤh⸗
rung neuer buͤrgerlicher und peinlicher Geſetzbuͤcher, mo «6
daran fehlt.
Sch das Recht wieder populair werden, foll ein Eräftiges
efühl, weldyes andere Völker, namentlich das englifche,
fo ſehr auspeichnet und hoch hebt, bei uns wieder einkehren, fo
wirb Jeber zugeben, daß das bei dem jehigen Stande unferer
Zurtäpruden, und der Gigentbümtidhleit ihrer Quellen eine
reine Unmdglihtett ik. Freilich würde es abgeſchmackt fein zu
fodern, daß alle Staattangehoͤrigen eine vollftändige, bis in bie
kleinſten Ginzeifeiten beingende und genugende Kechtskenntniß
haben müßten, und zu glauben, daß fidy ein ſolcher Zuſtand ber
allgemeinen jrriſtiſchen Bilbung durch neue Rechtsbuͤcher erreis
dien liche, was natürlich nur bei einer dem robeflen Culturzu⸗
ande entſprechenden Einfachheit (und auch da nicht; die größere
Sinfachbeit wird durch die mangelhafte Bildung, durch die Nichts
entwidelung ber Kechtsſeele wieber aufgehoben. Das Recht der
Diaheiter oder der Kaffern iſt für diefe gewiß noch fobiflinifcher
und ſchwankender wie das unferige für uns) des Rechtsſyſtems
ber bei einer allfeitigen gründtich wiſſenſchaftlichen Erlernung
deſſelben möglich wäre; dahin aber fann und wirb man das
decch gelangen, daß wir ein Recht erhalten, welches ber Auss
we unferer wahren felbfigefühlten Bebürfniffe iſt; ein Recht,
wies in feiner andern Sprache redet als in der vaterlaͤndi⸗
‚, defien Quellen auch den Laien menigftens zugänglich find
mb deſſen Entſcheidungen das Volk nicht ale Drakelfprüche bes
kodten muß, deren siffenfchaftlidde Nothwenbigkeit ihm ebenſo
vis begreiflich iſt als die infpiriende Kraft des Dpferrauds
L
Ref. geſteht, daß dieſes faft die einzige Anficht Im
ik, die er nicht als feine eigene Überzeugung un:
tfhreiben kann. Steinacker deutet ſelbſt an, daß wir
fon ſolche neue bürgerliche und peinliche Geſetzbuͤcher
in verſchiedenen deutſchen Staaten haben, wie er verlangt.
Vehlan, entfprechen diefe denn feinen Foderungen? Ha:
"be fie die Wirkungen hervorgebracht, die er ihnen zu:
Maris? I z. B. durch das Preußiſche Landrecht das Recht
beim Velke populairer geworden? Iſt es wirklich das Pro:
duct der eigenthuͤmlichen Anſichten und der wahren, ſelbſt⸗
gefaͤhlten Beduͤrfniſſe des preußiſchen Dolls? Schwerlich
wird er das im Ernſte behaupten koͤnnen. Wenn wir
au damit übereinflimmen, daß wir nach einem folchen
Sefepbuche, wie es ber Berf. wuͤnſcht, ale nach einem
ihten Ziefe zu fireben haben, wenn wir auch der Übers
jengung find, daß dieſes Ziel zu erreichen fei, fo glauben
wir doch nicht, daß ein ſolches Geſetzbuch fo ohne Wels
teres zu machen fei, felbft dann nicht, wenn die beften
juriftifchen Kräfte zu diefer Arbeit fich vereinigten. Soll
das Geſetzbuch wirklich Ausdruck unferer Sinnesweife und
unferer wahren, feibfigefühlten Beduͤrfniſſe fein, fo muͤſſen
diefe ſich erſt in einem Öffentlichen und freien Leben ents
widelt und Mar berausgeflellt haben. In unferm jetzi⸗
gen Zuſtande fpredhen wir allerdings unferm Wolfe mit
dem Juftizminifter von Savigny den Beruf zu einer alls
gemeinen, erfchöpfenden Geſetzgebung ab; aber wir weis
hen darin von der Anſicht dieſes gelehrten Herrn aufs
entfchiedenfte ab, daß wir nice wie er diefen Beruf volls .
fländig und abfolut Ieugnen. Wir halten den Beruf
unferee Zelt zur gänzlihen Umgeftaltung unferer Geſetze
für ganz unzweifelhaft und glauben, daß ein Innerfles,
unabweisliches, gefeugeberifche® Streben eben der Grunds
charakter derſelben if. Freilich aber muß biefes Streben
mit der Entwickelung unſers ganzen Öffentlichen und fos
cialen Lebens Hand in Hand geben; die einzelnen Ma»
terlalien zu dem Llnftigen Geſetzbuche muͤſſen fich durch
unfere nächfte Geſchichte erſt berausftellen, das Lebendige
muß fi erft von dem Todten erkennbar ſcheiden, ehe
wir es zufammenftellen und ordnen können. Es iſt auf:
fallend, daß Steinacker, der fonft den engen Zuſammen⸗
bang unſers Rechtszuſtandes mit unferm ganzen oͤffent⸗
lichen Leben zugeftcht und der ausdruͤcklich 5. B. das oͤf⸗
fentlihe Berfahren ohne freie Preffe und diefe wieder
ohne Repräfentativregierung für unmöglich erklärt, wie
er eben die Bildung eines allgemeinen Geſetzbuches nicht
auch von allgemeiner Öffentlichkeit in jeder Beziehung,
von einer völligen Smancipation des Volklebens von dem
Spfteme der Heimlichkeit, Unfreibeit und Bevormundung
abhängig macht. Könnten wir fhon ein genügendes Geſetz⸗
buch erzeugen, fo wären wie ſchon frei und Alles, was
wir noch zu erftreben haben, wäre ſchon ba.
2) Noch viel wichtiger aber für die Sicherſtellung bes
Rechtezuftandes und dabei von unmittelbar entfcheidenberm Ein⸗
fluffe auf die Stellung bes Advocaten iſt die Ginführung einer
dffentiihen und mündlichen Rechtspflege.
Auf eine flegreihe und ganz evidente Meile zeigt
Steinader bier, wie eben Öffentlichkeit und Muͤndlichkeit
die erſte, nothwendige Bedingung fei, um den in Geiſt⸗
loſigkeit, Erſchlaffung und moralifchen Tod verſunkenen
[4
Stand der: Advocaten aufs neue zu beleben, zu neuer
moralifcher Anftrengung, zur Entwidelung von Eifer und
Geift anzureigen. Den Vorwurf, dag mlndlihes Verfah⸗
ren Oberflächlichkeit der Debatte und des Richterſpruchs
befdedere, wendet er auf’ das heutige heimliche Verfahren
in den Acten aufs gluͤcklichſte zurüd. Es if in ber
That unbegreiflich, wie man nicht einfehen kann, daß bei
einer Öffentlichen Controle des ganzen Volks, bei Trieb⸗
federn, die alle eblern Neigungen des Menfchen in Ans»
fpruch nehmen,. Ruhm, Hochachtung feinee Mitbürger,
Furcht vor allgemeiner Schande u. f. w., fih nicht alle
Mechtsträfte, die nur überhaupt in den Individuen des
Advocaten⸗ und Richterſtandes Liegen, aufs voliftändigfte
entwideln müffen. Unbegreifli iſt es, wie man glau⸗
ben tahn, daB Parteien und Volk fih auf die Länge
dur unmiffende Schwäger und Phraſenmacher an ber
Male herumführen laffen würden. Dagegen läßt ſich
ohne Unbilligkeit behaupten, dab der Sünden ber Nach⸗
laͤſſigkeit, der Unwiſſenheit, der Chikane und Lüge, welche
adjährlih in den Acten begraben werben, unzählige find.
Es laͤßt ſich ohne Unbilligkeit behaupten, daß die meiſten
unferer Advocaten und Richter moralifh und wiffenfhaft:
lich an dem heimlichen fchriftlichen Verfahren zu Grunde
geben, und baß ſelbſt die Ausgezeichnetern unser ihnen
nie die Stufe der Ausbildung und Vollendung erreichen,
auf welche fie durch die Triebkraft der Öffentlichkeit gehoben
werden würden. An den Berryer und Hennequin, den
Brougham und D’Connell wird es une fo lange feb:
ien, als wir unfer Gerichtsverfahren nicht auf eine na⸗
tuͤrlichere, dem moralifchen Weſen der Menſchen ange:
meffenere Weiſe einrichten. Sowie jede Pflanze ohne
Liche verfünmert, fo muß jede Öffentliche Einrichtung,
bie außer Contact gefegt wird mit der öffentlichen Mei:
aung, auf die Länge verkruͤppeln und vergehen. Das iſt
ein fo unzweifelhaftes, göttliches Geſetz, als Überhaupt
nur irgend eines von und Menfchen etkannt werden
kann. Aber freilich, unfere Machthaber, die ſtets Reli»
gion im Munde führen, find zu verbildet, ihr Blick iſt
durch Hochmuth zu fehr getrübt, als daß fie in Demuth
den einfachen Willen Gottes erkennen koͤnnten.
Steinader ift übrigens der Anficht, daß fo lange für
Einführung des Öffentlichen Serichtöverfahrene Beine Aus:
Acht vorhanden, als bis uͤberhaupt das conftitutionnelle
Spftem in Deutfchland volllommen zum Durchbruche ge:
kommen und eine Wahrheit geworden fe. Allerdings
find Öffentliches Gerichtsverfahren, freie Preffe und auf:
richtige Mepräfentativeegierung organifche Glieder eines
Spftems, die fich gegenfeitig bedingen und welche — bei
heutigen Culturzuſtaͤnden — nicht ohne einander beftchen
Zönnn. Dennoch flimmen mir mit Steinader nicht
ganz überein, wenn er als einziges Mittel zur Erlangung
des öffentlichen Verfahrens feinen Amtsbrüdern die Er⸗
singung einer wahren Gonftitution bezeihnet. Man kann
gewiß ebenfo gut die Sache umdrehen und Einführung
des öffentlichen Verfahrens als Borläufer conflitutionnel:
ler Berfaffungen betrachten. Ein vollendetes, gänzlich
ausgebildetes Syſtem [pringt überhaupt nicht mit einem
‚lität u. ſ. w. gebunden.
heimliche Gerichtsverfahren reichen unſere Kraͤfte vielleicht
28
Male in die Wicktichkele hinein; noch weniger laͤßt ſich
annehmen, daß unfere Machthaber mit einem Dale uns
damit beſchenken werden. Was ber eigentlich fogenannte
logiſche Bang fei, ob wir erſt freie Preffe, oder erſt Ver⸗
faffung u. f. w. haben müßten, iſt eine ziemlich muͤßige
Unterſuchung. Das Leben bindet ſich nicht an biefe Res
geln, die der Menſch in feiner Kurzſichtigkeit fo gern auf:
ſtellt. In feinem Schaffen nimmt «6 fi allerlei Frei⸗
beiten, bald fängt es von oben an, bald in der Mitte,
bald unten. Uns bleibt nichts Anderes übrig, ale es
anfmerkfam zu beachten und jeden Keim, jeden Moment
zu benugen, mo wir Öelegenheit haben zu Handeln. Wenn
wir überhaupt wiffen, daß das Eine das Andere bedingt
und daß aus dem Einen das Andere fi entwideln muß,
fo dürfen wir nicht eigenfinnig unfern felbft ausgedachten
Operationsplan verfolgen, fondern müffen und dem Plane
anfchließen, den uns Leben und Geſchichte zeigen. Ganz
gewiß ift ein der Idee genügendes Öffentliches Verfahren
heutzutage ohne freie Preffe und ohne conflitutionnelle Ver⸗
faffungen nicht denkbar. Ebenſo wenig aber auch eine
wirklich lebendige Verfaffung ohne oͤffentliches Verfahren.
Wenn wir uns daher nicht In einem unfruchtbaren Cir⸗
kel herumdrehen und ewig warten wollen, bis alle unfere
logiſchen Borausfegungen in Erfüllung geben, fo bleibt
nichts übrig als auf irgend einem Punkte der Peripherie
vorläufig Pofto zu faffen, und fei er auch noch klein und
unbedeutend, uns hier feftzuftellen und von dort aus an
Vollendung des ganzen Kreifes zu arbeiten. Diefen.
Punkt können wir uns aber nicht wählen, fondern ber
Moment führt ihn uns zu. Wenn wir Steinader recht -
verflanden haben, fo würde er 3. B. vielleicht die Des
mühungen der würtembergifchen und ſaͤchſiſchen Kammer
um Einführung des öffentlichen Verfahrens als unzwed:
mäßig betrachten und dagegen mehr allgemeine auf Die
Berfaffung Deutſchlands Bezug habende Fragen zur Ent-
fheldung zu beingen wünfhen. Wir halten biefe Anficht
für irrig; und iſt es einerlei, auf welche Weiſe zuerft
Brefche in die feindliche Feſtung gefchoffen wird oder wo
man Sturmleitern anfegt; uns iſt der nächfte, gelegenfle
Puntt der liebfie. Manche Operation wäre vieleicht ent⸗
fheidend , aber man iſt an feine Truppen, an Loca⸗
Für einen Feldzug gegen das
eben bin; für einen Feldzug, der den Feind aus allen
feinen Pofitionen mit einem Male herauswürfe und ihn
gänzlich zernichtete, möchten wir derweilen noch zu ſchwach
fein. | 8. von Florencourt.
Beitrag zur Charakteriſtik Karls V.
Der Charakter Karl's V., des Fürften, welcher an der
Drenje des Mittelaiters und ber modernen Weit ſteht und, auf
die höchften Gipfel des Lebens geftelt, am meiften allen Stroͤ⸗
mungen bes beranbrechenden Morgens ausgefegt war, ohne daß
er in feiner Stellung allen Folge leiften konnte, bes Fuͤrften,
auf welchem die Augen ciner alteh und einer neuen Welt beob⸗
achtend zuhten, ohne daß er der einen ober der andern zu ge:
nügen vermochte, hat von jeher bei den Hiſtorikern für ein
Problem gegolten und zu mandem Zwieſpalt der Meinungen
Gier einen Beitrag zur Sharafterifit Karl’s V.
70
Beranlafſung gegeben. Bekannt find unter ben Neuern tie
Urtheite Raumer's und Ranke's über ihn, des Grftern in bem
erften Bande feiner „Geſchichte Europas feit dem Gnde des 16.
Jahrhunderts“, des Zweiten im erſten Bande der „Zürften und
Sdiker von Suͤdeuropa im 16. und 17. Jahrhundert”, bride zus
gleich bezeichnend für die gefammte Auffaffungs : und Darflellungs:
weile diefer Gefchichtfchreiber. *) Raumer ftellt bie Ausfagen von
Zeitgenoffen nebeneinander und überläßt es bem Lefer, biefe in
Übereinflimmung zu bringen und in Einem Bilde zu ver
theilen; ante fucht mit feiner kundigen Hand bie einzel
nen überlieferten Züge in einem feinen Portrait zu dereinigen,
freilich nicht immer mit Entfchiebenheit der Farben. Wei ben
Urtheilen der ZBeitgenoffen über den Kaifer müffen wir haupt⸗
ſaͤchtich den Geſichtspunkt innehatten, wie biefelben durch ihre
verſchiedene Nationalität dieſem gegenüberflanden. Für uns
Deutſche müffen natürlich die Urtheile gleichzeitiger beutfcher
Schriftſteller am bedeutendften erfcheinen. Ranke gewinnt aus
diefen das Refultat: „Was hatte er, um ben Deutfchen zu ge:
fallen? Seine Natur war nicht fähig, ſich zu jener treuherzi⸗
gen Offenheit zu entwideln, welche unfere Nation an ausgezeich⸗
neten und hochgeſtellten Menſchen zu allererft anerkennt, Liebt
und verehrt.” Edenſo: „Während die Italiener feine Einfach⸗
heit preifen, wenn er unter einem glänzenden und reichgekleide⸗
ten Gefolge felber in einem unſcheinbaren Mantel in ihre Städte
einritt, fanden die Deutfhen auch an foldhen Dingen etwas
auszfegen u. |. w.“
Hauptfähli in Beziehung auf dieſe Zußerungen laſſe An;
gen,
welchem Har wird, daß ihnen wenigflens feine unbedingte
Wahrheit zuzuſchreiben if, und daß es allerdings auch Deutfche
gab, welchen bie Berabtaffung und Freundlichkeit ihres maͤchti⸗
gen Kaifers ans Herz ging und ein Gefuͤhl ber Ruͤhrung ber:
vorrief, weldyen die Einfachheit, ſogar Armiichkeit feiner Klei⸗
. dung wol auffiel, aber fie durchaus nicht zu haͤmiſchen Bemer⸗
Pungen veranlafte. Es ift dies eine Stelle der handfchriftiichen
Shronif von Schwäbifch: Hall, welche ber Pfarrer Johannes
Herold hinterlaffen bat und welche häufig wegen bes in Georgii
„uffenhe imifchen Nebenftunden” (S. 149 — 174) abgedruckten
Bruchftuͤcks, den Bauerntrieg, hauptſaͤchtich in Franken und
Schwaben, betreffend, citirt wird. Auf S. 276— 281 bes
Erempltars, welches tem Ref. vorliegt und eine durch den
Schulmeiſter Matthaͤus Juͤngling im 3. 1623 gemachte Abs
ſchrift iſt, wird über den „Kaiſerlichen Ginritt” in Hall bes
tet. Karl V. hatte naͤmlich am Anfang des Januars 1541
Belgien verlaffen (am 24. Februar 1540 war er, nad dem
mertwärbigen Befudye bei König Franz in Paris, in dem uns
rufigen Gent angelommen) und begab fi nach Regensburg,
webin Granvella am 15. Januar, nach erhaltenen Briefen
vom Kaifer, die der Religion megen zu Worms verfammelten
Abgeordneten der deutfchen Fürften geladen hatte. Kari kam
auf feiner Reife dur Metz, durch Speier und berührte von
da auf ber Weiterreife u. a. denn au Ball. Auch nach Ruͤrn⸗
berg gelangte er auf ber fernern Fahrt, wo er bisher noch nie⸗
meld efen war, und wurde, wie Sieidan erwähnt, in ber
alt Uch⸗ prächtigen Stadt mit dem größten Gepränge aufı
genommen. ”*)
unmittelbare Bedeutung hat der bier mitzutheilende Bericht
“, Ref. wi hiermit keineswegs dad Urtheil unterſchreiben,
weieh in den „Deutſchen Jahrbüchern“ (1A, Mai, Ne. 10 — 110)
äber Ve Auffoffung und Darftelung ber genannten Hiſtoriker ein
Ungenanater in bem Auffase „Die berliner Hiſtoriker“ fällt, Die
Sarbe der Partei ſchlaͤgt in demſelben ſtark vor; doch bat es auch,
Bei aller Hochachtung für jene beiden Männer ſei's gefagt, an wah⸗
zen und treffenden Bemerkungen keineswegs Mangel.
») Bjelden. de stata rel. et reipubl. (Argent. 1561, ©. 281.)
Der Kaiſer kam nach vollbrachter Reiſe einige Zeit vor den Fuͤrſten
ser deren Abgeſandten in Hegendburg an und erwartete dieſe, deren
Rehrzahl im März eintraf,
von dem Ginritt Kara V. in Hall allerdings nicht. An fols
Gen Beſchreibungen der Empfangsfeierlichfeiten hoher Haͤupter
baben unfere Archive, gedruckt und handſchriftlich, haufig fogar
in Berfe gebracht, Überfluß; auch in den Ghronifen am Sch!
des Mittelalters und fpäterbin, vornehmlich in ben Staͤdtechro⸗
niten, nehmen jene eine bedeutende Stelle ein. Ja, wir befigen
fogar, wie befannt, eigene, prächtig ausgeſtattete Bücher, welche
einzig ſolche und aͤhnliche Feſtlichkeiten *) zum Gegenftande ha⸗
ben. Unſere Befchreibung .von dem kaiferlichen Eintritt in Hall
nimmt ihr Intereffe allein von der Individualität des Kaifers,
und ba unſtreitig einige für dieſe bezeichnende Züge aus dem
naid« breiten Gerede ſtaͤdtiſcher Gitelkeit hervortreten, fo möge
fie immerhin in getreuer Abſchrift bier folgen.
„Anno Dani 1541: am 11. tag des Hornungs, welcher
war ber Freytag dor der verbobtenen Zeit ( Faften), iſt Kayßer
Garll der Fuͤnnfft, ein geborner Ertzhertzog auß Öfterreih, Kb
nig Inn Hyſpania, zu Hall eingeritten mit 400 Pferbten, einem
felgamen geſindt; findt die vonn Hall mit 49 Pferbten entgegen
geritten, dennen hat man ſchwartze muͤtlen (prov. Jacken, Burze
Koͤcke) gemadt, ann dem einen ermel gelb vnd rodt ſeyden
eingenaͤhet. mit dieſen pferdten iſt Conradt Buͤſchler, Alter
Stadtmeiſter, Mardtern Wurtelman, Stadtſchreiber, Chryſtoph
Daß, gang Schwartz, als die Laid tragen, geritten, Kap:
Mayt: Zugefallen,, dieweil fie Laydt vmb ir gemahl trugen. **)
Dißen Dreyen find Philipps Buͤſchler vnnd Eßel Sprenger,
vnnd Jedem ein Schienbub, alß Hauptleudten mit ſchoͤnnen
derbuͤſchen woll heraußgeſtrichen, nachgeritten. Diße alle find
gen Weſternach zu dem Lanndhauß geritten, zu der euͤßern
wehren; alſo find die Drey, der Städtmeifter, Stadtſchreiber
vnnd Ghriftoph Haß vonn denn pferbten geftiegen, zu dem Drid⸗
tenmabı ſich genaiget, ba hat Kay. May. ſtyll gehalten, bat
der Stadtfchreiber fein Mayt. Lateinnifch empfangen, vnnd denn
ſchluͤßel zu dem Lanndthurm vbergeben, mit Anzaigung wie
dieße Lanndſchafft mit grund vnnd boden fein fey, auch geböbten
zu uerordnen, wo fie reidten follen. nachdem aber die vonn
Dal Kay. Mayt. empfangen, teungen die vonn Hohenlohe fort
(drangen vor — in Streit und Ciferſucht mit ‚Hall begriffen ),
dann fie Kay. Mayt. audy begieibten; darauf Kay Mayt. ver
ordnet, das Die vonn Hall allernechft vor Ime fein geritten,
biß gen Hal zu bem Gelbingen thor. vor bemfelben ift geftan:
ben Michael Schletz, Städtmeifter, mit anndern bes Ratbs, bat
Kay. Mayt. Zeutih empfangen. Darnach haben zwen Alte
männer des Güßern Raths Kay. Mayt. die Schlüßel vderant⸗
worbtet zu der Stadt, bat Kay. Mayt. dem Städtmeifter die
Haund gebodten, vnnd bie Schlüßel wibergeben. als bald ſich
vier gefunden, darzu verorbnet, Inn Mardtern Schauben
( Marder: Schauben — Schaube: Mantel, Überwurf; — franz.
jupe), Zwen des Innern, vnnd Zwen des Euͤßern Raths, ba;
ben ein fchwargen Damaftin Himmel gehabt, darann ein guͤl⸗
bener Abler gemahlet, denn vber ben Kayßer geworffen; darun⸗
ber fein Kay. Mayt. eingeritten. ***) viel Zromedter, bie doch
) as ſich der Glanz ber Höfe unter Ludwig XIV. auf das
hoͤchſte Heigerte, mußte aud darauf gefonnen werden, für fie eine .
bitorifhe Literatur zu gründen; und Feſte find belanntlich bie Tha⸗
ten und Greigniffe der Höfe.
») Iſabella, Tochter bed Königs Emanuel von Portugal, dem
Kaifer vorm. 1596, fi. Mai 1530, Sleidau, ©. Mi Die Trauer
des Kaiſers dauerte demnach lange.
»ee) Gin beſonders feierliher Gmpfang war u. a. dem Kaiſer
am 15. Juni 1890 zu Augsburg bei feinem Binzuge zum Reichttag
geworben. Die Kurfürften kamen ihm vor ber Stadt zu Fuß ents
gegen u. f. wm. Auch bier ein Thronhimmel m. dergi. m. Secken-
derf. comment. de Luthoran., EI, 108; vergl. au Raumer, 1, 486.
Bemertendwertd iſt, daB bei dieſem Einzuge fi ſchon protefians
tifde Stimmen regten, indens nämlid die Kurfürflen nicht wollten,
daß der päpftlihe Legat, Garbinal Gampeggio, neben dem Kaifer
zeite, wie er es beim Ginzuge in Dünen gethan. Andere Darts
naͤckigkeit in Äußerlichleiten bei Raumer a. a. D.
nit geblaßen , ſindt vorher geritten, vnnd fein Herolbt denn
en Adler vnnd ſchwert vor her gefäbent. Kay. dent. iſt
dar ſchlecht in einem fihmargen Mod vnnd Fuͤlthuet geritten,
fein Seyden noch gold, außgenommen das güldin Lamblein (gol⸗
dene Vließ), ann Im gebabt. mann bat bie Drey großen
oden gelidten; es findt aber die SO mann in voller Stüflung
ehr woll gebugt vnnder bem Thor geftanden. Kay. Mayt. ift
An Hermans Buͤſchlers Hauß eingeritten, alba ober nacht ge
‚, da bat mann Ihme etlich gölbten mit heut vnnd Kars
ofen *) für das Lofamendt getragen, zwen wägen mit habern,
ein wagen mit wein darfür geführt, vonnb Kay. Mapt. ann
dem Fenſter liegent bat folches feiber gefehen. ferner hat ein
@. Rath Kay. Mayt. ein gant güldene Schnuͤren **) voller
gold verehret, darauf fein Mapt. ſich erbobten, er woll Ihnen
ein gnaͤdiger Herr fein, vnnd fie follen ſich alles gutö zu Ihme
verfehen. ***) Des anndern tags bat Kan. Moyt. denn Staͤdt⸗
meifter beſchickt onnb befoblen, follen vmb Ayıff Shr uff
denn Platz khommen, vnnd Ihme wegen bes Reiche hulden vnnd
ſchweren. Da beforgt fi ein gemeine Stadt, mann wurde
Ihnen ber Religion balber etwas ein Aydt zumuthen. Dann
Kay. Mayt. hatte kuͤrtzlich zuuor Inn feinen Erb Länndern
ein bäfftiges Godict (Edict) wider die Guangelifchen vnnd Eur
theriſchen, Zwingliſchen vnnd wibertauffer lagen aufgehen, vnnd
Ihre Buͤcher, in truck außgangen, zu uerbrennen beſohlen +),
auch alle fo dißer Gecten einer annhang (en) vnnd nit wibers
suffen wollten, zu Todten. bat doch Bott ber Herr, der bed
Königs berg in feiner handt hat, gnad geben, bas Deren ſachen
nie gedacht, wiewoll etlich Babiſten gen Hall geloffen, mit fros
loden, vermeint, Johanni Brengen, dem Pfarr Derren, onnd
anndern bie Köpff abfchlagen zu fehen. als nun ein E. Rath
mit fampt ber gangen Burgerſchafft off denn Piag khommen,
bat man Zwey fenfter in des Buͤſchlers hauß in der Stuben
außgebebt, ann weichem einen Kay. Mayt., am annbdern ber
Teutſche Sangler, der Herr vonn Nabiß ++) geftanden. alß aber
>) Bielleicht Gülten oder Gilten, Iribut oder Gteuer in Ras
turalien, weile die Reichtſtadt dem Kalfer als Reichſoberhaupt
nah altem Herkommen zu entrichten ſchuldig warf Wachter's
Glossarium (Lipe. 1737): gild giban, kalsaragiid etc.
*, Wahrſcheinlich Becher oder eln aͤhnliches Gefäß von dem
mittelhochdeutfchen sohower, scheuer, welches diefe Bedeutung hat, zus
fammenhängend mit sehuren, bebeden , firmen.
se=) Der Rath zu Dal ſchien zu wiffen, wie er fi den Kalfer vers
pflicht en konnte, der, wie Rante fagt, „nicht eben immerfort Geid Hatte.
+) Bergi. Raum a. a D. ©. 288, 498.
++) Iobann Naves Johannes Navius bei Sleidan) aud Eurems
burg hatte die Stelle des Kanzler Held eingenommen. weldyen ber
Kanzler NR. Granvella verdrängte und vom ODof entfernte (Slei⸗
dan, 208), angeblih feiner großen Deftigkeit wegen. — SBleidan,
210: „Brat id temperis Vesoutione Granvelleuus, quod est in Se-
quanis oppidum, unde geuns et originem duccbet, quamgue disten-
tus occupatiouibus ad diem adesso mom posset (Wormaciae), scrip-
tie literis Mogunatisum rellguosgue principes colloquio designates,
altera die Novembris Joaunem Navium Lucemburgium praemittit,
qui meram ezeuset et desiderium ipels Jenist. Portquam enim,
nata simultate, sicut ante disimas, Matblam Heldam eliserat,
kuno, velut magin obsequentem suls meribus, ascivit In ejusgne
locum substituis ete.“ Naves hatte fi hier alſo vermutblih, von
Worms abgereift, In Speler oder einem andern naden Orte dem
Kaifer angefhloffen und fegte mit diefem ben Bug zum Reichstage
nah Regensburg fort. Er flarb im I. 15475 Georg Seld, Iotus,
wurde an feiner Gtatt Vicekanzler. Sleidan 335. Granvella db.
®. überlebte ibn um drei Sabre und flarb 1850, nachdem er totes
nuno annos viginti sammum digaitztis loeum innegehabt Hatte und
solus fere ooneillorum Caeuaris et arcanae mentis conscias geweſen
war. Bein Sohn Antonio (geb. 1517), Biſchof von Arrad, dem
Kaifer ſehr vertraut und in Abmwefenbeit feined Vaters ſchon früher
prooiforif® mit der Leitung der oberfien Reichdangelegenheiten be:
auftragt,, folgte ibm im Amte und führte fein Werk weiter.
dem, fo das (ter) feniter eins außhub, zu ſchwer wollte wer⸗
den, bat Kay. Mapt. felber mit der einen hannd angrieffen,
damit das fenfler Ime nit empflelle. Diße Demuth bat menigs
lich wohlgefallen. Der Aydt, fo ein E. Rath vnnd ganke ge .
mein dem Kayßer getdan ift dißer: wir hulden vnnd fchweren
euch, dem aller Durchleuchtigſten, Großmechtigſten Kürften onnd
Herren, Garolo Vnnſerm aller Gnaͤdigſten vnnd Reichs Herren
getrew vnnd gehorfam zu fein, Ew. Kay. Mayt. vnnd des Hey⸗
ligen Roͤmiſchen Reiche Frommen zum beften zu werben, auch
ſchaden zu bewahren, vnnd alles bad zuthun, das getrewe vnnd
gehorfame vnnderthannen Ihren Rechten Herren, alß Rönifchen
Kayßer, onnd dem Roͤmiſchen Keich ſchuldig vnnd pflichtig zu
thun ſein, getrewlich ohnne alle geuerde (Gefaͤhrde), alſo heiff
VBVnnß Bott. — Alß aber dißer Aydt verleßen, bat ſich ber
Stadtſchreiber vonn wegen des RAaths vnnd gantzer Stadt bes
willigt (hat im Namen des Rathe und der Stadt eingewilligt),
denn zu thun; alſo haben fie geſchworen. nach gethannen Aydt
iſt Kay. Mayt. vonn ſtund an vfgeſeßen, hat vor dem hauß
dem Staͤdtmeiſter vnnd etlichen des Raths die Handt gebodten,
vnnd vff Creyltzheim zugeritten.“ 19.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Ein junger Orientatift, Namens Eduard Biot, hat vor
furgem ein Wert herausgegeben, das für das Stubium ber chi⸗
nefifhen Geſchichte und Geographie eine wahre Berei⸗
derung iſt. Es ift dies ein „Dictionnaire des villes et arron-
dissements de l’empire chinois, indiquant les latitudes et longi-
tudes de tous les chefs-lieux, leurs noms anciens et modernes
et les &poques auxquelles ces noms ont varie’. Was befonbers
diefed Werk, das aus den beften Quellen zufammengetragen iſt,
ſehr ſchwierig machte, war die große Verwirrung ber Drthos
grapbie, die in den Werfen, welche über China handeln, zu
herrſchen pflegt. Der Berf. hat deshalb fehr wohl gethan, eine
vergleihende liberficht ber verſchiedenen Arten, wie die Europder
die chineſiſchen Laute wiedergeben, feiner Schrift hinzuzufügen.
Gr fegt zuerft die portugieſiſche Methode auseinander, bie vom
den erften Miffionnairen angenommen war, und entwidelt bann
die franzöfifchen und engliſchen Orthographien, die von neuern
Sinologen der Altern Manier vorgezogen werden. Diefe Über«
fidyt, die vom befannten Sprachſorſcher Stanislaus Julien
durchgearbeitet ift, Tann für einen wichtigen Beitrag zur chine⸗
ſiſchen Grammatik gelten. Befondern Werth verleiht biefem ins
texeffanten Werke eine ſehr vollftändige Karte von China. Cie
ift nad ben im Rachlaß des berühmten Drientaliften Klaproth
gefundenen Entwuͤrfen gearbeitet, und Biot hat Alles nachge⸗
tragen, was nad) dem Tode diefed Gelehrten entbedt iſt.
Polit Hat eines feiner umfaflenden Werke „Die Gtaatks.
wiſſenſchaften im Lichte unferer Beit’‘ betitelt. Nach Analogie diefes
Titels Fönnte man einen guten Theil ber von fatholifchen Hiſto⸗
rikern herausgegebenen hiftorifchen Schriften als Geſchichts⸗
werte im Licht (oder eigentlich ber Finſterniß) des Mitteialters
bezeichnen. So baben wir kuͤrzlich eine Geſchichte Frankreiche,
die noch dazu für das größere Publicum berechnet iſt, von einem
gewiſſen A. Gabouarb erhalten („Histoire de France depuis
l-s origines gauloises”, 3 Bde.). Diefes Merk hat ſich, obs
glei erſt feit kurzem veröffentlicht, ein fo großes Anfehen
erworben, daß bavon bereits eine zweite Auflage vorbereitet
wird. Auf jeder Seite, und befonders in dem Theile, ber
ber mittelatterlichen Geſchichte gewidmet ift, ſpricht ſich der
Gedanke aus, daß bie Monardie von den geifttichen Ober⸗
bäuptern der Kirche eingefegt ifl. Ein erzlathotifches Jour⸗
nal fagt von biefer neuen Geſchichte, baß „fie zum erften Male
der Kirche und ber Geiftlichleit den Ruhm wieder zu erwerben
fucht, den eine unmiffende und ungläubige Philofophie ihnen
ftreitig gemacht hat“. 2.
Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brodhbaud. — Drud und Berlag von E. X. Brodbaus in Leipzig.
En — —
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Sonnabend,
21. Sanuar 1843,
Deutſche Städte und deutfhe Männer. Nebſt Be:
trabtungen über Kunft, Reben und Wiffenfchaft.
Reifeffizzen aus den Sahren 1837 — 40. Bon
Ludwig v. Iagemann. Zwei Bände. Leipzig,
Binder. 1842. Gr. 12. 3 Thlr. 22% Nor.
Diefe Reiſeſkizzen können, obgleich keineswegs neue,
vielmehr ſchon vielfach beiprochene und erörterte Themata
enthaltend, dennoch mit Recht als eine angenehrae und unters
haftende Lecture anempfohlen werden. Der Verf. beginnt
diefelden mit einer „Phyſiognomik deutſcher Hauptſtaͤdte“
und ftellt Berlin, Wien und Münden vergleichend zu:
fammen, oder vielmehr einander gegenüber. Die befon:
dere, diefe Dauptflädte voneinander unterfcheidende Eigen
thümlichkeit fegt nun der Verf. darin, daß in Berlin
der hoͤchſte Genug in einem „guten Witz“, in Wien in
einem „guten Walzer” und in Münden in „gutem
Bier’ beftehe. Obgleich mol hierin der in den genann⸗
ten Duuptflüdten im Algemeinen vorherrſchende Volksgeiſt
zu fhroff und ſcharf in eine ſchlagendere und eben deshalb
mehr fchillernde als wuhre Spige zufammengedrängt iſt,
fo ift doch allerdings unverkennbar eine gewiſſe Wahrheit
darin ausgefprodhen, die fi) dem unbefangenen und auf:
metiamen Beobachter unabweislich aufdringen muß und
wird. Ein angeboren:s Talent zum Wis kann dem Ber:
Iinee durchaus nicht abgefprochen werden, allein indem
fih damit, wenigftens bei der großen Menge, kein grund:
lied und gediegenes Unterrichtetfein verbindet, das allein
den Wig zu einem gebhaltvollen, wahren Witze machen
koͤnnte, artet jenes Talent nur allzu oft und allzu gewöhn:
ih in jene feichte und leere Wigmacherei aus, die unfer
Bırf. mit Recht tudelt und die, verbunden mit einer
ziemlich großen Selbfigefälligkeit und Eingenommenheit
von ihrer Stadt und allem derfelben Angehörigen, den
Berliner zu jenem oft großfprecherifchen und abfprechenden
Zen und Benehmen verleitet, durch Das ſich der Fremde
im erſten Augenblid unangenehm berührt fühlen muß.
Es bedarf erſt eines längern und genauern Bekanntwer⸗
dens mit dem Berliner, um fid zu uͤberzeugen, daß «8
mit feinen Witeleien im Grunde nicht fo bofe gemeint
fei, und daß jene Schattenfeiten im Volkscharakter der
Berliner beimeitem von den Richtfeiten in demfelben über:
wogen werden. Muß Berlin der Kalferftade und ihren
Bewohnern in vieler Beziehung in jenem Geiſte der Hei⸗
terkeit und anfpruchlofen Gutmuͤthigkeit den Vorrang eine
räumen, fo wird Wien umgekehrt Berlin den Vorcang in
der geifligen Regſamkeit und Rührigkeit zugefichen müffen.
Wis endlich die Münchner betrifft, fo kann das übers
mäßige und zum Theil unmäßige Biertrinken, das für fie
cin Lebensbeduͤrfniß geworden üft, unmöglich ſonderlich fürs
derlih weder für. die Ausbilbung eines feinen Gefühle
noch für die Entwidelung bes geiftigen Lebens im Volke
fein, und wir’ möchten daher nach den von uns gemachten
Wahrnehmungen von den Münchnern gar fehr bezweifeln,
daß fie duch die mit Verfchwendung treibhausartig em
porgetrichene Kunſtbluͤte zu einer „gewiffen Verfeinerung
bed Gefuͤhls heraufgetrieben“ worden fein follten, ‚wie der
Verf. meint. Mir können überhaupt auf die bloße Kunfl-
bildung feinen fo großen Werth legen, ald er es thut;
denn die Kunſt, die nur Glanz und Schimmer, nicht aber
Weſen und Wahrheit ift, kann einem Volke und einer
Zeit wol cine dußerliche Scheincultur, aber Eeine wahrhaft
innere Bildung geben. Die alten Hellenen flanden 5. 2.
unftreitig auf dem hoͤchſten Standpunkte der aͤſthetiſchen
Bildung, den nur irgend ein Volk erreichen kann und
den ſchwetlich irgend eines jemals wieder erreichen wird;
wie ftand es aber mit feiner innern und wahren, das ift
mit feiner religiös: fittkichen Bildung? Es war in diefer
Beziehung gerade vermöge feiner hohen Kunftbildung und
in Folge bderfelben bekanntlich das allerverderbtefte Volk,
das die . Gefchichte Eennt. Wir Binnen alfo dem Berf.
unmöglich Recht geben, baß auf den finnlichen Menſchen
nur durch ein ſinnliches Princip, wie es die Kunft, ihrer
Natur nah, doch nur iſt, gewirkt werden fönne; nur
durch die flile Macht eines geiftigen Principe, wie es in
Religion und Wiſſenſchaft gegeben ift, kann die finnliche
Natur im Menfchen mit Vortheil bekämpft und mit Er:
folg überwältigt werden, und einzig und allein, wenn fie
auf diefem foliden Unterbau beruht, wird die Kunft eine
woohlthätige Culturwirkung auf Völker und Menfchen aus-
üben können, abgefchen davon aber einem Flimmerglanze
gleichen, der bie innere ſittliche Verderbniß und Faͤulniß
nur um fo gefährlicher verbirgt, je mehr er die Augen Über
Das verbiender, was noththut.
Die zweite Skizze, die ums der Verf. gibt, handelt
bon den wiener Theatern, und bies find wir völlig mit.
ihm einverflanden, daß der bier. und in Münden porheer⸗
ſende Geſchmack für die italieniſche Dper, ber das Wahre,
Bute und Echte gänzlich verbrängt und den Sinn und
die Empfänglichkeit dafür im Publicum erſtickt hat, vom
Über if. Beilaͤufig übrigens Lönnen wie ihm verfichern,
daß der Berliner ebenfo gen Eis ißt wie dee Wiener,
und fid) keineswegs, wie er meint, blo6 „mit kuͤnſtlichen
Eisbergen begnügt, auf denen man mit leerem Magen
den kühlen Drang abrutfcht”. Ebenfo hat er in der an:
geblih zu Berlin vorhandenen Ruffomanie offenbar ein
Geſpenſt gefeben, und es wäre gar nicht nöthig ges
weſen, den Berlinern dad Timeo Danaos et Jona fe-
sentes warnend zuzurufen, denn man :mwei in Berlin fo
gut wie in der ganzen preußifchen Monarchie, mas man
von diefer Seite aus zu erwarten Hat. Mir können
übrigens den Widerfpruh nicht reimen, in den ber
Berf. mit fi felber in diefee Beziehung geräth, indem
ee an einer andern Stelle bemerkt, wie man ſich in
Deutfchland einen ganz falfchen Begriff von den Geſin⸗
nungen der Berliner gegen bie Ruffen made, wie er
fetbft von mehren angefehenen Perfonen zu hören Gele:
genheit gehabt habe, wie man einen tiefen Schauer gegen
die Zärtlichkeit diefer Nachbarn habe. Es gewinnt ſonach
ven Anfchein, als habe unfer Verf. feine erfte Bemerkung
wach irgend einer flüchtigen und oberflädhlihen Wahrneh⸗
mung gemacht und fei erft fpäter zu der wahren Einſicht
und Erkenntniß in diefer Beziehung gelangt. Wir Hätten
Daher gewuͤnſcht, einem offensar fo flüchtigen und ſichtlich In
der Eile bingeworfenen Urtheile in dem fonft fo guten
Buche nicht degegnet zu fein. Er führt uns aud zu einem
Feuerwerk bei Treptow, wo er die Gelegenheit wahrnimmt,
die fchon einmal gemachten allgemeinen Bemerkungen über
den Volkscharakter der Berliner weiter auszuführen. Im
Ganzen läßt fi die Richtigkeit und Treue der von ihm
gemachten Beobachtungen nicht vertennen, wiewol er ein
wenig mit allzu ftarten Sarben aufgetragen bat und es
in der Wirklichkeit beimeitem nicht fo arg iſt, als er
es macht.
Statt jedoch nun auch dem Verf. auf „die Kirchweihe
in der Brigittinau” zu folgen, wo wir ihm ohnehin in
feinen Bemerkungen und Betrachtungen über das wiener
Volksleben weder voiberfprechen noch beiftimmen koͤnnten,
. weit wie nicht dort waren, ziehen wir es vor, ihm lieber
gleich zum deutfchen Univerfitätsiefen zu folgen. Zuerft
führt er uns die Öftreichifchhen Studenten vor, deren Aus:
fehen und Auftreten, nach feiner Schilderung zu urtheifen,
allerdings ein fehr profaifche® fein mag. Es iſt freilich
eine die geiftige Bewegung verfümmernde Kinfeitigkeit,
wenn, wie berichtet wird, der Aufenthalt auf der Akade⸗
mie in ſtreich „nichts als eine ſchulmaͤßige Vorbereitung
zur Praxis“ iſt, der er die auf preußifchen Univerfitäten
berefhende Richtung, „überall philofophifche LKehrbegriffe
auf die Fachſtudien einwirken zu Laffen”, als das entge:
gengefegte Extrem gegenhberftellt. Wir werden weiter uns
ven Gelegenheit haben, uns über biefen Punkt ausführli:
dyer außzufprechen, wenn wir nur noch zuvor bemerkt haben,
daß uns Das, was der Verf. bei „Münden und bie
Untverftät” entfchulbigend für den kraͤnkelnden und fiechen
Zuſtand ber dortigen Untverfität mit Bezugnahme auf bie
bekannte ſpruͤchwoͤrtiiche Redensart, „Niemand kann zweien
Herten zugleich dienen”, beibringen zu müffen geglaubt bat,
naͤmlich, daß der König deshalb nicht den nümlicgen Fleiß
und die naͤmlichen Summen auf die Cultur der Wilfen-
haften wie auf die Cultur der Künfte habe wenden koͤn⸗
nen, weil die Aufgabe, die er ſich im Gebiete der bildens
den Kunſt geflelit habe, eine unermeßliche, alle feine Kräfte
und Mittel faſt ausfhlieglih in Anſpruch nehmende fei,
nicht ganz einleudyten will; vielmehr halten wir es für
eine Dauptrüdjiht, die eine jede Regierung zu nehmen
hat, zuerft und vor allem die geiſtig⸗ſittliche Bildung mit⸗
tels forgfältiger Pflege der Wiffenfhaft im Volke feftzu:
flellen, ehe fie an den Flitterglanz der Künfte denkt, aus
den ein Volk keinen Nahrungsftoff für Geift und Herz
ziehen kann. Was nun endlich die „berliner Univerfitäe”
betrifft, fo hat fie alle Urfache, unſerm Verf. für die hohe
Meinung Dank zu wiffen, die er von ihr gefaßt hat.
Allein fo hoch aud immerhin unfere eigene Meinung von
der hohen wiffenfhaftlihen Bedeutſamkeit diefer Lehran⸗
ftate tft, fo müffen wie doch geftehen, daß ung der Berf.
nit bios ein wenig, fondern fogar ein wenig ſtark uͤber⸗
trieben zu haben fdeint, wenn er meint, der junge Dann
lerne bier außer Dectetiren, Katechifiren, Meceptiren auch
die Kunft zu leben, und erhalte zugleich die Anleitung,
die Fortſchritte der Civiliſation und Aſthetik zu beobadıten
und fi ein eigenes Urtheil zu begründen. Wenn es
nun unmittelbar darauf beißt, daß ein einjähriger Auf:
enthalt zur Aneignung aller dieſer außerordentlichen Reful:
tate hinreiche, ein längeres Verweilen, ein tiefered Eingehen
aber teicht zu weit, nämlich zum „Opperberlinigmus“, zur
„Witzflunkerei, Abfprecherei und Rodomontade“ führen könne,
fo find wir in der That zweifelhaft, ob wir dies für Ernſt,
oder nur vielmehr für Scherz, ober wol für ungehenere
Itonie halten follen. Denn wir halten es für unmöglich,
daß der Verf., der ſich fonft als ein denkender Beobachter
zeigt, im Ernſte geglaubt haben follte, daß ein Juͤngling
in dem fo kurzen Zeitraum eines Jahrs Decretiren, Ka:
techeſiren, Receptiren und audy noch obemein die fo ſchwere
Kunſt zu leben fernen, ferner nicht nur die Kortfchritte
der Civiifation und AÄſthetik beobachten, fondern auch ſich
fogar ein eigenes Urtheit ſollte begrinden koͤnnen. Das müßte
ein wahres Wunderkind fein. Wir an unferm Theile
Können dem Verf. verfihern, daß es 5. B. der beiweitem
kleinſte Theil der die Rechte Gtubirenden nach dreijähri:
gem Univerfitdtöftudium kaum fo weit gebraht hat, ein
teldliches Protokoll aufzunehmen; aber ein Decret abzu:=
faffen möchte vielleicht fein einziger der jungen Maͤnner im
Stunde fein. Edenſo verhätt es fi, und zwar in einem
noch viel größern Umfange, mit den ©tudiofen der Theo⸗
logie, wo ed geniß auch nur fehr wenige auf der Unis
verfität fo weit gebracht haben dürften, um mit Erfolg
katechiſiren zu können ; daß endlich das Recptiren, was
bie Studirenden der Medicin auf der Univerſitaͤt allerdings
leicht und bald erlernen mögen, wie wie zugeben wollen,
nicht die Dauptfadye für den Arzt ift, fondern daß rich
tige Erkenntniß und Behandiung der mannichfachen Krank
hitsformen den Arzt ausmachen, die ſich jedach nicht auf
der Univesfität, ſandern nur durd langjährige, ſorgſame
Beobachtungen und Erfahrungen am Krankenbette, alfe
nicht theoretifch, fondern nur praktiſch erlernen Laffen, das
mit wird hoffentlich der Berf. einverſtanden fein. Die
große Kiuft, die bier, wie auch in allen andern Bezie⸗
bangen, zwiſchen dem allzu theoretifchen Univerſitaͤtsſtudium
wmd den immer üͤberwiegender werdenden praktiſchen Bes
dürfniſſen und Anfoderungen der Zeit immer demerkbater
dervottritt, iſt jedenfalls ein ſehr großer Übelſtand, ber
fhwerlich durch den Vortheil des „Hinaufziehens aller
Studirenden in die Sphäre echter Humanitaͤt und übers
haupt in die böhern und edlern Gedankenkreiſe“ ganz
aufgeroogen werden kann. Denn ivenn es auch unflreitig
einzelne flarfe und unabhängig gefinnte Geifter geben
mag, die fih von jedem Wiſſenszwang umd von jedem
Sormalismus frei zu halten wiſſen und bie dann beim
Eintritt in die Praxis den Realverhältniffen „die gehörige
Aufmerkfamtelt widmen und fie von dem philofophifchen
Elemente nicht weiter duschdringen laſſen, als ed dem
Bedürfniffe der Zeit und der mittlern oder niedern Ötände
entfprehen kann“, fo dürfte doch deren Zahl immer nur
im Verhaͤltniß zur großen Mehrzahl, bei denen entweder
der wiſſenſchaftliche Geiſt und Sinn unter dem Gewichte
des praktiſch nothwendigen Formalismus erliegen wird,
oder die ſich aus gaͤnzlichem Mangel an praktiſcher Vor⸗
dildung zum Gefchäftsdienft gar nicht im Geſchaͤftsleben
zurechtfinden können, fehr gering und von einem Hinauf⸗
ziehen aller Studirenden in die Sphäre echter Humanität
kann vollends wol nur im Scherze die Mede fein. Daß
die berliner Studenten keinen Werth auf auffallende und
abflechende Kleider ſetzen, hat nicht ſowol feinen Grund
derin, Daß die meilten jungen Leute in gefellige Kreife
eingeführt find — vielmehr find gerade im Gegentheile vers
haͤttnißmaͤßig nur fehr wenige in gefelligen Kreifen aufge
nommen —, als es vielmehr einfach die ganz natürliche und
nothwendige Folge von dem Leben in einer großen Haupt:
fladt ift, wo überhaupt kein einzelner Stand fo leicht im
irgend einer Beziehung den Tonangeber fpielen kann, ohne
fi lächerlich zu machen. Ebenſo können ſich wol nur
die wenigſten den täglichen Beſuch des Theaters geſtat⸗
tm, und mas endlich die angebliche ſolide Kunftbildung
betrifft, die ſich die berliner Studirenden durch ten fleißigen
Beſuch des Mufeums leicht erwerben koͤnnen, fo dürfte dies
fee eben nicht weder an und für fi) noch beziehungsweiſe
von fonderlicher Erheblichkeit fein: an und für fich nicht,
weil wir überhaupt nur einen bebingtn Werth auf die
KAuftvildung fegen umd diefelde im unfern Augen nur
von untergeordnneter Bedeutung im Verhaͤltniß zu der durch
Die Wiſſenſchaft zu vermittelnden geiftig > fittlichen Bildung
iſt; besiehungsmeife nicht, weil das berliner Dufeum mehr
für Kunfttenner von Fach, ale auf Bildung des Kunfl:
geſchmacks berechnet ifl.
Durch ein fehr gefächtee Glas, vielleicht bei Regen:
wetter, oder weil er eben an die „hoben Potentaten des
Siteraturreiche ” dachte, bat umfer Verf. Prag betrachtet,
das ihm gar nicht gefallen hat, während wir uns gerade
63
im Gegentheil — und wir glauben nicht zu irren, wenn wir
behaupten, die große Mehrzahl unferer Lefer, die dort was
ren, mit und — von biefer Stadt durch Die ihr. jo entſchie⸗
den im Ganzen wie im Eingelnen aufgeprägte Alterthuͤm⸗
lichkeit, dergeftalt, dag fie als eine fleinerne Perfonification
einer großen und bedeutiamen gefchichtlihen Vorzeit und
Vergangenheit .erfcheint, ungemein angezogen gefühlt ha⸗
ben. Wir können dem Berf. verjichern, daß wir ung fo
wenig wie er durch Städte angefprochen gefühlt haben,
deren ganze Derrlichkeit in „Schlöffern, Kirchen und Häus
fern” beiteht. Aber das ift auch eben nicht die wahre
Hertlichkeit und Schönheit, die Prag in unfeen Augen
vor vielen andern Städten voraus hat, fondern diefe be:
fteht für uns wefentlich, wie gefagt, in jener Weife von
Alterthümlichkeit, die fo rein und entfchieden über dieſe
Stade ausgegoffen ift wie fonft nicht leicht über irgend
eine andere. Aus eben diefem Grunde bat ung Verona
mehr als das prächtige Mailand, und Nürnberg mehr
als die prächtige Kaiferftadt an der Newa gefüllen. Wir
wollen jedody über diefen Punkt, der ein Gegenftand ins
dividuell verſchiedener Auffaffungen und Anftchten fein kann,
nicht reiten; aber wir geftehen nicht begreifen zu koͤnnen,
wie man fo ohne weiteres behaupten kann, daß die Kir:
hen Prags „ohne Ausnahme unfhön, einige fogar häßs
lich“ find, Iſt denn etwa der Verf. nicht in der St.⸗
Nikolaikirche geweſen, die unter jedem Geſichtspunkte ſchoͤn
genannt zu werden verdient, indem fich darin eine groß⸗
artige Pracht mit edler Einfachheit verbindet und in der
fid) außerdem mehre fehr ausgezeichnete Gemaͤlde befinden ?
Auch die Teinkirche die Kreuzherren⸗ und St.⸗ Emaus⸗
kirche ſind ſehenswerth. Den Vorrang vor allen andern
Kichen Prags verdient aber freilich die praͤchtige St.⸗
Veitskirche, die mit Erlaubniß des Verfaſſers, der in
ſeiner Mislaune „nur manche Theile, die auf einen gerei⸗
nigten Geſchmack ſchließen laſſen“, gelten laſſen will, unter
den vielen ſchoͤnen Kirchen, deren Ref. eine große Zahl zu ſehen
Gelegenheit gehabt bat, einen der erften Plaͤtze einnimmt.
Man lernt aber aus diefem Beifpiele, wie es nicht min:
der mislih um bie Berichterftattungen ber Reiſebeſchreiber
als um die Berichterflattungen von Augenzeugen von ge:
ſchichtlichen Ereigniſſen und Worgängen beftellt iſt, und
wie wenig man ihnen Glauben beimeflen dann.
(Die Bortfegung folgt.)
Ein großer Schriftfteller des 16. Jahrhunderts.
Oeuvres de Honaventure Desperriers. Paris 1842,
Ref., der in der Gefchichte ber franzöftichen Literatur ziem⸗
ich zu Haus zu fein glaubte, war nicht wenig erftaunt, ale er
in zwei der beten. franzoͤſiſchen Revuen' B. Deiperriers, den er
kaum dem Namen nad) Eannte, für einen ber größten Geiſter
bes 16. Jahrhunderts und für einen Schriftiteller erfidrt fah,
der es mit Rabelaid und Marot aufnehmen könnte. Der Kris
titer, ber biefen laͤngſt verfigollenen Schriftſteller aus feiner
Dunkelheit beruorgog und mit einem Mate auf die Linie der
erften Dichter Frankreichts fiellte, war Eein anderer als der ge
lehrte Gb. Nodier, vor beffen Urtheil wir uns ſchon beu⸗
gen muͤſſen. So dauerte es denn auch nicht lange, bis ber
wieder entdedite und wieder aufgefundene Scyriftftellee neu auf:
gelegt ward, Wir find jegt im Stande, näher zu prüfen, ob
—
das Urtheil Nodier's wirklich ohne weiteres zu unterſchreiben
iſt. Wir glauben nach Durchſicht bes mäßigen Baͤndchens. das
wie vor uns liegen haben, daß es ſich nicht eben ber Mühe
lohnte, bie vergeffenen Schriften Deſperriers aus dem Staube
der Bibliotheken hervorzuholen. Sein „Cymbalum mundi’ ift
das berühmtefte feiner Werke. Nachdem es faft zwei Jahrhun⸗
derte hindurch ganztih vergeffen war, erfdyienen mit einem
Mate 1711, 1732, 1738 und 17592 Schlag auf Schlag neue
Ausgaben bavon. Es verbankte fein großes Aufſehen befonders
dem limftande, daß es von mehrfachen Verboten getroffen warb.
Man wollte in diefem räthfeihaften Werke einen kühnen Angriff
auf den chriftlichen Glauben fehen, und Defperriers galt des⸗
- Halb tange Zeit hindurch für einen Vorläufer Voltalres, bis
6 dieſer feibft endlich auf feinen wahren: Werth zurüdführte,
indem er es für eine platte Rahabmung bes Lucian erklärte.
Die Balladen, Spifteln und Lieder, tie wir in den Werten Deiper:
xiers’ noch finden, find von feiner großen Bedeutung. Auch
feine Bearbeitung von Terenz' „Andria“ ift im Ganzen ſchwach,
obgleich fie ſich ſicher mit den erbärmlichen Überfegungen dieſes
GStuͤckke son Mad. Dacier und dem Abbe la Monnier meflen
fann. Ch. Nodier, der, wie wir gefagt haben, zuerft wieder bie
Stimme zu Gunften Defperrierd’ erhoben hat, legt ein befonbes
res Gewicht auf feine „Discours non plus melancoliques que
divers”. Er bewundert barin „eine ebenfo geiftreiche als lie:
benswürbige Gelehrſamkeit, in der ſich das Wiſſen eines Hein⸗
rich Stephanus mit dem attifchen Salze eines Rabelais ver:
mählt”. Was uns bei diefem Gtüde am meiften angezogen
bat, ift der derbe, naive und Eräftige Zon, ber in biefen „„Dis-
cours’’ herrſcht, der fich inbeflen bei vielen Schriftftellern bes
16, Jahrhunderts findet. Der Bibliophite Zacob hat diefe neue
Ausgabe mit einer Biographie Defperrier®’ und mit werthoolfen
Roten ausgeſtattet. 6.
Mancherlei.
Theodor Mundt's „Kunſt der deutſchen Profa’’ (Berlin
1837) iſt im Ganzen gut geſchrieben, nur ſtoͤren die übermäßig
ohne Roth gebraudten Fremdwörter, deren Sinmifchung zum
Kachläfiigen und Bettelhaften des beutichen Vortrags gehört,
der nichts auf Sauberkeit Hält, Miederholt macht ſich folgen:
des -Ausländifche breit: Latiniſiren, mechanifiren, ſtolziren (S. 94);
Paraphraficen, Effeet, Bituation (@. 120); harmoniren,
Nuance (©, 128); Perfpective, Interpret, Dietion (©. 130);
Productivität des Stils, poetifiren (©. 132): prägnant, pis
fant, pointirt (S. 133); Prätenfion (S. 141); contempla-
tio, Normen (S. 144); Typus der Galtue (S. 151); fixi⸗
ren (©. 168); Gruppitung (&. 189); compificen (©. 175);
charatteriſiren, Gorruption, Inarediengen (8. 10): Debut
(S. 202); identificiren (©. 209); interrfiant (©. 245); des
moralifirt (S. 263); obligate Redensatten (©. 277); for:
mel, raifonniren, Detail (S. 282); Bizarrerien (S. 239);
hypergenial, Partien, ercentrifh (&. 208); Moment (S. 3172);
Antipathie, induftriös, Een, (©. 314); Ditettiren (&. 327);
Miffion der Genius (©. 332); Nature (&. 343); corrigiren,
zepräfenticen (&. 376) u. |. w. Welch ein Fremdwald! Nicht
mühfam aufgefucht, fondern allenthalben zu finden, mit Übers
gehung des Zutaͤſſigern. Es heißt S. 276: „Die Sprach⸗
mengerei (Anfang bes 18. Jahrhunderts) führte der deutſchen
Sprache zwar manche neue und prägnente Wortgebilbe zu,
deren fie ſich noch heute nicht entfchlagen Bann, aber das Ver⸗
beeben, welches namentlich bie Franzoͤſitung unfers Idioms ans
richtete, ift größer anzuſchlagen ale bie Bereicherung, bie ihm
dabei widerfuhr.” Den Beleg zu biefer Bemerkung gibt bie
Bemerkung feibft. Wir leſen freilich bei: Belegenheit der Deutſch⸗
oefinnten Benofienfchaft des Philipp von Zefen in Hamdurg:
fie fei gerathen „in das entgegengefehte Extrem ber Pebanterie‘’,
babe den Grund gelegt „zu jenem "abenteuerlichen Purismus
in Deutſchland, der den ganzen Bildangsgang unferer Sprache
verkennt und Gefpenfler fieht bei Worten, beren Verbot bas
Deutiche feiner eigenthümlichſten Aneignungsfählgkeit und Aus⸗
breitung berauben würde”, und gewiß iſt Übertreibung der
Reinlichfeit möglich. Allein vorab thäte dentſchen Schriftftellern
Gefpenfierfurdgt noth; denn ohne Zwang konnte Mundt ein
Heer feiner eingefhwärzten Übercheiner adwehren, deren Laute
wie Zehlgriffe bei dem Vortrage eined Zonftüds Mingen. Bes
quemer ift allerdings für den Spieler das VBergreifen und für
den Gchriftftellee das Ergreifen des Erſten Beten. Hüte fidy
body der Deutſche gupörderk vor der unfeligen Motte der Iren
und Anderm; dann mag Giniges, 3. B. das ſchwer zu vers
meidende Intereffe entſchuldigt werden, welches für feine Allges
meinheit nur in Sinnbefonderheit vaterländifche Vertreter finder
(Bine, Bortheit, Theilnahme, Anziehendes); merke body ein
deutfiher Lefer oder Hörer, dab man ihm zu Ehren fih aus
dem beftäubten Morgenkleide in ein gut gebürftetes Feſtkleid
geworfen. Biel iſt dafür zu lernen von 3. H. Voß, deſſen
Schwerfäligkeit der Leichtfaͤlligkeit des Jungen Deutſchlands
nicht zufagt, ber aber echtes Deutſch ſchrieb, wie Wenige.
Schade, daß Goethe, dem bie Leute lieber gleichen möchten,
mit vornehmem Behagen alleriei auslündifehes Geſindel bei fidh
bulbete und gleich Höfen und Diplomaten fremde Schelme
mandmal lieber in Gefellfchaft zog als einheimifhe Ehren⸗
männer. Der wadere Kolbe (,‚Über den Wortreichthum der
deutſchen und frangöfifhen Sprache”, 2 Bde., 1806) iſt lei
bee vergeffen.
Die Deutfchen gleiden darin den Zuden, daß fie ihren phi⸗
loſophiſchen Meffias erwarten, und aud, wie vor der
3erflörung Ierufalems, den Ginen verlaflen, wenn der Andere
auftritt, ja fie halten überhaupt von keiner Philofophie etwas, wenn
diefe nicht Anfpruch macht, die einzige und lehte, bie Erfüllung
aller Lehren und Weiffagungen, alfo meffianifh, zu fein. Mit
chriſtlichen Gedanken flimmt dies nicht zufammen, denn laut
ihnen iſt der Meſſias ſchon dagemefen; mit heidniſchen Gedan⸗
Ten ſtimmt es ebenſo wenig, denn fie haben keinen Meſſias er⸗
wartet. Sol man eine juͤdiſch⸗zaͤhe Feſtigkeit der Erwartung
Stärke oder Schwäche nennen? Sie ift Beides; denn Helden
verfolgen flandhaft ihre Anfihten, und Weiter wie Kinder lafs
fen fi nicht ausreden, was fie fidy in den Kopf gefest. Nun
erfcheinen von Zeit zu Zeit Menfchen, die defonders ausgerüſtet
find, den Meffias: Srmartungen zu entfprechen. Nur ungewöhns
lie Gaben machen ſolches möglih, und fie mesden auch von
Chriften und Beiden anerkannt. Wollte man letztern dagegen
zumuthen, Juden der Philoſophie zu fein, fo dürften fie mit
Recht entgegnen: „Wir konnen nicht werden, was wir nicht
find, nämtic vom Stamm Abraham’s; ein Jude wird geboren,
le durch Schule ober Leben herangebildet oder onge»
weiht.
Literariſche Anzeige.
Von F. A. Brockhaus in Leipzig ist zu beziehen:
Inscriptiones Graecae Ineditae.
Collegit editque
Zaudovricus Hossius.
Faseioulus. U. Insunt lapides insularum Andri, Ji,
Teni, Syri, Amorgi, Myconi, Pari, Astyralaeae, Nisyri,
Teli, Coi, Calymnae, Leri, Patmi, Sami, Lesbi, Therae,
Anaphac et Peparethi.
4 maj. Geh, 2 Thlr.
Das erste Heft (Inscriptiones Arcadicae, Laconicae, Ar-
givae, Corinthiae, Megaricae, Phocicae) erschien 1834 und
kostet 1 Thir. 10 Ngr.
Berantwortliber Herausgeber: Heinrich Brodhaud — Drug und Verlag von 5. 3, Brodbauß in Leipzig.
v
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonntag,
Deutfche Städte und deutſche Männer. Von Ludwig
v. Jagemann.
(Bortfegung aus Nr. 21.)
„Libuſſa und bie Emancipation der Frauen” gibt dem
Berf. Beranlaffung, ſich zu Gunſten der in neueſten Zei:
ten vielbefprechenen Smancipation der Frauen auszuſpre⸗
den. Wir an unferm Theile können uns jedoch in bie:
fer Beziehung nicht von der vielleicht altmodiſchen Vor⸗
fteflung losmachen, daß da6 Weib dadurch den fchönften
umd beften Theil feiner Weiblichkeit, da6, was ganz vers
zugsid) den Meiz derſelben ausmacht, verlieren würde:
deun einleuchtend kann es nur eins von beiden fein, ent:
weder Mann oder Weib. Iſt es Mann, fo hört «6 noth:
wendig auf Weib zu fein, und will es feine wahre und
böchite Beftimmung erfüllen, d. i. Weib und Mutter
fein, fo kann es unmoͤglich an männlichen Befchäften,
Berufen und Arbeiten Theil nehmen, ohne fich ſelbſt auf:
zubeben. Die Geſchichte berichtet uns allerdings von
Frauen mit männlichen Geifte auf dem Throne, fie be:
richtet und ferner von folchen, Die fi im Gebiete der
Wiſſenfchaft und Kunft wännli ausgezeichnet haben ;
aber fie berichtet uns auch, daß biefe männlichen Weiber
keineswegs ihrem Geſchlechte zur befondern Zierbe gereicht
baden, und keine Antwort Napoleon's ift wol fchlagender
und toeffender als die, die er der berühmten Stau von
Stael auf die Frage gab, welche er für die beruͤhmteſte Frau
balte: „Madame, diejenige, die die meiſten Kinder hat.”
Wir geben zu dem zweiten Abfchnitt der Reiſe⸗
ftizgen : „Reifegloffen uber, wo Einiges zu bemerken
fein wird, obme jedoch dem Verf. nach Salzburg, Hallein
und Stuttgart zu folgen. As überfikffig erſcheint uns
zmächft die Vertheidigungsrede der Saͤchſiſchen Schreeiz :
fe bedarf deſſen nicht, wenn man nur von der ganz un:
yallenden, die Vorftellung davon vermwisrenden umd zum
Vergleich mit der Schweiz gleichſam heransfodernden Be:
nennung Saͤchſiſche Schweiz abſtrahiren und fih an el:
ner einfach fieblihen und anmuthigen Natur genügen
loffen will, ohne von derfelben vorausjufegen ober zu er:
warten, was nur die erhaben großartige Natur der Schwei:
zeralpenwelt gewähren und darbieten fann. Was bei dies
fem Antaß über die reifenden Engländer bemerkt wird, wie
und warum fie einem andern ehrlichen Menſchen das Rei-
fen verleiden können, darin kann Ref. nach feinen eigenen
in diefee Beziehung vielfach und oft gemachten Erfahrun⸗
gen nur übereinflimmen ; andererfeits aber iſt indeß auch
wahr, daß der Engländer, aufgetbaut, ein’ weit zuverlaͤſſi⸗
gerer Meifegefährte iſt als der allerdings als Gefellfchafter
liebenswürbigere, aber auch leichtfertigere Franzoſe. Das
gegen möäflen wir unfern Verf. wieder einigermaßen des
Abfprechens zeihen da, wo er ſich bei der „Donaufahrt
und dem Traunſte“ über den ruſſiſchen Volkscharakter
und die Ruſſen ausfpriht. Er meint nämlih aus dem
Umftande, daß einige auf dem Dampffchiffe befindliche
Ruffen mit großer Begierde die Belegenheir, die ihnen
von Seiten einer Franzoͤſiſch parlirenden Wienerin zum
Sprechen des Franzöfifchen dargeboten worden fei, ergrifs
fen und benußt hätten, und überhaupt daraus, daß Die
Ruſſen ihren größten Ehrgeiz darin zu ſetzen pflegten, beſ⸗
fee Franzoͤfiſch als Kuſſiſch zu fprehen, mit Fug und
Recht folgern zu dürfen, daß dies zu beweiſen fcheine,
„wenn es überhaupt des Beweiſes bedbürfe, daß die Rufſen
feine Nution (warum nicht lieber Volk), fondern ein halt⸗
loſer Stamm feien, der fih an einen andern Stamm,
den er für flärker und fruchtreicher halte, anlehnen muͤſſe,
um nur feine kuͤmmerliche Eriftenz zu friften”. Darum
hätten fie von jeher Verlangen nach benachbarten, befjer
cheitifirten Ländern gehabt und «6 befriedigt, während im
Innern fo Alles im Rohen .und Argen liege, daß Jahr⸗
hunderte des redlichſten Fleißes nothwendig wären, um
fürs erſte nur den tiefeingeroutzeften Charakter der Bars
barei zu verwiſchen. „Wer weiß”, ſchließt der Berf.
feine Gasilinarifche Rede wider die Ruflen, „ob fie denn
nicht aller Nationalitaͤt verluflig gingen, da man Feine
Garantie babe, daß fi ein anderer Charakter an bie
Stelle jener bekannten Verſchlagenheit, Gierigkelt und
Nahahmungsfucht fegen liche, ohne duch eine Voͤl⸗
ferwanderung yanz neue Geſchlechter dahin zu verpflanzen.“
Hier möhten wir nun fragen: ob er denn in Rußland
geweſen iR? ob er die Ruſſen und die ruffifchen Zus
ftände aus eigener Erfahrung ımd Beobachtung kennen
gelernt hat? Iſt dies nicht der Fall, wie wir nach dem
| abfprehenden Tone glauben mäflen, fo tann ihm eins
competentes Urtheil über Rußland und die Ruffen gar
nicht zugeflanden werden, und es iſt mol jedenfalls hoͤchſt
anmaßlich, daß der Verf. nach einer fo vereinzelten Wahr⸗
nehmung und Beobachtung über ein ganzes, großes Bolt
urtheilen, demfelben alle Volksthuͤmlichkeit abfprechen und
es geradezu nur für einen haltlofen Stamm erklären voill.
Mef. fit längere Sahre In Rußland gewefen und ann
ihm daher aus eigener Erfahrung und Beobachtung der
Ruifen verfichern, daß fie allerdings eine fo beſtimmt und
entſchleden ausgeprägte Volksthuͤmlichkeit haben, wie nur
irgend ein Volk fie haben kann, und daher im vollften
Sinne des Wortes ein Voll genannt werden können. In
dem Volkscharakter der Ruſſen mifchen fich bedeutende
Lichtfeiten mit bedeutenden Scyattenfeiten. Der gemeine
Ruſſe ift allerdings noch ein roher Naturmenfch, aus dem
. viel gemacht werden kann, weil er überaus anftellig und
gelehrig iſt, und die Verderbniß, die fih in den focialen
Zuftänden des ungebeuern Reichs unverkennbar eingeniftet
und bereitd tiefe Wurzeln darin gefchlagen hat, tft weit
mehr und weit allgemeiner in den höhern und obern als
in den untern und niedern Schichten ber bürgerlichen Ges
feufhaft und des Volks verbreitet. Wir find keineswegs
Freunde ber Ruflen, aber der Deutfche follte, duͤnkt ung,
vor allem und. überall -ded „suum cuique” eingedenk fein
und bfeiben, und nicht fo obenhin nad) vereinzelten Wahr:
nehmungen und Beobachtungen aburtheilen. Denn mit
demfelben Rechte, mit dem unfer Berf. aus dem Franzoͤ⸗
ſiſchſprechen der Ruſſen fih für befugt haͤlt, den Ruſſen
alle Volksthuͤmlichkeit abzufprechen, würden ja auch bie
Ruſſen ihrerfeits aus dem Franzoͤſiſchparliren ber guten
Mienerin folgen Eönnen, daß wir Deutſche kein Bolt,
fondern nur ein haltloſer Stamm feien. Iſt es freilich
unferm Verf. nur um den Effect zu thun, auf den er,
wie wir bald fehen werden, einen fo großen Werth fest,
fo find freilich dergleichen glängende und fchimmernde
Schlagurtheile die geeigneten Mittel dazu; allein dem den:
enden Beobachter muß die Wahrheit mehr gelten als das
Effect machen.
Der zroeite Band des vorliegenden Werks beginnt miteiner
Charakteriſtik deutfcher Männer. Wir übergehen, was der
Verf. über Goethe, Friedrich Wilhelm IV., Ziel, Savigny,
Hitzig, Zeune, Seldelmann, Leffing, Kaulbach, Hildebrand
bemerkt, da wir durchaus damit einverftanden find. Die
Frage jedoch, mit der er den Artikel „Franz Lachner“ bes
ginnt, nämlid: warum die Componiften in unferer Zeit
immer feltener, die Birtuofen dagegen immer baufiger
werden? wird uns zu einigen Bemerkungen Anlaß geben.
Hr. v. Jagemann glaubt naͤmlich den Grund von bdiefer
allerdings auffallenden Erfcheinung nit ſowol darin fu:
hen zu müffen, daß unfere Zeit keine geniale, fondern
nur eine Zeit der Speculation und des Talents fei, indem
er an eine rudgängige Bewegung der Zeit nicht glaubt,
als vielmehr darin, daß Genies immer nur fporadifch vor:
kommen, und der günftigen Gelegenheit bedürfen, um ber:
vorzutreten, die ihnen In unferer Zeit fehlen möge. Zu:
vörderft müffen wir bemerten, daß auch wir nicht an ei:
nen eigentlichen Stillſtand der Menſchheit im Vorwärts:
fchreiten, wol aber an jeweilige Seiten: und Rüdfchritte
derfelden auf diefee Bahn glauben, da dergleichen geſchicht⸗
lich zu deutlih und unverfennbar vorliegen, ale daß fie
geleugnet werden koͤnnten, die aber in letzter Inſtanz nach
den für ein fterblihes Auge unüberfehbaren göttlichen
Meltregierungsplan dennoch zur Förderung des wahren
Fortfchrirts dienen muͤſſen. Was nun aber ferner die in
Mede fiehende Erſcheinung insbefondere betrifft, die uns
zu dieſer Betrachtung Weranleffung gegeben hat, fo ſu⸗
hen und fegen wir den Grund davon hauptſaͤchlich in dem
immer überwiegender werdenden materialiftifchen Zeitgeifte.
(Der Beſchluß folgt.)
Pierre Leroux Über das Weſen des Menfchen.
De l’humanite, de son principe et de son avenir, oü se
trouve exposde la vraie definition de la religion, et oü
l’on explique le sens, la suite et l’enchatnement du Mussisme
et du Christianisme, par Pierre Lerouz. Erſter und zweiter
Band. Paris 1840.
Bereits früher ift das deutfche Publicum in d. Bit. auf
Pierre Lerour ale „den Reflaurator der franzoͤſiſchen Philoſo⸗
phie und ben fpeculatioften Geift, welcher feit Malebranche in
Frankreich Icbt”, aufmerkſam gemacht. Wenn man diefem guͤn⸗
fligen Urtheile beiftimmt, fo wird man freilich nur den tiefern
Standpunkt der franzöfifchen Ppilofophie, in der fi nur bie
begabtern Geiſter zum Speculativen erheben konnten, vor Aus
gen haben; immer aber ift Pierre Leroux eine fo fehr bemer-
kenswertbe Erſcheinung, daß wir nochmals verfuchen möchten,
ihm die Aufmerkſamkeit des leider zu viel mit den werthlofern
Producten ber franzöfifchen Eiteratur beſchaͤftigten deutfchen Pu⸗
blicums zuzumenben
In Frankreich Hatte im vorigen Jahrhundert der Senſua⸗
lismus feiner Auftöfung in Waterialidmus und Atheismus nicht
entgenen Eönnen. War biefes Extrem glei Keine bleibende
RKichtung, fo ift ed doc bis jegt noch zu Peiner tücdhtigen Rege:
neration der Phitofophie gelommen. Die Branzofen wollen auch
bier ernten, wo fie nicht gefäet Haben, und find darauf aus,
ohne eine folide philoſophiſche Grundlage zu errichten, die Phi—
loſophie fogleich praktiſch zu machen und die übrigen fpeciellen
Willenfhaften damit zu befruchten. Weit ihnen dabei denn
nicht viel weniger fehlt als die Pbilofophie felbft, fo Eommen
fie in den Syſtemen bed Genfualitmus, des Spiritualismus,
der katholiſirenden Philoſophie und der &ocialphilofophie über
bie Sphäre bes reflectirenden Verſtandes nicht hinaus, zielen
nach Refultaten bin, die ihnen bie Empfindung als Biel vorge:
ſteckt hat, und bringen es hoͤchſtens zu geiſtreichem Raifonnircen
und beſtechenden Ginfällen und Hypotheſen. Bedenkt man nun,
wie leicht die franzoͤſiſche Nationalität durch das dort ſehr wohl⸗
feile Blendwerk von Esprit und Phraſenpracht zu verleiten ift,
fo wird man es erklaͤrlich finden, baß bloßes Geſchwaͤt für Phi⸗
tofophie paffirt und daß ſeibſt die Glanzpunkte der philofophis
ſchen Literatur in Kranfreid nur einen relativen Werth haben,
und eine Prüfung vom Standpunkte der deutſchen Wiſſenſchaft
aus nicht ausbalten. Won biefem. Stanbpunkte aus erkennt
man, daß bie Frangofen, um aus biefer unbefangenen Weife des
Denfens erlöft zu werben, vor allen Dingen die Kant'ſche Phi⸗
loſophie als Entwickelungsſtufe durchmachen müßten. Diefe
müßte zeigen, wie bie Verſtandesbeſtimmungen der Endlichkeit
angehören, und wie bie aus ihnen bervorgebende Erkenntniß
nicht, die Wahrheit ift, fie müßte fo zum eigentlich Speculativen
ben Übergang bilden. Die niedere Sphäre des Verſtandes ift
den Franzoſen indeß zu bequem, und die Verfuche, ihnen die
deutſche Philoſophie zugänglich zu madyen, Naben wenig Nutzen
geſtiftet. Sie unternahmen es vielmehr, über diefe Phitofophie
zu raiſonniren und zu deraifonicen, zu verwerfen und zu bill:
gen, je nachdem das Erfaßte ihren dazu mitgebrachten Borftels
lungen wiberfpridt ober zufagt. Ienes Verlangen aber, die
Philofophie von vorn herein praftifch zu machen, hat die focias
(en Theorien veranlaßt, welche ein fo bedeutendes Element in
ver franzoͤſiſchen Philoſophie bilden und benen mindeſtens das
8°
Gesdienft gebührt, dab fie in ihren kritiſchen Theilen auf ein
Grtennen der Gebrechen der Gegenwart führten. Diele Gebre⸗
den treten endlich in dem Drange nad) materiellen Gütern, ber
die neuere Zeit deherrſcht, offen vor die Augen Aller hin, und
eben diefer Drang reagirte gegen die Philofophie, indem er dem
ruhig refignicenden Fleiße, der aufopfernden uneigennügigen Ars
keit ein Ende machte. Jeder will fo ſchnell ale möglich die
Fruͤchte feiner geiſtigen Zhätigleit genießen und macht dieſe das
der den materiellen Intereffen dienſtbar, welche ein ernfled und
sehlicdes Streben gar nicht oder erſt fpät belohnen. Die Maͤch⸗
tigen ſcheuen ſich ferner nicht, auch im Gebiete bes Geiſtes zu
unterbrücter: oder zu befördern, was ihren Intereflen entgegen
ober foͤrderlich ift, und in biefer Hinficht ift es leider conventios
nel, nady Gatfernung des Preßzwangs und offener Gewalt in
den-als fich ganz von felbft veritebend angewandten künftlicyen
Kitten und Schieifwegen keine treulofe Verlegung des einmal
anerfannten Principe und keine moraliide Schänblichleit zu
finden, fondern nur die Schriftfteller und Gelehrten, welche ſich
alſo corrumpiren laffen, einer geiftigen Proftitution zu bezuͤch⸗
tigen. Unter foldyen Umftänden Eonnte das ſchmaͤhliche Flickwerk
des Gtletticismus zur herrfchenden Richtung werden. Der Ek⸗
Lekticiömus, der jede bittere Gonfequenz vermeidet, war bie ein:
zige Exrhre, die gang gefahrlos ſchien und fi zum Bundesge⸗
noffen des Doctrinairismus eignete. Das Princip beider iſt
dafjelbe ; man will bie Extreme vermitteln und bie rechte Mitte
finden, obgleich die Wahrheit nicht mitten zwiſchen den verſchie⸗
denen Anfichten, fondern an dem Biele Liegt, dem fie alle zus
fireben. So bringt man es denn nach außen zu einer Berfein:
dung mit allen Parteien, nach innen aber zu einer Gorrumpis
zung ds eigenen Charakters, indem man durd die Befugniß,
die Wahrheit aufzugeben, wo fie Gefühlen und Intereſſen wis
derſpricht, und fi das der Vorſtellung Zufagende zufammenzus
tefen, nichts Anderes als natürliche Schlaffheit und Geſinnungs⸗
loftgfeit zum böchften Princip macht. Bei diefem Zuftande der
Pbilofophie verdienen die Wenigen, welche mit Feſtigkeit und
Gruft an dem Werke des Geiſtes arbeiten, gewiß auch bie Auf⸗
merffamleit Deutfdylande, und von diefen Wenigen nimmt Pierre
Lerour diefe Aufmerkſamkeit um fo mehr in Anfprud, als ſich
in feinen Schriften nit nur ein tücdhtiger Charakter, ſondern
auch ein unter allen Umfländen beachtenwerthes philoſophiſches
Zalent offenbart. Pierre Leroux ift durdy die Lehren St.⸗Si⸗
mon's gebildet, bat ſich inbeß fpäter von den Gt. : Simoniften
lotgefagt. Als Mitredacteur der „Revue encyclopedique’' hat
er in dieſer jest eingegangenen Zeitſchrift eine Reihe fehr bes
merkenswerther Artikel über Religion, Phitofophie und Ge⸗
ſchichts philoſophie niedergelegt und in fpätern Arbeiten für bie
von ihm mit Reybaud zufammen rebigirte „Kincyclopedie nou-
velle’’ feine pbilofophifdye Anſicht näher ausgeführt. Eine ſei⸗
ner bedeutendſten Arbeiten ift die bekannte gegen Goufin und
Jeuffroy gerichtete „Refutarion de l’eclectisme “ *), wodurch
diefe Unphiloſophie einen ſchwerlich zu überwindenden Stoß be-
tommen bat. ine feiner legten größern Arbeiten iſt die jett
zur Berichterflattung vorliegende ; fie betrifft das Weſen des
Menſchen, feinen Zuſammenhang mit der Menſchheit und fein
jetiges und kuͤnftiges Leben im Schoofe der Menfchheit.
Iſt der Gang der Geſchichte eine Entwickelung bed Geiſtes
wm Bewußtſein und zur Individualität, fo find dieſe Fragen,
deren Loͤſung dem Wenfchen fein und der Menſchheit geiftigee
Veſen offenbart, die hoͤchſten und wichtigften. Der Menfch
muß dieſes, muß feinen Werth kennen, denn nur in biefer Gr:
kenutaiß kann bie geiftige Freiheit beftehen ; über die Rothwen⸗
digkeit diefer Erkenntniß aber gibt uns die Tradition in den
kehren Plato's, Epikur's, Zeno's und bes Ghriftenthums vom
böchften Sute fo bündigen Auffchtuß, daß wir weder in einen
fladhen Eudämonismus zurüdfallen, noch im gewöhnlichen Sinne
fragen werben, welcher Nugen davon zu boffen ſei. Erkennen
wir bier, daß unfer Lehm nicht blos in uns, fondern auch in
*) Bergi. Re. ME — 15 d. Bi. f. 1800.
unfern Mitmenfchen ift, daß wir, gleichwie die Körper auf ber
Erde zufammen und durch die Anziehungskraft der Erde vers
bunden zu der Sonne, fo in geifligır Verbindung und Wermits
tetung mit dee Menfcbheit zu Gott bingezogen werden, fo fte:
ben wir vor dem Probleme von bem Welen des Menfchen und
des Bandes, welches ibn mit der Menfchheit zuſammenſchließt.
Leroug erörtert in ben erflen fünf Büchern feine Lehre vom
Menfchen, von feiner Beftimmung, feinem Rechte, der wechfels
feitigen Solidarität aller Menfchen unb dem dauernden Reben
des Einzelnen im Scyoofe ber Menſchheit, und liefert im ſechs⸗
ten Buck eine Darftellung ber Zradition über diefe ragen.
Zunaͤchſt definirt Lerour den Menfchen. Als abſtractes Ginzels
weſen hat ihn die Pſychologie zu definiren, und diefe zeigt in
ihm — wobei die abflracten Gegenfäge von Geiſt und Körper
loszulaſſen find — eine untrennbare Verbindung von Sinnen:
anſchauung, Empfindung unb Grfenntniß (sensation, senti-
ment, connaissance), Als concretes Weſen, als GBegenftand
der Ethik und Politik iſt aber der Menfch nicht blos, wie bie
Alten fagten, ein (uov zolrıxo», fondern der Menſch, die Ges
feufhaft und die Menſchheit iſt perfectibel; ihr Weſen beruht
auf der in neuerer Zeit gur Klarheit gebrachten Perfectibilitäts-
lehre. Das Leben eines jeden Einzelnen ift aber an einen fort:
dauernden Verkehr mit feinen Mitmenſchen und den Außendin⸗
gen geknuͤpft, und in dieſer Hinſicht entfpredhen ben drei Seiten
feines Weſens (sensation, sentiment, connaissance) bad @ls
genthum, die Bamitie und der Staatsverband, durdy welche je:
ner jener fortdauernde Verkehr unterhalten wird. Diefe drei
Sphären müffen dem Menſchen offen fichen: das übel in der
Weit liegt in dem Zwange und ber Bedruͤckung, die man in dies
fen Spbären übt, und in ber dadurch herbeigeführten kaſtenmaͤ⸗
Big geſchloſſenen Kamilie, im Kaftenflaate, und durch dad Ka:
fteneigentyum wird der Menf zum Sklaven berabgemwürbigt.
Man übt aber foldhen Zwang, weil man das Princip der Ein⸗
beit bed Menſchengeſchlechts nicht anerkennt. Das Reben bes
Einzelnen iſt fubjectiv und objectiv. Das objective Liben be⸗
zieht auf die Mitmenfchen und die Natur. Jeder Meni als
Object trägt alfo einen Theil eines andern, ber Subject ift, in
ſich. So wirft die Vervolllommnung des Ginen auf ben Ans
dern und es tritt eine wechfelfeitige Solidarität ein, deren Auf⸗
bebung durch Ifolirungen zu Leiden und Unterjochungen führt,
die fowol dem Bebrüdten als dem Bedrüder fchaden. Deshalb
ift die Lehre des Chriftentyums von ber Liebe auf bie fubftan:
tiele Ginheit des Menſchengeſchlechts gegründet: in dem Raͤch⸗
ften, auf den ſich mein objectives Leben bezieht, Liebe ich mid
feibft, einen Theil meines Lebens. Leroux weißt nach, wie die
Vorſchrift, Bott Über Alles, feinen Nächften wie fich felbft zu
lieben, nur in der unaufgelöften Verbindung der Liebe zu Gott,
zu dem Nächften und zu ſich ſelbſt ihre Erfuͤllung findet. Die
alleinige und unmittelbare Richtung ber Liebe gegen Gott ift
nicht moͤglich, der Verſuch dazu führt zur Schwärmerei. Die
aus jener Borſchrift Lo&geriffene und firirte chriſtliche Nächten:
liebe ift mehr Sommiferation ale Liebe; es iſt bei ihr von kei⸗
ner andern Gleichheit als der gemeinfamen Nichtigkeit aller
Sreaturen vor Gott die Rebe, und man darf ſich nicht wun⸗
dern, wenn die Armen und Bebrädten eine fo unvollftändige
und erniebrigende Liebe verſchmaͤhen. Die abftract feftgehaltene
Selbſtliebe aber iſt platter Egoismus. So muß benn ber Ges
genfag des Einzelnen gegen Gott und Mitmenſchen aufgegeben
und dies chriſtliche Princip — welches von den Menſchen ſo
lange irrig verſtanden iſt — F der Erkenntniß der Einheit
und Solidaritaͤt des Menſchengeſchlechts in Gott entfaltet wer⸗
den. Alsdann wird es der Miſſion der Kirche, welche bis jetzt
vergebens verſucht bat, jene Gegenſaͤtze zu vereinigen, nicht mehr
bedürfen und bie jegt ihr ats ein Anderes gegenüberftebende
weltliche Geſellſchaft wird felbft im Beſitze des religiöfen Prins
cip& fein, welches bisher von ber Kirche bewahrt werben follte.
Ruͤckſichtlich des Verhaͤltniſſes des Ginzeinen zur Menfd:
heit und feines gegenwärtigen und zufünftigen Lebens im Schoofe
derfelben geht Lerour davon aus, daß bie Trennung eines Iens
vom Dieffeits, einer künftigen Melt, eines Himmels von ber
rd ein falfdyer und verderblicher Dunlimus iſt. Disfe Tren⸗
nang führt zum Egoismus; zu dem bes_abergiäubigen From⸗
men, ber an nichts als an fein eigenes Geelenbeil denkt, und
zu dem des Atheiften, ber nichts Näheres tennt als das gegen,
wärtige Erben. Das Zenfeite, das über allem Erſchaffenen Lie
ade Unendliche und Unficktbare ift der Himmel, iſt Gott ſelbſt.
jeſes Unendliche manifeftirt ſich aber in Zeit und Raum, und
fo exiſtirt für den Verſtand der Himmel doppelt, fofeen ex iſt
und fofern er ſich manifeflirt. Das Unfichtbare wird ſichtbar,
ohne aufzuhdren unſichtbar zu fein, das Unendliche endlich, ohne
anfzubören unendlich zw fein. @o eriflirt nicht ein concrete6
Diefleitd und ein jenfeitiges Geifterreich, aus dem unertennbare
Bäden In jenes binabreicyen, fondern das unendliche ift doppelt:
ein abfoluter ewiger alles Geſchaffene umfaflender Himmel und
ein relativer progreffiver Himmel, die Wanifeftation des erſtern
in Zeit und Raum. Bisher haben bie Menfchen Beides vers
wechfelt und das Leben nach dem Tode in das Abfolute und
Gwige, in eine volftändige Bifien Gottes, in ein Sintauchen
in das .Unendliche geſegt. Daher eine töbtenbe Furcht, oder eine
unfinnige Sxflafe, oder die vernichtende Negation bes Atheids
mus. Allein ſchon unfer gegenwärtiges Leben entbehrt dieſes
Himmels nicht; als geſchaffene Weſen, als Manifeſtationen des
Unendlichen, find wie mit dieſem ſchon jest auf diefelbe Weife
verbunden, auf welche wir e6 nad) unferm Tode fein werben.
Der Unterfchieb liegt nur im Grabe unferer Intelligenz. unferer
Liebe und unferer Thaͤtigkeit. Nach diefer Abweiſung des ab:
fieaeten Senfeitigen kommt Lerour auf-bie Frage von der indi⸗
visuellen Kortdauer. Hier haben nur bie hervorragendſten Geis
fier, denen es gelang bie abflracten Gegenſaͤtze des Ginzelnen
und Allgemeinen zu verbinden, zur Wahrheit gelangen koͤnnen;
die Meiften blieben im Zweifel defangen, oder warfen ſich dem
Glauben in die Arme, fobald der Zweifel unerträglich warb.
Ee paßte, was GBaffendi fagte, daß man das Vorurtheil hegte,
die einzelnen Seelen als Theile der Weltfeele zu betrachten, bie
in Körpern wie in Gefäßen eingefchloffen wären umd bei dem
Zerbrechen der Gefäße in die Weltſeele zurüdfließen müßten.
Gs ift aus din Schriften von Richter, Weiße und G@öfchet ber
Tannt, wie ſehr noch die Gegenwart in diefen Zweifeln befangen
il. Die Loͤfung Liegt allein in der Dialektik ber Gegenfäge des
Einzelnen und des Allgemeinen. Wir find, alſo werden tie
fein. Wir find nur durch unfere Theitnahme am unendlichen
Sein, an jener abſtracten, über Vergehen und Entſtehen erha⸗
benen Subſtanz, wir exiſtiren als ein ewiges Veſen unter ei⸗
ner actuellen Form oder Manifeſtation. Nur dieſe Manifeſta⸗
tion faͤllt als vergaͤnglich unter Zeit und Raum. Nachdem bier:
auf der Begriff der Menfchheit, humanit, aufgeſtellt und nadh:
gewielen if, daß bie Menſchheit nicht als mwefentofes ‚Abftractum
aus einer Moffe zufällig in Raum und Zeit nebeneinander exi⸗
ſtirender Einzeiweſen, fonbern als ein comcreted Wirtliche, das
fi in jedem Einzelnen offenbart und fubjectiv und ‚objectiv als
fein Ich und Nichtich in wechfelader Durchbringung in ihm vor»
handen ift, betrachtet werden muß, crgibt fi), daß der Einzelne
nicht als ein bei ber Dauer ber Gattung Geibfttofes und Unbe⸗
rechtigtes gelten Tann, daB das Allgemeine vielmehr nur durch
dis Berechtigung des Gingelnen Wahrheit und Griftenz bat.
Der Mittelpunkt diefer Verbindung iſt Gott, der in jebem Eins
zeinen die Menfchdeit ſieht und jeden Einzeinen mit dem Cha:
rakter der Menfchheit gefchaffen bat. Diefe Berbindung tritt
aber der Vorftelung von der Verfegung ber Geftorbenen in eine
dee Menfchheit fremde Sphaͤre entgegen. Leroux nimmt allo
(weicher Gedanke bei uns ja auch von Leſſing wicher angeregt
it) eine Fortdauer des Einzeinen in der Menfchbeit, ein Wie⸗
dergeborenwerben gerade auf dieſer Erde an, widerlegt die Eins
würfe, die man dagegen aus dem Mangel eines Grinnerung an
ein früberes Leben gemacht hat, und weiſt nad, daß, wenn
man nicht mit Locke jeden Neugeborenen für eine tabula rasa
erfiären und ein Hervorgehen aus dem Nichts annehmen will,
man entweder jene Perpetuitaͤt ber Einzelnen im Gchoofe ber
Gattung, ober eine ganz plans und grenzenlofe Seclenwande⸗
rung ſtatuiren muß.
(Des Beibluß folgt.)
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Die Geſchichte der Todtentaͤnze iſt noch lange nicht ab⸗
chloſſen. Sie erhält einen neuen Beitrag, der von hoher
en teit iſt, in folgender Mbbandlung: „Kxpliestien de la
danuse des morts de la Chaise- Dien, e insdite du
ISino sidche”, von Achtue Bubinat (Paris 1842). Des gelehrte
Berf., des fih durch mehre ausgezeidinete Merle, neuerdings
namenttich durch feine „Armeria real’ und feine „„Aneiennes
tapisseries histori6es" aid Archaͤolog rühmlichft befannt ger
bat, das allegoriſche Gemaͤlde, das in ber
Auvergne aufgefunden ift, nicht nur auf eine genhgende Weiſe,
fondern er fügt feinem Werke nody einige einieltende Bemerkun⸗
gen hinzu, weiche auf die Geſchichte der Macaber ober Todten⸗
tänze ein neues Licht werfen. Das befannte Werk von Gabr.
Peignot: „Recherches sur les danses des morts et sur l'ori-
gine des cartes à jouer” (Paris 1826), wirb dadurch mwefent-
ich vervollſtaͤndigt. Wir bemerken bier gleich noch, dab Hip⸗
polyte Fortoui, Profefloe der neuern Literaturen zu Zoulonfe,
der durd fein Werk „L’art en Allemagne” belannt iſt, gang
türztih den berähmten Todtentanz von Holbein in gridhmads
voller Lithographie, mit einer biftorifchen Ginleitung verſehen,
herausgegeben hat. Diefe Lithograpbie zeichnet fidy vor dem Abe
drudt in den „Oeuvres de Jean Holbein‘‘ (Bafel 1780) von
Mechel befonders durch die größere Wohifeilheit aus.
Bon allen Kirchen Frankreichs iſt Beine einzige fo häufig
beichrieben und abgebildet worden als bie biftorifch unb artiſtiſch
mertwürbige Abtei zu St. Denis. Wir wollen hier nicht alle
Geſchichtewerke, welche biefe Kirche betreffen, aufzählen und er⸗
wähnen die glänzende Schilderung, die Shateaubriand von ihr
entwirft, nur im Morbeigeben. Gegenwärtig erhalten wir eine
recht brauchbare Geſchichte derfeiben in ber „Notice historique
et chtonologique sur l’abbaye de St.-Denis’, von Mad. Rehar
rivels Durodder. Die Berf., Vorfteherin der Novizen im Mai-
son royale zu ©t.+ Denis, hat ihren @egenftand einfach unb
obne großen Aufwand von Gelehrſamkeit, aber in einem recht
würdigen Zone bebanbeit. Es wäre wünfchenswerth, daß bie
Geſchichte und Beſchreibung aller Interefianten Kirchen, ari des
nen Frankreich fo reich if, in einem Werke zufammengeftellt
wücde. Daflelbe dürfte etwa ein Seitenftäd zu dem befannten
Werke von Leon Gozlan über die Schiöffer und Burgen Frank⸗
reiche bilden. Wenn wir nicht irren, bat der Vicomte be
Walfh vör einiger Zeit den Plan gehabt, ein ſoiches Werk her⸗
auszugeben; wir wiffen aber nicht, ob er wirklich die Hand
daran gelegt bat, ihn zu verwirflihen. Fuͤr die Kirchen von
Paris tft in dem befondere artiftifch ſehr beachtenewerthen Werke:
„Les öglises de Paris’ (Rithographien von Pragonard), von
dem Fr die Teste Lieferung erfchlenen ift, der Anfang
gemadht.
—
Wir haben in dieſen Blättern vor einiger Zeit eines Werke
dene über den Handel von Marfeille gedacht, das aus der
Beder von Jules Julliany herruͤhrte. Es war dies eine bloße
Skizze, bie in dem umfaffenden Werke: „Essai sur le com-
merce de Marseille”, von J. Zulliany, von dem vor kurzem
- die beiden erften Bänte erfchienen find, ihre weitere Ausführung
erhalten bat. Diefe ſchaͤtzbare Monographie wirb mit bem drit⸗
ten Bande, der binnen kurzem erjcheinen foll, abgefchloffen
fein. Wir beeilen uns darauf aufmerlfam zu machen, weil
diefes Werk einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Geſchichte
des Handels liefert, die bis jegt noch Feine genügende Behand⸗
lung gefunden bat. 2.
Berantwortiicher Herausgebers Heinrih Brodhaud — Drud und Berlag von $. 4. Brodhaus in Leipzig
Blätter
fir
literariſche Unterhaltung.
v. Sagemann.
(Befluh aub Nr. 28.)
Ohne uns nun weiter bei Mendelsiohn : Bartholdy
und Boiſſerée aufzuhalten, deren Werth und Verdienſt
wie volllommen anerkennen, geben wir ſogleich zu dem
vierten und inhaltvollſten Abſchnitt über: „Vorbilder und
Leiftungen der modernen Kunſt.“ Es Liege nicht in
umferer Abſicht, dem Verf. in feinen Afthetifchen Kritiken
isber die verfchiedenen Maler, Heroen und Schulen, deren
Eigenthuͤmlichkeit und Leiſtungen zu folgen: es iſt dies
teils zu oft beſprochen worden, theil® würde es uns zu
weit über die uns geſteckten Grenzen hinausfuͤhren. Wir
wollen und müflen uns bier nur darauf befchränfen, feine
speoretifgen Seundfäge, die uns eines Elaren und richtigen
Begriffs von der Aufgabe ber ſchoͤnen Künfte und von
ben Bedingungen, an die deren Löfung geknüpft iſt, gaͤnz⸗
lich zu ermangeln fcheinen, einigermaßen näher zu beleuchs
un; es wird fi dann leicht nachweiſen laſſen, daß und
worin er geirrt hat. Den dem Gase ausgehend, daß dfe
Wirkung der Kunft Beine foftermarifche, Logifch s confequente,
fonderen eine unmittelbare und ohne Überzengungsgrände
bewegende fei, deren Einfluß und Aufnahme fi nie im
voraus beſtimmen Laffe, fondern deren Kraft und Gewalt
lediglich durch den Erfolg dewaͤhrt werde, folgert er hier:
aus, daß die Bemühungen „der Theoretiker, eine Klimar
der Kunftwirkungen aufzufuchen, nach der alle erfcheinende
Kunftwerke ſich zu ciaffifichen und ihr Urtheil zu gemärs
tigen haben“, vergeblich feten. Was die Kunſtwirkungen
betrifft, fo will er Verftand und Vernunft dabei gänzlich
ausgefhloffen wiffen und nur das Gefuͤhlsvermoͤgen (Be:
müth, Herz) zulaſſen. Dies zugeflanden, koͤnne man über
Vie ſeltſamen Zufaͤlligkeiten einer Kunftwirkung nicht wei⸗
tee mehr flaunen, denn das Derz nehme Seine Überzeu⸗
gung an; es laffe fid weder durch hochtoͤnende Richtige
Zeit wech, durch einſchmeichelnde Großartigkeit imponiren,
fchroeige vielmehr, fo lange es nicht von felbft überfprus
Dele, denn «8 fei Herr feiner felbit und kenne kein Gebot
ats fich felbft. Von diefen Grundvorausfegungen weiter
gehend und unbekuͤmmert auf ihnen fortbauend, findet
nun unfer Verf., daß es ſich natürli ganz von feldft
verftehe, einmal daß die Wirkung eines Kunſtwerks, da
De Kunft ihre Richtung hauptfächlih auf das Gefühls⸗
der wirklichen Aufnahme, die es erhalte, feine Werthbe⸗
ſtimmung finde. Lehre der Erfolg, daß wenig oder gar
kein Gefuͤhl im Publicum dabei erwacht fei, fo fei ber
Beweis geliefert, daß der Kumſtler ein Verblendeter, ein
Verierter fei und daß ihm echter Beruf mangele. Der
Werth eines Kunſtwerks richte ſich nicht nach der Über
einftimmung, in der es mit gewiffen willkuͤrlich aufgeſtell⸗
ten Regeln ſtehe, ſondern lediglich nach dem Erfolg, nach
der Wirkung, die e6 auf kunſtempfaͤngliche Herzen made.
Die Frage: Worauf iſt die Kunft im Allgemeinen ge:
richtet? beantwortet der Verf. dahin, dag Bildung und
Veredlung des menſchlichen Geſchlechts Zweck derfeiben fet.
Ferner darauf: ob denn die Menge, auf die gewirkt wird,
oder gewirkt werden ſolle, ein Urtheil uͤber Kuͤnſtler und
ihre Werke habe, erfahren wir, daß man zwiſchen dem
niedern Volke und der hoͤhern, gebildeten Claſſe unterſchei⸗
den muͤſſe, finden: es zwar auch Zweck der Kunſt, und
zwar ein ſehr dankenswerther ſei, auf das niedere Volk
einzuwirken, in der Regel aber doch die Abſicht vorliege,
den hoͤhern, gebildetern Theil zu ergoͤzen und den Kunſt⸗
geſchmack der Einſichtsvollern zu behertſchen; es laſſe ſich
gar nicht bezweifeln, daß ein Publicum vorhanden ſei,
das competent Über Kuͤnſtler und ihre Werke urtheilen
koͤnne. Nachdem nun unſer Verf. ſeinem Herzen wider
„die ſogenannten Kunſtkenner und Kunſtphiloſophen, die
ſich ein ausſchließliches Urtheil über dieſe Gegenſtaͤnde vin⸗
diciren, die in ihrer abſonderlichen Erleuchtung nicht mehr
und nicht weniger glauben, als daß die Kunſt ganz allein
für fie auf der Welt ſei“, Luft gemacht hat, iſt er nun
zu der gluͤcktichen Entdeckung gelangt, daß das Merk ber
Kunſtkritik ein „aͤußerſt einfaches” fei. Denn Jeder, meint
unfer fchnelfertigee Verf., der die rohe Schale abgeftreift
babe und feinerer Gefühle fähig ſei, pflege ein Kunſt⸗
product, deſſen erfter Eindrud ihm anziehend erfcheine,
mit Aufmerkſamkeit anzuhsren und anzufehen, und, wenn
er den ganzen Inhalt in feine Seele aufgenommen, fich
zu prüfen, in weiche WBerfaffung fein Gemüth dadurdy ge:
bracht worden ſei; die Wirkung werde fih dann im Al:
gemeinen al& eine dreifache erweifen: nämlich als angenehm,
oder umangenehm, ober gleichgültig, und hiernach fei das
.
u) 3
Kunſtwerk gerichtet, indem dem unangenehmen Eindruck
ein fchlechtes, dem angenehmen ein gutes und dem gleich⸗
gültigen ein mittelmäßige® Kunſtwerk correfpondire. Dieſe
Abftraction, im Geiſte aller Gebildeten vorgenommen, bilde
von ſelbſt ein gewiſſts, Yerrfchendes Urtheil, das allerdings
feine Nuancen habe, aber doch im Ganzen Über Die Qua⸗
lit&t eines Kunſtwerks enticheide, und dieſes herrſchende
Urtheit fet die eigentliche Werthbeflimmung der der öffent:
lichen Anfhauung übergebenen Kunſtwerke. Die Kunſt
fei, wenn fie ihre wahre Aufgabe erkenne, auf Bildung
und Ergoͤtzung des menſchlichen Geſchlechts gerichtet; ſehe
ſich diefes num nicht wohithaͤtig angeregt, bleibe es ftumpf
und kalt dabei, ſo ſei obiger Zweck verfehlt. Das Urtheil
eines großen Publicums koͤnne freilich ſelten binnen Jahr
und Tag als abgeſchloſſen hetrachtet werden, und Man⸗
ches, was anfangs mit Begeiſterung aufgenommen wor⸗
den ſei, werde oft in dee Folge verworfen, und umgekehtt.
Man müffe nur die Reife des Urtheils abwarten, aber
jedes wahre Kunſtwerk habe nody im Laufe der Zeit feine
Mirdigung gefunden und feinem echten Kuͤnſtler braudye
bange zu werden, daß ihm, wenn aud nit die Mit⸗
weit, fo doc) gewiß die Nachwelt das gebührende Lob zu
Theil Laffen werde.
Das ift nun die Kunftcheorie unſers Verf., die ihm
allerdings Außsrft wenig Mühe geloftet haben mag. Allein
auf die Gefahr hin, von ihm auch für einen „fogenannten
Kunftphitofophen erklärt zu werden, der da glaubt, die
Kunft fei einzig und allein für ihn da”, müffen wir doch
offen geitehen, daß uns nicht leicht eine größere und voll:
ftändigere Begriffsperwirrung vorgekommen iſt als eben
die in feiner Kunfktheorie vorliegende. Was zuvoͤrderſt
feine Behauptung betrifft, daß die Wirkung der Kunfl
feine ſyſtematiſche, Togifch sconfequente, fondern eine un:
mitselbore , ohne Überzeugungsgrände bewegende fei, fo
überträgt er damit offenbar, was nothwendig integrirend
mit dem Wefen und der Aufgabe der Kunft und in ders
felben begründet, was eben die eigenthümliche und beſon⸗
dere Form der Kunft ift, durch die‘fie ſich weſentlich von
der wiffenfchaftlichen Form unterfcheider, auf die Wirkung,
weiche die Kunſt bezwedt, und. verwirrt ſo von vornherein
zwei ganz verfchiedene Geſichtspunkte miteinander. Denn
Zwe und Aufgabe der Kunft ift keineswegs, wie unfer
Verf. meint, Bildung und Veredlung, oder, nad einer
andern Stelle, Bildung und Ergoͤtzung des menſchlichen
Geſchlechts, ſo unmittelbar; fondern ihr unmittelbar wah⸗
zer Zweck ift, Die Idee des Vollkommenen und Schönen
unmittelbar im menfclichen Geifte zur Anfhauung und
zum Bemwußtfein zu bringen. Was alfo die Wiſſenſchaft,
die diefelbe Aufgabe und denfelben Zweck hat, durch Zer⸗
fegung, Erörterung und Zergliederung der menſchlichen Gr:
kenntniffe und Begriffe, alfo analytiſch, zu bewirken
und zu erreichen bezweckt, das bezwedt die Kunfl unmit⸗
tslbar und mit einem Schlage, alfo ſynthetiſch, zu be
merfftelligen, und in bdiefer ihr eigenthuͤmlichen ſyntheti⸗
ſchen Form iſt ihre charakteriftifger Unterfchied von ber
Wiſſenſchaft, ihrer Form nah, gegeben, und ſonach ift
der, Unterfchied zroifchen Wiſſenſchaft und Kunſt weſentlich
nuc ein formaler. Berner koͤnnen wir unmögli dem Ges
fühlsvermögen und dem Erfolge einen fo wichtigen Einfluf
und einen fo hohen Werth binfichtlich der Entfcheidung über
den Werth von Kunſtwerken und Kunftleiftungen einräu-
men, wie unfer Verſ. es thut. Denn gerggichde derſelbe
ganz Recht hat, daß bes Werth eine Kunftwertd ſich
nicht „mach der Übereinftimmung deffelben mit gewiffen
willtürlichen Regeln richten koͤnne“, weil willkuͤrliche Me:
geln überhaupt gar Feine Regeln find, indem «6 der Bes
griff der Regel ſchon an und für fi nothwendig mit
fi bringt und in fich ſchließt, daß fie eine jede Willkuͤr⸗
üchkeit ſchlechthin von ſich ausfchließende Nothwendigkeit
iſt: fo kann ſich doch auch der Werth eines ſolchen
Kunſtwerks nicht nad einem fo zufälligen, bezüglichen
und unfiherg Kriterium beibmmen, wie 26 der Grfelg
oder die Wirkung ift, Die es auf kunſtempfaͤngliche Herzen,
auf ein gebildetes Publieum madt, fondern muß noth=
wendig in ihm ſelbſt, oder vielmehr in feiner Übereiuſtim⸗
mung mit der Idee des Vollkommenen und Schömen he=
suben. Ob und inwieweit ein Kunſtwerk mit der Idee deck
Volllommenen und Schönen übersinftimmt, alfe ob und
inwieweit ſich Ddiefe Idee in ihm gleichfam verkörpert fin⸗
det, darnadı allein und nicht nady dem Erfolg, ober nach
der Wirkung, die es auf funfiempfängliche Herzen macht,
mug und wird fi der Werth eines Kunſtwerks beſtim⸗
men laſſen. So gewiß fih aus der Natur der Idee des
fittliih Guten und Vollkommenen mit unbedingter Rothe
wendigleit die Koderung an jeden Menſchen barausfbells
und machen läßt, das fistlih Gute unter allem Um—
fländen und Bedingungen zu wollen und zu thum,
und fo gewiß «6 darum keineswegs immer in Der
Wirklichkeit gefhieht, ebenfo gemiß ſtellt ſich aus. der
Idee des Volllommenen und Schönen, beren Anſchau⸗
lichmachung Zweck und Aufgabe atfer ſchoͤnen Kunft uͤber⸗
baupt iſt und mit der fie nothwendig Kbereinflinuuum
muß, mit unbedingter Nothwendigkeit die Anfodermg,
gleihfam der äfthetifhe Imperativ an Sjedermänsigkich
heraus, daß er ein ideegemaͤßes und eben deshalb ſchoͤnes
Kunſtwerk auch ſchoͤn finden ſollte, ohne daß dies jgdes⸗
mal in der Wirklichkeit beachtet wuͤrde. Endlich koͤnnen wir
uns nicht damit einverſtanden erklären, daß nur Herz und
Gemüth, Vernunft und Verſtand Dagegen gar nicht ais come
petente Nichter über Kunftleiflungen und Kunſtwerke zu⸗
gelaffen werben follen; vielmehr fegt gevade umgekehrt die
Würdigung des Schönen, fowie bie von großen und hoͤ⸗
bern Kunſtleiſtungen und Kunſtwerken Erkenutuiß, Ein⸗
ſicht und Urtheil weit mehr als nur das bloße allgemeine
und unbeftimmte Gefühl voraus. Oder wird uns der Verf.
fügen wollen, daß z. B. über Dante's, Gaͤttliche Komödie”,
Zorquato Taſſo's „Befreites Jeruſalem“, Arioſt's NRaſen⸗
den Roland““, das Niebelungenlied, ferner über die Werke
eines Calderon, Goethe, Shakſpeare, Schiller, eines Ra⸗
fael, Michel Angelo Buonaroti, Gluck, Mozart, Beethoven,
Händel, Sebaſtian Bach nur das Gefühl allein und in.
letzter Inſtanz und nicht auch Einficht, Erkenntniß und
Urtheil als competent⸗ Richter zugelaſſen werden ſollen?
Vielmeht muͤſſen dieſe nothwendig hinzukommen, fpfern
fie ern Meche nach ih mufgeſaßt amd: erfünnt
werden follen. 2,
Pierre Leroux über dad Weſen des Menfchen.
Befäiet 0b Rr. 22.)
Wir haben in biefem dürren Yrtracte dem keſer leider
Kine Borkkellung von der geiſtvolen Verfolgung der angefnüpf:
un Gebaufenfüsen, von dem vollen Gewichte der Iperuiativen
Xsgumentation und ber beichten Wärme der Darſtellung geben
Kanen, worurch fi) unfer Schriftfielter auszeichnet. Ebenſo
menig wird es möglich fein, den reichen Inhait des letzten dis
ſteciſchen Abſchmites — deffen Vollendung von der Fortfegung
des Merle zu erwarten iR — einigermaßen erſchoͤpfend darzu⸗
nen. Lerour weift hier die meht oder minder entwickelten
Keime feiner Ideen in ber Tradition nah. Gr ſieht in ber
der Phitoſophie mi
er Wen, die in
abſeinte Rädkehre und Vernichtung des Einzelnen in Gott, an
eis Paradies und eine Hölle, oder an eine Metempfochofe durch
die Thier⸗ und Pflangenweit einmifchen, jene Grundidee hat den
Menſchen nicht gefehlt und iſt nur durch den Mangel des Glau⸗
bend an den Korrichritt und bie Perfectibitität verbunfelt wor⸗
den. Leroug weiſt diefes in einer geiftvollen Analyfe ber Pta⸗
toniſchen und VPythagoraͤlſchen Philoſophie nach und wendet fidh
Yan zu den Moſaiſchea Lehren und ihrem Zuſammenhange mit
dem Gheiftentyume. Wie Moſaiſche Lehre Tennt eine Unfterbs
tigkeit. Leſſing Hat in feiner Schrift „Über die Erziehung des
Men ſchengeſchlechts⸗ gewiß auf das Sinnreichfte erfäutert, daß
fer das Menſchengeſchlecht eben Dasjenige fet, was
für die Einzelnen, daß fie dem jedesmaligen Bit
bJungsgrads der Menſchen entfprede und bie höhere Wahrheit
nie ausfchtöffe, fonbern in Vorbereitung, Anfpielung und ins
gerzeia darauf hindeute. Dieſes beflimmt ben allerdings nur
seiativen Verch bee Dösfatfchen Lehre. Berour gcht auf Beffing’s
genau von ihm anadsfirte Anſicht ein; er eriäutert die Moſai⸗
fen Myythen durch die Nachweiſung, daß die Erzvaͤter von
Wam His Noch nur ſymboliſche Perfonen und Phafen in der
Enutwidelung des Menſchengeſchiechts find, und weiß auf hoͤchſt
funreiche Weiſe darnadı die Lebenddauer der Erzoäter im Eins
% den dya em Mythen des Berofid ale Abtbeiluns
der enklifchen Periode von 3600 Jahren zu erklaͤren.
nt im feinen Mythen das Dogma von der Einheit des
it der Menfchheit beſtimmt angebeniet und bie Idee
uer des Binzelnen In der Menfchheit darin vor:
‚ fobaß mindeftens die fatfche Idee des abftrarten Sens
befkimmt- abgebalten wir. der folgenden Zeit findet
dann bei den Sabucaͤtrn Materialiomus und Fein Unfterbs
Udjleitöglaubes; bei den Gilden, die das Dogma von ber Ein⸗
keit erfaßt hatten, ber Glaube an den Übergang in ein einge:
Metes Paradies und eine Hölle; bei den Pharifdern neben ſeib⸗
fohtiger Kaſtenmaͤßigkeit der Glaube an eine Wiedergeburt in
der RNeuſchheit. en Anſichten fanden in dem
Blauen an eine Auferftehung, eine nach dem bevorftehenben
Ablaufe einer beflimmten Periode erfolgende Zerftörung ber
Welt und den Beginn einer neuen Ara — welchen Glauben
Lerour bib zu feinen erfien Spuren und durch alle feine Modi:
ficationen verfolgt — einen Vereinigungspunkt. Durch bie
Spattumg zwiſchen dem Ginyfinen und dem abfltacten Allge⸗
n, dur den Bruch mit der Wirklichkeit wird dieſer
Staube zu unendliher Sehnſucht, die im Chriſtenthume Befrie⸗
digung finden foflte
auf eime ſociale und politiſche und auf eine pſychiſche und mo⸗
8
TH
a
B
Diefe v
zalifhe Palingenefie, und die Miſchung biefer brei Formen gibt
. Dan boffte auf eine kosmiſche und phnfifche, |: -
den rikiihen Goauuftiein ſenen wrmderbar hierweißerden Bha-
meter, bee die Matianen an Das Edrteithum zu feffein vers
mochte: Gurifiens ſerbſt iſt aus der Bette dee Eier; feine Ans
haͤnger zeigen gleihfals noch Gpuren des Geltmglaubens.'
Matthäus iR ein dekehrier Saducaͤer, Markus ein Eile, Eu
kas ein Pharifder and Johannes iſt burg die grichhiiche, da⸗
mais durch ben Piatentsmus reptäfentirte Philbſophie Kebiibet.
Dechalb tritt ia Matthäus bie koſmiſche Salingeneſte umd ein
revolutionnaires Element, im Lukas, ber, obgleich
doch durch Paulus’ Sina bie Irabitionen ber Pharifäer rer
präfentirt, die politifche Berjängung durdy Saͤnberung des Pries
ſterthums, lebhaft hervor, mährend die pfychiſche und pſychold⸗
gifche Regeneration, bie tm Markus angebeutet und im Johan⸗
nes auögebitdet ift, fehtt. Der ſyriſche Urtert des Matthäus,
den, nad) ber Nachricht von Papias beim Eufebius, Jeder aus⸗
tegte fo gut er konnte, ift nach 2erour gerade das primitive
hebräifhe Evangelium, weiches ſich nad) andern Nachrichten in
den Händen der IudensChriften befunden hat. Der Panonffche
Matthäus ift das treueſte Bild diefes primitinen iums,
und die übrigen Evangelien find Bearbeitungen, bie, im Gans
zen an den Zhatfachen feſthaltend, doch nach jenem Ausfprudhe
nom Papias bie Idern der MWerfaffer einmifchen. i
Rechtfertigung dieſer Anfidyt durch Belegſtellen wird nun bie
Grundanficht bes Ehriſtenthums über Gott, der wahre chriſtliche
Pantbeismns, hie Anſicht Gheifti über feine Gottetnatur. dem
Logos, die Liebe und die Einheit bes Deenfchengefchiechts und
Gottes dargelegt. Das Böfe iſt ber Bruch diefer Ginheit, bes
ven Herfell das Problem der Denker bis auf Chriſtus war.
So ſchließt ſich das Chriſtenthum an bie Mofaifche Lehre. Hier
iſt der Menſch bie Ertenntaiſß aus ber Einheit wit Gott
ausgetreten und das Moſaiſche Geſetzbuch iſt ihm ats Zuchtruthe
gegeben. Im Chriſtentham tritt die Verſoͤhnung durch das
wiedergegebene Bewußtſein ber Einheit, durch die Erkenntni
wieder ein. Das Gottesreich aber, das Chriſtus verſpricht, tft
nicht das ſchilechttzin umendblicdhe Jenſeits, es ift vielmehr nur bie
einige Manifeftation biefes Unendlichen, die concrete Wirklichkeit,
in welcher Gott .
Mon wird aus bdiefer kurzen Analyſe entnehmen, bap 8er
wur in ben wichtigſten Punkten zu ben Mefultaten der deut⸗
fen Yhilofephie gelangt. Diefe Übereinfiimmung gewährt ſei⸗
nem Werte ein beſonderes Intereffe, da er bie beutſche Philoſo⸗
phie mur hoͤchſt mangelhaft beant uud: dieſes namenttich durch
feine Anfuͤhrungen ber Hegel'ſchen Philoſophie — über melde
ee durch Reſumes und Extraete verwirrt fein mag — bekundet.
Wir ſchließen daher mit dem Wunſche, daß das deutſche Publi⸗
cum unſern Schriftſteller, ber es verbient bekannter und bes
ruͤhmter zu fein ats bie in Deutſchland vielgenannten Araͤger
der modernen frauzoͤſifchen Philoſophie, durch feine Aufmerkſam⸗
keit auf ihn ehren, daß aber Leroux durch genauere Kenatniß
der von ibm no ungeahnten Schaͤte der deutſchen Philoſophie
ſelbſt reichlich belohnt und in den Stand gefent werden möge,
gang im Geile feiner Lehre die Schranken der nationalen Abs
ſchließung der Philoſophie zu uͤberwinden. 4.
Literariſche Noetizen aus England.
Seltſam genug iſt Richard Savage ziemiich zu gleicher
Zeit in Deutſchland auf den Bretern und in England in einem
„Romance of real life’ erſchienen, deſſen Verfaſſer Charlet White:
beab (3 Bbe., London 1842). Der Roman aus dem wirklichen
Leben wird in Form einer Autoblographie gegeben und dieſe endigt
mit folgenden Worten an den Lefer: „Sollte Der, in beffen
Hände gegenwärtige Blaͤtter fallen, ein tugendhafter Menſch
md für Andere die Weranlaffung zur Tugend fein, ein guter
Bater guter Kinder, der gute Batte einer guten Brau, und er
mid; verurtheifen wollen, fo rufe ich ihm die Zeilen gu:
No mother’s care
Shaded my infant innoeenee with ptayer;
No father’s guardian hand my youth mainiained,
Call’d forıh my virtues, or from vioe zestrained.’’
Eine vartreffliche Sutfegulbige und Schwaͤchen
eines Rennes, von ehe 3 Johnſon ſagt: „Beboren mit bem
ethte uf Gore unb
nate vom Parlamente iBegitimict, von feinee Mutter verieugn
zur Armuth verdammt und binausgeftoßen auf den Dcean be
Lebens, im Rriehfande zu verſinken oder au ben Felſen gu zer
\ mettern.“ MWBhitehend Hat feine Aufgabe mit Eifer und Ser
ck geloͤſt, ohne von den durch Johnſon conflatirten Eehender:
—*8* weſentlich abzuweichen.
A popular bistory of British India”, von Gooke Taylor
(London 1842), ift ein böchft empfehlenswerthes Werk. Es ift wirt;
lid) populair geſchrieben, geht nicht auf Details ein, veranſchaulicht
aber bie Art und Weife, wie die Engländer ‚Herren von Indien ges
worden fin und was fie für Indien und Indien für fie gethan.
Das Buch iſt mit einem Worte ein Harer,
zug aus vielen bunfeln und weitfchweifigen Werken und ein neuer
Beweis für bie vortreffliche Darftellungsgabe des Verfaſſers.
Bibliographie.
Auerbach, B., Der geblibete Bürger. Buch für
denkenden Mitteiſtand. — Bietefelb. 16. 11%, Pe
Ball, ©. 3., Jeruſalem wie es war unb wie es tft, oder
feine Geſchichte und fein jegiger Zuſtand. Nebſt einem Grund:
eis von Ierufalem. Elberfeld, Daffel. 8. 10 Re. -
Bernoulli, C., Reuere Ergebniſſe für die Bevoͤlkerungs⸗
ſtatiſtik. Zugleich als Radtrag Km Pandbug) ber Populatio⸗
— —e aut Dane ungehaltene Vorleſun⸗
1. Heft: Inlaͤndiſche Zuſtaͤnde. Braunsberg. 8. 5 Rgr.
Bibliot bei für moberne Politik und Staatswiſſenſchaft. Ders
audgegeben von K. Riedei. Ites Heft. — Auch u. d. T.:
Immanuel Sieyes' Theorie der Wolfövertretung in der conftitus
tionellen Monarchie. a ie. potitifchen Schriften bargeftellt.
Darmftadt, eat.
D., Das wahre Geburtsjahr Christi, oder
gen.
Block,
wir sollten ise3 anstatt 1843 schreiben. Nebst einem An-
hange, enthaltend die Berechnung der Mondfinsterniss am
16. Octbr. im J. 16 vor Chr. nebst einer tabellarischen
Übersicht der —— kallippischen Cykel vom Jahr 738
ei zu 30 Ner. &1 der Stadt Rom. Berlin, Verlagshandiung.
Breier, . Die Gutachten über Bruno Bauer. Ein
Zeichen der Zeit. Dibenburg, Schutze. Br. 8. 5 Nor
Brunner, ©., Wiener⸗Reuſtadt in Bezug auf Seihichte,
Bopogtaphn, Kunft und Altertgum bargeftelt. Mit Federzeich⸗
Wien, Mayer u. Comp. Gr. 8. 1 Thirx.
Che rbuliez, Mad. T., Anette Gervais. Yamitionger
mälbe, frei nad) dem ran öfffdyen. Bearbeitet von J. S.
Hamburg, Herold. Ki. 1, Nor
Ghmel, J., Gefhickte Kaifer aetrichs IV. und feines
Sohnes Marimilian I ?ter Band. Geſchichte Kaiſer Fried⸗
Fa N gi König (1440 — 1459). Damburg, F. Perthes.
2.58. k.
Dannenberg, ©. W., Synchroniſtik der Schreckens⸗
tage Hamburgs vom 5. bis 8. Mai 1842 und deren Folgen.
Hamburg,“ Herold. Br. 8. 1 Thir. 10 Nor.
Enigegnung auf die Schrift: Die Reform m Königlich
Saͤchſiſchen. Criminalproceſſes unter Berädfihtigung der Fra⸗
gen über Öffentlichkeit und Muͤndlichkeit des Etzafoerfabrens,
ae Verlage» Somptoir. Gr. 12. 10 Rer.
— der Kaiſerlich Ruſſi ſchen Armee von Polen in den
Jadrh 1813 und 1814. Bon einem Augenzeugen beſchrieben.
Nebſt authentichen gaellagen. Hamburg, Bofmann u. Campe.
Gr. 8. 1Thlr. 1 J
——— \ ebiähke,
2 Thlr. ) Nor
Hte Auflage. Gtuttgart,
Cotta. 16.
überfichtlicher Auss |
"Comp. 8.
Gabler, ©. A., Die Hagai'sche Phinnghie. -
su ihrer richtigen Beurtheilung ad Wärdigung. 1.
Das Absolute und die L der Grundfrage aller Philo-
sophle bei H im Unterschiede von der Fassung anderer
Philosepben. Berlin, A. Duncker. Gr.8. 1 Täler. 7%, Ner.
‚yalznius ‚Cine u für feine Freunde. Ber⸗
eme er. . », Verfahren uns Erktuntuiß
Bremifchen ie in Unt ſachen wiber bem
Sapitain des Bremiſchen Schiffe u at Giuarb um
Conſ. wegen —— Nach den Acten dargeſtellt. Fe
Bu AU usfü Ventil
anfemann, ber die X des
Fifendapn » Gpfkems.. in, —* Ma Br
bbel — Ein z8
—
sınro N t
—22 Deurfätanh In Gore, Ken ae
gr.
Hitzig, F., Über Johannes Marcus und seina Scheif-
‚ oder: Welcher Johannes hat die Offenbarung verfasst ?
Eine Abhandlung in 3 in 3 püchern. Zürich, Orell, Wüssli u.
r.
Jahrbuch fär 185 Herausgegeben von H,C. Sche-
macher, mit von Bessel, Hanstein, Leh-
mann, Mädler und Olbers. Stuttgart, Cotta. 8. 2 Thir.
Kalisch, M., Herr J. 3. Sachs vor den Richterstahl
1% öffentlichen Meinung gefordert. Berlin, Ochmigke. Gr. 8.
gr-
taing, ©., Reifen in Schweden und Norwegen. Rad
dem Gnglifchen bearbeitet, mit Zufägen uab Kaunerfungen von
B. A. Einbau. Uſter Theil. — Auch u Reiſe in
wed a 1 tithograppirten —** Dre Ar⸗
Moll, K. B., die gegenwärtige Notb der ebangeliſchen
Kirche Preußens , deren Urſachen und bie Mittel zu ibeer Abs
hülfe beleuchtet. Paſewalk, Köhler. Gr. 8. — IV Ror.
Moshammer, I. A., Die Donaureiſe von Wien bis
Peſth. Eine Darſtellun * auf dieſer Route befindlichen Merk⸗
wuͤrdigkeiten in hiſtoriſcher, topographiſcher und — *
ziehung, nebſt einer Beſchreibung des Sehenswertheſten in
Staͤdten Ofen und Peſth. Mit Panorama in Bopiperfpertioe.
Wien, Roprmann. 8. 3 Tolr. WM
codemus, &., Wien in — *— komiſchen Spiegel⸗
bildern. Cine Sammlung unterhaltender Gen je ms bier
figen Volksleben. Ifte Lieferung: Die Safehing. » Dinflags » Res
doute. Wien, Zauer u. Sohn. Gr. 13. 71, Near.
Rau, D., Gedichte. Stuttgart, Frandy. 8. 2 Thir.
Reaction und Adel. Gine Mahnung. Nebſt einem An=
bange aus dem Bagebude ei eines Ropatiften. Berlin, Verlage:
buchhandlung. Gr Nor.
Rudolphi, 3., 1842, das venbengnifole Jahr. Gin
Boldmer. Gr. Nor.
Gebenfruß: Leipzig,
Smidt, H itonet Bilder. —8 und Skizzen.
Berlin, —E 8. 1 Thlr.
Stand und Schickſal. Ein Zeitbilb aus dem Tagebuche
eines Lieutenants. Königsberg, Theile. 8. I Thir.
Steinmann, F. Schhwarze Blätter. NMictheilungen
uͤber ‚Berbreden, Strafgericht und Strafgerichteverfahren ber
Vorzeit. 1. Theil. 1. Lief. Weſel, Bagel. Gr. 8, 20 Nor.
Stengel, Branzista v., Wildhbanne Gin biſtoriſcher
Roman aus dem 15. —— Theile. Mannheim,
Bensheimer. Gr. 16, 2 Tdbir. 73N4 Rgr.
Werner, H., Drei Tage im Haufe Guſtad Werner's des
Reife s Prebigers. Gin Beitrag zur Verftändigung über ibn.
Um, eig. Gr. 8. 10 Nor.
Wex, C., Herr Professur Ewald in Tübia en als Pu-
nier gewürdigt. Schwerin, Stiller. Gr. 8. , Ner.
Verantwortlicher Herausgeber: DHeinrih Brockkhaus. — BDrud und Werlag von J. A. Broddaud in 5
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienftag,
— Kr 24. —
24, Zanuar 1843.
Politifche Literatur der Gegenwart in Deutfchland.
Grfter Artikel.
Die Redaction d. BL. bat den Unterzeihneten veran⸗
taßt, eine regelmäßige Überſicht alles Deffen zu liefern,
was auf dem Felde der politifchen Literatur jetzt in
Deutſchland erſcheint. Dffenbar bildet die Politik in
Diefem Augenblide den wichtigſten Beſtandtheil unfers
geifligen Nationallebens. In bemfelden Maße, als Kunft
und Poefie aufgehört haben unfere Seele zu erfüllen, in
demſelben Maße har die Politi im weiteflen Sinne des
Ports die allgemeine Thätigkeit und Theilnahme in Ans
ſpruch genommen. Auch läßt fi) mie Beflimmtheit vor:
Derfagen, daß dieſe auefchließliche Richtung lange Zeit
Bindurch eine bleibende fein wird und daß wir uns erfl
in den erften Anfangsfladien einer ebenfo tiefen als
dauernden focialen und politifhen Bewegung befinden.
In dieſer Beziehung erfcheint das Unternehmen jedes
literarifchen Blattes, den politiihen Erſcheinungen einen
Kehenden Artikel zu wibmen, gewiß vollkommen angemef:
fen und zeitgemäß. Eine andere Frage ift die, ob die
Reaction in der Perfon des Berichterflatters den geeig⸗
neten Dann gefunden bat? Wenn man einen idealen
Mofitab, beſtehend aus der Summe aller derjenigen Ei:
genfchaften und: Kenntniffe, die zu einer vollfländig ges
nügenden und erfhöpfenden Beſprechung eines fo großen
und unendlichen Gegenſtandes gehören, an denfelben le:
gen wollte, fo würde freilich kein guͤnſtiges Urtheil über
Die Wahl gefällt werden können. Wenn aber ehrlicher
Witte, Hingebung an den Segenfland und Unabhängigkeit
von äußern Rüdfihten derſelben zur Entfchuldigung bie:
wen fönnen, fo glaubt der Berichterflatter diefe für fich
in Anfpruch nehmen zu dürfen.
Das legte preußtiche Senfurebict ftellt an jede publis
eiſtiſche Nußerung eine Anfoderung, weiche e6 mit „Wohl:
meinenheit“ benennt. Allerdings fol all unferm Thun
und alfo andy unſerer fchriftftelerifchen Thaͤtigkeit eine
gute und keine böfe Abficht zu Grunde liegen; mit Dies
fer moraliſchen Anfoderung bes preußifchen Genfuredicte
fimmen mie völlig überein. Aber nimmermehr können
wir irgend einem Menſchen, gefchweige dem Genfor, bie
moraliſche Berechtigung zuerkennen, daß er mit einem
bloßen Federſtriche über unfere Motive, Aber unfern Cha⸗
rakter, über unfere Herzenslauterkeit den Stab breche.
Welcher Menfh darf fi anmaßen, auf ſolche Weife die
Herzen und Nieren zu prüfen! Wer darf uns fo ohne
Meiteres guten Willen und Ehre abfprechen, uns geradezu
erklären, daß wir das Schlimmfte feien, was es gibt, daß
vote böswillig fein? Frühere Genfuredicte flellten einen
mehr aͤußern Mapftab über die Zutäffigkeit des Impti⸗
matur auf; fie wollten nah Nuͤtzlichkeit und Schaͤd⸗
lichkeit, nach conventionnellen Anftandegefegen u. f. w.
entfcheiden. So flach dieſer Geſichtspunkt auch war, fo
unmöglich und druͤckend er in der Ausführung wurde —
denn wer will darüber enticheiden, was im großen Raͤ⸗
derwerke des Nationallebens ſchaͤdlich oder nüslich eins
greift? — fo war eine. folhe Beflimmung für den
Schriftſteller doch nicht direct beleidigend und entehrend.
Wenn der Genfor fitih, fo war der Schriftfteller nur
ein Irrender, der Genfor ein Weiſer, ber zufolge einer
gefenlichen Fiction die Schädlichkeit und Unangemeffenheit
eines Gedankens oder eines Ausdrucks richtiger auffaffen
und tiefer verfolgen £onnte wie fein Urheber. Nach jetzi⸗
gem Senfuredicte in Preußen ift der Genfor aber ein
Herzenskündiger, der Schriftfteller dagegen, dem etwas
geftrihen wird, ein Boͤſewicht, ein Menfch, ber gleich
dem Teufel felbft das Boͤſe um bes Böfen willen thut
und der abfichtlih auf Unheil ausgeht.
Vielleicht it aber das „wohlmeinend“ nur ein falfcher
Ausdruck; es fol fi vielleicht nicht auf die tiefften Ges
finnungsmotive, fondern nur auf den Ausdrud beziehen.
Man wollte damit vielleicht nur die Anfoberung ftellen,
daß der Schriftfteller eine geriffe Milde, eine gewiſſe guts
müthige Humanität in alle feine Hußerungen legen follte.
Aber auch mit dieſer Anfoberung können wir uns nicht
einverfianden erklären. Die Kolge eines ſolchen Befehls,
weicher eine gewiſſe conventionnelle dußere Ausdrucksform
erbeifche, iſt Beine andere, als daß fich ein ebenfo marklo⸗
fer als heuchlerifcher Stil bilder, der eines freien und
edeln Charakters ebenfo unwuͤrdig ift, als er eben Das,
was er erzeugen will, wirkliches Wohlmeinen, durchaus
ertödtet. Wir kennen ja diefen Stil, dee fich leider wäh:
tend des Genfurzwangs der legten 20 Jahre unter uns
Deutfchen zu unferee Schande und zum Spott der Aus⸗
länder ausgebildet bat, der unfere Sprache befchmust,
unfere Wahrhaftigkeit bis ins Herz angefreffen hat. Wir
84
[4 ‚
Eennen biefe fügen, fchmweifwebelnden Phrofen, die man
gezwungenerweiſe vorausfhidt, wenn man irgend eine
oppofitionnelle Behauptung wagen will. Wir Eennen bie:
fen binterliftigen Stil, der unter Blumen plöglich einen
Stich verfegt, diefe unwürdigen Manipulationen, wodurch
man die Pille zu vergolden fucht, diefe zitternde Darſtel⸗
lung, die feinen Vorderſatz heraudzuflottern wagt, den fie
im Nachfage nicht wieder paralnfirte oder aufhoͤbe. Wir
kennen diefe ganze ſklaviſche, [hmählihe Manier zur Ge:
nüge, wir haben fie berzlih fatt und wir werden uns
in dieſen Artikeln nicht zu bderfelben herablaffen. Die
Sprache, die in letzter Zeit häufig und begeiſternd vom
Throne herab an unfer Ohr ſchlug, fie hat einen andern
Klang; ganz gewiß ift fie mohlmeinend, aus dem edel:
fien, liebevoliſten, von reinfter Begeifterung überfchwellen»
den Herzen entfpeungen, aber fie fagt gerade heraus,
was fie will, fie tadelt offen und unverhohlen, fie erklärt
ſich feft und entfchieden gegen Das, was fie für unrecht
ober ſchaͤdlich Hält. Und diefe Sprache follen wir Alle
führen, Alle ohne Ausnahme. Bu diefer Sprache bat
Jeder ohne Ausnahme ein gleiches Recht, und es bieße
den pharifäifchen Hochmuth, die Unchriſtlichkeit, die Blas⸗
phemie auf die böchfte Spige treiben, wenn man nur
den Beamten oder den Königen das Recht, nad) befter
Überzeugung und Gewiffen zu ceden, vindiciten wollte.
Man fchließe aus diefen Worten nicht, daB wir zu
jener foftematifchen, enragirten Oppofition gehören, die
vermöge ihrer Herzensarmuth und eiteln Rechthaberei
weiter nichts kann als verneinen. Nichts iſt wohlfeller
als mittels einer dialektiſchen Spielerei nachzuweiſen, daß
bei beftehenden Zufländen die Logifche Confequenz irgend
eines abftracten, willkürlich gewählten Standpunktes noch
nicht erfülte if. Ich Eenne nichts Geiſtloſeres und Troſt⸗
loſeres als jenes Gefchlecht, welches vermöge eines un:
gluͤcklichen Triebes dazu verdammt iſt, alles Gute, Schöne
und Heilige mit feiner fogenannten Dialektik zu zerfegen
und zu zerfreffen, ſodaß zuletzt nichts übrig bleibe als
das todte, oͤde Nichts. In ihrem eingebilbeten Berufe,
wie ein Wuͤrgengel durch die Welt zu ziehen und Alles,
was nicht mit Ihrer logiſchen Conſequenzmacherei über:
einftimmt, zu zerſtoͤren, freſſen fie, wie jener Raubritter
im Käfig, die Welt und ſich felbft Glied vor Glied auf,
bis fie zuletzt ihren eigenen, diafektifchen Magen verfpei:
fen. Der allerunbedeutendfte und armfeligfte Patron hat
zulegt fo viel Verſtand mit auf die Welt gebracht, um
die logiſche Elle am jede Lebenserfcheinung zu legen ; aber
um von vornherein gu wiflen, daß diefe allein nicht aus:
eeicht zur Erfaffung und Durchdringung des Lebens, dazu -
gehört eine reichere und edlere Naturbegabung. Es ift
nicht ihr ausgezeichneter Verſtand, was biefe Herren
zu übermüthigen, langweiligen Raiſonneurs madt —
wiewol fie fi einen ſolchen vindiciten und ſehr flolz
darauf fein mögen — fondern ihr einfeitiger er:
ftand, ihre gänzlicher Mangel an Gemuͤth, Phantafie, an
Geiſt und Liebe. So lange die Welt fieht, glaube ich
nicht, daß fich je ſolche totale Armuth an gefunder Les
bensoffenbarung gezeigt hat, wie bei diefen jungen Leuten,
die ſich als Reprafentanten einer abfoluten Wiſſenſchaft
betrachten und ausfchreien. Unfaͤhig, auch nur den Les
bensorganismus des kleinſten Dorfes, des geringfien Haus:
halts zu begreifen, völlig blind für alles Lebendige, Dr:
ganifhe, Geſtaltvolle, führen fie body Über Alles und
Jedes, über Staat und Kirche, über Kunft und Poeſie,
über Recht und Religion u. f. w. das große Wort. Die
Armen find indeſſen mehr zu bedauern als zu verbam:
men; fie find die nothwendigen Producte einer falfchen
Regierungsmarime, bie alle gefunde, felbfländige Leben
unterdrüdte, und einer falfchen, verderblihen Erziehungs:
methode, welche, flatt einen reihen Samen von offener
Empfänglichkeit und Liebefähigkeit auszuftreuen, den gan:
zen Menſchen deprimirte und zerfiötte, um nur einige
Kopfnerven anzureisen und auszubilden. Auch läßt ſich
das baldige Ende diefer allerdings unangenehmen und
widerlihen Richtung vorherfehen. Sie werden fi zw:
legt müde Eritifiren und zanken, und wenn fie dann
immer mehr inne werden, baß ihr eigener Zuſtand, ihr
eigened Bewußtſein bei diefem geifttödtenden Handwerke
immer Öber und feerer wird, fo werden fie zuletzt, Die
Unzulänglicykeit des bioßen Verſtandes einfebend und an
demfelben verzweifelnd, fi) Eopfüber in eine bodenlofe
Mpftit flürzen; denn zu krankhafter Einfeitigkeit, zu ab:
foluter Unfähigkeit eines harmoniſchen Lebensbewußtſeins
find einmal ſolche Ungluͤckliche beſtimmt.
Unſere Oppoſition wird eine andere ſein. Alles Un⸗
wahre, Unedle, Knechtiſche, alles Gemeine und Rohe wird
fie freilich ruͤckſichtlos verwerfen, aber fie wird ſich dage⸗
gen auch bemühen, die edle Geſinnung, den guten Wils
len, das redliche Streben auch dann anzuerkennen, wenn
das Reſultat und das Ziel auch nicht mit unferer liber:
jeugung übereinftimmt. Jeder Menſch hat feinen befon-
dern Standpuntt, von dem aus er Welt und Gegenwart
betradytet; jeder Menſch bat feine beftimmte hiſtoriſche
Entwidelung, durch die feine gegenwärtige Überzeugung
bedingt wird. Alle diefe unzähligen Individualitaͤten und
Sactoren, die alle eine gewiſſe Berechtigung auf Leben
und Eriftenz haben und aus deren Geſammtſumme erfl
die Zeit.oder — wie man es nennt — ber Zeitgeift bes
fteht, möglichit gerecht zu würdigen, die Bedingungen
jeder individuellen Nothwendigkeit aufzufuchen und anzu⸗
erkennen, ohne darum unfere eigene Perfönlichkeit, unfere
berzeugung aufzugeben, das foll unfer Streben fein.
Es iſt zur Mode geworben, nad obenhin immer und
überall Oppofition zu machen, nach untenhin jede noch fo
verwerfliche Lebensdußerung durchſchluͤpfen zu laffen ober
gar derſelben zu fchmeicheln. So leicht ſich dieſes eins
feitige Streben für Recht und Wahrheit, welches unbes
mußt zum linrechte und zur Unwahrheit wird, auch aus
der unglüdlichen Geſchichte Deutfchlands in den legten
25 Jahren erklaͤren läßt, To natürli uns ein folches
einfeitiges Mistrauen, eine folche empfindliche Gereiztheit
gegen die Regierungen auch erfcheint,, fo wollen wir uns
doch davon frei zu erhalten ſuchen. Im Gegentheile
werden wir mit doppelter und dreifacher Freude Alles be:
grüßen, was uns Gutes von irgend einer Regierung, von
durch alle Herzen.
irgend einem Kürften wird, feſt überzeugt, daß Alles,
was von dort kommt, ungleich wirkſamer ins Leben ein:
greife, ungleich fchneller ſich ordnet, ungleih raſchere und
reifere Fruͤchte trägt, als was erſt in Haß und Streit,
in Kampf und Erbitterung abgerungen und abgedrun:
gen werden muß. Der Deutſche verfleht es am wenig:
Ben von allen Völkern, das Neue raſch zu organifiren,
das Möglihe und Weſentliche aus dem chaotifchen Ge:
wirre unzähliger Dleinungen zur Inflitution zu erheben,
in die Wirklichkeit einzuführen. Wenn irgend Jemand,
fo iſt er vermöge feiner Individualität für eine erbliche,
ununterbrochene monarchifche Gewalt gebunden, an regel:
mäßige, unveränberte Behörden, die Das Bedürfnig zur
That führen. Auch verfennen wir nicht, daß der Geift
der Regierungen mit wenigen Ausnahmen ein anderer
geworden ift im beften Sinne des Worte. Geiſtige Reg:
famkeit, tiefes Pflichtgefüht, hohe DBegeifterung haben ih:
m Sig auf mehr als einem Throne aufgefchlagen, und
dieſes mit tiefſter Dankbarkeit anzuerkennen, diefes mit
innigfter Herzlichkeit zu begrüßen, dieſes überall laut an
den Tag zu legen, halten wir nicht nur für feine niedrige
Schmeichelei, fondern für eine heilige Pflicht, für eine
patriorifche Zugend. Solche Eigenſchaften auf dem Throne
ſich zu erhalten, ift nicht fo leicht, als Mancher glaubt,
und mancher Liberale aus dem Mittelſtande würde ſchwer⸗
Gh zu feinen Ideen von Recht und Freiheit gelangt
fein, wenn er in jenen höhern Regionen geboren und er
zogen wäre.
Seit zwei Zaheen hat fih Vieles in Deutſchland
verändert, nicht ſowol aͤußerlich als innerlich. Nach lan⸗
gem Winterſchlafe fühlen wir das Wehen ber Frühlings:
Iuft, die und zu neuem Leben eriveden will. Ueberall
keimt es und fproßt es, ein unnennbarer Drang pulfirt
Der Sommer mit feinen Fruͤchten
wirb fi an diefes Fruͤhlingsleben anſchließen. Wenn
wie aber aufrichtig den Moment ins Auge fallen wollen,
von dem an diefe neue fhönere Zeit, die fo Unendliches
verſpricht, datiet, fo müffen wir den Tod des verftorbe:
an Königs von Preußen, den Megierungsantritt des
jegigen als den Zeitpunkt anerkennen, von dem an dieſes
neue „Es werde” über Deutſchland erfcholl. Friedrich
Wilheim IN. gehört nit mehr ber Gegenwart, er ge:
hört der Gedichte an und ein kurzes Urtheil über Ihn
möge ale Abſchluß einer vergangenen Periode in diefen
einfeitenden Worten uns noch vergoͤnnt fein.
Es ift oft gefagt worden und es iſt wahr, daß
Friedrich Wilhelm II. alle Tugenben befaß, die zur
Durchführung einer einfachen, bürgerlichen Eriftenz erfo⸗
derlich find. Die Eigenfchaften, welche den guten, ruhi⸗
gen Bürger im feledlicher Zeit machen, Thaͤtigkeit, Pflicht:
treue, Ordnung und Sparfamteit, Anhaͤnglichkeit an feine
Familie, Redlichkeit und kirchliche Froͤmmigkeit ſptechen
ſich zu ſcharf in ſeinem Charakter aus, als daß auch der
eniſchiedenſte Gegner ſie nicht anerkennen muͤßte. Trotz
dieſer durchaus achtungswerthen Eigenſchaften war ſeine
Regierung weder fuͤr Preußen noch fuͤr Deutſchland eine
glüdlicge, Wer wollte leugnen, daß Bedeutendes, Großes
unter ihr geſchah, daß eben unter ihr das Fundament
zu der Pünftign Geſchichte Deutfchlands und Preußens
gelegt wurde? Aber alled Diefes geſchah nicht durch ihn,
fondern txroß ihn, es wurde ind Merk gefegt durch den
Geiſt der Zeit, duch eine Menge der edelften, genialften
Männer, welche ein günftiges Geſchick unter feiner Regie:
rung verfammelte und ohne fein Zuthun durch die Ge⸗
walt der Umflände in die Mitte eines ausgebreiteten
Wirkungskreiſes Hineindrängte. Allee Große, was in
Preußen geſchah, knuͤpft fih an andere Namen als an
den Friedrich Wilhelm's. Städteverfaffung und Befreiung
des Grund und Bodens, neues Wehrſyſtem, Freiheits:
kriege, wiſſenſchaftliche und patriotifche Charakterentwicke⸗
lung des Volks, Selbfigefühl und Gemeinſinn u. ſ. w.,
alles Das entfland faft wider feinen Willen. Überall
aber, wo biefe große, welthiftorifche Entwidelung auf Hin⸗
derniffe fließ, wo die Thätigkeit großer Männer paralpfirt
wurde, wo das Gegebene wieder befchnitten und genom:
men, wo die Bewegung aufgehalten wurde, wo Klein:
muth, Engherzigkeit, Undeutfchheit die Politit Preußens
bezeichnet, da tritt uns bie Perföntichkeit des verftorbenen
Königs von Preußen als wefentlichfte Urfache mit entge:
gen. Nice aus böfem Willen, nicht aus niedriger Selbft-
fuht — Gott bewahrel Friedrich Wilhelm frebte mit
Angſtlichkeit nad Erfüllung feiner Pflicht, mit einer -
Ängſtlichkeit, deren Leiden wol wenige Menſchen fo ge:
koſtet haben wie er, und die nur Im fpdtern Alter
Außerlich zu einer ſcheinbar trogigen, entfchiedenen Abge:
fchloffenheit überging. Aber das hoͤchſte Unglüd, was
Gott über den einzelnen Menſchen verhängen kann, ift,
wenn er ihn an einen Plat ftellt, den er nicht ausfüllen
kann, wenn er Pflichten auf ihn legt, die ihn erdrüden
und denen er fi doch nicht entäußern kann. Dann wer:
den fetbit feine Tugenden zu Fehlern und jede gute Ab⸗
fiht ſchlaͤgt in ihr Gegentheil um. Friedrich Wilhelm
war ein Mann des Friedens, ſeine Friedensliebe war
durchaus wahr und aufrichtig; und eben dieſe Friedens⸗
liebe war doch die Urſache jener antinationalen Politik
Preußens, welche es von Deutſchland trennte, welche Oft
reih 1805 bei dem gerechteften Kriege im Stiche ließ,
welche zum Raube Hanovers, zum Treubruche an Eng:
land verleitete und welche endlich doch zur Schlacht bei
Sena, zu einem Kriege führte, den man vermeiden
wollte und der das Reich an ben Rand bes Verderbens
brachte.
(Der Beſchluß folgt.)
William Howitt über Deutfchland.
William Howitt gab heraus: „The rural and domestic
life of Germany, with characteristic sketches of its cities
and acenery.“ Wenn man engliihen Kritikern glauben foll, fo
ift das Buch ein wenig oberflächlich, aber angenehm gefchrieben.
Einer berfelben fagt: „“nfofern diefes Buch die Refultate der
Erfahrungen enthält, weiche Hr. Howitt während feines Aufs
enthalte in Heidelberg machte, ift es angenehm und willkom⸗
mens aber die Skizzen, die er von den in einer „general tour”
befuchten Städten entwirft, find flüchtig und etwas gewöhnlich.
Das innere Herz fo weit verfchiebener Hauptftäbte, wie Berlin,
Bien, Münden, Dresden, läßt fi nicht im Durchfluge er⸗
ründen und Howitt iſt nur zu fehr geneigt, feine ſchnellen
—*8 als allgemeine Wahrheiten aufzutiſchen. Auch koͤnnen
wir dem Leſer nicht empfehlen, feinen Urtheilen über Kunft
Skizzen über Literatur und oͤffentliche
oder feinen flüchtigen
Meinung zu viel Stauden zu ſchenken. Seine Kenntniß der
als er une im 19. Gapitet
Autoren kann fo groß nicht fein,
auben machen will, wenn er in feiner Lifte der deutfchen
hriftftellerinnen der Prinzeſſin Amalie von Sachſen, deren Stüde
nicht bios von einem bis zum andern Ende des Landes gefpielt
werden, fondern auch in das Engtifche überfegt, ja auf der ers
dufioften Bühne Guropas, ber des Theätre francais aufge:
führt worden find, keine Erwähnung thut.
Diefe Vorbehalte ausgenommen, tft ed ein gefundes und amufans
tes Buch, um deffentmwillen der Verf. uns erlauben wird, jenen ven
ihm aboptirten, verfrüppelten Baſtard: „The student life oſ Ger-
many“, mit Freuden zu vergeffen. Zugleich ift es reichlich mit
Jiluſtrationen nad Sargents Zeichnungen verſehen, von denen
mebre treu und geiſtvoll find. Sntereffant befchrieben ift ein
Befuh Howitt's bei Danneder, ferner bei Schwab, ben er ein
volltommenes Probemufter von „der gute Swaben” (sic) nennt,
endlich ein Beſuch dei Uhland. „Schwab, fagt er, „ſchien ſehr
erfreut zu fein, als ich ihm erzählte, daß id in dem Buche
„ibe student life of Germany’ eins oder zwei feine Stu⸗
dentenlieder, namentlich fein „Des Burfchen Abſchied“ uͤberſetzte;
Schwab habe dies mit großer Genugthuung ſeiner Gattin er⸗
zaͤhit und, auf dieſe hinweiſend, gefagt: ‚Da iſt das Liebchen
aus dem Liebe‘ (There is the „Liebchen‘’ of the song).”
Uhland, fagt ex, habe wie bie Stadt und ihre Bewohner ein
etwas altoäterifches Ausfehen. „Nie kat er einen weiten Abs
fiecher von der Heimat gemacht. Ein wigiger Bewohner der
Stadt fagte von ihm, daß er wie eine Nachtigall fei, die man
hören, aber nicht fehen müffe. Doch das ift zu batt. Die
Sclichtpeit feiner aͤußern Grfcheinung und bie ängfttiche Uns
ruhe in feinen Manieren vergift man gern über die Waͤrme
der verftändigen Unterhaltung. Er wohnt in einem Daufe auf
der Hügelfeite mit der Ausficht nach ber Nedarbrüde, wenn
man fi nach Ulm wendet. Droben liegen fein hübfcher Gar:
ten und Weinberg, und man bat von ba aus eine vollftändige
Anficht der fernen ſchwaͤbiſchen Alpen, welche in ihren mannich:
faltigen Linien eine der reichften, fchönften, Ichhafteften Land:
fhaften in diefem anmuthigen Schwabenlande bilden. Seine
Sattin, eine anmuthige Dame mit leuchtenden Augen, trat aus
dem Garten berein mit ihrem Arbeiteforbe, worin eine eng:
lifche Ausgabe von Milton's Verlorenem Paradieſe fidy befand,
in welcher fie foeben gelefen. Sie Icheint an Geſellſchaften ges
wöhnt und ſehr gut beleſen und intelligent zu fein. Kinder
baben fie nicht, aber wol einen muntern Knaben als Pflege:
find adoptirt. Uhland fcheint bier in der That ein gluͤckiches
und unabhängiges Leben zu führen; gluͤcklich durch feine Liesene«
waͤrdige, gefühlvolle Gattin, welde feinen Genius hoͤchlichſt bes
wundert, glüdtich, fo recht mitten in feiner Peimat zu leben,
an welder er, wie alle Schwaben, aufs innigfte hängt, wäh:
rend er ſich eines großen und geficherten Rufs dur ganz
Deutfchland erfreut.” Intereffant ift auch die Parallele, welche
Howitt zwifchen der Rhein: und Donaureife zieht: „Ss füut
mir ſchwer, zu fagen, welche die ſchoͤnere oder intereffantere iſt.
Beide große Ströme baben cine gewiffe Ahnlichkeit und doc)
wieder ihre großen Verſchiedenbeiten. Sie haben beide ihre
Waldungen, ihre Berge, ihre Schloͤſſer, ihre Weinberge und
Sagın; aber der Rhein ift bewohnter und anmuthiger, die Dos
nau einfamer und feierliher. Man’ hat nicht jene großen
und voltreichen Städte länge den Ufern ber Donau, noch Tafs
fetbe Banbelstreiben auf dem Gtrome; nicht dieſelbe Menge
wohlgepflegter Weingaͤrten, nicht dieſelbe fortgeſetzte Reihe von
Zellen und Klippen, fo weit wenigſtens ich die Donau bereifte,
von Linz nach Wien nämlich; aber man hat prädhtigere Wal⸗
dungen, eine wilbere und feierlidhere Scenerie, mit Gewäffern
und Wieſen von dem ſanfteſten und angenehmſten Charakter ge⸗
miſcht. Die Donau war nicht wie der Rhein durch ganze Zeit⸗
alter die große Heerſtraße des Handels, obgleich fie oft ber Ort
blutiger Schlachten und Heerzuͤge war. Ihre Städte find Hein,
wenige, voneinander weit entfernt. Der Rhein gewährt einen
froͤhlichern und bluͤhendern Anblick. Auf der Donau hat man
die Einſamkeit, einen Anſtrich von Vernachlaͤſſigung, einen
ernflhaften, brütenden Geiſt, reicher dem Genius der Vergans
genbeit anzugehören fheint, unbetretene Walbungen, ftille Berg⸗
teute, rauhe, feubaliftifche Herren (!), weiche den Eber und
den Huf in den wilden Thaͤlern und tiefen Forſten jagen.
Alte verwitterte Thuͤrme fpenden euch einen grimmigen Gruß
von den ausgezackten Felſen herab, an denen ihr vorüberfegeltz
und Blicke in entfernte Thaͤler und tiefe Waldungen laffen euch
fühlen, daß ihr euch in einer weit wildern und ungebändigtern
Region befindet als in dev des Rheins. Gampbell in feinen oft
citirten ®Berfen „On leaving a scene of Bavaria’ bat in den
Worten:
Yes I have loved thy wild abode,
Unknown, uuploughed, untrodden shore, ete.
den Geift der Donau trefflich gezeichnet. Aber Campbell ha
den Charakter der Donau nicht fo lebendig —— als
Motte Fouqué in ber „Undine“ u. f. w.“ Auch ein Beſuch in
Herrnhut und ein Beſteigen des Brockens bei ſtuͤrmiſchem Wet⸗
ter ſind noch vorzugswriſe zu erwaͤhnen. 13.
Literariſche Anzeige.
Bi F. MÆ. Srockhaus in Leipzig iſt erſchi
und durch alle Buchhandlungen zu behieben: sn ſchienen
J. F. Herbart’s
kleidere philosophische Schriften und Abhandlungen,
nebst dessen wissenschaftlichem Nachlasse.
Herausgegeben von @desstauv Hartenstein.
Erster und zweiter Band.
Gr. 8 6 Thlr. 15 Negr.
Der erste Band, welcher zugleich eine ausführliche Kiniei-
tung des Herausgebers über H.'s Leben und Schrifien ent-
bält, kostet 3 Tihir., der zweite 3 Thir. 15 Ngr. Ein
dritter Band, welcher diese Sammlung beschliessen wird
erscheint in diesem Jahre. ’
Meber die Hebung des kirchlichen Lebens.
in der proteſtantiſchen Kirche.
Eine kirchenrechtliche und praftifhe Erörterung
von &. Julius.
Gr. 8 Geh, 1 Thlr. 15 Ngr.
Andeutungen über den ursprünglichen Religionsunter-
schied der röinischen Patricier und Plebejer. Von
D. Pellegrino. Gr. 8. 20 Ngr.
Das Unmoralifche der Todedſtrafe.
Bon Dr. Nlichael Petöcz.
Nachtrag zu deffen „Anſicht der Welt“.
&r. 8 Geh. 18 Ugr.
Des Verfaſſers „EAuſicht der Welt“, an welche dieſe ins
tereſſante Schrift ſich anſchließt, erſchien 1839 und koſtet 3 Thlr.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Druck und Verlag von F. A. Brockhaus In Leipzis.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Mittwod,
EG rfter Artikel.
(Bortfegung aus Nr, 2.)
Friedrich Wilhelm war ein Mann, der geſetzliche Orb:
aung aufrichtig wollte, und dennoch artete unter feiner
Regierung das lebendige, organifche Geſetz in einen bloßen
mechaniſchen todten Buchſtabendienſt, in eine aͤußere Bes
auffichtigung und hierarchifche Beamtencontrole aus, wo:
durch das Recht keineswegs immer gefichert wurde, fon:
dern Willkür und Nepotismus einen weiten Raum für
ihre verderbliche Thätigkeit fanden. Er war ein Mann,
der religidfe Freiheit und Toleranz liebte, und dennoch
zählt feine Regierung mehr als ein DBelfpiel, wo er, eben
um die Toleranz zu fördern, diefelbe hintanfegte und bie
esligidfe Freiheit feiner Unterthanen gefährdete. Friedrich
Wilhelm war durd und durch redlich und ein abfichtlis
her Wortbruch von feiner Seite war eine moralifche Un:
möglichkeit, und dennoh hat nicht leicht eine Regie:
zung fo viel Deoppelzüngigkeit, fo viel Wortdreherei ſich
zu Schulden kommen laſſen ale die feinige, und das
Vertrauen der Unterthanen auf die Berfprechungen der:
ſelben ift felten fo tief verlegt und angefochten worden.
Wiſſenſchaft, Jugenderziehung wollte er befördern und
trog aller Anfliengungen bat er beide gefährdet und ihre
natürliche Entwidelung gehemmt. Und fo ließe fidy ohne
Schwierigkeit noch ferner nachweiſen, wie alle guten
Eigenfhaften, aller guter Wille des verfiorbenen Königs
faft nur dazu gedient haben, das Gegentheil von Dem zu
erzeugen, mas beabfichtigt wurde.
Doch laſſen wir diefe fchmerzliche Kritik. Hat fein
Bolt unter der falfhen Stellung Friedrich Withelm’s II.
gelitten, fo iſt er nicht minder unglüdlic, gemwefen. Das
diſtere Bewußtſein einer Aufgabe, der er nicht gewachſen
war, druͤckte ſchwer auf fein Lebensbewußtfein und machte
fein Loos zu keinem beneldenswerthen. „Mein Leben in
Unruhe”, fo beginnt fein Teſtament — ja, fein Leben
war in Unrube, in tieffter Gewiffensunruhe, mie das Le⸗
ben Alter, deren Aufgabe nicht in Darmonie mit ihren
Kräften flieht. Fuͤrſt und Volt waren unglüdlich zu glei:
cher Zeit, aber dem letztern muß nachgerühmt werden,
dag es fein Unglüd mit einer Pierdt, mit einer Geduld
getragen, wie die Gefchichte felten ein ähnliches Beiſpiel
zeigt. Kein lautes Murren, kein Ungehorfam. Man
wußte, daß der Fürft es wohl meinte, man wußte, daß er
unglüdlid war, und mit dir edefften Theilnahme, bie
den ſchoͤnſten Lohn verdient, fuchte man das eigene Leis
den zu verbergen, um den Kummer des Fürften nicht zu
vermehren. Und als Friedrich Wilhelm III. ftarb, folgte
an pie allgemeine Trauer aller feiner Unterthanen ins
rab.
Über neben bdiefer Trauer that das preußifche, das
deutſche Volk den erften, tiefen, freien Athemzug feit lan⸗
ger, langer Zeit. Das Lebensbewußtfein war in den
legten Jahren immer bumpfer, immer hoffnungsloſer ges
worben an ſich felber, an feiner Zeit, an feiner Beflim-
mung; man batte auf Freiheit, auf höheres menſchliches
Gluͤck verzichtet. Unzählige gebrochene Herzen, erſtarrte Ge
möüther, verborbene Charaktere, erftarrte, in ihrer Ent:
widelung gehemmte Beſtrebungen, verfehlte Beilimmungen
bildeten damals die Bevölkerung unfers Waterlandes. Nicht
Einer, der nicht mehr ober weniger bewußt gehemmt ge:
wefen wäre, ber nicht Schaden genommen an feiner Seele.
Das Gefühl ber Unfreiheit, der verfehlten Bellimmung
lag Laftend auf der Seele des Knaben und des Greiſes.
Sa, es war eine ſchwere, eine verzmeifelte, hoffnungs⸗
tofe Zelt.
Und es iſt Alles anders geworden. Es frühlingt
wieder in jeder Bruft; längft zu Grabe getragene Wünfche
erroachen wieder, erflarrte Hoffnungskeime brechen wieder
hervor an Gottes Lebensluftl. Die Menſchen fchauen fi
wieder an, freier, frifcher, das gebuͤckte Daupt bebt fich
wieder, man fieht fih ins Auge, man fühlt fih. Alles,
Alles fieht anders aus. Ks find nicht mehr biefelben
Menſchen, die und auf der Straße begegnen; man gebt
eafcher, fröhlicher, der Morgenfchein der Hoffnung liegt
auf alten Antligen, ftrablt aus allen Bliden; es ift, als
wenn jeden Augenblid ein unendlicher Subel aus allge:
meiner Bruft hervorbrechen wollte. Selbft der mit einem
Zuße im Grabe Stehende fühlt eine neue, zweite Jugend
über fich ergoffen und wirft einen legten, innigen Blick
nah dem hereinbrehenden Morgenrothe der Freiheit.
Und wen verdanten wir diefe wunderbare Umwandlung,
diefe gänzliche Umſtimmung unfers Lebensgefühle? Wer tft
es, der dieſes neue, Werde’ uͤber Deutfchland ausgefprochen ?
Laßt uns aufrichtig, Laßt uns dankbar fein, laßt es ung laut
und unummunden anerfennen: Es iſt bie edle, freie,
geiftweiche und großherzige Perfönlichkeit Friedrich Wil⸗
helm's IV. Er, der au feinen Theil, und nicht dem |
Heinften, von dem bittern Kelche getrunken bat, den wir
Alle Eoften mußten, er bat mit der fihern Bewußtheit
des Genins das Schöpfungswort außgefprochen, das Dies
fe8 unausfprechlihe Leben in Deutſchland wiedererweckt
bat. Laßt uns nicht engherzig fein, laßt uns nicht aus
kleinlicher Beſorgniß, daß man uns für Schmeichler hal:
ten möge, zu ungerechten, misgeftimmten Krittlern wer-
den. Fine freie Seele zeige fih am ſchoͤnſten und un:
verkennbarften darin, daß fie rüdfichtloß8 anerkennen und
bewundern kann. Wer nicht offen feine Bewunderung
auszufprechen wagt, verräth durch feine Ängſtlichkeit, daß
er der Schmeichelei fähig if. Was uns ſelbſt anbetrifft,
bie wie bei allen unfern Sünden nie einem Menfchen
gefchmeichelt haben und auch, fo Bott will, nie ſchmei⸗
cheln werden, wir glauben nur der Wahrheit die Ehre
zu geben und eine freudige Pflicht der Dankbarkeit zu
erfüllen, wenn wir den Nachfolger Friedrich MWithelm’s II.
ald das punctum saliens anerkennen, aus welchem ber
junge Baum deutfcher Freiheit zu kaum geahneter Größe
und Schönheit zu erwachfen im Begriffe iſt. Und, laßt
es Euch fagen, mer einer warmen, liebevollen Anerfen:
nung nicht fähig iſt, der iſt auch weder fähig noch be:
rechtigt zur offenen Darlegung einer entfchiedenen, mora⸗
liſchen Entruͤſtung.
Es iſt nicht eine einzelne Handlung, ein einzelnes
Geſetz Friedrich Wilhelm's IV., was dieſe unermeßlichen
Reſultate bereits herbeigeführt bat. Mehr als einzelne
Sefege und Thaten wirkt der Zauber einer freien Per:
föntichkeit, eines fchönen, fihern Willens. Das ift der
Srundton, auf den das künftige, ganze Leben baſirt iſt
und der mit einem Male bie allgemeine Verſtimmung
wieder aufhebt, der die große Zuge menſchlicher Thaͤtig⸗
keit auf einmal toleder in Takt und Harmonie bringt. |
Friedrich Wilhelm IV. war der Concertmeifter, der durch
fein richtiges moralifhes Ohr und feinen richtigen moras |
liſchen Takt mit einem Male wieder Einheit und Luft
in das desorganifirte Occhefter brachte. Einzelne zeitges
mäße Geſetze find gut und nothwendig, und feine Zeit
bedurfte deren zahlreichere, In den Organismuß tief eins
greifendere, al& bie jegige. Aber erſt muß der rechte Geiſt,
die rechte Stimmung da fein, aus denen diefe Geſetze
fih entmwideln follen, und diefer rechte Geiſt ift mit wun⸗
derbarer Meeifterfchaft und in fchneilfter Kürze vom Throne
herab Diefes Mal hervorgerufen. Das Syſtem, in wel:
chem umpgeftaltet und gefchaffen werden foll, ift proclamirt;
nicht in einzelnen todten Begriffen, die zu endlofem tod⸗
ten Schulgezänt führen, fondern in der offenen Erfchel:
nung einer freien, geiftreihen und lautern Weltanficht,
incarnirt in einer bedeutenden, mächtigen Perſoͤnlichkeit,
bie allerdings von Ihrer Außern Stellung unenblih un:
terflügt wird.
dem Felde praßtifhen Wirkens mächtiger und fruchtbrin:
gender iſt als alle abfiracte Doctrin, das freitich fehen
unſere philofophifchen Dialektiker und Buchftabenklauber
nicht ein, oder wollen es nicht einfehen, fehon aus dem
Daß eine ſolche concrete Perföntichkeit auf |
einfachen Grunde, weil eine foldhe Anerkenntniß ein To⸗
desurtheil fir ihr eigenes winziges Ich fein wuͤrde.
Es find außer ber dialektiſch⸗-kritiſch verneinendem
Richtung, welche ſich des größern Theils unferer wiſſen⸗
ſchaftlichen Jugend bemaͤchtigt hat, noch amdere Urſachen
vorhanden, welche einer offenen und argloſen Empfaͤng⸗
lichkeit für die wahrhaft koͤniglichen Eigenfchaften bes
jegigen Inhabers des preußifchen Thrones im Wege fies
ben. Zuerſt jener rohe, neidifche Sansculotiismus, jene
bösartige Pöbelhaftigkeit, bie von vornherein einen Wis
berwillen hat, das Höhere und Edlere anzuerkennen, und
um fo mebr, als es von einer böhern aͤußern Stellung
im Leben ausgeht. Während diefe niedrigfte moraliſche
Claſſe jeden hohlen Schreier aus ihrer Mitte, deſſen
ſchmuzige Motive noch fo offen daliegen, mit grinfender
Schabenfreude Beifall zujauchzt, femme fie ſich mit allem
Kräften dagegen, das wahrhaft Gebildete und Überlegene
zu würdigen. Diefe rohe Verworfenheit, diefes Dema⸗
gogenthbum in feiner häßlichften Geſtalt, welches fi durch
Alles verlegt fühle, was der eigenen Gemeinheit nicht
gleicht, welches innere und aͤußere Dohelt für ein Ber
brechen an der Gleichheit erklärt, findet ſich freitich bei
uns Deutfchen fo gut wie bei andern Völkern, aber im
Ganzen ift die Zahl dieſer Schreiber Vanſen und Gens
forten doch bei uns geringe. Im Allgemeinen find wie
Deutſchen doc ein dankbares und zum Enthuſiasmus
für jede fittliche Wohlthat geneigtes Voll, Weit zahlreicher
ift die Claſſe, der fih ein tiefes Misteauen gegen Al
les bemächtige hat, was von Sürften und von ihren Bes
amten ausgeht. Und dieſes Mistrauen bat im Allges
meinen einen nur zu guten Grund. Seit 100 Jahren
und länger ift das Bolt auf bie felbflflichtigfte Weiſe
von der Beamtenwelt und aud von ber Mehrzahl ber
beutfchen Fürften zu eigennüsigen Zwecken ausgebeuter.
Thatfächlich wurde es nur als Mittel zum Zweck, als
Mittel zur Derbeifhaffung aller Lebensgenuͤſſe für die
herrfchende Kafte behandelt. An ſchoͤnen, chriſtlichen und
gemeinfinnigen Worten bat es babei einer heuchlerifcher
Diplomatie und pfiffigen Regierungspolitik nie gefeble.
Stndli und empörend IfE die Art und Weiſe, wie man
in zahliofen Öffentlichen Erlaſſen mit den edelſten Ideen
Gaukelei und Blendwerk trieb, und wie man, um augens
blickliche eigennügige Zwede zu erreichen, das Volk mit
heuchlerifchem Phrafenreichthume uͤberſchuͤttete. Selbſt als
nah dem heldenmüthigften Freiheitstampfe die Morgens
röche eines ſittlichern Verhaͤltniſſes zwiſchen Reyierenden
und Regierten hereinzubrechen fchlen, wußte gemeine Bez
amtenlift und engherziger Kaſtenhochmuth alle augenblick⸗
lichen guten und aufrichtigen Vorfäge, alle im Angefichte
Sottes und der Völker bündig und heilig. ausgefprochee
nen Berfprechungen wieder zu drehen und zu deuteln, und
die ſchoͤnen Namen von Vaterland und Religion, vom
gefegmäßiger Freiheit, Thron und Altar mußten im em⸗
poͤrendſten Misbrauch dazu dienen, das Boll su übers
Iiften und zu betrügen. Was Wunder affo, daß fi bie
Anfihe vom Vater auf den Sohn vererbt hat, daß fie
fi) tief eingeprägt hat in bie Derzen bee Mehrzahl des
*
Berts, daß die Mächtigen diefer Erbe nur nach ſelbſt⸗
ſichtigen Zwecken handeln und daß man immer da fet,
ihnen ald Ambos zu dienen. Was Wunder, daß fie
au hinter den offenfien, ehrlichſten Morten jest noch
Immer irgend eine ſchlimme arriere-pensde wittern. Nur
die Wenigſten haben ihren Blick fo frei und offen erhal
ten, daß fie bei dem gerechteflen Mistrauen doch noch
v6 Wahre vom Unmahren unterfcheiden können und
daß jedes aus voller Bruſt gefprochene Wort noch im:
mer Imeeigenen Derzen harmoniſch widerklingt. Es iſt
eine Thatfache, gegen die man ſich nicht verblenden barf,
daß das Vertrauen ſchwer erſchuͤttert, daß es vergiftet iſt,
md daß in dieſem Augenblicke die Fuͤrſten wegen der
Sünden ihrer Väter zu leiden haben. Und wenn man
aub an ihren guten Willen glaubt, wenn man aud
nicht fo fuperfein, wie Manche, Alles nur für die feinfte
Berehnung, für ein abermaliges neues Schaufpielertseien
hätt, fo ſchenkt man doch der Beharrlichkeit und der Kraft,
die guten Vorſaͤtze duch die gefchloffene widerſtrebende
Phalanz einer felbflfüchtigen, berefhfüchtigen Beamten:
kaite fiegreich durchzukaͤmpfen, Sein Vertrauen.
Dies Bertrauen kann erſt alimälig wiederkehren,
und wenn eben die Throne auf das Bertrauen ber Uns
terthanen gegrlmdet find, mas ja Niemand beftreitet, fo
glauben wir in dem jegigen Könige von Preußen dem
wabrhaften Wiedecherfieler des fogenannten monarchiſchen
Princips zu erbliden. Es war allerdings wenn aud)
nicht äußerlich, doch innerlich erſchuͤttert. Hier tritt uns
aber nicht nur ein über allen Zweifel erhabener Wille,
fondern auch die auf ſelbſtaͤndigſter, durchgebildeteſter
Lebensanfiht ruhende Kraft zur Ausführung entge:
gen, und ber befle Beweis von biefer Kraft möchte bie
morafifche Regeneration fein, die ſich ſchon jegt in der
Beamtenclaffe zeigt. Wer dort noch nicht ganz erſtarrt
und verknoͤchert ift, der nimmt ſich ein fittliches Beiſpiel
om der Perföntichkeit des Könige und fucht ſich darnach
umgubilden, und in die übrigen ift wenigftens ein ſtarker
Schrecken gefahren, fie wiſſen nicht, wie fie ſich gebaren
follen, und mit ihrer hochmüthigen Sicherheit und herrſch⸗
füchtigen Thatkraft iſt es vorbei.
Es koͤnnte nach dieſem ſcheinen, als wenn wir im
Verlaufe dieſer Artikel uns zu der Rolle eines Apologe⸗
ten und eines enthuſiaſtiſchen Panegyrikers der preußiſchen
Regierungsmaßregeln hinneigen würden. Allein auch in
dieſer Muthmaßung würde man ſich irren. Unſere Abs
dt von vornherein if weder ſyſtematiſche Dppofition
no foftematifche Megierungsapologetit. Ob wir und zu
dem einen oder zu dem andern mehr hinneigen werben,
das wird freilich auf die Maßnahmen ber preußifchen Re:
sierung felbft anlommen. Im Allgemeinen aber glauben
wir doch ſchon vorherfagen zu Tönnen, daß unfere Artikel
groͤßtentheils einen oppofitionnellen Charakter tragen wer:
den. Wir werben freilich Beine utopifchen Wünfche gel:
tend machen, wir werben das bei gegebenen Zufländen und
Individuen Moͤgliche und Erreihbare im Auge haben,
wir werden uns in bie großen Schwierigkeiten einer orga=
niſchen Veränderung hineinzubenken ſuchen und nie ver:
geffen, daß das Volllommene ber Feind des Guten iſt.
Dennoch aber fehen wir fhon vorher, daß unfere fittliche
und politifhe Anſicht in vielen einzelnen Punkten mit
dem jegigen Spfleme, wie es fi in vielen Öffentlichen
Manifeftationen deutlich genug gezeigt hat, nicht übers
einftimmen Tann. Wir glauben und über unfere Wohl⸗
meinenheit und über unfere Anertennungsfähtgkeit in dem
Vorbergehenden in fo weit legitimirt zu haben, als das
in einem Purzen einleitenden Artikel gefchehen kann. Wenn
wir dennoch eine oppofitionnelle Haltung im voraus uns
dindiciren, fo bedarf das noch einiger erläuternder Worte,
(Der Beſchluß folgt. )
Neue Schriften über China.
1, Narrative of the late expedition to China, with sketches
of the manners and customs of that singular country. By
J. Elliot Bingham. Zwei Bände. London 1842.
2. Two years in China Narrative of the Chinese Expedi-
tion, till April 1842. By D. M’Pherson. London 1842.
Der zwiſchen England und China fo unerwartet fehnell ges
ſchloſſene Friede kann das Intereſſe an dem geführten Kriege
und folglich auch an den zwei obengenannten, ihn befprechenden
Werken nicht mindern. Im Gegentheile, wenn der Sturm vors
über, ſpricht es fi) am bequemften von Urfahe und Folgen.
Dazu kommt bie Verfchiedenheit der Stellungen beiber Berfaffer.
Beide haben an dem Beldzuge Theil genommen, aber Bingham
als Marineoffizier, M’Pherfon als Arzt. Abweichende Anfidyten
tönnen nicht verwundern. Um fo glaubhafter, wo fie übereins
flimmen. Seinen Hauptzwed, die Kricgsereigniffe zu ſchildern,
verfolgt Bingham auf die eigenthümliche Weife, daß er balb ers
zählt, was er felbft. gefehen und wo er mitgefochten, bald aus
den Tagebüchern und Gefpräcden feiner Kameraden und aus
den von den Befehlehabern erftatteten Berichten das Nöthige zus
fammenftellt. Das Ganze bietet daher ein ziemlich vollftändige®
Bild des Kriegszugs und hinreichende Bründe, daß nicht die
Engländer ihn muthwillig begonnen, ſondern die Chineſen durch
Inſolenz, Grauſamkeit und Raubſucht ihn berbeigenöthigt haben.
Ihr Menfchenverluft verdient deshalb um nichts weniger Bes
dauern ; aber die fich immer wieberholenden Beweiſe ihrer Vers
rätheret und Dintertift fpannen bie Sympathie einigermaßen ab.
Nebenzwed war die Schilderung „der Sitten und Gewohnhei⸗
ten biefes feltfamen Landes”. Es find leichte, eingelegte Skiz⸗
zen, die, ohne viel Raum einzunehmen, den Kriegsberidhten eine
willlommene Abwechfelung geben. Auch die Opiumfrage wirb
befprochen. Der Verf. ift weit entfernt, das Opiumrauchen zu
vertheidigen; er räumt ein, daß, zumal im Übermaß genoffen,
es den Geift und Körper entnerot. Nur verfihert er, daß es
nicht diefe Ruͤckſicht fei, aus welcher die chinefifche Regierung fo
viel Lärm gemadt. Ob ihre Untertbanen Opium rauchen oder
nicht, fagt er, gilt der Regierung völlig gleih. Was ihr jedoch
keineswegs gleichgültig ift, das find die Maſſen Syceeſilber, die
dafür aus dem ande und meift den Engtändern zugute geben.
Er berechnet, daß die Engländer den Chineſen jährlich für etwa
drei Millionen Pf. St. Thee und andere Waaren abs und das
gegen für mehr als fünf Millionen Opium und andere Waaren
verfaufen, der Saldo daher fehr zu Gunften Englands fteht
und mit Silber ausgeglichen wird. „Das ift ed, was die Regie⸗
rung trinkt und weshalb fie dem Handelsverkehr mit England
von Zeit zu Zeit alle erdenkbare Schwierigkeiten in ben Weg
gelegt hat.”
M'Pherſon befpricht ebenfalld den Genuß des Opiums und
— hört! Hört! — der Arzt vertheibigt iin. Seine Beweis
führung ähnelt einem regelrechten Schluſſe. „Opium‘‘, ſagt er,
„wird in Thina allgemein geraucht. Das ift unleugbare That:
face. Nicht zu Teugnen ift aber auch, daß bie Ghinefen in ber
Mehrzahi muskelkraͤftige, athletiſche Menſchen und bie niebern
Botksctaffen geiſtig mehr entwickelt und beſſer unterrichtet ſind
als in England. Der Schlußſatz ergibt fi) von feibfl.” Dem:
nächft bemerkt er, daß die Shinefen in vielen Krankheiten das
Opium als Heilmittel gebrauchen, und zögert mit feinem pro-
batum est um fo weniger, weil neuerlih aud in Bengal
Dpium als Surrogat für China mit dem glüdlichfien Erfoige
angewandt worden ſel. Das läßt für die fragliche Behauptung
fich eher hören als der dafuͤr beigebrachte Umftand, daß zu ber
Zeit, wo unter ber indor britifhen Befagung auf Hongkong ſehr
bösartige Fieber geherrſcht, die Chineſen verhaͤltnißmaͤßig davon
frei geblieben. Der Berf. mißt dad dem Opiumrauden bei.
Sollte denn die Gewöhnung des Klimas daran nicht ihr glaubs
bafteres Theil haben? M’Pberfon war Arzt bei ben Landtrup⸗
pen. Auf dieſe befchräntt ſich, was er von militairiſchen Ope⸗
rationen erwaͤhnt, und dadurch ergänzt fein Buch das des See⸗
offiziers Bingham. Vielleicht iſt der Stil des Arztes der le⸗
bendigere, feine Darſtellung mehr pittoresk. As Beleg vers
weife ich auf feine Erzählung von den Vorfaͤlſen bei Kanton.
Die Anftalten zum Sturme find getroffen, die Kanonen gerich
tet, die Raketen bereit. Orbnung, Kraft und Vertrauen charak⸗
teriſiren die Englaͤnder. Auf den Waͤllen der Feinde und in
den Straßen Kantons herrſcht Zumuit, Gilfertigkeit und Ber:
wirrung. Die Thore der Stadt Öffnen fi, ein bichter Mens
fchenftrom dringt hervor und verliert fi) in den nahen Hainen
und Dörfern. Alles Das läßt der Verf. den Leſer ſehen; er
Sreitet eine militairifche Randfchaft vor ihm aus und felbit der
Laie wird nicht umbin können, fie aufmerkfam zu betrachten.
Politifh wichtig find bie eingeftreuten Beweiſe vom Eintracht
zwiſchen den engliſchen und ben Hindu— Soldaten. Wird dieſer
Geiſt genaͤhrt — wer will England Indien nehmen? Hiermit
iſt jedoch das Wichtigſte des Buche nicht ausgehoben. Das
bürfte in dem eigentlich geographifchen Theile brftehen, ber über
Vieles neuen Aufſchluß gibt. So über Hongfong, über Tſchu⸗
fan, über Amoy. Laut des Verf. Angabe iſt die Inſel Hong⸗
kong ungefähr acht englifche Meiten lang und in ihrer größten
Breite brittehatb Meilen, Die fie vom Feſtlande ſcheidende Meers
enge ift es an einigen Stellen nur eine, an andern fünf bie
ſechs Meiten. Die den Hafen bildende Bucht ſoll für die Schiff⸗
fahrt unübertrefflich fein. Nicht genug, daß fie Raum für wine
ungeheuere Menge Schiffe hat, iſt fie auch fo tief, daß ein Li⸗
nienſchiff von 74 Kanonen bis auf bie Länge eines Kabeltaus
vom Ufer ankern kann, und gewährt außerdem gegen Stürme
beffern Schuß als irgend ein anderer Hafen Shinas. Das Ins
nere der Inſel befigt zwei weſentliche Dinge, unerfchöpftichen,
feibft im heißeften Sommer aushaltendin Überfluß an koͤſtlichem
Trinkwaſſer und einen unermeßlichen Reichthum an Granit, ber
zu Waarenhäufern und Werften ganz bequem das Ihönfte Mas
teriat liefert. Alſo ift es weder den Englaͤndern zu verdenken,
daß fie diefes vortheilhafte Piägchen ſich für ıhren Handel aus⸗
geſucht, noch den Franzoſen, daß fie eine Anwandlung von Par⸗
ticipationsappetit verſpuͤrt haben.
Auch auf den Hafen von Amoy, der noch beſonders durch
feine centrale Lage ſich empfiehlt, lenkt der Verf. bie Aufmirk⸗
ſamkeit ber Handelswelt, und daß die chineſiſchen Weiber dort
haͤufig, wie der Verf. in ſichere Erfahrung gebracht haben will,
ihre weiblichen Kinder ausfegen oder ertraͤnken, mag bie euros
paiſche Phitanthropie fid) einen Wink fein laffen. Ningpo wird
als eine fehöne Stadt mit feften Mauern gefchildert, ungefähr
zwei Drittel fo groß wie Kanton, in einer Gegend, die einem
forgfam gepflegten Garten gleiht. Die Zahl der Einwohner
fol ſich auf 600,000 belaufen. Wie bereits erwähnt und über
haupt aus den Zeitungen befannt, graffirten unter der englifchen
Befagung von Hongkong und ebenfo unter der von Tſchuſan
fehr verheerende epidemifche Krankheiten. Das mußte natürlid
den Wunſch nad) dem Befige diefir Infeln beträchtlich mäßigen.
Allein M'Pherſon verfihert, das Klima beider Juſeln fei volls
fommen
ſchlechte Verpflegung geweſen. Während der heißeften Zahress
zeit, bei einem Wärmegrabe, ber felbft in Indien felten vors
tomme, hätten die Soldaten in feuchten, von Reisfeldern ums
gebenen Rieberungen unter Zelten lagern unb oft mit ben ſchlech⸗
teften Lebensmitteln fiy begangen müflen. Das würbe die Krank»
beiten erklaͤren. Vieles nicht minder Intereffante und Wiſſens⸗
werthe leſe man im Buche ſelbſt nach. 14.
Literarifhe Notizen aus Sranfreid.
Neuere hiftorifche Forſchungen haben, wenn wir nicht irren,
gruͤndlich nachgewieſen, daß das Liebesverhättniß zwifchen dem
Dichter Taſſo und der Prinzeffin Eleonore von Gfte, das Stoff
zu unzähligen poetifcyen Schöpfungen gegeben bat, gar nidyt
ftattgefunden habe. Wie dem auch immer fei, diefe Liebe ift
fozufagen ein poetifches Factum geworben und bie Dichter
laffen dieſen Gegenftand fo L.ihten Kaufes nicht fahren.
Sicher werden wir aller biftorifchen Kritif zum Trotz nach wie
vor fentimentale Zaffos und huldvolle Eteonoren in Menge er:
hatten. So haben wir gleich einen recht ledbaren Roman von
Mad. Gottis zu erwähren, der den Titel führt: „Le Tasse et
la .princesse Kleonore d’Este’’ (2 Bde., Paris 1842), Mad.
Gottis Hat fi ſchon früher dur den Roman „Francois I, et
Mad, de Chateaubriant * vortheifhaft befannt gemadt. In
ihrem neueften Romane ift Zaffo vielleicht gar zu fehr ein blos
Ber verliebter Schwärmer. Aber wenn auch der Hauptheld nur
ungenügend ausgefallen ift, fo wird man durch mandye andere
Partien hinlaͤnglich entſchaͤbdigt Da wir einmal von einer
franzöfifhen Behandlung biefes Stoffes reden, fo wollen wir hier
gleich noch ein paar bramatifche Gedichte erwähnen, die demfel«
ben Gegenftande gewidmet find, obgleich ſich keines berfeiben
auf der Bühne erhalten hat. Im 3. 1803 ward ein Drama
in Berfen aufgeführt, das von einem gewiffen Cicile herrührte,
der 1793 cine „Genevieve de Brabant’ geſchrieben hatte.
3m 3. 1821 gab bie große Oper ein Städ, das ben nänılicyen
(Gegenftand behandelte. Der Text war von Guvelier und be
Mun und die Muſik von Garcia. Im 3. 1826 endlich fam
ein „Taſſo“ von ler. Duval zur Aufführung.
Seitdem Sean Jacques Rouffeau im „Emile‘' die wichtige Frage
der männlichen Erziehung, wenn audy nicht gelöft, do in An⸗
regung gebracht hat, ift neben manchem GSchiefen und Hattlofen
doch auch viet Gebeihliches über die Erziehung und Bildung
des Weibes gefchrieben worden. Namentlich hat die frans
zöfifche Literatur einen wahren Schag folder Werke aufzumeis
fen, welche diefen wichtigen Theil der Pädagogik, der im Alter:
tbum faft ganz unbelannt war, weil die weibliche Hälfte des
Menſchengeſchlechts für nichts galt, ausführlich beleuchten. Be⸗
fonders ftrahlen unter den Schriftftellern, die ſich dieſem Gegen⸗
ftande gewidmet haben, brei Fraum: Mad. Sauſſure-Necker,
Mad. Guizot und Mad. Remufat. Die Zahl der Damen, bie
gegenwärtig ihre Beber der Belehrung und Unterhaltung ber
weiblichen Zugend geweiht haben, if in Frankreich fehr groß.
Beſondere Erwähnung verdienen unter ihnen bie fleißige Ders
ausgeberin der „Gazette de la jeunesse”, Gugenie Foa, bie
beiden Dichterinnen Desborbes : Balmore und Amable Taſtu,
die nah G. Sand gewiß bie poefiereichfte unter den weiblichen
Autoren ift, und Mile. Ulliac-Tremabeure. Leptere hat nament⸗
lich vor kurzem eine „‚Bibliotheque de la jeune fille““ heraus«
negeben, bie uns ſehr empfehlenswerth zu fein feheint. Die
weiblichen Federhelden find Längft eine Zielfcheibe unendlicher
Wise, aber wenn fie, flatt antifociale Romane und vers
zweifelnde Gedichte zu fehreiben, ſich mit fo ernften, fo heilis
gen Gegenftänden, wie die Erziehung der weiblichen Jugend,
befaffen, fo wird gewiß fein Menſch an bie Lächerlichkeit eines
bas- bleu benten, 2.
Verantwortlicher Derauögebers Heinrih Brodhausd. — Drud und Verlag von F. A. Broddaus in Leipzig.
efunb und bie Urfache jener Krankheiten Lediglich bie -
Blätter
für
literarifde Unterhaltung,
Donnerstag,
Politifche Literatur der Gegenwart in Deutfchland.
Erſter Artikel.
(Seſchluß aus Nr. 35.)
Der jegige preußifhe Monarch verbindet mit feinem
Berufe gewiß den erhabenften,, den ibealften Begriff, der
ſich denken läßt. Alles, was die Gefchichte der Menfch:
heit in den verfehiedenften Perioden je Schönes und
Großes producirt hat, das fammelt er als einzelne Blu⸗
men in einen Kranz und drüdt ſich diefen Kranz als
Krone aufs Haupt. Griechenthum und Germanenthum,
Mittelalter und Neuzeit, Recht, Freiheit, Kunſt, Poefte,
Wiſſenſchaft — Altes will er pflegen, Alles fol unter
feiner fegnenden Hand gedeihen. Allen Ständen ſowie
dem gefammten Volke will er die freifte Beſtrebung goͤn⸗
nen und in feiner Perſon fol fi alles Wahre und
Wuͤrdige concentriren; das letzte Richteramt in allen Sa:
chen des menſchlichen Lebens nimme er für fih in An:
fpruch ; er will auf Alles hören, Alles erwägen, Alles
prüfen und das Beſte will er behalten und mit dem
Siegel der koͤniglichen Majeſtaͤt bekräftigen. Ob biefe
Idee einer erhabenen Phantafle mögfih, ob irgend
ein Eterblicher diefer nur duch feine eigene Einſicht
und fein eigenes - Gewiſſen beichränften Aufgabe ge:
wachſen, gebört nicht hierher. Wir werden fpäter bei
den Derfaffungsdebatten noch häufig Gelegenheit ha:
ben, auf diefe Idee näher einzugehen und fie zu prä:
fm. So viel aber ift gewiß, daß bei diefer Stellung
des Königs man bei jeder flaatlihen Unterfuhung noth:
wendigerweife immer zuießt auf die Überzeugungen des
Königs ſelbſt zuruͤckgehen muß. Der König ift die ein:
zig freie, entfcheidende Potenz, und alle Schlüffe, die man
auf Gegenwart und Zukunft macht, können fih nur fin
lester Inſtanz auf die Sndividualitat deffelben gründen.
Die Perföntichkeit des Königs wird dadurch mit Moth:
wendigkeit im jebe Srage ber Gegenwart, in jede publicifti-
ſche Debatte hineingezogen. Hierin liegt gewiß, abgefehen
von ben fonfligen Übelſtaͤnden, für den deutſchen Publis
ciſſen der Gegenwart eine große, faſt unuͤberſteigliche
Schwierigkeit. Dem feinften Takte möchte hier es kaum
möglich fein, den Freimuth des Staatsbuͤrgers und des
Kritikers mit den nothwendigen conventionnellen Ruͤckſich⸗
ten zu vereinigen. Doch ift diefe unendlich ſchwierige
Aufgabe dem deutfchen Publiciften im diefem Augenblide
einmal von der Gegenwart geftelt und man muß fie,
wohl oder übel, zu Iöfen fuchen. Dee englihe Conftitus
tionaliemus, dem wir auch aus andern Gründen anhäne
gen, macht ed dem Schriftfteller in diefer Beziehung leich⸗
ter. Übrigens fcheint der jegige Monarch eine ſolche Kri⸗
tie feiner Perſoͤnlichkeit und feiner Anfichten nicht zu
ſcheuen; offen und frei, in fcharfen, beflimmten Umtiffen
ſpricht er feine Überzeugungen aus und fodert dadurch
felbft die Kritik heraus; denn ſchwerlich ift es fein Wille,
daß er allein der Sprechende, wir allein die Zuhörenden fein,
daß wir jedes Wort als ein infpirietes betrachten follen,
wenn er fchon die Gonfequenzen, die aus der Vermen⸗
gung des geiflreichen Individuums und moralifcher Per:
fon als König fidy ergeben werden, im Seuer der Bes
geifterung ſich nicht immer ganz Mar gemacht haben
wird. Wohlen mir demnach unfere künftige publiciſtiſche
Stellung zur preußifchen Regierung fhon im voraus
muthmaßlih andeuten, fo find wir gezwungen einige
Worte Über das Verhältnig unferer Individualität zu der
des jegigen Monarchen zu fagen.
Leffing laͤßt feinen Prinzen fagen, daß die Könige
keine Freunde hätten. Das ift fhlimm, aber «6 If
ebenfo ſchlimm, daß fie Leine offene Gegner, keine Feinde
haben. Wenn wir andern Menfhen unfern Entwides
lungsgang betrachten, fo finden wir, daß eine Unzahl
von Menfhen bewußt und unbewuft an der Bildung
unfers Charakters und unferer ideen thätig waren und
tn Einem fort daran arbeiteten. Nicht nur die Freunde
förderten uns, auch Die Gleihgültigen, auch die Miss
wollenden und Beindfeligen. in jeder gute und geiſt⸗
reihe Menfh, und zumal der Deutfche, tritt mit aus⸗
(hweifenden Phantafien, Illuſtonen, mit fogenannten
Idealen in fein Juͤnglingsalter. Weiche Erfahrungen
gehören dazu, um bdiefe Ideale mit dem Realen, mit
der Wirklichkeit, mit den gegebenen Zufländen erft in
Einklang zu bringen, was muß man nicht erft erleben,
ehe dieſer Zwiefpalt ausgefühnt wird. Wie viel Verben:
nung, Gleichguͤltigkeit, Ungerechtigkeit, Bosheit muß erft
über und ergehen, ehe wir erſt das rechte Verhaͤltniß uns
ferer Überzeugung zu der der übrigen Mitlebenden ermit:
teln. In dieſer nothwendigen Lebensfchule find offenbar
unfere Feinde unfere beiten Lehrer; wenn unfere Steunde
bie ideale Seite unfers Lebens aufrecht erhalten und da:
für forgen, daß fie nicht ganz umkippt, fo iſt es eben bie
übrige Were mit ihrem Misverftändnig und ihrer Feind⸗
feligkeit, die unfern uͤbermuͤthigen Idealismus, den wir
irrig für Überzeugung halten, die Wage halten und dafür
forgen, daß ee ſich mit der reellen Seite des Lebens aus:
gleiht und eins wird. Wiewol nun jeder Menfch die:
fen Proceß durchmachen muß, fo ift er doch ein ſchmerz⸗
licher, der ſich freilich belohnt, Indem er und von uner-
quidiicher Exrhigung, von nebelbafter Illuſion zur gefun-
den Wahrheit, zur richtigen Mifhung von Freiheit und
Nothwendigkeit — damit philofophiiche Ausdrüde auch
nicht fehlen — befördert. Diefen Reinigungsproceß, dies
ſes Fegefener bier auf Erden kann der Prinz oder Kürft
nicht in fo volllommenem Grade durchmachen, wie wir
andern Menſchenkinder, und in dieſer Beziehung iſt unfere
ſittliche Stellung von Haus aus eine glüdlichere,
Hier ift der pfochologifhe Punkt, von dem aus wir
‚unfere nothwendige Oppofition vorherverfündigen. Wir
glauben nicht zu irren, wenn wir den jebigen Standpunft
des preußifhen Monarchen als einen vorzugsweile ideas
len bezeichnen und wenn mir ihm jene® Segefeuer vorhers
verfündigen, was die Meiften uns fhon mehr oder weni:
ger beitanden haben. Eine weniger reiche Natur wuͤrde
ſich durch ſolchen Proceß in fpätern Jahren fehr bald vers
flimmt fühlen; fie würbe ſehr bald gereizt, ſelbſtwillig,
‚vielleicht menfchenfeindlich und despotifch werden. Wer aber,
wie unſer Monarch, mit jener ewigen Jugend ausgeftattet
ift, mit jener Elaſticitaͤt, die aus überfließendem Herzen,
aus raftlofer Phantafie und fcharfem Verſtande ſtammt,
für den ift nicht zu fürchten und er wird als Sieger
aus einem Kampfe hervorgehen, den das Leben ihm für
fpätere Fahre aufgefpart hatte. Der edle Alerander von
Rußland ging unter, als feine Illuſionen überall mit der
Wirklichkeit, und zwar mit einer fehr traurigen, troftlofen
Wirklichkeit zufammenftießen. Der geiftreichere, frifchere,
reicher gebildete Wilhelm IV,, der unter einem beſſern
Volke lebt, wird nicht untergehen.
Mir Eönnen unfern Differenzpunfe noch auf anbdete
Weife andeutn. ine Gegend von oben herab gefchaut
gewährt einen andern Anblic als von unten hinauf. Er:
blickt der Obenſtehende auh Manches, was wir, die wir
von unten binauffhauen, nicht fehen, fo entgeht jenem
doch auch wiederum Vieles, was uns in der Nähe vors
Auge tritt. So ift es unvermeidlih, daß jeder andere
Lebensftandpunft auch verfchiedene Anfichten über die Dinge
und Zuftände der Gegenwart nothwendig involvirt, und
fhon daraus folgt unabweislich eine Oppofition im Ein:
zelnen, wenn man auc über die allgemeinjten und lebten
Lebensoffenbarungen einig iſt. Daraus folgt aber eben
auch, daß der erclufivefte und hoͤchſte Standpunkt eben
am meilten Oppofition ercegen wird und muß.
Unwillfürlih ift es gelommen, daß wir uns in diefem
einleitenden Artikel faft nur mit Preußen befchäftige ha:
ben. Es geht uns aber nicht allein fo, daß wir, ohne zu
wollen, mit innerer Nothwendigkeit dort hingezogen werben.
Selbſt Diejenigen, die ſich gegen eine fogenannte preußi⸗
ſche Hegemonie .fperren und mit alen Kräften dagegen
eifern, befchäftigen fih im diefem Augenblide mit weiter
nichts als Preußen und ihre Blicke find fortwährend da⸗
bin gebannt. Sie führen dadurch, ohne es zu wollen und
zu wiffen, den Beweis, daß jene foyenannte Degen onie,
jene Präponderanz Preußens für die deutſchen Angelegens
heiten doch einmal thatfächli vorhanden if. Und fo ift
es audh. In Preußen wird die entfcheidende Schlacht
geihlagen; die Kämpfe in den übrigen Bundesſtaaten
find Plänfeleien und Seitengefechte und eine zwanzigiäh:
tige Erfahrung hat genugfam gezeigt, Daß ein entfcheiden:
des Mefultat duch folche accidentiche Nebenpartien des
großen Krieges nicht errungen werden kann. Wir verfens
nen übrigens nicht die große Wichtigkeit der verfchiedenen
Stellungen in ben nicht preußiſchen Bundesflaaten, wir
ehren die Delden, die mit bemunderungswürdiger Auss
dauer und Zapferkeit dort ihr Leben an einen Kampf ges
fegt haben, der ihnen bis jegt nur ſchlechten Lohn außer
dem innern des Bewußtſeins gebracht bat, wir erfennen
an, daß ohne diefe partiellen Kämpfe weder Preußen noch
Deutfchland fo weit wäre, als es ift, und wir werden das
ber auch jede wichtige Frage, die in dem dortigen klei⸗
nern Kreiſe obſchwebt, zu berücfichtigen fuchen. Auf
ſolche Weile werden wir uns bemühen, auch unfer Scherfs
kein zur Löfung der großen, echabenen Aufgabe der Ges
genmart beizutragen, um nad Kräften den Zoll abzutra=
gen, den jeder Mitlebende feinem Waterlande und feiner
Zeit ſchuldig iſt. F. von Florencourt.
ö—ñ— — — — — — —— ——
Die Kunſt der dramatiſchen Darſtellung. In ihrem or⸗
ganiſchen Zuſammenhange wiſſenſchaftlich entwickelt von
Theodor Roͤtſcher. Berlin, Thome. 1841. Gr. 8.
2 Thlr. 10 Ngr.
Der Verf. des vorliegenden Werkes hat ſich um ſo groͤße⸗
res Verdienſt erworben, je einſamer der Verſuch daſteht, die
Kunft der dramatiſchen Darficlung zur abgeſchloſſenen und in
ben fpeculativen Principe wurzelnden Wiffenfhaft zu erheben.
Bisher waren es einzelne, hochbegabte Künfkiernaturen, welche,
auf reiche Kunfterlebniffe geftügt, ihre unmittelbaren Grfahrums
gen und äftpetifchen Anſchauungen über Schaufpieltunft in vor⸗
trefflichen, aber zerſtreuten Bemerkungen nieberlegten; allein ein
dur die Wiffenfchaft felbft in allen Theilen vermitteltes Spftem
bat es bis jegt noch nicht gegeben, noch ift von der Seite bes
deutſchen Geiſtes der Verſuch dazu gemacht worden. In einer
Zeit aber, wo bie Kunſt ber dramatiſchen Darſtellung überhaupt
darniederliegt, wo alle jene Elemente fehlen, auf welche bin
aud die unmittelbare Production ein reiches und blühendes Res
ben zu fehaffen vermag, wo fih alle Kunft, alle Wiffenfchaft,
alles Leben aus der Welt des Gedankens und des Begriffes neu
geftalten muß, ift gerade für die Kunſt ber dramatifdhen Darz
ftelung , in Ruͤckſicht des Kuͤnſtlers und des Kunſtrichters wie
des Yublicums, eine fol begriffsmäßige und ſyſtematiſche
Durchdringung der Schauſpielkunſt von außerordentiicher Bes
deutung, vielleicht von nicht geringer Wirkſamkeit.
In welcher Weife hat nun aber Theodor Rötfcher feine
Aufgabe geloͤſt! Wir möchten behaupten, daß noch felten ein
neuer Weg in ber Wiſſenſchaft mit fo gebiegenen Borbereis
tungen und mit dieſer freien Derrfchaft über ben Gegenftand ſei
betreten worden. Der Verf. fußt in der praktifchen Grfenntnig
diefer fpeciellen Kunft ebenfo ficher als in dem theoretifchen Bes
griffe derſelben. Die Erfahrungen berühmter Fünfter und
Kunſtkenner, befonbers die ausgegeichneten Bemerkungen und
1686
Kıdandlungen Gortie's und Zied’3, eine Fuͤlle eigener Kunſt⸗
anfhauungen und Sunfterichniffe, eine weite Übung der Kunfts
tritit, das Berſtaͤndniß des Dramas und gruͤndliche in den bie
Insäbung der Schauſpieikunſt bedingenden anthropologifchen
Viſſenſchaften liefern den Grund und Boden, auf weichem er
feine Arbeit beginnt. Allein es würbe immer eine fragmentas
rijche, mit ſubjectivem Meinen und Belieben behaftete Arbeit,
ein reiner Act äußerer Zufälligkeit geblieben fein, wenn es ber
Berf. nicht verftanden hätte, allen diefen Ginzelnheiten durch
fine theoretifche Bildung, durch die Principien und bie Mes
thode der pbilofophifhen Wiſſenſchaft ein nothwendiges und
wganiidyes Leben zu geben.
Der erfte Theil des Werkes befchäftigt ſich mit der allge⸗
meinen Begriffsentwidelung der Kunſt. Die Poefie als diejenige
der Künfte, die ſich des unfinntichften und geiftigften Stoffes,
des Wortes, bedient, iſt eben darum auch die geiftigite, die alle
menfchlichen Zuftände und Verhaͤltnifſe barftellen Tann, welche
die Kunft überhaupt zur Erſcheinung zu bringen vermag: fie ift
die hoͤchſte aller Kunſſe; die reichfte und legte Frucht der Poefie
und mithin die Spige aller Kunft ift aber dad Drama, denn
es fept die Enrit und das Epos voraus, hat beide als feine
Elemente organisch in ſich aufgenommen und tritt erſt dann
als vollendete Kunftform auf, wenn Staates und Bölferieben
eine hoͤchſte Entwidelungsftufe erreicht haben. Indem fich fers
mr in der dramatifchen Poefie die fittliche Idee durch das Or⸗
gan freier Individualitäten vor uns entfaltet, durch die ſich
eine Welt von Charalteren, im Empfinden, Denken und Wols
ien ſich gegenfeitig bedingend und entwidelnd, vor unfern Xugen
geflattet,, weift fie ſelbſt auf ihre legte Verwirktihung, auf die
dramatifche Darftedung hin. Wie alſo das Material dir Mus
fit der Ton ift, fo ift in ber Verwirklichung und Verſinn⸗
hung des Dramas der Menſch feibft das Material, welches
durch Ton, Geberde, Haltung, Phyſiognomie, die Geſtalten
der freien Phantaſie zur Ausfuͤhrung bringen muß. Aus die⸗
ſem Verhaͤltniſſe des dramatiſchen Darftellers, des Schauſpielers
zum Drama ſeibſt, entwiceln ſich dem Verf. wahr und frei alle
Beziehungen, in welchen der Künftter zu feiner Kunft und mit
diefer zu dem genießenden und anfchauenden Publicum ſteht.
Zuerft: der Schauſpieler macht feine befondere, zufällige
Indibidualitaͤt zum Jnſtrumente für die Kunft, indem er bie
ſelbe zur Darftellung ber aus ber freien Phantafie erzeugten
Seftalten verwendet; bie von der Natur gegebene Perſoͤnlichkeit
ſoll mithin geformt, gebildet und zur Verſinnlichung des Dichter⸗
gebiines fähig gemacht werden. Es iſt darum für den darſtet⸗
ienden Kuͤnſtier .ein abfolutes Erfoderniß, daß er ſich über das
natürtiche Talent und den Kunſtdilettantismus erhebe und fid
zuoörberft im größten Umfange die technifchen Fertigkeiten für
die Ausübung der Kunft erwerbe. ferner widerlegen fich aus
diefem WBerhältniffe des Kuͤnſtlers zum Drama und zur Poeſte
alle die Borurtheile, welche gewoͤhnlich uͤber den Schauſpieler
und feine Kunſt bereichen. Unter dieſe Vorurtheile rechnet der
Verf. vorzüglich die verbreitete Anficht, daß der Schauſpieler,
indem er feine eigene Perföntichkeit für die Darſtellung einer
andern, fremden aufgibt, ſich ſelbſt verlegt und feine fitttiche
Würde opfert, während es doch ein unendlicher Zweck iſt, der
Vieles Opfer hier fodert und zu ubfoluter Sittlichkeit weiht.
Bon biefen und aͤhnlichen becherfpielenden Erläuterungen
gelangt der Berf. erſt zu eigentlicher Entwidelung ber Princis
pien, weiche für die Kunft ſeibſt aus dem Begriffe derfeiben her:
vorgchen. Alle Kunft ift eine Durddringung des Allgemeinen
und Inbividuellen; der Künftier muß das Erſtere zum Ausdruck
des Individrellen fortführen und das Letztere zur Offenbarung
des Allgemeinen erheben. Nur kraft dieſes Geſtaltungsproceſ⸗
ſes ift die Kunft lebendig und ergreifend, denn durch ihn ift fie
in jedem Augenblicke ideal und charakteriftifh, bedeutfam und
eigenthuͤmlich. Indem aber jede Kunft biefe Gegenfäge ihrem
Veen gemäß zur Erſcheinung bringt, nehmen fie auch in jeber
einen beflimmten Charakter und eine eigenthümliche Farbe an.
In der Schaufpiellunft, die auf Berfinnlichung des Dramas
ausgeht, treten fie zunaͤchſt in der Koderung auf, fowol bie
Schönpeit wie die Wabrheit gleihmäßig zu ihrem Rechte kom⸗
men zu laffen: die Schönheit und die Wahrheit müffen fie
hier durchdringen. Wenn daher der dramatiſche Darfteller in
der Berfinnligung der dramatifchen Inbivibuatitäten der Ideas
lität, das ift dem Gefege dee Schönheit unterworfen ift, einem
Sefehe, das er mit der Sculptur und ber Materei theilt, fo
it es auch auf der andern Seite feine Aufgabe, daß er bem
menſchlichen Charakter in der ganzen Beweglichkeit feines Wer⸗
bene, in der ganzen Zülle feines Denkens und Wollens ents
huͤllt. Nur durch eine folche klare und wirkliche Verfinntichung
allee Strömungen bes menfchlicyen Handelns und Empfinbens,
durch eine ſolche Xuseinanderlegumg der Seelenaffecte und Ger
muͤthslagen zeigt fich uns die nothiwendige Wahrheit der Dars
flellung, an welcher der Zufchauer alle Leiden und Freuden des
menſchlichen Dafeind zu durchleben vermag. Wollte ſich der
dramatifche Rünftter blos dem Geſetze der Schönheit untermwers
fen, indem er einzig und allein die Idealitaͤt der Farm erftrebt,
fo würde er mit der Naturwahrheit alles menfchlich« natürliche
Intereſſe zum Opfer bringen, denn bie Sdeatität der Form ift,
wenn fie nicht ein volles individuelles Dafein offenbart, kalt
und ohne Wirkung auf das Gemuͤth. Nur bie ruhende und in
ſich gefchloffene Piaftit, welche ihren Stoff auf das Gewicht
eines einzigen Moments zurüdführt und meit entfernt ift,
eine finntiche Illuſion bervorbringen zu wollen, bat allerdings
auf bie ZIdeatität der Korm das ganze Gewicht zu legen. Treffs
lich entwidelt der Verf. auch bie andere Einfeitigkeit, das ruͤck⸗
fihtslofe Streben nah Naturwahrheit. Die bramatifche Dars
ftellung, wenn fie das Moment der Idealitaͤt nicht in ſich
trägt, ſinkt zur bloßen Naturwahrheit herunter und der Zus
fhauer iſt damit aus dem Gebiete der Kunft heraus an die Zus
fälligfeit, Zrivialität und Unmittelbarkeit des Lebens gewielen.
Allein kein freies Werk der Kunft foll die reine Illuſion eines
Raturwertes, die Copie der endlichen Wirklichkeit fein, ſondern
bie Kunft foll Wefen offenbaren, die nicht der Natur, fondern
den Gefegen des freien Geiftes unterworfen find. Kür den Aus
genblick ſcheint dies Freilich gerade bei der dramatifchen Darftels
lung andere und der Verf. gibt fich alle Mühe, diefen Zweifel
feinen Eefern zu benebmen. Die dramatifche Darftellung, meint
man, führt ja bie Geſtalten der freien Phantafie in das finns
liche Leben ein und infofern muß fie auch die ganze Fülle des
finntigen Lebens über uns ausbreiten und bie hoͤchſte Natur⸗
wahrheit in jedem Augenblide zur Erſcheinung bringen. Allein
bie Geftaiten des Dramas find im Schoofe der freien Phan⸗
tafie für die freie Phantafie empfangen und fie dürfen auch bei
bee Darftellung biefen ibren Kunſtcharakter nicht verleugnen sz
der Leib, den ihnen dev Schaufpieler gibt, muß bei allee Illu⸗
fion immer noch ˖das Werk des freien Geiftes und nicht der Nas
tur zuruͤckſtrahlen. Sehr treffend fagt darum Goethe, daß man
das „wahr Scheinen” von dem „Schein des Wahren“ in ber
Kunft — unterſcheiden muͤſſe. Das Letttere iſt allein das Ziel
er Kunſt.
Aus dieſem abſoluten Geſetze der dramatiſchen Darſtellung
daß ſich die Idealitaͤt und die Naturwahrheit durchdringen
muͤſſe, ergibt ſich dem Verf. au die Stellung und die Auf
gabe des darftellenden Künftters zu dem verfchiedenen dramati⸗
fhen Charakteren. Sie ift eine dreifache. Bat der Schauſpie⸗
ter einen Charakter vor ſich, in welchem fich die Idealitaͤt und
die individuelle Lebendigkeit volllommen durchdringen, fo ift feine
Aufgabe, den Intentionen des Dichters in ihrem ganzen Ums
fange nachzukommen, und diefe Geftalt, wie fie empfangen
worden, fchöpferifh im Geifte wieberzugebären. Der Schau-
fpieler, der hier den Dichter nicht überfchreiten Fann, fonbern
buch die Verſinnlichung die fertige Geftalt des Dichters völlig
been muß, bat feine Aufgabe vollkommen gelöft, wenn er
dies in der That vermag. So wenig nun aber hier ber Künfts
ler ſcheinbar zur Verwirklichung des dichterifchen Wildes beizu⸗
tragen hat, fo fodert doch gerade biefe Aufgabe die genialfte,
bie fchöpferifchfle Ichätigkeit des Schauſpielers, denn derſelbe
108
aß, um hinter dem Dichter nicht zuruͤckzubleiben, fich zu gleis
Be’ oöhe * dichteriſchen Anſchauung, zu gleicher Durchdrin⸗
g und Verſoͤhnung bes Idealen und Realen, bes allgemels
wen und individuellen Lebens, emporfhmingen und dieſe Ver⸗
föhnung in feiner Darftellung auch ausführen. Wie fehr der
Verf. recht bat, bemeift ganz bie Erfahrung. Die Darfteller
fotcher ganzen Menſchen, fother Mikrokosmen, die das Allge⸗
meine und das Befondere in ſich tragen, find aͤußerſt felten.
Die Shakſpeare'ſchen Menſchen finden barum nur wenig ev
fhöpfende und glüctidye Darfteller, weil allein eine wahre, ges
nievolle Künfkternatur die unendlihe Bülle diefer ibealen und
doch auch fo natärlihen Geftalten verwirklichen und verkörpern
ann, weil feine Stimmung, fein Verſtand allein hinreicht,
dieſe großen Geſtalten nachzuſchaffen, ſondern weil bie volle
bichterifche Tiefe noͤthig iſt, mit welcher das Genie einft biefe
itde empfangen bat.
we Ganz — ſteht aber der Schauſpieler zu den dichteri⸗
ſchen Charakteren, in wilden das ideale Clement überwiegt
und die individuelle Lebendigkeit zum Allgemeinen, zum Gedan⸗
ten, in keinem Verhaͤltniſſe ſteht. Die meiſten unſerer neuern
Dichter leiden an dieſer Ohnmacht, concrete Geftalten zu ſchaf⸗
fen, weil die uͤberwiegende Richtung der Zeit auf die Reflerion
und den Gedanken den Reichthum bes Individuellen verwiſcht.
Beiſpielsweiſe fuͤhrt der Verf. unter den claſſiſchen Figuren Na⸗
than, den Marquis Poſa, Max Piccolomini, Thekla, uͤber⸗
haupt die Schiller'ſchen Charaktere an. In diefen Figuren
waltet das Pathos des Gedankens und das Element der abs
firacten Idealitaͤt. Zu ihrer Darſtellung bürfte daher ‚Ton
ehetorifher Schwung und ſcharfe Verftandsbildung ausreichend
feinen, denn der Schaufpieler erreicht feine Aufgabe ſchon in»
fofern, als er der Schöpferkraft bes Dichterd nachgekommen
ift. Allein der Scaufpieler, um bie größte Wirkung feiner
Kunft zu erzielen, muß fogar bier den Dichter zu ergänzen fus
den, indem er in feiner Daritellung auf die Naturwahrheit
und individuelle Lebendigkeit des Dichters hinneigt. Der Verf.
ſtellt demzufolge fuͤr den Schauſpieler das Sefeg auf: Se
mehr ein Charakter nach der Seite der Allgemeinheit und Idea⸗
tität bin gravitirt, deſto mehr hat ihn auch der Darſteller nad
der Seite der Naturwaprheit hin gravitiren zu laffen, befto
eifriger muß ex bedacht fein, ihn zu einem individuellen ‚Men:
fhen zu geflaiten. Der Schauſpieler unferer Zeit und ‚unferer
Nation überficht aber, geblendet von bem augenblicklichen
Triumphe, den ihm das Pathos des Gedankens und der Em⸗
pfindung ſo leicht zufuͤhrt, gar oft dieſe goldene Regel, waͤhrend
er ſich gerade vor dem uns eigenen Streben nach abſtracter
allgemeinerung aus allen Kräften hüten ſollte.
Ber Das umgefehrte Berhältniß des Schaufpielers zum dichtes
rifhen Charakter tritt ein, wenn in ben dichteriſchen Figuren
die Iheatität und das Allgemeine zu fehr zurudteitt, ober wol
gar vernichtet iſt. Hierher gehören die meiften Geftalten ber
Schroͤder'ſchen, Iffland'ſchen und die beflern Figuren Kotzebue'⸗
ſcher Dramen, denen Naturwahrheit und ein eigenes Leben nicht
abzufprechen, bie aber durch ihren geringen idealen Gehalt ſich
über die Alltaͤglichkeit und die endliche Zufalligkeit nicht erheben:
ſie geben das bloße Conterfei des gewoͤhnlichen Lebens, und bie
idealen Geftalten Goethe's und Schiller's ‚traten disfen Natur:
copien mit Recht und Kraft entgegen. Ein wahrer Schauſpie⸗
let muß dieſe Copien fo viel als möglich nad) ber ibralen Seite
bin fleigeen und fie in bie Welt des freien Geiftes zu beben
fuchen, ohne in den Fehler zu fallen, eine Miögeftaltung zu
erſchaffen, die weder das Element der Wirklichkeit nody ber
Geiſtigkeit in fi trägt. Große, befonders zur Darftellung
ebler Perfönlichkeiten reich begabte Schaufpieler haben biele Fo⸗
derung auch bethätigt und der Verf. führt bier Schröder an,
der auch dem Charakter des gewöhnlichen Lebens eine tiefere,
ibealere Seite abzugewinnen wußte und die Phantafte ber Dich⸗
ter in dieſer Hiaſicht weit zuruͤckließ. Auch Eckhof ſoll dieſe
Faͤhig eit bes Idealiſirens buͤrgerlicher und dem gewoͤhnlichen
Leben verwandterer Charaktere im hoͤchſten Grade beſeſſen ha⸗
ben, wenn er auch damit nach einer andern Seite, naͤmlich ges
gen das hohle Yathos der altfranzoͤſiſchen Schule, reagirte.
Kachdem der Verf. unfern Schauſpielern ganz beſonders
die Übung und Prüfung ihres Talents am den concreten Ges
ftalten des bürgerlichen Lebens empfohlen hat; nachbem er fers
ner, auf das Moment der Sbealität gegründet, das in Deutſch⸗
land gewöhnliche Worurtheil widerlegt bat, als muͤſſe ber
Schauſpieler, ehe er an bie Darftellung eines Charakters gebt,
feinen Geburtsſchein befragen, gebt er gu ber GEntwidelung bes
Verhaͤltniſſes über, in weldyem der barftellende Kuͤnſtler zuerfk
zum Yublicum, dann zur Kritik ficht. Die Kunft ber drama⸗
tifhen Darftelung iſt ohne ein empfangendes und genießendes
Yublicum nicht zu denken. Allein ber echte Kuͤnſtler ſteht als
eine prioiligirte Natur, die durch unabmeisbare, fpecifilche
Macht zur Production getrieben wird, über dem Yublicum: bie
Geftalten, die er aus dem Innerſten feines Geiftes herauf ents
läßt, find neue Dffenbarungen, welche ber Gegenwart neue
Seiten und Gtufen des Geiftee und Lebens entfalten. Der
echte darftellende Künftter ift darum Bildner und Erzieher des
Geiftes feiner Zeit. Zerner: der bramatifche Darfteller ift nach
dem Wefen feiner Kunft ganz an dic Gegenwart gewiefen: fie
ift fein Clement, feine Göttin; was fie ihm nicht gewährt,
kann ibm kein tröftender Hinblick auf eine fpätere Zeit erfegen.
Es beißt darum die Natur der dbramatifchen Darftellung vers
fennen, wenn man dem Schaufpieler verargt, das ungeheuerfte
Gewicht auf die durch fein Spiel erzeugten Wirkungen zu legen,
denn fie allein find die Thermometer für das Maß feiner Kräfte,
das Unterpfand für feinen Beruf, ber einzige Erfas für bie
feinem Werke verweigerte Dauer. Indem aber gerade ber
Schaufpieler feine Perföntichkeit zu dem Werfzeuge feiner Kunft
macht und nicht wie andere Künftler diefe Perſoͤnlichkeit hinter
fein Wert zurüdzieht, fo trifft ihn nothwendig jede Rüdwirs
tung feiner Leiftung unmittelbar und berührt ihn in feiner
ganzen Individualität: dies ift ein anderer Grund, warım ihn
die Iheilnahme bed Publicums mehr als jeben andern Kuͤnſtler
berühren und befümmern muß. Der Verf. nimmt hierbei Ge⸗
legenbeit, von den Abmwegen zu fpredyen, auf weiche Kuͤnſtler
und Publicum in Rüdficht diefer eigenthümtichen Stellung nicht
feiten gerathen.
(Die Kortfegung folgt.)
Notiz.
Am 6. Nov. 1842 ftarb zu Hackney Dr. Allen. im neun:
undzwanzigſten Jahre feines Alters. Beine Werke find, im
Verhättniß gu feinem kurzen Leben, fehr zahlreich. Einundzwan⸗
zig Jahre alt, gab er bereits fein Wert „Au etymological
analysis of latin verbs’ heraus, welches unter den in England
erſchienenen Werfen ähnlichen Inhalte als dasjenige betrachtet
wird, worin die Principien ber Iateinifhen Sprache am voll:
ftändigften entwidelt find. Allen war 1814 geboren, Sohn bes
John Allen, welcher fi durch eine Überfegung von Galvin’s
„Inſtitutionen“ und durch feine „History of modern, Judaism‘’
befannt machte. Allen der Sohn war audy einer der gründlichften
Kenner der engliſchen Sprache und ihrer Geſchichte. Er hatte
für ein ausgebehntes Werk über biefen Gegenftand reichhaltige
Materialien gefammelt und ſich die legten zwei oder drei Jahre
feines Lebens mit bem Studium des Angelfählifchen, des Daͤni⸗
fhen, Schwediſchen, Setändifhen und anderer teutonifchen Spra=
hen befchäftigt. Leider fürchtet man, daß keins feiner hinter⸗
laſſenen Werke zu einer Korm gediehen fet, welche es für bie
Veröffentlichung geſchickt machte. Die englifchen Iournale heben
mit befonderm Accente hervor, daß auch mehre beutfche Philos
logen fein obengenanntes Werl mit Anerkennung genannt haͤt⸗
ten und daß cr von der Univerfität zu Leipzig mil dem Doctoxs
diplom beehrt worben fei. 18,
Serantwortliher Herausgeber: Heinrig Brodhausd — Drud und Verlag von F. U. Wrodhaus In Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Zreitag,
— Nr. 27.
27. Januar 1843.
Heinrich 3ſchokke.
Eine Seibſtſchau. Bon Heinrich Z3ſchokke. Zwei Theile.
Zweite Ausgabe. Mit dem Bildniß des Verfaſſers. Aarau,
Sauerlaͤnder. 1842, Lex.S. 3 Thir. MD Nor.
Unter den eben nicht zahlreichen Büchern deutſcher Li:
teratur, welche nicht bloß für eine ausgefuchte Nahrung
des Geiftes, fondern auch für ein treffliches Heilmittel ges
gen Franke Zuftände des Gemüths gelten können, verdient
die vorliegende „Selbſtſchau“ eines volllommen gefunden
deutfchen Geiftes einen hervorragenden Platz. Es iſt nicht
wohl möglich, diefe Bogen zu durchlefen, ohne zu höherer
Erkenntniß unferer eigenen menſchlichen Verhaͤltniſſe, un:
ſerer Schwähen und unferer Stärke angeleitet zu werben,
ohne klarer zu fehen in Welt und MWeltregierung, ohne
über Glauben und Erkenntniß, über Menfchenwerth und
Macht des Willens, über VBölkerfreiheit und Recht bes
Individuums, über Gewalt der Idee und Zwang der
Materie, über Erziehung des Menſchengeſchlechts und letz⸗
ten Zweck des Befchehenen zu Haren Anfichten gelangt
zu fein. Zugleich bietet hierbei dies Buch fo viel Genuß
in der Lecture, eine fo reine Freude an dem wabrhaftigen
Menfchengeift, der uns darin abgebildet wird, eine fo herr:
liche, kunſtloſe, poetifche Form feſſelnder Erzählung, daß
es in dieſer Beziehung wenige Nebenbuhler und vielleicht
kaum an „Wahrheit und Dichtung“ einen Beſieger hat,
und daß wir mit Stolz und Wonne auf den firebenden,
ringenden, fiegenden und gläubigen, immer aber edeln und
geiftig hervorragenden Geiſt bliden, der uns bier ein Bild
feiner menfchlihen Irrfahrten treu und ſchmucklos auf:
role. Niemand kann died Buch voll irdifcher Dffenba:
rungen ohne offenbaren Gewinn Iefen; aber, o moͤch⸗
ten doch die jungen, die verirrten, doch achtbaren Geifter,
weide an Rhein und Spree auf ber dormenvollen und
zielloſen Pilgerfchaft nach dem Abfoluten begriffen find, in
Philoſophie und Kirche, oder die an der Seine, dem Ba:
terlande obgewandt und zuͤrnend, der deutſchen Schwachs
beit Huldigmd, in irdiſchen Dingen die unmoͤglichen Fo:
derungen des Gedankens höher achten als die mögliche
Wirklichkeit, moͤchten doch biefe und alle Diejenigen, wel:
he vergeffen haben, daß ſich in den Dingen ber Welt
Geiſt und Materie mifchen und durchdringen, daß das
Abfolute daher das Abfolut » Unfindbare ift, daß der
Staat nicht von Gebankenwefen, fondern von Menfchen
gebildet und die Philoropbie eine einfeitige wird, die mehr
als eine menfchliche Philofophie fein will — möchten doch
alle Diejenigen mit einem Morte, die den alten Spruch
vergeffen haben, daß alle Wahrheit überhaupt eine ſchwe⸗
bende fei und daß die alerlegte Confequenz bed Gedan⸗
tens ſtets in eine Unwahrheit umfchlägt, dies Buch Iefen,
dag in großen Zügen die Lehre von der bedingten Wahr:
heit und von den Grenzen aller menfchlichen Weisheit ent:
haͤlt und praftifch darlegt!
Zu welcher Harmonie diefe Ideen in dem Geifte des
Verf. der „Stunden der Andacht” gelangt feien, iſt an
und für fi gewiß Gegenſtand, wir möchten fagen, neu⸗
gieriger Forſchung für jeden Gebildeten. Dies natürliche
Intereſſe aber fleigert fi noch unendlih, wenn wir ers
fahren, welchen bewegten Lebensgefchiden, welchen reichen
Prüfungen und Erfahrungen, welchen ernften, ja furcht⸗
baren Zweifelskaͤmpfen diefer Mann unterworfen gemefen
ift, in welchem doch endlich Alles zu fo volllommenen Abs
ſchluß in Liebe und Zuverficht, zu fo reiner Harmonie in
Wiſſen und Glauben, diefen angeblich unverföhnlichen
Erdfeinden, gebich. Der Schag, welcher für Jeden von
uns in diefem Buche verborgen ruht, wird gehoben, wenn
wir uns recht von dem Gedanken durchdringen, daß jede
ausſchließliche Denkrichtung eine falfche fei, daß, ſowie +6
auf Erden keinen luftleeren Raum gibt, es wol eine uns
endlihe Annäherung an die Wahrheit, aber feinen Ges
danken gibt, der nicht ein Minimum von Srethum in fich
faßt; daß daher nicht der Menſchengeiſt, fondern die Nas
tur das Al und Eins ift und das höchfte Geſetz gibt.
In diefem Kern treffen alle die mannichfaltigen Dffenba>
rungen zufammen, welche diefe Schrift nicht blos mit fies
gender Überzeugungskraft, fondern auch in der anziehends
ften, geiftreichften und geſchmackvollſten Geſtalt offen legt.
Es iſt ein Buch, gefättigt voll von Lebensweishelt, gleich
zugemwendet ber Würde des Dienfchengeiftes, wie feiner Bes
fchränkung und feiner Schwachheit.
Eine erfahrungsreiche und mannichfaltig bildende Ju⸗
gend bereitete in dem Verf. jene Geiflesrihtung vor, In
der ſich jeder Widerfpruch auflöft und jeder Begenfag vers
mittelt. Erſt wenn man diefe Sugendgefchichte kennt, ver-
ſteht man, warum ber Autor der „Stunden der Andacht”
dem dußern Kirhenthum ein inneres entgegenfegen, warum
er den „„Abällino” und den „Alamontade“ fchreiben mas
106
rum er in allen politifchen und religiöfen Richtungen ein
Gegner des Ausfchließlihen und in ber Philoſophie der
Arzt jener Heimlichkranken werden mußte, die, durch bie
Etepfis entnerut, das ganze Geheimniß der Natur, wie
offen es auch daliegt, nicht mehr zu fragen vermochten,
Heinrich Zſchokke wurde am 22. März 1770 zu
Magdeburg in einer bemittelten Bürgerfamilie geboren,
fruͤh feinee Mutter, im neunten Jahre. feines Waters be:
raubt, erzjiehungslos fernen Verwandten übergeben, Die
feine Bildung theil6 dem Zufall uͤberließen, theils buch
lieblofe Behandlung den der Liebe bedürftigen Knaben fruͤh
auf fich ſelbſt zuruͤckwieſen. Erſt im zwölften Jahre er:
wachte der Knabe in ſich felbft; um die Erlaubniß zu er:
halten, frei feinen Belüften nachgehen zu koͤnnen, that er
fich im Latein hervor; der erſte Wiſſenstrieb führte. zu
bunter, wahlloſer Lecture, diefe zu den erſten Zweifeln,
welche der Eategorifche Imperativ bald nicht mehr zu zäh:
men vermochte. So entiprang die Individualitaͤt. Den
vierzehnjährigen Knaben warfen fromme Schwärmerei und
Unglaube fon wild umher; die Ruhe und ber Genuß
flohen; dafuͤr war er von jegt an abwechſelnd Myſtiker
und Freigeiſt, Politiker, Alchimiſt und Poet in allen Sat:
tungen. Ein Chaos von Ungewißheiten umnebelte den
Kopf des jungen Primanerd bergeflalt, daß es ihn nicht
mehr an ſeiner Stelle litt und daß ein geringfuͤgiger Um⸗
ſtand den lichthellen Gedanken: „Flucht in die weite Welt,
da dich doch Niemand liebt“, in der Seele des Knaben
zur Herrſchaft brachte. Wir ſehen ihn vor der Landkarte
von Europa ſtehen und ſich fragen: Wohin nun?
Die Schweiz, mein altes Lieblingsland, mit ihren Alpen
und Geen lächelte mich idyMifh an. Aber ein langer Weg
führte dahin. Ich muflerte Baiern, damals das Paradies bes
Moͤnchthums. Bor meiner Phantafte fland ein praͤchtiges Be⸗
nedictinerkioſter iin Schatten uralter Ulmen und Einden . . bie
fhmermäthige Stile hoher Bogengänge, Kreuggänge und Zellen,
der weite Bücherfaal, ſchwer von Schriftfhägen — Alles rief
mic dahin. Freilich ber Eintritt in die heiligen Mauern führte
‚zum Übertritt in eine andere Kirche — body was lag dem Un:
gläubigen am Umändern eines Glaubenskleldes? — Aber — ic
Tannte Niemand jenfeit der Donau. Inbem meine Augen ſu⸗
end umherirrten, fanden fie nordwaͤrts Medienhurg und haf⸗
teten an der Nefidenz Schwerin. Da lebte einer meiner
Mitfchäler, Namens Wacemann. Gr war Hoffhaufpieler.
Das entichieb.
Und fo trabt der fiebzehnjährige Juͤngling durch den
MWintermorgen hin in die weite Welt, gefheucht von dem
Gedanken, daß Ihn Niemand liebe, und doch gluͤcklich wie
der entflatterte Singvogel. Mit feiner Hedgira beginnt
eine neue Welt für ihn, die der Erfahrung. Von Wade:
mann fchnöde zuruͤckgewleſen, in dem Haus des Hofbuch⸗
druckers Bärenfprung liebreidy aufgenommen, vom einmal
gekoſteten Wandertrieb wieder ergriffen, folgt er der Thea⸗
teettuppe von WBurghelm = Schlaberndorff nach Prenzlau
als Theaterdichter. Diefe Eurze Epoche führte in Wirk:
fichkeit an dem jungen Geiſt vorüber, was wir Andern aus
„Wilhelm Meiſter“ kennen.
Die zweijährige Irrfahrt hatte unfern Freund mit dem
eöfttichen Schag des leichten Muthes bereichert; der alte
Querkopf war gefällig und gefellig geworden, fogar felbft
ein wenig Egoiſt. Er foderte fein Erbtheil vom Vormund
Stodengießer und bezog die Univerfität Frankfurt a. d. O.
Die alte Qual der Zweifel begann aufs neue: diesmal
aber mit dem feſten Entſchluß, ihnen, fühn und keck die
Stirn zu bieten, und fie zu enden fo oder fo. Der ge
hemmte Wiſſensdurſt uͤberroͤmte nun ale Daͤmme; Alles
wurde ergriffen, Theologie, Weltgeſchichte, Philoſophie, blos
um Waffen zu finden gegen den innern Feind. Umſonſt!
Im Schiffbruch alles Wiſſens, Meinens und Glaubens
klammert ſich ber Scheiternde zulezt an das Nothbret,
das der Weiſe von Koͤnigsberg eben auswarf. Berends,
um Hulfe angerufen, rieth nichts Philoſophiſches mehr zu
treiben; doc, in den andern Disciplinen gings nicht bef-
fer; der junge Forſcher konnte eben nicht an Worte glau=
ben. Er kam auf die eriten Verszeilen des „Fauſt“ zu:
ruͤck, beneidete jeden Wanderburfhen und — flüchtete
endlich vor fich felbft in die Heimat. In Magdeburg ver:
föhnte ihn ein fchmeichelhafter Empfang mit fih ſelbſt —
Altes kam dem jungen Candidaten mohlwollend entgegen ;
er betrat fogar die Kanzel mit Erfolg und mit dem Bei⸗
fa Ribbecks und Mellin's. Es fehlte wenig, fo ward
der arme Zmeiflee — Paſtor an der St. : Katharinenkirche.
Der Schimmer des örtlichen hatte ihn nicht verlaffen
und er verfichert uns, daß er bie Kanzel jedesmal from:
men und feierlichen Ernſtes voll betreten Eonnte. Er war
eben Gefühlsmenfh. Ein Beſuch von Barby heilte fogar
von Schwärmerei; er blieb ein Weltkind und die Zeit
ganz anderer Götter kam und uͤbte auch ihre Gewalt.
Dod ich Liebte — fagt er — melftens, wie ich lebte, im
Kiebern der Einbildungskraft; mandymal aus Neugier, biswei⸗
ien aus Bebürfniß, das Herz zu beichäftigen, oft eine Abwes
fende, Entfernte, deren Wieberlehr fofort allen Zauber zerſtoͤrte.
Ich war ein Narr, aber einer, ber das feltene Gluͤck hatte, daß
bie Abgöttinnen feiner zwanziger Jahre die Freundinnen feines
Alters waren. .
Hierauf nun folgten drei Sabre ald Doctor legens
in Frankfurt, die wenig änderten oder befierten. Die
Extreme walteten nach mie vor: Wüfte und Paradies,
Enthuftasmus und Haß ohne Maß. Wöllner, dem der
junge Mann den herkoͤmmlichen Befuch verweigert hatte,
flug die erbetene Profeffur ab, die alte Wanderluft er:
wachte — und, „nad dem alten Grab der Gräber, nach
Rom” rief auf einmal Alles in dem jungen Geiſte. Im
Zickzack ginge durch Deutfchland ; der in Prenzlau und
Eandeberg entflandene „Abällino” Iärmte damals auf den
deutfchen Bretetn. Der Berf. verachtete ihn und er
machte — eine große Erfahrung! Literarifche Celebritaͤt
ward ihm veraͤchtlich, als er fah, wer fie ertheilte und
wofür. Allerlei Dunkles bellte fi doch nun auf. In
einem mächtigen, ergreifenden Bilde rollen fi nun, in
der Schweiz angefommen, die contraftifchen Zuſtaͤnde die⸗
fe6 Landes vor und auf. Der Freiheit Gegnungen, der
Freiheit Sreuel, der Kirche Wohlthaten, der Kirche Ty⸗
rannei, bie geiftige Unfreiheit der Demokratie, die Suͤnden
ariftofratifcher Gewalt, Alle dies ſtellt fih auf wenigen,
nicht genug zu preifenden Blättern (S. 65 — 75) ergrei:
fend dar. Ein Lichrftrahl fälle fhon Hier in das Alte
Dunkel; vr fängt an zu ahnen, daß nichts für fi, fein
vr. z7 an IE 3.
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107
einzelner Theil der Natur, tool aber die ganze Nature das
Abſolute darſtelle. An diefer Idee baute ſich fpäter auf,
was Zſchokke ald feine Phitofophie in Anſpruch nimmt.
Auf der einen Seite überrafcht, auf der andern enttäufcht
durch Das, was er fah, führt eine zufällige Bekanntſchaft
mit Dlsner den Verf. nah Paris. Es war zur Zeit der
Verſchwoͤrung von Babeuf 1795. Ekel vor dem reiben
dee Deroen der Freiheit verjagt ihn von dort; erft in Bern
fand feine Seele wieder Ruhe. (Es muß ein Irrthum
| fein, wenn er damals Graf Schlaberndorf als einen Sch:
| ziger gefannt haben will, da wir ihn felbft als einen fol-
den 1814 gekannt haben.) Kuͤnſtler, Maler oder Dorf:
fhulmeifter, das waren damals die zweifelhaften Lebens⸗
ziele; nad Rom aber war der Blid gerichtet. Ein ver:
ſpaͤteter Koffer warf diefen Lebensplan um, wie in Mag:
deburg eine erſtarrte Fledermaus ale Schickſalsgoͤttin ein-
trat. Salis und Neſemann menden die Augen des jun:
gen Wanderers auf das verödete Seminar von Reichenau,
daſſelbe, in welchem kurz zuvor der Herzog von Chartres
(Ludwig Philipp) ale Monf. Chabos Zuflucht gefunden
hatte. Tſcharner, der fi in dieſem Beſitz nicht behaupten
fonnte, übertrug ihn an Zſchokke, der für ein Drittel
ded Gewinnfies und 800 Gulden Gehalt die Wiederher:
ſtellung der einft blühenden Anftalt übernahm. Gin Jahr
voll feliger Strebensluſt und gefegneten Erfolges folgte.
Der Pilger hat fein Mekka erreicht, wunderfreundlich blickt
ihn das Leben unter dem neuen raftlofen Wirken, unter
sefpannter und erfolgreicher Thaͤtigkeit an. Er glaubt das
Gluͤck an feinen Herd gefeffelt zu baten. Die Anſtalt
blüht raſch empor, die Jugend fammelt fih um ihn,
theure Freunde, Tſcharner, U. Reding, Salis lehren ihn
den Reiz des Lebens kennen — da bricht der Sturm ber
Revolution herein und vermeht das ganze Kartenhaus
von Gluͤck.
(Die Sortfegung folgt. )
Die Kunft der dramatiſchen Darftelung Bon Theodor
Roͤtſcher.
(bortſegung aus Nr. 236.)
Heutzutage, wo ed in Feiner Kunftthätigkeit ein naives
Schaffen und Genießen mehr gibt, weil ber Begenfag von Em:
und Denken alle Lebensfphären durchdringt, muß ber
Kunſt bie Kritik auf dem Fuße folgen. Die abfolute Bebingung
der Kritik ift aber die Erkenntniß der Geſetze des Gegenftandes,
auf ten fie ſich richtet. Ohne die Wiffenfchaft ift darum bie
Kritik nicht möglich, indem fie allein erſt die Einſicht in ben
Droanismus bes Objects eröffnet: das zufällige Empfinden und
Seflectiren wirb durch diefelbe aufgehoben. Der Kunſtrichter
mus daher nicht nur ein allgemeines Bewußtſein über die Nas
ur ver Kunft haben, fonbern er muß auch das Gebiet und bie
Arkitektonil der befonbern Kunft im ganzen Umfange kennen.
Diemit hat unfer Verf. den Stab über jene gewöhnliche Thea⸗
teckriũt gebrochen, bie ohne Wiffenfhaft, nicht felten ohne un⸗
mittelbare Begabung, in einem eigers gefchaffenen Iargon bie
Eeiflungen der dramatiſchen Künftler beſpricht und bie ben
Rünfier und bas Publicum unendlich deprarirt. Der Künfkler
ſel aber an dem wahren, durch bie Wiffenfhaft und eine
Hantafiereiche Anfchauung gebildeten Kritifer das natürliche
Gerzectiv, den parteilofen Richter haben, ber eine befondere
Saſtſtufe nad) Dem, was bie concrete Ibee und das Beduͤrf⸗
2 der Zeit fodert, beustgellt: der dem nach Naturnothwen⸗
digkeit ſchaffenden Künftter und dem unmittelbar genießenden
Yublicum das Bemußtfein in feiner ganzen Klarhrit über die
Probuction eröffnet.
Hierauf entwidelt ber Verf die fubjectiven Bedingungen,
welche der Schaufpieler zur Ausübung feiner Kunft hinzubrin⸗
gen muß. Alle Kunſt beruht auf der freien Phantafie. Diefe
Kraft, den vernünftigen Inhalt in der Form des Bildes anzu:
hauen und in dieſer Geſtalt gegenſtaͤnduch zu machen, tft, wie
bei jeder Kunftthätigkeit, auch die negative Bedingung zur dras
matifhen Darftellung. Freilich muß aud) Hier das Talent hins
zulommen, nach weichem fi die Phantaſie des Individuums
gerabe in biefer fpecififchen Weiſe productiv anlündigt. Das
Zalent bes barflellenden Künftlers wird fi) darum befonders in
jenem unabweisbaren Zriebe verraten, theild von ihm wahrs
genommene Zuftände und Perföntichkeiten , theild Geſtalten ber
freien Phantaſie mittels feiner eigenen Perſoͤnlichkeit wiederzu⸗
geben. Je größer ſich die Selbfiverleugnung der eigenen Per:
ſoͤnlichkeit dabei zeigt, je prägnanter bie Züge find, welche les
benbig aufgefaßt und bargıflellt werden, deſto ficherer darf auf
eine Begabung geichloffen werden. Indeffen Bildung, Tempe⸗
rament unb natürlider Nachahmungstrieb täufchen gerade hier
ſehr felten und das Zalent erweift fi nur zu oft ohne Nadhs
halt. Weiter: indem in der Gchaufpiellunft das menfchlicdye
Individuum felbft zum Material ber Darftellung ber Idee ge
macht wird und diefe Individualität der nothwendige Stoff tft,
an weichem fich die Idee offenbart, fo muß auch die finntiche
Erſcheinung der Perfönlichkeit fchon ihre Bedingungen zur dra⸗
matifchen Darftellung an fi tragen. Für die finnliche Geſtalt
treten mithin fürs erfte zwei allgemeine Gefichtspunfte heraus,
zuerft: der Körper muß die Möglichkeit barbieten, zum Zeichen
ber Seele geformt und zum Träger ber geiftigen Perſoͤnlichkei⸗
ten erhoben zu werden; zweitens: die Geſichtsbildung muß dem
geiftigen Ausdrucke nicht wiberfireben. Hoͤchſtens das Feld ber
phantaftifgen Komik wird das einzige Gebiet fein, worin auch
mangelhafte Körperlichleit bei großer anderweitiger Begabung
fi bewegen Tann. Daß bier ber Verf. den Körper und die
Phyſiognomie ald Raturbeftimmtheit und nicht als das Reſul⸗
tat gemeiner Leidenfchaften und eines rohen Sinnes im Auge
bat, ift nicht erft zu erwähnen. Das zweite allgemeine Mo⸗
ment ber Naturfeite des barftellenden Künftlers iſt bie natur«
| liche Beſchaffenheit des Tones. Bier find ebenfalld zwei große
Dinberniffe, welche das Individuum oft mit aller Beſtimmtheit
von der Bühne zuruͤckweiſen, denn ber Xon, als ber unmittels
bare Zräger des Geiſtes, tritt als eine noch viel gebieterifchere
Schranke auf denn die übrige Körpertichleit. Wie es eine ges
meine, unverbeſſerliche Gefichtsformation gibt, die fih zum
Ausbrude bed Idealen nicht eignet, fo kann zupörberft auch dem
Zone von Natur ein gemeiner Accent aufgedrädt fein, ber ihn
zum Ausbrude bes Geiſtigen unfähig macht. in ſolch gemeis
ner, gleichſam aus bem rohen und ſinnlichen Stoffe des Men⸗
ſchen gebildeter Ton fegt die Bedeutſamkeit des Inhalts herab
unb erregt in bem Hörer den Widerſpruch zwifchen Inhalt und
Form. Der Manglofe Zon tft Hingegen kein abfolutes Hinderniß;
er kann oft durch die Beifligkeit ded Accents zum Ausdrucke bes
Idealen überwunden werden. Die zweite Schranke des Zone,
als natürliche Baſis der barftellenden Kunft, tft ein ausgeprägs
ter Dialekt, er widerſtrebt ebenfalls ber Idealitaͤt. Hierin
möchten wir jedoch dem Verf. nicht ganz recht geben, denn nicht
immer gründet fiy bei dem Ginzelnen die Eigenthuͤmlichkeit bes
Dialekts auf bie natürliche Gonftruction der Sprachorgane und
eine anhaltende, confequente und methodifche Übung Kann felbft
natürliche Fehler und GSpecialitäten für die Wahrnehmung gänge
8 verloͤſchen. Der Dialekt iſt für die darſtellende Kunſt frei⸗
lich unzulaͤſſig. Der kuͤnſtleriſche Ausdruck des Geiſtigallgemei⸗
nen wird auch immer in der allgemeinen Sphaͤre der Na⸗
tionalitaͤt aͤußern muͤſſen, damit er den Charakter der Allge⸗
meinheit nicht verliere, waͤhrend der beſondere Ausdruck
einer Landſchaft, der hinter dem Ausdrucke der Allgemeinheit
zutuͤckgeblieben, uns nur das geiſtige Weſen der Nation und
4
*
108
das nationale Dichterwerk in einer particulairen, vom Boden
der Allgemeinheit loegeloſten Weile offenbart. Es entſteht fo
ein peinlicher Zwieſpalt zwiſchen Form und Gehalt. Gin mit
unverbefferlichem Dialekte bebaftetes Individuum wird baber
böchftene nur den befchräntten Kreis eines Localkomikers für
ich haben.
na —* Verf. gebt jetzt auf die Entwickelungsſtufen des dra⸗
matiſchen Kuͤnſtlers ſelbſt ein. Dieſer Gegenſtand iſt nach un⸗
ſerm Beduͤnken der Brennpunkt fuͤr die Wuͤrdigung der Kunſt
und des Kuͤnſtlers, und unſerm Verf. gebuͤhrt die Ehre, ihn
uerſt zuſammenhaͤngend und nach den Geſetzen des Geiſtes
berhaupt entwickelt zu haben. Mit dem Vorzuge eines natuͤr⸗
lich wohlgeſtalteten Körpers, einer edeln Geſichtsbitdung, einer
wohlklingenden, dialektfreien Stimme ſteht das begabte Indi⸗
viduum an der Schwelle der Kunſt. Aber alle dieſe Factoren
werben erſt zu wirklichen Kräften, wenn fie durch das ſpeci⸗
fiſche Talent, durch den Genius des Kuͤnſtlers zur lebendigen
Thaͤtigkeit benugt und organifirt werden; exft in biefem Pros
ceffe nimmt ber Genius vollftändigen Beſitz von den ihm durch
die Natur ertheilten Gaben. Diefer Genius erſcheint zunächft
ebenfalls als der natürliche Kunftgeift, der feinen Entwidelungs:
proceß zu durchlaufen hat, um ſich zu dem wirklichen und re:
ierenden Geifte der Kunft zu machen. Cs ift bie Sache der
iffenfchaft, diefen Entwidelungsproceß des bramatifchen Kuͤnſt⸗
lers in feinen Momenten zu begreifen, obfdyon es gleichgültig
it, 96 das Individuum den Proceß in ber That in diefer Ge:
chiebenheit durchgemacht hat, oder überhaupt durchgeht. Der
erite Standpunkt ift nad diefen Kategorien der Standpunkt
der unmittelbaren Empfindung für den Kuͤnſtler. Der Darts
ſteller wird zuerſt von ber Empfindung berührt; die Empfin⸗
dung in ihm ergreift das Verwandte und gibt ſich bemfelben
mit Stut und Snnigfeit bin. Es ift alfo die Iyrifche Stim⸗
mung, aus welcher heraus hier der Kuͤnſtler bie bichterifchen
Seftaiten zu verwirktichen fucht. Auf diefer Stufe erſcheint ihm
das darzuftellende Leben als fein eigenes Leben, als ein von
ihm uhzertrennbares Wefen, das er in diefer gefteigerten Stim⸗
mung von ſich entläßt. Allein, da hier die Geftalt des Dich:
ters ganz in bas Gefühl bes Darſtellers übergegangen und von
ihm als das feine empfunden wird, kann er nur ein Werk der
Natur, nit ein Werk der Kunft geben. Das Wert wird wol
ein lebendiges Bild fein, aber e8 wird ber Idealitaͤt, ber Schoͤn⸗
beit entbehren, denn es find bie unmittelbaren Affecte der Nas
tuc. Der Darfteller Tann uns darum nicht Über das peinliche
Bewußtfein emporbeben, daß ſich aud hier die Natur einmal
völlig entfeffeln und den Gefegen ber idealen Welt völlig Bohn
fprechen werde. Ferner: da fich der darftellenbe Künftter auf
diefer Stufe nur mittels feiner fubjectiven Empfindung in der
Rolle zurecht findet, fo wird er auch nur den Meinen Kreis von
Sherakteren beſchreiben, in welchem er feine Iyrifche Stimmung
vollfommen gegenftändlih anſchaut: die Ereigniffe ber Liebe, der
idealen Freundſchaft, der republitanifchen Begeiſterung, Alles,
was eine Zünglingsphantafte bevölkert, wird der Darfteller auf
diefer Stufe wiedergeben können. Man fieht daraus, wie e6
um ben wefentlichften Punkt in der Schaufpiellunft, um bie
Sharakterdarftellung auf diefem Standpunkte übel ſteht. Die
Empfindung concentrirt den Darfteller nur auf Momente, fie
bat darum nicht bie Gewalt, von einem feſten Centrum aus jenc
mannichfaltigen Lebensäußerungen hervorgehen zu laffen, in
welchen ſich jeder reihe Charakter auseinanderlegt: wir entbeh⸗
zen der beftimmten Leiber und Geftalten, wenn wir audy bier
die abftracten idealen menſchlichen Gmpfindungen anſchauen
tönnen. Darum beginnt die Schranke diefer Kunftftufe da, wo
die Schranke der Declamation ifl. Es ergibt fi darum aus
allem Diefen folgendes Kriterium: Je einfacher und zugleich der
Inrifhen Empfindung unferer idealen Ratur vermandter das
Pathos einer dramatiſchen Geftatt iſt, deſto eher muß biefer
Standpunkt eine Wirkung hervorbringen; je individueller und
reicher aber ein dramatifdier Charakter, je entfernter fein Pa⸗
thos der unmittelbaren Empfindung des Darftellers ift, je wer
niger er fein eigene® Ich darin anſchaut, befto unzulaͤnglicher,
deſto ohnmaͤchtiger tft diefe Stufe für bie dramatiſche Darftels
lung. Indem die weibliche Individualität überhaupt dem Ems
pfinden näber fteht und bie Lyrik in jeder Beziehung weit mebe
ihre Heimat ift, fo reicht auch bei der bramatifchen Künflierin
die Fülle lyriſcher Begeifterung, von einer edeln und reizenden
Perföntichleit getragen, weit eher aus als bei männlichen Cha⸗
zalteren und männlichen Künfttern. Wie aber aud bei ber
Künftterin nicht immer biefer unmittelbare Standpunkt zu ge⸗
nügen vermag, wo höhere, concretere Geftalten der Gegenftanb
ber Darftellung find, zeigt der Verf. treffliih an dem Charak⸗
ter der Shakſpeare'ſchen Julia auf. Das letzte Refultat, wels
ches aus dem Verharren auf diefem Standpunkte hervorgeht,
ift traurig. Wenn fi) nämlich bie unmittelbare Empfindung
durch die Zeit abgeflumpft bat, oder das Individuum über
haupt der Periode entwachlen ift, in welcher feine natürliche
Srregtpeit und lyriſche Kraft durch wahlverwandte Affecte des
Dichters in Bewegung gefept wird, fo fint, bei bem Mangel
einer hoͤhern Eünftterifchen Bildung, der unmittelbare Schauſpie⸗
lee zu dem leblofen, empfindungss und charafterleeren Mecha⸗
nismus herab. Das Schickſal diefer Künftter ift dann das
Schidfal bes Routiniers. Die Routine aber ift die dürftigfte
und, wenn fie fich bei ihrer Außerlichen Bewandtheit und Anftels
Iungsfähigkeit für Genialitdt ausgibt, bie abfcheutichfte aller
Kunftftufen.
(Der Beſdluß folgt.)
Literarifhe Notizen aus England.
Bom Berf. des „Jack Shepparil“, unfittiichen, und „Old
St.-Paul’s‘', zweideutigen Andenkens, von William Harrifon
Ainsworth iſt wieder eine dreibändige Novelle erfchienen „The
miser’s daughter‘ (London 1842). Ainsworth ift in England
populair. Weshalb? — Charakterzeichnung fümmert ihn wenig,
Seine Perfonen find meift ſehr mangelhafte Geſchoͤpfe. Aber durch
geſchickte Anordnung der Sreigniffe, durch die Wechfelfälle bes
Gluͤcks, welche feine Perfonen treffen, durch bie Gefahren, die
ihnen drohen, durch die unerwartete Weife ihrer Rettung, durch
ihre Leiden und ihren endlichen Triumph weiß er die Aufmerk⸗
famteit fo zu fefleln, daß man dad Mangelhafte an feinen Perz
fonen überfiegt und fie für Menfchen von wirktichem Fleiſch und
Bein hält. Darin mag das Geheimniß von Ainsworth's Pos
pularität liegen. Man kann gegen feine Figuren nicht gleich:
gültig fiin. Mögen fie fi) noch fo unangenehm machen, mit
bee menſchlichen Natur ſich in Widerſpruch ftellen und gegen
die Bundamentalgefege der Moral auf das ſchmaͤhlichſte vers
ftoßen — thut nichts. Immer hängt ihnen fo echt Menfchliches
an und läßt der Verf. fie fo viel mehr Übel erdulden als be-
geben, baß man gar nicht umhin kann, fie zu bemitleiben. Unb
das ift ed, warum Ainsworth's Novellen ſich ber Volksſittlichkeit
To gefährlich erwielen haben, baß, wenn es dem Betergefchrei der
Preffe nachgegangen wäre, er mit den JO oder 40, bie fein
„Jack Sheppard“ verführt hat, eingefperrt vder transportirt
und mit Gourvoifier gehenkt worben fein würbe. on allebem
madıt „The miser’s daughter’ feine Ausnahme.
Es hat neulich Jemand in ber augäburger „Allgemeinen
Zeitung” geäußert, in Gngland leſe kein Menſch ben erften
Band einer dreibaͤndigen Novelle. Wäre das ebenfo wahr als
es vermuthli nicht wahr iſt, fo würden bie Lefer bed „The
Nabob at home, or, the return to England” (London 1842)
ſchlecht wegkommen. Bier befriedigt der erſte Band von An
fang bis zulegt, beim zweiten gähnt man, und tieft man ben
dritten, fo meint man einen ungehörigen Appenbir zu lefen.
Die Geſchichte iſt beenbigt, che die Geſchichte des Helden, bes
Oberſten Roß, anbebt. Der erfte Band zeichnet fidh unter Anderm
durch eine gediegene Schitberung bes Lebens in Indien aus, 3.
Berantwortlier Geraubgeber: DHeinrid Brodhaud. — Drud und Berlag von J. A. Brodbaus in Leipzig.
Sonnabend,
Heinrich 3ſchokke.
(Bertfegung aus Nr. 27.)
Str Diejenigen, welche da wähnen, daß logiſche Con:
feauenz und DVernunftgemäßheit den Staatseinrichtungen
alien hinreichend feien, den Gehorſam gegen bie Gefepe,
das Gluͤck der Völker zu verbürgen — für Diejenigen,
weldhe in ihren Berechnungen die thierifche Natur des
Menſchen — feine Leidenſchaften ganz aus dem Auge ver:
Beeren, find die folgenden Abſchnitte an Belehrung reich.
Der Berf. fetbft, bei Erzählung der Greuel jener Revolu⸗
tion, tie jest in der Schweiz ausbrach, der Menſchen⸗
freund, der Idealiſt, der gemüthvolle Schwaͤrmer Zſchokke
feibft, wird nun an feinen eigenen Theorien oft irre ges
madht und weiß fi nicht anderd zu helfen, als daß er
alle Schuld auf die civilifirte Barbarei unferer Zelt, die
für ibn noch in den Anfängen allee Humanitaͤt fleht,
fhieben- muß. Das Belenntniß iſt folgenreih. Stehen
wir wirklich in den Anfängen der Humantitaͤt — nun fo
ii es wol zur Unzeit, Ideale der Menfchheit verwirklichen
zu wollen; der Halbwilde wird nicht mit Roſenketten ge:
feffelt! Aber der Verf. ift im Irrthum; was er bie civi-
üſirte Barbarei unferer Zeit nennt, ift die Menſchennatur
aller Zeiten, die der Unterwerfung an einen fremden
Willen, an eine erfannte höhere Intelligenz aufer ihm,
zu Peiner Zeit, im Staate wie in der Religion entbehren
kann. Selbſibeſtimmung mürde nur dann genügen, wenn
der Menſch ein reines Vernunftweſen waͤre; da er das
nicht if, fo muß dad Beftimmende außer ihm Liegen.
Wir meinen, dad fei eben das unzmeifelhafte Fundament
alier Herrſchaft und zugleich aller Freiheit, Deren ber
Menſch nur theilhaftig wird, indem er fi durch die Din:
«bung an einen reinen Willen und eine höhere Intelli⸗
genz vor fi ſelbſt — feinen Leiderifchaften und ber fub:
jectiven Befchräntung feinee Natur — befreit.
Au der Zeit, als unfer Freund durch die Wuth eis
ner Umflürzerrotte aus feinem ftillen und felbftgefchaffenen
Paradiele zu Reichenau aufgetrieben und wie ein Raub⸗
thlee gejagt, wie ein Geaͤchteter verfolgt vourde, blos weil
man ihn mit feinen Freunden Tſcharner und Salis für
ariftofratifch gefinnt hielt, zu jener Zeit war er von dieſer
Wahrheit noch nicht durchdrungen — er glaubte noch an
eine vernunftgemäße Selbfibeftimmung der Maffen. Run
ergriff ihn der Revolutionsſtrudel, hob ihn, der noch vor
| dernden Thespis⸗Juͤngern von Prenzlau.
Blätter‘
für
literarifhe Unterhaltung
kurzem ganz in. feinem Lehrberuf verfenkt lebte, zu den
Höhenpuntten der Macht, zum Statthalterthum, zu wich⸗
tigen biplomatifchen Stellungen empor, fchleuderte ihn
wieder zu den Gedchteten, Gehegten, Verfolgten herab,
bob ihn auf Wogen der Volksgunſt wieder empor, ein
Spielball des Gluͤcks, und ohne daß er felbft kaum zu fas
gen vermochte, role Died Alles geſchah. Diefe fünf Fahre
(1798 — 1803) waren für ihn die wahre Lebenshoch⸗
fehule, und — zwar treu fich ſelbſt — doch mit fehr ges
täuterten Anfichten von ber Zuverläffigkeit der ſich ſelbſt
überlaffenen Menfchennatur, ging er aus ihr hervor. Zus
gleich war aller religidfe und philoſophiſche Zweifelskampf
geendet und hatte einem harmoniſchen Sebanfen Platz ger
macht, den mir bald näher kennen Lernen werden und in
dem von nun an fein ganzes Dafeln wurzelte.
Des Verfolgten Zufluht war ein Holfloß, daß von
Reichenau den Rheinftrom hinabſchwamm; in Ragag trifft
ee auf feine Mitverfolgten: Tſcharner, Meyer, Roſcher
u. 4. Es war ein Leben, ungefähr wie mit den wan⸗
Aarau war der
Sig der improvificten helvetiſchen Republik: bie kleine
Stadt wimmelte von Staatsbeamten, Generalen, Geſand⸗
ten, Deputationen. Alle Stimmen ber flüchtigen Grau⸗
blndtner fielen auf Tſcharner und den Verfaffer, als Ger
fandte bei ber neuen Regierung. Da diefe für Graus-
bündten nichts zu thun woagten, verlor Tſcharner ben
Muth, zog ſich zuruͤck und überließ dem unerfahrenen
jungen Lehrbefliſſenen allein das Feld. So ward Zſchokke
Diplomat, Staatemann und fofort zeigte ſich feine glüdks
liche, feine im Praktiſchen ſchnellkraͤftige und erfindungs⸗
reihe Geiſtesanlage bei ſchwierigſter Aufgabe. Es hans
beite fi darum, Vergeſſenheit und Aufnahme in die Re
pubtit für Sraubündten zu erlangen, waͤhrend man im
Lande felbft die Franzoſen befriegte und die Farben ber
Republik verfpottete. Wer jemals in einer ähnlichen Ver⸗
mittelung thätig war, kann leicht die Sorgen, die Ängſte,
die Noth unfers Freundes ermeffen. Dennoch fiegte feine
Nednergabe, er empfing bie Ehre des Bruderkuſſes im
Vollziehungsrath. Hier eine Probe von der Darftellung
bes Sufaffere
lebte nun in einer gro le, beffen Le L ein
böberer @eift, als ber —ã— enmabın Fl ae ge
ſchaffene Staatsverfaffung, mit gänzticher Unkunde bes Landes
entworfen, dann mit blutiger Gewalt eingeführt, follte Voͤlker⸗
110
⸗
en verſchmelzen, bie taum bem Kamen nad) bekannt
ro en nicht Belgien, nicht Bitte, nicht —E
nicht Geiſtesbildung, nicht buͤrgerliches Beduͤrfniß gemein hatten.
Bertuftig des gewohnten Alten, unkundig des Neuen, trieben fie
nun ängftlih unter Trümmern früherer Ginrichtungen umher,
wie Ameifen, deren Wohnung ein unbarmperziger Fuß zerſtoͤrt
hat. Eine Suͤndflut neuer Belege uͤberſchwemmte dad Land und
mehrte die Verwirrung. Das Volk, irre in Zweck und Mitteln,
ſuchte Rettung in eigener Kraft und blieb am Ende body nur
Cpielball ergrimmter Parteien. Hier prebigten fanatifche Frei⸗
heitsfchreier Abfchaffung der Auflagen, Bütergleichpeit, Schul
benvernichtung, Patriotenentfhäbigung ; dort fanatifcye Priefter
Religionsgefahr, Glaubenskrieg. Dier zettelten rachbürftige Pas
trizier Verſchwoͤrungen und Empörungen an, bort fehrien Ber
bannte Tod und Verderben über ehemalige Obrigkeiten. Waͤh⸗
rend bie dandleute von Baſel Vertheilung der Staatskaſſen for
derten, ſtraͤubten ſich die von Bern gegen die Einfuͤhrung der
neuen Steuern, die von Glarus gegen den gregorianiſchen Ka⸗
lender, andere gegen ben Bürgereid. Raſtlos durchſtrichen fran⸗
zoͤſiſche Schlachthaufen das Land, Aufftaͤnde zu verhuͤten, oder
mit Flamme und Schwert zu kämpfen. Unterwald, für die Res
ligion in Waffen, ward mit Leihen und Brandflätten bedeckt.
Die Regierung von Yarau, troß fie umgebenden Gepränges, ſtand
ohnmaͤchtig da und abhängig von Frankreichs Gebieterſchaft.
Der ſchaͤtfſte Seher war blind für die Entwirrung.
Gezwungen, Weltmann zu fein, ward ber Verf. tauglicher für
die Welt; er ließ dem inmwendigen Menfchen nur die Mofle
bes Zuſchauers und that fo viel Noͤthiges ale möglich.
Dier knuͤpfte fih auch die Verbindung mit Peſtalozzi,
Uſteri, Müller, Rengger und Laharpe, ein Troſt bei fo
großer politiſcher Hoffnungsloſigkeit. Eine Reihe oͤffent⸗
ficher Ämter nahm den Berf. nun in Anſpruch; zuerft
gefellte er fi) dem Minifter des Innern, Stapfer, zu,
als Vorſtand des Bureau de P’esprit pablique; bier ent:
fland der fo berühmt gewordene „Schweizerbote“ zunächft
als ein Mittel, der unglaublich vernachläffigten politiſchen
Erziehung des Schweizervolks nachzuhelfen. Hierauf im 3.
1799 die Ernennung zum Regierungsſtatthalter in Unter
walden. In dieſer neuen Laufbahn zeigt fih, wenn wir
feiner Erzählung folgen, umfer Freund ale ein Bann von
entfchiedenem Berwaltungstatert, gerecht, hülfsfertig, zu
vechter Zeit kraͤftig, unnachgiebig, entfchloffen. Sein Geijt
nahm eine neue Geflalt an, er fah die Welt im Lichte
der Mirktichkeit.
Kann ich auch nicht ganz froh fein — ſchrieb er an den
ehrwürbigen Reſemann — fo halten Sie mich darum nicht für
ungluͤcklich. Gin frifches, jugendhelles Gemüth, innig — eins
mit Gott, gibt ſich bald zufrieden — und will ich ermatten, fo
wird mir erquidender Umgang mit Berefinger und Peſtalozzi.
So ſaß er denn bald am Schreibtifh, bald zu Pferde,
mufterte Zruppen oder hörte Berichte bei offenen Thuͤren,
und bildete fih, Mohlwollen im Herzen, in Menſchen⸗
kenntniß und Geifledgegenwart wachiend, zu sinem Staates
mann, bei dem er freilich, wie er fagt, nur ein negatives
Verdienſt anerkennen könne So felbftäudig war der ches
malige Zweifler nun fchon geworden, daß er fih im Aus
guft 1799 ſelbſt als Proconful in den Canton Schwyz ent:
fendete, wo die entfeglichfle Noth ſchnelle Hülfe erheifchte,
Der tühne Schritt ward von ber Regierung genehmigt
und erwarb ihm Ehre aus unfayliden Mühen, bie er
anziehend darſtellt. Indeß — tägliches Schaffen, Ein:
flürzen und Wiederaufrichten, Auſtreben und Ringen mi:
beten Ihn nicht ab.
Leben — [dreist er — iſt Wirken und das m
lichſte Wirken bi fetigfte Leben. a a
ein gutes Gewiſſen, guter Muth geben unerfchöpftiche Kraft.
Das Wert der Wiederherſtellung war zlemlich vorge
ruͤckt; da erfheinen Suwarow's Scharen und flürzten
Alles in das alte Chaos zurid. Verwuͤſteriſche Schlacht⸗
tage”, fo fagt er, „verwehen alle Sorgfalt des Staats:
mannee.” Von neuem wird Rettung geſchafft, fogar nas
tionalwirthſchaftliche Plane merden angebahnt und der
flücdtige Freund X. Reding (nachheriges Haupt der Mes
publik) in Sicherheit geborgen. Im Schhling 1800 ſchien
eine befjere Zeit zu erwachen, die Ordnung war herges
ſtellt und befeſtigt. Zſchokke will ſich von den Regierungs⸗
aͤmtern zuruͤckziehen; feine Anſichten über Dis, was der
Schweiz noth thue, waren feſt und damals von Reding,
mit dem nachher fo großer Zwieſpalt erwachte, getheilt.
Da erfolgte die Ernennung zum Regierungscommiſſar im
Wallis und mit widerſtrebendem Willen wird das neue
Amt endlih angenommen. Wir übergehen die Erzählung
der Außerlihen Thatſachen aus diefer neuen Laufbahn,
wie anziehend auch die Kämpfe mit der franzoͤſiſchen Mi—
litairgewalt, die Noth und die Geſchicke der Landfchaft,
die Factionen im italienifchen Stil, die Verhaͤltniſſe mit
dem trefflichen Moncey, die Vergötterungen und Verketze⸗
rungen, die der Machthaber erfuhr, auch gefchildert find;
wir übergeben fie, um für die Thatſachen feiner inner
Lebensgeſchichte etwas mehr Raum übrig zu behalten. Es
war ein herculiſcher Kampf voll raſtloſeſter Thaͤtigkeit,
nur ſelten durch gemuͤthliche Stimmungen erquickt. Die
Lecture des Gibbon und ein Brief des alten Lehrers der
Philoſophie, Steinbart in Frankfurt, gab ſolche. Wie war
der Leſer aber in fuͤnf Jahren verwandelt! Jene Wiſſen⸗
ſchaft, die er damals für das Ein und Alles der Weit
gehalten, wie trat fie jegt in Schatten? Wie feltfam bee
rührte ihn des alten Lehrers Frage: „Was halten Sie von
Fichte?“ indem er fich Lächelnd geftehen mußte, den Mann
faum zu fennen! Und mehr — es wandelte ihn kaum
ein Gelüft an, ihn kennen zu lernen; fo gewaltig faßt
uns die Wirklichkeit des Lebens, haben wir ihr einmal ein
Recht eingeräumt. Mitten unter Befchäftigungen, von
denen vieler Menfhen Wohl und Wehe abhing, erfhienen
Anfihten als etwas fehr Unerhebliches. Viel wichtiger
erfchienen dagegen Marimen der praktifhen Thätigkeit, wie
fie ſich jegt bei dem jungen Staatsmann feflfegten, wie.
folgende (S. 193): Ä
m Urtbeil der Welt Liegt eine gewiffe Wahrheit, wie i
Urtheil des Gewiſſens. —8* Ichet, m — wir un folten, ie
nes, wie wir es vollbringen müffen. Wer ohne alle Kuͤckſicht
nur einzig der innern Überzeugung folgt, laͤuft Gefahr, mit
edelm Willen Verberbliches zu thun; wer dagegen feine andere
Richtſchnur kennt als der Welt Urtheil, töbtet feinen innern
Brieden, um Spielball bes Zufall zu bleiben. Während er bier.
fen mit Klugheit zu meiftern meint, meiftert er ihn; den Eiflis
gen überliftet das Schickſal, ee verliert den Gewi "
eigenes Selbſt dazu. en un und fein
Aus ſolchen Maximen erwuchs eine große Toleranz
gegen Parteimeinungen und dieſe konunte ſich ſofort praf
m
tiſch webtchätig Außern, als Iſchokke zur Beſchwichtigung
des Parteikampfes in Baſel ats Regierungsſtatthalter ab⸗
geſendet wurde.
Ich befand wich — ſagt er — bei dieſen Maximen ganz
wohl und bewahrte meinen Gleichmuth mit ihnen. Tugendheld
war ich nicht, aber id war auch von Feiner Leibenfchaft uns
teejodht. (Der Beſchluß folgt.)
Die Kunft der dramatiſchen Darfiellung. Von Theodor
Roͤtſcher.
(Beſchius aus Nr. 9.
Der zweite Standpunkt des dramatiſchen Kuͤnſtlers iſt der
Standpunkt der Reflexion. Derſeibe beginnt mit einem ſchein⸗
baren Verluſte der Empfindung, indem er ſich von ihrer Herr⸗
ſchaft befreit. Wenn der Schauſpieler früher nur ein geſteiger⸗
tes Ich auf die Bühne brachte, fo ſcheidet er ſich jest im Ge:
fühle der Unzulänglichfeit biefed Standpunftes von dem darzu⸗
ftellenden Gegenflande. Gr will ſich felbft zum Traͤger eines
von ibm verſchiedenen Ganzen machen. Infofern erft bier ber
Schauſpieler feine Perſoͤnlichkeit zum Inſtrumente ber idealen
Menſchendarſtellung macht, betritt er auch erſt das eigentliche
Gebiet ber Kunſt. Auf diefem Standpunkte kann daher auch
erft eine gründliche Arbeit der Technik flattfinden und dem
Künftter feibft als Beduͤrfniß erſcheinen, er wirb ſich jetzt zu
den beiden Gebieten der darftellenden Kunft, zur Rhetorik und
zar Mimik wenden. Die Durchbildung biefer beiden Geiten,
wodurch die Herrſchaft über den ganzen Umfang des Materials
der darfielenden Kunft gewonnen wird, macht das Wefen ber
eigenttichen Schule aus, denn durch fie wird der Stoff, mittels !
weiches fidy die dramatiſche Darftellung offenbart, aus feiner ers
fen, natürlichen Geſtait herausgearbeitet und zur Offenbarung
ber Kunft fähig gemacht. Allein da die rhetorifche und mimifche
— immer nur die negative Bedingung fuͤr das Werden
einer kuͤnſtleriſchen Darftellung fein kann, indem hiermit der
Schaufpieler erſt die Raturſeite feiner Kunſt in feine Gewalt
befonimt,, fo ift mit dieſer techniſchen Bildung bie Aufgabe des
Känftters noch nicht geiöft. Die Aufgabe iſt die Verwirklichung
der dichteriſchen Indivibualität, des Charakters: auf deffen
Durchdringung kommt es an, fie iſt bas Reſultat biefer ganzen
Bermittelung. Indem nun aber ber Schaufpieler auf biefer
weiten Stufe den Charakter durchbringen und in das Bewußt⸗
Ein heben will, geht er dabei wel von der richtigen Vorauss
g aus, daß nur der Geiſt ein Ganzes heruorbringen
könne, ee will ein Kunſtwerk und kein Naturwerk mehr fchafs
fen. Der Künftler zeige ſich alfo bier auf dem Boden bes
Geiſtes. Aber indem er das Princip des Gedankens für bie
Xusäbung feiner Kunſt erfaßt und mittels biefes Principe in das
Detail eined Charakters einbringt, benfelben zeriegt und das
Einzelne in das Bewußtfein erhebt, fragt es fich immer noch,
ob er eine Teste Stufe erfleigen wird, ob er mit feinem Ges
nius alle diefe einzelnen, durch das Denken vermittelten Theile
sufammenfaffen und als ein lebendiges, von ber Aeflerion und
Empfindung zugleich getragenes Werfen entlaffen kann. Vermag
der Künftter" dies nicht, verharrt er auch in der Darftellung
bei ver Zertheilung und Analyſe des Charakters, ertennt man
in ven Zeilen die Abficht feiner Arbeit, fo befindet fich der:
felbe auf der zweiten Stufe, auf der Stufe der Reflexion: ans
Ratt aus der freien Phantafle ein Ganzes zu ſchaffen, in wel⸗
dem fi der Gedanke und die Empfindung durchdringt, bleibt
er in der Sphäre ber Neflerion fledten. So fehr auch zu wüns
fen, daß unfere Schaufpieler dem Zuftande der Unmittelbarkeit
entfagen und auf diefe zweite Stufe treten möchten, weil «8
bier dem Gchaufpieler um feine Kunft Ernſt wird, kann fie
doch, wie gar nicht erſt zu bemweifen, einen reinen Kunſtgenuß
nicht gewähren. Es iſt der noch nicht uͤberwundene Dualismus
von Reflerion und Gegenfland, von Bemußtfein und Unmittels
barkeit, von Kunft und Ratur, der bier tn die Anſchauung tre⸗
ten muß und ber, anftatt eines ganzen lebenbigen Kunftiorriet,
alle Fugen und Riffe fehen läßt, aus weichen bie Arbeit urs
ſpruͤnglich zufammengefegt ifl.
Der dritte und hoͤchſte Standpunkt bes dramatifchen Kuͤnſt⸗
lerd wird alfo der fein, auf welchem ſich die Empfindung und
bie Reflerion, bie erſte und die zweite Stufe, lebendig durch⸗
bringen, auf weichem der Künftler aus ber Vertiefung in bie
Reflerion und ihre auseinanderlegende Arbeit, nach dem ſchein⸗
baren Beriufte der Begeifterung, auf die Höhe einer neuen bes
wußtvollen und fchöpferifchen Begeifterung tritt. Dies ift bie
Stufe, auf der wir die Kunft zur Natur zurüdgefehrt und mit
ber Unmittelbarfeit der Gmpfindung verföhnt erbliden. Der
Scaufpieler gibt hier ein zu vollftändiger Organifation gebiehe:
nes Ganze, das in feiner Erſcheinung allenthalben den Puls⸗
ſchlag des Lebens durchfühlen laͤßt, das uns bie einfache, aber
allgegenmwärtige Seele offenbart. Gleich weit entfernt von ber
nur iyriſchen Empfindung, die einen concreten Charakter nicht
auseinanderzulegen vermag, wie gleich weit von einer fühlbaren
Abſichtlichkeit in der fcharffinnigen Durchführung eines Charak-
ters, breitet bier der darftellende Kuͤnſtler auf diefem höchften
Standpunkte die volle Wahrheit und Schönheit zugleih vor
und aus. Das Geheimniß diefer Stufe, woburd fie fich als
die höhere Einheit der beiden andern ausmweift, ruht auf dem
wunderbaren Widerfpiele, den barzuftellenden Charakter edenfos
wol ats cin Object zu behandeln, als zugleich ex fetbft zu fein,
zugleich zu empfinden und nicht zu empfinden, ber Begeifterung
hinge geben und doch beſonnen zu ſein.
ieſer hoͤchſte und nur durch die ſpecifiſche Begabung zu
erreichende Standpunkt der dramatiſchen Darſtellung bietet ſei⸗
ner Natur nach zwei verſchiedene Geſtaltungen dar. Der Kuͤnſt⸗
ler kann ſich naͤmlich entweder von der intuitiven Anſchauung
bes Ganzen aus zum Beſondetn zurechtfinden, ober er führt
den durch bie Reflerion ibm bewußt gewordenen Reichthum ber
Geftalt in die Einheit der Anfchauung zurüd. Das Gemein⸗
fame beider Richtungen iſt immer die fpecififche Fähigkeit, den
angefhauten Charakter ats ein befonderes, in fich zufammens
bängendes Leben frei aus fich zu entlaffen: nur bie Art ber
kuͤnſtleriſchen Thaͤtigkeit bebingt einen Unterfchied in der Rich:
tung. Die mit vorwaltender Intuition begabten Künftler has
ben den ganzen Reichthum der Lebensäußerungen eines Charak⸗
ters auf einen Schtag vor der Seele; der ganze vollftändige
Drganismus entfaltet ſich ihnen wie durch einen Naturproceß.
Indem ihnen die Ausführung bed Angefhauten durch jenes
wunderbare Vermoͤgen gelingt, nad) weldem ber Darfteller
gleihfam einen zweiten vollitändigen Menſchen in fich trägt,
der fich durch alle Phafen ber Darftellung unverwifcht zeigt und
entfaltet, fo fchaffen diefe Künftier, bi8 auf einen Brad bin,
bewußtlos. Bor Allen dürfen fie fig auch gerade der Inſpira⸗
tion überlaffen, weil die innere Anfchauung des Charakters, bie
eigene Illuſton, fo mächtig in ihnen wirkt, daß fie bas Ders
vortreten ihres individuellen Menſchen nicht zu befürchten has
ben: freitich tft dabei auch die Bedingung eine vollfommene
Herrfchaft über bedeutende Naturmittel. Indem bei dem Kuͤnſt⸗
Ver diefer Richtung Tine perſoͤnliche Wahlverwandtfchaft zu dem
Kreife feiner Charaktere befonders vorherrichen muß, fo wird es
au in der Natur der Richtung liegen, daß bier der Kreis der
Rollen in der Regel ein beiweitem beſchraͤnkterer fei als bei
den Künfttern, die durch das Medium ber Neflerion zur Gin
beit der Gharakteranfchauung gelangen. Die daͤmoniſchen Na⸗
turen im weiteflen Umfange, befonders die an das Phantaftifche
ftreifenden bumoriftifchen Figuren werden vorzugsweife in bicfe
Art des fünftterifchen Geftaltens fallen. Daher gehören in die:
fe8 Gebiet Geftalten wie Karl und Fran; Moor, Fauſt, Lady
Macbeth, Kleopatra, Medea und mandje Riguren bis Shak⸗
ſpeare ſchen Humors, wie Falſtaff, Perolles und feine Narren ꝛt.
Unter den großen Schaufpietern unferer Nation weift bier ber
Verf. entfhieden Zled und Ludwig Devrient eine Stelle an.
Fleck, vielleicht der von Natur begabtefie Künftier nach ben
112
meilterhaften Schilderungen Zied’s, buch feine ganze Organi⸗
fation dem Ungebeuern, übermenſchlichen zugewandt unb alles
Menfchiiche in eine höhere Region erhebend, erſcheint uns als
der eigentliche Prototyp diefer bezeichneten Richtung. Die weib⸗
lichen Künftter, wenn fie auf der höchften Stufe flehen, treten,
da fie der Infpiration überhaupt verwandter find ale ber Re
flexion, faft immer in ber bier entwidelten Form auf. Ihre
Darftellungen find größtentheild das Probuct jener unmittelbar
das Ganze faffenden Anſchauung, bie nicht mit Bewußtfein in
Fi Belonderheiten ded Charakters und feine pfychologifdhen Zu:
ammenhänge eindringt. Durch bie freie Herrſchaft über ihre
Mittel, welche immer ein Refultat der Arbeit und bed Kampfes
ift, wagen fie ſich mit Sicherheit in das Reich des weiblichen
&mpfindens, ja felbft in das Neid bämonifcher Leidenfdyaften
und fragen ihnen die innerflen Gebeimniffe ab. Diefe Baſis,
fagt der Verf., haben bie gewaltigften Wirkungen der Beth:
mann, ber Sophie Schröber, ‚der Grelinger, der Schröders
Devrient, der Mars, der Rachel.
Wie indeffen diefe genievolle Richtung durchaus nicht mit
dem Stanbpunfte des unmittelbaren Smpfindens, der Lyrik, zu
verwechſeln ift, fo ift die zweite Richtung, in welcher der Dice
tee durch bie Reflesion zur Ginheit der Anfchauung gelangt,
nicht mit ber zweiten Stufe, dem Standpunkte ber Neflerion
überhaupt, zu verwechſeln. Die Künftter, welde biefe Ridy:
tung vertreten, find durch ihre Natur befonders darauf anges
wielen, in ben ganzen Reichthum einer dbramatifchen Geftult
einzutreten und fi alle innern Zufammenhänge, Übergänge
und Wermittelungen berfelben zum Bewußtſein zu bringen.
Waͤhrend fie dies thun und fi in biefer Arbeit alled bewußt:
tofen Schaffens entäußern, nehmen fie — und bies gilt als Kris
terium ihrer echten Künftierfchaft — bed das ganze Detail in
bie unmittelbare Anfchauung zuräd und entlaffen es als ein
organifches, lebendiges und empfundenes Ganze. Vermoͤchten
fie diefes Anſchauen nit, fo würden fie mit der Reflerion al
lein, und wäre fie bie fcharffinnigfte, nimmermehr die volle
Wirkung eines Kunftwerkes hervorbringen, denn dieſes An:
fhauen und Zurüdnehmen in bie Unmittelbarkeit iſt über alle
Reflexion erhaben. Unter den deutfchen Schauſpielern ift aber
diefe Richtung am .entfchiebenflen von Iffland vertreten; von
den Künfttern der Gegenwart ift Seydelmann ihr Repräfentant.
Wo bie Vermögenbeiten beider Richtungen dieſer britten Stufe
zu ihrem vollen Gewichte kommen, ba ift die Idee der dramas
tifhen Darftellungstunft abfolut verwirfticht. Wenn bie Genia⸗
lität der unmittelbaren Anfchauung fo weit reicht ats bie Kraft
der Reflerion, wenn bie legtere nur die Entfaltung des Cha⸗
rakters übernimmt, während bie erſtere den Charakter im:
mer wieder zufammenfaßt und in bie Unmittelbarkeit zuruͤck⸗
verſetzt, wenn fih auch im höchften Zeuer des Affects und der
Leidenfchaft immer noch ber befonnene Geiſt und das Bewußt⸗
fein manffeftirt, ohne daß die Geſtalt von ihrer Wahrheit ein:
büßt, dann ift die böchfte, Alles umfaflende Stufe der kuͤnſtleri⸗
fen Charakterbarftellung vorhanden, die felbft die härteften
Gegenfäge ber menſchlichen Natur überwunden zeigt. Nach ben
Schilderungen, welche uns aufbewahrt find, möchte bie abfolute
Ausgleihung am vollfiändigften bei Garrick und Schröder vor⸗
handen geweſen fein. In Letzterm, fagt der Verf., iſt vielleicht
der Gegenſatz von Unmittelbarfeit und Reflerion am gründlich
ften und tiefften verſohnt geweſen. Der Kreis der von ihm
dargeftellten Charaktere war daher auch wol der umfaſſendſte,
indem er die Pole bes. unerfchöpftichen Humors Faiſtaff's und
der tragifchen Zertruͤmmerung Lear's mit gleicher Kraft um:
Tpannt hat.
Unfer Verf. gelangt nach biefer auögezeichneten Entwides
lung des kuͤnſtleriſchen Schaffens auf die Begriffsentwidelung
von Driginalität und? Manier. Die dramatifchen Kuͤnſtler,
welche auf ber dritten Stufe ftehen und flets aus ihrer eigenen
Anfgauung geſtalten, müffen ſtets originell fein, indem fie im⸗
‚mer einen Charakter von einem gewiſſen wahren und ſelbſtaͤndigen
Lebenspunfte aus faffen und gliebern. Daher wird auch jeber
wahrhaft große und begabte Kuͤnſtler gewiffe Seiten feines Ges
genflandes in ein neues Licht fegen und Beziehungen entbeden,
welche allen Andern entgangen, ober bei benfelben weniger
zur Lebendigkeit gebiehen find. Von biefer nothwendigen und
wahren Originalität, die an dem objectiven Gebilde hervortritt,
unterſcheidet ſich jedoch jene rein individuelle Eigenthuͤmlichkeit,
die mit dem Objecte in keiner Beziehung ſteht, ſondern eine
Zufaͤlligkeit der Perſoͤnlichkeit des Individuums if. Und dies
iſt die Manier. Dieſelbe iſt zwar ein Eigenthum des Indivi⸗
duums, aber —A der Wahrheit und Objectivitaͤt durch⸗
drungen und geſaͤttigt zu ſein; ſie zieht ſich als die Beſonder⸗
heit des Kuͤnſtlers durch alle ſeine Darſtellungen hindurch und
iſt gleichſam der harte Punkt, der vom organiſchen Leben nicht
bat erweicht und flüffig gemadt werben können. Der Verf.
zeigt an der Darſtellungsweiſe Eßlair's auf, wie fehr die Mas
nier felbft einem fo begabten Künfkter flörend in ben Weg treten
und verhindern Tann, das Hoͤchſte in ber Kunft zu leiften.
‚, Piermit iſt bei unferm Berf. die Entwidelung ber Prin⸗
cipien, auf welche fich die Kunft ber dramatifhen Darftels
lung flügt, beſchloſſen. Diefe Principten gehen fo fireng und
folgerichtig, mit folder Nothwendigkeit aus dem Begriffe der
Kunft hervor, baß ſich bie Kritik dabei nicht anders als pofitio
und anertennend verhalten kann. Aus dem Begriffe der Kunft
ergibt fidy auch mit eben diefee Nothwendigkeit die übrige Glie⸗
derung des Werkes. Da die bramatifche Darftellung ihre con⸗
crete Aufgabe nur mittels des Materiais der Perfönlichkeit Iöfen
kann, fo muß die Wiſſenſchaft über dieſes Gebiet auch diefes
Material nad) allen Theilen behandeln und aus dem natürlichen
in das kuͤnſtleriſche Bewußtſein heben, Die Organe aber, wo⸗
mit ber Schaufpieler geftaltet, find Zon und Geberbe: und fo
zerlegt fi der zweite große Abfchnitt unfere Werkes in die
beiden Momente: Bilbung bed Tones bis zur kuͤnſtleriſchen
Virtuofität des mündlichen Vortrags; Bildung des Körpers
zum Organe ber Seele bis zur kuͤnſtleriſchen Verwirklichung der
Seelenzuftände. Während aber Ton und Grberde bie beiden
Pfeiler des. ganzen Tünftteriihen Gebäudes find, haben fie ihre
höhere Einheit und ihr abfolutes Ziel erft In der Sharafterbar:
ftellung. Die Gharakterbarftellung, das Reſultat aller biefer
Beſtrebungen, in weldhem ſich bie Recitation und bie Edrperliche
Berebtfamkeit erſt zu einem ſchoͤnen organifdyen Leben durchs
dringen, iſt darum der dritte und legte Abfchnitt bes vorliegens
den Werkes.
Je reicher nun ber Berf. alle biefe praltifchen Seiten ber
dramatiſchen Kunſt ausgeſtattet und entfaltet hat, je mehr er
von ben Principien und wiflenfcaftticher Erkenntniß aus in den
concreten Stoff eindringt, um fo weniger koͤnnen wic hier eine
fernere Analyfe dieſes reihen Details vornehmen. Wir vermeir
fen darüber unfere Lefer an das vortrefftiche Buch ſeibſt. Was
aber die formelle Bildung betrifft, in welcher ſich alle dieſe
vielverfchlungenen Grörterungen bewegen, fo zeigt fich darin
ebenfowol die Begabung wie bie Dieciplin, mit welcher die .
fihere Hand des Verf. diefe ſproͤden und widerftrebenden Stoffe
zu organifiren und barzuftellen wußte. Er befigt die vollkom⸗
menfte Herrſchaft über feinen Gegenftand. Die Sprache ift das
bei klar, einfach und von hoͤchſter Anfchaulichkeit.
Zum Schluſſe müffen wir noch die Überzeugung ausſprechen,
baf der Berf. mit feiner Arbeit gewiß dazu beitragen wird,
die Kunft der dramatiſchen Darftellung ihrem Ungefähr zu ents
heben und der Willfür des Einzelnen und jenem graffen Dilet⸗
tantismus ber Künftter und Kunftrichter zu feuern. Freilich
liegt bei und gegenwärtig die dramatiſche Kunft aus fo tiefen
und mannidhfalfigen Urfachen darnieder, daß ber Geift des Ein⸗
zelnen wol kaum allgemeine plögliche Schritte zu verantaffen
vermag; aber ber Einzelne wird deshalb, wie unter Berf., im⸗
mer das ſchoͤne Verdienſt befigen, daß er das Streben des Gins
en erwedt und die Hoffnung für eine beſſere Zukunft ange:
reg . 22.
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodbaub. — Brud und Berlag von F. U. Brockhaus tn Leipzig.
e
000 Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
i
Sonntag,
29. Januar 1843,
Heinrich 3ſchokke.
¶( Beſchlus aus Nr, B.)
Als die Ordnung hergeſtellt war, verlangte unſer
Freund nach dem Privatleben zuruck. Alle jene einfluß⸗
reichen Ehrenaͤmter waren, nach republikaniſcher Weiſe,
ohne Sold verwaltet worden (erſt viel ſpaͤter erfolgte eine
Abfindung dafür); A. Reding war erſter Landamman der
Schweiz geworden. Zſchokke ging nad fieben ſchweren
Sahren, den Freund wiederzuſehen. Laͤchelnd über die
große Pofle der Verwandlungen, umarmte ihn der ehe:
malige Fluͤchtling vom Bodenfee, nun ein Sklav ber Um:
Hände und der Geſchaͤfte. Zwiſchen ihnen mar . wenig
Werftändnig mehr und Zſchokke ſchlug bie Bitte, dem
Staatschef zur Seite zu bleiben, daher entichieden ab.
Nun ward der unabhängige Dann fogar ein Gegenftand
des Verdachts und policeiliher Obhut. Hierdurch belei⸗
digt, von der Tagespolitik nicht mehr angezogen, ganz an⸗
dern Dingen ſchon wieder zugewendet, verließ er Bern.
Das Geiſtesleben gewann, bei erwachtem Gemüthsfrieden,
von neuem die Oberhand. Ludwig Wieland, der Sohn
des Dichters, Heinrich v. Kleiſt, junge Männer des rein:
fin Seelenadels vol, riefen zut Poefle zuruͤck. Unter ih⸗
ren Spielereien, bei gänzlicher Rosgebundenheit von Poli:
tie, von Pfliht und Amt trat nun auch ber ernftere Ge:
danke wieder in fein Recht ein. Der Verf. mufterte fich
ſelbſt. Welche Verwandlung aber entbedte er da. Zwar
der alte Widerſpruch jener Ideale mit dem Xreiben der
Wirklichkeit mar noch nicht völlig gelöft, aber er beunrus
bigte nicht mehr. Der Abgrund von ehemals fehlen nie
geweſen zu fein als in der Phantafi. Der Gott, an
defien Namen fih flets der Gedanke knuͤpfte: Wenn er
Mi diefer Sort war nicht mehr ein fchüchterner, dem Ge:
würh unentbehrlicher Glaube — er war — Gewißheit.
Er war nicht der Moſaiſche Gott mit menſchlichen Leiden:
Schaften, nicht der des Katehismus mit imenfchlich erfun:
denen Geheimniſſen, er war nicht die von-den Philofophen
gedadjte Natur aller Dinge, auc) nicht die aus dem Dr:
ganismus des Geiſtes hervorgetriebene Idee bes Abfoluten.
Nein! das uferloſe Weltall feibft erſchien als der ſicht⸗
bare Schleier Gottes, als ſeine Offenbarung.
und darf ich das Geringe mit dem Hoͤchſten vergleichen —
ſagt er — er erſchien mir im Verhaͤltniß zum Weltall wie der
Menfchengeift zu feinem befeeiten unb belebten Menſchenleib,
ben er, ohne er felbft zu fein, in allen Theilen durchherrſcht
und belebt. In ber Ratur aber waltet, wie im Geifte, das -
Unendlidde und Unbebingte, als @epräge bes Goͤttlichen für
Beide. Die ſinnlich wahrnehmbare Welt aber iſt das Sich ges
gen uns Xußern ber göttlichen Idee; nicht fie feltift, fondern
ihr Andersfein in uns; daher nicht mehr ein Unbebingtes,
fondern eine Enblichkeit wanbdelbarer Dinge. &o find unfere
Gedanken nur Äußerungen bes fo bedingten Geiftes, nicht er
fetbft, und das unbedingt Wahre, Deilige und Schöne, das in
ihm waltet, tritt nicht als Abfolutes in bie Welt der Außen:
dinge, fondern bag unbebingt Wahre zerfplittert in bearenzte
Wahrheiten, bas Heilige wird nur zur Tugend und das Schöne
zu einzelnen Schönheiten. Dem Unbebingten aber ringt ber
Menfcengeift nach und dies ift feines Dafeins Aufgabe.
Dies ift die Philofophie, in welcher Zſchokke von nun
an wurzelt, die ihn befeligt hat, die ihm einen ſchwerer⸗
rungenen Geelenftiedben gab. Da. fie auch wol andern
Heimlichkranken nügen kann, da fie endlih Kern und Sin:
halt ded zweiten Theils der „Selbftfchau” bildet, der nur
ihre Erweiterung und ihre praktiſche Ausbildung darftellt,
fo haben wir geglaubt, fie fchon hier in ihren Grundzuͤ⸗
gen voranflellen zu müffen, als wir an den Zeitpunkt ib:
rer Entftehung angelommen waren. Der Verf. hatte nım
Gottesgewißheit in fih erbaut und blickte faft mit Bes
dauern auf feine frühern Zuftände zurüd. . Und wahrlich
— mir meinen, er hatte Recht, in diefen Gedanken feinen
Abſchluß zu finden, die allen Anfoderungen des Geiftes
genügen müffen, wenn er nicht die Abſicht hat, fich felbft
durch Denkfehler irre zu machen |
Ein Traum gab den Anlaß zum „Alamontade“, jener
befannten in faſt alle Sprachen Überfegten Erzählung, Mn
der fich die neugefundenen Überzeugungen unſers Freun⸗
des fo rein und ſchoͤn ausſprachen. |
: Nach alle Diefem koͤnnen wir, unfer Bild vollendend,
über die Mannesjahre und das Alter des Selbſtbeſchauers
raſcher bahingehen. Sein erfler Wunſch ward ihm zus
naͤchſt erfüllt. In einem Concert zu Aarau erblidt er
Die, die er eine Blüte aus Eden nennt, die künftige Mut:
ter feiner Kinder, Eie war die Tochter des Pfarrers zu
Kichberg. Unterdeffen brach ein neuer Sturm los, die
Schweiz ging’ noch eine ihrer politifchen Werwandfungen
durh; A. Reding ſaß als Staatsgefangener in Aarau,
die Helvetiſche Republik verſchwand, die mediatifirte Schweiz
trat ins Leben. Zſchokke bewohnte indeß das Schloß Bis
berſtein und ward hier buch die Ernennung zum Mit:
glied des Oberforſt⸗ und Bergamts überrafcht, ein Ges
114
ſchaͤfts zweig, in dem ex dem Lande große Dienfle erwiefen
bat. Die Begleitung der Frau von Stael lehnte er ab,
auf Bonftetten, ber Ihn dazu vorgefchlagen, etwas piquirt;
eine Pyrenaͤenreiſe fcheiterte an der Brautfahrt, da bie
nahe Berührung von einem Blitzſtrahl — mit welcher
Zſchokke mehrmals in feinem Leben Bekanntſchaft machte
— bie Erklaͤrung des jungen Paares befchleunigte.
Sm Roman — fagt er — ift das Sichfuchen und Finden
der Liebenden Würze und Kern, in ber Wirktichleit aber eine
glüdtiche Ehe ber Tchönfte Roman.
Ohne ber Geſelligkeit zu entfagen, entfagte Zſchokke der
Dotitit und der Gomvenienz und bildete ſich einen dicht
gefchloffenen Lebenskreis in Biberſtein und im eigenen
Haufe zu Aarau, der heiterften Lebensthätigkeit hingegeben
und Weiffagungen findend in dem erften Lächeln, im er⸗
ſten Wort feiner Kinder.
Der Großtheil der Menfchen — fagt ee — iſt noch nicht
menfchlich genugs ex betet noch falſche Götter in Zhiergeftalt an.
Das alte Gefchäft der Volkslehrerſchaft trat nun wies
ber in den Vordergrund; der „Schweizerbote“ begann 1804
bei Sauerländer neu zu erfcheinen,
einfach, bildlich, in des bilbungsarmen Volks Denkart einlaͤßlich,
Thorheiten verfpottendb, Worurtheile untergrabend, freifinnig,
obne Herold einer Partei zu fein.
Ein wunderbarer Erfolg begleitete das Unternehmen;
doch in diefem ward er noch von einem andern Unter
-.nehmen übertroffen, da8 den Namen des Selbſtbeſchauers,
der es lange Zeit verfchmeigen mußte, in nod viel gro:
ßere Kreife verbreiten und auf ihn noch viel mehr Sor⸗
gen berabziehen follte. Wie fprehen von den „Stunden
der Andacht”, jenem Balſam für fo viele wunde Derzen,
jener echt chriſtlichen, echt humaniſtiſchen Schrift, deren
Autorfchaft, fo lange in Zweifel, erft durch diefe „Selbſt⸗
ſchau“, in nothwendiger Folge eines Zufalls, ihren zahlrei⸗
hen Verehrern fund geworden ifl. Der Verf. berichtet:
Mit meinen Jugendzweifein war ih nun fertigs allein
noch immer erregte mir der Anblick des fogenannten Pofltiven
in der Religion, bei aller Ehrfurcht dafür, eine Art fchmerzli-
den Mitieids mit den Menſchenkindern. Es ſchien mie nur der
umgeworfene Schleier des Goͤttlichen zu fein. Gottaͤhnlichkeit
aber trat als fein Kern hervor. Warum nun erhebt ſich Nies
mand, um für uns, was Taufenden wohlthätig fein würde, zu
wirken; warum ertönt feine Stimme für Das, was der Sache
Kern if? Und warum wagft bu es felbft nicht? In diefen Ges
danken faß ich eines Abends im 3. 1807 allein in meinem Ars
beitscabinet; ich wog bie Schwere der Aufgabe. Den wider⸗
fpenftigen Argwohn getrennter Kirchen nicht aufwiegeln, das
Vorurtbeil des großen Daufens, den Amtsftolz der Geiſtlichkeit
zart berühren, ein Inbifferentift fein und es befennen — es er:
fehlen allzu ſchwer. Ich aber biidte auf Chriftus, ich entſchloß
mich zu dem Verſuch. Am folgenden Tage erfuhr Freund Res
migius Sauerländer meinen Plan. Gr hat mein Geheimniß
als Mann von Wort bewahrt. So erſchien mit Anfang 1808
von Woche zu Woche ein. Blatt von den „Stunden der Ans
dacht zur Beförderung wahren Chriftentyums und häuslicher
Gottesverehrung”.
Mas dies Buch gewirkt hat, voelcher Streit länger
als 30 Jahre über feinen Verf. gewaltet bat (Weſſen⸗
berg, Schwarz, Keller find wechfelsweile genannt worden),
wie man es verkegert bat, alles Dies ift befannt. Jetzt nennt
fit Zſchokke als alleiniger Verf. diefes Werks, da das Ge:
heimniß, durch einen Brief an einen fterbenden Freund in
länger zu bewahren war.
Magdeburg, ber In fremde Hände kam, verrathen, nidhe
iefem Werke widmete unfee
Freund eine Reihe von Jahren hindurch feine fchönften
Morgenflunden. Der Tag gehörte einer vielfeitigen Thaͤ⸗
tigkeit an. Die Gefellfhaft fl vaserländifhe Cultur,
der bürgerliche Lehrverein, eine Loge felbft waren Zſchokke's
Stiftungen, während das Staatsamt zu vielen Reifen
Anlaß gab. Die Reflaurationszeit begann; Zſchokke er⸗
ſchien fie als eine gigantifche Tragödie, die ihn, mit feiner
„Bairiſchen Geſchichte“ ſchon befchäftigt, wenig anfocht.
Er fand das Erhebende daran heraus und hielt ſich an
diefem, indeß feine Freunde vom Rüdfall in alte Staates
fünden ergriffen wurden. Eine eigene Ville, die Blumen⸗
balde, ward erbaut und bald von einer zahlreihen Kinders
familie bevölkert.
Den Schluß der „Selbſtſchau“ bilden Schilderun⸗
gen häuslicher Freuden, Eigenthuͤmlichkeiten des Seldſt⸗
beſchauers, unter welchen feine Gabe des Second sight,
wenn fie nicht zum Theil auf Selbfitäufchung bes
ruht, hoͤchſt merkwürdig fein würde, Zeichnungen berühms
tee Beſucher, Flüchtlinge und Gelehrten, und endlich drei
Relfen nad) Baiern, die mit Montgelas in anziebende Bes
ruͤhrung bringen. Ein tiefer Schmerz kam über Zſchokke,
als fein Sreund Voitel in Spanien, blos um der Bes
kauntſchaft willen mit Heinrich Zſchokke, dem Revolution⸗
nair, gu zehnjaͤhriger Kettenſtrafe verurtheilt ward. Doch
ſeine Befreiung war ſeiner Freundſchaft Werk. Mit dem
Aufſatz „Lebensſabbat“ ſchließt die koͤſtliche Selbſtbiogra⸗
phie. Der Verf. konnte es kaum glauben, ein betagter
Mann zu ſein, denn der reine Lebensgenuß begann ja
nun erſt! Zwoͤlf Soͤhne und eine Tochter bildeten mit
der heitern Nanny den Kreis des Blumenhaldners, in
den die Politik nicht mehr eindrang. Der Greis aber
feiert ſelige Sabbattage, im Licht einer beruhigenden Hel⸗
ligkeit der Seele. Noch einmal indeß riß ein neuer
Sturm, der fromme Aufruhr der Schweiz, den Greis in
eine amtliche Sphäre; er war einer der Kloſtercommiſſaite
und bringe über diefe wichtige Angelegenheit feines zwei⸗
ten Vaterlandes fehr viel MWiffensmwerthes bei. Doch der
Sturm ging ſchnell vorüber und die „Selbſtſchau“ endet
mit dem abfchließenden Gedanken: „Ich Eennte Höheres,
Humanitaͤt — Menſchenthum — Bruderliebe 1”
Mir follten nun den zweiten Theil einer nähern Ans
fiht unterwerfen. Doc dies Geſchaͤft wird kurz zu er
ledigen fein. Nah der Selbſtſchau, enthält dieſer
Theil eine Bott: und Weltfhau. Iſchokke ift kein
Phitofoph In dem Heutigen Wortfinnez er iſt ein Denkens
der, der feine individuelle Befriedigung fucht und findet,
Er lehrt nicht, er belehrt über ſich. Es wäre daher
ganz falſch, wollten wir der Art von philofophifhem Ge⸗
baͤude, welches bdiefer zweite Theil enthält, einen kritiſchen
Maßſtab anlegen, es als Spitem, als eine neue Philos
fophie betrachten. Es ift nur eine Sammlung lehrreis
cher Gedanken, aus geiſtteichem, aber individuelle Stand⸗
punft. Den Kern diefec Philofophie aber kennen wir be=
reits, wir mollen ihn in anderer Form noch einmal in
wenige Zeilen zufammenzufaffen ſuchen. Wir follen uns
115
dei Zweifels nicht ſchaͤmen; im Zweifel zeigt ſich bie Ho⸗
beit, die Würde des Menfchengeiftes, feine eigenthuͤmliche
Natur, denn nur er kann zweifeln. Das gedanklich ge⸗
wordene Geſetzthum des Geiſtes it die Bernunft des Men⸗
ſchengeiſtes. Es iſt zu negiren, daß die Vernunft das
Adſolntgoͤttliche zu erfaflen vermöge, 3. B. das Schoͤ⸗
pfangewert. Die Schöpfung ift das Andersſein Gottes
vor dem Menfchengeifte; von dem wirklichen Dafein ha⸗
ben wir eine Kenntniß; wir Pennen und erkennen nur
die Kußerung der Dinge gegen uns, gegen Die menſchliche
Vernunft, das menfchlihe Gedankengefep, oder das Ins
ſich und Für ſich beftehen der Dinge iſt uns verſchloſſen;
wir erkennen nur das Weſende (Sachliche), Wirkendes und
Bewirktes, nicht das Wie der Wirkung.
Dies iſt der gedrängte Inhalt des erſten Abſchnitts:
„Sreenntniß”. Im zweiten: „Natur und Welt”, iſt der leis
tende Gedanke diefer. Der Menſch iſt nicht das Ich⸗All;
das AU beficht außer ihm und ift nicht fein Werk, mie
der jüngfte Hegelianiemus träumt. Es ift eine Wirkung,
für weidye das Geſetz nicht in ihm liegt, fonft wäre der
Menſch die Welt. Sie ift in ihm gedanklich, außer ihm
aber erfcheinend. Sein Geiſt aber ift dem Geifte der Nas
tur gleichartig. Alles Wirken ift ein Auseinandergehen
des Gleichen zum Gleichartigen. Im Abfchnitt „Stoff:
gebilde“ ift. der Spannungskreis aller Kraft betrachtet, die
Urkräfte in ihrer Polarität, Zeit, Raum, felbft Licht und
Waͤrme mit ihren Gegenfägen. Der fünfte Abfchnitt be:
teachtet das Seeliſche in den Lebensgebilden; der ſechste
den Geift, als felbitändig in der Nature und über
ihe, mit Wollen im MWiflen, woher das Gefeg der
Freiheit und Nothwendigkeit (Pflicht, Gewiſſen, Heilig:
keit, Tugendbegriffe) herfließen. Der von fich felbit ab:
truͤnnige Menfchengeift ift der Quell des Boͤſen. Nas
turlohn und NMaturftrafen. Der fiebente Abfchnitt
das Gemüch, Einheit von Seele und Geift, Wille
und Erkenntniß, völlige Freiheit, hoͤchſtes Gut des
Menſchen. Parallelismus von Natur und Geiſt, die
nicht ausſchließlich jeder für fih, fondern im ihrer weſen⸗
den Durchdringung das AU und Eins, das Hoͤchſte bil:
den. Daher auh Schluß auf die Unvergänglichleit des
Gelftes in feinem entlörperten Zufland. Ahnung der
Geiſteszukunft im Bewußtſein der Subjectivität, Im
achten Abſchnitt der Gottgedanke, als eine Ungewißheit,
Schickſal als Weltorduung zu faflen. Chriftus, der Der:
mittler des göttlichen Urgedankens für das Menſchenge⸗
Schlecht (einer geriffen Zeitperiode?), Gott, das Hoͤchſte
und Legte; nicht Unterfcheiddares, fondern Alles iſt goͤtt⸗
ic und gotterfüllt, weil Gottes.
Wir muͤſſen den Lefer bitten, an bdiefer fragmentaris
fchen \überficht des Inhalts diefes zweiten Theils ſich hier
genügen zu laſſen, da der Raum gebricht, tiefer darin ein=
zugehen. Borausgefhidt wurde, daß wir diefe Lehre kaum
für ein Lehrgebäude halten, kaum als ein philofophifcyes
Spflem bezeichnen möchten. Der Verf. beweift nicht, er
gide fich ſelbſt nur Mechenfchaft von feinen Gedanten.
Aber wir muͤſſen hinzufügen, daß wir nicht einfehen, wes⸗
halb eim gebildeter Geift ſich am dieſer Lehre nicht follte
genügen laſſen innen, da nichts in ihr mit dem Ders
nunftgefeg in Widerſpruch tritt. Gluͤcktich vielmehr Der,
dem der bier gefundene Abſchluß genügt und der mic
Zſchokke in der Harmonie von Mille und Erkenntniß das
hoͤchſte Gut des Menfhen, feines Berufs Biel und letz⸗
tm Zweck entbedt; denn von dem Verf. der „Stunden
der Andacht” war ja nicht zu erwarten, daß er allen Ca⸗
pricen des in neuen pbilofophifchen Formeln fich verfus
chenden Menfchengeiftes Befriedigung geben, wol aber, daß
ee dem Nachdenken zu einem vor der dee zu vechtfertis
genden Abſchluß verhelfen würde. Er thut dies redlich
und treulid.
Wir müffen, nicht ohne Furcht, unfere Lefer mit Uns
vollfländigem unterhalten zu haben, von dieſem trefflichen
Werke eines in ſich beglüdten, erfahrungsreichen, ftrebfa=
men und völlig gefunden Geiſtes hiermit Abfchied neh:
men; in dem Wunſch und in der Hoffnung, durch die
vorftehende Anzeige zur Verbreitung und zur Würdigung
einer Schrift, die unfere Zeit ehrt, etwas beigetragen und
einigen unferer Lefer das Berlangen nach näherer Bekannt:
fhaft mit einem der empfehlensmwürdigften Bücher unferer
Periode nahe gelegt zu haben. W. von Lüdemann.
Taſchenbuch für vaterlaͤndiſche Geſchichte. Herausgegeben
von Joſeph Freiherrn von Hormayr. XXXII. Jahr⸗
gang ber geſammten und XIV. der neuen Folge. 1843.
Berlin, Reimer. Gr. 12. 2 Thle. 15 Nor.
Dan kann die hiſtoriſchen Taſchenbuͤcher des Derrn von
Hormayr nicht zur Hand nehmen, ohne von aufrichtiger «Hoch»
achtung für die Maffe feiner Kenntniffe, den Reichthum feis
ner urtundlichen Sammlungen und den Adel feiner vaterländis
fen Gefinnung ergriffen zu werben. Wahrlich, es würbe für
Deutſchland ein großer Vortheil fein, wenn viele deiner Ränder
ſich ſolcher Hiſtoriographen zu rähmen hätten wie Öftreich und
Baiern feines Hormayr und bie Mark Brandenburg ihres Preuß.
Die belobten Geſinnungen finden wir ganz befonders in ben beis
den Lebensbildern öftreichifcher Krlegsmänner, des Marquis von
Shafteler und de Freiherrn von Veyder⸗Maalberg. Chafteler,
ein genialer, löwentühner Mann, hat in ben Kriegen bes Erz⸗
baufes ſtreich von 1788— 1815 mit Auszeichnung gefochten
in Ungarn, Italien, Tirol und Deutſchland, er ward oft und
ſchwer verwundet, aber ſchnell war er immer wieber im Felde
und ſtets da, wo es am gefährlichften und hisigften herging.
Für das Ausland iſt fein Name in dem tiroler Kriege bes
%. 109 am häufigften genannt worden, wo ihn Napoleon uns
ter dem 6. Mai in die Acht erklärte als einen angeblichen oͤſt⸗
reihifhen General, ale NRäuberanführer und als Urheber ber
an ben Kriegögefangenen verübten Morbthaten, eine Maßregel,
durch die Chaſteler's Gemäth tief gekränkt wurde. Bin Iahr
darauf Außerte Marfchau Berthier in Wien mit großer Non
chalance: „Chaſteler könne bie Achtserfiärung dem Kaifer uns
möglich übel nehmen. Diefer babe allzu ſehr auf die damals
abgefchnittenen und gefangenen Truppen gerechnet — die tiro⸗
lee Infurrection fei ein gar zu gefährliches Beifpiel geweſen
und habe noch überdies gleich mit einem fo glänzenden Bei⸗
fpiele debutirt. Wären die Schlachten von Landshut und Res
gensburg nicht fo fchnell erfolgt, dieſes Beilpiel und dieſe
mme würbe vielleicht ganz Deutſchland ergriffen haben.“
er @eneralmajor Veyder war eine reine, edle Natur, Faltbiüs
tig, tapfer und hoͤchſt menſchenfreundlich, er verlangte nicht
fowot nad einer Selbſtaͤndigkeit der dußern Stellung, fonbern
bie Poften des Vertrauens waren ihm die Liebften. Je feltener
116
nun ſolche Maͤnner in mititairifchen Verhaͤltniſſen find, wo nur
zu oft ber erfte befte Lieutenant ober Hauptmann feinen Bene:
ral meifteen möchte, um fo dankenswerther ift die hier gegebene
Schiderung von Chafteler’s Freund und Abdjutanten. Neben
diefen Eriegerifchen Lebensbildern ift der Bericht über bie Gruͤn⸗
dung bes maͤhriſch⸗ ſchleſſiſchen Franzens⸗ Mufeum in Brünn
von den Grafen Salm⸗Reifferſcheid und Mittrowski ein fchöner
Beweis von der hochherzigen, patriotifhen Gefinnung bes hoͤhern
öftreichifchen Adels.
Unter den übrigen, längern Auffägen nennen wir vorzugs⸗
weife die Echilderungen ber großen Ungarnſchlacht auf dem augs⸗
burger Lechfeide am 10. Auguft 995, und der Schlacht an dem
Schellenderge am 2. Juli 1704, ferner die fehr reichhaltigen
Beiträge zur Geſchichte des deutſchen Municipalweſens und bie
gleichzeitigen Lieder über ben ſchmalkaldiſchen Krieg Die fort:
gefegte Rubrik: „Sitten und Gebräuche, Luxus und Fefte, Krieg
und Zrieden”, wirh biefem Taſchenbuche durch große Abwechſe⸗
(ung des Inhalts immer Lefer aus allen Ständen erhalten,
wenngleich die Unterrichteten Manches als überflüffig ober ihnen
fon bekannt anfehben werden. Dabin würden etwa die „Bes
ſchreibung ber Lrichenfefte gu der Väter Zeiten” (Nr. 1), „Der
Tanzbaͤr“ (Mr. 6) „Die Bärte” (Mr. 7), „Die Kindlein in
der Thür” (Nr. 9), „Die Schaufpieler des 16. Jahrhunderts‘
(Nr. 15), „Die blutige Kirchenentweihung” (Nr. 29) und
einige andere Auffäge zu zählen fein. Die größere Anzahl aber
enthalten wiffens- und beachtenswerthe Notizen, wie Nr. 11,
Leichenmahl bes Herzogs Albert’s IV. aus Baiern, wo außer
den Kürften, fürftiichen Abgefandten, Räthen, ihrem Gefinde,
den eingelabenen Damen und „wer von felbft kommen iſt“ aus
fürfttiicher Küche und Keller tägıich 2500 Drenfchen gefpeifet und
1809 Pferde gefüttert wurden. Das war im 3. 1509. Fer⸗
ner ift der auf ein Folioblatt gebrudte und zum Behuf bee *
meinen Mannes ausgegebene muͤnchner Kalender vom J. 1501
in mehrfacher Hinſicht intereſſant (Nr. 12), und aus der Spe⸗
cification der Kerien ber kurfuͤrſtlichen Hofkammer in Muͤnchen
unter Karl Albrecht (Rr. 17) zu erfehen, daß diefelben 68 Tage
betrugen wegen herrſchaftlicher Geburts⸗ und Ramenstage, ans
derer Gallatage und hoher Kirchenfefte: rechnet man nun noch
die Sonntage und bie damaligen Zeiertage ber katholiſchen
Kirche Hinzu fo ergibt fih die Zahl von 164 Feiertagen. Um
nur noch Einiges anzuführen, fo zeigt uns der Herausgeber
in Ar. 27 einen argen Beweis von der Verworfenheit eines
Chorherrn zu Preifingen, „wie es in ber zweiten Hälfte des
171. Zahrhunderts nicht wenige gab”, der fogar nad feinem
Tode an einer Stelle wollte begraben fein, wo die fehönen
Weiber vorübergehen, benen er unter das Fuͤrtuch unb unterm
Rod hinauf ſchauen önnte, und aus Rr. 39 erfehen wir, daß
noch im 3. 1637 zu Bremen ein Menſch, der den entwichenen
Falſchmuͤnzern behülflid gewefen war, am Markte vor dem
Bathbaufe in einem großen Keffet lebendig in Öl gefotten wors
n ift.
Die poetifche Zugabe befteht in Karl Wilh. Vogt's acht
Liedern von Hohenſchwangau aus ber Geſchichte der Hohenſtau⸗
fen, die artiftifche in den -vier Portraits Hofer's, Speckbacher's,
Chaſteler's und Veyder's. Das Directorium ber vorzüglichften
vom Derausgeber entdedten und herausgegebenen Urkunden und
Quellen ift auch in bem vorliegenden Jahrgange fortgefegt
worden. .
Literarifhe Notizen aus Holland.
In Leyden ift kürzlich der 13. Theil des von Kiß und Ro⸗
Yaards herausgegebenen „Archief voor kerkelyke ge-
schiedenis” erfchienen, worin Manches enthalten ift, was aud)
für Deutfchland ein nicht geringes Intereffe gewährt. Ref. will bier
Aur bie Notiz mittheilen, dab (&. 311— 328) von Herrn Royaarbs
benswandel ift volllommen !*‘
ein intereffanter Beitrag zur Geſchichte ber Legende vom Ewigen
Suben gegeben worben iſt, in welchem au ein biplomatifch
genauer Abbrud (mit Facſimile des Holzſchnitts) einer zu
Augsburg im 3. 1619 erfchienenen, hoͤchſt feitenen, fo viel ef.
weiß, bis jest unbelannten Flugſchrift enthalten ift, welche ben
Zitel führt: „Wahrhaftige Gontrafactur, Aller Geſtalt unnd
Maſſen zufehen, diefe Bilbnuß, von einem Juden von Serufas
lem, Ahasverus genant, welcher fürgiebt, wie bas er bei ber
Greugigung Jeſu Chriſti geweſen, und bißher von Gott beim
Eeben erbalten worden. Erſtlich gebrudt zu Augspurg im
Jahr 1619.” Diefe Flugſchrift ift ein brieflicher, vom Il. März
1619 aus Refel -datirter Wericht bes Chryſoſtomus Duduldäuß
Weſtphalus, worin eine Menge von Nachrichten mitgetheilt
wird, wann, wie und wo nad glaubhaften Berichten der Ewige
Jude gefeben worden ift unb wie er ausgefehen habe. Auch fine
‚bet fih &. 310 eine von Hrn. 3. Hoffmann zu Leyden aus
dem Japaniſchen überfeste Legende: „Die Verſuchung des
Buddha’‘, welche Ref. hier in treuer Übertragung mitzutheilen
fi nicht enthalten ann;
„As Bubbha (geboren 1027 vor Chr.) in Hindoſtan feine
Lehre verkündigte, befchioffen zwei himmliſche Geifter, feinen
Lebenswandel auf die Probe zu fielen. Sie verwandelten ſich,
der eine in einen Ballen, der anbere in eine Zaube, und vom
Balken verfolgt flog bie Zaube in Buddha's Schoos. Buddha
erbarmte fich berfelben und ſprach zu dem Fallen: „Ich prebige
einen Gott der Huͤlfe und tödte fein lebendiges Geſchoͤpf; ſchone
diefee Taube!“ Ä u
„Und der Kalle ſprach: ‚Diefe Taube iſt meine Speife für
heute. Laffe ich ihr das Leben, fo muß ich felbft vor Hunger
ſterben; fpricht denn baflelbe Gebot nicht zu meinen Bunften ?*
u, Woblan denn‘, verfegte Buddha, ‚ich will meine Küße
abbauen und fie bir zum Butter geben.‘
„Der Kalle Tprah: ‚Die Fuͤße wiegen nicht fo ſchwer für
meinen Gefhmad, als die Taube.‘ ''
„„So nimm aud meine Hände; ich muß die Taube ers
iten.* “u "
„Auch diefe find mir zu leicht. Ich verlange die Taube.
Aber wenn bu dich felbft mir ganz gift, dann will ich ihres
Lebens fehonen.“ ’’
<a gi ‚So fei es! Nimm mid ganz und ſchone das Leben ber
u e.* ” .
pn, Genug‘, erwiberte ber Kalle tief gerührt, ‚Bubdha’s es
Und ploͤtzlich zeigten ſich der
Kalle und bie Zaube in ihrer wahren Geftalt, und bie beiden
Geifter nahmen ihn mit unendlicher Liebe in ihre Mitte.”
Gleich nad dem Tode Giesbert Koen’s (1767) fchrieb ber
Profeffor Hermann Gannegieter zu Braneler ein Programm
aus Auftrag der, Univerfität, um I dem feierlichen Leichenbegaͤng⸗
niſſe einzuladen. Schwerlich moͤchte ein Gegenſtuͤck zu dieſem
Programme zu finden ſein. Neben dem aufrichtigſten Bedauern
über den Tod des Hingeſchiedenen machte er darin ber nach⸗
gelaſſenen Witwe ſolche Complimente, daß ſie fuͤr eine foͤrm⸗
liche Liebeserklärung um fo mehr gelten können, als Cannegie⸗
ter dieſelbe in der hat nicht gar lange nachher heimführte.
Habet, heißt es, quod a natalibus sibi splendorem conciliet ;
suavissimis praeterea et niveis moribus, ipsis quasi Chari-
tum manibus formata, singulari modestia, fide, gubernan-
dae domus prudentia, omnibusque animi dotibus conspicua
effulget: nec minus formae pulchritudine eximia, bella, et
sane quam venusta, sexus sui ornamentum ingens ezistit,
Herr Prorector W. H. D. Guringar zu Leyden hat dieſes
mufterhaft flitifirte Programm im vierten Bande der „Sym-
bolae litterariae, a publicis gymnasiorum doctoribus socie-
tate coniunctis editae’’ wiederabbruden laffen und babei zur
Bekanntmachung bes Briefwechſels Koen’s, der fehr wichtig fein
fol, aufgefobert. .
Berantwortlier Deraudgeber: Deinrib Brockhaus. — Druck und Verlag von J. A. Brochaus in Leipzig.
Blätter
für '
literariſche Unterhaltung.
Montag,
ee Kr. 30. —
30. Sanuar 1843,
Der neue Pitaval. Cine Sammlung der intereffantes
Aien Sriminalgefhichten aller Länder aus älterer und
neuerer Zeit. Derausgegeben von 9. E. Hitzig und
B. Häring (WB. Aleris). Zweiter Theil. Leipzig,
Drodhaus. 1843. Gr. 12. 23 Zhlr.*)
Im Borworte ſpricht fich der erfigenannte der Herren
Herausgeber zuerſt darüber aus, daB man nicht glauben
dürfe, er allein habe die juriflifhe Seite zu vertreten und
der zweite Herausgeber flünde nur ale Novellift da; Dr.
Dr. Häring wird dem Publicum ebenfalls als Juriſt darge⸗
ſtellt Weiter verwahrt fi Dr. Häring gegen die, wegen
Mittheilung des Fualdes'ſchen Proceſſes von einigen Seiten
unterlegte Tendenz, dadurch die Geſchworenengerichte im All⸗
gemeinen haben angreifen zu wollen, und liefert einen
Nachtrag aus einem, bei Beacheitung des Falles Überfehenen
Auflage des Landgerichtöpräfidensei von Dppen (in Mic:
termiaier [hen Archiv) einige ſpaͤtere Auslagen der Zeu⸗
gen, wodurch der Juſtizmord von neuem befldtige wird,
Endlich folgen noch vom Dr. Löwenitein, dem Verf. der
„Damafcia‘, eingefandt, die Gutachten zweier beruͤhmten
Theologen, eines protellantifchen, de6 Dr, v. Meyer, und
eines Batholifchen, des Dr. Molitor, über die vieibeſprochen⸗
juͤdiſche Blutfrage. Beide bezeugen, in talmudiſchen und
kabbaliſtiſchen Schriften nicht die mindefte Spur für folche
Befyuldigung gefunden zu haben. Es ift zu beklagen,
daß nach in unferer Zeit blinder Paerteihaß ſolche Beſchul⸗
digungen bringen konnte, denn werm auch in Zeiten fin
fern Aberglaubens und Haſſes folhe Greuel vorgefallen
fein foliten, fo wäre es doch «benfo unfinnig, die Urfachen
in jübifchen Religionslehren fuchen zu wollen, als «6 uns
finnig fein würde, wenn man wegen gleicher in Zeiten
denkeln Hexenweſens von Chriſten geübter Verbrechen
6 Chriſtenthum anklagen wollte. **)
Der erſte mitgetheilte Rechtefell, der berühmte Fonk⸗
Hamacher'ſche, gehört auch zu denen, ber deren Pros
*) Sa Re. 230 dv. Dt. f. 3842 berichteten wie über den
schen Zeil dieſer Sammlung. D. Re.
””) Gs iſt eine traurige Wahrheit, au der man durch ges
name Gtudium der H ührt wird, daß alle
überhaupf nicht unmöglichen Berbrechen, deren man bie Seren
beihutbigte,, in einzeinm Faͤllen als wirklich begangen ſich
dauert (27. April bis 9. $uni 1823).
cedur fich gelehrte Juriſten mit Heftigkeit ausgeſpro⸗
| Gen und dies zum Theil zu Angriffen auf das Ges
ſchworeneninſtitut im Allgerneinen benugt haben. Doch bes
fieht ein umendlicher Unterſchied zwifchen diefem und dem
Fualdes ſchen Procefie, und zwar ganz zum Vorthell bes _
deutfhen. Die Beſorgniß eines Juſtizmords hat nicht
flatt, da Die koͤnigliche Gnade dazwiſchengetreten, wegen
Überellung des Proceſſes kann bei fiebenjährigte Dauer
beffelben (von 1817 — 23) audy nicht geklagt werden; bie
Affifen über Fonk zu Trier hatten fieben Wochen ges
Ein Irrthum ber
Geſchworenen und ein falfches Verfahren erfcheint keines⸗
wegs als ermiefen. Die Fonk freifpredhende Cabinetsordre
vom 28, Juli 1823 verwarf zwar die dem Verfahren zw
Grunde liegenden Data, doch verfuhr man auch hier nicht
mit Conſequenz. Wenn in der Cabinetsordre als Motive
dee Freiſprechung angegeben werden: 1) daß der Thatbe⸗
ftand von Coͤnen's Ermordung nicht unzweifelhaft feftftehe,
3) der Widerruf Hamacher's viel glaubhafter ſei ats feine
feühern Ausfagen und daß 3) Fonk's alibi bewielen, fo
mußte man, da ja Hamacher auf eine ihn felbft fo gras
virende falfhe Ausfage gewiß nur duch Möthigung ges
kommen fein konnte, eine Sriminalunterfuchung gegen bie
betheiligeen Beamten wegen nicht nur formwidrigen, fon=
dern auch pflichtwidrigen und getoiffenlofen Verfahren
fider erwarten. Font’ Hauptvertheidiger, Dr. Biſchoff
in Dresden, hatte auch in feiner Schrift den Generals
advocaten v. Sandt aufs härtefte angegelffen. Eine ſolche
Unterfuchhung fand aber nicht flat. Endlidy haben wir bei
dem deutſchen Proceffe auch nicht ben traurigen Ans
btick, daß durch Parteileidenfchaft das Urtheil des Volks
adſichtlich misleitet worden. Wenn gegen Fonk am Drte
feines Aufenthalts unguͤnſtiges Vorurtheil fi zeigt, fo
berubte dies nur auf feiner Perföntichkeit, und daß biefe
dazu Anlaß gegeben Haben müffe, wird dadurch begrüns
bet, daß es Fonk bei feiner Reife in Norddeutſchland niche
beffer ging; feine fruͤhern eifrigften Vertheidiger fanden fich
zum Theil durch feine Perföntichkeie hoͤchſt widrig berührt.
Wenn auf der einen Seite es unbegreiflich bleibt, daß ein
Dann wie Hamadyer durdy alle möglichen Intriguen zu
einer Ihm felbft fo nachtheiligen Ausfage hat gebracht wer⸗
den koͤnnen, fo erfchelnt auf der andern Seite nach deſſen
Angaben kein Motiv zur That bei Font. Denn wenn
Coͤnen noch am ſpaͤten Abend, ohne Wiſſen Schroͤder's,
Fonk beſuchte, ſo mußte wol zwiſchen ihnen eine Einigung
ſtattgefunden haben, ſomit für Fonk kein Grund zur
Rache oder Furcht mehr vorliegen; überdem erkannte ja
das Handelstribunat im Proceffe zwifchen Fonk und
Schröder Erſterm ein bedeutendes Guthaben zu. So ift
Dunkelheit nad) allen Seiten und, da feitdem alle bie
hauptſaͤchlich betheiligten Perfonen geflorben find, auch
wol Peine Ausſicht, daß fie je aufgehellt werde. Mad) der
bier gegebenen fo lichtvollen als unpartelifhen Darflellung
wird jeder Unbefangene wol des Herausgebers Meinung
theilen, ‘daß, wie unrichtig Hamacher's Ausfage auch im
Einzelnen, im Ganzen doch ihre Wahrheit zum Grunde
liege und Hamacher und Fonk an Gönen’s Tede fhul-
dig felen. |
Nun folgen vier Bergiftungsgefhichten (S. 103— 359).
Zueft „Die Marquife von Brinvilliee”, 1676, deren
Name fprühmörtlid warb für ſolches Verbrechen. Das
Ganze gibt ein fprehendes Bild ihrer Zeit bis zur Art
ihrer Verhaftung, mit dem gräßlichen Zreiben der Voiſin
und dem auch wieder entfeglichen Werfahren ber Chambre
ardeute. Da aber des gefammten Stoffes au die Nos
velliſtik ſich vielfältig bemächtigt bat, fo fcheint ein Mei:
teres überflüffig.
Die folgende Erzählung von der Geheimräthin Urfis
nus in Berlin 1803, obwol uns in jeder Hinficht näher
liegend, iſt beiweitem nicht fo bekannt und ausgezeichnet
durch pfychologifches Intereffee Die Geheimräthin Urfi:
nus, eine Scau, ausgezeichnet durch Börperliche und geiflige
Vorzüge, hatte ſich frühzeitig mit einem Manne verbun:
den, der bedeutend Älter und kraͤnklich ihr nie Liebe einges-
flöße haben konnte und dem fie nur in Ruͤckſicht auf
äußere Stelung die Hand gegeben hatte. Was aber die
jugendlich blühende Frau auch entbehren mochte, hielt fie
doch ihren Ruf unbefcholten, nur daß fie der Damals noch
nachklingenden Werther: Siegwart: Periode gemäß ein ro:
mantifches Herzensbündniß fuchte, wozu ja fchon ihe Mas
me Lotte fie aufzufodern ſchien. Der Gatte hatte fo we:
nig dagegen, daß er einmal bie Gefälligkeit fo weit trieb,
in einem von der Gattin aufgefegten Briefe, unter fei:
nem Namen, ben erbalteten ober, wie es fcheint, nie fehr
heißen Verehrer zur Ruͤckkehr aufzufodern! Die Offent:
lichkeit, mit der die Geheimräthin bei des Geliebten Krank:
beit, in feiner Pflege bis zum Tode, ihre Gefühle zeigte,
fheint für das Unfchuldige dieſes Verkehrs zu fprechen.
Noch liebte es die Geheimräthin ihre Zartheit zu zeigen
duch fingirte Krankheiten, in Folge deffen, noch während
ihres Proceſſes, ein komiſches Intermezzo mit dem be:
rlhmten Heim veranlaßt ward. Übrigens febte fie mit
ihrem Gatten 21 Sahre in ruhig > freundlichem Verhaͤlt⸗
niſſe. As Witwe noch eine flattlihe Frau, von anfehn,
lichem Vermögen, mochte fie hoffen, eine ihren Wünfchen
gemäße zweite Ehe fchließen zu koͤnnen, und wegen ihrer
erhaͤltniſſe ſowol als perföntichen Eigenfchaften geachtet,
glänzte fie in dem erften Kreifen ber Gefellfhaft. Um fo |
größer war die Beſtuͤrzung, als fie während einer Geſell⸗
ſchaft, die fie bei ſich gab, plögtich als Giftmiſcherin verhaftet
18 7 - ©
ward. Ihr Bedienter hatte ſie angeklagt, ihm ſchon mehr⸗
mals Gift gegeben zu haben; einige von der Geheimraͤthin
erhaltene Pflaumen, die er, ſchon mistrauiſch, nicht ges
noffen hatte, zeigten Arfenit. Da es befannt ward, daß
fie fi) mehrmals Arſenik zu verfchaffen gewußt, auch ein
ſolches Verbrechen kaum alleinſtehend gedacht werden kannte,
fo ward die Ausgrabung der Leichen ihres Gatten unb
einer von ihr in der Todeskrankheit gepflegten Tante ans
geordnet. Die feit mehren Jahren beerdigten Leichen zeige
ten allerdings verbächtige Symptome, beſonders daß keine
Faͤulniß, fondern nur eine Vertrocknung eingetreten war.
Bei dem bamaligen Stande der Chemie konnte jedoch
kein Gift nachgewieſen werden. Dafür, daß ihr Gatte
nicht an Gift geftorben, ward das Zeugniß der drei be:
ruͤhmten Ärzte, die ihn behandelt, als entfeheidend ange
nommen; bei der Zante jeboh, wo nicht fo berühmte
Arzte zugegen geweſen, auch fich noch mehr verdaͤchtige
Anzeichen fanden, ſchien ſo viel Wahrſcheinlichkeit des Ver⸗
brechens, um eine außerordentliche Strafe verhaͤngen zu
koͤnnen. Jetzt in der Zeit der Schmach und Noth warf
die Geheimraͤthin die angenommene Schwaͤche von ſich
und zeigte im ihrer Vertheidigung eine ausgezeichnete Gei—
ſteskraft. Das Syſtem kleinlichen, fruchtloſen Leugnens
verſchmaͤhend, bekennt fie ſofort die Vergiftung des Ber
dienten, leugnete aber die andern Beſchuldigungen, behaup⸗
tete, den Arſenik ſich verſchafft zu haben, im Überdruß
am Leben ſich ſelbſt den Tod zu geben; an dem Bedien⸗
ten habe fie blos Verſuche uͤber die Wirkungen des Gifts
anſtellen wollen. In der zweiten, von ihr ſelbſt trefflich
abgefaßten Vertheidigungsſchrift gibt ſie zu, daß dies kein
vernuͤnftiges Motiv zu ſolcher Handlung geweſen, ſagt
aber, ihr ganzer Gemuͤthszuſtand ſei ein ſolcher geweſen,
daß man Vernuͤnftiges nicht ſuchen duͤrfe. Das Gericht
wollte als Motiv angeben, daß ſie gegen ihren Bedienten
uͤber ihre Heirathsplane geſprochen und nun, da dieſer in
Unfrieden von ihr habe abziehen wollen, deſſen Klaͤtſche⸗
reien gefürchtet habe. Da der Bediente nach ungefaͤhr ei⸗
nem Jahre vollkommen twieberhergeftelt war, ward bie Ge:
heimräthin zu lebenslänglicher Gefängnißftrafe verurtheilt.
Sie duldete diefelbe gegen 30 Jahre in der Feſtung Glatz;
in den legten drei Jahren bis zu ihrem Tode (1836) war
ihe vergönnt in der Stadt zu wohnen. Diefe lange Zeit
hindurch hatte die Geheimraͤthin unwandelbar diefelbe Hal⸗
tung behauptet, als ſchuldlos von Morde, und erwarb fich
durch wuͤrdiges Benehmen und große Wohlthaͤtigkeit Ach⸗
tung und Zuneigung. In ihrem Teſtamente waren be—
deutende Summen für fromme Stiftungen beflimmt.
Auch ihre Geſellſchafterin, die fie 26 Jahre lang nicht
verlaffen hatte, fo haben täufchen zu koͤnnen, zeigt eine
wahrhaft bemundernswerthe Selbftbeherefhung und Cha⸗
rakterkraft. Die noch während ihres Proceſſes erfchienes
nen „DBelenntniffe einer Siftmifcherin, von ibe felbft ges
ſchrieben“, find ein von Friedrich Buchholz nach den Ge⸗
rüchten verfaßter Roman.
(Der Beſchluß folgt.)
— —
119
Genridtte Hanke.
Der ebuch. Bon Henriette Danke. Kortfekun
— Braut Tagbuch“.“ Hanever, Hahn. 12
&. 12. 2 Thir. 15 Rgr.
Denriette Hanke ift ſchon feit Johren eine beliebte Schrift:
kelrin und die Kritil bet fo vielfach Gelegenheit gefunden,
Sch aber Geift und Weſen berfelben gusgufprechen, daß gegen⸗
wärtig kaum mehr als fchlidhte Anzeige irgend eines neuen
Werks nöthig ſcheint, vorzüglih, da die Werke dirfer Frau
zirgenb befonders auffällige Revolutionen im Geifle, ber Ge:
fnaung , ber Form zeigen. Faſt unwandelbar gibt uns jedes
zeue Merk biefelbe würdige Matrone, die mit dem Harften
Gerlenauge, dem reinften Gemüth alle Kormen biefes Lebens
auffaßt und darſtellt, gefhmüdt mit den Blüten tüchtiger Be:
Iefenheit und eines fo treuen Gebächtniffes, dab wir fie darum
beneiden möchten. Der Moslem, der ben Koran ſich in dem
Maße angerignet hat, daß er jeden Punkt beflelben ohne bas
geringfie Verweilen nachweiſen Tann, erfreut fi) des Ghrens
namens ‚„‚„Hafis’. Ginen ähnliden Namen Tann Henriette
Hanke in Anfprud nehmen, denn wahrfcheinlich gibt es unter
den Frauen der Gegenwart, die rückſichtlich bes Bülbungsflans
des mit ihr eine Vergleichung zulaſſen, kaum ine, ber bie
Bibel in ihrem ganzen Umfange fo geläufig wäre und neben
berfeiben noch einen ſchwer zu überfehenden Reichthum von fchö>
men 6 a und guten weltlichen Liedern als Gigentbum ans
ſprechen könnte. Die häufige Benutzung paflender Bibel: und
Liederfiellen,, verbunden mit ber Wahrnehmung , daß die Verf.
dann und wann uns einen Blick in das Herrnbuterleben thun
läßt, Haben denn auch die Anficht von einer pietiſtiſchen Rich⸗
tung hervorgerufen, weicher bie Verf. huldige. Will man bar:
unter jene ſeelenkigelade Froͤmmelei verflanden wiflen, mit
mweber der Welt noch dem Himmel gedient fein Tann,
fe ik man in Unrecht. Cine Frau, welche die Erfcheinungen
Diefer Welt, ſelbſt bie wiberwärtigften,, mit einer Klarheit und
Haube auffapt, wie man fie gemdhntid nur dem Wanne beimeflen
will; die ferner die Erſcheinungen nicht felten mit einer Staunen
erregenden Derbheit barzuftellen vermag; die den Werth und
Gehalt des Lebens ſicher und richtig abzufchägen weiß — eine
ſolche rau wird fich nie fo weit Serabwürbdigen, Zeit und
it verderbende Froͤmmelei zu predigen. Wol aber dringt
fie ſtets mit dem wärmften Eifer, dem gewinnendften Ernſt auf
das Eine, was noththut: weine Befinnung, wahren Charakter,
wurzelnb in ungeſchminkter Gottinnigkeit. Daß biefe, dem Ver⸗
kehrten, Falſchen, Berdberbten, Schlechten gegenüber, am Ende
fitts den Sieg bavontragen, iſt nicht etwa ein päbagogifcher
Runftgeiff; es ift vielmehr in ber Erfahrung begründet, denn
an alien Beiſpielen, die man vom lintergange der Tugend aufs
fielen möchte, läßt ſich immer noch eine Untugend nachweiſen,
wäre es auch nur die, daß die liebe Tugend die Hände gar zu
lamentabel ringt über ihr unverfchulbetes Unglüd. Ref. iſt der
Überzeugung, daß wir die edle Henriette Hanke gewähren laſ⸗
fen müßten. Iſt fie Hier und da wirklich etwas gu fentimental,
zu weichlich, zu pretibs, fo gleicht fle das anderer Orten felber
fon wieber aus durch eine Kraft, bie wir Saum bei ihr er⸗
warten follten und uns manchmal wirklich überrafcht. Darum
darten wir aber auch nicht fürchten, daß die Freundinnen ihrer
Werte verborben oder verſchroben werden. Sind fie wirklich
echte Kreundinnen, da find es ſicher auch cchte Mädchen und
Frautn; wollen fie dagegen nur einfeitig Icfen, um etwa mit
einer Novelle die mäßige Zeit angenehm zu verbsingen, oder
dei pafjenber Gelegenheit mit ihres Belanutfchaft ber allbelanns
ten Schriftſtellerin gu kokettiren, da iſt weber mit Henriette
Hauke noch mit irgend einer Andern oder einem Andern zu helfen.
enttich tft bie Werf. von „Der Frau Tagebuch”, weis
u Hef. fi — uwendet, mit dieſem einverſtanden,
daß er in dem Sefagten hre Rovellen und Romans weniger
von der formellen Geite betrachtet, vielmehr zunächſt ihren
Geiſt angedeutet dat. Aug das „Togebuch“, und biefes vor⸗
zuzeweiſe, basf nur rũcſichtuch feines Geiſtes, feinen Idee, ben
fpr werden, indem das Hiſtoriſche, die Handlung, von
der Verf. felber kaum mehr als angedeutet, und überhaupt
eben nur dazu benupt if, das innere Leben und Leiden ber
liebenswärbigen Helene auf allen Gtufen zur Anfhauung zu
bringen. Die Lefer kennen „Der Braut Tagebuch”, fie kennen
daher auch bie Tochter des Propfies van Ätft, Helene, in deren
Bildungsgang ber Water nur mit, man möchte fagen, apho⸗
riſtiſcher Genialität eingriff, die Mutter mehr durch Beifpiel
als Wort. Bot fih nun aud ber lieblichen Braut Gelegenheit
genug, das Leben außer den Gigenthümlichkeiten des Predigers
hauſes und felbft in den höhern Ständen kennen zu lernen,
fo bleibt fie doch immer eine einfache Prebigerstochter, die aus
dem ſtillhaäuslichen Kreife des Gewohnten, aus ihrem mehr ins
nexlidden Eeben, als Frau von Fall nun auch die Reize wie bie
Hohlheit der Repräfentation kennen lernen und üben fol. Da
gibt ed denn mande Verftöße, manches Misverftändniß, taus
fend Dinge, denen ber Geſchäftsmann, und noch dazu der
Mann von Welt, mögtichft Leicht und ſchnell aus dem Wege
geht, denn er will nicht geftöet fein im Kreife feiner Gewohn⸗
beit. &o entfernen ſich denn zwei trefiliche Menfchen täglich
mehr: ber Mann fucht das Verlorene außer dem Haufe, bie
Grau bleibt mit ihrem Schmerz allein. Sie finden endlich fi
wieder, weil der Mann, betrogen von bem leidhtfinnigen Ges
genflande feiner Verirrung, plöglich den Abgrund zu feinen Fü-
fen gewahrt, und der fchöne Moment ber Wiedervereinigung
ſelbſt iſt noch Zeuge weiblicher Refignation. Alle die vielfachen
Zuftände, durch welche die verfhiedenen Perfonen des Buchs
bindurchgeßen , find mit einer fo buftigen Bartheit behandelt,
daß diefes Buch vielleicht weniger Freunde findet als bie meiften
übrigen Werke der Berf.; benn im Allgemeinen will der Eefer
bie Dandlung, die Begebenheiten, als berben Wanderſtab in
der Dand fühlen, mit dem er die märchenhaften Wege des
geiſtigen Lebens betritt. &leichwol werden edie Frauen — und
deren gibt es viele — dieſes Werk ale Handbuch der Eebenss
und Herzensphiloſophie werth Halten, und daß fie nicht irre ges
leitet werden, läßt fi wol verbürgen. Ref. findet nur eine
Seite im Werke weniger zur Anfhauung gebracht, eine Seite
freilich, die von dem weiblichen Auge nicht mit derfelben fichern
Klarheit und Schärfe durchdrungen und dargeftellt werden Tann
als das Leben der verwandten Bruft: bas if dee Schmerz in
ber Bruft des edeln Mannes, der ihn auf allen Irrwegen bes
gleitet, ſogar waͤchſt, je weiter ex fich verliert. Das wußte
auch Helene, und darum konnte fie im fchönen Augenblid des
Wiederfindens zum Gemahl fagen: „Ich die böfe? D Hein⸗
ri, wenn du gut bit, dann tft Alles gut.”
Ref, nimmt damit Abfchleb von biefem Tagebuche; nur hat er
ſich noch über den Grund zu erklären, der ihn Länger bei der Werf.
überhaupt als bei dem Zagebuche verweilen Heß. Es ift ein anderer
als die befannte Wahrnehmung, daß das weite Feld ber foges
nannten Unterhaltungslecture gegenwärtig zum großen Theil in
Brauenhände Übergegangen ifl. In Frankreich, ſelbſt in Eng:
land bethätigten fih Frauen fdhon Tange in biefem Zweige der
Literatur: in Deutſchland Lafen wie früher wol Gedichte von
Bruuen, der Roman, die Erzählung bagegen wedten ext fpäs
ter ihre Ihätigkeit, die nun aber, je mehr die männliche Weber
andern Beftrebungen folgt, ſtets Lebenbiger bervortritt, die denn
au in Schweden recht Kar erwacht ifl. Ref. meint daher, es
fet eben an ber Zeit, einmal einen charakterificenden Überblick
von biefer Thaͤtigkeit, wie fie zunächft In Deutfchland ſich kund
gibt, aufzuflellen, wobei denn freilich bie Bezüge vom Auslande
berüber ebenfalls nachzumelfen wären , da die Ginflüffe deffels
ben, namentlich die überrheinifchen,, immer noch fihtbar genug
find. Ref. will nicht den giemtich abgenusten Terminus ges
brauchen, daß mit einer folchen Überſicht eine Lüde in der Li⸗
teraturgeſchichte gefällt werbe:- doch fpricht er es als wirkliches
Beduͤrfniß an, der bisherigen Zerfplitterung in der Kritik ber
Damenliteratur durch eine foldye Arbeit mehr Grund und Bo⸗
den zu geben, und fließt mit dem Wunſche, daß biefer Ars
120
lt die cagtige Band eines Wohlvertraueten deſchieden fein
der. m.
- PBiterarifhe Notizen aus Frankreich.
Es if erfreulich für uns Deutſche, zu ſehen, daß die große
Menge ber franzoͤſiſchen Gelehrten unfern wiffenſchaftlichen Be⸗
Airebumgen eine immer regere Aufmerkfamkeit zuwendet. Der
iffenfchafttiche Kongreß gu Strasburg hat in jüngfter Zeit wer
Ent dazu beigetragen, bie Augen Frankreicht auf bie deutiche
iffenfhaft zu lenken. Roch vor wenigen Jahrzehnden nahm
die Mehrzadl der franzdftfchen Gelehrten von den wiffenſchaft⸗
lichen *eiftungen Deutfihlande wenig ober gar keine Retiz.
Dann fingen endlich die franzöftfchen Philologen an, vor ben
beutfchen Gelehrten, die daffeibe Wiſſensgebiet bebauten, Achtung
zu befommen. Gegenwärtig aber fehen wir nicht nur einen
roßen Theil unferer wiſſenſchaftlichen Werke (3. B. Niebuhr,
ander, Ranke, Boigt ꝛc.) überfegt, fonbern es laͤßt verfol:
gen, wie deutſche Biffenfhaft in Brantreich einen im:
mer größern Spielraum gewinnt. &o haben wir faft jebes
Mat, wo wir den Berbanhlungen ber Akademie ber politiſchen
und moralifchen Wiffenichaften beigemohnt haben, irgend einen
Bortrag gehört, der. auf Deutfchland Bezug hatte. Wir weis
ien aus der großen Menge derſelben nur zwei erwähnen, bie
uns wirklich beachtungswerth gefchienen haben. Der eine war
eine Abhandlung „Sur les marques de fabrique en Allemagne
‘dans les rapports avec l’organisation industrielle” von Mor
lowski. Moloweli, wie ber Name fagt, ein Pole von Geburt,
ift eine der Hauptzierden bed Conservstoire des arts et mé-
tiers, das unter der arbeitenden Gtaffe einen Schatz von nüßs
lichen Kenntniffen verbreitet. Er kennt Deutſchland aus eige⸗
nee Anfchauung und hat erft vor kurzem im „Biecle‘, zu befs
fen fleißigften Mitarbeitern er gehört, einen intereffanten We:
richt über den Stand bes deutſchen Eiſenbahnweſens gegeben.
Ein anderer Bortrag, den wir kuͤrzlich in ber naͤmlichen Abs
tbeilung des Inſtituts gehört haben und ber auf die beutfche
Rechtslehre Bezug bat, * ein „Memoire sur les syst&mes hy-
pothecaires de l’Allemagne‘”. Diefe Abhandlung bildet einen
Abfchnitt aus einem umfallenden Werke über die hypothekariſche
Sefehgebung, das Hr. von Hauthuille, Profeffor an ber Rechts:
facustät zu Air, binnen kurzem herausgeben wird. Wir find
nicht im Stande, ben eigentlichen wiſſenſchaftlichen Werth zu
beurtheilen, aber es hat uns gefchtenen, als habe ber Verf.
die deutfhen Quellen mit Pteiß und Scharffinn flubirt.
‚on ben wisfprubelnden „Petites miseres de la vie hu-
meine’, von Oid Nid und Grandville, die wie in d. WI. zu
wisberbolten Malen erwähnt haben, ift das legte Heft erſchie⸗
nen. Das Werk: tft mit demfelben Geifte zu Ende geführt, den
non gieih in ben erſten Lieferungen bemunbert hat. Wir ers
fahren jegt von unfern gelehrten Kritikern, die alle Büchertitel
an ben Fingern herzuzählen wilfen, baß ber Ausdruck „Pe-
tites mistres de la vie humane” eigentlich einem englifcden |
Werke entiehnt - iſt. Daſſelbe erſchien am Ende des vorigen
Jahrhunderto und heißt: „The miseries of human life by
Thimothy Testy and Samuel Sensitive.” Walter Gcott
macht von hiefem geiftreichen Werkchen, das neun Auflagen ers
tehte, im „Edinburgh review” (1806, Det.) ein großes Lob.
Wransuich fo der Titel des franzoͤſiſchen Werks mit dem bes
engsten Khnlichkeit bat, fo if doc bie Yorm und die ganze
Unsfährung in beiden gänzlich verſchieden. Das englilche Werk
i8 in zwölf Dialoge getheüt. Wie wir hören, ift bereits eine
deutliche Übertragung des Buchs von Olb Nie und Grandville
erfhienen. Wenn die Arbeit - bes überſetzers einigermaßen
frommen fol, fo muß « das Werk einer aänzlidgen Umarbei⸗
wng unterwerfen. Dos Driginat ik namlich fo voller Anfpies
ungen, die nur in Paris verftanden werben können, und «6 if
Aber heupt fo ganz im franzöftichen Geifte geſchrieben, daß man
in
ee a aktung Mmerlig einen
Nur ſolche Werke find wahrhaft praktiſch, bie ſtatt Ales
‚mit einem Wale über den Haufen zu werfen, —54 die
iteniffe be⸗
Mängel unferer gegenwärtigen gefellſchaftlichen Verhaͤ
leuchten und bann erfi an eine aimdlige Abhaͤlfe berfeiben den⸗
* Die enge or nn, = namentlich in
kreich un ng o m n fſcheint gegens
wärtig wenigftens theoretifch erfhöpft. Die Acalemie fren-
case bat baber fehr wohlgethan, abs fie vor einiger Seit in
bee Preisaufgabe: Du progres social au prefit des classes
populaires non indigentes”‘, ben Blick der forialen Reformatos
ren auf die Gebrechen beöfenigen Theils vom Bolke lenkte, ber
vom Grtrage feiner Haͤndeardeit lebt, obme gerade am Noth⸗
wendigften Mangel zu leiden. Der Preis ward einem gewilfen
Lafarelle, einem ehemaligen Magifirat zu Rimes, gegeben.
Derfeibe ſcheint dadurch noch mehr ermuntert zu fein, biefen
wichtigen Punkt der Politik näher ins Auge zu faffen und er⸗
fhöpfender zu behandeln. Go erhalten wir von Rafarelle, der
ſeitdem Mitglied der Deputirtenkammer geivorben iſt, eine ums
foffendere Abhandlung, welche die Frucht reifen Nachdenkens
und forgfältiger Studien zu fein ſcheint und die ih von den
ſchwindeinden Hefosmatiensplanen, die cbenfo ſchnell vergeffen
ats geſchmiedet werben, ſehr vortheilbaft unterſcheidet Ste
fühet den Zitel: „Plan d’une röorganisation disciplinaire des
classes industrielles en WPrance,”
Seit einem halben Sahrhundert hat ber franzoͤſiſche Kies
rus aufgehört, einen Staat im Staate zu bilden. Die Revolution
zerſchlug das mächtige Gebaͤude der Hierarchie und die Reſtau⸗
ration verſuchte vergeblich feine Trümmer wieder zufammenzus
fügen. Geitbem bie Kirche mit den übrigen potitifchen Inftitwe
tionen immer mebr verfchmotzen iſt, bat die Abminiſtration des
Klerus in Frankreich natürlich weſentliche Umgeflaltungen zu er»
leiden gehabt. Die Referipte, Seſeze und Gebraͤuche, die bier
auf Bezug haben, find zum Theil fehr verwidelt und es iſt
babe PN ee , daß ein aerbienter ——
ut v, fi t unterzogen bat, alle hierher
Geſetze überfichttich jufamm uftellen. Sein ‚‚Traite een
ministration da culte catholique en France” (Paris 1842)
ift mehr als eine bloße Compilation. Es iſt ein getreues With
vom franzoͤſiſchen Kirchenweſen und bat in biefer Beziehung
eine große Bedeutung. Wir haben feit kurzem ein ganze Seide
von mehr oder weniger wichtigen Werten erwähnt, die ale den
Katholicismus und fein Verhaͤltniß zur Gegenwart betreffen.
Wir wollen hier gleich noch auf eine Schrift aufinerffam mes
chen, die von den Biäubigen ſehr empfohlen wird. Es if dies:
„Da catholicisme dans les societ6s modernes considerd dans
nes rapports avec les besoins du 19%öme sidcle”, vom AbhE
Haymonb,
Wir haben in d. WI. zu ruisberholten Malen auf die Wiege
aufmerkſam gemacht, welche bie Specialgeſchichte ber
franzoſiſchen Provinzen, aus ber allein eine gute
allgemeine Geſchichte Frankreichs hervorgehen Tann, ſich gm
erfreuen anfängt. Wir duͤrfen deshalb ein ſehr umfaffendes Ber
ſchichtewerk, von bem bereits dee fünfte Band eufchienen iſt,
nicht ganz unerwähnt laffen. Es behandelt Die Geſchichte vom
Bangueboe und führt ben Zitel: „Histelre gendrale du Lan-
guedoc com sur les auteurs et les titres originaux et
enrichie de divers monuments par dom Vic et dom Valssete,
religieuz bénédietins de St. - Maur, continuse par M. Du-
meyel’. Das ganze Werk ift auf zehn Baͤnde berechnet: aber
es ift eins von den fchwerfälligen Bauͤchern, die nur langfam
fortrudern, und feine Vollendung fteht nech im. weiten Weihe.
Dan findet in ihm einen wehren liberfiuk von geichtten Dosue
maenten, die nicht immer genügend neraxbeitet find. .%
Berantwortlicher Hrraubgeber: Seinrich Brockhaus. — Drud und Brriag von BE U. Brochaus in Letpzig.
Blätter
für
literarifbhe Unterhaltung.
+
Dienftag,
BER Kr. 31. ö—ñ—
31. Januar 1843.
Der neue Pitaval. Herausgegeben von J. E. Hitzig
und ®. Häring.
(Beſchluß aus Nr. 8.)
Semein in jeder Art ift die folgende, aus Feuerbach's
pſochologiſch meiſterhafter Darftelung bekannte Zwanziger
aus Nürnberg, 1811. Won früh an Ausfchmweifungen und
Verbrechen ergeben, war fie immer tiefer geſunken. Alt,
haͤßlich, zum Dienftbotenflande herabgelommen, hatte ſich
ihrer die tieffte Bitterkeit gegen die Menſchen bemaͤchtigt,
als ein heifender Freund erfchien ihre nun das Gift. Es
ward angewandt, wo «8 eine, wenn auch noch fo chimairi⸗
ſche Hoffnung galt, es diente ihr, auch die kleinſte Krän-
tung wenigfiens mit Krankheit zu rächen, endlich auch
wol bios als erfreuliche Spiel. Sie blieb ohne die min:
defte Beſſerung bis zur fo ſchwer verdienten Todesſtrafe,
noch in den letzten Augenbliden in boshafter Anklage ei:
nes Unſchuldigen beharrend.
Noch gräßlicher erfcheint die bremer Giftmiſcherin Ge:
fina Gottfried, geb. Timm, 1831, als die von frühefter
Jugend vollendetfte Deuchlerin. Bel Talent und äußern
Annehmlichkeiten der Liebling ihrer Ältern, beftiehlt fie in
frühefter Jugend ſchon dieſelben, bald auch Fremde, fort:
während dabei für das Muſter eines guten Kindes gel-
tend. Wie zeige ſich bei ihr eine Spur von Gemüth unb
Sefüht, nur aus Habſucht hat fie dem erſten Manne bie
Hand gegeben. Diefer, ein allerdings duch Ausſchweifun⸗
gm an Leib und Seele zerrütteter Menſch, fällt als ihr
erſtes Dpfer; dann folgen ihre, fie fo zärtlich liebenden
tern, weil fie fürchtet, diefe könnten vieleicht der neuen
Heirath mit dem Liebhaber, den fie ſchon bei ihres Mans
ned Leben gehabt, zuwider fein; dann, als dieſer zaudert,
ihre drei Kinder, in denen fie die Hinderniffe zu fehen
glaubt, endlich aber der Verlobte felbft, als er zurücktreten
zu wollen fiheint; noch auf dem Todbette läßt er ſich mit
ihre trauen. So ging es eine Reihe von uhren fort.
Obwol das Leichentuch nicht ganz noch gehoben, find 15
Giftmorde bekannt, ebenfo viel andere Vergiftungen. Ein
Ihr Vermögen überfteigender Lurus und eine große Wohl:
thätigkeit, durch die fie zu glänzen flrebte, hatten ihre Fi⸗
nanzen aufs aͤußerſte zerrüttet, deshalb neuer Mord, um
zu erben, oder nur einen Zahlungsaufſchub dadurch zu er:
halten, endlich um dabei Gelegenheit zu finden, einige Tha⸗
ler zu fehlen. So vergiftete fle Ihre ehemalige vieljährige
Magd, die mit höchfter Liebe und Treue ihr angehangen
um fih 50 Thaler zuzueignen; eine Jugendfreundin, die
bei immer drüdenderer Geldnoth ihr einen Louisdor gelies
ben, um dieſen zu behalten und zugleich den Beinen Spar:
pfennig, den dieſelbe zum Begraͤbniß ihres fchon achtzigjaͤh⸗
rigen Vaters gefammelt, zu ſtehlen. Und nicht nur jedes
kleinlichen Zanks wegen ward gemordet, das Giftgeben
ward der Gottfried nun zu einem Triebe, dem ſie folgte
auch ohne weitere Urſachen. Und bei allen dieſen Greueln
lebte die Gottfried als fromm und mohlthätig geachtet,
und wegen ihres immer heitern und angenehmen Wefens
beitebt und in Gefellfchaften geſucht. Als mit ihrer Ver⸗
baftung all ihre geiftiges und Lörperliches Weſen als Trug
offenbar mard, da brach zwar ihre Heuchelfraft zufammen,
aber von Beſſerung und Gemuͤthsruͤhrung zeigt fich keine
Spur; die Gewiſſensbiſſe zeigten fidy als wilde Wahnbil:
der, von außen kommend, wenn fie die Gemorbeten oder
deren Angehörige vor fih zu fehen glaubte. Erſt nad
faſt dreijährigem Proceſſe kam das Todesurtheil. Dies zehn:
fach zu begründen, hätte es nicht fo langer Zeit beburft,
aber eben deshalb wurde der Proceß langfamer betrieben,
um die6 grauenvolle Phänomen zu ſtudiren; ob nicht die
Verbrecherin dabei zumellen in eine ihr nicht geziemende
Stellung gelommen, bleibe uneroͤrtert. Es ſteht zwar als
lerdings feft, daß nicht von Anfang ein dunkler Trieb die
Gottfried zu ihren Derbrechen getrieben, ſondern biefer
erjt entſtand, ats fe viele verübt; wenn aber der Volks⸗
wahn ſchon Gefina's Mutter den böfen Blick zufchrieb
und dieſe felbft als eine von frühefter Jugend dämonifchen
Gewalten Geweihte anfah, fo ift dabei das fittliche Ge:
fühl nicht zu verkennen, das fo unerhörte Greuel, ald für
die gewöhnliche Menfhennatur unmöglich, abyumeifen
ſuchte. Die ausführliche Lebensgefchichte der Gottfrieb
gab ihre Defenfor Dr. Voget. Zu romantifcher Darftels
(ung benugte fie A. Bronikowski für bie eriten beiden
Bände feiner „Beate, aus einer alten Chronik ohne Tis
tefblatt”. .
„Der Wirthfchaftsfchreibee Tarnow“, 1795. Diefer
Criminalfall (aus Klein entnommen) entfpricht eigentlich
der Tendenz des vorliegenden Buche nicht recht, weil er
fein romantiſches oder pfpchologifches, Tondern nur ein jus
riſtiſches Intereſſe darbietet. Ein Amtmann (Skonomie⸗
infpector) in Oftpreußen misbraucht die in Abweſenheit
x
122
ber Herrſchaft ihm zuftehende despotifche Gewalt zu grau:
famer Behandlung feiner Untergebenen und wird deshalb
von feinem Wirthfhaftsfchreiber erſchlagen. Der Schrei:
ber Tarnow hatte außer des Amtmanns Härte noch be:
fondern Grund zur Klage, da berfelbe ſich faſt mit Ges
zoalt den Genuß von Tarnow's Braut verfhafft hatte.
Am Tage vor dem Morde hatte der Amtmann ben Wirth:
fhaftsichreiber aufs ſchmaͤhlichſte koͤrperlich mishandelt
und gedroht, ihn aus dem Dienfle zu bringen und fein
ganzes Leben lang zu verfolgen. Im der Nacht überzeugt
ſich Tarnow, daß feine Braut eben wieder in ded Amts
manns Kammer gewefen ſei. Nach ſolchen Vorgängen
iſt ein Wuthanfall doch ſehr natuͤrlich. Ebenſo wenig
Schwierigkeit bot die Unterſuchung. Tarnow hatte den
Erſchlagenen zwar noch aufgehaͤngt, um den Schein des
Selbſtmordes zu geben, die Wunden des Amtmanns mach⸗
ten aber die Taͤuſchung unmoͤglich; auch hatte noch in
derſelben Naht Tarnow bie That dem mit hm in einer
Kammer fchlafenden Jaͤger bekannt und um Beiltand bei
Reinigung feinee mit Blut befudelten Kleidung gebeten.
Der Zäger zeigte ed fofort an, Tarnow geftand fomweit Als
les ganz einfach; nun aber ein juriftifches Bedenken. Nach
dem Dbductiondberichte nämlidy waren die dem Amtmann
auf den Kopf gegebenen Schläge nicht tödtlich gemefen,
fondeen der Tod erft durch das Hängen erfolgt, dies aber
ſei nicht in der Abſicht zu tödten gefchehen, Tondern nur
zur Bemäntelung der That, demnach) es einmal am Boll:
bringen, das andere Mal an der Abficht fehle. Sei «6
aus diefer Ruͤckſicht, oder mehr in Beruͤckſichtigung der
mildernden Umſtaͤnde, durch vorhergegangene ſchwere Rei:
zungen (eine zweite Ausfage Tarnow's, wo er den Amt:
mann wachend angeteoffen und den Mord als in Noth:
wehr angefehen haben wollte, hatte wol keinen Glauben
gefunden), ſprachen die nähern Behörden nur auf Feſtungs⸗
ſtrafe, die Kreisiuftizcommiffion zu Salfeld auf ſechsjaͤh⸗
vige, die oftpreußifche Regierung auf zehnjährige, Die Cri⸗
minaldeputation des Kammergerichts zu Berlin erkannte
die Todesftrafe, jedocy den erwähnten Umſtand fo weit als
Miderung betrachtend, daß fie aufs Schwert erkannte,
nicht aufs Rad, und berief fih im Entſcheide auf die
Stelle des Criminalcoder, wo es heißt: „Wenn Jemand
einem Andern, mit dem Vorſatze zu tödten, eine Verlegung
beigefügt hat, die zwar nicht abſolut toͤdtlich, aber in der
Kolge durch einen Zufall tödtlid wird, foll er mit dem
Schwerte hingerichtet werden‘, und „der Thäter der den
zu vettenden Verwundeten ohne Hülfe liegen ließ, wenn
er die daraus entitehende Gefahr vorausfehen mußte, foll
als Todfchläger mit dem Schwerte beftraft werden.” Ob
Dies Urtheit in Ausführung gelommen, ift nicht bekannt.
Der gleihe Fall finder ſich in der folgenden Erzaͤh⸗
lung: „Die Mörderin einer Here.” Hierbei ift aber auch
ein culturhiftorifches Intereſſe. Denn die Zeit des Vor:
falls ift 1819, der Ort im Königreihe Preußen , bei
Stargard, dod unter caffubifch = polnifher Bevölkerung.
Eine noch junge Frau im Dorfe fleht im Rufe, eine
Here zu fein, zwei junge Mädchen laſſen ſich ohne eine
augenblickliche Reizung von Seiten der angeblidhen Hexe
durch deren Schwiegermutter und eine andere Frau ganz
leicht zu dem Morde bereden und vollführen ihn mit der
größten Kaltblütigkeit. Eines’ Feiertage früh überfallen fie
die Mizewska im Stalle, erdroffeln fie und hängen fie,
den Schein des Selbfimordes zu geben, im Stalle auf.
Auch hier zweifelten die Ärzte, ob der Tod nicht erſt durh
das Hängen herbeigeführt worden. Das Kammergeridht
machte aber diesmal keine Unterfchiede geltend, fondern be=
zeichnete dad Aufhängen als eine Kortfegung der Ddolofen,
gegen das Leben der Mizewska gerichteten Unternehmung
und erkannte deshalb die Todesftrafe für beide Mörderin=
nen, bie jedoch auf fünfundzwanzigiährige Zuchthausftrafe
gemildert wurde, weil das Gericht bie Zurechnungsfähigfeie
durch den Glauben an die Herenqualität der Gemordeten
für beſchraͤnkt hielt. Mehre Jahre vorher hatte ſchon der
Gerichtsbote des Octs von Oſſolwski (doch wel nicht ohne
Wiſſen der Herrſchaft?) mit der Mizewska die Waſſer—
probe vorgenommen, wo ſie jedoch durch Unterſinken ihre
Unſchuld bewaͤhrt hatte.
„Die beiden Nürnbergerinnen“, 1787. Ein furdt:
bares Lebensbild! Kin junges Mädchen, durch ruͤckſichtsloſe
Anwendung gefetlicher Beſtimmungen ins tieffte Elend ge:
ftoßen, gibt ſich falfhlih als Kindesmörberin an, cine
gleich nothleidende Freundin als mitfhuldig, um fih und
diefe fo der Schmady und dem Hungertode zu entziehen.
Trotz des Widerrufs auf dem Schaffot, fol die Eine hin-
gerichtet worden fein, während deſſen die Andere auf dem
Schaffot geſtorben. Wir theilen die Zweifel des Heraus:
gebers an der Nichtigkeit der einzelnen Angaben Diefer
den „Causes celebres Etrangeres” entiehnten Geſchichte.
Bon Nürnberg Tann man doch ein fo formlofes Verfah-
ren nicht erwarten, bei einer der kleinen Reiheftädte in
Schwaben wäre es möglich; dort herrfchte noch in jener
Zeit eine uns maͤrchenhaft erſcheinende Verfinfterung, wir
erinnern an die Hinrichtung eined Zauberers zu Buchloe
1766.*) Hoffentlich werden von Nürnberg Berichtigun:
gen diefer Erzählung kommen,
Die legte Geſchichte „Die Marquife de Gange” nad
Pitaval, 1667, ift wieder ein romantiſches Schauerge:
mälde aus Ludwig's XIV. glorreiher Zeit. Die Marquife,
eine buch) außerordentlihe Schönheit wie durch Herzens:
güte ausgezeichnete Frau, wird von ihren beiden Schwaͤ⸗
gern auf das grauenvolifte ermordet, deren Haß fie duch
Abmeifung ihrer flrafbaren Anträge erregt hatte. Die
Mörder, zum Rade verurtheilt, waren durch die Flucht der
Strafe entgangen.
Schließlich fprechen wir den Wunfdy aus, daß bei der
Fortfegung der Sammlung vorzüglich ditere Fälle Auf:
nahme finden möchten, .
*) Ein Zigeuner war in Haft in Buchloe und follte eben,
ba ibm aud die Folter Leine befondern Vergehen hatte ers
preſſen Eönnen, entlaffen werben, als ber Gtadtrichter am
Rachmittage nach der Tortur auf einem Spaziergange eine
Bigeunerfamilie traf, deren drei Eleine Kinder in ber Erde
gruben. Als nun am felbigen Abend ein fchweres Gewitter ent:
fiand, der Blit dabei in das Gefängniß bes Zigeuners eins
flug, diente dies zum Beweis, daß zu feiner Befreiung von
123
Nouvelles heures de repos d’un ouvrier par TAcodore
Lebreten. Paris 1842.
Der Selbſtmord eines jungen Buchdruckergeſellen, der fich
un Ash gas, weil ee fidy in ben. Hoffnungen, bie er auf einen
afes literarifchen Verſuch geftellt hatte, getäufcht ſah, iſt vor
anigen Monaten in der parifer Zagespreile Stoff zu mannich⸗
feden GSrörterungen geworden. Die radicalen Blätter geben
eiche Hülle, die in unfern großen Manufacturftädten nicht fo gar
feiten vorfommen, geradezu unfern verfhebenen focialen Verhaͤlt⸗
ofen ſchuld. Der geiftreihe Lerminier bat e8 in ber „Revue
des deux mondes‘’ übernommen, bie arbeitende Glaffe darauf
aufmerffam zu machen, welche Gefahr darin liegt, wenn ber
Arbeiter, ftatt fein Tagewerk zu vollenden, ſich unberufen mit
der Literatur und Politik befaffen wit. Dagegen bat nun bie
„Revue independante’ ein fautes Geſchrei erboben. Befonders
bat G. Sand in einem „Dialogue sur la po6sie ouvriöre” bie
Anmafungen der Gonfervativen, welche das Volk von jeder
freiern Geiftesentwidelung abhalten möchten, ckzuweiſen vers
faht. Seitdem bat nun bie Zeitfchrift, welche das Organ bier
fer geiftoollen Schriftftellerin tft, uns mit einer wahren Flut
von Poeſien, deren Verf. der Claſſe der Arbeiter angehören,
überfiwemmt. Aber flatt die Anſicht Lerminier's, der behaup⸗
tete, daß der größte Theit der fogenannten Duprierpoefte ziem:
lich null fei, ſiegreich zu widerlegen, wird diefelbe vielmehr durch
dieſe zahlreichen Reimproben nur noch mehr beftärtt. Was faft
allen diefen Reimereien durchaus fehlt, ift die Originalität.
Ban follte glauben, daß biefe fogenannten „Raturbichter‘’ we:
nigftens einen frifhen, ungekünftelten Ton anfchlagen würden
und man würde ihnen dann gern einen Mangel in ber Form
und eine Unbeholfenheit im Auédruck nachſehen. Aber dem iſt
nit fo. Sie fpreizen fi faft alle in einer jämmerlihen Nach⸗
ahmung Bieter Hugo’s, oder flimmen in den weinerlicdyen Ton
LZamartine's ein. Seitener noch ahmen fie Beranger nach, obs
gleich man glauben ſollte, daß die Richtung dieſes ausgezeichne⸗
ten Chanſonnier ihrer Sphäre viel näher liege. Unter ben
wenigen, bie eine wahrhaft poetiſche Organifation haben, und
deren Erzeugniſſe nicht ohne wirklich poetiſchen Gehalt find, ver:
dient befonders der Dichter, deffen Rame an der Spige dieſes
Auffages fleht, genannt zu werben. Seine Poeſien find ihm
wirktich aus voller Bruft geftrömt und es ift ihm bei ber Ber:
öffenttihung feiner erftien Sammlung, die jeßt bereits ein gro⸗
fes Publicum gefunden bat, nicht um Wefriedigung bed Ehr⸗
geizes zu thun gewefen. Die Verhättniffe, in die ber Zufall
oder bie Vorſehung ihn geworfen hatte, haben feinen poetiſchen
Drang nit nieberhatten können. Theodor Lebreton ift ein
wahres Kind bes Bolks und hat alles Elend ber Entbehrung
unb muͤhevoller Arbeit kennen gelernt. Schon in einem Alter
von fieben Sahren mußte das arme Kind fih feinen Unterhalt
erwerben und in der verpefteten Atmofphäre einer überfüllten
Fabrik zwölf Stunden des Tags arbeiten. Aber ein unwider⸗
fehlicher Drang trieb ihn zur Wiſſenſchaft. Jede freie Stunde
verwandte er auf feine Selbftbilbung, und als er, von mehren
wohlmollenden Goͤnnern unterflügt, zum erften Mate mit einem
Baͤndchen Gebtchte hervortrat, fühlten die Perfonen, die ihm
die Mittel verfhafft hatten fih zu bilden, daß ihre Wohlthat
nicht an einen Unmürbigen weggeworfen war. So arbeitete er
5 allmälig aus feiner befchränften Lage hervor und hat jett
an der berühmten Leber’fchen Bibliothek, die für die Stadtbi⸗
bliothet zu Rouen angefauft ift, einen müßigen Poften. Die
neue Sammlung , die er voriges Jahr herausgegeben bat,
iſt eine Frucht ber größern Muße, die diefer Pla ihm jest
laͤßt. Man ftebt, baf es ihm um die Poefte Ernft ift, und man
lernt im ihm einen Geift Tennen, der fidh in bie großen Schoͤ⸗
feinen Genofien das Wetter gemacht worden. Es warb ein
neues Verfahren gegen ihn eingeleitet und er nach ſechs Wochen,
ale ber Zauberei mitfchulbig, hingerichtet; die Ausfage bes
Stabtrichters if} eine wahrhafte Mertwürbigkeit.
pfungen Gottes verfentt und fich über den Sammer bed Lebens
erhebt. Seine Mufe bat nichts Spielendes oder Taͤndelndes.
In faſt allen feinen Liedern herrfcht ein frommer Ernſt und
eine milde Melancholie, bie vielleicht zum Theil eine Folge ſei⸗
ner frühern gedrüdten Lage ifl. Ergreifend ift er, wo er ben
Jammer ſchildert, ben er in feiner Jugend zu erdulden gehabt
bat. Und leider muß man geftehen, daß die Klage, bie er über
bas Elend ber arbeitenden Glaffen erhebt, nur zu wahr, IR.
Notizen.
„Self-devotion, or the history of Catherine Randolph”
(3 Bde., London 1842) dürfte ſchon deshalb intereffiren, weit die
Berfaflerin, Katherine Sampbeit, eine junge, fchöne Schot⸗
tin, diefelbe, von welcher die Literatur das vielgerühmte „The
oniy daughter’ befigt, in den Tod ſchlafen gegangen iſt, ehe
jenes ihr legte Werk unter die Preffe kam. Daher nennt der
Zitel den Verfaſſer des „„Subaltern’ einen Herrn Gleig als Her:
außgeber. Doc erſchoͤpft ſich damit nicht das Intereffe der No⸗
delle. Die Dichterin gehörte zu der guten Schule der Außen,
ber Serrier und ber Brunton. Weil der Inhalt ihrer Erzaͤh⸗
lung dem einfachen häuslichen Leben entlehnt ift, findet er in
ber Erfahrung jebed Lefers einen Widerflang, und der Knoten
ift gefchict und forgfältig geknuͤpft und gefchürzt.
Burns’ Shwefer.
Der unter biefer Bezeichnung in Nr. 266 d. Bi. f. 1843
gedachte, vom „Scottish journal’ ergangene Ruf zu Geldhuͤl⸗
fen für Burns’ nothleidende Schwefter ift nicht ohne Erfolg ges
blieben. Laut der von demfelben Journal veröffentlidden Sub⸗
feriptionslifte beläuft fi die Sammlung auf etwas über 330
Pf. St. Dazu bat Königin Victoria 90 Pf., das Übrige in
England London und Liverpool, in Schottland Edinburg, Glas:
gow und Anrfhire, und — Ehre den Schotten — Balifar in
Nova Scotia (dies 35 Pf.) beigetragen. Der Herausgeber ber
merkt, daß die gefammelte Summe vollkommen hinreiche, der
alten Frau her comfort for life zu fihern. Alſo brauchen bie
deutſchen Verehrer von Burns’ Liedern fich nicht zu beileuren.
Bibliographie.
Bechſtein, L., Philidor. Erzählung aus dem Reben eines
Lanbgeifttichen. Gotha, Berlags: Comptoir. 8. 1Thlr. 15 Nter.
Bibliothet der neueften und beften Romane ber englifchen
Literatur, 117.— 119. Band, enthaltend Chamier's fämmtliche
Werke, 13.— 15. Band: Leidenfhaft und Grundfag. 3 Theile.
Braunfchweig, Bieweg u. Sohn. Gr. 16. 1 Thlr.
— — 120. —122. Band, enthaltend Wilfon’s fämmt:
liche Werte 4.— 6. Band: Der Müde Kreusfaprt. 3 Theile.
Braunfchweig, Vieweg u. Sohn. Br. 16. 1Thlr.
Binsbam, 3. E., Der Krieg mit China von feinem
Sutftehen bis zum gegenwärtigen Augenblide. Nebft Schilde⸗
zungen ber Bitten und Gebräuche diefes merkwürdigen, bisher
faſt noch unbelannten Landes. Nach dem Engliſchen von ®. 8.
8. Petri. 2 Theile. Mit Umrißkarte der Küfte von Chino.
Braunfchweig, Weftermann. 12. 3 Thlr.
Bornemann sen, W, Gedichte in plattdeutfcher Mund⸗
art. te, von neuem gefichtete und vermehrte Ausgabe letzter
Hand, mit humoriſtiſchen Federzeichnungen von T. Hofemann.
Berlin, Gropius. Gr. 8. 1 Thir. 22%, Nor.
Brandes, M., Gedichte. Manheim. Gr. 8. 15 Ner.
Braun von Braunthal, Morgen, Tag und Nacht aus
dem Leben eines Dichters, 2te vermehrte Auflage. Dresden,
Sitig. Gr. 12 Nor.
Byron, Manfred, ein dramatiſches Gedicht, Äberfegt von
D. ©. Seemann. Berlin, Weide. Gr. 12. 10 Nar.
124
Shownig, 3., Paolo, eine venezianiſche Liebe. Aus ber
neuern Zeit. Leipzig, Peter. Ki. 8. 1 pie.
Szaylomwmskis ausgewählte Romane. Ater Band. Der
Kofadengetman. — bearbeitet von 3 9. Jordan. I1fies
Bändchen. Leipzig, Binder. or.
Szilsty, ©. St., Fauſt. Ein dramatifches Gedicht. Halle,
Heynemann. 8. Nar.
Eberhard, F., Über die Benennung ber Deenfchenfohn,
welche fi Jeſus im Neuen Teftamente beilegt. Ein Verſuch
ger Erklärung derfeiben. Neubrandenburg, Brünslow. Gr. 8.
N Kur.
‘ Hundert Babetn, nah Afop und Lafontaine frei übers
00 Bildern nad Grandville. Berlin, Weidle.
Fir menich, 3. M., Germaniens Vötkerfiimmen. Samms
lung der deutſchen Mundarten in Dichtungen, Sagen, Mährs
„Volksliedern ꝛc. Iſte Lieferung. Berlin, Gchlefinger.
— ſchmal 4. 15 Ngr.
Die Frauenſchule. Ein Roman von dem Verfaſſer von „Die
einzige Tochter”. Aus dem Engliſchen von W. A. Neumann.
3 Theile. Braunſchweig, Leibrod. 8. 4 Thlr.
Kriccius, K., Geſchichte des Krieges in den Jahren 1813
und 1814. Mit befonderer Rüdfiht auf Oftpreußen und das
Koͤnigsbergſche Landwehrbataillon. After Theil, bis nad ber
Schlacht von Leipzig. Mit 5 Plänen auf einem Blatte. Als
tenburg, Pierer. &r. 8. 3 Thlr.
Fürft, J. Zur Würdigung eines Kuͤnſtlerausſpruchs über
drei Gemaͤlde der Berliner Ausſtellung. Nebſt einem Aufruf
zue GSmancipation. Berlin, Jonas. Gr. 8. 5 Nor.
Gersdorf, Wilhelmine v., Frikler: Robert. Erzaͤh⸗
lung. Leipzig, Drobifh. 8. 22%, Nor.
Grün, %., Gedichte. Ate vermehrte Auflage. Leipzig,
Weibmann. Gr. 12. 2 Zhlr.
Gruppe, D. F., Lehrfreiheit und Preßunfug, als Forts
ſetzung der Schrift: Bruno Bauer und die afabemifche Lehrfreis
heit. Berlin, Beſſer. Gr. 8. 15 Nor.
Haufchild, E. F., Der Dom zu Coͤln. Gedicht in drei
Hymnen, aus bewegter Bruft gefungen und jedem echten Deut:
ſchen gewibmet. — Dresden, Priftewig bei Broßenhayn, Hermes
dorf hinter Pirna, und Schweizermühle im Bielaergrunde bei
Königstein im April, Mai, Juny und Juli 1842. Dresden.
Gr. 4. Thir. und Thlr.
Herzog, J. J., Das Leben Johannes Öfolampads und
die Reformation der Kirche AT Bafel. 2 Bde. Bafel, Schweig⸗
baufer. Gr. 8. 2 Ihr. 22%. hir.
Hölderlin, F., Gedichte. (Nebft Rebensumfländen bes
Dichters und Bildniß) Stuttgart, Gotta. 16. 1Thlr. 20 Nor.
Iſt die Suspenfion des Oberlehrers Witt zu Königsberg
rechtlich begründet? Won einem ryeiniſchen Juriften. Xeipzig,
Ginhorn. Gr. Ler.:8. TY, Nor.
Kamptz, d., Altenmäßige Darftellung der Preugifchen Ge⸗
fegrevifion. Berlin, Dümmler. Gr. 1 Zhir. 10 Nor.
Rebensbilder aus der weftlichen Hemifphäre. Vom Verfaffer
des Legitimen, bes Virey, des Cajuͤtenbuchs von Süden und
Norden. Ifter bis Iter Theil. — Auch u. d. T.: George Ho⸗
ward's Esq. Brautfahrt. — Ralph Doughby's Esq. Braut:
fahrt. — Pflangerteben. Ifter Theil. 2te durchgefebene Aufs
lage. Stuttgart, Megler. 8. Preis für 9 Theile 9%, Thir.
Libuſſa. Jahrbuch für 1843. Herausgegeben von P. X.
Kiar. ?ter Jahrgang. Nebft JStahlſtich und 3 tithographirs
ten Anfihten. Prag, Salve. 16. 1 Zhir. 20 Nr.
edbenftein, 9. v., Duräftug durch Italien. Reiſeſkiz⸗
Gotha, Verlags-Comptoir. 16. 1 Thlr.
Lucas, C., Der Bettler von Amſterdam und die Söhne
Acabemiat. Zwei Novellen. Berlin, Rubach. 8. 1 hir. 22”, Nor.
Markulf der Eifenarm mit dem Rieſenſchwerte, oder der
Zodtentang um Mitternaht im Schloſſe Engelhaus bei Karls
zen.
bad. Nach einer engliſchen und böhmtichen Volksſage bearbeitet
von A. Seid, genannt 2. Dellaroſa. Mit 1 Stahl⸗
ſtiche. Wien, Bauer u. Dirnboͤck. 8. 25 Near.
Moll, 8. B., Die gegenwärtige Roth der evangelifchen
Kirche Preußens, deren Urſachen und die Mittel zu ihrer Ab⸗
huͤlfe. Paſewalk, Koͤhler. Gr. 8. 1, Thir.
Neudecker, ©. G., Die chriſtliche Kirchengeſchichte der
neueſten Zeit vom Prof. Dr. Riffel, oder das neueſte Schmaͤh⸗
libell auf Luther und die proteſtantiſche Kirche, wiſſenſchaftlich
beleuchtet und widerlegt. Abgedruckt aus der Allgemeinen Kir⸗
chenzeitung. Darmſtadt, Lesle. 8. 22%, Rar.
Rüdert, F., Saul und David, ein Drama ber heiligen
Geſchichte. Erlangen, Heyder. Sr. 12. 1 Thlr. 15 Ror.
Satori, 3., Katharina Howard, ober das Altarblatt im
Kenfington. Eine hiſtoriſche Erzählung, 2 Theile. Danzig,
Gerhard. 8. 3 Thlr. 15 Nor.
Schadow, W., Ueber den Einfluss des Christenthums
auf die bildende Kunst. Vorlesung gehalten am 30. Sept.
1842 vor der General - Versammlung des Congres scientifi-
que zu Strassburg. Düsseldorf, Buddeus. Gr. 8, 5 Ngr.
et er, L., Rigilien. Guben, Berger. 8. 1 Zhir.
Br. .
j Sase H., Sſtreich im Sommer 1842. uͤlm, Gtettin.
. er.
sh irde, 3. ©. W., vermifchte Eleinere Schriften. UIſtes
deft io eemifänte £ebensbefchreibungen. Chur, Grubenmann.
. gr.
Schulze, S. F., Überficht der Geſchichte des Großherzog:
tbums Baden. Gotha, Glaͤſer. Gr. 12. 15 Nor.
Shakſpere's, W., Schaufpiele, überfegt unb erläutert
von A. Keller und M. Rapp. 1.— 5. Stüd. Gtuttgart,
Metler. Gr. 16. A Stüd 6%, Nor.
Gievers, 3. H., Kinder der Zeit. Gedichte.
Frommann. Gr. 12. 15 Nor.
Birt, €. H., Dr. Paul ber, der Schüler, Freund und
Amtögenofle der Reformatoren. Sin Beitrag zur Gefchichte des
Reformationszeitaltere. Mit XLIX Originalurfunden. Heidel⸗
berg, Winter. Gr. 8. 1Thir. 15 Nor.
Spieß, A., Gedanken über die Einorbnung bes Turn:
weſens in das Ganze der Vollserziehung. Bafel, Schweighau⸗
fr. &. 8. 71 Rgr.
Spiphen. Rovellenkränge, herausgegeben von K. Riedel,
Leipzig, Schred. Ki. 8. 1Thir.
Das denkwürbige Ungluͤckks⸗Jahr 1842, eine forgfältige
Darftellung aller in biefem Jahre vorgefommenen Denkwuͤrdig⸗
keiten und Ungluͤcksfaͤlle, nebft ſchließlich beigefügter Beſprechung
über alle Verhaͤltniſſe. Nebſt Plan von Hamburg und Abbil
dung der abgebrannten Gebäude. Leipzig, Pönide u. Sohn.
Gr. 8. 20 Nor.
Vechelde, ©. F. v., Aus bem Zagebuche des Generals
Fr. 2. v. Wachholtz. Zur Geſchichte der früheren Zuftände der
preußifchen Armee und befondere bed Kelbzuge des Herzogs
Friedrich Wilhelm von WBraunfchweig : Deld im Sabre 1800.
Braunſchweig, Vieweg u. Sohn. Gr. 8. 2 Thir.
Vogel, E. F., Beiträge zur Geſchichte der Zunft: und
Innungsverfaffung beim beutfchen Handwerksſtande. Iftes Deft:
Hiſtoriſche Erläuterungen über den Urfprung und Kortgang bes
Bunftwefens bei den Bäders Innungen in Deutfchland überhaupt
und gi der Gtabt Leipzig insbefonbere. Leipzig, Gore. 8.
gr.
Zwinglis, H., Praktiſche Schriften. Zeitgemäße Aus⸗
wahl. Aus dem Altdeutſchen und Lateinifchen ins &chriftbeuts
ſche überfest und mit ben nothwendigen pefhiähttichen Erlaͤute⸗
rungen verſehen von R Shriftoffel. Ites bis dtes und Ötes
Bändchen. Züri, Meyer u. Zeller. Gr. 12. Preis für 6
Bändchen 17%, hir.
Jena,
Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockkhaus. — Drud und Verlag von F. U. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifbhe Unterhaltung.
Rittwod,
3: ur R a ab: ri Pr t.
Bon dieſer Zeitſchrift erſcheint außer den Beilagen täglich eine Nummer und iſt ber Preis für den Jahrgang
12 Zhlr.
Alle Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Beſtellung darauf an; ebenfo alle Poftämter,
die fih an die koͤnigl. fächlifche Zeitungserpebition in Leipzig oder das Fönigl. preußifche Grengpoftamt in
Halle wenden. Die Verfendung findet in Wochenlieferungen und in Monatöheften ftatt.
Über das Staatslexikon von KRotted
und Welcker.
Die „Blätter für literariſche Unterhaltung“ nehmen
in der Megel auf encyklopaͤdiſche Werke Leine Rüdficht.
Das „Staatslexikon“ fteht indeß in zu mannidhfadh eins
greifenden Beziehungen zur Gegenwart, behauptet eine zu
eigenthümliche Stellung felbft in der Zagsliteratur, ent:
hält zu viele Artikel von Wichtigkeit für Wiſſenſchaft
und Leben, als daß nit bei ihm eine Ausnahme ge⸗
macht werden dürfte, ja müßte. Es if in großen Krei⸗
fen mit Vorliebe aufgenommen, in einem großen Xheile
Deutfchlands, hauptſaͤchlich aus äußern — die Anfichten,
welche es vertritt, wenigftens theilmeife von vornherein
techtfertigenden — Gründen wenig bekannt gemorden.
Nicht felten üÜberficht die Blindheit der Vorliebe feine
Schwächen und ebenfo oft wird es verfannt, gering:
ſchaͤzig beurtheilt in der Blindheit der Unkunde. Unbe:
dinge gelobt von den Anhängern des oberflächlichen und
leidenſchaftlichen Liberalismus, dem Alles recht iſt, was
irgendwie feinen Anſichten oder Worurtheilen engegen:
kommt, und ebenfo unbedingt getadelt von den offenen
oder heimlichen Gegnern jeder freiheitlihen Entmidelung,
bat es Freunde, die ihm nicht zu neiden find, Feinde, Die
für feinen Werth zeugen. Es vertritt eine der vornehm:
ften politifhen Richtungen der Gegenwart, feine Heraus⸗
aber waren von Anbeginn feines Erſcheinens und fchon
vor demfelben in al ihrem Thun Gegenſtaͤnde eifrigfter
Anfeindung wie Belobung, fodaß natürlicherweife die Lei:
denfhaft um fo mehr in das Urtheil auch über biefe
ihre wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen und deren Ergebniffe
und Erfolge ſich einmifchte. Indem es gilt, ihr und ih⸗
ver politiſchen Meinungsfreunde umfangreiches Werk zu
befprechen, wird ed vor Allem darauf ankommen, folche
Standpunkte zu gewinnen, bie es dem Lefer fo Leicht
als möglich machen, fich felbft ein eigenes freies Urtheil,
unabhängig von dem des Berichtenden, zu bilden, fo ent:
ſchieden er das feinige auch ausfprechen, fo entfchieben er
etwa felbft feine Überzeugung hinſichtlich der Fragen durch⸗
ſcheinen oder hervortreten laffen mag, um beren Erörterung
der Inhalt des in Rede ſtehenden Werks fich dreht.
Es iſt vollkommen richtig, gerecht und wahr foll ber
Berichtende, Urtheilende, der politifche Schriftfteller fein,
nicht parteiifh: das aber foll man nicht fodern, daß er
auch parteienlos fei bei Tagsfragen, politifchen zumal.
Die Zeit der überhochverfländigen Beurtheiler und Wil:
fenfhaftsmänner ift vorüber, die ſich damit brüfteten, vole
die Phrafe lautete, den Standpunkt über den Parteien
zu nehmen, die fich Eurzfichtig wie felbftgefällig einbildeten
es zu können, während fie blos außer den Parteien biies
ben, zu rechter Kenntniß von feiner berfelben, zur Faͤhig⸗
keit nicht gelangten, die eine ober andere zu würdigen —
und die, ohne baß fie es merkten und wollten, felbft
eine, die der mitten in Leben Erſtatrten bildeten, ober
vielmehr duch ihre nebulofe quafizolympifhe Theilnahm⸗
loſigkeit und Gleichguͤltigkeit eine der thätigen und ener⸗
gifchen verftärkten, die andere laͤhmten. Ihre Phrafe, the
ganzes Reden und Gebahren ift auch oft nur Grimaſſe,
Heuchelei, Fuchsrede und Fuchsmiene. Sie wollen bie
Zahl Derjenigen möglichft verringern, die zum Nachdenken
über das Öffentliche Wefen erwachen, anfangen, eine Mei:
nung zu haben und zu fireben, der Überzeugung, für
welche fie fidy entfchleden, Eingang zu verfchaffen, was
im Grunde fon ebenfo viel ift als auf die freifinnige
Seite treten. Im Übrigen fel ausdruͤcklich bemerkt, daß
e6 allerdings cu ein unechted, unedles, verwerfliches
Parteinchmen, das der vom fchlechten Parteigeifte Bes
berrfchten gibt, die nady ber Reinheit ihrer Zwecke, ſowie
der Mittel, diefelden zu erreichen, nicht fragen und dem
Gegner weder Wahrheit noch Gerechtigkeit fchuldig zu
fein glauben. Bon Solchen und deren Treiben iſt jedoch
hiee überall nicht die Rede. Unſere Überfiugen aber —
find fie ehrlih, fo fehen fie den Wald vor Bäumen nicht,
fehen nicht, daß fie ſelbſt am Schlepptau einer Partei — ber
126
1)
freiheitfeindlihen — gefuͤhrt werben, der Richtung und
den Zwecken bderfelben ſich dienſtbar machen, indem fie,
den Wuͤnſchen der eben genannten Partei gemäß, entwe⸗
der überhaupt nichts Beſtimmtes wollen und auch An:
dere zu biefer Unvernunft und Schwäche vermögen, oder
aber — hierdurch zugleih unmittelbar einer freilich fehr
flüffigen Partei fih anſchließend — vom einen Gegenfape
Dies, vom andern Das adoptiren und fo ihren Standpunft
bei der Mitte nehmen, die als bie rechte Brüde gelten
kann, ein wahres beutfches, Givilifation und Despotie in
fi Yereinigendes Reich ber Mitte zu uns herüberzufüh:
ten, das dur den Glanz der Berfeinerung des Lebens
und Wiffens über den Sieden und die Faͤulniß der Dienft:
barkeit, Unehre und innern Schwäche deſſelben, dusch den
Schein ber Freiheit über deren Mangel täufcht.
Man hat aber die Augen aufgethban; bie Zeit iſt
vorüber, wo bie Bürger im Staat, die Bürger In der
Gelehrten: Republik etwas galten, mit Hutabnehmen bes
grüßt wurden, die mit verfchränkten Armen ſich hinſtel⸗
ien, zu fchauen, wie die Andern des Tages Laſt und Dige
tragen, und den Arbeitenden und Kämpfenden mit weiſer
Miene zurufen, den Singer an der Naſe nachrechnen,
wie. felbige fi rühren, die Laft tragen müßten, ohne
außer Faſſung zu kommen, welche Fehler fie in der Hitze
begangen. Jedes Kind weiß ed nachgerade, daß Die
Troͤpfe gar nichts davon verftehen können, well man es
nur durch Mitmachen lernt, daß fie Tediglih im Wege
fliehen und heimzumeifen find, glei dem mäßigen faulen
Haufen, ber beim Feuerloͤſchen Maulaffen feil hat, Eluge
Anweifungen gibt, .. Betrachtungen anftellt, weifen Tadel
ausfpricht, die Thaͤtigen hindert und den Dieben das
Handwerk erleichtert. Die wahren Gründe, weshalb viele
unferer gelehrten Deren fo hoch in.die Lüfte fleigen, daß
fie nur noch ſehr undeutlich fehen, was bier unten bei
uns vorgeht, find theils im deutfchen Zopfe, theils und
vielleicht ganz befonders in ber. Furcht zu fuhen. Wer
eine felbftändige Anficht gewinnen und ausſprechen will,
zumal im heftigen Streit der Anfichten, muß freien
Geiſtes, muß mit Ruhe überlegen und wägen. Allein
ber Geiſt ift kein freier, der Furcht, : Bedenklichkeiten,
Rüdfihten auf fih einwirken läßt. Die echte, zum
Pruͤfen und Urtheilgewinnen nöthige Ruhe {ft nicht die
der Gleichguͤltigkeit, die nicht erfährt, wie es Andern zu
Muth, vote es hHergeht im Gewühl, ſondern bie des
Ernftes, ber ſich in die Dinge vertieft, der Wärme, die
Luft daran hat, der männlihen Wahrheitsliebe, die mit
dem Bewußtſein und der Kraft einhergeht, das Mechte,
Probehaltige zu ſuchen, die Flecken felbft an der eigenen
Sache, weil fie ihre fehaden, nicht zu ſchonen, mit falfcher
Kunft, Lift, Lüge Niemanden zu Liebe, Niemanden zu
£eide zu reden, reden zu wollen. Aus mohl überlegten
Gründen fol man einer Sache, einer Meinung anhän:
gen. Iſt es der Fall, fo vertraut man ber Güte, Ge:
rechtigkeit, Wahrheit derfelden, und iſt man meiter weder
Thor noch Kind, fo fieht man ihren Schwächen offen
ins Auge und leugnet fie nicht. Wer nicht fo Partei
genommen, beffen Urtheil, deffen Meinung und Rebe
’
"und ruͤhmt fih ihrer mit Recht.
bat und kann überhaupt keinen Werth haben; wer aber
fo Partei genommen, deſſen Urtheil iſt allerdings nicht
untruͤglich, nicht Gebot, aber gerade geeignet, zur Wahr:
heitserfenntniß zu führen.
Wir veden mit Denen nicht weiter, die ben Heraus:
gebern und ihrem Werke das Parteinehmen an fich felbft
zum Vorwurfe machen möchten und außer echtem Wahr:
beitsfinne und Streben nor den Ergebniſſen audy bei
diefen keine Entfhiedenheit dulden wollen, jeme fogenannte
objective Ruhe, jene Haltung über den Parteien und
Parteilämpfen fodern, die bier an dem Faden bins und
herſchwankender Discuffion nur zu refultatlofen Ergebnif:
fen, zu einer in. allen möglihen Karben fpielenden und
keine haltenden Sammlung von allerwelts politifchen Bei:
trägen geführt haben, wobei in jedem Kalle ein Opus
berausgelommen fein würde, dergleihen da® ‚„Staatsleri-
kon“ eben nicht fein wollte, ein Opus, das in den Kreis
fen, für die ed beflimmt war, entweder nicht gelefen
wäre, oder nicht hätte wirken koͤnnen, was «6 gerade
wirken follte. Das „Staatslexikon“, die Herabwuͤrdigung
der Staatswiffenfhaft zur Parteiſache verfhmähend, ift
beſtimmt, die wiſſenſchaftlich begründete pofitifche Anſicht
einer Partei zu vertreten, und behandelt in diefem Sinne
allerdings feinen ganzen Stoff und zwar mit Bewußt⸗
fein parteinehmend, bringt nur folche Artikel, welche im
Wefentlihen die politifhe Richtung der Herausgeber ein:
halten, oder aber, deren Verf. dem Syſteme der conftitu:
tionnellen Monarchie zugethan find. Das ift gerade eine
feiner wefentlichften Eigenthuͤmlichkeiten und in diefer Ei:
genthümlichkeit ein Vorzug. Die Partei, von welcher es
ausgeht, hat entichiedene Anfidhten und Tendenzen. Da:
duch wird diefer Vorzug ein noch größerer.
Doch mir müflen, um feinen Charakter und feine
Bedeutung genauer zu erkennen, die Perfönlichleit der
Herausgeber, ihre politiihe Anfhauung, Plan und Be⸗
flimmung des Werks und was darauf bezüglich fein mag,
‚näher ins Auge fallen. Was das Erſtere betrifft, fo
würde die Anwendung der Regel: non quis, sed quid!
bier ein Fehler fein.
Deutfhland verdankt feiner Wiſſenſchaft und deren
Nepräfentanten und Foͤrderern unleugbar Großes, freut :
Allein es läuft auch
gerade bei diefem Punkte viel leerer Dünkel mit unter;
gerade bier Keen wir uns nur zu ſehr durch das Me—
dium von Suufionen bei der Nafe führen. Nur zu
‚lange fhon, feit den Zeiten des Verfalls und Sinkens
der deutfchen Freiheit und Einheit und der damit ver⸗
bundenen Verlümmerung des Nationalgefühls und Na⸗
‚tionalfolges, wendeten fih nur zu viele Wiffenfchafte-
- männer vom Leben hinweg, wurden kalt und gleichgültig
gegen die nationalen Intereſſen und in Folge davon auch
unbelannt mit denfelben. Dies Ungefchid, diefe Verir⸗
ung des deutſchen Ernſtes, Tiefſinns und Wahrheite:
finns hieß dann: die Sachen rein wiſſenſchaftlich behan⸗
dein, allein die MWillenfhaft vor Augen haben — Die
dann bald in eine oft feichte Gruͤndlichkeit, bald in Grü:
belei ausartete, ein Abftractum wurde, womit dem gemei⸗
127
un Weſen nichts gedient, das ihm oft fhablid war.
Aber die Eitelkeit der Gelehrten that fich nicht wenig
darauf zugurte, fie ließen ſich bei dieſer ſchwachen Seite faſſen,
ſich nur zu oft direct gegen die nationalen Intereffen ge:
brauchen. Natuͤrlich muß jede Macht, weiche ein fremdes
oder eigenes Wolf gegen die Intereſſen defjelben beherrfchen
wit, danach tradyten, den Nationalgeiſt fich unterwärfig
zu machen. Mod mehr als von andern Voͤlkern gilt
id von dem fo eminent zum Denken binneigenden
Deutſchen, und die hoͤchſte Potenz bes Denkens iſt bie
Bifimfchaft. So tft es denn das Intereffe folder Macht,
daß die letztere dem Leben entfremdet werde, die auf das
öffentliche Leben bezüglichen ragen entweder feitwärts
iegen läßt oder fo behandelt, daß der Volksſinn dadurch
verwirrt oder doch micht aufgeklärt, wo möglidy von ihnen
hinweggelenkt wird. Boufländig erreicht die hertſchbegie⸗
tige Macht ihren Zweck, wenn fie erwirft, daß Die Doctrin
in den Punkten, woran ihr gelegen, in ihrem Sinne
ſich ausſpricht und fo das Volk gewinnt. Um dieſen
Zweck zu erreichen, ſchmeichelt fie nicht felten den Gelehr⸗
ten, beruft, fördert, belebt fie, läßt ihnen Freiheit und
Seibſtaͤndigkeit der Beiftesbewegung auf den Gebieten,
wo dir freie Geiſtesbewegung ihr unnachtheilig zu fein
f&eint, und zumal auf der Bahn, in melde fie zum eiges
nen Nutzen hinelnlenkt, auf welcher fie ihnen wenigftend
gern forthilft. Dann wird fie von den Repräfentanten
der Wiffenfhaft gepriefen, fie liegen ihr zu Süßen, fie
rühmen fie gar als Bönnerin der Wiffenfchaft, als Schüge:
rin der Geiftesfreiheit, verzeihen ihr und lehren ihr alle
Sanden verzeihen, die an fid) geeignet genug wären, bie
Augen über fie und ihre Zwecke zu Öffnen. Daher ber
häufige dienende Sinn und die Dienftbarkeit der deut⸗
ſchen Gelehrten, dies die Gefahr, die ſchlechte Seite un:
ſerer Wiſſenſchaft, die nad der Reihe allen Feinden un
feree Nationatintereffen zum Werkzeuge fich bergegeben
dat. Sie diente der Hierarchie zur Stüge, fie gab fi
ber, die deutſchen Rechtsideen und Anftitutionen zu vers
wirren, zu untergraßen, bie undeutfchen Vorſtellungen
von unwmfchräntter Fuͤrſtenmacht einzuführen, zu befeſti⸗
gm. Das Papſtthum fland ben deutſchen Intereſſen
entgegen, machte jede Beſſerung unmoͤglich — deutſche
Gelehrte haͤtten gar zu gern die Reformation verhindert,
ſtelten ſich auf des Papſtthums Seite: denn welch ein
Fitderer der Wiſſenſchaft war doch Leo X.! Deutfche Ges
ſehrte priefen Ludwig XIV., leifteten feinen Planen gegen
Deutſchland — meiſthin freilih, ohne etwas von benfel:
ben zu merken — Vorſchub, denn wie ruhmwuͤrdig ver:
ſammelte er Dichter und Schriftftellee um fi ber!
Deutſche Gelehrte priefen Napoleon, erleichterten dadurch
feine Invaſionen, befeftigten dadurch die Fremdherrſchaft
mit ihrem Elende und ihrer Schande. :
Wollt Ihr der DBeifpiele noch mehre, noch ausführs
lihern Nachweis? Der Raum fehlt bier dazu. Aber
freilich wäre es leider nöthig genug, daß diefe Schatten:
feite mehr und mehr beleuchtet würde. Wir kennen un:
fere Geſchichte noch gar wenig, haben fie vergeffen, haben
erſt Bruchſtucke der echten, fie iſt durch und durch ver:
faͤlſcht, muͤhſam wird das Erz der Wahrheit erſt wieder
hervorgegraben, und wie lange wird es noch waͤhren, ehe
ſo manche falſche, der Wahrheitserkenntniß entgegenſte⸗
hende Vorſtellung aus den Koͤpfen wieder entfernt iſt.
Auch das iſt zum großen Theile die Schuld der deutſchen
Gelehrten, jener Richtung der Wiſſenſchaft, auf melde
fie häufig am meiſten ſtolz find.
Das „Staatslexikon“ ift num aber aus ber entgegens
gefegten Richtung hervorgegangen, welche die Wiſſenſchaft
mit dem Leben in Verbindung zu fegen, im Wolle wirt:
fam, den nationalen Intereffen förderlich zu machen trachtet,
vorzugsreife die Staatswiſſenſchaft und was mit berfelben
zufammenhängt. Leicht erflärt ſich hieraus die Ungunft,
mit melcher es Seitens der zunftmäßigen und der bdienft:
baren Gelehrten aufgenommen wurde, eine Ungunft, die
fi) indeß weniger durch offene Angriffe ald durch vor=
nehmes Ignoriren und bdergleihen kundgegeben hat. Zum
großen Theile war es eben nur die Verkehrtheit, der
Duͤnkel der Schulweifen, ber ſich ausfprah, wenn mies
betiebig bemerkt wurde, ein folches Dereinziehen der Wil:
fenfhaft in die Ragsfragen fei doch unwiſſenſchaftlich,
wenn man [pötteln hörte über bie flaatögelehrten Bürger
und Bauern, die das ‚„Staatsleriton’ bilde, oder wenn
verlautete, man hätte body eine tiefere Begründung, eine
vielfeitigere Behandiung gewuͤnſcht. Die praktifhe und
beſtimmte Richtung des Werks und ber Derausgeber er:
regte Verdruß. Die Lestern hätten etwas wollen und ge:
ben follen, was fie gerade nicht wollten und geben wollten.
Damit ja die politifche Weisheit und ſtaatswiſſenſchaft⸗
liche Bildung — fo viel deren in der Gelehrtenwelt vor:
handen — monopolifirt biiebe, damit ja feine faßliche
entfchiedene Anficht und Geſinnung in beflimmten größern,
Kreifen fich feſtſehe, hätte man lieber ein Buch, nicht für :
den Mittelftand, fondern für die Gelehrten, oder doch
mindeftens eine Encyklopaͤdie gehabt, in welcher alle moͤg⸗
lichen Anfihten und Richtungen vertreten geweſen waͤren.
Doc genug von diefen Anfprühen und zur Würdigung
bes aus ihnen bervorgehenden Tadels.
(Die Bortfegung folgt.)
Biographia britannica literaria.
Ein intereffantes Werk ift die von Thomas Wright herausge⸗
gebene „Biographia britannica literaria; or biography of literary
characters of Great Britain and Ireland, arranged in chrono-
logical order (Anglo - Saxon period)”. Die Biographien darin
find leider etwas mager und troden ausgefallen, namentlich
find die des Beda, Dunftan und Johannes Ecota mangelhaft,
doch finden fi auch in diefem Theile des Werkes manche bans
Eenswerthe Angaben. Wir theilen bier einen Diaiog zwiſchen
Alcuin und feinem Zoͤglinge Pipin mit, aus St.⸗Preſt's
„Bssays on tbe middie ages“ entnommen:
. Was ift der Simmel?
Eine bewegte Sphäre, eine unermeßlihe Wölbung.
Was iſt Licht?
Der Erleuchter aller Dinge.
Was ift der Zag?
Eine Auffoderung zur Arbeit.
Was ift dic Sonne?
Der Glanz des Univerfums, die Schönheit des Fir:
RSRERERE
128
maments, die Bierbe der Ratur, bie Blorie te) Himmels, ber
Vertheiler der Stunden.
P. Was ift die Erde?
% Die Mutter alles Werdens, die Ernaͤhrerin alles Bes
ftebenden, der Fruchtſpeicher des Lebens, der Abgrund, welcher
Alles verfäplingen muß. |
. Was ift die Ser?
A. Die Straße bes Beherzten, die Grenze der Erbe, bie
für die Fluͤſſe beſtimmte Heimat, die Quelle des Regens.
P. Was ift der Winter?
4. Das Eril des Sommers.
P. Was ift Lenz?
A. Der Maler der Erbe.
Y. Was tft Sommer?
A. Die Kraft, welde bie Felder bekleidet und bie
Fruͤchte reift. J
P. Was iſt Herbſt?
A. Der Kornboden des Jahres.
P. Was iſt das Jahr?
A. Der vierſpaͤnnige Wagen ber Welt.
Sntereffanter als die Biographien find die literarhiftorifchen
Skizzen. Hören wir, was der Verf. über die Sagen und (Epos
pden der Angelfahhfen fagt: „Die Sagen ber Angelfachfen neh:
men biftorify benfelben Play wie bie Iliade oder Ohyſſee ein.
Ihre Gegenftände waren entweber ausſchließlich mythologiſchen
Charakters, oder geichichtliche Thatſachen, weiche in ihrer Ubers
lieferung von Zeitalter zu Zeitalter eine mythiſche Form annah⸗
men. Beomwulf z. B. ift wahrſcheinlich nicht viel mehr als eine
fabelhafte Perſon, ein zweiten Hercules, welcher Ungeheuer von
jeglicher Art vertilgt. Keine ſeibſtiſchen ober ſchwachen Gefühle
kommen jemald mit feinem biberben Deroismus in Kampf.
Muth, Freigebigkeit und Treue find feine Zugenden. Der
Feige, der Knider, der Berräther werden, wo auch ihrer Ers
wähnung geſchieht, mit den ftärkften Zeichen des Abſcheus ges
brandmarft. Das ſchwaͤchere Befchleht nimmt zwar kaum an
einer Handlung Theil, wird aber ‚mit ber dußerften Zartheit
und Ehrfurcht behandelt. Die Verwidelung des Gedichts ift
ebenfo einfady als kuͤhn. Unter den andern Sagen hat die von
Finn die gegenfeitigen Beleidigungen zweier feindlichen Stämme
zum Gegenftanbe, wie die gegenfeitigen Radyethaten, welche fo
lange wiederholt werden, bie ber eine Stamm befiegt und des
andern Stammes Knecht geworben. Hier und ba treten die
Zrauen thätiger und Eräftiger hervor. So behandelt die Sage
vom Offa die Verinählung eines Könige mit einer Waldnymphe
und ben Haß, melden feine Mutter auf biefe warf, eine Sage,
weiche ſich in den Balladen des 13. Jahrhunderts häufig. wies
derbolt.” Der Verf. weift bei diefer Gelegenheit aud) auf das
Gedicht der Nibelungen bin, worin zwei Koͤnigsfrauen eine fo
bervortretende Roll fpielen. Diefe Dichtungen blieben auch
fpäter nicht ohne Ginfluß; einige berfelben gingen in die Ge:
ſchichte über, andere wurben mit Localtrabitionen vermifcht,
noch andere arteten zu Kindermärdyen aus. „Als die Sachen”,
fährt der Verf. fort, „fih immer mehr mit den Britanniern
verfchmolgen und identificirten, wurben bie Erinnerungen an
ihre Heimat immer weniger lebhaft, die bamit verbundenen
ieferungen immer unbeflimmter; fie fingen an, den Sinn
vieler alten Legenden zu vergeſſen, obgleich biefelben noch woͤrt⸗
Kid vom Water auf den Sohn übergingen. In Zeiten wie
diejenigen, von mweldyen wir fprechen, ja mehr ober weniger zu
allen Zeiten, verbindet der Volkegeiſt fletd die Traditionen mit
irgend einem Gegenftande, weldyer immer vor Augen liegt, und
fo wurden bie alten Sagen an neue Drte verlegt. Ein befons
derer Stamm, welcher eine alte Legende mit fidy gebracht hatte,
deren wirkliche Scene an ben Küften der Dftfee ſich befand, bes
trachtete diefelbe, nachdem er einige Beit in England ſich nieder:
gelaffen, als eine Sage, bie einzig und allein mit dem gegens
wärtig von ihm bewohnten Orte in Verbindung flänbe, und voll:
endete den Irrthum, indem er ben Namen feines Gtammess
«
beiden irgend einem Gegenftande in ber Nachbarſchaft als
Stempel aufvrüdte. Go entflanden foldge Namen wie Urimesby
in Eincoinfhire, Wade's Gaftte im Norben, welche ihre Ramen
von Havelof’s vermeintlidden Pflegeſohn, biefes von einem Hei⸗
ben der Sachſen oder des Nordens empfingen, deren Legrude
gegenwärtig verloren zu fein feheint, obgleich fie noch bis vor
etwas mehr als zwei Jahrhunderten befannt war. &o wurde
auch dic Legende von Weland nad Berkſhire verpflangt. Auf
biefelbe Weife vermengte man die Ongeln ober Angeln, welche
früher im Schleswigfchen faßen,, allmälig mit den Oftangeln in
England, und fo wurde bie Sage vom Könige Offa, einem ber
alten Angel: Bürften ober = Helden, durch den Geſchichtſchreiber
Matthias Paris, in das Leben eines Offa, Königs der Angeln
auf unferer Infel, umgebilbet. Durch einen aͤhnlichen Proceß
feinen die neuen Sagen von Havelok, vom König Atia, weiche
noch im Anglo: Rormännifchen und Lateinifchen vorhanden, aber
in keinerlei Form edirt find, und vielleicht alle andern anglo-
normännifchen Sagen entftanden zu fein, weiche ben Cyklus bil
den, den man gewoͤhnlich in bie Periode der vaͤniſchen Inva⸗
fion verlegt.’ Gpäter, bemerkt der Verf. wurden diefe Sagen
dadurch noch mehr verzerrt, daß man fie zu Kindererzählungen
umgeftaltetes fo ſcheint ihm ber berühmte Jack der Ricfentödter,
der in den Ammenmärden cine bedeutende Rolle fpielt und ein
ſehr populairer Held ift, nichts Anderes als der große Gott
Thor zu fein. 13.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Wir machen den franzöfifchen Reifenben, namentlich denen,
bie uns befudyen, gewoͤhnlich den Borwurf, daß fie zu leicht:
fertig find, un) doc laſſen unfere Weltfahrtler und ⸗Spazier⸗
gänger, was Geidhtigkeit und Fluͤchtigkeit betrifft, gewiß nody
die federfertigen I. Ianin und Aler. Dumas hinter fidy, der,
wie eö im „Charivari” heißt, jest von den Reimpressions des
impressions de voyage lebt. So oft ein Franzoſe feine Wer
tradhtungen über Deutfchland zum beften gibt, fo flöbern wir
forgfättig auf, wo er einen Irrthum begangen bat, und reiben
uns dann vergnügt die Hände. Gegenwärtig erhalten wir nun
ein Werk, in dem unfere fdharffinnigen Krititer gewiß audy
manche Flecken und Mängel nachweiſen werben, dem man aber
den Bormurf der Leichtfertigkeit nicht wird machen fönnen. Es
führt den Zitel: „L’Allemagne agricole, industrielle et poli-
tique”. Der Verf. diefer intereffanten Schrift, Emil Jacques
min, kennt Deutfchland aus eigener Anſchauung. Er bat es in
den Jahren 1840— 42 bereift, und der „Moniteur universel‘*
ſowie einige andere franzdfifche Journale haben zur Zeit einige
Proben aus feinen Reifeeindrüden mitgetheilt, die nicht ohne
Intereſſe waren. Wie der Titel fchon andeutet, wendet Jac⸗
quemin den Punkten, die dem flüchtig Neilenden gerade am
leichteſten entgeken, namentlich den landwirthfdgaftlichen und ine
duftriclien Fragen, bie für die Gegenwart eine fo hohe Bedeu⸗
tung haben, eine befondere Aufmerkfamkeit zu. Ramentlidh
finden wie in feinem Werke ein fehr gluͤckliches Bild von den
Bortichritten, welche die Agricultur in Deutfchland gemadht bat.
Außerdem verdienen die Bemerkungen, die der Verf. über die
Sommunicationswege, namentli über die Eifenbahnen und Ka⸗
näte macht, befondere Beachtung.
Unter den zahlreichen franzoͤſiſchen Werken, die wir über
die neuere Gerichte Frankreiche in d. Bi. erwähnt haben, ift
uns die „Histoire de la revolution, du consulat, de l’empire,
de la restauration et de la dynastie de juillet jusqu’en 1841
von Vivien, ganz entgangen. Wir nehmen baher jest, wo der
vierte und legte Band davon erfcheint, die Gelegenheit wahr,
auf diefes empfehlenswerthe Wert aufmerffan zu machen. Vivien,
der Deputicter ift und ſich durch eine Bearbeitung von W. Scott
befannt gemacht hat, folgt ber Einie eines gemäßigten side:
ralismus.
Verantwortliger Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Berlag von 8. X. Brodhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung,
Donnerdtag,
2. Bebruar 1843.
..
über das Staatdlerifon von KRotted
und Belder.
(Bortfegung aud Pr. 22.)
Die literarifche Thaͤtigkeit Rotteck's und Welderd —
befondere die des Erſtern — war von Anfang eim lite:
ratiſches Wirken für die nationalen Intereſſen, die gros
fen Bedürfniſſe der Zeit, abhold dem vorgeblich ibealen
Streben, das jede Wiſſenſchaft nur um ihrer. felbit willen
treibt, auf die politifche Entwidelung des Volks gerich⸗
tet — eine große Sünde in den Augen unferer Weifen
' ‚und darüber. Beide wurben aud praktiſch thätig für
jene Entwidelung als Volksvertreter, und festen auch
als folche ihre Perföntichkeit, ihre aͤußere Stellung für
ihre Ideen ein: eine Hingebung, ein. Verdienſt, welchem
Diejenigen freilih keinen Geſchmack abzugewinnen ver:
mögen, welche die Willenfchaft fo treiben, daß fie nim⸗
mer in einen Conflict gerathen, durch welchen fie veran⸗
laßt oder genöthigt werden möchten, ihre Haut zu Markt
zu tragen. Motte und Welder thaten, was nit Jes
dermann gegeben ift, und welche Irrthuͤmer, welche Mis⸗
griffe man ihnen — gerade wie Politikern, Autoren und
Staatemännern entgegengefegter Richtungen — mit Recht
mag vormwerfen Eönnen: rein fteht ihre Wille, Streben,
Charakter da; ihre Perföntichkeiten wurden ſtarke Bürg:
fhaften für das „Staatslexikon“, als fie daffelbe nady Ihrer
Amtsentfegung begannen, zum Dienſt des gemeinen Me:
ſens nach ihrer Idee, anderweite literarifhe Plane, Lieb:
Imgeplanne, zuruͤckſtellend, allerdings nicht vorzugsweife
oder gar lediglich im Intereſſe der Wiffenfchaft, fondern
im Intereffe des Lebens, der nichtſtudirten Volksabgeord⸗
neten, Waͤhler u. f. w. und — aud der fiudirten Der:
ten, die fo oft in den Fragen des öffentlichen Rechts
feinetwegd fonderlih zu Daufe find. Die Geſchichte ber
Entficyung des ‚‚Staatsleriton’’ gehört zu den wefentlichen
Zügen feines Charakterbildes. Die Gerechtigkeit fodert,
daß er beim Sefammturtheile nicht uͤberſehen werde.
As auf eine weitere Serechtigkeitsfoderung mag an
dieſer Stelle fogleidy darauf Hingewiefen werben, daß
man nicht aufer Acht lafjen dürfe, daß das Werk zur
It der Blüte der Meactionsperiode des vorigen Jahr:
zehnde entfland, gemwilfermaßen als ihr angehörend be:
teachtet werden muß. Kin Wiederabbruc der bisher er:
fchienenen Bande, mie er vor einiger Zeit angefangen
iſt, genügte daher auch fhon aus diefem Grunde freilich
nicht, ein Theil des Inhalts hätte ſchon eben deshalb
ber Umarbeitung bedurft. Sodann iſt hier nicht zu vers
gefen, daß das Opus ganz und gar dem, beiläufig, ſehr
ehrenwerthen MWiderftande gegen jene Reaction eignet und
alfo nur unter vielfach ungünfligen dußern Verhältniffen,
unter großen Dinderniffen begonnen und fortgeführt wer⸗
den konnte. Mer Eennt fie nicht? Die Bücher und bie
Zeitblätter werden freilich nicht beffer durch fie. Sie ber
deden aber auch die Mängel, verbieten die Mäkelei an
den Mängeln, die ihre Folge find. Es gibt Umſtaͤnde,
unter welchen ſchon viel Liebe zu einer Sache und große
Selbſtverleugnung bazu gehört, flatt Balt, furchtſam oder
grollend zu ſchweigen, mit einem Buche hervorzutreten
im vollen und gerechten Bewußtſein, e6 befier, weit befs
fer maden zu können. Cine andere Frage ift die, ob
es gerecht und klug war, jene Hinderniſſe zu bereiten.
Wie müffen jedoch bie politifche Anſchauung, bei des
ven Walten das Merk begonnen wurde, noch etwas ges
nauer ind Auge fafien. Das darüber zu Bemerkende
baben wir aus dem von Rotteck verfaßten Vorworte zu
entnehmen. Rotteck's Anfichten find im Allgemeinen bes
kannt genug. Es kommt bier nur in Betracht, wie er
1834 über die Lage der dffentlihen Dinge dachte. Es
war eine Zeit der Misverſtaͤndniſſe — wer wäre jegt
nicht längft zu dieſer Erkenntniß gekommen? — die Zeit
einer Reaction, bie fi) dafür ausgab, gegen eine auf Ums
flurz finnende Partei gerichtet zu fein, jedenfalls aber Die
freiheitliche Gefinnung mittraf, die auf geſetz⸗ und verfaſ⸗
fungemäßigem Wege nach einem mäßigen Ziele, dem Rechts⸗
ſtaate, der conftitutionnellen Monarchie, hinftrebte. Rotteck
ſchaute die Dinge düfteren Blickes an. Er rechnete wenig auf
die erwa zu hoffende Abfpannung der Federn, welche die Uns
terdrüdungstendenz fo ſtark wirken ließen. Auf eine Ent>
widelung, wie fie fpäterhin eingetreten, mochte er Beine
Hoffnung fegen. In Preußen war noch fein XThrons
wechfel eingetreten, in Franktreich fein Kriegelärm gemacht.
Man konnte noch nicht an die Bedeutung, die Kolgen
des Zollverbands denken, wie fie jegt vor Augen liegen.
Niemand ahnte den Umſchwung, den wir feit ein paar
Jahren erlebt haben, der doch nicht gering iſt, ob er auch
überfchägt wird. In der Republit und dem Abfoluties
J
190
mus, ber Unterdrüdung und Umwaͤlzung ſah er gleich
großes Verberben. Es ſchien ihm, die unermeßlihe Mehr:
zahl der Liberalen — die biöher treu am Spfleme der
conftitutionnellen Monarchie gehangen, in ihr die fchönfte
und zugleich gefahrlofefte Verwirklichung bes Ideals eines
Wechtsſtaats erblicdt und den Sieg jenes Syſtems auch
nad) oft erfahrenen bittern Taͤuſchungen und Fehlfchlagun:
gen gehofft — habe jegt entweder bie Hoffnung aufge:
geben oder fei nahe daran es zu thun, und zwar fo, daß
der Streit, welcher früher blos um mehr oder weniger
echte Darftellung der Repräfentativverfaffung unter mons
archiſchem Haupte, blos um Fortſchritt oder Stillſtand
geführt worden, nunmehr ein Wertilgungslampf zu wer⸗
den drohe, ein Kampf auf Leben und Tod zmifchen Thron
und Sreiheit, Abfolutismus und Republik, Sultanismus
und Demagegie.
Bor fo troftlofer Ausficht, fo fchrediiicher Alternative,
meinte er, müffe jeder Wohldenkende, jeder Freund des
Baterlandes und der Menſchheit erfchredien, jeder fich
aufgefodert fühlen, fo weit feine Kräfte reichten, dem Un:
heil entgegenzutreten. Die ficherften Beſchwoͤrungsmittel
des nahenden Sturms, die Mittel zur Derftellung bes
innern Friedens fand er in der moͤglichſten Verdeutlichung
des Mechts durch freie Diseuffion und in der möglichft
Haren Anfhauung der wirklihen Weltlage.. Die Wohl
gefiunten und Belonnenen auf beiden Selten würden
doch annähernd darüber fich verfländigen Binnen, fie wuͤr⸗
den den Ausfchlag geben, fobald es geſchehen. Dort, auf
jener Seite, könne die Reaction, der Abfolutismus, body
nicht als ein Gutes an fich begehrt werden; bier auf
dieſer muͤſſe man die Errichtung der Republik theils für
unmoͤglich, theils wenigftens für hoͤchſt gefahrvoll und
nur auf dem Wege eines gemwaltfamen Umflurzes gedenk⸗
bar, mithin vom Standpunkt des Rechts oder der Ge
ſetzlichkeit als verwerflich erkennen (mas freilich auch von
gewiffen Angriffen auf die conflitutionnellen Berfoffungen
gilt). Auf abfolutiftifchere Seite könne man am leichte:
fien durch die That beurfunden, mas man wolle, was
von bort zu hoffen — durch Nechtsanerfennung und
Gewährung, zumal durch Geflattung des freien Worte
und der Öffentlichkeit, was bie Aufrichtigkeit der guten
Sefinnung beweifen würde. Die Mohlgefinnten unter
den Liberalen aber möchten entgegenfommend, unverhohlen
und Mar ausfprechen, was fie verlangten, wuͤnſchten, fos
derten, folche Foderung befchränken auf Dasjenige, was
im Recht begruͤndet fei und ohne Rechts- und Volke:
verachtung nicht verweigert werden könne. Durch Auf:
ſtellung ſolcher Foderungen möchten fie ein politifches
Glaubensbekenntniß verfünden oder ein Panier auffteden,
um welches alle Gemäßigten und Leidenfchaftlofen unter
ihnen fich fammeln könnten, und welches dann al& ver:
derblich, als Thronumſturz, Ummälzung drohend zu er:
klaͤren, um durch vorgegebene Furcht vor ſolchen Greueln
die Reactionsmaßregeln zu rechtfertigen, nur noch die lei⸗
denſchaftlich und unheilbar Verblendeten der Reactions⸗
partei ferner den Muth haben wuͤrden.
Aus dieſer Anſicht ging nun der Plan des „Staats:
lexikon“ hervor, aus ihr ergeben fich feine Hauptzwecke
von ſelbſt. Es folte die Grundfaͤtze, Richtungen und
Intereſſen der conjlitutionnellen Monarchie, als der nach
den Ergebniffen der Theorie und den vaterländifhen Ver⸗
hältniffen volkommenften Form des aatölebens, oder
aber die billigen Friedensbedingungen zwiichen den beiden
Lagern aufftellen und ohne Ruͤckhalt ausfpredyen, was
bie mit dem Ramen der liberalen oder conftitutionnelfen
bezeichnete, der dominicenden Richtung für ultraliberal,
demagogifh, revolutionnair, und wie die Stichworte fonft
hießen, geltende Partei eigentlich, wolle, wände, anfpreche,
fodere. Sein zweiter Hauptzwed follte beftehen in mög-
tichfler Verbreitung ober Allgemeinmachung Plarer, gefuns
der, politifher Anfihten und Richtungen unter allen
Claffen der Geſellſchaft, indem in Zeiten großer und tief
gehender politifcher Parteiung nichts heilfamer fein koͤnne
als die praktiſche Geltung des weifen Solonifchen Geſetzes,
welches bei einheimifchen Entzweiungen jedem Bürger dfe
Neutralität verbot, nichts wuͤnſchenswerther und nöthiger,
als daß die Bürger zur Maren Erfenntnif von Dem ge-
führt würden, was noth thue und wirklich in Frage ſtehe.
Hieraus ergibt fih von felbft die eigentliche, dem
„Staatsteriton‘’*beftimmte Stellung, feine Bedeutung in
der Literatur, Der populaiten gehört und follte es ange-
hören, der zum unmittelbaren Wirken auf das Volk in
der politifhen Sphäre beftimmen. Das Organ einer
politifhen Partei follte e& fein, von welcher es in ber
Anſicht begonnen wurde, vor Allem fei daran gelegen,
def die Ideen gepflanzt, gepflegt, verbreitet würden; im
dem DBertrauen, daß jede Idee den Naturtrieb ihrer Ver
wirklichung in ſich trage, daß die Idee des Mepräfentativ:
ſtaats je nad der Geflalt der Zeit, den beutfchen Ber:
haͤltniſſen, die Wahrheit enthalte und daher fiegen, zum
vaterländifchen Beſten fiegen werde. Man könnte fagen,
e8 war angelegt, dev große Katechismus ber deutſchen po=
litiſchen Reformation des 19. Jahrhunderts zu werden,
die in den conftitutionnellen Verfaſſungen bereits bin:
dDucchgedrungen war, und erwägt man, daß Ddiefer Kate:
hismus der Drganifation einer Gemeinde folgte, einer
bereits vorhandenen, organifirten Gemeinde beftimmt war,
mit andern Worten, daß das conflitutionnelle Syſtem des
„Staatsleriton‘’ beim Beſtehen conftitutionneller Staats⸗
formen gerade die Theorie der Praris, Philoſophie des
pofitiven Rechts iſt, fo wundert man ſich mit Recht über
die unſagliche Gedankentofigkeit, die in dem Geſchrei, dem
Geſchwaͤtze, dem widerfinnigen Zabel, den Einer dem
Andern nachſpricht, ſich fundgibt, die Conſtitutionnellen,
die füddeutfhen Staatstheoretiker fühen es darauf ab,
die Abflractionen eines pubticiftifchen Syſtems in die
Welt einzuführen, erblidten alles Heil allein in gewiffen
individuellen Vorftelungen und Formen, während fie eben
von der Anerkennung thatfählih und rechtlich beftehen:
der Yorm und von dem Beſtreben ausgehen, Diefelbe
durch den ihre angemeffenen eigenthümlidyen — den con:
ftitutionnelien — Gelft lebendig zu machen.
Gerade dies war die Aufgabe des „Staatslexikon“.
Ein folhes Wert war überhaupt noch nicht dagewefen.
Es kam einem fühlbaren Beduͤrfniſſe um fo mehr ent:
ggen, mußte um fo bedeutfamer erſcheinen, da die Zei:
tungen zum Schweigen verurtbeilt wurden und über:
haupt bie Tendenz waltete, bie Werbreitung ber Ideen
des politiſchen Fortſchritts, des conſtitutionnellen Geiſtes
zu verhindern. Es war die außer der Gewalt befindliche
Partei, die hier umd in einem Momente ihr Danier
wipflanzte, wo fie von allen Seiten eingeengt, von fo
Bieten geſchmaͤht, verdächtigt, wo fo manches Mittel in
Wirkfamkeit gefept wurde, ihre Wollen und Streben in
ein falſches Licht zu ſtellen, ihre Loſungsworte zu verdre:
ben, zu misbeuten, wo fie von hundert und wieder. hun:
dert bisherige Anhängern verlaffen zu werden, dem Er⸗
liegen nahe ſchien. Man wird nicht in Abtede ſtellen
Sonnen, daß die Gründung eines ſolchen Werks in einem
folhen Momente niht wenig Muth, Überzeugungsfiger:
heit, Vertrauen in die Wahrheit und Güte ber Idee und
der Sache, die verfochten werden follte, vorausgefegt babe.
Es war eine Zeit, in welcher bie Philifterhaftigkelt, an
der die Nation gekränkelt, in welcher ihr Gemeinweſen
zu Grunde gegangen war, neue zahlreiche Vertreter fand,
in welcher Paffiviedt für die erſte Bürgerpflicht erklärt,
fo manches Mittel angewendet wurde, bie Maſſe der
Nation in die politifhe Nichtigkeit zurücdzumwerfen, ein
ausgebüdetes Einſchuchterungsſpoſtem regierte — und das
„Staatölsgiten” wollte den Bürgern die Schlafmügen von
den Ohren ziehen, fie fo recht ausdruͤcklich vom Leiſten
befen und zu Dingen heranziehen, die doch der Beam:
tenfchaft und des Policei allein zuſtehen ſollten. Als die
nationalen und conflitutionnellen Ideen fo gut wie ges
ächtet waren, begann es diefelben heftweife und gründlich
unter die Leute zu bringen — heftweiſe, denn bie Zei:
tungen verflummten im beften Falle über alle deutfche
und freiheitlihe Dinge; gründlich ober vielmehr für den
Zweck eigentlich zu gründlich, gelehrt und ausführlich.
(Die Sortfekung folgt.)
Beiträge zur Statifit der Öftreichifhen Monarchie.
Seitdem von der oͤſtreichiſchen Staatsverwaltung weſentliche
Erleichterungen in Beiſchaffung der Materialien zur genauen und
veräßlicer: Behandlung der Statiſtik ber Öftreichifgen Staaten
grwährt worden find, haben Männer von Fach und anerkannter
TFuͤchtigkeit diefes feit Liechtenſtern faft veroͤdete Wiffenfchaftöge-
Diet wieder betreten und pflegen es feither mit ſichtiichem Erfolg.
Bon einigen bedeutenden Leiftungen haben befonders Dr. Siegfried
Becher's Bevoͤlkerungs⸗ und Induſtrieſtatiſtik der oͤſtreichiſchen
Meonacchie in Deutſchland Ruf und Geltung gewonnen. Aber
een weit bie Angaben beiber Werte häufig als Grundlage für
andere Forfchungen und als Ausgangspunfte zu verſchiedenarti⸗
gen Kombinationen benugt werben, heiſcht es das Intereſſe Des
zer, weiche diefer fhänbaren Arbeiten ſich bedienen, daß fie auf
die Abkandtung im YT. und 88. Bande ber wiener „Jahrbuͤcher
der Riteratur‘‘ aufmertfam gemacht werden, welche, obgleich in
der uneigentlichen Form einer Recenfion ber Becher'ſchen „Beavoͤl⸗
kerungsſtatiſtik“ gegeben, dieſen Segenſtand von vornherein neu
und ferbftändig auffaßt. Verfaſſer dieſer Abhandlung iſt Hr.
Karl von Graffen, und das Werhältniß, in weichem beide Lei⸗
fungen zueinander ftehen, if das der Grweiterung, Ergänzung
und Berichtigung des Becher'ſchen Werks durch Sraffen’s Ar:
keit. Als bauptfächliches Moment des Unterſchiede tritt bers
181
vor, baß Becher's Arbeit nur einen dreijaͤhrigen Zeitabſchnitt
umfaßt, während Braffen’s Forſchungen ſich dr den Pr
von 1819— 37 erfireden. Hier alfo find Maffen mit Maffen
verglichen; der Mafftab iſt bedeutend größer und die Refultate
mußten es folglich auch fein. ine Abweichung in der Form
ber Behandiung beftcht zunoͤchſt zwifchen beiden Arbeiten darin,
daß Becher die Größe der WBevöllerung zu Quadratmeilen ing
Berhaͤltniß ftellt, während Graffen in einer Überſichtstabelle ber
Provinzen das Vergleihungsmaß nach der probuctiven Boden⸗
fläche angenommen bat. Jener zieht ferner Ungarn und Sie⸗
benbürgen in ben Bereich feiner Unterfuchung, was ſehr zu bil:
ligen wäre, wenn bie Danptangaben, worauf ber comparative
. Theil der Behandlung fich flügt, nur einige Verlaͤßlichkeit böten.
Diefer laͤßt beide Länder weg. Diefe beiden Beltanbtheit
öftreichifchen Monarchie werben jedenfalls fo * von —* |
fhen Arbeiten auögefchieden bleiben müflen, bis einft eine, durch
die ungarifchen Reichsſtande eingeleitete, Volkszählung ftattfindet
und Ungarn glich Dftreih ein ftatiftifches Inſtitut erhätt.
Durch die Aufnahme der Militairgrenze hat dagegen Becher
eine bei Graffen fich findende Lüde ausgefüllt, die dieſer aus
Abgang von amtlichen Daren, wie er felbft jest, offen taffen
mußte. Er behandelt daher 123, Becher aber 15 Provinzen oder
begiehungsweife 14, mit einer die Debuctionen verbürgenden
Sicherheit. Für die aus der Vergleihung entfpringenden Res
faltate wird Graffen's Arbeit dadurch gewinnvoller, daß er mehr
und ſehr geiſtreich rechnet, während Becher blos bie amtlichen
en jufarımenftelit und in ben Nachmweifungen den Maß:
ab von I un annimmt, wogegen Gra
und 100,000 gebraudst. ers vaflen ben von 100
Gegen Becher findet Sraffen, bag im Ganzen in
Hauptfiädten der Provinzen mehr Ehen geſchloſſen —*
auf dem Lande, was ſich auf ein Verhaͤltniß von 1 Ehe auf
116 Stadt: und von 1 Ehe auf 124,2 Landbewohner, nad
der mittlern Bevoͤlkerung von 1830 —40 ergibt; auch findet
Letzterer als Regel, daß die beutfchen und gemifcht=deutfchen
Provinzen bie wenigften Ehen haben. In Hinſicht auf bie
Fruchtbarkeit der Shen nähern fi beide infoweit, als Be:
her auf 100 Mädchen 106 Knaben, Graffen nach der Berech⸗
nung von 1830— 40, 106,4 Knaben ermittelt. Diefer berech⸗
net das Verhältniß der ehelichen zu den unebelichen Kindern
nad ber mittiern Bevoͤlkerung von 1819 — 40 und gewinnt
ungefähr baffelbe Refultat, welches Becher blos nach der Angabe
eines einzigen Jahres, naͤmlich von 1837, aufſtellt. In Bbh⸗
men findet Graffen durch Vergleichung, nach einem fünfjährigen
Durchſchnitte, daß ‚bei den deutſchen Bewohnern daſeibſt faſt
noch einmal ſo viele uneheliche Kinder als bei den ſlawiſchen er⸗
zeugt werden, und ferner als Regel, daß von den bei ihm an⸗
gefuͤhrten ſechs Laͤndern, wo ſpaͤt geheirathet wird, immer fuͤnf
reich an unehelichen Kindern find; blos Tirol macht eine Auss
nahme. Diefes abermals in ber Vergleichung hinſichtlich der
außerehelichen Kinder in ben Gebirgständern ald Ausnahme ſich
bewährende Land mweggelaffen, zeigt fi, daß Steiermark in ber
Menge unehelicher Geburten alle andern übertrifft. Gräg und
Wien zufammen verglichen, ergibt ſich, daß dort ven 1832—35,
ein Giebentel aller Kinder im Gebärhaufe, in Wien nur ein
Sechzehntel geboren wurden. Zugleich ſtellt ſich als Gefeg ber:
aus, daß die Dichtheit der Bevölkerung keinen Einfluß auf die
unehelichen Geburten übt. Gleichfalls ſtellt ſich auch aus Graf
fen s Gatcul das bekannte Geſetz für Oſtreich heraus, daß bie
meiſten Geburten nicht dort vorkommen, wo die Ehen am frucht⸗
barſten ſind, ſondern wo deren am meiſten und wo zugleich die
juͤngſten Ehen geſchloſſen werden. Beſonders bemerkt zu wer⸗
den verdient, daß die Abnahme der unehelichen Geburten, ebenſo
ut wie bei den ehelichen, während der Cholerapericde von
830 — 32 im Vergleiche zu den Jahren 1327— 29 ftattfant.
Rach dem Vorbilde der ſaͤchſiſchen Tabellen gibt Graffen die
Geburten auch nach Monaten, Sachſen und Öftreih dabei in
Parallele ſtellend. Wichtig iſt die Berechnung und Compara⸗
tion uͤber die Todtgeborenen und uͤber die Sterblichkeit der
188
htter in den Öftreihiichen Gebaͤranftalten, für lettere flellt
fih im Buchfänitte ‚33 Yrocmt, im wiener Gebärhaufe aber
6 ent bar.
ee onders aufmertfam müffen wir bie Pfleger der Gtatis
fit auf den Abfchnitt über bie Mortalitätöverhältniffe machen,
da zwilchen beiden Genannten biesfalld bedeutende Abweichungen
Hattfinden und Graffen's Ergänzung und Berichtigung in die⸗
fen Punkte gute Dienfte thut. Als Regel zeigt ſich nach feiner
Forſchung, daß in jenen Provinzen, wo ber Bollsunterrit am
ansgebreitetften if, bie meiften Selbſtmorde vorfallen, und daß
dagegen bort bie mwenigften ſich finden, wo die Anzahl der Geift:
tichleit am größten if. Diefe Wahrnehmun hängt mit einer
andern nicht minder wichtigen zufammen. Es ergibt fi naͤm⸗
lich aus der Wergleihung, daß in allen oſtreichiſchen Provinzen,
wo der Schulbeſuch ſchwach und der Volksunterricht noch wenig
fortgeſchritten it, zwar wenige Gelbftimorbe, bagegen Diele
Morde und Zodtfläge vorfommen, während dieſe bei den Laͤn⸗
dern mit gutem Schulbeſuch fehr felten find. Zirol madıt in
Beziehung auf ben Selbſtmord abermals eine merkwürdige Aus⸗
nahme. Hier zeigt fig der frequentefte Schulbeſuch (von 100
ſchulfaͤhigen Kindern bejuchten von 1830 — 37 die Schul: 99,4)
und der mindeſte Selbſtmord (auf 100,000 Einwohner im 2.
183037: 1,61), dagegen finden ſich aber auch die größte An:
zahl Geiſtliche daſelbſt (auf 100,000: 92,7). Wir nehmen nit
den geringften Anſtand, zu behaupten, daß, wenn der Volksun⸗
terriht minder formell und dagegen im böhern Grade bie gei⸗
ftige Seite der Menfchen erfaffend wäre, bie obige Erſcheinung
des Selbſtmordes bei der häufigften Schulfrequeng verſchwinden
und in dem Maße, als der Unterricht beffer und volllommener
werben, auf ein Minimum hinauslaufen würbe.
Schaͤhbar find bei Becher die Angaben über bie @in= und
Auswanderungen und über die verfchiedenen Kategorien und Bes
ſchaͤftigungen der Bevoͤlkerung von 1834— 371. Gr und Grafs
gehen in Betreff legterer nicht weiter als 1837, was bei
3 ſeither geſchehenen Aufſchwung der Induſtrie gegenwaͤrtig
zu bedeutenden Differenzen führen wurde. Den Schluß feiner
Unterfuhung macht Graffen mit ber Beigabe einer allgemeinen
Überfichtstabelle über die Bevölterungsverbältniffe der durchforſch⸗
ten 12 Provinzen der doſtreichiſchen Monarchie. In 62 Rubri⸗
ten kommen alle darauf bezuͤglichen Kragen zur Erledigung.
Diefer Hauptausweis Läßt in keiner Beziehung etwas zu wüns
ſchen übrig.
Die zweite Abhandlung des Hrn. Graffen, bei ber wir es
mit ihm allein zu thun haben, gewährt einen fehr willlommenen
Beitrag zur Criminalſtatiſtik. Sie hanbelt bloß von den Ber:
brechen und erſtreckt ſich wie bie frühere nur auf 12 Prodin⸗
zen, doch findet ſich auch ein befonderer Abfchnitt Über Ungarn
beigegeben, weil dem Ref. dafür amtliche Angaben zu Gebote
ſtanden. Wir bedauern, darin die Angaben ‚über die durd) das
Standrecht zum Tode Gebradhten zu vermiffen. Wären auch
dieſe den Angaben über die Verurtheilten zum Tode im ordent⸗
lichen Geridhtsverfahren beigegeben, fo würbe fi, ungeachtet
der häufigen WBegnadigungen, eine ungleidy größere Zahl von
Hingerichteten in Ungarn herausſtellen, als Graffen angeben
gonnte. Er bezweifelt aber felbft noch die Richtigkeit ber amt:
lichen Angabe über bei der Curia angebrachten Morbfälle, wor:
aus fi} ergibt, wie fehr wir mit Ungarn in aller Bezichung
im Dunkeln find. Über Siebenbürgen laͤßt ſich vollends gar
nichts fagen. In den obengebadıten 12 Provinzen finden ſich
von 1822— 40 605 Todesurtheile gefprochen. Davon mwurben
405, alfo zwei Drittel burch Begnabigung aufgehoben. In die:
fec Periode zeigt ſich, daß die Zodesurtheile überhaupt unb
fchneller zunehmen als bie Bevölkerung. Die italienifche und
deutfche Bevölkerung bat die meiften, bie flawifhe, Dalmatien
ausgenommen, bie geringfte Zahl von Verbrechen. In Dalma⸗
tien uͤbertrifft das Verhaͤltniß der Inculpirten zur Bevoͤlkerung
(1 Inquiſit auf 649 Einwohner) ſelbſt das von Gorfica, wo
1833 doch erft auf 1396 Einwohner 1 Angeklagter kam. Ein
anberer Grfabrungsiag der Forſchung ift, daß bei den Deutfcdhen
bie wenigflen, bei ben Slawen und Stalienern bie meiften Loss
fprechungen vorkommen, dann finden ſich ferner bei der ſlawi⸗
fen und deutſchen Vevoͤlkerung bie leichtern, bei den Stalimern
die ſchwerſten Strafen angewandt. In Hinſicht auf die Pro»
vingen erſcheint Kärnten als diejenige, wo bie geringfte Anzahl
von Verbrechen vortommt, body ift eine Zunahme bemerkbar,
auch macht dies Land eine Ausnahme bei der Wahrnehmung,
dag in den oͤſtreichiſchen Ländern, wo bie meifte Zunahme bed .
Schulbeſuchs flattgefunden hat, eine Abnahme der Verbrechen
eintrat. Bei Dalmatien ergaben fi) von 1829—37 45 Pros
cent Abnahme der Verbrechen; in Galizien nur 43, obgleich es
weiter als jenes Sand vorgefchritten ift.
Sin anderer Abfchnitt der Graffen’fchen Abhandlung ent⸗
hält die ſchweren SPoliceiübertretungen, benen eine intrreflante
Ausführlichkeit gewidmet if. Es ift wohl begeichnend für ben
Charakter des oͤſtreichiſchen Volle, daß der Hochverrath von
1831 — 40 fi wie 1 zu 1,5 und die Theilnahme an geheimen
Geſellſchaften im nämlichen Zeitraume, alſo nad) zehnjährigem
Durdfchnitte zu 3 berausftellt, oder daß in letzterer Beziehung
auf 100,000 @inwohner 0,01 tommt.
Wenn es fidy nad) diefen Proben der Graffen’fchen Leiftu
um Beflimmung ihres Gehalts im Ganzen handelt, fo laͤßt fü
der Wahrheit gemäß davon fagen: es wird überall das Stre⸗
ben eines klaren durchgebildeten Geiftes fihtbar, die Exfcheinuns
gen, die in ben Zahfenverhältniffen verborgen liegen, durch mans
nichfache Operationen einer ſcharfen Urtheilskraft hervorzuheben
und in ein ſolches Verhältniß gueinander zu bringen, baß fich
das Gefeg, worauf fie beruhen, als deren unmittelbarer Ausfluß
zutegt bem reflectirenden Geifte barftellt. Das iſt nun freilidy
bie Aufgabe eines jeden Statiftiters, allein nicht alle töfen fie
in dem Grade, wie es hier gefchehen if. Aus den Debuctionen
des Hra. von Graffen ergeben ſich für dic politifche Geſetge⸗
bung und Abminiftration unmittelbar Normen des Verfahrens,
und darauf kommt es bei der Behandlung biefer Wiffenfchaft
eben an. " Matthias Kod.,
Literariſche Anzeige.
Durch alle Buchhandlungen ift von F. SE. Brockhaus
in Leipzig zu bejiehen: '
Anciennetäts-fiste
des Dfficier-Corps der Königl. Preuß. Armee
für das FJahr 1842.
Entmworfen nad) den
Ranglisten und Mlilitair - Wochenblättern
von dem Oberlieutenant a. D. Mans feldt.
®r. 8. Geh. 2 Thlr.
Das Kriegerthum.
Von einem Invaliden.
2 Erster heil:
Wahl und Büdung böherer Truppenführer.
8. Geb. 1 Thlr. 5 Negr.
Sechsundzwanzig Friedensiahre.
„Bum Werke, das wie ernſt bereiten,
Gehört ich wol ein ernſtes Abort.“
Gr. 8. Geh. 12 Nor.
Werantwortliher Herausgeber: Heinrib Brodhaud — Drad und Merlag von F. U. Brodhbaus in Leipzig.
j
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Zreitag,
3. Februar 1843.
über das Staatslexikon von Kotted
und Welder.
(Sortfekung aus Nr. 33.)
Die Repräfentativideen und - Inflitutionen, wie ſehr
fie eingeengt wurben, der Erdruͤckung nahe ſchienen, bil:
deten noch immer den großen Streitpunkt. Offenbar
maren fie durchgebifdeter, wußte man fie mit mehr Ge:
fhit und Gewandtheit anzugreifen in den conftitution:
nellen Ländern, wo man ſich anhaltender und eifriger
mit ihnen befchäftigt, Erfahrungen gefammelt hatte. Fehlte
es auch hier der Auffafftung und Handhabung nicht an
-aßer Cinfeitigkeit und Befangenheit, wie viel größer war
erfi die Unkunde, die Verworrenheit ber Begriffe auf der
andern Seite! So wurde denn der Streit mit — hier
größerer, dort geringerer — jedenfalls mit ſehr unzutraͤg⸗
licher Nichtkenntniß oder doch Unklarheit geführt, und da
war es nun in der That von nicht geringer Bedeutung,
vor dem größern Publicum den Streitpunft in ein hei:
les Licht zu fegen.
Nicht unwefentlich Hat das ‚‚Staatsleriton”, das ſich
diefe Aufgabe ftellte, wo es Eingang fand, zu ihrer Loͤ⸗
fang beigetragen und fih dadurch ein nicht geringes Der:
dienft ermorben. Laͤßt es fich freilich bei einem fo um:
fangreichen Werke und an welchen fo viele Verf. Theil
haben, von vornherein nicht anders erwarten, als baß
darin auch manches Verfehlte und Irrthuͤmliche mit un:
terläuft, fo überwog doch das Brauchbare und — nach
dem conflitutionnellien Standpunft — Wahre und Rich:
tige beimeitem. Dit dem Übrigen mag die Rüdficht
verföhnen, daß das Ganze die Theilnahme an ben Fra⸗
gen des öffentlihen Weſens wirklich unterhielt, nationale
wand freiheitliche Sefinnung ftärkte umd verbreitete. Doc
bietauf müffen wir noch einmal zuruͤckkommen. An die:
fer Stelle mag nur noch auf eine unumftößliche That:
ſache hingewiefen werden, welche gerade neuerdings erſt
recht ins Licht getreten. Der Strom der Meinung wen;
det ſich im preußiichen Staate wieder mehr und mehr
nach dem Repräfentivfofieme hin, preußifche Schriftfteller
bemächtigen fich tieber mehr und mehr der conflitution-
nelen Ideen. Aber troß aller ihrer fonfligen hochge⸗
ruͤhmten Wiflenfchaft und Intelligenz, und fo vornehm
fie theilweife — bewußt oder unbewußt im Dienfte der
Ideen und Tendenzen bes Policei: und Beamtenſtaats,
des Stabilismus, der Reaction — auf den füddentfchen
Liberalismus herabfahen oder noch fehen: fie haben allers
dings eine und die andere Schwaͤche an ihm entbedt,
zeigen jedod, deutlich, daß fie ihn wenig, oft fo gut wie
gar nicht kennen und ebenfo oft gründlich misverſtehen;
gerade fie ergehen fih in Abdftractionen, in Unreifheiten,
Unbeholfenheiten, Haftlofigkeiten, die man in ben Ländern
conflitutionneller Ideen und Sinflitutionen laͤngſt durch⸗
gemacht, tummeln fi mit einem Worte auf einer Stufe
herum, über welche der ſuͤddeutſche Liberalismus felbft der
erften Hälfte des vorigen Jahrzehnds laͤngſt hinaus war.
Wie viel Beweife einer furchtſamen, ſchwankenden, eng»
bräftigen politifhen Gefinnung, die nichts weniger als
Achtung und Vertrauen zu erweden geeignet ift, wie viel
bandgreiflich falfche, unklare, halbwahre, ſchwankende, vers
Schrte Befchuldigungen, Vorftellungen, Behauptungen und
Vorfchläge in den von ihnen ausgehenden Schriften und
Zeitungsartikeln würden geradehin unmöglich fein, wenn
fie doch nur mit fo viel Ernft und Tuͤchtigkeit als die
füddeutfchen Conftitutionnellen das Staatsrecht ftubirt und
behandelt hätten, nur fo viel von ber conflitutionnellen
Theorie, Praris, bisherigen Erfahrung wuͤßten — ale im
„Staatslexikon“ ſteht, das jedenfalls nicht wenig beigetras
gen, wo ihm Eingang geftattet voucde, jene Aufklärung
und Sicherheit in den beutfchen Staats: und Geſchichts⸗
fragen und deren fchriftftellerifcher Behandlung zu fürs
dern, die man neuerdings im Norden fo ſchmerzlich vers
mißte, als jene größere Freiheit der Exdrterung einge:
treten war, welche großentheils fo fchhlerhaft auftrat und
doch — zum neuen Zeichen einer weit zurüdgebliebenen
politifchen Bildung — wie ein Wunder angeftaunt wurbe.
Je höher man daher in betreffender Beziehung Kunde
und Geſchick bei dem Bürger, dem Schriftſteller anfchkägt,
befto mehr wird man jede — ob auch zur Zeit ihres
Eintretens noch fo natürliche und entfchuldbare — Maß:
regel beklagen, die das eigene Fleiſch am meiſten verwun⸗
dete. Mag immerhin zugeſtanden werden, daß man da,
wo man das „Staatslexikon“ nicht leſen durfte, Manches
beffee mußte und weiß — man hätte dort auch Manches
daraus fernen koͤnnen, und kann noch immer Manches
baraus lernen. Diefes aber fol und kann man ohne
eigenen Schaden und ohne fi) vor dem übrigen Deutfche
land, wie es oft genug gefchieht, Lädyerlih und immer
lächerlicher zu mächen, nicht zuruͤckweiſen, und was man
irrig weiß, kann wenigſtens nicht ſchaͤdlich fein, nicht ver:
führen, even weil man beſſer weiß.
ine weitere Bemerkung reich fich ergeben, wenn wir
noch: einmal auf den Plan, die Hauptzmede bes ‚Staats:
lexikon“ zuruͤckblicken. Wenn von den herrſchenden Ideen
der Periode der Verheißungen und Erwartungen ſo we⸗
nig zur Ausführung gelangte, fo geſtehen wir es nur,
daß die Schuld weientlih an der Unreife und: der gerin⸗
gen Verbreitung der politifhen Bildung lag, bie freilich
bätte gefördert, nicht zuruͤckgehalten werden follen. Was
man wünfchte und wollte, fchwebte den Meiſten wie ein
Mebelgebilde vor ben Augen; man mußte es nicht in bes
flimmten Umriſſen plaſtiſch hervortretender Seftalt zu
faffen. Im Einzelnen fehlte «6 oben wie unten nicht an
guten brauchbaren Ideen, auch mol nicht fo fehr, als
man lange annahm und behauptete, am guten Willen:
für das Ganze und Große aber wußte Niemand Rath,
und ducchweg waren die liberalen Anfichten fo verworren,
fo unpraktiſch, daß wir jegt wol und mit Recht felbft
darkber lächeln. Nur in ſehr engen Kreifen waren deut:
liche conftitutionnelle Anfichten verbreitet, und wie wier
und weit fuhren die Ideen aus: und durchelnander! Das
her aber bezeichnet nun auch das „Staateleriton” nad)
Plan unb Danptzweden, Ausführung und Erfolg einen
nicht gering anzufchlagenden Kortfchritt, indem es docu⸗
mentirte, wie die Anfichten fich abgeklaͤrt, wie es den bes
barclichen Conftitutionneflen gelungen war, die freifinnige
Nichtung in ein feſtes wiſſenſchaftlich begruͤndetes Syſtem
zu bringen, wie man nun liberalerſeits deutlich wußte
und ſagen konnte, was man wollte, ein Panier aufzu⸗
pflanzen im Stande war, mit der Hoffnung, einen ges
ſchloſſenen Haufen der Gleichgeſinnten bei demſelben zu
fammeln — wie fehr der Kreis fi erweitert, in weichem
conftitutionnelle Vorkenntniß und Empfaͤnglichkeit genug
erwartet werden konnte, um die Aufnahme eines ſolchen
und zwar mehrbaͤndigen Werks ihm zumuthen, voraus:
fegen zu dürfen. Waren in und unmittelbar nach den
VBefreiungslriegen bie liberalen Ideen zwar die herefchens
den, bie Geſinnungen, Wünfche, Anſichten aber zu con:
fus, zu fhemenhaft, zu unmeinig geweſen, als daß man
überall eine beftimmte, die angemeflene Form für fie
hätte finden, aus dem Innerlichen entfprechende taugliche
Suftitutionen hätte fchaffen können, fo hatte fih nun
1834, als fo Biele abtruͤnnig, Gegner, müde, irre gewor⸗
den waren, eine conftitutionnelle Partei mit feſten Geſichts⸗
pantten, Principien und Erfahrungen gebildet — und
daraus ließ fi viel eher etwas machen. So erfcheint
the Organ, das „Staatslexikon“, und deffen Dervortreten
als ein. Document über das Zukunfthaben des conftitus
tionnellen Syſtems, bildet jedenfalls in der Gefchichte des
lestern einen bedeutfamen Abfchnitt, und wenn die große
Verſchiedenheit feiner einzelnen Beſtandtheile, nicht bloe
in Beziehung auf den Werth, fondern auch auf die
Geiſtesrichtung, die gefchichtlichen und politifchen Anſich⸗
ten der Verf. derſelben, einerfeits nicht unerhebliche Be⸗
denken erregt, als eine Schwaͤche beffelben erſcheint, fo
wirkte body anbererfeits eben das Zufammentreten Meh⸗
ver, da6 Sammeln von vielen, früherhin vereinzelt wir:
Eenden publiciflifchen Thaͤtigkeiten, indem die Perfönlichs
keiten und Richtengen ſich näßerten, entfcheibend auf die
conſtitutionnelle Fortbildung.
Es entſtehen hier jedoch ſogleich noch mehre Fragen.
Dos „Staatsteriton‘‘ ſollte, als Organ der Partei der
Conſtitutionnellen, die Gemuͤther für die Idee des Me:
präfentatioftaate mehr und mehr gewinnen, die Bürger
für denfelben bilden, feine Errichtung fördern, wo «6 daran
noch fehlte, an feiner Grundlage mit bauen helfen; es
bildet duch Das, was es anſtrebt und geleiſtet, einen be:
deutfamen Abſchnitt in der Gefchichte des conftitutionnel=
Im Syſtems. Darüber ſprachen wir uns oben aus, und
es waͤre nunmehr bavon zu reden, tie das in Mebe fte
bende Werk feinen Stoff behandie, wie es näher um bie
Ausführung des Plans fiehe? Allein es drängen ſich
zuvor noch Fragen auf, deren Erörterung nicht umgan⸗
gen werden kann. Oder wie könnte man — und noch
dazu gerade im jegigen Moment — namentlich über bie
Sage hinmweggehen: ift denn auch das Spitem ber Par-
tel, die hier ihre Fahne aufpflanzt, iſt der Nepräfentativs
flaat, den das fraglihe Werk emporbeingen fol, dem
Rechte und den Zufländen der Nation angemeſſen? Iſt
die conflitutionnele Monarchie mit verantwortlichen Mi⸗
niftern, Volkswahlen und Kammern, Steuerbewilligungs⸗
recht und Gefeggebungsinitiative der Stände, Öffentliche
keit und Preßfreiheit, Schwurgerichten und ſelbſtaͤndigen
ftädeifchen, Ländlichen, provinciellen, kirchlichen Gemeinden,
Senoffenfhaften, Sorporationen — iſt die conftitutionnelle
Monarchie und ihre Ausbildung, wie das „Staatslexikon“
fie befchreibt ‘und fodert, das erreichbare Ziel, wonach die
Nation fireben follte, worin fie auf ber Seite des Gtaats=
lebens Genüge finden würde, wenn fie es erreichte? Von
ber Beantwortung dieſer Frage hänge die Würdigung
bes Werks nicht allein, aber doch zum großen Theile ab.
Wir müffen nun freilich fon aus Ruͤckſicht auf den
uns bier geflatteten befchränkten Raum die Mechtfere
tigung feiner Sache dem „Staatslexikon“ bauptfädlich
felbft zumwelfen. Einige Andestungen biürfen jedoch nicht
fehlen.
Die conftitutionnelle Theorie iſt noch nicht vollendet
zum Schluſſe gelommen; fie ift — und zwar gerade auch
in dem fraglichen encyklopädifhen Werke eben erft in le:
bendiger Fortbildung begriffen. Auch ihre entfchtedenften
Anhänger geben fie nicht für etwas Fertiges ohne Män-
gel aus. Doc auch infofern preißgegeben und nur auf:
gefaßt nach ihren feſtſtehenden Lehrfägen, ihren weſent⸗
lien Ergebniffen: wie misgünftig, wie vornehm wird
fie und werden ihre Anhänger noch immer angefeben
und behandelt, und zwar nicht blos von abfolutifli«
[her ober ariftofratifh = reactionnairer Seite her. Wir
hören das Mepräfentativfpftem bald — gleich der deut:
ſchen Inſtitution dee Schwurgerichte — undeutſch, fran-
zoͤfiſch, bald unpraktiſch oder an ſich ſelbſt verderblich nen⸗
nen, bald als etwas Umngenügendes, etwas Vorüͤberge⸗
gergenes, vom dem nit mehr bie Rebe fein koͤme, bes
ziheen. Die Gonflitutionnellen — unter Baun unb
Acht ſtehen fie freilich wicht mehr, aber als eine verlorene
Hartri ſollen fie: erfcheinen, ohne Wurzel in der Nation,
ohne Jutereſſe für dieſelbe, weil die wahren National⸗
interefien verfäumend, ja benachtbeitigend, bie Form über
die Sache erhebend. Wir möchten uns nicht gern Bril⸗
im auflegen laſſen, wollen bie Partei und ihre Sache
dach etwas genaner darauf anfehen, wie es fich mit ih:
um Geiſt und - Wollen und Herkonmen, ihrer wahren
Bedeutung, ihrer Stellung in ber Gegenwart eigentlich
kt.
Das Staatäwefen Lubwig’s XIV. hatte Deutſchland
erobert. Patrioten und Publiciiten — wir wollen unter
fo vielen. nur an die Namen Moſer und Möfer, Schtö-
ze u. f. w. erinnern — durchſchauten das Verderben,
beuctheitten es ſcharf, ſahen die Folgen kommen, wielen
darauf Hin, riefen dee Nation ihre Geſchichte ind Ger
dachtniß zuruͤck, bildeten Begriffe aus, weiche theild aus
der Philofophie, dem erwachten kritiſchen Verſtande fomol
der Deutſchen als namentlih auch der Franzoſen und
Engländer, theils aus dem aͤltern deſſern deutfchen Staats:
weien und Volksthume, oder auch aus fremden, vorzüg>
lich den fortgebitder altgermanifchen englifchen Inſtitutio⸗
wen hergenommen, die Grundlage ber heutigen conflitu:
tionnellen Theorie wurden. In unb vor der Indafions⸗
yeit tamen bie bekannten — wohlzumerfen bie materiellen
Juaterefien keineswegs verfchonenden, fondern vielmehr fo
empfindlich wie möglich ſchaͤbigenden — Unglüdsfälle über
die Deutſchen, in Kolge davon, daß fie ihre Verfaſſung
hatten in Verfall gerathen, den Nationalfinn, die Natio:
nalkroft hatten entfhwinden laſſen. Im Unglüd er:
wachte ein befferer, der patriotifche Geiſt wieder, die Ur:
fachen bes Verderbens wurden nunmehr allgemeiner und
deutlicher erkannt. Geiſtig fortgefchritten und fittlich ges
Eräftige, erhob fich die Nation in jenem Geiſte wider die
Unterdräder und fäuberte da6 Land von ihnen in dem
— bier ale Verheißung, dort als Erwartung fich geftals
tenden — Gedanken, das Reich Tolle in erneuerter Ge:
falt hergeftellt werden, die Nation nunmehr wiederum zu
der Einheit und Freiheit gelangen, weiche Ziel und Zweck
der Vereinigung der germanifchen Stämme zum Nationals
und Reichsverbande geweſen, auf deren Wahrung in ans
gemeffenenn Verhaͤltniß dem Zeugnis der Gefchichte zu:
folge Bitbung und Gluͤck, Macht und Ehre der Deut:
(hm beruht, mit deren Verluſte dies Alles zu Grunde
gegangen, worin endlih-die Bürgfchaften enthalten gegen
de Wiederkehr des Erlebten — Innere Zerrüttungen, Un:
tetjochung, Demoralifation, geiftige und materielle Bank⸗
bruͤchigteit. Der franzöfifche moderne Policeis und Will⸗
ir: Staat, der die nationalen Snflitutionen mehr und
mehr verdrängt, die Bureaukratie, die den Bürger mit
einem Nichtigkeitegefuͤhle erfuͤllt, das Leine Buͤrgerkraft
und Tugend aufkommen läßt, das geheime Staatsweſen,
das ſich eingefchlihen, das Kaftens und Privilegienwefen,
worin uefprünglich gute Einrichtungen ausgeartet waren,
Me Ohnmacht und Verworrenheit bed Rechtszuſtandes,
die untewuhrfige, fermbldudifcge, unbentfche Geſtäanung —
ale diefe Quellen ber Verkommenheit follten zugeworfen
werben, zu welchem Zwede eben die eigenthuͤmlichen Ideen
und Inſtitutionen des aͤltern unverfälfchten beutfchen
Staates wieder zu beleben waren, das gemeine Weſen
Öffentlich, werden, das Volk duch erneuerte, wahre Ver:
teetung zur Selbſtaͤndigkeit gelangen mußte. Biel und
Aufgabe beftanden darin, den Rechtszuſtand je nach der
Mechtsidee, dem deutichen Volkscharakter, dem dermatigeri
Bedurfniß und Bildungszuftande, den vorhandenen Verhaͤlt⸗
niffen neu zu ordnen und zu fichern. Dit Einem Worte: bie
Nation ſollte im Staate wieder mitwifien, mitteden und mit⸗
handeln. Darlber waren Alle einig in ber Begeiſterungs⸗,
der Befreiungs:, der Erneuerungszeit. Nach den Ergeb:
niffen des wiener Congreſſes war an Erneuerung des
Reichs und der Einheit deffelben durch eine ſtarke Gen-
tralgerwalt nicht mehr zu denken. Es handelte fi nur
noch darum, die Freiheit der Nation neben der der Haͤup⸗
ter verfaffungemäßig zu ordnen, zu befefligen und zu:
gleich die moͤglichſte Einheit, Einheit in einem andern
Sinne, wie die Bundesverfaffung fie zuließ, zu begruͤn⸗
ben, mozu der Mittel und Wege noch manche vorlagen,
wo nice in der Erridtung eines Meichegerichts, Repraͤ⸗
fentation des Volks am Bundestage, doch in Handels:
einigung, Einigung über das Heerweſen u. f. w., zumal
in Einigung über beſtimmte conflitutive Grundfäge, nach
welchen das ermäßigte Ziel zu erſtreben ſei: eine Rechtes
ordnung und in ihren Normen ein mitwiffendes, mitreden»
bes, mithandelndes Volk in jedem Bundeslande.
Auch zu einer folchen Einigung kam es nicht, vielmehr
traten bald neue Zrennungen hervor; auch folche Prin⸗
cipien — von einem gefoderten fehr allgemeinen, nicht
überall beachteten Minimum conflitutionnellee Nechte abs
gefehen — wurden nicht aufgeftellt, und nun verfuchte .
man jenes Biel bier fo, dort anders zu erreichen, es ents
ftand Streit über die Ausführung der Idee; hier und
da, in mehr als einem Moment, ließ man die Idee felbft
fallen, ſtellte ein anderes Ziel auf, im Grunde ein mt:
gegengefegtee. Eine Zeit lang hatte es den Anfchein, als
ſolle Deutfchland ein Conglomerat despotiſch regierter
Staaten werden, in beren aͤußern Verband und innere
Drganifation aus dem ehevorigen verborbenen Reidyswe:
fen nur manches in den modernen Policei⸗ und Beam:
tenftaat Paflende aufgenommen bliebe oder würde, und
eine Reihe von Erſcheinungen beutete auf das Wieder:
erwachen der alten National: und Reichsmaͤngel und ⸗Ge⸗
bredhen in neuen Geftalten, fammt den bereit hervortre⸗
tenden und unfeligen Solgen bin. Der Gegenfag biieb nicht
aus. Einmal bildete fih fogar wieder eine Stimmung,
tauchten ſchwache Verſuche auf zu Gunften der Freiheits⸗
und Einheitsherfiellung in der Errichtung einer Republtik
oder aber eines republitanifchen Kaiſerthums. Im Her:
zen blieben weitaus die Meiften, oͤffentlich doch nicht We:
nige, der Überzeugung treu, das Recht und Bebhcfnif
der Nation erfodere mindeftens die Erreihung des ermaͤ⸗
ßigten Ziels eines mitthätigen Volks innerhalb eines je:
den ber gefonderten ofen Theile des Bundesverbandes,
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an welchen Punkt dann natuͤrlich und nothivendig das
Hinftreben nach ber noch möglichen Einheit fi ans
loß.
" Dies Ziel nun mollten Einige durd das Medium
der Repräfentativverfaffung erreichen, während Andere bie
ſtaͤndiſche Vertretung für genügend ober für geeigneter
hielten. Sie dachten babei gleihfall an eine wahre
Volksvertretung, ein mitthätiges Volk, Leine unbillige
Bevorzugung irgend eines Standes oder irgend weicher
Intereſſen. Sie hielten nur dafür, daß die Derwirklis
hung um fo meiter hinter ber Idee zuruͤckbliebe, je mehr
fie mit Formen, analog denen ber franzöfifchen Inſtitu⸗
tionen, verfucht werde. Aber freilich haben fie bei allem
Zabel der fremden und der deutſchen SRepräfentativ:
. verfaffungen und des an biefelben ſich anlehnenden, ob-
wol, wegen ihrer Mängel, bei ihnen nicht flchen bleiben:
den Spitems der conftitutionnellen Monarchie weder eine
der Idee ebenfo nahe kommende DVerfaffung zur Exfchei:
nung zu bringen, noch eine in Betracht kommende Theo:
rie aus ber Idee zu entwiden und aufzuftellen ver:
mocht, was auch fehr natürlih war. Denn — ein gro:
ßes Geheimniß, Hört! — die Verſchiedenheit zwifchen bem
wohl und ehrlich verftandenen ftändifhen und dem Re⸗
präfentativfpfteme ift — gar nicht vorhanden. Die das
flänbdifche begehrten, hatten nur eine Ausführung dee ges
meinfamen Idee im Sinne, in weldye die Conſtitution⸗
nellen am Ende recht gern einwilligen würden und jeden=
falls ohne Inconfequenz einwilligen tönnten, fobald bie
ehrlichen Freunde der ftändifchen Vertretung nur klar und
confequent fein wollten. Die ehrlichen! denn es gab auch
Andere, die bei dem ftändifchen Spfleme, das fie foderten
oder auszubilden verfuchten, nichts mehr und nichts mins
der als entweder das verlappte alte Reichsweſen, das
corrumpirte, allenfalld ein wenig modern zugeftugte und
natürlich einigermaßen abgefüßte, ihnen im roſigen Kichte
erfcheinende alte Reiches oder Verfaffungswelen, fo weit
feine Herſtellung noch möglich, oder Lediglich den ganz
unmefentlid temperirten Policei⸗ und Beamtenflaat im
Sinne hatten. Mit andern Worten, fie wollten ober
wollen entweder etwas fdhlechtsdeutfches ober etwas un:
deutſches, entweder vorzugsmweife Vertretung und damit
ungerechte Erhebung gewiſſer Stände, Claſſen oder In⸗
tereffen, und alfo Verachtung des Volks, der Rechtsidee
und feine Nation, Bein gemeines Recht, keinen Gemein:
finn — die Ausartung ber altdeutfchen Inſtitutionen mit
deren Folgen — oder das Zremdländifhe, das aus der
Monarchie Ludwig's XIV. Herübergefommene , in jebem
Falle etwas den Ideen der Periode der: Selbfterfenntniß,
der beſſern Einficht, der guten Vorfäge; der Ermannung,
ber Mationalerhebung und beginnenden Erneuerung mehr
oder minder Entgegengeſetztes. Den: Abfolutismus wollte
und will Niemand — wenigftiens nicht offen. Regierungss
beſchraͤnkungen wollte man audy da, wo man bie fländi:
ſche Vertretung in Theorie und Praris vorzog. Allein
man wollte fie. principlos, nad dem Gefühle, nach indi:
viduellem Ermeflen, unb mußte daher nothwendig ſchwan⸗
ten; was man fchuf, entbehrte, trot allen Berufungen
auf die Hiftorifche Grundlage, die gerade da geſucht wurde,
wo fein feſter und rechter Grund war, ber innern Gründe
bes Beſtehens, von allen Seiten fah man ſich fchließlich
in Verlegenheit. Wie fehen die Freunde diefer Richtung
rath⸗ und haltlos in einem verwafchenen, ohnmächtigen,
nur bie Unruhe unterhaltenden Juſtemilieu fich bewegen,
in einem unfeligen Dämmen und Schwanken, während
vor Allem Klarheit und Sicherheit des Blicks und Ziele
noththut, insbefondere dann, wenn man den Anſpruch
de6 Vortritts, des Vorangehens erhebt.
Wohl oder übel muß eingeftanden werden, die Con:
*utionnellen find aHein die Gonfequenten geweſen, fie
allein haben es zur Durchbildung, zue Klarheit gebracht,
zu einem allgemein⸗verſtaͤndlichen Lofungsworte, zu einem
beflimmten Wiſſen, was fie wollen, einer ſcharfen Aus:
prägung und wiſſenſchaftlich abgerundeten Darftellung ib:
ver Ideen; einer Darftellung, wie fie nun eben im
„Staatsleriton” hervorteitt.
(Die Bortfegung folgt.)
Literarifhe Notizen aus Frankreid.
Wenn einmal ein Roman oder ein Schaufpiel in Krank:
rei) en vogue ift, fo wird man gleich bei jedem Schritte daran
erinnert. Richt nur daß alle Welt bavon redet, fondern Stoffe,
Schiffe u. ſ. w. werden gleih mit dem Namen der Haupthei:
den getauft. Man follte meinen, daß das SIntereffe, weiches
die Menge an ben bervorragenden Erfcheinungen der Literatur
nimmt, in Frankreich viel größer als bei uns fei. So fehen
wir drei ober vier Schiffe, die nach ben Hauptfiguren des neues
ſten Romans von Arlincourt benannt find. Geitbem „Mathilde‘
von Sue fo großes Auffehen erregt, haben wir gleich brei oder
vier neue Mobeläden gezählt, die diefen Namen auf ihr Schild
gelegt haben. Der neuefte Roman beffelben Gchriftftellers
(‚‚Les mysteres de Paris‘) macht des pitanten Gaunerjargons
wegen, in dem ed zum Theil gefchrieben ift, viel von ſich reden.
Sogleich erfcheinen Romanzen von der „Goualeuse” (lisez:
chanteuse), bie eine Hauptrolle barin fpielt, und bie Bezeich⸗
nung „les mysteres de Paris” {ft ſchon ſpruͤchwoͤrtlich gewor⸗
ben. Diefer außerordentliche Erfolg, den wir ficher nicht dem
poetifhen Werthe dieſes Romans zufchreiben koͤnnen, fobert nas
türlih die Garicatur heraus, &o finden wir denn auch bereits
in bem geiftreihen „Musde Philippon“ einige Nummern mit
koͤſtlichen Zerrbiidern und pifanten Witzen unter dem Zitel:
„Paris devoilö ou les mysteres sus”. Aud „Mathilde hat
Stoff zu unzähligen Wigen gegeben. &o wird namentlich im
Theätre du palais royal eine febr gute Parodie von dieſem
Stüde, dad ganz Paris in Bewegung gefest hat, zum großen
Subel der Menge aufgeführt.
Es erſcheinen gegenwärtig von zwei wichtigen politifchen
Werken der englifchen Literatur, die beide Längft berühmt find, ſehr
werthoolle franzdfifhe Bearbeitungen. Es ift dies erſtens
ber Verſuch über das Princip der Bevölkerung von Malthus,
das von Prevoft überfegt ift, und dann bie Unterfuchungen über
den Grund und die Urfachen bes Nationalreihthums von Adam
Smith. Die Bearbeitung des legtern Werkes, die von dem bes
kannten Nationaldlonomen Blanqui herrührt, wird befonbers
um der Einleitung willen, in ber Bianqui das Leben und die
Werke Smith’s befpricht, recht intereffant werben. 2.
Verantwortlicher Derausgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brodhauß in Leipzig.
IfOE Unterhaltung,
3)
Sonwabend,
bebürfnifje und Intereffen über dem Streit geifliger Ges
‚genfäge, dem Wühlen und Kämpfen um Principien. ,
, Aber wie vergeblich hat fi das Mepräfentativfgften
erwiefen, wie bitter getäufcht — wo find feine Fruͤchte —
Uns daͤucht, wir hören diefe Einwärfe, den Refrain vie
lee Stimmen, naddem wir darauf hingewieſen, tie. die
Sage der Conſtitutionnellen — deren umfaffendftes liter
rariſches Organ das „Staatslerikon”” — wie das Repraͤſen⸗
tativfpftem nichts Anderes fei als das deutſche Spftem,
das deutſche Staatewefen, der Inbegriff der durchgebil⸗
detſten politiſchen Ideen unſerer, beſten Periode ſeit drei
Jahrhunderten. Wir haben zur’ Antwort drei’ Fragen,
Watrum lenkt man, und zwat gerade ‚zu einer Zeit,
ie die Nation einmal tieder ernftlih erinnerte, fih In
Verfaſſung zu feben, wo es Mlarer hervorgetzeten, was
noth — in einer Zeit eines neuen Auffhwungs' und
welche durch diefen und in ihm der der Selbfterfenntniß,
der nationalen Gefinnung, der guten Vorfäge und hoff»
nungsreichen Anfänge aͤhnlich iſt — watum lenkt man,
ſodald die Bahn des Fortſchritts wieder geöffnet erfcheint,
| Wieder ein zum conflitutionnellen Syſtem, oder body zu
Gedanken, Planen, Vorbereitungen, Geftaltungen, Sa
tutionen, die daſſelbe nothwendig nach ſich ziehen, und
dies auch „wollen oder gar Feinen
Preffe, Aſſociationen, ffentlichkei
find eben weiter nichts ald Reime, !
teile des Reptaͤſentativſtaats, ber
. den Beamtenftaate ſich bilder. M
‚Exeife der Gonflitutionnellen überhauı
‚Insbefondere,, mancher, Itrthum 1
vorhandene politifche Weicheit en
andete und ‚befjere Begründung w
"im Ganzen genommen iſt er es miı
‚ten. ausgeführten, angerogmdeten coı
'ju welchem man zurüdkehrt, an x
ahl hleßt, mag , «6, "eingeftanden:
rum? Offendär weit man nicht
iöften® nicht geltend zu madhen x
ilbet Mligern Rath geben, zu koͤnn
eitee vorgedrungen zu fein, U. z
„Sodahn,, wie hätte denn daa’ Kepräfenthtipfpften, in
ecffen ‚ Anfängen.” und "gelihmt a, Teinen weſ ·ntlchſten
Ledbensotganen, Da; “ fen Fönnen, was ydes Eyſtem
rs —8 Pe ll
Über das Staatslerikon von Rotted
2 nn amd Melden: .
- (Wortfgleng ou Reit:
Und wer find fie nun, diefp Gonflitutionnelten? Welche
Parteiftellung nehmen fle ein? Die den Ideen und Ger
finnungen ber Periode des Selbfterkenntniß, Nationalerhe;
dung und beginnenden Erneuerung Zreugebliebenen find fie,
bie jene Ideen am Elarfien und umfaſſendſten durcbildeten,
bie wit großer Arbeit und Behartlichkeit, auch nicht ohne
"einiges Gluͤck und jedenfalls yicht unbewähre, nah dem
Zieie jener Periode hinfkrebten, daß die gefammte Nation
als das Biel ihres Wollens proclqmirt, da fie zum legten,
Male vollommen einig geweſen. Ihte Partei umfaßt,
‚ einen bedeutenden, wo nicht den größten Theil der geſin⸗
"nungsfeften, aber theoretifch .fortgelgrittenen Patrioten
..jener Zeit; die conſtitutionnelle Throrie iſt die gereiftefte
unter den Entwidelungen der Jdern vom Jahre 1813,
und. das conftitutionnelle Syſtem, fo gefaßt, daß es alle
Fractianen der wahrhaft, conftitutionned Gefinnten, auch
die Anhänger des ſtaͤndiſchen Soſtems, das nad dem
‚Crgebniffe eines mithandelnben Volks hinſtrebt, in ſich
foließt, it allein der wohlverffandenen hiſtotiſchen Ent-
mwidelung und dem Redite gemäß. Das feudal. ſtaͤndiſche
Weſen, das ausgelebte Staͤndethum, wie es in des legten
Periode des Reicht und Reichsverfalls beftand, iſt eben;
von der Geſchichte für sadt erklärt. Die, Erperimente, die,
wir erlebt, es zu reſtautiren, haben zu allem Überftüß,
die Vollgültigkeit diefer. Todesetklaͤrung dargethan. Weder
die Repuͤblik noch der Abſolutismus kann ohne Rec
verletzung, Gewalt und Zerxüttung in Dentfhlanb e
geführt werden; ed tiege „ber Natur der Verhaͤltni
aac auf der. Hand, die Verſuche im Cinzelnen, melde:
gemahıt worden, fügen das Zeugniß dei Erfahrung hinzu.
Auch, das hat ſich als unheilſam erwieſen, daß sin Theil‘
„ber Bundesſtaaten dem „Repräfentatiofpfenge, ein anderecı
„dem fländifhen, den geheimen Beamtenſtaat nur timpepis
‚senden huldigte, wodei keins zux .sechten "Gntwidefühg
und Sicherheit KA fon! Hemmungen und Rı
„bungen unvermeidlich waren „und die Folgen nit ai
bleiben fonnten, will Jagen die alten Saiben, Mistrauen,
Spaltungen, Tinkehifihei,. Rafhiofpfeit, Shioäce,
Berpaglaffigung det Oyingendffen und, wictigften Nätiena,
12120 177
nur in feiner Vollendung leiſten kann? Man koͤnnte fas, | durch jene und dieſen Getaͤuſchten, ihnen Nachfprechen-
gen: es hat bei uns nicht getäufcht und konnte nicht täufchen;- |; den; weiter das überfiuge Juſtemillen, das nicht weiß,
weil wie es in —* noch I aK — a. a 40 und F darin einig iſt, alles Klare und
einmal bie n wir g gehabt. qꝛ ntfchiedene en, endlich der el
e Mugel Ber | eich —* re arid- Ausdaßik, * de ) PY —* kn
agmentẽ Und wir die m
9wrfaffung ef zu *einkm biögen e fehlte. Win koͤnnun Bier reif a
Muidfachen
nöchige Geiſt, ohne welchen auch die vollſtaͤndigſte Korm | und mefentlihen Erfolge nur hindenten, durch weiche füch
ein Todtes und Richtiges bleibe — wie hätte er unter | das Mepräfentatiofpftem namentlich de, und nicht felten
Atpdrücden vegfam bleiben, erflarken koͤnnen? Diefes aber | fogar glänzend bewährte, wo es noch am reinflen durch⸗
gehört nicht zum conflitutionnelien Syſteme, rührte nicht | geführt war, das ſtaͤndiſche am wenigften mitherrſchie
ver: den Sonfitutiorfkellim her. Getäufcht find undigäge
und überfpannte, find vernünftige und gerechte Erwar⸗
“ungen. ern ;
i sie e deshalb erhoben, als eben bie Conſtitutionnellen? | \ -
Getduſcht hat die Erwartung, daß im Ganfen und Gros | die Vefeitigung fo manches Misbrauchs im Staatahaue
„sen ein Über ang zur conflitutionnellen Staatsform mit | halte gelungen, wie fid) Regierang: und Volk ſehr wohl
“allen ihren Bedingungen bevorſtehe. Wie das Wepräfen | bei ihm befanden,:wie es Schhigefaht in Bürger gewedt,
tativſyſtem im Einzelnen eirigeführe worden — als Stügl: | jenes Vertrauen geföcbert, das meuerdings ſich einmal
werk, oft als etwas noch viel Merthloferes, Schlimmes | wieder in feiner'Uinentbehrlichkelt zeigte; vie es zur Klar:
“res — nach der, Behandlung, den Schickſalen, die es drz | heit In den Finanzen geholfen und manche Wilke abge:
fuhr, konnte es, Stein für Brot, nicht, gelten für foldyes, | werdet u. ſ. w. Die Gefährdungen dr Rechtsidee, die
ſich nicht zeigen, was es vermöge. Das hat 26 ander | öffentichern Rechtskraͤnkungen, die wir zu beklagen haben:
waͤrts gethan, in Frankreich und Belgien (man mag’ far | nicht von den reifen der conſtitutionnellen Ideen find
‚gen was man will, verfennen wie man till), und foeit, | fie ausgegangen. Diefe freilich waren nicht üͤderall ſtark
"freilich .röeit mehr in England, in Norwegen, an weldyes | genug gegen fle, wie v6 Bis jetzt ſcheinen toill. Doch
‚Zand in dieſer Beziehung viel zu wenig gedacht wied, | wir’ werden fehen. Und jedenfalls ift fo viel gewiß, die
wie an Frankreich zu viel, wo die conflitutionnelie Staats: | Sonftitutionnelien und wicht die Freunde des Adfolutie:
“Form nothtvendig fi ariders geftalten, aufgefaßt. werden: | mus, nicht Provinzialftände haben fi) des Rechts ange:
‚und wirken mußte und muß als bei Nationen germani: | nommen, die Sache deffelben deftärkt, Durchdrungenſein
Achen Namens und nit franzoͤſiſcher Geſchichte und Act. | von National: und Gemeinſinn, von der Erkruntniß ge:
Schaut bei dem Norweger ein deutliches Bild feiner Kraft, | zeigt, dag kein Theil. leiden ober verlegt werben kann
feines Segens; "bei ung konnte es nicht Präftig noch na= | und darf, ohme daß Alle fihmerzlich mitenpfinden. Die
türlih wirken in feiner Verkruͤppelung, in feiner Miöge: | bedeutfame und fehe werthvolle Wirkſamkeit des Conſti⸗
flott, in Heinen neben, großen Staatsprincipien, unter eis | tutionalismus beftand darin, baß er den potitifihen Rechts⸗
ner Gefeggebung wie die des Bundes, und in einer he! | und Freipeitsfinn unterhielt, In meitere Kreife Ibdertrug,
druͤckten engathmigen, Zeit. nn aufklaͤrte, den öffentlichen Geiſt raſcher entweidelte, durch
—Wie doch fo leicht vorüber:, ja kaum vorlbergegans | conftitutionnele Arbeiten und Übungen flır alle Deutfche
"serie, fich erſt noch auflöfende, ſelbſtdurchlebte Perloden | conflitutionnelle Erfahrungen [ommeite, ‘ohne viel Dank
"und Zuflände vergeffen werden” Die Verbündung, Bie | für die Arbeit und Muͤhe und Treue, nicht‘ ohne beim
Principien der europdiſchen Mächte, der Continentalmächte | Lehrgeldzahlen weldlich gehudelt zu werden, doch unver:
wenigſtens, ein paar Jahre nad) den Befreiungskriegen — droſſen. Der Theorie und der Praris bes Repräfentattv:
man kann mit Recht Tagen, die’ conflitutionnelle Richrung' | ſyſtems iſt es zum bedeutendften Thelle zu danken, daß
. mit ihren Ideen hätte eine entfchiedenere und zugleich: | ein, wenn nicht volftändig conftitutlonnell gebildetes boch
ſtaͤrkere Feindſchaft In’ ihrer Jugend nicht finder koͤnnen. | Vorbereitetes Volt und conflimtionnelle Führer erzogen,
„Eine fo umfaſſende, geſchloſſene, feſtverbundene Allianz vorhanden find; daß wie in bie jegige reifere und beſſere
"mit einem fo bewüßten Ziele, fo zahfreihen und ſtatken | Entwicdelungsperiobe eintreten fonnten. ° i
Jntereſſen, ſo Heftige Leidenſchaft und doch To kaltblüti⸗ Es gehört zu den menſchlichen Schwaͤchen oder rs
‚ger feiner Politik, fo umfaffenden Mitteln und fo berei: | thuͤmern, von jeder höheren Stufe auf die niebere, ſbeben
"ten Waffen, trat ſelbſt dee Reformation des 16. Jahr: | verlaffene mic einigem Übermuch, mit Geriäufchdgung
hunderts und ihren Ideen nicht entgegen. Und dennoch, | heruntetzublitten, zu vergeffen, mis man ihr verdankt.’ Es
"Haben. bie politiſch⸗-reformiſtiſchen Ideen des 19. Jahr⸗ gehoͤrt zu den Künften "und Kiffen bee Miderfacher des
hunderts in ihren Verkoͤrperungen, den Sonffitutioitin; Fortſchritts, die echten und unechten, loͤbllchen und un:
der Heinern Staaten, ſelbſt als erſte Anfänge, ſchwache loͤblichen, wohl: und falſchverſtandenen Ideen und Beſtre⸗
Verſuche, weſentlich und wohlthaͤtig gewirkt und keines⸗ bungen deſſelben zu verwechſeln und die einen mit den
wegs abfolut getaͤuſcht, was nur behaupten: erſtlich die | andern derdaͤchtig u machen. Es fehlte dem‘ Liberalis⸗
KReaction und der Republitanismug, die ihnen natuͤrlich / mus des vergangenen Jahrzehnds nicht" an falſchen Pro:
keine Gerechtigkeit widerfahren laſſen koͤnnen; fodann Die I pheten noch Freunden, nicht an" Irrthuͤmern und Irewe⸗
vlg
1
1
gm. & verfos Hd. nicht lilten fi (re. Dillomatin, | jezige voranſtellt Blicken mim ben Spiegel bed’ coh-
ı bitmeilen im -uummetiemnde
Tendenzen, MDie lehtern vera | Hitutlonnellen Ideenkrefſes hinein, wie ihr‘ das , Staacs⸗
zeihen - wie: seßdit, um fe weriger, da 66 am ‚einbeiiglichen | "Terikon” vorhaͤlt, fo'trete ums‘ alle die Motive vor Au:
KAhie and Wartimg hide Yahlte, zir’weldee and das,
;geade von deutſch Vaterlaͤndiſchem Sinne dutchdrungene
.„Staassieriten‘” fein gutes Theil hingugethan: hat. Min⸗
-der führen miegt der Berisimf, trten: Declamation, ſo!
nachcheilẽg fre Au gewirkt hat. : Daß wir jedoch in We:
treff des Sinnes der fegterm nicht misverflanden wer⸗
‚sent Wir verwahren uns ausdrücklich, als wollten wie
darunter, -wie-.0& wol geſchehen:; iſt, ale und jede Er⸗
fümtung der. Princip⸗ und Formfragen’ begeeifen So
ange die Gegenfäge beſtehen, muß det Ptintipienſtreit
natürlich fortgefegt werden. Es iſt sine Verlockung, des
un pecfide, Abſicht deutlich genug, daß man Zeit umd,
raͤſer nicht im Zank um Grundfaͤtze, Verfaſſungspam⸗
graphen oder Sontrodetfen vergeben, : ſondern bie wah⸗
‘ten, die materfeflen Intereffen bedenken möge. Die
Docttin darf nimmer vernachläffige werden. Die Princlp:
‚and Formfragen bangen aufs engſte ‚mit den materiellen
Jatereſſen zufammen, in denen die Einheit nicht von
Dauer fein kann, wer jene nicht geibfl werden, tvenn
es gelingen follte, fie zu befeitigen. Auch die Maſſin
ſehen es nachgerade ein, ‚wie unfehlbar ungünflige Car:
ſcheidungen in abfirasten ſigategrundgeſetzlichen ‚Dingen
an die perſoͤnliche Freiheit und Würde, den häussichen
rtden, die Moral, den Weldbentel gehen. Es wird
"Hahgesade auch dem Bürger und Bauer klar, daß wir
zu befricdigenden Zufländen, insbefondere eben zu Wohl:
ſtand und Sicherheit des Erworbenen, ohme politiſche Frei⸗
heit wicht gelangen koͤnnen. Und jene Einficht, ein all:
gemeineres und lebendigeres Streben nach der letztern und
den Inſtitutionen, welche fie herbeizuführen, zu beſeſtigen
geeignet, ‚eine größare- Theilnahme am Staate und das
Bersußtfein ihrer Nothwendigkeit, eine größere Regſamkrit
us Narionatgefühts, ein alt ered nad)
Einigung in politifcher wie commmerciellet - Weziehung :
dieſes Ahes charakirrifiit eben die vorgeſchrittene Ent:
widelungeperiode, in welcher wir uns jetzt befinden, und:
au der Arbeit ihrer HDerbeiführung haben die Conſtitu⸗
tionnetlen, hat auch das „Staatalerikan“ feinen Theil ge⸗
cudimen. Jene wollten eine fange Zeit von dee Cinheit
gen, auf welchen die gegenwaͤrlige Bewegung det politi⸗
ſthen Ideen rufe. Mas jetzt laut und offen deklagt und
geradelt, gefodert und angeftrebe wird‘ — "die Senfur, die
Hehmtichkeie "öffentlicher Dinge,” die poltdiihen und bie
Handbelsſperren, Dffentlichleit und Muͤndtechkelt des Rechts,
volksthuͤmliches Heerweſen, Einigung, Einheit, engſte Ver:
bruͤderung aller Deutſchen u. ſ. w., das Alles würde
"dort frei und offen eroͤrtert, als der Tadel und die Fo⸗
derung noch beſchwerlich und gefährli war. Und wie
nun. die Gönftitutionnellen im Einzelnen irren, geiret da:
‚ben mögen, es tritt mit jedem Tage klarer bervor, dag
"fie aus dem Herzen der Nation geredet, daß ihre Grund:
"ideen nur künſtlich zuruͤckgedtaͤngt, doch aber die here:
ſchenden waren, in jedem Falle die Derrfchaft einnehmen.
Ihre Foderungen find es, im welche der dußerfte Oſten,
Welten und Norden einſtimmt; kaum mird nocd eine
Stimme zur Vertheidtgung Deffen "laut, was lets Ge⸗
genftand ihrer Angriffe war, die noͤch vor nicht zu Lan:
ger Zeit’ fo’ heftig geſcholten, fo hochſahrend behandelt
wurden. Das conftitufionnelle Syſtem hat daher fo ge:
wiß nicht getäufcht, als feine Ideen im Siegslaufe begrif:
fen find; und’ aud das ift eine fehr pofitive Wirkſam⸗
“keit, fo gering man fonft feine handgreffliche anzuſchla⸗
gen geneigt fein may. Aber es hat auch negativ Mefent:
lich gewirkt, worauf wir bei der dritten Frage zutuckkom⸗
men wetden.
‚Hat fi denn das, dem conſtitutionnellen Principe
"entgegenftehende abfolutifilfihe oder ſtaͤndiſch-abſolutiſtiſche
witffamer, wöohlthätiger, oder nicht vielmehr, trotz aller
ihm zur Selte ſtehenden Macht, Eraftlofee umd ebenfo
unheilſamer ertdieſen? Es hat nur wertig dauernde Schoͤ⸗
pfungen hervorzubringen, die Volksmeinung und Liebe
fidy nicht zu gewinnen vermocht, feine Ergebniffe, gerade
bie am eifrigften geſuchten, find vergangen Hder im Vor:
übergehen, es hat fih dem Ganzen nachtheilig und un:
haltbar gezeigt, es tt und wird — ob auch nur halb
feetwiitg, od auch nur Speer vor Schritt — aufgege:
ber und verlaſſen. Es iſt Hier der Dee wicht, feine
GSuͤnden, feine uͤbeln Wirkungen auf: die welenttichften
nationaken Intereſſen zu erörtern ober herzuzaͤhlen; "genug,
daß Jedermann fie kennt und beklagt, daß wir noch
lange daran zu thun haben werden, ſie zu — zu
siigen, daß es uns ſchwer genug wird, im. Kampfe mit
"ven SAnderniffen, die es im den Weg geworfen, nad
dem Ziele vorzufchreiten, von welchem ds ablenkte, und
das ſeit einiger Zeit wiederum, wie in der Edoche der
Nationalerhebung der Punkt ift, nad welchem die Na⸗
-tion, und zwar unten theilwelfer Billigung, theilweiſem
VBorgange der Haͤupter hinſtrebt, zum Zeichen, daß die
herrfchenden been jener Epoche voll Recht und Wahr⸗
beit, die der Menctionsperiode Srrlichter waren. Sene
aber find eben die conflitutionuellen, und wären fie nicht
'und Freiheit zu den’ materiellen Intereſſen, neuern Im⸗
pulſen zufolge will man derzeit von den letztern zu den
tern. Weide Wege find, obwol nicht zu jeder Zeit
ieh Schr, prakticabel, fie fchliefen einander nicht ame,
Token beide binngt, koͤnnen beide einfeltig denudt mer:
den. Doch das Biel iſt ſtets daſſelbe. Den Conſtitu⸗
tionaellen bleibt das Verdienſt, eine Arbeit, welche jeden⸗
falls vorgenommen werden mußte, anzegriffen, Manches
aufs Heine ober- doch der Eutſcheidung naͤher gebracht,
buch, ihre fleigige anhaltende Eroͤrterung der Ptincip⸗ und
Sormfeagen auf die Erreichung des Ziels tüchtig vorbe:
deitet, Jum Erleichtern der gegenwärtigen Entwidelung
weſentlich beigetragen ma haben, die auf Das zuruͤckgeht,
was bie theoretifhe Periode in den Wordergeund:ftelite, | geweſen, Kicht muthvoll und geffießticchtig vertreten wor⸗
worüber. dem Einzelne freilich zu fehe-vergaßen, was die J dem, wie -fehr wäre dans — dies iſt 08, worauf wit zus
=. m —— —
‚240
shltommen. wollten — zu fürchten geweſen, daß bie ganze
Kraft und alfe unheilvollen Elemente des anticonftitutionnels
Im Princivs fich entwidelt, daß bie materiellen Gefammtin-
tereſſen mehr und mehr verſaͤumt, die Beifter mehr und mehe
gelähmt, bie Nation immer willenlofer und unkraͤftiger, der
Gedanken an Vaterland und. Freiheit immer mehr entwöhnt,.
die Sefinnungen,. die Politit immer fremdlaͤndiſcher, den
Seinden willlommense geworden, mit einem Worte, daß
die Zuffände und Schickſale eingetreten wären, die dem
edein Motte ſtets, brohenden Geſpenſtern gleich, vor ber
Seele fanden, feine. Anfihten und fein Leben trübten.
Dee fo ſchwer angefchuldigte und. angefeindete,. fo ängft:
lich gefürchtete, fo mistrauiſch uͤberwachte freiheitliche Ge⸗
genfag hätte nur fehlen follen! Aber er ift der Damm
ewefen, an welchem die Macht des entgegenftehenden
Drincips endlich brechen mußte, bad alle Prämiffen in.
fi enthielt, Deutſchland unter die Nachbarn oder Eu⸗
sopa unter das Slawenthum zu bringen, wogegen eben
nur beutfche 'conflitutionnelle Freiheit zu ſchuͤtzen vermag,
in welches wiederum allein die nöthige Einheit. geboren
werden kann. Sein Verdienſt ift 68 zum großen helle,
daß der National: und Unabhängigkeitafinn fi erhielt,
fo ftar und planmäßig auf feine Unterdrädung hinge⸗
wirft wurde, daß und fofern die Nation fähig blieb, den
Fortſchritt wieder zu beginnen, fobald die. äußern Um:
flände fi wieder günftiger dafür geftalteten. Aus ber
Mitte ber conftitutionnellen Ideen und Inftitutionen her:
aus wurde doch ſtets die DVerbiendung, die UÜbermacht
gewarnt, erinnert an das Recht und die Kraft der, Na⸗
tion, dieſe wach erhalten, belehrt, ermuthigt und geftärkt.
War die confitutionnelle Oppofition äußerlich. faſt ganz
unterlegen,. fann man fagen, fie habe für die Verwirkli⸗
chung ber Ideen deutſcher Einheit und, Freiheit poſitiv
und dirget. nur wenig gewirkt: fie hat fi dem gepanzer:
‚ten Sewalthaufen der Einheits⸗ und Freiheitsgegner kraͤf⸗
tig entgegengeftemmt, die feindliche Schlachtorbnung durch⸗
brochen, den Schlachtplan vereitelt, der Entwickelung zu
Recht und Freiheit sing Gaffe gemacht. od
, (Dex. Beſchlus folgs.)
-
Der größte neuere Dichter Hindoſtans.
Wir wollen bier diesvortgetreuc Überfehung eines in In⸗
dien ſehr verbreiteten Ghaſele geben, welche als eine Probe hin⸗
doſtaniſcher Poeſie, von der nur felten. ein. Blaͤttchen nach
Europa verfhlagen wird, gelten kann. Sie ift voller Anmuth
‘and poetifchen Dufts, unb jede ihrer Zeilen laͤßt eine mnftifche
Bedeutung durchblicken. Ste wird von allen ‚jungen MRufe:
männern Judiens gefungen und findet fich in der mächtigen ı
Gammlung ber -ghazal, cacida, mesnovi, tardjiband, mou-
cammat, roubhay fard, ober, wie wir fagen mwürben, ber Oben, '
Elegien, Gedichte, Cantaten, Satiren, Vierzeiten und Diſtichen
des fruchtbaren Dichters Djourat. Die einzigen Angaben, die
"wir über das Leben dieſes Mannes, ber für den größten Dich⸗
ter Dindoftans gilt, finden, fiat diejenigen, bie dee befanate:
Drientalift Garcin be Taſſy in feiner Bibliothek ber hindoſtaniſchen
Schriftſteller aus der „Tazkira”, einen großen” perifeh-sindöfta:
nifhen Biographie, im Auszuge mittheitt. Aus benfelben geht.
herdor, daß er, mie Miltsn und Homer, bAAd: war. Wein
eigentticher Mamen war Yabnas Dan Ealasder Dakhich. „und
:obee poeetiſcher Beiname
Mouhabbat⸗Khan als fein Wohlthaͤter und Maͤcen
Alte feine Gedichte athmen bie reinſte Poeſie und
"meine Augen, bie von :
‚Bade, dann dem
-auf ihrer Lippe, unfere
.Antlie nah dem ihren!
krennt bin, fo find wir uns'doch beide nah,
‚Aunzeitung im exſten Sahraga
fein Vater Hieß Safiz⸗ Man. Diourat war fein „Takhalas”
und bedentet fo viel al6 Kuͤhnheit.
Wie: es fcheint, If dirſet zroße Dichter een Ende Des vorigen
—— — —*738 Nat ap aueuſt Batenn
rd Hi a ber. zu ap, auf, 109 pr bie Unter⸗
ftuͤzung mehrer indiſchen — —— Habab-
—F
in-dem
myſtiſchen Geiſte verfaßt, dee die meberne werſiſche ·Literacur
Gpnratterifiet. Gin Theii berfelen iA ia hinboftanifcken, ein
anberer in perſiſcher Sprache seichrichen,, und eft wechſein ſo⸗
ar in cinem Gedichte hindoſtaniſche mit perfifchen Werfen ab.
er bekannte engliſche DOrientatift Kalconer, der zuerſt Gen
Text des tleblichen Gedichts, das wir mittheilen, berausiyegeäen
bat, ließ es fh von einem jungen Intiet bickiren. . kit
eine ber duftigſten Blüten moberner- indiſcher Poeſie und Lautet
folgendermaßen: . en
„Ich treibe mich ohne dich in der tiefſten Cinfamfeit um⸗
her; ich irre don Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt: Allein
und fern von dir burchlaufe ich die Straßen wie rin Bergseis
felter und poce an jehen Palaſt an, ma aid zu ſuchen.
Wie foll ich biefes Herz aus den Banden der Sklaverei,
in denen es ſchmachtet, iosreißen, ba jede Locke, jede Flechte
und jedes deiner Haare für es eine Feſſei iſt. .
IH vergieße in meinem Sammer reichlidge Thraͤnen, und
. Farin —— gleichen 7 dem
Wi ann dere und andlich dem
großen Dczan, ’ ”% nd andlich h
O feligee Geſchick, wenn ih eine Nacht an ihrer Seite
zubringen koͤnnte! Meine Hand in ihrer Hand und meine Rippe
Bergen aneinander poxhenb und wien
Ich irre umber .und fuche fie und bin eine Beute innen
Sturmes. Ich eile von Terraffe zu Terraffe, von Tkür zu
Thuͤr; ich durcheile alle Straßen und alle Theile der Stadt.
Ih trage in meinem Derzen ben Wegenftand, nach bin
ich ſchmachte, und obgleich ich Yon ihm dem I Ag er
unjere Haͤnd e. ums
ſchlingen ſich und unſere Stirnen lehnen ſich aneinander.
D, Djourat, wirf beine Augen auf das Blumenbeet und
ſied, mie der Glanz deines Lirbesgegenftandes in jeder Dolde,
jeder Btüte, jeder Knoſpe widerſtrahit und Ach im wonniglichem
Dufte offenbart.” s . oe
Literari fche Notiz aus Schweden,
Nahbrm die „„Bvonska Literaturtidning‘s, welche zu Upſala
erſchien und fid durch einen echt wiffenfchaftlichen Geift außzeichnete,
aufgehört haf, Eommt jegt eine neue ſchwebiſche Kiteratuts
zeitung in ber Üniverfitätöftabt Bund Heraus, "weiche auch
die Aufmetkſamkeit des Auslandes verdient. : Diefelbe wirb ven
‚ven: jüngeren akademiſchen Lehrern ber Univerfirdt rebigirt und
herausgegeben und jede Woche erfcheint davon ein Blatt. In
‚dem bis jest erfchtenenen Jahrgange herrſcht An ernfter, ſinni⸗
ger und gruͤndlicher Geiſt und Ton; ‘man ſcheint darin mehr
Werth darauf zu legen, die Kraͤfte, die man wirklich bat,” angu⸗
wenden, als ſich einen glänzenden unb' blendenden Schem ‚von
‚Reicitbum zu geben, den: wan nicht beſiht; man Jicht ‚gs. nor,
pnit beſcheidener Mäßigung nach einer fortfcgreitenden Entwides
lung zu fireben, als glei) von vornherein zu gewaltige Anläufe
und Anftrengungen zu malen, auf welche bald nMpiend der
Ermattung und Erfchopfung zu folgen ;pfiegem. Die Waßt der
Mrtifel und ber Wistesien, weiche biefe neue ſchwadjlcht diteras
? Jahn ‚zum Gegenſtand tiner Eritifce
Bebandlung oder für wiſſenſchaftliche Studien und hiſtorifche
Darftellungen gemächt hat, iſt gtücti und bietet’eim nicht ger
ringes Intereffe bar.: Vieſelbe gibt Inbbefondere kihth belehren⸗
dan Überblich über den gegenwaͤrtigen Buftand: ‚bed ſchwediſchen
Bhteratun, . ; as 16.
=
+ f ” ’ er ! 4
Verantworklicher Heraukgebev: Deintih Brafbaud. + Drü@ und Wedtah von . uvy suB. in Beipale.. tr .
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
über das Staatöleriton von Rotted | und umferer Geſchichte, dem beutfchen Volksleben Liegt
und Belder.
(Beihluß aus Nr. 3.)
Die Würdigung eines jeden Buchs ift weſentlich und
zunaͤchſt abhängig von der Würdigung feiner Grundideen,
der Sache, der es gewidmet if. Wir haben uns deswe⸗
gen bei den bisherigen Eroͤrterungen fo lange aufgehalten.
Indeß erübrigt nur noch die Trage, wie das „Staates
lexikon“ feine Sache, das conflitutionnelle Syſtem, bes
bandie? Ein raſcher Überbli® muß dabei um fo mehr ges
nügen, da wie ohnehin bei einem folden Werke in
das Einzelne nicht würden eingehen können,
Vor Allem, wie fleht e8 um die Einheit der Behand:
tung bei einer fo großen Anzahl von Mitwirkenden, bei
der bekannten nicht unerheblichen Principverfchiedenheit
ſchon ber beiden Herausgeber? Beide find darin einig,
daß fie die Vernunft als oberſte Quelle des Rechts be:
trachten, nicht fo jedoch, daß der individuellen Ber:
nunfe ber Anſpruch gebühre, ſich nach außen geltend zu
machen, vielmehr fo, daß das pofitive Mecht erft dadurch
entfiche, daB das Vernunftreht Außerlih und factiſch
anerfannt werde. Hier aber ſcheiden ſich die Principien.
Rotteck will bei Begründung des pofitiven Rechts ledig⸗
ih‘ das Bernunftreht vor Augen haben, das der alle:
nige Mafftab dabei fein fol: nur dafür fei zu forgen,
daß das Bernunftrecht die Anerkennung der Öffentlichen
Meinung erhalte. So poftulirt er die Repraͤſentativ⸗
verfaffung aus dem vernunftrechlichen Sage, daß Jeder ges
fragt werden müffe, wenn er zahlen folle, gleichviel ob
wir fie gehabt haben oder nicht: iſt fie Rechtsfoderung,
fo muß fie uns merbden.
Darin nun, baß fie Rechtsfoderung fei und uns wer:
den müffe, ſtimmt Welder ganz mit ihm überein, ge:
langt indeß zu demfelben Ergebniffe auf einem ganz ver:
ſchiedenen Wege. Wir müflen, fo ift fein Ibeengang, in
unferm Volksleben felbft nachſehen, die Srundideen def:
felben und feine Geftaltungen auffuhen. In jedem
Volksleben iſt auch eine Volksvernunft. Wie erhalten
dann die vornehmften Mechteideen, die das Volk durch
fein Leben bereits anerkannt hat und die nach der Rechts⸗
idee zu entwideln find, welche für ſich allein zur Reform
nicht qusreicht, aber allerdings zu Hülfe zu nehmen ift.
Die Nationalgeſchichte iſt demnach vernünftig fortzubilden,
bie politifche und blrgerlihe Freiheit zum Grunde, bie
eben hergeftellt, erneuert, neu organifirt werden muß,
wenn vie sicht fortfahren wollen, wider unfere eigene
Gerichte, unfer eigenthuͤmliches Volksleben zu fündigen.
So finder Welder die Mepräfentattvverfaffung im germas
nifhen Volksthume als Recht, indem er nicht dabei fies
ben bleiben will, die Gegenwart aus der Vergangenheit
zu begreifen, fondern die Foderung ftellt, daß bie leiten⸗
ben Ideen des Volkslebens nach der Rechteidee entwickelt
werben.
Hiernach beſtimmt ſich das Verhaͤltniß der Stand:
punkte ſowol Rotteck's als Welcker's zur hiſtoriſchen Rechts⸗
ſchule, die das Beſtehende idealiſiren wollte, blos durch
den Nachweis ſeiner geſchichtlichen Entſtehung den Be⸗
weis feiner UÜbereinſtimmung mit der Mechtsiber, feine
Rechtmaͤßigkeit, dewieſen zu haben glaubte, die gefchicht⸗
liche Erklaͤrung und Rechtfertigung mit einer an und
für ſich gültigen Rechtfertigung, die Entwickelung aus
biftorifhen Gründen mit der Entwidelung aus dem Bes
griffe vermechfelte. Ste ftand lange der freiheitlichen
Richtung nicht wenig im Wege. Die Hallerfche wußte
fie mit Gewandtheit und Erfolg zu ihren Zmeden zu
benugen. Rotteck auf feinem vernunftrechtfihen Stands
‚punkte fland ihr fchroff gegenuber; fie deckte manche
Schwähe deffelben auf und von ihm aus war nidt
blos feine Vermittlung möglich, fonbern ihr auch ſchwer
beizufommen. Hatte die hiftorifche Schule nun aber den
Anſtoß zu einer tiefeen Gefchichtforfhung gegeben, fo
führte dies doch endlich zu ganz andern Eegebniffen, als
die von ihr gefundenen waren. Sie wurde auf ihrem
eigenen Boden gefchlagen und zwar durch die von Welcker
verfolgte Richtung. Ihre Beguͤnſtiger aus widerfreiheit⸗
lichen Abſichten fahen die Spige der von ihnen ermähl:
ten Waffe gegen fich felbft gekehrt; fie mußten erfahren,
dag den Reftaurations = oder Reactionstendenzen nichts
ungünftiger, dem Freiheitsſtreben nichts guͤnſtiger fein
könne als eben die tiefere geſchichtliche Erforſchung des
deutfchen Volkslebens, fobatb biefelbe mit wahrhafter Tiefe
und Gruͤndlichkeit ſowie mit unabhängig männlichen
Sinne — fagen wir kurz, im Moͤſer'ſchen Geiſte — bes
trieben wurde, von welchem ein guter Theil auf Welcker
übergegangen iſt, wie feine Artikel im ‚‚Staatsleriton”:
142
Deutfches Recht, Deutiche Staatsgeſchichte, Allod u. ſ. w.
bezeugen. Die biftorifche Rechtsſchule, die eigentlich nur
einen beflimmten Dogmatismus lehrte, den fie auf ges
ſchichtlichem Wege gefunden hatte und für die eigentliche
Aufgabe der Wiſſenſchaft erklaͤrte, ift ale Partei ver:
freunden, ſchweigt, verleugnet ihre Gtundfäge oder gibt
ihnen eine Wendung, durch melche fie den freifinnigen
Freunden des Geſchichtsprincips, des philofophifch = hiſtori⸗
fchen Liberalidmus das Feld räumt. Namentlich bat
fih Savigny neuerdings in der Vorrede zu feinem „Sys
fteme des heutigen römifchen Rechts“ angelegentlih ba=
gegen verwahrt, er und bie hiſtoriſche Schule wolle und
babe die Gegenwart, ihre Selbftändigkeit verkennend, un:
tee die Herefchaft der Vergangenheit beugen, die aus ber
Vergangenheit hervorgegangene Rechtsbildung als ein Hoͤch⸗
fies, welchem die unveränbderte Herrfchaft über Vergan⸗
genheit und Zukunft erhalten werden müffe, aufitellen,
don Werth anderer Thätigkeiten und Richtungen vernei:
nen ober vermindern wollen, wogegen es nur gegolten
babe, wie er behauptet, die eine Zeit lang verfäumte hiſto⸗
riſche Seite in ihr natuͤrliches Recht wieder einzufegen:
worin aud allerdings, wie fich ergeben, die Miffion der
biftorifchen Schule beftanden, nur daß fig jegt ſelbſt erſt
zu ihrem eigenen rechten Verſtaͤndniß geführt worden if.
So Lange fie indeß ſich felbft mehr oder minder nicht
verftand, mußte fie ſchon deshalb nothwendig misverflan:
ben werden — wenn fie misverilanden ift.
Bei einem encyklopaͤdiſchen Werke iſt Divergenz der
Richtungen und Xhätigkeiten wol nicht leicht ganz zu
vermeiden. Beim „Staatslexikon“ erfcheint fie nun freilich
fat zu bedeutend. Wir haben gefehen, welch eine we:
fentliche Principverfchiedenheie ſchon zwiſchen den Deraus:
gebern obmaltet, und es iſt nicht zu verfennen, daß bie
Wege der übrigen Mitarbeiter nicht minder weit ausein:
ander geben. Wir erblicken jedoch Beinen wefentlichen
Nachtheil und manchen nicht unerheblichen Vortheil darin.
Die verfchiedenen in Thätigkeit kommenden Richtungen
verneinen einander nicht, ergänzen ſich vielmehr gegen:
ſeitig. Die Mitarbeitenden ftimmen jedenfalls in dem,
der vernünftigen und freiheitlihen Reform nothwenbigen,
die Ehre und Bedeutung der Wiſſenſchaft, die Freiheit
bes Gedankens mwahrenden Grundfage zufammen, daß die
Entwidelung ber Gegenwart nicht der Befchichte, d. h. dem
Zufall überlaffen werben dürfe, fondern daß die Philofophie
berufen fei, neue politifche Grundſaͤtze ine Leben einzuführen.
Ihre Wege gehen weit auseinander, führen aber im Wefent:
lichen zu demfelben Ziele. Vor Allem wird die gleiche Ges
finnung, bie gleiche Liebe der Sreiheit, des Rechts und Ba:
terland® der fefte Kitt fo verfchiedener Geiftesrichtungen.
Ein ſolches Vereinigen und Zuſammenwirken fließt
außerdem eine wichtige Lehre in ſich. Wir Deutſchen
bringen es im Politifhen zu nichts Nechtem, bleiben trog
dem Reichthum unferer Kräfte, trotz allen unfern An:
ſtrengungen verhältnigmäßig viel zu weit hinter unfern
Seen, unferer beffern Erkenntniß, unſerm Wünfchen
und Wollen zurüd, großentheils weil wir uns in wiſſen⸗
ſchaftlichem Eigenfinn und misverfiandenem Wahrheite:
eifer auf unfern theoretifhen Standpunkten zu fehr ab:
[ließen und abfondern, ja nicht felten das gleiche Ziel
von Meinungsgegnern verkennen und fobann die, genau
befehen, Gleichſtrebenden lebhafter und bitterer bekaͤmpfen
als felbft die Gegner, denen wir dadurch in die Bände
arbeiten. Hier entfchieden Freunde ber Freiheit, der Re⸗
form, und dort andere. Jene fuchen ihr Streben fo,
diefe fo zu begründen. Sollten fie nicht die engfte Ver:
einigung ſuchen in ber zukunftfchwangen Gegenwart?
Sind die Aufgaben der legtern ſchon gelöft, der Loͤſung
nur fon nahe? Bei mancher Verſchiedenheit fehlt «6
doch nicht an vollfommen gleichen Zielpunften, und wäre
das nicht, fo iſt Eein Zweifel darüber, wer und was ent:
gegenjteht, zu befämpfen ift. Aber Vertennung und Ans
feindung untereinander ohne Ende, die blindefte, bitterfte.
Warum? Sie gehören verfchiedenen wiffenfchaftlichen Ric:
tungen, philofophifchen Schulen an. Der gemeinfeindliche
Gegenſatz gedeiht Dabei vortrefflich, die Widerfacher haben
leichtes Spiel.
In das Einzelne einzugehen, mußte, wie ſchon gefagt,
bei einem Werke wie das ‚Staatsleriton’ unthunlich er:
fheinen. Es kam und nur darauf an, einige allgemeine
Geſichtspunkte aufzuftellen, geeignet, da6 Ganze und feine
Tendenz zu charakterifiren. Es wird nicht verfannt wer:
den koͤnnen, daß es bei der Medaction ohne Misgriffe
niht abgegangen ifl. Unter ben Artikeln find mandhe,
die als zu ſchwach oder zu lang oder als planwidrig,
wenn aud an fidy nicht ohne Verdienſt, zu gelehrt oder
zu unwiſſenſchaftlich nicht hätten aufgenommen werden
follen, anderer Bedenken zu gefhmeigen Doh it auf
ber andern Seite in Anfchlag zu bringen, daß das zu
feinem eigenen Nachtheil zu böndereich gewordene Werk
mit dem Maßſtabe nicht zu meſſen it, den man in der
Regel und mit Recht an eine Encpklopädie legt. Faͤnde
man in ihm ſtets, was man fucht und zu fuchen berech⸗
tige fiheint und enthielte es nichts Entbehrliches und
gern Entbehrtes, fo würde dies allerdings ein Vorzug
fein, der ihm entfleht, indem es, als conflitutionneller
Hausſchatz betrachtet, ſowol zu viel ald wenig enthält.
Alein die Daupttendenz war, anzuregen, den politifchen
und nationalen Sinn wach zu erhalten und zu nähren,
conſtitutionnelle Gefinnung und Bildung in einem Maß
und in einer Weife zu verbreiten, tie es Bücher über
einzelne Staatswiſſenſchaften und bie periodifche Preſſe
entweder nicht thaten oder konnten. Anzuerkennen ift,
daß das „Staatslexikon“ einen großen Reichthum von Arz
tikeln des entfchiedenften praktiſchen und wifjenfchaftlichen
Werts enthält, die treue ehrenwerthe Geſinnung eines
aufrichtigen, auf fittlidy = religiöfer Grundlage ruhenden
Liberalismus, im welcher ed begründet, die Beharrlichkeit,
womit es fortgeführt worden, feine mannichfache erheblid;e
wie heilſame Wirkſamdeit. Leider ftarb der eine der Heraus:
geber darlıber hin. Es war das legte Werk, dem Karl von
Rotted feine ganze Geiſteskraft und Liebe gewidmet — und
Rotteck war ein ehrenwerther Mann!
K. Jürgens.
U U)
143
Romanenlileratur.
1. Die Fluͤchtiinge. Novelle von Georg Lau. Hamburg,
Meisner. 1841. Gr 12. 23 Thlr.
Diefe Rovelle von Lau ift ein paſſendes Gegenſſtuͤck zu den
„Pietiften‘‘ von Rau. Zieht Rau gegen ben Pietismus zu Felde,
fo eifert Sau gegen die Freigeiſtigkeit; wid Jener nur von Ber:
nunft etwas wiffen, fucht Diefer alles ‚Beil im pofitiven Glau⸗
ben. Irogdem bilden fie keine contradictorifchen Gegenſaͤte zus
einander. Iener gehört nicht auf die aͤußerſte Linke, Dieler
nicht auf die äußerfte Rechte, fondern fie fißen Beide dem Gen:
tum ziemlich nahe, und es bedürfte nur eines geringen Nähers
züdens von beiden Seiten, fo würde ber Eine wie der Andere
recht gut. als ein Gremplar der aurea mediocritas gelten können.
Jener 1äßt neben dem Denken body auch einige Religion geiten,
und Diefer ift liberal genug, neben ber Religion auch einiges
Denten zu flatuiren. Rur über das Miſchungsverhaͤltniß find
fe no auseinander; fie combiniren Weide noch unverhältnißs
mäßig, und ba ift ber Grund, warum die Mirtur des Ginen
wie des Andern nur Wenigen munden wird.
Was die vortiegende Novelle betrifft, fo läuft ihre Tendenz
befonders barauf hinaus, zu zeigen, dad alle Kreibeit, alles
Willen, alle Genialitaͤt nicht ausreicht, unferm Gemüthe Ruhe,
unferm Streben Kraft, unferm Leben einen innern Halt zu ges
ben, daS diefe Potenzen, undurchdrungen vom Glauben, lodge:
riſſen vom Shriftenthum, nur zu innerm 3erwürfniß und äußerm
Untergang führen, und daß die Religion allein es if, die uns
nicht fallen laäͤßt, von der wir Grfüllung unferer Wuͤnſche, Aus⸗
gleihung des innern Zwielpalts, mit einem Worte dußeres und
inneres Deit zu erwarten haben. Um biefen Gap zu bemweifen,
führt uns ber Berf. mehre Perfonen vor, von benen einige
ſchon von vorm herein daran glauben, andere erft nach und
nah zum Glauben gelangen, und wieder andere bis an ihr
Ende ungläubig bleiben, und richtet es natürlich fo ein, daß
die Erſten ſogleich, bie Zweiten allmälig, bie Dritten aber nies
nıald das Bid bes Lebens und das Ziel ihrer Wünfche errei⸗
den. Wenn Dr. Eau im Stande gewefen waͤre, diefer Ent⸗
mwidelung den Stempel der Nothwendigkeit und Unerlaͤßlichkeit
aufzsubrüden, To möchte fein Beweis als eine demonstratio ad
hominem für den bünbigften und fdhlagendflen von der Welt
geiten Eönnen; ich bin aber überzeugt, daß Dr. Rau feinerfeits
im Stande fein würde, eine Geſchichte zu erfinden, die gerade
den umgekehrten Bergang bat und die mindeftens ebenfo übers
zeugend iſt als diefe. Vermoͤchte auch unfer Verf. zu bemeifen,
daß geniale und Liberale Leute von der und der Beichaffenheit,
mie er fie gerade geſchildert bat, nothwendig gerabe dem und
dem Schickſal verfallen müflen: fo wird er doch nich barthun
innen, warum folche Leute gerabe von der und ber Beſchaffen⸗
Kit fein müffen. Ref. kann verfichern, daß er Perfonen genug
kennt, bie in Bezug auf Das, was der Verf. Froͤmmigkeit und
GShriftiichkeit nennt, mit feinem Reinhard und dem noch unbe:
fehrten Adolf ganz auf einer Linie fteben, die aber daneben
durchaus tüchtige und ehrenmwerthe, der Wiflenfchaft ober der
Kunſt, dem Staat und der Familie Eräftig dienende Maͤnner
fad und fig ats ſolche ber vollkommenſten Seelenruhe und des
beiten Lebensglüds erfreuen. Es wäre in ber That auch trau⸗
ta, wenn Leute, die dem Cuitus des Genius huldigen, oder
be den Weg der freien. Wilfenfchaft gehen, ſaͤmmtlich Greatu:
sen fein müßten, deren Handeln und Wanbeln ben Einen an
den Gatgen, den Andern nad Botanydai, den Dritten nad
Newgate, den Vierten nad Beblam unb den Fuͤnften auf
ein fauliges Strohlager bringt, wo er bei lebenbigem Leibe vers
weſen muß. &o urtheilen aber dieſe Brommen par excellence.
Mit der größten Kaltbluͤtigkeit dictiren fie Denen, bie nicht in
iken Kram paflen, bie in ber Vernunft und dem fchaffenden,
geflaltenden Genius ferbft die göttliche Macht, an die der Menſch
gebunden ift, erkennen, Lafter und Verbrechen auf den Hals,
die ihn dieffeit an den Galgen und jenfeit in das böllifche Feuer
bringen. Wer fein Engel nad: ihrem Sinne ift, muß noths
wendig ein Teufel fein. Kunft, Wiflenfchaft, Thaͤtigkeit, Freund:
ſchaft, Liebe — Alles das ift keinen Schuß Pulver werth, wenn
es ſich nicht unter jene Frömmigkeit dudt, bie allein a in
iſt, ber Tugend den Abeldbrief, der Sünde aber den Ablaßbrief
zu ertheilen. Würden hierbei Slaͤubigkeit und Froͤmmigkeit in
einem böbern Sinne gefaßt, würbe darunter ein Aufgeben des
Individuums in der Univerfalidee verftandeg, fo wollten wir
gern in dieſe Anficht der Dinge einflimmen ; fo aber ift eben
nur das träge Feſthalten gm Pofitiven und Gegebenen, das
bequeme Bergictteiften auf eigenes Forſchen und Denken, das
gedantenlofe Schwören in verba magistri damit gemeint. Mir
glauben wol, daß es diefen Maägiftern darum zu thun ift, diefe
Meinung wieder in Gurs zu bringen, zweifeln aber ſehr, daß
ed ihnen gelingen wird, wenn fie es nicht fchlauer anfangen
als diefer Georg Lau. Denn abgefehen davon, daß er es nicht
verflanden, feiner Combination das Gepräge der Nothwendigkeit
zu geben, hat er auch die Thorheit begangen, ſeine unfrommen
Perſonen als die intereſſanteſten, die frommen aber ala die
—SS — erſcheinen zu laſſen. Zwar hat er es fi, wie
es ſcheint, fauer genug werden Laffen, die ſchoͤnſten Phrafen der
Kanzelberebtfamteit abzufcuern, und mag fich bei der Darfket:
lung der Ungläubigkeit weit mehr haben geben laſſen; allein
ber Effect entipriät feinen Bemühungen niht. Gs bat ſich
bier an der Froͤmmigkeit bewährt, was einmal in d. BL. der
geiffreiche Dr. Mifes über die Tugend ausſprach, daß fie naͤm⸗
lich, noch fo ſtattlich mit [hönen Worten und Redensarten auf:
gepugt, nicht halb fo zeizend und amufant fei, als das zerlumpt
und halb nadt einhergehenbe Lafter. Auch bie Froͤmmigkeit hat
ihre echt poetiſche Geite, aber der Verf. hat diefelbe nicht here
auszufehren gewußt. Weihe Wirkung darf er ih alfo von
feinem Buche verfprehen, wenn der Glaube, ben er darin pres
big, als eig Par — des Genius aber, den
er mpft, ergoͤtzlich und unterhaltend? Mei { 1
das Publicum denkt? ß ex nicht, wie
„Lieber will ih ſchlechter werben
DE Als mid ennupiren!”
ift fein Wahlſpruch und vom Standpunkte ber Unterhaltungs
lecture wenigſtens hat es nicht Unrecht. Darum rathen wir
dem Berf., fein barflellendes Talent, das ihm nicht abzuſpre⸗
den iſt, lieber andern Intereſſen zuzuwenden und ſich zu prüs
fen, ob er nicht im innerſten Herzen ſelbſt jener Partei, die er
betämpft, näher ſteht als derjenigen, die er in Schug nimmt.
Das CEhriſtenthum bedarf weder ſolchen Schutzes, noch kann
ihm berfeibe im Nothfall irgendwie nügen.
2, Die vier Schweſtern. Nach dem Franzoͤſiſchen bed Frederic
Soutie von Er. Brindmeyer. Drei Bände” Braun
ſchweig, ©. C. E. Meyer sen. 1841. Gr. 8. 3 Thlr.
‚Der deutſche Mann mag keinen Franjen leiden, doch ihre
Weine trinkt er gern‘, und wie er ihre Weine gern trinkt, fo
ißt er gern ihre Gourmanbdifen, fo pugt er fich gern mit ibren .
Moben, fo tauft er gern ihre Quincaillerien, fo lacht er gern
über ihre Garicaturen, fo ſieht er gern ihre Luſtſpiele, fo hört
er gern ihre Opern, fo lieſt er gern ihre Romane. Und was
ift es, was ihn in allen diefen Dingen anzieht? In allen Din:
gen bad Cine, das ihm ſelber fehlt: der Geiſt ber Leichtfertig⸗
feit, ber Stempel der Muͤheloſigkeit. Da findet ſich nirgenb
bie Schweißfpur ber Arbeit, nirgend die angekränkelte Biaffe
bee Überlegung. Wie das Werk auch fei — es ſteht fir unb
fertig vor und ba; es duftet noch in der Krifche des Cbengewor: -
denfeing und erinnert doch nicht an die Procedur des Werdens,
menigftens nur an bie Luſt des Zeugens, nicht an die Plackerei
bed Gebaͤrens; es ladet uns ein, es frifchweg, wie es entftans
den, zu verbrauchen und zu genießen. Das reist ung, bas
macht und Appetit, unb um fo mehr, weil wir e& bei uns felber
nicht haben können. Unſere Meine find ſchwerer, unfere Spei-
fen find nährender, unfere Spielereien find finniger, unfere Bil:
ber berechneter, unſere Opern gränblicher, unfere Romane durch⸗
dachter, aber an Allem klebt mehr oder weniger der Schmu
ber Werkflätte und der Schulſtaub der Studien, und wir fan
nen babei zu keinem rechten Gonntagsgefühl, zu Feiner echten
144
rienlaune gelangen. Darum holen wir uns fo gern unfere
iffe und Genüffe von brüben her, nicht alfo, weil wir
fie für beffer halten, fondern weit es ſich, wie fie ſelbſt leichter
fertig geworben find, auch leichter mit ihnen fertig werden läßt.
Ganz von berfelben franzöfifchen Leichtfertigkeit find auch
diefe „Bier Schweftern”. Gin beutfcher Krititer, wenn er es
gründlich nehmen wollte, hätte baran fo viel abzuflugen und
auszupugen, daß wenig von ihnen in ihrer jegigen Geſtalt
übeig bleiben würde. Er fönnte fragen: Wo ftedt eigentlich
der Kern und Mittelpunkt des Buche. Stedt er, wie wir nad
dem Anfang glauben müffen, in Brn. Felix Mortand, dem guts
muͤthigen cindor? Dem widerſpricht der Fortgang. Oder
liegt er, wie der Fortgang andeutet, in Georginen? Dem ſind
die folgenden Partien entgegen. Oder liegt er, wie dieſe anzu⸗
nehmen zwingen, in dem traurigen Schickſal der drei andern
Schweſtern? Dagegen ſtreitet das Ende. Wo alſo liegt ers
In den vier Schweſtern zufammengenommen? Wahrſcheinlich:
denn dafür ſpricht der Titel. Aber wo ſteckt die Einheit in die
fer Vierbeit? Wo der Cirkel in diefem Quadrat? Wo das
Band in diefer Quadrupelallianz? Liegt es in einer gewiſſen
Nothwendigkeit der Zufammenftellung? Liegt ed in einer Com⸗
bination feinee Beziehungen? Ober liegt es blos in dem gleich
traurigen Schickſat, das fie durchzumachen haben, weil ihr
Stiefvater ein Schurke if? Und was endlich ift das Facit der
ganzen Geſchichte? Was bie Moral! Was das Haec fabula
docet? Gtedt es in dem Sage: daß Schurkerei zu nichts
Butem führt? daß ein gutmüthiger Ginfattspinfel weiter
tommt als eine raffinirte Ganaille? daß ehrlich am laͤngſten
währt? Alles dies find Fragen, mit denen cin deutſcher Kritis
fer, wenn er es gründlich nehmen wollte, dem Roman zu Leibe
geben fönnte. Aber Eann er ed denn gründfich nehmen wollen?
Gr freut fih, daß er einmal den Grund und Boden unter ben
Beinen los ift; das luftige, windige Element ift ihm gerade
recht; er laͤßt fi) mit Luft tragen, wohin ber Wind Luft bat,
und kuͤmmert ſich nicht darum, menn er bie Gegenden, über
die er binfchwebt, zu feinem geographiſchen Syſtem zufammens
ftellen fann. Darum wollen wir alle Bragezeihen, bie Frede⸗
ric Soulie doch ſchwerlich beantworten würbe, bei Seite Laffen,
den deutfchen Novelliften aber vertrauen, baß fie vielleicht nicht
übel thäten, ihre zeitherige Frachtſchiffahrt, wenn nicht in eine
Luft:, doch wenigftens in eine Dampfſchiffahrt zu verwanbeln.
Dunn ftünde zu hoffen, baß Ihnen die Dubevant, bie Bal-
zac, die Sue, die Soulie u. |. w. nicht länger bie fetteften
Kunden vor dem Munde mwegfchnappen würden. 26.
Miblingraphie.
Audiatur et altera pars! Eine freie Stimme über
den preußtfchen Shefcheidungs : Geſetz⸗ Entwurf. Leipzig, Koͤh⸗
Ir. 8. r.
Bayerte, G., Johann Huß unb das Concilium zu Kofts
nie, veranlaßt durch Leſſing's Bild auf ber bieejährigen Kunft:
ausftellung. Düffeldorf, Rofhäs u. Somp. Gr. 12. 7Y, Nor.
Beiträge zur Gefchichte des Jahrs 1813. Von einem hör
bern Officier der Preußifchen Armee. After Bd. Ifte Hälfte,
Potsdam, Riegel. Gr. Ler.:8. 1 Thlr. 10 Nor.
Bilder ımd Sagen aus ber Schweiz. Bon Ieremias
Gotkthelf. Uſtes Bochn.: Geld und Geiſt oder die VWerföhnung. —
Der Druide. Sotothurn, Ient u. Gaßmann. 8. 18%, Nor.
Bode, W. 3. 8, Beitrag zu der Geſchichte der Feudal⸗
fände im Herzogthum Braunfchweig und ihres Werhättniffes zu
dem Xürften und dem Nolte, veranlaßt durch bie Schrift bes
Herrn von Grone: „Geſchichte der corporativen Berfaflung bes
Braunfcgweigifchen Ritterftandes 2c.” Braunfchweig, Vieweg
u. Sohn. Gr. 8. 15 Nor.
Dieterih, ©. 8., Briefe über die 20fte Verſammlung
deutſcher Naturforſcher und Ärzte zu Mainz, wie über feine
— Kuͤckfahrt. Landshut, v. Vogel. Gr. 8. 1Thlr.
1 Rgr.
Dyreßler, Auch ein Wort über Beneke's Seelenlehre und
ihre Einfuͤhrung in bie Schulletzrer⸗Seminaries. Bautzen, Reis
dei. 8. 10 War.
Droz, J., Geſchichte ber Regierung Ludwig's XVI., in
ben Jahren, da bie franzöfiidye Revolution verhätet oder geleie
tet werden konnte. 2ter Theil. Aus dem Franzoͤſiſchen. Zena,
Euden. ®r. 8. 1 Thir. 18%, Nor.
Des heiligen Franciscus von Assisi Lieder.
Deutsch und italienisch. Frankfurt a. M., Andreä. Lex. B.
2
Heffe, 8. 9., Die preußifche Preßgefegebuna, ihre Vers
gangenpeit und Zukunft. Berlin, Schröder. Gr. 8. 1Thir.
gt.
- Höfler, ©., Betrachtungen über bie Urfachen, weiche im
Läufe des 16, und 17. Jahrhunderts den Verfall des an
Handels herbeiführten. Münden, Franz. Gr. 8. 10 Rar.
‚ Krabbe, D., Bemerkungen über die Stellung ber Apo⸗
tögetit zur Heiligen Schrift. Entgegnung auf bie Schrift des
Deren Lic. Wiggerd: „Kirchlicher ober rein bibliſcher Super⸗
naturalismus ?“ Hamburg, Meißner. Gr. 8. 15 Rar.
Kuffner's, G., ergählende Schriften, bramatifche und ly⸗
riſche Dichtungen. Ausgabe lester Band. Zter und Iter Bo. Wien,
Klang. 16. Für zehn Bände 5 Thir.
Meynert, D., Rordlichter. Erzaͤhlungen, Novellen und
Zantafieftüde. 4ter — Gter Theil. Peſth, Dartleben. Gr. 16.
1 Thlr. B/. Ngr.
Montan, F., Der Paria. Berlin, Springer. 8. 10 Rgr.
.Reujahrsgabe an edle Herzen. (Gedichte.) Zum Beten
eines armen Blinden, Karl Melchior Mook in Erfurt. Erfurt,
Dtto. 12. Nor.
Pangkofer, I. A., Walballe.. Mit einem Stahlſtiche.
Regensburg, Yuftet. Ler.:8. 10 Nor. bifiche
Pressfragen J.: Über den Gesetzentwurf des Hrn.
Dr. Schellwitz in Nr. 11— 14 der Allgemeinen Press = Zei-
tung 1842, die Sicherstellung des literarisch - artistischen
Eigenthums betreffend. Leipzig, Weber. Gr. 8. 7Y, Ner.
—— II.: Kritische Beleuchtung des königl. sächs. Ge-
setzentwurfs, den Schutze der Rechte an literarischen Er-
Taugpissen und Werken der Kunst betreffend. Ebend. Gr. 8.
er.
‚ Reden Seiner Majeftät des Königs Friedrich Wilhelm’3 IV.
feit feinee Thronbeſteigung. Gefammelt und mit einem Bors
worte, ſowie mit hiſtoriſchen Ginteltungen berieben von 3. Kil⸗
liſch. Berlin, Springer. Gr. 8. 10 Nor.
‚ Reden und Trinkiprüde Seiner regierenden Majeftät Friedrich
— IV. Könige von Preußen. Berlin, Babe. Lex.⸗8.
2 NEE.
Sachs, J. J.. Nachtrag zur Würdigung der zeitheri-
gen literarischen Umtriebe gegen mich. Berlin, Liebmann
u. Comp. Gr. 8. 7, Ngr.
Vorpahl, K. L., Das Chriſtenthum nad feinem blei⸗
benben Inhalt und feiner veränderlien Borm mit freiem
Geiſte betrachtet und für den gefunden Verſtand bargefteitt.
Sranffurt a. d. D., Barneder u. Comp. Gr. 8, 27%, Ner.
Was iſt's mit den Togenannten Altiutberanern? Erftes
Sendfchreiben an einen Freund. Won Chriſtianus. Mas
rienwerber, Baumann, Gr. 8. 6Y, Ner.
Weikert's, I. W., ſaͤmmtliche Gedichte in Nürnberger
Mundart und in bochdeutfcher Sprache. Mit Anmerkungen
und einem Wörterbuche. After Bo. Coburg, Sinner. 8. 20 Rear.
Wenden, ©, Das Haus Overſtotz zur Kheingaſſe, ges
nannt Tempelhaus. Hiſtoriſche Skizze und Beſchreibung feiner
rap Ausſchmuͤckung. Köin, Du Mont: Schauderg. Br. 12.
2 Agr.
Berantwortlicher Herausgeber: HReinrich Brodhaus — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Blatter
‘
—3
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für
literariſche Unterhaltung.
Montag,
— Kr. 37. —ñi
6. Februar 1848.
ee PPp
ina. Eine Herzensgeſchichte von H. Koenig.
ipzig, Brockhaus. 1842. Gr. 12. 1 Thir.
6 Ngr.
Es ift mie felten eine Dichtung vorgefommen, bie
durh und durd von einem fo charakteriſtiſchen Geifte,
von einem fo eigenthümlih uns anmehenden Hauche
durchdrungen waͤre, wie dieſe Herzensgeſchichte. In den
letzten Wochen des Spaͤtherbſtes, nachdem bereits Schnee
und Froſt als die Worboten des Winters ſich eingefunden
und ans Wald und Feld die letzten Spuren des Grün:
nend und Bluͤhens hinweggeraͤumt haben, pflegen ſich
nicht felten wieder einige Tage einzuftellen, die fo lau und
warm, fo duftig und hoffnungsſchwanger find,- daß es
ſcheint, als hätte die Natur Luft, fih um den eigentlichen
Winter, um den gefürchteten Tod berumzufchlekhen und
unmittelbar in einen neuen Frühling, in 'emen dieffelt des
Grabes erwachenden Auferfiehungsmorgen bineinzufpringen.
In folhen Tagen regen fi dann wirklich wieder Die
Keime, die ſchon erftorden fchienen, ein junges Grün
fproßt hervor, ſelbſt einige Blumen mifchen fi) darunter
und fchießen in üppigen Ranken empor, Würmer und
Inſekten, die ſich fhon zum Winterſchlaf zurechtgelegt,
kommen wieder aus ihren Schlupfwinkeln hervor, und
ſelbſt der Menſch laͤßt ſich in einen Ftuühlingstraum wies
gen, in dem er ſich nicht zum klaren Bewußtſein bringen
mag, daß Alles blos ein illuſoriſches Epiet, die kindiſche
Laune eines zum Tode reifen Greiſes iſt. Darum gibt
er ſich diefem Scheinfruͤhling hin mit einer Inbrunſt, mit
einer an Taumel grenzenden Hoffnung, mit der er felbft
den wahren nicht begrüht, und ſchluͤrft den betäubenden
Dem mit einem Dusfte,. mit eines Unerfättlichkeit, ale
hoffe er eine ewige Jugend damit vinzufaugen. Aber
mitten in diefem Raufche komme doch die dunkle Ahnung
über ihn, daß Alles nur ein zu Ende führendes Nachſpiel,
kein Hoffnung erweckendes Vorſpiel, ein Icgter Abſchieds⸗
gruß, kein fröhliches Willkommen iſt. Darum miſcht ſich
mitten in jene Freude eine tiefe Wehmuth, eine ſchwere
Melancholie, die tiefer ins Herz fchneidet als der reine
Schmerz, weit fie auch alle Süßigkeit der trugeriſchen Luft
in ihre eigene Herbigkeit hineinzuziehen weiß. Das frifche
Srim erfheint nun als ein frefjender Gruͤnſpan, die bluͤ⸗
bende Mofe als die gilihende Wange eines Schwindſuͤchti⸗
gen, der Mare, biaue Himmel als das verklaͤrte Auge eines
Sterhenden, die laue, warme Luft als die ſchwuͤle Ats
mofphäre einer Krankenſtube. Altes ift Illuſion, alles
Decoration; wir erwarten alle Augenblide, daß der Vor⸗
bang fällt, und, wenn er gefullen, tröftet uns nichts, al6
daß wir einer zwar minder reigenden,. aber wahren und
ungeſchminkten Wirklichkeit wiedergegeben find.
Ganz diefelbe Empfindungsweife, die in ſolchen Fruͤh⸗
lingstagen des Spätherbftes über uns kommt, weht und
aus diefer Herzensgefhichte an. Won Seite zu Seite bes
gleitet und. das, Gefühl einer winterlichen Schwuͤle wit
dem ganzen Gefolge aller feinse wohl: und mwehthuenden
Eindrüde. Die gange Novelle ift eine . tiefergreifende. Ele⸗
gie, bie nichts Anderes darftellt ale die Poeſie des Ab⸗
ſterbens, als das geifterhafte Auffladern einer. verlöfchens
den Flamme. Wahrhaft bewundernswuͤrdig iſt die Kunft,
mit welcher der. Dichter dieſen Ton zu treffen und feſtzu⸗
halten gewußt hat, Jede Situation, :jede Perfönlichkelt,
jede Scenerie traͤgt zu diefem Gefammteffect bei; der Ernſt
wie ber Scherz wirkt dasauf hin; Stoff und Geftaltung,
Stu und, Ausdruck find darauf angelegt. Wer bie Mos
velle von dieſer Seite anſieht, wird in ihre ein Kunſtwerk
erkennen. von einer ‚Einheit und Feinheit der. Anlage, wie
wie jegt nur felten eines finden. Wer biefen Gefichtes
punkt nicht gewinnt, wird ſich ſchwer hincinzufinden vers
mögen. Der Doppeleffect, der .von ihe ausgeht — bie
Warme, in der die Kälte ftedt, die Hoffnung, aus ber
die Verzweiflung blidt, das Verlangen, in dem ſich bie
Refignation verbirgt — wird ihn verwirren; er wird ſich
bald angezogen, bald abgeſtoßen fühlen und wird ber Die
tung leicht den Vorwurf maden, daß fie den Charakter
der Zerriffenheit trage. Und doch verbient fie diefen Vor⸗
warf nicht — wenigftens nicht als Kunſtwerk. Die Jer⸗
eiffenheie iſt nur Object, der Dichter aber bat fi daruͤber
erhoben, hat fie bewältigt und die entfprechendfte Form
dafür gefunden. Er bar den Dualismus zur Einheit
vermittelt, ſodaß die Gegenfüge nicht blos neben, fondern
ineinander ſich darftellen. 1
Was den Stoff, die Geſchichte ſelbſt bettifft, fo iſt
dieſe ſehr einfach. Der Verf. haͤlt ſich durchaus an das ˖
ſociale Leben, wie es iſt, und flicht in keiner Weiſe eine
fremdartige, abenteuerliche Romantik hinein. Die Dar⸗
ſtellung des Innern, ber Seelenzuftände iſt ihm das We⸗
ſentliche. Hier offenbart er, wie wir an ihm gewohnt
146
find, einen tiefen Blick und die Gewanbtheit einer feinen
Zeichnung. Er begnüge fih nicht, uns bios die flarken
Gontouren zu zeigen, fondern deckt uns auch die verborge:
nen Lineamente auf; er läßt und neben dem Nothwendi⸗
gen auch das Zufällige fehen und weiß es als einflußreic
and bedeutungsvoll darzuftellen. Oft geht ec darin freis
ih zu weit. Er legt nicht felten auf Mebenzüge ein zu
großes Gewicht und hebt dadurch die Proportionalität des
Eindruds auf. Dies drückt fi unter Anderm in der ihm
unverfennbar inwohnenden Beforgnif aus, daß dem Lefer
Dies oder Das entgehen könnte, zufolge welcher er Mans
ches gefperrt druden Taßt, was, wenn auch an und für
ſich Ihön, doch für das Ganze nicht wichtig genug ill.
Unter den einzelnen Charakteren ift jedenfalls die des
Doctor Auguſtin die bedgutendfle und interefjantefte
und nähft ihm Regina. Auguftin ift der Traͤger der
ganzen dee. Er ift es, an dem ſich die Poeſie des Abs
fterbend bewährt, und Regina ift nuc die menſchliche Seele,
die durch diefe Poefie mit fortgeriffen wird. Darum fcheint
uns der Titel nicht ganz paffend gewählt, fowie wir es
auch unpaflend finden, daß der Verf. feinen Delden zu
Anfang der Novelle einen Aprilmenfhen nennt. Der
Streit des Winters und Fruͤhlings als der Grundtypus
von Auguftin’® Charakter iſt zwar auch dem April eigens
thuͤmlich, und dies mag den Verf. veranlaßt haben,
ihn unter diefem Bilde einzuführen. Aber der April lei:
tet in den Mai, in den Sommer, in das Leben über, er
entwidelt fih pofitiv, indeß Auguſtin durch jenen Kampf
binduch dem Winter, dem Tode entgegeneilt. In allem
Übrigen iſt er trefflich gezeichnet: das tiefergreifende Wild
eines jungen Mannes, den eine wild durchlebte Fruͤhju⸗
gend für das Grab reif gemacht hat, der aber in einem
edein, ernſten Wirken für das Leben, in einer teinern,
pſychiſchen Liebe noch einmal aufzublühen, dem Leben wies
dergervonnen zu werden fcheint und dem endlich doch der
Wurm, den er aus der Vergangenheit mitgenommen, da6
Herz zernagt. Er fühle dies mitten im Süd der Liebe,
Er erklaͤrt ſich fetbft für eine fhauderhafte Diffonanz und,
fein Haupt in Regina's Schoos legend, ruft er aus:
Bier laß mi ausklingen! die Liche ift ja der Accord, ber
alle Misflänge auflöfl, und felbft bie auseinanderweidhenden
Siemente des Verweſenden zu neuer jugendiiher Schöpfung
et. |
Und etwas weiter fpricht vr:
Vergib, Herz Regina, daß ich dich fo betrübe! Ich bin
beute fo koͤrperlich matt; es ift wahrfcheinlid Gewitter in ber
Luft, dann werb’ ih immer fimpel. Wüßtefl du, wie krauk
ih bin! Du bemerkt blos meine fo raſch mechlelnde Stimmung ;
allein das liegt eben barin, baß ich von zwei verfchiebenen Ats
mofphären bewegt werde, im Übergang aus einer in bie andere
Exiſtenz. ich’, ich umfaſſe dich, ich hatte alle Echönheit, allen
Heiz der Liebe im Arm; doch nur in meiner Phantafte gaufeln
die Freuden ber Liebe; meine Gefühle und Gedanken ſchwaͤrmen
ins Üüberfinnliche. &o babe ich hier ausgelebt; die Wurzeln bed
finnlichen, für die Welt fruchtbaren Dafeins trodnen mitten im
&ppigften Boden der Liebe ein. Ach! indem ich dich fo an meis
ner Bruft halte, Tann ich wol fagen, daß ich mit bluͤhendem
Fleiſch und Biut Himmelfahrt feiere.
Richt minder ergreifend iſt die Perſoͤnlichkeit Regina's.
Daß fie, die fic) dem winterlichen Frühling bingibt, gerade
eine Juͤdin iſt, erfcheint zwar nicht durchaus nothwendig
und hinlänglidy motiviet, erhöht aber jedenfalls das elegis
ſche Intereffe für fie und gibt Gelegenheit zu manden
Beziehungen und Betrachtungen, die dem Roman zur
befondern Zierde gereihen. Wie wahr find ihre Empfin:
dungen am Himmelfahrtstage!
Wie gern — heißt es — hätte fie einen gläubigen Antheil
am heutigen Pefltage genommen! Sie gedachte ihrer fehönen
jübifchen Zefte, Oftern und Pfingften, Zisri, des Lauberhuͤtten⸗
feftes und der Tempelweihe. Allein es fehlte denſelben der
taufendfache Wiberball in einer mitgläubigen Bevölkerung; ibr
füßer Duft fiel meift in den Werkeltag ber Chriſten, ihre hei⸗
lige Beier warb vom achtungslofen Lärm bes Lebens verſchlun⸗
gen. Ah! und fo geht es mit unferm Lieben wie mit unferm
Beten! feufzte fie. Was wäre der Frühling, wenn nur dba und
bort zwifchen biätteriofen Bäumen und faatlofen Feldern ein
Straud) , eine Staude blähten! Aber fieh nur! Liber und über
gruͤnt und blüht es, alle Vögel fingen, alle Menſchen ſchmuͤcken
Pd und über der dunkeln Synagoge ſchlagen alle Glocken zu⸗
ammıen.
Einen gleich tief gefühlten Schmerz empfindet fie, ale
ihr reiner Wohlthätigkeitsfinn mit Argwohn und Mies:
trauen belohnt wird. Zwar ſpricht Auguflin, indem er
fagt, daß jede Wohlthat ein Heiland fei und ſich eine
Dornenkrone gefallen laſſen müfle, einen, wie es ſcheint,
teöftenden Gedanken aus; aber auch biefer Troſt berührt
fie ſchmerzlich: denn es ift ja das Bild aus ihrer unglück⸗
lichen und ſchuldvollen Geſchichte genommen. So fühle
fie, wie nicht blos die bornirte und bäßliche Gefinnung,
fondern auch das Wahre und Schöne fie häufig verletze
und fie daran erinnere, daß fie Fremdling fei in dem
Lande, in dem es neu und eigenthämlich erwachſen if.
(Dee Beſchluß folgt.)
Narrative of various journeys in Balochistan, Affgha-
nistan, and the Panjab; including .a residence in
those countries from 1826 to 1838. By Charles
Masson. Drei Bände. London 1842,
‚ Aus ber Vorrede des Buches iſt nicht zu erfehen, in welcher
Eigenſchaft der Verfaſſer die drei genannten Laͤnder, Afghaniſtan,
Balochiſtan und Panjab, bereift und Jahre lang daſelbft verweilt
bat. Aber Ref. erinnert ſich aus ben engliſchen Zeitungen, daß
der Berfaffer, nachdem er mehre Jahre — dem Zitel zufolge
feit 1826 — in Afghaniſtan und Perfien als Privatmann gı:
reiſt war, in Kabul — Maffon fchreibt Kabal — bie Stelle
eines großbritaniicdgen Agenten bekleidete und als folcher mit dem
fpäter angefommenen berühmten Reifenden Burnes in unanges
nehme Berbältniffe gerieth. Nambafte Veranlaffung dazu ſoüte
bie, ihrer Zeit viel befprocdhene Ankunft des angeblichen ruffi-
fen Agenten Witkewiſch gegeben haben, bes angeblihen um
deswillen, weil das ruſſiſche Cabinet, fo viel Ref. weiß, wenig:
ſtens öffentlich ihn nicht anerfannt hat. Won den eingetretenen
Irrungen fagt Maflon allerdings nichts; doch laſſen fie fih aus
Dem herausiefen, was er fagt. Er erzählt, Witkewitſch fei
ohne hinreichende Mittel und mit fatfchen Papieren nah Kabul
gekommen, das Wolk fei mistrauifch gegen ibn gemwefen und
ſelbſt Doſt Mohammed habe Argwohn gehegt. Er, Maffon, habe
den Patron ſchnell durchſchaut und bdeffen Vollmacht für das
Fabrikat einiger, im perfifhen Lager vor Herat befindlichen
Ruffen erktärt. Burnes bingegen babe die Papiere für edit
gehalten, habe audy den Khan zu diefem Glauben berebet, babe
dadurch den Abenteurer in den Augen ber Afgbhanen zu einer
wichtigen Perfon gemacht und damit den ungluͤcklichen Afghanen⸗
247
fisg augefehürt. Weib nachher verließ Maſſen Kabul, Uehete
sch Britifdye Indien zuruͤck und verräth durch die Bitterleit, mit
weicher er Burnes überall angreift — gibt ee boch fogae zu verfteben,
Burnes fei aus Jurcht von den Ruſſen übergeihnappt — ſowie
durch die balsflarzige Weile, in weicher er deffen Angaben wiber:
fpeiht, daS Burnes ihn in Kabul ausgebiffen. ef. möchte
deher zu einigem Miötraum gegen des Verfaſſers begägtidhe
Behauptungen um fo mehr ratben, je deutlicher manche berfel-
ken den Stempel des Widerfprudgögeiftes und der Webertreibung
an fi tragen Burnes fiebt in den Afghanen eine Ration,
deren geiftige Entwickelung zu bebeutenden Refultaten führen
werde. Alſo erflärt Maflon bie Afghanen für ein Boll in ans
archiſchem Zuſtande, weiches kaum den Namen einer Natien ver:
diene und weder befonders wüntich, noch ſchaͤdlich werben koͤnne.
Barnes nennt Doſt Mohammed einen guten Regenten. Maſſon
findet nur einen einzigen hervorſtechenden Charakterzug an ihm,
nämlich Unzuverlaͤſſigkeit. Deshalb fei cr zwar bisweilen gut,
ober ebenfo oft ſchlecht gewefen, gut ober ſchlecht je nach feinem
. Später vergißt fih Maſſon. Er fagt, ehe Doft
: Mebammeb Herrſcher geworden, habe er jebem Lafler gefröhnt;
fobatd sr ben Thron beftiegen,, habe er ein enthaltfames, wirt:
ih muflerhaftes Leben geführt; er habe nie bie Wohlthat einer
Stichung genoffen, gleichwol als Kürft alle den Mohammeda⸗
nern ugdngtiche Bildung ſich angeeignet; außer in Angelegens
beiten der Politik fei er gerecht gewefen, frei von hochfahrendem
und despotifhen Benehmen, gegen Jedermann herablafiend,
und Kabul babe unter feiner Herrſchaft eine gewifle Blüte er⸗
langt. Gleich vergeklich iſt Maffon hinſichtlich des anarchiſchen
Zuftandes der Afghanen. Er ſagt, der Handel über Afghani⸗
ſten fei ftets bebeutend, bei geringen Zöllen fo gut wie frei und
teiner Sidrung ausgelegt gewefen. Reimt ſich das mit Anarchie?
Indem aber der Verf. gegen Burnes fchrieb, mußte er
gegen den von ihm influirten Lord Auckland, und indem gegen
Leptern, zugleich gegen die vom Huber verbrängten Whigs fchreis
ben. Und das hat er bei Beſprechung des Afghanenkrieges ehrs
lid ober unehrlich getban. Unter ben Dauptgründen gu dies
fem Kriege wurden befanntii die Gröffnung des Indus für
die Schiffahrt und der daraus erwadfende Handel genannt.
Atfo verfihert Maffon, nur feichtes Wafler, nichts Anderes habe
ven Indus geſchloſſen, aber die Dampfſchiffahrt darauf fei aus⸗
ſchließlich zu Eriegerifchen Zwecken benugt worden. &o unglaubs
lich das, daß es wol eine Uebertreibung beißen darf. Mag ins
deſſen Meffon’s Wort, fo oft es ſich mit Burnes befchäftigt, ober
in die Politik hinuͤbergreift, nicht vorfichtig genug benuht werben
koͤnnen, — volles auen verdient es gewiß in den Stellen,
wo er Perfonen und Zuſtaͤnde des gemeinen Öftlichen Lebens bes
ſpricht. Wenige Reilende haben ſich darum fo bemüht wie ber
Berfaffer,, wenige würben baffelbe beffer zu fchilbern verftehen.
Davon ein Paar der Pürzeften Proben.
Zuerſt das Portrait eines Beinen indiſchen Fuͤrſten, deſſen Grund⸗
güge auf alle paffen. „Der Rawab Shir Mohammed Khan iſt unge⸗
führe B Jahre alt. Döogleich er feine Abhängigkeit von den Sikhs
fehr unangenehm empfinden fol, hat doch der Aerger ihn nicht
gehindert, fo corpulent zu werben, wie es einem Nawab eignet
und gebuͤhrt, noch hindert er ihn an einer Menge Eindifcher Bes
Wisungen . ....- Er befoidet Geiger, Ringer, Bären: und
Menhuͤter und laͤßt oft Heine Pferde in feinem Blumengarten
ſith datbalgen. Schuͤttelt dann eins das andere tuͤchtig beim
Date, klatſcht er in die Hände und ruft: Wah! Wah! Das
Gefolge thut ein Gieiches; die Zimmer fallen vom Haͤndegeklatſch
und dem Rufe: Wah! Wah! und es ift merkwuͤrdig, wie fehr
bie Katzbalgerei Alle zu amuficen ſcheint. Gr Lebt bie Jagd
und ift ein geſchiekter Bogenſchuͤge. Au bildet er fi auf
feine Kraft etwas ein und fol wirklich einem Stier die Hörner
wm Kopfe wegdrechen können. Ron ſolchen Schwächen abge⸗
fehen, ift er ein freundlicher, gutmüthiger Menſch, der feiner
Matter große Aufmerkſamkeit erweiſt.“ Fürften dieſer Art
ſtehlen, fo viet fie koͤnnen, und ihre Unterthanen thun es ihnen
nach. Maffon ging häufig allein und traf eines Tages auf
zwei junge Buefdien. ‚Ber jüngere wollte fortiaufen ; ber ättere
biett ihn und erwartete mid. Ich konnte beide nicht: recht
verftehen, fah aber, baß der jüngere fidy ver meiner Houtfarde
fuͤrchtete. Er ſchien mich für einen Teufel zu halten und wollte
fih mir ſchlechterdings nicht nähern, wie oft auch ber andere
ihm fagte, ich fei nur ein Menſch, vor dem ſich Niemand zu
brauche. Dann bat er mich, meinen Arm auszuftreden,
und weil ich glaubte, ex wolle dadurch feinen Kameraden bes
ruhigen, that ich's. Da padte er- mein Handgelenk und drehte
es fo Eräftig um, baß ich, Feines Widerſtandes fähig, zu Boden
flörzte. Nun rief er feinen Gefährten, mit ihm das Buͤndel
zu. untesfuchen, das ich auf bem Rüden trug. : Aber kein Zu:
xeben half; ben ſchreckte die Furcht. Inzwiſchen würgte ber
andere mein Handgelenk immer mehr, bis ich aufbrüllte, ich
fei des Nawab's Nukar, fein Diener. Da ließ er mid fofort
los und erlaubte mir aufjufteben. Als ich fah, daß die Er-
wähnung des Rawab Gindrud auf ibn madhte, mwünfchte ich
ihm alle Berwünfchungen an den Hals, worauf er, nad; feinen
Kameelen zeigend, mich fragte, ob ich Milch trinken wolle. Ich
hingegen fragte, ob er ein piala, ein Befäß babe, und als er
mir zu verſtehen gab, daß er mir in die Bände melken wolle,
lehnte ich das höflichft ab, denn ich hätte dabei eine Gtellung
annehmen müflen, die ihn verleiten Eonnte, fie zu feinem Bor:
theil zu benugen.
Über Kanbahar berichtet ber Verf. Zolgendes: „Die
Stadt Kandahar ift in einem Umkreiſe von brei (englis
fhen) Meilen mit Lehmmauern umgeben , die nad jeder
Seite bin, wie ich glaube, 17 Thuͤrme haben, bie Eds
thärme nicht gerechnet. Unter Aufficht des verftorbenen Giebar
Chir Dit Khan wurde rings eine Schanze aufgeworfen, bie
trefftiih gelegen iſt, da fie von feiner Anhöhe beherrfcht wird.
Sie bat fünf Thore, von denen das nad der GSitadelle führende
faft immer verfchloffen bleibt. Die Gitabelle befindet ſich im
norbwefltichen Theile der Stadt und fol Shahzada Kamran
zum Grbauer haben, einfimals Beherrſcher von Stadt und Land.
Die vorzägtichften Bazars find weit und geräumig und hatten
urſpruͤnglich zu beiden Seiten Baumgänge und Kanaͤle. Die
find ‘aber fhlecht erhalten. Keine Stadt kann reichlicher mit
Waffer verfeben fein. In gewaltigen Leitungen kommt es aus
dem Wluffe Arghaſſan und tft dann dergeſtalt vertheilt, daß es
durch jeden ‚Hof fließt. Auch gibt e& eine Menge Quellen, deren
Waller zum Trinken vorgezogen wird. Won dem Flaͤchenraume
innerhalb der Mauern nehmen verfallene und verlaffene Haͤuſer,
weittäufige Höfe, Gärten und Stallungen einen fo betraͤchtlichen
Theil ein, daß es wahrſcheinlich niche über 00 bewohnte Häufer
gibt — eine Schägung, nad) welcher bie Volkszahl fi auf 25
— 30,000 belaufen würde. Deffenungeachtet gilt bie Stadt für
den tahkt, die Metropole der Durants. Die Mofcheen und
andern Öffentiichen Gchäude find durchaus nicht ſchoͤn, haupt⸗
fähtih wegen Mangels an Waterial: dies ein Umſtand, ber
dem dauerhaften Bau ber Stadt überhaupt nachtheilig geweſen
ift, denn die Käufer find faft alle aus ungebrannten Ziegein ers
sichtet und mit Kuppeln bedeckt, indem es an Feuerung fehlt,
Ziegel gu brennen, und an Holz, fläche Dächer zu legen. —
Die Wohnungen der Eirbars, obfchon groß und hinreichend be:
quem, entbehren architektoniſchen Geſchmack. Ihre Hauptzierden
find die Eünfttih aus Holz gefchnigten Balcons ber bala khanas
oder obern Zimmer. Die arg ober Sitadelle, weil aus gebrann⸗
ten Steinen gebaut, hat ein vortbeilhaftes Aeußere und der Eins
gang fat etwas Impoſantes. Im Innern aber ſtehen die Pa⸗
Läfte der frühern Könige mit ibren gemalten Zimmerreihen leer,
obere werben von den Dienflleuten der jegigen bewohnt. Die
Herrſcher ſelbſt ſcheinen fie abfichtlich zu meiden. — Die Bazars
find mit guten und wohlfeilen Lebensmitteln und mit einer Ueber⸗
fülle treffticher Fruͤchte verſehen. Kabut ift berühmt wegen der
Duantität, Kandahar mögen ber Qualität feines Obſtes. Doch
fand ich es fo billig, daß ein maund, mehre englifche Pfunde
Weintrauben, nur einen Pais Eofleten, und Belgen, Pflaumen,
Apritofen, Pfirſiche, Birnen, Melonen und Mandeln faft ebenfo
x
.148
wenig. Die Granatäpfel von Kandahar finden vieleicht nir⸗
gend ihres Gleichen und genießen daher in jenen Ländern mit
Necht einen großen Ruf. Fleiſch, jedoch fehr gutes, mag nicht
fo wohlfeil fein wie in Kabul; dagegen find das allgemein
genoflene Roghan und Brot wohlfeiler; nicht minder Quark und
Eier. Bon letztern koſteten 10 oder 12 Stud einen Yais.
Zum Schuß ein ergögliches Pröbchen, welcher Behandlung uns
beſchuͤgte Reifende am Indus ſich zu gewaͤrtigen haben. Maffon
verließ Kandahar zu Fuß und traf eine Heerde Kameele, deren
Inhaber Nachtquartier gemacht hatten. „Ich fand ungefähr 120
im Halbkreis aufgefchlagene Zelte und quervor zwei mit Gteinen
umfchloffene Räume, die als Masjits dienten. Da es um bie
Zeit des Abenbgebeted war, näherte ich mich einem berfeiben,
grüßte mit dem üblichen salam alikam und wurbe erfucht, mid)
zu fegen. Nach beendigtem Gebete fagte ein anflänbig gekleide⸗
ter Dann zu mir; Doudi kouri dil ter razi, was foviel heißt
als: wenn du Brot eflen wilft, komme hierher. Ich nahm
die Einladung an und folgte in fein Zelt, das nach der Landes⸗
fitte gut meublirt war, und vor dem Cingange waren brei
leidliche Pferde angepflodt. Das Ganze hatte einen Anſtrich
von Wohlhabenheit, ich moͤchte fagen, von verhältnißmäßigem
Reichthum. Beſonderes Brot wurde für mich gekocht, mir
Wafler gebradyt, vorm Gffen die Hände zu waſchen, und id
dann aufgefobert, mir es wohl ſchmecken zu laffen — to eat
heartily. Ich fühlte mich gang heimiſch und that dem Mahle
um fo mehr fein Recht, da ich den ganzen Tag gefaftet, als
ein anderer Wann eintrat .und fich neben mich fehte. Kaum
war ich mit Effen fertig, fo zog mir ber neue Ankoͤmmling einen
etwas berben Badenftreih. Darüber begnügte ich mich zu laͤ⸗
ein, meinend, es folle ein Spaß fein, wenn auch ein ſehr
grober. Diefe Wilden verftehen indeffen wenig von Dem, was
ſich ſchickt, und da ich außerdem Einer gegen Viele war, rieth
Thon gemeine Klugheit, die Sache pafliven zu laffen. Hierauf
bat er mid um mein Oberlleidv. Das fchlug ich entichieden ab,
aber immer noch meinend, der Dann wolle Spaß maden.
Aber ich empfand zu meinem Schaden, daß der Mann nicht
fpaßte, denn mit Gewalt nahm er mir nidht blos dag Ober⸗
Heid, fondern auch meine Kopfbedeckung, ließ mir mi? einem
Worte nichtd als meine perjamas und meine Schube. Zwiſchen⸗
durch applicirte er mir als Zugabe zwei ober brei Obrfeigen
und eine ungezählte Menge perfifche Schimpfworte, feinen ganzen
perfifchen Sprachſchatz. Letzteres that er aus Hohn über meine
Unfenntniß des Paſhto, das ich ſchlechterdings fprechen folte.
. Während biefer Vorgänge reiste und trieb mein ehrenwerther
Wirth und Eigner des Zeltes den Plünderer unausgefegt an,
und nahm einige Pais in Empfang, bie fi in einer Zafche
meines Oberkleides vorfanden. Die Kleider behielt der andere
Boͤſewicht und führte mich hierauf in fein Zelt, das viel Meiner
und armfeliger., Gr bieß mid beim Feuer nirberfegen und
wärmen, breitete jodann auf dem Boben neben das Feuer ciz
nige Belle, die mein Bett fein follten, unb fagte, ich möchte
mid ausruhen, warnte mich jedoch, wenn ich recht verflanben,
nicht etwa einen Verſuch zur Flucht zu machen, indem die Bunde
mid; ſicherlich packen würden. Alſo ftredte ich mich auf mein
©orgenlager und bedachte meine miferable Situation, mein Zroft
nur der, daß mein gütiger Freund nicht die Abſicht zu haben
fchien, mich meiner perjamas zu berauben, in deren Bund ic)
mein weniged Geld eingenäht, und daß ich den folgenden Tag
eine kafıla erreichen könne, vorausgeſetzt, daß man mich bes
Morgens fort ließ und ich Gelegenheit fände, meine Garberobe
zu eompletiren. Blieb deffenungeachtet meine Lage immer noch
bebauerlid genug, fo machte doch ber ermübende Tagesmarſch,
meine von Natur ſtarke Eonftitution und die Gegenwart bes
Feuers, daß ich bald einfchlief. Auch fchlief ich die ganze Nacht
ungeftört fort bis an ben Morgen, wo mein Wirth mich mit
einem Yußtritte weckte und mich einen Kafe ober Ungläubigen
ſchalt, weit id nicht zum Gebet auffiche, das er allerdings fos
fort in den Kleidern wiederholte, die er mir ben Abend vorher
genommen. Jett wurde ich in das Zeit meiner erfien Bekoͤſti⸗
eführt, wo ich mehte Maͤnner beifammentraf, Wie
Inge t mich mit Gtöden und Gtriden bebienten und zur
Abwechfelung mit Steinen warfen. Ich zweifsite nicht, daß es
auf meinen Tod abgefehen fei, fammelte meinen Duth und bes
ſchloß, mein Schidfal mit Feſtigkeit zu erwarten, kein Beiden
von Schwäche ober Niedergefcglagenheit zu geben. — — Giner
von den Kameeltreibern fagte mir, ich möchte ein Kameel ber
fteigen; aber ich Eonnte keines fangen. — — So marfdirten
wir vier oder fünf Koß. Dann wurde Halt gemacht und mie
gefagt, ih würde Abende nah Robat kommen. Run wollte
ich meine Reiſe für mich fortiegen, erfuhr aber leider neue Pluͤn⸗
derung. Meine Kleidung unb mein @elb wurden mir genoms
men, ich rein ausgeſchaͤlt. In Tauſch für meine Perjamas er;
hielt ich ein zerriffenee Paar, die kaum die Knie bedeckten. Nur
meine Schube blieben mir, entweber weil fie für die allfeitigen
Füße zu Elein oder zu groß waren. Ih gab mein Geld und
meine Kleidung nicht gutwillig noch friebfertig hin; einer son
ben Böfewichtern zog fogar fein Schwert. Aber bie andern
verhinderten Gewaltthaͤtigkeit. Ich befchwor fie ale Männer
und Mufeimänner. Darüber lachten fie.” Mit Mühe ges
langte Maffon zu einer Kafila oder Reifegefellfchaft unb fdyleppte
fi) bei derfelben fort, bis er zu frifchen Reifemitteln kam. - 14.
Riterarifhe Notizen aus Franfreid.
Seitdem Mesmer in Kranfrei zum erflen Male die oͤf⸗
fentlihe Aufmerkſamkeit auf die merfwärbigen Erſcheinungen
des Megnetismus und bes bamit in Verbindung flehenden Som⸗
nambulismus gelenkt hat, ift diefer Gegenftand von unzähligen
Schriftftelern behandelt ‚worden. Trotzdem aber fteben wir
eigentiih no) immer auf demfelden Punkte. Die Glaͤubigen
erklären ſich bereit, für die Wahrheit ihrer Lehre zu flerben,
während die Antifomnambutiften fie mit Spott und Hohn aus
dem Felbe fchlagen zu können glauben. Die Geſchichte des
Somnambulismus findet jegt zum erften Male in Aubin
Gauthier einen würdigen Bearbeiter. Wenn aud fein Werk:
„Histoire du somnambulisme chez tous les peuples’’ (2 Bbe.,
Paris 1842) noch weit entfernt ift, ben Gegenftand ganz zu
erihöpfen,, fo ift e6 doch immerhin ein beachtenswerther An⸗
fang. Der Verf. begreift unter dem Namen Somnambulitmus
alle jene außerordentiichen Zuftände, die wir mit dem Namen
Beleffengeit, Infpiration, Hellſehen u. f. m. bezeichnen. Gr
redet in feinem Werke von der Traumdeuterei und den Orakein
der Alten, von den Ahnungen, ben Gibyllen und Dämenen
und umfaßt alfo alles Das, was wir Idioſomnambutismus und
Rhabdomantie zu nennen pflegen,
Man bat bekannt! von dem berühmten Werke Segur's
über ben feanzöfifchen Feldzug bes 3. A812 gefogt, daß es
das befte franzöfithe Epos frei. Dafür behaupten aber auch bie
Gegner Segur’s, daß er ſich nicht immer an die pofitive Wahrheit
hatte, fondern zumeilen in das Gebiet der Poeſie hinüberfchweife.
Namentiih bat Gourgaud in feinem „Examen critique“
ſich bemügt, die zahlreigen Irrthümer und Verſehen aufzuiefen,
die Segur ſich in feinem glänzend gefchrichenen Werke Hat zu
Schulden kommen laffen. Nachdem Trouvé in feiner „Analyse
critique de l’histoire de Nanol&on et de ia grande arm6e ea
1812 par Ségur“ (Paris 1825) unparteiiſch nadhgewiefen hat,
inwiefern die Vorwürfe, bie man Segur gemacht hat, gegräns
bet find, kommt gegenwärtig der Baron Dennide, der unter
Napoleon einen hohen militairifchen Poften befleibet bat, unb
unterwirft diefe Frage einer neuen Unterfuhung. Sein Werk
führt den Zitel: „Iineraire de l’empereur Napoldon pendant
la campagne de 1312” (Paris 1842). Daffelte kann
zwar, auch abgefehen von dem Segur’fhen Buche, ein beden⸗
tendes SImterefle in Auſpruch nehmen, aber es hat als berich⸗
tigender Beitrag zur „Histoire de Napoleon“ eine befondere
Bebeutung. 2.
VBerantwortlicher Serauſsgeber: Keinrich Brockhaus. — Drud und Berlag von BE. A. Brockhaus in Leipzig.
x
- — — — — — — — — — —
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienflag,
Regina. Eine Herzensgefchichte. von H. Koenig.
(Beihiuß aus Nr. 3.)
Auch über eine unſerer intereffanteften Tagesfragen
finder ſich eine Reflerion, die Mittheilung verdient,
Daß der Einzelne — fagt Auguftin, ala von dem Zuftanbe
der Juden die Rede ift — nicht um bürgerlicher Freiheit willen
oder gar aus Citelkeit und Ehrgeiz für feine Perlon zum Chris
ſtenthume übergehen will, finde ich rechtſchaffen gedacht. Es if
ein altes Unrecht und eine ſich immer erneuernde Schmach, dem
ia unſern Staaten eingewachſenen Judenthum die politiſchen
Rechte ganz oder theilweiſe zu verſagen Albernheit, euch für
aſiatiſche Fremdlinge zu erklaͤren, da unſere germaniſchen Vor⸗
fahren aus noch tieferm Aſien, nur früher als ibr, in dieſe Laͤnder
gezogen find. Und was die Berfaflung des fogenannten chriſt⸗
üchen Staats angeht, fo kann und fou ſich jeder Staat derge⸗
kalt einrichtrn, daß ein Glaubensbekenntniß, das ja ohnehin
aufwärtö nach dem Himmel gebt, feinen Weg niemals durch
den Bürger: und Unterthaneneid zu nehmen brauche. Dagegen
fonmt es mir wunderlich vor, wenn ber einzelne Israelit ſich
aus dußern Urſachen von feinen Glaubensgenoſſen nicht Losfagen
will, während er innerlich ihr Glaubensgenoſſe gar nicht mehr
ft. Wie Viele kenne ich, die nach Weltanficht, nach Geſinnung,
ja nad gefellfchaftlicher Bildung keine Juden mehr find. Sa, wen
der Mefalemus mit feinen Satzungen und Gebräuden noch
eine innerlide Beruhigung und Überzeugung gibt, für den ift
er noch lebendig und man muß feine ehrliche Religiofität ach⸗
ten. Ihr aber, die ihre nicht mebr glaubt, nicht mehr betet,
nicht mehr fafter, euch nicht mehr ins gefeglich gemiſchte Leinen
und Wollen kleidet und nicht mehr waſcht, wie die Andern,
warum macht ihr's zum Ehrenpunfte, Juden zu feinen und zu
heißen? Um bad Judenthum erhalten zu beifen? Warum foll es
denn weiter erhalten werden als es wirklich lebt? Etwa zum
bloßen Trog? D dann pflanzt es wieder in den fleinigen Boden
riss, an die feuchten Geſtade des Zodten Meeres. Richtet
dort ben Tempel wieder auf, nöthigenfalld mit gewaffneten
pänden, wie nad ber babylonifchen Gefangenſchaft eure Väter
thaten; ruft ben Hohenprieſter auf unb beftet ihm den glaͤn⸗
Schild mit den Ramen ber zwölf Stämme an die Bruft.
tein Rothſchitd da? Hier aber liegt die Palme des Juden⸗
tum, von einem weltgefchichtlichen Orkan entwurzelt und nad)
Europa geſchleudert, in einem fremden Culturklima da; fie grüs
nelt noch für einzelne Gläubige von eingefchloffenem Leben; fie
vrrwittert iangſam, denn fie iſt ein Kerngewaͤchs ber Urzeit.
Die Pilze aber, die auf ihr wachlen, die Geldpilge wurgeln nur
in ihrer angefautten Rinde, aber fie nähren ſich aus unferer
Atmofphäre. Aufiöfung ift die Beflimmung au des Mofais:
mus. Sie würde rafdyer gehen, läge ber entwurzelte Stamm
ia freier Atmoſphaͤre. Und Aufidſung iſt ein beitiges Werk, ift
daB Sinathmen des Schöpfers zu neuem Ausathmen. ben ihr
geblibeten , geiffigzunbefchnittenen Juden feib die flüchtigen Par⸗
Auftöfung , bie vor andern in langfamer Entwicke⸗
nach abberufen werden. Warum folgt ihr nicht
7. Bebruar 1843.
bem Zuge ber geifligen Atmofphäre, fonbern wollt, innerlich abs
geſchieden, bem Abfterbenden noch dußerlich anhangen? Vielleicht
it es Frevel, jedenfalls ift keine Wahrheit darin!
Es ſcheint uns, ale habe der Verf. hiermit auf den
eigentlichen Punkt, der noththut, hingedeutet. Diefer lau:
tet — wenn auch ein wenig zwifchen den Zeilen zu les
fen — gegenfeitiges Entgegentommen! Wozu das Ges
frei nach einer Emancipation der Juden? der Juden
insbefondere? Warum nicht überhaupt nach einer Bes
fteiung von den Feſſeln einer fogenannten Staatereligion?
Warum tritt Überhaupt der Menfh in einen gefelligen
Verband? Einmal, weil er die mannichfachen Vortheile
genießen wi, die aus einem gefelligen, ſtaatlichen Zuſam⸗
menfeben von felbft entfpringen; fodann, um in Gemein⸗
[haft kraͤftiger und erfolgreicher einem der Menfchheit wuͤr⸗
digen Ziele entgegenftreben zu können. Iſt ein folcher
Derband nothivendig durch einen gemeinfamen Glauben
bedingt? Der Glaube gerade iſt etwas Rrinindividuelles,
Subjectives. Zum Glauben bedarf ich keines Anden,
der für mic; mitglaubt, und kein Anderer bedarf meiner,
daß ich für ihn mitglaube. Daher wird der Glaube aus
genblidiih zum Zankapfel, fobald man ſich über ihn ver»
einigen will; daher wird ein Streit über den Glauben
nie ausgeſtritten, daher gibt es, genau genommen, fo viel
verfchiedene Gonfeffionen als Menfchen exiſtiren, daher ift
nichts verßehrter als gerade die Religion zum Princip einer
Gemeinſchaft machen zu wollen. Kräftigfle Mitwirkung
zur Erreichung des Staatszweckes — das ift die einzige
vernünftige Bedingung, die der Staat feinem Staatsbuͤr⸗
ger flellen kann; nur ein politifches Glaubensbekenntniß
kann er fodern, und iſt dieſes feiner Idee entfprechend, fo
muß er ihm alle Rechte und Vortheile gewähren, die er
zu gewähren bat. Iſt dieſer Standpunkt erft erreicht,
dann bedarf es keiner befondern Fudenemaneipation. Die
Juden werden von feldft aufhören, unnatürlicherweife nody
eine Corporation. für fih zu bilden, da fie zum großen
Theil längft fhon mit einer großen Maſſe der Ehriften -
eined Glaubens find. Nur die Nothwendigkeit, Ehriſten
werben zu müflen, wenn fie nicht Juden bieiben wollen,
hält fie beim Judenthum zurüd, Trotzbem daß fie von
dee chriftlich = germanifchen Lebensanficht , die fie mit der
Zeit eingefogen und bie als ein hiſtoriſches Erzeugniß ſehr
wohl ohne den Glauben an die chriftlichen Dogmen bes
ſtehen kann, fo tief durchdrungen find mie wir, verleugs
⸗
150
nen fie diefelbe und fuchen ebenſo hartnaͤckig den abgeflors
benen Moſaismus feflzuhalten, wie der chriftliche Staat
fi darauf firfet, dem Chriftenthum, nicht nur feinem
Geiſte, fondern auch dem Buchſtaben nad, feine politl:
Vorrechte zu. bewahren.
on einer Maren Einſicht in das Wefen des Juden⸗
thums zeugt außer der Charakteriftit Regina’ auch bie
ihred Bruders Julius. Beide haben ſich, tie es jegt fo
häufig vorkommt, über die Beſchraͤnktheit und Enghetzig⸗
keit jüdifchen Glaubens und juͤdiſcher Lebensweiſe erhoben.
Gefchah dies bei Regina in Folge einer hoͤhern Sittlich⸗
keit und Gefuͤhlsbildung, ſo lag bei Julius mehr eine
Verſtandes⸗ und Kunſtoildung zum Grunde. Nur jens
vermochte natuͤrlich zur chriſtlichen Kirche uͤberzuleiten; dieſe
konnte hoͤchſtens den Wunſch erwecken, die chriſtlichen
Vortheile zu erringen — ſich mit einer chriſtlichen Saͤn⸗
gerin verbinden zu bürfen. Sowie dieſes Vehikel im
Werthe ſinkt, finkt auch das Chriftenchum felber mit,
und Julius fchließe ſich nur um fo enger, wenn auch
niche an feinen alten Glauben, doch an feine alte Ges
meinde an. Flacher, aber der Micklichleit entfprechend
it die Zeichnung der ebenerwähnten Sängerin Fanny,
die bei der Kataſtrophe eine ſehr wichtige Wolle fpielt;
faft zu gemein ift ihre Mutter dargeficht. Ce mögen
fih im Leben genug Originale dazu finden — aber ein
Daguerreothp iſt noch kein Kunſtproduct: es fehlt der poe:
tiſche Umguß im Geiſte des Kuͤnſtlets. Die uͤbrigen
Perſonen find mehe oder weniger nur fkizzenhaft hinge⸗
Reit; fie find die fhwächern Elemente des Buche. Sie
erwecken kein gleihmäßiges Intereſſe; der Verf. läßt fie hier
und da ganz aus den Händen fallen. Eine Ausnahme
davon macht die arme Mutter mit ihren fünf Kindern,
von denen fie keines miſſen will, um e6 bei einer reichen
Scau erziehen zu laffen. Die ihr gewidmete Scene iſt
eine der [höniten und mwohlthuendften Partien des Buchs —
ein Gentebild der echteften, kernigſten Geſundheit und
Natuͤrlichkeit, det Krankhaftigkeit und Geifterhaftigkeit Au⸗
guſtin's gegenuͤber — der echte Fruͤhling neben dem Schein⸗
frühling. Dieſe Scene iſt für den Effect des Ganzen
von auferordentlihem Werthe. Sie iſt Zeugniß dafür,
baß der Verf. in feinem Objecte nidyt untergegangen iſt,
und forgt dafür, daß auch der Lefer nicht in bie frank:
hafte Empfindungsweife mit fortgerifjen wird, fo tief ihm
auch ein Blick in den poetifchyen Sonde derfelben eröffnet wird.
Zugleich erweckt fie die Hoffnung, daß wir unter ben
„Deutfhen Novellen”, deren wir einem allgemeinen Zitel
nach noch mehre vom Berf. über „Deutfches Leben "u
erwarten haben, auch mante finden werden, die unfere
Zuftände aud von einer rein = erfreulichen und markigen
Seite zu erfaffen willen. Richard Morning.
Leben und Wiſſenſchaft in ihren Elementen und Gefegen.
Von Kari Friedrich Anton Schmidt Würz
burg, Stahel. 1842. 4. 1 Thle. 22" Nor.
Necht viel wirb in dieſem Werke beſprochen; was läge
auch nicht. im Kreife beö Lebens und ber Wiſſenſchaft? GSo fins
den dann in vier Abſchnitten Philoſophie, Anthropologie und
Mebicin, Religion und Theologie, Politik unb Zurisprubenz
ihre Stelle. Die barin Herrfchenden Gelege, als Wasftäbe für
die Entwickelung der Gegenftände, follen auf ein Grundgeſet,
auf eine Einheit bes Geſetzes, gueäctgefägrt werben.
dierfür bieten fi dem Verf. Zablenverhättniffe, die auf
alle Formen des Seing paflen unb ichnend für alle mögs
lichen generellen und fpecislien GEntwidelungen ber Dinge in
Anwendung zu bringen find, was uns an 3. 3. Wagner’3
„Mathematifche Philofophie” erinnerte, beren auch &. Il mit
Eckartshauſen's „Zahleniehre ber Natur‘ gebacht if. Rur daß
flatt Wagner's Vierzahl bier die Zehnzahl zum &chematifiren
des Lebens und der Wiffenfchaft gebraudyt wird, mit zugleich
beigefügten Warnung, Bablen und Figuren feien nicht Gelegge:
ber der Dinge und wiſſenſchaftlichen Debuctionen, fonbern abe
ſtrahirt aus dem Inhalt der Dinge des Alls nach ben unend⸗
Itdyen Erſcheinungsformen, und alfo nur eine formale Con⸗
firuetion ber unenbliden Reihe der Individuen zum gemeinfas
men Ginheitöpunkte, weshalb fie Leinen Inhalt geben, die Wil:
fenfhaft nicht an fih fördern, fondern durch die Wiſſenſchaft
ſelbſt gefördert find, als formeller Ihell der Wiſſenſchaften in
enblicher Befchränkung, während der materielle Theil der Wiſ⸗
ſenſchaften in unendlicher Reihe unbeſchraͤnkt fi) verzweigt.
ine Sinwendung macht fig der Verf. fetbft: „das Schema⸗
tifiven fei ein Verlieren in die Form, ein Rormales, was feinen
wiffenfchaftiichen Inhalt gibt, ein gefuchte® willkürliches Geſtal⸗
ten und Gingwängen der Unenblichkeit in endliche befchräntte
Bormen’, und dies ift volllommen richtig, es wäre daher ver-
kehrt, wenn man Entwürfe von Schematen — was wol zum
heil geſchehen — als eine Conſtruction wiſſenſchaftlicher Ein-
fiht betrachten wollte, ba fie doch nur eine Ueberficht gewähren.
Der Berf. liefert nun eine Menge von Gchematen über Philo-
fophie, Anthropologie und Medicin, Religion und Theologie,
Politik und Jurisprudenz. In allen herrfcht die dekabiſche Kor:
mel: 1. Einheit; 2. 3. Entwidelung, Gegenfad; 4— 7. In:
neres, Außeres, Hohes, Niedriges; 8. 9, 10. Wefen, Korm,
Erin. Als Beilpiel diene ein Schema aus der Sprachlehre für
Wortbezeihnung und Interpunction: 1. Wort, Punctum; 2. 3.
WBurzelmörter, Stammwoͤrter; Komma, Fragezeihin; 4—T.
Ableitung, Jufammenfegung, Bedeutung, Definition, Semikolon,
Kolon, Arsrufungszeichen, Gedankenſtrich; 8. 9. 10, Verſchie⸗
denheit der Wortbedeutung, Ähnlichkeit ber Wortbedeutungen,
Wortverbindung; Anfuͤhrungszeichen, Theilungszeichen, Paren=
theſis. Und ein anderes Beiſpiel aus der Anthropologie und
Medicin: 1. Seelenkrankheiten; 2. 3. Geiſteskrankbeiten. Ge—
muͤthskrankheiten; 4—7. Wahnſinn, Irrſinn oder Berruͤcktheit,
Tiefſinn, Unſinn ober Narrheit; 8. 9. 10. Biddſinn, theilweife
und zeitweiſe Seelenſtoͤrungen aus acuten phnfilchen Krankheis
ten, gleiche fecundaire Serlenftörungen aus phyfiſchen Gebrechen,
organiſchen Krankheiten, Krankheitszufaͤllen und Krankheitsaue-
gaͤngen. Der Berf. bringt in daſſeibe Zahlenſchema bie Bitten
des Vater Unfer und die Zehn Gebote, laͤßt auch unter bie
Hauptabtheilungen Ddreigliedrige Unterabtheilungen ſich ſtellen,
z. B. unter Wahnſinn Aufhebung der idealen Anſchauung, auf:
gehobene Phantaſiefreiheit, Aufhebung aller Intelligenz, unter
Blödfinn Dummheit, Stumpffinn, Kretinismus u. f. w. Zu:
glei) Toll fi in der formalen Ausprägung ber Zahlenreihe unb
ber materialen Auspraͤgung ber Begriffsreihe für jene dekadiſche
Gefegformel eine dreifache Gradation finden: a) primitive Bes
ſtehens⸗ ober Grundformen Nr. 1— 3; b) fecundaire Entwicke⸗
lungsformen Nr. 4—T; c) Vollendungsformen Nr. S—1O.
Ref. aber gefteht, er habe biefe Gradation in den Schematen
nicht entbeden fönnen und nur in einigen derfelben etwa ent:
fernten Anklang bavon gefunden.
Dem fei nun wie ihm wolle, fo entpält ber die Schemate
begleitende Text viel Ginleuchtendes und Beherzigungswertbes.
Unter nderm betrachtet der Verf. den Menſchen ais noifdyen
dem Endlichen und Unendlichen, dem Irdiſchen und Dimmlis
ſchen ftehend und erblickt in dem jegt herrichenden Zeitgeifte ei-
nerfeits eine Durcharbeitung zum Standpunkte des teligiöfen
24
Sehens, andererſeitẽ ber: materiellen m „Rur if es bes
träbend, gerade im Höchſten dus Men manchen ruͤckſchrei⸗
imben Bewe zu begegnen. Waͤhrend bie ſchon früher
gungen
neben dem Monotheiämus entwidelten und feinbli Richtuns
des Atheismus und Pantbeismus bie Wifienfchaften weit
die Retigion erhoben, wird nun auch bie Religion nicht
sur über alle Wiffenichaften, fondern auch im Gegenſat mit
nieſen gefegt und leptere werben als ihr feindlich angefehen, und
zwar in der roeıtverbreiteten Partei der Pietiften und Myſtiker,
weiche ſich in jene fruͤhern Perioden der Religion verfegt fehen
möchten, wo ein contemplatives Leben im Hochgefuͤhle der Got⸗
kendbe und in Wonne der Meitſchoͤpfung das Gemuͤth bes
Denſchen erfuͤllte. Wei diefen Menſchen fleigert fich zwar das
innere Seelenleben, aber die eigentliche geiſtige freie Thatkraft
sach außen wird haͤufig geſchwaͤcht oder krankdaft verändert
und es tritt mit der Ruͤckkehr in ſich oft verderbliche Selbſtge⸗
nmigſamkeit ober ſogar Fanatismus ein.’
Der Verf. iſt Arzt und betrachtet ben Verſuch einer neuen
Bahn der Pfychologie als eigentlihen Gentralpuntt feiner vor⸗
liegenden Schrift. Man nimmt an, fagt er, der Menſch bes
ſtehe aus Geiſt, Gerie und Leib, Geiſt habe nur der Menſch,
Grete und Leib auch das Thier. Die Seele verbindet ben
Geiſt mit dem Leibe, der Seele Traͤger ift bie Neroenkraft,
das Nervenfluidum, dia Lebenskraft überhaupt, ober Seele iſt
am Ende identifh mit Lebenskraft. Different find die Zu:
eilungen und Begriffbeflimmungen der einzelnen dem Geifte
und der Seele angehörigen Zactoren Vernunft, Verſtand, Ge⸗
müth, Wile u. f. w., und fonderbar ift oft die Stellung, in
weiche diefe drei Wegriffe und Dinge zueinander gefegt werben.
Der Seit, Ichet man, if unſterduich und ewig, der Leib ſterb⸗
Rh und vergänglich; wie es mit der Seele geht, darüber ift
man meiftens uneinig, und da auch Thiere nad Ginigen eine
Seele Haben, fo weiß man nicht recht, was mit diefer wird.
Da man einerfeits die Seele als gefteigerte Lebenskraft nimmt,
fo kaͤmpfen an ihr die Materialiften an, laffen den Geift nur
Ausflüffe von ihr fein, während die Pantheiften einen unmittels
baren Ausfluß des göttlidyen Weltgeiftes in ine erfennen und
Seele in allem Leben finden. Die beliebte Trias — im Sinne
der Theologie die Trinitaͤt — ſoll in der Annahme von Geiſt,
Seele und Leib einen Anklang ober eine Gorrefpondenz in der
Schöpfung bes Menſchen mit der göttlichen Dreieinigkeit finden.
Der Verf. ſtellt dagegen die Lehre fe: der Menſch befteht aus
zwei Hauptgrundbeftanbtheilen, Seele und Organismus; Geele
umfaßt die ganze Lebensfphäre des Geiſtes und Gemuͤthe, Or⸗
gantamus ben ganzen materiellen Lebenskreis indbivibueller Ge⸗
faltung. Das Thier hat keine Seele, iſt aber gleich dem Men⸗
ſchen ein Organismus, letzteres ift ein felbftändig belebtes indivi⸗
buelied Weſen, beftehend aus materiellen Stoffen, und aus Kräfs
tn, weiche in diefen Stoffen wirken. Das feelifche Leben bes
Venſchen muß von unmittelbar goͤttlichem Uriprunge und von
böberer Würde als die irdiſche Grfcheinungsmwett fein. Auch
der Menſch ift nicht die vollendetite Schöpfung ber Geifterwelt,
fontern exfcheint ats Übergang vom natürlichen, materiellen Les
ben zum überfinntichen, himmliſchen und geiftigen, als eine Ber:
Einigung von zwei Raturen, davon die eine in einer ganzen
Welenreite und Stufenleiter ſich entwidelt und zur Vervoll⸗
kemnung herangebildet hat, während deren andere zum erften
Mae ſich kund gibt.
Die einfachften Erklaͤrungen find mol die beflen und fos
nach eine Dyas des Dienfchenbeftandes einer Trias vorzuziehen,
indeffen fieht man, mas Andere der Seele beilegen, gewährt bes
Berf dem felbfkändig belebten Organismus, und was über bies
fem dem Geiſte zufällt, ift nad ihm der Seele eigen. Die
menſchliche Seele entfaitet fi nun in die Polarität von Geift
und Semüth, des Geiſtes untergeordnete Syſteme find Bernunft
und Verftand, des Gemüths höhere Gefuͤhlswelt und Sinnen⸗
gefähte. Die Vernunft entfaltet fi) als Quelle ber Ideen, der
Phantafie, der Intelligenz, der Verſtand als Quelle des Erken⸗
nens, des Vorſtellens, des Denkens, die höhere Gefuͤhlswelt als
Duelle der Neligiofität, der Liebe, ber Mahrheit, bie Sinnenge⸗
fühle haben die Gtufen der Empfindung, des Crgriffenfeins, des
Begehrens. Die Vereinigung aller Geelenvermögen im Seelen
leden, ſowol in der geiftigen als gemuͤthlichen Sphäre erſcheint
als eine nach dem Geſet ber Trias conftruirte $erausbilbung
der Srundformen Bewußtlein, Wille und That. As Probes
flein der Wahrheit diefer Anſichten nennt der Verf. das thieri⸗
ſche Leben, weichen in höherer Ordnung mit dem Menſchen ge⸗
meinfame Functionen zukommen, und die pſychiſchen Krant⸗
heiten, wovon keine Spur bei den Thieren vorkommt. (ac
Gcheitlin’6 „Shierfeeientunde” find Spuren davon vorhanden.)
Inzwiſchen wirb wol feine pſychologifche Anficht irgend einer
Art das Gemeinſame und Unterſchiedene des thierifchen und
menſchlichen Lebens verkennen und für deren Auffaſſung und
Erklärung gewiſſe Gegenbegriffe wählen, fobaß eine beſtimmte
Bertbeilung ter Grundträfte und Vermögen allein dadurd) feine
ausſchließliche Richtigkeit gewinnt, wenn fie gleich neben andern
au befichen vermag. In der Pfychologie will eigenttich der
Menſch hinter ſich ſelbſt kommen, welches fireng genommen uns
moͤglich var ei na fer nur br und findet und hierfuͤr
— wie g © alle Dinge ber Welt — zu gewi s
ausfehungen gendthige wich. su griffen Soc
Was der Mebicin im Verhäitniß zu ben andern Wiſſen⸗
ſchaften noth thut, leſen wir S. 135: „Philoſophie ſollte ee
Sinheit in das ärztliche Willen bringen, als Geiſt der Natur:
wiſſenſchaft Einheit in Entwickelung der Geſetze des organifchen
Lebens, in der Pſychologie Einheit in den Geſetzen des t
lebens; fie follte verhindern, daß einfeitige Sofme aa es
polanftrebende Neuerungen auftauchen und bie Köpfe verbienden,
bie Theologie follte ber Medicin freundlich zur Geite gehen, aber
ohne theologiſche Sekten und Parteien, Myſticismus und Piee
tismus, Sqhwaͤrmerei und Gcheinheltigleit, fowie andererfeits
Materialtsmus und Atheidmus, Frivolität und Immoralitaͤt als
Erbfeinde der Ärzte und ihrer Wiffenfchaft angefehen werben
ſollten. Auch in ſtaatsrechtlicher und ſtaatsgeſellfchaftlicher Ber
ziehung wuͤrdige die Medicin richtig ihre Stellung, verbinde
praktiſchen Takt mit wahrer Theorie, es ſchwinde in ihr das
unſelige Streben einſeitige Hirngeſpinſte ins Leben zaubern zu
wollen, oder geheime Agentien und Raturkräfte zu leugnen, flatt
deſſen werbe ruhig geprüft und geforfcht, dann erſt mitgetheilt
und geurtheilt.” Als Beiſpiel gibt der Verf. feine burch prakti⸗
ſche Beobachtung und Pruͤfung gewonnene Anſicht uͤber den thie⸗
riſchen Magnetismus, worin wir ihm hier nicht folgen koͤnnen.
Mit befonderer Ausführlichkeit und Eingehen in die einzel:
nen Verbättniffe wich das Medicinalweſen in den dnropäif
©taaten befprochen, und trog dem Vielen, was gegen fonft ba⸗
rin gefchehen fein mag, werden Mangel nachgewieſen und pia
desideria daran geknuͤpft. Gin eigener Anhang enthält intereſ⸗
fante ärztliche Gutachten, ‚ befonders in Bezug auf pfodhifche
Verhaͤltniſſe. Auch über die jept Häufige Minderung des Seh⸗
Pa wre jangen —— werben F Urſachen nachgewie⸗
n und Vorſchlaͤge zur etwaigen Verbeſſerung und S
des Geſichtoſinns gemacht. s qearfons
Selbſt über Religion und Theologie urtheilt der Nichttheo⸗
loge und erkenat gang die Wichtigkeit des Gegenflandes. Die
dyeifttiche Religion iſt ihm Weltreligion, aber fie befeeit nicht
in ihrer Reinpeit, nad ihrem Umfange und ihrer Klarheit un⸗
fer Geſchlecht. Dies beweiſen die Kämpfe der chriſtlichen Par⸗
teien, die menſchlichen Zufäge und Pormeln, die geringe Aus«
breitung ber chrifttichen Kirche auf Erden, die Differenzen in
Kustegung der heiligen Schrift, der chrifttichen Dogmen und ver
ligisfen Lebensanfichten. Rein auf dem Gtanbpunfie der Wil:
fenfchaft will der Verf. fi) auf bie -Begenfäge von Kathoticie
mus und Proteftantismus einlaffen und eine mögliche Vereini⸗
gung nadyveifen. in fchönes, aber gefährliches Unternehmen,
denn gerabe die Wiſſenſchaft mit ihren Anfpräden fcheint Spate
tungen zu vermehren. Wol kann gefagt werben: „Der Prote⸗
ſtantismus entſpreche mehr der Neligionsaufnahme durch Ber:
ftand und Vernunft, der Kathoticismus einer @efühlsaufregung,
durch beibes werbe fecunbats die Andacht und geiflige Erhebung
erzeugt, ſchneller durch letzteres, bleibender buch ———— al⸗
iein damit iſt wenig gewonnen, ber Begenfag betrifft sine
g durch Autorität und durch eigene it. Der Verf.
—* fagt richtig: „Die Abficht des Ehriſtenthums ſei, nicht
oͤlos eine Kirche bes unbedingten Glaubens, ſondern eine ſelb⸗
ſtaͤndige Erfaſſung der Kirche und ber Glaubentwahrheit nach
dem allgemeinen Wiſſenſchaftsgeſege zu ſchaffen“; allein chen
dadurch wirb eine mannidhfaltige individuelle Geſtaltung herbeis
geführt. So können dann folgende Kirchenunionsvorſchlaͤge
(©. 236 fg.) ſchwerlich zum Ziele fähren, naͤmlich: Errichtung
eines der Zeit und den Vebärfniffen der Menſchen angemeffenen
einſchaftlichen Lehrgebäubes durch eine vereinte Kirchenvers
ammiung; Gottesdienit mit Meffe und Predigt, Abendmahl in
beiteriei Geftalt; gebührende Würde der Tradition neben ber
heiligen Schrift; Geſtattung ber Priefterehe; einige Kıöfter ohne
die bisherigen, oft unheilſchweren Gelübbe ; icher Glaube/
aber auch chriſtlicher Wandel; Taufe und Abendmahl als Haupt⸗
ſacramente, denen ſich die andern als nicht ſchriftwidrig anſchlie⸗
ben; Verehrung der Maria, ald Mutter Ehriſti, durch ein
BDauptfefi u. f. w. Wenn auch mande dieſer Vorſchlaͤge aut
führbar wären und Frieden bringen Tönnten, wie mag dev Verf.
es von Goncilien erwarten, bie body jeder Einigung bie Sanc⸗
tion ertheilen müßten, und warum ift des Papftes und ber roͤ⸗
miſchen Hierarchie nicht gebarht, die vor allem übrigen in
Frage kommen? Fuͤrwahr, die chriftliche Theologie und bie
Theologen find vertannt !
Im neuern Gtaatsleben hält der Verf. eine unbedingte
Preßfreiheit noch nicht an ber Zeit, weil noch die allgemeine
Intelligenz mangelt, weil oft das ‚Höhere profanirt und in ben
Staub gezogen wird, weit nicht Wahrheit und Hecht, nicht das
Bute um des Guten willen ſtets veröffentlicht werben, fondern
dfters Wis und Laune, Haß und Feindſchaft, Privatinterefie
und Fanatismus freien Spielraum geminnen und darum Gen:
fur und Preßgefeg der Preßfreiheit als Huͤlfsmaͤchte (1) zur
Seite ſtehen. Alfo — es bleibe damit, wie es ift, wir baben,
was wir brauchen !
Gin ſchoͤnes Äußere empfiehlt das Wert. Auf dem Um⸗
ſchlage ift in ber Mitte abgebildet das Auge Botted im Dreis
ed, Strahlen ausipendend, ein Sinnbild des Centralpunkts als
les ibeellen und reellen Seins, Menſchen, Engel, Weltkörper,
umber; dann bie Religion als betende junge weiblidhe Kigur;
die Jurisprudenz mit Schwert als Ältere; bie Medicin im Bilde
des Äskulapy die Kunft im Bilde des Apollo u. f. w. Der
Stich ift gelungen und kann die Breunde emblematifcher Vers
zierungen erfreuen, 5.
Literariſche Notiz. |
. Wir haben ber „Galerie des contemporains illus:res par
un homme de rien” bei verſchiedenen Gelegenheiten im Vorbei⸗
geben erwähnt. Gegenwärtig find fo ziemlich ſechs Bände (das
Banze ift auf zehn berechnet) erſchienen, und wir wollen des
halb auf dieſes geiftvolle Werk aufs neue aufmerkfam machen.
Das „Journal des debats” fagte vor einiger Zeit mit Recht,
daß dieſe Galerie mehr- als ein bios vorübergehendes Interefle |
babe. In der That erhalten wir in biefem Werte nit nur
eine große Waffe fehr intereffanten Materiats über unfere gro⸗
en Beitgenoflen und namentlich über die franzoͤſiſchen Notabilis
täten, ſondern bafleibe ift zum Theil fo gelungen verarbeitet,
daß einzelne der kleinen Biographien für wahre Cabinetſtuͤckchen
gelten Eönnen. &o heben wir aus dem erften Bande namens
lich Thiers, Berryer, aus dem zweiten: Cormenin, Balzac u. a.
hervor. In dem legten Bande werden von ben fremden Gchrifts
flelleen namentlih X. W. v. Schlegel und X. v. Humboldt bes
fprochen. M. be Lomenil — bie iſt, wie es heißt, ber Name
des Verf. — ift mebr als ein homme de rien, er ift ein Dann
von Geiſt und vielem Talent. Gein Stil ift pikant, ohne gar
zu viel mit Antithefen gu fpielen. 2.
Biblisgraphie.
Ahat, W., Humoreslen. Goesfelb, Rice. 8. 1 Thlr.
Fliegende Blätter für ragen bes Tages. 1. Die Che:
De aefragr. Von Puchta. Berlin, Belle. Gr. 8.
r
a .
Boz's ſaͤmmtliche Werke Adfter Theil: Leben und Abenteuer
Martin Cbuzzlewit's. Aus dem Engliſchen von E. A. Mo:
riarty. Mit 40 Stahlſtichen nach Driginatzeichnungen von
hin lftes Heft. —— hen 16. 5 5
Capefigue, M. Geſchichte der hundert Tage. Ifte Liefe⸗
zung. Mit 1 Stahiſtich. Freiburg, Herder. Gr. 8. 10 Nor.
Doerk, E. M., Beitrag zur Vermittelung ber Meinuns
gen 10 Sr Preußiſche E reform. Gisleben, Reichardt.
Fiedler, F., Beographie und Geſchichte von Altgriechen⸗
land und feinen Colonien. Leipzig, Hinrichs. Sr. 8. 2 Thir.
Frick, Ida, Durch Nacht zum Licht. Roman in vier
Büchern. 2 Bände. Leipzig, Bode. 8. 3 Thir.
Fryxell, A., Leben Guſtav's IE. Adolf's, Könige von
Schweden. Aus bem Schwediſchen nach der ten Auflage uͤber⸗
fegt und mit den nöthigen Anmerkungen verfehen von 3. Hom⸗
berg. ?ter Theil. Leipzig, Hinrichs. Gr. 8. 1 Thir.
Graͤf, G., Scherz und Ernſt, oder Charakterzeichnungen.
Meiningen, Keyßner. Gr. 12. MW Nor.
Harkort, F., Bemerkungen über die preußiſche Volke⸗
ſchule und ihre Lehrer. Hagen. Gr. 8. 12 Nor.
Herbert, @., Der Griminglproceß des Jochim Hinrich
Ramde, aus Halſtenbeck bei Altona, wegen angeſchuidigten
Mordes, naͤchſten Verfuchs zu einem andern Morbe und Morbs
brandes, in allen Inftanzen zum! Tode verurtheilt und zum
Richtplat geführt, deffen Hinrichtung aber dennoch, wegen Zwei⸗
feld an der Schuld und dem gefunden Verſtand des Inquifiten
einem wenige Minuten vor ber Grecution anlangenden koͤnigi.
Befehle zufolge, nicht flattfand; nach den Griminalacten und
authentifhen Berichten mit Beziehung auf die Theorie bes Ber
weisverfahrens und Gelchwornens Gerichts und bie Vertheibigunges
fchriften der Herren Adv. Guͤlich und Dr. jur. P. v. Kobbe
beleuchtet. Altona, Bellbutt. 8. 20 Nor.
Sallet, F. v., Geſammelte Gedichte. Breslau, A. Schulz.
16. 1 Zhlr. |
Schartan's, H., Leben und Lehre. Gin Lebensbitb aus
der ſchwediſchen Kirche. Leipzig, Micelfen. Gr. 12. 10 Nor,
"Stimmen berühmter Chriften :über ben Damascener Bluts
proceh. Als Anlage zu der Schrift „Damascia” von 8. 6.
Loewenftein. Frankfurt a. M , Hermann. 8. 10 Nar.
Zrojano, M. bi, Die Bermählungsfeier des Herzogs
Wilbelm des Fünften von Bayern 'mit Renata, der Tochter bes
Herzogs Kranz bes Erſten von Lothringen, zu München im
Sabre 1508, In italienifcher Sprache befchrieben. Frei übers
Ki von Gr. Wuͤrthmann. Münden, Fleiſchmann. Gr. 8.
. 08.
Vechelde, C. 8. v., Aus bem Tagebuche bes Generals
Fr. 2. v. Wachholtz. Zur Geſchichte der frühern Zuftände ber
preußifhen Armee und beſondere des Feldzugs des Derzoge
Friedrich Wilhelm von Braunſchweig⸗Oels im Jahre 1800.
Braunfhweig, Vieweg und Sopn. 8. 2 Thir.
Welp, J., Die Patrimonial: Gerichtsbarkeit. Bruchſtuͤck
aus 1” Memoiren eines ſchleſiſchen Bauern. Leipzig, Hunger.
. 2 Xgr.
Willibald, 3%. K., Die Zigeuner im Tilin: Walbe.
VBolks⸗ und Criminalgeſchichte aus der letzten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts. Wien, Stoͤckhotzer v. Hirſchfeld. 8. MW Star.
Wuttfe, D., Jahrbuch der beutfchen Univerfitäten. I.
Winterhalbjiahr 1842—43. Leipzig, Weidmann. 8. 235 Nor.
“ Berantwortlicher Herauögeber: Heinrich Broddaus. — Drud und Verlag von F. U. Brodhans in Leipzig.
———— — — — ——
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Mittwoch,
Davis über China.
LaChine. Par J. F. Davis; traduit de l’anglais par A. Pi-
chard, revu et augments d’un appendice par Basin aine.
Zwei Bände. Paris 1841.
Dies Werk iſt ein Beweis von dem Geiſte hiftoris
ſcher, ethnographiſcher und geographifcher Forſchung, der
unfere Zeit harakterifirt und mit den pbilofophiichen und
politiſchen Strebungen unferer Tage in engfler Berbin:
dung ſteht. Denn in der That iſt das Studium ber
Geſchichte, der Zander: und Völkerkunde gegenwärtig ein
philoſophiſches oder politifche® und wird philoſophiſcher
oder politiſcher Zwecke wegen unternommen. Die naive
Neugierde, welche blos wiſſen moͤchte, wie es ehedem und
anderswo geweſen und ausgeſehen, blos um es zu wiſſen,
dieſe Neugierde duͤrfte man nur noch auf den Schulbaͤn⸗
ken finden. Unintereſſirt ſtudiren Wenige Geſchichte, Laͤn⸗
der⸗ und Voͤlkerkunde. Die Einen gehen von politiſchen
Geſichtspunkten aus; bei Andern liegt der Gedanke, zu
einer Philoſophie der Geſchichte und Menſchheit zu kom⸗
men, im Hintergrunde.
Griechiſche, roͤmiſche, franzoͤſiſche, engliſche, ſpaniſche,
italieniſche, kurz abendlaͤndiſche Geſchichte, Ethnographie und
Geographie ſind in unſerer Zeit Gegenſtand der allgemei⸗
nen Bildung geworden; die Sprachen dieſer Länder find
allen Gelehrten bekannt und es fehlt in feiner Literatur
an Merken über die Gefchichte, Ethnographie und Geo⸗
graphie dieſer Länder, die auch Denen zugänglich find,
welche Beine fremde Sprachen gelernt haben. Der Orient
it aus Gründen, die in der Natur der Sache liegen,
bis jetzt der allgemeinen Bildung fremd geblieben und
wird ihre andy wol noch lange, wenn nicht immer, fremd
beiten ; vor der Dand läßt fi ſchon darum nicht wohl
von einer hiſtoriſchen, ethnographiſchen und geographifchen
Literature über den Orient [prechen, weil die orientalifhen
Studim noch eine Art indiſches Weltei find, noch nicht
eine in fi organiſirte Disciplin, wie bie claſſiſche Phi⸗
lologie. Was bis jest in Frankreich für die Kenntniß
des Orients geſchrieben worden, das ift vorherrfchend Lin-
guiftifcher Natur; das Gefchichtliche, Ethnographiſche und
fonftige Sachliche läuft nur in Anmerkungen, Ercurfen,
Commentaren fo mit bei. Die Leitungen der franzoͤſi⸗
fden Orientaliſten, wie Sitvefire de Sach, Abel Remus
far, Anquetil du Person, Chezy, Eugene Burnouf,
Langles, Cauffin de Perceval, Garcin de Taſſy, Klap:
roth, Champollion⸗Figeac, Duatremere de Quincy u. A.
haben allerdings die Kenntniß des Orients in ſprachlicher
und auch in anderer Beziehung bedeutend gefördert; aber
diefe Leiſtungen intereffiren ausfchlieflih Gelehrte von
Sach, und es hat in Verhaͤltniſſen, die zu befannt find,
um noch befonderd hervorgehoben zu werden, feinen
Grund, daß bie Riteratur der Engländer über den Orient
seicher ift an Beiträgen zur Kenntniß der focialen Cul⸗
tur dortiger Länder und Voͤlker, welche für gebildete Les
fer intereffane find. Ein folher Beitrag iſt das bier
angezeigte Werk über China.
Es eriftirt nicht Teiche ein Land, über das Europa
lange Jahrhunderte hindurch unvolftändigere, unmahrere
Borflellungen und crtravagantere Ideen gehabt hat, als
über das „himmliſche Reich”. Durchaus nicht aus
Mangel an Nachrichten über diefes merkwürdige Land,
noch aus dem Grunde, weit unüberfteigliche Dindernifie
jederzeit den wißbegierigen Europdern den Zutritt auf
chineſiſchen Boden verwehrt und dadurch zu fabelhaften,
rein aus der Luft gegriffenen Erzählungen und Beſchrei⸗
bungen DVeranlaffung gegeben hätten. Es gab eine Zeit,
wo die Fremden frei und ungehindert im Innern von
China herumreifen und es in allen Richtungen und Bes
ziehungen duchhforfhen durften. Wenn dieſe Erlaubniß
gegenwärtig aufgehoben ift, wenn die Bewohner bee
„Mittelblume der Welt’ (db. h. Chinas) alle andern
Nationen und infonderheit die abendländifchen als ver:
ächtlihe Barbaren behandeln, fo ift daran die unerfätt:
liche Habgier, die ſchmaͤhliche Sewinnfucht und Graufam:
keit Schuld, wodurch ſich Spanien in Suͤdamerika einen
fo verabfheuten und verabfheuungswürdigen Namen. ges
macht. Mie mehr Gluͤck und Erfolg’ als Merico und
Peru fegte Ghina ben fremden Eimdringlingen einen
Damm entgegen, indem es feine Grenzen zufchloß und
fid) gegen das Ausland ummanerte.
Zu der Zeit, wo Handel und Verkehr aller Art im
Innern des „himmliſchen Reichs“ den Fremden freigeges
ben war), wurden in China Handels: und Entdeckungs⸗
reifen vom hoͤchſten ntereffe vorgenommen. Den Ara
ben, bie vor der Eroberung ber mongolifhen Tataren
ſich vorzugsweiſe als Handelsleute zur See dahin begas
ben, verdanken wir bie erfte etwas genaue, ausführliche
154
Beichreibung Chinas, feiner Sitten, Einrichtungen und
Gewohnheiten. Ihre weitläufigen, ausgedehnten Erobe⸗
rungen brachten fie mit den Grenzen dieſes entlegenen
Reihe in Berührung, und die Wißbegierde reizte einige
von ihnen, im Lauf des 8. und 9. Jahrhunderts Diele
unbelannten Gegenden zu bereifen, die fie nachher be:
ſchrieben.
Titel ‚‚Anciennes relations de deux voyageurs maho-
metans’’ (1718) beforgten Überfegung haben die Fran⸗
zofen ein intereflantes Gemälde zweier Reifen, die in
den Jahren 850 und 877 von zwei Arabern gemacht
worden. Diefe Reiſebeſchreibungen des 9. Jahrhunderts
enthalten um fo merfmwürdigere Einzelheiten, als fie Die
Chineſen ſchildern, mie wir fie heutzutage Eennen, ob:
fhon feitbem an taufend Jahre verfloffen find. Einen
andern Seifebericht, den wichtigften von allen, die über
das Innere von China gefchrieben worden, findet man
in ben berühmten Reifen des Marco Pole im 13. Jahr:
hundert unferer Zeitrechnung. Aber alle dieſe Huͤlfs⸗
mittel und Nachweifungen waren vor der Hand für Die
abendländifhe Bildung verloren. In großer Unwiſſen⸗
heit über die Beichaffenheit, den Umfang, die foclale Cul⸗
tur und die Gefchichte Chinas, ſchenkte Europa den Be:
richten dee kuͤhnen Neifenden keinen Glauben und gab
lieber ihre Beſchreibungen für Lügen und die Reifenden
ſelbſt für kecke Betrüger aus.
Im J. 1254 oder 1255 machten zwei venetianiſche
Edle, Nikolaus und Matthaͤus Polo, die Reiſe nach Kon⸗
ſtantinopel. Wie ihre Handelsgeſchaͤfte in dieſer Stadt
beendigt waren, hoͤrten ſie mancherlei reden von einem
weitlaͤufigen Reich, welches die Tataren an der Wolga
geſtiftet. Sie befchloſſen, daſſelbe zu beſehen, und mach⸗
ten ſich in dieſer Abſicht auf den Weg, nachdem ſie zu⸗
vor bedeutende Vortaͤthe von Pretioſen und Edelſteinen
angekauft. Sie verweilten zuerft bei bem Zatarenhäupt:
ling Barkah, Enkel des berühmten Dicingte-Khan, bei dem
fie die gaftfreundfchaftlichite Aufnahme fanden. Nach
einjährigem Aufenthalt nahmen fie Abfchied von ihrem
Wirth und gelangten endlich nach China, mährend ber
Regierung des mongolifyen Croberers Khonbilai : Khan.
An dem Hofe diefed Fürften wurden fie ungemein gut
aufgenommen und bei ihrer Abreife nach Europa [ud man
fie dringend ein, doch ja wiederzukommen.
30 Sabre fpäter, 1274, begaben fi) unfere Reifen:
den in der That nah China zurkd, mit Briefen vom
Dapfte Gregor X. und in Begleitung des jungen Marco
Dolo, Sohn von Nikolaus Polo, und wurden von dem
Khan ebenfo huldreih aufgenemmen als das erfte Mat.
Nach kurzem Verweilen wurde ber junge Marco Polo
wegen feiner Anftelligkeit und guten Aufführung der Lieb:
ling des Khan, der ihm an feinem Hofe eine bedeutende
Anftellung gab und die wichtigſten Sendungen in allen
Theilen feines Reichs anvertcaute. Auf diefen amtlichen
Reifen fammelte er ohne Zweifel die zahlreichen Materia⸗
lien, die er bei feiner Ruͤckkehr nach Europa zur Ders
ausgabe feines Werks benugte. Nah Verlauf von 17
Fahren ertheilte ihm der Khan, nicht ohne vieles Bes
Un einer dltern von Menaudet unter dem.
denken, die Erlaubnig zur Rüdkreife nach Stalien, wo er,
nad) einer Abmefenheit von 24 Jahren, mit allen feinen
Schägen und Reichtbümern 1295 ankam. Er Eonnte
ſich beinahe nicht mehr in feinee Mutterfprache aus-
drüden und erft nad) vielen Umfländen erkannten ihn
feine Verwandte wieder, die in feiner Abwefenheit ohne
weiteres von feinem väterlihen Palaſt Befig genommen
hatten. Dan kann nichts Anziehenderes, nichts Pittoreske⸗
res leſen als die Schilderung feines Aufenthalts und
feiner Ritterzͤge im himmliſchen Reich, die er während
feiner Gefangenfhaft zu Genua entworfen. Er hatte
von einem unermeßlihen Lande und Volke, von unge⸗
beuerm Nationalreihthbum und koloſſalen Hülfsmitteln
zu berichten, und er that es mit Maivetät und Cinfady-
beit, ohne Wortſchwall und Weitfchweifigkeit; aber die
Angaben, die er Über den Umfang und Nationalreich⸗
thum des chinefifhen Reichs bekannt machte, erfchienen
feinen Zeitgenoffen bergeftalt übertrieben und unglaublich,
daß feine Meifebelhreibung mistrauifh aufgenommen, er
felbit ſcherzweiſe Messer Marco -Miglione und fein Haus
Il corte del Miglioni genannt wurde. Zum Gluͤck ha⸗
ben fpätere Zeiten das Andenken Marco Polo's geraͤcht
und den innern Werth forwie die Zuverläffigkeit feiner
Erzählungen wieder ins Licht geftellt.
Es ging mit der Befchreibung Chinas im 13. Jahr:
hundert wie mit vielen dltern Enzählungen von dem ur:
alten Glanz Perfiens und von den Wundern Ägyptens;
es erging den Berichten Marco Polo's tie den Erzäbs
ungen Herodot's und den Geſchichten nordifcher Schrift:
ſteller, z. B. des Saro Grammaticus, die fo lange für
Maͤrchen und Erfindungen galten, bis fie durch die Me:
fultate der in neuerer Zeit angeftellten Forſchungen beftd-
tigt wurden. Jetzt wird die Reifebefhreibung des Marco
Polo allgemein bewundert, und fein Werk, das 1496
zum erftien Mat in Venedig gedruckt erſchien, ift ſeitdem
im Deutfhen von Peregein, im Englifchen von William
Marsden, und 1518 im Stalienifchen von Placido Zurfa
zu Venedig wieberaufgelegt worden. Zwei andere Ans:
gaben davon kamen zu Rom und Florenz heraus. Gut
zu conflaticen iſt, wie ſehr die Berichte der arabifchen
Reifenden des 9. mit denen des 13. Jahrhunderts und
wie beide Werke mit Dem übereinflimmen, was die neuer:
dings im Innern von China zugelaffenen Reifenden uns
von der Statiſtik dieſes koloſſalen Reichs melden.
Erſt gegen das Ende des 16. Jahrhunderts wurde
China der europälfhen Wiſſenſchaft durch einige fpanifche
und portugiefifche Geiſtliche, wie Mendoza, Guzman,
Maldonado, Martin Martini, Semado, Magellan zus
gänglih gemacht, die fih in dem fernen Lande als
Miffionnaire anfiedelten und intereffante Kunde mittheit:
ten über Chinas Sitten, politifye, religiöfe und ins
duftrielle Verhaͤltniſſe. Die erite von dieſen Neifebefchreis
bungen, bie des Pater Mendoza erfhien 1585 unter
dem Xitel ‚Historia del gran regno de la China”.
Ungleich wichtiger war die Überfegung der arabiſchen Rei:
febefhreibungen von E. Renaudet, wovon wir ſchon ges
fpeochen haben. Im 17. und 18. Jahrhundert trugen
155
bie Arbeiten der franzöfißchen, als Miffionnaire in China
angefiedelten Jeſuiten nicht wenig dazu bei, Das erweckte
Intereſſe an China zu fleigern. Der Pater Le Gomte
hatte wadere Machfolger, die Pater Antoine Gaabil, Ci:
bot und Ampot, welche fhägbare Materialien zuſammen⸗
brachten: „Mémoires concernant l’'histoire, les sciences,
les arts, les moeurs, les usages etc. des Chinois. Par les
missionnaires de Pekin“ (Parts I7T76— 1814, 16 Bde., 4.).
keider waren bie Jeſniten etwas leichtgläubig und man kann
fi) nur da auf ihre Nachrichten ganz verlaffen, wo fie ale
Augen» und Ohrenzengen fprechen. Joſeph⸗Anne⸗Marie
de Mohriac de Mailla (1669—1745) gab eine nach einem
chineſiſchen Original gearbeitete „Histoire generale de la
Chine, ou Annales de cet empire, publi€ par Grosier et Le
RBoux des Hauteraye” (Paris 1777—85, 13 Bde., 4., mit
Attas in Folio), die zwar ganz unkritiſch, aber eben da⸗
durch, weil fie die Meinungen der Chinefen reproducirt,
von ganz befonderm Werthe if. Außer dem chineſiſchen
Driginale ftügte ſich dieſe Geſchichte befonderd auf das
50 Sabre früher erfchienene große Werk Duhalde's über
Chinas, eine gelehrte Sompilation, die alle Hauptpunfte
der Geſchichte, Philofophie, Gefeggebung und Literatur
bei den Chinefen oberflächlih berührte und die obenge:
nannten Herausgeber anregte, ein gründlichere® und all:
gemein interefjantere® Bud, über China zu fchreiben,
Ungefähr daſſelbe Motiv hat vorliegendes Werk ver:
anlaft.
Der Berf. — heißt es in ber Vorrede — bat ſich bemüht,
abgefürzte, aber genaue Documente und Nachweiſungen in zus
gleich einfacher und Mar faßlichtr Form barzubieten. Die We:
nigen, die über irgend einen Punkt der chinefiichen Geſchichte
nähere Auskunft wuͤnſchen, finden dieſelbe in den zahlreichen
Werken ber Ginologen.
Zu dieſem Behuf hat der Verf. einen merkwürdigen
bibliographifchen Nachtrag angehängt, mit einem voliftändi:
gen Berzeichniß der zu verſchiedenen Zeiten und in verfchiedenen
Sprachen über China erfchtenenen Hauptwerke. eine Bes:
ſchreibung Chinas unterfcheidet ſich durchaus von der des Abbe
Groſier, der, mie ſchon bemerkt, bei feiner Arbeit das Werk des
Pater Dubalde zum Grunde legte. Dr. Davis beruft ſich auf
die Autorität diefes berühmten Compilators zur feftern Be:
gruͤndung einer Anfiht. Mehre englifhe Werke, wie der
authentifche Bericht des Lords Macartney, von Staun⸗
ton, und „„China’ von Burrow, fodann 'eigene Anfharuns
gm und an Ort und Stelle gefammelte Bemerkungen
und Erfahrungen bilden die Grundlage feines ebenfo ge:
haltteichen ale unterhultenden Werks, welches keineswegs
eine Compilation zu nennen, da man nicht wohl anneh:
men kann, Daß ein Mann wie Hr. Davis, der fehr be:
deutende philofogifche Arbeiten unternommen und zu Ende
geführt, verfaumt haben follte, zu den chineſiſchen Origi⸗
nalen gu geeifen und die Thatſachen darin nachzufehen, bes
vor er über irgend einen flreitigen Punkt fi ausſpricht
oder über den Werth zwei entgegengefegter Anfichten ent:
ſcheidet.
Hr. Davbis war lange Ptaͤſident der Oſtindiſchen Dan:
delsgeſelſchaft in China und die an feinem Namen haf—⸗
tmde Berühmtheit und Bedeutung hat die englifche Schag:
meiſterei zu Kanton in ein glänzendes Licht geftellt. Sein
Werk, wie er es ſelbſt in der Einleitimg fagt, ift nach
Bemerkungen und Anſchauungen verfaßt, die er wähs
rend eines Jängern Aufenthalts in China gefammelt hat.
Zwanzig in biefem Lande verliebte Jahre haben den
Anfihten des Hrn. Davis über China und die Chines
fen begreiflicherweife eine eigenthuͤmliche Reife und Gedie⸗
genheit verleihen müffen, und biefe beiden Eigenfchaften
hyarafterificen ganz ausnehmend dieſes Lebendige Gemälde,
voll der intereffanteften Detaild über alles auf ältere und
neuere chineſiſche Geſchichte Bezuͤgliche, über das politifche,
fociate, religioͤſe Syſtem der Chinefen, über die Bevoͤlke⸗
ung, die Abjtammung der verfchiedenen Racen und ihre
Nachkommenſchaft; über den Handel und Gewerbs
fleiß, über den Landbau und Probuctenverichleiß, über
die Wiſſenſchaften und Künfte, über die Literatur und
Schauſpielkunſt des „himmlifhen Reihe”. Mit dem
Reichthum und Ürerflug von Materialien und Hülfemit:
tein, die Hrn. Davis zu Gebote flanden, hätte diefer ge
wiß ein viel weitläufigeres, bändereichered und gelchrteres
Werk zu Stande bringen Eönnen; ob «8 ihm aber, bei
foldyen weiter geſteckten Anſpruͤchen, gelungen wäre, eine
fo freimüthige und Elare Auseinanderfegung chinefifcher Zu:
flände zu geben, möchten wir bezweifeln. Indem er ſcharf
gezeichnete Beftimmtheit an. die Stelle loſe umgrenzter AU:
gemeinheit fegt und anftatt Conjecturen Beweiſe vorbringt,
berichtigt er die Schiefheiten Derer, bie vorellig über
China abgeurtelt und eine feſte Meinung über diefes Land
gewonnen; feine Darftellung, frei von Schulfüchferei, ift
für gebildete Lefer von allen Glaffen, für Gelehrte wie für
bloße Neugierige berechnet, zugleich gemeinnügig und vor
ftrenger Kritik probehaltig.
Wir möchten dieſes günffige Urtheil über das Merk
bes Hrn. Davis gern mit Beweisftellen belegen, aber die
bloße Hernennung von den Überfchriften der einzelnen Ca:
pitel würde fchon zu viel Raum wegnehmen, und mic
machen Lieber beſonders aufmerkſam auf die Capitel, welche
eine Überfiht über die alte Geſchichte Chinas geben, die
geoße chineſiſche Mauer und die drei Städte Peking, Nan⸗
king und Kanton beichreiben, welche der Verf. aus eigener
und häufiger Anfhauung kennt; auf die Abfchnitte über -
SGefeggebung und Griminalrechtz über den Nationalſtolz
der Chinefen und ihre Verachtung fremder Nationen; uͤber
den Urfprung und die SKörperverfaffung der Chinefen; über
die öffentlichen Feierlichkeiten und Volksbeluſtigungen; über
die Heicathsgebraͤuche und häuslichen Sitten; über Die
Policei und Berwaltung; Uber das ftehende Heer und die
feltfamen Grundfüge der Militairgeſetze. Folgende Be⸗
flimmungen find Auszüge aus einer Verordnung, die ein
Vicekoͤnig nach dem fihlechten Benehmen der Truppen von
Kanton in einem Gefecht gegen die unabhängigen Hoc:
länder erließ: :
Mer flicht, Fol geköpft werben. — Wer zittert ober feinem
Nebenmann ins Ohr flüftert, wenn der Feind beranrüdt, fol
des Todes fterben. — Wird ein Mandarin gefangen oder vers
wundet, fo follen bie gemeinen Soldaten Alcs aufbieten, ihn zu
befreien ; unterlaffen fie es, diefe Worfchrift zu befolgen, fo fol
len fie enthauptet werden. — Der Golbat, ber einen Feind nach
156
tapferer Gegenwehr töbtet, folk eine Auszeichnung erhalten; wer
aber fein eigenes Verdienſt übertreibt ober fi bie Thaten Ans
derer anmaßt, foll mit bem Ochwerte vom Leben zum Tode be:
fördert werben. — Wer die Trommel rühren hört und nicht
vorwärts gebt ober wer den Bong hört und nicht zum Rüde
marſch ſchlaͤgt, Toll gleiche Strafe erleiden. — Strenge Beobs
achtung ber Kriegsgrfege ift das einzige Mittel, Memmen zu
Helben zu machen.
Die Stichhaltigkeit diefer Vorſchriften zur Erreichung
ſolcher Zwecke dürfte in Zweifel zu ziehen fein; denn ums»
geachtet ihrer Armee von 900,000 Mann gelingt es den
Ghinefen felten, etwas Nachdruͤckliches und Energifa,es
anders ale mit Lift auszurichten. Vergeſſen wir uͤbri⸗
gens nicht zu bemerken, daß Friegerifcher Eifer und Erobe⸗
rungsluſt für ſchlechte Eigenfchaften eines chinefifchen Sol⸗
duten gelten.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notizen aus Daͤnemark.
Bon ganz befonderm Intereffe für jeden Freund wahrer
und echter conftitutionneller Freiheit und ihrer Bürgfchaften ift
foigende Schrift: „Orla Lehmann’s Forfdarftate, holdt for Hoeie⸗
fteret i den mod ham anlaate Generalfisfal-Action” (Drla Leh⸗
mann's Bertheidigungsrede, gehalten vor dem Hoͤchſten Ges
zit ıc., Kopenhagen 1842). Diefe Vertheidigungsrede zeichnet
fih durch die größte Klarheit und Kraft des Gedankens und
der Darftellung und die größte Ruhe und Mäßigung aus. Der
Verf. derfelben gehört, wie bekannt, zu ben ausgezeichnetften
Männern in Dänemarl, welche für conftitutionnelle Freiheit mit
feftem , uneigennügigem und aufopferndem Muthe kaͤmpfen.
Davon hat er auch dur die erwähnte Rede einen neuen Bes
weis gegeben. Sie hat daher ben ungetheilten Beifall aller
Freiſinnigen im Lande erhalten. Die eigentlidye VBertheidigung
beginnt Lehmann mit der Erklärung, daß feine Reife nach der
Inſel Falſter ein Werk des Zufalld und daß er ganz unvorbes
reitet war auf ben Vortrag, den er am Tage nach feiner Ans
kunft dahin aus dem Stegreife hielt, um die da verfammelte
Menge, welche größtentheils aus Bauern beftand, von dem Bes
türfniß einer Gonftitutionsveränderung in Dänemark zu* übers
zeugen. Seine Rede machte auf die Zuhörer einen tiefen Ein-
drud. Lehmann fing bei der Gelegenheit damit an, ben Chris
fiopp Rasmuffen darum zu loben, weil er darnach firebe, eine
eigene, auf Gründe gebaute Überzeugung zu haben; darin, fagte
der Redner, beftehe die wahre Gelbftänbigfeit, und wenn ed ihm
gelänge einen ſolchen Mann zu überzeugen, fo wollte er dies
für einen größern Gewinn halten, al6 wenn er hunderte Andere
dahin bringen Eönnte, zu Dem, was er fagte, leichtfertig Ja zu
fagen. Darauf fucdhte er ben verfammelten Bauern darzuthun,
dab es ein Irrthum fei, wenn man glaube, der Bauernitand
habe der Souverainetät der Könige etwas zu verdanken; er bes
hauptet hingegen, daß der Drud, weicher unter der Altern
Adelsherrſchaft auf diefem Stande laftete, noch härter unter ber
Souverainetät wurde, daß von allen bänifchen Souverainen
Friedrich VI. der einzige gewefen fei, der Verdienſte um den
Bauernftand gehabt habe, daß aber fogar Das, was kurz nach
Antritt diefes Monarchen zur Regierung für den Bauer ge
ſchah, nicht von ihm, fondern von Männern wie Bernftorff,
KReventiow, Schimmelmann, Golbjoernfen und im Grunbe vom
Geifte der Zeit ausging. Wegen diefee und ähnlicher Außeruns
gen in feiner Rede auf Kalfter wurde am 19. Ian. 1842 gegen
Lehmann fiscalifher Proceß erhoben. Zeugen wurden abge:
hört, um fernere Beweife vom Inhalt ber Rede, als bie in dem
gedruckten Bericht enthalten waren, zu fuchen. Lehmann ent:
widelte barauf die dreifache Schwierigkeit, durch Ausfagen von
Heft
Zeugen den wahren Inhalt eines ausführlichen Vortrags mit
Gewißheit zu erfahren, indem man er et fos
wol in ber Zeugen Auffaffung der Rede, als in deren Erinnes
zung an diefelbe, endlich bei beren Wiedergebung derfeiben,
bei der Abhörung und bei der MWiebergebung ihrer Auslagen
im Protocoll viele Mieverftändniffe einlaufen Fönnten. In feis
ner Rede vor dem Volke auf Falfter hatte Lehmann bargethan,
daß Dänemarks gegenwärtige Staateverfaffung nicht geeignet
fei, den Rechtszuſtand des Volks zu fidhern oder deſſen Berebes
lung zu befördern; barum wurde er angeHagt, vor das hoͤchſte
Gericht geftellt und als Einer, der Haß und Unzufriedenheit mit
ber Berfaffung zu verbreiten gefucht hat, verurtheilt.
Lobende Erwähnung verdient: „Niels Mims underjorbiſta
Reife af &. Holberg. Dperfat af N. V. Dorph. hd b6
ftorifche og Lliterariffe Oplysninger, of E. E. Werlauff ”
(Kopenhagen 1841). Diefe neuefte Überfegung des befannten
wigigen, geiftreichen nnd fatirifhen Werks von Holberg ift von
der Gefellichaft zur Befoͤrderung ber daͤniſchen Eiteratur heraue⸗
gegeben. Die erſte Ausgabe des Driginal® von „Nicolai Kii-
mü Iter subterraneum‘ erſchien 1741, die Icgte 1766. übere
fegungen bat dad Werk viele erlebt. (Eine der beften ift bie
von dem Dichter Baggefen, welche 1789 herausfam. Der Prof.
Dorph hat eine Art Mittelftraße zwifchen Holberg und Bagge
fen eingefdylagen, indem er etwas treuer wie diefer überfegt, ohne
ſich jedoch genau an den Text zu balten. 16.
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Davis über Ehina.
(Beſchluß aus Nr. 9.)
Mir verweifen ferner auf die Capitel, weldye die drei
Religionsfpftem: oder Philofopheme der Chinefen abhan:
dein, nämlih: Yu, die Lehre des Confucius, der faft zus
gleich mit Herodot lebte und bem Pope in feinem „Ruh:
mestempel“ einen hohen Plag eingerdumt hat:
Superior and alone Confucius stood
Who taught that useful science to be good.
Fo, oder dee Buddhismus; die Sekte des Buddha,
deften fünf Hauptgebote an die Priefter lauten:
Du ſollſt feine lebendigen Geſchoͤpfe toͤdten; bu ſollſt nicht
fteßlen; du ſollſt nicht heirathen; du follft nicht Lügen; du ſollſt
feinen Bein trinken.
Die merkwürdige Ähnlichkeit zwifchen den Religionsge⸗
breaudyen der Buddhupriefter in China und der Tatarei
und dem Ritual der roͤmiſch-katholiſchen Geiſtlichen hat
die italieniſchen Miſſionnaire und die franzöfifhen Jeſui⸗
ten nicht wenig übertafht. Endlih Tao, oder die Sekte
der Rationaliften. Der befondere Abfchnitt, den ber Verf.
dieſer Religion gewidmet hat, iſt reich an interefjanten
Details über die Anhänger des Tao, die „Vernunftdocto⸗
ren” heißen und in Schwarzkuͤnſtler und Alchymiften aus:
geartee find, und enthält ein Bruchſtuͤck von einem ge:
ihihtlihen Roman und namentlich eine huͤbſche Erzaͤh⸗
lung über Tſchouang⸗Tſeu, Schüler des Tao. Diefe
Erzählung, die vom Pater Entrecolled ins Franzöfifche
überfegt worden, iſt eine Art Satire auf die Frauen
und imebefondere auf die Ehe und verdient um fo mehr
Beachtung, inſofern Voltaire daraus reihe Materialien
ju feinem „Zadig‘ gefchöpft hat.
Ganz befonderd ermähnen wir noch die Capitel über
Ginefifche Sprache und Literatur. Die Philologen finden
darin eine Elare und präcife Zufammenftellung der Prins
cipin und des gruphifhen und phonetifhen Syſtems,
welche die eine beflimmen, und eine treue, ungeſchmuͤckte
Schilderung von dem Charakter und der Richtung, welche
die andere auszeichnen. Die Erläuterungen des Hrn. Da:
vis Über die chinefifhen Buchſtaben, über Wortwurzeln,
über Die Elemente einer philoſophiſchen Glaffificirung, über
die Verhaͤltniſſe der Schrift: und Volksſprache, über den
Bau der Redensarten fheinen fehr beachtenswerth, infofern
fie allgemein verbreitete Anfichten umftürzen und nadwei:
9. Februar 1843,
fen, daB die anyeblihen Schwierigkeiten der chinefifchen
Buchſtaben, bie von ihrer großen Mannichfaltigkeit und
Verſchiedenheit herrühren follen, von ber Unwiſſenheit viel
fach übertrieben und falfch angegeben worden find.
Wurzeln oder Urgeichen (mas man nad) einer Art von Anas
logie das chinefifhe Alphabet nennen koͤnnte) — fagt der Berf. —
gibt ed nur 214, weiche Anzahl, bei einiger Sichtung, noch gus
ſammenſchrumpfen würde. Behaupten zu wollen, es gebe im
Chinefifchen fo viele Zaufend Buchftaben (man ſchlug fonft ihre
Zahl auf 80,000 an!), wäre ebenfo, ald wenn man behauptete,
e8 gebe fo und fo viel Zaufend Wörter im englifchen Wörter
budy von Johnſon; man LEraucht fie in der That ebenfo wenig
alle auswendig zu willen, als man das ganze Johnſon'ſche
Lexikon auswendig lernen muß, um Engliſch zu können. Pre⸗
mare bemerkt fehr richtig, daß Jeder, der vier= ober fünftaufend
Budjftaben ober Wörter im Ghineflfchen auswendig wiffe, fügs
lich chineſiſch leſen und ſchreiben könne.
Wie es in China zwei Gulturformen gibt, eine wirk⸗
liche Bildung, wie fie das Leben ertheilt, und eine kuͤnſt⸗
lich angelernte, die duch Unterricht und Erziehung, durch
swangsmäßiges Studium der King, der alten Claſſiker
und Nationaldentmäler, durch die kleinlichſte Verfolgung
des Geremonield und der 3000 vorgefchriebenen Her⸗
koͤmmlichkelten fortgepflanzt wird, fo exiſtiren in dieſem
wunderlichen Lande auch zwei Literaturen, eine alte und
eine neue Literatur, und ſelbſt die Sprache repraͤſentirt
duch ihre Ausdrucksweiſen und die Mannichfaltigkeit der
Stile alle Epochen dieſer beiden Gulturflufen, wie es ber
gelehrte Drientalift Bazin in dem beigefügten Ans
bange fehr richtig bervorhebt. Die Gelehrten und Gebils
deten in China fchreiben in kon-wen (in altem Stil),
wie die Gelehrten und Gebildeten im Mittelalter Latein
ſchrieben; die Vulgairſprache heißt konan -hoa und wird
gebraucht für die ans Volk gerichteten Untermeifungen
und Belehrungen, die laut vorgelefen werden follen, für
Märchen, Erzählungen, Lieder, Briefe, ebenfo mie der ſuͤd⸗
franzöfiihe Romanzo und bie Provinzialdialekte für leichte
Dichtungen und Erfindungen angewandt wurden. Diefe
Analogie ift ſehr merkwürdig; nur merkt man im Mittels
alter neben der Wiſſenſchaft griechiſchen oder roͤmiſchen
Urfprungs beftändig den directen, fortbewegenden und mäd:
tigen Einfluß einer neuen Waeltreligion, die alle Inſtitu⸗
tionen unaufhoͤrlich ummandelt und umbildet, mährend
der friſche Lebens drang, durch den die focialen Ummwandluns
gen und Umbildungen vor ſich gehen, in China ganz aus⸗
158
geftorben und ausgebörrt zu fein ſcheint. Alles verfteinest
und verengert fich im Geifte alter religiöfer und politifcher
Einrichtungen und innerhalb ein für allemal feftgeftellter
Schranken, die fein Genius’ durchbrechen barf.
Solten wir dem Verf. diefer Belchreibung von China
nen Vorwurf machen, fo waͤre es der, daß er feine phis
loſophiſchen Erläuterungen etwas zu kurz gefaßt und zu
ſehr befchnitten hat. So finnreich fich dieſelden anlaffen,
fo ſehr ift e& zu bedauern, daß der Verf. mit Nachwei⸗
fungen über einen fo neuen und fo intereffanten Gegen⸗
ſtand, den nicht Ale in der Grammatik Remufar’s oder
in dem Werke des Pater Premarle nachfehen koͤnnen,
fparfam geweſen if. Das zulegt erwähnte, erft vor eini-
gen Sahren herausgelommene Merk gilt übrigens für die
befte Anleitung zum Studium der chinefifhen Sprache
und Literatur,
Eine von ben merfwürdigften Gigenheiten des Charakters
der Chineſen ift ihre Anhängtidhkeit an die Wiffenfhaften. Sie
haben mehre Staatsummwälzungen, mehre Bürgerfriege erlebt;
zweimal find fie von Fremden unterjocht worden; aber die Ber:
ehrung, welche Regierung und Volk vor dem Namen und ben
Einrichtungen des Sonfucius behalten, hat alle Krifen und Re:
volutionen überdbauert. In allen Sheilen des Reichs beftehen
Schulen und Gymnaſien für ben Volksunterricht, und wer ſich
zum Gtaatsbienft meldet, muß ein Gramen in der Glaubens:
Ichre des Gonfucius beftehen, ehe er ftaatsbienftfähig wird.
Unter diefen Umftänden darf es nicht auffallen, wenn
die Anzahl der Studirenden und Literaten in China be:
deutend größer ift als in jedem andern Lande Die
Claſſe der Literaten bildet den erften ber vier Stände,
worin die chinefifche Gefellfchaft gegliedert ift; die Stände
der Landbauer, der Gemerbtreibenden und Kaufleute kom:
men erſt nachher.
Diefe fo hochverehtte Lehre des Confucius fucht ber
menſchlichen Natur den urfpränglichen Glanz und die ur:
ſpruͤngliche Schönheit wiederzugeben, die fie vom Schöpfer
erhalten und die durch die Nacht der Unwiffenhelt und
laſterhafte Anſteckung verbunkelt worden. Zu diefem Ende
gebot Confucius, dem Heren des Himmels zu geboren,
ihn zu ehren und zu füchten, feinen Naͤchſten wie ſich
ſelbſt zu Lieben, feine Triebe und Leidenfchaften zu behetr⸗
fhen und feine Einfälle nie zur Richtſchnur feine Hans
deins zu nehmen, fondern fie der Vernunft zu unterwer⸗
fen, dieſer in allen Sachen Gehör zu geben und nichte
zu thun, nichts zu fagen, ja nichts zu denken, was nicht
mit ihe übereinftimme und fi vor ihr nicht verantwor:
ten laſſe. Es ift Sitte in China, bei einfallendem Neu:
und Vollmond dem Volke und den Sotdaten jeder Pros
vinz gewiſſe moralifhe Erbauungsbücher vorzulefen, welche
Sitte auch bei Bekanntmachung von Gefegen beobachtet
wird; denn es gilt in China für ausgemadt, daß man
die libertretung der Gefege am beiten verhindere, wenn
man fie allgemein bekannt werden laffe.
Unter ihren Erbauungs: und Belehrungsfchriften be:
figen die Chinefen verfchiedene Sammlungen von abgerif:
fenen Sägen, Marimen, Sprüchmörtern und Aphorismen,
für die fie außerordentlich eingenommen find. Sie fhrei:
ben die einzelnen Säge und Sprüche in zierfihen Buch:
%
ftaben anf Taͤfelchen, bie fie wie koſtbare Schmuckſachen
in ihren Tempeln und Wobnungen aufhängen. Es gibt
ein Werk in einem Bande, „Ming-Sin-Pao-Kien” (Koft:
barer Spiegel zur Aufbellung des Geiſtes) betitelc, eine
Art Zugendfpiegel mit Auszügen aus verfchledenen Büs
hern und ein nüglihes Compendium fir Studirende.
Diefe Lieblingemarimen und Sprüchwoͤrter, von benen
Hr. Davis 95 an der Zahl im Auszuge mittheilt, find
ſehr charakteriftifh für das Vorl, Einige davon mögen
bier ihre Stelle finden:
‚ Der kluge Mann weiß fi nad) den Umftänden zu richten,
wie das Waller nach der Geftatt bes Gefäßes, worin es ent=
haften ift. — Gin leerer Geiſt fteht allen Ginflüfterungen offen,
wie «in hohler Berg jeden Schall zurüdwirft. — Läßt man bie
" Wurzeln, fo wächft das Gras immer wieder (Andeutung, dab alle
Angebörigen eines Verraͤthers ausgerottet werben muͤſſen). —
Die Qual des Neides iſt ein Sandkorn im Auge. — Die Goͤt⸗
ter können Demjenigen nicht beiftehen, der alle (Belegenheiter
vorbeifchtüpfen läßt. — „Waſſer auf ben Rüden einer Ente gie=
en”, beißt fo viel als unnuͤtze Rathfchläge ertheilen. Man fagt :
„eine Kage gewinnen und eine Kuh verlieren”, um das Refultat
vom Proceſſiren auszubrüden"— Cine Frau hat kein Verbre⸗
hen zu verantworten; ihr Mann trägt die Verantwortlich⸗
keit. — Wenn die Gefege nicht ſelbſt das Faiferlihde Haus im
ihren Bereich ziehen, fo werden fie keine Achtung finden. — Ein
wahres Genie bleibt immer naiv und einfach wie ein Kind, —
Ber Stiefel anhat, kennt Niemand, der Schuhe trägt (Stiefel
gehören zum großen amtlichen Galacoftum). — Die Rebe be&
Mannes iſt wie ein Pfeil, fie fliegt gerade aufs Ziel; bie Rebe
eines Weibes gleicht einem zerbrochenen Faͤcher — Von einer
Gattin verlangt man Tugend, von einer Maitreſſe Schoͤnheit. —
Der Fiſch bewohnt die Tiefe des Waſſers und der Adler die
Raͤume des Himmels. So hoch ſich dieſer auch ſchwingen mag,
man kann ihn erreichen mit dem Pfeil und den andern mit der
Harpune, wie tief unten er auch iſt; aber das menſchliche Herz
kann man ſelbſt in der Entfernung von einem Fuß nicht er:
gründen. — Bon Natur find alle Menfchen gleich, aber die Er:
ziehung macht fie ungleich.
Diefer franzöfifhen Ausgabe ift ein intereffanter An-
bang von Hrn. Bazin beigefügt mit Nachweifungen über
die Fortſchritte der chinefifhen Philologie in Frankreich,
weiche hauptfächlic die Arbeiten und Vorträge des Pros
feſſors Stanislas Julien bewirkt haben, und mit außerles
fenen Bruchſtuͤcken aus der chineſiſchen Literatur: 1) „Ge⸗
fpräche des Philoſophen Mencius”‘, überfegt von Den. Ebme
d'Halberg; 2) „Dir Beſuch des Hausgottes zu Vu-Kong“,
eine Legende der Sekte des Tao-See, von Hm. St. Ju:
lien; 3) „Ein Erbe in hohem Alter‘, chineſiſches Luft:
fpiel, von Hın. 3. 5. Davis; 4) „Der Geizige“, chineſi⸗
ſches Luftfpiel, von Hrn. St. Julien; 5) „Die vollendete
Kammerzofe“, Luſtſpiel in Proſa und in Verſen, von Hrn.
Bazin; 6) „Die Rache des Teon⸗Nyo“, chineſiſches
Drama, von Hrn. Bazin.
Diefer Appendix und dieſe Analekten, Auszüge aus
Driginalwerfen von großer philologifcher und literarifcher
Wichtigkeit, bilden cine natürlihe Ergänzung und eine
willtommene Zugabe zum Hauptwerk. Nur ift zu bes
dauern, daß Hr. Bazin nicht mehr von feinen Analekten
mitgetheilt; doch vielleicht Hinderte ihn daran die lbers
fegung der beſten Stuͤcke des chineſiſchen Theaters, womit
diefer gelehrte Orientaliſt gerade beſchaͤftigt ift, eine große
159
und verdiemflliche Unternehmung, deren glüdliche Durch:
führung wir won Herzen wünfden. 37,
Reminifconzen. Goethes Mutter; nebft Briefen und Auf:
gihnungen zur Charakteriftit anderer merkwürbiger
Männer und Frauen, Herausgegeben von Dorom.
Leipzig, Hinrichs. 1842, Gr. 8. I Thlr. 20 Ngr.
Herr Dorow fährt fort die Zeitgenofien mit Briefen unb
Dentfchriften aus feinem Vorrathe, deflen Reichhaltigkeit man
wit Recht bewundern muß, zu beichenken, hat jedoch nicht überall
dieſelbe Anerkennung gefusden, weil man ibm die Befugniß zu
folhen Beröffentiichungen abflreiten wollte. Ohne jest nun bas
Für und Wider nodymals durchzuſprechen, glauben wir, baß
folge Briefe oder Aufzeichnungen, durch die Lebende nicht unan-
genehm berührt oder durch Erinnerungen aus früherer Zeit in
peinigende Verlegenheiten verfeht werden, wol dem Drude übers
geben werden £önnen, infofern fie in einer oder der andern Be:
yubung wirftich intereffant find, oder wichtige pfychologiſche Auf⸗
tärungen verfprehen. Hrn. Dorow's Sammlungen enthalten
nun Bieles von beider Art, obgleich wir nicht behaupten wollen,
daß jeder Brief oder jebe Aufzeihnung in ben von ihm berauss
gegebenen fünf Bänden in diefe Kategorien gehöre. Noch nuͤtzli⸗
der aber würde nach unferm Dafürhaiten, ja hiſtoriſch wichtiger
die Herausgabe der Briefe berühmter Männer und Frauen ge:
worden fein, wenn Hr. Dorow außer ben im Ganzen nur kurzen
Einteitungen nody häufiger einzeine Anmerkungen und Auffchtüffe
über Perlonen und Sachen unter den Zert gefeht hätte. Denn
man kann fihon recht gut in den deutfchen literarifchen Zuſtaͤn⸗
den feit vierzig Jahren bewanbert fein und wird doch Manches |
in den Briefen nicht vollftändig verfteben, bei der größern :Ans
zabl von £efern kann aber dies nicht einmal vorausgefegt werben,
und doch war ed augenfcheiniich des Derausgebers Bemühen, nicht
blos der augentlidiichen Unterhaltung und ber Neugier zu dienen,
fondern auch nachhaltige Beiträge zur Kenntniß unferer merk:
würdigften Literaturepodgen zu liefern.
In dem vorliegenden Werke halten wir die Briefe der alten
Frau Rath Goethe und die Oelsner's für die wichtigften Gaben,
Die Srftere. bat eine fo große Bedeutung durch ihres Sohnes
und durch Bettina’ Erzählungen, ſowie durch ihre hier und da
zerſtreuten Briefe gewonnen, daß neue Aufſchluͤſſe über bie merk:
würdige Frau nidht anders als fehr willkommen fein koͤnnen, fie
waren es namentlich dem Referenten, der mit ihrer Hülfe eine
bereite vollendete Schilderung noch zu vervollftändigen im Stande
geweſen ift und alles Died im Zuſammenhange bald oͤffentlich
belannt zu machen gebenkt. Die Briefe ſelbſt find nun an ben
Schauſpieler Karl Wilh. Ferd. Unzeimann und an bie Enkel
der Frau Rath; gefchricben, einer an die Herzogin Amalie von
Beimar, alle aus den Jahren 1788 — 93. Unzelmann, über
deſſen Lebensumftände Hr. Dorow feine Lefer leicht hätte aug
Klingemann’s „Deutſchem Theateralmanache“ für 1921 beiehren
kdanen, war als Mitglied der frankfurter Bühne ein befonderer
dichling der bis an ihr Ende theaterluſtigen Frau Goethe ge:
weſen und Hatte „in ihrer Wohnftube manch Flaͤſchchen Tyran⸗
nenblut genoffen und einen fihern Hafen gefunden, wenn bie
Bine tobten und das Schiffiein von den Wellen um und um
getrieben wurde”. Sie war an feine Gefelifchaft fo gewöhnt,
daß fie.ihn nach feinem Abgange von ber frankfurter Bühne, der
eine Folge feines hitzigen, ehrgeizigen Charaktere war, auf das
ſchmerzlichſte vermißte und e& zugleich fehr unangenehm empfand,
daß er Schutden binterlaffen hatte. Über alles Dies fchreibt fie
im eine Reihe der originellften Briefe, in denen fie ſich gang
ruͤkhaltslos Außert, bald voll Liebe und Wehmuth, bald voll Zorn
und Berdruß, ja mir möchten fagen, fafl im Tone einer ver:
Iäffenen G@elichten, wenn nidjt die Sabre der Frau Rath und
ihre fonftige achtbare Perfönlichleit verböten, an fo etwas zu
denten. Aber die Sprache hat in folgen Stellen eine wirklich
‚und Unzelmann gibt ihr nun
Loͤbliches zu melden, oder ihr Herz in A
wunderbare Ähnlichkeit mit der in Goethe's frähern Dramen,
namentlid in der „Stella. Alles ift natürlich, frei, ohne Io ifche
Ordnung bingefchrieben, fehr ungebunden (man fieht, die tiefe
find durchaus vertraulicher Art), mitunter auch in ziemlich
berben Ausbrüden, bis auf bie fehlerhafte Drthographie, die Hr.
Dorow mit Recht unverändert gelaffen bat. Wir wollen einige
Stellen anführen. Unter dem 29. April 1788 klagt die Briefe
fpreiberin über das „‚aufgeklärte Beitalter,. wo alle Leiden
und Sreuben, alles Gefühl von Schmerz und Luft in Spfteme
gezwaͤngt find”, und fährt dann fort: „Ihnen kann ich fagen,
daß mir Ihr Weggehen leid, fehr leid gethan bat, daß mein
Stedenpferb total ruinict if, dag mir beim Eſſen die Zeit un-
aus ſprechlich lang wird, mit einem Worte, daß mein Maͤhrchen
im Brunnen liegt und wol ſchwerlich wieder herausgezogen
werden wird. Auch ſag Ihnen unverholen, daß ich öfters bitter:
böfe auf Sie bin daß Ihr Ehrgeiz, Ihre falfcye Chimaͤre Sie
von bier weggetrichen haben, da man jet ganz das Gegentheil
von Allem fieht, was Sie als Grund angegeben haben.” Unter
bem 16. März [788 tefen wir: „O täufchen Sie mich nicht wieder !
D blafen Sie nicht den tobten Zunfen wieder an — überlaffen
Sie mi lieber meinem Gram, ber eine ſolche Höhe erftiegen
bat, wo ſchwerlich was drüber geht. Bei einem Gewitter vers
kuͤndigt doch der Donner bie Annäherung des Butzes — aber bier
mar Big und Schlag ſo eins, daß mich's ewig wundern wird,
daß mic; meine Lebensgeiſter nicht den Äugenblick alle verließen.
Die Dual, die ich jegt leide, iſt unausfpredlih. Da begegnen
mir auf allen Eden -von dem verwünfchten Volk und machen jede
Rüderinnerung neu, reißen durch ihren Vaſiliskenblick jede Bunde
auf, ſuchen und fpähen, ob in meinem Auge Zraurigfeit wahrs
zunehmen ift, ‚um vielleit daran ein Gaudium zu haben. Und
wenn ich an die Meffe denke, auf die ich mich fonft fo Eindifch
freute, wie das Großmaul die St. mit Schadenfreude auf mid
blicken wird — und ich mich in dem Punkte ſo wenig verſtellen
kann, ſo weiß ich nicht was ich thun oder laſſen ſoll. Aber
das weiß ich — das Otterngezuͤcht ſoll aus meinem Hauſe ver⸗
bannt fein, kein Tropfen Tyrannenblut ſoll über ihre Zunge
kommen, kurz allen Schabernack, den ich ihnen anthun fann,
2. —— ehun, zallonnixen wit ih, Bürger’s Frau
nips fol ein Kin en mid fein — beun Luft 1
haben, ſonſt erſticke — a ſt muß ich
Neben dieſen perſoͤnlichen an Ben ber Grau Rath
bie frankfurter Bühne reichen
Stoff zu Mittheilungen über Dinge vor und hinten den Fran
tiffen und allerhand Details aus der Theaterwirthſchaft. Freilich
erflärt fie, daß es nach Unzelmann’s Abgange „mit ihrem Thea⸗
terſchuß ganz vorüber fei” und daß es ihr ganz gleich gälte, ob
fie den „Don Garlos” oder ben „Hanswurſt im Schlafrocke“ fpiels
ten, aber fie kann doch nicht unterlaffen, von den einzelnen
Schaufpielern, Wännern und Frauen, fowie von den Aufführungen
; rger unb Verdruß aus:
zuſchuͤtten. Leider find viele diefer Dinge heutigen Lefern ganz
unverftändlich, feldft wenn fih Hr. Dorow die Mühe gegeben
hätte, ‚aus alten Theaternachrichten ung zu berichten, wer
das oft angeführte „Organ“ gewefen fei, oder bie Schau:
fpielee Site, Stegmann, Chiky und bie Frau Arbauer, über
un Wangel „an Waden und Hintergeſtell“ die Frau Rath
pottet.
Bon einer andern liebenswuͤrdigen Seite erblicken wir bie
Großmutter in den Briefen an ihre Eleinen Enkel, vol Zaͤrtlich⸗
keit und Hingebung zu ihren Spielen und Freuden, voll guter
‚Lehren und voll Dank für bie Gasen ber. Liebe, mit welchen fie
bei feftlichen Gelegenheiten durch fie erfreut worden ift — alleg
erwünfchte Beiträge zur Charafteriftif diefer für jedes rein Menſch⸗
liche ſo empfaͤnglichen Frau. Ihr Todesjahr bat- Dr. Dorow auf
faͤlſchlich angegeben: fie ſtarb nicht 1805, ſondern in der Nacht
vom 12. auf den 13. September 1808.
Die von Delsner an Kieſewetter und Varnhagen von Enſe
aus Paris in den Jahren 1823 und 1824 gerichteten Briefe
geben ein ſehr lebhaftes Bild der damaligen franzöftfchen Zu⸗
160
fände. Über Feldherren und Staatemänner bes Napoleon'ſchen
Kaiſerreiches, über Ney, Hulin, Lacépede, Talleyrand, Sambas
ceres, Rovigo, Dalberg finden wir koͤſtiiche Notizen, freilich
alle von der Schattenſeite, aber von großer Wahrheit, wenn
er gegen ben Ariftofratismus biefer Dame, bie ihren Stand
über alle andere Stände fleilt und durch Gaudy's Werk ‚Aus
dem Tagebuche ‚eines wanbernden Schneidergefellen“ hoͤchlich
empört ie Iharfem Wige zu Zelde zieht. Der Refrain
Verſes ift: \
man fich die fonftigen Thaten bdiefer Leute vergegenwärtigt. Go |. jedes
heißt es von Rey, daß man bei feinem unbeichönigten übertritte
zu Bonaparte in ihm den gemeinen Dienftboten erkennt, ber,
fobald er bie Stimme feines alten Herrn hört, unmilltürlid den
Hut 'abzieht; von Laceptde wird an mehren Zügen bar»
gethan, daß bie Natur nichts Kriechenderes hervorgebracht habe
als diefen Belchreiber der Reptiles und oberflaͤchlichen Viel⸗
wiſſer; aus Gavary's Leben kommen bie erbaulichfien Pos
liceigefcgichten vor, und man wird nicht ohne Lachen leſen
tönnen, wie Gambaceres noch cuf feinem Todtenbette bie
Priefter dupirt bat. Aus der Neflaurationdzeit wird über
Billele, Chateaubriand, den fpanifhen Krieg, das Regis
ment der Priefterpartei, die Reduction der Renten und Ahnliches
aus guter Quelle Vieles mitgetheilt, aud der „kleine“ Thiers
fommt bier vor, „ein blutjunger Menſch, aber von ungemeis
nem Geift, der ein trefflichese Buch über die jüngfte Gemaͤl⸗
deausftellung geſchrieben hat. Nicht minder intereffant er:
ſcheint aus der Feder eines in Paris anfäffigen Deutſchen bie
Beurtpeilung preußifcher Zuftände und feine große Verehrung
für Goethe, fowie die geiftreichen Literarifchen Winke und Ans
deutungen den Briefen Delöner’3 eine fo angenehme Mannichfal⸗
tigkeit geben, daß man ihrer mehre mitgetheilt zu fehen wuͤn⸗
fen muß. Es ift auch dazu Hoffnung vorhanden, und gewiß
bat nicht leicht einer unter den neuern Diplomaten Menfchen
und Sachen mit ſolcher Klarheit und Sicherheit darzuftellen vers
ftanden ale eben Delsner.
In den Briefen Achim von Arnim's tritt uns ein liebens⸗
würdiges Gemüth entgegen und manche intereffante Notiz aus
dem literarifchen und focialen Leben in Berlin während ber
Sabre 1809 und 1810; in den Briefen Fr. von Baader's
fpricht namenttich feine religiöfe Offenheit an; in Ludw. Robert's
Briefen Icfen wir eine begeifterte Charafteriftit der Paſta; das
Uebrige lieft ſich ganz gut, ohne daß die Briefe gerade befondere
Vorzüge hätten. So find auch Felir Papencordt’s zwei Briefe
aus Gicitien und Stalien den Empfängern unftreitig lieb ges
wefen, dem .größern Yublicum und der Reifeluft unferer Zeit
werden fie gerabe nichts Neues bieten. Fuͤr Sreunde bes deut⸗
ſchen Theaters find fünf Briefe der großen Künftlerin, Friederike
Bethmann, nebft einem Entwurfe ihres Zeftaments von Werth,
die fie in ihr inneres Hauswefen einführen und ohne allen Rüd:
halt mit Beziehung auf allerhand Zheaterneuigfeiten gefchrieben
find. Eine größere Anzahl Briefe von Ed. Gans an Karl
Witte Keigen und einen trefflihen Juͤngling in der herzlichften
Sreundfchaft und in faft leidenſchaftlichen Ergüffen, die fogar
in Eiferfucht übergehen können, und geben zugleich ein anfchaue
liches Bild ber juriftifchen Studien, mit welchen ſich die Freunde
damals befchäftigten. Eine danfenswerthe Zugabe für das Ver⸗
ftändniß dieſer Briefe, wie wir fie bereitd oben im Allgemeinen
als nothwendig bezeichnet haben, ift der Auffag des Profeffor
Witte in Halle über feinen Jugendfreund.
Die gefchichtlichen Aufzeichnungen und Denkfchriften enthals
ten fein fo ausgezeichnetes Actenſtuͤck als die Denffchriften Adam
Müller’ und die über das Zauenzien’fhe Corps im dritten
Bande der frühern Dorom’fhen Sammlung waren. Ein Brief
des Herzogs Friedrich Auguft von Braunſchweig⸗kuͤneburg trägt
dem Könige Friedrich II. einen mit dem General Ramin -gcs
babten Streit vor, und aus ben Papieren Hippel's wird bas
Fragment eines Gefpräches Elifa’s von der Recke mit Bippel über
das Woͤllner'ſche Religionsedict und über verfchiebene Auswuͤchſe
der Freimauerei bier veröffentlicht; zweitens, eine Borftellung
deffelben an den DOberpräfidenten von Schrötter über bie bürger-
tiche Verbefferung ber Juden, vom 21. October 1791. Crgög:
ich ift am Schluſſe ein zum erften Male gebrudtes Gedicht
von Franz von Gaudy an die Gräfin Ida Hahns Hahn, worin
Dean in bem Punkt, entſchulbigen Sie mic,
Da ben’ ich bürgerlich, fehr bürgerlich.
9.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Auch in Frankreich greift bie Wuth, die Papierförbe ber
großen GSchriftfteller nach ihrem Tode auszuframen und ihre
„gefammelten Werke” hunderts und aberhundertmal herauszus
geben, immer weiter um fi. Fievée gehört zu den verſchoile⸗
nen Autoren, deſſen Werke man jegt, man weiß eigentlich nicht
recht warum, aus der Vergeffenheit wieder hervorzieht. (.‚Deuvres
de Fievee avec une notice biographique par J. Janin’, Pa⸗
ris 1842.) Fievée bat ats Journaliſt während der Kaiferzeit
und der Rejlauration einen großen Einfluß gehabt; aber fo
ausgezeichnet namentlich einige feiner Keuflletons waren, fo ars
beitete er doch eigentlih nur für den Augenblick und fein ein:
siges feiner Werke hat ihn uͤberlebt. Nachdem Bertin d. 3.
aus feiner Verbannung, die er fich feiner ronatiftifchen Geſin⸗
nung wegen zugezogen hatte, nad) Paris zurüdgelehrt war,
fudyte Rapoleon den Einfluß beffelben auf bas ‚Journal des
debats’' zu bredien. Er nöthigte das Journal, feinen Titel
in „Journal de V’Empire’’ zu verwandeln und zwang ihm
Fievee, auf den er zählen gu koͤnnen glaubte, mit einem Gehalte
von 40,000 Fr. auf. Unter Fievée's Peitung ward das Biatt
faft ganz officiell. Indeſſen ließ fich ber Redacteur zuweilen in
chlummer wiegen, und fo Eam es, daß er fich eines Tages
einen Artikel aus dem vopatiftifchen Zournate „Mercure de
France”, der von Shateaubriand herrührte, in fein Blatt eins
ſchmuggeln ließ. Dies flürzte ihn und Napoleon ſetzte Etienne,
fpätern Mitarbeiter am „Constitutionnel”, ®erf. mehrer geiſt⸗
reihen Operetten und jegigen Akademiker, an bie Spitze bes
„Journal de !’Empire”.
Die große Menge ber biftorifchen Werke, bie in Frankreich
erſcheinen beruhen weniger, als es bei unſern deutſchen Werken
gleichen Inhalts der Fall zu ſein pflegt, auf tiefen, gelehrten
Forſchungen, oder ſie tragen wenigſtens dieſelben weniger zur
Schau. Indeſſen erſcheint von Zeit zu Zeit doch auch bei un-
fern leichtſinnigen Rachbarn eins von den ſchwerpfuͤndigen Buͤ⸗
dern, das uns an bie ehrwärdigen Quartanten alten Schiags
erinnert, wo auf jeder Seite der Zert in einem ungeheuern Ro:
tenſchwall unterzugehen pflegte. Zu ben hiſtoriſchen Werken, in
denen das gelehrte Material gar zu wenig verarbeitet und ges
boten wird, gehören bie „„Recherches sur l’histoire de France”,
vom Grafen Antonin de Eadeveze, vom benen zwei Bände ers
fhienen find. Diefetben betreffen die Unruhen, die bri der
Zhronbefteigung Ludwig's XI. ftattfanden.
Wir haben vor kurzem wieder einen jungen hoffnungsvol⸗
len Gelehrten zu Grabe gebracht, an dem die Wiffenfchaft
einen herben Veriuſt erlitten hat. Alphunfe Pepin war Verf.
der „Deux ans de règne“ und mehrer anderer politifch = relis
giöfer Werke, von denen wir eins („L’etat actuel du catholi-
cisme en France”) in diefen Blättern näher beiprochen haben.
Sein Beitrag zur Geſchichte ber erſten Regierungsjahre der Zulie
monarchie bat befonders um der wichtigen Documente willen,
die in berfelben mitgetgeilt werben und die bem Berf. von gu:
ter Quelle zugefommen zu fein fcheinen, einen hiftorifchen
Werth. Antony Deschamps, Bruder bes berühmten Emil
Deshamps und felber als Dichter bekannt, deſſen Porfien
feit einiger Zeit eine immer myſtiſchere Färbung annehmen,
fpra am Sarge einige ergreifende Worte. 2,
Berantwortliher Herautgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und erlag von F. U Brockhaus im Beipsig.
Blatter
für
literarifde
Unterhbalfung.
Sreitag,
H. Luden und 3. Droz über die franzöfifche
Kevolution.
Geſchichte ber Regierung Ludwig's XVL, in den Jabren, ba bie
franzöfifye Revolution verhütet ober geleitet werben Eonnte,
ven Joſeph Droz. Aus dem Rranzöftfchen. Vorrede
von Deinrich Eupen. Jena, Ruben. 1843, Er. 8. 1 Zhlr.
18%, Nor.
Mir haben hier einen doppelten Gegenſtand zu befpre:
hen, einmal das ausgezeichnete Werk von Droz felbfl,
welches und hier in einer fehr guten Überfegung geboten
wird; fodann die Vorrede, weiche ber Water des Über:
fegers, der Profeflor der Gefchichte in Jena, Heinrich Lus
den, dem Werke vorausfhidt. Diefe Borrede eines klug⸗
‚beobadytenden und erfihsenen Mannes befchäftigt fich mes
niger mit dem Werke felbft, als fie vielmehr Gelegenheit
nimmt, von der franzöfiihen Revolution auf unfere deuts
ſchen Zuſtaͤnde überzugehen und Uber die wichtigſten po:
litiſchen Fragen unferer Gegenwart und jüngften Vergan⸗
genbeit ein Glaubensbekenntniß, ein kritiſches Urtheil abs
zugeben. Es gefchieht dieſes freilich auf imdirecte Weiſe;
es find ſcheinbdar allgemein gehaltene Meflerionen über die
Revolutionen überhaupt und über die franzöfifche Revolu⸗
tion insbefondere; die Beziehung, melche der Verf. diefen
feinen Bettachtungen aber auf die legtverfloffenen 25 Sabre
unſers WBaterlandes gibt, find fo dentlih und unverfenns
bar, fo abfichtlich, daß Uber die directe Tendenz derſelben
fein Zweifel obwalsen Bann.
Es gab eine Zeit, wo Luden zu den befannteften pos
litiſchen Wortfuͤhrern ded Tages gehörte und ein Stern
erſter Größe am Dorizonte unferer eben fich bildenden pos
litiſchen Tagespreſſe werden zu wollen ſchien. Es war
diefed die erfte Zeit nach den Befreiungsfriegen, wo ber
„bildete Theil des Dolls in Deutfchland den neuen,
im Werden begriffenen pofitifhen Verhaͤleniſſen unſers
Vaterlandes ſich mit großer Theilnahme hingad und mit
Lebhaftigkeit das verheißene Recht am öffentlichen Leben
ausüben zu wollen fchien. Luden entwidelte damals in
ſeiner „Nemeſis“ neben einer entfchieden Liberalen Tendenz
ebenfo viel Gewandtheit unnZPeichtigleit der Debatte, als
Wis, Schärfe des Berflandes und theoretifche Bewandert⸗
beit in einzelnen allgemeinen Srundfragen der Zeit. Bor:
zugsweiſe war «8 die Conftitutionsfrage, wie die der freien
Drefie, welche damals von ihm, mie von liberalen
Journaliſtik überhaupt, mit großer Lebhaftigkeit behandelt
.41. —
10. Februar 1843.
wurde. Als einzelne Ertravaganzen der fludirenden Jugend
und befonder& die ſchwaͤrmeriſch⸗ wahnſinnige That Sand’s
den nur zu willkommenen Vorwand bergaben, um bie
Preſſe zu befchränken, das Streben nad) Repräfentation
und lebendigem Antheile des Volle am Staatsleben zu
unterdrüden, ald Verfolgung mannichfacher Art das Loss
Derer wurde, die nody ferner die Sache einer ausgedehns
tern bürgerlichen s politifchen Freiheit zu verfechten wagten,
zog ſich Luden noch zur rechten Zeit zuruͤck, um nicht das
Schickſal Oken's und Anderer zu theilen, fowie denn übers
haupt eine nüchterne, alt= berechnende Weltbeobachtung,
eine farkaftifhe Richtung gegen jeglihen Enthuſiasmus,
er fei wahr oder falſch, und eine entfchiedene Abneigung
gegen jedes Märtyrerthbum zu den fehr entfchieben hervor:
tretenden Kennzeichen feines Charakters gehört.
Diejenigen, die feine Vorlefungen nicht gehört haben
und von feinen fchriftftelferifchen Arbeiten weiter nichts
kennen als feine „Geſchichte der Deutfchen” und etwa feine
vier „Borlefungen über das Studium der beutfchen Ger
ſchichte“ werden diefe Charakterzüge freilich nicht gefunden
haben. Uber diefe wiſſen vielleicht nicht, baß eben bie er:
wähnten Werke in einem ganz fremden, gewiflermaßen
angelernten Geifte gefchrieben find. Gegen Ende des vor
rigen Sahrhunderts und in ben erſten Jahren des jekigen
lebte nämlich ein Mann, der, außer feinem Einfluſſe auf
die Wiflenfchaft, einen ungleich größern noch auf die ethis
fhe Semütherichtung feiner Zeitgenoffen ausübte. Diefer
Mann, den wir bier meinen, war Fichte. Seine tiefe
ſittlich⸗ patriotiſche Begeiſterung muß zumal für Diejenis
gen, denen es vergönnt war, feine Stimme zu- hören, feis
nen Vortraͤgen zu laufchen, von unmiderftehlicher Allge⸗
walt gewelen fein. Am evibenteften zeigt ſich dieſes Phaͤ⸗
nomen dadurch, daß er ſelbſt folhe Naturen in feine
Kreife und Anfchauungsweile mit fi forteiß, die urs
ſpruͤnglich vermöge ihrer Individualität im entfchieben«
ften Gegenfage zu ihm. ftanden. Wenn biefe auch nicht
zu einer wirklichen innerften Verwandtſchaft zu ihm um⸗
gebildet werben konnten, wenn er auch Feine Schüler im
Seifte und in dee Wahrheit an ihnen gewann, fo hemmte
et fie doch vorläufig an ber Kortentwidelung ihrer eigens
thlimlichen Getitesanlage und zwang fie ſowol feine An⸗
fihten als feine Redeweiſe wenigſtens aͤußerlich fich zu ei⸗
gen zu machen. Daß aus ſolchem Einflufſe ziemlich un⸗
wahre, carikirte Verbildungen hervorgehen mußten, iſt
leicht einzufehen und Fichte kann fich Hier mit jedem gro>
Gen, begeifterten Mann tröflen, der immer eine Anzahl
unmwahrer Schwärmer in feinem Gefolge gehabt hat. Zu
diefen fichtifirenden Garicaturen gehört unter Andern der
bekannte Jahn und auch Luden. Richt ber wirkliche Luden,
wie er in feiner „Nemeſis“, in feiner „Politik“, in feinen
mündlihen Borträgen tiber franzöfifche Revolution u. |. w.,
in feinem Wirken ald Mitglied der weimarifhen Kammer
und des akademiſchen Senats ſich zeigt, nicht der kalt:
verftändige, iconifche, behagliche Luden, fondern der Luden,
welcher Verf. der „Geſchichte dee Deutſchen“ ift, Die jetzt
ſchon wer weiß zu dem wie vielten Bande herangewachlen.
Fichte hegte bekanntlich eine tiefe, heilige Verehrung
vor dem Germanenthume; er nannte die Deutfchen das
urfprünglichfte Volt, in dem alle Keime des Großen und
Welterlöfenden von Anfang her eingefenkt feien. Diefen
Sag nun occupirte Luden für feine deutſche Geſchichte
und fuchte nad diefem Thema diefelbe auszuführen. Wie
viel falſcher Pathos, wie viel komiſch⸗geſchmackloſe Begei⸗
flerungsanftellerei babei zum Vorſchein gekommen, ift bes
Bannt. Es ift in der That eine auffallend heitere Er:
fcheinung, wie eben der Mann, der vermöge feiner fühl:
ironifchen Betrachtungsweiſe des menfhlihen Thuns und
Treibens der entfchiedenfte Feind aller Illuſion und Phra⸗
ſenmacherei ſelbſt bis zur Negation manches Wahren und
Wirklichen war, eben beſtaͤndig in einer ganz offen dalie⸗
genden JIlluſion ſich abmühen mußte. Groͤßere Gegenſaͤtze,
wie der wirkliche Luden und Luden, der Verfaſſer der „Deut⸗
ſchen Geſchichte“, find nicht denkbar; Luden, der ganz mo:
derne, woigig=politifche Journaliſt und ber biderbe Vereh⸗
ter der alten Urgermanen bilden einen Dualismus, wie er
unvermittelter und naiver ſchwerlich bei einem andern neuern
Schriftſteller angetroffen werden möchte.
Luden hatte ſich bereits von dem Fichte'ſchen Einfluſſe
emancipirt und in der „Memefis” feine eigene Bahn
mit Sicherheit eingefchlagen, als jene Unterdrüdungen ihm
bemmend in den Weg traten. Da er auf feine Weiſe
aun nicht mehr duch die Melt kommen konnte — was
ee mit ficherer Weltkenntniß fchneller als Andere erkannte —,
fo brach er ohne mweitered ab und holte fchnell aus
der Rumpellammer feiner Jugendillufionen ben ganzen
Fichte ſchen Apparat hervor, um ungeftört und unbeunruhigt
in diefer fremden Manier fchriftftelleen zu können. Wie
taufend Andere, fo kann auch Luden alfo über die Hem⸗
mung Magen, die der Entwidelung feiner fittlihen Indi⸗
vidualitaͤt durch die Machthaber einer juͤngſt vergangenen
Epoche geworden iſt; freilich hat er weniger darunter ge:
litten wie Andere, indem fein eigentliches ſittliches We:
fen fih doch ſchon ziemlich feſtgeſtellt hatte und nur nicht
fcheiftftellerifch zur Thaͤtigkeit kommen konnte.
Wir verkennen übrigens keineswegs Luden's bedeuten:
des Talent und bedauern nur, daß es in feiner eigen⸗
thümlichen Sphäre, der politifchen Journaliſtik, fo wenig
zue Anwendung gekommen iſt. Auch den Regierungen bat
6 feinen Vortheil geftiftet, daß fie befonnene und kennt⸗
nißreiche Maͤnner von der Tagespreffe mit Gewalt zurüds
gedrängt haben. Unſere Öffentlichen Zuftände ſowie die pes
litiſche Discuffion würden ficher bereitd viel feftere Geſtalt
und Farere, würdigere Haltung gewonnen haben, während
man fich jest von überflugen, unteifen Junghegelianern
die Ohren voll reden laffen muß und felbit die wohlmei⸗
nenditen, Überalften Abſichten einzelner Regietkungen wegen
des ungebildeten Zuftandes unferer Preſſe eine genuͤgende
Würdigung erfahren. Der Mangel tenntmißceicher und
geſchickter Fournaliften wird von unfern Gouvernements,
namentlid) von dem preußifchen, gewiß fchon in dieſem
Augenblide ſchmerzlich empfunden. So beftraft ſich jedes
Unrecht und fällt über Eur; oder lang in feinen Folgen
auf den Urheber zurüͤck.
Auch als akademifcher Lehrer bat Luden große Vers
dienfte; feine Vorträge über neuefte Geſchichte find klar
und verftändig, menn ihnen fhon zuweilen eine höhere
Auffaffung und eine würdige Korm mangelt. Vom Mit:
telalter, von Allem, was einen romantifchen Anftcih bat,
muß er ſich freilicy entfernt halten. Das Berftändnig des
Poetifhen mangelt ebenfo fehr, wie die Würdigung na⸗
tioneller Zuftände, die nicht auf den modernen Staat
und auf moderne Qultur fi zucüdführen Laffen.
In diefer Vorrede zu dem Werke von Droz bricht
nun Luben wieder fein zwanzigiähriges Schweigen und
teitt als politifher Pamphletiſt auf. Er mittert mit
feiner feinen Spürkraft nichts Unheimliches mehr in der
politiſchen Atmofphäre, das ihn bedenklich machen koͤnnte,
fiy zu Außen. Der alte Löwe bat feine natürliche
Stimme wiedergefunden, und in der That fie klingt et:
was voller und eindringlicher wie das wuͤſte und matte
Geplaͤrr unferer neueften Journaliſten.
Ein deutſcher Recenfent hatte bei Beurtheilung des
vorliegenden Werks gedußert, daB Droz von dem Irrthume
ausgegangen fei, als ob die Revolution überhaupt verhüs
tet oder geleitet babe werden Sinnen. Hier nun bemerkt
Luden zuerft, daß er Das, was Irrthum genannt werde,
ebenfall8 immer für wahr gehalten habe. Und in der
That weiß man nit, wie man über den - confufen,
myſtiſchen Unfinn, der in folder nur zu oft laut gewor-
denen Anficht, die wahrfcheinlich tief philoſophiſch fein fol,
liegt, ſich genugſam verwundern fol. Eine ſolche Behaup⸗
tung widerſpricht dem einfachſten Geſetze von Urſache und
Wirkung und gibt dem gefunden Menſchenverſtande die
empfindlichfie Ohrfeige. Wenn ich fleißig bin, lerne ich
etwas, wenn ich faul bin, bleibe ich unwiſſend; wenn id
verſchwende, werde ich arm, bin ich fparfam, behalte ich
mein Geld; mache ich Fehler in einer Schachpartie, fo
verliere ich, macht mein Gegner Fehler, fo verliert er. Zu
glauben, daß ich audy bei ganz verfcyiedener Handlungs:
weile unwiſſend, arm, geſchlagen hätte werden müffen,
iſt eine abfurde Widerfinnigkeit, die keine MWiderlegung
verdient. Dieſelbe Wechſelwirkung zwifchen Urſache und
Wirkung, die in dem Leben. des Einzelnen flattfindet, ift
auch Gefeh, wie in der ganzen Matur, fo im Leben ber
Völker, denn diefe beftehen wiederum nur aus Einzelnen.
Welcher nur Halbverfländige wird leugnen, daß 3. B. bei
mehr Feſtigkeit Ludwig's XVI. die ganze Revolution einen
andern Gang angenommen baben würde? Wer Eann die
3093
verfhiedenen Refultate, die fi) ergeben haben würden, be:
whnen, wenn Dex weiſe, mannhafte Zurgot nit aus dem
Minifterium gefchieden wäre? Wer berechnen, wie fidy bie
Dinge geftattet haben würden, wenn flatt Calonne's ein
fparfamer und weniger leichtfinniger Sinanzminifter er:
nannt wäre? Wer vorherfagen, was erfolgt wäre, wenn
fort Marie Antoinette's eine andere Prinzeffin Königin
von Frankreich geworden wäre? Und diefe Thatfachen wie
unzaͤhlige andere beruhten doch auf Entſchlüſſen, die bei
onderer und ceiferer Überlegung nicht hätten gefaßt zu mer:
den brauchen. Freilih, wenn man dann weiter talfonnirt
und behauptet, Daß eben Ludwig XVI. vermöge feiner Wer:
hilmiffe, vermöge jenes nexus reram, welcher die Weltres
sierung bildet, ſchwankend, unfchlüffig habe fein müffen,
daß Choiſeul vermöge jenes nexus rerum eine Öftreichifche
Prinzeffin babe wählen müflen, daß Ludwig XVI. ver:
möge jened nexus rerum ebenfo disponict gewelen, daß er
Galonne habe ernennen müffen u. f.w. — dann freilich
fHlägt die Frage in eine metaphufifhe von der Willens:
freiheit de6 Menſchen über und loͤſt ſich in eine Forſchung
nach dem legten Grunde alles Seins auf. Die Beant:
wortung dieſer Frage mag aber ausfallen, wie fie will,
immer wird dod der Sag feſtſtehen, daß umfichtiges,
pflichtgetreues, auf Erkenntniß ygeftügtes kraftvolles Hans
dein auch im politifhen Leben andere Folgen zuwege
bringt wie Schwäche, Unwiffenheit und Leichtſinn. Dem:
nah muß dr Menfh annehmen, daß die moralifchen
Fehler und Leiden, die wir in der Gefchichte der Menfch:
beit erbliden, ſich bei höherer Intelligenz und reinerm
Wollen allerdings hätten vermeiden laflen und fomit auch
die franzoͤſiſche Staatsumbildung, die wir vorzugsweife die
Revolution nennen, keineswegs unter jeder Bedingung in
Begleitung fo zahllofer Frevel und grenzenlofer Verwirtung
fi) habe entwideln muͤſſen. Nur ein abſtruſes Dickthun
mit ſcheinbar tieflinnigen Philofophemen, wovon unfere
heutige Literatur wimmelt, kann folche widerfinnige Äuße⸗
tungen ohne Erröthen and Tageslicht fördern, Äußerungen,
die, wenn fie gegrimdet wären, alled Studium der Ge:
ſchichte ſowie überhaupt jedes fittliche Streben als Thor⸗
hit hinſtellen und gaͤnzlich überflüffig machen wuͤrden.
(Die Vortfehung folgt.)
Samilienleben in den Vereinigten Staaten.
Boſton, im Dctober 1882.
Man Hört fo oft von der hohen Verehrung ber Amerikaner
wgen das weibliche Geſchlecht, td glaube aber, man hat bavon
in Surepa eine ganz falfche Borftellung und fieht eine ‚Herr:
Ghkt in der Gitte, wo, bei Lichte betrachtet, mehr eine Ver⸗
kehrweit ftattfindet. Die Republit gibt den Frauen in Allem
Hg Rechte mit den Männern, nur mit dem geringen Unter:
ied, daß die Frau ſich nicht in bie politifde Verwaltung bes
Eandes direct mifchen darf, dagegen aber im Schutze der Mäns
ner ficht. Die biftorifche Geftaltung bes Lebens ergibt, daß bie
auen in ber Beit, wo die Indianer noch mordenb umbers
ichen und weder Alter noch Geſchlecht fchonten, fich nicht aus
fen Käufern, die man oft befeftigte, wagen burften, um an
ven Arbeiten ber Männer in Feld und Wald Theil zu nehmen.
Die Letztern dagegen verließen die Wohnungen nicht ohne ihre
geladenen Gewehre. Gelbft ihre Gotteshaͤuſer betraten fie mit
der Buͤchſe fchußfertig unter dem Arme. In bewaffneten Grup
en begleiteten fie Srauen und Kinder zu biefen unb andern
erfammiungsorten. Daneben waren in den erften Zeiten der
Colonien, befonders im Süden, bie Frauen fehr felten und man
bezahlte fo hohe Preife (oft mehre Hundert Pfund Tabad!)
für eine Frau, wie jegt bie Anftebler in Reufeetand zu thun
pflegen. Es kam gar nicht darauf an, welchem Stande und
Gewerbe die Frau in Europa angehört und nadygegangen ; bier
war fie fogleich Gebieterin des Haufes, hatte Skiaven zur Wer
dienung, war bie Puppe des Mannes, ber fie, ats fein koſt⸗
barftes Eigenthum nad den Sttaven, gleichfam auf den Haͤn⸗
den trug und mit Gefahr feines Lebens gegen jeden Feind
fügte und behauptete.
Es konnte unter biefen Berbältniffen nicht feblen, daß
fetbft ade Feld: und MWirtbfchaftsarbeiten nur von den Män-
neen und Knechten oder Sklaven verrichtet werden konnten.
Ja, ed war eine Graufamleit, ſchwache Weiber Sefchäften aus:
zufegen, bie fie auf der andern Seite der Grauſamkeit der Wil-
den preisgaben, und die Bitte bilbete ſich ganz unmwillfürlich, durch
weiche die Frau für die Ehre des Haufes, zum Vergnügen des
Mannes und fomit hoͤchſtens zur Sorge für die Kinder bes
flimmt wurde.
Dies ift die Seſchichte des Hausfriedens der ameritanifchen
Cotonien. Die Frauen fpielen die Ladies. Alle Moben, aller
Prunk wirb auf die Frau gehäuft, keine arbeitet im Feide, keine
beforgt das Bieh. Der Mann zündet früh das Feuer an und
bie Frau tot, wenn ed warm im immer geworben, bas
Krühftül, während der Mann draußen bie Saͤue füttert und
die Kühe melkt. Auf dem Felde plagt fi nur der Mann. In
ben beffern Zeiten beforgte indeflen die Krau den Webſtuhl und
machte felbft alle Kleider; dies hat aber ganz aufgehört.
Während der Dann in Lumpen geht, figt die Lady meift daheim
Im ſeidenen Kieide im Schaukelſtuhl und befchäftigt fidh, wie es
ihr beliebt. Sie bat eine Köchin, ein Stubenmaͤdchen, ein
Kindermaͤdchen und einen Bebienten, wenn bie Verhaͤltniſſe ftädtifch
oder rei find. Dann genießt der Ehemann etwas von ber
Bebienungs im Übrigen fragt fie felten viel nach feinem Ver⸗
dienft und Einkommen ; fie difponirt über Alles, was im Haufe
gefchafft werben muß, verwendet ihre Zeit auf Lecture — ſoge⸗
nanntes Gtubiren — und andern Zeitvertreib, macht täglich
eine Anzahl Beſuche bei ihren Wachbarinnen und Freundin⸗
nen und empfängt deren eine Anzahl, legt bei Tiſche das Ber
müfe vor, theilt beim Rrühftüd und Thee (Ahendeflen) bie
Getränke aus, indem fie vor einem großen Theebret figt, ſchoͤn
gepugt, ruhig, leidenſchaftelos und aufmerffam auf jede geleerte
Taſſe. Daher tft in Amerika bie Frage der Schenkerin an ben
Trinker: „Do. you want another (ober second) cup‘, pro:
verbial; denn ba fie Jedem nachzaͤhlen, wie viele Taffen er trinkt,
fo tft die Frage natürlich. Die Engländer verfpotten diefe Frage
als impolite. Übrigens feheint es, nach dieſer Frage zu ſchlie⸗
fen, nicht Bitte zu fein, mehr ats zwei Taſſen zu trinken;
die Frau würde fonft fragen müffen: „do you want a third
cup?” und biefe gefeigerte Impoliteſſe in der Aufmerkſamkeit
part man ihr aus Etikette. Aber bies beildufig. Aus dem
Sanzen gebt hervor, daß fi ber Mann bier nicht der Arbeit
(amt und fchämen darf; wol aber thut bies bie Frau. Dies
gebt herab bis in die Handwerkeclaffe. Die Lady und Töchter
eines Scuhfliders, nicht einmal Schuhmachers, fiebt man in
Seide und feinen Muslinen bei Tiſche und beim Thee; ber
Mann kommt in der zerlumpteften Kleidung Abends aus ber
Berkftatt, melkt erft die Kühe, waͤſcht ſich dann und ſetzt ſich
unten an ben Tiſch, die Ehefrau obenan. Diefe Sitte ifk in
allen Haushaltungen, reichen und armen. Die männlichen Kin:
der und Gäfte figen bei dem Water, die weiblichen an der obern
Hälfte bei der Frau. Dies flört die Heiterkeit ber Tafel fehr.
Dan treibt Alles Halb flumm und fehr gemeffen, figt nur kurze
Zeit zu ſolchen Zwecken zufammen und bat überhaupt fein ge:
mäthtiches Familienleben. Jede Tochter hat ihr befonderes Zim⸗
mer, wenn es irgend möglich iſt; ebenfo gibt man in rei
Bamttien auch jedem Sohne fein Appartement. Die Zamitle
wird auf biefe Weiſe voneinander gehalten. Im Parlour nur
164
teifft man ſich; man befucht ſich ohne Erlaubniß ſelbſt nicht auf
den Privatzimmern, bie zugleich Schlafzimmer find. Ge ift
völlig unſchicklich, in das Schlafzimmer einer Dame einzutreten,
ſeibſt wenn es anftänbigft garnirt ifl. Krante Damen, wenn
nicht todtkrank, empfangen ten Arzt böchft felten in ihrem
lafzimmer, fie kommen ſchoͤnſtens gepugt ins Parlour, oder
laſſen fagen: „Sie befänden fich Heute nicht fo wohl, den Arzt
jegt empfangen zu koͤnnen!“ Man bat wenige Ausnahmen von
diefer fleifen und verkehrten Manier. Die Männer fühlen das
Lächerliche diefer Sitte, können aber felten etwas ändern. Die
Sitte ift, wie überall, das Departement der Krauen, felbft die
verfehrtefte! Hat die Frau nicht Luft, einen Saft oder Befucher
zu empfangen, fo läßt fie fagen: „Mrs. N. N. is e ed.“
und damit iſt der Beſuch abgemacht. Man kann ſich denken,
daß bei ſolchen Rechten der Frau im Hauſe Erziehung, Unter⸗
richt, Einrichtung, Vergnuͤgungen u. ſ. w. weſentlich von ihr abs
haͤngen. Zank und Streit iſt deshalb genug, aber er wird
moͤglichſt geheim gehalten. Es gehört zur größten Untugend,
teidenfchaftlicyg oder vielmehr laut in ber Leidenfchaft zu fein.
Daher fcheint der Yankee kalt und thut ſich etwas darauf zu
gute, die Form feiner Leibenfchaftlichkeit in ber Gewalt zu ha:
ben. In ben Gtäbten füllen bie rauen ihre leere Zeit mit
Befuchen in den Gewölben der Kaufleute und mit Kaufen aus;
fie bezahlen nichts und am Ende bes Jahres [hit man bie
Rechnungen in das Gomptoir, bie oft dem Deren Gemahl an
den Rand des Verderbens bringen.
Die Frauen betreiben nebenher Alles, was die Männer
nicht ausfcließlih in das Feld der Politik gezogen haben. Die
Zemperance s Gefellfchaften, die Abolitioniften s @efellfchaften, die
Kirchengefellfaften u. f. w. werben befonders von den Frauen ge:
halten und geftügt. Dabei findet man eine Leidenſchaftlichkeit
für den Zweck, einen Ehrgeiz, einen Eifer und eine Zeitvers
ſchwendung, die uns in Erſtaunen fegt.
Es ift unter diefen Umftänden ſicher natuͤrlich, daß in den
ärmern Farmersfamilien ein Segen an Töchtern eben kein Ges
gen ift. Die wenigften gehen in Dienjte; bie mehrſten ftrömen
in die Kabrifpläge, hier verdienen fie, je nad Fleiß und Ge:
ſchicklichkeit, in drei bie vier Jahren ebenfo viele Hundert Dols
lars und mehr, ruiniren ihre Gefundheit in ben ftinkenden,
wenn auch fonft veintichen, aber heißen Saͤlen, Heirathen und
flerden häufig an der Schwindſucht nach dem erſten Wochenbett.
Hier retten fie mindeſtens den Schein der Inbependenz, obgleich
es ein Spottname geworben iſt: Manufactory - girl; wenigſtens
wird hier ſorglich für die Sittlichkeit gewacht und in Lowell
3. 8., wo 8000 Mädchen zufammen find, hat man feit 20 Jade
ren faum einen KaU von Unehre gehört.
Es gehört hier viel dazu, eine Frau aus ben höhern
Staͤnden ohne Vermögen zu nehmen. Jeder fürchtet fidy davor,
der fich nicht zutraut, fo viel erwerben zu fönnen, um ftandess
gemäß zu leben. Daher find viele Hageftolzen und alte Jungfern
hier, befonders in Neuengland.
Die Deutſchen haben in der Union die Schande, ihre Frauen
und Töchter roh und graufam zu behandeln, weil fie biefelben
an den Kelbarbeiten Theil nehmen und den Stall beforgen lafs
fen. Es ift jedoch mehr und mehr den Yankees aufgefallen,
daß die beutfchen Barmer auf biefem Wege ſehr wohlhabend
werben. Dagegen ift gewiß, baß bie beutichen Farmer-Familien
in allen Staaten der Union weniger gebildet find. Liegt ed an
der gemeinfchaftlichen Arbeit? Oder liegt es in ber germanifchen
Bauernnatur? Gewiß ift, daß bie Yankee» Bamilien angenehmer
find, da bie Frauen meift Politur haben und ihre Literatur
tennen; allein es leidet auch Leinen Zweifel, daß bie deutichen
armer bei ihrem geößern Wohlſtande Daffelbe erreichen wers
den, wenn fie erſt die deutfche Sprache in ihren Schulen culs
tioiren und ſich mit deutfcher Kunft und Literatur beffer ber
kannt machen. Es ift unglaublich, wie ſchwer es ift, die deuts
ſchen Soloniften hier in das englilche Leben hinuͤberzuziehen, und
eben deshalb follten bie beffern unter ihnen mehr Bedacht neh⸗
men, das wahre Medium der Cultur für fie, bie beutfche
Berantwortiliger Herauſsgeber Hetartch Brokhaus. —
Sprache, beſſer zu cultiviren. Hin und wieder beginnt man in
ennſylvanien, beſonders aber im Weſten, naͤmlich in Indiana,
Kinois, Miſſuri; hier ſcheint deutſches Leben ſich ſelbſtaͤndig
und ernſtlich au entwideln, und auch die Fraven haben dort
den Anftrich unferer deutfchen gebildeten Hausfrauen, find ge⸗
muͤthlich und dabei fleißig.
Eine befondere Seite des amerikaniſchen Feeminini generis
darf man nicht unerwähnt Laffen. Es befteht in ber ganzen
Welt eine große Mannichfaltigkeit der Begriffe des Schönen,
Gittfamen, Suten und Boͤſen. Warum follte man diefem Lande
nicht dergleichen gönnen. Bon England her flammt jenes Er⸗
röthen und Erzuͤrnen über etwas Unfittfames. Dies ift echt
deutſch und wahrlich, es ift ein gutes Zeichen, wenn es und
wo es in einer Nation noch zu treffen iſt. Die Srangofen has
ben eine befondere Affectation der Sittfamkeit, indem fie natürs
liche Dinge völlig natürlich betrachten. Man muß fih an
Stesne’3 „Sentimental journey‘’ erinnern und an fein Erftaunen
über bad „rien que pisser’” und bergl., um ben Gegenfag zu
begreifen. Bier in Amerika hält man in Gegenwart ber Frauen
mehr als natürlich auf Vermeidung alles Deflen, was an Ra:
türtichleiten erinnert, und eine ameritanifhe Dame, ja jedes
Landmaͤdchen wird darüber, wenn dergleichen vorkoͤmmt und
vorkommen muß, nicht nur entſetzlich verlegen und roth, ſondern
ſogar erboßt und wirft Dem, der es nicht vermied, Roheit vor.
Dies geht aber weiter: der Bruder, der Bräutigam, der Freund ıc.
kann bewußtlos in der Kieberhige und am Tode liegen umb
bälftos fein, es ift gewiß nicht leicht, eine amerikaniſche Damt
zu bewegen fein Zimmer allein (wie Penelope: «lA oux olos)
zu befuchen unb ihm Beiftand zu leiſten. Dec Anftand geht
bier über die Bumanität und man iff oft im Zweifel, 0b je:
ner in ber That fi in dem weiblichen Bufen rege. Es ift
roh, dergleichen zuzumuthen und zu verlangen. Ausnahmen
finden ftatt, wir reden bier von der Sitte. Es iſt dies nicht
fo unter den Deutſchen in Amerika, fo lange fie nicht englifirt
find. Ein $reund von mir gab in Philadelphia ein Lefebuch
beraus zum Unterriht im Deutfhen. Das Buch wur vortreffs
lich, allein e8 begann mit Leſſing's ſchoͤner Fabel: „Der Hengſt
und dic Fliege‘, die Interlinearüberfegung hieß: „The stallion
and the fly’. Won dee ganzen Auflage wurden drei Exem⸗
plare verkauft. Irgend cine Beziehung auf das Geſchlecht if
ein unverzeihliches Verbrechen und die Damen find es, die dicfe
Verbrechen befonders bemerken, ja feldft bie jungen halbreifen
Dinger auf den Schulbaͤnken flören oft Zank zwiſchen Lehrern
und Altern an, weil fie Beziehungen in dem Vorgetragenen
fanden, an bie der Lehrer nicht dachte und benfen Eonnte. Ich
erzählte einft einer Dame in Philadelphia im Vertrauen, daf
ih bie Ausficht habe, bald meine Familie vermehrt zu fehen.
„Wie kommen Gie dazu, mir bies zu fagen!” Ich glaubte,
daß die Wendung, die unfer Gefpräd genommen bette, diefe
Mittheilung völlig rechtfertige. Sie fah mich von oben bis
unten an, erbolte fidy aber nad) einigen Augenblicken durch die
Reflerion: „Nour german manners are pretty strange to us,
but I really think there is something good in them.” Id
bat um Verzeihung, vergeffen zu baden, baß ich eine amerika⸗
nifche Freundin vor mir habe, und verſprach ihr, fie nie wies
ber mit Dem zu bebelligen, was meinem Herzen fo nahe liege.
„Nein”, fuhr fie auf, „Sie haben recht, wir haben unrecht;
unfere Sitte ift albern.“ So können ſelbſt die Beſſern nice
aus der Gewohnheit und Sitte heraus, felbft wenn fie fühlen
und erfennen, baß dieſe Sitte unnatürlich, nichts weniger als
unſchuidig und fittfam fei. Mir fcheint es, als müffe man dies
Alles auf Rechnung der Stellung ber Frauen in ber Geſellſchaft
bringen. Sie wollen erimirt, aͤtheriſch, geiftig — ich weiß
nicht wie — betrachtet und behandelt fein; der Schmuz des
Lebens ſoll ſelbſt in der unfchuldigften Korm nicht an fie kom⸗
men; allein es fehlt an dem fein gebilbeten. Urtheil, was dahin
gehöre, was nicht, und darüber gieft man das Kind mit dem
Bade aus und wird geziert und unnatürlich. "
(Die Zortfegung folgt.)
Diu@ uns Mixing von 3. U Broddaus in.Seipzig.
Blätter
für
literarifbhe Unterhaltung.
Sonnabend,
11. Februar 1843.
(Bortfegung aus Fir. Al.)
Alsdann ſetzt Luden mit einer gefhidten Wendung
einige icrige Vorurtheile, welche noch hier und da über
die Entſtehung der franzofiichen Revolution namentlich in
höhern Kreifen herrſchen, mit unfern gegenwaͤttigen Zus
Händen in Deutihland in Verbindung und deutet den
nachtheiligen Einfluß an, den fie auf die Entwidelung
unfers politiihen Lebens in jüngfter Zeit geäußert haben
und woch Außen. Dahin gehört zuerft die Anficht, daß
die franzöfifche Revolution Folge einer Berfchwörung ge:
wefen jei, eine Anfide, die er mit Recht ebenfo unmahr
wie verderblich nennt.
Schon der bloße Gedanke — fast er —, daß es in die
Hand einer Eleinen Anzahl von Menſchen gelegt fei, gleichviel
von welcher Gefinnung befcelt, von weichen Abfichten beftimmt,
welchen Zweck im Auge, den Gang der Sntwidelung aller uns
ferer Berhältniffe zu unterbredgen, die Orbnung, in welder wir
leben, zu zerftören, ja Alles, was bie Vergangenheit erzeugt bat,
umzuwerfen, ift eine Abgeſchmacktheit. Wie? während wir Alle,
ein ganzes Volk, finnen unb forgen, entbehren und entfagen,
frauern und weinen, arbeiten, ringen und ftreben, genichen und
und freuen, follte es der Leidenſchaft, den Ränfen Einzelner, ef:
ner Anzahl von Hundert oder Zaufend, möglich fein, durch ges
heimes Wirken und Wühlen den Anter abzuldfen, an weichem
das Schiff unfers Lebens hängt, um baflelbe dem Wind und
den Kogen preiszugeben? möglich fein, den Boden zu durch⸗
brechen, auf welchem wir ftehen, auf welchem die ganze unends
lich reiche Erbſchaft der vergangenen Jahrhunderte ruht, auf
welchen wir unfese eigenen Entwürfe und das Schickſal unferer
Kinder für die Zukunft gebaut haben, um uns Alle dem Zu:
fal in die Arme zu werfen? Iſt denn feine waltende Gottheit
im Reben, kein Geiſt, Leine Vernunft, fein Verſtand in den
Menſchen? Wenn Jemand, wo Dreizehn zu Zifche figen, ängfts
\h den Vierzehnten herzuruft, um durch Diefen von Ienen das
Sqhickſal abzuwenden, fo mag man mol den unfcduldigen Aber:
landen mit einem Lächeln dulden: Behauptungen, bie das
Schickſal der Völker und Reiche von ben Wuͤnſchen, Entwürfen,
der Kuͤhnheit, der Frechheit eines oder einiger Menſchen abhäns
gig madyen, find ſchlechthin zu verwerfen und müßten mit ben
bärteften Namen bezeichnet werben, wenn es nicht billig wäre,
jeden Menſchen nur nad) dem Maße feiner Einſichten, feines
eigenen Berftandes zu richten. Sie gehen aus einem großen,
ungtädtidhen Irrthum hervor.
Man fieht, der alte Luden bat ed noch nicht verlemmt,
Scharfe fatirifche Pfeile unter dem Schilde allgemein ge:
haltener Bemerkungen auf die Megierenden abzudrüden,
denn dieſen, Irrenden, die mit ben härteflen Namen bes
zeichnet werden müßten”, wer waren fie? unb iſt ihre
Zahl unter uns fo Bein, ihre Stellung in der Geſellſchaft
fo unbedeutend green? Mer find jene „ Menſchen, die
nur nach dem Maße ihrer Einſichten, ihres eigenen Der:
flandes gerichtet werben muͤſſn“? Aber auch das Vers
derbliche eines folchen Irrthums fest Luden fcharf und
treffend auseinander:
Wenn fi) eine folche Anficht bei den Regierenden feftfegt:
was kann, was muß bie Kolge fein? Wie auch die geſellſchaft⸗
lichen Berbältniffe geordnet fein mögen: es wird immer Mens
fhen geben, die eine Veränderung für wuͤnſchenswerth, für nös
thig halten, nit aus Luft an Neuerungen, fonbern weil die bes
ftehenden Einrichtungen unmägli allen gleichmäßig genügen
fönnen, weil ein Jeder das Allgemeine nur nad) ben Grfcheis
nungen, welchen er nahe fteht, aufzufaflen pflegt, nur nach dem
Maße feines Verſtandes zu beurtheilen vermag. Sebhafte Gets
fter drüden ihre Unzufriedenheit \ebhaft aus; ungebildete Mens
[hen Legen ihre Wünfche in roher Weife dar: die Regierungen,
ihre Behörden und Agenten werben aufmerffam. Die Vor⸗
gänge wiederholen fich: fie werben bedenliid. An andern Or⸗
ten, von andern Perfonen Daflelbe. Jener wirb in Geſellſchaft
mit Diefem bemerkt: man wird aͤngſtlich. Aus augenblidlichen,
vielleicht gebankentofen XAußerungen wird eine Gefinnung gefols
gert, Nahes und Entferntes aneinander gerücdt: eine Verbin⸗
dung ift unverkennbar, eine Verſchwoͤrung wahrſcheinlich. Da
es auch an Verdaͤchtigungen und Angebereien nie fehlt, wo fie
nicht zurüdgewiefen werben, fo find Vorkehrungen nöthig, um
bie renolutionnairen Umtriebe zu vereitein, zu verfolgen, zu bes
ftrafen, um dem Unglüd einer Revolution zuvorzukommen ıc.
Ein großes Übel aber ift, daß auf ſoiche Weife das Leben
in feiner Entwidelung aufgehalten, der öffentliche Geiſt belaͤ⸗
ftigt, Argwohn an die Stelle des Vertrauens geſetzt, anftatt ber
Treue Furcht, Unmuth und Bohnlachen erzeugt wird
Aber eben dur jene ungiädfelige Verſchwoͤrungsrie⸗
cherei und die fie beyleitenden Maßregeln entfiehen am
erften wirkliche Verſchwoͤrungen. Man halte nur Jemand
erſt für ſchlecht und zeige ihm dieſes auf verlegende Weiſe
— es iſt das ficherfte Mittel, ihn fchlecht zu machen.
Man zeige dem Wolke erſt Furcht und unwürdiges Mis⸗
trauen und e8 worden in Einzelnen Gedanken und Plane
hervorgerufen werden, auf die fie fonft nicht gekommen
wären.
Die Beſorgniß der Regierungen vor Verſchwoͤrungen bes
weift ja aufs klarſte, wie ſchwach fie ſelbſt, wie ſtark die Ver⸗
ſchwoͤrer, wie ungewiß ber beftehende Zuftand der Dinge I Auf
ſolche Weife durch die Regierung ſelbſt provocirt, flürzt man
fih in das Unglüd, zieht Andere hinein, beftärkt die Regierun⸗
166
gen in ihrer Anſicht, in ihrem Mistrauen und bringt eine heil⸗
Lofe Wechfelwirfung Kervor, zwiſchen welcher die fchönften Ge⸗
fühle in der menfchlidhen Bruſt zerrieben und die Voͤlker in eis
nen Zuftand verfegt werden, der jedes Falles der Entwickelung
des Geiſtes große Hinderniſſe entgegenflellt. j
a. Alles, was Luden über diefen Gegenſtand fügt, iſt ges
wiß richtig und wahr. Nur wäre zu wuͤnſchen geweſen,
daß er feine Stimme früher gegen jenes leidige Verdaͤch⸗
tigungs= und pollceitiche Überwacdhungsfpftem, gegen jene
Verihwörungsriecherei erhoben hätte, welches wie ein Alp
ein Vierteljahrhundert hindurch auf ber Bruft des Volks
gelegen hat, den Einzelnen wie die Gefammtheit in ihrer
Entwidelung gehemmt und unberehhenbare Leiden über
Deutfchland hHerbeigeführe hat. Damals, als jenes Spy:
ftem in feiner vollen Blüte fland, damals hätten Luden
und andere Männer ihre Stimmer erheben und predigen
und warnen follen. Auch bei der ftrengiten Genfur war
dazu noch immer die Möglichkeit gegeben. Jetzt kommt
man mit diefen Debuctionen wenigftens in Bezug auf
ihre praßtifche Anwendung für den Augenblid zu fpät.
Der jegige König von Preußen hat bereits den fchweren
Bann gelöft, unter dem wir ein Leben voll Angft und
Mistrauen mehr dahinträumten und vegeticten, al® wirt:
lich lebten. Ein einzelner Mann voll Hochgefühl, voll
Liebe und Vertrauens, bat uns wie mit einem Zauber:
ſchlage blos durch offene Darlegung feiner eigenen groß-
artigen und freien Gefinnung zu einem neuen Leben voll
Hochgefuͤhls, voll Liebe und Vertrauens wiedererwedt, nad)
dem ſich Deutfchland ſtets gefehnt hat, deſſen es ſtets
würdig war und nie mehr als eben in jenem Zeittaume,
da man es fo unverantwortlich behandelte umd fich fo
Heinlih an ihm verſuͤndigte. Truͤgen nicht die Zeichen der
Zeit, fo werden jene Zuftände, wie Luden fie fihildert und
geißele, nicht wiederkehren. Dennoch mag eine rügende
Rüderinnerung immer noch an der Zeit fein, wennſchon
ein unmittelbares Ankämpfen gegen den Drud, als er nod)
vorhanden war, als noch ungleich ehrenvoller und Des alls
gemeinen Dankes würdiger hätte anerkannt werden muͤſſen.
Eine fharfe Kritik des Juͤngſterlebten und Juͤngſterlitte⸗
nen kann in der That nicht fehaden. Wir Deutfchen
find ein gar vergehliches Voll. Kaum find die Wunden,
die Napoleon uns gefchlagen, einigermaßen vernarbt, fo
find fie auch vergefien und aus erbitterten Feinden wer:
den wir feine Bewunderer. Kaum dürfen wir etwas
freier aufatmen, unfere Meinung offener ausiprechen,
kaum find unfere Söhne uns aus den Kerkern wicberge:
geben und ihre Wange hat bie kranke Kerkerfarbe in etz
was abgeftreift, fo haben wir all das vergangene erlittene
Untecht vergefien. Wäre. diefes Vergeſſen im jener chriſt⸗
lichen Liebe begrünbet, in jenem chriſtlichen Verzeihen, der
hoͤchſten Spite der Humanität, wahrlich, roit würden mit
inniger Anerkennung diefen Zug in unferm gegenwärtigen
Nationalcharakter begrüßen. Aber wir fürchten nur zu
ſehr, daß jenes Vergeſſen in einer gewiſſen Stumpfheit
begruͤndet iſt, welcher es für die edelften Güter ber Menſch⸗
beit, alfo auch für deren Beeinträchtigung, noch an einer
lebhaften Empfängfichkeit mangelt, in einer gewiſſen mo»
raliſchen Schlaffheit, welche der ftärkften dußern Incita⸗
mente bedarf, um Überhaupt Antheil zu nehmen, und ſo⸗
gleich wieder in ſich zufammenfinkt, fobald diefe zu wir⸗
ten nachlaffen. Wenigſtens glauben wir den Deutfchen
nicht Unrecht zu thun, wenn wir ihnen ein ebenfo ſchnel⸗
les Vergeſſen der empfangenen Wohlthaten vindiciren mie
erlittener Beleidigung und Werfolgung. Darum glauben
wir nicht an jene lautere Quelle chriftlihen Verzeihens,
wenn wir die ganze Sunme des Erduldeten jegt auf ein=
mal mit einem Mantel gleichgültigen Stillſchweigens ver⸗
huͤllt ſehen; und darum halten wir folche Erinnerungen,
welche vergangenes Unrecht mwieber im Gebächtniffe auf:
frifht, deffer Stachel etwas tiefer in die Gemüther ein:
drüdt, für durchaus nuͤtzlich und nothwendig. Nicht um
Rache zu nehmen wegen erlittenen Unrecht, fondern um
unfer Rechtsgefuͤhl daran zu Tchärfen, ift eine Kritik umd
Auseinanderlegung jened Syſtems, was uns in dem leg:
ten Vierteljahrhundert jedes Bewußtſein freier und chrift:
licher Staatsbürger zu rauben beabfidhtigte, fo überaus
wuͤnſchenswerth. Bevor wir die Engherzigkeit und Ver⸗
werflichkeit jenes Syſtems nicht vollſtaͤndig empfinden und
duchhfchauen, fo lange find wir auch nicht fähig, mit vol:
ler Dankbarkeit die wunderbaren Veränderungen anzuer:
Eennen, die eine einzige großherzige Perfönlicykeit in dem
ganzen Seelenleben nicht nur des preußifchen Staats,
fondern dee ganzen deutfhen Vaterlandes in kuͤrzeſter Frift
hervorgerufen hat. Mer jenes Spftem nicht verwirft und
verurtheilt, der kann das jegige nicht wahrhaft lieben und
verehrten. Beide find fchneidende Gegenfäge, die ſich völ-
lig einander ausfhließen, und mwenn die fromme Pietät
eines Sohnes diefes auch ſelbſt nicht ausfpricht, fo iſt es
dennoch unmöglich, daß er ſich dieſes Vechaͤltniſſes nicht
bewußt wäre. Luden fähet fodann fort:
Aber aud eine andere Meinung iſt, wenngleich ehrenwerth,
doch nicht minder ungluͤcklich und fall: die Meinung, daß die
franzöfifche Revolution durch eine gewifle Anzahl von Schrifts
Relleen herbeigeführt fei, die in Frankreich Philofophen genannt
werben. — —
Diefe Meinung iſt, wie fie eben genannt worden, allerdings
ebrenwerth, weit fie bie Macht des Seiſtes anerkennt, das
Wort für mehr als einen Schall achtet. Sie geht weit. Rede
und Schrift follen die Stärke haben, bie größte Gewalt zu bre-
den oder zu vernichten und alle Kräfte eines ganzen Volks zu
Kampf, Sieg und GSroberung zu vereinigen. Das fcheint für
das Geiftige im Leben, für eine Herrſchaft des Gottes im
Menſchen über das Thier im Menfchen von einer Achtung zu
zeugen, bie Achtung verdient.
Dennoch ift fie unglüdfelig, diefe Meinung. Wenn fie fi
ber Gewaltigen diefer Erbe, wenn fie fi ber Regierungen bes
mächtigt, ift es fo natürlich als nothwenbig, daß fie entgegen-
zuwirken fuchen, um fich felbft und ben Zuſtand der Dinge zu
erhalten, in weichem fie find, was fie find, zu defien Erhaltung
fie ſich verpflichtet fühlen. Iſt die franzoͤſiſche Revolution durch
Rede und Schrift bewirkt worden, fo könnten ja auch überall
durch Rede und Schrift Revolutionen bewirkt werden. Um bie
ſes Unglüd abzuwenden, ift nothwendig, Rebe und Schrift unter
Auffiht zu flellen. Belche Maßregein man aber ergreifen
mag, jede wirkt nadhtheilig auf das Leben, gleich nachtheilig für
die NRegierenden wie für bie Regierten. Wie die Pflanze zum
frögtichen Gedeihen der Luft und bes Lichtes bebarf, fo bedarf
der Geiſt zu gedeihlicher Entwickelung der Freiheit in Rede und
Schrift. Wird ihm diefe Freiheit geraubt ober verkuͤmmert, fo
verbumpft ober verkruͤppelt er, wird bitter ober treibt feine
167
Kroft in allerlei Auswüchlen, bie das Leben hemmen ober ver:
demmen. Horcherei, Aufpafferei, Späherei, Berbzehungen, Ber
doͤchtigungen, Berbote und Gtrafen können nicht ausbieiben;
thörichte Leidenſchaften werden in ber @efellfchaft aufgeregt, vor
weichen Freudigkeit, Gemeinfinn, Baterlandeliebe, viele Zugens
den zurüchweidgen.
Bir haben foldhe Zeiten erlebt — —
In ber neuern Zeit ift bie Genfur hier und dort verſchwun⸗
kn; in unferm WBaterlande ift fie faft überall fehr milb gewors
den: die neuefte Literanur gibt ſchlagende Beweiſe in Menge.
&o lange aber die Meinung feftgebalten wird, daß dur
ESchriftſteller die Verhaͤltniſſe des Lebens verändert, zerriſſen
werden Tonnen, fo lange wird auch der Grundſatz feitftehen,
daß man die Scheiftiteller unter Xuffiht halten und ibre Schrife
tea von dem Gifte reinigen müfle, das die Gefellfchaft verber:
ben, alle Bande derfelben zerfrefien und fie in die Gewalt fres
veihafter Menſchen werfen könnte; und fo lange diefer Grunds
fat gilt, ift mir der Milde der Geſetze (neuefles preußifches Cen⸗
furebict) wenig gewonnen. Die Regierungen mögen Vorſchrif⸗
ten geben, die jedem befonnenen Manne genügen: woher aber
nehmen fie Genforen, welche die Borfchriften zu ihrer und der
Schriftſteller Zufriedenheit auszuführen vermödhten ?
Aber Mitde oder Strenge: Alles iſt vergeblich. Die Mögs
lichkeit, des Geiſtes Satwidelung zu hemmen, ihn gegen bie Ge⸗
fege feines Weſens zu leiten, zu verfrüppeln, zu verbumpfen, ift
feit 400 Jahren unter der Drudpreffe vernichtet.
Gegen diefe legte Behauptung Luden’s, die noch dazu
einer feühern oben angeführten Außerung entſchieden wi:
derfpricht, erlauben wir uns doch einige Bemerkungen zu
machen. Mären die Maßregeln, die man gegen die Frei⸗
beit der Preffe nimmt, ſo ganz irrelevant, fo ganz ohne
Einfluß, fo ift in der That nicht abzufehen, weshalb man
fo fehr dagegen declamitt und weshalb alle freifinnigen
Männer fie ald verderblich ſchildern. Geht der Geiſt den⸗
noch feinen nothwendigen Gang, unbelümmert um alle
Demmungm und Hinderniffe, fo iſt die Stage über Gen:
fur oder Preßfreiheit in der That eine ganz müßige. Eine
folhe Behauptung ift aber in der That ebenfo woiderfinnig
old die frühere, daß Revolutionen fidy nicht abwenden lies
fen. Glaube Luden vielleicht, daß der Preßzwang, weicher
kit 25 Jahren über Deutfchland verhängt war, fo ganz
ohne Einfluß auf die Entwidelung unfers Charaktere,
unferer Verhältniffe gemefen fei? Er möge nur ſich ſelbſt
fragen, ob fein Leben, feine Thätigkeit nicht ganz anders
ausgefallen fein würden, wenn nicht ſolche Maßregein ſtoͤ⸗
tend in feine Selbftbeflimmung, in den freien Gebrauch
finer Kräfte eingegriffen hätten? Und wie mit dem Eins
einen, fo mit der Gefammtheit. Nein, ber öffentliche
Geiſt iſt nicht unabhängig von den gefeglihen Möglich:
titen, in denen er ſich dußern darf. Es läßt ſich unend:
fe viel durch ſolche widernatürlihe Hemmungen in dem
Griketteben eines ganzen Volks verderben, gleichwie eine
fehlerhafte, ſtlaviſche Erziehung die reichite geiftige Anlage
eines Kindes wenn nicht ganz zerflören, doch verdrehen und
verderben Tann.
(Der Beſchluß folgt.)
Samilienleben in den Vereinigten Staaten.
(Bortfesung aus Nr. 41.)
Es ift nichte Tanaweiliger in der Welt als eine Damen:
geſellſchaft; Hochmuth, Gitelkeit,- Käite und Stumpfheit, ober
taßenartige Wefkialität find hier in der Gulmination. Run denke
man fih, daß hier fogar gemiſchte Geſellſchaften ſich gewoͤhnlich
:epariren, wenn man nicht tanzt. Es beginnt in diefer ziehung
etwas beſſer zu werben, ſeit viele Familien in Frankreich und
Deutfhland gelebt und das Gemüthliche unferer Geſellſchaft
(ich meine nicht der Geſellſchaften — Gott bewahre mich, fo
etwas zu fagen!!) baben Eennen lernen. Kommen aber junge
mit jungen Damen zufammen, fo findet ein ewiges
Courmachen und ein Stutzerweſen ſtatt, welches wir wenigſin⸗
in Deutſchland unter die Gattung des Ekelhaften bringen; ſuͤß⸗
lich, uͤberſchwaͤnglich zart, anbetend, kriechend und mithin —
unwahr. Der gelaͤuterte Geſchmack vieler Damen beginnt be⸗
reits, dieſe Verehrung ebenfalls ekelhaft und laͤcherlich zu finden.
Es ift aud kein Zweifel, daß fi) in wenigen Jahren bereite
Bieles geändert hat und ebenfo, daß ſich noch Vieles ändern werde.
Das ausſchließende Privilegium der Damen ift die Beſchaͤf⸗
tigung mit der Literatur. Die Maͤnner haben keine Zeit dazu,
ober doch verhältnißmäßig wenig. Selbft auf dem Lande lefen
die Grauen verhältnißmäßig viel und mehr als die Männer, bie
ſich mit den Zeitungen begnügen. In den amerilantfchen No⸗
vellen und Romanen tritt eine unbegrenzte Verehrung und Gr:
hebung ber Brauen hervor und dies dient wieder ald Specula«
tion in biefer Literatur, und um ben Frauen eine fefte Einbils
bung von ihrer hohen Stellung im Vergleich zu den Männern
su geben. In der Ihat iſt der feinere Theit der Geſellſchaft
bie Grauen, fon weil der Mann hart arbeitet; allein bie
Stellung it im Hauſe auch fo, daß in der Reget Alles nad
bem Willen der Frau gebt. Im Ganzen begegnet man den
Brauen mit Achtung und gewiß vor» und ruͤckſichtsvoller als in
ber Regel bei uns. Jede Unart gegen eine Brau ober ein Mäds
chen iſt ein Berbrechen, felbf (und mit echt!) ein unfreiwils
liger Kuß, im Balle bie Gekuͤßte nicht Gründe in und außer
fich tpdet, verzeihen.
ine Dame geht z. B. in Neuyork nicht leicht, ſelbſt oft
nicht am Tage, ohne weibliche oder maͤnnliche —E hi
nigſtens ift es gute Bitte „nicht allein” zu geben, wie Pene-
lope, wenn fie unter bie Freier trat. Verdbeirathete Brauen er⸗
lauben ſich dergleichen ohne Tadel, nicht aber Mädchen. Daber
it es gar nichts gefagt, wenn man rühmt, baß bier auf den
Straßen Abends eine Dame unbeldftigt und ungefährbet gehen
könne. Es geht eben keine Abends ohne Bebedung und die es
thut, iſt fo wenig gedeckt als wo anders in der Welt.
Die Ruͤckſicht auf die Frauen erſtreckt ſich fo weit, daß fels
ten ein Dienftmäbchen in einen Kaufladen oder gar zu Markte
eht. Nur die Deutſchen thun dies; die englifchen Familien
enden ben Ghemann, ober Sohn, oder ben servant-man.
Diefe Iegtern thun alle Geſchaͤfte im Stalle und werben meift
dazu —* man Sie —* f
abet muß man aber nicht vergeflen, daß ſich die Frauen
hier fähig halten, alle Künfte fo hoch treiben zu mn wie
die Männer in Europa. Oft habe id die Unverfhämtheit ge:
habt, an der Möglichkeit zu zweifeln. Diefe Beharrlichkeit,
biefe Gruͤndlichkeit, diefe Verwendung von Körperkraft — ift fie
der Frau mögtih, felbit wenn wir alles Andere gleichftellen?
Wenn ich fage, wir haben Leinen weiblichen Mozart, keinen
weiblichen Shakſpeare, Goethe x, feinen weiblichen Thorwaldſen,
genug, keine Frau, bie das Hoͤchſte in der Kunſt erreicht Hätte,
fo fagen fie: wäre es nicht moͤglich, daß in den veränderten
Verhaͤltniſſen Amerikas bie Srauen diefes Hoͤchſte erreichen? Ant«
wortet man: daß die Natur amerikanifchen Lebens bis daher
ſehr oberflaͤchlich in Kunft und Wiſſenſchaft geweſen, daß fdywers
lich diefe europdifche Gruͤndlichkeit je obwaiten werde und baß
eben nur durch bie europaͤiſchen Männer das Brünbtiche geleiftet
werbe, fo ſchilt man auf den Zwang europäifchen Lebens und
erwartet Alles von der Freiheit, von dem Gelbfitrieb, der Liebe
ber Frauen zur höchften Ausbilbung. Gewiß ift fo viel, daß,
fo weit das Leben in Amerika englifchen Urfprungs ift, bie
Männer gar keine Miene machen, ſich der ſchoͤnen Künfte zu '
bemächtigens auch haben fie dazu keine Zeit. Ihre Phantafie
dat eine vorherrſchende Richtung zum Abftracten, zur Xrith-
168
metik; die Dlaterialität und Speculation reißt Alles bin und ers
ſlafft für Höhere Anflvengungen. Nur Brauen treiben bier Muſik ꝛc.
Gewiß iſt, daß die amerikaniſchen jungen Frauen ſchoͤne
Augen haben und ſchoͤn find, wenn nicht im Allgemeinen bie
Neigung zur Magerkeit zu vorherrfchend wäre. Es fällt Jedem
auf, der ſich mit der amerifanifchen erotifhen Poeſie bekannt
macht, dab bie mannichfadhen Bilder der europdifcden Poeſie,
weiche von den vollen Buſen bergenommen find, bier ganz
fehlen. Man erhebt ſich hoͤchſtens zum Bild ber Knospe.
Wie mich anftändige Matronen beiehrt haben, iſt es allges
meine Gitte, daß die fettern jungen Damen ftch flach ſchnuͤ⸗
zen, da es nicht zur amerikaniſchen Schönheit und Sittſamkeit
gehört, einen vollen Buſen zu haben, für welchen die Poefie
fein anftändiges Wild hat. Die Reize ber Jugend gehen zeitig
verloren und mit dem neunzehnten bis zwanzigften Jahre gibt
es wenig blühende Mädchen und noch weniger blühende Muͤt⸗
ter. Eine Frau von 30 Jahren ift hier meiftens wirklich alt.
Wenn fie nicht zu gebieten hätte und ſich als Gebieterin des
Hauſes betrachten dürfte, fo hätte fie in ber That wenig Mits
tel, ihre Stellung zu behaupten, und mäßte Gott danken, daß
die Monogamie Landesgefeg ift Ä
Zm Allgemeinen herrſcht tel Grazie in ber Bewegung und
im Benehmen der amerilanifchen jungen Damen; nur tanzen
darf man fie nicht fehen, ebenfo wenig die jungen Herren. Nir⸗
gend in ber galanten Welt wird ungraziöfer getanzt und deſſen⸗
ungeachtet zieht man bie Contretaͤnze den Walzern vor. Ich
babe lange nach einer Urfache dafür gefpäht, bin aber nicht
im Stande gewefen, eine zu entbeden. Fanny Elsler wurde
von den Männern hier allgemein bewundert, die Damen ſpra⸗
hen mit Geringfchäsung von ihr. In der That ift von biefer
gemuͤthlichen Grazie, wie fie Fanny Eisler repräfentict, nichts
zu finden. Es ift Alles Bewußtfein, Selbitbewußtfein, Stolz,
ja, id kann nicht anders fagen, es ift rein ariſtokratiſche Grazie.
Es kann nicht fehlen, daß die Stellung der Frauen im hieſigen
Leben fie vorzugsweiſe ariſtokratiſch macht. Man findet dieſes
Element durchaus in den tonangebenden Frauen. Bei allen
Tugenden betrachten ſie ihren Ariſtokratismus ebenfalls als eine
Tugend. Sie compenſiren einerſeits die politiſchen Rechte der
Maͤnner, andererſeits findet ſich ganz von ſelbſt die Richtung
bazu, mo es Verrichtungen im. Paushatt gibt, deren zwar
nicht der Mann, wol aber die Frau fi zu fehämen haben
würde. Auf eine gemwilfe Art aber gibt die Frau den Ton für
Gonfervatismus an, ein Princip, weldjes zeither nur ſehr ne:
gativ und weiblich dem amerikaniſchen Leben beigemifcht war.
Vielleicht aber hat fich der „weiße Dann” in ber Behandlung
feiner Frauen auch nur von dem „rothen Mann“ unterfcheiden
wollen, ber befanntlich, wie einft der alte Germane, alle Laften
des Lebens den Frauen aufbürdete und fich deſſen Luft vorbehielt.
Der Gegenſatz iſt fehr nahe liegend, und wenn der Anblid einer
Squaw den Gindrud der Niebergebrüctheit auf den Beſchauer
macht, fo gibt der Anblid einer ameritanifcyen weißen Dame
den vollen Maren Ausdruck amerilanifchsrepublitanifher Dolls
freipeitz; dad Weib blickt Hier ſtets „gay“, nie inbifferent,
wie bei uns. Und bies ift das Ergebniß des Lebens, daß man
die Freiheit fühlt, daß fie fi in jedem Zuge, in jeder Bewer
gung ausdrädt. Es ift Feine Brage, daß, mern fie in ber
Seele wohnt, der Körper durch fie verebeit wird. Man befins
det ſich daher in der Geſellſchaft amerikaniſcher Frauen fehr
wohl, wird leicht und angenehm angeregt und hat es ſtets
Dank, wenn man ſich einigermaßen mitzutheiten weiß. Die
uUngezogenheit unferer Ariſtokraten, Den vorlaut, abgeihmadt
und langweilig zu nennen, ber ſich gern mittheilt, weil er et
was Gutes und felbft Beſſeres mitzutheilen hat und meil er
das moquante Geſchwaͤt und die Yusklatfcyereien nicht aufkom⸗
men laſſen mag, ift mir hier nicht vorgelommen. Dagegen ift
man bier noch nicht in die Schule unferer „geiftreichen” Damen
gegangen, die nicht body genug, nicht transfcendental genug, nicht
poetifch genug traktirt werben "können. Gott! was ſteht man
in biefen Gliquen in Deutfchland aus! Diefe Übercultur bes
Geiſtes, diefe Ausgeburt der Bangemweile begreift eine hiefige
Dame nit, felbft wenn fie eiftftetlern 1 —* =
nicht, fo find bie amerilanifchen wie die englifchen Schrift:
ftellerinnen ben beutfchen und franzoͤſiſchen weit vorzuzichen s
fie find natürlicher. Wir haben keine Sedgwick und Feine Eliza
Gabat:Zollen in ber neuern deutfchen Literaturs lauter ver»
beinte, verlaubte, verguglomte, vergöthelte und daher ver⸗
ſchrobene Frauen ſchreiben in Deutſchland. Der edle und na=
türtiche Mann wird ewig nidht begreifen, wie die große Maffe
der Soethe'fchen rauen ihm, bem großen Goethe genügen konn⸗
ten. Man muß feine linnaturen mit Ican Paul'ſchen Raturen
vergleichen, um ſich biefes Gefuͤhls bewußt zu werden. Wenn
die Zugend nicht ebenfo natürlich als die Schönheit ift, räume
ich den Goethianern gleich das Feld. Ich verlange Feine vers
fuchte Tugend; ich liebe fie vor der Verſuchung und deshalb iſt
im amerifanifhen Eeben, felbft in den oben getadelten Zügen
von misverftandener Sittſamkeit etwas, was den Verſucher fern
hätt. Das freie, ſtolze amerikanifche Weib ift tugendhaft; dies
tft ein anerkannter, großer Grundzug. Es ift zu verfuchen und
kann fallen, aber wozu den Schlamm bed Lebens aufwuͤhlen
unb Bi me ws den beſchmuzen, bie doch gewiß ebenfo
gu eihben im Menſchen⸗ wie im Blumengart
—*5*— werden. garten, wenn Pe
Uns Deutſchen Tann vieleicht eine amerikanifche Lady als
Hausfrau eine unverdauliche Frucht ſein; dennoch müffen wir
geſtehen, daß dieſe naͤmlichen Frauen bei einer etwas beſſern,
gruͤndlichern Erziehung bei ihrer edeln, freien Natur ausgezeich⸗
net in der ganzen Welt ſein wuͤrden. Wir ſcheuen aber beſon⸗
ders die Überlegenheit und Unabhaͤngigkeit der Frauen, und des⸗
halb mögen wir ben amerifanifhen nicht dic liebenswuͤrdige
Seite abgewinnen.
(Die Sortfegung folgt.)
Notiz.
. Ein bifhödfliher Bers.
Ein deutfcher Biſchof erließ vor ein paar Jahren an bie
Pfarrer feines Kirchenſprengels das jährliche Kaftenausfchreiben,
feltfamerweife, in lateinifhen Diftihen. Indem ee barin auf
den Beitgeift eifert, fagt er. unter andern von dieſem:
. Et sparcos avidus lambit meretricis hiatus.
Sin ins Deutfche unüberfegbarer Vers! Wenigſtens würde keiner
aus dem Jungen Deutfchland, gegen welches jener „Kirchenfürft”
auch zumeilen eifert, ſich entblöben, den Vers deutſch zu geben.
ung Weltlihen kommen ſolche Gituationen, wie hier Lateinifch
eine gemalt wird, nicht leicht vor: dennoch dürfen wir zuge:
ſtehen, baß ber Vers des geiftlichen Herrn fehr anſchaulich ift,
alfo poetifchen Gehalt hat. Aber ganz genial ift der Vers das
ducch, daß er ſelbſt mit feiner wilbpretfcharfen Fleiſchlichkeit
he —— wor Ihre Kom welcher er vorföümmt: denn
at nicht audy die Poeſie ihre inenz, die Muſe ei i
Faſtenordnung zu beobachten? rufe ein serie
giterarifche Anzeige.
Bon F. &. Brockhaus in Leipzig i
Buchhandlungen zu beziehen: pzig iſt durch alle
Das Burggrafthum Meißen.
Ein historisch-publicistischer Beitrag
fächfifchen Territorial icht
Hr on archivalifchen zeige ich
Dr. Traugott Märker.
Mebft einem Urknunbenbuche.
&r. 8. Geh. 3 The.
Berantwortliher Herausgebers Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. X. Brochaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
. 12. Februar 1843,
6. Luden und I. Droz über die franzöfifche
Revolution.
(Beſchluß aus Nr. 2.)
Dffenbar gehen wir jegt der Einführung einer freien
Preſſe in Deutfchland entgegen. Die Perfönlichkeit des
jegigen Königs von Preußen, der das Volt fo hoch nimmt
in feinen Öffenttihen Anfprachen, der fo durchaus offen
und vertrauensvoll feine tiefften Überzeugungen und Her:
zenswuͤnſche vor demfelben ausfpricht — eine folche Pers
föntichkeit ift ein entfchiedener Widerfpruch gegen Genfur
und Praͤventivgedankenpolicei. Solche offene, vertrauene-
volle Anſprache heiſcht nothmendig ein Verhaͤltniß von
GSegenſeitigkeit; wem ih mich fo ruͤckſichtslos mit voller
Seele hingebe, deffen Zunge bin ich nicht gemeint zu fef-
fein. Nein, fo tief wir von der unbedingteften Wahrhaf:
tigkeit jenes Mannes durchdrungen find, der fich zu ſei⸗
nem Volke mit ſolcher Herzensficherheit in ein bis jetzt
nie dageweſenes, edel: geiftreiches Verhaͤltniß geſtellt hat,
fo feft find wir überzeugt, daß die fortdauernde Genfur
von nun an eine moralifche Unmsdalichleit in Preußen,
and alfo auch in Deutfhland, geworden. So gut wie
es mathematifche Conſequenzen gibt, fo gibt es auch mos
ralifche, Die in einem Charakter liegen, nur daß letztere
ih nicht für Jedermann deduckren Laffen.
Aber der Einführung einer freien Preffe flellen fi
jetzt allerdinge bedeutende Schwierigkeiten entgegen, von
denen wie nur zwei anführen wollen. Seit 25 Jahren
M der Beamtengeiſt, der natlrliche Feind aller freien Er»
kterung Über Staatsangelegenheiten, geriffermaßen all:
mädtig gemorden. Auch der entſchiedenſte und geiftreichfte
Wille vermag eine fo eng gefchloffene Phalanx, wie bie
wohleingefchulte Beamtenmafle in Preußen bildet, nur
ſchwer zu durchbrechen. Buchſtabendienſt, militairiſches
GSubordinationsverhaͤltniß, ſodaß die uͤbrigen Unterthanen ale
die Gemeinen, die keinen Willen, ſondern nur ſchweigend
zu gehorchen haben, die untern Beamten gleichſam als die
Unteroffiziere, die wieder weiter nichts zu thun haben, als
den Ordtes ihrer Oberoffiziere, der hoͤhern Staatsbeamten,
zu patiren, ein Mechanismus, der das freie Wort, die
ferie Thaͤtigkeit, die freie Liebe nicht mit in feine Berech⸗
mung aufgenommen bat und diefed Alles als das fünfte
Rad am Wagen betrachtet, das find freilich Elemente, die
ſich mit einer freien Prefie nicht wohl organic vereint:
gen laſſen. Wer längere Jahre in bdiefer Tretmuͤhle von
actenmäßigen Berichterftatten und Befehlen gearbeitet hat,
der verliert allmälig jeden Begriff von einem Staatsleben,
mas nicht allein durch mechaniſch controlirte Angeftellte
geführt wird, fondern an dem fich jeder gebildetere Patriot
nach Maßgabe feiner Kraft aus freier Wahl betheiligt.
Auch der freifinnigfte, geiftreichfte Beamte unterliegt häufig
den Einfluffe, den der gewohnte Geſchaͤftsgang nach und
nad auf feine Auffaffung ' des politifchen Lebens ausübt.
Mit Widerrillen betrachtet er das Einmifchen von Leu:
ten in abdminiftrative und gejeßgeberifche Angelegenheiten,
die nicht eigentlich dazu eraminirt, controlirt und befolder
find. Je mehr Werth er auf die fpeciellen Formen des
Geſchaͤftsganges legt und diefe immer mehr als das Me:
fentlichfte betrachtet, um fo geringer tarirt er jene allge⸗
meinen Wuͤnſche und Anfoderungen, welche einen bedeu⸗
tenden Inhalt der freien Preffe ausmahen. Das Mits
fprehen Anderer in Angelegenheiten, die er einmal für
feine ihm eigenthuͤmlich und ausſchließlich angehörige Ge⸗
fhäftsdomaine hält, betrachtet er als einen Eingriff in
feine Rechte. Je mehr er fi von Morgen bis Abend ats
mühen muß, um bie immermehr anwachfenden Gefchäfte
zu befeitigen, deſto verlegender iſt ihm ein oft oberflaͤch⸗
liches und einfeitiged Raiſonnement. Jede Veränderung,
worauf die Preſſe dringt, ftellt nene Muͤhſal, neue Ars
beit in Ausſicht, waͤhrend er froh iſt, daß er mit feiner
Thaͤtigkeit endlih in ein erträgliches Geis gekommen iſt.
Er, der nur Strenge gegen den Untergebenen, Gehorfam
gegen den bern Eennt, fühlt ſich genict einer Macht ges
genüber, der fich weder ſtricte befehlen noch fricte gehor⸗
hen läßt. Er hat genug an der Controle feiner Borges
fegten ; eine Controle der Öffentlichen Meinung, die außer
dem noch fich geltend machen will, ift ihm natürlich zus
wider. Dazu kommt, daß ihm, der an einfache Anords
nungen gewöhnt tft, das vicle Hinz und Herreden ber
Preffe verwirrt, daß er einen für die Öffentlichkeit paſſen⸗
den Stil in feinen Actenfchreibereien längft verlernt bat
und alfo einem Schriftſteller ſich nicht gewachfen fühlt,
den er nach feiner angewöhnten Lebensanſchauung als eis
nen Untergeordneten betrahten muß. Das Alles macht
ed natürlich, daß die überall verzweigte, bie jegt allmaͤch⸗
tige Beamtenclaſſe ſchon infkinctartig gegen die Einfühs
rung einer freien Preſſe hinwirkt ohme daß man eben
170:
Boͤswilligkeit und bewußte, unlantere Abſicht ihr unterzus
fchieben brauchte. Ihre ganze Entwidelungs : und Bils
dungsgefchichte verträgt ſich einmal nicht mit jenem freiern,
fhönern Volksleben, was der ethifhen Phantafie ihres
Königs unſtreitig vorſchwebt. Sie find eben die sten, Die
feinen Geift verſtehen; was nicht in Form won buchfläb:
lichen Anordnungen und ftricten Bellimmungen auftritt,
geht Über ihren Horizont. Daher kommt es aber aud,
daß jeder Mittelweg, jede nur theilweife Befreiung der
Preffe, jedes allmälige Kortichreiten nad) dem Biele einer
volftändigen Freiheit gänzlich unmöglich, ift. Die Beam
tenclaffe, welche mit der Ausführung diefer mildern Maß:
regeln beauftragt ift, wird ſtets in ruͤckgaͤngiger Weiſe zu
wirken fuhen. Sie wird fich flets an die etwaigen Mes
ftrictionen und Clauſeln halten, die auch das mildefte Gen:
furgefeg enthalten muß. Diefe erfcheinen ihr ale das We⸗
fentliche, dem fie die größtmögliche Ausdehnung zu geben
bemüht fein wird, und auf diefe Welfe wird man nie
vom Flecke kommen. Da einmal das ausführende Per:
fonal vermöge feiner hiftorifhen Entwidelung nicht in die
Tendenz eines allmäligen Übergangs zur vollfländigen
Proffreiheit eingehen kann, fo bleibt nichts übrig, als dem
umgekehrten Weg einzufchlagen,, die Preffe mit einem
Echlage der Adminiftration zu entrüden, das alte Syſtem
gänzlih über den Haufen zu werfen und hinterher je
nach den fich ergebenden Beduͤrfniſſen und Erfahrungen
gefengeberifch gegen die fich ergebenden Misbraͤuche Vor⸗
fehrungen zu treffen.
Ein zweiter Umftond, ber die Einführung der freien
Preſſe zu bedrohen fcheint, liegt in dem gegenwärtigen
Zuftande der Journaliſtik. Es iſt ein häufig ausgeſpro⸗
hener Sag, an deſſen Wahrheit wir auch feſtiglich glaus
ben, daß die Irrthuͤmer der Preffe durch diefe felbft wi⸗
derlegt werden müßten und einzig und allein gründlich be
fliegt werden koͤnnten. Blicken wir aber auf den Zuſtand
unſerer Journaliſtik, wie es feit zwei Jahren, feit den er:
fin Genfurerleichterungen in Preußen und Deutſchland,
ſich bis jegt Eumd gegeben hat, fo fcheint die Wahrheit
dieſes Sapes ſich nicht zu beftätigen. Eigennutz, Unteif:
beit, ja entfchiedene Boͤswilligkeit fcheinen ſich vorzugsmeife
der Tagespreſſe bemächtigt zu haben. Die Auffüge, in
denen fich ein umſichtiges, dankbares Anerkennen des Bes
ftebenden in Staat und Kirche, alle des unendlich viel
Schönen, Sittlihen und Gebildeten, was wir bereitd ers
seicht haben, neben warmen, wohlerwogenen Vorſchlaͤgen
zur Abhuͤlfe wirklicher Mängel, neben tief ſittlichem Drange
nach höherer, gemeinfamer Entwidelung ausfprechen, moͤch⸗
ten bis jegt noch zu zählen fein. Wie leicht Eönnte es
tommen, daß ein hoher Sinn, ein gebildeter Geſchmack
fi) mit Ekel von diefen öffentlichen Ausflüflen des Nas
tionallebens abwendete, die fo wenig feinem Vertrauen ent⸗
fprocyen haben und einen fo ſchlimmen Beweis von der
fittlihen und polttifchen Unwuͤrdigkeit des Volks abzulegen
fcheinen. Alle die zahllofen Roheiten, Taktloſigkeiten, Uns
fütslichleiten dee neueften Tagespreſſe, fie haben bi6 jetzt
wenig genuͤgenden Widerfpruch, wenig fiegesiche Widerles
gung gefunden. Es gehört in des That mehr als eine
augenblidtihe Laune, mehr als ein oberflächlicyes Erperis
mentiten dazu, um nicht fo unerfreulihen, momentanem
Refultaten gegenüber irre zu werden und einen Verſuch
aufzugeben, der. glei anfangs fo ſchlechte Früchte getta⸗
gen hat.
Mir find jeboch der feſten Überzeugung, daß die Preße
erleichterungen, deren wir und jest als erſten Schritt zw
volllommener Freiheit zu erfreuen haben, tiefer begruͤndet
find als in einem vorübergehenden Einfalle. Wir find
überzeugt, dab fie aus tieffter fittlicher Nothwendigkeit eis
ned erhabenen Charaktere ftammen, der, felbft frei, nur
in einem freien Verhaͤltniſſe mit feinem Volke Genuͤge
und Defriebigung finden kann. Auch laſſen ſich Diefe um«
volltommenen erſten Verſuche in dem Gebrauche größerer
Sreiheit gar leicht erkiären. Auch in diefer Beziehung
find die legten 25 Jahre der Sklaverei — in Beziehung
auf die Preſſe kann man fie wol fo nennen, ohne zu
viel zu fagen — nicht ohne nachtheilige Einwirkungen
auf das gegenwaͤrtige Geſchlecht geweſen. Jede Anlage
will Übung, wenn fie ausgebildet werden fol. Die Ans
lage zur Öffentlichkeit unferer politifchen Verhaͤltniſſe fehlt
unferm Volke in jegiger Zeit gewiß nicht; im Gegentheile
die Anlage bat ſich zum leidenfchaftlich = bitten Drange
gefteigert. Aber die Übung — woher follte fie uns im
legten Bierteljahrhundert gekommen fein? Auch bie Preffe
des Engländer hat ihre bewunderungswürdige Haltung,
diefe ausgezeichnete Vereinigung vom derbiten Freimuth
mit Gruͤndlichkeit, Mäfigung und Ehrfurcht vor dem
Heiligen und Sittlichnothwendigen nicht in zwei Jahren
erlangt, Die beften Männer hatten fih feit Jahren bei
und von des Preffe abgewandt, weil fie ihre geiflige Thaͤ⸗
tigkeit, die Frucht ihrer Anſtrengungen und heißeflen Her
zenswünfche nicht dem willkuͤrlichen Gutduͤnken eined Gens
ford preisgeben mochten, der Wohlerwogenes, Scharfdurche
dachtes, Geriffenhaftgeprüftes mit einem bloßen Feder⸗
ſtriche zerflören konnte. Die politiichen Journale und
Zeitungen waren der Zummelplag für ein handwerksmaͤ⸗
ßiges, gewiſſen- und gefinnungslofes Gefindel geworden,
welches aus Mangel an jeglicher Überzeugung - fich jedem
Drude zu fehmiegen mußte. Die Oppofition, ein noth⸗
wendige® Lebenselement im Meiche der Geifler, war gaͤnz⸗
lich unterdrückt. Ein foldyer Zuſtand erzeugt bei dem Uns
terdruͤckten entweder Gleichguͤltigkeit oder Bitterkeit. Kein
Wunder, daß dieſe Bitterkeit und dieſes Mistrauen ſich
zuerſt Luft macht, ſobald es Freiheit bekommt, ſich zu aͤu⸗
ern. Das Beduürfniß nach Oppoſition iſt ſeit Jahren
beim Volke ſo lebhaft geworden, daß man im erſten Au⸗
genblicke jede auch noch fo unbegruͤndete mit Intereſſe
aufnimmt. Vorlaͤufig bekuͤmmert man ſich um den In⸗
halt der Oppoſition noch gar nicht, man will nur Oppo⸗
fition und weiter nichts, und je fchärfer der oppofitionnelle
Charakter fi) ausfpricht, deito willkommener ift er. Die
Oppofition ift etwas fo Seltenes, etwas fo Geſuchtes ges
worden, daß man fie a tout prix mit Sreuben aufnimmt,
um einem langvechaltenen moralifcyen Beduͤrfniſſe Genuͤge
zu thun. Die Herzen der Menſchen find noch verbitteet
und man kann nicht leuguen — dieſe Verbitterung if
11
nstürlih. Auch hier zeigt fich wieder die Wahrheit, daß
in an fich richfiger und moraliſcher Zrieb durch lanye
Unterdrückung zu leidenfchaftlicyer, unmoraliſcher Einfeitig:
keit gefieigert void. Auch iſt zu bedenken, daB die Preſſe
oh nicht frei iſt, noch niche geſetzlich frei, und daß ber
Zuftand der Ungewißheit und Beſorgniß über das emdliche
Sqchickſal dieſer tiefften Herzensangelegenheit von ganz Deutſch⸗
(and uns noch nicht zum befonnenen, wohlerroogenen und
freubigen Gebrauche eines wirklichen Rechtes kommen läßt.
Sind diefe beiden Feinde, der Widerwille des Beam⸗
imftandes im Allgemeinen und die momentane Unwuͤrdig⸗
fit der Preſſe erſt überwunden, dann halten wir den
Proceh der Prebfreipeit in Deutfchland für gewonnen und
ihr Loos für immer gefihert. Offenbar ift jegt ein Eris
tiſcher Augenblick, deſſen gluͤcklichem Ausfalle wir jedoch mit
vollkommenem Vertrauen entgegenſehen.
Wir haben uns bei der Vorrede laͤnger aufgehalten,
old «6 ums bei dem Buche felbit vergoͤnnt fein wird.
Der caffifche Werth deſſelben iſt bereits Jängft anerkannt
und wir freuen uns, daB eine fehe gute Überfegung «6
auch auf deutſchem Boden einbürgert. So viele geiſtreiche
Werke über den unmittelbaren Hergang der franzoͤſiſchen
Revolution auch erfchienen find, fo fehlte doch eigentlich
der Schluͤſſel zum Verſtaͤndniß derfelben, eine klare, gruͤnd⸗
fihe und voliftändige Darlegung derjenigen vechtlichen,
finanziellen, ſittlichen, wligiöfen und literariſchen Zuſtaͤnde
des frangöfifchen Volks, wie fie fid) von Ludwig XIV. an
bis zur Berufung der Reichsſtaͤnde entwidelt hatten.
Diefe wichtige Partie der Geſchichte, auf welcher die ganze
franzoͤſiſche Revolution ruht, ift überall mit auffallender
Kürze und Dberflächlicleit behandelt. Die Phänomene
der Revolution find mit einem Male da, ohne daß man
eine deutliche Einſicht in ihre Entſtehung befommt. Deo
hat das Studium feines Lebens an dieſen unendlid) wich⸗
tigen Theil dee Geſchichte gewendet und hat ein Wert
geliefert, wie nur wenige ähnliche über andere Epochen ber
Geſchichte exiſtiren. Ref. erinnert fih nicht, in langer Zeit
ein Buch gelefen zu haben, was fo viel Nahrung feinem
Geiſte zugeflcher hat. Iſt man mit Leſen des Buchs fertig,
fo fühlt man fidy reicher und eine bedeutende Lüde ausgefüllt.
Was Droz von faft allen franzoͤſiſchen Geſchichtſchrei⸗
dern unterſcheidet, iſt die durchaus gegenſtaͤndliche Behand:
tung feines Stoffe. Keine Spur von jenen fogenannten
geifireichen Meflerionen, die fo wohlfeil find und womit
die Werke eines Michelet, Guizot u. U. leider fo übers
haben find; keine Spur von jenen auf bie Spike getries
benen Pointen, uͤberladenen Schilderungen, nad) einer Lieb:
linzeidee conftruirten Gruppirung und Behandlung ber
Thatſachen, worin man jest leider das Ziel und Muſter
wahrer Seichichtichreibung zu fehen liebt. Gaͤnzliche Hin⸗
gebung an den Gegenſtand, ein voͤlliges Dergefien feines
eigenen Ichs — das ift der feltene, kuͤnſtleriſche Vorzug
des Verf. und eden in dieſem Vergeſſen eines ſelbſtiſchen
Iqhs tritt die tiefſittliche Perſoͤnlichkeit deſſelben mit ihrer
mitden, wahren Anſchauungsweiſe menſchlicher Verhaͤltniſſe
und menſchlichen Lebens nur deſto vollſtaͤndiger hervor.
Man bekommt eine wahre Verehrung für den Mann, der
es fo trefflich verſteht, im Buche dev Geſchichte zu lefem,
und ung felbſt einen fo heilen Blick in dieſelbe verftattet.
Zeichnet fih das Werk vor andern franzöfifhen Werken
durch Aufgeben jenes eiteln Flitterſtaats von Eſprit aus,
womit ſie ſo gern kokettiren, ſo hat es den Vorzug vor
deutſcher Geſchichtſchreibung, daß es ihm an jeglicher
Breite, Pedanterie und unnüger Gelehtſamkeit ebenfalls
fehlt. Man kann mol fagen, daß kein überflüffiger Sag
in dem ganzen Buche ift. Bei tieffter Gelehrſamkeit doc
keine Spur von dem laͤſtigen Apparate, den unfere deuts
[hen Gelehrten fo gern mit fih zu .fchleppen und zur
Schau zu tragen lieben. Es ift das Buch eines
Weltweifen, in deſſen Perfönlichkeit die gluͤcklichſte Mi⸗
[hung zweier ausgezeichneter Nationalitäten ſich durchs
dringt. Wie wiffen es nicht, vermuthen aber, daß Droz
ein Elſaſſer oder Lothringer fei. *) f
3. von Florencourt,
Samilienleben in den Vereinigten Staaten.
(Bortfegung aus Nr. 42.)
Wer ein Volk kennen lernen will, um zu feben, wohin
fein Öffentiiches Leben gehen werbe, muß das Privatleben und
die Erziehung vor Allem ftubiren. Die politifchen Inftitutionen
mögen von ben herrlichſten Grundfägen, den idealſten Anfchauuns
gen und ber vortrefflichſten Tugend Zeugniß geben; alles Dies
ift Schaufpiel und Blendwerk, wenn die häuslichen Grundfäge
und Zugenden eines Volks nit damit im Ginktang ftehen.
In der Union aber hat man zweierlei Wenfchen und zweierlet
Zugend zu unterfcheiden. Die ſuͤdlichen Menfchen find, wie alle
Suͤdlaͤnder, leidenſchaftlich, wollüftig, unkeuſch und treulos.
Dieſes Urtheil iſt hart und eben darum iſt es vielleicht nicht
wahr. Man ſollte ſagen, es ſind mehr Menſchen unter ihnen
als in den noͤrdlichen Staaten, bei denen alle dieſe Untugenden
grell hervortreten und mit der Sklavenhaltung Hand in Hand
gehen. Menſchen, die andere Menſchen als ihr Eigenthum be⸗
trachten, koͤnnen nur im Widerſpruche mit ihrer beſſern Natur
gedacht werden. Sie muͤſſen ſich Vieles erlauben, was weder
Sitte, noch Zucht, noch Religion, noch Ehre billigen moͤgen.
Unſer Feudaladel hat in ſeiner Bluͤtezeit ebenſo ſchauderhaft ſich
an der weißen Haut verſuͤndigt, als die Pflanzer ſich an der
ſchwarzen Haut verſuͤndigen, und Beide haben ſich an ſich ſelbſt
nicht minder vergangen, als Jeder thut, der offenbare, natuͤr⸗
liche —— mit Fuͤßen tritt Damit ſoll indeſſen nicht
geſagt fein, daß die Stände und Staaten, bie gerade ſolchen
Misverhättniffen ihre Eriftenz nicht verdanken, ohne alle grobe
Verfündigungen gegen Sitte, Zucht und Recht befländen. Der
Handelsgeiſt ber nörbliden Staaten der Union ift jedenfalls
nicht minder gewiffenlos als die Sklaverei im üben.
Allein mir wollen bier nicht von befannten Verhaͤltniſſen
reden. Die furchtbare Gewiſſenloſigkeit der Nation gegen ihre
eingegangenen Werbindlichkeiten ift eine moratifche Schandfeite,
die man fich teog Sklaverei und Dandelsgeift gar nicht erklären
fann, wenn man nicht in das Privatleben ſchaut.
Die Erziehung der Jugend ift es vor Allem, was fich als
Prüfftein darbietet. Dan bat gebört, baß es Princip ber ames
titanifchen Erziehung fei, den Kindern nicht bie Freiheit des
Willens zu nehmen. Man zwinge fie nicht zu irgend einer
Meinung; man verwerfe das Syſtem ber Strenge u. ſ. w. Dies
mag gut gedacht fein, allein bie Ausführung iſt nicht minder
klaͤglich als die Ausführung aller negativen Principien.
Treten wir an bie Wiege eines jungen Republikaners. Sel⸗
ten hat man eins Wehfrau; in den arbeitenden Claſſen thut
*) Droz ift in Befancon am 31. Oct. 1773 geboren.
I Deo in Hang ">. Ked.
172
der Vater, ober die naͤchſte Verwandte, ober Rachbarin biefelben
Dienfte. Wobihabendere laffen ben Arzt fommen. Die Frauen,
welche bisweilen in ben Gtäbten als femal physicians das
Geſchaͤft der Hebammen verrichten, verdienen felten Vertrauen.
Gewoͤhnlich befchäftigen fie fih auch mit Darreicken von Arz⸗
neien. Caſtoroͤl ift in ben erſten Stunden nach der Geburt for
wol der Mutter gegeben als auch — wer glaubt ed? — bem
Kinde beigebracht. Dies gefchiebt auch von Arzten und ift all
gemeiner Brauch. Das Kind wird alsbald in ein langes wolles
nes Gewand, das es auf die nadte Haut befommt, gefleibet;
Über diefes zieht man ein noch längeres von Kattun. Das wol⸗
Iene Unterkleid ift ſehr oft bie einzige Windel, weldde ein Kind
erhält; es trocknet ja fo ſchoͤn Alles von der Haut ab. Man
wechfelt täglich, wenn man genug hat. Beſſerer Wohlſtand hat
ebenfalls Windeln für Kinder, wie Servietten beim Effen ; Ars
mere gebrauchen für beide Zwecke ein handkerchief (Schnupf⸗
tu), ober irgend ein Stüd baummwollenes Zeuch, z. B. ein
altes Kieid u. f. w. Man waͤſcht bie Kinder bald kalt, bald
warm, wie es eben bie Anficht der Wutter ift, denn von biefer
allein hängt dergleichen ab. Sobald das Kind getragen wirb,
in den erften Wochen des Lebens, läßt man es figen, und es tft
ſchrecklich ahzufeben, wie bie Hälschen der armen, oft Franken Kin»
der, ohne Stüge, das Köpfchen hin⸗ und herfallen laſſen. Gewidelt
wird nicht; man bebarf auch Feiner Betten ober anderer waͤrmen⸗
der Bedeckungen; das wollene lange Roͤckchen erfegt Alles.
&o geht es durch das erfte Jahr hindurch, bis das Kind lau⸗
fen kann. Es gehört zu den größten Vater: und Mutterfreus
den, das Kind fo lange an der Mutterbruft zu laflen wie
moͤglich; felten unter einem Jahr, meift 15— 18 Monate und
länger wird geftilt. Die fo ſehr reisbar gemachten Mütter
bieten nun beim Entwöhnen Alles auf, dem Kinde bas Leben
zu verfüßen. In den ärmern Glaffen iſt es der Molaſſes (Sys
sup), in ben reichern Familien diefer und jede erdenkliche Art
bes elendeflen, mit allen Arten von Gewürzen und reigenden
Subſtanzen angemachten Zuckerwerks, meiſt in Stengeln Kans
dis oder runden Lozengeskuͤchelchen, beide bunt gefaͤrbt. Das
liebe Kind verlangt nun den ganzen Tag Brot und Molaf:
fes und bat einen Wiberwillen gegen herzhaftere und weniger
fäuernde Speifen. Gewoͤhnlich leiden bie lieben Kinder bald an
Magenſchwaͤche und nun können fie natürlid Fleiſch und Ges
müfe nicht vertragen. Das Brot, welches man bier mit Pot:
afche zum Aufgehen bringt, muß lebigtich aus weißem Weizen:
meh gebaden fein. Braut man ja Brot aus Roggen und
Sndian = Korn: (türkifcher Weizen) Mehl, fo muß Molaffes
daran gemifcht fein; ja kein gefäuertes Brot, das ift ein Greuel!
Sobalb Zanten, Großmutter u. f. w. ausgehen, bringen fie
den Kindern etwas Zuderwert mit, Gandis oder Lozenges.
Werden die Kinder Atter, fu erhalten ſie täglich einige Cents,
um fich ſelbſt dergleichen kaufen zu Fönnen, was fie dann rebs
lich mit allem Gelde thun. Selten ißt dagegen ein Knabe ober
Mädchen dapeim bei Tiſche ordentlich. an fieht daher fehr
viele bleihe und ungefunde Kinder und ebenfo viele, deren Aus
‚gen eine nafchige Lüfternheit und Lift verrathen. Denn die mei:
ften Kinder wiffen ſich aus der Mutter oder der Tante Boͤrſe täglich
etwas Gelb zu verfhaffen, was man für unfdulbige Klugheit
der Kinder hält. Genau weiß jebes Kind bie Zucker- und Mo:
Laffesvorräthe. Mutter bädt bann auch Meine Kuchen, an
‚welche fie bald Ingwer, bald Muskatnuß, oft beides und ans
bere Gewuͤrze miſcht. Jeden Tag kommt dergleichen auf ben
Tiſch, damit doch die Kinder etwas genießen. Das Gewürz
reizt den Appetit und iſt gefund! Nach und nach Eann ein
‚junger Amerifaner nichts effen, was nicht füß und pilant, ober
Scharf und fauer (pickled) iſt. Jede Woche werben dann auch
Dies, Blätterteigkuchen mit Obſt für die ganze Woche gebacken
und täglich welcher gegefien. Sie fehlen auf keinem amerifanis
ſchen Tifche, find felten fehr bdelicat, aber gewiß nie ohne Mus:
katnuß (nutmeg) und bergleihen Gewürze, fett und als nafle
Kuchen jedenfalls nicht Leicht verdauih. Dazu trinft man
zweimal, oft dreimal des Tages Thee oder Kaffee. Das Fleiſch
wird nicht im Überfiuß genoffen, aber meift Halb gar, geröftet
und gewürzt. Wan ift ſchwerlich Hier ſo ˖ viel Fleiſch als im
Deutfihland im Durdfänitt.
So gewöhnt und gewedt tritt das Anäblein in die Wett,
der Genuß iſt ihm das Hoͤchſte. If er einer reichen Familte
Sohn, fo wirb er in ber Regel Dandy, doch nur fo fern ex
in ber Stadt lebt. Gin (oldes Geſchoͤpf kann man fi als
den Abſchaum aller eleganten Ekelhaftigkeit, Faulheit und
Lafterbaftigkeit nicht erfolgreich genug darſtellen. Es find keine
activen Leidenfchaften, bie ihn bewegen, es find negative Paſ⸗
fionen. Francis Grund, noch beffer aber ber unbelannte Berf.
der „Amerilanifchen Genrebilber” in feiner „„Dugaldine’‘, haben
diefe fuͤrchterliche Sorte von Zaugenichtfen befchrieben, die feine
Nation der Erde weiter aufzumelfen bat in biefem Stil ats
die Indianer, unter benen nad ben intereflanten „Rambies‘‘
ber Mrs. Jameſon ganz aͤhnliche Figuren auftreten. Sie
find beider Nationen gang würdig. Palffivität und Negativität
ift ein hoͤchſt hervorſtechender Zug amerilanifcher weißer unb
rother Daut.
Die weniger reichen Familien, oder die verfländigern, ers
ichen ihre Söhne zu einem Gefchäft, bisweilen auch zu Lawyers,
inisters, Physicians. Nur in Reuenglandb hält man zu bies
fen Geſchaͤften eine Schulbildung für noͤthig. Gewoͤhnlich lernt
man bei einem Arzt, Abvocaten ober Pfarrer, was man braucht,
und wird dann durch bie ſelbſtgebildeten Zünfte, z. B. Synode zc.,
zue Ausübung der erlernten Kunft gelaffen. Nur die Ärzte
müffen promoviren und ein Examen machen; doch ift auch hier
kein Staatszwang; wen bad Publicum Vertrauen ſchenkt, ber
kann eben ausüben, was er will. Diefe Kreibeit ift gewiß in
vieler Beziehung ebenfo gut als gefährlich; wenigſtens ſchuͤtzt
bad Sramen in der alten Welt das Publicum nicht vor Gtäm:
pern in allen Bädern. Die praßtifche Gelehrſamkeit fteht im
Buche des Lebens unb der Erfahrung, nicht in Buͤchern; doch
ift es gewiß nöthig, daß ein Praktiker cinen geübten Verſtand
babe, und das gibt in Guropa, und bier wieder, befonders in
Deutfchland, die Schule.
Das Knäblein geht nun raſch durch ein Geſchaͤft; in zwei,
drei Jahren wachfen ihm die Fluͤgel; er fängt an zu fpeculiren,
seht nach dem Yankee sAusbrude „a head’, wird oft fchnell
„rei, fragt aber auch nicht darnach, ob er banfrott wird.
Wie wäre es fonft möglich, daß unter 17,000,000 Einwohnern
durch das neue Bankrottgefes 5000 Bankrotteur mit circa
50 Mill. Sapital von ber Verbindlichkeit, zu zablen, hätten be-
. freit werben koͤnnen! Und wie hoͤchſt ehrlos ift die große Maſſe
biefer Bankrotte!
(Der Beſclus folgt.)
Literarifhe Notiz.
In ber „Histoire des institutions merovingiennes et du
gouvernement des Merovingiens‘‘, von Lehutron, erhalten wir
ein Werk, das neben ber bekannten Schrift von Aug. Thierry
(„Recits merovingiens") mit Nugen gebraudgt werden Tann.
Lehutron gibt nicht nur eine gute überſicht über ben Gang ber
Sreignifle, fonbern dringt wirklich in ben Geiſt ber Zeit, die er
behandelt, tief ein. Der Berf. unterfucht zuerft bie politifchen
Berhältniffe der Römer mit den germanifchen Völkern. Radhs
bem er biefe Gefchichte in allgemeinen Zügen gezeichnet hat,
faßt er die Franken näher ind Auge. Gr behandelt ben Urs
fprung biefes Volks und verfolgt dann die Geſchichte der Kriege
diefee Stammes gegen bas alterſchwache Kaiferreih. Beſonders
beachtenswerth ift der Abfchnitt, welcher ben Sturz Roms bebanbelt,
das erft die Welt erobert, um zu berrfchen, dann feine Grobe
rungen immer weiter ausbehnt, um fich zu erhalten, damm alle
Mühe hat, aufrecht zu bleiben, und endlidh in Trümmer fint.
Die eigentliche Geſchichte beginnt ber Verf. mit ber Anftedelung
der Franken in Gallien. Gein Werk empfiehlt ſich durch eine
gute, lebendige Darftellung. 2.
Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brodbaus in Leipzig.
Blätter
literariſche
Montag,
— Nr 44 —
für
Unterhaltung.
13. Sebruar 1843.
Politiſche Gefchichte Deutſchlands unter der Regierung
der Kaifer Heinih V. und Lothar I. Bon
Eduard Gervais. Leipzig, Brodhaus. 1841—
42. Gr. 8. 4 Zhlr. 15 Nor.
Daß der Charakter der hifkorifhen Stubim und bie
aus denfelben abgeleiteren Urtheile über Ereigniffe, Men:
(hen und Zuſtaͤnde von der allgemeinen Geiftesrichtung
der Zeit abhängig find, das unterliegt keinem Zweifel.
Wir brauden zu dieſem Zwede unſere Blide nicht erſt
nah Frankreich oder England zu richten, wo men aller:
dings gewiſſe Zeitfragen und politifche Beſtrebungen auf
den Gang wiffenfhaftlicher Thätigkeit und auf den Ehe:
rakter ihrer Erzeugniſſe fehr ſtark einwirken zu fehen ges
wohnt it — der Hauptfache nach hat dies feinen Grund
-in der Publicitaͤt diefer Staaten und in der Einheit ih:
rer fcharf ausgeprägten Nationalität — ; auch unfer deut⸗
ſches Vaterland läßt eine Beweisfuͤhrung für die obige
Behauptung zu. Wir müffen jedoch auf die Lebens:
"quelle zuruͤckgehen, aus welcher der Geiſt des neuern
Deutfchlande hberhaupt feine Bildungselemente zu ziehen
beflimmt geweſen if. Die Reformation, die aus einer
kirchlichen Reaction gegen bie Hierarchie und deren Dogs
men, nach ihrem Durdgange durch die potitifchen Phafen,
zu einer allgemeinen Geiflesregeneration fich erweitert
hat, führte, von feindfefigee Stimmung geleitet und nad)
and nach bis zur Erbitterung gereizt, ſchon frühzeitig
einen beinahe vökfgen Bruch mit dem Mittelalter herbei.
Die Jugend der geiftigen Freiheit fah in dem zu Ende
gegangenen Mittelalter nur Finſterniß, Knechtſchaft und Bar:
barenthum, eine Erfcheinung, an weicher Die Unwifſenheit
zugleich einen nit unbedeutenden Anthell hatte. Die
desporifche Gebietetin, die Kirche, ber man fidy foeben
entzegen hatte, galt für bie Mepräfentantin bes ganzen
Mittelalters; und indem man fie verwarf und nicht ohne
Leidenſchaftlichkeit behandelte, traf gleihe Misachtung das
Geſammtleben jener Zeiten. Die biftortfchen Studien,
ſoweit fie NRegfamkeit zeigten, wurden vorzugeweife auf
die Bekaͤmpfung der alten Kirche verwendet; und felbft
die Biographien einzelner Zeitgenoffen halten lediglich den
dogmatiſch⸗ Pirchlichen Standpunkt fell. Wenn nun aber
auch einige deutfchgefinnte Diänner, wie Geltes, Peutin:
ger, Martin Frecht, Melanchthon ſich mit der Deraus:
gabe deutfcher Geſchichtsquellen bereite beſchaͤftigten, ja,
der Kaiſer Marimilion I. fogar den Gedanken an eine
Mationalgefchichte bei ſich herumtrug: fo blieben biefe doch
ohne allgemeine Beachtung oder anregenden Einfluß.
Übrigens dienten dergleichen Sammlungen mehr zum Ers
fag damals beinahe gänzlid) mangelnder Geſchichtslehr⸗
bisher als zur Anregung gefchichtliher Forſchungen und
gelehrter Aufklaͤtung über die deutſche Vorzeit. Zwar
ſah die zweite Haͤlfte des 16. und der Anfang des 17.
Jahrhunderts einige Quellenſammlungen oder Ausgaben
alter Chroniften ans Licht treten, aber die kirchlichen
Wirren und der geifterftarrende Despotisums der Theo⸗
logie ließen keine weſentlichen Fortfchritte zu, und was im
Ausſicht geſtellt war, unterblieb natuͤrlich burch die geiftige
und materielle Lähmung, welche der Dreißigjährige Krieg
für den deutfchen Staatskoͤrper zur Folge hatte. Ohne
den Eintritt dieſer jammervollen Zeit würde mehr als
ein Canifius und Hortleder in der hiſtoriſchen Literatur
des beginnenden 17. Jahrhunderts anzutreffen fein. Allein
bie Surchtbarkeit eines Kampfes, defien Beflimmung es
war, die legten Eebensfäden, die aus dem Mittelalter ins
deutſche Volk herüberreichten, gewaltfam zu zerreißen, er:
ftidte jeden Gedanken an eine ernfle und fruchtbringenbe
Beſchaͤftigung mit der Wergangenheit. Doc, behielten
einige Männer noch Muth und Befonnenheit genug, um
die merkwärdigen Ereigniffe ihrer Zeit zu beobachten, nieder⸗
zuſchreiben und der Nachwelt zu uͤberliefern. Denn
kaum naͤherte ſich das große Drama ſeinem Ende, als
die Anfänge von Klevenhuͤller's Annales Ferdinandei“
und von Abelin’® ‚‚Theatrum Europaeum’ erſchtenen;
auch Bogisſlav von Chemnig und Leonardus Pappus
ſchrieben gleichzeitig über daſſelbe hiſtoriſche Thema. Erſt
nach dem Weſtfaͤliſchen Frieden wurden die Deutſchen all⸗
maͤlig auf ausgebreitetere Gefchichtöftudien gelenkt: theils
gaben die politiſchen Fragen, weiche die Verhandlungen
über den Frieden und die Ausführung deſſelben anregten,
Veranlaffung dazu, theils ließ die eingetretene Waffen⸗
ruhe die Muſe der Sefchichte im Laufe der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts wieder zus Befinnung kommen.
Doch fchrieb erſt 1795 Pütter einen, Geiſt des Weſtfaͤli⸗
ſchen Friedens“ und Woltmann gar erſt 1808 eine
gute Geſchichte deſſelben, nachdem allerdings Tobias Pfan⸗
ner mit feiner „Historia pacis Westpbalicae” 1697 und
Meieen mit dem Werke „Meftfälifche Friedendunter⸗
handiungen” 1734 bereitd vorangegangen waren.
194 .
Allein bie politifchen Fragen und Exeigniffe bewegen ſich
feit der Beendigung jener dreißigiährigen Katafttophe immer
mehr und mehr nur auf meltlichem Grund und Boden, die
kirchlichen Intereſſen treten zuruͤck. Deutfchland wird
abtr immer häufiger durch ‚auswärtige Mächte und ver:
möge der pofitifchen Richtung einiger deutſchen Fuͤrſten
dee Schauplag kriegeriſcher Begebenheiten, die Theilnahme
an ben Öffentlichen Ereigniffen und Zufländen waͤchſt mit
der allgemeinen Volksbildung; es regt fich ein gemifler
Sinn für Publicttät feibft bis zu dem an Wohlhaben⸗
heit gewinnenden Buͤrgerſtande herab, während der. Par:
ticularismus ber deutſchen Staaten und Reichsſtaͤnde
immer bedenklicher uͤberhand nimmt; doch faͤngt bereits
Brandenburg an politiſch und geiſtig eine Rolle zu ſpie⸗
len: die hifterifchen Arbeiten verfchiedener Art vervielfäl:
tigen fi nambaft feit dem Anfange des 18. Jahrhun⸗
derts. Aber die biftoriichen Studien find im Geiſte der
Zeit aus den Händen der Theologen mehr in die der
Juriſten und einzelner Staatsmänner übergegangen; nur
Lelbnig war Philofopb. Daher die vielen auf das frü:
here und fpAtere Mittelalter ſich begiehenden Rechts: und
Geſetzſammlungen, welche die biftorifche Literatur jener
Zeit aufzumeilen bat. Die Verbindung mit dem Mittel:
alter hatte man wieder angelnüpft, ohne indeß in ihm
etwas Größeres als eine reiche Fundgrube gelehrter For:
dungen anzuerkennen. Der Sammierfleif war aber
größer als die Schärfe der Kritik, wie denn Überhaupt
dee Mangel an Kritik die Wiſſenſchaft jenes. Zeitalters
druͤckt. Es fehlte nody an bem befondern Stande gelehr:
ter Hiſtoriker; erft die zweite Hälfte bes 18. Jahrhun⸗
derts fchuf eine eigentliche hiſtoriſche Wiſſenſchaft: Fran:
zofen und Engländer dienten zum Muſter. Indeß ſchon
Mason hatte mit feinem Werke „Commentarii de rebus
Imperii Romano - Germanici” (3 Bde., 4., Leipzig 1748)
einen ſehr ruͤhmlichen Verſuch gemacht, der allerdings
ziemlich lange unnachgeahmt und nod, länger unerreicht
blieb, zu zeigen, wie etwa eine deutfche Gefchichte nach
Quellen gefchrieben werden muͤſſe. Und noch jest lieſt
man das Werk diefes Mannes nicht ohne Vergnügen —
wir haben uns noch juͤngſt daffelbe bereitet —, wäre es
auch nur der leichten und gefälligen, bier und da wirk⸗
tich claffifchen Zatinität wegen, die ihn vor feinen Zeit
genoffen auszeichnet. Allein ber Particulariömus, ber
politifh fo unheilvoll für Deutſchland war, hatte, wie in
mancher andern geiftigen Beziehung, aud gute Folgen
für feine Geſchichtſchreibung. Moͤſer's„Osnabruͤckiſche
Geſchichte und Muͤller's „Schweizergeſchichte“ gaben ber
Eeforſchung deutſcher Geſchichten und der hiſteriſchen
Kunſt Überhaupt ſowol ruͤckſichtlich der Quellenbenugung
als der Darſtellung einen Anſtoß, deſſen Kraft nie wie⸗
der zu wirken aufhoͤrte. Die hiſtoriſche Literatur der
Dentſchen hatte duch dieſe beiden Werke Originale
erhalten, welche unſere Hiſtoriker von der Nachah⸗
mung ber Ausländer ablenkten. Daß dem geiſtvol⸗
len Spittler auch ein bedeutender Antheil an diefem
BVerbienfte gebührt, wird Niemand in Abrede flellen, der
feine Speciaigefhihten von Würtemberg und Danover
genauer kennt. Sa, felbft bie franzoͤſiſche Herrſchaft
brachte bie deutfhe Geſchichtsmuſe nicht völlig zum
Schweigen unb mehr als ein biftorifches Werk aus diefer
Periode hat fig bis jegt noch in Ehren zu halten gewußt.
Aber wahrhaft reformatorifdy und befebend wirkte
auf deutſche Geſchichtſchteibung die polltifche Stimmung,
in welcher ſich unfer Volk unmittelbar nad) dem Befreiungs=
friege fand: die Erinnerung an die gemeinfchaftlich uͤberſtan⸗
bene Gefahr erzeugte das Gefühl der Einheit; der Deutfcye
hatte wieder ein gemeinfames Vaterland. Der Wunſch
einer deutſchen Nationalgeſchichte ſprach fich jetzt aus
und das Beduͤrfniß einer allgemeinen, aber kritiſch revi⸗
dirten Quellenfammlung ward immer fühlbarr. Men=
zei, Pfiſter und Luden fuchten dem Erftern zu genügen,
und Perg ging mit Präftiger und meifterhafter Hand
(1826), von tuͤchtigen Mitarbeitern unterftüst, an die
Befriedigung bes Letztern. Diefe biftorifchen Studien
mußten nothwendig mehr als je wiederum auf das Mit:
telalter führen, um fo mehr, ba fih in unfem Vater:
ande eine politifche Goterie gebildet hatte, die im deut:
(hen Volksleben diefer Zeit ein überfchwenglihes Maß
von Kraft und Gluͤckſeligkeit zu finden vermeinte. Die
Beſonnenheit behielt aber die Oberhand und dieſe fand
Solgendes: das Mittelalter fah viele ausgezeichnete Män-
ner; find fie bereits alle nach Verdienſt gewürdigt? Keil:
neswegs. Das Mittelalter hat ſich eine Literatur ber
Philoſophie, der Poefie, der kirchlichen, ja fogar der po-
litiſchen Polemik gefchaffen; haben wir bereits eine auch
nur mittelmäßige Kenntniß von dieſen wiſſenſchaftlichen
Erfheinungen? Durchaus nit. Die zweite Hälfte des
Mittelalters entwidelte in feinem Städtewefen eine ſolche
Kraft und Originalität, daß ſchon ein flüchtiger Blick in
diefe Verhaͤltniſſe Staunen zu erregen im Stande ift;
find wir bereit6 buch Urkundenfammlungen und or:
ſchungen in benfelben mit unferer Kenntniß fo weit ge:
diehen, wenn auch Sartorius mit feiner „Geſchichte ber
Hanſa“ vorausgegangen ift, daß wir ein vollguͤltiges und
gerechte Urtheil über jene Verhaͤltniſſe abzugeben uns
für befugt und befähigt erachten dürfen? Mit nichten.
Das Mittelalter, reicher an Ideen und Gefühlen als
an Gedanken, vermochte eine Baukunſt ins Leben zu
rufen, deren Denkmäler wahrhaft demüthigend auf une
wirken, wenn wir die Schöpfungen einer Zeit betrachten,
wo wir uns felbft verachteten und mit bem Flitterprunk
bes ausländifhen Geſchmacks liebäugelten; find wir fchon
in den Geift und in die Ideen eines Zeitalters völlig
eingedrungen, das die herrlichen Dome erbaute und fie
trog three Schwere wie beflügelt zum Himmel empor:
fteigen ließ? Wahrhaftig nicht. in Zeitalter aber, das
folde Aufgaben und tagen an den benfenden Hiſtoriker
fiellen darf, kann unmöglich feinem innern Gehalt nach ein
barbarifches fein. Und man wird gewiß etwas mehr als
blos ein ſchoͤnes Bild in den Worten Friedrich v. Schle⸗
gel's finden müflen: „War das Mittelalter eine Nacht, fo
war e® eine fternhele Naht.
(Der Beikluß folgt.) .
Samilienleben in ben Vereinigten Staaten.
(Eeſchluß aus Nr. 48.)
Kehren wir zur Erziehung zuruͤck, fo fehen wir, daß Alles
auf Ehrgeiz und Rivalität begründet wird. In den Schulen
verwirft man die Strafen, die man in Deutfchland und Eng:
land verhängt; allein man knoͤcht durch Erweckung des Ehr⸗
geizes aufs Außerfte — Schüler und Zitern. Jedes Mittel ift
dabei gebraucht und jedes gilt für gut: Medaillen, Preisvers
tbeilung, Öffentliche Sramen, öffentliche Belobungen und Zabel.
Au die häusliche Erziehung geht diefen Weg. Der Amerikas
ner lobt feine Kinder gern in ihr Geficht hinein und ſtellt fie
as Beifpiel auf. Er vertritt fie felbft gegen Lehrer und Er⸗
jeher außer bem Haufe und die natürliche Kolge ift, daß dieſe
jeben Altern weismacden, daß ihre Kinder die vorzüglichften in
Aufführung, Antagen und Fortfchritten in der ganzen Schule
find. Lehrer, die rechtfchaffen und felofländig genug find, einen
befiern Weg einzufchtagen, haben oft fchwere Prüfungen zu be
ſtehen und verlieren häufig allen bisher genoffenen Gredit.
Alle diefe Vorgänge find fo allgemein, daß fich mit vieler
Beſtimmtheit fagen läßt, fie feien charakteriſtiſch. Daneben ift
fetbft in den neuenglifyen Staaten das Unterrichtömelen, wenn
auch ein wirkliches Volksſchulenſyſtem beftcht, noch weit hinter
dem Unterrichtswefen in Deutſchland zurück. Man hat durch:
aus feinen andern Weg als den, beftimmte Zectionen aus ges
wiffen Lehrbuͤchern mit ben unter den Lehrſaͤten ſtehenden Fra⸗
gen und Antworten auswendig lernen zu laffen. Gin Ent:
wideln, eine Erwedung zum Selbſtdenken dürfte man vergeblich
in diefen Schuten ſuchen. Selbſt die beffern höhern Lehranſtal⸗
ten leiden an diefer Unvollkommenheit.
Die phyſiſche Erziehung, von welcher wir oben den alis
mentarifdgen Theil beruͤhrten, hat aber noch andere Gedrechen.
Statt die Haut zu verweichlichen in einem Klima, wo felten drei
Tage lang biefelbe Temperatur berrfcht, wo im hohen Sommer
das Fahrenheit'ſche Thermometer (bier allgemein im Gebraudy,
wie in Deutfdland das Reaumur’fdye) von 100 Grad auf 50
in wenigen Stunden herabfällt, follte man vernünftigerweife
Alles aufbieten, die Haut zu Eräftigen, um diefen Wechfeln
trogen zu Zönnen. Statt deffen hüllt man von Jugend auf die
Kinder in Flanell; Kleine Kinder fiebt man felbft im Sommer
felten ohne eine ſehr warme, tief über die Obren gehende Kopf⸗
bedeckung und lange Mäntel auf bem Arm der Kindermaͤdchen.
Jede Luft Hält man von ihnen ab und meift müffen fie ſich in
der Stube aufhalten. Alles ift darauf berechnet, die Kinder zu
verweichlichen. Zwar flieht man viele im Sommer und Winter
fielen, ſobald fie größer geworden find; der natürliche Thaͤtig⸗
feitstrieb verlangt Opielraum; allein ebenfo viele und mehr
fieht man, die bereite tm fiebenten Jahre gemachte Maͤnnerchen
fnd, und befonders verftehen fich die weiblichen Kinder fruͤhzei⸗
fig auf Putz und Zoilette. Sie find noch mehr auf die Stube
gewiefen und fehen bier frühzeitig die Thorheiten ben Erwachſe⸗
nen ab. Bei dem Borrechte, welches die Frauen und Töchter
in einer Zamilie genießen, haben fie auf jede Rachſicht zu rech⸗
nen, und Alles vereinigt fidh, fie zu verzaͤrteln und zu verweich⸗
\ihen. Die wichtige Entwidelung des Muskelſyſtems fehlt hier
vollig und befonders diefem Mangel darf man das frühe Ver:
bläben der Mädchen und fchnelle Altern der Frauen zufchreiben.
Sine Menge haͤuslicher Einrichtungen und Gewohnheiten fleuern
zur Ungefundheit bei. Man liebt die Kamine in den Stuben,
bon deren Feuer die vordere Körperfeite geröftet wird, während
die Kintere durch den Zug, die die Kamine im Zimmer bewir-
ten, ertältet voird. Died mit fehr leichter, moderner Kleidung
und jenem Mangel an Muskelenergie erzeugt Rheumatismus
und trägt ficherlich fehr viel zu der fehr verbreiteten phthiſiſchen
Dispofition der Frauen bei. Das Tabackkauen⸗ und «Rauchen,
welches ſchon die Knaben beginnen, nebft dem Zucker⸗ und Mo⸗
Inffeseflen, den Gewürgen und teizenden GSpeifen, dem Ühee:
und Kaffeetrinlen u. f. w. aller Alter und Gefchiechter, erzeugt
eine andere bier allgemeine Krankheit, die man Dyspepſie nennt,
175
jedoch meiſt eine Berfiimmung ber Nerven bes Wagens und
Epigaſtriums iſt.
Moͤgen dieſe Zuͤge grell ſein, gewiß iſt, daß eine große
Anjafl tüchtiger Altern und befonders liebevoller Mütter bie
Drängel amerikaniſcher phyſiſcher und ſittlicher Erziehung erfens
nen und fich ſehr nach etwas Beſſern fehnen. Die Schwierig:
feit ift und bleibt, es berbeisufchaffen. Der Amerikaner bat
feine Richtung zur Gründiichleit; er kann es nicht aushalten,
fletig und ficher auf lange Jahre hinaus ein Biel zu verfolgen.
Als muß raſch geftaltet, rafch errungen werben. Schnell muß
Alles zu Gelbe gemacht und das Kapital in Umlauf geſetzt wer⸗
* ai laͤßt Leine Wielfeitigkeit zus es bedingt die Ein⸗
eitigkeit.
Überlegt man dieſes Alles wohl, fo ſteht es kaum zu er-
warten, daß die Sittiidhfeit der Nation im Glieichgewichte bleis
ben könne Dan fühlt — bie Beſſern fühlen ale — daß bie
Breiheit ohne wahre Ehre und Sittiichkeit nicht erhalten were
ben Eönne, und erflaunen wird der Deutfche mehr und mehr,
wenn er hört, baß gerade aus biefem Grunde täglich mehr bie
Achtung und Richtung gegen deutſche Literatur und beutfches
Leben ſich vermehrt. Zwar hält man bie rechte Anerkennung mit
verzeihlichem Stolze zurüd, fo viel es fi thun läßt, allein
man birgt fidy auch nicht, daß, ohne das Beſſere des deutfchen
Lebens in ſich aufzunehmen, das Beffere bier nicht fortgedeihen
tönne. Biele aber fprechen es auch klar aus, daß die Nation
ihrem fitttichen Verderben entgegeneile, wenn fie die Baſen
der Zugenderziefung, auf welchen man bisher fortging, fefthalte.
Eine weichlie Nation kann keine fittliche fein.
Sieht man aber, was gerade die Geldleute in Amerika für
Schande über die Nation gebracht haben, und weiß, daß fie
befonders auf den Baſen erzogen worden find, beren Charakter
bier angedeutet werben fellte, fo begreift man leicht, wie bie
fogenannte Partei der Whigs fich die Macht nicht erhalten kann.
Der Demokratiömus bat immer näher zur Wahrheit, ſelbſt
wenn er fidh von ihr verirrt hat, als der amerilanifche Whig⸗
ismus; denn bdiefer ift ein geldariftofratifcher Egoismus. Set
egreift es fidh, daB eine Mehrheit mit ausfchließtichen Prins
cipien eine große Menge ſehr gemäßigter Männer einfließen
müffe, bie am Ende fi ſelbſt doch nicht fo Lieb haben, um
bad Ganze darımter leiden zu laffen. Die gegenwärtigen Wah⸗
ien bethätigen dies, die Whigs verlieren aller Orten, in allen
Staaten die Mehrheit wieder; eine Menge Whigs flimmen gar
nit, weit fie die übertriebenen Anfprüche ihrer Partei nicht
theilen. Henry Clay, der große Staatsmann, verliert als
Haupt ber Ultrawpigs täglich mehr Grund, und wenn nicht be
fondere Wechſelfaͤlle eintreten, fo bat er Leine Ausficht, fein
tängft erfehntes Biel, den Präfidentenftuhl, zu erreichen.
Noch möchte man hinzufügen, daß die Maffen des Wolke,
je mehr weftlid von ber Küfte, eine derbere, gefünbere, kraͤf⸗
tigere Race find. Allein der gemeinfame Typus amerikanifchen
Lebens gebt von ben öftlihen Staaten aus und mehr und mehr
bringt er mit der Entwidelung der natürlichen Reichthuͤmer
daffeibe Refuttat — Verweichlichung. Man will bemerkt haben,
daß der Deutfche, ſelbſt in den oͤſtiichen Staaten, fich ſtets et⸗
was von diefer Richtung fern gehalten habe, und füchtige Ken⸗
ner der Nation haben — wenn auch ohne Beifall zu finden —
beftimmt ausgefprochen, baß einft von ber deutſchen Bevölkerung
das Heil der Nation abhängen werde. Die Deutfchen haben
meift eine ftabile, conferostive, rubige demokratiſche Haltung.
Zu bebauern ift, daß fie, wie z. B. in Pennfolvanten und im
Neuyorkſtaat, weit in der Gultur zurüdbleiben und nur auf
Berbeflerung ihrer fchönen Grundftücde denken; doch auch dies
wird feine Zeit haben, fo gut wie im Altenburgifchen und in
andern deutſchen Bauen, wo reiche freie Baucen leben.
Die ganze Ration ift wohlhabend, ja fie fhwelgt im über⸗
fiuß. Geringe Steuern, hohe Arheitsiöhne, Arbeit genug, reiche
Kaufleute, Gelb genug an ben Küften; im Innern üppige
Ernten und im Ganzen hohe Preife für die Erzeugniffe, die
ohne große Müße dem ergiebigen Boden entfprießen, Wohlfeil:
136
heit bed GSrund und Bodens im Anlauf, fobaß er leicht um
500 — 1000 Procent innerhalb zehn Jahren an the
waͤchſt, unerſchoͤpfliche natürliche Keichthuͤmer und Hülfsquellen,
Handei aller Art und leichte Ruͤhrigkeit druͤcken bem Volke einen
Sharakter auf, den man als Deutſcher ſchwer faflen Tann.
@s ift Alles leichte Bewegung, raſcher Gedanke, raſche That.
eift und Faulheit fehlen nicht, NReligiöfe Wigoterie bier und
bodenlofe Immoralität ober Gewiſſenloſigkeit dort zu zeigen,
verfteht der Amerikaner vortrefflich. Ich will nicht ‚Tagen, daß
eine Nationalverabredung dieſe Gewiſſenloſigkeit fügte; allein
die Bigotetie wird von ihr geſchuͤgt, und es hat noch keine
Ration in der Geſchichte figurirt, weiche bigot und tugendhaft
gleich geweſen wäre. Wie der Sklavenhalter fireng auf bie
—* des Sonntags haͤlt und den Prieſter zum Heiligen
beſtellt, ſobald er ihn zum Prieſter erwaͤhlt hat; wie er dann
wieder ſeine eigenen, mit Sklavinnen erzeugten Kinder zur
Sklaverei erniedrigt, aus Gewinnſucht und weil es in der Bibel
ſo ſteht; wie er Geſchwiſter und Verwandte verkauft; wie er
den erſten Gefühlen chriſtlicher Humanitaͤt Hohn ſpricht: fo hat
die ganze Nation einen Zug, die politifcye Kreipeit und die Ges
wiffensfreibeit mit Rechtlofigkeit und Gewiſſensleerheit zu ver:
mengen. Nur wahre, weit verbreitete Intelligenz fann einft
daraus erloͤſen. Das Unglüd hier aber ift, daß der Amerika:
ner feine Nation für die erleuchtetfte der (Erde Hält, und baf
er feine ſchoͤnen potitifchen und rechtlichen Inftitutionen, welche
die Vaͤter ihm überlieferten, mit der Selbſtgefaͤlligkeit betrach⸗
tet, als babe er fie erfunden, während fie doch, bei Lichte ber
trachtet, nichts als ein Abglany und Fortgang europäifchen Le:
bens find. Oft fälle mir dabei ein, wie ähnlich biefer Hoch⸗
muth dem fpanifchen ift. Die Leerheit biefiger Erziehung führt
dahin, daß Jeder einige. veligidfe oder politiſche Principien ſich
aneignet, nach benen er ſich einer ber unzähligen Kirchen, oder
feiner, oder einer neuen Sekte ebenfo anſchließt, wie einer po:
Ktifchen Partei. Nichts iſt verdaut, nichts im Zufammenhange
mit der Moral oder chriftiichen Religion erwogen. Gelbft die
Bibel reicht nicht zu, wenn der Yankee fein Ehriftenthum dos
cirt; gegen ihn iſt Chriſtus ein fimpler religiöfer Schwärmer,
denn er hatte, glaubt er — mie Goethe! — nicht das Princip
politifcher Zreiheit. In Amerika ift das Chriſtenthum eigentlich
erſt verwirkticht, ober es ift etwas daraus geworben!
Diefen Unfinn will ich ebenfo binwerfen, wie er mir in
den Maffen entgegentritt. Es gibt fehr gebildete Menſchen bier,
fie find aber doch noch mehr Ausnahmen als bei uns. Wenn
in jedem Dorfe bei uns wenigftens ein Mann, oft zwei find,
die etwas Tuͤchtiges gelernt haben, wenn Schule und Kirche
bei uns Hand in Hand gehen und nur das Recht fich kalt iſo⸗
lirend gegen fie ſtellen ſcheint, weil es nicht frei ift und
weil mit feiner Sürfe keine perſoͤnliche Kreiheit eriftirt, fo be:
herrſcht hier die perföntiche Freiheit Kirche, Schule und Recht
und das Leben flellt uns bei der Leichtigkeit des Willens eine
ſehr wandelbare, in ewiger Sermentation begriffene, aber auch
in jeder Zermentation geftörte Maſſe dar, bie, fo lange fie nicht
an ber Feſtigkeit Europas fich den Kopf einftößt, eben überall
ſprudelt und fiedet, ohne etwas ‚Rechtes auszukochen. Die Ele:
mente aber find dennoch Eräftig. Wenn man inmitten diefer
Gaͤhrung einen Mann wie Daniel Webfter ſich erbeben und feis
ner ganzen Nation die Wahrheit fagen, feiner mächtigen Partei,
der jetzt herrſchenden Wpigpartei, deren Fuͤhrer er war, unter
die Augen treten fiebt und fagen hört, daß nur uneigennügige
Baterlandsliebe, nicht Parteiintexreffe ibn leite, daß er jedem
Manne von: jeber Partei mit denfelben Geſinnungen die Hand
zeichen werbe, daß die. Einficht in bie Vortheile bes Ganzen
die Folge großen Nachdenkens und Iebenslänglidher Stubien
fein — wenn, fage ih, ein fo Eräftiger kuͤhner Dann an
feinen Bufen und an ben ber Nation Tchlägt und Alles ſich
ruhig umgeftaltet und zur Vernunft und Gewiffenhaftigkeit zus
ruͤczukehren trachtet, dann kann man bie Bildungsmittel ber
Nation wieder nicht nach dem gemeinen deutſchen Maßſtab bes
rechnen. les hier lebt und webt in ber Öffentlichkeit
gibt dem Ganzen Leben, raſchen Umſchwung und ſtete
gung. Man trachtet fo zu leben und zu handeln, daß man
bie Öffenttichkeit. nicht zu ſcheuen hat, und eben biefe Öffents
lichkeit ift wieber Richterin über Gefinnungen und Thaten. Dies
bat einen magiſchen eig, und wer bier einige Jahre gelebt
bat, wird deutſches politifches und amtliches Leben ebenfo klein⸗
tich, geheimnißpoll und unheimlich finden, ald er es auf ber ans
bern Seite reich an Wiffen und Sitte findet. Gin Deutſcher,
den ich kuͤrzlich in Neuyork traf und der 17 Jahre in der Union
lebt, aber eine flete Sehnſucht nach der Heimat hat, reifte mie
einem anſehnlichen Vermögen feit zehn Jahren dreimal nach
Deutfchland, um bort zu teben, allein es war ihm unmoͤglich,
zu bleiben. Als ich ibn fragte, warum, antwortete er mir:
„Wenn id brüben die geheime Öffenttichkeit und öffentliche Ber
beimnißthuerei fo eine Weite mit anfehe, wird mir immer ganz
zo und ich bin nicht eher wieder rubig, bis ich bier bin.
Ich Liebe Deutfchland und deutſche Menſchen, aber ih liebe
nicht die Formen, in denen fie leben; fie find fo unnatürlid,
und ich fühle immer, als 0b ich darin etwas (Entehrendes fände,
wenn man ben freien Menſchen fo wie ein ungeratbenes Kind
oder einen Spigbuben behandelt und bewacht.“ Dies ift gewiß
nicht ganz unrichtig gefühlt und Maffen beutfcher Sinwanderer
treibt diefes Gefühl aus ihrer Heimat, wie Jedermann weiß.
Betrachtet man dagegen das gemüthliche gefellige Leben, fo
möchte dies in feinem Lande der Welt fo ſchoͤn fein als in
Deutſchland, und bier vieleicht am mwenigften ſchoͤn. Auch dies
trägt bier dazu bei, die fittlichen Standpunkte zu verrüden.
Man hat nur politifche und religiöfe Gefellichaften und Zuſam⸗
mentünfte; dieſe finden in Maſſe flatt. Die übrigen gefells
ſchaftlichen Beruͤhrungen find ceremonids, kurz und kalt, oft
wortarm. Darin liegt der Jammer für die Deutfchen, bie mit⸗
ten unter Amerikanern ſich anfiebeln. Daber ziehen fich ftets
mehr und mehr deutfche Anſiedler dahin, wo fie fich phyſiſch
wohlbefinden, und wir feben, daB an foldhen Stellen und oft
in ganzen Counties, 3. B. in Ohio 2c., fih ein gang neues,
dem amerikanifchsenglifchen fremdes Leben geftaltet. Mehr und
mehr fcheint dies der Gharafter bes Weften zu werden. Die
Deutfchen ziehen jest alle dahin und ehe 100 Jahre vergehen,
werben fie ibn ebenfo befigen wie bie Irländer den Norden ber
Union. Jedem beutfchen Einwanderer ift zu rathen, dem Zuge
nah Weften zu folgen, fofern nicht ganz befondere Intereſſen
ihn im Dften halten. Aber im Oflen wird er felten wohlhabend
und frei; das englifch:amerifanifche Leben überwältigt bier Al⸗
les und er zählt nur ale Null neben dem Gnglifch » Amerikaner,
der obenein in feiner nationalen Überlegenheit ibn gering adhtef.
R. Weſſelhoͤft.
.Sie
Bewe⸗
Literariſche Notiz.
Die „Histoire critique de la revolution Cartesieune”
von Brancisque Bouiller (Paris 1842) if die erſte größere
Arbeit eines jungen Philofophen, ber zu großen Erwartungen
berechtigt. Er hat feine intereffante Schrift in vier Abtheitun:
gen gebracht. Die erfte erſtreckt fi in Form einer Ginleitung
über die hauptfädlicden Phitofophen, die nach der Wiederbele⸗
bung der Wiſſenſchaften auftreten. Das zweite Gapitel gibt
einen Abriß des Carteſianiſchen Syſtems. Diefer üÜberbtick iſt
ſehr lichtvoll und finngetreu. In dem britten Gapitel entwirft
ber Verf. eine Geſchichte der Kehren bes Gartefius. Dies ift
bie gelungenfte Partie feines Werkes. WBouiller verfolgt jede
einzelne Lehre bes großen Philofophen und weift nach, weldye
Umgeflaltung diefeiben in den Syſtemen fpäterer Denker zu erleis
den gehabt haben. Den Schluß des Werkes bildet eine Wuͤr⸗
digung der Gartefianifchen Phtiofophie im Allgemeinen. Diefer
Theil läßt vielleiht noch am meiften zu wuͤnſchen übrig und
tönnte von mehr als einem Punkte aus angefochten werden.
Berantwortuicher Derauögeber: Heinrig Brodhaus — Drmi und Beriag von E. U. Brodbaus in Leipzig.
| Blätter
für
Titerarifhe Unterhaltung.
Dienftag,
— Nr. 45. —
14. Februar 1843.
Politiſche Gefchichte Deutfchlands unter der Regierung Befonnenpeit und Ruhe abgegeben. Mit einem Worte:
der Kaifer Heinrich V. und Lothar ill. Von Eduard | diefe Monographie iſt der gegenwärtigen Geſchichtskunſt
Zwei heile.
(Beihluß aus Nr. 4.)
So ging denn die deutſche Geſchichtsmuſe, von einem fri:
ſchen Stationalgefühle belebt, rüftig ans Werk, um die ge-
fhichtlichen Fundgruben des Mittelalters zu erweitern und zu
vertiefen, da6 Aufgefunbene zu verarbeiten und der Nation
zur Beurtheilung, ja auch zur Mehr und Warnung vorzu:
legen. Theil trat eine ziemliche Anzahl einzelner Hiſtoriker
mit Kraft und Geſchick in ihren Dienft, theils bildeten
fi eine Menge von Vereinen, bie ihre Kräfte mit mehr
oder minderm Erfolg ihre weihten. Man kam aber na:
tuͤrlich bald zu der Überzeugung, daß man fich in die
Bearbeitung des hiſtoriſchen Materials, das unter den
Händen wuchs, theilen müffe. Und fo wendeten denn
einzelne Gefchichtsforfcher ihre Thaͤtigkeit der glänzendften
KRaiferzeit zu; Raumer gab zuerft (1823) mit feinen
„Hohenſtaufen“ ein ſchoͤnes Beifpiel, und Stenzel folgte
ihm (1327) mit feiner „Geſchichte Deutfchlands unter
den feäntifchen Kaifern” ruͤhmlichſt nad. Und an diefes
Wert reihe ſich die vorliegende „Politiſche Gefchichte
Deutſchlands“ an.
Die erfle Frage, deren Beantwortung uns unter den
obwaltenden Umftänben obliegen muß, ift die: in welchem
Verhaͤltniſſe ſteht das neue Werk zu dem aͤltern? Hören
wir den Verf. des Erſtern in der Vorrtede:
Bot Stenzel's treffiiches Werk für meine Arbeit cine treff:
liche Grundlage, fo geftattete e8 mir auch Vieles ganz zu über:
achen und auf das unumftößlich Begruͤndete und nicht leicht
beffee Darzuftellende in den Anmerkungen zu verweilen. Wo id)
feine Anſicht nicht theilte, habe ich freimüthig die meinige ent:
gegengeftellt und aus ben Quellen, die mir das Wahre ober
Vahrſcheinlichere barthaten, nachgewieſen.
Wie können die Angabe dieſes Verhaͤltniſſes beider
Werte als völlig richtig bezeichnen; zugleich dürfen wir
aber auch Lobend hinzufügen, daß ber Verf. nicht nur
felbftändig in den Quellen geforfht, fondern fih auch
mit den Leiftungen befannt gemacht und fie gut benußt
habe, die nach Gtenzel ans Licht getreten find. Die
Darſtellung ſelbſt verräth im Folge deſſen ebenfo wol
Gruͤndlichkeit als Vollſtaͤndigkeit; das Ganze ift über:
ſichtlich und zweckmaͤßig in ſieben Abſchnitte vertheilt; die
Sprache iſt einfach, edel und klar; die Urtheile ſind mit
Gervais.
der Deutſchen würdig. Nur in einer Beziehung tritt
ein Unterfchleb zwifhen Stenzel's und Gervais’ Werken
deutlich und leicht erkennbar hervor, ein Unterfchied, deſ⸗
fen Grund weniger in der Verfchiebenheit der Individua⸗
fitäten als vielmehr in den charakteriftifchen Zufländen
ber Zeit und deren Einfluß auf die Gemüther gefucht
werden muß, fodaß auch bdiefer Fall als ein Beweis für
unfere oben ausgefprochene Behauptung anyefehen werben
darf, wie die hiftorifhen Studien, deren Darftellungen
und Uctheile von den Zeitzufländen influenzict werden.
Stenzel, jugendlicher Augenzeuge ber großen Bewegungen
und Hoffnungen, welche bie Befreiuungskriege in der
deutfchen Nation erregten, im räftigften Mannesalter
fiebend, als die Taͤuſchung einen beinahe vollftändigen
Sieg über die Hoffnung davongetragen hatte, fehrieb
innerlih noch von jugendlichen Eindrüden beroegt, aber
Außerlih von einer männlihen Refignation geleitet, fein
Werk in einer lebendigen, raftvollen, ſcharf urtheilenden
Sprache, gepaart mit einer gewilfen Sehnfucht nach dem
Anblide deutſcher Herrlichkeit, wie fie fein tonnte und
vielleicht einftene war. Gervais' Sprache dagegen mit
ihren Urtheilen ift ruhig und ohne Zeitbeziehungen, ihm
bat die Zeit kein Bild vom Mittelalter in das Herz
bineingefämpft: er läßt, unbefümmert um feine Perfön>
lichkeit, die Geſchichte reden und bie hiftorifhe Überzeu⸗
yung das Urtheil fällen. Stenzel's Wert wirb auch der
wiftenfchaftlihe Juͤngling gern leſen, Gervais' Mono⸗
graphie nur der gereiftere Mann aus gelehrtem Intereſſe.
Wie könnten bier abbrechen, da es unfere Aufgabe
nicht fein darf, urkundliche Gelchrfamkeit mit fpeciellen
Beziehungen zur Sprache zu bringen. Allein die abwei⸗
chenden Urtheile Stenzel’s und Gervais’ über Gregor VII.
erhalten für uns, und gewiß auch für unfere Lefer, ein
neues Intereſſe duch die foeben erfchienene Schrift
„Das Zeitalter Hildebrand's“ von Caflander (Darmftadt
1842), Bekanntlich ſchrieben ſchon die Zeitgenoſſen pro
und contra uͤber Gregor's Syſtem und feinen perſoͤnli⸗
chen Charakter, und der gleichzeitige Cardinal Damianl
ſpricht zwar etwas berb, aber immer treffend, das Urtheil
beider Parteien Über denfelben aus, indem er ihn einen
„göttlichen Satan” nennt. Wenn nun die Mehrzahl
178
roͤmiſch⸗-katholiſcher Schriftſteller, befonders bie Jeſuiten,
ſeine Vertheidigung fuͤhrten, ſo erklaͤrt ſich dies allerdings
ſehr leicht; daß aber proteſtantiſche Hiſtoriker in ihren
Urtheilen abweichen, ja theilweiſe ſich geradezu entgegen⸗
geſetzt ſind, das muß beim erſten Anblicke hoͤchſt auffaͤllig
gefunden werden, um fo mehr, da gerade die geiſtreich⸗
ſten unter ihnen auf Gregor's Seite getreten find. Voigt
fuchte in feiner albefannten Biographie dieſes Papftes
das Urtheil über ihn durch eine auf die Quellen geftügte
Erörterung zu fihern; allein er iſt nahe daran gewefen,
nur einen Panegyrikus feines kirchlichen Helden zu ſchrei⸗
ben, und felbft eifrige Anhänger Roms haben das Werk
dieſes proteftantifchen Biographen als Beweis anführen
zu dürfen geglaubt, daß Gregor von feinen eigenen Glau⸗
bensgenofjen verleumdet oder doc, menigftens nicht nad)
Gebühr von Allen gewürdigt worden fei. Stengel, ob:
fhon aus gleichen Quellen mit Voigt ſchoͤpfend, Tpricht
dennod ein Verbammungsurtheil über Gregor VIL aus
mit den Worten: „Gregor war einer von den feltenen
Männern, beren, zum Süd für die Menfchheit, nicht je:
des Fahrhundere Einen bervorbringt, nicht jedes bedarf.
Ehrgeiz und Herrſchſucht waren die Haupttriebfedern feiner
Handlungen, feiner Worte, feiner Gedanken.’ Gegen
dieſes Urtheil erklaͤrt fi wiederum unfer Verf. „Sten:
zei‘, fagt er, „dat Gregor zu einfeitig beurtheilt — Io:
hannes Voigt's Gregor verdient immer noch die Aner:
tennung aller Religionsparteien vom moralifhen wie vom
politifhen Standpunkt.“ Und der erfte Abfchnitt des
vorliegenden Buchs, ber lebiglich über den Inveſtiturſtreit
handelt, fucht Gregot's Plan und Abſichten zu vechtfer-
tigen und Heinrich's IV. Politit und Stellung als ver:
fehle zu erweifen. Es wird dabei von dem eigenthümli:
chen Geiſte jener Zeit überhaupt und von dem Stand:
punkte bes Papfles insbefondere ausgegangen. Ein fol:
her Geſichtspunkt iſt aber weder neu, noch ſchließt er
eine ſolche Allgemeinheit in fih, daß von ihm aus das
ganze Spftem und die fittlihe Haltung Hildebrand's
vollkommen und nach Gebühr gemwürbigt werben Eönnte.
Übrigens hat ſchon Paulus in feinen Anmertungen zur
„Kirchengeſchichte“ von Spittler den Beweis geliefert,
welche DBerfchiedenheit der WBetrachtungeweifen für bie
Thaten und den Charakter jenes allerdings merkwürdigen
Mannes möglich ſei. Allein die auffallende Erfcheinung,
die wir oben fchon angedeutet haben, daß Gregor pro:
teftantifcherfeits fo viele Apologeten fand oder wenigſtens
Hiſtoriker, die mie möglihftem Eifer und großer Gelehr⸗
ſamkeit das Parteigepräge von den Urtheilen über ihn
abzuiöfen bemüht waren, erklaͤrt fi gewiß am natür:
lichſten durch die Zeitzuflände, unter welchen jene Maͤn⸗
ner fchrieben, und durch die Kinflüffe, die von diefer
Seite ber auf ihre Anfichten und Ausſpruͤche einwirkten.
Schiözer, Pütter und Spittler Iebten in einer Periode
Deutſchlands, die kirchliche Ruhe, religiöfen Indifferentis⸗
mus und das Entfiehen einer fchärfern biftorifchen Kritik
ſah. Johannes v. Müller, Voigt und Luden fchrieben
unter ben Eindruͤcken großer Bewegungen, merkwürbiger
Ereigniffe und der Thaten ausgezeichneter Maͤnner; eine
gewiſſe Sympathie für Gregor's Zeitalter und Wirken,
um ihrer Merkwürbigkeit willen, erzeugte fi in den
Geiſtern dieſer Geſchichtſchreiber. Seitdem aber der Ro:
manismus fein Haupt wieder zu erheben angefangen hat
und die Proseflanten von neuem zur Abwehr. des von
den Ultranıentanen lauter als je gepriefenen Hildebran⸗
dismus die Feder zu ergreifen genöthigt gewefen find, ift
der Schöpfer biefes Syſtems in ein minder guͤnſtiges
Licht geſetzt worden. Und wenn unſer Verf. in dieſer
Beziehung eine Ausnahme macht, ſo liegt der Grund
darin, daß derſelbe, wie wir ſchon oben bemerkten, ber
Gegenwart Seinen Einfluß geflattet, wenn er über bie
Vergangenheit urtheilt. Übrigens find Schriften, die dem
Intereſſen der Parteien ihre Entftehung verdanken, zu
allen Zeiten Irrlichter auf dem Gebiete der Wahrheit
geweien. Darum darf unter den obmaltenden Umfländen
das Erfcheinen des oben gedachten Bude von Caffander
ein recht gluͤckliches genannt werden, und es wird daffelbe
vermoͤge feiner Gediegenheit die verdiente Aufmerkſamkeit
erregen und gerechte Anerkennung finden. Zur tichtigen
Würdigung Deflen, mad Servais über Gregor gefchrie:
ben bat, ift es namentlich geeignet.
Noch ehe der Abdrud Deffen, was mir foeben über
den erften Theil biefes Werks berichtet haben, erfolgte,
erſchien bereit6 der zweite. Wir wollen deshalb ſogleich
auch über diefen Theil, der, was wir im voraus zu be:
merfen zwedmäßig finden, dem erflern in Sprache und
äußerer Eintihtung völlig gleich if, in möglichfier Kürze
unfern Leſern Rechenſchaft ablegen. Der Berf. hat mit
großer Ausführlichkeit und mit umfaffender Quelienbe:
nugung, bie felbft für die fpecieliften Verhaͤltniſſe und
Begebenheiten die erfoderlihen Autoritäten zu Lage zu
fördern weiß, die Regierungsgrundfäge und den Charak⸗
ter Lothar's III. fowie die damaligen Zuflände des Reiche
bargeftelft und in ein helles Licht zu fegen geftrebt. Das
Sanze darf nicht nur als eine rühmlicye aus felbfländi:
ger Forſchung bervorgegangene Ausfuͤllung der Lüde in
unferer Geſchichtskenntniß von jenem Theile des Mittel: '
alterd angefehen werden, fondern auch zugleich als eine
Apologie des Kaifers Lothar. Man kann diefelbe, wenn
nicht direct, fo doch indirect auf das Endurtheil, welches
Pfiſter in feiner „Geſchichte der Deutfchen‘ über jenen
Bürften ausgefprohen und damit die fo ziemlidy allge:
mein verbreitete Meinung ber Hiftoriter, namentlih Lu⸗
den's und Raumer's, getroffen bat, beziehen. „Der
fächfifhe Fuͤrſt“, fage Pfiſter, „der früher als Herzog
nicht unrühmlidy an der Spige der Fürflen gegen bie
Ubermacht des fraͤnkiſchen Kaiferhaufes geflanden, ließ fich
im Beflg der Krone auf unmwürdige Art von den Bifche:
fen leiten und bewies nur in der Abneigung gegen das
mit dem feinigen wetteifernde Haus ber Ghibellinen Be:
fändigkeit.” Dagegen urtheilt nun unfer Verf. auf fol:
gende Weife:
‚ Deutſchland vertor in Lothar einen Water des Waterlande,
wie die gleichzeitigen Schriftſteller ihn nennen, denn nicht nur
mit Kraft hatte er den geſunkenen Thron hergeftellt, auch burdy
feine Wilde und Berzenögäte ein Band zwifchen Herrſcher und
Bett geknuͤpft, was unter den fizeng, willlürlich, oft beapotifch
verfahrenden fränfifchen Kaifern niemals woͤglich geweſen war.
um nicht als König in die Willlür zu verfallen, der er als
Herzog gewehrt, follte nicht an das Schwert, nicht an bie Ges
wait die Bollziehung feines Willens, die Geltendmachung feines
Handelns gefnüpft. fein, fondern der Vermittelung durd das
Bort des Herrſchers, durch das Anfehen der Majeſtaͤt, durch
feine eigene Perfönlichkeit gab er überall ben Vorzug und brauchte
mr die zu Gebote ſtehende Macht, wo Trot, Anmaßung, Zuͤ⸗
geltofigleit ober gar Frevel nicht anders gehemmt und gezächtigt
werben fonnten. In einem Zeitalter, wo alle Eeibenfchaften
ungeflum bexvorbradgen, wo bie geſetzlichen Schranken niederge-
riſſen ober ſchwach geftügt waren, wo ein kaum beendeter Kampf
zwiſchen Kirche und Reich bie Berfaflung untergraben, ben Thron
in Schwanken gebracht, die Majeftät des Kaifers zum Schatten
berabgefegt hatte, war es eine fehwierige Aufgabe: die Macht
ber Bernunft, bie Berweiſung auf das Recht, die Rothiwendigs
fit des Kriedens und bie Heiligkeit der Majeſtaͤt als wirkſame
Hebel der Herrſchaft über alle ihnen widerfirebende Kräfte zu
gebrauchen. Gieichwol gelang es Lothar, auf bdiefem einzig
heiibringenden Wege Deutſchland vom gänzlichen Verfall zu er:
retten und es zu einer kaum zu hoffenden Größe zu erheben.
Es erfcheint nach den zwölf Jahren feiner Regierung wie um:
gewandelt, unb Eothar’s zweite Heerfahrt in Italien zeigt die
wilbaufgeregten @lemente, die bisher ſich zu vernichten drohten,
unter feiner Leitung fo wirffam gegen einen dußern Feind vers
eint, daB auch das gemeinfchaftliche Bandeln, das Beifammen:
fein der nach entgegengefegtem Ziele rebenden, vor kurzem noch
einander Bernichtung drohenden Gewalten ben glüdtidhen Erfolg
nicht aufbeben. Auf dem Wege, den er gebahnt, durfte, was
er noch unvollendet gelaflen, fein Rachfolger errungen und die
Krone des Reiche zu ber Bedeutung, die fie unter Karl dem
Großen und Otto I. gehabt, zurüdgebracht haben. Doc war
es nicht Leiche einem Andern möglich , mit dem Papfte in Ge:
meinfdyaft ein Unternehmen gluͤcklich tucdhguführen ‚ welches
und Kaiſer beinahe auf jedem Schritt in neuen Ziwiefpalt
zu flürzen drohte. Der feſte Grundfag: mit ber Kirche nie
brechen zu wollen, und auch: dem eigenen Anfehen nichts zu
vergeben, beräbrten fich hier wie auf der ſcharfen Schneide des
Meilers ‚und doch wurde Beides, wie jeber Uinbefangene erken⸗
nen wirb, nicht verlegt. Der fefte, edle unb fromme Charakter
des Mannes erſcheint uns hier in feinem vollen Lichte und ver:
bient fein Berfahren dem Papfte gegenüber nicht Nabel, fondern
das hoͤchſte Lob.
Wenn der Berf. Veranlaffung nimmt zugleich bie
Froͤmmigkeit des Kaifers im Geiſte feiner Zeit zu ſchil⸗
dern, fo gab ihm eine Urkunde des Kiofters Monte
Caſſino Veranlafſung und eine beglaubigte Auctoricät.
Die hierher gehörige Stelle jener Urkunde ift merkwürdig
genug, um das Intereſſe der Lefer zu erweden:
Nam et ipse testis sum (Petrus Diaconus), in expedi-
Üene constitutus summo diluculo missam pro defunctis, de-
kinc pro exercitu, tertiam postremo diei missam audiebat.
Demum viduis et orphanis cum Augusta pedes lavans terge-
bar crinibus et osculabatur, cibumque illis ac putum large
dstribuens guaestiones et oppressiones ecclesiarum prius re-
levans ultimo in loco imperii ponebat. Quamdin vero in
Cassineusi claustro remoratus est, ita omnes officinas mo-
Rasterii ac si Abbas vel Decanus circuibat scire cupiens quo-
modo quisgue sub Beati Benedicti magisterlo viveret, facto-
we mane orans monasterii ecciesias nudis pedibus circuibat.
haec agens nunquam a consortio Episcopuram et Abba-
tum arellebatur et cum sapientibus sermocinatio ejus, Erat
fecto coecorum baculus, esurientium cibus, miserorum spes,
Ihgentium consolatio atyue Ita in singulis eminebat virtutibus,
u omnes te haberet. Sacerdotes honorabat ut patres,
psuperes fovebat ut filios, viduas ut matres. Erat orationibus
pervigil lacrimasque creberrimas contriti cordis Deo afferebat,
Unfer Verf. hat nun die Wahrheit ſeinls Urtheils
über den Kaiſer nicht blos durch Combinationen, die auf
die Chroniſten der Zeit und auf andere glaubwuͤrdige
Urkunden geflügt find, zu erhaͤrten geſucht, ſondern iſt
auch bemuͤht geweſen ſie noch ſpeciell dadurch zu ſichern,
daß er ſich ſelbſt auf Albert von Stade und Otto von
Freiſingen beruft, die in dem Lobe des Kaiſers bei deſſen
Tode übereinflimmen. Der Letztere erklaͤrt in ber That
bei dieſer Gelegenheit, was bei feiner ſonſtigen Parteilich⸗
keit für die Hohenftaufen’fhen Verwandten allerdings be:
achtenswerth erfheint, Lothar würde, falls ihm ein län:
geres Leben zu Theil geworden wäre, dem Reiche feinen
frübern Glanz wieder verfhafft haben. Wir glauben
deshalb, unfer Verf. wuͤrde feiner Apologie Lothar's und
der Wiffenfchaft einen recht wefentlichen Dienft er:
wiefen haben, wenn er eine auf unbefangene Kritik ge:
gründete Merthbeftimmung der Quellen, namentlid des
fächfifchen Annaliften und bes ſchon genannten Otto von
Freiſingen, vieleicht in ber Form einer Einleitung, ſchon
jegt feinem Werbe beigegeben hätte, ftatt diefelbe, wie er
verſpricht, an einem andern Orte erfcheinen zu laffen.
Wir dürfen dies um fo mehr bedauern, da der Verf. bei
der Bekanntſchaft mit feinen Quellen unftreitig etwas
Vorzügliches zu leiften im Stande ift; denn bie hier und
da im Werke zerfireut Liegenden Andeutungen reichen
nit aus und gewähren felbft dann, wenn man fie muͤ⸗
hevoll zuſammenſucht, nicht das zu wünfchende und erfo⸗
derlihe Refultat. Raum und Zweck d. BI. erlauben uns
nit auf Einzelnes und weitläufige Erörterung deſſelben
einzugeben; nur fo viel wollen wir bemerken, daß der
Verf. Widerſpruch erfahren und dem Vorwurfe einer ge:
wiſſen Parteilichkeit für Lothar befondere, den Hohenftau:
fen gegenüber, wie insbefondere der fiebente und legte
Abſchnitt feines Werks an den Tag legt, fowie auch der
Anfhuldigung, hier und da bie Umflände und die Poli:
tie bes Kaifere etwas zu kuͤnſtlich gedeutet zu baben,
nicht ganz entgehen wird. Das kann und darf aber den
Unparteiifhen nicht hindern, des Verf. „Politiſche Ge:
ſchichte Deutſchlands“ für eine ruͤhmenswerthe Bereiche:
rung unferer Befchichtöliteratur zu erklären und den
Wunſch auszufprechen, daß derſelbe bald auf einem dhn:
lichen wiffenfchaftlichen Gebiete wieder erfcheinen möge.
Karl Zimmer.
Literarifdhe Notiz.
Der Graf Iaubert, ber befonders durch feine oft et:
was unparlamentarifch«derbe Sprache in der Deputirtenfam:ner
befannt ift, bat vor einigen Zahren eine wiffenfchaftliche Reiſe
nad dem Orient unternommen. Gr bat bereit vor einiger
Zeit in ber „Revuo des deux mondes”, wenn wir nicht irren,
einige Bruchſtuͤcke aus feinem Reiſetagebuche veröffentlicht. Ge⸗
genwaͤrtig gibt er eine neue Frucht feiner Reiſe in Kleinaſien,
bei der er namentiich bie Botanik berüdfichtigt hat, heraus. Es
find dies die ſchaͤzbaren „Illustrationes plantarum orientalium”,
durch die das Pflanzenſyſtem um mehre intereffante Nummern
bereichert wird. Beachtenswerth ift, wie auch in Frankreich
bie Pflanzenkunde, bie scientia amabilis, wie fie Liebhaber
heißen, an mehren ber bebeutendften Staatemänner eifrige Ber:
ebrer hat. Wir brauchen nur den befannten Deieflert gu er:
waͤhnen, ber ſich durch feine botaniſchen Werke einen Namen in
der vwiflenfchaftliden Welt gemacht hat. Der Graf Jaubert,
von dem wir neulich auch ein Werk über den Dialekt von Berri
angeführt haben, gibt zu gleicher Zeit mit feinen „Tlustratio-
nes’ die nachgelaffenen Papiere eines jungen Gelehrten heraus,
die hohes Intereſſe haben. Es find dies die „Relations de
voyage en Orient par Aucher- Cloy“. 2.
Bibliographie.
Amtticher Bericht uͤber die ſecheͤte Verſammlung deutſcher
Sands und Forſtwirihe zu Stuttgart vom 21. bie 28. Sept.
1842. Stuttgart, Megler. Lex.⸗8. 3 Thlr. 25 Ngr.
Ausgewäplte Bibliothek der Glaffiker des Auslandes. Mit
biographifchsliterarifchen Einleitungen. 17ter Band: Voltaire s
Denriade. Aus dem Franzoͤſiſchen im Versmaße des Originals
uͤberſett von J. Schröder. Leipzig, Brodhaus. Gr. 12. 1Thlr.
Derſelben 18ter Band: Schauſpiele von König Buflav III.
von Schweden. Aus dem Schwedifchen überfegt von K. Eichel.
Leipzig, Brockhaus. Gr. 12. 1 Thir. 6 Nor.
Bibliothel der neueften und beften Romane der englifchen
Literatur. 123ſter bis 1250ſter Band: Boz's ſaͤmmtliche Werte
Z5ſter bis 3Tfter Band. (Amerika.) Braunſchweig, Vieweg
und Sohn Kl. 8. 1 hir.
Bledow, 8, Die zwifchen dem Berliner und Pofener
Klub durch Correſpondenz gefpielten Schach » Partien, mit Ans
merkungen und Varianten, nebft einer Sammlung von 50 ans
bern. Gorrefponbenz Partien. Berlin, Veit und Comp. Gr. 8.
gr.
Ds
Boden, X., Beiträge zur Beurtheilung der neueften Lite⸗
ratur. Mainz, Zaber. 8. 22%, Nor.
Boffert, G., Das Wanderbüdjlein nad) Nordamerika,
oder Echilderung der Auswanderung nad Nordamerika. “Ber:
faßt nach ungebsudten Briefen ausgewanderter Würtemberger.
Rotweil, Herder. 12. 7%, Nur. '
Buſch, 8. F., Habakuk Schmauch, der brandenburgifche
Raͤuberhauptmann, ober: Der Höllenfhlund im Rauling am
Plaueſchen See. Eine ſchauderhafte Raͤubergeſchichte. Nordhau:
fen, Zürfl. 8. 1 Thlr. 15 Ngr.
Stralfunder Ghronifen, herausgegeben von E. H. Zober.
2er Theil: Die Stralſunder Memorialbuͤcher Joachim Eindes
mann’s und Gerhard Dannemann’s (1531 — 1611). Zum ers
ften Mat aus den Bandfchriften herausgegeben und mit Einleis
tung, Inhaltaverzeichniß, Bemerkungen und Worterklärungen
begleitet von ©. 9. Zober. Gtratiumd, Löffler. Gr. 8.
Thlr.
Cramer, F., Geſchichte der Erziehung und bes Unter
richts in den Niederlanden waͤhrend des Mittelalters, mit Zu⸗
ruͤckfuͤhrung auf bie allgemeinen literariſchen und paͤdagogiſchen
Berhäteniffe jener Zeit. Stralſund, Löffler. Gr. 8. 1 Thir.
R
er.
Damaſchka, W. F., Der Baldeigene, Hiſtoriſche Er⸗
zaͤhlung. Wien, Tauer und Sohn. Gr. 12. 24 Ngr.
Fontanes, T., Geſchichte des preußiſchen Staates in
chrondiogiſchen Tabellen. Schweidnitz, Heege. 16. 10 Ngr.
Körfter, K., Gedichte. Herausgegeben von 2. Zied.
Zwei Theile. Mit bem Biloniffe des Dichters. Leipzig, Brock⸗
haus. Gr. 12. 3 Thlr.
Friedländer, J.. Die Münzen des Johanmniter-
Ordens auf Rhodus. 1309 — 1522, Mit 2 Kupfertafeln.
Berlin, Trautwein und Comp. Gr. 8, 1 Thlr,
Herzog Karl und bie Revolution in Braunſchweig. Gin
Beitrag zur Geſchichte des Jahres 1830. Aus den Papieren
eines verftorbenen Staatsmannes. Jena, Frommann. Gr. 8.
Zhlr.
Heſekiel, G., Der Kampf der Kirchen. Berlin, Athe⸗
ndum. Gr. 8. 15 Nor.
Loewenthal, R., Phnfiologie bes freien Willen. Glo⸗
gau, Prausnig. Er. 4. 1 Thir. 7 Nor.
Mappes, I. M., Feſtreden, gehalten im naturgeſchicht⸗
lihen Dufeum zu Frankfurt a. M., umd als ein Beitrag zur
Beier der fünfund;wanzigjäbrigen Stiftung ber Senckenbergiſchen
naturforfdyenden Geſellſchaft, am 22. Nov. 1842 Herausgegeben.
Frankfurt a. M., Sauerländer. Sr. 8. 30 Rer.
Mohl, H., Dr. Just. Liebig’s Verhältnisse zur Pflan-
zenphysiologie. Tübingen, Fuss. Gr. 8. 11, Ner.
w 2 J o AL $., germifchte en, Perantgegeben von
« 4. Paſſow. i raphirten eln. Leipzi
Brockhaus. Gr. 8. 2 Thir. rap ' pris,
Philippſon, G., Die Judenfrage von Bruno Bauer,
näher beleuchtet. Deſſau, Fritſche und Sohn. Gr. 8. 5 Ngr.
Prescott, W. H., Geſchichte der Regierung Ferdinand's
und Iſabella's ber Katholiſchen von Spanien. Aus dem
gngtifchen überfegt. Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus. Gr. 8.
r.
Raumer, K. v., Beitraͤge zur bibliſchen Geographie.
Nebft einem Hoͤhendurchſchnitte. Beiträge zu des Verfaſſers
„Palaͤſtina.“ Leipzig, Brodhaus. Gr. 8. 15 Nr.
Reiff, 3. 5-, Uber einige wichtige Punkte in der Philos
fophie. Eine Differtation. Qübingen, Fues. Gr. 8. 30 Ner.
ter, 8. W., Beitbilder aus der hengſtenbergiſch⸗
evangeliſchen Kirdyenzeitungsgemeinde, nad dem Leben gezeiche
net. Quedlinburg, Baſſe. Gr. 8. 12%, Nor.
Robmann, 3. &., Der allgemeine Bettag. Cine Grs
Stralfund, Löffler.
hablung, Aus dem Dänifchen überfegt.
6. 3%, Nor.
Romberg, 3.9. F., Die Stimmen ber Wahrheit aus
dem göttlichen Werte über Friedrich Wilhelm MI., König von
Preußen. In einer Auswahl von Gebächtmißprebigten auf bes
Hocjfeligen Könige Majeftät aus verfchiebenen Provinzen des
Preußiſchen Staates. Mit Bewilligung der Verfaſſer gefams
melt und herausgegeben. Zwei “heile. Berlin, Mittler.
&r. 8 5 Thir.
Schleſier, ©, Erinnerungen an Wilhelm von Hum⸗
boldt. After Theil in zwei Hälften. Gtuttgart, Köhler. Gr. 8.
2 Thlr. 79, Rgr.
Schmidt, 2. E. W., Das preußiſche Familienrecht, nach
bem allgemeinen Landrechte, mit Ruͤckſicht auf das gemeine und
beutfche Recht, dogmatifchsEritifch bargeftellt. Leipzig, Brock⸗
haus. Gr. 8. 3 Thir.
Shöning, 8. W. v., Geſchichte des Könige. Preuß.
fünften Hufaren » Regiments, mit befonderer Rüdfidht auf Geb⸗
hard Lebredht von Bluͤcher, den chemaligen Chef biefes Regie
ments. Rebſt einer Einleitung über Preußiſche Huſaren im
Allgemeinen. Mit den Bildniſſen son Belling und Bluͤcher und
mit einem Facſimile des Letztern. Berlin, Lüberis. Gr. 8.
2 Thlr. 15 Nor.
Schulg, K., Wuͤnſche eined Preußen beim Beginn bes
Jahres 1843. Berlin, Athenäum. 8. 23, Ner.
hal, 8. v., Die verführten Opfer, Romantifche Sage
der Vorzeit. Norbhaufen, Fuͤrſt. 8. 221, Nor.
— — Link und Klunk, ober bie blutigen Rachopfer im
Kloſter Marieburghaufen. Hiſtoriſch⸗ romantilches Gemälde ans
dem Mittelalter. Mit 1 Abbildung. Nordhauſen, Kürft.
26'/, Nor.
Sheologie einer deutſchen Grau. Iena, Bran. 8. 7%, Nor.
Vogelleim, F., genannt 8. 8. Kranke, Gegen Ders
wegh. Mit 2 Muſikbeilagen. Berlin, Hayn. 16. 15 R
Die Wiederkehr. Cine Novelle. Derausgegeben von bem
Einſiedler bei St. Johannes Drei Theile. Leipzig, Brock⸗
haus. Gr. 12. 6 hir. 15 Near.
Wildenhahn, ©. A., Leben und Sterben. Mittheiluns
gen aus dem Zagebuche eines Geiftlihen. Zwei Bände. Reips
zig, Gebhardt und Reisland. 8. 22%, Nor.
‚Woeniger, %. J., Das Sacralſyſtem und das Provos
cationsverfahren ber Römer. Zwei Beiträge zur Kunde des rös
mifchen Staats s und Rechtslebens. Leipzig, Brodhaus. Gr. 8.
1 Zhir. 24 Nor.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinzih Brodhaud — Drud und Verlag von F. U. Brochaus in Leipzig
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Mittwod,
2. Feuerbach's Anfichten über das Chriftenthum.
Dos Weſen des Chriftentfums. Bon Ludwig Keuerbad.
Kipzig, D. Wigand. 1841. Er. 8. 2 Thlr. 10 Nor.
As das Merk von Strauß erfhien: „Die chriflliche
Slaubensiehre in ihrer gefchirhtlichen Entwidelung und ih:
tem Kampfe mit der modernen Wiſſenſchaft“ *), da meinte
man, nun fei der Theologie das Ärgſte gefchehen und fie
müfle entweder unter biefem Schlage erliegen, oder, wenn
dies nicht gefchehe, fo fei damit auch ihre Unzerftörbarkeit
und die Ohnmacht der Epeculation im Kampfe mit ihr
erwiefen.. Strauß felbft fcheint etwas Ahnliches gedacht
zu haben, darauf deuten wenigſtens die Worte in feiner
Borrede, worin er feiner Schrift die Aufgabe ftellt, „die
Bilanz aller bisherigen Verluſte und Gewinnſte der Theo⸗
logie zu ziehen”, d. h. mit der Xheologie abzufchließen.
Und in der Zhat, welcher Standpunft kann wol den my:
thiſchen überbieten? welche Reagentien gibt e8, um ben
Inhalt der chriſtlichen Glaubenslehre nody mehr zu ver:
fluͤchtigen, als dies durch das Scheidewaſſer der Strauß’
fhen Dialektik gefhehen ift? Da kommt aber doch L.
Seuerbady und beginnt das dialektifhe Spiel mit den Re⸗
ligionsdogmen von neuem, indem er auscuft: Die Theo⸗
logie ift Anthropologie.
Sind wir nun durdy diefen Ausfpruch über den Strauß’:
hen Standpunkt der Kritik hinausgeführt? ober welche
Stelung nimmt Feuerbah zu Strauß ein? Dies ift eine
Frage, welde fih uns unwillkuͤrlich aufdringt, da wir
gewohnt find, die mythiſche Auffaffung des chriſtlichen
Dogmas als das feste Stadium der fpeculativen Theo⸗
logie, als bie vollendete Aufhebung des pofitiven Glau⸗
bensinhaltd in dem philofophifhen Denken zu betrachten
und deshalb an ihr alle übrigen Erfcheinungen diefes dia:
lekttiſchen Auflöfungsprocefjed zu mefien. Feuerbach felbft
dat fi über dieſes fein Verhaͤltniß zu Strauß nicht auss
drücklich ausgefprochen, überhaupt auf die moderne Theo:
logie weit weniger Rüdfiht genommen als auf bie ls
tere, beſonders die patriftifche, aus einem Grunde, ben
wir foglih werden kennen lernen; mir werden daher diefe
fehlende Unterſuchung nadyzuholen und die Stellung beiber
Denker zueinander und zur Wiſſenſchaft zu ermitteln verfu:
hen, denn es ſcheint uns nothwendig, daß in unferer Zeit,
*) Hierüber ift von Dr. J. W. H anne in drei Artikeln in Nr. 11 — 25,
N und 353 — 351 d. Bi. f. 1842 berichtet worben. D. Red.
— — — —
15. Februar 1843.
die alles Beſtehende in den Fluß ihres dialektiſchen Gedanken⸗
proceſſes hineinzieht, auch jede neue Form, unter welchet die
Kritik ſelbſt auftritt, ſich dieſer Kette der Entwickelungen
einordne und ihren Antheil an der kritiſchen Arbeit des
ſpeculativen Geiſtes mit klarem Bewußtſein uͤbernehme.
Wir wollen verſuchen, dieſe vergleichende Beurtheilung
des Feuerbach'ſchen Werks zunaͤchſt durch eine Analyſe der
einzelnen Theile deſſelben vorzubereiten, ſodann aber in ei⸗
nem allgemeinen Hinblicke auf ſein Endreſultat und ſeine
Methode zu entwickeln.
Schon im Vorwort ſucht der Verf. ſich eine ſelb⸗
ſtaͤndige, von allen beſtehenden Richtungen in der Theo⸗
logie, zumal aber der ſpeculativen, ſcharf geſchiedene Stel⸗
lung zu ſichern.
Vorliegendes Wert — ſagt er daſelbſt — enthält die Ele⸗
mente wohlgemerkt! nur die und zwar kritiſchen Elemente zu
einer Philoſophie der pofitiven Religion oder Dffenbarung, aber
natürlih, wie ſich im voraus erwarten läßt, einer Religiones
philofophic weder in dem Eindifch: phantaftifchen Sinne unferer
chriſtlichen Mythologie, die fidy jedes Ammenmaͤrchen der Hiſto⸗
rie als Thatſache aufbinden laͤßt, noch in dem ypebantifchen
Sinne unferer Tpeculativen Religionsphilofophie, weldye, wie weis
land die Scholaftit, den Articulus fidei ohne weiteres als eine
logiſch metaphyſiſche Wahrheit demonftrirt.
Die Tpeculative Religionsphilofophie opfert die Religion ber
Philoſophie, die chriftiiche Mythologie die Philofophie der Re:
ligion aufs; jene macht bie Religion zu einem Spielball der ſpe⸗
eulativen Willkoͤr, diefe bie Vernunft zum Spielball eines phan⸗
taftifchen religidfen Materialismus; jene laͤßt ber Religion nur
fagen, was ri ſelbſt gedacht und weit beffer fagt, biefe laͤßt die
Religion anftatt der Vernunft reden; jene, unfähig aus fick
herauszulommen, macht die Bilder der Religion zu ihren eiges
a e, biefe, unfähig, zu fich zu kommen, die Bilder
su Saden.
Bier in dieſer Schrift nun werben bie Bilder der Religion
weder zu Gedanken — wenigſtens nicht in dem Sinne der fpes
culativen Religionsphilofophte — noch zu Sachen gemacht, fons
dern ald Bilder betrachtet — d. h. die Theologie wird weder
als eine myſtiſche Pragmatoiogie, wie von ber dhriftiichen My⸗
thologie, nody als Ontologie, wie von der Tpeculativen Religions⸗
philofophie, fondern ale pſychiſche Pathologie behandelt.
Daß der Verf. biefe feine Zeugniffe aus dem Archiv Längft
vergangener Jahrhunderte herbolt, das hat feine guten Gründe.
Aud das Chriftentyum hat feine ciaffifchen Zeiten gehabt —
und nur das Wahre, das Große, das Claſſiſche if würr
dig, gedacht zu werben; das Unclaffiiche gebört vor bas
Borum ber Komik oder Satire. Um baber das Chriſtenthum
als ein denkwuͤrdiges Dbject firiren zu können, mußte der Verf.
von bem feigen, charaktertoſen, comfortabeln, belletriftifchen, Eos
fetten, epituräifchen Chriftenthum der mobernen Welt abſtra⸗
hiren, zeruͤckverſeten in Seiten, wo bie Braut Chriſti noch
eine teufche, unbefledte Jungfrau war, wo fie noch nicht in
bie Dornentrone ihres himmliſchen Bräutigams die Rofen und
Morten der heidniſchen Benus einflocht, um über den Anblick
des heibnifchen Gottes nicht in Ohnmacht zu verſinken; wo fie
zwar arm war an irdiſchen Schägen, aber uͤberteich und übers
guͤcklich im Genufle ber Gebeimniffe einer uͤbernatuͤrlichen Liebe.
Obgleich aber „die unendliche Kreiheit und Perſoͤnlichkeit“
der modernen Welt fich alfo ber chriftlichen Religion und Theo⸗
logie bemeiftert hat, baß der Unterfchied zwiſchen dem producis
renden heiligen Geiſt der göttlichen Dffenbarung und dem con»
fumirenden menſchlichen Geift Iängft aufgehoben, ber einft übers
natürliche und übermenfchliche Inhalt des Chriſtenthums Längft
völlig naturalifirt und anthropomorphifirt ift: fo fpuft doch im⸗
mer noch unferer Zeit und Theologie, in Folge ihrer unentſchiede⸗
nen Balbheit und Gharafterlofigkeit, das uͤbermenſchliche und
übernatärliche Wefen des alten Ehriſtenthums wenigftens als
ein Geſpenſt im Kopfe. Allein es wäre eine Aufgabe ohne
alles phitofophifche Intereſſe geweſen, wenn der Verf. den Be:
weis, daß dieſes moderne Geſpenſt nur eine Illufion, eine Selbſt⸗
täufchung des Menſchen ift, zum Biele feiner Arbeit ſich gefeet
hätte. Gefpenfter find Schatten ber Vergangenheit; nothwendig
führen fie uns auf bie Frage zurüd: was war einft das Ge:
fpenft, als es noch ein Weſen von Fleiſch und Blut war?
Nach diefen Anführungen können wir une [den einen
ziemlich deutlichen Begriff von bes Verf. philofophifchem
oder kritiſchem Standpunkte mahen. Die alte orthodore
Theologie, fagt er, betrachtet die chriftlihen Religionsvors
flelungen als abfolute Wahrheiten, als Ausflüſſe eines
wirklich, real erifticenden, felbfländigen, dem Menfchen
und der Melt gegenüberfichenden Weſens, mit einem
Worte, als Dffenbarungen eines perfönlichen Gottes. Die
moderne, Tpeculative Theologie hebt jenen Unterfchied zwi⸗
fen der Quelle der religiöfen Vorftellungen und dem
Drgane, durdy weldes diefelbe aufgefaßt werden, d. h.
zwifchen dem göttlichen und dem menfhlichen Geiſte,
auf, fie erklaͤrt jene Vorſtellungen für Wahrheiten, d. h.
für nothwendige Denkacte des menfchlihen Bewußt⸗
ſeins; fie haͤlt alfo deren Inhalt feft und Ändert nur bie
Form. Dder, um das von Feuerbach angezogene ſtaats⸗
wirtbfchaftlihe Bild weiter durchzuführen, bie moderne
Theologie bringt die Waare, welche man früher, in ben
Zeiten der orthodoxen Theologie, von auswärts, aus ei:
nem Jenſeit einführte, als inländifche, felbftproducirte
‚WBaare.auf den Markt; aber es ift doch immer diefelbe
Waare, derfelbe Stoff, und die Waarenpolicel, Kritik, wels
he zu wachen bat, daß nichts auf den Markt komme,
was für den confumirenden menſchlichen Geiſt ungefund,
unverdaulich, betäubend fein koͤnnte, muß dieſe Waare
ebenfo gut confiscien, mag fie nun aus dem Inlande
oder dem Auslande kommen. Wenn alfo 5. B. die fpecu:
lativen Theologen (mie etwa Marheineke oder Hegel felbft)
das Trinitaͤtsdogma zwar ald Dogma, d. h. als unmit:
telbare, geoffenbarte MWahrheit, Eritifch aufheben, nichts:
deſtoweniger aber deffen inhalt, d. h. die Vorſtellung eis
ner Dreibeit von Perfonen oder Momenten in Gott, als
einen fpeculativ untadelhaften, aus dem Denkproceſſe un:
feed Bewußtſeins fih mit Nothwendigkeit ergebenden Ge:
danken gelten laſſen, fo ift dies, nach Feuerbach, eine
Halbheit, eine Selbfttäufhung der modernen Theologie,
welcher noch „das uͤbermenſchliche und übernatürlihe We⸗
fen bes alten Chriſtenthums als ein Geſpenſt im
Kopfe ſpukt“.
„ Und welde Auffaffung ber religiöfen Dogmen febt
Feuerbach an die Stelle der orthodoren und der modern
fpeeulativen? Die pfychologifche odee anthropolos
gifche, welche in den cheiftlihen Dogmen weder das Re⸗
fultat einer uͤbernatuͤrlichen Offenbarung, noch bie Wir-
tung eine zwar natürlichen, aber nothwendigen Denkpto⸗
ceſſes des menſchlichen Geiſtes anerkennt, fondern darin
nichts Anderes ſieht ald Krankheiten der menfchlichen
Einditdungskraft, abnorme Bildungen dieſes geifligen Or⸗
gans, voelche, wie wir dies bei fo vielen abnormen Bil⸗
dungen in der Natur beobachten, den täufchenden Schein
einer außerordentlihen Kraft: und Lebensfülle an fih tra:
gen, aber doch die wahre Gefundheit des Organismus un
tergraben,, feine freie Bewegung und Entmidelung hem⸗
men. Der Zweck des Verf. iſt daher, wie er dies eben:
falls in dem Vorwort ausfpricht,
in therapeutifcher ober praftifcher Befoͤrderung ber pneu⸗
matifchen Waſſerheilkunde, Belehrung über den Gebraudy des
falten Waffers der natürlichen Vernunft.
Auch gleicht ded Verf. Verfahren in der That dem
eines für feine Wiſſenſchaft und Kunft begeifterten Arztes.
Wie man bei Ärzten häufig die Bemerkung macht, daß
fie den krankhaften Bildungsproceh der Natur mit einem
geroiffen Enthuſiasmus verfolgen und fih Kber ein firos
gendes Geſchwuͤr, über eine weitverzweigte Geſchwulſt,
über eine neuentdeckte Afterbildung im menſchlichen Körper
foft andachtig freuen koͤnnen, ohne Zweifel in der Vor⸗
ausficht der neuen Triumphe, weiche ihre Kunft über diefe
Abnormitäten der Natur davontragen wird: fo bemerken
wir au an unferm Verf. eine Art wifienfchaftlicher Er:
tafe, womit er die Krankheitögefchichte des menfchlidgen
Geiſtes durchläuft, jede Abirrung deſſelben bis in ihr fein:
fies Gefaͤſer zergliedernd verfolgt, und während feiner ganz
zen Beſchaͤftigung mit einem Stoffe, von dem man glau⸗
.ben foltte, er müßte ihm, nach feiner Anficht davon, wei:
berwärtig, abfloßend fein, eine ſolche Hingebung an den⸗
feiben, eine ſolche Erregtheit, faſt möchten vwoir fagen An:
dacht, zeigt, daß wir une diefe Exrfcheinung nur durch die
oben angegebene Analogie begreiflih zu machen vermögen.
Daraus erklärt fi aber audy die Wahl des Stoffe beim
Berf., feine Vorliebe für Behandlung der chriftlichen Dog⸗
men in ihrer urfprüngliden Faſſung und Deutung, fein
MWiderwille gegen das moderne Chriſtenthum, weldyes zu
analyſiten er fih nicht entfchließen kann. Auch der Arzt
behandelt Lieber hitzige als fchleichende Krankheiten, und
befonders der Waſſerheilkuͤnſtler, welcher den kranken Kör=
per dadurch heilt und reinigt, daß er die gebundene und
niebergedrüdte Naturheilkraft zu einer energifhen Reaction
zwingt, hofft nicht eher auf eine gründliche Genefung, als
bis er den Krankheicsfloff, der vorher dur den ganzen
Drganismus verftedt hin und wieder fhlih, in flarken,
offenen Ausbrüchen zu Tage kommen ſieht.
Die Betrachtungen des Verf. zerfallen in zwei Haupt:
abſchnitte. In dem erſten Abſchnitte ftellt er die Religion
dar in ihrer „Übereinftimmung mit dem Wefen ded Men-
4
183 .
ſchen“, in dem andern biefelte in Ihrem „Widerfpruche
mit dem Weſen des Menfchen”. Beiden Abfchnitten vor:
an gebt eine einleitende Unterfuhung über „das Ze
{im des Menfhen im Allgemeinen”, und „das Weſen der
Religion im Allgemeinen”. Kaffen wir ben Inhalt diefer
Einleitung in wenigen Worten zufammen :
Die Religion, fügt Feuerbach, beruht auf dem Bes
wugrfein des Menſchen; Bewußtſein aber iſt blos da, wo
einem Weſen feine Gattung, feine Weſenheit Gegen⸗
fand iſt. Die Schranke ded Weſens iſt zugleich die
Schranke des Bewußtſeins; wenn daher die Religion
Bewußtſein des Unendlichen iſt, fo beißt dies nichts An⸗
deres als: fie iſt das Bewußtſein des Menſchen von ſei⸗
um unendlihen Weſen. Das Weſen des Menſchen
beſteht im Denken, Wollen und Lieben. Das Bewußt:
kin verlangt num aber zu feiner Berhätigung einen Ge
genſtand, den es denken wolle, liebe. Diefer Gegenfland
tinn kein anderer fein, als wiederum das Weſen des
Menſchen feibft; das Bewußefein ift weſentlich Selbſtbe⸗
wußtfein, dem Menfchen wird, in feinem Bemwußtfein, fein
eigenes Weſen gegenftändiih. Wir können Nichts denken,
ohne uns des Denkens feldft und unferer, des denkenden
Weſens, bewußt zu fein; Nichts wollen, ohne unfer Weſen
in der Kraft des Wollens zu bethätigen; Nichts Lieben,
ohne das Gefüͤhl der Liebe, als cines uns Beherrfchenden,
zu haben. Wir können alfo gar Nichts fegen, Nichts
fühien, Nichte wollen, Nichts denken, ohne uns zugleich
und zuerft zu fegen; mir Bönnen alfo auch kein Unend⸗
liches fegen, ohne unfer Bewußtfein felbft zum unendli⸗
den Bewußtſein zu erweitern und das zu Segende als
defjen eigenes, integrirendes Wefen darin einzufchließen.
Alles daher — fagt der Berf. — was im Sinn der hyper⸗
phnftfchen, transfcendenten Speculation und Religion nur bie
Bedeutung bes Secundairen, des Subjectiven, bes Mit:
tels, bes Organs hat, das bat im Sinne der Wahrheit die
Bedeutung des Primitiven, bed Weſens, des Gegenfltan:
des ſelbſt. Iſt z. B. das Gefühl das weſentliche Drgan
der Religion, fo drüdt das Wefen Gottes nichts Anderes
aus, als das Wefen des Gefuͤhls. Das Gefühl iſt das
Drgan des Böttlichen, Heißt: das Gefühl ift das Nobelfte,
Trefflichfte, d. h. Böttlihe im Menſchen. (@. 13.)
Das Gefüht ift daher allerdings atheiftifih im Sinne bes
ortheboren Glaubens, als welcher die Religion an einen aͤu⸗
fern, Gegenftand Enüpft. Das Gefühl leugnit einen gegen»
finbtiden Gott — es if Ti feibft Gott. Auf dem
Gtrandpumfte des Befühls iſt nur die Negation bes Gefuͤhls
Ve Rıgation Gottes.
Das Gefühl iſt deine innigfte und doch zugleich eine von
dit unterfchiedene, unabhängige Macht; es ift in bir, über dir;
et iſt ſelbſt ſchon das Dbjective in dir, dein eigenftes Weſen,
Kb dich als und wie ein anderes Weſen ergreift — kurz,
bein Gott; wie willft bu alfo von biefem objectiven Weſen
in die noch ein anderes objectivcs Wefen unterfcheiden? wie
über bein Gefühl hinaus ?
Ebenſo ift es aber audy mit dem Denken, dem Handeln,
kurz, mit jeder Faͤhigkeit oder Thaͤtigkeit unſers Weſens,
welche man als das wefentlidhe Organ eines Gegenſtandes
kflimmt. Was ſubjeetiv die Bedeutung bes Weſens bat,
das hat ebenbamit auch objectiv die MWebeutung bed Weſens.
Die Menſch kann nun einmal nidht über fein wahres We⸗
fen dinaus. Wohl mag er ſich vermittels ber Phantafie Ins
dididnen anderer, angeblich höherer Art vorftellen, aber von feis
nee Gattung, feinem Veſen kann er nimmerinehr abſtrahiren;
bie Meiensbeflimmungen, die vofitiven, legten Präbicate, bie
er biefen andern Individuen gibt, find immer aus feinem eis
genen Weſen gefchöpfte Beflimmiungen — Beflimmungen, in
denen er in Wahrheit nur fich ſelbſt abbildet und vergegen-
ſtaͤndiicht. (&. 16.)
Dies alfo ſpeciell auf den hoͤchſten Gegenftand der
Religion, auf Gott, angewandt, können wir fagen: Das
Bemwußtfein Gottes iſt das Selbſtbewußtſein des Men:
[hen , die Erkenntniß Gottes die Geibftertenntniß des
Menfhen. Was dem Menſchen Gott ift, das ift fein
Geiſt, und was des Menſchen Geift, feine Seele, fein
Herz, das ift ihm Gott; Bott iſt das ausgefprochene
Selbit des Menſchen.
Wenn aber die Religion — faͤhrt der Verf. fort — das
Bewußtſein Gottes als das Selbſtbewußtſein des Menſchen be⸗
zeichnet wird, ſo iſt dies nicht ſo zu verſtehen, als waͤre der re⸗
ligioſe Menſch ſich direct bewußt, daß fein Bewußtſein von Gott
das Selbftbewußtfein feines Wefens ift, benn der Mangel biefes
Bewußtſeins begründet eben die differentia specifica der Reli⸗
gion. Um dieſen Misverftand zu befeitigen, ift es befler zu fa-
gen: die Religion ift die erfte und zwar inbirecte Selbſt⸗
erlenntnif des Menſchen. Die Religion geht daher überall
der Philofophie voran, wie in der Geſchichte dev Menfchheit, fo
aud in der GBefchichte des Einzelnen. Der Menſch verlegt fein
Befen zuerſt außer ſich, che er es in fich findet. Das eigene
Weſen ift ihm zuerſt als ein anderes Wefen Gegenftand. Der
geſchichtliche Fortgang in den Religionen befteht deswegen barin,
daß Das, was der frühbern Religion für etwas Objectives galt,
als etwas &ubjectives, d. h. was als Gott angefihaut und
angebetet wurde, jest als etwas Menſchliches erkannt wird,
Die frühere Religion ift der fpätere Goͤendienſt: der Menſch
bat fein eigenes Weſen angebstet. Der Menſch bat fich ver
objectivirt, aber den Gegenftand nicht als fein Wefen erkannt ;
die fpätere Religion thut diefen Schritt. Jeder Fortfchritt in
der Religion ift daher eine tiefere Selbſterkenntniß. Aber jede
beftimmte Religion, die ihre Altern Schweſtern als Goͤtzendiene⸗
zinnen bezeichnet, nimmt ſich ſelbſt — und zwar nothwendig,
fonft wäre fie nicht mehr Religion — von dem Schickſal, dem
allgemeinen Wefen der Religion aus; fie ſchiebt nur auf die
andern HReligionen, was doch — wenn anders Schul — die
Schuld der Religion überhaupt if. Weit fie einen andern
Gegenftand, einen andern Inhalt bat, weil fie über den In»
halt der frühern fidh erhoben, wähnt fie fich erhaben über bie
nothwenbigen und ewigen Gefege, bie das Wefen der Religion
conftituiren, waͤhnt fie, daß ihr Gegenitand, ihr Inhalt ein
übermenfchlicher fei. Aber dafür durchſchaut das ihr felbft ver:
borgene Weſen der Religion der Denker, dem die Religion Ge⸗
genftand ift, was ſich ſelbſt die Religion nicht fein kann.
Und unfere Aufgabe ift es eben, nadhzumeifen, daß der Gegen:
fag des Goͤttlichen und Menſchlichen ein durchaus illuſoriſcher,
daß folglich auch der Gegenſtand und Inhalt der dhriftlichen
Religion ein durchaus menfdlicher iſt. (S. 18.)
In Bezug auf die Prädicate des göttlichen We:
fen® wird dies dann auch gemeinlich zugeflanden, nicht
aber in Bezug auf das Subject ſeldſt oder auf die Epis
ftenz Gottes; d. h. man gibt zwar zu, daß alle die Be⸗
flimmungen, durdy melde wir uns Gott denken, als z. B.
gut, weile, gerecht u. f. w., menſchlich feien, aber man
leugnet, daß durch dieſe Prüdicate das Wefen Gotteo
erfhöpft werde, man hält daran fefl, daß jenfeit unferer
Vorſtellung oder unſers Bewußtſeins von Gott diefer
Sort an [ich exiſtire als ein wahrhaft und wirklich Ab⸗
folutes, dem Menfchen Gegenüberftehendes. Aber, entgeg:
ner Feuerbach, wie kann man Jenes zugeben und Diefee
, 19
leugnen? „Sind deine Präbicate Anthropomorphiömen‘
fagt er (S. 35), „ſo iſt auch das Subject derfelben ein
Anthropomorphismus.” Du glaubft an die kiebe als eine
göttliche Eigenfchaft, weil du ſelbſt liebſt, und du glaubſt,
daß Gott eriftirt, Subject ift, weil du felbft erifticht, ſelbſt
Subject biſt. Daß wir in dem Begriffe Gottes leichter
die Prädicate als die Eriftenz für etwas nur auf Gort
Übertragenes, für etwas Menſchliches halten, kommt ba:
ber, daß in unſerm Weſen ebenfalls die Exiſtenz das
Erfte, das Nothwendige, die Prübicate nur dad Secun⸗
daire, Äußerliche, Wechfelnde find. Aber fo wenig mir
gleichwol umfere Eriftenz als die menſchliche erfaſſen
koͤnnen ohne die beſtimmten Praͤdicate des Denkens, des
Wollens, der Guͤte u. ſ. w., fo iſt auch in Gott die Eri-
ſtenz gebunden an die Praͤdicate; nicht die Exiſtenz iſt
es, was den Begriff des chriſtlichen Gottes conſtituirt —
fonft würde jedes goͤttliche Weſen, ein Supiter, ein Jehova,
an deffen Stelle treten innen —, fondern die Prädicate
der Weisheit, dee Liebe u. f. w., durch welche das Chri:
ſtenthum feinen Gott von den Göttern anderer Religionen
unterfcheidet ; und daher iſt auch nicht Derjenige Atheift,
welcher die gegenfländliche Eriftenz Gottes feugnet, fon:
dern nur Derjenige, welcher nicht die Kraft und den
Werth der göttlichen Eigenſchaften, der Liebe, Weisheit,
Gerechtigkeit u. f. w., anerkennt und bethätigt.
(Die Fortfegung folgt.)
Literarifhe Notizen aus Franfreid.
Die „Revue independante”, die vom Monat December
an, ftatt in Monatsheften, alle vierzehn Tage erfcheint und
dadurch beſonders als politifches Blatt mehr Einfluß erhält,
bringt in einer ber legten Nummern einen Auffag aus ber Fe:
dee P. Ler oux's. Cr ift gegen Goufin und Damiron gerich:
tet. Lereux wirft diefen beiden ruͤhmlichſt bekannten Philos
fophen eine grobe Verfälfchung ver nachgelaflenen Papiere von
Souffeey in den hHärteften Ausbrüden vor. Das Factum felbft
laͤßt ſich ſchwer wegleugnen. Lerour ſtuͤtzt ſich auf die vorhans
benen Manufcripte und hat bie Beweife in ben Händen. So
handelt es ſich eigentlih nur darum, wem bie Falfification zur
Loft fat. Die Sache iſt folgende. Wir haben, als wir den Tod
des geiftoollen Philoſophen Theodor Jouffroy erwähnten, bereits
gefagt, daß ſich in feinem Nachlaſſe noch mandyerlei Papiere
finden müßten, bie wol werth feien, veröffentlicht zu werben.
Dies war in ber That der Fall und Couſin, der ehemalige
Lehrer und fpätere Gollege des Verſtorbenen, ſchickte ſich wirk⸗
ih an, die aufgefundenen Manufcripte zum Drud zu beför-
dern. Indeffen konnte oder wollte Goufin das Geichäft der
Keviſion nicht felbft übernehmen. Er übergab bahes die Pas
piere feinem Freunde Damiron, der die Herausgabe beforgen
folte. Damiron fand nun bei näherer Durchſicht mehre Stels
len, die gegen Goufin gerichtet waren und durch bie ſich der-
felbe hätte verlegt fühlen koͤnnen. Statt nun biefe Gtellen,
wenn er es für nöthig hielt, nur im Ausdruc zu mildern oder
ganz einfach zu ſtreichen, wurde ber Zert fo herumgedreht und
verfaͤlſcht, daB flatt tes Tadels ein Lob für Goufin daraus
ward. So ward Y ®. aus ber imprudence de M. Cousin:
la pradence de Cousin u. f. w. überhaupt erlaubte ſich
Damiron die fonberbarften Veränderungen, über deren Zweck
man ſich eigentlich nicht immer Rechenſchaft ablegen fann. So
verwandelte er „la divinit&e du christianisme‘ in „lautorite
du christianisme‘’ u. ſ. w. Diefe letzte Verfaͤlſchung veranlaßte
namentlich bie religiäfen Blaͤtter, wie den, Vnivers“, ein lautes
Geſchrei zu erheben, während die Veränderungen, welche Goufin bes
treffen, befonders von ben liberalen Iournalen lebhaft beſprochen
werben. Den Freunden bes Skandals ift mit biefer Gefchichte
überhaupt trefflich gedient. Go erfahren wir unter Anderm, daß
Goufin zur Zeit der Reſtauration in vertrauten Gefellfhaften
te bie Jakobinermuͤze auffeste und mit Barthe, unb wie die
übrigen ehemaligen Gorbonari heißen, die jest zum alleinfeligs
machenden Glauben bes Juftemitieu befehrt find, den wüthends
ften Republikaner fpieltee Er foll feinen Vertrauten bei vers
ſchloſſenen Thuͤren betheuert haben, daß die Grundfäge eines
Marat bie einzig wahren Lehren feien u. f. w. Wie es damals
mit ber Rechtgläubigkeit des großen Philoſophen ſtand, kann
man aud der ebenfo leidhtfertigen als in der Form ungezienienden
Antwort feben, die Couſin auf die Frage gab, wie lange der
Katholicismus fich nody würde halten können. Wie es heißt,
antwortete cz hierauf nämlich: „qu'il pourrait avoir encore
trois cents ans de vie dans le ventre”. Vergeblich haben
Coufin und Damiron bie Schuld von fi) abzuwaͤlzen und Le⸗
roux's Behauptungen zu entkräften gefucht.
Arfine Houffaye ift ein junger talentvoller Dichter, ber
ſich durdy einen geſchmackvoll geſchriebenen Roman und durch eine
Sammlung von Gebidhten („Les sentiers perdus”, 2. Autg,,
1842) befannt gemacht bat. Seit einiger Zeit hat die „Revue
de Paris’ von ihm höchft geiftreiche Skizzen befannter und un⸗
befannter Dichter, Künftler und MWeltleute des vorigen Jahre
bunberts gebracht, bie gegenwärtig in einem befondern Werke
gefammelt erſcheinen. Daffelbe führt den Zitel: „Le dix-
huitieme siecle. Poetes, peintres, musiciens.” (Bang vors
trefflich ſind namentlich die kleinen Biographien, bie zum Theil
an das Gebiet der Kunftnovelle ftreifen und die irgend einen
mebr ober weniger befannten Maler aus der franzoͤſiſchen Schule
zum Gegenftande haben. So heben wir befonbers die Gharafs
teriftiten der verfchiedenen Vanloo, die ganz meifterhaft find,
hervor. Houſſaye zeigt in bdenfelben ein wahres Kuͤnſtlergefuͤbl
und außerordentlih viel Stüd in ber Darftellung. Sehr ins
tereffant find auch die Skizzen ſolcher Schriftfteller, deren Werke
jegt laͤngſt verfchoflen find, obgleich fie zu ihrer Zeit Auffehen
erregten, und beren Leben irgend eine merkwuͤrdige Seite bietet.
So bemerken wir die Gharafteriftif des Engländer Dahlee,
ber im borigen Jahrhundert mehre ganz leidliche franzoͤfiſche
Operntexte ſchrieb und ber feines bizarren Weſens wegen bes
fannt war. 2,
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zur Erklaͤrung aller aus fremden Sprachen entlehnten
Wörter und Ausdrüde, welhe in den Künften und
Wiffenfhaften, im Handel und Verkehr vorkommen, nebfl
einem Anhange von Eigennamen, mit Bezeihnung ber
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Dr. 3. $. Kaltschmidt.
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Dieſes Werk zeichnet fid vor allen bi ;
bädern dur ————ùY — typogen.
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Berantwortlider HSerausgeber: Keinrich Brodbaud. — Drud und Berlag von E. A. Brodhaus in Eeipzig.
Blätter |
für
liferarifhe Unterhaltung.
Donnerdtag,
16. Kebruar 1843,
(Hortfegung aus Nr. #6.)
Diefe Anfiht, daß alle religiöfen Vorftellungen,
d. h. alle Boritellungen oder Bilder von einem außer:
oder uüͤbermenſchlichen, transfcendenten Wefen und einer
eben folhen Welt, Nichte feien als objectivirte oder
bypoftafirte Äußerungen unfers eigenen Gefühle, un:
ferer eigenen Denk⸗ und Thatkraft, diefe Anfiht führt
nun der Berf. durch alle einzelne Dogmen hindurch, und
fucht fo deren rein anthropologifhen oder anthropomor⸗
phiflifhen Charakter nachzumeifen.
Das allgemeinfte diefer Dogmen ift das Dogma von
dem Sein und Wefen Gottes überhaupt. Wie ftellt ſich
dieſes göttliche Werfen und Dafein unter dem Geſichts⸗
punfte des Berf., dem anthropologifchen, dar? Feuerbach
deutet ed ſchon in der Überſchrift diefes Abſchnitts an; er
betrachtet Sort „als das Gefeg oder ald das Mefen des
Berftandes”. Gott ift nichts Anderes als „das objective
Weſen des Verſtandes“; das göttliche Welen ift „das Be:
wußtfein des Verflandes von feiner eigenen Vollkommenheit“.
In der religiöfen Vorftellung von Gott liegt Zweierlei: eins
mal die Idee eined Zwieſpalts zwifchen dem Menſchen und
einem andern, höhern Weſen; zweitens aber auch die Idee
einer Beziehung ded Menfchen zu diefem Weſen. Wäre nun
aber Bott etwas fihlechthin Anderes als der Menſch, fo
koͤnnte weder jener Zwiefpalt nody diefe Beziehung zwifchen
Beiden eintreten; Gott und Menfh wären, um uns eine6
in ber Geometrie gebräuchlichen Ausdrucks zu bedienen,
zwei incommenfurable Größen. Vetlegen wir dagegen Die
beiden Sactoren dieſes Gegenfages (ber allein das Weſent⸗
liche, Thatſaͤchliche in jener religioͤſen Vorſtellung iſt) in
dafſelbe Bewußtſein, fo haben wir Beides, ſowol Zwie⸗
ſpalt als Beziehung, in ganz folgerechter und ganz be⸗
greiflicher Weiſe. In unſerm Bewußtſein findet ein Zwie⸗
jpalt ſtatt zwiſchen dem reinen, kalten, ſtarren Ver⸗
ſtande mit feinem abſtracten Geſetze moraliſcher Voll⸗
Sommenheit und Mangelloſigkeit, als der allgemeinen, uns
perföntichen, uͤbermenſchlichen Kraft im Menſchen, dem ei:
gentlihen Gattungsvermögen, und dem Derzen,
dem Vermögen des individuellen, mit feinen befondern,
perſoͤnlichen Intereffen, Neigungen und Angelegenheiten.
Diefe Seite des Verhältniffes zwiſchen den beiden extre⸗
men Bewußtfeinsrichtungen im Menfchen, dem abſtrac⸗
ten Verſtande und dem individuellen Gefühle,
wird repräfentirt durch das religidfe Dogma von Gott als
einem metaphyſiſchen Wefen, deffen abſtracte Vollkommen⸗
heit den Menfchen in feiner Nichtigkeit erdruͤkt. Aber
In unſerm Bewußtſein gleicht ſich auch jener Gegenfag
aus buch die Beziehung der Eptreme aufeinander; das
Medium zwilhen Verftand und Gefühl tft die Liebe,
und dieſe Liebe, biefe Verſoͤhnung zwifhen dem Abs
ſtracten, Übermenſchlichen, Urfperföntichen im Menfchen,
und feiner Individualität, dem eigentlih Menfchlichen,
Perfönlichen, dieſes pfychologifche oder anthropolo:
sifhe Factum finder fi gleichfalls in der Religion in
eine gegenfländliche Vorſtellung überfegt, naͤmlich in das
Dogma von der „Incarnation”. Über dies Dogma
fügt Feuerbach :
Wenn der menfchgeworbene Gott in ber Incarnation als
das Erſte gefest wird, fo erfcheint freilich die Menſchwerdung
Gottes ald ein unerwartetes, frappicendes, wunderbares, ges
heimnißvolfes Ereigniß. Allein dee menſchgewordene Gott
ift nur die Erſcheinung des gottgemworbenen Menſchen,
was freilich im Rüden bes religidfen Bewußtſeins liegt. Der
Menſch war ſchon in Gott, war fihon Bott felbſt, ehe Bott
Menſch wurde. (©. 49.)
Das heißt mit andern Worten: fowie die Vorftellung
Gottes als eines außermenfchlichen, befondern We:
fens eine bloße Hypoſtaſe oder Perfonification unferer abs
firacten Verftandesrihtung ift, fo hat das Bild einer
Menſchwerdung Gottes keine andere Bedeutung als dieſe,
daß der Menfh, welcher durch feinen Verſtand, fein ab:
ſtractes Denken ſich über die eigentlichen, beftimmten
menſchlichen Verhaͤltniſſe erhebt, ſich denfelben gleichſam
entftemdet, durch feine Herzensregungen, durch feine Liebe
wieder zur Theilnahme an dieſen Verhaͤltniſſen, zum Mit⸗
gefühl für andere Menſchen, deren Intereſſen und Leiden,
zur Verföhnung mit ſich felbft, d. h. mit feinen indivi—
duellen Gefühlen und Beduͤrfniſſen zuruͤckkehrt.
„Bott liebt den Menſchen“, ift ein Drientalismus, welcher auf
Deutſch heißt: „Das Hoͤchſte ift bie Liebe des Menſchen.“ (S. 60)
Dieſelbe Ruͤckuͤberſetzung aus der religioͤſen Denk⸗ und.
Sprechweiſe in die natürliche, menſchliche, laͤßt uns auch
den wahren Sinn des dritten Dogmas verſtehen, des
Dogmas von dem „leidenden Bott”. „Gott leidet“, heißt,
nad) Feuerbach, „das Leiden ift göttlich.” Das Geheims
niß des Leidenden Gottes ift das Geheimniß der Empfins
dung, ober beffer, ber Empfindfamkeit. Dem empfind⸗
famen, einwaͤris gekehrten, weltfcheuen, auf ſich concentrir⸗
ten Herzen, d. i. dem Gemüche, entſpricht ebenſo ſehr
zas Leiden, als dem kraͤftigen, ſelbſtthaͤtigen Menſchen
daſſelbe zuwider if. Wie daher die Griechen und Roͤmer
ihre Thatkraft in ihren Göttern perfonificisten, fo die
Chriften ihre Empfindſamkeit in ihrem leldenden Gott
oder Gottmenſchen.
Die Anſchauung eines leidenden Gottes war bie hoͤchſte Selbſt⸗
bejahung, die hoͤchſte Wolluft des teidenden Herzens. (©. 67.)
Die „Trinitaͤt“ ift der Ausdeud der vollen Totalitaͤt
des Menfchen, der innigen Verbindung zwifhen Verſtand
und Herz, und zugleich der Gemeinſchaft des Lebens mit
andern Menfchen. Der abftract dentende Menſch iſt ein:
fam, ohne rechtes Selbftbewußtfein, ja ohne rechte Mick:
lichkeit, erft der Liebende und geliebte, der fich mittheilende
und Mittheilungen empfangende Menſch hat ben vollen
Gehalt des Lebens, das wahre Bewußtſein von fi und
von den Andern, welche Daffelbe find mie er. Dies Bes
wußtfeinsfactum allein und nichts Weiteres fpricht
das „Geheimniß der Zrinität” und das Dogma vom
„gogos”, dem „göttlichen Worte”, aus. Daß nun fer:
nee diefer Logos noch ganz befonders ald ein gegenfländ-
liches, bildliches Weſen vorgeftellt wird, iſt abermals nur
aus dem Beduͤrfniß der Phantafle, des bilderfchaffenden
Vermögens im Menſchen zu erklären.
Der Sohn ift das befriedigte Beduͤrfniß der Bilderfchau,
das vergegenftändlidhte Wefen ber Bilderthaͤtigkeit, als einer ab⸗
foluten, göttlichen Thätigkeit. (S. 89).
Das „SGeheimniß des Losmogonifhen Principe in
Gott” beruht darauf, daB zwifhen das unfinnliche
Mefen Gottes und das finnlihe Wefen der Wert
ein Mittelwefen teitt, das göttlihe Princip des
Endlihen, bie zweite Perfon in Gott, die mit Gott
ſelbſt ideneifh und doch auch nicht mehr der abftract
unenblihe Gott ifl. Dies in die Sprache der anthropos
logiſchen Denkweiſe überfegt, heißt: Zwiſchen die Ab:
firaction und die Sinnlichkeit muß ein Drittes, die
Einbildungstraft oder Phantafie treten. Nun
wird aber ferner jener Übergang von Gott zur Melt durch
den Logos bargeftellt als ein Sichfelbfterfennen und Sic:
felöftunterfcheiden Gottes. Welchem menfhlihen Bewußt:
feinsfactum entfpricht diefe religiöfe Worftelung ?
Der Identitaͤt — belehrt uns Feuerbach — zwifchen dem
Selbſtbewußtſein des Menfchen und feinem Bewußtfein von eis
nem Anderen, welches mit ibm identiſch, und von wie»
der einem Anbern, weldes nit mit ihm identiſch iſt.
Und das zweite, das wefensgleidhe Andere ift nothwendig
das Mittelglied, der Terminus medius zmwifchen dem Erſten und
Deitten. Der Gedanke eines Andern überhaupt, eines we:
fentlih Andern entſteht mir crft durch den Gedanken eines
{im Wefen mir gleihen Andern. (&. W.)
Diefe Anficht, welche fehr an die Darftelungen in
Fichte's „Wiſſenſchaftslehre“ und nod mehr in deſſen
„Beſtimmung des Menfchen” erinnert, führt der Verf.
weiter aus. .
Das Bewußtfein der Welt — heißt es weiter — iſt das
Beroußtfein meiner Befchränttheit; wüßte ich Nichts von einer
Weit, fo wüßte ih Nichts von Schranken. Aber das Bewußts
fein meiner Beſchraͤnktheit fteht im Widerfpruch mit dem Triebe
meiner Selbſtheit nach Unbeſchraͤnktheit. Ich Tann alfo von ber
Seldftpeit, fie abfolur gedacht (Bott ift bas abfolute Selbſt)
nit unmittelbar zu ihrem Gegentheil übergehen, ich muß
diefen Widerſpruch einleiten, vorbereiten, mäßigen durch das Be⸗
wußtfein eines Weſens, welches zwar auch ein anderes ift und
infofern mir die Anfchauung meiner Beſchraͤnktheit gibt, aber
fo, daß es zugleich mein Weſen bejaht, mein Weſen mir ver-
gegenftänblicht. Das Bewußtfein der Welt ift ein demüthigen-
des Bewußtfein — die Schöpfung war ein „Act der Demuth”
— aber der erfte Stein bes Anftoßes, an dem ſich der Stotz
der Ichheit bricht, ift das Du, der Alter Ego. Erſt flählt das
Ich feinen Bli in dem Auge eines Du, ehe es die Anfhauung
‚eines Weſens erträgt, welches ihm nicht fein eigenes Bild zu-
ruͤckſtrahlt. Der andere Menſch ifl das Wand zwiſchen mir
und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der Weit,
weil ich zuerft von andern Menſchen mich abhängig fühle. Be⸗
dürfte ich nicht des Menfchen, fo bedärfte ich audy. nicht der
Weit. Sch verföhne, ich befrrunde mich mit der Welt nur durch
den andern Menſchen. Ohne den Andern wäre bie Welt für
mich nicht nur tobt und leer, ſondern auch finn= und verſtand⸗
108. Nur an bem Andern wird der Menſch fi Elar und ſelbſt⸗
bewußt; Aber erft, wenn ich mir ferbft klar, wirb mir die Welt
Mar. Gin abfotut für ſich allein eriftirender Menſch würde fidy
ſelbſtlos und unterſchiedslos in dem Dceane der Natur verlieren;
er würde weder fi als Menfhen noch die Natur als Natur
erfaffen. Dex erfte Gegenftand bes Menfchen ift der Menſch.
Der Sinn für die Natur, der uns erſt das Bewußtſein der
Welt als Welt erfchlieht, ift ein ſpaͤteres Erzeugniß; benn er
— erſt durch den Act der Abſonderung des Menſchen
von ſich.
Das Bewußtſein der Welt iſt alſo fuͤr das Ich vermittelt
durch das Bewußtſein des Du. So iſt der Menſchder Gott
des Menſchen. Daß er iſt, verdankt cr der Natur, daß
er Menſch iſt, dem Menfchen.
Derſelbe Geſichtspunkt endlich kehrt wieder S. 139,
wo der Verf. von der Schoͤpfung der Welt handelt.
Die Schoͤpfung der Welt — ſagt er — druͤckt Nichts aus
als die Subjectivitaͤt, welche ſich durch Bewußtſein, daß die
Welt erſchaffen, ein Product des Willens, d. h. eine ſelbſtloſe,
machtloſe, nichtige Exiſtenz iſt, die Gewißheit der eigenen Rea⸗
lität und Unendlichkeit gibt. Du vernichteſt alſo ſubjectiv bie
Welt; du denkſt dir Bott allein für fi, d. b. die
ſchlechthin unbefhräntte Subjectivität, die Sudjec⸗
tivität, die ſich ſelbſt allein genießt, die nie der
Welt bedarf, bie nichts weiß von den ſchmerzlichen
Banden ber Materie. Im innerflen Grunde deiner Seele
willſt du, daß Eeine Welt fei; denn wo Wett ift, da it Ma⸗
terie, und wo Materie, da iſt Drud und Stoß, Raum und
Zeit, Schranke und Nothwendigkeit. Gleichwol ift aber body
eine Welt, eine Materie. Wie kommſt bu aus der Klemme
dieſes Widerſpruchs hinaus? Wie fchldaft du dir die Welt
aus dem Sinne, daß fie dich nicht flört in bem Wonnegefüht
der unbefchränften GBubjectioittät? Nur dadurch, daß du die
Welt ferbft zu einem Willensproduct machſt, daß du ihr
eine wilitürliche, ftetö zwifchen Sein und Richtfein ſchwe⸗
bende, ſtets ihres Vernichtung gewaͤrtige Exiſtenz gibſt. Aller⸗
dings laͤßt ſich die Weit, ober bie Materie — denn beide laſſen
ſich nicht trennen — nicht aus dem Creationsacte erklaͤren;
aber es iſt gaͤnzlicher Misverſtand, ſolche Foderung an die Grea-
tion zu ſtellen, denn es liegt dieſer der Gedanke zu Grunde: es
ſoll keine Welt, feine Materie fein; und es wird daher auch
täglich ihrem Ende entgegengchartt. Die Welt in ihrer Wahr⸗
heit exiſtirt bier gar nicht; fie ift nur ale der Drud, die
Schranke der Subjectirität Gegenftandb; wie follte die Welt in
ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus einem Princip, das Die
Welt negirt, ſich deduciren, begründen Laffen ?
Mir übergehen die beiden folgenden Gapitel, wovon
da® eine die Schelling :Böhme’fche dee „einer Natur in
.. 5 #4 2
—17
nam Üm ..- VE u ae Mi.» --
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u, e—
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en ⸗
187
Sort”, das andere „bie Bedeutung ber Greation im Ju⸗
denthume“ beſpricht — weil beide Gegenſtaͤnde nicht un:
mittelbar mit dem chriftfichen Dogma in Verbindung fte:
Yan — und wenden uns zu den Abfchnitten, welche von
‚der Allmacht des Gebete”, „dem Geheimniß des Blau:
vend” und „dem Geheimniß des Wunders“ Handeln.
Des Gebet kann, vom Standpunkte des Verf. auß,
natilich Peine andere als fubjective Kraft und Beben:
tung haben.
Die Allmacht — fagt er — an bie fi der Menſch im
Gebete wendet, ift in Wahrheit nichts Anderes ald bie Alls
naht des Herzens, bed Gefuͤbls, welches alle Verſtandes⸗
ihranfen durchbricht, alle Grenzen der Ratur überflügelt, wel⸗
ed will, daß nichts Anders fei als Gefühl, Nichts fei, was
dem Herzen wiberfpriht. Der Glaube an die Allmacht ift ber
Staude an die Irrealitaͤt der Außenwelt, der Dbjectivität, ber
Slaube an die abfolute Realität des Gemuͤths. (S. 162.)
Das Gebet fegt den Glauben voraus, der Glaube
das Wunder. Was fubjectiv der Glaube, das iſt ob⸗
jectiv das Wunder; Glaube und Wunder find abfo:
Int ungertrennlidy. „Der Glaube aber ift nichts An:
deres ais die Zuverſicht zur Realitaͤt des Subjectiven im
Gegenſatz zu den Schranken, d. i. Geſetzen der Natur und
Vernunft, d. h. der natürlichen Vernunft“ (S. 163).
„Dee Giande entfeſſelt die Wuͤnſche der Eubjectivität
von den Banden der natuͤrlichen Vernunft. Er geneh⸗
migt, was Natur und Vernunft verſagen; er macht den
Menſchen darum felig, denn er befriedigt feine fubiec-
tioften Wuͤnſche (S. 164). „Das Wunder iſt ein rea⸗
lifieter fupranaturatiftifher Wunſch — fonft
Kits“ (5.166). „Die Macht des Wunders iſt da⸗
ber nichts Anderes ald die Macht der Einbildbungs:
kraft“ (S. 168). Einbildungskraft und Gemüth find
die beiden Quellen des Wunderglaubens; das Gemuͤth
wünfcht, was in dem natürlichen Laufe der Dinge ent⸗
weder gar nicht, oder doch nicht auf dieſe Weiſe eintreten
würde (4. B. Wiedererweckung eines Todten, oder ploͤtz⸗
lie Heilung eine® Kranken); die Einbildungskraft realis
fit diefen Wunſch, d. h. fie ſtellt fich deſſen Reatifirung
als vollendete, gefchichtliche Thatſache vor. Auf diefem
Mahotogifhen Wege — der Selbſttaͤuſchung, ber
Bifion — glaubt der Verf. alle Wunder des Ehriften:
tems erfläcen zu koͤnnen, und felbft das gilt ihm für
binen fichhaltigen Einwand gegen dieſe Annahme, daß
me Wunder im Angefichte ganzer Verſammlungen ge:
ſochen find oder gefchehen fein follen. Denn, entgegnet
dx Verfaſſer:
Reiser war bei ſich, Alle erfüllt von überfhwänglichen, fu:
Vesteriifiichen Borftellungen, Empfindungen; Ale befeelte
bei Slaube, diefeibe Hoffnung, diefelde Phantafie. em
foüte 4 ober unbefannt fein, daß es auch gemeinfchaftliche
Zrdzme, erinfpafttiche ober gleichartige Viſionen gibt, zumal
bei gemäthühen, in und auf fidy befchränften, enge zuſammen⸗
heltenden Yakinipuen ? (©. 175.)
Unter diefe Erklaͤrung fällt auch das Geheimniß „ber
Inferfiehung und der übernatürlichen Geburt Chriſti“.
‚Die Auferſiehung Chrifti ift der realifirte Wunfd
bi Nenſchen nach unmittelbarer Gewißheit von
Kia perföntihen Fort dauer nah dem Tode, Die
perſoͤnliche Unſterblichkeit als eine finnliche, unbezweifelbare
Tharfache.” Auch die Idee der „übernatürlihen Geburt“
Chrifti warb erſt aus einem „praktiſchen Beduͤrfniß“ ein
fpeculatived Dogma. Der fubjective, nur im Gemuͤthe
und in der Phantafie lebende Menſch bat eine Scheu
oder Scham vor der Natur oder wenigſtens vor geriffen
natürlichen Dingen und Procefjen, wozu ganz befonders
dee Act der natürlichen Zeugung und Geburt des Men:
fchen gehört. Er fucht über diefe ihm widerliche Vorſtel⸗
lung duch ein Wunder hinwegzukommen — er läßt bie
Jungfrau zur Mutter werden, unbefledt durch die phofls
fche Geſchlechtsvereinigung. Im Katholicismus, weldyer
uͤberhaupt den weſentlichen Charakter des Chriſtenthums
ſtrenger feſthaͤt, behielt daher auch das Dogma von der
unbefleckten Jungfrauſchaft eine praktiſche Bedeutung;
die Eheloſigkeit, das Geluͤbde der Keuſchheit galt als
hoͤchſte Tugend. Der Proteſtantismus, welcher im Prak⸗
tiſchen das menſchliche Intereſſe an die Stelle des reli⸗
gioͤſen ſetzte, hielt nur die theoretiſche Seite jenes Dog⸗
mas feſt; er hob die Moral der Eheloſigkeit auf und
ließ doch die Idee der nichtphyſiſchen Erzeugung
Chriſti beſtehen.
Wie aber alle die einzelnen Wunder, welche an Chriſto
und duch ihn geſchehen, Nichts find als realiſirte Her:
zenswünfche des Menfhen, duch die Einbildungskeaft zu
wirklichen Thatſachen erhoben, fo ift Chriftus ſelbſt, der
perfönlichgerordene, erfcheinende Gott, der Erloͤſer,
nur ber realifite Wunſch des Gemuͤths, frei zu fein von den
Geſetzen der Moral, d. h. von den Bedingungen, an welche
bie Tugend auf dem natürlichen Wege gebunden ift, ber
realifirte Wunſch, von den moralifchen übein augenblicklich, un-
mittelbar mit einem Zauberſchlage, d. h. auf abfolut fubiective,
gemüthliche Weife ertöft werden. Der höchfte Selbſtgenuß
ber Subjectivität, die hoͤchſte Sciöftgewißheit des Menſchen über:
haupt ift, daß Bott für ihn handelt, für ihn leidet, für
ihn fi opfert. (©. 187.)
Dies iſt auch das Unterfcheidende der chriſtlichen Me:
ligion, gegenüber allen andern Religionen, daß in bem
Ehriſtenthume die Phantafie nur im Dienfte de Gemüths
arbeitet, daß alle dogmatifhen Vorſtellungen in unmittel-
barer Beziehung auf die Befriedigung eines praftifchen
Bedürfniffes des Derzens ſtehen, während in den orienta-
liſchen Religionen die Phantaſie in vagen Bildern umber:
fchroeift, die nuc fie felbft, nicht aber das Gefühl, den.
Drang des Herzens befriedigen.
Aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet, gewinnen nun
auch mande Snftiturionen der Kirche, die wir ſonſt wol
gewohnt find, als bloße Erzeugniſſe der politifhen Klug:
beit anzufehen, eine tiefere, eine wirklich chriftliche Bedeu:
tung; fo 3. B. das Moͤnchthum und ber freie GCoͤlibat.
In beiden naͤmlich ſpricht fi das Beſtreben aus, die
„uͤberweltliche, von der Materie befreite, von dem Gat⸗
tungsleben und der Geſchlechtsdifferenz abgefonderte Sub-
jectivitaͤt“, deren höchfter Mepräfentant Bote iſt, auch in
dem irdifchen Leben abbildlich darzuſtellen.
Ihren Gipfelpunkt aber erreicht diefe Abftraction von
dem Endlichen, diefe Miedscherftellung dee reinen, freien,
in fih vollkommenen Subiectivität erft in dem „Glauben
188"
ein himmliſches Leben”, an eine „perfönliche Unſterb⸗
u nn Menfch als ein befondere® Weſen, ale
Sort, ſich gegenüberfegt, das ſtellt er fi nun auch mod)
als einen Zuftand feines eigenen Weſens vor, aber als ei:
nen zutünftigen. Der Menfch denkt ſich ale unvergäng>
lich, ewig fich gleichbleibend — als abfolut. Aber diefe
Idee des ewigen Seins ift nicht die unbeflimmte Vor⸗
ſiellung eines Seins, Exiſtirens überhaupt, fondern bie
ganz beflimmte einer qualitativen Seinsweiſe; fie ift nicht
ein Product des abftrahirenden Verſtandes, fondern ein
Product des wuͤnſchenden, fehnenden, hoffenden Herzens.
Mit einem Worte, was wir uns unter dem künftigen Leben
denken, ift nichts Anderes als unfer gegenmwärtiges Gemuͤths⸗
Ieben, nur ohne die Schranken und Störungen, von mels
chen daffelbe jest, in feinen Beziehungen zur Welt, ums»
geben if. „Der Glaube an das Jenfeit iſt der Glaube an
die Sreiheit dee Subjectivität von ben Schranken ber Natur.”
So kehrt der Kreid der religiöfen Vorftellungen in ſei⸗
nen Anfangspuntt zurüd. Mit Gott hob er an, d. h.
mit dem Glauben an das abftracte Wefen des Menſchen,
mit dem Gattungsbegriffe; mit dem Glauben an Unfterb:
lichkeit ſchließt er fih ab, d. h. mit der Vorftellung bes
abftracten Diefjeit, des abfoluten Weſens des Menfchen,
aber nicht mehr als bloßen Gattungsweſens, ‚fondern als
beftimmter Individualität, als concreter Perfönlichkeit. Von
ſich geht der Menfch im der Religion aus, zu fi kehrt
er zuruͤck; die Religion ift ber „ernſte Monolog der Sefbft:
beftimmung, in twelhen der Menſch den zerfireuenden
Dialog des Lebens überfegt”. |
So ftellt fi uns die Religion dar, aus dem anthro:
pologifchen Gefihtspuntte, als ein einfaches pſychologiſches
Factum betrachtet. So ift fie etwas dem Menſchen Na:
türliches, „mit feinem Weſen Übereinftimmendes”, . denn
fie ift der Complex feiner pathologifchen Regungen, Ge⸗
fuͤhle und Neigungen. Aber ſo iſt ſie nicht, von ihrem
eigenen Standpunkte aus angeſehen, fo erfaßt fie nicht
fich ſelbſt. Weit entfernt, ſich als einen bloßen Ausdrud
der praftifhen Bedürfniffe des Menfchen zu be:
teachten, will fie eine felbftändige, duch) fidy geltende, Das
Leben und das praktifhe Verhalten der Menfchen tegelnbe
Lehre fein. Hier aber beginnt ihre Selbfltäufhung, hier
wird fie Sophiftit und tritt in Widerſpruch und
Kampf mit dem menſchlichen Bewußtſein. Dies nachzu⸗
weifen, ift die Zendenz des zweiten Hauptabſchnitts der
Feuerbach'ſchen Schrift, den wir nur mit kurzen Worten
berühren, da er eigentlich Nichts als die Gonfequengen
des erſten enthält.
(Die Fortſetzung folgt.)
Literarifche Notizen aus Franfreid.
„Jeröme Paturot a la recherche d’une position sociale.”
Der National’ brachte vor einiger Seit eine kleine Novelle
unter obigem Zitel, bie eine wahre Meifterhand verrietb. Seit
langer Zeit hatten wir nicht fo etwas Geiſtreiches und Wigiges
gelefen. Gegenwärtig ift fie nun, mit Zufägen verfehen, in
einem abgefonderten Bändchen abgebrudt, und wir wollen bie
Gelegenheit nicht vorüberge laſſen, auf dieſes vortrefftidye
Bei aufmerffam zu maden. Der anonyme Berf. bält ber
Gegenwart einen untrüglichen Spiegel vor. Wir ſehen in dem⸗
felben die Unruhe, die Gpeculationewuth, die Eucht zu glänzen,
kurz alle Fehler und Läcerlichkeiten unferer Zeit. Der Stil iſt
wahrhaft vollendet, einfchneibendb, pikant und dabei body gang
natürlich und ungezwungen. Jerome Paturot, ber Held biefer
Erzählung, glaubte, als die romantifche Wutb (die Sturm⸗
und Drangperiode in Frankreich) ſich der franzoͤſiſchen Jugend
bemädhtigt hatte, Stoff zu einem großen Dichter in fi zu has
ben. Er ließ ein paar Bände Gedichte bruden und fab feine
Schlaͤfe ſchon von Lorbern triefen. Leider aber beſchraͤnkte fich
ber ganze Erfolg feiner Poeſien auf das verdaͤchtige Lob einiger
Freunde. Das Yublicum ſprach kein Wort davon und ber Dich
ter konnte fein einziges Exemplar abfegen. Vergebene räth ihm
ein alter Onkel, der einer einträgliden Strumpf: und Mügen-
handlung vorfteht, auf den Umgang ber Muſen zu verzichten
und fein Gefchäft und feinen Reichtkum mit ihm zu theilen.
Zeröme ſchaudert vor biefer Idee zurüd. Gin Gtrumpfhandel,
weiche Philiſterei! Indeffen fängt er doch an einzufehen, daß
die Versſchmiederei ihren Mann nicht ernährt, und er befchließt
nun, fi andere Hülfsquellen zu Öffnen. Won nun an treibt
er fid in allen Garrieren herum, wird Redacteur eines Zours
nals, läßt ſich in Handelsfpeculation, in induftrielle Schwinde⸗
leien ein, fällt dabei in die Hände von fchamlofen Betrügern,
macht Schulden, die er nicht wieder bezahlen kann, und be
fchließt endlich, dieſes zweckloſen Zreibens überdrüffig, fich feibk
den Tod zu geben. Aber feine getreue Geliebte, die alle Pha⸗
fen feines Glanzes und Elends mit durchgemacht hat, fegt ben
alten Onkel, den GStrumpfhändler, davon in Kenntniß, und
derfelbe eilt nun herbei, rettet den romanbaften Neffen, der bes
reits vom: Kohlendampfe betäubt ift und der ſchon in einem
ſchwaͤrmeriſchen Gedichte von der undankbaren Welt, von der er
nicht verflanden ift, Abfchieb genommen hat. Die alte gute
Seele bezapit alle Schulden Zeröme's, läßt ihn an dem Bande
Theil nehmen und tritt endlich das ganze Geſchaͤft an ihn, ber
von feinen überfpannten Ideen zurüdgelommen ift, ab. Dies
ift das dürre Skelett diejer kleinen Novelle, deren vorzuͤglicher
Werth in der ſprudelnden Fülle einzelner Züge beſteht. Ein
Gorrefpondent ber „Augsburger Zeitung” behauptete, daß Bal⸗
zac der Verf. diefer geiftreihen Erzählung fei, die in Paris
viel Auffehen erregt bat. Dem ift aber ficher nicht fo.
ein ungeübtes Auge erkennt, daß dies nicht Balzac’s Stil if.
Wenn fie wirklich von biefem fruchtbaren Romanſchreiber her»
rührte, fo müßte man glauben, baß er fi zum Theil feibft
perfiflivt habe. Wie ich Höre, ſoll fie vielmehr aus der Feder
eines jungen Mannes berrühren, ber ſich durch mehre wiſſen⸗
ſchaftliche Werke auf dem Gebiete der Phyſik unb Chemie einen
Namen gemacht hat. Der „National hat unter demfelben
Zeichen (***) einen andern kleinen fatirifchen Auffag gebradgt,
der an Wis bem „‚Jerdme Paturot’’ nicht nachſteht. Derſeibe
führt den Zitel: „Contre les Oranges de Monaco.” UGs if
dies eine Perfiflage auf die bekannte „Reunion Fulchiron“,
weiche bie belgiſche Handelsunion in den Bann gethan hat.
Wir haben vor einiger Zeit ein gebiegenes franzöfifches Werk
von Nicolas Stepbanopoli über die jungen Rationalitäs
ten bes Morgenlandes erwähnt. Der Verf. beffelben, der Grieche
von Geburt iſt und der früher bei der franzoͤſiſchen Geſandtſchaft
in Konftantinopel angeflelt war, bat foeben ein anderes Werl
erſcheinen laflen, in dem er das Wefen der altgriedhifchen Eos
lonien behandelt. Es führt ben Titel: „Genie des colonies
grecques, spartiates et des peuples indigenes de la Corae.“
Wir ftellen damit einen geiftreichen Artifel zufammen, ben bie
„Bevue des deux mondes“ vor längerer Zeit von Charles Dis
bier, der durch feine „Une annde en Espagne” und feine
„Campagne de Rom’ befannt ift, über die Anfiedelung ber
Albanefer in Italien brachte. 2.
Verantwortlicher Deraudgeber: Deinrih Broddaus. — Drud und Verlag von 3. X. Brodhaus in Leipzig.
Blätter
für
-
literarifhe Unterhaltung.
Freitag,
De 3 Beuerbady 8 Anfichten über das Chriftenthum.
(Bortfegung aus Nr. 47.)
Die Religion, fagt der Verf. betrachtet allerdings ben
Menſchen ale ein praktiſches Weſen, ihren eigenen Zweck
als einen lediglich praktiſchen — Die Heiligung und Bes
feligunlg des Menfchen —, aber fie macht diefe praßtifche
Deitdorduung abhängig von dem Glauben an ihre theo:
wtifhen Ausſpruͤche. Während die vernünftige, philoſo⸗
nbifche Wetracktung des Menſchen, die wahre Anthropolo⸗
gie, jene praktiſchen und pathologifchen Kußerungen feines
Weſens abhängig macht von der Erfenntniß der allge:
meinen Geſetze frines Bewußtſeins und der Natur, fodert
die Theologie von dem Menfchen, dab er als Geſetz des
Handelns antrkemne, mas fie als ſolches aufitellt, duß er
den beitimmten Inhalt des. pofitiven Glaubens, ohne
Kritik, annehme, daß er von der Vollziehung gemiffer
vorgefhriebenen Andachtsformen und Sacramente
frin Heil erwarte u. f. w. Die Religion vernichtet alfo
die Theorie, die Denffreiheit, indem fie, -zur Be⸗
glaubigung ihrer Lehren, an da6 Gemuͤth, an den Glüuͤck⸗
fetigfeitstrieb appelliet, indem fie an Diefelben Fluch und
Segen, Verdammung und Seligkeit knuͤpft. Ste vernich⸗
tet Die Moral, indem fie dieſelbe zu einem Seeundalren
und die Giutigkeit der mroralifchen Gebote von der libers
einſtimmung derſelben mit ihren Dogmen abhängig macht,
fie iſt, durch ihren Blausen, ber ſtets ein beſtimmter, ein
Sonderglaube if, ausfchliefend, fanatifch gegen Ans-
dersbenkende und fest fi dadurch ſelbſt in Widerſpruch
mit dem böchften Geſetze des Herzens, der Liebe, welche
fi Aber alle Menſchen ausbreitet.
Die „Schlußanwendung“ des Berf. (S. 369) lau⸗
tet nun:
In dem entwidelten Widerſpruch zwiſchen Glaube und
Eiebe haben mir ben praktiſchen hanbareifiicken Nöthigungss
grund, über das Chriſtenthum, über das eigenthuͤmliche
Weſen der Religion überhaupt uns zu erheben. Wir haben be:
wiefen, daß der Inhalt und Gegenftand ber Religion ein
durchaus menſchlicher iſt, und zwar menfchlicher in dem bops
peiten Sinne dieſes Worte, in weichem es ebenſo wol etwas
Pofitives als Negatives beteutet, daß die Religion nicht nur
die Mächte des menfchlichen Wefens, ſondern ſelbſt auch bie.
Schwachheiten, die fubjectioften Wünfche des menfchlichen Her;
zens, wie z. B. in den Wundern unbedingt bejaht — bewiefen,
dag auch die gättiiche Weisheit menfhlihe Weis:
drit, dab das Geheimmiß der Theologie bie Anttisopologie, bes
17. Februar 1843.
abfoluten Geifted ber fogenannte endliche fubjective Geiſt ift.
Aber die Religion bat nicht das Beroußtfein von ber Menſch⸗
lichkett ihres Inhalts; fie fest ſich vielmehr dem Menſchlichen
entgegen, oder wenigſtens fie geſteht nicht ein, baß ihr
Inhalt menfchlicher if. Der nothwendige —E der Fi
ſchichte iſt daher dieſes offene Bekenntniß und @inges.
ftändniß, dag das Bewußtſein Gottes nichts Anderes ift als
das Bewußtſein ber Gattung, daß ber Menih fi nur über
die Schranken feiner Individualität erheben kann und foll, aber
nicht über bie Gefege, die pofitiven Weſensbeſtimmun—
gen feiner Gattung, daß ber Menfch kein anderes Weſen
als abſolutes Weſen denken, ahnen, vorſtellen, fuͤhlen, glauben,
wollen, lieben und verehren kann, als das Weſen der menſch⸗
lichen Natur. *)
Unſer Berpättniß zur Religion ift daher kein nur nega⸗
tives, ſondern ein kritiſches; wir ſcheiden nur das Wahre
vom Falſchen — obgleich allerdings die von der Falſchheit aus⸗
geſchiedene Wahrheit immer eine neue, von ber alten wefents
ih unterf chiedene Wahrheit if. Die Religion iſt das
erfte Selbftbewußtfein des Menfchen. Heilig find bie Religionen,
eben weil fie die Übertieferungen bes erlen Bewußtfein⸗ find.
Aber was der Religion das Erſte ift, Bott, das iſt an fich, ber
Wahrheit nad) das Zweite, denn es ift nur das fich gegenftänb:
liche Wefen des Menfchen, und waB ihr bas Zweite if, ber
Menſch, das muß daher als daß Erfte efedt und ausge⸗
ſprochen werben. Die Liebe zum Menfchen darf Feine abges
leitete fein; fie muß zur urfprünglidien werben. Dann allein
wird bie Liede eine wahre, heilige, zuverläffige Macht. Hinter
bfe religlöfe Liebe kann fi, wie bewiefen, auch der Daß ficher
verbergen. Iſt das Wefen des Menfchen bas hoͤchſte Wefen
bes Menfchen, ‚fo muß auch praftifh das höchfte und erfte
Seſee die kiebe des Menſchen zum Menfchen fein.
Homo homini Deus est — dies iſt ber oberfle prattifihe
Grundfag — dies der Wendepunkt ber Weltgefhichte. Die.
Berhättniffe des Kindes zu den Ältern, bes Gatten zum Gat⸗
ten, des Druders zum Bruber, bes Freundes zum Freunde,
überhaupt des Menſchen zum Menfchen, kurz, die moralis
Then Verxhaͤltniſſe find per se wahrhaft retigibfe Ber—
bältniffe. Das Leben ifk überhaupt in- feinen wefentlis
hen, ſubſtanziellen Berhättniffen durchaus goͤttlicher
Natur. Beine religioſe Weihe empfängt es nicht erft durch
ben Gegen des Prieſters. Die Religion will durch ihre an ſich
aͤußerliche Buthat einen Segenſtand heiligen; fie ſpricht dadurch
ſich allein. als bie heilige Macht aus; fie kennt außer ſich
) Mit Einſchluß ber Natur, denn wie der Menſch zum
Wefen ber Natur — bie gilt gegen den gemeinen Materlalids
mus — fo gehört auch die Natur zum Wefen bes Menfhen —
dies gilt gegen den fabiectiven Ipealiömnd, der au dab
Seheimniß unferer „abſoluten⸗ Philoſophle, wenigſtens in Beytes .
bung auf die Natur if. Nur dur die Verbindung des Dienfihen
mit der Natur können wir den fupranaturaliftifgen Egoiömud des
Chriftentgum® äberiwinden. u Ze
100 |
aux trbifche, ungoͤttliche Werbättniffes darum eben tritt fie hin⸗
zu, um fie erft gu heiligen, zu weihen.
Aber die Ehe — natürlich ale freise Bund der Liebe —
if durch fich felbſt, durch die Natur der Verbindung, bie
bier gefchloffen wird, beilig. Nur die Ehe ift eine retigidfe,
die eine wahre it, die dem Wefen der Ehe, der Liebe ent:
forit. Und fo iſt es mit allm fittlichen Werhältniffen. Sie
And nur da moralifdhe, fie werden nur ba mit fittlichem
Sinne gepflogen, wo fie durch fi ſelbſt als religiöfe
‚ gelten. Wahrhafte Freundſchaft ift nur da, wo bie Grenzen
der Freundſchaft mit religiöfer Gewiſſenhaftigkeit bewahrt wer⸗
den, mit berfelben Sewiffenpaftigkeit, mit weicher der Gläubige
die Dignität feines Gottes wahrt. Heilig iſt und fei Dir bie
Freundſchaft, heilig das Eigenthum, heilig die Ehe, heilig das
Wohl jedes Menfchen, aber heilig an und für fi ſelbſt.
Im Ghriftentbum werden die moraliſchen Gefege als Ge:
bote Gottes gefaßt; es wird die Moralität felbft zum Kriterium
der Religiofität gemacht; aber bie Ethik hat dennoch unterge⸗
orbnete Bedeutung, hat nicht für fich felbft die Bedeutung ber
Religion, Diefe fällt nur in den Glauben. Über ber Morali:
taͤt ſchwebt Bott als ein vom Menſchen unterſchiedenes Wefen,
dem das Beſte angehört, während dem Menſchen nur der Ab⸗
fall zukommt. Alle Gefinnungen, die bem Leben, dem Men:
ſchen zugewendet werben follen, alle feine beften Kräfte vergeus
det der Menſch an das bebürfnißlofe Wefen. Die wirklicye Ur:
ſache wird zum ſelbſtloſen Mittel, eine nur vorgeftellte imagis
naire Urfache zur wahren, wirklichen Urſache. Der Menſch
dankt Gott für die Wohlthaten, die ihm der Andere ſelbſt
mit Opfern bargebradit. Der Dank, den er feinem Wohls
thäter ausfpricht, ift nur ein fcheinbarer, er gilt nicht ihm, ſon⸗
dern Gott. Gr tft dankbar gegen Gott, aber undantbar gegen
den Menſchen. Go geht bie fittlihe Gefinnung in ber Reli
gion unter!
- Wenn mir in Beiten, wo bie Religion heilig war; die Che,
das Gigenthum, die Staatögefege refpectirt finden, fo hat bies
nicht in der Religion feinen Grund, fondern in dem urfprüng-
ich, natürlich ſittlichen und rechtlichen Bewußtfein, dem bie
rechtlichen Berhältniffe ats ſolche für heilig gelten. Wern
das Recht nicht durch ſich ſelbſt Heilig ift, dem wird es nun
und nimmermehr dur die Religion heilig. Das Gigenthum
tft nicht dadurch Heilig geworden, daß es als ein göttlidhes Ins
ſtitut vorgeftelt wurbe, ſondern weil es durch fi felbft, für
ſich ſelbſt für heilig galt, wurde es als ein göttliches Inftitut
betrachtet. Die Liebe ift nicht dadurch heilig, daß fie ein Praͤ⸗
dicat Bortes, fonbern fie ift ein Prädicat Gottes, weil fie durch
und für fich ſelbſt göttlich if. .
Nach dieſer allgemeinen Überſicht über die Reſultate
des Feuerbach'ſchen Werks kehren wir zu der Aufgabe zu⸗
ti, die wir uns im Eingange unſerer Betrachtungen ge:
ſtelt haben, naͤmlich: den kritiſchen Standpunkt Feuer:
bach's mit dem Strauß’fchen zu vergleihen, um zu er:
tennen, ob barin ein Fortfcheitt, eine neue Phaſe dee phi⸗
loſophiſchen Kritik enthalten ſei, oder nicht.
Feuerbach erklärt die Religion für etwas rein Menſch⸗
ches, für den Ausdruck oder Reflex der Empfindungen
und Wuͤnſche des Menfchen, die hriftliche Religion aber
insbefondere für das Product der innigften Verſchmelzung
der Einbildungskraft mit dem Gemüthe. Strauß be:
trachtet das Chriftentyum als die Darftelung einer Idee,
weiche der menfchliche Geift in feiner fortfchreitenden Ents
widelung mit einer gewiſſen innern Nothwendigkeit gebildet
und welche man nur irerhümlicherweife in einer außer:
lichen geſchichtlichen Thatſache hypoſtaſirt habe.
Diefe beiden Anſichten enthalten ebenſo viel Üüberein⸗
ſtimmendes als Entgegengeſetztes. Übereinſtimmendes denn
beide ſetzen bie religloͤſen Vorſtellungen zu einem bloßen
Producte des menfchlihen Bewußtſeins herab, entkleiden
fie alfo der abfoluten Geltung, die fie als geoffens
barte Wahrheiten beanfpruhen. Entgegengeſetztes,
denn nah Strauß iſt die Entſtehnng ſolcher Vorſtchun—
gen etwas Nothwendiges , in dem ganzem Entwickelungs⸗
gange des menfhlichen Geiftes Begruͤndetes, darum auch
immer einer gewiffen Zeit, einer gewiſſen Bildungsftufe
dee Menfchheit Gemeinfames und zugleich Eigenthuͤmliches,
fie von andern Stufen Unterfcheidendes ; bei Feuerbady
hingegen find Die veligiöfen Vorftelungen Nichte als pa=
thologifhe Zuftände des menſchlichen Bewußtſeins,
daher ebenfo oft „die Bejahung der Schwachheiten als der
Mächte des menfchlichen Herzens”, ebenfo oft unnatuͤrlich,
verkünftelt, krankhaft, als natürlich) und gefund, zwat audy
in gewiſſem Grade allgemein, infofern naͤmlich, als bie
Anlage zu ſolchen pathologiihen Empfindungen, zur ges
möthlihen Andacht, zum Wunderglauben u. ſ. w. in jedem
Menfhen liegt, aber Doch nicht nach gleich objectiven
Geſeten und in fo beflimmtem Progrefie fich entwidelfd wie
die Strauß'ſchen „Erſcheinungsfotmen der abfoluten Idee“.
Zwar nimmt auch Feuerbach wel einen Fortgang an von
der jüdilhen Religion, als der Apotheofe des Egoismus,
zu der chriftlichen, als der Religion der allgemeinen Sub⸗
jectivität, der Liebe, allein dagegen fcheint er wieder das
Griechenthum, wegen feiner objectiven, mehr auf die Na:
tur als auf das abſtract Ideale gerichteten Denkweiſe,
höher zu itellen als die chriftliche Weltanfchauung; über
haupt aber iſt ihm bie Religion nicht ſowol Product ei⸗
ner gemeinfamen Zeitrichtung, einer Mechfelwirkung vieler
Individunlitäten unter dem Ginfluffe einer heflimmten
Natienalitaͤt oder Localität, als vielmehr Sache der rein
fubiectiven Gefühlsſtimmung, des augenblidlichen Bebürf:
niffes oder Eindruds, unter defien Macht der Einzelne
handelt. Naͤher koͤnnen wir daher den angegebenen Un-
terichied auch fo bezeichnen: Feuerbach zieht vorzugsweiſe
die praktifchen Wirkungen des Chriſtenthums, Strauß
deſſen [peculntiven oder bogmatifchen Charakter in
Betracht; Feuerbach geht Darauf aus, die religioͤſen Bor:
ſchriften in Gebote der mutärlihen Moral umzumanbein
und an die Stelle des Glaubens, d. h. der Beziehung
bes Menichen zu einem ihm fremden, transfcendenten Mes
fen, zu Gott, die Liebe, d. h. die Bezichung des Mens
[hen zum Menfhen, als einem ihm gleichartigen Weſen
zu ſetzen; Steauß dagegen ſucht den dogmatiſchen Inhalt
des Ehriſtenthums in phllofophifche Begriffe zu uͤberſetzen;
jener tritt alſo eigentlich aus dem Kreiſe der religioͤſen
Speculation gänzlich heraus; dieſer will diefen Kreis
nuc erweitert und Alles darin aufgenommen wiſſen, was
dad freie Denken als gleichfalls wahr und berechtigt er⸗
funden hat. Die Strauß’fhen Anfichten find mehr für
eine geſchichtsphiloſophiſche Weltanſchauung im Ganım
und Großen berechnet, der es darauf ankommt, jeder that:
fühlih gegebenen Erſcheinung ihre Stelle im Spfteme aus
zuweiſen, und in dem Mirktichen, Hiftorifchen das Ver:
nünftige, die Idee wiederzufinden; Feuerbach bat nur bie
Gegenwart und das Individuum ins Auge; er will der
191
einzeinen Thatkraft Raum ſchaffen, er will das beffimmte ı Italiener, Franzoſen und Engländer vergleicht,
ſittiiche Berhältnig, die beflimmte menſchliche Herzenste⸗
gung zur Geltung bringen, unbefümmert damım, wie ſich
diefeibe - an das Gegebene, Hiftorifche anfnäpfen laſſe und
ob nicht durch diefe Auflöfung einer biöher als wahr an-
erkannten und geſchichtlich beglaubigten Denkform eine Lüde
in der Entwidelungsreihe des menſchlichen Geiſtes entfiche.
Das Endrefultat bei Beiden if eine aͤſthetiſch⸗ſitt⸗
liche Lebensanfhauung, an der Stelle der religiöfen, d. h.
eine ſolche, welche die Handlungsweiſe des Menfchen nur
nah den natürlihen Geſetzen feines Bewußtſeins, nicht
nah den Vorſchriften und Eingebungen einer äußern Aus
teritaͤt regelt; allein bei Strauß find dieſe „natuͤrlichen
Geſetze“ mehr aus einer umfaffenden Betrachtung .aller
menſchlichen Verhaͤltniſſe, aller voͤlker⸗ und culturgefchicht:
tihen Zuftände, bei Feuerbah mehr aus einem flarfen
Kcaftgefühl und einem ercegten Gemuüͤthe gefchöpft; darum
dort ſoſtematiſcher, harmoniſcher, aber von weniger direc⸗
tem Einfluß aufs Leben, auf die Gegenwart; hier mehr
zur That draͤngend, praͤgnanter. Beide find poetiſche Na-
turen, aber Strauß ift mehr objectiv und plaſtiſch; er hat
Etwas von der Goethe'ſchen Schwebekraft in fih, welche
mit den Widerfprüchen des Lebens und des Denkens fpielt
und mit ruhigem Behagen Kber der gährenden Muffe wal:
tet; in Feuerbach dagegen offenbart ſich der drängende Un:
geftüm der jungen Literatur, welche alle Verhältniffe dem
Gelege ihrer Subjectivität unterwerfen möchte.
(Der Beſchluß folgt.)
Geſchichte der Ie von Heinrich kuden. Zweite
—* en 1843. Gr. 8. 2 Thir. *)
Wer das deutfche Bolk, feine Bildung und bie Entwicke⸗
lungsphafen beobachtet hat, wird mit Dahlmann zu ber wohl:
begründeten Überzeugung gelangt fein, daß politiſche Kenntniſſe
und Auffiärung felbft in den beffern Kreiſen der Geſellſchaft
noch eine Mangelhaftigleit verrathen, die aus mehr als einem
Stunde wahrhaft befiagenswerth genannt werden muß und und
ebenfo wenig zum Heile als zur Ehre gereihen fann. Die
Stände diefer Erſcheinung bei einem Wolfe, das ſich mit Recht
fo vieler andern geiftigen Eigenſchaften rühmen barf, find gleich.
wol nicht ſchwer aufsufinden: fie Liegen hauptfädhlid in unfern
Gtaatsformen und in dem durch fie bedingten Staatsleben; in.
unferer Erziehungsmethode, in den politiſchen Erfahrungen, die
unfer Batrrland vorzüglich früber gemacht hat. Da die zuerfi
genannten Werhättniffe die politifche Bildung und Erziehung
niht begänftigen und nie begünftigt haben, und die lettern ein
gaviffes Mistrauen gegen die Wiffenfchaft der Politik zu erzeus
gen geeignet geweſen find — Bücher hat in feiner derben
Gprache mehr Wahrheit gefagt, ald Manche glaubten und Ans
dere giauben Laffen wollten —: fo mußte unwiſſenheit in der⸗
ſelden, ja ſogar eine gewiſſe Verachtung, die ſich in den Ge⸗
müthern gegen fie fortſehte, die nothwendige Folge ‚bavon fein.
Die Namen Richelieu, Mazarin, Olivarez, Albssoni, ‚Budings
kam find fo fehr mit ber Vorftellung von Politik bei Denen,
dir einige Geſchichtskenntniſſe zu haben glauben, verwacden, daß
man ipr etwas Edleres kaum zutraut und fie Baia aus Uns
finde in einer Beſchraͤnktheit auffaßt, die fie ſeldſt nicht aners
kennt. Mer übrigens unfere politifche Eiteratur mit der ber
*) Bergl. einen Bericht über ben erſten Band in Nr. 32
b. fu | D. Ret.
ID
‚gehen den Völkern nur gar zu leicht fofort ans Leben.
Gefinnung, verſteht ſich,
wird leicht die
Beobachtung zu machen im Stande fein, wie jugendlichen Alters
ſie ſei. Im Berhältniß zu unferer übrigen Selehrfamteit. und
Gelehrtenzahl barf der Kreis von Männern zur Zeit nur Bein
genennt werben, bie den großen Umfang, die Bedeutſamkeit und
das hohe Intereſſe der politifhen Wiſſenſchaft erkannt haben
ober ihre Felder bearbeiten. Wie aber umgekehrt Der einem
einäugigen Wanne gleicht, der Gefchichte ohne Politik ftubirt, fo
tann ber Politiker Leinen Schritt mit Sicherheit thun ober ber
Gefahr entgehen, auf einen unterhöhlten Boden ſich zu fleilen,
wenn er nicht tuͤchtige Gefchichtstenntniffe fih einzufammein be-
muͤht geweſen ift; 1eeren Kannegießereien, tauben Raifonne:
ments und andern Nictigkeiten der Art, wie man fie im ge-
wöhnlichen Leben und in ber publiciftifhen Weit fo oft zu be:
obachten Gelegenheit bat, ift im entgegengefeäten Falle Thuͤr
und Thor geöffnet. Won bdiefer Ueberzeugung muß eben fowol
Derjenige durchdrungen fein, der fich mit der Politik feines Va⸗
terlandes beſchaͤftigt, als Der, welcher den vielfach verfchlungenen
Kreifen der Weltpolitit feine Ihätigkeit und Aufmerkſamkeit zu
widmen gedenkt. übrigens darf man allerdings nicht unberuͤck⸗
ſichtigt laſſen, daß das Wort Politik auch um feiner Vieldeu-
tigleit willen, bie ibm in der neuern Zeit eigen geworben, bem
Untuntigen einiges Mistrauen einzuflößen geeignet ift: es tritt
ihm überall entgegen, aber aalartig, ohne es faffen zu £önnen,
entſchluͤpft es feinen Händen eben deshalb, weil die wiſſenſchaft⸗
liche Kunde fehit. Es bedeutet aber das Wort Politik, welches wie
feine Wiſſenſchaft ſelbſt griechiſchen Urſprungs iſt, zunaͤchſt die
Wiſſenſchaft vom Staate: Piato und fein ſcharfſinniger Beur⸗
theiler Ariſtoteles find die Schöpfer und Repraͤfentanten derfelben
im Alterthum; theoretiſch find die Roͤmer ganz ihre Schuͤler,
ohne irgend etwas Weſentliches hinzugefügt zu haben. Godann
bezeichnet man bamit den Inbegriff von Grundfägen, nach denen
die Staaten ihre gegenfeitigen aͤußern Berbältniffe zu orbnen
und zu flellen ſuchen, und bie Diplomatie ift die Sophiſtik ober
Caſuiſtik diefer Grundfäge. Ferner bat man unter Politik die
jenigen Grunbfäge zu verftehen, welchen die Staaten bei ber
Leitung ihrer innern Angelegenheiten folgen zu müffen glauben,
woraus dann die engfte Bedeutung bes Wortes, die leitenden
Principien, welche an der Spitze der einzelnen Staatsorganis-
men ftehen, hervorgeht. Daher 4. B. griculturpolitit, Fi⸗
nanzpolitit u. f. w. Grwägt man nun biefen Umfang und In⸗
batt der politifchen Wiffenfchaft, fo wird man nothwendig zu der
Überzeugung gelangen muͤſſen, daß Bragen und Intereffen mit
ipe in Verbindung ftehen, die für Menfchheit, Völker und Staa—
ten nicht nur Höchft bebeutfam find, fondern auch Kenntniffe und
ſelbſt Geſinnungen in Anſpruch nehmen, die in ber That nicht
alltägliche genannt werben können. Es gebt aber auch daraus
bervor, daß biefe Wilfenfchaft noch weniger als ibre übrigen
Schweitern unreine Hände und leere Köpfe vertragen fann: ihr
Misbrauch, ihre Misverftändniffe und Unaufgellärtheit in ihr
Allein
für Jeden, mag er nun als Gelehrter fi ihr borzugemeife wid⸗
men oder auch nur als Laie eine allgemeine Anfiht von ihr ges
winnen wollen, wie es jeder Staatsbürger follte, ber su ben
Gebüdeten gezaͤhlt fein will, find Geſchichtekenntniſſe ‚um mit
Horaz zu reden, das principium et fons. |
Willkommen muß uns daher jedes Werf fein, bas auf eine
zweckmaͤßige und eindringliche Weiſe Geſchichtskenntniſſe in den⸗
jenigen Kreiſen zu verbreiten ſucht, in denen zugleich politiſche
Aufklaͤrung eben ſowol eine Ehre als ein einflußreicher Vortheil
iſt. Wir freuen und. deshalb über bie ſobaldige Portfegung eines
Seſchichtswerkes, das, wie wir fchon beim Erſcheinen bes erften
Bandes in biefen Wlättern urtbeilen zu müffen geglaubt haben,
einen ehrenvollen Plag in der Reihe folder Geſchichtsbuͤcher eins
nimmt, bie unter den gebildeten Ständen unfers WBaterlandes
hiſtoriſche Kenntniffe verbreiten und den Sinn für diefelben mög:
lichſt beieben und befärbern wollen. Und daß in biefer NWeries
bung der wiſſenſchaftlichen Thaͤtigkeit fowie ber patriotif
nit auf Koften der Wahrheit und
198
der Würde ber Geſchichte, mie man hieß leider an einigen ſonſt
würdigen —5* neuerdings hat wahrnehmen koͤnnen, noch
sin weites und ſchoͤnes Feld offen ſtehe, wiſſen Alle, die nicht
nur mit unferer biftorifchen Literatur vertraut find, fondern auch
die gebildeten Stände und bie Wahl ihrer Lecture zu beobachten
Gelegenheit haben. Namentlich zeigt fi in legterer Beziehung
noch eine Takt⸗ und Gefchmadtofigkeit und eine Unkunde, bie
nicht felten in Erftaunen fegt. Indeß tröftet man fih, wenn
man bedenkt, wie es früher war. Fortſchritte find doch ſchon
umverfennbar, und wenn fo ruͤſtig fortgearbeitet wird, wie es
jest geſchieht, fo kann die Wirkung davon nicht außen bieiben, und
ſchon in ber nächften Zukunft ift Erfreulicheres In Ausficht geftellt.
Der vorliegende zweite Band ift ganz in dem Geiſte und
in der Art gehalten, wie wir den erften charakteriſirt haben
und wie man den biftorifchsfchriftftelleriihen Charakter bes bes
zühmten Verf. allgemein kennt. eine Anfichten über bie Ges
fchichte überhaupt, ſowie über die Deutſchlands insbeſondere
ſtehen einmal feſt und ſind auch in dieſem Werke mit feiner
albefannten Darſtellungsweiſe ſcharf ausgepraͤgt. Wir haben
einige Stellen in dem gegenwaͤrtigen Bande gefunden, die wahr⸗
haft ſchoͤn genannt werden koͤnnen. Auch wird derſelbe darum
für den Leſerkreis, zu dem der Verf. ſpricht, von etwas größe:
rer Anziehungskraft als der erfle fein, weil bie beutfchen Zus
ftände bereits in dieſer Epoche entwidelter und klarer hervor⸗
treten und fich fchon namentlich ſtaatliche Bilbungselemente zei⸗
gen, bie für einen denfenden und mit einer gewiffen wiſſenſchaft⸗
lichen Erziehung ausgeſtatteten Leſer nothwendig don Intereſſe
fein muͤfſen. Dazu kommt, daß das Ganze eine Zeit umfaßt,
— von den Karolingern bis zum Ausfterben bed ſaͤchſiſchen Kai-
ferhaufes von 752—1025 —, die theild durch bie meteorähntiche
Erſcheinung Karl's des Großen, theils durd einen Kampf um
Cein ober Nichtfein des beutfchen Reiches hoͤchſt merkwürdig
geroorden ift: das deutfche Volk entwickelt eine Spanntraft, die
geradezu einzig in der Geſchichte genannt werben darf. Ror:
mannen, Slawen und Magyaren und ber böfe Dämon der in:
nern Zwietracht beftrebten ſich bald abwechſelnd bald vereint
das beutfche Volk zu verderben. Aber die Wuth der Erftern
wird cbenfo gluͤcküch überwunden als die marfangreifende Boͤs⸗
artigkeit bes lestern foft wunderbar überftanden. Am Ende
der Regierungszeit Otto's I. ftcht das deutfche Volk allen feinen
Beinden imponirend da; es ift entſchieden, daß Deutſchland wäh:
zend des Mittelalterd zum Centralpunkt aller europaͤiſchen Macht
beſtimmt ſei. Ob deshalb unſer Verf. jenen Kaiſer ganz gerecht
beurtheilt habe, zumal wenn man die Kirchengeſchichte mit zu
Rathe zieht, das moͤchten wir faſt bezweifein; doch iſt er ge⸗
rechter als Schmidt in feiner „Geſchichte der Deutſchen“. Wir
haben hier feinen Raum, um weiter über die Sache zu rich⸗
ten, boch verweifen wir unfere Lefer, damit bad audiatur et
altera pars ihnen dem Verf. gegenüber moͤglich werbe, auf fols
gende Edriften: Boigtel, „Geſchichte des deutfchen Reichs unter
Dtto bem Großen” (Halle 102); Bebfe, „Das Leben und dig
Zeiten Otto’& des Großen’’ (Dresden 1829) und Ranke's „Jabrs
bücher Les deutſchen Reiche” (1. Bd. 2. Abthl., Berlin 1838).
Mit befonderer Vorliebe und Ausführlichkeit hat unfer Verf.
Karl's des Großen Zeit, Thaten und Charakter dargeſtellt. Und mit
Net. Denn die Biographien dieſes höchft merkwürdigen Kai:
fers von Hegewiſch (1791) und von Dippold (1810), an und für
fich nicht ausgezeichnet, find bei dem jegigen Stande der Wiſſen⸗
ſchaft vollends nicht mehr ausreichend. Die Reviſion und Er»
weiterung bes Kreiſes ber Duellenfchriften durch Perg’s ‚, Monu-
menta Germanfae historica ”, bie Werfe Einhardt’s durch Teulot
in Paris (1841), die Forſchungen und Darſtellungen, bie z. B.
Böhmer, Loreng, Ellendorf über einzelne Berhältniffe jenes
Kaifers und feiner Zeit geliefert haben, machen jegt gang an⸗
dere Anſpruͤche an Den, der dieſes hiſtoriſche Thema bearbeiten
und mit ſeiner Arbeit vor dem Forum der Kritik erſcheinen will.
Die Aufgabe iſt in der That nicht leicht und ihre Schwierig⸗
keit ſcheint wirklich die Urfache zu fein, warum fle biß jegt
noch feine Loͤſung erfahren, hat: Diefe mar allerdings in’ Aus:
ſicht gefiellt von einem Manne, ben Fleiß, Kenntnifle mb
Sharan dazu befähigten, von bem jüngern Ideler in Berlin.
Er verfprach diefe Aufgabe zu Idfen in feinem „2eben und Wan⸗
del Farrs bed. @roßen, beſchrieben von Einhard* (2 Bde., Berlin
1839). Doch der im vorigen Jahre erfolgte Xob bed überaus.
fleißigen jungen Mannes hat jene Ausficht vernichtet. Unſer
Verf. Tpricht in dem Abfchnitte, der „Karl’s Wollen und Stre⸗
ben” überfchrieben ift, viel Wahres und Treffendes, und wird
um fo größeres Intereffe exzegen, wenn man ed mit ben Urs
theilen vergleicht, die Gibbon, Joh. v. Muͤtler, Schioffer, Mans
nert und Becker ausgefprochen haben. Bemerkenswerth ericheint
ed, daß Joh. v. Müller, wir möchten fagen mit einer gewiffen
Abneigung über den großen Kaifer uxtheilt und ihm überhaupt
nicht diejenige Aufmerkſamkeit ſchenkt, die er doch mit vollem
Rechte verdient. Es gab allerbings in Deutfchland eine Zeit —
nad NRapoleon’s tur; —, wo man über jeben Groberer ben
Stab zu brechen gewohnt war. Auch Karl ber Große mußte diefe
Misftimmung der Deutichen erfahren; fie dat jedoch Längft wies
berum bes Gerechtigkeit und Wahrheit das Feld geräumt.
Sollten wir am Schluſſe unferer Bemerkungen mit ber
Hoffnung auf eine baldige Fortfesung bed begonnenen Werkes
noch einen Wunſch verbinden,. fo wäre es folgender. Der Geiſt
eines Volles, ber Gharakter einer Zeit offenbart fih am ans
ſchaulichſten und lebenbigften durch feine Eulturzuftände überhaupt,
insbefondere aber durch feine Literatur. Man kennt ein Volk, eine
Zeit nur zur Hälfte und deshalb einfeitig, wenn man nur fein
politifges Leben und Thun kennen gelernt bat. Das Mit:
telaiter bat ebenfalls feine eigenthümlishen Büpungsmerktmate,
ſelbſt feine eigenthämtiche Literatur. An Arbeiten darüber
fehlt es bereits nicht mehr, fo viel au noch zu thun fein
mag; allein bie Kenntniß davon ift nicht fehr weit verbreitet
und ihre Wangelhaftigkeit zum Theil Urſache von falfdyen Ur:
theilen und Borftellungen über das Mittelalter. Der Verf. bärfte
nun unfers Erachtens feinem Werke einen um fo größern Werth
und mit bemfelben eine um fo größere Verbreitung verfchaffen,
wenn ihm an paflendın Stellen und in geeigneter Weiſe Bemer-
kungen über Gultur und Literatur einverleibt würben. Auch ger
wänne dadurch bad Ganze an Manmnichfaltigkeit, eine Gigen⸗
Ihaft, die. dem Iefenden Pubkieum, für weiches ber Verf. fein
Werk beſtimmt hat, fi) zu empfehlen pflegt.
Karl Bimmer.
Literarifhe Notiz.
Man pflegt wol zu fagen, baß bie forcirten unb unmoras.
liſchen Romane in Frankreich die große Menge, die keine an⸗
dere geiftige Nahrung bat, verderben müflen. Woher kommt
es aber, daß gerade diefe große Menge in Krankrei mehr
als bef uns fi an der foliden, Eräftigen Koſt biftorifcher Werte
labt? Oder wie will man fonft den gang ungewöhnlich ftarfen
Abfag erklaͤren, den in Frankreich ſelbſt ernfte gefchichttiche Schriften,
fogar ſolche, die einen gelehrten Anflug haben, finden? Gin
ſchlagendes Beifpiel dafür find die Werke von Auguftin
hierry, von denen foeben eine Befammtausgabe angekündigt
‚wird. Seine Schriften gehören gewiß nicht zu ben leichtfertigen
Fabrikarbeiten, die man flüchtig burchblättert, fondern fie find
im Gegentheit für feanzöfifche Werke fogar ſchon etwas ſchwer⸗
falfg, und doch gibt es nicht ein einziges berfelben, das nicht
mehre Auflagen eriebt hätte. So ift feine Gefchichte der Er:
oberung Englands durch die Normannen bei der achten Aus⸗
gabe angelangt; von feinen „Lettres sur l’histoire de France”
ift die fiebente und von feinen „Dix ans d’&tudes historiques”
die vierte Auflage erfchienen, ja fogar feine Récits des temps
merovingiens’’, bie noch gar nicht lange erſchienen find, haben
fon einen neuen Abdruck nöthig gemacht. Iſt dies ein Aufell,
oder muß man nicht daraus fließen, daß bie große Menge. in
Frankreich außer ber Lecture des ‚‚Siecle” und dem Stu:
diu Kira de Kock's und Balzac's noch andere geiftige Beduͤrf⸗
niffe bat? .
Verantwortliher Herausgeber: Heinrich Brodhaud — Drud und Verlag von F. X. Breodbaus in Leipzig.
Bla
tter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
Auch in der Methode iſt dieſer Gegenſat der beiden
Denker bemerkbar. Strauß ſagt: „Die Geſchichte vinee
Dogmas iſt deſſen Kıitl‘, und in dieſem Sinne ſtellt
er die ganze chriſtliche Dogmatik als einen großen Proceß
wer Entwickelung, Fortbildung, Umgeſtaltung und Aufloͤ⸗
fang der chriſtlichen Dogmen bar, ſelten fein ſubjectives
Urtheil einmiſchend, meiftene nur refumivend, anbeutend,
mit faft vornehmer Unparteilihfeit und Indifferenz.
Feuerbach dagegen erblickt in der religiöfen Denkweiſe eine
eigenthuͤmliche Ridytung des menfchlihen Geiſtes, eine
NRichtung, welche fich zu der natbrlichen wie «in volllom:
mener Gegenſatz verhält, der keiner Vermittelung fühlg iſt,
fondern eine dirrcte Aufhebung, eine Durchſchneidung mit
den Alexanderſchwerte der Eritifchen Vernunft fobert. Dee:
‘halb wendet fih Feuetbach, mit Übergehung aller ſoge⸗
nannten vermittelnden oder fpeculativen Richtungen der
Theologie, geradezu an die urfprünglihe Form des chrifbe
lichen Haubens, an die gemürhtiiche Auffafjung der
Degmen, und ſucht dieſe gefliffenefich in ihrer ganzen
Strenge und Einfachheit berzuftellen, um der Gegenwart
puurufen: „Sieh', was dein Glaube ift! Eine Schwach
heit deines Derzens, nichts Weiteres. If du glaͤubig
fin, fo darffi' du nicht denken, und willſt du denen, fo
mußt du vor Allen ertennen, daß bein Glaube auf kei⸗
mer objectiven GBrundinge, fordern tediglih auf einem
tronfhaften, verbildeten Zuſtande deines Bewußtſeins be: .
ht.” Deshalb geht auch Feuerbach diwert auf fein Biel
(06, naͤmlich auf die Auflöfung der chriſtlichen Dogmen,
auf die Zerſtoͤrung der „Illuſion“, welche fi) die Menſch⸗
Seit faſt zwei Sahrtaufende fang gemacht hatz Strauß da:
gm finder felw dialektiſches Geluͤſt Schon durch bie Ar:
beit der Kriete und der geſchichtlichen Entwidelung befrie:
digt und ruͤckt fid das Mefultat dieſes Denkproceſſes ab-
fichlich in immer weitere Ferne binnus, um ſich nicht
den Reiz des dialektiſchen Spiels zu verkürzen, und um
uhr zu einer Entſcheidung gedrängt zu werben, welche er
vermeiden zu wollen ſcheint. Aus eben dem Grunde iſt
bei Strauß das Detall, das feine Gräber und Gefafer der
Beten, die Verkettung und Schattirung der Begriffe,
‚it einer wahrhaft claſſiſchen Vollendung umd Durchſich⸗
tigkeit behandelt, jede Wahrheit und jeder JIrrthum dach
ale Stadien ihrer Entſtehung und Kortbitbung hindurch⸗
geführt und die Verzweigung der religiöfen dee duch
alte Kreife des geifligen Lebens der Menfchheit mit uns
nachahmlicher Meifterfchaft geſchildert, während Feuerbach,
nur das praktiſche Reſultat im Auge, dieſen Luxus der
biftorifhen Entwickelung und der plaſtiſchen Darſtellung
verſchmaͤht und gern den naͤchſten Weg und die treffend⸗
ſten Mittel des Erfolgs waͤhlt. |
Es mwärde uns zu weit führen, wollten wir biefen
Vergleich zwifchen dem Verf, des vorliegenden Werks und
dem Berf. des „Lebens Jeſu“ und der „Chriftiichen GOlau⸗
benslehre“ auch durch die einzelnen Reſultate ihrer Eritke
ſchen Arbeiten hindurch verfolgen. Wir ziehen es beshalb
vor, noch einen Blil auf das Endrefultat des Feuerbach'⸗
fhen Buche zu werfen und uns die Frage zu fielen:
Mas haben wir daducch eigentlid gewonnen? nad wel⸗
er Seite hin finden wir und weitergeführt, gefördert?
„Die Religion, fammt allen ihren theoretifchen Lehren
und allen ihren praktifchen VBorfchriften, iſt Nichts als ein .
Product unfers Bewußtfeine und ſteht deshalb auch ganz
und gar unter den Gefegen dieſes Bewußtſeins, unter den
Gefegen der natürliden Vernunft”; dies ſcheint uns in
wenigen Worten das nadte Reſultat der Feuerbach'ſchen
Keitit zu fein. Diefes Reſultat ift nicht neu; ſchon ber
alte Rationalismus enthielt es in fih. Kant erklärte amt:
deücklich die praßtifche Vernunft, das Sittengefeg für das
Kriterium aller Religionswahrheiten, und die ſaͤmmtlichen
Rationaliften flinmen darin überein, den Inhalt ber Of:
fenbarung nur inſoweit anzuerkennen, als derſelbe durch die
Ausſpruͤche der menſchlichen Vernunft beſtaͤtigt und be⸗
glaubigt wird. Hierdurch war aber, der Sache nach, bie
Religion [don zu etwas Menſchlichem, die Theologie zur
Anthropologie gemacht und bie kalte Waſſercur mit dem
menſchlichen Geiſte begonnen. Die mythiſche Theologie
vollendete dieſe Aufloͤſung des Goͤttlichen in ein Menſch⸗
liches, indem ſie das Chriſtenthum fuͤr eine bloße zeitliche
Form oder Phaſe des allgemeinen weltgeſchichtlichen Prin⸗
cips, des Princips des unendlichen Foreſchritts der Menſch⸗
heit erklaͤrte. Auch auf dem mpthifhenm Standpunkte
iſt die Anthropologie die hoͤchſte Richterin uͤber bie Theo⸗
logie; wahr, bleibend, unvergänglich find nur diejeni⸗
gen Religionsvorſtelungen, weiche dem allgemeinen Bes
‚geiffe entſprochen, ben die Philsſophie von dem Weſen
%a e —8
⁊
und ber Beſtimmung des Menſchen und der Menſchheit
aufſtellt.
Bis hierher koͤnnen wir alſo in der neuen, von Feuer⸗
bach aufgeſtellten Lehre noch keinen Fortſchritt uͤber die
ſchon vorhandenen theologiſchen Standpunkte hinaus ent
decken. Wie die Rationaliſten das Abfölute für eine Pers
fonification des dem Menfchen eingeborenen Moral:
geſetzes anfehen, ‚die mythiſche Theologen für die Perfont:
fication einer der, eines Denkacts des menfclichen Geis
ſtes in feiner Allgemeinheit und Freiheit: fo erklärt
Feuerbach die Worftellungen von Gott und göttlichen
Dingen für objectivirte Gedanken, Empfindungen, Wün-
ſche und Ginbildungen des Menſchen. Nicht. alfo in ber
allgemeinen Borausfegung felbft, nämlich, daß der Inhalt
der Religion ein menſchlich er fel, kann der Unterfchied
zwiſchen Feuerbach und feinen Vorgaͤngern liegen, fordern
in der befondern Art der Anwendung und Durchführung
diefer Anſicht, in der beſtimmten Deutung der Idee des
Menfhlichen. Und in der That laͤßt dieſe Idee eine
mannichfache Auslegung zu, well fie einen umendlichen
Kreis von Zuftänden, Verhaͤltniſſen und Entwidelungs:
flufen umſpannt. Menſchlich iſt die ideale Richtung auf
ein abfiractes Sittengefeg, menſchlich das Beduͤrfniß un:
endlichen Kortfchritts in politifchen, ſocialen, materiellen
BVBerbefferungen aller Art, menſchlich endlich ift auch bie
yatbologifche Empfindung, die Einbildung, die ſich Traͤume
und Bilder ſchafft, die Gemuͤthlichkeit, welche in Hoffnun⸗
gen einer feligen Zukunft und in andachtsvollen Anſchau⸗
ungen eines hoͤhern, überfinnlichen Seins der Dinge
ſchwelgt. Und wenn wir, wie Died Feuerbach felbft chut,
Dasienige, was wir für das wahre Weſen des Menfchen,
für das echt Menſchliche halten, zugleich ale sin Goͤttliches,
als das einzige Göttliche ausfprechen, fo erhalten wir wies
der innerhalb des menſchlichen Bewußtſeins ein Jenſeits
und ein Dieſſeits, ein Abfolutes und eine Negation diefee
Abfoluten, denn wer 5. B. die ſinnllche Natürlichkeit
als das Weſen und die Grenze des Menfchlichen anficht,
dem fällt nothwendig die Idee eines übderfinnlichen, idea:
len Gittengefeges außerhalb des menſchlichen Weſens,
und er muß daffelbe entiweder leugnen oder als ein be:
fondered felbiländiges Weſen hypoſtaſiren. Nicht auf den
Namen kommt ed an, fondern auf die Sache; nit auf
den tbeoretifhen Begriff, fondern auf die praßtifche Wir
tung, und da ift «6 einerlei, ob ich mir als Princip meines
fittlichen Verhaltens ein Moralgefeg denke oder den Willen
eined Geſetzgebers, vorausgefegt, daß ich dieſem Willen ge:
rade diefelden Beſtimmungen beilege wie jenem Geſctze.
Wenn alfo Feuerbach nachzuweiſen verfucht, daß das
Chriſtenthum etwas rein: Menſchliches, das Product einer
befondern Richtung des menſchlichen Bewußtſeins fei, fo
iſt diefe Beweisführung — wie fehr wir auch ihre Schärfe
und Gewandtheit zu bewundern une gedrungen fühlen —
doch in ihren praktiſchen Folgen für die Gewinnung einer
felbftändigen Lebensanfiht fo Lange noch unzureichend, bis
Feuerbach und über die innere. pipcholoyifche Wahrheit
ober Unwahrheit jener Richtung genuͤgendere Aufſchluͤſſe
gegeben, bie er gezeigt haben wird, was er nun eigentlich.
494°
an die Stelle jener chriſtüchen Vorſtellungen und Bor
fcheiften zu ſetzen gedenke. Die Religion iſt zu keiner
Zelt etwas Anderes geweſen, als die Außere Darſtelung
und Fixirung eines allgemein gefühlten Zeitbebärfniffes,
eines inzern Dranges des Menſchen: biefe Wahrhelt ha⸗
‚ben alle freien Richtungen In der Theologie ſchon kängft
anerkannt und ausgefprochen, wenn auch jede auf ihre
Weile; und felbft die orthodoren Theologen können dies
zugeben, denn was hülfe «8 ihnen, eine Öffenbarung zu
behaupten, wenn fie nicht im Menſchen eine. Empfäng=
lichkeit für diefe Offenbarung, d. h. eine Richtung anf den
ſelben Punkt hin annehmen wollten, welcher durch die ges
offendaste Lehre ausdruͤcklich als der wahse bezeichnet ſein
fol. Der Streit alfo um das formale Princip unferer
Zebensanfichten und unferer Handlungen iſt von bios dogs
matifhem oder wiſſenſchaftlichem Intereſſe, aber ohne
praktifche Folgen ; Ddiefe knuͤpfen fich vielmehr lediglich am
die Stage nach dem Inhalte diefer Kebensanfidgten, nach
der Richtung dieſer Dandlungen. Nicht darauf kommt
es an, ob ic das Leiden darum für etwas Goͤttliches
halte, weil ich an einen leidenden Gott glaube, ſondern
darauf, ob ich es überhaupt fr etwas Goͤttliches für eis
was dem Wefen und der Beſtimmung des Menſchen Ene
fprechendes halte. Und ebenfo hamdelt es fich bei ber
Kritik der chrifttichen Lehre im Allgemeinen nicht ſewoi
darum, ob wir diefe Lehre noch gegenwärtig unter derfels
ben Form des Staubens auffaflen, wie dies frühere Jahr⸗
hunderte gethan (mas kaum möglich), als vielmehr danım,
ch wie fie noch ihrem ganzen praktiſchen Ju⸗
halte nach für wahr und- für geeignet halten, der menſch⸗
lien Geſellſchaft zum leitenden Principe zu dienen. Wenn
daher Feuerbach die Gemuͤthlichkeit und Innerlichkelt der
chriſtlichen Lebensanfhauung, bie dadurch berbeigefühegte
Abkehr des Menſchen von der Außerlichen Matur und fos
gar von feiner eigenen finnlichen Exiſtenz, als eine- ſolche
Richtung des menſchlichen Geiſtes betrachtet, welcher nur
ein fehr bedingter und eingeichräntter Einfluß auf dem
Menſchen und die menfchliche Gefellfchaft eingeräumt wer⸗
den dürfe, wenn er dagegen andere Principien der fittlls
hen und focialen Ordnung aufführt, bie er für natur⸗
gemäßer und heilfamer hält: fo trifft diefe Erklärung den
Punkt, worauf es ankommt, weit ſchaͤrfer, als all feine
dogmarifhen und kritiſchen Unterfuchungen. Aber bier
eben vermiffen wir bie Beſtimmtheit einer eonſequent
burchgefühsten und klar ausgefprochenen Anficht über das
pofitive Princip des ſittlichen und des ſocialen Leben der
Menſchen; bier, fürchten wir, überläße uns Feuerbach ber
Willlür der „freien Subjectivicät”, weiche in llebenswur⸗
diger Genialitaͤt nur nad aͤſthetiſcher Vollendung und
Verherelihung des Individuums, nad) poetiſcher Erbend-
und Genußfülle trachtet. „Das Leben in feinen weſent⸗
lichen, fubltantiellen Verhaͤltniſſen iſt durchaus göttlächer
Natur”, fagt Feuerbach (S. 371), d. b: es hat feinen
Werth, feine Weihe, feine Geltung durch fich, durch fein
natürliches Princip, nit erſt durch die Anerkennung Sei⸗
tens der Religion. Wir flimmen dem Werf.: hierin
aber. wir wuͤnſchten, ex.:hütte. und diefe „mefentlicen, ſub
eu —
MB
Buusieliemn: Werbälteife des Schıns!' genauer kezrihmet, er
Witte die Befage fefbgeftellt, mach denen fi das Beben felb⸗
bewegt und entwickrit; erſt dann würsen wir dm
Stande fein, Über Werth oder Unwerth der Endrefültate
feiner Kritik ein enticheidendes Urthell abzugeben. Was
er uns im diefer Hinſicht gibt, iſt zu fragmentarikh, um
uns daraus eine beſtimmte Anfchauung feinee Anfichten
zu bilden, fo 3. B. feine Auferungen ter: die „Ehe, als
freier Bund der Liebe”, Liber die „rechtlichen Verhaͤltnifſe“,
uber den Gegenſatz des „praktiſchen Anfhauung”, welche
ihn eine „ſechuzige, nicht im ſich befriedigte“ iſt, und der
„tbeoretifchen”, siner freudenvollen ſeligen, in fich befries
digten Anfchauung” u. ſ. w. Wir wollen daher auch nicht
wereilig aus dieſen vereinzelten Außerungen auf des Verf.
Lebens anſichten fchließen, weil wir ihm dadurch Unrecht
chun Bönnten, fondern abwarten, bis er die vollſtaͤndige
Dürfielung ſeiner Philoſophie geben wird, vom welcher
dad gegenmoärtige Werk, mie er in der Worrede fagt, „nur
die Elemente“ enthalten ſoll. Aber deingend bitten muͤſſen
wir den Verf. um feiner und. um der Sache willen, die
er verfheibige, mit Diefer vollitändigen Darlegung feiner |
ilofoph Anſichten, d. h. feiner poſit iven Anfichten
m ——* des Lebens und der Geſellſchaft nach
nachrelichen, menfchlihen Gefegen, nicht zu lange zu:
radzubalten, da bis zu ihrem Erſcheinen fein philofophi:
ſches Wirken, als ein nur ſehr umvollſtaͤndiges, als ein
Gos negatives und in dieſer Negation nicht einmal origi⸗
nelles, dafleht. *) 32.
‘
Barthel. Eine arabifhe Erzählung von William Bed;
ford. Aus dem Engliihen von Otto Mobnike
keipzig, Cnobloch. 1842. 8. 1 Thir. 15 Nor.
- Diele Erzaͤhlung wurde, wie und die Vorrede des Ueberſe⸗
ers berichtet, ſchon vor Länger als einem Jahrhunderte gefchries
son und erfreut ſich in England und Frankreich des Ruhmes
ter Giaffieität, befonders fcheint fie Lord Byron ſehr hochgehal⸗
ten zu haben, da er bei mehren Belegenbeiten ihrer rühmenb ges
alt. So fagt ex in einer Anmerkung zum ‚‚Slaour”: „Was
Goessetheit der Zeichnung, Schönheit der Beichreibung und Baus
ber der Imagination betrifft, To uͤberſtrahlt, Vathek alle euros
ptiſchen Rachabmungen und trägt folge Spuren ber Origina⸗
Kıkt, daß Diejenigen, weiche das Morgenland befucdhten, Mühe
heben werden, biefed Buch für eine bioße Nachbilbung zu hal»
ten. 86 morgenlänbifche Gryählung muß fogar ‚Raflelas‘ ihm
weihens. das ‚hal ber Gtüdfeligkeit‘ verftattet feinen Wer:
gleich weit ber ‚Dale bes Eblis‘.“ Und in ber neunten Note zur
Ercherung von Korluth” äußert er ſich in Beziehung auf
dam aus „Batbel” enticehnten Gedanken alfo : „Ich habe gehoͤrt,
WR Diejenigen, deren Beifall mir etwas werth ift, den Gedan⸗
ta vewunbeun, welchen ich in den folgenden fünf Zeilen ausge:
Schalt habe. Diefes freut mich; jene Ider aber iſt nicht originell,
wenigens nicht ri mir, und findet ſich weit fchöner ausgeführt
fh der engliſchen ÜUberſegung von ‚Wathel‘,. ©. 182 184;
— einem Verke, auf weiches ich mich fchon früher bezog und
das ich mie wieder leſen kann, ohne mich von ermeunssten Ge⸗
n bed Dantes durchdrungen zu ſehen.“ Gin gleiches Lob
bet Byron diefem Maͤrchen nach an andern Drten, "up
7" 9) Madbene jett die Kufkhtemvon Birenb uab euerbach ham
weicht: find, wiss: nöchkend eis, nuöfhäriuhe Mittheilung Aber VBruqo
Beire erfolgen. D. Reb.
Ba: th, ." ı a
vrh hen.
- — 2 ⸗ —XEEC zone ...
alter Gicatt ip einem Auflage bes „Quarteriy review“ foB ihm
eine nicht geringere Anerkennung gitdmmen laffen. j
Trot dieſen bedeutenden Autoritäten Tann ich dem Werke
] Eeinen ſehr hoben äftyetifchen Werth beilegen und ihm am me:
nigften, das Prädicat der Claſſicitaͤt zugeſtehen. Wenn ber Ueber:
fegee vorzugsweiſe daran rühmt, daß es mehr als irgend eine
andere Dichtung des Abenbiandes, auch in dem kleinſten Zuge,
den. Offen in feiner bunten und glühenden Farbenpracht, gleiche
fam im Spiegelbilbe erkennen laſſe, ſo muß dies zwar zugeftan-
den werden, denn allerdings fühlt man fich bei Leſung bderfelben
gänzlich in eine fern liegende Welt gerät. Aber damit iſt nur
ein beſchraͤnktes, ja zweibeutiges Lob gefprocken: denn eben der
Umftand, daß wir uns in eine durchaus fremde Sphäre verfegt
fühlen, daß wir in ber uns aufgefchloffenen Melt nicht wirklich
heimifch werden, ift ein Beweis, daß ber Verfaffer troß aller
Treue und Gergfalt in der Nachahmung ber orientalifchen An⸗
ſchauungs⸗ und Darftellungsweife es nicht verftanden hat, ben
aufgenommenen Stoff mit Leichtigkeit und Natürlichkeit wieder
aus ſich zu entfalten. Der @indrud bieibt daher weit binter
ben wirklich orientalifhen Dichtungen zurüd. Diefe bringen
zum Dergen, weit fie dem Herzen entquollen find; „Vathek“ aber
macht nur den Eindruck eines gelchrten Werks, an dem man
die Kunft der Rachahmung zu bewundern hat. Bei jenen fühlt
man fü) wie am Tiſche eines orientalifchen Gaftfreundes, der
uns die Fremde zur Deimat zu machen weiß; bei diefem duͤnkt
man fih im Park eines reichen Lords, den fi dieſer koͤſtlich
im orientalifhen Geſchmacke hat einrichten Laffen. Wie es bei
allen Rachbildungen zu gefchehen pflegt, To leidet auch „Vathek“
an Meberladung, da ber Dichter es nicht verflanden hat, auch
das allgemein Menſchliche, das Generelle bineinzuvermeben,
fondern nur aͤngſtlich darauf bedacht geweſen if, einen fpeciell-
orientalifchen Zug unmittelbar auf den andern „feisen Ir laſſen.
Angenommen aber auch, bie morgenlaͤndiſche Faͤrbung der
Dichtung ſtelle ſich nicht als eine kuͤnſtliche, ſondern als eine
| natürliche dar, jo würde damit über ben Werth der Dichtung
| ats foldyer noch ‚nichts entfdhieden fein, da bekanntlich die echt
orientalifden Dichter ebenfo viel Talent haben, etwas Schlechtes
und Mittelmaͤßiges zu probuciren als bie Dichter des Abends
landes. Es fragt fig alſo erft: entfpriht die Dichtung auch
als ſolche den allgemeinen und befondern äfhetifchen Anfoderuns
gen? Macht fie im Ganzen einen wohltbuenden, fei es rein bes
friedigenden, oder ergöglichen oder ergreifenden Eindruck? Liegt
ihr eine neue, ober überhaupt eine der poetifhen Darftellung
würdige Idee zum Grunde? Iſt diefe Idee in Eunftgemäßer
Ginpeit und Mannicfaltigkeit ausgeführt ?_ Yinbet fich ein Reich:
thum von Anſchauungen, Perfönlichkeiten, Situationen, Bildern
und einzeinen Gedanken? Iſt das Ganze in einer fchönen, dem
Stoffe angemeſſenen Sprache vorgetragen? u. f. w. ragen,
die ih in Bezug auf „Vathek“ nur zum heil günftig bes
antworten laffen.
Was zunäcft ben allgemeinen Eindruck betrifft, fo ift dieſer
in feiner Hinſicht wohlthuend. ein befriedigend ober ergöglich
ift er nicht, weil der Dichter nur vorübergehend rein » fhöne und
omifhe Momente bietet und von Anfang an durch gräßtiche
Gituationen hindurd auf ein graͤßliches, in der Hölle felbft ſpie⸗
iendes Ende hinarbeitet. Aber trog biefer tragifchen Tenbenz
fühlen wir uns auch nicht fenderlich ergriffen — einmal weil
bie Perſonen, die den tragifchen Untergang erleiden, nicht im
Stande geweſen find, unfere tiefere Theilnahme zu erweden,
fodann, weil der Weg zur Hölle ein gar zu directer und darum
das Biel ein von vorn herein klar vor Augen liegendes ift, und end⸗
lich, weil die Schüderungen ber höllifchen Dualen überhaupt einers
ſeits fchon zu verbraucht, andererfeits zu transfcendent und unfern
andern Borflellungen wiberfprechend find, als daß fie auf Phan:
taffe oder Gemuͤth einen tiefern Eindruck zu machen vermöchten.
Ro geſchwaͤcht wird die Wirkung des Ganzen dadurch,
daß ihm eine fchon oft bebandelte und in ber ihr hier gegebenen
Baffung obenefn nur halb wahre Ihre zum Grunde gelegt if.
Wir finden dieſe klar ausgibrüdt in den. Morten am Ehluffe
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196
des Maͤrchens, welche lauten: „Dieſes wird did Strafe jener
blinden Wißbegierde fein, welche die Schranken uͤberſchreitet,
die der Schöpfer menſchuchem Wiſſen vorgeſteckt hat. Diefes
wird enblih bie traurige Wereitiung jener Plane eines raſtloſen
Ehrgeizes Derer fein, die nach einer geheimnißvollen Macht ſtre⸗
ben, welche Geiſtern reinerer Art vorbehalten iſt, und in ihrem
thörichten Stolge nicht erfennen wollen, baß das 2008 der Diem:
ſchen auf der Erde tft, im Staube und in Unmwiffenheit zu wan⸗
dein.” Wäre diefe Idee eine voͤllig wahre, fo ſtuͤnde es in ber
That traurig um ben Menſchen und er thäte in der That am
beften, all feine rationalen Kräfte an den Nagel zu hängen
und ſich in die erfte beſte Muckergefellfchaft aufnehmen zu taffen-
Eine ſolche Anſicht Ichrt aber weder das Chriſtenthum noch
der Mobammebanismus und ift alſo auch nicht einmal vom reli⸗
aidfen Standpunkte aus anzunehmen. In einer fchrantenlofen
Wißbegierde felbft Liegt an und für ſich noch gar feine Schuld,
ja fie entfpringt durchaus folgerecht aus dem allgemeinen Bes |
fireben, Gott aͤhnlich zu werden, welches jebe ber Vernunft nicht
ſchnurſtracks zumiderlaufende Religion vorfcreibt. Schuldig wird
die Wißbegierde erft, wenn fie verkehrte Mittel ergreift, d. h.
wenn fie zu demjenigen Geifte, in dem fie ihr Dafein hat, nicht
das Vertrauen begt, daß er aus eigener Kraft heraus das ihm
vorfchwebende Ziel eines vollkommenen Wiffens erregen könne,
fondern, an der Gottäpntichkeit des menfchlichen Geiſtes verzwei⸗
feind, fi) dämonifchen Mächten ergibt und von ihnen zu em:
pfangen hofft, was fie durch eigene Kraft zu erftreben, zu träg
oder zu zagbaft ifl. Nun wirb zwar der Khalif Vathek als zu
fothen falſchen Mitten greifend bargeftelt, aber der Dichter
verfaumt es, hierauf das gehörige Gericht zu legen und ers
tennt offenbar die Schuld nicht bloß in ihnen, fondern vielmehr
in ber Unendlichkeit des Strebens felöft.
Mehr als die Idee ſelbſt befriedigt ‘die Geſtaltung ber Idee,
obfchon auch hier Mandyes zu wuͤnſchen übrig bleibt. Nament:
licht hätte wol die Ausartung ber Wißbegierde Vathek's einer
Motivirung beburft und nit von vornherein als beftehend an:
genommen werden müffen; auch verträgt es fich ſchlecht mit ber
Goͤttlichkei Mohammed’s, wenn er ihn von Anfang an in feinem
frevelbaften Beginnen unterftügt. Gelungener ift die Darftef
ung des Fortſchritts und bei aller Willfürlichkeit, welche bie
maͤrchenhafte Einfleidung mit ſich führt, dem innern Gedanken:
gange entfprechend. Nur die Reife nad Iſtakhar fcheint mir
durch die Beſchwoͤrungen im Thurme nicht hinlaͤnglich motivirt,
weil dieſe Beſchwoͤrungen ſelbſt in keinem nothwendigen Zuſam⸗
menhange mit dem Borangehenden ſtehen.
Gehen wir zur Betrachtung des Einzelnen über, fo finden
wie in der That manche wahrhaft" Teefftiihe Partien, und biefe
find es jedenfalls gewefen, welche die obengenannten Dichter zu
ihrem Lobe veranlaßt haben. Im komiſchen Genre find vor:
zugeweife zwei Scenen zu erwähnen: naͤmlich die, in welcher
Vathek den Giaour mit Zußtritten verfolgt ımb ben gefamms
ten Hofftaat und das ganze Volk zu einer gleichen Handlungs⸗⸗
weife mit fortreißt, und jene, in welcher Nouronihar, bie fchöne
Tochter Fakreddin's, und Vathek's Sultaninnen mit dem Ber:
föhnittenen Bababalouf ihr tolles Spiel treiben. Au
den fi) manche echt humoriſtiſche Züge, welche namentlich zur
Milderung des Gräßlichen ihre guten Dienfte leiſten. Ebenſo
glüdtich bewegt ſich der Dichter in ber Darftelung des Liebli⸗
den und Reizenden. In der Schilderung des Berges ber vier
Bäche, bei der Beichreibung des Knabenfeſtes und vor Allem
Dei der Zeichnung ber ſchoͤnen Rouronibar und des kindlichen
Quichenrouz entfaltet er eine Üppigkeit und Lebendigkeit der
Phantafle, die an einem abendiändifhen Dichter wahrhaft zu
bewundern if. Minder dagegen können wir uns mit feiner
Zeichnung des Graͤßlichen und Schrecklichen befreunden. Hier
artet feine Imagination ſehr Häufig ins Ungeſchlachte aus und
macht entweber einen widerlicgen ober Tächerlichen Gindrud.
Sowol Vathek felbft erfcheint oft als zur Caricatur ausgezerrt,
ald auch feine Mutter Karathis und fein daͤmoniſcher Verfuͤhrer,
der Blaonr. Das ſich die orientaliſche Yhantafie in Ertravagan⸗
ch fonft fin: :
diefer Art t, Yı; aan cs wii:
—ã— — — men
Enz,
Sagen werben. Bon wirkfamem und adıt guoßertigem G
dagegen iſt die Gchüberung Iftakhar’s und ber Halle be
we das unterirdifche Feuer lodertz wo die Zallemane zu fchauen
find, welche die Welt regieren, wo die präadamitifihen Sultane Ihres
men und wo audy Bathek feinen Play erhält. Hätte ſich nicht
He Phantaſſe der Deichter wie. ber Maler von elten Zeiten ber
in Scälderungen der unterweitlidken , hoͤlliſchen Räume erfchöpft
und wuͤrden wir von unferm Dichter zum erften Mate in biefe
Halle eingeführt, fo würbe, wie ſchon oben angebeutet, ber Effect
jedenfalls ein nody weit mächtigeres fein und badurd bie Une
ziehungstraft bes Ganzen bedeutend erhoͤhet werben. «hen,
fürchten wir, dürfte die Aufnahme der Dichtung trot ihrer eins
seinen Schönheiten nicht, die Iebendigfte fein und der Ueberſetzer
wenigſtens von Beiten des Publicums nicht denjenigen Dan?
ernten, ber ihm für das Verdienſt, ein wenn audy nicht claffi⸗
ſches, body immer beadhtenswerthes Werk der Vergeſſenheit ent-
riffen zu haben, und für die Sorgfalt, mit welcher er es im die
Mutterfpxache übertragen, in vollem Maße gebührt. . . 26.
Notizen.
Zeit⸗Gebdanken.
Virtus post nummos! Iſt nicht dieſe Trias von Werten
in den Epiſtein bes roͤmiſchen Dichters Horaz in gewiſſer Hin⸗
ſicht die Parole unſerer, vorzügsweiſe nur auf Geid und auf
äußere Geltung, nur auf Sinnengenuß, nur auf dußern Wors
theil und dußere Macht bedachten, nur materieHe Intereſſen
einfeitig, auf Koften des fittlich=geiftigen Lebens verfoßgendem,
nur von dem einen Gebanten ber materiellen Exiſten; beberzfde
ten Bett. Gilt die Virtue, gilt ſittlich⸗geiſtige Volllommenpeit,
im Großen und Seinen, Das, was fie fol? Laſſen ſich die
Lenker der Staaten und Völker, Iaffen fih die Einzelnen, wern
auch nicht ausſchließlich, doch minbeflens vorzugsmeife von dem
Streben nad) dicfer ſittlich⸗ geiftigen Vollkommenheit, welche ber
Bielpunft der Menfchgeit fein fol, laſſen fie ſich non moratifcgen
Tendenzen allenthalben leiten? gilt nicht vielmehr ber Cudaͤmo⸗
niemus in unferm Gtaatöleben mehr als Tugend, Moral,
Vernunft? Beherrſcht nicht der Gedanke ber materiellen Exi⸗
ſtenz ale Gemüther? ift ums nicht fo Manches, was uns nur
Mittel zum Zwecke fein follte, felöft Iweck? und hauptfaͤchlliche
Zweck? Die Virtus, im wahren Einne des Worte, füllte uw
ferm Streben Zielpunkt und Zweck fein und uns Ale um fe
freudiger und inniger erfaffen und um fo mufbider ausführen
beifen; aber der induflrielle Egoismus vergiftet Alles und bie
Virtus iſt Höchftens felbftfüchtiges Mittel zu einem andern Zuoecke,
ber mit dem äußern Bortheile, mit der materiellen Eriſtenz iden⸗
tiſch iſt; während Das, was nur Mittel zu gutem mb em
laubtem Zwecke fein follte, von unferer Zeit zum Zwecke ferbt
erhoben wird. Virtus post nanımos ! ,
Mein Streben ift auf Gelb gericht;
Nach Tugend frag’ ich weiter nicht.
Es ift der hoͤchſte Iwed der Phitofopbie, den aber zugleich
die Erzicehung jedes einzelnen Menſchen im Auge haben us,
es bahin zu bringen, daB Jeder von ferien Gtüden thue, was
er durch das Befen zu thım gezwungen iſt. Auch unfere Zeit,
und fie vornebmiih, muß biefen Zweck in Staat und Kirche,
wie in ber Schule, und für bad Gtantsleben, für bas —32*
der Geſammtheit, zu erreichen ſich bemuͤhen. Dieſes praktifi
Wirken ber Philoſophie iſt allein erſprießlich und ſegensreich,
ſolche Philoſophie iſt die wahre Weltweiſsheit. Wir Neuere
duͤnken ms in vielen Dingen weiſer zu fein al& die alten Grie⸗
den und Römer; unb bach. war es ein griechiſcher Philefopb,
Xenokrates, der, als er gefragt warb, was feine Schüler ler»
nen folten, erwiderte: Des von freien Stäcken zu tun, was
Fe dirrch das Seſetz zu thun gezwungen ſeien (Cic.de republ. 4 ».
VBerantwortlicher Herausgebers Heinrich Brokhaus. — Drud und Berlag von F. U. Broddaus in Leipzig
»
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
- Thomas Thyrnau. Bon der Verfafferin von Godwie
Saftle und St.⸗Roche. Drei Theile. Bredlau,
Mar und Comp. 1843. 8. 6 Zhlr. 25 Ngr.
Die frübern Romane diefer Verf. lehrten und mit
geipannter Erwartung dem neuen Product entgegenfehen.
Sie nimmt unftreitig den erften Rang unter den deut:
ſchen Gchriftftellerinnen ber Gegenwart ein, und wenn
es auch bei dem hiftorifhen Hintergrund ihren Ro⸗
manen oft an richtiger Gefchichtsauffaffung fehlte, wenn
audy in „Godwie Caſtle“ und „St.⸗Roche“ ihr die Des
tailkenntnig ausging, To wußte fie doch ihre Lefer unmiders
ſtehlich hinzureißen; ihre Werke waren gefühlt und ges
dacht und mußten deshalb wie alles menfhlid Wahre
mächtig auf die menſchlichen Gemüther wirken.
Diefer letztere Roman: „Thomas Thyrnau“, ſteht aud)
nun den fruͤhern an Vorzügen nicht nach, während er die
oben gerügten Mängel und Schwächen derſelben viel we:
niger beflst. Bel „Thomas Thyrnau“ iſt Deutfchland der
Schauplatz; die biftorifhen Studien waren alfo leichter,
reichere Quellen ftanden zu Gebote und große Misgriffe
waren beinahe unmöglih. Der Heid des Romanintereſſes
ift Graf von Lay: Wratisfaw, wie er fid) zu Ehren feiner
böhmifchen Befigungen nannte. Wir finden ihn in Wien,
wo er, der junge fechsundzwanzigiährige Mann, die feche:
unddreißigiährige Fuͤrſtin Morani liebt und um ihre Hand
wirbt. Die nicht mehr junge und nicht fchöne Frau ſtraͤubt
fi) gegen diefe Verbindung, im ußtſein dee Ungleich:
beit der Jahre, obgleich ihre Herz dem jungen Freund
ſchon laͤngſt angehört. Ihe ruͤckſichtsloſer, verſchwenderi⸗
ſcher Vater hat ſie ohne Vermoͤgen in einem ſchoͤnen Pa⸗
laſt zurückgelaſſen, und das Darben in der Pracht, das
ſtille Entfagen im. vornehmen Stand, das fi Trennen
von luxutioͤſen Gewohnheiten der echt religlöfen und erge⸗
denen Prinzeſſin if Außerft ergreifend, fowie auch ihdr
Kampf gegen die Liebe zum jungen Bewerber. Gie dentt
nur an ihn und an fein durch eine Ältere kraͤnkliche Frau
gefährdetes Gluͤck, an ihr eigenes denkt fie nicht. Lacy
bat die edle Seele erkannt und liebt fie wahr und innig;
er bietet ihr ein freie® Herz und ein ſchoͤnes Vermoͤgen.
Aber ein geheimnißvoller Brief feines Geſchaͤftsmannes
und Bormunds, Thomas Thyrnau, kündigt ihm an, daß
er, um in dem Befis feiner Stammgüter zu bleiben, des
Vormunds Enkelin heirathen muͤſſe. Dieſe Bedingung
vermag ihn indeß nicht von der Verlobung mit der ge:
liebten Prinzeffin abzuhalten; erft als er an ihre gebunden
ift, reift er nach feinen Gütern zur Zeftamentseröffnung
und fieht des Vormunds ſchoͤne Enkelin Magda. Ex hatte
fte fon einmal gefehen, ohne fie zu Eennen, und ißre
Schönheit, fowie ihr ganzes Weſen läßt ihn bald empfins
den, daß fein Gefühl für die Prinzeffin Morani nicht
Liebe ſei. Auch auf Magda hat er einen tiefen Eindrud
hervorgebracht. Aber er erklärt dem Vormund fein Ders
haͤltniß zur Zürftin, er fühle ſich gebunden durch die Ehre,
obgleich der priefterlihe Segen noch nicht gefprochen iſt.
Warum dad Teſtament des Oheims den Beſitz feiner Güter
an Magda’s Hand gebettet, erfährt er nicht. Sie felbft dringt '
darauf, daß das geheimnißvolle Pergament verbrannt werde;
der edle Thyrnau willigt ein und Lacy reift ab, um ſich
mit der Fuͤrſtin Morani trauen zu laflen. Aber er liebt
Magda und fie liebt ihn, und obgleich er nie der hochge⸗
ehrten, Liebenswerthen Gattin den geringften Grund que
Klage yibt, fo fühle fie doch, daß fie ihm nicht das Gluͤck
zu geben vermag, defjen fein Herz bedarf. Ihr Beneh⸗
men gegen Magda und gegen den Gatten, das flete Nie:
derkaͤmpfen aller egoiflifhen Wünfche, das Selbſtverleug⸗
nen dieſer edein Frau Läßt fie als einen der Lichtpunfte
ded Romans hervortreten, worauf der Blick des Lefers
immer mit Intereſſe verweil. Das Verhältnig der dltern
Frau zu dem jungen Mann wird, obgleih alle Gruͤnde
gegen folche Ehen angegeben werben, obgleich felbft Dias
via Thereſia dagegen eifert und Die frivole Prinzeffin
Therefe ihre Anfichten darüber ausſpricht, doch nie lächers
lich und trägt immer den Stempel der Heiligkeit. Magda
nun, welche die eigentliche Heldin des Romans iſt, als
kaum der Kindheit entwachlenes Mädchen auftritt und
ein Wunder von Liebenswäcdigkeit fein fol, gleicht zu
ſehr einer phantaftifchen Erfindung, iſt zu wenig natuͤr⸗
ih, um da6 ganze Intereſſe zu gewinnen. Sie ift ein
MWefen, wie Bettina das Kind aus den Briefen eines
Kindes hervorgeht, halb naiv, wild, ſcheu, kuͤhn, ſchuͤch⸗
teen, oft übermannt vom Gefühl, oft tief denkend und
pbilofophirend, ſtark und beflimmt im Charakter und füß
träumerifh; man kann fich nicht mit ihr einleben, wenn»
gleich man fie als eine poetifche Erſcheinung nicht vers
miffen möchte. Ihte große Menge von Werehrern, vom
erſten, dem Grafen Lach, bis zu Engo, dem Knaben,
198
worunter auch ein Gretin und ein Verruͤckter — nebſt
noch einigen Halbverruͤckten fih befinden, ziehen durch
‚ ihre Huldigungen den Roman oft in unangenehme Länge
und Breite und bilden die ſchwaͤchſten Stellen des Werke.
Da am Ende die liebenswärdige Gemahlin des Grafen
Lacy ſtirbt, nebft dam Kinde, dem fie das Leben gegeben,
ſteht Lach's Verbindung mit Magda nichts mehr im
Meg — und man fcheidet von Gluͤcklichen. Obgleich
nun alle Hauptfiguren der Liebesintereffen fehr edel gehal⸗
ten find, obgleidy die einzelnen Scenen, die verfchledenen
Charakterzüge, Schilderungen und Gefühlsworte immer
des Lefers Antheil erregen, feine Aufmerkſamkeit feſſeln, fo
iſt doch diefer Theil des Buchs beiweitem nicht der inter:
effantefle und bedeutendfte, und der hiftorifhe Hintergrund
ift mit einer Farbenpracht, einem Feuer, einem folchen
Patristismus ausgeführt, daß man ſich der Beobachtung
der einzelnen Details defjelben nicht fo ſchnell entziehen
darf. Die hiſtoriſchen Geſtalten und Begebenheiten find
die Hauptfiguren des Romans, zu deren Entwidelung
nur die andern Figuren berufen find.
Vor allen ragt Maria Therefia hervor; die Schrift:
ſtellerin iſt ganz ihre Unterthanin geworden, um fie ges
treu fchildern zu koͤnnen, fie hat fih förmlich mit ihren
- Bildern eingelebt und fie dadurch perfönli kennen ges
lernt. Sie bat öftreichifche Zuftände ſtudirt, um die Derr:
fcherin zu beurtheilen;, deshalb legt fie auch der Kaiferin
orte in den Mund, die nicht überrafchen, fie läßt fie
bandelnd und fprechend auftreten, in Privartverhaͤltnifſe
eingreifen, und man glaubt ihr gern. Sie ‚kannte Maria
Thereſia's Größe, aber auch ihre Schwächen; ihr tugend:
baftes Einmifchen in Privatverhältniffe wird hier nicht
entftellt der Nachwelt überliefert, dagegen die Froͤmmigkeit
und das Wohlwollen gegen Arme und Geringe gehörig
bervorgeboben; auch ihre kräftige Sprache mit dem fo
harakteriftifchen „So wahr mir Gott helfe!” ward nicht
vergeffen. Die freundliche Herablaſſung der Kaiferin beim
Beſuch der Klofterfrauen des Urfulinerkloftere, der von.
denfelben jährlih überreichte Käfe, welcher fo huldreich
aufgenommen wird, nebft der Engelsmummerei — Alles
trägt dazu bei, die Katferin zu charakterifiren und ihr des
Leſers Liebe zu ermeden. Ihre große Abneigung gegen
die Marguife von Pompabour fpricht fi) auf ihr eigens
thuͤmliche Weife aus, als Kaunig fie zu dem Buͤndniß
mit Frankreich überreden will, während feine kluge Ma:
chination, bie Katferin zu einem einleitenden Schritt zu
bringen, leicht durchſchaut wird. Die Schilderung der
Drinzeffin Therefe von dem Wirken der geiftreichen Mais
treffe muß bier einen Play finden.
Sc wußte in ganz Paris Leinen ſchicklichern Play als hins
- ter ihrem Armſtuhl. Was war. das für ein Vergnuͤgen, folche
Mosgen mit ihr zu burchleben! was da Alles vorkam. — Die
alte Amme, bie in ſchwarze Serge gekleidet, an ihrem Gtabe
bie Höhlen des Unglüdis und der ande durchſtreifte und je:
den Morgen ben teeren feidenen Beutel wiederbradjte, ben fie
- gefällt mit fi nahm. Diefe Berathung, ob nicht noch andere
Duͤlfe als Geld nöthig wäre? unb der Policeilieutenant, ber
.bann fein Avifo befam ober Berichte machte — und dann ber
ſchleichende Abbe Bernis, der ſich feine Inftructionen holte und
den fie taufendmat mit glänzenderm Geiſte überflügelte, um ihm.
die Maßregeln zu entreißen, bie eigentiih nur zu feinem Vor⸗
tbeil ergriffen werben follten. Dann ber Tiebenswärbigfte Sterb-
liche in Geſtalt eines Pavians, ich meine Voltaire, der mit ſei⸗
nem uniderfen Geift, mit feinen göttlichen Poefien und dem nie
verfiegenden Quell ewig neuen frifchen Wiges in ganz Krank
reih nur in ihr das noͤthige Verſtaͤndniß findet und ftets eine
Lifte in der Taſche hat, weiche neuen Wergänftigungen für Kunſt
und Wiſſenſchaft dur fie das Leben geben fol. Glaubt man
fie von dem Eifer ermübet, womit fie ſich allen dieſen Intereſ⸗
fen Hingibt, dann tritt fie in einen Saal — ba liegen Stoffe
und Erfindungen vor ihr ausgebreitet, und Berichte machend,
ſtehen Fabrikanten, Mechaniker und Handwerker aller Art um
fie Her; fie laͤßt fich belehren unb prüft und unterfcheidet, unb
gibt Urteile, die oft ben Gewandteſten überrafhen. Und wenn
fie den Troß entläßt, fo verbreiten fi vor dieſem Heinen Saate,
wie von den Knaͤueln bes Webers, die Fäden weit hinaus, und
neue Kraft — neue Thaͤtigkeit erwacht.
Die Liebensrwürdige und kokette Prinzeflin Iherefe 3.
bietet den willlommenen Gontraft zu der edein Maria
Therefia; die franzäfifchen und die deutfchen Naturen find
in den beiden rauen ſich entgegengeflelit; die Srivolität
des parifer Hofs und das ernfle Streben, das ſchwerfaͤllige
Etikettenwelen des Wiener. Der Humor und ewig fprur
deinde Witz der jungen, fhönen Prinzeffin ift [ehr unters
baltend, und man freut fih, unter dem dichten Gewebe
ihree Koketterie und Frivolitaͤt — unter dem Schleier von
Eitelkeit, Gefallfucht, Intriguenluſt, ein Derz zu finden,
ein über ihre Alleinſtehen, über ihre geiftige Verwahrlo⸗
fung biutendes Herz, Man freut ſich, als fie die Gattin
des jungen Fuͤrſten S. wird, und hegt die Überzeugung,
daß fie deffen wiedergefundenen Kindern, Hedwig und
Egon, eine gute Mutter fein werde. Wir fehen fie ſeldſt
noch am Schluß des dritten Theils als Mutter zweier
eigenen Kinder wieder.
Thomas Thyrnau, der Abvocat, fleht nun wie ein
mächtiger Vermittler des romantifchen und hiſtoriſchen
Intereſſes, wie eine Rieſenbruͤcke, welche zwei verfchiedene
Länder zuſammen verbindet, vor des Leſers Serle. Ihm,
dem Großvater der lieblihen Magda, dem Freund des
verftorbenen Lach, dem großen Juriſten, vor allem aber
dem edein, aufgellärten, in jeder Hinficht geiftig emanci>
pirten DMenfchen, ihm, dem von allen Seiten Anerfennusg
zu Theil wird, kann auch der Lefer die feine nicht verfagen.
Der Weſtfaͤliſche Friede war nur ein Damm geweſen,
hinter dem das veranlaßte Elend zum Bewußtſein aller
Völker kam. Mit der Schlacht am Weißenberg war Boͤh⸗
mens Lage entfchieden, und Ferdinand III. Hatte die Wills
tür, zu flcafen und die katholiſche Kicche geltend zu ma:
hen, behulten; duch ihn wurden alfe volksthuͤmlichen
Rechte verlegt. Das Schickſal der Dörfer und Städte
war graßlih; 16 Meilen um Prag flag Alles wäfte, denn
der dritte Theil von Boͤhmen hatte in Flammen geftan:
den. Aber in der Bruſt des alten Czechenſtammes lebte
noch etwas, was ed vor ganzlicher Entartung fehügte, ein
tiefe® nationales Beduͤrfniß, eine feurige Anhänglichkeit
an feine Geſetze, eine Sehnſucht nach feiner fouverafnen
Freiheit. Dieſes tiefbegrüundete, duch das gehäufte Elend
nur gefleigerte Gefühl für eine den volksthuͤmlichen Be:
bürfniffen gemäße Handhabung der Regierung blieb ihnen
aber unerfültt. Dadurch entflammte allgemeiner Unwille ;
dee Befriedigte zog fih die Verachtung feiner Landsleute
199
ju, und bie Regierung verfhmähte kein Mittel, um ben
Semeinfinn zu bannen und die Demoralifation zu vollen:
den. So entftand Aufftand und Verſchwoͤrung überall
und Niemand wollte dem tiefoerlegten Zuftand abbelfen,
die Gewalthaber wollten ihn nur unterdrüden, und ſchau⸗
derhaft gemisbtaucht erhob fih das Panler des Glaubens,
um die Greuelthaten des Haſſes und der Ungerechtigkeit
ju deden, Die alle um des Zweckes willen gerechtfertigt
werden mußten.
Nur ein Meiner Kern ſich bewährender Männer war
in dem verbreiteten Elend fich felbft getreu geblieben und
hatten in ihren Herzen das alte vollsthlimliche Leben be:
wahrt, unter deſſen weiſen Borfchriften Böhmen einft
Deutſchland in geiſtiger Cultur fo fehr überflügelte. Ste
jogen durch das Land und fuchten zu fammeln, was ber
Zerſtoͤrung entging. Ein beiliger Haß hatte ſich in ihren
Bufen gebildet und auf den raudenden Trümmern ihres
Vaterlands hatten fie fih die Hände yereicht und fich ge:
tobt, alle ihre Kräfte anzumenden, um den entweihten Bo:
den feinen Kindern wieder zuzuführen, das erflorbene Le:
ben dee Wiſſenſchaft und Kunſt, des Gewerbfleißes und
des Ackerbaues wieder hervorzurufen, zu fügen und zu
vertreten, mit allen Kräften, felbft mit Widerfland gegen
die herrſchende Regierung, die kein Derz zu ihm herüber:
gebracht und ihm ſtets nur ein fremder Zuchtmeifter ge:
blieben war, der das Land ausfaugte. Unter diefe Edel:
. ten der Nation gehörte Wenzel Eufebius Lobkowitz So:
feph Erbgraf von Lach⸗Wratislaw und Kaspar Thyrnau —
der Vater unfers Helden. Diefe Männer ließen fein Mit:
tel unverſucht, Oſtteich auf die wahren Bedürfniffe des un:
terjochten Landes aufmerffam zu machen; fie hofften durch
Nachgiebigkeit die Ruhe und Einigkeit und Bewahrung
des geleifteten Unterthaneneides im Lande zu erhalten. Al:
les blieb indeß umfonft. So kam es denn, daß man
endlich zu der traurigen Gewißheit, von Oſtreich nie verflan:
den und vertreten zu werden, gelangte; die Beherrſcher
ſelbſt erweckten das alte Recht der Souverainetaͤtsmacht
in der Boͤhmen Bruſt, ſie wollten den Koͤnig, der ſie vor
Untecdruͤckung ſchuͤre, ſelbſt waͤhlen, ihn auf den Thron
ihrer alten Rechte ſetzen. Langſam arbeiteten ſie darauf
hin — ſie ſuchten auf die Jugend zu wirken, auf die
Veredlung des Volks, fie befoͤrderten Kuͤnſte, Gewerdfleiß
und Ackerbau, fie holten von dem bluͤhenden Frankreich
den Samen herüber, dm fie auf die Alche ihres Water:
lande ſtreuten, und als diefer aufging, wollten fie aud)
ven Bärtner von borther holen. Thomas Thyrnau trat
in die Sußtapfen feines Vaters; der Sohn des Grafen
Lach war fein Freund umd Geführte; beide wirkten ver:
ent, wie bie Väter gewirkt Haben; fie knuͤpften die Uns
Serhandtungen mit Sranfreih an; fie fließen auf Hinder⸗
niffe im eigenen Land, oft hemmten fie ſelbſt ihre Thaͤ⸗
tigkeit, wenn ein Herrſcherwechſel fie zu der Doffnung be:
rechtigte, auf rechtmäßige Weiſe die gewünfchten und er:
febnten Privilegien zu erlangen; oft getäufcht, ſchritten fie
wieder zu ihren geheimnißvollen Unterhandlungen, und erfl
old Maria Therefia den Thron beftieg, erkannten diefe
Männer, baß mit ihe die erfehnte Hülfe ihnen gu Theil
werde, und fchwuren willig, ihe mit Gut und Biut um:
terthan zu fein. Was Marla Therefia felbft, als Frucht
der Zeit erkennend, mit ficheree Band vom Baum der
Erkenntniß brach, das konnte nicht mehr Simbe und
Hochverrath genannt werden. Thomas Thyrnau lebte,
nachdem alle Unterhandlungen mit Frankreich abgebrochen
waren, auf feinen Gütern in Böhmen; er hatte, um des
Sreundes Lacy Sohn, welcher in dem hochverrätherifchen
Treiben gegen feinen und des Waters Willen zu weit ge:
gangen war, zu reiten, einen geoßen Theil feines Vermoͤ⸗
gens zur Erhaltung der Lach's Erbguͤter gegeben, was
duch die eheliche Verbindung Magda's und des jungen
Lacp wieder ausgeglichen werden follte. Da die Berans
laſſung dieſes Vertrags ein Geheimniß bleiben mußte,
mar auch bie Bedingung geheim gehalten worden. Thyr—
nau war ſchon längft der befte und treuefte Unterthan
Maria Thereſia's, als er des Hochverraths angeklagt und
vor Gericht gefodert wurde. Seine Bertheidigungsrebe,
worin er die oben angegebenen Verhältnifie auseinander:
fege, iſt meifterhaft.
D, hüten wir uns des Wortes Hochverratb, wenn wir bem
leidenvollen Kampfe eines eben Volks zufehen, dad von bem
zue Gegenwehr getrieben wird, der es bewahren follte. Gern
bleibt das Bolt im flilen, treuen Kreiſe und baut mit Fleiß,
wozu ber Geiſt e6 treibt, und wahrt ein bankbares Herz bem
Herrſcher, ber es in feinem Treiben fchügt, und vergilt es, bes
zeit, zu deſſen Wohl das ftill Erworbene zu benugen. Nur wer
das Bud ber Geſchichte zuſchlaͤgt und feinen Inhalt leugnet,
wirb fagen dürfen, vom Bolt ginge der Kampf aus und es ſei
gefinnungslos und obne Treue, leicht diefer ober jener Fremd⸗
macht zugewandt, die ihm den verfagten Vortheil böte. Es
laͤßt im Gegentheil mit vollem Bewußtſein bie Unbill gefcheben,
bie vom alten, angeflammten Herrſcher ihm gefchieht, es feucht
in feinen Leiden bin, es gibt die wohlerworbene Babe, es bietet
fih und feine Kinder ohne Murren zum Schutze dar — unb
ob es gleich der Roth kein Ende ficht, win es doch bie Huͤlfe
nur don Dem, der ihm die Noth gelaffen. Volksaufruhr iſt
bad Gericht der Fuͤrſten; er bat feine Urfache ba, wohin zulegt
die lang erhaltene Strafe zurädfällts er ift ber Pfeil, ber abs
geſchoſſen von der Scheibe zuruͤckprallt und den Schuͤtzen tödtet.
In der Zeit liegt eine GSelbfthülfe, gegen die noch fein
Despotiömus die Schranken gefunden bat, und ber Widerſtand
gegen ihre Zwecke wird ihr oft das Mittel zur Förderung.
Die ernfle Frage: wann und unter weichen Umfän-
ben es dem edeln Patrioten zu verzeihen ift, wenn er zu
Empörung [chreitet, wird hier auf fehr würdige Weiſe er
oͤrtert; es iſt eine Sache, deren Recht oder Unrecht fonft
nur der Ausgang entfcheldetz hier wird es durch die uns
eigennügige Abficht der Betheiligten, durch den unbefcholtes
nen Charakter der Empörer geadelt; und obgleich man
Thomas Thyrnau nicht weniger geachtet hätte, wenn fein
Streben zum Ausbruch gelommen wäre, fo fühlt man
doch innige Freude, ald er folgendermaßen in feiner Mede
fortfährt:
D, wer geihmachtet hat vor dem Ideal einer Herrſcher⸗
aröße, bie das Leben nicht zur Wahrheit machen will; wer mit
Schmerz und Wiberfixeben ſich in anderer, von ihm feibft faft
angefeindeter Richtung nach dem Schutz umſah, ben er fo gern
allein von diefer wirkfamften, höcften Stelle empfangen hätte,
wer nach diefem Kampf plögtich eribſt wird durch das Wahr:
werben bed erfebnten Traumes, der wird mich verfichen, wenn
ih fage: daß, als Maria Thereſia die Zuͤgel ergriff, wir uns
alle wiedergeboren fühlten! Ein Jeder durfte fi in ſeiner Kraft
beiennuen Alles, was ibn getrieben, b ungen, was ex ent⸗
widett, wonach er mit Inbrunft fich geichnts er fand jest feis
DM
nen 1 ‚denn das göttlicke Gefühl der Vaterlandeliebe erweckt
und fördert die edeiften Kräfte des Menſchen, und wenn es zus
fammenfällt mit der heiligen Liebe zu einem großen Herrſcher,
der feine Zeit verſteht, dann ift bies Gefühl der Triumph ber
Dtenfchheit, dann feben wir ein Volk die Rieſenſchritte thun,
die ed an die Spitze der Nationen führen, und einen Gieger
aus ihm werden, unter deffen Panier die Edeln aller Länder
fi fammeln mödten, um ber Zreipeit theilhaftig zu werben,
die kein Widerſtand mehr ifl. |
Maria Thereſia war unfichtbarer Zeuge der prächtigen
Bertheidigungsrede, und die Art, wie fie diefelbe aufgenom⸗
men, ift ihrer gang würdig; es wäre ihrer noch würdiger
geweien, wenn fie dem edeln Thyrnau keine Strafe zuer-
kannt und die Verbannung auf den Karlflein weggelafjen
hätte, um fo mehr, da der Karlſtein eine leicht entbehrliche
Epifode in dem fonft fo werthvollen Werke bietet. Dort
wird in dem Grafen Bodinbrad eine Caricatur des an
alten Zormen Haftens dargeftellt, wie überhaupt alle der:
tigen Ereigniffe und Begebenheiten wenig anfpredgen, weil
“fie, gar zu weit von der Natur entfernt, vom bisherigen
Zon des Werks abweichen. Thyrnau teitt dabei ganz
in den Hintergrund und Magda flößt mit ihren Wun⸗
berlichkeiten zu andern noch wunderlichern Menfchen. Ale
der Ritter Matthias von Thurn verrüdt wird, wundert
man ſich nur, daß er der Einzige ift, dem diefes Unglüd
geſchieht. Eine fehr widerwaͤrtige Figur bildet der Fuͤrſt
von S., fowol in feiner Liebe zur Prinzeſſin Thereſe, als
in feinem Haß zu dem Sohn. Wir lernen ihn zuerft
kennen, als er zu naͤchtlicher Stunde der Prinzelfin The:
reſe einen Beſuch macht und von ihr zurldgeftoßen wird.
An feinem fpätern Handeln weiß er das Intereſſe des
Leſers noch weniger anzuziehen; er iſt das böfe Princip
des Buchs. Er, der die Trennung Boͤhmens von Oft:
reich herbeiführen wollte, um ſelbſt deffen Beherefher zu
werden, war es, der, ald er diefen feinen Plan gefcheitert
fah, den Thomas Thyrnau als Verraͤther angab. Den
Unterfchied des edeln, aus Liebe zu feinem Vaterland
und zu feinem Volk Revoltirenden gegen den nur im
eigenen Intereſſe, nur um eigene Machterhoͤhung willen
ſich von dem eingefegten Herrſchern und Geſetzen Emanci:
pirenden flieht man in Thomas Thyrnau und dem Für:
ſten S. dargeftellt, und man fühlt, wie baffelbe flrafbare
Wollen geheiligt oder gemein werden kann, und warum
oft ein Verbrechen, welches die Mitwelt beftrafen muß,
vor der Nachwelt, der es bie Weltgeſchichte zuträgt, ein
mildered Urtheil findet. Seine VBosheit und Schlechtig:
Reit hat zahlreiche Verwirrungen herbeigeführt; er hat die
Gemahlin feines Sohnes vergiftet und ihren Kindern nad)
dem Leben getrachtet. ine alte Waͤrterin rettete fie, und
diefe Kinder, Hedivig und. Egon, geben zwar Anlaß zu
duͤbſchen Vildern und Epifoden, tragen aber zur Überla>
dung bed Buchs bei und der Faden wird unnöthigerweife
verfchlungen. Überhaupt verfteht die Verf. es nicht, die
derbeigefüheten Effecte zu benugen; fie läßt ſich die beften
Momente entgehen, um Großes zu bewirken, und macht
vie Weſens aus Nebenumſtaͤnden. Einen unangenehmen
Eindrud macht das fromme Sterben des ſchurkiſchen Fürs
fin S. dem Magda wie eine Art religiöfer Iwangemelfter
zur Seite ſteht und ihn beten lehet, indem fie ihm befichle
die Hände zu falten und ihn gleihfam zur Reue zwingt.
Der dritte Theil bringt überhaupt viel Stoͤrendes;
inniges Mitleid aber erregt dee arme, gemishandelte,
Magda fo treu ergebene Gretin Bezo. Einmal hält ihn
die Fauſt eines Boͤſewichts auf dem Gipfel eines Baumes,
an dem Kragen in der Luft fchmwebend, um ihn am Ende
herunterfallen zu laſſen; fpäter, als Fuͤrſt S. Magda
entführen läßt, wird er blutig gefchlagen. Seine Kiebe zu
Magda hat indeß etwas Mührendes, da er immer zur
rechten Zeit kommt, wenn fie feiner bedarf. Groß von Ans
fang bis zu Ende bleibt indeß Thomas Thyrnau; er if
fi felbft immer treu. As Maria Iherefia für alle feine
Verdienfle um Böhmen ihm eine Belohnung ertheilen
will, Titel ohne Anftellung und mit Gehalt, Adel oder
‚einen Orden, lehnt er die Gnade der Kaiferin ab, indem
er ihr bemerkbar macht, daß eine Belohnung dem einft
Mevoltirenden dem rohen Daufen als ein Cingeftändniß
mangelhafter Zuflände gelten Eönne, womit man ficy nicht
begnügen würde, die Vergangenheit zu bezeichnen, fondern
jeden unbequemen Zuſtand der Gegenwart, den die Kai⸗
ferin bei den beabfichtigten Veränderungen im Großen, im
Einzelnen erzeugen werde, und daß eine Entfchädigung ber
Selbſthuͤlfe darin liegen Eönnte, da die ganz befondern Um:
ftände, welche die Kaiſerin zu ihrer Nachſicht bewogen,
nie von der Menge verftanden würden | und daher ihe
vorenthalten bleiben müßten. Das hierauf ergangene Schrei:
ben der Kaiferin iſt auch charakteriſtiſch.
Ihr feid ein Ehrenmann, mein getreuer Thomas Thyrnau,
fo wahr mir Gott beife, und wenn ich Euch aud einen Gra⸗
fentitel gegeben hätte, er wäre Euch zum überfiuß geweſen.
Biele Unterthanen werde ich haben, bie nie revoltirt haben, und wer⸗
den nicht von fo treuer Gefinnung fein, ihre Kaiferin zu war⸗
nen, wenn biefe ihnen eine Gunſt ergeigen will, follle auch der
allgemeine Schaden ihnen baraus erfichtlich fein.
Bei dem vielen Äberwiegenden Guten befigt dieſes
Werk viele Schwaͤchen und namentlich fühlt man fid) ver
anlaßt zu münfhen, daß die drei Theile auf zwei er
mäßigt würden, damit das Ganze ein Meifterwerk ge:
nannt werden könnte. *) 12.
Literarifhe Notiz.
Viennet ift, obgleich zwei ober drei Dramen von ihm fo
zu fagen ausgepfiffen find, doch ein ganz vortcefflicher Schrift«
fteler. Seine Fabeln namentlich ficheen ihm einen unvergäng>
lien Namen. Ein Theil berfelben, befonders diejenigen, durch
die ex die oft fo langweiligen Sigungen der Akademie francais
etwas unterhaltender zu machen pflegt,. waren bereits in ver
fchiebenen Sammlungen abgedrudt; aber bisher konnte man
doch feinen gangen poetifchen Reichtum nicht überfchauen. Wir
freuen uns beshalb, eine Gefammtausgabe, die foerben unter
dem Titel: „Fables de Viennet un des quarante de l’Aca-
demie française“, erſcheint, hier ankündigen zu Eönnen. Viennet
bat, ohne in Nachahmung und Reminifcenzen zu fallen, oft
einen Anklang an den unvergleichlichen Lafontaine ; in der Res
gel aber iſt er ganz originell. 2.
») In einer ber naͤchſten Lieferungen d. BI. theilen wir eine
von einem andern Standpunkt aufgefaßte Kritik ber Romane ber
Berfaſſerin von „Godwie Gaflie”, „St. Rede” und „Thomas Thor⸗
au‘ mit. D. Web.
Berantwertlier Herausgeber: Heinzig Brodhaud. — Drud dmb Berlag von F. X. Brodpaus in Reipgig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
I. Journal of an exploring tour beyond the Rocky moun-
tains ete. performed in the years 1835—37 by Samuel
Parker. Reuyort 1838.
2. Notice sur les Indiens de l’Amerique du Nord etc., par
A. Vail. Paris 1840.
Die Ausföhnung der furchtbaren Schuld, melde in
den letzten Jahrhunderten die europäifhen Entdeder und
Eroberer fremder MWelttheile fi aufluden, ſcheint unferer
Zeit aufgefpart zu fein. Anflatt der Einzelnen, die in gut:
meinender, aber einfeitiger Frömmigkeit ehedem fid) opferten,
ohne ihren Zweck der Belehrung roher Völker zu erreichen,
teeten jet Gefellfchaften auf, welche mit dee redfichiten Ab:
ſicht ruhige Überlegung und vollfiändige Kenntniß von Län:
dern und Menſchen verbinden und über außerordentliche
Mittel zu gebieten haben. Zwiſchen den Verfuchen kleiner
Bereine der Bergangenheit, die von den Regierungen nicht
unterflügt, oft fegar mit geheimem Miefallen betrachtet
murden, und zmifchen den großartigen Unternehmen unfes
tee Tage, um aller Orten und ſelbſt in Afrika, dem ver:
fhloffenften aller. Welttheile, der Givilifation Eingang zu
verfhaffen, iſt kaum Bergleihung möylih. Die letzte
britiſche Erpedition nah dem Niger verunglüdte zwar
trog ihrer großartigen Ausrüftung, hatte aber keinen
geringern Zweck als den Sklavenhandel, den eigentlis
hen Grund der aftikanifchen Barbarei, an feiner Wur⸗
zel anzugreifen, nachdem aile Aufmerkſamkeit von außen,
Aufopferung vieler und fehr werthvollee Leben und
ein Aufwand von mehren Willionen auf dem zeither
befolgten Wege zu feinem Reſultat geführt, vielmehr,
wie oft behauptet worden, das Übel noch vergrößert
baten. Es galt nicht allein, ber cheiftlichen Reli⸗
gion dort Aufnahme zu verfchaffen, fondern ihr zuerfi
einen Boden zu bereiten, auf welchem fie hinreichend fefte
Wurzel faſſen kann, um gewöhnlichen Stürmen erfolgreich
za widerſtehen. Eröffnung eines vortheilhaften Handels
und die den Eingeborenen gebotene Gelegenheit, nach den
Colonim Weſtindiens als gemiethete und freie Arbeiter
ausuwandern, wird, wie man hofft, die innere Nothwen⸗
digkeit des Sklavenhandels in beiden Welten aufheben,
während den Däuptlingen in Beſteuerung ihrer Unterthas
nen und dee fremden Kaufleute, überhaupt in Einführung
einee Art von Staatöverwaltung eine weit mehr ergiebige
Quelle der Bereicherung: nachgewwiefen werden Toll, als fie
im ſehr erfchwerten Verkaufe von Dienfchen finden Eönnen.
Sind diefe materiellen Intereſſen geordnet, fo glaubt man
die Hinderniffe befeitige zu haben, welche bisher ale uns
überwindliche dem Chriſtenthume in Afrika entgegenftans
den, und von feiner Einführung ruhig die Vollendung des
Werks erwarten zu dürfen. Zwar find gegen diefen groß:
artigen Plan bereit6 manche und nicht ganz ungegruͤndete
Einmwürfe gemacht worden, allein er beruht auf Erfahrungen,
die man während vieler Sabre gefammelt, zum Theil mit
dem Leben der waderfien Männer bezahlt hat. Für feine
Ausführung interefficen ſich nicht nur Privatgefellfchaften,
fondern auch eine mächtige Regierung und ein energifches
Volk. Liegt die Civiliſation Afrikas nicht überhaupt jens
feit aller Möglichkeit, fo wird fie auch durch dergleichen
Beſtrebungen, unferer Zeit gefördert werden müffen.
In der neuen Welt bat fi die Aufmerkfamkeit der
böhern Claſſen ebenfalls auf die Ureinwohner gerichtet,
Man ſucht die Übel gut zu machen, die überall auf die
Indianer hereingebrochen find, wo Weiße Einfluß übten.
Mag es nun auch mehr als wahrfcheinlich fein, daß diefe
Hülfe zu fpät komme, und daß der rothe Menſchenſtamm,
fei es nach unbelannten Maturgefegen oder aus zufälligen
Urſachen feinem Untergange entgegeneile, fo bleibt es im⸗
mer eine bezeichnende und troͤſtliche Erfcheinung der Ges
genwart, daß man nicht nur im Norden, fondern auch im
uncivilifietern Süden Amerikas jene Kataftrophe aufzu⸗
halten bemüht it. Die Verhaͤltniſſe find aber den afri⸗
kaniſchen in allen Hinſichten völlig unaͤhnlich. Man hat
es nicht mit einem Stamme zu thun von unerfchöpfticher
Fruchtbarkeit, ber trog der Vernichtung großer Menfchens
zahlen fidy nicht nur erhält, fondern fogar zunimmt, dem
furchtbarſten Drude und den Entbehrungen einen leichten
Sinn entgegenfegt und, ohne Gedaͤchtniß für Erlittenes,
im finntihen Genuffe Erſatz der vergangenen Übel findet,
dem Neuen bold und keineswegs geneigt ift, feine Exiſtenz
als abgefchloifene anzufehen, fondern Hoffnungen zu naͤh⸗
ven vermag und auf Plane eingeht. Bon biefen charaks
teriftifhen Zugen des Negers befigt der amerifunifche Urs .
menfdy Beinen, während in der von ihm vorzugsweiſe ers
wählten Lebensart des Jaͤgers und Fiſchers ein die Volks⸗
vermehrung befchräntendes und die Sittigung fehr erſchwe⸗
rendes Verhaͤltniß begründet liegt. Es ergibt fich daher
' von felbfl, dag die dem Belten der Indier geltenden Der
face vor Allem bie Erhaltung des Stammes felbft bes
zwecken müffen, die jedoch in ben meiften Fällen ohne
Beränderung der gewohnten Weile und ohne Einführung
einer ganz neuen Betriebſamkeit nicht zu erreichen fein
wird. Erfahrung hat bewiefen, daß Ergreifung des Acker⸗
Baus und Errichtung feſter Wohnfige allein die Eingebo:
tenen der Ränder: retten Bönne, die zwifchen den Weſtgren⸗
zen der Vereinigten Staaten und dem großen Dcean fid)
erfireden. Zurüdgetrieben von den Weißen, gerathen
Stämme aneinander, die fidy fonft fremd waren, und der
immer Eargere Ertrag der Jagd zwingt fie zur eiferfücd
tigen Überwachung ihrer Meviere, deren Verletzung, troß
aller Einmifhung ber zum Friedenſtiften berufenen gen:
ten der Weißen, zu blutigen Fehden führt. Die Büffel:
heerden find verſchwunden, bie einft die unabfehbaren Prai⸗
rien bedediten und ganze Voͤlkerſchaften ernährten, und in
vielen Gegenden find auch jene nüglichen Thiere faft aus:
gerottet, für deren Pelze der Indianer Mehl, Waffen und
Schießbedarf, Kleidung und manche Beine Gegenftände
eintaufchte, die ihm zwar zum Leben nicht entfchieden noth:
wendig, aber durch Gemöhnung unentbehrlih geworden
find. Diefe Verminderung oder Abfchneidung der Exhal:
tungsmittel kann nicht ohne die traurigften Folgen blei:
ben. Wird beiden nicht vorgebeugt, fo fteht zu fürchten,
dag in hundert Fahren nur in den entlegenflen und uns
freundiichften Winkeln Nordamerikas noch ſchwache Reſte
der Urbevölkerung übrig fein werden. In welchem Ber:
bältniffe und mit welcher zunehmenden Beſchleunigung bie
Ureinwohner nad) Welten gedrängt worden find, zwar
mehr durch Mahrungsmangel als durch Verträge oder un:
gluͤckliche Kriege, würde fih am erſten aus einer Karte er:
geben, welche die Grenzveraͤnderungen der nordamerika⸗
niſchen Colonien und die aus ihnen entſtandenen Verei⸗
nigten Staaten ſeit 1750 darſtellte.“) Zu jener Zeit be:
gann an der Weſtgrenze Pennfplvaniens, 300 englifche
Meilen von Philadelphia, das Indianerland, und noch vor
50 Jahren war der größte Theil des blühenden Ohio⸗
ſtaats in den Händen der Ureinwohner, bie ſeitdem bis
in die Nähe des Felfengebirgd getrieben worden find
und wahrfcheintich in nicht fehr fernen Zeiten, trog aller
Sefege und Verträge, noch weiter zu ziehen genöthigt fein
werden. Die Indianer mehren ihr Unglück, indem fie Durch
Beibehaltung ihres unfteten Lebens ihren Gegnern Die
Waffen in die Hand geben. Die nad den fetten Lände:
teien des fernen Weitens luͤſternen und felbft vom Wan:
dergeifte getriebenen fogenannten Vorläufer der Stoilifation,
dv. h. die an den dußerften Grenzen ſich anfiedeinden Aus:
wanderer der Öfttichen Staaten, behaupten geradezu, daß
die Anfprüche der jagdtreibenden Indianer auf das Land von
einer einziehenden weißen Bevölkerung nicht geachtet wer
den koͤnnen, die In einem Menfchenatter die Wildniß zu
einer blühenden Provinz umfchaffen, Städte erbauen, Land:
firaßen anlegen und mitteld der Dampflraft die Nach⸗
theite großer Entlegenheit meutralificn wird. Diefelben
Sefinnungen hegen felbft folhe Männer, welchen einige
) Gine folde Karte, die zwar einen weit größern Seitraum
” (16-1800) umfaßt, aber zur ronologiſchen Verfolgung zu wenig
Ginzeindeiten enthält, findet fi dem Werke von Vail angehängt.
‘’
äußerlihe Achtung für Recht nothwendig duͤnkt und das
Urtheil Europas nicht ganz gleichgültig ifl. Der ganze
Unterfchied zwiſchen beiden Parteien liegt nur im Aus:
deude. Daffelbe Gebiet, welches bie eine, theils auf
das Recht des Stärkern geſtuͤtzt, theils weil fie über:
zeugt iſt, e8 beffer benugen zu Binnen, in Anſpruch nimmt,
das fieht die andere als die Erbfchaft eines geiftes: und
alterfhivachen Geſchlechts an, und meint mit gutem Gemif:
fen ſich diefe zueignen zu dürfen, nachdem fie auf erträgliche
Weife für das Unterfommen der wenigen Überlebenden ge:
forgt hat. Merkwürdig iſt es zu fehen, wie man ſich in
amtlichen Actenflüden und in Öffentlich getroffenen Bor:
Eehrungen bemüht, diefe Anfichten unter dem Echeine der
Gerechtigkeit und Menſchlichkeit zu verbergen, und wie Die
zahlreichen amerikaniſchen Schriftftellee fi abmühen und
minden, um ein Verfahren, welches von Staatsklugheit
oder Nothwendigkeit geboten fein mag, aber nie gerecht ges
nannt werden fann, im beſten Lichte darzuftellen, oder
duch eine Reihe von Zrugfchlüffen zum einzig möglichen,
dem Indianer und Meißen gleich vortheilhaften zu ſtem⸗
pen. Der Amerikaner Vail ſchaͤmt fi) offenbar de6 Ver:
fahrens feiner Landsleute gegen die Indianer und der Conni⸗
venz oder Schwäche der Regierung an der aͤußerſten Grenze,
allein er hütet fidy die Wahrheit zu enthüllen und offen
einzugeftehen, daß es Begehrlichkeit und keineswegs menſch⸗
liche Theilnahme mar, welche die Verſetzung aller im Often
der Grenze lebenden Indianer nad dem weftlichen Lande be=
trieb. Gewoͤhnlich wird vorgegeben, daß man feft über:
zeugt ſei, es werde nach gefchehener Verpflanzung jener
Volksſtaͤmme alle und iede Veranlaffung zum Streite mit
ihnen wegfallen und die Stellung der Weißen gegen fie
zur fchönen, beilbringenden und echthriftlichen ſich geſtal⸗
ten, indem man dann erſt dem Zwecke, fie zu civilifiten,
ihnen im Aderbaue und Induſtrie fichere Quellen des Un:
terhalts zu eröffnen, volle Aufmerkſamkeit ſchenken könne.
Man fieht fi nad Lefung diefer fhönen Phrafen zur
Stage veranlaßt, ob das alle Verträge verletzende Vordrin⸗
gen der Weißen nah dem Innern, und zwar in das den
Indianern zugeſicherte Gebiet, ein Beweis diefer gemäßigten
und vorforglichen Sefinnungen fei, oder ob man die Macht⸗
lofigkeit der Regierung gegenüber der Grenzbevoͤllerung,
ihre Unfähigkeit, die Unbilde zu rügen, lieber vorausfegen
ſolle als ihre Ungemeigtheit zum Einſchreiten? Die außer
dem Gefeg lebenden und felbft mit der ungezügelten De-
mofratie der Staaten noch nicht zufriedenen Daufen von
Trappers, Sauatters und wie bie unenglifhen Namen
fonft noch heißen mögen, die Jäger, Bootsleute und im
Weiten der Grenze herumziehenden Krämer mögen zwar
eine ſchwer zu regierenbe Claſſe bilden und find nicht nur
den Helden der Ganz: und Halbromane Cooper's und
W. Irving's nicht ähnlich, fondern mehr oder minder ver:
wilderte, zu großen Verbrechen fühige Weſen; allein fie
würden zu befchränten fein, wäre dieſes die ernſte Abſicht
dee Behörden. Wenn diefe auch die Hand nicht bieten
zur Begehung des Unrechts, es nöthigenfalls fogar zu ver
bindern fuchen, fo. teicht ihre Macht doch wenig über bie
äußerfte Poſtenlinie der Grenze, und ihre Pfichterfütlung
203
iſt felten fehr eifrig, da fie Hinfichelich der Indianer die An:
fihten der Bewohner der meftlihen Staaten theilen.
Männer wie Gouverneur Caß, der lange Jahre in Mis
chigan lebte und al3 Agent in den Angelegenheiten der In⸗
dianer fich durch feine Gerechtigkeit, Vorſorge und Redlich⸗
keit einen unumſchraͤnkten Einfluß über die Ureinwohner
und die Achtung aller ehrenmwerther Bürger in den oͤſtli⸗
bern Staaten erwarb, find an den Grenzen ber nordame⸗
tifenifhen Union ziemlich felten. Die meijten ſtimmen
mit Vail, der auch im Staatsdienfte fand und auf krum⸗
men Wegen, in vielfacher, aber unhaltbarer Beweisfuͤhrung
mdlich zu dem Ausfpruche kommt, daß der Indianer nicht
gelhaffen fei, um den von feinen Ahnen ererbten Boden
gehörig zu benugen und auf ihm in fefter, den Nachbarn
erſprießlicher Wereinigung zu leben. Zu welden fernern
Schluͤſſen ein egoiftifches Volk, auf ſolche Grundlagen ge:
fügt, ſich berechtigt glauben werde, dedarf nicht der Aus:
einanderfegung.
Da diefe Anfichten nicht allein unter der rohen Menge
an der äußerften Grenze, fondern auch in den höhern Krei:
fen der Regierung, im Senat und Congreß non Vielen
gebegt werden, die aber zu klug find, ſich ohne Ruͤckhalt
auszufprecyen, fo würde das Schlimmite für die Zukunft
der Ureinwohner zu befürchten fein, hätte fi nicht in den
ältern Staaten der Union eine mächtige Gegenpartei ge:
dildet. In den puritanifchen, aber ſtreng fittlihen Maſſa⸗
chuſſets und Connecticut verfiht man mit großer Wärme
gewiſſe, auf die Behandlung der Indianer bezügliche Grund:
füge, weile man im fernen Miffuri oder Arkanfas ent:
weder belädyelt, oder mit unverkennbarer Bitterkeit angreift,
weil ihre Anwendung den Ureinwohnern zu einer gewiflen
Givififation und Unabhängigkeit verhelfen würde, die fich
keineswegs mir dem Wortheile und den Abjichten eines
anfehnlihen Theils der weißen Bevölkerung verträgt. Im
fehe verjüngten Maßſtabe zeigt fi) daher zwifchen dem
Nordoften und dem Weften der Union wegen der Indianer
diefelbe Spannung, welche in weit mehr bebrohlicher Ges
flat zwifchen dem Norden und Süden, feit Jahren, wes
gen der SHavenfrage befteht und leicht einmal „dem größ:
ten Experiment in der Menfchengeichichte”, wie die Ame⸗
rikaner ihre Regierungsform und Vereinigung nennen, ein
Ende machen kann. Der Kampf, in melden bie für
oder wider die Ureinwohner 'gefinnten Parteien ji eins
gelafien haben, iſt nicht von gleich großer Wichtigkeit.
Die Frage berührt am Ende nur den Vortheil einer
nicht ſehr bedeutenden Bevölkerung und kann alfo ſchon
rum nicht zu einer allgemeinen und in ihren Folgen
beumkiihen werden, weil die Maffe der Nordumes
titaner auf Theorien wenig gibt und allein dann ihre
Kälte und Theilnahmiofigkeit ablegt, um fi zu Parteien
zu bilden, die allerdings gewaltige Bewegungen erzeugen
koͤnnen, wean irgend ein großes Ereigniß ober eine Öffent:
liche Maßregel allgemeine faufmännifche Intereſſen bedroht.
Wer in dem flill, aber thätig geführten Streite an der
Jadianergtrenze endlich, den Sieg davontragen werde, ob ben
philanthropiſchen Vereinen in Boſton, Neuyork u. f. w. ges
lingen wird, die Ureinvoohner vor voriterer Verdrängung und..
Auseottung zu fhügen und fie zu cieilificen, ‚ober. ob bie
weißen infledler, ihrem biöher befolgten Werfahren treu,
ohne zur offenen Gewaltſamkeit zu fchreiten, ihre Herefchaft
immer weiter ausdehnen und hierdurch der rothen Men⸗
fhenrace ihre Urtheil fprechen werben, biefe Fragen find
nicht ſchwer zu beantworten. Der Seibſtſucht der Einzel:
nen kann eine Regierung wol Schranken fegen, allein fie
wird, auch bei redlihem Willen, nichts gegen eine ganze
Bevölkerung vermögen, die, mit befonderer Thatkraft aus⸗
gerüftet, rafllos auf dem Wege zur bürgerlichen Verbeſſe⸗
rung und zum vielerfehnten Reichtum vorwärts eilt und
ebenfo wenig durch einfachere Natuchinderniffe ſich aufhal⸗
ten laffen will, als durch moralifche Bedenklichkeiten, bie
überhaupt im vorliegenden Falle, wo die Entfcheidung dem
Wenigften zweifelhaft dünkt, von einer Wirkſamkeit fein
£önnen.
Wie unfiher auch der Erfolg fcheinen mag, fo laffen
doch die großen Miffionsgefenfchuften, weiche ihren Sig in
Bofton und Neuyork haben, ſich nicht abhalten die Civis
liſation der weftlichen Indianerftännme zu verfuchen. ie be:
gegnen manchen großen Hinderniſſen, unter welchen bie
Abneigung der unter den Indlanern verftreut lebenden Weis
Ben gegen die Miffionnaire nicht das geringfte if. Die
Jäger und Handelsleute des aͤußerſten Weſten erblicken
in den Verſuchen der Miſſionnaire nur Beſchraͤnkung des
eigenen Einfluſſes auf die Indianer und fürchten nicht ohne
Grund Verminderung ihres gemwinnbringenden Vertriebs
von einer beabfichtigten und durchgreifenden Veränderung
in ber Xebensart der Eingeborenen. Außerdem kommt
noch hinzu, daB jener ziemlich zahlreichen Menſchenclaſſe der
Zwang ber Givilifation und einer geordneten Regierung
im hoͤchſten Grad zumider ift, und daß fie, in der Abficht,
vollfommen unabhängig zu fein, ſich einem wilden wan⸗
dernden Leben unterzogen und zum Scauplage deſſelben
ein fernes, gleichſam herrenlofes Land gewählt bat. Sie
will dem erftern nicht entfagen und muß Daher das
legtere zu behaupten fuchen. Dan rechnet, daB zwiſchen
den Grenzen und dem ‚großen Ocean an 9000 Männer,
Ameritaner, Engländer, franzöfifhe Sanadier und Ruſſen
mit Jagd und Handel auf eigene Rechnung oder im
Dienfle der großen Compagnien befchäftigt find, von mel:
chen alljährlich ein Drittheil umlommt und duch Rektu⸗
ten erfegt werden muß. Won Denjenigen, welche längere
Zeit mit Süd alle Gefahren und Strapagen ihres trau⸗
tigen Berufs überwinden, kehren hoͤchſt Wenige in die
cioilifirten Gegenden zuruͤck; denn theils fühlen fie fich
dazu unfähig geworden duch langes Waldleben, theile
wollen fie es ohne ein Vermoͤgen nicht unternehmen, defs
fen Bildung aber den Meiften nicht gelingt, weil Lieder:
lichkeit und Spielwuth bei gelegentlihen Zuſammenkuͤnften
ihrem mühfam errungenen Gewinne bald andere Beſitzer
ſchafft. Einem fo open und fo zahlreichen Haufen gegen:
über müfjen die Miſſionnaire und felbft die Difiziere der
Grenzpoften einen ſchwierigen Stand haben und zufrieden
“fein, wenn ihre Bemühungen für Rettung der Indianer
nicht ganz erfolglos bleiben. Der demoralifirende Einfluß
jener weißen Dalbwilden auf die Ureinwohner iſt außer:
204
ordentlich groß und muß natürlich denjenigen der Miſ⸗
fionnnire weit übertceffen, melde, flatt den angeſtammten
Daß zwifchen den Voͤlkerſchaften anzufachen, zum Frieden
mahnen und, flatt die Ausfchweifungen zu befördern, Ord⸗
nung und Mäßigkeit zur erſten Pfliht erheben. Nach
Erwägung folder Umjtände kann die geringe Ausbreitung,
welche Religion und Sitte bisher unter den wefllichen
Indianern erlangt haben, nicht in Verwunderung fegen, je:
doch verliert durch fie die Stage, inwiefern und ob über:
haupt jenen Nachtheilen abzuhelfen fei, nichts an ihrer
Wichtigkeit.
(Der Beſchluß folgt.)
Notizen.
Es ift vielleicht nicht unintereffant zu vernehmen, wie ſich
das amtliche römifhe Blatt, ba8 „Diario di Roma’‘, über ein
deutfches Wert aͤußert, bas ohne Widerrebe zu ben bedeutend:
ſten literarifhen Erſcheinungen unferer Zeit gerechnet werden
barf, „Das Leben Jeſu“ von D. F. Strauß. Es ge
fchieht dies bei Gelegenheit der Anzeige einer religiöfen Zeitfchrift.
Eine Überfegung wäre hier nicht am Orte.
Si è pubblicato il fascicolo 23 (marzo e aprile 1839)
degli Annali delle scienze religiose, compilato dal sig.
Abbate Antonio de Luca.
Da principio al summentovato quaderno un importan-
tissimo articolo, destinato a confutare le bestemmie profe-
rite dal Dott. Strauss nel suo infame libro Vita di Gesü trat-
tata oriticamente. Egli & qualche tempo che dalle tipo-
rafıe di Germania non € uscita alla luce opera incredula
a paragonarsi a quella di Strauss: non giä perche costui
arrechi contro la divinita di Gesü Cristo argomenti nuovi e
non gia confutati, ma perche con fina malizia seppe rico-
prire i suoi cavilli con discnssioni filologiche, con un fasti-
dioso raflronso di passi de’ varj libri componenti l’antico e
il nuovo testamento e con sofisticherie risguardanti il va-
lore di vocaboli ebraici e di altre lingue orientali; e perö
ben pochi lettori potranno da se stessi scoprire dove si stia
riposta l'insidia. Oltre a ciò il protestantesimo oramai con-
vertitosi in un pretto deismo razionale avea preparato le
menti in Germania ad imbeversi di aifatte scandalose dottrine.
Indi è venuto che i numerosi increduli e i libertini comin-
ciarono a levare a cielo questo libro del loro impudente
antesignano. Indi & avvenuto altresı che più di venti scrit-
tori si sono accinti a farne la confutazione e sinanche un
potentato della Germania settentrionale ha creduto dover
proporre un vistoso premio a chi piü vigorosamente ribat-
tesse le obbiezioni di Strauss, I lettori italiani potranno ora
giudicare quanta parte abbiano avuto l’impostura e il ciar-
latanismo nel dare a questo libro un’ importanza che non
ha in se stesso: ed i sinceri fedeli avranno ben motivo di
consolarsi al vedere, che i nemici del Cristianesimo sempre
adoperano le stesse armi giä rintuzzate da lungo tempo ed
in tante differenti guise.
Le obbiezioni addotte- da Strauss e confutate in questo
primo articolo risguardano la storia dell’ annunsiaszione e
del nascimento di S. Giovanni Battista, le apparenti con-
tradizioni delle due genealogie di Gesü riferite da S. Matteo
e da 8. Luca, l’annunziazione e il concepimento del nostro
redentore, la condotta tenuta da Giuseppe, e la visita fatta
da Maria ad Elisabetta. In altri susseguenti articoli si
dark contesza degli altri dubbj proposti dal medesimo
autore.
La presente confutazione si deve ad un ignoto scrittore
inglese, peritissimo nella filologia orientale che inserilla in
un giornale ecelesiastico del suo paese e da quella liogua
fu voltata in italiano dell’ abb. Ant. de J.uca.
Der Freiherr Joſeph von Lafberg, früher in Eppies
haufen, jegt in Meersburg wohnend, hat die Freunde mittelalterti-
der Literatur ſchon öfter mit auf eigene Koften gedruckten und nicht
in den Handel gegebenen Büchern, Abdruͤcke verfchiebener altyeuts
fher Gedichte enthaltend, erfreut. Die legte Gabe diefer Art
kam auf St.» Johannis vor. Jahres, welcher, wie ber Heraus:
geber in der Vorrede fagt, „für mic eine teure hochzeit if;
weil ich am morgen biefes tages, vor fechsundfünfzig iaren im
Kaifer Zriderich des Rotbarts kapelle, auf ber von im wiebers
erbauten burg Trifels, von einem edlen Kriegemann zu Ritter
gefchlagen wurde.” Der Zitel bes Hefts lautet: „Gin fchön alt
Lieb von Grave Frey von Zolre, dem Dttinger, und der Belage
rung don Hohen Zolren, nebft nody etlichen andern Liedern, Aiſo
zum erften mal, guten Freunden zu Luft und Lieb, in Drud
ausgegeben durch den alten Meifter Sepp, auf der alten Meeres
burg. Gedruft in biefem iar.” Außer den auf dem Zitel
nambaft gemachten Stüden bilden den Inhalt noch: ein bis
jegt ungedrucktes Gedicht von bem Ritter und dem Pfaffen aus
einer muͤnchener Handſchrift, zwei ficitifche Lieder von Kaifer
Friedrich II. und von König Enzio, nad) einem Drude aus Pas
lermo, endlich ein Stüd aus einem höcft feltfamen altfranzöfis
fhen Gedicht vom Leben und Gterben Marid. Die wichtigfe
ber frühern Publicationen bes biedern ritterlichen Frriherrn if
fein „‚Liederfaal” in vise Wänden, beren lester ben befunnten
Abdruck des Niebelungenliebs enthält. 7.
Literarifhe Anzeige.
BSonftänbig ift jegt bei mir erfchienen und durch all
Buchhandlungen * erhalten: ch rch alle
Dos Shierreild
geordnet nach feiner Organiſation.
As Grundlage der Naturgefchichte der Thiere und
Einleitung in die vergleihende Anatomie.
Bom
Baron von Cuvier
Nach der zweiten, vermehrten Ausgabe überfegt und durch
Zufäge erweitert von
8 ©. Voigt,
Geheimer Hofrath und Profeſſor.
Sechs Bände Gr. 8. 1831 — 43. 18 Thir.
Der erſte Band dieſes ausgezeichneten Werkes enthaäͤlt du
gethiere und Vogel (1831, 4 Thir.); ber zweite Reptilien umd
Fiſche (1832, 2 Ahu. 10 Ngr.); der dritte Mollucken (1834,
2 Thlr. 20 Ror.); der vierte Änneliden, Gruftaceen, Arechni⸗
den und ungeflügelte Infetten (1836, 2 Thlr. 10 NRegr.); ber
fünfte die eigentlichen Infetten (1839, 3 Thir. 10 Rar.) un
der fechete Band bie Boophyten nebſt einem vollſtaͤndigen Res
gifter der eitirten Schriftſteiler (043, 3 Thir. 10 Ror.).
Eeipzig, im Februar 1843,
J. A. Brockhauso
Verantwortlicher Herausgeber: Heiarich Brock haus. — Drock und Berlag von F. U, Brockdaus in geipsig,.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienflag,
Parker und Bail über die Indianer Nordamerikas.
tSeſchtuß aus Rr. 51.)
Um über diefe Punkte volftändige Aufflärung zu er:
halten, beauftragten Die Vorfteher der ameritanifchen Ge:
ſellſhaft fiir ausmärtige Miffionen im 3. 1835 den Pre:
diger von Ithaka im Staate Neupord, Hrn. Parker, zu
einer Reife nah dem Weſten. Wir verdanken diefem, von
vieler Umfihr zeugenden Verfahren einen nicht uninterefs
fanten Bericht über ein Land und eine Bevölkerung, bie
feit Lewis und Clatk nur einmal von wiffenfchaftlichen
Männern, bei Gelegenheit der Expedition des Major Long,
beſucht, ſonſt aber nur von Kaufleuten befchrieben worden
find, die fi mit Pelzhandel befchäftigten und daher Vie:
les unter einem eigenthümlichen, aber nicht immer richtigen
Geſichtspunkte anfahen. Die Nachrichten, welche Irving
in feiner „Astoria”’ zufammenftelite, gefallen durch Einklei⸗
dung und Sprache, allein fle tragen zu häufig einen ro:
manhaften Anftrih und find als Erzählung perfönlicher
Abenteuer im Ganzen wenig lehrreich. Parker entſprach
dem in ihn gefegten Vertrauen und befaß die nothwen:
digen Befähigungen zur Ausführung feines Auftrags.
Frömmigkeit und guter Wille konnten allein nicht zurei⸗
hen, vielmehr war ein gewiſſer Takt und Vorſicht erfo:
dverlih, um als Einzelner und obenein ald Deputirter ei:
ner Miffiondgefelligaft den weiten Weg ungehindert zu:
rückzulegen. Won beiden gab ber Reiſende uͤberzeugende
Beweiſe; von den erftern dadurch, daß er als Familien-
vater und in angenehmen Berhältniffen lebender Mann
fi einer beſchwerlichen Wanderung burd) ein entlegenes
wildes Kand unterzog, von den letztern, indem er mit ſei⸗
nen toben weißen Meifegefährten nicht nur auf gutem
Fuß blieb, fondern fie fogar vermochte feinen Ermahnun⸗
gen zuuhören. rei von den gewöhnlichen amerikaniſchen
Borurtheilen über die Indianer, unternahm er die Prüfung
diefed ungluͤcklichen Menſchenſtammes und gelangte über
ihn zu einee Überzeugung, dfe von der herkoͤmmlich duͤſtern
vielfach abroricht und zu Hoffnungen berechtigt. Im mei:
ten Zelde der Naturwiſſenſchaften ſcheint Parker eben nicht
m Haufe gewefen zu fein, als er bie Meife antrat, indeſ⸗
fen waren naturbiftorifche Korfehungen nicht feine Pflicht.
Erfreulich ift es aber, daß er nicht allein Renntniffe der
Geologie befaß, einer in den Vereinigten Staaten befannt:
21. Februar 1843.
nn —
ih mit allgemeiner Vorliebe gepflegten Wiffenfchaft, fons
dern auch mit Unbefangenheit ſich über gewifle Thatfachen und
daher gefolgerte Theorien ausfpricht, die durchaus mit. der
Mofaifhen Schöpfungsgefchichte nicht in Einklang zu brin⸗
gen find. Dan weiß, zu welchen Bedenklichkeiten umd zu
weichen Kämpfen diefe Miderfprüche ber Naturbeobachtung
gegen den Kirchenglauben in England Beranlaffung geges
ben haben, wo freilich allein diefe Leidenfchaftliche Eroͤrte⸗
rung folder Fragen möglid if. Englifhe Miffionnaire
find in der Regel weit entfernt, das Urtheil tüchtiger, vor
ihnen dagemefener Naturforfcher über ferne Länder zu uns
terfchreiben, wenn es nicht völlig orthodbor lautet. Es
mag genügen al® einzelnes aber hervorragendes Beiſpiel
den Übrigens hoͤchſt achtbaren und gebildeten Williams an⸗
zuführen, der vor einigen Jahren auf einer der Süd»
feeinfeln ermordet wurde, viel Gutes gefliftet in feinen
Werke über die Miffionen Polynefiens, die Länder: und
Völkerkunde fehr bereichert hat, allein unlesbar wird, fo:
bald er über Geologie, die ihm ein Traumgewebe duͤnkt,
und über die dem Unglauben verfallenen Geologen zu
fprechen unternimmt. Daß im Driginale von Par
ker's Meife gelegentlich fromme Exgiefungen vorlommen,
darf nicht als ein Flecken angefehen werden, denn fie
beruhen niht auf Heuchelei und verdienen ald Aus:
druck perfönticyer Überzeugung und innerften Gefühle
mindeftend Achtung. Der deutſche mit englifhen und
ameritanifchen Leiftungen volftändig vertraute Lefer wird
übrigens duch ſolche Stellen fih nicht irren Laffen,
indem fie auch in den gebiegenfien Werken ber meiften
Maturforfcher und Reifenden jener Völker vorkommen und
als Zeichen eines volkathuͤmlichen religiöfen Bewußtſeins
aud in den Ländern geehrt werden follten, wo die öffent
liche Darlegung defjeiben, wenigftens in folder Form, una
gewöhnlicher iſt.
Der befuchtefte und daher aud ven Parker einges
fhlagene Weg, um nad dem Felfengebirge zu gelangen,
ift die große Waſſerſtraße des Ohio und Miſſuri. Mit
mäßiger Geſchwindigkeit reifend, erreichte Purfer am 21.
Aprit 1835 die Heine an der weltlichen Grenze der Vers
einigten Staaten gelegene Landſtadt Liberty und ſetzte vom
hier aus am 15. Mai feinen Weg zu Lande als Mit
glied einer jener großen Karavanen fort, bie zwar lang⸗
ſam ihr Biel erreichen, indeſſen dafür gegen Anfälle ber
Indianer Sicherheit gewaͤhren. In Bellevue, einer Agentur
der ameritanifchen Pelzhandel⸗Geſellſchaft am Miffuri, blieb
die Geſellſchaft drei Wochen liegen, um fib zum Über:
gange über die Gebirge vorzubereiten, deren Fuß man aber
nit früher als am 7. Aug. erreichte. Aus dem Schoofe
der. unabfehlichen Prairim, die Irving mit vieltm Talent
gefchildert, Hal aber neuerdings wiſſenſchaftlicher unter:
fucht hat, erhebt ſich raſch das Felfengebirge, deſſen glüd:
lic gewählter Name die Beſchaffenheit wohl ausdrückt,
denn Maffen von Felfen liegen, baumlos und häufig fogar
pflanzenlos, aufgethürmt übereinander bis in die Region
der Wolken. Der Pfad erreicht bald eine anfehnlidhe Hohe,
denn felbft im Auguſt fitten die Meifenden von Froft und
Schne. Am Greenriver, einem Zweige des Colorado, ha:
ben die Karavanen in einem freundlichen, aber tulten Wie:
fenthate ihren Sammelplaß errichtet, wo die von Dften
herbeigezogenen, gegen die Producte civilificter Länder, Pelze
von den Meifegefellfchaften eintaufchen, welche aus den
Jaͤgern des Gebirges und den Leuten der noch weiter
weftlich angelegten Agenturen beſtehen und zu beilimm:
ten Zeiten fih einfinden. Indianer von den Nationen der
Flatheads und Nez⸗percés nahmen an der Verfammlung
Theil; in ihrer Geſellſchaft fegte Parker die Reiſe allein
fort, nachdem ein Haufen von 50 berittenen Jägern ihn
nad) einigen Zagen verlaffen hatte, um in den Gebirgen
feinem Berufe nachzugehen. Beſchwerden und Entbehrun:
gen mehrten ſich im weitern, aber fehr langſamen Vordrin:
gen, indeſſen entfchädigte theils die Großartigkeit der Land⸗
fchaft, theils die Freundlichkeit und Vorſorge ber Indianer,
die nicht nur Bereitwiltigkeit gegen Belehrung, fondern auch
Saffungsvermögen verriethen. Am 6. Oct., alfo nach ei:
ner mehr als ſechsmonatlichen Wanderung erreichte Parker
das Fort Wale. Walla am Golumbiafluffe, eine der
Hudfonsbai ss Gefellfhaft gehörende Miederlaffung, verließ er
fhon am nädften Tage wieder, um in einem von
Eingeborenen geruderten Kahne auf dem Strome nad) ber
Küfte zu gelangen. Eine Fahrt von zehn Tagen auf dem
von ſehr malerifchen Ufern und Bafattfelfen eingefchloffenen
Strome, den aber einige fehr gefährliche Faͤlle unterbres
hen, brachte den Reiſenden endlich nad) dem Kort Van⸗
couver, der größten Miederlaffung der Meißen in biefer
Gegend und einem im VBerhältniffe bedeutenden Handels:
play. Won bier ift das Geftade des großen Oceans nur
nod 20 geographifche Meilen entfernt, und Schiffe, die
aus England ober den Vereinigten Staaten um Gap Horn
herum gefegelt find, geben nad einer halben Weltumfcif:
fung den Strom bis Fort Vancouver hinauf und bilden
durch ihre feltene Erfheinung merkwürdige Abfchnitte in
dem monotonen Leben der’ dort angefiedelten 100 Meißen.
Weit Hinter allen Erwartungen bleibt aber Aftoria zu:
ru. Zwei unbedeutende Blodhäufer bezeichnen allein den
Ort, wo eine unternehmende Geſellſchaft glaubte ein weft:
liches Neuyork und den größten Handelsplatz am noͤrdli⸗
hen ſtillen Ocean begründet zu haben. Aus Irving's
Werk iſt das Schickſal diefer Niederlafjung bekannt, die
früher oder fpäter zu einem Kriege zwifhen England und
den Vereinigten Staaten Beranlaffung geben wird. Beiden
find die Länder im Weſten der Felfenberge und am Go:
Iumbia von Wichtigkeit, und beide bringen Argumente vor,
um ihr Befigrecht zu bemeifen. England begründet dieſes
auf Priorität der darch englifche Schiffe gemachten Ent»
dedung und Beſitzergreifung des Landes um die Mündung
des Columbia; die Vereinigten Staaten aber behaupten, daß
eine duch Zractate im Oſten der Gebirge fefigefegte, dem
neunundvierzigften Breitegrade folgende Grenzlinie bis an
den großen Ocean gelten müfle, und machen daher auf
den bedeutendfien Theil des ftreitigen Landes, als zum Ge⸗
biete der Union gehörig, ihren Anfpruh. Bisher find
diefe Fragen nur gelegentlich erörtert worden und haben
hoͤchſtens Schlaͤgereien zwiſchen den Leuten der deiriſchen
und amerikaniſchen Handelsgeſellſchaften veranlaßt, deren
Intereſſen ſich dort haͤufig kreuzen; indeſſen wird die Loͤ⸗
fung der Zweifel auf ernſtere, wahrſcheinlich ſehr gewalt:
ſame Weiſe geſucht werden, ſobald die amerikaniſche Be⸗
voͤlkerung ſich bis zum Felſengebirge ausgedehnt haben
und ſich zu feiner Überſteigung anſchicken wird. Entfernt
von den nach Oſten abfließenden Gewaͤſſern, mird fie vor
Altern die Derefhaft über den Columbia zu erringen ſtre⸗
ben müffen, da ohne diefelbe ihre Colonien von dem Wer:
Eehre mit der übrigen Melt ahgefchnitten fein würden
und hoͤchſtens auf paſſives Fortbeſtehen, niemals aber auf
rafche Vergrößerung und Wichtigkeit rechnen dürften. Ein
ſolches Verhaͤltniß kann jedoch nur Spaniern zufagen, die
bekanntlich im nördlihen Merice, in Californten, im ſuͤd⸗
lichſten Venezuela, in Moros, Tarija und ähnlicyen- abge⸗
ſchiedenen Provinzen feit 1 — 300 Jahren fortvegetiren
und unbefümmert um die übrige Welt und ihre Kort:
fhritte nie am Vergrößerung ihres Gebiets und ihrer
Macht durch Benugung natürlicher Hülfsquellen und Aus-
fendung gemwerbfleißiger Golonien gedacht haben. Dem
niemals raftenden Volke Nordameritad vermag allein die
Natur Grenzen zu fegen, denn feine Verbreitungsluſt und
fein Dandelsgeift weichen vor gewöhnlichen Hinderniſſen
nicht zurüd und würden, wie die einflweilen befeitigte Frage
der Grenzen nad Norben bemweift, nur zögernd diplomati=
fhe Argumente als vollgültig anetkennen und ſich den-
felden geduldig unterwerfen. Daß die Indianer die eigent-
lichen Herren des Landes im Welten der Vereinigten Staa
tengrenze find (ein von Parker hervorgehobener, aber von
Vail möglihft umgangener Sag), wird weder die Colo:
niften vom Miffuri noch die Regierung in Waſhington
dereinft abhalten, Verſuche gegen die Engländer am Go:
lumbia zu unternehmen und im Falle des Erfolge ohne
Weiteres das neue Territorium als gute Beute fich zuzu⸗
eignen. Für die rothen Ureinwohner wäre ein ſolches Er:
eigniß wahrſcheinlich von uͤbeln Folgen, indem fie von der
Hudfonbai= Gefefhaft, die von Canada bis zum Dregon
herrſcht und einen märhtigen Einfluß ausübt, mit viel
mehr Menſchlichkeit und Vorſorge behandelt werben, als
fie von den Amerifanern je erfahren haben oder erwarten
dürfen. Die Niederlaffung zu Fort. Vancouver, wo Par:
fer überwinterte, befindet fih im einem fehr blühenden Zu:
ftande und bemelft, daß das Dregongebiet zur Anlegung
von Golonien fehr geeignet ſei. Man bat dort feit eini:
207
gen Fahren der Landwirthſchaft wiel Aufmerkſamkeit ge:
wibmer und erzeugt bereitd meit mehr Feldfrüchte, ats die
Bevölkerung allein verbrauchen kann. Das Klima iſt un⸗
gleich milder und beſtaͤndiger als in den unter gleicher
Breite am atlantifhen Meere gelegenen Provinzen Mord:
amerikas. Der Frühling tritt im März ſchon ein und
seht nach wenigen Wochen in Sommer über, Parker
nahm daher am 14. April 13836 vom Hort Vancouver
und den gaflfreien Beansteten der Compagnie Abſchied und
folgte feinem frichern Wege bis weit in ‚die Gebirge. Cr
kehrte dann nach dem weſtlichen Geftade in einer verfchie:
denen Richtung zurüd, um einen andern Theil des Terri⸗
toriums kennen zu lernen und über die Geneigtheit der
Indianer, Miffionnaire bei fi aufzunehmen, Nachrichten
einzuziehen. Da eine Landreije nad) den Vereinigten Staus
tm wenigfiens ſechs Monate gekoſtet haben würde und
für ihre Mühen kein Erſatz auf dem ſchon beteetenen
Wege zu hoffen war, fo fhiffte Parker am 21. Juni
fi in einem ameritanifhen Kauffahrer nach den Sand:
widhinfeln ein, die er am 14. Juli erreichte und ges
gen alle Vorausfegung, wegen Mangel einer directen Ge:
legenheit nach den Vereinigten Staaten, bis zum Decem:
ber bewohnen mußte. Endlich fand fih eine folde und
nach ungewöhnlidy langer Fahrt, Berührung von Dtaheiti
und Umfegelung des Cap Horn fah Parker im Mai 1837
fein Vaterland wieder,
Als Mefultat der neueften, von zwei Männern ſehr
unähnlihen Berufs unter fehr verfchiedenen Geſichtspunk⸗
ten unternommenen Prüfung ftellt ſich heraus, daß den
Indianern keineswegs Culturfaͤhigkeit abzufprechen ift und
daß aus ihnen ein nuͤtzliches Votk gebildet werden könnte,
daß aber ihrem Untergange nur ein redlich gemeintes und
entfchloffenes Einfcreiten der Regierungen der Welpen vor:
beugen koͤnne. Die Sefammtzahl der auf dem Gebiete
Engiands und der Vereinigten Staaten lebenden. Indianer
wird von Vail zu 345,000 Seelen angegeben; zwei Deit
teile diefer Bevölkerung leben unter der Botmaͤßigkeit der
Vereinigten Staaten oder doch in einem Lande, welches
jene Republik beanſprucht und auf herkoͤmmliche Weiſe
nah und mach duch Kauf oder Tauſch an ſich zu brin⸗
gen vorhat. Im Dflen des Miffuri find wenige, viels
lricht kaum 20,000 Indianer Übrig, feit an det vertrags⸗
mäßigen Werfegung der Ureinwohner nach Weſten ernft:
lich gearbeitet worden it. Man glaubt, daß die mehr aus:
getriebenen als freiveillig ausgewanderten Stämme leicht
30,000 waffenfähige Maͤnner flellen können. Sollten
diefe fi mic den bi6 zum Felsgebirge verfireuten Voͤlkern
vereinigen, fo wärde. eine gefährtiche Streitmacht von
60,000 abgehärteten und fehr erfahrenen Kriegern fich bil:
den, welchen die ganz offenen und -wehrlofen Provinzen
des Weſtens nirgend widerftehen könnten. Es würde in
einem ſolchen Falle die furthtbarfte Vergeltung gelbt wer:
den, und die Bevoͤlkerung der Grenzfinaten Das büßen,
was ihre Vorfahren gegem die Indianer ſchon in der Zeit
derſchuldeten, wo die Grenze der Golonim kaum die Alle
ghanies erreichte. Zum Güde der Weißen wird ‚eine
ſolche Verginigung ‚des Tliinwohnge: ducch angeerbsen Haß
des einen Stammes gegen ben andern und den Mangel
eined gemeinihaftlihen Dauptes verhindert. Daß Indianer.
an Furchtbarkeit noch nichts verloren haben und der an
Menſchen und Mitten reihen Union ebenfo unbefiegbar
fein £önnen als ben erften Coleniften von PVirginien, be:
weift der legte langjährige Krieg mit den Seminolen in Oft: '
florida, defjen die Amerifaner als eined unausloͤſchlichen
Schandfleckes ihrer Geſchichte fi) flets zu ſchaͤmen haben
werden, nicht weil ihre vielgerühmten Truppen von eine
Handvoll Halbwilder häufig Niederlagen erlitten haben,
fondern weit felbtt von dem Kriegsminiſterium die uns
menſchlichſten und verufenften Mittel gebillige worden
find, wenn fie zum Siege zu führen verſprachen. Diefer
Widerſtand eines vereinzelten Stammes wird endlich doch
befeitigt werden, denn Die Regierung und dus Volk der
füdlihen und weſtlichen Staaten find feft entfchloffen, die
Austreibung der Indianer durchzuſetzen, und merden weder
Menfhen: noch Geldopfer ſcheuen, um ihre Abſicht zu
erreichen. Die Nothwendigkeit der Verfegung der Urein⸗
wohner erfennen die beiden oben erwähnten Parteien, je:
doch aus fehr verfchiedenen Berweggründen. Die eine vers
langt die fetten Ländereien der noch zurüdgebliebenen
Stämme und will der Induftrie und Ausbreitung der
Weigen ein ununterbrodenes Feld geöffnet wiſſen; die ans
bere billigt die Erilirung der Ureinwohner und ihre Ver:
fammlung in einem befondern Bezirke, weil fie auf diefe
Weife am Seichteften geſchuͤtzt, erhalten und civiliſirt wer⸗
den Finnen. Die Unantaftbarkeit diefer Bezirke wird von
der einen Partei zu Gunften der Indianer verlangt, von der
andern, die duch Vail als vepräfentict angefehen werden
kann, nur bedingungemeife zugeftanden, weil fie den Nach:
kommen die Hände nicht binden will, falls diefe einſt ge:
gen die Völker der Prairies daffelbe Verfahren angemefjen
finden follten, weldes man feit zehn ober mehr Jahren
gegen die Creeks, Choctaws, Chickaſaws, Seminolen und
andere Stämme anwendet. Daß aber die Indianer ferner
wegfhmelzen müffen, wenn Chriftentyum und Civiliſation
auf fie ihren Einfluß nicht ausdehnen, gibt in den Vereinig⸗
ten Staaten felbft die Partei zu, welcher im Herzm an
der Erhaltung der rothen Menſchenrace nichts Liegt: und
ihre Eriftenz am lieben in das Gebiet gefchichtlicher Ers
innerung verwieſen ſaͤhe. Sowol Vail ale Parker find
der Anficht, daß die erſte und ſchwerſte Aufgabe darin be-
ftehen wird,. den Indianern Geſchmack an den Bequemlich⸗
keiten des civilifietern Lebens beizubringen und fie auf
praftifhen Wege zu überzeugen, daß ein ackerbauendes
Volk nie einer ebenfo großen Noth ausgelegt fein koͤnne
als die berumftreifende Jaͤgerhorde. Gewoͤhnung iſt am
erwachfenen Halbwilden viel zu mächtig, als daß von ihm
Ummandelung erwartet werden dürfte. Man ſchlaͤgt da:
her vor, die jungen Leute in Schulen der Regierung auf:
zumziehen und erſt am Schluffe diefee Vorbereitung nach
den Ländereien zu bringen, die ihrem Stamme zur feften
Anfiedelung überwiefen find, Da, die Zahl der Pelzthiere
aus natürlichen Gründen immer mehr abnimmt, die
Fruchtbarkeit des Bodens, die Vortheile des Feldbaus und
Handels alljaͤhrlich groͤßere Zahlen von Weißen nach dem
MB.
außerſten Welten zieht, fo wird in Eurzer Zeit den Urein⸗
wohnern alle Gelegenheit zur Fortfegung ihres getwohnten
Lebens abgefchnitten fein. Vielleicht ertiegt die Mehrzahl
noch vor Eintritt diefer Periode jenen Epidemien, deren
fegte in einem Jahre (1838) nur In der Nähe der Vers
einigten Staaten über 30,000 hinrichtete, und entgeht fo
dem ungleich furchtbarern Schidfale, ohne ſelbſt im Be⸗
fie einer abwehrenden und fichernden Givilifation zu fein,
von einem übermächtigen fremden Menfchenftamme um:
fchloffen und erdruͤckt zu werden. 36,
Literarifhe Notiz.
Es gab eine Zeit, wo alle Welt unbekannte Briefe Roufs
ſeau's wollte aufgefunden haben. Man würde einen ganzen
Band mit biefer untergefchobenen Correſpondenz von Jean
Jacques bilden. Später warb ein Berfud gemacht, falfıke
Briefe von Voltaire in Umlauf zu bringen; aber ber Patriarch
von Ferney hatte einen fo eigenthümlich pilanten Briefflil, der
fit) unmöglidy vollkommen nachahmen lief. Jetzt wird nun vers
fucht, einen Heinen Roman unter dem Namen Boltaire’s in das
Yublicum zu ſchmuggeln. Die „Revue de Paris” bringt naͤm⸗
lich in einer ihrer legten Nummern eine Novelle unter dem Zis
tel: „„L’arbre de science‘ (Voltaire würbe gefagt haben L’arbre
de la science), bie fie getroſt dem unerreihbaren Verf. ber
Contes und Petits romans zufchreibt. Aber auch bier dürfte
die Stilprobe gleich den literarifchen Betrug unwiderleglich bes
weifen. Zwar wird in einer Ginleitung zu biefem kleinen Ro⸗
mane, ber, wie es heißt, nach einem von der Marquife ODuchaͤ⸗
telet eigenhändig abgefchriebenen Manuferipte abgedrudt wird,
erzählt, auf welche Art das Eleine Werk in bie Hände bes
Herausgebers gekommen ift. Schwerlich wird indeffen ein Leſer
leichtglaͤubig genug fein, dies für baare nge zu nehmen.
Befonders find und die berühmten Männer, bie als Bürgen für
die Echtheit des Romans angeführt werben, fehe verbäctig,
weil fie uns ebenfo unbefannt find, als der celebre savant de
Leipzig, Mr. Sandrart, ber bad Manufcript einem belgifchen
Gelehrten abgetreten haben fol. Wenn man nun ben Roman
ſelber näher ins Auge faßt, fo erdennt man auf ben erften Bid,
daß er nicht ans ver glänzenden Beber Voltaire's herruͤhren
fann. Die Erfindung ift arm und dürftig, der Stil aber —
diefes unträgliche Kennzeihen der Autorfhaft — ift geziert,
hart und mit der unnachahmlichen Leichtigkeit und Grazie Bol:
taire's nicht im entfernteften gu vergleichen. 2.
Bibliographie.
Adhemar, J., Die Mevofutionen bes Meeres. Aus dem
Franzoͤſiſchen überlegt. Mit 2 Tafeln Abbildungen. „Leipzig,
Peter. Gr. 8. 15 Rgr. '
Eine Analogie, drei Parallelen und ein Wunſch. Ober:
Eine befcheidene und freundliche Bitte ber evangeliſch⸗ preußiſchen
Landeskirche an den Preußiſchen Staat; eine Abhandlung von
einem Freunde beider. Leipzig, Lauffer. 8. 10 Nor.
Barthold, 3. W., Geſchichte von Rügen und Pommern.
ter Theil: Bom Tode Barnim’s I. (1278) bis zum Auftreten
der Hohenzollern in der Mark Beandenburg (1418). Hamburg,
Perihes. Ge. 8. 2 Ahlr. 10 Ner.
Bauer, B., Die Judenfrage. Braunſchweig, Otto.
&. 8. 8 Ror.
Beder, 8. F., Ausführliche deutſche Grammatik, als
Gommentar der Säulgrammarit- An zwei Bänden. 2te neu
bearbeitete Ausgabe. After Band. Frankfurt a. M., Kettems
beil..: Gr. 8. Subſco⸗Preis beide Bände 4 Thlr.
—— von Dr. Gugenheim's Oratio I, in Catili-
nam: „Preußiſch: Baieriſch⸗Kirchliches der Gegenwart.“ Hits
genslurg, Manz. Gr. 8. 5 Nor.
Ebriſtoterpe. Win Taſchenbuch für cheifkliche Lofer auf das
Jahr 1843. Alter Jahrgang. Geraußgegehen in Berbindung.
mit mehren Anbern von 4. Knapp. Zitellupfer. Oei⸗
belberg, Winter. 16. 1 Zhir. 15 Nor.
Franzoͤſiſche Claſſiker. Reue, correcte und wohlfeilſte Aus⸗
gabe. Deutſch und mit Anmerkungen begleitet von A. Elliſ⸗
fen. After Zheil: Montesquien, dee Geit der Geſetze. Ifter
Theil. Leipzig, O. Wigand. 16. A Nor.
Desnovpers, k., merkwuͤrdige Abenteuer des Gentad Ha⸗
ſelbaum. Deutſch von 2. Fuͤrſtedler. Mit 102 Holzſchnit⸗
ten von P. Lauters. Zwei Baͤndchen. Wien, Tauer und
Sohn. 12. 1 Thir. 6 Nor.
Deutſchlands patriotiſche Weihnacht. Feſtgeſchenk für das
Fra Bolt, in fieben Baben. Stuttgart, Wachenborf. Gr. 8,
ag ce.
Feuchters leben, ©. v., Zur Diaͤtetik ber Seele. Ste
verbefferte und bedeutend vermehrte Auflage. Wien, Gerold.
12. 20 Rear. |
Hottinger, I. J., Huldreich Zwingli und feine Zeit,
dem Volke dargeftellt. Mit Hiftorifchen Abbildungen, gezeichnet
en Degi. Zuͤrich, Orell, Küßli und Comp. Gr. 16.
x.
Ledebur, L. v.. Nordthüringen und die Hermundu-
rer oder Thüringer. Zwei Vorträge, gehalten: der erste
den 14. Sept. 1842 in dem Verein für Märkische Geschichte,
und der zweite am 8. Octbr. 1842 in der geographi-
schen Gesellschaft za Berlin. Berlin, Oehmigke. Gr. 8.
gr.
Liebe, F., Entwurf einer Wechfelorbnung für das Ders
zogthum Braunfhweig fammt Motiven. Mit dem Borflande
des Kaufmanndrereins zu Braunfchweig berathen. Braunfchweig,
G. &. E. Meyer sen. Gr. 8. 1 hir.
- Materialien zur Regierungsgefdjichte Friedrich Wilhelm's IV.
vom 7. Juni 1840 bi zum 18. October 1842. Königsberg,
Voigt. Gr. 8. 15 Rear.
Muͤhlboͤk, R., Diego Cantarino, der Falſchmuͤnzer, oder:
Das Beinhaus von Arieta. Cine romantifhe Gefchichte aus
dem Gebirge Sierra de San Adrian in Spanien, nad Quellen
hiſtoriſcher Sreigniffe der newern Zeit. Wien, Tauer und Sohn,
Gr. 12. 4 Nor. '
Nachtviolen. Eine Rovellentranz vom Chevalier &t.-
Henri. Leipzig, Peter 8. 1 Thir. 7%, Nor.
Palästina und die südlich angrenzenden Länder. Ta
buch einer Reise im J. 1838 in Bezug auf die biblische
Geographie unternommen von E Robinson und E SuritA.
Nach den Originalpapieren mit historischen Erläuterungen
herausgegeben von E. Robinson. Mit neuen Karten und
Plänen in 5 Blättern. 3ter Band. 2te Abtheilung. Halle,
Buchhandlung des Waisenhauses, Gr. 8, Der ganze Band
4 Tbir.; das nun vollständige Werk 10 Thir. 20 Ner.
Samumter, %., Die Unſterblichkeit unferer Perfon, wil:
fenfchaftlich beleuchtet. Liegnitz, Gerſchel. Er. 5. 15 Kar.
SansMarte, Groß: Polens Nationalfagen, Märchen
und Legenden und Localfagen bes Qroßherzogthums Pofen. tes
und Ites Heft. Bromberg, Levit 8. 20 War.
Tſchampel, C., Gedichte in ſchieſſcher Gebirgsmunbart.
Vier Hefte. Schweibnig, Heege. 8. 25 Nor.
Vehſe, ©. E., Die Weltgefchickte aus dem, Standpunfte
der Gultur und ber nationalen Charakteriſtik. AL Worlefungen
im Winterhatbjahr 1841/42 ku Dresben gehalten. Zwei Bänbe,
Dresden, Walther. Gr. 8. Shle..
Inlaͤndiſche Zuftände. Ites Heft. Konigeberg, Graͤfe unb
Usyr. Ge. 8. .15 Kor u
Blätter
für
liferarijde Unterhaltung.
Mittwoch,
Charakter und Stellung der franzoͤſiſchen Litera⸗
tur ſeit 1830.
Die Gegenwart kraͤnkelt in Frankreich an dem lei⸗
digſiten Mechanismus, einer Krankheit, die wie das ganze
Mimtlicye Leben, fo befonders bie Literatur ergriffen hat
und um fö gefährlicher tft, je künfllicher fie den Schein
der Gefundheit affectirt. Nirgend ein inneres, fFrifches,
kräftiges, ſich organifch entwickelndes Leben, überall ein
bloßed Streben nach aͤußerm, formellem Glanze, Effeet
und Schimmer; nirgend ein geniales Schaffen aus dem
tiefften Leben heraus, uͤberall ein bloßes Künfteln und
wunderlidyes Spielen mit Worten und Klängen, ein be:
fländiges Jagen nah Stil, Manier, Originalitaͤt, ein
wirklich raſtloſes Bemuͤhen, den verwefenden Leib der Mi:
teratur mit den Blumen aller Zonen und Zelten auszu⸗
ſchmuͤcken, aber nirgend ein befebender, begelfternder Hauch
des Meiſters. Wer fi an der Oberflaͤche haft und fo:
zufagen blos die Atmofphäre der Gegenwart ins Auge
foßt, der mag vielleicht an der umendlihen Regſamkeit
der Geiſter und Meisbardeit der Gemüther, an der uner:
fhöpftichen Fuͤle ephemerer Ideen und Entwürfe, an dem
raſchen Wechfel immer neuer Erfcheinungen, an den rafl:
tofen Beftrebungen, zu reformiren und zu reflauricen, zu
organifiren und zu reorganifiren, an der unermübdeten
Thaͤtigkeit, alte Syſteme zu zerſtoͤren und neue zu bauen,
die neuen zu verwerfen und mit alten Trümmern aus:
zuffiden, an der unendlichen Fruchtbarkeit der Preſſe und
an vielen andern Symptomen die allgemeinen Lineamente
einee btühenden Literaturperiode zu erkennen glauben. Es
wimmelt von Journalen mit den verfchiedenften Forma⸗
im und Xendenzen; Zeitfehriften zu allen möglichen
Zwecken beſtehen in Menge; Biugbiätter fliegen gleich
Heuſchreckenſchwaͤrmen umher; die Bücher mehren fidh
mit ebenſo wunderbarer Fruchtbarkeit ale die Brote und
Fiſche des Evangeliums; die Theaterzettel zeigen jeden
Abend neue Dramın und Luflfpiele an und die Deuder-
preffen gebären aͤchzend und ftöhnend in unabtäffigen
Wehen Proſa und Berfe, Philofophie umd Poefie. Lite⸗
raten von Profeffion zähle man zu Tauſenden, Ditettan:
ten, die ſich in Sachen der Litaatur ein Urtheil zutrauen,
zu Hunderttaufenden, Leſer zu Millionen. Waͤchſt die
Zahl der Ausoren tünftishin im demſelden Maße fort wie
22. Februar 1843.
— nn nn
in den legten 20 Fahren, fo wird die laͤbliche Schrift:
flellerfchaft ihr Dandiwert in Zänfte und Gilden gliedern
mäffen; wie hätten alsdann die Gilde der Publiciſten,
bie Gilde der Romanſchreiber mit den Mebengilben der
Novelliſten, Zouriften und Feuflletoniften, die Gilde ber
lyriſchen Poeten, die Gitde der Tragoͤdien⸗ und Komoͤdien⸗,
Dramen: und Melodramendichter mit der widptigen Un:
terabtheilung der Vaudevilliſten u. f. w. Lestere find in
unfern Tagen zu Paris gewiß zahlreicher als die parifer
Manrermeifter: und Zimmermannszunft zur Zeit Ludwig's
des Deiligen, und ich bebauere vecht fehr, das von Dep:
ping neuerdings herausgegebene Zunftbuch des Etienne
Boileau nicht bei der Hand zu haben, um über jene®
Factum beftimmte Auskunft geben zu koͤmen. Die
Nothwendigkeit und Wichtigkeit des Genoftenfchaftlichen
fängt an, ſich wieder geltend zu machen in unferer Zeit,
welche demfelben viel zu übereilt einen allgemeinen Krieg
erklaͤrt hatte. Die Schriftfleller, als die Luternenträger
des Fahrhunderts, zünden biflig andern Leuten «in Licht
an; und diefem Berufe getren, haben die parifer Litera⸗
ten vor zwei Jahren ihre Generafftaaten oder wenigſtens
ihre gefhloffene Bürgerfhaft conftituiet und dadurch Kuͤnſt⸗
ler, Handwerker, Gelehrte, Geiſttiche, Dörfer, Städte,
Landſchaften, kurz alle Staatsorgane indirect aufgefodert,
ihrerfeits auc in Vereine zufammenzutreten, nm gegen
die feihte, mechaniſche Anficht zu protefliren, ein Staat
beſtehe Lediglich aus einer hoͤchſten, centralifirten Regie⸗
eung, und dann aus lauter Einzelheiten, welche man,
zufammenabddirt, Wok zu nenmen beliebe. Es iſt wahr:
ſcheinlich, daB die parifer Literaten bewußtlos in die Sphäre
dieſer Ideen eingetreten find; es ift fogar ausgemacht ge
wiß, daß ihren perfönliden Motiven Höchft eigennägige
Abfichten zu Grunde gelegen haben, indem, unter dem
angeblichen Vorwande, den Eingriffen in das Literarifche
Eigenthumsrecht unfterblicher Genies (die zweifelschne das
Alphabet erfunden) zu fleuern, «6 eigentlih nur darauf
abgefehen war, die armen Departementalzeitungen zu
brandfchagen und aus einer Heimen Novelle, aus «einem
artigen Feuilleton wo moͤglich hundertfaches Honorar ber:
auszuſchlagen. Das ‚Babel‘, meiches dieſe Kiteratene
gefelifchaft zu bauen beabfichtigte und das, mie der Pro:
fpeetus ſich unverſchaͤmt naiv ausdrädte, „ta confusion
des genres et des noms, rdunis sous V’influence morale
—
22
qui caracterise notre Epoque” abgeben ſollte, iſt nit
zu Stande gefommen. Gottes Finger hat diefes Monu⸗
ment Lliterarifcher Selbflvergötterung, gigantifcher Eitelkelt
und tbörichter Verblendung umgeftoßen, nod ehe ber
Grund dazu feſtgalegt war, Die kritiſche und moralifdge
Gerechtigkeit fodert ums‘ indeß das Gellänpnig ab, daß
dfe jet in Frankreich herefchende Sprachverwirrung nicht
erft in Folge dieſes hirnverbrannten Unternehmens entitan-
den ift, fondern ſchon von früher datirt, aus der Zeit der
großen Revolution, wo man Deputister und Redner war,
ohne Iefen und fchreiben zu können, in die Grammatik
alfo nothwendig bdiefelbe Anarchie kommen mußte, welche
im Stoate herrſchte.
Die Generalftaaten der parifer Literatur verfammeln
fh in der Richelieuſtraße bei dem Speifewirch Lemarde⸗
dep und berathen ſich in der Megel bei oder nach einem
tühtigen Mahle, wie unfere biedern Vorfahren, die alten
Germanen; nur find fie nicht, wie diefe, von Wein ober
Bier trımlen, wol aber von Ehrgeiz, Geldgier und Ruhm:
ſucht. Die Theaterdichter bilden ſchon lange eine ge:
fehloffene Geſellſchaft, die gerade jegt das Gymnase dra-
matique in Bann und Acht erflärt hat, weil die Direc⸗
tion von der jedesmaligen Sinnahme nicht die verlangten
Meocente abgeben will. Die Naturaliften und Orientas
Uften, die Geographen und Statifliker, die Archäologen und
Phrenologen, die Aſtronomen und Mathematiter, alle ha:
den bier. ihre Geſellſchaften und Vereine; und alle dieſe
Facta zufammengenommen (der dien Rauchwolken, ‚bie
der Dpferdampf der ſchmeicheleiſtreuenden Kameradſchaft
und eingebildeter Selbſtgenuͤgſamkeit verbreitet, nicht zu
gedenken) jimd in die Augen fpringende Phänomene eines
energiſchen literariſchen Drangs und Betriebs. Aber all
dies Jagen, Treiben, Schreien und Stürmen beurkundet
..218
bei allee MWerfchiedenheit der Strebungen dod nur Die,
«ine und allgemeine Übergengung, daß die Literatur im
Argen liege, daß es beffer werden muͤſſe. Die jetzige
literatiſche Sturm: und Drangperiode iſt nichts als das
oͤmmerliche Umfichgreifen und Anſchwellen einer poetiſch⸗
ꝓelitiſch⸗philoſophiſchen Production, die keine einzige ſtarke
Mfahlwurzel ſenkrecht hinab in die Zeit ſenkt, ſondern nur
horizontale Ausläufer an.der Oberfläche um ſich ber ver
breitet ; die truͤbe Gaͤhrung eines wild ſchaͤumenden Mofleg,
von dem fein guter, Elarer Wein zu hoffen; die traurige
Sprießkraft einer kuͤnſtlich hervorgerufenen Vegetation, die
in den Helm ſchießt, flatt in den Kern zu gehen; die
betlagenſswerthe Fruchtbarkeit eines Ackers, auf dem Diſteln
and Doͤrner und Sumpfpflanzen aller Gattung herum⸗
wuchern, wo das Geſchlecht der Pilze, die bei jeder Be:
sührung in eine ſtinkende Jauche zerfliegen, ſich breit
macht und allerlei Giftgewaͤchſe blühen und fich gar luſtig
sefamen, mo die Gemelnheit vor allem wuchernd ihre
Kryptogamiſten aufteeibt und die Keime alles Beſſern,
206 fih nur mit Mühe friftet, durch das geile Unkraut
arſtickt und miedergehalten werden. Man ziehe aus der
Metallwaſſe der franzoͤſiſchen Literatur unferer Zuge die
$dyädlichen, gemeinen umd unedeln Subflanzen, mit denen
fie veorfegt iſt; man fireiche aus dem goldenen Buch der
Le — — — —
|
lebenden Literatur: NRobili die Namen aller Notabilitäten
der Seichtigkeit, Leerheit, Flachheit, Armſeligkeit, Poͤbel⸗
haftigkeit und nuͤchternen Gemuͤthlofigkeit, die ſich un⸗
verſchaͤmter⸗ und ungerechterweiſe eingedraͤngt und einge⸗
ſchwaͤrzt haben; und man ſehe, wie viel koriuthiſcheg E
wie vieh makelloſet Adel uͤbrigbleibt. Wie werden ba
inne werden, daß der vielgeprieſene Reichthum der neue⸗
ſten franzoͤſiſchen Literatur nur in bezahlten oder freiwil⸗
ligen Zeitungelügen, in dem vielſtimmigen Coteriengeſchrei
und dem aufgeblaſenen Hochmuth Derer ſeinen Grund
bat, die ſich befcheiden für die koſtbatſten Edelſteine des
Sefchmeldes ausgeben.
Eine Zeit, die bios eine Unmaffe mehr oder weniger
geiftreicher Literaturproducte, eine Unzahl Eleinerer oder
größerer Kiteraturtalente aufzumwelfen hat, iſt Eeine glaͤn⸗
zende Fiteraturepoche, fondern weit eher eine unheilbtin⸗
gende, gefahrdrohende Zeit fie die "Piteratur, die, von der
Seichtigkeit und Unwiſſenheit, oder. van der Gewiſſen⸗
loſigkeit und. Unredlichkeit angebaut, verdirbt und wer-
kommt. Bei anhaltendem Verfall wird fie immer ſcha⸗
ler umd trivialer; die guten Traditionen ‚werden Kinder:
fpott und der gute Geſchmack ſtirbt ab, bis man am
Ende in einen Zuſtand allgemeines Erſchlaffung uud
Laͤhmung fühlt, der fchlimmer ift als has erſte einſylbige
Kalten ber Kindheit und die farmloſe Roheit der barbari-
fen Kraftperiode, wo die ganze Maſſe des wilden Blu:
tes, das in fpdterer Geſittung und Sittfamkeit fi all⸗
mälig befänftigt, noch mit vollem Ungeflüm tobt. Die
schen Anfänge literariſcher Barbarei ‚gleichen jener Abend:
eöthe, welche oftmals, nach ftärmildgen Tagen eintritt und;
obwol nach einer langen und dunkeln Nacht, Dach end⸗
lich einen beiten Literaturmorgen verſpricht; denn indem
ſie dem tiefſten Verfall einer alten untergehenden Bil⸗
dung angehören, ſchließen fie doch zugleich den Anbeginm,
Urſprung und erſten Lebensfeim einer neu auftauchenden
Swturftufe in ſich, während in den fagenaunen Serben
einer völlig ausgabiideten Civilifatien die Barbarei unter
bem Firniß der Cultur, die &efe innere Faͤuiniß unter
einem übertundten Xußern wie ein Krebs immer weiter
um ſich frißt, das organifche Leben auf große Streden
in ſcharfem Braud entzunder und ‚die Nacktfeite der Ge⸗
ſellſchaft lichterloh erhellt. Es war eine Zeit, da drehte
das ganze menſchliche Geſchlacht in einen Zuſtand com:
pletter Corruption und Beſtialitaͤt zu verſinken, hätte da⸗
mals nicht von den Bergen des Nordens in die verpeſte⸗
ten Sümpfe des Südens ein frifher Wind geweht, hätte
nicht die Volkerwanderung den großen Giftpfuhl, das ro:
miſche Weltreich, tief im Schutte begraben und das Chri⸗
ſtenthum ‚ein neues Lebens dazlıber gefäet. Es war Dies
die Zeit des in die aͤrgſte Faͤulniß Übergegangenen Deiben-
thums, als es in Rom von Posten, Autoren, Rebnern,
Schoͤngeiſtern, Geſchichtſchreibern, Rabuliften und Seo:
phiſten wiramelte und Überfluß an Geiſtreichigkeit und
Übermeth, aber Mangel an Geil und Muth vochan⸗
den. WIE. - ‘
. Man kann allerdings die Frage aufwerfen, ob die
übertriebene Ansegung und Steigerung geifliger Kräfte
au
and Fähigkeiten aber ber —— Befall einer Die‘, ſich unnermeiblid von der Vulkanitaͤt der Zeit, im der fie
inteertuelte Matigkeit ins Unenbliche fleigernden und
aufs ungölgutefte ſtacheinden Bildung den Untergang
der Geſellſchaft Herbeiführe. Weide Zuflände, duͤnkt mic,
hängen enge zufammen und, ohne fich gerade fchlechthin
zu bedingen, agiren und reagiren fie befländig aufeinan:
ber amd reichen fih gegemfeitig Die Dände- zum -gemeinfa-
mm Werk der Zerſtoͤrung, abwechſelnd Urſache und Mit:
fang; bdergeflalt, daß eine morfche, angeſteckte Welt: und
— 22 voll Löcher und Riſſe, voll Eiterbeulen
‚ ohne ſtuͤtzende Grundiagen und sufammen:
Fer Bänder, nothmendig einen Überfluß an ſchlechten
Autoren erzeugt, gleichwie der verberbliche Einfluß diefer
bie wackelige Befchaffenheit des focialen Gebäudes nur
vermehrt, den Reiz ber böfen, giftigen Säfte im Staats:
törper beſtaͤndig erhält und die Gefellfchaft zu einem un:
ebtäffigen Suchen nach Heilkräutern und Stichmitteln
noͤthigt, welches man gerne für ein gefundes Ringen
nah Recht, Licht und Freiheit ausgehen möchte, während
+4 doch nur Bad Kratzen und Jucken eines Kranken ift,
der die biutigen Wunden und Geichwire, ſtatt fie zu
heilen, immer von neuem aufreißt.
Es fol damit keineswegs gefagt fein, daß Frankreich
auf dem Wege iſt, in eine große Peflgrube umgewandelt
zu werben, wie das roͤmiſche Weltreich in den legten
Zeiten feiner tiefften Verſunkenheit (anderthatbtaufendiäh:
tige Wirkungen des Chriſtenthums laſſen ſich gluͤcklicher⸗
weiſe nicht durch anderthalbhundertjaͤhrige Wirkungen einer
ſolchen Auftlaͤrung vernichten); aber es iſt unausblelblich,
aaß der ſociale Zuſtand Frankreichs mit der Zeit nicht
Hhoͤchſt bedenklich, ja vielleicht verzweifelte wied,, wenn die
Dinge lange fo bleiben, wie fie find, wenn nicht eine ges
maltige Erſchuͤtterung, eine durchdringende Lebensbewe-
gung die Geiſter rettend, reinigend und erhebend ergreift.
Wir meinen damit nicht etwa eine neue politifche Revo:
Iution, die da® Übel nur noch verfhlimmern würde. Es
Uegt freilich in vielen Dingen und Worten eine Zauberei,
die Erſtaunliches leiſtet; aber man muß bedeuten, daß
jede Zauberei und die Verblendung und Begeiſterung,
die fie zur Folge hat, nur eine Zeit lang dauern und vor:
halten Eönnen. Ein Wahnfinn, ein heißes Fieber koͤn⸗
am einem ſchwachen Weibe, einem entneroten reife auf
Augenblide, ja wol auf Tage Riefenkräfte und Munter:
teit der Jugend wiedergeben; aber wenn dad Braufende
diefed Zuſtandes niederfinkt, fo folgt defto größere Er:
Mefreng und Ermattung. ine ſolche Krankheit für
Aa Bert Mi ine Revelution, eines der ſchlimmſten Sie
ber, weni Die gährenden Elemente der Sintellectualwelt
und Staaten fallen koͤnnen. Unxvernimftig haben gar
viele Leute alte Begriffe verwirren und vermifchen gelernt
du Diefer verwirsten und aus den Angeln geriffenen Zeit.
Die Iranzofen haben in unfern Tagen von einer plögli-
Gen Regeneration der Dichtkunſt, des Theaters und aller
Künfte und Wiffenfhaften nicht allein gehofft, ſondern
gefprochen, als ſei fie ſchon da. Wie thöricht! Große
Thaten kann eine Remiutin thun, große Werte hervors
- bringen kann fie nicht; all ihr poetifches Schaffen nimmt
ich bewegt, etwas zur Folie, das Titerarifchen Werken
fern bleiben fol. Das liegt in der Natur der Sa,
welche Die Sprache weiſe bezeichnet. Die That iſt das
leicht gemachte und ebenſo leicht und ſchnell geberene
Kind des sufammenmirtenden Zufalls, den Einer oder
Mehre mit ihrer Kraft ergreifen und zum Gehaͤrrn
awingent. Aber nie bat der Zufall, nie hat der ‚pläpliche
— Entſchluß ein Werk geboten. Die That entſteht
im Tohben und Strudeln, wie im ſtillen und gleichen
Bortfchreiten der Stunden, das Merk will die Rabe und
Gleichmuͤthigkeit der Beratung und Beſchauung, es
will die flille Zeit, die langfam, aber herrlich noltendet,
was «ine Emigkeit hoffen fell. Auch ſchaue man nur
ein bien zueüd und fage uns dann, wie es ficht.
Was hat Frankreich für die Literatur Großes geliefect
feit der legten Revolution, die nicht bios eine rein poli⸗
tifhe, fondern ebenfo fehr eine .äfthetifhe war? Freilich
bat nicht Jeder Much und Zeit, in die unermeßlihe
Kloake der parifer Preſſe Hinabzufleigen und wie Dante,
beim Herauflommen aus dem Döllenpfuhl, zu verbinden,
er Graͤßliches und Schauberhaftes gefehen In diefen
—** Abgruͤnden, aus denen verſchiedenartige Spra⸗
hen erſchallen, demuͤthige Worte, ſchmerzvolle Seufjer,
bald dauernde, bald matte Stimmen und langanhalten⸗
des Haͤnder⸗etiatſch
Diverse lingue, orribile favelle,
Parole di delore, accenti d’ira
Voci alte e fioche st auon di man con elle.
Literariſcher Zwecke wegen fifden wir nun ſchon feit
Jahren in dem ſchrankenloſen Ocean der biefigen foge:
nannten leichten Literatur, die dem Kritiker, der fie wiegt,
oft fo erſtaunlich ſchwer duͤnkt, und durchſchneiden mit ges
fpigtem Kiele die falzige Flut der bürgerlichen Ruͤhrſtuͤcke,
der Dramen, Vaudevilles, Romane, Novellen, Euäb-
lungen und Feuilletond, und nie baben wir bie jetzt ei⸗
nen wunderbaren Fiſchzug getban und in unferm Netze
unter Seetang, Seeflernen und verfaulten Truͤmmetn
eine rothglängende Korallenſtaude aufgezogen oder eine
blinkende Mufchel, deren Kleinod im Perimusterglang
ſtrahlend zuruͤckgeblieben wäre. Die Aulitevolution : hat
viele talentoolle Männer der Literatur entfremdet umd
dem Staatsdienſte oder der Journaliſtik zugefuͤhzrt (Gui⸗
zot, Couſin, Thiers, Mignet u. ſ. w), und jedenfalls
laͤßt ſich nicht verkennen, daß das redliche Streben nach
Gediegenem, welches bis zur Ernennung des Miniſteriums
Polignac die beffern Autoren der juͤngern Schule und
Generation charakterificte, feit den legten Jahren im All⸗
gemeinen bedeutend abgenommen bat. An producirenden
Kräften und Zalenten fehlt e8 zwar keineswegs, aber die
meiften arbeiten nur für die Stimmungen des Tages
und leiften auf bauernde Wirkungen Verzicht. Alles eilt,
ſtuͤrzt, tobt, ſchreit und ſchreibt durcheinander und drängt
nach diefer oder jener Richtung bin, ohne daß irgend et:
was Beſtimmtes oder Bleibendes erreicht oder nur er:
ſtrebt wird. Beranger iſt verſtummt, Victor Hugo er
fhöpft, Lamartine in Politik verſtrickt, Alfred de Vigny
212
mit feinee Muſe entzweit, Varbler unlyrifch gefkimmt
und das heilige Bataillon des Romanticismus geſprengt
and, wie es ſcheint, poetiſch aufgerieben; denn Alfted be
Muſſet und die beiden Deschamps laſſen nichts von ſich
hören und Sainte⸗Beude fingt nur noch von Zeit zu Zeit
ein proſaiſches De profundis fir die verſtorbene Poeſie.
Auch die talentvoliften der dichtenden Frauen, die Damen
Desbordes: Walmore, Amable Zaftu, Emile de Sirardin
(Sophie Say) Haben der Lyrik entfagt und den Damen
Louife Collet und Marie Garpentier das Feld geräumt,
die indeß aber keine Fruͤhlingslerchen, geſchweige denn
Nachtigallen find. In den Provinzen, namentlidy im
fhdlihen Frankreich, dem Baterlande der Troubadours,
fingen zwar noch wunderliche Kaͤuze, wie der Daar: und
Bartktaͤusler Jasmin in Agen und der Bädermeifter
Kran Reboul zu Nismes, aber fie fingen in der Wüfle;
fetbßt in der Hauptſtadt erklingt die Poeſie noch aus vie:
lien Kehlen, aber der poetifhe Nachwuchs ift mehr duch
Zahl als Güte bemerkenswerth. Die franzöfifche Sprache,
durch den Sieg des Romanticismus von den claffiichen
Schnürftiefein befreit, hat ihre Eigenfchaften für profai:
ſche und poetiſche Darftellungen fo vollkommen entwidelt,
dag nichts weniger als außerordentliche Talent dazu ge:
hört, um ſich mit Gemwandtheit darin zu bewegen und
mandyes Hübfchverfifichkte zu Markt zu bringen. Je
teichter es ift, Verſe zu machen, defto größer wird die
Anzahl der Dichter, und da fih nur wenige über bie
Mittelmäpigkeit erheben, fo ift die Folge, daß das durch
große Mufter vermähnte Publicum aus Wibermwillen ge:
gen den Singfang, mit bem man feine Ohren langweilt,
gegen Poeſie Überhaupt gleichgültig wird. ine veiche
Ernte lyriſcher Gaben wird jährlich eingefahren; nichts
fehlt beim Feſte, weder die Sollation, noch das Streichel:
bier, id) meine das marktfchreierifche Anpreifen und Auf:
tifhen auf der legten Seite der großen Journale und
das laute Suchhbelfchreien der Kameradfchaften und Gote:
rien; aber faum ift das Jahr herum, fo ift der poetifche
Erntekranz, mit Taxus, Buhsbaum, Blumen, Rauſch⸗
gold, Baͤndern und vergoldeten Äpfeln bunt geſchmückt,
von der Dede der Hausflur heruntergenommen und durd)
einen neuen, „gemacht in diefem Jahr“, erfebt. Der
Ruhm der neuen Sänger ift verflungen, der Strahlen:
ganz der neuen Geftirne am Dichterhimmel erlofchen
und, Sternſchnuppen gleich, finten die über das Nichts
der Welt Iamentirenden Poeten in ihr eigenes Nichte
zurück.
(Die Fortſetzung folgt.)
Nordamerifanifhe Miscellen.
(Auszüge aus ben öffentligen Blättern der MWereinigten Staaten
vom Jahre 1842.) .
Am 4. März endigte ber amerikaniſche Dichter Macdonald
Starke fein Beben im Irrenhauſe zu Neuyork. Gr batte fi
Lord Byron zu feinem Mufter genommen und ahmte ihn nicht
nur in feinen Gedichten und in feiner Tracht nach, fondern auch
darin, daB er eine Gattin nahm, dieſelbe übel behandelte und
ſich von ihr trennte. Er gerieth fpäterhin in große Dürftigkeit;
alein feine Frau unterſtuͤhte ihn, fo gut fle konnte, von ihrem
geringen Verdienſte. Die legten Jahre feined Echens genoß ex
ein kleines Jahrgehalt, das ihm aus umbelannter Quelle zufleß,
und man verſchaffte ihm, da er zuletzt mehr als halb wahnfin-
nig geworden, einen Plag im Irrenhauſe. Aus mandıen feiner
Gedichte leuchtet ein herrlicher Geift hervor.
Am 21. März ging in Philadelphia Hr. Gondy Raquet,
Präftdent der Atlantifchen Verficherungsgefellfchaft und der Hans
beiäfammer, sm allgemeinen Bebauern mit Tode ab. Gr war
von franzöfifcher Abkunft, hatte im letzten Kriege als Oberft
bei den Miligen gebient, war fpäter Mitglied ber Gefepgebung
in Pennſylvanien und gab eine Zeit dang die Philadelptie⸗
Zeitung heraus. Er war ausgezeichnet gut in der Wiffenfchaft
der Nationalöfonomie bewandert und vertheibigte die allg
Dandelöfreiheit mit großer Einfiht und vielen gebiegenen Schrifs
ten. In diefem achtungswerthen Gelehrten verliert das Land
zugleich einen thätigen und nüglichen Bürger.
‚ Am 10. Mai fand in Long» Island, Neuyork gegenüber,
ein großes Wettrennen zwiſchen dem berühmten Hengſte Bofton
und ber in Neus Jerſey erzogenen Stute Faſhirn ftatt. Bon
jeder Geite waren 20,000 Dollars gewettet und der Eigenthäs
mer bed leßtgenannten Pferdes trug ben Gewinn baven. Die
Stute lief beim erfien Rennen 4 englifche Meiten in 7 Minuten
und 33 Gecunden, beim zweiten, eine halbe Stunde nad
her, in 7 Minuten und 49 Secunden. Beim erften Rennen
blieb der Hengſt Bofton etwa SO Narbe zuruͤck, beim zweiten
aber nur eine Pferdetänge. Die Nebenmwetten auf beide Pferbe
haben ſich auf mehre Hunderttauſend Dollars belaufen. Es wa⸗
ven wenigftens 4000 Zuſchauer zugegen. -
Die Naturmerkwürbigkeiten, welche bei der von ber Regier
rung der Bereinigten Staaten veranftalteten Entbetungt:
Erpebdition in der Suͤdſer eingefammelt wurden, find bereitö in
Wafhington gelandet. Es befinden fi) darunter viele feltene
Pflanzen, über 100 Arten in Zöpfen und Kuͤbein, nebft eins
großen Menge von Wurzeln, Knollen, Zwiebeln und Samen
verfchiebener Pflanzenarten. Im Ganzen foll die Crpebition
über 10,000 Etüd Merkwürdigkeiten aus dem Zhier:, Pflan:
zen= und Mineralreicye eingefammelt haben.
‚ Dad Monument zum Andenfen der Schlacht von Bunkerhill
bei Boſton erridtet, Bunkferpill: Monument genannt, dat
nunmehr eine Höhe von M Fuß erreicht. Am 17. Zunt, dem
Sahrestage jener Schlacht, wurden oben auf diefem Wonumente
einige Kanonen abgefeuert. 33.
giterarifche Anzeige.
In meinem Verlage erschien und ist durch alle Bach-
handlungen zu beziehen :
3. F. Herbarts
kleinere pbilosophische Schriften und Albhand-
langen, nebst dessen wissenachaftlichem Nachlasse,
Herausgegeben von Gustav Hartenstein.
Erster und zweiter Bam.
Gr. 8 _ 6 Thlr. 15 Neger.
Der erste Band, zugleich eine ausführliche Einleitung
des Herausgebers über Herbart’s Leben und Schriften egt-
haltend, kostet 3 Thlr , der zweite 3 Thir. 15 Ngr. Ein
dritter Band wird diese Sammlung beschliessen, und im Laufe
d. J. erscheinen.
Leipzig, im Februar 1883.
EF A. Brockhaus.
Verantwortlicher Gerausgeber: Heinrich Brodbaud. — Drud und Verlag von F. %. Broghaus in Reipzig.
‘
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerstag,
Charakter ımd Stellung der franzäfifchen Literatur
feit 1830.
(Bortfegung aus Nr. 58.)
Das Theater und die damit verbundene dramatifche
Literatur macht zwar infofern eine Ausnahme, als die
Schaubuͤhne in Frankreich und befonder6 in dem ſchauluſti⸗
gm Paris ein Mittelpunkt des allgemeinen Intereſſes
iſt; allein ben Theatern fehlt e8 an Dichtern, die neue,
würdige Stüde lieferten. Die allgemeine Klage über
den Verfall der dramatifchen Dichtkunſt rührt weniger
von der Zheilnahmfofigkeit und dem Mangel an Em:
pfänglichkeit bei dem Publicum, als vielmehr davon her,
daß die meiſten ihm gebotenen Stüde keines Längern Le:
bens werth find ale eines ephemeren Bühnentebens, und
daß fie nach einem kurzen Herumflattern auf den Bre⸗
tern die Dergeffenheit, welche fie finden, auch wirklich
verdienen. Es iſt daher natürlih, daB das unbefriedigte
aͤſthetiſche Intereſſe fi) durch die Movitätenfucht ſchadlos
zu halten fucht, und da, da die Empfindung feine Nah:
rung findet, die Einne wenigſtens unterhalten fein wol-
fen. Die daraus hervorgebende Schauluſt verfchafft der
auf Augen: und Ohrenweide berechneten Oper unb
dem modernen, auf Zerreißung und Peinigung des Mer:
venfofteme, blos auf Hervorbringung Förperlicher Ein:
druͤcke abzwedenden Drama einen Sieg über das alte
franzoͤſiſche Trauer⸗ und Luftfptel, und diefe werden fid
um fo weniger von ihrer Unterdrüdung erholen koͤnnen,
je weniger entſchiedene und den Geſchmack beflimmende
Meiſterwerke zu erwarten find. Wenigſtens geben Dela:
vigne mit feinem poetifchen Eklekticismus und Scribe
mit feiner aufgemärmten Marivaudage keine Hoffnung
auf etwas Tiefeinſchneidendes in diefen Faͤchern. Dela:
vigne ſteht in einer Art ſchlechter Mitte zwiſchen dem
Saſſicismus und Romanticismus und iſt der Dichter
der honetten Bürgersleute, der Philifter, die Frauen,
Schweſtern und berengleichen ins Theater begleiten und
Stuͤcke beflarfchen, die mit Sentenzen, Moralen und
Geiftreihigkeiten des philofophifchen Liberalismus ausge⸗
ſpickt find, 3. B. daß die Menſchen eigentlich doch alle
gleich und die Könige doch auch Menſchen find, daß die
ſpaniſche Inquifition dod im Grunde eine fchlechte Er:
findung und die aligemeine Toleranz eine fchöne Sache
iſt. Scribe iſt der Liebling der Gerd: und Börfenteute,
der Banquiers, bie, wenn fie ſtark dinirt haben, ein be:
quemes, ihnen angenehmes Amufement genießen möchten
und diefes in ben Scribe'ſchen Stuͤcken aufgetragen fin:
den, ba die Philofophie dieſer Stüde: „Der Reiche ift
Hug und tugendhaft, weil er reih iſt, Armuth aber iſt
Dummpelt und Untugend, weit fie Armuth iſt“, das
Zellgewebe jener Boͤrſenpilze recht behaglich erfchüttern
muß. Die dramatifhen Probuctionen von Hm. und
Mad. Ancelot, von Bayard, Metesville, Carmouche, Des:
noyers, Varner, Dumerfan, Germain Delavigne, Merfe,
9. Dupin, FZavter, Théaulon, Etienne Arago, Pirded
court, Van ber Burch, Lepoitevin be Saint:Alme, Paul
de Kod, Francis Cornu, Maztres e tutti quanti Pönnen
nicht wol ernfihaft als Werke der Poeſie betrachtet wer⸗
den; diefe ganze Glaffe bramatifcher Fabrikanten ſchreibt
für halbgebildete Barbaren, für ein Publicum, das, un:
ter dem Geſichtspunkte der Nationaloͤkonomie aufgefaßt,
möglicherweife zu den hoͤhern Ständen gehört, welches
man aber im Reiche dee Poefie nur zu den unterften
Volksclaſſen rechnen kann.
Die dramatifche Poeſie in Frankreich iſt zwar neuer:
dinge, wie ihre Schweftern in England und Deutfchland,
auch um eine Form reicher geworden, um das recitirende
Drama; doch ftelle dieſes größere Foderungen an den
Dichter, als Victor Hugo und Alerander Dumas zu be:
feiedigen vermögen. Elend, Mord, Blutfhande, Gift,
Niederträchtigkeit und Skandal aller Art kommt in Ihren
Stüden vor, aber an wahrhaft Tragifchen fehlt es gänz:
ih, zumellen auch am Dramatifhen. Der Eine fegt
das Häßliche und Kfelhafte, der Andere das Genfuelle
und Beftialifche auf den Thron der Schönheit und beide
rechtfertigen die Seldftgefältigkeie ihrer Thorheit durch ver:
Behrte Bezugnahme auf Shalfpeare, den vollftändigen
Gegenfüßter diefer Richtungen und Irrthuͤmer. Während
Shaffpeare in den furchtbarſten feiner Charaktere, in den
graufigften feiner Helden überall einen pfochologifch erklaͤ⸗
enden Faden, fowie den Punkt nachweiſt, wo der Verbre:
her noh am Menfclichen fefthält und zum Goͤttlichen,
verföhnt und begnadigt, zurüdtehren kann, fegen V. Hugo
und Alter. Dumas ihr Bergnügen darin, das fatanifche
und vulkanifche Element in den Vordergrund zu drängen
und unter ihrem angeblich poetifhen Mikroſtop aufzu-
ſchwellen, bis Natur und Kunft, Tugend und Schönhelt,
214
Menſchliches und Goͤttliches von ber ekelhafteſten Frate
ganz verdeckt und zu Grunde gerichtet und ein abſtractes
Unding und Ungeheuer zu Stande gebracht if, welches
uns nur durch das Spuk: und Befpenfterhafte erfchreden,
nie durch Natur und Wirklichkeit erfreuen kann, weil es
mit Natur und Wirklichkeit nichts zu fhaffen hat, In
Franktelch müffen andere Dichter kommen ald V. Hugo
‘und Aler. Dumas, um den Gegenfag von Racine und
Shakſpeare erfolgreich aufzuheben. Was den dramati:
ſchen Dichternachwuchs feit ber Julicevolution betrifft, fo
ſteht derſelbe kaum auf der Schwelle literariſcher Inter⸗
eſſen. Einige von dieſen Autoren, bie, wie Felix Pyat,
Hippolpte Auger, Dennery, Dinaug, E. Bourgeois u. A.,
vorzüglich für die groͤßern Boulevardstheater ſchreiben, de⸗
folgen im Gegenſatz zu Scribe und Comp, ein angeblich
demokrqtiſches Syſtem: in ihren Melodramen iſt immer
der Arme, der Dandwerker, der Tagelöhner, der gemeine
Soldat, ’bomme du penple mit einem Wort, der Deld
der Moral und thut die größten Dinge; die Reihen und
Vornehmen, die Banquiere, die Wechſelmaͤkler, die Oberſten
find immer Gauner, Betrüger, Halunfen, die von Rechts:
wegen im Zuchthauſe figen follten. Andere Dramatiker,
wie Bouchardy, Adolf Dumas, Paul Kouder, Rouge
mont u. A., behandeln die Dichtkunſt wie ein Metier und
fgchen durch Darflelung einer außerfien, geäßlichen, hoff:
nungéloſen, entfeglichen oder Lüfternen Wirklichkeit heftige,
peinliche oder ſinnliche Wirkungen zu erregen umd ben
Schaupoͤbel anzuloden. Um ſich davon zu überzeugen, daß
wie nicht Schwarz auf Schwarz häufen, braucht man
bier nur bei einbrechender Nacht einen Gang über die
Doulenards zu machen und naczufehen, von welden
dramatifchen Beſtandtheilen die dortigen Theater von
ſechs Uhr Abends bis Mitternacht leben: hier von ekel⸗
haften, abfcheulichen Geſchichten und lautbruͤllenden, heif-
hungrigen Leidenfchaften, deren Unthaten bindfaden:
artige Nerven erfchättern koͤnnen; dort von jämmerlichen
Kührfpielen, voll weinerlicher Schlechtigkeit und laͤcherli⸗
cher Empfindelei, die thränenreiche Zuhörer finden; mei:
terhin von einfchläfernden, moralifhen Vaudevilles, von
zosigen Bouffonnerfen und Poffenreifereien, von unanflän-
digen Farcen und Paraden, in denen Moral, Zugend,
Ehre, Sewiffen fo ſchandbar verhöhnt werden, daß man
nicht weiß, mad man mehr anftaunen foll, ob die fürdy:
terlihe Dummheit und Blindheit der dramatifhen Gen:
fur, die ſolchen hoͤlliſchen Unfug paffiren, oder die un:
glaublihe Bornirtheit und Blafirtheit des großen Publi:
ums, das fich ſolche Küchenftüde der Hölle vorfegen läßt
und fie als einfache Hausmannskoſt verzehrt, ober bie
Unredlichkeit und Schamlofigkeit der Autoren, die gegen
ihre beſſere Überzeugung fo wüſtes, albernes Zeug der
öffentlichen Betrachtung auftifhen, obgleich wir gern glau:
ben, daß viele franzöfiihe Dramaturgen In ihrer eige:
nen ethiſchen Bildung eben nicht viel höher ſtehen ale
die Lumpe und Böfewichte, die fie fchildern.
Bei der durch fp viele fchlechte Verſe erzeugten Ab⸗
neigung gegen Verſe überhaupt iſt «6 natürlich, daß ſich
die Poeſie in das Gewand der Profa geworfen hat, und
daß Novellen und Romane die Pieblingsgattung der ſchoͤ⸗
nen Literatus geworden find. Aber auch auf dieſem
Gebiete hat der franzöfifche Geiſt wenig Erquickliches ges
leiſtet. Allerdings fpreise fih der Roman gewaltig und
ſchlaͤgt folz fein Rad, weil man ihm gefagt hat, tr ſ
das literariſche Kleinod des 19. Jahrhunderts, das mas
berne Epos (Goethe nennt ihn. eine fubjective Epopse).
Auch fhimmern in diefem bunten, umfangsreihen Rade
bier und da einige prächtige Federn; ale andern aber
. verfhwimmen in einem trüben, ſchmuzig grauen Ton.
Mit feinen gefhminkten Leidenſchaften und abfchüffigen
Situationen, mit feinem bombaftifhen Wortfchwall und
progigen Wefen, mit feigen ſataniſchen Elementen und
gottesläfterlichen Ziraden, mit feinen abgefhmadten Pa:
roblen von Goethe's, Warther“ und laͤcherlichen Capich
von Hoffmann's „Elixiren des Teufels“ iſt der moderne fran⸗
zoͤſiſche Foman im Grunde weniger unmoraliſch als wider⸗
lich und roh, eine traurige Ausgeburt uͤberreizter, mitun⸗
ter an Wahnſinn ſtreifendex Phantaſie, welche Menſchli⸗
ches und Goͤttliches zur Fratze verzerrt und die heiligſte
Möoſtik des Herzens, die nie über die Lippen ſchallen
foflte, entweiht und öffenslih ausruft; eine ſchwarze
Naht des Irrwahns und Unglaubene, der Troſtloſigkeit
und Verzweiflung, in bie fein Lichtſtrahl aus einer bo:
gm Welt hinabgedrungen, feine Kunde von dem Reiche
ottes, von Verföhnung und Erloͤſung aus den Feſſeln
bed Todes und der Sünde hinabgekommen. Auch vers
welkt fchon heute, was geftern erſt aufging; die. Romane
find wie Treibhausgewaͤchſe, welche am Morgen Knospen
treiben, den Mittag bluͤhen und am Abend Fruͤchte tra⸗
gen, die man vor dem Schlafengehen noch verzehrt. Die
talentvollſten von den Romanſchreibern bringen es zu
einer Beruͤhmtheit von 10, wenn es hoch kommt, 15 Jah⸗
ren, um alsdann vergeffen und von andern verdrängt zu
werden, die ebenſo fchnell ben Plas räumen muͤſſen.
Balzac, noch unlängft der gelefenfte und gefelertefte Ro;
mandichter, ſteht ſchon bis über die Knie im Meer ber
Vergeſſenheit, deren düftere, kalte Wogen mit jedem Zage
fteigen und fleigen und in ihrer dunkeln, ſchwarzen Tiefe
die blaſſen Zagserinnerungen begraben. „Uns heht die
Welle, verſchlingt die Welle und mir verſinken“, innen
mit Goethe die franzöfifhen Romanfchreiber der Gegen⸗
wart fagen. Michel Maffon, Hinpolyte Bruder, Pat
Lacroix y. A. find von des Bühne der, Novelliſtik abge:
treten, welche alsbald von Emile Souveſtre, Frederic
Soulie, Alphonſe Karr, Llon Gazlan, Elie de Berthe,
Charles de Bernard eingenommen morhen, die ihrerſeits
wieder Hrn. Eugene Sue gewichen find. Eugene Sue
iff jegt dee Held des Tags, der Liebliggautor ber. hoͤhern
und niedern Lefewelt. Seine „Mathilde”, ein Roman
in fehs Bänden, bat binnen kurzer Zeig ficben Auflagen
erlebt, nachdem er zuexit ſtuͤckweiſe als Feuilleton der „Presse
publicirt, mehre Monate hindurch das ganze Lejepublis
cum des heutigen Frankreichs in athempfofer Spannung
gehalten und ſeitdem, als Melobrama. vom der, abfurbeften
und abſcheulichſten Sorte appretirt, im Saal der Porte
Saint: Martin jeden Abend convulfivifge Rührung her⸗
- —
s1&
verbringt. In dieſem Augenblick verfdrlinge bie Lefegier
Die ‚, Mysteres de Paris” üeffelben Berf. und mehr ale
eine zarte kLilienhand zerreißt jest Morgens mit haſtigen
Rofenfingern da6 Kreuzband des „Journal des debats”,
am machaufehen, ob enblich im Feuilleton die Fortſetzung
des unendlichen Romans angekommen, deſſen erfler Theil
einen Herzwinkel mit neuen Bekannten bevoͤlkerte, gegen
weiche alle wirkliche Perfonen als jämmerlihe Schwaͤch⸗
linge exfcheinen, und die fhöne Leferin in die geheimſten,
aber pikanteſten Schlupfwinkel des Laflers und Berbre⸗
Gens einführte, die ber Anſtand in natura zu befuchen
verbietet, die man aber doch gern im effigie als nieder:
ländifches Genrebild in Höllen-Breughel’fcher oder Rubens’:
fer Manier ausgeführt ſieht. Im der legten Zeit ſchil⸗
dert Euer nicht mehr das Schiffe » und Serleben, fon:
dern das Salons: und Landieben, und verlegt feine
Sefchichten nicht mehr in Fregatten oder Negerſchiffe, in
Kajüten oder Schiffsraͤume, fondern ind Bagno oder in
die vornehme Geſellſchaft, in ein Bordell oder im eine
futeliche Familie; doch bat Sue auch in der Auswahl ber
Stoffe gewechlelt, fo ift doch feine Worliebe für das
GSräßliche unverändert geblieben und feine Sittenromane
find, wie feine Seeromane, reiche Repertorien von Schands
thaten und Niederträchtigkeiten, wahre Muſterſammlungen
des Schrecküchen und Abfcheulihen. Seine Böfewichter
erhalten indeß von der franzöfifchen Akademie keinen
Monthyon’fhen Zugendpreis mehr, wie der Meger im
„Atar-Gull”, und feine Ehrenmänner, die fidy ihr ganzes
Leben lang ernfihaft um das Gute bemüht, werden am
Ende nit mehr unglädlih, von Zweifeln zerriffen und
beinahe XAtheiften, wie der Gardinal in der „Vigie de
Koat-Ven’, während in eben diefem Roman ein grunds
ſchlechter, ruchloſer Menſch freudig und des Himmels
verficgert flieht; ſondern Die großen Canaillen erleiden jeht,
wenn ihr Sündenregifter voll iſt, duch eigene Schuld
den ſchreckllchen Tod Lebendig Begrabener, wie der Mu:
latte in der „Mathilde’, indem der Verf. den Grundge⸗
danken feiner frühern Romane: daß das Lafler bier auf
Erden nothwendig und ungeftraft über die Tugend trium⸗
phirt, dahin modificirt hat, daß die Schlechtigfeit fo Lange
unbedingt gluͤcklich iſt in ihren fchmählichen Umtrieben
gegen die Ehrlichkeit, bis fie fi in ihre eigenen Fall:
ſtrid· verrennt. Man ſieht, Sue hat nicht ſowol feine
peffimiſtiſche Anſicht vom Weltlauf aufgegeben und mit
einer optimiflifchen vertaufcht, fondern bios die Moral
des Reineke Fuchs und, Robert Macaire gegen die Moral
det Pere Matthleu und des Bonshbomme Jacques ums
gewtchſelt und wol am beften daran gethan; denn Leute,
dfe zu ihren poetifchen Probuctionen, worin fie unfittliche
Stoffe behandeln, keine ausgebildete philofophifche Welt⸗
anfdpasiung mitbringen, bie fie über die Unſittlichkeit er:
hebt, — foiche Leute fellen fih an den Katechismus
halten.
(Die Bortfekung folgt.)
Aſthetik der Tontunf. Von Ferdinand Hand. Zwe
* Jena, Hochhauſen. 1837 — 41. Br. 8.
r.
Unter allen ſchoͤnen Kuͤnſten iſt keine fo abhängig von ihres
Fortbildung in ben Yahrhunderten, ven ben KRunftmitteln, von
dem befondern Geſchmack der Voͤlker und Individuen, darum
auch feine fo modern, als die Muſik. Dichtkunſt wird mit ber
Gprade geboren und zeigt fchon in ihrer Wiege hohe Bollen⸗
bung, Architeltur und das Ebenmaß herrſcht in Aegypten und
Griechenland wie heute in Europa über Wohnräume oder Tem⸗
pel, Gculptur über Marmor oder Holz, Malerei über die Dars
ſtellung dur Rarben, freitih auch Tonkunſt über Toͤne;
allen außer der Menſchenſtimme bat die mannichfache Grfins
dung von Inftrumenten allen Gebrauch und alle Wirkung dev.
feiben verändert, und durch die Ginführung der fogenannten
fhwebenden Temperatur in den Zonverhältniffen ift die ge
fammte neue Kunft ber alten unaͤhnlich und befigt einen früher
gaͤnzlich unbelannten Reichtum von Kunftmittein. Daher denn
die Erfcheinung, daß, ungeachtet allgemeiner Empfaͤnglichkeit
für Toͤne unb deren lyriſche Verbindung, ber volle Eindruck
mufttatifcher Kunſtwerke unſerer Zeit nur bei Wenigen voraus⸗
zufegen ift, unb biefer fich gleichſam in eine Xriftofratie der
Kenner oder Berfländigen zurüdgezogen bat, deſſen bie größere
Zahl der Hörer entweder gar nicht ober nur in fehr unvolle
kommener Weile theilbaft wird. Zwar will eine Kennerfchaft
fih in alten ſchoͤnen Künften geltend machen, allein was bier
gemeint iſt, vergegenmwärtigt fidy jeder vielleiht am beften, wenn
er den Ball fegt, ein alter Grieche aus der Zeit des Periktes,
der einft von damaliger Muſik entzuͤckt geweſen, erflände aus
feinem Grabe und hörte eine Symphonie von Beethoven, oder
ein Oratorium von Sebaſtian Bach — würde fein Ohr Sefals
lien daran finden? Ja, kaͤme er ind Goncert des Claviervirtuo⸗
fen Lißt, — man weiß kaum, wie ihm wäre!
Darum unterliegt die Aſthetik der Tonkunſt größern Schwie-
rigkeiten ats jede andere. Unſer Verf. verbirgt fidy dieſes nicht,
fuhrt den Brund darin, der Gegenftand liege nicht im Gebiet
des Verſtandes und der Begriffe, fondern der Gefühle, melches
wahr ift und für jede Kunft giltz vielmehr aber entfpringt bier
die eigenthuͤmliche Schwierigkeit baraus, daß man ohne Bers
ftand und Begriffe gar nicht zum Gefühle gelangen kann, und
jene doch wiederum nicht dieſes felbft find, welches für fie vor⸗
ausgefegt werten muß. Darum verlicren ſich bie Reben über
Muſik noch mehr wie bei andern Künften ins unbeftimmte Als
gemeine, in leere Formeln phantaſtiſcher Sprache, woran nur
Wenige ſich erbauen. „Nirgend finden wir mehr ungruͤndliches
Geſchwaͤtz und prunfenden Wortfram als in Sachen der muſi⸗
katifchen Kunſt.“ Auch wird, wie der Verf. richtig anmerkt,
das Urtheil erfchwert durch das Voruͤberſchwebende der Werte
des Tonkuͤnſtlers; es wird fehon, die Wirkung des Ganzen feſt⸗
zubalten, ein befonbers geuͤbtes Gedaͤchtniß erfodert, welches bei
Gegenftänden des Auges durch wiederholte Betrachtung eine wills
fommene Unterftügung findet. Rechter Berftand und rechte finn«
tiche Auffaffung zu gewinnen, hätt in unferer mobernen Muſik
gleich ſchwer.
Wenn deswegen — laut der Vorrede — Naͤgeli behauptet,
„in Sachen der muſikaliſchen Kunſt fei dem Ditettanten zu fpre-
chen kaum vergönnbar”, fo Hat er zum heit Recht; er meint
namlich den Berftand und bie Begriffe, weldye der finntichen
Auffaffung für ihre Möglichkeit vorausgehen, die Ariſtokratie
der Kennerfchaft und das fichere Gedaͤchtniß. Allein diefe ſich
zu erwerben, ift auch dem Kunftfreunbe nicht unmoͤglich, ohne
daß er Virtuoſe oder Gomponift zu fein braucht, ja letztere wer,
ben oft durch einfeitige Vertiefungen ihres Beſtrebens einfeitige
und ein Kunftfreund überfchaut freier das gefammte Kunftges
biet. Gibt alfo der Verf. fein Werk als „Product der wärms
flen und reinften Liche für die Kunft”, fo foll ihm biefes in
unferer Meinung nit fehaden, und er hat feinen Beruf zu
ſprechen durch Berftändniß und muſikaliſche Empfaͤnglichkeit hin⸗
216
reichend dargele zt. Nur Tann Ref. nicht einſtimmen: „unfere
iteratur habe noch keine Aſthetik der Tonkunſt aufzuweifen‘‘;
denn drei Jahre vor Grfcheinung des zweiten Theils vorliegen⸗
den Werks hatte Dr. Schilling eine „Aſthetik der Tonkunſt“
herausgegeben *) und darin fehr gute Dinge vorgelragen. In:
qwifchen {ft ber erfte Theil ein Jahr früher erſchienen.
urſpruͤnglich waren Poefle und Muſik miteinander verbun⸗
den und letztere hat erſt ſpaͤter eine ſelbſtaͤndige Entwickelung
begonnen. So wird fie denn bie geiſtige Schöpfung eines ei⸗
genthuͤmlichen Kunſtwerks möglich und auf Schoͤnheit und aͤſthe⸗
tifchen Eindruck Anſpruch machen. Will Nägeli die Muſik ein
blobes Tonſpiel, eine bloße geregelte Verbindung von Toͤnen
und Tonreihen ohne Charakter nennen, ſo bezeichnet er mehr
die Art und Weiſe mancher neuern Compoſitionen als die Kunſt
ſelbſt, welche gleich ihren Schweſtern Stil und Charakter befigt.
Dder haͤtten Haͤndel, Mozart, Haydn charakterloſe Werke ge⸗
liefert? Es mag ſchwerer fallen als in der Poeſie und ohne der
zen Terthülfe fich die Werfchiedenheiten des Charakters zu vers
deutlichen, aber fie find vorhanden, und man muß fich wundern,
wenn ein Kenner, ein Muſik⸗Ariſtokrat, ſolches teugnet.
Bor Zonmalerei warnt der Verf. mit Recht und beichräntt
fie auf einen engen Kreis, wogegen die Klarheit immer eine
Zugend bleibt. Sie fteht allerdings in Beziehung zur Auffaf-
fungsfähigkeit bes Hörers, und Manchem bleibt dunkel, was
den Andern be tft. Beethoven ging bierin bis gur Grenze
und über biefelbe hinaus, feine lehten Werke find verworren;
eine fichere Theorie hierüber zu geben, hätt vielleicht fo ſchwer,
als für den reinen Sag, für welchen die frühern Vorfchriften
in neuerer Zeit nicht mehr gelten und wol zu dem Grundfag
führen: „in des Muſik fei Ales erlaubt”. Wäre dies, fo würbe
alte Afthetifche Beurtheilung unmoͤglich. Ebenſo ift es mit dem
Reichthum ber Mittel, weiche der Zonfeger aufwendet, woburd
Viele ihre Dürftigkeit verbeden, und ein Kritiker fagte: bei
Meyerbeer's Opern, Glavierwerten von Herz und Ghopin werbe
duch Übermaß an Gombinationen dem Hörer frank und weh
zu Muthe. Freilich nannte ein Anderer Chopin’s Werke: „un:
tee Blumen eingefentte Kanonen, welche die Weltherrfcher zu
fürchten hätten!‘ Beethoven — mit Ausnahme der legten Zeit
— gilt dem Verf. mit Recht als Mufter, body Hat er manche
Nachahmer verführt.
Töne müffen ſich nicht in Lärm verlieren, Rhythmus foll
foßtich bleiben, obmwol Gottfried Weber letztern eine nicht wefent:
lihe Eigenſchaft der Muſik nannte, womit nur das Einförmige
deflelben im Gegenfa& bes Freien gemeint fein aan. Ungebil⸗
dete Völker geftalten ihre roben Melodien nach burchpreifenden
Berhättniffen des Takts, vorzüglich in der Begleitung; bei forts
fireitender Bildung wird der Takt freier, der fich in neuerer
Mufit am reichften durchgeführt findet.
Als unmittelbare Darftellung des Gemuͤthslebens ift Muſik
entftanden und fortgefest, fie verlangt zubörberft Melodie. Diele
ergreift für fich und wirb durch Harmonie unterftügt, und NA:
geti behauptet unangemeffen: je weiter ſich die Inftrumentab
muſik in ihren freien Sprüngen, Verkuͤrzungen und Berlänges
rungen von ber Singbarkeit entferne, defto vollkommener werbe
fie. Ale Harmonie wirkt durch Conſonanz und Diſſonanz, letz⸗
tere firebt der erftern entgegen. Der Verf. unterfcheidet eine
formale, dharafteriftifche, ideale Schönheit, gibt auch eine Cha⸗
rafteriftil ber Tonarten, gegen deren nähere Feftftellung Ref.
ſchon bei Beſprechung des Schilling'ſchen Werks aus Gründen
ber neuern gleichfchiwebenden Zemperatur Einwendungen ges
macht; gegen falſches Tempo bes Vortrags fichert oft faum das
Maͤlzel'ſche Metronom. Am entichiedenfien wird das charalte-
riſtiſch Schöne in der Melodie hervortreten. Mit dem Ideal⸗
f&hönen erreicht das Kunſtwerk feine Vollendung, der Berf.
nennt hierfür den „Don Juan’ von Mozart, und vor Allem ben
Repräfentanten biefer Stufe, ben unvergleichlichen Beethoven.
») Vergl. Nr. 27 und 28 d. BL. f. 1840. D. Red.
Begreifiih kann, wie in andern Käuflen, au -für bie
Mufit das Anmutbige, Schabene, Traurige, Breubige, Komiſche
u. f. w. unterfchieben werben, und der Verf. widmet diefen Ars
ten bes Schönen befondere Abfchnitte. Zwei Dauptzweige bils
den Inſtrumental⸗ und Vocalmuſik, wenn man nit mit Hegel
die erftere leer und unverftänbig nennen will. Dock Philoſo⸗
phen find felten gute Richter über muſikaliſche Kunft. Mit
Erfindung der Inftrumente war die Kunſt eingeleitet, wie ums
gekehrt die Entwidelung der Kunft Verbefferung und Berviel-
fältigung ber Inftrumente herbeiführt. Ob Inſtrumentalmuſik
uerft nur Begleiterin des Geſanges geweſen, ober der Dirt auf
beiner Floͤte au ohne Belang gefriett, laͤßt fich nicht geſchicht⸗
lich feftftelen. Erſt ats im 17. Zaprhundert die Inſtrumente
vervollfommnet waren und Eunftfertige Spieler auftraten, ftellten
fi unter eigenem Ramen gewifle Arten von Compofitionen bers
aus, wie Fuge, Praͤludium, Phantafle, Capriccio, Etude, Duvers
ture, Sonate, Soncert, Symphonie u, f. w., deren Gigenheiten
der Verf. feftzuftellen fucht, obmwol in ben Benennungen unb
ben Grenzen jeber Art flets manches Willtürliche bleiben wirb.
So 3. 8. ift Concert urſpruͤnglich jede Vereinigung mehrer
Stimmen und ift allmälig zu einer Form für Darlegung der
Birtuoſitaͤt auf einzelnen Inftrumenten geworben, wobei Bebeut:
fames und minder Bebeutfames in Bezug auf mufilalifchen Ein⸗
druc feine Stelle findet, aber doch eine gewiſſe GSinheit des
Ganzen ftattfinden fol. In ber Symphonie ift Beethoven viels
leicht der Größte und Kühnfte, der Verf. lobt an ihm Spealis
tät, Romantik, Univerfalität mit Individualität, leugnet aber
nicht die Überlabung und Unklarheit feiner teten Werke. „Ob
wir eine Zeit erwarten fönnen, im weldger das Publicum biefe
legten Probucte des großen Geiftce in ihrem wunderbaren Bau
ohne Einbildung verflehen, aneignen und genießen werde, läßt
fih darum nicht behaupten, weil, fo lange Künftier fchaffen,
biefen ein Gebiet der Schönheit angemiefen bleibt und Schoͤn⸗
beit obne anſchauliche Klarheit nicht exiſtirt.“
Vocalmuſik hatte in alter und neuer Zeit zur Grunbiage
ben individuellen Gefang des Volksliedes und Kat fi für bie
Kirche und außerhalb berfelben fortgebitbet zu Ehdren, Recita⸗
tiven, Fugen, Chordien, Motetten, Meffen, Arien, Gantaten,
Oratorien, Opern u. f. w., mo nun über alle biefe Formen viel
verhandelt werden kann und ber Berf. mit Kenntniß und Ge
ſchmack das Ginzelne in nähere Erwägung ziebt. Kirchliche
Muſik fol billig das Einfache, allgemein Verftändliche fefthalten,
die Oper, als reichte Beftaltung des weltlih Epifchen und Ly⸗
rifhen, welde auf einen Höhepunkt des Kunfthetriebs gerichtet
ift, verftattet die mannichfaltigfte Behandlung und Aneignung,
ſodaß über Leine Gattung muſikaliſcher Werke mehr gefchrieben
worben als über die Oper, bie faft ein Schooskind ber ncuern
Zeit genannt werben mag und Sängern wie Sängerinnen gol⸗
dene Früchte getragen hat.
Wer fi über feine muſikaliſchen Genüffe verftändigen und
von bem Gebiet der neueren Muſik einen überblick gewinnen
will, ber nehme vorliegende „Aſthetik der Tonkunſt zur Dand
und er wird zur Beſtaͤtigung, Berichtigung und Erweiterung
feiner Urtheife reihen Stoff finden. 5.
Literariſche Notiz.
Es iſt gewiß eine merkwuͤrdige Erſcheinung, daß zwei
junge Dichter in franzoͤſiſcher Sprache zu gleicher Zeit auftre⸗
ten, deren beider Heimat das ferne Amerika iſt. Dieſe beiden
Zugvoͤgel, die ſich nach Frankreich verſchlagen haben, ſind A.
Mercier und Adrien Rouquette. Die Poeſien des Erſtern,
die ben Titel „La rose de Smyrne“ und „L'ermite de Niagara’'
führen, haben einen poetiſchen Schwung und find zum Theil
in der Form nicht unglüdlid. Die „Savanes, po6sies ameri-
caines’’ von Rouquette dagegen find im Ganzen weniger ori:
ginel und athmen eine flilere Froͤmmigkeit, die inbeffen nicht
ohne poetifhen Hauch ifl. 2.
Berantwortlicher Herausgeber: OSerarich Broddaus — Drud und Verlag von FJ. A. Bradbauß ia Leipzig
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Freitag,
— R55. —
24. Februar 1843.
Charakter und Stellung der franzöfifchen Literatur
feit 1830.
( Kortfegung, aus Nr. 4.)
Übrigens iſt Engine Sue nad) wie vor ein dflhetis
ſcher Terroriſt, ein Meifter in Erfindungen von Unthaten
amd Unmenfchen, wobei er natürlich oft in die Caricatur
füte. Die Hauptfiguren feiner ‚Mathilde‘ haben in kei:
mer Zeit, in keinem Lande exiſtiren koͤnnen; fie gehören
unferm Planeten nicht an. Echt menfchlih tft allein
Die alte Fran Secherin, und meifterhaft naturgetren iſt
die koͤſtliche Schilderung bes Caft Leboeuf in der Einlei⸗
zung und die Charakteriſtik der Originale, die dort vers
tehren. Die andern Charaktere find durchgängig verzeich⸗
met und verzerrt.” Mademolfelle de Maran, Mathildene
Tante, ift die eingefleifhte Boshelt in abstracto, die mit
saffinirtefter Tuͤcke zwei junge, unfchuldige Mädchen ſpyſte⸗
miatifch verdirbt und ungluͤcklich macht und ihre Nichte
an einen ruinirten Spieler und Wüftling verkuppelt, der
falſche Wechſel fabricirt bat und feine Frau auf jede
Weiſe ins Elend bringt. Doc, trog ber ſataniſch angeleg:
ten und bucchgeführten Erziehung ift Mathilde ein zu tugends
wineer Engel geblieben, als daß die ſchmuzige Umgebung
ihres Ehetenfels und Haustyrannen fie befleden könnte;
au möchte man zum Bellen der Lefer wuͤnſchen, daß
der Autor die aͤtheriſche Greatur etwas zarter behandeln
und fie nicht wie einen galvanifirten Froſch vor unfern
Augen zuden und zappeln ließe. Lugarto iſt ein perfonis
fichtter Teufel, ein foftematifcher Boͤſewicht, ein wahrer
er Miglione mit einem jährlichen Einkommen von
fünf Mittionen Franes Rente, die «6 ihm möglid ma:
den, eine geheime Privarpolicei zu halten, deren Spione
fh in das Innere vornehmer Famtlien fehlen, um Vers
mungen and Skandale zu erforfchen, deren Mitwiſſenſchaft
Ihrem reigen Goͤnner einen allgemein und ungemein ges
fürdtetn Namen macht; außerdem ein gewaltiger Maul:
Neid, eine fo feige Diemme und ein fo gerlffenlofer, un:
delicater Schurke, daß er auch noch mit einigen entſprun⸗
semen Galeerenſtraͤflingen und Gurgelabfchneibern in Ber:
Bindung fteht, um fich in vorfommenden Faͤllen laͤſtiger
Begner zu entiedigen. Mathilde wird, nah faum ver:
lebten Flitterwochen, von diefem Geier bedroht, der: über
ihrem Haupte feine drehenden Kreiſe zieht. Das Raub⸗
thier liebt ſie nicht; aber es will ſeine Beute beſitzen,
weil fie widerſteht, und da bie Überredungskuͤnſte und
Galanterien diefes Millionnairs bei der jungen Frau nichts
ausrichten, gebraucht er endlich ein Einfhlchterungsmittel
gegen Gontran, Mathildens Gatten, deffen falfche Wech⸗
fol er in Dänden hat und der fi in feiner Ehrlofigkeit
dazu verfieht, durch ein eigenhändiges, zärtliches Schrei⸗
ben feine Frau in’ einen Hinterhalt zu Soden. Dabei
fäüt eine Nothzucht⸗ und Prangerfcene vor, von folcher
Raffiniecheit und marternden Peinlichkeit, daß alle ans
dern Schilderungen bdiefer Art dagegen lahm und zahm
erfheinen. Kurz und gut, wir fehen uns auf die Folter
gefpannt. So groß aber ift das Talent Sue's, fo Eräfs
tig und anfchaulid feine Darftelung, fo mannhaft feine
Spradye, daß man nolens volens weiter leſen muß und
im Grunde keine Zeit bat, Athem zu fchöpfen. Wer
die erften ſechs Seiten gelrfen, muß dem Autor bis ans
Ende folgen, wenn er auch das Buch zulegt mit einem
fücchterlichen Kopfweh zumacht. Denn der Eindruck beim
Lefen Sue'ſcher Romane ift, wie beim Schen Dumas’:
[her Dramen, blos koͤrperlich; die Nerven Leiden, wie
empfinden Angft und Bellemmung, gerade als fähen wir
einen Menfhen im Kampf mit einer wilden Beſtie, bie
ihm ihre Tagen und Zähne ins Fleiſch einſchlaͤgt. Ge:
wiß aber ift es nicht der Zweck und die Beftimmung ber
Dichtkunſt, den Kefer oder Hörer durch bie alleinige Ders
vorrufung zerreißender und peinigender Gefühle zu ver⸗
letzen. Mit je erflaunlicherer Kraft, mit je energifcherer
Virtuoſitaͤt aber hier die empärenditen Momente, bie ver:
ruchteften Machinationen dargeftellt und gefchildert find,
deſto peinliher ft der Eindruck. Selbſt ſchriftſtellernde
Damen haben ſich in dieſes galvaniſche Genre geworfen
und verleugnen in ihren Novellen⸗ und Romancompoſt⸗
tionen alten Takt, alien Schönbeitfinn, alles Liebensrohrs
dige und Herzengewinnende, wodurch das andere Ger
ſchlecht ſich ſo ſchoͤn auszeichnet. Das Zarte und Feine
des geſelligen Lebens und Verkehrs, die holden Züge der
Galanterie, die füße Verlegenheit, Verſchaͤmtheit und Schels
merei der Liebe und Unſchuld, kurz Alles, worin der weib⸗
liche Charakter ſich am anmuthigſten und Heblichften dars
ſtellt, ſucht man in diefen Romanen vergebens und manch⸗
mal ift kaum zu begreifen, wie ein einziges Mädchen:
ober Frauengehirn fo viel Schrecklichkeiten und Abfcheus
#18
lichkeiten bat ausfinnen koͤnnen. Die Graͤfinnen Choiſeul⸗
Gouffier und Choiſeul⸗Meuſe haben einen Berg Ritter⸗,
Räuber: und Geſpenſterromane à la Spieß und Gramer
verfaßt, und die Damen Bugenie Foa, Sophie Pannier,
Heartenfe Allart, Fora Triton, mie bie Demoiſelles Cle⸗
mentine Dame, Sophie Mazure u. A. sine große An:
zahl Schmuz: und Skandalgeſchichten gefchrieben, von
denen die Grazien und felbft die Schambaftigkeit fich
zuͤrnend abwenden.
Bei fo verkehrten, ercentrifhen Richtungen follte
ertyarten, daß wenigſtens die Kritit auf dem ſchlecht be
ftellten Felde der fchönen Literatur Gelegenheit zum Maͤhen
und bei dem allgemeinen Ben
Schläge der Belletriftit ein vortheilhafteres Bewirthſchaf⸗
tangefpftem anriethe; aber der kritiſche Acker ſelbſt iſt
mit Quecken uͤberwachſen und verwildert; auch die Kritik
hat ſich den aͤſthetiſchen Geluͤſten der Menge preisgegeben
und den materiellen Goͤtzen des Tags verſchrieben. An⸗
ſtatt die Literatur am Rande des Abgrunds einzuhalten,
gibt fie ihr den legten Stoß, ber fie vollends hinunter⸗
ſtuͤrzt, und weiß nur hämifch zu mwigeln und zu fpötteln
oder wie verzuͤckt zu deeiamiren und zu phantafiren über
irgend ein Buch oder Thema, weldes das Glück ober
Ungluͤck Hat in ihre Hände zu fallen. Ich fage Glück
oder Ungluͤck, denn das hängt vom Zufall und einigen
andern Umfländen ab. Wan darf einer franzoͤſiſchen
Beitung oder Zeitfchrift unter keiner Bedingung zumus
then, daß fie die Elucubrationen von Freunden und
SHeichgefinnten tadeln und bie Probuctionen der Gegner
loben läßt. Religion, Wiſſenſchaft und Kunft, und mas
fonft die hoͤchſten Segenftände des Menfchen find, muͤſſen
hier im Lichte der Politit und der Parteiungen betrach⸗
tet werben; infoweit find alfo der frauzoͤſiſchen Kritik die
Hände gebunden. Der Kritiler der Presse’ iſt gends
thigt, Den. de Lamartine herauszuſtreichen und Sen.
de Gormenin ſchlecht zu machen; der Recenſent des
„ National” hat gerade die entgegengefegte Drdre; kurz,
jedem Ariſtarchen iſt feine Rolle angewiefen und vorge:
fchrieben durch die politifche Karbe des Blattes, an dem
es mitarbeitet. Dann legt auch bie Literarifehe Kamerad⸗
ſchaft Ruͤckſichten auf, wie denn ein zu rechter Zeit an-
gebrachtes Geſchenk des Autors ober Verlegers auch feine
Wirkung nicht verfehlt. Dee Zufall regiert in den freilich
ziemlich feltenen Fällen, wo die Kritik freie Hand bat.
De Zufall im vollen Sinne bes Worts; denn feine
menschliche Vernunft kann vorausbeflimmen, was die
Kritik in dieſen Fällen loben oder tadeln wird; wäre eine
gewiſſe Regelmäßigkeit, wie fie die Wahrſcheinlichkeitsrech⸗
ung ſelbſt im Lottoſpiel entdeckt bat, darin wahrzuneh:
men, fo würde ich denken, der franzöfifche Kritiker zähte
Lob oder Zabel an ben Knöpfen ab, oder richte fich
na dem Wetter. Ohne aͤſthetiſche Theorie, ohne fefle,
ſtachhaltige Brundfüge, ſchwankt fie, von dem leiſeſten
Winde jeder Ider und Doctrin bewegt, unflät. hin und
her, haͤtſcheit, ſtreichelt, fchmeichelt, keift, kraht umd beißt,
Allesß tuck⸗ und ſtoßweiſe, wie fie der Rappel ankommt.
Die beiden Pole der franzoͤſiſchen Kunſt⸗ und. Theater⸗
mon |
kritit find Jules Janin und Theophile Gautier, ein
Equilibriſt und ein Grotesktaͤnzer, die das frivofe Publi⸗
cum durch ihre Künfte und Sprünge ergögen und auf
dem Gebiete der Literatur dieſelbe Rolle fpielen, die Taͤn⸗
zer und Taͤnzerinnen in dee dramatiſchen Kunſt verſehes,
und dafuͤr Beide das rothe Bändchen im Knopfloch tra⸗
gen. Ihre hanswurſtigen Paraden fcheinen alle ernfl:
baften Kritiker verfcheucht zu haben: Fauriel, Ampere,
Magnin, kritiſche Talente erften Rangs, laſſen ſeit Jah⸗
ren nichts mehr drucken. Andere tuͤchtige Koͤpfe find
durch den Staatsdienſt der Kritik entzogen warden und
haben leider nach dem bekannten franzoͤſiſthen Ariom ge:
handelt: ia litterature mine & tout, & la condition de
la quitter. Villemain ift ins Minifterium gelangt, Ler⸗
weinier Requetenmeißler; Vitet, Saint⸗Marc⸗Girardin uub
Michel Chevalier figen im Staatsrath; Merimee, Nifard
und 3. Barthilemy Saint: Hilaire find bei den verfchie:
denen Minifterien angeftelltz Philarkte Chasles, Edgar
Quinet, X. Marmier, Hippolyte Fortoul zu Univerſitaͤts⸗
profeſſoren, Loeve⸗Veimars und A. Gueroult zu Conſulu
im Drient ernannt werden. Die Majoritaͤt der franzoͤſi⸗
hen Autoren macht die Schriftfiellerei zu einem Mittel
für politifhe Zwecke und beteachtet fie als eine Taktik,
busch die man die Uneigennuͤtzigkeit zur Kupplerin der
Habſucht flempelt, zum allgemeinen Beten für fein eige⸗
nes Beſte forget, zum Wohle des Staats und mit Selbſt⸗
aufopferung fih an die eiuflußseichfien und ecgiebigfien
Plaͤtze drängte und in der Preffe feine Zalente im ſchoͤn⸗
fien Lichte oder in der furchtbarften Haltung zeigt, um
die Regierung zu einem kraͤftigen Verſuch auf diefeiben
anzufeuern und wie Duvergier de Hauranne ſarkaſtiſch
fagt, zum ‚Gebrauch umbelaunter und unmiberflehlicher
Argumente” aufjumuntern, »ie den Schriftſteller auf
einmal von dem Irrthum feiner bisher gepeedigten Au⸗
fihten überzeugen und den liberalen, radicalen, tepublilas
nifchen, faint=fimoniftifchen Saulus über Nacht in einen
gouvernemensalen, conſervativen, monarchiſchen, katholi⸗
ſchen Paulus verwandeln, der verflucht was «er angebetet,
anbetet was er verflucht bat. Die ploͤtzlichen, cyniſch
vor ſich gegangenen oder ſyſtematiſch vorbereiteten, allmds
ligen Sinnesäuderungen (mie fie das in der Apoſtafir⸗
kunſt gründlicyer als Jemand erfahmne „Journal des de-
| bats’’ lobt und liebt) vieler frangbfifchen Schriftſteller ſeit
1830 find weltbekannt. Litereten und Publicifien aber
Parteien wechfeln ihre Rebensanfichten, wie Libertins ihre
Geliebten, oder vielmehr, wie Specukanten, die ſich ver:
beirathen, aber ein eintraͤgliches Geſchaͤft aus ihrer Hei⸗
rath machen wollen. Auf das Mädchen oder die dee
kommt es wicht an; die Frage iſt: was bringt fie mir?
Des Beſchluß folgt.) .
Die peoteftantifche Kirche
ade X * tet Hallmann Fa ie Mir en —
achen auungen en rift: unſtbeſtrebungen der
Gegenwart" (Berlin I Befecabinnt. ‚1842, Sr. &
15 Ror.), aud feine Ideen über den Bau proteſtantiſcher
Kichhen. Er wibmet ihnen einen eigenen Adſchnitt, und nach⸗
dem fo viel für and wider bie tution des Gdiner Doms,
219
an die veifumumenfiz Rinde and der MBekte bes mwittelattertichen
Ratbekicisuus, geſprochen werben, ift e6 allerdings am der Zeit,
sch einen Protefianten und einen Künftter über das Beduͤrfniß
der Proteflanten nad) einem zeitgemäßen GBotteshaufe für ihren
Quitas, und wie bie Kunft die Aufgabe aufzufafien hätte, an:
Der Künfller hat carte blanche, Der Proteflantismus,
obgleich; ex inne geworden, daß fein nach Licht und Erkenntniß
ringender Sottesbienft in „der Puritaner dumpfen Predigtſtuben“
fine Befriedigung findet, Hat doch noch kein jo feibftändiges
und unabhängiges Sehäufe gefunden, als es bie proteftantifche
Kirche, khrem Geiſte nah, fein will. Man behalf ſich in den
serigen Jahrhunderten mit ben verlaffenen katholiſch⸗ gothifchen
Acchen, aus benen man Alles zum Aweck nicht Dienende ent
ſernte, wodurch fie aber ein leeres Anfehen erhielten. Die Ber:
fuche, neue, hellere Getteshaͤuſer zu bauen, fielen kleinlich aus,
ser man abmte in letzter Zeit die Baſiliken nad, bie ebenfo
wenig dem Geiſte des Proteflantismus entfprechen und in denen
Nie Gemeinden, noch mit traditioneller Chrfurcht vor ber bäftern
Würde der gothiſchen Dome, ſich nicht behaglich fühlten. Hrn.
Sallmann’s Wahilſpruch if: ‚Wagen wir es wir ſelbſt zu
fein.” Er kämpfte mit aller Begeifterung ber Jugendfrifche ges
gesen die, feiner Anficht nach, unglüdtichfte Richtung der Kunft,
gegen das Rachaͤffen der Bergangenheit, eine Richtung, die
dahin geführt Hat, die Kunſtwerke nur für einen ſehr Pleinen
Theil der Welt verfiänblid zu machen. Um fie zu wuͤrdigen,
find wir geswungen, und aus der Zeit herauszureißen, während
doch Die Kunft bie in jeder menſchlichen Bruft ruhenden Gefühle
ersegen, erhöhen und bie Gegenwart idealiſiren, aber nicht igno⸗
riren folle. Dies ift bie Tendenz feiner Schrift im Allgemeinen s
fie hat ſchon Kämpfe angeregt und wird beren noch mehr ans
regen. Im Speciellen aber hält er den Augenblid, wo in Ber:
Un, wer Hauptſtadt des größten proteftantifchen deutfchen Staats,
ein neuer proteftantifcher Dom en fen, worin er
ein weltbiftorifdyes Ereigniß erblickt, für den geeigneten, um
fidy über bie Seundfäse zu verftändigen, wie ein eigenthämlicher
"Stil, den Bebürfnifien und dem Geifte des Proteftantismus
entfpredjend, für feine Kirchen zu fördern wäre. Hr. Dallmann
iſt ausuͤbender Kuͤnſtier und feine Entwürfe zum berliner
Dom flanden in der letzten berliner Kunftausftellung zur Ans
fchauung für das Yublicum aus. Dieſer Theil feiner Schrift
foßßte ein erklaͤrendes Begleitungsfchreiben fein. Als erſte Bes
dingung fodert er, daß der proteftantifche Dom, analog ber
Yeterstirche in Rom, eine, feiner hoben Bedeutung entfprechendbe
Würde und zweckmaͤßige Größe und Pracht entwidele. Es gilt
nicht Gffect machen wollen durch betrügerifch berbeigefährte Its
Iufionen, aber ein Gotteshaus muß eine Wirkung, d. h. eine
erhebende und verebeinde Gtimmung hervorrufen. Der gute
Protekant will zwar durch nichts ſinnlich beftochen fein; aber
jeder Menſch wird flets ber dußern Anregung bebürfen und
intern Einbehden unterworfen fein. Darin liegt der Netz bes
Lebens. Es iſt nur Die Aufgabe ber Vernunft, die Stimmuns
gen zurückzuhalten, daß fie uns nicht binreißen. Auch die pros
teftantifche Architektur darf nicht durch Toͤdtung aller Reize zur
geiſtigen Blaſirtheit führen. Wer, außer ben Nachkommen der
Yuritaner, wird ihm darin nicht beiflimmen! Der Verf. meint,
daß der theimahmloſe Welch unferer Kirchen mit davon her⸗
rihre, daß unfere Gotteshäufer eine zu wenig feierliche Stim⸗
mung zu ermeden im Stande wären. Da unfere Andacht nur
zu ſehr won der Perföntichkeit des Predigers abhänge, die nicht
immer die Andacht befördere, feheint ihm die Ausſchmuͤckung
ein Gaupterfoberniß bei proteftantifchen Kichen. Mit feinem
Biel einverſtanden, voollen wir die Richtigkeit diefes Motivs uns
berädfichtigt laſſen. Da unfer gewoͤhnlicher Gottesbienft, außer
der kiturgie, in der Predigt befteht, fo ift das Haupterfoderniß
heim Ban einer Kirde, daß man den Prediger fieht und hört.
Ufo erſte Webingung: die Vereinigung ber größtmöglichen
Menſchen anf moͤglichſt keinem Raume. ine runde,
oder polygonale Jurm, welche anfcheinend diefem Bebuͤrfniffe
am beften entſpraͤche, hat ſich in akuſtiſcher Hinficht als mangels
daft, Ja unbraudsbar triwiefen. Sallmann flieht ſich zurädaewies
fen auf die Baftlitenform, von der er aber nichts Anderes beides
Halten will als das laͤngliche Biere; denn bie impofanten .
Saͤulenſtelungen der alten Baſtiiken zeriegten fle zugleich fm
mehre Schiffe, ex will fie daher auf ſchmalere Galerien und
Gmporbähnen rebuciren mit moͤglichſt dünnen Säulen, welche
die Ausficht nicht behindern. So kommt er darauf, daß ein
Länglicyes Viereck mit Gmporbühnen zu beiden Selten, biefe in
Eiſen conftruirt, die Gonftructien aber durch das ganze Innere
durchgeführt die für Sehen und Hören zweckmaͤßigſte Architek⸗
tur unferer Kirchen fei. Der Einwurf, daß eine Eifenconfirucs
tion ein zu leichtes und mwindiges Anfehen habe und der Wuͤrde
entbehre, die man in einer Kirche verlangt, ift Leicht zu befeitte
gen. Eiſen ift das Bauptmateriat unſers Jahrhunderts gewor⸗
den; man hat es nicht allein techniſch, ſondern auch kuͤnfileriſch
zu behandeln gelernt. Wenn burdy den ganzen Bau eine gleiche
mäßige Vertheilung bed Raumes und der Laft erfenntlich ge
macht wird, fo fühlen wir die Statik unfers Gefuͤhls befrice
digt. Überdies kann bie Durchbrechung der Wände durch biete
Benfter, nad) denen wir jeßt verlangen, und auch deren Bers
fproffung felbft, durdy analogifche Formen ber eifernen Saͤulen⸗
conftruction für Geficht und Gefühl zu Hülfe kommen.
Außer diefem Kiechenfhiff, zum gewöhnlichen Gottesbienft
beftimmt, wo. ber Andaͤchtige nichts bebarf als einer ftillen
Sammlung, um mit Aufmerkſamkeit der Predigt zu folgen, '
atfo außer diefem ſchlechtweg Heiligen, bedürfen wir noch eines
Atlerheitigften. Sum Abendmahl zu geben, bedarf der Kirchens
gänger einer erhöhten Stimmung. Für eine ſolche Andacht,
die freilich hauptfächti aus dem Innern hervorgehen muß,
fcheint dem Verf. die Form der Kirche, bie zur vorbereitenden
Beier genügte, nicht mehr hinzureichen. Er trennt biefen Raum
don dem des gewöhnlichen Gottesvienftes und bringt baber ben
Altar aus dem Schiffe fort in eine abgefonderte Rotunde, welche
unter einer niedrigeren Kuppel die eine fchmale Seite des Kite
dgengebäubes nach außen ſchiießt. Aber zwiſchen beiden Räumen,
der Altarrotunde und dem Prebigthaufe, legt er eine weite, fie
verbindende Halle an, die oben in eine mächtige Kuppel fich
woͤlbt. Diefe Halle foll als Baptifterium dienen, indem in ih⸗
ver Mitte der Zaufbrunnen aufgefteilt if. Doch ſieht man
durch die ganze Länge der Kirche den Altar, wodurch das Im⸗
pofante bes Innern der Kirche bedeutend erhöht wir. eine
Deutung diefer Anordnung iſt: Nachdem wir im Predigtraume
Gottes Beiftand für unfer irdiſches Dafein (Gegenwart) herab⸗
gefleht, nahen wir und dem Heiligthume, um der hödhften
Troͤſtung ber Religion, in der Vergebung der Sünden, —
Ehriſtus, theilhaft zu werden; wir werben ihrer theilhaft dur
bie Beier feines Gedaͤchtniſſes. Die paſſendſte Vorbereitung
bazu ift bie Grinnerung an die Vergangenheit, an die Taufe,
unfern Eintritt ins Chriſtenthum. Wir erinnern ung aber zur
gleich an die göttliche Gnade, wie fie fich in feinen ausermwä h=
ten Werkzeugen, in ausgezeichneten, um bie Menfchheit vers
bienten Vorfahren beurkunbete. Deshalb wirb diefe Berbindungs⸗
halle dem Bebächtniß erbabener Zodten gewidmet und ihre Sta⸗
tuen und Bildniſſe fchmüden die Nifchen und Wände. Durch
die drei verfchtedenen und doch ineinander greifenden Räume
wird zugleich die Dreieinigkeit unfers Lebens fombotifch angebeus
tet. Wir finden Alles angeregt, worin unfer Leben wurzeit,
denn wie leben fo gut in der Gegenwart als in ber Vergan⸗
genheit und in ber Zukunft, aber biefe drei verfchiedenen Gais
ten unferer Seele flimmen zu einem einzigen Zone zufammen,
wir leben nur in und durch Bott. Was vom Gultus des Ger
nius gerebet worden, vinbicirt Hallmann ale Aufgabe der pros
teftantifchen Kirche. Durch bie Bildniſſe verdienter Maͤnner
gerbannen wir die töbtende Leere, wir geben der Kirche eine
neue Bedeutung, eine neue Anziehungskraft für die Pietät der
Lebendigen und friſchen zugleih im @eifte die alte Bedeutung
der Kirchen wieder auf, als man bie Zodten in ihnen begrub.
Geine weitern Vorſchlaͤge zur Ausſchmuͤckung im Detail
übergehen wir als mehr willlüsid. Im Allgemeinen weiſt
Umann barauf bin, daß bie ganze Anorbnung im Grunde
nommen nur Das ifl, was ſich bei mehren Kichen alter Zeit
. von feibft berausgeftellt hat, nämlich: daß die Kanzel fich ges
wöhnlidh im vorbern Theile, bem eigentlichen Schiffe der Kir
befindet, der Altar feine Stelle hinten im Chor ber Kirche bes
hatten hat, und daß unfere mittlere Halle nichts weiter ift als
die Kuppel, die auf ber Kreuzung bes Haupt» und Rebenarmes
der Kirchen faft immer ihre Stelle hat. Nur den Prebigtraum
fchließt fein Plan mehr ab, um die Stimme des Redenden befs
fer zu vernehmen. Was ben Stil des Baues betrifft, fo laſ⸗
fen das Material des Landes, dad Klima und bie durch die Ems
porbühnen ficy ergebenden mehren Horizontallinien übereinanber
ben byzantiniſchen oder Rundbogenſtil als den paßlichſten und
swedtmäßigften erſcheinen. Er will damit nit die Nachahmung
der plumpen Formen byacntinifcher Zeit, fondern verſteht unter
Rundbogenſtil das vollkommene Durchdringen und Berfchmelzen
des Gewölbe und Bogens mit der horizontalen und verticaien
inte. Gin Problem, weldes in der gothiſchen Architekur, ins
ſofern man den Spigbogen mit ins Syſtem zieht, eine boͤchſt
volllommene , wenn auch einfeitige Loͤſung gefunden, indem die
fer Stit eigentlich nur die Verbindung ber verticalen Richtung
mit dem Gewölbe darftelle. Den Rundbogen mit der Horizon⸗
tale zu verbinden, war das oft uͤberraſchend geglüdte Streben
befonders in Florenz und der Lombardei. An uns fei es, einen
Schritt weiter zu geben. Indem wir einem naturgemäßen
Principe folgten, würben wir, die Bürger unferer Zeit, unwills
fürlich in einer Ausdrucks weiſe uns mittheilen, welche ber Ge⸗
enwart verfländlich ift und ihr angehört. Das übrige ber
Sorift bezicht fi auf die Eocalität am berliner Schloß und
Plag, wo der gegenwärtige Dom bem neuen Piag machen fol.
Weiche Kritik die Theologen barüber fällen, muß abgewar:
tet werben. Die Orthodoxen und Pietiften dürften den Eultus
des Genius nit in das Gotteshaus aufnehmen wollen; Einis
gen wird der Schmuck zu bunt, Andern jede Neuerung gefähr-
ih duͤnken. Der Staat fragt nad) den Koſten. Dod das
wäre bier vielleicht NRebenfache. Der den Bau ausführen ließe,
fragte nur fich felbft. ift das mein Gefchmad oder nicht? Die
Architekten endlich, denen Dr. Hallmann offen den Fehdehandſchuh
binwirft, werden aud jeder ben eigenen Geſchmack befragen
und wenn er mit bem Projecte nicht flimmt, gegen Den nicht
ſchonend fein, ber fie nicht fchont. Schon erhoben ſich man⸗
nichfache Stimmen bagegen. Was die Einzelnheiten der kriti⸗
fen Ausitellungen betrifft, fo ift Hr. Hallmann ber Mann,
der ſich und feine Plane vertpeidigen wird. Auch hoffen wir
von ihm, daß er, friſch und kühn im Schaffen, gegründeten
Einwendungen nicht unzugänglich bleibt. Er Hält ſich hoffent⸗
lich für feinen fertigen, fondern für einen Dann bes Werdens.
So bürfte er, der freie Künftter, auch ohne feindfelige Kritik,
durch den Proceß der eigenen freien Fortbildung zur liberzeus
gung kommen, daß fein Plan einer großen bureaufratifchen
Staatdcaferne, in derfelben Schrift ausgeführt, in deren Mits
ten, wie die Spinne in ihrem (Gewebe, das Staatsoberhaupt
am grünen Tiſche figt, um durch Glasfenfter alle in der Peris
pherie um ihn hangenden Dikafterien zu durchſchauen, und wenn
er Elingelt den Juftigminifter, den Finanzminiſter, den auswärs
tigen und den innern zu errufen — er dürfte, fagen wir, ſelbſt
ſich ügerzeugen, daß ein folder Plan wol für ein großes Staata⸗
Sefängnid, aber nimmermehr für einen germanifden Staat mit
freier Lebensthätigkeit fi eignet und dem wahren Leben wie
der wahren Kunft gleich widerſtrebt. Beiweitem reicher an
ſchoͤnen Gedanken und Anſchauungen ift jenes Kirchenproject,
und wenn ed auch nicht zu Stande kommt, bat es doch, wie
überhaupt die Schrift, dad Verbienft, eine Anregung und Auf:
zegung in ber Kunſtwelt hervorgebracht zu haben, bie ihr noth
that, um fie mit der Bewegung der Zeit au niveau zu bringen.
Ob der Stil feines Doms wirklich ben Spruch rechtfertigt:
Wagen wir wir felbft zu fein, ob nicht vielmehr bie Anklaͤnge
aus Byzanz, Venedig, Moslau und Griedyeniand nody hier und
da fo umvermifcht bavans herverblicken, wie bie
dungen und fcharfen Spitzen in ben Umfaflungslinien und
Zhurmfpigen fi) dem Auge nicht ganz wohltyätig verbinden
wollen, übertaffen wir Anbern zu entfcheiben. Aber bedenklicher
erfcheint uns bie Frage: ob gerade jetzt bie proteftantifche Kirche
fo unabhängig und felbflänbig geworden, daß fie ein Gehaͤufe
bictatorify verlangt, welches formell ihren Geift ausbekte?
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Soufin hat fich feit einiger Zeit mit einer Durchſicht unb
Vergleichung ber Danuferipte von Pascal’ „Pensses’ befaßt.
Gleich bei einem flüchtigen Blicke war es ihm aufgefallen, wie
fehr die Manufcripte des großen Denkers von dem Gebrudten
abwichen. Die verfchiebenen Lesarten, bie fich auf biefe Axt
ergaben, waren zum Theil ſehr wichtig und betrafen nicht bloß
den Stil, der von ben Derausgebern oft ſchaͤndlich verunftattet
war, fondern der Sinn felbft Hatte nicht felten unter diefen
Veränderungen gelitten. Namentii waren beim Abdrucke
viele Stellen, wo fi der Groll Pascal's gegen alles Phitofo-
phiren oft ungeflüm Luft macht, bedeutend gemildert. Goufin
bat fi der mübfeligen Arbeit mit vielem Fleiß unterzogen.
Einen Zheil ber Ergebniffe derfelben hatte er bereits im ‚Jour-
nal des savants’ veröffentlicht; die ganze Arbeit aber, bie ex
bereit6 dem Inftitute vorgelegt bat, wird binnen kurzem
im Drud erfcheinen. Die Ginleitung, die Goufin dazu ge
fhrieben hat, wird ein großes Interefie bieten. Der
Philoſoph, ber neuerdings, befonders vom religiöfen Standpunkte
aus, fehr lebhafte Angriffe zu erdulden gehabt Bat, wird im
berfelben, wie es heißt, gegen feine Rechtgläubigfeit proteftiren
und zu gleicher Zeit die Vorwürfe zu entlräften fuchen, bie in
neuerer Zeit nady dem Vorgange Pascal's und Lamennais’ gegen
alle Philoſophie erhoben find.
Unter den zahlreichen franzoͤſiſchen Überfegungen, bie
alle Zage von den Meiſterwerken des Auslandes erfcheinen, verbie
nen die „Chefs-d’oeuvre du theätre espagnol”, von Damak
Dinard, befonders heroorgehoben zu werben. Diefe Bearbeitung
ift zum Theil ſehr gelungen. Sie fiheint nach bem befannten
„Lesoro” von Eug. be Dcyoa angefertigt zu fein; indeſſen
fügt ſich der Verf. in feiner intereffanten Ginleitung meiftens
auf eigene, fehr umfaflende Studien der fpanifchen Literatur.
Außerdem führen wir bier gleich eine fehr Ihägbare Bearbeitung
der Briefe bes Lords Chefterfielb von Amabde Rende in zwei Baͤn⸗
ben an, bie ebenfalld wegen ber ſehr intereffanten Cinleitung
empfohlen zu werben verdient. Diefelbe war bereitd vor ber
Veroͤffentlichung der beiden Bände in der „Revue de Paris“
abgedbrudt und hatte ſchnell bie Öffentliche Anerkennung gefun«
den. ende, der ſich durch mehre geiftreiche Auffäge in derſel⸗
ben Zeitfehrift befannt gemacht bat, entwieft in diefer Einleitung
ein fehr belebtes Bild vom Schreiber biefer Briefe. Er ſchil⸗
dert zu gleicher Zeit das Jahrhundert, in dem berfelbe Lebte,
und beleuchtet namentlich die geſellſchaftlichen Werhättniffe von
England und Frankreich. Die Uberfegung felbft ift ganz fo,
wie es dieſe geiftvolle und glänzend gefchriebene Ginlsitung er⸗
warten läßt.
Bon ber befannten „Biographie universelle”, bie ia
ihrer Art einzig bafteht, wird gegenwärtig eine neue Ausgabe Dorbes
reitet. In derfeiben werben hoffentlich die Artikel, die fich in den
Supplementbänden befinden, an Drt und Gtelle eingefchaltet
werden. Das Werk wird dadurch weſentlich gewinnen. Außer⸗
bem follen einzelne Partien neu gearbeitet und verbollfiändigt
werden. Wünichenswerth wäre ed, wenn die gar zu legiti⸗
miftifche Farbe, die namentlich bei allen auf die franzöftfche ter
— bezuͤglichen Artikein hervortritt, etwas verwiſcht so
den koͤnnte. .
Berantwortiiger Herausgeber: Ler.rim Brodbausd. — Drud und Berlag von 8. U. Brochaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
25. Februar 1843.
Charakter und Stellung der franzöfifchen Literatur
feit 1830.
(Belbluf aus Nr. 58.)
Es gibt allerdings franzöfifche Autoren, auf die das Bes
fagte feine Anwendung findet und bie, wie H. Garnot,
9. Lerour, 3. Reynaud, V. Confiderant, fogar eine mo:
raliſche Kraft umd liberzeugätreue haben, weiche in jedem
Sale Achtung einflößt ; aber im Ganzen und Großen iſt Leider
nur zu wahr, dag Wiſſenſchaft, Literatur und Kunft in
Frankreich meiftene bios auf Erwerb ausgehen, dab fie
hier aus den Höhen der Philoſophie ober der hiſtoriſchen
Weltanſicht Hinabfleigen, um fih an ein Tagsintereſſe zu
verkaufen, und daß fie dert, aus dem Pfuhl der Gemein:
heit auffieigen», fabritmäfig getrieben werden und man
Bäder wie Schuhe und Hüte macht, die oft weniger
werth find als die Fabrikate eines befcheidenen Schufters
oder Hutmachers. Dieſer Misbrauch ift eine Folge der
mit der zunehmenden Gleichheit eingeriffenen Gemeinheit,
die in Franukreich unter den jehigen Verhaͤltniſſen mehr
iu Haufe iſt als anderswo, und verhaͤltnißmaͤßig noch
nirgend weniger als bei den deutfchen SSdeologen unb
Phantaften, die wegen ihrer unpraktifchen Speculationen
md Zräumereien in Frankreich berüchtige, ſpruͤchwoͤrt⸗
lich und verfpottet find. Trotz aller Corruption hat das
gelehrte Deutſchland noch jene adelige Sefinnung bewahrt,
die etwas denkt, ſchreibt, thut, nicht um des Erwerbs
oder zeitlichen Vortheils wegen, fondern aus Wahrheits⸗
rang, aus incontinentia opinionum et verborum, aus
Saprice oder meinetwegen aus Narrenfreiheit, und es wäre
eine Verleumdung, wenn man zweifeln wollte, ob dieſe
geniale Unabhängigkeit in unferer Literatur noch obwalte.
Die franzöfifche Literatur iſt dagegen faft ganz in ge
wöhnlie Tags» und Lebensintereffen aufgegangen und,
anftatt ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu bewahren, in
Krechtſchaft und Unterwärfigkeit gerathen; von hoͤhern
Jntereſſen losgerifien und mit Bott zerfallen, feöhnt fie
as feile Magd der Welt, der Mode, der Eitelkeit und
dem Luxus. In einem Lande, wo die Autoren mit nai⸗
ver Frechheit nicht nur untereinander, fondern auch dem
Publicam fagen: „lalitterature est une question d’argent”,
und wo der größere Theil der Gelehrten diefe profund
realiſtiſche und utilitariſche Anfiht in Bezug auf die
Wiffenfhaft theilt und -praktifiet, indem die Majoritdt
der Univerfitäts: nd Gpmmnafialprofefforen die Wiſſen⸗
[haft entweder zu einem Mittel für politifches Avance:
ment macht, oder einfach als milch: und brosgebende Kuh,
als eine Derfergung betrachtet: — in einem foldhen Lande
ift es nicht zu verwundern, wie das Publicum den Dich:
ter mit jedem andern industriel qui exploite un metier
auf gleihe Stufe und einen Band Gedichte, ein Drama
oder einen Roman mit jeder andern Waare in gleiche
Kategorie ſtellt, umd wie die Öffentliche Meinung daſelbſt
nach eigenem Geftändniß in der Wiffenfhaft und Kunft
nur einzelne der vielen Zweige. der Induſtrie fieht und
gar keine Ahnung daven hat, daß ein Geſchichts⸗ oder
Maturforfcher, ein Dichter oder ein Philofoph, ein Ma-
lee oder ein Bildhauer vieleiht aus andern Anteicben
fein „Geſchaͤft“ streiten kann als ein Muͤtzen⸗ oder
Strumpffabrilant das ſeinige. Dadurch bat die Litera⸗
tue in Paris an mercantilifcher Wichtigkeit ungemein
gewonnen, aber an focialer Bedeutung fehr. viel verloren.
Für den Schriftfieller, der mie Xalent- Savoir faire ver⸗
einigt, kann hier zw Sande das Literarifche Gewerbe eine
Duelle der Wohlhabenheit, ja felbft des. Reichthums wer⸗
den: Coxneille war ein armer Teufel, einen feiner Lande:
leute, der ihn befuchte, nahm er mit fi zu einem Schu:
fer, bei dem er fich die zerriffenen Stiefeln fliden Lieb;
heutzutage halten ſich Die winzigſten Vaudevilledichter
Grooms und Garroffen, Scribe hat Höteld und Luft:
fdiöffer; der fublime Maler der römifhen Größe war
dürftig: und groß im Leben, wie die Helden, die er ſchil⸗
derte, die heutigen Romanfchreiber find uͤppig und ſchwel⸗
geriſch wie ihre Werke und die Marquis des ancien
regime. Wie ungeheuer die Deren audy honorirt werden
(Balzac erhält vom „‚Siecle” für jedes Feuilleton 200,
Freéderie Soulid von dem „Journal des débats“ 300
und Eugene Sue fogae 500 France), aud die größte
Einnahme reiht für eine oft finnlofe Verſchwendung
nicht aus. Dat doch 4. Dumas auf feine verunglüdte
Tragödie ‚‚Caligula ” eine goldene Dentmünze fchlagen
laffen (ein wahrer Caligula » Einfall!) und in der Bluͤ⸗
tenperiode feiner Dramen Feſte gegeben, die ihm auf
49 — 50,000 Francs zu fiehen kamen, und von Balzac
ift befannt, daß er neben feiner eigentlihen Wohnung
lange ein verborgenes Stübchen in einem engtlegenen Vier:
282 |
tel von Paris miethen mußte, wo ibn Niemand finden
tonnte, wenn er Ruhe haben und arbeiten wollte. Seine
drängenden Gläubiger, fcheint es, haben ihn am Ende
doh gefunden und fein Landhaus in Ville d’Aoray,
die famöfen Jardins, verfteigern laſſen, fodaß dem be:
ruͤhmten Romanſchreiber nichts weiter übrig geblieben
fein foll als ein Gut bei Berch, das nicht unter feinem,
fondern unter dem Namen einer Freundin im Hypothe⸗
kenbuch eingetragen ift und circa 20,000 Franes ein:
bringt. Nicht bloß die Momanfchreiber unter den Mode:
ſchriftſtellern, ſelbſt Kritiker und Überfeger bereichern ſich.
Dem Lodve-Veimars haben feine Übertragungen von Hoff:
mann, van der Velde, Zſchokke, Spindler u. A. einen
Seneralconfulpoften, wenn ich nicht irre, in Bagdad ein»
getragen, und Difauconpret bewohnt in der Chauffee
d’Antin einen gar zierlihen Pavillon mit gothifhen Seſ⸗
fein, türlifhen Teppichen und chinefifhem Porcellan, wel⸗
hen ihm Walter Scott, Byron, Cooper und die andern
englifhen Schriftfteller, bie er überfegt oder traveflirt,
ausmenblict haben. Bei Jules Janin berrfcht ein orien:
talifcher oder richtiger ein regentfchaftlicher Kurus; da
duften die feltenften Blumen, da funkeln die reichflen
Meubles, da glänzen in buntem Gemifch die wunderlich⸗
ſten Kunſtſachen, und inmitten diefer Derrlichkeiten ruht
der Recenfent auf der Gaufeufe, gibt den Autoren,
Künftlern und Buchhändlern Audienz und antwortet den
Supplicanten, die einen Arikel für ihre Werk oder Bild
von ihm haben wollen: ‚‚C’est trois cents francs, au
juste.“ Directoren von Revuen umlagern ihn; jedem
wirft er ein Blatt hin, jedes nach dem Geſchmack der Lefer
des Journals, wofür es gefchrieben. Wollt Ihr Wein,
Janin ſchenkt Wein; ift der Rum beliebt, Janin gibt
Eud Rum; ſeid Ihr zur Waſſercur verdammt, Janin
ſervirt Euch Waſſer und das kalt oder warm, nah Be:
lieben und Bedürfniß, zu feften, aber hohen Preiſen,
ſtreng nach der Taxe und dem Preisverzeichniß; ein Pro:
fpectus ift am theuerften. Ich tadle Janin um fo wes
niger, da er fih auf dieſe Weife ein jährlihes Einkom⸗
men von 40,000 Francs erfchreibe. Seinen Ruhm
fördert ec dadurch freilich nicht; aber was liegt daran,
ob die Seifenblafe ein bischen länger oder ein bischen
fürzer fhimmert? Sie zerplagt am Ende doch, und wenn
man es beim Lichte betrachtet, fo hat Janin doch kein anderes
Talent, als feinem Publicum ein wenig Roſſini'ſche Muſik
aufzufpielen.. Ich finde es ganz in der Ordnung, daß
Hr. Scribe mit feinen Komödien und Vaudevilles jähr:
lich fo viel verdient als Hr. Humann mit feinen Trade
und Pantalons, nämlihd 100,000 Francs; denn, wie
Hr. Humann, ift Hr. Scribe ein großer Schneidermei:
fier, der eine ganze Heerde Gefellen hat, denen er ihre
Arbeit zufchneidee und der für die vornehmften Kunden
zuweilen auch ganz allein einen Rod made. Wie billig
hat der Meifter den größten Berdienft.
In den höhern geſellſchaftlichen Kreifen macht das
Auftreten diefer opulenten und eleganten Autoren bier
nur nod wenig Effect und Ändert wenig an der Rich:
tung des allgemeinen Geſpraͤchs; kaum, daß eine Banquiers⸗
frau den Kopf herumdreht, wenn ber Bebiente den Na⸗
men eines berühmten Dichters in den Salon ruft. Als
die Literaten noch arm waren und in Iuftigen Dahftüb-
hen lebten, machten ihnen Könige den Hof und Vor—
nehme die Aufwartung; anftatt nad Ruhm und Aus⸗
zeichnung zu laufen, liefen Ruhm und Auszeichnung
ihnen nad. Seitdem fie aber aus ihren Bodenlammern
in die Beletage binabgezogen find und felbft glänzende
Soirden geben, haben die Kürften fi mit ihnen über
worfen und find die Meichen ihnen oram geworden; ans
flatt, wie der alte Geburtsadel, fih in eigener Perfon
zu einer titerarifchen Gelebrität hinzubemuͤhen und bdiefelbe
mündlich infländigit zu bitten, einen Cirkel mit ihrer
geiftreihen Gegenwart zu verfchönern, ſchickt der neue
Geldadel den gleichzeitigen beruͤhmten Autoren feine bes
teeßten Lakaien mit lithographirten Einladungsbillets,
worauf zu leſen, daß Herr und Frau N. N. die Ehre
haben werden, Herrn P. P. an dem und dem Abend
zu empfangen.
In den Salons hat die Literatur der Politik weichen
müffen. Bor Einführung der repräfentativen Regierungs:
form fand es anders: ba waren bie Literatoren nit
blos Unterhaltungsfchriftfteller, da war die Oppofition in
der Kiteratur. Rouffeau, der nichts mit dem vornehmen
Volke zu thun haben wollte und ſich auch mit der gan:
zen Philofophenclique bald überwarf, hatte zwar in ben
Salons wenige Anhänger; aber Boltaire, Diderot, Grimm,
Saint: Lambert, Naignon (Diderot's Affe), d'Alembert,
Helvetius, Holbach wurden enthuflaftifdy fetirt und als
die Mohlthäter der Menfchheit angefehen. Seit der Auf:
hebung des Jefuitenordens fegten es die Philofophen durch,
ihre Geiftesgenofien an die Spige der Schulen zu brin⸗
gen, und feit 1760 gelang es d'Alembert, daß kein Menſch
mehr im die Akademie gewählt wurde, der nicht für einen
wadern Freigeiſt paffiren konnte. Kurz, alle Welt wurde
„Pbilofoph”. Mit welchem Eifer man die philofophifche
Auftlärung betrieb, davon gibt Voltaire's und d'Alem⸗
bert's Correſpondenz Zeuyniß, indem bdiefelbe berichtet: es
hätten über 1000 Federn und 100,000 Stimmen gleidhe
zeitig in ganz Europa gegen die Misbräuche und Vor:
urtheile gefämpft, 60 Bände wären allein in zwei Jah—⸗
ven in Holland gegen den chriftlihen Aberglauben und
Wahnwitz gedrudt worden, alle Leute von Bedeutung
dachten wie die Philofophen und das Licht dränge ſchon
ins Bolt; von Genf bie Bern fände man keinen Chri⸗
fien mehr, in England lebten faft nur noch Socinianer,
in Schweden triumphire unter dem Schug des Königs
und der Königin die Vernunft Uber die Geiſtlichkeit, und
von Baden bis Moskau fei kein Buch mehr in den
Händen der Jugend als die Schriften der Philofophen ;
namentlih werde man in ganz Deutfchland vergeblich
einen Fürften fuchen, der nicht den neuen Grundfägen
huldige u. f. w. Dean fiehe, die EncyHopädiften regten
damals alle die Leidenfchaften auf, die heutzutage nur
im Sturmwinde mwogen, der von ber Rednerbuͤhne her:
abbrauſet. Wenn Guizot oder Thiers in der Sammer
eine entfcheidende parlamentarifhe Schlacht gewinnen, fo
Bud Abends ihre Receptionen wahre Dvationen, und men
muß den Franzofen Gerechtigkeit widerfahren lafien, «6
geſchieht dann nicht fowol, um den Hof zu maden, daß
fie Weihrauch zu den Füßen der Excellenzen brennen;
intellectuelle uperiorität in einem Staatsmann oder
Redner erkennt im Durchfchnite die Marion willig an
und huldigt ihr ohne Nebenabſicht, während fie fonft
nicht leicht etwas thut, wobei fie keinen Nugen bat ober
hofft. Und weicher Jubel im Kaubourg Saint⸗Germain,
wenn Berryer mit frifch gebrochenen Palmen gekrönt ers
ſcheint! Die fhönften Augen fenden ihm die feurigften
Blicke zu und die alten Marquiſen umarmen den berebd:
ten Roturier. Wir wollen damit nicht fagen, daß der
Iterarifhe Ruhm ganz verfannt werde; es iſt für viele
Cirkel eine große Auszeichnung, wenn die Dame des
Haufes fagen kann: „Nous aurons ce soir M. de La-
martine”’, ober: „Voici M. Victor Hugo qui entre.”
Lamartine iſt in dieſer Dinficht der glücklichſte unter al:
ten Literaten; er hat eine Menge Mittel, feinen Ruf
wieder anzublafen, wenn er merkt, daß er etwas erkaltet
und im Verglimmen iſt; geht es mit der Profa nicht,
fo wird ein Gedicht in die Welt gefchide, und find die
Berfe vergeffen, fo kommt eine Rede in der Kammer
oder in einer Provinzialalademie zu Hülfe. In der ge:
feßgebenden Berfammlung des Palais Bourbon zeigt er
ſich ſtets ſehr fanfe und milde, herablaffend und po:
pulair; zu Hauſe aber und in ber großen Welt fpielt
Lamartine den grand Seigneur und den erften Philoſo⸗
phen feiner Zeit; doch laͤßt Niemand fein Eis im Löffel
fehmelgen, um feinen Orakelſpruͤchen zu laufchen. 27,
Romanenliteratur.
li. Der Karthäufer. Aus dem Ungarifchen des Joſeph Brei
bern von Eötvds. Deutih von Hermann Klein.
Zwei Bände. Peſth, Heckenaſt. 1842. 8. 3 Thlr. 15 Rgr.
Auf einer Reife in der Dauphiné befucht der Werf. das
Kartpäuferkiofter in der grande Chartreuse, wo eben ein juns
ger Mann in Begleltung eines Ältern Freundes angelangt ift,
um in den Orden zu treten. &päter kommt der Verf. in Brief
wechfel mit diefem Ältera und dadurch in Beſttz der Papiere,
weiche die innere und aͤußere Geſchichte des jungen Mannes ent»
hatten. Diefe Introduction ift fehr gewoͤhnlich und Eonnte übers
haupt fuͤglich ganz wegfallen, da fie doch eigentlich zum Wer»
ſtaͤndniß des Ganzen nichts beiträgt und überhaupt nichts be:
weil. Davon abgefehen aber, begrüßen wir das Bud als eine
werthvolle Erſcheinung und wollen, wie das bei den Recenſen⸗
ten hergebracht zu fein pflegt, daſſelbe ſogleich in ein angemel»
fenes Fach, nämlich in das der didaktiſchen Romane, regiſtri⸗
m, Es gibt kaum ein Verbältniß der Lebensthätigfeit, wor:
über der junge Karthäufer ſich nicht ausfpräde, aus welchem
er nie Stoff zoͤge zur Begründung feines Abſchieds von der
Welt, wnd insbefondere find es die hoͤhern Kreife der Gefell:
ſchaft, von denen er felber ein Zweig, die er in ihrer nanzen
Nacktheit darftellt. Bon der Freundſchaft hintergangen, von der
kiebe betrogen, von der Berleumdung gegeißelt, flärzt er fich in
die Gemeinheit des Lebens, zieht ein junges, liebenswürdiges
Maͤdchen, Berti, aus ihrem flillen, reinen Himmel — denn «6
t eine Wette von 1000 Napoleonsbor — in den Orgienpfuhl
einer Genoffen, und eben bier ſchreckt er empor mit einem
Blick auf die ganze Richtigkeit feines Dafeind. Er erkennt, er
babe das ewige Geſetz der Natur übertreten: „Die nicht lieben,
werben nicht gluͤcktich fein"; er erkennt: „daß wir den kleinen
Kreis, worin wir Heil und Gegen verbreiten fönnen, mit gan⸗
see Geele lieben, daß, indem wir für bie Wohlthaten einer gans
sen Melt verpflichtet find, wir die Wenigen, ‚die uns nahe ſtehen
und außer welchen wir keinem Andern unfere Schuld abtragen
koͤnnen, ganz begiüden mäflen”; er erkennt: „daß ex nichts
Gutes gewollt, nichts Gutes getban, daß er ein feiger Selbſt⸗
ling war.” Das Alles ift freilich kein Brund, Karthäufer zu
werben, allein wir wollen darüber mit dem Verf. nicht rechten,
wir wollen dem Freunde bes Unglüdiichen feinen Vorwurf dars
aus machen, daß ed ihm nicht gelang, den jungen Verirrten
auf den Weg einer thätigen Buße zu führen, denn er ift krank
an Leib und Seele und ſcheidet in friner flillen Klaufe ruhiger
vom Leben als draußen, wo ber Gedanke an feine Unfähigkeit,
irgend Etwas zu fein und zu thun, ihm vielleicht zu einer
neuen Folter geworden wäre. Glanzpunkte des Buche find die
Geſchichte Julien's und Betti's; fodann die Naturanfdhauung,
die ſelbſt das Kleinfte, Zaufenden Entſchluͤpfende ſymboliſch vers
geiftigt; endlich bie veine ſchlichte Großartigkeit der Gefinnung,
welche durchweg zu Zage gelegt if. Die Charakteriſtik iſt wahr
und tritt vorzüglich in den beiden Mädchen, in Julien's Water,
in Dufen und einem alten, in Grund und Boden verborbenen
Marquis hervor. Auffallend tritt der Deutfche uns entgegen.
Er ift ‚mit Allem fertig in der Welt und darum zu voher
Gleichguͤltigkeit erſtarrt, ſelbſt im wuͤſten Gelag. Er ſpielt
gluͤcklich, Jeden ohne Unterſchied plündernd, und nicht ein Baar
breit tritt er über die Grenze feiner Gleichguͤttigkeit, wenn ber
Seplünderte ſich eine Kugel durch den Kopf jagt. Es gibt als
lerdings dergleichen GSreaturen auch unter den Deutfchen; allein
bier iſt es befonder6 hervorgeboben, daß ber Menfch ein Deuts
F ſei, ohne daß wir erfahren, warum er nun eben das ſein
muͤſſe.
2. Albrecht Beyling und feine Zeitgenoſſen. Original-hiſtoriſch⸗
romantiſche Schilderung aus dem Kriege der Honcken und
Kabliauen von H. E. Dreffelhbuts. Aus dem Hollaͤndiſchen
von J. D. von Bétaz. Drei Theile. Lemgo, Meyer.
1842. Gr. 12. 3 Thir.
Was bie deutſchen Überfeger uns bisher von der neuen hol⸗
laͤndiſchen Romantik zugeführt haben, feibft einen van den Hage,
tonnten wir füglich entbehren. Aber es ift geradezu eine Beleis
bigung des deutfchen Publicums, wenn man feinen Glauben
am norbhäufer Fabrikat zu erfhüttern verfudht, wie es durch
diefen „Albrecht Beyling“ offenbar geſchehen ift. Der Berf. ift
todt und feheint nach einigen im Buche vorkommenden Katechis⸗
musphbrafen ein recht guter Menſch geweſen zu fein: das ift
aber viel zu wenig für einen Romanfchriftftellee, der, troß feis
ner biftorifhen Aufgabe, aus der Geſchichte wol fo viel wiſſen
fonnte, daß, da die Beitgenofien feines Romans dem 14. Jahr⸗
bundert angebören, es einem bderfeiben nicht geftattet werden
durfte, von Eoyola zu reden, welcher befanntlidy erft ein gute
gezähttes Jahrhundert fpäter geboren wurde. Den Lauf der
Handlung nachzuweiſen, halten wir bier für völlfg unndthig; von
irgend einer Begruͤndung berfelben, oder Deſſen, was bei an⸗
dern Romanen Charakter der Perfonen genannt wird, fann hier
keine Rede fein. Wer Neigung bat, eine Probe zu feben, leſe
8. 140 im erſten Theile die Echilderung Albrecht Beyling’s.:
Ref. bat fi ſchon länger bei dem Buche aufgehalten. als es
verdient; wie ed aber nicht oft und dringend genug wiederholt‘
werden fann, daß wir dor unfern eigenen Thuͤren ſchon genug.
zu kehren haben, alfo bes fremden Unraths nicht bedürfen, fo-
muß Ref. auch noch einer täglich wiederkehrenden Phrafe geden⸗
ken, die auch der Herr Überfeger im Vorworte aufiwärmt, der
nämlich: das Buch koͤnne unbedenklich Jedem in die Hand ger
geben werden. Nach taufendfältigen Grfahrungen bat ſich dem
Ref. die Überzeugung herausgeftellt, daß dieſe Phrafe neunhuns
bertneunundneunzigmal ale eine Warnung für den Lefer betrach⸗
tet werben müffe, und bier ift fie von neuem auf das büns:
digfte beftätigt. Ein Bud ohne irgend eine tuͤchtige Geſinnung,
ohne allen Charakter, in einer Tertianerſprache gefchricben.
22.
und in .einer überſezung gegeben, bie jeher rechtlichen Kumbe
deu deutſchen Sorache entbehrt, taugt für Keinen, unb wenn
es auch nicht gerabegu bie Moral vergiftet, fo wird fie bod
auch nicht geläutert, und bas if oft ſchlimmer als eine Ber
siftung |
3. Emerentia. Sin Roman aus bem mobernen Leben von
Mad. Ancelot. Aus dem Franzoͤſiſchen von DO. von Bir;
8 ned. Zwei Theile. Leipzig, Beyer. 1842. 8. 2 Thlr.
Ror.
Emerentia ift die zarte Feucht einer Relgung, wie fie, raſch
entfianden und ſchnell vorübergehend, ſich oft fm jenem Streife
findet, ber fich vorgugsweife „die WBelt”’ gu betiteln pflegt.
Sie wird von einer Freundin dee Mutter erzogen, und Autos
nin, ein junger Mann mit vielen Anfpräden und wenigen Auss
fiehten, ift der Gedanke ihres Herzens. Antonin will nach Pas
ris, er will wirken, fleigen, die Welt verbeſſern, fchreibt ein
Bud, erfhheint in vielen Salons, kommt in Berhältniffe, die
ihm Gmerentia entfremben und diefe endlich zu dem Entſchluß
dee Sntfagung führen. Sie unterliegt den Qualen ihres ſchoͤ⸗
nen Herzens und flirbt in ben Armen Deffen, der doch nie auf:
gehört hat, fie zu lieben. Das Buch predigt die alte Wahrs
beit, daß wahres Glück nur da gefunden werde, wo ber Menſch
ſich in den möglichft einfachften Verhältniſſen mit reinem ents
fchiedenen Sinne zu erhalten weiß. Doc wird diefe Wahrheit,
wie mannichfady die Gituationen auch find, welche fie begrüns
den follen, nicht eben anfchaulih gemadt. Es verfhmimmt
Altes, es ift verblafen, es fehlt an irgend einer wahrbaften
Tdatigkeit, welche uns bei dee Ball: und Satlonfaulienzerei
feſthalten könnte. Vorzuͤglich iſt der erſte Theil Leer, der faft
nichts gibt als Anflalten zur Reife nach Paris; nur gegen das
Ende deffelben werben wir durch eine Epifode gefeflelt, die wir
für das Beſte im ganzen Bude Halten. GE ift die einfache,
tiefergreifende Lebens: und Leidensgefchichte der Frau von Ba:
lincourt, Smerentia’s Pflegemutter, die wol eben deshalb fo
unmittelbar anſpricht, weil die Verf. aus ihrem eigenen eben
berausfpricht. Der zweite Theil iſt lebendiger, doch zunaͤchſt
nur durch die mitteld der politifchen Dialoge berbeigefährten
Gegenfäge. Im Bangen Eonnten wir das Buch entbehren ; da
es aber einmal überfegt und fehr gut Überfegt ift, fo wird ber
Leſer eben Leinen Grund finden, feine Bekanntſchaft mit dem:
felben zu bereuen. 24.
Literarifhe Notizen.
Eine auf dem Gebiete der Philofophie ermähnenswerthe Er:
fyeinung find bie „Fragments philosophiquen“, von dem Mar⸗
quis Guſtave de Cavour. (Zurin 1841). Stalien hatte bis
auf die neuefte Zeit lange nur wenig Antheil an der Bewegung
der Ideen genommen. Es ſchien mit ben Lorbern zufrieben,
die es auf dem Felde der ſchoͤnen Künfte, der Geſchichte, der
Philoſophie der Geſchichte und der Staatswirthſchaft gefams
melt hatte, und bekuͤmmerte ſich faſt gar nicht um die hoͤhere
Phitoſophie. Man hätte fagen ſollen, die Speculationen dieſer
hoben Wiſſenſchaft wären dem Geifte feiner Einwohner zumiber.
Aber wenn fo geurtheilt worden ift, fo proteflirt es jett dage⸗
gen. Gatuppi im Süden, Rosmini im Norden dieſer Halb⸗
‚infel verbreiten da ein Licht, wovon vorher nur ſchwache Strah⸗
len in ihre Atmofphäre eingedrungen waren. Zu ben Ramen
ber Philofophen, welche ſich als Schüler cher Nebenbuhler die
fer Männer auszeichnen, bat nun Guftave Cavour den feinigen
hinzugefügt. Schon durch feine Opfer für das allgemeine Wohl
ebrenvoll befannt, erwirbt er ſich durch feine phitofophifchen
Fragmente ein neues Recht auf die allgemeine Achtung. Der
Zitel feines Buches kündigt zwar nur Bruchſtuͤcke an, aber
diefes Wort will bien nicht fagen, daß es feinem Werke an
Einheit fehlt. Nah Dem, was uns ber Birf. in ber Vorrede
fagt, find dieſe getrennten Stüde nadyeinander und unter ber
eines Gedankens geſchrieben und als helle eines
Herrſchaft
pꝓhiloſophiſchen Syſtems zu betrachten. Die Idee, an bie ſich
dieſe Fragmente ſchließen, iſt nichts Geringeres als die große
Aufgabe der Philoſophie ſelbſt, der Urſprung und die Legitimi⸗
rung der menſchtichen Glaubenkuͤberzeugungen. Nach einigen
vortäufigen WBemerfungen über ben Z3weck und bie Wichtigkeit;
fowie über den Gang und den allgemeinen Charakter der. phiſo⸗
phiſchen Wiffenfchaften, orbnet der Verf. feine Gedanken unter
vier Hauptpunkte, weiche das Werk in ebenfo viele Theile
trennt: 1. Gefchichte ber neuern Philofophie, 2. Skizze der
metaphyſiſchen kLehre des Abbate Rosmini, 3. Verſuch über die
Natur des ſittlichen Principe und 4. Betrachtungen über bie
Philoſophie des Chriftenthums. Der erſte Theil enthätt eine
kurze, von Eritifhen Bemerkungen begleitete Darlegung ber
Kundamentalgrundfäge von Gartefius, Rode, ber ſchottiſchen
Säule, Kant und dem frangöfifchen Eklekticismus. Der zweite
Theil enthält, wie ſchon bemerkt,. die Phitofophie Rosmini’s,
die rein ſpiritualiſtiſch iſt und angeborene Ideen, namentlich bie
Idee des Seins, als folde annimmt. Im dritten, vom Mos
ralprincip handelnden Theile flellt Cavour die Behauptung
auf, daß es einen wefentlidhen Unterfchieb zwiſchen den moralis
fen Grunbfägen und den fpeculativen Ideen, zwifchen der
Liebe des Guten ober dem fittlichen Geiſt und der Erkenntniß
bes Guten oder der fittlihen Idee gebe. Erkenntniß und Liebe,
Theorie und Praxis, Verſtand und Wille, fagt er, feien nicht
identifche Dinge; die Erfahrung lehre, daß es Menſchen gibt,
die über Recht und Pflicht ganz vortrefflich fpredyen, aber nicht
darnach handen. Doch iſt der Unterfchieb Feinesivegs ein abfos
luter, wie Gavour anzunehmen feheint. Dem widerfpridgt bas
Sewiffen. Es gibt demnach keinen wefentlidyen Unterfchieb zwis
fhen der Erkenntniß des Guten und dem Begriff der Sittiich⸗
keit und ber Liebe des Guten oder dem fittlihen Geiſt. Im
dem heile feines Werts, welcher von ber Metaphyſik tes Abs
bate Rosmini bandelt, erfennt der Verf. die Vernunft im Mens
fhen als hoͤchſtes Princip an. Im Verſuch über das Morals
princip läßt er den Urfprung des Unterfchieds vom Guten und
Böfen hinauffteigen bis zu dieſer reinen Vernunft, die er aners
kannt hat; aber er leugnet das Dafein einer eigentlich fogenann«
ten morxalifhen Vernunft und fest an ihre Stelle die fpeciale
Dazwiſchenkunft der Gottheit ober eine Offenbarung. Gr folgt
bemnady in biefen beiden Theiten feines Werks. zwei entgegens
gefegten Richtungen: zuvoͤrderſt ſtellt er die Rechte der menſch⸗
lichen Bernunft feft und nachher beſchraͤnkt er dieſelben hinficht-
lich der Moral. Im vierten Theile feines Werks, wo er von
ber Philofophie des Chriſtenthums handelt, hätte er einer der
beiden angegebenen Richtungen folgen können. Wäre er der
zweiten gefolgt, fo wäre er ganz in das theologifche Syſtem
eingetreten. Dies hat er aber weislich vermichen. Er beflimmt
ganz genau die Befugniffe der Vernunft und bes Glaubens.
Er trennt ſich unverhohlen vom theologifchen Syſtem; benn das
Princip diefes Syſtems ift, daß. der Glaube den Vorzug bed
logiſchen Eherfeins vor der Vernunft bat und mithin gang uns
abhängig von ihr ift, woraus bervorgeht, daß das Ungerrimte
einer Lehre, .die fih mit dem Charakter einer Offenbarung dar:
bietet, Tein Beweagrund fei, die Wahrheit berfeiben in Zweifel
zu ziehen. Der Verf. laͤßt uns hoffen, daß feine philoſophiſchen
Bruchſtuͤcke nur der Vorläufer eines wichtigen Wertes find. 16.
Das Gefaͤngnißweſen ift gerade in neuefter Zeit in unzaͤh⸗
ligen Schriften beſprochen worben. Gine gute Überficht ber ver:
ſchiedenen Syſteme, die in Beuug auf diefe Frage aufgeftellt
find, gibt die „Ethnographie des prisons”, von Marquet:
Baffelet. Die eigene Anfidht bes Bert. diefer Schrift anbetref:
fend, fo verwirft er das Philabelphi'ſche Syftem als barbarifch,
das Auburn'ſche als inconfequent und unlogiſch und bringt ein
modificirtes Ifoltrungsipftem in Anregung, ben er den Ramen
des franzöftfchen gibt. 2.
Berantwortlicher Herausgeber: Heintich Brokhaus. — Drud und Berlag von F. A. Brodhauß in;Betnsig.
Blatter
für
literarifde Unterhaltung.
Sonntag,
’ 3weiter Artikel.)
1. Der Dom zu Köln. Bon 3. Benedey. Buchdruckerei und
Berlagsbandiung in Belle⸗Vue bei Konftanz. 1842. Ler.:8.
17% Nor.
Der Verf. obiger Broſchüre ift nicht unbekannt in
Deutſchland. Er lebt als deutfcher Fluͤchtling in Paris
und war wahrſcheinlich in frühere revolutionnaire Umtriebe
verwickelt. Trotz feiner Entfernung aus Deutichland hat
er fi doch immer als warmer Freund feines Daterlandes
gezeigt. In der „Phalange”’ vertritt er mit Entſchiedenheit
die deutichen Intereſſen und den beutfchen Charakter; es
iſt nicht zu verfennen, daß er die Deutſchen für ein tie:
feres und edleres Volk hält ale die Franzofen, und daß
er uns eine erhabenere Rolle in der MWeltgefchichte an:
weiſt als jenen. Warum er trogdem nicht nach Deutfch:
land zuruͤckkehrt, warum er von der Amneſtie, die der
jegtge König von Preußen bei feinem Regierungsantritte
erlaffen, keinen Gebrauch gemacht hat (Venedey ift preu⸗
fifher Unterthan, ein geborener Kölner), wiffen wir une
nicht zu erklären.
Es iſt gewiß fehr vitterlich, in einem fremden Lande
ald unverzagter Kämpe für fein Volt Langen zu brechen,
noch dazu, wenn man fo allein fleht umd der Gegner
unzählige find; aber, aufrichtig gefagt, kommt uns eine
ſolche Stellung doch etwas zu hyperromantiſch, etwas un:
natürlich vor, und wir bezmelfeln, ob felbft die tüchtigfte
Individualitaͤt im folder Lage vol Widerſpruchs und
Unwahrheit gedeihen koͤnne; ihr mangelt zu fehr alle ges
funde Realität, alle naturgemäße Lebensbedingung. Wene:
dey würde in Deutfchland willtommen fein und mit Liebe
wd Theilnahme aufgenommen werden. Mehr mie die
meiften feiner Unglüdsgenofien Bat er die Reinheit feiner
Motie und bie Feſtigkeit eines ehrenwerthen Charakters
bewiefen. Wenn auch feine politifchen Anfichten mit den
wirktichen Zuftänden in Deutfchland in Widerſtreit find,
fo leben wir doch Gottlob feit kurzem in einer Zeit, wo
man fie tolerirt und ihnen felbft, fobald fie nur auf ech:
ter Geſinnung und lauterer Überzeugung beruhen, wie
bier ohne Zweifel es der Fall iſt, Achtung und perfänliche
Anerkennung nicht verſagt. Wir fürchten faft, daß phan⸗
°) Bol. den erſten Art. in Nr. M-26 d. BI. D. Red.
taſtiſche und fuperfeine Scrupel, vielleicht ein forcirter
Repubtitanismus damals von der Annahme jener Am⸗
neftie zuruͤckkgehalten haben. Wir können uns irren, aber,
wie gefagt, wir wiffen uns diefen beutfchen Patriotiömus,
diefe Sehnſucht nad) ber Heimat, die abfichtlih in der
Fremde weilt, nicht anders zu erfldren.
Venedey iR für den Dombau in Köln. Er fiebe
darin das Symbol der deutſchen Einheit; er glaubt in
der gemeinſchaftlichen Vollendung dieſes Baus den Ans
fang eines Reiches ber Gerechtigkeit, der Gleichheit u. f. w.
in Deutſchland zu erbliden. Die Grundzüge diefes Reis
ches der Gleichheit und Gerechtigkeit führt er num in bie:
fee Schrift aus; er entwirft in allgemeinen Umriſſen eine
Gonftitution für den deutfchen Bund. Wir gefleben nun
gern, daß wir mit dem Ideale, was er und hier vorzeich⸗
net, im Wefentlichen übereinflimmen, daß wir es für Leine
leere Iſlufion halten, fondern für begrümbdet in Anlage
und Gefchichte unfers Wolle. Was aber der Eöiner Dom:
bau mit diefer deutfchen Grundverfaſſung zu thun hat,
das, aufrichtig gefagt, haben wir wiederum nicht begreis
fen innen. Alten Refpect für den koͤner Dom; es iſt
gewiß ein fhönes gothifches Gebäude, vielleicht das ſchoͤnſte,
was wir haben, und — vielleiht — madht es in feiner
Vollendung einen noch erhabenern Eindruck wie jegt als
Zorfo. Aber wir mögen den Dom betrachten von allen
Seiten, von Hinten und vorn, ein Bild oder auch nur
ein Symbol eines organiſch gegliederten, auf Freiheit und
Recht rubenden bdeutfchen Bundesſtaats vermögen wir
nicht darin zu erbliden. Auch glauben wir nicht, daß
der Kuͤnſtler, der ihn ſchuf, an einen ſolchen Bundesſtaat
dabei gedacht hat; das politifche Element war dem großen
Manne gewiß ebenfo fremd, wie dem Rafael von Urbine,
als er feine Madonna malte. Der koͤlner Dom ift ein
Product religidfer Kunſt und nichts weiter. ine irbifche,
modern politifche Beziehung lag der gotbifchen, religioͤſen
Baukunſt gänzlich fern, und fie ihr unterfchieben wollen,
ift eine Geſchmackloſigkeit und eine Unwahrheit zugleich.
Es ift Profanation.
Ebenfo wenig find wir im Stande einzufehen, wie
bee Ausbau des koͤlner Doms der erfle Schritt zur Voll:
endung des politifchsidenien Staategebäubes fein fol, ale
welchen ihn ber Verf. betrachtet und uns anempfteblt.
Die Geldausgabe, die wir dazu leiſten folen — denn
3.
darauf reducist ſich doch unfere Zheilnahme am Ausbau,
wenn wir etwa nicht ſelbſt Steine zutragen wollen —
fteht in gar keinem Bezuge zu dem Streben nah einer
allgemein rechtlichen, politifhen Drganifation, welche ber
Derf. wunſcht. : Weit eher koͤnnte man behaupten, daß
fie uns von dieſer durch die Zeit gebotenm Thaͤtigkeit
nue abzöge und daß wir die Millionen, welche der Dom:
bau koſtet, in diefer Rüdficht nutzlos verfchwendeten, bie
wir allerdings nuͤtlich zur Umgeftaltung und zur Wieder:
geburt unfers politifchen Lebens anwenden koͤnnten. Was
würde man dazu fagen, wenn wir bei einem Kriege, ſtatt
Pulver zu kaufen, Soldaten zu werben, in bie Schlacht
zu ziehen u. ſ. w., lieber eine prachtvolle Ausgabe der
Minnelleder Walther's von der Vogelweide veranſtalteten
und dadurch unſere Provinzen zu vertheidigen glaubten?
Han würde in der That den Zuſammenhang des Zwecks
mit dem Mittel nicht einzufehen vermögen, und. wenn
des. Wahnfinn oder die Narrheit als der Widerſpruch
von Zweck und Mittel definiert wird, wie es hier und da
geſchehen, fo müßte man uns für wahnfinnig und när:
eifch halten. Und — allen Refpect für Hrn. Venedey's
ſonftigen gefunden Verſtand — feine Berficherung, daß
wir die deutiche Einheit, die deutſche Freiheit, bie deutſche
Bteichheit, die. deutſche Volkskammer beim Bundestage
u. f. w. erlangen würden, fobald wir nur erſt das Geld
zum Dombau aufgebracht hätten, ſcheint uns allerdings
in einer thoaͤrichten Schrulle, im einer fisen Idee be:
gründet zu fein.
Aber Dr. Venedey iſt nicht der Einzige, der mit dem
Dombau fo unerklaͤrliche Sachen verbinde. Es find
noch andere Stimmen laut geworden, bie unſerm geſun⸗
ben Menſchenverſtande aͤhnliche Unbegreiflichkeiten zumu⸗
chen, und wenn wir dieſe für die Stimme der Nation
biekten, was mir jebach nicht thun, fo bielten wir vers
(äufig einige Hunderttauſend Irrenaͤrzte für noshwendiger
als alle Andere.
Die deutfche Einheit fpielt in diefen Stimmen eine
Hauptrolle. Und in gewiſſer Beziehung haben fie auch
recht; wenn ganz Deutſchland einig iſt, für den Dombau
Geld berzugeben, fo iſt deutſche Einheit in Bezug auf
das Geldhergeben für den Domban vorhanden. Kine
andere Einheit if damit freilich noch nicht gewonnen.
Wenn es überhaupt blos auf gemeinfchaftlihes Geldher⸗
geben ankommt, ſo koͤnnte man aber ebenſo gut einen
andern Zweck demſelben unterlegen. Man koͤnnte z. B.
einige Millionen zuſammenſchießen, um in ber Mitte
Deutfchlande oder in fonft einem Lande ein großes Loch
in die Exde graben zu laffen, oder man koͤnnte dieſe
Millionen aufbringen, um die koͤſtlichſte Perle aufzukau⸗
fen und fie, wie die Kleopatra, in einem Becher Wein
austrinken; alsdann wäre die deutſche Einheit ruͤckſichtlich
des Lochgrabens oder des Perlenkaufs errungen. Man
Sönnte auch nur, um es einfacher zu haben, zu einer be:
flimmten Stunde an einem beflimmten Tage feinen Bei:
trag in irgend einen Brunnen werfen, und je mehr Leute
ihe Geld in den Brunnen mürfen, defto einheitlicher waͤ⸗
con die Deutfchen in Beziehung auf das Geldwerfen in
den Brunnen. Ja, es ift eine Leichte Sache um bie
Bellung der deutfhen Einheit nnd fie laͤßt fi auf un-
endlich mannichfache Weile ausdenten.
Sreitih, wer die Einheit Deutfchlands nicht in bie
eine oder die andere willliiclihe Ginzeiheit fest, mes ei
gemeinfames Fuͤhlen, Deihken und Handeln in ler we
fentlichen innern und dußern Beziehungen und einen pos
itifhen Organismus will, wodurd dieſes gemeinfame
Weſen immer und zu jeder Zeit leicht und ungehemmt
fih geltend machen kann, der kann nur mit Betrhbniß,
mit bitterm Lächeln ſolch phantaftifchen Goͤtzendienſt mit
dem bloßen Scheine, mit dem bloßen leeren Worte bes
trachten. Da treten fie zufammen, bilden einen Dom:
bauverein, zahlen monatlich oder jährlich ihre Abgabe und
' halten fi dann in zuftiedener Selbſtgefaͤlligkeit fr deut⸗
[he Patrioten, die ein Erkleckliches gethan haben für die
beutfche Einheit. Einer großen und zeitgemäßen Idee
praktiſch nachzuleben, ihr alle Pulsſchlaͤge feines Daſeins
zu widmen, verſteht kein Volk weniger als das deutſche.
Sich aber mit dem bloßen Scheine begnügen, ſich mit
den äußern Flittern eines inholtreichen Gedankens heraus⸗
zupußgen und fi) darüber Gomplimente zu machen, das
haben fie trefflich gelernt. Es gibt Kein ſelbſtgefaͤlligeres
Volk als die Deutfchen in ihrer hohlen, faulen Phan⸗
tafterei, aber darum kommen fie auch zu nichts.
Ein anderer Grund, den man für den Ausbau des
Domss angeführt hat, Elingt ebenfalls patriotifch, ift aber
ebenfo irrig. Während die Franzoſen Paris befefligen,
follen wir unfern Dom am linken Rhein wohlgemuth unb
fiher hinbauen. Das zeige von Selbfivertrauen und be-
weife jenen, daß mic uns nicht fuͤrchten. Fuͤr ſolche
Großfprecherei aber möchte ich keinen Schilling hergeben.
Der Dom hat einen andern, einen böhern und hei⸗
ligern Sinn als ſolch weltliches Renommiren. Die Kunft
it der Kunſt wegen da; wer fie zu fremden Zwecken
missbraucht, der verkennt ihe Weſen, der entweiht fie.
Man eifert doch fo ſehr gegen die politifche Poefie, gegen
Zendengdichtungen ; man will, daß die Poeſie nicht zu
einer Magd irdifcher Beſtrebungen gemisbraucht werde.
Und dieſer Stolz, der in gewiſſer Ruͤckſicht wahr if, wird
eben don jener Seite in Erinnerung gebracht, von der
die lauteften Stimmen für den Dombau ertönen. Wer
aber den koͤlner Dombau unterftügt, um eine Renom:
mage, um eine politifhe Demonftrotion gegm unfere
Nachbarn auszuführen, ber begeht eine ungleich größere
Sünde gegen den heiligen Geiſt der Kunft und Poefle,
ale alle unfere Tendenz⸗ and Nüslichkeitsdichter je began⸗
gen haben.
Aber ale Symbol der neuerwachten Einigkeit zwifchen
Katholiken und Proteſtanten darf doch der vollendete PöL-
ner Dom wol gelten? Sa, märe diefe Einigkeit nur erſt
vorhanden! Das augenblidfiche Misverftändniß ift durch
die Weisheit des jegigen Könige von Preußen vorläufig
gehoben und bei keiner Angelegenheit hat ſich bie Sicher?
heit feines fittlichen Genius wol entf&hiebenet gezeigt als
bei feiner großartigen, einfachen Handlungsweife in diefer
Sache. Er har den Steeit, der auf mwahshaft frivofe,
moerantigitliche Weile von proteflantifcher Setre hervor⸗
gernfen war, auf wunderbare Art zu befchwichrigen ges
wußt.. Aber damit find die beiden Kirchen noch nicht zu
einer verſchmoizen; die religidfen Lebensanfichsen geben in
birfens Augenblicke im Innen weiter auseinander denn
je, wenn auch augenblicklich der aͤußere Friede herge⸗
is if. Wie das Kunſtwerk ausfehen müfle, was zu
abauen iſt, wenn erft ſaͤmmtliche chrifiliche Anfichten ſich
ia Eins verſchmolzen haben, das läßt ſich noch nicht im
im dunkeln Schooſe der Zukunft und jedenfalls wird fie
ne andere Geflalt tragen als die eines Domes aus
Km 13. Jahrhundert.
Ich habe nichts gegen den koͤlner Dombau, wenn er
and reinem Rumflinterefie erfleht. Aber alle andere frem⸗
den Motive find mie zuwider, weil fie auf. einer Lüge
beruhen. Betrachtet man aber bie Beiſteuernden, fo
möchte ar unter Hunderten kaum Einen finden, ber
ans reinem Kunſtfinne feine Gabe bringt; der nur bes
Domes wegen am Dome hilft. Die ganze Begeifterung
iR eine künftliche, gemachte; die Hälfte der Gebenden be:
fieht aus hohlen Phantaften, die Hälfte aus Leuten, die
fü höhern Orts emapfehlen wollen.
Ich glaube überhaupt nicht, daß unfere Zeit für rein
Ehnfllerifhe Zwecke geeignet iſt; fie hat näherliegende,
dringendere moralifde Beduͤrfniſſe. IH bin kein Veraͤch⸗
tee der Kunſt, aber wenn ich Geld übrig habe, fo halte
ich mich in meinem Gewiſſen fir verpflichtet, «8 auf ans
dere Weile anzuwenden. Überall, wo wir binfehen, er:
biiden wir Hunger und Noth; Gefängniffe, Schulen u. ſ. w.
liegen nod im Argen; phufifche und moralifhe Bedürf⸗
niffe unferer Mitmenfchen freien um Hülfe, wer mag
bei fo dringend gednsenen Pädten au epikuraͤiſche Kunſt⸗
genuͤſſe denken?
Was mich am erftien noch für Beförderung des koͤl⸗
ner Dombaus beftimmmen könnte, das wäre eine Pflicht
der Dankbarkeit. Der König von Preußen hat tiefge:
fühlte Worte bei der Grundfleinlegung gefprochen; die
Sache ift ihm ans Herz gewachſen. Eine Vereitelung
frines Bunfches muß fchmerzhaft fein. Aber ficher will ex
nicht die Lüge befördern und nur in Borausfegung rei:
me Motive bei den Beiftenernden kann er die Wolken
vang des Dome wuͤnſchen. Nur als wahre National:
angelegenheit, nicht als Nationalluͤge intereffirt ihn das
Berl. Früher oder fpäter würde die [höne Illuſion auf
Yen, usb die Schmerzen, die Damit verbunden find,
wär fich über kurz oder lang doc, einſtellen. Erſpa⸗
ren innen mie fie ihm nicht; beffer alfo jegt gleich, als
ſpaͤter, wo dann Kräfte und Zeit und Hoffnungen nutz⸗
los verſchnendet fein werden.
2. Der Poten Zukunft. Von dem Grafın A. Gurowski.
u von. Hermann, Leipzig, Hunger. 1843. Gr. 8.
gr.
So erfreulich und wohlthuend im Allgemeinen det
politifche Zuftand Europas ift, wenn wir ihn mit dem
des vorigen Jahrhunderts ober auch nur mit den Zeiten
vor zehn Fahren vergleichen, und fo ſchoͤne Hoffnungen
vorheralinen; die Form deſſelben ruht noch
er für die Zukunft gewähre, fo iſt doch noch «in dunkler
Fleck da, der ſich noch immer nicht aufhellen will. Po⸗
ten iſt bie tiefe moraliſche Wunde in dem politiſchen Be⸗
wußtſein Europas, die noch immer nicht verharſchen win
und deren Anbtid immer von neuem das Bewußtſein deu
Sünde in und aufrege und uns zu feinem rubigen Ges
wifien konnen läßt. Das Schickſal Polens und bil Art
und Wille, wie man mit dieſem ungfüdfellgen Lande ver-
fahren, ſteht in fo fchrelendem, furchtbarem Midverhaͤtt⸗
niffe mit umferer jegigen Bildung, mit dem feinem Ge.
techtigleitsgefühle, mit dem groͤßern Edelmuthe und dev
leboendigern chriftlichen Liebe, die jezt — Gott ſei Dant —
fi inmmer mehr Bahn gebrochen haben in der heutigen
Politik und immer mehr die moralifde Grundlage unſes
ser Staatsweisheit bilden, daß es der Nachwelt ein Raͤth⸗
fet fein wird, wie jener Greuel neben fo vieler ehren
und tiefen Humanität babe befteben können. Sa, wol
ein merkwuͤrdiges, trauriges Raͤthſet! Die ganze gebildete
Welt empört fi gegen den Sklavenhandel, es werden
bie ungeheuerflen Opfer gebracht, um diefen Frevel, deffen
bloßen Anblick unfer fittliches Gefühl niche länger ers
tragen kann, für immer abzufchaffen, man bewacht
bie entfernteflen Meere und dAußerfien Pole, um biefe
Suͤnde gegen das heutige Bewußtſein zu unterbrücden,
und dicht neben und, mitten unter den beften und culti=
virteften Voͤlkern Europas ſelbſt, geſchehen KWerbrechen,
exiſtirt eine Summe namenloſen Ungluͤcks, gegen die je⸗
ner Sklavenhandel in ber That nur leicht und unbeden⸗
tend erfcheint. Denn daß die Leiden eines fenfibeln , ſei⸗
ner höhern Guͤter, feiner Anſpruͤche auf Freiheit und hoͤ⸗
heres menfchlichese Dafein fi) bewußten Volks unendlidy
tiefer und ſchmerzlicher find als das Schidfal des ſtum⸗
pfen Negers, der in dieſem Augenblide vermöge feiner
niedrigen Gulturflufe, die er einnimmt, immer auf bie
eine oder die andere Weiſe der Sklaverei naturgemäß vers
fallen ift, der fidy fetbft Bein Gewiſſen daraus macht,
Menfhen zu rauben und zu verkaufen und daher auch,
wenn ihn felbft diefes Schickſal trifft, nur einen in der
Natur der Dinge begründeten Wechlelfal des Glücks
darin erbiiden kann, in gar feinen Vergleich zu flellen
find, das braucht dem unverdorbenen, durch Gewohnheit
nicht abgeflumpften Gefühle nicht erſt deutlich gemacht
zu werden. Die foflematifche Ausrottung eines ganzen
Volksſtammes durch Unterdrüdung jeder eigentbinmtichen
geifligen Regung und Thaͤtigkeit, die Verweiſung nach
Sibirien, Unterftedung der zarten Jugend unter die ruffl:
(hen Elemente u. f. mw. empört ebenfo, wie die Mittel
der Lift, der Zreulofigkeit und des Verraths, fowie der
Gewalt des Stärkern, wodurd man Polen getheilt und
erobert hat. Mag man fagen, was man will, gegen die -
Sähigkeit der Polen, ſich ſelbſt zu regieren und aus eige:
ner inneren Kraft ihre Staatsverhaͤltniſſe fortzubilden, die
Mittel, die man gegen fie gebraucht hat umd noch ges
braucht, find und bleiben ein Schandfled in der Geſchichte
des 15. und vor Allem des 19. Jahrhunderts, und es
ift eine elende Heuchelei, wenn man fih anſtellt, als
wenn man aus philanthropifhen Motiven, zum Veſten
ber Dalen ſelbſt, gegen fie verfahren wäre. Mittel und
Zwecke waren gleich unrein und ſelbſtſuͤchtig. Wahrlich
ein ſchoͤnes Gluͤck, was die Polen in dieſem Augenblide
unter ruſſiſcher Dereihaft oder in der Werbannung ges
nießen. Der verworrenſte Zufland Polens unter feiner
ariſtokratiſchen Wielregierung war noch immer ein Paras
dies im Vergleiche mit feinem heutigen Geſchicke.
In der That, des Hinblick auf Polen iſt wol geeig:
net, uns mit Gram und Menſchenfeindlichkeit zu erfuͤl⸗
len; er koͤnnte uns leicht zu tiefem Mistrauen verleiten
und überreden, daß es mit der geruͤhmten heutigen Hu⸗
manität immer noch nicht weit bee und daß die auf
allen Zungen figende Chriſtlichkeit den Herzen noch ziem⸗
lich fremd und nur eine Lüge fei. Der chriftliche Glaube
muß fich in chriftlichen Thaten bewähren, fonft iſt er nur
ein tönendes Erz, ein hohler Schall. Bisthuͤmer in es
eufalem, Dombaue, Ehegefege und Sonntagsfeier mögen
gute Dinge fein, und wir ehren das Bemühen, bie chriſt⸗
liche Weltordnung auf ſolche Weife zu fördern, aber wir
fegen voraus, daß dabei das graffe Sefpenft Polens nicht
den Blicken entfchwinder, fondern daß es ſich mit uns zu
Bette lege und wieder mit uns aufſteht, und bag unfer
Sinnen und Trachten dahin geht, jene Sünde zu füh:
nen, jenen Gewiſſensbiß zu heilen, jene heißen, brennen:
den Thraͤnen zu trocknen, in jene gebrochenen Herzen
wieder nad Kräften Balfam zu teäufeln.
(Die Fortfegung folgt. )
Literarifhe Notizen aus England.
Thomas Miller und fein „Godfrey Malvern, or
the life of an author“.
Ich weiß nicht, ob bereits eine oder bie andere von Tho⸗
mas Miller's in England fehr beliebten Schriften einen beutfchen
Überfeger gefunden hat. Zür unmoͤglich halte ich es aber, et⸗
was von Thomas Miller zu lefen, ohne von der Driginalität
feiner Gedanken, von fsiner ſcharfen Auffaffung und von feinem
fernigen Stile frappirt zu werben. Mit conventionellen Din:
gen befaßt er ſich nicht, alte Ideen ftaffirt er nicht mit neuen
Phraſen aus und von der Oberfläche des gefelligen Verkehrs
fhöpft er auch nicht. Er ſieht mit eigenen Augen, hört mit
eigenen Ohren und denkt für fich, flürzt kopfüber in bie Tiefen
bes Lebens und fördert mit verwegener Band bald Bold, bald
Schmuz zu Zage; er bringt, was er findet. Sein neueftes
Werk ift das obengenannte und ‚„Godfrey Nalvern‘ die Lebenss
geſchichte eines GSchriftftellers, eines jungen Mannes, der auf
dem Feide ber Literatur feinen Lebensbedarf ernten will. Das
Bud muß überfegt werden, ſchon zur Warnung. Die Policei
oder fonft ein philanthropifches Inftitut muß es überfegen, drucken
und gratis vertheilen laflen. Gottfried's Vorſprechen bei einem
Verlagsbuchhaͤndler in Paternoster-row könnte ebenfo gut in
Gtuttaart, fein Mittagseffen im Cathedral - Coffee - House un:
weit St.⸗Paul's ebenfo gut in Berlin und fein Beſuch eines
Sournalrebacteurs in London ebenfo gut in Leipzig flattgefuns
den baben. Jeder junge Menſch, der das Leben eines Literaten
von NRofenduft umweht glaubt, follte das leſen, eventuell par
force zum Leſen gebracht werben. Es iſt ein trauriges, melans
choliſches Thema, worüber ſich viel Schmerzliches und Seufzers
volles fagen laͤßt. Thomas Miller nennt die Schriftftelleret
„eine See, deren Ufer flets mit taufend Schiffbrüchen bebedit
find, und wo bie fie Befahrenden, wenn fie zufällig nicht er:
teinlen, am Geftabe verhungern, bean nicht Giner von Hun⸗
dert macht eine gluͤckliche Fahrt. Wer die Richtigkeit dieſes
weit hergeholten Gleichniſſes bezweifelt, werde Mitglied des Lites
rorifchen Unterftiigungsvereins, biefes Meinen Leuchtthurms auf
ber finftern ee der Literatur, und cr wird fchnell genug aus⸗
zufen: Wehe, es if nur zu wahre! Er wird dort mandges treff⸗
liche Schiff erbliden, befien Namen und Gigner er fennt, unb
viele ihm unbelannte Rachen, die dem Leuchtthurme zugerubert
find, als es auf der dunkeln, brandenden See keine andere Men⸗
ſchenhuͤtfe für fie gab.” Alles das iſt wahr, fo fuͤrchterlich
wahr, wie Wahrheit e6 immer fein kamm, und deshalb muß
das Buch überfept und gratis vertheilt werben. Nebenbei ent=
haͤlt es gute Ionboner Scenen und als Gontraft wohlgerathene
laͤndliche Schildereien. Rur wenn der Verf. ins fafbionable Le⸗
ben taucht, greift er bisweilen fehl. Seine Beobachtungsgabe
verläßt ihn allerdings auch hier nicht. Um jedoch die Thor⸗
heiten des hoben Flugs nachdrüͤcklich durchzuhechein, muß man
die Gitten und Gebraͤuche bes hohen Flugs genau kennen. Und
das ſcheint bei Thomas Miller nicht der Kal zu fein. Daber
kann bie Soirde der Lady Smileall unüberfegt bleiben. Die
Umeiffe find aͤhnlich, aber die feinen Züge mangeln, die daß
Laͤcherliche pilant machen.
Die erfie Büherauction in Gagland,
von welcher fi Nachricht vorfindet, war der Berfauf von’
Dr. Seaman's Bibtiothel, die im 3. 1676 unter ven Hammer
fam. Die dem Kataloge vorgefehte „Address’ (autet folgender:
maßen: „Lefer! Es ift bier in England nidt gebräuchlich,
Bücher im Wege der Verfleigerung zu verfaufen, oder an Den,
der das Meifte dafür gibt. Da es jeboch in andern Rändern
zum Beften der Käufer wie ber Verkäufer gethan wirb, fo ift
uns eingefallen ( zu Kufmunterung der Gelehrfamteit), den Ber:
fauf gegenwärtiger Bücher in ſothaner Art und Weiſe befannt
zu machen.” =
Literarifche Anzeige.
Das 6eschlochtsieben des Welbes
in physiologischer,, pathologischer und therapeutischer
Hinsicht
dargestellt von
Dr. Dietr. Wilh. Heinr. Busch.
Erster bis vierter Band. Gr. 8. 15 Thir. 25 Ngr.
Erster Band: Physiologie und allgemeine Pathologie des weib-
lichen Geschlechtslebens. 1839. 3 Tihir. 85 Ner.
Band: Actiologie, Diageostik, Therapie, Diätetik
und Kosmetik, sowie auch. speeielle Pathologie und Therapie
der weiblichen Geschlochtskrankheiten, getreunt von der Schwan-
geruchaft, der Geburt und dem Wochenbette, 184. 3 Thir.
Dritter Band: Von den Geschlechtskrankheiten des Weibes
und deren Behandieng. Speciclie Pathelegie und Therapie der
Krankheiten der weiblieken Geburtsorgene. 191. 2 Thir.
Vierter Band: Von den Geschlechiskrankheiten des Weibes
und deren Behandlung. Specielle Pathologie und Therapie der
Krankheiten der weiblichen Geburtsorgane. Von des Kreakbelten
der Geschlechtsverrichtangen des Weiber. 13. 5 Thir.
Das o Werk wird aus fünf Bänden bestehen und
der Band im nächsten Jahre erscheinen.
wird ein Atlas der nothwendigsten Abbildungen zur bes-
sern Verständniss des Vergetragenen folgen.
Leipzig, im Februar 1843,
F. A. Brockhaus.
Berantwortliher Deraudgeber: Deirtih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. X. Brockhaus in Reipzip-
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Artikel.
Nr. 33.)
3weiter
(Bortfegung aus
Wie das Schickſal Polms fi enden fol, if derweile
noch ein Raͤthſel, deſſen Löfung im Schoofe der naͤchſten
Deemnien ruht. &o- weit der kurzſichtige Menſch den
thnftigen Gang ber Gefchichte vorherfehen oder vielmehr
vermuchen kann — denn das Leben in feiner unendlichen
Aumacht finder hundert Mittel und Wege, die kein Ber:
land des Verfländigen vorherberechnen kann —, laffen ſich
drei Möglichkeiten annehmen. Zwei diefer Moͤglichkeiten
haben bereits ihre Anhänger umd Apoftel gefunden in
ber Nagssliteratur, auf die britte iſt unftreitig ſchon der
Blick manches Staatemannes gerichtet, wenn fie auch
nagh nicht Öffentlich debattirt wird.
Die erſte iſt die Herſtellung des gefammten alten pol:
nilden Reiche, wenigſtens in feinen wefentlichften Theilen.
Auf fie richtet fich der Blick der meiſten Polen ſelbſt,
zumal des Kerns der polnifchen Bevölkerung, die in Frank⸗
reich und England als Verbannte leben... Diefe Derftel:
lang ift nicht wohl denkbar ahne eine allgemeine Revolu:
tion in Europa, obne eine gewaltfame Erſchuͤtterung und
einen gänzlihen Umflurz der beſtehenden Verhaͤltnifſe.
' Ein polniſches Königreich ohne die abgeriffenen Provins
jen, die jetzt Oflrei und Preußen befige, zumal ohne die
leztern, durch welches es die nothwendige Verbindung mit
ben Meere erbielte, ohne die kein größeres, ſelbſtaͤndiges
Volksleben heutzutage gedeihen kann, iſt nicht wohl moͤg⸗
ih. Mag fein, daß mandye Polen nur an das Naͤchſte
denken und ihre feindlichen Abfichten vorläufig nur gegen
igeen Hauptfeind, gegen Rußland, richten — fobald fie
die zuffifhen Provinzen erlangt hätten, würden fie mit
nochwenbiger Gonfequenz ihre Blicke auf Galizien, auf
Danzig und Pofen richten und die jegt noch fchlafenden
Wirſche würden erwachen; auc wäre es in biefem Aus
genblide wenigſtens nicht unwahrfcheintich, daß dieſe Wuͤn⸗
fche bei ihren ehemaligen Landsleuten, die jest oͤſtreichi⸗
fe und preußifche Untertbanen find, lebhaften Anklang
fänden. Ein allgemeiner Kreuzzug Europas gegen Ruß:
land für die Wiederherftellung des polniſchen Reiches,
an dem aud Preußen und Öſtreich Antheil nähmen, läßt
ih daher nur denken, wenn bie Gabinete biefer beiden
Staaten den grofmüthigen Entfchluß gefaßt hätten, ihre
yolnifchen Erwerbungen wieder herauszugeben. in fol:
und ohne innerſte Störung des ganzen Staatsorganis:
mus nicht mehr aufgeben kann. Darin iſt auch vor-
zugsweiſe der Schlüffel zu der Politik zu fuchen, welche
diefe beiden Staaten im 3. 1830 — 31 bei ber legten
polnifhen Revolution beobachtet haben. Namentlich ift
von dem menfchlichen, wohlwollenden Charafıer des ver:
ſtorbenen Könige von Preußen wol zu präfumiren, daf
er die Leiden Polens in ihrer ganzen Größe empfunden
babe und gern eine Pflicht der Menſchlichkeit erfuͤllt
hätte, wenn bie Pflicht gegen den eigenen Staat nicht
damit in Collifion geftanden. Auch Öftreich würde eine
Verringerung ber ruffifchen, immer bedrohlicher anwachſen⸗
den Größe ficher damals nicht ungern gefehen haben,
wenn nur in dem Mittel nicht ebenfalls Gefahren für
bie eigene Macht gelegen hätten. ‚Das eben ift der
Fluch der böfen That, daß fie fortzeugend Boͤſes muß
gebähren.” Durch die Sünden der Vorfahren war
Preußen wie Öftreih in eine Politik gegen Polen hin:
eingebannt, die fih nur mit biutendem Herzen erfüllen
lief. Ein allgemeines revolutionnaires , demokratiſches
Chaos, ein furdtbarer, finnverwireender, republikanifcher
Zaumel, in welchem mit den jegigen Regierungen auch
vieleicht die Staaten von Preußen und 'Vſtreich ver:
ſchwaͤnden, kann daher confequenterweife nur der Wunſch
aller der Polen fein, die noch immer an die restitutio
in integrum ihres früheren Reichs denken.
Wir innen uns diefe Anfiht bei ben Polen wohl
erklären, wir können fie entfchuldigen und find weit ent
fernt, den erfien Stein auf fie zu werfen. Wer fo duch
Selbſtſfucht gelitten bat, wie fie, muß zuletzt ſelbſt
leidvenfchaftlih und felbftflchtig werden. Wäre ich als
Pole geboren und hätte den Sturz meines Vaterlande
überlebt, wäre ich nicht in einer Schlacht ſchon früher
gefallen ober an gebrochenem Herzen geitorden, ich glaube,
ich wide ebenfalls an MWiedereroberung meines alten
vollen Rechts denken und jedes Mittel würde mir dazu
echt fein. Segen wir uns an die Stelle eines Polen,
fo koͤnnen wir uns jene glühende, finftere Leidenfchaft,
die nur einem einzigen Gedanken Raum gibt und bie
an dem enblihen Siege des weißen Ablers, an bem
Siege der Sache, flir die das Herzblut der Edelſten feit
einem Jahrhunderte gefloffen, wie an einer firem Idee
hängt, gar wohl erklären, wir Binnen fie verfichen und.
mitempfinden.
Es ift daher ganz natürlich, wenn überall, wo revo⸗
lutiennaite Kämpfe oder nur Regungen zeigen, wir
die Soͤhne Polens "darin verwickelt finden. Jedes Unter:
nehmen zum Umſturz der beftehenden Ordnung ber Dinge
muß an ihnen Freunde und Beförderer finden. Sie fra:
gen dabei nicht, ob folches Beginnen zum Heile des Volks
diene, in welchem «8 vor fih geht. Was kümmert fie
diefe Ruͤckſicht! Sie kämpfen für Polen, nicht für Frank⸗
reich, für Spanien, für Deutſchland, nicht für Tſcherkeſ⸗
fin, Stalien oder Griechenland. Sie haben immer nur
Polen im Auge und wenn fie fi des Verderbens, mel:
ches ber das eine oder das amdere Volk auf ſolche Weiſe
kommen ann, auch nicht Har bewußt find, 'wenn fie fidh
auch leicht überreden, baß ihre Wuͤnſche mit dem Wohle
der Menſchheit zufammenfallen, fo find fie von einer
gewiffenhaften Prüfung, von einer zarten und aͤngſtlichen
Rüdficht für ihre augendlicklichen Bundesgenoffen doch ſicher
weit entfernt. Jedem Unrubeftifter leihen fie freudig ib:
ven Arm und jede alimälige Entwickelung zur gefegmäßigen
Freiheit, jede Sonfolidation irgend einer Verfaſſung, und
fei fie noch fo fteiſinnig, ift für fie ein Ungläd. Sie
wollen nicht die Freiheit, fie wollen bie Revolution.
So natürlich wir diefen Standpunkt finden und fo
wenig wie geneigt find, jene Unglüdlichen, die man
mit Gewalt zu Feinden alles Beſtehenden gemacht hat,
zu verbammen, fo ‚halten wir ihn dennoch für einen un:
moraliſchen und falfchen. Abgefehen daven, daß die Rea⸗
Hficung eines fo ungeheuern, gräßlichen Zweckes Gottlob
eine Unmöglichkeit iſt und daB in folcher Siſyphusarbeit
fich die edeiften Kräfte und die herrlichſten Naturen zer-
flöten müffen und moratif zu Grunde geben, iſt ein
Streben, welches alle Völker nur als Mittel und nicht
ats Selbſtzwecke behandelt, ethifh durchaus zu verdam⸗
men. Es ift ein eitler Traum, auf den rauchenden
Truͤmmern aller: europaͤiſchen Verfaſſungen ein neues
Polen aufzubauen, und wäre feine Erfüllung dennoch
möglich, fo wäre fie um dieſen Preis zu theuer erfauft
und die Nemeſis würde ſicher nicht zögern, ein ſchweres
Gericht uͤber die freweihaften Unternehmer forool, wie über
die Sache, für die fie gefündigt, ergehen zu laflen. Auf
fo unmoralifchen Grundlagen baut man kein moralifches
Aunftiwerk, wie es der heutige Staat if, mehr auf.
Eine ganz entgegengefehte Anficht fpricht der Verf.
obiger, Broſchuͤre aus. Derfelbe hatte an ber legten pol:
niſchen Revolution Theil genommen und längere Jahre
in der Verbannung gelebt, bis ihm der kaiſerliche Wille
die ſtrafloſe Ruͤckkehr ins Vaterland geflattete; unter weis
en fonftigen Bedingungen ihm dieſe Erfaubniß gewor⸗
den, ift uns unbelannt. Graf Gurowoki hat die Träume
für eine gänzliche Wiederherftellung der alten Unabhängig:
keit Polens aufgegeben und deren Eitelkeit erkannt. Voͤl⸗
fer flerben, ſagt er, gleich Individuen. Polen ift ats
Bolksindividualität geſtorben und kann nicht wieder zum
Leben erſtehen. Die Sache iſt abgemacht und man muß
ſich in das Unvermeidlihe als in den Beſchluß eines
"den, keinen '
dieſe rrale Grundtage. Wenn die einzeinen
hoͤhern Willens ergeben. Mit lebhaften und nur zu wahs
ven Farben fchildert er das Werzweifelte einer Exiſtenz,
die fih nur an unbeflimmte Doffnungen, an Illufionen
anklammert, für welche die Gegenwart keinen rdalen Bes
irkungskreis darbletet. Der Menſch ſol
auf gegebene Zuſtaͤnde ſeine Plane und Hoffnungen, ſeine
Thaͤtigkeit gründen; ohne ſolche Bafis muß er fich im
thatlofer Traͤumerei moralich aufreiben und zerflören. Als
les, was die menfchlihen Kräfte wohlthaͤtig anregt umb
befihäftigt, kann nur in einem Staate gedeihen. Wifſ⸗
fenfhaft, Induftrie, Poeſie u. f. w. find unmöglich ohne
Daten — ais Bet
eriftiren fie nicht mehr — daher noch ihre Einzelindividuati:
täten retten wollen, toenn auch dieſe nicht täglich zutuͤck⸗
fhreiten und ihrem Untergange entgegengshen follen, fo
muͤſſen fie fi aufrihtig den Beſtrebungen irgend eines
Staats anfchliegen, müflen in einem Staate einen Spiel:
raum für ihre Kräfte zu ‘gewinnen fudyen, und biefer
einzig moͤgliche Staat iſt — Rußland.
Es folgt alddann ein 'langer Paneghtikus auf den
suffifhen Kaiferſtaat. Graf Gurowoki gibt fi Viele
Mühe, denſelben als ein von den humanſten und ebels
ften Richtungen belebtes Ganzes zu ſchildern. Da, er
gibt nicht undentlich zu verfichen, daß bie eigentliche Auf⸗
gabe unfers Jahrhunderts durch Rußland gelöft werben
würde, daß dieſer Staat allein die wahre Sittlichkeit, die
wirkliche, gerechte Ordnung "der Dinge beadfiihtige und
von der Vorſehung beftimmt ſei, dieſe über die Welt
autzubreiten, waͤhrend die Zuſtaͤnde ber ‚andern Voͤlker
Europas durchnus verderbt Tem. Namentlich ſei es
Rußlands große Aufgabe, die Welt von dem verderblichen
republikanifchen Schwindel und von jener unhaltba⸗
ren, ſchaͤndlichen Baſtardemanſe, der Sucht nad Comſti⸗
tutionen zu erloͤſen und «Is von Gott geſandter Bet:
tumgsengel zu erfcheinen. Das einzig richtige Streben
fol heutzutage, der greßen Mafle 'gedhern Wohlſtand zu
verfchaffen, und Rußland allein gebrauche bis jest Die
echten Mittel für diefen wohlthaͤtigen Zweck. Die Po⸗
len foliten daher fi) um tuffifpe Staatsamter be⸗
werben und auf die menſchenfteundlichen und humauen
Plane diefer weiſen Regierung eingehen. Nur auf ſolche
Weiſe Lönnten fie fid) der Welt wer nuͤtzlich machen und
nebenbei felbft gluͤcklich werden.
Der ehrenwerthe Berf. ift offenbar von einem Gr:
treme ins andere verfallen. Wenn wir ihm gerne auge:
ben, daß ein bloßes melancholiſches Zehren an frühern
Erinnerungen ober ein ohnmaͤchtiges Sonſpitiren gegen
die gefammte biftorifch gegebene und gewordene Wirklich
feit Europas weder die phufifchen tod "moraltfchen Be⸗
dingungen eines tüchtigen, zeitgemäßen Menſchenlebens in
fih trägt, fo folge Daraus noch nicht, daß man mit gaͤnz⸗
licher Aufgebung aller frühern Erinnerungen und Über⸗
zeugungen, mit gaͤnzlicher Verzichtung auf ‘eigenen Cha:
rakter ſich kopfuͤber in ruſſiſche Arme ſtuͤrzen muß. Frei⸗
lich, wer in Rußland die ſtaatliche Perſonification alles
Hohen und Zeitgemaͤßen erblidt, wer Rußland nis ben
Engel betrachtet, ber eigens zur Rettung des verlorenen
Menfchengefchlechts von der Vorſehung gefandt iſt, dem
231
beide alledige Bein anderes Pflichtgebot, als Hingabe
4 toat prix an diefen Eherubim, ber jedoch kein flam:
mendes Schwert, fondern ein weniger poetiſches Inſtru⸗
ment in ber Hand hält.
Ein fo piöglidyer Umſchwung ber lbitzengung von
«mem Erxtreme zu andern möchte aber nicht jedem Polen
möglich fein. Das Talent, ale Maßregeln, Handlungen
und Plane mit einem Dale für human, rechtlich, mora⸗
liſch und religis zu halten, die man Zeit feines Lebens
für roh, untechtli und irrellgtös gehalten bat, tft nicht
Fedem, gleich dem Grafen Gurowski gegeben.
(Der Beſchluß folgt.)
Deutfhbe Gagen.
1. Die Boilsfagen von Pommern und Rügen. Gefammelt von
%. D. 2 Temme. Bitlin, Ricotei. 1840. Gr. 8.
1 Ahlr. 20 Nur.
2 Sagen, Maͤrchen und Eegenden Nieberfarhfens. Sefammelt
von Herm. Harrys. Erſte und zweite Abtheilung: Der
e Gele, Schuize. 1840. Sr. 12. 25 Nor.
Der treue Fleiß, welchen die Phitologen der Erforfchung
imferer alten Literatur und unferm Alterthum überhaupt zus
wenden, iſt vielleicht um fo anerfennungswäürbdiger, je uneigen⸗
nägiger und aufopfernder er daſteht. Wer fi den ctaffifchen
Studien bingibt, hat body, wenn man andy davon abſehen will,
dab er fein Wiſſen in Schule und Akademie praktiſch anwenden
mb verwertben kann, zugleich das Bewußtſein und den Vorzug,
feinen Fleiß und feine Fähigkeiten an etwas allgemein Geltendes
und Hergebrachtes zu fegen, an Etwas, bas die Grundlage aud)
der modernfien Givitifation ausmacht. Er darf, wenn feine
Leiftungen ſich nur etwas über das Gewoͤhnliche erheben, nicht
sur auf ein beutfches, fondern auf ein europälfches Publicum
reinen. Gine neue finnreiche Hypotheſe Über eine duukle Stelle
in biefem ober jenem claffifhen Autor, über einen zerbrödelten
Aſchenkrug, über die Figuͤrchen eines etruskifchen Spiegel, einer
Zaffe oder Patere findet ihre Publicum, ihre Freunde und Gegner
fowol an der neuen Univerfität zu Athen als an ber alten zu
Paris, in Peteröburg und Oxford, am Sımb und Arno. Und
Männer wie der ımvergeßliche Otfried Müller Eonnten eine Be:
ſchichte Der griechifchen Literatur fräyer in englifcher Nebertra:
gımg ale im deutſchen Originale erfcheinen lafien. Die Traͤger
der orientatifden Philologie find faft noch gimfliger geftellt.
Sie bedürfen faft gar keines Publicums in Deutfchland und
werden tm Austande leichter befannt und geſchaͤtt als in der
Srimat. Aber weldye Ausfichten koͤnnen einen deutfchen Philos
legen, der ſich lieber an dem Alterthum feines eigenen Volks
a3 an dem eines fremden erwärmt, welche können den locken.
Rarm dab man bier und ba einem Profeflor beutfchen Alters
thums gleichſam zum Gtaate ein beſcheidenes Plaͤtzchen an der
Univerfität, eine bärftige Guftobenftelle einrdumt. Kaum daß
cin fgüchterner Sonrector an einem Gymnaſium etwas hiftorifche
Scammatif, etwas Eiteratur mir Citaten aus den Quellen in
feiner Stoffe vorzutragen ſich unterfängt. Kaum baß einige Ge:
Idee in England und in Skandinavien ein Werk der beutfchen
Diietegie fludiren. Und daneben die Zeit, fo mobern und uns
butidfam, daß fie das reinfte wiſſenſchaftliche WBeftreben, wenn
es fi) ihr und ihren nivellirenden Tendenzen nicht eng anfchließt,
für verfappte Zendenz, zum Mittelalter, zur Hierarchie, zum
Abfolutismus Sinzufähren, anfieht und ſich feindfelig bageg
ſtemmt. Wenn die Runde und das Studium des beutfchen AI:
terthums, fotcdher Umſtaͤnde und Hinderniſſe ungeachtet, dennoch)
einen ſo friſchen und lebendigen Aufſchwung genommen, wie
man vor jwanzig Jahren kaum zu hoffen wagte; wenn bie
Alten Dichter und Dichtungen immer vollftändiger ans Licht
treten und das muntere Rauſchen biefer fo lange Zeit verfchüt:
teten Quellen immer lebhafter und Tauter wird; wenn ber
Sprache, dem Blauben, der Gitte, dem Rechte und allen biefen
—
vielfältigen Verzweigungen ter innern Gefchichte unſers Alters
thdums dıe forgfamfte und glücklichſte Pflege angebeiht: fo Hegt
das weniger an der Empfänglichleit des zerfplitterten und vers.
bärteten Publieums, als vielmebe an der muthigen Ausdauer
und dem wahrhaft patriotiſchen Sinn ber Gelehrten, bie vom
der Berdienſtlichkeit ihrer Beftrebungen in befcheidenem Sinn
zu tief durchdrungen find, um die Wärme bei der Verfolgung ihrer
Studien durd äußere Erfolge bedingen zu Laffen.
Wer fi vor dem Geiſte diefer Studien wie vor einem
Kevenant entſetzt, und zitternb der Meinung ift, er folle zum
Proſelyten gemacht werben, ber laſſe ſich die Worte zu Herzen
geben, die um fo unverdächtiger find, ba fie zu einer Zeit aus⸗
gefprochen wurden, als noch Niemand nöthig hatte, fich gegen
den Vorwurf der Proſelytenmacherei zu vertheidigen: „Eine Ge⸗
finnung, welche den Geiſt des Altertbume auch unter uns wir
kend wieder erblicken möchte, kann nicht getadelt werben. Wir
erkennen eine über alles leuchtende Gewalt der Gegenwart, welcher
die Vorzeit dienen fol. Wer diefe Beziehung auf das Keben
teugnen wollte, der nähme die Belehrungen der Geſchichte hin⸗
weg und fegte die alten Gedichte wie cine unzugängliche Infel
aufs Meer, wo die Sonne umfonft ihr Licht audbreitete und die
Bögel ungehört fängen.” (Grimm, Einleitung zu ben „Altdeutfähen
Wäldern”) Wenn man bie dargebotenen Leiſtungen felbft auch
außer den Anfchlage Laffen wollte, fo hätte fchon der Geift biefer
Stelle vor dem Vorwurfe behüren follen, als fit das Studium
bes beutfchen Altertbums in Buchflabenweisheit ausgeartet. Es
tft wahr, diefe Buchflabenweisheit kommt in der beutfchen Phis
lologie vor, und man kann felbft zugeben, daß durch fie aud
ein Zuwachs foldyer Weisheit in bie claſſiſchen Studien gefom:
men; allein geleugnet werben muß es, baß biefe Selchrfamteit,
die ſich um ß oder fi, um die Bedeutung von wan oder dgl,
dreht, jemals fo zur Hauptſache erhoben worden fei, wie e6
oft im Bereich der claffiichen Stubien gefchehen. Sie hat immer
nur den befcheibenen Charakter eines Mittels zum Zweck anges
ſprochen und ift immer nur einer von den vielen Pfeilern ges
weien, welche die Brüde vom Ufer der völligen Ungerwißheit
* dem ber völligen Sicherheit flügen. Wahr iſt es auch, dieſe
tudien haben vom Anbeginn an immer das Kleine, Geringe,
Scheinloſe nicht außer Acht gelaſſen; aber es geſchah nicht aus
Luft an dieſen Kleinigkeiten allein, ſondern im Glauben, daß
man das Ganze nur durch den Beſitz aller Einzelnheiten ſich
aneignen, daß, um das große muſiviſche Gemaͤlde wiederher⸗
zuſtellen, zuvor alle einzeine Stifte und Stiftchen geſammeit
fein muͤſſen. Jakob Grimm hat es ſich unter feine Verdienſte
angerechnet, bie Eleinen ſcheinbar werthlofen Dinge, wie Volks:
trabitionen, oder bie veradhteten, wie Rechtegebräuche und Bauern»
rechte, hervorgezogen und in ihre @telle gerät zu haben. Gr
ift getadelt worden, baß er die Kinde rmaͤrchen gefammelt habe.
Aber auch in diefen bis zu den Kindern hinabgefunfenen und
dort in ewiger Jugend fortiebenden Mythen ſteckt eingeſtaͤndiger⸗
maßen ein Reft des Altertbums Deutfchlands, und gerade ein
Neft, deſſen man fonft nirgend habhaft werden Eonnte. Und
wäre denn wirklich richtig, was Gervinus fagt, daß dieſe Ueber⸗
bieibfel, an deren vollerer Geſtalt ſich einft Beldenflämme erwärmt
haben, jest für die Kinder ſeibſt zu fchlecht und ſchwaͤchlich feien,
fo wäre auch der zweite Schritt nicht zu gewagt, das ganze
Alterthum als etwas Feffeindes zu verbannen. In der That
wird es freitich nie dahin kommen, fo Tange die ernſte Forſchung
überhaupt nicht verbannt wird, und jegt iſt dazu weniger Aus⸗
ſicht ats jemals. Vielmehr finden wir, daß ſich den Begruͤndern
der deutfchen Philologie eine Menge von Gelehrten, wenn auch
nit alle gteihmäßig begabt find, mitforfchend anfchließt, deren
Beitreben mehr oder minder fireng darauf gerichtet ift, unfer
Altertyum in einem von den Worurtheilen, Srrthümern und
Entftelungen fpäterer Jahrhunderte befreiten Bilde zu verans
ſchaulichen Ihrem fleißigen Streben ift es denn auch gelungen,
den Beweis zu führen, daß in unferm Alterthume, dem Zeitalter
vor Karl dem Großen mehr noch ale in dem eigentlichen Mits
tetalter,, eine ſchoͤne, reiche, biegfame Sprache geredet wurde;
daß ſtarke, gefunde, fromme Bitten herrfchten, bie fo maͤchtig
waren.wie fpäter kaum das gefchriebene Geſetz; daß ein kindlich
heiterer Glaube an Gott, Bötter und göttliche Weſen bie deutfchen
Stämme und die Familien wie den Einzelnen befeelte ; daß bie alte
Zeit wol rauh und derb, nicht aber roh und verberbt gewefen.
Der muͤhevolle und bornige Weg zum Erweis dieſer kur
zen, aber lohnenden Reſultate ift durch eine Menge dee aus:
gebehnteften lUnterfudungen und der gelehrteften Werte be:
zeichnet. Den gelehrten Fuͤhrern ift faft unbewußt, ja faft
wider Willen eine Anzahl von Dilettanten gefolgt, weldye ihrem
Bergnügen nachzugehen glaubten und babei nicht felten eine
Menge der brauchbarſten Materialien herbeitrugen, von beren
Verwendung ihnen wol menig fund geworden. So wandert
denn eine Fleine Legio von kleinen Zouriften Jahr aus Jahr ein
durch Berg und Thal, freut fi in Thüringen über den friſchen
Kiang einer uralten ewig jungen Sage, bordt dem berben
Schiffer an den Rorblüften, wenn er den unverfieglichen Schatz
feiner Wunderkunde gutgelaunt aufſchließt, oder laͤßt ſich in Schle⸗
ſien und wo es ſonſt fein mag, eine funkelnageineue hoͤchſt nuͤch⸗
terne Hiſtorie für eine ururalte hoͤchſt poetiſche Sage aufheften,
traͤgt das Gehoͤrte gut oder uͤbel in ein topographiſches Werk,
in einen Fuͤbrer fuͤr Harzreiſende, einen Reiſebegleiter durch die
Saͤchſiſche Schweiz, oder laͤßt es als Sammlung von Sagen aus
diefem und dem Laͤndchen von Stapel laufen. In ſolchen Wer⸗
ken ſteckt nicht fetten viel Gemachtes und Zufammengeträumtes,
das von dem bedrudten Papier zumeilen in den lebendigen Volks⸗
mund übergeht und dann, troß feines innern Wahrbeitömangels,
initunter, eben weil es im Diunde bes Volkes lebe, als echt
und urfprünglich behauptet und vertheibigt wird. Soiche unter:
geſchobene Städte in ihren Bloͤßen darzuftellen, ift gewiß fo ver:
dienfttich als 'nothwendig; allein in den Widerlegungsperfuchen,
wie gefcheben tft, fo weit zu gehen, daß man megen ber Uns
echtheit eines Mythus alle übrigen als unecht erklärt, ift weder
wiffenfchaftiih, noch gewiſſenhaft. Der Wilfenfhaft und ber
Vernunft, die in derfelben regiert, kommt es zu, bie probehal⸗
tigen Körner von bee windigen Spreu zu ſcheiden, wie jene bi:
plomatiſche Werke fie in Wermifhung bieten. Die Berfafler
derfelben wuͤrden fich vieleicht gar fehr verwundern, wenn bie
eine oder die andere ihrer Sagen, an denen fie fi wie Kinder
an bunten Steinen, unbefannt“mit ihrem edjten Werthe, harm⸗
108 ergögten, über Jahr und Tag plöglic mitten in einem
grundgelehrten Werke über deutſches Recht oder deutſche Mytho⸗
logie und vielleicht gar als nicht unwichtige Stuͤhe einer Hypo⸗
theſe von Bedeutung wieder gefunden würde. So fördern die
armen Knappen ein Erz zu Tage, aus dem ihr Zürft fpäter
vielleicht einen goldenen Stirnreif trägt. Dies unbewußte Dienen
zu einem unbelannten Zweck hat etwas Rührendes , unb wir
möchten um ®ieles nicht, daß fich dies ftille ‚felbftbegnügte
Schaffen durch ein fpigiges Wort irren ließe. Wie thätig wer⸗
den in ganz Deutfchland.die Sagen gefammelt! Faſt kein Winter,
der nicht in einem Buche oder Buͤchelchen ausgebeutet wäre,
Eeine Provinz, die nicht ihr Gontingent geliefert hätte! Mir
önnen nicht alle aufzählen, bie feit der eilenaher Sammlung
erfchienen find, weder die verdienſtlichen noch die verdienſtloſen.
Es find auch nur Wenige auf eine fo reichhaltige Ader geſtoßen
wie Reuſch in feinen Sagen des Samlandes oder Börner in
den Sagen aus dem Drlagau ; dagegen haben aber auch nur We:
nige eine fo geſchmackloſe Faſſung gewählt wie der zulegt Genannte.
Wir haben es hier fpeciel nur mit den beiden im Ein:
gange genannten Sammlungen der Herren Temme und Dar:
cy8 zu thun. Weide kommen aus Norbbeutfchland, aus Ges
bieten, bie vom Meere befpült werben, beide geben die Gage
einfach und ſchmucklos wieder, beide fchöpfen aus muͤndlicher
und fchriftlicher Quelle, beide haben ihren Sammlungen Ein⸗
teitungen vorausgeſchickt, bie fi mit dem Weſen ber Sage be:
fhäftigen. Nach Temme ift Volksſage Alles, was ſich das Wolf
aus feinem eigenen Leben erzählt, und beſchraͤnkend wird hinzu⸗
gefuͤgt, daß ſich das Vol nur Das erzähle, was ihm bedeutungs⸗
voll ſei. Derlange man von der Sage, fir folle immer nur
sounberbaren Inhalt haben, fo behaupte man dadurch zugleich,
bas Bolt Halte nur bas Wunder für bebeutungsuol und Habe
nur für dieſes Empfaͤnglichkeit. Auf diefe Worausfegung und
bie Kichtigkeit der angegebenen Erklärung kommend, hat ſich
dee Sammler verleiten laffen, unter feine Sagen eine Menge
von Anekdoten, Volkswitzen und etymologifchen ‚Diengefpinnfken
aufzunehmen, die etwa ben dritten Theil bes Bandes füllen, aber
niemal® auf den Namen ber Sage Anſpruch machen können.
Es ift richtig, die Sage braucht nicht immer wunderbaren In:
halts zu fein, aber fie fann auch nie dem feften Boden ber
Birklichkeit angehören; fo wenig eine Reimchronik ein Gedicht,
ebenfo wenig iſt eine hiftorifche Auekdote eine Gage. Wollte
man nur Das ald Gage gelten laflen, was das Bolt ſich aut
feinem Leben erzählt, fo würde man einen großen Theil der
Deldenfage, bie no im Wolke lebt, von dem fagenhaften Be
reich ausfcheiden müffen und dürfte neben der fpärlichen Stamm:
fage nur ein befchränftes Quantum von Orts: und Familien⸗
fagen gelten laffen. Nähere ſchon trifft bie Behauptung zun
Ziel, daß die Sage im Wolfe bleibend fein müffe, wenngleich
auch diefe Behauptung dadurch einen Theil ihres Gewichte ver:
liert, daß manche Sagen im Volke ausgeſtorben find und nur
noch in Buͤchern aufbewahrt werben.
Anders finden wir es bei Harrys. Der Ginteitung zufolge
will die Forſchung, zu welcher Sage und Märchen den Aula
bieten, nicht mehr, wie früher verfucht worden, einen biſtori⸗
ſchen Anhaitspunft für das Einzelne auffpüren, fondern fie hat
den Weg eingefchlagen, der das Wunder der Gefammthelt der
Sagen zu enträtbfeln und auf die Zuftände hinzuführen geeignet
ift, aus benen fie alle, wenn auch nidyt alle gleich unverfälſcht
und unverfümmert hervorgegangen find. Was biefen überbleib⸗
fein des Altertbums zum Grunde liege, fei eben das Xiterthum
felbft, der alte Glaube, das alte Recht, bie alte Sitte, und nit
blo® das chriſtliche Alterthum des deutſchen Wolke, fondern ver:
zugsweife und ber Regel nach ‚die heibnifche Vorzeit. Das if
der Punkt, wo der Nagel getroffen wird. Nicht das eigentliche
Wunder ift das Erbensprincip der Sage, fondern das Alterthum,
bie heidniſche Vorzeit. Dadurch ift aleih aud ber
Geſichtspunkt hinſichtlich derjenigen Sagen feſtgeſtellt, welche
ſich an Begebenheiten der neuen und neueſten Tage heiten.
Nicht der fpecielle Kal ift das Wichtige an Sagen diefer Art,
fondern ber geiftige Äther, in dem fie ſchwimmen, das heidniſche
Dogma, das hier zur Anwendung gebracht worden. „Ver bei
Glaubens der Heiden am meiften bedurft hatte”, heißt es ine
zug auf die Haupterzeuger und vorgüglichften Bewabrer der
Mythen, „und nit im Stande war, Fr immer gleichmäßig auf
der Höhe der hrifttichen Weltauffaffung zu erhalten, gleidwel
aber täglich das Bebürfniß fühlte, höhere Mächte um fi wi
über ſich zu wiffen, der mußte diefen Glauben am zäpeften feſ⸗
halten. Es ift bies der Eindtiche Theil des Volkes, fei er e
in Eörperlichem Bezuge, die Jugend, ober im geifligen, der ge⸗
meine Mann.” Was er empfangen, vererbte er, und man bt:
nugte die Überrefte beidnifcher Dogmen, um ſich durch Anwts
dung derfelben mit Erfcheinungen abzufinden, die das taͤgliche
Leben vorführte und die zu erfiären der fchlichte einfache Gin
nicht ausreicht. So erklärt fi bie Kortbildung, das Umge
flatten und Schaffen ber Sage, zugleih aber auch bie geheim
nißvolle Scheu , welche beim Wolfe gefunden wird , wenn es bi
Enthällung feiner Sagen und abergläubigen Sprüche gelten fol
Mit feltfam tächelnder Miene lehnt der Bauer die zugemuthelt
Erzaͤhlung ab. „Es ift doch Alles nicht wahr!“ fagt der Mund,
bem Fremden gleihfam das Wort von der Lippe lauſchend
während das Herz nur um fo feſter von ber völligen Wahrkeil
überzeugt iſt. Diefe tiefe Scheu, der Bildung gegenüber lacher⸗
lich zu werben, treffen alle Sammler, und viele find mit OD.
Temme in bemfelben Falle gewefen, nichts erbeutet zu haben,
wo gewiß viel zu erbeuten war. Denn welche Gchäge bereir
cher Sagen noch unter dem Landvolke ftedten, beweifen die vorhin
genannten Börner’fhen Sagen aus dem Drlagau und bie darin
mitgetbeilten Berhta : Sagen.
(Der Beſchlus folgt.)
Berantwortlider Derausgeder: DHeinrıh Brodbaud — Drud und Verlag von F. X. Brodbaus ın Leipiig.
Blätter
für |
literarifhe Unterhaltung.
Dienſtag,
[—
Politiſche Literature der Gegenwart in Deutfchland.
Bweiter Artikel.
(Befälaf ans Nr. 68.)
Bir wollen bier nit weiter dieſes Thema verfolgen
und dern begeifterten Panegyrikus, den der Graf Gurowski
auf Rußland anflimmt, feine motivirte Anklage Punkt
für Punkte entgegenſetzen. Mur das Eine wollen wir be:
merken — und der Hr. Verf. möge es und als eine That⸗
fache glauben — , daß man fehr wohl das Unmorafifche und
das Wergebliche eines Glaubens und Wirkens für das
alte Polen einfehen kann, ohne deshalb vermöge feines
fittligen Gefühle und der gewonnenen tiefften Lebens;
hberzeugungen irgend im Stande zu fein, als actives
Mitgtied der ruffifchen Polltik zu arbeiten oder auch nur
in Rußland duldend zu Leben. Es gibt eine gewiſſe
fittliche Bildung — ber jegt ruſſiſche Graf mag fie eine
falſche nennen -—, der es unmöglich iſt, mit dem ruſſi⸗
fen Spfteme zu fompatbifiren, und auch unter den Po⸗
ten wird diefer Bildungsgtad gewiß häufig genug ange:
troffen. Es gibt gewiß unendlich viele Polen, die das
Leiden Des Unterdrüctfeins tief fühlen, deshalb bdaffelbe
aber dennoch keineswegs mit dem Gluͤcke bes Unterdruͤckens
vertaufchen koͤrmen. Es gibt deren genug, die Die ganze
Hoffnungblofigkeit ihrer Lage ebenfo lebhaft empfinden,
a6 der Graf Gurowski fie ausmalt, und denen doch
yermöge ihrer moralifhen Gonflitution ein Leben nnd
Wirken in Rußland eine abſolute Unmoͤglichkeit if. Es
gibt gar Bine, denen «6 z. B. eine Unmöglichkeit waͤre,
einem polniſchen Deferteur oder Confpirateur felbft die
Knuse geben zu laffen, oder aud nur ruhige Zuſchauer
eines ſolchen Scaufpiels zu fein, wenn fie ſelbſt auch
ne ſolche Eonfplratton nicht biligen. Herrn Grafen
Gurowsti freilich wird das im Bewußefein der goͤttlichen
Sendang Rußlands nicht ſchwer fallen.
Der ehrwuͤrdige Kosciuszko hatte auch feine Befreiungs⸗
Hans für Polen laͤngſt aufgegeben; er lebte ſtill und
it in der re an einen Eintritt in rufſiſchen
natsdienſt, an eine Foͤrderung Deffen, was er während
ſeines ganzen Lebens verabfcheut und bekaͤmpft hatte, bat
er wos ſchwerlich je gedacht, und ſchwerlich würde ihn,
wenn er noch lebte, die geiſtreiche Schrift des Grafen
Surowoti dazu bh. : —
Die Geſchicke der Menfchen Yoröte der Voͤlker find
bienieden fehr verfchieden ; der eine fit beſtimmt zu fiegen,
der andere zu unterliegen; ber eine zu handeln, der an:
dere zu dulden und zu tragen. Wuͤrdig und dei ukb
feiner ſelbſt getreu kann man aber bei jedem Schidfate
bleiben. Es gibt auch eine moratifche Größe, die in der
Reſignation befteht und die lieber entbehrt ats fich ſekbſt
verunehtt. Keine Lage Mi fo ſchlimm, dab man in Um
vecht willigen und wider Wortes Gebote thun müfle. Unb
wenn fomit den Polen auch jegliche Zufunft, jeglicher An:
ſpruch auf die Guͤter, die das Leben heiter und freuben:
reich machen, jegliche Hoffnung auf gemeinnägige, ange:
meſſene Thaͤtigkeit abfolut unmöglich waͤre, fo wurden fie
in der Ertragung dieſes Loofes fi) doch noch würdiger
geigen koͤnnen ais im Übergehen zu einer Sache, deren
Zwecke weder noch Mittel mit ihrem Bewußtfeln harmo-
nirte, felbſt wenn fie mit mehr als chrfflficher Liebe dad
Vergangene gänzlich vergeffen wollten. Edel im Unglück
iſt beſſer ats unedel im Glücke.
So ganz ohne Hoffnung iſt die Sache ber Polen
übrigen nicht. Das ‘alte, reine Polen iſt verloren für
Imme. Es ſcheint fat, ats 0b fein einziger fläroficher
Stamm die Fähtgkeit einer rein nationalen Entwickelung
in Einklang mit cheiftlicher, moderner Cultur befeſſen
babe, und als ob eine Regeneratton dur Amalgamation
mit einem andern begabtern umd gebfidetern Volksthume
bie fe&te Rettung und Verföhnung für alle fein moͤchte.
Rußland kann man nithe als Ausnahme anführen, denn
abgefehen davon, daß die zeitherige Entwidelung diefes
Reiches tm inne wahrer Chriſtlichkeit, wahrer Freiheit
und mahrer Bildung noch mehr als problemartfch fetk
möchte, kann man die dortige Ausbildung auf keine Weiſe
eine nationale, eine flawifche oder ruffifche nennen. Peter
der Große hat die organifdhen Keime einer nationalen
Entwidelung auf lange Zeit, wenn nicht für immer, abs
getödtet und an deren Stelle einzelne Treibhaus⸗
pflanzen der bamaligen europaͤiſchen dußern Cultut ges
feet. Was fi) in Rußland noch Mationales erhalten
bet, das iſt nur der zähe Überreſt eines alten Lebens,
gegen den jener ausländifche Regierungsmechanismus fett
anderthalg Jahrhunderten ankaͤmpft. Won einer wirkli⸗
Gen Entfaltung der ſlawiſchen Nationalität kann umter
| Rußland ſeit Peter dem Großen am allerwenigſten bie
Rede fein; im Gegentheit kann man Rußland ale den
fehheften, wenn auch verfehlten Verſuch betrachten, bie
flawifche Nationalität durch die Gulturergebniffe vorge:
ſchrittener Völker zu befruchten, während Polen im Ge:
_ gentheile den vergeblihen Verſuch darſtellt, die flawifche
Nationalität vein aus ſich felb zu entwideln. Der
Panſlawismus unter ruſſiſchem Gcepter iſt daher eine
ee, mit der ſich die edlern und gebildetern Individuen
der verfchiedenen flamifhen Stämme unmoͤglich befreun⸗
den innen; das Slawenthum foll veredelt, nicht erniedrigt
werden. Die blos Außerliche Vereinigung aller ehemali⸗
gen Stawen unter einem Scepter iſt wahrlid noch kein
Sortfcheitt und Feine Erlöfung, wenn nicht zugleich ein
inneres 2ebensprincip, ein tieferer Seelengehalt und eine
den moralifchen Anfoderungen der Beſſern entſprechende
Grundlage gewonnen iſt.
Und bier fcheint allerdings das heutige Deutfchland
den Polen Das zu bieten, was fie von Rußiand ver:
geben erwarten; die Vortheile einer wahren Cultur und
einer reinern, fittlichern Lebensanficht in Verein mit moͤg⸗
tichfter Beruͤckſichtigung und Schonung ihrer Nationalität.
Bei welchem Syſteme die Polen am beiten fahren, bei
dem preußifchen und oͤſtreichiſchen, oder bei dem ruſſi⸗
ſchen, das liegt ſchon jegt ziemlich Bar zu Tage. Be:
fonder® aber eröffnet fih für die Polen feit dem Regie:
rungsantritte des jetzigen Königs von Preußen eine nod)
freundlichere Zukunft, der in biefer Angelegenheit ebenfo
wie in der Larholifhen Sache ſich als durchaus weile,
groß und frei gezeigt hat. Das frühere preußifche Syſtem
ging mehr auf ein gewaltfames Germaniſiren der Polen
aus als auf eine Bereicherung der flawifchen Nationalis
tät durch deutſche Bildung auf möglichfl freie Weife, und
diefe legtere Maxime ift jedenfalls ehrenvoller für die Po:
len und in ihren allmäligen Wirkungen nachhaltiger wie
die frühere. In diefem Augenblide flehen ſich übrigens
die beiden Spfteme, durch welche man Polen zu cultivis
zen fucht, das ruſſiſche und das preußifche, ziemlich
ſchnurſtracks entgegen, und es iſt faft nicht denkbar, daß
zwei fo verfchiedene Principe nicht über kurz oder lang
in fehr ernſthafte Colliſion gerathen follten. Dasienige,
dem es zuerft gelingt, die Polen glüdlich, frei und gebils
det zu machen, verdient jedenfalls nicht allein moraliſch
den Vorzug, fondern es verdient auch, es iſt verpflichtet,
über ganz Polen zu herrſchen. ‚Dann, Site”, wie Mar⸗
quis Poſa fügt, „if es Ihre Pflihe, ganz Polen zu
erobern. ° F. von Florencourt.
Deutfhe Sagen.
(Beſchluß aus Nr. 58.)
Gehen wir in das Einzelne ein. Temme bat feine Sagen,
mit Ausnahme einiger Städe, die ihm während des Drucks zu⸗
gen, forgfam nad; der Verwandtſchaft des Inhalts georbnet.
bmen wir Alles ald Sage an, was im Buche enthalten ifl,
fo ftehen die gefchichtlichen des Volkes und Landes voran. Unter
diefen, meiftens nach der Chronologie aufgeftellten,, find die auf
bie Bekehrungsgeſchichte Pommerns und Ruͤgens bezüglichen
wieber befonders gruppirt. Dann folgen die. Sagen aus eins
zelnen Geſchlechtern des Landes, darauf diejenigen, welche bad
zeligiöfe Leben ber Proving betreffen, unter benen, namentlich
aus ber NReformetionszeit viele mälfige, unfagenhafte Geſchicht⸗
chen vortommen. Ron den Localfagen, deren Anzahl überwiegt,
möäflen wir entſchieden die armfeligen Etymologien von Eigen⸗
namen des Städte, Dörfer u. ſ. w. misbilligen. Wer hält bad
für eine Sage, wenn ber Name Demmins bavon berfommen
ſoll, daß einige Prinzsffinnen in Bezug auf ein neu exhautes
Schloß gefagt: Dat hus ist din und min, woraus Dinmik,
und ſodann Demmin geworben fti! (Ar. 181.) Oder: Ein Fürk
von der Infel Wollin babe die Bewohner Ufeboms bekriegt,
ihnen dann Frieden angeboten und, als fie ledtern abgelehnt,
ausgerufen: D fo dumm! bavon habe denn die Infel den Ramen
Dfobumm, nachgehenbs Ufebom erhalten) Unb ſolche Ofodummer
Geſchichten nimmt fogar die Pommerſche Geſellſchaft für Ge⸗
fhichte in ihre Acten auf! (8. 171.) Solche Etgmologien er⸗
zaͤhlt fih das Wolf allerdings und es werben wenige Dexter
in Deutfchland fein, die nicht Aehnliches aufzuweiſen hätten,
aber werben Albernheiten dadurch zur Sage, daß man fie fage
und fagen hört? Schön find die Traditionen über derſunkene
Derter, die Sagen, die fi an See, Steine und Berge knuͤpfen,
die Riefen, Zwerge, Unterirdifche, Zauberer und bergleichen
Gegenftande haben. Wir könnten hier der Wiſſenſchaft der
mologie einen Dienſt teiften, indem wir das bier aus Pommern
zufammengebracdhte Material nach Faͤchern orbneten; allein wir
befgränfen uns | eine 3ufammenftelung Deffen, mas über
bie Unterirbifchen gefammelt iſt, und verweifen zur Vergleichung
auf die treffliche Einleitung, weiche die Gebräder Grimm ibren
„Zrifchen Eifenmärchen” (Leipzig 1826) vorgefegt haben. Aus
den Sagen bes Hrnu. Harrys fügen wir das hierher Gehörende
in Ktammern bei.
Man nennt dieſe Eifen (ahd. alp, frang. aube, angelf. Alf,
nordifch Alfr) gewöhniid Zwerge, Nr. 216, 221 (I, 5 und oft),
Unterirdifche, 218, 219, oder Uellertens, 317. Sie führen unter
ſich feltfame Namen, wie Doppeltürt, 216 (Holzrährlein, Bonner
führtein, I, 5), melde ben Menfdyen unbelannt find. Trifft es
fi aber, daß die Menichen biefe forgfam geheim gehaltenen
Namen erfahren, fo verfchwinden die Zwerge und Iaffen ſich
nicht wieder blicten, 216. (1, 5. Doch hat man den Namen de3
barzifhen Zwergkoͤnigs Gauͤbich erfahren, ohne daß der Awerg
ſich zurüdgezogen, Il, 28) Es gibt verichiedene Arten vom
Zwergen, man kennt Männer und Weiber, Kinder und alte
Leute. Auf Rügen gibt es weiße, braune und ſchwarze, 221.
Die meiften Eänder, bie fie einft bewohnten, find fpäter von
ihnen verlaflen ; fie wandern gewoͤhntich des Nachts aus und immer
über Wlüffe von Abend nad) Morgen (über eine Brüde gegen
Dften, II, 30, bei Offenfen über bie Aller, , 8). In Pommern
baben fie bei Iarmen an der Peene ihren Weg genommen, 216.
Seitdem fieht man nichts mebt von ihnen. Sie find Elein und
nicht ſchoͤn, 216 (ungeftaltet I, 5), den Menfchen erfcheinen fie
häufig als Froͤſche und häßliches Ungeziefer, 216, 219, mitunter
auch als Fleine blanke Würmer, 324. (Die harziſchen find kleine
| Männlein mit eiögrauen WBärten, einige jung, anbere alt und
rauh von Haar wie ein Bär, mit ihnen leben kleine Frauen, II,
21.) Sie Beiden ſich in Kittel, 219, die fie mit filbernen Guͤr⸗
tein, 225, und filbernen Spängtein zufammenhalten, 223, tragen
eine Muͤtchen, 221 (Hüte I, 8. Nebellappen I, 5), auf benen
ein filbernes Gloͤckchen küngt, 223. An den Bäßen haben fig
gläferne Schuhe, 222. Ipre Mohnung liegt unter ber Erbe,
gewöhnlich wohnen fie in Bergen, 221 (I, 5. 6), body
unter den Behaufungen der Menſchen, 20. Man fleigt
ihnen
Die Gingänge find nicht felten in den Haͤuſern bes
Menſchen und dann an ſchmuzigen unveinen Orten, wie untse
dem Soffenftein und ber Zranktonne, 216, ober im Kubfial, 220.
Ihre Gemaͤcher find überaus geräumig und. prächtig, (11, 21
mit Gold und Gilber und edeln Steinen verziert, 21
Sie reden und verflchen die Sprache der Menfdyen. Bon ih⸗
zen Nahrungsmitteln wird nur feines Brot, 217 (Exbe
beeren und Himbeeren, II, 21), erwähnt. Sie teben in arce
pen Geſellſchaften, tanzen, ſpielen und ſchmauſen, 217,
langen Zreppen, 216, 219 (ober auf Leitern it, 30)
nieder.
-
wor Mer eber Tichen 2 MuRt, 317; DH (IN, 21), u
4, eu) find fe
machen eiferne Pflüge, die ein Hund zieben fann, 724, ver:
leipen den Menſchen übernatürliche —— wie die Kunſt,
1
*
ter deren Beruͤhrung "das Vieh fruͤher feift wird und reichere
voller Zug und Schalk⸗
en ni ie El
Menfdyen. ol : in der Regel find fie i en Hugen
nfichtsar (I, 8; II, 30), doch vermögen fie menſchliche Ges
kalt anzunehmen und ericyeinen bald als reifende Kaufleute,
323, bald wie alte Mütterhen, 223. Xu wenn man
fie in ihrer Berwanblung als Ungeziefer anfaßt, legen fie
die angenommene Hülle ab und erſcheinen in ihrer wahren Ge⸗
‚ 224. Außerdem werten fie fihtbar, wenn man ihnen
die Rebellappe abſchlaͤgt (I, 5), oder wenn einer von ihnen
einen Menfchen feine Zwergmuͤte auflegt (I, 8). Die weißen
und braunen, d. i. die gutgefinnten Zwerge helfen den Den:
ſchen, 216, und gehen ihnen bei ihrer Arbeit an bie Dand,
218. Sie koͤnnen aber nicht vertragen, daß man fich ges
gen fie dankbar erweift; denn wenn man ihnen eine Gabe für
ihre Beihuͤlfe verabreicht, fo nehmen fie dieſelbe jwar an, aber
fagen: „Du haft mich nun abgelohnt, nun iſt es mir ber
Arbeit aus!” und kommen dann nidht wieder, 218. (Vergl.
die von Franz Baader mitgetheilte Sage: „Das Seemänntein“,
aus der Gegend von Rippoibsau in Mone’s Anzeiger”, 1837,
175, wo das Gesmänniein auch den Rod annimmt, aber
fagt: „Wenn man ausbezahlt wird, muß man gehen; ich komme
ven morgen an nicht mehr zu euch.“) Sie ftehen außerbem in
mannichfa Berkehr mit den Menſchen. Sie verleihen an
dieſelben ihre Hausgeraͤth, wie meſſingene und kupferne Keſſel,
eherne Köpfe, zinnene Schuͤſſeln und Zeller, Tiſch⸗ und Küchen:
geſchirr (TI, 3), fie leihen den menfchlichen Rachbarn fogar
segetmäßig eine Braupfanne (I, 6). Man fendet ein Kind
ober einen Dienftboten an den Eingang ihrer Höhlen und laͤßt
um die gewünfchten Gegenflände bitten (I, 6); bald hernach
(5, 30) ober am andern Morgen (I, 6) fteht das Seraͤth
vor dem Berge. Nach dem Gebraudye ftellen die Menfchen es
wärber dahin, wo fie es gefunden, und fegen ein Krüglein Bier
oder ein wenig Gpeife dabei (I, 6, II, MM). Wenn fie
tann von böfen Buben (I, 9) beieibigt werden, fo nebs
men fie Rade an den Menſchen, ſchläpfen in die Keller,
teinten dort bas Bier aus u. ſ. w. (I, 6). Gie felbft leihen
Cie dürfen nicht zu jeder Seit auf der Erde crfcheinen, 222,
223. (König PATER kommt alle hundert Jahre nur einmal
auf die Dberweit, 11, 1.) Mitunter bringen fie in die Keller
der Menſchen unb hatten dort nächtiicke Tanzfeſte; von Mens
ſchen uͤberracht, verfänoinden fie al&bald, aber ohne Born und
dur ein Geſchenk noch ihre Dankbarkeit ausdruͤckend. Itdiſches
Kerzenticht Tonnen fie wicht leiden, 217. Großes Gefallen
haben fie an Hübfchen Kindern der Menſchen, die fie beshalb
bäufig aus der Wiege flehlen und durch Wechſelkinder erſehen,
216. (U, 3) Wenn aber das Kraut Drant in der
Wiege Liegt, fo haben fie keine Gewalt über den Säugling,
ebenjo, wenn bie Mutter ihr Kind anfaßt (I, 6). Die ge-
ſtohlenen Kinder nehmen fie mit ſich und halten fie in Dienfl-
barkeit. Aue SO Jahre müffen fie Alles herausgeben, was fie
geraubt haben, und diefe SO Jahre haben keinen andern Gin-
find auf die Geraubten als 20 auf ber Erde vertebte, MI.
Es kommt auch vor, daß ſich ein Unterirdiſcher in ein huͤbſches
Mädchen verliebt und fie zur Ehe fobert, 216. (I, 5. Eine
ähnliche. Mythe wie die bei Temme aus Breifswalb und bei
Harrys aus der Umgegend von Böttingen erzählten Sagen kommt
ats Märchen in den „KRindermärchen” der Brüder Grimm vor:
vierte Ausgabe, 1, ©. 333, doch mit dem Unterfchiede, daß
hier ber Zwerg nicht ein Mäbchen heirathen, fondern ein erft-
geborenes Kind haben will. Gr verfchwinder wie bei Temme
und Harrys als die Mutter feinen Namen: „Rumpeiftitzchen”,
ausfprit.) Die Wenfchen werden diefer Gefchöpfe auf man—
eriei Weile babbaft. Wenn ein Zwerg fidy an einen beiligen
Gegenftand, ein Kreuz, ober fonft ein Geweihtes zu nahe hin
wagt, fo bleibt er daran haften und kann ergriffen werden,
224. Wenn man zu einer Gtelle im Wald hinſchleicht,
wo die Zwerge um Mitternacht ihre Taͤnze halten, und dann
eine Hand voll Hagel nach ihnen auswirft und dabei ruft: „Im
Ramen Gottes, Satan, weiche won mir!’ fo müffen die Zwerge
das von ihren Sachen im Stich laffen, was man auch nur mit
einem Kom getroffen bat, 225. Naͤchſt dem Verluft ihrer
Müge feibft, oder ihrer Schuhe, Haben bie Zwerge Feinen fchlim:
mern Bertuft als den des Glödeins, fo fie an der Muͤte tras
gen, und des Gpängleins an ihrem Gürtel. &ie können nach
ſolchem WBertufte nicht eher ſchlafen, als bis fie das Berlorene
wieder berbeigefchafft haben, 223, und namentlich muͤffen
fie nach dem Veriuſte eines Schuhe den Fuß fo lange blos tras
gen, bis fie den Schub wieder erlangt haben, 222. Dem
irdiſchen Beſitzer eines foldhen Stuͤcks muß der unterirdifche
Eigenthuͤmer dienſtbart fein und mancher Menſch hat auf diefe
Deiſe Schon fein Gluͤck gemacht (vergl. E. M. Arndt, „Märs
den und Jugenderinnerungen”, S. 157 — 229). Denn Derie:
nige, dem es giäckt, ein ſolches Cigenthum der Zwerge in feine
Gewalt zu befommen, verſteht feinen Vortheil gut genug, um
daſſelbe nur gegen ein annehmliches Verſprechen herauszugeben,
und was die Unterichifchen einmal verſprochen haben, das müf:
fen fie unverbruͤchtich halten, felbft die im Übrigen fo bötartigen
Tdwargen Zwerge, 224. Cie übervortheilen die Menfden
zuweilen in Liftigee Weife (I, 8), geben ihnen bagegen aber
auch ungemeflen Gaben und fegen 3. B. Feine Gelbmünzen
fhüffelmeis vor ihre Höhlen (I, 9). Die ſchwarzen Zwerge
find den Wenfchen feindſelig gefinnt, 225, wenngleich in
den vorliegenden Zrabitionen hierzu wenig Belege vorfommen.
Überhaupt ift der dogmatifche Kreis des deutſchen Alterthums in
Bezug auf biefe Zwerge durch die vorliegenden Gagen weder
voll noch rein repräfentiet. Es gibt namentlich in ben Gegen⸗
den Riederſachſens noch eine Reihe von Smergfagen, die bis in
bie neueften Zeiten berabreichen und den zähen Blauben des
Volke an eine allgemeine Durchgeiſtung der Natur offenbaren.
In den Sagen, bie Hr. Harrys gefammelt, kommt (1, 47)
die Tradition vor, daß zu gewiſſen Zeiten ein wilder Stier aus
seinem in ber Haide gelegenen Sumpfloche bervorfteige und fich
mit den Küben ber Deerde begatte, auch daß er fi) mit dem
Stier der irdifchen Heerde meffe und ihm an Kräften uͤberlegen
fi. Das ift gewiß eine fo deutliche Erwähnung des Gifftiers,.
wie fie Deutfdjland nur immer bieten mag. Wollten wir bie
Traditionen über Zwerge ober Etfen zufammenftellen, die in den
neuerdings herausgelommenen Sammelmerfen enthaiten find, fo
würden wir ein Buch fchreiben muͤſſen; es war une bier nur
darum zu than, an einem Meifpiele aus zwei Büchern nachzu⸗
seien, wie reich und voll bie Ader ſtroͤme
Geben wir jest noch mit einigen Worten auf Die beiben
Hefte nieberfähftfcger Sagen ein. Das Material ik hier kaum
ym vierten Theile verbffentlicht und eine Menge ber Tchönften
Sagen ift noch zuruͤck. Won der fo ergiebigen Yürftenfage, van
ben ſchoͤnen faͤchſiſchen Stammfagen, von den Rorbfeefagen fin:
den wir noch nichts, und es wäre zu wuͤnſchen, daß die aͤußern
Sinberniffe, die ber Fortfezung bes Werks unguͤnſtig geweſen,
Sönnten gehoben werben. Gin wahrer unb koͤſtiicher Fund find
die oberharziſchen Sagen von denen man hisher wenig wußte.
Der eigenthuͤmliche keſchlag der oberbarziichen WBergieute,
die wie auf einer unbelannten Infel auf ihrem Berge und in
gm Bergftädten leben, von allen Ummwohnenden durch Sprache,
itte und fetbft durch Körperbau merklich geichieben, verleugnet
ſich aud hier in den Sagen nicht. Des merfwärbigen Zwerg:
koͤnige Guͤbich ift ſchon vorhin gedacht worben; eine gleich merk⸗
wuͤrdige Erſcheinung ift der Bergmänd (II, 2), ber wieder
mit bem fübernen Mann (II, 4) zufammenhängt und vielleicht
auf die Enträthfelung des noch unerliärten und in den Sagen
nicht vorkommenden wilden Mannes führt. Diefe auf den braun»
ſchweig⸗ lüneburgifchen Münzen des 16. und 17. Jahrhunderts
vielfad allein und in Verbindung mit antern Figuren vorkom⸗
mende Geftalt fcheint dem Bergbau eigenthuͤmlich anzugehören ;
um fo feitfamer ift es, daß die Zrabition nichts barüser zu bes
sichten bat. Unter bie Sagen bes zweiten Heftes iſt aus Beh:
rens' „Curioſem Harzıwald” ein Quibproquo gerathen. Nicht vom
Radelöpr beim Kiofer Zlfeld (IL, 37) geht die Gage, daß ein
Rieſe diefen Zelfen aus dem Schuh geworfen, fondern von einem
im Thale höher hinauf Legenden freien Steinblod. Die uͤbri⸗
gen Notigen hinſichtlich des Durchkriechens biefes Nadeloͤhrs haͤt⸗
ten, der Vollſtaͤndigkeit ohne Schaden, ausgefchieben werden
dürfen; fie find nichts als Hirngeſpinnſte der nahe gelegenen
Fabrik fchauerlicher Ritterromene und nehmen fi) in bem ſchoͤ⸗
nen Krange blühender Sagen, bie in biefem zweiten ‚Hefte ents
halten find, wie eine gemachte Blume unter natürlidhen aus.
Werfen wir einen vergleichenden Blick auf beide Sammlun⸗
gen, fo gebührt Nr. 1 das Lob fleißigen Sammelns und ziem:
licher Vollſtaͤndigkeit. Wir entfinnen uns indeß einiger Sagen
über pommerfche Prinzeffinnen, bie fo merkwürdig als berb und
zur Bezeichnung bes alten Haſſes gegen bie Slawen nicht uns
wichtig find, in der Sammlung aber nicht gefunden werden.
Auch einige Sagen, bie Ferrand im 3. 1834 im „Freimuͤthi⸗
Er publicirte, find überfeben worden Außerdem hat ber
ammler, wie ſchon bemerft, nicht überall bie gehörige Kritik
angewendet und fick namentlich durch ben infipiben Micraͤlius
verleiten laſſen, Manches aus Büchern aufzunehmen, was nicht
eufgenonmen werben mußte. ‚Din und wieder tft der Stil nicht
in Weife, wie er fih für den Vortrag ber Sage ſchickt.
Die unzeitigen Zweifel, die in dem häufig wiederkehrenden ſoll
liegen (3. B. 234, 235: Es folt auf folgende Weiſe
entftanden fein), darf ein Gagenerzähler nicht bilden laſſen.
Wir wiffen ja ohnebies, daß er nicht an bie Wahrheit feiner
Erzaͤhlung glaubt, aber er foll fo ſprechen, als glaube er daran.
Dr. Zemme hat feinen Stoff gut und zweckmaͤßig geordnet,
wenn man die Anorbnung mit dem allgemeinen Maßftabe mißt,
da er aber feltfamermeife ſich ſtreng innerhalb der heutigen
Grenzen Pommerne hält, fo bätte er feine Stoffe folgerecht
auch nach den einzelnen Bezirken und darin wieder nach den
einpelnen Hrtern aufftellen müffen. Die Sammlung enthält
199 aus gedrucdten Quellen entnommene, 11 aus dem Volks⸗
munde erweiterte und 73 münblid überlieferte Stüde. Die
Sammlung unter Nr. 2 gibt von 95 Nummern 62 aus muͤnd⸗
her Zradition und 33 zum Theil nach mündlidyer, zum Theil
nad gedruckter Mittheilung. Die Quellen haben beide Samm:
ler angegeben. Hrn. Harrye' Buch iſt extenfiv und auch inten⸗
fo, weit unvollftändig, hinter dem bes Hrn. Temme; dagegen
verräth es aber einen ficherern Takt und genauere Kenutniß des
Standpunkte der Sagenlitsratur. Es gift den Stoff ziemlich
ungeorbuet und verfpricht, dieſem übelſtande ſpuͤter burih zwec
mäßige Segifier abzubetſen. Der Stil iſt der rechte mb wahre,
beiebt genug, um zu feſſeln, und ſorgſam Alles vernwibend, was
bie Illuſton beeintraͤchtigt. Beide Werke haben wom Stamd⸗
punfte der Miffenfchaft wie bed Bergugens ein nicht unbeben⸗
tendes Intereſſe. K. Wbpeke.
Wiblisgraphte.
Difteti, M, iheriſcher Bilderka
en Gr ne Du du
1843 . 7% Nor
Belt, P., Offenes Troſt⸗ und Vercheid ſchreiben an
RK. J. W. Wander, nach veſung zweier ae mn Bros
fhüre: Die Bott 18 Ota * D. Bimat.
Ihre, | a —* fanıie a ateanſtait. Leipzig, D. Wiganb
Grothuß, D. Freih., Lyriſche Gedicht. Ate new georbs
nete und vermehrte Ausgabe. Berlin, Logier. 8. I hir.
Heiberg, Das Prineip der Nichtintervention in feiner
Beziehung auf bie innere und dufew Orgumifation des Gtaats.
gine publiciſtiſche Grörterung. Leipzig, D. Wigand. Gr. B.
gr.
Hengſtenberg, ©. W., Commentar über bie Pſalmen.
Ifter Band. Berlin, OQehmigke. Gr. 8. 1 Thir. PM Nor.
Herbart's, J. F., kleinere philosephische Schriften und
Abhandlungen nebst dessen wissenschaftlichem Nachlasse.
Herausgegeben von €. Hartenstein. 2ter Band. Leipeig,
Brockhaus. Gr. 8. 3 Thlr. 15 Ner.
&. Herweab und bie litenerifche Zeitung. 4, D.
Wigand. Er. 8. 8 Nor. deipzis
Hoͤpfner, L., Der Rachdruck iſt nicht rechtewidrig. Eine
wiſſenſchaftliche Eroͤrterung, begleitet von einigen Bemerkungen
zu dem beigefügten, den verfammelten Staͤnden bed Koͤnigrricht
Sadıfen am 21. Nov. 1842 vorgelegten Gefegentwurfe, ben
Schu der echte an literariſchen Grgeugniffen und Werfen wer
Kunſt betreffend. Grimma, Berlagss@omptoir. Ger. 8. 20 Wer.
Keck, F., Daß Leben und Wirken Albrecht's V. bes Groß⸗
mütbigen, Herzogs von Baiern. Münden, Palm. 8. 7, Rer.
Lütkemüller, 1. P. W., Allgemeinheit der Kirche
und deutsche Landeskirche, Bechtfertigung über diese
Punkte gegen eine gewisse Theolegie in der Berliner erem-
gelischen Kirchenzeitung. Leipzig, C. H. Reclam sen.
Gr. 8. 10 Neger.
ODelckers, Th., Populaive Geſchichte bes beutichen Bauern:
frieged im Jahre 1525. Mit I Abbildung. Leipzig, Sebe
Reichenbach. 8, 15 Rear.
Raumer, 3%. v., Rebe zur Gedaͤchtnißfeier König Frich⸗
rich's 1II., gehalten am 26. Januar 1843 in der ?nigeich
preußifchen Akademie der Wiffenfchaften. Leipzig, Brodpams.
Gr. 12. 6 Rgr.
ReihiinsMeldegg, K.UX v., Die Autolatrie ober Seibſt⸗
anbetung, ein Geheimniß ber Jungs Hegel’fchen Philsfophie.
——ã ⸗ —— — — 37 eines offenen Fe
reibens an Herrn 8. Feuerbach. Pforzheim, Dennig, Yind
und Gomp. Gr. 8. — 2 ” * J
’ engen! Graf an —— Bortrag. _ über:
egt von 3. v. Orosz. Preßburg, Ba. Br. 8. Nor.
— Übersetzt
f — ber ungari Akademie..
und mit Anmerkungen begleitet ven Sincerus. Leipzi
Köhler. Gr. 8. 15 Ner. | PS
Thaten Bitterlide Goͤt von Berlichingen's mit ber eifer
nen Hand. Reuerlich aus den verglicdhenen Handſchriften gezo—
gen und lesbar gemacht von M. Geffert. Pferzheim, Den-
nig, Kind und Comp. 8. 1 Thlr.
Binet, &. über bie Freiheit des religiöfen Gultus. Eine
getrönte Preisfchrift. Aus dem Franzoͤſiſchen von Bolkmann.
Eeipzig, Barth. Br. 8. 1 Ihr. TI, Nor.
Wiggers, I., Der. Gegenfag bes kirchlichen und des rein:
biblifchen Supernaturalismus. Gin oeites Wort sum Schut
bes erften. Leipzig, Rein. Ge. 8. I1Y, Near.
Verantwortlider Deraudgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Mittwod,
A Nr. 60. —
1. März 1843.
Zur Nachricht.
Bon diefer Zeitfchrift erfcheint außer den Beilagen täglich eine Nummer und ift der Preid für den Jahrgang
12 Thlr. Ale Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Beftellung darauf an; ebenfo alle Poftänter,
die fih an die koͤnigl. fächlifche Zeitungserpebition in Leipzig ober bad koͤnigl. preußifche Grenzpoflamt in
Halle wenden. Die Verſendung findet in Wochenlieferungen und in Monatöheften ftatt.
Der göttinger Dichterbund. Zur Gefchichte der deut⸗
ſchen Literatur. Von R. €. Prutz. Leipzig, OD.
Wigand. 1841. Gr. 8. 2 Thlr.
As der zuerſt 1765 in Paris erfhienene „Almanac
‚des Muses“‘, von dem die gefammte Literatur der Mus
ſenalmanache iſt eröffnet worden, in Deutfchland ſowol ale
in Frankreich großen Beifall gefunden hatte, hielt fih in
Göttingen der 1744 zu Meldorf in Schleswig geborene
Heinrich Chriſtian Boie auf, bei dort fludirenden jungen
Eingländern die Stelle eines akademiſchen Hofmeiſters de:
kleidend und Literarifchen Beichäftigungen obliegend , die,
einer „befcheidenen belleteiltifchen Neigung” entſproſſen, fid)
beſonders liberfegungen ausländifcher ſchoͤner Literatur zu:
wendeten, die auf der reich ausgeftatteten Bibliothek der
Univerfität in größtem Umfange zugänglid war.
Gr war eine jener bilettantenhaften Naturen, wie Zeiten
einer großen Entwidelung, einer lebendigen und allverbreiteten
Production in Literatur und Kunft fie bervorgubringen pflegen,
dabei aber von norbdeutfcher Kritit und nüchterner Beſonnen⸗
heit, zugleich von ber feften, gebiegenen Züchtigkeit des Charak⸗
ters, weiche den Söhnen feines Deimatlandes gleihfam angebo:
ren wird. Auf fein eigenes poetifches Talent, das er in feltes
nen und Heinen, weniger aus dem Innern quillenben, als von
außen, beſonders durch eine ausgebreitete Lecture fremder Eites
raturen, angeregten Verſuchen übte, legte er nur einen mäßigen
Werth; mit Gifer dagegen pflegte er ſchriftſtelleriſche Sekannt⸗
ſhaften, fuchte jüngere und bedeutendere Talente neidlos, in
(höner Yreude an ihrem Gedeihen, an fid) heranzuziehen, führte
vemgemäß einen ausgebreiteten literariſchen Briefwechſel und
hatte, al ein praktiſcher und erprobter Mann, auch mit Bud):
händlern allerhand Verbindungen, burch weiche er wieder jenen
jüngern $reunden nuͤtzlich zu werben fidh bemühte. Dabei hatte
feine frühe Bekanntſchaft mit den fremden Literaturen feinen
GSeſchmack nicht nur gebildet und gefhärft, ſondern demfelben
auch eine Art’von Univerfalität gegeben, bie fi gern und wils
lig auch abweichende Richtungen gefallen ließ und aus jeder ber
Schulen und Parteien, in welde der beutiche Parnaß berrits
zerfiel, das Gute und Eobenswürbige zu Genuß und Grmunte:
rung mit Liebevollem Fleiß hervorſuchte. Unter feinen Verbin⸗
dungen war bie mit Gotter, der zu berfelben Zeit feine Studien
gleichfalls in Göttingen begonnen hatte, die frühefte und zus
naͤchſt feuchtbarfte.
Gorter, ſchon im ätterlichen Hauſe in einer feinen und zier⸗
lihen Umgebung aufgewachſen und der diplomatifchen Laufbahn
beftimmt, hatte fich, bei einem leichten und anmuthigen Zalent,
das ihn befonders ſprachlich fehr begünftigte, an ben franzoͤſi⸗
fen Geſchmack angefchloffen und fon im erften Juͤnglings⸗
alter einige Gedichte veröffentlicht, bie trog ihrer Fcangöfifejen
Stätte und trotz der Daphnen unb Grazien, die darin mitfpies
lien, doch nicht ohne gemüthliche Betheiligung find. Vielmehr,
wie auch die Sonfequeng beweift, mit welcher er während feiner
ganzen fchriftftellerifchen Laufbahn diefer gemäßigten Nachah⸗
mung ber Franzoſen treu geblieben ift, deren leichtes, gefelliges
Genre in ben Epitres und ähnlichen Possies fugitives er ſich
zum Wufter genommen, batte Gotter's Talent gerade in biefer
Korm, die für ihn eine lebendige wurbe, feinen richtigen Aus⸗
druck gefunden, um fo mehr, als er ihr durch feinen Hang zu
batbphilofophifchen, halbmoraliſchen Reflerionen und eine gewiſſe
gemuͤthliche Salbung einen Inhalt gab, welcher durch fie den
Deutſchen feiner Zeit nur um fo angenehmer wurde. Diefes
Mufter nun wirkte auch auf den Geſchmack und die Kritik feis
nes Freundes Boie, der vermöge feines feinen Formenſinnes ſich
einigermaßen ber franzöfifchen Eleganz zuwendete und auch nach
feiner ganzen nuͤchternen Denkweiſe mit der ſeraphiſchen und
barbifchen Überfhwängtichkeit,, wie fie damals no im Gange
war, nicht wohl einverflanden fein konnte. Gr verfucdhte ſich
daher felbft in der franzoͤſirenden Epiftel noch zu einer Zeit, da
er bereits eine fehr gründliche Kenntniß der englifchen Literatur
befaß und Shakfpeare mit Wegeifterung und Kenntniß genoß;
auch lichte er Gleim's und Jacobi's Dichtungen und war ein
lebhafter Yreund von Wieland's Muſe. Klopſtock freilich biieb
ihm feiner Oben wegen body immer der erfte, „vielleicht‘‘, fagt
er, „ber einzige Dichter; nur ftörte diefe Bewunderung, da fie
bei ihm aus wohlerwogenen Gründen hervorging und eine Die:
euffion nicht ablehnte, weder feine Empfaͤnglichkeit noch feine
Gerechtigkeit gegen andere und entgegengefegte Richtungen. Rach
auswärts gingen feine Verbindungen nach Halberſtadt und Er⸗
furt, befonders aber nad) Braunſchweig, wo er mit Zerufalem,
Lefling, Gärtner, Zacharid, Ebert u. A. befannt und befreundet
war, unb fobann nad) Berlin, wohin er, wie e8 ſcheint, im
3. 1770 feloft eine Reife gemacht und dabei mit ben literaris
fen Rotabilitäten Berlins, vor Allen mit Ramler Freundſchaft
geſchloſſen, auch Juͤngern, wie er das liebte, ſich angenähert
hatte. So war er auch mit Knebel bekannt geworden, der da⸗
mals, unter Ramler's Patronat Aftyetifivenb und Verſe mar
hend, als Dffisier in Potsdam fand und beffen Verbindung
mit Bole uns hauptfächlich wegen der, für die Geſchichte uns
ferer Literatur hoͤchſt Tchägenswerthen Briefe bes Lestern von
Wichtigkeit if. (&. 193 — 197.)
Boie und Gotter bildeten den von Kaͤſtner mit Sreunds
lichkeit unterftästen Plan aus, nad Mufter des franzofi:
[chen einen deutfhen Muſenalmanach zu begründen, und
fo erfchien der erfte deutihe Mufenalmanah für das
Jahr 1770 duch eine göttinger Medaction und in Bots
tingen verlegt.
Auf die Vorrebe folgt erft ein gewöhnlicher Kalender mit
Wetter: und andern uͤblichen Notizen und einer Reihe ſchlechter
Bignetten, dann erft folgen bie Gedichte. Das Format ift uns
emein winzig, ber Umfang fehr gering, ſodaß dagegen unfere
jesigen Muſenalmanache, namentlich die jüngften, fchon ziemlich
dicleibige Quartanten find. Das jest übliche Format bat zus
erſt der Schiller'ſche Almanach angenommen.
Der eigentlich literariſche Inhalt beſtand nach dem
Vorbilde des „Almanac des Muses“ zum großen Theil
nicht in neuen hier zum erſten Male abgedruckten Poe⸗
ſien, ſondern auch in neueſten bereits veroͤffentlichten, den
Herausgebern als chreſtomathiſche Blumenleſe des nochmali⸗
gen Abdrucks werth ſcheinender Gedichte. Nun wur in
dem nämlihen Jahre au in Leipzig ein „Almanach der
deutfchen Muſen“ erfchienen, ein nach der Schilderung ©.
204—205 „auf Klatfchkritit, Persönlichkeiten und Stan:
dal, beſonders aber auf eigenes und guter Freunde Lob bes
rechnetes Unternehmen”, deſſen von -Kloß’ Leipziger und
erfurter Freunden gebildete Redaction fich jede Art haͤmi⸗
fche Ausfälle gegen den göttinger Rival zum angelegent:
lichen Gefchäfte machte. Diefe Angriffe und der Umftand,
daß ſchon 1769 Gotter Göttingen wieder verließ und Boie
nunmehr die Redaction allein zu übernehmen hatte, ver:
anlafte diefen, ‚neue poetifche Verbindungen zu ſuchen und
die alten zu befefligen, um fo endlich eine gefchloffene li⸗
terariſche Macht bilden zu können, die im Stande wäre,
der Leipziger den ſchwankenden Sieg zu entreißen”. Es
konnte nicht fehlen, ihm als dem Medacteur eines Unter:
nehmens, das ganz eigentlih dazu gemacht war, noch uns
genannte jugendlihe Zulente dem Yublicum bekannt zu
machen, mußten ſich vor allen diefe, zunaͤchſt die in Göttins
gen ſich aufhaltenden anſchließen. So bildete ſich zwifchen
Bote ein Verhaͤltniß mit Bürger, welcher 1768 nad)
Goͤttingen gelommen war, um dort Jurisprudenz zu flus
diren, „toelche damals, bei der Menge gutshertlicher und
ſtaͤdtiſcher Gerichtsbeamten und ber Leichtigkeit, mit Zeit
und Gunſt In eine folhe Stelle hineinzufchlüpfen, in der:
felben Art das angeblihe Studium aler Derer gewefen
zu fein ſcheint, die eigentlich gar ein Studium trieben,
fondern, wie e6 damals hieß, al& hommes de lettres le⸗
ben wollten, wie ed heutzutage die Philofophie geworden
it”. Buͤrger's bald darauf nicht allzu weit von Göttingen
erfolgte Anftellung unterbrach dies Verhaͤltniß nicht, wel:
ches Boie auch zwei Freunde Bürger’s, den feit 1769
in Göttingen Theologie fludirenden Hölty und I. M.
Miller zuführte.
Bürger begann bamals benfelben Übergang, welchen in bies
fee Zeit unfere gefammte Literatur machte, den Übergang zum
Driginalen, Usmittelbaren und Volkathuͤmlichen, und ein reg⸗
fames und fructbares Treiben berrfchte in bem engen Kreife.
Boie war ber Fuͤhrer zur englifchen Riteratur, wie Miller zu
den Dinnefingern, Bürger regte zum Spaniſchen an und Döltn
tbeilte das Italieniſche mit; bin und wieder gab auch wol ein
Selegenpritögedicht, deſſen WBeftellung durch Boie's Hände ging,
Veranlaflu-ıg zu heiterm Scherz und freundlichen Gelagen.
Di Boie nit öffentlih als Redacteur des Alma⸗
nachs genannt war und das Publicum Käftner dafür
bielt, fo geſchah es, daß 1771 ein junger Mann aus dem
Medtenburgifchen, Johann Heintih Voß, an Lestern eis
nige Gedichte einfendete, die Boie um fo mehr entfpras
Ken, als fie in ernften Oden beflanden, welche Gattung
nod nicht in dem Almanadye repraͤſentirt zu fehen, Bole
unangenehm war. Diefer und Käftner erwarben dem jun
gen Dichter auch Heyne's Gunft, mit dem Voß fpäter:
bin in das bekannte heftige Zerwürfniß Über den Domer
gerathen follte, nachdem fein Sinn ſich ſchon frühzeitig
in Göttingen Heyne abgewendet hatte. Die Protection
diefer Männer machte ed dem mittellofen Voß, der, nach⸗
dem ec die lateiniſche Schule in Neubrandenburg verlaffen,
feinen Unterhalt leidig genug ald Dauslehrer eines Jun:
kers auf dem Lande verdienen mußte, möglich, zu Oſtern
1772 die göttinger Akademie zu beziehen. An Geller
und Hagedorn, vor allen aber an Ramler, hatte er fich
bereite in deutfcher Porfie geübt und unter Bermittelung
eines ihm befreundeten Predigers, H. Th. 3. Bruͤckner,
des Verfaſſers von nicht weniger als 17 verfchollenen
Zrauerfpielen, fih mit Shakſpeare befannt gemacht,
„dem“, wie Hr. Prutz fügt, „bebeutendflen Fermente jener
Zeit, welchem wir bei Allen und aud bei Denjenigen be:
gegnen, deren fpätere Entwidelung diefe jugendliche Be—
kanntſchaft, ja die laute und ungeſtuͤme Begeifterung für
Shakſpeate kaum mehr ahnen und erkennen läßt“, welde
Worte man felbft auf Voß anwenden möchte, obfchen
derfelbe in fpätern Jahren offenbar der Meinung tar,
als ÜÜderfeger des Shakfpeare das Höchſte Leiften können.
Man höre, wie Voß kurze Zeit nach feiner Ankunft in
Goͤttingen ſich über den neuen Kreis, in dem er eingetzes
ten war, in einem Briefe an Bruͤckner ausfpridt.
Wie gluͤcklich waͤre ich, wenn Sie mit unter der Geſell⸗
ſchaft waͤren, die mir ſo manche angenehme Stunde ſchenkt!
Ih muß fie Ihnen doch hernennen: Hoͤlty, ein ſehr maieriſcher
Dichter; beide Millers, Vettern des Dr. Miller und — Minne
fänger ; Wehrs, mehr Beurtheiler als Dichter; Ewald, ein feu⸗
riges Genie, das ſich aber zu feinem Unglüd von dem windigen
Riedel hat verführen laſſen, ungefeilte Oben berauszugeben ;
Gramer, ein Sohn bes berühmten Cramer, von dem Sie bie
Dde auf ben Tod Bernſtorf's kennen, ein Kopf, ber ungemein
viel verſpricht; Esmarch, ein bloßer Ditettant, der aber bie XL
ten fehr vertraut kennt und der mit mir jegt, für den Unten
sicht im Franzoͤſiſchen, den Pindar lieſt, und Seebach, den Gie
in ®ielen haben Tennen lernen. Noch tinen glüdlichen Kopf
hätt" ich bald vergeffen Ihnen bekannt zu machen. Er heißt
Hahn, aus dem Zweibruͤckiſchen gebürtig. Einige Gedichte, bie
ihn uns befannt machten, waren freilich voller ausſchweifender
Verzuckungen; aber fie verriethen Genie. Ginige Zeit nachher
machte er das vortreffliche Stud an Miller... Es ift wahres,
kein nachgemachtes Klopſtock'ſches Feuer darin. Er ift ein Weind
alt | uer, die unſer deutſches Vaterland mit ihren Sitten
ver en.
Das Hahn'ſche Gediht an Mißer, „das erſte Mani:
feft der jungen göttinger Richtung”, lautet fo:
Rod log, im Biederflamme Teut's,
Kein Höfting mit geſalbtem Haar
Dem Feinde Freundfchaft vor.
Roch ſchloß ein Wort voll Ernſt, und laut
@in Handſchlag drauf dee Herzen Bund,
und ewig war der Bund!
Da kam er uͤbern Rhein, ber Knecht
Des Bourbon, ftetö ber Liebe Schwur
Im Mund’, im Herzen Fluch.
Da! Weflgelispel war ihm Treu’,
Und Gib, und Glauben, und den Dolch
Berfünbete fein Kuß.
Geſchreckt verfchließt Thuiskon's Sohn
Run tief in fi fein Herz, und laufcht,
Und wägt erſt jedes Wort;
Und vieler Jahre Reih' (und doch
Wie felten! do vom Mistraun wie
Sntheitigt !) Enüpft das Band;
Gin tünnes, weitgelnäpftes Band !
droht ein Sturm, noch ift er Hauch,
nd, fiehe! n zerfliegt's.
und Rear Ar Take tenn ich Dich,
Doch kenn ih Dich; feh’ Deinen Bid,
Und hört ich nicht Dein Lied?
Dein Herz ift deutfch, und deutſch mein ‚Herz !
Es liebt Di! Will ed ganz! Berflucht,
Bas Franzenfitte lehrt!
Und jedem Folger Fluch! Hier ift
Mein Wort! Hier meine Band! Schlag ein;
Und ewig fei der Bund!
Jener göttingifche Kreis junger, Poeſie liebender und
unter Boie's Leitung ausübender Männer befchtänkte feine
Gemeinſamkeit zunächft auf möchentlihe Verhandlungen,
in welchen eines jeden Producte vorgezeigt, beurtheilt und
von Boie verbeffert wurden. Der Almanach, durch wels
hen das Ergebniß dieſer Beſtrebungen auf das deutſche
Publicum einzuwirken beſtimmt war, legte die Idee ſehr
nahe, denſelben zum Organ einer literariſchen Macht zu
erheben, und daß dieſe ſich bald, gerade ſo wie geſchehen,
geſtaltere, dazu gab den erſten Anſtoß der ebenfalls ſeit
Oſtern 1772 in Goͤttingen ſtudirende Cramer, Sohn des
bekannten Freundes und Verehrers Klopſtock's, der die
unbegrenzte Verehrung fuͤr dieſen mit den erſten Jugend⸗
eindrucken eingeſogen hatte und ſchon hierdurch angeregt
war, jene „abſtract liberale, freiheitathmende, deutſchthuͤ⸗
melnde Richtung zu ergreifen, in welcher damals Klopſtock
ſelbſt durch feine Oden und Bardiete ſich thaͤtig zeigte”.
Wurde Cramer dieſer Richtung durch Klopſtock zugetrieben,
fo war fie es, die Dahn zu Klopſtock tried. ©. 226 fa.
heißt es:
Hahn war vom Rhein ber gebürtigs es rollte in ihm ein |
Zropfen jenes feurigen ſuͤddeutſchen Blutes, das wenige Jahre
fpäter in den Stürmern und Drängern aufſchaͤumte; feine Ge:
dichte, Voß' Briefe üser ihn und das Ende, das er nahm,
namlich ein fruͤhzeitiger Tod in Schwermuth und Menſchenhaß,
bezeichnen ihn ald einen Juͤngling von ungemein empfindlichen,
aufgeregtem und bis zum Außerflen reizbarem Gemüth. Dazu
wuchs er in der Nahbarfchaft Frankreichs aufs das franzoͤſi⸗
ſche Weſen, damals überhaupt im Miscrebit in Deutſchland,
brängte ſich dicht in feine Nähe, und je näher es ihm tam, je
dichter es die bürgerlichen und gefelligen Verhaͤltniſſe feiner Geis
mat wie mit einem Res umfpaun, je gefährlicher es hier für
Deutfchland zu werben drohte, je fchroffer mußte ber Wider:
ſtand fein, welchen Hahn ihm entgegenfegte, je nachbrüdticher
mußte er ſich fühlen als Deutfcher, je lauter und leidenſchaft⸗
licher feinen Haß gegen bie zudringlichen Nachbarn ausfprechen.
In biefer Stimmung mußte er benn nothwendig auf Klopftodhs
urdeutfche Bardenpoeſie gerathen und alfo bier mit Gramer zus
fammentreffen. Beide nun fanden in Miller und Hölty zwei
weiche und leichtbeflimmbare Gemüther s Voß dagegen, wenn
fein, wir möchten fagen, dorifches Blut einmal euer gefangen
(und mie leicht mußte dies bei ihm gerade jet fein, wo er aus
der Einſamkeit und Beſchraͤnkung Ländlicher Umgebung mit eis
nem Male in das wetteifernde Treiben eines lebendig erregten,
literarifchen Kreifes getreten war und von fo viel neuen und
ergretfenden Eindrüden gleichfam überflutet wurbe), mar nach⸗
haltig in feiner Glut und bildete, was Cramer und Habn leicht
und ungeftüm binmwarfen, vermöge bes formalen Sinnes, der
ibm auch bierin eigen, und eines gewiffen gildbemäßigen Ins
ftinets, ben er fon auf der Schule zu Neubrandenburg bes
währt hatte, zu einer feften Form in Geſez und Bund. ans
ben alfo Cramer und Hahn an Hölty und Miller keinen Wis
beritand, fo ward Voß fogar ihr ausführendes Werkzeug, ja fie
wurden ſelbſt überhott und verdrängt durch ihn, bem weder fie
noch ein Anderer in biefem Kreife an regelndem Talent, an der
Gabe, zu ordnen und zu gliedern, gleich kam, weshalb, als der
eigentliche Bund zu Stande gelommen war, wir bie formale
Herrſchaft deſſelben hauptfächtih in Voß’ Händen fehen. reis
lich ſcheint der Zufall felbft dies gewollt zu haben; denn hören
wir, was Voß von der Gründung und erften Einrichtung bes
Bundes erzählt. „Ach, den 12. Scpt.”, fchreibt er an Bruͤckner
1772, „da hätten Gie hier fein follen! Die beiden Miller,
Hahn, Hoͤlty, Wehrs und ich gingen noch des Abends nad) eis
nem nahegelegenen Dorfe. Der Abınd mar außerordentlich hei⸗
ter und der Mond vol, Wir üÜberließen uns ganz den Em⸗
pfindungen ber fhönen Natur. Wir aßen in einer Bauernhätte
Milch und begaben uns darauf ins freie Feld. Bier fanden
wir einen kleinen Eichengrund und fogleich fiel uns Allen ein,
den Bund ber Freundſchaft unter diefen heiligen Bäumen zu
ſchwoͤren. Wir umkraͤnzten die Hüte mit Gichenlaub, legten
fte unter den Baum, faßten uns Alle bei den Händen, tanzten
fo um ben eingefhloffenen Stamm herum, riefen dern Mond
und die Sterne zu Zeugen unſers Bundes an und verfpracdhen
uns ıine ewige Freundfchaft. Dann verbündeten wir uns, bie
größte Aufrichtigkeit in unfern Urtheilen gegeneinander zu beobs
achten und zu bdiefem Endzwecke die fchon gewöhnliche Vers
fammlung noch genauer und feierliher zu balten. Ich ward
durchs 2008 zum Ülteften erwählt. Jeder fol Gedichte auf bie:
fen Abend maden und ihn jährlich begehen.”
In diefer vertraulichen Schilderung haben wir denn bie
Grundelemiente des Bundes vollftändig beifammen: den Freund⸗
fhaftsenthufiasmus, die abftracte Breibeitstiebe und das Barden⸗
weſen (mober der Hut und die Eiche) und als Rahmen gleich:
fam bes Ganzen die Kieift’fche NRaturfchwärmerei, die in fentis
mentatem Aufſchwung ſchon bier, wie ein Vorbote des Sieg:
wart, den Mond zum Zeugen anruft. SKeines diefer Glemente
ift originell, keines in biefer Gemeinſchaft urfprünglich entflans
ben oder ihr allein angebörig; es find fremde Anregungen, bie
bier in ihrer Miſchung aufgenommen und als Ganzes in eine
Form gebradyt werden. Aber eben durch diefe Firirung und
durch das Gewicht dieſes gefchloffenen Kreifes wird dieſe Mis
fung ein eigener und felbftändiger Theil der Zeitflimmung, ber
als folder * auch nach außen hin offenbart und ſogar den
Verſuch macht, andere Richtungen zu unterdruͤcken und die Herr⸗
fhaft der Literatur an fi zu reißen. Zwar ber Anfang und
diefe eigentliche Stiftung bes göttinger Bundes trägt noch ben«
felben privaten und unerheblichen Charakter, wie bie frübern,
dlos einer gegenfeitigen Kririt und Ausbildung beflimmten Zus
fammentünfte, und ed wäre durch diefen Schwur unter ber
Eiche für die dichtende Gefellfchaft wenig verändert ober gar ges
wonnen gewefen, wenn nicht eben bas Bewußtſein dieſes engen
Zufammenhalts bad Gelbftgefüht und die Thaͤtigkeit jedes Eins
(nen erhöht und bie Elemente, die Im Innern bes Kreifes
dylummerten, herausgetrieben hätte, indem nothwenbig eine Op⸗
pofition gegen alle Diejenigen ſich erzeugte, weiche dem Bunde
nicht angehörten oder mit denen er in Neigungen und Abnei⸗
gungen, in Wollen und Wirken nicht einverflanden war. Denn
man hatte eine Form gewählt, ohne eigentlich klar zu fein über
den Inhalt; je energifcher man biefen nun entwidelte, je ſchrof⸗
fer man ihn herausftellte, je mehr ſchien biefe Form gerechtfer:
tigt zu werben unb je werthvoller wurde auch fies ja, je mehr
man binterdrein Ernſt legte in dad Spiel, je mehr konnte man
fi wol felbft überreden, daß es niemals ein Spiel gewefen.
Voriaͤufig feste man die Zufammentünfte in alter Weiſe
fort: „Alle Sonnabend um 4 Uhr Eommen wir bei einem zus
fammen. Kiopftod’s Oden und Ramler's Igrifche Gedichte und
ein in ſchwarz vergoldetes Leder gebundenes Buch liegen auf
dem Tiſch. Sobald wir alle da find, lieſt einer eine Dde aus
Kiopftot oder Ramler ber und man urtheilt alsbann über bie
Schönheiten und Wendungen berfelben und über die Declama-
tion bes Leferd. Dann wird Kaffee getrunfen und dabei, was
man die Woche etwa gemacht, bergelefen und darüber geſpro⸗
n. Dann nimmt ed einer, dem es aufgetragen wird, mit
nach Haufe und fhreibt eine Kritik barüber, die des andern
Sonnabends vorgelefen wird. Das chige fchwarze Buch heißt
das Bundesbuch und foll eine Sammlung von ben Gedich⸗
ten unfer® Bundes werben, die einftwellen durchgehends gebile
ligt find.’
Sn diefee gemuͤthlichen Unbefangenheit indeffen, nur feine
eigenen naͤchſten Zwecke treibend, mag der Bund nur wenige
Wochen geblieben fein; denn in demfelben Briefe, in welchem
Voß die eben mitgetheilte Schilderung macht, erzählt er von eis
ner andern Zuſammenkunft, in weldyer bie aufgeregte Stim⸗
mung auch nad) außen hin erplodirte und zuerft die Loſungs⸗
worte vernehmen ließ, welche bie Göttinger fobann zum Feldge⸗
Schrei der Literatur überhaupt zu machen fuchten. ,‚, Einige
Tage vor feiner Abreife nöthigte Ewald den ganzen biefigen
Parnaß, auch Bürger von Gelinhaufen, zum Abſchiedsſchmauſe.
Das war nun eine Dihtergefellfhaft und wir zechten audy alle
wie Anafreon und Flaccus; Boie, unfer Werbomar, oben im
sehnfuble, und zu beiden Seiten ber Tafel, mit Cichenlaub bes
Eränzt, die Bardenſchuͤler. Gefundheiten wurden auch getruns
ten, erſtlich Klopſtock's! Boie nahm das Glas, fland auf und
rief: Ktopftod! Jeder folgte ihm, nannte den großen Namen
und nad einem heiligen Stillſchweigen trant er. Run Rams
ler's! Nicht voll fo feierlich, Leſſing's, Bleim’s, Geßner's, Ger⸗
ſtenberg's, Urs, Weißes u %. Jemand nannte Wieland,
mich beucht Bürger war's. Dan ſtand mit vollen Glaͤſern auf,
und — Es fterbe der Sittenverdberber Wieland ! es flerbe Vol—
taire!“ u. f. w.
Boie, der nach Hußerungen in einem feiner Briefe an Kne⸗
bei, die Werdomarwürde für einen bloßen Schery betrachtete,
wurde von ben jungen Dichtern,, bie es ſehr ernft bamit meins
ten, fortgeriffen und ſchon damals wurde der Grund zu ber
Trennung zmwifchen ihm unb feinem alten Freunde Gotter ge:
legt, bucch deffen zufälligen Befuh man fidy anfänglich fehr ges
ehrt gefühlt hatte, der aber jest, nachdem ber Bund unter der
Eiche zufammengetreten und ein entſchiedener Inhalt für bens
felben gewonnen war, als franzöftrender Dichter, als ein Vers
ehrer und Genoffe Wieland's über bie Achſel angefchen wurde.
(Die Bortfegung folgt.)
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Die Akademie der Infchriften erhielt nady dem Tode Abel
Remufat's und St.⸗Martin's vom Minifter des Unterridts
den Auftrag, die nachgelaflenen Werke diefer beiben berühmten
DOrientaliften zum Drude zu befördern. Wir erhalten gegen:
L
wästig auf dieſe Art ein fehr wichtiges Werk aus dem Nachlaſſe
von St.» Martin. Es ift dies eine Bearbeitung ber intereffanten
Seſchichte Armeniens von Johannes Katholikos.
Dieſes Werk ſteht in Armenien in großem Anſehen und iſt auch in
ber That für bie Geſchichte dieſes Landes von hoher Bedeutung.
Der Überfegung ſelbſt, bei der Et.» Martin auf nicht geringe
Schwierigkeiten fließ, ift eine fhägenswerthe Ginteitung beiger
fügt, bie von Hrn. Lajard herräprt. Diefelbe enthält Pas Les
ben des Ichannes, fo weit es fih aus den ſpaͤrlichen Quellen
zufammenftellen laͤßt. Alles, was wir von ihm mit Beſtimmt⸗
>beit wiſſen, beſchraͤnkt fich eigentli darauf, daß er 925 in
einem bohen Alter farb. Katholikos hat fein Werk in 187 Ca⸗
pitel eingetheilt. Die erften find fehr kurz, aber fie nehmen an
Ausbehnung und an Werth zu, je mehr fidh der Verf. in ſei⸗
ner Erzählung den Greigniffen nähert, bie er felber erlebt hat.
Das Werk fchließt mit dem 3. 923 oder 924 unferer Zeitrechnung.
Rad dem Tode Mohammed's entſtanden verfchiedene Rechts=
ſchulen, welche die Gefege, bie der Prophet gegeben hatte, auf
verfchiedene Art auslegten. Diejenige, bie in Äfrika das liber=
gewicht erhielt, war die Schule von Mateki, die von Malek⸗
ben⸗Anes gefliftet ward. Diefer Rechtsiehrer lebte und flarb
zu Medinah (95 — 179 der Hebfchra), wo er fein ganzes Les
ben hindurch lehrte. Malek ſtuͤtte ſich bei feiner Gefegerfiärung
auf die Lehren, die ihm von den Cabycen uͤberkommen waren,
weiche wiederum ihrerſeits mit den Aſhhabs oder den Gefuͤhlen
Mohammed's in Verbindung geſtanden hatten. Auf dieſe Art
bewies er die Vortrefflichkeit ſeiner Lehre. Wir haben vor kur⸗
zem uͤber dieſe Rechtslehren, beſonders inſofern ſie ſich auf die
criminelle Gefeggebung beziehen, ein recht intereſſantes Buch ers
halten. Daſſelbe führt den Zitet: „Etudes sur la loi musul-
mane (Rete de Malek): legislation eriminelle”, von M. 8.
Vincent. Diefe Schrift ift namentlich für die franzoͤſiſche Bes
fitung in Afrita von großem Intereffe. Vincent hat ſich nicht
beanügt, die bloße Überfegung eines Sapiteld aus dem Recale
oder der Eleinen Abhanblung' des gelehrten Gey-raouan zu ges
ben, das auf bie criminelle Geſetzgebung Bezug bat, fondern er
bietet in feinen Einleitungen und in den beigefügten Anmerkun—
£ungen und Zufägen ſehr intereffante Aufſchluͤſſe über die Rechte:
verhältniffe der Wufelmänner. 2.
Literarifhe Anzeige.
Geſchichte der Regierung
Serdinand’s und Isabella’s
der Katholifhen von Spanien.
Bon
William GH. Prescott.
Aus dem Sngliiden überfekt.
. Zwei Theiie.
Gr. 8. Geh. 6 The.
Leipzig, bei F. 4. Brodhaus,
Der ungetheilte Beifall, welchen diefe® ausgezeichnete Ger
ſchichtswerk bei ſeinem Erſcheinen in England * den Ber:
einigten Staaten gefunden, berechtigt zu der Erwartung, daß
demſelben auch in Deutſchland eine ſeiner Wichtigkeit und der
gebiegenen Überfegung entfprechende Aufnahme zu heil mer
den wirb.
Verantwortliher Derausgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von 3. X. Broddaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerdtag,
2. Mär; 1843,
Der göttinger Dichterbund. Zur Gefchichte der deut:
fohen Literatur. Bon R. E. P
(Bortfegung aus Nr. 60.)
Mir haben in dem Vorigen geſucht, fo viel als mög:
li mit des Hrn. Prus eigenen Worten, die Darftellung
der Verhaͤltniſſe wiederzugeben, welche zunadyft den foges
nansten Dichterbund entfliehen machten. Treten nun bier
Boie und deffen Abfiht, nad Vorbild des franzoͤſiſchen
einen deutfchen Muſenalmanach zu fliften, und die Um⸗
fände, unter welchen zu Erreichung jener Abficht jugend:
lihe Individuen, deren Namen zum Theil berühmt in
der Literatuc geworden, zum mindeften aber nicht unbe:
kannt geblieben find, fit Boie anfchloffen, uns als bie
Momente entgegen, welche den Dichterbund entftehen lie
Sen, fo verſteht es ſich doch von felbft, daß jene Verhaͤlt⸗
niffe nur Außerlichkeiten waren, welche keineswegs ausrei:
chen, eine pragmatifche Einfi ht darüber zu gemähren, wie
denn nun die Zendenz ded Dichterbundes diejenige gemor-
den fei, welche, fich als unbegrenzte Verehrung für Klop:
ftod, den Dichter, und als ſturm⸗ und drangvolles Deutfchz
tum manifeflitend, bedeutenden Anklang in dem deutfchen
Volke fand und fomit einen wichtigen Punkt in der vater:
Iändifchen Gulturgefchichte bildete. Denken wir uns z. B.
Maturen wie die der Koryphaͤen der Schlegel : Tied’fchen
Schule, als Schule feit mehren Decennien verfchollen,
hingegen als hiſtoriſche Periode unendlich wichtig und von
bleibenden Folgen, zu irgend einer andern gegebenen Zeit
eines gegebenen literarifch gebildeten Volks in Verhaͤltniſſe
geftelft, die unter ihnen perfönliche Berührungen eintreten
ließen, aßemal würde eine Bereinigung zu literarifchen
Zwecken umausbleiblidy gemwefen, die wefentlihe Tendeny
aber nur aus dem gefammten frühern Gulturzuftande
erttärlich fein. So nun de6 göttingifhen Dichterbunbes
weientliche Tendenz ald merkwiürdiges Glied an die Ver:
tettung des frühern Culturzuſtandes der Deutfchen anzu:
reihen, ift die Aufgabe des erſten mit S. 184 fchließen:
den Buchs, auf das hier näher einzugehen wir uns aus
Gründen enthalten müffen, welche ein ſprechendes Argu⸗
ment für die Bedeutfamkeit des Wirkens find. Es ift
namlich die Bildung eines jeden modernen Volks etwas
unendlich Complicirtes, das gegenfeitige Aufeinanderwirken
gerfchiedener Nationalitäten hier ein ganz anderes als bei
den berühmten Völkern des Alterthums, deren Entmwide:
lung aus einer im ungleich größerer Selbſtaͤndigkeit be:
uß.
Dagegen führt eines
wahrten Nationalität hervorging.
jeden modernen Volks Gulturzuftand auf den des röml«
fhen, noch weiter auf den des griechifhen und auf bie
mannichfachen biftorifhen Momente zurüd, wodurch in
[pätern Zeiten die Auffaffung der alten Literaturen vers
ſchiedentlich mobiftciet wurde. Das allercomplicirtefte ift
dies complicirte Verhältnig bei den Deutfchen, deren Unis
verfalitit fo geneigt und geſchickt ift, das Eigenthümtichfte
fremder Nationalität in fi aufzunehmen und in vielen
Hinſichten fo zur Unnationalität wird, daß ſich der Deuts
fhe 3. B. nie eines nationellen Theaters hat ruͤhmen
£önnen. Hierzu kommt der veligiöfe Zuftand, der in dem
proteftantifhen Deutfchland, von äußerer kirchlicher Feſti⸗
gung befreit oder derfelben entbehrend, jederzeit ein beweg⸗
ter, duch den Contact mit dem Batholifchen Deutſchland
nur noch mechfelvollerer war, nicht zu gedenken, daß bie
politifhe Trennung, die in frühern Zeiten nur in anderer
Form als in der neueften obmaltetete, auch flr das intels
lectuelle Sein des Deutfchen eine ganz eigenthümliche Vers
widelung von Urfahen und Wirkungen erzeugen mußte.
Iſt es nun Hm. Prug gelungen in den Raum bes er:
fin Buchs von Zeiten vor der Meformation an pragmar
tiſch Mar und unter vollftändiger Angabe der erfoderlichen
literarifchen Nachweiſungen darzulegen, was nad feiner
Überzeugung für den göttinger Dichterbund ‚bedingend ge⸗
weſen iſt, ſo leuchtet von ſelbſt ein, daß ein referirender
Auszug den Zweck verfehlen und an der Leiſtung des
Hen. Prug ſich wahrhaft verfündigen würde.
Die beiden erften Abfchnitte: „Das 18. Sahrhundert
und die Aufklärung”, „Begriff und Weſen der Aufklaͤ⸗
rung‘, beſtimmt diefen von den verfchiedenen Fractionen
der deutfchen Literatur zum Theil im allerentgegengefeßte:
ften Sinne aufgefaßten und nach einfeitigen Anfichten miss
verftandenen Begriff auf eine jene MWiderfprüche loͤſende
Weiſe feflzuftellen, dünkten Ref. ein wahres Epecimen
philoſophiſcher Geſchichtsbetrachtung. Was Hr. Prug
Über bie Reformation ſagt, möchte Ref. nicht durchaus
unterfhreiben. Die dem Individuum durdy die Meformas
tion gewordene Freiheit der veligiöfen Überzeugung iſt wol
unbeftreitbar nur eine im Laufe der Zeit ausgebildete Folge
der Reformation, eine Folge des Bedürfniffes nach jener
Freiheit, als in welchem letztern Sinne Hr. Prug, wie
Ref. es fcheint, die Reformation aufgefaßt hat. Auch in
Dem, was über humaniftifche Bildung und über die Be⸗
212
deutung unb ben Werth bes Stublums ber alten Spra⸗
che gefagt tft, würde, voäre dazu hier der Raum gegeben,
Ref. fi) zu anderer Anficht bekennen.
Demnach das einleitende erfte Buch übergehend, be:
eichten wir über den Inhalt des zweiten, mit Trennung
bes Bundes fchließenden Buchs. Was dieſer am eifrig>
ften ſuchte, Klopſtock perföntich bei feinen Intereſſen und
Unternehmungen betheiligt zu fehen, follte durch die beiden
Grafen Stolberg erreicht werden, die im Herbſte 1772 Die
göttinger Univerfität bezogen. Vortrefflich und im Allge⸗
meinen auf die Stellung eingehend, die fchon damals der
Adel in Folge veränderter Umftände eingenommen hatte,
ift die Darftellung, wie das gräflihe Bruͤderpaar, trog
ariftoßratifcher Befangenheit, fih dem Bunde anfchließen,
jedoch fpäterhin Freiheitsſchwaͤrmerei in Freiheitehaß, die
Bewunderung des Alterthums in Verklagen und Verdaͤch⸗
tigen deffelben, Seindfchaft gegen den Papft in Katholicis⸗
mus umfchlagen konnte. Den Brüdern war der Ruf
vorbergegangen, daß fie Poeten wären, Griechiſch verftän=
den (Voß bemerkt in einem Briefe, mit Hülfe des Woͤr⸗
terbuchs verfiehe der altere Graf 300 Verfe in der „Iliade“
und ebenfo viel der jüngere in der „Odyſſee“) und Klop⸗
ſtock's perfönlihen Umgang genoflen hätten. Bald nad)
ihrem Erſcheinen in Göttingen ſchrieb Voß: „Beide Gra-
fen haben um Aufnahme in den Bund gebeten und näd:
ftens ſoll es feierlich gefchehen. Und dann erfährt es
Klopſtock.“ Später berichtet er von fich, dem jüngern
Stolberg, Friedrich Leopold, und Hahn:
Wir Drei gingen bis Mitternacht in meiner Stube ohne
Licht herum und fprachen von Deutfchland, Kiopftod, Freiheit,
großen Thaten und von Rache gegen Wieland, der das Gefühl
der Unſchuld nidt achtet. Es ftand eben ein Gewitter am
Himmel und. Blitz und Donner machten unfer ohnedies fchon
heftiges Geſpraͤch fo wüthend und zugleich fo feierlich ernfthaft,
daß wir in dem Augendlid ich weiß nicht welcher großen
Handlung fähig geweſen wären.
Diefes, man möchte wol fagen, Stchberferfermäßigges
berden, dem Deutfh und Michtdeutfch die Kategorien der
ſittlichen wie der aͤſthetiſchen Würdigung waren, das Klop:
flo® als den größten aller Dichter pries und Wieland ale
Verraͤther ſchmaͤhte, erreichte den Culminationspunft in ber
Klopſtocksfeie. Die Grafen übernahmen es diefen, ber
nun (Voß Worte) „urtheilen follte, wer Genie habe
und nicht”, eine Schilderung von dem Bunde zu machen
und ihm das Bundesbuch mit den Gedichten der Mitglies
der zu überreichen. Den gerade mit Herausgabe der „Ges
lehrtenrepublik befchäftigten Klopſtock erfreute es hoͤchlich,
zu Ausführung jener Traͤume Schritte gethan zu ſehen,
er ſchickte durch die Grafen jedem der Bundesglieder einen
Kuß und wies ſeinen Buchhaͤndler an, die Bogen ſeiner
letzten Geſaͤnge des „Meſſias“ ihnen gleich nach dem
Drucke zuzuſenden. „Der Deutſcheſte“, fo beſtimmte man,
„ſollte ſie zuerſt leſen, ſah aber auch voraus, daß es da
Streit geben wuͤrde.“ Waͤhrend das uͤbrige Deutſchland
den Schluß des „Meſſias“, der um ein Menſchenalter
ſpaͤter als der Anfang erſchien, ziemlich lau hinnahm und
die unmaͤßige Affection fuͤr Klopſtock bei dem Dichterbunde
ſelbſt nicht durch den „Meſſias“ angeregt war, ſteiften
doch die Göttinger ſich nunmehr darauf, dieſe letzten Ge:
fünge hoͤchlich zu präconifiren. „Als ein Prophet wurbe
Klopftod gepriefen und daß kein Engel Gottes die Seelen
mehr als er duschbobren könne.” Nun höre man, was
Voß über die bevorftehende Klopſtocksfeier, „‚gleichfam dem
Wartburgsfefte der göttinger Freunde“, ſchreibt (S. 247):
Den 2. Juli it Ktopftod 49 Jahre alt. Diefen Tag
feiern die Danoveraner fonft nicht, weil die Marienfefte abges
ſchafft find. Aber ber Bund wird ihn mit der größten Feier:
tichkeit begeben. Ich laſſe mir ein neu Kleib machen, das ich
nicht eher anziehen will bis auf biefen Tag. .
Dann der Bericht über die Feier ſelbſt:
Gleich nah Mittag kamen wir auf Hahn's Stube, bie bie
größte iſt (e6 regnete den Tag), zufammen. Cine lange Tafel
war gededt und mit Blumen gefhmädt. Oben fland ein Lehn⸗
ſtubl tedig für Klopſtock, mit Rofen und Levkoyen beftreut, und
auf ihm Klopſtock's faͤmmtliche Werke. Unter dem Stuhle lag
Wieland's „Idris“ zerriffen. Iept las Cramer aus ben Triumph⸗
gefängen und Hahn etliche fih auf Deutſchland bezichende Oben
von Klopſtock vor, und barauf tranken wir Kaffees die Fidi⸗
bus waren aus Wieland’ Schriften gemacht. Boie, der nicht
raucht, mußte doch auch einen anzünden und auf ben zerriffenen
„Idris“ ftampfen. Hernach tranfen wir in Rheinwein Kiopftods
Gefundbeit, Futher’s Andenken, Dermann’s Andenken, des Bun:
bes Gefundheit, dann Ebert's, Goethe's (von dem foeben der
„Goͤtz“ erfhienen war), Herder's u. A. Kiopftod’e Ode „Dee
Rheinwein‘ ward vorgelefen und noch einige andere. Run wer
das Gefpräd warm. Wir fpracdhen von Freiheit, die Hüte auf
dem Kopf, von Deutfchland, von Zugendgefang, und du Eannfl
benten wie. Denn aßen wir, punfchten und zuletzt verbrann-
ten wir Wieland's „Idris” und Bildniß.
Die Ergöglichkeit diefes aller feiner Nalvetaͤt und gu:
ten Intention ungeachtet ſich feltfam übernehmenden Trei⸗
bens ift zu groß, als daß wir und enthalten Eönnten, die
hoͤchſt charakteriſtiſche Anmerkung 2, &, 249 — 250 bier
vollftändig mitzutheilen :
Hermann war ausfchließlich ber fire Punkt, bei dem bie
Sympathie der Göttinger flehen blieb; auf das Mittelalter unb
deſſen Nittertichleit, wie man aus der Theilnahme der Stok
berge und ber fpätern Entwidetung berfelben vermuthen mödhte,
erſtreckte fie ſich keineswegs, vielmehr haften fie bad Mitteial⸗
ter, als eine Zeit des Aberglaubens, der Kirchenherrfchaft unb
weltlicher Tyrannei. Schon gegen Karl ben Großen richteten
fie Strafs und Zorngefänge, weil ihm „die Eicher der Barden
Atmofen geworben waren’ (nämiih er foll im Teſtament bes
fohlen haben, feine Sammtiung Barbengefänge zum Beſten ber
Armen zu verlaufen) und weil
— — der Sttavenktette Geraſſel —
Der Franke (Fluch dir, o Moͤnch, der ihn
Den Broßen pries!) um unfern Naden
Schlang, als mit triefendem Stahl der Waͤthrich
In unfte Deimat flürzte, die Druiden vor
Der Irmenfäule würget” und Wittelind
Statt Woban! feinen Wurmſtichbildern
Rüde der Opfer und Gold zu weihn zwang.
Verderben brütend lauerte ſchon bazumal
Noms Goͤtzenprieſter! Ha, der Bezivinger kroch {
Zu feinem Stuhl und ſchenkt', o Hermann!
Deinen Cherudter den MWelttyrannen.
So Boß in der Dbe an Stolberg. Wan fieht, dieſes Deutfe
thum war ein ſehr provinzielleds und mehr niederſaͤchſiſch als
wirklich deutfh. Aber in diefer Art hatten fie es bereits von
Klopſtock geerbt, namentliih auch den Daß gegen Karl den
Großen: fiebe die Dde „‚Kaifer Beinrih” in ben faͤmmtlchen
Werken I, ©. 175:
DIR be, der Erſte niet ber Eroberer
Am leichewollen Strom? und der Dichter Breund?
Ba, du biR Karl! Verſchwind', o Schatten,
Beier und mordend zu Ghrifien machte.
Klopſtock Hatte eine Schilderung des Feſtes verlangt
und b4ld gingen weit über Göttingen hinaus die aben:
teuerlichften Gerüchte über die Freunde an der Leine und
ihre Ifterarifchen Femgerichte. Nunmehr die Gelehrten
republit in das Werk zu fegen und den Bund Uber den
ganzen deutſchen Parnaß ausdehnen zu können, war Klops
kod’s Uberzeugung.
Unter der UÜberſchrift „Bürger und die Romanzen:
yoefie”: folgt S. 252 — 273 ein hoͤchſt intereffanter Ab:
fhnitt. Bürger, deſſen unbefangene Natur nicht zu dem
goͤttinger Dichtertbum flimmte, das, abſichtlich und ge:
waltfam fih In Deutſchthuͤmelei und Bardenweſen hinein
iebend, ſiolz auf Klopſtock'ſche Schwerverſtaͤndlichkeit war,
zählte nicht unter den Mitgliedern des Bundes, trug aber
ungemein viel dazu bei, denfelben in den Augen des Pu:
bicums zu heben. Nicht nur war e6 bekannt, daß Buͤr⸗
ger mit den wirklichen Bundesmitgliedern in freundfdyaft:
lichen Berhätmiffen fiand, fondern es erſchien auch feine
„Kenore”, das Gedicht, welches ſich der Bauer, andaͤchtig
wie in:der Kirche, von dem Küfter in der Schenke vorle:
fen tieß und Gorthe in dem feingebildeten Kreiſe feiner
Zili votlas, zuerft in dem göttingifhen Mufenalmanadıe
und if, wie Hr. Prug fagt, die wichtigfte Gabe geblieben,
weiche jenes Inſtitut der deutichen Literatur dargebracht
bat. Vortrefflich findet man bier dargeftellt, von welchen
Misverftändniffen man, Gleim an der Spige, bei Auf:
faffung des Begriffs dee Romanze und der Ballade, wie
man im damaligen Sinne ſagen darf, der Romanze oder
der Ballade ausgegangen war.
Sn: dem Abſchnitte „Riterarifhe Leiftungen des Bun⸗
des, feine Stellung zum Publicum und zur Kritit wird
über den Inhalt der Almanache für 1773 und 1774 bes
richtet. . Hier ein ausfuͤhrliches, durch bie Angabe der Ab:
weihungen de6 dort befindlichen ältern Textes von dem
fpätern ſehr intereffantes Verzeichniß Deffen, was Gcethe
unter den Chiffen ED. und HD. in den Almanady ge:
tiefere Sat, nachdem von dem Eindrucke, den ber „Goͤtz“
in Deutfhland hervorgebradht hatte, Boie war beflimmt
worden, Goethe's Bekanntſchaft und Theilnahme zu fu:
hen. Auch ohne Goethe's Namen wurden jene Gedichte
«is die Producte eines originellen und bevorzugten Geiſtes
erkannt. Indem Hr. Prug von dem immenſen Abfag des
Almanachs berichtet, von dem allein 700 Eremplare nad)
Damburg gingen und dee Derleger 3000 im Gewiſſen,
5000 moͤglicherweiſe abzufegen rechnete, ſodaß die Redae⸗
tion ihre Einnahme fuͤr ſicherer als alle Profeſſionen und
manche Ämter betrachten konnte, während die Exiſtenz
unſerer ‚heutigen Muſenalmanache mehr von der Gewohn⸗
beit und dem Mitleid erbettelt, als in einem lebendigen
Bedürfniffe des Publicums begründet ift, fagt er Folgen⸗
des (S. 277):
Es iſt dies eines von den vielen Zeichen für die veränderte
Stellung und Bedeutung, weldye die Poeſie im Leben ber deut:
[hen Nation gewonnen hat. Aber wir find weit entfernt, hier
Denjenigen beizuflimmen, welche mit Klagen unb Anklagen eine
Zeit zurüdfehnen, wo unfer ganzes Daſein aufzugehen ſchien in
der Kunft, und wo wir kein anderes volksthuͤmliches Leben, kein
anderes gemeinfames Intereſſe hatten, ober doch Feines andern
und bewußt waren als detjenigen, welches in und an den Ent⸗
wirelungen unferer Literatur fich offenbarte. Wir hatten keine
Geſchichte, nur Literatur, keine Thaten, nur Gebichte. Das Ges
fühl, daß dies anders werden muß und baher anders werden
wird, tft felt langem verbreitet und eben jcht Lebendiger denn
je. Wenn nun in der gegenwärtigen Krifis die Sehnſucht nach
Dem, was in ber Hiftorie ung mangelt, mitunter auch Das ge⸗
ringfhägt, was in ber Poefte unfer edles und unvergänglides
Beſigthum tft, fo bat das in der That nicht viel zu bebeuten:
die Poeſte wird audy uns bleiben, was fie immer und überall
gewefen, die idcelle Geſchichte nämlich unſers Volks; aber wir
werben nun eine thatfächlicye dazu befommen, wir werden Verſe
machen und Schlachten ſchlagen und das Eine nicht aufgeben
gegen das Andere. Möchten diefe veränderte Geltung der Kunft,
das Net diefer Anderung und die Zukunft, die ſich daraus
entwickeln muß, body namentlidy unfere jungen Dichter erwägen,
die es jest fo oft verfiimmt und nieberbeugt, daß ihre reblichs
ften Bemühungeu, fogar ihre glüdtlichften Erfolge dennody nie:
mals an jene Erfolge reihen, weiche die Dichter unferer- frühes
ven Zeit, zum Theil fogar mit viel kleinern Mitteln, dennoch
gehabt Haben; ia, möchten fie, ſtatt Entmuthigung und Übere
druß, hierin vielmehr die Mahnung finden, mit Ber; und Hand,
mit Lied und That ſich diefer neuen Zukunft zu weihn, welche
noch einmal, fo Gott will, Leier und Schwert vereinigt zei⸗
gen wird.
Wird diefe Hoffnung allgemein in dem deutfchen Molke
lebendig, dann wird auch ihre Erfüllung kein frommer
Wunfd, bleiben.
Die „Allgemeine deutfche Bibliothek“, ſelbſt Wieland's,
des von den Göttingern fo ſchwer Verlesten, „Deutfcher Mer:
cur‘ fprechen mit Anerlenntniß von dem Inſtitute. Se
allgemeiner (vgl. „Verhaͤltniß des Bundes zu Göttingen“,
©. 283 — 238) dus theilnehmende Anerkenntniß war, das
dem Bunde und deſſen Leiftungen in Deutfhland wurde,
um fo gereizter flellte im Allgemeinen man fi ihm in
Böttingen entgegen. „Das reale, das hiftorifche Element
der göttinger Univerfität erblidte in allem Idealen und
Daher wie in der Phitofophie fo auch in der Poefie nur
eine Thorheit, einen Lupus Üübermüthiger und unpraktifcher
Menſchen, wenn nit noch Werderblicheres. ”
Alberne Märchen von einer Bardengefellfchaft, die mit
ihren Schülern, an die Hunderte flark, auf die benachbars
ten Berge auszöge, in Thierhäute vermummt um Mitter:
nacht opfere, Wodan und Klopſtock anrufe, Bildniffe ver:
brenne und feinen Wein, aber gewaltig viel Bier tränke,
fanden folden Glauben, daß Denina in „La Prusse lit-
teraire sous Frederic Il” Ahnlidyes als unbezweifelte That⸗
fache berichtete.
(Der Beſchuß folgt.)
Ein neuer Roman von Cooper.
The Jack o’ Lantern (le feu follet) os the Privater. By
J. Fenimore Cooper. Drei Bände. London 1843.
Fenimore Gooper verdient unftreitig einen Plag in der vors
derften Reihe jest lebender Novelliften; ich möchte ihn ziemlich
hoch an den Flügel ftellen, in der Compagnie der Seenovelliften
zum Slügelmann felbft maden. Er bat bem Leben in den Wäls
dern und auf bem Deere die poetiſche Seite abgelaufcht, hat fie
voll begriffen und verfteht bie Kunft, fie zu zeichnen. Die
mA
Wälder und dad Meer hat er mit feinen Gchöpfungen benöls
tert, und ohne in der Literatur ein Prophet fein zu wollen,
halte ich es nicht für unwahrſcheinlich, daß feine & Öpfungen
die Wälder überdauern, da, wo biefe gegrünt, Staͤdte ſich er⸗
heben und die Bewohner Cooper's Novellen lefen werben. Bes
fäße Amerita auch ihn allen, man könnte nicht behaupten,
Amerika habe keine Kiteratur. Cooper's Schriften find an ſich
eine Literatur, ich brauche die Titel nicht zu nennen. Aber
aufrichtig geftanden, ift es mir immer vorgelommen, als habe
weber die beutfche noch die englifche Kritik ihm fein volles
Recht gegönnt. Ich will die möglichen urſachen hier nicht aufs
ſuchen; fann fein, es findet ſich dazu eine geeignetere Ge⸗
legenheit. Jetzt nur ein paar Zeilen uͤber ſein juͤngftes Werk.
Es ſchmaͤlert feinen Ruhm nicht. Mer Gooper’s fammttiche
Schriften gelefen bat, wird allerdings Verwandtes finden.
Das liegt in der Natım des Stoffes, kann folglich nicht
anders fein. Das Meer ift überall Mer, Schiffe blei⸗
ben Schiffe, Seefahrer Seefahrer. Seemännifde Abenteuer
auf dem mittelländifhen Meere müffen vielfache Ähnlichkeit has
ben mit den feemännifchen Abenteuern auf dem atlantifchen
Dcean, und Stürme und Windftillen, Sonnenauf= und Son⸗
nenuntergaͤnge ſind uͤber die ganze Welt ziemlich dieſelben. Iſt
aber auch der Stoff nicht neu, weil er nicht neu ſein kann,
iſt es doch die Behandlung. Der Verf. hat ihn ſo geſchickt be⸗
nust und fo Hug gruppirt, daß er wie etwas Neues ausſieht.
Sden das war ein gluͤcklicher Gedanke, daß er bie Have, fon,
nige See zwiſchen ber noͤrdlichen Spike von Elba und dem
Sof von Salerno zum Schaupiage wählte. Minder gluͤcklich
dauchte mir anfangs die Wahl bed Helden. Der iſt Capitain
eines franzöfifhen Kapers, und ben größern Theil bes erften
Bandes hindurch konnte ich die Beſorgniß nicht los werden,
daß das in London verlegte und auf engliſche Kaͤufer berech⸗
nete Buch in England Anſtoß geben würde. Selbſt ber zarte,
fanfte, ſchoͤne Charakter der Ghita Garaccioli konnte mir bie
Beforgnip nicht nehmen. Damit will ich nicht die Engländer
einer einfältigen eindfeligkeit gegen Frankreich befchuldigen.
Aber der Verf. ſchien mir ein heimliches Worurtheil gegen Eng:
land zu verrathen, und wie fehr das au in Paris und Berlin,
in Wafhington oder Petersburg gefallen mag, ben Engländern
koͤnnte es felbft bei mehr Freifinnigkeit und weniger National:
ftolg ſchwerlich behagen. Nach und nad) ſchwand meine Beſorg⸗
niß. Cooper laͤßt den braven Inſulanern Gerechtigkeit wider⸗
fahren, um fo ehrenvoller für fie, falls er es gegen feinen
Willen gethan. Dem Helden, Raoul Ivard, verleiht er eine
Menge guter Eigenfchaften und vereinigt in ihm nad) Vorfchrift
das Hauptintereffe der Erzählung, doch gewährt er auch dem
Gapitain Euff und den Männern Clin, Griffin und Windefter
einen fo unabweisbaren Anſpruch auf die Achtung und Bewun⸗
derung bes Lefers, daß die Engländer auf bie bem Helden ver:
ftatteten Borzäge nicht eiferfüchtig fein und ihre Freunde in
Paris und Berlin, in Petersburg und Wafhington fi) immer
noch die Haͤnde reiben koͤnnen. Obwol bie erwähnte Ghita
Cariccioli ein mit überlegung entworfener und gluͤcklich durch⸗
gefuͤhrter Charakter iſt, reicht ſie doch zu Cooper's Maͤnnern
nicht hinan. Die Lebensverhaͤltniſſe des Verf. haben ihn gehin⸗
dert, das weibliche Gemuͤth zu durchſchauen ‚bie weibliche Or⸗
ganiſation zu zergliedern — und wie ſchwer iſt überhaupt Bei⸗
des! Ghita und ihr Geliebter differiren im Punkte der Reli⸗
gion. Ivard, gehorſam ber Sitte feiner Zeit und feines Lan⸗
des, ift ein Ungläubiger. Er glaubt nicht an Gott, weil feines
Dafürhaltens feine gelehrten und fpecutativen Lanbeleute bie
Gefege der Natur vollftändig ergründet haben, und er in beflen
Kolge nicht begreifen kann, wozu das Univerfum eines Schöpfers
bebürfe, dafern der menſchliche Geift die Brundfäge zu ents
decken vermöge, nach welchen es fiy bewegt. Das war damals
in Frankreich herefchender Glaube, ift e8 zum heil wol noch.
Shita opponirt in echt weiblicher Weife, nicht durch Vernunft⸗
fchtüffe, fondern durch Liebe und Gebet, und wenn dic Beleb:
zung bes Geliebten ihr nicht gelingt — beun Cooper hat das
weislich unentfchieben gelaflen —, b fiheitert fie nur an ber
Klippe feiner ungerftörbaren Gitelleit. Die Scene auf dem fels
figen Giland, wo der verwunbete Ivard, ben Bid zu den
Sternen gerichtet, ruhig und fchweigend bie Seele aushaucht,
wird auf keinen Lefer den Einbrud verfehlen. Biellsiht ſtoͤrt
ber frivole Muthwille des jungen Mannes ein oder zweimal
die Harmonie bed Gemaͤldes. Das lag jedoch im Plane bes
Verf. und Läßt fich zechtfertigen. Auch werben vielleicht fupers
kluge Menfchen Coopern tabeln, weil er feine Heldin nicht mit
größerer Überrebungskraft ausgeftattet, ihr nicht einen höhern
Gedankenkreis angewieſen. Er Hätte e8 auf Koften der Wahr⸗
heit und der Wahrſcheinlichkeit thun müflen, denn Ghita ift
das unerzogene Kind des ſuͤdlichen Italiens. Am Stil und an
ber Darftellung wird vermuthlih Niemand mdäleln. Sie find
ftets ihrem Gegenftande angemeflen, ob es eine Schüberung,
eine Erzählung, eine Debatte gelte. 14.
Literarifhe Notizen aus Franfreid.
Die franzöfifche Literatur ift reich an vortrefflichen Kinder:
fhriften. Wir haben, um nur der Schriftfteller des vorigen
Sahrhunderts zu gedenken, Perrault, Berquin und Mab. Eer
prince de Beaumont, die durch ihre trefflichen „Magazins’‘ bes
kannt ift. Unter den neuern Werken diefer Art, deren Ruf ber
reits feftfteht, verdienen ‚‚Les aventures de Jean Paul Chop-
part“ des bekannten Waubevilliften und Romanſchreibers Louis
Desnoyerd befonderd hervorgehoben zu werben. Das Werk ers
ſchien zuerft vor 10— 12 Jahren in einem ber Jugendwelt
gewidmeten Journale. Die gewandbte Darftellung unb ber
natürlidge Humor, der fi auf allen Seiten ausſprach, erwarb
diefer Schrift fo viel Beifall, daß faft jedes Jahr eine neue
Auflage davon gebracht hat. Gegenwärtig erhalten wir num
eine fogenannte illuftrirte Ausgabe. Die Mater Gerard⸗Seguin
und Frederic Goupil haben Alles aufgeboten, um die aͤußere
Ausftattung des Werks feines innern Gehalts würdig zu mar
hen. Es ift dies eine von ben Jugendfchriften, an denen ſich
auch das reifere Alter ergögen kann.
„Le capitaine Lambert’ ift der Titel des neueften Romans
von Charles Rabou. Gr ift aanz in berielben Manier
gefchrieben wie die frübern Romane diefes fruchtbaren Schrifte
ftellerd. Seine Geftalten find ganz naturgetreu. Es fehlt ben
gut gefchriebenen Romanen weder an Erfindung noch an einzels
nen gluͤcklichen Schilberungen, wol aber an einem wahren poes
tiſchen Hauche. Dieſelbe hausbadene Wirklichkeit machte ſich
auch ſchon in den fruͤhern Romanen Rabou's breit, z. B.
in feiner ‚‚Louison d’Arquien” und feinem „Paurre de
Montlhery”. Das befte Wert, das aus feiner Feder gefloffen ift,
find die humoriftifcden ‚‚Tribulations et agonies posthumes de
Fabricius”. Rabou ift auch als KXournalift befannt. Er war
eine Zeit lang Rebacteur einer Revue, arbeitet jest am minifies
tiellen „Measager“ und ift der Ziheaterkritifer des „Globe“.
Die vortreffliche Reifebefreibung vom Schweizer Dubois
de Montpereur („Voyage autour du Caucase‘), deren erfter
Band namentlid ber originellen Behauptung wegen, daß die
Irrfahrten des Odyſſeus im ſchwarzen Meere flattgefunden haͤt⸗
ten, felbft im größern Publicum viel Auffehen erregt hat, ifl
gegenwärtig bis zum fünften Bande gebieben. Es ift dies eine
von den feltenen Werten, in denen fich Gelehrſamkeit und all:
gemeineres Intereffe die Band reihen. Es ftroßt von ben ges
tehrteften Beobachtungen und bietet doch felbft für Diejenigen,
die weniger heil nehmen an rein wiffenfchaftiichen Kragen,
eine intereffante Lecture. Wir hoffen, daß bie beutfche Übers
fegung diefes Werks, von der der Anfang bereits erfchienen ift,
dem Werke auch in Deutfchland die Anerkennung verfchaffen
möge, die es in Frankreich gefunden hat. 2.
Berantwortlicher Herausgeber: Deinrih Brodhaus. — Drud und Verlag von F. 4. Brodhaus in Leipzig.
Blätter
für
fiterarifhe Unterhaltung.
Freitag,
Der göttinger Dichterbund.
ſchen Literatur. Bon R. E. Prut.
(Beſchluß aud Ar. 61.)
Von des Bundes und Goͤttingens im Allgemeinen ge⸗
genfeisig unerfreulichen Verhaͤltniſſen wendet Hr. Prutz in
dem Abfchnitte „‚Eiterarifche und perfönlihe Beziehungen‘
fih zu den Berhättniffen, In welchen der Bund nad) au:
en fand. Bier müſſen wir uns eine genauere Relation
verfagen; denn es ſteht dieſer Abſchnitt in weſentlichem
Zuſammenhange mit den dem Entſtehen des Bundes zu:
naͤchſt vorhergehenden, im erſten Buche geſchilderten Zu⸗
ſtaͤnden der deutſchen Literatur. Nur Folgendes heben wir
hervor: Herder haste fich jederzeit den göttingifchen Dichtern
theilnehmend und wohlwollend erwiefen und in Goethe,
ben Verf. des „Goͤtz“, meinten fie einen gleichgefinnten
Genoffen zu erkennen, der, wie fie es wollten, allen Res
gen der Kunftrichter und Theoretiker in das Auge gefchlas
gen habe. Trefflich iſt S. 302— 303 der zwiefache Ge⸗
fihtsyantt angedeutet, von dem aus betrachtet Goethe's
fruͤheſte Werke und infonderheit der „Goͤtz“ einerfeits das
Product ihrer Zeit, andererfeits als die felbfländigen Ans
fänge einer ganz neuen kuͤnſtleriſchen Thaͤtigkeit erſcheinen.
Bon ber edeln Unterwerfung unter das Geſetz der Schoͤn⸗
keit, von Form und Grafie war im „Goͤt“ noch wenig zu
fpüren, und fo geſchah s#, baß bie Iugenb auch in biefem
Stuͤcke, wie Gotthe feibft ſagt, ein Panter fab, unter deſſen
Berfchritt Alles, was in ihr Wildes und lingefchlachtes Iebte, ich
wol Raum machen bürfte, und gerade bie beflen Köpfe, in de⸗
nen ſchon vorlaͤuſig etwas Ahnlidies ſpulte, wurden bavon
bingeriffen.
Da Klopſtock und Wieland ganz eigentlich bie beiden
Pete waren, zwiſchen denen die Göttinger fidh bewegten,
jener der anzicehende, dieſer der abfloßende, fo wird unter
der Auffchrift „Klopſtock und Wieland” die Betrachtung
beider Dichter, wie fie ſich gefhichtlich entwickelt, welche
Stufen unferer Bübung, welche Gegenſaͤtze ihrer Zeit fie
zus Dorkellung gebracht haben, in der Kürze eingeſchaltet.
Die GSoͤtunger feibft Armen nun kamn Wieland fo tief
geſtellt Haben, als benfelben hier * Prutz ſtellt. Er be⸗
hauptet, was jene in den Angriffen auf Wieland vorge⸗
ſchoben, Franzoſenthum und Unfittlickbeit, waͤnen sur Au⸗
der eigentliche Gegenſad ſei der zwiſchen einer
Poefie mit Pathos, mit kebendigem Gubjert, und einer
b108 formellen Poeſie, welche das Subject nidge fühle, von
m nn be nn nn nn
3. Mär; 1843.
der das Herz des Posten felbft nichts wiſſe und bewegt
werde. Dabei wird bemerkt, daß in diefem Punkte bie
Romantik der Schlegel u. f. w. eigentlich mit Wieland
in Verwandtſchaft und Übereinſtimmung fei, da jene Ro⸗
mantie es ale Poefle der Poeſie gepriefen haͤtte, das ganze
Geſchaͤft der poetifchen Production fronifirend zu treiben.
Dies fei die Gefchichte von dem Hunde, der fein eigenes
Bild anbelle, oder auch von dem Bafilisten, den fein Ans
blick toͤdte. Liegt es nun ſchon völlig außer der Tendenz
unfers Berichte, polemifirend gegen Hrn. Prug aufzutres
ten, fo werfen wir doch hier folgende Frage auf: Kann
der „Oberon“, der fih einer Aufnahme in Deutfchlanb
erfreut hat, wie nur wenig andere Probucte der deutſchen
Literatur, wol fo durchaus nur Dasjenige fein, was De
Prug eine formelle Poefie nennt? Wäre der „Oberon“,
hätte Wieland die Form dee Stange behandelt wie 3. B.
Regis den Bojardo, nicht die dem Deutfchen zuſagendſte
Umbilbung des Arioſto'ſchen Epos? Welchen Plag weiſt
Hr. Prug dem Bojardo und Arioſto an, wenn er jene
Anfiht won ironifirender Poeſie will confequent durchfuͤh⸗
ren? Sollte nicht jedee Art Urtheil über die Schlegel je:
denfalls in refpectvollern Ausdrüden vorgetragen werden?
Um nur bei A. W. von Schlegel ſtehen zu bleiben, hat
nicht bderfelbe, mag man aud berechtigt fein ihn einen
beutfch=alerandrinifchen Poeten zu nennen, in den zwei
Bänden feiner Gedichte Herrliches geleifter, das überall
Anerkenntniß finden wird, wo em gebildeter Kunſtſinn ge⸗
funden wird. |
Wir wenden uns zur Berichterflattung zuruck. In
dem Abſchnitte Kiopſtock's Projecte mit dem Bunde” wid
dargelegt, wie Klopſtock, verſtimmt und gereizt durch den
Vorzug, welcher Wieland in Deutfchland vor ihm zuer⸗
kannt wurde, und durch die verfehlte Wirkung, die das
Erſcheinen der „Gelehrtentepublik“ hervorbrachte, dem Ver⸗
bindeten fi inniger anſchloß und, auf dieſe geſtuͤtzt, allen
widerſtrebenden Elementen zum Zioß, ſeine Gelehrtenre⸗
publik in Realität zu ſtellen beabſichtigte. Daß feine Hoff⸗
nungen nicht getäufcht blieben, weil etwa. ber Bund «6 an
fih fehlen ließ, beweilt, was Voß im März 1774 an
Brückner ſchrieb: nn Ä
Komm her, mein iehfler Bunbesbsuber, und umarme mid!
Bote hat einen Vrief von Klopftock an den Dund mitgebracht.
Hier if die Mhfiheift. . Der 'gehfte Dichter, Dee eefle- Deutfche
y , » we,
% B 2 u . 346 ‚ ‘
R| ⸗ * *
von denen, bie leben, ber froͤmmſte Mann, will Antheil haben
an bem Bunde der Juͤnglinge. Alsdann will er Gerftenberg,
Schönborn, Goethe und einige Andere, die deutfch find, eintaden
und mit vereinten Kräften wollen wir den Strom des Lafters
und der Sklaverei aufzuhalten ſuchen. Zwoͤtf follen den inner
einen Sohn an, ber um nach
Mehr wiſſen wir
Bimd m Sir nimmt
deinem Ze Folgt; Tonfk wählen die Eife.
ſelbſt noch nit. Gerftenberg wundert fi, wie Deutfchland
nah Göttingen gekommen ift. Die Grafen fohreiben, daß er
viel von uns erwartet. Schande über uns, wenn wir feine Er:
wartung nidt erfüllen. Aber Gott wirb uns helfen! Denn
Breiheit und Tugend iſt unfere Loſung. Ohne Einwklligung des
Bundes darf künftig Niemand etwas druden laffen. Kigpftod
fetbft will ſich dieſem Geſez unterwerfen. " A
Bor der Meife nach Hamburg Oftern 1774, Voß
erſtem perfönlihen Zufammentreffen mit Klopſtock, ſchreibt
er (©. 328): |
O Klopſtock, edler, aroßer, urbeutfcher Mann! In feche
Wochen hab’ ich bein Anffig gefehen und, Heil mir! Dich um:
armen. bürfen! Damm ruht bein. Segen auf mir.
Und dann bricht er in die vwoilden Worte aus:
Dann wirb das Gebein der Satandopfer erbeben und
Deutſchland von neuem Deutfchland, eine Wohnung ber Red:
lichen fein.
Der Hohmuth kam (vgl. den Abfchnitt „Trennung
des Bundes”) ganz eigentlih, wie Hr. Prutz fügt, vor
dem Falle, und in dem Übermaße der Begeifterung hatte
man nicht berechnet, es müffe gefchehen, was 1774 ge:
ſchah, und der Verein, von Berufs: und dufern Verhälts
niffen getrieben, von Göttingen aus nad allen Dimmels:
gegenden zerftreut werden, fo aber die unausbleibliche End:
fhaft erreichen. ı
Das dritte Buch verfolgt‘ die literariſch⸗ Hiftorifchen
Beziehungen ber zerfireuten Mitglieder nach Auflöfung
bes Bundes. Hoͤchſt anzichend und bedeutend ift, was
bier über Hölty, Bürger, Voß und die Stolberg gefagt
wird, deren Namen Deutfchland in feifcherm Andenken
bewahrte als die ber Übrigen.
Mir fchließen hier, indem wir wiederholen, was Hr.
Prug felbit, recapitulirend, Über die Grundanfichten feines
Werks (S. 404) fagt:
Wir haben gefehen, wie von der Reformation. ber bie Ver:
nichtung des Gonventionnellen und ‚die Lebendige MBetheiligung
bed Subjects am Inhalte der Kunſt, am Schönen, bie Wafgabe
unſerer Poeſie wird; wie der goͤttinger Dichterbund in dieſer
Entwickelung den abſtracten Klopſtock ſchen Standpunkt zu fixi⸗
ren und in der Literatur zur Herrſchaft zu bringen ſucht; wie
aber dieſe Bemuͤhungen ſich ſchon in ihrem erſten Anfang als
nichtig exrweiſen und wie die Dichter des goͤttinger Bundes,
flatt die Welle der Gntwidelung aufzuhalten, vielmehr ſelbſt er⸗
griffen werden von ihr, ja wie ſie zum groͤßten Theil in dieſem
Strudel untergehen. Was ihnen verſagt iſt, hat inzwiſchen
Soethe erreicht, die Ausſoͤhnung des individuellen, perfoͤnlichen
Inhalts mit dem Inhalte der Kunft, die ‚Darftellung und Bots
iendung des poetiſchen, des ſchoͤnen Subjects. E iſt der Ab⸗
Ichluß dieſer geſammten Entwickelung, der mild herrſchende, ſe⸗
lige Zeus, der aus dem Titanenkampfe der ſiebziger Jahre ſich
in ſelbſtgenuͤgfamer, majeſtaͤtiſcher Sicherheit erhebt. 34.
7 Sprachveränderungen
Außer der Mode, welche, gemeinigtidy von Frankreich aus:
gehend, ſich faft über bie ‚ganze civittfirte Melt verbreitet, gibt
- gb eine Menge. weit. heflerer. Gebraͤuche, die wir Drutſchen von
diefem Rachtariande annehmen follten. Dahin ‚gehören aber ge⸗
zihr, dem Kör
ſchreiten Begriffen ſteht vop irgend wen der B
zuzurufen fei:
geweſen, diefelbe, Zeit und Umſtaͤnden
wiß nicht die feltfamen Schranken, in benen noch vor wenigen
Sahrzehnden die franzöfifche Sprache durch die Akademie zu
Paris feftgehalten wurde. Als 0b bie Sprache allein dem fteten
Wechſel aller irdiſchen Erſcheinungen zu entziehen wäre, als ob
des Geiſtes, während biefer im xten‘ Forſ⸗
I mit Erfolg
is bierhek_umb nicht weiter! Erſt eine ziem⸗
liche Zeit nach der im J. 1789 ausgebrochenen Revolution hoͤrte
das Woͤrterbuch der franzoͤſiſchen Akademie auf, eine nicht zu
beſtreitende Wahrheit, ein unantaſtbares Richtmaß zu ſein. Als
während der revolutionnairen Kriſis der neue Zeitfirom Frankreich
mit neuen Worten, zum Theil ſo unerhoͤrt, wie die meiſten der
neuen Greigniffe, uͤderflutete, verſchanzte ſich die. fra fiiche
Akademie zwar um fo balsflarriger in ihr Wörterbuh, am
Ende wurde fie aber doch durch die von allen Selten auf fie
sufliegenden Bomben zur Sapitulation mit den fogenannten Ber:
unreinigeen ber franzöfifchen Sprache genöthigt. Jeder voruͤber⸗
gehende Auftand gebat, neben den dem Sprachſchatze für im⸗
mer erbeuteten Worten, auch ſolche, bie mit Sen epbemeren
Sreigniffen, aus denen fie entfprangen, wieber fpurlog dahin
farben. So erging es natürlich 3. B. dem Worte Zan-
terniser, ald man das fofortige Grareifen und Aufhaͤngen
jebes Verdaͤchtigen, wenn auch vieleicht noch nicht als ein am
ges Werk der Finſterniß betrachtete, doch die Raternen wenig⸗
ſtens der ihnen zugemutheten neuen Nebenfunction, den Galgen
vorzuftellen, wieder entbunden hatte. Andere zu ihrer Zeit im
Übermaße angetvcndete neue Wörter verſchwanden plöglich wies
ber gang aus der Schriftſprache, ehe noch deren eigentliche Be⸗
beufung im Auslande recht Elar ‚geworden war. Noch erinnere
ih mich aus einer fpätern Zeit, den erften Jahren bes Juli⸗
throns, des Spottnamens Bousingot, welher hauptſaͤchlich
in den ſatiriſchen pariſer Blaͤttern, wie dem „Figaro”, vorkam.
Daß er im Allgemeinen einen ſogenannten Republikaner der
J. 1831 und 1832 bezeichnen folite, war gewiß über die urs
ſpruͤngliche Bedeutung des Wortes aber gab weder das Wor⸗
terbucy ber franzoͤſiſchen Akademie noch eins von benen, bie
feiner Autorität jedes von ihm nicht anerkannte Wort zum
Opfer brachten, noch auch ein minder ferupulöfes, das mir zur
Hand war, das bekannte Laveaur’fche, einige Auskunft. Ende
lich fand id in ber ſechſten Auflage des Oupplements
Woͤrterbuche der Akademie, vom 3. 1836, daß ein Hut der
Schiffleute (marins) fo genannt werde. Dabei fieht noch bes
merkt: „Par extension se dit de celui, qui s’affublant de ce
chapeau, prötend faire connaftre, qu’il est r6publicain et
fait parade de son costume bizarre: on appelle aussi Bou-
singots cette surte de röpublicains. II est ironique.” Das
im. 3. 18542 au Paris erfihicnene „Complöment du Diction-
neire de l’Acad&mie francaise’”” behandelt das Boufingotwefen
ſchon als eine bereits aus ber Reihe der Dinge geftriddene Er⸗
fgeinung ; indem es bei dem Worte Bousingot bemerkt: „U a' eat
dit de quelques hommes, qui se distingusient par la bizar-
rerie de leur costume et l’exageration de leurs opiniens de-
mocratiques, ”
Genug, au in Frankreich ift man neuerlich von. jenem
unnatürlichen Sprachrigorismus ziemlich zurücdgelommen.
Zum Glüd hat uns Deutfche ber laͤcherliche Stolz, daß
unſere Sprache eine Vollkommenheit, die durchaus nichts zu
wuͤnſchen übrig laſſe, befiße, nie angewandelt, um fie mit dhn«
lichen Feſſetn wie die franzöfifche Akademie bie ihrige zu bes
laſten. Wir fiad vielmehr, ungeachtet der etwanigen. Mider⸗
ſpruͤche der Pedanterie mancher Eprahforfher, immer bedacht
ß, fortzubiübden. . Je,
wir gehen vielleicht auf der entgegengefegten Seite zu weit, ins
dem wir theils faft alien franzoͤſtſchen Wörtern in unferer Schrift
das geſtatten, theils neue deutſche Wörter, Gone
fiructionen und Redensarten: kilden, bie ſich weder bei einem
gefunden Sinne für Wopllaut noch bei irgend einer. fonfligem
« competenten geltigen Behoͤrde verantworten laſſen. Was bie
franzoͤſiſchen Wörter in ber deutſchen Gprache betrifft, To find
«
ben Wörterbirchern der lehtern ſehr viele davon nicht mehr vor⸗
zuenthalten. Es geht aber deren Anwendung in der Schrift
neuerlich wieder zuweilen bis zur Lacherlichkeit. Wie feit kurzem
noch immer manche Berbeutfäher auslaͤndiſcher Rovelfen, zumal
wenn bie Urfpradde zu ben minder befannten und verbreiteten
gehört, vielleicht um ihre Gelehrſamkeit mehr außer Zweifel zu
feten, bie gewöhnlichen Wörter, wie Water und Butter, Tiſch
und Stuhl und aͤhnliche, in der Urſprache ihrer Überfegung
einverleiben und ben deuffchen Namen in Noten unter bem
Texte nadhbringen, fo glauben auch manche andere Gchriftftels
ler ihrer Profa rinen größern Schmud durch Aufnahme der ge:
mwöhntichften fremden Wörter flatt der mit ihnen völlig übereins
flimmenden beutfdyen zu verfihaffen. So genoß 3. B. untängft
das abgeſchmackte, Halb franzoͤſiſche, Halb deutſche Baſtardwort
Bornirtheit kurze Zeit des laͤcherlichen Triumphs, einen Ehren:
ptas in ber deutſchen Schrift zu erhalten, da doch unſer echt
deurfches Wort Beſchraͤnktheit fich gewiß in diefer weit ans
ftändiger ausnimmt. Bon dem Worte Blafirtheit, obgleich an
Ktanyg und Weſen mit bemfelben nahe verwandt und gerade
wie jenes aus einem franzoͤſiſchen und einem deutſchen Stüde
unnatürtich zufammengefchraubt, laͤßt ſich die Einbürgerung in
die deutſche Sprache fchon eher entſchuldigen, weil dad Wort
btafirt durch unfer ſtumpf oder irgend ein anderes deutfches al:
terdings kaum erfchöpfend auszubrüden fein möchte.
Brit entfernt, einen grillenhaften Sprachpurismus vers
theidigen zu wollen, finde ich, daß dergleichen Ausländereien in
der bdeutfchen Schrift doch viel deſſer thunlichſt zu vermeiden
fin würden. Gin Anderes ift es, wenn das ausländifhe Wort,
worauf e3 ankommt, durch fein deutfches vollſtaͤndig und ange:
meſſen wiedergegeben werden Eann. Sogar in Fällen, wo, vers
möge der Gigenthümlihkeit des Inhalts der Schrift, ein und
daſſelbe deutſche Wort oft wiederholt werben muß, halte ich es
für beffer, ein befanntes, feinen Sinn ausbrüdendes, auslänbi;
ſches mit zu gebrauchen, als in die Fehler ber Eintoͤnigkeit oder
des Misklangs zu verfallen. Obſchon bie Bemühungen der
Sprachpuriſten und namentlich. des um das beutfche Idiom in
vrelfacher Hinſicht hochverdienten Campe für die Bilbung neuer
angemeffener deuticher Wörter lange nicht von fo umfalfenden
Kolgen gemwefen find, als fie folches vermutheten, fo verdienen
doch audy die wenigen ber hierin von ihnen gefchehenen Vor⸗
ſchlage, welche fich allgemeiner Billigung erfreuten, unfern aufs
richtigften Dant. Schon darum, weil feitden andere Schrift
fteller, mehr als je zuvor, zu Verſuchen gleicher Art ſich eben:
falls bewogen fühlten nnd bie beutfche Sprache fo nach und
nach mit recht vielen Wörtern und Ausbrüden wirklich bereis
dyert worden, wenngleich nur bei wenigen die Namen Derer ſich
in unferm Andenken erhielten, denen wir ihre Einfuͤhung ſchur⸗
dig find. Beſonders bat unter Andern Goethe uns ein wahrs
haft werthoolles Geſchenk mit manchen Wörtern gemacht, die
er theils feibſt zufammenfrste, theils, als ganz verfchollen, un:
ferer Schriftfprache reclamirte. Dürfte auch vielleicht das unter
die erfiern mit gehörende Wort Wohlhaͤbigkeit, obſchon neuer⸗
lich hier und da von andern Schriftftellern ebenfalls gebraucht,
fh nur wenig Beifall erworben haben, fo hat fi) doch Goethe
deffen deſto mehr mit Zurüdberufung bed geraume Zeit ganz
wie verbannt gewelenen Wortes Gem uͤth erworben. Bald dars
auf wurde freilid mit dem wicbergewonnenen Semüth in man:
dem achtungswerthen literariſchen Producte wahrer Unfug ge:
trieben. Unter Anderm gab es einen befonders ausgezeichneten
Homan, in bem ed, gemeiniglih alliirt mit dem Beiworte zart,
beinahe auf jedem Biatte fi zur Schau ftellte. Seitdem iſt
das Semüth, als Paradepferd, Längit vergeſſen, während das
wadere Bort fein wohldegründetes Recht auf die beutiche Lite⸗
ratur fortwährend bebauptet. Das aus Goethe's Feder eben:
falls zuerit wieber bervorgegangene, durch kein anderes urfprünge
fich deutſches vollfländig zu erfeßende Wort Naturell, ift nicht
weniger ein hoͤchſt willlommenes Geſchenk von ihm, dem glaͤn⸗
’ Geftien unferee geſammten Literatur... a
Er gibt aber auch wine yiemiihe Zaht mitunter zur Gantz⸗
243
barkeit gelangter Wörter, deren Geltungsfäpigkeit wol in Zwei⸗
fet gezogen werden bärfte. Ais ein fotches betrachte ich das
Wort entmenfcht, wie es vor kurzem erft in einem wichtigen
deutſchen Werke von anerkanntem Verdienſte gebraucht worden
it. Es flel mir um fo mehr auf, da es darin mit dem Sub⸗
ſtantiv Scheugtichkeit verbunden erfcheint. Was Fann man ſich
wol unter einer „entmenfchten Scheußlichkeit“ denken? war
meine erſte Frage, da doch ſchwerlich einer Scheußlichkeit ber
Charakter des MRenſchlichen beizulegen iſt, deſſen fie hier als
beraubt dargeſtellt wird. Die zweite Frage ſchloß ſich unmittel⸗
bar daran: Welche Bedeutung kann das Adjectiv entmenfcht
uͤberhaupt haben?
Vielleicht iſt Klopſtock, in einer Obe zum Preiſe be deut⸗
fhen Kaifers Jofeph's II., Derjenige, der den Ausdrud bei
und in Aufnahme bradite. Die Stelle lautet:
Wen faßt bed Mitleids Schauer nicht, wenn er firdt,
Wie unfer Poͤbel Canaans Volk entmenſcht.
Das Wort heißt in dieſer Beziehung offenbar fo viel als un⸗
menſchlich behandelt und ift daher einem fo hochbegabten Dich⸗
ter für ben eigenen Gebrauch wol zu verftatten. Ob aber auch
im Allgemeinen feine Aufnahme in die Schriftfpradhe, in der
es feitdem, bald unter diefer, bald unter jener Bedeutung er:
fheint, zu dulden fein ſollte?
Das Berbum entmenſchen kommt bereits in dem zwifchen
den 3. 1818— 21 entftandenen Heinfius’fchen „Woͤrterbuch der
beutfchen Sprache” vor und heißt diefem nach: der menſchlichen
Geftalt, oder des menfctichen Gefühle, oder der menſchlichen
Würbe berauben. Nah Kaltſchmidt's „Geſammtwoͤrterbuch“,
welches im 3. 1834 erſchien, ift es den Wörtern verwildern,
vertbieren, brutalifiven gleich geltend.
Zugleich erinnerte ih mich anderer neuerlich mehr ober
minder gebrauchter Wörter, wie Enechten und aͤhnlicher. Das
Zeitwort knechten ift vermuthlich erſt nach Erſcheinung von
Deinfius’ „Woͤrterbuch“ aufgelommen, wenigftens habe ich es in
biefem nicht gefunden. In das Kaltſchmidt'ſche „Woͤrterbuch“
bingegen ift foldye8 neben dem andern, vielleicht noch apogry⸗
phiſchern Verbum knechteln, mit der Bedeutung: riechen,
hoͤfeln, dienen, übergegangen. Wirb aber fihon der Sinn bes
Worte entmenfhen etwas zweifelhaft, fo if der vom Verbum
knechteln vollends unklar, da es neuerlich häufig in einer, der
ihm von Kaltfchmidt beigemeffenen Bedeutung ganz entgegen:
gefegten angewendet worden, und fo viel ale knechtiſch behan⸗
dein, zum Knecht herabwürdigen, ausbrüden fol. Eine Menge
ähnlicher neuer Wörter von gleich ſchwankender Bedeutung und
darunter auch ſolche, denen aller gerechte Anfprudy auf Eriften;z
abgeht, werben der Aufmerkſamkeit unferer Sprachforfcher ge
wiß nicht entſchluͤpft fein.
Dies Alles nun machte den Wunſch recht Tebenbig in mir,
baß Icätere dielen Gegenſtand, nebft mandyen andern die beutfche
Sprache angebendben Dingen, einer befondern Würdigung uns
terwerfen möchten. Iſt die deutfhe Sprache feit dem letzten
Decennium des 18. Jahrhunderts vorzüglich mit durch unfere
Goethe und Schiller zu dem Höhepunkte gelangt, auf dem ihr
in ihren volltommenften Erſcheinungen die To häufig gemis⸗
brauchte Benennung Claſſicitaͤt nicht mehr flreitig gemacht wer:
den kann, fo muß uns chen letztere am meiften auffodern, Al⸗
led zu Erhaltung und weitern Vervollkommnung berfelben beis
zutragen. Wermöge ber erfreulichen Regſamkeit dieſer Zeit,
auch in Wiffenfhaft und Kunft, hat ſich in unferer fo bildungs⸗
fähigen Sprache mande Weränderung nah und nad, zum
Theil gan, von ungefähr, eingeftellt.
wahrhafte Verbefferungen anerkannt, andere dagegen nicht da⸗
Mehre bavon find ale
für, noch andere gar von vielen für ganz unzulaͤſſig geachtet
worden. ine recht genaue Reviflon ber geſammten ſprachlichen
Veränderungen und ein darüber zu veroͤffentlichendes Gutachten,
welche davon beizubehalten und welche zu verwerfen fein möchs
ten, wo möglid von einem Vereine bazu Befahigter, koͤnnte
. deshalb gewiß ein fo nüsliches als in jeder Hinſicht dankbares
Unteneimen werden.
. -
Was zunaͤchſt den bei Ku
Ichaffener Wörter überhaupt zur
angeht, fo dußert darüber der franzoͤſiſche Sprachgelehrte Boiſte,
veflen überhaupt reichhaltige® „Dictionnaire universel de la
laague frangaise‘' im J. 1
Meinung, daß jedes durch die Preffe in Umlauf gefegte Wort
ein Eigentbum der Sprache geworben fei. Auch fagt in dieſer
Beziehung das berühmte Mitglied der franzoͤſiſchen Akademie,
Sharles Nobier, in feiner Vorrede zu der durch ihn beſorgten
achten Auflage deſſelben Woͤrterbuche: er babe von beflen uns
glaubiicher Überfrucdtung (superfetation) nichts weggenommen,
ald was aller Autorität ermangele. Dabei findet er ſich zu fols
gendem Gutackten veranlaßt:
Jedes Wort ift aufnehmbar: 1. wenn es nothwendig,
3. wenn es gut zufammengefegt, d. h. etymologiſch begründet
ift und fein Bau eine Form hat, die es fo viel ald möglich)
den ihm in logifcher Ordnung verwandten Wörtern annäbert,
3, wenn es auf bie Autorität eines anerkannt guten Schrift
ſtellers fich zu fügen vermag (lorsqu’il est appuyé de la sig-
nature d’un homme, qui a l’autorit& necessaire pour €crire).
Die beiden erften Eigenfhaften würden wol auch im Deuts
ſchen den aufzunchnienden neuen Wörtern zur Bedingung zu
machen fein. Dagegen laͤßt ſich bie dritte als ein nachtheiliger
überfluß betrachten. Abgeſehen davon, daß bei vielen neuen
und als gut anerkannten Wörtern die richtige Erörterung, wie
fie in. die Sprache gefommen, überaus ſchwierig ift, will aud)
in diefer Hinficht die Autorität felbft des berühmteften Schrift
ftellerö wenig oder nichts bedeuten. Denn was hat dad Erfin-
den und Geftatten brauchbarer Wörter mit der Kunft, gut zu
Schreiben, gemein? Erweift ſich aber das Wort, von ber Sprach⸗
kunde auf die Wage gelegt, ald vollwichtig, fo gewährt ihm dies
die befte Eegitimation für fein Dafein und es bedarf einer ans
dern Autorität gar nicht weiter. Aus diefem Grunde muß es
wirklich befremden, wenn Dr. Nobier beiennt, daß behufs ber
nothwendigen Befchränfung des offenbaren Wortüberfluffes in
Boifte’8 Dictionnaire” der Mangel an aller perfönlichen Autori⸗
tät allein zum Maßſtab genommen worden.
Deſto einleuchtender fcheint dagegen, was Lorenz Diefen:
bach vor kurzem in ben „Jahrbuͤchern für wiffenfchaftiiche
Kritik“, 1842, Nr. 100, bei der Anzeige von Buche’
Buche zur Geſchichte und Beurtheilung der Fremdwoͤrter im
Deutfchen Außerte. Jeder Einzelne, fagt er, der dinreichende
Kenntniß und Handhabung der Mutterfpradye und zugleih eine
befondere Einfiht in den Gang ber 3eitintereffen befigt, hat
das Recht, eine Einwirkung auf die Sprache zu verſuchen.
WVenn aber aud bie Wägung und Beurtheilung aller Ver⸗
fuche in Schöpfung neuer deutfcher Wörter eine Hauptaufgabe
bei dem vorgefchlagenen Unternehmen wäre, fo dürfte fid daf:
felbe doch keineswegs einzig darauf befchränfen. Vielmehr würs
den viele andere in das Gebiet der Sorachkunde einſchlagende
Gegenftände, wie ganze Redensarten, GConftructionen und fon:
flige neuerdings erft vorkommende Eigenthuͤmlichkeiten ebenfalls
in Betrachtung kommen müffen. &o 5. B. wurde vor noch nicht
allzu langer Zeit zwifchen dem Worte Ahnen und Ahnden
durchaus fein Unterfchied gemacht, ja, man leitete das myſte⸗
ridfe geiftige Worgefüpl von etwas Zufünftigen, das damals fo |
gut Ahndung geſchrieben wurde, als die Ahndung, welche Strafe
bebeutet, von Ahnd ab, einem obfoleten Worte, das fo viel wie
Geift gebeißen, noch immer ald Aan und Ande in Daͤnemark
und Schweden vorhanden iſt, und wollte ihm daher fein d durch⸗
aus nicht entziehen laſſen. Goethe (und wenn ich nicht irre
auch Schiller) hat den feitbem in Gang gekommenen unterſchirb
zwiſchen Ahnen und Ahnden ebenfalls nicht anerkannt, fondern
immer für beide, dem Sinne nad} ganz verfchiedene Wörter
das d beibehalten. Auf ähnliche Ark ift das im hoͤhern Stile
ſtatt Athem gebrauchte Wort Odem, vormals nicht, wie jene®,
mit einem m, wie es neuerlich faft überall vorfommt, fondern
mit dem n gefcjrieben worden. Der wadere Dichter und
me und Berwerfung aeuge⸗Gyorachforſcher Johenn Gelenk Mei —— —
and zu nehmenden Waßftab. | pen für Genauigkeit im Metrum und Reim, gebraudite es
wie vormals in einem, ich glaube, „Mailied“ uͤberſchriebenen
841 die zehnte Auflage erlebte, die
Verf. zu einem ber
reichs gemacht haben.
lieblichen Gedichte. Gr reimt barinı.
Alles taumelt, mir verfiegt der Oden,
Unter meinem Buße brennt der Baden.
Eine befondere Grwägung bürfte- unter nod vielem, Dies
lem Anbern wol auch bie neuerlich in ber beutichen Eiteratur
immer mehr zur Herrſchaft gelangte Bewohnpeit, die Eigen
namen nicht zu flectisen, verbienen. Rach der Meinung bed
Verf. dieſes Auffages kann ber beutiche Schriftfieller das Fiec⸗
tisen ber Namen faum umgehen, will er nicht bäufig in Steifs
beit und Unverftänblichleit verfallen. Es ſcheinen auch desha
in der neueſten Zeit ſogar einige der juͤngſten Schriftſteller
entweder vom Nichtflectiren der Namen ganz zuruͤckgekommen
zu fein, ober fie haben daſſelbe wenigſtens an Stellen, wo es
zur unklarheit geführt hätte, vermieden. Letzteres würde bar:
auf hinweifen, daß, um nicht der Inconſequenz fi ſchuldig zu
machen, es doch wol am rathſamſten ſein möchte, den Namen,
wie vormals, die gewöhnlichen Beugungen zuzugeftehen. Sole
ches haben auch noch Goethe und Schiller nicht unterlaffen.
Im vollen Gefühle der aͤußerſten Unvollftändigkeit und
Schwaͤche dieſes Auffages wiederholt dev Verf. am Schiuſſe noch⸗
daß er einzig bie zufällige Frucht des Augenblicks iſt und. nichts
ale wohlgemeinte Winke zu einem Unternehmen enthalten follte,
deſſen Nutzen für unſere Sprache wol keinem Zweifel un⸗
terliegt, wenn daſſelbe mit deutſcher Umſicht und Gruͤndlichkeit
zu Stande gebracht wird. Außer einer Menge hier gar nicht
beruͤhrter, anderer Dinge, die dahin gehoͤren, wuͤrden in dem
vorgeſchlagenen kritiſchen Werke auch die gewagten Verſuche
aͤlterer Sprachkundiger in neuern Schoͤpfungen, wie z. B. Cam⸗
pe's und Wolke's, auf Beruͤckſichtigung Anſpruch haben und
ihnen vielleicht noch manches dankenswerthe Kleinod fuͤr unſern
Sprachſchatz abzugewinnen ſei. 35.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
‚ Bi „Revue de Paris” hat eine Reihe Feiner, mehr oder we⸗
niger intereffanter Novellen von Andre Delrieu gebradt,
die alle einen fentimentalen Anflug hatten. Gie ſpielten faft alle
in Deutfchland und zwar meiltens im füdlihen Theile deſſelben.
Der Verf. feheint diefen Schauplag feiner Erzählungen aus
eigener Anſchauung zu kennen. Der „Siecle” hat auch in ber
That, wenn wir nicht irsen, eine Reihe von Reifeberichten aus
Deutfchland gegeben, die aus bexjelben Feder gefloffen waren.
Gegenwärtig erhalten wir nun von Delrieu ein größeres Werk:
„Vie d’artiste. Souvenirs d’Allemagne‘‘, das ganz denfelben
Charakter bat, wie bie eben erwähnten Novellen ber „Revue
de Paris’. Deutſchland iſt in dieſem Bande ganz fo mond⸗
ſcheinſuͤchtig, liebeſchmachtend, blauaͤugig, wie es ſchon unzaͤh⸗
lge Dial Don franzoͤſiſchen Romanfchreibern dargeftellt il. Im
Übrigen ift das gut gefchriebene Werk nicht ohne Jntereſſe.
Beſonders anerlennungswerth ift bie Liebe, mit der der Verf.
an unferm Waterlande zu hängen fcheint.
Emil Souveftre ift au in Deutſchtand, namentt
durch feine Romane und Dramen, von benen ein guter Theil Pd
auf unfern Bühnen zur Aufführung gefommen tft, befannt. In
neuefter Zeit hat ſich diefer fruchtbare Schriftfteller auch mit
politiſchen Gegenftänden befaßt und namentlid) in der „Revue
de Paris’ einige Intereffante Auffäge über die franzöfifchen Go—
lonien gefchrieben.‘ Sein neueftes Wert iſt ein Roman („Le
mät de cocagne”), den man gewiß nicht verfehlen wirb ins
Deutfche zu überfegen, um fo mehr, da er ed und wirklich zu
verbienen ſcheint. Es zeigt fi in demſelben eben bie glüd:
liche Erfindungskraft und die Reife der Darftelung die dem
geachtetſten deuern Romandichter Scanfı
Verantwortlier Heraudgeber: Leinsi Benhantk.. — Mind. unk Beriag von 9. KDretbanan Seipıia * |
Blatter
- für
literariſche unterhaltang.
Sonnabend,
Stunden —* Andacht. Von Ludwig gHäfe elf.
on Theile. Gießen, Heyer Vater. 1841. Gr. 8.
Von einem ber großen flädtifchen Feuerherde, die das
vergangene Jahr gefhürt hat, in fein entferntes einfames
MWalddorf zuruͤckkehren, beffen Mohnungen, unter ſchuͤtzende
Baͤume zerſtreut, eben in diefer Zerſtreutheit die beite Af:
—— gegen eine totale Zerſtoͤrung durch die Flanmme
onnen haben — in die Stille der Waldheimat die
Erinnerung an all die Zerſtoͤung und Verwuͤſtung, des
Koftbaren wie des Werthlofen, ‚deren Zeuge. man geweſen
if, mit zurldinchmen — es mag dies ‘wol eigene Con⸗
traſte geben, und in die ſorgloſe Sicherheit des natuͤrlichen
Waldbewohners manche Betrachtung und Erwägung ein⸗
führen, an die wol außerdem ſchwerlich würde gedacht
worden ſein. Schroffer und ſchreiender indeß duͤrfte der
bier ſich offenbarende Gegenſatz gewiß nicht fein. als jener,
dee unvermeidlich da ſich herausſtellen muß, wo ein ein
facher, laͤndliche Wann, im Glauben feinet chriſtlichen
Väter anferzogen, über bie Brandflätten hat wandeln
müfien, die auf dem Gebiete der vornehmen Theologie
und der philoſophiſchen Chriſtlichkeit in der legten Zeit Im
ſchauerlicher Ausdehnung entilanden find, und nun noch
voll des Schreckens in der Befremdung, bie durch ſolchen
Anblick der Zeritörung in feiner Seele gemacht werden
mußte, in den heitern und ducchfichtigen, wenn auch in
einen Eleinen Horizont gewiefenen Kreis feines einfachen
und durch vieljährigen Befisftand ficher gewordenen Glau⸗
bens fich zuruͤkwendet. Es muB ganz natürlich eine bis⸗
ber nicht gelannte Unruhe über ihn kommen und be
Riufte, ruhigſte Genuß feines alten Beſitzthums kann
fortan nicht ſtattfinden, ehne daß da und dort beforgliche
Anmerkungen ſich ihm aufdrängen und Seitenblide auf das
mit Scheeden und Entfegen Gefchaute fallen. Ja, wenn
eg au mit dem Gedanken ſich teöflet, daß die meiften
ber serfkönten Palaͤſte und. in Schutt zerfallenen Prunk⸗
gebäude in kurzem wieder aufgebaut fein und nur wenige
entbehrtiche, zufammengebrochene Dallen als Ruinen bie
erfien Jahrzehnde Überdauern werden, fo. ſchwindelt ihm
Doch bei dem Gedanken an bis werruchte Dand, die augen:
ſcheinlich die meiften dieſer großartigen Brände gefchürt
hat, fortwährend; er finnt, wie er feine Hütte vor ber
Gefahr der Zerſtoͤrung, die in ihrer allgemeinen Zufällige
nf
keit ihm eben jest zu dem voliften Bewußtfein gekommen
iſt, noch beſſer als bisher ſchuͤtzen koͤnne; und der vollſte
Genuß feines Eigenthums wird für ihn wenigſtens eigene
thuͤmlich gefaͤrbt und gewuͤrzt durch die fortgehende Mah⸗
nung an die Truͤmmer, die er geſchaut hat und in die
er das Himmeldach uͤber ſeinem Haupte nur mit unend⸗
licher Wehmuth wuͤrde zuſammenbrechen ſehen. Es iſt
natürlich, ja wir koͤnnen wohl fagen: unvermeidlich, daß
der Gläubige jegt, wenn er auch noch fo fern von dem
eigentlichen Flammenherde ift, da er bie gewaltige Feuers
wolfe immer im Auge hat, felbft mitten in feinen ruhige
ften Erbauungsflunden der ungeheuern Zerftörung gedenke,
ihre Schrecken ſich vergegenwaͤrtige und ſo ſeinem eigen⸗
ſten Glausbensleben fortgehend etwas Abwehrendes und
Ablehnendes gegen die Glaubensverwuͤſtung der Zeit als
ſpecifiſchen Beigeſchmack zumiſche.
Wir glauben mit dieſen wenigen Worten den richti⸗
gen Standpunkt für die ‚Stunden chriftliher Andacht“,
die wir unſern Lefeen näher zu bringen gedenfen, minde⸗
ſtens der Form nach "gefunden zu haben und von ihm
aus ihre Eigenthuͤmlichkeit am beflen entwideln und ex
Hören zu können. Bon einem al$ redlich, entichieben
und geiſtvoll anerkannten Verf., dem teefflihen Huͤffell,
dem das Verdienſt bleibt, in das erſtarrte proteftantifche
Predigerthum ein neues, frifches Leben gebracht zu haben,
wird zunaͤchſt der chriftlichen Erbauung eine ſeht umfangs
veiche Babe geboten, zugleich aber zieht ſich um alle ein⸗
zelne Theile dieſer Gabe ein ziemlich breites Band des
Apofogetifchen, das zum Öftern in das Gebiet des Pole
mifchen fogar übergreift, und ihr Verf. erinnert infofern
an die Baufeute unter SJerufalems Trümmern, von wel:
hen «8 beißt: „Mit einer Hand thaten fie die Arbeit und
mit der andern hielten fie die Waffen.” Wir haben in
der jüngften Zeit mehr als eine Erbauungsfchrift, die den
Namen von ber fo verfchieden beurtbeilten apauer Schwe⸗
ſter borgte, erhalten und in die Reihe derfeiben tritt auch
bie vorliegende ein; fie flellt fi) aber daneben die Auf:
gabe, theils den Aufbau chriftlichen Glaubens und Lebens,
ben fie beabfichtigt, Ins Bauen jelbft, zugleich vor den
Slammen, die jegt von fo vielen Selten her alle Gebäude
folder Art mit völliger Berftörung bedrohen, zu ſchuͤtzen,
theil6 in einem gewiß echt chriftlichen Mitgefühl ihrer
Trauer über die Verwuſtungen, bie ber Brand der Zeit
5
ſchon über fo manche, Stadt auf dem Berge“ heraufge—
führe hat, Worte zu geben. Bu drohend erleuchtet If}
dem Verf. ber ganze Horizont des chriſtlichen Seins in
der Gegenwart von ber Brandfadel, die in den Speichern.
und” Baennehrien der Yauptlapripiäge der Kirche
ihre üngcheuern Verbüfbangen anzorichtet hat und anzu⸗
richten fortfaͤhrt, als daß er in irgend einem Moment ſei⸗
ner ſeelſorgeriſchen Thaͤtigkeit davon ganz hinwegſehen koͤnnte,
und fo beſtrebt er ſich zwar, Chriſtliches zu ſchaffen und
zu bauen, aber zugleich möchte er auch gern Das, was
er ſchafft und baut, vor der zerflörenden Gewalt des freis
gewordenen Elements moͤglichſt verwahren, und in noth:
| Ideenaffociation kann er ‚darum wicht anders
als in ſchmerzlich klagender Weife über die Schreden ber
Berwuͤſtung, die in der Nachbarſchaft fich kund geben, wieder:
holt ſich ausfprechen. Um diefe Form feiner Schrift mit
Sicherheit durchzuführen, umfaßt er ziemlich vollftändig —
den Maßſtab feflgehatten, den er für Ausführtichleit und
Ausdehnung einmal angenommen hat — das Ganze des
ehriftfichen Glaubens und Lebens, ſodaß namentlih auch
von Dem, was zu dem Außenwerk und zur Einleitung
gehört, nichte Weſentliches übergangen iſt, ohne doch eine
fo logiſch geglfederte Ordnung, wie fie in einem Hand⸗
buche der Dogmatik etwa befolgt wird, feftzuhalten; und
in 84 längern ober kuͤrzern Abfchnitten, im melden uͤbri⸗
gend bald der afcetifche, bald der apologetiſch⸗ polemifche
Standpunkt der uͤberwiegende ift, wovon AL dem erſten
und 43 dem zweiten heile angehören, ift in leichter, ges
fälliger, nur felten die rechte Wuͤrde verleugnender (5. B.
Th.2, 8.407 „eine unglaubfiche Lahmheit“ 7) Darftellung
fir einen großen Kreis chriſtlicher Lefer ein Vorrath geifts
licher Nahrung anfgefpeichert, den wir mit vollem Recht
zum Gebrauch empfehlen können. Wirklich entfpricht auch
diefer Form die Entftehung diefes Buchs auf fehr finn:
weiche Weiſe, indem wir aus der Vorrede des erſten Theils
erfahren, daß die Veranlaſſung einer neuen Auflage bes
fchon im J. 1876 unter dem Titel „Des Lebens Weihe”
erfchienenen Erbauungsbuchs unfers Verf. mit dem Vorſatze
deffelben, über Gegenflände der cheiftlichen Glaubens: und
Sittenlehte in mehr apologetifcher Weiſe fich öffenttich aus:
qjuſprechen, zuſammentraf und ihn beflimmte, eine Vers
einigung diefee beiden Tendenzen zu verfuchen, woraus
das vorfiegende neue Werk mit wenigen Bogen des Altern
Buche entflanden ift.
Wir finden, wie wir auch die Sache auffaffen moͤ⸗
gen, die erwaͤhlte Zorm jedenfalls binlänglic gerechtfertigt
und, wir fegen hinzu, auch in einem hohen Grade zeit:
gemäß; bamit iſt jedoch mod nicht die Trage nach dem
Inhalte, dee in folder Form gereicht wird, beantroortet,
und iſt überall die Frucht wichtiger ale die Schafe, in
weicher man fie uns bietet, fo möge man uns nit nut
erlauben, diefem ruͤckſtaͤndigen Theile unferer Anzeige noch
eine befondere Aufmerkſamkeit zuzuwenden, fondern auch
es nachfehen, wenn mie die dabei gebotene Gelegenheit
wicht unbenugt vorbeitaflen mögen, um das Allgemeine
und in den Brennpunkt der Gegenwart fo auffallend Ge⸗
ſtellte, wie es eben von hieraus ums ganz vorzuͤglich nahe
wo:
s J’
tritt, einer, wenn auch nicht flüchtigen, boch Eurzen unb
edrängten, Mufterung zu unterwerfen. Wir werben der
ürze halber es unterlaffen, in das Beſondere des In⸗
halts einzugehen, una uns mit einigen allgemeinen Aus—
und Aufſteilungen beügie. nt
Unfern Verf. has allirdings ber geibaltige Feitbrand
im Reiche der Theologie noch nicht fo berührt, daß feine
eigene Hütte von ihm ſchon verzehrt worden wäre, und fie
ift ihm zu lieb und werth, als daß er jemals daran den⸗
ten koͤnnte, die Brandfackel daran legen zu laſſen ober
gar felbft zu legen. Aber wie fieht er nun von feinem
Standpunkte aus die großartige Feuersbrunſt an, Die ge:
ftenthume ausgebrochen ift und ſchon mehr als einem
Palaſt in Schutt und Aſche gelegt hat? Mit andern
Morten: Wie urtheile er uber bie negicende und aufloͤ⸗
fende Macht der theologifhen Gegenwart, die mit einer
wahren Titanengewalt das Chriſtenthum anfangs nur
dusch Sprengung einiger im Verborgenen angelegten Mi⸗
nen aus einigen Pofltionen verdrängt bat, zuletzt aber,
durch eine offene Breſche eingedrungen in die eigentliche
Feſtung, es nun in feinem Mittelpunfte zu uͤberwaͤltigen
bemüht iſt? Oder — wenn es uns nicht zweifelhaft &fk,
wie unfer Verf. über ein ſoiches Beginnen urtheilt, und
daß er es nur für ein unheilvolles und frevelhaftes ers
Hören könne — womit fucht er denn fein Urtheil zu bes
gründen und hofft ihm bei Denen, die ihn hören, Gel⸗
tung zu verfchaffen? Hier nun fehen wir ihn allerbings
auf einem GStandpımlte, der uns über fein Wohlmeinen
und fein redliches Wollen Leinen Zweifel übrig laͤßt, auf
dem wir ihm aber bei der Gewalt, die ihm gegenüberficht,
unmöglich einen gürifligen Erfolg von feinen Anfttengums
gen verſprechen koͤnnen, ja den wir infofern als ganz ver⸗
fehlt bezeichnen‘ muͤſſen, inwiefern von ihm aus die Würfe
geſchoſſe in einer Richtung gefchleubert werden, die dem
Stande, welchen die Yeinde eingenommen haben, geradezu
entgegengefegt iſt. j
Unfer Verf. geht von der alten, laͤngſt abgenmgtem,
immer wieder vorgeficchten und dich am Ende -völig
trügerifhen Borausfegung aus, „daB Unbekanntſchaft mit
der chriftlichen Wahrheit das Grunduͤbel unferer Zeit im
religioͤſet Hinſicht ſei“ (Vorr. S. v), und fie iſt der im⸗
mer wiederkehrende Refrain, der bald beſtimmt ausgeſpro⸗
chen, bald durch das Streben des Verf. und die Att und
Weiſe, wie er feine Aufgabe zu loͤſen verſucht, angedeutet,
faſt in jedem der einzelnen 84 Aufſaͤtze irgendwo aufkaucht
und durchblickt. Dan kennt die Wibel und ihre Ger
ſchichte nicht; man iſt nur oberflaͤchlich von den göttlichen,
befonders von den chriſtlichen Dingen unterrichtet. Dark
muß gelehrt, aufgektärt, die Unbefanntfchaft mit Bibel und
Blbelgeſchichte in Bekanntſchaft verwandelt werden. Dars
auf ſicht unfer Verf. die fogenannten gedildeten Elaffen
der Geſellſchaft an; gibt ſich der ſanguiniſchen Hoffnung
bin, wenn man ihnen nur erſt wieder fagen wollte, was
ihnen bisher unbefannt geblieben fei, fo würden fie bald
und ohne Derzug alle in ben. Schdos ded Chriſtenthums
zurückkehren; macht audj wirklich alle moͤgliche Anſtren⸗
— — — ——
gung, um bie Angelegenfjeit zu folcher Entfcheibung zu
bringen; und iſt dennoch nad) unſerer Anſicht damit vom
Unfonge bis zu Ende in unleugbarem Irrthume befangen.
feibft nennen bie Gegner, denen unfer Berf. fo
gern das Recht zur Erifienz ſtreitig möchte, die
Wiffenden, und es wird ihnen ſchwerlich nachgemwiefen
werden Eönnen, daß fie das ohne Grund thun, fomwie das
bi6 zum Ekel wiederholte Gerede von halber oder falſcher
Aufklärung genau genommen fi felbft In einem folcyen
Grade. widerfpricht, daß es ber Mühe einer ernftlichen
Widerlegung gar nicht werth if. Wo Aufklärung if,
da muß aud Licht fein und Licht kann überall, wo «6
erfcheint, um der Finſterniß zu wehren, infofern es dies
teiftet, nur mit Freuden begrüßt werden; in der Dümme:
rung aber ijt nicht das in der Steigerung begriffene Licht,
fondern die weichende, allein immer noͤch nicht genug über»
wältigte Finſterniß das feindliche Element; fie ſelbſt jedoch,
die Dämmerung, der unentbehrlihe Durchgang, deſſen
Überwindung den Fortſchritt bedingt. Es iſt unverkenn⸗
bate Selbſttaͤuſchung, wenn man bei Unglaͤubigen und
Indifferenten Unbekanntſchaft, oder, um es naͤher zu bes
grenzen, gtoͤßere Unbekanntſchaft mit chriſtlichen Dingen
vorausſetzt, als dieſe im den ſogenannten glaͤubigen Zeiten
bei der großen Maſſe vorausgeſetzt werden mußte. Findet
in diefee Beziehung zwiſchen „Seht“ und „Vormals“ ein
Unterſchied flatt, fo kann er nur darin gefucht werden,
daß eben dem Willen von den göttlichen und chriftiichen
Dingen noch ein weit größeres Muß andern, gar vielfäls
tig geflalteten Wiſſens in der neuen Zeit zum Bewußt:
fein unferer Lebensgenoffen gebracht worden iſt, von tel:
dem man frühechin Leine Ahnung hatte; dabei es aber
sicht zu vermeiden war, daß die getheilte, mitunter vool
eigentlich uͤberſchuͤttete Kraft die einzelnen Gegenftände ih:
red Wiſſens, und unter ihnen namentlich die des chrifts
Eden Wiſſens, weldye letztern in vergangenen Zeiten bei
Vielen die ganze ungerheilte, bei Allen wenigftens bie
überwiegende Fuͤlle des geiſtigen Lichts auf ſich concenttirt
hatten, nur mit intenfiv geſchwaͤchtem, wenigftene fehr vers
aßgemeinertem Lichte befeuchten konnte. Wir geben zu,
daß dadurch das Interefie am chriſtlichen Willen in un:
ſerer Zeit geſchwaͤcht werden mußte, wenn wir auch dar⸗
auf kein ſonderliches Gewicht legen, daß Neuheit und
Materialitaͤt des hinzugekommenen Wiſſens einen Reiz
um dieſes legen mochte, vor welchem jenes andere gewiſ⸗
ſermaßen in Schatten zurüdtreten mußte. Aber daraus
können wir unmöglich folgern laſſen, daß die Maffe des
deiftlichen Wiſſens ſelbſt bei unfern Zeitgenoffen verringert
worden fei; denn einmal liegt es in der Natur der Suche,
Daß das den Tag bringende Licht, fo lange es noch im
Auffeigen zu feinem Zenith begriffen ift, feinen der Ges
genflände, die es bei feinem erſten Strahle berifftte, im
Fortſchreiten ganz ünerleuchtet zurüdlaffen könne; ja, es
it vielmehr nothwendig, daß, wie auch einzelne diefer Ges
genflände durch andere von der unmittelbaren Beruͤhrung
des himmilfchen. Strahles gefchleden werden mögen, ihnen
ſaͤmmtlich frib die Thellnahme an dem im feiner allge⸗
meinen Verbeitung ygefteigerten Morgenlichte nicht entzo⸗
si
gen werden kann. Aaf dee andern Seite Ifk es chenfo
gewiß: wenn bie reale Seite bes chriſtlich-dibliſchen Wiſ⸗
ſens in unfern Schuien nicht mehr in ber Ausdehnung
gepflegt und amgefülit wird, wie dies vormals gefchab, wo
Geſchichte und Buchſtabe, in das Gedaͤchtniß niebergelegt,
das ganze fragfiche Wiſſen vorzugsmeife begrenzte, fo Bat
dagegen das kritiſche und reflecticende Element der religioͤ⸗
fen Auffaffung in unfern Tagen eine Ausdehnung und
Aufnahme in da6 Bemußtfein gefunden, die der Gegen⸗
wart vor dee Vergangenheit das emtfchiedenfte üüdergewicht
juwendet; und fomit muß wenigftens jede Differenz zwi:
[den „Iegt‘ und „Vormals“, die auf das Weſen ſelbſt
ſich bezieht, als vollſtaͤndig ausgeglichen angefehen werden.
Wir können getroft den Verſuch einer Parallele zwiſchen
einem Ariſtokraten der Gegenwart und einem chriſtlich de:
voten Ritter des Mittelalters gefchehen Laffen, und Jener
wird im Wiffen um die transfcendentale Welt von Diefem,
ob ber Letztere auch ſelbſt in einem heiligen Kriege das
Kreuz getragen haben folite, und wie groß in allem Üdri⸗
gen die Differenz zroifchen beiden fein mag, gewiß niche
befiegt werden; und daß die Strauß, Feuerbach, Bruno
Bauer, Ruge u. X. mit dem Detail des Hiftorifchen und
Eicchlichen Chriſtenthums vertraut genug find, zugleich aber
jemer allerdings zweideutigen, allein auf dem (Sebiete des
Wiſſens unbedingt nothivendigen dialektiſchen Kunft in
nicht gemeiner Weiſe ſich bemächtige haben, davon legen
ihre Schriften, ſowie die factifhen Zugeftändniffe ihrer
Gegner Zeugniß ab.
(Der Beſchluß felgt.)
RKomanenliteratur.
1. Graf Promnig. Der Letzte des Haufes. Gin Familienſtuͤck
von Leopold Schefer. Kottbus, Meyer. 1842. 8,
1 Zhlr. 5 Nor.
Graf Erdmann von Promnig ift von feinem Water nach
Yaris geſchickt, um „Welt“ zu lernen, und da ift er denn auch
fo fleißig, daß er faft zum Geripp wird, auch in einem Duell
einen koͤniglichen Seitenſchoͤßting töbtet. Er kommt in bie Bas
ſtille, ſoll Yingerichtet werden und wird nur mit Roth unb
Mühe gerettet. Gein Vater hatte ihm einen pietiftifchen Hof⸗
meifter mitgegeben und bie Predigten biefes troſtloſen Menſchen
trafen fo ungittih mit Erdmann's Ausſchweifungen zufams
men, daß bicfer in bem Wahne, er habe die Suͤuden bes ges
tödteten Prinzen auf fick genommen, blöbfinnig wich. &o
kommt er nach Sorau zuräd; fein Biöbfinn mildert ſich zu et⸗
was Eindifchem Weſen, das ihn nicht abdaͤlt, eine Garolath ya
beiratben. Die Ehe ift ungluͤcktich und wird durch die Ver⸗
wandten der Gräfin getrennt. Graf Erdmann tritt feine ganze
@rafenderriihkeit gegen eine Gompetenz an feine Familie ab
und will nun eine Buͤrgerliche beicathen. Die Familie weiß
das zu hintertreiben und Eromann verſchwindet aus Goran.
Nach Zabren kommt ein Bricf aus Kehl nach Herrnhut, wel⸗
her Nachricht vom Leben und Tode Erdmann's gibt.
Wer mit dem Leben gegen die Mitte des vorigen Jahr:
bunderts bin vertraut ifl; wer das zwifchen Ritters und Kraut>
junkerthum ſchwankende Dafein des deutſchen Adels Eennt, befs
fen Hoͤchſtes eine Reife nad dem frivolen parifer Dofe war;
wen ferner das Pietiſten- und Herenbuterwefen nicht fremd
blieb — der kann, zwiſchen den Zeilen leſend, ſich an mandyen
Schüderungen diefes Bucht erfreuen, vorzuͤglich wenn er babei
noch Word's „Seſchichte von Goran” und einige andere histo-
rien zur Hand nimmt. Darin aber werben alle Leſer überein
kommen, daß E. Schefer, wie mandyes Gute wir audy von ihm
haben, audy hier, wie ſchon oft, durch gefärbte® Bias gefehen
bat. Ob er Gedicht oder Geſchichte gibt, bas tft ihm ſelbſt
nicht Bar; ebenſo wenig, was bie ganze Dauftellumg eigentlich
fol. Er weiß allerbings recht gut, daß es nicht
allein um ben factifchen Untergang. ber Promnige handle, aber
das Walten der Remefis ift jo tief in Wollenbilder vermebt,
daß jenes Wild, welches die Gräfin Reuß mit dem Briefe aus
Kehl empfängt, das Räthfel nur noch mehr verwidelt. Es iſt
daher recht gut von ihr, daß fie das Wild ins Feuer wirft und
bald darauf flirbt. Ob außerdem die Sorauer etwa geborene
Redner find, weiß Ref. nicht: jedenfalls aber erſcheinen die uns
abfehbaren Vorträge der Dienftleute und anderer Yerfonen, nas
mentlich des Schlotkehrers Züftel, fehr ermuͤdend, wie manches
Drollige fie auch geben. Das Herenhutertbum ift in einer
Weife benugt, vie belächelnde Abneigung erweckt; Graf Zinzen⸗
dorf geht nur einmal von weitem an uns vorüber, um dem
Grafen Erdmann ein paar Worte zu fagen. Allerdings hat
das Weſen der WBrüdergemeine feine ſchwachen Seiten, das
geht uns hier aber nicht an, weil dieſes Wefen unzulänglich bes
nust wird. Gbenfo gebt ed mit ter Pietifterei. 2%. Gchefer
feat bei feinen Lefern Alles voraus, was er felbft genau weiß.
Dann aber bebürfen wir ber Darftellung überhaupt nit, und
e8 wäre ſchon genug, wenn etwa dem Kiebhaber der @efchichte
ganz ſchlicht chronikartig die Facta mitgetheitt wuͤrden.
2. Nebert. Gin geiftlicder Roman von Adolf Fuchs. Zwei
Bände. Roſtock, Leopotd. 1842. 8. 1 Thir. 26%, Ngr.
Robert fieht feinen Water, der biöher Rector war, vom
©uperintendenten als Prediger einführen und ba malt er ſich
das Leben eines foldden, namentlich eines Landpredigers, fo
biühend aus, wie wir das häufig finden. Mit feiner Confir⸗
mation verliebt er fih auch in Maria; dann bezieht er die
Akademie, weiß fich nicht zurecht zu finden zwiſchen Rationaliss
mus und Supranaturalismus, burfchenichaftelt ein wenig, hat
auf ber Zerienreife nad) der Heimat beinahe ein Duell mit einem
Offizier, der fich glücticherweife noch zu rechter Zeit als Das
ria's leibliher Bruder darſtellt. Dann fteigt er Nachts ins
nfter feiner Lieben, wird vom Stiefvater' überrafcht, und da
in jedem guten Romane ein Zyrann nicht fehlen darf, fo ift
diefer Stiefvater ein abſcheulicher Menſch, während die beiben
jungen Leute fo unfchuldig find wie bie Engel im Himmel.
Maria fol nun einen Krämer beirathen und biefer ift natürlich
eine Caricatur. Sie will ihn nicht und der Gtiefvater, der an
ihrem etwanigen Vermögen fo viel Recht hat wie ber Kaifer
von Ehina, der nie ein Wort laut werben ließ, daß fie feine
Erbin fein folle, der Unmenfch droht mit Enterbung. Um das
Ungluͤck vol zu machen, wirb dem ebeln Robert bei einer Pres
digerwahl ein Anderer vorgezogen, ber, wie fidy von felbft vers
ſteht, nichts tougt. Robert nimmt eine Informatorfielle an
und ehebrucht aus Verzweiflung ein wenig mit ber Dame vom
Daufe, bleibt aber immer ein vortrefflicher Menſch. Darum
flirbt denn auch endlich der tyrannifche Stiefvater; Robert wird
fein Nachfolger, beirathet die alte Maria, will, weil er nichts
nugen Tann, nach Amerifa auswanbern, es gebt aber nicht,
weit jener Krämer mit dem NBermögen der body nicht enterbten
Maria burcdhgegangen iſt. So lebt er denn fo hin; es kommen
viele Kinder und aus Notb muß Robert Bücher fchreiben.
Das iſt ein geiſtlicher Roman !
3. Ebbe und Flut. Wilder von Adolf Goͤrling. Danos
ver, Helwing. 1842. 8, 1Thir. 10 Nor.
Es ift das erfte Buch des Verf., welches er ſich als Stufe
fpielend unter die Füße geworfen, um höher zu klimmen. Der
Lefer foll nicht nach tiefverborgenem Sinn ſuchen in biefen Luft:
geftatten, die ber Verf. leicht aus dem Ärmel gebtafen hat.
Das fagt die Vorrebe: Was gebt baber dem Publicum bas
ganze. Buch eigentiih an? Indeffen ift diefe, aus dem Armel
geblaſene tige Stufe Tempel des Stuhms einmal
da, und fehen wir Halte an, fo zerfällt fie in vier Abs
theilungen: Novellen, Grzählungen, Aquarelle und ein Maͤr⸗
Unter den erſtern gibt „Junker Ehriftian” einige recht
gute Situationen; unter ben Erzaͤhlungen bietet „Des Abenteuer
an ber Lolge” - Bufagende. Im Allgemeinen leidet Alles
durch das fichtbare Beſtreben, etwas Bedeutendes fein, ſich wich⸗
tig maden zu wollen, was fogar auch im Haſchen nach Fremb⸗
wörtern, bie häufig genug ungluͤcklich angebracht find, ſichtbar
wird. Wirklich Erlebtes gibt das Buch nicht, fondern Gemach⸗
tes, „aus dem Armel Gchlafenes”, darum ift au das WRärr
den „Der Purpurmantel‘ als ganz verunglüdt anjufpsedhen.
Miscellen.
Wie es chemals auf den deutſchen Reichſtagen zugegangen,
davon geben nachſtehende ſchriftliche Zeugniſſe Kunde: In ber
Epistola Lutheri ad Wencesl. Liuk d. d. 28. Aug. 1526
heißt es: „Spirae comitia sunt more solito Germanis comitia
celebrandi: potatur et luditur, praeterea nihil” Yon bem
zu Begensburg 1541 gehaltenen Reichſtage fagte der proteftens
tiſcherſeits anweſende Martin Bucerus, Profeflor der Theologie
zu Heidelberg und naher zu Strasburg (geft. 1551): „Wenn
man auf Reidhetage komme, fo feien das Aberköfttiche Prachtis
ren und Banketiren, das Zufaufen u. f. w. die größten Ges
— —F Bei zum ae ebunn ker (Bortieber’3 Hand⸗
ungen un riften zu Ber ung ber Religion zu Regens⸗
burg 1541”, 8b. 1, €. 31T) i
Sn der „L. 8. pr. D. ad L. Aquiliam” (9, 2) i
lich beſtimmt: „daß ein Arzt, weicher ein Heilmittel PN
gewendet bat, mit ber Kiage aus dem Aquilifchen Geſete ber
langt werben fann.” Mögen ſich alfo diejenigen Ärzte in Acht
nehmen, welche unleſerlich fehreiben und dadurch Berantaffung
geben, daß ihre Recepte von dem Apothefer, wenn diefer nicht
mit der erfoderlichen Borficht verfährt, misverftanden und tobts
bringenb werben. Gin Beifpiel hiervon gu Gnade des 17. Yabrı
hunderts ergäpit 3. G. Becmann in ber „Anhalt. Biftorie”, P. VIEL,
Cap. I, 9. 9. Dem kranken fuͤrſtlich Anhaltiſchen Kanzler Pauı
von Berge verordnete ber eine ſehr unleferlihe Hand fchreibende
.Arzt Apium (Eppich); der Apotheker las bafür Oplum (Mohn
faft), bereitete daraus, ohne weitere Auskunft zu erbol ie
Arznel und fo bem Kranfen den Zob. ſt zu erbolen, die
Von unſern Vorfahren wurden oft ganz ſeltſame Gewohn⸗
heitsrechte eingefuͤhrt. So erzaͤhlt Martin Beier in dem —
tat von den zehn des heiligen roͤmiſchen Reiche Kreifen” ( Beips
sig 1707), zit. 5, ©&. 330: Zu Erfurt fei es Serfommens,
daß Niemand, ber den Namen „Petrus‘' führt, in den Rath
ewählt werden könne. Dergleichen Befonderheiten, deren Uxs
prung größtentheils in Dunkel gehüllt iſt, gibt es noch mehre,
wovon die Abhandtungen Johann Eichel's „De pravis et irra-
tionalibus consuetudinibus“ (1665). und Georg Adam Stru⸗
vius’ „Deo consuetudinibus rationalibus et irrationalibus’‘. (1067)
nachgeiehen werben können. .
Ein adeliges Fräulein war, weil fie an einem fürftti
Hofe ald Kammerfräulein angeftellt war, längere Si —*
dauſe abweſend. Als fie. zuruͤckgekehrt, klagte fie gegen ihre
Bruͤder, die fie in ihrer Abweienpeit in einem Re
verlegt Haben follten, und verlangte Wiebereinfefung in den Dos
tigen Stand aus dem Grunde, weil fie „reipublicae caussa”
abwefend gewefen fei. Die Gegner fpotteten äber ben anges
führten Rechtsgrund ; aber die beimftäbter Tutiftenfacultät ſprach
717) in Gunſten der Kiägerin, „weil ein Rammerfzäutein tm
fürfttichen Dienſten fleht, folglich ihre Abweſenheu pro absentia.
laudabili zu adıten fei”. 3
Verontwortlicher Derauögeber:s Heinrich Brodhaus. — Drud und Berlag von BE. U. Broddaus in £eipsig
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Stunden riftlicher Andacht. Von Ludwig Hüffell.
Zwei Theile.
(Beſchius aus Nr. 68.)
Wir glauben nad alle Diefem die Praͤmiſſe unfers
Berf., von weldyer aus er feine apologetifhen Streitkräfte
dirigiert, als völlig verfehlt bezeichnen zu müffen, und bür:
fen uns eben darum auch gar nicht wundern, wenn feine
noch fo wohlgemeinten Angriffe fein Biel erreichen, da fie
theils ein ſolches in der Wirklichkeit nicht haben, theils,
wenn man ihnen auch da6 eingebildete zugejlehen wollte,
nimmermehr von Erfolg fein koͤnnten, indem fie ſtets hin⸗
ter der Wirklichkeit, die ja Aber die von ihm eingebildete
Grenze ſchon Längft hinaus ift, zu kurz fallen muͤſſen. Wirklich
ift eben darum auch die Waffenführung unſers Verf. von
der Art, daß fie auch keinen einzigen der Gegner zu uͤber⸗
winden, d. h, eines Beſſern zu beiehren und zu widerle⸗
gen geeignet fein kann. Was von ihm zur Beweisfüh:
rung, Erlaͤuterung und Rechtfertigung des chriſtlichen Wiſ⸗
fens im Einzelnen nicht ohne Ernſt und Umſicht herbei:
gebracht wird, das ift Jenen ſchon längft gefagt worden
und gar wohl bekannt, fie aber haben «8 ebenfo von fi
gereiefen und einmal für allemal bei ſich abgethan. Es
thut uns leid, in diefer Beziehung fagen zu müflen, daß
durch die vorliegende Schrift die Sache feldft auch nicht
um eimen Schritt weiter gefördert, ihrer Entſcheidung nd:
bee gebracht worden iſt; und noch leider thut es ums,
zugleich binzufegen zu müffen, daß im Einzelnen fogar die
Phalanr unfers Bert. fo ſchwach und unhaltbar, fo wenig
- in ber rechten Ziefe und Gedrängtheit aufgeftellt erfcheint,
daß die Befehdeten die gegebenen Bloͤßen nicht überfehen
und das Übermüthige Gefühl, in weichem fie über ſolches
ſchon Längft hinaus und viel beffer unterrichtet find, nicht
zuruͤckhalten werden. Wir Pönnten für das Letztere fehr
ybhlreiche Nachweifungen geben, begnügen uns jedoch zu
unferre Rechtfertigung nur auf einige vorzüglich entfcheis
dende Punkte zu deuten, namentlih: Th. 1: IV. „Das
Biel” (S. 35 fg.); V. „Geiſt und Wer” (S. 42 fg.);
YH. „Die Lebenslooſe“ (S. 61 fg.); IX. „Die Suͤndhaftig⸗
keit des menfchlichen Herzens“ (S. 75-90); XVII, „Die
Allmacht Gottes in der Natur‘ (S. 174 fg.). Th. 2: V.
„Der evangeliſche Gottesdienſt“ (S. 50); XVIII. „Die
Entſcheidung“ (S. 197); XXI. „Von der wahren und
fittlichen Beſſerung“ (S. 247); XXIV. „Bekenntniſſe eines
5. Maͤrz 1843.
chriſtlichen Gemuͤths“ (S. 283); XXX. „Bon ber Vereh⸗
rung Chriſti“ (S. 360). Wir brechen nicht Über die ganzen
biee angeführten Aufläge den Stab. Bielmehr kommt
in jedem einzelnes Zrefflihe vor. Aber wir meinen, in
ihnen auch zugleih nur zu entſchieden Spuren von Ein:
feitigeit und Befangenheit in der Auffaffung bemerkt zu
haben, die den Standpunkt, welchen der Verf. eingenoms
men bat, unmoͤglich rechtfertigen können.
Mit Recht fragen bier unfere Lefer, wenn nun der
von unferm Verf. unternommene Streifzug gegen die Ti⸗
tanen der Gegenwart, bie den chriftlihen Dimmel fo gern
firmen möchten, jedenfalls ein verfehlter ift und die antis
chriſtliche Richtung unſerer Tage gewiß nicht in gefleigers
tee Unbelanntfchaft mit den chrifllichen Dingen gefucht
werden darf, um fie etwa auf diefem Gebiete mit Erfolg
angreifen zu koͤnnen: wie möchte denn fonft wol biefer
merhvürdige Proteus gefaßt werden müffen, um zur rech⸗
ten Selbſterkenntniß gebracht zu werden? und wenn von
Kampf gegen jene empörenden und auflöfenden theologi-
ſchen Jakobiner unferer Zeit die Trage fein foll, wo ift
wol die Adilledferfe an ihnen beſſer aufzufinden, als es
in unferm vorliegenden Buche und in hundert andern, die
dee Tag bringt, zur Beit gefchehen ift — um es ihnen
echt fühlbar machen zu innen, daß fie auch fterbliche
find? Wir weigern die Antwort auf diefe Frage nicht,
wenn auch jene bier in der That nur eine kurze, Pate:
gorifche, in ganz allgemeinen Umriffen angebeutete fein
kann. Den Freien, wie fie ſich fo gern nennen, wollen
wir auch frei gegenübertreten. Das follen fie uns nun
doch wol nicht wehren dürfen.
Es muß aber fogleih an die Spige unferer Einvede
bie uralte und immer überfehene Behauptung geftellt wers
den, daß ed mit dem Wiflen, daß es mit aller Philofos
phie nichts ift, wenn das Willen, wenn die Philofophie
ſich als das Eins und Alles, als das Selbfigenugfame,
in dem Alles, was da ift, aufgehen müffe, gelten machen
will, fowie es mit dem Glauben nichts ift, wenn er über
Allem fidy erheben und in ſeiner Iſolirtheit nicht nur Die
Berge verfegen, fondern die Berge ſelbſt fchaffen will, um
fie alödann verfegen zu können. Das Leben in feiner
Ganzheit und Einheit, in welcher es die beiden Leuen,
die nah dem Entgegengefegten ihre Richtung genommen
haben, an das Joch feine Wagens gefeſſelt halt und fie
W
nun zwingt, den letztern in ewiger Regſamkeit und Be⸗
wegung feinen ſichern Sphaͤrengang zu führen — das Leben
allein ift das Sein, wefenhaft, wirklich, erfüllt und erfuͤl⸗
ind. Wie nur irgend alfo das Leben in dieſer feiner
barmosifchen Entreidelang geflört und gehemmt erfcheint,
fo ift auch dee Grund davon einzig und allein in einer
krankhaften Belchaffenheit des Lebens felbft zu fuchen und
darum jede Zeitrichtung, die, weil deftruirend und ſchlecht⸗
bin auflöfend, zu ihrer Befämpfung auffodert, nur ale
firtliche That zu betrachten und zu richten. Mit Mi:
derfegung und Belehrung und Berichtigung ift in ſolchem
Sale nichts zu erreichen, fondern der That kann nur
"durch die That ſelbſt begegnet werden, und die Krankheit
bes Lebens fodert therapentifche Behandlung, die zum Theil
und zwar in der Pegel zum größen Theil die Ratur
felbſt übernimmt, zum Theil aber auch von den Ätzten
und Pflegen des Lebens erwartet werden muß. Es iſt
unleugbar großes kosmiſches Geſetz, daß die oben genann:
ten beiden das Leben bedingenden Factoren, ihrer elemens
tarifhen Natur folgend und kraft derfelben nad freier
Selbſtaͤndigkeit in titaniſchem Trotze ringend, von Zeit zu
Zeit aus dem Grunde, in welchen fie gebunden ruhen
und in folder Ruhe das heilige Feuer naͤhren und hüten,
fi erheben und jeder fuͤr ſich die Alleinherrſchaft uͤber das
Leben in Anſpruch nehmen, wodurd das letztere aus dem
Bein ‚mehr und mehr in die Sphäre des bloßen Scheine
hinausgedrängt wird und, wenn das möglid wäre, zuletzt
gänzlich) im Nichtſein untergehen würde. Solche Selbſt⸗
erhebungen, die an fih nur ethiſch gefhägt werden koͤn⸗
nen und infofeen in die Kategorie der Sünde: gehören,
find aber zugleich kritiſche Phaſen, bie vorübergehen und
den Horizont des Lebens, wenn fie endlich erfüllt find,
theil® gereinigt, theils zu höherer Intenfität, die dann die
Signatur dee neuen Periode fein wird, gefteigert haben.
Um ihrer ethiſchen Natur willen jedoch fodern fie, außer
der Eräftigen und zulegt allerdings entfcheidenden Reaction,
welche ihnen die Natur entgegenftellt, auch noch die forgs
fättigfte Uberwachung und moͤglichſte Bekaͤmpfung von
Seiten der unbefangen gebliebenen Zeitgenofien — in ber
Regel freilich nur erſt, nachdem fie bie gemaltfamiten Stas
dien durchlaufen und die biutigften Kämpfe beraufgeführt
haben, zu dem rechten Maße und zu ihrem Dienite am
Altar des Lebens zuruͤckkehrend.
Wir fcheuen uns hiernach nicht, gegen die Philofophie
unferer Zeit die allerdings ſchwere Anklage zu erheben,
daß ihr Anftreben gegen das Leben und ihr Ringen nad)
der Herrfchaft ein Attentat genannt und als foldyes beur:
theilt werden müffe,. mithin ihr gegenÄber nur davon die
Mede fein koͤnne, theils einen Erfolg ihres Strebens mög:
lichſt zu vereiteln, cheils fie felbft wieder in die ihr gebüb:
renden Schranken zurüdzuweilm. Sie, bie in ihrer Uns
terordnung unter das Leben die ſchoͤne Beſtimmung hatte,
dem Glauben, der dem Leben ben Stoff und die Nah:
‘rung zuführt, die rechte Durchfichtigkelt und dadurch die
Fähigkeit, feine Gaben zur Affimiliung mit dem Leben
geſchickt und geeignet zu machen, zu verleihen, war nicht
ohne Grund und Verfuchung in jenen Zeiten, in welchen
dee Glaube in unfeliger Erſtarrung die ſchweſterliche Hülfe
der Miffenfchaft zu verſchmaͤhen ſich beigehen ließ, erregt
worden, und brady nun in wilder Zügellofigkeit hervor,
um mit dem übsmädtig gewordenen Glauben um
felbftändige Alleinherrſchaft, Die freilich diefem fo wenig
als jener zulam, zu kämpfen. Ihre verbrecheriſche Selbſt⸗
echebung führte fie zu nicht minder blutigen Thaten, als
jene waren, bie ſchon vor ihr der Glaube als Hierarchie
in Inquifition und Kreuzsügen gegen Ketzer verübt hatte.
3a, in den Zeiten des Franzöfifchen Terrorismus hat fie
fhon Blur in Strömen vergoffen und fomit ihre daͤmo⸗
nifhe Natur, die, wo fie aus ihrer natürlichen Sphäre
heraustritt, zum Ausbeuche kommt, in ſchroffem Lichte ge:
offenbaret, ſowie fie, fpäter zwar etwas niedergehalten,
neuerdings jedoch wieder recht ungefcheut ihr Haupt auf:
gerichtet und wenigitens den Pofaunenruf zur Erneuerung
jener Greuel erhoben hat, von dem wir erwarten müffen,
welchen Erfolg er haben werde. In ihren esften, wie es
feinen mußte, noch ganz unfchuldigen Spielm vor mehr
als einem Sahrhundert, mit welchen fie aus ihrer natur:
gemäßen Stellung zuerft freveind ſich losgeriffen hatte,
zeigte fih ſchon, wenn auch einer oberflädyiichen Bemer⸗
tung kaum wahrnehmbar, ihre fittliche Richtung zum Ne:
giren und Auflöien alles Defjen, was nicht aus ihr war,
und in ihrem Fortſchreiten auf der Betretenen abweichen⸗
ben Bahn wurden ihre Meigungen und Spmpathim im⸗
mer entfchledener, ſowie fie felbft allmaͤlig zu einer Macht
erjtarkte, der ed nicht an Geſchick und Kraft fehlte, ihrem
Scheinleben vorübergehende Geltung zu verfhaffen. Mit
alledem bat ihre Offenbarung in foldy himmelerſtuͤrmender
Gewalt und erderfhätternder Aufregung allerdings dem
ecftarrten Leben denfelben Dienft getban, "weichen Winter⸗
flürme und Regengüffe der dußern Natur erzeigen, und
iſt Bedingung theils der MWiederherftelung des tieferkrank⸗
ten, theils des Übergangs zu nur fchönerm Frühling für
daffelde, dem wir mit Vertrauen entgegenharren, geworden.
Immer aber ift ihre Erſcheinung, um nad) der Welthert⸗
ſchaft ihre Hand auszuftreden, mehr ober weniger durch
jene Dichtungen vom Umgehen nad) unentfündigter Geifter
zu erläutern, denen aud bie Stunde geſetzt ift, die fie
nicht uͤberſchreiten dürfen, und es muß, wenn das Maß
der Schuld erfüllt ift, auch die Sühne erfolgen, weiche die
Ubermuͤthiggewordene in des Lebens Haus: und Familienge⸗
meinſchaft zurudführt.
Wir koͤnnen diefe Gedanken, wie wir ſchon vorbin
andeuteten, nur als Funken hinaus in den bewegten Kampf
der Zeit fprühen laſſen, da wir zu folder Epifode bios
gelegentlihe Weranlaffung durch die Anzeige der Huͤffell'⸗
ſchen Erbauungsfchrift erhalten haben. Indeß eine Ant:
wort find fie gewiß auf die Frage, die wir oben umfern
Lefern in den Mund gelegt haben, und eine Antwort, die
den Barometerfiand unferer Zeit unter einen neuen, mic
meinen: beherzigungsmwerthen Gefichtepunft fell. Jeden⸗
falls haben wir fhc uns wenigſtens dafit unfer Urtheil
über das Unzulänglihe jener Verſuche, duch Belehrung
und Vemeisführung die Unyläubigen der Zelt zum Glau⸗
ben zuruͤckzufuͤhren, gecechtfertigt, und wo «6 fih um
— —
Thaten handelt, da, wir wiedechefen «es, kann auch nur
durch Thaten, aber nicht durch Worte, entgegnet toerden.
38,
Die deutſchen Golonien in Piemont. Ihr Land, ihre
Mundart und Herkunft. Ein Beitrag zur Geſchichte
dee Alpen von Albert Schott. Gtuttgart, Cotta.
1842. Gr. 8. 2 The.
Das vorliegende Bud iſt für ben Freund und Liebhaber
ethnographiſch⸗ hiſtoriſcher Unterfuchungen von vielem Intereſſe.
Diefes Intereſſe kann jedoch, feiner Natur nad), immer nur ein
bedingte fein; und wenn ihm eine zu große und unbebingte
Wichtigkeit beigelegt wird, fo verirrt «8 ſich leicht in das Ge⸗
biet der wiſſenſchaftlichen Liebhabereien, die ſich an einzelne auf:
fallende Grfcheinungen und Thatſachen hängt unb ihnen eine
Bedeutung beilegt, die fie eigentlih nicht haben. Zu diefer Wer
merfung gibt uns auch das vorliegende Bud, Anlaß. Deutfche
Bewohner mitten in einem romaniſchen Wölfergebiet, wie eben
jene beutfchen Golonien in Piemont, und namentlich am
Zuße der Montes Rofa, find allertings eine auffallende Gr:
ſcheiaung, die zum Nachdenken, Korfchen und Unterfuchen veran⸗
Ioffen muß und zu mancherlei Schiüffen und Bolgerungen bes
sechtigen Tann. Gegen die Bezeichnung „deutfcye Colonien“
möchten wir jedoch erinnern, daß unter „Colonien“ immer
bauptſaͤchlich nur foldye Anſiedelungen und Niederlaffungen von
Boͤtkerſtaͤmmen in fremden Voͤlkerbereichen verftanden worden
find, mit denen die auständifchen Anſiedler einen beitimmten,
namentlich meift einen mercantilifhen Zwed verbanden. So die
griehifhen Kolonien in Kieinafien (Großgriechenland), ferner
bie phönizifchen Golonien im füdlichen Frankreich. Fremde Ans
fiebelungen aber, bie nicht ſowol von Seiten der Anfiebler, wir
moͤchten faſt fagen, in bewußten und abfichtlidhen, als viel
mehr nur in unbemußten und allgemeinen Anläffen ihren Grund
gebabt haben mögen, wie dies auch nach unferm Berfaffer bei
den bdeutichen Golonien in Piemont offenbar der Ball gemefen
ift, möchten allgemeiner und richtiger wol nur als Anfiedler
und Ginwanbderer überhaupt, nicht eigentlich als Coloniften zu
bezeichnen fein. Es iſt immer gut, dergleichen Unterſchiede auch
im Hiſtoriſchen mit einiger Schärfe auseinanderzubalten, um
feine Bermengung und fein Durcdheinanderwerfen ganz verfchies
dener hiſtoriſcher Gefichtöpunfte, nach denen dergleichen Erſchei⸗
nungen aufzufaffen und zu beurtheilen find, herbeizuführen.
Wären jene deutfchen Eolonien in Piemont wirklich im engern
und eigentiihen Sinn GSolonien der Xlemannen, fo müßte ſich
igre Entſtehung und Veranlaſſung biftorifh Leichter nachweifen
laffen, als nun, da fie, um mit dem Verf. zu reben, nur
zurückgelaffene Mufcheln aus der großen Voͤtkerflut find, die feit
dem 4. und 5. Jahrhundert nad Stalien ſtroͤmte, ober auch
wol fpätere Einwanderer aus dem benachbarten Wallid. Die
große Bebirgöfcheide der Alpen bildete hierbei gleichſam die nas
iche Klippe, an ber die Wölkerfluten fich zerfchellten,, ſehten,
fonderten und ineinander zerfloffen.
Intereffant und beiehrend find die Bemerkungen bes Verf.
in ver Einleitung, „Die Borfeage”, über die Grenzſcheide zwi⸗
fen dem deutſchen und italieniihen Sprachgebiet, indem ale
diefe Stenzfcheide der Kamm der Alpenkette bezeichnet wird, und
zwar fo, baß alle von der Saone aus nordwärts ftrömende
Fiüffe von ihren Quellen an deutfche, alle ſuͤdwaͤrts firömende
dagegen romaniſch (itatienifch und franzoͤſiſch) vernehmen: allein
diefe Regel hebt fich unter der Menge von Ausnahmen, bie fich
bier finden, auf. NRatürlih, eben well an ſolchen die Grenz
ſcheide zwifchen verfchiebenen Ländergebieten und Voͤlkerſtaͤmmen
bitbenden Alpenketten bie anmwohnenden Voͤlkerſtaͤmme nad den
verschiedenen Richtungen unb Strahlen, oder Thälern, in bie fie
"austaufen, theils ineinander fließen, theils auseinander treten,
ohne daß ſich immer dic Regel und das Geſetz, die diefer Er⸗
ſcheinung zum Geunbe ‚ in dee Natur und Mibung ber
Alpen unb Xipenthäter — e— ließe. Der Verf. gebt nun
weiter, bie verichiebenen Alpenthäter, in die ſich die Alpen nach
verſchiedenen Geiten verlaufen, muſternd in dieſer Beziehung
durch, um das hior obwaltende Verhaͤltniß zwiſchen deutſchem
und romaniſchem Möller: und Sprachgebiet, namentlich in ben
penainiſch⸗ lepentiſchen Alpen naͤher feflzuftellen, wobei bie Un
regelmäßigleit in der Sprachvertheilung bald unerwartet da, wo
man eher das Gegentheil hätte vermuthen follen, ein lbergriff
des Romaniſchen, oder umgeketzrt ein übergriff des Deutſchen,
allerdings als merkwuͤrdig und auffallend erſcheinen muß. Haupts
ſaͤchlich iſt es ihm jedoch um die um den Monte⸗Roſa liegenden
acht deutſchen Gemeinden zu thun, denen vor allen feine Unters
fudyung gilt, da fie in diefem übrigens mefentlich romanifchen
Bölfers und Spradygebiet als eine feltfame Unregelmäßigteit ex:
einen.
Diefe deutfhen Gemeinden bezeichnet unfer Verf. mit Bes
zugnahme auf ben alten Ramen des Monte-Rofa (BSilnius)
burch „Büvier”, ben er felbft als etwas gemagt —8
Er gibt uns einen Bericht von feiner Entdeckungsreife, die
ex von Zürih aus eigens zur Erforfhung der Süvicr unters .
nommen bat.
‚Se iſt dies ein einfaches, natürliches, höchft anfprechendeg,
gemütblidyes und mit Liebe verfaßtes Bild von der großartig er:
babenen Natur biefer Aipenweit, von den Ortſchaften, beren
eigenthbümticher Bauart und pittoreslem Charakter, von den
Bewohnern, und man begleitet den. Verf. auf diefer Wa
mit Bergnügen, um fo mehr, da er uns überall belehrende
WBinfe über bie Bormation diefer Berge und über den Einfluß
biefer Formation auf die hiſtoriſche Geftaltung ber voͤlkerheitlichen
Berhaͤltniſſe — ebenfalls ein grwagter Ausdrud, für den wir um
Entfdyuldigung bitten — gibt. in großes Gewicht legt unfer
Berf. auf die Berichtigung einer geſchichtlichen Thatſache, die
an und für fiy nur von einem bebingten und (ocalen Intereſſe
iſt, ihm, dem Schweizer aber von dem bhoͤchſten Sutereffe fein
muß. Wir meinen naͤmlich die Frage: Wem kommt das Ber:
bienft zu, den Monte: Mofa zuerſt ‚beftiegen zu haben? Bon
welcher Wichtigkeit eine ſolche Begebenpeit den Bewohnern eines
Berglandes if, zeigt fich unter Anderm auch daran, daß nad)
jegt in Ehamouny bie erfte Befleigung bed Montblanc durch
Sauffure wie ein weltgeſchichtiich wichtiges Greigniß befprochen
und im Berner Oberland ebenfo bie exfte Beſteigung der Zungs
frau als eines der denkwürbigften Greignifle bezeichnet wird,
wobei ed auch an einer fleptifdhen Partei nicht fehlt, die barts
nädig noch immer die Möglichkeit bavon beftreitet. Unfern Verf.
leitet jedoch außer dieſem localen und rein ſchweizeriſchen In⸗
tereſſe noch ein ſchoͤneres und allgemein menfchlicheres, dieſe Shre
für Johann Rikolaus Vincent im Weiter Gaſtel, und Zofeph
Zumftein im Weiler Noverfch zu vindiciren, fofern es ibm ndms
li) bauptfächlid darum zu thun ifl, bad suum cuique zu Buns
ften biefer beiden Männer geltend zu machen. Dieler Geſianung
gebührt eine ehrende Anerkenntniß um fo mebr, je häufiger fie
in hiftorifchen, wiſſenſchaftlichen und menſchlichen Dingen übers
haupt vermißt wird.
Die bier nahe liegende Brage: auf welchem Wege die Gil
vier borthin gekommen fein mögen, veranlaßt den Verf. zu
einer fehr ind Detail gehenden Unterfuchung der verfchiebenen
aus Alemannien nad) den romaniſchen Ländern führenden Päffe;
wir glauben uns hinſichtlich derſeiben barauf beſchraͤnken zu
müffen, fie den Breunten foldyer Unterfuchungen und den Kennern
jener Päffe zu empfehlen. Gine Bemerkung, zu ber uns bes
Verf. Unterfuchung über den Urfprung des Namens ‚Simplon‘
Anlaß gibt, können wir jedoch nit umhin, zu machen. Wir
find naͤmlich mit dem Verf. völlig barin einverflanden, baß bie
unter den Anwohnern des Simpion berrichende Gage ober viels
mehr deren Glaube, der den Urfprung de Namens @impion,
Sempione, Sampione, mit einem angeblichen Übergang des
Scipio — wie fi übrigens von ſelbſt verfteht, nicht bes Scipio
Africanus, fondern des Scipio Nafica, der, von Ballien ber:
.
Sommend, über bie Alpen ging, um im Rucken bed fisgreichen
Hannibal eine Diverfion der gefchlagenen roͤmiſchen Heere
zu verfuchen — über dieſen Paß in Berbindung dringt, aller hiſto⸗
Aſchen Begründung gaͤnzlich ermangelt, find aber dennoch zweifel⸗
-baft, ob dieſer Berg feinen Ramen von dem Dorfe Simpeln,
Simpelen (daher auch wei Gimpler genannt) ober vielmehr
diefes feinen Namen von dem Berge entiehnt hat. ebenfalls
aber ſcheint uns’ des Verf. Vergleich, daß ed den Wallifern
oder den Bewohnern des Walle b’Xofta ſchwerlich jemals einge
fallen fein würbe, den St. s Bernhard mit Bezug auf Napoleon's
Übergang „BonapartesrBerg ’’ zu nennen, ganz unpaffend, indem
fi in unferer abfolut hiſtoriſchen Zeit dergteichen Umtaufungen
ſoicher alt beflehenden Orts⸗ und Bergebenennungen allerbinge
willfürlich weder einführen laffen, nod behaupten wuürben, was
jedoch in jener faft fagenhaften uralten Zeit, ber ber angebliche
Übergang Scipio's auf biefem Punkte angehört, wol gedenkbar
wärt.
Befonders intereffant und lehrreich find aber bes Verf. Be:
tefütungen und Bemerkungen über diejenigen Momente, an benen
fich ganz vorzüglich die charakteriſtiſchen Unterſchiede der in den
Alpen vorfommenden beiden Haupt: Bölferflämme, des germas
nifch » burgundifchen und des romanifch = alemannifchen , oder ber
romanifirten Germanen, bemerkbar machen: nämlich was bie
Eigenthuͤmlichkeit in der aͤußern Erſcheinung ber Menſchen
(Statur, Haar und Geſichtsfarbe), in ihrer Tracht, in ber Baus
art ihrer Häufer, vor allem aber in ber Sprache betrifft. In
dieſer Beziehung bildet bie über bie Höhe des Simplon, St.⸗
Bernhard, Brenner laufende Linie gleichſam eine natürliche Bil:
Zerfcheide, und wenn wir von Brieg nach Domo b’Oflola gehen,
wird und von Simpeln aus an ben kleinen, ſchwaͤrzlich braunen
Figuren, den fteinernen Häufern, ben ſchlanken Thuͤrmen und
3em Vorherrſchen eines kaum verftändlichen italieniſchen Patois
bald kiar werden, daß wir in ein italienifches Borland getreten
find, was fi) denn auch an der üppigen und reihen Vegetation
und an ber mildern Luft bemerkbar macht. Umgekehrt Laffen
ung, wenn wir unfern Weg nach Brieg nehmen, die ſtattlichen
Geftalten mit dem blonden Haare und ber hellen Geſichtsfarbe,
die mit Giebeln verfehenen hölzernen Bäufer, die fpigen Kirch⸗
thuͤrme und die kaute der Mutterſprache nicht bezweifeln, daß
wir nunmehr in Deutſchiand eingetreten find. Auch in der
Tracht tritt diefer Unterſchied merktih hervor, indem nach ber
italienifchen Geite ſich in der Voikstracht Zerlumptheit, verbuns
den 'mit einem Streben nach materifchem Gffect, zeigt, wogegen
auf der deutfihen Seite diefelbe vorberrfchend den Stempel der
Füchtigfeit und Gediegenheit an fich trägt... Diefelbe Erſchei⸗
nung und Verſchiedenheit zeigt fi, wenn man ben Brenner:
Paß entweder nach der beutfchen oder nach ber. italienifchen
Geite überfteigt. Es würde uns zu weit führen, wenn wir ben
Berf. in feinen fprachlichen Unterfuchungen folgen wollten, unb
wir müffen uns begnügen darauf aufmerkfam zu machen.
Wir empfehlen das Buch mit voller Überzeugung als ein
intereffantes und nach mehren Seiten bin fehr Ietrseiches,
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Der durch feine phrenologifchen Werke befannte Hipp. Com⸗
bes hat in einer Rebe, bie er zu Toulouſe, wo er als Profeffor
der Mebicin angeftellt ift, gehalten, feine Anfichten über die Umge⸗
flaltung und Erweiterung ber gerichtlichen Medicin ausge⸗
ſprochen. Dieſer intereſſante Vortrag iſt jezt im Drud erſchienen.
Er führt den Titel „De la médecine politique” (Paris 1842),
Combes verfteht unter der Medecine politique eine neue Wiſ⸗
fenſchaft, von der die Médecine legale und die Hygiene publique
nur einzelne Iheite bilden würden. Gr fagt, baß man unter
der erſtern gewöhnlich die Wiffenfchaft verftehe, die fich damit
A
abgibt, bei verwidelten gerichtlichen Lnterfuchungen auf bie
rechte Spur zu führen und in wichtigen Faͤllen ben Richter bei
feinee Entſcheidung über fchuldig oder unfduldig zu leiten,
während e8 der Hygiene publique zukomme, über die Rabe
sungsmittel, die Wohnungen und alle bie einzelnen Umftänbe
zu waden, die auf ben Öffenttihen Gefunbheitszuftand einen
nachtheiligen Einfluß ausüben koͤnnen.
Combes glaubt nun,
da6 diefe beiden Wiffenfchaften, die jetzt noch in der Hegel ge⸗
trennt werben, vielmehr in ein einziges Syſtem verichmolzen
werben müflen, damit ihe gemeinfanies Gebiet dem Politiker
defto Leichter zugänglich werde. Er bezeicdynet nun in feinem
intereffanten Vortrage bie Grenzen und bie Abtheilungen ber
neuen Wiffenfchaft, die fi aus diefer Verſchmelzung ergibt.
Wir empfehlen biefe Brofchüre, die gewiß auch in Deutſchland
ben Medicinern und Staatsmaͤnnern Stoff zu Betrachtungen
geben Tann.
Die politiſchen Iournale haben bereits einige Auszüge aus
dem dritten Bande von Blanc's beacdhtenswerther „Histoire de
dix ana’ gebracht, der binnen kurzem bie Preffe verlaffen wird.
Diefes Wert bat gleih von vorn herein cin fo großes Inter⸗
efle erregt, daß vom erften Bande einige Wochen nady feinem
Erfcheinen ſchon eine neue Auflage nöthig geworden if. Wie
es fcheint, wird ber Verf. feines Stoffe immer mädjtiger, je
mehr er fi in benfelben hineinarbeitet. Beim zweiten Bande
ſchon war ein Kortfchritt fihtbar, und die einzelnen Bruchftüde,
die wir aus der Kortfegung gelefen haben, find zum ‘heit
wahrhaft vollendet. Beſonders ift der Verf. fehr gluͤcklich im
dee Portraitirung ber hervorragenden Zeitgenoffien. So machen
wir in dem dritten Bande namentlich auf die Eharakteriftif von
Caſimir Perier ‚aufmerffam. Auch Thiers tft mit Gluͤck und
nad) ter Natur gezeichnet. Das Werk ift reih an einzelnen
Zügen, die zum Theil noch unbekannt waren und bie der Verf.
aus vertrauten Mittheilungen gefhöpft hat. Wie es fcheint,
wird Blanc, um ein vollftändiges Bild des neuern Frankreichs
zu geben, am Ende bes Werks aud einen Blid auf den Gang
der geiftigen Entwidelung, alfo auf die Geſchichte der Künfte
und Wiflenfchaften in Frankreich werfen. Wir fchließen dies
aus einer Stelle des dritten Bandes, fin der er bei Gelegenheit
des Zodes George Euvier’s fagt, daß er das Syſtem des großen
Naturforfchere am Ende des Werks auseinanderzufegen fidy vors
bebalte. Seine Schrift kann dadurch nur gewinnen; denn Blanc _
fheint uns ganz der Mann, felbft in die verwidelten Fragen
Pa Wiffenfchaft einzubringen und fie einfach und Mar darzur
ellen.
Literarifhe Anzeige.
Durch alle Buchhandlungen ift von mir zu beziehen :
Rede
zur Gedaͤchtnißfeier
König Friedrichs IE,
gehalten am 26. Januar 1843 in der koͤnigl. preuf.
Akademie der Wifienfchaften
von
Friedrich von Raumer.
Gr. 12. Sch. 6 Nor.
Eeipzig, im Mär; 1843.
3. A. Beodhaus,
Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von 3. U, Brodhaud in Leipzig.
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
6. März 1843.
Die Dichtungen der Frederike Bremer.
Es ift noch nicht lange her, feit der Name biefer
(hwedifchen Schriftftellerin zuerft unter uns genannt ward,
und ſchon find mehre lieblihe Gewaͤchſe aus ihrem Blu:
mengarten auf deutfhen Boden verpflanzt worden. Mit
freigebiger Hand hat fie ihre Gaben gefpendet und fie ill
im Ependen und Mittheilen nicht aͤrmer geworden. Bor
und liegen zehn Bändchen der im Verlag von F. A. Brod:
haus erfchienenen Überjegungen, von denen die Hälfte
ſchon in ber. dritten Auflage erfhien, alle in Ausflattung,
und Gemand dem finnigen Inhalt entfprechend.
„Die Nachbarn“ (23 Thle.), „Die Töchter des Preis
fidenten‘‘, „Nina“ (2 Ihle.), „Das Haus, oder Fami⸗
Kienforgen und Familienfreuden“ (3 Thle.), „Die Familie
H.“, „Kleinere Erzählungen‘ und „Streit und Friede,
Scenen in Norwegen”, fo lauten die Titel. Und fie alle
find unter der gemeinſamen Überſchrift „Skizzen aus dem
Altagsleben” miteinander verbunden, zugleich in ihrer Ans
ſpruchsloſigkeit, obwol nit in der Tiefe und Fülle ihres
Gehalts bezeichnet.
Das fhöne, freilich oft allzu üppig wuchernde Talent
Des deutſchen Geiſtes, das Fremde ſich finnig anzueignen,
bat bier eine erfreulihe Ausbeute gewonnen, und es iſt
mr zu loben, daß es fi dem ftamınvermandten Norden
einmal zugewender bat, der auch lebenswarme Blüten und
friſche Fruͤchte trägt. - Hatte der treffliche Tegner ſchon ſei⸗
men fchöngeiftigen Lundsleuten unter und einen günftigen
Eingang gebahnt, fo hat Frederike Bremer ihnen noch all»
gemeiner die Stätte bereitet, wie denn feit ihrem Erſchei⸗
men in unferer Mitte mehre ſchwediſche Romane ins
Deuiſche übertmgen und freundlich begrüßt wurden.
Es iſt nicht mehr noth, die Berechtigung der Frauen
zur Schriftſtellerei zu vertheidigen ; fie hat fih ſchon felbft
gereihtfertigt, obmol nicht geleugnet werden may, daß zu
ſoſcher öffentlichen Wirkſamkeit nur wenige berufen find,
«is Ausnahmen von der Regel. Belchränten fie ſich zu:
wel auf den Kreis, in welchem Frederike Bremer fi bes
wegt, ber in feiner Beſchraͤnkung doc umfangreid genug
und nichte weniger ale arm iſt, fo wird auch ein firen:
ger Richter der Befähigung und Befugniß ihres Ges
ſchechts gegen ihre darſtellende Produetivität Kaum etwas
Erhebliches einzuwenden vermoͤgen. Wer hoͤrt nicht gern
eine geiſtreiche und gebildete Frau erzählen, Selbſterlebtes
oder Erdichtetes? Warum follte ihre Eunftgewandte Hand
nicht niederfchreiden dürfen, was wir fo gern mit Auf:
mertfamteit und Theilnahme aus lieblichem Munde ver:
nehmen? Wo der Beruf, das Schöngedachte ſchoͤn zu ſa⸗
gen, die freien Dichtungen des Geiftes und Herzens auch
anfhaulid zu geſtalten, fo entfdhieden, fo mannichfach be:
währt fft, wie bei unferee geift: und gemüthreichen Schwe⸗
din, da wäre es gar überflüffige Mühe, ihn zu bevoriwor:
ten oder umftändlih zu demonftriren.
Können aber „Skizzen aus dem Alttagsleken” uns
ein Gewinn fein? Gott nicht die Dichtung uns über das
Attäglicye erheben, in höhere Regionen verfegen? Sie ent
ſpricht dieſer Foderung auch, wenn fie das Alttugsleben
veredelt, verſchoͤnt, verklaͤtt, als einen Gegenſtand geiſtbe⸗
lebender Anſchauung zum Bewußtſein bringt. Wie die
Poeſie nicht blos das Hohe verherilicht, ſondern auch das
Niedere erhebt, ſo vermag ſie nicht minder dem Alltaͤg⸗
lichen einen Zauber mitzutheilen, der mächtig anzieht, eine
Bedeutung, die nicht felten tiefer und reicher iſt als der
Schein des Außerordentlichen.
Sine gluͤckliche Schriftftellerin ift nicht immer auch
eine treffliche, wie hinriederum eine treffliche nicht Immer
eine glüädfiche, d. h. gecngefehene, allgemein anerkannte iſt.
Der Beifall Vieler entfcheidet noch nicht über den wahren
Werth eines Werks. Wo aber die öffentlihe Meinung
zweier Nationen zu Gunſten afler Reiftungen eines ans
ſpruchslos geftaltenden Geiſtes ſich ausfpricht, da darf man
wol einen tiefern Grund fo aligemeiner Anerkennung vor:
ausſetzen.
Was iſt es nun, das den Schriften der Frederike Bre⸗
mer eine ſo allgemeine und wohlyerdiente Anerkennung
auch unter uns bereitet hat? Gewiß nicht blos der Reiz
ded Neuen und des Fremden. Denn Neues und Frem⸗
des mird uns alljährlih und faſt alltaͤglich in ſolcher Fuͤlle
dargeboten, daB es befonder6 reich ausgeſtattet und eigen⸗
thuͤmlich geftaftet fein muß, wenn es nicht nur Eingang:
finden, fllchtiges Lob gewinnen, fondern auch den einhelkts
gen und dauerhaften Beifall aller Beſſern, der Klardens
kenden und Reinempfindenden ſich erwerben fol. Solcher
Beifall ward der liebenswuͤrdigen Schwedin zu Theil, viels
leicht zundchfl um dee Anſpruchsloſigkeit willen, mit der
fie aufteat. Da tft keine Spur von der Peätenfion, daß
fie etwas Unerhörted, Ungemeines, Außerordentliches Leifte,
daß fie fih einen Namen machen, mit dem Lorber der
Dichtkunſt fih ſchmuͤcken wolle. Sie will nicht als Künft:
lerin, nur als Dilettantin gelten und gibt fich, einfach,
wie fie iſt, als eine harmiofe Pilgerin, die aus dem Schatze
ihres hellen Verſtandes und geläuterten Herzens ihre Be:
obachtungen und Erfahrungen den jüngern Schweſtern mit:
theilt, was nicht blos zu anmuthiger Untechaftung, fondern
auch zur Belehrung, Warnung, Ermunterung dient. Der
befcheidene Titel „Skizuen aus dem Alltagsleben” iſt von
ihrer Seite ‚gewiß ernftlih gemeint, obwol fie ohne Zwei:
fet fühlen mag, daß nichts weniger als blos Alltaͤgliches
ihrer Feder entftrömt. In jedem Kal ift die Auffchrift
„Skizzen“ allzu befcheiden und darum unwahr; denn was
biec dargeboten wird, das find nicht blos Entwürfe,
Grundriſſe, Handzeihnungen, fondern vollftändige, zum
Theil ſehr reihausgejtattete, oft mit nieoerländifcher Ges
nauigkeit ausgeführte Gemälde, die auch in den vorliegens
den Copien (dem treuen Überfegungen) das friſche Golorit
der Driginale bewahrt haben,
Solche Anſpruchsloſigkeit ift felten zu finden bei mins
derbegabten Schriftſtellerd; je weniger ſolche find und lei⸗
fien, deſto weniger werden fie ihrer Schwachheit jich be:
wußt, deſto mehr Prätenfionin meinen fie machen zu duͤr⸗
fen; es erweckt daher immer ſchon ein günftiges Vorur⸗
theil jür ein eben erft hervortretendes Zalent und beflen
Leiftungsfähigkeit, wenn es ſich felbft nice uͤberſchaͤtzt.
Doch kann dauerhafter Beifall nur wirklichem Zulent, nur
foldyen Vorzügen zu Theil werden, welche in ber geläuter:
ten Öffentlihen Meinung die Probe beleben und aud)
dern Kenner ſich bewähren. Wenigſtens wird in den Kreis
fen der Wahrhaftgebildeten nur, wer wirklich Gedirgenes
leiſtet, ſolche Theilnahme finden, wie Srederite Bremer fie
gefunden bat. Sie befige eine ungemein glüdlide, ges
wandte, fichere, anziehende Daritellungsgabe; dieſe ift ihr
ohne Zweifel von Natur eigen, recht angeboren, aber durch
Studium und Übung weiter entwidelt und erfreulich aus⸗
gebildet. Man merkt nirgend das Studium als ſolches,
wol aber genieht man die Seucht; mirgend ein Ringen
mit der Sprache, mit dem Ausdrud; jene ſchließt fich
leicht unmittelbar dem Gedanken on, dieſer tritt ebenfo
leicht und ſicher bervor; nirgend erwas Geſuchtes, Cr:
kuͤnſteltes, überall anmuthige Einfachheit. Der Stoff ift fo
klar verarbeitet und geflaltet, daß die Form ungeſucht fid)
darbietet und in der entfprechendften Weile.
Der Reiz der anmuthigen Darftellung aber wird ers
hoͤht durch den Reichthum und bie Gediegenheit des In⸗
halts. Es ſind Bilder aus dem Leben, treffend, anſchau⸗
lich, wohlgewaͤhlt, anziehend, mit ſinnigem Hintergrunde
und angemeſſener Beleuchtung, in Zeichnung, Anordnung
und Färbung gleihtüchtig angelegt nnd ausgeführt, Bel
unvertennbarer Berwandtfchaft der Sujets, an denen «ine
Samilienähnlichkeit bald wahrgenommen wird, findet ſich
doch eine große Mannichfaltigleit der Situationen und der
Charaktere. Die Erfindung trägt zwar nicht das Geprüge
einer feurigen oder uͤppigen Phantafie, iſt aber weder arm,
noch einförmig und entbehtt nirgend den Reiz der Neu⸗
a U am m e e e e e
beit und Eigenthuͤmlichkeit. In jedem neuen Bändchen
teeten neue Perfonen auf, Die, wenn wir fie auch zum
Theil ſchon einmal gefeben und gehoͤrt zu haben meinen,
doch, in anderm Gewande und unter andern Umgebungen,
dder von einer andern Seite fi darſtellend cine nicht
alltägliche Individualität behaupten.
In der Charakterzeihnung bat die Verf. eine unge
meine Virtuoſitaͤt ſich angeeignet. Nicht nur die Daupts
perfonen, auch mehre Mebenperfonen find ſcharf und trem
gezeichnete Portraits, die nicht nur den Schein deö Les
bene, fondern felbftändiges Leben haben; fie fiehen, gehen,
eeden, handeln vor unfern Augen und wie fuchen in un-
ferer Erinnerung die Driginale auf, deren Gonterfei Die
gewandte Künftlerin uns vor Augen flellte; es duͤnkt ung,
als wären Jene irgendwo im Leben uns begignet. Doch
treten keineswegs nur alltägliche Geſtalten auf, die Jeder⸗
mann ſchon kennt; auch ſolche Lefer, die viel in der Welt
gelebt und viele Menfchen gekannt haben, machen bier neue
und intereffante Bekanntſchaften, deren Bild fie gern feſi⸗
bitten. Wie überalf den Portraits das Zeichen der Treue,
der Wahrheit aufgedruͤckt iſt, fo find einige mit ausge:
zeihneter Energie aufgefaßt und dargeſtellt. Selten hat
der Griffel in einer meiblihen Hand cinen fo ſcharfaus⸗
geprägten, gewaltigen Charakter gezeichnet und ausgeführe
wie ma chere mere und neben ihr Bruno in den „Nach⸗
barn”. An diefe reiben fih Frau Altıid in „Streit und
Friede“, die Blinde in der „Familie H.“, Nina und Edla
in „Nina“, Petrda in „Das Haus” — Alte wirkliche Ori⸗
ginale, an denen es auch unter den münnlichen Portraits
nicht fehlt.
Ebenſo fehr ein vielbewegtes Leben mie eine ſcharfe
Beobachtungsgabe fheinen die Verf. mit fo reicher Exrfats
rung ausgeftattet zu haben, daß fie dadurch vorzüglich ges
eignet ward, in der Sphäre, in der fie jegt frei und ſicher
fi bewegt, als Schriftftellerin aufzutreten. Um fo mehe
haben gewiß viele ihrer aufmerkiamften Lefer gewünfcht,
über ihre eigene Laufbahn und ihren Bildungsgang etwas
Befriedigendes zu erfahren; fie werden es Hrn. Brockhaus
Dan? wiſſen, duß er die geiftreihe Schwedin zu einer fol
hen Mittheilung auffoberte und ihre Antwort als Bears
rede zu den „Nachbarn“ abdruden ließ. Freilich irfriebis
gend ift diefe Gabe nicht, am meniygften für Die, weldye
der Verf. am wärmften zugethan find, und wie fie mit
ihrem Geifte ſich befreunderen, gern aud Kunde haben
möchten von den Scidfslen und Umgebungen, in welchen
fie Das geworden iſt, was unter uns fo willige unb ebs
ende Anerkennung finde, Wir erhalten bier wirklich nur
eine Skizze, die mehr verbirgt ale enthuͤut, aber au fo
fehr dankenewerth ift, und ihrem weſentlichen Inhalte
nad den Lefern d. Bl. nicht vorenthalten werden foll.
Auf einem finnlaͤndiſchen Landgute, unfern ven Abo
geboren, ward Frederike Bremer ſchon in ihren erfien Lebende
jahren nadı Schweden verfeht, wo ihr Bater als Butsbefiger
ſich ankaufte. Das einfache Leben der Familie verfloß gleich-
mäßig vom Fruͤhling bis zum Herbſt auf dem Lande, vom
Herbſt zum Frühling in der Hauptſtadt, bier und dert im
behaglicen Umgebungen, unter Gelchäften, gemeinſamer
Lecture, die ſich deſonders auch deutſchen Meiſterwerken zu:
wendet, und kuͤnſtteriſchen Übungen. Die Tochter des
Hauſes benutzten die ſich darbietenden Bildungsmittel, jede
nach ihrer Eigenthumlichkeit, und malten ſich ihre Zukunft
mit allem Zauber einer lebhaft ungesegten Phantaſie. Es
mag als charakteriſtiſch erwähnt werden, daß unſere Dich⸗
terin ſich im Geift flets als Kriegeheldin fah.
Eine trübe Wicklichkeit, ein tiefer, berber Schmerz,
deffen Urfprung wir, in Betracht der zurudhultenden An:
Deutungen, nur ahnen können, zog als eine ſchwere, finfhece
Wolke der das Leben der Jungfrau bin; fie kämpfte
wol manches Jahr einen heißen Kampf, uber fie ging
ſiegreich, frei und ſtark aus demfelben hervor. „Die Ju:
gendtäufchungen find erlofcyen, die Jugendzeit iſt vorüber!”
Über eine neue Jugend, Licht und Freiheit find in der
durchläuternden Seele erflanden, und mit rüftiger Kraft
geht fie an das Tagewerk, das fie als ihren Beruf er:
kannt bat. Sir begann früh, ſchon im erften jungfraͤu⸗
lien Alter zu fchreiden, aber fie degann erſt ſpaͤt drucken
zu laffen. „Ich fchrieb im Drange jugendlicher, unruhi⸗
ger Gefühle; ich fehrieb, um zu ſchreiven. Später ergriff
ich die Jeder aus einem andern Beweggrunde;“ aus wel:
dem? bar fie verſchwiegen. An der Grenze ihres Lebens:
berbfies freue fie ſich noch derfeiben heitern Umgebungen,
in denin fie feit ihren erflen Fruͤhlingstagen heimiſch ge:
wefen und des Beſitzes einer geliebten Mutter und Schwe⸗
fer. Für ihre Zukunft hegt fie keinen andern Wunſch
als den, die Arbeiten, die fie fidy vorgenommen, vollenden
zu fonnen, zu denen ihre biherigen Schriften „den An⸗
fang bilden”. Wir dürfen alfo nody manche reife und
reihe Gabe von ihr erwarten, wenn ihre Geſundheit Eräf:
tig und ihr Herz fo friſch bleibe, wie es bisher ſich
bewaͤhrt
e.
Dieſe Andeutungen aus dem Leben der Dichterin ge⸗
ben Aufſchluß über die eigenthuͤmliche Zeichnung und Kür:
bung mehrer weiblichen Geftalten in ihren Romanen; cine
bochherzige Reſignation, eine heitere und freie Weltun:
ſchauung, eine Priftige Erhebung über widerwärtige Ver⸗
hältniffe, die Freude am Stillteben des traulichen Fami⸗
lienkreifes, verbunden mit lebhaften Intereffe für alles
Edle und Schöne, das über deifen Grenzen hinausliegt —
diefe Liebenswürdigen Eigenſchaften, die fie felbft auszeich⸗
men, haben ſich gerade in den Charakteren ausgeprägt, bie
von ihr mit befonderm Wohlgefallen und Fleiß dargeſtellt
worden find. Was aber folhe Eigenfchaften am tiefſten
begelindet, was ihr felbft ebenfo ſehr die wohlwollende
Theilnahme an den Leiden und Freuden der Menfchheit
und das tiefere Verſtaͤndniß der Menſchennatur, mie die
ruhige, würdige Haltung in ihren Darſtellungen mittheilt,
das iſt die tiefe und warme Meligiofität, die wie ein lau:
teree Del ihr inneres Leben erfrifchend und erheiternd
durchſtroͤmt und in alien Werken ihres Geiſtes herzge⸗
winnend ſich abfpiegelt.
Ihre Religioſitaͤt iſt zwar mehr männlicher als weib:
licher Art, mehr verſtaͤndig als gemuͤthlich, aber doch wahr,
innig, beiebend. bre merkwürdige Schrift „Morgen:
wichen”’, die in zwei deutfihen Überfegungen vor uns liegt
und in d. 56. bersitö beſprochen ward, iſt weniger als
ihre Romane geeisnes, Die Art ihres Glaubenslebens ans
ſchaulich zu machen. Dort bat fie ſich fo ganz auf den
Neflerionsilandpunft geſtellt, fo weit hinaus über ihr glaͤu⸗
biges Bewußtſein theoretifirt und fpecwlirt, To wunderlich
zwilchen Kopf und Herz capitwlict, daß fie fall am Glau⸗
ben Schiffbruch gelitten zu haben ſcheint, während ihre
andern Schriften begeugen, daß fie gläubiger, auch kirch⸗
lidger und vom chriſtlichen Geiſte tiefer durchdrungen ift,
als ihre niche unbefangene Theorie vermuthen läßt, Wie
wollen nicht leugnen, daß auch in den „Morgenwachen“,
die wir noch lieber „Morgendämmerungen” nennen, vie
fie in der elberfelder Überfegung bezeichner find, „ein fübs
lendes, gläubiges, fehnendes, ahnungsvolles Gemüth” nicht
minder als ein fcharfes Denkvermögen, das wol auch in
die Tiefen und Untiefen theologifdyer Controverje ſich bins
einmagen mag, bervorteitt; in ihren Romanen aber er:
fcheine der Kampf fon ſiegreich durchgekaͤmpft, den jie
ſich ſelbſt erweckte, da fie mit redlichem und in der That
frommem Eifer, aber mit unzureihenden Waffen in theo⸗
logifhe Streitigkeiten einzugreifen verſuchte. Doch bleibe
auch diefer Verſuch ein ſehr achtbares Denkmal ihres reis
hen Geiſtes und innigen Gemüthe, und die liebenswärs
dige Wärme und Begeifterung, mit der fie die ewige Wahr⸗
heit gegen die Poſtulate und Opinionen ciner deſtructiven
Weltweis heit vertheidigt, beweift, daß fie nicht minder tief
empfindet als denkt, und daß das Gemuͤth fein unveräus
Berliches Recht geltend macht auch da, wo fie in abflracten
Berflandesoperationen daſſelbe zu beeinträchtigen fcheint.
Ihr gläubiges Bewußtſein iſt vielleicht noch nicht zu dee
Klarheit und Lebensfülle hinducchgedrungen, wie wir dafs
felbe unter andern bei der reichbegeiftigten Eingländerin Miß
Grace Kennedy bewundern; aber fie weiß, an welchen fie
glaubt, und bar in ihm den lebendigen Mittelpunkt alles
religiöfen Lebens gefunden. Die Weihe eines gläubigen
Gemürhs verbreitet fi denn auch uber alle Blüten ihrer
Dichtung; in allen ihren Schriften ift das Geiſteswehen
einer höhern Welt wahrzunehmen, und das iſt es aud,
was in ihnen empfänglichen Gemüthern fo wohlthut und
fo maͤchtig anzieht.
Shre Frömmigkeit bat ihre die Augen aufgethan für
die Wunder Gottes in der Natur, wie im Menfchenieben
und fie zur Priefterin im Heitigchum der fichtbaren Schoͤ⸗
pfung geweiht. Sie vernimmt und verfteht die geheime
nigoolle und doch fo offenbare Sprache der Berge und
Thäler, der Quellen und Slüffe, der Pflanzen und Steine;
das Saͤuſeln der Blätter, da6 Rauſchen der Wellen, das
Zirpen des einfamen Heimchens und das Lied der Lerche
tönt wider in ihrer Bruft. Ihre Naturfchilderungen find
fo lebendig, anfhaulih, wahr, daß wir uns heimiſch fuͤh⸗
len in der Gegend, die fie ald den Schauplag der erzähle
ten Begebenheiten uns vor Augen ſtellt; es find Lands
ſchaftsgemaͤlde, die durch bie anziehende Staffage ihre volle
Bedeutung gewinnen. Auch menn fie in eine uns fremde,
dem fernen Norden angehörige Scenerie uns verfege, ges
währt die Lebendigkeit und Klarheit der Durftellung uns
ein fo treues Bild, daß wir leicht und fchnell uns oriens
tiven koͤnnen. Und doch verliere fie fich nie und nirgend
in eine Naturvergoͤtterung, fondern weiſt kraͤftig hin auf
die unſichtbare Hand, die Alles fo weislich geordnet und
deren Guͤte der Erdkreis votl ift, auf den einigen Geiſt,
in weichem wir leben, weben und find. Sie erfmnt umd
preift und liebt Gott in feinen herrlichen Werten; fie hul⸗
digt diefen mit Andacht und Indranſt und ergebe fich in
then und verkehrt mit ihnen, wie in Lieber befreundeter
Heimat; aber vote fie mit beilem Auge Ihn ſieht in feis
ner fihtbaren Schöpfung, fo har fie mit leiſerm Ohr audy
feine Stimme, das Vaterwort vernommen und in diefem
um fo inniger fich mit ihm befreundet.
Darum ift ihr aud das zarte Geheimniß einer übers
irdiſchen Liebe nicht fremd geblieben. Die irdiſche, die,
wenn auc ein Himmelskind, doch aus den Banden der
Leiblichkeit noch nicht erloͤſt ift, bat, das bezeugen ihre
Dichtungen, das deuten felbit ihre eigenen Winke über
den Gang ihres Geiſtes an, ihre füße Gewalt auch über
ihr Derz geltend gemacht, aber fie bat diefelbe vergeiftigt
und verflärt in hochherziger Reſignation, in berzinnigem
Glauben, in freier Erhebung zu den lichten Höhen, von
dannen der Friede kommt. „Der am Kreuz‘ iſt ihre
Liebe und in feiner Liebe ifl ihre das Derz groß und weit
geworden für die Menfchheit, deren Bruder er gemorden.
Aus den Schranken unbefriedigter Sehufucht, ſelbſtſuͤchti⸗
ger Neigung und unfreier Dingebung entfefielt, neigt fie
fih um fo inniger und £räftiger zu Der Liebe, die nicht
das Ihre fucht, ſich nicht erbittern läßt, noch ſich unge⸗
berdig ſtellt, die Alles glaubt, Alles hofft, Alles duldet.
Ein tiefes, warmes, wahres Mitgefuͤhl mit fremden Lei⸗
den und Freuden, ein klares Verſtaͤndniß des Jammers
der ſeufzenden Menſchheit, ein heiliger Drang, mitzuwir⸗
ken, daß die Erloͤſten Chriſti ihrer Erloͤſung ſich dewußt,
freier, beſſer, befriedigter, glücklicher werden mögen, prägt in
allen ihren Schriften unverfennbar fi aus und erhöht das
Intereſſe, welches Die anmuthige Unterhaltung gewährt.
(Die Wortfegung folgt. )
Collection des documents inédits relatifs
a lhistoire de France.
Wir haben bei verfchledenen Gelegenheiten auf bie freigebis
gen Unterftügungen aufmerkſam gemadjt, durch weiche die frans
zöfifche Regierung großartige wiſſenſchaftliche Unternehmungen,
weiche die Kräfte Einzelner überfteigen, befördert. Won allen
Miniftern, die feit der Julirrvolution die Leitung der Staats⸗
geihäfte in den Händen gehabt haben, hat ſich unflreitig Guis
zot das größte Verdienſt durdy eine folche Belebung und Ermun⸗
terung wiſſenſchaftlicher Arbeiten erworben. Er war es, ber,
ats er on der Spitze bes Miniſteriums des Unterrichts flanb,
den großartigen Plan faßte, alle Handſchriften und Documente,
die auf die Geſchichte grantreiäs einiges Licht werfen Eönnen,
aus dem Schoofe der Vergeſſenheit hervorzuziehen und zu vers
Öffentlichen. Wir haben zu wieberbolten Malen einzelne Bände
diefer großartigen Sammlung citirt, welche ben Zitel „Collec-
tion des documents inediis relatifs à l’histoire de France,
publide sous les auspices du ministere de l’instruction”
führt. Seitdem wir indeffen zum legten Male davon geredet
baben, ift wieder eine beträdliche Anzahl von Bänden erfchies
nen. Wir wollen beshalb, um dem deutſchen Yublicum einen
Begriff von dieſem greßartigen Werke zu gebm, dieſelben im
aller Kürge aufzählen: 1, „Les quatre livres des rois, tra-
duits en francais du I2me ziecle.’”” Es ift dich das aͤlteſte franz
zoͤſſſche Sprachdenkmal und daher far die Linguiſtik von der
hoͤchflen Bedeutung. Der Herausgeder dieſes wichtigen Manus
ſcripts, Le Roux be Eincy, bat eine fehr gelehrte Ginteitung
hinzugefügt. 3. Der zweite Theil der „Olime‘‘, herausgegeben vom
Bicomte Beugnot, der ſich bereits durch die Herausgabe der
„Assises de Jerusalem’’ ein bedeutendes Verdienſt um die Ge⸗
fhicgte erworben hat. Die G@inteitung zu diefem neuen Werke
ift von hohem Werthe. Mir erhalten darin einen bündigen,
aber erfhöpfenden Überbiit über das. gauge Gerichtöwefen, wie
es in Frankreich während des 13, Jahrhunderts im Gange war,
Außerdem bat der Graf Beugnot diefem Theile noch einen bes
achtungswerthen Appendiz hinzugefügt, der ein bisher unbekann⸗
tes, fogenannte® „Coutume” von Gt » Dizier enthält. Es if
dies einer der wichtigſten Beiträge zur Rechtägefchichte des Mit⸗
telalters. 3. Der dritte Theil der „Papiers d’stat du cardinel
de Grauvella‘, her aue ge geben von Weiß. Dieſer Band umfaßt
die Zahre 1543 — 53 und wirft auf die Geſchichte der Kriege
Karl's V. gegen Frankreich und die Unterhandiungen von Erefpy
fowie auf den Bund von Schmalkalden ein bedeutendes Richt.
Es befinden fi) darunter biplometifche Documente vom hoͤchſten
Wertbe. Der Herausgeber dieſes Bandes, Dr. Weiß, Bidlio⸗
thekar zu Befancon, einer der geiftreichften Bibliographen Krank:
reiche, hat ſich bereits durch mehre umfaffende Werke ein gro:
Bes Werdienft um die franzöfifhe Geſchichte erworben Bon
feinen Artikeln für bie große ‚‚Biegraphie universelle fagt
fein Freund Charles Nodier in feinen „Melanges Lires d’une
peüite bibliotheque’‘, daß fie allein den ganzen Reft bes Werks
aufmiegen, und die feine „Biographie” (in 6 Bänden), die er
alleın herausgegeben hat, gehört zu den trefflichſten Arbeiten
biefer Art. 4, Der dritte und vierte Band der „Negociations
relatives a la succession d’Kspagne”, die ber berühmte Hiſto⸗
riker Mignet berausgibt. Ginen Theil der geiftvollen Einlei⸗
tung bat bereitö die „Revue des deux mondes” mitgetheilt.
Diefe beiden Bänte umfaffen die ihn wichtigen Jahre der Res
gierung Ludwig's XIV. von 1668— 78. Der dritte Theil
enthält bie Untechandlungen, durch die der große König die Als
lianz, die von Holland, England und Schweden gegen Frank⸗
reich gebilbet war, zu fprengen ſuchte. Der vierte Tuer ums
faßt die Invaſion in Holland, den Sturz und den Tod der
beiden Brüder de Witt und den Krieg, ber mit dem frie:
ten zu Nimwegen endete. 5. Der vierte Band ber „Chro-
nique du religieux de 8St.-Denis avec traduction’, von
DM. %. Beilaguet. Diefer Theil enthält die Erzaͤhlung der
Greigniffe, welche nach der Ermordung bes Herzogs von Ors
teans duch Johann ohne Furcht flattfanden, und geht bis auf
den Tod Heinrich's IV. von England. Die naͤchſten Baͤnde diefes
großartigen Werks, das eine wahre Yundgrube für die franzds
ſiſche Geſchichte buidet, werden wieber einige wichtige Arbeiten
bringen. Wir heben bavon hervor: ben fünften Band ber
„Memvires militaires relalifs à la succession d’Espagne
sous Louis XTV’‘, der vom Generatlieutenant Pelet beforgt
wird; ben dritten Band ber wichtigen „Chronique des dacs
de Normandie‘, deren Herausgabe der verdiente Francieque ir
el übernommen hats ben zweiten Theil der intereffanten „Me-
langes historiques’ von Ghampollion = Kigeac, und ben zweiten
Band beö „Proces des Templiers‘‘, den der berühmte Diftori=
fer Michelet herausgibt. Wir werden in einiger Zeit auf dieſe
umfaffende Sammlung zuruͤckkommen. Bei diefer Gelegenheit
wollen wir gleich noch erwähnen, daß von der großen „Col-
lection des Memoires relatifs a l’bisteire de Franoe, depuis
la fondation de la monarchie frangaise jusqu’au l3me siecle”,
die gleichfalls von Guizot begründet iſt, die beiden legten Bände
vor kurzem erfchienen find. Der erftere enthätt eine fehr inter⸗
effante „Introduetion”! und der andere eine brauchbare „Table
generale des matidses”, 2,
We artwortliher Herauſsgeber: Heinrih Brodhaus — Drud und Beriag von 8. X. brouneus ın Seipzig.
Blätter
für
literarijde Unterhaltung.
Dienftag,
ee Nr. 66. u
7. März; 1843.
Die Dichtungen der Frederike Bremer.
(Kortfegung aud Nr. 66.)
So hat Frederike Bremer auch in ihrem Öffentlichen
Wirken als Scheiftftellerin nirgend die zarte Weiblichkeit
verleugnet, deren Mangel durch die geiftreichfte Virtuoſitaͤt
nicht erfegt werden konnte. Mit männlicher Kraft vereinigt fie
weibliche Milde und Lautereit und geht ihrem Geſchlecht,
defien Läuterung, Deredelung, Kräftigung ihr die liebſte
Angelegenheit ift, als ein erhebendes und ermunterndes
Vorbild voran. Ihr Wirken tft aud auf eine Emanci⸗
pation der Frauen gerichtet, auf die vollſtaͤndigſte, wahrfte,
nothwendigſte, nämlich auf bie fittliche; es iſt nicht fo ſehr
der Eigenfinn, die Ungerechtigkeit, die Thrannei der Män:
ner, das Soc, welches zu zerbrechen fie mitwirken möchte,
als vielmehr der Eigenfinn, die Befangenpeit, die Eitelkelt
und XThorheit des eigenen Herzens, die Tyrannei der Vor:
urtheile, des Wahns, ererbter Irrthuͤmer, herrſchender Un:
arten. Sie möchte ihr Gefchleht zum Bewußtfein feiner
urfprünglihen und unveräußerfihen Würde, aus ber druͤ⸗
ckendſten und ſchmaͤhlichſten Sklaverei zu wahrer Freiheit
und unzerſtoͤrbarem Serlenfrieden erheben, die nur in aufs
tichtiger Demuth, in herzinniger Froͤmmigkeit, in Eräftis
gem Ringen nad den beften Gaben, in heiliger Treue
unter allen Verhaͤltniſſen und Umftänden gemonnen wer:
den. Sie belehrt, warnt, ermuntert, weniger duch) zu:
dringliches, ſchwerfaͤlliges Moralificen, als durch Thatſa⸗
chen, durch Bilder aus dem Leben, durch die Mannichfal⸗
tigkeit der Geſtalten, die ſie in mehr oder minder ſchwe⸗
rem Conflict mit der Welt vor Augen ſtellt. Die Wahr⸗
heit und Treue in den Charakteren, die ſie mit feſter und
gewandter Hand zeichnet, macht ihre Schriften um ſo
mehr zu einer Schule fuͤr Frauen. Wie ſie in Allem
Maß zu halten ſich geuͤbt hat, fo hütet fie ſich auch vor
Übertreibungen in der Licht: und Schattenfeite; ſcheint es
etwa, als ob in manchen, fcharfausgeprägten, etwas ſchroff
hervorteetenden Geflalten die Farben zu flark aufgetragen
feien, fo find diefe doch keineswegs bloße Phantafiegedilde,
fondern wenn auch feltene und ſeltſame, doch wirkliche Er⸗
ſcheinungen im Leben. Sie hat ſich eben nicht verſucht
uͤhlt, wie andere Schriftſtellerinnen, Teufel in Mens
ſchengeſtalt fleißig abzubilden, mehr gute Engel, dieſe aber
zeinmenfchlih, und wer darin Übertreibung, Phantafterei
fände, dem waͤre das Ideal echten Menſchenadels, weibli⸗
her Zugend fo wenig in der Seele aufgegangen, mie im
Leben begegnet. Sie hat manche wunderliche, barocke Ge:
flaiten mit befonderm Fleiß und wohlgelungen gezeichnet,
aber audy fo reizende, liebenswuͤrdige, menfchlich vollendete,
daß der Lefer, und wol noch mehr die empfängliche Lefes
rin ſich an ihnen nicht nur freut, fondern auch ergögt
und erbaut, ſich erweckt und ermuntert fühlte. Unter ihs
ven Frauencharakteren find einige, bei deren feelenvollem
Anfhauen wol mancher Süngling und Mann im Herzen
ſpricht: „Wen Gott lieb hat, dem gibt er folh ein Weib”,
und mande Jungfrau und Frau: „So mödt’ ich fein!”
Und diefen Wunfh zum Streben und Ringen zu beles
ben, eine heilige Begeifterung für Das, was allein wahr
und ſchoͤn ift im Leben, zu erwecken, das ift das fchöne
und gewiß mit reihem Erfolg gekrönte Bemühen ber
Dichterin, die in der bewundernswürbigen Fähfgkeit, fo
ausermählt herrliche Menfchen in treffendfter Anfchaulich-
keit darzuftellen, nicht nur ein beneidenswerthed Talent,
fondern auch ihren eignen Seelenadel bewährt hat.
Um fo angelegentlicher find die Schriften der Frederike
Bremer befonder6 dem weiblichen Geſchlecht zu empfehlen;
fie bereiten aud) Männern reichen Genuß und bleibenden
Gewinn, aber Krauen werden fie die ergiebigfte Fund:
geube fein. Mütter koͤnnen ihren heranwachſenden Toͤch⸗
teen mit diefen Schriften ein Geſchenk barbieten, deſſen
Werth nicht dem Wechſel der Mode unterworfen ift, fons
dern audy nad) langem Gebrauch noch ebenfo wohl feinen
Reiz wie feinen vollen Gehalt behält. Nicht nur find
diefe Dichtungen, wie ſich von felbft verfteht, unanftößig,
rein, ſittlichſchoͤn, fondern auch fo befonnen gehalten und,
obwol nichts weniger als dürrprofaifh, doc fo gar nicht
phantaftifch, vielmehr recht praktiſch tüdhtig, daß man fie
unbedenklich einer gebildeten Jungfrau in die Dände ges
ben kann. Sie werden in jedem Fall fi fruchtbarer und
heilſamer erweifen als fo viele Romane, Novellen, Erzaͤh⸗
lungen, romantiſche Gedichte, mit denen, als mit der los
ſeſten Koft, die weibliche Jugend jest häufig gelättigt wird.
Das Schöne und das Nuͤtzliche ift in den „Skizzen aus
dem Alltagsleben” nicht nur anmuthig gemifcht, fondern
auch recht innig verwebt und Eins in dem Andern auf:
gegangen ; das Gutgedachte, Sinnigerfundene ift aud
ſchoͤn geſagt und das Schöngeftaltete hat auch einen ges
diegenen Gehalt. Auch da, wo die Geſchichte mit längern
%2
Reflerionen, theoretifdgen Erörterungen und Wechfelgefprä:
hen durchwebt ift, werden wenigſtens tiefere, empfaͤngliche
Gemuͤther nirgend fi gelangweilt fühlen.
Wir haben an bdiefen Dichtungen des Lichts fo viel
anerkannt, daß die Wahrheit und Treue unfers Zeugnil:
Jes in Zweifel geftelt werden moͤchte, wenn wie nicht auch
des Schattens ein binreichendes Muß binzufügten. Der
Schatten fehlt auch nicht; er fpringt aber nicht foyleich in
die Augen; man muß erft fuchen, um ihn zu finden, und
in ſolcher Maße, daß er das Licht beträchtlih dämpfen
fönnte, entdedt man ihn doch nicht. . Zugeftehen müſſen
wie einige weibliche Geſchwaͤtzigkeit, die zwar nicht läflig
noch zudringlich, dm wenigſten unfreundlich, vielmehr über:
au wohlwollend, aber doc bisweilen etwas zu breit und
langathmig iſt. So gern wir das ſchoͤne Talent und das
glüdliche Bemühen anerkennen, in einem oder zwei Baͤnd⸗
chen einen Stoff kuͤnſtleriſch darzuftellen und abzufchließen,
‚aus welhem ſchriftſtelleriſche Fabrikanten einen drei- oder
vierbändigen Roman, oder audy mehr als einen‘, heraus:
gearbeitet hätten: fo möchten wir doch bier und da mehr
Geſchichte, mehr Handlung, mehr Ausführung flüchtig an:
gedeuteter Situationen, und dafür weniger umfländliche,
weitausgreifende Betrachtungen herbeiwuͤnſchen. Wir ha:
ben eine heimliche Freude, eine unfchuldige Schadenfreude,
darüber. empfunden, daß auch eine fo geiſtreiche Frau ef:
ner bisweilen recht liebenswürdigen, häufiger unbequemen
Unart ihres Geſchlechts einen kleinen Tribut entrichten
mußte. Man hört fie aber gern, überall, auch da to
fie etwas mehr fpriht als eben zur Suche nothwendig
ſcheint; es ift nicht ein fraubafiges Geklaͤtſch, fondern die
überfließende, aber nicht fo ganz überflüffige Rede eines
wobhlmwollenden Herzens. Wo fie einmal in die Breite
baut, da baut fie immer zugleih in die Höhe, und fie
verfügt über fo reiche Vorräthe, daß man aud da, wo
fie des Guten foft zuviel chut, fie kaum der Verſchwen⸗
dung anklagen mag. „
Biel feltener und mit viel fparfamerer Hand hat fie
des Schlimmen zuviel gethan, nämlich in einigen Cha:
zaßterzeichnungen. Die Gräfin Auguſte in den „Toͤchtern
des Präfidenten” ift bei aller leiblihen Schöne und Lie:
benswürdigkelt eine fo abftoßende Geftatt, daß mir ihr
Bild für unwahr halten möchten, obwol fonft. gerade Die
treffende Wahrheit ein anerkannter Vorzug der Charakter:
gemälde der Verf. it. Eine fo leidenfchaftlihe und vers
zweifelte Liebe, wie die der Gräfin, ift zwar greulicher
Verirrungen fähig, und ein intriguantes Gemüth kann in
ſeinen Machinationen fich fo verblenden und eine ſolche Fer⸗
tigkeit erlangen, daß es Recht und Unrecht, Wahrheit und
Lüge kaum noch zu unterfcheiden vermag; aber «8 wird ung
doch fchwer, zu glauben, daß diefe Augufte, die wir uns noch
nicht als ganz verteufelt denken koͤnnen, fähig ſei, fo fata:
rifh das Gluͤck ihrer herrlichen Schweſter zu zerftören, wos
bei der Graf Alarich, der ſich fo unbegreiflich dupiren läßt,
aud gar zu befangen erfcheint. Es verftehe ſich, daß mir
dee Dichterin nicht anfinnen, fie folle lauter heilige Engel
malen, obmwol Ihr dies am beften gelingt; aber mo an el:
nem Charakter, zumal einem weiblichen, für den fie une
zu intereffiren mußte, ein fo finfterer Schatten bervortritt,
da moͤchten wir diefen pfychologifch tiefer motivirt ſehen.
So ift auch die Blinde in der „Samilie 9. eine jwar
fehe originelle, aber fo verzerrte Geſtalt, daß wir fie lieber
für verzeichnet ats nach dem Leben, d. h. wahr dargeſtellt
halten. möchten. Es ift nicht blos jene feltfame Verir⸗
tung der Gefchlechtsliebe, die, wenn widernatuͤrlich und
duch die Blutsvermandefchaft verdammt, doch in der räthe
felhaften Dienfhenbruft nicht unmöglich fein mag, es ift
die ganze Stellung und Haltung, das Reden und Thun
diefer Unglüdlihen, was uns den Wunſch abnöthigt, dee
zarte Pinfel der Meifterin möchte die Farben zu dieſem
Bilde, das wir unmöglich für ein wohlgetroffenes Portenit
halten önnen, etwas weniger greil aufgetragen haben.
Wenn wir aus der großen Zahl der Charakterbilder,
welche in diefen Schriften uns vorübergeführt werden und
unfere lebhafte Theilnahme erweden, nur diefe zwei ber:
ausheben, um fie al& verzeichnet nach unferer‘ fubjectiven
Anſicht zu ruͤgen, fo mag dies ebenfo fehr die Unfangens
heit, mit der wir die ſchoͤnen Gaben der Dichterin wuüͤrdi⸗
gen, als die gerechte Anerkennung ihrer ungemeinen Bir: -
tuofität in der Charafterzeihnung beglaubigen. Am wes
nigften fol es ein Tadel fein, wenn wie hinzufügen, daß
wie in diefen Zeichnungen überall eine weiblihe Band,
eine ebenfo kräftige wie zarte, wahrgenommen haben.
(Der Beſchluß folgt.)
Deutfche Erfahrungen über den Einfluß der Gefangens
| [haft auf den Geiſt.
Der Sitel ber untengenannten*) Beinen, aber gehaltvoflen
Schrift eines Arztes und Gefaͤngniß⸗Vorſtehers zeigt ihren Aweck.
Sie ift um fo wichtiger, weil ihr Verfaffer Vorſieher der eingis
gen vollfländigen Strafanftalt Deutſchlands nad) auburnfcher
Weiſe mit blos naͤchtlicher Vereinzelung ift (die ſaͤchſtſche Strafe
anftalt in Watbheim hat nur einen auburnfchen Ylügel), welche
bis zur Sröffnung des preußiſchen Strafhaufes in Halle, tm
Mai 1842, bei uns befand. Ich meine das feit vier Jahren
eröffnete badiſche Weiberſtrafhaus in Bruchſal, das bis auf bem
unausmweichlihen Übelftand, daß es aus einem aͤltern Kioflers
gebäude umgebaut und beshalb nicht wohl für feine jegigen 3wecke
geeignet ift, gut eingerichtet und verwaltet genannt werben darf.
Hoͤchſt beachtenswerth aber ift für Deutſchland gesebe biele
Stimme aus dem einzigen in beffen Umfange nady einer bir
beiden amerikaniſchen Strafmeifen, blos naͤchtlicher (auburn⸗
ſcher) oder ununterbrochener (pennfolvanifcher) Bereinzelung, ein⸗
erichteten Strafhaufe; insbeſondere wenn diefelbe,' wie es bei
r. Diez der Pal ift, durch Studien und burch eine fuihexe
ärztliche Laufbahn zur Urtheitsabgabe in ber Angelegengeit dos
Einfluffes der Gefangenſchaftsart auf bie griftige und leibliche
Gefundpeit des Menſchen als ganz befonders befähigt betrachtet
werben muß. | '
Bei der in ihrer Art unter und einzigen Stellung bes Gen.
Diez, wie bei ben in feiner Perfon vereinigten „Daupterfoders
nifjen eines vollgültigen, auf Erfahrung rupenden Uctheils her
bie Vorzuͤge und Nachtheile auburnfcher Sefangenfchaft in Deutſch⸗
land fege ih aus deſſen Schrift nachſtehende drei Stellen ber,
bie mir von befonderer Wichtigkeit und größter Verbreitung
werth ſcheinen. Diefe betreffen theils das Verhaͤltniß bes Uns
*) Über bie Vorzüge der einfamen Ginferlerung als Mittel
zur Befferung ber Verbreiger in ben Strafanftalten von @. A. Diez.
Karlöruhe, Bielefeld. 18W. Gr. 8. 18%, Neger.
203
terrichet zur Berbrechens⸗Haͤufigkeit, theils bas ber Gefängnißs
Auffeher und Beamten zu den Gefangenen bei ununterbrochen
vereingeinder Ginfperrung, unb endlich die bei biefer angeblich
ftattfindende größere Schwäche der Geiſteskraͤfte.
Über das unter ber Bevoͤlkerung flattfindende vielbefprochene
Berpättntß zwifhen Unterriht und Verbrechen
aͤußert fidy der Verfaſſer wie folgt: „Der Umftand, daß bie
meiften Berdrecher in den gewöhnlichen Schulfenntniffen Tchlecht
oder gar nicht unterrichtet find, hat die Meinung veranlaßt,
daß mangelhafte Kenntniffe diefer Art mit unter die Urfachen
des Verbrechens gerechnet werben müffen ; allein diefe Meinung
ft irrig. Uniffenheit und mangelnde Fertigkeit im keſen,
Schreiben und Rechnen führt an fich ebenfo wenig zum Vers
brechen , als ber Befig diefer Kenntniffe und Fertigkeiten bavor
ſchützt. Nur infofern, ale Mangel an ben Elementarkennt⸗
niffen die Mittel zum ehrlichen Broterwerb verringert und bie
Armuth unterhält und begünftigt, kann er unter bie mittelbaren
Urſachen bes Verbrechens gezählt werben; in ben allermeiſten
Fällen aber ift die Unwiffenbeit der Verbrecher nicht Urfache
ihrer Verbrechen, fondern nur gleichzeitige Wirkung einer ges
meinſchaftlichen Urfache, nämlich der Armuth und der vernachs
laſſigten Erziehung. Der armen Gtaffe der Bevoͤlkerung ſtehen
für den Unterricht ihrer Kinder nicht fo viele und gute Mittel
zu Gebote wie den Bemittelten, deshalb werden ſie auch in ber
Regel nicht fo gut unterrichtet fein wie die Kinher jener. Wenn
fie aber dann ſpaͤter zu Verbrechern werben, fo ift dies nicht
darum, weil fie weniger unterrichtet, fondern weit fie arm find,
Ja die Armuth immer die maͤchtigſte Verfucherin zum Verbre⸗
chen bleiben wird.‘
Über dag Wehfelverhältniß der penufylvanis
Then Befängnib:Beamten und ber Gefangenen fagt
Br. Dig: „Ein weiterer wichtiger Vorzug bes pennipivanifchen
Softems beftehbt in der größern Unabhängigkeit von ben pers
ſoͤnlichen Gigenfchaften der Aufſeher. Bei der zweckmaͤßigſten
Anordnung bes Baus und der größten Thaͤtigkeit von Seiten
ber Beamten können biefe doch nicht überall felber gegenwärfig
fein, Alles ſelber fehen und hören. In fehr vielen Källen find
dieſe alſo von dem Zeugniffe der Auffeher abhängig. Bei dem
auburnfchen Softeme find Vergehungen gegen die Disciplin viel
leichter möglich und fallen alſo viel häufiger vor, und dadurch
fritt dann auch der Fall viel häufiger ein, daß Bene auf bie
bloße Angabe eines Auffehers hin eine Strafe ausſprechen müflen.
Es wurde aber ſchon oben die fehr fatale Lage des Vorſtandes
angegeben, wenn er ber Wahrheitsliebe und Unparteilichleit eines
Auffehers nicht volllommen und unbedingt vertrauen kann und
der Straͤfling das ihm angefchuldigte Vergeben leugnet. Bei
der pennſylvaniſchen Dieciptin, wo bem Gträfiinge die meiften
Disciplinarvergehen durch die einfame Ginfperrung völlig uns
möglich gemacht werben, kann biefer Fall nur hoͤchſt ſeiten vor:
fommen. Auch kommen bier Straͤfling und "Auffeher weit wer
aiger miteinander in Berührung, es können ſich weit weniger
Sreundfchaften oder Feindfchaften, Verbindlichkeiten oder Abnets
gungen zwifchen denſeiben ergeben, und man kann alfo auch
weit ficherer eine leidenſchaftloſe Unparteitichkeit und Wahrhaf⸗
tigkeit in den Anzeigen ber Auffcher vorausfegen. Wer mit
der Leitung einer Strafanftalt aus eigener Erfahrung vertraut
R, muß diefen Vortheil ſehr hoch anfchlagen. Man denke fidh
einen Xuffeber, ber.fchon durch feine Erziehung, bie Stufe der
ag, auf der er ſteht, und feinen Charakter im Allgemeinen
Beine genkgende Buͤrgſchaft für fıine ſtrenge Unparteilichkeit ge⸗
währt, una ber auch noch das eine oder das andere Mal durch
beſtimmte Thatſachen Grund zum Verdachte von Parteitichkeit
gegeben hat, groß genug, um ihm nimmer unbedingt vertrauen,
ber nicht groß und beflimmt genug, um ihn darauf hin ent:
laffen zu können. Diefem gegenüber einen Gträfling, weldyer
bisher ſich gut aufgeführt hatte, eines Wergehens von Jenem
besüchtigt, das er aber entfchleden ableugnet. Wem fell nun
der Borftand Glauben beimeffen? Zunaͤchſt dem verpflichteten
Auffeher, und der Straͤfling muß alfo, ungeachtet feines Leugnens
bes angeſchuldigten Vergebene, für feautbig erbannt und bafkr
beftraft werben. War er nun aber wirklich ‚unfchurbig, war bie
Anzeige des Aufſehers unwahr, aus Leivenfchaft und Gehaͤſſtg⸗
keit hervorgegangen, fo wird biefes nicht nur auf den Beſtraf⸗
ten felber, fondern auch auf bie ganze Abtheilung, welche davon -
Kunde erhält, einen hoͤchſt verderblichen, das ganze Beſſerungs⸗
eſchaͤft wefenttich beeinträchtigenden Einfluß ausüben. Wollte
agegen der Borfland dem Sträftinge mehr glauben ale dem
Auffeher, fo wäre jedenfalls dadurch der Auffeher auf eine Weiſe
compromittist, weldde ihn zur fernern Dienflführung volltome
men untauglich machte; und da Anftellung und Entiaſſung der
Aufſeher nicht überall in die Bände der Vorſtaͤnde der Strafan⸗
ftatten gelegt find, höhere Behörden aber, weldye mit dem Des
tait der Sache unmoͤglich hinreichend vertraut find, darin noch
feinen Grund zur Gntlaffimg finden, der Vorſtand felber auch,
fo lange die Sache no im Zweifel und er felber nicht volls
kommen überzeugt ift, daß das Unrecht auf Seiten bed Auf:
febers, die Wahrheit auf jener bes Sträftinge war, fich zur
GEntlaffung Jenes nicht berechtigt fühlen wird : fo wird auf biefe
Weife der Anftalt ein undrauchbar gewordenes Werkzeug aufge
bürdef. Hatte ber Auffeber dabei die Wahrheit geſprochen, der
Sträfiing aber durch die Beflimmtheit und Frechheit feines Leug⸗
nen® ſich einer wohlverdienten Strafe entzogen, fo wird dadurch
der Zweck des Leugnens erreicht Und ber betreffende Straͤfling
ſowol als Andere, zu deren Kunde bei der Unmöglichkeit, die Com⸗
municationen zu verhüten, das Ereigniß ſchneil gelangen wird,
zur Wiederholung aufgemuntert. ’
„Auch eine weitere genauere Unterfuchung wird die Sache
nit ändern. Gewoͤhnlich können keine andern Zeugen vernom⸗
men werden als Sträflinge ber gleichen Abtheitung. Das Zeug:
niß von Leuten dieſes Schlages ift aber ſchon an ſich fehr vers
daͤchtig, ſodaß ein mit peinlicher Strafe Belegter faft überall
vor Gericht nicht mehr als Zeuge angenommen wird ; überdies
werden fie in der Strafanftalt durch Gleichheit ihrer Lage und
Sntereffen untereinander und gegen bie Aufſeher vereinigt, oft
auch noch dur Haß oder Liebe oder felbft Furcht beſtimmt,
falſches Beugniß zu geben. Abgefehen davon alfo, daß fchon
dadurch, daß gegen feine Ausfage das Zeugniß von Sträflingen
nur angenommen und angehört wird, das Anfehen eines Aufs
ſehers compromittirt , fein ferneres Wirken gelähmt wird, fa
wird dabci auch fonft nichts gewonnen. Lauten die Ausfagen
der Zeugen, wie es nicht felten der Fall ift, untereinander wider:
fprechend, fo iſt die Sache wieder wie zuvor: lauten fie zu
-Gunften der Sträftinge, fo muß dann ber WBorftand auch zu
Gunften derfelben entſcheiden, vielleicht ohne daß fich feine eis
gene Überzeugung ficherer ats vorher feftgeftele hat, und alle
die oben angegebenen Nadıtheile für die fernere Brauchbarkeit
des Auffehers können nicht mehr vermieden werden. Es kann
alfo nur in den feltenen Fällen das Zeugniß von anbern
Sträftingen zugelaflen werden, wo man im voraus über
zeugt iſt, daß es zu Gunften bes Auffehere ausfallen wird. Wo
aber biefe Ueberzeugung fchon beftehbt und alfo fein Zweifel an
ber Staubwürdigteit des Auffehers obwaltet, kann auch das Aufs
zufen von Zeugen zu weiter nichts führen, ale zu Daß und
Feindſchaft zwiſchen dem Angektagten und den Zeugen. Es
fann alfo für den Vorſtand einer Strafanftatt, fo lange er nicht
durchaus zuverläffige Auffeher befigt — und wo find dieſe zu
finden? — bie Gefahr, manchmal einen unfchuldig Angeklagten
zu beftrafen oder einen wirklich Schulbigen ungeftraft zu laffen
und durch Eines wie das Andere hoͤchſt verderblich auf den Bang
der pönitentiairen Erziehung ber Sträflinge einzuwirken, nur
daburch verringert oder beinahe völlig aufgehoben werden, daß
durch einfame infperrnng derfelben die Vergehen gegen die
Disciplin betraͤchtlich erfchwert und faft ganz unmöglich ges
macht werben. Es ift dies ein Gegenftand von Außerfter Wich⸗
tigkeit für die pönitentinive Gryiehung, weicher bisher die ibm
gebührende Würbigung noch nicht gefunden bat.’
„Auch für die ſichere Verwahrung ber Gträfünge tft bei
einfamer Ginfperrung beffer geforgt. Wo 20—I0 Gträfe
tinae in einem gemeinſchaftlichen Arbeitsſagl vereinigt find und
de Sommunication durch Worte und Zeichen unter ihnen nicht
verbindert werden kann, koͤnnen Nachrichten von außen ber
durch neu eingelieferte Straͤflinge eingebracht und ebenfo durch
abgehende foldye nach außen befördert und fo Berabrebungen
zur Flucht und Beipäife dazu getroffen werden. Ebenſo tönnen
die im gleichen Arbeitsſaale verwahrten Gträflinge untereinander
feber complottiren und Aufftände zu gemaltfamem Durchſetzen
iſſer Abſichten oder der Flucht verabreden. Cine Anzahl von
ra 30 Gträftingen, bewaffnet mit ihren Arbeitsgeraͤthen und
andern ihnen leicht zugaͤnglichen Gegenſtaͤnden, bildet ſchon eine
bedeutende Macht, ber man in der Anſtalt im Augenblicke wenig
entgegenzufegen hat, ba der größte Theil ber Auffeher noth⸗
wendig dazu verwendet werben muß, bie andern Abteilungen
im 3aume zu halten und ihren Anſchluß an bie Aufruͤhreriſchen
zu verhüten, die alfo, wenn das Gefaͤngniß nicht beſonders
feft it und fie etwa noch von außen unterflügt wird, leicht
einen gewaltfamen Ausbruh aus der Anftalt, jedenfalld aber
bedeutende und gefährliche Unordnungen in derſelben bewerfftellis
gen kann.“ e
„Je mehr einem Werbrecher durch bie Einrichtung der
Strafanftalt die Möglichkeit übrig getaffen iſt, gegen bie Dies
ciplin zu fehlen, je ftärfer die Verſuchungen bazu find, deſto
öfter wird er auch wirklich fehlen und defto öfter alſo geſtraft
werden muͤſſen. Im auburnſchen Syſteme iſt durch die Moͤs⸗
uchteit der Communicationen, das Zuſammenſein ber Straͤflinge
untereinander und mit den Auffehern außerordentlich zahlreiche
Veranlaffung zu Wittheilungen untereinander duch) Worte,
Winfe und Blicke, Streit miteinander, Gommunicationen nad)
außen, Unart und Ungehorfam gegen die Auffeber, Meutereien
und Somplotten und dergleichen gegeben, weiche alle beim penns
foivanifchen Syſteme wegfallen. Alſo wird ein dem erſtern Sy⸗
ſteme unterworfener Straͤfling auch im Allgemeinen weit öfter
beftraft werden müffen, und diefe Nothwendigkeit bes häufigen
Strafens ift wieder eine Schattenfeite des auburnſchen Syſtems.
Der den Bänden der Gerechtigkeit Berfallene ergibt ſich ſelten
mit Reſignation und Unterwuͤrfigkeit in die über ihn verhängte
Strafe, er fieht fi mehr für einen Befiegten als einen Be⸗
firaften an und erfiärt die über ihn verhängte Strafe für un
gerecht oder zu hart. Die Anerkennung, daß er für fein Ber:
gehen wohlverdiente Gtrafe leide, erfolgt gewoͤhnlich erſt ſpaͤt
und ift ein ziemlich ſicheres Zeichen eintretender Beſſerung.
Noch weit mehr aber ift biefes in Beziehung auf die in ber
Strafanftalt wegen Disciplinaroergehen verhängten Strafen ber
Kal. Hier ftellt ſich die Übergeugung, daß die Strafe ger
recht und wohlverdient gewefen fei, noch viel feltener, vielmehr
gewöhnlich ein Gefühl der Grbitterung und bes Haſſes gegen
die Disciplin der Anftalt und bie diefelbe handhabenden Beamten
ein, das oft ziemlich lange anhält und ber beabſichtigten Beſſe⸗
zung nur ſehr hinderlich fein kann. Auch mit der geprieſenen
Milde des auburnſchen Syſtems ſtimmt dieſe Nothwendigkeit
haͤufiger Strafen keineswegs uͤberein, vielmehr wird bei einem
etwas ungehorſamen, dem Sprechen ſehr ergebenen, oder mit
einem heftigen ungeflümen Temperamente begabten Straͤflinge
durch die zahlreich eintretenden Disciplinarftrafer bie Strafe
leicht härter ausfallen als durch einen ebenfo langen einfamen
Xrreft ohne weitere Strafe. Ebenſo verliert auch die Arbeit
der Sträflinge durch häufige Disciplinarftrafen; es kann wäh:
rend Dunkelarrefi und aͤhnlichen Strafen der Beſtrafte nicht
arbeiten und dadurch geht nicht nur der Grtrag der Arbeit
verloren, fondern, was wichtiger ift, es fann auch bie Gewoͤh⸗
nung der Gteäflinge an die Arbeit bei der oftmaligen Unterbre⸗
dung berfelben ſich nicht gehörig befeftigen.
Endlich am ausführtichften erklaͤrt ſich der Verfaſſer über
den Einfluß pennfplvanifber Gefangenfhaft auf
die Seiftesträfte der Eingefperrten, deren Schaͤdlich⸗
keit er aus ärztlichen Gründen mit tiefer pfychologifcher Gin
ſicht in Abrede flellt, worüber ih bier nur die einzige, Er⸗
Iebtes berichtende nachſtehende Stelle herfegen kann, mit welcher
bie Anzeige diefer wichtigen Schrift denn auch ſchließen mag:
„Sm Weiberhaufe zu Bruchfal, welches nady dem auburns
fhen Syſteme dirigiet wird, wo aber wegen Unzwedmäßigkeit
bes Bauplanes, geringer Anzahl der Auffeherinnen und andern
Dinberniffen bie Regel des Stillſchweigens nur fehr unvollkom⸗
men gehandhabt werben kann, wo alfo Das, mas man im pennfyls
vaniſchen Syſtem als Urſache der Seelenftörungen anklagen will,
in noch viel geringerm Grade ale in Auburn befteht, kamen in=
nerhalb der legten 18 Donate unter 80 Gntlaffenen fünf Bälle
von Seelenſtoͤrung vor, von welchen drei in die Landesirrenan⸗
ftatt in Heidelberg, eine, eine Ausländerin, in ihre Heimat
verbracht wurben, und eine vor ihrer bereits eingeleiteten Transs
ferirung in bie Irrenanftalt geftorben iſt. Diefes Berhältnig
von 6,25 Procent der Sntlaffenen ift alfo noch ungünftiger als
jenes von Sherry: Hill bei Philadelphia, welches nur 9,12 Pro⸗
cent beträgt. Es ift diefe verhältnigmäßig fehr große Zahl von
Seren allerdings nicht der Disciplin der Anftatt, fonbern faft
nur dem Zufall zuzufchreiben; allein aus bem gleichen Grunde
kann auch das angeblich völlige Fehlen von Geifteskranfen in
Auburn nicht ber Disciplin, fondern nur ebenfalld dem Zus
falle zugefchrieben werden. Ein neuer Beweis. daß auch die
Zahlen, und befonbers kleine, aus einem zeitlich oder räumlich
beſchraͤnkten Kreife von Beobachtern hervorgegangene sahlen,
nicht überall zuverläffige Refultate gewähren. ’' 39.
Literarifhe Notiz.
Ein um bie Geſchichte der Philofophie verdienſtvolles Werk
ft Francisque Bouillier’s „Histoire et critique de
la revolution cartesienne‘ (Paris 1842). Die genannte,
vom Inſtitut gekroͤnte Preisfchrift wurbe durch eine von ber
Alabemie der moralifchen und politifchen Wiffenfchaften zu Paris
geftellte, fo lautende Aufgabe veranlaßt: „I. Den Zuftand ber
Philoſophie vor Descartes darzuthun. 2. Den Charakter der
philofophifchen Umwaͤlzung, deren Urheber Descartes iſt, zu bes
flimmen; die Methode, die Grundfäge und das ganze Syſtem
biefes Philofophen in allen Theilen der menfchlihen Wiffens
fhaften darzulegen. 3. Die Gonfequenzen und Entwidelungen
feiner Philoſophie nicht allein bei feinen anerfannten Schülern,
wie Regis, NRobault, Delaforge u. ſ. w., fondern auch bei
Männern von Genie, bie er erwedte, wie Spinoga, Male
brandye, Lode, Bayle und Leibnig, aufzufudden. 4. Insbeſon⸗
dere den Einfluß des Gartefianifchen Syſtems auf die Syſteme
Spinoza'd und Malebranche's zu fchägen. 9. Die Rolle und
bie Stelle, welche Leibnig in ber GCartefianifden Bewegung
fpielte und einnahm, zu beflimmen. 6. Den innern Werth der
von Descartes bewirkten Ummälzung in der Philofophie, bes
trachtet im Zuſammenhange ihrer Grundfäge und Folgen, und
in ber Reihenfolge ber großen Wänner, welche fie umfaßt, von
feiner Abhandlung über die Methode im 3. 1637 an bis zum
Anfang bes 18. Jahrhunderts und zu dem Tode Leibnig' zu
ſchaͤzen. 7. Zu unterfuhen, melden Theil von Irrthum ber
Gartefianismus in fi fließt, und vor Allem, welchen Theil
von Wahrheit er der Nachwelt vermacht bat.” Dem Profeſ⸗
for Boullier gelang es, bie Aufgabe auf eine der genanns
ten Alademie gendgende Weife zu loͤſen. Der Berf. thut um
ter Anderm dar, daß die Gartefianifche Umwälzung in der
Philoſophie drei Zeiträume umfaßt, und daß, wenn man fie im
ihrem Zuſammenhange verftehen will, es nothwendig ift, ihre
Antecedenzien, ihren Urheber und ihre Kolgen genau zu kennen.
Shure Antecedenzien find die Scholaſtik und die Arbeiten ber
Männer der Wiedergeburt der Wiflenfchaften, eines Campa⸗
nella, Marſilius Kicinus, Banini, Giordano Bruno, Samus
und Anderer, ihre Folgen: Denkfreibeit, mebre bedeutende pie
tofophifcge Eyfteme und bi6 zu einem gewiffen Grade die ganze
neuere Philoſophie. Man bedenke nur, welchen Einfluß Spi⸗
noza auf die deutſchen Philofophen Fichte, Schelling und He⸗
gel u. f. w. ausgeübt bat. 16,
Berantwortlier Herausgeber: Yeinzih Brokhaus. — Drud und Berlag von J. A. Brodhaus in Leipzig.
Blätter
f,är
literariſche Unterhaltung.
Rittwod,
Die Dichtungen der Frederife Bremer.
¶ Deſchluß aus Nr. 9.)
Wir duͤrfen hier nicht tiefer auf die einzelnen Bre⸗
mer'ſchen Schriften eingehen, die denn auch in d. Bl. be:
zeit beiprochen und nach Verdienſt ausgezeichnet worden
find; am wenigften fühlen wir uns verfucht, fie je nad)
dem Grade der Theilnahme und des Beifalls, die fie uns
abgemonnen, oder der Befriedigung, die fie gewährten, in
eine Rangordnung zu fielen, die von andern Leſern und
Beurtheilern mit gleihem Rechte vielleicht umgekehrt wer:
den könnte, wie denn in gebildeten Kreifen die verfchiedenften
Meinungen darüber laut geworden find. Der Kritit mag das
Recht Über: umd unterzuordnen, den Werth von Geiſtes⸗
werten höher und niedriger anzufchlagen, nicht beftritten wer:
den; mer ftil und rein genießen will, fragt nicht darnach.
So laſſen wie die einen freundlichen Bücher nur
noch flüchtig vorüberziehen, in der Folge, wie fie ung be:
tannt geworden. „Die Töchter des Präfidenten‘, ein Ge:
mälde aus der höhern Geſellſchaft, lenkte wol zuerft die
Aufmerkfamteit der Deutfchen auf die reichbegabte Schwes
Fin, und obmwol fie die Erwartungen, die fie damit erregte,
durch Peine ihrer nachfolgenden Schriften täufchte, fo hat
Diefe finnige Dichtung doch das Vorrecht der erften Liebe.
Zür die meiften Geſtalten, die hier unſerm Blick begegnen,
wegt fich und bleibt eine fo lebhafte Theilnahme, daß wir
uns freuten, fie in „Nina“ wieberzufinden. Nina, bie
jüngfte Tochter des Präfidenten, ift nicht blos leiblich,
fondern in hohem Grade auch geiftig ihrer Schwefter Ade:
"faide verwandt, ſowie Graf Ludolf dem Grafen Alarich;
es gewaͤhrt aber einen befondern Reiz und eigenthümlichen
Genuß, die felbftändige Entwidelung und Lebensäußerung
fo verwandter Seelen zu beobachten. Fräulein Greta und
Kara find in diefem Bilde fehr bedeutende Nebenfiguren,
von denen die Aufmerffamleit unwiderſtehlich angezogen
wird, ohne von den Dauptgeftalten zu ſehr abgezogen zu
werden. S$n beiden Schriften ift Edla von da an, als fie
zu einem geifteöfreien Leben erwachte, ein ausgezeichneter
Gegenftand der waͤrmſten Theilnahme, überall wo ihr an:
fpruchsiofes Wirken hervortritt. Der gute alte Präfldent,
der ſpaͤt noch der Thorheit, die Gräfin N. zu ehelichen,
Ah ſchuldig macht, erfcheint liebenswürdiger, feit er die
Vortrefflichkeit Edla's, der verkannten Tochter, anerkennt
umd würdigt. Hervey's bedeutſame Geſtalt feſſelt beharr⸗
8. März 1843.
lich unfere Theilnahme, wir möchten ihn mit Nina vet:
einigt fehen; aber mit fiherm Takt und mit poetifcher
Innigkeit hat die Dichterin die Liebenden getrennt. Doc)
werden wir damit keineswegs verföhnt durch Nina’s Ver:
ehbelihung mit dem Grafen Zudolf, der ein ehrenwerther
Mann iſt, aber gerade im Verhaͤltniß zu Nina nichts
weniger als liebenswärdig erfcheint. Und geſtehen wir
uns, eine Ehe, welde die Hand ſchließt ohne das Herz,
ja mit widerftcebendem Herzen, ift eine Entheiligung der
göttlichen Ordnung; es thut uns meh, es verlegt ein ges
fundes Gefühl, wenn die edle Nina, mit ganzer Seele
dem tebenden Geliebten beftändig angehörend, doch den Leib
einem andern Manne hingibt. Das Iechafte Verlangen
der ſterbenden Edla, fie mit Ludolf vereinigte zu fehen, iſt
gut motivirt, erfcheint gerechtfertigt; Die feierliche Zulage,
weiche die tieferfchütterte Jungfrau der fcheidenden Schwe⸗
ffer gegeben, enthält eine Verpflichtung, eine Nöthigung,
von der wir fie nicht losfprechen möchten; wir bewundern
fie in dem fchweren Opfer, welches fie in großberziger
Entfagung ohne Wanken darbringt; die ganze Situation
ift mit Meifterhand dargeftellt, aber fie läßt einen dum:
pfen Nachklang zurüd.
„Streit und Friede oder einige Scenen in Norwe⸗
gen’ verfegt uns in großartige Maturfcenen des Nordlan⸗
de6 und in einen Bleinen Kreis ausgezeichneter Menfchen;
es iſt viel Idylliſches und doch auch Hochromantiſches in
diefem reizenden Bilde. Dagegen braufi der Sturm ge:
waltiger Leidenfchaft in den „Nachbarn“ an uns vorüber.
Es war ein gluͤcklicher Gedanke, die mandherlei Phaſen
dieſes Sturms dur die anziehende Erzählung der beitern
und gemäüthlihen Frau Werner vermitteln zu laffen und
ihnen felbft das Stillieben und den Frieden der Familie
Dahl, befonders der lieblihen Serena gegenüiberzuftellen.
Diefe „ Nachbarn” find in Gompefition, Zeichnung und
Faͤrbung mol das vollenderfte Wert der Verf., die hier —
um eine etwas verbrauchte, aber in dieſem Falle gang
wahre Rebensart ung zu erlauben — ſich felbft übertrof:
fen bat. Es ift viel Handlung, viel Leben darin und
ein Zufammentreffen mehrer ausgezeichneter und hoͤchſt an:
ziehender Charaktere, unter denen auch Fräulein Hausgie⸗
bei ihren Pla würdig behauptet.
„Das Haus oder Kamtlienforgen und Kamilienfreu:
den’ ift ein einfach ſchoͤnes und tebliches Familiengemaͤlde,
das weniger durch den Reichthum an Thatſachen und Be⸗
gebenheiten, als durch die tedenden und handelnden Per:
fonen die lebhaftefte Theilnahme einflößt. Neben den all:
täglichern Geſtalten, zu denen’ der verftändige und wackere
Haushere felbft gehört, treten der Aſſeſſor Jeremias Mun⸗
ter, Frau Gunilla, Sara, Petren, Eva, Babriele in ins
tereffanter Eigenthuͤmlichkeit hervor und beleben das ganze
Gemälde in reicher Fülle. Die DVerehelihung der liebens:
würdigen Eva mit dem baroden Affeffor Munter ift mol
ein wunderlicher Einfall, mit dem man nidjt ohne einige
Mühe ſich verfländigen kann; doch ergibt man ſich endlich)
barein aus Wohlwollen gegen den alten Deren, der unter
der rauhen und ſchroffen Schale einen tüdytigen Kern ver:
birgt. „Die Familie H.“ beſchließt den Reigen diefer Dich⸗
tungen, nidyt unmwürdig, aber, nach unſerm Dafüchalten,
nicht gerade ausgezeichnet, abgefehen von der Blinden, ift
diefe Skizze aͤrmer an ausgezeichneten Charakteren als Die
übrigen, aber fie zieht die Aufmerkſamkeit an und hält fie
feft bis ans Ende.
Merfen wir noch einen Blick auf das Bändchen
„Kleinere Erzählungen“, das auch unter dem gemeinfamen
Titel „Skizzen aus dem Alltagsleben“ begriffen if. Nach
“einem kurz einleitenden „Billet an das Publicum” finden
wir 1) „Arel und Anna, oder Briefwechſel zwiſchen zwei
Stockwerken“, eine heitere Liebesgefchichte, nur etwas zu
fang ausgefponnen, was fonft der Fehler der Werf. nicht
if. 2) „Hoffnungen“, die kleine freundliche Geſchichte eis
nes armen Candidaten, der in Hunger, Durft und Kälte
durch einen unerſchoͤpflichen Schag von Hoffnungen fich
auftecht erhält und dieſe aufs Überrafchendfte und befrie:
digendfte erfuͤlt ſieht. 3) „Die Zwillinge”, eine feelenvolke
Todtenfeier, den Blick zu Gräbern lenkend und über Tod
und Grab hinaus. 4) „Die Einſame“, das kurze, aber
inhaltreiche Tagebuch einer einfamen Dulderin, bie das
ſtille, Niemand vertraute Geheimniß ihres Herzens nieder:
zufchreiben ſich gedrungen fühlte und Frieden fand im
Glauben und im Tode. 5) „Die Troͤſterin“, eine zarte
Dichtung, in welcher die heilende Kraft frommer Schwe⸗
fterliebe dem an Leib und Seele krankenden Bruder fi
bewährt. 6) „Ein Brief über Soupers”, ein Scherz,
launige Zugabe zu den vorangegangmen ernten Tableaux.
Diefe Erzählungen find am wenigften auf bloße Unterhals
tung berechnet, fie geben viel zu denken und öffnen Blicke
in die Ziefen der Menfchenbruft.
Und fo fcheiden wir von der liebenswuͤrdigen Schwe⸗
din in der Hoffnung baldigen Wiederſehens. Wir fuͤrch⸗
ten nicht, daß der glänzende Beifall, der bei mehr als ei:
nem Volke ihr entgegengekommen, fie zu einer erfchöpfen:
den DVielfchreiberei verleiten werde; fie kann aus ihrem rei⸗
hen Schatz noch manche ſchoͤne Gabe ſpenden, und fie
wird die weibliche Kunſt ſparſamen, aber nicht enghetzigen
Haushalts gewiß auch als Schriftſtellerin zu uͤben nicht
verſaͤumen, und nicht vergeſſen, daß man auch mit der
koͤſtichſten Speiſe die Gaͤſte leicht uͤberſaͤttigen kann. Das
„Maͤdchen aus der Fremde“ wird doch, wenn fie wieder:
kehrt, immer willlommen fein. 5. A. Koethe.
Jahrbuch der deutſchen Untverfitäten von Heinrich
Wuttke. I. Sommerhalbjahr 1842. II. Winter:
halbjahr 1842— 43. Leipzig, Weidmann. 1842. 8.
1 Thlr. 20 Nr.
Die beutfchen Untverfitäten find feit Jahrhunderten der Stotz
und bie Ehre des Vaterlandes geweſen und haben, was nur bis
fer Wille und Unverfland leugnen kann , den bebeutendften Ein⸗
fluß auf deutfche Wiſſenſchaft und auf deutfches Leben ausgehbt.
Das baben Thibaut, Savigny, Niemeyer, Jak. Grimm, Leo
und viele andere angefehene Männer gründlich auseinander
geſetzt, es bat es aber auch der Dann anerkannt, von dem der
deutſchen Nationalität die größte Gefahr drohte, der Kaifer
Napoleon. Man wird fi) erinnern, was er mit dem Namen
der Ideologen fagen wollte, man weiß, aus welchem Verdachte
ee im 3. 1806 die Univerfität Halle aufhob, unter weldhe
frenge Policei er bie Univerfttäten im Königreihe Weftfalen
ftellte und mit welchen Zorne er die Bewegungen auf den preus
Bifhen Univerfitäten im I. 1813 vernabm. Bon jener Zeit
ſpricht Rucdyefint in ſeiner „Geſchichte des Rheinbundes'’: „Era in
questo tempore cresciuta oltra modo l’avversione dell’ im-
peratore a tutti gli studiosi della scienza speculativa dentro
e fuosi deli’ imperio francese, Non credendo che l'ideologf
ponessero tra le leggi di natura, ia necessita del suo de-
spotismo tenerali per nemici e perturbatori della publica
quiete.” ’
Iſt nun alfo die Bebeutung der deutfchen Univerfitäten von
Rreund und Feind anerkannt, fo ziemt es auch den deutfchen
Gelehrten, fi dies Kleinob zu bewahren und bem deutſchen
Volle fi nicht durch unberufene Gchreiee und duͤnkelhafte
Egoiften gegen die Univerfitäten einnehmen zu laffın. Denn es
wird jest nicht felten der Vorwurf gehört, daß die Univerfitäten
ihre Zeit nicht verftänden, daß fie durch Theorien bie Zünglinge
ber Praris entfremdeten, indem fie bei veralteten Ginrichtungen
bebarrten, und baß fie nicht thätig genug in das Volksleben
eingriffen. Das ift aber zugleich eine Anklage gegen bie Wiſſen⸗
fhaft und rührt meift von Solchen her, die idre Würbe nicht
begriffen haben. Die Wiffenfchaft darf ſich allerdings (mie es
einzelnen Univerfitäten mit Recht vorgeworfen wird) nicht vors
nehm abfchließen, oder verachtungsvoll auf einzelne Zweige
menfchlicher Thaͤtigkeit herabſehen, aber fie fann andy mit ihren
Gütern nicht den Markt beziehen wie der Kaufmann, ber feine
Warren zur Melle bringt. Um fo willlommener ift daher ges
rabe jest eine jebe, Gelegenheit, welche die Univerfitäten da vers
theidigt, wo fie in ihrem guten Rechte find und gleichfam einem
Sprechſaal zum Austaufche der Meinungen eröffnet.
Ein ſolches Unternehmen hat der durch biftorifche Forſchun⸗
gen und Schriften ruͤhmlich bekannte Hr. Wuttke in den vors
liegenden beiden Bänden begonnen. In der frifch und lebenbig
gefchriebenen Einleitung zeigt berfelbe zuerft, wie dedeutend die
Stellung der Univerfitäten fei, und widerlegt mit gerechter Ent⸗
räftung die neuen, bittern Angriffe in den „Sächfifchen Vater⸗
lanbeblättern” vom 22. Febr. 1342; dann entwidelt er, wie
feit 1709, wo ber Leipziger Buchdrucker J. M. Burgmann
eine „Fama academica” herausgab, fi die Annalen, Jahr⸗
buͤcher, Adreßfatender der Uniterfitäten verbreiteten, bis bie
„Deutſchen Jahrbuͤcher“ feit 1838 anfingen, die deutſchen Unts
verfitäten in den Kreis ihrer Beſprechungen zu ziehen. „Se
loͤblich“, Togt Hr. Wuttle mit edler Offenheit, „das Beitreben if,
den eigenthümlichen Geift, wie er auf jeder Univerfität herriche,
moͤglichſt ſcharf zu zeichnen, fo fehr ift oftmals die Art der
Ausführung zu tabeln. Wie die meiften ‚Degelianer mit Ges
ſchichte wenig vertraut und faſt ganz ohne Das, was ber große
Niebuhr biftorifche Phantaſie nannte, fo vermögen ſich bie Her⸗
ausgeber jener ‚Jahrbücher‘ nur felten in die Vergangenheit zu⸗
rüczuverfegen und aus deren Zuftänden das Geworbene fi zu
ertiären. Den Maßſtab der Gegenwart legen fie ftatt deß an
Alles, ihren Maßſtab, der fie ſehr häufig zu ungerechtem Spruche
verleitet. Bon Bielen wollten fie nur bie Gchattenfeite betrach⸗
ten. Wer nicht in unmittelbauen Werug zur Philoſophie fich
gefegt bat, oder wer den Bortfchritt im Staatsleben nicht offen
unterſtuͤht, der mag einer berben Kritit im voraus verficyert
fin Gehe viele wadere Männer haben fie ſchwer verletzt,
aber fie erwarben ſich doch das nicht geringe Berbienft, ein
fdwieriges Unternehmen eröffnet und fo Manches treffend ans
Licht gezogen zu haben.” In biefem Sinne hat fih ber Heraus:
geber im zweiten Bande über die befannte Schmählchrift gegen
Göttingen ausgeſprochen und das viele Gute jener Univerfität,
die in ‚Deine und Boͤrne zuerft ihre Feinde fand, willig aner⸗
kannt, auch bie leichtfertige Unredlichkeit anderer Journale und
Zeitfchriften gegen die Univerfitäten verbientermaßen gerügt.
Breiter erktärt der Herauägeber, baß fein Plan ein boppelter
ſei, einmal bie Wuͤrde der Univerfitäten bei jeder Gelegenheit
verfechten, ſodann eine moͤglichſt vollftändige Kunde von der
Defehaffenpeit einer jeden Univerfität, auf der im deutfcher Zunge
gelehrt wird, zu geben.
Was zuvoͤrderſt den zweiten Punkt anbetrifft, fo hat ber
Herausgeber danach geftrebt, bie ftatiftifhen Nachrichten in
moͤglichſter Wolftändigkeit zu geben und man muß ibm bicrin
die vollfte Anerkennung wiberfahren laſſen, um fo mehr, ba
aus dem erften Bande zu erfehen ift (S. 40), wie wenige Bes
ruͤckſichtigung feine Gefuche bei den betheiligten Profefforen und
Decanen gefunden haben. Denn eine foldye Art literarifcher
Gefaͤlligkeit ik wahrlich nicht die glaͤnzendſte Seite unferer
deutſchen Profeſſoren, da ſie nur zu oft Das als Handlanger⸗
arbeit und ein Geſchaͤft unter ihrer Wuͤrde anſehen, was (wie
im vorliegenden Falle) doch nur den Glanz ihrer Anſtalten be⸗
fördern fol. Hr. Wuttke konnte alſo die Lectionskataloge vom
%. 1842 meiftens nur aus den gebrudten Quellen mittheilen.
Beſſer unterftägt ſah er fich bei der Aufzählung ber Univerfis
tätsereigniffe, die unter ben einzelnen Univerfitäten in alphabe⸗
tifcher Folge aufgefährt find und nichts Beachtungswerthes
Abergangen haben, fobaß wir hier eine vollftänbige, ſehr inter-
effante und oft mit den fubjectiven Urtheilen bes berausgebers
belegte Schilderung aller deutfchen Univerfitäten finden, wie fie
noch in feinem aͤhnlichen Buche den Leſern geboten worden iſt.
um den Reichthum biefer Mittheilungen zu dyarakterifiren, nen»
nen wir nur eine Anzahl hervorfteidender Kacta, als die Eroͤff⸗
nung gemeinfaßticher Vorträge auf verfchiedenen deutſchen Unis
verfitdten, Schelling's Vorträge in Berlin, die Angelegenheiten
Bruno Bauer's und Hoffmann's von Kallersleben, den Bund
des biftorifchen Chriſtus in Berlin, die Anmefenheit des Mi:
niſters Sichhorn in Breslau, den Beſoldungsetat der Unis
verfität Breslau und die GCharakteriftit des Gtubenten:
lebens bafelbft, die Verhandlungen wegen des Doctortiteis im
Königreiche Sachſen, den Antrag bes hadifchen Abgeordne⸗
tn Gander wegen Aufbebung ber Univerfität Ba die
Nachrichten über königäberger Univerfitätsereigniffe und über
Studentenunzuhen in Jena und Bern, endlich die Srörterungen
über den bei ber Univerfität Dalle bie zu Schmelzer's ode,
am 2. Oct. v. Je, beſtehenden often eines Directors der Unis
verfität und über den Mangel an Gentralifation auf der Uni:
verfität Leipzig. Auch die im Laufe des I. 1842 verfdiebenen
Gelehrten, als Marheineke, Savigny, de Wette, Neanber,
Dabimann, Hoffmann von Kallerieben und Roͤhr, von größern
Gtubentenvereinen erwiefenen Shrenbegeigungen finden fich hier
forgfättig unb genau (dies gie befonbers von dem dabei gehal:
tenen Reven) befchrieben. überhaupt find uns fehr felten Un
richtigkeiten vorgekommen, nur bie Stelle über Geheimerath
Pernice in Halle (T, 225) bedarf einer Berichtigung. Denn
es bat derſelbe zu feiner Zeit einen Ruf. ale Minifter nad)
Inhalts Köthen annehmen wollen, fondern die Wahrheit ift, daß
ber Herzog von Anhalt: Köthen dem verdienten Staatsrechtös
iehrer, namentlich in den Angelegenheiten feines Fürftenthums
Die, eine große Anerkennung beweift und bie praftifchen Kennt:
nifje deffeiben fehr oft benust, woraus ſich denn leicht ein fals
ſches Geruͤcht bilden konnte. Auch paßt die Vergieichung mit
Dabelow durchaus nicht, weil Dabelom ben „Glam eines Mi⸗
267
nifteriums” im I. 1809 alterbings der Profeffur in Halle vors
zog (im „Jahrduche“ ſteht gerade das Gegentheil) und vom Ka⸗
theder in Halle weg an die Spige der Töthenfchen Verwaltung
geftellt wurde. Nah der Aufiöfung der dortigen Serpättuife
tam er 1817 nach Halle zurüd und hielt einige Zeit lang ſehr
befuchte Borlefungen ats Privatbocent, bis er den Ruf nad
Dorpat anzunehmen ſich bewogen fand.
Was nun die andere Abſicht des Hrn. Wuttke betrifft, die
Würde der Univerfitäten auf alle Weife zu vertreten, fo ift dies
von ihm auf doppelte Weife ausgeführt worden, einmal durch
Beurtheilungen aller auf die Univerfitäten bezuͤglichen Schriften,
dann durch felbftändige Auffäge von ihm felbft und von Andern.
Aus der erflen Rubrik Heben wir namentlich die Anzeige von
WBiner’s Rectoratsrede am 7. Nov. 1841 (im erſten Bande),
von mehren Schriften Scheidler's und die von Fürft verfaßte Be⸗
urtheilung der Geiger’fhen Schrift über eine juͤdiſch⸗theologiſche
Bacultät (diefe im zweiten Bande) hervor. Kür die andere
Rubrik iſt der zweite Band reichlicher ausgeftattet als der erfte
mo die Schrift des Kandidaten C. H. Koch ‚Über akademiſche
Freiheit” nicht einer Befprehung von faft SO Seiten bedurfte,
um den Sag des Hrn. Wuttke zu bemeifen, daß Koch 1. ein
fchlechtee Denker, 2. ein ſchlechter Theolog, 3. cin ſchlechter
Chriſt, 4. ein ſchlechter Publiciſt fei. Aber der Aufſat über die
Univerfität Königsberg von X. B. wird mit Intereffe von Vie⸗
ien gelefen werben, ba er die Sache gebrängter behanbelt, al®
es in Roſenkranz's „Skizzen aus Koͤnigsberg“ gefdjeben ift und
Manches ausfpridht, was ber Lönigsberger Profeffor nicht gut
fagen konnte. Daffelbe gilt von dem Auflage über das Docs
torat, Viele wird aud die Abhandlung über römifches Recht.
als Grundlage der juriftifden Bildung anſprechen, obgleich
fi Ref. zu den antirdömifchen Anficgten Scheidler's nicht ber
fennt, denn „man fühlt die Abfiht unb man ift verfiimmt”.
Scheidler hat einige wichtige Punkte aus ber heutigen Gtubirs
weife in feiner befannten Weiſe erörtert, namentlidy das Utilts
tätsprincip angegriffen und die „Brot⸗ und Butterfludenten‘‘ .
bart gefcholten. Dr. Wuttle ſtimmt in einer Nachſchrift damit
überein, ſah fich aber doch genöthigt — und wir meinen mit
allem Rechte — einige Gegenbemerfungen über Scheidler's Ans
fit von der afademifchen Borbereitung auf den &taatsdienft
zu machen. Gbenfo hat er fi) am Schluſſe des Auffages von
8. Heine: „Schelling in Berlin‘ (Bd. 2), ausdrädticdy gegen
bie Meinung verwahrt, ats billige er des Verf., eines begels
fterten Schellingianers , Ausfälle gegen achtbare Männer. Noch
möchten wir aus Bd. 1 den Auflag Albrecht's über Dahlmann
hervorheben und, der hiftorifhen Merkwuͤrdigkeit wegen, bie
von Doffmann von Fallersieben mitgetbeilten Etudentenlieber
aus dem 17. Zabrhundert; denn poetifchen Werth haben fie
ganz und gar nicht. Das von drei berliner Stubiofen unter
den Auſpicien deſſelben Hoffmann im zweiten Bande des Jahr⸗
buchs angekündigte „Allgemeine beutfche Stubentenliederbuch”
wird hoffentlich beffere Lieder enthatten als blos von Bier und
Taback, von Garcfjiren der Jungfern, vom Cinfriedgen ins
Sarcer und ähnlichen Dingen, die wir in jenen Gedichten leſen.
Wenn wir ſchluͤßlich noch darauf aufmerkfam machen, daß
der Preis für zwei Bände, deren jeder nahe an 400 Seiten
enthält, außerordentlich gering geftellt ift, fo glauben wir auch
bierdurcch die Verbreitung des „Jahrbuch“ auf unfern Univerfitäe
ten bevorwortst zu haben. Es wäre in ber That fehr zu ber
bauern, wenn die bedenklichen Außerungen bed Herausgebers an
einzelnen Stellen durch Mangel an Theilnahme auf den Univerfie
täten zu einer traurigen Wahrheit werden fönnten. 9.
Nordamerikaniſche Miscellen.
(Auszuͤge aus ben oͤffentlichen Blaͤttern der Vereinigten Staaten
vom Jahre 1842.)
Der „New-Buryport Herald’ theilt eine ergreifende Er⸗
zählung mit, die ihm vom Baumeiſter Rogers berichtet worden,
als dieſer einen der großen, ſchweren fleinernen Pfeller, ber
für den Bau ber Boͤrſe in Boſton beflimmt war, vor kurzem
von Quincy nach diefer letztern Stadt transporticen ließ. Die
©teinmaffe wog BU Tonnen (120,000 Pfund) und wurde von
70 Ochſen gezogen. Gegen Abend kam man an die den Weg
nah Bofton durchkreuzende Eiſenbahn, die Äberfchritten werden
mußte. Da die Thore derfelben geſchloſſen waren, weit und
breit aus der Kerne nicht das geringfie Geraͤuſch hörbar war
und man glaubte, baß die Bahn zur Nachtzeit nicht befahren
werbe, fo befchtoß Hr. Rogers, den Stein ſogieich binüberfahren
u laſſen. Allein als ber Wagen mit dem Ochſenzug bis zue
itte der Eifenbahnftraße gekommen war, hörte man plöglid
und unvermuthet den braufenden Laͤrm einer entfernten Loco⸗
motive, die fi näherte. Es war bereits dunkel und man
tonrte deren Fuͤhrer fein Zeichen geben. Zurüdzulehren war
nicht möglih und fo blieb nichts übrig, als alle erbenkliche
Kraft anzuwenden, um ben Stein noch vollends hinüber zu
bringen, bevor die Locomotive heranfam. Wan trieb die Bugs
ochfen auf alle mögliche Weife an, aber durch den zu plöglichen
and fchnellen Rud, der durch bie aufs Außerfte angeftrengten
‚Kräfte fämmtlicher Ochſen verurfacht wurbe, brach zum Ungläd
"Die Kette, an ber biefelden zogen. Run flieg die Noth aufs
hoͤchſte. Es war kein Augenblid Zeit zu verlieren und baber
nicht daran zu denken, bie zerbrocdyenen Theile derfelben wieder
zu verbinden und es war unter foldhen Umſtaͤnden nichts Anderes
zu thun als diejenigen Ochſen, die noch durch einen Theil der
Kette ai den Wagen gefpannt waren, bis zur größten An⸗
firengung ihrer Kräfte anzutreiben. Der Wagen mit der fchwer
zen Laft wurde zwar in feiner Bewegung vorwärts gebracht,
aber langfam und mittlerweile hörte man ſchon beutlich daß
Pfeifen und Schnaufen der in ber Dunkelheit mit ber Schnellig-
feit von 20 englifhen Meilen per Stunde heraneilenden Loco:
motive, ohne daß dic Perfonen, welche fih in den Eifenbabns
wagen befanden, die mindeſte Ahnung von ihrer Gefahr hatten.
Da machten die Ochfentreiber einen letzten entfcheidenden Ver:
fu, die Zugthiere anzutreiben, bie Steinmaſſe bewegte fich
und bie Locomotive mit ihrem Wagenzuge braufte mit Windes:
ſchnelle gerabe vorbei, als das legte Gnde bes Steins jenfeite
der Bahn war. Da ſtand nun der Baumeifter, ber den Trans
port leitete, Bott dankend, und bie Dchfentreiber, den Schweiß
von der Stirn fi wifchend, athmeten wieder freier, als wären
ſie ſelbſt einer großen Gefahr entgangen.
Der Gouverneur bes noch nicht zum Staate erhobenen Ge:
biets von Witconfin, Hr. Doly, gibt in feiner Botſchaft an
die dortige Regislatur an, daß im 3. 1841 in dieſem an Me:
tallen fo reichen Zerritorium mehr ats 20 Mil. Pfund Biei
probucirt und in bemfelben Zeitraume dafelbft oͤffentliche
Zänbereien für die Summe von 384,286 Dollars verfauft wor:
den find. Deutfche Bergleute find dort fehr gefucht.
Aus dem Berichte bes Schagmeifters bes Staats Maſſachu⸗
ſetts eraibt fih, daß im verfloffenen Jahre 1841 tie Summe
von 404,312 Dollars eingenommen und die Summe von
399,928 verausgabt worden find, ſodaß am Ende des Jahres
noch 4384 Dollars in der Staatslafle waren. Mit dem Baus:
halte diefes Staats, fowie aller übrigen in Neuengland, ſteht
es vortrefflich.
Die Miliz des Staats Maine belduft fich jest auf
45,353 Mann und beftebt aus 1683 Mann Gavalerie, 2217
Mann Artillerie, 34,322 Mann Infanterie, 4841 Mann leichte
Infanterie und 2174 Scharffchuͤtzen.
Am Gebiete Wisconfin erſchienen bereits 9 wöchentliche Zei:
tungen im Drud und im Gebiete Jowa ebenfo viele. 33.
Bibliographie.
Daguerrestupen bes häuslichen und ehelichen Lebens. Von
E. Sauren set zu Gard Ehre. NReuftadt a. d. D., Wagner.
8 1 Zhle. 3%, Nor.
Kriediänder, A., Die Lehre von ber unvordenklichen Zeit.
After Theil: Dogmengefchichte und roͤmiſches Recht. Marburg,
Elwert. Gr. 8. 15 Nor.
GShillany, 8. W., Die Menſchenopfer ber alten Hebraͤer.
ade Unterfuchung. Nürnberg, Scrag Gr. 8.
c. .
Gileſebrecht, L., Wendiſche Geſchichten aus dei Jahren
780 — 1182. 2ter Theil. Berlin, Amelang'ſche Sortiments⸗
buchhandiung. Gr. 8. Thlr.
Grone, A. ©. E. v., Geſchichte der corporativen Verfaſ⸗
fung des braunſchweigiſchen Ritterſtandes nebſt Vorſchlaͤgen zu
ihrer Reorganiſation. Ein Hiftorifch = ftaatsrechtlicher Verſuch,
bearbeitet zugleich ats Beitrag zur Kenntniß des deutfchen Cor⸗
porationd » und Gemeinbewefens und infonderheit des beutfchen
Lan ftänbifegen Verfafſſungsrechts. Banover, Bahn. Gr. 8.
r
gr.
Hahn, K.A., Übungen zur mittelbochdeutschen Gram-
matik. Mit Anmerkungen und einem Glossarium, Eraok-
furt a. M., Brönner. Ss 1 Thir,
Hermann, H., Handbuch der Geſchichte bed Herzogehumes
Kärnten in Bereinigung mit den oͤſterreichiſchen Fuͤrſtenthuͤmern.
Iftes Heft: Geſchichte Kärntens von ter Vereinigung mit den
öfterreichifchen Fuͤrſtenthuͤmern bis zu ihrer Theilung. Klagen:
furt, Leon. Gr. 8. 10 Nor. |
Der Krieg in China, nach geſchichtlichen Mittheilungen ber
britiſchen Offiziere M'Pherſon, Elliot:Binghbam u. X.,
von C. Richard. Aachen, Mayer. Gr. 8. 2 Thlr.
Neumann, I W., Gedichte der Land : Stände Yes
Markgrafthums Niederlaufig und bıren Verfaſſung. Ifte Ab:
theilung. Lübben, Windier. Gr. 8. 1 Thtr.
Rinne, K. F., Innere Geſchichte der Entwickelung ber
beutfchen Nationalliteratur. Ein methodiſches Handbuch für den
Vortrag und zum Selbſtſtudium. 2ter Theil. Leipzig, Har⸗
tung. Gr. 8. 2 Zhir. 7, Nor.
Ruef, 3., Ein huͤpſch vnd luſtig Spyl vorzytẽ gehalten
zu dry in dem toblicyen Ort der Eydgnoſchafft, von dem from:
men vnd erften Eydgnoffen Wilhelm Zellen jrem Landtmann.
Yetz nuͤwlich gebeffert, corrigiert, gemacht vnn gefpielt am nuͤ⸗
wen Jarstag von einer Loblichen vnn junge burgerfchafft zu Zuͤ⸗
ri, im Jar ale man zahlt MDXLV. Herausgegeben und mit
einer Vorrede und einem Wörterbuche verfehen von F. Mayer.
Pforzheim, Denning, Find und Comp. 8, 1Thlrxr.
Schrader, &., Germanifche Mythologie. Mit einer kur
gen Abhandlung Über bie fonftigen deutſchen Alterthümer. Vor⸗
nehmlich Deutung ber Mythologie. Berlin, Schroeder. Gr. 8.
1 Zhte. 15 Ngr.
Seyffarth, G., Die Grundsätze der Mythologie und
der alten Religionsgeschichte sowie der hierogiyphischen
Systeme de Sacy’s, Palin’s, Young’s, Spohn’s, Champollion’s,
Janelli's und des Verfassers. Eine berichtigende Beilage zu
der Schrift des Herrn Dr. Movers: Untersuchungen über
die Religion der Phönizier und zu dessen Antikritik. Leip-
zig, Barth. Gr. 8. 2 Thlr.
Sophocles Antigone, in Musik gesetzt von KFeliz
Mendelsohn- Bartholdy. Nach Donner’s Übersetzung. Vor-
gedruckt ist eine neue Übersetzung von A. Boeckh. Leip-
zig, Kistner. Gr. Imp. 4 4 Thir. 15 Ngr.
Tholud, &., Uberfegung und Auslegung der Pſalmen
für Geiſtliche und Laien ber chriſtlichen Kirche. Halle, Anton.
&. 8. 3 Thlr.
Das Zurnen und bie beutfche Volßserziehbung. Ein Ent:
wurf. Frankfurt a. M., Brönner. Gr. 8. 7%, Nor.
Verantwortiiher Herausgeber: Heinrih Brokhaus. — Drud und Berlag von %. A. Brockhaus in Leipzig.
nn —— u
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Donnerdtag,
9. Mär; 1843,
8. 6 Tolr.
Hätte W. Alexis das Bergwerk, das er als Dich
ter in der Mark Brandenburg befigt, auf Actien
gründen wollen, er würde wenig Gläubige gefunden has
ben. Denn wer fucht das Gold der Porfie im Sande?
Er. aber hat muthig eingefchlagen, fid tapfer durchge⸗
arbeitet und träge nun den Lohn, daß er, von Jahr zu
Jahr ſich tiefer hineinwuͤhlend, immer reihere Schäge zu
Tage fördert. Wer darf nun noch über Ergiebigkeit und
Unergiebigkeit reden, wenn eine märlifche Haide Daffelbe
bietet, was das ſchottiſche Hochland? Wer na einem
: fernen, unbekannten Eldorado ausziehen, wenn felbft die
brandenburgifhen Hütten fi in Gold kleiden koͤnnen?
Wer nah Wuͤnſchelruthen ſuchen, wenn fie von jeder
Kiefer zu pfladen find? Da eben liegt e6. An den Ru:
then fehlt e8 nicht, „aber nur in ber fühlenden Hand regt
fi) das magiſche Reis!” Gold an allen Eden und Enden,
aber nur Wenige haben den Stein der Welfen, durd)
den es herausbefchworen, nur Wenige den Spaten des
Fleißes, ducch den es zu Zage gegraben wird. Die Fabel
von Schat im Garten ift alt; aber es mag fie Keiner hoͤ⸗
em. Man möchte ed gediegen auf der Straße lefen, und will
fi) «6 da auf der Stelle nicht finden, fo ift freilich kein
anderer Rath, ald in der Fremde fein Heil zu verfuchen.
Gluͤcktich, wer «6 da findet! Aber Viele find, die auch dort
den Wald vor lauter Bäumen nicht fehen und wiebers
fommen mit leeren Taſchen, wie fie ausgezogen. Da
macht's W. Alexis gefcheitr. Er bieibe im Lande
und naͤhrt fich redlich. Er greift zu, wo er ift, und was
er bat, das hält er fehl. Ex ſchiert fi nicht um Wenig
uud Biel; verficht er doch die Kunft, aus Wenigem Viel
zu machen. Mühe koſtet es — aber die fchent er nicht;
und weil e8 ihm Spaß macht, iſt es für ihn keine Mühe
mehr. Es ift ein echter Brandenburger, ein treues Abs
bild der Geſchlechter, die er fchildert. Wie haben auch
dieſe mit der Mark Brandenburg ringen müfien, ehe fie
Das ward, was fie jest iſt!
Der Bere, der Himmel und Erde geſchaffen — fo beißt es
gu Anfang des Buchs felbft —, hat den Sonnenſchein verfchies
den auögetheilt über die Länder; aber dorthin, wo bie beutiche
Zunge ausgeht und die ſlawiſche anfängt, fiel die Spende feines
Sonnenlichte Färgiich aus. GE hatte. nicht Macht, bie Sümpfe
aus zutrocknen, die das Meer zuruͤckließ, noch zu durchgluͤhen
die dichten, ſtarren Waͤlder, noch zu waͤrmen den Boden, daß
er die Geſchlechter der Menſchen freiwillig ernaͤhre, welche der
Strom ber Voͤlker dahin verſchlug. Dieſen Geſchlechtern ſelbſt
bat ber Herr die Aufgabe geſtellt, daß fie mit ber Natur rim
gen. Sie follen ben Boden im Kampf mit den Etürmen und
Gewäflern felber fid machen, der warmen Sonne einen Teppich
ausbreiten, drauf fie mit Luft weilen, und ein Land ſich fchaffen,
bas ihnen lieb wäre und den andern ein froher Anblid.
Das war, wie der Verf. weiter erzählt, eine harte
Aufgabe, aber die Märker haben fih ihr nicht entzogen.
Wie haben fie diefelbe, nach den Überreften zu fchließen,
nicht fchon unter den Askaniern gelöft!
‚ , In dem flawifchen Lande, wo fie zwifchen Moor und Geen,
in den Bruͤchen und dem Sande nur wendiſche Blodhäufer und
Lehmbütten gefunden, bauten fie reihe und ſchoͤne Kıöiter, Dome
mit gewaltigen Thuͤrmen von Granitquabern und gebranntem
Maucrftein; Kunftwerfe, fo erhaben, ſchoͤn und gebiegen, wir
fhauen fie mit Neid und mit Betrübniß an. Noch heute trogen
fie der Witterung, kaum ihre Spuren verratbend. Da erwuch⸗
fen mädtige Staͤdte, mit deutſchen Sreiheiten und deutſchem
Gewerbfleiß, deren Dandel weit über Land bis über bie Deere
ging. Die Fluͤſſe flarrten von Wimpeln reichbeladener Kähne,
die Straßen von Wagen und Karren mit Kaufmannsgütern.
Die Wälder wurden gelichtet, die Moorbruͤche getrocknet und
die Soloniften aus Friesland, Flandern, Holland und vom Rheine,
bie fie ins Land gezogen, verwandelten die Sandhaiden in Gärs
ten. Die nadten Höhenzüge ſchuf der Fleiß in liebliche Wein
berge, und ihrer gab es fo viele in ben Marten, daß ihr Name,
ber allein von ihnen blieb, heut als ein neckender Spott Tlinge.
Und mit ihrer Ihätigkeit wuchs der Aslanier Macht. Nördlich
erſtreckte fi) ihr Reich über Pomerellen bi Danzig und an bie
Ufer der Oſtſee, ſuͤdlich umfaßte es die Laufig und war ein ges
fürcdhteter und geachteter Nachbar bem Boͤhmerreiche. Auch über
die Eibe hin reichte ihr Beſigthum, gen Mitternacht die Alb
mark umfaffend, gen Mittag mandje reiche Graffchaft in ben
ſaͤchſiſchen Gauen. Und wie ſie auf ihr Recht feſt hielten im Lande
und mit ſtarker Hand, eintraͤchtig untereinander, ſich wahrten
in Freuden gegen manniglich ihres Guts, ſo galt ihre Stimme
und toͤnte klangvoll im deutſchen Lande. Die Askanier hielten
an dem Haufe der Hohenſtaufenz fie kuͤmmerten nicht bie
Blige, welche Rom gegen fie ſchleuderte. Wis zum Ausgange
bes Heldengeſchlechts hielten ſie unwandelbar in deutſcher Treue
an ihm, und auf den Truͤmmern des Welfenreichs, das ſie mit
geftärzt, erhob ſich ihre Macht. Da war die Markt Brandene
burg das mächtigfte Land im deutſchen Reiche, feine Grenzburg
und fein Schitd nah Mitternaht und Morgen. In allen
fchwierigen Faͤllen fchaute man auf feine Bürften, und die Wag⸗
ſchale fanf, in die ihre Markgrafen ihre adelig Wort thaten.
Die Nachbarlande fügten füch, gezwungen oder freiwillig, ihrer
Kraft. Die Mecklenburger ſcheuten fih und bie Pommern
wagten es nicht, bas Lehnsband ebgußreifen, das Brantenburgs
n in guter Zeit um ihren Kaden geſchiungen. Und wie
berrlich waren, an Tapferkeit, Muth und Weisheit bie erften
und ebelften unter den germanifchen Edeln und Kürften, fo über:
hoben fie ſich deſſen doch nicht in Stolz und Gitelfeit. Nicht
Stahl und Waffen allein, noch Mauern und Burgen waren ihr
Stolz, vielmehr bluͤheten ſchon Wiſſenſchaft und Kunft an ihren
glänzenden Höfen; und bie im Zurnier und in der Schlacht
Kraͤnze und Preis errungen, bünfte das höherer Ruhm, im
Wettftreit füßer Meinnelieder um ben Preis edler Sangeskunft
zu werben!
So biieb es freilich micht immer. Es folgten öbe,
traurige Zeiten. So oft riß der Sturm das Auferbaute
nieder und es mußte von neuem angefangen merden. Aber
dad Gefchlecht der Brandenburger ließ ſich dadurch nicht
irre machen. Wie e8 mit der Armuth des Bodens und
den Elementen getämpft, fo kämpfte es auch mit den
Misgefhiden, und ed kämpfte und troßte, arbeitete und
fpintifirte fo lange, bis es fi endlich den Standpunft
errungen, auf dem wir es heutzutage erbliden. Und
auch der genügt ihm noch nicht und kann ihm nod
niht genügen. Darum läßt es auch jegt nicht vom
Kampfe ab und wird nicht eher ruhen, bis es alle Wi:
derſtaͤnde bezwungen. Gerade folhe zaͤhe Natur ſteckt
auch in W. Alexis. So arm und unerſprießlich das
Land dem Bebauer erſchien, ſo unergiebig und kahl ſtellt
es ſich auch dem Beſchauer dar, ſo trocken und proſaiſch
erſcheint auch ſeine Geſchichte. W. Alexis hat ſich da⸗
durch nicht zurücfchreden laſſen. Wie an einem Ge⸗
mälde, für deſſen Anfhauung noch Keiner hat einen
Standpunkt gewinnen können, hat er daran fo lange ge:
ruͤckt und gefchoben, bis es nun im Lichte der Poefie
und Romantik vor uns liegt wie kaum ein anderes
deutfches Land. Wenigſtens möchte Eeines gefunden wer:
den, das innerhalb ber Literatur des hiftorifchen Romans
in einer Reihe fo lebensvoller und mit fo viel Kunſtge⸗
ſchick ausgeführte Bilder geſchildert wäre. Die flachen
Haiden, die wuͤſten Sandſtrecken, die monotonen Fichten:
waͤlder, die dharakterlofen Städte, die elenden Dörfer, die
Suͤmpfe und Moore — kurz, alle die Ingredienzien, aus
denen die Langeweile gebraut zu werden pflegt und denen
uns felbft Heutzutage die Locomotive nicht raſch genug zu
entführen vermag, bat er, ohne ihnen ein Sandkoͤrnchen
von ihrer Eigenthümlichkeit zu nehmen, ohne ihnen einen
poetifchen Bettlermantel umzuhängen, fo zu zeichnen und
auszumalen gewußt, daß Gegenflände eines echt dfthetifchen
Genuffes daraus geworden find. Daffelbe gilt von den
hiſtoriſchen Perföntichkeiten. Auch deren Spröpdigkeit hat
.er zu bemädytigen gewußt und den Beweis geliefert, daß
nicht blos den idealen Geftalten griechiſcher Goͤtter, fon:
den auch den ungefchlachten Leibern beutfcher Rolande und
Chriftophe das Gepräge der Schönheit aufzudrüden ifl.
Unter folchen Umfländen iſt es in der That nicht un:
paſſend gemwefen, ihn den Walter Scott der Mark Bran:
benburg zu nennen; ja, er hat diefer, wenn nicht einen
größern, doch mindeſtens einen weit fchwierigern Dienft
geleiſtet als Scott feinem Altengland und Schottland.
‚Sreitich darf uns dieſer Name — movor ſchon der Be:
eichterftatter über „Der Roland von Berlin” warnt —
nicht verführen, ihn für einen Nachahmer diefes Dichters
zu halten: denn, abgefehen von feinem ‚Waladmor” und
„Schloß Avalon’, in denen bie Nahahmung nichts ale
ein myſtificirendes Kunftfläd if, etwa in demfelben Sinne
ausgeführt mie Hauff’s ‚Mann im Monde‘, tragen bie
biftorifhen Romane unfers Dichters, namentlich die, mit
denen wir es hier zu thun baben, ein durchaus felbflän-
diges und eigenthuͤmliches Gepräge und W. Aleris felbft
ift feiner ganzen Weltanfhauung, feiner Dent: und Dar-
ftelungsweife nad ein von Walter Scott durch und durch
verfchiedener Geiſt, mie nicht leichte ein anderer Dichter,
der mit ibm auf gleichen Felde arbeitet. Walter Scott
iſt duchaus naiv, W. Aleris fentimental; Jener objectiv,
Diefer fubjectiv; Jener epifh, Diefer lyriſch. Jener iſt
aus der guten alten, Diefer aus der böfen neuen Zeit:
daher Jener zufrieden, Diefer malcontent; jener gemüth:
ih, Diefer geiftreich, Jener nichte weiter wollend, als ein
treued Bild der Zeit zu geben, die er eben fchildert, Dies
fer daneben noch dahin firebend, dieſes Bild zu einem
Spiegelbilde der SJegtzeit zu machen und Dies und Das
bineinzumeben, was ihm eine allgemeinere, tiefer in das
Leben der Gegenwart eingreifende Bedeutung gibt. WB.
Aleris iſt durch und durch ein Kind feiner Zeit — und
fhon das macht es ihm unmöglich, in der Welfe Walter
Scott’ zu dichten und darzuftellen. : Walter Scott ver:
ſenkt fi in die Vergangenheit aus reiner Luft daran;
W. Aleris nur, um fi wenigftens voruͤbergend von der
Gegenwart loszumachen. Aber es yelingt ihm dies nicht.
Es geht ihm wie Lorh’6 Weibe, er kann es nicht Lafjem,
fih nad ihr umzufehen, und wenn er fie wie Sodom
und Gomorrha in Flammen erblidt, erſtarrt er wie fie
zuc Salzſaͤule, d. h. er bleibt, flatt im Gange der Ex:
zaͤhlung vüftig vorwärts zu fchreiten, in ironiſchen, oft
fcharf gefalgenen Reflerionen fteden.
Auch in dem vorliegenden Romane fehlt «6 au ſol⸗
hen Singerzeigen und Beziehungen .nicht, und fo tief ſich
der Berf. in die Zeit, die er fhildert, eingelebt, fo treu
er fie wiedergibt: der Roman trägt dennoch eine durch⸗
aus moderne, fubjective Färbung; man fühlt überall dem
Dichter mit feiner Lebensanficht heraus und merkt, dag
es ihm bei feiner Erzählung nicht blos um ihrer ſelbſt
willen zu thun ift, fondern faft mehr noch um einige
Winke und Andeutungen, die er gelegentlid mit der
trodenen Miene eines Erzählers barf einfließen Laffen.
So findet ſich im fiebenten Eapitel des dritten Bandes fol:
gende Stelle:
Der beutfche Adler hat zwei Köpfe. Der eine fol fchauen
gen Morgen, der anbere gen Abend, und einer foll den andern
wad halten. Denn vom Morgen und Abend droht der beutfchen
Nation Gefahr! Aber bie beiden Köpfe wachten nicht immer
zugleich, oder ein fchlauer Vogel fang dem Adler ein trügerifch
Lied, daß er beibe Köpfe nur nad einer Seite wandte, und
darüber ift ihm viel Leids gefcheben. Sie haben ihn links unb
rechts gezupft und ihm feine beften Federn geraubt. Da gin⸗
gen Linke im Elſaß, in Lothringen und Burgund ihm koftbare
Städte verloren, daß er fih die Augen blind weinen könnte vor
Schmerz. Go verloren, baß man ihre deutfchen Namen vergaß,
und der größte Thurm, ber gen Himmel ragte ald Wahrzeichen
deutſcher Kunft und Ernſtes, ward ein Franzos. Und nicht
271
minber herrliche Städte verſchlangen bie Sarmaten reits, wo
deutfcher Handel und Kunftfleiß blühte und ſtolze Buͤrgerkraft.
Und was noch an ihnen deutſch ift in Zucht und Sitte, daran
wuͤhlen und bohren ſie, bis es zerfallen ſein wird und vergeſſen.
Das geſchah unvermerkt; ber deutſche Adler ſchlief. Andere
wollen wiſſen, er hat darum zwei Köpfe, daß die Deutſchen im⸗
mer zwieträchtig waren, zwieträchtig um ihre Rechte und Frei⸗
heiteh; und einer wollte links, ber andere rechte. Darüber
iſt es gefommen, baß fie nicht vonvärts konnten, fondern
fie blieben zurüc Hinter ihren Rachbarn, und bie ſchwaͤcher wa:
ten von Kraft und Ernft, wurden ihnen überlegen. Noch Andere
meinen , ber Doppeladler bebeute die Gegenkaiſer, wo zwei um
die Krone flritten, und jeder meinte, er fei im guten Recht;
dad waren fchlimme Zeiten im Reich, und doch nicht bie ſchlimm⸗
fen. 230 offener Kampf ift unter den Beften, ba ftaͤhlt ſich
He Kraft; aber fie wird untergraben, wo fir nicht heraus darf
und aufzehrt in beimlichem Bohren, im tauern, Anblafen
und —— Reben. Der deutſche Adler iſt noch jetzo dop⸗
peikdpfig, und das iſt nicht das Schlimmſte. Gott aber gebe, daß
er einen Leib behalte, und ein Herz, und nun, da wir's wiflen,
was Leib und ward davon, daß ber eine nidte und nur ber ans
dere wachte, gebe der Bere im Himmel, fage ich, daß er mit
beiven Köpfen fortan ausfchaue, nad) ‚Abend und Morgen. —
Bei ich euch brandenburgifche Gefchichten erzähle, was kuͤm⸗
mere mich, rufen wol Ginige, der beutfche Adier? Den follte
ich fliegen laſſen und im Lande bleiben. Ich ann es nid.
Denn Brandenburg war nur ein Glied, ein theures Glied, meine
ich, und wills Bott foU es bleiben ded großen deutfchen Körpers.
Und was den zerreißt, zerreißt es mit, und was ihn erhebt, er:
bebt es mit. Ich erzähle euch brandenburgiiche Geſchichten aus
alter Zeit, aber ich meine, es find deutfche Geſchichten. Denn
was Brandenburg litt, das Litt bad beutfche Reich auch. Cs
griff fein Herz an und zehrte das innerfte Biut.
Noch in demfelben Gapitel läßt der Verf. Kaifer
Kari IV. zu Werfoneg, feinem Kanzler, fagen:
Du bift ein Stawe und weißt das nidht. Der Deutfche
liebt Ordnung, und fo fie aufgefchrieben fieht und unterfiegelt,
meint er, man kann nicht baran rütteln. Das find kluge Fürs
fien, fo zu Papier bringen, was zwifchen ihnen feftfiehen fol
und ihren Völkern. Die Völker glauben daran; aber wer bie
Macht bat, kann die Schrift doch deuten, als ihm gefällt. Dieſe
Bulle, fage ich dir, if golden, und wann fie ber Reichstag ans
genommen, fol ein golden Siegel darunter bangen für alle Zeit,
die kommt.
An einer andern Stelle fpricht Bardeleben, ein alter
Märker von Schrot und Korn, zu Ludwig dem Römer
lgendermaßen:
rg Mit eiſerner Hand, gnaͤdigſter Herr, zwingft du die Märs
fer nimmer. Du magft mit Sturmleitern ihre Mauern er⸗
obern; ſo du nicht ihr Herz gewonnen, biſt du nicht ihr Herr.
Gerechtigkeit iſt gut, die iſt der Grundpfeiler eines Hauſes;
aber iſt nichts anders bein, bleibts ein unwohnlich Haus.
Man wirb nicht heimifch und fehnt fih hinaus. Die Branden
vurger find Leiche gewonnen, fo Giner es verfteht. Er muß ihr
Bater fein, aber Einer, der nicht immer ftraft, und Alles will
beſſer wiffen, und keinen andern Sinn duldet als feinen. Muß
dieweilen auch mit ihnen fpielen, nachſehen ihren Schwächen,
ſeis auch einmat, mit ſich fpielen laſſen; es find gute Kinder,
fie gehen nicht übers Maß.
Und zum alten Woldemar, nachdem feine Macht be:
reits gebrochen, Tpricht ein alter Thuͤrmer:
Haͤttet Ihr nur immer gehört, was die Eeute Tprachen.
Richt Alles muß man hören, bean es wird viel Dummes ges
fprochen. Aber was iſt's mir einem Fuͤrſten, der fein Ohr vers
fhließt, und nicht hört, was fein Bolt wuͤnſcht und benft.
Der ift das ein Fuͤrſt, der_blind iſt, und nichts fieht, als was
er ſich einbitdet, daß er es fieht.
Aus biefen Proben, bie fi mit Leichtigkeit verviel⸗
fältigen ließen, ift auf das deutlichfte zu erkennen, daß
wir in „Der falfhe Woldemar‘ keinen rein hiſtoriſchen
Roman vor uns haben. Die Flut der Politik, die jegt
die ganze Literatur uͤberſchwemmt, ſodaß bie einzelnen
Disciplinen nur noch wie Inſeln daraus auftauchen,
hat au ihn, wenn nicht verfchlungen, doch dermaßen
mit ihrem MWafferfpiegel überzogen, daß wir Alles darin
doppelt fehen, einmal feiner hiſtoriſchen Erſcheinung, das
andere Mal feinem politifchen Widerfcheine nah. Daß
ein ſolches Deranziehen politifher Intereſſen pikant und
zeitgemaͤß ei, ift außer Zweifel; ob es fich aber auch
vom dfthetifhen Standpunkte aus techtfertigen laſſe, ift
eine andere Frage. Manches läßt ſich dagegen fagen.
Die Anfhauung der Vergangenheit, zumal einer folchen,
bie in nebelhafter Ferne vor uns liegt, fegt, wenn fie une
irgend fefte, beflimmte Bilder gewähren fol, einen fichern,
unverwandten Blick voraus. Wie aber iſt diefer mög:
lich, wenn bie Gegenwart neben uns ſteht und uns ohne
Unterlaß am Ärmel zupft, daß wir da6 Auge ihr zu:
menden? Und noch dazu eine Gegenwart mit fo klapper⸗
[hlangenartigem Blide wie die unferige? Eine Gegen:
wart, Die fo leicht Keinen wieder zur Ruhe kommen läßt,
der ihr einmal ind Antlig gefhaut? — Und dennoch if
eine Mifhung des Hiftorifhen und politiſchen, des epl⸗
[hen und Iprifhen Elements zur innigen und wahrhaften
Einheit möglich, fobald nur der Verf. ein höheres, allge:
meineres Intereffe anzuregen verſteht, ein Interefie, das zu
allen Zeiten gilt und in dem fich nothwendig aud bie
Intereſſen der Vergangenheit und Gegenwart verfchmels
sen müffen. Dat der Verf. diefes verflanden? Hat er
fih von der rein⸗hiſtoriſchen Darſtellung nicht blos ent⸗
fernt, fondern aud Über diefelbe erhoben? Hat er
feinem Romane einen Odem einzuhauchen gewußt, der
uns nicht blos wie Moderduft aus alten untergegangenen
Beiten, noch auch blos wie ein Sturmmwind der Gegen⸗
wart anweht, fondern Lebensluft, ewig frifh und ewig
erfrifhend? Wir dürfen diefe Frage mit Ja beantworten.
So gründlih und forgfältig der Verf. die Zeit, in wel⸗
her fein Roman fpielt, ftudirt hat, fo genau er befannt
it mit allen Perfönlichkeiten, die ſich irgendwie in ihe
bervorgetban, und mit dem Charakter des Volks im Alle
gemeinen, fo genau er Beſcheid weiß über der damaligen
Geſchlechter Öffentliches und Familienleben, über ihre Sitten
und Gewohnheiten, über ihre Rechte und Privilegien, über
ihre Schidfale und Handlungen, über ihre Art zu ben:
ten und zu reden, und fo fehr er es fich angelegen fein
läßt, in einer Menge von böchft gelungenen Schilderun⸗
gen und Charakterzügen ein treues Portrait jener Zeit
zu entwerfen, fo bleibe ex doch bei diefer hiſtoriſchen Mas
lerei nicht ſtehen, fondern legt dem Allem eine tiefere,
allgemeingültige und hier nur in befonderm Stoffe ſich
verfinnlichende Idee unter, die das Ganze trägt und zus
fammenhält und ihm das Gepraͤge eines hoͤhern Afthetis
(hen Kunſtwerks aufdruͤckt. Dieſe Idee iſt keine andere
als die, welche ſich, ſo oder ſo modificirt, durch alle Tra⸗
goͤdien hindurzieht, naͤmlich die tragiſche Wahrheit: daß
272
alle individuelle Größe vor der Macht bes Abfoluten
nichts iſt, und nothmendig in fi zerfallen und unterge⸗
hen muß, fobald fie ſich über ſich felbft erhebt und den ihr
angewiefenen Standpunkt im Verhaͤltniß zum Abfoluten
aus dem Auge verliert.
(Der Veſchluß folgt.)
Neuere franzöfifche Literatur.
1. Nouveau recueil de contes, dits, fabliaux et autres
pieces in&dites des I3me, l4me et I5me si&cles, publ, par
A. Judinal. Zwei Bände. Paris 1839—42.
Obgleich bereits verfchiedene Sammlungen ber fogenannten
feanzöfifhen Fabliaur vorhanden find, fo war doch eine ganz
beträchtliche Anzahl diefer einfachen: Erzählungen noch nicht zus
fammengeftellt, bie theils einen rein poetifhen Werth haben,
theild auch für die Geſchichte nicht gang ohne Intereſſe find.
Gegen 1750 gab zuerft ein fleißiger Philolog, Namens Barbas
zan, in brei Bänden eine Auswahl biefer kleinen Dichtungen,
an denen unfere Voraͤltern fo großes Gefallen fanden. Legrand
d'Auſſy überarbeitete diefeiben und verwifchte daburch zum Theil
bie naive Sprache, die ihnen einen fo eigenthämlicdhen Rei; ver:
leiht. Der fharffinnige Sprachforſcher Jubinal, dem die Ge⸗
ſchichte der altfranzoͤſiſchen Literatur verfchiedene ſehr gediegene
Arbeiten verdankt, bat fih nun bie Mühe gegeben, alle Dich:
tungen biefer Art, die bisher ben Derausgebern entgangen oder
in einzelnen feltenen Werken zerftreut find, zufammenzuftellen.
Die beiden Bände, die er bamit gefüllt hat, bilden eine reiche
Nachleſe zu den vorhandenen Sammlungen. Wir finden bar:
unter mandyen tollen Schwank, manche heitere Poefie, und bie
Kenntnig der Sitten ber damaligen Zeit geht babei nicht leer
aus. Obgleich der größte Theil biefer Kabliaur unmittelbar
aus dem Volksleben gegriffen ift, fo finden wir doch überall,
wie auch in den gleichzeitigen deutfchen Poefien, ein Streben,
die Geſchichte der neuern Völker an die bes Alterthbums anzu⸗
tnüpfen. &o finden wir 4. B. eine Sage, welche den Namen
Abion auf folgende originelle Art erzählt: „Es gab einmal
einen König und eine Königin in Griechenland, die 30 Zächter
hatten. Die aͤlteſte berfelben hieß Albine. Alle dieſe jungen
Mädchen verheiratbeten ſich; aber das eheliche Leben behagte
ihnen nicht lange und fie faßten den Entſchluß, ihre Männer
zu erwürgen. Die Verſchwoͤrung ward indeſſen entdeckt und
man warf die Schuldigen auf ein Schiff, das man ohne Maft
und Steuer dem Spiel der Wellen überließ. Der Wind trieb
es von ungefähr an eine ferne, unbekannte Küfte. Albine war
die erſte, die auf das Land fprang und ihm den Namen Albion
belegte.”
2. Soixante ans du Theätre francais par un amateur nd en
1769. Paris 1842.
Diefer „Riebhaber”‘, der uns bier einige Epifoben aus feis
nen Denkwürbigfeiten gibt, ift, wie der Titel fagt, im 3. 1769,
alfo in ber beften Gefellfhaft geboren; denn es war im naͤm⸗
lichen Jahre, als Bonaparte, W. Scott, Gunter und mehre
andere große Männer das Licht der Welt erblidten. Was has
ben nicht Die gefehen und gehört, die zu jener Zeit geboren find!
Sie waren 20 Jahre alt, als der furditbare Sturm losbrach,
der nach mehr als funfzigjäbrigem Wuͤthen noch nicht ganz
ausgetobt hat. Was für großartige Greigniffe haben fie nicht
fi) vollenden, welche Schar gigantifcher Männer vorübesfchreis
ten feben! Der Verf. dieſes Kleinen Baͤndchens — ber, wie
une von guter Band verfihert wird, einer ber berühmteften
Rechtögelehrten von Paris ift — erzäplt uns nichts von dem
großen politifhen Drama, befien Zuſchauer er geweſen ift und
in dem er vielleicht ſelbſt mit eine Rolle gefpielt hat. Er führt
uns flatt der Scaufpieier ber Geſchichte die Beiden und Koͤ⸗
nige der Goutiffen vorüber. Die Reihe berfelben ift lang. Mehre
Generationen ſchreiten an uns vorüber. Diefe Kleine Schrift if
eine böchft intereffante Lecture. Wir finden in derfelben fehr ges
Iungene Portraits der beften Schaufpieler der franzöfifgen Bühne
und geiftoolle Bemerkungen über das Theater im Allgemeinen.
Der Theaterfreund wirb ſich daran ergößen, aber der Schau⸗
fpieler kann daraus mannichfadye Belehrung ſchoͤpfen. So kann
e6 als ein Anhang zu ber reichen „Collection des me&moires
sur V’art dramatique’’ betrachtet werben, bei deren Beſpre⸗
Hung Varnhagen von Enfe fehr bedauert, daß wir in unferer
Literatur fo wenig ähntihe Werke befigen. 6.
Literarifche Anzeige.
Allgemeine Encyklopäbdie
der Wiffenfchaften und Künfte,
in alphabetifcher Kolge von genannten Schriftftellern
bearbeitet. und herausgegeben von
J. & Erſch und J. ©. Gruber.
Mit Aupfern und Karten.
Der Praͤnumerationspreis beträgt für jeden Theu
in der Ausgabe auf Druckp. 3 Thlr. 25 Ngr., auf Belinp.
5 Thlr., auf ertrafeinem Velinpapier im größten Quartformat
mit breitern Stegen (Prachteremplare) 15 Thlr.
Erſte Section (A—G). Herausgegeben von 3. G. Gru⸗
ber. IbGſter und 37ſter Theil.
Zweite Seetion (HN). Herausgegeben von A. G. Hoff:
mann. Aſter und 2lſter Theil.
Dritte Section (O—Z). Herausgegeben von M. H. E. Meier.
16ter und 1Tter Theil.
Diefe im Jahre 1842 neu erfchlenenen ſechs Theile
enthalten unter Anderm nachſtehende wichtige Artikel:
Erſte Section: Epos und Erigena von Gruber; Equites
von Baehr; Equus von Streubel; Erasmus von Rotterdam von
Erhard; Erde (als Weltkoͤrper, mit 3 Tafeln Abbildungen) von
Käntz; Erinacens von Burmeister; Erkenntniss und Erklärung
von Scheidler; Erlöser und Erlösung von Franke; Ermiand
von Stramberg; Ernstfeuer unb "Eroberung von Hoyer;
Eros von Richter; Erskine von Stramlery; Erz- und Erb-
ämter von Wachter; Erziehung von Rosenbaum.
3meite Section: Inverness von Fischer; Investitar
von Danz; Jo von Schincke; Jodocus von Wachter ; Jodsauer-
stofi von Duflos; Jogi von Benfey; Joachim (Regenten dieſes
Ramend); Johann (Regenten, Grafen und Prinzen); Johane
von Leyden von Röse; Johanna (Pürftinnen); Johanna die
Päpstin von Külb.
Dritte Section: Pennsylvanien von Keber; Pentaue-
ter von Göppert; Perceval und Percy von Stramberg; Per-
soides und Perdix von Streubel; Perdikkas von Meier; Per-
gamenisches Reich von Meier; Perikles und Persephone von
Eckermann; Periodicität von Piper; Perm von Petri; Perorti
von Hoffmann; Perrault von Krause; Persepolis von Lassem;
Perser von Flathe, Lassen, Fischer unb Flüyel.
Bei dem nbaufe des oder
einen — Knahi eimgeinee Alters Zelle
—2 5 Die Binigfen er ‚are, ger
Reipsig, im März 1843,
S. A. Brockhaus.
Berantwortlicher Geransgeber: Heinrich Broddaus. — Drud und Werlag von B. U. Broddaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Freitag,
— Nr. 69,
10. Maͤrz 1843.
Der falſche Woldemar: Roman von W. Alexis.
Drei Bände.
(Beſchluß aus Nr. ©.) |
Der concrete Träger dieſes Gedankens ift die Haupt:
figue des Romans, der falfhe Woldemar feibfl. Der
Berf. hat in ihr eine echt: tragifhe und darum nicht
blos hiftorifch, fondern auch aͤſthetiſch intereffante Perfön-
lichkeit hingeftellt und es zugleich verflanden, ihren allge:
meinstragifchen Typus auf eine neue und eigenthuͤmliche,
ja pikante Weife zu geflalten. Echt⸗tragiſch iſt der fal:
She Woldemar, weil er mit feiner Feinheit und Klugheit,
mit feinem richtigen Takt, mit feiner ihm mie angeborenen
Mürde und Maieflät, mit dee Gewalt feiner Mede, mit
feiner klaren Erfaffung der Zeitverhältniffe, mit der Weisheit
und Gerechtigkeit feiner Maßregeln und Dandlungen, mit
der Sicherheit in allen feinen Schritten, kurz mit allen
feinen außerorbentlihen Eigenfchaften einerfeits als wahrhaft
groß und bemunderungsmürdig dafteht, und andererfeite
doch nicht groß genug ift, in der Beurtheilung und Meffung
feiner felbft das richtige Maß zu halten, und in Folge
dieſer Selbflüberfhägung von einer höhern Macht ge:
3wungen wird, von der errungenen Höhe wieder herab:
zufteigen. Eigenthümlich und pifant aber iſt diefer tra:
gifche Zug feines Charakters, weil die Selbftüberfchägung,
die ihn ſtuͤrzt, anfangs gerade Mäfigung und Demuth,
eine DVerleugnung der individuellen Größe, eine Dinge:
an die Gottheit zu fein ſcheint. Nachdem er nam:
lich durch das Geſchick, mit dem er alle Umftände zu
nugen und felbft Diejenigen, welche Ihn als Puppe zu
gebrauchen dachten, ſich dienftbar zu machen verfteht, fos
wie befonder6 durch die Gewährung Deflen, was ber ar:
men Mark Brandenburg noththat und monad das Bol
verlangte, mit dem markgraͤflichen Titel auch bie mark⸗
geäflihe Macht erlangt hatte, beginnt er plöglich ſelbſt
vor der Größe Deſſen, was er errungen, zu flaunen und
fann «6 ficy nicht anders als aus Übermenfclichen, gött:
lichen Kräften heraus erlären. Mit göttergebener Froͤm⸗
migfeit verzichtet er demgemäß auf den Ruhm, aus elge:
nem Antriebe und mit eigenen Kräften gehandelt zu ha:
ben, er gibt in Allem Sort die Ehre, und fo fcheint es
gerade, als fei er weit entfernt von jeder Gelbftüberhe:
bung, bie einem tragifchen Ende zuführen könne. Und
doch ift, wie es der Verf. überrafchend zu menden ver:
-
fleht, gerade dieſe fcheinbare Demuth fein Stolz, diefe
Selbflverleugnung fein Hochmuth. Er fieht in fi nun⸗
mehr das Werkzeug, das die Gottheit ausdrüdlic ſich
zum Ruͤſtzeug auserfehen hat; er glaubt fich direct vom
Oben gefandt und ausgerüftet mit Kräften, vor denen alte
irdifchen weichen, ja felbft die Gefege der Natur fich beu⸗
gen müffen; er erkennt in fich einen Sefalbten des Herrn,
dem felbft die Engel und himmliſchen Heerſcharen ihre
Dienfte zu leiſten haben. Diefer demüthige Hochmuth,
diefer fromme Gößendienft, den das Ich mit fich felbft
treibt, — und ber leider noch heutzutage öfter gefunden
wird, als man glauben follte — biefer iſt es, der ihn,
im eigentlihen und uneigentlihen Sinne des Worts,
aufs Eis führe, das unter ihm zufammenbricht und ihn
verfinden läßt, zwar nicht dergeflalt, daß er mit Leib und
Leben zu Grunde geht, fo jedoch, daß er zuruͤckkehren
muß in die Stille und Vergeſſenheit, wo er Zeit has,
feinem Irtthum nachzudenken.
Unter der großen Maſſe der uͤbrigen Figuren, von
denen die meiſten der Geſchichte entlehnt ſind, befinden
ſich noch viele ausgezeichnete. Vor Allem muß bie Cha⸗
rakteriſtik Katl's IV., des bairiſchen Ludwig und ber
Graͤfin von Nordheim hervorgehoben werden. Im Gans
zen jeboch bleibe der Roman in diefer Beziehung ein mes
nig hinter den früheren Werken des Verf. zurud. Waͤh⸗
rend wir im „Cabanis“, fowie in den Zeitnovellen ded Verf,
dem „Hauſe Düfterweg” und namentlih den ‚Zwölf
Mächten‘ gerade den außerordentlihen Reichthum an
mannidyfaltigen und verfchiedenartigen Charafteren bes
wundern müffen, leiden die hier gebotenen an einer ge:
wiffen Eintönigkeit und entbehren der beflimmtern, un:
terſcheidenden Umriffe und einer ſehr eigenthumlichen Fürs
bung. Sie verfhwimmen gleihfam im Nebel, der über
die ganze Zeit ausgebreitet iſt. Beſonders gilt dies von
den brandenburgifhen Rittern und Bürgern, den Bar:
beleben, den Grote, ben Luͤddeke, den Tile Warden-
berg, den Betkin Oſten, den Betke Botel, den Ude
tenhagen, den Kokeritz, den Itzenplitz und wie fie
fonft noch heißen mögen, die zwar an fi ganz berbe
und bandfefte, auch originelle und intereffante Perſoͤnlich⸗
keiten find, fich aber untereinander doch gar zu ähnlich
fehen und nicht eng genug in bie eigentliche Verwicke⸗
lung und Entwidelung verflochten find. Auch Heinrich
und Adelheid, welche das romantiſche Element der Liebe
zu verteeten haben, heben ſich nicht individuell genug
aus der großen Maſſe heraus und find überhaupt etwas
dürftig und gewoͤhnlich ausgefallen. Wahrſcheinlich find
fie abdfichtlih nad dem Muſter der Wotksbücher fo ein:
fach zugefchnitten und es mag fi) Mondes dafür fagen
hoffen; dem gefteigerten Geſchmacke unferer Zeit jedoch
dürfte der Werf. nicht damit genügt haben. Weit höher
fieht der Roman rüdfichtfi der Zeichnung von Scenen
und Situationen. Hier entfaltet der Verf. die ganze
Gewandtbeit feiner Feder, und einige wenige ausgenom⸗
men, die zu allgemein find und nicht lebendig genug in
den Sortfchritt des. Ganzen eingreifen, find fänmmtliche
nicht blos fpannend und ergreifend, fondern auch reich
an innern Schönheiten und pfochologifchen Feinheiten und
tragen in ſich eine ebenmäßige Gliederung und Abrun-
bung.
gen und Schauerlichen vortrefflich gelungen; des Heitern
und Freundlichen ift daneben faſt zu wenig vorhanden.
Was endlich die Außere Darſtellung betrifft, fo ift
diefe, wie aus den oben mitgetheilten Proben hervorgeht,
durchaus chronikartig gehalten, deren Eigenthuͤmlichkeit
außer der ungewöhnlichen Anwendung einzelner Wörter,
3. B. „als“ für „wie“', befonders in dem Übergehen aus
dem Verhaͤltniß der Hypotaxis in da6 der Paratarle be:
ſteht. W. Aleris ift ſchon beim „Roland von Berlin”
deshalb angegriffen, und es zeugt von feiner zähen Aus⸗
dauer, auf die wir ſchon oben hingedeutet, daß er den:
noch nicht davon abgelaffen hat. Vieles fpricht allerdings
dafür, namentlich die Naivetät des Ausdruds, die in un:
feem modernen Stil durchaus nicht in gleihem Maße
zu erreichen iſt; aber das bleibt immer dagegen zu erin⸗
nern, daß damit der moderne Geift, der trogdem das
Ganze durchweht, doch nicht zugededt werden kann, und
daß mithin eine Diffonanz zwifhen Iunerm und Außerm
entſteht, faft wie fie uns aus neuerbauten alten Burgen
anzuflingen pflegt. Überhaupt behält eine Korm, die keine
urfprüngfiche, fondern blos angeeignete tft, immer etwa6
Demmendes und Feſſelndes und der producirende Geiſt
kann fih in ihr niche mit volllommener Freiheit bewe⸗
gen. Wir find daher überzeugt, daß diefer Umſtand be:
ſonders dazu beigetragen hat, daß dem Verf. die Zeich⸗
nung der Ziguren, deren ec fonft in fo hohem Grade
Meifter iſt, diesmal weniger gelungen ift, und daß fi
überhaupt weniger einzelne Züge und Gedanken finden,
die den Charakter einer leicht und unmittelbar fihaffenden
Gentalität tragen. Iſt dies zu beklagen, fo muß dagegen
andererfeitd auch anerfannt werbn, dad damit zugleidy
die genialen Auswücfe, an denen feine frähern Pro:
ductionen bier und ba kranken, weggefallen find und daß
hberhaupt dieſer Roman eine durchgreifende Einheit in
Zuſchnitt und Färbung befigt, wie noch feiner feiner fruͤhern.
So ift es denn der Poeſie des Verf. au in diefer Be:
Hebung ergangen wie der Mark Brandendurg, von ber er
am Schluffe ‘des Werks fügt, daß es ihr mit jedem neum
Jahrhunderte immer beffer geworden ſei. Gebe der Herr,
fügt er als legte Worte hinzu, daß es immer beffer wird!
Beſonders iſt ihm die Darſtellung des Graufl: .
Na
und ſo moͤge denn auch unſere Anzeige mit dieſem frommen
Wunſche geſchloſſen ſein. Richard Morning.
Lebenslauf eines florentinifhen Kaufmanns
tim 16. Jahrhundert.
Unter den Reifenden, weiche Oftindien in ben erften Jahr⸗
zehnden befuchten, nadbem Basco de Gama ben Seeweg nad
deffen Küften zurückgelegt hatte, verdient der Klorentiner Gio—
vanni ba Empoli eine ehrenvolle Stelle. Dreimal fegelte er,
oftwärts gewandt, um das Worgebirge der guten Hoffnung, wel:
yes den alten Namen des Gabo tormentofo mit dem tröfttichern
vertaufchen mußte, den es noch heutzutage führt; von ber drit-
ten Reife kehrte er nicht wieder in die Heimat zurüd. Relationen
über feine beiden erſten Fahrten, von 1503 und 1500, finden
fi) in den florentiner Bibliotheken. Gin Fragment der erften
berfelben, die Giovanni für den Sonfaloniere Pier Eoberini ent⸗
warf, theilte Ramufio in feiner großen Sammlung von Reiſe⸗
berichten mit; vollftändig werben fie nächftens, von Anmerfun:
gen und Documenten begleitet, in Florenz erfcheinen und biefem
jung geftorbenen Kaufmann und Geefahrer den Plag anweifen,
der ihm neben feinen Landsleuten Frescobaldi, Sitgoli, Bespucci,
Saffetti, Buonfignori, Strozzi u. X. gebührt. Unter den alten
Schriften, die fi auf Giovanni da Empoli beziehen, ift eine
Skizze feines vielfach thätigen Lebens, welche einige Jahre nach
feinem Zobe von Girolamo da Empoli, feinem Vatersbruder,
aufgefegt ward *), ebenfo intereffant wegen der lebendigen Ans
fhauung, die fie uns vom Lebensgange der Handelsleute jener
Zeit gibt, wie fie durch den in feiner Einfachheit liebevollen Ton, -
in dem fie gefchrichen, für fi einnimmt. So möge fie benn,
mit einigen Abkürzungen, bier eine Stelle finden. 40.
Es iſt eine alte Sitte, die Handlungen Derer gu beieben,
welche in Ehren und Tugend gelebt haben. Dieſe Sitte kann
nur eine treffliche genannt werden, weil ſonſt viele prciſwuͤrdige
Thaten in Vergeſſenheit gerathen und wir folglich gegen das
Andenken vieler wackerer Männer hoͤchſt ungeredit fein wuͤrden;
anderntheils auch weit bie Nachwelt großen Vortheil barams
sieht, indem fie angetrieben wirb, das Beiſpiel nachzuahmen,
welches ehrenwerthe Vorfahren ihr gegeben. Aus diefem Srunbe
babe ich beſchloſſen, das Leben des Giovanni da Empoli, eines
florentiner Bürgers und meines Neffen, zu befchreiben: benm
biefer Biovanni war zu feiner Zeit fehr berühmt, well er befs
nahe alle Laͤnder der Welt bexeift hatte, namentlich Indien,
weiches vor etwa SU Jahren durch den König von Portugal
entdeckt worden. Nach diefem Lande unternahm Giovanni zwei
Reifen, von welder er nach feiner Ruͤckkehr feinem Water Lio⸗
nardo genaue Nachricht ertheilte, aus weichen Nachrichten ſpaͤter
ein Buͤchlein gemacht worden ift, worin fidh von Kunde
findet, von ben Häfen, Ländern, Gtäbten und Voͤllerſchaften
Behräuchen und Geſetzen, Maßen und Gewichten; melde Maar
yon, Specerelen, Gewürze man bort findet und woher fie kom⸗
men, wo man die Perten fiſcht, wo die Rubine, Diamanten und
anders Edelſteine vortommen, und wo bie Bold: und Bilber:
ben find: Alles getreu uab baft d
7 AR Loge, Bovon teicht ——— mg. —8*
chlein zur Hand nimmt. Was nun gegenwaͤrtige Lebenshe⸗
reibung betrifft, fo moͤchte Mancher dafür halten, fie wäre
beffer von einem gelehrten und berebten Dumme verfaßt worben,
*) Tiefe „Vita di Glevenni da Empoli da che naogue a che
mori scritta da Girolamo da Empoli suo zio” wurde nab einem
Autographon in der Maglicbechi’fhen Bibliothek zu Plorenz witge-
theilt von 8. 2. Poltdori In dem livorneſer Taſchenduche ‚La: «tale
del pensiore” fir 1842. In Moreni’d „Bibliogmfa steries - rapin-
nata della ‘Toscana’, Bb. 1, iſt bie Handſchriit aufgeführt; in Cinell ies
unebirter „‚Storia degli serittorj fiorentini’’ finden fi) ded Biovanni ba
Empoli Reifeberichte verzeichnet. Die Deraudgabe biefer legtern wird
durch die Herren G. ©. Gameftrini und Polibort- geſchehen. -
275
weicher fie durch ſchoͤne Worte und Deiſpiele Hätte aucſchmuͤcken
tönnen. Auf der andern Seite aber bedachte ich, daß eine
ſchlichte wahrhafte Darftellung, wie id; fie mit bem geringen
Berftande, den Bott mir gegeben, tiefern konnte, dem Zwecke
vielmehr entfpräce, der Wahrheit naͤmlich die Shure zu geben.
Wie dem aber auch fein möge, fo Kann ich nicht umhin, einige
Scham zu empfinden, weil idy etwas unternommen, wozu meine
Fähigkeiten mic; wenig berechtigten, und ich wuͤrde es unters
toffen haben, ftünde eine ſolche Arbeit einem Verwandten nicht
deſſer an als einem Fremden, und empfände ich nicht eine innige
Liebe zu Giovanni und Dankbarkeit wegen des ehrenvollen Na⸗
mens, den er uns hinterlaffen hat. —
Giovanni da Empoli alfo kam zur Welt am 27. Det. 1483
mb von feiner Geburt Eonnte man wie von ber des Taͤufers
fagen : „Multi in natiritate sua gaudebant et congratula-
bantur vicini et cognati ejus.” Denn er war ber erfie Sohn
feiner Altern und ward nady fechs Töchtern geboren: denket
drum, wie groß die Freude war! Bei ber Taufe warb ihm
nad; feinem Großvater der Name Giovanni beigelegt. Diefem
wurbe er gleich, weil er ein guter Kaufmann geweſen war:
denn zu feiner Zeit war Giovanni mein Bater zugleich mit feis
nem Bruder Jacopo Theilnehmet an einer großen Gpecerei:
handlung des Giovanni Baroncini in Galimara*), zu den
Schluͤſſein, welche Stadt und Gegend verforgte. Der Knabe
war von Körper wohlgebaut, nicht: zu ſtark noch mager, nidjt
groß noch Hein, er fah gut aus, war von fanguinifdgem Tem⸗
perament, nicht aͤrgerlich noch heftig, fondern vielmehr beiter
und gefügig, raſch im Lernen, fobaß er im Alter von fieben
Jahren den Pfatter mit Leichtigkeit las und mit 13—14 Jah
zen recht gut Latein verftand. Zu jener Zeit waren als Lehrer
in unferer Stadt Girolamo det Maeftro, Prieſter Guasparre
von Mafla und Luca aus Florenz felbft, alle gute Meifter ber
Grammatit, überdied Francesco von Urbino und ein anderer
Ramens Suerrino, bie ſaͤmmtlich fehr gefigickt waren. Zu allen
diefen ging Gioranni in die Schule, fodaß er große Fortſchritte
machte. Audy lernte er etwas Griechiſch und hätte er mit dem
Stubiren fortgefabren, fo würde er ein Gelehrter geworden fein.
Der Vater gab fi große Mühe mit ihm und ließ ihn zu
Hauſe wiederhoien, mas er in ber Schule gelernt hatte, ſodaß
im zum Gpieien wenig Zeit blieb. Ja, man kann fagen, er
fei nie Kind gewefen: denn aud beim Spielen beging ex nie
kindiſche Streihe. Im Schreiben und Rechnen unterwies ihn
der Bater felbft, und um ihn nie müßig zu laffen und ihm
Kenntnif von göttlichen Dingen und der heiligen Gchrift beizu⸗
bringen, hatte der Water ihm ein Buͤchlein gemacht, in welchem
viel aufgeſchrieben ftand aus der Bibel, aus den Pfalmen näms
lich, den Parabein Galomon’s, dem Eccleſiaſtes, aus ben Evan:
gelien und den Briefen des heiligen Paulus, nebft vielen ſchoͤ⸗
nen Spruͤchen von St.⸗Auguſtin und St.⸗Ambroſius. In die:
fem Buͤchtein ließ er ihn fludiren, damit er bekannt würde mit
ven göttlichen Dingen und Freude basan finden möchte.
An Feſttagen ging Giovanni immer in die MWrüberfihaft
Johann des Goangeliften. In jener Zeit pflegten, gemäß ben
Auffoberungen und Grmunterungen bes Paterd Bra Girolamo
won Ferrara **), welcher gegen die unebrbaren Handlungen und
*) ine in der Geſchichte des florentiner Handels wohlbekannte,
mit Mogazinen, Kaufläden u. f. w. gefüllte Straße, nit fern vom
jegigen Mercato nuovo.
*) Savonarola. Gr bielt feine erſten (Baften =) Predigten in
Slorenz 18. Die Beit feined größten Ginfluffes auf das Bolt was
sen die Jahre 185 — HM. Die Feuerprobe, welcher der im Xerte
erwähnte Angriff auf dad Dominicanertiofter folgte, ſollte am 8.
April IB fattfinden ; Ira Girolamo's Todeſtag war ber 83. Mai.
Die Umgäge durch Stadt und Land, unter Sefängen und Autoddafe
von Bildern, BWüsern und Lurudgegenfländen find belannt. Prin⸗
zioalle della Stufe, der unter ben damaligen Kührern ber Jugend
sortommt, war nachmals einer ber eifrigen Mebicei’fhen Partei:
gängsı (Yallsäten).
Lafer, vie in ber Stadt begangen wurden, namentiich aber ges
gen Spiel und Läfterungen predigte, bie Kinder, namentlich bie
zu ben Brüderfchaften gehörenden, fich zu verfammeln und Ans
führer und Näthe zu wählen, mit benen fie durch die Stadt
zogen, um ben Spielen und dem gottesläfterifchen Treiben eis
Ende zu machen. Zum Anführer der Brüberfchaft bes Evan⸗
geliften wurde ein Sohn Meffer Luigi's bella Stufa gemacht,
Namens Prinzivalle, und Giovanni wurde fein Rath und legte
Ehre damit ein. Sie zogen, wie gefagt, durch die Stadt, W
fel und Spielkarten wegnehmend; gleicherweife machten fie es
auch mit den Liebesgefdhichten und ausgelaffenen Novellen, mel
he alle ins Feuer geworfen wurden. Und wenn fie auf den
Straßen irgend einer aufgepußten rau begegneten, deren Kick
bung den Anfoberungen der Sittſamkeit nicht entſprach, fo bes
gräßten fie diefeibe mit fpöttifcher Höflichkeit und fagten: @bte
rau, bedentet, daß Ihr fterben und allen Pomp und Putz ver:
laffen müßt und alle biefe irdifche Eitelkeit. So kam es denn,
daß mandye, wenn audy ungern, aus Scham dem Luxus ent:
fogte. Auch unehrbare Maͤnner befliffen fidy eines beflern Wans
beit, aus Furcht, aufgefunden und mit den Fingern gewiefen au
werden. Im Lande herum zogen ähnliche Gefellfchaften, zum
Theil mit gutem Erfolge, fobaß die Sachen erwuͤnſchten Fort⸗
gang hatten und die Jugend oft in San: Marco zuſammenkam,
Rath zu pflegen. Nachmals traf es ſich, daß an dem Tage, mo
bas tumultuirende Bolt San» Marco flürmte und Fra Girolamo
nebft Bra Domenico und Fra Silveſtro gefangen genommen ward,
Giovanni fi im Kloſter befand und, da es nicht möglich war
baffelbe zu verlaffen, den ganzen Verlauf des Kampfes mit an«
ſah. So blieb er denn die ganze Naht Uber in dem Bibtie
thekſaale und betete mit den Robigen, worauf er am folgenben
Morgen unverlegt nad) dem Vaterhauſe zurüdtehren Tonnte.
Rachdem, durd Fra Girolamo’8 Unterliegen, das Licht erlofchen .
war, das uns erleuchtet, blieben wir in bee Finfterniß: wer Gu⸗
tes that, ward verfolgt und das Gute unterlag. Alles Dies
habe ich erzählt, um zu zeigen, wie er aufwuchs und in welchem
Geifte und weichen Handlungen feine Jugend verfloß.
Nah jenen Vorgängen nahm fein Water ihn in das Wed
felgeichäft, welches er damals am Ganto alla Paglia betrieb.
Dort begann er alle Arten von Silber: und Goldmünzen ken⸗
nen zu lernen, und ihren Werth und Gehalt; auch erwarb er
fi einige Kenntniß von Juwelen und lernte Bud halten, for
daß er bald in jenem Geſchaͤfte fehr erfahren ward. Darüber
kam das große Jubeljahr 1500. Zahlreiche Reifende begannen
durch die Stadt Florenz zu ziehen, Ungarn, Slamänder, Deut:
fche, Franzoſen, Spanier, Portugiefen und andere Nationen, und
Giovanni hatte viel mic ihnen zu thun, wechfelte Bold: und
Sitbermüngen, lernte af Deutſch und Ungariſch zählen und be⸗
biett auch fonft viel von ihren Sprachen. Das bischen Latein,
welches ex verftand, kam ihm dabei trefflich zuſtatten. &o vers
ftrih das ganze Jahr unter anhaltender Beichäftigung. Cs
war große Nachfrage nach Kreugern und Gulden, denn viele
Fremde, namentlidy die Deutfchen, wollten ſolche einwechſeln, fos
daB Giovanni auf den Gedanken fam, nach Siena zu gehen
und diefe Münzforten aus den dortigen Banken zu bolen, wo
es deren viele gab, ſodaß er mit großem Vorrathe nach Florenz
zuruͤckkehrte. Es traf ſich nachmats, daß Martino Scarfi, ein
edler und wackerer florentiner Bürger, der ein Handlungshaus
zu Brügge in Flandern ) hatte, wo Giovangualberto Buona-
°) Brügge und Lyon waren don Alteröher bie beiden größten
Dandelöpläge, wo die florentiner Kaufleute und Wechsler Magazine
und Gomptoire hielten. Daß in der Erzählung genannte Haus ber
Nafi in Eyon war ein fehr angefehened: Macchiavell erwähnt diefer
Randöleute wiederholt in feinen franzäfifhen Geſandtſchaftsbdepeſchen.
Die ualterotti und Prescobalbi waren alte florentintfche Familien,
von denen letztere, die fhon im 18 Jahrhundert eine nit umwichs
tige Rolle fpielten (in den bürgerlihen Unruben der Dante’fden
Epode), noch eriftiren. Die Affetati find wahrſcheinlich eins wit
den Affeitati von Gremona.
236
grazii fein @enoffe wor, einen jungen Mann zus Beforgung
der Sefchäfte dahin zu fenden vorhatte. Da er nun von @ios
vanni fo viel Mühmtiches hörte, fragte ex ihn, ob er dahin ge:
hen wollte, worauf Jener zur Antwort gab: er fei es zufrieben,
fofern fein Water einwillige. Da ber Bater die Zuftimmung
ab, nahm Martino ihn an. Dieſer befaß eine gewiffe Zahl
chöner Perlen und werthvoller Edeiſteine, welche ex gut zu vers
Saufen wünfchte. Mithin fandte er den Giovanni nach Berrara,
wo berfelbe fich feines Auftrags entledigte, einen guten ‚Handel
machte und bei feiner Ruͤckkehr zu Martino's Zufriedenheit Kech⸗
nung ablegte. Ledttterer hatte unterdeſſen nach Flandern ſeinem
Gefſchaͤftsgenoſſen gemeldet, er werde ben Giovanni ſenden: Gio⸗
vangualberto antwortete, er hätte Lieber geſehen, wenn jein Bru
der Vittorio gelommen wäre, und Martino, als ein wackerer
ann, wollte beide befriedigen und das einmal gegebene Wort
nicht zuruͤcknehmen. Obſchon nun Giovanni lieber allein gegangen
wäre, fo dachte er doch, daß es ihm in Flandern in diefem oder
einem andern Handelshauſe an Mitteln zum Fortkommen nicht
fehlen werde; ex brachte feine Sachen in Ordnung, kaufte ſich
ein Pferd und Kleidung, und mit ſo viel Geld, als zur Reiſe
noͤthig, machten bie beiden jungen Leute ſich auf den Weg. Vor
der Abreife nahm er Abſchied von Allen im „Haufe, befonbers
von feinem Water und Oheim, und da er demüthig um ben Se⸗
gen bat, ertheilte ihm dev Water denfelben mit großer Zaͤrtlich⸗
teit und unter vielen Thränen, und das Büchlein ihm _gebend,
worin jene ſchoͤnen Dinge aus der heiligen Schrift gefchrieben
ftanden, empfahl er ihm barin zu fludiren und in allen feinen
Sandiungen Gott vor Augen zu haben. Manches Schoͤne noch
hatte der Vater jenem Buͤchlein hinzugefuͤgt. So reiſte er, im
Namen Gottes, am 14. Mär; 1501, in einem Alter von 18
Jahren und 5 Monaten. in
In Lyon angelommen, kehrten bie beiden Zünglinge bei uns
fern Landsleuten, ben Naft, ein, wo ihnen große Ehre erzeigt
warb; dann fegten fie ihre Reife fort, kamen gluͤcklich an und
wurden gut aufgenommen. Giovanni blieb nun in jenem Ge⸗
ſchaͤft gegen neun Monate, Alles ausführend, was ihm aufgetrar
gen warb, zur Zufriedenheit feiner Vorgefegten. Die Landesſprache
lernte er fo gut, daß er ſelbſt Alle, welche längere Zeit dort ges
wefen, hinter ſich ließ. Da geſchah «6, daß bie Gualterotti unb
Frescobaldi einen jungen Mann zur Betreibung ihrer Geſchaͤfte
nach Calicut in Indien ſenden wollten. Diele junge Blorentiner
von guter Familie bewarben fih um biefe Stelle, Giovanni
aber warb gewählt unter vortheilhaften Bedingungen. Sie feb:
ten ſodann eine Schrift auf über Alles, was ihm zu thun obs
liegen follte auf dieſer Reife, und es ward aus gemacht, daß
ihm fuͤr ſeine Bemuͤhungen der fuͤnfte Theil des Gewinns an:
heimfallen werde. In dieſen Auftraͤgen verließ er alſo Bruͤgge
am 27. Dec. 1502 und verfügte ſich nach Liſſabon in Portugal,
wo er bei dem ehrenwerthen Deren Giovan Francesco degli Af⸗
fetati, einem reichen Kaufmann, einkehrte. In deſſen Hauſe
war ein junger Florentiner, Namens Luca Giraldi, welcher für
die Gualterotti Gefchäfte machte und dem Giovanni eine ‚gute
Aufnahme verſchaffte. So wurde ihm denn ein Platz auf einem
von vier Schiffen zugefuͤhrt, welche Girolamo Sernigi, unſer
kandsmann und angeſehener Handelsherr, für den König (Ems
manuel) von Portugal außrüftete. Am 6. April 1508 fegelte
biefe Flotte von Liſſabon ab, und Giovanni befand fih auf dem
Schiffe des Alfonfo D’Albuquerque, welcher der oberfte Befehls:
baber der Erpebition war. Weiche Namen bie Fahrzeuge hats
ten und wie groß ihr Tonnengehalt war, erinnere id) mid nicht
mehr. Die Reife war glüdlih und der Zwe wurde erreicht,
fodaß Giovanni am 16. Gept. 1504 von feiner erſten Fahrt
nad Calicut mit Ehren und Vortheil in Liffabon wieder eins
traf. Won dort begab er ſich nach Flandern zu feinen Han⸗
delöberren, bie ihn mit großer Freude cmpfingen und benen er
berichtete, was Alles er auf biefer Reife für fie ins Wert ges
fest. Ihre Zufriedengeit war um fo größer, als Giovanni ihs
nen genaue Rechnung ablegte und bedeutenden Gewinn nachwies.
Am 22. Oct. 1506 kam er nun nad) Florenz.
Er brachte
Briefe an den erlaudkten Piero Soberini*), bes Bolkes lebens⸗
länglichen Gonfaloniere, ber ihn fehr gern fah, als er ſich zu
ihm verfügte, fie zu überreichen. Nachdem fie über Vieles ges
fprocdyen, fagte ihm der Gonfaloniere, e8 möge ihm gefallen am
nächften Tage zurüdzulehren, um mit mehr Ruhe manches bes
reben zu können. Ais nun Tags barauf Giovanni fich bei ihm
einfand, traf er ihn in dem Eleinen Saal, in welchen er Audienz
zu geben pflegte, und bei ihm viele der vornehmften Bürger, bie
ee hatte rufen laflen, damit fie aus Giovanni's Munde Kunde
von jenen Laͤndern erhalten follten. Als nun der Jüngling eins
trat und feine Reverenz und Begrüßungen machte, fragte ihn
Meffer Piero nad jenen Gegenden. Ob wol Giovanni burdy
die Gegenwart fo vieler angefehenen Perfonen in Verlegenheit
gefegt ward? Keineswegs, fondern itehend vor dem Gonfaloniere
begann er zu erzählen von der Beit an, wo er Liſſabon verlaflen
hatte, und was ihm während ber ganzen Reife begegnet bis zus
feiner Ruͤckkehr. So berichtete er denn einfach und in-der Ord⸗
nung und nannte Hafen nad Hafen, Land nad Land, und
weiche Voͤlkerſchaften, Gefene, Sitten er gefunden; weiche die
Waaren feien, die Gewichte, Maße und Münzen; wo der Pfef-
fer, der Zimmt, die Wuͤrznelken und Anderes wachfen, wo mar
die Perlen fifcht und Diamante und Rubine findet; nebft vielen
andern fchönen Dingen, fobaß es den Anmwefenden wunderbar
vorfam, dies Alles in einem Zuge erzaͤhlen zu hören. Denket,
ed gingen zwei Stunden darüber hin! Als er nun fertig war
und fich gebührend verabfchiedete, machte der Gonfaloniere ihm
viele Anerbietungen und fagte, es würde ihm ſehr lieb fein, alle®
dies fchriftiich zu befigen. Giovanni verſprach es und brachte
ihm ſpaͤter die Schrift 5 überdies fchenkte er der Wabonna Ars
gentina, Meffer Piero’s Hausfrau, ein ſchoͤnes Stuͤck feiner
Leinwand, bas er aus Indien mitgebracht hatte.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notizen.
Der Neapolitaner Congiamila fchrieb eine „Embryologia
sacra”, in ber cin Theil der Medicin mit der Religion in Be⸗
ziehung gebradyt wird. Gegenwärtig erhalten wir ein Werk,
das den Zufammenhang biefer beiven Wiffenfchaften noch weiter
durchführt. Es hat den Zitel: „Essai sur la theologie mo-
rale consider6e dans ses rapports avec la physiologie et la
medicine‘, von P. 3%. C. de Breyme. Der Verf. ift Doctor
der Medicin und zugleih Mitglied des Zrappiftenorbene. Gr
tbeitt fein Werk in vier Abtheilungen. Die erſte umfaßt die
Zemperamente, die zweite Ales, was fi auf das fechste Ger
bot bezieht, die dritte die Embryologie und in der vierten wer:
den mehre intereffante Partien, 3. B. der Magnetismus, bic
Monomanien u. f. w., bebanbelt.
Alerandre de Lavergne ift durch mehre geiſtreiche Beie
träge zu ber „Revue de Paris’ und zu andern periodifchen Blättern,
fowie durch verfchiedene Romane bekannt. Sein neuefted Werk
ift der hiftorifhe Roman ‚La duchesse de Mazarin’. Las
vergne bat die Gefchichte der Nichte des großen Staatsmannes,
der berühmten Dortenfe de Mancini, deren Leben fo fonderbar,
fo abenteuerlih und romantifch war, mit Gluͤck bebanbelt.
Der Ingenieur d'Olincourt wird binnen kurzem ein Werf
herausgeben, das ein hohes Intereſſe ſowol in hiftorifcher als
in artiftifchee Beziehung haben wird. Eſs ift dies eine Auswahl
ber bervorragendften Bauwerke Frankreichs. Er wird babei
nit nur bie Öffentlichen Gebäude, ſondern auch Privathäufer
und Monumente berüdfidhtigen, infofern fie vom architektonis
[den oder vom gefchichtlihen Standpunkte aus ein Interefie
teten. .
») Pier Soderini bekleibete von 1508 — 12 bie oberfie Magi⸗
e in der Republik. Argentina, feine Gemahlin, war aus
ten Haufe der Malafpina.
firat
dem berüt
Berantwortlier Herausgeber: Leinrig Brodbaud — Drud und Berlag von J. A. Brodbaus in Leipzig.
t
Blätter
literariſche
für
Unterhaltung.
Sonnabend,
Dritter Artikel.”
Petition an die hohe zweite Kammer ber ſaͤchſiſchen Staͤndever⸗
fammiung um Oerbeifuͤhrung eines erträglichen Rechtszuſtan⸗
des in Sachen der Preſſe. As Manufcript für die Mitglies
der ber hohen Staͤndeverſammlung gedrudt. Leipzig, gedrudt
bei Breitkopf und Haͤrtel.
Unter den zahlreichen Erſcheinungen auf dem Felde
der politifchen Literatur greifen mir obige Schrift gleich
heraus, weil ihre praktifche Tendenz nur fo lange bauert,
als die Kammern in Sachſen noch verfammelt find, und
wir daher eilen müffen, wenn wir mit unferer Beſpre⸗
hung nicht zu fpät kommen wollen. Die Schrift iſt
nicht im Buchhandel erfchienen, fondern nur als Manu:
feript gedruct; wir glauben uns aber zu ihrer Beſpre⸗
dung um fo mehr berechtigt, als wir weniger auf ihren
befondern Inhalt und ihre fpecielle Faſſung eingehen wer:
ben, als vielmehr einige allgemeine Betrachtungen über
den gegenwärtigen Zuftand ber Preffe daran knuͤpfen
wollen, wozu fie und nur befondere Gelegenheit gibt.
Die Petition iſt übrigens von einer Anzahl Leipziger Liz
teraten unterzeichnet, von Schriftftellern von Profeſſion,
weiche allerdings noch näher und unmittelbarer bei die⸗
fee Frage betheiligt find ale das uͤbrige fächfifhe und
deutfche Publicum, wiewol in ihren mittelbaren Folgen
zufetst jeder Ditlebende bis zum Säugling und ärmften
Tagelähner von der günftigern oder ungünftigern Loͤſung
diefer tief eingreifenden Angelegenheit berührt wird.
Wir wollen vorweg bemerken, baß die Petition gut
gefchrieben ift, daß fie namentlich mit lebhaften Farben
Me unendlihen und unerträglichen Nachtheile Tchilbert,
welche bie Genfur auf den Charakter und auf bie Thaͤ⸗
tigkeit des Schriftftellers ausübt. Indeſſen geht fie nicht
auf völlige Abſchaffung der Cenſur aus, fondern fie vers
langt nur: a) Preffreiheit für die Beſprechung Innerer
(ſaͤchſiſcher) Angelegenheiten. b) Aufhebung ber Cenſur
für alle Schriften über 20 Bogen. c) Aufhebung ber
Nachcenſur (eine dem Königreihe Sachſen eigenthuͤmliche
Erfindung und Inſtitution). d) Aufhebung der „Con:
ceſſionen auf Widerruf” für Zeitungen und. Zageblätter.
e) Ein dem $. 35 der fächfifhen Berfaffungsurkunde
9 Bal den erſten und zweiten Art. in Mr. 24—26 und
Rr. 57-59 d. Bl. D. Red.
entfprechendes Prefgefes. f) Handhabung diefes zu pro«
mulgitenden Geſetzes durch die Juſtizbehoͤrde.
Die Erfüllung dieſer Foderungen glauben die Petenten
in die Machtvollkommenheit der Staatsregierung Sad.
fen& geftellt, indem fie biefelben vermöge ihrer fouverais
nen Stellung zum deutfchen Bunde und nad ben Bun-
des: und Landeögefegen gewähren koͤnne; fie berufen fich
dabei auf die karlsbader Befchlüffe vom 20. Sept. 1819
und nehmen das in benfelben vorgefchriebene, eben ange:
führte, Minimum in Anfprud.
Was ift denn aber das Minimum von Preffreihelt,
welches die Bundesgeſetzgebung geflattet? Kennen bie
Herren Bittſteller überhaupt die Bundesgeſetzgebung?
Wiffen fie Überhaupt, was vor dem Bunde vecht iſt,
und was nidht?
Die Bundesgefesgebung ift Peine öffentliche. Außer '
denjenigen Bellimmungen , bie fie in frühern Zeiten oͤf⸗
fentlich erlaffen bat, koͤnnen noch eine Menge anderer
eriftiren, von denen ſich unfere Philofophen und Literaten
nichts träumen laffen. Gefege, die früher gegeben find,
tönnen laͤngſt in heimlicher Verabredung wieder zurück
genommen fein, ohne daß das beutfche Volt etwas da⸗
von erfahren hat. Der Bund iſt durchaus omnipotent;
ale Erfoderniffe, die man fonft an die Sültigkeit ande⸗
ver Geſetze macht, 3. B. die Promulgation bderfelben, fal⸗
len bei feinen Entfchlüffen weg; außer den Protokollen,
die von Zeit zu Zeit gedruckt werden, find ficher noch
genug Geſetze, oder Belieben, oder diplomatiſche Verab⸗
redungen vorhanden, gleihviel, wie man es nennen will,
bie jeglicher Eontrole und Interpretation der beutfchen
Unterthanen entzogen find. Sich auf die Bundesgefeg-
gebung berufen, heißt fi auf etwas berufen, was man
nicht Eennt. Die fächfiihe Regierung wird unftreitig ihre
Obliegenheit gegen den Bund beffer kennen als die Herren
Bittfleller, und fie kann nur mit mitleidigem Lächeln
eine Appellation an eine höchfte Inſtanz betrachten, durch
deren Willen fie eben mahrfcheinlich die beiten Waffen
gegen ihre unbelcheidenen Dränger in den Händen hat,
wennfchon diefe Waffen nur für die Eingeweihten ſicht⸗
bar find. Es ift in der That nichts Komifcheres und
ich möchte fagen Lächerlicheres, als eben diejenige Macht
als Bundesgenoffin aufzurufen, von beren Feindſeligkeit
man mit Beſtimmtheit nad) allen Erfahrungen von vorn⸗
.g W
x
herein mit Evidenz überzeugt fein kann und von ber
eben alle Beeinträchtigungen und Bebrängniffe ausgegans.
gen find. Freilich, wenn man nur bie Öffentlich bekannt
‚gemachten Erlaſſe der Bundesverſammlung flr bundes⸗
chris haͤlt — dann freilich haͤtten die Bittſteller recht.
Bam haben fie aber nod viel zu wenig gefodere. Nach
der Öffentlichen Bundesgeſetzgebung find jene Proviforien,
wodurch die Preffe beſchraͤnkt wurde, ſaͤmmtlich längft
erlofchen, und jedem Staate flände es demnach frei, bis
jene vor 27 Zahren verfprochene allgemeine deutfche Preß⸗
gefeggebung zu Stande gekommen ift, ſich vorläufig feine
eigene zu geben, ohne alle weitere Befchränkungen, als bie in
eigener ung Auf die karlsbader
Beichlüffe fich zu berufen, iſt aber allemaf eine Thorheit.
Entweder fie find heimlich nicht erneuert und noch ver:
mehrt und bereichert worden; alsdann find fie von felbft
erloſchen und haben keine Guͤltigkeit mehr; oder aber, fie
find durch fpätere heimliche diplomatiſche Wereinbarung
wiederum erneuert und mit zeitgemäßen Zuſatzartikeln be:
veichert, wie diefe® nach der befolgten Praxis ganz unwi⸗
berieglich vor Augen liegt; alsdann ficht man nur in
Blaue hinein gegen einen unbelannten $eind und hat
das allerunglinftigfte Terrain erwaͤhlt.
Auch die badifche Preßgefeßgebung von 1832 ging
nicht über die Larlsbader Beſchluͤſſe hinaus; dennoch
mußte fie zurückgenommen werben, eben aus bundesge⸗
ſetzlichen Ruͤckſichten, welche der Minifler Winter freilich
nicht näher entwickelte, die er aber dennoch handgreiflich
genug andeutete. Auch fpäter hat die badifhe Kammer
genugſam ſich auf Bundesbeſchluͤſſe berufen, wenn fie
Erleichterung der Preffe beantragte. Auf alle fcharffinnis
gen Deductionen Welcker's und feiner Freunde hat man
aber ſtets nur mit einem ziemlich verächtlichen Lächeln
geantwortet, was ungefähr fo viel fagen wollte: Schwatzt
nur fo viel wie Ihr wollt über Dinge, die Ihr nicht
Eennt; wir wifien am beten, was wir bundesgemäß ges
gwungen find zu thun.
Wozu fol man damit hinter dem Berge halten, da
es doch offen am Tage liege? Ein eigentliches Bundes:
vecht gibt es nicht mehr, oder doch nur In den wenigſten
nichtpolitifchen Faͤllen; die frühern Anfäge zur Bildung
‚eines ſolchen find meiſtens laͤngſt antiquire und haben
größtentheile einem diplomatiſchen Belieben der Maͤchti⸗
gern, was nöthigenfalls durch die ultima ratio regum
unterjlügt werden Lönnte, Pla gemacht Wenn mir
überhaupt fortfchreiten, wenn wir beffer und ebier werden
wollen, was ja alle Parteien und Meinungsnuancen
ohne Ausnahme beabfichtigen, fo ift vor allen Dingen
nöthig, daß wir uns beftreben ber Wahrheit die Ehre zu
geben und die vielen conventionnellen Zügen, die ſich in
unfere Öffentliche Sprache, fowie in unfer öffentliches
Recht eingefchlichen haben, zu verbannen und zu ent:
ſchleiern. Die conventionnelle Fiction eines auf Urkunden
gegründeten politifchen Bundesrechts iſt eine folche Lüge;
von oben herab wie von unten herauf beruft man ſich
auf ein folches, und doch wiſſen beide Theile recht gut,
dag e6 nur ein Phantom, nur ein bequemes Aushänge:
ſchild für ihre Wuͤnſche und Abfichten if. Daß bie er-
ſten ſchriftlichen Anfäge unfers Bundesrechts ſchon jest
in der Prarxis beſeitigt find vor der Wirklichkeit und dem
Beduͤrfniſſe nicht Stich gehalten haben, halten wir jedoch
keineswegs für ein Unglüd. Die Grumdiagen, auf weiche
e6 gebaut war, waren zu morſch, zu wenig auf bie wirk⸗
lichen Zuſtaͤnde bafirt, und der Zeit des wiener Con⸗
greſſes mangelte es allerdings an dem Berufe für eine
allgemeine politifche Gefepgebung Deutfchlande.
Laffen mir atfo die Frage, was in Sachen der Preffe
recht und bundesgemäß fei, vorläufig einmal ganz fallen.
Nehmen wir an, daß ein eigentliches Bundesrecht in Dies
fer Beziehung gar nicht eriflire, oder, wenn man lieber
will, doch wenigſtens fo controverd und zweideutig ſei,
daß höhere politiihe Ruͤckſichten jedenfalls bei Entfcheiz
dung Diefer Frage in den einzelnen Staaten den Aus
flag geben muͤſſen. Und fo werfen wir denn dreift und
unbedenklich die Frage auf: Kann- und darf Sacıfen für
fi allein zur völligen Befreiung der Preffe und zur
Aufhebung der Genfur fchreiten ?
Bor Allem kommt «6 dabei auf die Anficht an, die
man überhaupt von der Preffreiheit hat. Es gibt noch
immer eine ‘Partei, ein gewiſſes halb vermodertes Ref
duum früherer engherziger und befchränfter Betrachtungs⸗
weife ber menſchlichen Natur, weiche die Preßfreiheit übers
haupt für ein Unglüd, für gottlos und für die Wucjzel
alles Übels hält, was in der neuen Zeit in die Wett
gelommen iſt. Diefe Partei, die freilich mit jedem Tage.
Keiner wird und die fih allmälig felbft ſchaͤmt, ganz
offen Ihre Meinung auszufprechen, hält die jegige liberale
Aufregung im Allgemeinen und ben Ruf nad, Preffreis
beit im Beſondern nur für vorübergehend; fie betrachtet
die ganze Bewegung als einen unbegreiflichen Schwindel,
als eine augenblidliche higige Krankheit, als einen abnors
men Fieberwahnſinn, deſſen Ginflüfterungen man auf
feine Weiſe nachgeben dürfe. Sie hofft, daß ſich diefes
fogenannte Geſchrei ſehr bald legen würde, fobald nur
das Blut erſt ruhiger geworden fei, und wenn fie auch
eben keine Aderlaͤſſe gegen dieſen entzundlicken Zuſtand
anwenden will, weil eine ſolche entſcheidende Cur uͤber
ihre Kraͤfte geht, fo ſucht fie doch durch mildert nieder⸗
ſchlagende Mittel entgegenzuwirken und wartet auf den
Zeitpunkt, wo nach einer krankhaften Aufregung die im
Laufe der Natur begründete Erſchlaffung eintreten wird,
Wenn die fächfifche Regierung zu diefer Anficht ſich bes
kennte, fo würde fie gewiß ebenfo thoͤricht als gewiſſenlo«
handeln, wenn fie zur. Decbeiführung der Preßfreiheit
freiwillig auch nur den geringſten Schritt thaͤte und
nicht im Gegentheile alle ihr zu Gebote ſtehenden Mit⸗
tel anwendete, um biefelbe zurüdzubalten und zuruͤckzu⸗
Tarnuben. ’
ber die fächfiiche Regierung bekennt ſich nicht
dieſer Anſicht. Das beweift ihr Werfahren —*
Jahren im allgemeinen, das beweiſen die einzelnen Äußes
rungen der Männer, welche an ihrer Spitze ſtehen.
Keine einzige unter allen deutſchen Megierungen bat feit
zwölf Jahren fo aufrichtig, fo confequent und ohne allen
Shdfepritt dem Principe der D in alien- ihren
Handlungen gehulbigt als eben bie fäthfifhe, und hat
dadurch alle frühen confitutionnelen Staaten in Ent:
wickelung eines öffentlichen Gemeingeiſtes in kuͤrzeſter Zeit
überholt. Diefe Thatſache erkeunt jeder Sachſe, erkennt
jeder Deutſche mit aufrichtigem Dante an. Die Ent:
wickelung Sachſens feit zwölf Jahren iſt eine für deut⸗
ſche Berhättniffe wahrhaft wunderbare, und wenn bie ge-
genwärtigen politifchen Zuflände irgend eines Landes dem
deutfchen Patrioten einen freundlichen und wohlthuenden
Anblick gewähren, fo ift es eben dieſes Meine Königreich,
das vor zwölf Jahren hinter den meiften deutichen Staa:
ten zuchdfland und mehr wie alle, außer Oſtreich, in
früheren verjähren Formen erflarrt und verknoͤchert war.
Ohne die durchaus aufrichtige Liebe der Staatsregierung
zum Principe der Öffentlichkeit wäre das fächfifhe Bolt
aber nimmermehr fo weit gelommen. Wenn irgend eine
Staatöregierung mit ungetrlübtem Bewußtſein auf ihr
Wirken zuruͤckſehen kann, wenn irgend eine ſich entſchie⸗
dener, fegnungsvoller Mefultate rühmen darf, fo iſt es
die ſaͤchſiſche. Maͤnner, die fo confequent trotz mancher
Aufehtungen die Bahn eines Öffentlichen Staatslebens
verfolgt haben und die nie irce geworden find, werden
fi gewiß auch dieſes Principe bewußt fein und haben
es ficher zum oberfien Grundfage Ihres politifhen Stau:
bensbekenntniſſes erhoben. Und die Preßfreiheit, iſt fie
etwas Anderes, ald eben das auf alle Gegenſtaͤnde des
politifchen Lebens ausgedehnte Princip der Öffentlichkeit?
Für uns wenigfiens ift e8 daher keinem Zweifel unter:
werfen, daß die fächfifhe Staatsregierung den Ruf der
Zeit nach Preßfreiheit ald wohlbegründet, als nothwendi⸗
ges und bleibendes politifches Beduͤrfniß im Herzen voll:
kommen anerkennt, und daß fie felbft Beinen Augenblid
on ihrem endlihen Durchbruche und Siege in Deutſch⸗
land zweifelt.
(Die Fortfegung folgt.)
Lebenslauf eines florentinifhen Kaufmanns
im 16. Jahrhundert,
¶Beſchlud aus Nr. 8.)
Giovanni verweilte in Florenz ungefäyr drei Monate, und
wurbe dafelbft von vielen wadern Sünglingen und gelehrten
Männern aufgefucht, welche alle den Wunfch hegten, Reuigkel⸗
ten aus den Rändern, wo er gewefen, zu vernehmen. Unter dies
fen wazen Sattanzio Zedalbi*) und Domenico 'Buoninfegni,
weiche die Weltfarte wie die Seekarten und des Piolemäus
Redgrichten vom Drient fehr gut kannten, und fie verglichen
Bicles und ſuchten viele Häfen und Städte auf, welche Bios
venni nannte, und freuten fich deſſen fehr. So war er auch
vielen Freunden PN —— zu Willen und neigt ne im»
mer gutgelaunt, ſoda e gut von ihm redeten. erauf, am
14 Son, 1508, zeifte er von Florenz ab, um nach Brügge zu
ruͤckzukehren. Bis Bologna hegleitete ihn Sarlo ba Terranuova,
ein Weber, der damals uns gegenüber wohnte, unb in Bologna
angelangt, fanden fie Papft Iulius, der dort eingetroffen war,
Lattanzio Tebaldi, ein florentinifer Staatömann und Ge:
Iehrter, war um 1358 geboren. Er war ein warmer Verehrer bed
Boccaccio und ließ in deſſen Wohnort Gertalbo in der Kiche S.⸗
Jatopo, wo der Verf. des „Detamezon” begraben liegt, "feine Mar:
morbuͤſte mit einer Jaſchrift aufftellen.
um bis Faemden aus Italien zu verjagen, wie er auch 9.
Hier blieb Giovanni mehre Tage und fand verließen —
fiſche Edelleute, welche von ihm vernommen hatten; und, wie
Gazio ſpaͤter berichtete, Jeder wollte ihn in feiner Wohnung ha⸗
ben, um ihn von Indien erzählen zu bösen, obgleich Giobanni
vorgezogen hätte, im Gaſthofe zu bleiben, ſtatt Anbern zur Laft
zu fein. Als er von Bologna abreifte, gaben mehre feiner dor⸗
tigen Freunde ihm eine Strecke weit das Geleite. Bei feiner
Ankunft in Enon Tehrte er von neuem bei ben Rafi ein, wo alle
die Kaufleute, die ihn fchon dem Stamen nach fanntın, ihm
große Auszeichnung zu Theil werden liegen. Nach einigen Raft-
tagen feste er fodann mit feinem Diener feine Reife fort. In
Brügge trat er wiederum in das Geſchaͤft der Gualterotti ein
biele Buch und beſuchte die Meſſen, bis ihm ein neuer Auftrag
bes naͤmlichen Oauſes ward, nach Indien zuruͤckzukehren, über.
2000 Willien weiter als das erſtemal, nach einem Lande, weiches
man Malakka nannte. Jene Handelsherren flatteten ihn aufs
befte aus und machten mit ihm bie nämlichen Bebingungen
wie bei feiner erſten Reife. Darauf reife er zur See ab und
kam in die ſpaniſchen Gewäfler, welche febr gefährlich find, nas
mentlich in ungünftiger Jahreszeit. Das Fahrzeug hatte von
Stürmen viel zu leiden, befonders von einem, ber lange anpielt
und fo heftig war, daß Alle ſich verloren glaubten. Sie beteten
und machten viele Geluͤbde, vor allen befahlen fie ſich dem hei⸗
ligen Nikolaus von Bari, Eanct Ermo**) und noch einem an-
bern Heiligen: und da der Sturm anhielt, erfchieren oben am
Maſtkorb drei heile Lichter, welche nach ber Meinung der Schife
fer bie Beiber biefer drei ‚Heiligen find, und als fie biefe Lichter
fahen, faßten Alle Buch. Allmälig iegte ſich das Unwetter und
bie Lichter verſchwanden. In Liffabon angelangt, wohnte er
wieder im Daufe der Affetati. Der König, nachdem er bie Ex⸗
pebition nad) Malakka befchloffen, ließ vier Schiffe dazu aus⸗
vüften, beren Befehl er dem Diego da Basconcellos anvertraute.
Den Theilnehmenden wurden vortheilbafte Bebingungen ger
macht, ba man noch nicht nach jenem Lande gefegelt und «6
folglich ein neues war; unter Anderm erftärte der König Schiffe
und Eeute für frei von ber Gerichtöbarkeit des Generalcapitaing,
ber die portugiefiihen Befigungen in Indien regiert. Am 16,
März 1509 fand die Abfahrt aus dem Hafen von Liſſabon ſtatt;
Siovanni ging als Factor feiner Handelsberren und mit ibas
Lionardo Rardi. Wie es ihm auf diefer Reife erging, brauche
ih nicht zu erzähten, da er felbft in dem Büchlein, das von feis
nen beiden Fahrten handelt, Nachricht bavon gegeben bat. Am
72. Aug. 1912 tam er wieder in Liſſabon an, mit großem
Beichtfum und großen Ehren. Gr machte bie Ruͤckreiſe auf
bem Gchiffe Sant’ Antonio, deffen Gapitain er war, wobei ex
mit großen Schwierigkeiten zu kaͤmpfen hatte, weil es ein ſchon
altes Fahrzeug war. Zwei andere mit Waaren beladene Schiffe
hatte er im Jahre zuvor unter der Obhut des Rarbi abgefandt,
weiche gluͤcklich in den Hafen liefen. Er ſeibſt blieb zulett, um
nichts unbelorgt zurüdzulaflen, und nachdem ex in Liſſabon ein-
getroffen, ließ er bie ganze Sabung, namentlich die Specereien
und den Pfeffer, in einen vom Koͤnige dazu beſtimmten Palaſt
ſchaffen, wie er nach den Bedingungen verpflichtet war. Als er
ſich nun anſchickte, den Gualterotti Rechenſchaft abzulegen und
ihnen die Güter zu überantworten, wie feine Pflicht war, Fam
ihm ein Antrag vom Könige von Portugal, nad der Infel
Sumatra ***) zu gehen, um bort während vier bie fünf Jahren
die Verwaltung feiner Befigungen zu führen. Giovanni konnte
ſich diefem nicht entziehen, denn die Wuͤnſche der großen Derren
find Befehle: fo nahm er denn einen BVorfchlag an, der ihm
Es war bie berühmte Ligue von Gambrai, auf bie hier
Dingebeutet wird.
v., Ermo wirb für eine Abkürzung von Erasmo genommen.
Die Iodcaner fagen gewöhnlih Sant! Elmo, womit unfee Name
des Eimöfeuerd ſtimmt. In Neapel ruft das Gaſtel ©. : Eime
diefen Namen ind Gedähtntf zuruͤck,
*.) rsfama da Empoli hält Sumatra für Taprobana (Geylon).
außer vieler re großen Gewinn verhieß. Da er nun, dieſer
neuen: Reife wegen, feinen Handeisherren keine vollſtaͤndige Rech⸗
nung ablegen konnte, fo übergab ex ſaͤmmtliche Geſchaͤfte dem
Mefler Blovan Francesco Affetati, mit dem Auftrage, ben
Guaiterotti nicht nur ihr Gigenthum zu überantworten, fonbern
auch Alles, was ihm felbft als Theilnehmer am der Unternehmung
am, nebft vielen Edelſteinen und feltenen Dingen, bie er aus
dien mitgebracht hatte. Dabei ertheilte er dem Affetati aus⸗
gebehnte Vollmacht, in allen Geſchaͤften flatt feiner zu handeln
und ihn gu vertreten. .
Nachdem Giovanni dem Könige feine Bereitwilligkeit, als
fein Gouverneur und Factor nach genannter Infel zu gehen,
£undgegeben, fchloß er, als ein vorfichtiger Mann, mit dem Kd⸗
nige einen Vertrag, worin Alles, was er zu thun haben, ſowie
das Verhaͤltniß, in weldyem er ftehen follte, genau angegeben war.
Zugleich bebung er ſich aus, daß er nach Gutbünfen drei von
den Schiffen, die ter König in den indiſchen Meeren für feinen
Dienft hätt, nehmen und mit ihnen nad) dem Lande der Chis
nefen fahren fönnte, um bort Handel zu treiben. Es traf fid
zu jener 3eit, daß Paopft Leo X. einen unferer Landsleute, den
ebrwürdigen Herrn Antonio Pueci*) als feinen Nuntius nad
Portugal fanbte, welchen Bra Benedetto da Fojano, aus dem
Prebigerorben, begleitete. Mit dieſen ſchloß Giovanni Freund⸗
haft und ſchenkte dem Nuntius einen ſchoͤnen Ring, und ba
bei ihm einer feiner Verwandten fidy befand, Benebetto Pucci,
weicher ſehnlich wuͤnſchte die Reife nach Indien mitmachen zu
innen, fo war Giovanni damit zufrieden. Auch ein gewiffer
Aeffandro Galli aus dem Gafentino, welcher vernommen hatte,
daß Siovanni eine neue Reife zu unternehmen bente, machte
ſich mit guten Empfehlungen auf den Weg zu ihm und wurde
von ihm als Diener angenommen. Vor der Abreiſe machte
Giovanni feinen legten Willen, den er durch Notar und Zeugen
befräftigen und fodann verfiegeln ließ. In diefem Zeftament
gab er genau an, was er befaß, und wo und bei wem es ſich
befand, und weldye Foderungen er hatte; ſodann vertheilte er
feinen Beſitz unter Vater und Bruͤdern. Fra Benedetto brachte
dies Zeftament nach Florenz mit und übergab es meinem Bru:
der Lionardo. Unterdeffen zeifte Giovanni am 9. April 1515
von Lifſabon ab und langte, nach einer bald günftigen, bald
ſchlimmen Fahrt, in Indien an, wo er, wenn ich mic recht
erinnere, bis Malalla ging. Als er nun den bortigen Kartoren
berichtete, was er zu thun gefommen und wie er im Auftrage
des Königs nach Sumatra ſich begebe, dafelbft fein Gouverneur
und Factor zu fein, misfiel dies ihnen und fie fagten, es ſcheine
ihnen nicht wohlgethan eine Kactorei auf Sumatra zu errichten,
weil fie der auf Malakka Schaden zufügen würde. Ob fie dies
aus Neid fagten, oder ob es in Wahrheit fo war, weiß id
nicht. Giovanni aber glaubte bes Königs Befehlen nachkommen
zu müffen, feste feine Fahrt fort und kam gluͤcktich ans Ziel.
Nachdem er ans Land geftiegen und bie koͤniglichen Mandate
vorgezeigt, begann er mit den Angefeheniten der dortigen Leute
die Sache zu betreiben. Nach achttaͤgigem Unterhandein betraf
ihn ein Ungluͤck: auf feinem Schiffe kam Feuer aus und es vers
brannte ohne Rettung. Dies und andere Umflände veranlaßten
*) Antonio Pucci, aus einer vornehmen florentiner Bamilie,
murbe 1531 Garbinal (von Santi Quattro) und farb 1544. Nach
der Erfiirmung Roms burch bad Heer bed Gonnetable entging er
mit genauer Notd dem Tode, indem bie Landsknechte ihn nebſt Ans
dern auf dem Campo di Fiore auftnäpfen wollten. (Drei Garbindle
Putci, aus der Beit Leo’8 X. — Giemend’ VIL, alle drei Garbinals
priefier von Santi Quattro Goronati, liegen im Ghor von Gta.:
Maria fopra Minerva in Rom begraben.) Bra Benedetto da Bos
jano (aus einem Staͤdtchen im Chlanathal) fpielte als einflußreider
Veollöredner und Verfechter ber republitanifhen Urundfäge Savona⸗
zola’8 eine nicht unwidtige Rolle während der Belagerung von
Vorenz⸗ 1899 — 3. Nach der Gapitulation ſchleppte man ihn nad
Kom, wo er in den Kerlern ber Engelöburg verbuhgert fein fol.
ihn, auf feinen Plan 8 verzichten: er ging auf bie Brände
der Factoren von Malakka ein, um fo mehr ale das Land, wel:
es fehr fumpfig war, ihm ungefund und die Einwohner von der
Art ſchienen, daß fie fi durch Verträge nicht leicht binden
taffen würden. Go kehrte er nach Malakka zurüd und, der
töniglichen Vollmacht fich bebienend, nahm er drei der dort vor
Anker liegenden Schiffe, um nah China zu fegeln, einem weit⸗
entfernten Lande, über welches der große Khan von Kathai res
giert, welcher, nad) der Ausfage der von bort kommenden Kauf:
teute, ſich für ben mädhtigften Herrſcher der Welt hält. Das
Land grenzt an bie Zatareis die Bewohner geben ſich für
Sreunde der Ghriften aus, find weiße Menſchen wie wir, tras
gen Kleider mit Pelzkragen wie bie Deutfchen, wohnen in um:
mauerten Ortfchaften und Häufern, die aus Ziegeln aufgeführt
find. Ein Theil des Landes ift fehr kalt. Mit Specereien und
Waaren jeder Gattung wird dort lebhafter Handel getrieben.
Am 10. Juli 1517 kam Giovannt am Bord des Schiffes
Spera im Hafen Sindſchi an. In diefem Hafen brach eine
Krankheit, der Duchfall, mit dußerfter Heftigkeit auf ben
Schiffen aus, fodaß in Eurzer Zeit gegen 70 Perfonen flarben.
und e6 gefiel dem Herrn, daß auch unfer Giovanni ein Opfer der
Krankheit ward, mit ihm die beiden Florentiner, die ihn begieis
teten, unb zwei von ben drei Schreibern., Er flarb als guter
Ehrift, nah dem Empfang aller Sacramente und bei vollem Ber:
ftande. Vor feinem Tode bekräftigte er noch durch ein zweites
Zeftament das, weldyes er in Liffabon aufgelegt, und feßte fein
Berhältniß zum Könige und was er biefem fchuldete und zu
empfangen hatte, Elar auseinander. Nachdem er verfchieden,
wurde feine Babe veräußert, und als die Schiffe nady Portugal
zurüdlehrten, wurde ber Erloͤs dort niedergelegt, zur Werfügung
der Angehörigen. Auch feine fämmtlichen Papiere wurden nad
eiffabon zurüdgebracht. Gegenwärtiges habe ih, Girolamo da
Empoli, zu ſchreiben beendigt am 1. Aug. 1530, im vollenbes
ten vierundfiebzigften Jahre. Zu Chr und Preis des allmaͤch⸗
tigen Gottes.
Literarifhe Notizen aus England.
Der Aufenthalt der Königin von England in Edhottfand
bat zu mehren Werten Veranlaffung gegeben, unter denen wol
folgendes das intereffantefte ift: „Queen Victoria in Scotland;
being an historical account of her Majesty’s recent visit to
Edinburgh and ıhe Highlands; illustrated with the picte-
resque scenery and pageantries of the royal tour.” Wit
Bezug auf diefen Beſuch gab auch die Verf. von ‚Modern ac-
complishments‘‘, „Modern society”, „Hill and valley’ u. f. w.,
Katharine Sinclair, heraus: „Scotch courtiers and the court”,
wovon der „„Caledonian Mercury” im uͤberſchwaͤnglichſten Stile
des Lobes jagt: „Unfere profaifihe Feder ift ganz und gar uns
fähig, den unfteten und phantafiereichen Flügen der Verf. Ber
rechtigkeit anzuthun, und kann hoͤchſtens einen unvolllommenen
Abriß der Hauptpunkte des Gedichts geben. Die Anmerkun⸗
gen und Sluftrationen, wollen wir hinzufügen, find nicht der
am wenigften originale Beſtandtheil diefer glänzenden Broſchuͤre.“
—
Militairiihen Inhalts find folgende zwei intereffante Schrif⸗
ten: „Narrative of the campaigns in Scinde and Affgha-
nistan, in a series of letters from the late colonel Dennie,
side de- camp to the Queen etc., with introduction, notes,
and an appendix containing colonel Dennie’s correspondence
with the commander - in- chief of the army of the Indus and
the gavernor - general of India‘ (mit einer Karte); ‚‚Blistory
of the war in France and Belgium in 1815, from the testi-
mony of eye-witnesses, and other sources, exclusive and
authentic. By captain William Siborne, assistant military
secretary to the lieutenant - general commanding in Ireland,
constructor of the Waterloo model’ (2 Bbe., mit Karten
und Plänen). 18.
Berantwortlicher Herauſsgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Werlag von FJ. 3. Brodbeus in geipsie
.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
12. Mär; 1843,
Dritter Artikel.
(Bortfegung aus Wr. 70.)
Die Sachen ſtehen demnach im jegigen Augenblide
fo: Die fächfifhe Staatsregierung glaubt an bie Preß⸗
freiheit, an die moraliſche Vortrefflichkeit und politiſche
Nothwendigkeit dieſer Maßregel. Das ſaͤchſiſche Volk iſt
in ſeiner Entwickelung des oͤffentlichen Staatslebens jetzt
dahin gelangt, daß es die Feſſel der Cenſur jeden Tag
tiefee und fchmerzlichee in feinem moralifchen Bewußtſein
empfindet und daß eine laͤngere Verweigerung geſetzlicher
Preßfreiheit bei feinem jetzigen ſittlich⸗politiſchen Zuſtande
ihm als die drückendſte Despotie erſcheint. Ein Bundes:
recht ſteht ferner der Befriedigung dieſes fittlichen Be:
därfniffes nicht direct entgegen, wie wir oben angedeutet
haben. Und dennody weigert ſich die fächfifche Regierung,
die Cenſur aufzuheben und ihrer eigenen beften Liber:
zeugung fowie der Überzeugung ihres Volks nachzuleben.
Welcher mögliche Grund läßt fi als Erklärung fo
auffallender und betrübender Erfheinung annehmen? Wir
glauben die Wahrheit zu treffen, wenn wir offen aus
fpeehen: Es find biplomatifhe Rüdfichten, melde
die fächfiiche Staatsregierung von der Verwirklichung ih:
see eigenen Überzeugung abhalten. Es gibt allerdings
Staatsmänner, welche mit dem Worte „biplomatifche
Kückſichten“ Allee gefagt zu haben glauben, welche in
diplomatiſchen Ruͤckſichten einen Entfhuldigungsgrund
für jede Unterlaffunge s ober Begehungsfünde finden
und denen da6 Wort „‚diplomatifhe Ruͤckſichten“ eine
letzte, heilige, inappellable Inſtanz, ein myſtiſches noli
me tangere, eine wunüberwindlihe Verſchanzung iſt,
hinter die fie fich ſtets ungefaͤhrdet zurückziehen können.
Diefe Staatsmänner, die vor einem misbilligenden Worte,
geiyeochen in höhern diplomatifchen Cirkeln, die vor einem
alten Empfange, vor einer augenblidlichen Verſtimmung,
vor einer bingeworfenen Drohung mehr erzittern wie vor
ber Erſcheinung des leibhaftigen Teufels, die ihr Gewiſ⸗
fen und ihre Überzeugung nicht in eigener Bruſt ſitzen
haben, fondern beides ſich aus jenen Cirkeln holen, welche
den politifhen Zuftand der Gegenwart nicht in ben Bes
dhrfaifien der Völker, fondern in den Neigungen und
Abneigungen einiger befleenten Herren esbliden, biefe
Staatsmaͤnner find nicht die wahren Staatsmänner, und
zu dieſen Staatsmaͤnnern gehören die fächfiihen Staats:
männer nit. Wenn die fäcfifchen Minifter ihrem Wolke
die Befriedigung eines Bebürfniffes verweigern, welches
ihnen in Zeit und Gultur volfiändig begründee erfcheint,
fo muß eine reelle Furcht vor reellen Nachteilen fie das
von abhalten. Unterfuhen wir daher, ob fie nicht den-
noch vielleicht irren, und auf welcher Seite bleibendere
und reellere Nachtheile liegen, auf der Verweigerung eines
zeitgemäßen Fortſchritts oder auf Nichtachtung jener diplo⸗
matifhen Rüdfichten.
Die diplomatifhen Rüdfichten beziehen ſich auf die
Verhältniffe des Volks nach außen, auf fein Verhaͤltniß
zu andern Staaten und Völkern, für Sachſen in biefem
Falle beſonders auf fein Verhältniß zu den übrigen Stan:
ten des deutfhen Bundes. Im Allgemeinen wollen wir
nicht leugnen, daß der größte Gewinn, den ein Volt durch
ein wichtiges, zeitgemäßes Gefeg erhalten kann, durch
äußere Nachtheile, dadurch, daß es in feindfelige Verhaͤlt⸗
niſſe mit den übrigen Bundesftaaten geräth, fodaß felbft
feine äußere Sicherheit, feine Eriftenz bedroht werden
Eönnte, unter gewiſſen Umfländen völlig aufgewogen mer:
ben dürfte, und daß es raͤthlich fein möchte, eine nody
fo heilbringende innere Maßregel vorläufig aufzuſchieben
und zu unterlaffen, wenn man vorausfiehbt, daß man
dadurch in aͤußere Gonflicte geriethe, deren Folgen wahr:
ſcheinlicherweiſe die ganze Eriftenz des Staats beeinträch:
tigten. Iſt aber diefe Alternative bei der Preßfrage für
Sachſen wirklich vorhanden? Welches find die unglüdli:
hen Solgen, welche die ifolirte Ertheilung der Preßfrel:
heit für dieſes Land nach fich ziehen Eönnte?
Die erſte Möglichkeit wäre ein Krieg der übrigen
beutfhen Bunbesftaaten gegen Sachen, um «8 zu zwin⸗
gen, feine Preßfreiheit wieder zu fuspendicen. Ein fols
her Krieg in Sachen ber Preßfreiheit ift in Deutſch⸗
land aber eine moralifhe Unmöglichkeit. Selbſt der ab:
folutiftifchfte Minifter, der die Preßfreiheit verabfcheut
wie ben leibhaftigen Gott fei bei uns, würde in dieſem
Augenblide einen ſolchen leidenſchaftlichen, unmöglich aus⸗
führbaren Entſchluß nicht zu fallen wagen. Wenn bei
einem folhen Kriege irgend ein Land gefährdet wäre, fo
wäre e6 wahrlich nicht Sachfen, fondern eben das Land,
welches dieſen Krieg begoͤnne. Ein Krieg muß heutzus
tage — fo weit find wir Gottlob gekommen — gerecht
282
und volksthuͤmlich ſein. Einen Krieg zu führen zur Uns
terdruͤckkung eines Gutes, welches bem Kerne des deutſchen
Volks. durchaus ald wünfhenswerth, als nothwendig, ale
heitigfte Gewiſſensſache exfcheint, wäre eine baare Unmöy:
lichkeit.” In einem ſolchen gar nicht denkbaren Falle
wäre der kleinſte Staat, der die Öffentliche Meinung von:
ganz Deutfchland und bie allgemeinfte Begeiſterung für
fi) hätte, unbedingt der mächtigere und die Ohnmacht
dee Gegner würde fih auf das eclatantefte herausftellen.
Blutvergießen zur Unterdrüdung der Preßfreiheit und zur
Unterdruͤckung eines fouverainen (sit venta verbo) Staats,
weil ee feinen Unterthanen Preßfreiheit geſchenkt, ift ein
fo ertrauaganter Gedanke, daß die bloße Annahme feiner
Möglichkeit ſchon eine Art Wahnfinn vorausfegt. Ein
Krieg mit den Waffen in der Hand gegen die Preffret:
heit ift eine ebenfo große Unmdglichkeit wie ein Krieg
gegen das Chriſtenthum ober gegen eine der großen Con⸗
feffionen deffelden. Wir wollen baher auch weiter Beine
Worte verlieren, um die gänzliche Unbegründetheit einer
ſolchen Zurcht auseinanderzufegen und nur unfere Über:
zeugung ausfprechen, daß diefe biplomatifhe Furcht bei
den fächfifchen Miniſtern ficher nicht vorhanden iſt.
Außer dem directen Kriege mit Pulver und Kanonen
gibt es aber noch eine andere Art von Unterdrüdung,
einen indirecten Krieg, den man in unfern Tagen leider
dann und wann angewendet hat und ber bei einer ge:
wiffen Claſſe von Diplomaten nicht unbeliebt zu fein
feine. Es iſt diefes der Krieg, den man dem Nah:
sungsflande des Landes macht, ein Krieg duch allerlei
Chikanen, durch Zölle, die man um das feindliche Land
legt, ein Blockade⸗ und Aushungerungskrieg. Unſer chriſt⸗
licher Staat ft noch fehr reich und erfinderifh an un:
chriſtlichen Mitteln und die Marime: der Zwed heilige
das Mittel, ift in unferer praktiſchen Politik noch fehr
vorherrfchend. Man will den chriftlichen Staat von Sei:
ten der Unterthanen, die höhere Politit und ihre Agenten
find aber an bie Vorfchriften des Chriftenthums nicht
gebunden. Um Sachſen für feine Preßfreiheit zu beſtra⸗
fen, um es zur Defperation zu bringen und feinen eige:
nen Willen zu brechen, koͤnnte man alfo vieleicht ben
Zollverein mit ihm aufheben, Eönnte es mit einer un:
‚ burchdeinglichen Sperre von Mauthbeamten umziehen,
wodurch jeder Austauſch von Producten unmöglich ge:
macht würde; man koͤnnte ferner feine Unterthanen in
den Übrigen deutfchen Staaten rechtlos machen, ihnen
Das Meifen dorthin verbieten u. f. w. Aber auch diefe
durchgreifenden Maßregeln find ebenfo unmöglich wie ein
Disectee Krieg. Abgefehen von der Humanität ber übrl:
gen deutfchen Regierungen, bie folhe Maßregeln nicht
‚mehr mit ihrem Gewiſſen vereinbar finden wärden, duͤrf⸗
ten fie an der Öffentlichen Meinung ebenfo ſicher fcheitern
und gänzlich unausführbar fein. Die Wunden, die man
Sachfen auf folche Weife fchlüge, fchlüge man mehr oder
weniger auch fich ſelbſt und feinen Unterthanen, und biefe
würden fchwerlich damit übereinflimmen, daß man Ihren
Wohlſtand ruinire, um die Preßfreiheit Sachfens zu un:
terdruͤcken. Im Gegentheil würbe ſich ein ſolches Fame
mergefchrei erheben, daß man ebenfo wenig bie gehörige
Zahl eifenfefter Zollbeamten zur Ausführung einer folden
Maßregel finden würde, als es ſchwer geweien fein würde,
ein ſchlagluſtiges Heer zur Eroberung Sachſens zuſam⸗
menzutreiben. Auch einen folchen Gedanken würde daher
fein einziger bdeutfcher Staatsmann nue momentan aufs
greifen, und die diplomatifche Furcht vor dergleichen Maß-
regeln ift den ſaͤchſiſchen Miniſtern gewiß ebenfo fern.
Es bleibt. fonah nur noch ein britter dipfomatifcher
Abhaltungsgrund übrig, und wir vermuthen faft, daß
diefee ein wirklicher ift und fi nur zu fehr geltend
madt. Durch einen foldyen eigenmächtigen Schritt Sach⸗
ſens, wie‘ die Einführung der Preßfreiheit ohne Einver:
ftändniß der Übrigen deutfchen Regierungen wäre, würde
alerdingd das freundliche Verhaͤltniß der fachfifhen Mi⸗
nifter mit einem großen Theile der übrigen beutfchen
Diplomatie für den Augenblick fehr geflört werden. Gar
manche Empfindlichkeit würde ſich in dem diplomatifchen
Geſchaͤftsgange geltend machen, manches ilaatsmännifche
gute Einverſtaͤndniß wuͤrde unterbrochen werden, manche
diplomatiſche Verhandlung in andern Fragen würde fürs
erfte erfchwert werden. Mir leugnen nicht, Daß biefes
ſchmerzliche Folgen für einzelne ſaͤchſiſche Staatsmänner
wären, und mir fchlagen ein foldhes Opfer, was fie ih:
vem Vaterlande brachten, nicht fo gering an, wie viel⸗
leicht manche unferer jüngern Patrioten es thun würden,
Allein es fragt fi), ob fowol die untergeordneten Nach⸗
theife, die daraus für den diplomatifchen Verkehr Sarke
fens für den Augenblid entflünden, fowie die einzelmen
perfönlichen Unannehmlichkeiten für bie fächfifden Dipto⸗
maten irgend in Betracht kämen gegen die durchgreifens
den und fegensreichen Ergebniffe einer fo wichtigen Erobes
rung, als es bie Preßfreiheit für Sachfen wäre, und biefe
Trage glauben wir unbedingt mit nein beantworten zum
dürfen. Ihr gutes Bewußtſein muß bie fähfifchen Mi⸗
nifter für augenblickliche Kälte in den bdiplomatifdyen Ger:
Eeln entfhädigen; der Segen des Volke, das Zujauchgen
von ganz Deutfchland und das erhebende Gefühl, ſeine
von der Weltgefchichte auf die Schultern gelegte Aufgabe
großartig und männlich erfüllt zu haben, wiegt ſchwerer
in der Wagfchale als einige aufgeopferte Freundſchaften
and ein augenblickliches Alleinſtehen. Die fächfifchen Staats:
männer werden von ber ſchlecht unterrichteten Diptomatie
an bie beffer zu unterrichtende Diplomatie appelliren kaͤn⸗
nen; da fie die Zufunft auf ihrer Seite haben, fo wird
fih auch der diplomatifche Riß heilen laſſen ımd eine
fpätere Diplomatie wird in vielleicht fehr kurzer Zeit dem
Schritte Sachſens Gerechtigkeit widerfahren laffen. Die
Diplomatie bat jetzt keine Zeit, lange nachzuttagen; auch
bei ihr iſt die Gewalt der Dinge flärker als einige ſub⸗
jeetive Antipathien; fie muß die Dinge nehmen, wie fie
find, und findet fich zulegt wohl ober übel ebenſo Leiche
in einen fchon gefchehenen Schritt, als fie ſchwer dahin
zu beingen ift, ihre Einwilligung vorher zu ertheilen.
Da wie einmal nad möglihen Einwandsgründen
fuchen, die: den Miniſtern Sacfens zur Seite ſtaͤnden
bei längerer Borenthaltung der laut und allgemein ge:
a)
wöünfchten Preßfreiheit, ſo wollen wir unfere Phantafie
anftrengen, um moͤglich noch andere aufzufinden, denn es
it natuͤrlich nicht unfere Abficht, irgend einer Trage aus
dem Mege zu gehen. Wir wollen vielmehr jeder Schwie:
rigkeit ehrlich ind Angeſicht bilden und die thörichte An:
nahme einer Überrumpelung durch einfeitige Darftelung
ift uns fen. So fällt uns ein, wie man einwerfen
fönnte, daß die Einheit Deutfchlands gefährdet würde,
wenn bie einzelnen Staaten in fo wichtiger Angelegenheit
ohne Einflimmung dir übrigen handelten, und daß eben
diefee Einheit wegen die Finzelüberzeugung zum Opfer
gebracht werden müßte.
Die Einheit Deutſchlands ift wol überhaupt mehr in
ber Anlage vorhanden, als daß. fie bereits vollftändig und
lebendig entwidelt wäre. Kein Menſch lebt in Deutſch⸗
land, das fagen wir ohne Ruhmredigkeit, dem diefe leben:
dige, tief organifhe Einheit Deutſchlands heiliger, dem
fie ein theuerer Hetzenswunſch, eine fehnfüchtigere Hoff⸗
nung wäre, als ber Verf. dieſes Aufſatzes. Jeder Schritt,
der zur Entfaltung und Entwickelung dieſer Einheit führt,
hat unfere tieffte Sympathie. Aber wir find der Anficht,
daß bei der jegigen unentwidelten und verwortenen Lage
dee Dinge und Zuftande in Deutfdjland, bei den fo ver:
fchledenartigen lberzeugungen . und Anſprüchen einzelner
Regierungen untereinander ſowie ihren Völkern gegenüber
ein völlig einftimmiges Handeln für ben Augenblid nicht wohl
möglich ift, und daß, wenn man darauf warten wollte,
ein abfoluter Stillſtand eintreten koͤnnte, der bei der draͤn⸗
genden Bewegung der Beifter auf der andern Seite zu:
letzt nur zu einer noch größern Uneinigleit führen müßte.
Wir fegen aud die Einheit Deutfchlands, wie fie jegt
beſteht, keineswegs allein in die lofen und leicht zerreißbaren
Bande, welche die Diplomaten der einzelnen Länder heim⸗
ih um fich gefchlungen haben, ſondern wir fegen fie in
die gemeinfchaftlichen Lebensbedingungen, in gemeinfchaft:
tichen Charakter, gemeinfchaftlihe Sprache, gemeinfcaft:
Eiche Gefchicyte und Bildungsſtufe der deutfchen Voͤlker,
fowie vor Allem in die gemefnfchaftlich = politifchen Be⸗
dürfniſſe derfelben. Sind wir einmal überzeugt, daß ic:
gend eine Maßregel entfchiedenes politifchee Beduͤrfniß für
ganz Deutfchland iſt, fo ‚glauben wir auch, daß diejenige
Regierung, welche zuerſt diefe Maßregel in ihrem Lande ein:
führt, im Sinne der wahren deutſchen Einheit Handelt, felbft
auf Koſten einer augenblidlihen diplomatifchen Uneinigkeit.
Die Preßfreiheit it uns nun eine ſolche Maßregel;
fa, wir fehen gar nicht ab, wie ohne dieſe eine wire:
tige, einheitliche, organifche Durchdringung ber verfchiede:
nm Volksindividualitaͤten Deutſchlands je ſich geflalten
inne. Sie ift uns bie erfte conditio sine qua non
ber Einheit, was bier weiter auszuführen der Raum nicht
geflattet und einem befondern fpätern Artikel vorbehalten
fin mag. Die Regierung, welche alfo folhe Maß—⸗
regeln nimmt, baß die erſte Grunbbedingung deutfcher
Einheit, freier Austaufh der Gedanken, fo ſchnell wie
moͤgtich in ganz Deutſchland erfüllt wird, verfündige ſich
wahrtich nicht an diefer Einheit, ſondern wird ihr Wohl⸗
thaͤter und Befoͤrderer.
Und gewiß, ſobald Sachſfen Preßfreiheit pre ,
Hi diefe Frage auch für das übrige Deutfhland — Oft:
reich ausgenommen, was wir hier. tote auch fpäter ganz
außer Betracht‘ Laffen werden — buchaus und vollflän-
big entſchieden. Bei dem jepigen allgemeinen Drange
nad Preßfreiheit bedarf e6 nur eines einzigen Staats,
der fie vermirklicht, und die übrigen müffen nachfolgen.
Side Sachfen feinen Unterthanen Preßfreiheit, fo befchentt
es ganz Deutfchland damit. Bei folchen durch die Zeit
zur Überreife gebrachten Bedürfniffen bedarf es nur des
leifeften Anſtoßes und bie Frucht fällt: vom Baum.
Wenn bie Sonne von 1843 die ſſaͤchſiſche Preßfreihelt
befeint, fo beleuchtet die Sonne von 1844 aud die
preußifche und bairiſche. Abgeſehen alfo von dem allge:
meinen Einfluffe der Prefreiheic auf die Einheit Deutſch⸗
lands, würde auch in Sachen der Preffe ſelbſt allein
und für fi eine fchnellere und durchgreifendere Einheit
in den Maßregeln der verfhiedenen Staaten entftehen,
wenn Sachſen hier einmal den Alerander fpielte und: den
gordifhen Knoten, auf deſſen diplomatiſche Loͤſung wir
nody lange warten könnten, mit einem f£ühnen Streiche
zerhiebe. Ein Schritt, der fo ſchnell zur Einheit im
Wefentlihen in biefer Beziehung führte, würde ſchwerlich
ein Angriff auf die Einheit genannt werden Bönnen.
Bis jegt haben wir nur der Einwendungen gedacht,
die man gegen Ertheilung der Preßfreibeit für Sachfen
machen Eönnte. Jetzt noch einige Gründe, die für die
Sreigebung derfeiben in biefem Augenblide fprehen. Wir
enthalten uns dabei jeder allgemeinen Apologie der Preß⸗
freiheit überhaupt und fegen voraus, daß Negierung und
Stände beide im Allgemeinen mit dem Sage einverſtan⸗
den feien: daß Preßfreiheit ein gutes und zeitgemäßes
Ding ſei. | |
Unfer erfter Grund iſt der jegige Zuſtand der Preffe
in Deut[hland. Die Petition bezeichnet Ihn als einen
unerträglichen und fie bat Recht, wiewol nicht in dem
Sinne, wie fie es meint. Sie fpriht nämlih von Ruͤck⸗
fhritten in Handhabung der Genfur, die namentlich die
fähfifhe Regierung fih habe zu Schulden kommen laf:
fen. Entweder irrt fie hierin oder fie fagt eine abficht:
liche Unwahrbeit. In Preußen ift allerdings ein ungleich
größerer Fortſchritt in Beziehung auf Liberale Genfur ges
macht mie in Sadfen. Das kommt aber daher, weil
Sachſen fhon früher ein nachfichtigeres Genfurfpftem bes .
obachtete wie Preußen, und daß alſo bort der Sprung
niht fo groß und in bie Augen fallend fein konnte wie
bier. Um mid eines analogifchen Vergleich gu bedienen,
fo herrfchte in Preußen unter der Regierung des verſtor⸗
benen Könige ein voͤlliges Prohibitivfpftem, was politifche
Riteraturerzeugniffe anbetraf, in Sachſen dagegen nur ein
gewiſſes Schutzſyſtem gegen fogenannte gefährliche oder
misliebige Artikel. Preußen ift von bem Prohibitivſyſteme
zum Schutzſyſteme übergegangen — ein ungeheuerer Schritt
von den unberehenbarften Folgen —, Sachſen ift bei ſei⸗
nem Schutzſyſteme geblieben, aber man würde fehe unge:
recht fein, wenn man nit anerfennen wollte, baß auch
biefe® im gegenwärtigen Augenblicke ungleich milder und
liberaler geworden, als es vor einigen Jahren war. Man
Iefe nur die Zeitungen und andere Zeitfchriften, die heute
in Sachſen erfcheinen, und vergleiche ihre Sprache und
ihren Inhalt mit Dem, was fie vor drei Jahren bringen
durften, und man wird den Fortſchritt in milderer Hand⸗
habung dee Genfur anerkennen müffen. Aber die Anfo:
derungen des Publicums und dee Schriftfteller find in
noch fläckerer Progreffion gewachſen wie die Exleichteruns
gen der Cenfur, und daher kommt «6, daß man dieſe
Feſſel noch druͤckender fühlt, daß fie noch unerträglicher
ift wie damals.
(Der Beſchluß folgt.)
Romanenliteratur.
1. Georginen. Novellen, Rovelletten und Humoresken von D.
E. R. Belani. Zwei Theile. Leipzig, Zaubert. 1842.
2. Die Gelpieien der Prinyeffin. Novelle von Penferof
. Die Gefpielen der Prinzeffin. Novelle von Penferofo.
Zwei Bände, Leipzig, Wienbrad. 1842. 8. 3 Thir.
3. Der Proceß. Gefchichtlicher Roman von Wilbelmine
Lorenz. Drei Theile. Leipzig, Wiendrad. 1842. 8,
3 Thlir.
4 Sub und Herz. Roman von Julian Ehownit. Zwei
Bände. Leipzig, Wienbrack. 1842. 8. 2 Thlr. 15 Ngr.
5. Epheublätter. Geſchichtliche Erzaͤhlungen, Novellen, Sagen,
Märchen, Arabesten und Humoresken von Karl Gerber.
Zwei Bändchen. Marburg, Eiwert. 1841. Gr. 12. 1Thir.
10 Rear.
6, Die Ruine Schnallenftein. Novelle von Auguft Maria
Franz. Habelſchwerdt. 1841. )
7. Das Bulgarenmaͤdchen. Erzählung aus dem 13. Jahrhun⸗
dert, mit vier Bildern. Der Ward bei Straßburg, Novelle.
Bon Fr. K. Nowak. Prag, Mayregg. 1841. 12.
12%, Nor.
Im äfthetifchen Gebiet übt ber Staat eine unverantworts
liche Toleranz. Das Unfitttiche verbietet er, das Irreligioſe
verpönt er; das Unfchöne aber, ja felbft das Pofitiv « Häpliche
laͤßt er fiy breit machen, wo und wie e8 Luft hat, und nimmt
zu demfelben eine fo indifferente Stellung ein, als ftehe es wirt:
lich zu ihm in keinerlei Beziehung. Schlimm genug, daß er
ſich die unſchoͤnen Probuctionen von der Natur muß gefallen
laffen — warum aud von der Kunſt? Die Kunft ift ‚nur
da, um etwas Schönes zu produciren; fobald fie alfo Häßtiches
bervorbringt, wird fie zum Unding, zum Widerſpruch in ſich,
und jeder Widerſpruch in ſich iſt Etwas, was der Staat nicht
als eiwas Poſitives darf gelten laſſen. Er darf es nicht gelten
laſſen, einmal, weit ſich fein pofitiver Charakter nicht mit einer
reinen Negation, feine auf Harmonie gegründete Natur nicht
mit einer abfoluten Disharmonie verträgts fodann, weil fein
letzter Zweck vernünftigerweife nur ber fein kann, die Menſch⸗
heit auf den möglich» hoͤchſten Standpunkt der Humanität zu ir⸗
beben, und weit ein folder Standpunkt ohne Pflege des Edeln
und Schönen gar nicht gedacht werden kann. Will ſich alfo
der Staat nicht felbft im Wege ftehen, fo muß er nothwendig
au auf die Entfaltung der Kunft und ganz befonders der
Poeſte und fogenannten ſchoͤnen Literatur fein Augenmerk rich⸗
ten und biefelbe fo ie leiten fuchen, daß fie ſich nit am Schoͤ⸗
nen, ſtatt es zu foͤrdern, auf das gewiſſenloſeſte verſuͤndige.
Er uͤberlaͤßt ſie aber in dieſer Beziehung ganz ſich ſelbſt, und
ſo darf mit jeder Meſſe ungehindert und ungeſtraft der litera⸗
riſche Markt mit einer Flut von belletriſtiſchen Machwerken
aberſchwemmt werben, mit deren Recht, unangefochten zu exiſti⸗
RE
ven, es in ber That nicht beffer beftellt if, als mit bem ber
Motten, Raupen, Wanzen u. f. w., von benen Goethe fagt:
„Laßt fie nur Alle, fo frißt Einer den Anderen auf.” Ob aber
der Staat in feinem hoͤhern Bewußtfein ebenfo nachſichtig fein
darf wie bie Natur in ihrer Naivetät, fragt fih. Sol er auch
nirgend von vorn herein hemmen und ber freien individuellen
Entfaltung mit Gewaltmitteln entgegentreten, fo fol er doch
leiten, und dies kann er in biefer Sphäre nur dadurch, wenn
er das wirklich Schöne dermaßen fördert und ehrt, das Un⸗
ſchoͤne aber in ſolchem Grabe verachtet und nöthigenfalls ſtraft,
daß damit dem Unfchönen das Gleichgewicht geraubt, dem Schoͤ⸗
nen aber auf biefe Weile von feibft das Übergewicht gege⸗
ben wird.
Wenn Ref. geftcht, daß ihm die Nothwendigkeit eines
Eingriffe von Seiten des Staats in die Pertbildung ber Liter
ratur befonders bei Lefung obengenannter B fühlbar ger
worden ift, fo hat er damit bereit fein Urtheil über fie abges
geben. Sie gehören fämmtlih in die Kategorie berjenigen
Schriften, weldye beffer ungefchrieben geblieben wären, weiche
dadurch, daß fie unnügerweife eine Maſſe von Zeit: und
Getdkräften für fih ufurpiren, daß fie den beffern Werken
theils die Bahn verengern, theils fie ganz unter ihrer Flut bes
graben, daß fie die Poefie zu einem Handwerke erniedrigen,
daß fie ben Gefchmad verderben, überfpannte ober gemeine, jes
denfalld ober falfche und verſchrobene Lebensanficdhten unter bas
Publicum bringen, kurz nach allen Seiten hin ein feines, lang⸗
fam tödtendes Gift außftreuen, einen unberedyenbaren Schaden
ftiften und deshalb durchaus auf die Toleranz, bie der Staat
gegen fie ausübt, keinen Anfprudy zu machen haben. Wer dies
Urtheil zu bart finden follte, mag fich ſeibſt davon überzeugen.
Bei Nr. I wird er es unbegreiflidh finden, daß ein Mann wie
Belani, der offenbar nicht ohne alles Zalent ift, zu einer fols
hen Bodenloſigkeit von Riebrigkeit und Gemeinheit berabfinten
kann, als es in mehren biefer „Georginen“ geſchieht; in Nr. 2
wird er eine ſolche Cumulation von Fadheit und totaler Inhalts:
tofigkeit antreffen, daß er von jest an an einem leeren Raume
nicht mehr zweifeln wird; Nr. 3.wird ihn in die Zeiten der
ordinairften Nitterromane zurückverfegen; Nr. 4 wird ihm als
Mufter eines modernen Sansculottismus erfcheinen; Nr. 5
wird ihm mit feinem gefchraubten, abgequälten Humor ganz
ungenießbar werden; Nr. 6 und 7 wird er von vorn herein,
wenn cr nur zwei Beilen, ja nur ben Zitel gelefen, bei Seite
werfen. Sind auch diefe Werke nicht alle gleich verwerftidy, fo
kommt es bo auf etwas mehr ober weniger Verſuͤndi⸗
gung hier nicht an. Ihre Verf. haben ſaͤmmtlich den hoͤhern
Zwed ber Poefie aus dem Auge verloren, alle ihre Producte
tragen den Stempel von Kabrilarbeiten — und darum haben
wir geglaubt, fie hier ebenfo fabritmäßig abfertigen zu müffen.
Literarifhe Notiz.
Wie weit fi das Bebürfniß nach Publiciſtik verbreitet
und immer mehr anwaͤchſt, dafür ift ein fehlagender Beweis,
daß fogar bei den fonft fo gleichgäitigen Indern Journale ents
fieben und ihren Kortgang haben können. Zu Bombay allein
erfcheinen vier Zournale in der Guguraliſprache für die Parfis,
zwei in mahrattifchem Dialckte für bie Hindus und zwei in bins
doftanifhem Dialekte vorzugsweile für die Wufelmänner. Bon
den Iestern heißt das eine „Akhbar Daftar Jazira-d& Bombay
(etwa: Neuigkeitöbote der Infel von Bombay), das andere
„Taza Bahar” (Der neue Krühling). Sie find lithographirt
und erſcheinen einmal in der Woche in Kieinfolioheften zu zwei
oder drei Bogen; eigentlich politifche Artitet enthalten fie aller-
bingt nicht, aber eine um fo größere Menge von localen Reuige
tten. .
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. U. Brodpausd in Leipzig.
Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
Montag,
— Ir 72, ——
13. März 1843.
Politifche Literatur der Gegenwart in Deutfchland.
Dritter Artikel.
(Beſchluß aus Nr. 71.)
Noch auffallender gibt ſich dieſe Erfcheinung in Preu:
fen kund. Bis zum Tode des verftochenen Königs
berrfchte dort die Ruhe des Kichhofs, man war in la
Trappe, es gab gar keine politifche Literatur. Wie mit
einem Zauberfchlage haben der feeifinnige Wille des jetzi⸗
gen Könige und das ernſtlich gemeinte milbere Genfur:
edict eine Maſſe von potitifhen Blättern und Pamphles
tem hervorgerufen, beren oppofitionneller Ton in fo auf:
fallendem Gegenſatze mit der frübern lammfrommen Arie:
cherei ſteht, daß ein Auslander Preußen gar nicht wieder:
ertennen würde. Diefe wunderbare Veränderung, welche
fetbft die Lühnften Wünfche des fanguinifchflen Oppoſi⸗
tionsmannes übertreffen, hat bie preußifche Preſſe dennoch
keineswegs zufrieden geftellt, ihre Klagen merden trogbem
immer lauter und dringender, und jegt erſt, da bie Feſ⸗
fein etwas weniger ftraff angezogen find, fcheint man ih:
ren Drud recht ſchmerzlich und lebhaft zu empfinden.
Man nenne das nicht Undankbarkeit. Es gibt gewiß
fehe viele umdankbare Leute unter dem fchreibenden und
leſenden Publicum, aber in diefem Kalle, was die Preſſe
anbetrifft, läßt fich die Sache natürlicher und milder er⸗
klaͤren. So lange ein „Prindp, eine Idee mit Gewalt
niedergehalten wird, ſodaß gar Feine freie Lebensregung
übrig bleibt, fo Lange tft fie ſich ihrer ſelbſt kaum bewußt,
fie wagt weder an ihre Hoffnungen nod an ihre noth⸗
wendigen Gonfequenzen zu glauben. Im Tode ruhen alle
Wuͤnſche, erft mit dem Leben erwachen fie. Voͤllig nies
derhalten mit äußerer Gewalt laͤßt ſich allerdings auf eis
nige Zeit ein moralifches Beduͤrfniß; es ſchlaͤft alsdann,
es träumt nur und wächft felbft in biefem Traumzuſtande,
aber dieſes Wachfen iſt äußerlich nicht erfennbar und ihm
ſelbſt unbewußt. Wird aber dann die Grabesdecke abge:
nommen, ſtroͤmt ploͤtzlich frifche Lebensiuft dem Schlum⸗
mernden ins Antlis, fo erfieht mit einem Male ein uns
gefchlachtes Riefenkind, das während feines Schlafes Kräfte,
aber keine Bildung befommen hat, die nur aus vernünfs
tiger Übung der Kräfte erwachfen kann. Das iſt ein
ud, der Sklaverei, daß die Folgen berfelben felten auf:
die fchuldigen Urheber, fondern auf die wohlmeinenden
Machfolger zuruͤckfallen. So lange, wie ich lebe, wird es
wol noch fo fortgehen, fagte Ludwig XV., aber wie wird
ſich mein Nachfolger aus der Klemme ziehen?
Und in der That, der Zufland abfoluter Knechtfchaft
ift erträglicher, als der Zuſtand einer halben, von ber
Willkür abhängenden Freiheit. Wenn ich die Wahl habe,
ob ich unter lauter Stummen auch zum Stillfchweigen
verurtheilt fein fol, oder ob ich Tieber in geiftveicher lebens
diger Gefeltfchaft über die wichtigften Gegenſtaͤnde freilich
mitfprechen darf, mir aber jeden Augenblid gefallen Laflen
muß, daß man mir in die Rede fält, daß man mir dem
Munt verbietet, wenn ich eben meinen beften Beitcag zur
Gonverfation geben will, fo ziehe ich das erftere vor. Dort
tefignire ich mich, ein für allemal, und ich komme durch
meine Umgebungen tmeiter in keine Verfuchung; ich fühle
mic im Allgemeinen wol niebergedrüdt, ungluͤcklich, aber
es ift diefes ein einziges dDumpfes Unglüdsgefühl, was die
Gewohnheit allmälig abftumpft, freilih auf Koften meis
nes beften Lebensgefühle. Aber unerträglich ift die Lage,
die mic, jeden Augenblid zu einer lebendigen Lebensäußer
rung anregt, mic dazu aufmuntert, auf alle möglidye
MWeife anſtachelt und mid dann immer wieder ploͤtzlich
und undermuthet in mein Nichts, in das Bewußtfein
meiner Abhängigkeit zuruͤckwirft. Ein. ſolches Verhaͤltniß,
wie das letztere, ift eine immer erneute Qual; jede Mis
nute ein Dolchſtich. Immer von neuem regt «6 Hoffe
nungen an und immer von neuem täufcht es fie; es vers
weift mich zur Ruhe und fodert mich alsbald wieder zur
Thaͤtigkeit auf. Es erweckt Durft und ſtillt ihn nicht,
die Liebe zieht ein in das Herz, um nur verhöhnt umd
gemishandele zu werden.
Und biefes ift der Zuftand der jegigen Preſſe; unmoͤg⸗
(ih, daß fie fiy dabei beruhigen fann. Vor drei Jahren
gab es noch unzählige Menſchen, die ein dumpfes Leben
dahinvegeticten und des Beduͤrfniſſes einer freien Theil⸗
nahme am Gemeinwefen und an der geiftigen Bewegung
der Zeit fih noch nicht bewußt waren. Man hat biefes
Beduͤrfniß gewedt und man wundere ſich daher nicht, daß
es nun vollftändig befriedigt- werden will. Bei dee Prefie
gibt es nur zwei mögliche Zuflände, gänzliche Unterdrüs
ung oder volle Freiheit. Halbe Freiheit und halbe Knecht:
(Haft ift ein Zuftand, bei dem man nicht ſtehen bleiben
kann; die Preffe iſt fich ihres Rechts auf freies Daſein
bewußt, und glaubt wir, fie wird nicht eher zuhen, nicht
286
eber aus einer immer fleigenden Aufregung herauskommen,
Bis fie diefe Freiheit erlangt hat.
Auch fühlt man die Notwendigkeit der endlichen Be:
frelung der Preffe; ſelbſt die preußifche Regierung erkennt
fe an, aber man will einen allmäligen Übergang von ber
Eenſur zur Preßfreiheit. Dan will die Preffe nicht mit
einem Dale freigeben, fondern will es den Cenforen über:
koffen, fie nach und nad zu emancipiven. Es iſt dieſes
die alfergefährlichite, verderblichſte Theorie, die es gibt, und
wenn man fie nicht bald aufgibt, fo läßt fi das fhlimmite
Unheil mit Gewißheit vorherfagen. Es heißt dieſes mit
andern Worten nichts Anderes ald: man will die Prefje
arſt dann frei geben, bis man fie total verbittert, vergällt,
vergiftet und verderbt hat. So lange die Preſſe nicht
vollftändig geficherte Freiheit hat, fo lange iſt fie erbitterte
Gegnerin der Regierung. Da gilt kein Unterfchied ber
Parteien; die disparateften Elemente verbinden fih, um
vereint Chorus gegen die Regierung zu machen; Principe,
bie ſich auf Tod und Leben ihrer Natur nady entgegen:
Bänden, laſſen ihre Fehde vorerft ruhen und wenden ſich
mit gemeinfchaftlicher Kraft gegen den gemeinfamen Seind,
gegen die Genfur und deren Quelle, die Megierung. Der
ſtolze Atiſtokrat und der rohſte Sansculotte, der ſtreng⸗
glaͤubige Chriſt und der frivole Atheiſt, alle Meinungs⸗
nuancen von der aͤußerſten Rechten bis zur aͤußerſten Lin⸗
ken machen den gemeinſamen Krieg gegen die Reglerun⸗
gen. Die Regierungen haben bei unfreier Preſſe keine
andern Freunde und Bundesgenoſſen als ihre bezahlten
Beamten, und diefe find unbrauhbarz fie nugen nicht,
fondern fie ſchaden, mit ihren matten, feelenlofen Entgeg⸗
mungen gießen fie nur DI ins Feuer. Unparteilichkeit,
Wohlwollen, Anerlennung erwarte man nicht von der
Preſſe, bis man ihre Recht vouftändig anerkannt und ges
Fichert; erſt dann wird die Preffe aufhören Partei zu fein;
arſt dann werden fich die verfchiedenen Anfichten fondern
und in naturgemäßen Kampf miteinander treten; erſt dann
kann die Regierung auf Bundesgenoffen in der Preſſe
rechnen. Das Beilpiel von Dahlmann zeigt von neuem,
wie unmöglich es ift, felbftändige und geachtete Regierungss
feyeiftftellee von dee Preſſe zu gewinnen, fo lange da6 Le:
ben der Preffe felbft noch bedroht iſt. Kür olle Schrift:
flellee ohne Ausnahme iſt dieſes die erſte und naͤchſtlie⸗
gende Lebensfrage, und fie find zur Oppofltion gezwungen,
fo lange diefe nicht zu ihren Gunften entfchieden ifl. Fuͤr
alle wohlmeinenden Pubtliciften wahrlich ein qualvoller,
ängftticher Zuftand. Wir fehen die Exbitterung Tag für
Tag fteigen, hohle Raifonneurs, ertranagante Jakobiner,
Minde Zerflörer, die auf Zerftörung jeglichen geſellſchaft⸗
lichen Zuſtandes ausgehen, gepeitfcht von einem oͤden, keine
moralifche Grundlage des Beſtehenden anertennenden Les
bensbewußtſein, freche, jede fremde liberzeugung, jede hiſto⸗
sifche Errungenfchaft verhöhnende Geſellen gewinnen tägs
ich mehr Boden; Haß und Mistrauen greifen um ſich
und verdrängen jede tlchtige, gewiflenhafte Arbeit zu alls
möligen , in den Bedingungen des Moments gegebenen
möglichen Werbefferungen, und der Kern der Nation, uns
Ahlige Maͤnner, die eine Überfülle von Kraft in fich fühs
Im, um dieſes Geſindel, biefen gewiſſen⸗ und liebeloſen
Abfhaum der Gefellfhaft zu zerfchmettern,, fobald -man
ihnen nur freie Kampfbahn und ehrlihe Waffen geftattete,
fie alle müffen zufehen, muͤſſen das Unheil bereinbrechen
ſehen, ohne heifen zu können, denn fie find an Händen
und Füßen gefeffel. Denn das ift das Schlimme: für
die Rechtlichen und Gewiſſenhaften, für die wahrhaft
freien Männer ift die Cenſur noch immer eine Seffel,
während fie e8 für jenes Geſindel ſchon lange nicht mehr
ift. Mögen die wahrhaft frei und patriotifch gefinnten
Männer auch noch fo viele Gefahren in ungewifier Kerne
beranfommen fehen, die naͤchſte, gewiſſe Gefahr, die nächfte
Beeinträchtigung ift immer die Cenfur; fo Lange biefe be
fteht, fehlt es ihnen an feifcher, fFröhlicher Kampfesluſt;
erft müffen jie ſich feibft frei wiſſen, ehe fie der wahren
Freiheit ihren Arm leihen, ehe fie freien Muthes in den
Kampf ziehen können. Wenn man aud) gelegentlidy ge:
gen Revolutionsprediger à la... . eine misbillis
gende Außerung fallen läßt, nenn man auch feine Ent:
rüftung über folch verderbliches Treiben bier und da dus
Bert, man kann wol den Fehdehandſchuh hinwerfen, aber
ducchfechten kann man den Kampf nicht, ehe nicht die
Schranken eines ehrlichen Turniers eröffnet find,
Die Gefchichte lehrt auf hundert WBlättern, daß man
durch halbe Maßregeln ſich keine Freunde gewinnt, feine
Feinde aber vermehrt. Sie ehrt auf hundert Blaͤttern,
daß verfpätete Gonceffionen fo gut find wie gar feine.
Iſt ein Zeitbebürfnig einmal über die Gebühr zurüdiges
halten und niebergedrüdkt, fo gibt ed nur ein Mittel, um
die fhlimmen Folgen eines folchen Fehlers moͤglicherweiſe
wieder ins Gleiche zu bringen. Diefes Mittel heiße:
volitändige, ſchleunige, ehrliche Befriedigung deſſelben.
Man darf aud nicht das Geringſte davon abmarkten und
abfeilſchen, nicht das Mindeſte verclaufulicen; die oͤffene⸗
liche Meinung betrachtet in ihrer vorausellenden Phanta⸗
fie doch das Nothwendige ſchon einmal als wirkliche Er⸗
rungenfchaft; fobald man ihr diefes nicht Alles gewaͤhrt,
fo fühlt fie nuc Das, was man ihr noch verweigert bat;
für das Gegebene, und fet ed noch fo viel, hat fie feinen
Dank. Sie Eammert fi mit Gebitterung an das letzte
Fehlende, und fei es noch fo gering, und für das Er⸗
theitte hat fie keinen Sinn, keine Empfindung, denn es
genuͤgt nicht. Ein. allmäliger Übergang von ber Genfur
zue Preßfreiheit wäre möglich geweilen, wenn man damit
vor 50 Fahren angefangen hätte und wenn die Zeiten
eine folche ruhige, mit der politifchen Bildung Schritt hal⸗
tende Entwidelung verflattet hätten. Nach den legten 25
Sahren aber, in denen man die Sehne zu fcharf angezo⸗
gen, reicht Beine menfchliche Kraft mehr hin, fie alimälig
abzufpannen; man muß fie fchnell fahren laſſen, wenn
man ſich nicht die Finger zerfchmettern will.
Ich weiß nicht, ob ich mid täufche, aber der Zuſtand
der Preffe, wie er in dem legten Jahre angefangen hat
fi auszubilden, kommt mie fehr, ſehr bedrohlich vor.
Neben einer Unzahl von feindlichen Stimmen, bie gar
keine Grundlage des Beſtehenden anestennen, auf bee weis
tee fortgebaut werden koͤnnte, ſondern denen man ihren
287
Ingrimm und ihre Abfiht, überall tabula rasa zu ma:
den, nur zu deutlich anhört, mur wenige Männer, bie
eine aufrichtige, lopale Dppofition machen. Die mel:
fien dagegen ſchweigen und erwarten die Dinge, die da
tommen follen. Das große Publicum fieht mit ſchlecht⸗
verhehlter Schadenfreude den Verlegenheiten zu, welche den
Regierungen erwachſen, und je wüthiger und boshafter ſich
die neuen Blätter geberden, je unausführbarere und zahl:
Iofe Koderungen fie mit einem Male an die Regierungen
ſtellen, je chaotiſcher Aues durcheinander fchreit und je vers
wirrter die Discuffion wird, defto mehr kitzelt es ſich.
In Sachſen flieht es in diefer Beziehung allerdings noch
beffer wie in Preußen, und die dortige politifche Local:
preffe zeige noch mehr den Charakter vernünftiger Reform
wie in Preußen — Folge des in den legten 12 Jahren
eingefchlagenen Spftems. Aber wenn die übrige beutfche
Preffe zu einer tollen Mänade oder zu einer binterlifligen
Schlange wird, fo muß auch die fächfifche mehr oder we:
niger davon influenzirt werden, und wenn in letztet In⸗
ſtanz die geſetzliche Ordnung in Deutſchland und die ru⸗
hig organiſche Fortbildung des politiſchen Lebens auf dem
Spiele ſteht, fo iſt Sachſen als integrirender Theil Deutſch⸗
lands doch auch jedenfalls ſehr betheiligt. Es waͤre daher
wol an der Zeit, wenn die ſaͤchſiſche Regierung augenblick⸗
lich den Weg einſchluͤge, der allein zum Heile führt, denn
nur der Augenblick ift unfer und wer weiß, ob nicht Ges
fahr vorhanden ift beim Verzuge. Die füchfifhe Regie:
sung wuͤrde ſich unferer Anficht nach gar wohl verdient
machen, nicht blos um Sachſen und das übrige deutiche
Dort, fondern auch felbft um die jegigen deurfchen Regie:
rungen, wenn fie biefelden durch ifolirte Ertheilung der
Preßfreiheit für Sachſen ſelbſt wider ihren Willen zu
ähnlichen Maßtegeln nöthigte und dadurch den einzig
wirffamen Hebel zur Bildung einer wahrhaft patriotifchen
und vernünftigen Mationalpreffe In Thaͤtigkeit ſetzte.
Es gibt aber noch ſpecielle Gründe, welche die fächfi:
ſche Regierung dringend auffodern,: nicht in das Syſtem
der allmäligen Emancipation der Preffe — wenn man
fo etwas anderd Spftem nennen kann —, wie es Preu:
fen ausgefprochen hat, einzugehen. Es find Motive ges
nug vorhanden, welche berfelben ein ſelbſtaͤndiges Dandeln
zur Pflicht machen.
Die Frage, ob die Einheit Deutſchlands bei verfchiebenen
Staaten beftehen kann, wird die Zukunft entfcheiden. Es
gibe eine Partei, welche einzig und allein Heil für Deutſch⸗
land. erblickt, daß Preußen allmälig die Elsinern deutſchen
Staaten, vorerft Die mitteldeutfhen und norddeutfchen fich
einverleibt. Wenn fi auch vorjegt daruͤber noch nicht
mit Gewißheit urtheilen läßt, ob diefe Anſicht die richtige
ift, fo bet fie doch mandye Grhnde für fih. ine an:
dere Dartei hält die Einheit Deutſchlands gar wohl ver:
eindar mit dem Beſtahen verſchiedener Staaten. Sie
glaubt, daß fich ein öffentliches Mechtöverhältniß und ein
Organismus ausbilden laͤßt, der den Meinen Staaten un:
befchadet der einheitlichen Kraftentwidelung und des ra
fchen, Handeins von. Deutſchland doch ihre Selbſtaͤndigkeit
ſichert. Sie verabſcheut die Centraliſation Deutſchlands
J
in einen Staat mit einem einzigen Fuͤrſten und wuͤrde
eine abermalige Mediatiſirung ebenſo fuͤr ein politiſches
Ungluͤck als für eine ſchreiende, den Rechtsbegriffen un⸗
ſeter Zeit zuwiderlaufende Gewaltthat halten. Auch wir
neigen uns zu dieſer Anſicht vor jetzt noch hin und mei⸗
nen, daß wenigſtens der Verſuch zu einer politiſchen Aus⸗
bildung Deutſchlands in dieſem Sime noch auf keine
Weiſe aufgegeben werden darf. Jedenfalls koͤnnen wir
vorausſetzen, daß die Staatsregierungen der kleinern Staa⸗
ten Deutſchlands, und beſonders die ſaͤchſiſche, an der
Durchfuͤhrung ihrer Souverainetaͤtsrechte noch nicht ver⸗
zweifelt haben, ſondern entſchieden dieſem Syſteme zuge⸗
than ſind. Sonſt freilich haͤtten ſie ganz Recht, wenn
ſie ſchon jetzt alles ſelbſtaͤndige Handeln bei wichtigern
Fragen von allgemeinen Folgen aufgaͤben und ſich dabei
nach dem Willen Preußens richteten. Wollen ſie aber
eine wirkliche, keine blos nominelle Selbſtaͤndigkeit ſich zu
erhalten ſuchen, ſo iſt das erſte Erfoderniß, daß ſie auch
ſelbſtaͤndig nach ihrer Überzeugung handeln. Keine größere
Gefahr Eönnen fie ihrer Unabhängigkeit bereiten, als wenn
fie der Welt und mamentlicdy ihren Unterthanen thatfäch-
li den Beweis liefern, daß fie diefe Unabhängigkeit nicht
zu behaupten wiſſen. Wenn alle wicdhtigern und größern
Maßregeln flets von der Einwilligung Preußens abhängig
gemacht werden, wenn jedes Zeitbedürfnig erſt Befriedi⸗
gung finden kann, fobald diefer größere Staat vorangeht
oder die Erlaubniß ertheilt, dann ift man im Wefentlichen
(don Preußen unterworfen und die Unterthanen find nicht
fo blind, daß fie das nicht bald erkennen follten. Als:
dann ift es auch nur ein Schritt noch von dem Wunſche,
lieber ſelbſtaͤndige, mitfprechende Unterthanen Preußens zu
fein, als Untergebene einer Regierung, welche keine freie
Mitwirkung gewähren kann, meil fie felbft nicht frei iſt.
Selbſt in den Kammern wird allmälig diefe Überzeugung
Platz greifen, fabald fie fih von ihrer Ohnmacht, von der
Fruchtloſigkeit ihrer Beftrebungen und Vergeblichkeit ihrer
Wuͤnſche überzeugen. Wir haben fchon hier und da leiſe
anbeutende ‚Stimmen bdiefer Art aus Sachſen vernommen
und wir fürdten, daß eine unterwürfige Politik in der
entfhiedeniten, dringendften Zagesangelegenheit, wie e6 die
Proßfreiheit zumal fur Sachſen iſt, diefe Stimmen fehr
vermehren und verftärken wird. Wenn die fächfifchen Mi⸗
nifter auf die dringende Mahnung des ganzen Landes im
Grunde eine andere Antroort geben können — und eine
andere flihhaltige wird ſich nicht auffinden laffen — ale
die: „wir möchten wol, aber wir dürfen nicht, weil es
Preußen noch nicht will”, fo bringen fie dem Epfteme
verfchiedener felbftändiger Staaten in Deutfchland eine
(were Wunde bei, und werden fie die Zahl ber Anhaͤn⸗
ger eines preußifhen Staats, der mit Deutfchland iden⸗
tifch fei, gar fehr vermehren. Wir ſprechen unfere volle
Überzeugung aus, wenn wir behaupten, daß die fächfifchn
Minifter bei der Preßfrage jegt einen enticheidenden Schlag
für die Unabhängigkeit ber kleinern Staaten ausführen
koͤnnen, einen Schlag, der auf lange Jahre bin fortwics
ten und biefer Sache fürs erſte den Steg verfchnffen
taun. Der geoße Staatsmann ergreift die Gelegenheit
288
beim Schopfe, denn er weiß, daß — einmal den teten |
Augenblid verfaumt — fie zum zweiten Male fo leicht
nicht wiederfommen wird. Durch Mangel an Entſchloſ⸗
fenheit und Thatkraft unterliegt auch das beſte Syſtem
und der eine Ruͤckzug zieht in der Regel die folgenden
mit Nothwendigkeit nach fih. Möchten die ſaͤchſiſchen
Minifter die unendliche Verantwortlichkeit, bie auf ihnen
in diefer Frage ruht, ſowol gegen Ihren König, als gegen
ihr Land und dad ganze Übrige Deutfchland, wohl begreis
fen, und mögen fie wohl bedenken, daß man aud) durch
Unterlaſſung, nicht blos durch Begehung, ſich ſchwer ver⸗
ndigen koͤnne. Der kleine ſaͤchſiſche Staat hat in Die:
———— eine welthiſtoriſche Stellung; eine Stel⸗
fung, die den großen, genialen Mann mit unendlicher
Thatkraft, erhebendem Bewußtſein und entfchledenfter Si:
cherheit erfüllen muß, den mittelmäßigen und gewöhnt:
chen Kopf aber freilich eingenommen, ſchwindlicht und bes
en macht.
fang Politik, ſich von Preußen ans Schlepptau
nehmen zu laſſen, iſt fuͤr die ſaͤchſiſche Staatsregierung eine
unendlich gefaͤhrliche. Sie wird und muß den Verluſt
einer ehrlich und wohlverdienten Popularität nach fich zie⸗
hen und Preußen wird alsdann früher oder . fpäter ber
Erbe diefer Popularität werden. Es follte uns unendlid
teid thun, nicht blos der Sache, fondern auch der Per:
fonen wegen. Wir lieben diefe Männer, die fo wohlwol⸗
lend, freifinnig und klug feit zwoͤlf Jahren gehandelt und
in dieſem Zeitraume ſo Erſtaunliches geleiſtet haben. Wir
goͤnnen ihnen von ganzem Herzen, daß ihr Ruhm ihnen
dis ans Ende ihrer Tage treu bleiben moͤge und daß fie
einſt einen Platz einnehmen in der deutſchen Geſchichte.
Es wuͤrde uns ſchmerzen, wenn Die, ſo ſich bis jegt ih:
zer Zeit gewachfen gezeigt, auch bei veränderten Umftänden
und veränderten Anfoderungen ſich nicht bewaͤhren follten.
Bis jest war das Paufiren, das laissez aller, das ge:
räufchlofe, ftille Fortfchreiten ohne heftige Colliſion an der
Zeit; allein wir zweifeln, ob es fuͤr immer ausreichen
werde und ob der entſcheidende Schritt uͤber den Rubi⸗
con nicht endlich gethan werden muͤſſe.
| F. von Florencourt.
ö—— — —— — ——————
Fellows' lyciſche Bild werke.
Die zu XRanthus in Lycien von Fellows entdeckten und für
das Britifche Mufeum beflimmten Antiten find in unverfehrtem
Zuſtande in London eingetroffen, müffen aber, aus Mangel an
Raum, noch eine Zeit dem Publicum verfchloffen bleiben. Ob⸗
gleich aus einer frübern Zeit herrührend, find fie doch zum
Theil mit den aͤginetiſchen Bildwerken dem Stile nad) verwandt
und natürlich mit den von Lord Eigin gefammelten Kunftwer:
gen nicht zu vergleichen, wennſchon vielen derfelben auch Kunſt⸗
werth nicht abzuſprechen iſt. Ihe Hauptwerth beſteht jedoch
darin, daß fie au den fruͤheſten Proben ber griechifchen Bildnerei
ehdren, weiche bis auf ung gelommen find. Das ältefte unter
nen iſt das Grabmal mit Basreliefs, die Darpyen barftellend,
wie fie die Töchter des Pandarus hinwegführen. Es ift in
Fellows' Werte über Eycien abgebildet und rührt wahrſcheinlich
aus der Zeit vor Cyrus her. Unabhängig von dem mytholo⸗
giſchen Intereſſe ber barauf abgebildeten Figuren, ift es wichtig
ats ein Beiſpiel bes arabifchen Kunftftils, der in Stalien mit
dem Namen des pelasgifchen bezeichnet wird, indem die Drapes
rien wie naffe Kleider ben Körpern anliegen. Die Augen has
ben einen nichtsfagenden Bid, die Befichter find ohne Ausbrud
und das Daar hängt wie Maccaronifäben herab. In der Ans
‚orbnung des Haars und der Bärte, wie anderer Beiwerke,
fpricht ſich ein perfifcher Charakter aus, welcher biefem Denk⸗
mal in Bezug auf Gefchichte und Urfprung der Kunft einen
großen Werth ertheilt. Es befinden fih noch in der Samm⸗
lung ſechs ober acht Frieſe oder Bruchftüde von Frieſen in Res
lief, von großer Mannichfaitigleit der @egenftände, indem fie
alte Gebräuche, Kleidungen u. |. w. darftellen. Giner berfelben
bringt die Belagerung einer befeftigten Stabt zur Anfchauung,
weldge mit ihren Thuͤrmen und Binnen abconterfeit ift, mit ib
rer Mannfchaft, die fi) nach einem Ausgange drängt, um, mit
Steinen bewaffnet, den Feind anzugreifen, während im Hinter⸗
grunde bie zufhauenden Weiber und Toͤchter der Bürger er⸗
feinen. Unterdeß erklimmen bie Keinde, gebedt durch ihre
breiten Schilde, die Mauer auf Leitern. Die Kämpfenden find
mit großer Kraft dargeftellt. Auf einem andern Fries ift eine
Löwenjagd abgebildet. Berner fiebt man auf einem Basrelief
einen Kampf und auf einer Abtbeilung deſſelben, bei ber Weiße
des Marmors außerordentlich wohl erhalten, einen: mit großer
Wahrheit des Ausdruds bargeftellten vermunbeten Krieger, ber
fi) auf den Arm eines Weibes lehnt, welches ihn vom Schlacht:
felde führt. Cine Anzahl Gefangene, deren Bände auf den
Rüden gebunden find und bie in ihrem Coſtum unb Gefichtes
ausdrud einigen ber perfepolitanifchen Bildwerke gleigen, were
den auf einem anbern Frieſe vor einen König geführt, der un⸗
ter einer Umbrella fist. Auf den Fragmenten eines großen
Frieſes find Reiterfämpfe dargeftellt. Die Reiter figen auf ih:
ven Pferden in anderer Weife als die des Parthenon, bie Fer⸗
fen nady unten, die Schenkel nad) vorn, mit einiger Kenntniß
der Reitkunft, womit bie Reiter des Phidias unbelannt gemefen
zu fein fcheinen. Außerdem befinden fi in biefer Sammlung
noch verfchiedene Statuen, ohne Köpfe und verftümmelt,, aber
durch ſchoͤne Theile, durch eine leichte und anmuthig fließende
complicirte Gewandung ausgezeichnet. Hier und ba erblidt man
noch Spuren von Karbe, ſodaß die Frage ber polychromatifchen
Ausfhmüdung bierdurh ein neues Licht gewinnt. Man fuͤrch⸗
tet, daß diefe Spuren in dem feudhten englifchen Klima bafd
verfhwinden werben. heile von metallenen Klammern find
auch noch bemerkbar. Alles in Allem, die Fellows'ſchen Bildwerke
find eine fo wichtige Vereiherung, wie fie feit vielen Sahren-
fein anderes europdifches Mufeum erworben hat. ' 13.
Literarifche Anzeige.
Neu erscheint bei mir und kann durch alle Buchhand-
lungen bezogen werden: .
' Handbuch on
der Kinderkrankheiten.
Nach Mittheilungen bewährter Ärzie'
herausgegeben von Ä
Dr. A. Schnitzer wd Dr. B. Wolf:
Erster Band.
Gr. 8. 2 Tulr. 12 Ner.
Leipzig, im März 1843. Ä
: FF. A. Brockhans.
Verantwortlicher Gerauögeber: Heinrich Brodhaus — Drud und Verlag von J. X. Brodhaus In Beipsig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienflag, — Nr. 73. —
14. März 1843.
Das Saunerwefen in Deutfchland.
Die juͤdiſchen Gauner in Deutfchland, ihre Taktik, ihre Eigen⸗
thämtichkeiten und ihre Sprache, nebft ausführlichen Nach⸗
zichten über die in Deutſchland und an deffen Grenzen ſich
aufhastenden berüdtigften juͤdiſchen Gauner. Nach Criminal⸗
_ acten und ſonſtigen zuverlaͤſſigen Quellen bearbeitet von X.
$. Thiele. Erfter Band. Zweite Auflage. Berlin, Bro:
pius. 1841. Gr. 8. 1Thir. 15 Nar.
Der Verf. definirt die Gauner ats Leute, welche Rau:
bereien, Diebftaht und Betrug mehr oder weniger als ein
eigentliche® Gewerbe treiben, dabei nach beflimmten Regeln
verführen, gewiſſe feltfiehende Principien befolgen, Die,
wenn fie der Juſtiz in die Hände füllen, methodiſch im
peinlihen Verhoͤr auftreten, ihre eigene Sprache reden,
inter fi zum Zwecke der Ausführung ihrer Verbrechen
in wechſelſeitiger Verbindung ſtehen unb fo, mit einem
Worte, eine befondere, allen bürgerlichen Intereſſen feind⸗
liche Geſellſchaft im Staate bilden.
Diefe für die Sittengefchichte der civilifisten Nationen
wichtige Menfchenclaffe bewegt fi) mit einſchmeichelnder
Gewandtheit unter der harmloſen Menge der „ MWittfchen”’*);
nirgend verlegen fie duch das abfloßende und tohe Be:
nehmen gemeiner Diebe und Räuber; zur brutalen Ge
walt ſchreiten fie hoͤchſt felten und nur die Intelligenz
tragt in ihren ſcharffinnigen Unternehmungen ben Gieg
davon. Diefe abnormen Lebenserfcheinungen haben, ſchon
wegen ihrer allgemeinen Wirkſamkeit, nicht blos für Cri⸗
minal: und Policeibeamte Bedeutung; fie ftehen vielmehr
unter den mannichfachften Umftänden in einer leider nur
zu nahen Beziehung zum ganzen Publicum, vorzuͤglich zu
dem mit Geld, Pretiofen, Uhren u. dergl. verfehenen Theile
deſſelben. Manche unferer Leſer werden aus eigener Er:
fahrung im Stande fein, die Richtigkeit diefer Behauptung
zu betätigen, und wuͤrden gewiß nicht unzufrieden gewefen
fein, wenn fie fi) vor ſolchen Erfahrungen mitteld einer
genauen Kenntniß der Gauperkniffe hätten in Acht neh⸗
men fonnen; aber es iſt ſchwer, einen Feind, den man
nicht kennt, zu befämpfen oder zu vermeiden. Das Gau:
nervoͤlkchen iſt wirklich zw intereffant, eine nähere Beleuch⸗
*) Wittſch Heißt in der Diebsſprache ehrlich, eigentlich bımım ;
im Gegenfsk davon nennen ſich die Bauner felbfk Chefſe oder Kos
chemer, d. b. Geſcheite.
tung ſeines verſchmitzten Treibens erſcheint fuͤr Jedermann
zu nuͤtzlich, als daß wir nicht auf Verzeihung hoffen duͤrf⸗
ten, wenn wir bie im obigen Zitel angemeldete zweideus
tige Geſellſchaft in unfern honetten Kreis einführen, um
ihre Bekanntſchaft in effigie zu machen.
Der Verf, hatte bei einer in Berlin geführten Unters.
fuhung gegen eine Gaunerbande, bei welcher 520 Perfos
nen implicirten, vermöge feiner amtlichen Stellung mitzus
wirden. Die Inculpaten waren größtentheil6 juͤdiſchen
Glaubens und deshalb hat der Verf. Veranlaſſung genom⸗
men, fih in feiner Darfiellung auf die jüdifchen Gauner-
zu beſchraͤnken; er will damit aber keineswegs in Abrede
fielen, daß wir nicht auch unter den Chriften zahlreiche
und ausgezeichnete Praktiker in der Diebskunſt haben.
Eine excluſive Bezüuchtigung des Judenthums kann alfe
von vornherein dem Verf. nicht zur Laft gelegt werden,
obwol dies aus übel angebrachter Empfindlichkeit und in
Verkennung der dem Buche zum Grunde liegenden guten
Abfichten bier und da gefchehen if. Bei einer fo ums
faffenden Unterſuchung und feinen perfönlihen Beruͤhrun⸗
gen mit fo vielen Sauneen konnte es dem Verf. nicht an
reihem Stoffe zu feinem Werke fehlen, melden er denn
auch mit Fleiß und Geſchick bearbeitet hat.
Der erfte Band bringt: 1) eine Einleitung über das
Gaunerweſen; 2) die gefchichtliche Darftelung der Unter⸗
fuhung wider Mofes Lewin Loͤwenthal und Genoſſen;
3) Gaunertaftit und Reſultate daraus; 4) einen Euren
Lebensabriß des Inquifiten Joſeph Adolf Roſenthal; 5)
die Befchreibung der vorzüglichern in der Unterfuchung wis
der Löwenthal und Genoffen «ingeflandenen und fonft. er⸗
mittelten Verbrechen; 5) die juͤdiſche Gauner- oder Koche⸗
merſprache; 6) einen Anhang, das hebräifche Zählen ber
treffen).
Die. Sauner unferer Zeit find feine heimatlofen Mens
fen; fie haben beflimmte Wohndrter und mitunter fogar
Srundbefig. Die Zahl der in Deutfchland Ichenden Gaus,
ner fchlägt der Verf. auf ungefähr 10,000 on. Die Gaue.
nerfafte in Deutſchland unterfcheidet fich, ſowol ihrer kirch⸗
lich sreligiöfen als ihren Diebesfagungen nah, in zwei
Hauptabtheilungen, nämlih in chriſtliche und juͤdiſche
Gauner. Zwar geringer an Zahl, find bie jüdifchen den:
noch die gefährlichen, fomwol was ihre großes Schlauheit
und Verſchmitztheit, als ihre größere Geſchicklichkeit bei
Ausfuͤhrung ihrer Verbrechen anbetrifft. Sie unterfcheiben
fih ferner faft ſchroff von ihren chriftlichen Betriebsge⸗
noffen durch den befondern Idiotismus ihrer Geſellſchafts⸗
ſprache. Vorzuͤglich Polen war und ift noch heute das
Land, weiches als die Wiege und der Herd des juͤdiſchen
Diebsgeſindels batradgtet werden muß, und noch zur Stunde
werden die Öftlichen Provinzen des preußifhen Staats von
jenem Lande ber durch jüdifche Spipbuben beftündig in
Gontribution gefegt. In Preußen find das Herzogthum
Magdeburg mit der Altmark auf der einen, das Groß:
herzogthum Pofen auf. der andern Seite diejenigen Pro:
vinzen, wo die meilten und gefaͤhrlichſten, oft ſchon feit
eimer langen Reihe von Jahren berüchtigten Gauner do:
micilieen. In ihren Wohnörtern erfcheinen fie gewoͤhnlich
als ehrliche Leute; den größten Theil des Jahres bringen
fie aber auf Reifen zu und jeder ihrer Ausflüge ift ein
Raubzug. Wenn Übrigens die Guuner chriftlicher Abkunft
in gar vielerlei Geſtalten, 3. B. als Scherenfäyleifer, Kefs
ſelflicker, Drgelfpieler, Olitaͤtenkraͤmer u. f. w., im Lande
umberzieben, fo tritt der jüdifhe Gauner und Vagabund
faſt immer nur in der einzigen eines Handelsmanns auf.
Die geringe Anzahl jüdifeher Diebe, die noch ohme Hei:
mat fich in der Welt umpertreibt, führt auch nicht, wie
die chriftlihen Stroihe und Landſtreicher, die: Hemmniſſe
ihrer Lebenscarriere: Weiber und Kinder, mit fich; fondern
dDiefe haben vielmehr bei vertrauten Leuten oder Kochemern,
an geriffen Orten, wo es mit der Policei nicht beſonders
flreng genommen wird, ihre Niederlagen, tie fie ed nen:
nen, und werben dort von Zeit zu Zeit von ihren fans
bern Familienhaͤuptern beſucht. Welt mehr als die chriſt⸗
lichen Gauner ftehen die jüdifchen auch unter ſich in Ber:
bindung, und ift gleich dieſe Verbindung keine eigentlich
geregelte, fo iſt es doch eine Union, die aus gemeinfamen
gefelifchaftlihen Prineipfen entſpringt. Wo „cheſſe“ Juden
fih treffen, und hätten fie ſich früher In ihrem Leben nie
gefehen, da werden fie Chamern (Kameraden) und flehlen
zufammen. Die engere Verbindung der jüdifchen Guuner
folgt auch fchon aus dem Umſtande, daß fie nur aus:
ſchließlich unter fih heirathen. Die Fälle vom Gegentheil
find aͤußerſt fparfam, weil die Ehelihung einer Wittfchen
(Shrlichen) in jeder Beziehung eine Mesalliance fuͤr den
Gauner iſt. Unglaublich ift es übrigens, welcher Knaͤul
von Verwandtſchaften dieſe gegenſeitigen Heirathen zuſam⸗
mengerollt haben; durch eine Stammtafel getraut ſich der
Verf. nachzuweiſen, daß wenigſtens einige Hundert der jetzt
lebenden beruͤchtigtſten Gauner eine einzige Familie aus⸗
machen. Sie ſtehen untereinander in Briefwechſel, kheilen
fich die ermittelten Gelegenheiten zu Diebftählen mit und ver:
üben diefe gemeinfchaftlih. Die Meflen zu Leipzig, Frank⸗
furt a. d. D., Frankfurt a. M. und Braunſchweig find, fo
thatträftig auch die Policei an diefen Orten ift, namentlich
in Leipzig, die Centralpunkte ihres verbrecherifchen Trei⸗
bene. Dort finden fie fih zufammen, machen den Meß:
verkehr unficher, taufchen Plane für die Zukunft aus und
ſchließen Semeinfhaften zu fernen Diebsunternehmungen.
Mehr oder minder find auch alle größere Märkte ihre
Gammelpläge. Nichts zu geftehen, gerathen fie der Juſtiz
in die Haͤnde, das iſt vor allen Dingen die Hauptregel
ihrer Lebenspraxis, an ber fie mit unbeugfamer Hartnaͤckig⸗
keit feſthalten. Unübertroffen darin ſteht der jüdifche Gau:
‚ner da, und nichts iſt zu vergleichen mit der Gewandtheit
und Verſchmitztheit, womit ee fich aus einer Unterſuchung
berauszulügen verfteht.
Die Hauptanftifter und thaͤtigſten Befoͤrderer der Diebs⸗
unternehmungen, welche zu der erwaͤhnten großen Unter⸗
ſuchung Anlaß gaben, waren Bigilanten, d. h. Individuen,
welche das Vertrauen der Behoͤrde genoſſen und die, im
ſchneidendſten Gegenſatze zu ihrem fruͤhern Leben, Dieje⸗
nigen ſcheinbar zu verfolgen ſtrebten, welche die Gefaͤhrten
ihrer vormaligen verbrecheriſchen Laufbahn, die
ihrer vorzeitigen Übelthaten waren. Einer dieſer Diebs⸗
faͤnger, Roſenthal, ſpielt in der Unterſuchung eine wichtige
Rolle; als Vigilant war er mit einer in Bezug auf ſeine
policeiliche Thaͤtigkeit, zu feiner beſtaͤndigen Legitimation
bei den Behoͤrden, ihm ertheiiten offenen Ordre verſehen,
welche begreiflicherweiſe nicht wenig dazu beitrug, ihn und
ſeine jedesmaligen Complicen jedesmal außer Verdacht zu
ſtellen. In ſeiner Eigenſchaft als Vigilant ſtiftete alſo
Roſenthal den doppelten Schaden, daß er die mit ihm
verbundenen Diebe nicht nur nicht verrieth, ſondern auch
mit fange glüdlihem Erfolge die Nachforſchungen der Per
licei irreleitete. Hieraus erklärt es fi, daß im 3. 1830
von einer und derfelben Gaunerbande 38 bedeutende Dieb:
ftähle in Berlin (namentlid) an oͤffentlichen Kaſſen und
bei verfhiedenen Buchhandlungen) verlibt werden konnten,
ohne daß es den eifrigften Beſtrebungen der Behörden ge—
(ingen wollte, die Zhäter zu entdecken. Cndli gu An-
fang des Jahres 1831 kam man einem Mitgliede jener
Bande, Namens Lömwenthal auf die Spur; die bei dem⸗
felben veranſtaltete Hausſuchung lieferte überrafchende Bes
weismittel und man brachte den Gauner zur Haft. Die
gegen Loͤwenthal fprechenden Indicien waren zu flarf, als
daß ihn, felbft wenn er an dem von allen gewerbsmaͤßigen
Dieben adoptirten Principe des Nichtgeſtehens feſthielt, micht
ein hoher Grad von auferordentlicher Strafe treffen mußte.
Dies mochte Löwenthal in dee Muße feiner Daft reiftich
überlegt haben. In einer vertraulichen Unterredung, bie
er fih am Tage nach feiner Verhaftung beim Inquiren⸗
ten erbat, erklärte er, daß zwar allerdings in Berlin, eben:
fo wie in einigen Provinzen des preußifchen Staats, eine
Diebsbande eriftire, die unter fi eine Clique ausmache;
ec werde jedoch darüber nicht nur feine Auskunft geben,
fondern auch nody weniger fügen, wiefern er felbfl dabel
betheittge fei, wenn ihm nicht zuvor das Werfprechen der
Begnadigung ertheilt würde. Schon vier Tage nach die
fer Erklaͤrung erging eine koͤnigliche Cabinetsordre, derzu⸗
folge dem Lömenthal die Stehfe aller derjenigen Diebffähte,
welche er biäher veruͤbt, oder an deren Berübung er Theil
genommen babe, erlaffen werden follte, wenn er, durch ein
vollftändige® Bekenntniß feiner Vergehen, feine Mitſchul⸗
digen dergeftalt bezeihne, daß wenigftens auf eine außer⸗
ordentliche Strafe, gegen biefelben erkannt werden Eönne.
Nun begann eine Reihe von Ecoͤffnungen; aber trotz bez
verſprochenen Begnadigung behielt Loͤwenthal doch noch
— — ——
Sieles im Hinterhalt und erſt die ſpuͤtern freien Geſtaͤnd⸗
niſſe eines andern Gauners, Namens Wohlauer, brachten
Licht uͤber den ganzen Complerx unzähliger Diebsſtuͤcke;
hierdurch befam die Unterfuhnng einen grenzenlofen Um:
fang. Mehr ale 500 Perſonen waren des Diebflahls,
der Dieböhehlerei oder des Meineides für den Nachweis
des alibi der Diebe bezuͤchtigt, deren Verhaftung alfo größs
tentheils Erfoderniß. Sie wohnten in faft allen Provin⸗
zum des preußifchen Staats, vornehmlid, aber in dem Groß:
herzogihum Polen, und dort wieder vorzugsweiſe in dem
GSeabtchen Betſche. Eine Reihe beklagenswerther Erfah⸗
rungen aber hatte bewieſen, mie fehe gerade im Großher⸗
zogthum Pofen eine allgemeine Unſicherheit von allen Si:
sen eingebürgert war. Gerade in denjenigen Ortſchaften,
me die meiften und gefährlichiten Verbrecher nifteten, wo
alſo Deren Werhuftungen, die nothmendigen Beſchlagnah⸗
men u. f. m. die meifte policelliche Energie erfoderten, fah
ed am übelften mit der obrigkeitlichen Gewalt aus und
waren die Localbehoͤrden am unzuverlaͤſſigſten. Als ein
Beifpiel zu Dem, was hier Über den Stand ber bürgerli:
chen Debnung und odrigkeitlichen Gewalt gefage ift, wird
folgendes, in Betſche vorgefallene Stückchen dienen. Der
berüschtigte, gleichfalls zu verhaftende Dieb Nathan Jakob
Stahl wur, nach der Verſicherung des betſcher Bürgers
meifters, am Abend vorher, wegen Widerſetzlichkeit gegen
Die Gendarmerie, zum Arreft gebracht worden, wo er fidh
alfo noch befinden mußte. Da nun das Arrefllocal feine
genlgende Sicherheit gewährte, ſo flellten bie Commiſ⸗
farien davor eine befondere Wache auf. Als man ins
deſſen die Wohnung bes Stahl infpleirte, fand man ihn
dort, zum großen Erflaunen des Bürgermeifters, gemäc:
Lich im Bette liegend.
Die Sefinchmung der Gauner mußte mit größter Um:
ficht erfolgen; die Nacht vom 20. zum 21. Januar war
dazu auderfehen, um alle Berhaftungen im Großherzog:
thum ofen gleichzeitig ausführen zu laffen, weil am
Abend vorher der jüdifche Sabbath begonnen hatte und
um jene Zeit gerade DBollmond mar, beive Thatſachen
aber, der Erfahrung gemäß, mit vieler Gewißheit voraus:
fegen ließen, daß die jüdilchen Verbrecher, welche bekannt:
ih am Sabbath nach ihrem Rituale wicht reifen dürfen
und überhaupt nur in dunfeln, weder duch Mondfchein
noch durch Schnee erheliten Nächten auf Diebſtahl aus:
ziehen, in ihren Wohnungen angetroffen werden würden.
Ein gleichzeitiges Einfchreiten gegen alle in jemer Provinz
zu verbaftenden Perfonen war aber dringend erfoderlich,
weil frühere Unterfuchumgen, ſowie längft dekannle Erfah⸗
eungsfäge die Lehre Tieferten, daß verſchmitzte, insbefondere
juͤdiſche Verbrecher, fobald fie eine Verhaftung vermutben,
ihee Wohnocter oder Schlupfwinkel verlafien, unter An:
mahme falſcher Namen im der Welt umberfiteifen und ſich
fo der Unterfuchung und: Strafe entziehen. Die Maß—⸗
regeln waren fo gut getroffen, daß In der erwähnten Nacht
die Gefanugennehmung aller im Großherzogtum, nament:
lich im Betſche, Roftarszeroo, Radwig, Schermeiſel, Graͤtz,
Storchneſt u. ſ. m. wohnhaften bezlichtigten Verbrecher ſehr
sract erfoigte. Es gewährte im Monat Januar und Feb⸗
rar einen eigenen Anbkick tägihh bie Transpotte yener
berüchtigten, oft ergrauten Übelthäter duch bie Straßen
Berlins kommen zu fehen, die, auf einen Bauernwagen
angefchloffen, mit finfterm Trotze in ben verdaͤchtigen baͤr⸗
tigen Gefichtern, ifeem Werhängnifie entgegeufuhren. Die
bei den Hausfuchungen in Beſchlag genommenen Gelder
beliefen ſich auf 32,000 Thaler; aber auch die Unterfu-
chungskoſten waren bis zu Anfang des Jahres 1834 be:
reise auf 21,000 Thaler angewachſen. Jedech ſtand dies
in keinem Vergleich mit den heilfamen Felgen, welche
durch die Aufhebung der geführlichften jüdifhen Diebe aus
dem Großherzogthume Pofen und dem Regierungsbezirk
Frankfurt bewirkt wurde. Es äußerten ſich diefe Folgen
ſchon recht deutlich in der zunaͤchſt folgenden Reminiſcere
meffe zu Frankfurt a. d. O., denn e6 wurde während ber:
felben nicht ein einziger gewaltfamer Diebflahl verübt, ob⸗
gleich fonft fült immer 12 —14 dergleichen zur Cognition
der dortigen Policeibebörde gelangt waren.
(Die Bortfegung folgt.)
Mythologiſche Sorfhungen und Sammlungen, von Wolf:
gang Menzel, Erſtes Bändchen. Stuttgart, Cotta.
1842. ®. 8. 2 Thir. 10 Nor.
Die Mythologie der Voͤtker iſt verfchiebener Behandlung
fähig und verftattet mannichfache Sombinationen über Ent:
ftehung, Verwandtſchaft, innere Bedeutung, an denen hiſtoriſche
Forſchung und Wis vielleicht einen unerſchoͤpflichen Gegenftand
finden. Unfer Berf. widmet feine Sammlungen zunddft ben
Freunden der Porfie und Kunft, denen fördernd und erfreutich
fein kann, zu willen, wie derſeibe Gegenſtand oder biefelbe Idee
fi) in den verfchiedenften Vorftellungsmeifen abgefpiegelt habe,
wozu dann Poefle und Kunſt felber ihre Bereicherung brachten
und aus dem Mannichfattigen eine gewilfe Einheit hervorſchim⸗
mert, die das Afthetifche Intereffe an den Werfen ber Phans
tafte erhöht. Haben Andere das Religiöfe, Phitofoppifche, Hi⸗
ftorifhe mebr ins Auge gefaßt, fo wirb doch die Auffaffunge-.
weiſe des Verf. friedlich und anfpruchlos baneben beftehen und
dem Lefer außer dem Reiz der mythologifchen Wilder auch eine
willtommene Überficht derfelben gemätren.
Woher der Menfh? wie ift er entflanden? welches tar
feine Beflimmung unb die feines Geſchlechts? Diefe ragen ha⸗
ben von jeher die menſchlichen Gedanken befchäftigt und Specu:
Iationen wie Erzählungen veranlaßt. Alle Hauptvoͤlker im Often
Aftens theilen den Gedanken: die Menſchen würben nicht zum
erften Mal auf diefee Erde geboren, fondern hätten ſchon lange
vorher als Geiſter exiſtirt; nach den Indiern ats böfe Geifter,
die zur Buße den irdifchen Leib bewohnen müffen; nach den.
Perfern als gure Geiſter, die freimillig in ben irdiſchen Leib
eingehen, um das Boͤſe zu bekämpfen. Zugteich aber fehließen
fi) daran die Sagen von ber Sünde bes Geſchlechts und einer
als Strafe deffeiben vertitgenden Flut. Beſſer foll e® nun wer:
den auf irgend eine Weiſe. in ficitifcher) Dichter erzähle:
„Gott und der Zeufel fpielten Schady miteinander. Bott vers
or feine Königin, bie bei Seite gervorfen wurbe und auf bie
Erde fiel — die Eva. Aber Gott gewann wieder und machte
ſich nach der Epielregel eine neue Adnigin, indem er mit einem
Bauer ins Schach rüdte — die Madonna.” Das Paradies des
Moſes und die Art feines Berluftes find befannt, mehr ober
weniger beziehen ſich darauf die Lehren der Manichaͤer, Gnoſti⸗
ter, bed Talmud. Merkwüuürdig ift, daß auf ben Inſeln des
Stillen Dceans und im dußerften Norden Amerikas die Borſtel⸗
lung einer verbotenen Frucht angetroffen wird, obne daß man
weiß, auf weiche Weile fie dahin gelommen. Der Griechen,
Römer, ber Edda und ber Afrikaner gebenkt unfer Verf. und
auch einiger mobernen Philofopheme, die von ber biblifchen Vor⸗
flelung eines urfprünglichen Menfchenpaars abwichen und darin
mit Regern und amerifanifchen Wilden zufammentreffen. Gin:
neuerer Naturforſcher hält Adam und Eva für ein Regerpaar,
dae Paradies fei in Afrika gewefen, und durch
fi die weißen Stämme, durdy die Hottentotten bie Mongolen,
Malaien und Amerifaner abgegmweigt. Andere ſprachen von
präadamitifchen Zeitaltern, von einem Urfchleim, woraus Alles
entftand, wie Phönizler von ihrem Mot.
(ine eigene Reihe des Mythologiſchen bilbet Gros. Vie⸗
les, fagt der Verf., ift tiefen Sinnes, Vieles, vielleicht das
Meifte, nur Spielerei, aber es liegt ein Reiz in den Spielen.
Nah altgriechiſcher Theogonie ift Eros der aͤlteſte unter den
griechiſchen Göttern und auch ber legte; im ber fpätern Vorſtel⸗
lung ift er ein ideales Kind, auch reifender Juͤngling, geflügelt,
mit Bade, Pfeil und Bogen. Br gewährt mannichfachen Stoff
zu Ausſchmuͤckung und wir erhalten von dem Verf. eine artige
Blumenlefe derfeiben von dltern und neuern Dicdhtern. Die Er:
zählung des Apulejus von Amor und Pſyche wird nicht übers
gangen und ihr Sinn dahin ausgelegt: „Durch Liebe wird die
menfchliche Seele zwar gepeinigt und gemartert, aber auch ges
(äutert und würdig der Unſterblichkeit.“ Eros wirb zufammen:
geftellt mit der Lyra (Poefic), dem Apollo, den Wufen, er ift
Weltbeherrfcher, beftegt alle Götter, reitet auf einem Löwen,
überwindet die Centauren, Bacchus erſcheint oft in feiner Ges
feufhaft. Auch der indifche Liebesgott Kama trägt fehr viele
Namen , bie fein Wefen näher bezeichnen und den Beweis lies
fern, daß er dem griechiſchen Eros febr ähnlich war. Er reitet
auf einem bunten Papagai, oder auf einem Fiſch und Loͤwen,
ft Sohn des Wifchnu, ale bes erhaltenden Principe, oder auch
Sohn der Maja, ber fhönen Taͤuſchung.
Vorliegendes Bändchen befchließen eine Monographie ber Bicne
und. die Mythe des Regenbogens. Weber die kuͤnſtliche Lebens⸗
weile des kleinen Infekt und ihr Nugen für ben Menfchen,
noch die ſchoͤne Naturerfcheinung blieben den Völkern fremd und
unbeachtet. Bei den Brischen ift die Biene der gebärenden Nas
turkraft heilig, in Indien ftebt fie mit bem männlichen Son⸗
nenprincip der Zeugung in Verbindung, wie wieder bei den
Griechen mit dem Sonnengott, mit Stier und Kuh ald Sinn»
bilder der Zeugungskraft; fie erinnert an das goldene Zeitalter,
in welhen Milch und Honig flog. Sie ift auch Sinnbild der
Wiedergeburt, der Honig erhält Bebeutung einer Seclenreinis
gung und erfcheint ala Gabe der Weisheit und Dichtkunft. In
ihrer Dfonomie und Arbeitvertheilung fpiegelt ſich ein wohl⸗
georbneter Staat, gegenfeitige Anhaͤnglichkeit und Körderung,
bei den Indiern if die Biene ein Attribut des Liebesgottes
Kama. Auf dem Mantel Napoleon’8 bedeuteten Bienen das
Einfammeln, wie fchon früher im Wappen ber habgierigen Fa⸗
milie Barberini, und Papft Urban VIII., der aus diefer Fa⸗
mitie flammte, baute die Kirche della sapienza in Rom nad)
einem Grunbriß in Bienenform.
Der Regenbogen ift in Indien Bogen bed Regengottes
Sandra, in China Stüge des Himmelsgewoͤibes. In Peru iſt
ihm ein bunter Tempel geweiht, bei den Karaiben befteht aus
ibm das Diadem bed Meergottes, bei ben Eſthen bie Sichel
des Donnergottes, bei ben Lithauern der bunte Gürtel dir Goͤt⸗
tin Laima. Die Deutſchen machten daraus eine Brüde zwiſchen
Himmel und Erde, die Griechen eine Götterbotin Iris, befon:
ders ber Juno als Luftgöttin zugetheilt. Nach bibliſchen Bor:
ftelungen ift der Regenbogen ein Bunbdeszeichen, in der katholi⸗
fhen Kirche sin Sinnbild der Dreieinigkeit, auch der Jungfrau
Maria. Pater Abraham a Santa Klara fagt in feinem „Judas
der Erzſchelm“ vom Prunk der damaligen Höfe: „Die Eiberey
der Lakaien und Bedienten hat faft allerlei Karben, wie ein Res
genbogens es kann wol fein, daß es nafles Wetter bebeutet in
den Augen der Unterthanen.”
Gewiß wird ber Verf. aus feinen übrigen mythologifchen
bie Kaffern hätten:
Gommiungen ned; mandges Anziehende und Belehrende wi
teilen haben und durch die willlommene Gruppirung beffelden
den Dank feiner Lefer verdienen. 5.
Bauclufe und Petrarca.
Carpentras, 13.-Kebr. 16m. .
Geſtern befuchte ich die Fontaine von Bauclufe. Durch
Petrarca erhieit ſie bekanntlich die Weihe der Unfterblichkeit.
Mein Führer dahin war der neunundſiebzigjaͤhrige Olivier» Wis
talie, der in dieſem Augenblicke biftorifche Forſchungen von hoͤch⸗
ſtem Intereſſe über die echte Laura dem Publicum übergibt. *)
Gine kühne Felfenfpige bietet fihöne Schloßruinen dar; hoch
ſucht man im Schloſſe gewiß mit Unrecht Petrarca’s Wohnung.
Diefe war vielmehr auf, dem Felſenabhange ein wenig unter
dem Scloffe, wo jest ein einfaches Wauerhäuschen ſteht. Im
Keller deffelben bat man vor kurzem ein Stüd Piafond mit
verfteinexten Muſchelgebilben gefunden, worin man Reliquien
von Petrarca’d Wohnung erbliden wi. Ich durfte etwas von
diefem Eoftbaren Schatze zu mir fleden. Hierauf fliegen wir
auf einem zum Theil unter Felſen hintaufenden Stege in bes
Dichters Liebtingsgarten hinab. Seine Veilchen ftehen ſchon in
voller Pracht. Ein Lorberbaum prangt in ſeiner Mitte, ge⸗
pflanzt über den Wurzein beffeiben Lorberbaums, den Petzarca's
Dand gepflegt und oft — wie er felbft erzählt — gegen bie
feindlichen Wogen der Sorgue vertheidigt hat. über dem Beil:
henbeete, das unter einem hoch hinaufragenden, mit Lorber
durchwachſenen Belfen rubt, riefelt ein klares Bächlein; es fälle
in bie vor dem Garten lautbraufenden Wogen ber Borgue.
Bon Petrarca’s Wohnung aus über dem Thale drüben wohnte,
wie man in Bauclufe jagt, Madame Laura. Am längften ver⸗
weilte ich bei ber Grotte mit dem Quellwaffer, wo Petrarca
einft feine Laura im Babe überrafchte. Übrigens bin ich ganz
der Überzeugung, daß Dlivier Recht hat, wenn er ber Ratıra vom
Gabe und der Laura von Avignon ben Ruhm der Liebe Pe
trarcas flreitig macht und ihn der ſchoͤnen Vaucluſerin um bie
Schlaͤfe flicht. Es wundert mich, daß die beruͤhmte Note von
Petrarca's Hand im Ambroflanifchen Virgil bis jegt fo vielen
Slauben hat finden Eönnen. Ich halte fie für ganz unecht
Nachſtehendes Sonett hat Petrarca an Vaucluſe gerichtet, viels
Leicht nem legten a in * reizende Thal. Es
verdankt Diivier feine erſte Veroͤffentlichung aus cinem s
feript des Louis de Peruffis von 1564: 3 Manu
Nacquer qui, quelli accesi e gran B08piri,
Ch’en si suavi accenti risonaro !
Che con Sorga e Dureuza a paro a paro
Vivranno fin chil eiel ja terra girl,
Lupra divisa par ch’aucora rpirf
Non so ehe delos in questo aer ohiaro
Per rimembrenze di quel spirto raro
Che per lei visee in si dolci martiri,
Felici coli, aventurose rive,
Gradita valle eh'en si varle tempi
Udieti in suon delle zue voce vive,
Pria fia che came nebbia fl sol mi stempre
Ch’a questi laoghi come à cose dire .
lo non m’inelini ad’kenorarli sempre. °
41.
”) L’illustre Chätelaine des envirous de "Vauche,. la Laure
de Pötrarqus. Dissertation et examen critique des diverses, opi-
ulone des derivains qui se sont oosupes de cette belle Laure que
le divin poöte toscan a immortalisdce , et dont lui seul nous m
foarni quelques donndes pour som inidressaute biographie. Par
Hyacinthe d’Olivier - Vitalis, Bibliothdenire de Carpentras, Corse-
apondant da Ministere de l’isstraction puhlique pour les travemı
historiguns. Paris 1842.
- Berantwortlicher Herausgeber: Heinrio Brodbaus — Drud und Merlag von $. X. Brodypaus in Beipgig.
Blätter
für
[4
literarifhe Unterhaltung.
Rittwod,
Das Saunermwefen in Deutfchlanb.
(Bertfefung and Nr. 78.)
Daß ein großer Theil dieſer angefchuldigten Gauner
zum Geftändniß gebracht wurde, bezeichnet der Verf. mit
Recht als eine der größten Merkwürdigkeiten in den An:
nalen der Griminaljuſtiz. Wer da weiß, mit welcher flols
ſchen Hactnaͤckigkelt, mit welcher Gewandtheit und welcher
Erfindungsgabe im Leugnen der Gauner in den peinlichen
Verhoͤren aufzutreten verſteht und immer auftritt, der wird
das Unerhoͤrte eines ſolchen Ergebniſſes zu wuͤrdigen wiſſen.
Das Mittel zu jenen Erfolgen war zunaͤchſt ein fehr ein:
faches, nämlich die Gonfrontation. Sowie ein Verbrecher
mitteld Transports von außerhalb in Berlin ankam, wurde
er nicht erfi ins Gefaͤngniß, fondern fofort zum Verhoͤre
geführt. Hier wurde er zuvoͤrderſt in aller Güte damit
befannt gemacht, daß er in eine fehr weitläufige Sache
vermwidelt fei und einen mehrjährigen Unterfuchungsarreft
zu beftehen haben werde, deſſen Erleichterung und kuͤnftige
Anrehnung auf die Strafe nur duch ein freimüthiges
Geftändniß zu erwirken fei. Leugnete er dann, mie es
freilich immer gefhah, fo wurden ihm bie gefländigen
Complicen, einer nah dem andern ind Geſicht geftellt.
‚ Diefe hielten ihm keine Specialia vor, fie erzählten ihm
bins, daß fie Alles geftanden hätten, daß Leugnen nichts
mehr helfen könnte, und Dies reichte meiftentheils aus,
den Verbrecher bekennen zu machen. Nur die Deinder:
zahl war es, deren Halsflarrigkeit, Frechheit und Ders
ſchmitztheit diefen pſychiſchen Impreffionen nicht erlag.
Man hätte fie ſehen möüflen, jene vielberüchtigten, wol oft
fhon vor Gericht geftandenen, aber noch niemals gefländig ges
wefenen @auner, deren graues Baar für eine lange Reihe von
Verbrechen zeugte; man hätte fie fehen müffen, wie fie daſtan⸗
Yan, oft mit fchlotteenden Knien, mit klappernden Zähnen, uns
ter der Schwere ihres fo unerwartet über fie hereinbrechenben
Geſchicks faft zufammenfintend, und man würbe gezweifelt har
ben, ob dies biefelben Übeithäter felen, deren gefegveriegende
Kähndeit fo lange das Eigenthum ber Begüterten bedroht, des
sen foftematifche Schtaubeit alle Maßnehmungen ber Behörben
figeitern- gemacht, fie. aus ben wmeiften peinlichen Unterfuchungen
fttraflos hatte hervorgehen laflen. Als nun vollends der Geſtaͤu⸗
digen immer mehr mwurben, als man dem Mater den Sohn,
dem Bruder den Bruder ins Geficht ftellen, als man Jedem,
von vornherein, bie Überzeugung verſchaffen Eonnte, daß er, trog
feines Leugnens, boch zus Gtrafe überführt fei, da hielt es
teum noch ſchwer, von hen nem eingellefezten Incutpaten Be⸗
15. Mär; 1843.
Eenntniffe zu erlangen, die ſich denn nicht etwa auf einzelne,
fonbern immer reich auf eine ganze Maffe von Verbrechen ex:
firedte. Gine foͤrmliche Geftändnifwuth war unter dieſen Gau⸗
nern eingeriſſen, weil jeber glaubte, nur durch ein recht offenes
Bekenntniß fein Loos mildern zu können. Immer neuerbingä
tießen fie fi) aus dem Gefaͤngniß zum Verhoͤr melden und zeig⸗
ten freiwillig Delicte an, die fonft wahrfcheintid nie zur Kennt⸗
niß der Gerichte gekommen wären, und bauten fo mit eigener
Hand immer höher das Gebäude ihrer Strafbarteit.
Dieſe Stitprobe wird darthun, mit welcher Lebendig⸗
keit der Verf. feinen Gegenftand zu behandeln weiß.
Weniger ergibige Refultate als bei den Dieben hatte
die Unterfuhung in Bezug auf die Dieböhehler, auf die
MWiederherbeifhaffung geftohlenen Gutes und die Entfchä:
digung der Beraubten. Der Grund hiervon, ſowie ber
Erfheinung, daB die Diebe trog ihrer bedeutenden
und zahlreichen Diebflähle durchweg arm find, während
nur die Hehler ſich bereicherten, bat der Derf. fehr gut
auseinandergefegt.. Als eine betrübende Thatſache iſt hier
noch hervorzuheben, daß eine Menge Chriften fich von dies
fen jüdifhen Gaunern zum falſchen Zeugniß haben beftes
Ken laffen, um das alibi der legtern dazuthun. Bei der
bier in Rede flehenden Unterfuhung waren 28 ſolcher fal⸗
ſcher Alibizeugen complicirt, worunter ſich nur ein einzi⸗
ger Jude befand !
Um einen Begriff von der Weitfchichtigkeit der Unter:
fuchung zu geben, bemerkt der Verf., daß fie ſich auf ei:
nen Zeitraum von 20 Fahren zurüderfiredit, daß über 800
Verbrechen im Laufe derfelben zur Sprache gekommen find,
wovon jeboh aus Sründen nur 549 näher erörtert wur⸗
den, unter welchen 43 aus verfchiedenen Delicten, 506
aber aus Raub und gemwaltfamen, ober fonft beträchtlichen
Diebitählen beftanden, wodurch 46 Öffentliche Kaffen und
460 SPrivatperfonen, ſoweit fi der Betrag hat feſtſtellen
laffen, um mehr als 210,000 Thaler beftohlen worden
find. Die Acten beftehen im Ganzen aus 2050 Bänden.
Daß diefer Riefenproceß in außerordentlich vielen Bes
jiehungen lehrreich fein mußte, iſt einleuchtend; die hier⸗
aus gewonnene Kenntniß der Gaunertaktik theilt der Verf.
in einem befondern Abfchnitt mit:
Gaunertaktik. Das Verfahren dee Diebe kennen
zu lernen, wie ed aus jener großen Unterfuchung ſich er⸗
geben Hat, iſt niche nur in ſicherheitspoliceilicher Hinſicht,
ſondern für Sehen, der etwas zu verlieren hat und fich:
4 \
gegen biebifche Gefährdungen ſchuͤtzen will, von weſentli⸗
chem Intereſſe. Wir haben es dabei mit einem ziemlich
ausgebildeten Organismus zu thun. Da dem Einzelnen
die Veruͤbung ven Diebftählen, befonders in gewerbsmaͤ⸗
ßiger Ausdehnung, fchwierig und oft unmoͤglich geweſen
wäre, fo entflanden Beine Verbindungen zum Zwecke ges
meinfchaftlicher Ausführung diebiſcher Unternehmungen.
Eine folhe Verbindung, in ber jüdifhen Diebsfprache
Chämwre oder Chamruffe genannt, umfaßt aus der Zahl
"der an einem Drte oder doch in der Nähe beilammen
wohnenden jüdifchen Diebe, vier bis fünf, höchftens ſechs
Derfonen. (In dem Städtchen Betſche, von welchem be:
reits die Mede war, beftanden nach aetenmäßigen Nachtich⸗
ten etwa im J. 1804 vier bis fünf ſolcher Chawruffen,
welche jedoch in der fpätern Zeit, bei der beftändigen Zu:
nahme der diebifchen Bevölkerung, bis auf die Zahl von
zehn anwuchſen.) Jede diefer Diebsgeſellſchaften hatte ei
nen beftimmten Anführer, in der Diebsfprahe Bohnherr
oder Balmaffematten (Bal: Herr, Maffematten: Dieb:
ftahl) genannt. Seine Wahl hing von der Größe feiner
Geſchicklichkeit im Einbrehen, im Öffnen von Schloͤſſern
u. f. m. ab. Wer diefe Eigenfhaften durch längern Be:
trieb des Diebshandwerks erlangt hatte, ward von den
übrigen Chawruffe- Mitgliedern als ihr Bohnherr betrachtet.
Als folher befaß er einen eifernen Fonds zur Bezahlung
der Zehrungskoften und fonftigen Auslagen auf der Reife
nach dem Drte des Diebftahls; er flellte bei Veruͤbung
deffelben die, zur Sicherung nöthigen Wachen (Schmie:
ren in der Diebsfprache) aus; ihm mußten bei allem bie:
fen die übrigen Chamruffe- Mitglieder gehorchen. Kein zu
diefen Affociationen gehörender Gauner fliehit, ohne mit
der Örtlichleit de8 auszuführenden Diebflahld genau be:
anne zu fein, weil er, wie dies bei gelegentlichen Dieb:
ſtaͤhlen fo häufig gefchicht, der Gefahr der Ertappung fonft
zu leicht blosgeſtellt if. Es exiſtiren beflimmte Baldo⸗
wer (d. h. Auskundſchafter), welche den Charoruffen die
Diebftahlsgelegenheiten nachweiſen und dafür einen An»
theil am geftohlenen Gute erhalten. Jede Chawruſſe bes
faß ihr gemeinfchaftlihes Schraͤnkzeug (das zum Ein:
brechen erfoderliche Werkzeug), ihre Klamoniff (Nad:
fchlüffel) und ihe Fuhrwerk. Schon duch den Baldower
wiffen die Diebe immer, wann ber zu Beſtehlende, in ber
Diebsfprache der Freier genannt, nicht zu Haufe if.
Sie lauern ihm auch wol auf, bis er weggeht. Einer
der Chamern fchleiht ihm alsdann nad, beobachtet Ihn
genau und fegt, wenn Sener zurückkehren follte, feine Ge:
noffen fchleunigft davon in Kenntniß. Werden die Diebe
geftört, fo rufen fie fih das Wort Lampen! zu und
jeder ergreift, fo gut er kann, die Flucht.
Außer diefen, von Chawruffen ausgeführten gewaltfa:
men Diebftählen find noch folgende Arten zu unterfchei:
den: 1) Die Schottenfeller. Sie cultiviren den Dieb:
ſtahl auf Meffen und Märkten oder auch fonfl in den
Kaufmannsiäden. Ihr Gewerbe beiteht in Entwendung
von Schnittwaaren. Gewöhnlich find dabei mindeflens
zwei Perfonen thätig. Der eine (dee Srikener) läßt
fi) von dem Kaufmann Waaren zur Anficht vorlegen.
Daran mäfelt und tabelt er, und um ihn zu befciebigen,
langt der Kaufmann immer neue Stüde herunter, bis
der Ladentifh voll wird. So oft der Kaufmann den
Rüden wendet, fliehlt der andere (dee Schautenpider)
von den vorgelegten oder fonf zur Dand liegenden Waa⸗
senftäden, indem er davon, fo viel.er fortbringen oder ers
langen kann, in feine Fuhre (große Diebstafche) ſteckt.
Keine Art des Gaunergewerbes wird von einer fo großen
Anzahl Individuen in folhem Umfange getrieben ald das
Schottenfellen. Daß mindeftens 5000 Gauner fih da⸗
mit befchäftigen, glaubt ber Verf. als gewiß annehmen
zu koͤnnen.
2) Die Zorfdruder, auch Cheilefzicher ober
Seifenfieder genannt, treiben ben Taſchendiebſtahl auf
Meffen und Märkten, im Theater, bei Volksfeſten und
wo fonft ein Zufammenflug von Menfchen ftattfindet.
Gewoͤhnlich find ihrer mehre. Pferdemärkte find ihre vor:
nehmften Sammelpläge, weil die Käufer da in der Megel
das meifte Geld bei fi führen. Sobald einer einen
„Freier“ baldowert bat, gibt er feinen Chamern einen
Zink (Zeichen), um Vertuſſ zu machen, d. h. um
Gedraͤnge zu veranlaſſen. Waͤhrend dieſes Gedraͤnges
wird der Geldbeutel oder die Uhr dem Gedraͤngten auf
ſehr behende Weiſe aus der Taſche gezogen. (Hierher ge⸗
hört ein intereſſantes Manoeuvre, welches vor einiger Zeit
am Wohnorte des Nef. ausgeführt wurde und wahrſchein⸗
li auch anderweit ſchon vorgelommen if. Man könnte
e6 „das Niederreiten” nennen. Ein Qutsbefiger mit etwa
70 Thalern Papiergeld in der Zafche, fchaut fih auf dem
Viehmarkt um; ein Weiter jagt gerade auf ihn los, der
Gutsbeſitzer will flüchten, fällt dabei einem ihm zu Hülfe
ellenden, den Meiter abmwehrenden Manne in die Arme
und ift im nächften Augenblide geborgen. Indem er fich
nun fortbewegen will und inflinctmäßig nach der Bruft:
tafche greift, ift das kurz vorher moch dageweſene Porte⸗
feuille mit dem Gelde weg; auch der freundliche Beſchuͤtzer
war mittlerweile in fcheinbar eifriger Verfolgung des un:
befonnenen Reiters im Gewuͤhl verfchtwunden.) "
3) Die Chalfen oder Chilfer (Wechsler). Die die⸗
biſche Manier der Chalfer beſteht darin, daß ſie von ei⸗
ner, beim Geldumwechſelungsgeſchaͤft ihnen vorgewieſenen
Summe, vor den Augen Desjenigen, den fie beſtehlen
wollen, oft einen ſehr beträchtlihen Theil auf fo geſchickte
Weife entwenden, daß der Beſtohlene von dem ihm zuge:
fügten Verluſt meiftens gar keine Ahnung hat. Die ge
woͤhnliche Art und Weiſe ihres Verfahrens ift folgende:
Der Chalfen geht zu einem Geldwechsler oder auch zu
dem eriten beiten Kaufmann, von bem er wol denkt, daß
er Goldſtuͤcke vorräthig hat, und bittet mit artigen Wor:
ten, indem er fih für einen Fremden ausgibt, ihm ein
Goldſtuͤck, in der Regel einen Doppellouisder, deſſen er
bedürfe , gegen Gourant auszuwechſein. Er ii — ein
nothiwendiges Erfoderniß! — anftändig, wol gar fein ge
Beider, und der Kaufmann, obwol das Geldwechſeln viels
leicht zu feinem eigentlichen Geſchaͤft nicht gehört, träge
boch Bedenken, das befcheidene Verlangen des Fremben
abzuſchlagen. Er holt nun aus ſeiner Kaſſe ein einzelnes
La)
®
GSoenme, um es dent Fremben u geben. Dieler ober,
nachdem er es beſehen, bittet fehr hoͤflich, ihm ein anderes
Goldſtuͤck etwa eins mit gezacktem Rande, einen Braun:
ſchweiger u. f. w. zu geben, und der Kaufmann langt ale:
dann, der Regel nach, feine Goldkaſſe hervor, um darin
nach dem verlangten Stüde zu fuden. Dies ift es, was
dere Chalfen gern wimnfchte und was er durch feinen Eins
ward Hinfichttich des Gepräges u. f. w., eigentlich herbei:
führen wollte. Er drängt fi nun an den zu Beſtehlen⸗
den beran, thut fo, als ob er plöglich in der Goldſchwinge,
die Jener in bee Dand hält, ein ſolches Goldſtuͤck wahr:
naͤhme, wie es von ihm bezeichnet worden, und fährt,
feinbar um den Kaufmann darauf aufmerffam zu ma:
hen, mit dem ausgeftredten Zeigefinger der rechten Hand
in die Kaffe. Dabei hält er aber den Daumen und Die
andern drei Finger der rechten Hand dergefialt zufammen:
geniffen, daß die letztern unter dem Zeigefinger eine Höhs
lung bilder. Indem er nun die Hand flach auf die Kaffe
legt, weiß er durch eine aͤußerſt fchnelle, dem Unkundigen
gar nicht bemerkbare Bewegung des Daumens wol bis
u 10 Doppellouisdor in bie hohle Hand zu klemmen,
die er dann fchnell wieder zuruͤckzieht. Scheinbar fodann
nach der Uhr fehend, oder Courantgeld zum Umfegen her:
vorholend, weiß er diefe Gelegenheit zu benugen, um die
geſtohlenen Goldſtuͤcke in feine Taſche zu bringen.
(Der Beſchiuß folgt.)
Engliſche Tafhenbücer für 1843.
Nicht alle, obſchon der einftmaligen Flut eine ſtarke Ebbe
gefolgt ift, fondern nur fechs der bemertenswertheften.
l. Friendship’s Offering.
Berbientermaßen zuerft ats eins der aͤlteſten, ber beften und
am frübeften erfchienenen. Keith Ritchie ift Herausgeber und
bekanntlich ein Literarifcher Koch für jedes Menfchen Geſchmack, der
zugleich bas Vorſchneiden folcher buchhaͤndieriſchen Braten vers
ficht. Das Zitelkupfer zeigt das Gluͤck der Königin Victoria im
häuslichen Kreiſe, die Kinder in ihren Armen, der Gemahl,
„nee allezeit Tiebevolle Prinz Albert”, an ihrer Seite. Das
Kupfer ift vortrefflidh, der Anblick rührend und der Herausgeber
dankt Miß Camilla Zontmin für die beigegebenen Zeilen.
Für Nnittelverfe erfcheint der Dank zu artig. Das Gedicht
„Die gebrochene Kette” Habe ich nicht gelefens es fing im vos
tigen Jahrgange an und enbigt in biefem. „Fortſegung folgt”
in den belletriſtiſchen Sournalen, iſt übel genug, eine Fort⸗
fetung in einem Taſchenbuche eine Unverſchaͤmtheit. Die Verſe
den Tod ber L. E. 2. reden zum Bergen. Sie Flingen
wie die Klage ber Felicia Hemans über ben vorfchnellen Tod
der Schweſter⸗Dichterin. Beide ruhen nun im Grabe. Sämmts
lie Kupfer find Thon, und welche Erzählung ich nicht tadle,
die Iobe ich. Ich table keine.
2. Book of beauty.
Serausgeberin Lady Bleffington, die Rinon de l'Enclos
der engtiichen Literatur. Voran wieder die Königin, ihre zwei
Kinder und ihr Schooshund, von ber Race, die in England
König Karl's Hunde beißt. Die beigegebenen Verſe find beffer.
Die Königin Mutter ficht wirklich cus — nur fi kaum aͤhn⸗
lich — ats ob fie ba fige
Watching the smiles upon each infant check,
Where budding hopes thro’ budding roses upeak.
Die „Epifode im wirklichen Leben‘, von Sir Edward Lyt⸗
ton Buiwer, beginnt mit „theurgiſcher Philoſophie“ und hört
mit Simmel und Höfe auf. Iſt mir ganz grautich dabei ges
' worden. Die ſchoͤne Pringes Eſterhazy wird von ber Heraus
A en ice ehrtich. Die ®
r, fie me nicht e . Ä
Beibes iſt, vom Wanne geliebt zu werben. Darauf mag —
Wenn: eine Frau ber andern ſchmeicheit,
Meinung fußen. „Inez de Caſtro ift eine gut ae
Sryählung von Lord William Lennox. —— iR
fon beiweitem beffer behandelt worben; aber ih babe von
bem edeln Lord nie Beſſeres gelefen, was freilich immer noch
ein mäßiges Lob iſt. „Dichter fterben im Herbfl’”, von Miftreß
Wiiſon — einfältiger Schnack, die Dichter flerben in jeber Jah⸗
auejeit Songreve flarb im Januar, Byron und Beaumont im
M Ih Shalfprare und Dtway im April, Southern und Dry⸗
den im Mai, Addiſon und Akenſide im Juni, Rouſſeau im Suli,
Milton im November, Rowe im December, der Dichter anderer
Volker zu gefchmeigen. Ich baffe Affectation und „Dichter fters
ben im Herbfl‘ ift eine eingemadte. Benjamin d’Zfraeli bat
einen Beitrag geliefert: „Der mittelländifche Ocean’. Da
fchreibt er: „Corſica entfendete am Schluſſe des legten Jahr:
hunderts ein Wollen, bas bie Welt beſiegte.“ Alſo Napoleon
war ein Wollen und hat die Weit befiegt, mit Ausnahme von
Afien, Afrika, Amerika, in Europa Rußland und mebren un:
bedeutenden Infeln, worunter England. Zu den Hyperbeln fügt
v’Ifraeli ein paar Spaͤßchen. Seiner Berfiherung zufolge leiden
Italien, Griecheniand und einige andere Länder an Bi bungen,
denn er fagt wörtli: „the mediterranean region is infested
with a wind’, was auf deutſch und englifch fo viel beißt als:
die mittelländlifche Region wird von einem Winde geplagt, unb
fpäter „ertennt” der Schalt in biefem Winde „an old acquain-
tance” — einen alten Bekannten. Lady Bieffington follte ber -
gleichen nicht nachſehen. Won Walter Savage Landor — ein
guter Name — findet ſich ein fingirtes Geſpraͤch zwiſchen Mi⸗
el Angelo und Vittoria, etwas zu lang, unſtreitig zu lang
für ein Taſchenbuch, übrigens reich an Gedanken und Bildern.
Bon Marryat ‚ein Geſchichtchen: „Dankbarkeit,” Dankbarkeit
gegen Marryat für früher Gefchriebenes legt der Kricik Schwei⸗
gen auf. Summa Summarum, wen nad lieblichen Frauen⸗
geſichtern luͤſtert, der beſchaue das „Buch der Schonheit⸗ und
mit ben literariſchen Gaben kanu ein beſcheidener deſer auch zu-
frieden ſein.
3. English pearls,
Ich rathe keinem entzünbbaren Manne — Juͤnglingen
gar nicht — bie „Engliſchen Perien” anzufehen. —* —2
nigin, die wieder voran, — „Thou music of a nation’s voice”
Elinge mindeſtens — Ließ es ſich allenfalls wagen. Aber Raby
Srey Eggerton, Lady Seymour, Lady Louife Day,
Miß Gore, Miß Wilmot, obdgleid keine von ihnen Hof⸗
dame ift, nöthigen mir Byron's Worte ab:
We gaze and turn away
Daszied and drank with beauty,
Die Herauögeber Zilt und Bogue follten alt Berführer in
Anklageſtand gefegt werden. Dody könnten fie ſich mit ns meift
niederfchlagenben Pulvern entfdutbigen, die fie für die aufregen:
den Portraits beforgt und in gereimte Portionen gepackt baden.
Sins nehme ich indeffen vorzugsweife und unbedingt aus. Ges
in die Beigabe zu Mi Wilmot, überfchrieben :
Love's aspirings.
The flower thou lev’st — the flower thoa lov'tt —
Ob! would I were that blessed flower,
To be with thee wherc'er thon rov'st,
Thine own young breast my beanteous bower;
To feel thy warm lips, voft and uweet,
Breathe foediy o'er my erimson bloom;
’T were blies to die, if ihus to meet
So kind a death — so fair a tomb.
The flower thoa lov’st — oh, 't were isdeed
A fate of unalloyed delight,
Thus on thy beauty's breath to feed,
And gentiy fade in thy ler'd sight.
N
ı Ber ch! when arerg leet was gpme
That ones thine syes with lighs enuld Ai,
eit I would Unger on,
lost in frageanco sound ihes stil !
4, Theo Koepsake,
ebenfalls aus den Händen genannter Rinon de U’&nclos. Won
ven zodif, zum größeren Theil ausgezeichneten Kupfern iſt das
exfte ein Portrait ber Herzogin von Nemours, deſſen Original
von Roß im Beſitz der Königin Victoria, der Stidy von Char⸗
les Heath, dem Herausgeber. An der letter- press, bem beiles
treiftifchen Theile, haben 35 Perfonen mitgewirkt, manche aber,
trot fidhtbar ſchwerer Muͤhe, leichte Waare geliefert. unter
* befferm Gedichten ift das kürzefte, von Miß Ellen Power,
Igendes:
In pi
And
Thoughts on death.
We ksow there is a better werid,
Where God alone doth reigu;
Where sin and sorrow cannot come,
Nor aught to give us pain.
But by the friends who loved us here,
Shall we be loved in koaven?
Or have they to the angels,
The love they bore us, given?
And when | join them upon high,
Will they look cold oa me?
Ah! no, for ’t is a world of bliss,
There surely love must be.
—.
9%. Theo American in Paris,
Died für das laufende Jahr der verwandelte Titel von
Heath's rühmtidhft bekannten „Picturesque annual”, und das
Bud) eine Überfegung aus dem Kranzöftichen des Jules Janin,
der es aus dem englifchen Manufcripte eines Amerikaners übers
feat Hat. Warum alfo nicht lieber das englifche Original? Die
Einleitung beantwortet diefe Frage volllommen genügend damit,
daB es nicht zu erlangen gemwifen fei. Auch gut, ſchon weit die
Aüdüberfebung gut. Es find 35 Kapitel de omnibus rebus et
quibusdam aliis, vorurtheilsfreie Schtiberungen alles Deſſen,
was der Herr Amerikaner in Paris gefehen hat, bortige Freu⸗
den und Leiden, Reize und Flecken, Tugenden und Laſter, mebs
res Neue und das Alte in neuem Gewande. Dazu 18, theils
von Heath felbft, theils unter feiner Aufficgt ausgeführte Stiche
nah Zei nungen von Eugene Lami. Ich werde verflanden,
wenn ich die Stiche englifche nenne.
6. Schloss’s English Bijou-Almanarc,
achter Jahrgang, zuerft son der unglüdtihen E. E. L., dann
von der ungluͤcklichen Miftreß Norton, jest von der hoffentlich
giädtichen Miß Mitford rebigirt. Die fehr guten Kupfer
igen ben Prinzen von Wales, die Herzogin von Orleans,
elaibe Kemble (that was, die geweiene), Samuel Rogers
(von welchem bie Zeitungen neulich eine verbrießliche Grinnes
zung erzählten) den König von Preußen (of course, Friedrich
Wiühelm IV.) und den König ber Zauberer, Drn. Döbs
er, dem die Welt eben diefe Döbler’fche Zauberei, den Bijous
Almanad), verbantt. Da derfelbe, idy meine ben Almanach, bie
Größe eines mäßigen Daumennagels hat, fo begreift fi, war:
um die Kupfer fehr Elein find. Der Druck desgleichen. Doch
ſchadet das nicht. Für ſchwache Augen wird ein Bergrößerungss
lad zugegeben. Und wie rein und Bar und mufterhaft ift der
Drud, Schloß iſt freitich ein Deuticher, aber feine Arbeiter
find Engländer — ich hätte geglaubt, ed müßten Eilliputaner
fein — unb biefe Engländer ein fürs allemal Zaufendfafas. Jeder
loyale Sachſe follte ein Exemplar kaufen, denn der zarte Eins
band ift weiß und grün mit Gold. Und jeder Liebende follte
feinee Geliebten ein Exemplar verehren, denn es fledt fammt
dem Vergrößerungdglafe in einer berzförmigen Kapfel von vor
them Maroquin, mit weißem Sammet und Atlas gefüttert.
auf rt en Si und it uf —
hat um dieſes Nichts ſich nicht ein zweites Wat bentäpt. i
4
- Literarifhe Notiz -
iu. Bi. ⸗
Wr daben ſchon a widderholten Malen
wäpet, daß die Gpreialgeihichte und die Ardpdorngie
ſich in den Provinzen Frankreichs einer immer regern Theilnahme
erfreut. Leider dringen häufig die Bemühungen ber vereingelten
Gelehrten, die in der Stille arbeiten, fern vom Gentrum des franzoͤ⸗
fifden Lebens, nicht einmal bis zur Hauptſtadt und finten nur-
im engern Kreife ihres Wohnſiges Anerkennung. Es ift bei-
balb erfreulich, wenn biefe ein
Balenciennes vorſchwebte, als er feine „Archives historiques
ord de la France et du Midi de la Bei-
ique, par Leroy et Artkur Dinaur, de :a Socists royale
es antiquaires de France’ (Valenciennes) ftiftete. Wir haben
die vierte Lieferung des dritten Bandes vor uns liegen. Gie
enthält neben einigen wenigen Bemerkungen, die vielleicht nur
ein Eocalintexefle haben, mehre ganz trefflidhe Aufſaͤze. Dahin
gehört Leroy’s Beiprechung eines unbefannten Merle der Biblie⸗
thek zu Valenciennes, das ten Titel führt „Chroniques de
Flandre et d’Artois’ und das theils in Profa, theils in Ber
fen gefchrieben iſt. Diefes fhänbare Manufcript gehört dem
16. Jahrhundert an (zwiſchen 1574 und 1580). Leienswerth
ift ferner die „Notice sur le chätenu de Selles à Cambrai”,
von Fidele Delcroir. Der Urfprung dieſes Schloſſes wird bis
zur Römerzeit binaufgefübrt. Sehe intereffant ift die „Bio-
graphie du celebre sculpteur Baly’, von Arthur Dinaur.
Derfelbe war geboren zu Balenciennes am 20. Zuni 1717 und
warb, nachdem er mehre unzweifethafte Proben feines Talente
gegeben und ſich 18 Jahre in Dänemark aufgehalten, Profeflor
der Gculptur zu Paris, in den Adelſtand erhoben und becorirt.
Er ftarb dafelbft 1776. Wir machen endlich noch auf den Auf⸗
fat von 9. Piers „Sur l’Abbaye de Marguette- lez- Lille‘
aufmerkfam. Diefe Abtei ward 1226 von der bekannten Jo—
banna von Konftantinopel geftiftet. 2.
Arags’s Bildnisse.
An Ary Scheffer.
Den Adlerblick hebſt du zum Firmamente,
Die Stirn gedankenſchwer zum Dom der Sterne,
Auf daß dein Geiſt, dies Welten» Prisma, lerne
Das Wort der Sphinr im Kampf ber Elemente,
Was feindlich in der Urkraft Schoos fich trennte,
Was liebend fich vereint zum Sonnenferne,
Das waltende Gefeg in Äther Ferne,
Vom Niedergang bis hin zum Oriente.
Steig, Sonnen: Parfe, nit von deinen Höhen,
Hinab zum dumpfen, qualmumwoͤlkten Thale,
Wo um ihr golbned Kalb Abtrlnn’ge tanzen.
Dein Moſes⸗Antlitz glänzt umfonft vom Strahle;
Sie hören nicht auf des Propheten Flehen,
Sie wollen nicht bie Sonnenkeime pflanzen.
Koreff.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrig Brodbaus. — Drud und Berloa von F. X. Brodbans in Leipzig.
Blätter
‘
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerdtag,
( Beſchluß aus Wr. 78.)
4) Die Kittenſchieber, auh Scheinfpringer
und Kegler genannt. Ihre Taktik ergibt ſich ſchon aus
ihrem Namen. Kitt heiße das Haus, ſchieben aber heißt
ſchleichen, die Überfegung alfo Hausſchleicher. Ihre Diebs
ftähle verüben. fie in den Morgenilunden, indem fie an
die Thür des erſten beiten Zimmers klopfen. Erfolgt kein
Eintafiuf, fo oͤffnen fie die etwa unverfchlofiene Thür,
zufen einen „Buten Morgen!’ herein und treten, Com:
plimente madend, vor, wenn fie feine Antwort erhal:
ten. Haben fie fih auf diefe Weile verſichert, daß
Niemand im Zimmer anwefend ift, .fo nehmen fie, was
fie gerade fortbeingen koͤnnen, meiſtens aber Geld und
Pretiofen.
5) Die Stipper. Sie exerciren den Diebſtahl gewoͤhn⸗
ih in Kaufmannslaͤden mit eines Ruthe von duͤnnem
Fifchbein, welche mit Vogelleim befchmiert iſt und ben
Namen Stippruthe führt. In der Regel find dabei zwei
Derfonen thaͤtig. Während der eine auf irgend welche
Art die Aufmerkfamteit des Käufers zu befchäftigen ſucht,
am liebften fo, daß er aus dem Laden auf eine Zeit lang
entfernt wird, ſteckt der andere die Stippruthe durch das
in der obern Platte des Ladentifches gewöhnliche Loch in
die Kaffe, druͤckt fie krumm und zieht fie wieder zurück,
worauf die ganze Ruthe voller Geldſtuͤcke hängt.
6) Die Goleſchaͤchter. Gole heißt Kutfche ober
Wagen; ſchaͤchten aber ſchneiden oder fchlachten. Das
Gewerbe diefer Art Diebe befteht darin, von Reiſe⸗ oder
Frachtwagen Koffer oder Waarenballen abzufchneiden. Wird
der Koffer von einer Reiſekutſche wirklich abgeichnitten, fo
beißt dies ein Krachenfetzen.
7) Das fogenannte Stradehalten, welches verwandt
mit dem Goleſchaͤchten if. Der Diebſtahl iſt auf die
Ballen der Frachtwagen gerichtet und wird meifl von
mehren Gaunern gemeinfchaftli vollzogen.
8) Die Tchillesgänger. Mit Tchilles oder Chil⸗
les bezeichnet der Gauner die Abendflunde oder die Daͤm⸗
merung. Es gehören hierher alfo Diebe allerlei Art, wel:
he in diefer Tageszeit auf Diebftahl ausgehen. Ein fol:
her Diebſtahl heißt Tchilles in Mokum, wenn er in ber
Stadt, und Thies auf dem Schud, wenn er auf einem
Markte verubt wird.
irgend eine Welfe in der Abendſtunde fehlen.
9) Die Nepper. Es find dies Betrüger, welche ins⸗
befondere die Landleute prellen, indem fie unechte Waare
für echte, 3. B. Zombad für Gold, Neufilber für echtes
ausgeben. In der Megel wird ein folcher Betrug von
zwei Perfonen verubt, welche fich fchon vorher, entweder
ſelbſt oder durch die dritte Hund, überzeugt haben, daß der
zu Betrugende Geld befigt. Der eine, elegant gekleidet
und einen fremdartigen Dialekt affectirend, tritt ale ein
Stanzofe, Staliener oder fonft als ein Fremder auf. Er
erzähle, dag ihm, auf einer Reife zu feinen Verwandten
begriffen, das Geld ausgegangen fei. Dabei zeigt er its
gend eine werthloſe Sache, etwa eine tombadne Uhr, ein
unechtes Geſchmeide u. dgl.; er aͤußert, baß ihm dies ein
unveräußerliche® Kleinod, ein Andenken von einer verftors
benen theuern Perfon fei, und fragt, ob ihm nicht. Je⸗
mand nachgewiefen werden könne, bei dem er bie Koſtbar⸗
keit auf kurze Zeit gegen gute Zinfen verfegen koͤnne. Er
verlangt z. B. 250 Thaler darauf und verfpricht bei der
Eintöfung 300 Thaler oder wol noch mehr zurkdzuzahlen.
Waͤhrend defien kommt fein Genoffe hinzu in Geſtalt eis
nes Schacherjuden, mit einem Bündel auf dem Rüden,
und erkundigt fih, ob man nichts zu handeln habe. Er
erblidt das Geſchmeide, ſtellt ſich erftaunt über den gro⸗
ben Werth deſſelben, bietet ſogleich 100 Thaler dafuͤr
und ſteigert ſein Gebot wol auf das Doppelte und Drei⸗
fache. Dee Fremde aber weiſt ihn veraͤchtlich ab, erklärt,
bag ihm der Ehmud um feine Summe feil fei, und wie⸗
derholt fein Geſuch, ihm einen Pfandleiher nachzumeifen.
Durch das übermäßige Gebot ded Juden verlodt, gebt
dann ber Unerfahrene gemöhnlih in die Kalle. Er Leiht
dens Fremden die verlangte Summe, empfängt dagegen das
angebliche Kleinod, das zur größern Sicherheit wol noch
auf Verlangen des Fremden in eine Schachtel verfiegelt
wird, verfpricht, daſſelbe gut aufzubewahren — und If
geprellt.
10) Die Chamiſſehaͤndler oder Enne:votenne
macher, welche fi damit abgeben, Pretiofen zu ſtehlen.
Sie fügen vor, für den Augenblick nit Geld genug
zur Berichtigung des Kaufpreiſes zu haben, geben. eine
Kleinigkeit darauf und verfprechen, in einigen Tagen wie⸗
derzulommen,. Zu ihrer Sicherheit verlangen fie, daß die
'
208
getaufte Sache In eine Schachtel gefiegelt werde, wiſſen
diefe aber dabei gegen eine andere, die fie zu dem Ende
in Bereitfchaft haben, mit großer Gewandtheit zu vertau⸗
chen. Bemerkenswerth bleibt noch:
11) Das Pleiteshandeln. Wenn nämlih bie
Diebe keine Gelegenheit haben, ober Pinderniffe finden,
heimlich oder gewaltfam in das zu beflehlende Local zu
dringen, fo ſucht einer von ihnen bei dem Inhaber des Kos
cals ſich einzuquartiren, indem er um ein Nachtlager oder
fonft um Aufnahme bittet. Gewöhnlich gefchieht dies bei
Krügern, Gaftwirthen oder Bauern. Der Einquartirte
ift fodann, durch die Aufriegelung der Thür oder fonft auf
eine Art feinen Genoſſen behälfiih, in die Wohnung zu
gelangen, und geht mit ihnen heimlich davon, wenn ber
Diebftaht ausgeführt if. Hat Der, welcher ſich einquar:
tirt, Gelegenheit, feinen Wirth zu beftehlen, ohne daß ber:
felbe e8 bemerkt, fo verläßt er ihn nicht heimlich, fondern
mit feinem Wiffen. Dies wird alsdann „eine Challt
handeln” genannt.
Dies ift der Modus, nach welchem bie zu Berlin in
Folge jener großen Unterſuchung verurtheilten Gauner bie
Öffentliche Sicherheit gefährdeten. Diefe Auswüchfe ber
menfchlihen Geſellſchaft find wichtig genug, um Notiz
von ihnen zu nehmen und wir wollen uns gluͤcklich ſchaͤ⸗
Gen, daß es hier nur par distance gefhieht. Zu diefem
Behufe glaubten wir keinen beffern Anhalt finden zu koͤn⸗
nen als die Thiele’fche Schrift. Im zweiten Bande, der
noh zu erwarten ſteht, verſpricht der Verf. Nachrichten
über das Leben der in erwähnte Unterfuhung implicirten
Gauner zu geben. Nicht nur den Criminaliften,, fon:
dern den Pſychologen überhaupt werden fie gewiß will:
tommen fein.
Über da6 dem erflen Bande beigegebene Leriton der
jüdifhen Gaunerſprache können wir hier nicht ins Ein:
zeine gehen; die glinflige Stellung des Verf. und die Be:
nugung ber ihm hierbei von woiffenfchaftlich gebildeten
Gaunern gegebenen Aufklärungen haben ihn in den Stand
gefegt, ein fehr brauchbares Mörterbuh zu liefern und
die Angaben früherer Werke ähnlicher Art gründlich zu
berichtigen. . 28,
Daguerreotypen. Aufgenommen mährend einer Reife in
den Drient in den Jahren 1840 und 1841, von F.
W. Hacklaͤnder. Zwei Bände. Stuttgart, Krabbe.
1842. Gt. 8. 5 Thlr.
Der junge Hadtänder hatte, wie fein Freund Freiligrath,
bie Gomtoirfeder weggelegt und verfuchte mit andern Federn,
von Barmen und Elberfeld aus, in höhere Reviere zu gelangen.
Wenn er felbft mehr bie Profa, wie Freiligrath den Vers er-
griff, fo fügte es ſich auch feltfam, daß er in profaifcher Wirk:
lichkeit jene Regionen erreichte, die Freiligrath fo gern mit poe=
tifcher Phantaſie auffuchte, den Orient, die Wüfte, das Lanb
der Palmen, der Giraffen und wenigftens ber Schakale, wenn
er gerabe keinen Löwen begegnete. Hacklaͤnder war auf gut
GSiuͤck ausgezogen. Er verfuchte es mit bem Theater, er hatte
Gabe für Muſik und Belang, Neigung zu poetifcher Probuction,
aber zu viel Unruhe und Unbefland für Alles. Seine Begabung
war eher vietfeitig als tief zu nennen. Er batte mit feinen
‚Sommen ifl. Dazwiſchen blickt bier und
„Bilbern aus dem Golbatenieben im Beieben‘ einen Heinen Ras
men und viel Wohlwollen fchnell gewonnen und kam in biefem
unruhigen Treiben und mit den Brüplingsausichlägen feines Zar
ients im Fruͤhling 1840 nady Stuttgart. Er hörte da von eis
nem Baron v. Zaubenheim, der eine Reife nach bem Drient
vorhabe, folgte feinem Verlangen und ber Aufmunterung einiger
Breunde, bie es vermittelten, baß ber Baron ihn zu zwei ans
dern Mitreifenden, einem Arzt und einem Maler, als britten
Reifegefährten aufnahm. Mit Anfang October traten fie bie
Reife an, auf der Donau bis Giorgewo und zu Pferd bis Kon—
ftantinopel, von da durch ben Acchipel und Kleinaſien bis Das
maskus und Palmyra u. f. w.
Die Beſchreibung diefer Reife liegt bier vor uns. Auf
dem Umfchlage des Buchs wird fie als bie Reife des Barons d.
Taubenheim angebeutet. Diefe Andeutung fehlt auf dem Zitel
des Buchs, und mit Recht: denn fie ift nur eine Auskunft, eine
Abfindung zwifchen bem Wunfche des Verleger, dem Vortheile
des jungen Autors und ber Güte des Barons. Go wenig man
auch zu Büchertiteln fremdfprachliche Worte Lieben mag, fo ber
zeichnet boch Dadländer Das, was er eben als feine Reifemit-
tHeitungen bietet, fehr bezeichnend mit dem Worte Daguerreos
typen. Es ift ein treuer und leichter Abdrud oder Anhaudh
von Erſcheinungen unb Grlebniffen auf weißem Papier. Was
mehr in der Tiefe des Gegenflandes, im Schatten der Erſchei⸗
nung, im Hintergrund der Zeit lag oder durch die That eines
unterrichteten und forſchenden Geiſtes gewonnen werden mußte,
hat fi) nur flüchtig abgedruckt ober iſt ganzlich ausgeblieben.
Der junge Mann hängt mit gefunden, frohen Sinnen am Le
ben und deſſen Erſcheinungen; Studien über Zeiten und Völker
hat ex nicht gemacht, Geſchichte und Naturwiſſenſchaften gehoͤr⸗
ten nicht zu den Vorbereitungen auf feine, vom Himmei ihm
deſcherte Reiſe; für geiitreiche Beobachtungen, Reflexionen, Som:
binationen ift er zu jung und zu unruhig. Hat er ja, wie wir
hören, kaum Geduld genug, zu fchreiben, und bictirt lieber, ber
funge Mann! Wie ließe fid) ihm da zumuthen, daß ee nach der
Reile felbft, die eine Strapaze war, aus der Mittheilung bers
felben eine Arbeit hätte machen follen? Sonſt hätte ex freilich
feinen tebendigen Anfchauungen nach gemachter Reife unb vor
deren Beſchreibung und Herausgabe durch Studien und ade
forfhungen noch einen bedeutenden Gehalt einverleiben Zönnen.
Run merkt man freilich die ungeduldige Mittheilung fogar fei:
nem ungleicyen Stil an, ber gar oft vernadhläffigter und vers
worrener ift, als man es billigen Tann. Wie viel hätte das fo
flüchtig Mitgetheilte bier und ba durch Anmuth und Geſchmack
in der Darſtellung, wie er ſolche doch in feinen „Bier Rönigen‘
und „Boldatenbildern” fo anziehend bewiefen bat, noch gewin⸗
nen koͤnnen! Aber was ſind das fuͤr heilloſe Perioben wie
I, 339: „Endlich nach einigen ſehr unruhigen Tagen, in denen
ſich unſer politiſcher Horizont noch ſchwaͤrzer umzogen hatte,
mit einem unangenehmen Gewitter drohend, als die ſchon lange
verbreiteten Gerüchte: Ibrahim babe einen Zug gegen Beirut
beſchloſſen, und würde an einem fdhönen Morgen aus ben Ber:
gen hervorbrechen und die Stadt überrumpeln, faft zur Gewiß⸗
beit wurden, indem täglid Scharen von Bergbewoͤhnern we
Stadt kamen, von denen einige fihon ben Wortras der Aguptier
wollten gefeben haben, klaͤrte er ſich über Nacht faſt ganz auf,
benn unfer liebenswürbiger Freund, der zuffifche Conſul, dr.
vb. B. ließ und eines Morgens fagen, foeben erhalte er einen
Neitenden aus Damaskus, der ihm bie erfreuliche Nachricht
bringe: Ibrahim Paſcha habe mit ber ganzen Armee die Stadt
berlaffen Pa fi gegen Serufalem unb das tobte Meer gezo-
gen’ u. f. w.
Mit fo holprigen, zerſtuͤckten Perioben läßt es uns der Reis
fende entgelten, baß er felbft fo unebene, zerfahrene Wege ger
bort eine burfchilofe
Spaßbaftigkeit durch, die uns mit Redensarten bewirthet ale
3. B. „mit einem foliden Regen regalirt werden”, „‚bem füßen
Reis zu Leibe geben” u. dgl. Daß bei folcher Bernachläffigung
bes Ausbrude und ber Satzbildung im Gingelnen noch weniger
Achtſamkeit und Weiß auf ſchoͤne Gruppirung, auf forgfältige
Bertbeilung von Licht und Schatten in der Gefammtdarfiellung
verwendet worden ift, Läßt fiy denken. Alles liegt fo flrad und
eben ba, wie es eriebt worden if; nur daß ber Erzaͤhler oft
das Unmwichtige behaglich durchwandelt, das Inhaltreidhe aber
im Galopp burdreitet. Ja, wo der Reichthum, bie Bebeutfams
keit ber Gegenflände des Erzaͤhlers Geduld und Muth überwäl
tigen, ba beruft er fich wol auf andere Heifende, die Dies und
Jenes bereits umfländiich erzählt hätten, flatt daß er den vor:
gefundenen Reichthum, den verftedten Inhalt einer Keiſeſtation
mit der guten Gabe ber Anſchauung und Darfiellung, die ihm
fonft nicht fehlt, ausgepadt und dargelegt hätte. Dafür erhals
ten wir an andern Orten wieder Sleinigleiten, unbebeutenbe
Begebenheiten, die von keinem andern Reifenden wären aufges
nommen worden; z. B. daß der Erzähler des Abends noch am
Meere fpazieren gegangen und Steinchen aufgelefen, fein Be:
gleiter aber die Flinte getragen und einen Vogel geſchoſſen habe.
Solche, auch ganz folgeniofe, unbedeutende Erlebniſſe behalten
fuͤr Den, der ſie in der Fremde erfuhr, fuͤr immer den ſuͤßen
Genuß der Erinnerung; aber dieſer Genuß geht nicht mit in die
gedruckte Erzaͤhlung uͤber, die fuͤr den Leſer erſt ein bedeutſames
£eben werden fol. Gin Anderes war ed in ben anmuthigen
Schilderungen des Soldatenlebens im Frieden mit lauter Kleinen
Begebniflen: bort galt ed eben ein freundliches Stillieben, in
welchem jeder Meine Zug ſich zu einem humoriftifhen Ganzen
verwebte. Und wie reigend hatte bort auch der Verf. das kleine
Material ſprachlich bewältigt! Hier in einer großen, fremden
Welt verliert fi der Erzähler da, wo man tiefe Betradhtuns
gen, zufammenfaffende Bemerkungen erwartet, manchmal in bie
atten Phantaſien feiner „Vier Könige”, z. B. wenn er nad)
dem libergang über den Libanon im Kapuzinerklofter zu Das
mastus flundentang über das Geländer hinab in den Hof nach
dem großen Drangenbaum und einem lebendigen Bogel Strauß
blickt, um zu träumen, der Drangenbaum fei wol eine verzau⸗
berte Pringeffin und der Vogel ein verwanbelter Verliebter, ber
fie bewache. Binter dem Libanon, follte man denken, lägen
andere Räthfel und Traͤume!
Dod find uns auch die einzelnen Bemerkungen, bie Hack⸗
länder wirklich eingeflochten hat, nicht entgangen. So fagt er,
wenn auch nicht neu, doch wahr und huͤbſch beim Anblick Jeru⸗
falems: „Wer den Orient nody nicht mit eigenem Auge gefehen,
kann unmöglich ſich einen Begriff diefer großen Ruhe machen,
die ſich dort in des Menfchen Seele niederſenkt. Da ſchweigt
alle jene Saft, die uns hier im Abenblande bewegt; ba vers
ſtummt das wirre Treiben, das uns umjagt in unfern Landen;
da ift nichts von jener Zerftreuung, in welcher bie geifligen
Kräfte des Abenbländers wie fcheue Voͤgel auseinanderflattern.
Da flüchtet die Seete ſich in ihr Innerftes, umfaßt, umarmt
fi) fetbft und genießt, verſunken in das eigene Weſen, die Ruhe
Gottes. Geh bin und fiehe! ifk die befte Antwort auf die Frage,
warum das Morgeniand die Wiege aller Religionen ifl.‘ Auch
Eommen zwifchen vernadjläffigten Partien der Erzählung wieber
ſehr fchön gefchriebene Stellen vor, wie jene, wo er von ben
Paumen fpridt: „Cs ift etwas Eigenes um die Palme; weld
zeizende Borftellung wedt in Abendländern das Wort Palme
und vollends Palmenwald! Wie aͤrmlich erfcheinen uns dagegen
wafere Wälder, wo nur der plumpe Eichbaum waͤchſt und die
orte Buche und bie ſchwarze traurige Tanne! Aber es geht
uns mit der Palme, mie mit fo vielen Dingen, die und bie
Kerne und die Unerreichbarkeit im Zauberlichte zeigt, das unfere
Phantafie, einem Brennfpiegei gleich, in ftärkern Strahlen zu⸗
ruckzuwerfen ſtets bereit if. Wir lefen, wie ſchon bie Alt
Bölker, die Juden namentlich, Palmblätter ftreuten und damit
ben Weg der Könige und großen Maͤnner heiligten. Welcher
Marchenkranz flattert für uns um die Krone ber Palme! An
welchem Quell, wo Abballah ober Said rubten, ober wie bie
Helden alle heißen, fand nicht eine Palme! Mir kam biefer
Baum früher immer vor wie das fichtbare Zeichen einer neuen,
geheimnißreihen Welt, eines glänzenden Zauberkreiſes; fein An:
blick darchzuckte mein Strg, tie wenn mich in ber Duver
einer großen Oper die immer längern Paukenwirbel, die on
benden Wehlaute der Hörner auf etwas XAußergewöhnliches vor:
bereiten. Es war in ber. Radıt, ale wir auf ber Rhede von
Rhodus anlangten, und ich im hellſten Mondlicht, das wir feit
lange gefehen, einen Palmbaum über bie grauen Mauern biis
den fah. Da fland ich lange im Anblid des ſchlanken Drien-
taten verſunken, und die Phantaften, weiche, mit diefem Baume
verfnäpft, in einem Winkel meines Derzens fchlummerten, rant⸗
ten nad) allen Seiten wild und üppig empor; gewiß ſehr na⸗
tärlih, denn wir lagen ja vor Rhobus. Aber als ich fpäter
viele Taufend dieſer Bäume gefeben und, unter ihnen liegend,
bie Sonne, bie durch ihre fpigen Blätter dringt, ſchwer empfand,
fliegen unfere deutſchen Eichen» und WBuchenwälder ſehr in mei—
nee Achtung. Wo bie Palmen noch fo dicht fleben, gewähren
fie feine Kühle und bieten dem Auge keine Abmwechfelung , feine
Rusneen ber Farbe, immer nur ein einfaches dunkles Gruͤn.“
Hier fiehen wir nun am Wendepunkte zu Dem, was an
dem Bude zu rühmen iſt. In ber eben mitgeteilten Stelle
fpricht fidy bie fhöne Heimatliebe aus, der wir ter in ber Er⸗
zählung begegnen; während es einem jungen Wanne fo nahe
lag, ben Weitgereiſten zu fpielen und das Fremde auf Koften
des Heimiſchen geltend zu machen. Aber auch der Inhalt des
Bude! Gine Reife nach Konftantinopei über Kleinaſien und
den Libanon nach Jeruſalem und durd bie Wüfle nach Kairo
und Alerandrien, Towie von ba durch das Mittelmeer über
Malta, Sicilien und durch Italien zurüd, bietet natürlich bes
Neuen, Intereffanten, Erftaunlihen genug, daß es, von einem
jungen Manne mit feifhen Sinnen, unbefangener Seele und
gluͤcklicher Phantafle, wenn immerhin auch nur baguerreotgpifcy
aufgefaßt, dem Lefer doch bie intereffanteften Anfchauungen, die
anziehendfle Unterhaltung darbietet. Da hierin das Hauptvers
bienft des Wuchs beſteht und der Kreis der Lefer, für die es
geſchrieben if, damit’ zugleidy bezeichnet wird, fo enthalten wir
uns in das Sinzelne einzugeben, das Iebenswahr und warm bar:
geboten, auch friſchweg genoffen fein will. Wir flellen darum
auch keinen Vergleich mit andern, aus jenen Gegenden gemach⸗
ten Mittheilungen,, z. B. bes Prof. Schubert an, ba es, wie
gefagt, unfer Hacklaͤnder nicht auf neue Refultate, fondern auf
unterhaltende Erzählung feiner Reife angelegt hat. Nur Einis
ges des Anziehendften fei uns erlaubt, als Das anzudeuten, was
fi) ber Leſer zu verfprechen bat.
Zwei Gebirgsübergänge, über den Balkan und über ben
Libanon, find jeder an fi, und beide im Vergleiche mitrinans
der, intereflant, und mit gutem Landſchaftspinſel hingeworfen.
Konftantinopel und das Meer bieten einen ſchoͤnen Reichthum
von Anfhauungen, bei welchem ſich Hadtänder felbft von dem
Werte des gelchrten Hammer „Konftantinopel und ber Bobs
porus"' fcheint geleitet haben zu laffen. Sehr fpannendb wirb
fi der Lefer in die türkifchen Bäder eingeführt finden, mo es
fo viel feltfam und befremdlich Neues für ihn gibt. Leferinnen
wird das tuͤrkiſche Familienleben anziehen. Sie werben über
den Zuſtand ber türkifchen rauen und deren Verhältniß zu ben
Sflavinnen des Mannes Manches erfahren, was fie ſich anders
gedacht haben, wenn ihnen audy der Koranſpruch, der die Zürs
ten mild gegen die Schwächen der Frauen ſtimmt, nicht gerabe
tröftend erſcheinen follte. „Ihr Maͤnner“, heißt es nämlich in
der mohammedaniſchen Bibel, „ſollt bedenken, daß bas Weib
aus der Ridbe, alfo aus rinem frummen Bein gefchaffen if.
Deshalb, ihr Glaͤubigen, babt Geduld mit den Weibern; benn
wenn ihr cin frummes Bein gerabe biegen wollt, fo bricht es.”
Diefen Bade: und Familiengemaͤlden gegenüber ftellt ſich ein
widerwärtiger Anblid in ben türkifchen Opiumeflern dar. Den
Mittelpunkt Lebendiger und fpannender Mittheilung gewährt
aber die Erzählung vom Schiffbruche bed Dampfboots Geris
Pervas, dem auch ein befonberer Abfchnitt des Wuchs gewidmet
iſt. Ron der trüben, bänglichen Abfahrt aus Skutari unter
Wellenſchlag und wilder Muſik der miteingefchifften türkifchen
Truppen bis zur feohen Aufnahme der Schiffbruͤchigen auf das
Hälfı icte Dampflchiff Lubovieo entwickelt ſich das bes
—— Ereigniß anſchaulich in feinen Singer
Jeiten, des wachfenden Rordweſtes, der immer ungeflämern Wo⸗
gen, des krachenden Schiffe, der buscheinandergeworfenen Meub⸗
ies und Koffer, der zerfchmetternden Lampe, ber Dunkelheit und
fihegenden Wellen, ber Ohnmacht ber Dampfmafihine, ber
noft und Unruhe umter den auf bem Werbe unter Schnee⸗
finem zufammengepferchten Geolbaten, ber aͤchzenden Planken,
Hfeifenden Taue zu ben über das Verdeck Pr ‚Sprig
wellen und den zwiſchen Belfen mit dem iffe ſpielenden
Gturmmwogen ; dann bie neuen Auftritte der Rettung mittels eis
nes nach dem Ufer gefpannten Taus, wobei das Lädyerliche und
ntfegtiche einander bie Hand reihen, und dann die allmälig
Berubigende Ginquartisung ber Geretteten im Dorf Armudkoi,
Ades ſpannt fi) und verläuft wahrhaft dramatiſch. Wie ganz
anders fpielen fich dagegen die langweiligen Gebräuche einer ars
menifchen Hochzeit in Damaskus abs wie ganz anders fchlaflos
(ind die Nächte auf der Fahrt von Beirut nach Ierufatem !
Ben diefen heiligen Orten, von ben Abenteuern am Tobten
Meere kommen wir mit dem großen Heereszuge Ibrahim Pas
fdja’s durch die Wüfte. Gin kleines Bild aus der Wüfte fei
hier noch probeweile gegeben: „Ich konnte nicht fchlafen (vor
dem heilen Gebell der Schakale, die um unfer Lager ihre
Abenbmahlzeit hielten), nabm meinen Mantel und Saͤbel unb
trat vor das Belt. Da lag bas Lager ruhig vor mir und der
mitleidige Schlaf hatte faft alle die armen Menfchen mit feis
nem wohlthätigen Schleier bebedit. An den Feuern umber faßen
einzelne Geftaiten, das Gewehr auf ben Knien, und fchauten
ftieren Auges in die Flammen. Doc nur gegen. bie Mitte bes
Lagers waren Feuer angemacht, an den Außern Enden, wo bie
Ärmern ruhten, war es finfler und flil; da fchien fich nichts
zu regen, und noch weiter hinaus wurde es noch ruhiger, denn
da fing das Reich der Todten an. Dicht vor unferer Zeltthuͤre
war eine Gruppe, bei der ich lange finnend verweilte. Unſere
Kameeltreiber hatten ihre Thiere fi) um das ‚große Beuer las
m laffen, und bie guten Geſchoͤpfe ruhten wieberläuend im
Feeife; ein eigener Anblid: die Flamme beftrahlte die Köpfe
der Thiere und ihre großen glänzenden Xugen, mit denen fie
wie nachdenkend in das Feuer faben. Zu ihren Vorberfüßen,
deren einer, um fie zu feheln, mit einem Gtrid in bie Höhe
gebunden wird, lagen ihre Herren, und ber, welcher das Feuer
unterhalten batte, lehnte fih an ben Hals feines Thiers.
n größerem Kreis um unfere Zelte lagen bie Reiter, die bem
Zuge folgten, aͤgyptiſche Offiziere, Bebuinen und Araber, mit
dem Kopf auf dem Sattel, das Gewehr zur Seite, ben Mantel
über ſich gezogen. Ich ſetzte mich ans Keuer zu den Kameelen,
und während ich dem Treiber bie Flamme unterhalten half,
horchte ich in die Wüfte, wo fich zwiſchen dem Gebell ber
— zuweilen der heiſere Schrei eines Raubvogels verneh⸗
men ließ.“ |
Die Rückkehr aus Ägppten durch das Mittelmeer und Ita⸗
lien bringt uns ben befannten Regionen und ber Heimat bes
Neifenden immer näher. Wo dem Erzähler bie bedeutenden
Gegenftänbe ausgehen, unterhält er uns von ven angefauften
arabifchen Pferden, die er geleitet, von dem Bedienten Friedrich
und andern Kleinen Vorfällen der Reife, die am Ende in Stutt⸗
gart verſiecht. Cine Abhandlung über arabifche Pferde bes Ba⸗
zons von Zaubenheim ſowie des Dr. Gaftle unterſuchung über
Hacklaͤnder's Schaͤbel haben wir überfchlagen. l.
Bibliographie.
Anekdota zur neueften beutfchen Phitofophie und Publiciſtik
von B. Bauer, 8. Feuerbach, F. Köppen, 8. Naus
wert, %. Ruge unb einigen Ungenannten. Herausgegeben
von A. Ruge 2 Bände. Zürich, Literarifches Comptoir.
®r. 8. 3 Thlr.
. sie
eigene A heit. toiz. 1
Gr. 8. Pre 11, Rer. *
Fliegende Blaͤtter fuͤr Fragen des Tags. II. Partrinchene
ber. Regierung. Berlin, Beſſer. Er. B. 5 Ans
Blumenpagen’s, ®W., fämmtlide Schriften.
verbefferte Auflage. Ifter Band. Mit 9 Stahiſtichen. —*
gart ieh vage uni Bern nr. 19. 32%, Nor.
enfur > nge. Zwoͤl telfeber. Ich,
rariſches Comptoir. &. 8. 1 * Se Zerich, Eite
Groquis aus Ungarn. Leipzig, D. Wigand. 8. 1 The
Die Brage: Wohin? In Bezug auf die Landftänbifchen
Berhättniffe der preußifchen Monarchie, vom Gefichtspunkte
praftifcher Ausführung betrachtet. Berlin, Dümmier. Gr. 8,
gt.
Doert, © M., Die berathenden Staats» Iufkitute in
Preußen und die Öffentlihe Meinung, nebft einigen andern
praftifchen Zeitfragen. Eisleben, Reidyarbt. 8. 15 Nor.
‚ Deeigehn. Ein Eyclus von Novellen in 3 Bänden. Leip⸗
zig, Herbig. Gr. 8. 3 Thir. |
(üreiden f G @., Fi Bam unferer Fee Senb⸗
en an Georg Herwegh. nigo in d. N. i
und Strieſe. Gr. 8. 2. Nor. " berg Bindoit
Fitzau, H Gedichte. Soldin, Siebert. 1842. 8, 1Thir.
Haupt, K. A. F., Religion, oder Gott, Tugend um
Unſterblichkeit. Zweite durchaus verbeſſerte und ſehr vermehrte
Auflage. Leipzig, Frohderger. @r. 8. 227, Nor.
König, ©. B., Die neuefte Zeit in der evanaeli
Kirche des ꝓreußiſchen Staats. Ein praktiſcher Verſuch. en
ſchweig ge unb Sohn. Gr. 8. 10 Nor.
eutiche Lieber aus ber Schweiz Züri, Kiterari
Somptoir. Ki. 8. 1Thlr. Hweiz, Zurich, Literariſchet
Bauer, B., Die gute Sache ber Freiheit und
ggenhe ad, eiterariſches Comp
Ludwig, F., Wartburgſtimmen. Dicht
Bohne. 8. 17%, Nor. a" ichtungen. Kaſſe
Muͤller, J., Das Verhaͤltniß der dogmatiſchen Theologie
zu ben antireligidſen Richtungen ber gegenwärtigen Zeit. @i
bogmatifige Vorleſung. Breslau, Dr und om Pi
5 Nor.
Nork, F., Etymologiſch⸗-ſymboliſch⸗mythologiſches R
Voͤrterbuch zum Handgebrauche fuͤr foren hen
und bildende Kuͤnſtler. Iftee Band. Iſte Lieferung. (Aar—
Azor.) Gtuttgart, Caſt. Gr. Eer.s8, 27%, Nor.
Pfau, &., Gedichte. Heilbronn, Claß. 8. 25 Nor.
Quandt, I. ©. v., Nippes von einer Reife nad Schwe⸗
ben Su 1 Kupfertafel. Le pzig, Hirſchfeld. Er. 8. 1 Zpir.
- Rosenkranz, K., Über Schelling und Hegel. Ei
Sendschreiben an P. Leroux. Königsberg, Gebr Bone
ger. Gr. 8. 17%, Neger.
Scherer, J., Georg Herwegh. Literarifche und politiſche
10 Rgr.
Blatter Per ggeeher Gr. 8.
ophocles. Deutfh von Broͤmel und Sigismund.
Ausgabe in Schillerformat. Iftes Heft. urt, Expediti
der Thüringer Chronik. 2%, Near. r we ' rpedition
tuve, Das induſtrielle Eigenthum und die N
Eiderfeid, Betr. ®r: 8. 1X Ir. d ie Rachbilbung.
Taſchenbibuother claſſiſcher Romane des Auslandes. Ster
sr —* Band: Breite aus Mile Belt in eine andere, von H.
elding. Aus dem Englifhen von' H. Döring.
Maufe- Gr. 16. 10 —* s v ‚ing. Fene,
aldbrühl, W. von, Slawische Balalaika. i
sig, Hirschfeld. Gr. &. 1 hr. 15 Ne. 0 wein
ildner Edler von Maithstein, J., U
Verfassung. —* O. ee Gr. 8. 24 Ner. er
e Wirkſamkeit der fländifchen Ausſchuß⸗ Berfammiung
des Jahres 1842. Preußens Provinzialftänden gewidmet.
nigeberg, Voigt. Gr. 8. 10 Nar. auf gewidmet. br
Berantiwertiider Drraußgebers Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von F. X. Brodhauß in Leipzig.
Blätter
für
literarifdhe Unterhaltung.
Freitag,
I. Godwie⸗Caſtie. Aus ben Papieren ber Herzogin von Rots
tingham.
2 St.⸗Roche, von der Berf. von „Bobswie s Gaftle”.
& Thomas Thornau. Bon der Verf. von „Godwie⸗ Caſtle⸗
und &t.:Roce”.
Die vorliegenden Romane haben Auffehen gemakht,
Das iſt eine Thatſache; fie haben fich einen weiten Lefers
Brei erworben. Gleich die Erſcheinung des erften derfels
ben hatte diefen Erfolg und man wurbe in den fo-
genannten gebildeten Gefellfchaften unerträglich mitleidig
angeſehen, wenn man eingeſtehen mußte, „Godwie-Caſtle
nicht geleſen zu haben, und darum in die unermüdlich
wiederheiten Berfigerungen der Bewunderung, des Ent
yadens nit einſtimmen konnte. Diefes Zactum eines
geoßen Erfolgs iſt unleugbar, aber ebenfo unleugbar ift
dies, daß dieſer Erfolg noch Fein Urtheil, geſchweige eine
Beurtheilung iſt. Diefer Erfolg, diefer große Anklang,
den die Romane gefunden haben, hat fich vielmehr felbft
der Beurtheilung zu unterwerfen: und wir haben es von
vornherein nicht Debl, daß unfere eingehende Beurthei⸗
Ing, zu der wir uns durch einige aligemeinere Bemer⸗
tungen den Weg bahnen wollen, ebenſo fehr bie Bildung
und Beftunung des Publicums betreffen wird, weiches in
Diefen Romanen das poetifhe unb ideale Abbild feiner
Belt, feines Lebens und Glaubens unb feiner weſent⸗
lichen Intereſſen erblidt. Denn diefe Bedeutung hat ber
Beifall, den die Romane gefunden haben, unzweifelhaft.
Sie find ein Abbild, nicht ber ganzen Bildung unferer
Zeit — wie wäre dies bei ihrer Zerrifienheit möglich? —
wol aber einer weit verbreiteten Richtung berfeiben. Daß
wir einen fo allgemeinen Geſichtspunkt aufitellen, daß
wie den drei Romanen eine fo große Bedeutung beimefs
fen, fie mit den wefentlihen Bewegungen und Kragen
unferee Zeit in Zuſammenhang zu bringen, bedarf für
Denjenigen feines weitern Auswelfes, ber ben Bang ber
neueften deutfchen Literatur verfolgt hat. Die Zeit ber
Unfchuld, bes aparten, von den praktiihen Fragen ber
Zeit, bee „rauhen Wirklichkeit” unberührten Lebens iſt
für unfere Literatur längft vorüber: wenn man es nit
müßte, fo könnte man e8 an dem Gejammer Derienigen
bemerken, die noch immer bemüht find, bee Poeſie wes
nigſtens ein iſolirtes Aſyl, eine glückſelige Infel zu retten.
Wenn nun Alles, was bie Preffe verläßt, dieſe
Mufterung zu paffiren bat, biefe Unterfuchung auf Ge:
finnung, auf Beziehung zu den Fragen ber Zeit, fogar
die unfchuldigen lyriſchen Gedichte, fo hat dies bei Ro⸗
manen nod feine befondere Berechtigung.
Der Roman ift ein Surrogat des Epos; allerdings
ein Surrogat, etwa wie die Gichorie ein Surcogat bes
Kaffers. Das Epos ift ein Product eines großen Volks:
lebens, großer nationaler Kämpfe, deren Erinnerung und
Erfolge in dem Herzen des epifchen Dichters und feiner
Zeitgenoffen ein noch immer friſches und gegenmwärtiges
Leben haben. Das Epos erfobert ein inniges, lebendiges,
freles Verhaͤltniß des Einzelnen zu feinem Volle und zu
deffen gemeinfamen Intereffen. Der Roman dagegem
iſt das Probuet einer Zeit ber politifhen Verkommenheit,
wo an die Stelle des Staats die Geſellſchaft, an bie
Stelle der großen gemeinfamen Zwecke die Beinen Zwecke
des. Privatlebens, der particulairen Neigungen, des befons
bern Standes u, f. w. getreten find. Diefen Lehrfag aus
ber Literachiftorie brauchen wir mol nicht weitiäufig zu
beweifen: bie Alten hatten keine Romane, bis während
der Zertruͤmmerung ihres großen politilchen Lebens etwas
dem modernen Romane wenigftens Ähnliches entſtand;
dagegen hat ber moderne Roman feine Blütezeit gehabt
gerade in den Zeiten unferer tiefften politifchen Verſun⸗
kenheit. (Eine weitere Auselnanderfegung vom Zufams
menhange der Bedichtgattungen mit der Hiſtorie gehört
nicht hierher.)
Wie nun ber Roman in ber Zeit ber politifchen Ver⸗
kommenheit feine Eutſtehung bat, fo bat er auch daran
feinen Inhalt: denn bie abgefchmadten Verfuche, antike
Charaktere und Zuftände in das Gewand de Romans
zu Beiden, laſſen wie billig außer Acht. Das Privat
leben mit feinen Leiden und Freuden, feiner Noch umd
feiner Seligkeit ift der Inhalt dee Romane: denn au
bie fogenannten hiftorifhen Romane nehmen ja bekannt:
ih den Menſchen nicht als hiftorifchen, fondern vom
Seiten feiner Beinen eigenthuͤmlichen Verhaͤltniſſe, Bes
firebungen und Leidenfchaften, die etwa fo ungluͤcklich
find, mit den Anfoberungen ber biltorifhen Verhaͤltniſſe
in Conflict zu gerathen. Schon biefer zerriſſene, in taus
fenb Heine Kreiſe zerfpaltene Inhalt, mit den taufend,
aller Poeſie entfremdeten Beziehungen, laͤßt eine objective
Haltung, ein Vergeſſen des Autors, feiner felbft und fels
nee Welt: und Lebensanfhauungen gar nicht zu; und
den fubjectiven Verhalten, ber beftändigen Reflerion auf
beimifche und gegenwärtige Zuſtaͤnde und Sagen ift fo:
bann durch die profaifche Darftellung vollends aller mög:
liche Vorfchub geleiftet.
Daher kommt es, daß wir, die mir fonft ſchon ge:
neigt find, bei allen Literaturwerten nad Gefinnung,
nah der moralifch = religiöfen und politifhen Lebens:
anfhauung zu fragen, bie Verfahren vorzugsweile bei
Romanen beobachten. Die Romane, nämlich die bedeu:
tendben Romane, find vorzugsweife Bilder ihrer Zeit; und
wo die Zeit, wie die unfere, in viele Richtungen gefpals
ten ift, Bilder eben dieſer Richtungen. Won diefem Ge:
ſichtspunkte, den wir hiermit in der Kürze gerechtfertigt
haben, toollen wir bie vorliegenden Romane betrachten.
Unfere Aufgabe ift daher biefe, daß wir fie einzeln nad)
ihrem Inhalte, ihren Charakteren und deren Beziehun⸗
gen ins Auge faflen, fodann das ihnen Gemeinfame,
ihre Subftanz, ihre fittliche Welt nach den einzelnen Ele:
menten betrachten,
Godwie-Caſtle. Der Roman beginnt mit ber
17 Seiten langen Befchreibung der Lage und Bauart
des Schloffes Godwie-Caſtle: das heißt allerdings nicht
in mediam rem rapere, Died gefchieht auch dann noch
nicht gleich; denn es folgt zundchft Einiges aus dem Le
ben einiger Ahnen der Bewohner des Schloſſes, ber
Grafen Desberp: das heißt faft ab ovo anfangen. End⸗
lich tritt Einer auf, beffen Verhaͤltniſſe und Weſen ziem⸗
lich umftändlich befchrieben werden, aber er flirbt und
hinterläße zwei Söhne, Robert, Herzog von Nottingham,
und Archimbald, Graf von Glandfort. Weide find in:
time Freunde ber beiden Prinzen Heinrich und "Karl, ber
. Söhne Jakob's J. Robert ift nad der Beſtimmung der
beiberfeitigen Ältern mit der reichen und ſchoͤnen Gräfin
Briſtol verlobt, um die fich zu gleicher Zeit ber Liebling
bes Könige, der übermüthige und rohe Herzog von
Buckingham aufs eiftigfte bewirbt. Robert von Derbery
(fein Vater lebt no) verliebt ſich beim erſten Anblick
in die Schweſter bes Herzogs von Budingham; aber ale
er barüber feinem Sreunde, dem Prinzen Karl, Geftänd:
niffe machen wit, verfchließe ihm dieſer mit den Aus»
drüden der beftigften Aufregung den Mund und vertraut
ihm bald barauf ein Geheimnig, was wir indiseret ge:
nug find, dem Lefer wider den Willen der Berf. zu of
fenbaren, bag er (der Prinz) mit der Gräfin Buckingham
vermaͤhlt iſt. Prinz Heinrich flirbt, Karl ift Prinz von
Male. Mobert von Derbery heirathet gleich darauf bie
Graͤfin Briſtol und erhält einen Befuh vom Prinzen
in Godwie-⸗Caſtle, als er ſchon Water von drei Kinbern,
zwei Söhnen und einer Tochter, iſt. Aber im Hinter:
geunde droht der Schwur der Rache des Herzogs von
Budingdam. „Diele Erwähnung von Familienverhält:
niſſen“ ſchickt die Frau Verf. voraus und überfpringt
dann eine Meihe von Jahren.
Bei Wiederaufnahme der Erzählung iſt ber Herzog
von Nottingham todt. Die Trauer: und Begraͤbniß⸗
feierlichkeiten werden mit Feierlichkeit und Pathos erzähle
und am Ende hat fid die Verf. noch nicht genug darin
gethan, fondern macht noch eine lange Nuganmwendung,
wie es überhaupt fo gut fei, alte Formen beftehen zu
laffen. Die beiden Söhne des Verſtorbenen und ber
Bruder deſſelben und ber Großoheim, Graf Salisbury, reifen
in wichtigen Angelegenheiten nach London, theil6 ber Lehns⸗
buldigung wegen, theild wegen der Nachricht vom Könige, daß
fein Sohn die Bewerbung um eine franzdfifche Prinzeſſin
aufgegeben und mit dem Herzoge von Budingham nach
Spanien gereilt fei, um in eigener Perfon um eine fpas
nifhe Prinzeffin zu werben. Das umduͤſtert den’ politi
fhen Horigont. (Derrliche Zeiten, wo die Kriegsgefdyichten
von Liebesgefchichten abhingen! )
Mährend der Abweſenheit der Männer (wenn «8 er:
laubt ift, fo ſtatt „Herren“ zu fagen) treiben die Da⸗
men im Schloſſe ihr Spiel. Zunaͤchſt wird eine junge
Dame aus ihrem Verſtecke hervorgesogen, mit der bie
Herzogin am Tage der Beilegungsfeiertichleit auf die
abenteuerlichfte Weiſe Bekanntſchaft gemacht Hat. Sie
findet ſie naͤmlich im Garten liegend, blutend und ſchein⸗
bar todt. Noch ehe fie durch die Bemühungen von einem
halben Dugend dienftbarer Geiſter männlichen und weib⸗
lichen Geſchlechts (die von der Verf. aber viel beſtimmter
harakterifirt und doch nicht unterfchleden werben, benn
fie find ſich alle darin vollkommen gleich, daß fie eine
wahre Leidenfchaft haben, zu dienen) — noch che alfe
die junge Lady zum Bewußtſein gebracht wird, um ihre
Geſchichte zu erzählen, entdedt die Herzogin am mehren
unzweifelhaften Anzeichen, daß biefelbe in nahen Verhaͤlt⸗
niſſen mit ihrem verflorbenen Gemahle gelebt hat und
eine Tochter der Gräfin Buckingham if. Daraus zieht
fie gleich den Schluß, daß fie auch des verflorbenen Der
5096 Tochter fei; aber fie thut darin ihrem feligen Manne
Unrecht. Jedoch aud die junge Lady hat (tie freilich.
eigentlich alle Perfonen des Romans) falfche Begriffe vom
ihrer Herkunft. Sie tft — was ber Lefer erft am Ende
des Buche zum Lohne für feine allerdings faſt unmenſch⸗
liche Geduld erfahren fol — die Tochter der Gedfin.
Buckingham und des Prinzen Karl, oder — weil ber
"alte Jakob unterdeß geftorben iſt — des Koͤnige. Che
fie aber dies erfährt, fol fie ganz andere Dinge erfahren.
Sie ift den räuberifhen Fäuften ihres Oheims, bes Gra⸗
fen Budingham, entgangen und fehnt fi nah dem
Schutze eines andern Oheims, ber aber in Wahrheit
ihr Water, der Prinz iſt. Einſtweilen bleibt fie in
Godwie⸗-Caſtle. Das Erfte tft, daß ſich der junge Her⸗
309 felbft in fie verliebt, aber das gebt vorüber; es wird
ihm von feinem Bruder Rihmond zu rechter Zeit beige:
bracht, daß er für die Reinheit des alten Geſchlechts zu.
forgen babe. Die Herzogin, an deren -Derzen ſchon der
Kummer Über die getheilte Liebe ihres Gemahls nagt,
verliert auch dabei ganz ihre Selbſtbeherrſchung, was eigent=
lich ihre einzige Tugend iſt. Aber hernach verliebt ſich der
kalte, flolze Richmond felbft in die junge Lady auf ben
erften Blick und diefe Flamme ift nicht wieber zu daͤmpfen.
Die Lady gehe ſtillſchweigend darauf ein und gibt z. B.
einem unatälttichen, hoͤchſt lkebenswuͤrdigen Korb ben Korb.
Die Liebe Lord Richmond's wird auf die härtefte Probe
geftelt. Lord Membroke, ein ausgemadter Wuͤſtling,
kommt im Auftrage des Herzogs von Buckingham, der
von feiner Nichte erfahren und befchloffen hat, fie auf
jede Weife in feine Gewalt zu befommen. Lord Mem:
brofe bringt es endlih dahin, daß die Lady feiner Ver⸗
fiherung, fie zu ihrem Oheim zu bringen, Glauben
ſchenkt: ein unechter Brief gibe den Ausſchlag. Sie geht
mit Membrofe davon. Lord Richmond fest ihr nad)
und muß aus dem Munde feiner Geliebten hören , daß
fe mit dem Wäüflting freiwillig gebt. Membroke laͤßt
ih, wie damals alle Welt, von den Jeſuiten bes
trugen. Dieſe bringen das arme Maͤdchen in ihre
Gemalt, fperren daſſelbe in ein feiles Schloß, wo fie
durch die Mishandiungen einer wahnfinnigen Frau und
die Bemühungen eines Paters katholiſch gemacht werden
fol, um dann als Mittel zur Bearbeitung ihres Vaters
zu dienen. Sie iſt mehrmals beinahe todt, wird aber
endlich durch die raftlofen Anflrengungen des Lord Rich:
mond unter ben größten Gefahren befreit. Nun ifl
Alles zum Schluffe, d. h. zur Heirath fertig. Der Wis
derwille ber flolzen Herzogin wird endlich dadurch völlig
gebrochen, daß Lady Maria für fie beinahe den Hals
bricht. Da erfcheint der König, flellt das noch immer
nameniofe junge Mädchen vor als Lady Marla Stuart.
Er heirathet felber Henriette von Frankreich, Richmond
Lady Maria und Lancy, der junge Jäger, der bei ber
Befreiung Maria’ tapfer geholfen, feine Margarith.
Der Roman hieße offenbar pafjender: „Die Rettung aus
taufend Noͤthen, oder die dreifache Hochzeit.” de Epi:
foden von Budingham’s Liebesgefhichten, von Briſtol's
Sal und Begnadigung u. dergl. haben wir übergangen.
Dee Roman ift von Begebenheiten und Perfonen offen:
dar überfüllt; eine Überficht des ganzen Hergangs iſt gar
nicht möglich.
(Die Fortſetzung folgt.)
Manuel du libraire et de l'amateur de livres par
J. C. Brunet. DBierte Ausgabe. Erſte bis dritte Liefe⸗
sung. A—G. Paris 1842.
Diefe vierte Ausgabe bes befannten „„Manuel‘' von Brunet
iſt bereits feit geraumer Beit angekündigt. Mehre Jahre lang
ſchon haben fie alle Bibliographen mit Ungebuld erwartet und
fie wird ſicher eben benfelben Beifall wie die Ausgabe von 1820
finden, die kurze Zeit nach ihrem Erſcheinen vergriffen wur, os
dep fpäter vollftändige Exemplare mit 80 — 1 D Branch bes
zahlt wurden, während ber urfpringliche Labenpreis nur 24 Fr.
betrug. Brunet if anerkannt als einer der größten Bibliogra⸗
pben Guxopas, und dad Merk, deffen neue Bearbeitung wir bier
beſprechen wollen, wird ein unvergeßliches Denkmal feines Fiei⸗
Ges, feiner Kenntniffe und feines praktiſchen Blickes bleiben.
Gr bat feiner Wiſſenſchaft unermeßliche Dienfte geleiftet und
fein ‚‚Manuel‘ gilt mit Recht für das veichhaltigfte und brauch⸗
barfte Repertorium der Bibliographie, diefee Wiffenfchaft, die
von Zage zu Tage anfhwillt wie ein, Strom, ber immer neue
Gewäfler in fi) aufnimmt. Es boten fi bei biefer Arbeit
Schwierigkeiten manderlei Art bar. Aber Brunet bat fie mit
einem feitenen Gluͤck befeitigt. Die wahre Scylla und Charyb⸗
bis, an denen bie Werf. aͤhnlicher Werke zu fcheitern pflegen,
ift eine zu große Ausführlichleit und auf der andern Geite zu
große Kürze und Duͤrftigkeit. Es darf nichts Wichtiges aus:
gelaffen, dafür aber auch nichts Unnöthiges und lberfiäffiges
beigebracht werben; aber was für eine fichere Hand gehört dazu,
um bier fletd das fichere Maß zu treffen! Man muß fidy felbft
mit berartigen Arbeiten befaßt haben, um ihre Schwierigkeit
beurtheilen zu können. Brunet war ganz der Mann dazu, um
ein ſolches Werk, das einen wahrhaft Derculifchen Fleiß erfos
dert, zu übernehmen und zu Stande zu bringen. Zwanzig Sabre
bat er unaufhoͤrlich daran gearbeitet, bevor er damit hervor:
getreten ift, und feitbem bat er noch ununterbrochen daran ger
feitt, hinzugethan und verbeffert, ſodaß die neuefte Ausgabe faft
ale ein neues Werk zu betrachten if. Man würde fich irren,
wenn man diefes Bud für eine trocdtene Aufzählung von Ziteln
und Jahreszahlen, für ein Geburtsregifter aller Löfchpapierenen
Geiftesfinder halten wollte. Es wird darin noch eine reiche
Eefe intereffanter und beiehrender Nachrichten und bibtiographi-
fer Sonberbarfeiten geboten, an denen Jeder, der nur ein
wenig vom Dämon ber Bibliomanie heimgefucht wird, fich er-
aögen kann. Indem wir diefe erften Hefte des neuen „Manuel
du libraire“ durchblättern, wird es und wie wir uns wohl
fühlen in ben geräumigen Säten einer großen Bibliothek, zu
Muthe wie dem Botaniker, wenn er ein reichhaltiges Herba⸗
rium durchſieht. Wir möchten alles Merfwürdige, das uns
aufgeftoßen ift, ausheben, und wahrlich die Leſe wuͤrde nicht
dürftig ausfallen! So finden wir die Befchreibung eines feltenen
englifchen Werks, das von einem gewiſſen John Dee (1659)
verfaßt ift und in dem ein Wörterbuch der Sprache mitgetheilt
wird, die Adam im Parabiefe redete. Brunet erwähnt ferner
eines Dichters, ber zur Zeit Richelieu's lebte und der bie ſon⸗
derbare Brille hatte, feine Verſe mit verkehrten Lettern drucken
zu laffen, ſodaß man fie, um fie geläufig zu lefen, gegen einen
Spiegel halten mußte. Der Laie wird beim Durchblättern dies
fes bibliographifchen Werks über die hoben Preife flaunen, bie’
zu denen manchmal ‚ganz unſcheinbare Bücher auf ben großen _
erfteigerungen in die Höhe getrieben find, wenn fich einge:
fleifhte Bibliomanen um bie Wette überboten. Wir erwähnen
bes berühmten „Decameron“ von 1471, ber im 3. 1812 zu
London mit 52,000 Fr. bezahlt, aber acht Jahre darauf für
33,000 Sr. wieder verkauft ift, nur im Worbeigehen, und heben
ein paar weniger befannte Notizen Über unfinnige Bücherpreife
hervor. Ein „Don Quichote” von 1605 ward auf der Auction
ber Stanley'ſchen Bibliothek mit 1060 Fr. bezahlt, und ber
Gatull von 1472 ging 1791 bis zu 2000 Er. in die Höhe.
Wie fehr aber diefe WBücherpreife dem Spiel des Zufalld und
dem Wechfel unterworfen find, und wie fehr fie oft fleigen und
fallen, ohne daß man einen Grund von der Weränderung an:
führen könnte, beweift, daß auf einer der berühmteften Bücher:
verfteigerungen ein „Don Quichote” auf Zelinpapier, von dem
jedes Exemplar 3000 Fr. gefoftet bat, für 400 Fr. losgeſchla⸗
gen ift. Bücher, die vor ZU Jahren von ben Bibliomanen mit
rafenden Preifen bezahlt wurben , wandern jeät ganz unbeachtet
in die Bude des Antiqguars, während andere wiederum, nach
denen früber kein Menf gefragt bat, mit Gold aufgeroogen
werden. .
Nordamerilanifhe Miscellen.
(Aubzüge aus ben öffentlihen Blättern ber MWereinigten Staaten
vom Suhre 1842.)
Die in Amerifa gemachte neue Gntbedung, aus den Sten⸗
geln des Mais (Indian corn ) cinen guten Zuder in beträdht:
lien Quantitäten gewinnen zu Eönnen, bat ſich beftätigt. Das
Verfahren ift folgendes: Der Mais wird in zwei Fuß vonein-
ander entfernten Reiben gepflanzt und fo, daß die Pflanzen in
den Reihen brei Zoll voneinander fleben, dann wird der Ader
wie gewöhnlich bearbeitet, jedoch mit dem Unterfchiete, daß
—
man im Anfang Auguſt alle j Gamentotben, noch ehe
fie blühen, forgfältig abbricht, weihe Operation durdgaus noth⸗
wendig if. Im Geptember werben die Stengel an der Erbe
abgrfenitten, die Blätter abgeftreift und man fehreitet ſofort
zur Auspreffung des Gafts, welches zwiſchen eifernen Walzen
ſchieht. Zu dem gewonnenen Safte wird Kalkwaſſer in dem
Berhäitniß hinzugefügt, daß auf jede Gallone Saft ein Esloͤffel
voll Kalkwaſſer kommt, und nachdem bie Miſchung eine Stunde
geftanden, wird fie in Keſſel gefüllt, in welchen man fie bis
zur Syrupedicke eintocht, wobei man ben obenauf kommenden
Schaum beftändig abnimmt und von der Fluͤſſigkeit entfernt.
Wenn diefe bis auf ein Sechstel ihrer Waffe eingelocht iſt, wird
fie in Abkuͤhlgefaͤße gefüllt und die Kryſtalliſation abgewartet.
Der Zucker wird bierauf von dem Syrup getrennt und kann
weiter raffinirt werden. Ein Ader mit Mais, auf die angeger
bene Weife bepflanzt, fol 1000 Pfund Rohzuder geben.
Der große Volkérath der Cherokeſen bat befchloffen und
ein Geſetz erlaffen, daß alle geiftige Getränke, weiche kuͤnftig
auf bem Gebiete der Nation gefunden werben, auf die Erde
ausgefchättet werben, follen. Das Rafter ber Trunkenheit iſt
nämlich als der Hauptgrund erfannt worden, weshalb die Ras
tion ber Cherokeſen, ungeachtet fie fidy manche Früchte der Ci⸗
pilifation angeeignet, bisher im Wohlſtande zurüdgeblicben iſt.
Ehedem gaben Biele unter den Cherokeſen Alles, was fie beſa⸗
gen, ber, um fid nur beraufchen zu koͤnnen; allein bie jetzige
Generation, von ber Viele Iefen und fchreiben gelernt haben,
firebt fi von den Feſſeln biefes Lafters zu befreien, und darum
ift dieſes, von der cherofefiihen Rotionalverfammlung felbfi
ausgegangene, neue Geſetz eine erfreuliche Erfcheinung. Die
Sherofefen hatten auf ihrem Gebiete im Weſten fchon 1836
- einige Branntweinbrennereien angelegt, die nunmehr wol wers
den eingeben müffen. Übrigens hat die Regierung ber Ber:
einigten Staaten ftetö verboten gehabt, ben Indianern geiflige
beraufchende Getraͤnke ‚gusufäheen and an den Drten, wo Mili⸗
tair fteht, ift diefes Verbot auch fireng aufrecht erhalten wors
den; aber bie Grenze des Gebiets der Indianerftämme ift fo
ausgedehnt und fo fparfam mit Militair befeht, daß eine Con⸗
trole unmöglich war.
Suders Molaffes wird jest in vielen Theilen der Union,
wo biefee Stoff fehr wohlfeil zu haben ift, als Kutter für
Kühe und Pferde benugt und als ganz vorzuͤglich zu diefem
Zweck gerühmt. Das Vieh, berichtet man, gewöhnt ſich fehr
leiht an den Geſchmack und da biefer Stoff viele Nahrungss
theile enthält, fo wird er in manchen Fällen dem Getreide und
Heu für die Viehfütterung vorgezogen. Die Erfahrung hat in
Amerika gelehrt, daß bie Hunde auf den Zuderplantagen, welche
fih oft ganz allein von Molaſſes ernähren, ſtets fehr fett find
und auch den Negern, weiche viel von diefem Rahrungsftoff ge:
nießen, fehlt e8 nicht an Wohlbeleibtheit. In Pennfyivanien
und andern nörblidy gelegenen Staaten der Union würde freilich
diefer Stoff als Viehfutter zu theuer zu ſtehen fommen, aber
in den füdlidhen Staaten und vornehmlich auf ben dortigen
Zuderplantagen felbft wird die Benutzung beffelben vortheilhaft
fein, zumal da in ben Gegenden, wo viele foldye Plantagen
find, gemeiniglih an Viehfutter bebeutender Mangel ifl. In
Euifiana hat man bisher viel Heu, Dafer und Gerfte aus bem
Norden bezogen und es hat ben Pflanzern viel Gelb gekoftet,
das Futter zur Unterhaltung von Milchkuͤhen und Reitpferben
anzufchaffen.
Die „Lexington gazette” im Staate Kentucky meldet,
daß neulih ein Mann Ramens Gtoffelbaer auf feiner Reiſe
nah Illinois dort durchpaffirte, welcher bereits in feinem buns
dertundneunten Jahre ſteht. Er war am Hudſonsfluſſe 1734
en und zeugte Id Kinder, von denen das jüngfte 36 Jahr
alt ift.
Br. €. Zalmabge medt im „Louisville Advertiser” be
kannt, daß fich in der Nähe von York in Ed: Caroline, am
Gatamwbafluffe, ein Sylomorsbaum befindet, der an der dickſten
Stelle T6 Fuß 4 Zoll im Umfange mißt und beffen Aushoͤhlung
im Innern 18 Juß im Durchmeſſer hat. 33
giterarifce Anzeige.
Neue medicinische Schritten.
Nachstehende im Jahre 1842 bei mir erschienene Werke
sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen :
Analekten für Frauenkrankheiten,
oder Sammiung der vorzüglichsten Abhandlungen, Mo-
nographien u. s. w. über die Krankheiten des Weibes
und über die Zustände der Schwangerschaft und des
Wochenbettes. Erster bis dritter Band in 12 Heften.
Gr. 8. Jedes Heft 20 Negr.
Das tieschlechtsieben des Welbes
in pbysiologischer, pathologischer und therapeutischer
Hinsicht dargestellt von
Dr. Dielr. Wilh. Heinr. Busch.
Erster bis vierter Band.
Gr.8. Auffeinem Druck-Velinpap. 183943. 15 Thlr. 25 Ngr.
Die Lehre von der Ansteckung.
Mit besonderer Beziehung auf die sanitätspoliceiliche
Seite derselben von Dr. E. A. L. Hübener.
Gr. 8. 3 Thlr.
Beiträge zur wissenschaftlichen Heilkunde
von Dr. C. F. W. Richter.
Gr. 8, Geh. 1 Thlr. 8 Negr.
Denkwürdigkeiten
aus der medicinischen und chirurgischen Praxis.
Von Dr. Georg Friedrich lost.
Erster Band.
Gr. 8, Geb. 1 Thlr. 21 Ngr.
Früher erschien von dem Verfasser bei mir:
Encyklopädie der medicinischen und chirurgischen
7 weite Auflage. Zwei Bände. Gr. 8. 10 Thir.
— nupplemenc zur ersten Auflage. Gr.8. 2 Thir. 15 Ner.
Ausführliche Rnoyklopädie der Staatsarzueikunde Zwei
Bände und ein Supplementband. Gr. 8. 11 Thir. 20 Ner.
Versuch ‚einer kritischen Bearbei der Geschichte
Scharlachfebers. Zwei Bände. 3 'Thlr.
Über Liebe und Ehe in sittlicher, naturgeschichtlicher und
diä her Hinsicht. Dritte Auflage. Gr.8. I Tblr.
der Medicin insbesendere. Gr. 8.
Leipzig, im Märs 1843,
F. A. Brockhaus.
1 Thir. 25 Ner.
Verantwortlier Herausgeber: KSeinrich Brockdaus. — Drud und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
f
t
ur
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend, — Sr 71. —
(Fortfegung aud Nr. 76.)
St.-Roche. Um die natürlich fehe allgemeinen und
darım ziemlich unbeflimmten Mittheilungen über Inhalt
und Verlauf der einzelnen Romane nicht zu verwirten,
enthalten wir uns fuͤrs erſte aller Beziehungen derſelben
aufeinander. Darum laffen wir jegt „Sodwie-Gaftle’’ ganz
bei Seite und fprehen nur von „St. Rode”. Der Ro:
man gewährt unfireitig einen beſſern Eindrud als einer
der beiden andern; er enthält ohne Widerrede bie meiften
Spuren von Zalent in Charakteriftit und pſychologiſcher
Motivirung. Man lieſt wenigftens die beiden erften heile
mit einer gewiflen Spannung, mit lebhaften Intereſſe
an dem Gange der Begebenheiten. Das rührt einfach
daher, weil der Roman feinem melentlichen Theile nad)
eime gewiſſe Einheit, eine das Einzelne bebersfchende Idee
bat, und veeil die Fehler im Mangel des Zufammenhans
ges mit diefee Idee beſtehen und darum wenigſtens übers
fehen umd gezählt werden Binnen. Diefe Idee und bie
damit zuſammenhaͤngenden, oder, wenn man will, nicht
zufammenhängenden Sehler werden fich bei dee Erpofition
des Berlaufs ergeben.
Der Roman beginnt mit der Glückſeligkeit eines
jungen Ehepaars, alfo eigentlich mit dem Ende «eines
rechten Romans. Der Marquis und die Marquiſe d'An⸗
vie find diefe Gluͤcklichen; hoffentlich für unfere vorneh⸗
men Leſer vornehm genug. Als Widerſpruch und Std:
zung der Gluͤckſeligkeit tritt gleich anfangs der Bruder
des Marquis, Leonce, mit einer unglüdlichen geheimniß⸗
vollen Liebe zu den Beiden hinzu und alle Drei befchlies
Sen die Abreife von Paris, von den glänzenden Hoffeften
Zudwig’s XV. nach dem Schloſſe Ardeife, in der Nähe von
St.⸗-Roche, zur Tante Aranziska, Gräfin d'Aubaine.
Der Marquis will endlich bie ihm von feinem Oheim,
den alten, in tiefer Schwermuth verftorbenen Grafen
Crech, zugefallene Befisung St.: Roche Ibernehmen, wies
wei mit Ängfilichleit, weil möglicherweife ein näherer
Erbe bderfeiben noch lebt. Vor ihrer Ankunft bat bie
alte unverheirathete ſchwermuͤthige Gräfin ſchon einen an»
dern Beſuch auf Lebenszeit befommen, das Vermaͤchtniß
einer Sugendfeeundin aus England, Miß Eimerice Eton.
Gleich den erflen Abend verräch diefelbe eine leidenfchaftliche
Liebe, der aber die alte Gräfin nicht recht auf bie Spur fom:
men kann. Elmerice hat bei ihren Streifereien durch bie
wilden Umgebungen des Schloffes ein hoͤchſt abenteuers
liches Zufammentreffen mit ihrem Liebhaber, der natür:
lidy Eein anderer als Leonce ift. Dadurch und burch den
drohenden Beſuch läßt fie fih beflimmen, einftweilen
einen andern Zufluchtsort zu befuchen, das große Pacht⸗
gut einer andern Jugendfreundin ihrer Mutter, der Dad. -
Albans. Hier findee fie freilich nicht die Zartheit und
Seinheit der vornehmen Bildung, fondern recht eigentlich,
Roheit, was nad ber Darfiellung unferer Frau Verf.
mit den Beſchaͤftigungen des bürgerlichen Lebens nothwen⸗
dig zufammenhängt. Es geht fo weit, bag Eimerice bei
Gelegenheit eines Zufammenfeins mit Heren Albans zu
ganz andern Zwecken von Mad. Albans des Ehebruchs
befyuldigt wird. Man verföhnt fi bald wieder und
das unglüdliche, heimatloſe Mädchen ergreift begierig bie
Gelegenheit, mit Mad. Albans zu deren kranker Mutter
zu reifen, zur alten geheimnißvollen, menfchenfcheuen
Miftreß Gray, der Bewohnerin eines ihr ausfchließlich
gehörigen Theils des Schloffes St. Roche. In den Ge:
mächern berfelben verſchwinden beide recht eigentlich, waͤh⸗
vend in die übrigen Theile bed Schloffes bie gluͤcklichen
Perfonen des Stückes gluͤcklich eingezogen find. Ihre
Sefpräche drehen fih um die hHiftorifchen Erinnerungen
ded alten Schloſſes und haften zulegt auf dem legten
Befiger deffelben, dem Grafen Grecy.
Hiermit beginnt der zweite Theil des Romans, das
Leben des Grafen Leonin Grecy, deſſen Erzählung für-
den Marquis d’Anville die Frau Verf. in eigener Pers
fon übernimmt.
Dee junge Graf Grecy iſt ber einzige Sohn bed als
ten Marſchalls Crech⸗Gabanne und der Fuͤrſtin Soubife.
Der Marſchall liebt feinen Beruf nicht und fegt gegen
feine Gemahlin, nur dies eine Mat fiegreich, duch, daß
der junge Graf, flatt für das Militair, für eine hohe
Stellung bei Hofe beftimmt wird. Leonin hat ein weis
ches, träumerifches Gemuͤth und wird von feiner herrſch⸗
ſuͤchtigen Mutter in beftändiger Abhängigkeit erhalten.
Er geht auf Reifen, zuletzt nach England an ben Hof
Karls U, Die letzten Donate vor feiner Majorennität,
bie ihn ohne weiteres in den Bells von St. Moche vers
fest, fol er auf Verlangen feiner Mutter auf bem
Schloſſe des Grafen Gerſey in Schottland verleben. Die
unzarten Frauen bes Schloffes ziehen benfelben nicht an,
ebenfo wenig das wilde Jagdleben der Herren; er ſucht
die Einſamkeit. Auf einem ſolchen Streifzuge trifft er
auf zwei Frauen, bie von einem Über verfolge werben.
Er rettet nicht, fonbern wird buch ihre Befonnenheit
gerettet und verliebt fich doc. Fennimor, die Tochter
des Pfarrers Lefter, ift die eine, Miſtreß Gray, ihre Freun⸗
din und Dienerin, die andere. Leonin folgt ihnen in
die Abtei und wird von dem wahren, patriarchaliſchen,
tiefinnigen Naturleben des ehrwuͤrdigen Alten und feiner
engelreinen Tochter gänzlich gefangen genommen. Er geht
und kehrt mit immer wachfender Liebe wieder. Er ver:
gißt die Anfprüche der vornehmen Welt, „fein Herz fehnt
fi, fi) hinzugeben‘. Die durch eigene Angelegenheiten
befchäftigten Schloßbewohner merten nichts; Leiter und
Sennimor Eennen die vornehme Welt nicht; diefe kennt
nur die Welt des Alten Teftaments, und zwar auch biefe
nur von ihrer guten Seite. Der Graf Crecy läßt ſich
Sennimor in Gegenwart der Miftreß Gray und ihre®
Mannes in allee Form vom alten Lefler antrauen. Der
* Marquis de Souvre, der Böfewicht bed Stuͤcks und aus
Neid Zeind des jungen Grafen, iſt von ber Gräfin Erecy
auf Kundſchaft geſchickt und zufällig heimlicher Zeuge der
Feierlichkeit. An ihm fpürt der junge Graf zuerſt wie:
der ben Ealten Hauch der vornehmen Welt, ſodann am
Grafen Gerfey, der die Fennimor und ihre Liebe aufs
profanfte entweiht. Der alte Lefter flicht, ohne auch nur
den Anfang des folgenden Jammers erlebt zu haben. Der
junge Graf reift mit feiner frommen, ahbnungslofen Ge:
mahlin und Miſtreß Gray, die aus Liebe zu ihr Mann
und Kind verläßt, nah St.⸗Roche, wo er ein hohes,
aber ein kutzes Gluͤck genieße. Ein Brief ruft ihn zu
feinem kranken Vater. Go weit der erfte Theil.
Nun beginnt der Zwielpalt, den wir die leitende Idee
des Stuͤcks genannt haben, der Zwieſpalt zwifchen den
Anfprüchen der vornehmen Welt und ber Natur, der
Mahrheit, der Treue, der Tugend. Das muß man fas
gen, bie Verf. hat ein bedeutendes Talent bewielen, den
Stanz, die Bedeutung, bie ganze Scheingröße der vor:
nehmen Welt ins befte Licht zu ſtellen, und bie Nieber:
lage Leonin's iſt trefflich motivirt. Wir müflen «6 uns
verfagen, zu verfolgen, wie bie vornehme Weit mit allen
ihren Maͤchten durch Vater, Mutter, Schweſter, durch
glaͤnzende Feſte, durch eine Stellung bei Hofe, durch
perſoͤnliche Bekanntſchaft mit Koͤnig (Kudwig XIV.) und
Koͤnigin und endlich durch eine vornehme, reiche und
liebenswuͤrdige, ihm von Vater und Mutter beſtimmte
Braut auf Leonin einſtuͤrmt. Sein Gewiſſen ſchlaͤft all:
maͤlig ein, er iſt nahe daran, Fennimor zu vergeſſen —
als er durch einen Maler, der fie in St.: Roche gemalt
bat, empfindlich genug an fie erinnert wird: er erfährt,
daß Fennimor guter Hoffnung if. Er reißt ſich von als
len Feffeln 108 und flürze nach St.:Rodye. Aber er hat
zu viel vom Gifte eingefogen, und mährend feines Be⸗
ſuchs bei Sennimor, der Mutter feines Kindes, wird
feine Verlobung mit Fräulein von Lesdigueres bei Hofe
erklärt. Er entfremder fih von Fennimor und verfällt
dee Sünde Der Marquis de Souvréè behauptet ben
Pag, den er feige verläßt, und verfhafft ibm nicht das
Document der Entfagung Fennimor's, fondern die Nach⸗
eicht von ihrem vermeinten Tode. Leonin vermählt ſich
mit Fräulein von Lesdigneres: auch fie wird Mutter eines
Knaben. Leonin wagt nicht mehr in fein Inneres zu
bliden, er wird aber von Zeit zu Zeit durch die Qualen
des Gewifjens im Genuffe des Glanzes und Glücks ge:
ftört. Da bekommt er plöglich den Tag vor der Taufe
feines Kindes die Nachricht, daß Fennimor noch lebt und
ihn zu fehen verlangt. Er flürzt nach St. Rode: Ken:
nimor flirbe, mit ihm und der Welt verföhnt, in feinen
Armen, ohne feine Verbrechen erfahren zu haben. Leonin
wird in einigen Tagen zum Greiſe.
Hier follte die Gefchichte offenbar abbrechen, nad
Ausübung der fogenannten poetifchen Gerechtigkeit, ben
man ſieht nicht, wo der ungluͤckliche Verbrecher, ber dem
nichtigen Glanze, der falfchen Größe des vornehmen Les
bens fo ungeheure Opfer gebracht hat, feine Ruhe und
Sefligkeit wiederfinden fol, und bie langausgedehnten
Qualen eines böfen Gewiffens find fein Object poetifchee
Darftelung. Die Frau Verf. wählt dies Lebtere und
martert den unglüdlichen Leonin buch ein langes Leber.
Es tritt zu dem bekannten ein ganz meuer Kreis von
Perfonen und deren Schickſale: das zuletzt aufs hoͤchſte
gefpannte Intereffe des Lefers wird natürlich abgefpannt,
und um e6 von Zeit zu Zeit wieder zu reizen, greift bie
Frau Verf. zum Schauderhaften. Die beiden Soͤhne
Leonin’s, der einige Fahre in den Krieg geht, wachſen,
ohne ihr Verhältnis zu kennen, miteinander in der in
nigften Freundſchaft auf. Ste verlieben ſich beide in die
uns ſchon befannte Gräfin Franziska und geben dem
Lefer das langweilige Schaufpiel eines Streites der Groß:
muth. In St: MRoce, wo fie der Entdeckung ihres
Verhättniffes fhon nahe find, erſchießt Reginald, ber
Sohn Fennimor’s, feinen Bruder — man denke! —
im Traume. Darauf folgt ein langer Proceß, wo vor
den Augen des Lefer6 ermittele werden foll, was er Als
les längft weiß. Durch die Dazwiſchenkunſt des Königs
wird das Gericht entfchieben, die Marfchallin und ber
Marquis de Souvre erfahren ihr gebührendes Schickſal,
Reginald wird begnadigt, verſchwindet ſpurlos — und
wird vom Marquis d'Anville, als der nähere Erbe von
St.: Rode, vergeblich gefucht.
Damit find wir durch die kuͤrzeſten Wendungen zur
Eingangsgefchichte zurüd; das fchon laͤngſt abgefpannıte
Intereſſe "des Lefers wird ee een! in Anfpruch ges
nommen. Wir muthen unferANfefern weiter nichts zu,
als daß fie ſich geduldig noch fagen laflen, dag Eimerice
von Miftreß Gray, die mit Ihrer Erinnerung an Fen⸗
nimor eine Art Cultus treibt, erfährt, daß fie Fenni⸗
mor's Enkelin, Reginald's Zochter und fomit rechtmaͤ⸗
Bige Beſitzerin von St.⸗Roche if. Sie wird am Ende
die gluͤckliche Gemahlin des glädlichen Leonce d'Anville;
und damit an Gluͤckſeligkeit ein Mangel ift, wird noch
ein anderes junges Paar zugleich mit ihnen getraut.
Wenn die Frau Verf. nicht Hätte duch die Maſſe
des Sioffs und durch Bäufungn von Begebenheiten
wirken wollen, wenn fie bier das Talent der Frauen ans
gewandt harte, Haus zu halten, und wenn, was das
Weſentlichſte iſt, der Conflict zwiſchen der vornehmen
Welt und der Humanität vom rechten Geſichtspunkte ge:
faßt und dargeftellt wäre, fo wäre „St.⸗Roche“ ein vor:
teefflicher Roman. Er wäre aber auch ihr einziger; denn
bas eine Talent, was die Frau Verf. befikt, wäre mit
dam einen erfchöpft, nämlich die Darftellung bes tiefen
Widerſpruchs zwifchen der vornehmen Welt und der ein:
fahen, wahren und fchönen Humanität. In „Thomas
Thyrnau“, wo fie, wie das allerdings die Prätenfion ber
vornehmen Welt ift, beides zu vereinigen gefucht bat,
werden wir Allee — lächerlich finden.
Thomas Thyrnau. Nachdem wir uns in ber
Erpofition des Inhalts ber beiden erſten Romane mög:
lich kurz gefaßt haben, dürfen wir wol bei biefem legten
länger verweilen, erſtens aus Rüdfiht auf unfere keſer.
Der Roman iſt ganz neu vom J. 1843, und unſere Leſer, die
wir ſchwerlich meiſt in der ariſtokratiſchen Welt zu ſuchen ha⸗
ben, find wenigſtens zum Theil noch nicht mit ihm bekannt.
Vielleicht verleiden wir dieſen durch unſere eingehende ſach⸗
liche Expoſition das Verlangen und das Beduͤrfniß einer
weitern Bekanntſchaft und verſchaffen ihnen dadurch eine
große Erſparniß an gutem Humor und an Zeit, denn
auf nicht weniger als 1429 Seiten iſt das fadeſte und
geiſtioſeſte Tableau ausgebreitet. Aber auch der Roman
fetbft verdiene eine genauere Behandlung, nicht weil er
der befte, fondern weil er der ſchlechteſte iſt; ex ift aber
der ſchlechteſte, weil er das treueſte Abbild der vornehmen
Belt ift, alle Elemente derfelben zufammenfaßt und fo
den Kreis ariftokratifher Romane hoffentlich befchließt.
Am Ende läßt die Verf. die Kalferin (Maria Thereſia)
fagen: „Das war ein Mann! wir werden den Zweiten
nicht erleben!” Die Verf. wird Wort halten, fie wird
eine Majeftät nicht Lügen firafen; wir werden alfo auch
feinen vierten Roman von ihr erleben. Sollte ihr dens
noch ihre Fruchtbarkeit Beine Ruhe laſſen (man wird cn
dem Bilde einer fruchtbaren Schriftftellerin keinen Anftoß
nehmen), fo ift unfere Welt unterdeſſen fortgerudt und
eine ernſte Kritik hat davon keine weitere Notiz zu nehmen.
Der Roman nimmt feinen Anfang in einem Zimmer
der Kaiferin Maria Therefia im 3. 1757. Die Kaiferin
iſt allein; ihr Ausfehen, ihre Zollette wird ins einzelnfte
beſchrieben. Diefe Manier der Verf., worin fie fih ganz
hauptſaͤchlich als Verfaffer in zu erfennen gibt, geht durch das
ganze Buch; fie führe micht leicht eine ihrer Perfonen
ein, obne aufs genauefte zu befihreiben, wie fie angezo:
gen find und wie fie ausſehen. Ganz natürlich; denn
in der vornehmen Melt beflimmg fi) das Anfehen nad)
dem Ausfehen und nicht nach dem Einfehen. Uns wer:
den unfere Lefer diefe Kammerbdieners oder vefp. Kammer:
frauendienfte ein für allemal erlaffen; fie mögen ſich die
Perfonen ans und aus⸗ und umgezogen denken, wie ib:
gen beliebt. Die Kaiferin ift mit der Lecture eines Ac⸗
tenſtuͤcks befchäftigt, welches Über die Werbefferung der
Zuftande der böhmifhen Bauern handele. Das ver:
ſpricht etwas. Aber täufche dich nicht, Lieber Lefer! biefe
Stelle fpiele im ganzen Buche eine traurige Rolle, es
wird nichts verbeflert, es bleibe holter Alles beim Alten.
Dee Miniſter Kaunitz teitt ein und praͤludirt feine Rolle,
die er durch das ganze Stück fpielt: Intriguen anzu⸗
nüpfen und zu Löfen, Verlegenheiten zu befeitigen, Staate-
gelder zu privaten Zwecken zu verfchaffen (wenn audy nur
zum Schein) u. f. w. Diefer Minifter ift ein wahres
Pamphlet auf das Minifterium; und dabei wird er Im:
mer herrlich, groß u. f. w. genannt. In Mahrbeit ift
er der kriechendſte Schuft von der Welt und damit ha⸗
ben wie ihn ein= für allemal abgetban. Er hat audy
gleih zu Anfang voeiter nichts zu thun, als der Kaiferin
den Namen des jungen Verf. jenes Actenſtuͤcks zu nen⸗
nen, den Namen des achtundzwanzigiährigen, ſchoͤnen
und geiftreichen Grafen Lay. Die Kaiferin will ihn für
ben Gtaatsbienft gewinnen, aber Kaunig erklärt, daß
das gewiſſer rärhfeihafter Verhältniffe wegen nicht zu ers
warten ſtehe, und fpielt zulegt an auf ein Liebesver⸗
haͤltniß des jungen Grafen mit der beinahe vierzigjaͤhri⸗
gen armen, braungelben, langen, magern und großnaft:
gen Fürftin Morani. Damit ift denn das Thema er:
reiht, das nun durch alle Variationen hindurchgeht, aber
nur in Mol, denn fie Eriegen ſich Aue; nur für einige
abgefhmadte arme Teufel reichen die Srauenzimmer nicht
aus. Eine fo mollige widerliche Liebe tft noch nicht da=
geweſen. Dank der Verf., fie gibt uns mit bem Gifte
gleich, das Vomitiv. Es muß erſt zum Erbrechen kommen,
dann kommt ed auch zum Bruch und endlich zum Durchbruch.
Natürlich iſt die Kaiferin begierig, den fonderbaren
jungen Grafen tennen zu lernen. Wir halten es gar
nicht für gemein, wenn unfere Lefer diefe Begierde mit
dee Kaiferin gemein haben, und ihnen darf das Glüd
diefee Bekanntſchaft noch eher zu Theil werden als ber
Kaiferin, feldfl. Der junge Graf naͤmlich offenbart fein
Inneres und feine Außern fonderbaren Verhättniffe feinem
jungen Freunde, dem Baron von Pölten, dem abge:
fchmadteften Herrchen von der Welt. Er it, damit doch
ein Unterfchted zwiſchen ihm und dem immer ernften, ja
feierlihen Grafen beiteht, als ſtets heiter, luſtig und
witzig befchrieben; aber fein Wis, d. h. freilich der Witz
der Frau Verf., hinkt auf beiden Beinen. Was hat nun
der geheimnißvolle und darum liebenswuͤrdige Graf dem
leichtfüßigen und darum fchuftigen Baron zu offenbaren?
Erftens daß ihm feine großen Güter von feinem Vor⸗
munde, Thomas Thyrnau, einem berühmten Advocaten
und Freunde feines verfiorbenen Oheims, nur unter der
Bedingung übergeben werden follen, daß er deffen (Thyr⸗
nau’s) Enkelin heirathet; fo foll ed durch ein nod ge:
heimnißvoll bieibendes Zeftament befagten Oheims feflge:
ftelie fein. Zweitens, daß er in die alte Fuͤrſtin Morani
aus bioßer Achtung verliebt if. Woher diefe Achtung ?
weil fie empfindfam ift, weil fie ihrem alten liederlichen
und betrügerifhen *) Vater bis zu feinem fel. Ende ein
) Es heißt ven ibm ©. 41: „Neben dieſen Cchattenfeiten
(der Betrügeret und Voͤllerei) beſaß cr äußerſt 'iebenswuͤrdige
Eigenſchaften.“
glängendes Leben zu erhalten und bie Maſſe feiner Schul⸗
den zu verbergen gewußt hat; und weil fie nun hinter⸗
drein noch fo bürgerlich ehrlich ift, diefe Schulden durch
den Verkauf der meiften ererbten Luxusſachen zu tilgen.
Der Graf ift durd die Spuren ihrer Entbehrungen aufs
tieffte gerührt, und bei ber Nachricht, daß fie ihren Koch
entlaffen hat, bricht ihm fait das Herz.
Die Zürftin will fih den Bewerbungen des Grafen
dadurch entziehen, daß fie in ein Kloſter gebt; aber fon:
derbar! ein Mönch redet ihr dieſen Entſchluß aus, der
liebenswürdige Jeſuit Georg Prey. Er überzeugt fie,
daß fie mit der Leidenfchaft im Herzen nicht für das
Kloſter paffe. Die Zürftin gibt nad; die Verlobung
wird gefeiert. Vorher aber hat der Graf eine Audienz
bei der Kaiferin. Die volle Begeifterung eines Unter:
thanen ſchwellte fein Herz. In diefer unterthänigen Be:
geifterung — die Verf. wird un nicht anlagen, daß wir:
ihre Worte verdrehen, denn Die Begeifterung eines Un:
terthanen muß nothmwendigermeife untertbänig fein — hat |
der Graf gelegentlich bie Kühnheit, der Kaiferin ine Se:
fiht zu erklaͤten — etwa, daß «8 Ihe mit ber Unter:
ſtützung feiner beabſichtigten Befreiung ber boͤhmiſchen
Bauern nicht rechter Ernſt iſt? o nein! — daß ſie keinen
Anſpruch hat auf ein einziges Gefuͤhl der Erde (sic).
Die Kaiferin ift durch biefe Dreiſtigkeit fehr überrafcht,
denn fie fühlt, daß fie nicht abfolut wäre, wenn fie nicht
alle Gefühle hätte. Sie fragt darum: an welches? Der
Graf antwortet in einer Rede, die wörtlich abgebrudt zu
werden verdient; denn einige unjerer Leſer haben vielleicht
Urſache, fie fi zu Herzen zu nehmen.
An das der Untertbanen «Liebe! an das fehönfte, reinſte
Gefuͤhl der menfchlihen Bruſt!
die gewöhnliche Nahrung ber Erwiderung zu bedürfen — ein
Gefühl, das leer ift von jedem Egoismus, das nichts will und
nöthig hat, als das Süd, zu lieben; das ben erhabenen Ge⸗
genftand, deffen Stimme vielleicht nie an das Obr Deſſen brang,
der es nähert, und ihn dennoch mit berjelben Wärme burchbringt,
die ihn Leben, Gut und Blut freudig darbringen läßt für die
Erhaltung beffelben. Dies Gefühl, beffen böchfte Reinpeit ich
ald den Triumph der menfchlichen Befähigung erkenne — dies
Gefuͤhl ift es, weshalb
Euern Majeftäten zu beneiden wage, wenn ich auch zugleich
abne, daß — dies Gefühl einflößen zu können, vielleicht meis
nem ſtolz empfundenen Vorrecht die Wage hält!
(Die Fortfegung folgt.)
gr — 6⸗ 6 —
Literariſche Notizen aus Frankreich.
unter dem Titel: „De l’aristocratie anglaise, de la
d&mocratie americaine et de la liberalit& des institutions
francaises‘ gab Ch. Farcy ein Wert heraus, welches von
den franzöfffchen minifteriellen Journalen das Werk eines guten
Bürgers genannt und feines „trefflichen Geiftes” wegen mit
Lobfprüchen überhäuft wird. Sehr natürlih, da der Verf. in
feinem Buche zu beweifen unternimmt, daB es kindiſch und
falfch ſei, zu glauben, in Amerifa oder England blüge bie
wahre Sreiheit und Frankreich nehme unter ben conflitutionneilen
Nationen etwa nur ben dritten Rang ein; daß vielmehr ber pos
litiſche und geſellſchaftliche, der geiftige und fitttiche ‚Zuftand
Frankreichs ein unenblidy befftrer fei als ber Nordamerikas und
Eine Liebe, welche lebt, ohne
id mid in dieſem Augenblide vor.
Englands; daß Iestere beiden Länder gar nichts hätten, was
ein Franzoſe ihnen beneiden Eönnte, und baß den Franzofen,
um groß und gluͤcklich, um das erſte Voll der Welt ;u fein,
nichts weiter fehle als das Bewußtſein, daß fie in einer bewuns
dernswerthen Lage ſich befinden, um bie Allee zu werden.
Was kann ein nzofe nicht beweilen, wenn es darauf ans
tommt, fein Bold als das erſte, glüdtichfte und größte hinzu⸗
ftellen! Beweiſen uns doch die franzöfifchen Kriegsgeihichtfchrei:
ber, daß bie Werbiindeten nur, nachdem fie Niederlage auf Ries
derlage erlitten, in Paris einrüdten, fobaß es faft darauf hinaus⸗
tommt, aid feien fie vorwärts nach Frankreich und Paris ges
flohen! Gelten ihnen doch Schlachten wie bie bei Großbreren,
bei Kulm, an ber Katzbach, bei Dennewig für nicht mehr als
bloße Vorpoftenfcharmügel, während bie für bie Berbündeten
ftegreihen Schlachten auf franzöfifchem Boden, wie die von
Brienne ober Laon, in ihren Kriegsgeſchichten gaͤnzlich fehlen
oder in fiegreiche Treffen verwandelt werden; wie fönnte auch
ein Sranzofe zugeben, daß er auf eigenem Grund und Boden
gefhlagen worden fet? In gleichem Geiſte und mit gleicher
Kuhmredigkeit iſt auch Farcy's Werk geſchrieben. Doch ent⸗
hält es manche intereſſante Bemerkungen und ſtatiſtiſche Anga⸗
ben. Es ſei eben kein Ungluͤck für Frankreich, ſagt der
Verf., daß es in feinem „Almanach royal’ feinen Herzog
von Nortyumberland figuriren ſehe, der ein jährliches in:
kommen von fünf Millionen Francs hätte, feinen Herzog
von Buccleugh mit jährlich ebenfalls fünf Millionen, einen
Marquis von Hertford mit drei Millionen, keinen Lord Francis
Egerton mit drittehalb Millionen, Beinen Marquis von Weſt⸗
minfter mit neun Millionen, Eeinen Herzog von Eleveland mit
fünf Millionen, feinen Lord Portland mit zehn Millionen, keinen
Sir John Loyds mit 6,220,000 Krancs, Beinen Derzog von Devon⸗
fhire mit drittehalb Millionen u. f.w. Alle biefe Ichten nur von
den Abgaben der Armen und dem Bungee ber Proletarier.
Auch die Morat erfcheint Barcy, ber bie Habeas⸗Corpusacte
das willtürlichfte Gefeg nennt, welches nur zu Gunften der Bor:
nehmen unb Reichen gegeben fei, in England viel übler beftellt '
ats in Frankreich. Die criminelle Statiftil ergibt nämtich fol⸗
gende Zahlen. In England war bie Zahl der im 3. 1834
Angeliagten 22,451, im 3.1837 23,612, im 3.1840 27,187,
Vermehrung 20: 100. In Frankreich mit einer um bie Hälfte
zablreihern Bevoͤlkerung zählte man 7223 wegen Verbrechen
Angektagte im 3. 1835, im 3.1839 7858, Vermehrung 9: 100,
Unterfchied zu Ungunften Englands 21: 100,
Bon E. Pecqueur find drei Werke auf einmal crfdjienen :
„De la paix, de son principe et de sa realisation”, ein von
der Gefellfchaft der chriſtlichen Moral 1842 gekröntes Werk;
„Des armees dans leurs rapports avec Pindustrie, ia morale
et la liberte, ou des devoirs civiques des militaires”,
berfelben Gefelfchaft in demfelben Jahre gekrönt; und Théaric
nouvelle d’economie sociale et politique, ou &tudes sur l’or-
ganisation des societ&s’‘, eine Schrift, welche zu intereffanten
-Bergleichungen mit M. Chevalier’8 „Cours d’economie poli-
tique” auffodert. Es tft merkwürdig, wie theoretifch jest Frank⸗
reich zu Werke geht, während es body den Deutſchen ihren
Mangel an Praris und ihren UÜberfluß an theoretifchen Hirs⸗
gefpinnften vorwirft. Daher ‚dic vielen hohlen Declamationen
in ber Deputirtenfammer und im SSchriftwefen! Die vielen
Scerficin der armen Witwe, tes franzöftihen Socialismus,
haben noch immer fein nugbares Gapital ergeben. Wir ers
wähnen bierbei, daß von hen „Mémoires inddits du wmarschal
de Vauban sur l’ö&conomie politique‘’ foeben der zweite Band
erfchienen if. Der unermüdlide Krämer in und mit italieni:
{hen Anekdoten und Antiquitäten, der Verf. der „Curiosites
et anecdotes italiennes”, „L’Italie comfortable‘‘, ‚‚Voyages
en Italie” u. ſ. w., Valery, gab heraus: „La science de la vie,
ou principes de conduite religieuse, morale et politigue,
extraits et traduits d’auteurs italiens.“ 18.
Berantwortlicer Herausgeber: Heinrih Brokhaus. — Drud und Verlag von B. 4. Brodbaus ia Leipzig.
nn 5%
Blätter
‚für
literariſche Unterhaltung.
‚Sonntag,
Ariftotratifhe Romane.
(Yortfegung aus Nr. 77.)
Wir Haben nicht gerongt, bdiefe tiefen Gedanken —
wie verwahren uns ausdruͤcklich dagegen, hier „tief“ im
der Bedeutung von ‚niedrig‘ zu nehmen — zu unters
brechen, wenngleich wir fühlten, daß die Sprache für die
an die Rhetorik der unterthänigen Begeifterung nicht ges
mwöhnten Ohren einiges Unverfiändlihe haben könnte.
Mir fahren auch jetzt erft fort, nachdem wir unfern Le⸗
fern eine Pauſe gegoͤnnt haben, um die Thränen ihrer
unterthänigen Rührung Uber die unterthänige Liebe zu
teodnen. Die alte Fuͤrſtin alfo verlobt fih mit dem
jungen Grafen. Dabei wird, wie gewöhnlich, gegeſſen
und getrunfen, von den alten beftäubten Reſten aus
dem Keller des hochfeligen Kürften, für welche die arme,
arme Fürftin die Mefter bat bezahlen müflen. Nach
Tiſche amufirt man fih im Garten, und da kommen
auf einem Kahne drei fingende Kinder — ein Mädchen
von etwa 14 Fahren, ein etwas jüngerer Knabe und
noch ein Meines Mädchen, Magda, Egon und Hedwiga —
zur alten Fürſtin zu Beſuch. Ale drei ‚find natlrlich
wunderſchoͤn, und ſchon darum unmöglich die Kinder ber
armen Teufel — iſt's nicht ein fchöner Ausdrud „armer
Teufel?“ — von Kofterhofbemohnern, wo fie logiren.
Magda erfchridt beim Anbii des Grafen Lay — fie
bet nämlich feinen ihm ganz ähnlichen Oheim noch ges
kannt; — Lacy auch. Kurz, hier geht die liebe Roth
der Liebesnoth an. Und damit fidy unfere Leſer gleich
fie diefe Liebeögefchichte intereffiren und über die reizende
Magda und ihre Gefpielen, Egon und Hedwiga, nicht
Kınge in Ungewißheit bleiben — man bleibt es freilich auch
im Romane nicht lange, die gute Frau Verf. bildet es fi)
blos ein — Magda iſt die betreffende Enkelin Thomas
Thyrnau's und Egon und Hedwiga find Kinder. des
Erbpringen von S. und einer Tochter des Thyrnau,
einer Tante Magda’s. Der Erbprinz hält feine Kinder
für todt, flir ermordet durch feinen eigenen leiblichen
Vater, der einen tiefen Daß gegen ihn heat, weil er ihn
für einen Baſtard hält. Unterdefien leben die armen
Shrftenlinder in der drüdendften Armuth bei ihrer alten
Pflegemutter Mora. Sie efien Wafferfappen — man
bente! — und firttern eine Ziege. Das iſt für die ar:
men Kinder offenbar fehr traurig, ‘aber für unfere Frau
19. März 1843.
Verf. ſehr gut, denn fie hat dadurch Gelegenheit, unends
lich liebliche idylliſche Erzählungen vom Leben ber Ziege
und von ihrem tragiihen Ende einzuflechten. Aber wir
fegen uns über alle diefe Seligkeit und dies Miſere weg,
machen einen Sprung und find auf einmal in bem fos
genannten Dohlenneft, dem Aufenthalte des Haupthelben
des Stuͤcks, wohin auch Magda ſchon vorausgeeilt iſt,
nachdem fie vorher noch ein aͤußerſt rührendes Zufammens
treffen mit dem Grafen Lacy am Klofterbrunnen erlebt
bat. Die Bekanntſchaft der Peinzeffin Thereſe, einer
Muhme der Kalferin, machen wir aber vorher. Ihre
vom der Verf. viele Seiten lang ausgefponnene Gefchichte
iſt kurz biefe: Sie ift in ihrer fruͤheſten Jugend mit
dem Erbprinzen von S. verlobt und fchon für bie Zus
kunft grümdlich verliebt. Als fie darauf figen gelaſſen
wird, legt fie fih, um in der Volksſprache zu reden, auf
bie liedetliche Seite, wozu fie natürlich, am Hofe der
Pompadour, wo fie ihre Jugend verlebt, Gelegenheit ges
nug bat. In Wien fegt fie dies Unwefen fort und hat
fogar nädtlihe Zuſammenkuͤnfte mit dem alten Erzboͤſe⸗
wichte, dem Bürften von S. Trotz alledem iſt fie uns
endlich liebenswuͤrdig, reißt fih aus allen DVerlegenheiten
beraus umd heirachet endlich, um bier ihre Geſchichte
gleich) zu befchließen, ben Erbprinzen von S. Deſſen⸗
ungeachtet iſt die Prinzeſſin die wahrſte und darum ins
tereffantefle Figur des ganzen Romans.
Wir waren, wie oben gemeldet, im Dohlenneſt.
Das Dohlenneſt ift, wie jebes Famllienneſt, ein Reſt
der Gluͤckſeligkeit. Die Bewohner eſſen und trinken, teis
ten und gehen fpagieren und kümmern fih um: nichts
in der Welt, ald um den Genuß ihres eigenen Lieben Les
bene. Sie find aber gerade darum nach der Darftellung
unferer Verf. groß und bedeutend und wahre Mufter für
jeden guten Unterthanen. Der alte Thyrnau hat aber
in feiner Tugend mit Lay, dem Oheime unfers Heiden,
feinem intimften Freunde, ben unfinnigen Plan gehabt,
Böhmen durch eine Verfſchwoͤrung am einen frangöfifchen
Prinzen zu bringen. Spaͤterhin, beſonders beim Aufs
vs des herrlichen Geſtirns der Maria Tiherefia haben
e den Plan aufgegeben. - Aber die Verwickelungen, im
bie ſich noch der Sohn bes alten -Lacyg — ber, beilaͤufig
gefagt ; recht eigentlich vor Liebe ſtirbt — eingelaffen hat,
haben den alten Laey um den größten Theil feines Ders
810
moͤgens gebracht. Thyrnau hat ihm das Belle davon,
die Herifchaft Tein, wozu das Dohlenneft gehört, abge:
kauft; aber um der alten Familie Lacy-Wratislav (fo
beißt der junge Graf von feiner Ältermutter) das Beſitz⸗
thum zu bewahren, haben die beiden‘ alten Herren den
duppleriſchen teſtamentariſchen Vertrag geſchloſſen: der
junge Graf und Magda ſollen ſich heirathen, und wer
von beiden den andern verſchmaͤht, ſoll der Erbſchaft
verluftig gehen.
So ſtehen die Sachen. Da erfcheint im Dohlen⸗
nefte der alte Fürft von S., der, eben weil er der ei
zige Böfewiht im ganzen Buche iſt, duch und buch
böfe, fo zu fügen auswendig und inwendig ſchwatz iſt,
ein wahrer Fuͤrſt dieſer Welt. Was er eigentlich will,
wird nicht ganz klar; er zankt ſich mit Thyenau, der an
die alte Verſchwoͤrung nicht mehr anbeißen will, ſieht
Magda, bildet fih ein, fie fei auch feine Enkelin und
nimmt fi vor, fie zu verderben. Die Abenteuer des
albernen Baron Pölten, der nad Tein kommt, ſich für
den jungen Grafen ausgibt, um benfelben durch feine
Schlauheit aus allen Nöthen zu reißen, übergehen wir
billig mit Stiffchweigen. Nur das Eine koͤnnen wir
unmöglih unerwaͤhnt laffen, naͤmlich daß er fich über
einen See hinter, alfo beiläufig auf eine Diflance von
einigen Hundert Schritten in Magda verliebt. Im Aus
genblicde der Entſcheidung, wie nämlich das verhängniß:
volle Teſtament eröffnet werden fol, erſcheint der Graf
Lacy ſelbſt. Alles geräch in die ungeheuerfte Aufregung,
Magda, die auch hinzugeeilt ift, bricht zufammen. Die
Scene, die im Romane die armen Lefer einige Selten
lang befländig außer Athem hätt, ift kurz diefe: Thyrnau
fraͤgt in Magda's Gegenwart den Grafen, ob er ſeine
Enkelin zur Frau nehmen wolle. Der Graf bekennt ſeine
Verlobung mit der alten Fuͤrſtin Morani. Das iſt num
ſehr ſchlimm; beide kann er doch nice heirathen. Nun
iſt eigentlich feine herrliche Herefhaft verloren. Aber
Magda wendet die Sache anders, fie richtet fih auf und
ſchwoͤrt „zu Gott dem Aumaͤchtigen einen heiligen Eid,
Lacy nie anzugehören.” Bel diefen Worten fährt dem
armen Lefer ein Schreck in die Glieder. Nun iſt es vor⸗
bei, ſeufzt er, und doch iſt er erſt in der Mitte des
zweiten Theils. Aber es iſt Schade um dieſen ſchoͤnen
Schreck, der Einem ſo recht Mark und Bein erſchuͤttert;
denn ſie heirathet ihn zuguterletzt doch, und der liebe
Gott wird nicht einmal um Verzeihung gebeten.
Weil von Schreck die Rede iſt, ſo faͤllt uns ein,
unſere Leſer koͤnnten bei der Erwaͤhnung, daß wie erſt
in der Mitte des zweiten Theils ſind, auch einen Schreck
bekommen haben. Aber Geduld, wir wollen uns kuͤrzor
faffen. Die ganze zweite Hälfte bes zweiten Theils
fuͤlit ein Proceß aus, durch ben unfere ganze ſchoͤne Ge:
ſchichte fo gut wie gar nicht procedirt. Thyrnau iſt vom
Boͤſewicht, dem Fuͤrſten von S., des Hochverraths an:
geklagt. Aber — dafuͤr ift er Advocat — er redet fi
beraus und Magda fällt der Kaiferin zu Süßen und be:
tet fie recht eigentlich an. Thyrnau wird auf fünf Jahre
auf die Feſtung Kariſtein gewielen, auf ein wunderſchoͤn
-wie beſeſſen.
gelegenes altes Schloß, wohin ſonſt nur Heiner Vergehun⸗
gen wegen Prinzen gemwiefen find, etwa wenn fie aus
Verfehen oder in Übereilung einen Kammerbiener oder
dergleichen erflochen hatten. Magda begleitet ihn und er:
lebt mit ihm umd den guten Leſern auf dem beinahe ans
derthalb Hundert erſten Seiten des britten Theile die
fondecbarften Abenteuer, blos weil der Courrier, der ihre
Anmeldung an den Gouverneur der Seftung bringen folite,
unterwegs einen Unfall gehabt bat. Auf der Feſtung be:
ginnt das luſtigſte Leben. Die Offiziere der Befasung,
die alle, einen jungen Sürften Trautſohn ausgenommen,
einem alten Herkommen gemäß, das Gelübde der Keuſch⸗
beit abgelsgt haben, find Sprößlinge altadliger Geſchlech⸗
ter, und trog ihres Adelſtolzes verlieben fich faft alle in
die bürgerliche Magda. Die Belagung iſt auf einmal
Die Liebe fpielt duch alle Zonarten, vom
Grafen Thurn, der Magda wie eine Heilige anbetet, bis
zum Grafen Pafterau, der fie gelegentlich — man verjeihe
das unzüchtige Wort — nothzüdtigen will. Der Graf
Paſterau wird für feine Eleine übertriebene Galanterie ein
Weilden von der guten Geſellſchaft ausgefchlofien.
Die längfle Epifode ift die bis zum Ekel abgefchmadkte
und widerliche Liebe des jungen Trautſohn; und doch er:
klaͤrt gerade er ſich gelegentlich gegen Magda über einen
weientlihen Geſichtspunkt der Liebe, nämlih Kinder zu
zeugen. Als Magda endlih an Lacyh verheitathet iſt,
jammert er zwar nod viel, bittet fie aber zuguterlegt,
ihm eine Stau zu verfchaffen. Diefe verfuppelt ihm ihre
Coufine Hedwiga, und von ber wird am Ende berichtet,
‚daß fie fehr fruchtbar gemwefen fei. Wir haben ſchon gefagt am
Ende: nun ja, wir find gleih am Ende. Die Befuche auf
bem Karlftein von Seiten des Grafen Lacy und feiner Srau,
des Erbprinzen und ber Prinzeffin Thereſe, die ſich bier
verloben, und all das damit verknüpfte Amufement über:
gehen wir. In Prag ſtirbt endlich in Folge der Belage⸗
sung und einer ſchweren Niederkunft die Gräfin Lacp.
Der Graf geht zu feiner Zerſtreuung ein Jahr mit in
den Krieg und heirathet endlih Magda. Nur Thyr⸗
nau, bem alle feine Kuppeleien gelungen find, und ber
demnach die großen Zwede feines Lebens erreiche bat,
flirbt. Magda dagegen, die fehon bundertmal in Ohn⸗
macht gefallen ift und hundertmal todtenbleih, d. b. ins
terejfant ausgefehben hat, wird ſtark und befommt vice
Kinder.
So wären wir am Ende, freilih mit Auslaffung
vieler Abenteuer und mit Übergehung vieler, von der
Verf. als bedeutend dargeſtellter Perfonen. Wir baben
aber da6 Gefühl, unfern Lefern unmöglich eine Längere
Geduld zumuthen zu können; wis wollen ihnen vielmebe
zu Belohnung für die bisherige eine Kleine Gefchichte aus
unferm Leben erzählen, die uns bei Gelegenheit des un:
endlich lang ausgedehnten Sterbens der frommen Graͤfin
Lacy eingefalien iſt. Ref. war einmal fo ungluͤcklich,
Theilnehmer einer pietiftifhen Abendandacht zu fein.
Der Vortrag war eine Krankengefchichte, das mindeſtens
vierzehn Tage anhaltende Abſterben eines frommen Chriften,
der zwifchen den Schauen des Todes und feiner Sünden
811
und dem Vertrauen auf die Gnade Gottes befiäubig bin
und ber ſchwankt. Mein Nachbar flöhnte bei jeder neuen
Wendung tief auf und feufste: Ach! wenn er doch erſt
tobt wäre! (Er drücke fih wol auch flärker aus, was
fh zu der beabfichtigten Erbauung gar nicht paßte und
was ich nicht nachfogen mag.) Am Schluffe rief er faft
laut zum Schreden der erbauten Gefellfhaft: Gott fei
Dank, daß er todt if! So geht es den Lefern unfers
Romans beim Tode der frommen Gräfin Lacy und am
Ende beim Ende des ganzen Romane.
Bas ift dies nun für eine Welt, derem Zuͤge die
Frau Verf. vor unfern Augen in diefen Romanen aus:
breitet? aus welchen Elementen ift fie zufammengefegt?
was ift ihr fieelicheer Boden, ihre Subflanz? Darüber
bleibe uns noch übrig, einige Bemerkungen hinzuzufügen.
Der fittliche Boden der Romane ift, wie dies von einer
Frau gar nicht anders zu erwarten fleht:
Die Familie. Wer wäre der Barbar, die Tiefe
und den Reichthum und die fittliche Serrlichkeit des Fa⸗
milienleben6 zu verkennen! wer wüßte nicht, daß «6 ge:
zade in Deurfchland zur fchönften Blüte gediehen ift!
Kein Wunder; denn felt geraumer Zeit haben wir tel:
ter nichts zu thun gehabt, und alle fittlihen und edein
geiftigen Kräfte find ihm zugefirömt. Das Familienleben
in feiner Blüte ift das Product des Proteflantismus, iſt
der proteftantifhe Himmel (Luther felbft flüchtete bei Zei⸗
ten hinein), neben dem der eigentlich fogenannte Dim:
mel theoretifch zwar lange unangetaftet, aber praktiſch
verödet blieb: denn, man täufhe fih nit! was der
Menſch mit allen Kräften feiner Seele erſtrebt und liebt,
wofür er arbeitet und worin er zugleich den Genuß feiner
Arbeit findet, das ift fein Himmel, fein Paradies. Das
war und iſt noch in Deutfchland die Samilie, und der
Staat ift nur der Engel mit dem Schwerte, ber dies
Paradies behüter, aber auch bisweilen verwuͤſtet. Die
Familie, die fich gegen das große Ganze, den Staat,
gleichgültig verhält, ift die Subſtanz, der Boden des
deutichen Lebens, daher das vielfach varliste Thema un:
ſerer Dichter, von dem idealiftifh aufgepugten Spieß:
bürgertbume Sein Paul's bis zur ſchoͤnen, feinen umd
hohen Bildung der Goethe'ſchen Poefie. Und mo das
Samilienieben feine engen Kreife öffnete, da muͤndete es
meift nicht in den ihm zunaͤchſt liegenden größern Kreis
des Volkslebens, fondern gleich in ben weiteſten und
größten des Rosmepolitismus. Wir können unfern Did:
ern daraus Leinen Vorwurf machen; fie bildeten Die
Wett ab, wie fie fie fanden. Wir können auch unferer
Sau Verf. daraus keinen Vorwurf machen, denn unfer
Ruhm und Stolz, unfer Eins und Altes iſt noch immer
die Reinheit und tiefe Innigkeit des Familienlebens, und
fie ift eine Frau. Aber das fie die ſchoͤnen Vers
bältniffe, die ceihen Bezüge der Liebe, des
Bertrauens und bes fittlihen Einfluffes vers
renkt und verfchoben, daß fie die ganze [höne
Natur des Zamilienlebens in Unnatur ver:
wandelt bat und diefe Unnatur befhänigt,
das machen wir Ihe zum Vorwurf. Die Etikette,
die Conventenz, die Vornehmheit, bie Manier Aberzieht
ale Wahrheit und reine Humanitaͤt mit einem kleiſteri⸗
gen Firniß.
(Der Beihluß folgt.)
Leben des großherzoglich oldenburgiſchen Generalmajore
W. ©. 5. Wardenburg. Herausgegeben von einem
Bruder des Verftorbenen. Didendurg, Schulze. 1342.
Gr. 3. 1 Thlr. 10 Ngr.
Die Zahl ber deutfchen Krieger, welche feit dem Anfange
der franzöftfchen Revolution an den verfchiedenen Kämpfen in
Stalien, Sranfreih, Deutfchland, Rußland, Polen und in ben
Niederlanden Theil genommen haben und in ben Kriegen von
1813-— 15 bereits im kräftigen Mannesalter ftanden, wird im⸗
mer Eleiner und mit ihnen ſchwinden viele Erinnerungen an eine
wechfelvolle Vergangenheit und an Begebenheiten, wie fie ſich
nicht leicht in einen Zeitraum von 20 Jahren zufammengedrängt
haben. Unter die Zahl diefer verdienten Kriegsmaͤnner gehört
auch der olbenburgifche General nBarbenburg ı der am 29. Mai
1833 verfiorben ift und in Briefen, Tagebuͤchern und militatris
hen Ausarbeitungen einen reihen Stoff zu einer Biographie
binteriaffen hat, deren Beroͤffentlichung das Werk feines Bru⸗
berö, des Superintendenten Wardenburg, geworden ift.
Der General Wardenburg trat zuerfi (1797) in das oldens
burgiſche Militaircorps, wars dort Faͤhnrich, entſchloß fich aber
fon nad zwei Jahren in ruſſiſche Dienite zu gehen und bei
ber Armee unter Suwarow, bie damals in Stalien fland, feine
erfien Sporen zu verbienen. Er ward bei guten Empfehlungen
von dem Eriegerifchen Sonderling wohl aufgenommen und file
dert ihn recht anſchaulich in leinenen Beinkleidern, zereiffenen
Strümpfen, ungepugten Gtiefein, ohne Rod und Halstuch im
bloßen Hemde, oder, wie er in Mailand einzieht, auf einem
Kofadenpferde, mit einem abgenugten deutſchen Sattel und
einer Schabrade mit feibenen Franzen, mit Kleinen Gtiefeln,
über weiche die Strümpfe herabbingen, mit kurzen Beinkleibern,
deren Knoͤpfe nie zugemacht waren, mit einem Hemde ohne
Kraufe und mit einem offenen Halsfragen und in der Hand
ben Kantſchuh, um das Pferd unaufhoͤrlich anzutreiben. Da
fi aber Warbenburg’s feite Anftelung verzögerte, fo zog er
ed vor, mit guter Empfehlung von Suwarow in bie oͤſtreichiſche
Armee einzutreten, und erzählt manche Gingelnbeiten aus den
Feidzuͤgen derſelben bis zur Schlacht bei Marengo. Wenn ber
Derausgeber ed befrembend findet, daß fein Bruder nur gang
kurz; von diefer Schacht ſpricht, fo ſcheint uns gerade hierin
ein Beweis für die richtige Auffaffung und feltene Befcheibenheit
des jungen Offiziers zu liegen. Denn wie vermag ein Lieutes
nant ben Gang einer bedeutenden Schlacht zu verfolgen, ober
gar von feinem befchräntten Standpunkte aus bie Anorbnungen
bes Oberfeidherrn zu kritiſiren?
Der langweilige Garnifondienft in Wöhmen und bie Un:
möglichkeit, es bei der damaligen Käuflichkeit der Offizierftellen
weiter zu bringen, ließen ihn im Frübjahre 1805 den öftreichis
ſchen Dienft verlaffen und wieder nach Rußland gehen, wo er
bei den verwandtſchaftlichen Verbindungen des olbenburgifchen
Daufes mit der kaiſerlichen Familie ein raſcheres Avancement
zu finden hoffte. Als ruſſiſcher Secondelieutenant machte er bie
Feldzüge von 1805 und 1806 mit, und wie befcheiden auch
Wardenburg ift, fo erfieht man doch Kinlänglih, daß er fich
durch Tapferkeit und Wohlverhalten auszeichnete, namentlich in
der Schlacht bei Eylau, deren Schilderung zu ben intereflan-
teften Partien des Buche gehört. Nah dem Tilſiter Frieden
z09 fein Regiment nady Finnland und feine Mittheilungen über
biefen Krieg, der ihm Orden und Ehre bradte, find um fo
wichtiger, je mehr die Gefchichte diefes Kriege vor den uͤbrigen
großen Weltbegebenbeiten jener Zeit zurüdgetreten ifl. In ber
818
ſchwediſchen Befangenfchaft ward er freundlich und zuvorkom⸗
mendb behandelt. Nach bem Frieden ernannte ihn Prinz Geor
von Oldenburg zu feinem Adjutanten und von diefer Zeit an i
Wardenburg im Vertrauen angefehener Perfonen und feine Mit:
theitungen gewinnen an Intereffe und Wichtigkeit. Dies gilt
unaͤchſt von der Geſchichte des ruſſiſch-franzoͤſiſchen Kriegs im
. 1813, wo Wardenburg die Schlacht bei Smolense und
Borodbino als Augenzeuge klar und gut beſchrieben und bei aller
Anerkennung der ruffifchen Tapferkeit auch die Bradheit ber
feanzdfifchen Truppen nicht verkannt hat. Barclai de Zolli
(wir wiffen nicht, aus welchem Grunde immer Barklei gedrudt
ift) erfcheint hier in ſehr gutem Lichte dagegen tritt die In:
fuborbination und der Gigenfinn des Kofadenhetman Platow
rell hervor, der einen ihm von Wardenburg überbrachten
fchrifttichen Befehl des Obergenerals ftundenlang in ber Taſche
behielt, den Abdjutanten ganz ruhig warten ließ und dann
boch that, was ihm heliebte. Einen Belbheren wie Napo⸗
leon gegenüber zu haben und noch dazu Ungehorfam bei feinen
Nntergebenen zu finden, mußte Barclai de Tolli's Lage weſent⸗
ic erſchweren und erklärt manche Raͤthſel in feiner Kriegs
hrung.
' Den Brand von Moskau erklaͤrt Wardenburg unbebents
ich für die abſichtiiche und vorbedachte Anftiftung des Gou⸗
verneure Roftopfchin und führt in feinen Erzählungen bie ges
wichtigften Gründe dafür an, unter andern den, baß er zwei
Tage nad) der Übergabe Moskaus aus dem eigenen Munde
Rofiopſchin's ſolche Äußerungen gehört habe, die feine Freude
über dad wohlgelungene Wert unzweifelhaft zu erkennen gaben.
Wir befigen jegt bekanntlich in Varnhagen von Enſe's „Denk:
würbigfeiten” (IV, 167 fg.) die genauefte Erzählung ber moßs
kauer Borgänge aus Roſtopſchin's eigenem Munde.
Nach der Vertreibung der Branzofen aus Rußland Löfte ber
Tod des Prinzen Georg von Dibenburg am 27. Dec. 1812
das Verhältnig, im welchen Wardenburg zu biefem gütigen
Färften geftanden hatte, und er übernahm auf Veranlaflung bes
damals nady Rußland geflüchteten regierenden Herzogs von Dls
denburg die‘ Errichtung und Führung eines Bataillons der
rufifhsdeutichen Legion. Als Chef beflelben nahm er an dem
Feidzuge des Generald Wallmoben an der Niederelbe, dann
in Holftein und zulezt an ben Gefechten vor Hamburg Antheil,
befand ſich während des Winters 1814 mit einer Million an
den Kaifer Alexander im zuffifhen Hauptquartiere beichäftigt
und verließ, nachdem die Legion in handverfchen Sold getreten
war, aber in ruſſiſchen Dienſten verblieb, das ruſſiſche Heer,
um wieder in bie Dienfte feines Landesherrn überzugehen und
als Oberſt das oldenburgifche Militair zu organifiren. Schon
am 8. Mai 1815 verließ baffelbe Oldenburg, um ſich ben gegen
Rapoleon ziehenden Truppen angufchließen. Das Regiment bil:
dete einen Theil des aus. deutihen Bundestruppen zufammens
gefegten Corps und wurde zur Ginfchließung und Berennung
der Feſtungen Mezieres und Montmeby verwendet. Hier ber
merkte Wardenburg bald, daß der preußiſche Senerat von Hake,
der Commandeur bes Corps, bie Oldenburger nugloß zur Er⸗
ürmung der genannten Feilungen verwenden wollte, ba bie
bergabe derfelben nach den Vorgängen in Paris doch bald er:
folgen mußte. Deshalb erfiärte er ſich energifch dagegen und
betheuerte, daß er nur in dem Falle eines gemefjenen ſchrift⸗
lichen Befehls zugeben werde, daß fein Regiment an biefer Ex⸗
pebition Theil nehme, indem er für die gewiffenhafte Verwens
dung feiner Untergebenen feinem Landesherrn verantwortlich fei
und daß für alle unnüs gebrachte Opfer die Verantwortung
auf ben Befehlöhaber fallen würbe. Obgleich Hake bierin eine
Art von Infuborbination fah, To gab er dennoch nad und hat
auch fpäter, als. das Regiment aus Frankreich abzog, daflelbe
auf fehr ehrenvolle Weife entlaffen. Ebenſo urtheilte Bücher,
der dem Regimente zwei Geſchuͤtze fchenfte, fich gegen Warden⸗
burg perföntich fehr freundlich bewies und bem Regimente mehre
Decorationen zur Werthellung überfendbete. Am 8. Der. tra⸗
fen die Didenburger wieder in ihrer Vaterſtadt ein.
“Die legten Seiten Tchildern das Leben des Generals Wars
benburg im Frieden. Gr erfcheint fehr tüchtig, ehrenwerth,
vol Sinn für wiflenfchaftliche Beſchaͤftigung, Für die Geſchichte
und Alterthämer feines Landes. In ben ietzten Jahren feines
Lebens trat an bie Stelle früherer Unruhe und Thaͤtigkeit eine
etwas philifteöfe Lebensgemohnheit, wie fie ſich wol bei alten
Offizieren, die viel erlebt haben und koͤrperlich zu leiben ans
fangen, einzuftellen pflest. Bein Tod erregte eine herzliche
Theilnahme im ganzen Lande Oldenburg. 10.
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Die belletriſtiſche Literatur, die vor einiger Zeit in
rankreich zu ſtocken ſchien, hat in letzter Zeit wieder einen neuen
chwung bekommen. Es erſchienen: „Le chäteau des Atri-
des“, von Jules Lacroix, in der gewohnten barbariſchen Mas
nier des Verf.; bie Geſchichte geht in einem alten Schloffe der
Provence vor und bewegt ſich in dunkeln geheimnißvollen Kas
taftsophen, welche wie cin Fluch, wie ein — natürlich verzerr⸗
tes — antikes Fatum auf der Familie laſten; daher der Titel
des Romans. „Le capitaine Lambert”, von Charles Aubou,
Verf. der Romane „‚Louison d’Arquien” und „le pauvre de
Montihery‘, von — Erfindung, aber trefflicher Ausfühz
rung , befonders durdy den Elaren Stil bemerkenswerth. „La
vie d’artiste”, von X. Delrieu, ein Buch, „welches“, wie ein
franzoͤſiſches Journal bemerkt, „das erfte Werk ber zeitgendffis
fchen Eiteratur iſt, das gründlich und in origineller Einkieidung
jenes romantiſche und myfteridfe Baiern behandelt, wohin bie
Zouriften noch nicht ihre Schritte richten‘; dies Baiern iſt alſo
vermuthlich eine ganz neue Entdeckung bes Herrn Delrieu und
wird wahrſcheinlich erſt jegt in bie geographifchen Handwoͤrter⸗
bücher der Branzofen eingetragen und auf ihren geographifchen
Karten verzeichnet werben! Auch die übermäßig fleißigen und
productiven Soulid und Balzac gaben zwei neue Romane bers
aus, Iener ‚‚Le bananier’’ und Diefer ‚Les deux fröres’’,
Ferner erihien von M. Glara Brunne „Ange do Spola’‘, von
Arthur Ponroy „Le sac de Zahara”, von Charles be Lame
bertie „Maina ou une jeune Malabre’; von bem Berf. von
„Mes loisirs”, Hippolyt ®ioleau, ‚‚Nouveaux loisirs postiques’’ ;
von %. Dugrivel „Pensses diverses‘, ‚Syloino et Anina’’ und
„Des bords de la Saone à la baie San Salvador, ou pro-
menade sentimentale en France et au Breail”; von dem
Verf. des „Eecolier de Cluny’ und de „Chevalier de Saint-
Georges‘, Roger be Beauvoir, „Les trois Rohan“, ein Roman,
ber befonders deshalb den Frauen empfohlen wirb, weil barin
bie Frau von Soubiſe eine Hauptrolle ſpielt; endlich von der
Gräfin d’Afh „Le comte de Sombreuil‘,
„, Die fiebente und zwei ‚folgende Lieferungen der „Grande
ville“ bringen eine Arbeit von Balzac unter bem Zitel „La
presse parisienne”, mit zahlreichen Illuſtrationen. Die ſechste
enthätt „Diplomates et ambassades”, vom Grafen de Billedor:
Nach Beendigung der Balzac’ichen Arbeit erfcheinen: „Filles,
lorettes et courtisannes”, von X. Dumas, und ‚La chambre
des deputes‘‘, von F. Scutik.
Mannichfaches Intereffe verfprechen die „Campagnes de
Mile. 'I’hörese Figueur, aujourdhei Mme, Ve, Sutter, ex-
dragon aux ISe et Ye segiments, de 1793 a 1813”. Der Verf.
bee Schrift „Sic Richard Arkwright,” Here Saints Germain:
Leduc, hat dic Thatſachen, bie ibm von ber Dame in die
Seber bictirt wurden, redigirt, georbnet und ſtiliſtiſch verars
eitet. 18,
Berantwortliher Deraußgeber: Heinzrih Brokhaus. — Druck und Werlag von F. 4. Brockhaus in Leipzig.
— — — _.
Blätter
für -
literarifhe Unterhaltung
20. Mär; 1843.
Ariftofratifhe Romane.
(MWeihind aus Nr. m.)
Gleich im erſten Xhelle von „Godwie⸗Caſtle“ iſt
für unſer hartes, aber — gewiß! — unbefangenes Urs
theil eine frappante Beweisſtelle. Da heißt es S. 84:
Die Ehrfurcht vor dem Willen bee Kitern war um fo hei⸗
Uger in ihm geblieben, da er ihnen nie durch bie Details ber
Erziehmg fo nahe gerüdt war, ihre menfchtidhen Schwächen
Tennen zu lernen.
Die Detalls der Erziehung find die ganze Erziehung;
denn von einer Erziehung en gros haben wir feinen Bes
griff. Alſo man hat Achtung und Ehrfurcht am meiften
vor Dem, den man am wenigften kennt, der fih am
wenigſten hingibt, der die toeitefte Kluft der Gonvenienz,
der vornehmen Manier zwifchen fich und den Andern zu
befeftigen toeiß. Wir wüßten nicht, daß dies etwas An⸗
beres wäre, als eine Beleidigung, eine Berunglimpfung
der fittlichen Natur des Menſchen, der Humanität. Wenn
ed in der vornehmen Welt fo bergeht, fo darf es wel
dargeſtellt, aber nicht befhhönigt werden, fo iſt das fitt⸗
liche Urtheil durch die Darftellung eines wahren Familien⸗
febend zu coreigiren. Aber die Unnatur, die Deuchelel
der Sonvenienz verdiebt alle Verhaͤltniſſe: Kinder "und
Ültern und alle Hausgenoffen fpielen gegeneinander Ber:
fiel. Dan geht nie offen heraus, man mißt fein Ver:
trauen mit ber fälteflen Berechnung, man vergißt nie bie
Unterfihiebe des Ranges. Und bdiefer Dienft der Conve⸗
nienz, dieſe gequaͤlte Selbſtbeherrſchung wird die Frau
Berf. durch den ganzen „Godwie⸗Caſtle“ hindurch nicht
muͤde zu verherrlichen. Aber auch in den beiden andern
Romanen fpielt dieſes Unmelen eine Rolle; und da wird
auch beftimmter das eheliche Leben felber, alfo der eigent:
liche Mittelpunkt des Samilienlebens , in den Kreis der
Sonvenienz und ſteifen Haltung gezogen. Sm „Godwie⸗
Saftte” ift eine folche vornehme Ehe ohne Hingebung und
Bertraum nur im Hintergrunde und In ihren’ Kolgen zu
feben; in „St.⸗Roche“ (am Hofe Ludwig's XIV.) und in
„Thomas Thyenau” tritt fie uns in mehren Erempfaren
lebendig und frech unter die Augen, mit der Prätenfion
auf hoͤchſte Anerkennung. Und doch drängt ſich Alles
nah der Ehe, dem Mittelpunkte des Kamilienlebens,
d. h. hier des Lebens Überhaupt. Die Kamilie iſt der
Dimmel; in den Himmel kommt man nicht ohne Reli:
glon; die Religion, die zum Himmel des Familienlebens,
der Che fuͤhrt, ift:
Die Liebe. Die Lebe ift fchon feit lange Religion
der Welt, und zwar nicht die chriftliche Liebe, die Liebe
vom Himmel um Gottes und des Glaubens willen, bie
Liebe, die wider bie Melt, wider Fleiſch und Blut kaͤmpft:
o nein! Diefe abftracte biutlofe Liebe hat erreicht, mas fie
wollte, fie ift in der Welt nie heimifc geworden; fie bat
wider die menſchliche Natur, wider Fleifh And Blut, und
Fleiſch und Blut hat wider fie gefämpft, und der Sieg
war, nicht zweifelhaft. „Naturam expellas furca, tamen
asque redibit.” Die Menfchen find endlich ehrlich gegen
fi felbft geworden, fie haben fich ihrer Natur nicht mehr
sefhämt, fie haben fie im Widerſpruch wider die Kirche
und ihren Glauben zum Inhalte ihres Belenntniffes,
ihrer Begeiſterung gemacht: die Geſchlechtsliebe iſt das
tauſendfach varlirte Thema unferer Poeten geworben, und
damit — man muß nur den Muth haben, e6 zu ge:
fiehen — unfere Religion. Wir binnen den Poeten
daraus feinen Vorwurf maden; fie find immer nur bie
Propheten der Begeifterung, bes hoͤchſten Lebens, der Re⸗
ligion ihrer Belt. Die Zeit dieſer Liebesbegeifterung iſt
ihrem Ende nahe; denn fchon hat nicht nur ein Philo⸗
ſoph (Hegel) diefe Liebe in feiner kalten, berzlofen Ma:
nier eine „Gaprice’ genannt; ein Poet hat erklärt,
daB er fie Laufen laſſe. Wir brauchen uns nicht dem
Vorwurfe des Vandalismus auszufegen, indem wir bie
Tempel dieſer Liebe zu ſtuürzen ſuchen; fie brechen von
felber. Eine wahrere, höhere Liebe (denn ohne Liebe
kein Leben), eine anbaltendere, würdigere und tiefere
Begeifterung wird aus der vorlbergehenden Poeſie des
Haſſes bervorgehen und ihre Tempel errichten und ihre
Herrlichkeit Über die Melt verbreiten. Aber das iſt der
gegenwärtige Kampf; die Frauen haben keinen Beruf,
voranzugehen; wir wollten der Verf. die Nachklaͤnge der
Liebesbegeifterung gern zu gute halten, fo fehr wir auch
überzeugt find, daß der ganze Reichthum, ben biefe Welt
zu entfalten fähig iſt, erfhöpfe und mol mehr als er:
ſchoͤpft iſt. Aber das machen wir ihe zum Vorwurfe,
daß fie alle Nature und Wahrheit der Liche
in Unnatur und mwiderlihe Manier verkehrt
bat. Die Liebe ift bei ihr in allen unzähligen Fällen
nichts Anderes, als was man eigentlich. immer Verliebtheit
2. Bl
nennen folte. Ihe Anfang erſtens iſt immer plöglic,
immer unmittelbare Wirkung des erſten Anblids, alfo
des ſchoͤnen Außern: die verfchiedenft gebildeten und ge:
finnten Menſchen fegen fih mit einem Male gegenfeitig
in Slammen. Da beißt es denn wol: „feine Stunde
war gekommen“; „er (oder fie) follte die hoͤchſte Seynung
des Lebens erfahren”, und mit foldhen ernften, religiöfen
Wendungen foll der zufälligen, oberflächlichen Empfindung
eine Weihe gegeben werden, die fie nicht hat und auch
nicht bewaͤhrt. So iſt in „Godwie-Caſtle“ der junge
Herzog von Nottingham in die Lady Maria verliebt;
aber die Vorſtellung feiner Verwandten, daß er für die
Reinerhaltung feines Geſchlechts zu forgen habe, Löft
diefe Liebe (Verliebtheit) auf mie in einem chemifchen
Proceß; fie verliert fih, man weiß nicht wo, er heirathet
eine Andere. Im „Thomas Thyrnau“ geht dieſes Liebes⸗
undweſen ind aͤußerſte: die Prinzeffin Thereſe verliebt fich
als Kind in den ihre beflimmten Bräutigam, wird dann
die ausgemachtefte Kokette und heirathet ihn endlich doch.
Der Graf Lacp verliebt fih in Magda, heirathet aber
bie alte Zürftin Morani und wohnt dann beftändig mit
beiden in einem Haufe Wie ift das möglich? weil bei:
des eine Lüge ift, fowol feine Ehe wie feine Liebe. Keine
Wahrheit, kein Leben, Fein Ernſt iſt in diefer Liebe; man
gibt fih mit ihr ab, blos weil man weiter nichts zu
thun bat, man zieht fie an und aus wie ein Kleid. Die
Frau Verf. follte doch das Weſen der Liebe, wenn fie
„dieſen hoͤchſten Segen des Lebens” nicht erfahren bat,
aus Goethes „Wahlverwandtſchaften“ ftudiren, die, neben
Anderm, das fchönfte Compendium der Pathologie der
Liebe find.
Wir wollen dies Gapitel von der eiteln, gefchraubten,
‚faft: und kraftloſen Liebe nicht weiter verfolgen: die Frau
Verf. bat felber das Gefühl, daß fie diefe matte, von
der Gonvenienz und dem mwilltüclichften Belieben abhän-
gige Leidenfchaft nicht zum höchften Pathos, zur Religion
machen dürfe. Ihre Menfchen werden von nichts bis
ins tieffte ergriffen; fie haben nie den Muth, etwas
ganz und wahr zu fein; fie veriichen ſich darauf, zweien
Herren zu dienen. Darum greift in die diefjeitige Welt,
in den Schauplag menfchlicher Zuftände und Leidenfchaf:
ten die jenfeitige Welt fort und fort ein, alfo die Melt
der. eigentlich fogenannten
Religion. Das Weſen der Religion war und ift
in unfern Tagen der Gegenſtand der tiefiinnigften Die:
euffionen. Wir haben hier nicht die Veranlaſſung, dar:
auf einzugehen, ausgenommen vom äfthetifhen Geſichts⸗
puntte. Und von dem aus dürfen wir e6 doch wol ale
ein jest allgemein gültiges Ariom betrachten, daß die re:
ligioͤſe Weltanfhauung kein pafjender Gegenfland poeti:
ſcher Darftellung iſt. Der Fortſchritt unferer neuen Lite:
ratur ift vielmehr der Fortſchritt der Befreiung von der
religiöfen Weltanficht bie zur freien, reinen Humanität.
„Den Menſchen intereffiet nur der Menſch.“ In unfern
- Romanen tritt das menfhliche Wefen nicht rein für fich
heraus, fondern mit einem Übermenſchlichen, Übernatür:
lichen in Rapport. Aber auch biefe Abhängigkeit von
Gott, diefe Religion iſt nicht wahr, iſt kein tiefer
Ernſt. Daſſelbe Spiel, das die Perfonen mit ſich trei:
ben, treiben fie mit Gott. Ihr eigenes krankes Weſen
tragen fie auf Gott über, um «6 von ihm fchöner und
geheilige zurückzunehmen, fie geben beflänbig vor, Gott
zu gehorchen, und gehorchen in Wahrheit den Launen
ihres Franken Herzens; Gott felber iſt nichts als ber
Theilnehmer und Vollſtrecker ihrer „heiligen“ und „tiefen“
Gefühle und Wuͤnſche. Das Gefeg der Welt iſt der
Eigenfinn ihres Herzens. Darum ſteht man auch mit
Gott auf dem vertrauteften Fuße, man fpricht mit ibm
wie mit fi ſelbſt, als wäre ex ebenfo ſchmachtend, fe
empfindfam, fo verliebt. Feder fpriche mit ihm und von
ihm in feiner Weife, z. B. der Commandant der Feſtung
Karlſtein: „Gott und Galbes (ein Offizier) werden die
Feſte fchügen.” Klinge das nicht wie ber Satz aus dee
Lebensbefhreibung eins gewifien Sandidaten: Durch bie
Gnade Gottes und Eines Hohen Minifterli fei er fo
gtühlih ıc. Die Religion der Perfonen unferer Ro:
mane bat auch nicht die Spuc einer fittlichen Energie
Sie leben ihren eigenfinnigen Neigungen, bem ſchweige⸗
riſchen Lebensgenuffe, den hochmuͤthigen Prätenfionen
ihred Standes nur deſto ungefcheuter. Wahrlich! vom
diefem dußerften Misbraudy des Chriſtenthums zur Be:
fhönigung privilegieter Schwelgerei, althergebrachter Un:
gerechtigkeit und des erceffiuften Hochmuths haben fich die
erſten Chriften nichts träumen laffen.
Diefe Menſchen haben natürlich nichts zu thun, fie
baden keine ernften Lebenszwede, keinen Beruf. Sie
führen auf der Unterlage der „arbeitenden Claſſen, der
„rohen Menge’ ein olympifches Leben. Die „rohe Menge”
halten fie aus dem Kreife diefes Lebens gebannt, ohne
irgendwie ein fittliches Verhaͤltniß zu ihnen zu haben.
Ihre Belhäftigung ift das Vergnügen, Jagden, Spas -
zierfahrten, glänzende Feſte ıc. Die Mahnungen des
Gewiſſens werden beſchwichtigt a) durch einen objectivem
Grund: die hohe Stellung fei göttlihe Ordnung und man
müffe fie durd)-angemefjenen Glanz zu bewahren fuchen;
b) duch einen fubjectiven Grund, durch das ſchoͤne Ber
wußtfein eines fchönen Innern. Der Zweck und die
Frucht dieſes Lebens find keine Thaten, fondern Empfin⸗
bungen; das allgemeine Element des Lebens if:
Die Empfindſamkeit. Diefe Krankpeit, von
der wir feit und durch Goethe's „Werther“ befreit zu fein
hoffen durften, bat feit der Zeit freilich noch immer im
Deutfhland graffirtz aber in einer fo widerlihen Form,
wie fie namentlih in „Thomas Thyrnau“ herefcht, ift
fie fonft wol nirgend aufgeteeten. Da find alle Perfos
nen davon angeftedt, ba gehen bie wuͤſteſten, gehaltlo⸗
feften Empfindungen ohne allen pfochologifhen Zuſam⸗
menhang durcheinander. Männer und Weiber, alle Uns
terſchiede des Alters und Geſchlechts verfhwimmen in
diefem nebulofen Elemente, und Magda, die dur und
durch weiter nichts als Empfindung ift, ift die Königin
in diefem Reihe. Wir wollen hierbei die Verf. nicht
ber weiblichen Eitelkeit änklagen, aber lachen muß ein
Menſch von gefundem Sinne bei ale Dem, wovon die
315
Leute im Roman als von etwas ‚„Brößen” und „Hei⸗
ligem“ und „Tiefem“ ewig bis zu Thraͤnen gerührt find.
Man iſt immer verwundert, wie fie die fadeſten Phrafen
der Empfindfamkeit felber ohne Laden über die Lippen
bringen. Laflen wir das! dem Gefunden und Genefen:
den ift e6 genug; den ſchwer Kranken heilen wir nicht auf
einmal durch fo derbe Mittel. Nur Eins erwähnen mir
noch ganz kurz: die ewig wiederkehrende Schwärmerei über
die Schönhelt der Natur. Dier bürfen wir den Bor:
wurf der Härte und Barbarei, mit dem uns empfind:
fame 2efer und Leſerinnen ficherlich überfchürtet haben, auf
drei Autoritäten wälgen, die gewiß auch für den empfindfam:
fien ein Gewicht haben: Eeffing, Schiller und Ger;
vinus. Gervinus in feiner „Sefcbichte der deutfchen
Dichtung” (IV, 331) führt die Worte von Schiller an,
mit denen biefer Leffing vertheidigt: „Unſer Gefühl für
die Natur gleicht der Empfindung des Kraͤnken für die
Geſundheit. Es ift nicht Naturmäßigkeit, was uns fo
ſchwaͤrmeriſch zu ihr binzieht, fondern die Naturwidrig-
Leit unferer Zuftände und Sitten, weil die Natur bei
uns verfhwunden ift, und weil wir fie nur außerhalb
des Menfchen in der unbefeelten Natur wiederfinden.
Wer hiernach ſelbſt die menſchliche Natur in ſolcher Rein:
beit herſtellt wie Leſſing“ u. ſ. w. Bei unſerer Verf. iſt es
noch ſchlimmer; da iſt die Natur ſelber unnatärlih und
krank; fie accommodirt fih den eigenfinnigften Launen
der kranken Menfchen.
Wir find zu Ende. Die zwei Seiten lange Samm:
lung einzelner Belegſtellen wollen wir unfern Lefern zu
Liebe unterdrüden: auf die wenigen gefunden Stüde
(etwa in „St.-Roche““) des kranken Ganzen hinzudeuten,
ift dei ihrer Kleinheit nicht von Belang.
Wir überlafen dem Publicum, das in dieſer Welt
der Unnatur, des falfchen Scheine, der abgefchmadten
Convenienz, der Lüge, der widerlichften Verzerrung aller
Act feine Ideale, feine weſentlichen Intereſſen abgebildet
findet, von ſich felber zu denen, was ihm beliebt. Was
wir von ihm denten, kann nad dem Bisherigen nicht
zweifelhaft fein. Einer gewiffen Claffe von gutmüthligen
Lefern wollen wir, um nad fo manchen Härten einen
guten Eindrud zu binterlaffen, zulegt noch einen Ge:
fallen thun, wir wollen ihnen erklären, wie fie dazu
gefommen find, an den „ariſtokratiſchen“ Romanen Ge:
fhmad zu finden. Weil fie vor der vornehmen Welt
noch immer einen enormen Mefpect haben, weil es ihnen
fhmeichelt, Hinter feldenen Vorhaͤngen an marmornen
Tiſchen zu figen und mit den Grafen und Gräfinnen,
den erlauchtigen und durchlauchtigen Herren und Damen,
von denen fie im Leben durch eine fo weite Kluft gefchies
den find, im Romane fo vertraulich nahe beifammen zu
fein, Burz, weil fie gute deutſche Naturen find und nicht
in der wirklichen Welt, fondern in einer Welt voller Ein:
bildungen leben. Wenn fie aber jetzt diefe ariſtokratiſchen
Romane nit mit einem fittlichen Unwillen bei Seite
werfen, thun wir ihnen feinen Gefallen mehr, fordern
kehren ihnen den Rüden. 42.
— | u m —
Kohl über die Ruffen und die „Sunday
Times’ über Kohl.
Bei Anzeige des zweiten Bandes von Kohl's ‚Russia and
the Russiass in 1842’ Außern die londoner „Sunday Times"
Golgendes: „Der erſte Band diefes Werks bat beim Publicum
eine fo günftige Aufnahme gefunden, daß wir fie audy für vors
liegenden erwarten dürfen Br. Kohl ift ein feharfer Beobachter
und beſchreibt, was er gefehen, mit glüdlicher Geldufigkeit.
Inzwiſchen iſt nicht zu feugnen, daß an feinem von den Ruſſen
entworfenen Gemälde die Phantafie ihr bedeutendes Theil bat.
Dos folgt Thon aus der wenigen libereinftimmung mit allem
Übrigen. Seine Abficht ift, die Phantafle Leſers anzuregen,
gleihwiel ob auf Koften dee Wahrheit. Geshalb ift er Epis
grammatiter, Philoſoph und Poflenreißer, juft wie es paßt.
Bisweilen Tpeculirt er ſehr ernſthaft über einen Pilau, dann
über die angeborene Gewohnpeit mancher Menfchen, einen Zwier
back ober ſonſt etwas Hartes zu beißen, nicht um einer der
mehren Motiven des Kauens willen, fondern aus inftinctartigem
Impuls der Kinnbaden, die das mechanifche Bebürfniß haben,
etwas zu zermalmen, und dann unternimmt er, die Zukunft
der Reiche zu entfchleiern, wobei er, wenn auch dunkel, body
bedeutſam, die künftige Unterjohung von ganz Europa burdy
die Auffen ſchattirt. Schon deshalb denkt natürlich Dr. Kobt
fehr gering von Denen, welche einen fchnellen Zerfall der rufe
ſiſchen Größe prophezeien. Er bemerkt — und ohne Zweifel
wahr —, daß viel Seltfames fidy zutragen dürfte, ehe es auf
dem Grabe diefes Niefen ruhig würde. Wenn indeffen Politis
fer ſpeculiren, pflegen fie das Ereigniß als bevorftehend anzu⸗
nehmen, das nicht die Moͤglichkeit allein, ſondern vielmehr bie
Wahrfcheinlichkeit für ſich Hat. Möglich ift es alfo zwar, daß
das ruffifche Reich tange befteben, feft zufammengenietet wer⸗
den und bie civitifirte Welt erobern wird, Wahrfcheintich ift es
jedoch, daß von alle dem das Gegentheil gefchieht. Denn find
die Ruffen fo wankelmuͤthig, oberflächlich und Leidenichaftlos,
wie Hr. Kohl fie durchgebends darftellt, fo koͤnnen fie ſchwerlich
unter irgend einem Verhaͤltniſſe eine fange Reihe von Jahren
hindurch dem Menfchengefchledhte furchtbar werden. Ein von
der Natur zum Herrſcher über feine Nachbarn beflimmtes Bolt
hat ſolches Gepraͤge nie gezeigt.: Nehmen wir z. B. bie Roͤ⸗
mer, deren Macht unter allen zum Erobern berufenen Rationen
bie ausgebreitetfte und bauerndfte war, fo erbliden wir in ih⸗
nen ein entfchiedenes, beharrliches, enthufiasmirtes Geflecht,
das wol gelegentlich von Fremden entiehnte, nie aber mit bums
men Erſtaunen zu ihnen auffchaute gleich ben Ruſſen, bie laut
Hrn. Kohl's Angabe jede andere Nation über ſich ſtellen und
folglich jeden über fie errungenen Vortheil für ben unverbienten
Erfolg eines nichtswuͤrdigen Poͤbelhaufens halten müffen; worin
fie allerdings der Wahrheit ziemlich nahe fommen. Mithin ers
langen entweder die Ruffen die Triumphe nicht, bie Hr. Kohl
ihnen auffpart, oder fie find das Volk nicht, das er befchreibt.
Indeffen widmet Hr. Kohl berartigen Betrachtungen nur einen
Heinen Theil feines Werts. Er ftrebt nach Popularität, und
Ratt daher auf politifche Unterſuchungen einzugeben, fammelt
und ordnet er Thatfachen, die Andern dabei behäuflich fein koͤn⸗
nen. Wo er von Rußlands Handel und Zabrifen fpricht, er:
zaͤhlt er Mehres, was nicht umhin kann, dem englifchen keſer
gu gefallen, denn es erinnert ihn an bie faft allgemein aner=
annte Wahrheit, daß England an der Spise der Civiliſation
ſteht. Deshalb iſt Hr. Kohl nicht etwa parteiiſch für unfer
Land — beileibe nicht! —, ex ift fo eiferfüchtig auf unfern Ruf, wie
das jest im Charakter dir Gontinentalbewohner zu liegen fcheint.
ebenfalls haben die Ruſſen nicht blos in den höhern und nüßs
lichern Künften, ſondern auch in der, ob zwar befcheidenen, doc
wichtigſten Kunft der Kinderpflege die Entdetung gemacht, daß,
wenn fie etwas Geſcheites lernen und vorwärtälommen wols
ten, fie bei den Englaͤndern in die Schule gehen müflen. Eng⸗
liſche Kinderwärterinnen find in Petersburg , was bie ſpar⸗
tanifchen Kinderwärterinnen bei den Alten waren, und hoffent»
816
Uch werben unfere Landemaͤnninen einen Vorzug zu behaupten
wiſſen, ber ihnen mehr Ehre bringt, als was ſonſt Ihnen nach»
geruͤhmt werben koͤnnte. Moͤgen andere Frauen in der Litera⸗
tur, in den ſchoͤnen Kuͤnſten und durch bie Grazie der Joilette
glänzen — ben Menſchen in feiner Kindheit zu hüten, ihn mit
anermübeter Zärtlichkeit zu pflegen und dadurch ben Grund zu
jegen zu feinee Stärke und feinem Wohlbefinden in fpätern
Jahren, darin thut kein Weib es bee Engländerin zuvor. Zu
Kuaben und Sünglingen aufgervachfen, kommt der junge ruffiſche
el in andere, minder tächtige und würbige Bände, in bie
Hände deutſcher Sophiſten und franzoͤſiſcher Fechtmeiſter, von
denen fie Laut Hrn. Kohl ausnehmend viel lernen. Deſſenunge⸗
adhtet gebt feine Meinung dahin, daß die Deutſchen es im Gr»
ziehungswefen am Wweiteſten gebracht. Gr ſpricht mit Stolz von
den beutfchen Univerſitaͤten und denkt offenbar veraͤchtlich von
den unferigen. Dabei Hätte ee nur eine Kleinigkeit nicht ganz
überfeben follen, die naͤmlich, daß, während bie Deutfchen mit
allen ihren paͤdagogiſchen Inftitutionen in einem niedrigen, knech⸗
tifchen Zuſtande bielben, die Englaͤnder für ſich ben hoͤchſten, in
der alten Welt bekannten Grad von Freiheit gewonnen haben
und in jeder Kunft und jedem Mittel der Givitifation alle ans
dern Nationen Europas unermeßtich überragen. Auf bie Ruf:
fen zurüdzulommen, die und zu diefen Betrachtungen veranlaßt,
fo exfcheinen fie viel begieriger, fih zu amuftren als ſich zu in=
fruiren, viel geneigter, ihre angeerbten, groben unb lafterhaf:
ten Gewohnheiten zu bewahren ald bie Bilbung und Tugenden
anderer Länder nachzuahmen. Die durch das ganze Reich in
den Dampfbädern fortherrfchenden Gebräuche haben im Laufe
von 80 Jahren an ihrer empörenden Unſchicklichkeit nichts vers
Ioren. Wie ein NReifender von 1760 fie befchrieben, fo beftehen
fie no, nur daß fie in Petersburg und unter ben beflern
Staffen abgefhafft worden find. Summiren wir nun den Chas
zalter der Ruffen aus den von unferm Reiſenden gegebenen Des
teild zufammen, fo refultiet ein umwiffendes, faules, grobes,
unfittliches, unehrliches und unintellectuelles Volk, das nach ben
£ändereien feiner Nachbarn aus demfelben Grunde fehnfüchtiges
Berlangen trägt, aus weldhem ein Wolf die Zannen= und
Birkenwaͤlder in der Nähe von Petersburg verläßt, um in ben
Straßen, Särten und Paläften dieſer kuͤnſtlichen und oͤden Stabt
auf Raub auszugehen. Zu vegargen ift ihnen das unter foldyen
Umftänden freitich nicht; fie folgen ihrem Raturtriebe. Wo fie
find, fühlen fie ſich Höchft elend, wenigftens fo oft fie über ihre
Lage nachbenken, und Süd können fie fi) blos unter ber war:
men Sonne des Südens träumen. Aber auch uns und andern
europäifchen Nationen ift es möglicyerweife nicht zu verargen,
daß wir diefe Bären in ihren Höhlen fefthalten, und wenn fie
fi gelüften laffen, über ihre Grenzen zu fpazieren, ihnen bie
Zagen ftumpfen ober abfägen wollen. Es ift jedoch gut, zu er:
fahren, was im Gehirn diefer Dpperborder vorgeht, ſowol um
uns an ihren Ginfällen zu belufligen, als um und vorzubereis
ten, fie unfchädlich zu maden. Schließlich müflen wir noch bes
merken, daß Hr. Kohl ohne Frage zu dem bdeutichen Troß ge:
hört, der nach Rußland wandert in der verzeihlichen Abſicht,
fig die leeren Taſchen zu füllen — wie im Alterthume feile
Griechen nad Suſa in Ekbatana wanderten — und nad ber
Ruͤckkehr ind Vaterland ihre Beginnen dadurch zu rechtfertigen
fuchen, daß fie Andere zu einem gleichen verloden. Auch fcheint
es, daß felbft innerhalb ihrer vier Wände fie fortdauernd unterin
Sinfluffe des ruffifhen Gabinets bleiben. Graf Neffelrode hat
einen langen Geldbeutel, der mit einer Offnung immer nad
Deutichtand hinhängt. Daher bie Lobeserhebungen bes Bars
und feines Reiche, die dort unaufhörlih die Preſſe ver:
laſſen.“ 14.
Miscellen.
Wer fpielt (alen ladit), verfündigt fich, nach der Meinung
der ditern Zuriften, gegen alle zehn Gebote, wie denn bie di:
. tanonifchen Gefege den Geiſtlichen das Spiel verboten.
teen Chriſten das Spiel fie eine Gefinbung bes Teuſels achats -
tan —* weshalb, da in der Taufe ben Werken des Teufels
abgejagt werde, auch bierunter das Spiel begriffen fei._ Eine Aus⸗
nahme will Berlich zur Peſtzeit geftaften, in welcher bas Spielen ers
laubt fei zur Vertreibung ber Melandyoiie und weit zur Zeit der Peſt
Krieg beſtehe zwiſchen Gott und dem Menſchen, in welchem alle
Geſetze und Bechtöbeflimmungen aufhoͤrten wirkſam zu ſein.
Insbeſondere haben die roͤmiſchen, dann die aͤltern und —
ar⸗
unter will Thomaſius auch das Schachſpiel begriffen wiſſen,
weil daſſelbe viel Nachdenken und Zeit fodert, wodurch ber
Geiſt mehr ermuͤdet als aufgeheitert uad der Derlietende im⸗
mer in eine üble Stimmung verſezt werde. Schilter, weicher
berfelben Meinung ift, zumal dba das Spiel mit hölzernen Reis
tern, welches das —2 Geſetz ſpeciell verbietet, von einigen
Auslegern für das Schachſpiel gehalten wird, führt einen Brief
des Gardinals Petrus Damiani (gef. 1072) an, eines firengen
Genfors der Sitten der Geifttichen, In weichem im Weſentlichen
oefagt wird: „Es habe ihm, dem Briefſteller, einen Stich ins
Herz gegeben, als er gehört, daß der Biſchof, bei weichem er
ein Abfleigequarticr genommen, Schach gefpielt, ja nur bem
Schachfpiel zugefehen habe. Er habe deshalb den Scyuidigen
| zur Rede gefegt, welder ſich bamit zu vertheidigen gefucht,
Schach fei kein Glädsfpiel, baber nicht verboten. Dagegen habe
er, ber Cardinal, erwibert: Spiel fei Spiel, daher, wenn das
Spielen überhaupt den Geiſtlichen verboten fei, fei es auch das
Schachſpiel. Dabei habe ſich der Schuldige beruhigt und ver:
ſprochen, nicht mehr zu fündigen, zugleich aber auch um Auf⸗
eriegung einer Buße gebeten. Soglieich habe er demfeiben bes
fohlen, dreimal ben Pfalter andaͤchtig zu burhgehen unb zwölf
Armen die Füße zu wachen, auch für beren &rquidung zu
ſorgen mittel Verwendung von zwölf Goldflüden darauf. Wer
euft Hat, kann die Gründe für diefe Art der Bußauflegung a.
a. O. nadhlefen. Heutzutage möchte wol auf das Gpietverbot
in diefer Ausdehnung fo wenig Rädficht genommen werben als
auf das in Gratian’s Decret enthaltene Gebot: nicht über drei:
mal bei Zifche den Becher zu faffen.
Gemäß ber L. 17. 5. 5. D. de praescript. verb. (19, 5)
fol eine Wette, wenn ihr Gegenftand ein unanftändiger war,
ungültig fein. Die Frage aber: Welcher Gegenfland einer
Wette für ununftändig zu halten fei? Hat bie Altern Ju—⸗
riften oft zu feltfamen Meinungen verleitet. So will Schil⸗
ter unter die die Ehrbarkeit verlebkenden Wetten auch die
gegähtt willen: Gin Bramarbas mettete in einer Geſell⸗
haft, daß aus ſolcher Keiner ſich unterflehen werde, ihm eine
Obrfeige zu geben. Sogleich fragte einer der Anwefenden:
„Db es ihm Ernſt fei damit?” Auf erfolgte bejahende Antwort
verfegte nun nach den Worten: „Die Wette gilt!” der Frager
dem Bramarbas eine kuͤchtige Maulſchelle und verlangte von
demſelben den Wettpreid. Wer wollte nicht, der Moral unbe-
ſchadet, den ſachfaͤlligen Bramarbas austachen ?
Bei ber Zufammenkunft des Papfles Seo X. und bes Ko⸗
nige Franz I. von Frankreich in Bologna (1515) warnte der
Ceremonienmeiſter den Papft, wenn er vor ben Augen bes un-
ter dem Zenfter verfammelten Volks mit dem Könige reden
würde, nicht an die Muͤtze zu greifen: eine Höflichkeit, die,
wie es feheint, Alerander VL. unvorfidytigerweife gegen Karl VII.
beobachtet hatte, ats fie miteinander ſprachen. Denn der geiſt⸗
liche Polonius behauptete, es ſchicke fich nicht für den Statt:
halter Chrifti einem weltlichen Herrſcher, wenn er auch ber
Kaifer felbft wäre, Ehrerbietung zu bemweifen.
Ein zur Zeit König Ludwig's XIV. von Frankreich als
Autorität geltender diplomatifcher Schriftftellee ſchließt eine Ab⸗
handlung über die Vorrechte, bie einem fremden Botfchafter zus
ftehen, mit den Worten: „Mais, des qu’an Ambassadeur est
mort, il rentre aussitöt dans la vie privee.’ 37.
Verantwortliher Herausgeber: Heinrich Brodhaud. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
-
.
Blät ter
für
literariſche Unterhaltung.
Dienftag,
21. März 1843,
Gefchichte des großen beutfchen Kriegs vom Tode
Guſtav Adolf’s ab. Bon 5. W. Barthold. Er:
fer Shell. Stuttgart, Lieſching. 1841. Gr. 8.
2 Thlr
Das vorliegende Merk über den Dreißigjährigen Krieg
ift beſonders wegen zweier Punkte beachtenswerth. Ein:
mal nämlich, weil es einen Zeitraum jenes Krieges aus:
führlichee beſchreibt, welder bisher faſt gar nicht oder
body nur obenhin bargeftellt wurde, und zweitens wegen
dee Richtung und der Geſinnung, die ſich darin aus⸗
fpricht. Was den erfien Punkt betrifft, fo ift bekannt,
daß fait alte Werke über den Dreißigjährigen Krieg diefen
zwar bis zum Tode Guſtav Adolf's mit Intereſſe und
Ausführlichkeit behandelt haben, wie wir denn erſt neuer:
dings von Öfeörer mit einer fehr guten Gefchichte dieſes
Mannes beſchenkt worden find; aber Die folgende Zeit
hielten fie weniger der Beachtung werth. Der Grund
davon mag wol darin liegen, daß die erite Hälfte des
Krieges mehr poetifche Selten hat, welche ihm insbefons
dere Schikier abzugewinnen verftand, während der zweiten
Hälfte fowol hervorſtechende, bie Begebenheiten beherr⸗
ſchende Charaktere, ald auch großartige Dandlungen man:
gen; über dem Gewühl der Schlachten, der Verbinduns
gen, der Trennungen, ber Unterhandlungen feheint der
Faden völlig verloren zu gehen, ber fi durch ben Krieg
binducchzieht und der fich in der erſten Hälfte ſehr leicht
fowol an den Begebenheiten als auch an den auftreten:
den Männern erkennen läßt. So wenig aber der zweite
Zeitraum des Dreißigjährigen Krieges politiſches Intereſſe
haben mag, fo wichtig ift er in hifkorifcher Beziehung.
Denn er fchließt eine Epoche ab und beginnt eine neue,
diejenige, auf deren Baſis das gegenwärtige Geſchlecht
ſteht. Insbeſondere für uns Deutfche bat die legte Zeit
des Dreißigjährigen Krieges die größte hiſtoriſche Wichtig:
feit. Denn unfer ganzer gegenmärtiger öffentlicher Zus
Rand und alles Unzureichende, Mangelhafte, ja Jaͤmmer⸗
liche, was in bemfelben auf keine Weiſe zu verfennen iſt,
datirt ſich gewiſſermaßen aus ihm her. Man kann ſagen,
dag wir ohne ihn nicht das Elſaß u. ſ. w. verloren, daß
wir ohne ihn im 183. Jahrhundert Beine fo erbärmliche
Role gefpielt hätten, daB ohne ihn das deutfche Meich
ſich nicht aufgelöft, daß ohne ihn der Bundestag nicht
in Frankfurt ſaͤße. Mit einem Worte: das ganze Schid:
fal Deutfchlands in neueſter Zeit ift aus feinem Schoofe
entfprungen. Wie dankbar müffen mir daher dem Verf.
fein, welcher biefen wichtigen Zeitraum unferer Geſchichte,
der eine fo bedeutungsvolle, wenn auch nicht gerade er⸗
freutihe Zukunft in feinem Schoofe trug, ausführlicher
darſtellt! Was Len zweiten Punkt, die Richtung, betrifft,
fo können wir auch diefer unfere Anerfennung nicht ver:
fagen. Der Verf. ſteht nämlich, obgleich ſelbſt Proteftant,
keineswegs auf dem bornirten Standpunft des proteflans
tifhen Dogma, von welchem aus bisher meiftentheil6 der
Dreißigjährige Krieg ſowol wie auch der Religionskrieg
unter Karl V. Ddargefiellt wurbe, und wodurch beide In
einem falfchen Lichte erfchienen find. Denn wenn man
nur ein bischen die Brille des orthodor proteftantifchen
Kichenglaubens von den Augen gehoben hat, muß man
fehen, welche heillofe Verwirrung die proteftantifhen Pfaf:
fen gleich nach der Reformation In unferm Baterlande
angerichtet haben, wie fie mit bie größte Schuld tragen
an unferer Zerriffenheit, an der Schwächung ber kaiſer⸗
lihen Macht, an dem Verfhwinden des Patriotiemus,
bes Sinnes für die öffentlichen politifchen Verhaͤltniſſe
und überhaupt jeder Tugend ‚ durch welche eine Nas
tion ſich als eine kraͤftige, tuͤchtige, ehrenwerthe behauptet.
Denn fie hatten für nichts weiter Sinn als für ihr
Dogma, das fie, je dummer und abgefhmadter «6 war,
nur deſto ruͤckſi chtoͤloſer vertheidigten. WBaterlandsliebe
war ihnen ein glaͤnzendes heidniſches Laſter: ſie kannten
nur das himmliſche Vaterland, dem ſie das irdiſche zum
Opfer brachten. Politiſche Freiheit war ihnen nichts,
außer da, wo durch den Mangel derſelben ihr Dogma
gefährdet war. Die Wohlfahrt des Volks im Allgemei⸗
nen lag ihnen nicht am Herzen, da fie glaubten, die Erde
habe ohnedies nichts weiter als ein Jammerthal zu fein,
und je mehr man bier leide, befto beffer habe man «6
dort. Auf diefem bornirten Standpunkt fteht alfo der
Verf. nie: ex iſt darüber hinaus, zu glauben, einmal,
daß bei Denjenigen, welche bie öffentlichen Verhättniffe
leiteten, religioͤſe Tendenzen die Hauptmotive ihrer Hand:
lungen geweſen fein, und zweitens daß dieſe religioͤs⸗
proteſtantiſchen Tendenzen es in der That verdient haͤtten,
daß man das Reich daruͤber zu Grunde gehen ließ. Viel⸗
mehr ſteht er auf dem deutſch patriotiſchen Standpunkte,
und zwar auf einem, welcher alle Achtung verdient. Es
318
iſt nicht jener Patriotismus, ber ſich heutzutage beſonders
breit macht und der in nichts weiter beftebt, al in dem
Anpreifen des fürfttiihen Abſolutismus — als ob biefer
deutſch wäre! — auch nicht jener, welcher in ber deut:
fhen Zerriffenheit, im Gegenfage zur franzoͤſiſchen Gen:
tralifation, etwas außerordentlich Wohlthaͤtiges erblidt;
fondern es iſt jener deutfche Patrlotismus, welcher allein
diefen Namen verdient, welder mit Schmerz den Uxter:
gang der Freiheit, der Ehre, der Einheit unfers Vater:
landes betrachtet und nur von der Miederherftellung die:
fer Güter das Heil Deutfhlands erwartet.
Demnad werben die Ausländer, Orenflierna und bie
Schweden, Ridyelieu und die Scanzofen, welche der pro:
teftantifchen Partei in Deutfhland zu Hülfe kamen, kei:
neswegs mit vortheilhaften Farben gefchildert, ſondern
ihr Erfcheinen und ihre angebliche Hülfe wird als Haupt:
urfache von der unfaglidhen Zerrüttung unſers Vaterlands,
von den furhtbaren Folgen eines langwierigen Krieges
angegeben, der uns um unfere fhönften Errungenfchaf:
ten, um die Frucht eines langen thatenreichen Lebens ge:
bracht hat. Es wird der Stolz und die Rändergier Oxen⸗
ſtierna's und der Schweden hervorgehoben, fodann die
trügerifhe Politik Richelieu's und feiner Gefandten ges
ſchildert, welche durch ihre fchlauen Unterhandlungen, ohne
nur die Arme zu rühren, nur duch Gold und Titel die
proteftantifchen deutſchen Fuͤrſten dahin brachten, daß fie
ihnen die wichtigften Pläge an der Rheingrenze überließen
und ſich ihnen felber in die Arme warfen. Es wird be:
ſonders dargeftellt, wie es diefen Mächten gleih von Anz
fang an nur darum zu thun war, fih mit deutfchen
Ländern zu bereichern, wie fie eben deshalb alle Verſuche
zum Frieden vereitelten, welche mehr al& einmal zwifchen
den zwei entgegengefegten Meligionsparteien gemacht wor:
den find. Sa, in der gerechten Entrüflung über die Aus:
länder, welche uns ruinict haben, geht der Verf. fo weit,
daß er manchmal ungerecht wird und fogar die Talente
berfelben und ihre Handlungen verkleinert; wie er denn
3. B. von Guſtav Adolf und Oxenſtierna viel zu wenig
anerfennend fpricht, ja jede Gelegenheit ergreift, um fie
zu böhnen. Und fo werden auch die Sranzofen felten
anders als mit herunterfegenden Ausdrüden angeführt.
Das hätte ber Verf. nicht thun follen. Diefe Parteilich⸗
Seit flieht dem Hiſtoriker ſchlecht an, und ebenfo fchlecht
uns Deutſchen, wenn wir einen gewiffen Nationalegois:
mus heucheln, den wie eigentlich doch nicht haben. Denn
e6 gehört ja zu unferer Eigenthuͤmlichkeit, daß wir das
Große und wirklich Bedeutende als Soldyes ancıkennen,
auch wenn wir in nationaler Beziehung darunter leiden
oder vielmehr gelitten haben. Diefe unfere Eigenſchaft
ift gewiß etwas fehr Schönes und fihert und im geſamm⸗
ten Europa immerhin eine univerfelle Bedeutung. Das
Dumme und Verwerfliche ift nur, wenn jene Anerfen:
nung zur Unzeit gefchieht; 3. B. die Bramarbafaden
gegen Napoleon und die Sranzofen, bie wir heutzutage
in den Bierkneipen und aus fonftigen fihen Winkeln
gehört haben, hätten zu der Zeit erfchallen follen, ale wir
wirklich unter der eifernen Ruthe des Eroberers ſchmach⸗
teten. Wir wiſſen aber, wie wenig im Ganzen bamals
gegen die Ausländer gefagt wurde. Männer, die kuͤhn
genug waren, ihren Haß und ihre Überzeugung ausju:
fpreyen und für diefelbe zu wirken — Ref. ift ftolz dar:
auf, unter diefe Wenigen feinen Vater rechnen zu koͤn⸗
nen —, wurden von der deutfchen Nation und ihren Fürs
ſten nit unterflägt, ja ſchmaͤhlich verlaffen. Als nun
der Löme gebändigt war, welß man mohl, wie alle Keh⸗
len ſich Luft machten, wie man den Mann, vor dem
man noch kurz vorher gezittert, wie vor dem leibhaftigen
Zeufel, auf alle Weiſe verunglimpfte und felbft fein Ge⸗
nie berunterfegte. Sa, nun nahm man es fi heraus,
Diejenigen für Verraͤther des Vaterlands zu halten, welde
in das allgemeine Schimpfen nicht einflimmten, und erft
neuerdings iſt an Schloſſer's Beurtheilung Napoleon’s
das getadelt worden, daß er den Dann unparteiifch, frei
von Nationalhaß aufgefaßt hat, während man Ihn ge:
rade deshalb hätte ruͤhmen müflen; denn in den Zeiten
der höchften Gefahr und der nationalen Schmach war
Schloffer auf das heftigfte gegen Napoleon. Wie gefagt
alfo, wir müffen bei der Anerkennung Fremder nur ben
rechten Zeitpunkt treffen. Und fo kommt es mic, ich ges
fiehe es, unpaffend vor, bei ber Darftelung vergangener
Zeiten gegen die Ausländer das patriotifhe Gefühl fo
weit vorwalten zu lafjen, daß man ungerecht gegen fie wird
und fie ungebührlih herabſetzt. Es follte uns. genug
fein, zu zeigen, daß unfere Landsleute fo dumm oder
fo ſchlecht geweſen find, um fi von ihnen übertölpeln
zu laffen. Ja, wir würden fogar dem Patriotismus ei-
nen ſchlechten Dienft erweifen, wenn wir Die, von denen
fih unfere Landsleute haben beruͤcken Laffen, fo gar niedrig
fielen. In Bezug auf die Gegenwart insbefondere halte
ih es für weit verdienftliher, anftatt gegen Schweden
und Sranzofen, die uns heutzutage doch nichts mehr ſcha⸗
den, einen biftorifhen Grimm zu erzeugen, auf einen
andern Feind binzumwelfen, der unfere Zukunft gefährlicher
als «6 jemals gefchah bedroht und ſchon allerhand Kuͤnſte,
Drden, Zabatieren, Ringe, Titel, mitunter auch Schriften
aufgewender bat, um den Sinn für unfere Freiheit und
Nationalität zu untergeaben. Daß wir die Gefahr, Die
und von daher droht, nicht glauben wollen, oder daß wir
leicht darüber wegſehen, beweift, wie wenig wie durch
Erfahrung Elug werden Finnen. Wir werden uns nicht
eher überzeugen, als bis wir mit der Nafe darauf füllen.
Dann ift es freilich zu fpät.
Wenn wie nun audh in biefem Punkte mit dem
Verf. nicht ganz übereinftimmen, fo thun mir es doc, in
der Art und Weile, wie er die deutfchen Fürſten den
Fremden gegenüber barftellt. Die deutfchen proteftauti:
[hen Fuͤrſten erfcheinen wirklich als diejenigen, welche an
alem Unglüd, an allee Verwirrung und Zerftüdelung
Schuld waren. Denn mären fie nicht fo vaterlandsver:
raͤtheriſch geweſen, fo hätten die Ausländer gar feinen
Boden gehabt, auf dem fie fußen Eonnten. Die Kürften
hatten aber damals ſchon im Sinne, das Reich aufzuloͤ⸗
fen und fih aus den Truͤmmern deſſelben zu bereichern.
Dies aber glaubten fie nur mit Hülfe der Fremden ex:
5 en 125 —
seichen zw innen, welche biefelbe Tendenz hatten, und
fo machte denn der Landgraf Wilhelm von Heffen in
der That ſchon den Vorſchlag zu einem Rheinbunde un:
tee dem Schutze Frankreichs. Es ift wirklich empoͤrend,
zu leſen, wie die Fuͤrſten die oftmaligen Vorſchlaͤge des
Kaiſers zum Frieden zurldhwiefen und dadurch das ganze
Vaterland in neue unſagliche Verwirrung ſtuͤrzten —
nicht etwa aus religioͤſen Motiven, ſondern weil ſie durch
Ftrankreich neue Länder oder eine lumpige Summe Gel:
des zu erhalten. hofften, für die fie in deffen Sold traten.
Es iſt jaͤmmerlich zu fefen, wie die „fouverainen” Für:
fien um ein paar Zaufend Gulden Jahrgelder von Frank⸗
zeich bettelten und dafür feine Marſchaͤlle wurden, ſchmach⸗
voll, wie fie, duch Richelieu beflochen, ſich von Schweden
abbringen ließen, das ihnen kein Geld bieten konnte, um
ſich Frankreich in die Arme zu werfen, während doch bei
diefer Macht das religiöfe Element, das eine Verbindung
mit Schweden noch entſchuldigt hätte, gänzlich wegfiel: denn
Richelien machte bei allen Tractaten zur Bedingung die
Aufrechthaltung der katholiſchen Religion. Es ift ſchmaͤh⸗
fih zu fehen, wie fie buhlen mit rein entgegengefegten
Parteien, denn fie verkaufen fih ber, von welcher fie am
meiften. Vortheil erwarten, wie denn der Hetzog Georg
von Lüneburg einmal mit Schweden, dann mit Scan:
reich, dann mit dem Kaifer ſich verbindet. Nur einige
wenige Fürften machen eine rühmlihe Ausnahme, befon:
ders der Kurfürft von Sachſen und der von Brandenburg,
jener aus wahrhaft patriotiſchem Gefühle die Fremden
haffend, weshalb er-auch mit dem Kaiſer nad) der nörds
linger Schlacht Frieden fchließt, diefer mehr, weil er durch
Schweden die Erbſchaft Pommerns zu verlieren fuͤrchtete.
Dann zeigt ſich auch eine vaterländifchere Geſinnung in
den Reichsſtaͤdten, welche von jeher am meiſten an ber
Einheit des Reihe und an der kaiſerlichen Macht feſtge⸗
halten haben und fon im dem Reformationskriege, theils
weiſe wenigftens, wie 5. ®. Nürnberg, die Diane gegen
Kaifer und Reid durchſchaut hatten, welche bie Fuͤrſten
auf der Grundlage der proteſtantiſchen Ideen aufzubauen
frebten.
In Bezug auf die Fürften alfo gibt ber Verf. wenig
Erfreuliches, was beſonders Denen unangenehm ſein wird,
weiche in neueſter Zeit die deutſchen Fürſten als das
non plus ultra von Regentenweißheit, Süte, Wohlwollen,
Patriotismus, ja ald die Mittelpuntte des Nationalwils
iens, im benen fid) alles Vortreffliche der Nation vereinigt
Gabe, hinzuſtellen fi bemühen. Wenn nun ber Verf.,
iber bie Erdaͤrmlichkeit der antiskaiferlihen Partei ent:
tuftet, ernſtlich Partei fir den Kaiſer nimmt, der doch
immer noch das Reih und feine Einheit vertrat, fo iſt
das ſehr natürlih. Indeſſen iſt doch nicht zu verkennen,
daß der Verf. auch hierin zu weit geht. Wir geben zu,
dog ſich die proteftantifhen Fuͤrſten ungemein viel haben
zu Schulden kommen laffen, und nicht blos im Dreißig⸗
jäyrigen Kriege, fondern, wie gefagt, gleich in den eriten
Zeiten der Reformation, wo fie die politifhen Vortheile,
weiche ihnen biefe gewährte, alfobald erfannten und fpd:
ter zum Verdruß Lucher's und Melanchthon's, die fich
von ihnen hatten berüden laffen, faft nur allein hervor⸗
hoben. Wir geben zu, daß fie das Mistrauen gegen ben
Kaifer, wie Melanchthon's Briefe deutlih genug bewei⸗
fen, mit den Haaren herbeigezogen und jeden Heinen Ans
(aß benugten, um eine Empörung gegen den Kaifer bar:
aus zu rechtfertigen. Wir geben zu, daß beſonders im
Dreißigjährigen Kriege die Religion die Nebenfache bei ib:
nen war und neue politifhe Vortheile auf Koften bes
Reichs und des Kaifers die Hauptſache. Allein das Haus
Öftreih, welches den Kaiferthron eingenommen, hat doch
auch feinen guten Theil Schuld an dem ganzen Ungluͤck,
das fpäter Über Deutfchland hereingebrochen. Das Haus
Oſtreich hat eigentlich den Anfang zu unſerm Ruin gelegt,
einmal wegen feines Princips, die Kaiſerwuͤrde zu be:
nugen zur Vergrößerung der Hausmacht, alfo diefe zum
Zweck, jene zum Mittel zu machen, zweitens, weil e6, an:
ſtatt ſich kuͤhn der gewaltigen reformatoriſchen Ideen zu
bemaͤchtigen, denſelben ſchroff entgegengetreten iſt. Wir
ſprechen hier nicht von dem proteſtantiſchen Dogma und
von der proteſtantiſchen Kirche — beide haͤtten in der
abſtruſen Form, in welcher ſie ſpaͤter erſchienen, es wahr⸗
haftig nicht verdient, daß man ſich ihnen in die Arme
geworfen oder ihnen zur Weltherrſchaft verholfen haͤtte —,
ſondern wir ſprechen von jenen Ideen, welche die neuere
Zeit charakterificen, von denen noch die Gegenwart ergrif:
fen ift, ‚Infofern fie politiiche und geiftige Freiheit verlangt.
Denn jene reformatorifhen Ideen, weit entfernt, blos
religiöfer oder dogmatifcher Natur zu fein, hatten eine
durchaus univerfelle Bedeutung und verlangten naments
lich auch die Herſtellung eines tüchtigen Kaiſerthums und
einer wahrhaften deutfhen Einheit. Hätten nun bie
Habeburger jene Ideen verftanden, hätten fie fi an ihre
Spige geftellt,. fo hätten wir jegt nicht nur eine politifche,
fondern auch eine kirchliche Einheit und Deutfchland
flünde flolz und erhaben den andern Reichen gegenüber.
Allein das Haus Oſtreich verftand jene Ideen nicht: an:
ſtatt Vortheil daraus zu ziehen, ſtellte es ſich ihnen ge⸗
genuͤber, trat ſogar an die Spitze der entgegengeſetzten
Partei und verdarb dadurch Alles. Denn nun bemaͤch⸗
tigten ſich ihrer die kluͤgern deutſchen Fürſten, trieben fie
in eine einſeitige Richtung, die ihnen gerade recht war,
und benutzten daſſelbe Element, welches fruͤher fuͤr die
Einheit des Reichs und die erhoͤhete Macht des Kaiſers
war, gerade fuͤr das Gegentheil. Und wie viel haͤtte
Oſtreich noch in ſpaͤtern Zeiten thun koͤnnen, wenn es
nicht ſo bigot geweſen waͤre, wenn es die Aufgabe ver⸗
ſtanden haͤtte, welche ein deutſcher Kaiſer zu loͤſen hatte!
Wie aber konnte man Zutrauen zu einem Hauſe faſſen,
welches mit dem Papſte, dem Erzfeinde deutſcher Unab⸗
haͤngigkeit, in der genaueſten Verbindung ſtand? welches
in ſeinen eigenen Laͤndern gegen die armen andersglaͤubi⸗
gen Unterthanen die größten Grauſamkeiten verübte und,
einmal im Vortheil den deutſchen Fürften gegenüber, dies
fen nur zur Bedrückung benußte, keineswegs zur Herſtel⸗
fung ber Freiheit und eines geficherten Rechtszuſtandes?
Ich geftehe, ih kann mir des Verf. Anfiche nicht über:
einftimmen, welde er in der Vorrede außfpricht, daß er
320
nämlich in jenen Zeiten unbedingt mit Feder und Degen
für den Kaifer gekaͤmpft haben würde. Ich würde mein
Volt — bedauert haben, welches, fo rei an Kräften,
in den höhern Regionen, von denen body einmal bie öf:
fentlichen Angelegenheiten ausgehen, feinen wahrhaft na⸗
tionalen Mittelpunkt fand, an den es ſich anlehnen, an
dem es erſtarken Eonnte, daß es feinen Hürften fand,
welcher feine Beduͤrfniſſe erfannt und ſich felber vergef:
fend über dem ſchoͤnen Beruf, ale Eleinlichen Intereſſen
bei Seite ſetzend, mit Herz und Hand um den ſtolzeſten Lohn,
um das Gluͤck und die Ehre der deutſchen Nation ‚ges
kaͤmpft hätte; ic) würde, fage ich, mein Volk darum. be:
dauert baden — ein Roos, welches es wol immer thei-
fen wird, fo fange es nicht ſich felbft und feiner eigenen
Kraft vertraut.
Die Richtung alfo, um auf den Verf. zurüdzubom:
men, im welcher fein Buch gefchrieben ift, ift im Allge⸗
meinen nur zu loben. Nur Schade, daß man dies nicht
‚von ber Ausführung ſagen kann! Es ift deshalb Schade,
weil das: Buch eben wegen feiner Richtung zur Beleh⸗
rung eines groͤßern Publicums geeignet waͤre. Denn
gegenwaͤrtig wird von einer Partei ſo viel von hiſtoriſcher
Fatwickelung geſprochen, es wird mit fo viel Selbſtgefuͤhl
auf die alten vergangenen Zeiten hingewieſen, wo Alles
in ſo ſchoͤner herzlicher Einfalt, Eintracht und Tugend
geweſen waͤre, daß es gar nichts ſchaden kann, wenn
mitunter auch reiner Wein eingeſchenkt wird. Auch
ſcheint der Verf. das Buch wirklich fuͤr ein groͤßeres
Publicum eingerichtet zu haben. Das beweiſen die ver⸗
haͤltnißig wenigen Citate, ferner das Nichteingehen in
ſpecielle kritiſche Unterſuchungen, endlich die Sprache und die
Darſtellung uͤberhaupt.
zu unſerer obigen Behauptung.
(Der Beſchluß folgt.)
———— — — — — — —— — — BU
Frauen von Frauen geſchildert.
1. Historical memoirs of the queens of France, by Mrs. For-
bes Bust. Zwei Bände. London 1842.
2. The literary ladies of England from the commencement
of the last century to the present time, by Mrs. Eliwood.
Zwei Bände. London 1841.
Wir ftellen diefe zwei Werfe hier zufammen, weit fie beibe
aus weiblicher Feder fließen und zugleich auch beide der Charak⸗
teriftit und Lebensbeſchreibung berühmter Frauen gewidmet find.
Sie find beide eine Art Triumph für den Stand der bas - bleu
und e8 wird auch namentlich das zweite befonders ein weibliches
Yubticum finden. Es beginnt mit ber berühmten Lady Maria
Mortlen Montague, bie der Stolz der ſchriftſtelleriſchen Damen:
und fchließt mit Miß Emma Roberts. Die Verf,
die durch ihr „An overland journey to India‘ bekannt ift,
hätte ihr Wert werthooller und unterhaltender machen koͤnnen,
wenn fie ſich weniger in ben engen (Srenzen einer bürftigen
Biographie gehalten hätte. Zwar verfucht fie wol bier und da
sine Afbetifce Würdigung der Geiftesfinder dieſer bas - bleu,
aber biefelbe ift meiſtens nur flüchtig und ohne Wert. Die
Darftellung ift im Ganzen anziehend. Das erflgenannte Werk,
in dem die Denkwürbigleiten der Königinnen von Frankreich er:
zählt werden, ift offenbar durch ein anderes ähnliches Werk,
das ben engliſchen Königinnen gewidmet iſt und das ziemliches
weit ift,
Gerade diefe ift aber ber Gtund
Gluͤck gemacht hat, hervorgerufen. Die Gompilation ift etwas
dürftig ausgefallen und bie Verf. fcheint fig weder was hiſto⸗
riſche Forſchung noch Darftellung betrifft über die Mittelmäßig«
keit zu erheben. Bei biefer Gelegenheit wollen wir gleich auf
ein franzöfifches Wert aufmerffam machen, das gleichfalls eine
Galerie berühmter Weiber enthält, das aber in jeder Beziehung
bedeutend über den beiden erwähnten englifchen Werfen fteht.
Es führt den Titel: „Les femmes celebres de la revolution
francaise”, von M. Lairtullier (2 Bde). 6.
Literarifhe Anzeige.
Ausgewählte Bibliothek.
Glaftifer des cuslandes.
Mit biographiſch-literariſchen Einleitungen.
Neu erſchien hiervon:
XVII. voltaire (François Marie Arouet de), Die
euriade. Aus dem Franz. im Versmaße des Origi⸗
nals überfegt von F. Schröder. Gr. 12. Geh. 1 Zhie.
xVIN. Gustav IH. (König von Schweden), Schau⸗
fpiele. Aus dem Schwediſchen überfegt von Karl
Fidel. Gr. 12. Geh. 1 Thle. 6 Nor.
Die frühern Bände biefer Sammlung enthalten:
IL II. Sremer (Freerite), Die Nachbarn. Aus dem
Schwebifchen. Mit einer Vorrede der Verfaflerin-. Dritte
Auflage. Zwei Theile. 20 Nor.
II. Gomes (ZJoão Baptifta), Ignez de Gaftrn.
Zrauerfpiel in fünf XAufzügen. Nach der fiebenten verbeflers
ten Auflage der portugiefiichen Urſchrift überfegt von Ar.
Wittich. Mit gefchichtiiger Ginleitung und einer verglei-
chenden Kritit der verfchiedenen IgnezsZragödien. W Ngr.
IV. Dante Hlighieri, Das neue Reben. Aus
dem Stat. überfest und erläutert von K. Foͤrſter. WRNar.
V. Bremer (Frederike), Die Töchter bes afts
Denten, Erzählung einer Bouvernante. Dritte Aufl. LONgr.
| VI. VII. Bremer (Frederike), Mina, Zweite Auf:
lage. Zwei Theile. 20 Nor.
VII, IX. Bremer (Frederike) Das Haus, aber Fa⸗
mitienforgen und Familienfreuben. Dritte Aufs
lage. Zwei Theile. 20 Ror.
X. Bremer (Kreberile), Die Familie G. 10 Rar.
xl Prevoſt H’Eziles (Antoine Francois), Seſchichte
Des Manon Rescaut und bes Chevalier Bes
Grieug. Aus bem Franz. überf. von Ed. v. Bülow. Wir.
x. XII. Dante Nlighieri's Iyrife Gebichte.
Aus dem SItalienifchen überfegt und erftärt von K. &. Kan⸗
negießer und K. Witte. Zweite, vermehrte und vers
beflerte Auflage. Zwei Zheile. 2 Thlr. 12 Rar. |
XIV. Zaffoni (Ateflandro), Der geraubte Eimer,
Aus dem Stalienifchen überfegt von P. L. Krig. Mit einer
die in dem Gedichte vorkommenden geographifdgen Örtlichkei⸗
ten barftellenden Karte. 1 Thlr. 9 Nor.
x Bremer (Frederike), Kleinere Erzählungen.
gr.
XVI. Bremer (Frederike), Streit und Friebe, oder
einige Sceenen in Norwegen. Zweite Aufl. 10 Nor.
Eeipzig, im März 1843.
$ ® A. Brockhaus.
Berantwortliger Geraußgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brochaus in Leipzig.
ee na EEE
> Blätter
für.
literarifhe Unterhaltung.
Mittwoch,
232. Mär; 1843.
Geſchichte bed großen beutfchen Krieg vom Xobe
Guſtav Adolf’ ab, Bon F. W. Bartholb. Er;
flex Theil.
(Beihluß aus Nr. 86.)
Man merkt es dem Verf. an, wie fehr er fi Mühe
gibt um bie ſogenannte hiſtoriſche Kunſt, um «ine auf
hohem Kothurn einbergehbende Darfielung. Eben bieles
Beftreben aber und ber damit unzertrennliche Schwulſt
der Rede macht das Bud umgeniehbar und langweilig.
Wann gelingt es bock einmal, den deutfchen Gelehrten,
Hiſtorikern insbefondere, das falſche Streben nach einer
angeblichen hiſtoriſchen Kunſt zu benehmen? Nicht ale
woliten wir die hiſtoriſche Kunft und eine angenehme
Darftelung überhaupt nicht. Gott bewahre! Vielmehr
halten wir fie für erſprießlich und in gewiſſer Beziehung
fogar für nothwendig. Wir eifern nur gegen die falfche,
gegen das Haſchen nad einer Schreibart, welche nicht
aus dem Raturell des Verf. entfpringt und deshalb ti:
dernatuͤrlich wird, Beſchraͤnke doch Jeder die hifkorifche
Kunfl darauf, daß er genau überlege, wie ber: eigentliche
Zufammenhang der Begebenpeiten iſt, laſſe er fie bei der
Schilderung fo aufeinander folgen, wie fie einander be:
dingt, aufeinander eingewirkt haben, und ftelle er jede
Thatſache an den rechten Det; was aber bie Diction be:
teiffe, fo fchreibe Feder, um mich einer populniten Re⸗
densart zu bedienen, wie ihm der Schnabel gewachſen
iſt. Nicht alle haben gleiches Talent in der Darſtellung:
die Einen, von ber Natur Begünftigten, werden leichter,
gewanbter, anmuthiger ſchreiben; die Andern aber, welche
weniger Zalent bierfüe befiken, werben viel genießbarer
fein, wenn fie einfach und natürlich fchreiben, ſowie «6
ihnen in die Feder kommt, als wenn fie ſich zu einer
gewifien Höhe hinauffchrauben, bie fie doch nicht erreichen.
Unfer Berf. hat noch jenen hocdytrabenden, erhaben fein
foilenden Stit, wie er durch Johannes Müller und Andere
in unfere Literatur gekommen ift, jene deutfchthlimelnde
Diction, melde durch ungewöhnlihe Wendungen und
Ausdruͤcke der Darſtellung den Anſtrich ernſter Würde ges
ben ſoll, jene Vorliebe für veraltete Formen, welche bem
Stil ein deutſches volksthuͤmliches Gepraͤge verleihen fol:
Sen, während dieſe Unnatur doch gar nicht deutſch iſt
und ans wenigſten jenen. Zeiten angehörig, wo man durch
und durch natärlih war und ſchrieb. Dabei hat nun
ber Verf. jene langen fchleppenden Perioden — und dieſe
gehören wirklich unferer ehemaligen Sprache an — , bei
denen mon am Ende derfelben vergefien hat, was im
Anfange gefagt worden ift, unb die wegen der Menge
von Einſchiebſeln und Zwiſchenſaͤtzen zu ihrem voͤlligen
Verſtaͤndniß in ber That einer Zergliederung bedürfen.
Aus diefer Schreibart des Verf. entfpringen aber
mehre Nachtheile. Einmal geht bie Deutlichkeit verloren:
über dem Schwulft der Rede weiß man bei manden
Stellen wirklich nicht, was der Verf. eigentlich babe ſa⸗
gen wollen. Sodann wird die Darftellung eintönig und
ermädend. Da if keine Abwechfelung ber Diction; feh
e6, dag Schlachten befchrieben werden. oder Ruͤckzuͤge,
bipfomatifche Verhandlungen oder Eharakterfhilderungen:
immerfort berfeibe hochtrabende Stil. Nichts aber ermuͤ⸗
bet fo ſehr als biefer, wenn er nicht mitunter duch
leichtere Epifoden unterbrochen wird. Endli aber ne
behrt das Buch der Anſchaulichkeit im Ganzen, welches
aus dem foeben gerügten Fehler gleichfalls entſpringt:
bean da bes Verf. bei Allem ben gleichen Sell anwendet,
teite das Bedeutende, wirklich Epochemachende vor dem
Unbedeutenden und Ummefentlichen nicht ſtark genug bar
aus, und trog der Abtheilung in Gapitel findet der Lefer
doch keine Muhepunkte, on denen er fiille halten und.
das Geleſene recapitulicen koͤnnte. Diefer Sebler in bes.
Darftelung klebt aber dem meiſten unferer hiſtoriſchen
Bücher an. In der Megel geben fie alle Thatſachen,
bedeutende und unbedeutende, um gleiche Münze den Le⸗
fern in den Kauf und überlaffen bann diefen das Ge⸗
fhäft, den Weisen von der Spreu zu fondern. Im ber
Beichreibung eines kürzeren Zeitraums, wo man ohnebie®
viel mehr Einzelnheiten befommt, thut es aber. befons
ders noth, einen Unterſchied auch in der Darftellung
zu machen und nicht Altes in Bauſch und Bogen bias
zugeben.
Dies hätten wir alfo an dem Buche anszufegen, was
bie Darſtellung betrifft; aber es bar auch noch einige
andere Mängel, bie wir nit übergehen zu dürfen glau⸗
ben. Der Verf. bat im Ganzen doch zu wenig Reelles
gegeben, im Verhaͤltniß zu dem Umfang des Bude. Es
ift. meiſtens Sriegögefchichte und biplomatifche Verhand⸗
lungen, und biefs beiden gezogen. aus bereit6 gebrudten.
" [4
€ 322
Quellen oder Bearbeitungen. Neue Quellen hat er nicht
benugt, was ee doch gekonnt hätte. Denn es liegen ge:
wiß in allen nur etwas bedeutenden Achiven noch Mas
terialien von Wichtigkeit, wie wir denn von Stuttgart
beſtimmt willen, daß auf ber dortigen Bibllothek fi in:
terefiante Manufcripte über ben Dreißigiaͤhrigen Krieg be:
finden. Doch wollen wir dem Verf. daraus Eeinen Vor⸗
wurf machen; denn wie wiflen aus Erfahrung, wie ſchwer
es tft, wenn man nice ganz befondere Connexionen hat,
den Zutritt zu den Archiven zu befommen. Die Kriege:
geſchichten aber, weiche den größten Shell des Buchs aus⸗
machen, bat ex nicht gerade fo gefchildert, daß fie fehr an:
ziehend feien. Einige wenige Stellen ausgenommen, wie
z. B. die Schlacht von Nördlingen oder den Einfall des
kaiſerlichen Heers in Frankreich, und überhaupt die Stel:
len, welche Johann von Werth betreffen, für welchen ber
Verf. eine befondere Vorliebe hat, und mit Recht, find
fie in der Regel langweilig und es teitt gerade bei den
Krtegsgefähtchten fehr unangenehm Das hervor, was mir
von der Darftellung des Verf. überhaupt fagten, daß das
Mefentliche, Bedeutende von dem Unwefentlichen nicht
gehörig unterfchieben wird: Wir flimmen überhaupt in
Bezug auf die weitläufige Befchreibung von Kriegen in
allgemeinen Gefchichtsbüchern der Anficht bei, die ſchon fo oft
ausgefprochen ward, daß man nämlich damit fehr fparfam
fein ſollte. Sollen fie wirklich Intereſſe Haben, fo müffen die
Kriegsgeſchichten entweber in flrategifcher Beziehung darge⸗
ſtellt, oder es müffen diejenigen Punkte hervorgehoben wer:
den, welche den. Geiſt und Charakter der Zeit am beiten zu
ſchildern vermögen. Von jener kann aber bei dem Verf. keine
Mede fein, da er nicht felber Militair iſt, und was das
Zweite betrifft, fo hat er Hier nicht die gehörige Auswahl
getroffen. Er gibt in der Regel eine gang trodene Auf:
zaͤhlung der einzelnen militairifhen Bewegungen, ohne
das individuell Anziehende oder die Zeit Charakterifirende
hervorzuheben und, wie gefagt, nur einzelne, wie die oben
erwähnten Stellen, maden hiervon eine Ausnahme.
Sodann hätte der Berf. in Sitte und Weife unter den
Einflüffen des Kriegs, in die Stimmung des Volks, in
die Öffentliche Meinung, in die Verhaͤltniſſe der einzelnen
Länder, der Fürftenhöfe u. f. w. näher eingehen follen;
hierdurch hätte er uns ein weit anſchaulicheres Bild der
vormaligen Zeit geliefert als durch die unintereffante Auf:
zählung der einzelnen Kriegsbegebenheiten. Zu dem Enbe
Hätte er die Menge von Flugfchriften benugen koͤnnen,
weiche damals erfchienen find und in denen man allezeit
die Stimmung und den Geiſt der Zeit am beften er:
kennt; fobann die Literatur überhaupt, infofern fie Ein-
fluß auf die Öffentlichen Zuflände geuͤbt oder ein Meful:
tat berfelben iſt. Das iſt aber nicht gefchehen. Bon
Flugſchriften erwähnt ber Verf. gar keine; die Literatur
berührt er nur an einer Stelle und zwar blos andeutend;
bei einzelnen Perfonen kommt bann wie zufällig vor,
was fie für Werke geſchrieben. Vom Simpliciſſimus
fagt er, daß er die damaligen Zuflände ganz genau ſchil⸗
dere; das genügt aber nicht: das hätte der Werf.. thun
ſellen. Kurz, ein Geſammtbild vom ganzen damaligen
J
Leben, das uns doch ſo intereſſant waͤre, bekommen wir
vom Verf. nicht; er begnuͤgt ſich blos, anzudeuten ober
ein mageres Gerippe der Begebenheiten zu liefen, wäh:
rend wir doch gerne Fleiſch und Blut dazu hätten.
Vielleicht Hilft jedoch der Verf. difen Mängeln im zwei⸗
ten Theile ab, was wir ihm fehr ans Herz legen.
Sollen wir nun zum Schluffe unfer Urtheil über das
befprochene Buch in ein Refultat zufammenfaflen,, fo geht
diefes dahin. Der Verf. bat offenbar eine fehr ehren:
werthe freie Gefinnung an ben Tag gelegt, die wir um
fo mehr anerkennen müffen, als ſich gegenmäctg nicht
gar viele Hiftoriker finden, welche ſich dadurch auszeich⸗
nen. Was neue Thatfachen betrifft, die uns ber Verf.
mittheilt, fo müflen wir ihm wegen der Notizen dankbar
fein, bie er uns über die beutfchen proteſtantiſchen Fuͤr⸗
ften und ihr Verhaͤltniß zu dem fremden Mächten gibt,
welches wir uns nicht entfinnen, in diefem Zuſammen⸗
bange und in bdiefer Ausführung irgendwo anders gelefen
zu haben. Allein die Darftellung des Verf. ift mislun:
gen, manlerict, geſchtaubt und daher für kein größeres
Publicum paffend; fodann befommen wir fein vollkom⸗
menes Bild von dem gefammten Zuftande der beutfchen
Nation, indem der Verf. doch nur auf ber Oberflaͤche
bleibe, ohne In das innere Leben des Volks näher einzu
gehen. Wir glauben jedoch nicht, baß der Verf. die ges
rügten Mängel im zweiten heile nicht verbeffern
tönnte, und fo nehmen wir von ihm mit der Hoff:
nung Abfchieb, daß wir ihm naͤchſtens gerüfteter und
gemwappneter wieder begegnen, und daß er uns biefe
mohlmeinenden Ausftellungen an feinem Buche nicht mis⸗
deuten möge. 43,
Das „Foreign quarterly review‘ über deutfche Schrift:
fteller und deren Werke, befonberd Klopflod, Schiller
Gutzkow und Gräfin Hahn: Hahn.
Ref. Hält dafür, daß bie Urtheile bes Auslandes über un⸗
fere deutfche Heimat und Literatur jetzt um fo größere Wichtige
keit erlangt baben, je wiberfprechender wir uns felbft beurthei⸗
Ien, je unklarer, trog aller philoſophiſchen Entwicklungen, wie
über uns felbft find, je mehr rauchhaltige Phrafen wir in unfern
literarifden Dampffeffeln bereiten. Seibſt das einfeitigfte Ur:
theil eines Ausiänders hat eben von .diefer einen Seite ber oft
mehr Wichtigkeit als die vielfeitigflen Urtheile eines Landsmannes
Häufiger und ausfuͤhrlicher als je befehäftigen ſich bie engliſchen
Journale mit deutfchen Landes s, Eiteraturs nnd Kunſtzuſtaͤnden,
unter ihnen vorzüglich ba® „Foreign quarterly review‘, weis
ches befonders Deutfchland zu feinem Hauptaugenmerk gewählt
bat, Frankreich flüchtig berührt und die übrigen Literaturen Eu-
ropas faft nur notizenwelfe befpricht. Reich an kritiſchen Skizzen
über die deutfche Literatur ift befonbers das Januarheft biefes
Journals. Wir floßen zuvörberft auf einen ausführlidden Be⸗
richt über Hoffmeifter's Werk über Schiller. In ber Einleitung
zu dieſem Auffage ſcheint uns folgende Bemerkung erwähnene:
werth: „Sin breiter Rand, weite Spatien zwiſchen ben Zeilen
find die Hülfsmittel, deren ſich der britiſche Schriftfteller de⸗
bient, wenn er: feine gewohnten drei Bände ausfpinnen will;
aber nicht fo der beutfche, wenn er feine fünf ober ſecht far
briciren will: ſchmal ift fein Rand und eng aneinander gerüdt .
feine Zeilen. Gr 1dft feine Aufgabe dadurch, daß er bie e
feines Stofft verdickt, und nicht dadurch, daß er ihre Dichtig
323
verbännt 5; und wenn et auch fein Publicum immer und immer
wieder mit demfelben Gedanken bewirthet, fo ift er in jedem
Jalle infofeen gewiffenhaft, daB er fürs Geld genug Lefeftoff
bietet *_ Seltſam findet ber Kritifer natürti Hoffmeiſter's Ans
fit, daß Schiller fih dm Wallenflein einen Charakter wie
Goethe vorgeftellt Habe. „Der Leſer“, zuft er aus, „welcher
hierbei ſtugt, kann nur wenig don ben Gubtilitäten der deut:
ſchen Kritik wiffen. Doch felbft bis hierher wollen wir Dr.
Hoffmeifter gern folgen; aber wenn er auseinanberzufegen be:
ginnt, warum Schiller’ Hellefpont:Ballade „Hero und Leander”
flott Leander und Hero genannt wird, fo Eönnen wir nicht um:
hin auszurufen: Halt, genug!‘ Mit aller Ehrfurcht vor biefer
Parallele zwiſchen Goethe und Wallenftein, fo gibt es wirklich
einen Vergleichspunkt, welchen der Autor nicht intendirt haben
Tann, und ber doch der bemerfenswerthefte if. Der Kummer,
weihen Wallenftein bei dem Verlufte des Mar ausbrädt, ent:
fprigt To genau als möglich demjenigen, weldyen @oethe bei
Schiller's Tode kundgab.“ Mit welcher Anerkennung der Brite
von Schiller ſpricht, laͤßt ſich am beften aus folgender Stelle
erfennen: „Es war 6 Uhr Abends, am 9. Mai 1805, und im
4. Sabre feines Alters, als der Autor der ‚Räuber‘ und bes
Wilheim Tell‘, der ‚Freigeifterei aus Leidenfhaft‘ und bes
Liedes ‚Bon ber Glode* — der Schüler der franzoͤſiſchen Phi⸗
Lofoppen und ber Profelygt Kant's — ber Dramatiler von vos
befter Reatität und hoͤchſter Idealitaͤt — der Bürger ber fran-
zöfifhen Republik und ber Geadelte des deutſchen Kaiſerreichs
— der Mann, welder in Ungnade aus einem unbedeutenden
Gtaate floh und allein das dauernde Idol des gefammten gros
fen beutichen Volks wurde — in einem Worte, Friedrich Schil⸗
ler eine Leiche war. Das Leben bes Mannes war ein kurzes,
aber das Leben eines Rieſen geweien. Seine Irrthuͤmer waren
groß und feine Wahrheiten erhaben, und bie Geſchichte der is
teratur Tann faum ein majeftätifcheres Denkmal aufmweifen als
ben Ramen Friedrih Schiller!”
Eine ziemlich bittere Kritik folgt über Gutzkow's „Briefe
aus Paris”, obgleich fie im Einzelnen anerkannt, auch pilante
Auszüge daraus gegeben werben. In der Ginleitung zu bem
betreffenden Auflage heißt es, daß ber Referent, nad ben Bes
griffen, die er fi aus frühern Zeugniſſen bes deutfchen Geiſtes
gebildet, zwei Eigenſchaften bei dem Deutſchen am wenigften zu
finden vermuthet hätte, naͤmlich unflete Lebhaftigfeit und Im:
pertinenz, und boch finde man biefe nirgend flärker entwidelt
als in den Schriften der neuen deutfchen Reifenden, Kritiker
und polemiſchen Schriftſteller; Fuͤrſt Puͤckler⸗Muskau fei eine
Derfonification von Beiden, aber er ſei auch eine doppelte Aus⸗
nahme, einmal als Zürft und Zollfopf, dann als Preuße; denn
die Spreeluft erzeuge, wie es beißt, ein gewifles dem übrigen
Deutfchland unbelfanntes und fremdes Gelbftbewußtfein. Doch
man auch Beides unter ben ehrbaren Bürgern von Ham⸗
burg, obgleich Heine bie Schärfe feines Witzes in der parifer
Luft empfangen habe und franzöfirt fei; aber hier fei ein an⸗
derer Damburger, Gutzkow — ber Engländer weiß wahrfcein:
lich nicht, daß Sutzkow ebenfalld ein Kind der Spree und daß
Deine’s Wit urfprüngli unter den berliner Linden fpaziergn
gegangen ift und bas zaͤrtlichſte Berhältnig mit den Spreenym⸗
vHen gehabt hat — kurz, Hr. Gutzkow, ber Hamburger, ift lebs
baft, amutproiitig wie ein Kinb und impertinent; fo meint we:
nigftens unfer Brite. So tabelnewerth es exfcheine, fährt er
fort, dab Bupkow alle Geheimgefpräde, alle Unterhaltungen
sınnter bier Augen keck ausplaubere, fo fei es body wol nicht
edit, bied eine Impertinenz zu nennen, benn Gutzkow fei mit
au feinem Wige fimpel wie ein Kind, und er erzähle alles Ges
und. Sefehene fo unſchuldig und natürlich, als ob ſich das
fo von felbft verftände. Mit Recht tadelt der Brite die vers
Echrte Art, wie Gutkow den König Ludwig Philipp auffaßt ;
aber viefe falſche Auffoffung entfpringt nicht aus GSimplicitaͤt,
onderu aus der an Gutkow bekannten Sucht, durch eine ber
Anſicht Aller wiberſtrebende
derch rine pikante Vendung zu überrafdhen und ben Ru
Auffaſſung Intereſſe zu erregen,
ber Ungewöhntichkeit zu gewinnen. „kudwig Philipp”, ruft ber
Engländer aus, „indiscret! Ludwig Philipp feine Sefuͤhle ver:
ratben! Gott beife dem fimpein Deutſchen!“ Indeß ik es
Ehre für Gutzkow genug, fein parifer Tagebuch in einem eng⸗
liſchen Journale ſo weitläufig befprochen zu fehen, eine Ehre,
die freitich manchem Andern auch widerfährt, der fie ſich ſchwer⸗
lich träumen ließ.
So etwa bald darauf die Gräfin Ida Hahn= Dahn, deren
„Reiſebriefe“ beurtheilt und excerpirt werden. Die Verf., wirb
gefagt, fei dem deutſchen Publicum durch einige dußerft nette‘
Erzählungen und Gedichte befannt; auch ihr Augenübel und ihr
befannter Zwift mit Dieffenbady werben erwähnt. Varnhagen
von Enfe, heißt es weiter, babe fie eine „„trogige” Schriftſtelle⸗
rin genannt; im ſcherzenden Sinne fei dies wahr; eigentlich
muͤſſe man fit aber „insolent” nennen, denn „saucy”' Mn bier '
kaum ſtark genugs babsi fchleudere fie ihre Gedanken auf dag
Papier, wie fie ihr gerade einfielen, ohne um die Conſequenzen
verlegen zu fein, und fo lägen ſich ihre Anfichten oft im Wider:
fprucge und in den Haaren. Der Lebendigkeit ihrer Auffaffung
und ihrer Schilderungen wird jedoch viel Lob gefpendet, ja
manche Befchreibung bewundernswerth genannt, au, ‚wie fi
bei einem Englänter von ſelbſt verfleht, gewiffenhaft jede Stelle
ausgezogen, in welcher bie Verf. ihren Franzoſenhaß, ihre Be:
wunberung für den Nationalcharakter der Engländer in ihrer
„trogigen‘‘ Manier ausfpriht. Was bie Verf. über Paris fagt,
findet die ſchaͤrffte Rüge, ja unfer Brite wird fogar haͤmiſch,
wenn er fagt: es fei natürlich, daß man bei einer Augenkrank⸗
heit das Licht ſcheue; und er fchließt feine Anzeige mit folgen:
ben Worten: „Was bie öffentlichen Inftitutionen in Frankreich
betrifft, fo misfallen ihr alle; die Männer verabfcheut und ver⸗
achtet fie und in Betreff ihres eigenen Geſchlechts — es reicht
bin zu fagen, daß fie die franzöfifchen Weiber befdyüldigt: en-
nuyee, usée, blasce und gang und gar unerträglich zu fein.”
Bon ſchwererm Gewicht und Inhalt ift eine ziemlich gründe
liche, ziemlich tadelnde Abhandlung über Klopſtock, wobei die
„Srgänzungen durch Biographie, Briefwechfel und verſchiedene
Beiträge”, von Hermann Schmidlin (Stuttgart 1839—4l), zum
Stunde gelegt find. Der britiſche Kritifer ſtellt Klopſtock, mit.
faft abſichtlicher Verkennung der dichteriſchen Elemente in ihm
— warum wagte er au mit Milton um bie Palme des relis
giöfen Epos zu ringen? — nur als bombaftifchen Schönrebner
dar, eine Anficht, für die er in Deutfchland felbft jegt viele Ans
haͤnger haben möchte. Wie aber Klopſtock tros feiner dichteri⸗
fen Natur voller Bombaft war, fo war er doch, trotz feines
Bombaftes, immer noch Dichter, nicht blos Verfificator und Pre⸗
biger. In ber Einleitung heißt ed: „Wenn felbft das nüchs
terne, verfländige, praktiſch gefinnte britifiye Bolt — Mr. Ali:
fon erzählt und davon in feiner Geſchichte — in periobifchen An:
fällen bes heftigſten Wahnfinns war, wie viel mehr unfere ra⸗
fetenartigen und bimmelflürmenden Brüber jenſeit des Rheins!
Sie find oder waren vor einem halben Jahrhundert wahnfinnig
über Klopfiod. Dann kam die Goethomanie ober ter artiſti⸗
ſche Wahnfinn; die Schlegelmanie oder der romantifche Wahn⸗
finn; die Kogebusmanie oder der Theaterwahnfinn; bie Teuto⸗
manie (welche Rapoleon bervorrief) oder der Baterlanbewahns
finn: alle ſehr naͤrriſch und echt deutſch in ihrer Erſcheinung,
aber nicht ohne viele Vernunft in ihrem Urfprunge unb vielen
Adel in ihrer Natur.” Der Berichterftatter überfegt auch ge: -
lungen einige Oden, zuerft eine religiöfe, die er ſchwuͤlſtig findet,
und weicher er als Mufter religiöfer Hymnenpoeſie den 104.
Palm, das 39. Kapitel des Buches Hiob, Thomſon's Dymne
an die Jahreszeiten, Goethe's Introductionshymne zum Yaufl,
Addifon’s Hymne, Heber's wohlbefannte Mifflonshymne u. f. w.
gegenüberfielt. Dann überfegt er noch Klopitod’s Ode „Der
Sögling der Griechen” und ſtellt ihr eine Überfegung von bes
Horaz Ode an Melpomene gegenüber. Da finbet er Horaz ge
drängt, Klopflod wortreich, Jenen klar, Diefen dunkel, Jenen ein:
fach, Diefen verwideltz ber Römer iſt ihm ein gereifter Mann
vol geregelten und lauterer Anfchauung, der Deutfdge ein Juͤng⸗
King von ſchoͤner, aber etwas weiblicher unb übertriebener Em⸗
- pfindung. Gin Element in Klopſtock uͤberſieht aber der Write
any, das politifhe Clement, weldes in Klopſtock's fpätern
den um fo anerfennenswerther bervortritt, je weniger die deut⸗
fhen Poeten von damals die politiſche Poefie im eigentlichen
und firengern Sinne — fie wurde erſt durch Kıopftod angeregt
und gefchaffen — anbauten. Diefe politifchen Oden eipeen ge:
zade zu Kiopftod’s merkwuͤrdigſten und beachtenswertheſten Poe⸗
fin. Der Brite bemerkt, es fei damals für einen Dann von
gewöhnlichen Verhättniffen wie Klopſtock ein Leichtes geweſen,
unter einem Volke von Pigmden für einen Rieſen zu gelten;
aber Kiopſtock war wirklich ein Rieſe, ber in ungewöhnlichen
Verhältniffen über feine Zeitgenoffen binaugragt. Das Bater:
fonds» und Freiheitsgefuͤhl wurde in einer Höchft nüchternen Zeit erſt
durch ihn gefchaffen, und in je pomphaftere Formen und Worte
fich feine Ideen zu Heiden liebten, deſto mehr wirkten fie gegen:
über einer Poefie von meift fader Form und gebankenlofer Reis
merei. Gedichte, wie „Wir und Sie”, worin Klopftod eine für
die Deutſchen günftige Parallele zwiſchen ben Deutſchen und
Beiten zieht, mögen unferm Englaͤnder freilich wenig behagt
und eine Abneigung gegen Klopftod überhaupt eingeflößt haben.
Dies aber gibt er zu, daß Klopſtock der deutſchen Sprache breis
tere Kanäle geöffnet, eine männliche Bewegung gegeben unb
überhaupt Dienfte geleiftet habe, welche jeder wahrhafte Deut:
ſche mit dem tiefften Danke anerfennen müffes er habe der deut⸗
fhen Mufe den trippeinden franzoͤſiſchen Taͤnzerſchritt abge:
wöhnt und fie zu jenem feften männliden Gange vorbereitet,
mit welchem fie unter Goethes, Schiller's, Wieland's Leitung
aufgetreten fei. Ohne die Menzel: Brille kann jedod ein britis
ſcher Kritiker die deutfche Literatur nicht betrachten. Was Wolf:
gang Menzel, biefer „„most competent judge“, diefe ‚„„masculine
voice of recent’ German criticism‘ über Klopſtock fagt, wird
gewiffenhaft ausgezogen; mit diefer „high-toned” Kritik, mit
diefer vernünftigen Lobrede, fest er hinzu, möge fi) der Name
Klopſtock gefchägtermaßen vom 18. zum 19. Jahrhundert. und
son da in die fernere Zukunft hinüberleben.
Unter den Seinen Krititen werden Lewitſchnigg's Gedichte
angezeigt. Es beweiſt fi) bier, wie ungeſchickt es ift, als ein
ziemlich namenlofer Poet fein Portrait dem Büchlein mitzuge:
ben. Das Portrait Lewitſchnigg's, Tagt der Nef., habe in
ihm ein gutes Vorurtheil erweckt; der Autor erfcheine ale ein
ungewöhnlich hübfcher Burfche, „es läge eine anzichende Wild»
heit in feinem dicken moustache, ein kecker Geiſt in feinen gros
Sen Augen; ba müffe, habe ex nun geglaubt, wenn aud) etwas
Rohes, doch Kräftiges und Geiſtvolles dahinterſtecken; aber weit
gefehlt! Er habe gebuldig die Seiten bin unb ber gewendet,
aber feine Empfindungen feien nicht angeregt, feine Eindildungs⸗
kraft nicht erhoben, feine Phantafie nicht angenehm beichäftigt
worben. Der Berf. babe, mie es fcheine, Nikolaus Lenau zum
Mufter genommen; Lenau fei ein edler Dichter, doch von ber
Art, daß er feine Nachahmer leicht in Verlegenheitsklemmen
führen könne. Befonderd und mit Recht wirb die Sucht, aus
allen Eden und Winkeln Bilder und Gleichniffe, auch bie un
paffendften, aufzujagen, gerügt, eine Sucht, bie man überhaupt
an ben oͤſtreichiſchen Poeten nicht oft und flart genug tadeln
kann. Noch kommt eine ganze Rotte von 34 beutfchen Roma:
nen zur Begutachtung, unter denen mandje unbedeutende, welche
wir dem Geſichtskreiſe der britifhen Kritik entrüdt glaubten,
da felbft bie deutſche ihr Auge vor ihnen erroͤthend nieberfchlägt.
Doch find darunter einige, von denen es ung freut, fie in Eng:
land wenigftens ducch Recenflonen eingeführt zu fehen. Eichen:
dorff's treffiiche Novelle „Aus dem Leben eines gr
in welcher fich, wie im kindiſchen Spiele, oft ein tiefer Ernſt
verbirgt, wirb nur mit wenigen Worten abgefertigt. Eichen⸗
dorff, Heißt es, fei Lange Zeit ein thätiger Beiſteuerer zu ber leich⸗
ten Riteratur Deutſchlands geweſen, feine Werke, ob in Verſen
oder Profa, zeigten immer denfelben gutlaunigen, leicht hinſchwe⸗
benden Charakter, wodurch fie fi dem Wohlmollen und ber
Machficht mäßiger und unkeltifdger deſer empfaͤhlen. Der Baron
— und in biefem Punkte flimmen wir mit dem Berichterftatter
vollflommen überein — entbehre der Kraft und noch mancher
andern Eigenſchaften, aber ex befite eine gewiffe Grazie und
humoriſtiſche Schelmerei, die ſich nirgend vortheilhafter ausnehme
als in feinen kleinern Gedichten. Der „Taugenichté“ fei hübfch
erzählt, aber nur ein Wiederabdruck, der weiter nichts Reue
babe als die niedlichen Illuſtrationen von GSchrödter. Sterns
berg's „Miſſionnair““ wird weiblich gelobt; überhaupt gefteht
ihm ber Berichterftatter guten Geſchmack, reiche Erfindungstraft
und in den Dialogen Geiſt und gluͤckliche Einfälle zu. Stern⸗
berg, beißt es weiter, if beſonders in feinen kuͤrzern Erzaͤhlun⸗
gen gluͤcklich; wenn er verfucht hat, feinen Gegenfland in mehre
Bände auszudehnen, ift er felten in gleichem Maße gluͤcklich ger
wein. Wangenheim's „Kerkermeiſter“ wird verbientermaßen
abgefertigt, als ein erbaulidyes Gebräue von Blut, Mord, Räus
berei, Incefi, Verrath, Verführung, Wahnfinn, Blasphemie und
Bombafle Schiffs Novelle „Linden — früher „Die Ohr⸗
feige’ — wie der Berichterftatter fagt, „ein Ding, weiches
nigt mehr Erfolg hatte, als es verdiente”, gibt dem Beri
erftatter Gelegenheit, das Verfahren bes Berlegers, in deſſen
Dände bie Novelle übergegangen war, ber fie umtaufte und als
neues Werk vertrieb, Tharf zu rügen. Gr Inüpft daran eine
‚Rüge über ein ziemlich adäquates Verfahren. eines andern Ver⸗
legers, betxeffs des Lewald'ſchen Buchs über Seydelmann. Diefe
Notiz fcheint der Brite aus dem „Repertorium” gefchöpft zu has
ben, worin wir, fie faft mit denfelben Worten gelefen gu haben
uns erinnern. Überhaupt glauben wir, daß die Uxrtheile bes
englifchen Berichterſtatters nicht überall Originale find; fie neh⸗
men ſich wie Auszüge aus deutfchen Recenſionen aus; doch
ven fie von Belefenheit, allgemeiner Kenntniß ber deutſchen Si.
letriftit und großer Aufmerkſamkeit auf die intereffantern Des
tails. Herloßſohn's „Wanderbuch“ wird eine hinlänglicy lebens
dige Erzählung genannt, weldye einige gute Schilderungen mo⸗
berner Sitten enthalte. Bon Willlomm, deffen „Grenzer, Nar⸗
ren und Eootfen” zur Anzeige kommen, heißt es: „er fei, und
zwar verbientermaßen, ein Lieblingsfchriftfteller und beſonders
gluͤcklich, wenn eine milde Landfchaft den Hintergrund feiner
Gemälde bilde”. Die Schriften der Ida Frick, heißt es weiter,
erheben ſich nicht über das Gewoͤhnliche, doch müffe man mit
ihrem ſichtbaren Wunfche, ihr eigenes Gefchlecht durch ein ver
beffertes Etziehungsfrftem zu vervollfommnen, hympathiſtren; in
ihren „Erzſtufen“ fei jebody wenig, was zum toben oder Ber⸗
urtheilen auffobere. In Laube's „Bandomire“ findet er einen
herrlichen Gegenſtand gut behandelt; die Erzählung erfcheint
ihm vol glüdlicher Situationen und das Intereffe bis zum
Schluſſe bewundernsmwerth gefpannt. Der Berichterſtatter vers
breitet fi) außerdem noch über Laube's frühere literariſche Car⸗
riere und fagt, daß er bie Ehre gehabt habe, eingefperet wor:
den zu fein, daß feine frühern Vergehungen vergeffen feien und
daß er jest als einer der beiten Erzähler des Tages, nicht aber
als politiicher Demagoge, Ruf habe. Die Verf. des Romans
„Das Schloß Goczyn“ wird eine der beften Gchriftftellerinnen
Deutfchtands genannt, was fie in gewiffem Sinne fein mag,
wenn man bie ariftofratifche Glaͤtte und Zierlichleit dee Bou⸗
dboienovelliftit dem gefunden prallen Leben, die gluͤcklich benugten
Refultate einer gewählten Lecture und Gonverfation ber trotzi⸗
nen Befonderheit eines felbftändig aus ſich herausfchaffenben
Geiſtes vorziehen will. Der Theetiſch heckt fo manches Hübfche
aus, nur feine Driginale. Im Übrigen vermiffen wir in biefen
kurzen Eritifchen Skizzen bes „Foreign quarterly review’ den
echt englifchen Geift, ber, fo einfeitig und eigenfinnig er auch
zuweilen erfcheinen mag, bie größern Kritifen autzeichnet. Dies
fer Umſtand führt uns auf die Vermuthung — die wir in
beß nur ganz leife ausfprechen wollen — baß jene kürzern Kris
tiken in Deutfchland nach deutfchen Recenfionen oder theilweifer
Lecture verfaßt und von geſchickter Hand in das Englifche über:
fest find. 13.
Verantwortlicher Deraudgeber: Heinrich Brockhaus. — Deus und Verlag von F. I. Brodbeus in Seipatg.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerdtag,
— Nr. 82. ö—
23. Maͤrz 1843.
Die dermalige Kriſe der Philoſophie in Deutſchland.
Eine Stimme aus Frankreich.
L Hegel.
Als vor einer Reihe von Jahren die „Revue des
deux mondes” in Paris gegründet wurde, bätte wol
Miemand geglaubt, daß bie deutiche Speculation das In⸗
tereſſe unferer wefllihen Nachbarn fo lebhaft zu erregen,
ihren Geiſt fo zu durddringen und die Gelenke ihrer
widerſtrebenden Sprache fo zu elektrifiren vermöchte, daß
der neue Jahrgang diefer auf bie Theilnahme nicht etwa
nur der Gelehrten, fondern der Gebildeten der Nation
überhaupt beregneten Monatsfchrift fich mit einem nicht
bos rhetoriſch und wigelnd herumflankicenden, ſondern
Mar und redlich geſchriebenen Auflage, der die obige liber-
ſcheift trägt und in zwei gleiche Hälften über Hegel's
Syſtem und Schelling's neuefle Lehre zerfaͤllt , eroͤff⸗
men wuͤrde.
Der Dann vom Fache wird in Deutfchland freilich
nichts Neues daraus lernen; vielleicht aber ergögt ihn,
wicht weniger als den Dilettanten, bie Faͤhigkeit des Fran⸗
zeſen, feinen Landeleuten von ben Auftänden unferer
Philoſophie genaue und befonnene Rechenſchaft zu geben,
während ber Laie hier eine Überſicht erlangt, zu deren
Zeichnung fih für ihn noch kein deurfcher Philofoph her⸗
abgelaffen hat. So dürfte es fich Immerhin dee Muͤhe ver:
Iohnen, die Hauptgedanken biefes Auffages für deutſche
2efer, die jenes in Deutichland nicht nach Beitungsfte:
quenz gelefene Journal gar nicht oder nicht fo bald zur
Hand belommen, bier auszuzichen und einige Proben
der Darſtellung zu geben.
Der Berf. (er zeichnet mit einem bisher nicht oder
wenig gekannten Namen A. Lebre) geht von Schelling’s
Auf nah Berlin aus und nimmt davon Veranlaſſung,
Die neue Dhafe zu fehildern, in welche Deutfhlande Ge:
ſchichte (die der Wiſſenſchaft iſt zemeint) in diefer jüngften
Zeit eingetreten iſt. Noch geſtern, fagt er, ahnte man
Die Groͤße der Strecke nicht, die man fidh vom Chriſten⸗
ehem entfernt hatte; heute bat die Werblendung ein
Ende. Die Schlafwandlerin, die auf ihrem Irrwege
nach dem Abgrund mar, iſt aufgewacht. Von Stunde
an fucht fie zu fliehen; will dem Zuge widerfichen, ber
fie hinabdraͤngt. Deutſchland proteſtirt gegen feinen Zwei⸗
fel, ohne ihn verbannen zu koͤnnen; ſein Herz iſt voll
Glaubens, aber der Geiſt voll des unerſaͤttlichen Skepti⸗
cismus. Dieſes Volk von Denkern und Gelehrten bat
ein koloſſales Werk der Kritik unternommen. Ein feler⸗
licher Kampf mit allen Stüden des alten Glaubens hat
begonnen.
Jetzt wird ein Rüdblid auf Schelling’6 dlteres Sy:
ſtem geworfen. Fichte hatte Deutfchland für einen Aus
genblick unter das Joch feines Benius gebeugt, aber fein
Spftem war zu ausfchließlich und zu parador, als daß es
fih bätte halten koͤnnen. Unfere Inſtincte find unzer⸗
ſtoͤrbarer als die Spisfindigkeiten eines Weltweifen ; Fichte
aber that ihnen fchreiende Gewalt an. Er hat dem Idea⸗
lismus eine heroiſche Groͤße, eine firenge Majefldt ver:
lieben; die Sinne verfhmähend, zerfiörte feine Dialektik
die glänzende Illuſion, die man Natur nennt, und ließ
im verödeten Weltall nur einen tühnen Denker, einfas
men König und höchften Herrn ber Leere, flolzen Meifter
feines eigenen Ichs, übrig. Aber im Gebiete bes Gedanken
ift das Gleichgewicht fo unentbehrlih wie im Meiche der
Natur. Schelling redytfertigte nun aufs neue unfern Blau:
ben an die Außenwelt. Das Ich blieb die einzige Sub»
fanz im Idealismus; aber dies fubfkantielle Ich iſt nicht,
wie Fichte es mollte (?), das fubjecttve Sch, dies oder
jenes beflimmte Ich; es muß Alles in Allem enthalten,
es Tann nur das abfolute Ich fein, das alle möglichen
Eriftenzen einſchließt. So geht der Idealiſsmus, auf bie
Außerfle Grenze geführt, über fich felbft hinaus und führe
in den Pantheismus hinein. Natur und Geift hören auf,
eins dem andern fremd und Gegenfäge zu fein. Sie
werden nur zu zweierlei Eriftenzweifen des unendlichen
Ichs, welches das AU befeelt und fidy in ihm .offenbart,
in der Natur als Object, im Geiſt als Subject, in bei⸗
den immer identifh, immer Daffelde. In der Natur er
fheint das abfolute Sein nicht mit Bewußtfein verbuns
den, es bleibt aber nichtsdeſtoweniger die ewige Vernunft.
Alles, von ben Zahlen der Mechanit bes Himmels und
der Geometrie ber Kryſtalle an bie zur Drganifation ber
Pflanze und des Thieres trägt die Spuren der Intelli⸗
genz und iſt nichts Anderes al6 eine Plaſtik der görtlichen
Ideen. Aber wahrhaft Vernunft iſt die Vernunft doch
nur, wenn fie das Bewußtfein ihrer ſelbſt hat. So liege
denn in ihrem Weſen eine Noͤthlgung, aus dem Zuflande
ww
der Verdunkelung, in welcher fie fich in ber Geſtalt der
Natur befindet, berauszutreten. So erhebt fie ſich von
Weich zu Reich, fi immer mehr vergeiftigend, bis fie mit
ihrer edein Klarheit aus dem Menſchen widerleuchtet und
in ihm zum Selbfibewußtfein kommt.
Diefes Syſtem befziedigte die entgegengeſetzteſtan Bes
dürfniffe, den gefunden Menfchenveritand wie die Ver⸗
nunft; die Begeifterung dafür war allgemein und ging
bald in Trunkenheit über. Nun murde die Analogie
mehr befragt als die Vernunftwahrheit; ein abenteuerli:
cher, ungeregelter Myſticismus ſchob fih der MWiffenfchaft
unter; man verfiel in «in ſeltſames Chaos. CEundlich
wurde das Beduͤrfniß, zu einer firengen Methode zurüd-
zukehren, vege; und Hegel uͤbernahm dies Geſchaͤft, ohne
anfänglich ein neues Syſtem aufſtellen zu wollen, fon:
dern nur in bee Abſicht, der Lehre des Meiſters eine
fefteue Form zu geben.
Seine Logik, fagt ber Werichterftatter, begründet vor
Allem feinen Ruben. Sie ift gleich bewunbernsmwirbig
durch Eigenthuͤmlichkeit wie durch Tiefe, nie mar bie
Bastheit (delicatesse) in der Analyfe, Die Feinheit im Un:
terfcheiden, die dialektifche Kraft (vigeur) zu folder Voll⸗
tommenheit gedicehen. Es ift ein gewaltiger, ſtarkwuͤchſi⸗
ger Beift, der zuerſt, ohne Schwindel, von Abſtractionen
za Abfkinctionen, bie ſchmalen Gipfel zu erfleigen ver:
mochte, von welchen ber Blick fi hinabſenkt in oͤde
Bor. Es bedurfte einer entbehrungsfähigen, andauern⸗
den Kraft, um in biefer Entaͤußerung aller finnlichen
Anſchanungen leben zu können; fein Thun erſchreckt wie
ne unbarmherzige Kaſtelung; der Berfland, der Hegel
‚ m feine Logik folge, wird vom Geiſt in die Wuͤſte ge
führt; er muß Allem entfagen, was Geſtalt und Umriß has,
Allem, was won der äußeren Welt kommt, Allem, was nicht
abgezogen und allgemein if.
Hegel wußte wohl, daß es nicht genügt, die nothwen:
digen Idem aufzuzaͤhlen, wie Kant gethan; er wollte im
der Wiſſernſchaft nicht diefen empiriſchen Proceß befolgen,
wollte unfeee Begriffe ſtreng nach den Foderungen des
Gedankens ableiten. Aber womit hier beginnen? Offen
Sar mit dem abſtracheſten Begriffe, mit dem, den alle
andern vorausfagen, den man nicht willküͤrlich feken kann
oder auch nicht, umd ohne den jeder Bedankte unmägi
wäre. Dieſe legte Abſtraction aber, der allgemeinfie Ge:
Dante, der unvermmibliche Begriff — es iſt ber bes Seine.
fiber alle beſtimmten Exiſtenzen kann fich der Zweifel ex
ſtrecken; das Sein an ſich kann er nicht lsugmen, wenn
se nicht fich ſelbſt leugnen will. Aber dieſer Urbegriff,
der mach allen möglichen Negationen uͤbrigbleibt, iſt das
abſolut unbefimmte Sen. Nun gibt es aber nichts ab:
font Unbeflimmtes. Folglich iſt das reine Sein dia
Nichte. Der erſte Begriff, dem wir erringen, verwandelt
6 in fein Gegentheil, ſohald wir ihn von jedem andren
Heliten; er enthaͤlt die Nöchigung, fegleich binkbeyu:
hen zum entgegengefegten Begriff. Das weine Sein läßt
Eh für ih allein und ahne das Nichts nit deuten:
Dan Nechts laͤßt ſich wur begreifen durchs Bein, und
dech — dieſe halben unzertrennlichen Vegriffe, hie ainer
den andern hervorsufen, fie widerſprechen ſich. Der Belt
ann daher bei dieſem GBegenfage nicht flille fichen. Er
kann fie nicht zufammendenten, und fol es doch thun:
fo iſt er gezwungen einen böhern Begriff zu fuchen, der
fie verfögnt. Diefer Begriff ift ie Spntheſe von Nichs
und von Sen — das Werden. Was wie, das if zu
gleich und iſt nicht, es hat gleichen Antheil am Nichts
und am Sein. Diefe Syntheſe verbirgt ihrerfeite in fich
einen Gegenſatz, der den Geiſt noͤthigt höher emporzuflels
gen, bis geſtachelt, durch unaufhoͤrlich ſich neu erzeugende
Entgegenfegungen, der Gedanke allgemady vom aͤrmſten
Begriffe, durch ale Mitteibegriffe, fortfchreitet zum reich⸗
ften, der fie alle in ſich faßt und vereinigt, zum Abfolu=
ten, in welchem allein er feine Rube findet.
ſt ihm die Vernunft nicht ein Aggregat vom
Begriffen, ſondern ein wunderbarer Organismus; der
Gedanke circulirt unaufbörli in ihr. Kant hatte bie
Anatomie ber Vernunft unternommen, Hegel bat ihre
Phyſiologie geſchrieben; Kant hatte die Lifte der Begriffe
verfaßt; Degel hat ihe Soſtem gegeben.
In dieſem Syſtem findet fich eine Entbedung, was
| eine Seltenheit in einem Syſteme iſt. Hegel's kLogik
wird ſich dem menſchlichen Geil als Wahrheit aufbrin-
gen und bie Runde durch die Welt marken, fo oft
ec fi im Einzelnen getäufcht haben mag. Die Säge
des Widerfpruche und der Identitaͤt find die beiden Prim
cipien der alten Logik. Ihre Wahrheit iſt unbeflzeicher,
aber ihre Guͤltigkeit erſtreckt fih nur auf bie Erfahrung
und die Sinnenwelt. Das Peincip des Widerfpruche
ſetzt contradictoriſche Beſtimmungen voraus, zwiſchen mei
chen man gezwungen If zu wählen, man muß bie eine
annehmen, die andere verwerfen. Aber zwei Beſtimmum
gen, die fi ausſchließen, find mochwendig alle beide end⸗
lich, denn Seine begreift Alles in fih, der Gas des Wh
derſpruchs gebt alfo nicht über das Gebiet des Endllichen
hinaus. Run genügt aber das Endliche ſich nicht ſelbſt
ed vermag nicht anders ſich zu faflen, und ſomit zu be
greifen, al6 durchs Unendlihe. Die Wiſſenſchaft bes Ua
endlichen. aber iſt die Metaphyfit. Der Sat des Wer
fpruchs, dba ee aufs Unendliche keine Anwendung findet,
kann bier nie guͤltig fein. Er verändert die Natur ber
Begriffe, fobald er auf fie angewendet wird. Er fett fie
contradictoriſch woraus, d. h. abſolut unvereinbar, umb
pe find pri an contraire Beſtimmungen. Meit
entfernt, ſich auszuſchließen, poſtullren fie ſich gegenfi
(ils exigent mutnellement). Es iſt dergeſtalt Kunde
lich, ‚einen Begriff zu ifolieen, daß, wenn man es wen
fücht, en ſich ſogleich in jenes Gegentheil verwandett, vom
welchem man ibn trennen wollte. Man ifolire das Ums
endliche nom Endlichen, fo ſchließt alddann das Unendüche
das Endliche wicht mehr in fihz das Endliche bleibt aus
herhalb daſſelben; within iſt das Unendliche nicht mehe
Aues, ed wmieb beſchraͤukt, es wird enbtich Images
kehrt, iſolire man das Endliche vom Unendlichen, ſo wu
ſich das Eudliche aus ſich ſelbſt begreifen laſſen; es
muß ſach alſe genuͤgen; was ſich aber genuͤgt, iſt unde
Gudliche zum Unendblichen.
diogt: fefert wie das
r
VEbenſo werke, wie dee Satz des Vibdecſpruchte, ſindet
der Gap der Sdentitit eine Anwendung auf dem Boden
der Metaphyſik. Hier iſt er nicht mehr wahr; dem auf
dem Gebiete der Vernunft und nah ihrem Grundgeſetz
keitet fi das Gegencheil aus dem Gegentheil ab und
wit mehr das Gieiche aus dem Bleiben. Das Gegen⸗
tbeil oder der Gegenfatz (contrerium) ift eine Mittelbe⸗
ſtimmung zwifchen Identität und Widerſpruch (contra-
dietorium); «6 entzieht fi den beiden Axiomen der alten
Logik und iſt ihrer Jurisdiction nicht unterworfen.
Das Refaltat von alle diefem ift bedeutend. Die
auf die alte Logik bafitten Philofophien tragen die Prin:
dipien, die nur auf die Wiſſenſchaft des Endlichen paflen,
über auf die Wiffenfchaft des Unendlihen. Dielen Grund»
irrchum ıheilen fir alle miteinander: fie alle operizen mit
der Analyfe und dem Syllogismus; aber die Analyſe loͤſt
die Objecte auf, ifolirt die Beflimmungen, die fie unter:
ſcheidet; der Spllogiemus leitet Gleiches aus Gleihem ab.
Die Metaphyſik fchlägt die entgegengefegte Bahn ein, mit
tels der Dialektik, welche, die Analyfe umkehrend, die
Begriffe zu einer Kette windet, fie unterſcheidet, ohne fie
zu trennen, und, den Sollogismus gleichfalls umkehrend,
das Gegentheil aus dem Gegentheil ableitet. So ift He:
get dee Entdecker des Logik des Unendlichen.
UÜbrigens war er erclufiv wie alle Meformatoren. Die
neue Logik wurde für ihn Allee. Er fah in ihr nicht
blos die ewigen Formen, in welden fidy der Gedanke des
Seins bewegt; er ſah darin das Sein felbft und verwech⸗
fette fo den Gedanken mit Bett. Die Phänomenologie
bifdet den Eingang zu feinem Syſtem; fie ift der Weg,
der zu diefem Grundirrthume führt, Die Logik, fagt er,
die allein fich über alle Widerfprüche erhebt, gibt auch
allein das Unendliche, das Sein, die Wahrheit — Gott.
Gott, fofern er unendlich iſt, kann, nach Hegel, nicht pers
föntich fein: diefe beiden Ideen (Begriffe) ſchließen fich
aus; denn jede Perföntichkeit unterfcheider ſich von allen
andern, und eben dadurch wird fie beſtimmt, begrengt, end»
lich. Hier erhebt‘ fich eine doppelte Schwierigkeit. Das
Unbeflinmmte, auf der einen Seite, eriftirt nicht; Gott, auf
der andern Seite, ift die abfolute Vernunft, und die Ber:
nunft ift nur in Wahrheit Vernunft, wenn fie Selbftbe-
wußtfein bat. Dies Gelbfibewußtfein aber fept Pers
fönligkeit voraus. Wie loͤſen fich dieſe Widerfprüche?
Mur dann, wenn Gott fich verwirkticht, nicht in einer uns
endlichen Form — benn das iſt ein Widerfinn —, fon:
dern in der unmblichen Mannichfaltigkeit endkicher Kormen ;
nicht in einer einzigen Perföntichkeit, fondern in einer ums
santerbeochenen Hintereinanderfolge unzähfiger Perfonen: mit
einem Worte — wenn fih Gott verwirkiicht in ber Nas
iur und in der Menſchheit, und fi nur im ihnen vers
wirflicht, und in nichts Anderm fein Sein Hat.
So if die Entwidelung der Welt für Degel nichts
Anderes als die Eutwidelung der abfoluten Vernunft ſeldſt.
Micht im dem einzelnen Menfchen, ſendern in ber Menſch⸗
heit, nicht in einem Individunm, fondern in des Gattung
effenbart fich die göttliche Vernunft als abfolute. Die
Einzelweſen, nothwendig beſchraͤnkt, Finnen Bott nicht vers
mwinflidken, und doch kaun er nur durch fie verwirklicht
werden; daher verſchwinden fie nach einem Augenblicke
von Dauer; der Tod fit für fie die Vernichtung. Die
Menfchheit iſt's allein, die alle diefe Zerſtoͤrungen überlebt.
Die abfolute Vernunft offenbart fi) in der dreifachen
Geſtait dee Kunſt, der Religion und der Phitofophie.
Dies find die drei großen Epochen in der Geſchichte Got⸗
tet. Das Abfolute offenbart fih in der Kunft, dur
die Schönheit, in fichtbarer Geſtalt. Aber die abſolute
Vernunft iſt Geiſt; die finnliche Offenbarung genuͤgt Ihr
nicht. In der Religion erſcheint Gott als Geiſt; aber
es iſt nicht die abfolute Vernunft, die fich felbft erkennt;
es ift ein Menſch, ein fubjectiver Gedanke, der diefe Ver:
nunft betrachtet und ſich von ihr unterfcheider; «8 ift im:
mer noch nicht Gott, der fich ſelbſt ale Gott erkennt.
Noch ein Schritt zum Ziel iſt zu thun; und gethan wird
er in der Philoſophie. Im Geifte des Philoſophen, der
ſich über alles Subjective bis zur abfoluten Vernunft ers
bebt und fie mittels ihrer felbft denkt, gelangt diefe Ver:
nunft (mit einem andern Worte Gott) zu ihrem Selbſt⸗
bewußtfein und ſchaut ſich endlich von Angefiht zu Ans
gefiht. So ift die Phitofophie die hoͤchſte Verwirklichung
Gottes, fein wahrer Advent in die Welt. Der Menſch⸗
beit bleibt nun nichts mehr übrig, als fi von der Kell:
Yen zu emancipiren, fi nad der Philofophie zuzuſchnei⸗
den, alle Beifter Ihe zu unterwerfen, auf daß Gott immer
mehr und mehr widerfirable aus den Klarheiten der In⸗
telligenz, ſich umgeftalte von Licht zu Licht und die ur:
ſpruͤnglichen Dunkelheiten, die ihn noch umhüllen, immer
mehr zerſtreue.
(Der Beſchluß folgt.)
Ein Tagebuch. Bon Therefe, Berfafferin der Briefe
aus dem Eüden. Braunſchweig, Vieweg und Sohn.
1842, 8, 1 Xhle. 15 Nor. “
„Wird eine Zeit der Vollendung kommen, wo der Kampf
in der Welt verklungen ift und Gott fi ohne Schleier, im
Stange feiner Sonnen zeigen wird?... Fortſchritt ber Menſch⸗
beit ? Als 0b nicht von Adam's Zeiten an immer berfelbe Kampf
obgemwaltet, immer biefelben Schmerzensſeufzer die menſchliche
Bruſt zerriffen hätten, als wenn nicht fort unb fort bdiefelben
Leidenfchaften wütheten, daſſelbe aͤngſtliche Suchen nach bem
Unfihtbaren vorherrfchend geweſen ware! Thorheit, Weisheit,
Lüge und Wahrheit, göttliche Liebe und himmelfchreiender Un⸗
glaube haben ſich wie ein Wirbelwind begegnet und haben im⸗
mer daflelbe Refultat geliefert: Unterwerfung unter ben höchften
Willen, oder Zerftörung des menſchlichen Gehirns. Wo wie
das Unendliche im Geſchoͤpfe fuchen, ba verräthb uns bas Ge⸗
fhöpf; wo wir irdiſche Güter ben himmliſchen vorziehen, ba
greift das Feuer um ſich und zerflört die Güter.’
Diefe herausgegriffene Stelle aus dem obengenannten Werke
ſchmeckt nad einer Tendenz und ſcheint eine männliche Feder
zu verrathen. So ſchlimm ift es mit dem Berausgreifen von
Stellen aus Büchern! Wir würden uns in Beidem täufcen.
So viel Männtiches in der Anfchauung, in ber Sprache, in ber
Selbſtbeſcheidung, in der Zuruͤckhaltung von Dem, was eine
weiblide — deutfche Feder felten vermeidet, den Grodffen ber
Empfindung, fo viel Objectivität im Urtheil ift, To tft es doch
eine Frau, bie Schreibt, aber mit einem männlich ausgebildeten
Berſtande und, mehr noch als das, mit der auch bei Männern
nidgt immer vorhandenen Kraft, ihr Befäpt, ihre Whantafle,
ihre Ideenfluͤge zu sügeln und ba abzubrechen, wo Andere erfl
angefangen ätten. Es fehlt uns Manches in biefem Tagebuche,
was wir von einer Schriftflellerin hätten erwarten Können, aber
es ift auch Vieles da, was uns überrafcht: Kenntniffe, große
Belefenheit, Beweglichkeit und die Kunſt, uns im Irrthum zu
erhatten, mit wem wir es zu thun haben in Mentor tritt
zu Anfang auf. Einem ſolchen würbigen ältern Manne mag
ein weibliches Welen, das ſich ihm mit Bewunderung bingibt,
viel verbanfen. Aber dann fchreibt fie noch, und wenn bei bem
Verbältnig keine Liebe gedacht werben Tann, fo it es Bewuß⸗
derung, Verehrungs ber Dann ift dann ihr Heiliger, ihre Aus
torität, an beffen Ausſpruͤchen nur zu zweifeln zum Verbrechen
wird. Hier aber Eehrt bie Schriftftellerin bald zur Selbſtaͤndig⸗
keit zuruͤck. Gigene Gefühle, eigene Anfichten treten heraus, es
find eigene Beobachtungen; eine uns räthfelhafte Bildungsſchule
eines weiblichen Gemuͤths, ein Weib, das ſich vielleicht Hätte
emancipiren mögen, die Vorſtudien find da, aber der gluͤckliche
Moment ift gelommen, wo fie wieder in bie Schranken ber
Weiblichkeit zuruͤckkehrte, mit allen Erfahrungen und Studien, auf
gem Wege gemacht, die nicht mehr vergeffen werden können.
Der mitgetheilte Sag Tpricht deutlich eine Tendenz aus; aber
iſt e& die des Buchs? Das ift ſchwer zu beantworten, weil es
ſchwer ift, den Sinn beffelben aus der Moſaikarbeit herauszu⸗
lefen. Diefe gerade verräth bie weibliche Feder. Nicht daß li⸗
terarifche Arbeiten von Frauen immer Mofail bleiben müßten ;
im Gegentheil, wo fie als Dichterinnen aus ber ihnen zugaͤng⸗
lihen Gemuͤthswelt auftreten, wo fie das ewige und ihnen fo
‚natürliche Schema von Eiebe und Gntfagung behandeln, wird
ihre Arbeit oft ein ſtroͤmender Fluß, deffen Mächtigleit uns mit
fortreißt und vergeffen läßt, daß die Uferpartien ſchwach find
und er felbft oft in unmalerifche Breite ſich verliert. Aber wo
eine Frau biefe ihr natuͤrlichſte Aufgabe verläßt und über
Welt, Menſchen, Zeitthemata raifonnirend auftritt, da barf man
feinen rothen Faden, einen Wurf bes Genius erwarten, der,
zum Lorberbaum werdend, von Anfang bi6 Ende den urfprüng»
lichen Gedanken fefthalte und im Kleinen und Großen verkör:
pere. Das iſt eine Aufgabe, die bei fo geftellten Bedingungen
auch oft dem Schriftfteller ſchwer wird.
Ein Tagebuch nennt die Verf. ihr Bud. Es mag aus ei:
nem Tagebuche entfprungen fein, aber aus einem Tagebuche,
deffen Blätter und ihr Inhalt der Beſitzerin nicht genügten.
Es dehnt ſich aus, es macht Coolutionen nad allen Seiten.
Zwar nicht in die Winkel und Schlüfte, die nur ein maͤnn⸗
licher Ruß, nach ber geltenden Sitte und ungeftraft, betreten
darf, aber doch auch in folche Regionen, wo nur vorzugsmeife
Männer mit Sicherheit auftreten. Lebensereigniffe, Charaktere
werben mit ficherer Feder geſchildert; es reizt bie Schriftftelle:
rin, aud viele der großen Beitfragen zu befpredyen, immer ge:
ſchieht e8 mit Geſchick. Wenn fie vielleicht fühlt, für ihr Ges
f>echt zu weit gegangen zu fein, wird ihre Takt fie fchnell den
Rücdweg finden laffen. Sie hat weber bie Schicklichkeit noch
die Anmuth dabei eingebüßt; zarte en werden bazmwifchen ges
fponnen, wo etwa ein Gefühl durch ein zu ſcharfes Auftreten
fi) verletzt fühlen könnte. So zeigt fi auch die Weiblichkeit
in bee Verehrung der Natur: „D der fchönen Beit, da’ noch
die ganze Natur göttlich, menſchlich war, dba ihr noch der Menſch
das Opfer feiner Verehrung darbrachte unb ihm aus jeber
Quelle, aus jedem Baume Empfindung und Liebe entgegenlds
chelte! Zest gehft du einfam zu der Verlaffenen bin und trauerſt
um fies aber wenn bein Sinn fromm unb zart an ihr Herz
fi wirft und fig ihre Hingeben möchte mit vollem Vertrauen,
dann kehrt ihre Jugend und ihre Schönheit wieder.“
Frauen fehen ſchaͤrfer die Eleinen Gebrechen, die Schwach⸗
peiten des Individuums, dennoch find fie zur Satire nicht ges
oren. Auch die Satire will urfprüngliche Dichterkraft, bie ges
falten kann. Bine Satire, bie nur negiet, ik blos eine halbe.
Die Berf. führt uns einen mobernen Theeabend vor. Welche
reiche Studien der Schwachheiten unferer focialen Bildung wer:
den bier aufgeführt, weiche fein eindringenbe pſychologiſche We:
obachtungskraft; aber es find nur aneinander gereihte Perlen,
die Bilder und Geſtalten verwachſen nicht ineinander, gefdyweige
denn, daß fie aus einer Wurzel, einer ſchoͤnferiſchen Anfchauung
entftanden wären. Wir freuen uns ber einzelnen meifterbaften
Portraits, ber Gruppen in ben Winkeln, dort einer Figur im
Fauteuil, bort zweier Gonverfirenden auf dem Ganape. Aber
es ift der Verf. nicht gelungen, uns eine Xotalanfdyauung ber
Salons, die fie in ihren Einzelheiten befchreibt, zu liefern. Ge
ift aud) der Dialog. Es find Neben, wie ber Cinzelne an eis
nem foldgen Theeabend, mutatis mutandis, fie en haben
kann; aber die vielen wirklichen Reben bilden no fein wirk
liches Gefpräh. Auch fie find anelnander gereibt; wenn ber
Eine abgeſprochen hat, fängt ber Andere an. Darunter viel
Seiftreiches,, viel ſcharf eindringende Bemerkungen, ein buntes
Tableau ber Anfhauungen unferer Gefellfchaftsbilbung über bie
Modeliteratur. Wen hört man lieber über die berühmten Da⸗
menfchriftftellerinnen urtheiten, eine Gräfin Hahn⸗Hahn, eine Ver:
fafferin des „Godwie-Caſtle““, eine Frebderike Bremer, als wie:
ber eine geiftreiche Dame, wenn fie audy ihre varlicten Anſchau⸗
ungen verfchiedenen Wännern in ben Mund legt?
Wenn nody ein Zweifel über das Geflecht der Verf. obs
walten tönnte, fo wird er zum bündigften durd die eingeflreuten
Novellen befeitigt, oder vielmehr fie find nicht eingeftreut, The⸗
reſens „Tagebuch“ Läuft in Rovellen aus. Das Weib findet
fi) wieder in ihrer eigenen Sphäre zurecht und wohl. In dem
Auspug, in bee Malerei der Decorationen und ber Stimmungen
ift die Dame unverfennbar. Aber zugleih wirb bie Tendenz,
weile, fo lange das Buch nur ein Tagebuch war, nur im
Schein von Irrlichtern umherſpukte, deutlicher. Es iſt das ge
wöhnliche Eiebes und GSntfagungsthema, mögen Ginige fagen.
Nein, es ift mehr. Es ift in eine höhere Zeitfphäre überfegt.
Es find nicht bloße in Schwärmerei und Gefühleweichheit ver:
fhwimmende Geſtalten, die fich mit Zihränen in das Unvermeibs
liche fügen und dem Sammer einen Mantel von Edelmuth
umbängen. Es find Frauen, bie aus ihrer natürlidden Sphäre
binausgingen, die, nur in minber klaren Kämpfen, ben großen
Kampf Aller mitrangen, und bie Keffeln, die uns Alle druͤcken,
fprengen wollten, aber für ihre beißen, dunkeln Sefühle und
Wallungen flatt der Wahrheit einen Schein fanden und kalte
Derzen, Hohn, Spott, Blafirtheit ftatt verwandten Sturm unb
Drang und darüber verbiuten, ober überwinden. Die Verf.
predigt nicht, und das ift gut, fie lehrt, indem fie bier lebendige
Geftalten und Verhaͤltniſſe vorführt, und das ift noch beſſer.
Sie glaubt an die wahre Liebe unb ihre Entfagenden entfagen
mit Bemußtfein.
Mit Vergnügen hören wir, daß Thereſens „Zagebuh” ſich
7 Publicum ſchon viele Freunde und Freundinnen erworben
t.
Literariſche Notiz.
Eine Deputation dee Geographiſchen Geſellſchaft,
an ihrer Spitze ber Handelsminifler, wurde zu ber Ehre zugelaſſen,
dem Könige der Franzoſen bie beiden legten Bände ihres „Recueil
de me&moires’' zu überreichen, wovon ber eine mehre Borabas
larien afrifanifcher Sprachen, Berichte von Reifenden aus dem
Mittelatter und von ben Herren Gaquebert, Montbret und
b’Avezac angeftellte Unterfuchungen, ber andere Edriſis Erd⸗
befchreibung in ber Überfegung des ‚Deren Jaubert enthält. Der
König druͤckte der Deputation bie Theilnahme, welche er an den
Arbeiten der Geſellſchaft und den Portfchritten der geographi⸗
Then Wiffenfchaften naͤhme, aufs lebhafteſte aus. 18.
Verantwortlicher ‚Herausgeber ı Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. 4. Brodhaus in Leipzig.
Blätter —
für
literariſche Unterhaltung.
Zreitag, — N. 83 — 24. Mir; 1843.
Die dermalige Kriſe der Philofophie in Deutſchland.
L Degen.
(Beſchluß aus Rx. 82)
Dieſer unperfönliche Bott, der fih nur im Weltgan⸗
zen verwirklicht, belagert heutzutage den Gedanken Deutſch⸗
lands. Betrachten wir ihm näher, um Ihn beffer fennen
zu lernen — fährt der Verf. fort — und beſſer zu ber
greifen, waß zu ſeiner Zuruͤckweiſung auffodert.
Der Pantheismus verweigert Gott die Perſoͤnlichkeit,
um in ihm die Unendlichkeit zu retten. Was gewinnt er
dabei? Gott kann alsdann ſich nur in der Endlichkeit
verwirklichen, aber dieſe reicht zu jener Verwirklichung
nicht aus Mag das Unendliche das Endliche noch fo
fehr vervielfälttgen, e6 immer vollkommener hervorbringen,
das Endliche bleibt datum doch nicht weniger unfaͤhig,
Jenes zu enthalten, das Weltall wird ber Idee Gottes
doch nie adäquat fein: dee Widerfpruch iſt unldsbar. Die
Mannichfaltigkeit der endlichen Dinge iſt nie wahrhaft
unendilh; alle Häufung und Vergrößerung ber Begriffe
führt nur zum Unbeflimmten, aber nicht zum Unendlichen.
Bett ale unendlih ift alfo nie verwirklicht. So opfert
der Pantheismus die Perföntichkeit Gottes vergebens; er
koͤſt die Schwierigkeit nicht und fchafft taufend andere, Die
alle aus dem eben gerügten Widerſpruch entfpringen.
Wenn Gott nur in der Welt zur Eriftenz kommt,
fo wird ferner alles Übel der Welt zu tragiſchen Aben⸗
teuern des göttlihen Lebens. Der ganze Kampf des
menfchlichen Lebens, Schmerz, Furcht, getäufchte Hoffnung
und zulest der Tod iſt niche nur unfer Geſchick, fondern
Gottes: denn Gott ſetzt frin Leben aus allen unfern Le,
Yenstäufen zufammen und vereinigt in dem feinigen alle
unfere Leiden. Das Seufzen der Creatur ift nichts Ande⸗
es als Sottes Stimme Es iſt wahr, dad Chriſtenthum
predigt auch einen leidenden Gott; aber feine Leiden tom:
men von unferm freien Kalle und nicht von. ihm felber;
er kennt fie nur durch Mitleiden, und «6 gelingt ihm, ih⸗
nen ein Ziel zu fegen. Im Panthefsmus aber haben
Diefe Leiden Gott zum Urheber, und noch dazu ohne
Zweck; eingekerkert in die Endlichkeit, wird er nie den
Traum der Unendlichkeit, ber ihn peinigt, verwirklichen.
Pie wird Hegel's Bott den Durſt nach fi ſelber loͤſchen.
Nicht das Weltall wird geabelt, [ordern Sort wird degradimt.
Das Soſtem fcheine uns mit Gott zu beraufchen,
ihn an alte Dinge zu verſchwenden; in Wahrheit aber
verbergen ihn die Dinge ebenfo wol, als fie ihn offenba=
ven; fie find nicht fein Antlis, fondern feine Maske. Die
Welt it leer von ibm felber und nur voll von feinen
Phantomen. |
Und was fprechen wir überhaupt von Gott. Er ifl
nicht in dieſem Syſtem, fein Sein ift nur ein Werben.
Allem Werden aber muß eine Permanenz au Grunde lies
gen. Unter dem Mannichfaltigen, Worubergehenden muß
ein Unbeweglihes, ein Ewiges ruhen. Das Endliche
faun dies nicht fein, das wechfeft in unaufhoͤrlich; das
Unendlihe im Endlihen auch nicht, das iſt in unauf
hoͤrlicher Umgefialtung begriffen. So ift das Einzige,
was fubfiflire, ohne fih zu verandern, das Unendliche
als ſolches. Dies aber ik im Spitem keine Wirklichs
£eit, es iſt eine leere Abfteaction, ein Nichte. Dies if
ba6 ‚traurige Geheimnif, das. wir endlich entdeden. Dies
die Trauer, die die Melt unter all ihren glänzenden
Außenfeiten zu verbergen fi abmüht. Aus dem Nichts
geht Alles hervor, in den Abgrund des Nichts ſtuͤrzt Al:
les; feine fheußlihe Nacht huͤllt Alles ein. Dies ganze
Syſtem, in all feinem priefterlihen Schmud, mit aller
Salbung feiner Worte ift, beim Lichte befehen, nichts ale
ein Atheismus vol Emphafe.
Die fittlihen Sonfequenzen biefes Syſtems find leicht
zu sichen. Gott, wenn er überhaupt etwas wäre, waͤre
aur ein umerbittlihes Verhaͤngniß, graufam vor Allem
gegen ſich felber. Bei bdiefem Fatalismus kann es feine
Freiheit mehr geben, fein Gutes und kein Böfes; mit
der Apotheofe der Menfchheit find alle Leidenfchaften ale
göttliche Kräfte geheiligt.
Nach diefer Darftellung drüdt der Verf. (und bieram,
außer dem Idiom, faft allein erkennt man den Sranzofen)
feine Verwunderung nicht darüber aus, daß den Deut:
ſchen fein unperfönlicher und abfiracter Genius, feine Zaͤrt⸗
tichkeit gegen die Natur, fein Inſtinct fürs Unendliche
diefee Weltanfhauung zugetrieben, daß „in den Wäldern
Schwabens und bes Harzes, wie in ben Dainen Indiens,
mehr ale ein Schwärmer fich in die geheime Nacht vers
tieft hat, feinen Bott zu ſuchen“; fondern darüber, baf
das Syſtem fogar „einen Einfall nah Frankreich“ ges
macht, und es werben berfelben Weltanfiht die humani⸗
er 0. 5
taicen Träume Beranger’s, der Kall der keuſchen Mufe
Lamartine's, und die „Lelia“ der George Sand Schuld
gegeben.
Dann fährt der Verf. im loͤblichen Zone nüchterner
Betrachtung wieder fort: Wenn ein Ircchum dem Aus—⸗
dund dee Gelſter foffele.und ſich unter die Maſſe derbreis
tet, fo verbirgt er ficherlich irgend eine große Mahrbeit,
. deren Zeit gefommen iſt. Wir können hinfort unmoͤglich
mehr an einen Gott glauben, der gettennt von ber Welt
und durch fie dornirt iſt, wir können in der Geſqichte
nicht mehr eine pur menſchliche Begebenheit, dem Eigen⸗
finn indivfduellerr Willendanſtoͤße preisgegeben, ohne Geſetz
mb Bermumft, erblicken. Wir koͤnnen mit einem Wort
dem endlichen Gotte und der gottentbehrenden Welt des
Deismus nicht mehr Raum geben. Die Menſchheit hat
es begriffen, daß fie goͤtttichen Ueſprungs iſt; daß Gott
tebt und ſich in ihr offenbaren will. Zu gleicher Beit, als
6 Altes dem nämfichen Ziele zuftcebte, zeigt und der ort:
ſchritt dee MWiffenfchaften überall in der Natur Leben und
Vernunft; das heißt abermals Gott. Nun iſt es vorbei
mit dem Deismus; wir haben binfort daß tiefe Bewußt⸗
fein der Immanenz Gottes. Nun war aber bie Idee des
perſoͤnlichen Gottes bisher immer mit Deismus vermengt.
Es mar alſo natuͤrlich, daß man im erſten Cifer der
Reaction nichts mehr von Ihm wiſſen wollte, daß mar ſich in
die entgegengefehte Übertreibung warf. Aber wir können
in ihe ums nicht beruhigen; wir ſuchen einen perfönlidyen,
von der Welt ſich unterfcpeidenden Gort, wie ber des
Deismus; aber er foll zugleich univerfell und Immanent
fein wie der des Pantheismus. Diefe Umgeſtaltung der
Keen von Bott, der Welt und ihrem Verhaͤltniſſe zus
einander regt alle Kragen der Wiffenfhaft auf: fie iſt die
Kriſe, weiche den Geiſt in Europa heutzutage bewegt und
beunruhigt.
Was noch weiter in dem Aufſatze folgt, iſt der Dar⸗
ſtellung des orthodoxen UÜberwurfs geroidmet, den ſich die
Hegel'ſche Philoſophie als Theologie umwarf, und den
ihr Strauß, deſſen Redlichkeit deswegen gelobt wird, ab⸗
gezogen hat; ferner verbreitet ſich dieſe erſte Abtheilung
über dieſen Theologen ſelbſt, dann Über die „Halliſchen“ und
„Deutfchen Jahrbücher”, und ſchließt mit einer Schilderung
von Bruno Bauer und Feuerbach. Damit glaubt r die
Entwickelung ber Hegel’fchen Schule gezeichnet zu haben.
„Der Meifter hielt durch feine Vorſicht den gelehrten
Jerthum in Schranken. Strauß leugnete Chriftus, Him⸗
mei und Unfterblichkeit. Die „Deutſchen Jahrbuͤcher“ ſtri⸗
chen den Namen Bott aus, der nach alle dem nur ein
laͤſtiger Überflug ſchien. Auf jedem Schritte dieſes trau⸗
rigen Weges begegnen wir einer neun Ruine; am Ende
iſt uns nichts uͤbriggeblieben als eden das Nichte. Diefe
Kritik iſt nicht die meinige; die Geſchichte ſelbſt hat «6
äbernommen, das Urtheil zu fällen.‘ *) 44,
2) Ein
zweiter Artikel über Schelling folgt im nächften
Monat. , D. Red.
Unterbaltungsliteratur.
1. Zu fpät. Eine Skizze aus der gegenwärtigen Zeit. Aus
dem Hollaͤndiſchen. Berlin, Worin. sa. Gr. 8. 1 Zir.
Es findet ſich in biefem Buche nicht die bunte Mannich⸗
faitigkeit Spindter’s, wicht die markirte Zeichnung wie bei Bin
menbagen, nit das ausgefponnene Raifonnement wie bei Tiech
nicht das Echömpeitöbetait wie bei Elauren, micht bie lieben
würbige Redfeligkeit wie bei Lafontaine — und doch iſt die Ges
ſchichte gut erzählt und das Ganze intereffant gehalten, Alles
einfach, natuͤrlich, kunſtlos. Dan finder hier die gewoͤhnlichen
Motive der Novelle, sin Ball, eine Unpaͤßlichkeit, eine Babes
reife, ein Spaziergang, ein Feldzug und eine Schlacht im Pins
tergrunde; aber aus biefen gemöhnlicdyen Greigniffen iſt ein
fo teicht vermebtes Ganze geworden, daß wir uns wirklich ges
fefjeit fühlen. Wenn die Verf. in bem Vorworte fagt, fie
wolle gern der Frauen Würde heller ins Licht fegen, fo ift ihr
das wirklich gelungen. In einge Seit, wo bie Mobefchriftfte
fih’8 zum Aufgabe machen, die vaffinictefte Bosheit und Gr
lichkeit zu glorificiven, wo die Millften und tiefften Myſterien in
Erzählungen profanirt und ſchamlos der Hülle beraubt werben,
wo das leichtfertige Raifonnement Über die hoͤchſten und heilt
ken Intereſſen des Lebens für pilant gilt und mobern heißt —
da ift es wirklich ebenfo erfreuend als wohlthuend, ein Buch zu
finden, welches an diefer falfchen Größe und an biefem falfchen
Ruhme nit im entfernteften Theil hat. Wollte man hieraus
ofolgern, die Verf. fei mit dem Leben und unferer Gegenwart
wenig belannt, fo wird man vom Gegentheil überzeugt, wenn
man die Perfon des Militairarztes, eines Mannes nad) moder⸗
nem Schnitt, genauer betrachtet; des meint zum Exempel, bie
Treue der Frau fei ein Opfer, das ale ihre Liebens wuͤrdigkeit
vernichtet, ſodaß fie dann einem gefangenen Vogel gleiche, der
dad Singen verlemt und, um fidy beißend, befländig gegen den
Käfig fliegt. Die Verf. bat wirklich die verichiebenften Chancen
bes menſchlichen Lebens und Derzens durchdacht und durchlebe
und weiß ihre Gedanken in eine recht fließende Form zu gießen.
&o fagt fie einmal ebenfo wahr als ſchoͤn, ber Schmerz muͤſſe
wol ein Bamitienzug des menſchlichen Geſchiechts fein, denn
Viele, bie ſich zuvor nie ale Brüder oder Schweſtern erfennen
wollten, umarmen ſich im Leibe. So fagt fie ein»
mal von ber Freude, daß viele Menſchen foberten, bie Zreube
folle auf fie nieberregnen wie ein Strom; die irdifche Gtüds
feligkeit fliege aber nur tropfenweife und darum genießen Bidle
nichts, weit fie Alles genießen wollen. 218 echte Menſchenken⸗
nerin fpricht fie über die Manier mancher Maͤnner, ben Frauen
burch Unterwerfung gefallen zu wollen; die hochfahrendſte Frau —
und dem ift gewiß fo — koͤnno nur dem Manne ihre wahre
Liebe fchenken, der vermögend wäre, ihren troßigen Geiſt, m
Vernunft freiih, feinem noch feftern Willen gu umterwirfen.
Wie volllommen recht hat die Verf., wenn fie von der Eitel⸗
teit fagt: „Wer weiß nicht, wie weit fi der Ginfluß biefer
Grundſchwaͤche verſteckt; fie verkleidet fih in alle Geflalten,
mifcht ſich in alle Gedanken, drängt ſich in jede Handlung;
aber ihre Art tft verſchieden in beiden Gefchlechtern
Grad tauſendfach. Mer fie ganz zu überwinden vermoͤchte, ber
wäre der wahrhaft Weife, der wahrhaft Gute, der. wahrhaft
omme.“.
u Somit glaubt Ref. hinlaͤnglich bewieſen zu haben, daB dies
Buch nad Form und Inhalt ein durchaus vortrefflidges fet.
Solche Producte möge man immer aus ber Fremde holen, wenn
die Heimat mfähig iſt, fie hervorgubringen. Gomwie man wei
von manchen Stomanen fügt: ia märe ne le donnera gas & ie
fille, fo darf man von diefem Buche mit vollem Rechte fagen:
La mere le donnera à la fille.
2, Memoiren eines Edelmanns. Bon 8. Schubar. Zwei
Theile. Berlin, Heymann. 1843, /Gr. 12. 2Ahir. 10 Rgr.
Sn Nr. 362 d. Bl. f. 1842 Fündigte Ref. ein Buch von dem⸗
felben Verf. an, nämtich „Memoiren eines Berurtheilten”', welches
satfernt an „Les dermiens joars Yun sendmand" von Mister
Ingo: erinnert. Daß vorliegende Werkchen beweiſt, daß ber
Bırf. im Fortſchritt begriffen iſt. Er hat wirklich Geſchick, mit
ein paar Bihgen und ichen Eharaktere und Gitustionen zu
zeichnen, und feine Arbeit hat den Vorzug großer Leichtigkeit;
iadeß im zweiten Theile feheint dieſe Leichtigkeit zur tigkeit
zu werden, fo loder wird das Gewebe und die Verbindung.
Ob diefen Memoiren eine bürgerliche Perſoͤnlichkeit zur Folie
dient, oder ob der Verf. nur dieſe Form waͤhlte, können wir
nicht entfcheiden; aber ein tiefer pſychologiſcher Halt ift in dem
Ganzen nichts es ift mehr Einzeines aneinander gereiht, denn
daß Eins aus dem Anden entwidelt wäre. Die Geſchichte
fpielt geoßentbeils in England und bie Form erinnert an bie
Manier englifher Autoren, obwol dem Werkchen durchaus bie
pꝓſychologiſche Ziefe und das Gemuͤth Bulwer’s fehlt. Vielleicht
wird der Verf. in feinem naͤchſten, Schon angekündigten Buche
weniger das Aufiere des Lebens als bas Innere zum Gegen:
Jande feiner Darftellung machen, das heißt, er wird vielleicht
mehr Leben als Begebenheiten geben. Damit würde ex zugleich
aus ber Sphäre ber bloßen Unterhaltungsſchriftſtellerei heraus:
treten. .
3. Der nme Abrecht Dürer, ober Leben, Thaten und Aben:
- teuer eimes Künftters. Komiſche Biographie von Irenaeus
Zubieute. Manheim, Schwan und Big. 1842. 8,
Nr.
Dee Verf. bat fi, wie ex felbft angibt, im komiſchen Ro:
man, oder vielmehr ir der komiſchen Biographie, verſucht. Es
bericht wirklich sine zroße Unklarheit und Verwirrung der Bes
griffe von { und humoriſtiſchem Roman und von Sa⸗
tire. Der Cutminationspunkt des Komifchen Liegt jedenfalls im
geiftreihen Scherz; das Komiſche bringt die verfeblte Idee in
heiterer Form zur Anſchauung, ohne Hinweiſung auf ober ohne |
über das Verfehten. Daher kommt es, daß der nies |
Kenerion
dere Sinn ſich nur am Scherz freut; der höhere ahnet bie tie⸗
fere Bedeutung. Dad Kennzeihen des Humoriftiichen ift, daß
das tiefe Gefühl über bie nicht erreichte Idee darin hervortritt,
freilich nicht als reiner Schmerz, fondern als ein gemifchtes
Gefühl, als ſchmerzliches Lächeln eigentlich. So find Dean
Paul's Romane humoriftifche, gleichwie die Sterne's; in beiden
finden komiſche Figuren und komiſche Situationen. Das
eigentlid]‘ Humoriftifche liegt von ber Satire weit abs aber das
Komiſche fixeift an die Satire, ober wird als Satire hingenom⸗
men, fobald das Perfonal fi in Zeitideen bewegt, Beitinterefs
fen zu den feinigen macht, mit einem Worte der Gegenwart
angehört; Tieck's phantaſtiſche Maͤrchen find atfo keine Satiren.
Zn diefer Rädfiht iſt die vorliegende Biographie keineswegs
ein komiſches, fonbern ein zein fatirifches Wert. Die Komil
würde eine reichere Erfindung fodern; die Komik verlangt fere
ner eine leichtere Bewegung, eine mannichfaltigere Gruppirung,
eine ſchaͤrfere Individnaliſirung, eine geiftretchere Sprache, einen
fets fertigen Wit; das find aber Erfoperniffe, die in einem
Individuum felten zu einer fo fihönen Vereinigung zuſammen⸗
fimmen, daß ein wirklich gebiegenes Wert zu Tage Tommt.
Der Berf. Bed vortiegenden bat einen Anlauf zwe Gatire ge
nommen. Gatirifche Werke ſcheinen mic vor allen jeht zeit
gemäß zu fein. Es liegt wirklich ein reinigendes Efement barin
u ein erfriſchendes Den, der bie Stagnation in ben ver;
ſchledenen Partien des Leben umſichgreifen fiebt. Wenn bat
ein Deeanimm ſolch eine Legion von Menſchen geſehen, die ſich
für große Dichter — politifche Lieberbichter, dramatiſche Dich⸗
ser, was weiß ich fonft Alles —, für große Redner, ‚Beiden,
Patrioten, Künftler und dergleichen hielten, ohne weder bas
Mine ober Dad Andere gu fein. Mas fol man anfangen mit
dem fich breit machenden Kunſtenthufiasmus, mit dem Hohl⸗
reifen in ben Stänbelammern, mit dem ſelbſt fabricitten Ruhm
Ser fogenannten großen Männer, mit der Donquiroterie ber
großen Theologen, Gtraußianer, Degelianer unb wie man fie
zennen fol — uifficlle est satiram non seribere, das heißt:
Das Gatirenfchreiben laſſe wer's kann, fagt Goras. Das vor⸗
Vegende Beine Buch kommt mir por wie bie Gchrift eines
und Sohn. 18. 8 Nor.
Mannes aus dem Publicum, welcher ſich wehrt gegen alt bie
falſche Groͤßte, bie mon ihm auffchwaten will, ber lange ftig
dazu war, der aber endlich einmal Iosfchlägt. *
Der Berf. war in Gefahr, die Zeichnung der Hauptperſon
bes Malers Adrcht Dürer, fo zu outriren, daß es ein Inbis
viduum fürs Rarrenhaus, nicht aber für die menfchliche Geſen⸗
ſchaft geworben wäre; aber je weiter die Begebenheiten verlaus
fen, um befto wahrer tritt Duͤrer's Perfönlichleit heraus. Eine
ſehr gelungene Figur iſt namentlich ber Dichter, ber, wenn er
in epiſcher Stimmung ift, in Hexametern, wenn er in ibpifb
fher Stimmung ift, in Jamben ſpricht und keinen Tag Ruhe
hat, bis eig Gedicht zur Weit befoͤrdert if, wie ein gute® Huhn
tögiih ein Gi legt. Die Proben diefer Dichtkunſt müßten wol
etwas pifanter fein. Cine andere gut gezeichnete Figur iſt bar
Bürgermeifter von Stinkewit, welcher zum ſtaͤndiſchen Depus
tirten exwaͤhlt wird und fi mit Hülfe eines Redacteurs und
eines Malers in öffentlichen Blättern felbft verherrlicht; die
Apoftrophen an den Deputirten, der noch über O'Connell geſetzt
wird, find recht ergöglich. Als vorzuͤglich gelungen bezeichnen
wir die Gcenen aus der Stänbenerfammlung, wo über die Am
lage von Gifenbahnen bebattirt wird; wir vermuthen, daß der
Berfaffer an diefer Stelle Portraits gibt. Hieran reiht fi die
Berufung des Profeſſors Großvogel ( Strauß) zum Pfarramte,
eines Mannes, ber, wie ber Verf. fagt, durch fein Buch das
morſche Band ber chriſtlichen Kirche erſchuͤttert hat und wid,
daß die Welt an ber Milch ber Vernunft fi groß und frei
fauge, dee die Dummheit für die einzige Günbe bie zur
Verdammniß führt erkidrt, der flatt der Bibel feine Dogmarif
einführt und fagt, man möge ſich nur ſchnell ein Cremplar
kaufen, da der Buchhändler melbe, die Auflage fange ſchon an
vergriffen zu werden. Daß der Berf. der Gegenwart wie ein
Tebendiger angehört, fieht man, wenn er fagt: „„Da leb' Einer
einmal in dem Himmel der Kunft, wenn bie Flamme aus ber
Sorgenbölle der Erde labernd heraufſchlaͤgt. Auch zur Bidte
der Kunſt gehört ein goldenes Zeitalter, wenigftens ein filbernes.‘
Dber ein ander Mal fagt er: „Deutfchland iſt der Bater, der feir
nen Kindern, und zwar ben vorzüglichften, flatt des Brotes
einen Stein bietet, und auch ben erſt, wenn- fie tobt find.
Nun fie dahin find, kümmert ſich alle Welt um fie und thut,
als wolle fie den Segen und ben Ruhmesglanz besahlen, der
ſich von jenen über Alle bin ergoß. Statt des Brotes einen
Gtein, das ift die Loſung, und darauf thut man ſich noch viel
zu gut.“ 29.
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her. Uſtes Bändchen. (Die new Komödie) Win, Laute
553 \
weig, Bierweg
euer un Dabin! Bemtfäeten an ben dem Dagier
ce \ p 6: ne D . gr.
X Richter Ele Befchworner? ober: Geſchwornengerichte
mit Muͤndlichkeit, Öffentlichkeit und Anktage. In Briefen von
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zarifches Comptoir. Gr. 8. 15 Nor.
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dem Drachen, eine altdeutfche Gage. Nebft einem Anhange
über den Werft des germanifchen Heidenthbums und die Bebeus
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Lauvergue, H,, Die letzten Standen und der Tod
in allen Classen der Gesellschaft, aus den Gesiehtspunkten
der Humanität, der Physiologie und der Religion betrach-
zwiſchen bem Beamten, dem
tet. Prei nach dem Französischen b#arbeitet, 3 Bände.
Leipzig, EB. Fleischer. 8. 3 Tur. 15 Ngr.
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durg mit Angabe der Branpfkätte und 16 Standanflchten.
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richtsweſens in Wuͤrtemberg in ditern Zeiten. Um, Wagner.
1842. Gr. 8. 15 .
Navenflein, A, Die Turnkunſt in ihrer fitttichen Ride
tung, als Befoͤrderin edler -Sefinnungen und vaterländifcger Zu«
genden. Grwachfenen Zurnern 'ais ein freundlicher Wegweiſer
zu ihrer Selbſtveredlung, Behörden, Scyulmännern und Freun⸗
ben ber Zurnkunft aber als ein Beitrag zur Würbigung der
moraliſchen Bebeutung biefes Bilbungsmittel® gewidmet. Frank
furt a. M., Jäger. 1842. 16. 3%, oo.
Zwei Reden über die Erhebung der niebern Volkeclaſſen
Frei nad ben Vorträgen bed Hrn. Channing, gehalten im
Jahr 1840 in ber Halle des Arbeitervereins zu Foſton in Horde
amerita. Zürich, Literarifches Somptoir. Gr. 8, 9%, Near.
Politiſches Rundgemälde, oder Beine Ghronil des Jahres
1842. Für Lefer aus allen Stänben, welche auf die GEreigniffe
ber Zeit achten. Leipzig, Feſt. Gr. 12. 121, Nor.
Sand, G., Horaz. Aus dem Pranzöftichen von W. ®.
Weiche. Zwei Theile. Leipzig, Kollmann. 8. 3 Chir. 7,
ab Beieg. Cine Sikeriflr drjäfuung incl Kjele, Biete
u eg. ine Hiftorifche lun wei
Kollmann. 8. 2 Thlr. 15 a i
Schelling's Dffenbarungsphilofophie und bie von ihen bes
kaͤmpfte Religionsphilofophie Hegel’s und ber Junghegelianer.
Drei Briefe. Berlin, Springer. Gr. 8. 7%, Rar.
Selbſtbiographie des HufarensÖberften von .... pP ober:
meine militairifche Laufbahn im Dienfte Friedrich's Sinzis
gen. Aus deflen Hinterlaffenen Papieren berausgegeben. Zwei
Theile. Leipzig, Kollmann. 8. 2 TIhlr. 15 Nor.
Stöber, A., Gefchichte der ſchoͤnen Literatur der Deut
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Über einen Haupttheil des Gefaͤngnißweſens, aus Prinet:
FL G. von Rennenlampff. Oldenburg, Grhuige.
. , Agr.
Über Vermögen und Cicherheit des Beſiges. Gelpraͤche
eiheren und bem Kaufmann.
Stuttgart, Cotta. Gr. 8. 2 Ihlr. 7% Rgr.
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Mart. Lappenberg. \ster Band. Mit einer Karte und au-
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Balſh, Graf T., Vierzehn Tage in Rom, oder Graf
de la Ferronnays und M. X. Ratisbonne. Aus dem Brand
ſchen überfept und mit einem Vorworte verfehen von E. Vogt.
Tuͤbingen, Laupp. 8. 12%, Nor.
Beil, A., Sittengemätde aus bem elſaͤßiſchen Volksleben
Ropellen. Stuttgart, Franckh. 8. 2 Thlr.
Werners, F. &., dramatifche Merle. Iftes bis AMtes
Bändchen: Bünf Brautwerber um eine Braut. Luſtlpiel iq
5 Acten. Warasdin 1842. Gr. 16. 1Thlr.
Binter, Amalte, Memoiren einer Unvermaͤhlten. Leip⸗
zig, Kolmann. 8. 1 Zbhte. 7, Nore
Berantwertliger Herausgeber: Heinrih Broddaus. — Drud und Berlag von $. X. Brockhaus in Eripzig.
— — - — — — — —
Blätter
® für
literarifbhe Unterhaltung.
Sonnabend,
25. Mär; 1843.
Über Phrenologie.
Grundzüge der Phrenologie oder Anleitung zum Studium biefer
Wiſſenſchaft. Dargeftellt in fünf Vorleſungen von R. R.
Roel, Esq. Zwei Abtheilungen. Nebfl zehn Steindruck⸗
tafeln. Dresden, Arnold. 1841 —42. &r.8. 2 Ihr. 15 Nor.
Wunderbar find oft die Schidfale mancher Menfchen:
werte und Ideen! Gteih dem Samen mandyer Pflanzen
fhlafen fie oft Jahrhunderte, ohne ihre Keimkraft zu
verlieren, bis der günftige Augenbiid naht, der ihr laten⸗
te6 Leben wieder ins Dafein ruft. Freilich darf es am
Leben felbft nicht fehlen, denn was todtgeboren ift oder
bei der Geburt den Keim des Todes in fi trägt, kann
auch beim waͤrmſten Sonnenſtrahl nicht mehr erwachen.
Lange hatte gegen Ende des vorigen Jahrhunderts
der geniale Gall die Idee ſeiner Schaͤdellehre mit ſich
herumgetragen, lange menſchliche und thieriſche Gehirne
zergliedert, Vergleichungen angeſtellt, Schaͤdel geſammelt,
mit einem Worte, ſich in den Beſitz einer hinreichenden
Summe von Erfahrungen geſetzt, bis er es wagte, mit
feinem neuen Spfleme vor das größere Publicum zu tre⸗
tn. Sa, indem er e6 that, beapfichtigte er dabei noch
Die. größere Vervollkommnung befjelben, indem er zugleich
Betig fortfammelte und die Grundfäge feines Syſtems
wifienfchaftlich gebildeten Männern felbft zus Prüfung
vor Augen legte; benn er begann fein Werk nicht mit
fehriftlicher Veröffentlichung, fondern er bereifte die groͤßern
Städte Europas, hielt Öffentliche Vortraͤge, beſprach fein
Thema mit Männern vom Fache und entzog fich keines:
wegs den Zweifeln und Einmwürfen, die ihm von diefen
gemacht wurden. Eine folche muͤndliche Verbreitung wis
fenfchaftlicher Segenflände von Drt zu Ort war damals
eine ganz neue Erfindung, und obwol die Neuheit der
Sache wol viel zum Gelingen beitragen mochte, fo würde
ſich dech Gall bald in feinen Erwartungen getäufcht ge:
ſehen haben, hätte ihr niche etwas Wahres zum Grunde
gelegen. Das ganze Gebäude ber Schädellehre, wenn
man ihm den wiſſenſchaftlichen Boden nimmt, bietet dem
Hohn und der Satire fo viele ſchwache Selten dar, daß
man den neuen Schäbelpropheten gewiß bald mit Zigeu:
mern und Chiromanten in eine Claſſe gefegt und verlacht
haben würde, hätte man in feiner Lehre nicht den tuͤch⸗
tigen Keim erkannt. Statt Verhöhnung wurde ihm allent⸗
halbben die ausgezeichneifie Aufnahme zu Theil. Man
achtete in ihm den wiffenfchaftlich = gebildeten , geiſtreichen
Mann, insbefondere den guten Anatomen und ſcharfſichti⸗
gen Naturforfher und hielt es keineswegs unter feiner
Würde, feiner neuen Lehre die regſte Theilnahme zuzus
wenden. Zwar fehlte e6 damals, wie jest, bei dem Auf:
tauchen einer neuen Erſcheinung aud nicht an dem mitz
laufenden Troß ſolcher Menfchen, die fich der Sache ale
ein gerade zur Mode gehörendes Spielwerk bemädhtigten,
an jungen Herrchen, die fi als Kenner und Birtuofen
in Beraftung der Köpfe ausgaben, an Frauen und Maͤd⸗
hen, die fi gerne die Köpfe betaften ließen oder zum
Schein einen nah Gall bezifferten Schädel in ihrem Zim⸗
mer aufitelten; für ſolche Herabwuͤrdigung zum Spiel:
were wurde aber Gall wieder hinreichend entſchaͤdigt durch
den Beifall ausgezeichneter Ärzte und Naturforſcher, un:
ter denen namentlih Reit, Dufeland, v. Walther, Bi:
(hoff u, U. ihre Theilnahme an ber neuen Lehre öffent:
lich ausfprachen.
Indeſſen war man in Deutfchland im Allgemeinen noch
weit davon entfernt, die Wahrheit des Gall'ſchen Syſtems
allenthalden anzuerkennen, vielmehr erhoben fi) dagegen
mancherlei Einwendungen vom anatomifchen, phyfiologifchen,
philoſophiſchen, moralifhen Standpunkte und der Stims
men dagegen waren vielleicht mehr als dafür. Wie jest, fo
wurde auch ſchon damals den Gegnern vorgeworfen, daß
einem Spfteme, das feine Baſis in der Erfahrung habe,
rein theoretifche Einmwürfe und Gegengründe nichts ans
haben könnten und daß man, um Gall zu beftteiten, ſich
mit Ihm auf gleihen Boden begeben und Natur und
Beobachtung zu Hülfe nehmen müfje, eine Foderung,
weicher freilih nur Wenige genügen konnten und mochs
ten; denn wie ſchwer es iſt, bier zu einer nur einigers
maßen genügenden Kenntniß zu gelangen und ſich dazu
die Mittel und die Gelegenheit zu verfchaffen, läßt ſich
leicht ermeſſen. Die meilten Gegner befchränkten ſich
Daher darauf, dent Syſteme entweder nur theoretifche
Gründe entgegenzufegen oder aus ihrer beſchraͤnkten Er⸗
fahrung nur einzelne damit in Widerſpruch ftehende Fälle
und Erſcheinungen aufjuflellen, die für ſich allein das
Ganze niche umzuſtuͤrzen vermochten und deren Beweis⸗
kraft man ſchon dadurch Leiche entkräften konnte, daß
man zugab, das Syſtem habe allerdings im Einzelnen
noch Lüden, über die Eyiftenz mancher Organe am Schaͤ⸗
" 334
.
dei walteten namentlich noch Zweifel ob u. f. w., damit
fei aber feine Wahrheit. im Allgemeinen noch keinesſswegs
gefaͤhrdet. |
So fand ungefähr die Sache, als Gall fein Vater:
fand für Immer verließ und, nachden er Frankreich und
England in Begleitung feines Schülers Spurzheim durch⸗
reift und in beiden Ländern fait noch größere Theilnahme
für feine Lehre erregt hatte als in Deutfchland, fid in
Paris niederließ. War ed, daß ihn feine Aufnahme in
den vorzuͤglichſten Städten Deutſchlands nicht befriebigte,
oder wollte ec erſt ſich einer größern Anzahl von Stim:
men für oder gegen feine Lehre bei verfchiebenen Natio⸗
nen verfihen — er fchien bis jegt von alten Einen:
dungen, die ihm in Deutfchland dagegen gemadt worden
waren, feine Notiz genommen zu haben, ja, er fchrieb
von nun an keine Zeile mehr in deutfcher Sprache. Erſt
in Ftankreich fing er an, die gegen fein Syſtem gemach⸗
ten Einmwürfe möglihft zu entkraͤften, es felbft aber in
einem größeren. Werke vouftändig darzuftellen. Hatte er
aber früher feine Landsleute ignorirt, fo ignorirten dieſe
nun ihn; denn obwol jenes Werk ind Deutfche Üübertra:
gen worden mar, fo blieb doch, mit Ausnahme von we⸗
nigen Anatomen und Phufiologen, das größere Publicum,
das ſich früher fo lebhaft für die Sache intereffirt hatte,
fehe kalt dabei. Alles Reden, Schreiben und Streiten
darüber hatte ein Ende, die alten Anbeter und Anbete:
einnen hatten fich verlaufen, die bezifferten Köpfe wander⸗
ten in die Zrödlerboutiqguen und ihre Formen als Dün:
ger auf die Felder, die ſchoͤnſten Köpfe zum Studium
und zur Betätigung der Organeniehre gingen unbefehen
und unbetaftet vorüber und die mit dem Mord: oder
Diebsorgane Begabten konnten ſich ungefheut wieder
in den erflen Gefelfchaften fehen Iaflen, ohne daß nur
ein Bli auf fie gefallen wäre; ja, felbft die Maͤnner
vom Fache, die fih früher als eifrige Anhänger und
Vertheidiger der Sache aufgervorfen hatten, fprahen —
auch nicht ein ſtummes Wort mehr darüber. Und fo
blieb die Sache in Vergeffenheit bis auf den heutigen Tag.
Ein günftigeres Geſtirn ſchien über die neue Lehre
in $tanfreich und England zu walten, wozu ohne Zwei⸗
fel die perfönliche Gegenwart Gall’d und Epurzheim’s und
ihre länger fortgefegten mündlichen Vorträge nicht wenig
beitragen mochten. Zwar fing aucd da der allgemeine
Enthuſiasmus, mit dem fie anfangs aufgenommen worden
war, allmälig zu erkalten an und das Spiel, was damit
in Salons und kleinern Familiencirkeln getrieben worden
mar, erreichte, wie dies gewoͤhnlich zu geſchehen pflegt,
wenn fich die faſhionable Welt eines vwiffenfchafttichen Ge:
genftandes zur Kurzweil bemächtigt, bald fein Ende; das
gegen aber hielten im beiden Ländern einzelne Naturfor⸗
fer, Ärzte u. A. an der Sache feſt und fuchten fie auch
nad) Gall's und Spurzheim’s Tode noch weiter fortzubil:
ben. Sowol in Paris ale in London find ihr Viele noch
mit großer Anhänglichleit zugetban, und befonders iſt «6
bie an fegterm Drte fich bildende Phrenologiſche Gefells
ſchaft, die fie nicht allein vor einem frühen Untergang
bewahrt, ſondern auch Ihe Anfehen im Allgemeinen febr
bekräftigt bat. Ein, guter Kern muß in der Sache lies
gen, fonft würde fie weder ihren Begründer fo lange
überlebt, noch ein Aſyl in Rändern gefunden haben, wo
die Raturforfcher gewohnt find, mit prüfendem Blide
das Wahre yon dena Falſchen zu unterfiheiden und gegen
deutſche Beifteserzeugniffe cher zu viel als zu wenig mid
traͤuiſch zu fein.
Nahdem nun Gall's Schädellehre in Deutfchland
ihe Bürgerrecht faft verloren gehabt hatte und unter bie
abgethbanen. Dinge verwiefen worden war, wurde ihre
Wiedergeburt zuerſt wieder von einem engliſchen Arzte,
Namens GCombe eingeleitet, der im verfloffenen Sommer
darkber Bortefungen in Heidelberg hielt, die, Öffentlichen
Blättern zufolge, nicht allein von angefehenen Ärzten
und Naturforfchern diefer Univerfitätöflade beſucht, ſon⸗
den auh mit Beifall aufgenommen wurden. Ein
gleicher Beifall wurde den Borlefungen zu Theil, bie
Hr. Noel zu Anfang dieſes Jahres zu Prag über ben:
felben Gegenftand hielt und bier unter obigem Titel
veröffentlicht. Ob auch er ber britifchen Nation ans
gehört oder ein Deutfcher ift, wiffen wir nice. Wie
müffen das Erſtere aus dem Zuſatz: Esq. Hinter ſei⸗
nem Namen ſchließen, und doch iſt er mit unſerer Sprache
und unſern Zuſtaͤnden ſo vertraut, daß er fuͤglich auch
als Deutſcher gelten koͤnnte. Iſt er das Erſtere, ſo iſt
es jedenfalls eine ſeltene Erſcheinung, daß Englaͤnder eine
Sache, die urſpruͤnglich deutſcher Abkunft, in ihrem Bas
terlande ſaſt undankbar vernachlaͤffigt und in Vergeſſen⸗
heit gekommen iſt, wleder bei uns einführen und zu Ehe
ven bringen müflen. Wir würden uns dieſer Erſchei⸗
nung zu fchämen haben, wenn fie nicht zum Theil iu
ber Schwierigkeit, die mit dem Studium und der Korts
bildung der Gall'ſchen Lehre verbunden ift, zum Theil
aber auch darin, begränder wäre, daß bdeutfche Raturfors
ſcher ihre Unzulänglichkeit und ihre ſchwachen Seiten fehs
her und beffer erfannt und fich daher nie zu einer Über⸗
ſchaͤtzung derfelben, wie fie ihr von einigen Franzofen umb
Engländern zu Theil geworden, haben hinreißen laffem.
Deshalb ſteht es aud noch fehe in Frage, ob es jenen
Männern des Auslandes gelingen werde, für fie bei dem
wiffenfhaftlihen Theil des deutfchen Publicums die Aufs
merkſamkeit und Theilnahme wieder zu gewinnen, bie ihr
in früheren Zeiten geſchenkt worden if.
(Die Bortfegung folgt.)
Forfhungen und Erläuterungen über Hauptpunkte ber
Geſchichte bes Siebenjährigen Krieges. Nach archivall⸗
[hen Quellen von P. F. Stuhr. Zwei Thelle.
Hamburg, Perthes. 1842. Sr. 8. 4 Thlr. LO Ngr.
Man denke fidy einmal die ehrenfeften Geſchichtſchreiber
Deutfchlands aus dem vorigen Jahrhunderte, ‚einen Adhenwall,
Zoze, Buͤſch, M. I. Schmidt, Batterer, Dohm, wie fie mit ſtu⸗
ler Sehnſucht vor den vergitterten Archivfchränten ſtanden, vie
unter fieben Siegeln verſchloſſenen Schaͤtze gar zu gern geöffnst
hätten und es als ein hohes Gluͤck betrachteten, wenn bem Eis
nen ober dem Anbern eine einzelne Urkunde Au Benuguntg ges
flattet ward. Wie ganz anders ift es jeht. Denn in fremden
tote in dentſchen Laͤndern find die Archive den Forſchern geoͤffact
— — — ·— — — —
— — — —
und die jetzigen Hiſtoriker, fin Sqhloſſer, Stengel, Raumer, Voigt,
Preuß, Ranle, Pert, Wait u. A. haben Reues und Wichtiges
im großen Überfluffe entdeckt, manche falfche Anficht berichtigt
und alte Irrthümer zerſtͤrt. Daher bringt es jetzt in Deutfch-
fand faft mehr Ruhm, eine undekannte Thatſache durch die Ar:
beit einiger Tage an das Piche zu ziehen, ats ein burch jahres
tanges Studium gevonnenes Refultat bekannt zu machen, wenn
alle darauf verwandte Mühe ſich nur auf Gedrucktes gründet,
gleihwie gewiffe Philologen nur ben codex meus wollen gelten
Ioffen. Aber mit Recht fagte Ranke, dem in ſolchen Dingen
eine befandere Stimme gebührt (.‚Diftorifdys politifcye Zeitfchrift”,
H, 666), daß, fo Löblih auch das Beſtreben unferer Zeit fei,
unbelannten Stoff berbeizufhaffen und neue Actenftüde aufzu⸗
fuchen, doc) damit gar nicht zu Ende zu kommen ſei, wenn
nicht der ſammelnden Ihätigkeit auch cine ausfondernde, der ans
nehmenden eine verwerfende zur Geite ſtehe.
Eine fotche umfangreiche Sammlung aus noch unbenugten
Quellen liegt jet vor und. Br. Stube ift in Paris gemefen
And hat durch die Güte und Freifinnigkeit des Generals Pelet
und der Vorſteher des Reichsarchivs ſowie der Bibliothek auf
dern Arfenale eine beträchtliche Anzahl von Handſchriften zur
Geſchichte des Siebenjährigen Kriegs einfeben können, auch durdy
Mignet aus dem Archive des Miniſteriums der auswärtigen An:
gelegenheiten, jedoch nidyt ohne fichtbares Widerfireben, Manches
von bedeutender Wichtigkeit mitgetheilt erhalten. Fruͤher (im
J. 1834) hatte ſchon Schloffer die parifer Archive benugt und
wichtige Entdeckungen aus denfelben in paffender Weife in den
beiden Bänden feiner „Geſchichte des 18. Jahrhunderts” an pafs
fenden Stellen angeführt. Aus dem faſt unüberfehlichen Reich:
thume an Stoff, deffen völlige Ausbeutung nah Hrn. Stuhr's
Berfiherung die Arbeit mehrer Jahre erfobert hätte, hat ber:
fetbe vorzugsweile aus den Handfchriften im Reichsarchive den
diplomatifhen Briefwechfel benugt, den Bonnac, franzoͤſiſcher
Sefandter in Haag, von 1752 — 63 mit Rouillée und ben frans
zöfifchen Gefandten Stainville In Rom, de la Touche in Bers
lin, Ogier In Kopenhagen und Broglie in Dresben geführt hat;
ferner aus den Ardiven de8 Kriegsminifteriums die Berichte
des Grafen Montazet aus dem Öftreichifchen, bie der Oberflen
Bietinghoff und Mesnager aus dem ruffifhen Dauptquartiere ;
endlich aus den Archiven des Minifteriums ber auswärtigen Ans
gelegenheiten die Berichte des Grafen Broglie, außerdem noch
andere, bie bier nicht alle namhaft gemacht werden koͤnnen.
Diefe Berichte, Privatfchreiben und militairifchen Correfpondens
zen hat nun Hr. Stuhr nit in eine Gefchichte des Siebenjäh:
tigen Kriege mit Herbeiziehung des Thon anderweitig Bekann⸗
ten verarbeiten wollm. ine ſolche Gefchichte jet Thon zu
Tdyreiben, hält er unmoͤglich. Dazu würde die ungehemmte Bes
nugung preußifcher, ruſſiſcher und anderer Archive nothwendig
fein, ferner die Privatcorrefpondenzen fürftticher Perfonen, mie
fie fihy in Weimar, Gotha, Stuttgart, Deflau, Bernburg, in
München, wohin aus Anſpach und Baireuth ein» Theil ber
markgraͤflichen Archive geſchafft ift, und in Koblenz und Düffel:
dorf aus den Archiven der Kurfürften von Trier, Koͤtn und von
ber Pfalz finden werden:
Hrn. Stuhr's Streben ift alfo dahin gegangen, Das,
was in den Quellen gefunden war, auch der Form nadh, infos
weit dies eine-gewiffe au beobachtende Kürze erlaubte, To aͤhn⸗
lich wie möglich wiederzugeben, bamit die urkundliche Farbe fo
viel ats möglich erhalten werde. Bein Buch zerfällt hiernach
in 33 Rubriken, bie meiſtens von der Veranlaffung zum Kriege,
von der Geſtchichte der franzöfifchen, oͤſtreichiſchen und zuffifchen
Armeen in den verſchiedenen Jahren des Kriege und von ben
VBerbättniffen der Reichsfürften und der Reichsarmee handeln.
In den Anmerkungen und in Iängern Beilagen find Dr
Auszüge in der Originalſprache mit großer Genauigkeit in Na
weifung der Actenftüde aus dem Archive des Kriegsminiſteriums
(Mignet verweigerte biefe Erlaubniß) abgebrudt worben, um
das Bedeutendere für bie Kritik noch Eräftiger zu erhärten.
Keuere Schriften Aber die Seit des Gichenjährigen Kriegs find
2
—4
hier und da angefuͤhrt worden, am meiſten bie von ben Offizier
ren des preußifchen Generalſtabes bearbeitete Geſchichte, Schioſ⸗
fer wird öfters widerlegt, fonft ift aber manches Bekannte durch
die franzöfifchen Berichte in ein helleres Kicht geftellt oder we⸗
nigſtens ficherer bewährt worden.
Des Rruen und Unbelannten ift unftreitig bier ein reich⸗
liher Vorrath geboten worden, wofür Br. Stuhr Dank unb
An.ctennung verdient. Wenn wir nun hinzufegen, daß wir
trogdem fein Buch nicht ohne einige Ermübung durchgelefen has
ben, fo liegt dies audy mit in den troftiofen Dingen, von denen
biefe Berichte handeln. Denn Eigennut, Langfamkıit, Eifer⸗
fucht, Halbheit der Gefinnung und Mangel an gegenfeitigem
Zutrauen veranlaffen die thätigen Männer zu den bitterften
Kiagen in den eleganteften franzöfiigen Formen und man ers
quickt ſich ordentlich an der gutbeutfchen Sefinnung der fo oft
gefhmähten Keichsarmee, deren Offiziere und Gemeine nur mit
Widerwillen die Waffen gegen Friedrich II. trugen. übrigent
find es vier Punkte, die für unfern Zweck eine nähere Befpres
Hung verdienen (der Gefchichtforfcher wirb natürlich alle einzel
nen Urkunden genau beachten müllen), erftens bie Veranlaffung
zum Kriege, zweitens bie franzoͤſiſche Diplomatie und Kriegfühs
rung, drittens die fchlaffe Verbindung der Ruſſen und Öftreie
cher und viertens die Nachrichten über die Reichgarmee und über
die Reichs fuͤrſten während des Siebenjährigen Kriegs.
Was den erften Punkt anbelangt, fo gilt derfelbe einer
Widerlegung der von Hertzberg nach deine H. Tode aufges
ftelten Behauptung, baß für den König im Jahre 1756 teine
Nothwendigkeit zum Beginnen des Kriegs durch feinen Einfall
in Sachſen obgewaltet babe. Mit Recht und Gluͤck hat Br.
Stuhr nachgewiefen, daß der König fi wirklich in der Noth⸗
wenbigfeit befunden habe, und dies zwar aus den Anfihten und
Urtheilen der Diplomaten damaliger Zeit, wie fie fich in ver«
trautichem Briefwechſel ausſprechen. Die Hauptfäge feiner Bes
weisführung find etwa folgende. Im 3. 1755 bereitete ſich
eine völlige Umänberung im europäifchen &taatenfofteme vor,
die Höfe ſchwankten und wankten überall in ihren Neigungen,
zwifchen England und Frankreich Eonnte die frühere Freundſchaft
nicht mehr beftehen, beide Mächte fuchten die Freundſchaft Frie⸗
drich’6 II. Die Ausfdhnung zwifchen Frankreich und Oftreich ab:
nete man 1755 noch nicht, nur Gerüchte gingen um, an allen
Höfen fanden biplomatifche Bewegungen ftatt, als fchon offener
Seetrieg zwiſchen England und Frankreich war. Zwiſchen Eng:
land und Preußen war am 16. San. 1756 ber Vertrag zu
Weſtminſter abgefchloffen, um bie deutichen Grenzen gegen das
Sindringen fremder und feindlicher Truppen zu fihern, body
boffte man preußifchers wie franzöftfcherfeit® noch immer auf
Erhaltung bes guten Bernehmens. Unterdeß hatte aber Kaus
nie die Annäherung zwiſchen Frankreich und ſtreich bewirkt,
die dem König Ludwig XV. perfönlich behagte, weniger feinen
Diplomaten, durch Öftreih war das engere Verhältnig mit
Rußland vermittelt, wo ber weltminfterfche Vertrag Iehe mis⸗
fiel. Auf die Nachricht vom Aöfchiuffe des verſailler Tractate
rüftete Friedbrih; feine Antwort an den Grafen Valori ift bee
kannt, daß, da von allen Seiten Ruͤſtungen gemacht würden,
es ber Kiugheit gemäß fei, auf feiner Hut zu fein, um nicht
überrafcht zu werden. &o warb Friedrich zum Einmarſche in
Sachſen durch feine Gegner gezwungen. Wan hat gefagt, er
fei im Irrthume befangen gewelen. Run ift allerdings au
nicht in den neneften Zeiten ein Beweis für die Behauptung eis
ner 1756 zwifchen Rußland und Öſtreich gefchloffenen überein⸗
funft zum Angriffe Preußens aufgefteltt worden, auch beruht
die Anficht franzöftifher Diplomaten, Friedrich habe ſich durch
England täufchen und zum Kriege bewegen laffen, auf keinem
beftinnmten 3eugniffe, wogegen fogar, wenn man auch annimmt,
daß das damalige engtifche Miniftertum einen Gontinentalkrieg
wünfchen mußte, eine fichere Nachricht die Abrarhung des engs
liſchen Cabinets nachweiſt — es bleibt alfo bie Vermuthung,
daß Kaunitz es geweſen ſei, der auf irgend einem Wege Frie⸗
drich II. die falſche Nachricht von dem bevorſtehenden oͤſtrei⸗
chiſch⸗ ruſſiſchen Angriffe Habe zukommen laffen, um ihn aufzu⸗
bringen und zu unuͤberlegten Schritten zu reizen, immer bie-
wabrfcheintichfie. WBeltlundig war aber, dab Kaunik in feinem
verftochten Gigenfinn einen andern Plan verfolgte al& den des
Sturzes der preußifhen Macht; in der diplomatiſchen Welt
gingen bie fonderbarfien Gerüchte um, durch bie Friedrich bes
wegt und aufgeregt werden mußte; wahrſcheinlich ift, daß Kau⸗
nie aud an bie Erneuerung der Madı ber Eatholifchen Kirche
dachte, wie denn ber Krieg in den oͤſtreichiſchen Staaten auch
von religidfer Seite aufgefaßt wurde, man jedoch es nicht war
en burfte, bies öffenttich auszufprechen, weil bie proteftantis
fen Reichsſtaͤnde und Rußland zu fehonen waren. Die Politik
Großbritanniens hatte dagegen ſchon laͤngſt religiöfe Momente
weit Öffentlicher in Bewegung gefest, fein Beftreben, Frankreich
durch einen Land» und Seekrieg zugleich zu ſchwaͤchen und das
Verhaͤltniß Preußens zu ſtreich in ten Verhaͤltniſſen zur Zus
Zunft und Vergangenheit, „die fih in zwei Dauptrichtungen
mannichfaltig burcheinander verfhlingend ſich gegenfeitig entzuͤn⸗
det hatten”, waren dir Urfachen bes @iebenjährigen Kriegs. Der
@inmarfh der Preußen in Sachſen fleigerte die Erbitterun
an ben Höfen zu Wien, Petersburg und Verſailles, namentlich
an bem erſtern Orte.
Die franzoͤſiſche Diplomatie und Kriegführung in biefer
Zeit zeigt ganz befonbers bie obengenannten Eigenf&aften, man
Tann bie Dentfchriften und Armeebefehle nidye ohne Berdruß
und Langıweile lefen und wird ſich nur daran erfreuen, daß fie
der glänzenden Thatkraft Friedrich's II. um fo beffer zur Folie
dienen. Gleich im Anfange des Siebenjährigen Kriegs wuͤnſcht
der Öftreichifhe Hof, daB Marſchall Ridyelieu gegen bie Elbe
und gegen Magdeburg vorgeben fol, Belle Isle, ber in Ber:
failed die Krlegsoperationen leitet, iſt damit einverftanden, aber
Richelieu bewegt ſich nur fehr langſam, fchließt ſtatt raſchen
Vorrüdens einen Neutralitaͤtsvertrag mit dem Herzoge von
Cumberland und unterhandelt mit Mecklenburg, Heſſen und
Braunfchweig. Ein ander Mat wird er angemwiefen, die Winter:
quartiere bis Halberſtadt auszudehnen, er thut es aber nicht
und läßt fig in die befannte Gorrefpondenz mit Friedrich II.
ein, verfpricht feine Vermittelung zu Unterhandlungen mit ſei⸗
nem Hofe, verhält fi) durchaus unthätig und ftatt den ihm
offenen Weg in die Marken und nad Berlin einzufdlagen, be:
grün! er fih Gontributionen einzutreiben und immer neue
chwierigkeiten zu erheben, bie ihn am Vorrüden und im fols
genden Sabre an ber Unterftügung Soubiſe's hindern. Ja, er
fließt am 17. Oct. 1757 eigenmädtig eine Gonvention mit
dem Herzoge Ferdinand von Braunſchweig zu deſſen Vortheile,
der man in Verſailles zwar die Genehmigung verfagt, jedoch
ohne Zeichen bes Misfallens, ohne Bemerkung über die militai⸗
riſchen Gründe zur Rechtfertigung berfelben, fondern blos da die
Politik es verböte, die Genehmigung zu ertheilen. Man weiß
in der That nit, ob man mehr die Balbheit des verfailler
Hofes oder die ſchmaͤhliche Kührung Richelieu's verdammen fol,
gegen deflen Benehmen feine eigenen Offiziere fo laut wurden,
daß Ludwig XV. ihnen verbot, Denkſchriften gegen den Herzog
einzureichen, weil er allein zu befeblen habe. Nicht anders ging
ed bei Soubiſe's Heere zu. Die Geſchichte feines Deerzuges in
den Monaten vor der Schlacht bei Roßbach und nach derfslben
iſt nichts als ein planlofes Hin⸗ und Herziehen, wo ſeine In:
fructionen dahin lauten, nichts auf das Spiel zu fegen, nicht
offenfiv zu verfahren, für bie Verpflegung zu forgen und gute
Winterquartiere zu beziehen. Bei einer ſolchen Berantaflung
konnte fogar Stainville, ber franzoͤſiſche Geſandte in Wien, an
Soubiſe fehreiben, daß, wenn er überhaupt glaube, ben vom
Kriegsminifter Yaulmy an ihm gelangten Befehlen geborchen
i muͤſſen, ex doch mit der größtmöglichen Behutſamkeit vers
ahren ſolle; auch möge er Sorge tragen, daß ber Glanz ber
Politik des franzöfiichen Hofes nicht befleckt werbe, und zugleich
dafür, daß alle uld auf den Prinzen von Sadıfen : Hilbburg:
haufen falle. &o muß er denn biefe auch für den Verluſt der
Squot bei Roßbah tragen, feine ungeböabigte Pike ſoll das
Ungiäd herbeigeführt haben, wobei aber doch bie franzöfifchen
Generale, deren Berichte in der Beilage mitgetheilt werben, fo
gerecht find, die Raſchheit der Bewegungen bei der preußifchen
Infanterie und die Kunſt in Wanoeupriren anzuerkennen, ihre
Gavalerie dagegen beloben und meinen, baß fie es mit ber preu⸗
Bifchen wol aufnehmen würde, wenn fie ihr nur an Zahl gleich
wäre. Aber aus biefen Berichten, bie überhaupt von Jutereſſe
füe bie Anfichten und Urtheile der frangöfifchen Sberoffigiere
find, geht auch hervor, daß zwiſchen den Beneralen und Gols
daten Uneinigkeit herrfchte und daß weder die Infanterie ber
Sranpofen noch ber Reicharmee Luft hatte, ſich mit den Preußen
zu ſchlagen. Nicht anders wie im Heere Soubife's war es auch
bei dem Deere unter Clermont's, Gontabes’ und Broglie's Yühs
rung in den Jahren 1758— 60, benen Hr. Stuhr befonbere
Abſchnitte im gjweiten Theile gewidmet hat, aus denen wir nas
mentlih bie Nachrichten über die Schlacht bei Minden unb bie
darauf folgenden Operationen hervorheben wollen. Derſelbe
Mangel an Einheit, an confequenter Verfolgung ſtrategiſcher
Zwecke, biefeibe ſcheinbare Abhängigkeit von Verfailles, wo Belle
Isle doch noch aufrichtig genug ift, zu gefteben, er koͤnne von
dort aus nicht Alles beurthrilen, und biefelbe Gigenmädhtigleit
der Feldherren, die freilich auch durch die ſich oft wiberfprechenis
den Befehle bes Kriegsminifters und bie aus bem Gabinet ber
beigeführt werden mußte. Denn bald follen die Keldherren
Schlachten liefern und die Ehre des franzoͤſiſchen Namens aufs
recht erhalten (und doch zeigt ſich nirgend Verdruß über die
Kiederlagen bei Roßbach und Krefeld), bald follen fie auf gufe
Winterquartiere Bedacht nehmen und die Leute ſchonen; dadurch
und durch die Unzufriedenheit und Zuträgerei wurden im Deere
felbft Mishelligkeiten zwifdyen den Beneraten und dem Minifter
erzeugt. „Malheureusement pour les affaires du roi”, fchreibt
einmal Broglie, ein tüchtiger Mann, unter dem 4. Zuni 1760,
‚Al y a dans les armdes plus de fausses plumees que de fran-
ches €Epees.” Endlich tritt überall nur zu deutlich hervor, wie
wenig aufrichtig es der frangöfifche Hof und fein Minifterium
mit ben verbündeten Mächten meinte. Daß dem ganzen Kriege
für Öftrei gegen Preupen die damalige Befinnung des Wolke
widerfprady und daß der Kriegsminifter nach der Schlacht bei
Zorndorf geftchen Tonnte, die Hälfte der parifer Bevoͤlkerung ſei
für Friedrich IT. begeiftert, daß ferner der militairifche Geift
der Nation fich gegen die Art und Weife, wie der Krieg ges
führt wurde, empoͤren mußte, hätte allerdings für bie Regic-
rung ein Zingerzeig fein können, aber ba biefelde nun einmal
beim Kriege behärrte, fo mußte fie ihn in gutem Cinverftänds
niffe mit den Werbändeten führen. Was foll man jedoch —
um nur —e— — ſagen, wenn Montazet, der frans
zoͤſiſche Militairgefandte, und Choifeut, der Botſchafter in Wien,
fortwährend angewiefen werden, Oftreih von feinen Planen
auf die Eroberung von Schleſien abzuziehen und zu verhindern,
daß diefe Macht dafelbfl: feften Fuß faſſe.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notiz.
Neuigkeiten ber englifchen Literatur: „The modern history and
condition of Egypt; its climate, diseases, and capabilities; com-
prising the proceedings of Mabommed Ali Pascha, from 18%
to 1842, with illustrations of scripture, history, the fulfil-
ment of prophecy, and the progress of civilization in the
East, by W. Holt Yates”, zwei ſtarke Bände, mit zapl-
reihen Illuſtrationen; „Narrative of a yacht voyage ia
the Mediterranean, during the years 1840—41, by a Lady’,
zwei Bände, mit zahlreichen Stichen; „Journey from Heraut
to Khiva, Moscow, and St. Petersburgh, during the late
russian Invasion of Khiva: with some account of the court
of Khiva and the kingdom of Khaurism, by James Abbof,
captain bengal artillery’’, zwei Bände, mit einer Karte. 18.
Berantwortliher Deraudgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von J. 4. Brodbaus in Leipzig
on. -
I | Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
Über Phrenologie.
(Bortfegung aus Nr. 9 )
Was Noel's Schrift beerifft, fo hat fie das Verdienft,
daß fie un® genau dem Standpunkt bezeichnet, den Gall's
Lehre jegt nach manden Überarbeitungen und Verbeſſe⸗
rungen, wie fie folche befonder® durdy Spurzheim, Gombe,
Bimont, Brouffai® u. X. erfahren, einnimmt; daß fie
Alles, was zum Studium bderfelben erfoderlich ift, zweck⸗
mäßig zufammenftellt und, obwol mit großer Wärme fuͤr
die Sache gefchrieben, doch auch mande Mängel und
Unvoltltommenheiten derfelben nicht verſchweigt. So ge
ſteht der Berf. gleich am Eingange der erften Vorleſung
zu, daß zwar die Hauptgrundfäge des Gall'ſchen Syſtems
wahr, aber einige Einzelheiten nicht richtig oder doch noch
nicht bintänglidy durch die Erfahrung erwieſen feien.
Als Grundlehren der Phrenoloyie werden folgende auf:
geführt: 1) Das Gehirn ift das Drgan des Geiſtes, «6
iſt bei jeder Äußerung geiftiger Thaͤtigkeit betheiligt, Die:
felbe mag fich auf die Denkkraͤfte oder auf das Gefühl bezie:
ben. 2) Das Gehlen wirkt nicht als ein einziges Organ,
fondern ale eine Mehrheit von Organen, deren jedes zur Ber:
mittelung eines individuellen geiftigen Vermoͤgens dient.
3) Der Grad der Energie, mit welcher ein Vermoͤgen des
Geiftes wirkt, oder die Kraft deſſelben fleht unter übrigens
gleichen Umftänden in Verhaͤltniß zur Größe feines Organs.
4) Durch forgfältige Beobachtung einer großen Anzahl von
Fällen, in welchen ein befonderer Theil des Gehirns alle ans
dere Theile deffelden verhältnißmäßig an Größe übertrifft,
und durch Ermittelung der in demfelben Individuum in
vorzuglihem Grade vorhandenen geiftigen Anlagen erhalten
wie den Schläffel. zur Entdedung der Function eines jes
den Organs des Gehirns, und es ift nur eine fehr zahl:
reiche vorfichtige Wiederholung folder Beobachtungen noth:
wendig, um jede Befürchtung von Irrthuͤmern bei der
Annahme von Schlußfolgen, die daraus entfliehen, zu vers
meiden. Eine fünfte Grundlehre, daß naͤmlich da6 Wachs:
thum der Schädelnochen dem der Gehirnorgane parallel
gebe, hat hier der Verf., mir wiffen nicht aus welchem
Grunde, Übergangen, denn, obmwol diefes Punktes fpäter
gedacht wird, fo gehoͤrt ex doch weſentlich hiecher, da, ohne
daß er zuvor erwieſen ift, an eine Entdedung der Ges
hirnorgane duch aͤußere Merkmale nicht zu denken fein
würbe.
EEE Kr. 85, —
erheben laſſen.
26. Maͤrz 1843.
Fe —— [ͥ ——
Der erſtere dieſer Saͤtze iſt durch phyſiologiſche For⸗
ſchungen ſo feſt begründet und allgemein angenommen,
daß ſich dagegen wenigſtens keine triftigen Einwendungen
Dagegen iſt der Satz, daß das Gehirn
als eine Mehrheit von Organen wirke, deren jedes zur
Vermittelung eines individuellen geiſtigen Vermoͤgens dient,
noch manchen Zweifeln unterworfen, die durch die Beweiſe
des Verf. keineswegs alle beſeitigt werden koͤnnen. Es
iſt noch gar nicht erwieſen, daß jene Vermögen der Seele
für fich beftehende find und nicht vielmehr nur Arten der
Wirkung einer und derfelben Kraft. Überhaupt kann das
Seelenleben nicht aus materiellen Veränderungen des Gehirns
erklärt werden, ebenfo wenig als die Lebenskraft, welche den
Blutumlauf regiert, aus dem mechanifchen Bau des Herzens
und der Gefäße, obgleich wir zugeben müffen, daß bie Intes
grität des Gehirns zum normalen Vonftattengehen ber intel
fectuellen Berrichtungen erfoderlich ift. Wollten wir aber auch
zugeben, daß befondere Richtungen der Seelenkraͤfte In befons
dern Richtungen des Gehirns wirken, was allerdings nicht ganz
abzuleugnen ift, fo find wir doch noch weit davon entfernt,
die Stellen im Gehirne bezeichnen zu Bönnen, nach welchen
fie erfolgen. Die Gall'ſchen Drgane find immer nur am
Schädel, nie im Gehirne felbft nachgewieſen worden. und
laſſen fih da nicht nachweiſen. Verſchiedene Thierarten,
die mit verſchiedenen Kraͤften, Eigenſchaften, Neigungen
u. ſ. w. begabt ſind, zeigen durchaus keine Verſchleden⸗
heiten in den Hirntheilen; ebenſo wenig Thiere derſelben
Art; ja, ſelbſt bei Menſchen von verſchiedenen Geiſtesga⸗
ben und Neigungen hat, unſers Wiſſens, kein Anatom
bis jetzt ſolche Verſchiedenheiten entdeckt, es ſei denn in
der Groͤße und Maſſe des Gehirns oder in der Zahl ſei⸗
ner Windungen, und ſelbſt wo letzteres der Fall war, lie⸗
fen ſich keine Schluͤſſe auf das Daſein oder Fehlen ges
wiſſer geiſtigen Kraͤfte und Gemuͤthseigenſchaften ziehen.
Haͤtte ferner jedes beſondere geiſtige Vermoͤgen, jede Nei⸗
gung ihre beſondere Provinz im Gehien, fo würde mit
Verlegung oder Zerilörung der Iegtern auch die erftere
verloren gehen müflen, was aber durch die Erfahrung kei⸗
neswegs beflätist wird. Sowol die höhern als die nies
dern intellectuellen Fähigkeiten, Denken, Borftellen, Phan⸗
tafte, Erinnern u. f. w., koͤnnen an jeder Stelle der Ges
birmoberfläche durch Verletzung beeinträchtigt werden. Man
bat aud) oft genug gefehen, daß die verfchledenen helle
der Hemifphären die Thaͤtigkeit der andern bei den intels
lectuellen Functionen unterftügen innen. Ebenſo wenig
bat man bei Menfchen, bei denen die Entfernung zerſtoͤr⸗
ter Partien der Oberfläche des Gehirns durch Kunft nö:
thig war, eine Anderung in den moralifhen und intellecs
suellen Eigenfchaften wahrgenommen.
Alſo nachgewiefen innen die Organe im Gehirn
fetbft niht werden, man fchließt fie nur aus der Form
des Schädel, in das jenes Organ eingefchloffen if. Man
fegt hierbei voraus, daß ſich die Form der Knochen nad
den Formen des Gehirns richte. Aber geht man auch
nit darin zu weit? Immerhin mag man annehmen,
daß die Knochen keine flarren, ſtabilen Gebilde, fondern,
wie andere Drgane, in fteter Umbildung begriffen find,
aber ihre Zerfegung und Erneuerung kann ja Gefegen fol:
gen, die ganz unabhängig von denen find, welche die Ent⸗
widelung des Gehirns bedingen, abgefehen davon, daß
auch die am Schädel liegenden Muskeln, wie dies fo häufig
an andern Stellen des Körpers der Fall iſt, auf die Bils
dung der unter ihnen Liegenden Knochen von einigem,
wenn auch nur geringem Einfluß find.
Menden wir uns nun zur fpeciellen Bezeichnung. der
befondern Organe am Schädel, fo fällt auch bier das
Schwanfende und Unbeflimmte ſattſam in das Auge.
Manches ift Hier feit Gall von den neuern Phrenologen
abgeändert und hinzugeſetzt worden, ohne daß jebody da:
durch die ganze Lehre wefentlich gefördert oder felter be:
gruͤndet worden wäre. So wurde früher das Gehirn in
drei Regionen abgetheilt, nämlih 1) in die Organe, bie
auf der mittleren Baſis und ben feitlihen bintern Theilen
des Gehirns Liegen, mit Einſchluß des ganzen Cerebellum,
weiche fämmtlich die Äußerung der Vermögen oder Triebe
bedingen, die zur Erhaltung des Individuums und des
Geſchlechts nothwendig find, 2) in die Organe, die auf dem
mittlern und vordern Scheiteltheile liegen und den moraliſch⸗
religidfen Vermögen oder Empfindungen angehören, und
3) in die Organe im vorderen Lappen des großen Gehirns,
welche die intellectuellen oder Verſtandeskraͤfte dußern. Da:
gegen zieht der Verf. es vor, folgende fünf Abtheilungen
zu unterfcheiden: Die erfie enchält die Drgane, bie zur Er:
haltung des Individuums nothwendig find, die der Menſch
mit den meiften Thieren gemein hat und deren Sunctios
nen man bie niedrigen, egoiftifchen im eigentlihen Sinne
nennen kann. Sie find, fo viel bis jegt entdedt ift: Le⸗
benserhaltungstrieb, Nahrungstrieb, Zerſtoͤrungstrieb, Vers
heimlichungs = und Bekaͤmpfungstrieb. Ihr Sig iſt in
den Windungen der Bafis und der mittlern Seitenlappen
des großen Gehirns, ſodaß nur Die vier legten Orgune an
den Köpfen lebender Menſchen leicht erkennbar find. Sind
diefe ſehr ſtark entwidelt, fo verurfachen fie einen großen
Durchmeſſer bed Kopfes von einem Ohre zu andern und
eine im Verhaͤltniſſe zu dem übrigen Theilen des Kopfes
geoße Wölbung rings um bie Ohren, mitunter aber auch)
eine tiefe Lage der aͤußern Obröffnungen, ſodaß dieſel⸗
ben tief unter einer horizontal: vom Auge nach dem Hin:
verkopfe gezogenen Linie zu liegen fommen. Die zweite
Abtheilung beſteht aus den Organen, die zur. Erhaltung
bes Geſchlechts gehören, bem Sortpflanzungstriebe im
Keinen Gehirn, dem Triebe der Kinderliebe, dem der An:
bänglichkeit und, wie Combe meint, auch der Einheit.
Diefe Drgane kommen auch bei vielen Xhieren vor und
baben ihren Gig in den, von dem Hiaterhaupchein und
den hinteriten unteren Theilen der Scheitelbeine bedeck⸗
ten Dienwindungen. Die britte Abtheilung umſchließt die
Drgane des höheren Egoismus, jener Seelenkraͤfte, welche
auf die Stellung des Individuums in feinem geſellſchaft⸗
lien Leben Beziehung haben. Spurzheim und Gombe
nennen fie die Empfindungen, bie der Menfh mit den
niedern Thieren gemein hat, als Selbſtachtung, Beifalls:
liebe und Vorſicht. Die beiden erften Drgane nehmen
den hintern obern Winkel der Scheitelbeine ein; das letz⸗
tere Liegt auf der Seite mehr vorwärts, fodaß bie Ver⸗
knoͤcherungspunkte der Scheitelbeine (Tubera parietalia)
auf dem obern Rande beffelben fleben. Die vierte Ab:
theilung enthält die böhern moralifhen Organe, derem
Functionen fid) auf das Wohl unſerer Mitmenſchen und
Nebengeſchoͤpfe, fowie auf unfere Verhättniffe zu dem all:
mächtigen Urheber unfers Daſeins und auf unfer Eünftis
ges Leben beziehen. Sie find geößtentheild nur dem Men:
[hen eigen und ähnlihe MWindungen wie biefe auf dem
oberften Theile des menfchlichen Hirns kommen bei feinem
Thiere vor. Dazu gehören Feſtigkeit, Gewiſſen, Vereh⸗
rung, Hoffnung, Wunder, Wohlwollen und Nachahmung;
letzteres Drgan, fowie das des Gewiflens, find aber noch
zweifelhaft. Diefe Organe nehmen den ganzen Scheitel
ein, von den obern Grenzen der Beifallsliebe und Selbſt⸗
achtung bis an bie intellectuellen Vermögen in der Sticn.
Sind fie fehr ſtark entwidelt, fo wird im Kopfe wicht
allein ein rechtes Verhältniß zwifchen der Höhe und Breite
fein, fondern der Scheitel ſteht auch hoch umd breit über
die Verknoͤcherungspunkte der Scheitel: und Stirnbeine
(Tubera frontalia und parietalia) hinaus. Die fünfte
Abtheilung befteht in den intellectuellen oder Verſtandes⸗
organen, welche vielleicht wieder eine dreifache Abtheilung
unter fich zulafien, als 1) die Erkenntnißvermoͤgen, 2) bie
böhern Denk⸗ oder Verſtandeskraͤfte (Urtheilskraft, Ver:
nunft) und 3) die Organe, die den Sinn für Mechanik
und bildende Kunft, für das Schöne und Poetiſche aus⸗
machen (Baufinn, Idealitaͤt). Diefe nehmen den gan:
zen vordern Lappen des Gehirns ein, mit Ausnahme jenes
oberen, foeben befchriebenen Theild, als den Sig von Wohl:
wollen und Wunder und vielleiht auch den von Nachah⸗
mungsevermögen, und zwar fo, daß die Erkenntnißvermoͤ⸗
gen (perceptiven Fähigkeiten) den untern Theil, die hoͤhern
Denktvermögen den obern und bie Organe für Mechanik
und bildende Kunft und für Poefie die feitlichen bintern
Theile dieſes Lappens einnehmen. Die hierher gehören:
den Organe find: Gegenftandfinn, Formenfinn (nach Gau
Perfonenfinn), Groͤßenſinn, Gewichtſinn, Farbenſinn, Ort⸗
ſinn (nach Gall Raumſinn), Zahlenſinn, Thatſachenſinn,
Zeitſinn, Tonſinn, Sprachſinn, Vergleichungsvermoͤgen
(nach Gall vergleichender Scharfſinn), Schlußvermoͤgen
nach Gall met Zi .
a —
39
Focſchungen und Erlaͤuterungen über Hauptpunkte ber
Geſchichte des Siebenjährigen Krieges. Nach archivali⸗
ſchen Quellen von P. F. Stuhr. Zwei Theile.
(Beſchluß aus Sir. 8)
As den dritten Punkt bezeichneten wir den Mangel an
Ginheit und Selbſtaͤndigkeit in ber. Kriegführung ber Öflreicher
mad Ruflen. In beideriei Beziehung macht ſich hier wieder
feanzöfifcher Einfluß bemerklich. In Wien griff Montazet in
die Sntwerfung der Operationsplane mit ein, verbanbelte bald
mit der Kaiferin, bald mit Kaunig, bald mit dem Feldmarſchall
Daun und brachte, wie jeber Unbefangene eingefichen wird, Als
led in Verwirrung. Es ift nicht möglich, dies ohne großen
Überbruß zu leſen. Einen loͤblichern Zwe hatte feine Thaͤtig⸗
keit im Felde, wo er die Unentſchloſſenen anzuregen und rafchere
Mafregein Hervorzurufen fuchte, aber die bitterften Klagen ers
hebt, daß er entweber gar nit zum Kriegsrathe zugezogen
würbe, ober daß Daun gerade das Gegentheil von Dem thäte,
was er vorfhlug, fo nah dem Giege bei Hochkirch,
worau ihm in Hinſicht des Entwurfs des Schlachtplans als
der Ausführung defleiben das meifte Verdienſt gebührt, was
Daun felbft anerkannt hat. Auf der andern Seite begreift es
12 volllommen, weshalb ein fremder Offizier, ber nicht immer
fi in feinen Schranken hielt, im oͤſtreichiſchen Hauptquartiere
nur ungern gefehen war und feine Gegenwart nicht dazu beis
tragen £onnte, die Mishelligkeiten zwiſchen Daun und bem Prin⸗
yon Karl von Lothringen, fpäter zwifdyen Daun, London unb
daſcy zu befeitigen. „Que vonlez vous, que je fasse?’ fagt
ber Prinz zu Montazet bei einer ſolchen Gelegenheit. ‚Vous
voyez bien, que le Mardchal (Daun) ne veut rien faire, et
moi je ne veux rien prendre sur moi.” Diefe Mishelligkeit ift
dem dflreidifhen Heere fortwährend nachtheilig gewefen und
der ganze Zufland beffeiben, ſowie die Unfähigkeit der meiften
Generale, vor allen bie große Langfamleit ber Befehle vom Hofe
kriegsrathe und die Animofität deffeiben gegen Kaunig wirkte
immer der Ergreifung Eräftigerer Maßregeln entgegen. Es ift
dies um fo mehr hervorzuheben, je tüchliger ber größte Theil
der Zruppen war und je größer bie Ruhe und Billigkeit iſt,
mit welcher oͤſtreichiſche militairifche Schriftſteller, wie Schels
und Thielen (die Hr. Stuhr nicht benutzt hat), von ihren Geg⸗
nern ſprechen. Der Schlacht bei Kollin wohnte Montazet nicht
bei, es finden ſich aber daruͤber in dem Berichte des Generals
Champeaurx merkwuͤrdige KAußerungen, die bei aller Eitelkeit,
mit welcher er ſeine Perſoͤnlichkeit zur Schau traͤgt, helleres
Licht über die Geſchichte der Schlacht verbreiten. Ramentlich
bemertt Hr. Stuhr, daß der Grund davon, daß bie Öftreicher
eine Eräftige Verfolgung unterließen,, nicht in ihrer zögernben
Bedächtigkeit gelegen habe, fondern in ihrer völligen Auflöfung,
fodaß, wenn bie Preußen fi nur noch eine ganz kurze Zeit
hätten behaupten koͤnnen, oder wenn Bieten gegen den Außerften
rechten Fluͤgel der oͤſtreichiſchen Reiterei raſch vorgebrocdhen wäre,
iedrich II. einen glänzenden Sieg erfochten haben würbe.
Über die Schlacht bei Leuthen find in einer Beilage zum erften
Theile aus den Briefen des franzöfifhen Oberſten Warainville
an ben Rriegsminifter Paulmy eine Reihe von Stellen mitges
theält, die von Weift und militairifchem Urtheil zeugen.
Hinſichtlich des ruffifchen Antheild an den Reldzügen bes
Siebenjährigen Kriegs hat es Hr. Stuhr für angemeffen erachtet,
aus den ihm vorliegenden Gefandtfchaftspapieren das Dunkel
zu belenchten, in weiches bie ruſſiſche Politif vor und glei
nach dem Anfange bes Kriegs ſich gehüllt hatte. Aus biefer
nüglichen Ginleitung gebt hervor, daß weber Kaunis, noch ber
franzoͤſiſche Hof, noch der englifhe den Ruſſen fo recht trauten,
doch aber um fhre Freundfchaft buhlten, und daß am peteräburs
er Hofe ſelbſt zwiſchen dem jungen und dem alten Hofe, zwi⸗
—* Woronzof und Beſtuchef ein Syſtem der Intrigue und ger
genfeitigen Auflausrung beftand. Manches Bekannte tritt bier
im ein befieres Licht, wenuſchon Vieles dunkel bleiben mußte,
da bie Diplomatie nur gar zu oft felhft im Dunkeln tappte.
Aber ber perfönlihen Feindſchaft bes Kaiſerin Eüſabeth gegen
Friedrich, wird nirgend gebadt. Zwiſchen Rußlands und Frank:
reichs neuer Freundſchaft fand Polen in der Mitte, dem Lud⸗
wig XV. ftets befondere perfönliche Theilnahme gefchentt hatte
und wo Rußland jet feiten Fuß faflen wollte. Darin waren
Alle einig, die zur ruffifchen Verwaltung gehörten, fodaß bie pa:
triotifche Partei in Polen, da fie fi von Frankreich verlaffen
glaubte, den Schut Friedrich's IT. anzurufen im Begriff war,
und das Geruͤcht ging, es habe ber Markgraf von Baireuth
Eatholifch werben wollen, um durch Friedrich's II. Einfluß die
polniſche Koͤnigskrone zu erlangen. Der frangöfifche Gefandte
in Peteröburg, de U’Hopital, ſollte alfo die polnischen Angelegen:
beiten wohl beobachten, im übrigen das befte Vertrauen zu
Frankreichs Redlichkeit zu erwecken ſuchen, das Buͤndniß ſelbſt
aber mit Rußland ward in Verſailles nur als eine Folge ber
Verbindung mit Öftreih angefehen. und benugt, um Rußland
von England getrennt zu halten. Mit der franzöfifchen Red⸗
lichkeit war ed aber ebenfo wenig. Ernft als mit der ruffifchen
Kriegführung, denn die franzoͤſiſche Politit bemühte ſich z. B.
1760 aus allen Kräften, die Vereinigung ber Ruſſen und Öft:
reicher zu bindern, bie Ruſſen aber zeigten fhon unter Aprarin
eine erfünftelte Langſamkeit im Vorruͤcken, ebenfo wie unter
Fermor und Soltifoff; auch hier wurde viel berathen und ges
fchrieben, wobei das preußifche Land durch eine echt türkifche
Verwüftung am meiften lit, aber wenig gethban. Die Generale
der Ruffen freuten fich bekanntlich gar nicht einmal ihres Siege
bei Kunnersdorf, zogen fich vielmehr wicber zurüd, verlangten
von ben Oftreichern, fie follten nun auch das Ihrige thun, und
lebten mit ihnen meiftens in Spannung ober in nur erheuchel:
ter Eintracht, Alles aber nicht aus eigenem Willen, fondern in
Gemäßheit ber ihnen aus Petersburg gewordenen Inftructionen.
Das geht deutlich aus der Correſpondenz des Oberften Mesna«
ger, des franzoͤſiſchen Militairgeſandten, ber im ruffifchen Haupt:
quartiere ein größeres Anfehen hatte als andere Fremde, mit
dem Grafen Choiſeul in Wien hervor. Mednager war ebenfo
eifrig ald Montazet, aber er fah bald ein, daß fein Rath nicht
gehört wurde, daß die kriegeriſchen Bewegungen der Ruſſen
nichts wären als Wärfche, durch die fie ihre eigenen Leute auf:
rieben, wenn fie auch noch fo Elein wären, und daß fie nus
Borwände fuchten, um nichts zu thun und um Andere zu täus
fen, weshalb es auch ganz abgeihmadt fein würde, wenn
man auf fie Poffnungen bauen wollte, oder meinen, daß es ib:
nen 3. B. 1761 Ernſt gewefen fei, Schlefien zu erobern. Es
it wahrlih eine bittere Iconie auf die Allianzen, wenn wir
lefen, wie Feldmarſchall Butturlin in dem genannten Jahre eis
nen Eaiferlichen Befehl erhält, den Krieg mit der größten Leb⸗
baftigkeit zu führen, unmittelbar darauf aber belobt wird, bie
Zruppen fo geſchont zu haben, und bie Anweifung empfängt, für
bie Zukunft ganz nad feinem Gutduͤnken zu handeln. Durch
diefe und Ähnliche Auffchlüffe aus Mesnager's Depefchen ift na:
mentlich die Theilnahme Rußlande an dem Kriege fehr aufge:
Elärt worden, das zwar ohne unmittelbaren Rändergewinn vom
Schauplatze bes Kriegs zurüdgetreten ift, aber in Folge beffet:
ben nicht nur den Vortheil eines bedeutenden Machtgewinns in
Polen davongetragen hat, fondern auch ben einer weit innigern
und lebendigern MBerfchlingung feiner gefchichtlichen Verhältniffe
in die ber wefteuropäifchen Völker, als es früher dev Fall ge:
weien war.
Als den vierten Punkt von Wichtigkeit bezeichneten wir die
Nachrichten über die beutfchen Reichsfuͤrſten und ihre Armee,
Hr. Stuhr verdient für diefe Aufichläffe, die er in brei vers
fehiebenen Abhandlungen zufammengefaßt hat, befondern Dank
aller Leſer, denen ed um eine vorurtheitöfreie Würdigung der
beutfchen Suftände im Siebenjährigen Kriege zu thun iſt, zugleich
enthalten fie eine Ehrenrettung der deutlichen Zürften über ihr
Betragen gegen Friedrich II. und eine andere Schilderung bes
Geiſtes in der Reichsarmee, die man gewohnt ift, als eine
ſchwerfaͤllige Maſſe ohne Keift und Leben, als einen Gegenſtand
des Spottes, zu bezeichnen wie dies ja Friedrich II. ſelbſt mehr
.
als einmal gethan hat, aber eigenttid mit Unredht. Denn zu⸗
erft herrſchte in der Reichsarmer für ihn immer bie günftigfte
Stimmung. Es hatten diefe nicht blos die ſchwaͤbiſchen Kreis:
truppen unb bie proteftantifche Bendtferung der zwiſchen dem
Main, der obern Donau und bem Rheine befegenen Känber,
fondeen auch die Kathotiten waren nicht unbedingt und nur
theitweife dem Haufe OÖſtreich ergeben, in Koin, Baiern und
Pfalz verhehlten weder die Fürften noch bie Einwohner ihre
Anhängtichkeit an den König von Preußen. Mehre von ihnen,
die fich Außertich hatten an Öſtreich anfchließen müffen, wie bie
fächlifchen Oerzoͤge, Baiern und Würtemberg, flanden mit Frie⸗
drich II. in lebhafter geheimer Unterhandlung; in allen Reiches
ftädten, befonders in benen am Main und an ber Donau, hatte
er bedeutende Verbindungen und auf bie öffentliche Meinung in
Suͤddeutſchland wirkten namentlich bie beiden erlanger Zeituns
gen, an denen die Marfgräfin von Baireutb, Friedrich's II. geift:
reiche Schwefter, großen Antheil hatte. War nun biefe Theil⸗
nahme auch mitunter ſchwaͤcher, wie z. 3. in Franken und in
Suͤddeutſchiand 1759, fo war fie doch eigentlich nur aus dem
Gefühle der Sicherheit vor einem preußifchen Ginfalle und
der daraus hervorgehenden Ranbesverheerung entftanden ; bie ins
nige Theilnahme an dem Glüd oder Ungluͤck des preußifchen
Helden in feinen Schlachten blieb unverändert diefelbe. Am laus
teften fprach fie fih in der Abneigung aller Reichefürften und
der gefammten Bevölkerung gegen Frankreich aus. Die Briefe
und Depefchen ber franzöfifchen Mititairgefandten in Deutſch⸗
land, Ryhiner, Boisgelin, Marainville, beftätigen dies auf das
einteuchtendfte. überall floßen fie auf Schwierigkeiten, um Hülfe
zu erhalten, die Zruppenaushebungen geben langfam und ſchlaͤfrig
von ftatten, es traten bedeutende Spannungen mit den größern
Keichöfürften, wie mit dem Dergoge von Würtemberg ein, dem
Graf Broglie fogar unter dem 13. Dec. 1759 zu fchreiben fich
vermaß: „es werde dem Könige von Frankreich nicht an Mit:
tein fehten, den Herzog feine Unzufriedenheit fühlen zu laſſen“.
Und diefer Herzog war ein ebenfo eifriger Anhänger des franz:
zöfifch = Öftreichifchen Buͤndniſſes, als feine Unterthanen daſſeibe
haften. Trotz folder Drohungen unb ohne Furcht vor ben ar:
en Erpreſſungen, durch melde die Franzoſen die deutfchen
eichskreiſe mishandelten, ward bie Stimmung für fie nicht ges
beffert, ja ed fam zu gewaltfamen Auftritten, wie mit den Wür-
tembergern in den Jahren 1758— 59 namentlidy bei der Be:
fegung von Würgburg, und mit den Pfälgern 1748, deren Ge⸗
neral Iſſelbach fi; geradezu weigerte, auf bie Zruppen bes
Herzogs Ferdinand zu fchießen und den Kranzofen Düffeldorf
einzuräumen. Am meiften aber flieg der Unmille, als es immer
deutlicher bervortrat, daß Ludwig KV. fi eine Partei im Reiche
bilden wollte, als er verfuchte am Maine ſich feftzufegen, die
Stadt Nürnberg zu einem Werbeplage auserfah unb den Ans
trag machte, Frankfurt durch franzoͤſiſche Truppen befegen zu
laflen. Gegen ſolche Anmafungen riefen die Reichsfürften den
Kaifer ganz öffentlich zu Dülfe und wenn nun bie franzöflfchen
Geſandten fig wieder über die oͤſtreichiſchen Miniſter beſchwer⸗
ten, die Haß gegen fie in Deutfchland verbreiteten, fo ergibt
fih von neuem, an welchen lockern Fäden dieſe Allianz hing.
Die Reichstruppen endlih fochten nur fehr ungern mit den
Srangofen, mie es Ludwig XV. unklug genug verlangt hatte,
obmwol von den deutſchen Generalen mehr als einmal erklaͤrt
wurde, daß zwei Drittbeile davonlaufen würden, wenn fie den
Preußen gegenübergeftellt würden. Da nun preußifche Werber
in Regensburg, Baireuth und andern Städten fortwährend thaͤ⸗
tig waren, da ganze Gompagnien mit ihren Offizieren und mit
fliegenden Bahnen zu ben Preußen übergingen und alle nur uns
gern fochten, fo laͤßt fich leicht begreifen, daß kein NReichsfeldherr
mit einer foldyen Armee etwas ausrichten konnte, ja- felbft bie
Bäufigen Klagen über Zuchtiofigkeit und Plünderungstuft laffen
fih aus dem Mangel an Beſchaͤftigung der Soldaten und aus
ihrer Abneigung gegen das Kriegehandwerk erklären. Darnach
muß namentlih ein Bericht Ryhiner's nach der Schlacht bei
Eehrbuch der allgemeinen Geographie.
Moßbad; gewardigt werben und die Welduibigung der wärtem:
bergifdden Zruppen, daß durch ihren Berrath allein bie Schlacht
bet Leuthen verloren gegangen ſei. Als nun 1759 Gerbelloni
bem Herzog von Zweibrüden an die Seite geftellt wurde, fo
wollte man ſich bei der Reichtarmee einen zu fcharffinnigen und
täftigen Aufſeher nicht gefallen laſſen, und @erbelloni, ein wie
tuͤchtiger Militaie er auch war (er erfcheint hier in einem weit
beffern Lichte als bei Schloffer in feiner „Befchichte des 18.
Sahrhunderts‘’, IL, 412), Eonnte er doch nichts ausrichten.
Da das Stuhr'ſche Buch ein wichtiger Beitrag zur Ges
ſchichte Friedrich'e tft, fo dürften auch die von feinen franzöfte
fen Gegnern über ihn gefällten Urtheile ganz intereffant fein.
Im Allgemeinen zeigen fie von großer Achtung, Vault lobt feine
geſchickten und ben Umftänden gemäß entworfenen Plane, Mas
rainville bewundert die Schnelligkeit der Bewegungen bei ber
preußifchen Infanterie und bie Erhöhung ihrer Wirkſamkeit
durdy beigegebenes Geſchuͤzg, Broglie preift feine Taktik und
Raſchheit, Choiſeul behauptet, die Macht des Königs von Preu⸗
Ben beftände nicht in feinen Feſtungen und Laͤndern, fonbern im
feiner Perfon, in feiner Armee, in feinem Geifte, feine Haupt⸗
quellen fände er in feiner Thaͤtigkeit und Geſchicklichkeit. Dafs
felbe beftätigt Montazet, bes Königs Seele belebe Alles, auch
in dem Augenblide großer Verluſte, er koͤnne Fehler begeben,
aber er wifle fie aus gu verbeffern; weniger günftig urtheilt er
über Briedrich im December 1759: „Le roi de Prusse est un
homme fait pour se detruire lui-meme. C'est une t&te
bouillante, plein de moyens violents, qui d’ailleurs n’&coute
personne par le me&pris souverain qu’il a pour tous ceax
qui ont je bonheur de l’approcher. C’est ce m&me senti-
ment dont il nous honore qui lui a fait et lui fera entre-
prendre des choses au-dessus de ses forces et par oü na-
turellement il doit &crouler.” Weit richtiger ift beffelben
Montazet Wort über die Kaiferin Maria Therefia, bie er Ir
plus grande et la plus meilleure des Reines nennt. 9
Literariſche Anzeige.
Schriften von Karl von Raumer.
und dur ale Bucbantungen zu eat: in aes erſciciea
Beiträge zur
— — —
Nebst einem Höhendurchschnitte.
Beilage zu des Verfaſſers „Beldftine‘.
Sr. 8. Geh. 15 Nor.
Bon dem Verfaſſer erfchien fruͤher ebendafelbft:
Balsftina. Zweite verm. Auflage. Mit einem Plane
von Serufalem, einer Karte der Umgegend von Sichem
und dem Srundriffe der Kirche des heiligen Grabes.
Gt. 8. 1833; 1 Thlr. 20 Nygr.
Der Zug der Zeraeliten aus KTgypten nad Es
naau. Beilage zu des Verfaſſers ‚‚Paldfina”. Mit
I Karte. Gr. 8, 1837. 15 Nor.
Die Karte von Paldflina einzeln 8 Ngr.
Zweite
Auflage. Mit 6 Kupfern. Gr. 8. 1835. 1 Thlr. 15 Ngr.
Befgreibung der Erdoberfläche. Eine Vorfchule der
Erdkunde. Dritte verb. Auflage. &r.8. 1838, 5 Ngr.
Berantwortliher Herausgeber: Leinrib Brodhbaud. — Drud und Berlag von 8. 4. Brodhaus in Leipzig.
N
Blätter
fir |
literariſche Unterhaltung.
Montag,
¶Beſchiuz aus Nr. 8.)
UÜber viele diefer Organe find die Phrenologen felbfl
nicht einig, ja, der Eine deutet diefes fo, der Andere an:
dert. So 3 B. bat Gall kein Organ an der Stelle,
wo nah dem Verf. daB des Einheitstriebes feinen Sig
hat. Der Berf. fand da, wo e6 groß erfchien, Anhaͤng⸗
lichkeitsaͤußerungen irgend einer Art umter verfchiebenen
Modificationen; Spurzheim bezeichnet die Stelle ald den
Gig des Heimatstriebes. Das Drgan der Liebe zum Les
ben wird für ſehr wahrſcheinlich, keineswegs aber für ers
wiefen gehalten... Was Spurzheim Verheimlichungstrieb,
das nennt der Verf. Verftellungsfähigkeit oder Lit, Gall
Kiugheit, Li, Schlauheit. Vimont cheilt dem Theil des
Gehirns, den Gall ausfclieflih als den Sig des Baus
ſinns betrachtet, in zwei Organe, von benen er den untern
Theil das Drgan des Baufinns, den obern aber das des
sens du beau dans les arts nennt. Gall erfannte ver:
fhiedene Arten des Gewiſſens als aus verfchiedenen Com:
binationen der andern einzelnen Vermögen, dee Intelligenz
und Bildung beroorgebend und bielt jene hoͤhere, edlere,
jartere, fi auf das Wohl Anderer beziehende Potenz der
Gewiſſenhaftigkeit für das Reſultat eines ſtark entwidels
ten Wohlwollens; Spursheim und Andere machen ein eiges
nes Drgan daraus. Gall betrachtete die Hoffnung ale
eine Thaͤtigkeitsaͤußerung jedes Grundvermoͤgens, Spurz:
beim, Combe, Bimont und der Verf. ftempeln es zu einem
eigenen Organe. Gall und mit ihm Gombe nehmen ein
Drgan der Nahahmung an, was der Verf. geradehin
verwirft. Den Dirntheil, weldyer von den jegigen Phre:
nologen als der Sig des Gegenſtandsſinns und jenes Or:
gans, welches fie Thatſachenſinn nennen, angenommen
wird, betrachtete Gall ald ein einziges Dryan und nannte
es Sachſinn, Erziehungs: oder Vervollkommnungsfaͤhigkeit.
Doch wir glauben an dieſen Beiſpielen genug zu haben,
um damit zu zeigen, wie ſchwankend und. willkuͤrlich es
noch auf dieſem Gebiete der neuen Schäbellehre ſtehe. Wir
glauben dabei nicht nöthig zu haben, daran zu erinnern,
wie mebre diefer Organe nit einmal pſychologiſch ale
befondere Seelen: oder Gefuͤhlsvermoͤgen feftftehen, viel
weniger daß man ihnen eine eigenthuͤmliche Stelle im
Gehirn anweifen könnte. Schon Napoleons Scharfblick
-mtging dies nicht, indem er gegen Las Cafes aͤußerte:
Ball fchreibt gewiflen Hervorragungen Neigungen und Ker⸗
brechen zu, die nicht in der Natur vorhanden find, die nur aus
der Gefellfchaft, aus der Eonvention hervorgehen. Was würde
aus dem Organe bes Diebſtahls werben, wenn es Tein Gigens
tum, aus dem Drgane ber Zrinkfucht (das übrigens von Gall
nicht angenommen wird), wenn Feine geiftigen Getränte, aus
dem Ehrgeiz, wenn es feine Gefellfchaft gäbe?
Sucht man nun vollends dieſe verfchiedenen Organe
am Schädel ſelbſt auf, fo gebt da Alles bunt durchein⸗
ander. Beſonders drängen fie fih um das Auge herum
dicht zufammen, und wenn uns ein Phrenolog die dahin⸗
ter liegenden Hirntheile als befondere Organe aufzeigen
follte, fo möchte das ein ſchweres Stuͤck Arbeit fein, denn
offenbar gehört hier eine Gehirnwindung mehren Organen
an. Dazwiſchen ebenfo befchaffene‘ Theile bilden an ans
dern Stellen nur Organlüden. Auf der obern Fläche
des Gehirns, wo eine Hirnwindung ausfieht wie die ans
dere und doch die verfchiedenartigften Seelenvermögen ih»
ven Gig haben follen, kaum noch ein Plägchen mehr für
ein Organ; im Innern des Gehirns und auf der unfern
Sinnen unzugänglichen Baſis dagegen kein einziges! wozu
mag ber Schöpfer diefe Theile beſtimmt haben? Im
ganzen thierifhen Haushalt finder ſich kein Beiſpiel von
ſolcher Verſchwendung von der einen Seite mit foldyer
Verlümmerung der Organe von der andern gepaart.
Daß aus der Größe eines Organs nicht immer ein ſiche⸗
ver Schluß auf die ihm entfprechende Geiftesfähigkeit ger
zogen werden Pönne, wird von ben Phrenologen einge:
räumt. Es treten bier Bedingungen ein, die den Einfluß
der Größe mobificiren Bönnen. Dies find namentlich die
Temperamente, die Sefundheit und die Übung. Die er⸗
een find noch obendarein mannichfachen Modificationen
ausgefegt durch ‚den Einfluß des Klimas, der Lebensweife,
dee Nahrung u. f. w. Noch einflußreicher find die vers
ſchiedenen Krankheiten. So z. B. find Leber: und Uns
terleibskranke in der Regel zur Melancholie, Lungenkranke
dagegen zur Heiterfeit und Hoffnung geneigt. Die Eins
wirkung krankhafter Zuftände ift alfo hier mächtiger als die
Oryanifation des Gehirns und gibt den Ausſchlag, wenn
die von den Organen bergenommene Diagnofe nicht zus
trifft. Im Widerfpruch damit müffen nun aber die krank⸗
haft gebildeten Köpfe der Bloͤdſinnigen und Irren wieder
zur Beftdtigung ber Lehre dienen.
Der ſchwierigſte Punkt aber liegt, nad) des Verf. eiges
nem Geftändniß, in dem @infiuß der Übung, mworunter
derſelbe jene Art von Erziehung verſteht, welche der Menſch
entweder durch die abfichtlichen edeln Bemühungen feiner
Naͤchſten erhält, oder welcher er durch den oft guten, body
öfter fchädlichen Einfluß der dußern Verhaͤltniſſe des Le:
bens unwillkuͤtlich unterworfen iſt.
Wir finden — beißt es S. 16 — cine bebeufende Zahl
von Menſchen, bei denen mehre Organe fehr gleichmäßig ent:
widelt find, und mo auch bie übereinflimmenben geifligen ers
mögen einen fo gleichen Brad von Energie befigen, daß es nicht
leicht wirb, einige beſonders vorberrfchend zu bezeichnen. Dieſes
find die Kölle, wo ber Einfluß von Erziehung und allen andern
außern Umftänden am bebeutendften wirkt, unb wo die Faͤhig⸗
feiten, die von außen am meiften in Thaͤtigkeit gelegt werben,
9 des Charakters für eine kaͤrzere oder laͤngere
Zeit beflimmen.
Mie ſchwankend erfcheint hier das ganze phrenologi:
fche Gebäude, wie unklar die Entwidelung diefes, offens
bar wichtigften Punktes! Alfo nur bei Menſchen, bei des
nen mehre Organe fehr gleichmäßig entwidelt find, wirkt
die Erziehung ein? Das wird der Verf. nicht behaupten
wollen. Oder kann man bei ihnen nur die dur Erzie⸗
bung am meiften in Thaͤtigkeit gefegten nicht aͤußerlich er:
kennen? Wie verhält es ſich nun aber bei Andern, bei des
nen Organe vorhanden find, die duch Erziehung nicht in
Thätigkeit verfegt worden find, oder umgekehrt? Kann
die Erziehung eine Erhöhung am Kopfe hervorbringen
ober nicht? kann fie tro& aller entgegenwirkenden Organe
am Schädel die Hauptrichtung des Charakters beflimmen,
oder nicht? Uns bedünkt, hier fpielten die Phrenologen
etwas tafchenfpieleemäßig mit uns. Sind Organe da,
die mit dem Charakter fpmpathifiten, fo haben es die Dr:
gane gethan; find keine da, fo tritt jener Fall der gleich:
mäßigen Entwidelung mehrer Organe ein und die Er:
ziehung uͤbernimmt das Riſico des Gewinns und Ber:
luſtes. Bei allen folchen Erceptionen ijt aber die neue
Lehre denfelben Taͤuſchungen unterworfen mie unfere ge:
wöhnlihe Haus: Phpfiognomit, der zufolge wir nicht felten
hinter dem Geſichte eines martialifchen Eifenfeeffers ein
lammfrommes Herz und binter dem einer frommen Dul⸗
derin einen zänkifhen Drachen finden.
As eine bloße Spielerei müfjen wir es betrachten,
wenn Gall und mehre feiner Anhänger gewiffe Stellungen
und Geberden mit der Lage mancher Organe in Verbin:
dung bringen wollen. So 3. B. behauptet Gall, daß er
bei der Thätigkeit des Bauſinns eine Neigung, den Kopf
etwas vorwärts und feitwärts zu halten und bins umd
herzubervegen, und bei Tonſetzern, während fie mit mufi:
kaliſchen Arbeiten befchäftigt waren, eine gewiſſe Neigung,
den Kopf und felbft die Augen fchräg nad) oben zu rich:
ten, beobachtet habe. Kine ſtarke Aufregung der Kinder:
oder Jugendliebe fol eine Neigung erzeugen, den Kopf
rudwärts zu ſenken. Wo mag fich denn ber Kopf hin⸗
drehen, wenn alle drei Organe vorhanden find? Dergleis
hen aus der Luft gegriffene Säge find wahrlich nicht ges
eignet, dem phrenologiſchen Spfteme als wiſſenſchaftliche
Stügen zu dienen!
Biel haben die Phrenologen gethan, um uns zu be:
weiſen, daß es befondere geiftige Vermögen, Neigungen
u. f. mw. gibt, buch bie ſich einzelne Menſchen von an:
dern unterfcheiden; auch die Worlefungen des Verf. find
ſehr reich an ſolchen Beweiſen. Da findet fich das
Organ der Idealitaͤt an den Köpfen Juͤnger's, Blumauer's,
Klopſtock's, Schiller's und Anderer, das bes Tonfinng
an den Köpfen Mozart's, Michael Hayda’s, Paers, Duß
ſeck's, Marcheſi's u. A., das des Zahlenfinns an den
Buͤſten und Portraits von Euklides, Archimedes, Galilei,
Euler, Kepler, Leibnitz, Newton u. A. Allein alle diefe
ex post gemachten Diagnofen können natürlid, den Zweif—⸗
ler nicht zuſriedenſtellen. Man kann dagegen mit Recht
einwenden, daß man nur bat finden wollen, mas man
fhon im voraus gemußt hat. Die eigentliche Probe des
Rechenexempels fehlt. Sie befteht darin, daß der Phre⸗
nolog an dem Kepfe eines ihm vorher günzlidy unbekann⸗
ten Menſchen zeige, mit welchen geiftigen und gemüthläs
hen Eigenfchaften er begabt fei und an welchen es ihm
fehle. An folchen Beifpielen ift aber die Gefchichte der
Phrenologie fehr arm. Auch in Noel's Borlefungen finder
fih nur eins; es heißt namlihd ©. 212:
Combe erzählt unter andern Beifpielen von George Bibber,
der fhon im fiebenten Jahre und ohne Unterricht genoffen zu
baben, ein außerorbentliches Talent für dad Kopfrechnen zeigte.
Sombe ift felbft Zeuge gewefen, wie er mit 11 Jahren die cam
plicirteften ragen der Algebra noch geſchwinder beantwortete,
als die gefchickteften Rechner im Stande waren, fie nur nieder:
zufchreiben. Als er zuerſt nach Edinburg kam, führte ihn em
Herr mit noch zwei andern Knaben von beinahe deinfelben Auer
zu Sombe und frug ihn, ob er Bidder nach feinem Kopfe erfens
nen tönnte. Combe unterſuchte die Knaben ber Reihe nach.
Der erfte, behauptete er, könne unmöglich Bidder fein, indem
das Drgan des Zahlenfinns bei ihm dußerft gering ſei Der
zweite aber, fagte er, möchte wol bedeutende Faͤtigkeiten für
die Arithmetik befigen, während ber britte Widder ſelbſt fein
muͤſſe. Hierauf verficherte der Herr, daß das Urtheil Com⸗
be's in Allem ganz richtig ſei. Der erſte war fein eigener Sohn,
bei dem aller Unterricht in ber Rechenkunſt vergebene war; ber
zweite war als ber geſchickteſte in der Arithmetik aus einer
großen Schule gewählt, und ber dritte war Bidder.
Solche Beiſpiele find fchlagend und wenn fi aud
nur alle Jahre ein ähnliches aufweifen ließe, fo wollten
wir gerne ein Dugend Fehlgriffe mit in den Kauf neh:
men und das Princip der Phrenologie für gerettet erklaͤ⸗
ren. Eben deshalb möchten wir aber auch den Anhaͤn⸗
gern bdiefer Lehre vorzugsmeife diefe Methode der Unter:
fuhung empfehlen, fie würde am ficyerften zum Ziele fuͤh⸗
ven und zu einem entfcheidenden Reſultate gelangen laſſen,
was an dee Suche Wahres if. Ein Tagebuch eines ehr:
lichen Phrenologen, in folhem Sinne geführt, mit dem
aufrichtigen Geftändniffe, wo er den Nagel auf den Kopf
getroffen und wo er geirrt, waͤte uns mehr werth ale
ein ganzes Bud, voll mühfamer Unterfuhungen, wie
viel es befondere Talente, Fähigkeiten, Neigungen u. f. w.
gibt, wie fi Diefer und Jener durch eines oder das an:
dere außgezeichnet u. ſ. w.
Menn wir nun aber au das ganze Gebäude ber
Gall'ſchen Schädellehre, ald auf unfiherm, ſchwankendem
Grunde gebäut, haben bezeichnen muͤſſen, fo find wir doch
weit davon entfernt, es ganz zu verwerfen ober, wie 30:
u 2 _
banned Milier, ohne Weterves! don dem Forum wiſſen⸗
ſchaftlicher Unterſuchengen auspufchtäßen. Schon bie täg-
liche Erfahrung, daS ter Schädel eines gefcheiten Menſchen
ein anderes, eblered Gepraͤge zeigt als der eines dummen,
brödfinnigen, führt darauf, daß an ber Sache etwas Wah⸗
ses iſt und die Verlegung der edein Drgane an den Vor⸗
der⸗, die der thierifchen Triebe an den Hinterkopf ſcheint
mehr als eine bios willkuͤrtich aufgeſteüte Antithefe zu fein.
Gerne wollen wir auch zugeben, daß die Erfahrungen Ein-
zetner, die ihr ganzes Leben dem Studium diefer Wiffen:
[haft und der Erforſchung und Vergleihung vieler menſch⸗
lihen und thierifchen Köpfe gewidmet haben, über die
Eriften; einzelner Organe einen Gerd von Überzeugung
bren mögen, der dem Unerfahrenen und blos nach
mündlichen oder ſchriftlichen Relationen Urtheilenden nicht
zu Theil werden kann. Der Geograph, der ein Land
ſelbſt bereift, belommt ohne Zweifel einen ganz andern
Begiiff davon als zuvor, da er es blos aus Büchern
und Karten kannte. Vor allem aber ift zu wuͤnſchen,
daß Männer, welchen vermöge ihres wiſſenſchaftlichen Be:
rufs Gelegenheit zur Unterfuhung und Vergleichung menſch⸗
licher und thierifcher Gehirne und Schädel geboten: iſt,
dieſe nicht vworübergehen laffen und den Befund ihrer Be⸗
obachtungen dem größern Publicum mittheilen mögen.
Pur fo würde fi allmälig ein richtiges Urtheil über die
Sache gewinnen laffen. Nur für Männer in diefem
Sinne eigum. ſich Vorleſungen wie vorliegende, denn wir
glauben weder, daß die Stufe wiſſenſchaftlicher Erkennt:
niß, wie fie das größere und namentlich nichtaͤrztliche
Publicum einnimmt, es dazu befühigt, darüber in anatos
miſcher, pbpfiologifcher, pfochologifcher und anderer Be:
ziehung ein genügendes Urtheil zu fällen, nocd daß eine
Unterweifung, wie fie in diefen Vorlefungen gegeben wird,
es in den Stand fegt, darauf weiter fortzubauen und ſich
zu Phrenologen beranzubilden. Daß die Sache aber wies
der zu einer Spielerei für muͤßige Stunden berabgewürs
digt werde, wie fie es ſchon einmal geweſen, daflr möge
uns der Himmel behüten! Eie bietet fo viel Stoff zur
Unterhaltung, es laſſen fih damit fo viele anziehende
Hiſtoͤrchen und Bemerkungen verbinden und einem gemiſch⸗
ten Auditorium läßt ſich fo leicht etwas von der Epiftenz
diefer und jener Organe an Schädeln und Buͤſten vorfas
gen und ſich davon überzeugen, daß dem Allen fo fei,
daß wir keineswegs an dem Beifall zweifeln wollen, den
fich Noel's und Anderer Vorlefungen aud in Deutſch⸗
land erworben haben mögen; aber als eine Bürgfchaft
für die Wahrheit der neuen Lehre kann ein foldyer Bei⸗
fall nicht gelten. Männer vom Face werden dazu wol
den Kopf ſchuͤtteln und wir glauben kaum, daß fich dar:
aunter deren finden werden, Die, wie vormals, bei Gall's
perfönticher Erſcheinung, feinem Spfteme, in feiner jegigen
neuen Beftalt, ihre Zuflimmung estheilen und als feine
Vortheidiger auftreten werden. .
8 Hohnbaum.
Chowanna, oder ein Syſtem der nationalen Paͤdagogik
ats Wiffenfchaft der Erziehung, des Wiffens und ber
Aufflärung, mit einem Worte der Ausbildung unferer
Tugend von Broniflam Ferd. Trentomsti. Zwei
Bände. Polen, Neue Buchhandiung. 1842. 8,
6 Thir.
Eine in ber polniſchen Literatur hoͤchſt wichtige Erſcheinung.
Dee Verf., in der deutſchen philoſophiſchen Literatur durch feine
„Grundiage der univerfallen (sic) Phitofophie” und bie „Bere
ſtudien zur Wiſſenſchaft der Ratur, oder Übergang von Gott
zur Schöpfung nad ben Brunbfägen der univerfallen Phitoſo⸗
phie“ befannt, mußte von feinen Landeleuten öfters ben Vor⸗
wurf hören, baß er feine fchriftftellerifche Thaͤtigkeit der an ſich
fo reihen deutfchen Literatur zuwende und die Literatur feiner
Ration, weldye deren body noch mehr bebärfe, ganz vernachlaͤſ⸗
fige. So bat er denn nun angefangen, fein Syſtem national
duschzuarbeiten. Die erſte Frucht diefer Thaͤtigkeit iſt das vor:
liegende Werl. Der Berf. fagt in ber Vorrede ausdruͤckiich,
fein Wert ſei Feine beutfche Philofophie, ſondern, eine polnis
ſche Pbilofophie, aus einem polnifhen Kopfe, aus einer polni⸗
ſchen Bruft geichöpft und unterſcheide ſich ganz und gar don
ber beutfchen‘’; er verfickert, „daß fie nicht einzig nach bew
Idee jagt, was man zum Theil mit Recht ein leeres Phantom
nenne; noch nad) ber todten Realität, die man mit bem Mefs
fer auf dem Zifche viertheile, fondern vielmehr nach der Wirte
lichkeit und nach dem Leben, und fei daher Praktik und Theorie
zugleich‘. Die tbeoretifche Philoſophie tft nun aber in der pole
niſchen Sprache fehr wenig bearbeitet worden, ed war daher
vor Allem nothwendig, eine Romenclatur zu fchaffen ; der Werf.
bat ſich daher „bemüht, für feine aus dem polnifchen Geiſte ges
zeugte Philoſophie, fo viel wie moͤglich echt polniſche und mit
dem Geifte der Mutterfprache uͤbereinſtimmende technifche Aus⸗
brüde auszufinnen“. Und fo gibt er denn S. x — Lix eine
Uberficht ber neuen und dem gewoͤhnlichen (db. i. jedem bed Pole
nifhen wohlkundigen) Menſchen unzugänglicden Begriffe und
technifchen Bezeichnungen, fegt auch zugleich überall die deut:
ſchen Bezeichnungen hinzu, einmal, wie ex fagt, um die Sache
leichter zu erfiären, dann auch, um dem eier einen Schluͤſſel
zum Berftändniß feiner (d. i. des Verf.) und anderer beutfchen:
pbilofopbifchen Gchriften zu geben. Uns duͤnkt das nicht eine
zweckmaͤßige Weile, den Polen eine Nationatphilofopdie (und
darauf beruft fich der Verf. überall) ober wenigftens eine philo⸗
ſophiſche Sprache zu verfchaffen. Man flieht, der Verf. philos
fophirt deutſch und gibt das Gedachte mit polnifchen Ausbrüden
wieder. Dies iſt und bleibt eine Überfegung, wenn ber Verf.
auch das beutfch Gedachte nie deutich mehr nicberfchreibt. Nein,
polniſch muß er denken, polniſch phitofophiren, polniſch discu⸗
tiren, ohne an Das zu denken, was er im Deutfchen gelefem
ober feinen Zuhörern vorgetragen hat; polniſch muß der Fleinfte
Anfang der Jose fein und polnifch das Refultat feiner Borfchuns
gen. Um den Ausdruck foll er ſich dabei nicht kümmern, ber-
sibe fi von fetbft, wenn man ben Geiſt ver Sprache verfteht.
"Aber auch nur foldhe Ausdruͤcke werben echt national fein, die
wird man verſtehen, unb wenn anfangs nicht allemal klar, fo
doch ihre Grundbedeutung fühlen und fo das Wahre vom Fal⸗
fen zu unterfcyeiden lernen, ohne daß man fih an Wortkliau⸗
berei und Wortgeklingel halten müßte, wobel der Sinn lange
"verloren gebt. Und davon ſcheint und dev Verf. noch weit ent»
ferat; wie zweifeln, ob viele feiner „technifchen Ausbrüde” im
Polniſchen das Buͤrgerrecht erlangen werden, fürdıten vielmehr,
bie meiften werben von dem geraden Ginne, ber in ber Litera⸗
tur gegenwärtig herrſcht, wieber abgeftoßen werden. Wie ganp
anders flehen in biefer Hinſicht die boͤhmiſchen Echriften Kla⸗
cel's da. Auch bier iſt deutſche Philofophie, wenn man will;
denn ber Verf. jat die Werke der deutfchen Beifter gelefen, wis
man aus jeder fiept. Aber er bat fie nicht allein geleſen,
fonbern auch verbaut, und nicht bios verbaut, fonbern in fein
eigen Bıeifch und Blut verwandelt. Und als foldyes gibt er es
feinen Landelenten wieder, in ihrer Sorache, klar und rein, tief
durchdacht unb allgemein veufländlih, ohne daß z möthig
bat, feine technifchen Ausdrücke befonders zu erklären, deren na⸗
türlich nicht wenig neue vorfommen, bie fich aber im Berfolge
der Unterfuchung fo von felbft ergeben, daß man fleht, es gibt
‚keine andere Bezeichnung für den Gedanken als dieſe.
Das vorliegende Buch nun ift nicht eine Pädagogik in den
irengen Grenzen biefer Wiffenfchaft, fondern fie ſchweift auch
öfter in die verwandten Gebiete der Antkropologie und Pſycho⸗
logie hinüber, Weit entfernt, ein Mangel zu fein, ift dies viel»
mehr ein Vorzug des Buches, weit dadurch in das Ganze mehr
KRundung und Vollſtaͤndigkeit unb, bei dem jehigen Standpunkte
der polnifchen Wilfenfchaft, eine viel größere Brauchbarkeit ger
Sommen iſt. Der Verf. theilt feinen Gtoff in drei Haupt⸗
theile ein, Nepiodik, Didaktik und (vaͤdagogiſche) Epik. Diele
etwas fonderbare Benennungsweife gebt durch bad ganze Buch
bindurch. Go zerfällt die Nepiodik (die Lehre von der Erziehung
des Kindes) in drei Theile: die Realität, die Idealitaͤt und bie
Wirktichleit des Zoͤglings, der ebenfalls aus Leib, Seele und
ber Schheit beftebt. Wie verfolgen biefe @intheilungsweile
nicht weiters; fie ift an fig nur eine Nebenfache neben bem
Grundterte des Buches: ber Berf. hat fidy in fein Syftem nun
einmat fo bineingedacht, daß er einen Schritt ohne feine Bel
fein thun kann. Jeder einzelne Paragraph beginnt mit einer
antbropolögifchen, pſychologiſchen oder metaphpfifchen Unterfus
Kung, welche die Begründung ber Meinung für bie folgenden
in das Praktiſche .einichlagenden Abfchnitte enthält. Die Sprache
in dieſem erften Xfchnitte eines Paragraphen iſt ſtets ber
Würde der Sache angemeffen , fireng und bündig. Wenn aber
der Verf. burch die trodtenen Discuffionen feinen Lefer anzuwi⸗
dern vermeint, wenn er dann plöglich abbricht und eine Apos
ſtrophe an benfelben über den gegenwärtigen Zuſtand ber Wiſ⸗
fenfchaft in der vaterlänbifchen Literatur und über das Unger
wohnte einer ſolchen Lecture beginnt, dann wirb feine Diction
lebendig und feine Schilderung ſtrahlt in den mannichfaltigften
Yarben. Ebenſo find die nicht ſtrengwiſſenſchaftlichen Abfchnitte
der einzelnen Paragraphen gehalten; ber Verf. bemüht ſich nach
Kräften, audy dem nur für das Belletriftifche noch zugänglichen
Geifte feine Lehren ſchmackhaft zu machen, um fo auf feine vers
wöhnten Landsleute nad) Möglichkeit zu wirken; ja, er gibt den⸗
felben fogar den Rath, fie möchten, wenn ihnen der philoſophi⸗
ſche Theil zu langweilig wird, denfelben überfchlagen und fich
nur an bie ins Leben eingreifenden Partien halten. Gine folche
Dffenpeit it uns noch nicht vorgefommen, und wir find ber
. Meinung, der Berf. habe auch kein Hecht zu derfeiben gehabt,
da unfer Vertrauen zu den ernflern Gefinnungen ber polniſchen
Ration ein viel größeres ift als das bes Polen felbfl. übri⸗
gend geben wir gern zu, baß durch diefe Einrichtung ſich man-
der Einzelne eher dürfte beiwogen finden,, bad Werk bes Verf
zu feiner Ausbildung und zum Gebrauche im Leben zu verwens
den, als wenn er die pbilofophifchen Difputationen bes Verf.
mit verfchludten müßte. Denn ber Verf. fcheint uns fehr rich
tig geabnt zu haben, daß feine praktiſchen Belehrungen viel
mehr Nugen zu fliften geeignet fein dürften ats feine Philoſo⸗
pbierereien. Wir müflen ibm, was diefes anbelangt, den vollften
Beifall fchenten; denn auf jeder Seite feines Buches zeigt füch
die innigſte Bekanntſchaft mit den größten Meiftern im Gr:
ziehungsfache, befonders mit den deutfchen, von benen er Ries
meyer, Schwarz, Poͤlit und Peſtalozzi felbft als feine Haupt⸗
lehrer angibt. Und bierin beftcht der eigentliche Werth des
Buches; für diefes muß ihm die polnifche Nation ewig Dans
wiflen. Gbenfo wenig wollen wir bas Berbienftliche feiner Bes
mühungen um eine polniſche philoſophiſche Sprache verdunkeln;
er wollte hierin Bahn brechen und bat das Geinige nach Kräfs
ten getban. Mögen Andere fommen unb es beffer madyen!
Aber bald. 4.
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Es if jest etwa 15 Jahre ber, als man das Roman⸗
feuitteton erfand. Seit ber Zeit hat es ſich ſeibſt im ben polls
tifyen Zagesblättern immer breiter gemacht, ſodaß e
wärtig nicht einmal die größern Journalt unterlaffen d .
neben dem gewöhnlichen Inhalte noch eine unterhaltende Zugabe
ju liefern. Ja, einige derfelben, 3. B. das „Siöcle”, verbanz
ihre große Verbreitung fafl nur ber unterhaltenden Mans
nichfaftigkeit ihres Zeuilleton. Aber das Publicum, bas, wie
Nüdert fagt, gutes und fchlechte® Kraut verſchlingt und „im
Freſſen gar nicht waͤhleriſch iſt wie die Biegen”, begnügt ſich
nicht mit den leichten Romanen, die ihm jeden Morgen in fei=
nem Journale aufgetifdyt werben, und fo entftehen alle Tage
neue Sournale und Sammlungen, bie ausfdgließlich der Unter»
haltung gewibmet find. Unter den mehr ober minder umfangreichen
Novellenfammlungen, bie uns die parifer Preſſe in jüngs .
fler Zeit gebradyt bat, verdienen bie zwei Bände, die unter dem
feltfamen Xitel „La coupe amere’' erfchienen find, befonders her⸗
vorgehoben zu werden. Die nambafteften Feuilletoniſten, wie
Sheopbile Bautier, I. Janin, Ed. Durliac, der befonders in
der „Revue de Paris” fchreibt, Arfene Donffaye u. A., haben
dazu beigefteuert, und es finden fi in dem bunten Rovellen-
kranze, der uns bier geboten wird, sinige Blüten, die wirklich
nicht ohne poetifchen Duft find. Cine aͤhnliche Auswahl von
Eleinen Romanen und Novellen ward vor kurzem von dem eben
erwähnten Douffaye und I. Sandeau berausgegeben. Gie heißt
„Mad. de Vandeuil”. Dem Zitel nad follte man glauben,
daß der Roman „Mad. de Vandenil” eine gemeinichaftlicye Ara
beit der beiden genannten Romandichter fei. Dem ift aber nicht.
fo. Die Novelle, die auf dem Zitel angeführt wird, rübrt von
Houſſaye her und bitbet nur einen kleinen Theil des inhaltreicher
Bandes, in dem bie beiden beliebten Gchriftfieller mehre ihrer
Dichtungen, die zum größten Theile ſchon in verfchiebenen Zeit⸗
ſchriften erfchienen find, zufammengeftellt haben. Won Houffape,
deffen „Dix-huiti&me sidcle’ wir bereits in biefen Blättern ers
mwähnt haben, finden wir außer der angeführten „Mad. de
Vandeuil” noch einen gar anmuthigen „Roman sur les bords
du Lignon“. Jutes Sandeau hat zu diefer Sammlung drei
feine Novellen geliefert, von denen wir befonders den „Duc de
Penthievre” hervorheben. Es zeigt ſich in diefem Eleinen Bilde
ganz diefelbe Zurtheit und Eleganz in der Darftellung, bie wir
erſt fürstih in feinem ‚‚Docteur Herbeau” bewundert haben.
Sandeau ift bekanntlih durch fein ehemaliges Freundichaftes
verhältniß zur Mad. Dubevant und befonders durch den Um—
ftand, daß diefe geiftreiche Eichriftftellerin die erfle Sylbe feines
Namen zu ihrem Pfeubonym gewählt kat, zuerſt bekannt ge⸗
worden.
„Tra-los-montes” (Jenſeit der Berge) ift der Titel des
neueften Werke, das der fruchtbare Feuilletonift der „Presse”,
Zheophile Kautier, erfdyeinen laͤßt. Es betrifft nicht etwa,
wie man aus dem Titel vermuthen könnte, ben Theil von Portugel,
der den Namen Tra-los- montes führt, fondern liefert Reife
Iilberungen aus Spanien, von denen ein Theil bereits in ber
„Revue de Paris‘ erjdienen ift. Unter den bereits abgebrucdk
ten 'Auffägen hat man befonders diejenigen bemerkt, in denen
Gautier die reichen Kunſtſchaͤte der verfchiebenen Städte Spa⸗
niens, fowie die Dentmale der Vergangenheit dieſes intereffans
ten Landes ſchildert. Gautier ift in der Kunftgefchichte ſehr bes
wandert und feine Feder befonders gluͤcklich in pittoresfen
Schilderungen. Sein Gtil, der im Ganzen ſchmiegſam und
nur zuweilen mit alten Ausbrüden gar zu überlaben unb gar
zu ſchnoͤrkelhaft it, kommt ihm babei trefflich zu flatten. überaif
haben wir in ber reichen Galerie, die der Verf. in feinem zwei
—* Buche eroͤffnet, eine wahrhaft poetiſche Xatohung
gefunden.
Berantwortlicher Derauögeber: Heinrich Brodhaud — Drud und Berlag von BE. 4. Brodbeus in Erirsig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienftag,
28. März 1843,
Sriedrih von Gengß.
Memoires et lettres inedits du chevalier de Gentz publies
e Gustave Schlesier. Stuttgart, Hallberger. 1841. Gr. 8.
—** 15 Rgr.
Trotz mannichfacher Bemuͤhungen, den verſtorbenen
öftreichifchen Diplomaten Gentz mit einer Strahlenglorie
von allen moͤglichen edeln und patriotiſchen Eigenſchaften
zu umgeben, bat ein ſicherer moraliſcher Takt der heutigen
Deutfhen dennoch den Stab über ihn gebrochen. Diefe
Berfuche haben nur dazu gedient, jeinen Charakter ſchaͤr⸗
fer zu anatomiren, und wenn ohme biefelben das öffent:
liche Urtheil vielleicht in einer gewiſſen unbeflimmten
Schwede ſich gehalten haben würde, fo ift es duch jene
aufdringlichen Anpreifungen eben gezwungen worden, über
diefen Gegenftand mit fich ſelbſt ins Reine zu kommen.
So wiederholt fih auch bier die Erfahrung, die wir täg-
lich in der moralifhen Welt beobachten Eönnen, nämlich
die, daß das Unwahre in feiner Blindheit und verderbli⸗
chen Thaͤtigkeit eben felbft zu feinem Sturze am meiften
beiträge. Über Gens eriftirt in diefem Augenblicke keine
Gontroverfe mehr in der Öffentlihen Meinung. Man er:
tennt feine großen Talente an; man bewundert feine dia:
lektiſche Leichtigkeit und die große Gewandtheit, womit er
fi) nicht nur in die Gedanken, fondern auch in die Em:
pfindungen derjenigen Partei zu verfegen wußte, ber
er ſich anzufchließen für zweckmaͤßig find, man erſtaunt
über die Kühnbeit, womit er fih ohne allen dußern Vor:
ſchub eine Stellung unter den Mächtigen diefer Erde zu
ereingen mußte. Man ift darüber einig, daß eben das
erſtaunenswuͤrdige Talent, jedes beliebige Spftem bis
zu einem gewiſſen Grade ſich anzueignen, ja für den Au:
genblick für fich felbft zur ſubjectiven Wahrheit zu erhe⸗
ben, ihn zu einem Parteiſchriftſteller machte, wie vielleicht
die weine Ehrlichkeit und der wirkliche Fanatismus eben
in diefen Regionen nie hervorgebradht Haben würden. Aber
man hat fid) audy überzeugt, daß Gentz eben das Gegen:
theil alles Deffen war, was man unter dem Namen von
Charakter, Sefinnung, Gemeinfinn, Patriotismus, Recht:
lichkeit und Wahrheit begreift — Alles Eigenfchaften, die
unferer Zeit noth thun, nach deren bleibendem Beſitze wir
ringen und deren Erwerbung nur dadurch beeinträchtigt
werden fann, wenn man und einen Dann als Muſter und
Inbegriff derfeiben hinftellt, während er doch nur ihr Affe war.
»
Es find befonders drei Champione aufgetreten, die für
den verflorbenen Ritter Geng eine Lanze eingelegt haben:
ein gewefener Diplomat, ein noch in Activität befindlicher
Diplomat und ein junger Mann, der gern Diplomat wer⸗
den möchte und ſich den Namen Gens zum Eintritt in
diefe Garriere ‚al Mittel und Mufter bedient.
Der gewefene Diplomat ift Varnhagen von Enfe,
befannt als Verfaſſer mancher Lebensbefchreibung und
als Gatte der geiftreichen, bei aller momentanen Excen⸗
trichtät und Übertreibung dennoch unendlich edeln und
wahren Rahel Eevin. Was Varnhagen dazu bewogen,
einen Kampf zu beginnen, der fo fehe zu feinem Nach:
theile ausgefallen und der eben Anlaß gab, neben dem
Charakter des Delinguenten vor ber öffentlichen Meinung
aucd die Individualität des Defenfors etwas fchärfer ins
Auge zu faffen, laͤßt ſich nicht mit Beſtimmtheit fagen.
Mas ung anbetrifft, fo ſcheint uns der Grund in einem
falfchen Calcul zu liegen, denn daß Varnhagen aus reiner
Liebe zu feinem verftorbenen Freunde Geng, unbekuͤmmert
um den Erfolg für ihn, zum Ritter und allenfalls zum
Märtyrer werden wollen, fcheint uns nicht wahrſcheinlich.
Varnhagen's ethifche Lebensanficht, wie fie jich in allen
feinen Schriften auefpricht, ift offenbar eine fehr Außerliche,
wir möchten fügen conventionnelle. „Erlaubt ift, was ges
fällt”, fagt Taſſo. Warnhagen fagt oder denkt vielmehr:
„Gut it, was fih Geltung verfchafft, was reuffirt. ”
Diefe Anſicht ift dee Schlüffel, der uns das Berftändniß
des Literarlichen Charakters diefes Mannes eröffnet. Rich⸗
tig verftanden, ift Liefer Grundfag fogar wahr; denn Allee,
was eine bleibende Wirkung in der moraliihen Welt
außert, muß allertings irgend einen Keim des Guten und
Mahren in fih tragen. Mur muß man dabei freilich
das augenblidliche dAußerlihe Gelingen nicht mit dem
nachhaltigen Siege der Idee verwechſeln; auch muß man
zu unterfcheiden wiſſen, wo eigentlich der fruchtbare Same
bei einer hiſtoriſchen Erfcheinung zu fuchen ift, und muß
das Weſentliche und Wahre von dem Unmwefentlihen und
Unwahren feharf trennen. Dazu aber ift erfoderlich, daß
man felbft ein natürliches, urfprüngliches Kriterium für
das Gute und Wahre in der Bruſt trägt, wodurd man
bei allen wechſelnden Geftalten und mannichfaltigen dußer:
lichen Einkleidungen des Lebens ein leiſes Ohr, einen
fihern Inſtinct für das Bute erhält. Diefe Wünfchele
‚816
euthe, welche zudt und fich meldet, fobald fie auf morali⸗
ſches Gold ftöße, welche ‚bei taubem Geſteine dagegen unbe
weglich bleibt, mangelt Varnhagen gänzlih. Die innere
Stimme. fehlt und fo ift ed Leiche zu erklären, wie er ſich
jene ganz dußerlihe Werthmeſſung, die auf totaler Geſin⸗
nungsloſigkeit beruht, zu eigen gemacht hat. Robespierre
und Napoleon, Zingendorf und St.: Martin, Rahel und
Goethe, Metternich und Sartouche, Alles, was nur je einen
augenblicklichen Erfolg gehabt, weiß er mit bewunderungs⸗
würdiger Unparteilichkeit nebeneinanderzuftellen. Daß aber
Manches, was für den Augenblid glänzt, was veuffirt zu
Haben fheint, fon den Keim des Verderbens in fich
ttaͤgt, daß Manches, was in diefem Augenblide wegen der
Schlechtigkeit und Kurzſichtigkeit der Zeitgenoffen noch
nicht erfannt und unterdrüdt wicd, bald auf dem Gip:
fel des Ruhms ſtehen wird, das entgeht feinen Blicken,
aben weil er den moraliſchen Kern einer Sache nicht zu
verſtehen weiß. Ehe der aͤußere Erfolg nicht vorhanden,
ciiſtirt die Sache für Varnhagen nicht. Dieſet moraliſche
Indifferentismus hat ihn ſchon zu vielen Fehlſchüſſen ver:
leitet und es liegt auf der Hand, daß ein folder Mann
am allerwenigſten geeignet ift, über jüngfte Vergangenheit
und Gegenwart fi) zu dußern. Ganz entfernte Zeiträume,
die ſchon in einer feften aͤußern Plaſtik daftchen, Eönnte
er noch eher allenfalls befchreiden, aber da, wo noch mehr
innerlich Werdendes wie Außerlih Gewordenes ift, muß
er freilich in der Irre herumtappen. Aber audy bei frü⸗
bern Perioden kann er es doch nie zu einer felbfländigen
Reproduction der Geſchichte bringen, fondern hoͤchſtens
fchafft er ein todtes Daguerreotppbild.
Zu jenen Sehlfchüffen, die weit vom Ziele abgingen,
gehört denn auch feine Apologie und Wiedererweckung
Gens. Gens hatte für einen Patrioten gegolten und
als folcher Ruhm erworben, er hatte fpäter für einen fei⸗
nen, gemandten Diplomaten gegolten und als folder ebens
fals Ruhm erworben; ein Mann, der auf foldye doppelte
und faft entgegengefegte Weile reuffirt hatte, mußte Varn⸗
hagen vor Allem merfwürdig und der Beachtung werth
erfcheinen. Außerdem wollte er vielleicht ſich durch diefe
Anpreifung eines fruͤhern Koryphaͤen wieder in Erinnerung
bei der Diplomatie bringen, denn aus mandyen feiner
Schriften, 3. B. aus der fehr gerühmten, aber. durchaus
geiftlofen Skizze des wiener Congrefjes leuchtet eine
ſchmerzliche Empfindlichkeit über verfehlte diplomatiſche
Garriere forwie der noch immer nicht aufgegebene Wunſch
hervor, diefelbe noch einmal wieder zu betreten. Zu feiner
größern Sicherheit gereichte ihm noch das Urtheil Rahel's über
Gens. Varnhagen hatte gefehen, wie ſehr Rahel von
allen geiftteihen Männern anerkannt wurde, und fo bes
gnügte er fich nicht damit, fie ebenfalls anzuerkennen, was
nach feiner Formel, fih Urtheile zu bilden, ganz folgerecht
geweſen wäre, fondern er occupirte auch manche ihrer Ur:
theile und Anfichten als die feinigen. Daraus entſtand
denn freilich ein ziemlich auffallendes Quodlibet, denn
Rahel's Eigenthümlichkeit war ed eben, daß fie immer in
die innerften Motive der Menfchen und Ideen einzudrin:
gen ftrebte und ſich wenig oder gar nicht um das augen:
blickliche conventionnelle Urtheil der Gegenwart kümmerte.
Ihre Anfichten und die ihres Gatten waren ihrer Natur nach
völlig antipodifh und es macht daher eine, wahrhaft ko:
mifhe Wirkung, wenn aus dem glatten, moraliihen Sn:
bifferentismus der Varnhagen'ſchen Redeweiſe ploͤhlich ‚eine
leidenſchaftliche, excentriſche Idee diffonivend hervorſpringt.
Solche Geiſtesfunken ſind aber weiter nichts als Plagiate,
die Varnhagen an der Converſation ſeiner Frau begangen
und die er, gaͤnzlich unvermittelt und ungeſchickt combinirt,
in feinen Text eingefchattet bat. Rahel num nahm auch
den hoͤchſten Antheil an Geng, ja fie liebte ihn. Was
fie aber an ibm liebte, das war nicht der Diplomat Geng,
nicht der rechtliche Charakter Gens, nicht der Mann der
Idee Geng — alles Diefes verachtete fie, obgleich es ihrer
Liebe keinen Eintrag that —, fondern es war ganz etwas
Anderes. Es war Geng ber fröhliche Genußmenſch, Geng
das fentimentale, leicht erregbare Kind, Gens der Zutrau:
liche, der, wenn er fie auch hundert Male verrathen, fich
vertrauenevoll ihre näherte, wenn es ihm ſchlecht gina,
wenn er fi verflimmt fühlte, um Troſt bei ihr zu fas
hen; denn tröften war bekanntlich Rahel's liebſte Beſchaͤf⸗
tigung und edelfte Leidenſchaft. Dieſes Verhältnig Ra:
hel's zu Gens har nun Varnhagen auch falfc verſtan⸗
ben; er mußte e6 ebenfalls nicht zu motiviren. Rahel
lobte Gentz, folglich lobt Varnhagen ihn auch, aber uns
glüdticherweife wirft ſich Varnhagen zum Lobredner dee
Diplomaten, Politikers und Lohnfchriftftellers Gentz auf,
an deſſen Lob Rahel nie gedacht, wenn fie auch mit bem
Mantel der Liebe ihn bededit hatte.
- Der zweite Advocat Gens ift der noch in Activitaät
befindliche Öftreihifche Diplomat Prokeſch von Oſten. Herr
von Profefch meint, es fei blos Neid, wenn fih ein Ge⸗
fhrei gegen eng erhöbe. Derfelbe fei ein rechtlicher Mann
gewefen. Die Begriffe von Rechilichkeit find aber ver:
ſchieden und richten ſich nah der ethifhen Bildung der
Völker und Zeiten. So kann ed kommen, daß wir Nord⸗
deutfchen etwas für unrechtlich halten, was nad, der la⸗
xern Moral anderer Völker als ganz in der Ordnung er:
ſcheint. Wir find in diefer Beziehung auch billig umd bes
urtheilen die Individualitaͤten nad ihrem Standpunkte
und ihrer Nationalfitte. So z. B. würden wir auch ge:
gen den Deren vom Oſten durchaus toferant fein und
ibm Manches nachſehen, was wir 3. B. an einem preus
Bifhen Staatsmann tadeln würden. Hätte man uns
Geng blos als Öftreichifchen Diplomaten, als den Gabi:
net6fecretair des Fuͤrſten Metternich gerühmt und als ſol⸗
chen unfere Anerkennung verlangt, fo würde ſich ſchwer⸗
lid) eine Proteftation in Deutfchland erhoben haben. Aber
man verlangte unfere Anerfennung Gens’ ald deutfchen
Patrioten, als beutfhen Muſtercharakters, als Ideal eines
deutſchen Staatsmannes; dagegen mußten wir Einiges
erinnern. Von unſerm norddeutſchen, vielleicht etwas zu
rigoriftifhen Standpunkt aus erfcheint es uns z. B. als
pure Unrechtlichleit, wenn Geng einen Finanzplan gegen
baue Bezahlung verräth; es erfcheint uns ale Unrecht:
lichkeit, wenn er für eine Audienz, die er einem Banquier
bei dem Fürften Metterternich verſchafft, fich eine erkleck⸗
347
fiche Summe bezahlen läßt u. ſ. w. Dabei wollen wir
gern zugeben, daß Gentz in Oſtreich immer noch für einen
vechtlichen Mann gegoltin hat; auch loben wir Hrn. Pro:
eich v. Orten, daß er ſich feines Freundes und Goͤnners
annimmt. Gens mar gewiß ein harmanter Mann, ein
charmanter Sefellfchafter, ein geiftreicher und fuͤr die dortigen
Gegenden erflaunlich geiltreiher Mann; er hat gewiß Hrn.
v. Prokeſch vie Wohlwollen bewieſen. Kein Wunder,
daß er in dem Andenken deffelben eine der erften Stellen
einnimmt.
Der dritte Apologet Gentz', den mir einen angehen:
den Diplomaten genannt haben und der ed wenigſtens
in feiner eigenen Hoffnung zu fein fcheint, iſt nun eben
der Herausgeber vorliegender noch ungedrudter Schriften
des verftorbenen Ritters der Legitimitaͤt. Hr. Guſtav Schle⸗
fier hat wie Geng mit einigen Verſuchen im Sinne des
Liberalismus feine fchriftftellerifche Laufbahn begonnen.
Ebenfo wie Gens verlor er aber bald das Vertrauen zu
diefer Sache und er hielt es für zweckmaͤßiger, ſich der an:
dern Seite zuzuwenden. Die Botſchaft hatte er gehört,
aber ihm fehlte der Glaube. Inſofern alfo, als ihm ber
Glaube an diefe Idee verfagt war, that er recht, ſich von
ihr abzumenden. Und wenn er auch vielleicht ebenfo we⸗
nig Glauben an das entgegenftehende Princip hatte, fo
ſchien fein Drang, ſich auf irgend eine Meife geltend zu
machen und fih einen Poften auf diefer Erde zu errin⸗
gen, von dort eher Befriedigung erwarten zu dürfen. Er
warf fich zum Apologeten Geng’ auf und glaubte das
durch vielleicht am beften den Beweis zu führen, daß er mol
aͤthnliche Dienfle, wie Gens leiften könne. Aber zwiſchen
Gens und Schleſier ift denn doc noch ein ungeheurer
Unterfchted. Theils war es eine andere Zeit, in der Geng
mit fiherm Kalte feine Laufbahn begann, und was da:
mals reuffirte, gelingt darum noc nicht jest. Sodann
aber war Gens wirklich ein Genie; er befaß die feinften
Fuüͤhifaͤden für das Schickliche und Paffende, für die Sym⸗
pathien Derer, denen er ſich verbindlid und nothwendig
machen wollte, und neben diefem genialen Inſtincte eine
Kuͤhnheit, einen Unternehmungsgeift, weldye ihn zu den
gluͤcklichſten Würfen führte. Eine Rolle, wie Geng fie
gefpieft, läßt fi nicht nachahmen. Eine Schule auf
Seng zu gründen, iſt Lächerlih, und Geng ſelbſt bat
gewiß nicht daran gedacht, eine folche zu fliften. Es ift
fhon eine eigene Sache, in Dingen ber reinen Wiſſen⸗
ſchaft eine eigentliche Schule zu bilden; der Lebendige Ge:
danke des Meifters geht in der Megel bei den Schülern
verloren und artet in todten, pebantifhen Dogmatismus
aus, wie wir das leider taͤgliy in Deutfchland erleben.
Aber das Leben felbft, das praftifhe, in den Moment
‚eingreifende, die fichere, unzählige Motive blitzſchnell ad⸗
wägende und ſich herausfühlende That, die göttliche Schlau:
beit u. f. w., das laͤßt fih nun vollends nicht ſtlaviſch
nachahmen und auswendig lernen. Und wenn irgend
Semand, fo war Gens ein Mann foldy praftifhen mehr
unberoußten wie bewußten Lebens. Es iſt nicht zu leug⸗
nen daß Hr. Schlefier fi viel Mühe gegeben und viel Fleiß
‚angewandt bat, um ein zroeiter Gentz zu werden:
Die
äußern Bedingungen hat er fich gewiſſenhaft angeefgnet;
fo 3. B. bat er auch paffabel franzoͤſiſch ſchreiben gelernt.
Vorliegende Sammlung franzöfifcher Auffäge hat er mit
einer franzöfifhen Vorrede verfehen. Da diefe Sammlung
aber für Deutfchland beſtimmt ift, wie er ausdruͤcklich in
ber Vorrede bemerkt, und zwar, damit wir ein Beiſpiel
daran nehmen, wie franzoͤſiſcher Übermuch zurüczumelfen
fei, fo laͤßt fidy Bein anderer Grund auffinden, weshalb er
die Vorrede franzöfifch gefchrieben, als der, daß er damit
ih aud in diefer Beziehung feine diplomatifche Befaͤhi⸗
gung habe legitimiren wollen. Freilich, ein Franzoͤſiſch,
wie Gentz es ſchrieb, ſchreibt Hr. Schlefier doch nicht,
wenn wir auch keine Grammatikalien und Germanismen
darin entdeckt haben.
Wenden wir uns jegt zu dem Inhalte diefer Samm⸗
lung. Der erfte Auffag ift cine Denffchrift, welche Gentz
am 6. Juni 1804 dem öftreichifchen Premierminifter Gra:
fen Cobentzl übergab. Sie handelt von der Nothmwendig-
keit, den kaiſerlichen Zitel Napoleon's nicht anzuerkennen.
Die darin geführte Sprache ift die eines wüthenden, en:
ragirten Legitimiſten. Geng wußte fehr wohl, mit welchen
Menfchen er e8 zu thun hatte und welche Grundfäge er
an ben Tag legen müͤſſe, um Ihr Vertrauen zu gewinnen.
"Wir ziehen auf gut Glück einige Redensarten aus.
Jener Menſch, welcher nur groß iſt durch die Kleinheit
Derer, welche er unterjocht hat, er hat es gewagt, ſeine Hand
nach dem Diademe auszuſtrecken, er hat es gewagt, ſich einen
erhabenen und geheiligten Titel beizulegen, an den bis jetzt alle
Ideen von Größe und Majeſtäͤt, von angeſtammter und legiti⸗
mer Macht, von politifcher und ſocialer Erhabenheit fich nüpf-
ten. Gr bat ſich ſelbſt eingebitvet, feine auf die offenbarfte ufurs
pation gegründete Macht mit Hüsfe biefes neuen Titels, der bas
Heiligſte ſchaͤndet, in feiner Familie vererben zu koͤnnen, eine
Samilie, die, abgefeben von ber flanbatdfen Dunkelheit ihres Urs
fprunges, aus Mitgliedern befteht, die anerfanntermaßen zu
-den unmoratifcgften und vermworfenften Bewohnern dieſer Erbe
gehören.
Wenn die Souveraine fi den Titel Bonaparte's gefallen
laſſen, fo ift bie majeftätifche Seite im Buche des BVoͤlkerrechts
klaͤglich zerriſſen, mit Fuͤßen getreten und zu &taub verwefetz
dev magifhe Glanz, der die höchfte Gewalt umgibt, ift für
immer zerflört; die Revolution ift anerfannt und beinahe ge
heiligt; alle Unternehmungen jeglicher Verbrecher, die früh oder
fpdt ben Umſturz der Staaten bezwecken, find im voraus ge
fördert; ihr Triumph ift bereits proclamirt. Und nichts wird
nun fürber ben erften beften Brigand, der mit einigen Talenten
begabt ift, abhalten, den exften Souverain Europas keck ins
Geſicht zu lachen und mit jener unglaublichen Unverfchämtheit,
welche in der blutigen Tragoͤdie umferer Tage ſich kund gibt,
ihm zuzurufen: In zehn Jahren fige ich auf deinem Plage.
Und wende man nicht ein, daß eben Bonaparte jenes ſcheuß⸗
liche Princip ber Volksſouverainetaͤt gebändigt und beflegt babe.
Ja, hätte ex fi an der Spige feiner Armee, durch das Recht
des Scywertes und bes GStärkern zum Kaifer ausrufen laffen
unb bie bemagogifchen Safchenfpielerfünfte veramtet! Aber flatt
deſſen hat er ausdruͤcklich darauf beftanden, durch bie Stimme
der Advocaten, Schreiber, Rebner, aller Derer, bie noch von
ber ſchlechteſten Race der erften Revolutionnatre übrig waren,
auf den Thron erhoben zu werden u. f. w.
Wie gefagt, Geng kannte feine Leute; er wußte, daß
eben das Gute, was Napoleon that, von ihnen gehaßt
wurde, weil fie darin eine mögliche Dauer des neuen Zus
ftande6 erblickten. Es ift bekannt, daß Marat und Mo:
bespierre von jenen Leuten lange nicht fo gehaßt wurden
wie die Lafayette und Monnier. Bor den Schandtha⸗
ten und Gewaltthaten fürdhtete man fih nicht, wol aber
vor der Weisheit und dem Edelmuthe; die Übertreibungen
fab man gern, nicht aber die Mäpigung. Den Eroberer
Napoleon hätte man wol anerkannt, den Kaifer Napoleon
duch die Wahl Napoleon's verabfcheute man. Gentz
wußte, daß er diefe niederträchtigen Grundfäge offen aus:
ſprechen durfte, ohne dabei etwas zu riskiren; umgekehrt
wurde er erſt daduch der Mann nach ihrem Herzen.
Die geniale Unverfhämtheit von Gens geht aber noch
weiter und wird wahrhaft bemunderungsmwürdig. Er be:
gnügt fih nicht mit den erteavaganteften Tiraden gegen
die franzöfiiche Revolution, fondern er erlaubt ſich fogar
den Königen und Miniftern in feinem heiligen Eifer eine
Strafpredige zu halten. Ihr felbft feid ebenfalls ſchuldig,
ruft er ihnen zu, nie und nimmer hättet She unterhan⸗
dein, nie unter Euch uneinig werden, nie an etwas An:
deres denken müffen, als die Revolution mit dem Schwerte
zu vertilgen. Hr. Schlefier will darin eine edle Freimuͤ⸗
thigkeit erblidden; mir fehen darin nur eine geniale Bes
rechnung. Solche Vorwürfe, die unter der Maske des
Tadels den innerften Gedanken und Wünfchen ſchmeicheln,
Elingen füß und verlegen nicht.
(Der Beſchluß folgt.)
Bord Francis Egerton’s „Mediterranean
8
etches”.
Bon dem burdh feine fafhionabeln Eigenfchaften befannten
Lord Francis Egerton erſchien ein anziehendes Buch unter dem
Zitel ‚‚Sketches on the coasts of ıhe Mediterranean‘', aus
Berfen und Profa gemifht. Gin Gedicht „The pilgrimage”,
in der neungeiligen Stanze gefchrieben, könnte der Form wegen,
in der es gehalten ift, der Localität wegen, auf der es ſpielt,
glauben machen, Lord Egerton wolle in diefem Gedichte mit
Byron’3 „Childe Harold’ rivalifiren; aber die contemplative
Natur Egerton’s ift der leidenfchaftlichen Natur Byron's ganz
entgegengefegt. Egerton’s Berfe find gut; aber an eine Eoncurs
ren; zwilchen einem Dichter wie Byron unb einem befchaulidyen
verfificirenden Zouriften wie Lord Egerton ift hier gar nicht zu
denken; auch bat Egerton ſelbſt ohne Zweifel nicht daran ges
dat. Die Roten zu biefem Gedichte find fchägbarer als das
Gedicht felbft. Intereffant z. B. ift die Schilderung folgender
Scene: „Richts konnte angenehmer oder erfrifchender fein ale
diefe Stätte; aber in der Nacht fand eine Veränderung flatt,
welche unfern Traum zerftörte. Verſchiedene Erſcheinungen am
Himmel hatten einen plöglidden Umfchlag des ungewöhnlich heir
Ben Wetters verkündigt. Als wir uns eben zur Ruhe begaben,
kam ein Wirbelwind ploͤtzlich aus der Schlucht mit folcher ‚Def:
tigkeit, daß «8 augenſcheinlich war, unfer Zelt würbe ihm nicht
lange Widerftand leiften Lönnen. Dies geſchah fo unvermuthet,
daß Lady F. kaum zu entfhlüpfen Zeit hatte und ihr Mädchen
unter dem Sturze eine Zeit lang begraben wurde. Deögleichen
wurbe auch eins unferer Kleinen Zelte niedergeſtuͤrmt und Dr.
G., der darin fchlief, litt nachher viel von der Kälte, ba er fo
plöglih einer Temperatur von einigen ſechszig Grab weniger
ale zu Fiberias ausgefegt war. Gluͤcklicherweiſe begleiteten nur
wenige Regentropfen biefes Phänomen Lady F. fand Zuflucht
gefchleubert und ferner unbrauchbar war. Nach einer mähfamen
Zagereife war diefe Unterbrecjung ber Ruhe keineswegs erquids
lich. Dieſer ungeflüme Eindrang der Gebirgöluft in das vers
bünnte Medium unten bauerte etwa brei Biertelflunden und
fegte dann in einen fühlen aber gemäßigten Wind um. Die
Dorfbewohner zeigten eine freundliche und thätige Baftfreunbs
Thaft. Wir mußten jest über einen der hoͤchſten Gipfel des
Libanon, welcher gerabe Über uns emporſtieg. Hier fam uns
bie gewiffe Nachricht von einer ausgedehnten Infurrection zu,
auch hörten wir, daß die Landſchaft, welche wir ſoeben verlafs
fen hatten, Rashya, und felbft Hasbya fi in offener Empös
rung befanden. Am meiften beunruhigte mich der Gedanke, daß
uns unfere Maulefeltreiber verlaffen würden, um zu ihren as
milien nad Rashya zurüdzußebren,, und doch machten fie eine
Miene, welche auf eine folche Abſicht gedeutet hätte. In einem
malerifchen Zickzack fliegen wir den Gipfel hinauf, unter einie
gem Regen und Nebel, in geringerer Zeit, als id bem Ans
heine nad) erwartet hatte. Wir hatten nur eine Beine Strecke
Schnee zu überfchreitenz; und obgleich der piögliche Übergang zu
einem ſolchen Klima gefährlich war, erfreute ich mich doch des
feudgten Windes, welcher wie ein Hauch aus Schottland kam
und mich zwang, mid) in den Mantel meines Marſchlandes gu.
wideln, ats ob ich dort auf der Jagd wäre. Wir fließen auf
einen oder zwei bewaffnete reitende Boten und Alles, was wir
erfahren konnten, beftätigte die Erzählungen von der Infurrece
tion. Dennoch fand in den Dörfern, durch welche wir famen,
feine ungewöhnliche Bewegung flatt. Die Anficgten, welche wir
von den die Gegend beherrſchenden Punkten hatten, waren
wahrhaft praͤchtig; bie Schluchten find tief und mit ſchoͤnem
Gehoͤlz bekleidet; aber nie ſah ich im Libanon eine Gcenerie,
welche mit den Scenerien eucopäifcher Gebirge einen Vergleich
aushalten konnte.” 13.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Bon P. Armanbi, früher Xrtilleriehauptmana, erſchien:
„Histoire militaire des el&phans, depuis les temps les plus
recul&s jusqu’a l’introduction des armes à feu’; von Daniel
Ramen „Manuel de l’histeire generale de l’architecture chez
tous les peuples et particulierement de l’architecture en
France au moyen -äge”, wovon ber erfte Band das Altertbum,
ber zweite das Dittelalter umfaßt, beide mit zahlreichen Holz⸗
ſchnitten ausgeftattet; „„L’anti- Nostradamus, almanach histo-
rique et amusant pour 1843, contenant la refutation com-
plete des calculs de l’almanach prophetique‘’; „Le Mexique,
souvenirs d’un voyageur’’, von Ifidor Loͤwenſtein, Verf. der
Reiſeſchriften „Les Etats- Unis et la. Havane”; „Origine
commune de la litterature et de la legislation chez tons les
peuples, demontree par l’examen comparatif des ızonumens.
litt£raires des He&breux, des Hindous, des Chinois, des Ma-
hometans etc.”, von N. 9. Eellier Dufayel; „Theorie de la
science sociale”, von Rey; „Traité de paix perpetuelle‘‘,
von Marchand, und von einem ancngmen Verf. ein „Essai
sur la formation du dogmae catholique”, eine frommgläubige,
doch nach Unabhängigkeit der Anfichten ftrebende Schrift, welche
man einer Dame von hoher Difkinction zufchreibt.
Da wir Deutfchen, obgleich doch fo überfegungsluftig , fels
ten mit Erzeugniſſen ber ruſſiſchen Preffe befannt gemacht
werden, fühlen wir uns um fo mehr veranlaßt, auf zwei Über
fegungen aus dem Ruffiihen hinzuweiſen, bie in franzoͤſiſcher
Sprade erſchienen find: „Sept anndes en Chine, nouvelles
observations sur cet empire, l’archipel indo-chinois, les
Philippines et tles Sandwich”, movon eine neue Auflage
erfienen ift, und „Ivan Nikitenko, le conteur russe, fables,.
in einem Haufe des Dorfes; der Verluft an Gepäd befchränkte | historiettes et legendes”. Gmanuel Saligin ift der franzoͤ⸗
fih am Morgen auf eine alte Müge, welche drei Felder weit ' fifche Bearbeiter beider Werke. 18.
Verantwortlicher Herausgeber; Heinrih Brodbaus. — Druck und Verlag von F. A. Broddans in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
29. März; 1843.
Friedrich von Geng.
¶Beſchluß aus Nr. 87,
Zulegt treibt Gentz feinen legitimiftifhen Rigorismus
auf den hoͤchſten Punkt.
Nicht nur — fagt ee — wäre eine Anerfennung Rapoleon’s.
unpolitiſch, gefahrdrohend für Euch Könige — fie ift noch mehr,
fie ift eine ewig verwerfliche Handlung. Die Autorität auch. des
alterunbefchränfteften Souverains bat ihre Grenzen; es gibt eis
nen böchften Richter, dem er dereinft Rechenſchaft abzulegen hat
über feine Handlungen ; es gibt ein allgemeines Gewiſſen ber
gefammten Mnfchheit, weiches, obgleich häufig wie bei ben eins
zeinen Individuen für den Augenblick erftidt und zum Schwei⸗
gen gebracht, dennoch über kurz oder lang wieber zu feiner ers
habenen Beftimmung zurüdfehrt und Rache nimmt an ben Über:
tretern der ewigen Srundfäge. Kein Souverain hat bas Hecht,
Die fortwährende Vertreibung einer Rönigefamilie zu unterzeich⸗
nen, deren Zitel kraft Erbrecht ebenfo unzerſtoͤrbar iſt wie
der eigene. Kein Souverain hat dad Recht, eine vermegene
Ufurpation anzuerkennen, die fi) nicht einmal mit dem Scheine
Der Legitimität zu bekleiden ſucht, fondern mit drobenber, unver:
fchleierter Stine allen Grundfeſten der focialen Orbnung Hohn
ſpricht. Kein Souverain hat das Recht, mit dem Verbrechen
zu unterhandeln, in Gemeinſchaft zu treten mit einer Revolution,
die alle göttlihen und menfchlichen Gefege mit Fuͤßen getreten
hat, und fi indirect zu ihrem Mitfyutdigen berzugeben, indem
er in dffentiichen Bekanntmachungen den Zitel Deffen erlaubt,
dem diefe Hevolufion zulegt ein blutiges Scepter übertragen bat,
eined Menſchen, ber es vorzog, die Unorbnung zu confolidiren
und beren vergiftete Fruͤchte kommenden Gefchlechtern zu verers
ben, ftatt die legitime Ordnung wieberherzuftellen, als die Vor⸗
fehung bie Macht dazu in feine Hände gelegt hatte. Unbegreifs
lich iſt es, wie Kürften, deren Loyalität, Kechtlichkeit und Pies
tät in allen Welttheilen befannt und bewundert ift, den Gedan⸗
ten ertragen können, ihren eigenen hoben Namen mit einer
fdyimpfiigen Gapitulation zu verbinden, welche fie durchaus
compromittiet mit ihren Pflichten gegen bie Gottheit — dieſer
en Quelle der Gerechtigkeit — mit ihrer eigenen Würde —
diefem Heiligen, Ihnen anvertrauten Pfande, von ber fie nicht
den Meinften Theil ſich vergeben dürfen — mit dem Interefle
ihrer Unterthanen — welches ſtets dem vorübergehenden und
zweifelhaften Interefle des Augenblicks vorzuziehen ift — und
endlich mit der Öffentlichen Moral und mit der Nachwelt. Hätte
ich das Ungläd, Souverain oder Minifter während einer foldyen
Kriſe zu fein, ich glaube, ich würbe weniger erſchrecken vor bem
Gedanken, meine Krone niederzulegen, meine Stelle aufzugeben,
als eine fo furchtbare Verantwortlichkeit zu übernehmen.
Durch ſolche leidenfchaftlihe und klug angebrachte
Declamationen wußte Geng vorerſt fidy bei den damaligen
Männern, welche felbft in hoͤchſtem Grade leidenſchaftlich
maren, rüdfichtlich feiner legitimen Gefinnung zu legitimis
ven. In Form einer Strafpredigt fchmeichelte er ihren
innerften Herzenswuͤnſchen und wußte ſich auf die feinite
Weiſe ihre Vertrauen zu erwerben. Aber mit der bloßen
Sefinnung war jenen Derren nicht gedient; der legitime
Fanatismus in feiner Satonifchen Strenge war ihnen une
bequem, fobald es fi um Werkzeuge handelte, um ihre
Plane auszuführen. Jeder Kanatismus ift immer jefuls
tif) ; der bis auf die aͤußerſte Spitze getriebene Grundſatz
tät fih im Leben nicht durchführen und muß daher in
der Praris „in majorem dei gloriam“ fdyon zu Concefs
fionen und zur Falſchheit feine Zuflucht nehmen. Es if
eine intereffante pſychologiſche Erſcheinung, daß eben das
Gewiſſen des Fanatikers durch ſolche Duplicität ſich keines:
wegs befchwert fühlt, und daß er In feiner Selbſttaͤuſchung
die eigene Unwahrheit nie bemertt. Wollte Gens alfo
feine Carriere machen, fo mußte er auch nad) Darlegung
feiner legitimen Gefinnung fidy als einen jefuitifchen Prak⸗
tifer zeigen, denn fonft hätte man ihn wol zu den Gut⸗
gefinnten gezählt, aber nicht brauchbar befunden. Der
bergang, den er nun vom rigoriftifchen Strafprediger
zum lijligen Diplomaten macht, ift freilich unendlich plump,
aber dennoch richtig berechnet; denn der Fanatiker, der ges
gen fich felbft blind iſt, iſt es auch gegen Alles, was feis
nen Wünfchen und feiner Reidenfchaft entipricht.
Auf die Frage: „Was follen wir denn nun thun?“
die ſich Gentz aufwirft, antwortet er folgendermaßen:
Auf diefe Interpellation Laffen ſich zwei Antworten geben:
die erſte ift bie, die ich im Sinne eines Richters ertheilen würde,
ber, über jegliche menſchliche Schwäche erhaben, nur nach den
ewigen Gefegen bed Wahren entfchiede; biefe würde lauten:
„Ihe müßt den Krieg wählen!’
Diefes wäre die peremptorifche Antwort, die mir von meis
nen Grundfägen, von meinen Gefühlen, von meinem Gewiſſen
bictirt würde. Anders aber verhält es ſich mit ber Antwort,
bie ich einem Souverain ertheilen würbe, der mich bei fo ſchlim⸗
men Umftänden mit feiner Anfrage beehren würde; bann wuͤrde
ich dieſelbe allerdings nach den pofitiven Zuftänden, nach ber
Wirktichkeit einrichten, denn im Leben, in der Wirklichleit kann
Pr immer nad Gewiffen, nach idealen Grunbfägen ver:
abren.
Nachdem Gens alfo zuvor erklärt hat, daß kein Sou⸗
verain das Recht habe, der Öffentlichen Moral und der Les
gitimität etwas zu vergeben, läßt er nun mit fich handeln
in Bezug auf die Umſtaͤnde. Er raͤth zur Lüge, zur
Heuchelei, zu nichtigen Vorwaͤnden, um bie Unterhand:
lung einftweilen in die Länge zu ziehen, zu Zweideutig⸗
‚ keiten u. f. w. Wenn mährend deſſen nicht ein gün:
fliger Umſtand einträte, der die Welttage veränderte, muͤſſe
mar zuletzt fich fügen. Auf diefe Weile hatte er Zweier:
fei erreicht: erftens hatte er ſich als begeifterter Anhänger
von untadelhafter Gefinnung gezeigt, zweitens als pfiffiger
Menſch; er hatte bemiefen, daß er in beiden Rüdfichten
zu brauchen fei, daß man in diefer doppelten Eigenfchaft
auf ihn zählen könne, und eben folcher Maͤnner bedurfte
man, die in der Theorie unerfhütterlih an der Heiligkeit
der Majefldt hingen und die in der Prazis vor keinem
Mittel zuruͤckbebten. Hatte er ſich früher nur ale ges
wandten Parteiſchriftſteller documentitt, fo hatte er durch
dieſes Memoire ſich als anftelliger Diplomat erwieſen
und von da an bdatirt fein Eintritt in die diplomatifche
Carriere.
Wir uͤbergehen die fünf folgenden Aufſaͤtze, welche dieſe
Sammlung enthaͤlt, weil ſie weniger intereſſant und doch
in demſelben Geiſte erkuͤnſtelter declamatoriſcher Begeiſte⸗
sung und diplomatiſcher Perfidie geſchrieben find. Sie ent:
halten: 1) Den Entwurf einer Proteftation Ludwig's XVIII.
gegen den Ealferlichen Titel Napoleon’s. 2) Bemerkungen
über einen Artikel im „Moniteur” vom 14. Aug. 1804,
3) Ein an den Grafen Cobengl gerichtetes Memoire über
die Einverleibung Genuas, vom 15. Juli 1805. 4) Noch
ein Memotre, an Denfelben gerichtet, es befchäftige ſich mit
der franzoͤſiſchen Preſſe und ſucht nachzuweiſen, dag Na:
poleon auf voͤlkerrechtswidrige Weiſe das übrige Europa
durch die Preſſe bekriege. 5) Ein Brief an den König
von Schweden, vom 25. Juni 1805. Alle diefe Auf
fäge find In dem befannten, an altem Feuer gewärmten
Tone Gentz' gefchrieden. Da er nebenbei das Recht
häufig auf feiner Seite Hatte, fo kann es nicht fehlen,
daß auch viele richtige Grundfäge und Anfichten mit uns
verlaufen, aber ein eigentlicher Charakter, eine ehrliche
Überzeugung blickt nirgend durch und an den auffallendften
MWiderfprüchen ift kein Mangel.
Ungleich interefjanter ift der fiebente Auffag, der aus
kritifchen Bemerkungen befteht, welche Gentz Über bie Un:
terhandlung zwifchen Frankreich und England 1806 an:
fett. Diefe Bemerkungen waren wahrfcheinlich ebenfalls
für den oͤſtreichiſchen Minifter des Auswärtigen beflimmt.
England hatte befanntlid unter Pitt das Interventions:
princip bis zum aͤußerſten Exceſſe getrieben, trotzdem aber
dadurch nur die Kräfte Frankreichs vergrößert, die Willens:
ſchwaͤche und das falfhe Spftem der andern Gontinentals
mächte vermehrt und England felbft in eine Schuldenlaſt
geſtuͤrzt, an der es nody jegt krank liege. Nicht auf dieſe
Weiſe, nicht durch englifhe Subfidien und fremde Gabi:
netschlfichten konnte Napoleon geftürzt werden; erſt als
die Kürften an die Voͤlker appellirten, als Volkskraft ge:
gen Volkskraft aufitand, wurde der gerechten Sache der
Sieg und Frankreich in feine natürlichen Schranken durch
natürliche, moralifche Kräfte zuruͤckgewieſen. For war von
jeher der entfchiedenfte Gegner eines Syſtems gewefen,
welches ſich in die innern Verhaͤltniſſe eines Volks unbe:
fugterweife mengt, oder welches die Beziehungen zweier
Nachbarvoͤlker Eurzfichtigermweife durch Dazwiſchenkunft eis
ner dritten, nicht direct betheiligten Macht zu regeln
glaubt. Man kann zugeben, daß Kor im Eifer feines
Kampfes gegen das falfhe Syſtem Pitt's einzelne Per:
ſoͤnlichkeiten in der franzöfifchen Revolution und namente
lid) den Charakter Bonaparte's vielleicht mit zu günftigen
Augen anfah; im Wefentlihen aber hatte er recht und
fein Syſtem der Nichtintervention wird ſich immermehr
ale das Spftem der Gerechtigkeit und der gefunden Mo:
ral in der Politit Bahn brechen. Daß Gens mit einem
Spfteme nicht zufrieden fein konnte, welches die allgemeine
Verbrüderung der Ariftofraten, den allgemeinen Kreuzzug
bed Ancien regime gegen Frankreich, von dem er lebte
und auf den er feine geiftige und phyſiſche Griftenz ge:
gründet hatte, aufzulöfen drohte, mit einem Spfteme, das
Beine Subfidien mehr zahlte und was aller heimlichen Ca⸗
binetspolitit fowie den Belohnungen für die derfeiben ges
leifteten Dienfte das Garaus zu machen fchien, nicht zu:
frieden war, iſt erflärlih. Auch wußte er wohl, daß naͤchſt
Bonaparte felbit For der verhaftefte Mann in Europa
war bei dem gunzen Ancien regime und bei feinen Goͤn⸗
nern insbefondere. Man braucht fich daher über die
firenge Kritik, worin er or jede flaatsmännifhe Befaͤhi⸗
gung abfpriht und an jedem feiner Worte aufs klein⸗
lichfte mäßelt, weiter nicht zu voundern. Wir wollen hier
nur einer Außerung erwähnen, die fowol für den morali:
fhen Werth Geny’ charakteriſtiſch iſt, als fie auch zeige,
was er feinen Gönnern bieten durfte, ohne Gewiſſens⸗
ſtrupel bei ihnen zu befürchten. Ein franzöfifger Emigré
bat For den Antrag gemadt, Napoleon zu ermorden;
unter Pitt waren dergleihen Dfferten fchon öfter geſchehen
und nicht zuruͤckgewieſen. Fox Dagegen verwarf mit Ab⸗
fheu einen folhen Plan und bielt ſich auch verpflichtet,
Napoleon von dem ihn bedrohenden Attentate in Kennt:
niß zu feßen.
fahfte Moral fowie dur die Lehren des Chriſtenthums
begründet war — denn wenn For ſchwieg, fo war er Mit:
ſchuldiger —, ſucht nun Geng lächerlich zu machen. Kor
ſchreibt an Napoleon, daß feine Beftürzung bei einem fol:
hen Antrage fehr groß gewefen fe. Was dußert Gens
nun darüber ?
War denn ber Worfchlag dieſes Mannes fo neu, fo uner:
hört? Der Gedanke, ſich Bonaparte’s zu entledigen, ift denn
boy ſchon Früher von mandyen Individuen gefaßt. Georges,
Pichegru und fo viele Andere, die von ben adhtbarften Männern
Englands unterftügt und von den Edelſten der Mitiebenden bes
weint wurben, find wahrlich nicht weniger und nicht mehr fchulbig
gewefen wie eben ber Mann, ber den Brief von For veranlaßt
bat. Wenn ein fo ganz gewöhnlicher Plan Hrn. Bor ſchon fo
außer fich brachte, fo müflen freilich Diejenigen ebenfalls gewal⸗
tige Verbrecher gewefen fein, deren Wuͤnſche für das Gelingen
bes Unternehmens von Picdhegru gen Himmel fliegen.
Die Beantwortung ber Frage, ob es ein BVerbrechen fei,
einen Menſchen wie Bonaparte zu töbten, hängt lediglich von
ber ab, ob feine Macht eine Iegitime fei ober nicht. Wer ihn
für einen rechtmäßigen Souverain hält, wird fie freilich mit Ja
beantworten mäflen; anders wirb Der baräber urtheilen, der in
ihm nur einen Ufurpator erblidt u. f. w.
Diefe Handlungsweiſe, die durch die ein.
\
351
Unfer edler Gens macht fih bier nicht nur über den
gerechten Abfcheu eines edein Mannes, Mitfchuldiger an
einem Meuchelmorde zu fein, luſtig, fondern er ftellt aud)
Hart und unummwunden die Lehre auf, daß der Meuchelmord
erlaubt fel, ſobald er zu Bunften und nicht gegen die Sn:
terefien feiner fogenannten legitimen Gewalt gerichtet fei.
Sicher war dieſes Manufeript nicht für Die Öffentlichkeit
beflimmt, fondern nur für Staatemänner, die fih auf
gleicher Höhe mit dieſer jefuitifhen Moral befanden.
Gens hatte viel zu viel Takt, um der Öffentlichkeit ſolche
Behauptungen zu bieten; aber er wußte, was er feinen
Gönnern bieten durfte. Dennoch hat Hr. Schlefise einen
diplomatiſchen Verſtoß begangen, daß er foldye Acten:
ftüde, die nur für die Eingemweihten beſtimmt waren, zur
Publication bringt. Schwerlich wird folche blinde Dienft:
befliffenheit feiner künftigen diplomatifhen Carriere foͤrder⸗
lich fein.
Das intereffantefte und vwichtigfte Stud diefer Samm⸗
fung iſt nun unitreitig aber jenes „Tagebuch“, was Gens
im preußifhen Hauptquartiere die legten Tage vor der
Schlacht bei Jena geführt hat und wovon eine etwas
luͤckenhafte Überfegung bereits früher durch Hrn. Guftav
Schleſier veroͤffenticht worden iſt. Da Gens bei biefer
Gelegenheit durchaus feine aͤußern Rüdfichten zuruͤckhiel⸗
ten, die Wahrheit in ihren fdhärfften Umriſſen zu zeich:
nen, indem er als Berichterftatter für ben öftreichifchen
Dof keine Urfacye hatte, das bis dahin befolgte Syſtem
Preußens und die betheiligten Perfonen zu fchonen, fo
vertaufcht er bier die Rolle des Hiſtorikers mit feiner ge:
wöhntichen des fophiftifchen Advocaten und Parteiſchmeich⸗
feed. _ Wenn die Wahrheit mit feinen Abfichten überein:
fimmte, fo verftand Niemand befier als eben Geng, fie
aufs vollftändigfte auszubeuten, und eben hier zeigt fich
fein ebenfo großes als feltenes Zalent, daß er nämlich
mit bdemfelden Erfolge je nach den Umſtaͤnden ehrlicher
Mann wie das Gegentheil fein konnte. Seine Apologeten
verſtehen meiflens nur letzteres, den frifchen und beredten
Ten der Wahrheit wiffen fie nicht anzuftimmen, fondern
fie verderben den fchönften Stoff durch ſchielende, jeſuiti⸗
ſche Auffaſſung. Gens konnte aud einfach fein und die
Dinge für ſich reden laffen, ein Talent, was man in den
diplomatifchen Regionen vom alten Schlage faft nie fin:
det und wodurch er feine große Überlegenheit uͤber die zur
gänzlichen Unnatur verjcheobene damalige Diplomatie am
beften bewährte. Obgleich ohne Wahrheit und Gewiſſen
im Handeln, bediente fi) Gentz doch ſchon diefer Mittel
als Bundesgenofien. Heutzutage aber, wo aud) der Zweck
der Diplomatie die Herausfindung und Realiſirung des
Wahren ift, würde ein Geng nicht mehr an ber Zeit fein.
Er war eine Übergangsftufe, ein mixtum compositum von
Gutem und Schlechtem, wobei gegen das Ende das Letz⸗
tere gänzlich uͤberwog.
F. v. Florencourt.
Der Waſſermann. Ein Volksmaͤrchen aus dem 12. Jahr⸗
hundett. Wien, Doll. 1842. 8. 25 Mer.
„Lauter bruͤllte der Donner, fürdterlich erzitterte der Burg:
faal, helle Lichte bienbeten die Augen Aller und fanft erſchoil
eine ehrwürbige Stimme: Gewaͤhrt fei deine Bitte, wenn er
fo verbleibt, wie du ihm zu thun lehrteſt — bu felbft aber
bandte ferner fo weife — fei gut, und Gegen auch über dich
und dein ganzes Voik; vertüigt fei von nun an ber Daß gegen
bie Menfchheit — vertilgt fei ber Ruf eurer böfen Regenten.
Verziehen fei dir, verziehen beinem Volle. Rudo! Rudo] bein
Gebieter zuft; dein Voik fleht; ſenke dich hinab und genieße
alda in Ruhe die Freuden, bie dem Edeln und Guten mit
Recht gebühren. Angenehm ertönte Harmonie, immer fanfter,
immer ſchwaͤcher; Roſenduft erfüllte den Burgfaal — leife ec
sitterte dev Boden — Dank! Dank! riefen alle Bewohner ber
Sewaͤſſer — und noch aus der fernen Ziefe ertönte zum letzten
Male: Gegen über Alle! aus Rubo’s fanften, ehrwürbigem
Munde.”
Rubo iſt nämlich Herrſcher im Neiche der Waffergeifter,
Inhaber des berühmten Walfiichmantels, Beſiger des Dreizads
und anderer Dinge.
Mit archaͤologiſchen Blicken verfolgte Ref. dieſes für ibn
ſehr merkwürdige Buch; denn fobald er nur hineingeblättert,
um wie viel mehr, nachdem er die 184 Geiten durchflogen hatte,
war es ihm klar, daß dies Bein naturgemäßes Product der Ger
genwart fei. Ideen, Perfonen, Yhantafle, Sprade, auch das
Bild und bie Vignetten auf bem Titel gehörten einer (ängft
babingefchwundenen Zeit an. Gr konnte alfo glauben, baß,
wie es wol zuweilen gefchiebt, auf ein altes Buch ein neuer
Zitel geklebt worben; aber das Papier ift nicht vergelbt, bie
Schrift neu und fcharf, die Druckerſchwaͤrze noch friſch und fet:
tig. Alles untruͤgliche Zeichen, daß Sag und Papier neu find.
Möglich freilich, daß man einen alten Text neu abgefeht hätte, -
um feiner Zrefflichkeit willen, aber auch dagegen laͤßt fich aus
innern Gründen Mancherlei einwenden: es tft nicht die volle
Kraftfpradhe ber Cramer'⸗ und Schienkert’fchen Ritterzeit; die
eigentlichen Kernausbrüäde fehlen. Wie ein altes Gefchmeide er:
ſcheint das Werk, aus dem man die Steine, bie zu ungefchliffen
für unfere Gefchliffenpeit waren, ausgebrochen hat; es ift nun
nur noch das rohe Geſtell mit etwas vom Rebenfhmude da.
Genug, aud hier waltete keine Taͤuſchung ob. Gewiſſe unvers
kennbare, feine Züge verratben dem Kenner, daß er es mit
einem Werke mobernen Geiſtes, trot der grotesfen Auffaffung
und ber befannten alten Ritterfchablone zu thun habe,
Wie ift das möglih? Andere mögen barauf antworten.
Wien hatte einft das Verdienſt, daß feine Volksdichter die un:
genießbaren Ritterromane beamatifch verarbeiteten und mit vie⸗
len tomifchen Zuthaten für die Leopoldſtaͤdter Bühne mundgeredht
machten. Dort klirrten bie eifernen Ritter, Happerten die Muͤl⸗
ler von der Teufelsmuͤhle und erfchienen und verwandelten ſich
die Donaumweibchen noch fort und fort, nachdem fie aus der Eis
teratur längft verſchwunden waren. Run ift für die Kaiferflabt -
auch diefe goldene Zeit vorüber; ift das Beduͤrfniß nach ber Ur⸗
küche wieder rege geworden? Geltfam, weldge Ritterrnmane
dort wieber für das VBoik gefihrieben werden können, wo bie
Grillparzer, Anaftafius Grün, Lenau u. X. für bie aͤſthetiſche
Etite Zöne anfchlugen, bie in ganz Deutichland widerklangen.
Die Meblataloge bringen uns ganze Werzeichniffe ſolcher Ro:
mane, wie fie ber Verleger des obengenannten noch beildufig auf
dem Dedel anlündigt, als: „Mathilde von Rapperſchwyl,
ober das Rachegeſpenſt, eine Geiftergefdhichte aus den Zeiten
Kaifer Otto des Großen’; oder „Otfried von Tannenberg, oder
der Fluch der Verführung, eine Sage aus den Zeiten Friedrich's
von Hohenſtaufen“; ober „Die Wunder ber Zodtengruft‘, ober
„Der Luftgeifi. Wie werben bdiefe Romane gearbeitet? Auf
Beſtellung, oder auf gut Gluͤck? Die. Frage verdiente eine
ernfthafte Beantwortung, wie benn überhaupt das Thema ein
ernſtes ift, die Strömungen der Bildung, wie fie dort durch
352
Gebirge ſich brechen und dort im Bande verfidern, und wie es
möglich ift, daß man mit bem abgeftanbenen Waſſer, das ſich
irgendwo geſtaut hat, noch in gewiſſen Kreiſen den Hurſt ſtil⸗
ien und die Gärten netzen konnte. Ref. wiederholt, daß ihm
das Buch ſehr merfwärdig war, fonft im Gpeciellen hat er
nichts darüber zu fagen. 10.
en
Literarifhe Confuſion.
Ein ergögliches Weifpiei von Gonfufion liefert ein Arti⸗
Kl, den wir eben in ber „Biblioteca Italiana’ (1842), ®b. V,
Heft XIII, ©. 33 fg., lefen, in weichem „Il viaggio in Italia
di Teodoro Hell sulle orme di Dante, per la prima volta
pubblicato in Italiano con note’ (Xrevifo 1841) von einem
Hrn. ©. Venanzio angezeigt wird, Daß „Mein Weg in Dan:
te’8 Kußtapfen” nach 3. 3. Ampere, deſſen Schrift zuerft in
der ‚Revue des deux mondes’’ erfäien, bearbeitet fei, bat Dr.
Ib. Heu auf dem Zitel feiner (Dresden und Reipzig 1840) er
ſchienenen Überfegung ſelbſt angegeben, aber der italieniſche Über:
feger, ein Er. Scolari, muß es entweder nicht gelefen, oder.
nicht verftanden, oder für eine inte gehalten haben, genug, er
bat das franzöfliche Buch aus ber deutfchen überfegung ins Itas
lienifche überfegt und den deutfchen Überfeger für den Verf. ges
halten. Das erhellt aus einer in dem Artikel angeführten
Etelle, in welcher Hr. Scolari von feinen Anmerkungen fagt:
„che qui tengono luogo soltanto del discorso che stırada
facciendo avrei fatto io medesimo con Teodoro Hell.” Der
Ref. in der „Biblioteca italiana’ theilt diefen Glauben, fpürt
aber feiner; er merkt, daß Th. Hell ein angenommener Name
fei, und fo Kann ihm benn bei einem in Dresden erfchienenen
deutfchen Buche über Dante nichts ficherer feinen, ale daß bie:
fer Pfeudonymus Niemand anders fei, als ber ſaͤchſiſche Prinz,
deffen Verdienſte um das Studium des Dante befannt genug
find. Wie es fich gebührt, vefpectirt er das neue Sncognito, in
das ſich Philalethes gehällt, beſcheidentlich, kann es fih aber
doch nicht verfagen, dem Eefer feine ſchlaue Entdeckung merken
zu laſſen, und —* daher von Hrn. Th. Hell mit einer Hoͤf⸗
lichkeit, die auserleſen iſt, bie aber ſelbſt einem kaiſerlich chi⸗
neſiſchen Mandarin gegenüber etikettewidrig fein wuͤrde und die
wir auch gegen einen koͤnislich ſaͤchſiſchen Hofrath, ſo verehrungs⸗
würdig er fei, für übertrieben Halten. &o ſagt er gleich zu
Anfang: „Questo lavoro di eccelso personaggio che usciva
alla luce nello scorso anno a Dresda col pseudonimo di Teo-
doro Hell”; dann „con questi nobili intendimenti il signor
Teodoro Hell imprese a peregrinare con Dante”; fo bezeich-
net er ibn ats l’illustre autore, Pinctito autore, Benennungen,
die in Deutſchland ſchwerlich Iemand für Hrn. Th. Dell pafe
fend finden wird; und fo ſchließt er auch mit einer Empbafe,
die feinem Zwecke, den Lefer den hohen Rang, den der Pfeus
donymus einnimmt, errathen zu laffen, angemeffen iſt: „Per tal
modo tre preclari ingegni, quello cui placque nascondere
Palto suo nome sotlo il modesto nome di Teodoro Hell‘, lo
Scolarj ed il Polanzani (ein Treviſaner, der in einem Anbange
Dante’s Beziehungen zu Treviſo erläutert hat) concorsero con
gpeste opere a fornire la Divina commedia di un nuovo ge-
nere di commento che tuttavia si desiderava; e giovarono
cosı eminentemente alla letteratura italiana che dello studio
di quel poema immortale tanta luce e tanto decoro ritrag-
gono”. Dieſes pausbädige Lob, mag es auch wenigftens bei
Ampere’s oberflächlicher Arbeit nicht ganz angebracht fein, hat
für einen deutſchen Lefer, der feit Voͤttiger's Dinfchelden gar
nicht mebr an Dergleichen in der deutſchen Kritik gewöhnt ift,
etwas Rührendes; wir zweifeln nicht, daß es Hrn. Iheodor Dell,
zumal nach mancheriei Eritifchen Grobpeiten, die ihm feine
Arbeiten im Rache des Überfegens noch über den baaren Lohn
eingebracht haben, recht wie Honigſeim munden werde; nur mag
ee ſich, follte er noch einmal nad Oberitalien kommen, vor
Ghrenpforten und weißgelieibeten Iungfsauen in Acht nehmen.
Biebhabdern ber DantesPiteratur wollen wir übrigens noch bemers
ten, daß die Noten des Hrn. Scolari „tutte molto pregevoli”
find „o per contenere alcuna rara notizia od alcuna inge-
gnosa riflessione”, forvie, daß außer bem bereits erwähnten Ans
bange ſich noch zwei finden, in deren einem Hr. Gcolari eve
weift, daß Allighieri mit doppeltem I und nicht anders geſchrie⸗
ben werben müfle; der andere enthaͤlt „un sunto di cronologia
Scaligera dal 1050 al 1381”. 48.
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Der 1. bis 6. Zell der „Erfapenugen“ (1814 — 24)
Bolten im herabgeſetzten Preife auftatt 6 Zur. 18 Agr.
uur 3 Ahlr. das ganze Werk daher 4 Thlr. 21 Mer.
Ale ein befonderer Abdruck aus dem 7. Theile ift erfchienen:
Snleitung zur Kenutuiß und Anwendung
eines neuen Ackerbauſyſtems. Auf Theorie
‚und Erfahrung begründet. Gr. 8. Geh. 15 Near.
* u erfchien noch bei mir von dem Berfaller:
er einer Hnleitung zum Bonitiren
und Gleffifieieen des —R 8. 1824.
gt.
Verantwortlicher Gerautgeter: Heinrich Brockhausſs. — Druck und Verlag von %. A. Brochaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifbhe Unterhaltung.
Donnerstag,
Die Sefammtausgabe deutfcher Claſſiker im Verlag
der 3. G. Eotta’fchen Buchhandlung.
Wir lefen in den Öffentlichen Bldttern, daß die Cotta’:
fche Buchhandlung mit den Erben Herder's wegen einer
neuen Sefammtausgabe der Werke diefes großen Schrift:
ftellers in Unterhandlung getreten ift und, wenn wir nicht
irren, dieſelbe auch ſchon abgefchloffen hat. Dem deut:
ſchen Publicum war diefe Nachricht gewiß ſehr willkom⸗
men, und bie zahleeihen Freunde und Bewunderer Der:
der's erwarten mit Sehnſucht eine nähere Ankündigung
der preoiectirten neuen Ausgabe, fowie fie wünfchen, daß
diefelbe baldigſt begonnen und mit der möglichflen Schnel:
ligleit beendigt werden möchte. Und ein ſolcher Wunſch
if in ber That fehr begründer; denn die bisherigen Edi:
tionen ber Herder’fchen Schriften find ohne Übertreibung
beinahe ganz unbrauchbar, weshalb ſchon feit vielen Jah⸗
ren und von den verfchiedenften Seiten auf bie Roth:
wendigkeit einer befjern und zwedmäßigern aufmerffam
gemacht wurde. Schon die äußere Ausflattung ber fruͤ⸗
bern Ausgaben — felbft die größere in Octav nicht aus:
genommen, welche Übrigens nicht einmal mehr voliftän:
dig im Buchhandel zu haben iſt — muß den Wunſch
nach einer fchönern erweden, da jene in diefer Beziehung
auch den befcheidenften Anfoderungen nicht genügen; denn
Drud, Papier, Kormat, mit einem Wort die ganze typo:
graphifche Erſcheinung darf geradezu häßlich genannt wer:
den. Mit der innern Beſchaffenheit jener Ausgaben ficht
es aber um nichts befler; fie find vielmehr entſchieden
unter aller Kritik. Zunaͤchſt ift die Vertheilung bes Stoffe
in drei Dauptabtheilungen (I. Zur fehönen Literatur und
Kunft; II. Zur Philoſophie und Geſchichte; IH. Zur Re:
ision und Theologie) an und für fi ſchon nicht gerade
zweckmaͤßig; fie ift aber um fo weniger zw vechtfertigen,
als die einzelnen Schriften oft ganz willkuͤrlich diefer ober
jener Abtheilung zugemwielen find. So finden wir die
Schrift: „Vom Geiſt der ebrälfchen Poefle”, ferner
„Salomon's Lieder der Liebe, nebft 44 alten Minnelie:
dern und einem Anbang über die ebräifche Elegie“ in
dev Abtheilung Zur Religion und Theologie; in ber
nämtlichen Abtheilung fteht die „‚Aitefte Urkunde des Men⸗
ſchengeſchlechts“. Was haben aber dieſe Schriften alle
mit der Religiom oder mit der Theologie gemein, als daß
fie fi auf das Alte Zeftament beziehen? Und bat nicht
Herder vielmehr dem Hohenlied die demfelben vor feiner
Zeit beigelegte religiöfe Bebeutung geradezu abgefprochen ?
Offenbar hätten daher die zwei zuesft genannten Werke
in die Abtheilung Zur ſchoͤnen Literatur, das lebte in bie
Zur Geſchichte eingereiht werden follen. Wir glauben
zwar nicht, daß eine rein chronologiſche Anordnung zweck⸗
mäßig fei, weil fie die höhere innere Ordnung flört, ja
unmoͤglich macht, weshalb wir es denn für weit geeigne:
tec-halten, bie einzelnen Werke oder Schriften eines Schrift⸗
ſtellers zundchft nach ihrem Inhalte oder ihrer Korm ans
einanderzureihen; aber immerhin muß die Anordnung
nach einem feften und zugleich ausführbaren Plane flattfin>
den und dieſer dann auch fireng befolgt werden, wovon bei
ben bisherigen Gefammtausgaben ber Herder'ſchen Schrifs
ten weder das Eine noch das Andere flattgefunden hat.
Wenn fi Übrigens die Mangelhaftigkeit der Anorbs
nung auf Das befchränkte, was wir foeben gerügt haben,
fo ließe es fih, wenn auch nicht entfchuldigen, doch we⸗
nigſtens ertragen; man könnte fi) mit einer ſelbſtverfer⸗
tigten Überfiht — denn die bisherigen Ausgaben liefern
feine folhe — wol beheifen; allein bie Unordnung greift
fo fehr ins Einzelne ein, daß man auch mit einem foLs
hen Auskunftsmittel nicht weit kommen würde, man
müßte fi) denn entfchließen, fo umfaſſende Regifter zu
maden, daß man mit ihnen einen ziemlich diden Band
füllen könnte. Nur einige VBeifpiele zum Beweiſe. In
den beiden Ausgaben von Herder finden wir freilich zwei
Bände, welche Gedichte enthalten. Aber erſtens find diefe
ohne allen Plan, mit der größten Willkuͤr durcheinander
geworfen, fodaß es kaum möglich iſt, eines herauszufinden,
man müßte benn die ganzen langen Berzeichniffe durchs
lefen, welche den beiden Bänden vorangeſchickt ſind. Auf
feinen Fall kann der in ber Vorrede vom Derausgeber
(3. ©. Müller) angebdeutete Plan der Anorbnung befries
digen, noch ift er hinlaͤnglich feft durchgeführt. Zweitens
enthält die Sammlung nicht einmal alle Gebichte Hers
der's. Abgefehen davon, daß ber Herausgeber viele Ges
dichte weggelaſſen bat, welche ihm der Aufnahme nice
würdig ſchienen — wir können aber des fonft ehrenwer⸗
tben Müller Urtheil in Sachen der Poeſie unmöglich
als maßgebend erkennen und annehmen —, fo. hat. er
auch alle diejenigen Gedichte nicht in die Sammlung
854
eingereiht, welche fi) in ben übrigen Schriften zerſtreut
vorfinden; und biefes iſt eine nicht unbedeutende Anzahl,
wie fie audy zu den fhönften und eigenthümlichften bee
genialen Mannes gehören.: Zwar ift der Sammlung ein
Verzeichniß diefer zulegt erwähnten, in andern Werken zer:
ftreut vortommenden Poefien angehängt; das Ift aber offens
bar nicht hinreichend, und dann ſteht diefes Verzeichniß
nur in der größern Dctavausgabe, nicht aber audy in ber
kleinern Tafchenedition, obgleich das aus ber größern ab:
edruckte Vorwort ebenfalls eine folche Überficht verfpricht.
beipens werden die zwei Bände der Octavausgabe, welche
die Gedichte enthalten, auch abgefondert verkauft; fomit
werden alle Perfonen getäufcht, weiche fih im Vertrauen
auf den Titel diefe Bände anfchaffen; denn fie glauben,
bie ſaͤmmtlichen Poefien zu erhalten, während ihnen doch
Set einer nicht Meinen Anzahl nur ein leeres Derzeichniß
gegeben wird. Und fie muͤſſen ſich entweder mit ber un:
velfländigen Sammlung begnügen, oder die Übrigen 43
Bände der Gefammtausgabe aukaufen, die Übrigens, ‚wie
ſchon gefagt, nicht einmal mehr vollfländig zu haben find.
Über auch für die Beſitzer der fämmtlichen Werke ift die
erwähnte Einrichtung zum allerwenigften fehr flörend und
ungwedmäßig, weil fie immer alle 45 oder 60 Bände zur
Hand haben und bald diefen, bald jenen Band aufſchla⸗
gen, beppelte Regiſter durchgehen müflen, fobald fie irgend
ein in andern Schriften vorkommendes Gedicht Lefen wols
en. Freilich würde, um diefem argen Übelftande abzu⸗
beifen, ein doppelter Abdruck dee betreffenden Gedichte
nöthig fein, weil man fie natürlih auch an ihrer ur
fprunglihen Stelle bewahren müßte, wo fie zum Ders
ſtaͤndniß des Übrigen durchaus unentbehrlich find; aber
bat man bei Goethe 3. B. oft genug einzelne Bebichte
zwei⸗ und dreimal ohne alle Nothwendigkeit abgedrudt,
tann man wel auch bei Herder Einzelnes doppelt ab:
drucken, zumal es fidh bei demfelben vollkommen rechtfer⸗
tigen laͤßt. Was übrigens jenes der Dctanausgabe bei:
gegebene Verzeichniß der zerſtreuten Gedichte betrifft, fo
ft dieſes noch dazu hoͤchſt ungenügend und fehlerhaft;
es führe nicht alle in den einzelnen Schriften vorkom⸗
menden Gedichte an, nimmt aber dagegen foldye auf, bie
von andern Dichtern berrähren, 3. B. einige von Knebel.
Es ließe ſich über bie bisherigen Ausgaben der Her:
der'ſchen Werke noch Manches fagen, es ließe ſich noch
mancher Fehler nachweiſen, da auch die Behandlung der
peoſaiſchen Werke keinesivegs den Anfoderungen einer ges
funden Kritik entſpricht; doch iſt ſchon das oben Geſagte
dinreichend, um den Ausfprudy zu begründen, daß eine
neue Ausgabe hoͤchſt wuͤnſchenswerth, fo ganz unerlaßlich
fi, und daß eine ſolche einem allgemeinen und gewiß
tiefgefühlten Beduͤrfniſſe abheifen wird.
Aber eine andere Frage ift «6, ob wir wol große
Urſache Haben, uns auf bie zu erwartende neue Edition
zu freuen, ober eb wir nicht vielmehr Grund haben zu
befhechten, es möchte auch diefe hinter den billigften Er⸗
Wertungen zuruͤckbleiben. In Einet Beziehung freilich
haben wir ohne Zweifel Beſſeres zu erwarten; es wird
Ach die mie Ausgabe von der früheren durch eine ſchoͤ⸗
nere Ausßattung auszeichnen; wir werben endlich einmal
ſtatt des brauen und ſchmuzigen Papiers ein anftändiges
weißes, flatt des Heinen, ineinanderfließeden Drudes einen
reinen deutlichen echalten; mit einem Worte, es werben
"die unſterblichen Werke. des großen Herder etwa mit
Ausnahme des Formats — denn ich zweifle nicht, daß
auch bier das geſchmackloſe breite Kormat, das man mit
dem Namen Schiller-Format zu beehren pflegt, wieder zu
Tage gefördert wird — zum erſten Male in einer des
großen Mannes whrdigen Geftalt ericheinen. Ob aber
aud die Anordnung, ob die Eritifche Behandlung erfreus
lich fein, ob fie den nöthigen Anfoderungen entfprechen
wird, die man am fie zu machen berechtigt iſt, daran —
wir geftehen «6 unummunden — zweifeln wir ſehr, und
leider feben wir Urſache genug dazu; denn wir find «6
eben nicht von der Verlägshandlung gewohnt, daß fie bei
ihren Editionen deutſcher Claſſiker auf ſolches Ruͤckſicht
nimmt. Denn wenden wir einen Blick auf die verſchie⸗
denen Geſammtausgaben oder die Auswahlen, welche in
der jüngften Zelt von der Cotta'ſchen Buchhandlung be:
kannt gemacht worden find, fo finden wir unter der gros
Ben Anzahl kaum Eine, mit welcher man von Selten
ber Kritik zufrieden fein könnte; es laſſen vielmehr alle
viel, ſehr viel zu mwünfchen uͤbrig. Wir wollen nicht von
den Goethe'ſchen Werken reden, benn bei diefen waren,
fo viel uns bekannt iſt, der Werlagshandlung die Hände
gebunden. Die vor Goethe's Tode erfchienene Ausgabe
feiner fämmtlihen Werke beforgee der Dichter ſelbſt; Die
fpdter erſchienene war (nad) Goethe's letztwilliger Verfuͤ⸗
gung) dem Hofrath Riemer und — wenn wir nicht irren —
Edermann: anvertraut. So viel Sehnde wir daher auch
haben mögen, biefe legte ‚ Schiller: Ausgabe‘ der Borthe’fchen
Werte im Ganzen wie im Einzelnen zu misbilligen, mit
Wahl und Anordnung unzufrieden: zu fein; fo ift dabei
bie Verlagshandlung von jedem Vorwurf freigufprechen,
weiche hoͤchſtens das geſchmackloſe Format zu veramtmors
ten bat. Bei andern: Schriftftellern dagegen fällt die
Schuld ber Mangelhaftigkeit ganz und alein auf fie,
und es ift ihr die Leichtfinnige Behaudlung unferer ge:
feierteften Schriftfiellee um fo weniger zu verzeihen, als
fie bekanntlich mir ihnen und durch fie beträchtliche Sum»
men gewonnen hat, fodaß fie fhon aus Dankbarkeit dies
ſelben beſſer pflegen follte. Dann iſt «6 aber mit bee
bloßen äußern Schönheit und anftändigen typographifcken
Austattung noch lange nicht gethan.
Wir dürfen eine fo tiefeingeeifende Anklage nicht bios
binwerfen, ohne fie näher zu begründen. Freilich koͤnnen
wie bierbei nicht Alles berkhren, nicht alle Fehler nad;
weißen, nicht alle Mängel aufdecken, die man ben Gotta’:
ſchen Ausgaben deutſcher Clafſiker mir echt vorwerfen
kann; jedoch werden ſchon die einzelnen Angaben, die der
Raum mitzutheilen erlaubt, vollkommen hinreichen, die
unwiderlegliche Wahrheit unſerer Behauptung datzuthun.
Wir beginnen mit Schiller. Schon bie in den letz⸗
ten Jahren zuerſt von Ed. Boas, dann, von diefem ans
geregt, von der Cotta'ſchen Buchhandlung ſelbſt durch dem
walten Hoffmeiſter herausgegebenen Nachttaͤge zu Schu⸗
ler's fämmttichen Werken beurkunden hinlaͤnglich, daß fi
die Verlagshandlung bis auf die neueſte Zeit um die
Werke unſers großen Dichters, denen ſie doch einen
bedeutenden Theil ihres Glanzes zu verdanken hat, nicht
eben ſehr befümmerte, wenigſtens nicht auf die gebuͤhrende
Welle. Sie ließ die frühere Ausgabe von Zeit zu Zeit,
fo oft eine Edition erfhöpft mar, wieder abdruden,
ohne für die nöthige Vervollfiändigung geziemende Sorge
zu tragen, die ganze Belorgung des Druds wahrſcheinlich
ven Vorſtehern ihrer Officin überlaffend, welche In ihrem
VWirkungskreiſe ganz vortreffliche und ſchaͤtzenswerthe Maͤn⸗
ner fein mögen, die ſich aber für rein Literarifche Arbei⸗
ten ebenfo wenig eignen als Literatoren oder Gelehrte für
tmpegraphifche oder faufmännifhe. So wurde denn auf
Die kritiſche Reinigung und Zeftfiellung des Textes nicht
die mindeſte Sorgfalt gewendet — ja felbft die Ausgabe
in Einem Bande und die neuefte in zwölf Bänden haben
dafür nicht das Nöthige geleifier —; es haben ſich daher
nach und nach die Argerlichften Drudfebler eingefchlichen,
welche nicht feiten ben urfprünglichen Gedanken bes Dich⸗
ters vollfländig verunftalten. Wir wollen deren nur el:
nige anführen, und zwar ſolche, auf welche ſchon früher
aufmerffam gemacht wurde, well gerade dadurch recht
deutlich wird, daß die Beſorger — wir dürfen wol nicht
fagen Herausgeber — der Schiller'ſchen Werke alte Drud:
feßker ohne Überlegung wieder abdrudten und felten oder
nie zur Quelle, d. h. den erſten Ausgaben oder Druden
zurücigingen.
In der letzten Strophe des achten Räthfels (‚Unter
allen Schlangen iſt Eine‘ u. f. w.) beißt es in allen
Ausgaben:
Und dieſes Ungeheuer
Hat zweimal nur gedroht — u. |. w.
Bott: „Hat zweimal nie gedroht”, was allein einen Sinn
site. — Wilhelm Tell ſagt im Schauſpiel gleichen Na⸗
mens (Act 3, Scene 1) von ®efler:
Er aber Tonnte keinen andern Laut
Aus feinem Munde geben — Mit ber Hand nur
WBinkt’ er mir fehweigend, meines Wegs zu gehn ꝛc.
es muß heißen: „Er aber konnte keinen armen Laut
aus feinem Munde geben”, weiche Lesart außerfb bezeich⸗
nenb , während die andere geradezu Unfinn fl. — In
„Maria Stuart” (Het 2, Scene 4) hatte die erſte Aus
D Königin! Dein Herz bat Gott gerührt,
Gehorche diefer himmliſchen Bewegung !
Schwer büßte fie fürwahr die ſchwere Schuld,
und 3eit iſt's, daß bie Harte Prüfung enbe
Reich’ ihr die Hand, ber tieföefallenen,
Wie eines Engels Tichterfcheinung feige
In ihres Kerkers Grabesnacht hinab.
Dee durchſchoſſene Vers fehle in den meiften, fo auch in
den neueſten Ausgaben. — In demfelden Trauerſpiel
(Act 3, Scene 5) fagt die Königin Elifaberh zu Mortimer:
ps zeigtet einen —— und feitne
Eurer r Sun
Mer ſchon fo früh der Taͤuſchung ſchwere Kunſt
Ausübre, der iſt wuͤrdig vos der Zeit,
Und er vertärt fi feine Puhfungäfahze u. f. w.
— — — — — — — — — — — —
Es wied jedem aufmerffamen Leſer das ‚würdig‘ ges
wiß ſeltſam vorkommen; auch hat Schiller nicht ſo, ſon⸗
been „muͤndig“ geſchrieben.
Wir koͤnnten dergleichen ſinnſtoͤrende, den Dichter ver⸗
unſtaltende Druckfehler, die ſich von Ausgabe zu Ausgabe
forterben und die beinahe mit jeder neuen vermehrt wer:
ben, noch eine große Zahl anführen; allein es reichen,
wie gefagt, fchon diefe wenigen bin, um zu beweifen, in
weichem abſcheulichen Zuftand fi ber Text eines unferer
größten Dichter befindet; und es wäre wol Zeit, daß bie
Verlagshandlung ſich endlih einmal entfhlöffe, für die
kritiſche Wiederherſtellung 'defjelben in feiner urfpränglichen
Geſtalt und Reinheit das Ihrige zu thun.
Durch die verdienftlihen Bemähungen Lachmann's
ann den neuen Ausgaben ber Leffing’fhen Schriften
(denn auch dieſe find befanntlih Eigenthum ber Cotta’:
fhen Buchhandlung geworden) ber nämliche Vorwurf
der Incorrectheit, oder vielmehr der unverantwortlichften
Bernadyläffigung nicht gemacht werden; aber fie koͤnnen
trogdem auf vollfländige Biligung Leinen Anſpruch ma⸗
hen, fhon darum nicht, weil fie die von Lachmann ges
wählte Anordnung zum Theil wenigftens befolgen, bie
uns keineswegs zweckmaͤßig und rathſam fcheint, weil in
ihr der Grundfag ber chronologifhen Meihrfolge auf der
einen Seite bis zum Extrem befolgt wird — wie denn
z. B. die Geſpraͤche zwilhen Ernſt und Falt nicht uns
mittelbar aufeinander kommen — auf der andern Seite
die hronologifehe Anordnung dadurch wieder unterbrochen
ift, daß bie poetifhen Werke von den andern gefchieden
und befonders zufammengeftellt find. Es ift gewiß Je⸗
dem, der den Leſſing nicht blos hier und da lefen, fon:
dern auch benugen will, bie von Lachmann befolgte An:
ordnung hoͤchſt unangenehm, weil fie durch die merkwuͤr⸗
dige Berfegung und theifmweife Berftüdelung der einzelnen
Schriften und bei dem gänzlihen Mangel an einem um:
foffenden und brauchbaren Regifter das Auffinden unges
mein erfchmwert. Freilich ift dieſe Unannehmlichkeit bei
den neueften Cotta'ſchen Ausgaben weniger fühlbar, weil
fie weit weniger enthalten als die Lachmann'ſche, aber
fie ift doch noch bedeutend genug. Was diefe aber ins⸗
befondere betrifft, fo wird man ſich zunaͤchſt darüber
verroundern, daß die Sedezausgabe in zehn Bänden nicht
Alles enthält, was In die einbändige aufgenommen wors
den ift, da doch beide offenbar für ein und das naͤmliche
Publicum beflimme find und beide überdies glei viel
Eoften. Dies ift eine Willkür, die fih auf keine Weiſe
erklären, noch viel weniger entſchuldigen laͤßt. Das Pu:
blicum bat das vollſte Recht, ſich darlıber zu beklagen,
da alle diejenigen Perfonen, welche es vorzögen, fich die
bequemere Handausgabe anzufhaffen, eine Reihe von
Arbeiten bes großen Mannes weniger erhalten, als wenn
fie die größere ankauften. Sie müflen daher entweder
auf die Schriften Verzicht elften, welche in die Ausgabe
in Einem Bande aufgenommen find, oder fie muͤſſen dieſe
faufen, die ihnen wegen des großen nicht leicht handlichen
ts unangene .
Sormats unangenchmiſ
Le regne animal distribud d’apr&s son organisation par
G. Cuvier. Nouvelle &dition. Paris 1843.
Cuvier war ein burchaus foftematifcher Geiſt. Bei allen
feinen umfaffenden Studien firebte er nach gewiflen Grundprin⸗
cipien, die er in ihrer größten Ginfachheit aufzuſtellen ſuchte.
Bei feinem unſchaͤtbaren Werke über das Thierreich zeigte ſich
namentlich fein lichtvollee Blick und die Gonfequenz, mit ber er
feine Anficgten durchzuführen wußte. Er bradite, fo zu fagen,
Licht in das Ghaos, das bis auf ihn in der weitichichtigen
Zoologie geberrfhht hatte. Daubenton und Camper hatten zwar
ſchon einzelne Partien durch geiftvolle Unterfuchungen aufzuklaͤ⸗
ren geſucht, und Pallas namentlich batte einzelne philoſophiſche
Anſichten aufgeſtelit, die noch nicht gehörig gewwürbigt find; aber
im Allgemeinen blieb noch unendlich viel zu thun übrig. Die
einzige allgemeine Aufzählung der bekannten Thiergattungen und
Arten war das bekannte „Syſtem“ von Rinne; aber auf den er:
ften Blick mußte man ſehen, daß der unfterbiiche Raturforfcher
in dem zoologifchen Theile ſich nicht auf biefelbe Höhe erhob
wie in feinen Werfen über die Botanit. Außerdem war ſeit
Sinne das Material unendiidy angefdywollen, unzählige neue Ar⸗
ten waren entdeckt, die im „Syſtem“ nody nicht in Reihe und
Glied geordnet waren. Namentlich waren die anatomifchen Vers
hältniffe der einzelnen Thiergattung noch nicht in ihrer ganzen
Wichtigkeit gewürdigt. So handelte es ſich denn nicht nur
darum, Licht und Ordnung in das weite Thierreich zu bringen,
fondern es war eine doppelte Arbeit vorzunehmen, nämlid das
Studium der vergleichenden Anatomie und das ber eigentlichen
Zoologie, indem fich diefe beiden Wiffenfchaften gegenfeitig ers
gänzen mußten. Dan weiß, mit welchem Gtüd ſich Cuvier
biefer rieſigen Arbeit unterzog und wie er gewiſſermaßen Im
Vorbeigehen noch eine Wiſſenſchaft ſchuf, d’e man bis auf ihn
kaum geahnt hatte. Wir meinen bie Kunde ber Thierverſtei⸗
nerungen, die ihrerfeits wieder Licht auf einzelne Partien der
Geologie geworfen bat. Wir haben nit nöthig, auf fein großes
Werk über das Thierreich bier näher einzugehen. Es ift in
den Bänden aller Derer, die fi) mit dem Studium der Zoolo⸗
gie abgeben, und hat in Deutfchland namentlidy an Voigt einen
würdigen Bearbeiter gefunden. Wir erwähnen vieles Werkes
nur, um auf eine neue Ausgabe aufmerkſam zu maden, bie
davon gegenmärtig vorbereitet wird. Cuvier fegte einen hoben
Werth auf gute Kupfer, d. h. auf ſolche Abbildungen, die von
Leuten von Fach angefertigt waren, und er bedauerte häufig,
daß der größte Theil feiner eigenen Werke biefer wichtigen Er⸗
Läuterungen entbehren mußte. Er felbft verwandte wol feine
Mußeftunden dazu, einzeine Zeichnungen zu entwerfen, und ging
befonder® mit dem Plane um, einen ſehr umfaffenden Atlas zu
feiner vergleichenden Anatomie auszuarbeiten. Leider ift dieſes
Project nicht zur Ausführung gelommen. Man kann es deshalb
eine gluͤckliche Idee nennen, daß die vorzüglichften Echrer bes
Jardin des plantes zufammengetreten find, um zu der neuen
Ausgabe des „„Regne animal” von Cuvier erläuternde Abbildungen
zu liefern. Die Namen der Gelehrten, die ſich diefer Arbeit
unterzogen baben, Tönnen als eine Bürgfchaft dafür gelten, daß
fie etwas Ausgezeichnetes zu Stande bringen werden. Wir er:
mwähnen nur Audoin, Orbigny, Milne⸗-Edwards und Balenı
ciennes. .
Literarifche Notizen aus Franfreid.
Bir haben in d. BL. bereits eine Sammlung von Briefen
erwähnt, bie von der Königin von Navarra an ihren Bru⸗
der, Kranz I. von Frankreich, gerichtet waren und bie für die Ge⸗
fgichte ihrer Zeit ein bobe& Intereffe bieten. Der Derausgeber
derfelben, F. Genin,, der ſich neuerdings namentlidy durch feine
geiftreichen Srititen im „National” und ber „Revue inde-
pendante”' befannt gemacht bat, läßt gegenwärtig eine Fort⸗
fegung erfcheinen. Diefelbe flieht weder an Umfang noch an Ins
tereffe hinter der erfien Sammlung zuruͤck. Genin hatte ſchon
früher angelünbigt, daß ſich noch eine andere Gorrefponbeng
finden muͤſſe. Indeffen war es ihm unmöglich, berfelben habs
baft zu werden. Allee Nachforſchungen ungeachtet war fie auf
ber parifer Bibliothek nicht zu finden. Gegenwärtig ftellt ſich
nun heraus, daß Ghampollion s Kigeac das Manuſcript abſicht⸗
lich verftedt gehalten zu haben fcheint, wahrſcheinlich weil er
fi die WVeröffentiihung der unbefannten Briefe vorbehalten
hatte. Endlich ift es indeflen dem fleißigen und gelchrten
Derausgeber der erſten Sammlung gelungen, ſich bas- Original
zu verfhaffen, und er läßt es nun, mit wichtigen Ginlcitungen
und Erklaͤrungen begleitet, im Drud erfcheinen. Wir wollen von
den zahlreichen Bemerkungen, die uns beim Durchblaͤttern bier
Correſpondenz aufgeftoßen find, nur eine hier mittheilen. In
den Briefen, die Benin in der erften Sammlung hat abbruden
laffen, namentlich in denen aus dem 3. 1521, finden wir an
verſchiedenen Stellen, daß die Königin Margaretha nicht ohne
Sympathie für die Sache ber Reformation, bie immer mehr Ans
klang fand, war. In ber gegenwärtigen Sammlung ihrer Briefe,
bie, einen einzigen ausgenommen, alle aus einer ſpaͤtern Epoche
batiren, finden wir mebre Stellen, in denen fie ihre Ans
bängtichkeit an die roͤmiſche Kirche ausdruͤcklich an den Bag
lest. Benin erkiärt diefen Widerſpruch dadurch, daß er fagt,
Margarethe habe anfangs dem Unternehmen Luther's ihren Weis
fall gegeben, weil fie glaubte, derſelbe werde bei der Abhülfe
einzelner Misbraͤuche ber Kirche ftehen bleiben; aber fie habe
fi) vom Reformator abgewandt, fobald fie ſich überzeugte, daß
er “ dabei nicht bewenden ließ, fonbern fi gan, vom Papfie
losſagte.
In Deutſchland finden die neueſten Erſcheinungen der ruſ⸗
ſiſchen Literatur ſchon ſeit geraumer Zeit die gebührende
Beachtung. Seit kurzem faͤngt man aber an, die hauptſaͤchlich⸗
ſten Werke, die in Rußland herauskommen, auch in Frankreich
einzuführen. So haben wir in ber neueſten Zeit eine gange
Reihe von franzöfifgen Übertragungen aus dem Ruſſiſchen ers
halten. Namentlich bat ſich der in Paris anfäffige Fürft Em.
de Galizin durch die Bearbeitung intereffanter Werke feines
Vaterlandes hervorgetban. Wir haben von ihm insbefonbere
die Überfegung eines gebaltvollen Reiſewerket über Shina von
Dobel zu erwähnen. Hieran fchlicht fich feine Bearbeitung rafs
fifcher Novellen und Geſchichten, die unter dem Zitel „Le con-
teur russe” erihienen ift. Leider muß in bdiefer Sammlung
nicht felten das ftofftiche Intereffe für bie etwas vernachlaͤſſigte
Borm entſchaͤdigen. Dit ungleich größerer Gewandtheit find bie
Bearbeitungen Bleiner ruffifher Romane abgefaßt, die Paul be
Zulvecourt unter dem fonderbaren Zitel „Yataghan” vor kun
zem herausgegeben hat. Diefer fruchtbare junge Schriftfteller
bat fi ſchon früher durch eine baͤndereiche Reihe eigener Ros
mane befannt gemacht, deren Scenen der Dichter meittene nad
Rußland verlegt hat. Man fieht aus feinen Werten, daß der
Verf. mit der ruffifchen Nation und ber Geſchichte derſelden ger
nau befannt ift,
Augufte Barbier, ber kurze Zeit nach der Zulirevolution
durch feine energifhen Satiren fchnell berühmt geworden war,
bat, nachdem er feine erfte poetifche Glut verfprüht zu haben
fien, lange geruht. Inbeffen fängt er jegt feit einiger Zeit
wieder an, eine neue Fruchtbarkeit zu zeigen. Es ift kaum
ſechs Monate her, als er die reihe Sammlung feiner ‚„Chants
politiques et religieux’’ hat erfcheinen laffen, und ſchon befins
det fih, wie es heißt, eine neue Auswahl Gedichte von.
ihm unter ber Preſſe. Diefelben werden ben Titel „Rimes
heroiyques’ führen und follen, wie verfichert wird, cine neue
Phafe in der Entwickelung des reichbegabten Dichters an den
Zag legen. 2.
Verantwortlicher Herauögeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von $. 4. Brodbaus in Leipzige.
Blätter
fir
literariſche Unterhaltung.
Fr
Freitag,
der 3. G. Cotta ſchen Buchhandlung.
(Beſchluß aus Nr. 60.)
Doch iſt dies nicht das Einzige, was ſich gegen die
beiden erwaͤhnten Editionen erinnern laͤßt. Wenn wir
naͤmlich zwar einerſeits der Verlagshandlung Dank wif:
fen, daß fie Ausgaben der Leſſing'ſchen Schriften ver:
anftaltet bat, welde für das größere Publicum beflimmt
“find, fo möüffen. wir andererfeits fogleich bemerken, daß fie
ihren Zweck nur hoͤchſt unvolllemmen erreicht hat. Leffing
bat zwar — mit Ausnahme feiner poetifhen Werke und
etwa einiger andern kleinern Schriften — nicht für ein
großes Publikum, ſondern nur für ein fehr befchränttes,
nur für das gelehrte gefchrieben; und Goethe hatte da:
ber volllommen xecht, als er zu Edermann fagte, es dürfe
das Berdienft, die größere Cultur unter die mittlern Stände
‚. verbreitet zu haben, weniger Lelfing zugefchrieben werden
als Herder und Wieland. Aber was zu Leſſing's Zeiten
den mittlern ober nicht gelehrten Ständen und Claſſen
des deutfchen Volks unzugänglid war, das iſt es jest
wicht mehr, gerade in Kolge des wohlthätigen und allge:
weinen Einfluffes jener oben genannten beiden Männer
und einiger andern. Die Ideen, welche in Leſſing's wif:
fenfchaftlihen und artiftifyen Schriften niedergelegt find,
Ideen, die zu feiner Zeit nur von Wenigen erfaßt wer:
den mochten, liegen in unfern Tagen nicht mehr außer
dem Bereiche eines größern Publicums. Es tft daher,
ich wiederhole es, die gute Abſicht der Verlagshandlung
mit Dank anzuerkennen, welche duch wohlteile Ausgaben,
ans denen die rein gefehrten, und namentlich die theolo:
giſchen Schriften ausgefchieden wurden, für größere Ver:
breitung der großartigen Werke eines unferer vorzüglich:
ſten Schriftfteller chätig fein und fo für geiftige Hebung
unfers Volks in ihrem Wirkungskreiſe das Ihrige beitra:
gen weilte. Aber fie bat, wie wir fogleich darthun wol:
fen, ihre loͤbliche Abficht kaum halb erreicht, weil fie Das
zu thun verabfäumt hat, was vor Allem nöthig geweſen
wäre. Leſſing bat viele feiner gefeiertften und einfluß:
reichſten Schriften, wie gefagt, nur für ein gelehrtes Pu:
bicum gefchrieben, 3.8. den „Laokoon“, die Abhandlungen
über die Fabel, über das Epigramm und andere mehr.
Deshalb hat er in denfelben ben ganzen gelehrten Appa⸗
rat beibehalten, den er ficherlich beifeite geſetzt, ober viel:
mehr allgemein. brauchbar und verfiändfich gemacht hätte,
wenn dieſe Schriften für ein nichtgelehrtes Publicum
beflimmt gewefen wären. Da aber in unfen Tagen
alle diefe Schriften in ihren Ideen auch einer großen
Anzahl von folhen Perfonen verftändlich find, welche eine
nicht eben gelehrte Bildung befigen und insbefondere we⸗
der ber Iuteinifchen noch der griehifchen Sprache maͤch⸗
tig find? — ich erinnere nur an bie zahlreichen Kuͤnſtler,
Kaufleute‘, Fabrikanten und Andere mehr, deren Stand:
punkt heutzutage ein weit höherer und umfaſſenderer ift
als vor 100, ja auch nur vor 50 Jahren —, fo hätte
billigerweife eine für das größere Publicum beflimmte
Auswahl Leffing’fhe Schriften auf alle biefe Perfonen
geziemende Ruͤckſicht nehmen und den gelehrten Apparat ber:
felben, die häufigen Citate aus griechiſchen und lateinis
fhen Gtaffitern, aus franzöfifchen, italienifchen und engli⸗
fhyen Büchern, wenn auch nicht entfernen, doch wenig⸗
ſtens durch genaue und gute Überfegungen allen Lefern
zugängli machen follen. So lange dies nicht gefchieht,
fol man fi nicht rühmen, eine für alle Gebildeten bes
ſtimmte und zweckmaͤßige Ausgabe veranflaltet, noch we⸗
niger fih um die größere DBerbreitung diefer herrlichen
Meifterwerke unferer Sprache Verdienſte erworben zu haben.
Es würde eine nähere Betrachtung ber neueſten Aus:
gaben von Kiopflod’s und Wieland's fämmtlihen Werken
denfelben ebenfalls nicht gerabe ſehr vortheilhaft fein,
ſchon deshalb, weil in ihnen fein Fortſchritt zu bemerken
ift; da jedoch deren Mängel im Ganzen weniger auffallend
und ftörend find, fo wollen wir fie für jetzt mit Stillſchwai⸗
gen übergehen und ebenfo wenig die incorrecte und uns
vollftändige Edition der Piaten’fhen Schriften erwähnen,
da von diefen, wie wir vernehmen, eine neue verbeflerte
Auflage vorbereitet find. Wir wollen unfere Bemerkungen
mit einigen Worten über bie jüngfle Ausgabe der „Aus⸗
gewählten Werke Klinger's“ befchliegen. Diefelbe ſtuͤtzt
fi, wie die Ankündigung uns anpreift, auf die legte vom
dem Dichter felbft veranftaltete und beforgte Ausgabe,
Hierbei entftcht aber zunachft die Frage, ob das Urtheil
eines Schriftftellers in Bezug auf feine eigenen Werke
felbfE maßgebend fein kann? Wenn auch ein folche® Urs
theil ohne Zweifel fuͤr gewichtig erachtet werben und ber
iteraturhiftoriler oder ber Herausgeber ber Werke des
betreffenden Schriftſtelers daſſelbe vor Allem berückfichti⸗
⁊
gen muß, ſo kann und darf es doch nicht abſoluthin
und ohne alle weitere Prüfung angenommen werden.
Erzählt uns ja in dieſer Beziehung die Gefchichte genug
von argen Selbſttaͤuſchungen fogar der größten Dichter,
wie denn 3. B. Petrarca fein in latelmifcher Sprache ge:
fehriebenes Epos ‚‚Afrite’’ weit höher ſchaͤtzte als feine in
der lingua volgare gedichteten Sonette und Ganzonen,
Bocaccio fi) feines Decamerone“ beinahe fhämte, wäh:
tend er auf feine lateinifchen Schriften, welche feit lan:
ger Zeit in Vergeſſenheit gerathen find, nicht wenig ſtolz
war. Auch bei unfern deutſchen Claſſikern begegnen wir
ähnlichen Taͤuſchungen. So hat Kavater feine in Com:
pofition und Sprache gleich mislungenen ‚Schweizeriieber”
feinen andern weit tlchtigern Poefien vorgezogen; fo hat
Dlaten oft genug zu verftehen gegeben, daß er vorzugs⸗
weife von feinen dramatifchen Schriften bleibenden Nach⸗
ruhm und Unfterblichleit erwarte, Indem er diefe höher
achtete als feine unbezweifelt genialern lyriſchen Gedichte.
Hat nicht fogar Schiller ‚öfters an feinem dramatifchen
Talente gezweifelt, dagegen aber in feinen jlngern Jah⸗
ven fich eingebildet, daß er zum Schaufpieler geboren fei,
während er doch nach allen Übereinflimmenden Berichten
feiner Sreunde und Bekannten nicht einmal mittelmäßig
gut vorlefen Eonnte? Und eine ſolche Selbſttaͤuſchung ift
auh, zum Theil wenigſtens, bei Klinger vorhanden.
Zwar iſt nicht zu leugnen, daß feine fpätern Dramen,
diejenigen alfo, die er in die von ihm veranflaltete Samm:
lung feiner Werke aufgenommen hat, den frühern an Klar
beit und Sicherheit, überhaupt an größerer Eünftlerifcher
Reife überlegen find; aber auf der andern Seite tritt
gerade in biefen fein eigenthuͤmliches Talent, feine ftür:
mifche, rüdfichtlofe Kraft, feine fchneidende Welt: und
Lebensanficht entfchiedener hervor, wie auch nicht zu Über:
fehen ift, daß fie fih im Ganzen viel freier, lebendiger und
ſelbſtaͤndiger bewegen als die fpdtern, wenn dieſe auch
gebaltener fein mögen; daß in jenen Plan und Entwicke⸗
lung der dramatifchen Handlung großartiger und origi:
neller erfaßt und durchgeführt, daß die Erfindung man:
nichfaltiger, ich moͤchte fagen, koloſſaler, daß endli die
Sprahe glühender und farbenreicher ift als in Diefen.
&o find insbefondere feine Luftfpiele durchgehende bemer:
kenswerth, gegen meldye Gervinus gewiß ungerecht ift,
wenn er ihnen (mit alleiniger Ausnahme der „Spieler“)
alles poetifche Intereſſe abfpriht. Unfere Literatur tft
befanntlid an guten Luſtſpielen fo arm, daß die Klinger’:
fhen, aud wenn fie von der Höhe eines vollendeten
Kunſtwerks noch weiter entfernt flünden, immerhin noch
als bedeutende Erfcheinungen angefehen werden müßten.
Übrigens find die von Klinger ſelbſt und fomit auch in
die neue Ausgabe feiner Werke nit aufgenommenen
Dramen für die Geſchichte der neuern deutſchen Literas
tur von ber entfchledenfien und eingreifendflen Bedeutung :
es fpiegelt fich in ihnen das damalige Ringen nad
freierer Bewegung in Kunft und Leben am volllommen-
ften ab; durch fie wird man feicht und ficher, wie durch
Teine andere Erſcheinung, in das Verſtaͤndniß jener ewig
dentwürdigen Periode unſerer Literaturgefchichte eingeführt,
. Drang”) ihren bezeichnenden Namen erhielt.
welche fogar von einem Drama Klinger's (,, tum unb
8 ik
wirklich auffallend, . daß diefe Thatſache in der Ankuͤndi⸗
gung der „Ausgewaͤhlten Werke” angeführt und auf fie
gebührendes Gewicht gelegt, in der Ausgabe ſelbſt aber
keine Notiz; davon genommen, das erwähnte Drama nicht
mitgetheilt wird. Man fieht daraus (was übrigens aus
den frühern Bemerkungen über bie andern Editionen un:
ferer vortrefflichften Meifter ſchon deutlich genug erhellt),
daß die Ausgaben der verſchiedenen beutfchen Claſſiker,
welche in der Cotta'ſchen Verlagshandlung erfcienen find,
von biefer ohne Zuziehung eine® mit deutfcher Literatur
und Literargefdyichte hinlaͤnglich vertrauten Gelehrten ver:
anftaltet und herausgegeben mwurben.
Möchte doch — mit dieſem Wunſche fhließen wir —
die zu erwartende Geſammtausgabe ber Herder'ſchen Schrif:
ten nicht das naͤmliche Roos treffen, möchte fi die Ver:
lagshandlung bewogen finden, derſelben biejenige Sotg⸗
falt zuzumenden, melde Engländer und Franzoſen ſchon
feit lange ihren Glaffitern widmen | 41.
Romanenliteratur.
1. Waldmuͤller's Röschen. Eine Criminalgeſchichte nach einer
wirklichen WBegebenheit neuefter Beit. Von 3. X. Baͤch⸗
mann. Wien, Stoͤckholzer von Hirſchfeld. 1842. 8,
22%, Nor.
Diefe Geſchichte kann wol bazu dienen, eine müßige Stunde
auszufüllen. Won bebeutendem Intereffe ift diefelbe jedoch unter
feinem Gefichtspunfte, vielmehr eine von den gewöhnlichen Gris
minalgef&ichten, weber an und für ſich, noch in pſychologiſcher
Hinficht, noch endlih durch bie Darftellung irgendwie anziefenb _
oder merkwuͤrdig. Denn fie dreht fi im Ganzen barum, bag
ein bübifcher Iägerburfche, nachdem er mit feine Bewerbung
um die Band bes ſchoͤnen und tugendhaften Waldmuͤller's Ros⸗
hen von dem Bater berfeiben, ber feine Tochter durchaus an
einen Muͤller verbeirathen will, abgemwiefen worden ift, den Gatten
von ſchoͤn Roͤschen, einen Müller und zugleich Sohn eines Ju⸗
gendfreundes ihres Vaters, in den fie ſich gleich beim erften
Anblick ſterblich verliebt hat, aus Rachbegierde meuchelmoͤrderiſch
erſchießt, jedoch anfaͤnglich jeden Verdacht gluͤcklich von ſich ab⸗
zulenken weiß. Aber als gereifter Boͤſewicht auf der einmal ber
tretenen Bahn des Laflers nicht ſtill flebend, verführt er ein
anderes unſchuldiges Mädchen, die dadurch zur Selbſtmoͤrderin
wird, verliert dadurch feinen guten Dienft, weit fein Ans
theil an der That der unglüdlichen Selbfimdrbderin zur Kennt:
niß feines Herrn, eines Mannes von ftrengen Grundfägen,
gelangt, kommt unter eine Bande von Wilbfhüsen und Schmugge
tern unb wird deren Hauptmann. Gin zufälliges Zuſammentref⸗
fen mit der in Schöngeit erblühten Tochter der Waldmüllerin,
ber er die Schulb an feinem Looſe beimißt, erregt Racheplane
in ihm, und er befchtießt, fie mit feiner Bande zu überfallen,
zu ermorben und die Tochter zu fi; in feine Raubhöhle zu neb:
men. Bei Ausführung dieſer ruchloſen That ereilt ihn jedech
die Remeſis. Die Mutter des ungluͤcklichen, durch ihn zur
Selbftmörderin geworbenen Mädchens fommt nämlich zur Waid⸗
müllerin und bittet fie, einiges Getreide für fie mahlen zu laf⸗
fen, was biefe gewährt und zu dem Ende den Mühlfnappen
die Weifung ertbeilt, no in der Nacht zu mablen. Ein
uͤhlknappe, von einem fonberbaren Traum in der Nacht aus
ven Schlummer geſchreckt, fegt die Muͤhlraͤder in Bewegung:
in bemfelben Xugenblide bricht ber Frevier mit feinen Raub
gefellen in die Mühle und wird von den Mühlrädern nebft eini⸗
gen berfeiben ergriffen und zerfchmettert, während die übrigen
von den Muͤhlknappen gefangen genommen unb ben Gerichten
ausgeliefert werben. Diefe Verkettung ift allerdings auffallend
genug, und wir find baher geneigt, fie für eine poetifche Ziction
unfers Verf. zu halten, mit bem wir übrigens deshalb nicht
weiter rechten wollen. Wer, wie gefagt, nit mehr begehrt,
als ein müßiges Stuͤndchen auszufüllen, dem fann und wirb
auch diefes Geſchichtchen genügen.
9, Riebesnovellen von Albert Grügmann. Erſtes und zwei⸗
tes Bändchen. Nordhauſen, Schmidt, 1841.
Die ſehr verbrauchte Fabel der erften Novelle: „Die Herzen‘,
daß naͤmlich ein reicher junger Freiherr von Eckſtein aus roman:
tifcger Grille ſich in einen bresiauer Studenten verkappt, durch ein
Bewitter zu einem Biedermann von Foͤrſter, einem Geitenftäd
zu dem wohlehrwürbdigen Pfarrer zu Grünau, geführte wird,
dort einen wahren Engel von Schönheit und Tugend in deſſen
Tochter Kathinta kennen lernt, fi bis zum Eterben in fie
verliebt, die neue Luiſe, die fich natürlich ſogleich wieder in
ibn vertiebt, heirathen will — ließ uns auf einen Schuß a la
Lafontaine, auf eine Heirath des Paͤrchens mit aller Zuverſicht
hoffen. Aber fiche, da ſtellt fi unfer Verf., dem wir eine To
große und in der That unnoͤthige Grauſamkeit gar nidjt einmal
zugetraut hätten, dazwiſchen und macht uns einen Strich durch
die Redmung, indem der Adelsſtolz der Altern bes jungen Frei⸗
eren zu ber Kippe wird, an dem das Gluͤckeſchiff des Paͤr⸗
cqhens ſcheitern muß; und er laͤßt, ein unerbittlicher Rhadaman⸗
tus, bie beiden armen, jungen, vertiebten Herzen am gebroche⸗
nen Herzen fterben. Recht fo! Aber graufam und unverants
wortiich bieibt es immer von unferm Berf. ‚Hätte derfelbe uͤbri⸗
gens feinen wahren Vortheil verftanden, fo würbe er bie
beiven Engel miteinander verheirathet und noch ein puar Kins
n um ihre Knie haben fpielen laffen, was ihm daun Stoff
zu einer pädagogifchen Novelle gegeben haben würde. Auch in
der zweiten, überaus merkwuͤrdigen Liebesnovelle: „Die Lufl-
fahrt auf dem Kyffhaͤuſer“, erweift fih der Verf. von einer
ſehr graufamen Seite, die er am Schluß vergeblih zu ent:
ſchuldigen ſucht. in ſchlechter Spaßvogel von Bader, ber den
Geift Kaifer Friedrich's des Rothbart vorſtellt, jagt eine ben
Kyffhaͤuſer befuchende Gefellfhaft in die Flut. Gin junger,
bübfcher Hufarenoffizier ift gluͤcklicherweiſe zur Hand, rettet ein
junges, hübfches Mädchen und fapert fie dem Bräutigam, einem
ehrſamen Phitifter von Ladendiener, vor der Nafe weg. Das
finden wir ganz in der Ordnung! Dasß unfer Berf. den ver
suchten Bater am Schtiage fterben läßt, ift brav von ihm.
Aber wie will er e8 verantworten, daß er auch die Mutter am
Schlage fterben, den ehrlichen Burfchen von ci-devanı Bräu-
tigam ben Hals brechen laͤßt. Die arme Adelheid heirathst
zwar ihren Budberg, macht ſich aber Gewiſſensſcrupel und ſtirbt
in der Bluͤte ihrer Lebens. O, Sie grauſamer Herr Verf.!
Laffen Gie ſich erbitten und fein Sie ein ander Mal minder
graufam. In ‚Daß und Liebe”, womit das zweite Bändchen
Geginnt, hat der Verf. feiner Vorliebe für dad Grauſame und
Entfegliche Baum und Gebiß angelegt, und ein fadgrober Amt:
mann erfhießt zum Gluͤck nicht den edeln, empfindfamen und
verliebten Referendar Bötticher, ſondern fchießt fi ihn zum
Schwiegerſohne. Aber woher biefe ungeheure Wuth bei dem
ehrlichen Amtmann ? Ein zu theuer erftandener Schreiblecretair
und das boshafte Auslachen des Stadtſchreibers Boͤtticher muß:
ten wol ein fo ehrliches Menfchentind von Amtmann in Wuth
bringen: hat es doch auch uns zu einem mitleibigen Achſelzucken
Aber die ganze Mägliche Befchichte gebracht. In der legten Ro⸗
velle: ‚Bater und Sohn”, laͤßt ber Verf. feinem natürliden
Btatdurft freien Lauf. Sin herzlofer Vater tapert dem vers
tiebten Sohne ben Engel weg, in beffen Armen er fid eine
SEeligkeit träumte. Was natuͤrlicher, als daß er ſich todtſchießt
etwa!? Bewahre, das wäre zu alitaͤglich geweſen. Gr fängt
auf einem Balle muthwillig Händel an und wird von Rechte:
wegen in-dem an ben’ Haaren berbeigegogenen Duelle erfchoflen.
Ratürtih ſtirbt nun auch die Stiefmutter und ci-devant Ge⸗
fiebte des VErſchoſſenen aus Bram und Schmerz hinterbrein. Der
8 W Wer. |
Verf. hätte lieber aus dieſem trägiichen off ein Trauerſpiel
fabriciren folen. Viel mehr Mühe wuͤrde es ihm ſicherlich nicht
gekoſtet haben, und wäre es auch kein Zrauerfpiel geworben,
fo wäre es doch unftreitig ein recht trauriges Spiel geworben,
wie dies eine recht traurige Geſchichte ift, um deren Autorſchaft
wir ven Berf. nicht beneiben.
3. Die Sefchwifter, ober: Handwerk hat einen gülbenen War
den. Erzählung von Charlotte von Blümer. Leipzig,
Binder. 1841. 8. 24 Nar.
Die einfah und anſpruchlos gehaltene Ginleitung biejer
Erzählung, die, wie ſchon der Titel es anbeutet, ein Commen⸗
tar zu dem Gprüchwort „Handwerk bat einen güldenen Bo⸗
den“ ift, tieß uns anfänglich gar nicht bie faft bis ans Aben⸗
teuerfiche ftreifenden mannichfachen Verwickelungen, in bie einige
ber bierin auftretenden Perfonen verflochten werben, vermuthen.
Unftreitig bat die Verf. dadurch bie etwas verwaſchene, ihrer
Erzaͤhlung zum Grunde liegende Moral recht anfchaulich und
fhmadhaft zu machen geglaubt, taß fie von den drei Ges
fhmwiftern bie eine (Mariane) an einen Ausbund von einem
ebein und gebildeten Buchbinder verheirathet und dadurch ein
files, haͤusliches, durch nichts getrübtes Stück finden läßt; bie
anbere (Julie), zur Anfchaulihmachung des Begenfages, zwar
mit einem hoͤchſt edeln Eremplar von Kreiherrn verbindet und
dadurch gleichfalls Höchft gluͤckliche Jahre an deſſen Seite genie⸗
Sen laͤßt: aber, aber mit des Schickſals Maͤchten iſt fein ewiger
Bund zu flechten. Unfer edler Freiherr wird in Ungorn bei
Gelegenheit eines Aufftanbes ber Bauern von ben Stebellen,, ob»
gleich ein Menfchenfreund und ihr Woplthäter, tödtlich verwun⸗
det und flirbt, und bie edle treue Gattin fircht, wie fi von
felbſt verſteht, mit ihm! Hätte fie einen Buchbinder geheirathet,
fo wäre ihr dies traurige Loos crfpart worden! Am fchlimms
ften aber gebt e8 dem Dritten in dem geſchwiſterlichen Klee
blatte (Wilhelm). Er will auch hoch hinaus und wird Affefe
for; aber weil er ſich einer armen Verführten einem vornehmen
Boͤſewichte gegenüber edelmüthig annimmt, verdirbt er es mit
dem Präfidenten und muß feinen Abfchied nehmen. Nun gebt
er nach Ungarn, wird Soldat, fogar Offizier, und finbet ale
fotcher Gelegenheit, zwar nicht der trojanifchen, aber doch einer
ungarifhen Helene, der Gattin bes furchtbaren Rebellenhaͤupt⸗
lings in dem oben erwähnten Aufftande; bie größten und ebels
mütbigften Dienfte, mit Xufopferung und Hintanſetzung feiner
Dienftpflicht zu erweifen, wird barüber caffirt und aus öſtreich
verwiefen, und kehrt, mit fih und ber Welt zerfallen, zu feis
nem Schwager, bem edeln Buchbinder, zurüd, wo er unermwars
tet feine ungarifcye Helene mit ihrem holden Knaben antrifft.
Er faßt fih nun kurz, bindet eine grüne Schürze um, wird
ein Buchbinder, heirathet feine Helene und fo kann er: denn
recht eigentlich fagen: Ende gut, Alles gut!
4. Biftorifch: romantifcge Erzählungen aus ber Vorzeit Boͤh⸗
mend. Bon Heinrich Mirani. Erſter Band. — %. u.
d. T.: Der blinde König. Der Schleier: Hauptzug. Wien,
Stoͤckholzer von Hirfhfild. 1842. 8. 1 Ihr.
Diefe beidin Erzählungen, an die Zeiten Vulpius', Rad.
und Gramer’s erinnernd, gehören in die Kategorie ber Wach⸗
ftubenlecture und find fo ziemlidy nach dem Recepte verfaßt, daß,
wo wir uns nicht irren, Schlegel für dergleihen Erzaͤhlungen
verfchrieben hat. Die erfte fpielt über und die legte unter der
Erde, und es fehlt an beiden nicht in einem bunten Wechfel
von Gcenen, an edeln Kaͤmpen, an minniglichen Fräuteing,
Schlachten, Entführungen, Rettungen aus Waflerös und Feuers⸗
noͤthen, erftürmten Burgen u. dergl fehönen und erbaulichen Gas
den mehr; nur die boshaften WBurgpfaffen baben wir vers
mißt. Wenn unfere Verleger dergleichen leichte und loſe Waare
in Verlag nehmen und auf den Markt bringen, fo wird freilich
der geſunkene und traurig verfallene Zuſtand unferer Litera
erklaͤrlich und begreifiih. Möge und unfer guter Genius
Zukunft vor der Bekanntſchaft aͤhnlicher Misgeburten in Gna⸗
ben bewahren | 21.
Bibliographie.
Beltange, H., Die Soldaten ber franzöfifchen Republik
unb des Kaiferreiche. Ifte Lieferung mit vier iUluminirten Blaͤt⸗
tern. Leipzig, Weber. 2er. «8. r. |
Blumroeder, A. von, Teutſchlande Wergangehheit, Ges
art und Zukunft; Blätter der Crinnerung, veranlaft durch
den taufendjährigen Beftand des teutfchen Reichs im Jahre 1843,
ewibmet allen patriotifhen Freunden des Lichts und des ger
Zlichen Fortſchrittes. Sonbershaufen, Eupel. Gr. 8. 15 Nor.
Böttger, G., Getbfemane. Paffionsprebigten im Jahre
1849. Rebft einem Anhange zeiigiöfer Gedichte zur häuslichen
Erbauung. Dresden, Arnoid. Gr. 8. 20
Sasper, 3. 2., Über die wahrfeinliche Lebensdauer des
Menſchen. Eine am 238. Sanuar 1843 im wiſſenſchaftlichen
Vereine gehaltene Vorleſung. Berlin, Duͤmmler. 8. '1Y, Nor.
Shateaubriand, F. A. v., Atala und bie Abenteuer
des Benten der Abenceragen. Überfegt von 9. Elsner. Mit
77 ah St. Ballen, Scheitlin und Zollikofer. Gr. 8.
r.
‘Die Denunciation der Schrift: „Die Unfähigkeit des
Hrn. Prof. Seyffarch in Leipzig, wissenschaflliche Werke
über das Alterthum zu lesen, zu verstehen und zu würdi-
gen, erwiesen an seiner Recension meiner Schrift: Unter-
suchungen über die Religion der Phönizier, in Gersdorf’s |
Repertorium Band XXIX, Heft 3, von F. €. Movers.“
Eine aktenmässige Darlegung. Breslau, Hirt. Gr.8. 10 Ngr.
Dröfete, Abfchiebsgruß an Alle, welchen Er amtlich ans
gehörte: Magdeburg, Heinrichshofen. 4. 37/, Nor.
Berne, A., Betrachtungen über die Nothwendigkeit und
Möglichkeit einer preußifchen Oſtbahn und beren Kolgen in nas
tionals dkonomiſcher und politifcher Hinficht. Königsberg, Theile.
Sr. 8. 7% Near.
Frauenlob, A., Die lieblihften Sagen und Bilder aus
gäpheutfätand, namentlich Schwaben. Ulm, Seit. Gr. 12.
gr.
Bay, Sophie, Maria Louife von Orleans, Nichte Lud⸗
wig’s XIV. Ins Deutfche übertragen von Emilie Wille.
Zwei Theile. Leipzig, Kollmann. 8. 2 Ihir. 22, Nor.
Geld! Poffe mit Sefang in drei Acten. Nach bem Engliſchen
Bulwer’s frei bearbeitet von F. Kaifer. Wien, Pichler. 1842.
8 121, Nor.
Giech, C. Graf von, Anfihten über Staates und df:
fentliches Leben. Nürnberg, 3. Eampe. Gr. 8. 1 Thir. 15 Nor.
Gieſebrecht, L., Wendifche Geſchichte aus den Jahren
1183. Ster Band. Berlin, Amelang. Gr. 8. 2 Thir.
gr
Gottfhall, R., Uri von Hutten. Gin Drama in
fünf Aufzügen. Königsberg, Theile. 8. 1 Thir.
Holbein, F. v., Der Doppelgänger. Luſtſpiel in vier
Aufzuͤgen, nady X. v. Schaden's Erzählung frei für bie Bühne
bearbeitet. Wien, Wallishauſſer. Gr. 8. 22%, Nor.
Konftittstionelle Jahrbücher, herausgegeben von K. Weil.
2343. Ifter Band. Gtuttgart, Krabbe. Gr. 8. 1 Thir.
Rer.
Kordan, W., Irdiſche Phantaften. Königsberg, Theile.
&. 8. 232% Nor.
Kahlert, A. 3., Grinnerungen an Italien, befonders
an Rom. Aus dem Reifetagebuche beffelben. Breslau, Aber:
holz. Gr. 8. 1 Ihlr. 20 Kor.
Karlotta, Phantaficblber. Hamburg, Perthes : Beffer
Ir.
1 Thlr.
und Mauke. Gr. 8. h
Kinkel, G., Gebdichte.
J Klefeker, F., Die Politik des deutſchen Zollvereins in
Bezug auf Schiffahrt, Handel und Fiſcherei, und die Hanſe⸗
ſtaͤdte. — Mit dem Umſchlagtitel: Deutſcher Zollverein III. Ham⸗
burg, Perthes-Beſſer und Mauke. Gr. 8. 12%, Ngr.
Stuttgart, Cotta. 8.
Kuhn, O., Das Veſen ber deutſchen Abminiſtrativ
nebſt einer Analyſe verſchiedener deutſcher Adminiſtrativjuſtiz⸗
Entſcheidungen. Eine ſtaatsphiloſophiſche und publiciſtiſche Ab⸗
hanblung. Dresden, Arnold. Gr. 8. 12/, Rear.
Liedertnedt, 3. F., Abelatde, ober Religion und Liebe,
Sondershauſen, Cupel. Gr. 12. 1 Thir.
Maͤrcker, F. A., Zur Wiederherſtellung der Kunſt der
Berebfamteit ats philoſophiſche Wiſſenſchaft. ECialeitung zu den
Bortefungen über des Ariftoteles Rhetorik. Berlin, Duͤmmler.
gr
Marbeinele, 9., Zur Kritik der Schelling ſchen Offen»
barungsphilofopbie. Schluß ber öffentlichen Worlefungen über
die Bedeutung ber Hegel'ſchen Philoſophie in der dhriftlichen
Iheologie. Berlin, Enslin. Gr. 8. 11Y, Rer.
Neftroy, 3., Der Talitman. Poſſe mit Geſang in drei
&cten. Mit einem allegorifh illuminirten Bilde. Wien, Wal⸗
tishaufer. 8. 20 Near.
Die Öffentlichkeit und Muͤndlichkeit unfers Entwurfs einer
Strafproceßordnung. Den Mitgliedern beider würtensbergifchen
Kammern zugerignet. Stuttgart, Ref. Gr. 8. 3°/, Near.
Paris wie es wirklich iſt, das heißt: wie e& lebt, Licht,
ist, trinkt, ſchwelgt, darbt, hanbelt, fpielt, intriguirt,, cabalis
firt, wacht, ſchlaͤft, träumt, bantafirt, philoſophirt, Lieft,
ſchreibt, dichtet, muſicirt, lacht, weint, promenirt, reitet,
fährt , klatſcht, ſchwatt, Schulden macht, betrügt, fliehit, raubt
politiſtrt, kannegießert, emeutirt, revoltirt, rebellirt u. f. w.
Iſtes Oeft Jacobus Simplex ober ber deutſche Volontair zu
Paris. Mit einem colorirten Titelkupfer. Leipzig, Jackowit.
Kl. 8. 10 Nor.
Reichenbach, M., Wehmutter und Todtengräber. Grnfe
und humoriſtiſche Bilder in Novellenform. Zwei Bände. Leip⸗
zig, Kollmann. 8. 1 hir. 22%, Nor.
Ritter, Nähere Prüfung des preußiſchen Chefcheibungss
rechts und der befannt gewordenen Entwuͤrfe eines neuen Ehe⸗
ſcheidungsgeſetes. Cottbus, Weyer. 8. 1 Thir. 10 Nor.
Roſenkranz, K., Über den Begriff der politifchen Partei.
Rebe zum 18. Januar 1843, dem Krönungsfefte Preußens.
Behalten in ber koͤniglich deutſchen Geſellſchaft. Königsberg,
Theile. Gr. 8. 10 Nor.
‚„.„ Saint:Pierre, 8. de, Paul und Birginie und bie in⸗
difche Hütte. Überfegt von H. Elsner. Mit einem Stahl⸗
fi. St.⸗Gallen, Sceitlin und Zollitofer. Br. 8. IIV. Nor.
‚,SYeidier, 8. O., Nochmalige Grörterung ber Frage:
Hieb oder Stoß? ine hobegetifche Vorleſung. Jena, From⸗
mann. 8. Y, Ihlr.
Deutfches Staatsarchiv. Ater Band. Herausgegeben vom
Begierungerath Buddeus. Jena, Frommann. @r. 1 Zhle.
r
gr.
Eine Zotalfinfterniß ber Eraategeitung, beobadhtet au ber
NRecenfion der Rebe bes Dr. Rupp: „Uber ben chriſtlichen
sk Vom 3. Sanuar 1843. Königsberg, Theile. Gr. 8.
a BT.
Zrattinnid, 2, Die Schule der blühenden Ratur, ober
aͤſthetiſch⸗ philofophifche Unterhaltungen für Gartenfreunde, Spas
ziergänger auf dem Sande, au für Sittenlehrer, Erzieher und
alle Verehrer der Natur, der Zugend, bes Schönen, Cvein
und Guten. Wien, Wallishaufferr. Gr. 8. 15 Rgr.
Über Eheſchließung, Eheſcheidung und Wiederverheirathung.
Den Königlich preupifchen Provinzial - Bandflänben zu einer mög»
Lichen Beruͤckſichtigung gewidmet. Gangerhaufen, Robland.
„ Nor. ,
Über Poftreform. Won G. ©....t. Berlin, ,
10 Re fi erlin, Hermes
‚ ._ Better, 8.8., Die evangelifche Kirche und ihr Vekennt⸗
is Ein theologiſches Bedenken. Berlin, Reimer. Ge. 8.
or.
Zeitfignale. Lieder eines Publiciften. Königsberg, Theile.
8 20 Nor
Berantwortlicher Derausgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus in Eetpgig.
Blätter
für
literarifche Unterhaltung.
Sonnabend,
ur Nachricht.
Von dieſer Zeitſchrift erſcheint außer den Beilagen taͤglich eine Nummer und iſt der Preis fuͤr den Jahrgang
12 Thlr. Alle Buchhandlungen in und außer Deutſchland nehmen Beſtellung darauf an; ebenſo alle Poſtaͤmter,
die fih am die koͤnigl ſaͤchſiſche Zeitungserpebition in Leipzig oder das
Önigl. preußifche Grenzpoſtamt in
Halle wenden. Die Verfendung findet in PBochenlieferungen und in Monatheften flatt.
Politifche Literatur der Gegenwart in Deutfchland.
Bierter Artikel.9
Deutſchlands politiſche Zeitungen. Zuͤrich, Literariſches Comptoir.
1342. 8, 6%, Nor.
+ 8
Seit dem Erſcheinen diefer Heinen Brofchüre hat ſich
Mandyes in dem deutfchen Zeltungswefen vetändert, fodaß
ſelbſt, wenn die Charakteriſtik der damaligen Zeitungen
eine richtige wäre, biefelbe doch jegt nicht mehr paſſen
würde. Zu biefen DBeränderungen gehören befonders bie
Verbote und Unterdrüdungen einzelner Blätter. Die
„Leipziger Allgemeine Zeitung” ift in Preußen verboten,
die „Deutſchen Jahrbuͤcher“, die unferer Anſicht nad) weit
mebr eine direct politifche als eine allgemein mifienfchaft:
Hdge Tendenz verfolgten und daher auch hierher gerechnet
werden mäflen, dürfen überhaupt nicht mehr erfcheinen
und die „MRheinifche Zeitung” foll vom April an auf:
hören. Außerdem fcheint es, al6 wenn auch manche an⸗
dere Blätter von: Selten der Regierungen bedroht wären
und wir vielleicht bald noch mehr Verbote erleben müßten.
Wenn die Regierungen confequent find, wenn fie dem
Grundfage ferner folgen, der jenen Verboten zu Grunde
(ag, daß fie nämlich jedes Organ durch policeilichen Macht:
ſyruch unterdrüden wollen, welches ihnen nad ihrer
fnbjectiven Meinung unmoralifch, von irrigen Principien
ausgehend oder auch nur unbequem erfcheint, fo werden
freilich die Verbote nicht aufhören. Wir geftehen aufrich⸗
fig, daß uns diefe Anficht ber Regierungen. nicht nur
falfdy und ungeitgemäß erfcheint, ſondern daß fie uns auch
mit tiefem Schmerze erfüllt und unfere Hoffnungen für
eine freie und naturgemäße Entwidelung der öffentlichen
Meinung, auf der doch das yanze Beil Deutfchlands be:
ruhe, gar ſehr niedergefchlagen hat. Und mir glauben,
daß dieſes Gefühl des Schmerzes und der MNiebergefchla:
genheit ein allgemeines ift, daß es von ber größten Mehr:
*) Den dritten Artikel theilten wir in Nr. 70— 72 mit.
D. Red.
zahl der beffern, intelligentern und ftimmfähigen Männer
in Deutſchland getheilt wird.
Die „Leipziger Allgemeine Zeitung” war bis jegt nach
ſehr ſchwankenden und von außen her genommenen Rüds
fichten redigirt. ine durchgebildete und charakterfefte po:
litiſche Weltanfihe der Gegenwart, dieſe erfte und noths
wendigfte ‚Bedingung jeder Zeitung, die irgend Anfpruch
auf Werth mahen will, hatte ſich bis jege in bderfelben
noch nicht geltend gemacht. Seit ihrem Erfcheinen hat
fie im Einzelnen mehr erperimentirt, als einen allgemeis
nen, nach allen Seiten hin harmoniſch gegliederten Chas
tafter an ben Tag gelegt. Dabei war ein gewiſſes Has
[hen nach falfher Popularität nicht zu verkennen, womit
denn eine zweite Ruͤckſicht, keinen Anlaß zu Anftoß bei
den Regierungen zu geben, oft im bdirecteften Wider
fpruche fand. Diefes Erperimentiren ift oft kein gluͤckli⸗
ches geweſen. Zuerſt vergriff fie ſich total_darin, daß fie
ſich zum Organe der preußifchen Regierung in der Streis
tigkeit mit der Latholifhen Kicche machte. Sie glaubte
auf diefe Weife vielleicht Gunft bei den Behörden und
Gunſt bei der großen Maſſe am beften vereinigen zu
innen. Wir glauben aber, daß fie auch hierbei fchlecht
berathen geweſen iſt und ihren Zweck nicht erreicht hat.
Die Anfihten der Regierungen wechſeln heutzutage oft
ſehr fchnell und was heute angenehm iſt, wird morgen fehr
unangenehm. Bei ber Latholifhen Sache hat man das
erfahren. Auf die Gunſt der großen Mafle muß man
ebenfo wenig fpeculicen, denn dieſe ift ebenfo veränderlich.
Das Urtheil wahrhaft gebilderer, charaktervoller und echt
liberalee Männer macht auch auf die Laͤnge das aͤußere
Schidfat der Zeitungen und ſichert allein einen bleibenden
und wachſenden Abſatz. Zuletzt geben ſolche Männer, und
wenn ihrer auch noch fo wenige find, doc, in allen Caſi⸗
nos, in den Öffentlichen Localen u. f. w. den Ausfchlag
und die Menge fügt fid ihrem Rathe. Wahrheit in ber
Auffaffung der Zeitverhältniffe, wuͤrdiges und taktvolles
tiſchen Werhättutffe träumt. Es fol damit keineswegs
in Abrede geftellt fein, daß nicht eine Menge wohlmeinen⸗
Auftreten, Liebe und Eifer für das Öffentliche Wohl, Frei⸗
muth und fefter Charakter, dieſe Eigenfchaften find es,
weiche mit Sicherheit einer Zeitung Adtung verfchaffen
und es unmöglich machen, daß fie ignoriert werden kann.
Durch ihe Parteinehmen für die Megierungsmaßregeln ge:
gen die katholiſche Kirche bat fich die „Leipziger Allgemeine
Zeitung” aber biefe Achtung keineswegs erworben und hat
fi daneben noch im Süden von Deutfhland, in Baiern
und ſtreich, direct geſchadet. Ebenſo wenig hat ihr ihre
Haltung gegen Hamover Mugen gebracht. Anfangs beutete
fie diefen aͤußerſt dankbaren Stoff im Sinne der Oppofis
tion aus, gewiß mit vollem Rechte, wenn wir aud hier
eine taftvolle und auf einer feflen, burchgebildeten Anficht
beruhende Haltung zuweilen vermißten; bei dem eintreten
den Verbote von Seiten Hanoverd aber ſchlug fie um
und ſchwieg gänzlich, wenn fie nicht gar der Regierungs:
politit dann und wann ihre Zeilen öffnete. Wir verken⸗
nen nicht die unfichere und rechtlofe Stellung, welche
eine Zeitung heutzutage gegen unfere Policeibehörden bat.
Sn .einem Augenblide kann bie Frucht jahrelanger An»
ftrengung durch den Machtſpruch irgend einer Behörde
vernichtet werden, und die Stiftung einer neuen Zeitung
ift aus diefem Grunde eine fehr precaire Speculation, bei
der Eigenthum und Eriftenz in Gefahr ſchweben. Diefe
MWechfelfälle, welche aus folcher Rechtlofigkeit und verderb:
lichen Praxis hervorgehen, muͤſſen jedoch vorher ſchon in
Rechnung gebracht fein und man muß fih auf fie vor:
bereitet haben, wenn man ſich mit einem fo bebenklichen
Unternehmen befaßt. Seine Grundfäge und Überzeugun⸗
gen nach ben Drohungen und den Strafen irgend eines
Miniftere zu wechfeln, der für den Augenblick zufälligerweife
das Heft in den Händen hat, ift allemal vom Stand:
punkte der einfachften Moral aus nicht zu billigen und
muß das Intereſſe und dns Vertrauen bes Publicums zu
einer Redaction ſchmaͤlern. Kann man nicht mehr mit
Ehren beftehen, fo muß man abtreten. Einen augenblids
lichen aͤußern Berluft darf man nicht auf Koften der
Überzeugung und Wahrhaftigkeit abwenden wollen. Be:
nigftens kann die Kritik Beine fonftigen Rüdfichten aner:
kennen und eine Redaction kann ſich nicht über dieſelbe
beſchweren, wenn die noch dazu oft irrigen Berechnungen
einer momentanen Pfiffigkeit vor ihr feine Geltung haben. *)
Die Vorwürfe, welche der „Rheinifhen Zeitung‘ ges
macht morden und die man als Motive ihrer Auf:
bebung angeführt hat, find unſers Erachtens nod weit
begründeter als die Befchuldigungen gegen die „ Leipziger
Altgemeine Zeitung”. Man kam es fih nicht ver:
hehlen, daß die Tendenz ber „Rheiniſchen Zeitung” nicht
auf eine Verbefferung des Beſtehenden gerichtet war,
fondern daß fie von einem gänzlichen Umſturze aller poli⸗
9 So ſchmerzlich wir auch in mander Beziehung durch ben
Zabel berührt werden, den ber Derfaffer biefed Artileld über die
„Leipziger Allgemeine Beitung’ auszuſprechen fidy veranladt fand, fo
haben wir doch kein Wort bed Tadels mwegzulaflen ober zu mildern
und erlaubt. Dagegen mußten wir aus nahe liegenden Gründen
unterbrüden, was von bier an in Beziehung auf bie legten Schick⸗
{ale der Beitung zum Lobe derfelben gefagt wurde, D. Red.
%
der, auf das Maß ber gegebenen Zuftände eingehenber
Mitarbeiter umd Correſpondenten an derfelben Aucheil ges
nommen hätten, allein wer es verfteht die eigentliche An-
ſicht und Beltrebung der Mebaction zwiſchen den Zeilen
berauszulefen, der wird mit unſerer Behauptung übereins
fimmen. Es gibt überhaupt in Deutfchland noch feine
Beitung, welche in allen ihren Artikeln eine gleichmäßige,
"übereinftimmende Überzeugung und Auffaffung darftelite.
Auch die „Rheinifche Zeitung” war eine Verſammlung
ber verfchlebenartigften politiſchen Glaubensbekenntniſſe, die
nur das Einzige vorldufig miteinander gemein hatten, daß
fie zur Oppofition gehörten. Wer einen etwas fcharfen
oppofitionnellen Artikel veröffentlichen wollte, hatte weiter
keine Wahl, fondern mußte ſich damit an die „Rheiniſche
Beitung” wenden, wenn er mit ihrer im Hintergrunde
lauernden beftructiven Tendenz auch keineswegs harmonirte.
Jenet Fanatismus für die franzoͤſiſche Revolution, der zuwei⸗
fen tn ihren Bellen laut wurde, charakterificte allerdings die
politiſche Anficht der eigentlichen Leiter jener Zeitung. Sie hats
ten fich wie viele junge Leute in die franzöfifche Revolution
hineingelefen und glaubten und hofften, daß bei der noth⸗
wendigen politifhen Wiedergeburt Deutfchlands ganz der⸗
felbe Proceß durchgemacht werden würde wie in Frank:
veih, nur daß bei uns kein Napoleon, keine Reflauration,
fein Louis Philipp zu erwarten wäre, fondern Daß wir
und auf der Höhe der Republik behaupten würden. Die
Wuͤnſche für Preffreiheit, für Conſtitution, für Öffentlich:
keit des gerichtlichen Verfahrens u. ſ. w., welche die Mehr⸗
zahl der Beſſern in Deutſchland laut werden ließen und
mit leidenſchaftlicher Waͤrme als moraliſche Nothwendigkeiten,
als Gewiſſensbeduͤrfniſſe verfochten, betrachteten fie daher nur
als die unbewußten erſten Hebel der Revolution, die man
vorläufig wirken Lafjen muͤſſe und nicht ſtoͤren dürfe. Die
Dahlmann, die Schon, die Weider und Motte waren
in ihren Augen die deutſchen Ballly, Lafıyette, Mou⸗
nier und? Malouet, die zuletzt von ben Rädern bes
Wagens felbft zermalmt werden würden, dem “ie zuerfl den
Berg beruntergeftoßen hatten. Wenn man in frühern Jahren
nicht ähnliche Erfahrungen an fich felbft gemacht hätte, fo
würde ein fo thörichter und unſittlicher Begriff von ber
Gegenwart Deutſchlands kaum zu verſtehen fein. Thoͤ⸗
richt iſt er, weil er auf dee ungeheuerften Verkennung
unferer Zuftände beruht. Der wahnfinnige Taumel der.
feanzöfifhen Revolution konnte nur einmal die Menſch⸗
heit überrafhen, und aud nur in Frankreich. Übrigens
kann man zur Entfhuldigung der jungen Leute anführen,
baß felbft alte Staatsmaͤnner eine ähnliche Parallele zwis
ſchen dem damaligen Frankteich und dem jetzigen Dencſch⸗
land zu ziehen feinen, nur daß ihnen dieſelbe natüriich
als greuliches Succhtgefpenft, jenen als Ziel ihrer kuͤhnſten
Wuͤnſche vorſchwebt. Unbegreiflich unfittlih aber find
ſolche Hoffnungen, weil in der That die Geſchichte kein
aͤhnliches Beiſpiel von ſolcher Entartung ſittlicher Ideen zu
der graſſeſten Unſittlichkeit aufzuweiſen bat. NRobespierre
mit all den Namen, die ſich an ihn knuͤpfen, iſt die groß⸗
attigſt⸗ widerlichſte Ironie auf bie von ihm ſelbſt promulgir⸗
ten Ideen. Wer fih an foldhen Procsfjen erbauen Ta
und ſogar eine Wiederholung .derfeiben herbeiſehnt, iſt
allerdings in einer traurigen Verireung befangen. Freilich
ift wildes Parteitreiben die bequemfte Weife, um eine Art
äußere Rolle in ber Geſchichte zu fpielen. Dazu fühlt
ſich zulegt jeder lebhafte, ehrgeijige junge Mann befähigt,
deffen ſittliche Phantaſie noch an Peine innerlichere, fittli⸗
dere und chriſtliche Wirkfamkeit binaufragt. Um bie
ganze äußere und innere Errungenfchaft ber Gegenwart
im tiefften Derzen zu fühlen und fie mit frommen Danke
anzuerkennen, um unſern jegigen Beſitzſtand in jeglicher
Beziehung mit Ehrfurcht zu betrachten und heilig zu
halten, dazu gehört allerdings eine veifere innere und
äußere Lebenserfahrung, als junge übermüthige Leute, die
vor dem erften Drange des erwachenden Geiſtes und von
dem heißen Durfte nah Thaten und nach ſchneller Gel:
tendmachung ihrer Perfönlichkeit geftachelt werden, bereite
erroorben haben können.
Was kommt aber nun bei den Berboten ſolcher Or⸗
gane heraus, die allerdings eine falſche Tendenz verfolgen?
Verbeffert man dadurch die Anfihten? Heilt man bie
Krankheit? Solche augenblickliche Palliatiomittel find doch
gar zu irrationnell und ſchmecken zu fehr nach jener obers
flaͤchlichen Praxis, die nur an den allernaͤchſten Woment
denkt und nur aus der Dand in den Mund lebt. Dan
ſtopft ein Loch und fieht nicht ein, daß fih die Materie
mothwendig einen andern Weg bahnen muß. Irrthum
und Boswilligkeit laſſen fich wahrlich nicht verbieten, dazu
ft auch die Dmnipotens unſerer Miniſter noch zu ohn⸗
maͤchtig, wol aber laſſen ſie ſich heilen und durch Erkennt⸗
niß und Liebe paralyfiren. Die Preſſe iſt allerdings nach
jedesmaliger Unterdruͤckung immer boͤewilliger und unzu⸗
friedener geworden; im J. 1819 waren ihre Äußerungen
noch unendlich conſervativer als 1831, und 1843 iſt ſie
noch galliger, negativer, verbitterter wie 1831. Stopft
marı ihr wieder auf einige Jahte den Mund, fo werden
wie ſehen, was für sin Ungethuͤm alsbann zum Vorſchein
fonsmt, wenn man fie wieder frei laflen muß, wozu man
ih über kurz oder lang doch gezwungen fehen wird.
Eine Bevormundung ber Preſſe, wie fie jet bei un
Rettfindet, mag nöthig fen in Zeiten bürgerlicher Unru:
ben, bei einer leidenfchaftlich aufgeregten Volksmaſſe, bie
noch auf einem niedern Grade der Cultur ſteht. Für
Deutfchland im J. 1843 paßt fie nicht mehr. Oder fürchtet
man etwa Emeuten, Aufftände, hervorgerufen durch ges
wandte Demagogen, die bie Feder zu führen willen? Nun
wahrlich, wer dergleichen: bei uns Deutfchen: fürchtet, ber
mag ebenſo gut fürchten, daß der Himmel einflürzen
werde. Der beforge man eine allgemeine Verderbniß der
Grundfüge und der Anfichten bed Volks durch bie Preſſe
und haͤlt wman fich in feinem Gewiffen verpflichtet, diefen
bruͤllenden Löwen, der herumſchleicht, um Leute zu fühen,
st noch zu feſſein? Nun wohl, wenn man von diefer
. Anfiche ausgeht, fo ſei man confequent und führe eine ruf:
Ride Regierung bei uns ein, aber man verzichte dann aud)
für immer auf die ſchoͤnen Phrafen „Öffentlichkeit und
.
D *
..
..
.
heit”. Iſt das beutiche Volk heute noch nicht mündig,
T um ſich felbflänbige und eichtige Uberzengungen durch of:
‘fenen Austauſch der Ideen bilden zu koͤnnen, ſo wird es
nie faͤhig dazu ſein.
(Die KBortſetung folgt.)
Goldenes Haar.
Man braucht nicht eben Paarkräusfer zu fein, um zu wife
fen, daß golbenes Haar jegt zu den größten menſchlichen Eel:
tenbeiten gehört. Bielleicht deshalb ſchweigen unfere neuern
Dichter davon, und wäre die Urſache getroffen, fo Könnte fie ein
Zeichen fein, daß allen Anklagen unferer Zeit zum Trotz fogar
in der Poefte das Streben nad) Wahrheit um fidy greift. Die
alten griechiſchen und roͤmiſchen Dichter waren erſeſſen, ihre
Helden und Heldinnen mit goldenen Haarflechten zu fchmüden.
Gab es etwa damals goldene Haar in Überfiuß? Beftimmt
nit. Wäre es unter jedem Rachthaͤubchen und unter jeder
Bipfelmüge zu finden gewefen, hätten es die Sänger nicht in
Flechten um bie ſchoͤnen Schlaͤfen gelegt und in Ringeln unter
ben Helmen bervorquellen laflen, rein davon abgefehen, baß an
ſehr wenigen hiſtoriſchen Perfonen golbenes Haar erivähnt wird.
Die vollendetfte Zierde biefer Art befaß Lucrezia Borgia, bie
fuͤrchterliche Tochter Papft Alexander's VI., die beruͤhmteſie
Schönheit ihrer, ber bramatifirte Schauder unferer Zeit. Ein
Theil ihre Daars bat fih gegen Vernichtung in bie Ambroflas
niſche Bibliothek zu Mailand gerettet — gegen Vernichtung,
nicht gegen Beftchlung, bean wie in ber Raritätenfammlung
beö befannten englifchen Schriftſtellert Leigh Hunt ein, aller
binge nur Gin Haar baven ſich vorfinbet, fo kann, was dieſes
babin gebracht, ſich Öfterer wiederholt haben. Gin: wilber Ges
felle hat es für die Sammlung feines Yreunbes entwendet und
es ihm mit bem auf ben Umſchiag gefchriebenen Motto gegeben :
„And beauty draws us with a single hair.” Der Teufel eben«
alld. Menn es aber je ein goldenes Haar gab, fo ift es das.
& iſt nicht roth, nicht geib, nicht braun; nein, es {ft golden,
und denkt man es ſich verhunderttaufendfackt, kann man bie
überrafchende Wunderherrlichkeit ſich einigermaßen vorftellen. -
Lucrezia, ſchoͤn in jedem Boll, muß ausgefehen haben wie eine
Lichterfcheinung auf einem Gemälde, wie ein Gonnenengel.
Savage Landor — pfeudonym Wat Splvan — fühlte in
Fer u burc den Inbiid bes Haarſtraͤhns
o begeifiert, daß er im Fremdenbuche feinem Ram ⸗
ten beifchrieb:® u bie Zei
Borgie,, thou onos wert almost too august
And high for aderstion — now thou’rt dust!
Al that remains of theo ihese plaits enfold —
Calmı hair meaudering with pellueid gold.
Sin Seitenkäd zur Borgia, in puncto des Haars, bürfte
eine Schottin gewefen fein, die Tochter Bannatyne’s von Gates
boufe, ‚Namens Martha, fpäter Gemahlin des Lord Comer:
ville, unter der folchen Reizen gefährlichen Regierung des zmeis
ten Karl. Lord Gomerville hat ein Bacheichen gefchrieben :
„Memorie of ıhe Somerrills‘”‘, das in England fehe rar iſt,
in Deutfchland vielleicht gar nicht eriftict. Gr beſchreibt darin
bie Perlöntichkeit feinee Gemahlin in aufregenden Details, von
denen Bolgendes die Shwädhfte Probe (es if altengliih) —
„Ther was nothing boor soe litle proportione with the rest
of her body as her hand and foot, both being extremely
litle, but well shapen, whyte, and full of flesh; her skin
was smoothe clear, but what was covered, not soe
whyte as I have seen severall of ber .complexione that was
purely sanguinean,”” Das mar nennt er reines Gold, „bat
which darkened as she grew in age”.
Gleich den griedhifchen und römifigen Dichtern haben bie
alten engliſchen gethan, den Lieblingsgebilden ihrer Phantafle
goldene Locken verliehen. So Ghaucee bei Schilderung bes
Mädchens, das ihm im Traume das Gerz raubte:
For evory kair upen her head,
The soeth to say it was not Ted;
Nor yellow, nor yet brown It n'as,
Metheught most like to gold it was.
&o Collin in feiner vielbewunderten Perfonificieung ber Hoffnung:
And Hope, enchaated, smiled, and wared her golden hair.
&o fein ungelannter Beitgenoffe, Verf. ber gefeierten Ballade
„Gil Morris‘, in ber lieblichen Befchreibung feines weibifchen
Iben :
” His hair was like tho threeds of gold
Drawneo frae Minorva’s loome;
His lips like roses drappieg dew,
His breath was a’ perfume.
WBieder auf bie hiſtoriſche Wirklichkeit zuruͤckkommend,
komme ich wieder nach Italien, zu Beatrice Genci, deren thraͤ⸗
nenreiche Geſchichte Perch Vyſſhe Shelley zum Stoff einer
Tragoͤdie gewählt. Wunderbar ſchoͤn, hatte Beatrice auch gol⸗
denes Haar. Ein ihr Schickſal erzaͤhlendes Manuſcript, wel⸗
ches Shelley ſeiner Dichtung untergelegt, ſagt in dieſer Hin⸗
ſicht: „Ihr Haar war wie Goldfaͤden; und weil es ſehr lang
war, pflegte fie es aufzuſtecken; ließ fie es aber fliegen, ſetzte
der wogende Glanz Jeden in Erſtaunen.“ Daß auch ein deut⸗
fches Dichter feine Agnes, bie des Vaters Stolz und Freude,
mit goldenen Locken geſchmuͤckt, habe ich nicht erwähnen mögen.
Jeder Deutfche weiß das. 14.
giterarifhe Notizen aus Frankreich.
In allen großen Städten gibt es ſonderbare Perföntichkeis
ten, die von Groß und Klein gekannt find und die dem Frem⸗
den, als zu ben Merkwürdigkeiten der Stadt gehörig, gewieſen
werden. Paris hatte bis vor einigen Monaten eine ſoiche Erſchei⸗
nung in ShobracsDuclos, ben jebed Kind mit dem Binger
zeigen Eonnte. Zu jeber Stunde bes Tages ſah man ihn in
einem zerlumpten, ſchmuzigen Aufzuge mit haftiger Eile in ben
gefhmücten Balerien des Palais royal hin und herlaufen. Je⸗
dermann kannte ihn, und man erzählte ſich den Grund biefer
täglichen Wanderungen, in denen er bad Beifpiel des rigen
Auden nachahmen zu wollen ſchien, auf hunberterlei Weiſe.
Wie es hieß, gehörte er einer vornehmen Familie an und war
es ihm nicht bei feiner Wiege gefungen worden, baß er in feinem
Alter im SBettlergewanbe umherziehen werde. Man fagte, er
babe fich zu biefer cyniſchen Lebensweifle, bie einem Diogenes
zur Ehre gereicht haben würbe, felber verdammt, um feinen
Sönnern, auf deren Dankbarkeit ex Anſpruch zu baden behaup-
tete, zur ewigen Schande herumzuwandeln. Ramentlid warb
unter denfelben Peyronnet citiet, mit dem er in früher Jugend
genau befannt geweſen fein fol Kaum war Ghobrat » Duclos
geftorben, fo fielen die Tagesblaͤtter wie gierige Haben über
ben Leichnam ber. Alle Gerüchte, bie über ihn in Umlauf
waren, wurden ausgebeutet.und Jedermann wußte vom „Nar⸗
zen des Palais royal”, dem man bei feinen Lebzeiten gern
aus bem Wege gegangen war, eine andere Geſchichte aufzus
tifchen. Die muſikaliſchen Blätter, welche bie politifchen Jour⸗
nate an unerfchöpflidyen Lügen weit hinter ſich Laffen, wußten,
daß Ghobracs Duclos ein verkanntes muſikaliſches Genie fei.
Man erzäblte, er babe eine Oper, in ber tiefe Kenner ber
Kunft, deren Namen aber nicht angeführt waren, unendliche
Schönheiten entdeckt hätten, zur Aufführung bringen wollen.
Nachdem alle feine Verſuche gefceitert feien, habe er ben Muth,
ch durch feine Gompofitionen befannt zu machen, verloren
und feit diefer Zeit datire fein nomabifches Ecben, in bem er
fon zwanzig Jahre lang vegetirte. Alles war geradezu aus
der Luft gegriffen. Das Leben ChobracsDuclos’ war eine von
den verunglücten Eriftenzen, bie jede große Stadt aufzumeifen
bat. Indeſſen hatten die Zournale doch die öffentliche Aufmerk⸗
famteit auf biefen Menſchen, hinter dem man nichts 5
woͤhnliches oder gar Geniales zu ſuchen hat, —— —
von den Schriftſtellern, dic jeden Augenblick bereit find, ihre
Bedern zu fpigen, haben fidy dadurch veranlaßt gefehen, bie
verſchledenen Geruͤchte, bie man fi) von ihm erzählte, nad} feie
nem Tode zu einem Buche zu verarbeiten. Daflelbe bat vor
kurzem u. db. 3 „Memoires de Chodrac-Duclos’ die Preffe
verlaffen und wird die Reugierigen ein paar Tage beſchaͤftigen.
Die Verf. beffetben,, Jacques Aragd, ber Bruder bes Aſtrono⸗
men, und ©. Gouin, denen wir ſchon eine lesbare Biographie
vom Herzoge von Orleans verbanten, haben ſich, wie geſagt,
begnuͤgt, den vorgefundenen Stoff —— — Benn es
in ben Ankuͤndigungen heißt, daß ihnen unbekannte Papiere ya
Gebote geftanden hätten, fo iſt dies gang einfach eine Mpftificas
tion. Der Graf von Peyronnet, gegen ben in ben zwei ers
fhienenen Bänden manche Anfchuidigungen erhoben wurben,
brauchte ſich deshalb wahrlich gar die Muͤhe nicht zu geben,
die Unwahrheit der ihn betreffenden Stellen zu ertiaren. Zus
beifen hat er es doch für nöthig erachtet und die „France hat
vor ‚einiger Zeit einen Brief aus der Feder des Exminiſters
ee ee in —* * daß an alle den Ge
ruͤchten, Die über fein ehemaliges Verhältniß gu Chodra
im Umlaufe feien, fein wahres ort mir zu Chodrac⸗Ducloe
Wir haben in d. Bl. vor einiger Zeit einer i
waͤhnt in der die neuen Richtungen der ———
gerodtebigt wurden. Dieſelbe führte den Zitel „Histoire critique
u rationalisme en Allemagne’ unb rührte von einem talents
vollen jungen Schriftfteller, Amand Saintes, ber, ber fi
ſchon durch einige gediegene philofophifche Arbeiten ruͤhmlich bes
fannt gemacht hat. Seitdem tft nody ein anderes philoſophiſches
Wert. aus bderfelben Feder erfchienen. Es betrifft die Lehre Spi⸗
noga’& und fcheint befondere Beachtung zu verdienen. Der Zis
tet iſt: „Histoire de la vie et des ouvrages de Spinosa,
fondateur de l’ox&g&se et de la philosophie moderne” (Pas
3.
ris 1843).
Literariſche Anzeige.
Neu erſchien bei mir und iſt in allen Buchhandlungen zu
erhalten:
Gedichte
' von
Karl Jörter,
Herausgegeben von
Ludwig Tieck.
Iwei Theile.
Mit dem Bildniſſe des Vichters.
Gr. 12, Geh. 3 Thlr.
* In meinem Verlage erſchienen fruͤher:
zancesch Petrarca’s ſammtliche Canzonen,
Sonette, Ballaten und Telumbhe, „Überfett und
mit erläuternden Anmerkungen begleitet von K. Körfter.
weite, verbeflerte Auflage. Er. 8. 1833, Brüder 2 Thlr.
Nor. egt 2 Thle. 5 Rear.
Dante Hlighbieri, Das neue Beben. Aus bem Stal.
überf. und erläutert von X. Börfter. Gr. 12. 184. Mer.
Eeipzig, im Aprit 1843.
$. A. Srockhaus.
Vetantwortlicher Herausgeber: Deinrih Broddaus — Drud und Werlag von F. 4. Brodhaus in Eetipsig.
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Sonntag,
— Nr 32, —
2. April 1843.
Politifche Literatur der Gegenwart in Deutfchland.
Bierter Artikel.
(Sortfegung aus Nr. 91.)
.Unſere Minifter foliten fi) einen Mann zum Mufter
nehmen, den die „Preußiſche Staatszeitung“ freilich lange
genug verunglimpft hat, der nichtsdefloweniger aber die
Bewunderung feiner Zeitgenofjen verdient. Wir mei:
nen den fpanifchen Espartero. Dort in jenem Lande lie:
fen Tidy ganz andere und gewichtigere Gründe für Genfur
und Verbote anführen, aber der Mann glaubt an die
innere Macht, an den Sieg einer gefegmäßigen Freiheit
und verfhmäht es auf dem Wege der Bevormundung bes
freien Wortes bderfelben einen fcheinbaren augenblicklichen
Vortheil zu verfhaffen. Mitten unter mwüthendem Par:
teigefchrei glaubt. er an die Sache ber Öffentlihen Ver:
nunft, die entweder fiegen foll oder mit der er fallen will,
Das iſt der rechte Weg, um ein Volt mündig zu machen,
nicht jene gewaltfane Unterdrüdung misliebiger Stimmen,
durch weiche das Übel nur verlängert und verfchlimmert
wird. Ich möchte einen deutfhen Minifter an der Stelle
Espartero’8 fehen und wie weit berfelde mit feinen mohl:
feilen SPolicelmaßregein kommen würde. Und zwifchen
Spanien und Deutfhland ift doc noch ein Meiner Uns
terfchied. Freilich zu einem folhen Bertrauen auf fein
Spftem gehört der fefle Glaube an die eigene gute Sache,
gehört vor allem ein geniales, auf richtige Worausfegun:
gen gegründetes, den ganzen Zuſtand bed gegenwärtigen
Bedürfniffes nah allen Seiten hin umfaffendes Spflem,
nicht blos einige LKieblingsideen u. dgl. Zu einem folchen
feifenfeften Standpunkte gehört ein genialer Mann, der
die Urfachen der Erfcheinungen in der Ziefe erblidt, das
Streben des Volksgeiſtes verfieht und niht an einzelnen
Erſcheinungen auf der Oberfläche herumlaborirt und daran
bin: und herflidt.
Es ift ein ziemlich abgedrofchener Sag, daß bie Preffe
ihre Heilmittel in ſich felbit habe. Aber der Sag ift
wahr. Glaubt mir, das Unvernünftige und Unfittliche,
was in der Xendenz der „NRheinifchen Zeitung”, der
„Deutfhen Jahrbücher” u.f. w. liegen mochte, das hätten
wir auch ohne die Verbote erkannt, und auch ohne Verbote
wären wie des böfen Feindes fhon Here geworden. Oder
vielmehr nur ohne Verbote, nur duch unſcre eigene
geiftige Anſtrengung, durch unfer eigenes Gewiſſen konn:
ten wir den böfen Zeind beſiegen. SFreilih muß man
uns dazu Zeit laffen und muß nicht gleich im erften hal⸗
ben Jahre ungeduldig und empfindlich werden. Eben daB
die „Rheinifche Zeitung” und die „Deutſchen Zahrbücher”
eine fo außerordentlic fhnelle Verbreitung gefunden haben,
daß fie von dem großen Publicum gerwiffermaßen ver
[hlungen wurden, mag zum Beweiſe dienen, wie wenig
Unterdrüdung der Preffe zur Erziehung eines gefunden
politifhen Sinnes taugt. Hülfe ſolch negatives Regieren
heutzutage irgend etwas, fo müßten die letzten 25 Jahre
gewiß die günfligften efultate gehabt haben. Statt
deſſen aber haben fie gerade das Gegentheil gewirkt. Fuͤr
den Augenblid greift Jeder nur nach den entichiedenften
und unzweideutigften Oppofitionsorganen, um ſich für die
lange Entbehrung ſchadlos zu halten. Nicht die Lehren
und Anfichten, welche jene Organe zum Beſten geben,
find es eigentlih, weshalb man fie fo werth hält, ſon⸗
dern es ift der ungewohnte Ton des Freimuthes, die Ruͤck⸗
fichtslofigkeit, mit der der Überzeugung gehuldigt wird,
was ſolches Intereſſe erregte. Es bewährt ſich hier das
alte ewige Gefeg der Natur und des Geiſtes, daß ein
Ertrem das andere hervorruft, und daß ein zu lange un:
terdruͤcktes Beduͤrfniß feine Befriedigung im erſten Augen:
bite in Übertreibungen und ohne Maß und Schranken
fein Ziel fucht. fiber diefe fatale Übergangsperiode wird
man nie wegkommen, es wird immer erft bei fo unnatürs
lihen Antecedentien ein Hinz und Herwogen zwifchen den
Ertremen flattfinden, bis der vernünftige Gebrauch der
Freiheit erlernt wird und der Strom der gefunden Volke:
meinung ruhig in feinem Bette dahinflutet. Wenn aber
irgendwo ein folcyer Übergang nur kurz, ungefährlich und
mit geringen Unbequemlichfeiten verbunden fein wird, fo
ift e8 eben heutzutage in Deutfchland. Dat man fid
nur erft an dem neuen Zone etwas gefättigt, iſt die
Spradye der Kühnheit und bes Sreimuthes nur erft etwas
Erlaubte und Gewohntes geworden, fo wird man aud
ſehr bald zu fondern anfangen und den echten Muth von
der Stechheit, die nothwendigen Unfoderungen der Gegen:
wart von den willfürlichen und unwahren Sagungen einer
ercentrifhen Fugend oder böswilligee Schreier zu unter:
fcheiden wiffen. Gemäßigte Organe eines auf das „Maß
der gegebenen Zuſtaͤnde“ eingehenden Fortſchritts würden
fhon in diefem Jahre entftanden fein, eben nothwendig
hervorgerufen duch das blinde, maß = und gewiſſenloſe
Sichüderſtuͤrzen jener Blätter; das Beduͤrfniß darnach
wurde ſchon lebhaft gefühlt und die beſten Kräfte des
Volkes würden ſich ihnen gewidmet haben. Eine nothwen⸗
dige Reaction der wahren Öffentlichen Meinung würde ſich
gegen bie „Rheiniſche Zeitung” und „Deutſchen Jahrbücher”
gebildet und diefe gezwungen haben, entweder auf dem betrete:
nen Wege umzukehren oder ſich völlig in der Öffentlichen Mei:
nung durch immer frevelhaftere Confequenzen hinzurichten.
Die günftige Gegenwirkung aus den eigenen moraliſchen
Kräften des Volks heraus hat man aber durch jenes po:
ficeiliche Eingreifen wieder auf längere Zeit unmoͤglich ges
macht. Statt die Keifis zu befördern, hat man fie un:
terdruͤckt und fo ftedt die Krankheit noch immer Im Innern
und verdirbt mehr und mehr den gefunden Organismus.
Am allererften laͤßt ſich noch das Verbot der „„Deutichen
Sahrdlicher” von Seiten der ſaͤchſiſchen Regierung rechts:
fertigen oder wenigftens auf eine einigermaßen genügende
Weife erklären. Die faͤchſiſche Regierung beguͤnſtigt offen:
bar eine freiere Preffe und es iſt nicht unwahrſcheinlich,
daß fie, wenn fie von außen her völig ungehindert wäre,
alte jene unzeitgemäßen Beſchraͤnkungen ganz fallen Iteße.
Im Aligemeinen fteht fie mit der Preſſe auf einem guten
Suße, was ihr ald hohes Berdienſt anzurechnen iſt. Der
unendliche Kortfrhritt Suchfens datirt fi offenbar von
dem ehrlichen Geifte ber Öffentlichkeit, von dem bie Re:
Hierung feit zroölf Jahren ausgegangen iſt, und biefe Of:
fentlichkeit ift ohne freie Preffe nicht moͤglich. Die ſaͤchſi⸗
ſche Regierung weiß fehr wohl, daß fie ohne Hülfe der
Preſſe, ohne freie Selbfithätigkeit des Volks nicht zu fo
wunderbaren Refultaten im Staatsleben gelangt fein wuͤrde
und daf eine immer vollftändigere Entwickelung auf dies
fem Wege in ber ganzen Anlage des Syſtems begründet
fi. Wenn fie daher ein Blatt, welches im Auslande
das meifte Ärgerniß gab und ihr gewiß unendlich vie
Mequifitionen und Verwickelungen zumege gebracht bat,
und noch dazu ein Blatt, deſſen Tendenz fie im Allge⸗
meinen für durchaus verderblih und für die Entwidelung
des eigenen Staatslebens wenigftene fehr entbehrlich hielt,
deshalb aufopferte, um durch diefe Concefjion ſich Ruhe
und Nachſicht für die ganze Übrige Peeffe zu erfaufen,
fo laͤßt fi) das wenigftens, wenn auch nicht nach ber Idee,
doch nach dem Drange ber wirklichen Umflände rechtferti⸗
gen. Wir glauben nicht, daß die „Deutfhen Jahrbücher”
verboten find, um die Preffe überhaupt zu beſchraͤnken,
fondern um dem ganzen übrigen Theil derſelben durch
dieſes Opfer einen freiern Spielraum zu gewähren. Es wäre
freilich wünfchenswerther geweſen, wenn bie „Deutfden
Jahrbuͤcher“ Gelegenheit gehabt hätten, ihren Feldzug gegen
den thatlofen Liberalismus, ben fie im diesjährigen Jahres:
programm ankuͤndigten, wirklich zu beginnen. Das ganze Pu:
blicum bätte dann Gelegenheit gehabt, die Thaten kennen zu
lernen, welche die „„Deutfchen Jahrbücher” von ihm verlangs
ten, und es würde fich unzweifelhaft die Demagogifch = praßtis
ſche Tendenz , die fie hinter dialektiſchen Taſchenſpielereien,
unter einem fehr dünnen Gewande fogenannter Wiffen:
ſchaftlichkeit verftechten, auch dem biödeften Auge dargelegt
haben. Duck das Verbot bat man offenbar ihren eige⸗
nen Gelbflvernichtungsproceh, an dem fie mit einer wirt:
ih wahnfinnigen Haft arbeiteten, leider verhindert. Statt
deffen hat bie ſaͤchſiſche Regierung durch jenes Verbot Ruge
und feinen Theilnehmern eine Art Maͤrtyrerkrone aufgeſetzt,
deren Schimmer wieder auf einige Jahre hinreichen wird,
um die Augen ber moraliſch Kurzſichtigen zu bienden.
Es wäre zu wünfhen, wenn es der preußifchen Mes
gierung zuweilen gefallen wollte, ihre Blicke auf das Meine
Sachſen zu werfen. Man kann au von einem Pleinern
Bande zuweilen eiwas lernen. In Sachſen ift der König
fo allgemein verehrt wie vielleicht in keinem übrigen
Theile der Erde; in Sachſen werden bie Minifter allge⸗
mein anerfannt und gefegnet, troß mancher Oppoſition
im Einzelnen; in Sachſen ſchreitet die Geſetzgebung Schritt
für Schritt auf die angemeffenfte Weife fort, und von
einer Speenconfufion, von einer Rathlofigkeit, einem Hin⸗
und Derfchreien der verfchiedenartigften Anfichten, wie in
jenem größern Sande, weiß mm dort nichts. Dabei bat
eine Rechtlichkeit, eine Pflichttreue, eine Gefchäftsthätigkeit
bei dem Beamtenſtande Play gegriffen, die man vor zwöff
Fahren für ganz unmöglich gehalten haben würde. Und
bat Sachſen, um zu dieſer allgemeinen Staatsblüte zu
gelangen, etwa die Preffe unterdbrüdt? Gerade im Gegen:
theile hat es diefelbe aufgemuntert und begümftigt, fo weit
eine gewiſſe ängflliche Rüdfichtnahme auf aͤußere Verhaͤlt⸗
nilfe es nur irgend erlaubte, und namentlih in innen
Angelegenheiten bat die NRegterung im Bewußtſein ihres
richtigen, zeitgemäßen Syſtems derfelben fehr große Freihei⸗
ten gewährt. Und ber ganze jegige blühende Zuſtand
Sachſens er iſt mahrlid nicht trog der freien Preſſe,
fondern ducch dieſelbe mit herbeigeführt. Ob ohne diefe
ein fo fhönes Vertrauen zwiſchen FZürft, Mintftern und
Volt, ein fo reges, fruchtbringendes Wachſen in allen
Zweigen des Staatslebens möglich geweſen? darüber frage
man bie ſaͤchſiſchen Staatsmänner felbfl. Wenn ihnen
die Preffe auch kein bequemes Muheliffen geweſen ift, fo
werden fie deren Nutzen doch ficher zugeben und anerfen:
nen. Man wirft den DBertheidigern der Preßfreiheit im⸗
mer vor, dab fie mehr nah unausführbaren Theorien wie
nach der praßtifchen Möglichkeit urtheilten. Wir glauben
aber umgekehrt, daß eben die Gegner von ganz falfchen
und unausführbaren, aus den Zufländen früherer Jahr⸗
hunderte noch dazu einfeitig abflcahirten Theorien ausge⸗
ben, und daß fie Beine intuitive, praftifche Bermandefchaft
zu den moralifhen und politifhen Bedürfnifien der Ges
genwart haben. Wenigſtens ijt das Beiſpiel des Heinen
Sachſens fo naheliegend, fo evident, daß die praßtifchen
Männer es doc nicht ignoriren folten. Dan tönnte
allenfalls einwenden, daß das Pleine Sachſen ſchon polirifch
reifer fet wie das große Preußen, und daher auch eine
freiere Preffe vertragen koͤnne. Wir find allerdings mit
dem eriten Theile dieſer Behauptung völlig einverſtanden;
wie halten das ſaͤchſiſche Volk in diefem Augenblide für
politiſch klarer, ſich feines Zieles und feines Bedürfnifſes
bewußter, für durchgebildeter als das preußifche. Aber
diefe höhere politifhe Bildung bat es einzig und allein
TEN
feiner Berfaffung und feiner freien Pkeffe zu verbanten;
1830 ftand die Partie anders und Sachfen konnte fich
feines Vorſprungs wahrlich nicht rühmen. Die geiflige
Befähigung iſt in Preußen ganz gewiß biefelbe oder viel:
mehr eine höhere, aber man gebt ihr nicht die einzig mög:
Hohe Gelegenheit, fi) auszubilden. Es mag Jemand noch
fo viel Anlagen haben, immer muß er bad, erſt ins Waſ⸗
fer aehen, wenn er ſchwimmen lernen will.
ildrigens würde auch Sachſen ſich genöthigt gefehen
haben, feine Preſſe gänzlich zu unterdruͤcken, wenn deſſen
Berfaffung und Regierung nicht im Wefentlichen den An:
foderungen der Zeit und des Volksbeduͤrfniſſes entfprochen
hätte. Und darin liegt dee Punkt, meshalb Preußen bei
feinem jegigen Syſteme durchaus gezwungen war, bie freie
Discuffion zu hemmen und weshalb es auch ferner ges
nöthigt fein wird, wenn nicht eine völlige Umgeflaltung
eintritt, die Preſſe mehr und mehr zu befchränten und fie
allmälig zum Schweigen zu bringen. Sagen wir ed nur
gerade heraus, was ſich doch jegt unzweifelhaft herausge⸗
Kelle hat. Preßfreiheit und abfolute Monarchie find bei
heutigen Culturzuſtaͤnden Dinge, bie gänzlich unverträg-
tich miteinander find. Wenn in bie Manifeflationen der
freien Preſſe eine gewiffe Ordnung kommen fol, wenn
nicht alle Wünfche wild und ungeregelt durcheinandertoben
ſollen, fodaß eine völlig babylonifhe Sprachverwirrung
entfieht — der Anfang war dazu fchon gemacht —, fo
muß daſſelbe Wort, welches über die Gefehgebung lieſt
und ſchreibt, auch feinen freien und oͤffentlichen Antheil
an der Sefeggebung haben. Alsdann wird es ſich im ſei⸗
ner politifhen Tagesliteratur ſchon zu befchränten willen;
es mird ſelbſt einfehen, daß es nicht Alles auf einmal
ausführen kann, und daß ein Nady und Nach, ein fchritts
weites Kortfchreitn von einem Nothwendigen zum andern
allein zur erfprießtichen Tätigkeit führt. Die Tagesfra⸗
gen werden ſich vereinfachen; flatt alle möglichen Ideen
and Wünfce pele-mele an den Tag zu bringen und ba:
durch alle Discuffion zu verwircen, wird man fich darauf
beichränten, die nächfle Trage des Moments, wie fie den
Kammern vorliegt, nach allen Seiten hin gründlich zu er:
örtern. Ohne Repräfentativverfaffung wird die Preffe nie
Maß und Ziel halten, nie auf das Mögliche, für den
Augenblick Gegebene gründlich und wohlmwollend eingehen
koͤnnen.
Die Sachen in Preußen ſtehen jetzt fo: Man flieht
allgemein ein, daß eine Veränderung eintreten muß und
daß es nicht fo bleiben Bann. Das willkuͤrliche Schwans
ten zwiſchen Erlauben und Verbieten gereicht weder dem
Staate zur Ehre noch zum Heile; ein confequentes Sys
ſtem muß angenommen werden. Und bier hat man nur die
Wahl zwiſchen zwei Möglichkeiten. Entweder man kehrt
zur abfoluten Regierungsweiſe des verflorbenen Könige
zuruͤck, verbietet jede Öffentliche Discuffion über alle ſtaat⸗
kichen Gegenſtaͤnde vom Dienfte des Nachtwaͤchters an
bis zus den Functionen des Minifters, denn das Kleinſte
ſteht mit Brößten im Zufammenhange und die Discuffion
fleigt immer vom den unbedeutendften Anlaͤſſen zu ben
wichtigften und legten Grundfragen herauf; oder man geht
aufrichtig und voRflänbig zu dem conſtitutionaellen Ey
ſteme über, was Preßfreiheit und Öffentlichkeit aller Stauts-
angelegenheiten ſowol vertragen kann als auch vorausfegt.
Das iſt die Akternative, ein Drittes iſt nicht moͤglich. Je
früher man zu diefer Einficht gelangt, befto beffer wird es
fein, und deſto geringer und gefahrlofer werben bie Schwie⸗
tigkeiten fein, die immer mit einer Reorganifation vers
bunden find.
Wir wolken nun noch furz die Urtheile der Pleinen
Schrift über die jegigen Zeitungen mit. einigen Bemerkun⸗
gen begleiten. Zuerſt kommt die „Elberfelder Zeitung” an
die Reihe. Ihr Standpuntt wird mol nicht mit Unrecht
„der Standpunkt der Schmeichelei, der Speculation auf
einen Orden oder auf eine Stelle im weiland Berichti⸗
gungsbureau” genannt. Der Redacteur, Herr Martin
Runkel, hat fi ſchon feit Jahren zum unbedingten Lob:
preifer jeglicher MRegierungsmaßregel aufgeworfen, ohne daf
es ihm gelungen zu fein fcheint, viel Dauk dafür zu ern:
ten. Und in der That bat die preußifche Megierung fehr
recht, wenn fie ſolche geiftlofe, unberufene und zudringliche
Advocaten, deren Motive fo offen auf der Hand liegen,
gänzlich ignorirt. Hier heißt es offenbar: „Gott bewahre
mid) vor meinen Freunden”; an jedem Gegenftande, den
die unreine Hand der „‚Eiberfelder Zeitung” zu vertheidigen
fucht, bleibt immer etwas Schmuz hängen. Wir gehören
nicht zu den Gegnern der Juden; im Segentheile fchäßen
wir fie im mancher Beziehung höher als uns felhft und
zählen uns zu den unbedingteften, ja leidenfchaftlichiten
Anhängern ihrer völligen Emancipation, auf welchen Ge⸗
genftand wir naͤchſtens meitläufiger zurüdtommen werden.
Deshalb mag uns die Bemerkung hier nicht übel gedeus
tet werden, daß eine fo zudringliche, plumpe Gunſtbuhlerei
faſt nur bei einem Manne möglich fein kann, der jenem
gedrüchten Volksſtamme entfproffen iſt. An eigennügigen,
überzeugungslofen Schmeichlern, die um jeden Preis fich
dem Dienite der Mächtigen verlaufen moͤchten, fehlt es
wahrlich auch nicht bei ung chtiſtlichen Germanen ; aber etwas
verftedter und taktwoller weiß man die Sache doch ein:
zukleiden; man weiß doch eine gewiſſe Würde, eine ge:
wiffe Überzeugung mit einiger Wahrfcheinlichkeit zu affec⸗
tiven umd der geöbfte Schacher fpricht ſich doch nicht fo
in jedem Worte und in jeder Geberde aus. Auf Beloh⸗
nungen, wie unfere Brofhüre meirtt, bat Herr Martin
Runkel ſicher nicht zu rechnen; hoͤchſtens ftopft man ihm
den Mund, damit er nur endlich ſchweigt unb feinen
Schuͤtzling nicht länger in der öffentlihen Meinung blamitt.
Dem „Journal de Francfort” und dem „Deutſchen
Courrier“ Hält der Verf. ebenfalis keine Lobrede. Erſteres,
jest von Dr. F. Beurmann rebdigirt, ſoll wahrfcheinlichers
weife im ruffiffchen Solde ſtehen, der „Deutſche Sourrier”
bezöge dagegen feine Zuſchuͤſſe von der franzöfifhen Res
gierung. Wir wagen nicht zu widerfprechen und ents
haften uns jeglihen Commentars folher Nichtswuͤrdig⸗
kit — wenn die Sache wahr fein folte — als
durchaus überflüſſig. Hierauf kemmen die Hofzeitun:
gen an die Reihe und werden etwas verfpottet. Alsdann
wird der „Damburger unparteitfhe Correſpondent“ durch⸗
S
gehechelt, der von bem leiblichen und geifligen Bruder des
Medacteurs der „Elberfelder Zeitung‘ geleitet wird. Un⸗
feree Anficht nach ebenfalls mit vollem Rechte, aber ent»
ſchieden verwerflih finden wir es, daß ber Name Schels
fing’® dabei ins Spiel gezogen wird, weil der „Correſpon⸗
dent” einen lobenden Artikel über ihn mitgeteilt hat.
Man kann als Oppoſitionsmann ebenfo gemein und twis
derlich fein wie als ferviler Lobpreiſer; das möge der Dr.
Verf. nicht vergeffen. Auch die „Keipziger Allgemeine Zei:
tung” weich ſtark mitgenommen, die liberalern Correfpondenzen
aus Berlin werden aber gelobt, in welches Lob wir nicht [o un:
bedingt einflimmen möchten. Doch der Verf. hat einmal einen
fehr einfachen Maßſtab, den er überall anlegt; Oppoſition⸗
machen und freie Richtung find bei ihm ſynonym und je
ärger oppofitionnell, defto vortrefflicher findet er e6. Auf diefe
Weife macht er fi) die Kritik wenigftens ziemlich leicht.
Sodann kommt die „Preußifche Staatszeitung‘ an die
Reihe und ihe wird Geiſtloſigkeit fowie ein uͤbertriebenes Ge:
wichtlegen auf unbedeutende pofitive Daten zur Laſt ge:
tegt, wobei denn die ftatiftifchen Nefumes und Ratfonne:
ments von Hoffmann einen Seitenhieb befommen. Daß
die preußifchen Beamten ein zu ausſchließliches Gewicht
auf das actenmäßig Gonftatirte legen und nicht einfeben,
wie unzählige VBedürfniffe und Verhältniffe nie aus den
Acten zu erkennen find, ift freilich wahr. Sie verlernen
immer mehr im Buche de6 Lebens zu lefen und Wahr:
heiten daraus zu erfennen, ja für fie eriftirt diefes Bud)
gar nie und man kann ſich daher aud) nit auf daf:
felbe als Beweis ihnen gegenüber berufen. Für fie exiſtirt
nur die Verordnung, der Bericht u. f. w., Alles, was
man ſchwarz auf weiß nad Haufe tragen kann. Dage:
gen muß man aud) zugeben, daß eine Staatszeitung ve:
gen ihres halbofficiellen Charakters mit größerer Zuruͤck⸗
haltung redigirt werden muß, daß in ihrem Munde wegen
daraus zu ziehender praktiſcher Conſequenzen Manches uns
ſchicklich iſt, was für ein Privat: oder ein Parteiblatt
paßt, daß ſie fich nicht im geiltreichen Hypotheſen, in
philoſophiſch⸗ individuellen Unterfuchungen u. |. w. ergehen
darf, daß fie mehr wie andere Blätter ſich vor dem klein⸗
fin Dementi zu hüten hat. Eine Staatözeitung, Die
wohl von einem minifterielen Organe zu unterſcheiden ift,
wird immer rein poſitiv fein müffen, wie 3. B. aud der
„Moniteur” in Frankreich.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notizen aus England.
Die Beologen haben zu verfchtedenen Seiten die überbleibſel
verfchiebener Ihiergattungen ausgegraben, bie nicht mehr auf
der Erbe leben, und es ift ihnen gelungen, ihren Wohnort zu
beftimmen und ihre Kormen und Charaktere zu entdecken. Es
ließe fich vielleicht Togar im voraus berechnen, binnen weldyem
Zeitraum bie Rothen Indianer in Norbamerika fo verſchwun⸗
den fein werben wie das Mammuth oder ber Ichthyofaurus,
md wo man von ihnen weiter nichts als einige Proben von
ihren Handarbeiten in unfern Mufeen und einige Grabhügel auf
ihren verlaffenen Jagdfeldern noch finden wird. Wer ſich aber
fr diefen Menſchenſtamm intereffirt, wirb George Cattin's
erk: „Letters and notes on the manners, customs, and
conditign of the Werth- American Indians” (2 Wbe., mit
400 Abbildungen), gern lefen. Der Verf., ein Maler aus
Philadelphia, befuchte fie und hielt ſich zehn Jahre Tang
aus freier Wahl unter ihnen auf. Ihr jetziger Zuftand, ihr
Charakter, ihre Lebensweife, ihre Sitten und Gebräuche find in
biefem Bude von ihm gefdilbert. Als bie Europder zu
ibnen kamen, waren bie Rothen ſechszehn Millionen Geelen
ſtark; jegt zählen fie kaum zwei Millionen. In dem Grabe
find fie von den Weißen ausgerottet und vertilgt worden. Von
den. noch übrigen gehören beinahe zwei Drittbeile zu den Grenze
bewohnern, welche in beftändigem Verkehr mit den Weißen find
und ſich daher nicht länger in Ihrem natürlichen Zuflande, fons-
dern in einem weit ſchlimmern befinden; fie haben die Laſter
der Ieatern angenommen, find durch Wöllerei und Krankheiten
geſchwaͤcht, ihres Rationalftolge beraubt und von ihren chemas
ligen Jagbrevieren vertrieben. Die ferner Wohnenden baben
ihren urfprüngliden Charakter reiner erhalten.
— — —
Die neue Ausgabe der Werke von Thomas Moore, unter
dem Zitel: „The poetical works of Thomas Moore, col-
lected by himself’’ (10 Bde., London 1842), ift pradhtvoll
und mit einleitenden Erzählungen und Notizen, biographiſchen
und kritiſchen Erörterungen und Bemerkungen reichlich verfehen,
woburd fie an Werth und Intereffe gewinnt. Damit nimmt
jebocy der berühmte Dichter von dem Publicum noch nicht Abe
ſchied, fondern verfpricht ihm noch manches Neue nachzutiefern,
was nur der weitern Ausführung. und ber legten Feile bebarf.
Aud erfreut ſich Thomas Moore noch ber jugendlicdyen Friſche
und Kraft beö Geiftes, welche ihn befähigt, des Zrefflichen
mehr zu liefern.
Im vorigen Sabre erfhien in Rondon: „The life of
Augustus Keppel, Admiral of the White, and First Lord
of the Admirality in 1782 — 83”, von Thomas Steppe
(2 Bdbe.). Schon lange find bie Lebensbefchreibungen der
ausgezeichneten englifhen Scehelden Anfon, Dome, Gt. : Bin
cent, Relſon, Rodney und Saumarez in ben Bänden des
Publicums; es ift daher ein Wunder, baß bie Biographie
Keppel’s, der ein Gefährte ber brei Erftern und auch von Hawke,
Saunders und Duncan war, nicht früher herausgekommen iſt.
Endlich Hat jegt ein Verwandter bes Abmirals, weicher der Aufs
gabe völlig gewachſen war und welcher fowol zu privaten als
officielen Documenten Zutritt hatte, die Lüde auf eine ruͤhm
liche Weife gefüllt. Keppel zeichnete ſich durdy bie ebeiften Gar
ben bes Geiftes und bes Gemuͤthes aus: er war feines Faches,
ald Scomann, Eunbig, tapfer, großgefinnt, edel, wohlwollenk,
offen und bieber. In feinen politifchen Anfichten war er frei
finnig wie feine Berwandten und Freunde — ein Rodingham,
Shelburne, Richmond, Kor und viele Andere ber Whigpartet.
An den Giegen von Hawke, Anfon und Pocode hatte er gro
Ben Antheil. Mit einem Worte, ee war ein Mann, ber feis
nem Vaterlande und der Menfchheit Ehre machte.
Unter ber Preſſe befindet fig: „Churchmen and church
literature of England; as exhibited in the lives and wri-
tings of eminent divines, from the period of the reformation;
with connecting histories of the times in which they lived“,
von Richard Gattermole. In ber vortäufigen Anzeige heißt ed:
„daß namentlich ber jüngere Leſer aus den Bänden biefes Werkt
erkennen werde, was er als Englaͤnder der Nationalkirdye und
jenen begabten und energifchen Geiftern verbanfe, welche ihrem
Dienfte zur Ehre Gottes und zum Wohle der Menfchheit mit
Eifer oblagen, während Andere, entweder von Amtöpflicht ober
einem ernften literarifchen Gefchmade zum ſyſtematiſchen Stu⸗
dium ber theologifchen Literatur Englands, dieſes wunäbertcoffe
nen Schages von Gedanken, Gelehrſamkeit und Beredtſamkeit
getrieben, durch bie Lecture biefes Werks zu tiefern und außs
gedehntern Unterfuchungen beiwogen werben dürften.‘ 18.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Montag,
3. April 1843.
Politifche Literatur der Gegenwart in Deutſchland.
Bierter Artikel.
(Beſchluß aud Nr. 9.)
Mit der meiften Galle wird die augeburger „Allge⸗
meine Zeitung’ angegriffen und es fcheint faft, als ob
die allgemeine Verbreitung derfelben nicht blos aus patrio⸗
tifchen Gründen dem Verf, fhmerzlidy ſei. Zwar gefleht
er ihr große Mittel und viele flaatsmännifche Correſpon⸗
denzen zu — weil es ſich nun einmal nicht ableugnen ließ — ;
im Übrigen wird ihr aber fo ziemlich jedes Werdienft ab-
gefprochen und ihre Charakterlofigkeit fcharf getadelt. Me:
benbei meint er, daß felbft die Beilagen der augeburger
„Allgemeinen Zeitung’ lange nicht fo reichhaltig und geift-
reich feien wie die der „Rheinifchen Zeitung”. Es will
uns faft beduͤnken, als wenn diefe etwas gewagte Behaups
tung das Incognito des Berf. einigermaßen decouvricte.
Unfere Anſicht über die augsburger „Allgemeine Zeitung ”
ift allerdings die, daß fie ſich in ihrer ganz allgemeinen,
Alles unfaffenden Zendenz nicht mehr halten kann. Der
Stoff wird denn doch zu ungeheuer, als daß nicht die
bedeutendften Lüden entfiehen müßten. Sie if eigentlich
eine allgemeine Niederlage, ein Depot für jede beliebige
Anficht, fobald fie nur in einem einigermaßen erträglichen
and anftändigen Gewande auftritt. Fruͤher mochte ein
ſolches Inſtitut zeitgemäß und nothwendig fein, und es iſt
ihr auch allerdings gelungen wegen ihrer Allgemeinheit faſt
alle bedeutendere Maͤnner, die zufällig einen politifchen
Aufſatz fchrieben und demfelben eine große Verbreitung
wünfchten, fi zu verbinden. So kam es aber auch,
dag, eben meil fie fo vom Zufalle abhängig war, manch⸗
mal ein Artikel im Überfluffe vorhanden war, während
andere mangelten, und daß fie auf Wollftändigkeit und
Planmaͤßigkeit trog fo unendlich vieler einzelnen intereflans
ten Auffäge nicht im geringften Anfprudy machen konnte.
Die Reaction verhielt fid) immer nur paffiv. Etwas
planmößiger, thätiger und von einem beftimmten durchge:
bifdeten Standpunkte mehr ausgehend, wird fie ſchon ver:
fahren müflen, wenn fie ihren alten Vorzug behaupten
wild. Sodann Legen ihr aber auch ihre Außeren Verhaͤlt⸗
aiffe fo viele Beruͤckſichtigungen und biplomatifche Schwie⸗
rigkeiten in den Weg, daß an eine gleichmäßige Behands
lung der pollsifhen Notizen kaum zu denken fein möchte,
und das äft fehr ſchlimm und könnte: ihr für die. Zukunft
verderblich werden. Sie hat eigentlich fo viel Charaktere,
ale ed Staaten gibt. Kür Holftein z. B. iſt fie liberal,
für Baiern Hof: und Staatszeitung, für Öftreich Regies
rungsblatt, über Heſſen fchweigt fie, desgleichen über Hano⸗
ver u. f. w. Ein folches anorganifches Conglomerat der
verfchiedenften Specialanfichten und Sonderintereffen kann
aber heutzutage nicht mehr befriedigen. Dagegen geftehen
wir ihe gern eine Menge bee reifſten und gediegenften
Auffüge zu, wie fie feine deutfche Zeitung bis jegt aufzus
weifen hatte; namentlich tritt die echte Sreifinnigkeit in
ihrer edeiften Duchbildung in fo gewinnender und übers
zeugender Geftalt dort zuweilen auf, daß unfere liberalen
Blätter von Profeffion und namentlih die „Rheiniſche
Zeitung” ſich dort ihre Mufter und Vorbilder fuchen folls
ten, ftatt hochmuͤthig im Allgemeinen daruͤber abzufprechen.
Sch erinnere nur an bie „Pia desideria”, die mit Recht fo
allgemeine Anerkennung gefunden haben; aber auch eine
große Menge anderer Auffäge voll Vaterlandsliebe, Sach⸗
kenntniß und vom ‚weiteften, überfchauendflen Standpunkte
reihen ſich denfelben würdig an.
In dem Tadel der berliner Zeitungen flimmen wir mit
dem Verf. überein; fie find zu mattherzig, nicht männlich
genug und machen der großen Hauptſtadt keine Ehre.
Wenn dort nicht bald ein wuͤrdiges politifhes Organ
entfteht, fo möchten ſich gegründete Schlüffe über die ber:
liner Schincultue und Gefinnungstlofigkeit ziehen laſſen.
Daß der ehrwürdige Higig noch en passant ein halbes
Lob vom Berf. erhält, hat uns gewundert.
Auch die Beitungen, “die das fogenannte nationale
Princip verfechten, wie die entfchlafene „„Dberdeutfche” und
die Biedermann’fche „Monatſchrift“, werben nicht fehr gnaͤ⸗
dig angelaffen. Auch geftehen wir auftichtig, daB wir mit
diefen oberflächlichen und unnöthigen Tendenzen, die mol
nur abfichtlid = willkuͤrlich aus aͤußerer Berechnung und
wegen: mangelnder tieferer Befähigung gewählt find, uns
nie haben befreunden können. National oder beſſer volks⸗
thuͤmlich follen alle Zeitungen fein. Sie follen behülftich
fein, die inneren und dußern Anlagen des Volks zeitgemäß
zu entwickeln. Kine kuͤnſtliche Treibhausentwickelung eins
zeiner Induſtriezweige duch Schutzzoͤlle auf Koften der
übrigen Gefammtvoltsthätigkeit und ein Renommiren ges
gen Rufen und Franzofen fcheint uns ebenfo flach und
geiſtlos, als einer echten, zeitgemißen Volksthümlichkeit
370
unangemeffen. Auch die Biebermann’fche „Monatsfchrift”
verbindet mit Nationalität einen durchaus irrigen und
unmürdigen Begriff. Sie verficht darunter nur Äußeres,
materielles Gedeihen und beurtheilt alle Lebenserſcheinun⸗
gen in der Gegenwart des bdeutfchen Volks nur nad) eis
nem oberflächlichen Maßſtabe Außerer Nüplichkeit. So
ift es kein Wunder, daß fie die Rechtskaͤmpfe der badi⸗
fhen Kammer um freies Staatöbürgerthbum und nament:
lich die raſtloſen Anftrengungen des edein deutfhen Wel:
der für unnational erklärt. Überhaupt ſcheint uns ihre
ganze fittliche Lebensauffaffung auf dem allergeöbften Da:
terialismus zu beruhen. Der Herausgeber, Biedermann,
mag ſich früher als angehender deutfcher Profefior in dem
unfruchtbaren Wuſte deutfher Gelehrſamkeit herumgetties
ben haben und will ſich nun dafuͤr dem „Leben“ zuwen⸗
den. Allein er verfchüttet bei dieſer entgegengeſetzten Rich⸗
tung das Kind mit dem Bade, erklaͤrt allen Ideen, allem
hoͤhern ſittlichen Lebensgehalte den Krieg und erblickt nur
in dem groͤbſten materiellen Gedeihen das eigentliche und
wahre „Leben”. So z. B. iſt feine Stellung zur Reli:
gion eine durchaus -charakteriftifhe und feltfame. Er be:
kämpft Feuerbach und Strauß nicht etwa auf dem Felde
der Idee, fondern weil Streitigkeiten über Religion übers
haupt nichts nüsten und das Dahinfcheiden diefes alten
Aberglauben® nur verzögertn. Man müffe die Religion
fgnoriren, dann werde fie am erflen von felbft aufhören.
Er tobt die Engländer wegen der Trennung der Kirche
vom Staate, verfteht das aber fo, weil ihre Religion nur
eine Privatbeluftigung fei, die Gottlob auf ihr yanzes
übriges ſittliches und politifhes Leben weder mittelba⸗
ten nody unmittelbaren Einfluß habe. Der eigentliche
Kern der Beitfchrift liegt in dem MWahlfpruche: Werde
reich; alsdann findet ſich das Übrige, fogenannte reis
beit u. dal. ſchon von ſelbſt. Dazu komme noch ein fees
tenlofer, matter Stil, feelenlo6 und matt wie der ſittliche
Inhalt; ein aͤngſtlicher, diplomatifcher Stil voller Klaus
fein, pfiffig, taftend und nie eine Wahrheit unummunden
ausſprechend, als bis man überzeugt ift, daB nad, keiner
Seite hin ein bedeutender Anftoß dadurch erregt werde.
Am beiten wäre es, wenn die Zeitfchrift fih zu einem
sein technifchen Blatte über Banken, Eifenbahnen u. f. w.
umgeflaltete. Ä
Auffallenderweife erkennt der Derausgeber fogar bie
Poeſie an und will auch diefe zu den nationalen Beſtre⸗
bungen in feinem Sinne gerechnet wiffen. Freilich aber
auch nur in feinem Sinne, infomweit ein praßtifcher
Materialismus dadurch gefördert wird. in Lehrgedicht
über die Eifenbahnen oder ein Hymnus auf die Runkel⸗
elibenzuderfabrilation, deren Anhänger er ebenfalls ift,
werden daher eine günflige Mecenfion zu erwarten baben.
Die Broſchüre fchreitet nun immer weiter von der
Rechten zur Linken fort und die Misbiligung verwandelt
fih Schritt vor Schritt in Beifall und Lob. Sogar die
„Kölner Zeitung” erhält davon ihr Theil, weil fie ja doch
liberal fein will. Die leitenden Artikel von Hermes haͤt⸗
ten wol eine fchärferee Misbilligung verdient. Niemand
verſteht offenbar die Kunſt befjer wie Here Heemes, über
‚bat. Die Auffäge find einer hohlen
Alles und Jedes fi in einer fpiegelglatten, fließenden
Schreibart zu ergeben. Nur Schade, daß man am Ende
de6 Aufſatzes nie recht weiß, mas man eigentlich gelefen
Nuß ohne allen
Kern zu vergleihen. Er wi es weder mit Publicum
noch Behörden verderben, greift Daher beiden fortwährend
leife an den Puls; da es ihm aber an dem rechten Tafl:
finne, an Wahrheitsvermögen und felbftändiger Auffaffung
gänzlich fehlt, fo kann e6 nicht fehien, daß er ſich bei als
lee Vorſicht doch Häufig vergreif. Wer aus den vielen
Zaufend leitenden Artikeln, die Dr. Hermes ſchon geſchrie⸗
bei, nur eine einzige Überzeugung herauszufefen weiß, der
muß gute Augen haben. Ä
Jetzt gelangt der Verf. zu den Blättern, die feinem
Herzen ſchon näher ftehen, Die das liberale Princip offen
als dab ihrige proslamiren. Dahin gehört die ‚, Ham
burger neue Zeitung”. Allerdings huldigt fie dem ſoge⸗
nannten fiberafen Principe, aber im fchlechtefien Sinne
des Worte. Frondiren, Spectatelmachen, hohles Decia=
miren, darin beflebt ihr Talent. Sie iſt ohne ſittliche
und pofitifhe Grundfäge und möchte dabei wol die unzu⸗
verläfjigfte von allen Zeitungen fein. Selbſt die franzöfis
fhen und englifhen Parlamentödebatten entflelit fie auf
unglaublihe Weiſe; nach ihren Berichten erfechten O'Con—
nell und bie franzöjiihe Linke Seite immer die „glänzend:
ſten“ Siege; die Gegenrede der minifterialen Partei wird
mit Stilifchweigen übergangen. Nur in ihrer Polemik
gegen bie perfide, fogenannte jungholfteinifche Partei, welche
an den eigenen fchleswigihen Landsleuten und Mitbürgern
zum Verraͤther werden möchte, um nur fchnell morgen:
den Tags eine Conflitution für Holftein gu befommen
— noch dazu, abgefeben von der moralifchen Verwerflich⸗
keit, ein ganz irriger Calcul —, muß jeder Beffere mit ihr
übereinflimmen und man muß fid) wundern, daß fie dieſe
Partei ergriffen hat.
Nah fo viel Ausftellungen freut e8 uns zu einem
Blatte zu gelangen, dem wie die herzlichfte Hochachtung
zollen können. Es find dieſes die „Saͤchſiſchen WBaters
landsblaͤtter“. Nominell werden diefelben feit diefem Jahre
von 3. Georg Günther redigirt. Es ift aber allgemein bes
kannt, daß der factifche Redacteur Robert Blum iſt. Derfelbe
war, nachdem ber frühere Nominalcedacteur Schäfer Sad
fen verlaffen hatte, um die Eonceffion bei der fächfiihen
Regierung eingelommen, hatte aber eine abfchlägige Amt:
wort erhalten. Diefe Entſcheidung des Minifteriums koͤm⸗
nen wir in doppelter Rüdfiht nicht billigen. Einmal if
fie unpokitifch, indem fie ihren Zweck nicht erreicht. Den
Ciufiug Blum's auf die „WBaterlandeblätter”, feine facti:
[he Stelung als Redacteur konnte man doch nicht ver
hindern, wozu alfo eine Maßnahme, die nichts nüpte und
hoͤchſtens zut Erbitterung und Gereiztheit führen Bommte 7
Die menfhlihe Natur ift ſchwach, und mancher tuͤchtige
Mann, dem urſpruͤnglich eine feindfelige Daltung gegen
die Regierung fern lag, iſt durch unbillige Behandlung zu
leidenfchaftlicher Excentricitaͤt verleitet. Durch felhe ver-
Lehrte Mafregein fördert man eben Das, was man vers
hindern will. Gluͤcklicherweiſe iſt Blum ein viel zu ges
auf dem Boden der Verfaffung ſteht und auf das hiſto—
371
funder und rechtlicher Charakter, ale daß ſolche Animoſitaͤt
auch nur um ein Jota auf feine Handlungs: und Dentweife
influenziren könnte. Aber wir halten den Beſchluß auch
für ungerecht und für wenig dankbar. Wenn wir auch
eingeſtehen, daß die „Vaterlandsblaͤtter“ unter Blum’s
Leitung dem Miniſterium manche Unbequemlichkeit ver:
urſacht haben und daß einzelne Hußerungen in bem Feuil—
Ieton zumeilen Anftand und Maß überfchritten, fo wird
die Regierung felbft doch den unberechenbar günftigen Ein:
fluß, den die „Vaterlandsblaͤtter“ auf Entwidelung ber
oͤffentlichen Meinung, auf Förderung eines freien gefeglichen
ſtaatsbuͤrgerlichen Sinnes, auf ſcharfe Gontrole des Be:
amtenweſens, auf Entfaltung eines feifchen Gemeindele:
bens u. ſ. w. gehabt, gewiß am wenigſten verfennen. Diefe
Verdienſte follten doch beffer gelohnt werden ale durch au:
genfheinlihe Abneigung und Hinderung. Unferer Anficht
nach könnte jede Regierung, der es Ernſt ift mit der Bes
förderung eines öffentlichen conftitutionnellen Sinnes ihrer
Unterthanen, ſich zu einem Blatte, wie die „Vaterlands⸗
blaͤtter“, im hoͤchſten Grade Gluͤck wuͤnſchen. Durch
ſolches werden die guten Abſichten derſelben auf eine Weiſe
gefoͤrdert, wie die beſten Intentionen von oben herab und
die ſchaͤrfſte Controle, die heilſamſten Geſetze allein es nicht
vermoͤgen. Es gereicht der ſaͤchſiſchen Staatsregierung ge:
wiß zur hoͤchſte Ehre, es if ein. Beweis für ihre Kraft,
für ihr richtiges Syſtem, für ihr gutes Gewiffen, daß fie
ein Blatt hat aufkommen und fich ungeflört entwickeln
kaffen von fo freiem männlichen Sinne, wie eben dieſes.
Keine andere Regierung in Deutſchland würde es haben
ertragen fönnen. Aber defto auffallender ift die Feind⸗
feligbeit gegen einen Mann, von dem doch anerkannter:
maßen der Geiſt des Blattes größtentheilg ausgegangen ift.
Mit Blum's theoretiſch-politiſchen Anfichten flimmen
wir keineswegs uͤberein, fowie überhaupt denn feine allge»
meine Bildung feine ſchwaͤchſte Seite if. Er bilder ſich
ſogar ein, Republikaner zu ſein, und dieſe theoretiſche Ma⸗
rotte wollen wir ihm gern lafſen. Was für Staatsfor⸗
men nach Jahrhunderten der Menfchheit angemefien fein
mögen, fcheint und eine ziemlich müßige Speculation.
Uns genügt es, wenn Jemand in praxi ehrlich und treu
Gelegenheit hatten, fie regelmäßig zu leſen. Daß fie aber
ihre großen Verdienfte baben, fcheint ung doch nad Al:
lem, was wir pro und contra gehört haben, unzweifel⸗
haft. Den Schluß der Broſchuͤre, den eigentlichen Ziel⸗
und Strebepunkt bildet dann der Panegyrikus der Rhei⸗
niſchen Zeitung“, welche als das non plus ultra aller
Zeitungen proclamirt wird. Mir brauchen unſere diſſenti—
rende Anſicht nicht weiter beizufuͤgen, weil wir ſie ſchon
früher angedeutet haben. Die Redacteure der „‚Rheinis
fhen Zeitung” find offenbar junge Männer von: Zulent,
aber ebenfo offenbar noch in einem Entwidelungsproceffe
begriffen. Diefer fängt heutzutage in der Megel mit der
entfchiedenften Negation an und es erfodert einige fittliche
und politifhe Reife, um bie ſittliche Berechtigung des
Beſtehenden von dem unbedingt Verwerflichen zu unter:
ſcheiden. Wir hoffen, daß ihnen dieſes mit der Zeit ge⸗
lingen wird, und wenden deshalb einſtweilen die Worte
des Goethe'ſchen Mephiſtopheles auf ſie an.
Doch ſind wir auch mit dieſen nicht gefaͤhrdet,
In wenig Jahren wird es andere fein:
Wenn ſich der Moft auch ganz abfurb geberbet,
Es gibt zulegt doch noch n’ Wein.
F. von Florencourt.
ö—— — — — — —
1. Die graue Halle, oder Erdmann's Wanderung. Ein
Wort zur Zeit. Koblenz, Hoͤlſcher. 1841. 8. 1 Thlr.
2. Der Rabuliſt und der Landprediger. Von F. M.
Franzeͤn. Aus dem Schwediſchen. Luͤbeck, Rhoden.
1842. Gr. 8. 15 Nor.
Die beiden Schriften haben das miteinander gemein, daß
fie im Gewande der Poefie ber Seit die Moral Iefen. Die ers
flere trägt eine auf 254 Seiten dramatiſch ausgeführte Parabel
vor. Erdmann, ein junger Erdenpilger, wandelt zur Freiheit.
Der unermeßtliche Raum, der vor ihm liegt und in dem fich
nad oben die Freiheit als ein liebliches Licht oder vielmehr
ale Höhe zeigt, bietet unendliche Pfade dar, die ihn in bas
Deimatiand des Lichts und der Freiheit, zu Gott, ober in bie
Abgründe des Berderbeng, zum Teufel, führen Eönnen. Ge—
fährten zur Rechten und zur Linken gefellen fi zu ihm, ſuchen
ihn zu leiten, über den Weg und bie Segenftände, die ſich zei-
gen, aufzsullären und überhaupt feiner Wanderfchaft bie Rich:
tung zu geben. Die Gefährten zur Rechten find aber gute
Engel mit fchönen mythologiſchen Namen, die zur Linken find
bie verführerifchen und raifonnirenden Geiſter der Erde und des
Reihe der Böfen. Unter dem Reiſenden und feinen verſchiede⸗
nen Begleitern entwickeln ſich nun eine Reihe von Geſpraͤchen,
bie alle Lagen und Situationen bes Lebens, wol auch allgemeine
Zeitrichtungen berühren und beurtheilen, und in denen jeder ber
Geifter und au der Reifende in feiner Weiſe auftritt. Die
Grundanfgauung und die Zenbeng, welche der Verf. berauss
ſtellt, ift die Verberrlichung des kirchlich⸗ dogmatiſchen Dualis⸗
mus. Erdmann folgt nach manchem Kampfe, nach mancher
Unſicherheit endlich den Einfluͤſterungen ſeiner Gefaͤhrten zur
kinken, die ihn in die Stricke einer groben Sinnlichkeit ver
wideln unb den vermeffenen Wanderer ins Grab flürgen. Zu
verfennen ift nicht, daß ber ſicherlich ſehr junge Verf. Phans
tafie befigt; allein, abgefehen von der ganzen, unreifen An—
fhauung und Tendenz, find ſowol bie bi eriſche Haltung rote
bie einzelnen Gedanken, die hervortreten follen, ohne Gharafter,
Sicherheit und Klarheit. Wie kommt ein Milchbart dazu, wenn
auch ein beſcheidener und gutmüthiger, ben Schulmeiſter bee
Lebens fpielen zu wollen! Anlage zur Schwaͤrmerei verräth
if gegebene Beduͤrfniß des Momente ‚eingeht, und das
thut Blum durch und durch. Er ift ein Mann von ges
fundem, ſittlichem Inſtincte, von Aufrichtigkeit und Redlich⸗
keit, der fich nie von der Bahn des Rechts entfernen
wird. Dabei beſitzt er fuͤr einen Journaliſten der aͤußer⸗
fien linken Seite die heutzutage feltene Eigenſchaft, daß er
aufrichtig religiös iſt und einen fittlichen Lebenswandel
für kein Vorurtheil hält, das man bereits überwunden
bat. Bir wünfchen feinem Blatte den beiten Fortgang,
und obgleich, fein eigentlicher Werth nur in ber Befpre:
Hung des ſaͤchſiſchen Staatslebens beſteht, for verdient es
doch als Mufter männlichen Freiſinns und ehrlichen Ein:
gehens auf bie Verfaffung überall gehalten und gelefen zu
en. ' .
ber die „Königsberger Zeitung“, fowie über die „Dft:
ſeeblaͤtter“ haben wir kein eigenes Urtheil, weil wir keine
472
uͤbrig ie nicht auf wiſſenſchaftliche Grundſaͤte, ſondern auf
die —52 der Gate gegründete Sprachtaͤndelei in dem Buche.
Mit mehr Prätenfion tritt das Gedicht bes ſchwediſchen
Biſchofs Franz Michael Franzen auf. Gin Herr Prediger
Micetfen in Luͤbeck bat daffeibe im Interefle der von ber
Seraui ſchen Theologie bedräuten Kirche ind Deutfche übertra=
gen unb mit ebenfo gelehrten als erbaulichen Anmerkungen be: |
teitet. Der Schwede ift als Dichter bisher in Deutſchland nod)
nicht belannt fen: im „Riterarifhen Anzeiger” Tholuck's
von 1841 wird indeffen eine Lateinifche Synodalrede deſſelben,
exegetiſch⸗ dogmatiſchen Inhalts, ſehr guͤnſtig beſprochen.
Diefe Anzeige ſtimmte auch und für das Büchlein im voraus
günftig, ehe wir noch den vollſtaͤndigen Titel befleiben gelefen
hatten. Der Bilhof war, wie fein überſetzer erzählt, 1839
auf einer Synodalverſammlung, mo er wie gewoͤhnlich eine
Überficht bes retigiöfen Horizonte und biegmal ein „marnendes
Wort über den Unfug in Deutfchland” mittheilen wollte, der
dort mit der heiligen Schrift und bem Glauben von Briten ber
Anhänger der wiſſenſchaftlichen Vernunft getrieben wird. Diefe
Mittheitung mußte leider unterbleiben ; dafür fchrieb aber der
beforgte Oderhirte dieſes poetifche Geſpraͤch zwifchen dem Kabu⸗
Iiften und dem Landprediger über „Ja und Rein der Gegen⸗
wart in Kirche und Staat‘. Diefer Schritt war vollkommen
gerechtfertigt, denn kaum nach einer halbjaͤhrigen Erſcheinung
der Schrift, ſagt der Verf., „iſt die Gefahr der Strauß ſchen
Epidemie ſo offenbar geworden, daß beinahe eine obrigkeitliche
Maßregel dagegen fuͤr nothwendig angeſehen wurde, nicht als
eine wirkſame Äbſperrung, aber doch als ein Warnungszeichen“.
Ee iſt ſonderbar, daß das fromme Gedicht den Brand der ent⸗
feffelten Vernunft nicht gedaͤmpft hat; vielleicht iſt darin die
Policei, die unter ben Katboliten ganze Länder voll Keger und
Droteftanten ausgerottet hat, in ber Aufrechthaltung der freien
proteſtantiſchen Kirche und des proteſtantiſchen Gewiſſens gluͤck⸗
licher, wenigſtens in Schweden. Indeſſen ſcheint der ſchwediſche
Dichter an ber geringen Wirkſamkeit feiner Schrift theitweife
Schuld zu haben. Der Rabulifl, der ben Eindwurm ber Ber:
aunft vertheidigt, ift fehr gewandt: ex greift den ſchlichten,
frommen Landpfarrer mit ſcharfen, blanken Waffen an und
dieſer hat ihm nichts entgegenzufegen als Demuth, ſalbungs⸗
volle Worte und die Autorität der Kirche. ‘Die Pointen, um
die fih das Geſpraͤch dreht, find fo bekannt und fo oft in
Deutfchland wiederholt, daß wir fie bier übergeben: der Um:
fand, daß der Rabulift den altteftamentlichen Sünbenfall für
einen geiftreihen Mythus Hält, iſt ganz beſonders ber Gegen:
land der Wiberlegung von Seiten des Prebigers. Dem Buͤch⸗
fein iſt zuvöorderſi ‚ein Anhang bes Verf. in Profa beigefügt.
Er ſchlaͤgt darin die Äußerung Strauß‘, baß bie Wiſſenſchaft
nichts Heiligeres als die Wahrheit habe, mit bem Einwande,
daß die Wiſſenſchaft ein misliches Ding ſei, weil ſie nie einig
geweſen. Gut, daß der rRabuliſt nicht mehr gegenwärtig war,
er hätte dann wahrſcheinlich auf die geringe Übereinftimmung
der Kirchen, der Gonfeffionen, ber Theologen und Priefler hin:
gewiefen und das nämlicye Refultat daraus gezogen. Ein zwei⸗
ter Anhang von ber ſchwediſchen Hand gibt ein Geſpraͤch zwi:
{hen X. und B., in dem bemwiefen wird, daß der erfte Ratio⸗
nalift und der erſte Jefuit die Schlange gewefen fei, welche das
erfte Menfchenpaar verführt hat. Ein dritter und legter An:
hang des Buͤchleins liefert das befannte Gebicht ‚Smanucl
SGelbers an Georg Herwegh. Derfelbe kündigt darin dem Verf.
der „Bebichte eines Lebendigen im Namen Gottes den Krieg
an. Indeflen ift bis jegt von einer folden Schiacht, in der
Herwegh ſicherlich unterliegen muß, noch nichts vernommen
worben. 22,
DD — — — ———
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Wenn wir nicht irren, fo hat ſich aus den phrenologiſchen
unterfuchungen, die man mit dem Kopfe Rapoleon’s angeftellt
bat, 'ergeben, daß der große Kaifer ein fehr gewöhnlicher unb
unbebeutender Dienfch gewefen fein muͤſſe. Es war dies ein harter
Schlag für das Syſtem Gall's, durch ben fich aber die Gläubigen
nicht baben abhalten laffen, auf die Worte ihres Meiſters zu
ſchwoͤren. Seit einiger Zeit iſt die Flut der Schriften, welche
auf die Phrenologie und bie Phyfiognomif Bezug
haben, zu einer furchtbaren Höhe gefliegen. Wir können es
bier nicht unternehmen, eine einigermaßen vollftändige Lifte ber
franzöfifchen Werke zu entwerfen, bie in biefem Gebiete, auf
dem neben manchem Nuͤtzlichen doch auch unendlich viel Unkraut
wuchert, erfdienen find. Wir begnügen uns baher, hier nur
auf zwei Werke aufmerkfam zu machen, die einen lichtvolles
Abriß vom gegenwärtigen Stande biefer zweideutigen Wiffenfchaft
geben. Es find dies erftens „La physionomie et la phreno-
logie’, von Iſidore Bourdon, unb befonders bie „Elements de
la phrenologie”, von dem befannten Flourens, dem beftändigen
Secretair der Academie des sciences. Letzteres Wert befone
ders behandelt diefen Gegenitand auf eine würbige Weile. Da
die pbrenologifchen und ahgliognemilhen Studien gegenwärtig
fo vielen Beifall finden, fo lag die Idee fehr nah, die Grunde
fäße der Phyſiognomik auf die Notabilitäten der Gegenwart ans
zuwenden, d. b. nachzumeifen, in welchem Berhältniffe die Ge⸗
fichtezüge und der Schädelbau noch lebender großer Männer zu
ihren Eigenfchaften und Dandlungen fliehen. Wir finden din
Verſuch einer ſolchen Unterſuchung, die wenigftens ihrer Drigis
nalität wegen einiges Intereffe erregt, in der Kleinen Schrift:
„Les hommes politiques du jour juges d’apres LaVater”, vos
M. Dacquert (Paris 1843).
Unfer phantaftereicher Novelliſt E. T. A. Hoffmann ift bes
kanntlich von allen deutfchen Schriftftellern derjenige, der dem Ge⸗
ſchmacke des franzöfiihen Publicums verhältnigmäßig am meiften
zugefagt hat. Die Zahl der mehr ober weniger gelungenen Übers
fegungen, die von feinen phantafiereichen Dichtungen erfchienen
find, ift fehr groß. Am befannteften ift die Bearbeitung von
Loeve⸗Veimars, dem jesigen Gonful in Bagdad, ber indeſſen
wenig mehr als bie unbedeutende Einleitung dazu geliefert hat,
indem die Überfegung felbft von einem Deutſchen verfaßt ift-
Wir erhalten von diefer Übertragung, die im Ganzen finngetren
ift, gegenwärtig eine neue Auflage. Zu gleicher Bit aber ers
ſcheinen von einer neuen Bcarbeitung von Hofimann’s „Contes
fantastiques’’ von Chriflian zwei Ausgaben, von benen die
größere mit geſchmackvollen Jlluſtrationen verfehen ifl. Wie
aber ftets der Geſchmack des Publicumd eine große Soncurrenz
zur Kolge hat, fo wird auch gleich noch eine vierte neue Über:
fesung von Hoffmann angefündigt, bie, wie es heißt, aus ber
Feder Marmier's berrühren wird. Vielleicht daB aud hier
Marmier nur der fogenannte prete-nom ifl.
England wird noch lange Zeit die hohe Schule für Inge⸗
nieurs bleiben. Neben den Cifenbahnen verdienen in dieſem
Lande, in dem fich die Induſtrie auf einem riefigen Zuße ents
widelt hat, befonbers die großen unterirbifchen Bauten und nas
mentlich die unermeßtichen Steinkohlengruben befondere Beach⸗
tung. Wir erhalten die ausführliche Beſchreibung eines bieler
mächtigen Baumerfe, die dem menfchlichen Geifte zur Ehre ges
reihen, in dem trefflihen „Me&moire sur les canaux souter-
rains et sur les houillöres de Worsley pres de Manchester”
Paris 1843). Die Verf., Henri Zournel und Iſidore Dyevre,
baben bie ausgedehnten unterirbifchen Kandle, die fie in ihrem
gediegenen Werke befchreiben, an Ort und Stelle ſtudirt. Isre
Abhandlung jft burdaus praftifch, inbem es den beiden falent«
vollen Ingenieur darum zu thun war, biefe riefigen Bau⸗
werfe in ihrem Vaterlande nachzuahmen. Es handelte fidg
naͤmlich darum, den Plan zu einer unterirbifchen Verbindung
ber Loire mit der Rhone zu entwerfen, bie einen Kanal von ber
Länge von 22,000 Metres erfobern würde. 2.
Werantwortlier Gerauägeber: Heinrich Brodhaud. — Drud nad Verlag von 3. X. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
literarifde
für.
Unterhaltun 9.
an an
Dienftag,
tr. 94. —
4. April 1843.
Friedrich Ruͤckert.
Gedichte von J. Ruͤkert. Mit dem Bitdniß und Facſimile
des Verfaſſers. Neue Auflage. Frankfurt a. M., Sauer⸗
länder. 1843. Gr. 12. 1 Thir. , Nor.
Dem vielfeitig gebegten Wunfche, aus der ſehr bedeu-
tenden Waffe der lyriſchen Poefien F. Rüdert’s eine Aus:
wahl · des Beten und Gediegenften veranftaltet zu fehen,
iſt endlid von dem Verf. felbft genügt worden. Er hat
uns einen Band Gedichte gegeben, ber, elegant ausge:
ſtattet, nicht weniger ale 728 compreß gedrudte Seiten
umfaßt. Müdert hat 20— 30 Jahre Zeit gehabt, ſich
ein Publicum zu bifden und in deffen Herzen anzubah:
nen; er hat bie neuere Drang: und Sangperiode Deutſch⸗
lands mit durchgemacht, fein Name Elingt daher aufs
neue einlabend in den Obren feiner alten Bekannten, und
was er bringt, darf von vielen Seiten eines freundlichen
Empfangs gewiß fein.
Aus einer fo umfänglihen Anjahl von Gedichten, wie
den vorliegenden, indeß das Bedeutfamfte zu bezeichnen und
herauszuheben, hieße eine Auswahl aus der Auswahl machen
und dürfte nicht blos räumlich zu weit führen, fondern auch
für die Mehrzahl der Kefer ermüdend fein. Wir wollen
daher, um einen Eritifhen Standpunkt zu gewinnen und
unfer Sefammt: und Endurtheil über Ruͤckert's Bedeu:
tung im Chor der deutfchen Lyriker vorzubereiten und zu
begründen, von ben ſechs Büchern, in welche der Verf.
feine Sammlung getheilt bat, die drei erflen einer ge:
nauern Prüfung unterziehen.
So führt und denn das erſte Buch „Jugendlieder“
(S. 1—148) vor, aus denen ein wahrhaft jugendlicher,
harmlofer, freundliher Sinn hervorleuchtet und glei
gunftig für den Verf. einnimmt. Wir zeichnen unter
den Gedichten des erſten Buchs aus „Geſtillte Sehn⸗
ſucht“ (S. 8) als weich, zart und gefällig, und „Nes'⸗
chens Engelögruß” (S. 31) als voll füßer Kindlichkeit;
wierwol wir in dieſem, wie in vielen der Ruͤckert'ſchen
Gedichte auf ſtoͤrende Inverfionen floßen, 3. B.:
| Ich euer Geflüfleer
Nicht hören mehr foll.'
euere Züge
Nicht kennen mehr Tann,
eine Nachläffigeeit, die uͤberal Leine Entſchuldigung vers
dient, am allerwentäften aber in einem fo Meinen Rah:
mn und in einem Gedichte,
nue in dem reinften Wohllaut ergießen ſollte.
Etwas Eigenthuͤmlichſchoͤnes an Ruͤckert iſt ſeine alle⸗
goriſche Belebung der Natur. In neuerer Zeit haben
Freiligrath, Gruͤn u. A. ſich diefer Richtung der Poefie
in ihrer Weiſe ebenfalls bemaͤchtigt und ſie cultivirt;
allein mit welchem enormen Kraftaufwand? Wie viele
Batterien groben Wortgeſchuͤtzes laffen fie auffahren -und
Ipielen, um am. Ende dody unvereichteter Dinge wieder :
abzuziehen. Wir meinen hier 3. B. aus X. Grüne
„Schutt“ bie üppige Schilderung (S. 103); Freiligrath's
„Blumenrache“, in der Idee unpoetifch; deſſen „Loͤwen⸗
riet”, ein Gedicht, das ohne alle Idee in bie Luft aufs
fliegt u. a. m., :wo die Effectmanie nicht den ungetruͤb⸗
ten Eindruck aufkommen laͤßt, den eine nicht forcirte Be⸗
handlungsweiſe dem Stoffe nach haͤtte hervorbringen koͤn⸗
nen. Man vergleiche nun dagegen von Ruͤckert „Die
Blumenengel” (&. 33); wie einfach, anſpruchsſslos, wie
natuͤrlich iſt hier Alles, als muͤßte es ſo ſein, und wie reizend!
S. 37 — 39 enthalten Beine gefaͤllige Bilder, unter
denen Nr. 8 einen Beigeſchmack hat. „Gruß aus ber
Berne” (S. 39) ift zu weit ausgelponnen, ein Kehler, der
einer großen Anzahl diefer Gedichte eigen ift, fowie wir
denn Rüdert auch von einer allzu häufigen Spielerei und
Schnörkelei wie S. 41 und 45 u. a. D. mehr nicht
freifprechen können. Er geftcht dies feibft ein ‚An uns
fere Sprache“ (S. 43): oo
Ließeſt mich die Welt erbeuten,
Lehrteſt mich die Kaͤthſel deuten
Und mich fpielen felbft mit bir.
Damit aber iſt der Poefie fehr wenig gedient. In bee
Lyrik iſt die Concentration und Steigerung des Gedan⸗
kens etwas ſehr Weſentliches, ein Gedicht ſoll, um es
ſtark und bildlich auszudrücken, mit Schwertſchlag begin⸗
nen und mit Kanonendonner endigen, oder umgekehrt,
wie ein Gewitter mit Blitz unb Donner daherfahren und
in Regenbogen und Sonnenſchein ſich aufloͤſen. Zu ſol—
hen an einer gewiſſen Breite leidenden Gedichten zäblen
wir noch aus dem erften Bude ‚Keiner Daushalt”
(S. 48), „Wiegentied” u. f. w. (&. 51). Sehr gefals
ben hat und dagegen ber Humor in „Bitte um Anftelfung
in ber andern Welt” (S. 69) und „Echo“ (S. 78),
defien Schluß hier eine Stelle finden mag:
das als Engelsgruß ſich
es ⸗
Du Sehnender, ber bu dem Ziel des Gtrebens
>. Nicht nahen kannſt, nah” meinem Schattenhang,
Und rufe nur! du rufeſt nicht vergebens.
Ich will dir kommen in ber Lüfte Klang,
Ich will dich in. der Blätter Säufeln grüßen,
" Dig: teöften in der Quelle Murmelgang. _
— Aus meiner Wehmuth fol die Wehmuth fprießen;
Gefuͤhlet hab' ich, was gefühlt du baft ;
So laß dein Klagen mild ins meine fließen !
Vereintes Klagen wird zum Jubel fall.
In „Edelftein und Perle” (S. 80—119) hat dieſe
neue Auflage eine ungemein ſchoͤne Bereicherung gefun:
den, und wie haben uns wahrhaft erfreut an diefer hoͤchſt
finnigen und zart empfundenen Dichtung, bie. in faſt
durchgängig vortrefflichen Terzinen verfaßt iſt. Hierauf
folgen Sonette, „Aprilreiſeblaͤtter“, 13, und „Agnes Tod⸗
tenfeier”, 11 an ber Zahl, wenn wir dab Sonett S. 132
gleich hiecher rechnen. An den erften (13) hat une bie
Form als zu nachlaͤſſig misfallen, 3. B.:
3. If mein Anklagen eitter Luſt und Schmerzen.
8. Ein Neſt, ein Brautgemach bem Hublenden Schalke.
9. Aus Tebende Bitdfäule aufgericktet
der unftatthafte Übergang in den Daktylus:
10. Tußen mit Luſt, innen mit Tode praſſend.
11. und auf das Kind, das drunten lag im Schlafe — —
Ich ſank aufs Anie und ſprach ein gläubigs Ave(!)
Hier müffen wir, was Rüdert „” An die Dichter”
(S. 75) richtet:
Deutfhe Dichter, im Gemüthe
Hegt ihr oft gar ſchoͤne Fuͤlle,
Leider daß nur aus der Hülle
Meiſt vertrüppelt kommt bie Blüte.
Dann fpricht wol des Lefers Güte:
Dieſes war doch gut gemeint,
Wenn ed auch nicht zund erfcheint u. |. w.
an ihn felbft richten.
Was Überhaupt das Formelle anlangt, mit dem ſeit
einiger Zeit ſo oft geprunkt ward, ſo ſollten wir eine hohe
Bolltoımmenheit deſſelben als etwas ſich von ſelbſt Ver⸗
ſtehendes bei dem wahren Dichter billig vorausſetzen duͤr⸗
fen; er ſelbſt foͤrdert ſich dadurch am meiſten. Wenn
Goethe dagegen äußert, er wuͤrde, wenn noch einmal jung,
abfichtlich gegen die Form verfloßen, aber daflıc fo ſchoͤne
Dinge fagen, daß man die Form darüber vergeffen follte,
fo wollen wir ihm dad zu gute halten, würden es aber
angemeffener finden, wenn er geäußert hätte: Ich würde
den fhönen Inhalt eine entiprechend fchöne Form zu ges
den fuchen, aber nicht ebenfo viel Weſens davon machen,
wie etwa Platen thut. Als ausgezeichnet von Sorm und
Inhalt heben wir das Sonett 12 (S. 124) heraus:
Die Welt ift eine Bitte, eine blaue,
Gin Inbegriff geheimnißvoller Dinge:
pr Brautkelh ift die Sonn’, um bie im Ringe
Staubfäden » gleich Planeten ftehn zur Traue.
diefer Lille weitem Wunderbaue
Ne (dnmebend mit der ſehnſuchtmuͤden Schwinge
Des Menfchen Geiſt gleich einem Schmetterlinge,
Und lechzet durſtig nach des Kelches Thaue.
224 >
.% .
Eich! durch die Blume wehen Gottes Hauche;
Da neigen hie Planeten fi zur Gonnen,
Wetteifernd, wer darin fich tiefer taudye.
Wie fo das heilige Liebeſpiel begonnen,
ülle Duft die Blume wie mit Opferrauche;
en trinkt ber Schmetterting und flirbt in Wonnen.
„Agnes' Todtenfeier“ (Ne. 8 enthält wieber Nachlaͤſſig⸗
keiten) iſt fo ſchoͤn und ideal empfunden, daß Petrarca
ſich nicht zarter und inniger hätte ausdrüden können.
Mir geben das Sonett 10 ale Probe (S. 128):
Ich hörte fagen, Fruͤhling fei erſchienen,
Da ging ich aus, zu fuchen, wo er wäre;
Da fand ich auf den Fluren Blum' und Ähre,
Allein den Yrkhling fand ich nicht, bei ihnen.
Es fummten Vögel und es fangen Bienen,
Allein fie fangen, funmten duͤſtre Maͤhre;
Es rannen Quellen, doch fie waren Zaͤhre;
Es lachten Sonnen, doch mit trüben Mienen.
und von bem Lenz konnt' ich nicht Kund’ erlangen,
Bis daß ich ging an meinem Wanberftabe
Dortbin, wohin ich lang nit war gegangen;
Da fand ich ihn, den Lenz; ein fhöner Knabe
Saß er, mit naffem Auge, blaflen Wangen,
Auf deinem, als auf feiner Mutter, Grabe.
Bon den fünf Maͤrlein (S. 139—150) haben uns bie
drei erften beſonders angeſprochen.
Die „Zeitgedichte” bilden das zweite Buch (S. 153—
346) und beginnen mit ben berühmten „Geharniſchten
Sonetten“, die mit einer wahrhaft flammenden Begeiſte⸗
zung bie Gefühle jener glorreihen, ewig benfwärbigen
Periode der Erhebung Deutfchlande ſchildern und Deren
Wirkung damals außerordentlich gewefen fein muß. Je⸗
des Sonett ift ein Blitz, der auch noch jetzt in des Hoͤ⸗
rers Gemuͤth einfchläge, wie fern er jener Zeit ſtehen
und wie ſehr der tragifhe Untergang des Heiden im
Dom ber Invaliden die Sympathie flr das Unglä rege
gemacht und ben alten Groll beſchworen haben mag.
Man ſieht an dieſen Gedichten, daß in ſolchen Zeiten
ein Tyrtaͤus wol etwas zu bedeuten haben ann. Sie
find für Deutfhland und deſſen Literatur ein hiftorifch-
poetifcher Schau, um beretwillen ber Verf. allein ſchon
die Auszeichnungen verdient hat, die ihm in neuerer und
neuefter Zeit geworben find. Haben wir an manchen ber
bisherigen Gedichte das Mangelhafte der Form bemerklich
gemacht, fo müflen wir bier deren Vollkommenheit umd
Mufterhaftigkeit anerkennen; fie find au dem Reime
nach durchweg rein und correct und mögen, als die di-
tern, Platen vielleicht zum Vorbilde gedient haben.
Unter den übrigen Gedichten biefes Buchs nennen
wir noch „Die Gräber zu Ottenſen“, deren erſtes mit
dem Schluß:
Man merkt des Jammers Größe
Nicht an dem kleinen Grab.
„Barbaroſſa“ hat uns nicht angefprochen und wir muͤſ⸗
fen in Bezug auf unfere Volksſagen bemerken, daß, wer
ihnen eine neue dee unterzulegen, ihnen feine neue
Seite abzuminnen weiß, beffer thun wird, fie zu laſſen
‚wie fie find. . Unfere heutigen Balladenſaͤnger machen
fi die Sache unendlich Leicht, bie erſte beſte Gage ein
378. _
v0
wenig zurecht gelegt, ohne metzifche Überlegung und Kunſt
seeimt und das Dina iſt fertig. - Daher fo viel Uner:
ldlics, —— das auf dieſem Gebiete der Tag
bringt und derweht. „Die drei GSeſellen“, gut gemeint.
„Die firasburger Tanne“, vortrefflih! „Die linke Hand”,
unbeimlih, à Ja Chamiſſo. „Bluͤcher“, im Ton wohl⸗
getroffen und Nr. 7 hoͤchſt ſinnig und chevaleresk!
(Der Beſchluß folgt.)
i ßens bis zur Zeit der Re:
—— Su be Bänden, Don Johannes Voigt.
Zweiter Band. Königeberg, Bornträger. 1842. Gr. 8.
2 Thir. 10 Rgr.“)
Wenn es für irgend ein Volk wuͤnſchenswerth und rath⸗
ſam ift, zu erforfchen, zu wiſſen und zu beherzigen, was es eins
flens war, einftens that und im Rathe der Völker galt, fo tritt
diefer Fall bei ben Deutſchen ein, und zwar aus einem doppels
ten Grunde. Ginmal, weil wir durch eine Vergleichung mit
der Wergangenheit unfere Zeit in Abſicht auf Recht, Freiheit
und Bildung um fo unparteiifher und gerechter zu würbigen
im Stande fein werden. Zweitens aber, weil uns bann erft
der einzig wahre und ſichere Maßſtab geboten wird, ben une
Niemand weder verflümmeln noch entreigen kann, zur Weurtheis
lung der Werlufte, die wir erlitten haben. ‚Und diefer Maßſtab
wird um fo eletrifch = beiebender wirken, mit je größerer Befon:
nenheit und inniger Überzeugung von feinem Werte wir ihn
feftyatten. Er wird gleichſam die Wünfchelruthe fein, bie und
anzeigt, auf weichen Grund und Boden wir unfere Thaͤtigkeit
entwickeln und weiche Richtung dieſe Entwickelung zu verfolgen
Habe. Gine Batertandegefchichte ift ein rathgebendes Rational
bemußtfein. Je klarer die erſtere vor der Stele fteht, je näher
fie dem Herzen gebracht wird, defto kräftiger wird das letztere
fein. Zwar behauptet man gewöhnlich, die Geſchichte habe ſehr
fchlechte Schüler ; und fie bietet in der That, um mit Rotted
zu reden, aud nur Dem ihr Fuͤllhorn dar, der fie mit Grill
und Herz fludirt. Wer ſich aber in diefer Weiſe mit ihr ver:
traut madıt, auf den wird fie auch ebenfo wol belehrend als
belebend wirten. Man lege nur dem Denfchen nicht zur Laſt,
was die Schuld des Verfahrens iſt, wie man auf ihn wirkt.
Gin Bolk aber, das noch feine Geſchichte hat, dem noch keine
Grinnerung inwohnt, das fich erſt feine Eorbern auf bem gro⸗
Sen Kampfplage der Menſchheit erringen muß, wird — fo darf
man nad der Erfahrung und dem Bildungsgange des Men⸗
ſchengeſchiechts urtheiten — ungleich öfters irren und auf Abs
wege gerathen ald dasjenige, dem bereits ein durch längeres
Dafein erzeugtes Rationalbewußtiein geworben ift, felbft wenn
diefes Legtere fich theilweiſe nur auf Tradition gründen follte.
Allein einem Boike muß auch feine Geſchichte in weitelter Aus⸗
dehnung vorgelegt werden: es muß zum vollen Bewußtfein, fo
weit dies möglich if, feiner Wergangenpeit in Raum und Zeit
gelangen. Die Befriedigung biefer Foderung iſt ganz befonders
dem deutſchen Geſchichtſchreiber ans Herz zu legen. Denn
Dentſchiand hat feit der Zeit, wo bie kaiſerliche Reichsmacht
immer mehr verfiel, und feiner alten Bedeutſamkeit und Würde
det wurde, dagegen in eine Familienmacht ſich verwan⸗
delte, die nicht felten ganz andere Intereffen als Deutſch⸗
and hatte und oft lebhaft genug verfolgte, um ihm zu ſchaden,
im Weſten und Nordoſten lieder von feinem Staatslörper ges
waltfam abreißen feben, in beren Arterien bis biefe Stunde
noch viel deutfches Blut im Umlauf ifl. Ja, es fcheint zumeis
ien, als überträfen die Budungen jener abgeriffenen namentlid)
uorböftlichen Glieder an Stärke bie Grinnerung oder Sehnſucht
des verſtuͤmmelten Reichtkoͤrpers. Allein worin liegt der
Bal. über den erſten Band Nr. 33 d. Bi.f. 1812. D. Red.
Grund dieſer Srjjeinung? In der unkenntniß. Wie Miele, wie
dürfen nicht fagen des Wolke überhaupt, fondern ber geblideten
Melt gibt es, weiche die Gefchichte, den Werth und’ bas frühere
Verhaͤitniß der norböftlichen Provinzen zu Deutfchland Eennen?
Bo waren aber auch die geſchichtlichen Forfchungen, die hiftorts
ſchen Ergebniffe, weiche darüber Aufktärung zu geben vermodkt
hatten? Unleugbar hat fich unfer Verf. bucch fein großes und
gruͤndlich gearbeitetes Werk über die beutfchen Drbenslande ein
weſentliches Verdienſt erworben; und wir müffen es als einen
bantenswerthen und gluͤcklichen Gedanken anfehen, wie wir au
früher ausgefprodyen haben, daß der Verf. auf dem Grunde je
nes größern Geſchichewerks fein „Handbuch der Gefchichte Preu⸗
Pens bis zur Seit der Reformation” herausgibt und daburch die
Grgebniffe feiner jahrelangen Forſchungen einem zahlreichern
nach hiſtoriſcher und politiſcher Aufklaͤrug ſtrebenden Yublicum
zugänglich und für daffelbe zugleich erfprießlich macht.
Wir freuen uns, daß der Verf. den zweiten Band feines
Handbuchs dem erften fo bald hat folgen laffen; er kann aber
zugleich ruͤckſichtiich des Hiftorifchen Gehalts und Charakters,
wie wir gleich im voraus verſichern zu dürfen glauben, auf die
Anerfennung fowol ber Beurtheilenden ats ber Zefenden rechnen.
Denn daſſelbe guͤnſtige Urtheil, was über den erſten Band in
db. BI. ausgeſprochen worden ift, können wir auch mit Recht
für den vorliegenden geltend machen. Die äußere Ginrichtung
ſowie die ſprachliche Darftellung find fich gleich geblieben. Bier
und da nur bürfte man ben Ausdrud etwas - präcifer und
die Erzaͤhlung gedrängter wuͤnſchen. Indeß foll diefe Ausftel:
lung feinen das Verdienſt und den Werth fchmdlernden Zabel
begründen wollen. Auch war biesmal die Schwierigkeit, in jes
der Einzelnheit das richtige Maß zu treffen, infofern etwas
größer, als der hiftorifche Stoff in einem breitern Strome floß.
Ubrigene umfaßt der vorliegende Band bie Zeit von 134 —
1407, oder von dem Amtsantritte des Hochmeifters Werner von
Drfele bis Konrad von Jungingen.
In der Ginleitung vertheidigt ber Verf. feine Annahme,
daß der Name. Pressi: von Po-Rassi abzuleiten fei, gegen
mehrfache Einwendungen, lehnt aber auch zugleich die Autors
[haft diefer Ableitung bes Namens „Preußen“ von fih ab, in⸗
bem er auf Ältere Autoritäten, wie Prätorius, Oftermeyer und
Hartknoch fid) beruft. Die ganze etymologifche Streitfache, auf
weiche, als zu unfruchtbar für unfere Zwecke, hier nicht weiter
eingegangen werben Tann, ſcheint ſich unſers Erachtens um den
Punkt zu drehen, ob Schaffarik's Lehrfag, den man dem Berf.
vorzüglich entgegengehalten hat, eine unbedingte Wahrheit fet:
„daß die Zufammenftellung der Präpofition po mit dem Namen
von Voͤlkern nicht der grammatifchen Gonftruction der polnis
fen Sprache gemäß fei”. Dagegen erwidert der Verf. mit
Recht, es müfle in Frage geftellt werben, ob der heutige Sprach⸗
gebraudy der Polen für das 10. Jahrhundert, wo ber Rame
Prussi bereits vorkommt, als maßgebend betrachtet werben
koͤnne. Übrigens führt ex feine Bertheidigung mit ebenfo viel
Sachkenntniß ats Ruhe, und es dürfen die Autoritäten, denen
er gefolgt ift, noch keineswegs als erfchüttert betrachtet werben.
Benn Hr. Voigt in das Vereich feiner hiſtoriſchen Darftelluns
gen, wie früber, fo auch diesmal die Gulturgefchichte, Handbels⸗
verhaͤltniſſe, ſtaͤdtiſche Zuftände u. f. w. aufgenommen hat, fo tft
das zu loben und des heutigen Standes der Wıffenfchaft mis
dig und den Anfoderungen, die man an fie macht, entſprechend;
daß er aber die Rechteverfaffung der Orbensiande übergangen
bat, das müffen wir entſchieden misbilligen; man fühlt eine
kuͤcke im Ganzen. Gr Hat allerdings diefes Gefühl ſeibſt ge⸗
habt, wie dies von einem Manne, wie unſer Verf. iſt, nicht
anders erwartet werden kann, rechtfertigt aber ſein Verfahren
damit, daß er in Bobrick's und Jacobſon's „Zeitſchrift für
Theorie und Praxis bes preußiſchen Rechts’ eine Abhandlung
über jenen Gegenftand gefchrieben und diefelbe 1834 in Marien:
werber babe beſonders abdrucken laſſen. Ihm find gewiß Spitt⸗
ler's ſchon am Ende des vorigen Jahrhunderts geſchriebenen
Worte nicht unbekannt: „Man fragt jett in jeder Geſchichte
1b europdi Staats gleich darnach, wann und wie iſt ein
ee porortommen? Wie Haben fih die Werhätts
niffe der Gtände untereinander und wie die Berhaͤttniſſe der
Stände zum Regenten gebildet? Wie iſt bie gerichtliche ins
sichtung geworben? Wie ging es mit Steuern und Finanzen des ge Europa ab! MWährmp
Reihe?" Wozu Arnoid in feinen trefflihen „Umriſſen und
Studien“ bemertt: „Aber jetzt ift noch mehr für die Staaten⸗
‚bie Kiffer des übrie
eo die Moͤnche der Ordenslande aus
kmuth fo zubringlide Behller waren, ‚daß die fädtifhen Mer
börben zumeilen polickiliche Maßregetn ergteifen "mußten, Tab’
ichte au fodern,. 3. B. alle die Gegenftände, weldge bie Ras
a konnte umfaßt, die innern materiellen Entwidelungen.
Tbenſo dürfen auch die geiftigen Zwecke, bie Wiffenichaften, die
Künfte, die Kirche u. . w. nicht unberührt bleiben. Durch
dieſes Alles gewinnt die Geſchichte ebenſo ſeht an Umfang,
Reichthum des Inhalts, allfeitiger, fruchtbarer, tiefer Beleh⸗
rung, als ihre Darftellung und ihr Berftändniß in diefer vollen
Sntwidelung und Ausdehnung aud einen höhern Grad ber
Bildung und bes Geiſtes erfodert.” Wir dürfen die Hoffnung
ausfprechen, daß ber Verf. im Kalle einer neuen Auflage feines
Dandbuche jene Lüde mit den Materialien der oben angeführs
ten Monograpbie ausfüllen werde; das Ginzelne, was zur Abs
rundung eines wiffenfchaftlichen Ganzen gehört, muß willen
ſchaftlichem Gefege und Zwecke zufolge biefem Ganzen einvers
leibt werben. | sr Stich der— x
Wie ber beutfche Orden, obſchon ein Glied ber Jangen um
arten Kette des hierarchiſchen Syſtems, dennod im Gefuͤhle
feiner Macht dem paͤpftlichen Stuhle gegenuͤber ſeine Selbſtaͤn⸗
digkeit zu wahren verſtand und Gonflicte nit gerade felten
waren, fo tritt diefe Haltung ruͤckſichtlich des Moͤnchthums ins⸗
befondere hervor. Der Verf. ſagt in dieſer Beziehung z. B.
olgendes: „Das Moͤnchthum und Kiofterweien bat in Preus
* nie zu beſonderm Gedeihen und zu der Ausbreitung wie an⸗
erwarte gelangen koͤnnen. Seine Verbreitung hinderte ſchon
das alte Verbot, daß ohne des Ordens oder eines Biſchofs aus⸗
druͤckliche Genehmigung nirgend ein neues Kloſter erbaut wer:
den durfte. Seinem Gedeihen ſtand der Umſtand entgegen, daß
keinem Kloſter ein Haus oder Hof ober ſonſt unbewegliches Bes
ſigthum durch Schenkung, Vermaͤchtniß ober Verkauf zufallen
konnte, ohne bie Verpflichtung, den betreffenden Gegenſtand bin⸗
nen Jahresfriſt wieder zu veräußern. Die Kloͤſter konnten alfo
nie zu bleibendem ländlichen Eigenthum gelangen ; fie blieben
arm und ſtets nur auf den Befig beſchraͤnkt, den ihnen ber Dr:
den bei ihrer Gründung angemwiefen hatte, der aber nie bon
fonderticher Bedeutung war. Überdies hielt fie ber Orden ſtets
unter ſtrenger Aufſicht und geſtattete ihnen feine weſentliche
Veränderung und Umaeſtaltung ihrer töfterlichen Berhättniffe
ohne befondere Genehmigung bes Hochmeiſters. Selbſt jeder
Ausbau ihrer naͤchſten Umgebungen, bie Benugung eines Hof⸗
raums zur Erweiterung einer Kloſterkirche u. dgl. hing von ber
Erlaubniß des Hochmeiſters ab. Cs ift daher auch in den Ter⸗
ritorialverhältniffen des Lande von Kioftergütern felten die
Rede. Nur die zum Theil ziemlich begüterten Kiöfter in Pom⸗
mern, befonders Dliva und Pelplin, machten eine Ausnahme, da
fie fchon fräger unter der Herrſchaft der Herzoge von Pommern
durch vielfache Beſchenkungen zu nicht unbedeutendem Landbefig
gelommen und biefer ihnen dann aud vom Orden beftätigt
worden war. NMonnenflöfter gab ed in Preußen nur wenige.
An Thorn fand fon aus früher Zeit ber ein Giftercienfer
Zungfrauenklofter, zum Heiligen Geiſt genannt, eben ein ſolches
auch in Kulm, jedes mit feiner eigenen Abtiſſin. In Danzig
befand ſich ein Brigittenkloſter Augufliner Ordens bon Witwen
und Jungfrauen bewohnt, die auch Büßerinnen genannt wur⸗
den. Obgleich das Klofter, zu St.» Maria Dagbalena gebeißen,
beftimmte Einkünfte genoß, fo lebten bie Nonnen doch mebr von
dem Almofen, welches fie in der Stadt erbetteiten, lieben babei
aber Gelder aus. Die Einfegung und Entlaffung ihrer Pröpfte
hing jeder Zeit vom Hochmeiſter ald naͤchſtem Schugheren aller
Ronnenksöfter im Lande ab. So fteht alfo das ganze Kloſter⸗
weſen in Preußen ohne beſondere geſchichtliche Wich igkeit da.
Der mächtige Eichbaum, der bei Thorn zuerſt feine tiefen Wur⸗
man ſich anderweit mehr als einmal au Kiugheit oder Ge—
—S genoͤthigt —— daß den Erben
nit zu Bunften der Moͤnche das rechtmäßige Eigenthum bis
zu einem beforgliäjen Grabe entzogen werde.
Unter den Handelsartikeln, welche bie Gtäbte bes Ordens⸗
Landes in bedeutender‘ Quantität ausführten, erwähnt unfer
Verf. auch meht als einmal ben Bernſtein. Er kam damals
unftreitig in größern Waffen vor und. war befonders im Ause
ande gefuchter als jet. Es iſt über feinen alterthuͤmlichen
Namen, Giectrum, über feinen Fundort und über feinen Handes
‚eine foͤrmliche Literatur entflanden. Die Alten gedenken biefe®
Minerals fehr oft und mit Auszeichnung, fon Bomer’s
„Odyſſee“ erwähnt ihn unter den Zierden bed Palaſtes, dem
Menelaos bewohnte. Unter dert neuern Gelehrten fchrieb zuerfk
in der Mitte des vorigen Jahrhunderts Geßner in Göttingen bar=
über. Beſondere Beachtung verdienen dann bie fpeciellen Unter
ſuchungen von Schloͤzer („Allgemeine Weltgefdichte”, Bd. 2h,
Buttmann, fowol in feinem „‚Mythologus‘ als in den „Abhande
lungen ber berliner Akademie der Wiflenfchaften‘‘ (1318), Mans
nert, Dilthey, Ottfr. Müller u. A.; auch Barth in feiner „Ure
geſchichte Deutfchlands” fpricht oft und viel von ihm, und Hülle
mann in feinem „Stäbtewefen des Mittelaltere” ebenfalls, der
gelegentlich die Hypotheſe aufftellt, daß fein gegenwärtiger beute
ſcher Name durch eine Metathefis aus. Brennftein entflanden
fei, weil man ihn in alter- beutfcher Zeit flatt des Weihrauchs
auf Altären gebrannt habe. Zulest hat unfers Wiſſent ufert
in der „Zeitſchrift für Alterthumewiſſenſchaft“ (1838, Kr. 57)
Unterfuhungen über bad Electrum und bie damit verbundenen
Sagen angeftellt. Die wefentlichften, wenn auch noch keines⸗
wegs in aller Hinſicht zweifellofen Refultate find folgende: Die
Bekanntſchaft mit dem Electrum, das freilich fpäter auch eine
Mifhung von Gold und Silber ſowie andere glatartige Mines
ratien bezeichnete, ift uralt, fie reicht bis in die mythiſche Zeit
hinauf. Der Oſten Europas und Kieinafien erhielt biefes im
Handel fon frühzeitig gefuchte Minerat hoͤchſt wahrſcheinllch
buch bie Phönizier. Nach Süden ging ein alter Handelszug
über die Oder nad) der Donau an die Rhone und ben Po, we
die Römer mit dem fabelhaften Electrum bekannt murben.
Was ben Fundort anbetrifft, To ſprichen doch überwiegende
Gründe für die Oftfeeküfte Preußens, wenigftens ift weder im
Alterthum noch in der Neuzeit eine andere Gegend befannt
worden, bie ihr in biefer Beziehung an Quantität und Quali
tät den Rang flreitig machen koͤnnte.
Wir brechen’ hier ab mit dem Wunſche, daß ber britte
unb legte Band unſeres Handbuchs recht bald erfcheinen und
recht fleißig und von recht Vielen gelefen werden möge, damit
durch geſchichtliche Belehrung die Sympathie für Provinzen in
uns lebhafter werde, bie wir weber hätten vergeflen noch vers
lieren follen ! ' Kart 3immer.
Literarifhe Notiz.
Das „Journal des savanıg‘', in dem Goufin vor kurzen
feine wichtigen Unterfuhungen über die Manufcripte Pascar'e
niedergelegt bat, bringt in einem ber neueften Hefte einen in
tereflanten Auffag, der vom naͤmlichen Verf. herrührt. Gouffn
theilt in demfelben den Inhalt eines noch nicht herausgegebenen
Briefwechfeld zwifhen Malebranche und de Mairan mit, der
im Winkel irgend einer Bibliothek aufgeftöbert it. “ Einige der
mitgetheilten Briefe find von nicht geringem Intereffe und koͤn⸗
F einen Beitrag zur Geſchichte des Malebranche'ſchen Orkus
liefern. . !
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. U. Brodpaus in Leipzig.
Blätter
für
Titerarifde Unterhaltung.
Mittwod,
—— Nr. 95. ẽ
.. 7
5. April 1843,
Friedrich Rüdert.
(Beſchlus aus Nr. 9.)
Unter dem Haupttitel Wanderungen” zerfällt das
dritte Buch (S. 249—428) in fieben Abfchnitte. Der
Dichter nimmt nad Weiſe des Anakreon und Dvid Ab:
fhied vom Heldengeſang, um fi fortan den fanftern
RMegungen ded Herzens und des Gemüchs zu widmen,
wandert num ein wenig in Deutfchland umher, geht dann
nach Stalien, verliert ſich von dort in den Orient und
kehrt im fiebenten Abfchnitt in den „Deutfhen Blumen⸗
garten‘ zurüd. „Roſenlied“ (S. 250), gelegentlich, zu
fpielend und gekuͤnſtelt. „Des fremden Kindes heiliger
Chriſt“ (S. 273) fehe innig und gelungen. Die Ge:
Dichte des zweiten Abſchnitts find recht gefällig verfificitt,
viel mehr wüßten wir an ihnen nicht zu rühmen.
Bon S. 283—305 bewegt fih Rüdert vorzugsweiſe
der Korm nad) auf claſſiſchem Boden; allein Das, was
er hierin geliefert hat, zeigt, daß er fich mit den höhern
Geſetzen wenigftene des elegifhen Metrums nicht vertraut
gemacht hat. Seinen Herametern und Pentametern fehlt
nicht blos bie edle antite Haltung und Bewegung, fons
dern fie halten überall keine Keitit aus, z. DB. in dem
Idyll „Rodach“ (S. 296):
Er zum Thore der andern gelangt dort, wann von bem Thurme
Ladet Hungernde mitjtägliches Glockengelaͤut.
©. 297 unten:
Hat ein gütiger Bott Hies mit verſchwenderiſchen u. ſ. w.
S. 298 in der Mitte:
Die auf den Pfarren veranliaffer fein feierliche u. dgl. m,
©. 312 heißt es dann wieder in den Reimgedichten:
Bot alle Baͤche fliehen
Und alle Steöm’ ins Meer,
Und Licbesaugen gießen
Sich niemals thränenleer.
&o weine bu bort eine, (Thraͤne?)
Wie ich Hier eine weine,
Und eine Muſchel fchließen
Soll ſich um beide her.
©. 316:
Dod des Gluͤckes Eiland, bas
Faßt kein Dcean, kein blauer!
Was ich Broßes fonft vergaß,
Nie vergeh’ ich eines, was
Ich an euch für Veilchen las.
und:
Mit Begeiftrung folf mit traͤnken
Ihr horaziſch Waffer, bis
Uber Alpen⸗Hinderniß u. f. w.
Iſt dies etwas mehr als pure Reimerei, um es gelind
aussudrüden? Nah folhen wenig einladenden folgen
nun wieder ſchoͤne Blumen, wie „Griechenland“ (S. 324)
und die hübfche Überfegung des „Venezianiſchen Liebes”
(S. 327):
In ber Gonbel geftern Abend
Ich mein ſchoͤnes Blondchen führte;
Vom Vergnuͤgen, das ſie ſpuͤrte,
Sant in Schlaf das arme Kind;
Schlief, an biefem Arme liegend,
Und ich wedit? es immer wieber,
Doc der Rachen, leife wiegend,
Wiegt’ es wieder ein gelind.
Bon dem Himmel, halb enthüllet
Aus Gewblkchen fchaute Luna
In bie fpiegeinde Laguna,
Und zur Rube ward der Wind.
Nur ein einzig Lüftchen faufelnd
Zrieb mit ihren Loͤckchen Spiele,
Dob den zarten Schleier Eräufelnd,
D wie reizend war das Kind!
Leife leiſe ſchaut' ich nieder
Auf das Antlid meiner Golden,
Auf die Loden golben golden,
Auf den Bufen athmend lind.
Und ich fühlte füße Gluten
In der Bruft, wie foll ich fagen?
Stille ringsum auf den Fluten!
D wie rann bie Nacht geſchwind.
Die „Sictianen” Nr. 1-38 befingen Liebe und Natur;
e6 iſt an ihnen mehr Form und Diction als Gedanken⸗
fülle und Auffaffung zu loben. Dann Erhifches, „Vier⸗
zeilen”‘, 87 an der Zahl, die gefunde, treffende Lebensrer'
geln und Ausfprüche enthalten, Alles fehr Mar und wahr
und einfach und gefällig ausgedrüdt.
Den fechsten Abfchnitte füllt Drientalifches aus unter
bem Titel „„Öfttiche Rofen”, die ungemein viel Liebliches,
Suͤßes und den wahren Rofenduft des Orients athmen.
Ihren Hauptinhalt bilden Wein und Liebe. Wir haben
oft gewuͤnſcht, daß Rüdert, als alifeitig dazu befähigt,
die Freunde orientaliſcher Poefien mit einer Bluͤtenleſe
aus dem Hafis befchenten möge; denn ohne ben Ver⸗
dienften J. v. Hammer's zu nahe treten zu wollen, muͤſ⸗
fen wir doch geſtehen, baß es fehr mühfam ift, das wahr⸗
haft Schöne den zwei Bänden feiner Überfegung, bie an bie
taufend Detavfeiten umfaßt, herauszufinden, abgefehen Davon,
daß es diefer Überfegung an kieblichkeit, Eleganz und Duft
des Ausdrucks fehlt und fie Überdies des Reims entbehrt.
Die „Öflliyen Roſen“ enthalten Manches nad) Hafie,
das durch Anmuch und Zartheit anzieht, z. B. „In ber
Geſellſchaft“ (S. 370), „Das Lieblihe” (S. 373),
„Liebeszauber“ (S. 381) u. a. mehr. Sehr zweckmaͤßig
würden wir es finden, wenn ber Verf. feinen Gedichten
nicht blos da6 Jahr ihrer Entſtehung im Juder beige:
fügt, fondern auch angegeben hätte, was bier und bort
Üderfegung oder im mweitern Sinne Nachbildung und
Anlaut ift, theil® um ihn fo in feinem Bildungsgang
leichter verfolgen zu koͤnnen, theils aber auch, um das
Uetheil danady: zw modificiren. Indeß 0b Original, ob
Nachbildung, wir freuen uns bier des finnvollen und
tieblichen Gekoſes mit Rofen und Nachtigallen, wie auf
©. 382:
Zaubertreis.
Was flebt denn auf den hundert Blättern
Der Roſe all?
Was fagt denn taufendfaches Schmettern
Der Nachtigall?
Auf allen Blättern fteht, was ſtehet
Auf Einem Blatt;
Aus jedem Lieb weht, was gemwehet
Sm erften hat:
Daß Schönheit in fich ſelbſt befchrieben
Dat einen Kreis,
Und Eeinen andern auch das Lieben
3u finden weiß.
Drum kreiſt um ſich mit hundert Blättern
Die Rofe all, .
und um fie tauſendfaches Schmettern
Der Nachtigall.
Oder auf S. 386 „‚Lebensweisheit”. S. 387 tadeln mir
wieber: '
Diefe meifter:
tofen Seifter u. f. w.
Schließlich heben wir aus dem ſechsten Abfchnitt noch
„Die Botin” (S. 391), „ Hingegangen in den Wind’
(5.393) und „Einmal“ (S. 395) hervor. Im fieben
ten Abſchnitt (S. 411) fol die Stelle: „Lind gewiegt
bat es“ wol heißen: „Hat gewiegt es lind.“ Die bei:
den beiten Gedichte dieſer Abtheilung ſind „Sonne und
Roſe“ (S. 411) und „Die ſterbende Blume“ (S. 419),
nur daß die guten Grundgedanken wieder zu weit ge⸗
ſponnen ſind. |
Mit den drei erſten Büchern glauben wir den Glanz
puntt diefer Auswahl hinter uns zu baden; es folgen
zwar noch drei Bücher, allein fie enthalten ſehr wenig,
was nicht bereits in anderer und meift ſchoͤnerer Meife
im Vorhergehenden dagewefen, fobaß wir als unfere Ans
fiht ausfprehen muͤſſen: der Verf. hätte wohlgethan,
wvenn auch nicht die Gedichte jedes folgenden Buchs, fo
doch minbeftens die der einzelnen Abtheilungen zu decis
miren. Manches ift indeß in dieſer neuen Auflage [chen
weggelaffen, was wir ungern in der erften fahen.
Rüͤckert's Name ift in diefer Zeit fo oft, bald mit Tadel,
bald mit Lob genannt worden, daß wir mit wahrem Inter⸗
eſſe daran gegangen find, die vorliegende Auswahl von Au⸗
fang bis zu Ende gewiffenhaft kennen zu lernen, um zu
ſehen, inwieweit Beides begründet fe. Wir nehmen an,
daß er uns in diefes Sammlung die Quinteffenz feiner
Poeſie habe geben wollen und urtheilen darnach über ihn
als Lyriker wie folgt: .
Ruͤckert's Dichtungen find die gemuͤthlichſten und ges
muͤthreichſten; lieblich, leicht gefällig, fpielend, tändelnd.
Mi. ber , en Sonette“ und einiger
andern ZBeitgedichte, in denen er aus feiner gewohnten
Bahn Präftig und gewaltig beraustritt, träge feine Poefie
den Charakter des Beſonnenen, Reflectiventen, Befchau:
lien; ihr Reich iſt Die, vorzugswmeife, ruhige, heitere Ge:
müthswelt und die Natur. Er ſteht nicht, wie Goethe,
mit dem praktiſchen, großartigen Blick, über Welt und
Leben und lehrt mit beiden fpielen und fie beherrſchen;
fondern er miſcht fi unter ihr buntes Getreibe, theil:
nehmend und befprechend, und fucht mit ihnen durchzu⸗
kommen, fo gut als e6 eben gehen mil. Allem, was ihm
begegnet, weiß er mit der größten Leichtigkeit eine poeti:
[he Seite abzugewinnen ; aber er legt feinen Stoff nicht
Lünftlerifch zurecht, abwägenb und berechnend, wie behan-
beit er mol bie größte und beſte Wirkung bervorbringen
könnte; fondern der Stoff bemeiftert fi meiſtens feiner,
und je nachdem der Moment mehr oder minder gluͤcklich,
fällt das Refultat aus. Daher die Längen und Breiten,
"der Mangel an Concentration und Steigerung. Aber
dagegen ift er frei vom der neueften Iprifchen Überſchweng⸗
lichkeit, dem Phantaflifhen, Grellen, Unheimlichen und
"der Bilderei: Überall flieht er da als eine gefunde, edle,
biedere Natur, ohne alle Praͤtenſion. Was er nicht fingt,
bat er nicht erlebt (S. 673), aber dadurch wirkt fein
unerfchöpflicher Reichthum oft wie Armuth, und Nie⸗
mand mehr ale ec koͤnnte unfere Iprifhen Bruthennen
Ichren, Maß zu halten. Neue Bahnen bat Rüdert in
diefen Gedichten nicht gebrochen; das orientalifche Ele⸗
ment in ihm iſt nur ein herbeigeholtes, ob allfeitig auf
die Dauer Anfang findend, dürfte zweifelhaft fein. Als
Verskuͤnſtler flieht er groß da im Reim; in Allem, was
über das Gebiet des Reims hinausliegt, iſt er nichts we⸗
niger als durchgängig gut oder gar muſterhaft. Schließ⸗
lich mag Ruͤckert noch feine Poefie felbft charakterificen
(8. 687): '
An die Mufen.
Nicht aufregende
Wild beivegenbe
Leidenſchaft;
Ruhig glaͤttende,
Friedlich bettende
Liebeskraft:
Sturmbemeiſternde
Gottbegeiſternde
Himmelsruh
Haucht, ihr guͤnſtigen,
Euerm bruͤnſtigen
Prieſter zu!
Auch am Niedtichen
Dabt ihr Friedlichen
Freude gern;
Nur das Haßliche
Und das Graͤßliche
Bleibt euch fern.
Zwar das ſpigige
Eitel witzige
Liebt ihre nicht,
Doch das ſpielende
Reife gielende
Sinngedidt.
5. W. Rogge.
Rom und Loretto. Bon dem Berfaffer der Wallfahrten
in die Schweiz. Aus dem Sranzöfifhen uͤberſezt von
Kranz Xaver Sted. Zwei Theile. Tübingen,
Zaupp. 1842. 8. 1 Zhle. 25 Nor.
Vortiegendes Werk ift eine Reife in den Katholicismus
binein und in dem SKatholiciemus herum. Es enthält die Bes
tebrungsgefchichte des Verf., Louis Veuillot, und ward ald Bei:
fpiet und zur Erbauung der Belehrten und zu Belehrenden
überfegt. Lonis Veuillot war der Sohn eines armen Faßbin⸗
ders und wuchs in Aymuth auf. Er erhielt den lauwarmen
Religionsunterricht, den die vom Municipalrath protegirten
Schulen des wedhfelfeitigen Unterrichts zu extbeilen pflegen,
fchöpfte auch noch mandjerlei Weisheit aus den Leihbibliotheks⸗
büchern, die er herumtragen mußte, warb Schreiber und endli
Sournalift, wo er mit Kreigeifteen verkehrte, philofophirte,
ſprach, raifonnirte und heil an allen politiſchen Greigniffen
des Tages nahm, bie er auf feine Weife, von feinem Geſichts⸗
punkte aus beurtheilte und bekrittelte. Doch Unzufriedenheit,
Unbefriebigtfein bemächtigten fich feiner Seele, ber GSeitſchmerz
feiner Kafte ergriff ihn, er rang nad etwas Unbefchreibtichen,
noch nicht Erreichten, wie es ſchien nicht zu Srreichenden ; feine
Sehnſucht fleigerte ſich darnach immer mehr und feine Ber⸗
zweiftung tannte feine Grenzen. In Rom fprad Alles Kathos
Kcismus zu ihm: „Rom ift wahrhaftig dad Bud der Unwifs
fenden, von denen ein guter Papft ſprach, welcher wollte, daß
die Kirchen voll von Gemälden und Scuipturen feim, in wel⸗
“hen das arme Bott immer bie ſchoͤne Geſchichte ber Religion
jefen koͤnnte. Wenn diefe heiligen Orte Roms durch den Ge⸗
nins ber Künfte verfchönerte Mufeen zu fein ‚fcheinen, fo koͤnn⸗
ten die Mufeen ihrerfeits oft für Kirchen gelten, in welchen bie
Kunft durch den Genius des Glaubens vergbelt ifl. Die heilige
Schrift entfattet fi dafeibft in taufend von den berühmteften
Künfttern entworfenen Gemälden; überall ficht man die großen
Scenen des Evangeliums, batd fo liebli und fo rührend, bald
fo vertrauensvoll, immer aber voll hoher Lehre. Die Heiligen,
die von Hoffnung flraplen, die Märtyrer, die bei den Qualen
fo rubig find als bei ihren Gebeten, die vom göttlichen Geiſte
erleuchteten Propheten, die glorreichen Apoftel, das Jeſuskind
und die bimmliſche Mutter heiligen daſelbſt fogar die Neugierde
einigermaßen und machen aus der Augenweide einen bewundes
zungsmürbigen Unterricht für das Herz.” Veuillot ſchoͤpft nicht
nur die ihm mangelnde Belehrung in heiligen Dingen, fondern
er fammelt auch unumftößliche Zeugniſſe. „Dieſe Heiligen, diefe
Märtyrer, diefe berübmten Maͤnner aller chriſtiichen Zeiten, bes
zen Werke ich bewunderte, diefe Päpfte, diefe Schutherren ber
Welt, weiche durch Glaube, Weisheit, Geduld und Liebe maͤch⸗
tiger waren, als je ein Eroberer durch bie Kraft des Genies
und bie Stärke ber Waffen gewelen war, fie alle hatten ges
glaubt, ‚fie bezeugten durch eine Aufeinanderfolge von 18 Jahr
hunderten, durd das Gewicht aller Greigniffe, aller Gedanken,
aller Wiffenfchaften die Dogmen, bie man mir zu glauben vers
legte, und die Wunder, die man mir erzählte, und mehre von
ihnen, welche wunderbarerweife befehrt worden waren, ließen in
meinem Geiſte keinen Zweifel, welder fh auch nur auf ben
Schatten eines Grundes hätte flügen können.”
FJreunde beten fromm an feiner @eite, fie beten für ihn,
und das Gebet wird erhört, Im Gebaͤube Jeſu, wo
fromme, entfagende, felbfiverleugnende Leben Dee ber *
ſuiten bewundert, wird er von einem frommen Bruder in den
Schoos ber wahren Kirche eingeführt und aufgenommen, wäh:
rend im Vorzimmer feine Eatholifchen Freunde beten; und der
Friede zieht von nun an ein in feine Bruſt. Zwar hat ex
noch dann und wann Rüdfälle in bie alte Zweifelfucht auf ber
Walfqhrt; Loretto hebt fie aber ganz und er reift nun als
echter Katholik durch Italien und durch das Echen. „Ce gibt
taufend Sefepe, um taufend Übertretungen der Rechtfchaffenpeit
zu befirafen, aber um bie Rechtichaffenheit allen Menſchen ans
suempfehlen, gibt es wahrhaftig nur ein einziges Gefeg, näms
lich die Religion. Die Religion ift in einer Monarchie beffer
beftellt, forgfältiger gelehrt, mit mehr Achtung umgeben als in
einer Republik, wo unter ben Kreiheiten, die man verlangt, als
bie nothivendigfie in ber erften Reihe der Freiheiten, das Joch
der Religion abzufchütteln, figurirt, weil diefe allen keidenſchaf⸗
‚ten, allen Luͤſternheiten, allen ſtraͤflichen Begierden laͤſtig iſt.
Die Religion macht die Voͤlker leitbar, die Fuͤrſten aere
und beffer. Sie befänftigt durch den Gedanfen a mie —
geltung viele Schmerzen, die ohne dies zum Ausbruche kommen
wuͤrden. Sie verpflichtet die Fuͤrſten zu Tugenden, zu Sorgen
und Worſichtemaßregein, welche das Land mächtig befchügen,
Sie wiederholt ihm jeden Augenblick, daß, obwol er Koͤnig ſei
und wie hoch er auch als ſolcher ſtehe, er einſt dennoch Dem werde
Rechenfchaft zu geben haben, welcher Alles weiß und Richts ver=
gißt, welcher nicht der Erbfolge, fondern nur der Reue und
Beſſerung vergibt. Ach, welcher Redner der Oppofition wirb
ben Bürften .je fagen, was Bourbaloue Ludwig XIV. vor feis
nem ganzen Hofe gefagt hat, und weiche Gharte wird je für
ein Wolf jene Garantien enthalten, welche Benedion in jener ers
babenen und allzu wenig gefannten Schrift, die den Titel führtz
‚Direction pour la conscience d’un roi?‘ im Namen Gottes
fetbft verlangt. Freilich kann der Fürft für ſich ſeibſt diefe
ſchreckliche Lehre verachten; er ift auch nur ein Menſch, ber
dem Irrthum unterworfen ifl. Die Religion bleibt aber body
aufrecht, die Kanzel ertönt fortwährend von dem Unterrichte der
Volks, die Geifttichkeit laͤßt nicht ab die Kinder zu erziehen,
und Ludwig XIV., der vom Wege deö Guten abgeirrte Mos
narch, widmet feine legten Zage ber Reue” u. f. w.
Obgleich nun Xaver ganz bie Überzeugung des Autors über
die Beglüdung der Religion theilt, obgleich er ben größten Ges
gen darin ſieht, wenn Religion und religiöfes Streben alle
Menfhen, vom Zürften bie zum Riedrigften befeelt;, obgleich
Religion allem Fühlen und Handeln eine höhere Weihe zu ges
ben vermag, den Menſchen und fein Ihun heilige, ein Gegen
für den Ginzeinen und für ben Staat ifk: fo ift fie doch im
mandyen Bällen ein Hemmſchuh des Denkens, befonders wenn
fie den blinden orthoboren Katholiciemus zur Form wählt.
Der Verf. gibt über Religion, Kunft, Politik und Geſchichte
wol tiefe, durchdachte Neflerionen ; doch fein Genie trägt immer
den Katholicismus als Brille auf ber Nafe unb betrachtet alle
Begenftände durch beflen etwas truͤbe Glaͤſer. So fagt er uns
tee Anderm: „Als ich, ich weiß nicht was für einen verfäng«
Uden, die Lehre und Kirche, ber ich mich doch fo feft anges
fhloffen zu baben glaubte, niederreißenden Gedanken dußerte,
fagte man mir: ‚Das ift ein Gedanke Luther's.“ Dies Wort
erſchreckte mich. Ich ward feit einiger Zeit von dem Geſpenſte
Luther’ verfolgt. So oft ich mid meinen Gefühlen, den Ver⸗
fährungen meines Geiftes, den Verfuͤhrungen meines Herzens
übertieß, fo gelangte ich zu dem Gage Eutber’s, ich gelangte an
—— und ber alte Menſch gewann wieder bie Ober⸗
an ⸗ u. ° w.
Das Urtyeil über Lord Byron ift auch durch Froͤmmigkeit
befchrändt worben. „Was meinen Theil betrifft, — — ich
ehemals faſt zur Zahl der Bewunderer. Jedtt ſcheint mir der
Dichter mittelmäßig, und der Menſch noch mehr als das. Ich
tenne freilich nur Das von ibm, was mich die über
feger und die Biographen von ibm fehen tiefen, aber ide
be ibm au ſehr gefchägt. Ich gebe jeboch zu, daß er ein
ker ——— — war. (11) Ihr muͤßt mir aber auch zugeben,
daß es an ben Ufern der @eine 50 Männer gibt, die in Ge⸗
fahr Kommende um 25 Francs per Kopf wieder herausfifchen
md ihm diefen Waſſerruhm ftreitig zu machen im Stande ſind.
Schreien wir nicht mehr o Wunder! wenn ein Pair von Eng⸗
land dieſeiben Gaben eines Hundes von Reufundland befigt und
außerdem noch bie Kunft wäßriger Verſe übt. Das. Ber:
dienft der Skandale if ein armfeliges Berdienft, und diefes if
Lord Byron nur in zu hohem Maße zu Theil geworden. Gr
kam dadurch zu feinem Rubm, baß er fein Waterland te be:
ſchimpfte, und in feinen Schriften Dem, was man Zugend
nennt, fogar die Hulbigung der Deuchelei verfagt hat“ u. f. w.
Der fromme Eifer führt den Verf. noch viel weiter. Wer By:
ron’s Werke nicht gelefen hat, bürfte eigentlich gar nicht darüber
urtheilen, weber als Chrift noch als gebildeter Menſch, ſelbſt
als Franzoſe nicht, wenn auch der Dichter ein Auslaͤnder iſt.
WBiele fromme Herzenserguͤſſe, echt chriſtliche Anfchauungen
fieft man in biefen Blättern; mandje Capitel koͤnnten fuͤglich
ais Andachtſtunden gelten. Die Bekehrung ſcheint vollendet und
beſiegelt: Ich lernte in ben herrlichen Sinn der katholiſchen
Gebräuche eindringen, ich lernte in jenen Sinnbildern, jenen
Gewohnheiten, im-allen jenen Sagen bes Cultus leſen, wovon
nicht eine ohne Bedeutung iſt und welche allen Chriſten irgend
eine bobe Lehre, eine heilige und große Erinnerung ins Geb ht:
niß rufen‘ 0. f. w. Der katholiſche Stolz laͤßt freilich dann
und wann die hriftlihe Demuth nicht recht aufkommen: „Es
gibt nur zwei Schulen, eine, welche die göttliche Offenbarung
und die. Errichtung eines Tribunals der Werföhnung zwiſchen
ven Geſchoͤpfen und dem Schöpfer zufäßt, und eine andere,
welche bei der Mannichfaltigkeit ihrer Selten und Spaltungen
Alles annimmt, dieſen Punkt allein ausgenommen. Diefe legte
Schule hat nie zroei veritändige Menfchen in ein und bemfelben
Glauben vereinigt; ihre Schriftfteller und ihre Gelehrten wis
derfprechen fih. Es ift alfo fein Beweis vorhanden, daß auf
der einen Seite an einer derfelben die Wahrheit fei. Die an:
dere Schule bietet hingegen der Welt feit 18 Jahrhunderten
das impofante Schaufpiel einer Menge mächtiger Geiſter, bie
durch die wundervollſte Einigkeit des Glaubens und der Geſin⸗
nungen miteinander verbunden waren. Es gibt Teinen lutberis
fehen oder caloiniftifchen Gelebrten, welcher genau wie Galvin
oder Luther dächtes einen Schüler Kant's, ber ihn begriffs kei:
nen Schüler Fichte's, der in deſſen Fußtapfen getreten wäre;
und bort, wo ich mehre Köpfe in bie Feſſeln ein und beffetben
Syſtems gefcymiebet fehe, kann ich nichts erbliden, was mir
von einer Religion Kenntniß gäbe. Überall aber, wo Katholi-
ten find, ift nicht ein Eingiger, der nicht durchaus tie der bei
ige Petrus und ber heilige Paulus daͤchte, glaubte, betete und
zu handeln fich beftrebte. (22?) &o find bie Karholilen von Ans
fang gewefen, fo find fie noch, fo werben fie bis ans Ende
ein.’ (111)
. De überfeger fagt in feiner Vorrede: „Der Verf. hat dies
fer Schrift einen großen Auffag über den moraliſchen und den
politifhen Zuftand des beutigen Roms angehängt, worin ber
Katholik eine meift auf Thatfachen gegründete Vertheidigung
Roms in Beziehung auf eine Sache finden wird, die in ber
neuern Zeit viel befprodden und von den Feinden der Kirche
zum Gegenftand vieler Schmaͤhartikel gemacht worden if.”
über Misbräucdge und Mängel in ber katholiſchen Kirche,
über die ber Priefterfchaft und bes Moͤnchsweſens ſchweigt nas
tuͤrlich Verfaſſer und Überfeger ganz und gar. Das ganze
Werk ift eine Stimme des Katholicismus, eine Stimme bes
Bekehrungsſtrebens, welches ſich jegt der Kirche bemaͤchtigt hat
und fich überall kund gibt. Solchen Stimmen wie dieſen kann
nun der Aufgeklaͤrte zwar Manches entgegenſtellen; er kann ſich
ſogar manches Verdachte gegen ben Autor nicht erwehren; aber
e8 mag doch Menfchen geben, welche fi durch das dunkle Ne
beigebilde von religiöfen Empfindungen, Ausrufungszeichen, Ge⸗
beten und frommen Verdrehungen, buch folge, Werte mögen
für den Katholicismus bearbeiten und zu einer libertretung bes
reden laffen. Ihnen wuͤnſcht von Herzen Ref., daß fie an bem
Altar der kathotifchen Kirche den Krieden und das Gluͤck finden
mögen, das der Verf. gefunden zu haben behauptet. Fromme
Lutheraner und fromme Reformirte können indeß ebenſo gut
als die frommen Katholifen die der Heiligen Thereſia entlehnten
Schlußworte des Werks mit Erbauung lefen und ausfprecden:
„Wenn bu nichts thuft, als deine Mugen gen Himmel erheben,
dich dabei an Gott erinnerend, fo darfft bu nicht fuͤrchten, daß
er diefe Dandlung unbelohnt laſſe.“ Auch der fromme Luther
raner unb ber fromme Reformirte kann freudig in den Ausruf
einftimmen: „Gott fei Ehre!‘ 12.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Neuigkeiten der franzöfifhen Literatur:
Der Graf Wencesiaus Iablonoweli gab heraus: „La
France et Ja Pologne, ou le slaviafisme et la dynastie
polonaise." Nach ben Handſchriften der koͤniglichen Biblio⸗
thek gedruckt erſchien das „Diaire ou journal du chan-
celier Seguier en Normandie” (1639 — 40). Auf bem
geſchichtlichen Gebiete ift befonders ein Wert des Grafen
Antonin de Ladevege zu nennen, welches unter dem Zitel
„BRecherches sur l’histoire de France‘ erfdhienen ift unb
von ber Invafion der Franken bis zum Regierungsantritte
Ludwig XI. reiht. Mean rühmt daran das gründliche Stu
dium, die Kraft und Zülle des Raiſonnements und eine viel:
leiht nur zu weit getriebene Goncifion. Ferner erſchien von
9. Zernaurs&ompans: „Notice historique sur la Guyane
frangaise”, von ©. Bataille ‚Vie politique et religicuse de
Thomas Becket, chancelier de Henri II., archereque de
Canterbury‘, von Serre „„L’histoire politique de 1841”. Non
Romey’s „Histoire d’Espagne’ erfhien der ſechste Banb, wel
cher die wichtigen Ereigniffe von faft zwei Jahrhunderten, von
Alfons’ VI. Zode bis zum Friedensvertrage von Caſtro⸗Nodvo
umfaßt, unb von Vatout's, erften Eöniglichen Bibliothekar,
Werke über die königlichen Refidenzen Frankreichs ( „‚Residences
royales de France‘), der fünfte Band, weldyer die an inters
effanten Momenten fo reiche Gefchichte des Palaſtes von Saints
Cloud enthält.
Des Srafen Aleris de Saint: Prieft Werk „Histoire de
la royaute, cousideree dans ses origines’’ hat ſoeben eine zweite
Auflage erlebt. Krangöfifche Blätter veröffentlichen einen Brief,
weichen der jest regierende König von Preußen, unter bem Das
tum des 22. Juni 1842 aus Sansfouci an ten Verf. gerich⸗
tet bat. Er lautet: „Herr Graf! Mit dem Intereffe, welchet
Ihre gewichtigen Unterfuchungen anregen, babe ih Ihr Werk
üser den Urfprung bes Königthums entgegengenommen. Es ge
reiht mir zur Genugthuung, Ihnen mein lebhafte Wohlgefal⸗
len über die Uberfendung eines Werks zu bezeugen, weiches
ebenfo anerfennungswerth ift wegen bee Erhabenheit ber Ge
fühle, als wegen des Ausdrucks der Überzeugungen, bie es dic
tirt haben. Zu einer Zeit, wo die Givilifution oftmals durch
übertriebene fociale Doctrinen gefährdet war, ift es, mein ‚Herz,
boppeit verbienftlih, daran zu erinnern, daß die monardhifchen
Softitutionen, eine fruchtbare Quelle für bie Ordnung und Ge⸗
fegtbeit des Öffentlichen Geiftes, unter dem wohltbätigen Ein⸗
fluffe der Religion, alle jene Garantien bieten können, welche
die Ausbreitung der geiftigen Aufklaͤrung und die freie Entwicke⸗
lung der menſchlichen Fähigkeiten in Anfprudy nehmen.‘ Auch
ber König der Kranzofen bat genanntes Werk fo ſehr nach ſei⸗
nem Geſchmack gefunden, daß er eine große Zahl von Krems
plaren feinen Privatbibliothefen einverleibt bat. 18.
Berantwortliger Derauögeber: Heinrih Broddaus. — Drud und Berlag von 8. A. Broddans in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Donnerstag,.
Schweden unter Kari XIV. Johann. Bon F. Schmidt.
Heideiberg, Winter. 1842. "Or. 8. 2 Zhlr.
Der Verf. dieſes Buchs ſchildert darin die Zuſtaͤnde
Schwedens von 1809 bis auf die gegenwärtige Zeit; er
thut dar, daß auch diefes Land feit einem Vierteljahrhun⸗
dert raſch vorwärts gefchritten, daß Finanzen, Induſtrie,
Handel, geiftige Erzeugniffe, militairifhe Organifation,
öffentliche Arbeiten — Alles von der fortfchreitenden Ve:
wegung, welche Schweden eingeprägt iſt, zeuge. Unter
allen Staaten Europas ift Schweden allein von der ſchwe⸗
ren Laſt einer Staatsſchuld frei; die Steuern, welche die
Nation zahle, find für die Bedürfniffe des Staats bes
Rimmt oder werden für gemeinnügige Arbeiten verwendet.
Die Eifenbergwerfe haben feit 1809 ihre Erzeugniffe ver
doppelt; die Schiffahrt hat fi fehr erweitert. Schweden
ruͤhmt fih ausgezeichneter Namen in der Wiffenfchaft und
der [chönen Literatur. Der Goͤthakanal befördert den
Handel, erleichtert und vervielfältigt die Communicationss
mittel. Die Militaireinrihtung hat Weränderungen er:
fahren, welche dem Ruhm des Oberbefehlshabers der Ars
mee, des jegigen Königs, entfprehen. Der Verf. fagt
in ber Vorrede:
Unfere Arbeit wird darin beſtehen, ein unparteilfches Ge⸗
mätde von Schweden zu entwerfen, fowie wir es beobachtet
haben, und als Anfangspunft wollen wir die Lage nehmen, in
weicher es fih um 1 befand. Dann wollen wir die her⸗
Dorfpringenden Züge vom Charakter des ſchwediſchen Monarchen
ju entwerfen ſuchen, feine Politit und den Gang feiner Regies
zung , von dem Moment an, da er den Buß auf den Woben
feines neuen Vaterlandes gefeht, bis zur jegigen Zeit. Hierbei
werden wir Schritt vor Schritt der periodiſchen Preffe Deutfch:
lands folgen, um tie Irrthuͤmer zu beridhtigen, welche man oft
über den moraliſchen unb finanziellen Zuftand biefes Landes ver:
breitet dat, das heutzutage uns mehr denn jemals intereffirt.
As der Friede von Tilſit gefchloffen wurde, fagte
Napoleon zum Kalfer von Rufland: „Nehmen Ste Finn»
land, wenn es ihnen anfleht, mic gilt es gleich.” Zur
Zeit der Zufammenfunft in Erfurt war jene Eroberung
durch die ruffifchen Heere beinahe vollende. Es blieb
fo faſt nichts mehr übrig, ale das alte Königreich
Schweden aus ber Reihe der unabhängigen Staaten Eu:
ropas zu flreihen. Man befprach die Frage wegen der
Zhellung; die Grenzen waren feflgefegt; Rußland follte
feine Herrſchaft bis zu den Gewaͤſſern von Wotala auss
6. April 1843.
dehnen; das ganze diefleitige Gebiet foute Dänemark ges
hören. Haͤtte alfo Guftav Adolf's Regierung noch einige
Monate gedauert, fo wäre Schweden wie Polen. von der
Karte von Europa verfhmwunden. In diefen Umfländen
rettete die Revolution vom 13. März 1809 das Land.
Die Stände verfammelten fi und arbeiteten eine neue
Conftitution aus, welche Karl XIII. beſchwor, worauf er
sum König gewählt wurde. Die Urfachen, welche die
Entfernung Guſtav IV. Adolf's herbeigeführt hatten, wer:
ben vom Verf. ziemlich genau angegeben. Die Grundlage
der alten Gonftitution, nämlich die Stellvertretung durch
vier Stände, behielt man in der neuen bei. Wohlthätige
Neuerungen waren eine gleichmäßigere Vertheilung ber
Steuern unter alle Claſſen der Sefelifchaft und die Preßs
freiheit. Da Kart XIII. ohne Nachkommen war, fo waͤhl⸗
ten die Stände den dänifchen Peinzen Chriflian Auguft
zum Kronprinzen von Schweden, der als folcher den Nas
men Karl Auguft annahm. Diefer Prinz fund bei dem
ſchwediſchen Volk die Liebe, die ihm in den Gekirgen Norwe⸗
gend die Zadellofigkeit feiner Sitten und die Einfachheit
feiner Manieren verfhafft hatten. An eine Vereinigung
Rormegend mit Schweden wurde ſchon damals gedacht,
ihre Möglichkeit wenigftens gehofft.
Nicht lange nach feiner Ankunft in Schweden unter:
nahm der Kronprinz Karl Auguft eine Reife nach Scho⸗
nen, fam in Delfindory an und reifte nad) Quidinges
Haide, um ein Hufarenregiment zu muften. Dam't bes
ftäftigt, fiel er plögkih vom Pferde; man fand ihn gleich
bewußtlos auf der Erde liegen und innerhalb einer -hal:
ben Stunde war er todt. Dies gefhah im Mai 1810.
Profefforen der Medicin wurden von der Univerfität Rund
geholt, um ben Leichnam des Prinzen zu öffnen; fie erklaͤr⸗
ten, er fii vom Schlage geftorben. Das Volk glaubte
aber, er ſei vergiftet worden. Andere Ärzte wurden das
ber von Stodholm gefandt, um eine neue Unterfuchung
anzuftellen. Diefe Maßregel fleigerte nur den. Ber
dacht des Volks zur völligen Gewißheit; der Reiches
droſt Schwedens *), Graf Axel Ferſen, wurde als Urheber,
Rofſi, Leibarzt des Prinzen, als Ausführer der Vergif⸗
tung angeſehen. Demzufolge ward Ferſen bei dem feier⸗
*) Der erge ber Reichöbeamten, ber bie Aufſicht über das
anze Juſtizweſen in Schweden hatte, der höchfte an Rang und
—2* zu damaliger Zeit.
ihen Einzug der Leiche Karl Auguft's in Stodholm vom
Volke umgebracht. Dem Leibarzt Roffi, der audy mit im
Zuge war und dem man daſſelbe Schickſal zugedacht hatte,
gelang es zu entkommen und nad Deutichland zu ent:
fliehen. Nach der Ermordung des Grafen Ferſen fuchte
das Volk feine Schwefter, die. Grafın Piper, die man
aud für eine Mitſchuldige der geglaubten Vergiftung hielt,
in ihrem Haufe; aber fie hatte ſich ſchon durch die Flucht
aus der Hauptſtadt gerettet.
Das hohe Alter des Königs machte die Wahl eines
„neuen XThronfolgers nothwendig. Zu dem Ende traten
die Reiheftände am 23. Zuli 1810 in der Stadt Orebro
zufammen und wählten, nad reiflicher Überlegung, den
franzöfifhen Marſchall Jean Baptifte Jules Bernadotte,
Fürft von PontesGorvo, zum Kronpringen von Schweden.
Zuerft wählte ihn der Bauernfiand und dann wählten
ihn die übrigen Stände. Bernadotte nahm die Wahl
an, verließ Frankreich, ging zuerſt nad Helfingör auf
Seeland, wo er in Gegenwart des Erzbiſchofs von Upfala,
von Rofenflein und einer Anzahl anderer dort verfammel:
ter Schweden die evangelifchsiutherifche Neligion annahm,
welches um fo leichter gefchehen konnte, da der Prinz vor:
ber der reformirten Kirche angehörte. Darauf begab fich
derfelbe nach Stodholm, wo ihm die. Stände als Kron⸗
prinzen huldigten. Der Verf. bemerkt S. 18—20:
Der Fuͤrſt von Ponte⸗Corvo ſtand in feinem ſechtundvier⸗
zigſten Sabre, als er zum Thron berufen wurbe. Geine hohe
Statur, feine Geiftesbilbung, feine Haltung, Alles am ihm kuͤn⸗
digte eine höhere Natur an; man bätte fagen mögen, er fei
zum Befehlen geboren, fo fehr erwedte er Ehrfurcht, wenn er
vor dem Volke fland. Da er mit einem vortheilhaften Äußern
die feinen Gitten verband, welche den Reiz des gefelligen Lebens
bedingen, fo war er zugleidh der Mann des Volks und der hör
bern Elaſſen.
Jedes Hinderniß verſchwand vor ber überzeugenden Macht
feines Wortes. ein Takt in Staatsfachen glich feinem Scharf:
biid auf dem Schlachtfelde. Aus ben außerordentlichen Ereig⸗
niffen feines Jahrhunderts und aus feiner eigenen Erfahrung
hatte ex eine Kenntniß der Menfchen und Dinge gefchöpft, weiche
wenige Fürften in fo hohem Grabe wie er befaßen. Im Kriege
war er Hannibal und Fabius; er war einer jener Menfchen,
* im entſcheidenden Augenblicke die Maſſen mit ſich fort⸗
en.
In den eroberten Laͤndern linderte er, ſo viel er vermochte,
die Leiden des Kriegs; ſein Betragen zu Palma Nova und die
Erinnerungen, die er in Hanover zuruͤckgelaſſen hat, geben davon
den Beweis.
Der Stolz und die Unabhaͤngigkeit ſeines Charakters, das
Bewußtſein feines Werthes hatten ihn allen Denen theuer ge:
macht, welche dad Vaterland (Frankreich) dem Despotismus
vorzogen; zugleich aber hatten fie ihm bie Ciferſucht Napoleon’s
zugezogen, ber Jedem Haß ſchwur, welcher den Muth hatte,
eine felbfländige Meinung und ein Schwert zu beren Vertheidi⸗
ung zu beſigen. Das war ber Fuͤrſt, den die Vorſehung für
weden — und für Europa aufbehalten hatte.
As Bernadotte feinem Kaifer von der ihm angebote:
nen Candidatur ſprach, antroortete diefer: „Ich will an
Ihrer Wahl keinen Antheil haben, aber fie hat meinen
Beifall und ich wuͤnſche fie.” Doc war dies Napoleon’s
wahre Sefinnung nit. Er fügte fid) jedoch darein und
fagte zum Marſchall, als diefer ihm feine Adoption durch
Kart XIII. und feine Wahl anzeigte, „daß ein vom Volke
Ermwählter ſich nicht den Wahlen anderer Völker entgegen:
fegen könne”. Unter der Maske von Gleichgüͤltigkeit, die
er annahm, ließ er doch in der Art und Weife der Er⸗
klaͤrung, die er an bie fremden Gabinete richtete, und
in den Briefen, die er an Karl XIII. und an feinen Ge
ſchaͤftstraͤger in Stockholm ſchreiben ließ, feinen Ärger
duchbliden. Da Napoleon aber die Wahl des Kürften
von Ponte: Corvo nicht ohne Grund verweigern konnte,
befonderd da er in ber Antwort auf die Mitcheilung
Karl’s KU. fon fein Einverſtaͤndniß erflärt hatte, fo
befchloß er, als Bedingung derfelben, bie vorläufige eidfiche
Verpflihtung zu verlangen, daß der Kronprinz niemals
die Waffen gegen Frankreich ergreifen wolle. Diefer hatte
eine zu flolje Seele, um feine Größe um einen folchen
Preis zu erfaufen. Er beharrte auf feine Weigerung, ei-
nen foldyen Eid zu Leiften, und. begründete fie fo gut, daß
ed ihm gelang, das von Napoleon ‚gegen ihn gemährte
Mistrauen zu entfernen und fo das letzte Dinderniß zu
befeitigen, welches ſich feiner Reife entgegenftellte.
Sobald der Kronprinz (am 2. Nov. 1810) in Etod»
bolm angelangt war, erfannte man den Gang der ſchwe⸗
diſchen Regierung nicht mehr. Bis jegt unentſchloſſen und
zaghaft bei jeder von Paris ihre zulommenden Depeſche,
faßte fie von nun an neues Zutrauen zu fi ſelbſt.
Überall, wo der Kronprinz ſich zeigte, in der Dauptftadt
oder in den Provinzen, ſah er fi von Huldigungen um:
geben. Er feinerfeite gab’ fi) von nun an ganz den rs
terefien feines Volks bin; er bemühte fi den mahren
Zuftand und die Bedürfniffe deffelben kennen zu Iernen,
fowie den Geiſt, der die Bewohner beliebte. Seine Bes
obachtungen führten ihn zu der Überzeugung, daß Schwe⸗
den nicht beftehen koͤnne ohne den Austauſch der Erzeng⸗
nifje feines Bodens gegen andere Beduͤrfniſſe, wie Salz,
Setreide, Wein u. f. w., und daf das Syſtem, welches
ihm bei dem Frieden von Paris aufgedrungen worden,
es in die Laͤnge zu Grunde richten würde.
Wiewol Schweden das Continentalfuftem foweit moͤg⸗
(ih beobachtete, um den noch Übrigen Handel de6 Landes
nicht ganz vernichtet zu hen, fo wurden doc; Mapoleon’s
Unfoderungen immer unerträgliher. Er verlangte entwe⸗
der das Abbrechen aller Verhaͤltniſſe mit Frankreich ober
eine förmliche Kriegserkiärung gegen England. Vergebens
bemühte fi der Kronprinz dem Kaifer Napoleon die Bes
fahe vorzuftellen, worin ein Krieg mit England ſtuͤrzen
würde. Die verlangte Kriegserklaͤrung erfolgte und der
Kronprinz gab Napoleon die Verfiherung, daß die ſchwe⸗
difhe Regierung mit der gefoderten Beſchlagnahme aller
engliihen Waaren fo ftrenge fortfahren würde, als es in
des Könige Gewalt ſtaͤnde. Kurz nachher verlangte ber
Kaifer 2000 Mateofen von Schweden zur Bemannung
der frangöftichen Flotte von Breſt. Diele Koderung wurde
aber von der ſchwediſchen Regierung abgefchlagen. Dars
nah ſchlug Napoleon eine nordifhe Bereinigung zwiſchen
Schweden, Dänemark und dem Großherzogthum War:
(hau vor, die, wie der Rheinbund, unter feinem Schutze
fiehen, und daB franzöfiihe Douanen in Gothenburg aufs
genammen und auf fchwedifhe Koften unterhalten werden
ſollten; auch dies wurde abgetehnt. Hieruͤber wurde der
franzöfifye Geſandte in Stodholm (Manier) fehr empoͤrt
und erffärte, daß die fchwedifhe Regierung ihre Abſicht
Mar an den Tag legte, ih vom Gontinentaffgftem unab:
bänyig zu machen. Als man damuf fragte, welchen Er:
fag Schweden für die Aufopferungen, die von ihm gefo⸗
dert wurden, erwarten koͤnnte, errolderte der Gefandte:
„der Kaifer verlange erſt Thaten, die feinem Syſtem ent:
ſprechen; dann erſt wäre es möglidy, die Frage zu ftellen,
was der Kaiſer wol zum Bellen Schwedens zu thun
beliebte.” Unterdeffen nahmen franzöfifche Kaper ae ſchwe⸗
difche Schiffe, die fie fanden, weg, bis man fie mit Ge:
walt von den ſchwediſchen Küften fortiagte. Dies war die
Lage Schwedens im März 1811. Der Verf. fagt:
Kart XIII. war ſchon ſchwach durch Alter und Kraͤnklich⸗
keit, als er feinem Neffen in der Regierung folgte. Der Tod
Karl Augufl’s, für weichen er eine zaͤrtliche Zuneigung gehegt
hatte, bie Drohungen und bie Leidenſchaftlichkeit, mit welchen
Frankreich das Vertrauen vergalt, das er ihm bewiefen, ver:
ſchlimmerten nod feinen Zuftand. Der Antheit endlich, ben er
en ber Verwaltung ber Staatsgefhäfte nahm, fo unbebeutend
ex auch fein mochte, druͤckte ihn vollends nieder. Man fah ein,
daß ihm völlige Ruhe nothwendig fei und den 17. März wurde
die Gewalt feierlich dem Kronprinzen übertragen.
Diefe vorläufige Regierung des Kronprinzen dauerte
bis zum Januar 1812. Bei feiner Übernahme derfelben
drohte das Ungemwitter von allen Seiten loszubrechen. Das
Bertheidigungsfpfiem mußte ganz umgeflaltet werben; dies
war bed Regenten erſte Sorge. Schon feit 1809 dachte
die Regierung daran, eine Confeription in Schweden ein:
zuführen, welches jedoch damals nicht ausführbar war,
Denn die Bauern, deren Söhne im finnifchen Striege bei
ber Landwehr gedient hatten und oft fo unvernünftig und
zwecklos aufgeopfert waren, widerſetzten fich dieſer Maßte⸗
gel durchaus. Da wurde die Reſerve aufgeboten; doch
ſollten von 50,000 Mann, welche ſie im Fall der Noth
ausmachen ſollten, vorlaͤufig nur 15,000 Mann ſogleich
in die Regimenter eintreten, die uͤbrigen nur im Fall drin⸗
gender Noth unter die Fahnen gerufen werden. Die
Bauern glaubten aber doch, man habe die Abſicht, die
Landwehr wiederherzuſtellen. Geheime Emiſſaire in den
Provinzen beſtaͤrkten dieſe Meinung. Vom Maͤlarſee bis
an den Sund wurde das Volk aufgeregt. Die Bauern
von Schonen, die vom Adel, der ſie Sklaven nannte, am
meiſten gedruͤckt waren *), brachen in offene Empörung
aus. Der Statthalter dieſer Landſchaft, General Tott,
daͤmpfte dieſelbe mit der Gewalt der Waffen. In den
noͤrdlichern Landfchaften gelang es dem Kronprinzen, die
Unzufriedenheit auf friedlihem Wege durch feine Beredt⸗
ſamkeit zu ſtillen. Darauf wurden die Zuruftungen zur
nöthigen Landesvertheidigung ohne Murten ausgeführt,
Im Auguft 1811 zählte das Landheer 16,000 Streiter
and die Slotte 15,000 Matrofen. Diefe außerordentlicyen
Anftrengungen Schwedens bei dem damaligen Zuftand ſei⸗
ner Finanzen flößte den Miniftern des Kaifers der Scans
*) Gchonen war ehemals eine bänifche Provinz und bie
Bauern waren eibeigene, bis biefe Provinz 1660 unter ſchwedi⸗
ſche Botmaͤßigkeit kam.
2
zoſen Argwohn ein; Napoleon ſelbſt aber ſprach davon
mit einer gewiſſen Zuruͤckhaltung. Mit nicht geringerer
Thaͤtigkeit betrieb man die an den Kuͤſten und an den
Seftungen auszuführenden Arbeiten.
Die Unzufriedenheit über Napoleon’s Üsermuth und’
despotiſche Unternehmungen hatte jest bei den meiften
von den Stanzofen umterjochten Völkern ihre Höhe erreicht.
Ein großer Krieg drohte noch auszubrehen. Da au
Schweden nichts Gutes von Frankreich zu erwarten hatte,
[0 begann auch die Regierung an Buͤndniſſe mit andern
Staaten zu denken. Demnady wurde im Aprit 1812 ein
Bund mit Rußland gefchloffen, welcher im Monat Auguft
deffelden Jahres bei einer Zuſammenkunft des Kronprinzen _
von Schweden mit dem Kaifer Alerander von Rußland
zu #0 in Finnland beftätige wurde. Es lag Rußland
damals viel daran, Schweden, das es fo kurz vorher Zinn:
land geraubt hatte, für fich zu gewinnen. Kaum mar
der jetzige König von Schweden in Abo angefommen, als
ihn der Kaiſer von Rußland zuerſt befuchte. Diefer gab
ihm die Verſicherung, daß Norwegen mit Schweden ver:
einige werden follte, und verfprach dazu beizutragen durch
ein Heer von 35,000 Mann, welches unter den Befehl
des Kronpringen geflellt werden follte, um zur Eroberung
Norwegens beizutragen, bevor die ſchwediſche Kriegsmacht
nach Deutſchland ging, um die Franzoſen aus dieſem Lande
verjagen zu helfen. Unter ſolchen Umſtaͤnden wurde Schwe-
den ein Bundesgenoſſe Rußlande. Um dieſe Zeit ſchien
auch Napoleon geneigt, ſich mit Schweden zu verbuͤnden,
und er gab fcheinbar die Hoffnung, Frankreich würde aus
allen Kräften zur Miedereroberung Finnlands beitragen.
Der Verf. fügt:
Der Kronprinz beſtrebte fi) in biefen ſchwierigen 3eiten
das Bolt über feine wahren Intereffen aufzuflären und ihm
anzudeuten, von woher eigentlich bie Gefahr brohe. Da bradhte
auf einmal der Einfall ber Franzoſen in Pommern allen Zwei⸗
fel zum Schweigen und oͤffnete der Nation bie Augen.
Vorwand und Grund diefes Einfalls war, daß Schwe⸗
den das Continentalfpftem nicht fireng genug beobachtete,
fondern mit England Handel tried, feine Waaten ing
Reich eingehen Ließ und fie nicht verbrannte.
Schon feit dem Herbſte 1811 hatte Davouft, der im
Norden von Deutfchland befehligte, erklaͤrt, fobald das
Meer mit Eis bedeckt fei, werde er ein Armeecorpe in
die ſchwediſchen Befigungen am baltifhen Meere rüden
lafien. Am 7. Zan. 1812 hatte der Kronprinz die Regie:
tung wieder an Karl XI. übergeben. Kurz darauf er-
fuhe man, daß General Friand mit 20,000 Mann und
einer Menge Zoübeamten in Pommern und di Inſel
Rügen eingedrungen ſei. Die Regierung war auf Dies
fen Angriff vorbereitet. Darauf fchrieb der Kronprinz an
Napoleon:
Diefe Beſchimpfung, die Schweben obne allen Grund an:
gethan ift, wird lebhaft vom Wolke gefühlt, befonders aber,
Sire, von mir, dem die Ehre obliegt, es zu vertheibigen. Wenn
id zu den Triumphen Frankreichs beigetragen, wenn ih immer
gewuͤnſcht Habe, es geehrt und gluͤcklich zu fehen, fo konnte mir
body nie in den Sinn kommen, bie Intereffen, bie Ehre und bie
unabhängigteit des Landes zu opfern, bas mich zu feinem Sehne
ven.
Die Wirkung, welche der Ginfall, über den ich Beſchwerde
führe, auf das Volt hervorbrachte, kann unberechenbare Jolgen
haben, und obſchon ich nicht Goriolan bin, obſchon ich nicht
Bolster zu befehligen habe, fo habe ich doch von den Schweden
eine fo gute Meinung, daß ich fie für fähig halte, Alles zu war
gen, Alles zu unternehmen, um Beſchlwpfungen zu rächen, bie
fie nicht herbeigerufen haben, und um Rechte zu vertheidigen,
an denen fie ebenfo fefthalten wie an ihrem Dafein.
Darauf wurde das Buͤndniß mit Rußland und Friede
mit England gefchloffen. Norwegen war Schweden zu:
gefihert. Die Folge des Tractats war eine Drbonnanz
Rarl’d XI. vom 29. Jull, derzufolge die ſchwediſchen
Häfen den Schiffen aller Nationen zur Aus: und Eins
fahr fremder und einheimifcher Producte offen ftehen fol:
ten. Napoleon wandte jegt mehre Mittel an, um ben
Kronprinzen wieder für fi) zu gewinnen. Die Kronprin:
zeffin, jetzige Königin von Schweden, eine Schwaͤgerin
von Napoleon's Bruder Joſeph, lebte damals in Paris,
Der Kaifer bewog fie, an ihren Gemahl einen Brief zu
fchreiben, in weichem Finnland als Preis eine6 Buͤndniſ⸗
ſes zwiſchen Schweden und Frankreich ausgeſetzt wurde.
Zu gleicher Zeit hatte Oſtreich ein Buͤndniß mit Frank⸗
reich gegen Rußland geſchloſſen. Der Fuͤrſt von Schwar⸗
zenderg ſchrieb an den Graſen von Neipperg, damaligen
oͤſtreichiſchen Geſandten in Schweden:
Benutzen Sie den Credit, den Sie in Schweden genießen,
um dieſe Regierung in unſer Intereſſe zu ziehen; ſtellen Sie
die Wiedererlangung Finnlands für die nahe Zukunft in Aus:
ſicht; dies ift ein Reizmittel für das Volk, welches diefem
Keieg in den Augen der Schweden einen aanz befondern Char
rakter geben muß.
Diefe Verfuche waren jedoch umfonft; die ſchwedi⸗
ſche Regierung hatte ihren Entſchluß gefaßt. Aber dies
felbe bedurfte Geld und Mannfcaft. Beides bemilligte
der auf den 13. April 1812 zu Drebro zufammenberufene
Reichstag. Das Gefeg ging da duch, daß jedem Bür:
ger von 20—25 Jahren die Pflicht obliegen ſollte, zur
Bertheidigung des Vaterlands mitzuwirken. Auch wurde
ein Gefeg von den Ständen genehmigt, welches dem Sof:
kanzler die Gewalt verlieh, die Herausgabe einer periodis
ſchen Schrift, welche der Regierung zumider wäre, zu vers
bieten. Die Stände bewiefen nicht geringe Feſtigkeit, ins
dem fie die Bezahlung der Gapitalien und Binfen zurück—
hielten, welche Schweden an foldye Länder ſchuldete, die
mit Frankreich vereinigt waren, und Dies für fo lange
verordneten, bi8 Schweden für die Verlufte entfchäbdigt
waͤre, melde jene Macht ihm verurſacht hatte. Nach
Beendigung biefes Reichstags war es, wo der Kronprinz
am 27. Aug. eine Zufammentunft mit dem Kaifer Ale:
zander zu Abo hatte. Mit England wurde ein Subfi:
dientractat gefchloffen. 0
(Die Fortſervng folgt.)
———— — —
Nordamerikaniſche Miscellen.
(Auszüge aus ben oͤffentlichen Blättern der Vereinigten Staaten
vom Sabre 1842.)
Um die nämliche Bett, wo ſich dad große Erdbeben auf
der Inſel Haiti zutrug, nahm man auch in Florida einige ge:
uinde Groflöße wahr. Der Sumaneefluß, fowie alle andere
Kiäffe und Teiche in den dortigen Gowmties Alachua und Hamil⸗
ton fliegen piöglich drei Buß empor, fielen jedoch nach einigen
Minuten wieder bis zu ihrer gewöhnlichen Ziefe. Capitain
Zuder von Brefton lag mit der Brigg Dirigo am 7. Mai auf
dev Rhede von Gap Haitien vor Anker und war Augenzeuge,
wie die Stadt zufammenftürgte und theilmeife dom Meere vers
ſchlungen wurde. Nur Theile von einigen einzelnen Häufern
find fleben geblieben. Ale Regierungsbeamten kamen um. Gin
norwegiſcher Schiffscapitain, der ſich gerade am Lande befand,
büßte ebenfalls fein Reben ein. Cine Zeitung aus Neuorleans
meldet, daß am 7. Mai, mithin an demfelben Tage, wo bie
meiften Gtäbte auf &.: Domingo durch ein heftiges Erdbeben
zerflört und in Ruinen verwanbelt wurden, ein Erdbeben zu
Mayaguez in Luifiana, zu Wan Buren im Gtaate Arlanfas
und am Fuße der Selfengebirge bemerft worden ift, fodaß fid
daffeibe auf mehr als 1500 engliſche Meilen erftredt haben muß.
Die große Wafferieitung, bie beftimmt ift, die Stadt
Neuyork mit vortrefflihem Trinkwaſſer in Überfiuß zu verfeben;
woran es bisher derfelben mangelte — ein wahres Riefenwert
in feiner Art — ift in biefem Sabre vollendet worden. Der
4. Juli war als der Tag feftgefest worden, wo dad Waſſer
vom großen Damm über den Crotonfluß in bie Röhren gelaf:
fen und durch die ganze große Stadt vertheilt werben follte.
Die Röhren, durch welche das Waſſer ıäuft, ‚find von Eiſen
und halten britthalb Fuß im Durchmeſſer. Sie befiehen aus
Gtüden von neun Fuß Länge, wovon jebeö 110 Dollars koſtet.
Die Wafferleitung von dem Damm bis zur Stadt ift 32 eng:
liſche Meilen lang und läuft durch einen von Backſteinen erbau:
ten, gemwölbten und inwendig mit roͤmiſchem Mörtel verfehenen
Bogengang. Die Führung dieſer Waſſerleitung über den Har⸗
temfluß, etwa neun englifche Weiten entfernt von Nenyork, bat
allein eine Ausgabe von einer Million Dollars erfodert und bie
Koften des ganzen Werks belaufen ſich auf mehr ale zwölf Mil
tionen Dollars. An vielen Stellen ift die Wafferleitung durch
Berge und Felſen geführt und das Ganze ift eine der größten
Unternehmungen, die wol je in ber neuern Zeit vom einer eins
zeinen Stadt in Ausführung gebracht worden ik. Das Wafler,
weiches durch diefe Wafferleitung der Stadt Neuyort zugeführt
wird, wird fehe gerühmt und fol beffer fein als das Schuyl⸗
killwaſſer in Philadelphia.
Durch die neue, zwiſchen Bofton und. Buffalo angelegte und
in diefem Sabre vollendete große Eiſenbahnſtraße ift num
mehr auch eine Eifenbahnverbindung der Staaten von Neueng⸗
(and mit dem Griefee bewerkſtelligt worden. Zur Feier diefer
Begebenheit fand im Monat März ein fröhliches Feſt zu Spring»
fietd ftatt, wohin fich der Gouverneur. des Staats Reuyork ia
Begleitung der vornehmften öffentlichen Beamten und der Mid
glieder der Legistatur auf der Eifenbahn begeben hatte, um
mit dem Gouverneur und den Behörden des Staats Maffachufetts
zufammenzutreffen.
Ein SPfantagenbefiger in ber Nähe von Neuorleans hat
neulih 80 Sklaven in Freibeit gefegt, nachdem er ihnen zuvor
in Auem, was zur Eultur tes Zuderrohre und der Gewinnung
des Zuckers gehört, Unterweifung hatte ertheiten laffen. Sie
haben ſich ſaͤmmtlich an die amerifanifche Golonifationsgefeltfchaft
gewendet und werben nädftene nad Liberia in Afrika auss
wandern.
— — —
Sn der Kathedralkirche des heiligen Patrick zu Neuorleans
wird naͤchſtens bie größte Orgel in den Vereinigten Staaten
erbaut werden. "Die Anfertigung derfelben ift Hrn. Heinrich Er⸗
ben in Neuyork übertragen. Sie wird 35 Fuß hoch fein, 2000
Pfeifen, 37 Regifter und 4 Claviaturen enthalten und 10,000
Dollars koſten. Das Äußere wird im gothifden Stile aus⸗
geführt. 33,
Berantwortlier Herausgeber. Heinrich Brodhaub. — Druck und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Freitag,
— Nr. 97. —
7. April 1843.
Schweden unter Karl XIV. Johann.
(Bortſezung aus Nr. 96.)
Nachdem Napoleon's Heer auf dem Ruͤckweg von
Moskau durch Hunger und Kaͤlte großentheils zu Grunde
gerichtet war, ſtand in Deutſchland zuerſt Preußen gegen
Frankreichs Herrſcher auf. Als die Ruſſen an der untern
Elbe erſchienen, raͤumten die wenigen Franzoſen, die in
Pommern Winterquartiere bezogen hatten, dieſe Provinz
im März, ſodaß die erfte Abtheilung der ſchwediſchen Ars
mer, befehligt vom Generals Sandels, ftatt der Feinde, nur
Einwohner fand, die fie mit Jubel begrüßten. Die Re:
gimenter kamen nadeinander an. Etwa 4500 Pferde
und 27 — 28,000 Mann Zußvolf bildeten die Armee.
An der Spige der verfchiedenen Corps flanden Generale,
Die fi in dem finnifdyen Krieg ausgezeichnet hatten, wie
Sandels, Döbeln, Begefüd. Da der Kronprinz Oberbes
fehlohaber der ganzen Nordarmee war, fo wurde der Be:
fehl über die ſchwediſche dem Marfchall Stedingk anver:
traut. Das Heer war von einem guten Geiſte befeelt.
Der Kronprinz erwartete, bei feiner Ankunft in Deutfch:
land, die preußifchen und ruffifhen Divifionen, worin er
fih aber getäufche fand; fie waren nur erſt auf dem
Papier vorhanden. Dies erfüllte fein Gemüch mit Kälte
und Mistrauen. Er ſah nichts als Unglüd für Deutſch⸗
land voraus, wenn die Tractate nicht erfüllt würden, und
der Sieg der verbündeten Fürften fchien ihm davon abzu:
hängen, daß fie alle ihre vereinten Kräfte in Bewegung
festen. Diefe Übereinflimmung, dieſes Zuſammenwirken
fehlte noh. Darum fchrieb ee am 11. Juni einen drin⸗
genden Brief an den Kaifer Alexander, welcher die Zuſam⸗
mentunft der Monarchen und des Kronpeinzen bewirkte,
die einen Monat fpäter zu Trachenberg in Schleſien flatt:
fand. Es ging daraus eine Einigkeit der Anfichten und
der Operationen hervor, welche den Erfolg ſicherte. Dil:
zeih entfchied fih nun auch für die Sache der Allüicten.
Der Kronprinz war die Seele der Berathungen, worin"
die Lebensfragen befprochen und gelöft wurden. Ihm ver:
dankte man den Plan zum Feldzuge, der darin beftand,
die drei großen Armeen gegen die Fronte und die Flanken
Napoleon's operiren zu laffen, um feine Stellung zu
überflügein. Hierauf reifte der Kronprinz in fein Haupt⸗
quartier ab. Kaum mar er dort angelommen, als er eis
nen Beſuch von Moreau erhielt. Die Unterredung, die
fie miteinander hatten, wirft vieles Licht auf jene merk⸗
würdige Zeit und befonders auf die perfönliche Stellung
bed Kronprinzen.
Die Keindfeligkeiten begannen von neuem und bie
Nordarmee zeichnete fi) an jenen ruhmvollen Tagen aus:
die bei Groß⸗Beeren und Dennewig vetteten nicht nur
Preußens Hauptſtadt, fondern bereiteten auch den Sieg
vor, ben fpäter die verbündeten Heere auf den Feldern
Leipzigs erfochten. Mach jener entfcheldenden Schlacht
wandte fich die Morbarmee nach der untern Eibe, in ber
Abiihe, Hanover, Braunfhweig und Weftfalen zu bes
freien und Holland zur Unabhängigkeit aufzurufen.
Aber mit diefem Zug hatte der Kronprinz zugleich den
Zwed, ſchnell mit Dänemark zu Ende zu fommen. An
dee Spitze der fchwedifhen Armee und einiger Divifionen
ber DBerbündeten, zufammen ungefähr 60,000 Dann,
ging er den 24. Nov. bei VBoigenburg über die Elbe.
Davouft, der bisher eine feſte Stellung an der Stedinig
innegehabt, verließ fie plöglich bei der Nachricht vom Ans
rüden des Kronprinzen und fchloß fih in Hamburg ein,
weiches er ſtark befeftige huttee Die 10 — 12,000 Däs
nen, die unter feinem Befehl geftanden, uͤberließ er ihrem
Schickſal. Diefe Trennung machte faft alten Widerſtand
von Seiten der Einwohner Holfteins unmdglih. Das
offenftehende Land wurde von den Truppen des Kronprins
zen befegt. Sie belagerten Friedrichsort und Gluͤckſtadt,
während Tettenborn ſich der Städte Hufum, Friedriches
ſtadt und Toͤnningen bemaͤchtigte. Die Gefahr hatte den
König von Dänemark auf den Kriegsfchauplag geführt.
15,000 Mann Dänen waren von den Inſeln herbeigeeilt.
Man erwartete eine Schlacht, von deren Ausgang das
Schickſal Norwegens und vielleicht das der ganzen Monars
hie abhing, als Friedrich VI. ſich entſchloß, Unterhandlun⸗
gen anzufnüpfen. Sie führten den 15. Dec, einen viers
zehntägigen Waffenftilftand herbei, der dann bis zum
5. Jan. verfängert wurde. Während diefer Zeit bemühte
fi) Dänemark, Oſtreich zu vermögen, daß es zu feinen
Gunſten einfchreite; aber alle Verfuche ſcheiterten an dem
feften Willen Aterander’6 und Englands, die Verpflichtuns
gen gegen den Kronprinzen zu erfüllen. Nun ergab fich ber
König von Dänemark in den einzigen Ausweg, ber ihm
übrig blieb: er unterzeichnete am 14. San. den Friedens:
ſchluß von Kiel, der die Bereinigung Norwegens mit
Schweden feftfepte. Dagegen trat Schweden Pommern
und Rügen an Dänemark ab. Darauf lehrte der Kron:
prinz zu ben -Verbündeten zuruͤckk. Diefer war ihnen
nothwendiger geworden wie je, denn die Wendung, welche
die Dinge genommen, mar nicht geeignet, fie über den
Ausgang des Feldzugs zu beruhigen. Am 16. Februar
erließ der Kronprinz aus Köln eine Proclamation an die
Franzoſen, worin er ihnen erklärte, daß man weder ihr
Gebiet noch ihre Freiheit beeinträchtigen wollte, und daß
man nur über den Rhein gegangen fei, um einen Despo:
tismus zu bekämpfen, der die Throne erfchüttert und die
Unabhängkeit der Völker zerftört Habe. Darauf zog er
mit feinen Truppen nad den Miederlanden.
Da der dänifhe Prinz Friedrich, als Statthalter von
Norwegen, die Einwohner diefes Landes zu einem: Krieg
gegen Schweden aufgereizt hatte, fo war es genöthigt Ges
walt zu gebrauden, um den Tractat von Kiel geltend
zu machen. Doch mar der Krieg von feiner Dauer.
Die Norweger erkannten Karl XII. für ihren König und
er beftätigte ihre neue Gonftitution, die freielte in Europa.
Die nähern Umflände diefer Bereinigung Norwegens mit
Schweden erzählt unfer Verf. ziemlich umſtaͤndlich. Da
e6 nothwendig war, die Grundgefege mit der neuen Lage
der ſtandinaviſchen Halbinſel in Übereinftiimmung zu brin⸗
gen, fo ward auf den 25. Febr. 1815 ein Reichstag nad
Stodholm berufen. Die Abgeordneten druͤckten dem Kron⸗
yeinzen in rührenden Worten ihre Dankbarkeit aus für
feinen Eifer um die öffentlihe Sache und erneiterten die
Verſicherung ihrer Treue bei Gelegenheit einiger Complotte,
die fich eben anzufpianen begannen. Auf dieſem Reiche:
tage zeigten ſich jedoch die erften Spuren ‚einer ernfihaften
Oppoſition. Die frühern Reichstage, feit der Ankunft des
Kronprinzen, waren durch feine Oppofition bemerklich ges
weien, man müßte denn diefen Namen einer Minderzahl
der Adelskammer beilegen, die auf dem Meichstage von
1809 die entthronte Familie vertrat umd deren Wortfuͤh⸗
ee meiftens vormalige Diener Guflav’s II. waren. Aber
jene Oppofition verfhwand wie ein Schatten. Während
des Reichstags 1810 ließen die noch blutenden Wunden
dee Nation, das Schwert des Eroberers, das immer über
ihrem Haupte ſchwebte, Leine andere Sorge auflommen,
ats die für die eigene Erhaltung. Im J. 1812 wer
der Kronprinz bei dem Volle fo in Gunft, daß keine
Oppoſition ſich laut auszufprechen wagte. Aber in dem
Augenblide, als fein und der Verbündeten Schwert die
Unabhängigkeit Deutfchlande von der Fremdherrſchaft und
die Intereſſen Schwedens gefichert hatte, da trat erſt eine
wirktiche Oppofition in Schweden auf, an deren Spitze
der PDropft von Sala in Weſtmanland, Graf Bogislaus
Schwerin, fi ſtellte. Frei von perſoͤnlichem Intereſſe,
beobachtete er in den Berathungen der Adelskammer, in
weichen ſich die ganze Gewalt feiner lbergengung und feis
8 Talente geltend machte, jedoch fortwaͤhrend große
bigung.
Das ſchwediſche Finanzweſen bedurfte der Verbeſſe⸗
sung. Das Ausgeben einer ungeheuen Maſſe von Bank⸗
yetteln (e8 waren davon für einen Werth von. 30 Mit
. befonders Schweden.
lionen im Umlauf), das Verſchwinden des baaren Beides,
das Schwanken des Wechſelcurſes, der Lupus, welcher um:
ter dem Volle neue Bedhrfniffe eingeführt, die mit der
gewohnten Einfachheit der Sitten in Widerfpruch fanden,
der nad großem Maßſtab betriebene Schleichhandel, die
Entfittlihung, die davon eine Folge war: dies Alles
waren mächtige Elemente, um das Land in Unruhe zu
verfegen und Die Regierung in Verlegenheit zu bringen.
Der Friede felbft enthielt Keime der Aufregung. Der
plögtiche Übergang von einem krampfhaften Zuftand in
einen ruhigen verurfacht in den Intereſſen der Wölker
eine Erfhütterung. Dies begegnete damals Europa und
Durch Wiedereröffnung der fruͤhern
Handelswege hatten die Ereigniffe des Krieges von 1813
und des allgemeinen Friedens von 1814 ihm die MWors
theile entzogen, welche die neuen durch den Kronprinzen
vermittelten Verhältniffe zu England und Rußland ges
währten. Die ſchwediſche Regierung theilte gleiches Loos
mit allen Regierungen, denen man den Schaden zuſchreibt,
welchen die Verhaͤltniſſe hervorgebracht. Sie mußte den
Vorwurf erdulden, als fei fie allein Schuld an den Bers
legenheiten, welche durch die politifchen Beränderungen,
durch die Unerfahrenheit der ſchwediſchen Kaufleute und
die Zerrüttung des Staatsſchatzes der vorigen Regierung
erzegt worden waren. Daher entflanden lebhafte Eitreitigs
keiten zwilhen den Miniftern und der Oppoſitionspartei.
Ohne Haß zu erregen, verbreiteten fie Mare Anfichten
und: veranlaßten die Bildung eines Ständeausfchuffes, bri
weichem Graf Schwerin den Borfig führte und der die
Aufgabe batte, die Urſache der damaligen Verlegenheiten
zu erforfchen und Mittel Dagegen anzugeben. Man fuchte
den Luxus einzufchränfen und der Induſtrie aufpubelfen
duch Anuahme eines Verbotſyſtems.
‚Beinahe zu bderfelben Zeit Lehrte Napoleon von ber
Inſel Elba zuruͤck und der Congreß zu Wien loͤſte ſich
auf. Es bildete fi) eine neue Coalition gegen Frank:
reich, und Napoleon wurde von Europas Fuͤrſten für ge
aͤchtet erfidet. Die Ereigniffe waren fo ſchnell aufeinans
der gefolgt, daß der Graf Karl Loͤwenhielm, fchrwedifcher
Minifter zu Wien, eine Inſtructionen erbalten konnte
über das Verhalten, das er bei diefen bedenklichen 1m:
ſtaͤnden zu beobachten habe. Schweden hatte nichts mehr
mit Frankreich zu thun, noch mit dem Beherrſcher, den
das franzöfifche Volk ſich geben wollte. Karl XII. en
Krärte baher dem ——
achdem eden das Seinige gethan, di
über ben Rhein gu werfen unb alle er ideungen ef da
bie ihm die Tractate mit den Werbünbeten auflegten, fo fei e#
eu — —— mentale zu beobachten, und eine
€ onnen, ſich in die i
——iſ — ch in die innern Angelegenheiten
Die Beweggründe für dieſe Stellung Schwebens niit
tem in —S Aufregung ſpricht der Rrompring
n einem an den ſchwediſchen Miniſter in Wien
Graf Karl Löwenhielm; re "
Seit Kari XII. Hatte die auslaͤndiſche Schuld, welche
die Einkünfte des Staats verſchlang, die Erleichterung
dee Öffentlichen Laften gehindert. Cie beiief ſich auf um
gefähr 12,000,000 Speeiesthaler, ober hamburger Ba.ıco,
Bor Allem lag
es dem Kronprinzen daran, das Reich von dieſer Laft zu
Hülfsquellen
ihm nicht erlaubte, von dem Lande ſelbſt Mittel zur Til⸗
gung zu verlangen, fo ergriff er die, roelche die Umſtaͤnde
welche 600,000 Thaler Zinfen trugen.
befreien. Da aber die Erſchoͤpfung der
ihm Ddarboten, und befreite Schweden von feiner Schuld
an das Ausland, England hatte dem Rronprinzen Guas
deiompe zur Entſchaͤdigung für feine Dotationen abge:
treten, aber noch im Befiß behalten. Diefer erklärte
dem Lord Caſtlereagh, er wolle, wenn Frankreich ver⸗
pflichtet wuͤrde, die Entſchaͤdigung zu tragen, ſich mit
16,000,000 Francs begnügen, hingegen wenn bie Ver⸗
bündeten fich dazu nerfländen, ſo glaube er wol 24,000,000
verlangen zu dürfen. Der englifche Minifter unterfchrieb
diefe Bedingung, und durch einen zu London den 13.
Aug. 1814 abgelchloffenen Vertrag wurde die Entfhäbdis
gung auf eine Million Pf. Sterling feftgefeßt, welche
Karl Johann ald Zilyungsfond für das Abtragen der
ausländiihen Schuld anwies.
Zwifchen 1815 und 1818 trat auch in Schweden eine
Hungersnoth, die Folge eines unfruchtbaren Jahres, ein,
deren traurigen Wirkungen theilweiſe dadurch entgegenges
arbeitet wurde, daB der Reichstag der Verwaltung der alls
gemeinen Getreideniederlagen geroiffe Summen zur Bers
füygung ausſezte. Außerdem holte man Getreide aus ber
Fremde. Aber kaum war dieſe Noth befeitigt, als Die
Privatbanken zu Malmoͤ und zu Gothenburg bankrott
machten. Dadurch wurde die Geldnoth fo druͤckend, daß
die Regierung ſich veranlaßt fand, einen außerordentlichen
Reichsſstag auf den 27. Nov. 1817 sufammenzuberufen.
Auf diefem Reihötage dienten die Drangfale, welche einige
Provinzen gelitten, der Oppoſition zur Gelegenheit, ihre
Kräfte zu verfuchen. Mehre neue Männer erhoben ihre
Sahnen, unter denen ſich vorzüglih Baron Karl Heinrich
Antarfwärd auszeichnet. Er war einer der thätigften
Mitwirker an der Revolution von 1809 geweſen und-
ergriff jegt die Partei der Oppofition, an deren Spige der
Graf Schwerin no fland, und nahm bier den erften
Platz ein, als dieſer [päter in feinem Eifer erkaltete. Nach
ſeinem Beiſpiele bemühte er fih, das in England ange:
nemmene Princip einzuführen, nad) welchem die Raͤthe
dee Krone Die eigentliche Regierung bilden und für die
Beſchluͤſſe verantwortlich find, welche fie unterzeichnen.
Sein erſtes Auftreten bezeichnete den Platz, den er kuͤnf⸗
tig einnehmen follte. Faſt auf allen folgenden Reichsta⸗
gen fieht man ihn ſeitdem erfcheinen, fein Ziel, eine zeits
gemäße Staatsverfaffung, Staatsverwaltung und Wolke:
vertzetung, ftandhaft verfolgend.
| (Der Beſdlus folgt.)
Wie lange kann der Menſch Ichen?
Das if eine Brage, die ſchon gar viele Köpfe befchäftigt
hat, denn wenn auch „das Leben nicht der Güter hörbftes if”,
wie wir in unferm Schiller lefen, fo will body nur felten es
mand gern aus demſelben fchelden. Da dies nur ein VBunſch
iſt, den alle Gtaffen ber Geſellſchaft theilen, und namentlich die
werben, bei welcher es nicht fo ganz unbedenklich
Höher Geftelten, fei es num um Kitel, Ämter ober Gelbe wil⸗
in, nicht gern an ben Tod denken, fo war es ein gluͤcklicher
Gedanke eines beruͤhmten Arztes in Berlin hieruͤber zu einem
großen Kreiſe gebildeter Maͤnner und Grauen, mie er ſich jett
bort im zweiten Jahre verfammelt hat, zu fprechen
ift der Geheime Wiebicinalcath Caſper,
Male in jenem Vereine die
worden iſt. ) Sein Vortrag war aber fo gedraͤngt und von
fo intereffantem Inhalte, daß wir ihn nur in den Bauptpunf:
ten wiederzugeben vermögen, dadurch aber zugleich zu einer ge:
nauern Kenntnif der wenigen Blätter aufzufoderh uns gedrun⸗
gen fuͤhlen, die ſich durch paſſende Mittheilungen aus in» und
auslaͤndiſchen Schriften auszeichnen und bie lange Zeit hindurch
für ein Evangelium angefehene „Göttliche Ordnung” des berliner
Propftes Suͤßmilch Häufig berichtigen.
Bir heben folgende Säge als befonbers wichtig hervor.
Srftens, das weibliche Geſchlecht ſtirbt nach thatfächtichen Er:
fahrungen langfamer aus als das männliche, wenngleich ber
iegte Grund nit angegeben werden kann. Zmeiteng ftuft ſich
befanntlid ‚die Dauer des Lebens in den verfchiedenen Ständen
‚und Beſchaͤftigungen der Menfchen ab. Um bei den oft ſich
widerſprechenden einzelnen Faͤllen zu einigermaßen ſichern Reful⸗
taten zu gelangen, bedurfte es der Erfahrungen im Großen.
Daher hat Hr. Caſper für eine nach den erreichten Lebensjahren
an faft 4000 Berftorbenen conftruirte Tafel acht Glaffen berüds
fihtigt, nämlich Geiſtliche, Militaire, Beamte, praltifche Ärzte,
Künftter, Lehrer, Kaufleute, Landwirthe und Forſtleute und
biernach bemerft, daß 70 Jahre und darüber alt geworben find:
von je 100 geftorbenen Geiſtiichen 42, von 100 Landwirthen 40,
von höhern Beamten 35, von Militairs 32, von Künfttern 28,
von Eehrern 27, von Ärzten nur 24. Hieran fchließen fich
intereffante Erdrterungen, namentlich über die Sterblichkeit in
England, aus denen hervorgeht , daß der Menſch als Gellectis
vum, feine Lebensdauer bis auf einen gerwiffen Punkt beherrſcht.
Dies wird drittens auf die Unverheiratheten angewendet und aus
ben thatſaͤchlichen Belegen in den Sterbeliſten von Senf, Paris
und Amfterbam mit überrafchender Einftimmigfeit die nicht un-
bedeutend größere Lebensdauer im ehelofen Staͤnde nachgewieſen,
ſowie viertens durch eine Reihe ganz gleicher Erfahrungen aus
Deutfchland und Frankreich, wie viel äußerer Wohlftand auf
bie Verlaͤngerung bes Lebens wirke und daß bie Bälle von faft
nur bei Dürftigen vorlommenben hoͤchſten Eebensaltern gegen
biefe allgemeine Regel gar nichts beweifen. Bünftens endlich
erfreut Hr. Caſper bie gegenwärtige Generation burch die Augs
führung, daß wir jet länger leben al® fonft und empfiehlt
Denen, die recht lange leben wollen, das Waabtland als den
Fleck unfers Erdtheils, der ſich durch die größte bekannte Lebens⸗
wahrfcheintichfeit auszeichnet. Kerner ſtirbt in Frankreich faft
nur ber zweiundvierzigſte Menſch, in Belgien der vierundvier-
zigſte, in England gar erft der funfziafte, in Preußen kann
man den fünfunbbreißigften oder fcheumdreißigften Menſchen als
jährlich flerbend annehmen, wobei freilich nicht darf unbeachtet
bleiben, daß bie öffentlichen Liften in England fehr ungenau, in
Preußen aber fehr genau geführt werben und daher bie eng⸗
liſchen Angaben begruͤndeten Zweifeln unterliegen.
Den Schluß macht ine humoriſtiſche Betrachtung über bie
Unglüdszapt dreizehn. Der Verf. zeigt, wie zu dem bltannten
Glauben, es muͤſſe von dreizehn einer ſterben, auch nicht die
geringſte mediciniſch⸗ ftatiftifche Urſache vorhanden ſei. „Eine
einzige Gombination““, fo ſchließt er, „Kann indeß doch gebacht
wäre, ſich zu
dreisehn zu Tiſch zu fenen. Es iſt dies ber Ball, wo fämmt:
liche Sheilnehmer fi) in dem Alter befinden, in welchem, der
Grfahrung nach, ber Dreigehnte ſtirbt Dies iſt, für Vertin
weniaftens, fein anderes als das achtundſechzigſte Lebensjahr.
*) Über die wahrſcheialiche Lebensdauer dei Menſchen. Gine
am =. Sanuar 1833 Im Wiffenſchaftlichen Weteine gehaltene Bor:
Iefung von 3.8. Gafper. Berlin, Dümmier. IMER Ge.o, 5 er.
Solche patriarchaliſche Mahle aber von dreizehn achtundſechezig⸗
jahrigen Menſchen gehören wol nicht zu den alltaͤglichen Erfab⸗
sungen, und fo fönnen wir auch über biefen Punkt ganz bes
ruhigt fein.” R 9,
— — — — — — — — — ——— —
Literariſche Notizen aus Frankreich.
Hippolyte Carnot.
Hippolyte Carnot, der Sohn des berühmten Carnot, der
in der Geſchichte der Revolution eine bedeutende Rolle fpielt,
bat ſich ſchon durch mehre gediegene literariſche Arbeiten und
namentlich durch den Antheil, den er an ber Rebaction ber
„Revue encyclopedique’ genommen bat, ruͤhmlichſt befannt
gemacht. Gegenwärtig ſchickt er fi an, ein Wert herauszus
geben, das für Deutfhland von hohem Intereffe fein wird.
H. Garnot hat während feines langen Aufenthalts in Deutſqh⸗
and das beutfche Volt und befonders bie deutſche Eiteratur
liebgeronnen. Schon in früher Jugend fludirte er unter Leis
tung feines Waters, der befanntlih in Magdeburg ſtarb, die
Meiſterwerke unferer Literatur, und feitbem bat er bie Ent:
widelung bes geiftigen Ecbens in Deutſchland nie aus dem Auge
verloren. Go faßte ex denn fchon früh den Plan, fein Vater⸗
fand mit den würbigften Geiftesprobucten Deutfchlands bekannt
zu maden. Noch unter den Augen feines tenntnißreichen Va⸗
terd übertrug er mehre der duftigften Blüten ber deutfchen
Poeſie, und fpäterhin fanden in der von Jullien begründeten
„Revue encyclopedique‘, fo lange Garnot der Direction bie:
ſee Blattes vorftand, die hauptſaͤchlichen Erſcheinungen der deut:
ſchen Wiffenfchaft und Kunft eine größere Beachtung, als dies
bis dahin in ben franzöftfchen Blättern ber Fall zu fein pflegte.
Diefer fortdauernde vertraute Umgang mit ber deutſchen Litera⸗
tur führte Garnot auf die Idee, die intereflante ‘Periode ber
Zreiheitöfriege zum Gegenftande eincr ausführlichen Darftellung
zu machen. Er beabſichtigte zwar urſpruͤnglich nur die Über:
tragung ber befannteften volitifchen Gedichte Körner’, Ruͤckert's,
Arnde’s und Schenkendorf's u. ſ. w.; bald aber wurde cr von
feinem Gegenftande fo angezogen, daß er beſchloß, ein vollftäns
diges Bild vom mächtigen Aufſchwunge zu entwerfen, der
Deutſchland vom Joche feiner fremden Herricher befreite. Dies
fes Werk ift bereits ganz vollendet und wird unter dem Zitel
„L’Allemagne pendant la guerre de la delivrance”’ in zwei
Bänden binnen kurzem erfcheinen. Wir können uns kein Urs
theil erlauben über ein Werk, deffen Drud kaum begonnen ift,
aber nach einzelnen Bruchſtuͤcken zu urtheilen, die der Verf. bie
Guͤte gehabt hat, uns noch im Manufcripte mitzuteilen, duͤr⸗
fen wir etwas ganz Ausgezeichnetes erwarten. Der Verf. be⸗
handelt ſeinen Gegenſtand mit einer Liebe, die gewiß in Deutſch⸗
land Anklang finden wird. Garnot, ber in der Deputirtentams
mer auf den Baͤnken der Außerften Linken figt, hat bei jeder
Gelegenheit feine Sympathie für bie deutfche Nation ausgelpro:
chen, und bringt auch in feinem Werke darauf, daß Frankreich
fi enger als bisher an Deutfchland, deffen neueften Aufſchwung
er mit begeifterten Worten begrüßt, anfchließen müfle. Mit be
fonderm Intereffe haben mir den Theil feines Werks gelefen, in
bem ber enge Zuſammenhang zwifchen den Principien der fran⸗
söfifchen Revolution und dem Erwachen der deutſchen Nation
im 3.4813 nadjgewiefen wird. Gerade im entgegengefegten
Sinne von Auinet, der ein langes Sünbenregifter von alle Dem
entwirft, was in Deutfchland gegen Sranfreich gejagt ift, ſtellt
Carnot alle Belege für die gegenfeitige Sympathie beider Na⸗
tionen zufammen. Das Gapitel, in dem er nachweiſt, mit wels
cher Begeifterung bie aufgeflärteften Geifter in Deutfchland, wie
Klopſtock, Zorfter u. U. die frangöfifche Revolution von 1789
begrüßten, zeigt von einer feltenen Beleſenheit. Außer biefer
Arbeit, mit deren Herausgabe der Verf. hoffentlich nicht länger
zögern wird, hat Carnot noch zwei andere Werke vorbereitet,
die beide sin hohes Intereffe bieten. Es find dies erftens bie
Memoiren feines Vaters, die auf einzelne Partien der Geſchichte
der franzöfifchen Revolution ein ganz neues Eiht werfen wer
den, und dann cine vollffändige Geſchichte des Gt. : Simonis:
mus. Carnot hat feinen Beruf zu hiſtoriſchen Arbeiten ſchon
burch die Herausgabe der wichtigen Memoiren Gregoire's und
neuerdings durch die WBearbeitung bes Literarifchen Nachlaſſes
von Barrere an ben Tag gelegt. Das „Foreign quarteriy
review ' bemerkt mit Recht, daß bie Charakteriſtik, die er den
Denkwuͤrdigkeiten Barrere's vorangeftellt hat, für ein wahres
biographiſches Meiſterwerk gelten kann. So bürfen wir benn
fon erwarten, baß der Verf. in ber Ginteitung zu den Mer
moiren feines Vaters hinter feinem Gegenftande nicht zurüde
bleiben wird. Was feine Geſchichte ded Saint : Simonismus,
bie gleichfalls im Manuſcripte vollendet it, betrifft, fo können
wir fagen, daß Keiner fo febr zu dieſer ebenfo wichtigen als
fhwierigen Arbeit befähigt ift als eben Garnot, der felbft
lange Zeit hindurch an den Arbeiten dieſer philoſophiſchen Sekte
Theil genommen bat, ohne jemals in bem Strudel, ber ſich
diefer Geſellſchaft bemaͤchtigte, völlig unterzugehen. Er ſtand
einige Zeit hindurch an der Spitze bes „Globe”, als derfelbe
das Organ des Saint: Simonismus war, trennte ſich aber von
den Iüngern biefer Lehre, als er wahrnahm, daß es dem Pere
Enfantin darum zu thun ſei, aus einem nationaloͤkonomiſchen
Syſteme eine Religion zu machen.
Aug. Chaho ift, wenn wir nicht irren, Base von Ges
burt. Er hat fi durdy einige phantaftifche Romane, mehre
Reifewerke Über Spanien und namentlich duch feine bizarren
Anſichten über die baskiſche Sprache befannt gemacht, er be:
hauptet, ‚baß dieſes Idiom die Grundſprache und bie Wurzel
aller übrigen Sprachen fei. Zwar ift diefe Behauptung fchon
von andern überfpannten Gelehrten aufgeftellt, und namentiich
bat ein Spanier des vorigen Jahrhunderts mit einem großen
Aufwande von Gelehrſamkeit nachgewiefen, baß Adam im Pas
radiefe baskiſch gefprocken habe; indeffen bat doch keiner biefe
fonderbare Anfiht mit fo großer Beharrlichkeit durchgeführt
als Chaho. Sein neueftes Werk, welches den Titel führt
„Lelo ou la fee des montagnes‘ (2 Bde., 1843), hat zwar
mit dieſer lächerlicden Hopotheſe nichts zu ſchaffen, aber body
fputt derfelbe abenteucrlihe Geift darin, der allen Schriften
2.
Chaho's eigenthuͤmlich ift.
Literariſche Anzeige.
In meinem Verlage erſcheint und iſt durch alle Buchhand⸗
lungen zu erhalten:
preußiſche Familienrecht
nach dem Allgemeinen Landrechte
mit
Rücksicht auf das gemeine und deutsche Recht
dogmatiſch-kritiſch dargeſtellt.
Von
RR. ©. W. Schmidt,
Juſtiz-Commifſarius und Notarius.
Gr. 8. 3 Thlr.
Fruͤher erſchien bei mir:
Witte (K.), Dis preußiſche Inteſtat-Erbrecht, aus
dem gemeinen deutſchen Rechte entwickelt. Gr. 8.
1838. 1 Thlr. 15 Ngr.
Reipzig, im April 1843.
S. A. Brockhaus.
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
Schweden unter Karl XIV. Johann.
(Eeſchtuß aus Ar. SL)
Am 5. Gebr. 1818 ſtarb der König Karl XIII. und
Kart XIV. Johann beftieg den Thron. Der Prinz Os⸗
kar, der am 4. Juli 1817 für großjährig erflärt worden
war, vertaufchte nun den Titel eines Herzogs von Süder:
manland, den er bi8 dahin getragen, mit dem des Kron⸗
prinzen. Der König wurde am 11, Mai zu Stodholm
und am 7. Sept. zu Deontheim mit einer Pracht ge:
kroͤnt, von welcher dieſe Gegenden noch cin Beifpiel ge:
fehen hatten. Unterdeſſen fegte der Reichstag feine Arbei⸗
ten fort. Durch den Miswachs und den Bankrott der
Privatbanken wurden viele Privatleute von großem Ver:
Luft betroffen; dem Staate war e6 unmöglich, fie zu ent:
ſchaͤdigen. Doc, erhielt Gothenburg, die erſte Dandele:
flade Schwedens, einen Vorſchuß von 200,000 Thalern.
Die Unternehmungen großer Öffentlicher Arbeiten vertrieb
das Elend aus manchen Provinzen. Trotz der Ungunft
der Zeiten, fand der neue König noch Mittel, Gutes zu
tun. Durd den Ankauf großer Güter rettete er ganze
Familien, ftellte er an manchen Orten den Credit wieder
ber. Unter andern Erwerbungen Karl Johann's iſt die von
Etfdalen bemerkenswerth, welches den prächtigen Porphyr
liefert, aus welchem die in ganz Europa befannten Va⸗
fen gefertigt werden. Ferner fuchte der König das zu
ſtarke Fallen des MWechfelcurfes und des Papiergeldes, fo:
weit möglich, zu hemmen, voriches nicht ohne bedeutende
Opfer geſchah.
Nach einer Sitzung von acht Monaten gingen die
Staͤnde auseinander. Das unter den odwaltenden Um⸗
ſtaͤnden Moͤgliche wurde auf demſelben durchgeſetzt. Schwe⸗
den hatte ſeit ber Revolution von 1809 nur außerordentliche
Reichsſstage gehabt, welche in Britifchen Zeitumfländen zus
fammenberufen wurden, wo die Regierung der Unterflügung
und Zuſtimmung der Nation bedurfte, um Maßregeln zu
treffen, welche das Öffentliche Intereffe verlangte. Dies
war unter Karl XII. vier Mal ber Fall geweſen. Aber
unter dem neuen Kürften verfammelten ſich die Stände
verfaffungsmäßig blos alle fünf Jahre. Am 23. Jan.
1833 traten die Stände in Stockholm wieder zufammen.
Um diefe Zeit waren die Gedanken der Schweden mit ber
Meife des KRronprinzen ins Ausland beſchaͤftigt. Er war
bis Verona gelommen, wo damals die Monarchen den
8. April 1843.
befannten Gengreß hielten. Mit Ungedulb erwartete man
von ihm die Wahl einer Gattin, und bald erfuhr man,
daß Prinz Dakar fih mit der Prinzeſſin Sofephine von
Zeuchtenberg verlobt hatte. Kine von dem Grafen Ceder⸗
ſtroͤm befehligse Flotille geleitete von Luͤbeck ber die Krons
pringefin und die Königin von Schweden, und die Ber
mäbhlungsfeftlichkeiten wurden zu Stodholm am 19. Juni
in Gegenwart der Reichsſtaͤnde, gefeiert, welche für bie
Koften der Reife und der Heirath des Prinzen 500,000
Thaler Banco bewilligten. In Folge eines Beſchluſſes
des Gtorthings von 1824 gab Morwegen 60,000 Thaler
für denfelben Zweck.
Wie gemöhnlih, war auch bei diefens Reichstage die
Mafle der Oppofition in der Kammer der Adeligen, an
deren Spitze jetzt Ankarſwaͤrd fland; unter der Geiſtlich⸗
keit zeichnete fich der Pfarrer Stenhammer, unter den
Bauern Anders Danielfon als Oppoſitionsmaͤnner aus.
Ihe Organ war das Blatt der Argus”. Die ganze
Staatsvermaltung mwurbe von ber Oppofition heftig geta»
deit, bald Vertingerung der Abgaben, bald Derabfegung
de6 Kriegebudgets von ihr verlangt. Sie verweigerte der
Regierung die zur Vollendung der Öffentlichen Arbeiten
nöthigen Summen, In dem fie der Nation den Überſchuß
der Staatseinnahme verbarg. So entfchloß man fi erſt
nad) heftigen Debatten, die Arbeiten am Goͤthakanal forte
zufegen, die man aufgegeben haben würbe, hätte fidy nicht
bie Stimme des Könige dagegen erhoben. Das Prohibitiv⸗
ſyſtem fand in dem Grafen C. Poffe einen heftigen Geg⸗
ner; er warf ihm vor, daß es eine Maſſe Ärgerniffe und
eine allgemeine Entfittlihung erzeuge. ine Anklage ges
gen den gefammten Staatsrath wurde bei dem Conſtitu⸗
tiondausfhuß vorgebracht, aber die Klage nad langen
Verhandlungen befeitigt; doch wurde ber Staatsſecretair
der Kriegsverwaltung vor das Reichsgericht geftellt, das
mit der Unterfuhung feiner Handlungsweiſe beauftragt
ward. Aber das Mislingen ihrer Plane, namentlidy des
Verſuchs, das Minifterium zu ſtuͤrzen, ſchreckte die Oppofis
tion nicht ab. In der Überzeugung, daß in unfern Tas
gen der Adel ohne die Stuͤtze der andern Stände, die im
wirklichen Beſitz ber materiellen und intellectuellen Kraft
ſind, nichts ausrichtet, gedachte ſie, in den Buͤrgerſtand
neue Elemente einzuführen, und ihr Blick fiel auf die
nicht adeligen Hüttenwerks: und Gutsbeſitzer, die nad der
e °
beftehenden Verfaffung auf den Reichstagen gar ‚nicht ver:
treten find. Daß fie es werden, durauf hat die Oppofi⸗
tion feit jener Zeit flet6 gedrungen. In biefer Verſamm⸗
lung überteugen die Stände dem Kronprinzgen ben Vorſitz
in der Regierung im Abweſenheit des -Könige.
ftaͤndiſchen Verhandlungen entwidelte fich der Gedanke,
dem Unterricht eine zeitgemäßere Richtung zu geben, den
der König fpäter durch die Errichtung der Schule für
Künfte und Gewerbe verwirklichte. Auch beſchloß man,
einen Ausfhuß aus den berühmteften Gelehrten zu bilden,
weiche einen Plan zur Reform der Univerfitäten ausarbeis
ten follten. Einem Beſchluß des Reichstags zufolge wurden
im Auguft 1824 dem Exkoͤnig Guſtav IV. Adolf ein für
allemal 577,138 Thlr. hamb. Banco ausgezahlt, womit
die feiner Sumilie” bis dahin bezahlte Penſion aufhörte
dem Schage zur Laſt zu fallen. Im Laufe des Jahres
1824 fliftete der König Karl Johann neue Gymnaſien
zı Stodholm, Sölfottsborg und Wisby.
Sm J. 1825 verkaufte die Regierung mehre Kriegs:
(chiffe, die mehr ats 25 Jahre alt und, da fie fait zu
einem Dienft mehr tauglich waren, die Koften nicht ver:
dienten, welche ihre Ausbeflerung erfodert hätte. Dadurch
fchaffte der König feiner Flotte neue Hülfsgnellen. Der
Ertrag des Verkaufs überflieg den Koftenpreis einer gleis
hen Anzahl neuer Schiffe von gleicher Größe. Man
hatte nun den Vortheil, an diefen legtern die bedeutenden
Sortfchriete in Anwendung bringen zu Bönnen, welche bie
Schiffbaukunſt gemacht hatte, des Nutzens für die Wer:
theidigung des Landes und den inländifchen Gemwerbfleiß
nicht zu gedenken.
Die Reicheftände wurden für den 4. Nov. 1828 zu:
fammenberufen. Auf diefem Reichötage verließ Graf Schwer
rin die Oppofition, deren Haupt er lange geweien, verband
fi) mit der Regterung und weihte von nun der Vertheis
digung ihrer Intereſſen die Beredtſamkeit, deren Blitzſtrah⸗
len er früher auf die Minifter gefchleudert hatte. In dem
Berbandlungen uͤber die Kortfegung der Arbeiten an dem
Goͤthakanal wollten die Einen auch nicht einen Thaler
mehr bewilligen, während die Andern den Vorſchlag aus
allen Kräften unterftügten. Unter andern wichtigen Fra⸗
gen war die uber die Feſtſetzung des Werthes des Papier:
geldes und des baaren Geldes zu ihrem Umtauſch an der
Bank zw befprechen. Ihre Wichtigkeit war fo groß, daß
von ihrer Löfung gewiffermaßen das künftige Schickſal des
Lundes abhing. Die nöthbigen Mittel zuc Vollendung des
Goͤthakanals wurden, trog der Oppofition, bewilligt. Die
Armee wurde zweckmaͤßiger organijirt. In-diefer Verſamm⸗
lung beſchloß eine Verhandlung der Meichsitände die Df:
fentlichkeit ihree Sigungen. Während diefer Geſetzgebung
ward eine aroße Feftlichkeit gefeiert. Auf Verlangen der
NReiheftände wurde die Königin am 21. Auguft 1829
gekrönt.
Nah zweiundzmwanzigjühriger Arbeit, die dem Staate
fünf Millionen Thaler gekoftet, konnte der Goͤthakanal,
welcher, ſchraͤg durch das Land gehend, das Nordmeer mit
der Oſtſee verbindet, 1832 befahren werden. S. 156
fagt unfer Verf.:
Aus den:
Als die Oppoſition ſah, daß ſich alle ihre Anftren
an dem monardyifchen Princip brachen, Gefolgte fie ein 22
Syftem. Statt ihre Angriffe gegen die Regierung richten,
ſchlug fie dem Grundgeſetze eine Breſche — die Preffe, weiche
zu ihrer Verfügung fland, unterſtuͤtte fie alsbald mit allen ib
sen Kräften. In den Augen des Ariftokratie, weiche Wie Oppo⸗
fition in ihren Meihen zählte, war bie Verfafſung Norwegens,
demokratiſch, wie keine in Europa, ein Mufter der Bolllommens
beit, weiche man im Lande einführen folle.
Wir bezweifeln’ jedoch fehr, daß die wirklichen Ariſto⸗
fraten Schwedens die norwegifche Gonftitution eingeführt
zu fehen wünfchen; anders verhält es fih mit den Bür:
gern und Bauern: fie haben Grund dazu. Die ſchwe⸗
diſche Geiſtüchkeit iſt vermöge ihrer Stellung im San:
zen confervativ. Die Meichsflände flanden 1834 wie
der auf dem Punkte, fi) zu verfammeln; in allen Glafs
fen der Gefellfhaft war die Reform an der Tagesordnung.
Bon einem Ende des Reichs zum andern wurden Peti⸗
tionen herumgetragen und von Tauſenden unterfchrieben.
Der Reichstag wurde am 15. San. eröffnet. In ber
Abdelstammer waren nicht mehr dieſelben Glieder der Op⸗
pofition wie auf den früheren Reichsſtagen; Ankarſwaͤrd
begnügte ſich mit der Rolle eines Zuſchauers, entſchloſſen,
die Wuͤnſche des Volks zur Kenntniß des Koͤnigs zu
bringen. Vom Bürger: und Bauernſtande geſellten fich
viele zu der Oppoſition, und ſo fingen die Reichsſtaͤnde
an, ſich als Staatsgewalt zu fühlen. Mehre finanzielle
Anträge der Regierung wurden von den Ständen verwors
fen. Am Schluſſe des Reichstags fagte der König in
feiner Rede: „er fei Dem, was man verlange, nicht ent:
gegen; er wolle nur, daß die Reformen innerhalb der
Grenzen der Conftitution bewirkt würden.” Durch koͤnig⸗
liche: Ordonnanz wurde die Bank am I. Dt. 1834 zur
Umtaufchung des Papiergeldes geöffnet. Dan konnte von
jest an das Finanzſyſtem in Schweden als georbnet be:
trachten. Ungefähr um biefelbe Zeit .ertheilte der König
eine allgemeine Ammeflie für alle politifhen Vergehen.
Nachher wurde der Kanal von Teolihätts wieder aufge:
baut und erweitert. Die in Schweden lebenden Juden
muden emancipirt und den übrigen Bürgern faſt gleich⸗
geſtellt.
Je naͤher die Zuſammenberufung der Reichsſtaͤnde
kam, deſto unruhiger wurden die Bewegungen der Op:
poſition, deſto erbitterter die Sprache ihrer Blaͤtter. Die
Reform des Staatsgrundgeſetzes wurde mit Ernſt gefodert.
So ſtanden die Sachen, als die Staͤnde auf den 14. Jan.
1340 zuſammenberufen wurden. Die Wahlen waren im
Bauer- und im Buͤrgerſtande im Ganzen der Oppoſition
guͤnſtig. Der vorige Reichstag hatte dem von 1840 die
Entſcheidung über eine Stage überfaffen, welche eine Ver:
Anderung des Staatscaths betraf. Die Staatsſecretariate
und Die Stelle des Hofkanzlers follten eingehen und der
Staatsrath Fünftig aus zehn Gliedern beſtehen, worunter
fieben Minifter mit Portefeuille fein und drei nur eine
berathende Stimme haben follten. Das war eine Nach—
ahmung von Norwegen. Dirfe vom Reichstag beſchloſſene
und vom König beflätigte Neuerung wurde unverzüglich
in Ausführung gebrachte, Duch einen Beſchluß dieſes
1
Reichetags wurde das Lotto aufgehoben. So weit hatte
die Oppoſition bis dahin geſiegt. Es wird Aufgabe der
tommenden Geſetzgebung ſein, ale Fragen zu loͤſen, die
in Bezug auf eine Radicalreform der ſchwediſchen Staates
verfaffung von der Sigung von 1840 auf 1841 aufge:
worfen find; hierzu gehört auch das Wahlgeſetz.
Das Wenige, was wir aus dem vorliegenden Buche
beruorgehoben haben, genügt, um zu zeigen, daß auch die
Schweden vorwärts ſchreiten. 16.
Romanenliteratur.
1. Juſtin. Roman von 2. Mühlbach. Leipzig, Fritſche.
1843. 8. 1 Site. 15 Nor.
Leben und Geele wohnt in biefen Blättern; das kleine Bud
enthält eine Heerſchar von Greignifien. Bon ben Zuftänben
der Givitifation, von den Ungeredhtigkeiten und Berzerrungen
dee großen Welt wird man nad) Garacas in bie Llanod, zu
den Sndianerffämmen, in den Zuftand ber Natur geführt. Mon
lernt die zahlreichen Opfer der Givilifation fennen: Das intri:
guante, tofette Maͤdchen, die erſt den Mann ihrer Liebe bes
trügt, um das flrafbare Verhältnig mit einem andern zu deden,
und fpätee einen abgelchten Wüftting beirathet, um reich und
\ururiös zu lebens ihre, über die Untreue ihres Gatten wahn⸗
finnig gewordene Mutter, welche im Mondſchein mit den Si
lien plaudert; die Maitreffe des reichen Mannes, melde ſich
im verlauft, um mit ihrem Gemahl ein forgenfreies Ecben zu
führen; die arme, an einen reihen Kaufmann vermaͤhlte
Seiſe, welche von des Gatten Härte zuruͤckgedraͤngt, von ihrem
Schwager in ein flrafbares Verhaͤltniß gezogen wird und als
Lenterer ihren Gatten mordet, von ber Welt als bie Moͤrderin
genannt wird und, obgteich von dem Gericht frei geſprochen, in
der Öffentlicyen Meinung für ihr ganzes Leben als Verbrecherin
geſtempelt if. Ferner fieht man auch den vornehmen unb ge-
achteten Mann, welcher große Lehngüter befigt, die fein Water
verfchuidet hatte. Dee Vater warb für tobt ausgegeben, bie
Gläubiger betrogen und der Sohn genießt dad Wermögen, wos
son ex dem Vater nur einen kleinen Gnadengehalt zumendet.
Betrug, Raͤnke und Pintertift überall, überall Opfer der Ge⸗
ſeuſchaft und ihrer ſich täglich ſteigernden Anſpruͤche; dazwiſchen
Surus, Wuſik, Feſte, Freuden und Laͤcheln. Auch Juſtin iſt
ein Opfer der Geſellſchaft. Im der Liebe getaͤuſcht — dann
blafirt und gelangweilt, kann nur die Liebe dem Leben wieber
Gehalt geben. Er liebt die arme Gonflanze und erfährt, daß
fie die Mörderin ihres Gatten fei. Nun will er bie civilifirte
Welt verlaffen und ein Mifftonnair der Cultur werben. Auch
Lucie iſt ein Opfer der Geſellſchaft; man hält fie für die Mais
xeſſe ihres alten Schwagers, weil der alte Wüftling fie aufs
geichnet, während fie ihm nur als Schwager, ale Greis und
@i3 Wreudenfpender vertraute. Cie folgt Juftin, den fie liebt,
in Männerfieidern, um ibm zu fagen, daß das Geruͤcht Lüge,
Daß fie ahnungslos fo böfen Schein auf ſich gezogen bat. Sie
erreicht ibn auf dem Dampfidiffe und begleitet ihn als Schwe⸗
ker in die neue Heimat. Mit den Farben eines ſuͤdlichen Him⸗
meid werden bier die Exfcheinungen des Klimas jener furchtbar
großen Natur geſchildert; die Feder ſcheint in Feuer getaucht.
In den naturgemaͤßen Verhaͤltniſſen findet Juſtin Ruhe und
Sliuͤck wieder, er nimmt Lucie zum Weib, fie leben ale Pflans
zer, und als die Kunde kommt vom TJode feines Baters und
den reichen, feiner wartenden Befigungen in der civiliſirten Welt,
verfchmäht er diefelben, um am See Tacarigua glüdtich zu fein.
3. Novellen von Ludwig Halirſch, aus deſſen Nachlaſſe her»
ausgegeben von Johann Gabriel Seidl. Wien, Ges
rold. 1842. Gr. 12. 1 hr.
„Die jungen Herzen“ und „Belladonna” find dic beiden
Koveilen dieſes Baͤndchens; beibe erheben ſich ſehr uͤber das Ge⸗
woͤhnliche und erfuͤllen den Leſer mit Bedauern über den fo
febhen Zob bes Derf. Deſonders bie zweite Novelle „Bella
bonna‘ trägt ben Hauch des Südens, mit deſſen feuriger Faͤr⸗
bung. Florenz if der Schauplag. Das Maͤrchen von des Bilt:
fäule des Mediceiſchen Benus gab den Stoff. Der junge Kaͤu⸗
fee jenes Kunftwerts mußte als Kaufpreis ein Mädchen geben,
weiches ihm mit großer Liebe zugetban war. Es gebar am
Berb des Schiffs eine Tochter und fprach fterbend einen Fluch
über biefe und deren Geflecht aus, welcher ſich auch während
ſechs Generationen bewährte. Cudoxia ift die tete diefes Ge⸗
ſchlechte und in der Überzeugung eines gleichen Loofes fällt fie
in die Hände des Johann von Piazzi, des lezten Sprößlinge
ber geächteten Familie, weicher ben Grimm gegen die Dediceer
und die heißeſte Rachſucht in fich trägt. Eudoxia gedachte er
als Werkzeug feiner Rache zu gebrauchen, und greift wie ein
böfer Dämon in ihr Reben ein. Die dadurch herbeigeführten
Begebenheiten find fchauerlich und ergreifend; der Leſer behält
‚war viele Kragen auf dem Herzen, Manches bleibt unerörtert,
Manches unerliärt, Manches fcheint unnöthig. Aber eine Eräfs
tige, glübende Phantafie mwaltet über dem Ganzen, und bie
poetifche Fiction wird auch poetifch ſchoͤn ausgeführt. Piazzi
bat die Liebe der Prinzeffin Bianca gewonnen und führt fie,
bie Verlobte des Königs von Polen, mit fich in die Verban⸗
nung; das ift die Art, wie er fich rät an den Mebiceern! Gus
doria aber, die Belladonna, melde er zum Werkzeug einer blus
tigen Rache beftimmt hatte, itirbt an dem in ihrem Ringe, dem
Erbtheil der fluchbringenden Ättermutter, enthaltenen Gift.
3. Der Freiherr. Novelle von Robert Reinhold. Zwei
Bände. Meißen, Goedſche. 1843. 8. 1 hir. 20 Wer.
Warum ift diefe Novelle „Der Freiherr“ genannt worden,
da doch jeder andere Standesgenofle fich ebenfo ſchwach und mi:
ferabel hätte benehmen können und nit ein einziger, einen
Freiherrn charakterifirender Zug gegeben wirb? Der Autor
ſcheint verlegen gewefen um ben Ramen, und das begreift fich,
da das Werk ſelbſt charakterios ift und zu denen gehört, bie
man möglihft langſam lieſt und ſchnell vergißt. Es ift kein
Anhaitepunkt darin für den gebitbeten Geiſt; keine der hans
deinden Perfonen it fo intereffant, daß man das Schickſal derſel⸗
ben zu erfahren begierig wäre; feine tiefe Reflerion tröftet
für die alltäglidyen Romanbegebenheiten, bie fchon feit Jahr⸗
bunberten in der Nooellenfabrifation gebraudht wurden. Der
Freiherr vertäßt eine arme Geliebte, um ſich mit einer reichen
und vornehmen zu verloben, obgleich fein treuer, alter Diener
Konrad abrathet. Am Polterabend erhält die Braut Kunde
von des Bräutigams früherm Verhaltniß und gibt ihn auf.
Die Verlaffene, zu welcher der Reuige reift, ift indeffen geftore
ben. Daß fie die uneheliche Tochter des alten Rammerbieners
war, was jetzt herausfommt, macht die Sache nicht gerade
tragifher. Der Freiherr zieht nun reuig in den Polenkrieg.
&r hat indeffen noch Mehres auf feinem Gewiffen mitzunehmen,
denn er finder auf dem Gottesader das Grab einer alten Frau,
die cr einft umgeritten und dadurch ihren Tod befchleunigt hat.
Ihr Sohn bemeint fie. Gin Feind des Freiherrn, welcher bef:
fen vertaffene Braut einft geliebt und ihren Tod nun raͤchen
will, tödtet ben armen, meinenden Sohn ſtatt des Schuldigen.
Dann lieft man etwas vom Polenkrieg; der Freiherr wirb ver:
mwundet, flirbt, vermadt fein Vermögen einem Freunde, der
ihn begleitet. Diefer beirathet ein Polenmaͤdchen, und das
ſchoͤne, ftolze Fraͤulein, die einftige Braut des Freiherrn, reicht
dem Arzt, einem lufligen, wiselnden, gutmüthigen Gefchöpf die
fhöne Band. Die Sprache ift gut, nur etwas ſchwuͤlftig; die
Schilderungen der Naturereigniffe vor und nad) dem Negen,
im Frühling und im Herbſt, im Wald und im Feld, während
Sonnenfein und Sturm, ſcheinen mit großer Sorgfalt aufs
gezeichnet zu fein und find auch gelungen.
4. Altonaer Bilder, Genrebitder und Skizzen von Heinrich
Schmidt. Berlin, Vereinsbuchhandiung. 1843. Kl. 8
I Thir.
As ein fchönes Andenken müffen biefe Bilder den Bürgern
von Altona erfcheinen, von dem fernen Landsmann, der fie ih-
nen weist. Sie finb mit Siebe aufgenommen und mit Eiche
niedergezrichnet, Herz und Verſtand haben’ babei geholfen. „Das
Theater” enthält eine Scene aus der Kindheit bes Autors. Die
Berlooſung des Lanmes bei dem bäntfchen Luſtſpiel unb bie
Yeunsbrunft , diefe fo verfgiebenen Momente find außer
ordentlich lebhaft, jebes in feinem Genre vortrefftich ae
Am eigentbümtichften {ft aber das Wild Rr. 3: „Das Zahlen
Iotto’’, mit den dadurch verantaßten Gcenen gefchiibert, es find
nur wenig Federſtriche an jedes Bitd gewendet, aber diefe find
bezeichnend und charakteriftiih. Das Gtend, weiches das Lotto
in den verfchiebenen Kreifen, von dem reihen Kayfımanne an,
der feine legten tauſend Mark daran feht, bis zum Tageloͤh⸗
ner, der das ſilberne Kreuschen feiner Frau entwendet, bie
fpielende Gattin, weiche hinter des Mannes Rüden ihr Gluͤck
verfudht, und dann bie Verzweiflung bei der getäufchten
Hoffnung dieſer Betheiligten find fehr gut ausgeführt. Die
Rede aber nad) beenbigter Ziehung vom Balcon bes Rathhaufes
herab ift voll Humor und Eräftigen Vortrag, und wenn je ein
Wort gerignet wäre, das Voik von feinem verberblichen Begins
nen zu überzeugen und abzubringen, To Eönnte biefe Rede allens
falle es von dem Lottofpiet abhalten. Weniger anziehend und
intereffant find „Die Denriette” und „Gin Damencirkel in ber
Eibe’'. Erſtere enthält einen Streit des Schiffcapitains mit der
Regierung ober ber Poticei, da ihm der Befehl gekommen, eine
Stunde fpäter zu fahren als ein anderes Dampfſchiff. Das
mag an Ort und Stelle und den Capitain felbft beſchaͤftigen,
gehört aber nicht vor ein größeres Lefepublicum, wenigitens
nicht in ein Bud, hoͤchſtens als Zeitungs s oder Journalartifel.
Auch die Schilderung der Schiffe im Hafen diefer Dame in der
Eibe it wenig anziehend für den fernwohnenden Lefer. 12.
Bibliographie. .
Asverus, Die Denunciation der Römer und ihr geſchicht⸗
licher Zuſammenhang mit dem eriten proceßeinleitenden Decrete.
Leipzig, Brodhaus. Er. 8 1 The. 15 Nor.
Beitrag zu dem Gchieswig > Holfteinifchen Verein für be:
drängte evangelifche Gemeinen, von einem Diſſentirenden, der
aber in der großen Haupt ſache von ganzer Seele confentirt, wie
auch darin, daß ben nothleidenden Glaubensgenoſſen geholfen
(Bon 8. 3. van Rhyn.) Schleswig, Bruhn.
127%, Ror.
General Graf Bülow von Dennewit in ben Felbzügen
von 1813 und 1814 Kon einem preußifchen Offizier. Leipzig,
Brockhaus. Br. 8. 1 Ihr. 18 Nor.
Emmerid, 8. 9. D., Die Gedankenloſigkeit der Meie
nungen Diefterweg’8 und feines Defenfors Kirchberg. Frank⸗
furt a. M., Brönner. Br. 8. 1 Zhie.
Feldmann, F. Kirchliche Zeit⸗ und Lebensfragen. Cotts
bus, Dover. Er. 3. 227, Nor.
Brobberg, Regina, Gedankenfruͤchte auf dem Pfab
des Lebens. Wien, Mechitariften» Eongregationg » Buchhandlung.
1842. Gr. 12. Nor.
General-Bericht an Se. Majestät den Kawer von Russ-
land über das Ministeriam des öffentlichen Unterrichts für
das Jahr 1841. Hamburg, Nestler und Melle. 1841. 8.
11 . Near .
Geſchichte des Feldzugs von 1814 in dem oͤſtlichen und
nörblichen Frankreich bis zur Ginnahme von Paris, als Beis
trag zur neuern Kriegsgeſchichte. Zter Theil. Mit brei Plaͤ⸗
nen. Berlin, Mittler. Gr. 8. 3 Thlr. 10 Nar.
Girand, 9., Preußiiche Poftzuftände. Königsberg, Theile.
8 7% Nor.
Der Groß: Benebiger in der norifchen Gentral s Aipentette,
feine erfte Erſteigung am 3. Eeptember 1841, und fein Glet⸗
fer in feiner gegenwärtigen und ehemaligen Ausbehnung. Bon
J. 9. Kürfinger und 8. Spitaler. Mit einem Auhange:
. Die zweite: Gefteig
ung am 6. Gieptsmber 1543. Bon Spi⸗
taler. Mit fünf Aufihten und einem Kärtchen von Dber⸗
pinzgau. Innsbrud, Wagner. Er. 8. 2 Thlr. 5 Nor.
.Varder, 6. W., Beitrag zu den ehelichen Verhätmiffen,
insbefondere zu der rechtlichen Stellung der Frauen, nad dem
—578 Ne Stadtrechte non 1270, Hamburg, Kittier.
2 198.
Das Daus ber Welfen. Beiträge zur Gefchichte der Lande
Braunſchweig und Hannover, in Biographien der ausgezeichnet:
ften Regenten und Bürften beider Welfen« Linien. Unter Mir⸗
wirkung mehrer Gelehrten herausgegeben von F. Steger. Dit
32 authentiſchen Portraits und 4 hiſtoriſchen Driginalbildern.
Br rl Beim. und et &r. 8. 2 Thir.
eitter, C., Ethnographiſche und geſchichtliche Noti
über die Zigeuner. Königsberg, Gräfe und ale Er 2 Far.
Hofmann, v., Zur Geſchichte des Feldzuge von 1808.
2te, neu bearbeitete und vermehrte Auflage. Sertin, Mittier.
&r. 8. 1 Thir. 20 Nor.
ſeri Die er Kommunion. Eine Gryäbtung von ber Werfafe
erin der „ Geratdine”. us dem Engliſchen. Regen
Many 8.8. 10 Nor. ars egenctacs
er Konrad ER Hoͤllenbriefe an feine Lieben
unde in Deutidyland. Herausgegeben von F. Ruhsmun
Königsberg, Theile. 2 Kar. ” 5 Bugemunt,
Bremen, Heyſe. Gr. 8. 5 Rear.
eoeft, H. W., Geiſt und Leben cchter Bumanitär, dar⸗
geſtellt in drei Trilogien. Berlin 1842. Gr. 8. 2 Thir.
Atrheinlaͤndiſche Maͤhrlein und Lieblein. Zu beſſerer Ber
daͤchtniß und feinen Landéeleuten zu Nut und Frommen gang
treulich und fleißiglich geſammelt und in dies Buͤchtein gebracht
sus einen Liebhaber deutfcher Poeterei. Coblenz, Bölfcher. 12.
gr.
Mayer, F, Der Zweikampf. Gin fittengefchicheti
Beitrag. Erlangen, Palm. 8. iM Nor. ſetengeſchihtuicher
Michelet, ©. L., Gntwidelungsgefcichte ver neueften
beutichen Philoſophie mit befonderer Rädfit auf den gegens
wärtigen Kampf Schelling’s mit der Hegel'ſchen Scyute. Dars
geftcht in Worlefungen an der Friebrich- Wilhelns = Univerfität
zu Beriin im CSommerhalbjahre 1842. Berlin, Dunder uns
Humblot. Gr. 8. 2 Thlr.
Mitdgerzigkeit gegen Thiere. Innebruck, Wagner. &
3, De &
ie Patrimonialgerichts⸗ Reform im preußifhen Staate.
Stettin, Nicolai. Gr. 8. 7Y, Nar. preußifie
Reifen und Länderbefhreibungen der Altern und neueften
Seit, herausgegeben von ©. Widenmann und H. Hauff
24fte Lieferung: Beſchreibung von Kordofan und einigen
angrenzenden Ländern, nebft vinem Üüberblick über ben dafi⸗
gen Handel, bie Sitten und Gebräudge der Einwohner uns
der unter der Regierung Mehemed Atl’s flattgefundenen Skia⸗
venjagden. Bon 3. Palime, während deſſen Anwefenheit im
den Jahren 1838 — 39 verfaßt. Stuttgart, Gotta. Gr. &
1 Thir. 10 Nor.
Rellſtab, L., Sefammelte Schriften. After bis Iter Band:
1812. Gin biftorifher Roman. Dritte Auflage. Ifter bis
ter Theil. Leipzig, Brodhaus. Ge. 12. 3 Thir.
Rohr, &. v., Sammlung lyriſcher Gedichte. Stes Wind:
hen. Berlin, Stuhr. 8. 1 Thir. iO Rar.
Schmid, ©., Dramatifhe Werke. ter Band. Sripzig,
F. Fleiſcher. Gr, 12. 1 Zhle. 20 Nor.
Trendelenburg, A., Die logische Frage in Hegel’s
Byetem. Zwei Streitschriften. Leipzig, Brockhaus. Gr. &
gr.
Verantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhauß ie geipzig.
x
Blätter
literariſche
für
Unterhaltung.
Sonntag,
— N. —
9. April 1843.
Die Univerfitäten in den Vereinigten Staaten.
Es ift in Deutfhland entweder gar keine oder eine
falſche Anficht über die Univerfitäten der Vereinigten
Staaten im Gange, bie ich nur mit der oft Alles über:
fhägenden oder unterfchägenden fanguinifhen Meinung
für und gegen dieſes Land und befonder6 ber beutfchen
gelehrten Republiken auf den Univerfitäten erklaͤten Bann,
Ertauben Sie mir Ihnen die Harvard University zu
Cambridge zu fhildern, die befle der Vereinigten Staaten.
Sie beſteht jegt aus einer Schule von vier Claſſen. Mit
dem funfzehnten bis fiebzehnten Jahre kommen die jungen
Leute oft mit fehr unbebeutender Vorbereitung hierher.
Ale diefe Neulinge (Fuͤchſe) bilden unter dem Namen
Freshmen die unterfte Claſſe. In diefer bleiben fie ein
Jahr und bilden ſodann die zweite Claſſe die Sophomores,
Nach einem Jahre rüden diefe in die Claſſe der Junior-
sophisters ein, und ter nun noch ein Jahr laͤnger bleibt,
wird zum Magister artium (Master of arts) promovirt
und bilft die Claſſe Senior-sophisters bilden, In bies
fen vier Claffen wird ungefähr der Unterricht ertheilt, der
in unfern Fuͤrſtenſchulen und Gymnaſſen ertheilt wird,
b. h. den Faͤchern nad. Doc bilden auch bier alte und
neuere Speachen, Geſchichte und Mathematik die Haupt
abtheitungen, in weiche man das übrige Wiffenswerthe
teiht. Gegen 200 ſolcher Schüler bilden das eigentliche
Gollegium. Alles, was man lernt, ift auf praktiſchen Ge:
brauch berechnet und Vieles daher nur curſoriſch oder
encyklopaͤdiſch behandelt; die Öffentliche Beredtſamkeit wird
ſtark beruͤckſichtigt und man gewinnt bei den jdhrigen
und halbjährigen Examen und Hffentlichen Erhibitionen
leicht einen Begriff, wie bier unfers alten wadern Rectors
Wilhelm: mon scholae sed vitae eigentlih an den Mann
gebracht wird. Der hiefige ältere Schüler bat eine ges
wandte Dialektik und ber Ausdruck ſteht ihm ſtets zu Ser
bot. Selbſt ein geringeres Willen wird bei ſolcher
Bildung bedeutend für das Öffentliche Leben. Nach vol:
endetem Curſus im Collegium wählt der junge Mann
ein Fach. In Cambridge felbft iſt die Law-school unter
dem berühmten Judge Story und dem tüchtigen Profeffor
Sreanleaf wol die befte der Union, obgleich man die
größten Lawyer in Philadelphia finden foll.
befteht eine Divinity-school hier, welcher jeht George R.
Noyes und Mr. Francis vorfichen. Im erſterer weilt
Demnaͤchſt
man zwei bis drei Jahre, in letzterer ein bis zwei Jahre.
Es iſt hier durchaus nicht ſo ſchwer, ein Geiſtlicher als
ein Lawyer zu werden. Und doch ſollen die Erſtern auch
hier die Lehrer des ganzen Volks ſein. Im Collegium iſt
der Haupthebel der Disciplin und des Fleißes der Ehrgeiz.
Man bat es mit nicht ganz jungen Anfängern zu thun
und raſch muß vorwärts gefchritten werden. Die jungen
Leute find in der That meift fleißig und löfen ihre Aufs
gabe gut. Das Leben ift ziemlich heiter, doch fehlt es
nicht an Zucht und Ordnung regulicenden Gefegen. Thea⸗
ter und öffentliche Häufer zu befuchen ift keinem Schüler
erlaubt. Die Studenten in ben Law- und Divinity-
schools ſtehen nicht unter diefem Zwange. In Boſton
if} die Medical-school mit den Dofpitäiern und Profeſſo⸗
ven und nur der Profeffor der Chemie wohnt bier und
die Studenten kommen wöchentlich zweimal heraus. Ste
hören zwei Winter hindurch diefelben Gollegien zweimal.
Alles kurz, bündig und praktifch, aber freilich auch dürftig,
wie in der Theologie.
Dürftig iſt der Unterricht in der Gefchichte und Geogra⸗
phie. In Bezug auf legtere liegt dies beſonders daran, daß
fie ſowie die Statiftit und felbft die Geographie des Lan⸗
des (wie die elenden Landkarten zeigen) noch in der
Kindheit liegt. Die Befchichte in einem univerfellen Sinne
zu lehren, fiel bisher Niemand ein. Erft in neuefter Zeit
bat man bier dieſen Unterricht begonnen. SProfeffor Jared
Sparks, bekannt als der Gefchichtfchreider Wafhington’s,
hat angefangen Univerfalgefchichte zu Ichren und eine Übers
fegung eine®, ich glaube, beutfchen Handbuchs — irre ich
nicht, von Heeren — gegeben. Danach kann man beurthei⸗
len, daß man mindeftens 20 Fahre hinter dem Stande
der biftorifhen Wiſſenſchaft zurüd if. Doc iſt Sparks
ein guter Lehrer und nicht von denen, die ſtehen bleiben.
Die alten Sprachen werden anerfanntermaßen am beften
bier gelehrt, von einem Deutfhen, Profeffor Karl Beck
die Sateinifche und von Cornelius C. Selton die griechiſche.
Die Fortſchritte, welche in beiden Sprachen burch ben
Fleiß und die Gediegenheit der beiden genannten Lehrer
gemacht werben, überrafchen, fobald man meiß, daß bie
Vorbereitung für das Colleglum durchaus ungenügend im
Sinne unferer Vorbereitungsfhulen genannt werden muß.
Dennoch find nur bie Freshmen gehalten bie alten Spras
hen zu kennen, und in ben hoͤhern Claſſen flrht jedem
bie Wahl frei. Dan lieft Hier nicht fo ſehr die „golde⸗
nen” Schriftſteller und kuͤmmert ſich nicht fo aͤngſtlich um
ein claſſiſches Latein, ſondern um eine geeignete Fertigkeit
im Verſtaͤndniß des Lateins der circa 150 Jahre von
Cicero bis zu den Antoninen, und man ſollte meinen, daß
deſer Plan ſehr verſtaͤndig und unſern deutſchen Schulen
auch anzurathen waͤte, ſeit das Latein nur noch und auch
nur zum Theil die Sprache der Gelehrten und nicht mehr
der Gebildeten iſt. Ebenſo verfaͤhrt man im Griechiſchen
und bindet ſich nicht aͤngſtlich an die Claſſiker. Dadurch
erfahren in der That die Schuͤler Vieles, was unſere
Schuͤler nur von Hoͤrenſagen erfahren. Mit der Gram⸗
matik beſchaͤftigt man ſich genuͤgend, doch in der That
nicht mehr, als zum Verſtaͤndniß der Alten unumgaͤng⸗
lich noͤthig iſt. Man will dieſe Sprachen nicht gebrau⸗
chen, um fie zu ſprechen, um damit „zu glänzen oder zu
überzeugen”, fondern um feine eigene Sprache gehörig
handhaben zu fernen. In biefer übt man fi auf die
mannichfachſte Weile. Ebenfo wie das Lateinifche und
Griechiſche treibt man das Deutfhe, Branzöfffhe und
Italieniſche. Mit dem erlangten Magiſtergrade hat jeder
Senior - sophister da6 Recht, einteitende Vorlefungen In
fein Fachſtudium zu hören. Dies iſt der Übergang zur
Univerfitde (nach deurfhen Sinne). Unter den Vorle⸗
fungen bemerken wir mit Vergnuͤgen eine: über die Wit:
tel, die Geſundheit zu erhalten. Was man fich darunter
auch vorftellen mag, fo iſt gewiß, daß die jungen Mens
fhen In der Mogel viel auf koͤrperliche Übung halten.
Insbeſondere fpielt man mit Leidenfchaft hier eine Art
Ballfpiel, wobei der Ball an der Erde fortgefchlagen wird
(Cricket). In biefem Spiel ſtellen die Sophomores mit
den Freshmen am Nachmittage ber erſten Vorleſungen
bes Curfus einen Wettlampf an, der oft ſehr ſchwankend
ausfaͤlt, weil zuc Vorbereitung für das Collegium die
Übung in biefem Spiele keineswegs verfäumt wird. Man
tkann daraus fchliefen, daß bier nicht blos ein Stuben⸗
leben geführt wird. Auf ber andern Seite bat der ame
rikaniſche Student eine große Vorliebe für das Dandy⸗
oder Stuper:, auch Schniepelwelen, und gewöhnlich iſt er
äußerfi gewandt in der Unterhaltung von Damen, d. h.
leer genug wie umfere jungen Dffigiere und Kaufleute.
Die Sicherheit des Benehmens, die der angeborenen Frei⸗
beit und der privilegirten Stellung im Leben eigen if,
feblt ihm keineswegs und wird nicht, wie auf unſern
Fuͤrſtenſchulen, durch firenge Abgefchledenheit von allem
Umgang mit dem fchönen Geſchlecht in ihrer Entwicke⸗
lung gehindert. Doch unterfcheibet fich hierin der Student
von Cambridge nicht von den übrigen Umgebungen ber
‚reichern Claſſen des Volks. Die ausgefuchtefte Galante⸗
tie, mit welcher man in Amerika die Frauen behandelt,
erſetzt auch bier wie in Frankreich oft die wirkliche Zart⸗
heit und Schönheit des Verhaͤltniſſes beider Gefchlechter
zueinander. Mit diefem außen Benehmen contraflirt
die entfchledene oft barte Richtung zum Ariftofratismus,
die im biefen privilegieten Schulen gemährt wird. Daß fich
ein Zufammenhalten, felbft ein kampfluſtiger Gorpägeift
gegen außen in folchen Schulen bildet, ift eine natürliche
und überall gewöhnliche Erſcheinung; daß aber gewiſſe
Principien wahrer und ideeller Geiftesfreiheit bier praktiſch
ausgefchloffen merden, das liegt nicht in der Natur der
Sache und verräth einen Einfluß von dee hoͤhern Leitung
bes Samen, deu man deshalb ſchwerlich billigen Bann,
weil er ber tiefen Entwickelung der Schönheit des Geis
ſteslebens gefährlich if. Solche Beſtrebungen, wo fie
auch ftattfinden, find Volksverrath.
Die Drganifation der Univerfitdt iſt durchaus eigens
thuͤmlich und bat im Bolke oder vieleicht mehr in der
höheren oder reichern Claſſe des Wolke ihre Stüge. Über
dem Ganzen fieht eine Corporation von fünf Männern,
die fich ſelbſt ergänzen und den Präfidenten ober Director
der ganzen Anftalt wählen, forwie fie auch die Eigenthuͤ⸗
mer der ganzen reichen Stiftung find und uͤber ihre Fonds
zum Zwecke der Anflalt verfügen. Unabhängig von biefer
Corporation bilden der Gouverneur von Maflachufetts, der
Souverneur:Lieutenant, die Mitglieder bed Raths und des
Senats, der Sprecher des Hauſes der Mepräfentanten
und der Präfident der Univerfität, nebft einer Anzahl dazu
gewählter ausgezeichneter Männer eine Aufficht über die
Anftalt, der jede Art von Einficht in die Angelegenheiten
des Unterrichts und Vermoͤgens zuſteht. Auf dieſe Art
iſt das Ganze gleihfam unter die Augen bed Bolks ges
ſtellt und von ihm gehegt und gepflegt. Den Unterricht
und die Leitung der Auffiche führen die Profefforen. Bon
diefen haben wieder einige die fpecielle Aufſicht dsber die
im Collegium befindlichen Schuͤler in dem ober:
wähnten vier Claſſen. Von diefen Auffehern wohnen
mehre in den (ollegiens Bebäuben, die ben Schuͤlern
zur Wohnung bienen, und führen bie fpecdielle Aufſicht
über fie. Die Wohnungen in den Collıgien: Gebäuden
werben daher vorgesogen, doch ſteht es frei, fi andy Pri⸗
vatwohnungen zu ſuchen. Ebenfo ift Miemand au den
Tifch des Pachters der Okonomie gebunden. Der Praͤſt⸗
dent bat eine Dienflmohnung unb außer gewiſſen Emo⸗
lumenten und einer Profeffer, die ihm 1500 Deflar6 eins
bringt, 2000 Dollars Gehalt. Die Gehalte der. ordentlichen
Profefioren finb bis jest auf 1500 Dollars firket, eine Bes
foldbung, die mit dem gesenwärtigen Stand ber Bebärf:
niffe eines faſhionablen Daushalts nicht ganz in Verhaͤtt⸗
niß ſteht. Jeder ordentliche Lehrer am Golegium hat bis
zu 31 Stunden wöchentlich Unterricht zu geben, umb
jeder Schulmann weiß, daß, wenn er gewiſſenhaft ift, ihm
nicht viel Zeit zu andern Beſchaͤftigungen gelaſſen iſt.
Zweimal im Sahre find längere Ferien von freche Wochen.
Bon Weihnachten an geftattet man den drmern Schuͤlern,
im Lamde Lehrerfiellen zu begleiten und ſich deu noͤthigen
Unterhalt zum Fortſtudium zu verfhaffen Sie ſtellen
fi zum Examen wieder ein und fo auch bie, weldge we⸗
gen befonderer Umflände gezwungen find, zu Daufe weite
zu fludirn. Dafür haben fie das Recht, am Ende ihrer
Laufbahn grabuirt zu werden. Dies gefchieht mit einer
befondern Feierlichkeit in einer Kicche nahe an ben Eollegien⸗
Gebäuden, nachdem die Afpicanten oͤffentliche Reden ges
halten haben. ine große Menge Fremder verfammelt
fi dazu in der Kirche. Zum Jahresfeſte geht jegt diefer
Frieruichkeit eine Berfammiung von Freunben ber Anſtalt
voraus. Dies find alte Schüler derfelben ober doch meiſt
folche. in ausgezrihneter Mann unter ihnen haͤlt In
derfelben Kirche eine Rede über irgend einen Gegenfland,
worauf ein fiierliched Mahl in einer Halle des Collegiums
eingenommen wird. Den folgenden Tag werden bie ers
wähnten Graduationen gehalten und am britten Tage vers
fammeln fi) die Glieder einer Lediglich aus ben Graduir⸗
ten der Anſtalt gebildeten Gefellfchaft ebenfalls zu eines
Rede und zu einem Feſtmahle. Diele Geſellſchaft bat
den Namen D©BKgefellfchaft und ift fehr alt. Die 16
beſten Schüler aus jeder Claſſe des Collegiums werben
jedes Jahr in bdiefelbe gewählt und erhalten Medaillen
und Diplome. Früher war bie Geſellſchaft geheim, wie
die Freimaurer; feit diefe aber vor mehren Jahren in
Verruf kamen, erflärte fie fich als Öffentliche Geſellſchaft
und wählt ihre Mitglieder durch Ballotage. Sonſt vers
binderte eine einzige ſchwarze Kugel die Wahl, jetzt ſechs.
Die Glieder werden nach Jahren aufgerufen und fo zie⸗
hen die alten Glaflenfeeunde zuſammen zur Kirche und zum
böse man eine ausgezeichnete Rede
und bei dem Feflmahle jagt ein witziger Einfall und
Ertempores Redner den andern.
Diefer letztern Feierlichkeit wohnte im vorigen Fahre
Lord Ashbarton ei. Seten wird man in Europa, bes
fonder& In Deutſchland eine Befellfchaft von ehemaligen
Studenten zuſammenſehen, deren Froͤhlichkeit und Heiter⸗
keit diefen markitten Ausdrud hätte. Alles bewegt ſich
bekanntlich hier nach einer und derſelben Ordnung. Kin
Dräfident, ein ober einige Viceprtaͤſtdenten und fonflige
Redner halten das Ganze fortwährend im Gange. Die
Zoafte geben VBeranlaffung zu Reden und Scheren. Das
Ganze ift geiſtreich, angiehend, belebt und belebend. Bon
ſtarkem Trinken und dergleichen englifchen und germanifchen
Sreuden findet hier nichts flatt. Die Freude iſt durchaus
nicht in Selbflvergefteuheit zu fuchen und zu finden. Dan
bat bazu wenlgſtens keine äußere, politiſche Veranlaſſung.
Bisweilen wird ein beliebter Geſang oder ein Gelegenheits⸗
gedicht von Geſangskundigen aufgeführt. Es iſt auffals
lend, wie man von unferer germanifchen, völig Alles um
fich vergefienden Stöhlichleit bier gar feine Ahnung hat,
und doch wird man durch und durch angeregt und iſt
fortwährend in vergnuͤgter Spannung und befriedigender
Überrafhung gehalten. Die Elite der Univerfität bie in
die achtziger Jahre iſt aber auch dabei zugegen, denn wer
irgend kann, kommt gewiß. Durch die Milhung von
Alt und Jung bekommt das Ganze eine gute Daltung.
Dies iſt unſtreitig der glänzendfle Punkt des hiefigen
Univerfitätsiebens. Etwas Ähnliches, fo fehr es von ie in
Deutſchland gewimſcht wurde, fcheiterse dort ſtots an des
offenbar getrübten politifchen Stellung der Maflen, mögen
fie heißen, wie fie wollen. Geit dem Wartburgsfefle was
ren oft Zufammenkünfte der Univerfitätöfteunde im or:
fchlag, aber außer einer fehr elenden in Halle iſt meines
Wiſſens der Art nichts zu Stande gelommen. Die Als
gemeine Burfchenfchaft hatte einen aͤhnlichen Zweck; allein
er iſt unerreichbar im Deutfchland, wo die idealen Anfich:
ten ber Jugend noch mehr von ber NMealitaͤt gefähebee
werden al& bier. Der Republikanismus if dagegen etwas
Ideales, was fich felbft im Alter unvergänglidher Jugend
ruhmt. Der Abfolutismus, felbft ber Feudalariſtokratis⸗
mus, war flets ein alter Mann voll Gravitaͤt und voller
Rüdfichten und Beforgtheiten um feine Würde.
Dos Erudiren iſt bier wie überall theuer, und unter
300 Dollars jaͤhrlich kann keiner beftehen. Das Collegium
bat eine Anzahl Stipendien. Der Zudrang zum Studium
iſt aber nicht übermäßig, doch fleigt er mit der Zahl der
Bevoͤlkerung. Die Yankee: Geifttidhen und Yankee: Ärzte,
die in den verfchiedenen Anftalten und Seminarien des
Landes erzogen werden, befegen alle neue und leere Stel
ien in der Union und find durchaus nicht an den Drt
gebunden oder an den Staat. Da für die Erſtern mehr
eine Paſtoralwiſſenſchaft, für die Legtern eine, der franzoͤſi⸗
fen Hofpitalesziehbung nachgebildete allgemeine Routine
die Dauptfache find, fo laͤßt ſich nicht erwarten, daß jene
im Algemeinen die erften Lehrer des Volks, diefe die eriten
Helfer in Leiblicher Noth find. Nirgend ift die Theologie
mehr in den Händen des Volks und wird vom ihm ger
mobelt nach befchränkten Begriffen, nirgend tft der Geiſt⸗
liche mehr abhängig vom befondern Geſchmack in religiös
fen Dingen als bier. Nirgend iſt die Pfufcherei und
Duadfalberei größer als bier und beide Stände genießen
daher nicht die Achtung, bie fie noch in Deutſchland ges
mießen, obgleich fie auch dort aus uͤbergroßem wifjenfchafts
lichen und geifiigen Hochmuth an den Rand bes Ab:
grunds zu gerathen fcheinen. Nur der Lawyer hat hier
eine einflußreiche, fehr wichtige Stellung. Er iſt ber Leiter
des Volks, regiert das Land und gibt den Ton an. Er
it wirklich frei — weil er herrſcht.
(Der Beſchluß folgt.)
Recherches sur la decouverte des pays situés sor la
cöte occidentale d’Afrique au-delä du Cap Bojador
et sur les progres de la science geographique apres
les navigations des Portegais au l Sième sitcle. Par
le Vicomte de Santarem. Paris 1842,
in feanzöfifcher Reiſender der legten Haͤlfte bes 17. Jahr⸗
hunderte, Namens Billaut be Bellefonds, nahm die Entdeckung
Guineas im 14. Jahrhundert für die Schiffer von Dieppe in
Anſptuch. Diefe Annahme, ber faft alle franzöflfhen Geogra⸗
pben auf Treu und Glauben gefolgt find, fucht der um bie
Geographie mehrfach verdiente Santarem zu widerlegen. Gr
ftügt fich dabei auf die Zeugniffe der geitweiligen Autoren, und
citirt nicht nur die wichtigen portugiefilchen
beruft fih auch auf die Werke ber Reifenden aller Nationen.
Seine Schrift erhält einen befondern Werth dadurch, daß ber
gelehrte Verf. eine große Anzahl von geograpbifchen Karten bei:
bringt, die bis jegt noch gar nicht oder doch nur ungenügend
befannt warn. Der Atlas, den er feinem Werke beigefügt
bat, ift deshalb vom hoͤchſten Werthe. Zu den koſtbarſten Kar⸗
ten, die derfeibe enthält, zählen wir die von Afrika, bie zur
berühmten Bibliothek Pinelli’s gehört, ferner die von Juan de
ia Sofa, der Solombo auf einer feiner Reifen begleitete. Aber
Santarem bat ſich nicht begnuͤgt, diefe hochwichtigen Documente
beizubringen, ſondern er hat fich die Mühe gegeben, alle Stel⸗
len der Kosmographen und der übrigen dhriftiichen und arabi⸗
ſchen Gelehrten des 5. bis zum 15. Jahrhundert zufammens
emoiren, fondern »
zuſtellen, tie einiges Licht auf biefen Punkt ber Geſchichte der
Beograppie werfen können. Die zwei Kauptfäge, bie er mit
einem Außerorbentlichen Aufwande von Gelehrſamkeit nachzuwei⸗
fen fucht, find 1) daß man im Mittelalter bie eigentliche Ger
fait Afrifas und insbefondere bie weſtlichen und füblidhen Kuͤſten⸗
fixiche dieſes großen Grbtheild, die über dem Gap Bojador
binausliegen, vor ber Enideckung biefer Gegenden durch bie
Portugiefen nicht kannte, und 2) daß man bie heiße Bone für
unbewohnt hielt und daß die europälfchen Kosmographen von
den Bewohnern biefer Laͤnderſtriche gleichfalls erſt durch bie
Sntdedtungsreifen der Portugiefen etwas erfahren haben. Nach⸗
dem der Verf. dieſe hauptfaͤchlichſten Punkte gruͤndlich nach⸗
gewieſen bat, ſucht er noch im Vorbeigehen darzuthun, daß
Portugal nit nur bie MWefllüfte Afrikas jenfeit bes Cap Bo⸗
jador zuerft entdedt hat, fondern daß es auch bis ins 16. Jahr⸗
hundert dem übrigen Europa die nöthinen Piloten, ohne bie
man bie Heife nach diefen Gegenden nicht zu unternehmen ges
wagt hätte, lieferte.
Document beute darauf hin, baß von ber Gründung ber Feſtung
©t.Georges da Mina bis gegen das Ende bes 15. Jahrhun⸗
derts diefe Länder auch nur don Andern als Portugiefen be:
ſucht fein. Erſt während ber Kriege zwiſchen Karl V. und
Franz I: ſcheint man in Frankreich auf ben Gedanken gekom⸗
men zu fein, eine Grpedition nad) der Küfte von Guinea zu
unternehmen. 6.
Notizen aus Italien.
Die Entftefung der fiebererzeugenden Luft, ber malaria
ober aria cattiva, hat in allen Iheiten Italiens den Arzten
wie ben Naturforfchern immer viel zu fchaffen gemacht, und
die Literatur über biefen Gegenftand ift ſehr umfangreih. Daß
die böfe Luft von den Sümpfen, Maremmen, flodenden Waſ⸗
fern überhaupt und fo aud von ben Reisfeldern in der Lom⸗
bardei ausgehaucht werde, iſt eine längft befannte Sade. In
den testen Jahren ift aber ber merkwürdige Umſtand viel bes
fprocyen und befonders in dem Lombarbifchen Inftitut für Wil
fenfhaft und Kunſt häufig zur Verhandlung gekommen, daß
fi feit einiger Zeit malaria und Wechfelfieber in ber Umgegend
Maitands gezeigt haben, wo es nach einem alten Gefege bis
auf fünf Miglien weit von der Stabt keine Reisfelder geben
darf und gibt. Man wies nad, daß die Ungefunbheit diefer
Gegenden nicht früher eintrat als die borthin verpflangte Ans
wendung jener eigenthämtlich oberitaliſchen und daſelbſt fchon
fehr alten Bewäfferungsmethobe, für welche man fogenannte
fontalini, kuͤnſtliche Reſervoire, anlegt, um von ihnen aus bie
Bewäflerungsgräben überallbin zu vertheilen und zu verbreis
ten. Es erſchien jedoch allen Kunbigen auffallend, daß diefe
fließenden Wafler böfe Dünfte erzeugen follten. Endlich bat der
Dr. Rosnali aus eigener Anfchauung nachgewieſen, baß bie ges
dachten Wafler keineswegs fo rein und frei fließend find, als
man vorausfeßte: biefeiben müffen vielmehr dreis bis viermal
jährlich von fchlammigen Niederihlägen und befonbere von
furchtbar wuchernden Waflerpflangen gereinigt werden; mit eins
tretendem Herbſt fleht man von biefem Reinigen ab, das Wafs
fer fängt an zu ſtocken, die bei dem mehrmaligen Baggern aus:
geworfenen und aufgehäuften Pflanzenrefte zerfegen fiy und die
Derbftfieber ericheinen unverzüglich. Wie koͤnnen hierbei an bie
wichtigen Unterfuchungen des Dr. Daniel! (vom King’s College)
erinnern, welcher die malaria der afrikanifchen Küften ebenfalls
ber Decompofition von Pflanzenreften im Seewaſſer zufchreidt :
es fcheint demnach, daß nicht allein das bortige fchwefelhaltige
Seewaſſer, Sondern auch füßes Waſſer im Stande ift, burch
die Aufnagme einer Menge von Pflanzenftoffen ſchaͤdliche Aus:
dünflungen zu erzeugen.
überhaupt behauptet er, kein einziges
Die wiſſenſchaftlichen Zeitſchriften in Italien machhen
der Kirche ihre Sompliment. Diejenigen, wel —2
Werke anzeigen, bringen oft bogenlange Beſprechungen irgend
eines ascetiſchen Buchs oder einer Sammlung von Faſtenpre⸗
digten; aber auch mitten unter den naturwiſſenſchaftlichen oder
archaͤologiſchen Kritiken fehlt es nicht an dedoten Verbeugungen.
Neulich wurde Paganeſſt's „Saggio di teologia naturale”
(Maitand 1841) beſprochen: es iſt diefes ein Lehrbuch nach der
alten metaphufifchen Methode, welches bie Beweiſe für das Das
fein Gottes vorträgt und bie göttlichen Attribute befchreibt, bas
bei ben phyſikaliſchen Beweis, von Bewunderung der Natur
anhebend, nur kurz bebanbelt, übrigens ein erſter Verſuch, die
fogenannte natürlide Theologie als befondere Wiſſenſchaft auf
italienifhen Boben zu verpflanzen. Der Recenfent begnügt ſich
nun nicht damit, biefe Wiffenfchaft überhaupt hoch zu preifen
und näher dann ſich über das Paganefflihe Buch ausnehmend
zu freuen, fondern er freut ſich noch ganz insbefonbere über den
dentwürbigen Umſtand, daß „dieſes Wert aus dem Schooſe
eines bifhöfliden Seminars hervorgegangen” 3a", zuft
er aus, „bie Seminarien find der wahre Sig jeder theologifchen
Wifſenſchaft.“ Weiche Harmonie zwiſchen Theologie und Phi⸗
loſophie! Zu biefer Unſchuid ber Harmonie haben wir es num
body in Deutſchland mit allen fpeculativen Verſohnungspraktiken
noch nicht bringen können. 48,
Literarifhe Anzeige.
Die Wiederkehr.
Eine Rovelle.
Herausgegeben
von
dem Einſiedler bei St.- Johannes.
Drei Theile,
Gr. 12. Geh. 6 Thlr. 15 Ngr.
Leipzig, bei F. U, Brockhaus.
Die innere und Außere Geſchichte eines reichbegabten Juͤng⸗
lings, der in religiöfen und politiſchen Wahn befaugen ausgeht
aus dem Baterhaufe, die wahre Kirche und den freien Staat
zu fuchen, und heimfehrend, wenn nit was er gefucht, doch
die koͤſtiichfte Perle gefunden bat, bietet eine Galerie von
landſchaftlichen und hiftorifhen Gemaͤlden und Portraits dar,
weiche das bäustiche, kirchliche und bürgerliche Leben in mannich⸗
fachen Geſtalten abfpiegeln. Es find Büber aus dem Leben,
voll hiſtoriſcher unb poetifher Wahrheit, und bie wichtigften
Streitfragen, Sontroverfen und Differenzen unferer 3eit treten
in anmuthigem Wechfel der Erzählung und bes Dialogs anfdyaus
lid) hervor. Altes und Neues wich hier geboten, aus bem Schape
eines erfahrungsvollen Lebens, das ben Kampf der Parteien und
Syſteme mitgefämpft und für ſich durdägefämpft, im Kampfı
aber gelernt bat, gerecht fein gegen Meinungen, wo die Geſin⸗
nung lauter und wahr, das Streben reblich ſich erwelſt. Redliche
Zweiflee werben bier über manche angefochtene Glaubensartikel
befriedigende Aufſchluͤſſe, und was die ſtreitenden Kirchen ent
zweit ins Licht geftellt finden, nicyt aus dem Standpunkte einer
Partei oder Sekte, fondern aus den unverfaͤſchten Zeugniffen bes
biblifchen Chriſtenthums und bem geläuterten Bekenntniß ber
evangelifchen Kirche. Zur heitern Unterhaltung gefellt ſich man⸗
nichfache Belehrung und fo fleht zu hoffen, daß die verfchieden-
artigften Lefer ſich befriedigt fühlen werben.
Verantwortlicher Heraukgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von $. A. Brodhans In Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Montag,
BEE Nr, 100, ö—
10. April 1843.
Die Univerfitäten in den Vereinigten Staaten.
(Beſchluß aus Nr. W.)
Etwas auf den hiefigen Univerfitäten ganz Fehlendes
ift das Duellwefen. Es kann bei der flattfindenden Ein:
richtung gar nicht beflehen und im Allgemeinen ift im
Norden der Union dagegen ein erflärter Widerwille. Im
Süden dagegen ſchießt man fi nach Herzensluſt. Was
der Natur der Verhältniffe nad in hiefigen Verhaͤltniſſen
nicht beſtehen kann, läßt ſich alfo aud nicht mit deut:
ſchen vergleichen. Ubrigens iſt ein gemeljened und gere⸗
geltes Duell auf den deutſchen Univerfitäten gewiß nicht
ganz verwerflich, fo lange man fie nit zu Schulen her
abwiürdigt, deren Zoͤglinge jede Unart im Betragen gegen:
einander durch Sigen vor dem Disciplinargeriht aus⸗
gleichen follen. Man hat gefehen, wie diefe Behandlung
der Sache zu den abfcheulihen Prügeleien unter ben
Studenten geführt hat, und daß diefe reichlich fo gefähr:
fi find als die Duelle, weil fie in der roheſten Weiſe
ftattfinden und den Geiſt der Brutalität nähren, der lei:
der nirgend leichter wurzelt als auf Univerficäten. Das
Zufammenleben mit den Profefjoren iſt fo erſchwert wie
nirgend. Die Ungleichheit, die Abſtaͤnde find im monat:
chiſchen Leben überall fo groß, daß eine Kette der Bildung,
wie fie z. B. bier die OBKgeſellſchaft darftellt, nicht mög:
tih iſt. Die falfchen Maßregeln, durch Clubs und Mu:
feen dies zu befördern, haben nie gute Fruͤchte getragen.
TRiH man das Univerfitätölcben, und zwar mit Recht, auf:
echt erhalten, fo lange es etwas nuͤtzt und leiftet für das
Volk und die Welt, [o laffe man ihm jenes prioklegicte
äußere Selbſtrichten. Es liegt darin mehr als bloße rohe
Spielerei und Autonomie. Wir haben keine Mittel, Män:
ner zu ziehen, aber fehr viele, Weiglinge zu bilden. Die
Miederträchtigkeit und Wohlfeilheit dringt überall in das
Leben der Einzelnen, fobald die Reatitit ihn überwältigt.
Es follte in allen Lebenslagen dieſer Vermittelung nichte
entgegenftehen als ber Misbraud).
Bisweilen ſtellt ſich noch bier der jugendliche Geiſt in
Aufruhr der Diseiplinargewalt gegenüber. Es iſt hoͤchſt
laͤcherlich, dieſe Verweigerungen des Gehorſams mit anzu⸗
ſehen. Gewöhnlich iſt eine große Kleinigkeit Urſache, z. B.
ein Totor (Collaborator) oder. dergleichen uͤbt Parteilichkeit
oder Misgriffe. Der Senat ſchuͤtzt natürlich feine Be⸗
amten fo fehr als möglich, und oft haben dieſe auch mehr
in der Form als in ber Sache unrecht, das gilt aber gleich.
Die Muffe rottirt ſich kernhaft aneinander und zieht wol
aus den Gollegiens&ebäuden aus auf den Common (Anger)
des Gollegiums. Im Sommer hat man fie bier fchon
bivoualiren fehen. Wegen und Kälte find ſtets Feinde ber
Empörungen. Wenn die Rädelsführer weggeſchickt find,
wird die Ordnung hergeftellt, oft erft nach Tagen, auch
wol nah Wochen. Die eigentlihen Studenten (in ben
Law- und Divinity-schools) nehmen daran feinen Antheil,
daber find diefe Ereigniffe oft noch Eindifcher als auf den
deutfhen Lniverfitäten. Die Ausbrücde von Roheit feh⸗
ien auch hier nicht, und dies ift das Traurigſte bei ber
Sahe. Im Ganzen ftellt ſich heraus, daß eine große
Menge von Einwürfen gegen diefe privilegirten Anftalten
gemacht werden. Man misbilligt die whigiſtiſche Rich⸗
tung ded Ganzen und über fur; oder lang dürfte auch
wol diefe Anſicht fich geltend machen. Die Gefeggebung
iſt freilich in Maſſachuſetts whigiftifh, und fo lange dies der
Fall it, ſteht nicht zu erwarten, dab Jemand wagen
werde, diefe Richtung in der hoͤchſten Schule des Landes
anzutaften. Selbſt in bee DBKgefelfchaft fiebt man
Whigismus, und wenigſtens ift der Ariftokratismus des
Talents darin erkennbar. In den Leiltungen des Uni:
verſitaͤtslebens felbft liegt der Keim zu einem hoͤhern wifs
ſenſchaftlichen Umfchwung ; dies ift durchaus in der Nas
tur der Anſtalt. Sie foll praktiſch befähigen; es. iſt zwar
nicht die Tendenz dee Leiter, eine andere Richtung zu ges
ben, aber man erwedt die Intelligenz. Man thut dem
ameritanifchen Leben oft den Zwang an, ed mit europaͤi⸗
ſchem vergleihen zu wollen. Man will Geſchichte —
gefhichtlihe Auferbauung des Volks in befien Leben fu:
hen. Alles das ift Thorheit, von der fich ſelbſt Tocque⸗
ville nicht losreißen kann. Man ift bier fehr überzeugt,
daß man nicht in der Altern noch in der mittlern, fon»
dern lediglih in dem Studium ber zweihunbertjährigen
Geſchichte des Landes etwas Lernenswerthes finde. Gewiß
find biefe felbfigemachten Männer dieſer Gefchichte große
Mufter; aber eben deshalb muß aud das Leben und bie
Verhaͤltniſſe bier erft in jedee Epoche Männer bilden, wie
wir in dee Geſchichte der gegenwärtigen Krifis von Ames
sitz ſehen. Wie hoͤchſt armfelig, wie bodenlos biefe Vaͤ⸗
ter der Nation ſind, das laͤßt ſich kaum mit Worten aus⸗
brüden. John Quincy Adams, der Exptaͤſident, iſt das
ſchlagendſte Beiſpiel. Auch dazu liegt ber Keim in der
Gefchichte, in dee blos praßtifchen Erziehung, in der Ober:
flaͤchlichkeit. Doc iſt Maſſachuſetts unbezweifelt allen
Staaten voraus und wird mit Recht als Mufterflaat be:
trachtet. Man hat bier die beffernde, nicht die verknoͤ⸗
chernde confervative Richtung und haͤlt dem bloß fpeculi-
renden Neuyorker und Pennfylvanier u. ſ. w. gewaltig bie
Wage. Daß die Harvard: Univerfität dazu viel beiträgt
und getragen hat, und zwar durch ihren whigiftifhen Geiſt,
laͤßt ſich nicht bezweifeln. Sie ift der Augapfel bed Wolke,
und mit Stolz betrachtet der Bürger von Maffachufetts
diefe Stiftung feiner patriotifhen Voraͤltern.
Man bat hier eine Öffentliche Bibliothek, die jegt ein
neues, geräumiges Local erhalten bat und vergrößert ter:
den fol. Man eröffnete dazu Subferiptionen und in kur⸗
zer Zeit waren 12,000 Dollars unterzeichnet. Die Unters
zeichnungen geben fort und viele jährliche Beiträge und
Gapitafgefchenke fihern diefem Snftitute fein Streben, fich
zur allgemeinen Nüslichkeit zu erheben. Bei ber Strenge,
mit welcher die Aufficht gefchieht, ift ein betrügliches Ver⸗
walten auch diefes Fonds unmöglih und fo ſteht dem
Gedeihen dieſer Nichtung nichts entgegen. Sehr zweck⸗
mäßig ift es, daß jedem Studenten die Hauptquellen und
Bücher feines Privatſtudiums im Lectionskatalog angeges
ben werden, daß man darauf bei den Prüfungen Rüdficht
nimmt und daß die Bibliothek mit den für diefes Stu:
dium geeigneten Büchern hinreichend verfehen if. Der
Bibliothekar, Here Thaddeus W. Harris, ift ein in ber
Unton bekannter Kenner der Naturgefhichte und bat treff:
liche Schmetterlinge: und Käferfammlungen, die er, wie
die Bibliothek, in der nusgezeichnetften Sauberkeit und
Drdnung erhält. Der Fleiß der Schüler und Studenten
tft im Ganzen genommen gut, dba man in ben wenigen
Fahren viel von ihnen verlangt.
Sollte es mir gelungen fein, ein Bild dieſes Inftituts
zu entwerfen, ohne mich von der Wahrheit entfernt zu
haben, was ich nicht glaube, fo dürfte ein fehr erfreuliches
Gebaͤude vor dem Auge bes Lefers fliehen, einfach, Eräftig,
aufftrebend, und, trog einiger unfchuldigen und politifcyen
Gebrechen, nicht dem Syſtem der Verknoͤcherung unters
mworfen, welchem die englifchen Univerfitäten verfallen find,
die mit ihrer Peitſchen⸗ und Stoddisciplin ſich brüften
und weiter nichts Teiften, was dem Volksleben einen ver:
jüngenden Zufag gäbe, wenn man die fittlichen Folgen
und nicht das Lateinifche und Griechiſche im Auge hat;
denn Cambridge ift, wie es if, das Hypomochlion und
der Mittelpunkt amerikaniſcher Intelligenz. Diefe aber ift
in den Grundideen eine neue und völlig Losgeriffene von
den Wurzeln europälfchen Volks⸗ und Staatslebens. Der
Begriff der Souverainetät des Volks gibt dem Einzelnen
eine durchaus andere Stellung und Richtung. Die Ber:
Antwortlichkeit ded Bürgers dem Bürger und Mitfouve:
rain gegenüber iſt eine völlig andere als die Verantwort⸗
fichkeit dem Fuͤrſten gegenüber. Etwas Ähnliches finden
wir in Europa in den Verhaͤltniſſen des Adels zueinan⸗
"der, bee fi) Vieles durchgehen läßt, was er den niebern
Elaffen des Works nicht gut thut; ebenſo iſt in det Stel⸗
lung der Fürften zueinander eine Anerkennung der Sous
verainetät felbft im Unrechtthun nody politifch = moralifdy,
und man darf fi alfo nicht wundern, baß bei ähnlicher
Freiheit bier ſich ähnliche Principien entwideln, die indel⸗
fen alle auf die große Entwickelung des Principe der Frei:
beit der Perfon hinauslaufen. Der Ehrgeiz hat in einem
ſolchen Leben ein ungeheure Feld; er iſt ſelbſt die Haupt:
triebfeder ber Erziehung und der Unterrichtsanftalten. Die
Gewalt der Rivalitaͤt ift hier völlig entwidell. In dem
wenigen Jahren des Univerfitäts: oder Gollegienlebens, wo⸗
bin man mit ſehr dürftiger Vorbereitung kommt, wird
man duch bie Unterrichtsclaffen jährlich hindurchgeriffen
und foll Schritt halten, um in der legten die Ehre eines
Magister artium oder Baccalaureus zu erwerben. Wer
einen wiſſenſchaftlichen Beruf ergreifen will, ohne biefe
Ehre zu erlangen, fühle ſich gebrüdt. Daher die Außer:
flen Anftrengungen oft bei geringen Anlagen; daher fehr
haufig Fälle von Überreisung und Geiſteskrankheit. In
dem Maſſachuſetts - Collegium, deſſen ganze corporative
Einrichtung auf Ariſtokratismus und Confervatismus, auf
einer gewiffen Ausfchließlichkeit beruht, geht dieſer Zuſtand
allen andern vor, beherefcht das Ganze und hält die pars
tetfofe, freie Entwidelung bedeutend nieder. Diefe Wahr:
nehmung kann dem Fremden um fo weniger entgehen,
wenn er fieht, daß alle rein humane Beftrebungen, wie Ab:
fhaffung der Sklaverei, Aufklaͤrung in philofophifchen und
politifchen Principien, in Xheologie u. f. w. bier mit einem
gewiffen, oft geheimen Berfolgungsgeifte zufammenfloßen.
Man darf jedoch nicht unbeachtet laſſen, daß fi in
Zöglingen der Anſtalt felbft eine gewiſſe eroterifhe Rich⸗
tung in der Literatur gebildet hat. Man iſt durchaus nicht
mit den Leiftungen englifcher und amerikaniſcher Philoſo⸗
pbie und Theologie begnügt; man fühlt, daB man fid
über gewiſſe Armfeligkeiten erheben, daß bie Philofophie
dazu dienen müffe, die Theologie in den Stand zu fegen,
fi) Über die bigoten und engherzigen, oft fehr gewillkuͤr⸗
ten Dogmen ber Kirchengemeinden zu erheben und daß fie die
Beftimmung habe, die Verdummung der Menſchen zu ver:
hindern. Diefe Richtung ift eine junge und wird als
revolutionnaire bezeichnet; man nennt fie demokratiſch, ja
irreligioͤs. Dennoch findet fie mehr und mehr Cingang.
Befonders blickt diefe Schule auf die deutfche Literatur
und überträgt die ‚Standard works” in allen Faͤchern
der Wiffenfchaft, fofern fie hier Intereffe haben. Bis
jegt find zwoͤlf Bände folcher ÄÜberfegungen in dieſer
Sammlung gegeben, und unter diefen befonders Werke
de Wette's. Irren wir nicht, fo hat der befannte Dr.
Karl Kollen zu bdiefer Richtung viel beigetragen, und wenn
Viele ihm dies als ein Verbrechen anrechnen und deshalb
deutfche Neuerer aͤngſtlich von allem Einfluß auf das erfle
wiſſenſchaftliche Inſtitnt des Landes auszufchließen freben,
fo freuen fih ebenſo Viele der begonnenen Enffeſſelung
des Geiſtes. Noch ift es ſchwer zu fagen, welche Rich⸗
tung fiegen merde. So lange man bier das Studium
der Univerfalgefchichte geringfhägen Hört im Öffentlichen
Reden und Erhibitionen — im Vergleich mit dem Stu:
dium der vaterländifchen Gefchichte und Ihrer „selfmade”
Charaktere, fo groß fie auch fein mögen, fo lange wirb ber
Nationalſtolz die Nationaldummheit ebenfo aufrecht erhalten
wie in England, Frankreich und Holland. Die Abneigung
der gebildeten Deutfchen vor dem ameritanifhen Kicchen:
weſen fcheint auf der andern Selte eine Verkegerung deut:
ſcher Philofophie herbeizuführen, ohne daB man fie Eennt.
Es ift wahr, daß die beutfche Theologie viel von der beut-
fhen Phitofophie zu leiden gehabt bat, aber gewiß nicht
ohne Grund. ie wird zur rechten Zeit fhon zurüdzah:
len, was fie zuviel erhielt.
Man fieht bier forgfättig darauf, bie Profefforenftellen
an Männer zu vergeben, die wirklich in der Wiſſenſchaft
etwas feiften. Da die Stellen nicht glänzende Beſoldun⸗
gen abwerfen, ‘fo kommen meiftene Männer von Bente
und ohne Vermögen hinein. Indbeſſen iſt damit eine
geriffe Abhängigkeit der Profefforen von den politifchen
Meinungen ber Leiter des Ganzen verfnüpft, welche eine
ſchon berührte Einfeitigkeit der humanen Entwidelung bes,
dingt. Dies ſcheint man von den englifchen Mujteran:
ftatten geerbt zu haben, die wahrhaftig Alles fein können,
aber gewiß kein Muſter für eine amerikanische Univerfität.
Schwebte das whigiftifhhe Cambridge in England als Mufter
vor, fo hätte dies vielleicht einen Sinn; allein man hat
das torpftifche Oxford als Vorbild der rechten Maximen
im Sinne, und dies fcheint Vielen ein Misgriff.
Bel dem Allen vermißt man hier jene fteife englifche
Erziehung durchaus, und dies ift, role ich glaube, das
Befle, was man zum Unterfchied beider Länder und ihrer
Anftalten fagen kann. Der Amerikaner beftrebt ſich in
allen Verhältniffen, ſich ebenſo leicht und von Formen un:
gehindert zu bewegen, als der Brite und Deutfche ohne
diefe Sorm kaum beftehen kann — glei einem Mädchen
ohne Schnuͤrbruſt. R. Weſſelhoͤft.
Erinnerung an Bluͤcher.
Der Marſchall Vorwaͤrts hat ſich als das Ideal einer ge⸗
ſunden und kraͤftigen Soldatennatur ſo ſehr in das Bewußtſein
der Deutſchen eingelebt, daß er auch jetzt, dreißig Jahre nach
ſeinem heldenmuͤthigen Ringen und Kaͤmpfen, fortwaͤhrend ein
Mann des Volks geblieben if. Ein ruͤhmliches Andenken deſ⸗
ſelben ſchrieb bereits Varnhagen von Enſe von — Jabren in
ſeiner meiſterhaften Biographie des Fuͤrſten Bluͤcher; Foͤrſter,
Wallenrodt, Friedrich und Andere ſtrebten gleichfalls darnach, bes
Feldherrn Gedaͤchtniß friſch zu erhalten; in einer Reihe von
Sharafterzügen und Anekdoten, als deren Herausgeber ber Oberft
von W. genannt wird, ift das Bild des alten Helden mit größs
ter Lebendigkeit gefchildert und wer nur fonft über die Geſchichte
der Jahre 1812 — 15 geſchrieben hat, wie Ruͤhle von Liliens
Kern, Srolmann, Hofmann, Muͤffling, Arndt, fand immer
Gelegenheit, dieſe oder jene Seite aus Bluͤcher's rüfligem Krieger:
leben herauszuheben. An biefe fchließt fich ein ehemaliger tapfe⸗
zer Dffigier der preußiſchen Gavalerie, Kurb Wolfgang von Schoͤ⸗
ning, dem wir bereits mehre ſchaͤgbare mitltairifche Biographien
verdanken, in ruͤhmlicher Weife an, inbem er ben hundertjaͤhri⸗
gen Geburtstag Bluͤcher's am 36. Dec. 1842 nicht ohne ein ber
beutungsvolles Erinnerungszeichen wollte vorübergehen laffen. *)
°*, Geſchichte des koͤnigl. vreuß. fünften Oufarenregimentö, mit
befonderer Ruͤckſicht auf Gebh. Lebr. von Bläher, ben ehemaligen
Thef dieſes Regimentd. Won Kurd Wolfgang von Schöning.
Berlin, Luͤderig. 1943. Gr. 8. 2 Thlr. 15 Ner.
Sr Hat dazu bie Geſchichte des preußifchen fünften Huſaren⸗
regiments, bem Bluͤcher 46 Jahre als Offizier * ſpaͤter
als Chef angehörte, gewählt und in dieſelbe viele neue, ins
terejfante Züge aus dem Leben des Generals verwebt, fobaß
uns deren Mittheilung hier nicht unftatthaft erfcheint. übers
dies dürfte das Buch nur in die Hände Weniger gelommen fein,
bie nicht gerade Militairs vom Fache find.
Bluͤcher war bekanntlich aus ſchwediſchen Dienften im 2.
1760 in preußifche getreten und zwar in das berühmte Belling’s
ſche Bufarmregiment, dem König Friedrich Wilhelm IV, am
12. Dec. 1842 den alten Ramen der Blücher’fchen Huſaren und
bie rothe Uniform wieber verlieben bat. Im Jahre 1771 ftand
er bei bemfelben, nachdem er zehn Jahre lang Premierlieutenant
geweſen war, als Stabsrittmeiiter und harrte ungebuldig auf
Avancement. Da geſchah es, daß ihm, fei es nun in Kolge
eines Misbrauchs der ihn anvertrauten Gewalt gegen einen pols
niſchen Priefter (worüber bei Varnhagen von Enfe das Wei—⸗
tere zu leſen ift), oder aus Haß des Generals von Loffow ber
Premierlieutenant von Jaͤgersfeld vorgezogen wurde (am 10,
Dct. 1712) und diefer die Schwabron erhielt, auf bie Blücher .
gerechnet hatte. Gleich fchrieh er im hoͤchſten Unmuthe an
Friedrich 1.: „Der von Sägersfeld, ber Eein anderes Verdienft
hat, al& der Sohn tes Markgrafen von Schwebt zu fein, iſt
mir vorgezogen: ich bitte Ew. Majeftät um meinen Abfchieb.‘
Hierauf erfolgte erſt Arreſt, dann, auf Bluͤcher's wieberholtes
Rachſuchen, der kurze Befcheid „der Nittmeifter Bücher kann
fih zum Teufel jcheeren ”. Ohne Weiteres geſchah dies und
zwar mit ſolcher Schnelligkeit, daß die geheime Kriegskanzlei
eigentlich gar nicht wußte, wo Blücher geblieben fei. Er kaufte
nun, durch bas Bermögen feiner Frau unterflüßt, das Gut
Großrabborw in Pommern und warb 1784 Deputirter der Lands
ſchaftsdirection, wobei er, wie Hr. v. Schöning nach dem Zeugs
niffe glaubwürbiger Perfonen berichtet, einen hellen Blick und
fehe leichte Orientirung zeigte.
Aber König Friedrich grollte noch lange dem hitzigen Nitts
meifter. Diefer konnte feinerfeits die Ruhe bes Friedens nicht
vertragen, und als der Bairifche Erbfolgekrieg auszubrechen
bropte, wagte er ſich wieder an den König. Es werden bier
zehn Schreiben Bluͤcher's an ben König aus ben Jahren 1778
— 85 zuerſt mitgetheilt, in denen der feurige Mann demuͤ⸗
thig und inftändig bittet, fein Landesherr wolle Gnade für Recht
grgehen laſſen und ihn ald Major in der Cavalerie „placiren
ober ihm wenigftens ben Abſchied als Major bewilligen und er:
lauben die Montirung zu tragen, „damit er doch wenigftens
ein Gnadenzeichen für feine beiwiefene Bravour und bie empfans
genen Bieffuren aufsuseifen babe’, und „baß er fich, wenns
gleich jegt noch auf entferntere Art, zu dem Haufen rechnen
dürfe, der zur Beſchuͤtzung des Waterlandes gebraucht wird,
worin er feinen ganzen Stolz fege”. Sogar in hbollänbifche
Dienfte will er gehen, um nach dort erlangtem höhern Grabe
bei einem ausbrechenden Kriege feine Kräfte wieder dem preußis
ſchen Vaterlande widmen zu Lönnen. Aber Alles vergebens. Die
Eöniglichen Refolutionen lauteten entweder: „warum ift er nicht
im Dienft geblichen, das ift feine Schuld‘ oder: „das iſt nichts“,
oder fie blieben ganz aus und Alles, was Bluͤcher erlangen
fonnte, war, baß er bei einem ausbrechenden Kriege follte in
ber Armee „placirt“ werben.
Darüber flarb Friedrich IT. Bein Nachfolger Friedrich
Wilhelm 11. flellte Bluͤcher unter dem 23. März ald Major
in demfelben Dufarenregimente an und gab ihm bie gewünfchte
Schwadron. Nun ftieg er raſch und führte ais Oberft bed Res
giments baffelbe 1793 ins Feld gegen die Franzofen.
Sowol in biefem Jahre als im folgenden entwidelte Bid:
er fein audgezeichnetis Talent als Gavalericanführer auf bie
glaͤnzendſte Weile. Wie befcheiden er hierüber felbft dachte und
in welcher edeln Weife er jedem Verdienſt feiner Mitlämpfer und
Untergebenen bie hoͤchſte Gerechtigkeit widerfahren ließ, zeigt
das bier nicht zum eriten Male gebrudte Tagebuch, zu beffen
Bervollſtaͤndigung Hr. v. Schöning noch hätte Valentini's „Er⸗
400
innerungen eines preußifchen Offigiers aus biefen Belbzügen ©.
87 fg. benugen koͤnnen. Wir Eönnen auf das militairiſche De:
tail bier nicht eingehen, müffen aber der Recognoſcirung bei
Bouvines und dor allen des Kavalerlegefechts bei Kirrweiler
(28. Mai 1794) gedenken. Mit feinen Leuten war Bücher fehr
väterlich, verlangte aber auch viel von ihnen: „Ihr Rothen‘',
rief er ihnen einmal zu, „wenn ihr euch mich recht verbindlich
machen wollt, fo arbeitet heute: wir Können viel thun.” Ges
gen verwunbete Franzoſen zeigte er ſich menſchlich und ſprach
einem Franzoſen, der bie Preußen auffoderte, ihn tobt zu
fchiegen, weil er boch nicht länger leben könnte und wollte, al⸗
les Ernſtes zu, fich verbinden zu laffen, indem es einem Sol⸗
daten nicht anftehe zu verzweifeln. Wo bagegen feine Ehre ins
Spiel fam, war er fireng und nachdruͤcklich. In einen ſolchen
Sonflict Fam er mit dem Oberften von Szeculy, beffen Poften:
reihe fein Regiment im October 1793 übernehmen follte. Als
diefer nämtich anfing ihm eine Dispofition zum Angriff vorzu:
f&reiben, entgegnete Bluͤcher mit der ganzen natürlichen Hef⸗
tigkeit feines Weſens: „Höre, Szeculy! kannſt du, wenn wir
auf einem Fiecke find, jemals vergeffen, daß ich befehle und
* ra, fo ziehe ich die Piftole und ſchieße dich vor den
opf.
Mit großen Ehren Eehrte Bücher aus dieſen Yelbzügen
zurüd und fein Name war fortan einer ber gefeiertften in ber
preußifchen Armee. In den unglüdlichen Zagen bei Auerftäbt
und Sena vermochte Bluͤcher (damals Generallieutenant), bei ber
Mishelligkeit und Wefangenheit dee Oberanführer, nichts We:
Tentliches auszurichten, wo aber perfönliche Tapferkeit ausreichte,
da bewährte er fich ſowol als fein Regiment. Daher wählte
auch der beflegte König, als er in ber Nacht vom 1A. auf den
15. Oct. 1806 in &ömmerba ankam, eine Escorte von 90 Hu:
faren aus dieſem Deakmente. Man fuchte bie beften und ficher:
fien Leute aus, Bluͤcher trat unter fie und redete bei Fackel⸗
fein folgende Worte zu ihnen: „Der König hat dem Regimente
die Gnade angethan und eine Escorte von bemfelben angenom:
men, jest wo Beine Majeftät durch die Umftände beftimmt
werben, die Armee zu verlaffen, um wegen wirkfamer Verthei⸗
digung des Vaterlandes bie geeignetften Maßregeln felbft anzu:
ordnen. Die Wege, die der König pafliren wird, find durch
franzöfifhe Truppen unficher, ihr fühlt daher die ganze Be:
deutung und Wichtigkeit eurer Beflimmung unb ich hoffe,
daß im Fall der Noth ein Jeder von eudy feine Schuibigkeit
tun wird, denn berjenige von euch, der mir aus einem
etwaigen Unglüd lebendig unter bie Augen treten wollte, den
würbe ich mit eigenen Händen in Stüde hauen. Run reitet
mit Gott.’
Neben diefer Probe militairifcher Beredtſamkeit, durch die
Bücher, wie auch anderwärts befamnt ift, im rechten Augen:
blicke ſehr energifch einzugreifen verfland, finden wir auch in
der Chöning’fgen Schrift manche charakteriftifche Briefe und
Parolebefehle, von benen wir folgenden vom 20. Aug. 1809 an
die pommerfche Brigade mittheilen :
„Wenn die Deren DOffiziers fchriftlih zu melben haben,
ober meine Verwendung —288 wollen; ſo bitte ich ſich da⸗
bei der moͤglichſten Kürze zu befleißigen und mid mit franzoſi⸗
fhen Ausprüden zu verfchonen, da es ihnen wohl befannt fein
wird, daß ich Fein guter Franzoſe bin. Ich wuͤnſche, daß ein
Jeder fo an mich fchreibe, als wenn er mit mir Ipricht, alle
Snabe und Unterthänigleit weglaffe, und in dieſem Geſchmacke
werde ich dann auch antworten. — Die ungeheuern Badenbärte
werben bie Deren DOffiziers auch wol abfchneiden, denn ich kann
biefen Putz nur für Kutſcher ſchoͤn finden.“
Der Zweck biefer Blätter verhindert uns, auf andere Details
einzugehen, welche bie auch durch Sammlerfleiß ausgezeichnete
rift vereinigt hat. Wir mwärben fonft noch ber merkwuͤrdi⸗
gen, ungebrudten Beſtimmung Friedrich's II. über das Grerci-
zen der Gavalerie während des Grafens erwähnen und bes
Parolebefehls des Generals Zauentzien vom 20. Mär; 1763,
burch den die Offiziere ermahnt werben, in ben Garnifons
fläbten nie „ohne dienftmäßige Friſur, fteife Halsbinde, Gties
feletten, gelbe Stuͤlphandſchuhe und Stock zu erfcheinen, den
Zopf bis hinten an ben Schoos zu tragen, den Degen hoch
über der Hüfte, bie Weſte nur mit zwei Knöpfen zuzu⸗
knoͤpfen, bamit das Oberhemde und bie Buſenkrauſe gehörig zu
feben iſt“ u. dgl. m. — Vorſchriften, von denen Hr. v. Schoͤ—
ning bedauert, daß ſelbſt ein fiebenjähriger Krieg nicht im
Stande geweien fei, bie alten, kaͤſtigen Einrichtungen längft
vergangener Zeiten auszurotten. Unter all ben militeirifchen Er
zählungen würden wir bie Geſchichte des fünften Dufarenregis
ments im ruffifchen Feldzuge 1812 erwähnen, den zwei Schwa⸗
bronen beffelben mitgemacht hatten, von denen aber nur 51
Mann zurüdkebrten, ferner bes Gefechte in und bei Berſailles
am 1. Juli 1815 und als Muſter einer Elaren, für Laien wie
für Soldaten intereffanten militairifchen Erzählung die Relation
bes Lieutenant vom Lemcke über eine von ihm an biefem Tage
gemachte Seitenpatrouille. Aber e8 mag für jest an biefen Ans
beutungen genug fein. Ä d.
Literarifhe Notizen aus Franfreid.
Der Major Pouffin, ber die Vereinigten Staaten in
allen Richtungen bereift und felbft, wenn wir nicht irren, in ameri⸗
kaniſchen Dienften geftanden hat, laͤßt gegenwärtig ein Werk
über Nordamerika erfcheinen. Es ſchließt fih an feine ſchon
früher herausgegebenen Abhandlungen an, die meiftens die nord⸗
ameritanifchen Eifenbahnen betrafen, erſtreckt fich aber über ein
bei weitem ausgebehnteres Feld. Es führt den Titel: „De la
puissance americaine”’ (2 Bbe., Paris 1843). Der Verf.
‘befpricht darin den Grund ber norbamerifanifcdhen Macht, die
Snftitutionen, auf benen fie beruht, den politifchen Geift, von
benen biefe Inftitutionen befcelt werben, und die militairifchen,
commerciellen und inbuftriellen Werbältniffe. Der Major Poufs
fin ift ein eifriger Bervunderer biefer jungen Macht, die in ih⸗
rem blühenden Zuſtande, wie Gens in feinen Briefen gefteht,
für die Ariftofraten des alten Europa etwas Unheimliches hat.
In einer foeben erfchienenen politiſchen Broſchuͤre: „De l'aristo-
cratie anglaise, de la d&mocratie americaine et de la libera-
lite des institutions francaises”, von Charles Karıy (Paris
1843), follen nun die Schattenfeiten der vielgepriefenen Ber:
faffung Nordamerikas nachgewiefen werden. Der Berf. deckt
zu gleicher Zeit die Schwaͤchen ber englifchen Snftitutionen auf
und fucht darzuthun, daß die franzoͤſiſche Conſtitution vollkom⸗
mener als bie der übrigen Länder fei.
Es iſt bemerkenswerth, daß die beiden Handbücher der
Geographie, bie in Frankreich am meiften verbreitet find, vom
zwei Ausländern berühren. Die Werke von Malte-Brun, dem
Dänen, und von Balbi, bem Italiener, ſtehen in Frankreich
im böchften Anſehen. Es fcheint, als wollten die Franzoſen
dadurch einrdumen, baß fie, was Genauigkeit und Sorgfalt in
ben einzelnen Angaben, auf die «8 in geographifcdyen Bands
buͤchern hauptſaͤchlich ankommt, mit ben ausländifchen Gelehr⸗
ten nicht rivalifiren können. Wir find weit entfernt, ben fran
zöfifchen Geographen, denen die Wiffenfchaft zum Theil die wide
tigften Entdeckungen verbanft, ihr Verdienſt ftreitig zu machen.
Wir erwähnen nur des Factums, baß noch feiner ber franzoͤß⸗
fgen Gelehrten die beiden Ausländer, beren wir eben gebadht
haben, in ben Schatten zu ftellen vermodt hat. Balbi’s „Ab⸗
riß ber Geographie“ namentlich genießt in Frankreich immer noch
bes größten Anſehens und jedes feiner geographilchen Werke
findet ein ausgebehntes Publicum. Go wird fi) aud fein
neuefte® Wert, das ſich gegenwärtig unter der Preffe befindet,
einer guten Aufnahme zu erfreuen haben, Es wird ben Titel
führen „Elements de geographie generale” und foll eine
dıtvole Auseinanderfegung der Principien ber Geographie
ieten. .
Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brochaus in Leipzig.
BE IE “3 ' nn — ... —2
Blätter
für
literarifbe Unterhaltung.
Dienſtag,
— Nr. 101. —
11. April 1843.
Karl FZörfter.
Gedichte von Kari Foͤrſter. Herausgegeben von Ludwig Tieck.
Zwei Theile. Mit dem Bildniffe des Dichters. Leipzig, Brock⸗
haus. 1843. Gr. 12. 3 Tolr.
Wo fahrlos jede Herzensluſt,
Kein Weh und kein Verbrechen,
Beil aus ber reinen Menſchenbruſt
Nur reine Stimmen fprechen !
Da ſteht das Herz in guter Wacht
Und braucht nicht eigne Wehre,
Und weiß, daß, was es drin erbacht,
Des Gegens nicht entbehre.
Nur der Zufall führte uns gerade auf diefe Verſe,
um die Anzeige der Gedichte des edeln Mannes und
Dichters mit Worten anzufangen, die ihm felbft angehö-
ven und ihn und feine Didtung am deutlichſten aus:
drücken. Die „reinen Stimmen aus der reinen Mens:
fhenbruft” tönen uns überall entgegen, wo wir biefe
zwei Theile auffchlagen; es iſt der Widerhall eines Ela-
zen Lebens, genährt von den reinften Gedanken, den ebel:
ſten Empfindungen, die Worte find fo klar, rein und
edel, als dad Leben ihres Dichters war, den in dem gros
fen Deutfchland verhältnigmäßig vielleicht nur Wenige
Sannten, den aber Alle lieben mußten, die in feine Nähe
kamen.
Daß gerade Ludwig Tieck ſich bewogen gefuͤhlt hat,
Karl Foͤrſter's Gedichte herauszugeben, iſt ein ehrendes
Zeichen der Bedeutung, welche der Dichter, deſſen poeti⸗
ſche Richtungen ganz andere Wege einſchlugen, dieſem
Dichter gab, deſſen Poeſie ihm anſcheinend ſo fremd ſein
mußte. Tieck ſchwelgte als junger Mann im Zauber:
walde der Romantik, im Alter liebte er mit ſeinem dia⸗
lektiſchen Witz die Wahnbilder, an denen die Menge
ſchwelgt, in ihre Grundſtoffe zu zerſetzen und aus dem
tiefen Schatze feiner Welt: und Menſchenkenntniß Schloͤſ⸗
fer aufzubauen und Landfchaften zu malen, in welchen
die natürlichen Menſchen, bie er findet, nur gelegentlich
untergebracht werden. Zu feinen Schöpfungen bedarf er
anderer, aus feineen Stoffen kuͤnſtlich componirter, denen
ee nur, ein anderer Prometheus, das Leben einhaucht,
das er aus einer Welt entwandte, in die andere Geifter
keiten Zutritt haben. Was konnte ihn nun an diefen
natürlichen Ergüffen einer ſpiegelklaren Menfchenfeele fef:
fein, die ſich nicht für mehr oder weniger gab als fie
war, bie nue fpricht wie fie denkt, und ihre Gedanken
find niche verfchieden von denen fo vieler andern? Es
war gewiß nicht allen perfönliche Sreundfchaft, fondern
Anerkennung des Wahrhaftigen und Edeln in diefen Ges
bihten. Dean täufcht fi, wenn man meint, es ſei eine
leichte Sache, das edel Gefühlte, das klar Gedachte ebenfo
edel und klar auszudruͤcken, daß es zur Seele des Andern
dringt, wie es in unſerer Seele lebte. Das iſt die
Sache des Talents, es iſt Gabe. Wenn alle geiſtvolle
Menfhen auch geiftvoll fchrieben, wäre die Welt anders.
Karl Förfter war ein bedeutender Dichter, obgleich nur
Wenige von ihm wiffen, weil er die Babe, fein helles In⸗
nere ebenfo heil und anſpruchſslos im Verſe nieberzulegen,
vor Ändern voraus hatte.
Was Mlingt leichter, natürlicher, wie wir zu fagen
pflegen, al8 wenn er von dem Voͤglein [pricht, das feders
108 aus dem warmen Ei ſchluͤpfet und fich ruhig auf
weihen Moofe im Neſt bertet und dann bang zwits
fhernd aus feinem Meinen Haufe herausblickt und ſich
doch nicht in die Welt wagt, und wenn er dann vers
gleihend fagt:
Was ift das Gi denn weiter,
Als mein beweglich Herz?
Was ift das Wöglein anders, ®
Als meine Luft, mein Schmerz?
Die Liegen auch verhüllet
Im warmen Herzen drin,
Noch blind und ohne Leben,
Wie's Böglein, im Beginn. |
Iſt das aber fo ſehr natürlich? Es iſt die Luft,
welche uns die Arbeit vergeſſen macht, die hoͤchſte Errun⸗
genfhaft derfeiben, welche uns glauben macht, daß ber
Dichter, ohne gezwungen zu fein, gar nicht anders fpres
hen konnte. Wie oft haben Dichter ihre Dichternoth
beſungen, und kann etwas anſchaulicher, natürlicher und
einfacher lauten, als wie Foͤrſter ſingt:
Die ihr die Welt erfuͤllt mit Klagen,
Daß euch ſo viel zum Leben fehlt,
D laßt es euch vom Dichter ſagen,
Was ihn bedrängt und was ihn quält!
Was ihr von Luft in euch empfinbet,
Und was von Schmerzen in euch weint,
Ihr tragt es freudig bin und kuͤndet
Es Dem, der euch verfteht, dem Freund.
“A,
Der Dichter muß fein ganzes Leben
Gntfalten, einen offnen Brief,
Der frechen Neugier preiszugeben,
Was treu verwahrt im Innern fchlief.
Was drin er unter füßen Schmerzen
Geber, ber Seele beften Theil,
Sr reißt es von dem eignen Herzen,
Gibt's hin und beut’s der Menge feil.
Den inneren Himmel zu entgöttern,
Gießt er, was göttlich in ihm lebt,
In kalte Züge, ſtarre Eettern,
um die kein Hauch des Lebens webt.
und Menfchen, die ihn nicht verftehen,
Sehn bloͤd die ſtummen Zeichen an
und fühlen nicht das leife Wehen
Vernehmen nicht des Geiſtes Nahn u. f. w.
Aber es iſt nicht der einfache Gedanke, es iſt der
glaͤckliche Wurf, der ihn gerade diefe reine vollausgeprägte
Form finden ließ, was das Gedicht macht. Gerade die:
ſes if ein vollkommenes. Wie vielen Dichtern mag ein
hmiiches gelungen feln, aber der Vorzug der Foͤrſter'ſchen
iſt, daß, wo man biättert, aufſchlaͤgt und lieſt, daſſelbe
Amalgama des Empfundenen mit dem Ausgelptechenen
ums begegnet, und uns Fliegen zwei flarke Theile vor.
Biete Dichter Haben tieferklingende, mächtigere Saiten
angeſchlagen, aber dazwiſchen fhlummert nicht allein ber
Humoer, wie das bei allen Dichten und — Menſchen
ber Fall iſt, ſondern ber Dichter ſtrengt ſich auch wol
an, wo die Poefie nicht von ſelbſt kommen mil, ſich
zu zwingen, und das Gemwaltfame, Schiefe, Verkehrte
fommt ans Tageslicht; bavon findet ſich Hier nichts. Es
athmet merkwürdige Harmonie durch alle biefe Lieder.
Dre Dichter fang, weil ed ihn zum Singen drängte, ber
Drang aber ift ein fanfter Erguß der fertigen Töne umd
Bilder; fie mußten heraus und in biefem natürlichen
Proceß fanden fie ſogleich die natürliche Form.
Um biefe durchgehende Harmonle zwifhen Willen und
Form zu verflehen, iſt es nöthig, einen Blick auf das Le:
ben oder die Perſoͤnlichkeit des Dichters ſelbſt zu werfen.
Seine Lebensgefchichte iſt fo einfach wie die eines deut:
(hen Gelehrten im beften Sinne; die Charakteriſtik, welche
uns Xie ins Vorworte von ihm gibt, kann nicht gelun:
gener in wenigen Worten ausgedruͤckt werden:
Karı Körfter gehörte In feiner dußern Gefcheinung und
feinem Weſen zu den durchaus liebenswuͤrdigen Menſchen.
Sanft, gefällig, den Mitfprechenden auf dad halbe Wort
verſtehend, und ſelbſt ihm fremde Meinungen von ber beften
Seite auffaffend, war er ein burchaus freundlicher und ans
muthiger Geſellſchafter, wenn er auch feibft nur felten viel
und im Fluſſe ſprach. Gr war ber milbefle der Menfchen
und es geſchah ihm nur felten, daß er über Gemeinheiten
und Ungezogenheiten in ber Eiteratur im Zorn aufbraufte. Ja,
feine Freunde konnten mit Recht von ihm behaupten, daß er zu
friedlich war, daß ex zu fehr mit feiner Meinung an fi hielt,
um Niemand zu verlegen, daß er zu fehnell fein Recht aufgab,
oder wenigftens ſich des Gtreites enthielt. Daher Fam es, daß
er durch feine zu große Befcheidenheit die Stelle in ber Geſell⸗
ſchaft nicht einnahm, die ihm mit vollem Recht gebührte. Go
febr ihm Ungruͤndlichkeit und Gharlatanerie verhaßt war, fo
feft er auf feiner überzeugung beftand und bebarrte, fo’ gehörte
ex body zu den feltenen Männern, bie niemals Feinde, ja nur
Gegner gehabt Haben. Eben diefe feine zu weit getziebene Zus
gend bat ihn audy gehindert, an irgend einer Univerfität einem
Wirkungskreis zu ſuchen, ber ausgebehnter war und feinem
Kenntniffen und feiner Bildung mehr geziente.
Tieck fchließt damit, daß er als Profeffor an einer
Hochſchule von großem Nugen für die Jugend geweſen
wäre und bier erſt feine Lterarifche Gelchrfamkeit Die
Fruͤchte tragen Sinnen, die in der Beſchraͤnkung, in wel⸗
cher er lebte — er war Profeffor an der Cabettenfchufe
in Dresden — nicht fo gereift find, als feine Talente es
möglich machten.
(Der Beſchluß folgt.)
Notizen über die ſchwediſche Literatur des
Jahres 1842. *)
Das Zournalwefen Schwedens iſt im Betreff der Zahl
der Zeitungen und Zeitf'hriften, wie des Werths und Siharak
ter& berfeiben ziemlich bem bes vorhergehenden Jahres gleich ge:
blieben. So erfchlenen im ganzen Reiche 116 periodifche Schrifs
ten; davon waren 6 der Theologie, bem Miſſionsweſen und ans
bern kirchlichen Angelegenheiten, 1 der Rechtsiehre, 1 der Arznei
kunde, 1 der Pädagogik, 4 der Landwirthſchaft und der Thier
arzneitunde, 1 den Gewerben überhaupt, 1 der Phyfiographie,
1 der Botanit, 1 dem Gartenbau, 1 der Kriegswiſſenſchaft,
1 dem Seewefen, 1 dem Bergbau, 1 der Politik als Willen:
fhaft, 1 der Kunft und ben Moden, 2 der Wiffenfchaft übers
haupt, 1 der Verbreitung volksthuͤmlicher Bildung gewidmet.
Die übrigen waren alle Zeitungen, fi) mit Politik und Tages⸗
fragen, fowie mit Verbreitung von Neuigkeiten ober localen
Nachrichten befcyäftigend. Überhaupt fteht unfere nichtwiſſen⸗
fhaftlihe Zournatiftit auf einem niedrigen Standpunkte, befons
ders was bie Provinzialblätter betrifft, welche, mit fehr wenis
gen Ausnahmen, nur Echo ber ſtockholmer Zeitungen find, wie
wol man in ben letzten Jahren viel über die Emancipation ber
| Propingialpreffe geiprochen hat. Ale mehr ober weniger ſelbſt⸗
ſtaͤndig und tonangebend bezeichnen wir bie folgenden: „Svenſta
Minerda‘’, „Svenfla Biel", „Stockholms Dagbiad“, ‚Apfala
Zioning”, „Sorrefpondenten” in Upſala, „Wermiands Tibning”
(mit dem Ende des Jahtes eingegangen), „Samlaren i Streng⸗
ns” and „Norrlande Zibningar’‘, welche ſaͤmmtlich bie confers
vative Richtung, freilich in ſehr verfchiedenen Fractionen repr
fentiren; auf ber andern Geite wieder begegnen wir „‚Aftons
bladet”, „Dagligt Allehanba”, „‚Ereja”, „Goͤtheborgs Bandeis
och Giöfartstibning”, „Phönir” ebenfalls in Gothendurg, bie
„Najade” in Karlskrona, „Öftgbtha Gorrefpondenten‘ in Link
ping, „Staͤnſta Gorrefpondenten‘‘ in und, als mehr ober we
niger ber Dppofition oder doch wenigftens ber Bewegungeporiei
gehörig.
Auf dem Felde der Theologie ſprechen wie zuvdrderſt
von ber im vorlegten Jahre entflanbenen Bewegung auf Berans
laffung einer Überfegung des Strauß'ſchen „Lebens Jefu”, weil
fie aud in biefem Jahre fortgedauert und verfihiebene Gegen
ſchriften, theils Originale, theils Überfegungen, z. B. von
ben Schriften Ullmann's, Tholuck's, Müller’! in Halle u. X,
hervorgerufen Hat. Bon ben Driginalen heben wir zuerſt bie
Schrift der freilich in einem ganz andern Fache ten
Freberite Bremer: „WMorgonpäfter (Morgenwadgen), ats eine
ſehr intereffante, eigenthuͤmliche Erſcheinung hervor ten es
aber für uͤberfluͤſſig, über das Büchlein zu (Preihen, —* durch
zweit Überſezungen bereits den Deutſchen bekannt und beifällig
aufgenommen worden ift. Auch Prof. Knoͤs in Upfala Bat bie
Strauß’fchen Iermeinangen in öffentlichen Wortefumgen äber bie
Glaubwuͤrdigkeit der Evangelien dargethan und biefelben drucken
) Vgl. die Notizen über bie Literatur des Jahres 1811 im
Mr. IM und 166 d. BL. f. 184%. D. Red.
— —— — — nn
403
. Endlich kann man das vom Docenten Melin in Lund
verfaßte „Jeſu Lefnab” (Leben Jeſu), wovon ber erfle Theil
erfhien, als eine inbirecte Widerlegung jener mythiſchen An⸗
fit arfehen. Andererfeits hat der Prediger N. Ignell, ein
guter Kopf, aber wenig gelehrt, ber orthodoren Partei Anſtoß
geneben theils durch feine Überfegung ber Schleiermacher’fchen
„Slaubensichre”, theild durch eine eigene Schrift: „Grunddragen
of den dyrifitiga Beboläran” (Grundzüge der chriſtlichen Sit⸗
teniehre), worin er fich hauptſaͤchlich an Schleiermacher ans
ſchtießt, aber über manche Punkte ſich weit offener und freier
als fein großer Vorgänger ausipricht. Daher fand ſich ber ehr:
wirdige Patriacch des ſchwediſchen Zion ſowie des ſchwediſchen
Helikon, Bifchof Franzen, bewogen, einige Tragen tin bichteris
ſcher Form („Brägor till Börfattaren af Grunbbragen” u. |. w.)
an ihn zu richten, worin er bie alten Wahrheiten der Kirche
mit den Waffen bes Gefühls, der Überzeugung und des Gemüthe
vertheibigt. Übrigens wird die Theologie in zwei Zeitichriften
vertreten: „Eccleſiaſtik Zipftrift” von den Profefforen in Upfala,
und „Theologisk Quartalftrift”, weldye nicht mehr von Tho⸗
mander und Reuterdahl, fondern von ben jungen Theologen
Melin und Bring in Eund herausgegeben wird. Der verdiente
Veteran, Propft Aſtroͤm, tiefere ein „Handbok i theolo⸗
giske Literaturen”, worin bie Altern Hülfsmittel ziemlich volls
fländig verzeichnet find, deflo mangelhafter aber die neuern Er⸗
fcheinungen der Literatur. Noch müffen wir eine Sache erwaͤh⸗
nen, bie forben dffentiih verhandelt wirb und auch die Auf:
merPfamfeit des größern Publicums in Anſpruch nimmt, ba alle
meologifche Säge und Meinungen, die ber Autorität der Staats⸗
tirche entgegentreten, von der freien Preffe lebhaft vertheidigt
werben. & mehren feiner Schriften hatte ber bekannte Dichter
und Romanfchreiber Almguift einige ſehr anftößige Meinungen
geäußert; fo hatte er 3. B. ben Heiligen Paulus gefchmäht und
ats den erften Werfälfcher des Chriſtenthums bargeftellt und die
feeie Ehe vertheibigt. Dabei redigirte er im vorigen Sommer,
währenb der Abweſenheit des Redacteurs, das „Aftonblabet” und
hatte dann eine Außerft ſtandaloͤſe und öffentlich viel befprochene
Affaire mit einem andern Zeitungsrebacteur; endlich befindet er
ſich ſelbſt feit ein paar Jahren ohne prieflerliche ober irgend
eine amttiche Anftelung, was unferer Kirchenorbnung entgegen
M. Das Sonfiftorium zu Upfala fand fich deswegen veranlaßt,
ihn zu Anfange bes Octobers vorzulaben und ihm zur Beants
wortung zwölf Kragen vorzulegen, ob er nämlich deren Wahrs
heit anerfenne oder nicht. Nah einem Monat gab Almauift
eine ſehr ſchlau abgefaßte ſchriftliche Antwort ein, worin er bes
ugt, daß er die Wahrheit, berfelben in ihrer Allgemeinheit vom
Denen unb mit tieffter Überkeugung anerfenne, machte aber
dabei fo viel fophiftifche Diftinctionen und caſuiſtiſche Ausflüchte,
dab man auch feine Antworten als negirend anfehen Tann.
Diefe Schrift warb neulich in ben Zeitungen mitgetheilt und
das Für und Wider beſprochen; man ift neugierig, wie das
Eonfitorium fich weiter benehmen wirb*); Warnungen und
Berweife kann es allerdings ihm zutheilen und fodann ihn ir⸗
genbmoßin miffioiren, aber ihm wegen feiner im Drucke ges
ferten Meinungen ſchwerlich beilommen, weil er als Schrifts
fiellee unter ber allgemeinen Preßverorbnung fteht und die Jury
In, wie gemöhntidh, gewiß freifprechen würbe.
Eine Bruͤcke von der Theologie zur Phil oſophie bilbet
die Schrift des Sector Petreli: „Tankar om Mennifto : fjälens
Zilſtaͤno efter Döden” (Gedanken über den Zuſtand ber menſch⸗
lichen Seeie nach dem Tode, als Beiträge zur Eſchatologie).
Sich auf die Heilige Schrift ſtuͤgend, die er freilich zuweilen ei⸗
was willfürlich deutet, kommt der Verf. zum Refultat, daß bie
Seelen von der Todesſtunde an bis zur allgemeinen Auferflehung
vor dem Juͤngſten Gericht, in einen Mittelzuftand übergehen,
weichen er Reifungsſtadium nennt, das aber nicht als ein ins
°) Eben erfahren wir, daß das Gonfiflorium beſchloſſen bat,
ob einmal brei Fragen an ihn zu fielen — welche, wir
nicht angegeben.
bifferentes, fonbern vielmehr beftimmt als eine beginnende Ges
ligkeit oder Unfeligfeit zu denken if. In unferer vorjährigen
Überficht erwähnten wir, daß Profeffor Hvaffer in feiner übrts
gens gelungenen und nach den ſtrengſten moralifchen Grund:
fügen abgefaßten Schrift „Om Altenslapet” (Über die Che),
bie auch in biefem Jahre neu aufgelegt worden ift, einige,
theils völig unbegründete, theils übertriebene Beſchuldigungen
gegen die fittlichen Anfichten Plato's und Goethe's rüdfichtlich
ber Ehe vorgebradt hatte. Dies hat die Profefforen G. X.
Schröder und Atterbom bewogen, gemeinſchaftlich in einer
Schrift: „Plato och Böthe”, als Wertheidiger jener Heroen
aufzutreten. Die Ausführung ift fo bündig, die Darftellung fo
Ihön, daß das Büchlein, unferer Meinung nad), wol verbiente,
auch in Deutſchland bekannt zu werden. Ausgezeichnet ift es
durch einen humanen Ton und eine wuͤrdige Haltung. Gin
Gegenftüd dazu ift eine vom Docenten der Philofophie Fr. Afı
zelius in Upfala herausgegebene Überfegung einer Einleitung in
das philofophifhe Studium, mit einer geharnifchten Vorrede
gegen Schelling und deſſen öffentliches Auftreten in Preußens
Dauptftadt, die aber faft nur eine Sammlung von Kiätfchereien
ift, die der Verf. einem Befuche in Berlin verdankt. Gr klagt,
bag Degel in Schweden fo wenig ftubirt werbe, was nicht
wahr ift, und daher bort fo wenig Eingang gefunden hat, was
allerdings begründet iſt. Erſteres anlangend, fo ift zu bemers
fen, daß Profeffor Bring in Lund foeben in Form von afabes
miſchen Differtationen ein Lexikon zum Verſtaͤndniß ber Oegel'⸗
ſchen Zerminologie herausgibt, mas wol einiges Intereffe für
bies Syſtem bezeugen mag; ferner bat dieſe Philoſophie bei uns
einen foharffinnigen Anhänger an Snellman, eigentlich Docent
an der Univerfität zu Helſingfors, aber feit vielen Zahren in
Schweden privatifivend, gefunden, ber auch im Laufe diefes Jab⸗
res unfere Literatur mit einem gründlichen und wohldurchdach⸗
ten Werke: „Räran om Staten” (Die Lehre vom Gtaate), bes
zeichert hat, in welchem er zwar ſich als Hegelianer zeigt,
aber viele felbftändige und eigenthämtiche Anftchten vorbringe.
Wir erwähnen noch bes Profeffor Hvaſſer's Büchlein „Om
vaͤr Tids Ungbom’ (Über die Jugend unferer Zeit), das, wenn
auch auf etwas unklare Prämiffen geftüst, doch praktiſch viele
bepergigenwerige Warnungen enthält.
n der Rechtswiſſenſchaft, welche noch immer von
bem „Juridiſchen Archiv’ des Affeflor Schmidt in Ghriftianftad
sepräfentirt wird, begegnen uns nur zwei Erſcheinungen, bie
eine „kaͤran om Bevisningen“ (Die Lehre von dem rechtlichen
Beweile), von Prof. Lindblad, die andere „Om Raͤttegaͤngs⸗
fättet i i Sverige“ (Über den Proceß in Schweben), von Dr. Dells
ben in Upfala.
Die bei uns fonft fo arme medicinifche Riteratur
lieferte mehre und zum Theil gehaltvolle Arbeiten. Dahin gr⸗
bört die Fortſetzung der Zeitſchrift „Dygida’, an gruͤndlichen
Auffägen und beachtenswuͤrdigen Beobachtungen reich; der zweite
Theil der „Smaͤrre Strifter‘ (Kleinere Schriften) von dem
oben genannten Prof. Dr. Hpaffer, eine fehr gründliche Abhand⸗
lang über die Kolik enthaltends zwei Schriften von Dr. Andree
in Wisby: „Helſolaͤran utan Mebicamenter” (Geſundheitslehre
ohne Arzneien) und „Om Apotheksvaͤſendet i Sverige’ (Über das
Apotheterwefen in Schweden). Dr. MWiſtrand hat eine „Af⸗
banbdling dfver Statamedicinen“ (Abhandlung über Staatsarz⸗
neikunde) gefährieben, Dr. Alfort ein „Handbok für Brunns⸗
After’ (Handbuch für Brunnenbefuchende, eigentlich wine Ber
chreibung der vornehmften ſchwediſchen Geſundbrunnen) in zwei
Theilen; ein Ungenannter belehrt uns über die Schiffskrank⸗
beiten unter dem Titel „Sheppslaͤkaren“ (Der Scifftarzt);
Director Noring ſetzte fein Wert über bie Krankheiten ber
Hausthiere („Handbok i Husdjurens Skötfel”, dritter Shell) fort.
Endiih hat die auch bei uns eingeführte Waſſerheilart ihre
Bearbeiter gefunden, wir erwähnen bier nur ber Abhandiund
des Prof. Erikſon „Om kallt Vattens bietetifla Anvaͤndande“.
Über bie Leiſtungen in der Landwirthſchaft, Ted:
nologie und Ökonomie haben wir leider ehr wenig zu bes
404
sichten. Das vorige Jahr hat nur brei in biefe Bäcker eins
fehlagende Schriften zu Tage geförbert, nämlidy eine vom Ma⸗
jor Gveifoärt herausgegebene Beitfhrift „Wör Landtmanna och
GSommunat Angelägenheter‘ (Bi kandwirthſchafts⸗ und Com⸗
munal s Angelegenheiten), die ſich einer ziemlich bedeutenden Ber:
breitung erfreut; ferner eine Abhandlung „Om Angfartyg od
deras Handterande⸗ (Über Dampfihiffe und ihre Behanbiung
von ben Rlottenoffizieren Engelharbt und Inbebethou; endli
ein „Handbok i Randthushällning”” (Handbuch ber Landwirths
ſchaft) von Director Lundſtroͤm. Der Verf. ift ein gefchicter
Praktiker aber ein fchlechter Theoretiker, ober richtiger ein ents
fchiedener Gegner alles Theoretifirens in biefem Wache.
Eine weit größere Thaͤtigkeit bewährt fich wie immer in
der NRaturgefhichte. Rortgefegt werben noch immer bie
ſchoͤnen und prachtvollen Werte über bie ſtandinaviſche Yauna
von Prof. Nilfon (wovon ber dritte Theil erfchien); über die
ftandinavifchen Vögel von Körner (bisher 8 Hefte); über bie
flandinavifchen Fiſche, der Text von B. Br. Fries, Ekſtroͤm
und Sundevall, die uͤberaus gelungenen Abbildungen von W. v.
Wright (bis zum ſiebenten Bande fortgeruͤckt). Der berühmte
Prof. El. Fries in Upfala ift durch vieljährige Krankheit vers
hindert worden, größere Werke zu liefern, doch hat er auf
Beranlaflung der lebten Promotion viele alademifche Abhand⸗
Iungen herausgegeben. Auch fegt ber Schwediſche Gartenverein
feine Zeitſchrift fort; eine andere, auch für Gartenbau und
Blumencultur ift vom Propft Gumaͤlius begründet; ferner fest
Dr. Eindbom feine „Botaniſchen Notizen‘ fort; Dr. Lilja gab
ein „Handbuch der Flora und Eultur der angebauten Gewächle”
heraus und Dr. Arrhenius bemühte fi, das Studium diefer
Wiffenihaft durch Herausgabe einer „Zerminologie der Pflan⸗
zenkunde zu begründen. Berner hat Prof. Zetterfiröm in Eund,
mehr Entomolog als Botanifer, „Diptera Scandinaviae dinpo-
sita et descripta‘” geliefert. Gin anderer Gelehrter, Dr.
Angſtroͤm, bat den Moofen durch feine „Dispositio musco-
rum in Scandinavia huc usque cognitorum’” benfelben Dienft
eleiftet.
⸗ Die Akademie der Wiſſenſchaften hat ihre Verhand⸗
lungen fuͤr 1840 erſt jetzt erſcheinen laſſen; im Betreff der von ihr
1821 begonnenen „Jahresberichte“ hat fie ſich im vergangenen
Sabre bemüht, mehre feit längerer Zeit ins Stocken gerathene
Branchen fo gut wie möglich nachzuholen. So berichtet nun
Prof. Sellander auf einmat über bie Kortfhritte der Aftronomie
während des Zeitraums von 1837 bis 18415 Prof. Wilftröm’s
Bericht über die Botanik erfchien auch in biefem Jahre, um:
faßt aber nur das Jahr 18385 doch verfpricht ex, nächften® die
fehlenden Jahre auf einmal zu abfolviren. Noch weiter zurüd
geht Berlin in feinem Bericht über bie Entdeckungen in Phyſik
und Geologie, worin er ben Zeitraum von 1821—40 zus
fammenfoßt. ine Ausnahme macht Freiherr von Berzelius,
deſſen Fleiß ebenfo groß wie feine Gruͤndlichkeit iſtz nims
mer zögernd, gab au er bei der Zuſammenkunft 1842 feinen
gewöhnlichen Bericht über die Kortfchritte in der Chemie und
Mineralogie ab. „
Zur Philologie Äbergebend, nennen wir zuerſt eine Über:
fegung des Propheten Iefaias mit einem Commentar vom Propft
Lindgren. Der Docent Johansſon in Upfala hat feine liber:
fegung der „Odyſſee“ und der Docent Melin in Lund bie des
griechiſchen Wörterbuch von Jacobi und Geiler fortgefest.
Lectoe Hedner in Linkoͤping gibt den Freunden der lateinifchen
Dichtkunſt feine „Metra latina”. Weit wichtiger als jebe
andere philologifhe Bemühung wäre bie Herausgabe eines
fwebifden Wörterbuche , deffen Mangel feit 70 — 80 Jah⸗
sen ſchmerzlich gefühlt wird, indem das Sablſtedt'ſche Längft
Deraltet if. Diefem Beduͤrfniß bemüht ſich jest der Rector
Almquiſt durch fein „Ordbok dfver Svenſka Sprätet” abzuhels
fen, leider aber iſt der Plan ſchon ganz verfehlt. Alles ift ohne
hiſtoriſche Begründung, willkuͤrlich und ohne Gonfequenz zufam:
mengetragen, ein wahres Chaos von Wörtern; daher erreicht
%
auch ber „ bis jegt erfchienene ziemlich ſtarke Dctanbanb
faum bie ee bes Buchſtaben B. s a
Auf dem Felde dee Geſchichte finden wir, wie immer,
eine verhältnigmäßig reiche Ernte. Wir erwähnen zuodrberft
das wichtige Quellenwert „Gpenft Diplomatarium ’‘, beffen
dritter Theil, von Hilbebrand beforgt, 1842 erſchien; fer:
ner haben bie Herren Kröningsfoärb und Liden angefangen,
ein , Diplomatarium dalecarlicum ** herauszugeben. on
„Handlingar rörande Skandinaviens Biftoria’” ( Actenflüde
zur ſkandinaviſchen Geſchichte), von einer Geſellſchaft beforgt,
liegt uns jest ber zwanzigfte und von dem „De la Gardie ſchen
Archiv‘, vom Propft Wiefelgren redigirt, der fechszehnte Theil
vor. Auch erſchien ein Anhang „Chriftian IL. Archiv, aus
ben Handſchriften gefchöpft, die der König von Baiern unferm
Monarchen gefchenkt bat. Dem Propft Afzelius verdankt man
eine neue Gabe in dem vierten Theile feiner „Spenfta Sago⸗
haͤfder ¶ Schwediſche Sagengefchichten), weldyer den Zeitraum
von 1200 — 1363 umfaßt. Der Oberfllieutenant und Landes⸗
hauptmann Montgomeri hat unter dem Zitel „Hiſtoria öfver
Kriget mellan Sverige oh Roland”, in zwei Theilen, eine
Geſchichte des ungluͤcklichen Kriegs 1808 und 1800 zwiſchen
Schweden und Rußland herausgegeben, weldye die Creigniffe
faft einzig aus dem militairifchen Geflhtspunfte darſtellt und
baher durch die Details für gewöhnliche Lefer minder intereffant
ift ; einen, obwol nicht eben bedeutenden Beitrag dazu hat reis
herr Vegeſack aus den Papieren feines Waterd, des Generals,
geliefert. Won Grufenftolpe's ‚‚Portefeuille‘, einer Quellenſamm⸗
lung für bie neuere Geſchichte, liegt uns jegt der dritte Theil vor.
Bär die alte Geſchichte bemüht ſich Oybeck mittels ber. Zeitfchrift
„Runa, Skrift für Fäderneslandets Fornvaͤnner“, worin er alte
Monumente beſchreibt und commentirt, wovon ber zweite Theil ia
biefem Jahre erichien. Bon Sammlungen zu felbftändigen Arbeiten
übergebend, begrüßen wir mit gebührendem Lobe ben zehnten
Theil von Fryrxell's „Berättelfer i Svenſka Hiſtorien“, morin
ber Berf. auf eine ebenfo gründliche als lebendige Weife Sprir
fline und ihr Zeitalter zeichnet. Prof. Geijer hat in biefem
Jahr und mit dem zweiten Theile feiner Eleinern ausgewählten
Schriften („Valda Efrifter”) befchenkt, welder auch fein phi⸗
loſophiſches Glaubensbekenntniß einſchließt.
Wie bei und die Geſchichte, fo bewegt ſich auch die Bio⸗
graphie gänzlich auf vaterlänbifhem Boden. Das „Biogras
phiſche Leriton‘‘, deffen wir in unfern Berichten feit 1832, we
es begründet wurde, immer erwähnt haben, ift bis zum
Ende des achten Bandes, welcher den Buchſtaben Lſchließt.
fortgeruͤckkt. Nicht unerwaͤhnt bleibe bier bie Biographie
des Dr. Kjellander, der, kaum 27 Jahr alt, in Itauen
ſtarb, deſſen jegt herausgegebene Papiere von einem reich
bildeten Geiſte zeugen. Desgleichen ſei hier auch des jett er
ſchienenen zweiten Theiles der „Dagboks Anteckningar⸗ (Tages
buche » Bemerkungen) des verftorbenen Prof. Zörneros, binfichts
lich der trefflichen Biographie des Autors von Atterbom, die
biefem Theile (der erſte erfhien 1840) vorangeht, gebadht.
Der Guriofität wegen nennen wir endlich eine Biographie der
Kifa Mor, ber Mutter zu Kifa. Sie bieß eigentlich Frau
Janzon und war eine Bäuerin, bie in Oſtgothland durch glüde
liche Euren fo großen Ruf erlangte, daß immer eine große Zahf
Kranker ihr zuftrömte, fogar aus Dänemark. Gie ftand mit
vielen Perfonen aus allen Zheilen des Reichs in Briefwechſel
und hinterließ ein Vermoͤgen von 30,000 Thalern. Eine Bun .
derthaͤterin war fie nicht, ſondern ſchrieb fogar lateiniſche Re
cepte, bie aber nur der benachbarte Apotheker verftand; mei
wandte fie jedoch felbft bereitete Mittel an. Einmal mwiberfube
ihr die Ehre, an das Krankenlager des Grafen Brahe, mobel
der König ſelbſt (wie fie wenigftens behauptete) incognito zu⸗
gegen war, nach Stockholm berufen zu werben, und hatte das
Giuͤck, das chronifche Über des Grafen, wenn nick zu beben,
doch zu lindern.
(Der Beſchluß folgt.)
Berantwortlihes Drrauögeber: Deinzih Brodhaud. — Drud und Verlag von F. A. Brodheus in Eeipzig.
Blätter
für Ä
literariihe Unterhaltung.
Mittwoch,
— Nr. 102. — —
12. April 1843.
Cu Lu — ——
Karl Foörſter.
(Beſchluß aus Re. 101.)
Karl Foͤrſter's Gelehrſamkeit war nicht pedantiſch;
dies druͤckt ſich auch in ſeinen Gedichten aus. Ein
Mann, den nur Buͤcher⸗ und Stubenluft umwehte,
konnte nicht die Dinge ſo hell, klar und rein anſchauen,
die Fuͤlle Gemuͤths, die alle ſeine Lieder athmen, haͤtte
eine aͤngſtliche Beimiſchung erhalten. Er verehrte die Natur:
D laß, wenn’s dunkler ift in bir,
Natur nur walten für und für!
Thu auf dein Derz und laß fie ein; .
Bald wird's drin licht und Iebendig fein,
Und was bir draußen gefiel und gefällt,
Wird drin dir zur zweiten, zur eigenften Welt.
Er zieht fi gem auf das Land zurid, der Natur,
Freundſchaft und Poefie zu leben, befonders, um vor
dem ,,‚politifchen Zeuge” zu fliehen; aber es kommt
ihm nad:
Glei in Maflen, ganze Bogen
Drängten ſich ind Haus herein.
Er faßt fie bet Schweif und Füßen — da, wunderbar,
vom Kopfe keine Spur zu fehen war — und läßt fie in
die Flamme des Herdes wandern. Dies iſt ein ſcherz⸗
haftes Gedicht; die Komik war indeß nicht Foͤrſter's
ſtarke Seite. Auch Leidenfchaft und Gut müffen mir
biee nicht fuchens er mar im Aufern und Innern ein
durchgebilbeter Mann, der das Ebenmaß des Lebens wie
der Gefühle gefunden hatte. Wie fein Biograph uns fagt,
Daß er keine Feinde, nicht einmal Gegner Draußen gehabt,
fo hatte er auch im Innern mit keinem foldyen zu kaͤm⸗
yfen. Sie waren wenigftens überwunden, als er, ale
Mann, feine Lieder dichtete. Nur die füge Melancholie,
die Träume, die auch den Ernſteſten beſchleichen, umgau⸗
keln ihn Dann und wann. Doc auch mit ihnen hat er
ſich geſetzt;
Senkt auf melnen Lebensfſtrom euch nicher,
Bis der Tropfen letzter ihm verfchäumt,
Golbne Träume! webt um meine Lieder,
Bann mein Kahn fi in die Wollen baͤumt!
Rimmt die Wahrheit, was ihr gabt, audy wieber,
War es Zraum, doch war es füß geträumt,
- Und, wie die Geſtalten auch verfchwüunmen,
Auch im Traume reden GBötterftimmen !
Karl Foͤrſter iſt durchaus ein lyriſcher Dichter. Gr
darf nicht aus feiner Gemuͤthswelt heraus, die ihm biefe
Lieder eingab, um ganz er felbft zu bleiben. Wo er
didaktiſch aufteitt, warnend, ernſt rügend, iſt es doch ims
mer die Slamme des Gemüthe, die ihn antreibt. Darum
ftehen feine erzählenden Gedichte, feine Balladen und
Romanzen hinter feinen Liedern zuruͤck. Sie find nicht
ſchlecht, verfehlt, er ergeht fich aber bier in einer fremben
Welt. Der gemüthlihe, Mare Mann kann fih nicht in
die fremden Zuſtaͤnde verfenten; er behält fein Hauskleid
an, wo er den Harniſch anlegen müßte, und Sturm und
Nacht, auf denen die Ballade reitet, find ihm, der gern
Alles behaglich zurechtlegt, fremd. Auf weit feſterm Bo:
ben ſteht der Dichter im feinen epfgrammatifchen Gedich⸗
ten. Hier hilfe ihm und begeiftert ihn die Geſinnung.
Er urtheilt nach befter Überzeugung, ec kann auch in
heiligen Zorn gerathen gegen die neuen Tempelſchaͤnder:
Wie fie, die dreiften, und ad) täglidy dreiftern
Gefellen nun bes Tempels heilige Mauern,
Drin die verlaßnen Götter einfam trauern,
Mit ihren Kragen — Bild an Bild — befleiftern !
„Hinab“, fo heißt's, „mit euch, den alten Meiftern !
Das cwig Schöne ſoll nicht ewig dauern;
In Suͤnd' und Qualen, in der Hölle Schauern
Muß fih zu neurer Kunft das Herz begeifteen.
Den alten Wuſt hinab zur Poiterfammer,
Des Glaubens Popanz, der Geſetze Plunder,
Des Eh⸗ und Wehſtands dumpfen Kapenjammer !
Betſchweſtern laßt die alte Zeit beweinen;
Die neue Zeit briht an und neue Wunder,
Giaubt's ficherli, fie werden bald erſcheinen!“
Auch unter dem Epigrammatifchen in antiker Form
bewegt ſich der Dichter mit Gluͤck. Die alte heitere Kunſt,
das bewegte Leben, felbft in der Rube, auf allen feinen
Spruͤngen und Irrwegen zu verfolgen, fagt feiner Natur
zu. Ee zieht gegen die falfchen Stürmer im Gebiete der
Politik zu Felde. Faſt beißender, ale wir es von ihm er:
warten follen, ift das Epigramm „Das Volt 1830:
Brei nun, bem Zwange ber Fuͤrſtenſchul' entwachfen, geberbet
Sich, wie Studenten das Boll, und — der Magniflcus ſchweigt.
Tobe nur aus bein feuriges Blut! Bald gibt es Vertreter —
Hat der Burfd nur ein Amt, findet fich Alles von ſeibſt.
Trefflicher find die Sinngedichte. Hier find mandhe
Perlen, die vor dem Untergange in den ber Zeit angehds
venden Poeſien bewahrt zu werben verdienten. Nur eis
nige erlauben wir uns zu citiren:
Schickſal.
Ernſt durchwandeln das Leben des Schickſals dunkele Boten,
Aber dem reinen Gemuͤth heißen fie Engel bes Lichts.
* bie) nit die Inte, drechts bir b
der Raͤthſel dich nicht, die links un r begegnen;
Eben im —R ja liegt jegliches Lebens Genuß. ars
Sibyllenblaͤtter.
Frage die Blaͤtter nicht mehr, ob unterge choben, ob echte;
Alle gewiß fie find gut, legſt du das Rechte hinein.
Diefeilben.
Blätter nur find wir von Staub; doch im Irdiſchen blühet
das Ew'ge,
Ernſt nur betracht' uns und gleich ſpricht der verborgene Gott.
Zeitwunder.
Zeichen und Wunder! fo rufet der Hauf. Die Klügeren ſprechen:
Zeiget die Wunder, vielleicht wundern der Zeichen wir uns.
Manus manum lavat. .
Wohl, wir haben's geſehn; fie wafchen cinander bie Hände!
Aber, ihr Herren, es fehlt immer das Wichtigſte nk.
Waſchet die Augen euch aus, fonft waͤſchet man freundlich
den Kopf eud.
Aber was huͤlf e8? Es waͤſcht Keiner den Mohren boch rein.
Die Gedichte find die Srüchte vieler Jahre, von de:
nen viele bier zuerſt gedruckt erfcheinen werden. Ein
großer Theil derfelben find Gelegenheitögedichte und ber
Herausgeber räume ſelbſt ein, daß deren vielleicht zu viele
wären. Der zweite Theil befteht faſt allein aus ſolchen,
mit Ausnahme der ſchon bekanntern und gewürdigten,
weiche in einer Meihenfolge dem Andenken Rafael's ge:
widmet find. Die Mehrzahl ber übrigen ift bei be:
fondern Seftgelegenheiten theuern Freunden, Darunter
befannten und geachteten Männern gewibmet, denn Karl
Foͤrſter lebte mit allen edein und ausgezeichneten Män-
nen und rauen Dresdens in freundſchaftlichſter Ber:
bindung. Der andere Theil aber gehört feiner Familie.
Foͤrſter war einer bee Dichter, denen Liebe und Freund⸗
haft immer jung und friſch blieben. Er befinge das
Wiegenfeft der Gattin nach einer vierzehnjährigen Ehe mit
demfelden Ausdrud von Zärtlichkeit wie in ben Honig⸗
monden. Wir möchten die Aufnahme fo vieler dieſer
Gelegenheitsgedichte nicht unbebinge tadeln. Galt es el:
nen edein Mann, der al6 Dichter in Deutfchland noch
wenig bekannt war, bem großen Publicum vorführen,
dann that man allerdings nicht gut, zu viel von ihm zu
geben. Das Beſte hätte genügt. Aber wie die Dinge
ſtehen, iſt kaum zu erwarten, daß fie ein fehr großes
Yublicam fid) erobern werden, dazu gehören heute andere
VBedingniffe als gute Gedichte. Es galt alfo mehr dem,
fo vielen Bekannten theuern, Mann in feiner ganzen
Eigenchümtichkeit bdenfelben vorführen und fein Gedaͤcht⸗
niß erhalten. In diefer Beziehung war auch das gering:
fügigfte Geburtstagslied von Werth und Bedeutung.
Wir aber wollen unfere Anzeige mit zwei Diftichen
fließen, bie als Motto auf dem Xitel, oder unter dem
trefflichen Stahlſtich nach Vogel's Portrait bes Eeligen
paſſend geflanden hätten:
Est Deus in nobis.
Foͤrdre den Menſchen in bir, und wie bu in ſchwellender Knospe
deuchtende Bluͤte dir ziehft, ziehft du im Menſchen ben Gott.
Rechtes wollen.
Rimm dir das Höchfte zum Biel; nur Wenigen wolle gefallen ;
Glaube, mit freudigſtem Gruß fallen bir aan a" ie
——— eris.
Notizen über die ſchwediſche Literatur des
Jahres 1842.
(Beſchlud aus Mr. 101.)
Zu ben Staatswiſſenſchaften und ber Polit ik uns
wenbend, nennen wir zuerft eine englifche, in Stockholm er⸗
fehienene Überfegung der befannten Abhandlung bed Kronprins
zen: „On punishments and prisons, By His Royal High-
ness Oscar Crown Prince of Sweden.” Auf Veranlaſſung
diefer Schrift bemerken wir, daß bie darin gepriefene philabel-
ng Sinrichtung in Schweden viel Anttang fand und man
fon zu dem Bau eines Gefängniffes nach diefem Syſtem ſchrei⸗
ten welltes aber bie von ben Zeitungen mitgetbeilten Anfidhten
in Dickens' Buch über Amerika haben ber gefaßten Meinung
einen gewaltigen Stoß gegeben. Ferner gedenken wir einer in
Paris gedrudten Schrift: „Des differends entre les nations
civilisdes et de leur cause”, vom Grafen Froͤlich, einem ber
Häupter die Oppofition. Der Verf. ift nicht ohne Geiſt, aber
oberflächlich gebildet, daher fein Buch ein Gemiſch von Wah⸗
sem und Falſchem. Früher mit der vateriändifchen Conſtitution
unzufrieden, weil das Wahlſyſtem zu Taftenmäßig und überdies
die Bönigliche Prärogative (feiner Meinung nach) zu groß ei, fanb
er in dem gelobten Lande der Freiheit die Dinge auch anders
ale er erwartet hatte. Uber bie Entwidelung der Raticnak
träfte feit bem Regierungsantritte bes Könige Karl Johann
verbreitet ein Heft „Statiſtiſcher Tabellen’ fo viel Licht als durch
Ziffern bargeftellt werden kann. Das Zchleau iſt giaͤnzend: bie
Gtaatseintünfte haben ſich, bei verminderten Abgaben, ſehr ges
hoben; ber Landbau bat große Fortſchritte gemacht, ebenfo der
Sewerbfleiß in faft allen Richtungen, fowie der Bergbau und
der Dandel. Indeſſen läßt ſich nicht Ieugnen, daß der uns in
feiner eigentlichen GBeftalt bisher faft unbekannte Pauperismus
zunimmt, daß ber Lurus auf eine verberbliche Weiſe geftiegen
ift und daß in bemfelben Grabe, wie die Probuction geſtiegen,
auch die Preife gedrüdt find, fobag es problematifch fcheinen
kann, 0b fi; die Probucenten beffer oder fchlechter befinden; ja,
bie Oppofition behauptet in vollem Ernſt, daß ber allgemeine
Wohlftand cher geſunken als geftiegen fei. Alles erwogen, Läßt
ſich vielleicht behaupten, daß das Vermoͤgen allgemeiner bei uns
verbreitet if, daß bie Bauern und aͤrmern GStaffen im Banyen
gewonnen, baß aber ein Theil bes Adels und die reihere Mit
telctaffe in Folge des Luxus und bei den gefleigerten Bebürfnifs
fen verloren haben. Die Rentenverficherungsanftaiten Preußens
baben auch bei uns lebhafte Aufmerkfamkeit erregt, unb der
Secretair Archenius gibt uns darüber in einer Brofchäre Aut⸗
kunft, nachdem er fidy darüber bei einem Belude in Berlin uns
terrichtet hatte. Eben erfcheint ein Profpectus zu einem foldhen
Verein, wobei man box die Bemerkung gemacht hat, daß,
weit bie Werhältniffe bei uns in vieler Hinſicht anders find, das
preußifche Syſtem nicht für uns unbedingt das paffenbfle wäre,
fonbern die Sache erſt einer nähern Erwägung bebürfte. Der
Vollftändigkeit wegen bemerken wir, daß ber erwähnte Grufen
ftotpe ein fünftes Heft feiner „Ställningar och Foͤrfaͤllanden“
berausgegeben bat, wie gewöhnlich voll Invectiven gegen ben
König und den Grafen Brabe. Die Waffen find aber jett
flumpf geworden, und bies neue Heft bat, fo viel wir wiſſen,
nit die geringfte Xufmerkfamteit erregt. Anders aber war eb,
als er mit dem flolgen Titel eines Gtaatögefangenen ſich brüften
und als einen Märtyrer der Freiheit ſich darſtellen konnte.
Geographie. Bier unferer Landsleute haben im 3. 1842
die ſchwediſche Literatur mit Reifebefchreibungen bereicgert: er⸗
ſtens der Blottencapitain Gofleimann, durch feine „Reſor i Soͤdra
Amerika” (Reifen in Suͤdamerika); die mehr wiſſenſchaftliche
Ausbeute ſeiner im Auftrage der Regierung unternommenen
Reiſe hat er fruͤher dem gelehrten Publicum in einem beſondern
Werke geliefert. Die zweite Reife hat ben Titel: „Nefa i
Tyskland. Skildringar och Dmdömen, 1840 — 41” (Reifen in
Deutfchland. Gchüderungen und Urtheile) unb zum Berf. den
Philoſophen Gnellman, der die von ihm gebegten Grwartungen
407
auch hier nicht taͤuſcht. Ginem dritten Reifenden, Dr. Sil⸗
efteöm,, verdanken wir „Antedningar äfver Rorige“ (Bemer⸗
ungen über Rorwegen). Der Berf. begleitete bie legte fran⸗
zöftfche Nordpolexpedition, die im nörblicen Norwegen über:
winterte, und hatte alfo Gelegenheit und Zeit, allerlei Rach⸗
richten über dies Land zu fammeln. Der vierte Reifende ift
&t. Arwidefon, der unter bem Zitel „Norr och Soͤder“ (Ror⸗
ben und Süden) feine Reifen in den 3. 1835 — 39 von Ava⸗
fora (am Zornet) bis Neapel geſchildert hat. Im 3. 1842
erſchien auch die dritte, fehr vermehrte Auflage ber „Beſchrei⸗
bung von Palaͤſtina“ vom Prof. Palmblad, mit Benugung
vieler neuen Hülfemittel, befonders der Entdedungen und Er:
Örterungen bes Amerikaners Robinfon. ine neue Karte ift
binzugefommen und die alten find revidirt. Der Docent Ried
hat eine brauchbare, nur zu compenbidfe „Geſchichte des Geo:
graphie und der geograpbilchen Entdeckungen““ geliefert. ber
Stockholm und Upfale find neue Zopograpbien erſchienen.
Wir führen endlich den Lefer ins Feld ber ſchoͤnen Eis
teratur;z den Difteln geben wie vorüber und bemerken nur
bie Blumen. Die fchönfte ift vielleicht der „Julqvaͤll“ (Der
Weipnacdhtsabend), eine Idylle von Runeberg, der zwar, als
Finnlaͤnder, politifh uns fremd, aber der Sprache nach unfer
Sandemann uud Geiſtesverwandter if. Die beliebte Euphroſyne
(Frau Byftröm) bietet uns neue Dichtungen („Nya Dikter“),
welche aber nicht ganz bie frühere Friſche haben. ine andere
Dame, bie ſich Fraͤulein R** ſchreidt, liefert ein Epos in fie
ben Geſaͤngen: „Bertha. Mäsning af det 17 Arhunbreb i fin
Sänger.” Aus dem Nachlaſſe des Dichters Nicander hat man
man einige italienifche Dichtungen („Poesie italiane di Carlo
A. Nicander‘) heraußgegeben. Die Mufenföhne in Upfala ha⸗
ben unter dem Titel „Linnaca borealis’ einen neuen Blumen»
firauß gewunden; aber der lundiſche Muſenalmanach „Hertha,
der an dußerer Pracht feine Nebenbuhler überbot, iſt eingegans
gen. Der unermüdete Dahlgren nannte feine legte poetifche
ihnachtegabe „Talltraſt“ (Meindroffel). Wenn ber Eefer
von den @ingfang ber jehigen Apollojünger ermübet ift, fo
fleten zwei Fuͤhrer bereit, ibn in die Sängerhallen ber Bor:
weit zu leiten. Der erſte iſt der Bibliothekar Arwidsſon, er
Bringt ten britten Theil der „Svenſka Fornſaͤnger. Samling
af Kämpavifor, Folkviſor, Lekar, Danfar, Barn s och Ballfänger”
(Lieder aus der fehmebifchen Vorzeit. Sammlung von Kampf
gefängen, Volkelledern, Spielen, Taͤnzen, Kinder» und Walls
tiedbern), eine um fo dantenswerthere Gabe, da diefe Gefänge
mehr und mehr in dem Munde bed Volks verkiingen. Der
zweite Zührer beißt auch Arwidsfon, es ift ber ſchon erwähnte
Heifende von „Nord und Süd”; er aber ladet uns in eine ganz
andere Welt und Zeit ein. Gr hat naͤmlich Oſſian aus dem
@ätifchen neu überfegt und mit einer geſchichtlich⸗kritiſchen
Ginteitung begleitet: „Difians Sänger efter Gaelska Driginalet
och pa deB Bersſtag. Yörfvenstade ſamt med en dhiſtoriſk⸗kritiſk
Inledning.“ Während man nenerlich wieder gruͤndlich zu ers
weifen fuchte, die Offtan’fchen Gefänge feien ein modernes Mach⸗
wert, fucht jest Hr. Arwibsfon ebenfo gründlich und mit Auf
wand von großer Beleſenheit dazuthun, daß dieſelben, Freilich
won Macpherfon etwas verfälfcht und mobernifist, doch im
Ganzen unzweifelhaft echt und fogar einige Jahrhunderte Älter
find, als Macpherfon feldft glaubte, oder daß fie ungefähr bis
auf Shrifti Zeit zuruͤckgehen!
In der noch immer allenthalben bis zum libermaß gepflegs
ten Romanenliteratur begegnen uns wicher bie beiden
Bielfchreiber Aimquift und Grufenfloipe. GErſterer hat ben früher
von uns dharalterifirten Roman „Babriele Mimanſo“ beendigt
und einen neuen „Tre Fruar i Smöäland” (Drei Frauen in
Smaͤland) angefangen, der nicht ſonderlich iſt, wiewol fi
darin einige Spuren von Talent zeigen. Grufenfloipe trat im
Beginn feiner Schriftitellerbahn ale Novellendichter auf, aber
obne Gluͤck; jest, ba er ald Publicift binfichtlih der Dar:
flelung fi) Ruf erworben bat, tifcht ex aus feinem Pulte
zwei — auf: „Mina foͤrſta Fjaͤt pi Foͤrfat⸗
tarbanan” (Meine erſten Fußtapfen auf ber Schri
bahn) und „Biltfadern” (Der Beichtoater). a —
eifern mit ihm zwei andere Publiciſten oder richtiger Feuilleto⸗
niſten, Rofen und Orvar Odd (eigentlich Dr. Sturzenbecher);
Beide ſind nicht ohne Wis, obgleich derſeibe zuweilen etwas ge⸗
ſchraubt iſt. In Roſen's „En fiffig Dans Miſſoͤden (Unfälle
eines pfiffigen Mannes) iſt der Plan gewöhnlich, die Satire
plump und grob, die Situationen finb bisweilen luͤſtern, doch
zeugen einzelne Ecenen von Zatent für das Komiſche. Kıiner,
gewanbfer und bie neuern Branzofen in leichter und glänzend:
ſchluͤpfriger Darftellung nachahmend, tritt Orvar Odd in feiner
Ropellenfammlung „Med en bit Blyerts“ (Mit einem Bischen
Bleiftift) auf. Bon dem meiblicyen Kieeblatt, Frederike Bre:
mer, Freiin Anoreing und Frau Emilie Flygare: Garten,
baben bie beiden Grftern in dieſem Jahre nicht Neues geliefert
(mit Ausnahme ber in der Theologie bereitd erwähnten Schrift
der Demoifelle Bremer ), aber bie Letztere bringt uns ſchon wie⸗
der zwei ziemlich umfangreiche Romane: „Rofen pi Ziftelön”
(Die Rofe auf der Diftelinfel) und „Kamrer Laßman“ (Der
Kämmerer Laßmanı, Leider nur Nothgaben; bie Verf. bat
ſich naͤmlich contractlich verbunden, jaͤhrlich dem Verleger der
„Sabinetebibliothet‘’ zwei Romane zu zwei ober drei Theilen zu
liefern. Schließlich fei noch der Genregemaͤlde eines Ungenann⸗
ten: „Genre » mälningar af Onkel Adam’ gedacht. 49.
Sigismund Forſter. Bon Ida Gräfin Hahn: Hahn.
Berlin, 4. Dunder. 1843. Gr. 12. 1Thlr. 22'% Nor.
Es iſt uns geſtattet, bei der Beſprechung dieſes Werkes
kurz zu fein, ba ein in d. Bl. juͤngſt gelieferter Aufſatz, wel⸗
cher das Talent der Verf. einer ausführlichen Beleuchtung uns
terwarf, uns hierbei ſchon vorgearbeitet hat.*) Die Gräfin Hahn»
Bahn vertäßt ſichtbar mehr und mehr den etwas eigenſinnigen
und darum nothwendigerweiſe auch deſchraͤnkten Standpunkt für
die Lebensanſicht, den fie in ihren erſten Werken feſthielt. Won
der „Bauftina’ zum „Ulrich und don biefem zum,Forſter“ ift
ein Kortfchritt unverfennbar, nicht gerade in den formalen
Kunftbebingungen, aber im Geifte, in der Freiheit der Auffafs
fungen. Ja, es findet in einer Grundbeziehung aller ihrer
Schriften fogar eine Art von umkehr fatt, inſofern naͤmiich,
als in biefem Romane zuerft der Gieg ber Tugend und Ehre
auf Geiten des bürgerlichen Helden, gegenüber bem abligen Wis
derſacher bleibt: eine Auffaflung bes Stofflicdyen, deren bie Graͤ⸗
fin Bahn» Hahn bie hierher, faſt unfähig geachtet wurde. Das
gegen ſteht die Sprache in diefer Erzählung an Beuer, an Gut,
an innerm Born, möchten wir fagen, kurz an Kraft, Bälle und
Energie, ber in den frühern Leiftungen der Verf. nach, und fie
feint baher, was fie an geiftiger Harmonie, freier und wah⸗
ver Lebensbetrachtung und Weisheit geivonnen hat, in mehr
Außerliher Wirkung eingebüßt und verloren zu baben. Die
Einfachheit, Yaptichkelt und Natur, die Raivetät ihrer Erzaͤh⸗
lung — ein Worzug, ber ihr vor ihrer Witbewerberin, ber
Verf. von „Gt. Roche” und „Godwie⸗GCaſtle“, unbebingt zus
kommt — Hafen nichts zu wuͤnſchen übrig, vielmehr iſt
„Sigiſsmund Forſter“ in dieſer Beziehung den beſten Mus
ſtern in unſerer Literatur aͤhnlich. Auf die Erfindung ſcheint
nicht die geringſte Bemuͤhuag verwendet zu ſein — wir
ſagen „ſcheint“, weil gerade hier der Schein kaͤuſchend iſt
und weil bie kunſtloſeſte Erfindung in der That oft die muͤhe⸗
volle if. Der Student Worfter liebt Toſca Beyron — wie
Studenten lieben. Gr wendet fi von ihr ab, weil ex bie
Geliebte für kokett Hält, und fie von ibm, weil er fie in
jenem Bahn verleht. So treten bie jungen Leute auseins
ander nach einer zart und fein geſchilderten erften Begegnung,
den Funken ber Neigung in ber Seele bewahrend. Rach zwölf
Jahren führt der Zufall fie wieder zufammen; Forſter tft Ste
*, Bel. ven Auffag ‚‚Weiblige Schriftellerinnen ” in Nr. 6
u. 7 db. 8. D. Red.
ierungsrath in Berlin, Toſca an einen kraͤnkelnden, bejahrten
Berwandten verheirathet und von beffen Wetter Ignag um:
ſchwaͤrmt. Was ift natürlicher, als daß die Eiche aus ihrem
frühern Grabe erſteht? Forſter aber ift Bräutigam; ein gutes,
einfaches Mädchen in Magdeburg hat fein Wort. Dies ift bie
ganze Werwidelung, gewiß fo aufwandlos ale nur immer mög»
lich, fo voll innerer Wahrheit und fchmudiofer Natur, ale nur,
wir möchten fagen, in einem Idyll gedacht werden kann.
Bier finden fich Feine gewaltfam zur Poefle emporgefchraubten
Geftatten, keine Beuerkinder oder Wafferniren,, weder Mignons,
noch Undinen, keine aus der Linie der Natur tretenden Begeben⸗
heiten, nichts Zransfcendentes mir einem Worte. „Sigismund
orfter‘’ ift ein Idyll der modernen Geſellſchaft und darin liegt
En Reiz und fein Berdienfl. Die Heldin iſt Toſca, eine Ges
ftatt voll Leben und aus dem Leben, fo groß in echter Eiche,
in Duldung, Muger Abwehr und ſchoͤner Refignation, daß fie
fig jeden Lefer zum Freunde gewinnt. Forſter ift biefer Ges
ſtalt gegenüber vernachläffigt, ſchwach, nicht auf fich ſelbſt fus
fend, den Greianiffen unterthan und in fophiftifcher Kälte ver
graben, fähig, ein edles Herz ohne Gewiſſensregung zu brechen.
Er würde unfere Adytnng als Dann verlieren, zeigte er fi
dem verworfenen Better Igna& gegenüber nicht tuͤchtig unb
ehrenwerth. In diefem Ignagt ftellt die Verf. allen ihren
Schweſtern ein Warnungszeichen bin, für welches das ganze
Geflecht ihr dankbar zu fein Urfache hat. Er ift bie perfoni»
fieirte Verworfenheit der Verführungstünfte, ein Menſch, der
die Liebe täufchend zu copiren verftebt, ohne Herz, ſchmachvolle
Plane brütend und eine ſchwaͤrmeriſche Glut zu ihrer Ausfühe
zung beftellend. Daß Zofca einen folchen Charakter zu durch⸗
ſchauen verftebt, ihn, ben fie fchonen muß, ohne Eclat von
fi) abzuwehren und body mit ihm auf gutem Buß zu bfeiben
vermag , das ift der Triumph einer gut berathenen Weiblich⸗
keit. Dagegen aber möchte fie, dem würbigen Gemahl gegens
über, trog aller ihrer zärtlichen Sorgſamkeit, von einiger bes
wußten Taͤuſchung doch nicht frei zu Sprechen fein. Dies war
vielleicht unmöglich zu erreichen und hier ruht bie ſchwache
©eite des Romansz die Verf. will, daß Toſca rein fei, und fie
ift es doch nicht gan In Forfler’d Tode, von Ignatz' Band,
übt fie daher volle und gute poetifche Gerechtigkeit und Jeder
empfängt, was ihm gebübrt.
An gefellfchaftiichen Feinheiten, guten Bonmots und geift
zeichen Ginbliden in das Weltleben kann es in einem Roman
der Graͤfin Hahn: Hahn natürlich nicht feblen, es fehlt auch in
diefem nicht daran; nur ſchwimmt auf diefem fanften See doch
Vieles obenauf, was feine natürliche Klarheit trübt.
Manches Ungehörige, Schiefe, Halbangeſchaute begegnet uns
und Vieles erfcheint gering unb unbebeutend. Hingegen vers
dient Erwähnung, baß beinahe nichts Scharfes, Eigenſinniges,
Borniges und Gehaͤſſiges darin vorkommt, woran in ben frühern
Schriften der Verf. Überfluß if. Für den beften Theil der
Erzaͤhlung halten wir Forſter's Beſuch in ber Bamilie feiner
Braut. Auch biefe Epiſode ift warnungsreidh für das zarte
Geſchlecht. Sie zeigt, wie in entfcheidenden Augenbliden dieſer
Art einen mit fi feibfE ringenden Männergeift nichts feindiicher
und wiberwärtiger berührt als gerade ein Übermaß von Guͤte
und Zärtlichkeit, wie beide gerabe bie gegentheilige Wirkung her:
vorbringen unb, anftatt zu feflein, abftumpfen, entnerven, abs
flogen. Es ift dies eine große Lehre für Frauen und für —
Bräute im Beſondern. Kühnpeit und Gleichguͤltigkeit hätten
Forſter gereist, vielleicht bezwungen, bie Weichheit vertreibt Ra
Eugene Sue's Selbftvertheidigung.
Eugene Sue, ber burch feine „Mysteres de Paris‘ dem
„Journal des debats” von vielen Geiten ben Borwurf ber
Berbreitung von Immoralität, zugleich freilich auch einen bes
*
traͤchtlichen Zuwachs an Abonnenten zugewendet hat, vertheibigt
ſich jegt in der genannten Geſchichte ſelbſt gegen den erwaͤhnten
Vorwurf. Nach einigen allgemeinen Betrachtungen uͤber die Erb⸗
lichkeit des Verbrechens durch viele Generationen hindurch und
uͤber die Verſaͤumniſſe der Geſellſchaft, welche dies verſchulden,
ſagt er am Anfange der fechäten Abtheilung (‚Journal des débata“
vom 16. März): „„Werzeibe der Lefer, daß wir abermals eine Art
Einleitung gemadt. Hier unfer Grund. Während bie Veroͤf⸗
fentlihung dieſer Erzählung fortfchreitet, ift ihr fittlicher (Ende
zweck fo heftig und, wie uns fdheint, fo ungerecht angegriffen
worden, daß man uns verflatten wird, bie ernfte, rechtſchaffene
Abficht zu verwahren, weldhe uns bisher Antrieb und Ausdauer
gegeben hat. Verſchiedene Perfonen von Gharafter, feinem Takt
und Bildung baben uns Aufmunterung und fchmeihelhafte Be⸗
weile ihres Beifalls zu Theil werden laffen. Wir find es viel
leicht biefen Breunden, befannten und unbelannten, ſchutdig, ein
letztes Mai den blinden, hartnädigen Anfchuldigungen entgegens
zutreten, welche, jagt man und, bis in den Schoos ber gefeß:
gebenden Berfammlung Widerhall fanden. Uns ‚abfcheulicye
Sittenloſigkeit‘ vorwerfen, ift nichts Anderes, mie uns duͤnkt.
als eine abſcheulich unfittliche Richtung mittelbar allen Denen
vorwerfen, welche uns mit ihrer lebhaften Theilnahme beehrt
baben. Um biefer Theilnahme alfo, wie um unfer felbft willen,
wollen wir verfuhen, an einem Beifpiele unter mehren zu
gen, daß unfere Arbeit nicht an menſchenfreundlichen unb
nugbaren Gedanken gänzlich bar iſt.“
„In einer ber erften Abtheilungen haben wir das Büb
einer Duftermeierei entworfen, bie dazu gegründet ift, um ars
men, reblidyen und fleißigen Arbeitsleuten Aufmunterung, Unter
weiſung und Belohnung zu gewähren. Wir fügen binzu: Uns
befcholtene Ungluͤckliche verdienen mindeſtens ebenfo viel Theil⸗
nahme al& beftrafte Verbrecher; dennoch gibt es zwar zahlreiche
Geſellſchaften, welche ſich junger GSträflinge oder Enttaſſener
annehmen, allein keine Geſellſchaft, welche den Zweck hätte, für
arme junge Ecute Sorge zu tragen, deren Wanbel tadellos ges
blieben : das heißt denn, man muß erft ein Verbrechen begans
gen haben, um auf die Wohltbat foldher verdienſtiichen und
beilfamen Bülfteiftungen ein Anrecht zu erlangen. Wir ließen
damals einen Bauer unferer Wuftermeicrei fagen: ‚Mild und
menſchlich iſt es, den Böfewicht nie ganz aufzugeben; aber man
follte auch den Unverdorbenen Ausfichten eröffnen. Wollte ſich
ein rüfligee und arbeitfamer junger Burſch von gutem Ruf an
bie für entlaffene Gträflinge beftimmte Meierei wenden, fo
würde ex den Beſcheid erhalten: Haft du ein Bischen geftoblen,
Karl, und vagabundirt? — Das nit. — Ja, bann iſt hier
fein Play für di.‘ Diefer Misftand ift nun Männern, die
fähiger als wir find, zum Bewußtſein gelommen, und ihnen
fei e8 Dank, dab, was uns ein Utopien ſchien, zur Wirklichkeit
geworben tft.”
„Unter dem Vorſtande eines ber aufgezeichneteften unb vers
ehrungsmürdigften Männer, die gegenwärtig leben, bes Berra
Grafen Portalis, und unter ber einfidhtsvollen Leitung eines
wahren Pbilanthropen, eine® Mannes von ebenfo edelm Her
zen, als praktifhem und aufgelärtem Geift, des Herrn Aller,
bat fi eine Geſellſchaft gebilbet, deren Zweck ift, armen, ehr
lien jungen Leuten aus dem Geinebepartement beizufpringen
und ihnen Beſchaͤftigung auf Iandwirthfchaftlichen Anftedelungen
iu geben. Diefe einfahe Erwaͤhnung reiht allein bin, um
er ben ſittlichen Gedanken unferer Arbeit Auffchluß zu geben.
Es madıt uns ſtolz und gluͤcktich, daß wir in einem unb bems
felben Kreife von Gedanken, Wünfchen und Hoffnungen mit
den Grünbern dieſes neuen Anftituts zufammentrafen; benn is
in ber That zählen wir uns zu den Genbhoten, zu den uns
ſcheinbarſten freilich, aber zu denen gewiß, die am Lebhafteften
bon dee Wahrheit durchdrungen find, daB es Pflicht ber Gefells
(daft iſt, dem Boͤſen vorzubeugen, zum Guten aber, fo viel
an ihre iſt, anzufpornen und das Gute zu belohnen.” 48
Berantwortlicher Brrauögeber: Heinrid Brokhaus. — Drud und Berlag von 8. U. Broddaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifbhe Unterhaltung.
Donnerstag,
— Nr. 103. mm
13. April 1843,
Socialismus und Communismus.
Der Socialismus und Communismus bes heutigen Frankreichs.
@in Beitrag „gut Zeitgefchichte von &. Stein. keipzig, D.
Wigand. 2. ©. 8. 2 The. 15 Nor.
Die vorliegende, unter einem fehr befchelbenen Zitel
auftretende Schrift muß als eine der bedeutendften Er⸗
fcheinungen unferer publiciflifhen Literatur und als ein
neuer Sieg ber deutſchen Wiſſenſchaft über die großen
Drobleme des Lebens und der Geſchichte gelten. Zwar
haben bis jest bei uns die focialen Geſtaltungen, welche
die Gefellfhaft Englands und Frankreichs bewegen und
erihüttern, nur ein geringes praktiſches Intereſſe gehabt:
Die deutfche Welt ift noch viel zu fehr mit dee geräufch:
tofen Befreiung vom Staate und der Gefellfhaft des al:
ten Europas befchäftigt, al6 daß die Elemente der moder:
nen, auf Die freie Perföntichkeit gegründeten Geſellſchaft
fhon zu entſchiedener Entwidelung und zum Kampfe ih:
rer Gegenfäge und Widerſpruͤche hätten gelangen koͤnnen.
Allein auch das theoretifhe Intereſſe an den focialen
Bewegungen der übrigen germanifhen Welt blieb uns
fo ziemlich fern; der Kampf in dem Herzen ber Gefell:
Schaft Englands und Frankreichs, der auf den Conflict
gervaltiger Mächte und principieller Reſultate hinweiſt,
bat uns nur als vereinzelte abnorme Erfcheinung gegols
ten und unfere Neugierde und Bebauern, aber feine
gründfihe Aufmerkfamkeit rege gemacht. Diefe Gleich:
gültigkeit gegen Das, was wir mit dem Namen ber
bürgerlichen Geſellſchaft bezeichnen, erſtreckt ſich fogar bei
uns bis in die Wiffenfchaft überhaupt. Wir, denen bie
Aufgabe geftellt zu fein ſcheint, alle Lebensprobleme der
germanifchen Welt roiffenfhaftlih zu Idfen und zu über:
mwinden und damit den fchroffen Widerfprüchen der Wirk:
lichkeit die Bahn zu tiefer und friedlicher Kortbildung zu
ebnen — mir befigen, bei aller Ziefe, mit der wir den
Begriff des Staats und des Rechts erläutert - haben,
weit weniger als die übrigen Nationen ein originelles
wiſſenſchaftliches Spflem von Dem, mas hinter dem
Staate liegt.
Und doch — wie fehr fodert uns die Gefchichte des
19. Zahrhunderts auf, einem Elemente unfere Achtfam:
Seit zu fchenten, das freilich zur Zeit der unumſchraͤnkten
Herrſchergewalt gänzlich darniederlag und wenig in Be:
sracht am, das aber jegt ſich als ber Gentralpunft ges
flaltet, aus dem die großen Ereigniffe der Gefchichte, ber
Fortſchritt der Menfchheit, die Schidfale der Staaten
hervorgehen unb in den fie zuruͤckwirken. Die Gefell:
ſchaft, ihr Erwachen, ihr Intereſſe, ihre Überzeugung,
hat zu Ende des vorigen Jahrhunderts in Frankreich die
Schranken des alteuropaͤiſchen Staats niedergeriſſen; ſie
bat die Resolution ſelbſt, in der Begründung einer freien
Derföntichkeit im Staate, zu einem dauernden, pofitiven
und mweltgefhichtlichen Erelgniffe gemacht; fie bilbete wäh:
rend der Reftauration die mächtige Oppofition gegen die
Politik der alten Bourbons und hat die Julirevolution
durchgeſetzt; fie zeigt fi im Hintergrunde aller Fragen,
aller Parteien, die das politifche Schickſal Frankreich ent:
ſcheiden. Die Sefelifhaft, ihr Intereffe und ihr Einfluß
iſt es, was bie ganze neuere Geſchichte Englands be:
herrſcht. Allein der ſociale Wille bat die Meformbill
ducchgefegt und damit der innern Politik des Staats
eine Bahn und eine Richtung gebrochen, gegen bie ſich
das Parteigetriebe, die politifche Combination, die Ariſto⸗
Eratie mit ihren gefefteten Privilegien vergeblich ſtraͤuben;
jeder Schritt, den bie pofitifche Gewalt nad) außen thut,
kann fogar nur mit der Rüdficht auf das ſociale Inter:
effe gefchehen. Und auch in Deutfchlaud, wo die Trage
um den Staat und die Staatsgewalt noch das Wefent:
liche iſt, wo politifche Sewalten und Doctrinen noch den
überwiegenden Einfluß auf das äffentliche Leben der Na:
tion ausüben, ift es zulegt doch nur die Macht und das
Intereſſe der Geſellſchaft, das fich über die politiſchen
Schwankungen und Kämpfe erhebt, dem Gange ber Ent:
widelung Gefes und Charakter vorfchreibt und die Zu⸗
kunft in ihrem Schooſe trägt.
Bon bdiefem allgemeinen Geſichtspunkte aus bat ſich
die Arbeit 2. Stein’s ein außerordentliches Verdienſt er:
worben. Die Unterfuhung felbft ift zwar auf einen be:
flimmten Gegenftand befchränkt, aber ihr Ausgangspunkt
und ihre Mefultate greifen auf das tieffte und umfaf:
fendfte in das Leben und die Wiffenfchaft der Geſellſchaft
ein. Bon der wüften Oberfläche der franzöfifchen Gefell:
[haft führt er uns zum erften Male durch die ganze in:
nere Geſchichte diefer neuen Geſellſchaft, um bie drohend:
ften und raͤthſelvollſten Erfcheinungen derfelben, den So:
clalismus und Communismus, aus ihren Principien zu
erklaͤen. Er weiſt durch dieſen echt wiſſenſchaftlichen
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Gang nicht allein die wahre Bedeutung und den tiefen
organifchen Bufammenhang dieſer Geſtalten mit dem Bil:
dungsgange der ganzen germanifhen Welt nad), ſondern
eröffnet hiermit an dieſem individuellen Volksleben den
ganzen Umfang und den unermeßlihen Reichthum einer
allgemeinen focialen Wiffenfhaft von dem Standpuntte
unferer weltgefchichtlichen Epoche.
Welcher Hülfsmittel und Vorarbeiten konnte ſich ber
Verf. aber bedienen, um diefem chaotiſch drängenden, von
unzähligen Fragen, Anfichten und Perfönlichkeiten durch⸗
kreuzten Stoffe eine fo tiefe, objective und ganz neue
Geſtalt abzugewinnen? Es iſt nicht zu verfennen, baß
ihm die eigene Erfahrung des franzöfifchen Lebens und
ein gründliches Studium feiner Geſchichte und Literatur,
in Bezug auf den Gegenftand aber das geiftreihe Werk
Louis Reybaud's und das trefflihe Buch von Eugen
Buret eine Menge neuer Geſichtspunkte und unmittelba:
tee Anregungen mögen gewährt haben; allein bie tiefe
Auffaffung des Ganzen, die fpeculative Durddringung
des Einzelnen, die Zurüdführung der Erxfcheinungen auf
das Allgemeine — alles Dies haben wir unbezweifelt dem
originellen und reichen Geifte des Verf., wie feiner tuͤch⸗
tigen deutfch=phllofophifchen Durchbildung zu verdanken.
Es zeigt diefe philoſophiſche Bildung, wie wefentlih, ja
wie einzig geſchickt nur das wiffenfchaftliche Denken für
die wahre Aufklaͤrung auch der praßtifchen Lebensverhält:
niffe iſt.
Die Kritik wird ſich bei der vorliegenden Arbeit nur
pofitiv und entwidelnd verhalten muͤſſen, denn Gegen:
ftand und Auffaffung find neu: fie reichen weit über bie
Art und Weife hinaus, wie wir wol allgefammt über
die Sache dachten und urtheitten. Die Schulmeifterei
koͤnnte fich zwar bier und da an bem Formellen reiben;
denn der Umſtand, daß vielfahe Zwiſchenftagen in Be:
zug auf die Hauptfachen verfolge werden mußten, ferner,
daß der Verf. feine Gedanken im Angefichte der franzoͤſi⸗
[chen Lebenswogen gefammelt und niedergefchrieben, bat
zumellen die Ruhe und Durchſichtigkeit des ſonſt ſchoͤnen
und geiftvollen Stils beeinträchtigt. Allein dem aufmerk⸗
famen und reifen Lefer wird dieſes bei der planvollen,
fihern und logiſchen Anordnung und Entfaltung bes
Ganzen nicht in Betracht kommen.
Das Buch zerfällt in vier Dauptabfchnitte, von denen
der erfte die philolophifcye Entwidelungsgefdyichte der frans
zöfifchen Geſellſchaft feit der Revolution bie in das Herz
des Socialismus und Communismus hinein enthält. Auf
dieſem Theile ruht deshalb unferer Anficht nad) der Ac⸗
cent, und wir wollen bier ben fchwierigen Verſuch mas»
chen, die Grundgedanken defjelben zu bezeichnen.
In Frankreich, wie bei den übrigen germanifhen Nas
tionen, ift unter den Elementen bes Staatsverbandes
(don laͤngſt ein neues aufgetaucht, das vor ber erſten
Revolution völlig unbeachtet blieb, dem Niemand ein
Recht zugefland, dem fih Niemand mit Liebe zumandte
— Menſchen, die Bott gleihfam felbft bei der Verthei⸗
lung geifliger und materieller Güter vergeſſen zu haben
fheint, die weder Bildung noch Eigenthum als Baſis
ihrer gefeufchaftlichen Geltung aufzuweiſen haben, und bie
fih dennody berufen fühlen, nicht ganz ohne diefe der
Perföntichkeit erft Werth verleihenden Güter zu bleiben:
diefes Element ift das Proletariat, der gemeinfame hiftes
rifche Grund und Boden des Socalismus und Commu—
nismus. Nicht wie der Reiche reicher, der Weiſe weifer
werden kann, nicht bie Theorie des Staatsrechts ober
ber Verwaltung, feldft niche das Armenweſen, fondern
wie dieſer Glaffe der Proletarier in dem Gefühle und
Zuftande ihres Ungluͤcks, worin fie verfunten ift, geholfen
werden kann, ihre Loos, ihre Berechtigung, ihre Zukunft, -
das ift ber einzige Zweck, den die Socialiften wie die
Communiſten verfolgen.
Warum, fragt der Verf., hat diefes heutige Proleta:
riat eine fo große Wichtigkeit und Bedeutung; warum
ift es ein befonderer Gegenftand der Sorge und der Un:
ruhe? Auch die alte Welt hatte neben Sklaven ihre
Armen; der römifche Staat litt an einer ungeheuern Laſt
von Bürgern, die jedes Beſitzes entbehrten und aus dem
Öffentlihen Schage unterhalten werden mußten. Allein
der römifche Proletarier hatte bie unterfcheidende Eigen⸗
thuͤmlichkeit, daß er fich nicht durch eigene Arbeitskraft
Erwerb und Eigenthum verfchaffen wollte, wenn er auch
Eonnte, während die Unferigen durch Arbeit ihre Lage
verbeffern möchten, wenn fie nur die hinreichende Moͤg⸗
lichkeit dazu hätten. In Rußland, der Türkei, China,
Eurz unter allen Nationen und Staaten nichtgermanifchen
Urfprungs, gibt es zabllofe Scharen, ja ganze Bevoͤlke⸗
rungen von huͤlfloſen Menſchen, die ſich für ben gering-
fin Lohn zu jedem Dienfte bereit finden Laffen; aber
dieſe unterfcheiden fih von dem germaniſchen Proletarier
dadurch, daß fie ihe Loos als ein abfolutes anfehen, und
keinen Anſpruch auf die allgemeinen Lebensalter machen.
Der Verf. findet im germanifhen Nationalcharakter, auch
im Chriftenthume die erſte Begründung diefes eigenthuͤm⸗
lihen und gefährlichen Proletariats. Die Bauernaufflände
im Mittelalter, die englifche Revolution zeigen, wiewol
unter Rache, Religionshaß und politifche Abfichten ver:
fiedt, die erften Spuren dieſer Erfcheinung auf. Doch
die bewußtvolle Bewegung tritt erſt in der mobernm
Geſellſchaft und mit der franzöfifhen Revolution hervor:
das Proletariat von heute iſt das Mefultat der modernen
Givilifation, und in diefem Punkte liegt fein Zuſammen⸗
bang und feine allgemeine Bebeutung für die ganze ger-
maniſche Welt,
Es ſtellt fih darum die Frage entgegen: was ift bie
Civiliſation, ihrer Zdee, ihrem Inhalte nach — welches
ift ihr Standpunkt in der gegenwärtigen Epoche? Der
Derf. unterzieht ſich dieſer ſchwierigen Frage. Guizot,
ſagt er, hat den großen Gedanken gehabt, ihre Geſchichte
zu ſchreiben, aber er hat dem Begriff ſeine fcharfen Gren⸗
zen nicht angewieſen. Nicht eine Kunft oder Wiſſen⸗
(haft, nicht alle, nicht die Bildung eines großen Volks,
feibft nicht der Maſſe, kann den Begriff der Givilifation
ausmachen; denn waͤre das Volk babei einer bespotifchen
Regierung unterworfen, fo hätte es den Höhepunkt ber
Civiliſation nicht erreiht. Doc au eine humane Re
gierung {ft niche hinreichend. Ein Boll, das, wie bie
Deutfchen des vorigen Jahrhunderts, einen eigenen Stand
batte, ber rechtlih Andern untergeordnet war, ohne ſich
aus dieſer die Perfönlichkeit verlegenden Abhängigkeit zu
befreien , ift fein wahrhaft civififirtes Voll. Zur Civiliſa⸗
tion gehört nicht blos Bildung, fondern, damit der Menſch
ale folcher an der ganzen Fülle der Lebensgüter theilneh:
men kann, auch ſtaatsrechtliche und perfönliche Freiheit
für Alle. Dee Begriff der Civiliſation wird alfo zuerft
alle die ſelbſtbedingten und allgemeinen Güter, wie des
Befiges, der Ehre u. f. w. enthalten, dann aber aud)
den gefchichtlichen Gang, nach welchem dieſe Güter das
Eigentum der Einzelnen werden und bdiefelben erheben
und beffern. Ein Bolt fleht auf dem Gipfel der Civili⸗
fation, wenn alle feine Glieder aus Machtvollkommenheit
ihrer menſchlichen Würde an ben Lebensgütern theilneh:
men, und die Gefchichte der Givilifation Ift nichts Ande⸗
ves, als die Bewegung der menſchlichen Geſellſchaft, dieſe
Güter in Allen und mit Allen zu befigen.
An diefen Begriff, bei deflen Ausführung durch die
Geſchichte wir bier dem Verf. nicht folgen koͤnnen, knuͤpft
ſich die Frage über den Charakter unferer gegenwärtigen
Givitifationsftufe. Es wird der Beweis geführt, daß das
Bemwußtfein von dem unbedingten Rechte ber Thellnahme
Aller an den abfoluten Lebensgütern die Eigenthuͤm⸗
lichkeit und der unterfcheidende Charakter unferer Givilis
fationsepoche ſei. Diefes Bewußtfein tritt nicht eben im:
mer in fpeculativer Form hervor, fondern aͤußert ſich
auf die mannichfaltigfte Weiſe. Der Proletarier be:
figt es und offenbart daſſelbe, wie jeder Andere. Man
(öfe fie auf die Vorftelungen von Liebe, Menfchenfreund:
lichkeit, Beduͤrfniß, Liberalismus, Nugen u. f. w., hinter
ihnen verſteckt fih der Gedanke an die Verallgemeinerung
der hoͤchſten Lebensgüter; ihre Ertheilung und Kreigebung
beruht nicht mehr auf Willkür, Zwang, Mitleiden, Gut:
müthigkeit, fondern fie werden gefodert und erlangt, weil
eine zum Bewußtſein erwachte Perföntichkeit diefelben als
ihr unveräußerliches und abfolutes Recht fodert. Die
franzöfifhen Revolutionen weiſen die Wahrheit diefes Ge:
dankens ganz befonders nah. Die gewaltigften Umgeftal:
tungen der Voͤlker in früherer Zeit haben ihr Motiv
immer in einer beflimmten That, einem ungewohnten
Eingriffe oder einer Bedruͤckung gehabt. Der Keim der
sevolutionnalren Bewegungen Frankreichs lag nicht in ei⸗
ner gewaltfamen Tyrannei, nicht in Eingriffen auf alte
eingebürgerte Mechte und Sitten, fondern es mar der
neue und mächtige Gedanke von den Foberungen ber
freien Perfönlichkelt, der unter dem Namen der Freiheit
das Volk zum Kampfe, und ber unter den rein politi:
fhen und flaatlihen Ereigniffen einen dauerhaften und
folgenreihen Sieg ftetö errungen hat.
Es wäre allerdings wünfchenswerth geweſen, hätte ber
Verf. bier den gefchichtlichen Nachweis über die Entwide:
ung des Bewußtſeins und der Nechte der Perfönlichkeit
auch bei den Übrigen germaniſchen Nationen weiter vers
folgen wollen. Er würde damit in Deutfchland einer
potitifchen Partei große Auffiärung gewährt haben, bie
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den Zuſammenhang dieſer Entwickelung nicht zugeſtehen
will, um jede Aufmerkſamkeit und Hinweiſung auf Frank⸗
reich zu beſeitigen. Indeſſen wendet er fich ſogleich zu
der wichtigen Frage: Warum gibt es ungeachtet dieſes
Bewußtſeins und der faſt durchgaͤngigen Befreiung der
Perfönlichkeit von den Feſſeln der alten Geſellſchaft noch
ein Proletariat; warum find gewiſſe Glaffen der Geſell⸗
ſchaft jegt nur um fo mehr in Elend und Abhängigkeit
verfunten, fodaß fie den weitern Beſitz der allgemeinen
Lebensgüter entbehren müffen? Die neuere Geſchichte hat
es hinlaͤnglich gezeigt, daß es nicht blos die Zeit war,
die zwiſchen dem Erwachen des Gedankens und der Er—
teihung eines allgemein beffeen Zuftandes der Geſellſchaft
lag. Die Civiliſation fcheint alfo mit ſich ſelbſt im haͤr⸗
teften MWiderfpruche zu ſtehen. Ein allgemeines Hinſtellen
der Stage, wie man die niedern Claſſen zu einer eblern
und hoͤhern Stellung emporheben könne, iſt ebenfo ge:
woͤhnlich als nuglos. Unterricht? — Bildung? — Bel:
bes fegt voraus, daß man über Zeit und Mittel zu ges
bieten vermag. Überdies gibt die Bildung felbft wiederum
Anfprud zur Theilnahme an dem höhern Leben der Ge:
feufhaft, und diefe Theilnahme fegt wiederum Mittel, fie
fegt materiellen Beſitz voraus, der allein Unabhängigkeit
gewährt, ‚der die Bafis für den Erwerb aller andern Guͤ⸗
ter iſt, der auch überall die Theilnahme an dem Staates
leben bedingt.
Der Beſitz aber enthält ein Moment, das ibn von
andern allgemeinen Gütern weſentlich unterfcheidet: ex iſt
perfönlich wie jene, aber diefe Perföntichkeit iſt ausfchlies
Bend. Der Befig kann nicht Allen, fondern nur Meh⸗
ven gehören, und damit eben ift der große Widerſpruch
in der Givilifation vorhanden, den ſchon die Philofophen
des vorigen Jahrhunderts zu loͤſen fuchten. Iſt der Beſitz
für die Idee der Perföntichkeit etwas Zufälliges; oder iſt
er eine abfolute Bedingung derſelben? Der ganze fociale
Kampf drängt fih in England und Frankreich auf dies
fen Punkt zufanımen; er ift der Knoten, der gelöft ters
den fol. Das Proletariat, die ganze Claffe der Nichts
befiger, antwortet auf diefe Frage um den perfönlichen
Beſitz in diefem Augenblide mit einem fanatifchen Nein;
von der andern Seite aber wird mit eben berfelben Hart:
nädigkeit und Unverföhntichkeit die Perföntichkeit des Bes
figes behauptet.
Es ift auf biefer Stufe der Unterfuhung nicht die
Abſicht des Verf., das Problem felbft zu loͤſen. Durch
die Entwidelung diefes innerlichften Widerſpruchs in dem
Herzen der Geſellſchaft mußte nur aufgezeigt werben, daß
der Kampf mie die Kämpfer und bie Erſcheinungen und
Seftalten, welche fie hervorrufen, nicht zufällig, nicht
vorübergehende und vereinzelte Momente des franzöfle
[hen Lebens feien, fondern daß dieſer MWiderfprud eine
gewaltige Wurzel befige, daß er allenthalben zur Erſchei⸗
nung fommen müffe als das Reſultat eines großen ges
ſchichtlichen Procefies. Die Geſtalt diefes Widerfpruche
tritt aber in Frankreich ſelbſt eigenthuͤmlich genug auf.
Der Kampf der anfpruchsvollen Perföntichkeit mit dem
ausfchließenden Befige macht fi bier unter dem Namen
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der Kgalite geltend. Man frage nicht, fagt der Werf.,
was dieſes Wort in Aller Munde beflimmt ausdrüdk.
Es iſt die Lofung für alle Proletarier; es beginnt als
Ahnung, es fest ſich als Negation, erhebt den Kampf
mit bem Beftehenden, breitet fi) aus uͤber Staat, Kirche,
Verwaltung, Geſellſchaft. Es iſt nur die Bewegung;
aber eine Bewegung, die ihr Ziel nicht zu fallen vermag.
Der Verfolg und die Entwidelung diefes Egalitaͤtsprin⸗
cipe wird alfo die innere Geſchichte der franzöfifhen Ge:
fefhaft fein, und auf feinem Wege Liegt auch die Auf:
klaͤrung über Das, was Sommunismus und Socialismus
genannt wird.
(Die Fortſetzung folgt.)
Englifher und deutſcher Charafter.
Der bekannte, nicht zu fagen berühmte englifche Reifende
Laing läßt in feinen „Notes of a traveller“ folgende Bemer⸗
tung auf den deutſchen Charakter zu Bunften bes englifchen los:
„Der durch Erziehung und ftaatliche Berhättniffe im beutichen
Sharalter erzeugte Mangel an Selbſtachtung, das ungebührliche
Anfehen, welches dev Deutfche dem Range, dem Amte und cons
ventionneller Auszeichnung beilegt, und das in Deutfchland bie-
fen Dingen übermäßig angehangene Gewicht — alles Dies fpies
geit ſich klar und deutlich in der verſchwenderiſchen Menge von
Drden, Sternen, Kreuzen, Bändern und leeren Ziteln, mit
weichen fewol Giviliften als Militairs ſich feelenvergnügt ans
pugen. Ungefähr jeder.britte Dann, ber Einem auf ber Straße
begegnet, trägt einen Zettel im Knopfloche, ber aller Welt zu:
zuft: ‚Gebt mi an, ich bin ein Ritter.“ Gin junger beutfcher
Offizier kann füglich Feine Kugel auf dem Schlachtfelde haben
pfeifen hören. Alſo kann aud fein Stand für das Bändchen
um Knopfloche Eeinen fonderlichen Reſpect verlangen, und noch
viel weniger der Givilftand, der ſich damit en militaire' hrüftet.
Die Deutfchen fcheinen feine Ahnung von jenem Gefühle per:
föntichen Werths zu haben — man nenne e8 meinetwegen Stolz —,
in deſſen Kolge der englifche Edelmann, ob hochgeftellter Beam:
ter oder Militair, einen ihm verliehenen britifchen oder auslaͤn⸗
difchen Orden nur bei gewiflen Feierlichkeiten trägt. Er fühlt,
daß er auch ohne Außerliches Zeugniß etwas ift, und wuͤrde es
mit feiner perfönlichen Geltung ebenfo im Widerſpruch glauben,
bei alltäglichen Gelegenheiten und in den gewöhnlichen Tages⸗
gefellfchaften feine auf die Wruft geklebten Sterne, Kreuze und
Bänder leuchten und flattern zu laſſen, als wollte er bie Zei:
tungsberichte über bie Thaten, durch die er jene Ehren ge:
wonnen, fich auf ben Rüden Eleiftern. Der Deutfche bingegen
knuͤpft fein Stuͤckchen rothes Band fogar in das Knopfloch fei:
nes Schlafrods; ber Kaufmann geht auf feine Schreibftube, der
Apotheker, um fich rafiren zu laffen, zum Barbier, der Profefs
for in fein Aubitorium, jeder mit feinem Kreuze und feinem
Bande, juft als ginge er zum Lever bes Kürften. Es ift ge:
fagt worden, bie höhern Giaffen der Geſellſchaft feien fich in
allen ändern ziemlich gleich, verriethen wenige jener eigenthüms
sichen Merkinale, welche in den Mittels und niedern Claſſen
aller Länder den Nationalcharakter repräfentiren. Das ift ein
Serthum. Der englifche Bentleman, der hoͤchſte wie der nic
drigfte, fo lange er ein gegründetes Recht auf diefe Benennung
hat, unterfcheibet fi) vom beutfchen Gentleman durch den eige⸗
nen Sharalterzug der Zuverläffigkeit auf fich ſelbſt, durch feine
Selbſtachtung, nenne man fie Stolz ober hochſinniges Bewußt⸗
fein feines Werthes. Wie er dort ſteht, Ichägt ex fich wegen
Deflen, was in ihm ift, nicht wegen der@äußerlichen Beglaubi:
gungen, die ihm Andere ausgefertigt. Diefes Gefühl greift
tief in die engliſche Geſellſchaft Während in Preußen
und überhaupt in Deutfchland jeder dritte Wann mit einem
Berdienſtorden biefer ober jener Art umhberfchiendert und Man:
dem es gar nicht ſchaben Tönnte, wenn er duch eigenen Fleiß
fih einen neuen Rod anſchaffen und biefen zum Traͤger feiner
Ehren machen wollte, befindet fich das Boll, welches auch die
Regierungsform fei, in gefellig und induſtriell niebrigem Zus
ftande, ift in feiner Staatsölonomie und in der echten focialen
Erziehung zu thätigen und freien Mitgliedern bes Gemeinweſens
um Denfchenalter hinter uns zuruͤck.“ 14.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Der Tod ber Mad. Dupin — bie, im Vorbeigehen fei es
gefagt, fo viel wir wiffen, mit ben bekannten Staatömännern
gleichen Namens gar nicht verwandt war — iſt für die Literatur
ein berber Verluſt. Sie batte berfelben einen Theil ihres Le
bens geopfert und mehre ihrer Werke werden ihren Namen
nicht ganz vergefien laflen. Beſonders hervorgehoben zu werben
verdienen ihre Auffäge in ber „Revue de Paris”, in denen fie
namentlich einige intereffante Charakteriſtiken italieniſcher Did
ter mitgetheilt bat. Einer andern jugendlichen Schriftfiellerin,
die vor kurzem geftorben ifl, bat die Hand eines Freundes ein
würbiges Denkmal errichtet. Wir meinen die Herausgabe ber
„Melanges litteraires de Mile. Ozenne”. Louife Ozenne, bie
vor kurzem in ber Blüte ihrer Jahre geftorben ift, war eine
bon ben wenigen weiblichen Seelen, die fich der Literatur mit
beiligem Ernſte widmen. Sie verſchmaͤhte ed, auf der breiten
Straße zu wandeln, auf ber ſich der größte Theil der Blau
firümpfe umhertreibt. Ihre Verhaͤltniſſe zwangen fie, zur
Unterhaltung ihrer Bamilie zur Feder zu greifen, aber fie wur: '
digte nie biefeibe zur Verfaffung fchmuziger Romane, in benen
fih fo viele Schriftfteller ihres Geſchlechts gefallen, herab. Be:
achtung verdienen die Eritifchen Auffäge, die fie unter dem Pfeu:
donym Camille Barton in die „Revue de Paris‘, die „Revue
frangaise‘’ und andere Zeitſchriften einrüden ließ. H. Romond,
der dem ftillen Wirken der Verftorbenen in der @inleitung einige
gefühlvolle Worte widmet, bat unter bem oben angeführten Zi
tel eine geſchmackvolle Auswahl ber beften Auffäge, die aus ih⸗
rer Feder gefloffen find, zufammengeftellt. Vielleicht hätte ber
Herausgeber indeffen den Abriß der franzöfifdgen Literatur, den
die Verf. für die „„Eacyclopedie des gens du monde’ geſchrie⸗
ben hatte und mit bem die „Melanges‘ eröffnet werden, weg⸗
laffen können. Er iſt gar zu bürftig und ffelettartig.
„Les mauvais livres, les mauvais journaux et les ro-
mans” ift der Zitel einer in Belgien erfchienenen Flugſchrift,
die von einem Prediger bes Jeſuitenordens herrühren foll. In
diefer kleinen Broſchuͤre wird fehr gegen bie verberblichen Rich⸗
tungen ber neuern Literatur geeifert und firenges Gericht über bie
„ſchlechten Bücher‘ gehalten. Nur wenige, und nicht immer
bie beiten, entgehen bem Berdbammungsurtbeile. Um einen Be
oriff von der Wuth, mit der ber Verf. feine Opfer verfolgt, zu
geben, wollen wir nur zwei ober drei Beiſpiele anführen. Die
„Geſchichte der Eroberung Englands durdy die Rormannen’ von
Thierry erhält das Praͤdicat tres- mauvais; die „Geſchichte der
franzoͤſiſchen Revolution” wird ein erbärmliche® Wert genannt,
und der tieffinnige Alfred be Vigny, beffen Eeufche Muſe nie in
bas Gefchrei des Tages eingeflimmt hat, wirb als ein fehr
fhlüpfriger und gottlofer Romanſchreiber an ben Pranger geftellt.
Wir haben vor einiger Zeit in d. Bi. eines geiftreich ge:
fhriebenen Werkes von Iſidore Loewenſtern erwähnt, in
dem der Verf. einige Partien aus feinem Tagebuche von einer
großen Reife mittheilt. Wir begleiteten den gebilbeten Reifenden
dur Rordamerika, über deſſen Verbältniffe wir neben vielem
Oberflaͤchlichen doch auch manches Neue und Intereffante ers
fuhren. Gegenwärtig laͤßt Dr. Loewenftern die Kortfegung die:
fes Werkes u. d. T. „Le Mexique” (Paris 1843) erfheinen,
und wir hoffen, daß er und noch fernere Mittheitungen aus
feinen Reifeeindrüden machen wirb. 2.
Verantwortliher Deraudgeber: Heintih Brodhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockdaus in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Socialiemus und Communismus.
(Bortfegung aus Nr. 168.)
Der Verf., nachdem er dieſes Princip als den Grund
dee focdaten Bewegung aufgefunden hat, kehrt nun zur
Geſchichte der franzoͤfiſchen Sefellfhaft zuräd und betrach⸗
tet zuvoͤrderſt deren Gegenſaͤtze vor der erften Revolution.
Seine ſcharfe Charakteriftit diefer Epoche duͤnkt uns das
Schlagendfte, was je über die franzöfifche Revolution ge:
fagt wurde; ihre Anwendung auf die reingefchichtliche
Darſtellung müßte ganz neue Geſichtspunkte liefern. Es
ift des Verf. wohlbegruͤndete Überzeugung, daß nicht das
Staatsrecht und ber politifche Abfolutismus, fondern eben
biefer in dem Innerſten der Befelifchaft vorhandene Wi:
derſpruch zwiſchen ben Foderungen einer zum Bewußt⸗
ſein erwachten Perſoͤnlichkeit und dem factiſchen Zu⸗
Rande ber Geſellſchaft die Revolution des vorigen Jahr⸗
hunderts bewirkt habe. Die ganze Geflakt der alten Se:
ſellſchaft hatte zu ihrem Principe die Standesunterfchiede.
Um den Thron ſcharte ſich der Adel; in feinen Händen
waren die hoͤchſten Ämter, die hoͤchſten Ehren, die hoͤch⸗
ken Senüfte. Xief unter demfelben fland der Tier: Etat ;
er, ber einft der Krone fo viel geopfert, konnte kaum
feine alten Rechte vor lbergriffen und Wernachläffigung
fihern; auf feiner Seite war der Beſitz und die Intelli⸗
genz, die wefentlichen Momente, welche bie Theilnahme
am Staatsleben bedingen, und doch fchloß ihn feine Stel:
lung zum Vortheile des Adels von jeder Theilnahme an
dee Staatsverwaltung aus. Noch mehr, ber abfolute
Standesunterfchied, der Jedem feine Stellung ein für
ale Mat nicht nad feiner Kähigkeit und feinem Stre:
ben, ſondern nach des Bufälligkeit der Geburt beflimmte,
leugnete geradezu jeben perfönlichen Werth, jede Geltung
der perfönlichen Arbeit, jeden Befitz, jede Intelligenz; er
verleugnete nothwendig Überhaupt die Unendlichkeit des
Fortſchritts und die Wahrheit des eigenflen Lebens. Und
diefer craffe, unverföhnliche Widerſpruch mußte in den
Gtänden gegeneinander, fogar in den verſchiedenen Glaf:
fen des einen Standes, jenen Hab und jenes Misver:
guügen bervorbringen, das bie franzoͤſiſche Geſellſchaft je:
ur Epoche in allen Stufen unzweideutig und drohend
an den Tag legt. Inmitten aber diefer allgemeinen Un-
zufriebdenheit gegen diefe, ſelbſt die billigſten Anfprüche
14. April 1843,
mn -——— 20.0.0
verhöhnenden Standesfchranten, die ſich als hiſtoriſches
Recht geltend machten, erhob fih nun: der Gedanke, der
Gegenſatz des Hiftorifhen, und gab der Oppofition ihre
Berechtigung. Hierin liegt der Grund, daß damals bie
philofophifdhe Bewegung in Frankreich fo allgemein war
und daß ihre Refultate für die Revolution, ja für die Ges
genwart fo entſcheidend geworben. Der gefchichtlichen
Berechtigung gegenüber ſtellte bie Phllofophie die abfolute
Berechtigung auf, die zu ihrer Baſis die Idee der abfo:
Iuten Perfönlichkeit Hat. Die drängenden Verhaͤltniſſe
übergaben aber damals der Philofopbie die praktifche
Stage nad dem Wefen und Werth einer Verfaffung von
Staat und Geſellſchaft, ohne daß die Philofophie ſelbſt
Zeit gehabt, ſich zur tiefern Logik oder wahren Natur:
philofophie herauszuarbeiten. Sie loͤſte die Frage, von
der abfoluten Perföntichkeit ausgehend, damit, daß fie das
abſtracte Ich als die einzige Grundlage für Staat und
Geſellſchaft, als das einzige Rechtsprincip aller Verhaͤlt⸗
nifje aufftellte. Die Idee der abftracten Gleichheit mußte
fo das legte und einzige Recht für die Geſellſchaft und
bie Idee der Vereinigung der gleichberechtigten Perſoͤnlich⸗
keiten durch den eigenen Willen des Ichs, oder der flaat:
liche Vertrag, die Bafis des Staatrechtes werden. Der
tiefe Widerſpruch des factifchen Zuſtandes war hiermit ins
nerlih begründet. Das Princip der abfoluten Perföns
lichkeit in ber Form des Egalitätörechtes umfaßte Alles,
den Staat und bie Geſellſchaft. Alle Wünfche, alle gei⸗
fligen und materiellen Anfprüche konnten fi daran fnüs
pfen, und inmitten der ſchaͤrfſten äußern Gegenfäge wurde
das Egalitätsrecht oder Princip bald, nicht etwa bie Theo⸗
tie, fondern die legte Hoffnung und die Weltanfhauung
des franzöfifhen Volle. Was ferner geſchah, hatte in
dem Egalitaͤtsprincipe feinen Mittelpunkt. Ja, das allge:
gemeine Bewußtſein ſteht in Frankreich weſentlich noch
heute auf dieſer Stufe.
Der Verf. verfolgt nun hierauf das Egalitaͤtsprincip
durch die Conftitutionen von 1791, 1793 und 1795,
Er geht die Ereigniſſe und die Parteien von ber Zuſam⸗
menberufung der Generalſtaaten an durch und zeigt auf,
wie der dritte Stand in Folge des allgemeinen Bewußt⸗
feine, das alie Glaffen des Volks beherrfchte, fich gleich
anfangs als die eigentlihe Vertretung bes gefammten
Volks, feiner Foderungen, Wuͤnſche und, Srunbanfichten
414
hinſtellen mußte. Die erſten Acte der Verſammlung ruüͤt⸗
telten ſogleich an dem Staats: und Geſellſchaftsgebaͤude.
Der Tiers: Etat erklaͤrte ſich im Angeſichte des zornigen
Adels und des bewaffneten Hofes fuͤr die eigentliche Na⸗
tienalverſammlung, ſprach am 23. Juni dem Könige bie
Souverainetaͤt ab, warf in der Macht bes A. Aug. mit
einem Schlage die Privilegien der alten Gefellfhaft und
die altgefchichtlichen Rechte der Provinzen nieder, um eine
abfolute Gleichheit und eine Gentralifation aller helle
Frankreichs herzuftellen, und gab dem Volke eine Conſti⸗
tution, in welcher fsine Wuͤnſche und Anfchauungen
von dein Principe der abfoluten Perfönlichkeit verwirk:
licht waren. An der Spige dieſer
erffärt: die Gleichheit in Bezug auf den Staatswillen,
die Gleichheit in der Geſellſchaft, die Gleichheit der Ar:
deit, die alles Zunftwefen aufhob. Die flaatsrecht:
fiche Reform war dem Principe nicht minder angemeſſen.
Die activen Bürger bildeten Primairverfammiungen ; in
diefen wurden die Wähler für die gefeugebende Berfamm:
fung gewählt, die den König blos als Erecutiogewalt mit
dem bloßen Veto an der Seite hatte. Die Souveraine:
tät gehörte fo wirklich der Nation; der hoͤchſte Wille war
das Wollen Aller. Sedem fland es nun frei, durdy Ta⸗
lent und Fleiß die höchfte Stufe im Staate zu erfteigen.
Die Perſoͤnlichkeit hatte nirgend eine Schranke und das
Princip ſchien erfüllt: Allein dennoch mußte die Eonfli:
tution von 1791 follen, weil fie immer nicht das Prin⸗
cip im ganzen Umfange verwirklicht... Sie hatte ihre
Gelege auf die Idee des Bürgerflandes allein gegründet,
während es fchon eine furchtbare Glaffe der Proleta:
rier gab, zu ber fie ſich nicht hinwandte. Das war ihr
Irrthum.
Auf dem ſtaatsrechtlichen Gebiete mußte deshalb der
Widerſpruch zwiſchen der Bonftitution von 1791 und den
Foderungen des Egalitätsprincips ausbrechen. „La sourve-
raineté appartient & la nation” hatte die Eonftitution
gefagt; mit diefem Grundfage ſtritt die Beftimmung, daß
der an der Staatögewalt theilnehmende Citoyen actif im
irgend einem Orte des Reichs eine Contribution zahlen
mußte, die dem Werthe dreier Arbeitstage glei) kam.
Diefe Beftimmung ſchloß alfo einen Theil der Bürger
von der Staatsgewalt aus; es gab fo Gtaatsberechtigte
und Staatsunterthanen, die, weil fie keine Abgaben zah⸗
ten konnten, ihre Perfönlichkeit in der höchften Angelegen-
heit nicht geltend machen durften. Zwar war es nicht
mebr der gefchichtliche Beſitz, fondern der erworbene, der
eine höhere Stellung In der Geſellſchaft bedingte; allein
die Scheidung war dennoch vorhanden. Es trat in bem
Öffentlichen Rechte das erſte Mat die hochwichtige Erſchei⸗
nung hervor, daß eine WBourgeoffie, welche den Grundbeſitz
und den Geldbeſtitz in fich vereinigte, dem bloßen befig: und
rechtloſen Peuple gegenüberfland. Diefer Peuple aber be:
fand aus den bewaffneten Banden der Proletarier, die
die Revolution hatten machen helfen und ſich immer
Denen als williges Werkzeug überlieferten, die ihre An-
ſpruͤche erfüllen wollten. Am 24. Juni 1798 ‚erhielt
demzufolge Frankreich aus den Händen Robespierre's eine
neue Conflitution, welche die Anfprüche ber Proletarier
in ber That befriedigt. Man behielt wol das frühere
bei, aber das Recht des Einzelnen ward geändert. Der
Citoyen actif erlofh und jeder Bürger, ber ſich ſechs Mo⸗
nate in einem Canton aufgehalten, Baunte wählen. „La
population. est la seule base de la representation na-
tionale’’ iſt der Grundfag dieſer Conſtitution. Warum
bat fie keine Dauer gehabt? — Nicht, fagt ber Berf.,
weil fie überhaupt das Egalitätsprincip verwirklichen wollte,
fondern weit fie ein weſentliches Moment des Staats,
naͤmlich den Befig uͤberſah. Wenn die Conſtitution von
1791 den Befig zwar geltend machte, aber in feiner _
Bedeutung wicht erkannte, fo ſcheb ihn die von 1793
ganz zur Seite. Sein Einfluß war bier wol völlig ne
girt; aber wur materiell, denn das Eigenthum foll aud
in ihr unverlegt und befhüst fein. Diefer Irrthum
rächte fidy zwar langfam, aber ficher; denn nicht nur der
Terrorismus, fondern auch die Somfitution fiel und mit
ihe ihr eigentlicher Lebenspunkt, die Trennung der Pier:
föntichkeit vom Beſitze. Der Untergang diefer Somfitu:
tion iſt ein Wendepunkt im Egatitätsprincipe ſelbſt
Als die Öffentliche Ruhe mit dem Kalle des Terre⸗
rismus eintrat, machte ſich aud das Bewußtſein über
den Conflict der Principien geltend, und ber Reichthum
fegte fich erſt factifch neben bie Armuth als den Here
ſcher. Die Conftitution von 1795 aͤnderte aber kald ge
nug flaatsrechtliih das Verhaͤltniß. Unter andem Ber:
Andesungen flellte fie al$ die Bafis der Theilnahme ber
Einzelnen an der republikaniſchen Gewalt den Wnterfchied
des Citoyen actif von dem bloßen Citoyen auf, nebſt
den zwei Wahlcollegien aus der Gonflitution nen 1794.
Obſchon der Citoyen actif fo weit als maͤglich gefaßt
war, denn er burfte als folcher Überhaupt nur eine directe
Contribution fleuern, fo iſt es doch wiederun der Bes
und deflen Maß die öffendiche Abgabe, der die Claſſen
ber Bürger trennt. Für den eigentlichen Waͤhler ſelbſt
wied fogar ein höherer Kanon feſtgeſetzt. Dieſes Ver⸗
haͤltniß und biefe Stellung das Proletariers zum Belt
eriftirt noch im Heutigen franzoͤſtſchen Staatenschte. Daf-
felde erkennt in allen feinen Entwickelungen den Grund:
fag am, daß die Xheilnahme der Bürger am Stagtéleben
nothwendig von irgend einem Maße des Befiges abhän:
gen muß: die Entwidelung findet nicht mehr im Grunb-
fage, fondern nur im Maße flatt. Indem ‚num aber
alimälig der Belig feine Bedeutung wieder erraldhte, er
wachte zugleih auch das Bewußtſein bes Egalitaͤtsprin⸗
cip6 über dieſes Verhaͤleniß: allmaͤlig mußte es Ach über
feinen neuen Feind klar werden und ſich gegen ıdewfeiben
wenden. Damit wecgfelte es nicht zur ben Begmer, Jen:
dern zugleich den Kampfplatz. War es früher die Staaer⸗
gewalt, an der ſich das Princip verſuchte, fo iſt «6 jest
die Geſellſchaft. Nur bei der Gleichheit des Eigenthus
das wird allgemein erkannt, kann das Ziel des Mincips
erreicht werden: und der Nichtbeſitzer ſtellt ſich Hiermit
dem Befiger, der Einzelne dem Einzelnen gegenüber. Das
Prolstariat erhält fo einen. nauen Audgangepunlt Fir
feine Hoffuungen und Beflrebungen. Es erhebt Hd
i
Geſtalt angenommen.
"aber eine ſharfe @heldung, ein Widerfpru
415
lauglam, aber ſicher sin Kampf in dem Herzen der Ge⸗
ſellſchaft.
Wie geſtalten ſich nun aber die Gegenſaͤtze der fran⸗
zoͤſiſchen Geſellſchaft nach der Revolution? Als die Ruhe
eingetreten, der Parteikampf erloſchen und doch alle fruͤ—
hern geſellſchaftlichen Schranken verſchwunden waren, be⸗
gann bei den Einzelnen ein merkwürdiger Kampf um
den Vorrang und die Geltung in der Geſellſchaft. Die:
fer Vorrang konnte fih nur an die Perſoͤnlichkeit knuͤpfen.
Schon unter Napoleon theilte fi darum das franzoͤſi⸗
fche Volk in zwei heile: in das Heer und in die bür:
gerliche Geſellſchaft. Im Heese war es die Xapferkeit,
die der Perföntichkeit eine ungemeffene Laufbahn eröffnete.
In der durch den kaiſerlichen Despotiemus vom Stante
ferngehaltenen Geſellſchaft gab es aber nur ein Mittel,
das die Perfönlichkeit bedeutend, unabhängig und gewal-
tig machte — died mar der Vefig. Genuß und Achtung
waren an ihn allein geknuͤpft. Während fih nun das
Egalitätsprincip durch Beſitz und dußere Mittel in ber
Geſellſchaft zu genügen tradhtete, da ihm allein dieſer
Punkt zu feiner Verwirklichung übrigbiieb, fo entwidelte
fich in der franzäfifchen Geſellſchaft reifend ein Materia⸗
lismus, der die Richtung jener Zeit wurde, der Krank:
reich noch heute beherrſcht. Der Materlalismus in Srant:
reich ift nicht der thierifche Trieb nach Befig und Genuß,
fondern er ift das Refultat, das die Entwidelung ber
Idee der Perföntichkeit hervorgebracht hat: er iſt der Be:
danke, den die abftracte Perföntichkeit faßt, dem fie ihre
Kräfte zumendet, um dadurch zu ihrem Mechte, für das
es feinen andern Weg gibt, zu gelangen. Allerdings bat
dieſer Materialismus in Frankreich eine eigenthümliche
Das Refultat des nur abflract
erfaßten Begriffs der Perlönlichkeit war nicht blos eine
Schaͤtzung, fondern eine Überfhägung der Materie. Es
entftand der Gedanke, dag der materielle Beſitz das höchfte
But der Erde, die Baſis der Gefeltfchaft, die Beſtim⸗
mung des irdiſchen Dafeins fel; es erhob fich ganz der
alte Gedanke Diderot's, daß das „interet personnel’ den
eigentlichen Mittelpunkt im Staate und in der Befellfchaft
abgebe. Bei einer folhen Bafis der Geſellſchaft mußte
pruch des Egalitaͤts⸗
princips mit dem factifhen Zuftande eintreten. Die Be:
figenden ſtellen fi nicht allein in die vorderſte Meibe,
fondern fie beginnen aud bald die Berachtigung des Ar:
men erft zu überfehen, dann zu bezweifeln, endlich zu
verneinen. Der Reihthum in feiner Bedeutung für die
Geſellſchaft hat einen gleihen Sang mit dem Adel. Die
Reihen haben das hoͤchſte Außere, mithin auch die Theil⸗
nahme am Staatsleben. Dem Armen mangelt Beides;
er iſt der Unterthan, deſſen Wille nichts gilt und ber
auf mannichfaltige Weiſe feine Unabhängigkeit verliert.
Das Egalitätöprincip, das den Materlalismus zu feis
ner Verwirklichung geltend macht, bat da6 Streben, in
den Befitz einzutreten, denn bdiefer allein ftellt die Sleich⸗
heit her. Es tritt deshalb ein abfoluter Widerfpruch her:
vor, indem ber Befis und die Gleichheit zuſammen gefo:
dert werden. Die Gleichheit zu erhalten und dennoch
die Richtung der gefellfchaftlihen Entwidelung auf den
Beſitz nicht aufzugeben, die ebenfo innerlich nothwendi
als Außerlich unvermeidlich iſt, das würde nun die Auf.
gabe fein. Das perfänliche Eigenthum entfcheidet darauf,
das Proletariat muß abgefhafft werden, ale das Princip
aller hoͤchſten Entwickelung muß‘ die Unperfönlichkeit des
Eigenthums hergeftelle werden. Diefes Refultat des Ega-
litätöprincips tritt bei den Nichtbefigern allerdings zuerft
als ein dunkles Gefühl auf; aber der Punkt ift hiermit
gegeben, wo ſich der Materialismus in feine Gegenfäge
aufloͤſt. Die Idee der Perfönlichkeit gebietet den Beſitzen⸗
den die Vertretung des perfönlichen Befiges; den Unvermoͤ⸗
genden reizt bdiefelbe Idee der Perfönlichkeit, gegen das
perfönlihe Eigenthum in die Schranken zu treten. Mit‘
einem Worte, es ift das Eigenthumsrecht und der Com:
munismus, bie fih von jegt in Frankreich unverföhnt
egenuͤberſtehen. Schon 1796, als dem Proletariat die
berzeugung geworden, daß die republifanifche Staats:
form für die Egalitdt nicht ausreiche, faßte fich deshalb
das Egulitätsprincip in eine communiftifhe Verbindung
zufammen, an deren Spige Baboeuf ftand. Baboeuf wollte
einfach eine neue Vertheilung des Eigenthums; er ging
von dem Begriffe der Gleichheit aus: Brüberfchaft in
Atem, Stimmfähigkeit für Alle, Genuß für Alle —
das war der Wahlſpruch. Die Verbindung wurde ver:
rathen und beftraft; allein fie hat doch reichliche Fruͤchte
getragen, denn mit ihr ift daB Proletariat zu einem be:
ſtimmten Grundſatze gelangt, nämlich zur Leugnung der
Perföntichkeit des Eigenthums.
Indeſſen bedurfte es damals noch eines langen Zeit:
raums, um den Communismus im Volke geiftig mög:
ih zu machen. Die Stände waren überwunden; «6
fiand Jedermann frei zu verfuchen, ob Im Laufe der Zeit
der Beſitz fih unter ben Armen und Reichen ausgleichen
und durch die Anſtrengung von Seiten der Armen das
Egalitätsprincip verwirklicht werden Eönnte. Die Arbeit
ſollte das Mittel zum Beſitz und zum gleihen Antheil
an den Gütern bes Lebens werden; allen die Refultate
dieſer Arbeit, die zum Ausgangspunkte den Beſitz hatte,
treten fchon in der Kaiferzeit, in der Neftauration, ganz
entfchieden aber nad) der Fulirevofution hervor. Es tritt
mit dem Streben der franzoͤſiſchen Geſellſchaft nach ber
Materie eine Kluft hervor, die den einen Theil des Volks
vom andern bald gänzlih trennt. Es iſt bie vollendese
Scheidung der Geſellſchaft in Befitzende und Nichtbe⸗
figende: in Bourgeoiſie und Peuple.
Es eröffnen fi nun dem Verf, eine ganze Weihe
wichtiger Erörterungen, die nicht allein über den heuti⸗
gen Zuftand von Frankreich ein mefentliches Licht verbrei:
ten, fondern auch im Allgemeinen wichtige fociale Fragen
berühren, die in Deutichland bis jegt kaum aufgeworfen,
gefchtweige gelöft worden find. Dies find die Gapitel von Ca⸗
pital, Induſtrie, Concurrenz, Arbeit und Arbeiter. Nur um:
gern geben wir ein fpectellere® Eingehen in dieſelben auf.
Die Entfaltung der Arbeitskräfte und ber Verſuch zur
Verwirklichung des Egalitaͤtsprincips duch Beſitz mußte
Frankreich nothwendig auf da6 Gebiet ber Induſtrie fuͤh⸗
416
ven: nur bier, auf keinem andern Felde, kann bie Per:
ſoͤnlichkeit durdy die bloße Arbeitskraft die materiellen Gh:
ter fich unterwerfen. Abgefehen von dem Umftande, daß
das Gapital in feinem gewoͤhnlichen Verhaͤltniſſe zu Ar:
beitökraft den Sieg dbavontragen, den Reichen nur noch
reicher machen und ihn um fo mehr von bem Nichtbe⸗
figer fcheiden mußte, lag es auch im Weſen biefer aus
der Revolution und dem Eyalitätöprincipe bervorgeganges
nen Induſtrie, daB der Zweck der bloßen Arbeitskräfte In
ihr nicht erreicht werden konnte. Sollte die Induſtrie
jedem Einzelnen das Mittel bieten, fih Beſitz zu erwer⸗
ben, fo mußte fie Jedem offen flehen: das heißt die un:
bedingte Concurrenz mußte anerkannt fein. In der uns
bedingten Soncurenz aber befiegte nicht allein das größere
Capital das Mleinere, fondern die Producte der Arbeit
wurden in dem Maße berabgedrüdt, daß der Arbeiter,
der nur feine Arbeitskraft anbieten kann, bald kaum einen
foihen Lohn empfing, um fein Leben zu friften. Die
factifche Wahrheit davon liefert der Zuftand der Fabrik:
orte. Die Einzelnen, die Befiger, haben fi auch bei
geringem Gewinne bereichert, und die Maffe der Arbei:
ter, die induftriellen Deere, die fih Beſitz erobern wollten,
find in VBerarmung, Elend und die tieffte Abhängigkeit
von dem Willen und von dem Können des Gapitaliften
verfunfen. Freilich iſt die Zahl Derer, die gerade aus:
fchließend zur Claſſe der Fabrikarbeiter gehören, im Ber:
hältniß zur ganzen Bevoͤlkerung Überall gering; fie geben
aber, befonders in Frankreich, den Punkt ab, an dem
dieſes Verhaͤltniß und diefer Zwiefpalt, den die Induſtrie
in die Geſellſchaft gebracht, am ſchaͤrfſten hervorfpringt.
Der Fabrikherr oder ber Gapitatift, und auf der andern
Seite der Arbeiter, ſtehen ſich deshalb in Frankreich gleich
zwei Principien gegenüber, von denen das eine das Recht
des Beſitzes, das andere die Idee der Gleichheit gel:
tend macht.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Wenn bie Verfchrobenheit bes Balzacihen Stils nur
eine Folge der großen Flüchtigkeit wäre, mit ber diefer unerfchöpf:
liche Romanfchreiber feine Geiftesprobucte auf das Papier wirft,
fo würde man ihm nod eher durch die Finger fchen. Man
muß aber willen, daß der eingebildete Autor an jedem Satze
drechfeit und feilt, bis Das, was erft Mar und einfach war,
verrenkt und unnatürlich geworden iſt. Seine faft untefertidyen
Manuferipte liefern ben Beweis von dieſer Manie, dem großen
ftitiftifchen Talent, das er von Haus aus hat, auf eine ſchaͤnd⸗
liche Weife Gewalt anzuthun. Dabei förbert er oft wahren Un:
finn zu Tage. Wir fchlagen fein „Me6nage de garcon de pro-
vince” (2 Bde., Paris 1843), eins feiner neueften Probuctios
nen, auf und leſen z. B. folgenden Sad: „La couleur, ma-
dame, est le moment A saisir par le peintre oü les choses
sont dans toute la splendeur de leurs effets.“ Was für ein
Franzoͤſiſch! „Es gebt Einem wie ein Mühlrad im Kopfe
berum.’ La couleur est un moment — od! Dabei laufen
Gemeinheiten im Ausbrud mit unter, die den Weibern ber Halle
zur Ehre gereichen würden. Und biefes Machwerk, das nur
an fehr wenigen Stellen an bie beffeen Dichtungen des allzu
fruchtbaren Schriftftellers erinnert, ift Charies Nobier, das
beißt, einem ber feinften Profalften, ben bie frangäfifdde Litsra-
tur aufzuweifen hat, gewibmet!
Dos im proteftentifhen Sinne gefchriebene Journal „Le
semeur”, das zu Paris erſcheint, aber von Genf aus rebigirt
wird, ſchenkt den Hauptfäkhtichften Erfcheinungen deutfcher Wils
fenfyaft und Kunft eine größere Aufmerkſamkeit, als franzoͤ⸗
ſiſche Zeitfchriften dies im der Regel zu thun pflegen. Naments
ih erinnern wir hier an bie intereffanten Auffäge, in denen
ber geifteihe Binet in Genf über bie beachtungswertheften
neuern Dichter Deutſchlands Bericht erftattete. Vinet, welcher
der eigentliche Leiter dieſes intereffanten Blattes ift, hat füch
überhaupt ſchon manches Verdienſt um Berbreitung unferer Li⸗
teratur erworben, unb ganz neuerbings haben wir wieber eine
neue Bearbeitung eines beutfchen Werks erhalten. Wir meinen
bie „Souvenirs de la terre sainte. Quarante vues originales
des lieux les plus célèbres dans l’histoire biblique, dessindes
par Z. M. Bernas, avec un texte explicatif par M. @. H.
de Schubert, trad. par A. Vinet.“ Wabrfceintich gleich:
fals aus Binet's Feder, oder doch wenigſtens von ihm ans
geregt, ift bie Bearbeitung der „Confessions d’Adalbert par
Theremin, ırad. de l’allemand sur la seconde Edition” (Neuf:
chatel 1843).
Die Dichtungen Heſiod's, bie voller mpibologifcher Anfpie
lungen find, bieten für den Überfeger ungleidy größere Schwie⸗
rigfeiten, als der größte Theil ber übrigen griechiſchen Dichter.
Die große Anzahl der verunglüdten Verſuche, die alle Literatı-
ren aufzumeifen haben, liefern den Beleg dafür. Gegenwärtig
erhalten wir eine neue franzöfifcdhe Bearbeitung ber Werte De
ſiod's in Verſen, die nicht ohne Werth if. Sie rührt von
Alph. Sreffes Monval, ber Profeffor am Athenee ift, her. Im
3. 1837 hatte Langlois, Profeffor am College Henri IV, im
„Journal de l’instruction publique” einige Proben von einer
poetifhen Übertragung gegeben, in benen fehr gluͤckliche Züge zu
entbeden waren. Wir mwiflen es Hrn. Freſſe⸗Monval Danf,
daß er ſich dadurch nicht bat abhalten Laffen, feine begonnene
Bearbeitung zu Ende zu bringen. Es eriftiren einige ditere
Überfegungen von Hefiod, die nicht ganz mislungen find. Die
befte dürfte die von Jacques Legras fein, ber indeflen nur die
„Werke und Tage“ (Paris 1586) geliefert hat. Der Abbe
Soujet, ein guter Kunftrichter, 308 diefe Überfegung den ſpaͤ⸗
Date von Richard Leblanc, Lambert Daneau und von %.
aif vor. .
Literarifche Anzeige.
Bonftänbig iſt jett durch alle Buchhandlungen zu bezichen:
Raturgefhichte
r
Landwirthe, Gärtner und Techniker.
Herausgegeben
von
William TöõBe.
Mit 20 lithographirten und iluminirten Safeln.
Gr. 8. 2 XThle.
(Ku in 5 Heften & 18 Mr. an Beziehen.)
Dieſes Werl, das in gebrängter überſicht und populairer
Darftellung die widhtigften Gegenflände der Naturreidhe befans
beit, Tann allen denkenden Landwirten, Gärtnern und Jech⸗
nitern empfohlen werben. Die bem Zerte beigefügten Abbil⸗
bungen find ebenfo gefhmadvoll als naturgetreu ausgeführt.
Reipsig, im April 1843.
F. A. Brockhaus.
Berantwortlier Herausgeber: Deinrih Brokhaus. — Drud und Berlag von $. &. Broddaus in Leipzig.
Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
15. April 1843,
Socialismus und Gommunismus.
(Beſchluß aus Nr. 108.)
Drei Punkte find es aber, die den Nichtbefitzer, den
bloßen Arbeiter, feine Stellung als eine gänzlich abhaͤn⸗
gige und auch gaͤnzlich hoffnungsloſe erkennen laſſen.
Mit der Einfhhrung des Wahlcenfus hat er feine Rechte
auf die Vertretung im Staate verloren, mit dem Zu:
fammenftrömen der Arbeiter auf den induflriellen Plägen
geht jede Hoffnung auf die Erhöhung feines Arbeitsloh⸗
nes zu Grunde; die gewaltigen Handelskriſen und die
Deplacirung ber Weltmärkte beraubt ihn jeder Hoffnung
für die Zukunft. Von einem Vollbuͤrger aus der Zeit
ded Terrorismus iſt alfo ber Proletarier an der Hand ber
Induſtrie zu einem volllommenen Werkzeuge feiner Mit:
bürger, zu einem Heloten geworden, der fi) von ber
Egatität in der Gefelfhaft und von dem Genuffe der
allgemeinen Lebensgüter nur um fo meiter entfernt, je
länger diefer Zufland dauert. Das Egalitaͤtsprincip, das
ihn früher zur Miederwerfung der abfoluten Standesuns
terfchiede führte, muß ihn nun entfchieden gegen diefen
Geſellſchaftszuſtand flimmen. Diefer Kampf iſt von dem
fruͤhern ganz verfchieden; es handelt fih nit mehr um
die Abftraction, fondern um den Inhalt der Perfönlich:
keit, den Beſitz. Indeſſen Liegt der Knoten nicht darin,
ob Frankreich die politifche Drganifation des Egalitaͤts⸗
princips finden werbe, fondern ob das bisher nur nega=
tive Princip der Perſoͤnlichkeit auch eine organifche Kraft
-in ſich trage, den Widerſpruch, in den es mit felbft ver-
wickelt ift, zu Iöfen. Der Socialismus und der Com:
munismus, bie nach der Julirevolution hervortraten, find
die erften Verſuche diefer Löfung.
Warum, muß man nod fragen, tritt diefe entfchiedene
Spaltung der franzöfifchen Geſellſchaft erft nach der Juli⸗
revolution fo entfchieden und deohend hervor? Die Prä:
tenfionen des alten Thrones hielten das ganze Bürger:
thum fammt den Profetariern in einer Spannung und
DÖppofition, die den Unterfchled zwiſchen Bourgeoifie und
Peuple vor der Vertheidigung des Egalitätsprincipe und
dee Volksinſtitutionen nicht aufkommen lief. Erſt ale
der alte Thron wieder umgeflürzt war, konnte fich der
Tiere - Etat aus ſich felber entwickeln und fi feinen
Wuͤnſchen und Intereſſen frei überlaffen. Die Staates
gewalt war aber zugleich in die Hände des Reichthums
und der Intelligenz gefallen, die den Kampf eingeleitet
und geführt hatten; und das Staatsrecht mußte darum
in allem Wefentlihen aus dee Natur der Induſtrie und
aus den Anfprücen ihrer Herren hervorgehen. Was
aus der Deputirtenlammer werben follte, da6 war gewors
den: die Geſetzgebung bed Staats mar den Befigenden,
dee Bourgesifie, zugefallen und die executive Gewalt kam
in die Hände eines von ihr erhobenen Könige. Was
erhielt aber der befislofe Peuple, der während ber Juli⸗
tage für die Freiheit mitgefämpft hatte? Der Peuple, in
dem bie ganze Erinnerung und bie ganze leidenfchaftliche
Anhaͤnglichkeit an das Egalitätprincip mit diefem Ereig⸗
niffe erwacht war, wurde von der neu befefligten Gleich⸗
heit ausgefchloffen; denn der Wahlcenfus blieb, nur mit
dem Unterfchiede, daß das Quantum der Abgabe von
300 auf 200 Francs für den Wähler berabgefegt wurde.
Diefe Ausdehnung bed Wahlrechts konnte ihn, ber nichte
befaß, nicht berühren und mußte nur aus feinen Reihen
noch die Wenigen hinwegführen, denen der Beflg nicht
ganz entzogen war. So flieg ber Widerſpruch des Prins
cips und der Daß zwifchen Bourgeoifie und Peuple auf
| feine drohende und gefährliche Spige.
Die Gewalten aber, ſchließt der Verf. bdiefen Theil
feinee Arbeit, die dem Armen in feinem Bewußtſein die
Verföhnung dee widerfprechenden Wuͤnſche und Berech⸗
tigungen bieten, find der Glaube an den Staat, an das
Eigentbum und an Gott. Jeder will ats Glied des
Ganzen am Staate Antheil nehmen; der beftehende Zus
ftand fchlieft aber von 20 Bürgern 19 davon aus, und
das nicht zufällig, fondern grundfäglih. Was verfähnt
bier die Wünfche in Deutſchland? Es ift die Achtung
vor dem Gefege, bie jede Gewaltſamkeit aufhebt. Dem
feanzöfifhen Volke iſt biefes Moment durch die Revolu⸗
tion entriffen, denn was einft niedergeriſſen wurde, tell
es nicht gut war, das kann auch ferner der gewaltfamen
Veränderung unterliegen. Derfelbe Schlag, der aber die
politifche Drganifation traf, hat auch die Kirche getroffen.
Der Katholiciemus hat zwar in Frankreich alles Moͤg⸗
liche angewandt, um einen alten oder neuen Bott zu ge⸗
winnen; die unglüdtichen Verſuche von beiden Seiten
liegen aber mehr als alles Andere zu Tage und die mo⸗
raliſche Wurzel Frankreichs ſcheint in ber That vernich⸗
tet, der Kern ſeines Lebens zerfplittert.
418 ’
Dem ift jedoch nicht fo; vernichtend iſt kein wahr:
haftes Princip. In dee Idee der Perföntichkeit liege ein
Keim verborgen, der in ſich nicht blos eine negative und
zerſtoͤrende, fondern zugleich eine ordnende und ſchaffende
Macht trägt. Aber die Art und Weife, wie diefe Auf:
Wfung des Widerſpruchs und die Wahrheit zur Erſchei⸗
nung tommt, {ft allerdings bei ben Völkern eine ganz
verfchiedene. Die ganze germanifhe Welt hat eine Auf:
gabe; jedes Volk verfolgt fie auf feine Weile. Das
franzöfifche Volk verwirklicht feine Ideen raf und glän-
zend, ehe es diefelben in den Kreifen feines Gedankenlebens
vollzogen hat. Es nimmt bafür allen Reihthum und
alle Armuth der blos dußerlihen Handlung für fi in
Anſpruch, damit unter den Völkern nicht allein der ru⸗
bige Gedanke und die langfame umrmäbdlihe Arbeit,
fondern auch das fchnelle, nur an bie Vollendung ben:
Sende Handeln feinen Vertreter habe: dieſe Volksthuͤm⸗
lichkeit hat auch das Egalitätsprincip an feine aͤußerſte
Grenze geführt, ohne daß eine tiefere Unterfuchung die
äußere und innere Entwidelung belehrend gehemmt hätte.
Die erſten Spuren des organifhen Lebens des Egalitaͤts⸗
princips finden wir daher auf dem praßtifchen Gebiete
felbft, wo wir den heftigſten Kampf aller Kräfte gefun:
ben haben. Es ift dem Volke auf dem Gebiete der In:
buftrie durch die unbedingte Concuerenz das erfte Mat
zum Bemußtfein gelommen, daß das Princip der abs
firacten Freiheit, die reine Atomiſtik der Geſellſchaft, eine
Unmöglichkeit ift, weit fie fich ſelbſt aufhebt, fobald fie
ſich verwirklichen wil. Das Bolt fängt an zu begreis
fen, was bie Männer wollen, die ſich gegen die Unbe⸗
ſchraͤnktheit ber Concurrenz erklären, und was die Schluß:
folge nicht vermag, das vollendet das Gefühl des gemein:
famen Elende. Die: Idee dee Organifation ber Arbeit
taudıt auf und findet beim Peuple, wie in der Baur:
geoifte, einen plöglichen und entfchiedenen Beifall und An:
bang. Aus den Theorien bed Socialismus tritt Diefe
dee zuerſt hervor; fie entwickelt ſich als eine Wiſſen⸗
fhaft, die nicht allein das Loos ber Proletarier verbeflern,
fondern auf der induſtriellen Grundlage eine neue gefell:
ſchaftliche Ordnung mit einer beflimmten Weltanfchauung
verwirklichen will. Das Volk ergreift biefe Idee in feis
ner praftifchen Weiſe; es will eine Aſſociation aller Eins
zelnen und die communiflifchen Verbindungen find Die
Sormen, im welche fich diefe Idee von der Drganifation
der Arbeit verwirklicht. Man täufche ſich nicht über die
tiefe Bedeutung biefer bee, weil fie fi vor dee Hand nur
über die Induſtrie erſtreckt und unter des Schwärmerei
bes Socialiemus und dem rohen Unfinne bes Commu:
nismus vergraben Liege. Die Idee ift der erſte Sieg
über das Princip der abftracten Freiheit, und von die
fem Standpunkte aus müflen bie beiden Erfcheinungen
betrachtet werden: fie find bie erfle pofitive Seite des
Egalitätspeintips.
Mit dem zweiten Abſchnitte beginnt nun die Dar:
flelung und bie Kritik der fociatiftifchen Syſteme St.⸗
Simon's und Fourier's; dann folgen in einem dritten bie
nebengeordneten Schriftfieler: Lamennais, Pierre Le:
song, Proudhon und 2. Blanc. Der vierte Abſchnitt
behandelt die Befchichte de6 Sommunismus bis auf die
neuefle Zeit, und zwar nad allen feinen Richtungen.
Stein ift fomit der erfte Gefchichtfchreiber dieſes ver:
widelten und in Dunkel gehüllten Gegenflandes gewors
den. Obſchon fi) auch diefe Theile durch großen Reichs
thum biftorifhen Stoffes, gründliche Durcharbeitung des
Segenflandes und eine Fülle von neuen und überras -
fhenden Refultaten auszeichnen, muͤſſen wir doch hier
leider an ihnen vorlbergehen.
Es ift unfere Überzeugung, daß weder Frankreich noch
die focialen Zuflände der Gegenwart bisher mit Diefer
Gruͤndlichkeit, Ernſt und Tiefe find abgehandelt werde,
wie e8 in diefem Buche gefchieht. Daffelbe muß gewiß
nicht nur das wiſſenſchaftliche und die ge:
lehrte Thaͤtigkeit von den mannichfachſten Seiten aufklaͤ⸗
ren und anregen, ſondern wird auch ſicherlich dazu bei⸗
tragen, die Vorurtheile zu vernichten, bie bei uns ſelbſt
Wohldenkende gegen die framgöfifdge Geſellſchaft und ihre
Geſtaltungen hegen und bie fich oft roher aͤußern als
der rohſte Communismus felbft. 4. Kurgel.
Der hürnen Siegfried und fein Kampf mit dem Drachen,
eine aftdeutfche Sage. Nebſt einem Anhange Über den
Seift des germanifchen Heidenthums und die Beben:
tung feiner Heldenfage für die Gefchichte von Guido
—8 Schaffhauſen, Hurter. 1843. 4. 1Tolr.
15 Ngr.
Wie Goͤrres und Hurter in Schaffhauſen zuſammenkommen,
iſt wol gerade nichts Unbegreifliches, ebenſo wenig, wie bes Al⸗
ten Sohn dazu ſich anſchickt, ein Volksbuch zu verfaſſen. Schon
im 3. 1807 feierte Hr. 3. Goͤrres das Lob ber deutſchen Volks⸗
bücher, derer, welche, wie fdhon oft gefagt, ihre Jugend vers
kuͤndigen durch „Gedruckt in diefem Jahr“. Man darf nur ein
wenig unter bad Boll gekommen fein und fi mit ihm in gu
trauensvollere, ernſtere Unterredungen eingelaffen haben, fo
wird man bie Worte hören, wie ich fie mehr als einmal vers
nommen habe: Wie das fo erbaulich in der Gefchichte, in ben
Hiftorien von ber heiligen Genovefa zu lefen fleht, bie Ihr ge
wiß gelefen habt. Und dann wird ed wol Mehren als mir fo
ergangen fein, daß man jene erbaulicde, rübrende Geſchichte fo
wenig gelefen bat als ih. Aber follte das ein Ruhm fein?
Es mag immerhin fo vornehme Leute geben, welche weder jes
nes Volksbuch, noch ein anderes, ober Märchen gelefen hätten.
Sind bergleigen Schriften wirklich fo einfältig, baß ein beber,
gelahrter Herr und eine fublime Dame fol gemeine Waare
nicht zu beachten braudte? Dann und wann hört man, daß
in jenen Märchen eine ſchlechte, verberbliche Moral liege, uns
anftändige Hebensarten und Geſchichten flünden.
Es ift wol nicht gut, wenn bie Nahrung des Bolls fo
verächtiich angefehen wird. So find wir aber jet. Wie wir
einen andern Rod und einen andern Hut tragen als bas ge:
meine Volt, fo wollen wir auch andere Bücher Iefen als daſ⸗
fetbe Lieft, ober andere Geſchichten hören als es ſich erzaͤbtt.
Daß wie fogenannte Bornehme noch Anderes, no
fen, als das Bolt, verſteht ſich von felbfl; aber bie Eichlingäs
bücher bes Volks follten uns bekannt fein. Gin Stil iſt es,
bie Volksbücher in der Kindheit und Jugend zu lefen, ober ihren
Inhalt zu hören, Yennen zu lernen aus ben Erzählungen älterer
Perſonen. Etwas gibt ed doch, was auch ber Bornehmſte mit
dem Geringſten gemeinſam bat, das iſt bie Geburt und ber
419
ob. Außerdem aber wich es wol nach manches Andere geben, was
den Menfchen gemeinfames Gut ift, zumal in ber Kindheit und
Jugend. Uns Deutſchen namentlich thut es gar zu ſehr noth,
unferer Gemeinſchaft inne zu werden; bean efhe gefliffentliche,
mit Abſicht genährte Berriffeneit, wie ſolche in unferm Kater:
lande zu ertennen iſt, wird doch gewiß in keinem andern Theile
Guropas fo anzutreffen fein: bie Regentenhäufer find kaum im
Gerächtnib zu behalten, wie man von Wielen hört; bann gibt
ed Hobe und Niedrige, Vornehmme unb- Geringe, Gelehrte und
Ungelehrte, Gebildete und Ungebilbete, Oberdeutſche und Rieder:
bautfce und wer weiß wie Miete fonft noch; bie Spaltung in
der pe er nimmt von einem Decennium zum andern fo zu,
daß die Verſchiedenheiten gar nicht zu ermeffen find: Katholtten
und Proteftanten, Lutherifche, Attiutherifche, Reformierte, Cal⸗
vinfaner, Zwinglianer, mit und ohne Präbeftination, Deren:
huer, Bennoniten, Wiedertaͤufer nad) der neueften Mobe, Ra⸗
fionoliften, Gupranaturatiften, Myſtiker, Muder, Pietiften,
Theoſephen, Orthodoxe, Heterodoxe (und anbere Ochfen).
Philoſophen von allen Gattungen; ob auch verſchiedene
Pelitiker? Man bat behauptet, in Deutſchland gäbe es gar
keine Politiker, das wird zu viel behauptet feins alfo: Radi⸗
- cale und Stabile, Sonfervative und Liberale, Sonftitutionnelle,
Servile (servam pecus, eben bie praftifch:politifchen), Re
pꝓublitaner, Abfolutiften, bie für die Monardie, das göttliche
Recht der Kürften, für gemifchte Berfaffungen; Adelige mit als
ten , jungen Stammbäumen, ohne Stammbaͤume, neugebadene,
mit von, zu, auf, aus und andern Präpofitionen unb Präten:
fionen; bürgerliche Ganaille, mit und ohne Orden und Kreuze,
und nun wieder Ritter, GSommandeure, mit und ohne; und
dann die Ämter in Geheim, Wirklich, Wirklich-Geheim, Dr:
dentlich und Außerordentlich, Ober und Unter, bie verſchiedenen
wichtigen Rangelaſſenz Kaufleute und Krämer, Bürger und
Bauern, Stadt und Land. So fiebt e8 auch in ber Literatur
aus; ba gibt es Wächer für die Gelehrten nur, für die Gebil⸗
deten, für Damen, Sungfrauen, junge Frauen; für Ungelehrte,
für jeden Stand, für ben Philoſophen und den Schneider, für
den Theologen und Bäder, für den Mebdiciner und Seiler, für
den Zuriften und Horndreher, für den Polititer und Windmüls
Ver. Es ift unglaublich, für welche Alle gefchrieben wird. Gin
Zabel fol in der Aufzählung dieſer Verſchiedenheiten nicht lies
gen. Aber das ift das Ergögliche und mehr als Lächerliche,
daß nur in Deutfchlagb und namentlich im nördlichen Theile
deffelben, zumal in geriffen Theilen von Preußen, fo erftauns
lich viel auf dergleichen Unterſchiede gehalten wird.
Außer dem Trennenden gibt es nun auch mandjes Vereini⸗
‚, als ba find Bücher und Buͤchlein für Ärzte und Nichts
te, Gelehrte und NRichtgelehrte, Theologen und Nichttheolo⸗
gen, Juriſten und Nictjuriften, für alle Gebilbete, für afle
Stände, für Iedermann.*) Dergleichen Probucte find meiſtens
ins Gebiet ber Amphibien zu verweilen; ob fie nidyt zumweilen
auch Krebfe werben, namentlih zur Dfterzeit? Zum Bereini⸗
genden gehört vornehmlich bie Poefle, wiewol nicht zu leugnen
it, daß Poeſie, Dichtkunft nicht fo ſehr Gemeingut ifl, als
Trachtkunſi; dichten Tann und mag nit Ieber, cher ſchon
tradhten. Eine Art von Poefie gibt ed, welche für Hohe und
Geringe ift, nämlich die Kirchliche. Doch auch da, auf diefem
Gebiete fängt man laͤngſt ſchon an, Gefangbücder für Kirchen,
Schalen, Gymnafien, Eyceen, Buͤrgerſchulen und Landſchulen
herauszugeben; es iſt ein großer Jammer. Zu Dem, was ver⸗
einigt, was für Alle in Einem Lande wenigſtens iſt, rechne ich
auch den Regenten, Kalfer, König, Großherzog, Herzog, Fuͤr⸗
fien, Kurfürften u. f. w.; denn dieſe follen nicht für Einige
beſonders da fein, fendern für Alle. Auch große Helden find
für das ganze Wolf, Karl der Große, Friedrich Rothbart, Prinz
Sugen der edle Ritter, Schwerin, Friedrich ber Große; und
wenn ich nicht irre, auch der jegige König don Preußen wird
ein Dann des Wolks werden, wenn er tin Dann nach dem
=) Auch werben Büder geſchrioben für Niemanden.
Gottes IM, denn unfere Zeit iſt fromm, troß aller Frei⸗
geiflerei. Doch Hat Deutſchland wegen feiner Zerriffenhelt feie
drei Sahrhunderten verhältnißmäßig wenige Rationalhelden;
England 3. B. hat deren viel mehr, weil es eine Ration aus
Ginem Sue if. Zür Alle in ber ganzen Nation, für Hohe
und Niedrige find die Wolkébuͤcher. Fuͤr alle Schichten und
Claſſen des gefammten Volks muß ein ſolches Buch Sntereffe
haben, felbft für Gelehrte und Umgelehrte, Studirte und Un⸗
ftubirte ; denn dies iſt doch fuͤrwahr die jaͤmmerlichſte, klaͤg⸗
lichſte Unterfcheibung, weiche es nur auf der Welt gibt. Daß
es ſchwer fe, ein Volkebuch zu fchreiden, muß zugegeben werben ;
insbefondere wir abftracten Deutfchen, mit unferer deſtkllirten
Schreibweiſe, mit unfern fpisen, philoſophiſchen Zerminologien,
Kunft : und Stichwörtern, die felbft von den Kanzeln, naments
lich der alten Kant’fchen Landpfarrer tönen, mit unfern vielen
Wörtern auf ung, keit, beit, wir verlieren nach und nach noch
mehr alles Geſchick, allgemein verſtaͤnblich zu fprechen und zu
ſchreiben. Kenne ich doch einen ehemaligen Infpector eines Ges
minars für Volksſchullehrer, den Tein Bauer, welcher mit ihm
wegen ſeines Sohnes ſprechen wollte, verfichen Tonnte ob befs
fen abftracter Buͤcherſprache.
Dadurch zeichnet ſich unfere Zeit aus: wie die Stimme des
Volks (vox populi) auf den Lands und Provinzialtagen wies
der vernommen wird, fo geht mancher Gelehrte in Dörfer, zu:
mat in ſolche, weiche entfernt von der Bildung der Staͤdter und
der Wornehmen, zwiſchen ben Wäldern und Bergen liegen,
um Sagen, Lieder, Melodien zu hören und zu merken, weiche
auf dem weiten Markte des Lebens laͤngſt verhallt find und
vergeffen und verachtet, aber in ber Einſamkeit der Berge fi
Jahrhunderte lang, oft ganz unverändert erhalten haben. O
in biefen Volksbuͤchern Poeſie Liege? Natur menigftens, Schwer:
muth und Wehmuth, oder fpringende Munterkeit tönen daraus
hervor. Solche Meder und Sagen werben jest zahlreich gedruckt;
ob aud gekauft und gelefen? So viel iſt gewiß, daß bie Ge⸗
(dichte vom huͤrnen Siegfried, oder, wie es auch heißt: von
dem gebörnten, dem mit Hoͤrnern verfehenen, bis in bie neuefte
Zeit im Munde des Volks lebte. Wer auch nur ein wenig fi
mit ber beutfihen Literatur befchäftigt, wird gewahr werden,
wie biefe Sage au weithin ſich verbreitet bat: bei uns in
Deutſchland, bei unfern Verwandten im Norben war biefe Gr:
zaͤhlung verbreitet; dauert noch fort in farder Gefängen:
ſchimmert durch in Märchen und Sagen aus verfdhiebenen Ge⸗
genden Deutfchlants; bad Volkebuch vom hoͤrnen, gehörnten,
Siegfried, das Nibelungentlied tft befannt genug, fobaß barüber
weiter nichts an biefem Orte zu melden wäre.
Borliegende Bearbeitung ber Volksſage von Siegfried dem
Drachentödter, dem Schnellen, führt ung in das alte heidnifche Ger-
manien, in die Welt der Riefen, Zwerge, Drachen, in bie norbifche
Mythenzeit und fchließt Fröhlich mil" ber Hochzeit des Helden und
einem ergoͤtlichen Schwank, bem Eurzweiligen Kampfe, den zwei
Hafen auf Siegfried's Hochzeit geftritten, wozu eine luſtige Ab⸗
bildung gehört. Sie ftellt dar bie Herren Jockus und Zivilles.
Ihre Nachkommen find die deutſchen Bärenhäuter, ale da find:
die gewaltigen Maulhelden, bie Brüder Schlendrian und Schlu⸗
drian, die ſtets auf der Vaͤrenhaut mäßig liegen und ſich ber
Thaten ihrer Altvordern rühmen; die Rechthaber, die nie etwas
lernen und doch Alles beſſer wiſſen; die Wuͤrdeloſen, die fich ges
gen die Niedern hochmuͤthig und gegen die Hohen niedrig er⸗
weiſen; die falſchen, tuͤckiſchen Seſellen, bie dich auf den Mund
kuͤſſen und dir auf den Ruͤcken ſpucken; die farbloſen Wetter⸗
fahnen, die nicht warm und micht kalt, bie den Mantel immer
nach bem Winde und ben Blick nad) dem aufgehenden Gluͤcke
fchren, bie beim Kampf bie Letzten und beim Preis die Erfien
fein wollen, und die Rechenmeifter, die in Allem zuerft und zus
legt nur an ſich denken; bie felbftaefälligen Reidvdgel endlich, bie
mit Gott und der Welt zürnen und immer ihr Eigenlob fingen.
Der Bolkeſchriftſteller haben wir wenig. Unbedenklich kann
dr. Guido Görres zu ihnen gerechnet werden. Außer J. P. Ges
bei, dem Wandabecker Boten, Loͤhr und einigen Neuern und
Neueſten find nicht viele zu nennen. Poeſie fürs ganze Bolt
mag es, unferer Meinung nad), viel leichter und mehr geben,
als Profa. Vorliegende Darftellung der Siegfriedsſage mag
darum, auch wenn fie nicht mit fo einladenden Bildern geziert
wäre, recht willtlommen fein, auch ba ihre Herausgabe, gegen
des Verf. Abficht, durch zufällige Umflände hinausgefchoben wors
den iſt. Dergleihen Schriften kommen nie zu unrechter Zeit
mit forcher Sprade, mit ſolchem Gegenſtande: denn Siegfried
war ber geliebte, jugendliche Lichtheld unfers Volle, da es ſich
ſeilbſt in der Jugendzeit feiner Heldenkraft fühlte; was es von
berrlicgen , ihm von Bott verliehenen Raturgaben und Kräften
in feinem ganzen eigenften Weſen empfand, was es erſtrebte,
was es ahnte, wonach es fich fehnte, damit ſchmuͤckten feine
Sagen: und Lieberbichter Siegfried ben Schnellen, ber alfo,
duch die Dichtung verkiärt und mit der glänzendften Waffen
rüflung angethan, ihm aie böfiee Vorbild germanifchen Hel⸗
denthums vorſchwebte. (S. 69.) Weiche, ſentimentale Seelen,
nervenſchwache Weſen, welche, wenn ſie Blut ſehen, in Ohn⸗
macht fallen, werden freilich zuruͤckſchaudern vor dem blutgeroͤ⸗
theten Schwerte und der grimmigen Mordgier der alten Blut⸗
rache. Gegen die Nibelungenſage iſt die Heldenſage der Griechen
im Homer viel milder, menſchlicher gehalten; germaniſche Begier
nach Menſchenfleiſch iſt bei den Helden vor Troja nicht, nur
Ungeheuer der „Odyſſee“ gemahnen an barbariſche Geſtalten in ber
germanifchen Sage. Eine Charakteriſtik diefer Iegtern und eine
Darftelung ihrer Umbildung lefen wir in dem Nachwort unb
merken uns des Verf. Bekenntniß, daß er bie alte Sage mit
Freiheit behandelt habe und demnach in feiner Arbeit eben wol
eine Art Umarbeitung gegeben fe. Maßſtab für bergieichen
Umbildungen würde fein dürfen die Art, wie man jest vor ge-
miſchter Verfammlung eine alte Dichtung, Sage erzählen würde,
mit Grlduterungen, Zufägen, Weglaffungen. Die ftrengen
claſſiſchen und deutichen Philologen werden vermuthlich zürnen
ob ſolcher Freiheit. Aber kein Inſtitut der frübern Zeit, keine
Einrichtung aus alten Tagen mag für unfere veränderte Gegen:
wart in der urfprünglichen Geſtalt ein Beſtehen finden; auch
bie Poeſie der alten Zeit in unferm Vaterlande mag nicht mehr
in unfer Fleiſch und Blut ganz übergehen; auch die Poefie nicht,
ungeachtet diefe mehr ale bie Profa das Göttliche, Ewige in
fih trägt. Und ſolche Misgeburten nun gar, wie zu mander
Zeit vorgeführt wurden: halb Alt und halb Neu! Exempla
sunt odiosa,
Bon demfelben Verf. ift in demfelben Verlage ein Chriſt⸗
tagebüdhlein erfchienen und trägt ben Zitel:
Das Weihnachtökripplein und Prinz Schreimund und
Prinzeffin Schweigftila. 1843. Gr. 16. 10 Nor.
Symboliſche Darftellungen Eönnen, wie es fcheint, am glüd:
lichften Einem aus der Kirdyg bes Verf. gelingen, denn dieſe
ift voll von Symbolen. Das Bild der Trägheit ift eine Kari:
catur; die andern Wilder find erhebend und ergreifend. Zum
Weihnachtsgeſchenk gehört eine Ruthe, denn ohne Ruthe, ohne
Zucht verdirbt König, Koͤnigskinder und Unterthanen. Dies Kleine
Bud ſcheint flüchtiger gefchrieben als das vorige. 50.
Bibliographie.
Das claffifche Alterthum für Deutfchlands Jugend. Cine
Auswahl aus den Schriften der alten Griechen und Römer.
übertragen von D. Weil. Berlin, Veit und Comp. Gr. 8.
221, Nor. .
Beniden, 3. W., Einſiedler⸗Gedanken über die Gegen»
wart und ihre Stichwörter. Aus den Papieren einer Eremiten:
Brüberfchaft zufammengeftellt. Iſtes und 2tes Heft. Erfurt,
Expedition ber Thüringer Chronit. 8. 10 Nor.
Beyfe, A. W., Unparteiifhe Beurtheilung ber legten
Schrift des Herrn Dav. Hanfemann, über die Ausführung der
Eiſenbahnen, eine ber Zeit angsmeffene kleine Schrift. Köln,
Dunſt. ®r. 8. 15 Nor.
Fliegende Blätter fuͤr Fragen des Tags. III. Die Senfurs
frage. Bertin, Beffer. Gr. 8. 5 Nor.
Eylert, R. F., Sharakter Züge und hiſtoriſche Frag⸗
mente aus dem Leben bed Königs von Preußen Friedrich Wil
beim III. Geſammelt nach eigenen Beobachtungen und ſelbſt
gemachten Srfahrungen. After Theil. 2te, aufs neue durch⸗
gefebene Auflage. Magdeburg, Seinrichehofen. Er. 8, Beibe
Theile 4 Thlr.
Gelzer, 9, Die Gtraußifchen 3erwürfniffe in Zürich
von 1839. Zur Gefchichte des Proteflantismus. ine hiſto⸗
riſche Denkſchrift. Hamburg und Gotha, F. und A. Perthes.
Sr. 8. 1 Zhlr. 20 Rer.
Gerber, 3. H., Supranominaliömus, ein neues Syftem
der Theologie; oder die endliche Verſoͤhnung zwiſchen Rationas
liemus und Gupranaturalismus in wiſſenſchaftlicher Nothwen⸗
bigkeit. Leipzig, Breitlopf und Härte. Gr. 8. 7, Near.
Hebel’, 3. P., Werke. 1fter Band. Mit Hebel's Bild⸗
niß, ein Kacfimile feiner Handſchriften und vier Mufitbeilagen.
Karlerube, Müller. Gr. 16. 11Y, Nor.
Laun’s, F., gefammelte Schriften. Neu durchgeſehen,
verbeffert und mit Prolog von Ludw. Zied. Ifte Lieferung.
Mit dem Bildniffe des Derfaflere. Stuttgart, Sceible, Ries
r
ger und Sattler. Ki. 8. a Nor.
Leipzig, Brockhaue. Gr. 8.
g
eynar, Fuͤrſt zu, Gedichte.
1 Thlr. 18 Rgr.
Müller, W, Friedrich Wilhelm, Herzog von Braun⸗
fdyweigs Lüneburg und Ols, in Liedern der Deurfchen. Braune
ſchweig, &. ©. ©. Meyer sen. 15 Rar.
Nante im Bierleller oder das Öffentliche und mündliche
rein. Bon Dans in allen Gaſſen. Leipzig, Naumburg. 8.
tgr. _
Offentlichkeit, Muͤndlichkeit, Anklageproceß. Geſchwornen⸗
gerichte. Eine ſoſtematiſche Zuſammenſtellung der Verhandlun⸗
gen der ſaͤchſiſchen Staͤndeverſammlung hieruͤber. Nebſt einem
aphadetiſchen Sachregiſter. Grimma, Verlagscomptoir. 1 Iplr.
gr.
Paulus, Die ſeche Schoͤpfungstage. Gin Beitrag zur
Börberung wahrer Bildung. Stuttgart, Ebner und Geubert.
Gr. 8. 22), Nor.
Ein Ruf für Palaͤſtina. Gefchrieden im Jahre 1841,
Münden, Eentner. 1842, 8, 5 Ner.
Schwartze, M.G., Das alte Ägypten, oder Sprache,
Geschichte, Religion und Verfassung des alten Agyptens
nach den altägyptischen Originalschrifien und den Mitthei-
lungen der nichtägyptischen alten Schrifisteller bearbeitet.
Ister Theil. — A.u.d,. T.: Darstellung und Beurtheilung
der vornehmsten Entzifferungssysteme der drei altägypti-
schen Schriftarten. Ister Theil in zwei Abtheilungen, Leip-
zig, Barth. Gr. 4. 40 Thlr.
Stoſch, G. Graf, Die Amortifation der Schlefifchen
Pfanbbriefe. Breslau, Goſohorsky. Gr. 8. 15 Nor.
Uber das Verhaͤltniß des Staats zur Rhemifhen Eiſen⸗
bahn⸗Geſellſchaft. Zur Beleuchtung einer Hanſemann'ſchen
Pegeſcrift über dieſen Gegenſtand. Leipzig, Brodhaus. Gr. 8,
r
gr.
Balenti, de, Hegel, Strauß und der Ghriftenglaube.
Bafel, Bahnmaier. Gr. 8 6%, Nor.
Varnhagen von Enfe, 8. %., Denkwuͤrdigkeiten und
vermifchte Schriften. 2te Auflage. After bis Zter Band. — Au
unter dem Zitel: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. 2te
Aufiage. After bie Iter Theil. Leipzig, Brockhaus. Gr. 12.
6 Thir.
MWilberg, 3. F., Gedanken und Urtheile des Vetters
Ehriftian über Leben und Wirken im Mitteiftande. Nebſt Mits
theilungen aus feinem fchriftlichen Vermaͤchtaiſſe. Eſſen, Vaͤde⸗
ter. Gr. 8. 1 Thlr.
Berantwortliger Herausgeber: Heinrih Broddaus. — BDrud und Werlag von B. A Brodbaud in Leipzig.
Blätter
für
literarifche Unterhaltung.
Sonntag,
— Nr. 106.
16. April 1843.
—— uw m zz pc — —
Die dermalige Krife der Philofophie in Deutfchland.
Eine Stimme aus Frankreich.
U Schelling.)
Bor 40 Jahren führte biefer Philofoph das Scepter
des Gedankens in Deutfchland.- Kommt er, «6 wieder
zu ergreifen? Er iſt's, der den Pantheismus heraufbe:
ſchworen; wird es ihm gelingen, ihn wieder binabzus
beſchwoͤren? Einige hofften es. Die Degelianer ihrerfeits
verfprechen fih, den Stoß wol aushalten zu können.
Selling ſelbſt trat in bie Mitte diefer kaͤmpfenden Leis
denſchaften. Seine Antrittsrede wurde in ganz Deutſch⸗
land mit Begierde gelefen, fo begierig mie eine Thronrede.
Auch mar die Ähnlichkeit zwiſchen beiden nur gar zu
geoß. Der Rebner fprach mit vieler Würde von fi
ſelbſt, machte große Verſprechungen und umging die Fra—
gen, bie ihn in Derlegenheit bringen Eonnten.
Mit diefen Gedanken leitet der Auffag der „Bevua
des deux mondes“ feine Skizzirung der neueſten Lehre
Schelling's ein, nachdem er die übrigen Gegner Hegel’s
kurz harakterifiet hat. Für die Richtigkeit ber Darftel:
lung läßt ſich freilich hier keine Buͤrgſchaft geben, da bes
Urheber dieſes Syſtems daſſelbe noch nicht duch den
Druck veröffentlicht hat. Gewiß aber find diefe Mittheis
lungen geeignet, Intereffe zu erregen.
Die Verwandlung, die in den Anfichten dieſes Welt:
weifen vorgegangen, däucht dem Berichtenden gründliche
als die Modificationen, die früher deflen Spftem ducch
ihn felbft, fowie wol auch fonft manche andere Philo⸗
ſephie durch ihren Urheber erfahren. Schelling hat dies⸗
mal ſein Princip geaͤndert: er will in die Speculation
ein neues Element einfuͤhren und begreift alle vorherge⸗
henden Philoſophien, feine eigene wie bie andern, unter
einer und derfelben Verdammmig.
Diefe Syſteme haben einen gemeinfchaftlichen Cha:
rakter; die Vernunft ift darin das einzige Princip der
Erkenntniß; fie find ausſchließlich Logifh. Seit Descars
ws iſt man einverffanden, daß bie Vernunft für den
Philoſophen das einzige Mittel if, zur Wahrheit zu ges
Nun kennt aber die Vernunft nur das Univer⸗
fele. Die allgemeinen Ideen, welche fie gibt, paſſen auf
alle Weſen ohne mögliche Ausnahme, aber fie bezeichnen
°) Bergl. ven erften Artikel äber Hegel in Nr. 88 u. 63 d. BL,
D. Re.
keines imsbefondere; fonft würden fie micht mehr auf bie
andern anwendbar fein, fie würden aufhören allgemein
zu fen. Das Individuum iſt für die Wermunft gar
nicht da, fie ignorirt es, fie bemerkt es nicht; in dieſer
Beziehung iſt fie blind; um das Individuum zu erden“
nen, bedarf das Bewußtſein eines andern Organs. Was
folgt daraus? Daß die Vernunft, wenn ihre ein Indivi⸗
duum in den Weg kommt, nur das Allgemeine an ihm
und nicht das Individuelle ſieht. Eben darum nım kann
Bott, fofern er etwas Unterfchiedenes iſt und nicht
mehr ſchlechtweg als das allgemeine Weſen betrachtet
wird, von der Vernunft nicht erreicht werden. Sie kennt
auch von Ihm nur das Unperfönliche. Ebenfo gibt die
Bernunft nur das Nothwendige. Die freie Handlung
entgeht ihr, denn diefe kann man nicht a priori determis
niren; man fennt fie nur durch das Ereigniß. Mas
aber nothwendig iſt, das iſt auch ewig. Mic der Ders
munft allen alſo, wenn man anders confeauent iſt, fin
det man nur elmen unperföntichen Gott, eine nothwendige
und ewige Welt, kurz den Pantheiomus, und nie die
Perfoͤnlichkeit und die Freiheit.
Die Gefchichte der neuern Philoſophie beweiſt biefes.
Unmittelbar nach Descartes kam Spinoza, der allerdings,
nicht recht verſtanden und verfchrien, vielleicht noch mehr
Staunen als Skandal erregte. Um zwei Jahrhunderte
war biefer einfame Genius feiner Perlode vorangeeilt.
Unfer Zeitgenoffe iſt er und bat erfl heutigen Tags die
Geiſter gefunden, die mit ihm verkehren und die Tiefe
und das Wiftenfchaftliche feines Imelfels begreifen koͤn⸗
nen. Der Schreden war alfo damals nur vorkbengehend.
Dan glaubte den Spinoza widerlegt zu haben umd ber
Gedanke wanderte feine Bahn forglo6 weiter. Dan fiehe
die Eonfequenzen eines Principe nicht gleich anfangs vor⸗
aus; aber fie find darum nicht weniger unerbittlich
Sie kommen mit fangfamem, aber unerbittlichem Scheitte,
wie eine vielleicht zögernde, aber unfehlbare Juſtiz. Und
fo iſt der menfchliche Geiſt felt Descartes, von Syſtem
zu Syſtem, bei Hegel's Pantheiemus angekommen. Sein
letztes Opfer iſt der perfönliche Bott.
Schon Jacodt, lange vor Schelling, wie er jetzt iſt,
hatte dies unvermeidliche Ende ber modernen Speeulation
angekündigt. Er hatte mit vief Beredtſamkeit gezeigt, daß
unfere edefften Inſtincte gegen den Pantheismus proteflk
ver: er vertraute ihnen, ohne fich doch enrfchließen zu
422
koͤnnen, der Vernunft den Abfchied zu geben. Bezaubert
von ihe und fie verwünfcend, weder zu glauben noch
zu zweifeln wagend, litt er bis an fein Ende an diefem
graufamen Zwiefpalt, und ſchmeckte von der Wiffenfchaft
nur die bitterfle Defe.
Aber diefer Widerfpruch darf nicht beſtehen bieiben.
Und hier hebt fich der Grundgedanke des neuern Schel⸗
ling’fhen Syſtems an.
Es gibt zweierlei Betrachtungsweifen des Univerfums:
entweder man leitet Alles von einem oberfien Princip mit
logiſcher Nothwendigkeit ab, man fleigt herab von Gott
zur Melt, als von einem Princip zu feiner Confequenz,
fodaß mit Gott auch die Welt gefegt iſt; oder aber man
betrachtet die Welt als von Gott durch einen Act feines
Willens, durch freie Entſchließung gefchaffen. Die Welt
ift entweder nothwendig oder accidentel. Diefe beiden
Begriffe koͤnnen in einem und demfelben Geifte nicht bei:
ſammen eriftiren; fie find unvereinbar und bie einzigen
möglichen; ber eine iſt wahr, der andere falſch. Die
Vernunft allein nun, die logifche Methode, gibt nur eine
notbmendige Welt. Der freie Act läßt fi) nicht a priori
befiimmen, er wird nur a posteriori, durch die Erfahrung
erfannt. Wenn nun bie Kreiheit ihren Plag in Der
Melt findet, fo muß die Erperimentalmethode oder bie
biftorifche Methode auch ihren Plag in der Philoſophie
finden. Die Vernunft iſt alfo, wie Schelling bemerkt,
feine intereffelofe Schiedsrichterin zwilchen den beiden
Spfiemen. Ebenſo verhält es ſich mit der andern Me⸗
thode. Ihre Anwendung fett eine accidentelle Welt vor:
aus, fonft könnte von ihr nicht die Rede fein. So bie:
tet fich bei Eröffnung der Pbilofophie eine Alternative von
Methoden dar, die in Wahrheit eine Alternative von
Spitemen ifl. Die Philofophie kann uns über die Wahl
nicht aufklären; dieſe muß flattgehabt haben, wie jene be=
ginnen fol: die Philofophie geht von einer Hypotheſe
aus. Man wollte die Hppothefe vermeiden, indem man
bie Vernunft als einzige Erkenntnißquelle zuließ; man
ahnte nicht, daß dies felbft eine Vorausfegung war, daß
man damit ſchon eine Wahl getroffen hatte.
Nun fragt Schelling, welches die natürlichfte dieſer
beiden Hppothefen if. Wozu raͤth uns das inftinctartige
Verlangen des Geiftes? Neigt es uns auf die Seite ber
(ogifhen Methode? Wollen wie urfprünglich alle Dinge
als nothwendig begreifen? Offenbar nein! Wir fühlen es,
indem wir die Dinge biefer Welt betrachten, daß fie auch
nicht fein könnten, daß fie anders fein könnten, daß fie
occidentell find. Der Gedanke an eine Welt, wo bie
Freiheit ihren Platz bat, gibt überdies der Intelligenz
Luft und Schwung. Nichts dagegen macht den Geift
aͤrmer, raubt feiner Betrachtungsweiſe mehr ben Zauber,
ſchlaͤfert ihn mehr «ein als der Fatalismus. Die Menſch⸗
beit tritt als Zeuge zu unfern Gunften auf: alle rellgioͤ⸗
fen Offenbarungen wollen uns eine Geſchichte geben. Der
Sort des allgemeinen Bewußtfeins iſt ein perfönlicher
und freier Gott. Dazu kommt die überwältigende Ge:
wißheit der Moral, die in letzter Inflanz immer über
das Schicſal der Syſteme entſcheidet und die Freiheit des
Menſchen und die Perfoͤnlichkeit Gottes vorausfegt. Dieſe
vereinten Motive entfcheiden. Die logifhe Methode hatte
nur eine illuſoriſche Nothwendigkeie für ſich. Man barf
alfo der Vernunft nicht geftatten, unfer ganzes Denken
zu ufurpieen. So ſchließt Schelling.
Heißt das aber bie Vernunft ganz aus der PhHofes
phie verbannen und nur die Erfahrung zu Rathe ziehen?
Ehenfo gut konnte man der Philoſophie überhaupt dem
Abfchied geben. Welchen Werth und welchen Plag muß
alfo die logifche Methode behalten? Wir haben von nichts
eine wahre Erkenntniß, che wir Gott erkennen. Se
lange ift alles Wiffen Stuͤckwerk, proviforiih, ungewiß.
Ein Object iſt erfl dann erkannt, wenn man ihm feinen
Pag im Ganzen, fein Verhaͤltniß zur oberften Urfadye
angewiefen hat. Died kann man aber nicht, ohne daß
man bie dee von Gott bat. Diefe aber erhält man
nicht unmittelbar, es iſt die wenigſt einfache, die reichfte,
die complicirtefte von allen. Wie gelangt man zu ihr?
Sort offenbart fih nur in feinem Werke. Die Schoͤ⸗
pfung wird ihn uns erkennen lehren. So mäffen wir
denn von der Welt ausgehen, um zur oberften Urfache
zu gelangen. Man fleigt nicht nochwendig von Bott
zur Welt herab (?), wol aber nothwendig hinauf zu Gott
von der Welt, von der Wirkung zur Urſache. Der notb:
wenbige Weg hierzu, der iſt eben bie logiſche Methobe.
Sie ift die Methode der Präliminarien ber Wiffenfchaft; und
die moderne Philofophie, wenn fie vorerft diefen Weg befolgt
bat, ift Beinen Irrweg gegangen, fie hat ihrem Inſtinct ges
horcht, Hat mit dem wahren Anfang angefangen. Aber es war
dies nur bie Vorrede zur Wiffenfchaft. Ihe Irrthum mar,
daß fie Darin glaubte, die ganze Philoſophie zu befiden. Won
Descartes bis Hegel flieg der Gedanke Europas zu Gott em:
por, als zur Idee. Jetzt bleibt ihm übrig von Gott wieder her:
abzufteigen zur Welt, und die Gefchichte des Weltalls zu
benten, und dies iſt die wahre, die definitive Wiffenfchaft.
Diefe Frageftellung nun tft Schelling’S großes Ber
dienft, nah dem Berf. Sie ift ein guter Schritt zur
Löfung. Die Intelligenz wird ohne Zweifel auf diefem
Wege fortfchreiten müffen. Man wird der Vernunft
feine Zügel mehr anlegen wollen, fobald man überzeugt
fein wird, daß fie uns einen perfönlichen Gott nicht vers
meigert. Aber wenn für die Praris die Mefultate einer
Philoſophie hinreihen, ihren Werth zu beftimmen, fo
verhält es fih anders mit der Wiſſenſchaft. Die Gonfe:
quenzen eines Syſtems ziehen, heißt noch nicht, eine ent:
fchiedene Kritik über baffelbe üben und bie übrigen Gründe,
die Schelling gegen bie logifche Philofophie aufführt, find
nicht ſtichhaltig. Er fpricht von dem Berlangen, dem
Wunſche der Intelligenz. Iſt das nicht vielmehr ein
Wunfc des Gefühle, der Phantafie? Won der Überein⸗
flimmung der Menſchheit. Aber ftimmt etwas anders ihm
zu, außer dem Chriftentbum? Nur biefes kennt einen
perfönlichen Gott und eine freie Schöpfung. Der Koran
freilich jenen auch, aber er Läße den Fatalismus daneben befte=
ben. In den Mopthologien iſt die Perfönlichkeit der Goͤt⸗
ter nur fcheinbar; der Gott, der fich dahinter verkirgt, iſt
fein perfönticher.
Nun wit Schelling feinm. perfönlichen Gatt durch
De Logik erhalten; aber wenn die Vernunft diefer Sore
fähig iſt, fo fällt Schelling’s Anklage des Pantheismus,
die er gegen fie erhebt, von ſelbſt. Das find Lauter
Duntelpeiten und Lüden im Spftem. Sie helfen nicht
zur Überzeugung. .
Auf die Einleitung folgt das Syſtem. Gott fchafft
buch einen Act feines Willens. Aber, wenn. ber De:
ſchluß frei ift, einmal ausgeſprochen, realiſirt er ſich durch
einen ſich gleich bleibenden Proceß. Gott ſchafft nach
ewigen Geſetzen, welche die Exiſtenz in ihm hat. Die
fer Proceß der Schöpfung ift das Myſterium des Lebens
ſelbſt, und nur ein kuͤhner Wahn beutfcher Philofophen hat
ſich einbilden können, dies Geheimniß enthällen zu wollen.
Selling unterfcheidet drei Principien oder Factoren
dee Exiſtenz: erſtens, ein Princip abfoluter, unbeftinmter,
gewiffermaßer blinder und chaotifcher Eriftenz (dev dunkle
Grund). Nicht diefe If es, die die Welt uns darbieter.
Somit gibt ed eine mit diefer Exiſtenz wetteifernde Ener:
gie, ein zweites Princip, das ihr widerſteht und fie befchräntt.
Der Kampf diefer zwei Gewalten und ber progreffive Triumph
der zweiten haben bie Mannichfaltigkeit der Weſen und bie
immer volltommenere Entwidelung der Schöpfung her:
vorgebracht. Diefer Dualismus, der allenthalben in der
Natur fihhtbar wird, ift jedoch nicht das oberſte Factum.
Diefe feindfeligen Gemwalten find vielmehr beide einer
dritten unterworfen, bie fie vereinigte. Erſt wenn ber
Kampf fi vollendet, durch die gänzliche Unterwerfung
der blinden Exiſtenz erfcheint endlich jenes dritte Princip
mit dem Dienfchen, mit dem Geiſt. Der GSeift befist
in fi alle Principien feiner Eriftenz; aber der Krieg,
den fie fih in der Natur Kieferten, ift in ihm zum Frie⸗
den geworden: die blinde Materie iſt gänzlich in ihm
umgeſtaltet, alles iſt Klarheit, Licht und Harmonie. Das
Sein ift endli bei feinem vollkommenſten Ausdrud ans
gelangt im Menſchen, bem treuen Bilde Gottes, der frei
tft, wie Bott; ihm ſteht es auch frei, mit Bott vereinigt
zu bleiben, ober fich von ihm zu trennen, in Harmonie
zu bleiben oder nicht.
Die Erfahrung allein lehrt uns Das, was gefchehen
iſt. Der Zuſtand des Menfchen bezeugt feinen Fall: auch
bier noch iſt der Entſchluß frei, aber er verwirklicht ſich
nach ewigen Gefegen. Die urfprünglihe Harmonie des
Menfchen konnte nur getrübt werden, wenn bie blinde,
befiegte Eriftenz ihre Herrſchaft mwiedererrang. Sogleich
aber regte ſich auch die andere, die rivale Eriftenz, und leiftete
Miderfiand, und fo begann ber Kampf aufs neue, aͤhn⸗
lich dem Kampfe, der die Natur hervorgebracht hat, nur
Daß es jest ein imnerlicher, ein Kampf in ber Tiefe des
Bewußtſeins wurde. Lange Jahrhunderte hindurch ver:
lor der Menſch — der Materie bingegeben — gleich⸗
fam den Belig feiner felbft; er iſt nun nicht mehr Be:
berberger der göttlichen Vernunft, fondern der titanifchen,
ungeorbneten Mächte, die in ihm bie alte Zwietracht er:
neuen. Aber das Bewußtſein des Menfchen iſt wefent:
lich religiäß; die Principien, die ihn beberrfchen, find für
ihn göttliche Kräfte.
— — — — — — —
So erſchienen dem Bewußtſein
N
fremde, uns jetzt unbegseifliche Götter, und es Connie:
fih von Diefer aufrährifhen Viſion nicht losmachen
Died ift, nad der originellen, neuen Lehre Schelling’s,
der Urfprung bee Mythologien. Sie werden für ben
gefallenen Menſchen eine Nothwendigkeit, der ec fich nicht
entziehen konnte, eine Phafe feiner Gefchichte, durch die es
nothwendig bindurchgehen mußte. Se unbegreiflicher dieſe
Goͤtterlehren erfcheinen, deſto einleuchtender muß es wer:
den, daß Völker vom edeiften Geifte und hoher Weisheit
ſich nit immer unter ihe Joch gebeugt hätten, wenn
es von ihnen abgehangen, ſich davon zu befreien, und
wenn diefe Götter nicht die natürlichen Beherrſcher ihres
Demwußtfeins gewefen wären. Man ficht wohl, daß da⸗
mals bie Natur eine Allmacht über den Menſchen aus:
übte; und biefe Macht lag nicht (mie jegt zuweilen) im
Zauber ihrer Schoͤnheit. Die Ägypter, über welche der
Polptheismus fo unbedingt berifchte, waren die profaifch-
Ken Sterblihen; die Hindus dagegen, mit ihrer glaͤnzen⸗
den Einbildungskraft, ihrer empfänglichen Seele, ihrem
ſchwaͤrmenden Enthufiasmus, umtingt von allem Zauber
der Natur, befigen eine reiche, ſchoͤne Poefie, und doch
find ihre Gottheiten bie groteskeſten und misgeftaltetften
des Morgenlandes. Poetiſch wurde die Mythologie erſt
in Griechenland, als fie aufhörte eine Religion zu fein.
Diefe Herrſchaft der Mythologien über die Menſch⸗
beit war eine erniedrigende, demüthigende Tiprannei wols
tüftiger, geaufamer, ſchaͤndlicher, gräßlicher Götter, die an
die Wolluͤſte und Raſereien der Natur erinnern: Orgien,
Unzudt, Ehebruh, Denfchenopfer. Deswegen gehören
fie mit zum Sale. Und doch find fie zugleich eine Er⸗
bebung. Nur muß man fie nicht ifolirt betrachten ; fie
bitden vielmehr einen ungeheuern Cyklus.
Diefe allgemeinen Anfichten find nidt das einzige
Intereſſante im Eurfe Schelling's. Merkwuͤrdig ift auch
die Art, wie er die Verſchiedenheit der Voͤlker erklärt.
Auf welhe Weife ift die urfprünglihe Einheit der Mens
ſchenfamilie zerbrädelt worden? Nicht aus der Zerſtreuung
dee Menſchen über die Erbe, nicht aus den Kriegen,
nicht aus der Verſchiedenheit der Racen, felbft nidyt aus:
der Derfchiedenheit der Sprachen glaubt Schelling bies
Phänomen hinlänglih erklärt. Diefe letztern bedürfen
fetbft wieder einer Erklärung; eine Philoſophie, legt den
Sprachen zu Grunde; die Etymologie iſt etwas mehr
als nur eine Ableitung der Woͤrter; fie gibt eine Genea⸗
logie der Ideen, fie versäch den geheimen Gedanken der
Völker über die Verhaͤltniſſe der Dinge, über den Eins
Hang des Sittlihen und Phyſiſchen, über Natur, Seele
und Got. Die Eintheilungen, Kormen, Gefege der
Grammatik, Alles fest eine Logik voraus. In jeder
Sprache iſt gemiffermaßen ein Weltfoftem verborgen ; bie
Berfchiedenheit der Sprachen verrärh alfo eine Verſchie⸗
denheit der Anfihten über das Univerfum, und ihr hoͤch⸗
ſter und wahreſter Ausdrud finder ſich in der religiäfen
Verfchiedenheit. Dies iſt das Kactum, auf welches wir
bingetrieben werden, um die Verſchiedenheit der Voͤlker
zu erllären. Der Polptheismus, indem er bie Einheit
Gottes zerbrach, zerbrach auch die ber Menfchheit. Wenn eine
nene Mythologie in den Geburtswehen lag, wurbe bei
den Menfchen, bei weichen dieſe Krife eintrat, Altes affi⸗
cirt: der Gedanke verwirrte ſich bis in feine geheimſten
Ziefen, die Sprache formte fih um unter diefem Eins
ftuß; ein neuer Gott, ein neues Idiom, ein neues Volk
entſiand, die ſich vom alten Wurzelſtock abloͤſten. Der
Eine Gott mußte den Menſchen wiedergegeben werden,
wenn fie die Erinnerung an ihre eigene, verlorene Eins
heit wiederfinden ſollten. So find es nicht bie Völker,
de ihre Mythologien erfunden haben, fondern bie My:
thotogien haben Völker geſchaffen.
Die Philoſophie der Offenbarung Erönt Schelling's
neues Spftem. Die natürliche Folge de6 Falls iſt das
Verderben des Menſchen. Indem er fiel, gab er ſich in
die undedingte Gewalt des Princips der Materie. Dies
rineip, wenn es ſich des Menſchen ganz bemaͤchtigt
hätte, würde den Geiſt, d. h. den Menſchen vernichtet
haben. Dies geſchah nicht. Ein Witte hat fih mithin
unferm Verderben widerfegt, und diefer Wille, den man
niche im Menfchen finden kann, muß in Gott gefunden
werden. Der Fall konnte nicht aufgehoben werben, wenn
das Princip der Materie nicht aufs neue unterworfen
ward. Dies konnte nur durch eine rivale Gewalt ges
ſchehen, wie bei. ber Schöpfung. So erfchlen denn diefe
Gewalt, Gott unterworfen, zugleich aber eines ſchuldigen
Geſchlechte einverleibt, fie wurde das vermittelnde Wert
umd rettete die gefallene Menfchhei. In ihrem Kampfe
gegen das Princip der Materie brachte fie die Mytholo⸗
gien wieder zum Vorſchein, aber ſie durchſchreitet ſie blos,
um über fie hinauszugehen; fie find -flr fie der Weg
und nicht das Biel. Die Religionen find Ringe einer
und berfelben Kette, aber die legte iſt weſentlich verſchie⸗
den von ihren Vorgängerinnen. Die Götter der Mytho⸗
logien eriirten nur im Bewußtſein und haben im uͤbri⸗
gen gar Seine Realitaͤt. Das weſentliche Wort des Chri⸗
ſtenthums dagegen erſcheint im Fleiſch und miſcht fich
unter die Menſchen als eine diſtinete Perſoͤnlichkeit. Das
Chriſtenthum ift nicht die vollkommenſte Mythologie, es
hebt alle Mythologien auf. In ihnen iſt der Menſch vom
wahren Gott getrennt, im Ehriſtenthum iſt er aufs nene
mit ihm vereinigt; ex iſt nicht mehr Sklave der Natur,
fondern, wie ehedem, ihr Heer.
Schelling läßt alle Dogmen ber Kirchenlehre zu: die
Fleiſchwerdung, die Auferftehung, bie Himmelfahrt. Das
Evangelium iſt feine Mythe; es bleibt wahrhaftige Se:
ſchichte. Stande und Vernunft werden fi binfort ver:
mählen; neue Zeiten kündigen fi an. Der Katholicis⸗
mus rührte von St.⸗-Peter ber, die Reformation von
St.Paulus, der unmittelbar von Gott erleuchtet warb;
die Zukunft wird von St.⸗Johannes abhängen, dem Apo⸗
fiel der Liebe. Wir werben den vollfommenen Sieg bes
Ehriſtenthums erleben, ber Menſch wid von aller Knecht:
fchaft frei werden, von einem Ende ber Erde zum ans
dern werben die Menfchen vor Einem Altare Inien, das
Band berfelben Liebe wird fie umfchlingen.
(Der Befälup folgt.)
Literarifche Notizen aus Frankreich.
Alpbonfe Karr’s „Gu&pes” haben ſich, trotz ber unzähli
gen Nachahmungen, bie fie ins Erben fen haben, von denen
wir der eingegangenen Balzac'ſchen Revue parisienne”, bez
„Cbronique de Paris”, ber „‚Historiettes” von Eug. Briffaut
und des „Papillon” nur im Worbeigeben gedenken, immer noch am
meiften in der Gunſt bes Publicums erhalten. Nur bie gut
rebigirten „Nouvelles à la main‘, von benen monatlich ein kiei⸗
ned Bänbdyen herauslommt, haben einen fafl ebenfo großen
Referkreis. Sie verdanken bdiefe Beachtung namentlidy der Ins
discretion, mit der die Redacteure (Neſtor Roqueplan, Leon
Gozlan und Malitourne, wenn wir recht unterrichtet find) die
Seheimniffe der vornehmen Salons unb Geuliffenintriguen auße
beuten. Sebruarheft ber „‚Guöpes“ ift bietmal nicht
von Karr felbft redigiet. Der ſchmerzliche Verluſt, den der⸗
felbe durch ben Tod feines Waters vor kurzem erlitten bat, if
der Grund, weshalb mehre feiner Freunde zufammengetreten
find, um den Stoff zu diefem Hefte zu liefern. Der befannte
Muflter Eon Gatayes hat fi dem Geſchaͤfte der Redaction ums
terzogen. &o zeichnen fi dieemal die „Guöpes‘, bie u
weilen etwas monoton waren, durch eine große Mannichfaltige
keit aus. Wir finden darin ein Bruhflüd aus bem ungebrud:
ten „Etoile polaire”’ von Arlincourt, einige unbekannte Berfe
von Ramartine und Victor Hugo, bie inbeffen fein neues Blatt
zu den Lorberkraͤnzen beider Poeten hinzufügen, auch sin Lieb
aus ber Feder des gewandten Zeichnere Gavarni, einen geifl-
reichen Auffag von 3. Sanin „Horace et le chiflonier’, einen
Brief von Bicomte de Launay (Mab. de Girarbin), ein Bruch⸗
flüd einer Komödie von Alerander Soumet. Beſonders hervors
zubeben ift unter der bunten Auswahl «in Meiner Aufſatz, im
dem der bekannte Componiſt Adolf Adam einige Züge aus dem
Leben vom Vater Alpbonfe Karr's erzählt. Bekanatlich hat fi
Henri Karr, der vor kurzem getorben ift, als Componiſt einen
bedeutenden Namen gemadt. Wir fehen aus bem Artikel Adam’,
daB Karr aus einer beutfchen Familie flammt. Henri Karr,
olfo der Vater des fruchtbaren Schriftftellers, it um 1780 zu
Zweibrüden geboren, wo fein Bater Kapellmeiſter war.
Das neuefte Wert von Lamennais führt den Titel
„Amschaspands et Darvands”. Es tft ein kuͤhnes Phantafie:
ſtuͤck, in das tieffinnige Wetrachtungen über die Gegenwart
verwoben find. Lamennais theitt uns bie Wetrachtungen eines
alten Magiers mit, beffen Auge, von ben Banten der Zeitlich⸗
feit ungehemmt, den ewigen Streit der Geifter des Guten und
des Böfen ſchaut. Amſchaſpands und Darvands find naͤmlich
bie Namen ber guten und böfen Engel, von benen die einen
im Dienfte Ahriman's, die andern in dem Drmuzb’s fliehen.
An einzelnen Gtellen macht fi der titanenhafte Unmuth gegen
alles Beftepende Luft, der vielleicht durch bie politiſchen Ber
folgungen , unter denen Lamennais neuerdings zu leiden gehabt
bat, noch gefteigert ift. Die fchöpferifhe Kraft der Phantafte
und ber gtänzende Stil, ber in Allem ift, was aus ber Weder
Lamennais' fließt, übt auch in biefer neuen Schrift feinen um»
widerſtehlichen Zauber aus. 2.
Literarifhe Anzeige.
Soeben erfcheint bei F. SE. Brockhaus in Leipzig:
. General Graf
Bülow von Deunnewig
in den Feldzügen von 1813 und 1814.
"Yon einem preussischen Officier.
Gr. 8. Geheftee. 1 Thlr. 18 Ngr.
Derantwortlicher Herauſgeber: Heinrich Broddaus. — Druck und Beriag von F. A. Mroddaus in Leipzig.
|
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Montag,
EEE Nr. 107. — ⸗
17. April 1843.
III
Die dermalige Kriſe der Philoſophie in Deutſchland.
Eine Stimme aus Frankreich.
L Schelling.
(Beſchluß aus Nr. 166.)
Hat uns nun Schelling — ſo fragt der Berichterſtat⸗
ser am Schluſſe dieſes Überblicks — die Wahrheit ges
bracht, die wir bisher vergebens fuchten? Ich möchte es
denken können, und kann es nicht. Schelling erklärt,
mit Huͤlfe feiner ontologiſchen Hypotheſe, Natur, Ge:
ſchichte, Mythologien und Chriftenglauben, Alles zufam:
men; aber bie Begruͤndung fehlt diefer Hypotheſe. Er
findet in feinen Principien unvorhergefehene Mittel, er
handhabt fie mit einer Gewanbtheit, dag man bie Be:
wegungen ber Gefchichte felbft zu fehen glaubt, ex weiß
fie trefftihh zu benugen, aber bie Geſchicklichkeit Liegt in
Hm und nicht in feiner Hypotheſe. Er leitet daraus
eine chriſtliche Philofophie ab: man könnte ebenfo wol
jedes andere Syſtem daraus herleiten. Alle Augenbiide
selßt der logiſche Haben und wirb nach Belieben wieder
angeknuͤpft. Er faͤllt in einen Fehler zuruͤck, welchem
Hegel mit feiner firengen Wiffenfchaftlichleit abhelfen
wollte. Die Logik Hegel’s ift offenbar feine fchönfte und
bedeusendfle Entdeckung. Schelling hätte fie annehmen
ober doch widerlegen follen. Er verwirft fie ohne Proceß.
Das heiße ſich einer ber intellectuellen Foderungen ber
Epoche verfihließen, heißt zu den precairen Gonjecturen
zuristehren, die feit dem großen Logiker in Miscrebit
gerathen find.
Diefee Mangel an Schärfe iſt überall bemerklich.
Die Idee der Freiheit iſt der Hauptbegeiff des Syſtems,
er macht defien Originalität aus. Und doch bleibt biefer
Begriff umentfchleden und dunkel. Gchelling fest ben
Unterſchied zwiſchen goͤttlicher und menfchlicher Freiheit
micht ſeſt und ſpricht don ber erſtern immer mie von
einer Wahl, von einer Willkuͤr. Ebenſo gut kann man
Ion bes Fatalismus anklagen. Der Menſch, nad) feinem
Gau, iſt der mythologiſchen Bewegung unterworfen unb
Saum fich ihr nicht entziehen; er tft nicht mehr frei.
Wird er durch das Chriftenthum tieder frei? Mit nich
un. Der Menfchengeift entwickelt ſich hinfort durch bie
Philoſophie, wie vordem durch die Mythologie, nach ei:
mem unbeugfamen Belege. Die Syſteme folgen ſich aus
einem nothwendigen Grunde und jedes bringt wieder
eine andere Moral mit fi. Gut und böfe wechſeln
unaufbörlich; oder vielmehr, es gibt weder Gutes noch
Böfes; ein jegliches hat feine Berechtigung zu feiner Zeit.
Der Sändenfall, dem die Menſchheit ihre ganze Ent:
widelung verdankt, wird gewiſſermaßen zu einem Gute.
Auch die Übereinfiimmung des Syſtems mit dem
Chriſtenthum hat ihre Luͤcken. Dieſes legtere unterfchels
det fich, nad) Schelling, von den Mythologien, ohne ihnen
zu widerfprechen ; fie bahnen Ihm den Weg, fie find bie
Propylaͤen dazu. Iſt das Gedanke bes Chriſtenthums?
D nein. Ihm find Gögendienerei und Sünde einerlei;
es volberfegt fi) dem Cultus der Idole, wie das Gute
bem Boͤſen; es betrachtet ihn als eine Entfernung vom
wahren Gott, nicht als eine Annäherung an ihn. Nicht
orthodoxer tft Schelling In feinen Anfichten vom Juden⸗
thum. Wozu bedarf es auch In der That eines ander:
wählten Volks, wenn die Mythologien einmal fich vorbes
reiten und für ſich fchon das Chriſtenthum ankündigen.
Auch weiß Schelling nicht recht, was er mit ben Juden
machen fol.
Außerdem gibt uns der Philoſoph nur eine ontologi:
fche Erklärung des Chriſtenthums und vernachläffigt die
moralifche. Er beleuchtet mehr das Geheimniß der Ver⸗
einigung zweier Wefenheiten im fleiſchgewordenen Worte,
als das Geheimniß der Verföhnung. Und doch iſt hier
das größte Ereigniß, das vor allen Dingen ber Erklaͤ⸗
rung werth mar, das moralifche; alle andern hängen von
dieſem ab, begreifen fich nur buch dieſes. Mit allen
Morten wendet fich das Evangelium an das Gewiſſen.
Es wäre nicht mehr dafjelbe, es würde fein Werk nicht
mehr ausrichten, feine holdfeligen, falbungsvollen Ge⸗
fhichten würden ale Kraft für die Seelen verlieren,
wenn ber oberfle Sinn biefer göttlichen Erzählungen nicht
Barmperzigkeit und Liebe wäre. Im Spfteme Schelling’6
iſt Jeſus Chriſtus vielmehr dee Demiurg als ber Erloͤ⸗
fer. Auch unter jenem Titel hätte er Wunder an ber
Natur verrichten Finnen; aber den Willen der Menfchen
bätte er nicht umgewandelt, bie Herzen bätte er nicht
geheilt. Und doch war biefes feine vornehmfle Sorge.
Die Welfen des Jahrhunderts, die Gluüͤcklichen, hätten
fih dann um Ihn gefchart, und nice nur Mühfelige al:
(ee Art, arme Fifcher und fromme Frauen — bie6 er⸗
48
habene Geleite von getröfteten Schmerzen und anbetenden
Herzen, da6 fih um den König der Demuch drängte.
Der Eriöfer iſt freitih auch der Weltfchöpfer; nur ver:
kehrt Schelling die Rollen und macht bie untergeordnete
zus erſten. Go befrichlgt Schelling weder die Logik noch
Yin Freiheit; er verföhns den Glauben nicht mit dee Wiſ⸗
ſenſchaft, er macht nur beide unzufrieden. Er bat ge:
zeigt, daß die Vernunft unvermeidlih zum Pantheismus
führt, hat das Beduͤrfniß, über fie hinauszukommen, le⸗
bendiger angeregt; aber die Mittet, dies zu volibringen,
bat er uns nicht gegeben.
Die ganze Betrachtung des Franzofen fchließt mit
deu Worten: Eine und dieſelbe Kriſe bearbeitet bie ganze
Melt. Überall, bei allen Völkern Europas, biefelbe Er-
ſchuͤtterung des Glaubens, dieſelbe Bangigkeit der Gemuͤ⸗
ther, derſelbe Aufruhr unter ben Geiſtern. in Zweifei
belagert uns, deſſen Macht wir uns vergebens verhehlen
möchten. Er ſtoͤrt den Prieſter vor dem Altare; er wars
tet auf uns ſelbſt im Heiligthume des Gewiſſens und
lockt uns mit dem Nutzen, an der Stelle der Pflicht.
Ins haͤusliche Leben ſelber folgt uns der unheimliche
Gaſt; hier diſputirt er gegen Familie und Eigenthum.
Alles wird in Frage geſtellt, Alles unſicher, Alles ſcheint
bedroht. Seibſt der Orient krankt an demſelben lbel,
ar traut ſeinen Goͤttern nicht mehr, die ihm keinen Schutz
mehr gewaͤhren gegen uns. Das erſte Mal verbreitet
ber Skepticismus feine Schatten Über die ganze Erdſcheibe
und in dieſer Dunkelheit bemächtigt ſich unfer Traurig⸗
it, Furcht und Verdruß. Kein Logiker wird biefen un:
beſtimmten Ängſten ein Biel fegen. Das find keine
Spiele und Aufgaben ber Schule; es find graufane,
yeinliche Nöthen. Großen Ereigniffen find fie entfprun:
gan, große Ereigniffe allein können ihnen ein Ziel fegen.
Wir Haben den Nachbar ausreden laſſen, ohne ihn
zu unterbrechen. Nachdem er ausgefprochen bat, wollen
wir nur zwei kurze Bemerlungen anfügen, benn zu eis
ner Discuffion des Sanzen ift hier nicht der Raum. Die
erſte betriffe den Vorwurf, daß Schelling die größte Ent:
bedung des Hegel'ſchen Syſtems, die Logik deſſelben, hätte
annehmen oder widerlegen follen. Dies duͤnkt uns eine
feltfame Foderung. Der Widerſpruch gegen biefe Logik
des Unendlichen iſt bei Schelling in der Entgegenftellung
feines Syſtems enthalten; die Annahme derſelben aber
hätte nothwendig Anerkennung des Spflems ſelbſt zur
Folge haben müflen. Vielmehr muß es an dem Berf.
des Aufſatzes befremden, daß er über die Mefultate bes
Hegel'ſchen Syſtems jammert und body biefe Logik
ale eine Entdedung, eine neue Wahrheit, welche die
Runde ber Welt machen wird, betrachtet. Wenn auf
dem Gebiete des Unenblichen, in der Subſtanz und dem
Subftrat der Dinge, im Weſen des Begriffs, ein ander
res Logifches Geſetz herrſcht als in der Endiichkeit, wenn
bier das Geſetz bes Widerſpruchs, des ausgefchloffenen
Dritten und der Identitaͤt aufhört, Gültigkeit zu babe,
fo müßten wis nicht, wie Das, deſſen Untergang ber Verf.
bedauert, wie ber biöherige Begriff von einem auf irgend
vem Zweifel beilen follen.
eine Weife transfcndenten Gott und einer jenfeltigen
Welt, noh Raum in einem Spfteme finden fol. Mit
biefer Logik ift bee werdende Bott und ber ewige Fluß
bee Welt als feine einzige Entwidelung gegeben; biefer
dialektiſche Denkproceß des Unenblihen kaun gar nichts
Anderes ſein als der Weitproeeß. Die Annahme des letz⸗
teen iſt Beine falſche oder auch nur unvorhergefehene Conſe⸗
quenz des Syſtems, fie tft in feinen erſten Anfängen als
Srundanficht enthalten, wie bies fchon das Altefte Docu⸗
ment des Syſtems, die bewundernewürdige Vorrede zur
„ Phänomenologie ”’ — bemwunbdernswürdig , weil fie das
ganze Syſtem Hegel’6 im Keime enthält — unwiber
. („Phänomensingie‘‘, echte Aufi. 1817,
S. sıvı fg, S. zum fg, S. ızvi fg, ©, ıxx fg. ganz
— S. ıyıvu fg. über den Satz: „Gott iſt des
n. 4
Dies unſer eines Bedenken, das auf ber Oberflaͤche
liegt. Ein anderes, ebenſo nahe liegendes, heftet ſich an
die Schlußworte des Verf. Kein Logiker ſoll dem allge⸗
meinen Skepticieomus ber Welt ein Ziel ſetzen koͤn⸗
nen, — Ereigniffe follen «6 thun. Da der Berf.
ſchwerlich ein Chitiaft iſt und ebenſo wenig in ber naͤch⸗
fien Zeit eine Parufie erwartet, fe verſteht er unter bies
fen Begebenheiten gewiß keine Runder, welche die Welt
Es bleibt alfo wol niches
Anderes übrig als Ummälzgungen und Kriege. Run if
es ſchon ſchwer abzufehen, wie diefe auch nur den praßtis
fhen Wirren ber Welt, welche der Verf. geſchickt und
auf echt franzoͤſiſche Weiſe mit den theoretiſchen in Ver⸗
bindung ſetzt, fo leicht abhheifen ſollen; wie fie aber vollende
bie Zweifel dee Vernunft zu loͤſen vermoͤgen, laͤßt ſuch
wahrlich nicht begreifen. Etwas Wahres liegt freilich dem»
noch in feiner Behauptung, aber es befchräntt ſich, wa
die Kämpfe der Überzeugung betrifft, doch nur auf bie
Außenwerke. Wenn ein lebendigeres Intereſſe die menſch⸗
liche Geſellſchaft auftegt, verlieren allerdings die philoſe⸗
phiſchen Syſteme gewiſſe kuͤnſtliche Bundesgenoſſen, und
das Coterie⸗ und Parteiweſen gewährt ihnen keine Stihe
mehr. Die bloßen Schreier werben zum Schweigen ge⸗
beacht; fie werben nicht mehr gehört, nicht mehr honorict
Und fo dürfte e6 denn, wenn andere Knoten ber Welt
mit dem Schwerte gelöft. werben, wol dahin konnen,
daß eine Menge junger, jest florirender Schriftſteler in
Noth und Elend geriethen und dadurch ih nadı dem
lebendigen und perfönlichen Gott fehnen lernen würden,
wenn ber unperfönliche fie nicht mache bezahlt. Die Phie
loſophie wirb überhaupt in den Hintergrund treten. Aber
IR damit die Vernunft beruhigt und wird au nme
Eine Frage des Geiſtes durch eine Meveintion ober einem
Krieg geloͤſt? Weil man weniger denkt, ober williger
‚glaubt, wird damit der perfänliche Gott beiwiefen, ober
wird bewielen, daß man ihn nicht beweilen fan und
bach glauben muß? Das Alles wird, es ſei Kelag ader
Frieden, zu jeber Zeit Sache ber Logik, dee Eiperulatiem
bisiben,, und die Schwerter materiellen. Kampfes möge
noch fo. laut drein fchlagen, fie mögen nech fo Vieles ers
vingen, für bie Vernunft können fie. nicht die ultima ra-
4217
to fein. Hier wird imsmer und ewig nur Gin Schwert
entfcheiden innen: das Schwert des Geiſtes, welches
iſt das Wort. 44,
De la Russie et de la France.
Par un Inconnu, Paris 1842,
Die fo häufig mit großer Selbſtzufriedenheit außgefprochene
Meinung, daß Frankreich zu nichtig geworben, um noch ferner»
hin den Impuls zu großen Greigniflen geben zu koͤnnen, mag
in der Reſtaurationsperiode richtig geweſen ſein; gegenwärtig
wäre fie ein hoͤchſt gefäprlicher Iertbum. Allerdings konnten
wir als Nachbarn biefes großen Staats lange Zeit ohne alle
Befürdhtung vor ihm fein; ifolirt fand er auf ber einen @eite,
ganz Guropa vereinigt auf der andern. Als aber bie Anreis
zungen von 1840 das kriegsluſtige Bolt aufgeflachelt hatten,
war wol deutlich zu erfennen, wie maͤchtig Frankreich, waͤre es
nicht iſolirt geweſen, in die Welthaͤndel eingegriffen haben wuͤrde.
Becker's Rheinlied wurde damals viel geſungen und das war
gut; noch beſſer aber war Frankreichs Iſolirtheit und ſeine
baraus folgende Ohnmacht, es mit ganz Europa aufzunehmen.
Sobald nun bdiefe Ohnmacht mittels eines geeigneten Buͤndniſ⸗
fed gehoben wird unb in eine gewaltige Kraftentwidelung übers
geht, wirb es uns nicht an dringender Auffoberung fehlen, das
Rdeinlied zur Wahrheit zu machen. Bon biefer Betrachtung
ausgehend, muß jebe Beftrebung Frankreichs, fich mit einem
andern Gtaate zu alliiren, von großem Intereſſe für und fein,
um fo mehr, als die Sranzofen noch immer glauben, eine Fo⸗
derung an uns zu haben, bie fie gar zu gern bei dem nächften
Zahltage geltend machen und mit Zinſen wieber einziehen moͤch⸗
ten. Die Principienpolitit war bis jegt ein ſtarkes Dinderniß
für Frankreichs Allianz mit abfoluten Staaten, 3.8. mit Ruß:
land; wie nun aber, wenn man ſich zu verftändigen ſuchte und
über bie Vorurtheile gegen eine Weballianz der Principien bins
Entretiens politiques.
genommen wird, unb daß
mäßige
ber und ebenfalld zu bem eben mitgetgeilten Refuitate ger
langt. Rußland Hat alle Urſache, mit dem Inhalte der Schrift
zufrieden zu fein, und wenn bie Partei Moid fortfährt, ihre
Plane mit bergleihen Mitteln zu unterflägen, fo darfte fle ihre
Ziel in nicht zu langer Beit erreichen. Heben wir nım einige
intereffante Punkte aus dem Bude hervor; bielleicht voerben
wie dadurch angeleitet, unfere Begriffe von der ruſſiſchen Givi-
liſation, „deren Zukunft eine Wohithat für die Menf beit fein
wird”, zu Iäutern und bie erwachende Klugheit der Franzoſen
zu würdigen, ‚welche aus weifem Rationalintereffe aufhören
werben, aus ber Zreibeit eine Offenbarung zu machen und fie
aller Welt zu predigen“.
Rach der Anficht jenes „vorurtheilsfreien Fremden“ birgt
Rußland in ſich alle Elemente eines ſchnellen und wahrhaften
Fortſchreitens; es iſt eine aufftrebende neue Welt. Cs befinbet
fih in jenem politifchen Stadium, in welchen bie abfolute Res
gierung die befte, bie einzig mögliche für diefeg Sand if. Do
wird die Ration bereinft, vielleicht bald (?), ihre gänzliche Bes
freiung eben biefee abfoluten Regierung zu verdanken haben; fie
(bie Ration) wird dann erkennen, daß das Recht, Alles zu
thun, das Mittel gewelen ift, Gutes zu thun. Nachdruͤcklich
kaͤmpft der „Fremde“ gegen bie allgemein verbreitete Vorftels
lung von ber ruſſiſchen Barbareis er geht hierin fo weit, daß
er das polniſche Voik in jeder Beziehung hinter das suffifche
zuruͤckſtelt. Die eigenthümtliche Organifation bes Ruffen wird
in dem vortheilhafteften Lichte gezeigt. Biegſam, firedbar wie
das Eiſen unter dem Hammer (malleable), zugänglich für ale
Ideen, nimmt er das Dargebotene an, ohne zu vernünfteln.
Mit der Geſchwindigkeit des Verſtandes vereinigt der Rufle eine
bemertenswerthe Geſchicklichkeit der Hand. Beine Leichtigkeit,
fi; in jedes Klima, in jede Lebensweife zu finden, von einem
Gewerbe zum andern überzugehen, die verfchiebenften Dinge zu
verrichten, ein anderer Menſch zu werden, ift wahrhaft erſtau⸗
nenewürbig. Aus einem Bauer macht man in kurzer Zeit einen
eleganten Kammerdiener, ober je nach den Umfanben einen
Maurer, Zimmermann, Schmied, Kutfcker, Koch, ſelbſt einen
Maler und Muſiker; der Ruſſe ift gefickt zu Allem; in ihm
ſteckt gleichermaßen bie Ratur eines Eyklopen und bie eines
franzoͤſiſchen Haarkraͤuslers. Der Ruffe ift ein trefflicher &ols
dat; er urtheilt nicht, grübelt nicht, er gehorcht. Anziepenb ift
im biefem Betracht folgende Paraliete. In bee franpöfifichen
Armee herrſcht die Liebe zum Ruhm, die innere Erhebung bes
Einzelnen; in der ruffifchen bie —— der Enthu⸗
fiasmus für den Gehorſam. Menſchliche Leiden haften erregen
bie erſtere, ein Schickſalsſchlus ſcheint bie Iehtere anzutreisen.
Im Gefecht iſt daher die. frangöfifche Armee drohenb wie ber
Big, bie ruffifche unerſchuͤtterlich wie ein Geis. Der Franzoſe
if furchtbar im Angriff, der Ruffe unermüblich im Kampfes
ber Se ift heftig wie bie Flamme, ber Anbere wiberfleht wie
6 Gifen.
Zu Rußlands Politit übergehend, ſieht umfer „Fremder“ in
beffen Groberungsfucht nur die natürtiche Foige feines Streben⸗
nad Civiliſation; er zweifelt nicht, daß bie Entwidelung biefer
Sivilffation eine Reihe von Schlaͤgen gegen England mit ſich
bringen wird, während für die übrigen europäifchen Gtaaten
feine reelle Gefahr dabei ifl. Was den Kaifer Rikolaus betrifft,
fo erſcheint er ald der Mann ber Rothwendigkeit; er wirb volle
enden, was Peter ber Große begonnen bat. Rad) eurer Ans
erfennung ber ausgezeichneten Cigenſchaften des jeht regierenden
Kaifers, ſtellt der „vorurtheilsfreie Fremde⸗ folgenden Gay auf:
„Es iſt zwar Riemand gegeben, in ber Zukunft zu leſen; je
doch wenn es außer Zweifel ift, daß die mit Kanonen bewaff«
nete und fich auf die Prefie flügende Givitifation *) vor keinem
Hinderniß zuruͤckweicht, fo ſcheint ſich die Zukunft der ruffifchen
Civiliſation als eins ber größten Greigniffe, weiche jemals bem
Menſchengeſchlecht begegnet find, darzuftellen; biefe Zukunft wird
*) Ref, hat jene merkwärbige Äußerung über bie in Rus
land auf die Preffe fi ſtuͤgende Giviltſation mit keinem Brages
zeichen verfehen, obwol er. gefiefen muß, daß ihm der Sinn biefer
Worte etwas dunkel If.
438 “
eine Wohlthat für bie Wenſchheit fein, ein wahrer Rupm für
das Bolk, weiches das Werkzeug berfelben geweſen.“ Weislich
wirb aber hinzugefügt, daß bie Verwirklichung bes eben Ge:
fagten ein Geheimniß der Zeiten fel.
Hiernaͤchſt beginnt ber zweite Shell ber Schrift. Gin
nzofe (der übrigens für Rußland nicht minder gut geflimmt
ft ais bee vorurtheilsfeeie Fremde) betrachtet Deutfchland,
Preußen, Öftreih, England, Rußland und Frankreich in ihren
gegenfeitigen WBeziehungen, wie fie durch die wiener Verträge
entftanden find. Diefe WBerträge finden natuͤrlich Leinen Lob«
rebner an dem „Franzoſen““, doch müffen wir einräumen, daß
ee manches Zriftige über diefelben ausfpridht. Fuͤr Deutſchland
haben fie, nach des Verf. Anficht, keine Zukunft begründet.
Die conftitutionnellen Formen, weiche den kleinern Ländern bewils
gt wurden, find nur vereinzelte Gonceffionen gewefen, eine ben
Völkern zum Rechnungsabſchluß ein für allemal Fan Zah⸗
lung. Dieſe conſtitutionnellen Inſtitutionen, in ſich ſelbſt ohne
Lebensprincip und unter diplomatiſchem Ginfiuß ſtehend, werben
Sei ben obwaltenden Umſtaͤnden eine Thatſache ohne weitere
Kolgen bleiben, ein angefangener Bortfchritt ohne Vervollſtaͤn⸗
digung. Bine beffere Zukunft Eönnte nur bann anbrechen, wenn
bie kieinern Staaten eine eigene, über allen fremden Einfluß
erhadene Stellung einzunehmen im Stande wären, wenn fie fid
politiſch zu emancipiren und ſiegreich in ihren Mitteln und in
ihrem Wollen zu conftituiren vermöchten. Aber felbft mit ber
fonft allmächtigen Hütfe der Zeit ift dies für Deutfchland, wie
die gedachten Werträge es geſchaffen haben, nicht zu reatifiren.
Hſtreich Hat keine Analogie mit den kleinern deutſchen Staaten,
e6 fteht in entgegengefeäter Richtung zu denfelben und hätt fle
darnieber. Preußen dagegen ift, mit gewiffen Einſchraͤnkungen,
Deutfchlande einflußreiher Regulators unter ben Mächten,
welche auf Deutfchland beftimmend einwirken, ift Preußen bie
einzige, welche das conflitutionnelle Deutſchland reflectirt, bes
genift und bereinft nicht fürdgten darf, deſſen Anfprüchen zu
enügen.
s Di deutfhe Rationalität ift, wie der Verf. meint, ein
abſtractes, vages Ding, welches nur durch aͤußere Greigniffe,
5. 8. durch eine Zerſtuͤckelung Oſtreiche, oder durch das assen-
timent actif Preußens, ober durch bie „uneigennügige‘' Einwir⸗
Kung Frankreichs etwas werben könnte. Die erfle und lebte
diefer Bebingungen finden wir nicht annehmbar; bie zweite ift
wot nicht fo übel, wofern unter ben nicht ganz deutlichen Wor⸗
ten, „assentiment actif”‘, zu verftehen ift, daß Preußen bem
conftitutionnellen Deutfchland zu affentiren, d. h. auch ein con»
flitutionnelles Wefen anzunehmen babe.
Bem swertg — weil es von einem Pranzofen her:
rührt — ift des Verf. Urtheil über feine Landsleute. Gr ges
fteht, daß die Franzoſen Charakterfehler haben, bie nur zu
fihtbar in ber Gefchichte Hervortreten, als daß man fie weg:
leugnen koͤnnte; eine natürliche Beweglichkeit, eine angeborene
Unruhe des Blutes führt fie leicht über das rechte Maß hinaus ;
fie find auf ber Weltbähne, wie man fie auf dem Theater flieht,
ploͤtzlichen Bewegungen nachgebend, ſich in Mafle elektrifirend,
ſtets mehr durch die Leidenſchaft aufgeregt ale durch die Ber:
nunft zuruͤckgehaiten; daher verliert ihr Patriotismus leicht feis
nen Stuͤgpunkt auf der Erde, geräth in politiſche Abftractionen
und ermangelt der Localfärbung, welche man Egoiſmus nennt,
und weiche hier ein weiſes Rationalintereffe, ein franzöftiches
SIntereffe fein würde. Sehr bezeichnend für das ganze Buch ift
folgender gute Rath, welchen der Verf. feinen Landsleuten gibt:
„Warum wollen bie Franzoſen ihre Grunbfäge, ſelbſt wenn fie
fie für die beften halten, allgemein verbreiten, warum befchräns
ten fie ſich nicht darauf, deren Trefflichkeit in ihrem eigenen
Lande und für ſich allein anzuwenden? Warum wollen fie fie aller
Welt predigen und aus ihrer Kreiheit eine Offenbarung machen ?
Laſſet doch diefe Freiheit für fih wirken, fte wirb
fih ſchon allein ihrRecht in der Welt verſchaffen.“
Sind die Franzoſen erſt ſo weit gereift, dieſen guten Rath
ſen werden wird.
Literarifhe Notizen aus England.
Sins ber vorzuͤglichſten neuerdings erfchlenenen Yrobucte
ber dramatifiden Literatur Englande iſt Henry Taylor’
biftorifches Drama „Edwin the Fair”. Gin bramatifches
Gedicht voll Leben und Schönheit und reich an materifchen
Sruppen. Die Gharaftere find beftimmt gezeichnet und ges
nau voneinander unterſchieden, bie Sprache ift im hoͤchſten
Grabe rein, harmoniſch und kräftig. Zu rechter Zeit wird ber
Edle, Liebenswärbige und Bute von den Schlägen des Schick⸗
fal® zermalmt. Unb doch ift „Edwin the Fair” eine Tra⸗
göbie im firengen Sinne des Worte. Denn ber Ausgang bes
Stuͤcks ift eher ſchrecktich als tragifh. Wir find zwar Zeuge
von einem Kampf auf Leben und Tod zwifchen ber geifttichen
und weltlichen Gewalt. Der ®cepter fällt aus Edwin's ſchwa⸗
der Hand und ein folper Priefter trägt ben blutigen Sieg da⸗
von; aber es ift ein Triumph ber Kraft über die Schwaͤche,
der Lit über die Einfalt, reifer Weltklugheit über Eindifche Un⸗
erfahrenheit. Gewaltiges Truͤbſal befällt Edwin und feine Ge
mahlin Sigiva, ift aber weber von einer ungeheuern Schulb
noch von einer großmäthigen Gelbflaufopferung hervorgerufen.
Sie gehen als Opfer ihrer eigenen Unbefonnenheit und Unklug⸗
beit zu Grunde. Darum erregt bas Städ keine kraͤftige Sym⸗
patbie und era keine tiefe Ruͤhrung, es mangelt ihm [bie
poetifche Gerechtigkeit im Fortgang und in ber Kataftrophe defs
fetben. Diefe Ginwenbung gegen fein Drama hat Taylor offen:
bar ſelbſt vorhergefehen. Darum bat er andere Mittel zu Huͤlfe
genommen, um bie feinem Gegenftande anklebenden Fehler zu
verbeden. Er ergreift jede Gelegenheit, welche derfelbe ihm dar⸗
bietet, um neue Charaktere zu zeichnen und in Gontraft gegens
einander zu ftelen. Überall, wo das Intereffe ber Faber ſinkt,
läßt er neue Perfonen auf der Bühne auftreten, bie voll Leben
und Poefie find. So nimmt Taylor, trog der an feinem „Ed-
win the Fair‘ gerügten Mängel, unter Englands jept lebenden
bramatifchen Dichtern eine der erſten Stellen ein.
Ein großes, vielverſprechendes Lliterarifche® Unternehmen
bat in England feinen Anfang genommen, nämlich bie Dex:
ausgabe von „The biographical dictionary of the Sodety
for the diffusion of useful knowledge”. Die Gefellfcheft
für Berbreitung näglicher Kenntniffe wird dadurch einem im
der englifhen Literatur lange gefühlten Mangel, dem eis
ner forgfältig ausgearbeiteten Univerfal: Biographie,
abhelfen. Die bereits erfchienenen Abtheilungen verfpredien
bas Belle, und für eine würbige Wollendung bes ganzen
Werks bürgt die Geſellſchaft, unter beren Auſpicien ed er
fheint. Die englifche Literatur bat zwar mehre biographi⸗
ſche Werke ähnlicher Art aufsumeilen, aber fie umfaflen nur
einzelne Gegenftände. Das bedeutenbfte darunter ift die „Bäo-
graphia Britanica”, welche die Lebensbefchreibungen ber beruͤbmn⸗
teften Männer enthält, die in England und Irland von ben
älteften Zeiten bis auf die gelebt haben. Die exfle
Ausgabe davon wurde im 3. 1766 in fünf Foliobaͤnden voll:
endet. Später wurbe von mehren ausgezeichneten
eine neue Ausgabe biefes Werks angefangen, aber nur bis zu
dem Buchſtaben F gebracht. 16.
Verantwortlicher Derausgeber: Heinrih Brodhaus. — Drud und Verlag von F. U. Brockhaus in Leipzig.
.
Blätter
für |
literariſche Unterhaltung.
Dienſtag,
18. April 1843.
Über Gervinus' neuere Literaturgeſchichte
An W......
Sie aͤußern Ihr Erſtaunen, verehrter Freund, daß
uͤber die beiden letzten Baͤnde der deutſchen Literaturge⸗
ſchichte von Gervinus noch immer keine andern Beurthei⸗
lungen erſchienen ſeien, als lobpreifende”), und fragen uns
mutbig: ob ie fih denn entſchließen müßten dies für
ein Zeichen allgemeiner und entfchiedenee Billigung zu
halten. Ich begreife die Stimmung, in der Sie dieſe
Frage thun, volllommen, weil ich fie theile. Auch ich
fenge mid) ſchon lange, ob ich den Jubelruf, mit bem
jene Bände empfangen worden, die zahlreichen bis zu en:
thuſiaſtiſchen Acclamationen gefteigerten Lobſpruͤche, die
ihnen ertheilt find, für ein allgemeines Einſtimmen in die
darin ausgeſprochenen Urtheile und Anfichten balten fol?
ob die Nation denn in der Zhat freudig, ja mit einer
Art von bilderſtuͤrmeriſchem Geluͤſt, fo Vieles von Dem,
was fie einft verehrt hat, zertruͤmmern hilfe? Iſt ja doch
nicht einmal cin Ton des Bedauerns, des Mitgefuͤhls
faut geworden mit den geflürzten Deroen, über welche ber
Alles Zermatmmde ſtolz einherfchreitet und ‚aus Schluͤn⸗
den der Tiefe den Athen erſtickter Titanen gleich Opfer:
geruͤchen“ empfängt.
Dann frage id mi wber auch wieder: Sind es
wirklich die Urtheilsfaͤhigſten, weiche die, wie die Sage
geht, in Deutfchland noch nie fo volltönend und fo kraͤf⸗
tig aufgetretene Öffentlihe Meinung ausmahen? Repraͤ⸗
fentiren die Organe, durch welche fie ſich augfpricht, wirk⸗
lich allein und gaͤnzlich den intelligenten Kern ber Marion?
Dieſe Fragen kann man denn doch mit einem entſchiede⸗
nen Ja nicht beantworten, und je weniger man es kann,
je mehr darf man auch an der Vollſtimmigkeit des Bei⸗
falls zweifeln, mit welchem jenem bilderſtuͤrmeriſchen Be:
ginnen zageſehen wird, Mehme ich dazu, daß Mancher,
der ein Wert mitzureden hätte, ſchweigt, weil er den Ha⸗
der befonder6 mit einer dir Parteien fcheut, welche Ger:
vinus fid) gemonnen hat, die mit ruͤckſichtsloſer, unermüd>
») Su unſern Witten If diher Leider durch die Sdumnip
eines Mitarbelters, der wieberhelte Verſprechungen und Bufliferuns
gen unerfält laͤßt, über Gervinus’ neuere Werko über die deutſche
Siteratur gat nichts niitgeiheltt worben. Wir hoffen aber bald einen
audfuͤhrlichen Artikel barkber ‚geben zu Annen. D Res.
licher Zank⸗ und Schmaͤhſucht uͤber eben herfälkt, der. «6
wagt, anderer Meinung zu fein wie fie, und daß die
wahre Kritik überhaupt einen natuͤrlichen Wiberwillen ent
pfindet, ſich dem betäubenden Lärm von Leuten gegenüber
zuſtellen, bie fid) weit mehr um bie Parteiſtellung des
Autors ats um den Geiſt und den Gehalt feiner Leiftuns
gen befümmert, fo moͤchten Ihre Fragen ſchon halb ess
ledigt fein. Auf andere Weile iſt dafuͤr geforgt durch zwei
Beurtheilungen, weldye, während ich die Beantwortung:
Ihres Briefes nur allzu lang verfchoben habe, erfchienen find.
Die «ine in der berliner „Literarifchen Zeitung“ ſtimmt
ziemlich das Gegentheil von dem Ton an, der Sie fo in,
Erflaunen feht. Ben der andern, in ber ballifchen „Lie.
reraturgeitung”, iſt mir zwar erſt die in den Octoberblaͤt⸗
teen befindliche erfte Hälfte zu Geſicht gekommen, aus dies:
fee aber habe ich den Mecenfenten keineswegs als einem
unbedingten Bewunderer des Werks kennen gelernt. Er
weiß zwar von dem durchgebildeten Charakter und her
entichiedenen Gefinnung des Verf. nicht Ruͤhmens genug
za maden, er meint, daß man feit Leffing und Fichte
dergleichen nicht gelefen habe, fügt aber hinzu, dag, wie ex
die Groͤße des Werks freudig, ja begeiftert anerkenne, ex,
doch dad Ganze feinen wiſſenſchaftlichen Principien nad
ganz zu verwerfen fich genoͤthigt ſehe. Auf diefe Beur⸗
theilungen könnte ih ®ie nun ſchon vermeifen; da Sie
nun aber einmal meine Meinung zu vwiffen wünfdhen, fo
wit ich dem Buche und ſeinem Verf. fowie ibrem ers
häteniffe: zu den herrſchenden Stimmungen und Richtuns
gen etwas näher tretem.
Dier muß ich denn gleih von einem Punkte audges
ben, auf den ich zulegt zuruͤckkommen werde, auf ben Zu⸗
fommenhang bes berühmten Werks mit den politiſchen
Intereſſen. Ich bin weit entfernt, aus Gervinus politi⸗
fchem Maͤrtyrerkranze auch nur ein Blaͤttchen zichen zu
wollen; daß aber dieſes Maͤrtyrerthum des Stantshürgerk
dem Gchriftikeller ungemein zugute gekommen ift, liege aus
Tage. Was er feitbem fchreibt, wird fchon mit Dem alles
günftigften Vorurtheile in die Hand genommen. Er hatte
in bes Vorrede zum legten Bande wahrlich leicht fagem;
or überlaffe das Buch ſeinem Schickſale, gleichguͤltig gegen
—* Erfelge, denn er wußte zu gut, daß dies Sid
fein ſchlechtre fein wuͤrde.
Gewiß find Sie daricber mit mir einverſtanden, dal
8 *
das Werk Eigenſchaften beſitzt, welche ihm ein nicht nur
nicht ſchlechtes, ſondern ein glänzendes Schickſal bereiten
mußten. Die Fülle der feltenen DBelefenheit, bie Gedan⸗
Eenblige, die geiftreihen Bemerkungen, die pitanten Pa:
ralleten, Alles, voorauf der flächtige Leſer zuerſt Mößt und
merkt, mußten, wie e6 der Italiener fo bezeichnend aus:
drückt, furore machen. Sie finden, daß die Darſtellungs⸗
weife diefem furore großen Abbruch hätte thun müffen,
eine Darftelung, die man, wie Sie fagen, einem fo ent
ſchiedenen Verehrer des großen Leſſing am wenigfien zu:
trauen ſollte. Allerdings ift diefes unaufhoͤrliche Inein⸗
anderfehimmern von Gedanken, Worten und Phrafen,
ganze Reihen von Seiten raſtlos fort, ohne Einſchnitte
und Ruhepunkte, bis man endlich athemlos und keuchend
an ein Ziel kommt, zu erſchoͤpft, den zuruͤckgelegten Weg
mit Klarheit und Ruhe uͤberſehen zu koͤnnen — allerdings
iſt dieſe geſchmackloſe Manier das vollſte Gegenbild ber
nie genug zu preiſenden Leſſing'ſchen Form und Darſtel⸗
lung. Aber ſagen Sie mir doch, theurer Freund, kennen
Sie viele Leſer und Beurtheiler unſerer Tage, die ſich um
Form und Stil kuͤmmern, ja auch nur verrathen, daß ſie
ſich darauf verſtehen? Die Zeit hat viel zu viel mit wich:
tigen Dingen zu thum, als daB fie ſich auf ſolche Neben:
fachen einlaſſen Eönnte.
Aber laffen Sie und gerecht fein! Jene brillanten und
pikanten Eigenſchaften find es wahrlich nicht allein, wel
he dem Werke Werth geben. Wil man fein Verdienſt
ermeſſen (ich fpeeche immer von den legten Bänden), darf
man ed nur gegen die ähnlichen von Bouterwek und
Franz Horn oder gar gegen die dürftige Phrafenftoppelei
Wachler's mit ihren achtzehnzolligen Wörtern halten.
Mirgend hatten wir noch die Geſchichte unferer Literatur
fo zur Gefchichte der gefammten geiftigen Beſtrebungen
und Zuftände der Nation erhoben; nirgend bie einzelnen
Leiſtungen fo der Entwidelung ganzer Richtungen unter:
geordnet; nirgend diefe Richtungen fo mit ben Schidfalen
des Volks verwebt; nirgend den oft ausgefprechenen Sag,
daß unfer geiftiges Blut hauptfächlih in den Adern uns
feree Literatur rollt und in ihren Pulfen ſchlaͤgt, in einer
fo ins Einzelne gehenden Anſchauung klar gemacht ge:
fehen.. Warum mußten nun fo viele vorzügliche Eigen;
fihaften, durch eine fo reiche Zuthat von Sophiſtik, gril⸗
lenhafter Willkür und Parteivorurtheil getrübt werden ?
Wo Gervinus fich dieſer erwehrt, iſt fein Urtheil fcharf,
treffend und belehrend. Es haben ſich aber leider aus
zwei Richtungen, der poetiſchen Stimmung und aͤſtheti⸗
fhen Begeifterung, die auf biefem Felde auch dem Kritiker
nicht fehlen dürfen, gleich gefährlih, Beſtandtheile einge:
mifcht, aus dem dürten, nüchternen Ratlonalismus bes
vorigen Jahrhunderts und aus der begrifflihen Abſtrac⸗
tionstenden; bed gegenwärtigen. Was die richtige Eins
ſicht und der gefunde Sinn bes Verf. der letztern abge:
winnen, geht leider nur zu oft wieder durch bie Einwir-
kung des erſtern verlosen. Eine Hinneigung zu biefem
Nationalisnus fcheint urſpruͤnglich in Gervinus
empfaͤnglicher, ſuͤddeutſcher Natur nicht gelegen zu haben,
Be ſcheint vielmehr erſt auf ihn übergegangen aus ber
den Titel führt „„Berätteifer ur Svenska
feifher, |
0 ,
Säule, In die er zu früh und unbewachten Geiftes ge:
kommen, von beten tüchtiger, aber trodener, herber, be:
fhrankter und für wahre Poeſie ˖ verfchloffenee Natur er
Manches angenommen bat, was mit ben originellen Kreuz:
und Queufprüugen, zu weichen ihn die angeborene, ſpru⸗
deinde Natur verführt, oft feltfam genug confraftict.
Ohne diefe ftarke rationaliftifche Ader hätte Gervinus
fi wol je entfchließen fönnen von Hamann zu fprechen,
wie von einem faft biödfinnigen Schwachlopf, von Frie⸗
dri Heinrich Jacobi, wie von einem anmaßenden Stuͤm⸗
per? Waren fie aber das, fo hatte freilich die Aufklärerei
gegen diefe ihre Bekaͤmpfer ein ganz anderes Recht, als
man ihr von bem geoßen Umſchwung der Dinge am Ende
des vorigen Jahrhunderts bie zu diefem neueften, der Sie,
mein Freund, in ein ſolches Staunen verfegt, einräumen
wollte. Gervinus hat durch die ſtarken Schatten, welche
er auf Jene wirft, ſchon allein die Aufklärerei und ihre
Tendenzen in ein ganz anderes Picht gerüdt. Und ſehen
Sie nur, wie er mit ihrem Haupte und Fahnenträger,
dem ebrfamen Hrn. Friedrich Nicolat, fo fänberlich fährt!
Mit demfelben feinen Geſchick, derfelben Abfichtlichkeit, mit
welcher er dort die Schwächen hervorhebt und ausmalt
und das Treffliche unberührt laͤht, gleitet er hier über die
ganze Maſſe der bornicten Anmaßung leicht hin, um hei
allem nur irgend Löblihen mit Liebe zu verweilen. Dies
ſes Geſchick ift wahrlich der Anerfennung werth, nur
iſt es die Eigenſchaft eines Advocaten, nicht eines Ge:
ſchichtſchreibers.
(Der Beſchlus folgt.)
Leben Guſtav 11. Adolf's, Könige von Schweden. Aus
dem Schwedifchen des And. Fryxell, überfegt von
Tinette Homberg. Zwei Theile. Leipzig, Hin⸗
viche. 1842. Gr. 8. 1 Thlr.
Das neuerdings in Deutfchland erwachte JIntereſſe für die
ſchwediſche Literatur bat Xinette Homberg bewogen, vorlie:
gendes Bud, zu überfegen, unb es verdiente ins Deutfche über:
tragen zu werben. Denn der in bemfelben behandelte Zeit⸗
raum der ſchwediſchen Geſchichte iſt einer der intereflanteften
berfelben ; theils im Allgemeinen durch die große Perfoͤnlich⸗
keit bes Mannes, theild für die Deutichen durch die Theü⸗
nahme Schwedens an bem Dreißigjährigen Kriege. Die bier
angezeigte Überfegung iſt zwar eine moͤglichſt treue; doch
find verfelben, zum beſſern Verſtaͤndniß, viete Anmerkungen
und eine gefchichtliche Ginleitung Hinzugefügt. Iryrell's „Bu:
ſtav Adolf iſt Leine für fich beftehende Schrift, fonbern ber
fechste Theil eines gefchichtlichen Werkes biefes Berf., welchet
iſtorien“ ( Erzaͤh⸗
lungen aus ber ſchwediſchen Geſchichte, 10 Bde.) und in
Schweden fon mehre Auflagen erlebt hat. Zu ben Noten
und der Ginleitung hat bie liberfegerin nicht nur das Fryxell ſche
Wert, fondern au Geijer's „Geſchichte Schwedens‘ ber
nust. Die ſchwediſchen Familien « und Gigennamen find uns
verändert gelaffen, was fehr zu billigen ifl, da man ja and
in Überfegungen franzoͤſiſche, engliſche u. a. Namen nicht ver
ändert. Die Namen der Doc ingen bingegen finb fo mwiebers
gegeben, wie man fie gewoͤhnlich in ben deutſchen geographifcen
Lehrbä bezeichnet findet, und bie& um das Aufſuchen für
die Leſer zu erleichtern.
Die Ginleitung gibt einen Üüberblick der ſchwediſchen Ge:
ſchichte von Guſtav IL. Wale bis auf Guſtav Il. Aroif. Cs
wird bazfıı mbglichit Eur: die Stgiseuhgsgefchichte Guflan's I.
und feiner Böhne Erit’s XIV., Johann's HI. und Karl's IK.
erzählt. Die Zeit von Guſtav's I. Tode 1560 bis zur Re
sierung feines Enkels, Guſtav U., war eine Zeit der Unruhe
und Verwirrung, eine Seit gewaltigen Kampfes ber neuen Dy⸗
zuftie mit dem ſtolzen hohen fchwebifchen Adel um ihre Be⸗
hauptung auf bem Thron.
Guſtav II. Adoif, Sohn Karl's IX. und feiner zweiten Ges
mahlin, Ghriftina von Holftein, wurde am 9. Dec. 1574 ges
boren.. Aus ber Stellung —F — peophegeiten bie
damaligen Hofſterndeuter dem Prinzen ein glänzendes und g
liches Geben. Als Erbtheil feiner Altern hatte Guſtav Adolf
einen gefunden kraͤftigen Körper erhalten, welcher durch eine
ſehr einfache und mäßige Lebensweife während feiner Erziehung
noch mehr abgehärtet wurde. Schon als Kind zeigte er Uner⸗
ſchrockenheit. Mit dem größten Muthe verband er bie größte
Milde des Charakter. Guſtav Adolf bewies in feiten Stu⸗
dien ſowol ein ausgezeichnetes Bafjungsvermögen als Ordnung
und Fleiß. Jagd und Priegerifhe Spiele waren feine einzige
Zerftreuung ; außerdem war er eifrig befchäftigt, ficy zu unters
richten , oder Laufchte aufmerkfan dem Geſpraͤche äiterer Perſo⸗
nen * A Angelegenheiten * rer De Bein. Date
i e und unterrichtete Le und er war ein wißbeg
— uͤter. Er lernte unter Anderm Latein, Deutſch, Rie⸗
—ã— Franzoͤſiſch und Italieniſch mit ziemlicher Fert
ige
keit ſprechen, und verſtand dabei noch Spaniſch, Engtifc,
Schottiſch und etwas Polniſch und Ruſſiſch. In der Geſchichte
hatte er tiefe, in der Philofophie nicht unbebeutende Kinfichten.
Den Seneca wußte er beinahe auswendig; in feinen männlichen
Sahren ward Hugo Grotius fein Liebfler Schriftſteller, deſſen
Wert „De jure belli ae pacis“ er immer bei ſich führte,
wie weiland Kalfer Karl V. Macchiavelli's Buch vom Zürften.
Befonders flubirte Guſtad Adolf in feiner Jugend bas Leben
oßer Kelbherren. Gchon vom neunten Jahre an wohnte er ben
Berfammlungen des Reichsſsrathes beis im zwölften fing er an,
kleinere Geſchaͤfte zu erledigen; mit 16 Jahren war er dem Bas
ter ſchon ein unentbehrlicher Gehuͤlfe.
As Karl IX. ftarb, hatte fein Sohn noch nicht das fiebzehnte
Jahr erreicht, wurbe aber doch, wegen feiner außerorbenttichen
Geiſtesfaͤhigkeiten, bald durauf von den verfammelten Retichöftäns
ven 1611 für mündig erklärt. Das Reich befand fich in einer
traurigen Lage. Der Adel veriäaffte fih bei Guſtad Aboıf's
Huldigung mehre bedenkliche Vortheile. Die Geiftlichleit war
unzufrieden über bie Slaubensveränderungen, wodurch Johann
und Karl fie beunruhigt hatten, und der Bauern: und Bürgers
fland war durch die ewigen Kriegeſtenern und Truppenlieferun⸗
gen beinahe zu Grunde gerichtet. Das Reid bedurfte Ruhe;
aber ſtatt deifen erfoderten bie Außen Nerhältniffe neue Ans
ſtrengungen: Guftav Adolf hatte drei Kriege geerbt, naͤmlich
en Rußland, Polen und Dänemark, bie er glorreich zu Enbe
rte, ehe er, 1630, nad Deutfchland ging, um für deu
Proteflantismus zu kämpfen und zu flexben.
„König Guſtav Adolf”, fagt Fryxell, „war ein anfehnlis
dere, etwas über drei Ellen (ſechs Zuß) lang, gut ger
wachſen, body in den letten Jahren ſehr dick werdend, ja fo
fehr, daß nur ungemöhntich ſtarke Pferde ihn auf einem lang
bawernderz Sitte zu tragen vermochten. Er war beffenungeachtet
geiund und ſtark, ja felbft abgehärtet und ruͤhrig. Kurzſichtig⸗
feit war das einzige koͤrperliche Gebrechen, worüber er fich bes
Hagen konnte. in Daltung war edel und voll Anmuth; ben
Körper trug er gerade, das Kinn ein wenig voraus; das Haar
Sur, und Aber der Stirn hinaufgeflrichen; es war, gleich dem
Knebel⸗ und kurzen, fpisen Kinnbarte golbged. Stirn und
Raſe waren erhaben gewolbt, die Augen offen und lichtblau, fein
Antlig behielt ſtets die Farben wie bie Wülle ber Jugend bei.
In feinem Wi, feinen Geſichtszuͤgen und feinem ganzen We⸗
fen war auf eine feltene Weife die herablaffendfte Milde mit bem
Ernft und ber Majeflät bes Könige vereinigt. — „Nur wer
nige Menſchen find mit fo autgezeichmeten Seelenkraͤften begabt
geweien wie Guſtav Asif. Mit cbenfo ſchaellem als tiefem
Btide durchſchaute er alle perfönliche wie allgemeine Werhätt:
niffe, und das ſchon als gling oft beffer als bie unter Ar⸗
beit und Grfahrung ergrauten Staatsmänner. Ebenſo befoß er
bad Zalent, ohne Weorbereitung und gleichwol mit befonderer
Klarheit und Aumuth feine Gedanken zu entwideln, buch Sanfts
beit ber Stimme und Geberden beinahe noch größer ale Rebner
erſcheinend denn fein Großvater. ein Gedaͤchtniß war fehr
ſtark und umfaßte in feinen männtidhen Jahren bie Geſetze und
bie Ginwohner des Reichs mit berieben Leichtigkeit, wie in
feinen Juͤnglingtjahren die verfchiedenften Wiffenfchaften unt
Sprachen. Als Feldherr kannte er nicht num bie oben Bes
fehlshaber, fondern auch die geringern Offiziere, ja fogar manche
der ausgezeichnetern Golbaten. In feinem Herzen wohnte eine
wahre und lebendige Gottesfurcht, bie fidy in Wort und That
ausſprach. Das Morgen»: und Abendgebet verfäumte er ſelten;
den Gottesdienſt nie." — „Er liebte das Glänzende und Aus:
gezeichnete, aber nur in perfönlichen Eigenſchaften und Thaten,
nicht in Pracht und dußerlichem Schmud. Geine Lebensweife
war ſehr mäßig und einfach, ebenfo feine Kleidung. Bei alls
gemeinen Feierlichkeiten zeigte er aber doch jene Pracht, weldye
der Majeftär zukommt. Gr haßte Nichtsthun und Bergnuͤ⸗
gungsfucht. Er felbft war unermuͤdlich in ber Arbeit.“
Diefer König hatte bas feltene Gluͤck, in dem fo berühmt
gewordenen Kanzler rel Orenflieerna einen treuen Rathgeber
und Freund zu finden, deſſen edein Charakter und feltene Ta⸗
lente und Cigenfchaften Fryrell ebenfalls nach Verdienſt ſchil⸗
dert, fowie er überhaupt den Lefer mit ben ausgegeichnetften
Zeitgenoſſen bes großen Schwebentönigs bekannt macht.
Beim Antritt feiner Regierung erbielt Guſtav II. Adolf
von feinem gewefenen Lehrer Johann Skytte ben Rath, den
mächtigen Adel zu vernichten, um nachher ganz nad feinem
Wohlgefallen regieren zu koͤnnen. Diefen Rath theilte ber Koͤ⸗
nig Axel DOrenftjerna mit, welcher benfelben natürlich durchaus
verwarf. Dies flimmte mit des Königs eigener Denkungsart
in mancher Binficht überein, welcher jede Grauſamkeit und Uns
gerechtigkeit verabfcheute. Der Abel war auch zu jener Zeit
wirklich beinah allein im Beſitz der Kenntniffe und der Gr:
ziehung, welche gefchidt zum höhern Gtaatsbienfte machten.
Außerdem von Natur Allem gewogen, was groß und glänzend
war, liebte Guſtav Adolf den Adel mit feiner feinern Bilbung,
feinen ebrenvollen Erinnerungen, und fühlte mehr Beruf, an
der Spige biefes Standes Lorbern und Länder zu erobern, als
im Kampf mit bemfelben Strafen und Einſchraͤnkungen nebft
ben bamit verbundenen unangenehmen Auftritten zu veranlaffen.
Diefe Gründe bewogen den König, Orenſtjerna's Rath zu
folgen. Gine Menge von feinem Kater bes kandes verwies
fene Edelleute erhielten die Erlaubniß, ins Vaterland zuruͤck⸗
zukehren, und einige fogar bie durch ihre Vaͤter verwirkten
Büter zurüd. Der Abel hielt mit Wacht auf feine Privilegien,
verfäumte aber gar oft bie mit denfelben verbunderien Verpflich⸗
tungen zu erfüllen. Guſtav Adolf ſchien bie Ungerechtigkeiten,
denen fi der Adel zu jener Zelt nicht felten (dig machte,
anfangs nicht zu bemerken. Bald aber gab ihm bes Volkes
nehmende Liebe größere Zuverficht und bem Adel eine heilfame
ucht. Bon Jahr zu Jahr zeigte fidy im Benehmen des Koͤ⸗
nige eine Immermehr zunehmende Kraft und Sicherheit und
bie Klagen über des Adels Übermuth wurden immer feltener.
Diefe Beränderung wurbe befonders burch den Beift, weldyen
Guſtav Adolf diefem Stand einzuflößen wußte, bewirkt. Gr
umgab ſich mit ben ausgezeichnetften Mitgliedern bes Adels und
beiedte feine Umgebung mit feinem eigenen Geifte. Selbſtauf⸗
opferung,, Tapferkeit, Liebe für Vaterland und Geſetzlichkeit,
Gottesfurdgt und Gittlichleit ſprachen aus jedem Worte, jeder
Pandiung bes Könige. Der Eigennutz fing an ſich zu ſchaͤ⸗
men und zu verbergen: ber uth gegen bie unabligen
Staͤnde und bas gewaltfame Werauben ber wehrlofen Bauern
rn 2“ einem verädgtiichen Blicke Buftav Aboif's und feis
ner Freunde.
Der Koͤnig beforderte auf jede Meile die Wäiffenfchaften
und den Unterricht in allem Glaffen bes Wollt. Der Univerſi⸗
tät zu upſala ſchenkte er bie Gußavianiſchen Erbgäter, bie fein
Privateigenthum waren. Das Belipiel wirkte. Mehre unter
den Großen des Reichs machten Verfügungen zum Beten des
Unterrichtöweiens. Klarheit und Anmush ber Darftellung, nebfl
Reinheit und Schabenheit bed Inhalts waren bie Anfoderun⸗
gen, weiche ein König an die Wiſſenſchaften machte, ber fie
nicht nur an und für fich liebte, fondern auch bie wohlthaͤtigen
Wirkungen ihres Lichts fo weit möglich zu verbreiten fuchte.
Die inne Wermaltung des Reichs wurbe durchgreiſend
verbeffert und eine neue Reichitagsorbnung nom. König feflges
fteitt, weiche allen nachfolgenden zus Grundiage biente.
Berwaltung ber Provinzen erhielt einen geordnetern Gang unb
das Steuerweſen wurbe nach billigern Grundfägen geregelt. An
der VBerbefferung der gerichtlichen Werfaffung warb mit Gifer
gearbeitet, Das Staategeſet warb gedrudt herausgegeben unb
verboten nad) handſchriftlichen Gefegbücern zu richten. Die
Preceßorbnung warb verbeflert; Hofgerichte wurden eingefekt.
Der Gewerbfleiß wurde auf jebe Weife aufgemuntert und ber
Handels verkehr belebt. In ber Kriegskunſt war Guſtav Adolf
Grfinder und Schoͤpfſer. Selbſt von wahrer unb inniger Got⸗
tesfuccht durchbrungen, ließ er es fi) auch angelegen fein, feis
nem Volke biejelben Gefühle cinzuprägen. Ordnung und Kit:
chenzucht wurben ernftlich befördert. Doch war der König über
beſchraͤnkte Unduldſamkeit weit erhaben. Er liebte zwar den
lutberifchen Glauben mit warmem Gifer und bie Katholiken
waren feine Feinde im Felde und img Kathe; aber befiegt hatten
fie fih feiner Nahfiht und Mübe zu erfreuen. Die Iefuiten
waren die Einzigen, mit denen er fich nie. verföhnen Eonnte.
Sein Krieg mit Dänemark endete mit dem Fricden zu
Knaͤrod, unter harten Bedingungen für Schweden. Gluͤcklichern
Erfolg hatte der Krieg mit Rußland, Durch den Zrieden zu
Stolbaowa 1617 trat Rußland an Schweden ab: Kexholm mit
feinem Gebiete, Nöteborg mit bemjenigen Theile feines Gebiets,
weicher zwifchen dem Labogafee und dem finnifchen Meerbufen
lag., Ingermannlant mit den Feſtungen Imanogorod, Jama
und Koporie, entfagte allen Anſpruͤchen auf Liefland und zahlte
außerdem noch 2U Rubel. Nicht weniger ruhmboll wurde
dee Krieg mit Polen geführt, der 1628 durch einen auf ſechs
Jahre geichloffenen Waffenſtillſtand unterbrochen wurde. Der
poinifhe König Sigismund, Sohn des Königs Johann III.,
behielt zwar den Zitel eine Erbkoͤnigs von Schweden, mußts
aber Guſtav Adolf als wirklichen König anertennen und ihm
alle dazu gehörigen Titel geben. Won feinen Eroberungen be>
hielt Schweden ganz Liefland mit Riga, nebit den durch ihre Zölle
fo einträgiichen Haͤfen Memel, Pillau, Braunsberg unb Eibing-
Ende Mai 1630 berief Guſtav Adolf die Reichsſtaͤnde nach
Stockholm und eröffnete ihnen feinen Entſchluß, nach Deutfchs
land zu geben, um für die Glaubens⸗ und Gewiſſensfreiheit zu
kämpfen. Der Krieg warb genehmigt und bie nöthigen Steuern
bewilligt. Ruͤhrend ift feine Abſchiedsrede an die Stände. Gr
fagt in derfelben unter Anderm:
‚Was mich betrifft, fo weiß ich recht gut, was mis bes
vorfteben kann. Ich habe ſchon bei manchen Glelegenteiten für
Schweden mein Blut vergoffen unb werde wol auch einmal
für daſſelbe mein Leben laflen. Darum will ich, bevor ich dies:
mal vom Waterlande fcheibe, im innigen Gebet euch Ale,
Ne Fa Bewohner, nahe und ferne! in Gottes, bes Aller⸗
ften Schus mit Leib und Seele empfehlen, wuͤnſchend, daß
wir, wenn einft bie Stunde kommt, im Reich der undergängs
lichen Freuden uns begegnen mögen! . . - . Euch, ihr Herren
des Reichsnathes, wünfde ih Verſtand und Kraft, um euerm
Amte zur Ehre Gottes, zur Srhaltuag feines zeinen Wortes
und des Vaterlandes Trieben, Einigkeit und Wohlſtand vorfte
ben zu können... . . Der Ritterihaft und. dem Abel wuͤnſche
ich Gluͤck und Kraft, um. durch Tapferkeit und Heldenthaten
unſerer Vorfahren, der alten Gothen, Namen wiederaufleben
. Auf dieſelbe Meiſe ſout ihe dieſetbe Etzee er⸗
werben, eures Könige Gabe und den einzigen echten Rules
bes vom geiſttichen Stande ermahne ich
zur Ginigkeit und wahren Gottesfurdt. Leuchtet euern Buhbe
vern nicht nur mit ber Lehre, fonbern auch mit euerm Leben
vor, fo werdet ihr Gewalt über ihre Herzen haben.... Eu
von der Sargerſchat und dem Bauernflande, wuͤnſche ich alles
mögliche Gluͤck und Wohlergehen. Moͤchten eure niebrigen
Hütten ih in ftarke Häufer aus Stein verwandeln, eure Beinen
Boote in geräumige Schiffes eure Üder ımb Wieſen mit taus
fenbfältigen Gaaten eure Gcheuuen und Borvathhaͤuſer filllen,
zur Bermehrung eures unb des Baterianbes Reikktbum! — Sa,
euch Alle, Gchwebens geliebte Wewohner! empfehle ich in Got⸗
tes milde Obhut und fage euch mein herzliches Esbewohl; vie
leicht zum legtenmate ! "
Den 24. Juni 1630 landete Guſtav H. Abolf mit feinem
Heer auf ber Imfel Uſedom. Beine. Theilnahme an
Dreißigjährigen Krisge und feine Helbenthaten in
erzähle Iryxrell im zweiten Theile feines Merle,
wir ihm bier, aus Wange an Raum, nicht folgen ködanen.
Der Verf. wollte, role er in der Morrebe u ſelbſt fagt,
großen Maͤnnern ihres Borzeit nahe
treten follten, um durch bie Erkenntniß ihres Weſens unb ibues
Thaten auch zu einem eblern Leben fich begeiſtern zu laſſen; en
bat feine Aufgabe auf eine lobenswerthe Weiſe geloͤſt. 16.
Literarifhe Notizen aus Frankreich,
Belletriftifhe Reuigkeiten der franzd n :
„La nouvelle paroisse, poöme herei- I Ks:
et sans notes”; „O’etait Ecrit, ou le lion batave”, von J.
van Gaver (2 Bde)3 „Une cowurenne en songe, par le fils
d’un Girondin’; „Estreila”, Roman von Rey: Duffeuil; „‚Pe-
laio‘', ein Seeroman von E. Corbiere; „Souvenirs d’ua voyage
en Suisse‘, von Mad. Aragon; „Le monde de Chaalis’’, von
Mme. SH. Reybaud (2 Bde.); „La marqube invisible”, von
3. Lecomte; „Dies heures de paresse à Naples”, vom Grafen
Maricourt, Rovellen in Vers und Profa; „La journte auz
Heurs et la nuit aux lions’‘, von Arthur Ponrop, zu deffen
„Legendes orienzales” gehörig; „Tumulus”, von X. Gosnarh.
2. Gatibert gab heraus: „Algerie ancienne et moderne
depuis les premiers dtablissemenis des Oarthaginois, jasgues
et compris les derniöres campagnes du gen6rel Bugeaud,
avec une introdsction sur les divers systömes de oolonisatiom
qui ont precdde ia conqudee francais.‘ Das Werk erfdeint
in 24 Lieferungen, mit 25. ſchoͤnen Aupferftichen und zahlreichen
Bignetten in Oolzſchnitt von Raffet und den Brüdern Rouargue.
Auch erwähnen wir hier noch des Werkes „Colonisation d’Al-.
gerie par Enfantin, membre de la commission scientifique
d’Algerie‘’, mit einer Karte und emem Golonifetionsplane,
Bon P. 9. Hamont erfihien in zwei Bänden „L’Egypte sons
Mehtmed - Ali“.
Die Sammlung der Kupferftiche ber koͤniglichen Biblische
zu Paris enthielt bei der legten Zaͤblung 900,516 ĩ
darunter 1805 von Rembrandt und 2498 von Gallot; die S
lung von: Portraits beſtand aus 90,563 Stacken, biruater ZOG
von Heinrich IV., movon nur zehn einander, alfo wol mu Dem
Dargeſtellten, ähnlich find; 433 von Nepsleon, HIl von Labs
wig XIV. Die Abtheilung, weiche für die Goftgmbilder bes
ſtimmt ift, enthielt deren 36,973, pouon 11,901 allsin frangde
ſiſche Goftumes betzeffen. Unter den 24,118 geſchichtüchen Kupfene
en besieben ir Areal auf bir Gef its ** Sa⸗
ricatuxen gab eb in dieſter Samm ſrchitettvchiv
36,859, naturgeſchichtuiche 39,901 * m. —
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Brud und Verlag von F. A. Brochaus in Leipzig.
me. u. m —
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Rittwog,
"19. April 1843.
Über Gervinus’ neuere Literatucgeſchichte.
¶( Beſchiu aus Wir. 18.
Doch in ihrer vollen Kraft dieſe Kunſt, Licht⸗
und Schattenmaſſen auf dem Gemaͤlde nach Willkür, und
obne daß der unbefangene Leſer die Abſicht jedes Pinſet⸗
firihe merkt, zu vertheilen, erſt bei ber tomantifchen
Schule, deren Schilderung aus einem objectiv und natur⸗
getreu aufgefaßten Bilde zu einem wahren Zerrbilde ges
worden ift, fo dhnlich, wie alle Saricaturen es find. Der
Kenner fiebt die polemiſche Abfihe in jedem Zuge, das
wubefangene treuherzige Gemuͤth wird durch die Kunſt,
weiche in den Umriffen einige Xhnlichkeit bewahrt, indem
fe ſchoͤn in haͤßlich verwandelt, verwirrt, befonders wenn
w das Driginal nur von Hoͤrenſagen kennt. Wie muß
en fo beichaffener Leſer erſchrecken, wenn er vor biefer
eiuft fo hochgepriefenen Romantik, bie fo viele Köpfe und
Herzen erfüllte, ſteht wie vor einen mephitifchen Pfuhle
poetiſcher und meraliicher Sünden, in weichem alle böfen
Dimfte. md Miasmen unferer Literatur ſich abgelagert
haben. Dier meinen Sie, daß es doch felbit dem res
ſpectvollſten Glauben an bie Einfiht und die Aufrichtigs
beit des Berf. etwas zu viel zugemmthet fei, wenn ex fich
einzeben laſſen fol, bag die Romantik, „is hätte fie an
Diefer eigenen entſetzlichen Laſt noch nicht ſchwer genug zu
tragen, auch Das mit verfchuldet habe, was im entgegen:
gefesten Sinn verwirkt ift, was fie felbft mit beißendem
Spott und Hohn verfolgt hat? Freilich müßte Der doch
gar zu unbefangen fein, der nicht etwas merkte, wenn er
gustichen die beiden Schlegel und Tieck — Kofegarten, Tiedge
und Matthiffon eingereiht findet, als wäre das ein und
derſelbe Zuſammenhang und Fluß der Literatur und der
portiihen Dauptideen; oder der nicht anfliehe bei der Fi
verfichtlichen Behauptung, daß im gegenmärtigen M
ſchenalter es Wenigen mehr bekannt fei, 0b ein ovalis
exiſtirt habe oder nicht, da es doch nicht fo gar viele deut:
ſche Dichter gibt, deren Werke im J. 1802 zuerſt ges
denckt, 1837 die Fünfte Auflage eriebt haben.
Sie meinen, es gehöre Bein kleiner Grad von Selbſt⸗
Merwindung dazu, wenn Jemand ſich, wie Gervinus, das
wahrlich nicht beneidenswerthe testimonium paupertatis
ausſtellt, daß es ihm an allem Sinn fuͤr den Humor
und Scherz ber Tieck ſchen Poeſie gebreche. Aber das iſt
os ja eben, fo weit gebt man, wenn man uͤber die Mittel,
buch welche man feine Abfichten erreicht, gleichgültig iſt;
man bringt Alles, au den Ruhm eines feinen Ges
ſchmacks, den ein Literarhiſtoriker fonft freilich nicht gut
entbehren kann, zum Opfet. Man iſt dann gerecht gegen
Drollinger und Liscov, ja man flicht ihnen Kraͤnze, wäh:
vend man fuͤr Tieck auch nicht das kleinſte Woͤrtchen der
Anerkennung bat, vielmehr über Alles, was er hervorge⸗
bracht, mit einem aus affectieter Gleichguͤltigkeit und ſchnei⸗
dender Geringfchägung zuſammengewebten Tone fi fpriat ie
ihen gefliſſentlich eine Stelung gibt, in welcher ihm
treibungen und Verzerrungen zur Laſt fallen, die Niemand
eindringlicher zuruͤckgewieſen und verfpottet bat wie Tieck
ſelbſt. Wäre dies nice die hartnaͤckigſte Werbienbung,
wenn es nicht die ſtudirteſte Abficht des Parteigeiſtes
wäre? Goethe brachte eben auch nicht gem das Lob
Te’6 über die Rippen, doch nannte er ihn ein Talent
von hoher Bedeutung und fchrirb ihm außerordentliche
Verdienſte zu. Warum fich nun in einer Literasurges
ſchichte von fünf diden Bänden auch nicht der kleinſte
Raum für die Erwähnung dieſer Verdienſte bat finden
mwellen ; oder wenn es ſolche Verdienſte gar nicht gibt,
wodurch Goethe und fo viele Andere in einen fo ſtatken
JIetthum verfallen — das mögen die Leler, bie aus dem
berühmten und vielgepriefenen Buche ein untruͤgliches Ur⸗
theil als einen dauernden Beſitz ſchoͤpfen zu können ver
trauen, ſich ſelbſt erfiären, fo gut fie können. Und wenn
fie es nicht können, was kuͤmmert das einen Autor, ber
in der Vorrede erflärt bat, daß er gegen die Schickſale
ſeines Buche gleichguͤltig ſei? Aber wenn er über etwas
fiyer fein konnte, fo war es darüber, daß dad Bud an
dieſer Klippe am wenigſten fcheitern würde. Konnte er
ſich denn bei dem ganzen Schwarm kleiner Ritter, die
ſchon feit geraumer Zeit an Niemand lieber als an Tieck
ihre Sporen verdienen wollen, beliebter machen, als wenn
er fie mit feinen yersichtigen Waffen unterftügte? Iſt «6
denn etwa nur eine der herrſchenden Parteien, bie er das
durch gewann? Scheint denn nicht vielmehr die Sympa⸗
thie fire die Romantik überhaupt fo verfhellen und abge⸗
than, dag Niemand in Gefahr geräch, feine Popularität
durch Abneigung gegen fie zu verfcherzen?
Vielleicht wagt jemand, ber keine gu verlieren bat,
und die Beurtheilung, in dere Sinne, wie &s fie wis
fehen, unternimmt, die Idee und bie Tendenzen ber echten
. >
m
Romantik zu retten gegen die Anklage entnervender Ders
weichlihung, welche Gervinus gegen fie erhebt, im Ge⸗
ſichtspunkt, wo man dann ſtark zurüdgehen und den „Wer:
ther”” hineinziehen muß, welcher der Verdammniß dann
gleichfalls nicht enfgehen kann und auch wirdfich "wicht
entgeht. Sogar. die bekannten in einem Briefe hingewor⸗
fenen Worte Leffing’6 gegen ihn werden gebraucht, aus
weichen man doch wahrlich feine vollgültige Kritik des
„Werther“ ableiten kann, da Leffing fich hier ganz auf den
antiten Standpunkt geftellt und den modernen ignorirt
bat, den er bei „Romeo und Julia” fo wohl anzuerken⸗
nen wußte. Gervinus war bei biefer ganzen Polemik um
die Schickſale feines Buchs ebenfo wenig undekuͤmmert,
al® bei den einzelnen Urtheilen über die Heroen der Ro:
mantit. Indem man fi) naͤmlich jegt in Deutfchland ber
fruͤhern politifchen Gteichgüftigkeit und Indolenz ſchaͤmt,
fucht man nach einem tuͤchtigen Suͤndendock dafür, und
dazu gefällt Peiner beſſer als die vomantifche Poeſie.
Durch eine als Gegenſatz zu dieſer aufgefaßte Tendenz
nach That und Kraft tritt Gervinus der neueſten Litera⸗
turrichtung der Zeit noch weit naͤher als durch den Ra⸗
tionalismus , der doch, wenn er auch noch fo ſehr
gehaͤtſchelt wird, in ſeiner alten Form nicht wieder zu
Einfluß und Wirkſamkeit gelangen kann. Dieſe Literatur⸗
richtung iſt die politiſche, nicht blos an und fuͤr ſich und
auf ihrem eigenen Gebiete, ſondern auf dem der Poeſie,
die — fo lautet die Foderung — aus dem Bereiche des
Staatslebens ihren Stoff und Inhalt nehmen fol. Da:
ber dichtet man politiſch, fammelt politifche Lieder und
gibt Erörterungen über die Gattung der politifhen Poeſie.
Gervinus folgt dieſer Richtung und bat nicht wenig dazu
beigetragen, fie zu verftärken. Am Schluffe des Ganzen
empfiehlt er die Bearbeitung der politifhen Satire als
das befte Mittel, unferer fintenden Dichtkunſt wieder auf:
zubelfen ; Verſtorbene müffen ſich gefallen laſſen, den
Rathſchlag zu unterſtuͤtzen; Schiller, der befanntli ganz
in Idealen lebte, fol in feinen Xrauerfpielen von politi-
ſchen Beziehungen feiner Zeit durchdrungen geweſen fein.
Aber hat denn Schilter, hat überhaupt je ein großer Dich⸗
tee in diefem Sinne politifc gedichte? Ich beruͤhre bier
ein Gebiet, welches eine Iangathmige Mede erfodern würde,
wenn ich nicht vorausfegen dürfte, daß wir über ben
Hauptpunkt einig find. Ich zweifle nämlich nicht, wenn
ih mich alter Gefpräche recht erinnere, daß Sie mit mir
tber Folgendes einftimmig fein merden. Freilich iſt der
Poeſie, um das Höcfte zu erreichen, nöthig, daß im Wolke
ein tiefes vnterländifches Gefühl lebt, daß es einen wär:
digen Stolz auf feine gefchichtliche Bedeutung und auf
feine Thaten empfindet, daß es das Bewußtſein feiner
Ehre und Unabhängigkeit hat, und das Streben, zu ers
ringen, was ihm noch mangelt an diefen großen Gütern.
Über diefes Gefühl und diefes Streben follen nur bie
Grundlage der Poefie fein, nicht die Poeſie felbft, fie fol:
fen die Kraft und die Feuerluft fein, welche die dichtenden
Geiſter über den Boden hebt, ihnen Schwung und Fluͤ⸗
gelſchlag gibt, nicht die Megionen, wohin der Flug fie
tragen fol. Diefe Regionen. find die Wohupläge ber
434
Menfchen als Menſchen, nicht als Staatsbürger, das Was
terland bildet einen großartigen Dintergrund, es ſpiegelt
fi ab in ihren Thaten und Beflrebungen, und dieſe ent:
flammen für fein Wohl und Web, aber die unmittelbare
Noth der politifchen Fragen und Aufgaben "fol die vom
Dichter gezeichneten Geftuiten nicht aus dem reinen Äther
des Menſchlichen in die trübe Schwere der bürgerlichen
Verhältniffe ziehen, vielmehr fie verklären, indem es fie
aus diefen in jene erhebt. So ift es nicht etwa nur in
einem idylliſchen Epos wie „Hermann und Dorothea“,
ſondern ˖ durchgängig im Shaffpeare. Rom und Enafınd
und ihre Schickſale find nur die Träger für Heinrich V.
und Percy, für Caͤſar und Bratus. In den Werhaͤu⸗
niffen dieſer Helden und ihrer verfchiedenen Charaktere zu:
einander als Menfchen liegen die Knotenpunkte der Dra=
men, nicht darin, daß in England die Dynaſtie über bie
Rebellen fiegt, ober daß in Rom ber Verſuch, die Repu⸗
blik zu retten, fcheitert.
Doh es fei, daß die Zeit glaubt, eine Poefie, die das
Humane über den Staat feßt, ſowie die ganze Laͤuterung
und Berfiärung des Irdiſchen durch die Kunſt, weil fie
die irdiſchen Verhaͤltniſſe, wie fie find, nur flört, von fi
weifen zu müflen. Gervinus felbit ſcheint um Schluſſe,
obfhon er von der politifchen Satire einen Fortſchritt er:
wartet, dieſes Aufgeben der Poefie anzudeuten. Dann
aber wird es dem Literachiftoriler, der die legten Blüten
der Dichtkunft erlebt, am wenigſten ziemen, veraͤchtlich und
fcheitend von dem entzüdenden Duft zu fprächen, ben fie
verbreiteten, als es noch vergönnt war, ihn einzuathmen.
Doh war dies nicht blos vergönnt, es ift es noch fie
Ale, die den Much befigen, ſich von einer herrſchenden
Parteirihtung nicht unterjochen zu laſſen, und wenn fie
nod) fo laut als die allein wahre verfündtt wird. Dies
fen Muth laſſen Sie und bewahren, theurer Freund, und
zugleich vertrauen, daß das Schöne und Wahre, weiches
(don fo oft durch die Feuerprobe der Verkennung gegans
gen und aus langer Verdunklung fiegreich wieder an das
Licht getreten tft, immer diefe ‘Probe beſtehen und dieſe
Kraft bewähren wird. 51
Romanenliteratur.
1. Der Zitenide, Novelle von Karl Eitner. i Teile.
Breslau, Kern. 1842. 8. 1 Zpir. 25 Nor. Anne
Sehr wohl gewäpit ift der Titel dieſer Novelle, ald Tita⸗
nibe bezeichnenb ben Beiden, der fi außergewöhnlicher Kraͤfte
bemußt ift und feine Thaten vollbringt. Er will Großes Leiften
für das Menſchengeſchlecht und uͤberſieht die naͤchſten Pflichten;
er will die Menfchheit begluͤcken und macht ungluͤcklich Alle bie
ſich ihm nahen; er findet die Kraft zur Liebe, nicht die zur
Treue; ber erhörte Wunfch bringt ihm Überfättigung. Die Gat⸗
tin eines Andern, bie er bethört, ftößt er mit Berachtung von
fi. Das Mädchen, beffen Neigung er erregt, verfdhmäht er,
um ald Bräutigam einer andern ihr feine Reue vorzuflagen,
als er fie verlobt glaubt. Geine Braut bat er mit behersiicher
Liebe errungen, doch als fie feine Braut if, begiädt igre Reis
gung ihn nicht mehr. Entſchuldigen muß man indeß den ars
men Zitaniden, ba die drei Frauen, mit benen er in Verhaͤlt⸗
niß tritt ‚ auch wunderlich genug find und ben vernünftigen
Mann nicht begluͤcken konnten. Mie eine alt und vertisbt, Air
andere ätherifch und uͤberreizt, unverſtaͤndlich durch Launen und
Gefühle, die dritte verzogen nnd Überfpannt. Die eine gebt in
ein Ktofter, die andere ftirbt und bie dritte heirathet cr auch
mit. Aber er bleibt feinem Charakter treu; er will (Gutes
wirfen, er will nicht mehr für ſich leben, fondern nur für An:
dere, denn er hat feine Fehler eingefehen und er geht nad
Amerifa. Als 06 er in feinem Baterlande nicht Gelegenheit ge:
mug zu Ausführung dieſer Lebensplane finten könne, um fo
mebr , da er Güter befigt, die er erft verfaufen muß. Solche
Charaktere find nicht felten in jegigen Zeiten; es gibt viele
Leute, welche nicht wiffen was fie wollen und was fie follen,
und deshalb wollen wir ben Zitaniden ald Romanhelden pafft-
ren laffen. Die Erzählung leidet an einer Überfülle von Figur
ren; man muß gar zu viel Bekanntſchaften anknüpfen, die nicht
zur Entwidelung und Tendenz nöthig find und ben Eefer irre
machen, ben Baden verwirren und das Intereffe von ben Paupt:
perfonen ableiten Auch iſt die Briefform oft ſtoͤrend, da fie
zu unnöthigen Weittäufigfeiten Anlaß gibt. Mögen Briefe im:
merhin das innere Leben erfchließen, das dußere, die Begeben:
heiten, müffen fo dramatifh als möglidy bargeftellt werben.
Schr wahr ift folgendes Wort bed Helden: „Ia, wer immer
ein ganzes Menfchenleben im Zufammenhange überfchauen könnte,
ber würde duldfamer fein. &o fehen wir nur entweder Schoͤ⸗
nes oder Häßliches, und das macht uns Leidenfchaftlich und
beftimmt im Augenblicke einfeitig unfer Urtheit und ®anbeln.
So wird oft ein Prachtſtuͤck, ein feltfames Exemplar von Mens
fchen in Nacht vergraben, das zu etwas Beſſern getaugt hätte.’
Diefen fo wahren Worten zufolge muß ber Leſer mehre Mens
ſchenſchickſale fih in aller Weitläufigkeit erzählen laflen, wobei
mehr Kürze zu wünfchen geweſen wäre. Manchen tiefen Blick
in die Menfchenbruft geftattet biefer Roman und ber denkende
Lefer wird fi daran erfreuen.
Hammerich. 1843. 8. 1 Zhir. 227, Nor.
Eine Tendenznovelle von der ſchwerfailigſten Art, berufen,
das Anftitut der Ehe von allen Seiten zu beleuchten, ſowol in
fharffinnigen Abhandlungen als in weitfchweifigen Darftelluns
gen und in Standreden junger Damen. Antonia, bie Heldin,
heut die Knechtſchaft der Ehe; fie fab einen Tauber die Taube
beißend nach dem Reſt verweifen, welches fie verlaffen hat, und
erkennt darin die Zyrannei des Cheſtandes, deshalb folgt fie
dem Manne ihrer Liebe, ohne ihm angetraut zu fein Gin
geiftreicher Bibltothelan beweiſt fehr grünblich und umſtaͤndlich,
daß ein Mann gefchaffen fei, um zwei, ja auch drei Weiber zu
haben. Der Fünfunbzwangigjährige vermaͤhlt ſich mit dem zwans
zigjaͤhrigen Mädchens ift diefe nun 30 Jahre, bat fie Kinder
in die Welt geſetzt und ihrer Pflicht gemäß ſelbſt geftilit, fo ift
fie verblübt und muß fih, indem fie des Mannes Freundſchaft
fih erhält, eine Nachfolgerin in feiner Liebe gefallen laflen.
Rach zehn Jahren kann der zweiten Frau daffelbe Schickſal zu
Theil werben. Bon Sitte und Geſeß geheiligt, würbe biefe
Ginridhtung keine Frau verletzen, fie dürfe ſich ebenſo wenig bes
Magen wie die Krebfe, weiche in mandyen ändern in kaltem
Waſſer angefegt werden und von denen eine geiftreiche Köchin
verfihert haben foR, fie feien es nicht anders gewohnt. Diele
Inſtitution wird auch ale eine gute Berforgung für Mädchen
von Stande und Erziehung anempfoblen, da die Etelle der
zeiten Frau eines Mannes immer beffer ſei als manche ans
dere Berforgung der alten Jungfern. Antonia's Lebensgefährte
benust ſolche gute Lehren, ſowie bie Freiheit, welche Antonia
ihm gelaffen,, und verläßt fie, als er fich in eine Juͤngere ver:
iiebt hat. Gr verläßt die Mutter feines Kindes; dem Rinde
feet ee einen Jahrgehalt aus. Dem Lefer madht er deffenuns
geachtet den Eindrud eines Schufts, während die Frau in ihrem
Schmerz Theilnahme findet. Ref. war demnach nicht recht mit
fi einig, ob Antonia nicht zu gratuliren fei, daß fie an ſolch
einen Dann nicht unauftetich gebunden. Antonia ift indeflen
auch nicht das Wild einer edein Weiblichkeit; fle vermag nicht,
das Intereffe des Lefers zu gervinnen, ebenfo wenig al& irgend
Eine Rovelle von Egert Winnfteen. Altona, ,
eine ber vorgefühsten Perfanen, unb wer nicht einen beſondern
Geſchmack für Grläuterungen, Auseinanderfegungen, Abhandb⸗
ungen und Differtetionen bat, Tann unmöglich diefe Novelle
ganz durchleſen. Die meiften Perfonen halten lange Neben
für ober wider die Ehe, bie, wenn aud der Eefer ihnen
zuweilen mit Jntereſſe folgt, do ben Zuhörern im Roos
man ſelbſt fehr täftig werben mußten. Auch das Capitel ber
Religion wird abgehandelt, bie Mufterergiehung eines weidlichen
Weſens in allen Detaild vorgeführt; unter Anderm verfteht fie
ſich aud auf die. engliſche Küche. Es mögen viel Gedanken in
bem Bude enthalten fein, viel Scharffinn und Weltkenntniß,
viel Zalent, dis verſchiedenen Zuflände zu beleuchten, bie Ros
vellenform ſcheint indeß nicht bie rechte Kerze dazu zu fein.
3. Philidor. Er lung aus dem Leben eines Landgeiſtlichen,
von Pubmig ehftein. Gotha, Verlagscomptoir. 1843,
8. 1 hir. 15 Nor.
Die Erzählung beginnt im Anfange bes 18. Jahrhunderts
und ift ſehr erbaulichen Inhalts, im Ton der Zeit geſchrieben,
deren Bild fie entwirft. Der fromme Pfarrer Philidor wird
ber Verführung eines fchönen Maͤdchens befchuldigt, und zahls
zeiche Umflände vereinigen fi, um den Schein gegen den Uns
fyuldigen zu wenden. Der wirkliche Verführer, ein roher Krieges
knecht, welcher dem Mädchen einen Schlaftrunk gereicht und auf
biefe Weiſe die fündliche That vollbradht hat, ift fern; eine boͤs
willige Gutsherrſchaft, welche bamals noch viel Gewalt durch die
Gerichtöbarkeit übte, wirkt auf die Vertreibung bes Pfarrers,
und unfagliher Kummer bricht über ben Gläubigen und feine
fromme Gattin ein. Yür jede neue Qual und Verfolgung hat
er einen ſchoͤnen Bibelſpruch, und feine Predigt, als die arme
Verfuͤhrte vor ber Kanzel weinend und betend Kirchenbuße thut,
iſt ſehr ergreifend und ſalbungsreich, kraͤftig die boͤfen Verfolger
treffend, ſodaß fie die Kirche verlaſſen, und feine Worte zur
Bergebung der uUngluͤcklichen find mild und fchön. Seine Ber:
treibung aus ber ihm ergebenen Gemeinde, bie Strafe, welche
den Bauern, die für ihn gebeten, auferlegt wurde, gehören zu
ber Faͤrbung jener Zeit. Zuletzt fleht man den würdigen Geift:
lichen in einer andern größern Pfarrei eingefeht; Magdalenen
als Verlobte des Cantors, den Verführer feine Sünde befens
nend unb mit dem Tode dafür büßend.
4. Die lette Soirde der Gräfin Zolfa, oder be Nemefis Male
ten. Roman von ber’Verf. der „Sräffn Loͤwenmark““. Zwei
heile, Gera, Heinflus. 1842. 8. 2 hir. 15 Nor.
Ref. fühlt fich ſehr gluͤcklich, die „Gräfin Löwenmark” nicht
gelefen zu baben, da biefes zweite Werk der Verf. ihm in keis
nee Hinſicht munden wollte. ine fehr gewöhnliche, mit fran:
zoͤſtſchen Redensarten und franzöfifchen Worten geſpickte Sprache,
widerliche Sharaftere, obge alle naturgemäße Zeichnung, ab«
ſichtlich Herbeigeführte Verfbirrungen, lange Lebens» und keidens⸗
geſchichten, die nicht zum Ganzen nötkig find, füllen dieſe zwei
langen Theile. Die vergnügungäluftige alte Gräfin Zolfa, die
ihr Vermoͤgen in Feſten und Weltfreuden verpraßt und ben
Sohn an eine reiche häßliche Gräfin verfuppeln will, um ihre
thörichte Lebensweiſe fortfegen zu Können, und ihr Bruder, der
alte Graf Falkenau, ber Tyrann gegen Frau und Sind unb
rohe Jagdliebhaber, ber dem ermachfenen ohne noch zuletzt
einen Zußtritt verfegt — fie find Beide fo vollftändige Garicatus
ren, wie die Hildinnen Alba und Aygtonia in ihrer Tugend und
Vortrefflichkeit. Natur, Wahrheit,, wo waret ihr, als eine
ſchoͤne Hand die Zeder ergriff!
5. Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bon Ieremias
GottHeif. Erſtes und zweites Bändchen. Solothurn,
Jent und Gaßmann. 1842, 8. 1 Thlr.
Im teeuherzigen Schweizerdialekt find im erften Theile brei
Erzaͤhlungen mitgetheitt: „Die ſchwarze Spinne”, „Der Rit⸗
tee von Branbis”, „Das gelbe Voͤglein und dies arme Mars
geithti”. Sie find mit großem Feuer und abfichtlicher Effects
berechnung, jedoch im frommen, gottesfürdgtigen Sinne geſchrie⸗
Der weite hell enthält: „Gelb und Geiſt ober die Ber
fbgnung” und „Der Druide”. Die erſte lung iſt ſehr
sührend durch die Schilderung eines einfachen häuslichen Gluͤckes
und der Störung beffeiben. Man ericht alle bie Eieinen Be
benheiten bes Alltagsiebens mit unb muß fi für bas fohtichte
Ehepaar des Bauernflandes lebhaft intereffiren. Diefe Samm⸗
fung bat gebiegenen Werth und eignet fidy vor allen für Volke⸗
bibliotheken und für Lefer, welche noch wenig gelefen baben
und von der Umfändlicgkeit der Mefchreibungen nicht ermübet
Henry Clay.
Henry Stay gilt nach den Zeitungen für einen Verfechter
der liberalen Sache, ift im Gongrefle der norbamerikanifchen
Staaten zu Waſhington Führer ber liberalen Partei. Ie mehr
es nun um politiiche Angelegenheiten ſich kuͤmmernde Leſer gibt,
denen bie amerikaniſche Eiberatität wie ein fautes Ei vorkommt,
Außertich rein, innerlich ſtinkend, beflo allgemeiner intereffant
muß es fein, glaubwürdig zu erfahren, wie bie liberalen Theo⸗
rien des Hrn. Henry Clay ſich in ber Praxis ausnehmen, benn
thut nach meinen Worten und nit nad meinen Werfen, ift
heutzutage überall Mode und eine Wahrheit. Eine folche glaub⸗
würbige Kunbe bringt der Quaͤker Sturge in feiner „Visit
to the United- States” (Ronbon 1842), in einem an ihn
gerichteten Briefe eines Hrn. James Cannings Yuller, für
weichen Sturge ſich verbürgt: Da beißt es: „Weil mich fehr
verlangte, die veredelte Viehzucht auf Henry EClay's Pflanzung
zu fehen, going ich hin. Als ich mich dem Wohnhauſe näherte,
erblickte ih einen farbigen Mann und fagte zu ihm: ‚Wo
wurbeft du audgeboben?‘ — ‚In Wafbington’, fagte er. —
„Wurdeſt du dort von Henry Glay gekauft?‘ fragte ich. —
‚3a‘, fagte er. — , Willſt du mir wol fein verebelte® Hornvieh
zeigen?“ fagte id. — Er beutete auf den Obftgarten und fagte,
dort wohne der Mann, der die Aufficht barüber habe. Geiner
Deiſung folgend, begegnete ich einem recht klug ausfehenden
Knaben, ungefähr acht oder neun Jahre alt. ‚ Kannft bu leſen?“
fragte ih. — ‚Nein‘, antwortete er. — ‚Gibt es auf Henry
Glay’s Pflanzung feine Schule für die Barbigen ?* fragte ich. —
Rein‘, fagte er. — ‚Wie alt bift uf‘ — ‚Weiß nit.‘ —
Em Obſtgarten traf ich eine alte Frau beim Nähen. ‚Wie alt
bift du?* fragte ih. — ,‚Derbe fünfzig (a big fifiy! —
Wie alt iſt das?‘ — ‚Nahe an ſechzig.“ — ‚Wie viele Kins
der haft du?‘ — ‚Funfzehn oder fechzehn.‘ — „Wo find fie?‘ —
‚Barbige Menſchen wiflen nicht, wo ihre Kinder find. Die
werben übers ganze Land zerftreut.‘ — ‚Wo murbeft du aus:
gehoben?‘ — ‚In Wafhington,‘ —«, Kaufte dich Henry Clay
dort?! — ‚Zu. — ‚Wie viele Kinder hatte du damals?‘ —
„Vier.“, Wo find ſie?“ — ‚Weiß nicht. Sie follen tobt fein.‘ —
Die Hütte, in welder biefe Quelte, des Reihthums
wohnte, war weder dußerlich noch im Innern fo gut wie mein
Stall. Mehre Sklaven fammelten Obſt im Garten. Ich fragte
einen der jüngften, ob fie auf bieler Pflanzung Iefen ernten.
Sie antworteten Alle ‚Nein. As ich den Auffeher fand,
ſchwenkte er eine dicke, zerbrochene Peitfche mit kurzem Stiel.
Er fagte, er gebraudye fie fowol beim Reiten, als um gelegent:
Gh ‚die Sklaven auszuhaen. Was lernen wir nun, mein
Sreund, aus diefen aufgefüngenen Thatſachen zu Aſhland, aus
diefen Handlungen unfers gemeinfchaftlichen Freundes, Joſeph
Sohn Eurney’s ‚theuern Freundes‘, Henry Clay, bed Mannes,
der ſich rühmt,_ jeder Schlag feines Herzens fchlage hoch für
Breiheit‘, und N boch nicht Ichämt, Männer und Weiber am
Gapitot zu kaufen — an dem Drte, der vor allen andern
. * „son ben Fußtapfen eines Sklaven verfludht werben
. ae . .
Rotizen.
Neuerlich iſt es, aller Geſchichte zum Trotze, wieder Mode
geworben, bie kirchliche Abhängigkeit des Volke für eine Stuͤte
der Regierungen zu halten. „Wan muß Bott mehr geborchen
als den Menſchen.“ Zittert ihr nicht vor biefem Grund⸗ umb
Urſpruch aller Sonfeffionen? Hier eine Fuge über biefes Thema!
As Maria Stuart dem Knor vorwarf, er habe ihr Wolf zum
Ungehorfam und zur Rebellion aufgereizt, entgegnete er: Gott
babe ihn dazu berufen — im Punlte der Religion feien Unter
I thanen Bott mehr Gehorfam ſchuldig als ihren ; font
hätten auch die erfien Chriſten bie Religion ber roͤmiſchen Kat
fer annehmen müflen. Die Königin: Diefe hätten doch nicht
das Schwert gezogen gegen ihre Beherrſcher. Knor: Bott
hatte ihnen Macht und Mittel bazu nicht geſchenkt. Die Koͤ⸗
nigin: Wenn Unterthanen biefe Wacht aber haben, dann alfo
bürfen fie, nach Gurer Meinung, biefelbe wiber ihre Könige
ebrauchen? nor: Allerdings, wenn Pürften ihre Gren
berfchreiten. Wenn Kinder einem wahnfinnigen Bater,
fie erwürgen will, zuvorkommen, ihn binden und, bis er genefen,
in ben Kerker werfen, meint Ihr, baß fie Unrecht thun? Der
Vürften blinder Eifer iſt ebenſo nichts als Wahnfinn: ihre
Hände feſſeln und fie ind Gefaͤngniß werfen, bis fie wieber zu
ih kommen, ift’nicht Ungehorfam gegen die Obrigkeit, fondern
ber w ve Gehorfam, weil er mit dem Willen Gottes
übereinffimmt. — —
Den katholiſchen Zeloten in Deutſchland empfehlen wir bes
berühmten italieniſchen Kanzelredners Varbieri Vortrag über bie
Kanzelberedtſamteit (Orazioni quaresimali ec.”, Mailand
1836— 37, ®b. 7), worin es unter Anberm heißt: „Bor
allen Dingen hat es der Prediger als einen Borzug feines Bes
rufs zu achten, daß er fich aller Ausbruͤche gegen Diejenigen,
weiche nicht im Schooſe ber Kirche find, enthalte; denn fürwahe,
dergleichen beleidigende Declamationen verunehren nur bie Beis
ligkeit unſers Standes, erbittern Jene, gegen weiche fie gerichs
tet find, und wiberfireiten ganz dem Brauche der Apoſtel und
Jeſu Chriſti.“ „Der wahre Eifer ſucht nicht anders ats durch
Milde und burch Überzeugungstraft zu wirken.” Den Bis
ſchoͤfen, fagt Barbieri, zieme es, ber geifitiigen Beredt⸗
famleit einen vorzuͤglichen Aufſchwung zu geben. Ihnen fei
bas gar nicht ſchwer. Schon ihre Stellung, ihre Würke
fei für fie berebt. „Das perfönliche Anſehen, bie Pracht der
Sewänber, bie ganze feierliche Umgebung — alles Das wirft
mächtig auf die Sinne und durch biefe auf das Herz.” Bor
zuͤglich aber iſt es dies: „Wo fich ber Biſchof nur zeigt, da if
Kichterſtuhl und Lehrſtuhl beieinander, doppelt Ehrfurcht gebies
tend. Wie follten nicht folge WBorzäge helfen zur Erhaͤbenteit,
nicht beifen sur ergreifenden Wirkung feinex Rebe?” IE es
nicht mit ber Beredtſamkeit der Könige baffelbe ?
‚Bei Gelegenheit des amicabeln Colloquiums zwifchen ben
reformirten und lutherifchen Theologen zu Berlin im 3. 1683
erklärte der berühmte Lieberbichter Paul Gerhardt in einem
Responsum: Von ber natura intellectus humani (Weſen ber
Vernunft) reden, helfe feinen Gegnern, ben Reformirten, im
Geringften nit — „weil ich in Gottes Wort nicht allemal auf
argumenta convincontia (überzeugende Gründe) feben und
warten muß, fondern ba gilt das auvsog &ye (er hats gefagt);
wenn mir Gott etwas fagt, fo muß ichs glauben, daß dem
alfo fei, wenn er mir — nicht rationes et argumenta babei
gibt, warum es alfo ſei.“ Berner bemerkt er: „Gottes Wort
gehört nicht zu ben Claſſen vontwr ober intelligibilium, fer
dern fie find ale nıoıa (Blaubensfachen), fie find üneg reis
(über der Vernunft)" u. f. w. — Mephiſto fagt:
Verachte nur Vernunft und Wilfenfchaft,
Des Menſchen allerhoͤchſte Kraft —
So hab' ich dich ſchon unbebingt. .
Vlxantwortiicher Ferausgeber: Helurig Brokhaus. — Drud und Berlag von F. A. Brodbaus in Leipztg.
vv‘
er)
-
Blätter
für
literarifbe Unterhaltung.
Donnerstag,
Kr. 110, ö—
20. April 1843.
Über die gothiſche Literatur, beſonders über Ulfilas
und den Codex argenteus.
Es iſt billig die Literatur eines Volks mit Erwaͤh⸗
nung auch jetzt nicht mehr vorhandener, vielleicht nie
ſchriftlich aufgezeichneter Lieder, die von eigenen Saͤngern
vor dem Volke geſungen wurden, anzufangen, denn in ih:
nen wurzeln, da fie meift hiftorifchen Inhalts find, we:
nigftens Volle = und Deldenfagen enthalten, die Anfänge
der Hiftoriographie und, wenn bei der Kortbildung und
weiterfchreitenden Cultur auch Lieder ethifchen oder didakti⸗
chen Inhalte hinzukommen, die Theorien der Wiſſen⸗
haften. Unterhaltung und Belehrung des Volks durch
Lieder ging bei den alten europälfhen Völkern, bie zu der
Kette des indogermanifhen Stammes gehören, nicht wie
bei den orientalifchen Völkern und bei den Ägyptiern, von
einer Priefterfafte aus, fondern von befondern, mit der
Gabe des Geſanges begabten Männern aus dem Wolke.
Solche Sänger gab es bei den Hellenen, und bei diefem
Volke wiſſen wir von jener angedeuteten Trennung in eine
epifche oder hiltorifche und eine didaktiſche oder ethifche
Schule, jene war die Homerifche, diefe die Heſiodiſche.
Diefe Sänger, belehrt von einem Meifter, der feine Lieder
ihnen vorfang oder den fie begleiteten und fingen hörten,
wanderten dann im Lande weit umher und waren bei
feftlichen Spielen und in Volksverſammlungen ebenfo will:
tommen, wie bei den Gelagen der Fuͤrſten und Häuptlinge,
wo fie auch durch Theilnahme am Mahle geehrt wurben.
Romantifche Lieder wurden mit der Harfe oder Zither be:
gleitet; unter diefen maren befonder& beliebt in Griechen:
land die Lieder des Sagenkreiſes der trojanifchen Helden,
und felbftändiger von den Homeriden weiter und fortge:
bildet und freier gefungen gingen fie endlich von den
Rhapfoden fefter und woͤrtlicher aufgefaßt durch dieſe in
die Schrift über. Ähnlich waren die Skalden bei ben
Skandinavien, den fernften germanifhen Stammverwand:
ten im Mordmeften Europas; entweder zu dem Hofe eines
Jarl gehörend oder von einem zu dem andern ziehend,
fangen fie dort wie in Bolksverfammlungen zur Bither
ihre Gefänge und reiheten Erzählungen daran, und wie:
derholten jene fo oft, bis Einer der Anweſenden fie aus:
wendig gelernt hatte. So entſtanden die dAlteften islaͤndi⸗
hen Sagen, und aus ihnen ging jene alte reiche, meiſt
aus Liedern beitehende feandinavifche Literatur hervor.
Solche Sänger treten auch im Mittelalter an ben HB:
fen germanifcher Fürften auf, fie fangen ebenfo heroifche
Lieder ber Nation zum Saltenfpiel, und vielleicht ſtammt
aus ihren Liedern die in fpätern Jahrhunderten erſt aufs
gezeichnete Deldenfage. Doch war der umbherziehenden
Sänger Anfehen an den germanifchen Höfen nicht fo
groß, wenigſtens deutet darauf das im 18. Kapitel des
oſtgothiſchen Geſetzes erwähnte geringe Wehrgeld für ben
Zodtfchlag eines Sängers; es beitand in der Aushaͤndi⸗
gung eines Paares Hand: und Kußfchuhe an die Erben
des Erfchlagenen und eines dreijährigen Kalbes, wenn, ber
Erbe daflelbe, von einem Bauer dreimal gefchlagen, feſt
am Schwanze halten konnte, daß es ihm nicht entlief.
Solche Sänger bat es auch bei den Gothen gegeben,
denn auch fie hatten Lieder, in denen ganz nach geichicht:
licher Weife, wie Jornandes fagt, die Thaten der Väter
nad dem Klange der Zither abgefungen rourden. Der
Inhalt jener Lieder war 3. B. der Zug der Gothen aus
der MWeichfelgegend nah Skandinavien, dann die Ruͤckkehr
von dort und die fieggefrönte Wanderung herab bis in
die pontifchen Länder der Skythen, die Thaten der als He:
toen verehrten Ethefparama, Fridigern, Vidicula u. dgl.
Mythiſch im eigentlihen Sinne, voie es noch viele Sagen
der Edda find, waren alfo, wenigſtens fo viel uns befannt
ft, die gothifchen Lieder nicht, fondern Volksſagen und
Heldenlieder, und vielleicht find die Lieder des „Heldenbuch“
zum Theil, von Gefchlecht zu Geſchlecht gehend, aus je:
nen alten Gefängen entftanden. Wenigſtens ſchoͤpften bie
Hiftoriter Ablavius, der feine gothiſche Geſchichte auch gos
thifch gefchrieben haben foll, und Jornandes die erfien Nach:
richten von dem gothifhen Volke aus diefen Liedern,
Ungewiß ift, ob wirklich von Gothen zu verftehen ift,
wenn Jornandes erzähle, zu Sulla's Zeit wäre zum go:
thifehen König Boroiſta (oder WBprebiftes, wie ihn Strabo
nennt) Dichneus, ein fremder Philofoph, gekommen, der
von dem Könige auf das zuvorkommendſte empfangen und
auf das auszeichnendfte behandelt worden wäre. Du er
des Volkes Zuneigung zu fich und ihren guten natürlichen
Berftand erkannt hatte, unterrichtete er fie in ber Philo⸗
fophie, lehrte fie die Ethik, daß fie ihre wilden Sitten abs
legten, und bie Phyſik, daß fie der Natur gemäß nach eige:
nen Gefegen lebten, und diefe Lehren hatten fie bis auf Jor⸗
438
nandes’ Zeit Fchriftlich aufgezeichnet und nennten fie Billa-
gines; aud) Logik, Praktik, Theorie und Theologie (dieſes
Altes nach dem antiken Begriffe diefer Wörter) lehrte fie Di:
caͤneus unb machte dadurch, wie Dio Caffius hinzufligt, die
Gothen den Griechen an Bildung und Gelehrſamkeit gleich.
Ich fage, ob dies auf Gothen oder vielmehr auf Beten,
die Strabo ausdrüdlich bei der Erwaͤhnung des Dicäneus
nennt, und welde Sornandes in feiner Gefchichte mit den
Sothen zu vermifchen pflegt, zu beziehen ift, iſt nicht zu
beftimmen, doc hat die Benennung jener Gefege, die go⸗
thiſch ift (eigentlich Bilageineis), und der Umftand, daß
Somandes von dem Borhandenfein derfelben zu feiner Beit
fpricht, etwas Wahrſcheinliches für die Beziehung auf die
Sothen, wenn auch das Ganze nicht auf das Gothiſche
zu beſchraͤnken wäre. Faſt könnte man fich verleiten laſ⸗
fen, in jenen Bilageineis, gegenüber den hiſtoriſchen Ge⸗
fängen, eine Art Gnomen, oder den Defiodifhen „Werken
und Tagen“ ähnlicher didaktifcher Volkopoeſie zu vermuthen,
wenigſtens pflegten und pflegen noch jegt allerhand Sprüche
und Megeln für das Leben und den Beruf alliterirend
oder gereimt im bdeutfchen Volksmund zu leben. Aber
auf unfere Zeiten ift von jenen Bilageineis, wie von ben
biftorifchen Liedern nichts gelommen. Indeß iſt es doch
von ntereffe für die gothifche Literatur, von dem Be:
ſtehen eines gefchriebenen Buchs unter den Gothen in
früherer Zeit zu willen, da man gewöhnlich, nach einer
UÜberlieferung, den Ulfilas als den Erfinder des gothifchen
Alyhabets nennt.
Mit der Nennung bes Ulfilas find wir auf den Ans
fünger und, ich möchte faft fagen, auf den Vollender
der uns übrigen gothifchen Literatur gefommen, da diefelbe
zum großen und beten Theile in ber Bibelüberfegung be:
fteht, die gewöhnlich dem Ulfilas zugefchrieben wird. Um
jedoch noch mit einem Worte zuruͤckzukommen auf bie
„Erfindung der gothifhen Buchſtaben“ duch Ulfilas, fo
dat das Alterthum und ſelbſt Jornandes, freilich im Wi⸗
derfpruche mit fi ſelbſt, da er die Bilageineis lange vor
Ulfilas gefchrieben fein läßt, gefagt: Ulfilas hat die gothi⸗
fchen Buchſtaben zuerft erfunden. In neuerer Zeit hat
diefe Meinung mehrfache Modificationen erfahren; man
bat angenommen, daß die Gothen ſchon vor Ulfilas ein
Alphabet hatten, daß es aber Ulfilas, der gemiß erft un:
ter feine Gothen, wenn fie auch ſchon früher Chriften wa:
ven, den Geiſt der Wiſſenſchaft brachte (Gothos minores
fiteris instituit fagt Sornandes S. 135 Lindenbr.), Durch
neue Zeichen bereicherte und zur Wiedergabe aller Laute
fähig machte. Diefe Anſicht empfiehlt ſich nicht nur da:
duch, daß fie felibere fchriftliche Denkmäler bei den Go:
then beflehen laͤßt, fondern iht widerſpricht auch gar nicht,
wenn «6 heißt, Wfitas habe das gothiſche Alphabet erfun:
den, denn fo pflegen von alten Schriftflelleen die Vervoll⸗
kommner einer Erfindung, auch die erfien Erfinder oder
Darſteller genannt zu werben, wie wenn Plinius (Hist.
Neter., XKXIV, 8) von dem Bildner Pythagoras fagt:
we drickte zuerſt Muskeln und Adern an feinen Statuen
amd ; diefer biühele Olymp. 75 — 87, aber fdyon vor ihm
hatten Kallon und Kanachos (blüheten Olymp. 60 — 73)
Muskeln dargeftellt; aber meil diefe zu ſtark und zu ber:
vorgehoben waren, Pythagoras aber felbige zuerft bei aller
Kraft doch natlrlich ausdrückte, fo heißt er der Erſte, der
überhaupt Muskeln und Adern ausgedruͤckt. So ift es
vielleicht auch mit der Erfindung des gothifchen Alphabets
duch Uffilas; das Werhältniß der Altern, nationafen Schrift
zu der des Ulfilas Haben ſich Einige fo gedacht: die alte
gothifche Schrift, eine runifche, fei wegen ihrer Steifheit
und Beſchraͤnktheit von Ulfilas aufgegeben, dafür aber die
gefügigere, fchreiblichere griechifche eingeführt worden, und
nur wo die griechifhe zur Wiedergabe vaterländifcher Laute
kein Zeichen gehabt, habe er die alten beibehalten; Andere
haben geglaubt, das griechiſche Alphabet, in ber Geſtalt, mie
ed Utfilas anwandte, fei ſchon vor ihm bei den Gothen
in Gebrauch gewefen. Antere meinen, auch er babe das
griechifche Alphabet geradezu angenommen und für Laute,
bie feine Sprache, aber die griechifche nicht gehabt, entwe⸗
der Iatelnifche Zeichen (3. 3. f, h, q) oder ſolche griedhi:
ſche genommen, die er fonft nicht brauchte (5. B. y für th).
Noch fei bemerkt, daß die angeblihen Buchflaben des ge:
tbifchen Alphabets auf allen Scheifttafein, welche den Aus
gaben gothiſcher Schriftwerke oder andern Büchern beige:
geben, nicht richtig find; der echte, verſchiedene Ductus
it auf den zwei Zafeln der neuen Ausgabe des Ulfila
zu erfeben.
Ein anderes Berdienft des Ulfilas um fein Volk war,
baß er die Bibel in das Gothiſche uͤberſetzte. Daß «
mit Geift und mit Berudfichtigung der Eigenthuͤmlich⸗
keiten feiner Sprache überjegte und nicht ein [Havifcher
Nachtreter des griechiſchen Originals war, bat, feitdem
man Gothifch gelernt hat, faſt Niemand mehr bezweifelt.
Daß Ulfilas die ganze Bibel, auch das Atte Teftament
überfegt bat, wurde fonft geglaubt und Philoftorgius fagt,
nur die Bücher der Könige feien ausgenommen geblieben,
damit die Gothen durch das Lefen von Kriegsthaten in
ben heiligen Schriften ihrer neuen Religion nicht voieber
in ihre alte Krlegsverwilderung verfielen. In der That
wurden auch in neuerer Zeit Stagmente aus den Büchern
Esdra und Nehemia aufgefunden und einzelne Zahlenan⸗
führungen in einer wiener Handſchrift, die in einem gram:
matiſchen Intereſſe aufgefchrieben zu fein ſcheinen, ſchienen
nicht undeutlich auf die Überſetzung der Bücher Moſis
und fo dies Alles auf die Überſetzung wenigſtens mehrer
heile des Alten Teſtaments binzumeifen. Aber ob Ulfi⸗
las died ganze Werk vollendet, und nicht blos das Neue
Zeflament, ja vielleicht blos die Evangelien überfegt bat,
muß dahingeflellt bleiben. Ja, durch die neulihe Auf:
findung einer, auf die Lebensverhaͤltniſſe des Ulfilas ſehr
genügendes Licht twerfenden Schrift möchte man fait zu
dem Zweifel an .einer fo ausgebreiteten Arbeit des gochi⸗
ſchen Biſchofs gebracht werden. Jene Schrift, veröffent:
liht in dem Buche:
Über das Lehen und bie , I
Hanover 1840. 4. ron bei uia, von Beorg Maik
aus einer Handſchrift der Eöniglichen Wibliochet zu Paris,
und zwar auf die leeren Ränder Über, neben und unter
ber eigentlichen Schrift gefcheiehen, Läßt mit Zuverſicht an:
439
nehmen, daß Ulfilas 318 n. Chr. geboren ward, wo bie
Gothen noch jenfeit der Donau in Dacien wohnten, daß
er fee jung Reetor und fihon in feinem dreißigften Le:
bensjahre, alfo 348, Biſchof wurde, 355 aber mit einer
großen Anzahl feiner Gothen, um einer Verfolgung des
Königs, über die Ehriften verhängt, über die Donau ging
und hier vom Kaifer Konſtantius neue Sige empfing ; Daß
er 388 noch einmal nad) Konftantinopel zum Raifer ging,
um vor bemfelben fir feine, auf dem dortigen Concil 383
verurtheilte Glaubensmeinung (bekanntlich die Arlanifche)
gu fireiten oder zu follicitisen, dort gefährlich erkrankte und
Hard. Bor feinem Tode machte er noch fein Glaubens⸗
teflament, welches deshalb voichtig iſt, weil man niegend
fo beſtimmt und im Zufammenhange die Arianifche Lehre
ausgefprochen und dargeflellt finder; es lautet — fo weit
die ſehr ſchwer zu lefende und vielfach verffümmelte Schrift
gelefen und entziffert werden konnte — in deutſcher Über:
fetzung (die sanhe Schrift ift lateiniſch gefchrieben) alfo:
„Ih uUlfila, Biſchof und Bekenner, habe immer fo ge:
glaubt und in dieſem einzigen und wahren Glauben mache
ich mein Glaubensteſtament an meinen Serra: ich glaube,
das einig fei Gott der Vater, allein ungeberen und un:
fichtbar, und an den eingeborenen Sohn beffelben, unfern
Heren und Bott, der Schöpfer und Macher aller Creatur
tft, welcher ‚nicht hat, der ihm aͤhnlich wäre, darum er al:
fein unter Alten Gott ifl, der auch nach unferer Überzeu⸗
gung Bott ift (qui et de nostris [?] deus est); und an.
einen heiligen Geift, eine erleuchtende und heiligende Kraft,
wie Chriftus fagt zu den Apofteln: ‚Siche ich fende bie
Verheißung meines Vaters auf euch; ihr aber figet in
Zeruſalem, bis ihr begabt werdet mit der Kraft von oben‘,
ebenfo: ‚Und ihr werdet empfangen Kraft, wenn der bei:
lige Geiſt über euch komme“ — daß er weder Bott ift
noch Herr, fondern Diener Chriſti — — untertban und
geborfam in Allem dem Sohne, und ber Sohn unterthan
und gehorfam — — in Allem Gott dem Vater — —.“
Während diefe Schrift nun auch von der gefegneten
Wirkſamkeit des Ulfilas unter den Seinen redet, indem er
griechiſch, lateiniſch und gothiſch ohne Umterlaß gepredigt,
auch in diefen drei Sprachen mehre Abhandlungen und
viele Überfegungen den Lernbegierigen zum Nugen und
zur Erbauung, fich aber zum ewigen Gedaͤchtniß geſchrie⸗
ben habe, erwähnt fie dad, der Bibslüberfegung nicht aus⸗
Veiktich. Sie in den „vielen Überfegungen” mit inbegriffen
fein zu laſſen, welche dem Ulfilas hier zugefchrieben wer:
den, möchte wol in den Ausdruck zu viel gelegt fein, aber
von einzelnen Theilen der Bibeluͤberſezung koͤnnte ed ver:
flanden werden. Ulftlas mathte mwalnfcheinlid den An⸗
fang, Andere, fei e8 Zeitgenoffen, ſei es Nachfolger, über:
fegten wieder einzelne Theile, bis wenigftens das Neue .
Teſtament voltftändig überfegt war (nur die Apoftelge:
ſchichte, die katholiſchen Briefe, der Brief an bie Hebraͤer
ud Die Apokalypſe find vielleicht nie uberfegt worden,
wentgfiens haben fich davon nirgend Fragmente gefunden).
Aber einen Theil hat er ganz gewiß un der Bibeluͤberfetzung,
denn barin find alle Zeugniffe des Alterthums einftimmig.
(Die Bertfegung folgt.)
Die eine Frage. Leipzig, F. Fleiſcher. 1843. Gr. 8
1 Xhle. 20 Ngr.
Unter biefem &Zitel wird bier bie Nüplicleitstheorie Ben:
tham’s vorgetragen unb nebenbei unfern Gefepgebern dringend
als cin fpeculativer Ausgangspunkt bei ihrer Arbeit empfohlen.
Obſchon wir in der Bearbeitung des Dumont’fchen Werkes durch
Beneke ‚eine gut geſchriebene, wenn auch mit ber eigenen
Weisheit des deutſchen Herausgebers reichlich verfeste Darſtel⸗
lung ber theoretiſchen und praktiſchen Anſichten des britiſchen
Philanthropen befigen, fo möchte doch, bei dem lebendigen Zn:
tereſſe an den Fragen über Staat, Recht und Geſellſchaft, und
bei der fihtbaren Beachtung, welche bie Bentham'ſche Geſeg⸗
gebungspolitit vieifeitig erfährt, eine ausfuͤhrlichere Bearbeitung
biefes ſcharfſinnigen und in jeder Hinſicht mertwürbigen Schrift:
flellers immer noch von großem Nugen fein. Freilich iſt das
entliche Philoſophem Bentham's, an welches er feine prakti⸗
en Unterſuchungen und Grundſaͤte zu knuͤpfen verſucht, von
der Art, daß ſich das beutige Bewußtſein, namentlich das beut-
ſche, davon weder befriedigt noch erbaut, ſondern vielmehr ab:
geftoßen fühlen muß; denn uͤber jenen profanen,, flachen und
beſchraͤnkten Senſualismus, wie ihn befonders Bentham vor al:
len übrigen franzoͤſiſchen und engliſchen Denkern lehrt, waren
wir fehon damals hinaus, da er fid) als ein nothmendiges umd
geſchichtlich bebingtes Nefultat zeigte. Allein bie ſcharfſinnige
und unerbittliche Analpſe, mit weicher Bentham und feine eis
ſtesverwandten ‚gegebene Formen und Verhaͤltniſſe zergliedern,
bie Gruͤndlichkeit, mit welcher derſelbe das formale Gebiet der
Geſetzgebung durchdringt, der warme Enthuſiaemus, mit der
fi der Philanthrop namentlich über fociale Fragen verbreitet
und zu ihrer Löfung auffodert, mit einem Worte, das verftäns
big praktiſche Feld der Bentham'ſchen Schriften, wo allgemeine
Principien vorausgefegt werben, verbient bearbeitet zu werden
und hat für ums ein allgemeines und fruchtbares Intereffe.
Bon biefem Geſichtspunkte aus ſcheint uns die vorliegende
Schrift gaͤnzlich verfehlt. Der Verf., Reinwald von Birken:
felb, ein eifriger und ausfchließender Anhänger der Nuͤtlichkeits⸗
theorie , tritt als ber Apoftel derſelben auf und entwickelt in
einer Reihe entiehnter und bearbeiteter Bragmente, die durch
ihre Anorbnung ein neues Licht auf die Lehre werfen folen,
die Principien,, die letzte Rechtfertigung, überhaupt bas Specu⸗
lative der Bentham'ſchen Nechtsphilofophie. Hätte er ſich dabei
auf eine objective Darflellung beſchraͤnkt, fo würde gegen biefes,
nad) Dumont's Buche überflüfftge, Apoftelamt immer nichts
einzuwenden ſein; aber bie erceifive Polemik, mit welder der
Verf. feinen Gegenſtand entrüdt und verſchuͤttet, der gehäffige
Vanatiömus, mit dem er über unfere Beiftesbildung und unfere
Isgilativen Befirebungen ben Stab bricht, maden bie Schrift,
wenn auch keineswegs gefährlich, doch völlig werthlos. Da$
Deutfchtand bei der Erſcheinung des Bentham'ſchen Genfualis-
mus namentlich die Refultate feiner fpeculativen Arbeit nicht
atsbald von ſich geworfen, fondern über Natur, Staat und
Geiſt hartnddig fortzufpeculicen gewagt hat: ferner bag un⸗
fer gegenwärtiges Kecht und unfere Gefehgebung jedes ‚‚logi:
fdgen '’ Prineips entbehre — das find die Punkte, über welche
ſich der Berf. fortwährend in Hige erhält und bie eigentlich
das bide, aphoriſtiſche und verworrene Evangelium hervorge⸗
trieben haben.
Die ausſchweifende Form des Wuches, indem unter Anderm
ber Verf. mit großer Redſeligkeit ſeine Lebensgeſchichte, feine
Bekanntſchaften und allerlei Tagesereigniſſe beſpricht, übergehen
wir hier. Wir wollen vielmehr verſuchen, unſern Leſern einige
Andeutungen über die in Deutfchianb wenig befanute Theorie
Bentbam’s zu geben: bie Koberungen jenes kecken reformatori:
ſchen Ditettantiemus, ber mit ber ‚Partei der religiöfen und
politifchen Dunlelmänner Das gemein bat, daß er bie Errungen⸗
Schaft bes deutſchen Beiftes für ein Phantom ausgibt, werben
ſich ſchon Hierdurch von felbft in bas vechte Licht flellen.
Dt die Mängel und Misbraͤuche der engliſchen Berichtes
wurde Bertham tm tegten Viertel des vorigen Jahrhun⸗
440
derts zum Nachdenken über eine zweckmaͤßige Seſeggebung und
damit auf den Begriff des Rechtes geführt; denn es mußte ihm
daran liegen, für feine philanthropifchen Beſtrebungen ein alls
gemeines Princip und einen feften Haltpunkt zu haben. Ben⸗
tbam befaß für feine Zwecke einen tuͤchtigen Gharafter, eine
entſchiedene Gefinnung und heilen und ſcharfen Verſtand; allein
es mangelte ihm jede fchöpferifche Tiefe, jede fpeculative Ans
ſchauung, um als wirklicher, epochemachender Rechtsphiloſoph
aufzutreten. In dieſer Beſchraͤnktheit wandte er ſich zu den
empiriſtiſchen Syſtemen der engliſchen und franzoͤſtſchen Philo⸗
ſophen, wie ex felbſt geſteht, und conſtruirte ſich einen ziemlich
oben Senſualismus heraus, ber ſchlechter war als feine Ge⸗
finnung und feine praktiſche Wirkſamkeit. Daß Recht und Dos
ral ihren Grund und Boden im Willen befiten, konnte ihm
nicht verborgen fein; das abfolute Verhaͤltniß des Willens zum
denkenden Geifte, um das ſich zu diefer Zeit auch bie Melt des
deutfchen Geiſtes bewegte, bie Wurzel unfers ethiſchen Dafeins,
ift ihm dagegen gänzlich unbegriffen geblieben. Bentham er»
ennt in dem Willen nicht die freie und darum fittlidhe Pra-
xis des intellectuellen Wtenfchengeiftes, fonbern er bleibt bei ber
fenfuatiftifcden Behauptung ſtehen, daß die Natur den Menfchen
unter die ‚„Derrfhaft von Euft und Untuft‘ geftellt, daß dieſe
Empfindungen die einzigen, ewigen, das beißt, abfoluten Mo⸗
tive unfers Willens in allen Urtheiten, Handlungen und Lebens⸗
functionen feien. Der Moratphilofoph und der Befeggeber haben
diefe Empfindungen deshald zu ihrem alleinigen Studium zu ma⸗
dyen. Die Luft ift nach biefer einfadhen Debuction der hoͤchſte
Zweck und ber wahre Inhatt des menfdhlichen Dafeind. Was
Luft gewährt, ifk gut und recht, was Unluft bringt, ſchlecht und
unrechtlich; freier und ſittlicher Wille iſt der, welcher fo viel
Klugheit und Stärke befigt, daß er eine vorübergehende und
zweifeihafte Luft einer wahrhaftern, nad) Ertenfion_ und Ins
tenfion reellern, zu opfern vermag. Durch dieſe Hinterthuͤr
entfchlüpft Ventham freilich unter andern Einwänden auch dem
Borwnrfe des Epitureismus. Das Recht hat fo allerdings nicht
mehr zu feinem Inhalte und feinem Principe bie fitttiche Noth⸗
wendigfeit, fondern bie Subſtanz des Rechtes, und das Princip,
nach weldyem es ſich verwirklicht, ift das Nügliche in Bezug
auf die Verallgemeinerun
oder der Unluſi. Da diefem Rechtsprincipe nichts als eine haare
Berechnung des Verſtandes zum Grunde liegt, fo nennt es Ben:
tham mit Recht das Princip des Nugen®.
Wollte man uns vorwerfen, daß wir der Nüglichleitstheo-
rie eine falfche Debuction untergelegt hätten, fo werben bie weis
teen Andeutungen Bentham's alle Zweifel über feine Philoſo⸗
pbie löfen. Wir find alfe Anhänger des Nüglichkeitsprincips,
fagt er, wenn wir unfere Billigung ober Misbilligung ber Danbs
Iungsweife eines einzeinen Menſchen oder eines Gemeinwefens
nur nach der Geneigtheit derſelben, Luſt ober Unluſt hervorzu⸗
bringen, abmeffen; wenn wir uns ber Begriffe: gerecht, unge:
recht, gut, ſchlecht als Collectiobegriffe bebicnen, welche die Vor:
ftellungen von gewiffen Luft: und Untuftempfindungen in ſich
ſchließen. Fuͤr den Anhänger dieſes Princips iſt die Tugend
nur ein Gut in Ruͤckſicht der mit ihr verbundenen Luft, das
Laſter nur ein Uebel in Rüdfiht der aus ihm hervorgehenden
Untuft; fände der Anhänger des Principe in dem allgemein an⸗
genommenen Berzeichniffe der Tugenden eine Handlung, welche
mehr Untuft ats Luft zur Folge hätte, fo würde er kein Beben:
fen tragen, dieſe angebliche Zugend für ein Lafter zu erflären.
Das ift die Spitze jener Weisheit, die zum Ärger unfers
Berf. nicht allein die beutfche Rechts: und Moralphiloſophie,
fondern auch die Geſehgeber fo hartnädig ignorirt haben. Al:
lein es ift nicht nur nothwendig, den Begriff des RNuͤtzlichkeits⸗
princips zu kennen und feftzuhalten: es muß auch eine „morali⸗
ſche Arithmetit”” mit fo beftimmter Methode erfunden werben,
daß man dadurch zu gleichförmigen Reſultaten über das in je-
dem Verhaͤltniſſe Rüsliche gelangen kann. Die weitern theore:
tifdyen Bemühungen Bentham's über Recht und Geſetzgebung
der Luſt und Unterbrüdung des Udels
find nun auf die Beflimmung biefer moratifdgen Arithmetik mit
— oder ng we fle enthalten, wenn fie nicht
geradezu r berühren, für die Politik der Geſetgeb
manchen trefftichen Wint und Geſichtspunkt. *
ESs gibt, entwidelt er, vier Luſt⸗ und Unluſtgattungen, bie
in dem Menfchen als Willensmotive ſich geltend madyen, umb
diefe Gattungen nennt er Sanctionen. Sie find: 1) bie phufl
ſche oder natuͤrliche Sanction, ober die Luſt⸗ und Untuftempfin
bungen, welche man im gewöhnlichen Laufe der Natur erfahren
oder erwarten kann; 2) die moraliſche Sanction, oder bie Em⸗
pfinbungen, bie man von Seiten ber Menfchen erfährt, ver:
möge von Haß ober Freundſchaft, mit einem Worte ver:
an ihrer willfärlihen Stimmung gegen uns: man kann fe
auch Sanction ber Volkeſtimme, der Öffenttichen Meinung, der
Ehre, der Sym⸗ und Antipathie nennen; 3) bie religiöfe Sau⸗
ction, d. i, die Empfindungen, welche man durch die Berbeißun
— ober Drohungen der Religion erfahren kann; 4) bie politi⸗
Ge Sanction, oder bie Lufts und Uniuftempfindungen, bie man
von Seiten ber Obrigkeit durch die Gelege erteidet.*) Diefe
Staffification if für Bentham ſehr wichtig, fie gibt ihm eine
Kunftiprahe an bie Hand, wodurch er bie verfchiebenen Gat⸗
tungen ber moraliſchen Gewalten, die in ber „Mechanit” bes
menfchlicgen Herzens für den Gefeggeber die Hebel find, bezeich
net. Sie wirken nicht auf alle Wenfchen in gleicher Weiſe,
noch mit gleicher Gewalt; fie find bald Rivale, bald Verbaͤn
bete, bald Feinde. Sind fie einig, fo wirken fie unwiberflch:
lich; befämpfen fie ſich, fo maͤſſen fie fich ſchwaͤchen; rivalificen
fie, fo müffen fie Widerfprühe in den Handlungen der Mens
fügen bervorbringen; eine Gefehgebung, bie alle vier Sanctionen
gleich berüdfichrigte, wuͤrde bie vollendtfle fein, unb nur durch
das Nüslickkeitsprincip kann man dahin gelangen.
(Der Beſchluß folgt.)
*) Bentham macht ben Begriff diefer Sanctionen durch folgendes
Beifpiel anfhaulih: „Einem Menſchen ift fein Haus burdh Heuer
zerlöst worden ; geſchah ed in Bolge feiner Unvorfichtigkeit, fo wer
ed die Unluſt der naturliden Sanction, bie er empfand; geſchah ed
durch einen Richterſpruch, fo empfand er bie Unluſt der politiihen
Sanktion; geſchah ed durch Miswollen feiner Nachbara, To empfand
er die Unluſt aus ber Sanction der Volksſtimme; vermutbet er
darin einen Act der beleidigten Gottheit, fo iR ed bie Unluf aus
der religiöfen Sanction.“
| — —
Literarifhe Anzeige.
Durch alle Buchhandlungen ift von F. Ei. Brockhaus
in Leipzig zu beziehen:
Stanz Paſſow's
Vermifchte Schriften.
Herausgegeben
von
W. A. Passop.
Mit zwei litbBograpbirten Tafeln.
Sr. 8. Sch. 2 The.
Diefe Sammlung der Eieinen beutfchen Schriften eines ber
außsgezeichnetfien deutfchen Philologen wird nicht nur ben per⸗
ſoͤnlichen Freunden Paffow’s, fonbern auch allen Denen, |
aus Beruf oder Neigung ber Geflaltung ber Alterthumswiflen:
fhaft in diefem Jahrhundert mit Aufmerkſamkeit gefolgt And,
eine willlommene Gabe fein.
Berantwortliyer Deraußgeber: Heinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. X. Broddaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifbhe Unterhaltung.
Freitag, — Nr. III.
21. ap 1843.
liber die gothifche Literatur, befonders über Ulfilas
und den Codex argentens.
(dertſetung aus Rr. Ile)
Diefe gothifche Überſetzung der Bibel, ohne Zweifel in
der oſtgothiſchen und weitgethifchen Kirche gebraucht (das
ber man nicht fagen darf, Wifilas habe die Bibel in die
möfogothifche Sprache überfest), mar auf jeden Fall feit
dem Untergange des ofgothifchen Reichs in Italien und
des weftgothifchen in Gallien und Spanien verſchwunden,
im Iegterm Lande hat man noch nichts von Spuren des
Gothiſchen vernommen, mol aber find fie in Stalien und
in der Nähe von Frankreich wieder aufgetaucht. ad)
kangem Schweigen wurbe (jeßt abgefehen von einigen go:
thiſchen Studien, deren unten Erwähnung gefchehen wird)
nah der Mitte des 16. Jahrhunderte von Anton Ro:
rillou in „Becani Origmes Antwerpenses”’ das gothifche
Bater Unfer aus einer Haudſchrift des Kloſters Werben
detkannt gemacht, wahrfcheinlich aus derfelben, weiche lange
die einzige war, die man fannte, und welche noch bie
heute die einzige ift, welche, ein Bleines Fragment ausges
nommen, die Evangelien unb in ihnen das Vater Unfer
enthält. Diefe Handſchrift tft ber Codex argenteus (die
Silberne Handſchrift), und ba diefe eine biftorifche Nota⸗
bilitaͤt geworden tft und, ungeachtet vieles Schreibens über
biefelbe, noch viel Irriges von derſelben gefagt und geglaubt
wird, fo fei es vergönnt kurz darüber zu erzählen, was
die Wahrheit ifl.
Aufgefunden wurde der Codex argenteus in der Be:
nedictinerabtel Werden, jegt zum Kreiſe Duisburg bes
preußiſchen Regierungsbezirks Düffeldorf gehörig, und zwar
wahrfdyeinih im 16. Jahrhundert. Wie er dahin ges
kommen iſt, weiß man ebenfo wenig, als wie und wenn
er von Werden nach Prag, feinem fernern Aufenthalte:
erte, kam, doch fcheint letzteres zu Ende des 16. Jahr⸗
hunderte gefchehen zu fein. Als der ſchwediſche General
Graf Königemart 1648 nach der Adſchließung des Weſt⸗
fälifhen Friedens den Hrabfehin zu Prag, den er waͤh⸗
send ber Friedensunterhandlungen überrumpelt hatte und
beſedt hielt, verließ, nahm er umter andern Beuteſtuͤcken
aus Kaiſer Rubolf's Schage auch die Sitberne Handſchrift
mit nah Stockholm. Hier fand fie einen Pag auf bee |
Böniistichen Bibliothek und die Schweden glaubten gewiß
fyon damals, wie fie noch heute glauben, daß fie bier in
ihrem eigentlichen Vaterlande fei, da es ihnen unwider⸗
ſprechlich ausgemacht ift, daß das Vaterland der Gothen
Skandinavien ift und daß fie von dorther, befonders aus
Suͤdſchweden nad) Deutfchland gewandert find. In dem
felben Jahre, wo der Codex argenteus nach Schweden
gebracht wurde, war auch auf die Einladung der Koͤnigin
Chriftine der Niederländer Iſaak Voffius nach Stockholm
gekommen und Aufſeher der königlichen Bibliothek gewor⸗
den; Da aber nach wenigen Jahren auch Claudius Sal⸗
maflus nach Stodholm kam, ging Voſſius aus Verdruß
von dort nah Holland zuräd und mit ihm kam der
Codex argenteus nad) Leyden. Ob ihm die Königin den⸗
felben gefchenkt, oder ob ein guter Freund, wie Joſeph
feinen Brüdern Geld und Becher, fo ihm den Gobder
heimlich in den Reifefad gepackt, oder ob er, wie Viele
glauben, unaufgefobert denfelben zum ÜReifegefährten ges
nommen, weiß Niemand mit Beſtimmtheit gu fagen.
Lange, nachdem Chriftine auf den Thron refignirt hatte,
kam dur Pufenderf 1662 die Kunde nad) Schweden,
baß der ſchmerzlich vermißte Coder in Holland bei Voſ⸗
fius ſei. Der ſchwediſche Reihsrath und Kanzler Graf
Magnus Gabriel de Ia Gardie feste fih mit Vous
über die Abtretung deffelben in Briefwechfel und erhielt
den oder für 200 Thaler Conventionsmuͤnze (oder 408
Thaler Banco, oder 600 Thaler ſchwediſches Meichegeld).
Darauf ließ er ihn in maffiv filberne Decken einbinden
und ſchenkte ihn 1669 ber Univerſitaͤtsbibliothek zu Upſala.
Hier fit ee no und wird ale das Wahrzeichen von Ups
fala von allen Reifenden mit großer Neugierde angefehen
und von Neifebefchreibern, nach) dem Maße ihrer Kennt:
niſſe davon und mach den Erzählungen der Bibliothekar:
gehülfen darüber, auch nicht felten nach eigenen, oft von
nicht geringer Unwiſſenheit in der Sache zeugenden Coms
binationen und Fictionen beichrieben. Abgeſehen von No⸗
tizen in aͤltern Reliſebeſchreibungen und in neuen, weit
kluger Borfiht fehr allgemein gehaltenen, verdient hier mit
befonderer Dervorhebung aufgeführt zu werden, was Wels
mann (in feiner „Beſchreibung einer Reife nach St.⸗Pe⸗
tersburg, Stockhotm und Kopenhagen”, Damburg 1838,
&. 2723) von dem Codex argenteus fabett und commis
niscirt; „der Cober”, fagt er, „enthält die vier Evangelien
in möfogothifcger («8 iſt wicht blos möfogathlfche, ſondern
442
überhaupt gothiſche Sprache) Überfepung, von Ulfilas, im
Jahre 360 (moher weiß denn das Hr. Woltmann mit
ſolcher Beſtimmtheit?) angefertigt, gefchrieben mit Silber:
ſchrift (es find auch mehre Zellen mit goldener Schrift
gefchrieben) auf biaurothem, glatt polirtem Pergament,
welches durch fein 1470jaͤhriges Alter (alfo glaubt Hr.
Woltmann, daß der Coder von Ulfilas felbft geſchrieben
iſt?) nachgerade etwas muͤrbe und loͤcherig geworben iſt.
Der Anfang fehlt, auch das Ende iſt nicht erhalten (und
außerdem fehlt leider noch fehr viel!), aber Angelo Mai
hat vor nicht langer Zeit 20 Blätter dieſes Coder (mein!
das iſt von einem ganz andern Goder, und es find ba:
xin blos zehn Seiten in der Mai'ſchen und Caſtiglione'⸗
ſchen Ausgabe, darin auch ſchon mehre Fragmente ber
Briefe) und die Briefe Pauli (find meift blos Fragmente
diefer Briefe!) im gothifcher Überfegung gefunden. Auch
weiß Hr. Woltmann zu erzählen, daß der Coder einft in
Koͤln geroefen, dafür weiß er aber nicht, daB die Bene⸗
dietinerabtei Werden hieß; ferner fagt er, Bengel babe
den Coder zuerft enträthfelt, und Zahn's Ausgabe nennt
er eine deutfche Überfegung. Man mag eher den beiden
Neufranten, die 1797 in der Beſchreibung ihrer Reiſe
durch Schweden zweifelten, daß der Coder ſchon gedruckt
fei, verzeihen, denn den Franzoſen hält man fo etwas zu:
gut, aber von unfern Landsleuten verlangt man, daß fie
ordentlich über Das belehrt feien, roorüber fie beiehrend
fchreiben wollen. Und ebenfo unwiſſend in der Sache war
Boltmann’s, übrigens fehr firenger Mecenfent in der bals
liſchen „Literaturzeitung“, denn er fchrieb Wort für Wort
jenen abenteuerlichen Bericht über den Coder in feine Res
cenfion über, weil dieſe Befchreibung Niemand überflüflig
finden würde. Ja, überflüffig ift fie wol nicht, aber fie
ſollte nur richtig fein. In Wahrheit verhält es fich mit dem
Inhalte und der Verfaffung des Codex argenteus alfo:
Bekanntlich enthält er die vier Evangelien oder eigent:
lich nur Fragmente berfelden, ſehr wenig von Matthäus,
mehr von Johannes und Marcus, am meiften von Lucas.
Gefchrieben iſt diefe Überfegung mit filbernen, der Anfang
mandyer Abtheilungen und das ganze Vater Unfer mit
goldenen Buchſtaben auf geglättetes purpurrothes Perga:
ment. Freilich ift diefe Farbe auf den meiften Blättern
ſehr verſchoſſen und hat, wie es den, mit diefer Farbe
gefärbten Stoffen gewoͤhnlich duch das Alter ergeht,
theils eine ſchmuzig violett, theils eine Lichte wöthliche,
theild eine braune Farbe angenommen; die Silberfarbe
der Buchſtaben tft nicht häufig erhalten, fondern fieht oft
ganz bleigrau, oder voftfarbig, auch ſchwarz aus; dagegen
hat ſich die Goldfarbe fehr gut erhalten. Und während
- die Sliberfchrift auf der dußern, an fid glatten Seite
bed Pergaments oft ganz vertilgt iſt, bat fie fih auf
der innern Seite eingefreffen und eine Art Vertiefung bes
wirkt, und wo das Pergament zu dünn geweſen iſt, iſt
die Schrift dann ausgebrochen. ihre, der übrigens große
Werbienfte um die Lefung des Codex argenteus hat, hat
zuerſt behauptet, der Gober fei wit einer Art Stempel
oder Patrize gedindt, fo zwar, daß man erſt den Buch⸗
Raben in das Pergament eingebrüdt, darein einen binden:
den Stoff geftrihen und dann darauf die Metaliplättchen
geliebt habe. Diele an ſich ſchon fehr abenteuerlihe Ans
ſicht verliert noch mehr an Wahrfcheinlicdhkeit, wenn man
fiebt, daß die Buchſtaben einander zwar ziemlich, aber
durchaus nicht ganz gleich fmd und daß fie, wenn fie
über die Zeile hinausgefchrieben find, immer Kleiner wer
ben, je weiter fie fih von dem Ende der Zeile entfernen.
Und doch glauben die Schweden Ihre's Wermuthung, daß⸗
der Codex argenteus gedrudt ſei, noch bis auf den heu⸗
tigen Tag, und mit ihnen glauben es nod viele Andere,
wie B. Biondelli (in feinem, auch fonft fehr bedeutungs:
fofen Schriften „Dei Goti e della loro lingua“, Mais
(and 1839). Wenn Ihre den Codex aureus auf der koͤ⸗
niglichen Bibliothek zu Stodholm angefehen hätte, der
zroifchen Pergamentblättern von gewoͤhnlicher Farbe, mit
bunten Buchſtaben befchrieben, auch purpurfarbene Blätter
mit Gold⸗ und Silberfchrift enthält und in welchem ganz
wie in dem upfalaer die Farbe des Pergaments und der
Schrift fi) verändert hat und unter der Schrift Löcher
eingefallen find, fo hätte er jene Vermuthung nicht auf:
geftellt. Das Eindrüden der Buchſtaben, was ihn zus
meift zu jenem Glauben verführt hat, rührt unftreitig vom
dem beizenden Bindemittel des Metall in der Tinte ber
und ift, wie gefagt, nur auf der innern Seite des Pers
gamentd. Allerdings ift der Coder durch diefes Angreifen
der beizenden Zinte an einigen Stellen fehr wandelbar ge
worden, uber doch beiweitem nicht fo, daß man es nicht
übertrieben nennen muͤßte, was Luͤdecke ſchon 1784 von
ihm fchrieb, er werde bald nichts weiter als ein Zeugnif
Deffen fein, was er gewefen iſt, und der allgemeinen Ber
gänglichkeit und Verweslichkeit. Und Lüdede muß bei feis
ner Betaflung zur Unterfuchung bee Schreib: oder Druck⸗
art (denn auch er glaubt, der Coder fei gedrudt) fehr derb
zugegriffen haben, oder bei feinem Verſuche auf das mors
ſcheſte Blatt gerathen fein, daß fidy die betaftete Steile,
wie ein alter Leichnam, in Staub aufloͤſte und anseinans
derflog. Ich babe den Coder lange und tüchtig gemälzt
und zwar 50 Jahre fpäter, als ihn Luͤdecke nur berührte,
aber ich habe kein Stäubchen aus demfelben fliegen fehen.
Es ift aber In neuerer Zeit ein anderer Feind als der
Bahn der Zeit über den Gobder gekommen, der ihm einen
großen Schaden zugefügt hat. Yon den 188 Blaͤttern, die
er mit nach Upfala gebracht hatte, find — man weiß
nicht durch wen und wenn — noch gegen LI Blätter ab:
bunden gefommen, wenigſtens babe ich fie bei meiner Ver⸗
gleihung nicht finden koͤnnen. In Deutfchland hatte fi
die Sage verbreitet, daß ein Engländer, der den Coder
verglichen, fie mitgenommen babe; body iſt mir kein Eng⸗
länder bekannt, der den ober neulich verglichen hätte,
und geſetzt, baß die Blätter wirklich nach England ges
kommen wären, waran bei der eigenthümlichen, den Van⸗
dalismus nicht fheuenden Alterthümerfucht der Engländer
wol Mancher zunaͤchſt denken Eönnte, fo wäre doch dabei
noch nicht nöthig, daß fie der unbefannte jegige Beſttzer
fetbft geholt. Die Schweden glaubten die Sache gar nicht
und noch neulich haben fie es gegen Hrn. v. Strombedi
geleugnet, wiewol ein Bibliothekar zugleich gegen denſelben
443
die Meinung ausſprach, daß die fehlenden Blätter mol
ſchon feit geraumer Zeit entwendet fein möchten (vgl. v.
Strombeck, „Darftellungen aus meinem Leben‘, Bd. 8,
&. SI), und Mafmann (in M. Haupı’s „Zeirfchrift für
deutfches Alterthum“, Bd. I, S. 319) fagt, die Biblio:
thefare zu Upfala hätten leider den Verluſt fchon früher
entdeckt, obfchon der Silberne Eoder in eigenem eifernen (?)-
Kaften aufbewahrt gelegen habe. Das flimmt nun freilich,
nicht recht gut zu dem Verwundern und Unmöglichfinden
beim erſten Hören der Sache. Doc) iſt feitdem, wie man
zur Sicherung vor unbefugten Antiquitätenfammiern Guſtav
Adolf's Waffen über feinem Sarge in der Ritterholms:
kirche zu Stodholm an Ketten gelegt hat, auc der Silberne
Coder zum Noli me tangere gemacht und in den hölzer:
nen Kaſten, in dem er früher fchon unter Berfchluß ge:
halten, aber für jeden Fremden herausgenommen und fehr
liberal gezeigt wurbe, für immer verfchloffen und nur ein
paar aufgefhlagene Seiten find durch ein Glasfenſter
fihtbar.
Das Yufere, fein werthvoller fchöner Einband, iſt
nun nidt mehr zu fehen. Diefer beſteht aus maffivem
Silber. Auf der vordern Dede läuft ein erhabener Rand
herum, einen Zoll weit nady innen ein gleicher, in dem
Raum zwifhen Ddiefen beiden Rändern iſt eine Blumen:
guirlande gravirt. Der ſechs Zoll breite und acht Zoll hohe
Spiegel zeigt links den geflügelten Zeitgott mit der Senfe
in der Hand und mit der Sanduhr auf dem Kopfe, der
den Boden des Saals aufhebt, woraus eine nackte, von
dem Nimbus umftrahlte Jungfrau hervorſteigt, die mit
ber Linken ein aufgefchlagenes Buch hält, roorauf Codex
Argenteus ſteht, mit der Rechten zeigt fie auf den, im
Hintergrund mit der Biſchofsmuͤtze bedediten und vor einem
Buͤcherſchranke figenden und fchreibenden Ulfilas. Drei
Engel heben vor ihm einen Vorhang; Über der Scene der
Aufbringung des oder halten zwei andere Engel ein, mit
einem Kranz umwundenes und gekröntes Schild, worauf
ſteht: Viphila redivivus et patrine (sic!) restitutus cura
M. G. de la Gardie K. S. Cancellarıj Anno 1669, Der
Engel rechts bat noch ein über jene drei Engel hinflat⸗
ternde® Band in der andern Dand, darauf ſteht: 40 Esaj.
Verbum domini manet ip aeternum, Man findet die Ab»
bildung dieſer vordern Dede des Einbandes in der Aus⸗
gabe des Wifilas von Stjernhielm. Die hintere Dede hat
dieſelbe Einfaſſung, wie die vordere; im Spiegel iſt das
graͤftich Gardie'ſche Wappen gravirt, von einem Eichen:
franz umgeben und mit vier Engelöföpfen in den Eden
verziert. Auf den Rüden find wieder Blätter von wins
denden Bärsdern durchzogen gravirt. Die innern Selten
der Decken find mit weißfeidenem Zeuch überzogen.
(Der Beſchluß folgt.)
Die eine Frage.
(Beſchlus aus Mr. 110.)
Weiches ift nun aber das Berhaͤltniß des Rechts zur ſitt⸗
lichen Freiheit, oder, wie Bentham nadı feinem Standpunkte
fat und fagen muß, zwiſchen Moral und Gefepgebung?
Die Moral, allgemein —5 ſagt er, iſt die Lehre von der
Kunft, die Handlungen ber Menſchen fo zu leiten, daß man
die möglich größte Summe von GSluͤck hervorbringt. Obwol
nun aber auch die Gefeggebung mit dieſer KRunftwiflenfchaft das
gleiche Biel bat, To ift doch der Umfang der Wirkſamkeit beider
jehr verſchieden. Alle Handlungen, im privatlichen wie öffente
lichen Leben der Menſchen, gehören unter die Gerichtäbarkeit
der Moral. Die Geſetgebung aber kann nicht und darf nicht
einen birecten und ununterbrochenen Einfluß auf die @efanımt:
baubiungen ber Menſchen haben, weil fie ihren Ginfluß nur
durch Feſtſezung von Strafen auszuüben vermag. trafen aber
find Uebel, die nur dann zu rechtfertigen find, wenn daraus
eine größere Summe des Guten und des Gluͤckes entſteht, und
wollte man die Moral jederzeit durch die Geſeggebung unters
ftügen,, fo würde das Geſetz oft mehe Unheil anftiften als bie
Übertretung der durch die Moral vorgefchriebenen Pflicht. Man
würbe durch ein foldyes Gtraffuftem in ber Geſellſchaft Furcht
und Schrecken verbreiten, welches das größte der übel fein
müßte; man würbe bei vielen Bergehungen nicht das richtige
Maß oder den alleinigen und wahren Schuldigen ausmitteln
tönnen; man würde dem Ginzelnen duch ein durchgaͤngiges
Gtrafgebot alle Energie des Willens und des Charakters raus
ben; die Strafen und gefeglichen Drokungen mürden in Bezug
auf die Pflichten gegen das Selbſt meiſtentheils überfläffig fein,
da ihre Erfüllung die Klugheit hinlänglicy und ſtark gebietet.
‚ Die Kritik Bentham's, der, feiner Anſicht nach, falfchen
Principien in Morai und Gefeggebung vermifcht auf eine felte
fame Weife das Wahre mit dem Falſchen. Er Eennt kurzweg
zwei folche falfche Principien. Das eine ift das dem Nüplichs
teitöprincipe gerade entgegengefehte:: das Princip des Asketismus.
Philofophen, die durch die Verachtung, welche fie den gewoͤhn⸗
lichen Eebensgenäffen erwiefen, auf Beifall und Verehrung ge:
rechnet haben, und unfinnige» von eitlem Gchreden gepeinigte
Schwaͤrmer und Froͤmmler haben dieſes Princip geltend gemacht.
Das andere nennt er das Princip der Sympathie und Antipathie.
Es iſt die Willkuͤr, die aus bloßen Gefühlen billigt oder misbil⸗
tigt, ohne irgend einen andern Grund zugulaffen: die eine Pandlung
für gut oder ſchiecht Hält, weil fie ihr gefällt oder misfaͤut. Reis
der fieht der gute Bentham, der ſich vielfach über diefes Prin⸗
cip ſehr treffend austäßt, nicht ein, daß er ſich bier ſelbſt ver
urtbeilt; denn wenn er bie Realifirung der Luft ober unluſt
aud) einer Außerft verftändigen Berechnung unterworfen wiſſen
will, fo iſt und bleibt bei ihm die unmittelbare Empfindung
doch das Abfolute, welches den menfchlihen Willen beftimmt
und beftimmen muß. Gr geftcht zu, daB bdiefes Princip bis
jegt die meiften großen Wirkungen in der Gefchichte verantaßt
bat, daß man durch baffelbe zur Nuͤtzlichkeitslehre gelcitet worben
fei, daB es aber auch von jeher die Wurzel des Parteigeiftes,
bes Sektenweſens und bes Charlatanismus gewefen.
Da nun aber das Princip der Sympathie und Antipathie eine
fo weſentliche Rolle im Gebiete der Moral und Geſetzgebung
fpielt, fo wird Bentham zu einer Analyfe der Antipatbie und
ber Ermittlung ihres Einfluffes in der Geſetzzgebung fortgeführt.
Es verfteht fidy von ſelbſt, daß er auf feinem empirifchen Stand⸗
punfte die Natur bed Inſtincts unerdrtert täßt, fondern ſich
nur mit einer nicht einmal möglichft vollftändigen Specialifirung
der dußern Urfachen der Abneigung zufriebenfteltt, Er zählt
bier auf: finntidhe Wiberwärtigkeit, verlegten Stolz, abgewehrte
Derrichaft, Schwaͤchang und Zerftörung des Vertrauens auf die
Fünftigen Handlungen der Menfchen, Zäufchung des Verlangens
nad Sinftimmigleit und Neid. Bei dem Nachweis, mie dieſe
Momente von allen Seiten ſtoͤrend in der Geſetgebung wirfen
und wie fie allerhand ZTäufchungen veranlaflen, if die umfafe
fende und ſcharfe Kritit Bentham’s freilih an ihrem Orte. ns
ter Anderm verwirft er mehre „BSophismen”, hinter welche fi
die legislative Willkür nicht felten ſteckt, und fagt: das Alter
iſt kein Grund, ebenfo wenig bie Neuerung für bie Annahme
oder WBerwerfung eines Geſetzes; religioͤſe Mutorität iſt kein
Grund, denn Algernon Sidney begründete barauf fein demokra⸗
tifches Syſtem fo gut wie Bofluet feinen Deſpotismus; eine
willfürliche Definition iſt Bein Grund; eine Metapher iſt Fein
2.77
444
Grund, tie z. 3. bie „„Berunreinigung‘ bes Bluts bei den Ju⸗
riſten für die Gonfiscatton des Vermoͤgens; eine Wiction if
fein Grund, 3. B. wenn man ben MWärger durch den Geſell⸗
fhaftsvertrag an den Staat verpflidgtet wiſſen will; ein phan⸗
taſtiſcher Grund, z B. „die ewige Vernunft will‘, ift kein
Grund; endlich die petitio prineipii ift Fein Grund für bie An⸗
nahme oder Berwerfung einer Pflicht ober eines Geſetzes.
Der Auffindung der moralifcdyen Arithmetik ruͤckt Bentham
daburd näher, daß er alle bie „Elemente“ möglichft entwidelt,
weiche die Rechtsbeftunmungen begründen und begründen müfs
fen. Er laͤßt fich, ——— von den vier Sanctionen, in eine
Opecificirung der Eufls und Unluftempfindungen ein, die bie
Zriebfedern bes Menfchenherzens bilden, zählt bie Außern und
Innern Momente auf (wie Gefundheit, koͤrperliche unb intellec-
tuelle Kraft, Religion u. f. w ), weiche diefe Smpfinbungäweis
fen bei Einzelnen und gungen Völkern mobificiren, und weift
nach, daß nur unter Beruͤckſichtung aller dieſer Berhältniffe vom
Geſetzgeber und Richter eine dem öffentlichen Welen heilfame
und gleichmaͤßige Gerechtigkeitspflege möglich fei. An diefe Ana⸗
tofen Enüpfen fi nun fehr weitläufige und fcharffinnige Ent⸗
widelungen über die Art und Weiſe, tie ſich bie Übel in ber
Geſellſchaft verbreiten.
Niemand wird leugnen, baß dieſes Ruͤſtzeug bei der Bes
ſtimmung eines pofitiven Geſetzes ſehr wefentlich fei; auch muß
man zugeben, daß Benthbam unter den neuen Rechtslehrern
zuerft diefe Rüdfihten mit befonderm Nachdruck geltend ge:
macht und dem Gefeggeber an die Hand gegeben bat. Allein
diefe fcyarfiinnigen Berechnungen, welche die Zufälligleit der
Gtrafbeitimmungen ihrem Außerlichen Wefen nad weniger zus
fällig machen, die ſich nur auf bie äußere Zweckmaͤßigkeit bezies
ben und mit Recht dem Brundfage des Nugens angehören, has
ben mit bem Rechtsprincipe und feiner logifchen Entwideiung
gar nichts zu fchaffens denn das Recht fteht feiner Natur nad)
bei allen Völkern, zu allen Seiten, bewußt oder unbewußt, als
eine abfolute Koderung des freien, fittlidyen,, vom intelligenten
Geiſte getriebenen Willens über der dußern Imedmäßigkeit,
über dem Nutzen. Wenn Bentham diefe geiftige Ratur des
Rechtes nicht anerkennt, wenn er bie unmittelbare Begierde, die
nur Intelligeng ift, während fie fi klug verwirklicht, als ben
abfoluten Inhalt des Rechtes dennoch aufftellte und ben Geſetz⸗
geber für einen „„Argt” hält, der die Gollifionen der Luſtbeſtre⸗
bungen befeitigen und verhüten fol, fo hat er fig nad dieſer
Seite bin, wie fehr auch fein Herz von Liebe gegen bie Menſch⸗
heit erfüllt gewefen fein mag, dem traurigften Irrthum binges
geben, ber die Grundveften bes Staats aufheben, die Gefell-
ſchaft vernichten und aus ihr eine wuͤſte, perfide, vom Egois⸗
mus getriebene Maſſe machen würde, follte er mit Ernſt und
GSonfequeng verwirkticht werben.
Das Ruͤtzlichkeitsprincip, als das vermeintliche Wefen bes
Rechts, laͤßt Bentham fogar ſchon bülflos, wo er zu einer weis
teen Sntwidelung der Rechtsbegriffe übergeht. Eigentlich hätte
er doch follen die Eintheilung des Rechtes aus den Empfin⸗
dungsgattungen, aus den vier fogenannten Sanctionen berleiten ;
allein er bemerkt wol, daß Hier feine Philoſophie nicht Stich
hält: er handelt vom Civilrecht, vom Criminalrecht, vom er:
faſſungsrecht. Warum geftattet er ein Criminalrecht, warum
gibt er Verbrechen gegen den Staat zu, ba body bei ihm con«
fequenterweife feine ſolche ſittliche Macht, fondern hoͤchſtens
ein durch Egoismus verbundener Haufe von Perſoͤnlichkeiten be⸗
ſteht? Wiewol gerade Bentham in ſeiner Abhandlung uͤber
die Einrichtung legislativer Verſammlungen die ſchaͤrfſten und
aͤußerſt praktiſchen Grundſaͤte aufgeſtellt, und zuerſt aufgeſtellt
bat, fo mußte er uns doch eine Entwickelung des Verfaſſungs⸗
rechtes ſchuldig bleiben, weit ihm bie flaatlihen Verhaͤltniſſe
feiner Theorie nach als etwas Unweſentliches, Zufälliges galten,
die fo und auch anders ausgebilbet fein können. Bei ihm han⸗
beit es fih nur darum, daß der Arzt der Geſellſchaft in die
Bebürfniffe und möglichen Übel berfeiben gehörig eingeweiht fei,
um für das Gluͤck berfelben zu forgen, das heißt Fr rechnen :
auf eine organiſche Entfaltung bes allgemeinen Geiftes umb
Nechtsbewußtſeins kommt ed babei nicht an. Bentham konnte
deshalb der feanzöfifchen Nationalverſammlung feine philanthro-
pifgen Abſtractionen mit gleihem Rechte und glei Eifer
en bie Hand geben, wie er es bei bem ruffifdden Autofraten
that.
Wenn wir alfo bad Princip Bentham's, ungeachtet feiner
fonfligen Wirkſamkeit, ungeachtet der Anerkennung, bie wir ſei⸗
nem eifernen Gharafter und feinem Gifer für Menſchenwohl
zugefteben, als ein beichränktes und werthlofes Probuct feiner
3eit und feines Raturelld von der Hand weifen en, ſo kann
es einem blinden und fanatifchen Nachbeter ber Nuͤtzlichkeitephi⸗
lofophie, wie der Verf. ift, nicht anders ergeben, zumal gerabe
bie deutfche Wiſſenſchaft in diefem Gebiete ihre beiße Arbeit
vollbracht hat. Wie jeder Apoftel einer verfchollenen Lehre bätt
auch der Verf. die Seine für verfaunt und fobert eine gruͤnd⸗
liche Widerlegung. Wo foll die Kritik zu feinem Beſten, zu
feiniger alleinigen Aufklaͤrung diefes Riefengefchäft beginnen, wo
ſoll fie aufhören, da er fo gänzlidy außer dem Bewußtſein und
der Bildung feiner Zeit und feines Volkes ſteht! Mean Eann
ihm hoͤchſtens rathen, daß er feinen aparten Standpunkt einmal
aufgeben und mit Ernft in die Ziefen der beutichen Rechtsphi⸗
loſophie binabfleigen möge. Nicht allein die Natur des Rechtes
und bie Berdienfte feines Meiftere werben ihm bann Elar wer:
ben, fondern er wird auch begreifen, daß die Verwirklichu
bes Rechtes niemals dem Zufalle preisgegeben ift, fondern ba
bie Gefeggebung,, bewußt ober unbewußt, aus dem fittlichfreien
Geiſte eines Volkes vollzogen wird. 4. Kurgen.
Literarifhe Notizen aus England.
In Bentley's Verlage erfcheinen nädıftens: ‚Voyage to
the North - pole, performed ia His Majesty’s ships Dorochee
and Trent, under the command of capt. Buchan; by capt.
Beechey, one of the officers of the expedition“, mit Kupfer
ftihen; „Miss Pen and her niece” (3 Bde), eine Novelle
von Mrs. Stone, Verf. von „William Langshawe”, ‚The
art of needlework’’ u. f. w.; „Bagland casıle”, ein Roman
von Mrs. Thomſon, Verf. von „Widows and widowers”,
„Anne Boleyn” u. f. w.; „Tales of the english settlers ia
Munster” (3 Bbe.), von John Elmes; „Devereux, earl of
Essex”, ein Roman von Ch. Whitehead, Werf. des ‚Richard
Savage” u. f. w. In demfelben MWertage erfdhienen unter
Anderm: „Narrative of a journey to Kalat; including an
account of the insurrection at that place in 1840, and
a memoir on Eastern Balochistan‘, von Ch. Maſſon, den
vierten Band zu deſſen „Journeys in Balochistan” bifdend, mit
einer neuen Karte ber verfhiedenen Gegenden auf jeder Geite
bes Indus, weiche der Verf. durchreiſte; „Doings in China;
being the persomel narrativre of an oflicer engaged in the
late chinese expedition, from the recapture of Chusaa, in
1841, to the peace of Nanking, in August 1842“, vom
Lieutenant Aler. Murray, mit des bekannten chinefifchen Som:
miffionnairs Lin Bildniß; „The court of England, under the
houses of Nassau and Hanover’‘, von John Heneage Felle,
Berf. der „Memoirs of the court of England during the
reign of the Stuarts”, (3 Bde.) mit Portraits; „Titian, a
romance of Venice’, von Shelton Madenzie (3 ®Bde.); „The
double duel; or, Hoboken“, von Th. Ray; „The phantas-
magoria of fun’, von Alfred Crowquill t2 Wide), mit 150 31:
Iuftrationen ; „The wassail-bowl’, von Albert Smith (2 Bde.),
mit charakteriftifchen Illuſtrationen von Lead.
Aus einem eben entdeckten Driginalmanuferipte, weldens
ber frühen Zeit von König Jakob's I. Regierung angehören
fol, erihien „A dream of a Queen's reign.” 18.
Berantwortlier Deraudgeber: HAetnrich Brokhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodbaus in Letpzig.
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9
Blätter Ä
ür
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
Über die gothifche Literatur, befonders über Ulfilas
und den Codex argenteus.
(Beſchluß aus Nr. 11.)
As der Soder in Leyden bei Voſſius war, fah ihn
Franz Junius, befhäftigte fidy mit der Sprache und gab
die Fragmente heraus (Dordredt 1665) ; dies war die
erfie Ausgabe des Ulfilas, fie iſt mie gothifchen Lettern
gedruckt, neben dem gothiichen Texte enthält. fie noch die
engelfächfifche Überfegung,, den zweiten Theil bildet ein
Gloffarium. Der Junius'ſchen Ausgabe folgte die ſchwe⸗
biiche Ausgabe von Stjernhielm (Stockholm 1671), welche
auch die islaͤndiſche, ſchwediſche und lateiniſche Überfegung
der Vulgata enthält. Stjernhjelm wurde in Folge diefer
Arbeit zum Prafidenten der Alterthumsgefellfhaft in Stock⸗
bofm gewaͤhlt. Won den Altern Ausgaben iſt unffreitig
Die beſte und zugleih in typographiſcher Hinſicht die
ſchoͤnſte die engliſche, eigentlich von dem Schweden Benzel
deforst, aber erit nach deffen Tobe vom dem Engländer
Eduard Eye herausgegeben (Drford 1750); fie iſt mit go:
thiſchen Lettern gedruckt und enthält eine Lateinifche Über:
fegung unter dem Texte. Biel beſchaͤftigte ſich auch ber
Prof. Ihre zu Upfula mit dem Codex argenteus ; er ließ
afe Fragmente aus der Benzel'ſchen Ausgabe abfchreiben
und berichtigte die nicht wenigen Fehler derfelben aus dem
Gober ſelbſt; leider kam er nicht zur Derausgabe, das Mas
nufeript kam fpätet in die Hände bes Prof. Heynatz in
Frankfurt (daher Heynatz's Manufeript, jest fol es, nad
Maßmann's Ausfage, in dem Befige Zeißberg's in Wer:
nigerode fein). Doc, wurden feine zahlreichen und treff:
fihen Umendationm in mehren einzelnen Schriften be
kannt gemacht, welche mit andern Schriften, den Codex
argenteus ımd fonft die gothifche Sprache betreffend, ge:
ſammelt von Buͤſching als „Scripta versionem Ulphila-
sam illustrantia” (Berlin 1773) herausgegeben wurden;
die erfte der Ihre'ſchen Abhandlungen, befonders die Emen:
dationen der frühern Ausgaben enthaltend, ift betitelt „UI-
philas iHustratus”‘. Fruͤher gab es noch eine Abſchrift des
Codex argenteus, welche von einem gewiſſen Derrer fchon
in Werden gemacht worden war (daher Derrer's Hand⸗
ſchrift) und alle Reiſeſchickſale des Coder theilte, zuletzt
auch mit demfelben von dem Brafen de la Garbie der
Bibliothek zu Upfala gefchenft wurde. Bon da hatte fie
der jüngere Olaus Rudbeck geliehen, fie verbrannte ihm
aber in einer Feuersbrunſt, weiche fein Haus verzehrte.
Unterdrffen hatte 1756 der Acchidiatonus Knittel zu
Wolfenbüttel auf der dortigen WBibliothet ein Kragrmmet
des Briefe an Die Römer gefunden; der Coder (Codex
Carolinus), ein Palimpſeſt, ſtammt aus der Bibliothek der
reichefreien Abtei Weißenburg im Wasgau und kam, nad)
mannichfahen Wanderungen (auch er war einft in Prag),
1690 nach Wolfenbüttel. Knittel gab das Fragment her⸗
aus 1762 (die Exemplare mit den Kupferplatten find fel:
ten), und dies Fragment fand aud Aufnahme in der deut⸗
ſchen Ausgabe des Ulfilas von Zahn (Weißenfels 1805).
Diefe Ausgabe enthält ben Text mit Lateinifchen Lettern,
eine lateinſſche, dis zur Batbarei woͤrtliche Interlinear⸗
verſion und am Rande Benzel's lateiniſche Überſetzung;
darnach folgt Fulda's ſehr duͤrftige Grammatik und von
Reinwald umgearbeitetes Woͤrterbuch.
Bedeutender als der wolfenbüttler Fund wur die Ent
dedung Angelo Mai's und des Grafen Gaftiglione in Pa-
limpfeften der Ambroflanifchen Biblische zu Mailand.
Diefe Handfchriften (Codices Ambrosiami) find fünf an
der Zahl; zwei derfelben find befonders wichtig, da fie alle
Pautinifchen Briefe (freilich zum guten Theil nur fragmen:
tariſch) enthalten; der dritte enthält ein Fragment des
Evangeliums Matthät, welches größtentheils nicht Im Co-
dex argenteus fteht und beffen Text einer andern Recen⸗
ſion angehört als ber des Codex argentens, wenigftens
aus einer andern Handſchrift als jener gefchrieben ift; ber
vierte Coder enthält Fragmente aus Esdra und Mehemia
und der fünfte einen Theil der unten zu nennenden Skei⸗
reind. Alle diefe Handſchriften kamen aus der Benebictt:
nerabtei Bobbio in Piemont nah Mailand. Zuerft mach⸗
ten bie beiden genannten Gelehrten in einem „Specimen
Ulphilae partium ineditarum‘” (Mailand 1819) bie ge:
nannten Fragmente des dritten und vierten Cober bekannt,
ferner eine Probe des Briefs an die Philipper, die Frag:
mente der Briefe an Titus und Philemon, ein Stuͤck aus
dem fünften Gober, das ihnen Fragmente einer Homilie oder
eines Tractats Über einen theologifhen Gegenſtand zu fein
ſchienen; dazu aus einer von den beiden Hundfchriften, welche
die Paulinifchen Briefe enthalten, dad Fragment eines go⸗
thifchen Kalenders, da® in der Angabe der wichtigen Tage
des November (im gothifchen Kalender der erſte Jiuleis
446
genannt) und einiger ded vorhergehenden Monats befteht.
Diefem Specimen folgte, von Caftiglione allein herausge⸗
geben, 1829 der zweite Brief an bie Korinther, der (bie
auf wenig fehlende Worte) ganz vollftändig ift, mit einem
fehr reichhaltigen Gloſſar über denfelben; 1834 die Frag⸗
mente des Briefes an Die Römer, des erften am die Ko:
rinther und des an die Ephefer; 1835 die Fragmente der
Briefe an die Galater, Philipper, Koloffer und des erften
an die Theſſalonicher, endlich 1839 die Fragmente des
zweiten Briefd an die Theffalonicher, der beiden Briefe an
den Timotheus, des Briefs an den Titus und an Phile:
mon, in den drei erſten Briefen diefed Heftes waren die
Schwierigkeiten des Lefend am geößten und der Heraus:
geber mußte oft nur vermuthen und nach Anleitung des
griechifchen Textes errathen.
Alle Fragmente der Bibelüberfegung enthält die zweite
deutfche und erfte vollfiändige Ausgabe des Ulfilas, welche
unter dem Xitel-
Ulfilas. Veteris et novi testamenti versionis gothicae fra-
gmenta, quae supersunt ad fidem codd. castigata latioitate
donata adnotatione critica instructa cum glossario et gram-
matica linguae gothicae conjunctis curis ediderunt H. C.
de „Gabelentz et Dr. J. Loebe. Altenburg, Schnuphafe.
1836. 4.
herauskam und das Gluͤck hatte, dem Kronprinzen Mari:
milian von Baiern dedicirt werden zu dürfen. Die Ver:
zögerung dev Herausgabe des legten Bandes ber italieni:
fchen Ausgabe verzögerte die Vollendung diefer Ausgabe,
und da inzwifchen der zeitherige Verleger mit der Luft
auch das Vertrauen zu der Sache verloren hatte, überließ
er, zu großer Sreude der Herausgeber, den Verlag an
F. A. Brockhaus in Leipzig. Da die Herausgeber ſelbſt den
Codex argentens und Codex Carolinus an Ort und Stelle
verglichen und in ununterbrochenem Briefmechfel mit dem
Srafen Gaftiglione denfelben auf viele fragliche und ver-
dächtige Lesarten in feiner Ausgabe aufmerkſam machten
und zu mehrmaligem Bergleihen ber mailändifchen Hand:
fchriften veranlaßten, fo dürfte diefe Ausgabe, ohne Ruhm:
rebigkeit zu fprechen, die befte fein, die es bis jegt vom
Ufitas gibt, wie fie denn auch Jakob Grimm, ohne Zwei:
fel der competentefte Richter in der Sache, in der Vor:
tede zum erften Theile der dritten Ausgabe der deutfchen
Grammatik „eine trefflihe, dem hohen Werthe der gothi-
fen Sprachdentmäler entfprechende‘ nennt. Sie ifl zu:
glei die volftändigfte, denn fie enthält einen bisher noch
nicht edirten vom Grafen Gajtiglione den Herausgebern
freundlichft im Manufeript mitgetheilten Theil aus Esdra
und mehre Verſe des erften, deitten und fünften Capitels
des Evangeliums Johannis aus der Skeireins. Der Text
ift mit Iateinifchen Lettern gedrudt, ihm eine Lateinifche,
der Vulgata entnommene, aber dem gothifchen Text ſich
innig anfchließende Uberfegung untergeftellt und daran reis
ben ſich Eritifche Anmerkungen, welche bie Lesarten aller
Ausgaben enthalten, auf fehlerhafte oder zweifelhafte Les⸗
arten aufmerkſam machen, auch auf das Derhältniß des
gothifchen Textes zu dem griechifchen binzeigen; eingeftreut
find auch grammmatifche Bemerkungen, welche zur Beſtaͤti⸗
gung der Richtigkeit oder zur Hinweifung auf die Falſch⸗
beit der Lesarten nöthig waren. Voraus gehen Prole
gomena , in denen kurze Nachricht von Ulfila® gegeben
und dann von der gothifhen VBibelüberfegung und zwar
befonder6 worüber fie fich erſtreckt und aus welcher Quelle
fie gefloffen iſt, ihre echte Gothicitaͤt und der Überfegungse
weife echte Germanicität nachgeriefen ift; ferner von ber
Derfchiedenheit der einzelnen Xheile der Sragmente des
Codex argenteus gefprochen tft, auch die Codices beſchrie⸗
ben, fowie eine vollfländige Literatur der Ausgaben bei:
gegeben ijt. Als erfte Abtheilung des zweiten Bandes er:
feine nun auch in einigen Wochen das Gtoffarium,
welches ſich nicht allein über die Bibel, fondern über
alle Überrefte der gothifchen Literatur erftredi. Dem Glof-
far wird ſich nachher als zweite Abtheilung bes zeiten
Bandes die gothifhe Grammatik anfchließen.
Diefe anderweitigen Überreite der gothifchen Literatur
find zunaͤchſt die fogenannte Skeireins. Dies Werk, wenn
man ein Fragment fo nennen barf, wurde zum Theil
fhon in Mailand in den Ambrofianifhen Handfchriften
gefunden und, wie oben angegeben, von Mai und Caſti⸗
glione für eine Domilie oder einen theologifhen Tractat
gehalten. Prof. Maßmann in Muͤnchen erhielt inzwiſchen
1825 Kunde, daß auch in Rom auf der Vaticaniſchen
Bibliothek ein Theil jener Schrift in einem Palimpſeſt
fei, und im Auftrag des Kronprinzen von Baiern reifte
er nach Stalien und lad dort in Rom die brei und im
Malland die fünf Blätter. In diefen Fragmenten finden
fi) viele Citate aus dem Evangelium des Johannes, von
denen ſich eine gewiſſe Reihenfolge auemitteln ließ, und
während Mai und Gaftiglione darin eine erbauliche Er⸗
pofition über die Bibelſtellen erfannten (weshalb fie fie eine
Homitie nannten), fand Maßmann darin einen erflärenden
Commentar oder eine didaktiſche Auslegung und nannte
fie mit gothifhem Namen Skeireins (d. i. Erflärung).
Das Buch führt den Titel:
—— —— 5*— ichannen, Auslegung bes Cvan⸗
elii Johannis in gothifcher ade, herausgegeben von
5 afßmann. en Tr or 9
Ob diefe Schrift wirklich eine Auslegung des Johan:
neifhen Evangeliums oder vielleicht eine Art Erklärung
einer Evangelien: Harmonie, der befonders Johannes zu
Grunde lag, oder fonft eine theologifhe Schrift, zur Ver⸗
theidvigung des Arianifhen Dogma iſt, bielbt ungewiß.
Mit noch weniger überzeugenden Gründen murbe von
Maßmann vermuthet und vielfach, von Andern ihm nad:
geglaubt und nachgefprocdhen, es wäre die Überfegung einer
Schrift des Theodorus von Heraklea. Darauf und zu:
gleich auf die Nichtigkeit des von Maßmann gelefenen und
herausgegebenen Textes warf der Unterzeichnete einige kri⸗
tiſche Blicke in dem Schriften:
Beiträge zur Textberichtigung und Erklaͤrung ber Skeireins.
Altenburg 1839. 8.
Diefen Beiträgen ift auch eine verfiändliche Überfegung
der, für die Bibelerklaͤrung des Alterthums nidt unie
tereffanten und für die Geſchichte des Arianismus wich⸗
tigen Schrift angefügt. Der Text der Skeireins, der {che
447
uarichtig geſchrieben und noch mit mehren Fehlern von
Maßmann herausgegeben worden ift, findet fi) verbefjert
abgedruckt in der Vorrede zu unferm gothifchen Gloſſarium.
Die übrigen Reſte der gothiſchen Literatur find weni:
ger umfänglih. Zu ihnen gehören zunaͤchſt ale die noch
bedeutendern und echt gothifchen die Neapolitaniſche und
Aretintfche Urkunde. Die erſtere enthält vier gothifche Un:
terfchriften in einem lateiniſch auf Papyrus gefchriebenen
Kaufdrief, der ein Landftüd bei Ravenna betrifft; die letz⸗
tere enthält eine gothifche Unterfchrift eines gleichfalls la:
teinifch gefchriebenen ähnlichen Kaufbriefes. Beide find
wahrfcheinlih aus dem 6. Jahrhundert. Die Ravennati:
ſche Urkunde, uefprünglih in dem Archive der Anaflafia
zu Ravenna, dann in dem Archive der Kiche Sta. : Annun>
ciata zu Neapel, iſt jetzt ebendafelbfi in der Bibliothek ber
Stud; reali in einem hohen Wandfchranf unter Glas. Die
gothiſchen Unterfchriften wurden wieder 1810 von Siero:
kowsti bernusgegeben; die Aretinifhe, in Doni's „In-
scriptiones untiquae”, herausgegeben von Gori (Florenz
1731), auch wieder im zweiten Bande von 5. Brunetti's
‚„‚Codice diplomatico toscano” abgedrudt, fam von Atezzo
nach Florenz und ift feit 1731 verloren. Die beidertheili:
gen Unterfchriften und von der Meapolitanifchen einen Theil
des Texts facfimilirt gab heraus Maßmann in:
Frabauhtabokos, ober die gothifchen Urkunden von Neapel und
Arezzo, mit zwei Schriftnachbildungen in Steindruck. (Muͤn⸗
chen 1837.) Wien 1838. Fol. .
Frabauhtabokos foll ein Kaufbrief beißen, ift aber ein,
auf den Grund eines nicht vecht verflandenen Ausdrucks
in der Aretinifchen Urkunde von dem Derausgeber unrichs
tig gebildetes Wort. Von Intereſſe iſt aud das Frag⸗
ment ded oben genannten gothifchen Kalenders, welches
ſich ebenfalls wieder in der Wortede zu unferm gothifchen
Gloſſarium abgedruckt findet.
Mehre gothiſche Kleinigkeiten und einiges mit Unrecht
fuͤr Gothiſches Gehaltene hat Maßmann unter dem Titel
„Gothica minora” in M. Haupt's „Zeitſchrift für deut:
ches Alterthum“ (erſten Bandes zweites Heft, ©. 294
— 393) herausgegeben. Er führt ba aus einem wies
ner Goder (Mr. 3527 der k. k. Bibliothek) mehre
gothifche Alphabete mit den Benennungen der Buchſtaben
nady Runenweife, einige Zeilen gothifcher, meift aus dem
Zufammenhang geriffener Worte, ferner einige Zeilen, wel
he Regeln für die Ausſprache der gothiſchen Laute ent:
haften, und dann mehre gothifche Zahlen, wovon ſchon W.
Grimm (‚Zur Literatur der Runen”, Wien 1828) ge:
handelt und die Zahlen dem erſten Buche Mofis zuge:
f&hrieben hatte, an. Maßmann meint, bie zweite Reihe der
Zahlen gehöre in den Propheten Ezechiel und in die Buͤ⸗
cher der Makkabaͤer. Ferner das fogenannte „Gotthikon”
in des Kaifer Konftantinus Porphyrogenetes Buch „De
caerimoniis aulae byzant.”, 11, 83; diefes ift ein Gefang,
den in ben zwölf Nächten nach Weihnachten fremde Krie⸗
ger in ihrer Mutterfprache zu einem Waffentanz vor der
Baiferlichen Tafel in Konftantinopel aufführten. Aber jene
Ausrufe und Berfe, wenn man ed fo nennen darf, find
weder gothiſch, noch wird durch die beiden, darauf fols
teiniſche Inſchriften.
genden Worterklaͤrungsverſuche bei Konſtantinus irgend eig
Licht auf die Sprache geworfen. Das eine jener Wort:
verzeichniffe verfuchte die Ausdräde einzeln aus dem Las
teinifchen, Hebraͤiſchen und Griechifhen zu erklären, fie
gehören aber diefen Sprachen ebenfo wenig an, als der
gothiſchen. Intereſſant ift die Einfuͤgung gothiſcher Wörs
ter in einem Epigramm in Burmann's „Anthologia la-
tina”, V, 161, wo aus der übel zugerichteten Lesart sca-
piamatziaiadrincan doch wenigftend gewiß matjan jah
drigkan (effen und trinken) herauszulefen ift, fei es daB
jenes Monſtrum von Lesart durch die Abfchreiber in den
Zert gelommen oder wol gar von dem Dichter feibft fo
geſchrieben ift, der ficherlich nicht gothifch verftand. Auch
dad verlegte Metrum follte wol in der barbarifchen das
zarte Ohr des Italieners verlegenden Sprache eines zumal
von Hunger und Durft noch zu ungemäsigtern Ausdruͤ⸗
den und zu roherm Zone genöthigten Soldatenhaufene
Entfhuldigung finden. Altes Andere, wie die Elle von Bes
sona, daB Gothiſche in der Krim aus einem Briefe Bus:
beck's, das Sihora armen, hier und anderwärts erwähnt,
gehören ebenfalls ſicherlich der gothifchen Sprache nicht an,
wierol die angeführten Wörter in Busbeck's Brief und
Anderer Nachrichten vor ihm (vgl. Beuß, „Die Deutfchen”,
S. 432) etwas Überrafhendes haben. Gothifhe Namen,
entweder in alten Schriftftelleen erwähnt oder in eigenen
Verzeichniffen aufgeführt, gehören nicht hierher, fondern
in die Grammatik und in das Woͤrterbuch. Das oflgos
thifhe wie das weſtgothiſche Geſetz iſt in Iateinifcher
Sprache gefchrieben; ſelbſt die Münzen, welche von den
weftgothifchen Königen in Spanien (vgl. Aſchbach's „Ge⸗
fhidhte der Weltgothen”, S. 354 fg.) und von den Oflts
gothen in Italien gefchlagen find, enthalten fämmtlidy las
J. Loͤbe.
Denkwuͤrdigkeiten eines oͤſtreichiſchen Kerkermeiſters. Nach
wahren Begebenheiten bearbeitet von Ernſt Will:
tomm. Leipzig, Reclam jun. 1843. Gr. 12. 1 hie.
15 Por.
Wer dachte beim Anblick dieſes Buchtitels nicht unwillkuͤr⸗
ih an Spielberg, Brünn und Ollmuͤt und erwartete nicht, von
den Leidensgenoffen Silvio Pellico’d und Maroncelli’s unterhals
ten zu werben? Die Taͤuſchung waͤre vollſtaͤndig. Der Verf,
der dies Buch vieleicht ſchon vor langer Zeit gefchrieben — denn
es ſcheint uns eine Jugendarbeit zu fein —, fest ſich barin ein
an fi lobwuͤrdiges Biel. An ein uraltes, in Prag noch be=
ftebendes Gebäude, den Teynhof in ber Altftabt, Enüpft er die
Erzaͤhlung von einem entdeckten Manufcript aus den Zeiten des
Dreißigjährigen Kriegs, die Hinterlaffenfchaft eines alten Kaftel⸗
land dieſes Gebaͤudes, das vordem das Staatsgefaͤngniß von
Böhmen war. Dies alte Manufcript erzählt nun die Geſchich⸗
ten großer Verbrecher, bie hier unter der Obhut des Schreibers
lebten. Alle dieſe Befchichten, nach einem moralifcdyen Biele uns
verkennbar zuflrebend und zum heil weit in das Dunkel des
Mittelalters zuruͤckreichend, werben von einem ethifchen vothen
Baden aneinanbergereiht, ber als der Grundgebanke des Verf.
und ald Kern des Ganzen eine nähere Betrachtung verbient ;
denn wäre biefer Grundgebanke etwa falfch, fo wäre bamit
diefen Erfindungen — dafür müflen fie dem Titel zum Trog
gelten — das Urtheit gefprochen. Diefer leitende Gedanke if
nun der, daß alle große Verbrechen, die die Menfchheit er⸗
448
recken, ihren Anfang in einer erlaubten Seelenregung neh⸗
Mr und ſomit gewiffermafen Übertreibung bes Kechten unb
der Tugend find. Mir wollen biefen Gag nicht geradehin als
faiſch bezeichnen, indeffen miſcht fi in ihm der Wahrheit doch
o viel Schein und Irrthum bei, daß er wenigſtens als zwei⸗
haft erfcheinen darf. Ein Sohn erfchlägt feinen Water aus
Ruhmſucht, ein Bruder den Bruder aus Ehrgefühl, eine ſhone
au wird Möcberin aus erlaubter Pflege ihrer Schönheit x.
ie moraliſche Intention ſolcher Erzählungen ift Mar, aber auch
ihre grfaͤhrliche Seite. Die Tugend ik Maß und die menſch⸗
che Natur ift bay befähigt, dies Maß zu behaupten. Über:
[reitet fie es,
Sauͤnde erzeugt, und es ift eben für deren Laͤßlichkeit nichts er⸗
wiefen.
Alle diefe Geſchichten haben zunaͤchſt ben fehler, daß fie
unferm Gittenzuftande zu fern ſtehen. Dies Gebrechen ift ihnen
willtürtich von dem Verf. mitgegeben worben, ber ber Verſu⸗
ung nicht widerftehen konnte, feine Erzählungen in ‚ein alter:
thuͤmliches Gewand zu kleiden und fie mit einer, tn feinem
Kreife befannten Localität in Berkinbung zu bringen. In bies
fem kuͤnſtlichen Effect geht ein großer Theil ihrer fonftigen Wir:
tung nußlos verloren. Manche diefer Begebniffe find nicht ein»
mal neu unb wir erinnern uns namentlich die Gefchichte von
der ungarifchen Gräfin, weiche, um den Glanz ihrer Haut zu
erhalten, fi in Kinderblut badete, in der Form eines Kinder:
mäschens ſchen angetroffen zu haben. Dergleichen paßte nicht
in ein halbwegs ernftgemeintes Buch. Die meiften andern Ber
gebenheiten mögen allerdings auf boͤhmiſchen Sagen beruhen,
wie die von Samo von ber Dul — ein Opfer ber Kr Ten
wol unzweifelhaft einen foldyen Urfprung verräth; indeſſen ift es
kaum zu rechtfertigen, wenn fie auf dem Titel als wahre
Begebenheiten angekuͤndigt werben.
Ein anderer Mangel diefer Arbeit ift, daß in diefe alter:
thuͤmlichen Erzählungen eine ziemlich moderne Denk: und Sprech⸗
weife überall ftötend hineinfpielt und hineinfchielt. Der Verf.
Dat häufig die von ihm beabfidhtigte Farbe feiner Gemälde nicht
feft zu halten vermocht und tft den felbfigegogenen Grenzen, mehr
als erkaubt ift, untreu geworben. Abgelehen von biefen Aus⸗
ſtellungen, welchen eine ftrengere Kritil, als fie uns gerabe
bier nöthig zu fein feheint, noch Manches hinzufügen könnte,
leſen fich diefe Verbrechergeſchichten mit demjenigen Interefle,
welches die Analyfe einer Menfchenfeele ſtets darbietet. Gewandte
Diction und glädtiche Farbenabſtufung flehen dem Verf. zu Ge-
bote. Wie müflen ihm jedoch ſchließlich noch eine Bemerkung
zur Beachtung empfehlen, nämlich die, daß wir begabte Geißler,
zu welchen wir ihn rechnen, ungern ihre fchriftftellerifchen Ziels
puntte fo niebrig fleden feben, als im Ganzen genommen bier
eſchehen iſt. Wer nicht über ſich Hinausftrebt in der Kunft,
Ber ſinkt rettungslos unter ſich hinab, jede fpätere That in der
Literatur ſtrebe die frühere zu überragen, und wer in ſich nicht
weiter fchreitet, wer in fi nicht mehr bie Kraft fühlt, Beſſe⸗
res als das ſchon Geleiſtete darzuftellen, deſſen Zeit iſt verflof:
ſen, der ſchweige. Wir bekennen, daß dieſe Saͤtze zu Grund⸗
fägen bei uns geworben find, die uns auch auf das kritiſche Ge⸗
biet begleiten, und baß wir, willenlos ober nicht, bei jeder
neuen Leiſtung eines Schriftftellers alle feine vorausgegangenen
mit im Auge behalten. Zrifft der Blick dann auf einen Rüd:
fgritt, fo tönnen wir uns ber Verſtimmung nicht erwehren;
denn in ber Welt der Erſcheinung ift Rüdfchritt Tod und
Ruhepunkte geftatten wir in ber Kunſt nicht. 8.
Literarifhe Notizen aus, Frankreich.
Die Geſchichte ver Scholaftik ift im Ganzen bisher zu fehr
vernachläffigt worden und erfl ganz neuerdings hat man ange
fangen, the die Beachtung zu geben, bie fie verdient. Die bes
tft dies eben die Schwachheit, weiche bie -
®
fondere Borliebe, mit ber ein großer Theil der Hiſtoriler ſN5
Ta —
n tm Jndeſſen auf dieſem noch viel
thun übrig. Awar umfaflen die größern Werke über die &
fyichte der Philofophie, die von Brucker bis auf Zennemann
erichtenen ſind, auch bie Pertobe, in ber bie Scholaftif in voll⸗
ſter Biuͤte ſtand; aber dieſer Abſchnitt wird faſt in allen biefen
Werken wit fo wenig Liebe behandelt, zudem ſtuͤten ſich ihre
Verf. meiftens auf fo ungenügenbe Vorarbeiten, daß biefer Theil
der Gefchichte der pbilofopgifchen Entwidelung noch weit ents
fernt tft, eine befriebigenbe Darftellung gefunden zu haben. Un⸗
ter ben franzoͤſiſchen Philoſophen, die das Wefen der Scholaftik
am beften aufgefaßt haben, erwähnen wir Grande in feiner
„Histoire comparde des systömes‘ und namentlidy Couſin, bey
in feinen Ginleitungen zu den „Oeuvres insdites d’Abelard‘“
einige dunkle Partien der Philoſophie bes Mittelalters ins rechte
Licht ſtellt. Wir erhalten gegenwärtig eine umfaffende Geſchichte
der Schotaftit, oder vielmehr die Vorarbeiten zu einer foldhen
Geſchichte von Rouffelot unter dem Titel: „Dtudes sur la päi-
losophie dans le moyen -äge’' (3 Bde., Paris 1843), Lei
der iſt diefe Arbeit, der wir nicht alles Verdienſt flreitig madgen
wollen, burhaus noch nicht befriedigend. Namentlich ſcheint
ſich ber Verf. bes eigentlichen Weſens der Scholaſtik ſeibſt nicht
recht klar bewußt geworben zu fein.
Proudhon ift fo ziemlich der einzige von den Streitern für bie
Sache bed Sommunismus, der von wirklicher Bebeutung iſt.
Wenn man bie glänzenden Gigenfchaften biefes Schriftſtellere
betrachtet, fo fann man es fi kaum erklaͤren, wie ein fo aus
ezeichneter Geiſt im Dienfte einer fo zweideutigen Sache ſtehen
ann. In allen feinen zahlreichen Kiugfchriften entwickelt ex bie
Brundfäge der vollkommenſten Gleichheit und vertheidigt diefelben
mit einem folcgen Aufwand von Logik, daß man einen fdyarfen
Blick haben muß, wenn man ſich von fo gefchichten Trugſchluͤſ⸗
fen nicht bienden laflen wid. Er verfolgt bie unerbittlichſten
Gonfequengen und läßt fi) von keinem auch noch fo gewagten
Paradoxon zurüdfchreden.e Seine neuefte Broſchuͤre führt ben
Titel „Celebration du dimanche” (Paris 1843) und ſcheint
alfo einen Gegenflandb zu behandeln, ber auf den erften Blick
mit dem Communismus nichts zu ſchaffen bat. Der Verf. aber,
der ſich Feine Gelegenheit entfchlüpfen laͤßt, feinen Feinden et⸗
was am Zeuge zu fliden, bat an bie Betrachtungen über bie
Geier des Somtags die erbaulichften Diatriben über Freiheit
und Gleichheit anzuknuͤpfen gewußt. Gr entwickelt darin die
ſelben gefährlichen Principien, bie er in feiner befannten Fiug
ſchrift „Qu’est-ce que la propriete”, bie der Form nad) wirt
ih der berühmten Brofchhre von Sieyes „Qu’est-ce que
le tiers - &tat” an die Seite gefegt werden Tann, bereite auf:
gefteilt Hat.
Wir haben in d. Bi. von Seit zu Zeit die wichtigſten Schrif⸗
ten zufammengeftellt, welche die franzöfifche Golonie Algier und
namentli die Nugbarmachung berfelben betreffen. Wir haben
gegenwärtig ein Werk deſſelben Inhalts anzuführen, das ſchos
um feines Verf. willen bie Öffentliche Aufmerkſamkeit auf ſich
ziehen wird. Es rührt von dem bekannten Enfantin, dem .
Gründer der St.⸗Simoniſtiſchen Sekte, her und führt den SL
tel „La colonisation de l’Algerie”. Gnfantin ift Mitgiieh
der wiflenfchaftlichen Commiſſion, die von der franzöfifchen Re
gierung niedergefegt ift, um Algerien in jedem Sinne und nad
allen Richtungen zu fludiren. Er war deshalb im Stande, am
der beſten Quelle zu fchöpfen, und feine Scheift fcheint wir
liche Beachtung zu verdienen. Bon einer lesbaren Geſchichte
Algiers: „Algerie ancionne et moderne‘, find die erſten Lickt
rungen erfchienen. Der Verf. diefes Werks, das mit gefchmeds
vollen Kupfern geſchmuͤckt wird, ift Leon GBalibert, ehemaliger
Redacteur der „Revue britannique”. q,
Verantwortlicher Deraußgeber: Heinrich Brokhaus. — Ürud und Verlag von F. A. Brodbauß in Reipzig.
Blatter
. für
literarifhe Unterhaltung.
23. April 1843.
Über Er’ und E38.
Es gibt in den verfchiedenen Betrachtungen und Be:
arbeitungen der Geſchichte und Politik, des Rechts, der
Medicin, der Naturwiffenfhaften und der allgemeinen Li:
teratur zwei Tendenzen, wie ich fie nennen möchte; bie
eine, als Er bezeichnet, fucht das Beflimmte, das Perfön:
liche, die andere, als Es erwähnte, liebt das Unbeftimmte,
das Unperfönliche. Die erftere ſtellt den Menfchen als frei
wirkend dar, bie andere fieht ihn mehr als gebunden an,
haͤlt es auch nicht für rathſam, fich der Zeffeln zu ent:
ledigen, und betrachtet die Entfeſſelung ats Abfall, fie
ſucht in dem unbewußt Gefchebenen einen tiefen Kern,
als in dem mit Belonnenheit Ausgeführten. Die erfte
Tendenz, die bligende Macht begabter Individuen anerken:
nend, fucht das in menfchlihen Dingen Bewirkte auf ei:
nen oder einzelne beftimmte Menſchen als Urheber zurüd:
zuführen, ohne darum zu verkennen, dag zum Durchdrin⸗
gen der Wirkſamkeit der Einzelnen von Fruͤhern und Gleich:
zeitigen vorbereitete umd verbreitete Empfaͤnglichkeit und
Stimmung bei Andern angenommen werden muß. Von
der andern, der unbeſtimmten Tendenz, werden Ausdrüde
gewählt, als hätten die menfchlihen Dinge ſich felbft er:
funden,, fie begnuͤgt fih mit einem unbeflimmten Bil:
‚bungstrieb als Grund der Veränderungen in den menſch⸗
tichen Ereigniffen, und audy wo an einen einzelnen Mann
etwas geknüpft wird, erfcheint diefer der Kolsharfe gleich
ein tönended Etwas, nicht ein Tonangeber. Man ver:
gleicht nad diefer zweiten Tendenz das Gefchehene oder
nad der erften Anfıht Gethane mit einem früher Ge:
ſchehenen und fo weiter mit einem noch Fruͤhern, bis es,
- der Beitlichkeit entrüdt, der Mythologie und Offenbarung
anheimfaͤllt. Nach der WVerfchiedenheit der Anfichten über
die Vergangenheit find auch die Rathſchlaͤge fuͤr das Kuͤnf⸗
tige den beiden Tendenzen gemäß gar verfhieden. Die
zweite unbeflinmte Tendenz ift von Arnim In einer Wib:
mung an beide Grimm fo bezeichnet :
ihr achtet, Ä
was Keinem eigen, was ſich felbft erfunden.
Ich will verſuchen, diefe beiden Tendenzen, die in Deutſch⸗
Sand befonders in dem Anfang diefes Sahrhunderts hervor:
traten und bei den Eröcterungen über Sage und Dichtung
fit am häufigfien zeigten, aber keineswegs jegt zuruͤckgetre⸗
ten find, in einigen einzelnen Faͤchern nachzuweiſen.
In der Gefchichte wird nach der unbeflimmten Ten⸗
denz die Reformation der Kirche nicht den Meformatoren
zugefchrieben werden müffen, denen die Stimmung der Zeit:
genoffen zu Hülfe kam und von benen die orarbeiten
Srüherer benugt wurden, fondern diefe zweite Richtung
muß entweder von dem Grunde und der Duchführung
der Reformation in unbeflimmten neutralen Wendungen
fprechen, die Einheit und die Nothwendigkeit der Gegen:
fäge, den Süden und Norden hervorheben, den Bildungs:
trieb die Reformation bewirken laffen, oder fie als Ver:
fuh zur Entfeffelung und zum Abfall vom Gegebenen
bedauern.
Alle erfcheinende Einheit — fo wurde gefagt — fann nur
die Sinheit und Gefcheinung zweier Begenfäge fein. Dec Ka:
tholicismus konnte nicht entftehen, ohne den Proteſtantismus zu⸗
leich mit zu erzeugen. Luther wurde nur der Repräfentant bie
es Geiſtes der Zeit. Es war nicht Luther’s Lehre, bie er vor⸗
trug, fondern bie ber Nation. Die Trennung und der Gegen:
fas ift ein durchaus nothwendiger.
Ebenſo wird die franzöfifcde Revolution angefehen werden
müffen, wogegen neulich Luden In feiner Vorrede zu Droz
.
gefprochen hat.
Ju der Politik werden, ganz abgefehen von der ur:
ſpruͤnglichen Staatenbildung, nad der zweiten Tendenz
audy die ſecundairen oder fpätern Geftaltungen ber Staa:
ten nicht einer freien Thaͤtigkeit, nicht einer freien Über-
einkunft zugefchrieben, fondern einem unbeflimmten hifto:
riſchen Drange. Es ift hiernach Xhocheit, nach gefchries
benem Berfaffungswert zu ringen, in Schrift und Drud
feftfegen zu wollen, was in Zukunft gelten foll, es muß
fih von ſelbſt machen, fi organiſch herausbilden , fonft
erhalte man nur ein künfttiches Werk, eine papierene Con:
ftitution. Streckfuß hat in feinen Garantien fo gefpeöchen
und manche Andere.
Auch die Entflehung des Privatrechts fucht die zmeite
ruͤckblickende Tendenz in einer Offenbarung. Nicht bloß,
daß bei einem Voll und einer Bleinern Geſammtheit ein
gleichgeſtimmtes Rechtögefühl fei, muß hiernach und gewiß
mit $ug behauptet werden, fondern, daß die entwidelten
und ausgeführten Rechtsſaͤtze ein Gegebenes feien und bei
ihnen die Thaͤtigkeit der Einzelnen feinen oder nur unter:
geordneten Einfluß Haben inne und dürfe,
In der Medicin fucht die unbeflimmte Tendenz ihre
Therapie in dem Nacht⸗ und Traumgebiete der Sympa⸗
>
thie und ded Magnetismus und zieht diefe nady alten
Überlieferungen im Volk geglaubten Heilmittel den durch
Erfahrung und Nachdenken gefundenen vor. Wenn der
Einzelwille im Schlaf und Zraum ſich dem Allgemeinen
ergeben hat, muß das Rechte und Wahre, von Kluͤgelei
nicht zu Ergrundende ſach zeigen. Ähnlich iſt das Urthell
uͤber die Naturwiſſenſchaften.
Die Natur fol — fo lautet es — uns wieder magiſch
werden, alle Raturwirkungen müffen uns, wie durch höheres
Geiſterwerk, durch gebeimnißvolle Zauberſpruͤche hervorgerufen
erſcheinen. Die mathematiſchen Erklaͤrungen haben Alles getoͤd⸗
tet. Man weiß, wie Newton Kepler's Entdeckungen aus dem
dynamiſchen Gebiet ins mechaniſche herunterzog.
An der allgemeinen Literatur, namentlich der Poefie,
wird von ber zweiten Tendenz, was fie und Andere ale
das Beſte und Trefflichfle anfehen und barflellen, ale
Volksdichtung hingeftellt.
Die Poeſie — fo heißt es — ift fein Eigenthum der Dich
ter, fie, ein Blut, durchdringt ben ganzen Leib des Volks. Wir
lauben an bie Eriftenz einer Naturpoefie, die denen, die fie
ben, wie im Traume anfliegt. Wie der Ambra nad) der alten
Cage im Gehirn des Walfiſches gerinnt, fo wurden bie Lieder
im Herzen wie von felber und gingen mit dem Athem aus.
Der Begeifterte hat im Raufche die Adern fich geöffnet und blu⸗
tet mit Luft die Dichtung aus den warmen Quellen. Wie das
Feuer von Natur die Pyramidenform liebt und das Wafler die
Kugelform — fo ift auch das Band zwifchen Form und dem
inwohnenden Geiſte gefnüpft. Gefang und Tonfall ift der Poe⸗
fie innertidg eingeboren. Einzelne Xccente, die Grundaccorbe
von dieſen alten Gefangen der Naturpoeſie, leben und ertönen
aus der Mollsporfie des Wunderhorns. Gin NRationalgedicht
dichtet nicht der befchräntte Sinn eines Ginzelnen.
Wenn man in Märchen und Gedichten
Erkennt die ew’gen Weltgeſchichten,
Dann fliegt vor einem geheimen Wort
Daß ganze verlehrte Welen fort.
Unter Andern haben die beiden Grimm, denen Manche
hierin gern folgten, diefe Anficht vertreten, fie fuchen bie
Erfindungen von einem beſtimmten Erfinder wegzuleiten
und auf ein Unbeflimmtes zu führen, fo namentlich Jakob
Grimm die Erfindung der gothifhen Buchſtaben. Ber:
theidigen fie auch in dem Gebiete ber Sage und bed
Epos nicht, wie früher Mone, die rein mpthologifche An:
fiht, fo ift ihnen doch die Sage das Göttliche, welches
fih an die hiftorifhe That anſezt. 3. Grimm leug:
net wol mit Recht, daß die Erzählung von Tell's Apfel:
ſchuß mit ihren Nebenumſtaͤnden hiftorifche Wahrheit fei,
aber er behauptet zugleich, daß das gerührte Volk uralte
Sagen (wie die von Toko, Eigil, Adam Bell und von
Bellerophontes Söhnen) auf den Tell, der des Volks Liebe
zunaͤchſt lag, der mit Abel, Belus unb Apollon (Abelus)
den pfeilfendenden zu vergleichen, Übertragen babe.
Wenn wir nun nad) diefer Charakterifirung der bei⸗
den Richtungen fragen, was denn die wahre und richtige
Betrachtung und Austrudßsweife fei, Einer oder bie Ge⸗
fammtheit, Er oder Es, fo wird, wenn man nicht wie
Sanyo Panfa fragt, wer den Schlaf erfunden, die be:
flimmtere von Schtoffer gelegentlich vertheidigte Anficht die
richtigere fein. A. W. Schlegel fagt gegen die zweite Ten:
ben; wol mit Med:
Das Erhabene und Schöne kann nur ein Werk ausgezeich⸗
neter Geifter fein. Die Sage und vollsmäßige Dichtung wer
allerdings das Geſammteigenthum ber Zeiten und Völker, aber
nicht ebenfo ihre gemeinfame Hervorbringung. Alle Abweidhuns
gen ber Sage find nicht blos den Umwandlungen ber blinblings
wirkenden Zeit beizumeffen, wir ſehen in nicht wenigen die abs
fichtlichen Erfindungen eingelnee Dichter. Die Zabelkreife von
Karı dem Großen und Artus verbanfen einer volksmaͤßigen Über:
tieferung blos bie einfadhften Grundzüge, die reiche und mans
nichfaltige Ausbildung ift bad Werk freier Dichtung Man
darf den Begriff der Sage nicht auf romanhafte und unterhals
tende Erzaͤhlungen, nicht auf einzelne @leichniffe und Sinnbil-
der ausdehnen.
Nach meiner Meinung kann es Volkslieder in dem
Sinn, daß das Volk als Geſammtheit Urheber fei, nicht
geben. Eine Geſammtheit ald folche kann poetiſche The:
ten thun, nur nicht in Worten, nicht allitericende , aſſo⸗
nirende,, reimende und gemeffene Poeſien wie z. B. das
Hildebrandelied dichten, das thut Einer, und, wenn da$
Gedicht Werth haben folk, wie dunkel auch die erfte Con:
ception fein mag, nicht in unbemußter Traͤumerei, fondern
in bewußter Geiſteshelle. Volkslieder kann es aber in Dem
Einn geben, daß der Stoff des Liedes vor der Entſte⸗
bung der Form im Bemwußtfein der Gefammtheit war
und Einer diefem Stoffe Form gab. Es kann aber auch
der Stoff des Liedes von Einem gegeben oder erfunden
und nachher des Dichters Merk in den Glauben der Ges
fammtheit übergegangen fein, melde ſich der Bildung des
Einzeinen anſchloß. Der Dichter, deflen Werk dem Volt
bleibend gefallen, welchem das Volk feinen Glauben zus
wenden fol, muß vor feinem Thun ein treuer order
und Hörer fein, um Stoff und Ton richtig zu finden,
und darf ihm Peitho's Kunft der füßen, felbft die alten
Goͤtter gewinnenden Rede nicht fehlen. Nicht blos Volks⸗
lieder Eönnen fo von Einem ausgegangen und von der
Sefammtheit angenommen fein, fondern auch folche Sa:
gen, die nicht auf gemeinfamen Thaten und Ereignifien
ruhen, koͤnnen Erfindungen Einzelner fein, dem fich ber
Glaube Mehrer anſchloß. Ruht die Sage von Zell nidt
auf einem Schweizerereigniß, fo muß fie für die Schweiz
urfprünglic dad Werk Einzelner fein, dem fich der Glaube
Anderer fügte. Der Stoff der vom Volk geglaubten Sa:
gen kann wol eine Ddegeneritte oder corrumpirte Offenba⸗
eung fein, aber die Gorruption wird doch, wenn. aud
nicht gerade nachmeislich, von Einem oder Einzelnen ge:
heben fen. Man müßte fonft neben dem Geift der
Einzelnen und unter dem abfoluten göttlichen Geiſte noch
einen thätigen mittlern Geift annehmen. Von Manchem,
was jetzt ald Sage gilt und mas nah Vieler Meinung
in einer fagegläubigern Zeit allgemein geglaubt wurde,
wird wol ſchon in früherer Zeit das Wort, welches fi
tief im Volksleben feflgefegt haben foll*), „wer meiß,
obs wahr iſt“, angewandt -morden fein. Wird ja doch
*) Bechſtein's Mufeum, II, &. 303: „„Aufmerkfame MWeob-
achter bes Volkslebens finden Leicht, wie tief eindringlich ſich im
ihm gewiffe oft ganz alltägliche Begriffe und Redensarten fe:
feßen. Cine ſolche Rebensart ift auch die Frage: wer weiß,
ob's wahr iſt?“ Bon »iefem angeblichen Zöpfer: und Bolke—
ſpruch wird dert auch ringe Gage mitgetheilt.
431 0
nit Ales, was man gern bat und nur in einer bes | Gaspard de la nuit, fantaisies a la maniere de Rem-
ſtimmten Form hören mag, darum geglaubt? Wo es an
gleichzeitigen Variationen nicht fehle, wie bei der Sage
von der Helena u. a., da kann man wol den &toff nicht
als allgeglaubtes Factum anfehen.
Wenn Manche jest von einer Thierſage und gar ei:
ner deutfchen Thierſage fprechen, wei kaum ein Lehrbuch)
der deutfchen Literaturgefchichte ohne Zhierfage iſt, fo-
fcheint mir das ein Irrthum. Soll der Begriff der
Sage nicht ganz vage verſchwimmen und verſchwinden,
foll fie eine Darftellung volksmaͤßiger, im Volke geglaubter
Vorſtellungen und Anfichten von menſchlichen und gött:
lichen Dingen fein, fo kann Xhierfabel nicht Thierſage
beiten. Was man Thierſage nennt von Wolf und Bär
u. f. w. wird fih nicht als vollsmäßiger Glaube nad
weifen laſſen. Sind in dieſem Gebiete gewiſſe Ausdrucks⸗
weifen typiſch gewefen, fo wuͤrde man andere Darftellun:
gen vom Xreiben der Thiere, wenn nur thiermahr, nicht
als von der Wahrheit abroeichend betrachtet haben, wenn
man auch die gewohnte Darſtellung mehr liebte.
In der Politit, um noch eins der erwähnten Fächer
fpeciell zu beruͤckſichtigen, hilft freilich ein Auffchreiben und
Eeftfegen Deflen, was gelten fol, nichts, wenn Diejenigen,
für welche es Gültigkeit zu behalten hat, das Gefegte
‚nicht fefthaften wollen, nicht die Kraft haben, es zu wol:
len, das Gefchriebene ihnen ein Fremdes bleibt. Verfaſ⸗
fungen, die Beſtand gehabt haben, find gewiß nicht belie:
big ohne Grundlage des Gegebenen gemacht werben, aber
fie haben fi nicht gemacht, fondern find gemacht worden
und nicht ohne Zuthun hervorragender einzelner Geifter.
Bei neuen Einrichtungen, die bleiben follen, muͤſſen die
Schöpfer derfelben die gegebenen Verhaͤltniſſe, die vorhan:
denen Kräfte beachten. Nach der unbellimmten Zendenz
Eönnte es gar Beine rathgebende Politik geben, der Menfch
müßte ohne Schuld und ohne Verdienft den Geftaltungen,
ich weiß nicht welches Geiſtes zufehen und ihn fchaffen
und walten Laffen. Die Menfchen erfcheinen nach der
Estendenz als fungibel, wie die Juriſten Died nennen, der
eine gilt fo viel wie der andere, die Anziehungskraft, das
Anfeussn, Begeiftern, Gewinnen, Glaubenverbreiten, Be:
herrſchen des Einzelnen duch Blid, Wort und That ver-
fhwinden vor dem Geift der Geſammtheit, der nicht ein
Dhantafieerzeugniß, fondern wie eine gewaltige Perfon in
feinem dunkeln Thun die SIndividualitäten erflidt. Die
Dinge entwickeln fich, geftalten ſich, Sage und Epos bilden,
der Menſch if ein paffiver Zufchauer des Keimens, Wach:
fens, Gruͤnens und Verwelkens der in Wahrheit menſch⸗
lichen Ereigniffe, nicht pflanzlicher Erzeugniffe.
Die Theologie ift nicht ausdrüdlid genannt worden,
es ift aber befannt genug, tie durch liberttagung der Sa:
genbildungsanficht auf dieſes Gebiet auch hier von Meh:
ren angenommen wird, die Gemeinde habe die Doymen
gedichtet. Vielleicht Liegt der Schlüffel der Erfcheinungen
der Estendenz in dem Wiederaufleben der Spinoziftifchen
Philoſophie. 52.
brandt et Callot, par Louis Bertrand, precede d’une
notice par Sainte- Beuve, Paris 1842.
Diefes poeſiereiche Werkchen ift nicht etwa, wie der Titel
vermuthen laflen könnte, eine Nachahmung der Hoffmann'ſchen
„Phantafieftüde in Callet's Manier’, die in Frankreich unzäh:
lige Copien ins Leben gerufen haben. Nein, biefe Eleine Did:
tung ift mehr als eine bloße Nachahmung, und wir halten es
für unfere Pflicht, nicht blos um ihres poetifchen Gehalte, fon-
dern auch um ihrer literarbiftorifchen Bedeutung willen darauf
aufmerlfam zu maden. Diefes nachgelaſſene Werk eines jungen
Dichters, der in der Blüte feiner Jahre und bevor ſich noch
alle feine Keime entfaltet hatten, geftorben ift, kann als eine
verfpätete Blüte des poetiſchen Frühlings angefehen werden,
ber ſich vor der Julirevolution entfaltet hatte.
Louis Bertrand gehörte mit Leib und Seele zu der romans
tiſchen Schute, bie eine Reformation der franzöfiichen Literatur
in Haupt und Gliedern anfündigte und deren großer Einfluß,
wenn auch nicht alle ihre Verfprehungen in Erfüllung gegans
gen find, ſich nicht flreitig machen laͤßt. Wir wiſſen indeffen
nicht, ob er ben Haͤuptern feiner Schule auf allen ihren Irr⸗
fahrten treu geblieben fein und ob er ſich in der zerfahrenen
Romantik gefallen haben wuͤrde, durch die einige derſelben Auf:
fehen zu erregen ſuchten. Sein Wert trägt zwar alle Spuren
ber Zeit und Richtung an fi), aus der es Kervorgegangen ift
bleibt aber im Allgemeinen von jeder Übertreibung frei. Cs if
fozufagen im Stile einer milden und gemäßigten Romantik
geſchrieben, ſodaß es intereffant ift, daffelbe mit den bizarren
Probuctionen bes Königs der Romantiter zufammenzuftellen.
Der Berf. gehörte zu der zahlreichen Tlaſſe junger Poeten,
deren Bruſt voll, deren Beutel aber leer ift und bie ihre ſchoͤ⸗
ned Zalent nicht auszumuͤnzen verftehen. Er würde e8 gewiß
nicht fo weit gebracht haben als der inbuftrielle 4. Dumas
und andere feiner Genoſſen aus ber romantifchen Echule her,
die jegt in folgen Caroffen rollen. Und ex hat e8 auch in der
That nicht weit gebracht. Wir fehen aus der intereffanten bios
graphifchen Notiz, die Sainte = Beuve dieſer Ausgabe des
„Gaspard de la nuit“ beigegeben bat, baß der talentvolle
Louis Bertrand, von herben Enttaͤuſchungen entmuthigt, von
Noth und Elend gebrüdt, in den unfreundlichen Raͤumen eines
Hoſpitals geftorben if. Gr bat alfo das jämmerlidhe Loos He—⸗
geſippe Moreau’s getheilt, der auch im Kampfe mit den uners
bittlihen Anfoderungen des Lebens untergegangen ift.
Sein Werk beftept aus mehren Eleinen Bildern, bie alle
mit der unefplichften Sorgfalt und bis in bie Erinften Striche
ausgemalt find. Der Stil, in dem es gefchrieben ift, verräth
eine gewiffe Künftelei und ift ſehr gefeilt, wie denn überhaupt
die romantifhe Schule, fo fehr fie auch gegen die Vorliebe bes
clamirte, mit der die Elaffiker die Form ihrer Dichtungen hät:
ſchelten, doch viel auf Einkleidung der Gedanken hielt. Der
Verf. gefaͤllt fi in kunſtreich gewendeten Perioden, bie zum
Theil überlaben find und die wie der Stil V. Dugo’s in feinem
„Notre-Dame” an die bunten Zierathen ber gothifhen Baus
art erinnerten. Die Phantafie des Dichters ſchwelgt in ben
ritterlihen Zeiten des Mittelalters, und einzelne der kleinen
Lieder, die mitunterlaufen, erinnern weniger an bie Romantif
Hugo's, Dumas’ u, A. ald an die duftigen Ergüffe der deut⸗
fen Romantik. Überall barf man aber nicht aus dem Auge
verlieren, daß diefe Heine Schrift vor dem 3. 1830 abgefaßt
ift, und daß der Berf., der 1807 geboren war, gewiß nody et:
was ganz Anderes geleiftet haben würde, wenn ihn ber Tod
nicht fo früh mweggerafft hätte. 6.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Schriften über die franzdfifhen Kolonien.
Die immer welter um fich greifende Macht dev Englaͤnder
in Afien und befonders ihre Erfolge in China, deren‘ Wichtige
452
keit n e nicht zu berechnen iſt, erregen auch in den Fran⸗
zoſen nen, ihren überfeeifhen Solonien eine größere
Ausdehnung zu geben. Man bat mit Hecht bemerkt, daß der
Franzoſe im Allgemeinen zur Golonifation nicht beſonders beru⸗
fen zu fein fcheint. Won allen ihren fruͤhern KBefigungen im
Auslande ift ihnen im Ganzen wenig geblieben. Die franzöfis
ſchen Golonien find für das Mutterland von keinem großen &r:
trage und fie gedeihen bis jegt nur kuͤmmerlich. Vergeblich bat
man felt einiger Zeit alle möglichen Plane entworfen, um ihnen
einen neuen Aufſchwung zu geben. Es fcheint ein Wurm an
ihnen zu nagen, den man noch nicht zu zerftören vermocht hat.
Bei diefen neuen Verſuchen, der Golonifation eine größere Auss
behnung zu geben, bat man feiner Wichtigkeit wegen befonderd
Guiana im Auge gehabt. Die franzdſiſche Regierung fcheint
jest den beften Willen zu haben, dieſe Golonie zu heben; vers
ſchiedene Plane find entworfen und geprüft, und mehre der ad)
—— — — Gelehrten Frankreichs haben die Hand zu die⸗
ſem patriotiſchen Unternehmen geboten. So haben wir in neuer
ſter Zeit mehre intereffante Werke, die zum Theil felbft für bie
Wiffenfchaft nicht ohne Imterefie find, über den Theil von
Guiana erhalten, der Frankreich gehört. Sehr beachtendwerth
war eine Kleine Brofchäre von Jules Lechevalier, ber feine Beob⸗
achtungen an Drt Stelle gemacht hat. Sie ift im vorigen
Sabre erfohienen und führt den Zitel „Notice sur la fonda-
"tion d’une nouvelle calonie dans la Guyane francaise”. Wich-
tiger indeffen ift eine „Notice historique sur la Guyane fran-
gaise”', welche der befannte Geograph Ternaur⸗-Compans
jegt bei Didot erfcheinen laͤßt. Der verdbienftvolle Verf. ent
wirft eine vollftändige Geſchichte diefer Eolonie, weift mit gros
zer Sachkenntniß nach, welche Fehler man bisher bei der Colo⸗
nifisung begangen bat, und gibt zu gleidyer Seit einige Finger:
eige, die koffentlich nicht verloren fein werden. Am Schluſſe
eines intereffanten Werkchens gibt er eine vollftändige Biblio⸗
graphie, in der alle Schriften, die dieſe Colonie betreffen, aufs
gezähtt werben. Die Zahl derfelben beläuft fich auf 106 Rum:
mern. Ternaux⸗Compans, beffen Verdienſte um die Gefchichte
der Geographie wir in d. Bl. bereits zu wiederholten Malen
erwähnt haben, Eennt Amerika aus eigener Anfchauung Gr
bat es in verfchiedenen Richtungen durchſtreift. Die „‚Annales
des voyages‘‘, deren vorzüglichfter Herausgeber er mit Eyries
iſt, haben bereits einen Theil feiner Reifebeobachtungen gebracht,
und wir haben gewiß noch mehre wichtige Werke über Amerika
von ihm zu erwarten. Gluͤcklicherweiſe iſt Ternaux⸗Compans
in einer Lage, die ihm erlaubt, bei feinen Werfen mehr auf den
innern Werth, als den Gewinn, ben er von ihnen haben Eönnte,
zu fehen. Er gehört zur Bamilie des befannten Zernaur, ber
fih durch feine großen induftriellen Unternehmungen, befonders
während der Neftauration bekannt gemacht bat. Compans iſt
der Name ſeiner Frau, dem er den ſeinigen hinzugefuͤgt hat.
Weichen ſchoͤnen Gebrauch er von feinem bedeutenden Vermoͤgen
macht, fiebt man an ber Herausgabe der bändereichen Samms
lung alter Reifewerte über Amerika, bie er auf eigene Koften
unternommen bat. Zu bedauern iſt, daß ein Mann wic Ter⸗
naurs Sompans, der das Deutfche fo ohne allen fremden Accent
fpricht, daß man ihn für einen geborenen Deutfchen nehmen
tönnte, nicht auch zuweilen über Deutſchland ſchreibt, mit def
fen Berhältniffen er noch von Göttingen her, wo er flubirt hat,
genau bekannt ifl. Da wir bier einmal mehrer Werke gedacht
baben, welche die franzoͤſiſchen Golonien betreffen, fo wollen
wir auch gleich noch bemerken, daß die Befignahme dev Mar:
quefasinfeln, die vor kurzem flattgefunden hat, bereits eine
ganze Schar von WVefchreibungen, Karten und illuftrirten Wer:
ten hervorgerufen hat. Von diefen Gelegenheitsfchriften verdient
„ ties marquises vu Nouka -Hion’ von Dumoulin und
Despaz” (Paris 1843) befondere Beachtung.
Die franzöfifhsruffifhe Allianz.
Die Allianz mit Rußland findet in Frankreich feit einiger
Zeit immer eifrigere Verfechter, fowol auf der Tribune als in
voraus hat.
der Preffe. Wir haben vor kurzem in d. BL einer Schrift ex:
wähnt, in ber bie gegenfeitigen Vortheile einer ſolchen Berbin⸗
dung ausfuͤhrlich beleuchtet werden. Diefelbe rührte aus ber
Feder eines „Unbelannten’’ ber, ber zuvor ein Werk über Preu:
fen hatte erfcheinen Laffen. Gegenwärtig erhalten wir nun noch
ein Werk, welches demfelben Gegenftande gewidmet if. Sein
Titel lautet: „La France et la Russie. Avantages d’une
allianoe entre oes deux nations“, von Eugene Quesnet und
%. von Santenil (Paris 1843), Das Bud ift geiſtreich ge
ſchrieben und fcheint auf guten Beobachtungen zu beruhen.
» Gefhihte der „Rachfolge Chriſti“.
Michelet widmet in feiner „Histoire de France” ber ‚„Imi-
tation de Jösus’ ein fchönes Capitel. Er ‚beleuchtet in dem⸗
felben die verfchiedenen Anfichten über den muthmaßlichen Berf.
diefer berühmten Schrift, und flüst ficy babei namentlich auf
die gehaltreiche Abhandlung von Gence. Gegenwärtig erhalten
wir ein neues Werk, in dem biefelbe Literarhifterifche Frage
aufs neue behandelt wird. Es führt den Zitel: „Histoire
l’Imitatioa de J&sus Christ et son veritable auteur, par le
chevalier de Gregory” (2 Bbe., Paris 1843). Auch ber Verf.
diefer Schrift neigt ſich zu der Anfidht, dab Gerſon ber wahr:
ſcheinliche Verſ. der „Imitation‘ fei, und ſtuͤttt ſich dabei auf
Gründe, bie viel für fidh haben. -- 2
Erflärung.
In Nr. 9I— 93 d. BL. befindet fi ein Auffag über die
„Politiſche Literatur der Gegenwart in Deutfchland”, in weichem
au die „Saͤchſiſchen Vaterlandsblaͤtter“ erwähnt werden und
mir eine Beziehung zu denfelben gegeben wird, gegen bie id
um fo mehr mid erklären muß, als ähnliche unrichtige Angas
ben in verfchiedenen deutſchen Zeitungen bereits enthalten wa:
ven. Es heißt nämlih 1): Bünther fei feit biefem Jahre no⸗
mineller, ip factifher Redacteur des Blattes. Dies iſt
burdaus unwahr. Meine frühern Beziehungen zu dem
Blatte bedürfen feiner weitern Erdrterung; aber feit dem 1. Nov.
v. 3. ift Günther wirklicher, nidyt nominefer Redacteur und
ih bin ein Mitarbeiter des Blattes, der vor Anderen gar nichts
Wahriih, man muß von ben zahllofen Aunehm:
lichkeiten einer Redaction bei unfern Preßzuftänden gar keinen
Begriff haben, wenn man behauptet, ein Mann von Geift,
Gefinnung, Charakter und Selbſtaͤndigkeit koͤnne die verant-
wortlihe Puppe bei einem Blatte fpielen, das von allen beut:
ſchen Zeitungen am wenigften auf Roſen gebettet ift. Dann
wirb 2) der Umſtand beſprochen, daß das fächfifche Minifterium
mir die Gonceffion zur fernern Herausgabe der „Vaterlande⸗
blätter'‘ (die ih von Hrn. A. Schäfer kaͤuflich erwerben wollte)
verweigert hat, und biefe Verweigerung unpolitifch, umaereit,
wenig dankbar und eine Animofität genannt. Auch bies tft un:
richtig ‚und ungeredt. Man mag bie Zuflände beffagen und
betämpfen, unter denen bas Werben und Beſtehen des Zout:
naliften von der Gnade, von der Laune eines Minifters abs
bängt, während alle anbern Staatsbürger ein Recht baben,
ih ihre Beſchaftigung zu wählen und auszuüben, wozu fie ber
fähigt find. Aber die Zuftände find fo, und ber Miniſter,
der eine Gonceffion mit ober ohne Gründe verweigert, übt nur
eine ihm zuſtehende Befugniß aus. Ob das „politiſch“
ift, mag unerörtert bleiben; aber von „Ungerechtigkeit und Ani
mofität” kann wol nicht bie Rebe fein. Ich glaube, daß bie
Entfheidung unfers Minifteriums auf einem Irrthume, auf
einer falfchen Anficht meiner Stellung zum Blatte berubte;
aber das Minifterium braucht auf die Beſeitigung dieſes Itr⸗
thums nicht einzugehen und idy habe daſſelbe nicht weiter damit
behelligt. Daß die Verweigerung nicht gegen das Blatt ge-
richtet war, beweift die fpätere Conceſſionirung des jehigen
Verlegers. So viel zur Steuer der Wahrheit.
Leipzig, 9. Aprit 1843.
Robert Blum.
Verantwortlicher Deramdgeber: Heinrih Brodhaus. — Drud und Werlag von J. A. Brodhausß in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung,
Franz; Paffomw’s Vermiſchte Schriften. Herausgegeben
von W. A.Paffow. Mit zwei li hirten Ta⸗
feln. Leipzig, Brockhaus. 1843. Gr. 8. 2 Ahlı.
Es ift jegt ein nur zu gewoͤhnliches Berede der Me:
dernen, die alte Philologie gering zu achten und die Weis⸗
heit und Kunſt Griechenlands und Roms weit unser die
der Gegenwart zu fließen. Die Philologie, fagen fie, fei
nur ein zechrödeltes, lexikaliſches, grammatiſch⸗s, hiſtori⸗
ſches und amtiquariiches Willen, fie ſei nicht viel mehr
a8 Dandlangerarbeis für weit wichtigere Beftsebungen
dee Menichheit und die Zeit hoffentlich nicht fern, wo
man ihrer würde ganz entbehren koͤnnen. Was num das
Letztere anbetrifft und die gefliffenelich hernorgeruſene Spal⸗
tung zwiſchen der altclaflifchen und deutfchen Literatur,
hie eigenslich nur Unwiſſenheit ober uͤbelverſtandener Pas
triptismus wollen ann, fo bat gegen folche Ultras ber
echt deutſche Mann, Jak. Grimm, unläng am 24. Febr.
das vollwichtigfte Zeugniß abgelegt, indens er der ſtudi⸗
senden berliner Jugend bie claffifchen Studien ale die
Grundlagen umferer Bildung auruͤhmte.
Sie zeigen — ſprach ee — uns immer bad einfach Menſch
liche, zu ihnen kehren wir immer wieder, wenn wir uns an dem
reinen Schönen erfreuen wollen. Die claffifhen Studien koͤn⸗
nen nie verdrängt, ihre Werth Toll nie verringert werden. Das
tubium bes deutfchen Alterthums will fle auch nicht verbräns
gen; es will nur eintreten in das Recht, das ihm gebührt, und
den Platz wiebergewinnen, aus dem es pertrieken ift.
Nun aber iſt es auch die Aufgabe der heutigen Phi:
(ofpgie, durch Wort und That ebenſo gut dahin zu wis
ten, daß ihre Wiſſenſchaft nicht verflacht werde, ale daß
fie fi nice in ſtarrer Abgefchloffenheit halte, ſondern
daß fie die Gegenwart in ſich aufnehme, fie befruchte
und ihr den Geift überliefere, der in ben lebensvollen
Schöpfungen des claffifhen Alterthums, in diefen Wer:
ten aus der Tugend der Menfchheit, uns entgegenwehr.
Dean mit Recht hat Ranke (mir nennen einem Hiſtori⸗
fer, keinen Philologen vom Fache) «6 als ein univerfal:
hiſtoriſches Ereigniß bezeichnet, daß die Melignien des Al:
terthums in fo weiten Kreifen verbreitet, ſtudirt und
nachgeahmt morden find. („Deutſchlands Geſchichte im
Zeitalter der Reformation‘, I, 283.)
Eine ſolche Richtung, wie wir fie foeben bezeichneten,
ift aber feit dem Anfange diefes Jahrhunderts unter den
deutfchen Philologen fichtbar gemwefen, und biefe haben in
Fr. Jacobs einen fo ruhmmeirdigen Vertreter derſelben
aufzuweiſen wie kein anderes Land, fo groß ti die Kennt
niß des edeln Greiſes von griechiſchen und roͤmiſchen Zus
ſtaͤnden, ſo echt ſeine Humanitaͤt, ſo bedeutend ſeine
Meiſterſchaft in deutſcher Rede und Schrift. An ihn
haben ſich Manſo in verſchiedenen Abhandlungen, Thor⸗
lacius in feinen poyulaiten Aufſuͤtzen über das Alter
thum, sh in den „Ferienſchriften“, A. ©. Lange ſowol
durch das lebendige Wort feiner Lehre als durch einzelne
Auffäge u. A. angefchloffen, namentiih hat Boͤctiger
durch die Verſtreuung feiner veichen Gelehrſamkeit im
eigenen Schriften und in ſolchen Journalen, die fonft
der Philologie nice zugäuglih waren, bem Alters
thume vielfach genügt. In einer ſoichen Reihe darf abes
am wenigſten der Name bed Mannes vergefien fein,
deſſen „Vermiſchte Schriften” jegt vor uns liegen. Frans
Paſſow war einer der trefftichfien Philologen unſers Jahr:
bunderts, ein Maun vol Leben, Kraft, Keuer und Wahr⸗
beit, ein ausgezeichneter akademiſcher Lehrer, ein inmiger
Freund des deutſchen Vaterland unb warmer Berehrse
feiner großen Schriftſteler. Ohne bier das gebührende
Lob feines geiechifchen Woͤrterbuchs, dieſes echt deutſchen
Werks vol Geiſt und Fleiß, wiederholen zu wollen, fo
befaßen wir fchom in feinen Leinen fateinifchen Gchriften,
welche Bad) im J. 1835 berausgab, ein ſchoͤnes Denk⸗
mal ber großartigen Anficht, die im Alterthume nichts
Zodtes und Abgefchloffenes, ſondern Leben und ewige
Blüte fuchte und fand. Wie ſich num diefe Anfiche mit
deutfher Gefianung und mit bes geiftigen Intereſſen bes
neuern Zeit verſchwiſtert hat, lehren und Paſſow's ge:
fammelte deutfche Schriften, die uns das frühe Abſchei⸗
den deffelben, auch noch jetzt nach zwoͤlf Jahren, aufriche
tig und innig beflagen laffen.
Wir verdanken diefe Herausgabe der deutſchen Schrifs
tem dem Sohne des Verſtorbenen, Herrn W. A. Paſſow,
Lehrer am herzoglich ſaͤchſiſchen Gymnaſium zu Meinin⸗
gen, und erkennen gern feine treue und nicht leichte Mih⸗
waltung bei der Anordnung derſelben. In dee Vorrede
ſchüdert er zuerſt die doppelte Egenthumlichkeit feine®
Baters, einmal daß ihm die Alterthumswiflenfchaft, bee
er fein Leben gewidmet hatte, nicht ein in ſich gegen alle
Außenwelt abgefchiofienes Gange war, fonbern daß fie
ibm deshatb ale die Krone aller Wiſſenſchaften galt,
4
weit Eeine im gleichen Grade bildend auf das Gefammt:
leben einzelner Menſchen wie ganzer Völker einzuwirken
fähig ift, weil fie dem Sinne für alles Wahre, Schöne
und namentlih für Recht und Baterland die ficherfte
Grundlage bildet. Zweitens aber hatte ihn diefe begeifterte
Liebe zum Alterthume nicht zu einem Veraͤchter der neuern
Zeit und ihrer Leitungen werden laſſen, meil er überall,
dort wie bier, nur das allgemein Wahre und das ewig
Schöne fuhte und fhäßte, daher auch überall Parallelen
zwiſchen dem Älteften und dem Neuern zu ziehen oder doch
anzudeuten pflegte, um das Alte richtiger und leichter zu
veranfhaulihen, namentlich griechifche und deutfche Volks⸗
thuͤrlichkeit, griechiſche und deutſche Dichtkunſt nebenein:
ander zu ſtellen liebte. Hieran knuͤpft nun ber Verf.
eine Überfiht von Paflow’s geiftiger Eigenthümlichkeit
in geſchichtlicher Folge. Eine eigentliche Biographie zu
ſchreiben, erſchien Hrn. Paſſow unnöthig, weil die von
Wachler 1839 berausgegebenen Briefe Paffow’s ein reis
des und vollfiändiges Wild feines Innern Lebens geben,
überdies find auch von Bach in der ‚Allgemeinen Schul:
zeitung”, 1333, II, Mr. 40, von Eckſtein in Exrfcy:Gruber’s
„Encyklopaͤdie“ und von Ludw. Wachler in deffen „Bio⸗
graphifchen Denkmalen“, I, ©. 331-— 344, ausführfiche
Nachrichten über Paſſow's Leben mitgerheilt worden. Auch
mochten wol, da er felbft in den legten Jahren des Ba:
ters, von demſelben entfernt, auf einer auswärtigen Schule
feine Bildung empfangen hatte, feine Erinnerungen nicht
gleichmäßig fiher fein als die der mit feinem Water eng
verbundenen Männer. Nichtödefloweniger wäre aber doch
wol die Hnzufügung der biographifhen Skizze von
Paſſow's eigener Hand in Nr. 93 d. Bl. f. 1833 oder
aus bem „Sonverfationsleriton der neueften Zeit und Kite
ratur” zweckmaͤßig gewefen, der fi dann eine forgfältige
Nachweiſung alles Defien, was uͤber Paſſow von Freun⸗
den und Schuͤlern in verſchiedenen Journalen und Pro:
geammen, zuletzt (1840) von Mönntch in der „Jugend⸗
und Bildungegefchichte berühmter Männer und Frauen”,
gefchrieben worden ift, hätte anſchließen koͤnnen. Die
Herausgeber nachgelaflener Schriften dürfen fih nah un:
ferm - Dafüchatten einer ſolchen Zufammenftellung zum
Nugen der Literatur nicht entziehen, wie ed, um nur ein
Beifpiel anzuführen, in den von Weider und Müller
herausgegebenen Schriften Diſſen's gefcheben iſt.
Die flatt der biographifchen Nachrichten gegebene
Üserfiht vom Paſſow's geiſtiger Thaͤtigkeit nehmen wir
mit Dank an. Sie beginnt mit dee Schilderung feines
atabemifchen Lebens in Leipzig, wo viele Lefer gewiß gern
aus Linge's nach Form und Inhalt ſchaͤtzbarer Schulfchrift
„De Franc. Passowii in academia Lipsiensi vita et
stadiis’’ (Hirſchbera 1839) einige Nachträge gefunden bas
ben würden, um fo mehr, da biefe Abhandlung wicht ei:
wem Seden zu Gebete ſteht. In Weimar (1807 — 10)
omtfaltet Paſſow ale Gymnaſiallehrer ſchon die gange Le:
beudigkeit und Tüchtigkele feines Weſens, woruͤber einer
feiner ausgegeichnetfien Seller, W. E. Weber in Bre⸗
men, in der ‚Allgemeinen Schulzeitung“, 1831, II,
Mr. 2, im Gefühle der dankbarfien Rüderinnerung aus
vollem Herzen gefprodhen hat und worhber außer andern
Briefen die Briefe an Knebel (im zweiten Theile von
befien ‚ Literarifhem Nachlaß und Briefwechſel“) ein vol:
gültiges Zeugniß ablegen. Beide Stellen hat Hr. Paſſow
nicht angeführte. Während feiner Amtsführung in Jenkau
(1810 — 14) leitete den WVerftorbenen befonder® die An⸗
fiht von der Wichtigkeit der alten Sprachen für bie
deutfche Jugend, indem der auf Deutfchland noch ohne
Ausfiht auf Errettung laftende Drud der Fremdherrſchaft
die Erzieher der heranwachſenden Gefchlechter verpflichtete,
mehr als je auf tüchtige Begründung einer vaterlänbi:
fhen Gefinnung bedacht zu fein. In Breslau begann
fett 1815 Paſſew's fegensreiche akademiſche Thaͤtigkett,
die der Sohn nad ihrer doppelten Richtung ſowol auf
Foͤrderung der Alterthumsroiffenfchaft in ihrer ſtrengften
Form als auf Verbreitung ihrer Refultate in einem mei:
tern Kreiſe gebilbeter Männer dargeftellt bat, ebenfo Paf:
ſow's rege Theilnahme an ber Journalkritik (die von
Paſſow verfaßten Recenfionm find feit 1815 forgfältig
verzeichnet) und feine Beſchaͤftigung mit den bildenden
Künften des Alterthums. Wie fehr ihn die oͤffentlichen
Verhaͤltnifſe Deutſchlands In Anſpruch nahmen, ift eben:
fous nicht übergangen, bie Turnſache, urtheilt der Her:
audgeber, um die fi) zunaͤchſt der Kampf entfpann, war
nur die aͤußere Veranlaſſung, im Grunde handelte es
fih um weit allgemeinere und höhere Fragen. Die Mit:
theilung ber von Paſſow damals verfaßten Streitfchriften
ift aber aus Leicht begreiflichen und lobenswerthen Grün:
den in diefer Sammlung ebenfo wol unterblieben ale in
dee im vorigen Jahre erfchienenen Sammiung von Nie:
bubr’s. nichtphilologiſchen Schriften. „Wan muß fih
fteeiten können‘, fagte ber ebengenannte große Mann
(‚, Zebenenacdhrichten , III, 212), , wenn eine Meran:
laffung «6 nothwendig wacht, aber es muß auch ver:
fliegen wie ein gefprodgenes Wort. So geht es in freien
Staaten unter den Rebnern, fo muß e6 auch in ber ge:
lehrten Republik fein.”
Segen die Anordnung ber vorliegenden Sammlung
iſt nichts Wefentlich:s einzuwenden, wir finden fie dem
Zwecke des Herausgebers angemefien, baf fein Buch nichts
Neues leiften, fondern Vorhandenes vereinigen, erhalten
fol und dadurch das Andenken eines ausgezeichneten Kaͤm⸗
pfers für die Wiſſenſchaft fihern und ehren. Demnad
find alſo die Auffäge ganz fo abgebrudt, wie fie Paſſow
gefcgrieben hatte, und nur hier und ba finden ſich einige
Berwelfungen auf Paffew’s ‚Leben und Briefe’, meift
zur Berfländigung von perföntichen Vechättniffen. Den
Rath ‚‚befreumdeter und gewichtiger Stimmen”, daß ber
Herausgeber in die einzelnen Abhandlungen ,, möglich
vollſtaͤndig nach⸗ und hineinarbeiten“ follte, verwarf er
feinem Plane gemäß. Nun konnte auch eigentlich Mie
mand von ihm fodern, daß er 3. B. bei Nr. IT ade
verfchiedene Meinungen über Tacitus’ Germania” auffühs
ven oder bei Nr. VII die Anfihten nah Paffow tiber
die Demagogie in Griechenland prüfen oder in Nr. XII
und XIV die Literatur des Tibullus neu durchgehen ſollte,
aber wir fehen nicht ein, warum bei einzelnen Auffägen
455
(die wir nachher bezeichnen werden) kurze literarifche Nach:
träge eine „fo armfelige Role‘ gefpielt haben würden,
wie fie Hr. Paſſow die Herausgeber ‚‚mehr als einer,
an fich ſehr werthvollen Sammlung” fpielen läßt. Ob:
ſchon wie nicht wiſſen, welche Sammlungen der Heraus⸗
geber im Sinne gehabt hat, fo können wir ihn body
aus einiger Bekanntfchaft mit bergleihen Arbeiten ver:
fihern, daß ſolche kurze Nachträge, welche die Literatur
zu vervollſtaͤndigen und zu ergänzen beabfichtigten, von
urtheilsfaͤhigen Richtern Beineswegs für „eingeftreute und
angeflickte“ Nachträge gehalten worden find, fondern daß
man ben SHerausgebern es nur zum Lobe angerechnet
bat, daß fie thaten, was jene Verf. bei längerm Leben
und nochmaliger Bearbeitung Ihrer Auffäge ſelbſt gethan
haben würden.
(Der Beſchluß folgt.)
Chronik des edlen En Ramon Muntaner. Aus dem
Catalaniſchen des 14. Zahrhunderts überfegt von K.
Fe. W. Lanz. Zwei Theile. Leipzig, Engelmann.
1842. Gr. 8. 3 Thlr. 264 Nor.
She Gervinus („Grundzüge der Hiftoril‘) auf die Bedeut⸗
famteit der Shronif von Don Ramon Muntaner binwies, mochte
diefelbe in Deutſchland nur wenigen Sreunden ber ðeſchichte
bekanat fein, wiewol die Hinderniſſe, weiche das Verſtaͤndniß
des catalaniſchen Dialekts abgab, feit 1827 durch die von Bus
chon gebotene überſetzung ins Franzoͤſiſche beſeitigt waren. Seit⸗
dem bat ſich die Aufmerkſamkeit in groͤßerm Maße dem Ehro⸗
niſten zugewendet und man darf vieleicht mit einigem Grunde
annehmen, daB ber Lefer bie vorliegende UÜberfegung der Hindeu⸗
tung in dem obengenannten Büchlein verdankt. Geitben wir
aber auf diefe Weile eine allen Anſpruͤchen der Billigkeit genü-
gende Übertragumg ind Deutfche erhatten haben, mit welcher
die etwas flatterhafte Arbeit Buchon's ſich nicht meſſen kann,
laͤßt fi annehmen, daß man fid in Deutfchland raſch mit
Muntaner’s blungen befreunden wird. Wer in biefen Bluͤ⸗
tenwald ſpaniſchen Lebens vom Anfange bes 13. bis zum An:
fange bed 16. Jahrhunderts einmal bineingebtidht hat, wirb
fih zu allen Zeiten zu demſelben zuruͤckgezogen fühlen. Die
Tiefe der Anfchauung in Liedern und Romanzen, die flolze Rit⸗
terfichleit, verbunden mit dem Berfenken in die Myfterien des
Glaubens in Chroniken und Erzählungen, der Geift der zarte⸗
ſten Romantit und der finnigften Speculation, ber über die Ers
zeugniffe jener Zeit feine Flaͤgel breitet — das Alles zieht ben
Lefer unwillkuͤrlich wie in einen Bauberfreis hinein. So wurde
der Amerilaner William Prescott (‚History of the reign of
Ferdinand and Isabella”) von dem Reichthum ber Erſcheinun⸗
gen im fpanifdgen Erben getragen, flatt fig ihrer ordnend und
geftaitend zu bemädhtigen, unb ben den neueften Richtungen des
Liberalismus in Madrid und Barcelona angehörenden Marliani
(„Histoire de l’Espagne moderne”) flieht man wider Willen zu
den poetifcyen Gebilben feiner neuen Heimat in Zeiten zuruͤck⸗
ehren, die den politifchen Weflrebungen der Gegenwart ſchroff
berſtehen. In Muntaner aber iſt Ritterlichkeit, begei⸗
e Liebe fuͤr ſeine Heimat, Drang nach Thaten, feine Sitte
den Frauen gegenuͤber, Zobeötreue für das Fuͤrſtenhaus und zus
gleid die um ittene Entwickelung felbfländiger Freiheit des
Mannes erquicklich miteinander vereinigt ;_ eine Geſundheit der
Anfdjauung, die mit fo manchen Eranten Biflonen oder tenbens
iöfen Schilderungen und bürren oder fpröben Erzählungen neues
—* Zeit den —— * Gegenſatz bildet.
liter Muntaner’s Leben. befigen wir nur fpärliche Radrid-
ten. Geboren 1265 ie Peralada, einem Flecken der Grafſchaft
Ampuries in Gatalonien, eines Gaſtwirthe Sohn, verlieh er,
20 Jahr alt, die Heimat für immer, meiſt mit dem Schwerte
umgärtet, an Kämpfen zu Land und Meer gegen Mauren und.
Zürten, Griechen, Provencaten und Reapolitaner Theil neh:
mend. Als er 60 Jahre zählte, begann er, 1325, feine Chro⸗
nie. Er kennt die heilige Schrift gründlich, ift mit Legenden
und Ritterromanen befreundet, zeigt ſich überall von der Goͤtt⸗
lichkeit des Shriftentbums durchdrungen, ohne deshalb den Lob:
redner jedes Zonfurioten abzugeben. Als Unterthban des Könige
von Aragon gehört Muntaner begreiflich zur ghibelliniſchen Par⸗
tet; dennoch redet er nur mit kindlicher Ehrfurcht von dem
geifttichen Herrfcher in Rom; er erlaubt fi fo wenig ein Urs
theit über bie Kirche, daß er bei Gelegenheit der Graählung
von den Zerwürfniffen Friedrich's II. mit dem Papſte fih mit
bem Zufage begnügt: „Zu fagen, von welcher Eeite das Un:
recht fam, das ſteht mir nicht zu.’ Über den größern Theil
der Begebenheiten berichtet Muntaner ald Augenzeuge; für ben
merkwürdigen Feldzug in Romanien muß er unftreitig als bie
bedeutendfte Quelle betrachtet werben. An feiner Wahrheit in
der Sntwicelung und dem Außgange der Begebenheiten zu zwei⸗
fein, ifl fein Grund vorhanden. In den Angaben ber Zahl
von befiegten ober gefallenen Gegnern fpricht ſich der begeifterte
Spanier aus, der feine Helden von Aragon und Gatalonien fo
gern mit einem Xlerander ober mit Roland und Dlivier vers
gleiht. Die Chronologie ift nicht immer mit Zreue verfolgt.
Fuͤhrt die Erzählung auf einen edein Herrn, fo Tann Muntaner
nicht umhin, wie Herodot, ſchon im voraus bie fpäter von ihm
vollführten Thaten zu berichten. Er bat fein Aragon und Ca⸗
talonien zu lie), als daß er eine Broßthat feiner Männer ver⸗
ſchweigen könnte. Und fo führt uns der Berichterftatter fprunge
weile nad Bicilien und Aragon, nach Romanien und Natolien,
nach den Küften ber Werberei, ber Provence und Neapels.
Muntaner will belehren. Er hat bie liebenswürbige (Ber
ſchwaͤtzigkeit bes Alters, aber feine Erzählung bleibt ewig jung.
Dan fühıt fi unmwilllürlih an die Darftelung von NRovalis
erinnert: ‚Und er that feinen Bart auseinander und hub an.’
Mitunter glaubt man einen frommen Landsknecht zu hören,
ber von dem Lande jenfeit der Alpen nach Schwaben heimge:
ehrt iſt; aber der Catalane bat bie Gewandtheit voraus, er
ift der Vielgereiſte, ihm find alle Geftadeländer des Mittelmeer
res mit ihren an Tracht und Bitte und Glauben verfchiebenen
Bewohnern belannt. Dann wiederum wirb man an Billehar⸗
douin gemabnt, an Joinville, felbft an den fpätern Froiſſart;
aber das firenge Element bes Adels, welches biefen ausfchiteß:
ich innewohnt, beberrfcht ben Gatalanen nicht, wenn es ſchon
ihm nicht fremd ift.
Die Vorrede Muntaner's athmet nichts ale Dank ge
Gott. Er fieht alt und müde auf fein bewegtes Leben zurüd,
aus Roth und Jammer, aus denen ihn Gott fo wunderbar ges
rettet bat. Da treibt e8 ihn zu erzählen, „bamit ein jeglicher
erfahre, daß in fo großer Noth keine Rettung iſt, außer durch
Hülfe und Gnade Gottes und feiner gebenebeiten Mutter, der
heiligen Jungfrau Maria. Gr erzähıt im erften Gapitel, daß
ihn eine Erſcheinung im Traume aufgefodert habe, fein Werk
u beginnen, aus Dank, daß ihm Bott ein langes Leben ge:
—* und es ihm habe wohl ergehen laſſen. Als er erwacht
ſei, habe er das Kreuz geſchlagen und mit dem Schreiben ange⸗
fangen. Zwei Regeln kann er nicht oft genug wiederholen:
nicht der eigenen Tapferkeit, ſondern ber Macht Gottes ſoll
non ven Sieg zufchreiben,, fobann gegen Jedermann Gerechtig⸗
eit üben.
Glieich im Anfange floßen wir auf folgende ungemein liebs
liche Erzaͤhlung. Maria brachte ihrem Gemahle, Pebro IL,
als Erbtochter Stadt und Herrichaft Montpellier zu. Aber Pie
dro Liebte eine andere ſchoͤne Frau in Montpellier und wohnte
der Königin nicht bei. Das kümmerte die Rathöherren ber Stadt,
befonbers weit fie, wenn fein Erbe geboren wurbe, von Aras
gon wieder ablommen mußten. Deshalb verfländigten fie ſich
mit einem vertrauten Ritter des Könige dahin, daß diefer bem
Anfchein nach die Geliebte heimlich in Pebro’s Gemach führen
6
ſolle, doch im Dunkeln, daß Feiner fie ſaͤhe. Run wurden bie
ganze Woche hindurch d tie Mn Bf, angeftellt
- und in per Racht des Gonntags_fehritten dic Nathömänner,
bte und Prioten, fammt bem Officigt des Piſchofs und den
iitlichen, zum Schloß unb mit ihnen Maria mit 12 Frauen
and Fräulein und zwei Berichtiähreibern. Da führte der Kit
ter or Königin Heimlid ind each Pedro's und diefgr wähnfe,
ze Tel die fehöne Krau_ aus Montpellier. we kabt aher
iparen alle Kirchen geöffnet und mit Betern ge if. 8 nun
der Tag anbreden wollte, traten Rathömänner, rdlaten,
öndhe, Frauen und Gerichtfchreiber, ale mit brennenden Kers
zen, ins Gemach. Erſchrocken Tprang ber König auf und griff
zum Schwert. Aber die Männer fielen nieder und riefen:
„Gnade, Derr, und Tobit wen Ihr geherzt habt!” Da fah
der König ſtaunend, dad Maria in feinen Armen gelegen babe,
und fprab: „Welt dem nun fo ift, To möge Gott euern Wunſch
erfüllen!” Nämtichen Tages noch ritt Don Pedro aus Mont:
pellier fort; doch blieben ſechs feiner Nitter mit den beiden Ges
richtſchreibern unausgefegt' bei der Königin, bis neun Monden
vergangen waren. Da gebar Marla einen Infanten; bad war
Jahme J., oder, wie bie Überfegung ben catalanifhen Dia:
fett beibehalten, En Jacme, der 1213 bem Vater auf bem
Thron folgte. | | 1
* Mit diefem Jayme J., von welchem wir befanntlid eine
Autobiograptie befigeii, beginnt Wuntaner feine Chronik von
Yragon. Er erzählt von feiner Einnahme Mallorcas, von ber
durch ihn erfolgten Unterwerfung der Mauren In Balencia und
Murcia, wie ber König 1276 frank zu Katifa 108 und, als er
don dem Aufftande der Granadiner hörte, zornig Roß und Rüs
ftung zu bringen gebot, dann, als bie Kraft ihm verfagte, ſei⸗
nem Gott Elagte, daß er ihn in ſolcher Zeit babe ſchwach wer:
den laſſen, und befahl, daß man ihn in einer Saͤnfte feinem
Banner nachtrage. Als Jayme den Feind zu treffen wähnte,
fand er bdiefen ſchon durch feinen Infanten Pedro geworfen,
tegte ſich bald darauf nieder und ſtarb. Einige Jahre zuvor
hatte Jayme I. feinen ältern Sohn Pebro zum Verweſer von
Aragon , Valencia und Gatalonien, den jüngern, Jayme II.,
zum Statthalter über Minorca, Mallorca, die Graffchaft Rouf:
finon, Wonflans, Gerdagne und "Montpellier beftellt. So ges
Bachte er der Infanten Einfiht und Geſchick zu prüfen. Jetzt
berief der mit der Staufin Conftanze vermählte Pedro III. die
Sortes nah Saragofſa, feste ſich bier die Krone von Aragon,
in Valencia die diefes Reichs, in Barpelona den Reif (gerlanda)
als Graf von Barcelona und Herr von Gatalonien aufs Haupt.
An dieſe Darftellungen reiht fich die treffliche Erzählung
von dem Untergange der Staufen in Neapel, den Grauſamkei⸗
ten Karl’ von Anjou, den Umtrieben und heimlichen Fahrten
des verfchmisten Giovanni da Procida, ber Stellung, welche
dad Oberhaupt der Kirche zu Seankreich nahm, jener gräßli:
chen Vesper von Meffina, endlich der Überfahrt Pedro's nad
dem von Provensalen bedrängten Gicitien. ine eigenthüm:
lich ſchoͤne Epifode bildet in biefen Berichten der Ritt ded wort:
treuen Pebro von Bordeaux, wo fidy der feige Bruder Lud⸗
wig's des ‚Heiligen zu dem verabrebeten Zweikampfe nicht ſtellte.
In den nachfolgenden Mittbeitungen tritt der kuͤhne Abs
miral Roger de Luria in den Vordergrund. Durch ihn werben
die provencalifchen Galeeren gefchlayen, der Strand don Apus
lien und Galabrien verbeert, im Golf von Neapel der Sohn
Karl's von Anjou gefangen. Die berufenen Stände Siciliens
ſprachen über den Gefangenen, befien Vater ben Konradin hatte
enthaupten laffen, den Tod; aber der Infant Jayme, Pedro's IH.
Sohn, ſagte: „Gott will nit, daß der Sünder fterbe, fondern
daß er ſich bekehre“, und fandte den Ergriffenen nad) Gatalos
Men. Noch lebte er in Gefangenfhaft, al® er durch den Tod
des Waters, „auf welchem Gottes Zorn lag’, Erbe der Krone
von Neapel wurde. Nun wenbet fidh der Erzähler zu den Rüs
flungen Frankreichs gegen Aragon. Als Pedro III. von Sancho
von Gaftilien fatt der zugefagten Hülfe nur glatte Worte ers
bielt, er: „Da Ale, bie mir are folten, mi
baben A bitf du mic, Bere und Vater, und fhüge u
mein Bord!" befahl zu fatteln und zu rüften und fanımeite
Kitter und Bürger bei Bagnoles. Philipp von Frankreich aber
umeing, han Moͤnchen geleitet , Gegner, zwang biefen zum
Ye on in ber Ebene van Prrajaba die —5
It
entfalten. egenheit ber hier, mm feine erſtabt, Anke
findenden Kaͤmpfe gi Muntaner (Sapitel 124) folgende Eyine
Erzählung, bie zugleich ald Probe feiner Darftedung blenen möge:
„Bu Peralaba war elne Frau, bie id perſoͤnlich kannte,
Na Marcgbera genannt, weil fir einen Kramladen Halte; fie
war eine ruͤſtige Frau, groß unb Fark. Gines Toqges, als die
Sranzpfen vor Peralada gelagert waren, ging fie berams in
ren Garten, Gemuͤſe zu holen, z0g einen Mannstrock an,
tete ein Schwert um und nahm Schild und Lanze zur Hand;
fo ging fie in ben Garten. Auf ein Mal Hört fie ein Seklin⸗
gel; fie ſtutt, laͤßt ihren Kobl und geht nach ber Gtelle him,
zu feben, was es war; und fiehe da, in dem Me A
ihrem und bes Nachbars Kaxtı N & fie einen Ellen
Ritter in Kuͤſtung auf einem Dr ‚ daß am Bruftriemen mit
Gloͤcklein behaͤngt war; ber ritt ba und dorthin, denn er wußte
ben Ausgang nöd. Wie fie ihn erfah, eilt fie zu ihm auf eis
nen Schritt und flößt ihm bie Lanze mit folder Macht in bie
Site, daß fie Hüfte und Sattel durchdrang und noch das Nkerd
vermundete. Go wie das Thier bie Wunde ſpuͤrt, baͤumt «8
fi) und ſchlaͤgt hinten aus und hätte ſicherlich feinen Reiter a
geworfen, märe er nicht mit eincr Kette am Sattel hefefligt
ewefen. Was meint ri Sie zieht daB Schwert und wer
est dem Pferde einen ſolchen Schlag auf ben Kapf, daß as
taumelte. Nun, denkt, faßt fie die Zügel und zuft dem Bitter
zu: „Ihe feid des Todes, wenn ihr euch nicht ergebt!”’” Der
Ritter, der ſich ſchon verloren gab, wirft feinen Degen ab uub
ergibt ih. Sie beht den Degen auf, zieht ihm bie Lanze auß
der Seite und nimmt ihn mit fi nach Peralada. — Diele Ger
(idee bat dem Deren König und dem Deren Jufanten viel
paß gemacht und fie ließen ſich oftmals von der Frau erzaͤh⸗
ten, wie es dabei zugegangen. Kur, der Ritter und feine Kuͤ⸗
ftung gehörten ihr. Er kaufte ſich nachher für MO Bolbguiden
(08, bie fielen ihr zu. — Daran könnt ihr ben Zorn Gottes
über die Franzoſen erfennen.‘
(Der Beſchluß folgt. )
Literarifche Anzeige. |
Gefammelte Schriften
Xyudw ig Rellttap.
In zwölf Banden.
Erxfte Rieferung, ober. erſter bis dritter Baud.
Sr. 12. Geh. 3 Thlr.
Diefe aus zwölf Bänhen beftehende Sammlung wirb in
vier Lieferungen zu drei Bänden ausgegeben, die jedoch nid
getrennt werben. Die erfte Lieferung enthält die erſten drei il
des in dritter Auflage erſcheinenden hiſtoriſchen Romane „A834204
die zweite bis vierte Lieferung, die in kurzen Zwifcdhenrdumgm
folgen, werden den Schluß von „ABER, eine Auswahl vog
Movelien, Bebichten, bramatifchen Wrbeiten uns
vermiſchte und kritiſche Schriften enthalten.
Eine ausführliche Anzeige it in allen Muıb-
bandlungen au finden.
Eeipzig, im April 1843.
5. A. Brockhaus.
Beranfwortlider Gerausgeher: Heinrich Brodhaud. — Drud und Verlag von 5. A. Brodhaus in Leipzig.
’
Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
Franz Paffow’s Bermifhte Schriften. Herausge⸗
geben von B. A.
(Beſchluß aus Nr. 114.)
Die einzelnen Auffäge find nun folgende:
1) „Die griechiſche Sprache nad Ihrer Bedentung
in dee Bildung deutfcher Jugend”, 1812. Eine vor:
serffliche Abhandlung, bie mit Recht an der Gpige der
Sammlung fieht. Denn wenn and die Grundanſicht,
daß die Erlernung der griechiſchen Sprache dem gans
zen deutſchen Volke, ohne Ruͤckſicht auf Geburt, Stand
und Lünftige Beflimmung, nothiwendig fei, heutzutage man:
den Widerfpruch finden wird (bekanntlich wollte fchon F.
A. Wolf „die Perle-nicht vor die Säue werfen‘), fo wer:
den doch die in ber ſchoͤnſten Sprache niedergelegten Anfich⸗
sen über die Sprache im Allgemeinen und über die grie:
chiſche und deutfche Sprache im Beſondern umd der glüs
bende Eifer für Jugendbildung duch eine National:
ſchule dieſem Auffap noch nad mehr als 20 Jahren feine
bedeutende Stelle in unferer pädagogifchen Literatur fichern.
Diermit in Verbindung fleht
3) „Der griechifchen Sprache pädagogifcher Vorrang
vor der lateiniſchen, von ber Schattenfeite betrachtet‘,
1812. Die Nothwendigkeit, die lateiniſche Sprache erſt
nach der griechiſchen zu erlernen, wird aus deutſch natio⸗
nalen, ſprachlichen und paͤdagogiſchen Ruͤckſichten gegen
allethand Einwendungen ſehr beredt dargethan, aber frei⸗
Uh nur für Wenige überzeugend. Died von unſerer
Seite zu beweilen, kann in d. Bl. nicht verlangt werden;
zu loben aber iſt in unfern Tagen ganz befonders die einfache,
naturgemaͤße Beweisführung über die Wichtigkeit der als
son Literatur auch für Juriſten und Andere, die fich ihr gern
zu entziehen pflegen, wo zu der Anmerkung auf ©. 28
ein nuͤtzlicher Nachtrag aus K. Sr. Weber's darmflädter
Programm vom J. 1831 (S. 61) gegeben werden
Somnte. Auf S. 34 iſt die Anorbnung des griechiſchen
Sprachunterrichts in Jenkau mitgetheilt (wozu Hr. Pafı
fow noch aus feines Vaters WBriefn S. 138, 149, 153
den umfoffenden Plan zu einem Übungsbuche für das
Geiechiſchſchreiben hätte mittheilen follen), deſſen Unan⸗
wendbarkeit in unfern jegigen Gymnaſien wol jeder Schul:
wann einfehen wird, fo viele Gerechtigkeit er auch Hen-
Paſſews Eifer widerfahren läßt.
3) „Über Iacitus” Germania”, 1816. Diefe Abs
handlung iſt unftreitig eine ber bedeutendſten im der gan:
zen Sammlung, und ihr Inhalt, der an fich ſchon vor:
süglih genug iſt, erfcheint jest in einem noch ſtrahlen⸗
dern Lichte, wenn man ihn mit des kaltverſtaͤndigen
Luden neueſter, faſt barocken Anficht vergleicht, daß die
ganze „Germania” ein untergefhobenes Stüd fei. Sowol
die treffliche Charakteriftit des Zacitus als die Meinung
über den Grundgedanken des köftlihen Buͤchleins, durch
welches Tacitus habe meitere Kriege feiner Landsleute mit
ben Deutſchen verhuͤten wollen und auch hierin den Ge:
genſatz als die eigentliche Seele feiner Darfielungen ver
wirkliche bat, empfiehlt diefe Schrift der fortdauernden
Aufmerkfamkeit der Zeitgenoffen und Aller, die fich für
Tacitus intereffiren.
4, 5 und 6) Mehre Auffäge aus der Erſch⸗Gruber'⸗
ſchen „Encpktopädie” über den Redner Äſchines über die
lateiniſche Anthologie und bie griechiſchen Erotiker und
Epiftolographen, Antipbanes von Berga, Antonius Diege:
nee, Achilles Zatius, Alciphron und Ariſtaͤnetus — alles
geift: und merthuolle Beiträge zur Literaturgefchichte.
Namentlich verdient der Artikel über die lateiniſche An:
thologie befondere Beachtung, und wenngleich der Her—⸗
ausgeber überall die bibliographifchen Notizen weggelaflen
bat, fo dürfte doch gerade bier, weil Paflow feit langer
Zeit der Erfte geweſen war, der diefe Gedichte behandelt
hatte, eine Überfipt der fpätern Bearbeitungen und der
Nachtraͤge, die Bardili, Dübner, Sillig und Meger in
mebren philologifhen Zeitfchriften, deren Nachweis une
bier zu weit führen würde, gegeben haben, ganz an ih:
rem Orte gewefen fein.
7) „Über die romantifhe Bearbeitung beilenifcher
Sagen”, 1817. Wir möchten diefen Auffag mit dem
unter Nr. 3 die Krone der ganzen Sammlung nennen,
weshalb Ihn auch Friedemann mit allem Rechte im erften
Bande feiner ,, Paränefen ”’ hat abdruden laſſen. Se
weniger nun feit Paſſow bdiefer wichtige Gegenfland be:
arbeiter ift, um fo nothmwendiger war bie Anführung
zweier Männer, die ihn mit Liebe und Einficht behan⸗
deit haben, naͤmlich Struve’s in feiner „Erklärung zweier
Goethe'ſchen Balladen aus griechifchen Quellen” (Königs:
berg 1826) und W. E. Weber's in ſeinerAeſthetik“ (Reips
sig 1835), Bd. 2, S. 2 fg., und in dem erften Bändchen
der „Elaſſiſchen Dichtungen der Deutfchen” von &. 41 an.
458
8) „Zur Gefchichte der Demagogie in Griechenland”,
1819. Mit Einſicht und Wahrheitsliebe aus den Quel⸗
len gefchöpft und zur Feſtſtellung eines Begriffe, der
noch immer viele Verwirrung anrichtet, auch für unfere
Zeit fehr ‚belshsend.
u, 10, I1 und ID) Vler Meine Auffige über Ges
genfände aus der griechifchen und römifchen Literaturge:
fhichte aus den Jahren 1821 —25, zu Theokrit's Chas
riten, über den Phyſiognomiker Polemon, den Dichter Fa⸗
bullus und eine Stelle aus dem Hellodorus. Dahin
gehören auch Mr. 43 und 14 „über die Gedichte und
das Leben des Tibullus“, zwei Recenfionen vom 3.1825,
ia de wowfn
19) „Über Eicero's Rede flr den M. Marcellus“,
1829. Abgeſehen von der fdyarffinnigen, genauen Durch⸗
dringung dieſer Streitfrage und der Gewandtheit in Bes
nugung der hiſtoriſchen Thatſachen verleiht auch die klare
Darſtellung diefem "Uuffage sinen ganz vbeſendenn Werth.
Es ift derſelbe wie mehre der autern Wichriften (ir. 3,
7, 8) zuerſt ein in dem wiſſenſchaftlichen Vereine zu
Breslau, in der fogenannten Philomathie, gebaltener Vor⸗
trag gemwefen, und als ein Beweis, wie Sragen aus dem
Bereiche der Höhen Keitte fuͤr gebildete Männer, die nicht
5* Philologen vom Fache find, zugaͤnglich und Inter
ſſant gemacht werden koͤnnen, des Abdrucks vollkommen
XX
Kate | Acdig.
2 uh tem steile
gabe dieſes Dichters auch da von wiſſenſchaftlicher Be⸗
deutung find, wo man Paffow's Meinung ats unhaltbar
dezeichnen muß, wobei freilich zu bedenken tft, daB biefe
Arbeiten nur Borarbeiten zu einem groͤßern Werke Über
Tibullus geweien find.
15) „Allgemeine Einleitung zu den Juhrbuchern flıx
Dhilologie und Pädagogik”, 1826. Ein mit Geiſt und
Beben gefchriebener Aufſatz, deſſen wurdige Anſſchten uͤber
Ohllologie und Paͤdagogtk, über unſer ganzes deutſchee
Schriſeweſen und beſonders uͤber die Journalkritik allge:
meiner Beherzigung werth ſind. Einen Theil der Ein⸗
leitung fuͤllt die Erörterung des für die, Jahrbuͤcher“ gel⸗
wenden Befeges, daß alle Anonymitaͤt wegfallen und alle
Mitarbeiter ih mir Memmung Ihres Namens unterzeich⸗
nen follten. Die Sache hat indeß zwei Seiten; wollte
der ſelbſt Leſſing fich als Kunſtrichter nicht wermen und
Goethe weigerte ſich ebenfals feine Auffäge in ben „Ho⸗
ven’ neit feines Namens Unterfcheift zu verfeben, obwol
Gotta «8 verlangte, weil das Publicum mehr auf den
Stempel ale auf den Geiſt fähe („Briefwechſel zwiſchen
Schiller und Goethe“, 1, 81). Em
©. 186, ba es nach der bertigen Bemerkung ſcheinen
koͤnnte, als hätte feit dem 3.1825 die „Allgemeine "tes
raturzeitung“ es auch zur Norm gemacht, daß die Na⸗
men genannt werden ſollten. Bo viel wir wiſſen, ſteht
Died eigentlich nur den Redactoren zu, andern Dritarbeis
ten wird 26 auch wol mackgelaflen, aber von feinem
verlangt.
16) „Über die neneften Bearbeitungen der griechi⸗
ſchen Anthelogle”, 1827 — 28. Gut ausgewählt, um
Paſſow als Kritiker und Ereget zu geigen und durch Fr.
Jacobs ganz beſonders zum Wiederabbsud empfohlen.
17) ‚Über die Bemälde des Altern Philoſtratos“,
3837, und
18) „Herakles der Dreifußraͤuber auf Denkmalen
aiter Ruf” -umd „Über die vorgebliche Gortina auf Diefen
Denkmal”, 1628. Beide Auffkge zeichnen fich durch
Eleganz her Sprache, duch große Klarheit und durch
Unbefangenhheit is dee Benutzung und Erklaͤrung ber
bisher beplagficden Stallen aus den griechiſchen Glefiilenn
end, ſodaß für ſpaͤtrere Jahre gewiß vorcceffliche Leiſtun⸗
. gan von Paffew auf dieſem Felbe hätten erwartet ueıbam
Sbmen, de da ex feiner ganzen Natur nad) Fi ges
wi nie in mpfifchen Dämmerungen verloren haben würde.
Jerthum iſt auf
Betmumiih, eich Dale ia auchten
den Punkten von $. 4. Wolf ab und ſtellte feſt, daf
Elcero nad Mara’ Degnabigung durth Gäfer alles⸗
dings eine Rede gehalten hat, ſowie daß er aus vielen
Gründen eine Veröffentidumg berfäben wünfdenswerth
finden konnte. Damit iſt nah Paſſow's Auſicht aller:
Dinge noch niche erwieſen, daß Die wor ums liegende Rede
fie den Marcellus die Damals 'gebaltene fel, aber eime
Schritt für Schritt durchgeführte Prüfung diefer Rebe
würde zweifelsohne zu demfelben Refultate ‚geführt haben.
20) ‚Erinnerungen am ausgezeichnete Philologen des
16, Jahrhunderts“, 1833 u. 1830, Auth der Abdeuck Die
fee Biographien iſt für ‚die gegenwaͤrtige Literatur, die
an allerhand Biographien fo zeich iſt und fire weiche ſich
jegt ein unverdennbareß Intereſſe geist, ſehr zwekmaͤßig.
Zuerſt iſt von dem ale Menſchen und Gelehrten audge
jeichneten Hieronymus Wolf (geb. 1516, geſt. 1580) die
von ihm ſelbſt Latrimifch verfaßte Schilderung feines Ju⸗
gendiebens aus dem achten Bande mon Reiske's griecht⸗
ſchen Rednern im fehe lesbarer Äberfegumg zuitgetheift
worden, deren Werdienfilichleit es Leinen Eintrag kimam
kann, daß fie bereits Kofeganten im zweiten Bande feimm
„Myapfodien“ (Leipzig 1800) mit vieler Liebe deutſch be
arbeitet hat. Da mun aber Dre vorliegende Auffag nur
das Jugerdleben des ruhmwindigen Mannes ſchilbert
wie auch Voͤmel in einer gu Frankfurt a. M. im Hechſu
1827 gehaltenen Rede (ſ. Seebode'sMritiſche Bibliechek
fir das Schulweſen“, 1838, I, Mr. 13) gechan hat, fe
dürfte die Nachticht vialleicht nicht Abexlüffig fein, baf
von G. EC. Metzger zu Augsburg, mo Hier. Wolf ab
Reetor geſtorben iſt, 1833 eine „Memosia Hier. Wolfe”
— er — — Aber Heincich Gtephes
nus (ge ‚ geht. iſt ein Meiſterſtuͤck quellen⸗
maͤßiger und praͤeiſer Darſtellung.
21) „Uber die ſogenannte Apotheoſe des Auguſtus
in dar Autikenſamnlung zu Wien“, 1820. Kar u
aͤberſichtlich, ohne alte UÜberladung mit antiquariſcher ie
lehrſamkeit, fo recht gesigmet, Die Nuͤtzlichkelt folcher Mies
trachtungen über gefehnittene Steine auch einem größren
Bublieum gu smpfehlen.
232) „Zum Audenben des am 17T. Gebr. 1633 num
ſtorbenen breiiauer Thealagen Daniel von Eden.” Sea
ehler Einfachheit ſchildert der treue Freund Das Beben
eines Mannes, defien Gruudſatz im Handein Wahche
im Forſchen Gruͤndlichteit amd Tieſe mar.
Din Sichiuß der Sammlung malen eine Anzahl
Sedichte aus Pafſow's frühern Jahren, wie fie nicht feh⸗
Ien durften. Ale zeichnen ſich durch Zartheit und Wahr:
heit der Empfindung und durch eime ſehr gebildete Sprache
ans, wie muter andern das in der „Neujahrnacht“, weis
bes wir bier ald Probe geben.
In jener Racht, wo an bie ew'gen lieber
Der Zeit den neuen Kreis die Sonne bindet,
Rım Freud' und Beben ſich der Flur entwindet,
Sanbt’ Gros feinen erſten Pfeil mir nieder.
Und Freude ſtrahlt mir nicht noch Beben wieder,
Wenn Aller Herzen auch ihr Kranz umwindet,
bret nie das GSluͤck, das einmal ſchwindet,
Entfloh es felbft dem ſchoͤnen Traum ber Lieder.
Auf ewig, wie die Zeit im Tanz ber Horen,
Iſt meine Ruhe mir dahin geſchwunden,
In holden Zaubertönen eingemwieget.
Und willig hat mein Bufen fie verloren,
Run mic) ein fchöneres Gebilb ummunben,
und meines freien Sinnes Stolz befieget.
Liebe, Freundſchaft und Naturſchilderungen find die Ge⸗
genftände ber meiſt in Sonettenform abgefaßten Ge⸗
dichte. In fpdtern Jahren hatte bei Paflow, mie er
ſeibſt erzähle (‚Leben und Briefe”, S. 273) die Leichtig:
Leit im Versmachen abgenommen ımd er nur noch Sinn
fire hochernſte Poeſien.
Und fo möge auch dieſe Sammlung in ihrer geſchick⸗
ten Berbindung des Ernſten mit dem Heitern und bed
Gruͤndlichen mit dem Anmuthigen allen gebildeten Leſern,
weß Standes fie auch find, beftens empfohlen fein. Die
Dietät des Sohnes hat dem Andenken bes Vaters durch
diefefbe ein wuͤrdiges Denkmal errichtet.
8. ©. Jacob.
Chronik des edlen En Ramon Muntaner. Aus dem |
Catalaniſchen des 14. Jahrhunderts Überfegt von 8.
dr. W. Lany Zwei heile.
Beſchluß ans Nr. 116.)
Der erfie Theil fchließt mit dem Tode Pebro’s ILL. (1285), :
bee feinem Altern Infanten Alfonfo Aragon, Gatalonien und
Salencia, dem jängern Janme (II.) dad Reich Bicilien als
nterließ. Us Le bem Tode Alfonfo's
V dam |
(1391) die ſpaniſchen Reiche zufieien, erwarb fein jüngerer Bau:
der Federigo Bicitien.
Run führt uns ber Werf. abermals &
deu Seeſiegen des Roger de Burda gurüd, erzaͤhlt von ber praͤch⸗
tigen Tafelrunde, bie biefer 4. Calat hayu veranflaltete, von
den Koaͤmpfen igo's mit Karl von Neapel, und beginnt mit
Gap. 194 die Geſchichte des merkwuͤrdigen Weib
wanien. So gelangen wir zu bem reichhaltigſten Theile ber
hronit, die ſich bier in Farbe und Haltung ben Demoken |
ſeldern
Jmit 17,000 Reitern und 100,000 JFußgaͤngern von Adrianopel
Muntaner berichtet meiſt als Augenzeuge; er
adbert.
auf Schla
als Damiecl in den Dienſt Federigo's ivat, Er war sb, ber,
nachdem fein Herr
des Hauſes Anjou endlich erreicht hatte, Ceſtern bat, mit ben
hi Gatalanın und ——ie die nach endlicher Feſt⸗
Kung des Friedent Scilien nur laͤſtig fallen könnten, in ben
des gei Kaiſert treten zu bürfen. Seberigo ging
bierauf ein, Kaifer Andronikus verſprach dem Titmen Abenten⸗
es nad Ro⸗
die foͤrmliche Abtretung Siciliens von Seiten
rer bie Hand feiner Schweßertecter Maria, ind Mut eines
Oberbefebtöhabers über fänmmtiiche griechiſche Gtreitträfte und
guten Lohn für ſich und fein Gefolge.
So fihiffte ſich Roger de Flor 1308 mit 1500 Neitern —
unter Ihnen Ramon Muntaner —, mit 4800 der gefürdyteten Ai⸗
mugavaren und 2000 andern Fußknechten in Weffina ein ums
gelangte nach Konftantinopel, wo er fi mit Maria verm
jugleich aber auch den Brund zu bem nachmals fo verberblichen
Zwiſte mit den Benuefern Iegte, welche durch ihn in Ihrem Bin-
Muffe am Kaiferhofe beeinträdgtigt zu werden fürdteten. Bon
hier fegte Roger de Bine nad) Natolien über und drang, ie
auf Gieg über bie Tuͤrken erfireitend, bis zu der Grenze vor
Armenien vor. Dieſer Erfoig verdroß die Griechen, namenttich
ben Kaiſerſohn Michael, der gegen den Slaubensfeind ſtete ohne
Siluck gefämpft hatte. ‚Denn Über den Griechen waltet Wer
tu) des Deren, drum kann ein jeder fie leicht befiogen. DS
mmt vornehmlich von zwei Suͤnden ber, bie unter Inch
errſchen. Erſtlich weit fie bie hoffärtigften Menſchen in we
it find, denn es ift kein Volk, das fie adyteten, ala nur ſich
ſelber, und fie taugen doch nichts. Zum Zweiten, fie haben
keinen unten Menfigeniiebe im Bergen.” .
Bald nach der Ruͤckkehr von Aſien erfuhr Roger, welchem
ber Zitel eines Caͤſar des Reihe und bie Verwaltung von 9
Ratolien und dm Inſeln Romaniens übertragen war, die 4
und Untreue ber Griechen. Dem Rufe des Kaiſerſohnes Mb
chael folgend, begab er ſich von Ballipoli aus, wo ex Beren
guer de Rothafort ats Befeblshaber über feine Mannfchaft zu⸗
ruͤckließ, nach Adrianopel, wo er fammt feinen Begleitern beim
tüdifch erfählagen wurde. Asbald umgaben die Satalanen Bals
lipoli mit Schanzen und mit dem groͤßern Theile der Spanier
beftteg Berenguer d'Entenza, nadgbem er dem Kaifer den A
fagebrief zugefanet hatte, einige Galeeren, um einen Rachezug
nach Konftantinopei zu wagen. Im Begriff, mit weicher
heimzukehren, wurde ber Arglofe von genueſiſchen Galberen
überliftet und nach langer Gegenwehr mit feinen Gefolge ges
fangen. Run war bie Roth im Gallipoli groß, und In bem von
Muntaner gehaltenen Kriegsrath erklaͤrten fih Viele dafür, mit
den noch gebliebenen Bateeren nach dee Infel Metelino zu fah⸗
ven unb vor dort aus den Kaifer zu bekriegen, während Anbewe
in Gallipoli bieiben umb wegen ber gemordeten Genoffen Rade
nehmen wollten. Legteres ging durch; man beſchloß, auf Mub
und Leben zu fämpfen und Jeden nieberzuftoßen, der anders [pres
1 hen werde. Deshalb verfenfte man die legten Galerren, Dun:
taner ließ ein großes Banner bes heil. Petrus auf den Haupt⸗
thurm der Stadt wufpflanzen und drei andere, mit dem Bilde
von St.⸗Georg und ben Mappen von Aragon und @icilien ans
fertigen, die im Kampfe vorangetragen werden follten. Dann
Rimmte man, mit Ihränen in den Augen, den Lobgeſang St.⸗
Peter's an, übergab bie drei Banner ben Kanten ber tapferften
Nitter und 309 den 22. Juni 1307 gegen feindliche Reiter
aus, benen ein ftattliches Beer von gußfnechten zur Seite fland.
„Kein Wunder war e6, daß ihre Sünden und unfer gutes
Recht und den Sieg gewannen”, feht Muntaner hinzu, wenn er
bericdtet, daß die Seinigen nur einen Ritter und zwei Eußtnechte
eingebüßt, und andern Sage mehr als 60000 Reiter und 20,000
Fußknechte der PBeinde (!) erfchlagen gefunden hätten. „Das
war ber Zorn Gottes, der über fie kam!” |
Bald darauf hörten bie Männer in Gallipotf, dab Michaei
gegen fie ausgezogen fei. Damit ber Muth der Catalanen nicht
| geiihwächt werde, beſchloß man, bie Belagerung nicht abzuwar⸗
ten. „In den Bimmel konnten wir einmal nit fliegen, auch
nicht in die Hölle hinabfteigen, noch zur Ber davonſchiffen“,
fagt ber Chroniſt. So eilte man dem Feinde entgegen und bie
Almugavaren erftritten den Sieg. Seitdem wagten fie fi in
ipren GStreifjägen bis zu ben Sporen von Konſtantinopel und
ſcheuten ben Kampf mit den berittenen alanifchen Soldnern des
Koilfers nit. Bei biefer it erzählt Wuntaner nad)
feiner anfchautichen Weile im . Say. alfo:
„Ich muß body ein Geſchichtchen erzählen von einem Reiter
and feiner Freu, die ex retten wollte. Gr ritt auf einem tächs
tigen Pferbe und fie auf einem andern; drei unferer Reiter ſet⸗
ten ihnen nad. Was meint ihr? Das Pferd ber Frau ward
möäbe und er fchlug mit ber flachen Klinge darauf; am (Ende
aber ward er doch eingeholt. Da er ſah, daß fie ihm auf ber
Kerfe waren und daß er feine Frau verlieren follte, fprengte er
ein wenig voran. Da ſtieß fie einen heilen Schrei aus; er
Schrte zuruͤck, umarmte und kuͤßte fie, dann verfegte er ihr mit
dem Säbel einen Hieb übern Halt, daß ber Kopf zu Boden
zollte. Darauf wenbete er fich gegen unfere Reiter, die bereits
das Pferb der Frau wegnahmen, und hieb dem einen bergeftalt
it dem Säbel über den linken Arm, baß berfelbe bavonflog
und der Reiter todt zu Boden flürzte Wie die beiden andern
das fahen, fielen fie über ihn ber und er wehrte fi tapfer
and wich nicht vom Leichnam feiner Frau, bis fie ihn in Stüde
bieben. Daraus Pönnt ihr fehen, wie ein tapferer Reiter ſtirbt
and weflen ein großer Schmerz fähig iſt.“
Während dieſes Zuges war Wuntaner, weil ihn bas Loos
etroffen , zum use der Frauen, Kinder und Babe mit nur
50 su Zuß und Reitern in Gallipoli zurücdgeblieben , gegen
weiches ſich jeßt, vom Kaifer gewonnen, ber Genueie Antonio
Spinola. mit feiner ®aleerenflotte wandte. Da ließ Don Ras
mon die Mauern durch bewaffnete Frauen befegen, fiel aus
und erſchlug den feindlichen Fuͤhrer mit 600 ber Seinigen.
Endlich erfhien im Namen Federigo's ber Infant Kernando
von Mallorca mit Saleeren; mit ihm kehrte Muntaner 1309
nah Sicilien zurüd.
Nachdem ber Shronift die Erzählung der Thaten und Leis
den der Gatalanen bis zum Jahre 1313 fortgeführt hat, wens
det ex ſich (Kap. 245) piöglich zu ber Geſchichte von Aragon
zuruͤck, die er beim Jahre 1304, wieder aufnimmt. Cs find
meift Berichte über Kriege mit ben Ungläubigen und den Wie⸗
derausbruch der Keindfeligleiten von Anjous Neapel gegen ben
ficitianifgen Zweig des aragonefifhen Koͤnigshauſes. Beim
Sabre 1309 teitt Muntaner wieder handelnd auf, als Befehls⸗
haber auf der Infel Gerba, in fteter Fehde mit den Mauren.
So bewegt ſich die Erzählung weiter bis 1328, immer
glei anmuthig und abwechfelnd, bald über Sicilien und Nea⸗
pel, bald über Morea, die berberifche Küfte, oder die Rei
von Aragon berichtend. 53.
kiterariſche Notizen aus Frankreich.
Über ben Stand der Agricultur in Frankreich.
In Frankreich fängt feit einiger Zeit die Nationalökonomie
oder die &conomie politique, die gegen das Ende bes vorigen
Jahrhunderts eine fo große Rolle fpielte, wieder an alle Geis
ft:r zu befchäftigen. Diefe Sucht, nationalöfonomifchen Theo⸗
rien nachzujagen, hat die unangenehme Folge, daß darüber bie
Agriculture und bie andern Wiffenfchaften, weiche die Grundlage
dieſer Disciplin bilden, zum Theil überfehen werben. Jeder
Aderbauer will fi jest in Grörterungen über die National:
dtonomie einlaffen. Ia, wir haben zu wicberbolten Malen
Gelegenheit gehabt, zu bemerken, dag mehre ber Profefforen am
Conservatoire des arts et metiers zu Paris, denen es obliegt,
über ben Aderbau und bie damit in Verbindung ftehenden Ges
werbe vorzutragen, nicht felten ihren Gegenftand vernachlaͤſſigen,
um fi in politifchen Betrachtungen zu ergehen. Diefe Bemer:
tung iſt uns beim Zitel eined Werks aufgefloßen, das nicht
ohne Werth iſt, aber das an mehr als einer Stelle unndthig
mit Broden aus ber politifchen OÖkonomie gefpidt if. Es
heißt: „Notices &conomiques sur l’administration des richesses
et la statistique agricole de la France”, von M. Royer
(Paris 1842). Der Titel, den ber Verf. gewählt hat, ift et=
was zu prahleriſch; benn wir erhalten im Grunde in dieſer
Schrift nichts als Bemerkungen zu ber bt über ben
Stand ber Agricuitur, ber jährlich vom franzoͤſtſchen Miniſte⸗
rium ausgegeben zu werben pflegt. Diefe Bemerkungen find
zum Theil nicht ohne Intereffe; aber ber Verf. taͤuſcht fich ſehr,
wenn er glaubt, den Werth feines Werks dadurch erhöht zu
baben, baß er, flatt ſich innerhalb beſtinmter Grenzen zu bes
wegen, bei jeder Gelegenheit einen Streifzug auf bad abgetrie-
bene Feld der &conomie politique macht.
Das Franzoͤfiſche Inſtitut hatte vor einigen Zahren eine Preis:
frage über ein Univerfalatphabet auögefchrieben, zu der ein
von Volney ausgeſetztes Sapital verwandt werben follte.. Wir
verdanken dieſer Preisaufgabe ein recht intereffantes Wert von
Schleiermacher in Darmftadt in franzoͤſiſcher Sprache, bas von
Silveſtre be Sacy feiner Zeit im „Journal des savants”’ gewür:
digt ward. Binnen kurzem werben wir nun ein anderes Wert
erhalten, deſſen Berf. fi um denfelben Preis beworben hat.
Es wirb ben Titel führen: „Alphabet universel invents par
M. de Briere et appliqu& à cent langues du monde, ouvrage
couronne en 1837 par Plnstitut”. Der Verf. biefer Bearbei⸗
tung bat noch ein anderes Wert ausgearbeitet, das gleichfalls
bald erfcheinen fol. Daffelde beißt: „Cours sur les hierogly-
phes &gyptiens et les religions anciennes compardes”', md
wird mehre Bände umfaflen. 2.
Erklaͤrung.
Den Beurtheilern meiner überſetzung des „Cid“ iſt folgende
Stelle meiner Vorrede anſtoͤßig geweſen: „Der gute Herder
bat den Cid ‚befungen‘, d. h. weggelaſſen und zugeſetzt, wie es
ihm gefiel, und vom Charakter bed Helden fo wenig gelaſſen,
dag kaum ein Menſch begreift, wie ee bie ohren fdulagen
konnte.“ Ich glaube um fo mehr hierüber eine Erklärung ſchul⸗
dig zu fein, als jene Beurtheiler, wenn fie fih an diefe Stelle
fließen, weniger die Dffenfive gegen meinen bartfcheinenden Aut:
fpru als die Defenfive für Herder ergriffen haben.
Ich gehöre nicht zu jenen Literarifchen Sansculotten, bie
eine Freude baran haben, große Namen wohlnerdienter Männer
in den Staub zu ziehen, aber ich gehöre auch nit zu Denjeni-
gen, welche 2eiftungen, benen ein berühmter Mann als Autor
vorfteht, fobald fie ihrer Natur nah in ein Feld gehören, wo
fie abgefehen von dem Mittheilenden zu beurtheilen find, 6108
um bed Namens willen Gerechtigkeit ober vielmehr Nachficht
widerfabren laſſen. Geſetzt, es erſchiene in Frankreich von einem
der beruͤhmteſten Literaten eine Überfegung unſers Nibelun
liedes ganz nach denſelben Grundſaͤtzen bearbeitet wie bie —
Überfegung des. Eid — ſicher wären dann bie jegigen Vertheidiger
Herder’ die Erften, weiche den Grundfag feftbielten: „an Poe⸗
fien, welche dem Geifte eines bochherzigen Voikes zur Zeit feiner
größten Thatkraft entfprungen find, darf nun und nimmermehr
etwas verändert werben, fei es in Haltung bes Tones ober in
Daltung ber Form’, und fi in noch weit härterm Tadel er:
gina als ich dies bei Gelegenheit bes Derber’fchen Eid gethan.
erder hat feinem fentimentat : äfthetifchen Zeitalter ut blandi
Doctores Das in den Eid: Romanzgen zu mildern gefucht, was
etwa weniger verbautich fehlen, und ff dadurch in ber t
bem Geifte des Originals zu nahe gefreten. Ich dene nun, es
iſt nicht nur erlaubt, fondern feibft Pflicht, zur Ehre der Wahr:
heit Misgriffe diefer- Art zu rügen, felbft wenn fie von Män-
nern fommen, benen bie größte Verehrung gebührt, und bies
um fo mehr in einem alle, wo bie Majorität von einem fal:
fhen Grundſatze beherrfcht wird. Ich that dies und werbe es
thun, felbft auf die Gefahr bin, in meiner gerechten Abſicht mis:
berftanden zu werben. -
Stuttgart, im März 1849.
5 M. Duttenbofer.
Verantwortlicher Herausgeber: Oeiurich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brochaus in Leipzig.
—— gi — vn
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
26. April 1843.
Johann Keppler in Linz.
Man bat über Keppler's Aufenthalt und fein wiſſen⸗
ſchaftliches Wirken in Ling bisher faſt nichts gewußt;
auch teug man fi daſelbſt mit der Meinung, der große
Brand von: 1800 Habe alle Documente, welche uͤber ihn
Aufſchluß geben koͤnnten, zerftört. Gluͤcklicherweiſe vers
haͤlt fi die Sache nicht ganz fo. Nachforſchungen bes
Herrn Ritters von Spaun im landfländifchen Archive zu
Einz haben zur Auffindung von mehren Eingaben Kepps
ler's an die Landftände von Oberoͤſtreich geführt, die er
ſelbſt verfaßte und niederfchrieb und wodurd über feine
amtliche Stellung zu den Ständen, ſowie über feine ge:
tehrten Arbeiten während des Aufenthalts In Linz, uner:
wartet ein, dieſe Lüde in feiner Lebensgefchichte einiger:
ausfuͤllendes Materiale gegeben if. Wir benugen
Die in der „Zeltſchrift des Mufeum Francisco⸗Carolinum“
daſelbſt unlängft erfchienenen Mittheilungen über dieſen
Documentenfund zur nachſtehenden Darftellung.
Die unruhigen Auftritte in Prag während ber Be:
fegung diefee Stade durch die Truppen des Erzherzogs
Matthias, befonder6 aber das in der Nähe von Keppler's
Wohnung vorgefallene Plündern und Morden, hatten
feine
beigeführt._ In demfelben Jahre, ats ſich dies zutrug,
verlor der ohnedies Schwergebeugte auch drei feiner Kins
der durch die Podenfeude. Dazu kam, daß Keppier, ob»
gleich von Kaiſer Matthias als Hofaftronem im Amte bes
ſtaͤtigt, die ſchon unter Rudolf auf mehre Zaufend Thaler
anfgelaufenen Gehaltsruͤckſtaͤnde nicht bezahlt befam. Diefe
Umftähde flößten ihm den Wunſch ein, Prag zu verlaf:
fen und einen andern Wohnfig zu wählen. Da zu jener Zeit
Rein großer Theil der obderennfifchen Stände proteftantifc,
war, fo mochte Keppier tool ber richtigen Vorausfiche fein, er
werde in ihrem Dienfle Schus und Unterſtuͤtung finden.
Ste waren ja feine Glaubensgenoſſen. Thatſaͤchlich bot
er in folgendem am 10. Juni 1611 von den Ständen
empfangenen , eigenhändig verfaßten Geſuche denfelben
feine Dienfle an. Es lautet:
Ehrwuͤrdige, Wohlgeborene Herrn, auch Edle und geftrenge
Herrn, gnaͤdige Herrn, Guer Gnaden und Gunſt, feien meine
—— Dienſt bevor. Demnach ich nunmehr in das zwoͤlfte
be der roͤm. kaiſerl. Majeſtaͤt unſeres allergnaͤdigſten Herrn
Hoſfftaat beigewohnt, in Hoffnung, das angefangene Wert
Astronomiae restaurandae et Tabularum Rudolphi conden-
Sattin in Wahnfinn geflürzt und ihren Tod herz.
darum, zu welchem Ihre kaiſerl. Majeftät mich nach Abgang
bes vielberuͤhmten Deren Tyychonis Brahae mit einem jährlicyen
Salario beftelit, förderli zum Enb zu bringen; und aber biefe
ganze Zeit über fich allerhand Ungelegenheiten an ermeldetem
Hofe ereignet, die mich nicht allein in Vollfuͤhrung meines vor⸗
babenden Werkes, fondern auch in Beſtellung meines Dausıwe:
fens und fchuldiger Borfehung Weibs und Kinder ſchwerlich ges
hindert, ſolche auch täglich überhand nehmen ohne Hoffnung
einiger mir fürträglichen Beſſerung; als bin ich endli im Na:
men Gottes Willens worden, mich nach erlangter allergnaͤdig⸗
ften Erlaubniß an einem ruhigern Ort dermalen haͤuslich nie⸗
derzurichten und meine angefangenen Studia zu Ghren Ihrer
kaiſerl. Majeftät und bes ganzen Daufes Öfterreich hoffentlich mit
beflerer Beförderung zu vollführen.
Wann dann ich biefe ganze Zeit über und auch zuvor, bas
mal ich in einer Ehrſamen Landfchaft in Steyer (Steiermark)
Dienft gewefen, von nidyt wenigen aus Euer Gnaden und Gunſt
Mittel Deren und Ritter Stande allerhand gnädige affection
gegen meine geringe Perfon geſpuͤrt; danebens in billige Erwaͤ⸗
gung ziehe, daß ſonderlich dieſer Orten viel abeliche Gemüther
fih finden, welche nach dem hochloͤblichen Grempel Ihrer Lan⸗
besfürften und Herrn von dem Haus Öfterreich, den mathemati:
ſchen Künften und Betrachtung der allerweifelten und zierlichften
Werke Gottes in Erſchaffung Himmels und der Erde, hintan⸗
geſetzt aller andern Kurzweil, vernünftiglich ergeben — als hätte
ih zwar nicht geringe Zuneigung, da es zeitlicher Nahrung hal:
ber fein möchte, meine Wohnung und domicilium alhero (b. i.
nach Linz) zu transferiren, und durch bieß Mittel meine vorha⸗
bende unter dem Schug und zu Ehren des Hauſes DOfterreich ans
gefangene Werk alfo vollends innerhalb defien Gebietd und Herr⸗
fchaften, wie Kiemuic, zu continuiren und zu enden. Hierumben
und aus vernünftigem Rath meiner guten Freunde und Gönner,
hab Euer Gnaden und Gunft ich hiermit bei fürfaliender Gele:
genheit meiner Ankunft allyier, meine unterthänigften Dienfte
in studiis mathematicis, Philosophicis et Historicis, in wel
id mich bisher geübt, und durch öffentlich ausgegangene Bücher
unterſchiedliche demonstrationes gethan, gehorſamlich anbieten
wollen; nicht zmeifelnd, weil foldye meine studia weitläufig wer:
den, Euer Gnaben und Gunft ſich nicht allein derohalben zu
des Landes Rutzen hochvernuͤnftiglich zu gebrauchen wiſſen, ſon⸗
dern auch für einen Ruhm halten, das patrochiium und bie
Beförberung meines erfigemelbten Hauptwerkes tabularum
Rudolphi zu unterthänigften Ehre des Hauſes Öfterreichs auf
fi zu nehmen und demnach mir eine billige jährliche Beſtal⸗
lung maden. Wie idy eine ſolche, fo auch alle aubere vorher⸗
gegangene Gnaden und Butthaten mit getreueftem Bleiße in des
nen mir aufgetragenen Verrichtungen und kürzlich mit aufriche
tiger beutfcher Redlichkeit nach meiner geringen Möglichkeit
dankbarlih und gehorfamtich zu erkennen und zu beſchulden
Willens wäre,
Euer Gnaben und Gunft mich hiermit zu ebefter gnädiger
resolution gehorfamftlih empfehlend, Euer Gnaden und Gunft
unterthäniger gehorſamer ber kaiſerl. koͤnigl. Majeftät Matbe-
maticus Johann Keppler.
Aus diefem fauber und leſerlich eigenhändig gefchrie:
benen Gefuche Keppler's geht hervor, daß nicht die Stände
Oberaſtreichs ie Diynitanträge machten, fanden ce ih:
nen, und daß er bertits vor dem 10. Juni 1641, dem
Empfangsdatum dieſes Geſuchs, in Linz angekommen
war und fich daſelbſt feßhaft gemacht hatte. Wohnung
nahm er im der Lederergaffe, einer ziemlich ſchmalen und
eben nicht heilen Strafe. Die Stände nahmen Keppler
mit 400 Fl. Gehalt in ihre Dienfle auf, und obgleich)
der Beſcheid auf obiges Gefuch ſich nicht vorfindet, fo
fanb ſich dagegen «ine Aumellung an Eins
nehmeramt von 100 Fl. vom 14. Juni 1611 datirt,
welche, wie es darin heißt, ‚dem Joanni Kepplero, den
die loͤblichen Stände in ihre Dienfte aufgenommen, zur
Hierherbringung feines Weibs (von beffen Ableben bie
Stände nichts ſcheinen gewußt zu haben), Kinder und
Hausraths als Neifekoften s Beitrag geſchenkt wurden“.
Wahrſcheinlich fälle der Beſchluß, Keppler als fländifchen
Mathematicus anzuftellen, mit bdiefee Schentung auf
den Tag zufammen, und jedenfalls gewiß zwifchen ben
10. und 14. Juni 1611.
Keppler ſchritt zwei Jahre nach erhaltenem Amte zur zweis
ten Ehe mit Suſanna Reuttinger, Tochter eins Bürgers
von Eferding. Bor feiner Bermählung machte er den
Ständen in nachſtehendem gleichfalls eigenhändig verfaß:
ten Schreiben vom 25. Juli 1613 davon, fomie von
feiner Reife nach Regensburg zum Reichstage, Anzeige.
Er fagt darin in letzterer Beziehung:
Euer Gnaben berichte ich gehorſamlich, daß Ihre kaiſerl.
koͤnigl. Majeſtaͤt durch den Oberſten Kämmerer mir bie allers
gnaͤdigſte Meinung anzeigen laffen, daß ich nämlich anjego mit
dem Hoſtaat mich nach Regensburg begeben folle, in maßen
mie dann als einem Jeden Mitreifenden auch vier Monat an
meiner kaiferlichen Beſoldung ‚ausgezahlt werben. Weil dann
diefe Reife zur Bierung meinee Profeſſion dient, indem Ihre
kaiſerl Mojeftät in Dero Ausfchreiben bes Reichsſtags unter
Anderm auch der Ungleichheit ber Zeiten und Pefttäge gebadıt, |.
dahero wie hievor alfo auch vermuthlicdh jego allerhand Nach⸗
feagen wegen des Kalenberwefens fürfallen möchten, nebens aber
ich nicht allein meine von einer loͤblichen Landſchaft anbefohlene
Stodia auch alldorten zu Regensburg für mich fetbft und burdy
meinen studiosum zu continuiven Getegenbeit babe, fondern
auch denen Herren und Landieuten (Landſtaͤnden) oder junger
Herrſchaft, fo aus diefer Provinz mit Ihrer Majeftät Hof⸗
ftaat nad) Regensburg kommen und allda ſich aufhalten moͤch⸗
ten, nach jedes Gelegenheit und Begehren mit meinen Studien
und in andrem Weg gehorfamlich und möglichen Fleß zu dienen
erbötig bin, alfo gelangt an Euer Gnaden mein geborfamftes
Bitten, die wollen Ihnen biefen Abſatz nicht zuwider fegn Laffen,
wie ich dann mit erften Ihrer Laifert. Majeſtaͤt allergnäbig-
ſten Erlaubniß mich allhzier bei E. E. Landſchaft Dienften und
binterlaffenen Kindern wieder einſtellen will.
Die Proteflanten nahmen, wie bekannt, ben verbef:
foten Gregorianifchen Kalender nicht an und beharsten
auch auf dem Reichsſtage zu Regensburg bei diefer Wei⸗
gerung, obgleich Keppler in einer eigenen Schrift die un:
umgängliche Nothwendigkeit des Beitritts dargethan hatte,
"Bon Regensburg im Donate October 1613 zuruͤckge⸗
kehrt, ſchritt Keppler zur Vermaͤhlung mit feiner zweiten
Frau.
Er lud die Landilände mit einer Zufcheift zur
Hochzeit.
Aus ihrer Antwort vom 29. October 1613
erhellet, daß Sufanna, feine Braut, die Tochter Hanns
Reutinger's, Bürgers zu Eferding, und Barbara, feiner
Hausfrau, wag, daß fie faihzetig Waife geworden, aber
bis zum Alten uon 32 Yahen umter der Leitung Dee
edeln Frau Elifaberh von Starhemberg, geborene Ungnabin,
Freiin zu Sonnegg, in Eferding ſtand. Die Trauung
dDafelbft war auf den 30. October Mittage 12 Uhr fefl:
gefegt und die Hochzeit wurde im Gaſthauſe zum golde:
nen „Leuen“ gefeiert. Die ehrſame Landſchaft drückt in
befagtem noch vorhandenen Schreiben für Keppler große
—* un Merthſchatung aus, und ishee zwar bie
Einladung zur Hochzeit ab, beſchenkt ihn aber mit einem
Trinkgeſchier von 40 — 50 Fl. Werthsé, welches das Iflän:
diſche CEinnehmeramt dem Braͤutigam zuzuſtellen den Auf:
trag hatte; auch uͤberlaͤßt ſie ihm die Wahl einer ihm
angenehmen Perfon, welche die geſammte Landſchaft bei
dee Hochzeit repräfentiren follte. Aus biefem Verhalten
ber obderennfifchen Stände geht hervor, daß Keppier bei
ihnen im boher Achtung fland und ſich mannächfadhe
Auszeihuung zu erfremen hatte. Er niüste dena Laude
aber auch mefentlih, denn fein Aufenchalt in Liz zog
wiele Studirende herbei und mag feld Anla zur I
gung einer Druderei in dieſer Stadt gegeben haben,
denn das erite von dort ausgegamgene Drudwerk ift Kepp⸗
ler's Stereometrie vom 3. 1610. Er war al& Profeſſor
der Mathematik an der Lardfchaftsfchuie in Linz ange
ſtellt, doch blieb feine Hauptbeſchaͤftigung das Zuſtande⸗
bringen der Rudolfiniſchen Tafeln. Die Stände verlang⸗
ten aber zugleich von ihm die Herſtellung der Landes⸗
mappe. von Oberoͤſtreich, mit den Werbefferungen, welcht
er feie 1614 an den ditern Arbeiten dieſer Art vorge:
nommen hatte, nicht fich begnügend. Sie ſcheinen wachr⸗
mals darauf gedrungen zu haben, bis endlich Keppler,
von der Unthunlichkeit, beide Arbeiten zugleich zu Stande
zu bringen, beſſer uͤberzeugt als fie, einen umflänbliden
Bericht ale Gegenerklaͤrung ihrer Antragſtellung eingab.
Auch dieſes Document hat fih im ſtaͤndiſchen Archise
vorgefunden, und ward von ber „Zeitſchrift des Muſeum“
auszugaweiſe wie folgt mitgatheilt:
Bon den Tabulis hi. *)
&uer Snaden werben felber wiflen, ober von andern Ma-
thematicis berichtet feyn, daß in re literaria bie Tabulae
astronomicae ein wohlbebächtiges Hauptwerk feyn mäffen, und
gar nicht wie eine Eomoͤdie über Nacht anzuſtellen oder wie ein
poema aus bloßen @infällen beflche, ober wis em Commenta-
rius super Aristoielem aus bem Armel zu ſchuͤtten: ſonder
man ft viele Jahre lang zu befinnen unb mit observationibus
und calculationibus zu bemühen babe, will man die Redhnung
atfo verfaffen, daß fie auf viele hundert, ja taufend Sabre him
ter ſich und für ſich gelten fol. Copernikus bat #7 Zahre zw
gebracht, ehe er fein opus rewolutioaum und tabulas ans Aidkt
) Keppler theilte feine BVorſtollung in zwei Theile und hans
delte zunaͤchſt von den Rudolfiniihen Tafrin, denn von ben Lanbumaips
yon. Er foriht mit Laune, wie derjenige Gachkundige, welher
nad langem Schweigen fi berebläßt, den Unwiſſenden zu bebeh⸗
son, bob iſt der Gruadton feines Sprache offenbar bes umter des
Maske des Wiged verborgene Miömuth,
SE EEE —— EEE EEE. En En — e e m e —— —— —— —— —
head. An den tebulis Badelphi hat Bye brahe allbereits
abe, nämlich bis in feine Gruben und zwar jeberzeit mit
Höfe von 10, 20, 30 Studioaerum gearbeitet. Geine Ders
richtung ift diefe. Erſtlich hat er das Werk mit observationi-
. bas (weiche gieichfam unfer Zeug, Stein und Holz zum Ge⸗
väube find) überflüffig verſehen; fürs Andere bie fizas stellas
äber Zaufend ausgerechnet, und jedem Stern feinen Ort, weil
ex denfelben jederzeit behält, aufgezeichnet. Drittens has er an
ben Planeten, welche wegen ihrer vielfältigen, verwirrten Bu
wegung das meifte Kopfbrechen verurſachen, auch angefangen
und bei Sonn und Mond überhaupt das Seinige gethan und
den Bau an biefer Seite aufgefhlagen.
Die übrigen fünf Planeten, nicht weniger an Sonn und
Mond fo viel und mehr dann ich oder er jemald gemeint har
ben, find mir geblieben.
An ver Sonne, als dem Eckſtein und Grundvefle zu allen
Planeten und an dem Planeten Marte habe id 9 Jahr gear⸗
beitet, da ich noch ziemliche ‚Hitfe von tauglichen studiosis ge:
habt, bis ich meine Commentaria de Marte ans Licht gebracht.
Derjenige gelehrte Mathematicus Davib Kabricius, ber
mich vor einigen Jahren wegen meines langen Verzugs ftart
angezapft unb je vermeint, er wolle mit feinen tabulis fertig
fein, der zieht dies Jahr die Schnauppen wieder ein, und meldet,
baß fich bei den Sonnenfinfterniffen noch ein anderer merklicher
defectns finde, der bis daher noch uneroͤrtert geblieben; iſt ges
wißlich wohl an den rechten Knopf kommen.
Demnach mir aber die kaiſerl. Beſoldung, nicht allein was
Kaifer Rudolph hochfeel. Gedenkens mir bei der Schleſiſchen Kam⸗
mer und Neichepfennig : Amt Augsburg anweifen, die jegt regie⸗
rende kaiſerl. Majeftät aber confirmizen laffen, fondern auch
was höchft ermeldte kaiſerl. Majeſtaͤt mir allhier im Mauthamt
jährlich affignict, ganz und gar außenbieibt, alfo daß man mic
auch der Schuldigkeit am Mauthamt nicht geſtaͤndig; alſo vers
mag ich wahrlich feinen tauglichen Magistrum oder stadiosum,
der mix mehrere Hülfe (leiftete), nicht zu unterhalten, und liegt
nicht allein die speculation und inventien, fondern auch die
deduction und calculation der observationum (ift unfere Gteins
metz⸗ und Bimmerarbeit) ferners nicht allein bie concipirung
des Textes fondern auch calculatio tabularum taediesisstima et
longissima, ja fogar die Xofchrift auch Abreißung der Figuren aufs
Holz und endlich die vielfältige Correctur im Drud, neben der
testen mir fonft fehr angenehmen Correctur und Veränderung
des Textes, alles mir allein ob dem Halß.
3u geſchweigen die vielfältige Bekuͤmmerniß wegen meines
fogar verbleibenden Ausftandes, wodurch meine Kinder um ihr
mütterliches gebracht werben und zu beffen Sompenfation nichts
väterliche® zu erwarten baben: mit welchen ſchwermuͤthigen Ge⸗
danken und allerhand Anfchtägen mir viel Zeit bingeht; alfo
daß ich endlich, weil je im meinem Abmefen von Hof fein Sol-
lieitator fich meiner annehmen will, bie loͤblichen Stände noth⸗
wendig um Pülf und gleichfam um bie Curatel diefer Hoffchulb
unterthänig flehentlich erfucht werden müffen, weit fondertich fie
von Kaifer Rubolpho zur Beförderung der tabularum Rudolphi
gemeint und hergerührt. |
Michtsdeftoweniger, und wenn ich nur allein biefen Som:
mer aus mit gefundem Leib zu Haus zu bleiben hätte, wollte
ich in Hoffnung flehen, wegen der tabalarum Rudolphi fols
gende boppelte Semonstration (eine in speculatione, die andere
in prazi) zu thun. Endlich in speculatione hätte ich ein Epi-
tomen astronomiae Copernicanae verhofft und beinahe zu End
gebracht, alſo daß folches Werk durch den hiefigen Druder und
durch Hanſens Krugers von. Augsburg Verlag in meiner Ges
genwart gar wohl auögefertigt und gedruckt werben möge. In
diefem Wert werden die Fundamenta Tabularım Rudolphi
erktaͤrt. Ein Muſter des Drucks hier liegend.
uͤre Andere in praxi wäre ich nunmehr fomeit mit ben
tabalis fertig, daß ich gar wohl ein Kphemerida in annum 1617
daraus rechnen auch zu contentirung etlicher Hersen und Land
leute sin Calendariem und Prognosticum, darauf ein ſonder⸗
li Dringen, beifügen könnte, zweifle aber, ob es allhier ges
druckt werben möchte, fonberlich die Ephemeris.
Dieſes intereffante Actenſtuͤck iſt wol ein erwuͤnſchter
Beleg zur Geſchichte der Rudolfiniſchen Tafeln. Was
die von Keppler beflagten Geldrückſtaͤnde anbelangt, fo
mochten fie allerdings fehr bedeutend fein, denn in einem
Schreiben des Rectors der Landfchaftsfchule zu Linz,
Johann Merahard’s, an feinen Freund Bernegger in
Strasburg vom 16. October 1611 werden fie damals
fhon auf 5000 Thaler angegeben. Bedenkt man übrt:
gend die damaligen wirren Zeitverhälmifle, fo wird es
wel begreiflih, wie bei dem beſten Willen des Kaiſers
dDiefe Zahlungen nicht fließend werden konnten.
(Der Beſchluß folgt.)
Vorarbeiten zur römifchen Gefchichte, von L. O. Broͤcker.
Erſter Band. Tübingen, Fues. 1842. Gr. 8. I Thir.
Sollte in kurzer Friſt nach Abdruck gegenwärtigen Bes
richte ein zweiter Band biefer „Worarbeiten‘ erfcheinen, fo
würde Ref. ſich allerdings lebhafte Vorwürfe machen, nicht zei⸗
tig genug gethan zu haben, was vielleicht hätte beitragen E
nen, bie Kortfegung eines fo ganz berufloe unternommenen
Werks zu hindern. Den Leſer in ben Stand zu fegen, bie
Wahrheit der harten Behauptung felbft zu ermeflen, bies wird
nicht fchwer fallen.
Am Schluſſe des Werts (&. 211— 212) finden fi unters
ber Überfchrife „Bine Frage an juriftifche Lefer gemiffe Vers
muthungen über bie judieia legitima aufgeftellt, nach weichen
die Schrift mit den Worten fließt: ‚Liegt in meinen Wermus
thungen etwas Wiberfinniges, fo bitte ich den Kundigen e6 das
mit zu entfchutdigen, daß ich mic, bisher aus Mangel an Zeit
mit bem römifchen Rechtäwefen noch nicht genug befaffen Tonnte.”
Dann war aber jebenfalla Hr. VBröder auch noch nicht berufen
Vorarbeiten über römifche Geſchichte drucken zu laffen Was in
Nr. 200 Wi dv. Bi. f. 1841 in dee Anzeige des erſten Bandes der
‚rdmifchen Gefchickte” Peter v. Kobbe's über die Wichtigkeit bes roͤ⸗
mifchen Rechts und deſſen Bedeutung in Hinſicht auf die Geſchichte
Roms gefagt ward, das kann Hrn. Broͤcker und Jedem, der mit ihm
auf gleicher Stufe der Einſicht ſtehet, belehren, daß der Glaube,
one Kenntniß, und mehr noch, ohne Verſtaͤndniß des römifchen
Rechts, Laffe ſich über Roms Geſchichte ſchreiben, völlig gleich
ftebt dee Anmafung, User franzöftfche mittelalterliche Poeſie zu
berichten, ohne ſich den Geiſt ber Chevalerie zur Anfchauung
gebracht zu haben. So bimmelweit vie Objecte dieſes Verglei⸗
ches auseinander liegen, fo treffend iſt die Vergleichung ſeibſt.
Indeß, Ref. wilt mit ſich handeln laffen unb zugeben, baß eine
Schrift zwar des materiellen Werthes ermangein koͤnne, weil
ed dem Verf. an der allerndthiaften Vorkenntniß gebrach, den⸗
noch aber die Möglichkeit eines formellen Werthes übrig bleibt.
Denn für den gewählten Zweck unausreichend vorhandene Hülfs:
mittel laſſen fih um nichtö weniger mit fo viel Geiſt ımb
Echarffinn handhaben, daß bie Arbeit anregend und biidend auf
den Lefer zu wirken vermag. Wermoͤchte bied aber mei eine
Methode, ober vielmehr Unmethobe, welche — man vergleiche
nur das Inhaltsverzeichnig — alles in vereinzelte Zractätchen
zerreißt, vermöchten bies Forſchungen über aͤlteſte vömifche Ges
ſchichte, die nie vor allen Dingen eine genaue Kritik der
Quellen an die Spige ftellen, um deren linzuverläffigkeiten, ja
Unglaublichkeiten und offenbare Widerſpruͤche ſcharf hervorzu⸗
beben, nicht biernächft irgendwelche als unbeflreitbare, wenn
auch nur nad fubjectivem Ermeſſen angenommene Momente
ermitteln, eine in dieſen audgeprägte Idee des Roͤmerthums
und objectiviten, von biefem Standpunkte aus das verworrene
Material ordnen und auf ſolche Weile Zuſammenhang und Gins
beit in das ſcheinbar unauftöslich ſich widerfprechente Mannich⸗
faltige zu bringen verfucdhen? Hätte vielleicht Hr. Droͤcker eine
Idee bes Römerthums und feiner Geſchichte in der Worrebe ent:
wickelt? Wenigſtens ber Verſuch dazu, könnte man glauben, fei
dort gemacht worden, benn hinter der 47 Seiten langen Bor:
rede wird von berfeiben in dem Inhaltsverzeichniſſe gefagt, fie
„enthalte den Schlüffel zum Werke”. Wenig Gutes aber laͤßt
von einer Vorrede ſich erwarten, welche mit den Worten (©. 1)
fließt: „Die Vorrede iſt, befonders gegen das Ende hin fo
vielfach erft während bes Druds geänbert, daß bie Gedanken⸗
folge zuweilen zerſtuͤckt ift — am liebften hätte ich den — wie
nenne ich's? philoſophiſchen Theil ber Vorrede gar nicht ger
ſchrieben und zwar nur deshatb, weil ich mich zu fo Etwas
noch nicht reif weiß.”
Das tft ftarl, fo ftark, daß bie Lefer dem Ref. wel auf das
Wort glauben, wenn er verfidhert, aud die Vorrede enthalte
nicht das Gewuͤnſchte. Welches Machwerk diefelbe fei, nur noch
ein paar Belege. ©. ıx lieft man die Behauptung : „Eine
Thatfache kann nicht unmoͤglich fein.” Darunter ſteht in einer
Note: „Das hier Gemeinte follte anders ausgedrüdt fein.” Hat
man bi &. xrı gelefen, fo ftößt man auf einen Endftrich und
dann geht es unter dem Datum „am 18. Nov.“ des toeitern
fort in einem Schreibfal, das mit folgendem Gingang anhebt:
„Das Meifte etwa 15 Tage fpäter. Endlich faffe id an einen
Lebenstnoten meiner Gedanken! Das Flattern vieler Gebanfen
endet und die Zaghaftigleit des Urtheils entweicht! Die augens
blicktiche Wichtigkeit gelehrter Befchäftigung mit dem Alter:
tbume beruht zum Theil darauf, daß gerabe jegt auch bei ihr
um die entſcheidende, legte Vorfrage für faft alle Lebentfragen
der drei legten Jahrhunderte gerungen wird: um die legten
Erkenntnißquellen im einzelnen Falle. Ein Urtheil entfteyt nur
dann, wenn bie Vernunft einen Gegenftand berührt. Es kann
mur dann richtig fein, wenn bie Vernunft vernünftig und ber
Gegenftand von ihr erkannt ifl. Daher find bie zwei Voraus⸗
fegungen, unter denen allein die Vernunft ein nicht blos zufäls
lig richtiges Urtheil liefert: Wernünftigkeit der Vernunft,
Kenntniß des zu deurtheilenden Gegenſtandes.“ Gott gebe, daß
Hrn. Bröder’s Vernunft bald vernünftig werde, Erſt dann ift
er berufen, gegen Niebuhr in die Schranken zu treten. Seine
Polemik gegen diefen enthält manche richtige Bemerkung, 3. 8.
©. v: „Niebuhr bemerkt I, S50, es hätte dem Geiſt der Ariſto⸗
tratie ſchnurgerade widerfprochen, wenn die Elienten in den Cu⸗
rien geflimmt hätten. Was enthält bie Behauptung: ‚Dies
ober Jenes widerſpricht dem Geifte einer Einrichtung?‘ Doch
wol nur Polgendes: wenn ſich bie fragliche Ginrichtung frei
und ungehindert entwidelt, fo wirb fie Dies oder Ienes nicht
zur Kolge haben. Darnach ift alfo im gegebenen Falle durch
den Beweis: Dies oder Jenes widerfpricht dem Geifte der frags
lien Einrichtung, noch nicht bewiefen, daß es nicht flattgefuns
ben babe. Um dies zu beweifen, müßte man vorerft nachwei⸗
fen, daß fich bie fragliche Einrichtung wirklich in der fraglichen
Hinficht frei und ungehindert entiwidelt habe.’ Es beweift dies
nur, wie viele unb ieichtzuentdeckende Bloͤßen deſſen berühmtes
Berk bietet. Es kann aber ein trefflider Dann Irrthümer
und Unridhtigkeiten fi Haben zu ſchuiden kommen laffen, bie
bucchfehnittlich genommen ein Jeder wahrzunehmen vermag, ohne
daß darum ein Jeder befugt tft, fidy gegen ihn gu fpreigen und
gu brüften. Hr. Bröder gehört zu Denjenigen, die dazu hoͤchſt
unbefugt finb. . 34.
Literarifche Notizen aus Frankreich.
Giraudeau be SaintsGervais.
Man bat mehren berühmten deutfchen Arten vorgeworfen,
daß fie eine beiletriftifhe Bildung hätten. ir wiſſen nicht,
inwiefern dies gegrändet ift und 06 es Überhaupt ein Vorwurf ge:
nannt werden kann. In Frankreich wenigftene wirb man es
einem Arzte nicht verargen, wenn er mit berfelben Feder, mit
ber er ein BRecept aufgefeht hat, bie Eingebungen feiner Wufe
nieberfchreibt. Indeſſen laͤßt fidy nicht leugnen, daB foldde Mes
bieiner, die den ſchoͤnen MWiffenfchaften opfern, nur zu oft
ihre eigene Kunft zu ſehr aus dem Auge laffen und leicht
ihren Werten einen Anftrich von Sharlatanismus geben. Dies
Teint uns bei Jean Giraudeau, der ficy de Saint: Gervais
nannte, weil er in der kleinen Stadt diefes Namens geboren
ift, der Ball zu fein. Wir wollen nicht den tab über feine
wiſſenſchaftlichen 2eiftungen brechen, obgleich fein ‚‚Trait6 des
maladies de la pean” (1841) und fein „‚Traits des mala-
dies syphilitiques‘ (1838) mannichfach angefochten find Aber
wir finden, daß fi in ‚allen feinen Schriften die Sucht, zu
glänzen und einen ſchoͤnen Stil zu entfalten, und der Anfprudy,
für einen aͤſthetiſchen Kopf zu gelten, faft auf jeder Geite gei⸗
tend macht. Am unangenebmften ſtellt ſich dies namenttich in
der Beſchreibung einer Reife heraus, bie er im J 1833 nach
bem Driente unternommen bat. Dies Buch, von dem man fas
gen Tann, daß das Reue barin nicht gut und das Gute nicht
neu ift, führt den Titel: „„L’Italie, la Sicile, Malte, la Gräce
et la Turquie ou Souvenirs de voyage historiques et anec-
dotiques.” Giraubeau bat ſich befonders noch durch feinen
Sommentar zu Barthélemy's fonderbarem Gebichte über die
Syphilis befannt gemacht (1841). Wir nennen baflelbe fon:
berbar, mehr um ber Wahl bed Stoffe als um der Behand⸗
lung willen. Barthélemy, ber talentvolle Dichter der „Neme-
sis‘, war, als er ſich von feinem poetifchen Zwillingsbruder
losgeſagt und für ein betraͤchtliches Handgeid der Regierung in
bie Arme geworfen hatte, um einen Gegenflond für feine
Poefie in Verlegenheit. &o kam er, nachdem er den Birgit in
franzoͤſiſche Verſe übertragen hatte, auf den Gebanlen, bie
Syphilis zu befingen. „Hierbei Eonnte er ſich wenigftens nicht
compromittiren. Nachdem er das Gedicht ausgearbeitet hatte,
ließ Barthelemy durch Giraudeau die wiſſenſchaftlichen Anfpie:
lungen unb die techniſchen Ausdrücke, von benen das Werk wim⸗
melt, in einem ausführlichen Sommentar, der nicht ohne In⸗
tereffe ift, erfidren. Giraudeau iſt der Eigenthümer und Heraus:
geber bes ausgegeiäpneten ‚Atlas des departements”, beffen
Zeichnungen von Alexis Donnet, Sremin, Monin, Eevaffeur u. %.
entworfen find. Gegenwaͤrtig foll ee mit der Abfaffung eines
„‚Precis de l’bistoire du Poitou” beſchaͤftigt fein.
Die franzoͤſiſchen Colonien.
Die Bibliographie des Colonieweſens iſt im ſteten Steigen
begriffen. Wir haben kuͤrzlich mehre der in dieſes Gebiet ain—
fhlagenden Werte zufammengeftellt unb doch koͤnnten wir jet
Ion wieder eine neue Lifte entwerfen. Kein Menſch will in
Frankreich Hand anlegen, den Golonien einen neuen Aufſchwung
zu geben, aber bafür hält fi) Jedermann für berechtigt, über
die wichtige Coloniefrage, die boffentiich in biefer GSeffion ber
Kammern endli zur Sprache kommen wird, zu fchreiben.
Wir mollen aus ber großen Menge von Schriften, bie ganz
Eürzlich wieder über das Goloniewefen vom Stapel gelaufen
find, nur die bebeutendften ausheben. Wir zählen bazu erftend
ein Wert, welches den Zitel führt: „De la Marünique en
1842 par le comte de la Cornillere'‘ (Paris 1343). Der
Verf., der, wenn wir nicht irren, felbft bebeutende überfeeifche
Beſitzungen hat, theilt uns feine Reifeeindrüde mit. Eein Werk
unterfcheidet ſich indeffen vorteilhaft von ben unzähligen ober:
flaͤchlichen Reifetagebüchern, mit denen wir Jahr aus Jahr ein
überfchwemmt werden. ‚Dr. von Gornilltre ift ein guter Beobach⸗
ter und feine Borfchläge find durchaus praftifh. Beachtene⸗
wert ift ber Gommentar, ben ber Deputirte Jollivet zum Bes
richt erfcheinen läßt, in dem das englifche Minifterium den Zus
ftand des Colonieweſens ſchildert. Diefe gehaltreiche Brofdgüre
führt den Titel: „Enquéêôte parlementaire sur les colonies
anglaises, publice en septembre 1842. Analyse de l’enquäte
par M. Jollivet"' (Paris 1843). 2.
VBerantwortliher Herausgeber: Heinrich Brodhbaus. — Drud und Berlig von F. A. Brodbaus in Leipzig.
'
Blätter
für
literarifbhe Unterhaltung.
Donnerstag,
— Nr. 117. —
27. April 1843.
I
Johann Keppler in Linz.
(Beſchluz aus Nr, 116.)
Keppler geht nach obiger Auseinanderfegung Über bie
Rudolfinifchen Tafeln zu der ſtaͤndiſchen Anfoderung, die
Zandesmappe von Oberoͤſtreich zu bearbeiten, über und
gibt den zweiten Theil feiner Vorftellung die Überſchrift:
Bericht von ber Sanbmappa.
Diefe drei Jahre her fonderlid anno 1614 im Herbſt hab
ich einen Verſuch gethan, und fo viel befunden, daß zum aller:
derften mir eine Hemeffene ſchriftliche instruction was bei
befferung der Mappa mein vornehmfter Zweck feyn fol, vons
aöthen fegn wolle.
Kun find am Tag (beftehend) Wolgangi Lazii mappa to-
tius Austriae mit den fleyerifchen, Lärnthnifchen, falzburgifchen,
baierifchen und böhmifchen confinen, Gerhardi Mercatoris Sty-
ra und Episcopatus Salisburgensis mit ben obderennfiichen
eonfinen, Petri Apiani Bavaria auch mit den obberennfifchen
eonfinen, Augusti Hirsvogels Land ob der Enns, verfaßt anno
1542 geftochen zu Andorff 15983. In diefen Mappen finden
ſich erſtlich vier Faͤiſchungen ber Namen. Darnach ift Lazü
tabula zwar Mein, begreift aber viel Örter, Mercator und
Apianus haben nur etliche Stüde vom Rande ob der Enns,
Girssogel ift ziemlich weitläufig aber unproportionirlich.
Bier iſt nun mein Frag, was dann mehreres zu präftiren
fegn werde, denn bie jegt ermeldte präftict haben? Weitläufiger
und größer, auch zum Theil proportioniriider Tann die mappa
wohl gemacht und die Namen corrigirt werden, auch zu Baus,
ann ich Thon nicht reife, fondern nur die Boten und Bauern
aber jedes Drts Innwoner allbier ausfrage, bann alfo find die
‚Mappen bis dato gemacht worden; hernach koͤnnte eine foldhe
mappa einem berühmten Kupferſtecher zugeſchickt oder vielmehr
einer allher erfordert werben. *) .
So aber ber loͤblichen Erände Meinung dieſe wäre, daß ich
Mitt Orten felber den Xugenfchein einnehmen, ber muppa ihre
Agentliche proportioa geben, nichts übergeben, fonberlich bie
»oafinen und was fonft für antiquitaeten oder denkwuͤrdige
Baden anzutreffen, wohl anerkennen foll, in maßen Apianus
"Bavariam verfaffet, da gehört wahrlich Zeit, Mühe und Uns
“toften dazu. Apianus hat mit Bavaria acht Jahre zugebracht,
bei 6000 Zi. verzehrt, ift gleichwohl nicht aller Orten in ber
Berfon gervefen.
..., Und hab ich mich gemeiniglich an jedem Ort, da es eine
Kich, Meßner und Algen hat, einen Zag zu fäumen gehabt,
bis ich die Kirche befehen, einen erfahrenen Innwohner bekom⸗
wen, ihn um die Gelegenheit ber umliegenden Orten genugfam
ausaefragt. Keiner hat mir nichts vergebens gethan, fondern
°, Wie alfo zu Anfang der Buchdrudertunf die Druder vers
th; herbeigerufen, oder auch auf Wanderung kamen und wie:
der abzogen, fo machten es noch die Kupferſtecher zu Keppler's Beit.
fo lang Antwort geben als er zu trinken gehabt, ober fonft
nicht unwillig ober betaͤubt worben ft.
Daneben hab ich überall fowoht in Märkten und Dörfern,
ba ich Nachfrag gepflogen, ald aud auf Feldern und Bergen,
ba ich mein Abfeben gerichtet oder ben Waflern nachgegangen,
und auf ungewöhnliche Pfade kommen, viel Zurebftelungen und
drohliche Anftöße von unerfahrenen, groben, argwöhnifchen Bauern
erleiden müffen, und würden ſich ohne Zweifel viel mehr auf ben
@rängen gefunden haben.
ieraus leichtlich zu erfeben, daß ich ohne einen vertrauten
Boten oder tapfern Diener, der Schreibens kundig, einen Fuhr⸗
mann zu meinem Blaͤſſel (Falben) und ohne Begleitung eines
jeden Orts Amtmann ober Jägers oder guten bekannten Bauer,
nichts Fruchtbarlichs werde verrichten koͤnnen.
Darauf E. Ehren den überſchlag des unkoſtens oder Liefe⸗
zung (die mir in meiner Beſtallung zugefagt iſt) auch was fie
fonften für notwendig anfieht, Leichtiich zu machen habe.
Nach diefer Erörterung uͤberlaͤßt Keppler zum Schluffe
den Ständen die Entfcheidbung, mit welchem biefer beiden
Werke — den Rudolfinifchen Tafeln oder der Landesmappe —
ee im Sommer 1616 ſich beſchaͤftigen folle. Hieruͤber er
hielt ex folgenden, diefem Berichte indorfirten Beſcheid:
Dem Guppilicanten wird hiemit anbefohlen, er foll alles,
was er bisher gearbeitet, zufammenrichten und benen ‚Deren
Verordneten übergeben, bamit fie foiches den Löblichen Ständen
um berfelben resolution, was er künftig weiter fürnehmen fol,
fürbringen Finnen.
So mar denn ber größte Gelehrte feines Jahrhun⸗
derts, der Mann der MWiffenfchaft im engften Sinne, in
der druͤckenden Rage, Vorfchrift in Hinficht auf ben Ges
genftand feiner fchöpferifchen Producrivirät annehmen zu
müffen! Dazu verpflichtete ihn feine Dienftinfiruction
ausdruͤcklich, inwiefern ndmlih von Verfertigung ber
Landmappen bartn die Rede ifl. Diefe untergeorbnete
Leiſtung, der fi Keppler zwar nicht unterziehen wollte,
die er aber wahrlich nicht der Vollendung ber Rudolfinifchen
Tafeln vorziehen onnte, war dagegen den Ständen von
befonderer Wichtigkeit. Nehmen wir an, daß es deren
auch gegeben haben mag, bie im jener Zeit der Aufre⸗
gung und Leidenfchaftlichkeit dem SProteftanten Keppler
nicht geneigt waren, fo erklärt es fi um fo mehr, wes⸗
halb man fo fehr wegen der Mappenverfertigung in ihn
drang. Als ein wahrhaft glücklicher Zufall erfcheint def
fenungeadhtet ber endliche Beſchluß der Stände: Keppler
möge ſich mit der Kortfegung der Rudolfiniſchen Tafeln
befchäftigen, und die Übertragung der andern Arbeit an
ihren Ingenieur Abraham Holzwurm, der ſich derſelben
466
binnen zwei Jahren entlebigte. Seine Karte wurde von
den Ständen Keppler blos zur Prüfung zugeftellt. Dar:
über erflattete er ihnen einen gleichfalld noch vorhande:
nen eigenhändigen Bericht. Diefe Karte, fowie jene von
Dissvogel und Lazius, waelche Keppler verbefiert hatte,
fm. Sein Gmahten Tıber Holzwurm's Arbeit rich:
tete er nach fünf Fragepunkten ein: 1) ob bie Orte wohl
eingetragen; 2) ob die gradus longitudinis et latitudinig
recht gegeben; 3) ob Fluͤſſe und Berge wohl proportionitt;
4) 0b die Mappe groß und weitläufig genug und 5) ob
fie rein geriſſen und illuminirt ſei? Er äußert feine Zus
friedenheit damit, tobt den Fleiß und die Geſchicklichkeit
des Verf. ungemein und beklagt ben Tod bes Altern
Holzwurm, den er einen „ausblindigen Meifler in der
Kunſt preiſt, den Abriß und die Malerei zu verfertigen”.
Am Schluffe feiner Relation lehnt er den ihm ver
muthlich gemachten Vorwurf, diefer Arbeit ſich entzogen
zu haben, mit folgenden Worten ab:
Obgleich ich vor zwei Zabren ber aus berühsten Urſachen
mi um die Mappen weiter nichts angenommen, auch noch
nicht eindringe, ſolches jeboch nicht dahin auszubenten, als bes
gehre ich fürfegiich wider diefen Punkt meiner Beſtallung zu
handeln, und allein meines Willens, ben bloßen astronomicis
obyitiegen, fondern wann und fo oft eine Löbliche Landſchaft mir
gegen verfprockene ‚Lieferung und Ertheilung Patents (fo mir
noch. nie gugeflellet worden) dieſes Werl wieder aufträgt, darin
entweder per intervala temporum megen Mitforthelfung
meiner mathematifchen editionum oder auch unausjeglich bis
gu End fortzufahren, fonderlich aber, fo etwa bie Beſchrei⸗
bung dee Grängen oder fonft bes Landes unumgängliche Rothe
durft meinen speculationibus vorzuziehen, ja auch auf einem
anbern von mir privatim vorgefchlagenen Wege, To oft einer
aus den Deren und Landleuten, welche bie Landgerichte inme has
ben, zur Eintragung deffetben in die Mappen auf feine Unko⸗
#en meiner begehrt, weiß ich mich jedesmal mit ſchuldigem Ges
horſam zu erweiſen.
In den ſtaͤndiſchen Annalen finden ſich mehre Ur:
laubsbewilligungen für Reifen nad Prag, welche Kepp⸗
Ier, berufen „durch den oberſten Kämmerer, auf Seiner
Mojeftät Befehl” dahin machen mußte. Er ward alfo
auch nad) feiner Anflekung bei den Ständen Oberoͤſt⸗
reichs noch im Hofdienſte behalten.
gaben ihm freilich Gelegenheit, feine Gehaltruͤckſtaͤnde per:
fönlih zu reddamicen, was ex gewiß mit deflo größerm
Nachdruck gethan haben wird, als feine zweite Frau ihn
mit fieben Kindern befchenkt hatte, allein er richtete def:
fenumgeachtet nichte aus und mußte fid) mit Bertröftuns
gen begnügen.
Wie bekannt, war ihm 1618 zu Linz bie Auf:
findung frined berühmten dritten Befeges und 1624
ebendaſelbſt die Beendig der Rudolfiniſchen Tafeln
gelungen, deren Druck gleichfalls in Ling begann, nach⸗
dem ihm Kaiſer Ferdinand II., zu welchem er ſich
dieſerwegen nach Prag begeben hatte, eine Anweiſung von
6000 Fl. auf bie aͤdte Nürnberg, Memmingen
und Kempten hatte ausftellen laſſen. ‚Won diefee Summe
bekam er abermals nur einem Theil von Seite der beiden
legten Städte, während Nürnberg der Bezahlung ihrer
Quote fi gänzlich entſchlug. Dit den erhaltenen ges
singen Mitteln legte ex gleichwol fein Werk in Drud
Diefe Berufungen
und hätte es vermuthlid ganz in Linz zu Stande ge:
bracht, wäre nicht duch den grauenvollen Bauernauf:
ruhe eine Störung eingetreten. Linz wurde von dem
Bauern eingefchloffen und belagert. Wahrfcheinlich ge
[hab «6 um biefe Zeit (1626) und bei dieſem Anlaſ
daß die Stände von Keppier din Gutachten foderten,
wie die Megiferifcye Bibliothek zu verwahren ſei. Die
diesfaͤllige ſchriftliche Außerung Keppler's fand ſich gleich⸗
falls unter den von ſeiner Hand verfaßten Documenten
im ſtaͤndiſchen Archive zu Linz vor Won minder weſent⸗
lihem Intereſſe übergehen wie fie und bemerken blos
ned, daß Keppler nah aufgehobener Belagerung von
Linz mit feiner Familie wegzog, dieſe in Vegenkburg zu
ruͤckließ und fih nah Ulm begab, wo ec den Drud
feine Werts von neuem begann und auch vollen:
dete.”) Inzwiſchen hatten die Stände Oberoͤſtreichs den
kaiſerlichen Befehl erhalten, ihre proteftantifchen Beamten
zu entlaffen. Keppler, von ihnen zur Erklaͤrung aufgefodert,
was er als ſtaͤndiſcher Mathematicus zu thun gefommen -
fel, kohrte vermuthlich aus dieſem Grunde noch einmel
nach Linz zurüd, gab aber erſt dann eine beffinmte
Außerung, als er 1628 mit feinem Gehalt vom Defe
und mit ben früheren Rückſtaͤnden auf Mecklenbutg ver:
wiefen wurde. So kam er in die Dienfte des Herzogs
von Friedland. Das Weitere feines Schickſals berühet
unfere Darftellung nicht. Auf die Entlaffung aus bem
ſtaͤndiſchen Dienfle findet id in den ſtaͤndiſchen Annalen
folgendes :
Johann Keppler
wegen Recompens um bie verehrte tabulas Rudolphi und dis
laſſung feines gehabten Dienft.
In bie gebetene Ertaffung als auch in bie Abraitung wol⸗
1en bie Herren Berordneten hiemit gewilligt und dem Suppli⸗
canten zu feiner Reisnothburft 200 Fl. aus dem Siunchmers
amte zu bezahlen angefhafft haben. Den 3. Juli 16238.
Aus den Hier mitgetheilten Handſchriften Kepplers
ergibt fi als Berichtigung der bisherigen Angaben feis
ner Biographen und als neuer zugewachſener Stoff, daß
diefer große deutſche Mann nicht auf Befehl des Kaifers
Matthias von der obderennfifhen Landfchaft in Diemfe
senommen, daß ihm ebenfo dieſe wiche aus Freiwilliges
Antriebe das Amt eines ſtaͤndiſchen Mathematics vnd
die Profefjur diefe® Faches an ihrer Schule in Linz über
tragen haben, fondern daß vielmehr er darum ange
halten und «8 von 1611 — 238 ehrenvoll bekleidet Has.
Wie teren daraus ben Ancheil kennen, welchen Tyche
de Brahe an der Verfertigung der Rubdolfintfchen Tafeln
genommen, und wenn wir ſchon im Allgemeinen muß
ten, daß Keppler mit großen Schwierigkeiten zu kaͤmpfen
hatte, um das Merk zu vollenden, fo waren biefe bed
vordem nie fo deutlich wie jest nachgewieſen, nachdem
nun er ſelbſt fich daruͤber ausſpricht. Sein Gehalt, zu⸗
Die Belagerung dee Stadt Linz hatte die Eindfigerung bes
ganzen Vorftabt zur Folge. Dadurch kam Keppler um ben bevaitd
gedruckten Theil ſeines Werks, der mit verbranate. Stan Sehe ſei⸗
nen Brief vom 11. Jebe. 1838 aus Prag an die aberöſtreichiſchen
Gtände in Kurz .„. Beitzägen zur Geſchichte von Dberiiuei “,
Bd. 1, G. 58 —— 636,
am
geſchlagen die anderweitigen Unterſtuͤrnngen, welche ihm
Die Staͤnde gewährten, ſowie die Einnahme. die er aus
dem Privatunterrichte des jungen Adels gefchöpft haben
dürfte, werben ihm fin Linz mindeftens eine leidliche Exi⸗
ſtenz verfchafft haben. Wer die damaligen Zuflände und
die Erſchoͤpfung der Iandfländifhen Kaffe zu jener Zeit
kennt, wird es nicht tadeln dürfen, fondern wielmehr als
ter Anerkennung werth achten, daß die Stände von Ober:
öftreih Das für Keppler chaten, was thatſaͤchlich geſchah.
Das Mufsum Frandsco : Carolinum in Linz bewahrt bie
angeführten Handſchriften Keppier’s, ſammt Abfchriften
mehrer Urkunden, welche fi auf feine Perſon und auf
die Berhandlungen beziehen, die nach ſeinem Tode mit
deffen Erben gepflogen wurden. Sämmtlihe Documente
werden jedenfalls bei einer künftigen Biographie vom
Keppier zu benugen fein. Übrigens machen wir wieder:
holt auf Die Zeitfchrift dieſes Inſtituts aufmerkſam, da
fetbe, obwol ausfchliefend dem wiſſenſchaftlichen Intereffe
der Provinz Oberöftreih gewibmet, doch auch öfter das
Depofitorium ſolchen Stoffes wird, deflen Verwendung
ben allgemeinen Interefſen ber hiſtoriſchen Wiſſenſchaften
voutkommen entſprechend if. Natthias Koch.
Romanenliteratur.
1. Des Genies Malheur und Gluͤck. Ein Spiegelbild mit Lands
und Wienerfiguren ſammt exen und Reflexionen von Se⸗
zaſt an Brunner. Zwei Bände, Leipzig, Themas. 1843.
Ir.
Der etwas burlesle Titel mit dem fremden Worte ſchien
dem Mef. eine wiener Poffe zu propbezeien, unb mit ſolchen
Srwartungen nahm er bad Buch zur Hand; er fand ſich aber:
täufht. Schon ber Prolog, ein Dialog zwiſchen Autor und
itgeiſt, bereitet auf einen ernſten Plan vor und der Autor
deutet denfelben durch folgende Worte an:
Das Leben eines Menſchen, den ich kannte
Und den die Zeit umd Erdengluͤck gebradt,
Doch der am Ehe ſich nach Dien wandte
Aus feines Irrthums ſchaubervoller Nacht.
Der Zeitgeiſt ſoll zu dieſem Unternebmen feinen Rath ers
kheilen, was er auf auch humoriftifche Weile thut; er warnt den
Autor, ſich vom Dogma fern zu balten, da man jegt lieber
ꝓon Moral lefe. Deffenungeachtet fpricht er feine Achtung für bie
Religion ohne Verhehlen aus, und als ber Autor feine Verwun⸗
derung dußert über den feheinbaren Widerſpruch bes Zeitgeiftes,
antwortet diefer:
3 lüge wicht, ich lebe nur vom Scheinen,
Ih bin des Zeitenbilded MWiderftrapl,
Und wie bie Spiegel zeigen oft den Einen,
So zeige ich der Menſchen größte Zahl,
Ich höre auf, fowie die Zeit vergangen,
Die Einen aber, deren Bild id wear,
Die find ed, uber bie ber Fluch verhangen,
Die felbibewußten Feinde vom Altar.
D glaubt es mir, auch Wahrheit kann ich reden,
Wenn ih Den finde, der fie bören will,
Ich zeig ihm offen die verborgnen Züten
Bom eigenen Marionettenfpiel.
Jedoch die Welt, die wid ſich ſelbſt belägen,
Sie bleibet gern vor bez Cartine ſtehn,
gäpt fi von Iumpigen Gedanken trügen,
Wenn fie nur kann der Sprache Bitter ſehn a. f. w.
De Ton ui Romans innert an bie alten
mane von Sterne und Fielbing, wo bie fi) ausfpinnenden
flerionen die Erzählung hemmen und bie Hauptſache berfeiben
find, wo bie Begebenheiten bie Gharaltıre der handelnden Pers
fonen darftellen müffen, nicht die Ch aktere zu Berftändigung
der Begebenheiten dienen follen. Oft fühlt man ſich von wahr
baft Jean Paul ſchem Humor angeſprochen, oft von ben einfach⸗
fen Motiven gerührt und bewegt, oft auch von echt komifſchen
Ecenen zum Lachen veranlaßt. Das Ganze trägt ben Stempel
ber Wahrheit; fomol das erfte Abenteuer des Helden, wie er ih
Koth fällt und ungerechtermweife die ftrafende Hand der Mutter
fühlen muß, als au in der Schule und auf ber Studenten
wanderung. Die Bilder des Lerchenfelds, die eingelnen Scenen
ber verſchiedenen Menſchenkinder, welche ihr Gluͤck machen wolr
len, vom Streben ber Zeit erfaßt, und es machen, ſowie de#
Helden Gluͤck und Malheur, Alles ift wahr, bem Leben nadıs
gebildet. Und vor allen tritt die eine große Wahrheit hervor ;
daß das Genie nicht immer zum Gluͤck führt und daß ein Tas
tent zum Fluch gereichen fann, anftatt zum Segen, wenn nicht
ein höherer Geiſt ihm bie Richtung gibt und es leitet. Froſch,
unfer Held, verläßt das Brotftubium, um feinem Malertalent
zu leben, weil ein junges, talentvolles Maͤdchen, welches in feis
ner Phantaſie Eindrud gemacht, ibn gelobt und den Kuͤnſtler⸗
ruhm prophezeit hat. Er geht nad Wien und führt ein uns
geregeltes Leben, welches er ein geniales nennt; feine Malerſtu⸗
bien ohne Pinfel werben in den Kneipen gemacht, beim Biers
trug, in luſtiger Gefellfhaft. Die Bilder, die er malt, finden
Anertennung und tragen ihm Geld ein und er lebt unthätig,
bis dieſes verthan iſt. Kreunde haben Mitleidven mit ibm, weil
fie meinen, dem Kuͤnſtler feine Launen verzeihen zu muͤſſen.
Das hier und da MWieberaufflammen feines Genies unter tem
Elend, ber Armuth, der Krankheit, welche das liederliche Leben
erzeugt, find von tragifhem Effect. Er flirbt zuiegt im Spi⸗
tat; feine weniger begabten Collegen machen indeß ihr Glaͤck:
der harmlofe Schreiber Wangenberger als Munbharmonikns
fabrifant, der berlinee Handwerksburſche ald Brillen: und Aus
gengläferverfertiger.
Der Autor möchte eine große Wahrheit darthun —
und biefe if die Zenbenz des Buches — daß ndmlich der
Mangel an chriſtlichem Glauben jener Flug des Geniuß
ift, woran fo viele zu Grunde geben. Alle jene Charaktere,
welche vorgeben, in ber Natur ihren Gottesdienft zu halten, ans
ſtatt in der Kirche, alle, welche nicht bad Dogma annehmen,
und zwar das katholiſche, bringen es auch nicht weit in der
Welt, oder vielmehr in diefem Romans und fo flebt man denn
auch zulegt den ſterbenden Künftter, vweldyer fein ganzes Leben
ber Philofophie gefröhnt und nichts von kirchlicher Frömmigkeit
wiffen wollte, auf dem Schmerzenslager im Spital der barms
berzigen Scweftern bekehrt, fromm und befriedigt, gern ſter⸗
bend in Chriſto. Des ‚Genies Malheur und Gluͤck iſt ein
treues Lebensbild des 19. Jahrhunderte, wo unzählige junge
Leute untergehen an bem Fluch des Genies. Der Fluch befteht
indeß nicht nur in dem mangelnten Chriftenthum, fondern auch
in Genußſucht und Arbeitsſcheu. Wie der junge Froſch das
Brotftubium beifeitelegt und nach dem Pinſel greift, fo greifen
unzählige nad) der Feder, nach ber Rolle des Schaufpiels, nady
den Mufifinftrumenten. Sie wollen alle reich werden, um zu ges
nießen; währen das Talent ihnen das Reben hätte verfchönern,
ihnen ein Freund, ein Zröfter fein können, bat es fie ins Uns
gluͤck gebracht und ift ihnen zum Fluch geworden. Das Buch
muß dem Lefer während bes Leſens viel Genuß gewähren; ben
denfenden Lefer, ber es aber aus ber Sand legt, wird «8 zu
langem ſchmerzlichen Nachdenken anregen. Es kann zu den bedeu⸗
tendſten Erſcheinungen unferer Literatur gerechnet werden und
iſt allen jungen, talentvollen Männern ats unterhattende und
entwickelnde Lecture zu empfehlen.
2. Wildhanne. Gin hiſtoriſcher Roman aus dem 15. Jahrhun⸗
bert von Franziska v. Stengel. Zwei Theile. Mans
heim, Bensheimer. 1843. Gr. 16. 2 Thle. 7%, Nor.
Der Kampf zwilchen ben Cantonen ich und Bchwyz If}
ver hiſtoriſche Moment, dem ber Roman angepaßt if. Die
Begebenheiten werden meift in Geſpraͤchen abgehandelt und vor⸗
bereitet und dadurch oft unndthige Breite herbeigeführt. Tho⸗
mas Stuͤſſt, der Bürgermeifter von Zürich, wird mit kräftiger
Sharakterzeihnung dem Lefer vorgeführt. Auch Wildhanns von
Bandenberg, der Liebesheld , und Rebing, ber ſchweizer Haupt:
mann, find edle Erfcheinungen, welche gut fpredgen, wenn auch
oft zu viel. Die Boͤſewichter, des Bürgermeiftere Sohn Hans
Stuͤfſi, fowie Thomas, deffen Diener, find foldhe, an denen
fein gutes Haar iſt; fie werden oft zu Garicaturen unb Zerr⸗
bildern. Oft ermangelt der Roman der Wahrfcheintichkeit. Daß
ber Schurke Hans Stuͤſſi die ſchoͤne Verena raubt, durch eine
in ihre Kleider gehuͤllte kopflofe Leiche, die Tochter Thomas, die
ihr Befreunbeten irreteitet und Nachforfchungen hemmt, iſt gut
ausgebachtz daß aber die geraubte Verena monatelang in Züri)
in einem Hinterhaufe wohnt, nur von ihrem Verführer, einem
alten Weide und dem Diener Thomas bewacht, daß fie ihre
unſchuld nur durch einen Dolch vertheibige und biefen Doldy
Niemand ihr zu entreißen vermag, weder bei Tag noch bei
Nacht, daß dann ber von feinem Herrn mishandelte Thomas
das Geheimniß nicht ſogleich, daß feiner ber Übrigen Diener,
die doch auch darum zu wiſſen feinen, es verplaubert, daß,
als man fie mit Lift entfuͤhrt, nicht jedes Haus in Zurich, nicht
ihre nächften Verwandten und mütterlichen Freunde als Schut
gewährend aufgefucht werden können, um fo mehr, da der maͤch⸗
tige Bürgermeifter tobt ift und fein Sohn feine Gtüge an
ihm fände, daß die kaum der Gefahr Entronnene in der
Irre umberziehen und ſich neuen Gefahren preisgeben muß —
kam Ref. hoͤchſt fonderbar vor. Auch daß ber nach Rache
fynaubende Thomas Feine andere Rache für feinen vormaligen
graufamen Herrn findet als ben @iftbecher, während doch Vere⸗
na’s verfolgte Unſchuld in jener rittertichen, wenn auch nicht ge:
feglichen Zeit Kaͤcher gefunden haben würde, alles Das find
Verftöße. Übrigens find die Beſchreibungen gut, die biftorifchen
Begebenheiten lebendig vorgetragen, das Ganze feflelnd durch
Thaten und Greigniffe, Schlachtgemüht und Todesfaͤlle. Der
Held Wildhanns, obgleich im ehrlichen Kampf gefangen, vom
gandamman ber Schwyzer ale Bochverräther verurtheilt, fällt
auf dem Schaffot, Verena aber geht in ein Klofter.
3. Novellen⸗Album mit Beiträgen von B. Auerbach, 8. Dies
fenbad, 8. H. Geibler, A. v. Haffelt, H. Koenig,
. 3. Kuranda, 9 Laube, 8. Eebrun, ©. Robin,
C. v. Schmidt. Erſter bis dritter Band. Leipzig, Herbig
1842. Gr. Ler.:8. 3 Thlr.
Einige der Namen auf dem Zitelblatte find fo ruͤhmlich
befannt und wohltönend, daß fie für ben Werth bes Inhalts
garantiren Eönnten. Ref. fühlte fich zu den ſchoͤnſten Erwar⸗
tungen berechtigt und war nicht getäufht. „Die beutfchen
Abende’, womit ber erſte Band beginnt, von B. Auerbad,
beurfunden ſich als echt deutſch, wegen der finnigen, gründlichen
Beleuchtung des „wer ift gluͤcklich“ und durch bie Löfung der
Frage. %. dv. Haſſelt's biftorifche Novellen find anziehend
dur Stoff und Bearbeitung. „Zicci“, von &. v. Schmidt,
fhien Ref. nicht Original zu fein, Auszug oder Bearbeitung
eines englifhen Romans, mit veränbertem Anfang und Ende,
Die „St.:Liepinsnarren, novelliftifge Chronik nach flamändifchen
Archiven“, von St.⸗Genois, ift als gefchichtliche Darftellung
intereffant, trägt aber nicht ben Stempel der Novelle. Sehr
“feffelnd und ergreifend dagegen ift „Jakob Steen“, Hiftorifche
Novelle von Bictor Zoly, Zeit und Menſchen ſcharf charak⸗
terifirend und in den menigen Blättern Thaten und Intereffe
draͤngend; ba ift kein Federſtrich, welcher nicht zur Vollendung bes
Banzen gehörte. „„Der Hausiehrer‘ bagegen, von, 9. Geibler,
tft unbedeutend, an hunderttaufend franzoͤſiſche Novellen erinnernb.
‚Der alte Schaufpieler”, von J. Kuranda, iſt gang trefflich aus:
eführt, ein feltener Charakter, wie nur der tiefdentende Autor
n finden und erkennen Tann; viel weniger gut ift „Selbſttaͤu⸗
taͤuſchung“, von bemfeiben Verf.; ber Held ift fo ganz erbaͤrmlich
nflgueen has
für entfchädigen. „Die Folgen eines Wiges‘, von B.Lebrih, if
auch nicht zu empfehlen, ebenfo wenig wie die „Prophezeiung
von E. Robin. Dagegen verdient H. Laube's „Marquiſe von
Manzera“ Anerkennung und Lob, obgleid es als Bearbeitung
eines befannten Stoffes angelänbigt wird. Es iſt in Dialog
efaßt, zeigt den abgelebten ſpaniſchen Shemann mit ber
unſchuldigen jungen Gattin, ber pfiffigen Duegna und bem
fürftlichen Verfuͤhrer. Gin Lebensbild, deffen tragifches Ende
ergreifen und rühren muß.
4. Das Pfarrhaus. Eine Familiengeſchichte vom Verfaſſer der
„Mahleiche“ u. f. w. Zwei helle. Braunſchweig, Leibtock.
1843. 8. 2 Thle. 7Y, Rgr.
Wirklich eine Bamitiengefhichte, wie ber Zitel verheißt: ein
vielgeprüfter, frommer Pfarrer, eine liebenswürdige Pfarrers-
tochter, eine tugendhafte, verwitwete Tante, ein ebler, reicher
Bewerber, ein in ber Stille anbetender Berehrer, viele erbaus
liche Zwie⸗ und Selbſtgeſpraͤche, nachträglich erzählte Lebensge⸗
ſchichten, Alles gut gefchrieben, angenehm erzählt, mit fchönen
Lebenswahrheiten und guten Reflexionen gewürzt, und überall
das Gute heraushebend, überall eine eble Tendenz an den Tag
legend. Nur die Intriguirenden, bie Schledhten find nicht gut
gerathen: der Amtmann und feine Gattin find fo mit dem Ws
fen geflempelt, daß man nicht begreift, wie. fie noch Schlechtes
vollbringen, wie fie noch einen Augenblick täufcgen können. Ihre
Sntriguen find loder angelegt, fie beängftigen nicht für bas
Schickſal der Guten. Der ſchaͤndliche Neffe des Freiherrn von
Korbheim, deffen Verleumbung ben Sohn verbrängt, erinnert
an Kranz Mohr. Der vom abelftolzen Vater wegen der Bers
maͤhlung mit der diteften Tochter bes Pfarrers Grone verftoßene
Sohn Ferdinand lebt ald Maler und verdient auf biefe Weiſe
den Unterhalt feiner Familie, während feine Frau ſich über ben
(ud ihres Vaters grämt. Bor feinem Zode nimmt aber ber
farrer biefen Fluch zurüd, der Freiherr von Rorbheim vers
föhne fi mit dem Sohne und verzeiht um der blühenden En⸗
tel willen den Fleck feines Stammbaumes. Des Amtmanne
Schandthaten werden entbedt, das Lafter wird beftraft, bie
Tugend fiegt. Das Ganze als moralifche Lecture fehr empfeh⸗
lenswerth. 12. -
Literarifhe Notizen.
Zur Publication in England iſt vorbereitet: „An apology for
the revival of christian architecture in England”, von X, Waıbp
Yugin. Folgende Hauptpunfte werben darin zur Erörterung
fommen: die Mängel der modernen englifhen Architektur
werden nachgewiefen und Eritifche Bemerkungen über verfchiedene
neue Bauten beigefügt; Vertheidigung der chriſtlichen Architek⸗
tur gegen mandherlei Einwuͤrfe; die Ungereimtheit der Wieder
befebung des claffifchen Bauſtils im 16. Jahrhundert wird bars
gethanz bie @runbfäge der Heibnifchen und chriſtlichen Sculp⸗
tur werden betrachtet und bargelegt, daß bie chriftliche Archi⸗
teftur ber legtern Kunſt ein großes Feld der Thaͤtigkeit gewaͤhre;
die innige Verbindung zwifchen dem beftebenden Syftem der
Verwaltung Englands und bem ber Eatholifhen Vorfahren wird
nachgemwiefen (1); endlich wird zu beweifen gefucht, baf Eng⸗
land für bie Wiederaufnahme des chriftlichen Bauſtils das ger
eignetfte Land ſei; auch Betrachtungen über mehre berrlice
Überrefte des katholiſchen Alterttums in Englanb werben beis
gefügt, und das Ganze bdiefes Fatholifchen Bauſyſtems, in bem
Bormat der „True principles of pointed or christian archi-
tecture”' erfcheinend, mit zwölf Kupfern erläutert.
Von F. T. B. Clavel, „mattre & tous grades”, erſcheint
in Paris in Lieferungen: „Histoire pittoresque de la franc-
maconnerie ot des societes secretes anciennes et modernes”,
mit 25 Kupferftichen. 18,
Verantwortlicher Heraußgebers Heinrich Brodhaus — Drud und Verlag von F. U. Brockhaus in Leipgig.
Bla
tter
für
iterarifße Unterhaltung.
*
Freitag,
28. Aprit 1843.
Religion, Theologie und Philoſophie.
Eine Trias.
1.
Jedes Bedentſame In menfchlichen Gedanken, Hand⸗
Iungen, Kunftwerten wird aus dem Geiſte geboren.
Cinn und Berftend faffen- das Gewordene, nicht den
Qrund des Werdens, den Geift; fie deuten nur darauf
bin, fetzen ihn voraus. Damm wird von dem Denker,
dem Zugendheiden, dem Dichter Geiſt und Begeiflerung
werlangt und man fpricht von Tiefe und Flaͤche bes
Dentens, Handelns und Dichtens; die Tiefe weil auf
ben fehaffenden Goiſt, bie Fläche auf das Gewordene, den
Leib; Ruͤckficht oder Rüdfichestofigkiit auf deſſen Ent⸗
ſtehung und hervorbringende Kraft machen den Unter⸗
ſchied. Das ganze menfhliche Leben iſt eine Verleib⸗
Uchung des Geifligen, ſeiner Zwecke, feiner Richtungen ;
und. daher auch umgekehrt eine Wergeiſtigung des Leib:
Kchen, ein Bewußtwerden feines tiefen rundes, Leibe
lichas laͤßt ſich beflimmt auffaften, deſſen Beſchaffenheit
etzaͤhten; Seiſtiges iſt feinem Weſen nach unbeſtimmt,
wird geahnet und von feiner Beſchaffenheit gibt es keine
Erzaͤhlung. Entwidele dir, was du am menfchlicen Wer⸗
hen und Haudlungen buch Besrachtung wahrsimmil,
und du gewinnk Begriff berfeiben, aber nicht von der
Vegeiſterung, dem Genius, der Singebung, woraus Werke
und Handlungen hervorgingen. Allenthalben eine Offen⸗
barung des Offenbarenden, eine Sichtbarwerdung des Vers
borgenen, eine Kaflichleit des Geſchafſenen, eine Unfaß⸗
lichkeit des Schaffenden. Oder fichft und verſtehſt bu
die Begeiſterung des Dichters, des bildenden Künftiers,
deffen Werte du kennſt und wegen bes Richterfennmiß,
wir diefelben entſtanden, bewundert?
So aud in dee Metigion. Ste iſt das Bewußtwer⸗
dem eines Mehr ats du felber, eines Höhen, Bellen,
Bollkommenern, ober wie fonft bie Ausbrüde gewählt
werden moͤgen. Das Wegrenzte, Beſtimmte ift dem
Menſchenverſtande angehoͤrig, das Unbegrenzte, Unbe⸗
ſtimmte feiner Religion. Sie iſt das Tiefe für die Ober:
flaͤche bes Lebens, ein Unfinnliches im Vergleich mit al
Im Siuwlichen, ein unerkanntes Geiſtige für das erkannte
Leibliche des Daſeins.
- Wie aber ber Geiſt ſtets fich im Leibe offenbart, der
Schaffende am Gefchaffenen, fo wird auch eine nähere
Beſtimmung, Verleiblichung des Religion im menſchlichen
Berwußtfein"gefucht werden und hervortreten, und 6 ha⸗
ben die Religionen folder Verkeibiichung ihren Urfprung
zu danken. Jene Zeruane Alherene bed Zenbfoflens,
als das Ewige, Anbeginnlofe, bringe Weſen berwor, denen
es von feines Groͤße, feinen Eigenſchaften, feiner Macht
und Herrlichkeit mischeitt, und dadurch gibs es daun eine
Religion des Ormuzd und Ahrlman, ober aus Para«
brama eine des Brama, Wifhnu, Shiva. Incarnation
beißt der Gefammtcharakter, in welchem fich bie Beligio-
nen entwideln.
Gewiſſe Stufen ber Berkörperung find hierbei in des
Religionsgeſchichte zu erkennen, ungeachtet fie nicht ſteso
in derſelben Ordnung aufeinander folgen und auch Ver⸗
bindung und Miſchung unser ſich geſtatten.
BZuvoͤrderſt verkoͤrpert fi die Religien im Begriff
Begriffe ind Bein Siunliches, fie Liegen daher dem Unſtnuli⸗
chen des Retigion näher als finnliche Anſchauungen. Begriffe
find zugleich ein Menſchliches, ein Product des Denkens, sine
Beflimmung des Unbeflimmten, daher ein Leib, der das
Letztere offenbart, der mit Gedanken und Wort gefaßt
werden kann umd darum dem vsligiöfen Bewußtſein ſich
empfichit. Die abflrasteften, vom concreten Sinnlichen
entlegenſten Begriffe eignen ſich dafür am meiften; alfe
die Begriffe des Seine, des Werdens, des Alle, den
Subftanz; und wenn daraus fihon in fruͤhen Zeiten ein
Pantheismus hervorging, der auch in fpätern unter mans
hen Formen wiederkehtt, fo iſt biefes eine Begriffincar⸗
nation, dem menfchlichen Verſtaͤndniß, welches durch Be⸗
geiffe zu Stande bommt, naheliegend und von begriffbauen⸗
den Philofophen deöhalb annehmbar gefunden. Geſetzt,
dies entfpräche dem urfprünglichen veligiöfen Bewußtſein
aus unvollkommen, fo entfpringt es vieleicht aus einem
Mangel der Verkoͤrperung, den Begriffe an ſich tragen,
ohne doch der Geiſt felben zu fein; fie find Gebilde des
denkenden Wienfchengeiftee, gereorden aus feiner verſtaͤndi⸗
gen Macht, Beine Weſen höher als der Menſch.
Wegen der Leerheit abſtracter Begriffe bat man diefeiben
auszufuͤlen, ihren Iuftigen Körper zu verdichten gefsccht,
z. B. in den Emanationsiehren, die mit Ausfließen und
Ruͤchfließen des reinen Seins und Werbens das Goͤttliche
bezeichnen und daran eine Sinnenauffafſung befigen,, er⸗
430
kennbat aud im Auseinandertreten des Einen (des Un⸗
bedingten) zur Zweiheit, mit Bewegung, Raum und
Zeit, als Anfägen zur Verkoͤrperung, oder in dem Sein
des Abfoluten, weiches als Nichts an fih zu feinem An:
dern, zum Etwas wird und im Menfchen, deſſen Koͤr⸗
yerdafein wahrnehmbar iſt, zum Selbſtbewußtſein gelangt:-
Hierin durchweg erſcheint eine Fortſetzung der Begriff:
incarnation, deren abitractefte Geſtalt einen Mangel
£undgibt, dem abgeholfen werden foll.
Darum kommt es zur zweiten Stufe der Berkörperung
in Borftellungen. Die Begriffe felber weifen darauf
hin, fie beziehen fi auf ein Vorſtellungsgebiet, aus wel:
chem fie Nahrung faugen und Beſtimmtheiten gewinnen,
die bei der hoͤchſten Abftraction unfenntlid werden. Me:
ligion auf diefer Stufe hat vorgeftellte Gegenſtaͤnde, wenn
nicht in wirklicher finnlicher Anfchauung, doc) im Bilde,
und zwar einem ſolchen, beffen Bewahrung eintreten
inne. Ein unfinnlies mehr als menfchliches Welen
wird gefegt, ähnlich dem ſinnlich mahrnehmbaren, aber
wicht diefes ſelbſt, weil es fonft nicht dem religiöfen ‚Bes
wußtfein, ſondern blos bem finnlichen angehören würde,
aber im Bilde mit dem finnlichen vermittelt: Begreif⸗
liches und Borftellbares find gleihfam ineinander ges
wachlen.
Was fällt in den Kreis der Vorſtellungen? Perfonen
und Sachen. Ein Bild jener gewinnen wir durch Wahr:
nehmung unferer felbft und unferd leihen, das Bild
diefer durch Wahrnehmung der Naturdinge. Goͤttliches
Sein wird mithin vorgeſtellt als ein perſoͤnliches, erhaͤlt
dadurch Beſtimmtheiten, nämlich Bewußtſein feiner ſelbſt,
Willen, Verſtand, Wirkſamkeit aus eigenem Entſchluß,
perſoͤnliches Verhaͤltniß zum Menſchen. Wie mannich⸗
fach auch die Incarnation auf dieſer Stufe des Perſoͤn⸗
lichen wechſeln moͤge, ſie bleibt Anthropomorphismus
und iſt in manchen Religionen ſo kenntlich, daß ſie faſt
ihren Geſammtcharakter ausmacht. Ob die Perfönlichkeit
des goͤttlichen Weſens in eine Vielheit ſich zerſpalte, oder
in eine Einheit zuſammengehe, iſt freilich fuͤr das Ver⸗
haͤltniß des Menſchen und ſeine daraus erwachſende Le⸗
bensanſicht, für Furcht oder Liebe, für Verehrung und
Hoffnung nicht gleichgültig; jedoch bleibt die Verleibli⸗
hung des religiöfen Bewußtſeins in beiden Fällen biefelbe.
Allein in den Kreis der Vorſtellungen fallen nicht
blo8 Perfonen, fondern auh Sachen, bie Verleiblihung
kann alfo gleichfalls in dieſen gefchehen. Wenn fie ſich
nicht an einzelnen fihtbaren Dingen als Zetifchen befe:
fligt, dient die ganze Natur nit ihren Erfcheinungen
zum Vorftellungsbilde. Mehr als menfchliche Naturmacht
ift finntih wahrnehmbar, daher hoͤchſt bedeutfam. Die
Natur ift ferner ein Begriff, welcher Vorſtellungen ein:
zeiner Naturdinge unter ſich begreift, alfo der Begriff des
Au, des Ganzen und feiner Theile, des Allgemeinen und
Befondern in ihrer Einheit, des Seins und Werdens in
Beharrlichkeit und Wechfel, wodurch das Vorſtellungsbild
ſich der Begriffverleiblichung anndhert und beide nicht fel-
ten zuſammenwachſen. Wird ſinnliche Raumerfüllung
als das Gemeinſchaftliche (Subſtanz) aller Naturdinge
im Begriff feftgehalten, fo erwächft auf dieſer Verleibli⸗
chungoſtufe der Materialismus, als befondere Geſtalt des
Naturalismus überhaupt und mit Atomen in unendliche
Vielheit zerfallend.
Es erhellt, der Naturalismus fei fein Anthropomor⸗
phismus, fondern refigidfe Sachverleiblichung, und nur
wenn diefer die Vorftellung einer Weltſeele ſich anſchließt,
treten beide einander näher. Sie behaupten indeß ſtets
eine Derfchiedenheit, weil der Naturalismus die logiſchen
Begriffverhältniffe des Allgemeinen und Befondern feſt⸗
hält, Die bei der Vorſtellung menfhendhnlicher Indwi⸗
dualität Feine Anwendung finden; auch wird eine Welt:
feele nicht als individuelles perfönliches Weſen in dem
Vorſtellungskreis aufgenommen. Weil nun das menfdy
liche Denken fich flets in den Werhältniffen des Auges
meinen und Beſondern bewegt, fo haben heidnifche Phi:
lofophen den Naturalismus einem reichgegliederten Volks⸗
anthropomorphismus vorgezogen, und auch die chriftlicyen
folgen leicht diefem Hange in Bezug auf den einfacdyern
des Chriftenthums,.
Immer weiter hinein in die Vorſtellungswelt geras
then die folgenden Stufen der Verleiblichung. Werde
perfönliches Weſen oder Natur vorausgefegt, fie find Ur:
ſache eines Geſchehens und deſſen finnliher Wahrneh⸗
mung, ihr Sein offenbart ſich in Wirkungen — in
Handlungen, im Entſtehen und Vergehen, in Theilen
des Ganzen, in Accidenzen der Subſtanz. Aber gewoͤhn⸗
liche Erſcheinungen des Lebens feſſeln nicht die Aufmerk
ſamkeit; dieſe hält fi) an das Außerordentliche, dem taͤg⸗
lien Weltlauf Unterbrechende, an das Wunder. Mor
bat außerordentliche Naturereigniffe und das Staunm
darüber ald Quelle religioͤſer Vorftelungen bei den Voͤl⸗
fern betrachtet, fie find aber keine Duelle, fondern Ver⸗
leiblihungen der Religion, weldye daher nach oͤrtlichen
Befonderheiten und Erfahrungen fich richten. Die Stimme
der Gottheit tönt aus dichten Wäldern, tiefen Grotten,
im Ungeroitter, aus der Meerflut; bie verborgene Kraft
der Ratur oder Äfkulap find Urſache fchneller Hellungs
fo lange Mond : und Sonnenfinfterniffe noch Wunder
find, haben fie ihre Stelle in der Religion bes Volks
und verlieren diefelbe durch Ausrehnung im Kalender.
Am deutlichſten und entfchiedenftn erfcheint die In⸗
camation in menſchlichen Individuen, welche Wunder
verrichten. Heidniſche Vielgoͤtterei Bann derfelben entbeh⸗
ven, denn die Götter wandeln auch auf dem Olymp in
Leibern, nur freilich beffern als die menfchlichen, wenn
fie nicht zuweilen eine Verkleidung in bie legtern votzie⸗
ben. Der Dalai Lama hingegen bedarf ihrer fortwaͤh⸗
rend und iſt in feiner durch alle Zeiten fichtbaren Maris
feftation der vollendetſte Anthropomorphismus. In ge:
ringerm Maß wird biefer kenntlich in Prieftern, goͤtcci⸗
hen Befandten, melche geeignet find, die Verbindung
zwifchen Gottheit und Menſch einzuleiten ober herzu⸗
ftellen.
Wenn irgend eine Berleiblihung der Religion, fi «6
diejenige der Begriffe, oder der Vorſtelungen, der offenba=
renden Wunder, oder perfönlicher Erfcheinung, im einer
41
beſtimmten Zeit fich feſtſtelt, fo wird fie der Nachwelt
eigen entweder durch Wiederholung ihrer ſelbſt, oder durch
Überlieferung in Wort und Lehre, wo dann die letztere
für das nicht in Sinnenwirklichkeit Wiederholbare gleich:
fam einen Körper des einſt Worhandenen und Geſchehe⸗
nen bildet, an welchem Begriffe und Borftellungen ihre
beflimmte Haltung finden und dann den Inhalt irgend
einer Theologie ausmachen. Die Theologie iſt daher Lehr:
körper der Religionsverkörperung, mündlich oder ſchriftlich
von Geſchlecht zu Geſchlecht fortgepflanzt.
Gemeinſchaftlich iſt der Religion und Theologie Ver⸗
anſchaulichung der Gottheit und Vergoͤttlichung des Men⸗
ſchen, Naturwerdung der Gottheit und Vergoͤttlichung
der Natur. Wird Eine ſolcher Richtungen im Lauf
der Zeiten ſehr uͤberwiegend, ſo entſpringt aus der Grund⸗
lage aller Religion im menſchlichen Bewußtſein das Be⸗
dürfniß, die Gottheit als goͤttlich, die Menſchheit ale
menſchlich, die Natur als natuͤrlich einander gegenuͤber⸗
ſtehend wiederherzuſtellen. Die Herſtellung geſchah und
geſchieht im verſchiedenen Anfägen bei griechiſchen Philo⸗
ſophen und jüdifchen Propheten, bei Katholiken und Pro:
teftanten, bei den Philofophen unſerer Zage und ihren
chriftlihen Gegnern.
Vielleicht laͤßt fih das Allgemeinfte der Religiondge:
fhichte und ihrer Theologie folgendergeſtalt am beiten
ausdrüden: „Jede DBerleiblihung fodert ale ihre Ergaͤn⸗
zung bie Bergeiitigung, und umgekehrt diefe fodert jene.”
(Die Bortfegung folgt.)
Notizen Uber das ee Schulwefen in
reich.
Ze feltener unfere preußiſchen Gymnaſialprogramme Auffäße
von allgemeinerm Intereſſe bringen, befto angenehmer über:
raſcht eine Mittheilung über das oͤſtreichiſche Schulweſen, welche
in dem zuliegt erfchienenen Programm des Tönigsberger Frie⸗
drichscollegiums enthalten ifl.”) Der Verf. berfeiben, Br. Dr.
Lewis, batte im vorigen Jahre auf einer Reife duch Oftreid
Gelegenheit, einige Schulanftalten Wiens aus eigener Anfchauung
tennen zu lernen, und was er uns in dem gedachten Programm
über biefe eigenthümtiche, von ber unferigen ganz abmweichenbe
Unterrichtsorganifation berichtet, ift ein fehr dankenswerther Bei:
trag gu Charakteriſtik der öftreihifchen Nationalbildung.
in Auszug aus den gegenwärtig gültigen, im Jahr 1820
erlaffenen Verordnungen über die Verfaffung der dortigen Gym⸗
naften dürfte vorzüglich geeignet fein, bie Einrichtung dieſer An⸗
ftatten kennen zu lernen. Zur Beförderung der Religioſitaͤt ift
2) Giner Rechtfertigung, daß Dr. Lewis keine „gelehrte Abs
danblung” geliefert, hätte es nicht beburft; doch find bie Worte,
mit denen er fi hierüber ausſpricht, fo treffend und beherzigens⸗
werth, daß mir nicht umbin können, fie bier wiederzugeben: „Sollte
Diefe Befchaffenheit des Programme in etwas von ber bergebratten
Sitte abweichen, fo kann ich fie doch nicht für verwerflich halten.
Woher kommt ed, daß die oft (?) fo werthvollen Abhandlungen ber
Programme meiftend wie ein todter Schas in ben Schulbibliothelen
vergraben liegen? Vielleicht wird es und und der Welt nicht ſcha⸗
den, wenn wir Schulmänner in diefer Art von Schriften und ein
wenig mehr der lebendigen Wirklichkeit der Lebenderfheinungen,, fo
weit fie die Schule angeben, anzuſchließen fuchten. Do man außers
dem im übrigen Deutfhland, und bei und zumal, von dem Öftrels
qhiſchen Schulleben fo gut wie gar nichts Specielles zu willen fcheint,
fo fürdte ich nicht, Eulen nach Athen zu tragen x.”
verordnet, daß ber Religionsiehrer tägliche, monatliche und halbe
jährliche Prüfungen anguftellen hat, Und bag Fein Schüler in
eine höhere Claſſe verfegt werden darf, wenn er nicht von dem
Religiondiehrer die erfle Genfurnummer beibringt. ( Diefetbe
Einrichtung beſteht feit einigen Jahren auch in Baiern; baf
man in Preußen etwas Ähnliches beabfichtige, muß als ein leer
res Gerücht bezeichnet werden.) Grhält ein Schüler ber zweiten
$umanitätsclaffe (d.h. Prima) im zweiten Semeſter des Schul⸗
jahrs eine nachtheilige Sittencenfur, fo hat dies bie Wirkung,
daß er weber bei berfelben Anftalt bleiben noch bei einer andern
aufgenommen werben darf. „Alle Gymnaflaften (bier Studi—
rende genannt) müffen auch an den Recreationstagen ber heil.
Meffe in der Anftait beimopnen. Bei der Gtafiificirung (Gen«
furertheitung), vorzüglich bei den Sitten, ift auf die Erfceis
nung Rudfict zu nehmen.” (Wir müffen annehmen, daß biers
mit das Erſcheinen bei der Heil. Meffe gemeint fei.) Die Gyms
nafialjugend iſt verbunden, fünf Mat des Jahres zur Beichte
und Sommunion zu gehen, und hat ſich darüber bei dem Praͤ⸗
fecten (Director) mit einem Beichtzettel auszuweiſen.
‚„ So weit die Borfchriften zur Beförderung der Religioſitaͤt;
nicht minber gemeflen find die Anordnungen zur Aufrechthaltung
der Disciplin. Der 5 30 befagt: Am Ende jedes Schuljahres
muß Gr. kaiſerl. Majeftät felbft von allen aus dem legten Gym⸗
naſialjahr ausgetretenen Schülern ein Verzeichniß vorgelegt were
ben, das eines Jeden Betragen, Verwendung und Fortgang
durch die ganze Zeit feiner Gymnaſialſtudien barlegt. $ 32.
Körperliche Strafen find von den Gymnaſien ſchlechterdings ent=
fernt zu halten. 5 34. Der Unfleiß hat I) Ermahnung, 2)
Erinnerung an bie Altern, 3) Zurüdfegung, 4) Ausfchließung
vom Gymnafium als Strafe zur Folge. Auf moraliſche Fehler
bat im Wiederholungsfalle Arreſt einzutreten, der jedoch nicht
über 24 Stunden dauern und nur ein Mai angewendet werden
darf; beim zweiten Fall tritt Excluſion ein.
Was die Anordnung des Unterrichts ſowie bie auf. die
Schule und die haͤuslichen Arbeiten zu verwendende Zeit betrifft,
fo würde Dr. Lorinſer ſchwerlich in Öſtreich Stoff zu jenen
Beſchwerden gefunden haben, mit denen er vor mehren Jahren
gegen die preußifchen Gymnaſien auftrat. Die letztern haben
woͤchentlich 30 — 32 Lehrftunden, bie häuslichen Arbeiten ber
Schüler in den obern Glaffen betragen nach einer billigen Schaͤ⸗
dung ebenfo viel Zeit, während auf den Öftreichifchen Gymna⸗
fien täglich nur zwei Vor⸗ und zwei Nachmittagftunden gegeben
werben, wobei am Dienftag der Nachmittag unb der Donner:
flag ganz ausfällt, fobaß alfo die Ginmnaflaften wöchentlich nur
18 Unterrichtöftunden und dabei fehr wenig häusliche Arbeiten
haben; diefe befchränten fi auf Wiederholung des Vorgetrage⸗
nen und Erlernung bes Aufgegebenen; unfere fchriftiichen Ars
beiten und freien Xufläge fehlen ganz, dba dergleichen nur in
der Claſſe angefertigt werben.
Die Unterrichtegegenftände, bie bei uns in den obern Claſ⸗
fen aus Latein, Griehifh, Hebraͤiſch, Deutfh, Franzoͤſiſch,
Religion, philofophifcher Propädeutit, Geographie, Gefchichte,
Mathematik, Phyſik, Raturbefchreitung, Seichnen und @efang
befteben,, rebuciren fi in den oͤſtreichiſchen Gymnaſien auf Bas
tein, Griechiſch, Rechnen und Mathefis, Geographie, Geſchichte
und Religion. In Betreff der alten Sprachen werden in als
len Staffen beſtimmte, durch das Reglement feftgefegte Chreſto⸗
mathien, niemals die Ausgaben der alten Autoren ſelbſt ge⸗
braucht. Im Griechiſchen ſind die Tragiker und Redner ſowie
Plato ausgefchloffen.
Eine merkwuͤrdige Stelle aus der Schulverordnung iſt fol⸗
gende: „Judenkinder, welche ein Gymnaſium befucdhen wollen,
müffen mit einer fchriftlichen Erlaubniß der Landesregierung
verfehen fein.”
Wie hoch die Lehrer im Gehalt ftehen, ift nicht geſagt;
wahrfcheintich find die Beſoldungen nicht bedeutend; body finder
bier eine Einrichtung ftatt, welche bie wohlwollende Fürforge
ber Regierung beweiſt. Es wirb naͤmlich allen aus Öffentlichen
Bonds befoldeten Gymnaſiallehrern nach jedem zur Zufriedenheit
ten Desennium im Lehramt ihr Gehalt um ein Deit⸗
del deſſelben vermehrt. Nach dreißigjaͤhriger Amteverwaltung
bekommen fie ihr volles, durch bie Zulagen geſteigertes Gehalt
is Penfion. (In Preußen haben bie Lehrer bis jett noch keine
Penfionsberechtigung, doch wurden diefeiben in ihrem Alter durch
die Ednigliche Gnade größtentheild To verforgt, wie es bei bes.
Schwierigkoit des Berufs und ber ſchneller als bei andern Ams
tesn eintretenden Abnutzung ihrer Kräfte billig ifl; der vor etwa
zwei Jahren verfoßte Entwurf zu einem Penfionsreglement für
Scheer an hoͤhern Schulanſtalten ift bis jegt noch nicht realis
firt worden; bie Beflimmungen bed Entwurfs find von der Art,
daß dadurch vielen Lehrern nur kuͤmmerliche Ausfichten für ihre
Isäten Lebenstage eröffnet werben. ¶ Vol. Ar. 178 6.81. f. 1842.)
Die Art, wie der Geift der Jugend auf den oͤſtreichiſchen
®omnaflen ausgebildet wirb, iſt zum Iheil aus den obigen No⸗
tigen zu erfehen; einen tiefern Einblick in das dortige Lehrver⸗
fahren würde Dr. Dr. Lewig gewonnen haben, wenn er einigen
Anterrichtöftunden in verfchiedenen Claſſen hätte beiwohnen duͤr⸗
fen; fein besfalfiger Wunfch blieb jedoch unerfuͤllt. Dagegen.
wurbe ex eingeladen, eine Prüfung anzuhören, bie im SBeifein
nes Bicedirectors in ber vierten Srammaticalclaffe (Iertia nach
unferes Zerminotagte) gehalten werben follte. „Dergleichen Pruͤ⸗
fungen“, berichtet Sr. Dr. L., „finden regelmäßig alle Monat
ſtatt und find duschaus nur psivatim, von dem Lehrer der Claſſe
allein in Gegenwart des Präferten abgehalten. Überhaupt habe
ich von einer Öffentlichen Prüfung der Schuͤler, wie fie bei und
jährlich ſtattzuſinden pflegt, nichts gehört, noch im Reglement
darüber etwas fellgefegt gefunden. Jene Prüfung begann um
8 Uhr, nachdem die Schüler aus der Kirche in ihre Glafle zus
rüdgelommen waren, und dauerte (eine Stunde über bie gewöhns
liche Schulzeit) bie li uhr. Der Gegenſtaͤnde waren brei: Bas
teinifch, Griechiſch und Welchichte, von denen ber erſte zwei
Stunden, die beiden andern zufammen die übrige Zeit einnah⸗
men. Die Claſſe zählte einige und 90 Schuͤler, anſcheinend
wiſchen 14 und 17 Zahren. Der Praͤfect rief nach feinem
—8 die Schuͤler auf, etwa zu ſechs jedesmal, von ver⸗
ſchiedenen Baͤnken, die ſich alsdann vor dem Katheder aufſtell⸗
den. Der Profeſſor ſtellte aber die Fragen, oder vielmehr die
Yufgaben on bie Schüler. Denn Fragen konnte man es eigent⸗
lich nicht nennen, da nur die Stelle bes Autors beflimmt wurbe
und bes Schuͤler alsdann einen zufammenhängenden, buch Fra⸗
gen nicht ‚unterbrochenen Vortrag hielt. Das Lateinifche be
and im überſetzen ber beiden erſten Horazifchen Epoden: Bea-
tus ille qui procul etc, und Ibis Liburnis inter alta navium
etc., die ziemlich gegen das Ende der in ber Claſſe gebrauchten
Shreftomathie fanden. Diefe enthielt von Horaz nur biefe beis
den Gedichte, vorher außerdem Afopifche Kabeln von Phaͤdrus,
kann: Viele aus Geneca (5.8. Ad Marciam consolatio), Bruch⸗
ftüdle aus Sueton und Zacitus, von Gicero einige Reben und
Stellen aus ben philofophifcken Schriften. Der Schüler über:
fegte zuerſt die Epoden, nicht gerade wortgetreu, aber fehr flie-
Bend in Profa. Es verftebt fi, daß man bier nur das Hoch⸗
deutſche zu hören bekam, obwol ich außerhalb der Schutz junge
Leute ihr gutes Wieneriſch babe fprechen hören. „Nunc versi-
bus exponas”, fagte der Lehrer, worauf ber Schüler biefelbe
Gtelle fehe fließend im beutfchen jambifchen Verfen herfagte, bie
ganz erträglich waren. Ich habe Urſache, zu zweifeln, daß un:
fere Schüler aus dem Stegreif dergleichen machen £önnen. Dann
folgte ein Sommentar ber überfesten Stelle, ber ausfchließlich
in Angabe von Synonymen ber vortommenden Wörter, in gries
chiſchen Etymologien und Loteinifchen Parallelftellen beftand und
recht geläufig in Lateinifcher Sprache bergefagt wurde. Die
Stellen waren meift aus Cicero, einige aus Sucton, meiftens
recht paflend, und wurden in extenso fehr geläufig gefprochen.
Grammatifche Bemerkungen über GSonftructionen ober Erlaͤu⸗
terungen bes Sinnes und der Sachverhäitniffe, wozu ſowol bei
den Gedichten als bei den angeführten Stellen recht wohl Ge⸗
surüdkgeleg
legenheit war, habe ich nicht gehört , außer daß zu ber zweiten '
Spare kemenkt wurde, Por Tmmele bien Ironie, Ka
ons den letzten Zeilen gegen bem. 9 Afius ergebe.
kam auch vor, daß ein te eine Thon dageweſene Bemeg;
fung eines bern ganz mit denfeiben Worten und benfelben
Gutäuterungen wiebecholte, wenn die elle durch das Borkom⸗
men beflelben WVortes dazu Anlaß gab. Das Base ber lateiai⸗
fgen Prüfung vertheilte fi auf etmg 12 — 125 aufgerufem
Schüler, während. beffen an die andern, nicht aufgerufenen Beine
Frage außer ber Reihe gerichtet wurde. Doch Yasen alle fi
und ſchienen aufmerffam, obwol ich nach gemadyter Erfahrung
nicht dafür einftehen moͤchte, daß fle währen» biefer zwei Ocuas
den alle gerade an nichte Anderes als am bie Hovaziſchen Cine
den gedacht haben werben. Dann. fam bas Griechiſche. Die
Shreftomathie enthält Auszüge aus den Gnomendichtern, viele
Aopifihe Fabeln, Siniges aus Xenophon, zulegt auf etwa 8
Seiten eine kurze Grammatik. Drei Aſopiſche Fabeln wurben
von etwa acht Schuͤlern erponirt, in derfeiben Art wie Das
Lateiniſche, nur daß bier der Commentar vorzüglich in der Ente
widelung der Declinationes und Gonjugationeformen beftan,
die meiftens geläufig und richtig gewußt wurden. Zulegt Fam
die Gefchichte an die Reihe und auch hier rief der Vicedirector
etwa ſechs Schuͤler hervor, ſodaß im Ganzen etwa em Dritte
ber anweſenden wöährenb der ganzen Praͤfung zum Antworten
oder vielmehr zum Vortrag kam. Denn auch in der Gefchickte
fragte der Profeffor nicht, fondern gab nur die. Begenftände an,
worüber die Schüler alsdann zufammenhängende Vorträge hiel⸗
ten. Es war bie norbifche Gefchichte von ber Kalmariſchen
Union bis zum Frieden von Diiva, unb es Sam in ber That
eine überaus große Wenge von Thatſachen, Ramen usb Zah:
reszahlen vor, bie nach der Individualität des Schülers in ei⸗
nem mehr oder minder geläufigen Vortrage ohne Unterbrechung
abgehandelt wurden. Kreusfragen über das Verſtaͤndniß oder
Ertäuterungen des innern Sufammenhages kamen nicht vor und
auch von den figenden Schülern wurde feiner gefragt, wozu
aber freilih, fo wenig als bei ben vorigen Gegenfländen , Eein
Anlaß war, ba die aufgerufenen ihrer Sache vollkommen Berr
waren. Ob unfere Abiturienten dies teilten önnen?“ u
Eingedenk der freundlichen Suvorlommenpeit, welche ihm
bon den Lehrern jener Anflalt zu Theil geworben, hält ſich Hr.
Dr. Lewis als Berichterftatter in discreten Scranten und meie
det alle ſcharfen und verlegenben Urtheile. Über die erwähnte
Prüfung äußert ee nur: „Sol ih den Eindruck ausfpreden,
den das Ganze auf mid; gemacht hat, fo muß ich fagen, daß
zwar eine ziemliche Summe von Kenntniffen mit Geläufigkeit .
gewußt und wohl eingeübt ſich zu erkennen gab, daß aber ber
Geift bei diefer Art des faft ganz auf das Gedaͤchtniß gegrün:
deten Unterrihtd mir wenig gewedt und genährt zu werden
ſchien.“ Wir aber wollen ganz offen ben Wunſch ausfpre
hen, daß niemals biefe Grundfäge der Jugenderziehung weder
in religidfer noch in wiſſenſchaftlicher Hinſicht bei uns aud nur
annaͤherungsweiſe einheimifch werden mögen. Dreffur if keine
Bildung ; planmäßige Einſchnuͤrung des menſchlichen Geiftes iſt
‚ Unnatur; todter Mechanismus wird früher oder fpäter in Truͤm⸗
mer zerfallen, denn nur bie lebendige Kraft des Geiftes bat ein
Anrecht auf Beſtand und Dauer. 28.
Literariſche Anzeige.
Von F. A. Brockhaus in Leipzi
—E— zu ne in Leipzig if durch alle
Über dad Verhältniß des Staats
Rheinifchen Eifenbabn- Gefelfaft.
Zur Beleuchtung einer Hanfemann'fhen Denkſchrift
über diefen Gegenſtand.
Gr. 8. Geh 4 Mer.
Berantwortlider Deraudgeber: Drinrih Brodhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhauß in Leip B18-
P4
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
—— Kr. 119. —
29. April 1848.
Religion, Theologie und Philofophie.
Eine Trias.
(Bortfegung aus Nr, 118.)
II.
Die Grundlagen bes Chriſtenthums find einfach und
in Beziehung auf bie urfprünglie Unbeflimmtheit ber
Religion im menſchlichen Bewußtfein allerdings eine Ber:
felbtihung, aber im Bergteih mit andern Religionen
und fpäterer chriftlicher Theologie eine geringe, nur gleich⸗
fam in Anlage gegebene unvollendete, der Vergeiſtigung
fiets bewußte und fi ihr hingebende, wodurch eben ver:
fchiedene Auffaflungen der chriftlihen Theologie felber
und einer mit ihr verfchwifterten Philoſophie herbeige⸗
führt wurden.
Wir finden einen der heidnifchen Wielgötterei entge:
gengefegten Monotheismus, wie im Judenthum, zugleich
einen vom Groben und Unwürdigen in beiden gereinigten
Anthropomorphismus. Die Gottheit iſt perfönliches We:
fen, erfennend, wollend, nach Zwecken wirkend, mit unbe:
ſchraͤnkter Macht, Weisheit und Güte. Vorſtellung eines
menfchlichen Leibes iſt ausgeſchloſſen, auch die ganze fidht:
bare Natur iſt nicht der Leib, fondern die Schöpfung
Sottes, der Schöpfer tft Geiſt, über Körperlichkeit erha⸗
ben, allenthalben gegenwärtig, ohne Bedingungen ber Zeit
and des Raumes; feine Vorfehung fi erfiredend über
das Ganze und Einzelne der gefchaffenen Welt; nichts
gefchieht, entfleht und vergeht ohne Gottes Willen. Über
das Wie der Schöpfung fehlt nähere Angabe, ebenfo
über die Art und Welfe der weltregierenden Vorfehung.
Die gefchaffenen Menſchen find gottaͤhnlich, perfönlich
wirken» in befchränktem Maß, leiblich febend, unvollkom⸗
mene geiftige Weſen unter dem Walten und der Kügung
des hoͤchſten volllommenften Geiſtes. Es bedarf für die⸗
ſes Berhältniß keiner Bundeslade, keines Tempels, keines
Levitenſtamms, Feiner aus der Vorzeit ſtammenden heili⸗
gen Selerlichleiten und Gebräuche, die Gedanken der Men⸗
fchen erheben ſich unmittelbar zu Gott dem Unfihtbaren,
wie Gedanken der Kinder zum- fichtbaren Vater.
Uber es fehlen nicht göttliche Gefandten und Wun⸗
der: Mofes, die juͤdiſchen Propheten und im hoͤchſten
Sinne Chriftus, als Vollender göttlicher Offenbarungen.
Dia ſchließt ſich die chriftliche Überzeugung von Gott,
VBorfehung, vom Auffhwunge menfchlicher Gedanken,
menfchlichen Vertrauens und menfchlicher Hoffnung. Das
Unmittelbare derfelben erhält hlerdurch biftorifche Vermit⸗
tefung, an beren Pörperlicher Gegenwart der endliche Men:
ſchengeiſt feiner Beziehung zum unendlichen Schöpfer und
Vater des Menfchengefchlehts vollkommen bewußt unb
fiher wird. Geremonialgefeg, Prieſterthum, Tempeldlenſt
verlieren hierfür ihren unerlaßlichen Einfluß, gelten nur als
Vorbilder, und außer den einfachften theiftifchen Grundlagen
ift eine weiter ausgeführte theologifche Lehre nicht erkenndar.
Hierdurch ſtellt fi das Chriſtenthum gegen die Ver:
lefblichungen des Judenthums wie des Heidenthums als
eine Bergeiftigung, und wenn jene als etwas Bindendes,
und die leßtere als etwas Freies betrachtet werben koͤn⸗
nen, gefchieht ein Übergang von Knechtfchaft zur Freiheit,
wie ihn der Npoftel Paulus auffaßt. Inzwiſchen iſt das
Menſchengeſchlecht fündig und bedarf der Gnade, naͤm⸗
lich einer MWieberherftellung des geftdrten Verhaͤltniſſes
zu Gott, dem Gerechten und Aligltigen. Dafür wird
das Evangelium der Buße und Sündenvergebung vers
kündigt. Zuverſicht auf biefe Verkündigung, entfchiedener
Glaube an Gottes Gnade und Erbarmung ift das eigen:
thuͤmlich Chrifttiche, in folcher einfachen Weiſe auch nicht
dem Judenthum eigen. Werbindung dieſes Glaubens
mit dem Tode Jeſu iſt ein Späteres, vor dem Eintre⸗
ten des Todes im Gemüthe Derer, die Chrifto nachfolg⸗
ten, nicht Oegenwärtiges, und man möchte darin eine
Vorftellungsverleiblihung des Gedankens der Suͤnden⸗
vergebung bezüglich auf heidnifhe und juͤdiſche Opfer
erkennen. Das Reid, Gottes, als Erbtheil ber Glaͤubi⸗
gen, tft eine Ausweitung des Begriffs vom Volk Gottes,
bem ber Nachkomme Abraham's durch feine Geburt an:
gehörte, es iſt ein unfichtbares Reich, im Unterfchlede von
dem fichtbaren jädifchen.
Unfterblichkeit, und zwar perſoͤnliche Fortdauer nach
dem leiblichen Tode, findet Sinnenbewährung in der Auf:
erftehung bes Hellandes, dem Schlußwunder "der Übrigen
Wunder, und gewinnt bann das Vorftellungsbild kuͤnf⸗
tiger allgemeiner Auferfiehung ber Todten fammt einem
jüngften Gericht. Unbeflimmt bieiben bie Zeit, die Art
und Weiſe eines neuen leiblichen Daſeins für den unfterb:
lichen Geiſt, der Begrabenen Zuftand bis zur Erweckung,
das ewige Leben und deffen Freuden oder Leiden. Him⸗
mel und Hölle find Namen für den Gedanken der Ver⸗
874
geltung des Guten und Boͤſen, im Zufammenhange mit
dem irdifchen Leben, feiner Sünbigkeit und ber in Chriflo
verfündigten Erloͤſung.
Bezeihnet man den unbeflimmten Inhalt des velis
giöfen Berußtfeind als eine irgendwelche lÜberzeugung
son Gott, Frelheit und Unfterblichkeit, To mird fie in jede
weder Religion angetroffen werden muͤſſen, und ſelbſt ihre
Verneinung fieht zuruͤck auf eine ihr vorhergehende Be⸗
jahung. Die legtere fegt dann ein Höheres als der Menſch
oder Allerhoͤchſtes, perfönlich oder nicht perſoͤnlich, menſch⸗
liche Handlungen felbftändig oder unfelbftändig, künftigen
Zuftand mit perſoͤnlichem Bewußtſein oder ohne daffelbe.
Das Chriſtenthum bat nähere Bellimmungen, nämlich
anthropomorphiftifhe Perſoͤnlichkeit Gottes, Selbſtaͤndig⸗
Belt des menſchlichen Thun⸗
Böfes und den Willen Gottes, perſoͤnlich bewußte Font:
dauer und deren Seligkeit ober Unfeligleit. Deswegen
AR die bloße Anerkennung eines Goͤttlichen, mienfchlicher
Freiheit und Unſſterblichkeit nicht Daſſelbe mit chriſtlichem
Glauben ; denn der letztere bat mehr Verleiblichung, weiche
sm dem hiſtoriſchen Ereigaifſſe, dem Leben und Tode des
’ Ya der geſammten Gefchichte des Chriſtenthums iſt nun
wine fortgehende Verleiblichung erbennbar, theils im
B,
heile in finnlichen Vorſtellungen, und e6 konnte der Geiſt das
duech zu Zeiten fo ſtark aͤberwachſen werden, um ihn felber
wulenmtlich zu machen. Gleich in den erſten Jahrhun⸗
deeten mühte fich die Gnoſis um ein mäheres Verſtaͤnd⸗
ai der Schöpfung, verfolgte Die Begriffe des Logos, bes
Memiurg, drachte damit die Perföntichkeit Ehriſti in Ver⸗
dandung, ſuchte dieſe zu beſtimmen und zu entraͤthſeln
in Bezug auf Dreieinigkeit; «6 bildete ſich ein Lehrkoͤrpor
der Thedlogie und zugleich ein prieſtetlicher Stand, das
fen Weihe dem Glaͤubigen Suͤndenvergebung eraheilte,
46 ſpaͤter das Reich Gottes umter Leitung bes Nachfoi⸗
gers Petri zur vollen Sinnenwirklichkeit gedieh. Beſon⸗
Sm Anlaß zur Verhoͤrperung gab ber Tod des Heilan⸗
des, ſchon von den Apoſſein in Beziehung zu den Opfers
wuderer Religionen gaſtellt, von ben Scholaſtikern als
Ohne göttlichen Strafgorechtigkeit nothwendig erfunden,
un als dargebrachtes Pfand der Erlöfung bush +in
thglied Wunder der Meſſe den Kirchengliedern vorgegen⸗
waͤttigt und an bie Sacramente ber Taufe md des
Abendmahis gaſchleiſen. Daß die Sacramente ſich mehr⸗
ven, war ein Vortheil der Kirchenglieder; daß die Feom⸗
men dadurch kuͤnftige Seligkeit erwerben, war eine na⸗
shrlihe Folge; daß ihre Fuͤrbitte bei Gott nicht ohne
Bedeutung fei, war bem Leben im Himmel angemeſſen;
Daß bis zur Auferſtehung der Todten unb dem juͤngſten
Garicht sin Mittelzuſtand für die Geſtorbenen eintzete,
in welchem die Reinigung der Berfchuideten durch Pein
umd Buße geſchehen Binne, war eine Ergaͤnzung bar
chriſtuchen Unfterbligleinsicehue; daß bie Kirche, als irdi⸗
ſche Reinigungsanſtalt, hierauf manchen Einfug aushbe
war jedem Gorglichen erwänfht; daß ſolche Hülfe dur
Darbringung irdiſcher Guͤter erkauft werden Sinne, war
in Bezug auf Gutes und
Heitandes, feinen Wundern und feiner Auferſtehung ſich
nichießt
dann bie volifte Verleiblihhung des Gedankens. Immer
zeigt fi ein Fortgang vom Unbeflimmten zum Beflimm-
tern, ſowol in Begriffen als in Vorflelungen, man dürfte
fagen, eine Ausmalung der Begriffe und Vorſtellungen,
wovon jene vorzuͤglich ben dogmatiſchen Theolagen, did
dem Volk amgebörte und beide einen wechlelfeidigen Ein
fluß aufeinartder außübten.
Wenn das Ganze des katholiſchen Chriſtenthums, ein
Wert von Jahrhunderten, geftügt auf Kirchenautorität,
206 e6, geiſtvollen
Männern zu leiblich erfchien, wenn fie nachtheilige Kolgen Für
Sittlichkett und Frömmigkeit im Ablaßhandel, Bögenbienft in
Verehrung der Deiligenbilber, Sesifche in ben Religuien, In⸗
denthum in der Priefterfchaft und dem Meßopfer erfann:
ten, wenn fein ber Schrift Seine zureichende Bewährung
für dergleichen Bereicherungen fanden: fo mußte ihr Be
ftreben auf Entleiblichung ber chriftlichen Religion, auf
Rüdführung zur urfprünglicyen Geiftigkeit gerichtet fein.
Concilien hatten dies nicht gethan, fie waren in bee ein:
geſchlagenen Richtung fortgegangen, hatten bei Streitig
keiten über dogmatifche Beftimmtheiten und Ausmalus
gen der Vorflellung für irgend eine Partei entfchieben.
Jene Erkenntniß foderte Reformation, ein Concilium ge:
gen ältere Goncilien, berief ſich wider Kirchenautorität
auf die Autorität der heiligen Schrift, Geſchichte und Lehre
gegen Geſchichte und Lehre ſtellend, bie frichene gegen die
fpätere. Allein vollkommene Entleiblihung der Religion
Eonnte nicht gewollt fein, fie war ja nicht vorhanden im
der evangelifchen Geſchichte, das Chriflenthbum war Theis⸗
mus, mar Evangelium ber Suͤndenvergebung durch
Chriſtum, der am Kreuze Tach, mar beflätigt durch
Wunder, Doffnung ber Unſtorblichkeit Auch den Auf⸗
erftandenen.
So fans denn im Proteflautismus eine Wergeiftigung
des Chriſtenthums zu Stande nad) dem Maßſtabe feines
Urſprungs, die ein KRüdfpsung fein folte in Die reine
Dfienbarung. Es verſchwand dabei römifche Hierarchie,
Priefterfhaft, fichtbere feligmachende Kirdye, Meſſe, ver
geößerte Zahl der Sacramente, Anrufung ber Jungftan
Maria und der Delligen, Fegefeuer mit allen darauf be
halihen Lehren und Gebraͤuchen. Selbſt die Kinfier:
inflitute, ber Coͤlibat, als Mittel irdifch anzugersinmenber
Heiligkeit und Geiſtigkeit, murden abgefchafft,. indem ein
Zwang ber Gelübde und ſtrenger Enthaltſamkeit ber
freien Vergeiſtigung unangemeſſen ſchien und eben bu
durch zur chriſtlichen Unnatur, Deuchelei und Merdarbens
heit bes Kivchenzuflandes beigetragen haben mochte. Nur
aus dem Halten am Wort Gottes, aus feiner belebenden
Kraft, wie zur Zeit apaſtoliſcher Verkündigung, follte be
Brit geboren werben.
Gleichwol hieb den Reformatoren cin Lehrkaͤrper da
Theologie unemtbehrlich, eine Confeſſion im Gegenſet zu
Kirchenlehre, deren Chriſtlichkeit durch Ausfpehibe der
Schrift gerechtfertigt werben mußte. Es eigneten fi das
für zugleich die Begriffsbeſtimmungen ber exflen Jahe
hunderte beſſer als die der ſpaͤtarn, und vos allen Jalde,
weiche ben Anftöpigkeiten bes Lerheiifhen Kirchenchnutd
1)
um wenigſten Borſchub gaben, namentlich die Auguſtini⸗
ſche Rechtfertigung durch bin Slauben, nicht durch gute
Werke. Weit indeſſen die Verleiblichung in Begriffen
und Vorftelungen naturgemäß zunimmt im Lauf der
Zeit, aus welchem Wachsthum ja die Lehre des Katholi-
eiomus hervorgegangen, fo konnte auch der proteſtanti⸗
ſchen Dogmatik eine genauere Begriffsbefiimmung nicht
fehlen, und bei den darüber erwachſenden Streitigkeiten
mußten wegen Mangel entfcheibender Eoncifien oder Päpfte
Goncordienformeln und fonflige Vorkommniſſe aushelfen.
Ein Zerfallen in einzeine Sekten war dabei unvermeidlich,
auch biieb die flete Moͤglichkeit, in Hetzereien früherer
Jahrhunderte oder auch in die Bahn der roͤmiſchen Kirs
chentheologie zu gerathen und Brundfäge der erſten Res
formatoren aufzugeben. Das gemeinſchaftlich aner⸗
kannte Schriftwort konnte wegen verſchiedener Auslegung
deſſelben keine Lehrvereinigung bewirken, und je ſcholaſti⸗
ſcher und feiner die dogmatifchen Begriffe ich geſtalteten,
defto weniger unwiderſprechlichen Zuſammenhang Hatten
fie mit den undeſtimmtern Äußerungen der Bibel.
Mit Recht betrachter ſich bes Proteſtantismus als
eine Bergeifiigung des Chriſtenthums im Vechaͤltniß zum
Karholicienmms, der letztere Dagegen beruft ſich mit Recht auf
das ununterbrochen Überkieferte feiner Verleiblichung, ohne
weiches keine Einfoͤrmigkeit der Theologie zu gewinnen,
und daß die Proteßanten felbes ja nicht letberfuei waͤ⸗
sen, es fi alſo eigentlich darum handeie, in weichem
Leibe der Geiſt am beflen wohne. Wollte man fagen,
der Geiſt wohne in jedem Leibe gleich gut, fo ſchwaͤtht
Dies die Bedeutſamkeit der Theologie, mas Theologen
ſchwerlich einräumen, und wenn Myſtiker wol weine Vers
geiſtigung anflrebten, shasen fie es bdennoch nicht ohne
monde aus chriftticher Theologie ftammende Begriffe und
Vorſtellungen; volle Gleichguͤltigkeit des Leibes für den
Beil aber ward am beſten widerlegt durch das Dafeln
des Proteſtantiomus ſelbſt, der in herkoͤmmlichet katholi⸗
ſcher Kirchenlehre fo viel Anſtoͤßiges gefunden, um ſich
von ihr zu ttennen.
Philoſophie, als Begriffswirthſchaft und deren Haus⸗
baltungslehre, wußte bei aller dogmatifchen Ausbildung
des Chriftenthums (feiner Begriffsverleiblichung) in Ge:
beaud kommen. Schlechthin abweifen läßt fie fih nicht,
«6 fei denn, daß Alles unbeſtimmt bleibe; Darum ent:
ſteht — wie für das im Vewußtſein Gegebene der Res
ligion Religionsphiloſophie — fo für das Gegebene des
Ehriſtenthums qhriſttiche Philofophie. Da jene auch den
Helden nicht fehlte, fonnte Heidniſches und Chriſtliches
zufammenwachfen, und mir fehen auf folhe Weife Pia:
toniſche Lehren in die Dogmatik der Kirchenväter überge:
ben. Berſchteden indeß find Heidniſches umd Chriſtliches;
denn die Heiden entſagten nicht immer Ihrer polytheiſti⸗
ſche Verleiblichung, bie Chriften Hielten an ihrer mono:
theiſtiſchen Offenbarung dusch Chriſtum, an evangelifcher
Geſchichte und deren Wundern. Die Philofophie daher
Für fidy ſelber iſt weder heidniſch noch chriſtlich, fie ver:
kehet in religioͤſen NBegriffebefliammunges unb wird nur
daB Eine oder Andere, je nachdem fie abiehm oder aufs
nimmt. Spätere heidnifche Phäleſephen nahmen wehr
aus der Bieigoͤtterei als Plats und Ariſtoteles, auch
cheiſtliche Philoſophen blieben in ihrer Aufnahme nicht
einig. Die Scholaſtik des Mittelalters nahm die chrift⸗
lich⸗philoſophiſch unter überwachender Autorität feflgebik
dete Kirchenlehre und dıbte fich mit Arifotelifcher Bes
griffswirthſchaft an nähern Begriffsbeſtimmungen des ans
noch Unbeſtimmten, oft Beifall, oft Widerfpruch, Ruhm
der Rechtglaubigkeit oder Ketzerei gewinnend.
Nach dem 15. und 16. Jahrhundert ſank Scholaſtit
und ward dekaͤmpft, zur Aufnahme fuͤr chriſtliche Philo⸗
ſophie bot ſich außer dem Katholiſchen auch das Prote⸗
ſtantiſche, und letzteres erhielt in den Streitigkeiten der
Theologen manche ſcholaſtiſche Geſtaltung. Die Philoſo⸗
phie aber wollte ſich frei bewegen, ihren eigenen Leib ſchaf⸗
fen und gerieth dadurch auf bie Wege des Pantheismus
und Naturalismus, die ſchon von den Heiden eingefchla:
gen waren und mit dem Inhalt des Chriſtenthums in
Begenfag flanden. Im Vergleich mit chriftlich = degmatis
ſcher Verkörperung der Religion konnte man irgend eine
davon umabhängige Religionsphiloſophie für Vergeiſti⸗
gung halten, für Idealismus gegen Realismus, nur
nicht auf chriſtlichem Boden, fondern außerhalb dem:
ſelben; es war keine Kicchenreformation , fondern Ableh⸗
nung chriſtlicher Kirchen: und Bibellehre. Wer diefes flr
fein religiöfes Bewußtfein ungenügend fand, mochte mit
feiner Philofophie in den Skepticismus flüchten, mit ſei⸗
ner Religion in den Glauben, oder er mußte ſuchen fo:
wol das Ehriſtliche nach feiner Phitofophie zu vergeiftigen,
ais auch das Philofophifche gemäß dem Chriſtlichen zu
verfeiblihen, weiche Auswege und Beftrebungen in dem
Rationalismus, Deismus, Myſticismus der neuen Zeit
fenntlich werden.
Dadurch find denn Gedanken von Perfectibilität des
Ehrlſtenthums und von Toleranz zu einer gereiffen Herr
ſchaft gelangt. Die Volklommenheit ward gefucht nicht
in der Urfprünglichfeit evangeliſcher Verkündigung, wie
bei den Reformatoren, fondern über diefe hinaus in phi⸗
lofophiſcher Begriffsvergeiſtigung und einer für das gort⸗
wohlgefällige Leben ausreichenden Sittenlehre, deren Bes
beutfamteit auch die Ermahnungen des Heilandes und
der Apofiel gewiß nahe legten. Selbſt der franzoͤſiſche
Naturalismus war geneigt, den Werth der lehtern anzu⸗
erkennen, fo feindfelig er fonft gegen dogmatiſche Begriffe
und Vorſtellungen verfuhr. Wechſelſeitige Duldung der
Confeffionen war eine nothwendige Koderung, wenn Jeder
des Geiſtas aller Meligion theilhaft werden konnte, ohne
Ruͤckſicht auf deſſen Verleiblichungen unter verſchiedenen
Voͤlkern und theologiſchen Schulen.
(Der Beſchluß folgt.)
Halm's „Srifeldis” in engliſchem Gewanbe
und englifhe Dramen.
Bebanntiäh iſt Halm's „Brifadis” in ei .
fioieten ne —X —2 6 Kr
tun
auf die lippeile Souenate gefpaunt; wir verumsehe
baB bei einem —— erde einen ehaffpcare an ber Syige
476
ſeiner dramatiſchen Siteratur bat, ein fo weichliches Gebilde wie
die „Griſeldis“ Seinerlei Erfolg haben könne, und unfere Ver⸗
muthung fcheint ſich zu beftätigen durch ein Referat, welches
das ‚„‚Athenaeum‘” in einer feiner legten Nummern enthält.
Der Glanz des Verfes, bie ſchoͤne lyriſche Empfindung, das
ftellenweis ergreifende Pathos haben den britifchen Kritiker über
die verfehlte Compoſition, über die gänzlich unpſychologiſche
Motivirung nicht irre führen koͤnnen. Nachdem er bie Incon-
equenzen und Unhaltbarkeiten im Gange bed Stüds und in
er Sntwidelung der Gharaftere treffend nachgewiefen und mit
Auszügen belegt hat, ſchließt er fein Referat mit folgenden
Borten: „Anftatt an bes Berf. Verſuch, ein neues Motiv der
Erzaͤhlung unterzulegen, halten wir uns licber an bie Cinfach⸗
beit und arößere poetilche Wahrheit der alten Sage und ziehen
deren giüdlichern Schluß vor. Man fühlt, daß foldye unmoͤg⸗
lichen Prüfungen auch einen undenklichen Lohn verdienen, und
daß, wenn ein gebrochenes Herz das einzige Ende au ſolchen
Duldene war, es zu beflagen iſt, daß es nicht fehon früher
brach. Wir fehen uns gezwungen, zu fagen, baß das Städ
uns eine Grifeldis gibt, in welcher jeber eigentbümlidhe Zug
der Sage verloren gegangen iſt. Won den andern Charakteren
ift es unnöthig, etwas zu fagen. Hrn. Halm’s Gtit’ift an⸗
ſprucht voll und doch fehals auch bat er, wie man gefehen has
ben wird, keine fo dichterifche Külle, um für den Wangel an
Ginfachheit einen Erfag zu bieten. Die Sprache erſcheint wie
eine Parodie jenes Gräcismus, welcher fich in Goethe's fpätern
Stil eingefchtichen hat und in einem romantifchen Drama durch⸗
aus nicht am Plage iſt. Im Ganzen hätten wir mehr Berdienft
in einem Werke zu finden gehofft, welches in Deutfchland Er:
folg hatte, und wir müffen den Zuftand des wiener Theaters
bebauern, wenn ſolche Neuigkeiten feine bebeutenbften find. Aber
Hr. Halm ift ein junger und, wir bürfen hoffen, nicht ber
befte Schriftfteller feiner Zeit.” Ja, man gebe uns großartige,
geniale Verirrungen, aber nicht eine fo kleinliche, wie biefe
Griſeldis“ ift, welche von einem gänzlicyen erkennen aller
böhern dramatiſchen Gefege zeugt! Haben wir mit unferer Tin:
diſchen Theilnahme für das Becker'ſche Rheinlied unfere kyrik vor
den Augen bes Auslandes blosgeftellt, fo haben wir jetzt, wir
feben «6, durch unfere Vorliebe für bie „Griſeldis auch unfere
dramatifche Literatur im Auslande in Miscrebit gebracht. Gin
Troſt, wenn überhaupt ein Troſt, ift nur diefer, daß die neue Mel-
pomene Englands auf ber Trompete des Drama ebenſo klaͤg⸗
liche Töne bervorbringt als die deutſche. In berfelben Num⸗
mer bed „Athenaeum‘’ kommen mehre neue englifhe Stüde
zur Anzeige. „Die Tragödie”, beißt es darin, „muß etwas
mebr fein als ein verfificirter Dialog oder eine Reibe von Untere
baltungen über irgend einen traurigen oder erhabenen Gegen:
fand, in Acte und Scenen eingetheilt. Vergebens aber fuchen
wir in den neuern Compofitionen nad innerer Größe der Hand:
lung oder Leidenſchaft, ohne welche es Feine Tragoͤdie gibt.”
Ein Motiv hierzu findet der Kritiker barin, daß unfere Zrauers
fpieldichter in der Wahl ſchwanken, ob fie für bie Bühne ober
für den Buchhandel, oder, fegen wir hinzu, für beide zugleich
fchreiben wollen. Man will ber jegigen fo heruntergelommenen
Bühne willfahren, man will aber auch ein Product von poctis
ſchem SIntereffe und Literarifcher Bedeutſamkeit liefern. Beides
tft, bei dem geſunkenen Zuftande ber Bühne, sicht wohl zu
vereinigen, aber ebendeshalb follte man auch die bramatifchen
Dichter nicht zu hart beurtheilen, wenn fie häufig Gtüde lies
fern, die weder ganz der Bühne noch ganz den poetifchen An:
foderungen genügen. Ginen großen Theil der Schuld trägt uns
fere Bühne ferbft, welche für den wirklichen Dichter keinen Halt
mehr bietet, dann das Publicum, welches ber tragifchen Ka:
tafteophen müde und durch die häufige Vorführung von ſchlech⸗
ten Poſſen und fpeltaculofen Opern dem poetiſchen Intereſſe
entfrembet if. Diefer Zuſtand tft fo traurig, daß der ſehnlichſt
erwartete Meſſias der dramatifchen Poeſie mol noch lange auf
fih warten laflen wird. Die im „Athenaeum‘ zyr Anzeige
tommenben Zragbbien und Dramen find folgende: „Oliser
Oromweli’, ein Drama von W. Leatham; „John of Hapsburg”,
ein Zragdbie von R. Lewis; „Borgia“, eine Tragödie von 2.
Worsley. Leatham hat ſchon früher die Tragddie ‚‚Strafford‘‘
geliefert und thut ſich in einer Vorbemerkung viel darauf zus
gute, daß er bie Sprache ber in feinem Drama auftretenden
Perfonen Hiftorifch genau copirt hate. Hiervon iſt allerbings
bie Rede Lambert's, als er Cromwell bie Protectorfchaft ans
bietet, ein Tchlagendes Beifpiel:
Sir! the iste Perliament is now dissolved;
The exigency of the times requires
A strong and stable government — we pray
Your Exoellenoy , ia the Joint bebalf
Of ihe army and of (ho three natieus,
To accept Ihe offico of Protector,
Or Ohief Magistrete of the Commonwealth,
Under e constitution newiy made
By the couaciis of Army and of State.
Gegen ſolche Hiftorifche Genauigkeit ann die Poefte allerdings
nicht auflommen Lewis gefteht mit großer Aufrichtigkeit,, daß
er aufs forgfamfte alle rein poetiſchen Stellen vermieden habe,
weil fein „John of Hapsburg” ganz für die Bühne beredunet
fi. Schlimm genug, wenn der Zufland der Bühne ein folcker
ift, daß man ſich ihr nur durch die Abweſenheit jeber poetiſchen
Zuthat empfehlen und gefällig zeigen fann! So werben wir al:
lerbings dahin fommen, wohin ber verflorbene Schaufpie
ier Seydelmann bie bramatilche Poefie gebracht wiſſen wollte,
indem er foberte, ber Dichter babe nur eine Skizze zu Liefern
und der Darfteller fie auszufüllen! Auf diefe Weile wuͤrde der
dramatifhe Dichter zulegt nur als der Hausknecht und Schuh⸗
putzer des Schaufpielers erfcheinen muͤſſen. Worsley's Trauer:
fpiet zeichnet fi, nad. bes Recenſenten Anficht, burch Kraft
und concentrirtes, wenn audy peinliches Intereffe aus, obgleich
es, unb zwar bäufig an Stellen, welche hoͤchſten Ernft und
Intenfität der Sprache und des Gedankens erfodern, auch nicht
an vagen Gemeinplägen fehlt. Bor Victor Hugo's „Rucretia
Borgia” hat Worsley's Drama das Verdienſt einer mildern
und zartern Auffaflung und Behandlung voraus. 13.
Notizen.
Die franzöfifcge Regierung bat einen Kuͤnſtler der Stadt
Valenciennes , Herm Louis Auyray, beauftragt, cine Marmor⸗
ftatue Froiffart’s für das hiſtoriſche Muſeum von Berfailles
auszuführen. Froiſſart, zu Balenciennes geboren, fol in feinem
Eoftum als Kanonikus von Chimay bargeftellt werden. Neben
ihm liegt feine Chronik, bei den Worten aufgefählagen: „Je
suis de la nohle et franke ville de Valenciennes.’
Der Bibliothekar des Kiofterd zu Sta.Croce bat juͤngſt ein
Werk entdedt unter dem Titel: „Aponii libri XIL in Canti-
cum Canticorum”, wovon bisher nur ſecht Bücher und zwar
nad einem fehr corrumpirten Manufcripte bekannt waren.
Der Graf von Almagro gab in Paris heraus: „Notice
sur les principales familles de la Russie”, und zwar zum
Beften der Armen, melde vielleicht aus Dankbarkeit fortan
beffer von ber vuffifchen Ariſtokratie denken werben.
Der Minifter des Innern bat der koͤniglichen Bibliothek
in Paris eine Eopie auf Porzellan zuftellen Laffen, weldye von Kon»
ftantin nach einem authentiſchen Portrait Kari's des Großen
gemalt ift, das fih feit Iahrhunderten zu Rom befand.
Vor kurzem flarb Michael 3. Quin im 50. Lebensjahre.
Er war, fo viel wir willen, der erfte Herausgeber bes „Dublin
review’‘ und Verf. der Werke „Travels in Spain’ und „A
steam voyage down the Danube‘. 18.
Verantwortlicher Deraußgeber: Hrinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. %. Brodhaus In Leipzig.
Blätter
für
literarifche unterhaltung.
Sonntag,
30. April 1843.
‚Religion, Theologie und Philofophie.
Eine Trias. ‘
(Beſchluß aus Ne. 119.)
Gedanken von Bott, Freiheit und Unſterblichkeit wur:
den ſonach als eigenthuͤmliches Geld unabhängiger Religions:
philoſophie betrachtet, welche über Reinigung, Verbeſſe⸗
rung, Beglaubigung der Religionen zu entfcheiden habe.
Es waren aber bdiefe Aufgaben ber Unterfuhung ſowol
einer nähern theiſtiſch⸗chriſtlichen Beſtimmung als auch
einer pantheiftifhen und materialiftifchen faͤhig. Daher
entftand für chriſtliche Theologie ein gerechtes Mistrauen
gegen Einwirkung philoſophiſcher Lehrgebäude, Indem ja
durch fortgefegte davon abhängige Reinigung und Ber:
befferung der ganze chriſtliche Religionskoͤrper zerſtoͤrt wer:
den konnte. Bei dem franzöfifchen Naturalismus fiel
dies fogleich ind Auge, weniger bei Leibnitz und Wolf,
oder bei Kant, deſſen moralifch: theiftifcher Glaube zwar
nicht mit dem chriftlichen zufammenfiel, aber doch dem;
felben nicht durchweg widerſprach. Spätere deutiche Phi:
loſophenſchulen brachten Naturalismus und Pantheismus,
welche mit dem Chriſtenthum ſich nicht vereinigen ließen.
Philoſophiſche Gegner Kant's und ſeiner Nachfolger ſuch⸗
ten zu erhaͤrten, deſſen Glaube ſtehe in uͤblem Zuſam⸗
menhange mit feinem Lehrgebäude der Erkenntniß, und
Naturalismus wie Pantheismus widerſtrebe dem urfprüng:
lihen Bewußtſein der Religion, al dem Ausgangspunfte
aller Religionsphilofophie . und der theiftifch = chriftlicyen
zzeugung. Daraus erwuchs ein Zermürfniß unter
den Philoſophen felbfi und ein mehr oder weniger her:
vorteetender Gegenſatz zwiſchen Philofophte und chriſtlicher
Dogmat'k. Legtere wollte keine von der erflern unter:
nommene Perfectibilität und Reinigung anerkennen, und
fand Toletanz in folhem Sinne unftatthaft; die erftere
aber wollte ihr Mecht der freien Unterfuchung und eines
daraus fich bildenden Begrifflörpers nicht aufgeben.
Je mehr man nun die Ungefügigkeit der verfchieden:
artigen Anſpruͤche fühlte und ſowol philofophifche als
degmatifche Thaͤtigkeit entwickelte, befto mehr abweichende
Behauptungen und Anfichten mußten hervortreten und
Zugleich ein Beduͤrfniß ihrer Ausgleihung aufregen. Die
Philoſophie hatte feit den Zagen der Scholaſtik von einer
Menge abfteufer Speculationen fich losgeſagt, und wie
in der Mechanik der geringfie Gebrauch von Rädern für
die beabfichtigte Wirkung das Vollkommenſte ift, fo ward
aud ein Beſtreben zur Einfachheit, Faßlichkeit, ja ſelbſt
Popularität, in Philofophie und Theologie kenntlich. Hoff⸗
nungen aber einer voliftändigen Ausgleichung blieben un:
erfüllt, denn genauere Unterfuchungen zeigten immer rotes
ber den Gegenſatz und ließen vermuthen, er ſei nur
Scheinbar zugedeckt durch Oberflächlichkeit des Verfahrens
und feine wahre Heilung fei nur vom Eindringen in bie
Tiefe zu erwarten. " Dadurch erhielt die Theologie eine
Richtung, verfchollene dogmatifche Beflimmungen wieder
aufzunehmen, und die philoſophiſche Speculation gewann
Farbe dialektiſcher Scholaſtik, auch darin derſelben aͤhn⸗
lich, daß aus der alten Kirchenlehre Hauptſtuͤcke, wie das⸗
jenige der Dreieinigkeit, in philoſophiſche Unterſuchungen
einwanderten. Koͤnnte nun Religionsphiloſophie mit ih⸗
ren Begriffen den Leib chriſtlicher Dogmatik gewinnen
und dieſe wiederum den Geiſt jener in ihren Koͤrper auf⸗
nehmen, ſo waͤte die gewuͤnſchte Vereinigung beider voll⸗
bracht und eine philoſophiſche Gnoſis ſtaͤnde mit ber
chriſtlichen Glaͤubigkeit im Einklange.
Nach diefem Ziele hin find neuere Bemühungen freier
Dhitofophie und chriſtlicher Theologie in Deutfchland ge:
richtet und haben ihre Wurzel im Dafein beider. Un:
förderlich genug wollen Theologen das ihnen vom ber
Philoſophie Dargebotene nicht für das Ihrige erkennen
und Philofopben den theologifchen Stoff nur unter vers
änberter Geſtalt fi aneignen. Man hat zu ſchlichten
verfucht, Eins und Daffelbe der Religion für Philoſophie
in Begriffe, für Theologie in Vorſtellungen geftellt, für
jene 3. B. in Pantheismus, für diefe in Theismus; man
hat auch einen Durchgang und Übergang beider ineinans
der nachzumelfen getrachtet; allein diefes entiprach wieder
nicht dem philoſophiſchen und dem chriſtlichen Bewußt⸗
ſein, zudem waren Begriffe ebenſo gut heimiſch in der
Theologie, als Vorſtellungen in der Philoſophie, weil alt
menſchliche Erkenntniß in Begriffen, Vorſtellungen und
deren Wechſelbeziehung ihr Weſen hat. Daher denn
Andere eine offene Scheidung des Philoſophiſchen und
des Theologiſchen fuͤr angemeſſen hielten, und daß jedes
auf ſeinem Wege ſich ſelbſt uͤberlaſſen bleibe. Wir ge⸗
wahren Philoſophen, die alles Theologiſche ablehnen, und
Theologen, welche alles Philoſophiſche zuruckweiſen, was
nur dadurch wiederum ſo ſchwer, wo nicht unmoͤglich iſt,
418
well Beides von jeher ſich verzweigte und ohne biefe Ver:
zweigung weder Religionsphilofophie noch chrifttiche Theo⸗
fogie ihre hiſtoriſches Dafein gewonnen hätten. Auch iſt
ja beides im Bewußtfein, Beduͤrfniß, Gebrauch jedes ein:
zelnen Denkers allemal beifammen.
— Kheologie und Philoſophie behaupten beide ein Wiſ⸗
fen vom Überfinnlichen, örtlichen. Spricht jene zwar
vom Glauben, fo flügt er ſich doch auf Glaubensgruͤnde;
fpricht die letztere von Einficht, fo muß diefe doch als ein
Staublihes dem Denker fich darftellen. Nun aber fin:
det ſich im theologifhen Glauben Unbegreiflides und in
der philofophifhen Einfiht Unglaubliches. Die Wunder
der evangelifhen Geſchichte find unbegreiflih; bag aus
den Formeln des An fih, für fih und bei ſich, oder
aus den Begriffen Sein und Nichts und ihrem Sohne,
dem Werden, eine Einficht des Weſens Gottes und
feiner Schöpfung zu Stande komme, iſt unglaublid.
Sollen Theologie und Philofopbie unterfchieben werben
als Stauden und Wiffen, fo iſt die Theilung ungerecht;
denn beide haben Beides; nur die eine das Glauben und
Wiſſen des Unbegreiflichen, die andere das Wiſſen und
Glauben des Unglaublihen. Wie ein Unbegriffenes zum
Nichtgeglaubten werben kann, fo noch mehr ein nicht
Glaubliches zum Unbegeiffenen, mithin ließe ſich ebenfo
gut vom philofophifchen Stauden und Unglauben, Wil:
fen und Nichtwifien, als vom tbeologifchen fprechen.
Oft ward das Unbegreiflihe durch ein Unglaubliches er:
laͤutert — in Gnofis, in neuerer Philoſophie — oft
auch ein nicht Geglaubtes — etwa Unfterblichkeit, Bott:
eit Chrifi — durch Unbegreiflihes — Auferfiehung,
nitaͤt — geftüst. Der Grund folcher Erſcheinungen Hegt
in ber Unvertilgbarkeit der Religion für das menfchliche Be⸗
wußtfein, im Beduͤrfniß ihrer Verleiblihung durch Begriffe
und Vorfielungen, deren Fortſchritt wieder einen Kuͤckſchritt
zur Entleiblihung, nämlich Vergeiftigung herbeifuͤhrt.
Bedenkt man die große Gefinnung, die Erhabenheit
und Demuth, das Leben in Gott und für Sort, über:
Haupt den Geiſt und die Wirkungen bes erſten Chriſten⸗
thums, fo ift deſſen Erfcheinung einzig und umvergleichs
bar in ber Menfchengefchichte. Heidenthum und Juden⸗
hun zeigen wol Ähnliches in ihren ebelften Lehren und
Naturen, aber Nichts volllommen Gleiches. Daraus
möchte bie Überzeugung gewonnen werben, jene Verleibs
lichung der Religion nach chriſtlichem Map — Offenba⸗
ung für Beitgmoffen und fpätere Jahrhunderte — ent:
fpreche in ihrer Beſtimmtheit und Unbeſtimmtheit, im ib:
rem Glauben und Wiffen beffer dem menſchlichen Ge⸗
muͤth als jegliches Andere, uͤbe eine heiligende Kraft an
ihren Bekennern und ein Mehr oder Weniger des Ver⸗
koͤrperns babe unausweichliche Nachtheile. Nur freilich bie
genaue Abgrenzung des Maßes im Verhaͤltniß zum übel:
gen Umfange bes Denkens und Vorſtellens jeglicher Zeit
erfcheint als flete Aufgabe aller chriftlichen Theologie und
Religionsphilofophie, welche in mancherlei Weiſe fich wer
ſchlingen und verwireen, fördern und hemmen und, eis
wen feflen Abſchluß ſuchend, ihre Verhandlungen ben
Fahrhunderten überliefern.
Eines iſt zugleich hierbei erkennbar. Was Über den
Kirchen liegt und in keiner Kapelle eingefaße wird, was
mehr ift als jede Speculation, was dennoch in jeder
Kirche und Kapelle feinen Beift kundgeben kann und kund⸗
gegeben Hat, was für jede Speculation eine Erweckung ib
res Daſeins ward; — «in gläublges Chriſtenthum, nicht
im gewöhnlihen Sinne dogmatiſcher Confeffionen, eine
die Bedeutung deſſelben anerkennende Philofophie, nicht
im gewöhnlichen Sinn fpeculitender Schulen; — was
allem irdiſchen Wefen der Menfchen hoͤhern Rang umd
Werth ertheilt; jenes dünne Haar, nach dem Ausbrud
Klinger's, an welchem bie Menfchheit aus dem Staube
bervorgesogen wird und welches trog alles Zerrens nick
zerreißt; ein Alterheiligftes, um welches Pracht und Nicht:
pracht der Tempel, bie fpeculative Spitzfindigkeit der Dog⸗
matik und der philofophifchen Schulen ſich lagert; — dies ift
das Unvergängliche, Bleibende. Kirchen, Schu:
Ien, Begriffe, Vorſtellungen und Worte wechfeln.
8. Köppen.
Anagramm.
Bekanntlich entfteht das Anagramm aus Derfegung ber
Buchftaben eines ober mehrer Wörter zu einem andern Worte
und Sinne, jedoch fo, daß biefer zu bem urfprünglichen Worte
frgendwie paflen, es gut oder übel erläutern muß. Die Sache
ift an fi eine Spielerei. Gleichwol gibt es bavon dicke Samm⸗
lungen und find darüber eigene Schriften erfchienen, wie Se _
ber aus Pierer's „Univerſal⸗Lexikon“ erfehen Tann. Ic ci⸗
dire dies, weil unter ben dort aufgeführten Schriften eine ber
beften, William Camden's Verſuch über das Anagramm, fehlt
und ebenfo wenig bei Gamben's Namen erwähnt ifl. Der ges
lehrte Camden aber (geb. 1551, geft. 1623) achtete das Ano⸗
grammatifiren für keine Spielerei. Er nennt es eine ergöglihe
Unterhaltung und angenehme Beichäftigung für denkende Mens
fen , und je ſchwerer, je beffer, „denn dann“, fagt er, „if «8
ein Schleifſtein für jedes Menſchen Gebduld; es find mir Muſter
von Gebulb vorgelommen, bie barüber ungebulbig geworben
find, die Feder zerfaut, fich Haare ausgerauft, die Stirne wund
gerieben, ihre Lippen blutig gebiffen, mit ben Yüßen geflampft
und das Papier zerriffen haben.” Übrigens ift das Anagrammaz
tiſiren, wenn eine Spielerei, eine fehr alte. Die myſtiſchen
Neligiofen des Alterthums verfchloflen barin ihre i
und wollten mittels deſſelben uͤber gewiſſe Perſonen und Dinge
einen een werfen. Die jüdifhen Kabbaliften übten oͤf⸗
fentlich die Kunft des themura, die Kunft, Wörter zu verän:
dern ober zu verfegen, um eine verborgene Bedeutung heraus:
zufinden — genau Anagramm Fabrikation. In Noah fanben
fie das hebräifche: Gnade, in Meffins: er wird erfreuen. In
ber „Kaſſandra“ bes eykophron, einem 300 Jahre vor Chriſto
gefchriebenen Gedichte, wird der Name bes Ptolemäus PYhilabel-
phus durch Verſetzung des griechifcyen 5 aus Ptolemais in Apo
melitos, Honigmann, vertvandelt, und aus Arsinoe, ber &:
mahlin biefes Könige, wird Eiras ion, Zuno’s Bellchen. Anbe:
ser griechifchen Anagramme gedenkt Euftachius. Beim
rutfchen vom Berge ber Vergangenheit floße ich an Bacon, von
welchem a ſchon früher unter ber Überfchrift „Schießpuiver”
in Nr. 273 d. Bl. f. 1842 erwähnt habe, daß er eins feiner
Schießpulver = Ingrebtenzen, nämlidy Holzkohle, in ein Anas
gramm verſteckt, —* verſteckt haben fol. Da be
gofen von jeher Berehrer des Wites und Freunde bes badinage,
ihre Könige aber bi8 auf Louis Philipp freigebige Herzen 4
weſen find, fo ift fi nicht gu verwunbern, daß Lubmwig
einen eigenen Anagramma mit jährtich 1200 Livres beſol⸗
dete. Und wie heute in Frankreich ein giä
berühmt macht, fo konnte ehemals ein gluͤckliches
cklichet met Jemand
d reich mungen. Durch Frankreich erſcholl ein Ants
He per Bewunderung und 20.006 waren ber Lohn,
als ein Stüdstind in Francois de Valoys bie Worte: De
iagon suis royal entdeckt hatte. Und ber Beneidenswertbe, ber
der fhönen Marie Touchet, Bavoritin Karl's IX., die Kunbe
brachte , ihr Name fei fie felbft: Je charme tout! Sie erlaubte
ibm, ein koſtbares Periengefcmeide von ihrem Bufen zu Löfen,
ud — mehr. Auch hat yweifelschne Derienige ein fibeles
Amtchen mit viel Gehalt und wenig Arbeit befommen, ber dem
Ranzier Lowis de Boucherat benadgrichtigte, ex ſei zum Kanzler
geboren und getauft, est Ja bouche du roi. ft der ernſte
äbte die Gpielerei nicht. Daß er feinem Namen
nahm, in Calvin's Ramen ein j aus dem i und ein u aus bem
v zu machen, war jan-cul fertig — ein altes feanzöfifches Com⸗
baren. Nachdem daher ergründet worden, daß James Char
Stuart — der Zaufname des erften Jakob — fih in clalıns
Arthur’s seat verfeßen laſſe, führten feine Anhänger es zum
Beweis an, daß er als Nachfolger bes ritterlichen Königs Ar⸗
thur ein unbefreitbared Recht auf ben großbritannifden Thron
habe. Berfaſſer biefes Anagramms war der Wallifer Owen, von
weldgem mehre dergleichen Guriofa exiſtiren, und 5 bemer⸗
ten ti noch, daß er jenes Anagramm fertigte, ehe Jakob ben
englifcken Thron beſtieg, e8 mithin das Verdienſt einer Prophes
zeiung bat. James Gteuart wurbe in Jacebus Steuartus la-
finifirt und daraus Tu es ob justa carus gemacht. Ungezwun⸗
ener und deshalb häbfcher ift die Verwandlung von James
Skuart in A just master. Villiers, der Liebling biefes James,
wurde von ibm zum Grafen von Buckingham ernannt, und
George, Barle Buckingbame gab die Worte: Oh, grave, able
king, grace me — eine Bitte, welche ber König auf Koften
der Ration gnädigft erfüllt hatte. Da der gedachte Camden
feinen Verſuch über das Anagramm unter der Regierung ber
. jungfräulichen Eliſabeth ſchrieb, fo begreift fi, daß die An
firengungen biesfallfigen Scharffinnes ipr in gerätteltem Maße zu
Theil wurden. Hier nur zwei ber gelungenften. Elisabetha
Rogina verwandelte fi) in Angliae eris beata, und Elisabetha
Regina Anglerum in Gloria regni salva manebit. Der
Lord Kanzler Efeömere hätte das auf feinen Namen Thomas
Egerton gemachte Anagramm: Gestat honorem, zum Bamiliens
motto nehmen können, unb auf ben bübifch ermordeten Sir
Thomas Overbury erfchten, mit Weglaffung bed Sir, ein Ana⸗
gramm, we Symonds b’Ewes für das witzigſte feiner wigie
em Zeit . Es Heißt: O! Ol base murthyr. Gollet
in feinen intereffanten, auch die Anagramm : Jabrikation beſpre⸗
den „Belics of literature” erwähnt eine Miſtreß Mary
‚ vie unter Kari I. von am einen ar ſelbſt
verfaßte Anagramme und Akroſtichen herausgegeben, Ihn „ ame’s
Roil⸗ betitelt und darin nicht weniger als Fuͤrſten, Pairs
wu Praͤlaten anagrammatiſirt und zugleich akroſtichirt habe.
beſonders — der Himmel mag willen warum — bat ber
von Weymes fie infpiriet. John Weymes kommt wiebers
holt vor. ine gute WBerfegung ‚feines Ramens if die in:
„ühew men joy, und bas bazu gehörige Akrochichon fängt an:
Ja your great kenour, fres frem all alley,
O truly neble Weymes, you skow men joy;
Misving your virtues in their clsarer sight,
Mothing there is oan broed them more delight.
Gin nicht minder gewandter Anagrammatift ſchuf aus bem
Ramm umd Titel des General Mont ein Ehronogramm, ein
Unagramm mit Datum, fand nämlich in Georgius Monke,
Dux de Aumarle die Worte: Ego Regem reduxi, Anno
Sa. MDCLVV (Sa. für Salutis). Sir Thomas Wiat hatte
po ieh im Kamen int a wit, Waller ben Lawrel
n er), Vernon das Renoun (die Berühmtheit). Der
Dichter Craskawe befaß einen Herzensfreund, Namens Gar, unb
erflärte feine Dingebung an ihn baraus, daß er felbft Gar fei,
He m eu x no
n land ſind die Anagramme heutigen % be
Uebt. Folgende drei finb vielleicht wenig gelannt: Fr
Bonaparte — Boma rapta, leno, pone; Arthur Wellesiey,
Duke of Wellington — Let well foil’d Gaul secure thy
renown; Horatie Nelson — Honor est a Nilo. In Gefells
ſchaften gehoͤrt das Anagrammatifiren zu ben Geſellſchaftsſpielen,
wie ſehr das auch Diejenigen uͤberraſchen mag, die von in Eng⸗
tand geweſenen Deutſchen Tchriftlih ober mündlich gebört haben,
daß es in den dortigen Gefellichaften, flatt unfers gefühlvollen :
Sieh di nicht um, mein Buͤttel gebt um, oder unſers geiſt⸗
zeichen: Schenken und Logiren, Gteifbeinigkeit und Langweiligs
keit gebe. Man ſchreibt kurze Fragen auf, die mit einem aus
dem Sauptworte geformten Anagramm beantwortet werben
möflen. Als Probe einige, die ich mie notirt, und Kenner bes
Englifchen mögen enticheiben, ob fie des Notirens werth waren.
What is revelution ? Love to ruin. — What is a telegraph?
Great help. — What are lawyers? Siy ware. — What
comes from a dispensatory? O! I send pastry. — Is the
assembiy eemposed of good men? — Yes, lambs. — Who
moved the amendment? Ten mad men. — What do the
catholic representatives? Serve Saint Peter. — Got you
satisfaction ? It is a fact, son. — When does christianity
appear ?
When I ory tkat I sin is transppepd, it is clear,
My resource COhristisnity, soon’ will appear.
14.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Neueſte Igrifche Poeſien.
Bon allen Gedichtſammlungen, die uns bis jetzt das Jahr
1843 gebracht hat — und Gott weiß, daß ihre Zahl Legion —,
iſt ohne Zweifel die ausgezeichnetfte und beachtenswertheſte
diejenige, welche Mad. Desbordes: Balmore unter dem Ti⸗
tet „Bouquets et prieres”’ ganz kuͤrzlich heransgegeben hat.
Es ift dies in der That ein duftreicher Strauß, ber von ben
Kebiichften Btumen gebildet wird. Mad. WBalmore fehlen in
neuefler Zeit in die einträgliche Vielfchreiberei verſunken zu fein,
und wir freuen uns beshalb ſehr, daß fie in dieſer Sammlung
ihrer neueften lyriſchen Bebichte ben ganzen poetifchen Duft Ih:
rer Sprache und bie Glut bed Gefuͤhls wiebergefunden hat, bie
tor fdon längft einen hohen Rang unter ben Di Frank⸗
reichs geſichert haben. Bon dieſem ihren neueſten Werte kann
man ſagen, daß es ein neues Blatt zu ihrem Kranze hinzu⸗
gefuͤgt hat. Aus der großen Zahl von Gedichten, mit denen
wir in jüngfler Zeit überfchwenmt find, heben wir noch eine
andere Sammlung hervor, bie gleichfalls von einem weiblichen
Gemüthe eingegeben find. Wir meinen bie „Eglantines par
Marie - Laure”. Die Sprache dieſer Heinen Lieder, in denen
fi zum Theil ein reines Gemuͤth Luft macht, verraͤth zuwei⸗
ten, daß dies ein erſter bichterifcher Werfuch it. Im Allgemei:
nen find die Verſe harmoniſch und die jugenbtiche Dichterin bat
fich im Ganzen von allem Gewoͤhnlichen und Trivialen frei ges
halten, ohne in eine beffimmte unnatärtiche Manier zu fallen.
Wir machen nur auf ein gar liebliches Gebicht au am,
das wir in biefee Sammlung gefunden haben. Daſſelbe iſt
„Les amours de Marthe’ uͤberſchrieben Sitel „Biuettes
Eugene de Launay’’ (Paris 1843) verſpricht nicht viel,
—* die vr Lieber, rt wir Au A em en —
uſammeng en, mehr als, Q ⸗
iten’‘. Dee groͤßte Theil derſelben find natuͤrliche rote
eines gefaͤhlvollen Herzens. Ihre Sprache ift einfach und ger
ae und wir —* es deshalb erklaͤrlich, daß die Com⸗
poniften, wie Berat, Louiſe Puget u. U. bercits einen großen
Shell der Lieder von Launay in Muſik gefegt haben. Diefem
glädtihen Umſtande verbantt berfelbe einen größern Ruf, als
man unter den gegenwärtigen Verhaͤltniſſen mit einem einzigen
Bändchen lyriſcher Gedichte einzuernten pflegt.
Wenn auch Quinet in feiner „Teutomanie’ fagt, daß in
Deutichtand noch nicht eine vernünftige Geite über irgenb
eine Periode der franzöfifchen Literatur geſchrieben fei, fo kann
man ed uns doch nicht ftreitig machen, daß deutſche Gelehrte
bauptfächtich bazu beigetragen haben, das Studium ber proven⸗
zalifhen Sprache unb Literatur zu erleichtern. Wir ers
inneen bier nur an Gchlegel’6 „Observations sur la langue et la
litterature provencales” (Paris 1818) und Diez' „Poeſie der
Zcoubabourd” (3midau 1826), fowie beffen ‚Leben und Werke
der Zroubabours” (Zwidau 1829). Schiegel's Werk ift, ſchon
der Spradhe wegen, in der es abgefaßt iſt, den ‚ franzöfls
ſchen Gelehrten zugänglicher als die gebiegenen Schriften von
Diez. Man muß es einem jungen franzöfiihen Gelehrten des⸗
halb Dank wiffen, die Aufmerkfamkeit des franzöfifchen Publi⸗
cams auf bie Arbeiten bes verdienftoollen deutſchen Gelehrten zu
tenten. Der Name biefes jungen Franzoſen, der fich biefer Ar:
beit unterziehen will, das Wichtigfte diefer beiden angeführten
Werke ins Franzoſiſche zu Äberfegen, if Ferdinand de Roifin.
Wir haben von ihm bereits eine Probe unter dem Zitel „Eissai
sur les cours d’amour par Frederic Diez‘ (Paris 1842) ers
halten, die viel verſpricht. 2.
Biblivgrapphie.
Boͤhmens Provinzial: Zuftände auf dem Schachbrete ber
Öffentlichkeit. Vom Verfaffer der Schrift: „Hſtreich und feine
Staatsmänner”. Leipzig, Reclam jun. Gr. 12. 1 r.
Booſt, J. A., —2*— der Reformation und Revolution
von Frankreich, England und Deutſchland (von 1517-1843).
Mer Band: Frankreich. Augsburg, M. Rieger. Gr. 9.
1 Ihr. 25 Ner.
Cowper's, W., Expostulation ober Israel und Eng⸗
land, ein Gedicht, überfegt, mit Ginteitung und Anmerkungen,
von K. H. Sad. Bonn, Weber. Gr. 12. 7Y, Nor.
Ellendt, %., Über das religidssfittliche Bewußtfein der
Philologen und Gchulmänner, befonders Preußens. Gisleben,
Reiharbt. 8. 77, Rar.
Erinnerungen an Johann Gonrad Maurer. — Bilder aus
bem Leben eines Predigers. (1771 — 1841). Größtentheils
nach. beffen binterlaffenen Papieren herausgegeben. Rebſt meh⸗
rern Briefen Joh. v. Mülters, Joh. Georg Muͤller's,
Heyne's und Anderer. Schaffhauſen, Hurter. 8. 1 Thir.
1 r.
— ichte, F. H., Über den gegenwärtigen Standpunkt
der Philosophie. Akademische Antrittsrede gehalten in der
Aula der Universität zu Tübingen am 4. Nov. 1842, Tü-
bingen, Fues. 8. 7), Ner.
Granada, 8% v., Die Lenkerin der Sünder. 2 Bände.
Zte verbefferte Auflage. Aachen, Cremer. &r.12. 1 hir. LU Ngr.
* Grant, A, Die Reftorianer, ober die zehn Stämme. —
Reifen durdy das alte Affvrien, Armenien, Medien und Mefo:
potamien; Schilderung der kirchlichen unb häuslichen Gebräuche
und Sitten der Neftorianer, und Nachweis ihrer Identität mit
den verloren geglaubten zehn Stämmen Isracis. Im Auszuge
überfest von S. Preiswert, Mit einer Karte. Baſel,
Bahnmaierr. Er. 8. 25 Nor.
Hahn-Hahn, Ida Gräfin, Sin Reifeverfuh im Ror:
den. Berlin, A. Dunde. 8. 1 hir. 15 Ner.
- DHaufgild, ©, Allgemeine Zonfprachlehre, oder Ber:
fuch einer wiſſenſchaftlichen Darftellung der Elemente der Ton⸗
funkt, fowie der Melodik, mit
Harmonik, Auythmit, nebſt einem
| das Mußſtkaliſche Sonventionele behandelnden Anhange. Leipzig,
Hartknoch. Ki. 8. 280 Re.
Hirsch, 8,, Das Judenthum, der christliche Staat
und die moderne Kritik, Briefe zur Belenchtung der Juden-
frage von Bruno Bauer. Leipzig, Hunger. Gr. & 22}, Ngr.
Smmermann's, K, Schriften. 13ter und LAter Banb:
Memorabilien. 2ter und Iter Theil. Hamburg, Hoffmann
und Gampe. 8. 3 TShlr. 10 Ror.
Koerner, T. E., Das unbewegüche Eigenthum nach
preußiſchem Rechte. Eine ſyſtematifche Harſtellung. Nach Lage
ber neueſten Geſetgebung, und mit Rückſicht auf deren Eroͤrte⸗
sung durch Praxis und Wiſſenſchaft entworfen. Berlin, Hey⸗
mann. Gr. 8. 2 Thlr. WM) Nor.
Kortuͤm, F., Roͤmiſche Gefchichte von ber Urzeit Ita⸗
liens bis zum Untergange des abendlaͤndiſchen Reichs, uͤberſicht⸗
lich und mit ſteter Beziehung auf die Quellen fuͤr den Privat⸗
und Eehrgebzaud bargeftellt. Heidelberg, Mohr. Gr. 8,
2 Ihle. 10 Nor.
edſſel, H., Rachtiſch für Arm und Reid. In zwei Ab⸗
theitungen. Ifte Abtheilung: WBetracdhtungen, Gebanken unb
Parabeln. 2te Abtheilung: Geiſtliche Lieder und Gebidhte, Be
bein a Dichtungen. Berlin, Thome. Gr. 12.
hir. r.
eudwig Philipp Joſeph von Orleans, genannt Egalité.
Rad dem Franzoͤſiſchen eines Zeitgenoſſen von F. Badhans.
Leipzig, Hunger, 12. 1 Thlr.
Der deutfche Michel. Griäutert von einen feiner Freunde
und Leidensgenofien. Leipzig, Renger. &r. 8. 5 Rer.
Hiftorifcge Nachrichten über Teufeisbanner, Waprfager,
Wundermenichen, Geiſterſeher und anbere dergleichen außer
ordentliche Erſcheinungen in den Rheinlanden und Seſtphalen
feit Beginn dieſes Jahrhunderts. Bei Gelegenheit bes Auftres
tens des Wunderdoctors Heiner. Mohren zu Riederempt nad
meift noch unbenugten und zunerläffigen Quellen bearbeitet von
F. € * Mering und Ludw. Reiſchert. Kin, Dunfl.
r.
Nekrolog auf Herrn Conrad Ott, Privatbocenten an ber
Zuͤrcheriſchen Hochſchule und Redacteur der Neuen Zuͤrcher⸗
RE Züri, Orell, Züßli und Comp. 1842. Gr. 8.
2 7198. R
Schneidawind, 8 J. A., Der Krieg ſtreiche
Frankreich, deſſen Alliirte und den Rheinbund im Jahre 508.
Ober ausführliche Gefchichte der Feldzuͤge in Deutſchland, Ita⸗
lien, Polen und Holland; ber Infurrectionen Tirols und Vor⸗
arlbergs; der Aufftände in der Altmark und in Heſſen und der
Züge des Herzogs Wilhelm von Braunfhweig und bes Majors
3. v. Schill im Jahre 1808. ter Band. Gchaffhaufen, Her
ter. 1842. Gr. 8. 1 Thlr. 22%, Nor.
Schoppe, Amalie, Bilder aus dem Familienleben.
Iftee Band: Der Better. — Mutter und Sohn. Zwei Erzaͤh⸗
lungen. Leipzig, Zaubert. 9. 1 Thir. 15 Nor.
BSiguier, %., Die Größen des Katholicismus. Aus
ben Franzoͤſiſchen überfegt. Schaffhauſen, Hurter. Gr. 8.
1 Thlr. 20 Nor.
Sjoͤberg, E. (Vitalis), Gedichte. Aus dem Schwedi⸗
ſchen überfegt von K. &. Kannegießer. Leipzig, Brockhaus.
&r. 12. 20 Ror.
Soll denn wirklich ber Bank zwiſchen Proteflanten umb
Katholiken losgehn? Gin Wort treuer Ermahnung an alle
chriſtlich gefinnte Katholiten und Proteftanten. Strasburg,
Schuler. Gr. 8. 3%, Nor.
Stephani, I., Beise durch einige Gegenden des
nördlichen Griechenlands. Mit sechs Steindrucktafeln. Leip-
zig, Breitkopf und Härtel. 8. 24 Ngr.
Verfolgung und Leiden der katholiſchen Kirche in Rußland.
Mit noch ungebrudten Documenten. Bon einem ehemaligen
ruffifhen GStaaterathe. Aus dem Franzöfifcken überfeht vom
M. Zürcher. Schaffhaufen, Hurter. Gr. 8. 1 Thlr. 22%, Ne.
Verantwortlier Herauägeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Berlag von 3. A. Brodhaus in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Bar Redricht.
Bon diefer Zeitichrift erfcheint außer den Beilagen täglich eine Nummer und iſt ber Preis für den Jahrgang
12 Thlr. Alle Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Deftellung darauf an; ebenfo alle Poftämter,
di an die koͤnigl. fächtifche Zeitungserpebition in Leipzig ober das
* s ——— — — ⏑— ee and in Monatsheften ſtatt.
Halle wenden. Die Verſendung findet in
nigl. preußiſche Grenzpoſtamt in
Schriften uͤber den Urſprung der dramatiſchen
Poeſie in Frankreich.
I. Mysteres inedits du quinzieme siecle, publies pour la
premiere fois, avec l’autorisation de M. le ministre de
V’instruction, par Achille Jubinal, d’apres le manuscrit
unique de la nibliothöque de Sainte-Genevieve. Zwei
Bände. Paris 1840 — 41.
2. Mystere de Saint-Crespin et Saint-Cröpinien, publie
pour la premiere fois, d’apres un manuscrit conserve
aux archives du royaume, par Dessalles et Chabaille.
Paris 1842.
Wollte man die Gefchichte der dramatifchen Poeſie
and Schaufpiellunft in Frankreich bis zu ihrem Urfprunge
verfolgen, fo müßte man bis in die erften Jahrhunderte
unferer chriſtlichen Zeitrechnung zurüdgehen und die ge
fchichtlidhen, auf die romanifirten Gallier bezuͤglichen Denk:
maͤler zu Rathe ziehen. Führen wir hier zuvoͤrderſt an,
wie Raynouard, der berühmte Romanift, ſich bei feiner
Aufnahme in die Franzoͤſiſche Akademie vernehmen ließ:
Bei den alten Griechen war die Vorflellung einer Tragoͤ⸗
die ein politifches Inſtitut, cin religiöfes und vaterlänbifches
‚ von dem bie Bürger, in glorreichen und tugendhaften Vor⸗
n beftärkt, heimgingen; als die Franzoſen die Darftellung
Beiligee Dramen und Wyfterien aufbrachten, hatten fie ungefähr
Die Abffihten und Zwecke, weiche die griechifchen Dichter geteitet
hatten; und weil man den Gharakter und Endzweck bes athe⸗
nienſiſchen Theaters verkannt hat, iſt es vielleicht auffallend er⸗
ſchienen, daß die altfranzoͤſiſchen Dichter in ihrer naiven Froͤm⸗
migkeit bie Heiligen, die Jungfrau Maria und Gott Vater
dargeſtellt haben. Wie die griechiſchen Dichter den Athenieufern
die Gefchichte ihrer Götter und Halbgoͤtter dargeboten hatten,
fo führten fie ber allgemeinen chriſtlichen Andacht die Heroen
ihres Glaubens zur Erbauung vor, und das Boll, welches ſich
zu biefen anbächtigen Schaufpielen drängte, erfannte und ver:
crte darin feine religioſen Überlieferungen.
Diefe Höchft beachtenswerthe Anficht wird durch Facta
beſtaͤtigt: nach den ſogenannten Liebesmahlen (Agapen) in
den erſten Zeiten des Chriſtenthums, wobei Buͤhnenſpiele
und Aufzüge gehalten wurden, iſt zundchft zu nennen ein
lateiniſches Drama von dem Tragiker Ezechiel, welches
das „Leben Moſis“ vorſtellt, und der „Leidende Chriftus”
von dem heiligen Johann Chryſoſtomus; ein wenig ſpaͤ⸗
ter folgen der „Querolus”, der Querelenmacher, eine Art
Mifanthrop, nah Terenzifhem Muſter zugefchnitten, und
das „Spiel der fieben Weifen” von Aufonius. Die chriftlis
chen Geifllihen, dem einmal angenommenen Princip ge:
treu, verfäumten, wie man fieht, nicht, Sitten, Ideen,
Kunftformen und Gewohnheiten des heidnifchen Alterthums
zu ihrem Gebtauch und Beduͤrfniß zuzurichten. Die weit⸗
befannte Entgegenftellung, weldye antike und moderne, hels
lenifche und vomantifhe, oder, wie man auch wol fagt,
beibnifche und chriſtliche Kunft im ſchaͤrfſten Gegenſatze
denkt und die Charakteriftit beider dabin befcheidet, es
fpreche fich erſtere aus als geläuterte, veredelte Sinnlich⸗
feit, als Poefie der Freude und des Beſitzes, fich flügend
auf die Gegenwart — hingegen legtere ald Schwermuth
und Sehnfuht, als ein ſtetes Wiegen zwifchen Erinne⸗
ung und Ahnung”) —, warb fehr unrecht eine längere
Zelt hindurch überall mit befonderer Gunft aufgenommen
und mit mehr oder weniger Scharffinn von einer Menge
Selehrten auf fämmtlichen Gebieten ber Kunſtkritik und
Xſthetik durchgeführt. Denn jener Gegenſatz betrifft, in⸗
ſofern er begründet iſt, nur etwa bie Wendung und Be
jiehung, nimmer das ganze Weſen der Kunft, welches
überall nur Eines iſt. Weiß doch jedermann, daß die
gefchichtlichen Urkunden, die geheime wie die praßtifche
Weisheit der neuen Weltreligion in ben Begriffen und
Medeformen der claffifhen Sprachen niedergelegt worden;
und wenn ed Niemanden, der ſich mit den Refultaten
der neueften Eritifchen Forſchungen in der chriſtlichen Al⸗
terthumskunde vertraut gemacht, befremdend und neu if,
daß bie früheften Werfuche einer bildnerifch = malerifchen
Darftellung chriftlicher Ideen nicht in eigenen und durch⸗
aus neuen, vielmehr eine längere Zeit hindurch eben nur
EM. Sqhlegel, Über dramatiſche Kunſt und Literatur.
482
in den überlieferten Kunſtformen des heidniſchen Alters
thums fich bewegten, fo wird, denke ich, die Behauptung
feinen Anftoß geben können, daß nicht minder audy die
erften Verſuche dramatifcher Darftellung chriftlicher Gegen:
fände wit in neuerfundene, fondern in vorhandene aus⸗
Sebiiete, uͤbeckomcene Lineaturformen des claflifchen Als
terthums eingefponnen und eingepuppt wurden, worin fie
durch lange Jahrhunderte von Voͤlkerwanderungen, Um:
wälzungen und Gährungen überwinterten, bis fie endlich,
dem Schmetterfinge gteich, die todte, feffeinde von
ſich warfen und freie, leichte Schwingen entfalteten; doch
auch von diefem erften Fluͤgelſchlage ab bis zum vofiftän:
digen, ſehen mis die Moecfis in
Frankreich in mannichfach verfchiedenartigen Stadien der
Entmidelung, oft von aͤußer ichen Eindruͤcken und Um:
Maaden abhängig, oft verweilend und gleichſam ausruhend
von dem Wege, den fie zurüdigelegt.
Die Schauſpielkunſt ſcheint in Frankreich faſt zugleich
mit der Monarchie aufgebluͤht, aber bald ausgeartet zu ſein.
Schan unter Chlodwig (481 — 511) if die Mebe von
Hifttionen, Taͤnzern, Spaßmachern (farceurs), Gauklern
und Seiltaͤnzern (bateleurs), und ihre Spiele waren fo
fchandbar, daß Karl der Große fie verbot. Wahrſcheinlich
brachte die Geiſtlichkeit den Kaifer zu diefem ntfchluffe,
welche eiferfüchtig diefen Gauklern den Zulauf des Volks |
beneidete und ihrerfeits ebenfalls unſchickliche Pofſen an:
wandte, um durch fie den großen Daufen in die Kirche zu
locken. Das Narren : oder Efetsfeft ift unter den geift:
lihen Buffonnerien des Mittelalters am bekannteſten.
Man mählte naͤmlich altjährlid einen Narrendifhof, dem
man einen Haufen ungefchlachten Poͤbels als Klerus bei:
ordnete, und einige diefer Narrenkleriker trieben die Wahr:
heit oder vielmehr Unverfhämthelt fo weit, daß fie ſich
nadt in den Kirchen zeigten. Wie die Geiſtlichkeit ſolchen
Unfug nicht blos zulafſen, fondern felbft anordnen Ponnte,
das begreifen wir heutiges Tags nicht. Die Univerfität
zu Paris ſchrieb im J. 1444 einen ftrafenden Brief an
die Geiſtlichkeit des Königreichs, worin es heißt:
Non contens de chanter dans le choeur des chansons
ü&sshonnetes, les prötres et les clercs mangenient et jouasient
nux des sur l’autel A cötE du pröetre qui oslebrait la
messe: ils mettaient des ordures dans l’encensoir, ils cou-
‘rsient, riaient, chantalient et faisaient mille postures inde- '
centes, ils allaient ensuite par toute la ville se faire voir
sur des chariots.
Die Mahnung der Univerfltät war vergebens, daß
Narrenfeſt fand unter der Geiſtlichkeit aller Länder berebte
Bertheidiger, und ein Theologe des 15. Jahrhunderts fagte:
„Unfere Vorfahren, würdige und beillge Männer, haben
ſtets —* Feſt gefeiert, koͤnnen wir beſſern Beiſpielen
fol en?“*
Reben diefen geiftlichen Poffenreißereien finden fih zu
derſelben Beit, d. h. vom 7.— 10. Jahrhundert, auch
Beiſpiele von ernfihaften Bühnenfpielen, deren Stoff theile .
aus dem gewöhnlichen chriftitchen Leben, theils aus den
qriſtlichen Myſterien hergenommen war. Diefe Mofterien
) Über dad Narrenfeft Tann man Walter Scott’ ‚The Ab-
Ber! nachleſen.
bildeten fogar den Gegenſtand der. erflen dramatifchen Ber:
ſuche in franzoͤſiſcher Volksſprache; die älteften Erzeugniffe
biefer Art, welche bis in die erften Jahre des 12. und
fogar bis in Die letzten des 11. Jahrhunderts hinaufreis
hen, find bie „Epitres farcies“, d. h. folde, Die abwech⸗
ſelnd franzöflfep und lateiniſch geſchrieben find. Diejemigen
Stüde dieſer Gattung, welche uns übrig geblieben find,
baben faſt alle die Marter des heiligen Stephan zum Ges
genftande; fonft ift noch da: „Le Mystere des Vierges
folles et des Vierges sages“, in drei Sprachen, latels -
niſch, franzöfifch , und provenzaliſch abgefaßt und wevon
Raynouard im zweiten Bande feiner vortreffiihen Samms
lung ber Qriginalgedichte fagt:
Stud bietet die Elemente und den Gang eines Dramas,
d. 5. es hat eine Auseinanderfegung , eine Verfhürzung
und eine Entwickelung.“ *)
Im 12, Jahrhundert finden fich einige andere Frag⸗
mente von Muyfterien in franzöfifcher Sprache und ner:
ſchiedene Iateinifhe Bühnenfläde ; folgendes fihon van
Bapnound angesogene Factum beweiſt, daß hiefe latei⸗
niſch oder franzoͤſiſch geſchriebenen Stuͤcke wirklich aufge⸗
fuͤhrt wurden:
Wenn die Geſchichte bezeugt — ſagt ber ebenerwaͤhnte Ge⸗
lehrte in feinem legten ber Literatur des Mittelalters gewidme⸗
ten Auffage —, daß ein Myſterium, das heilige Katharinenfpiel
betitelt, zu Anfang bes 12. Jahrhunderts in England aufge:
führt wurde, fo dient biefes Factum als Beleg, daß jene Art
Sompofitionen fon in Branfreich befannt waren. Gin gewiſſer
Geoffroi, von einer Familie aus dem Mans abflammend, war
noch als Laie von dem Abte Richard von Saint: Alban nad
England berufen worben, um bafelbft die Leitung einer Schule
zu übernehmen, und er ließ jenes Stud in Dunſtable aufführen.
Zur Ausſchmuͤckung ber Bühne und für den Anzug der Schaus
fpielee hatte ex vom Meßner von Baint: Mban die Ehorröde
und geifflihen Meßgewaͤnder geborgt. In dem Saufe, weiches
Geoffroi bewohnte, kam zufällig Feuer auss bie koftberen Ger
wänder und Bücher wurden zu Aſche. Ganz troftios, daß er
der Abtei den erlittenen Verluſt nicht wieder erſetzen konnte,
zahlte Geoffroi mit feiner Perfon, indem ex ſich als Möndy ein:
fleiden lied. Er wurde Abt von Baint:Alban im 3. 1119.
Diefe Facta nebft vielen andern, die fi noch beifks
gen ließen, volderlegen ganz die von den Alterthurasfors
fern des vorigen Jahrhunderts und von den Geſchicht⸗
fchreibern des franzöfifhen Theater (ben Gebrüdern Par:
fait) verbreitete Anficht, daß Pilger, die aus dem gelobtem
Lande von Jeruſalem, aus Spanien von Santiago de
Kompoftella, aus Italien von Loretto und andren beruͤhm⸗
ten Wallfahrtsorten zuruͤckkamen, fich beigehen ließen, Die
Erzählungen des Alten und Neuen Teflaments, die Lebens:
geſchichte Jeſu, die Lebenslaͤufe der heiligen Märtyrer auf
Öffentlichen Pidgen darzuſtellen, und daß dieſe dramatiſir⸗
ten Evangelien und Legenden Myſterien hießen, nad) dem
Segenftande, den fie am häufigften behandelten. Was den
Namen angeht, fo iſt nichts gewiffer und ausgemachter,
was aber den Urſprung betrifft, fo iſt nichts beſtreitbare
und ungegruͤndeter.
Man muß bis ans Ende des 13. Sahrhunderts him
aufgehen, um einige weltliche bramatifche Bearbeitungen
) Choix des pordsies originalee des troubadeurs (5 Bbe.,
Paris 1817 — 32).
⸗
m franzoͤſtſchen Werfen anzutceffen, die Theaterſtuͤcke ges
nannt zu werden verdienen; und mehre von diefen Bear:
beitungen gehören noch In die Abtheilung ber fogenannten |
jeux-partis, d. b. foldyer verſificirten Stuͤcke, ‚wo zwei |
‚ die in einem Geſpraͤche redend eingeführt wer:
den, fich über diefen oder jenen Gegenſtand fireiten. So
glauben wir, daß man mehre dialogirte Fabliaur und etz
nige andere Stuͤcke derſelben Art nicht unter bie aͤlteſten
Dervocbringungen der dramatiſchen Poeſie in Frankreich
rechnen darf. Es unterliegt indeß keinem Zweifel, daß
im 13. Jahrhundert in Frankreich dramatiſche Bearbei⸗
tungen weltlicher Sujets gegeben wurden; Belege dazu
find das allerliebſte Schäferfpiel „Robin et Marion le dit
de ia fenillee”, daß „Jeu de Pierre de la Broce”, fo;
mie die in Werfen abgefaßte Beſchreibung ber Feſte die
1313 zu Paris gegeben wurden, als die Söhne Philipp's
des Schönen den Ritterſchlag empfingen.
Vier Tage lang — beißt es in einer alten Reimchronik
des Godefroy de Paris, aus der A. Jubinal mehre Stellen in
Proſauͤberſegung mittheilt — dauerten die Feſtlichkeiten, und
waͤhrend dieſer Zeit gab man Schauſpiele, darſtellend Adam und
Eva, die drei Koͤnige, den bethlehemitiſchen Kindermord, unſern
Heiland, wie er mit feiner Mutter ſcherzt und Äpfel ißt, bie
Apoſtel, wie fie ihre Baterunfer mit ihm auffagen, bie Ent:
Yanptung Iohannes des Taͤufers, Herodes und Kaiphas mit der
Inful, Pilatus, wie er fich die Hände wäfcht, die Auferftehung,
das jüngfte Geriht, ein Paradies mit 90 Engeln, eine Hölle,
ſchwarz und flinfend, in weldhe die Verdammten hineinflärzten
und bie hunbert Teufel amöfpie, meldge die armen Geeien mit
ihren Krallen padten und erbärmiich zwickten.
Außer diefen geiftlichen Darftellungen führt der Chro⸗
niſt auch Poffen an, große Aufzüge, Tänze und fatirifche
Farcen auf Ärzte, Geiſtliche und fogar auf den Papfl.
Diefe Zwifhenfpiele, damals Entremets (Intermede, In⸗
termezzo) genannt, beſchreibt die Chronik alfo :
Diefe Zwiſchenſpiele waren Lumpengefindel, das tanzend und
fingend im Hemde herumfprang, ein Bohnenkönig, ein Kinder
turnier, sin wuͤthendoer Wider, ein [pimuender Wolf, ein Voͤgel⸗
concert...
te bes Reinecke Fuchs darzuſtellen, der zuerft Doctor und
—5 — dann —— —e —* Biſchof, dann
Erzbiſchof, dann Yarft wird, und dabei immerſort Hennen und
Achieia veripeift. (Chroniquo metrique de Godefroy de Pa-
ci, ©. 191 — 192.)
Nach diefer Zeit werden die Dentmale der dramati:
(em Poeſie zahlceich und Buͤhnenvorſtellungen begleiten
fortan alle feierlichen Geremonien, alle Königs» und Volkes
feſte. Als Rönig Karl VI. 1380 feinen Einzug in Paris
hielt, führten Geiftlihe ein Schaufpiel auf, wie man «8
noch nie gefehen batte, und einige fahre fpäter, als er
fi mit Iſabella von Baiern vermählte, ſetzten dieſelben
Geiſtlichen ſich durch ein neues Schauſpiel bei dem Koͤ⸗
nige in Gunſt. Sie hielten nun um ein Privilegtum an,
bildeten eine Geſellſchaft und gründeten fo das erfte fie:
bende Theater. Ihren Namen gaben fie fi von dem
berähmteften ihrer Stüde, der Pafjion ; ihre Darſtellungen
wurden Myſterien, die Gefellſchaft la Confrairie de la
Passion, und die Mitglieder, faft ausſchließlich Geiſtliche,
Confrtxes de la Passion genannt. Odgleich vernünftige
Männer fhon frühe in diefen geiftlichen Spielen etwas
Die Gerber enbdlich bemühten fi die ganze Reben: |
Anftögiges erblidten und der Peevdt von Paris fie ſchon
1398 unterfagte , fo wurden doch die Paffionshrüder von
der Geiſtlichkeit, die ihnen fogar in irgend einem Kloſter
einen Saal zum Theater einräumte, wirkſam unterftägt,
und Karl VI, gab ihnen 1402 das Privilegium,
Die Stüde konnten wegen ihres Umfangs in einem
Zage unmöglich gegeben werden und waren daher in mehre
Journdes (Acte) getheilt, von denen jede einen Abend
waͤhrte. In dem berühmtefien: „Die Paſſion unſers
Herrn Jeſu Chriſti“, treten in der erſten Journee ſchon
87 Perfonen auf, unter denen die drei Perſonen der Gott:
heit, fech& Engel, die zwölf Apoftel, Herodes und fein Hof,
und ſechs Zeufel die merkwürdigern find, in anderes
Mofterium: „Die mpfängniß der Mutter Maria” betitelt,
hat 53 Aufzüge und 97 Hauptperfonen.
Mie die DVerfafler der Müfterien geheißen, iſt nicht
ganz ermittelt, wahrſcheinlich waren «8 aber Geiſtliche.
Wie die Form der Buͤhne beſchaffen geweſen, worauf
man dieſe Myſterien ſpielte, daruͤber berichtet Jubinal
Folgendes:
Die Buͤhne beſtand meiſtens aus weitlaͤufigen Geruͤſten
Schafauds), die auf oͤffentlichen Piägen ober auf Anhöhen am
ußerften Ende einer Ebene aufgefchlagen wurden. Mitunter
gewann die Sache ein noch malerifcheres Anfehen. Laſſay, in
feiner Geſchichte des Berry, erzählt, daß man z. B. zu Bours
ges 1436, zum Behuf ber Aufführung des Myſters der Apoftel:
geſchichte, im Umkreis des ehemaligen Amphitheater oder Bra:
bens der alten römifchen Arenen „ein zweiftädiges Amphithea⸗
ter herſtellen ließ, bad über die boͤchften Stufen hinäberrrichte
und oben brüber mit Begeituch bedeckt war, um bie Bufchauer
gegen Regen ober Hitze zu ſchuͤzen“. Was die Anordnung ber
hne betrifft, fo theitte man biefelbe, da feine Verwandlungen
vorkamen, terraſſen- und etagenweiſe ab, wovon jede eine
Stadt, eine Provinz u. ſ. w. vorſtellte; und dieſe Abſtufungen,
bie wieder in Unterabſtufungen zerflelen, ſtellten ihrerfeits wies
der verſchiedene Örtlichkeiten das. Das Gange hieß l’eschafault,
le jeu oder le parloir. Dben war das Paradies, unten die
Hölle, in der Mitte das Fegefeuer angebradyt; um das götts
lie Misfallen oder Wohigefallen auszudbrüden, hatte man bie
Borfiht, im Paradies eine Orgel aufzuftellen, welche zu gleicher
Zeit gebraucht wurbe, die Gngeichbre zu begleiten. Unten am
Geruͤſt und nicht auf ber Bühne fah man ein Dradenmaul,
das bie Zufchauer mit polixten Stahlaugen anglogte und ſich
öffnete und ſchloß, je nachdem Teufel auf die 8 bne auszu⸗
fpeien oder nach dem Abgange von ber Bühne zu verſchlucken
waren. Das flellte den höllifchen Flammenpfuhl vor; genau be⸗
ſehen, hätte man fich irren und biefen unterirbifchen Behälter
für ein Arſenal halten können; denn es fanden fi) darin Feld⸗
langen, Mrmbräfte und fogar Kanonen, um Larm und Don:
nermwetter zu machen.
Was das Fegefeuer anlangt, fo bat uns bas Myſter ber
Auferftehung folgentes in dieſer Beziehung überliefert: „au ber
achten ift, daß die Sinfaffung ein Gebäude In Geſtalt eines
großen viereckigen Thurmes fein muß, rundum mit Garn und
Negen oder anderm durchfihtigen Gewebe umgogen, bamit man
unter den Zuſchauern die darin befindlichen armen Seelen feben
kann, und binter befagtem Thurme müffen mehre Leute im
Streit begriffen fein, die alle -auf einmal ganz erſchrecklich
fehreien, Heulen und winfeln, und wer von ihnen bie beſte und
ftärtfle Stimme bat, fpricht für ſich und feine übrigen Mit:
ſeelen.“ WBißweilen waren bie eben erwähnten Örtlichleiten, fos
wie alle diejenigen, die das Gtüc noch erfoberte, mit Tafeln
behängt, worauf ihre Ramen geſchrieben ftanden. Richt nur in
Paris gab es Theater für die Myſterien, jede große und mans
de kleine Stadt in Frankreich befaß eins, und die Geiſtlichkeit
an ben Tagen, da man Gtüde aufführte, ben nachmit⸗
er Gottesdienft früh zu befchließen, um die Gläubigen am
Befuche des Theaters nicht zu verhindern.
Vorftehende merkwürdige Details find meiſtens ber
außerſt lehrreichen Einleitung entnommen, welche dem er:
ften angezeigten Werke beigegeben iſt und in gut gefchries
bener Darftellung fhägbare Beiträge und Winke zur Ge:
ſchichte der dramatifchen Poefie in Frankreich Liefert. Die
Mufterien, welche die beiden Bände enthalten, find fämmt:
lich In deeis und vierfplbigen Verſen gefchrieben. Der
Grund ſelbſt ift oft ſchoͤn, aber gänzlich entſtellt durch bie
Behandlung. Es zeigt fid darin Dülflofigkeit und innere
Armuth, Mangel an Freiheit in Beherrſchung des Stoffe.
Dieſem unterliegend, umfaßten die Dichter niemäls das
Sanze, welches daher nie flreng durchgeführt und anein:
andergereibt, fondern lofe und unbegrenzt voneinander faͤllt:
eine unbeſchreibliche Geſchwaͤtzigkeit draͤngt ſich durch die
Geſchichte und treibt ſie, mit Vernichtung jedes Intereſſe,
nach allen Seiten hin, wie Laune oder Zufall will. Ja,
man hat durchgehends den Eindruck, als ſei die Darſtel⸗
lung der Geſchichte das Außerweſentliche, blos vorgenom⸗
men, um darüber reden und moraliſiren zu koͤnnen. Hier⸗
zu kommen noch bie hart aufeinanderfallenden Reime, faft
immer ohne Rhythmus, fodaß die langmüthigfte Geduld
dazu gehört, diefen Mopfterien eine anhaltende Lecture zu
widmen. Bei aller Robeit und Unvollkommenheit dieſer
Stuͤcke kann man indeß eine mitunter and Erhabene ſtrei⸗
fende Einfachheit, eine gewiffe Größe der Compofition und
an vielen Stellen den echten, kraͤftigen Dichter nicht ver:
fennen, ber die Sprache in feiner Gewalt hatte und bei:
fen Phantafie jebenfaus bewundernswerth bfeibt. Selbſt
die Sprache iſt gewaͤhlt, einzelne Situationen ſind ſehr
lieblich und reizend erzählt, und man findet, beſonders in
einigen Monologen, einen fonoren Wörterpomp, uͤber den
man erffaunt. Immer iſt zu bedauern, daß bie Franzo⸗
fen nicht auf dem duch die Paffionsbrüder angegebenen
Wege fortgefchritten find; bei fortgefegtem Studium hätte
ihe Theater etwas weit Beſſeres werden können, als es
durch Jodelle's und anderer Nachahmer fogenannte Re:
formation geworben If.
(Die Fortſetzung folgt. )
Notizen.
Gavard's grobes Wert: „Les galeries historiques de
Versailles”, am 1. Mai 1837 begonnen, ift jedt mit der breis
gundertften Lieferung gefchloffen. In ben 2000 Kupferftichen
nad Werfen ber verfalller Galerie, wie in ben zahlreichen
Holzſchnitten, woraus diefes Eoftfpielige Werk beftebt, erkennt
man ben Eifer des Herausgebers, von Lieferung zu Lieferung
den Kupferſtich wie den Holzſchnitt zu vervolllommnen ; umge⸗
kehrt wie in ähnlichen deutſchen Werken, in weichen die Treff⸗
lichkeit von Lieferung zu Lieferung abzunehmen pflegt, weil bie
ohnehin für folche Unternehmungen geringe Sheilnahme bes
Yublicums nur zu bald erlahmt. Namen wie Burdet, Blau:
hard, Prevoft, Calamata, Dien, Delaunoy, Gaite, Buguenet,
Lefeure, Mercuri, Margeot, Pannier, Prubhomme, Taver⸗
nier u. f w. bürgen für bie burchgebenbe Trefflichkeit des Werts.
Auf die iegte Lieferung, welche 13 Platten und, ohne die Ta⸗
bellen und Qubfertptionsliften zu zählen, mehr als 40 Bogen
Zert enthält, iſt beſendere Sorgfalt verwandt worben. Mehre
ver in biefer Lieferung enthaltenen Kupferftiche find Weifterfläde
des Grabſtichels. Das Zitelblatt ftellt Ludwig Philipp dar,
geftocgen von Prudhomme nach Winterhalter's Gemaͤlde. Die
Schlacht von Äbukir, nach dem Gemälte von Gros, tft von
Lefeore, bie Salbung Karl's X , nach Berard’s großem Zableau,
von Dien, ein Portrait bes Chriſtoph Colombo, feiner Zeit
angehörig, von Mercuri geſtochen.
Die „Ruffifche —— — bringt die Nachricht, daß der
reihe Kaufmann Löwerftine (Loͤwenſtein?) dem Muſeum bes
Corps des mines in Petersburg ein koſtbares Geſchenk gemacht
bat. Es befteht aus einer ärdigen Sammiung von Per:
len unb Edelfteinen, worunter 50 große Perlen, weidge
auf 60,000 Aubel Werth gefchägt werben. ine berfelben,
noch an der Muſchel hängend, iſt von außerordentlicher Größe
und unvergieichliher Schönheit. Die Sammlung von rohen
ober gefchliffenen Edelſteinen iſt nicht von geringern BWerthe
unb Intereffe. Der Kalfer hat für biefes Geſchenk ten Kauf
ern zum Nitter des Stanislausordens dritter Glafle er:
oben.
„Caboche ou le peuple sous Charles VI, po&me tra-
gique, suivi d’6tudes historiques sur le regne de Charles VI,
sur les moeurs, les coutumes, les usages etc., et sur les
actions du peuple de 1795, rapprochdes des actions du
peuple de LSième siecle” ift ber lange Zitel eines Werkes von
&eon Martinay, worauf, wie in Journalen zur Gmpfeblung
hervorgehoben wirb, auch ber Herzog von Remours fubferibirt hat.
Den pilanten Xitel „‚Mesmoires et prophäties du petit
bomme rouge, par une Sibylle” trägt eine new erſchienene
Schrift, weldye von einer literariſchen Berühmtheit herruͤhren
fol, die fi in den Mantel der Anonymität einhüllt, um ihren
Drakelſpruͤchen den Reiz des Geheimnißoollen und Räthfelgaften
zu ertheilen. 18,
Literarifhe Anzeige.
Allgemeines
Wücher-Zexikon «.
Bon
Wilhelm Heinufins.
Neunter Band, weicher die von 1835 bis Ende 1841
erſchienenen Bücher und bie Berichtigung früherer Er:
fheinungen enthält. Herausgegeben von
Otto August Schulz.
Erfte und zweite Kieferung, Bogen 1%.
nt) vo
Sr. 4. Geh. Jede Lieferung auf Drudpap. 25 Ner.,
auf Schreibpap. 1 Thlir. 6 Nor.
Die erſten fieben Bände bes „Allgemeinen Bücherskeriten“
von Seinsius (1812 — 29) find fa gafommengenommes
im herabgeſetzten Preiſe für 20 Thlr. zu erhalten;
werben einzelne Wände zu verhältnißmäßig erniebrigten Preifen
12T gain Bäder wind, Tun Zentren. 1
enen Bücher enthält, koſtet au e
15 Ngr., auf Schreibpap. 12 Thir. 20 Rer. Fr.
Reipgig, im April 1843.
$. A. Brockhaus.
Berantwortlicher Derausgeber: Herarich Brodbaus. — Brud und Berlag von BE. U. Brodbaus in Eetpzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienfiag,
2. Mai 1848.
Eriften über den Urfprung der Ddramatifchen
Poeſie in Frankreich.
(Eortfegung aus Nr. 181.)
Die deamatifirten Legenden, weiche Lebensläufe der
Heiligen darftellen und die Mehrzahl in diefer Sammlung
ausmachen, find zwar zur Erbauung gefchrieben, doch fehlt
es ihnen nicht an unfittlihen Stellen. Die damaligen
Dichter bebdienten fih, um fchlüpfeige Situationen in er⸗
bauliche einzuſchwaͤrzen, eines fein erfonnenen “Mittels,
Sie legten den zahlreichen Perfonen, welche bie heiligen
Märtyrer quälen und ihnen die gräßlihften Martern an:
thun müffen, ſehr gefuchte, ungewöhnliche, drollige und oft
eynifcye Redensarten In den Mund, oder ließen fie icdifche
Anfechtungen und böfe Lockungen erfahren, was denn Ge
legenhelt gab, das Unverſchaͤmteſte auf dem Theater zu
zeigen. Durch die Darſtellung des Märtprertodes werden
mehre dieſer Stuͤcke zu einer Art romantifcher Trauer⸗
fpiele. Wie wenig man auf Schicklichkeit ſah, beweiſt,
daß In dem Myſter von der heiligen Barbara die Hellige
auf dem Theater bei den Beinen aufgehängt, mit effernen
Kaͤmmen zerfleifht und an Lampen gebraten wird. Trog
dieſes Ungemachs bleibt die arme Frau immer am Reden,
wirft dem Tyrannen feine Brutalität vor und ſchweigt
erſt mit dem legten Athemzuge. In neuefter Zeit waren
die Franzofen auf gutem Wege, wiederum folche Scenen
auf ihren Theatern zu ſehen.
Die Mofterien, womit uns dieſe Sammlung befannt
macht, maren bis jegt noch nicht herausgegeben und bios
dadurch bekannt, daß der Herzog von Pa Valliere im erften
helle der „Bibliothöque du Theätre français“ (S. 36)
ihrer erwähnt. Das Manufcipt gehört der Bibliothek
Sainte = Beneritoe. Jubinal bat den Tert mit ers
Käuternden Anmerkungen begleitet, welche feiner Ausgabe
einen großen Werth verleihen. Zlr bloße Liebhaber find
Überfegungen der ſchwierigſten Stellen beigefügt, ſodaß dieſe
Ausgabe wenig zu wuͤnſchen übrig laſſen duͤrfte. Ju⸗
Dinat durchforſchte ſeit Jahren franzöfifhe und auswic
ige Bibliotheken und gab mancherlei Schägbares umd In:
tereffantes heraus: den „Trouvere Rutebeuf” (2 Bde.),
„Jongleurs et Trouveres’' (2 Bde.), mit Victor de Sans
fonetti die „Anciennes tapisseries bistorides”‘, und ganz
neuerdings „Nouveau recueil de oontes, —* ſabliaux et
autres pièces inddites des 13itme, lAiece et Lite
siöches' als Fortſetzung zu den Sammlungen von fe
Grand v’Auffy, Barbazan und Mion.
Nr. 2: „Mystere de Saint-Crespin et Baint- Cr&
pinien”, {ft ganz im demfelben Genre und flammt aus
berfelben Zeit wie die Stuͤcke, welche bie Vorhergehende
Samnılung mittheil. Das Manufcript, dem es entmenis
men ift, Mrfindet ſich in den koͤniglichen Archiven, hiſtori⸗
fche Abtheilung, Reihe M, Nr. 906. Es beſteht aus drei
Heften in Folio in Form eines Memotials und gehörte
zu den Urkunden und Documenten, welche das 1783 ‚um
Ausfuhen von Urkunden eingefegte Eomtid aus den Ars
chiven von Motte: Dame ausgewählt.
Die melften von uns vorher in Bezug der vom
Jubdinal edirten Myfterien gemachten Bemerkungen paſſen
aud auf dieſes. Eine Eunrze Inhaltsanzeige der deiden
Abtheilungen, die von dem Mopfler des heiligen Crispin
und Grispinian erhalten find, möge das Gmmälde vervoll⸗
fländigen, welches wir von bee Geſchlchte der aͤlbeſten Ders
vorbringungen des franzöfifhen Theaters zu entwerfen ver
fuchten. In den Hauptdaten dieſer Analyſe halten wir
uns an Raynougtd.
Der Prevdt Rictiovaire tritt anf und fegt das Sche
auseinander, Wie ihr wißt, fagt er, haben wir zwei Chri-
ften in unferer Gefangenfhaft, die unfere Gefege und uns
fere Götter ſchmaͤhen und verfpotten. Die Kaifer (damals
Diocletion und Marimian) befahlen, daß fie mit Node
beftraft werben. Die Raͤthe und Henker, weiche letztere
ber Verf. Ausrecker (tirants) nennt, find dee Meinung,
daf man die beiden Gefangenen langfam zu Tode quälen
fol. Grispin und Geispinlan werden aus dem Kerker ger
holt und vor ihren Wächtern gemishanbelt, wofuͤr fie
Gott danken. Anſtatt fiy in Ausbräche von Zorn und
Klage zu ergießen, predigen fie In einem fort ihren Rich⸗
tern und Denken, bie mie großer Gefaͤlligkeit die an fie
gerichteten frommen Reden anhören. Da faͤllt Rictiovaire
auf eine Marter, auf die ihn ohne Zweifel das Glaubens:
befenntniß der beiden Maͤrtyrer bringt: er laͤßt jeden Fin⸗
gre an jeder Hand Erispin’s und Crispinian’s mit einer
Ahle durchſtechen, was bie Patienten ruhig aushatten, ins
dem fie Gottes Beiftand anrufen. Die Mutter Maria
bittet daranf ihren Sohn, ſich für die zwei muthigen
Märtyrer zu verwenden. Die Engel Gabriel und Rafael,
von Bott ausgefandt, erfcheinen, und die Schuhmadyers
pfeiemen fptingen plöglid) aus den Singern, in die fie ge
ftochen waren, heraus, durchbohren die Leider der Henker
fetbft und machen ihnen den Garaus. Der Teufel kommt
dag und holt fie mit Leib und Seele. Der Prevoͤt, feft
Aberzeugt, daß diefe wunderbare Befreiung durch Bauberel
bewirkt worden , läßt andere Ausrecker rufen und fchidt
die Märtprer wieder ins Gefängniß ; darauf hängt man
ihnen Muͤhlſteine um den Dals und wirft fie in den
Huf, aber fie werden wiederum durch ein Wunder gerettet.
Wegen des Eindrucks diefer wunderbaren Rettung fehr bes
forgt, verhören Rictiovaire und feine Beiſitzer die Heiligen
Grispin und Crispinian aufs neue und ſchicken fie zurüd
ins Gefängniß. Am dritten Zage, d. h. im dritten Ast
druͤcken Gott, die Jungfrau Maria und bie Engel unver:
boblen das Intereſſe aus, welches ihnen die Ergebenheit der
Märtyrer einflöße, und Gott ſelbſt erwidert die Bitten,
die Griepin und Crispinian an ihn richten. Die Mut:
ter Maria teöftee fie auch. Der Prevöt verurtheilt fie,
in einen Keſſel voll fiedenden Öls und gefchmolgenen
Bleis umzpulommen. Die Heiligen bitten Gott um Gnade
und ber liebe Herrgott bedeutet ihnen, fowie ser Mutter
Maria, die ſich fortwährend für fie verwenbet, ſich rubig
zu verhalten, der Keffel werde plagen und das fiedende
DI und heiße Blei werde über die Peiniger kommen.
Der Keſſel platzt in der That und bewirkt den Tod Ric⸗
tiovaire’8 und feiner Spießgefellen ; der Teufel fährt mit
ihuen ab zur Hölle. Kine Botſchaft wird an den Kaifer
Marimian abgeſchickt, der eiligſt herbeiklommt und die bei:
den Glaubenshelden zu erweichen und zu verführen ſucht;
aber biefe widerſtehen tapfer allen feinen Drohungen und
Berfprehungen. Gott thut endlich einen Machtſpruch und
erklärt, daß ihre Probezeit vorüber fei, welche frohe Nach⸗
richt ihnen ſtracks ein Engel bringt. Die beiden Mär:
tyrer werden enthauptet und ihre flerblichen Hüllen wer⸗
den von einer gutherzigen Dame, Namens Gävia, zur
Erde beftattet.
Die Sorgfalt und Umſicht, womit die Herausgeber
ihee Aufgabe gelöft haben, verdient volle Belobung, ihre
Arbeit iſt ein fchägbarer Beitrag zur diteften drama⸗
tifchen Literaturgefchichte der Franzofen, und mittels die:
fe6 Beitrags , fowie durch da6 Merl Jubinal's und
die von Krancisque Michel mit Monmerqué heraus:
gegebene Sammlung (, Theätre frangais du 12itme,
13itme, I4itme et Ididme siöcle’”) ijt es uns jeht ges
Rattet, mit Bequemlichkeit eine Auswahl der beften Jeux,
Mysteres, Moralites u, f. w. bed Mittelalters in ihrer urs
fprünglihen Geſtalt, in Eritifh treuem und correctem Ab:
deu mit Anmerkungen, Überfegungen, Gloſſen, Indices
u. f. w. lefen zu können.
(Der Beſchluß folgt.)
Konrad Siebenhom’s Höuenbriefe an feine lieben Freunde
in Deutfchland. Derausgegeben von Ferdinand
Fuchsmund. Königsberg, Theile. 1843. 8, 20 Ngr.
Ein Geifllicher, ein Offizier, ein deutfcher Student mit
beeifarbiger Dluge und laugem Baar, ein berliner Kammer
gerichts: Referenbarius, ein bünner Menſch vom wittenberger Ges
minar, eine nervenſchwache Baronin, ein ruſſiſcher Genator un)
bon preußifche Birilftimmen fahren nad ihrem Ablchen in einem
oſtwagen ber andern Welt entgegen. Auch Siebenhorn iſt mit
dabei. Sie glauben, es gebe ind Himmelreich; um fo größer
ift das Gntfegen, als fie gewahr werben, daß ihr Weg dire
zur Hölle führt. Diefe HöUe hat jedoch nichts mit den Angfbe
gebilden frommer Sünder gemein; vielmehr laͤßt es fich dafelbft
ganz gut leben. Die Reifegefelfchaft wirb in einem comforta⸗
bein Wirthehaufe untergebracht und genießt ſchon am folgenden
Tage die Ehre einer Audienz bei Sr. ſataniſchen Wajefldt.
Der Teufel in uͤblichem Goſtum faß auf einem golbenen Thron,
zu feiner Rechten, eine Stufe niebriger , die Frau Großmutter,
links feine Gemahlin; ringsum fland ein großer Theil der zur
Unterwelt eingegangenen Geſchichte, Kaifer und Könige, Fuͤrſten,
Paͤpſte, Minifter u. f. w. -
Nach einer jovialen Anrede, mit welcher Satan die neuen
Ankoͤmmlinge begrüßt, werben ihm biefeiben perſoͤnlich vorgeſtellt.
Zu einigen Indianern dußerte ber Satan, er fei der europätfchen
Miſſionsgeſellſchaft viel Dank ſchuldig, daß fie aud) den Wilden mög
lich gemacht habe, in den Himmel zu kommen. Ginige Augenbiide
beſchaͤftigte er ſich mit mehren aus dem bittern Bierlande, einigen
werthoollen SIefuiten und andern gewandten Menſchen, benen
es fein Wohlgefallen ausbrüdte. „Da, meine Pfäfftein”, rief er,
„meine ſchwarzen Kinderchen, herzlich willkommen! Ihr feib
mir Ale ans Herz gewachlen, meine Römerlein, meine Baier
lein.“
In einem ſpaͤtern Briefe berichtet Siebenhorn uͤber eine
Unterhaltung, welche er mit des Teufels Großmutter und der
Pompadour gehabt hat. Erſtere behauptet, die Mode ſei nicht
blos Laune, ſondern ein Ausdruck ber Zeit. Die Pompadour
bezweifelt dies und fragt, wie denn z. B. der Frack die Zeit
darſtellen ſolle? Siebenhorn erlaͤutert hierauf die Bedeutungen
dieſes modernen Kleidungsſtuͤcts. „In dem tiefen Ausſchnitt
liegt die ganze Negation des heutigen Jahrhunderts; es iſt ein
kritiſches Segment philoſophiſch gefaßt und praktiſch bie unäber:
windliche Idee ber Cenſur: der Brad ift negativ, kritiſch unb
cenfirt. Wiederum liegt in den ſpit nach Hinten zu laufenden
Schoͤßen die unendliche Idealitaͤt der Zeit, das inbifferente Abe
folute,, die gleichſam punktlos vergehende Abſtraction, die meta⸗
phyſiſche Sinheit von Sein und Nichts.” „Und”, fiel die Groß⸗
mutter fanft ein, indem fie mit dem Teufelchen auf ihrem
Schooſe tändelte, „ift es nicht die elegiſch⸗ſentimentale Stim⸗
mung der Zeit, wenn ein liſpelnder Lufthauch die Schoͤße hin⸗
ten ſanft voneinander ſchlaͤgt, daß fie poetiſch im Winde flate
tern? Iſt das nicht etwas unendlich Atheriſches 7” „Zugleich“,
fügte Siebenhorn hinzu, „iſt dieſes Igrifche Spiel der auseinander»
ſchlagenden Schöße ein Ausdruck der plögliden Manifeſtation
des Abſoluten und bes Durchſcheins der Ratur, weldye in ihrer
ganzen ftabilen Fuͤlle von Hinten her ſichtbar wird. Darin liegt
unftreitig ein materialiftifcher Yantheismns.”
Auch eine Badefaifon gibt's in der Hölle. Fallſtaff if
Badewirth. Sehr ergoͤtlich iſt es, woie Kogebue wegen ein
ger, im Grunde wohlgemeinter und unſchuldiger Redensarten
von dem groben Engländer zurechtgefegt wird. „Sir John er
zählte mir eben feine Abenteuer mit den lufligen Weibern von
Windfor. Indem trat Kogebue herein in Begleitung von cin
paar ruffifhen Spionen, einem BBibelgefellfchafter und einigen
Menſchen vom Mäßigkeitsverein; fie fepten fi an einen Tiſch
und tranfen Branntwein. Kotzebue prahlie mit feiner GBefchichte
des deutſchen Reicht und wigelte auf Volkeverfaſſung und com
flitutionnelle Ideen. ‚Wozu ift ein Boll‘, fagte ex, „als zur
Knechtſchaft und von der Gnade ber Könige zu leben? Bolt
ift weiter nichts als das Bausthier bes Könige.‘ ,Ia“,
fagte der Bibelgefrllfchafter fanft, ‚man muß es feit an das
Kripplein binden, ja! — ‚Peitſchen! peitfcden!‘ bekliten Wie
befoffenen Ruffen, ‚Donnerwetter! ſo'n Bolt, wir wollen Wiut
faufent‘ — , Wahrhaftig‘, lachte der edie Schriftfieller Roger
bug, „es iſt lächerlich, wenn fi ein Volk will vertreten laſſen;
nicht vertreten, ſondern zertueten! umb Jeden ſollte man öf⸗
fentlich ausbauen, der von Gonflitution zu ſprechen wagt.‘
‚Goddam! das ſoll man‘, rief Sir John Fallſtaſf, indem er
auffprang und dem Schreier eine fchallende Obrfeige gab, ‚und
das ift der Humor davon.‘ Die grünen Spione zogen bie
Göbel und drangen fluchend auf Balluff ein, ber behende res
tirirte. „Cie John, Ritter Sir John, lauft doch nicht‘, Ladys
ten mehre Engländer, ‚es find fleifleinene Kerie und mit
denen nehmt Jhr's auf.“ Ginige Franzofen halfen, das Geſin⸗
dei ward hinausgeworfen und der Legationsrath rollte fammt
einer Reichsgeſchichte die Treppe hinunter.”
Der Slavierfpieler Lyſius verberriicht die Saiſon und ber
Enthuſiasmus ift für ihn dert unten ebenfo überfchwänglich wie
auf der Oberweit. „Epfius fpielte zuiegt einen daͤmoniſchen
Galopp: bier brach Alles in wuͤthende Ekſtaſe aus — man
hieit ſich nicht mehr; Herren und Damen fielen jauchzend über
ben Giavierfpieler ber, einige fehnitten ihm bie Haare ab, ans
dere zogen ihm wüthend die Weinkleider aus und machten ſich
darüber her, fie in Streifen und Wegen zu zerfchneiben, um
ben tbeuern Raub nach Hauſe zu tragen. Die Damen werben
fi) daraus Souvenirbänder machen laflen. Geht, wie gewals
tig der Genius wirkt und wie ihm gehulbigt wird!’
Nach dem Goncert geht's in Philabeiphia’d Zaubervorſtel⸗
ung. „Der Satan war anweſend und bei fo guter Laune, wie ih
ihn felten gefeben habe. Ia, er trug dem Zauberer ſelbſt einige
Berwandlungen auf. ‚Werwandein Sie mic doch den Menſchen
da*, rief er lachend. Flugs faß ein Eichhörnchen mit Schwanz,
Schnauze und Kiauen. Dann nahm Philadelphia einen dicken
Senfor bei den Beinen, ftellte ihn auf den Kopf, bieb ihn
einige Mate mit einem Knuͤttel über den Bauch, und fich! ein
Baum ſchoß daraus hervor, auf dem das Eichkaͤtzchen fofort
hinauffprang,, ein Männchen machte und hohle Nüfle in das
Yublicum warf. Darauf ließ fi) ber Magier ein paar Orden
geben, hackte fie Elein, lud fie in ein Pilot und feuerte auf
das Eichkaͤgchen: Anall — Yulverdampf — beide Metamors
phofirte ſaßen an Ort und Gtelle und fragten, wie aus einem
Zraum erwachend,, wonach es hier fo ſtinke. Rach Eichkaten,
fagte der Satan lachend. Er winkte dem Zauberer und fagte
ibm heimlich etwas ins Ohr, worauf ſich biefer entfernte und
wie müßig unter den Zuſchauern umberging. Bald merkte
mans, Graͤßliches Gelächter | man fiebt umher: Der General
eapitelömeifter Pius V. figt mit einem Originatfchafsgeficht da
und bIöft, ohne etwas von feiner Verwandlung zu ahnen. Der
Schafskopf weiß nicht, worum Alles auf ihn Hinficht. Linke
und redyts entfliehen neue Schafstöpfe; «es ift fchon eine zahl:
reiche Heerde — alle ſtecken um den Generalcapitelmeifter biös
fend bie Köpfe zufommen. Die Zufchauer wälzen ſich; ber
Satan lacht fürchterlich.”
Ein ganz originelles unb vortrefflid organifirtes Inſtitut
ift die Senforenfhule des Höllenreihe. In einer wiben
Gegend, wo der Fluß Pyriphlegeton eine wuͤſte Zelfeninfel ums
heuit, liegt ein finfteres altes Kloſter mit verwittertem Ge⸗
mäuer, ſchautrlichen Hallen und dunfeln Bogengaͤngen. Es
ſcheint; als wäre das deben entſetzenvoll vor dieſer Ode zuruͤck⸗
geflohen und als haͤtte nun die Natur ewige Trauer angelegt
und als wäre fie in ihrem Sram fleinern geworben. Das tiefe
igen des Grabe laſtet erdruͤckend über dieſem Kloſter
und die Schatten hängen geſpenſtiſch an feinen flarren Finnen
wie klagende Grinnerungen einer gemorbeten Weit. Unwillkuͤr⸗
licher Schauer erfaßt den Wanderer, der diefe Stätte bes Los
bes fchaut, und fein Geiſt firdubt ſich, ale hörte er die Sklaven⸗
fette raffeln oder ben meuchleriſchen Dolch der Feme wegen.
Und diefes Ktofter? Dreibundert junge Leute werben bier zu
Senforen erzogen — es ift bie fatanifche Staatscenforenfchule.
Die von Natur unbändigften , wildeften Knaben werden, fobald
fie die Luͤmmeljahre erreicht haben, in dieſes Gemaͤuer gefperrt
und in der Genfur unterrichtets fie haufen in finftern, dumpfen
Zellen. Hier wird ihre Galle kunftmäßig bearbeitet; man reizt
diefe Züngtinge, macht fie graͤmlich, mürrifch, biffig., Sind fie
hierdurch binlänglich vorbereitet, fo lieſt man ihnen Colleglen
über bie Philofophie der Genfur; die Kennzeichen der guten und
der ſchlechten Preſſe werben ihnen fcharf eingeprägt. Ratürtich
werben häufig praktiſche Übungen im Genfiren angeftellt. „Es
ift eine hoͤlliſche Luft, eins abcenfiren zu fehen. Der Director
der Cenſorenſchule macht befannt, an dem und dem Tage wird
cenfirt! Alles grinft vor Freude. Um bie jungen Leute noch
grimmiger zu machen, werben fie den Tag vorher ausgehungert.
Man reizt fie durch Vorzeigung neuer fcheußlicher Autoren.
Bon Zeit zu Zeit ſteckt der Director den Kopf durch die Zellen
tür und recitirt einige bemagogifche Ruchlofigfeiten aus der zu
cenfirenden Schrift mit verftellter, fürdhterlicher Stimme. Das
geſchieht am haͤuſigſten in der Nacht, wo die Etille und das
feierliche Dunkel die Worte noch fchauerlicher machen. Die Gens
foren knirſchen mwüthend mit den Zaͤhnen. Hier und ba wilde,
unarticulixte Muthausbrüde in ben Betten. Es wird Tag.
Alles ſtuͤrzt mit großem Geheul in die Genficftube. Bei einem
fo fireng foftematifchen Unterrichte kann es nicht fehlen, daß
die Genforen, wenn fie aus der Kloſterſchute dimittirt werben,
wahre Wunder leiflen. Es gibt deren, die ein ganzes, großes
Wert ſchon aus dem bloßen Zitel cenfiren können: fie fchlagen
ton auf, begrinfen ihn, befchnuppern ihn, floßen ein patriotis
ſches Geheul aus und — es ift abcenfirt. Das find aber auch
wahre Driginalcenforen, wahre Genies, Prachtleute, Paradig⸗
mata ber ganzen Genforenkunde. Habt Ihr noch nie einen
wahren, echten Genfor cenfiren fehen? O! meine Freunde, es
it ein Anbtid, der einen Stein zum Erbarmen bringen koͤnnte.
Die Cenfur iſt der wahrhafte unaufgelöfte Widerfpruch ber Idee,
ber ſich in dem ganzen Ausbrud eines Genfors abprägt. Ent
weber iſt's Wuth oder eiferne Starrheit. Der Erfte padt das
Manufceipt, er reißt es, er zerrt ed, als wollte er bie ganze
Gedankenweit in Waculatur verſchtingen. Wie fich fein Baar
firäubt I Wie die feurigen Augen in den Böhlen rollen! ie
die Nafe fchnaubt! Es ift ein aufzifchendes Yuriengeficht , ale
wills aus dem Kopf berausfpringen. Er wirft fi) unrubig im
Stuhle umher. Seine Hand Erallt ſich in den Roͤthel und zudt
feurige Blieftreifen über die Blaͤtter. Sie find roth über und
über. Jetzt wird er gang kirſchbraun im Geſicht. (Cs iſt na«
tuͤrlich nur von hoͤlliſchen Genforen die Rebe; die irdifchen
haben ſich's alſo nicht anzunehmen.) Roch einen hafligen Strich —
das Bud iſt tobt. — Seht den Andern! (Eine marmorne Rube
tiegt in dem grauen, eingeflürzten Geficht, unveränberlich. Der
Mund ift Halb zur Seite fchief aufgeriffen und zeigt ein zuſam⸗
mengepreßtes Gebiß. Er lacht nicht, er wuͤttzet nicht auf: es
ift ein kaltes, feftgefrorenes Grinſen. Die Eritifche Nafe hängt
fpig über in das Bud und wundert fh: alle Regung bes
Lebens bat fich in fie Hineinconcentrirt, man könnte fagen, bie
Seele ſaͤße in ihr. Bon Zeit zu Zeit mache er einen kunſt⸗
gerechten Strich durch die Rechnung, langfam mit eifenfefter
Hand. Das ift ein kaltbluͤtiger, unerbittlicdger Senfor, beimets
tem der gefaͤhrlichſte. Wie fehr man geniale Genforen hier zu
fhäsen weiß, beweiſt ein Denkmal, welches der Satan bem
Dbercenfor hat errichten laſſen. Es tft ein zwoͤlf Buß hoher
Würfel von Rothſtein; obenauf ſteht der gewaltige Genfor gang
von Stein. Sein rechter Fuß tritt auf die spolia opima feiner
Senfur, auf zerriffene Manufcripte, Federn und entblätterte
Lorbertränge. Er felbft trägt auf dem Haupte einen Lorbers
franz in mattem Silber. Mit ber rechten Hand hebt er einen
noch zappeinden GSchriftfteler bei den Haaren in die Höhe, ihn
ben Bolke zeigend; die Linke ruht nachläffig auf einer Eoloffas
len Schere. Bor ihm niet der Beitgeift kraͤnklichen Aus⸗
ſehens, hält einen Rapport vor und ſcheint Befehle zu er⸗
warten. ‘
Es wird an biefen Proben genügen ; bie folgenten Briefe
ſchildern noch eine Menge irdiſcher Dinge aus dem Gefichtss
punkte diefer luſtigen Hölle. Wir würden zu viel fagen, wenn
uhr die Schrift als ein Meiſterwerk des Witzes anpreifen well
ten3 doch ift fie faft durchgängig in einem kraͤftigen Humor
gefhrieben und wird ben Lefern, welche in den Feten und komi⸗
bes Hblleniebens feine Yrofanation erblicken, eine
—— Sonde gewähren. 3,
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
po
.Lamattine, der es namentlich durch feine Marseillaise
paix’ in ber „Revus des deux mendes” mit ber libe⸗
salen Partei fehr verdorben hatte und dem z. B. ber „Natio-
nal’ befonbers feiner oft etwas vernachtäffigten Form wegen
immer etwas am Zeuche zu fliden wußte, ift mit einem Male
wieber bei ben Radicalen zu GBnaben angenommen. Mir bens
fen hier nicht daran, bie kaͤhne Schwenkung zu erliären, durch
bie er in die Reiben ber Linken übergegangen ift, aber wir koͤn⸗
nen es nicht unterlaffen, darauf aufmerffam zu machen, wie
noch in einem der erſten Hefte der „Rerue indélpendante
G. Sand, dieſer beredte Bertheidiger ber demokrati Ideen,
Lamartine zurief, ſich nicht mit der Politik zu befaſſen, weil
er nichts davon verſtehe, weil er ein Ntopift ſei; waͤhrend
jegt keines der liberalen Organe Anſtand nimmt, ihn fuͤr einen
ber größten Staatsmaͤnner, bie Frankreich gegenwärtig bat, zu
estiären. Es iſt aber freiti wahr, daß zu gleicher Zeit
®. Sand barauf binweift, wie eigentlich ein Widerſpruch zwi⸗
feinen Poeſien und den confervativen Principien fel, die
er bis dahin auf der Nebnerbähne befannte. Sie belegte es
durch zahlreiche Gitate, dab Lamartine wenigſtens in feinen Ge⸗
dichten fih zu ben demokratiſchen Tendenzen hinneige. Wiel
wichtiger inbeffen als bie Änderung feines politifden Glaubens:
befenntniffes bürfte für Lamartine's literariſchen Ruf das Er⸗
ſcheinen einer Tragoͤdie fein, die im Manuſcript bereits vdilig
ausgearbeitet fein fol, und bie, wie mir verfichert wirb, wahr:
ſcheinlich zuerft im Drud erfcheint, obgleich Lamartine gern ben
Zriumspf einer Öffentlichen Darftelung im Theätre francais feiern
möchte. Sie heißt „Les esclaves”. Die „Revue des deux
meondes’‘ und bie „Presse’’ theilen ein Bruchſtuͤck daraus mit.
Es if ties ein Monolog Touſſaint's und bat deshalb fein zu
großes Intereffe, weil man daraus nicht erfehen Kann, ob «6
Bamartine verfianden haben wird, feinem Stuͤcke einiges drama⸗
tifche Leben einzubauden. Wir können uns unmöglich vorſtel⸗
len, daß er im Gtanbe geweien fein wird, feiner Tragödie
eine wirkliche Handlung zu geben.
Über Lamennai#’ philoſophiſches Syftem.
Die neuefte von uns ſchon erwähnte Schrift bes phantafiereis
hen Lamennais hat aufs neue die Aufmerkſamkeit auf diefes feltene
Zalent gelenkt. Bon vielen Seiten wirft man ihm feine mannidys
fadgen politifchen, philofopbifchen und religiöfen Beränderungen vor,
als träfe diefer Vorwurf nicht einen großen heil der ausge:
zeichnetften Dränner, und als könnten dadurch bie demokratifchen
Principien, deren Sache ber ehemalige Abbe jegt mit fo vieler
Glut vertheidigt, verbädtig gemacht und entkraͤftet werben.
kamennais bat ſich, fo viel wir wiſſen, noch nicht über bie
wirklichen oder auch nur ſcheinbaren Widerſpruͤche ausgefprochen,
die zwiſchen einzelnen Stellen ſeiner verfchiedenen Werke herr
fen; dafür aber haben es einzelne feiner Yreunbe unternommen,
ben Zuſammenhang zwiſchen den verfchiebenen Phaſen, die er
durchlaufen bat, zu erflären. G. Sand namentlich bat mit
glühenden Worten den vielfach angefochtenen Philoſophen ver«
theidigt. Gegenwärtig ift nun ein eigenes Kleines Werkchen er
fhhienen, in dem das Syſtem Lamennais', insbefondere wie es
derfelbe in feiner „Eisquisse d’une philosophie etc.” aufftellt,
gewürdigt und bie verfchiedenen Umgeftaltungen feiner philoſo⸗
phifchen Richtung beleuchtet werben follen. Diefe Schrift führt
den Titel: „Kxposition raisonnsee de la doctrine philose-
phique de M. F. Lamennais‘, von E. %. Segretain (Paris
1949). So fehe der Standpunkt, auf tem Yamtamats feut
‚ von feinen früheren Beſtrebungen entfernt tft, fo hat man
doch eigentlich unrecht zu fagen, daß er feine frühere Sichtung,
und instefondere feine erſten Schriften, die als unvergaͤngliche
Beugniffe derſelben daſtehen, gaͤnzlich verleugne. So Läßt er
z. B. gerade jept von feinem Buchhaͤndier eine neue Ausgabe
hinten „Essai sur I'indiff6renco en matiere
de religion’‘ vorbereiten, die binnen kurzem die Preſſe verlaſ⸗
fen wird. Diefelbe wirb, wenn wir nit ircen, bie zehnte
Ausgabe bilden.
Sanin’s „Un hiver a Paris‘.
prachtvollen Kupfer in dem „inter zu Paris” alle nach Zeich⸗
nungen vom befannten Cugene be Samy entworfen. Auch el
nen Text bat er Nr er * fra a Perg und
zwar von einem, deſſen zu en en Sc:
derungen trefflich eignet, nämlich von 3. Janin, anfertigen laſ⸗
fen. Der fruchtbare Feuilletoniſt fehrieb fein Werk in franzoͤß
ſcher Sprache und ließ es bann ins Engliſche übertragen. Zu
gleicher Zeit ift aber auch eine franzöfticye Ausgabe davon unter
bem Titel „Un hiver a Paris’ herausgelommen, beren wir
in d. 1. bereits erwähnt haben. Wir haben vor kurgem Ge:
legenheit gehabt, einen Blick in die englifche Überfegung zu
werfen und gefunden, daß fie im Ganzen nicht übel iſt, daß
aber der Bearbeiter body manches Misverſtaͤndniß mit bat
unterlaufen laſſen. So überfegt er, um nur ein Belfpiel aut
zubeben, un juge d’instruetion durch un experimented judge,
als wenn im Xert un jage instruit ftänbe.
8 —— in ———
e neuere Zeit hat uns einige ganz aus nete Scrifs
ten über das Gefängnißwefen gebralit. we bat man
babei das in Nordamerika heimiſche Suftem berüdfichtigt, das
man feit einigen Monaten auch in Frankreich einzubürgern an⸗
gefangen bat. Wir erinnern bier nur an bie trefflidhen Werke
von Tocqueville und Beaumont. Die Gimridhtung der in
Deutſchland gebraͤuchtichen Strafhäufer war im Allgemeinm
weniger unterfucht. Das jegige Winifterium gab daher vor
einem Jahre einem jungen Gelehrten, Hallez⸗Elaparede, weis
der dem Gefaͤngnißweſen feine ausfchließliche Aufmerkſamkeit zu
gewendet hatte, ben Auftrag, die Gefängnifte Preußens forg:
fältig in Augenfdhein zu nehmen. Der Bericht, den berfi
beim Miniſter bes Innern eingereicht hatte, iſt vor kurzem
unter dem Zitet „Rappert a M. le comte Duchätel, ministre
secrötaire d’&tat de l’interieur, sur les prisons de la Prusse”
(Paris 1843) in den Buchhandel gelemmen. Gr fcheint fer
beachtenswerth zu fein.
Improvifation eines Zrauerfpiels.
Man erinnert fich vielleicht bes Improvilators Eugene be
Prabel noch, ber vor mehren Sahren in Paris fi mit einem
Stalierre in einer Ast poetiſchen Duelld verfuchte. Wie es
ſcheint, Hat berfelbe fein fehönes ISmprovifationstaient noch nicht,
wie bies fonft fo häufig zu gefchehen pflegt, abgenupt. Mb
erhaiten gegenwärtig unter dem Xitel „Improvisatiens en
vers francais‘ einige feiner poetiſchen Graufte im Drmf.
Diefes Baͤndchen enthält unter Anberm eine Tragoͤdie in beei
Acten „„Boabdil, ou les derniers momento de Grenade”, bie
Pradel zu Montpellier aus bem Gtegreife vorgetragen hat.
** bemerken 3 — eine u Leichtigkeit in der Verſi⸗
catıon und mehr p als I e Improvbiſa⸗
tionen in ber Regel aufzumelfen baben. ai *
Berantwortiiger Herausgeber: Heinrich Brodhaus. — Druck und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
j für
literarifhe. Unterhaltung.
Mittwoch,
Schriften uͤber den Urſprung der dramatiſchen
Poeſie in Frankreich.
| (Beidlub ous Rz. 10.) .
Nachtraͤglich verbinden wir mit diefer Beurtheilung bie
Anzeige von zoli andern Schriften, die vielfach denfelben
Segenftand behandeln, wie die beſprochenen Werke:
1. Monnaies inconnues des &veques des innocents, des fous
et quelques autres associations singulieres. Par J. R.
d’Amiens, avec notes et une introduction par C. L. (Le- |
der.) Paris 1840.
2. Etudes sur les mysteres dramatiques et sur divers manu-
scrite de Gerson. Par Onedsime Leroy. Paris 1840.
Beide Bücher verbreiten ebenfalls mandyes Licht Über
den Urfprung des frangöflfchen Theaters, wiewol in ver.
ſchiedenen Beziehungen. Erſteres, welches eine Abhand⸗
fung über bizarre und ſeltſame Gebraͤuche des Mittelal⸗
terd und authentifche Beweisſtuͤcke von dem Vorhanden⸗
fein derfelben enthält, hänge nur in einer Hinſicht mit
dem Theater zufammen und fchlägt in andern Beziehun⸗
gen in bie Geſchichte des franzoͤſiſchen Privatlebens und
Muͤnzweſens; letzteres hingegen ift ein Verſuch über den
wichtigften Theil der aͤlteſten dramatifhen Poeſie und
Schauſpielkunſt in Frankreich.
Die Sammlung der „Monnaies inconnues des Ev8-
ques etc.”, zerfällt in zwei Abtheilungen, in Einleitung
und Text, die von zweiverfchiedenen Verfaſſern herrühren.
In der Einleitung oder Überficht über den Gebrauch der |
bleiernen Dentmünzen, die Narren und Wortfpiele im
Mittelafter fprihe Hr. C. Leber, der fich durch verſchiedene
hoͤchſt gehaltreiche hiſtoriſche und Literarifhe Publicationen
in der gelehrten Welt einen ehrenvolln Namen erworben,
von der fonderbaren , im alten Frankreich üblichen Sitte,
gewiſſe Feſte zu feiern, die und jegt ſkandaloͤs erfcheinen,
aber damals im Ganzen fehr ſchwer auszurotten waren,
da fie mit alten, vom Heidentyum auf die erften Chriften
vererbten Überlieferungen zufammenbingen. Dahin gehörs
ten das bereits erwähnte Narren⸗ und Efelöfelt, das Keft
der Unfchuldigen und Subdiatonen, ſchmaͤhliche Parodien
auf den Eatholifchen Eultus, unanfländige und laͤcherliche
Poſſen, die, an beiliger Stätte aufgeführt, den Tempel
des Herrn befudelten. Dieſes abfonderliche Gemiſch von
weltlichen Poffenreißereien und geiftliden Ceremonien
ftimmte fo fehr zu dem damaligen rohen und barbariichen
Zeitgeift, daß ſelbſt ordinirte Geiftliche ſich nicht ſchaͤmten,
an diefen Volksfeſten und Tollheiten Theil zu nehmen,
und daß fie fich oft weigerten, den firengen Verboten bes
hohen Klerus Gehorfam zu leiften. Genau genommen,
fann man bdiefe geifllihen Buffonnerien des Mittelalters
als die erſten Anfäge der älteften Schaufpieltunft in Frank:
reich betrachten, und jene Diakonen, jene Chorknaben und
andere Narrenkleriker, die einen Tag lang die Biſchoͤfe
und Erzbifchöfe fpielten, find im Grunde die Vorläufer
ber „Kinder ohne Sorgen” und der „Schreiber der Bar
foche”‘, die ihrerfrits wiederum und mit volllommenem
Recht als die Begruͤnder des frangöfifchen Luftfpiel® ange
ſehen werden.
Leber unterfucht fehr forgfältig, ob die bieiernen Denkt;
mänzen, welche da6 ephemere Dafeln jener geifllichen
Buffonnerien bezeugen, fir wirkliche Muͤnzen zu balten
find; er glaubt foldyes mit Recht verneinen zu müffen
und ftellt Mar beraus, daß diefe Stüde blos ats merk⸗
würbige Denkmale, als unumfößliche Belege jener naͤrri⸗
fhen Poflen anzufehen find. Unter diefen Belegen, die
er für feine Anfiche anfuͤhrt, verdient befonder® einer bers
vorgehoben zu werden, beſtehend in werfchiedenen bleiernen
Medaillen, welche in ben erſten Sahren des 15. Sabre
Yunderts den fic Damals in Frankreich und hauptſaͤchlich
zu Paris um die Herrſchaft ftreitenden Parteien ats Er
ennungszeichen dienten. Es gab damals bekanntlich di
Parteien: die Eöniglicye, die leider die am menigften zahl:
reihe ift und Armagnac an der Spige bat; die burgun⸗
diſche und endlich die englifche, die, abmechfelnd von einer
der beiden andern Parteien unterftügt, nahe daran war,
alle beide aufzursiten. Ruͤckſichtlich diefer Medaillen be;
richtet Leber Holgendes :
Sie find fämmtiidy von Blei, blos auf einer Seite geftems
et und auf dee umgelehrten Seite mit einem Haͤkel ober
br verfehen, womit fie nach Umfländen am Hute ober an its
gend einem andern, minder fichtbaren Theil des Anzugs befeftigt
wurden. Rr. 1. Das franzoͤſiſche Wappen und oben drüber bie
Snfchrift: Ave Maria gratia plena. Diefe Medaille ſcheint
den Armagnacs, der Partei des Dauphin, fpäter Kari’s VII. ger
geben werden zu müffen. Nr. 2. Ein Kreuz, oben drüber eine
kilie und die leeren Räume mit Lilien und Löwen ausgefüllt,
als Infchrift: Ave Maria gratia plena. Diefer Orben gehörte
ber burgundifchen Partei, wie es ber Löwe von Burgunb (ans
fänglidy von Flandern), mit den Wilien vereinigt, anbeutet.
Nr. 3. Die engliſche Mebaille trägt ganz daſſelbe Biidniß wie
; 400 !
die im Namen Heinrich's VI., Königs von England und angeb⸗
tichen Könige von Frankreich, zu Paris gefchlagenen Golbfläde ;
die Inſchrift lautet wie bei den vorigen.
Reber befchließt feine, wie aus Obigem erſichtlich,
in mehr als Einer Bepehung lehrreichen Unterſuchungen
mit neuen und unterhaltenden Notizen über die Hofnar⸗
ren, welche die Könige von Frankteich vom 14. Jahrhun⸗
dert etwa bie zum 18. hielten, wo diefes Hofamt mit
Angeli aufhoͤtte. Der Verf. gibt außerdem noch einige
Details über die Wortfpiele oder Bebus der Picarbdie.
Eine ftrenge Kritik koͤnnte vieleicht dem Verf. biefer ziem:
lich langen Einleltung die Fülle und Vielfältigkeit der das
tin abgehandelten Gegenflände vorwerfen, welche die Lecture
erſchwert und die Klarheit des Zuſammenhangs ſtoͤrt; aber
der Verf. dürfte ſich damit entfchuldigen, daß diefer Fehler
von einer vielfältigen, ſehr außgebreiteten Gelehrſamkeit
herruͤhrt, die alle Seiten und Punkte eines Gegenitandes
zu erhellen und zu ergelinden fucht. Die Arbeit des Hrn.
J. R. von Amiens dünft und genau, gewiffenhaft und
oft gehaltreich. Die der Beſchreibung ber Münzen vor:
ausgefchickten Unterfuhungen und Forſchungen find fehr
wichtig, aber unvoliftändig; die Bemerkungen, welche in
die Velchreibung der einzelnen Stüde eingeftreut find,
entfalten mitunter mertwürdige Nachweifungen und Do:
sumente. Die ganze Publication erhält endlich ihren vol:
fändigen Werth durdy eine beträchtliche Anzahl gut aus:
geführter Kupferplatten, welche bie Herausgeber beigefügt |
haben.
Die zweite Schrift „Etudes sur les mysteres drama-
tiques“, von D. Leroy, einem bekannten dramatiſchen
Dichter, deſſen Komoͤdie „Liirresolu” großen Beifall ge⸗
funden ‘Hat, find ausſchließlich Unterfuchungen über den
Urfprung des franzoͤſiſchen Theaters und Zergliederungen
heiliger ober moralifcher Schaufpiele des. Mittelalters ge
widmet, mit Ausnahme der beiden legten Gapitel, wovon
da6 eine mit dem Gegenflande des Buchs in gar keinem
Bezuge flieht und das amdere daraus füglic hätte weg⸗
hleiben Binnen. Der Verf. macht uns im Auszuge mit
den im der Volkoſprache gefchriebenen Stüden bekannt, bie,
Mofterin oder Moralitäten geheißen, vom 13, —15. ;
Jahrhundert die ſchauluſtige Menge entzudt haben. Ob⸗
ſchon Leroy das erfte Capitel feines Buchs „Origine
da drame frangais‘ uͤberſchrieben hat, To fagt er uns
doch fehr wenig in diefer Beziehung und umgeht dieſe
Frage gänzlich, indem er die „„Kipltree farcies” und die in
Vuigairſprache abgefaßten Gefänge des 10. und Il, Jahr⸗
hunderts, die rohen Grunbelemente der Mofterien und
Moralitäten, ſowie die lateiniſchen Stücke des 9. und 10.
Jahrhunderts und die halb lateiniſchen, halb franzoͤſiſchen
Stüde in gereimter Profa, die bei den geiftlihen Buf—
fonnerien des Mittelalters abgelungen wurden und von
denen wir ſchon geſprochen, unbeachtet und mithin die
Frage wegen des Urſprungs des franzoͤſiſchen Dramas un⸗
entſchieden laͤßt.
Ans Ende des 13. Jahrhunderts, bei dey geiſtlichen
Spielen in Vulgairſprache amgelange, gibe Leroy eine
Analyſe bed heifigen Nikolausſpiels, von Sean Bodel
1 ' ‘
aus Arras, dem er die Ehre zufpeicht, das erfie drama⸗
tifhe Mondment, deffen fich die franzöfifche Literatur ruͤh⸗
men koͤnne, errichtet zu haben”, eine Behauptung, bie
uns etwas voreilig und gewagt fcheint. Der Analyfe ei:
niger Mpfterien, die fi im einem zweibändigen Folis⸗
manufeript auf der koͤniglichen Bibliothek Paris
unter Nr. 7208 befinden, hat Leroy mit Recht ein
ganzes Gapitel feiner „Etudes’ gewidmet. Die zahltei⸗
hen Stüde, welche jenes Manufcript enthält und bie
theilweife herausgegeben find, beziehen ſich alle auf die
Aungfrau Maria, und jedes behandelt ein von der Mut:
ter Ehriſti verrichtetes Wunder, Einige von diefen Sth-
cken haben ihren Stoff von den Ritterromanen hergenom⸗
men, wie dad Mofter der „‚großfüßigen Bertha‘, der
Mutter Karl's des Großen, und das von „Robert dem
Teufel”; andere behandeln geſchichtlichen Stoff, wie die
„Taufe Chlodwig's“, die „Enerves de Jumieges” u. f. w.
Nach einem Capitel über die religiöfen und drama⸗
tiſchen Feſtlichkeiten, worin Leroy bie verſchiedenen Feſte,
feiert, und die mancherlei Spiele erzählt, die bei dieſen
Selegenheiten aufgeführt wurden, fommt er auf das ber
ruͤhmte Myſter der Paffion unfere Herrn Jeſu Cchriſti
zu ſprechen, mit deſſen Inhalt er uns weitlaͤufig bekannt
macht. Dieſe dramatiſche Bearbeitung der Lebensgeſchichte
Jeſu füngt bei dee Taufe im Jordan an und geht
bis zum Begraͤbhniß. Leroy zengliedeet das in mehre
Jourmdes zerfallende Stud Scene für Scene. Es würde
zu weit führen, bier auf feine umſtaͤndlichen Entwidelun-
gen näher einzugeben; nur zwei Stellen wollen wir aus
heben, die und wahre, obgleich rohe Poefie dünfen. Ein
Prieſter ſpricht im Synedrium:
Premiärewent l’Empereur soulz la man dure
Nous tient subjetz, tout le peuple murmure,
Rien n'est en paix, tout est mal gouverne,
Erreurs croissent, ia sinagogue endure,
Haynes pulluleut, et tout mal on procure,
. Parquoy je dis que Messyas n’est pas nd.
Die Mutter Judas’, des Werräthers, beklagt ihr Unglüd:
O que j’ay de rage en mon coeur!
O Dieu tout- puissant, quel horreur !
Quelle terreur!
Quelle erreur!
Quel forfaict !
O le trös-haultain plasmateur!
Qui sera ie reparateur
Du melhenr,
Deshonneur
Que j’ay faict ?
O Dieu souverain tout parfaict,
‘Jay faict le faict et le defaict,
Par vil faict
Et maiffaiot,
Douloureux :
O veutre maternel infaict, -
Tres ort, träs vil, tres imparfaict
Par le faict
De ton faict
Maiheureux !
Las ciel! à toi je me deulx.
Venge toy sur moy, si tu peulx,
die bei den Einzuͤgen der Könige und Koͤniginnen ge
403
Des grieks: d’eniz,.
Visienix, .
"Que je paxte.
Terre qui nous soastient tous deux,
Pour nos p6chex libidineux,
En tes lieux "
Tensbreux
‘ Neus transporte !
Diefe wirklich merkwürdige und mit ber größten
Sotgfalt ansgearbeitete Analyſe des Myſters von der
Paffion zeichnet fidy befonders in dem Werke Leroy’s
aus und bringe mandyes Neue. Ziemlich gluͤcklich ver:
gleicht der Verf. bisweilen gewilfe Ausdrudsweilen und
fogar ganze Stellen aus alten Mpflerien mit Redeformen
und Stellm der franzoͤſiſchen claflifchen Dichter ; diefe Pa:
rallelſtellen, die den Werth jeder Servorbringung in ein
helleres Lichte flellen, find mitunter recht finnreih, doch
bisweilen nicht ganz richtig. Den fehler bat Re:
son nicht forgfam genug vermieden, indem er in feine
Unterfuhungen zu oft Reflexionen eingemifcht, die nicht
dahin gehören und die ihm von firengen Kritilern den
Vorwurf der Geſchmackloſigkeit zuziehen könnten. Auch
mil uns beduͤnken, daß der Werf. über die Vorſtellung
umd die Infcenefegung der Mofterien feine ausreichenden
Details gegeben; er fagt uns zwar, was der Meneur du
jea war, eine mit der Handlung nicht in Verbindung fle-
bende Perlon, die den Zufchauern die moralifche Abficht
des Stuͤcks klar mahen und zu Gemüthe führen mußte;
er erzählt und auch noch von dem öffentlichen Ausrufen
der Stüde, wodurch man bie Tiheaterzettel erfegte, und
führt ebenfalld die Namen mehrer Schaufpielee an; aber
Biefe und andere dergleichen Einzelheiten find bier und da
in dem Werke zerſtreut, anflatt daß fie in einem befondern
Capitel zufammengefteltt fein follten.
Rah dem Mofter von der Paffion analpfirt Leroy
noch mehre andere Hervorbringungen dieſer Art, unter
andern das geiftliche Stud vom heiligen Ludwig, welches
am Ende des 15. Jahrhunderts von Pierre Gringoire, ei:
nem duch Satiren und Farcen befannten Poeten, gebich:
tet worden und die dramatifche Bearbeitung* der aus den
beiten gefchichtlihen Quellen gefhöpften Biographie des
heiligen Ludwig enthält. Einige Scenen find wahrhaft
poetiſch; unter andern die Scene zwifchen dem from
Könige und dem Site von Coup, der feinen König und
Herrn um Vergebung bitten muß, daß er drei junge Bur⸗
fche, die auf feinen Gütern gejagt, bat aufhängen laſſen.
Das ganze Stuͤck ift hoͤchſt merkwürdig und verdient be:
kannt gemacht zu werden.
Im Allgemeinen find die „‚Etudes” von Xeroy ein
durchaus liebenswuͤrdiges und leſenswerthes Buch, freilich
sicht fo gelehrt, als. was von Achille Zubinal, Frans
cisque Michel oder Paulin Paris aus Bibliotheken und
Archiven zu Tage gefördert wird, aber voll gelungener
Anatpfen und oft geiftreiher Bemerkungen, die biftorifchen
Sim, poetiſches Gefühl und kritiſche Tuͤchtigkeit beweifen.
Was das vorlegte Capitel des Buchs mit Nachfor⸗
ſchungen über Gerfon und die „Imitation de Jesus- Christ”
anlangt, fo mag alles daſelbſt Beigebrachte fehr treffend
und merkwürdig fein, aber es drängt fich dem Leſer dabei
unwillkuͤrlich die Frage auf: was bat das Alles mit den
Mofterien zu fchaffen? Non hic erat locus.
Schließlich Binnen wir die Bemerkung nicht unter:
drüden, welches vortheilhafte Zeugniß von dem ruͤhmlichen,
lobenswerthen Eifer der heutigen Franzofen für die Kennt:
nißnahme und Erforfhung ihres Mittelalter die angezeig:
ten vier Schriften ablegen. Jedenfalls müffen diefe mit
Liebe und großem Erfolg betriebenen Studien mit der
Beit einen fittlihen und focialen Einfluß ausüben. Wenn
der Goͤtzendienſt mit dem Geſchichtlichen abgeſchmackt iſi,
ſo iſt Kenntniß und Beruͤckſichtigung des Geſchichtlichen
dagegen ein hoͤchſt loͤbliches und fuͤr die jetzige franzoͤſiſche
Bildung wol das beſte, vielleicht das einzig angemeffene
Mittel gegen die Herrſchaft und Verwuͤſtung leerer politi=
fher und fonftiger Abſtractionen. 27.
A memoir of Ireland, native and saxon.
By Daniel O’Connell.
Folgendes Urtheil über O'Connell's Schrift entnehmen wir
einem engliſchen Journale: „Ein thaͤtiges Leben voll politiſcher
Aufregung, ein tuͤchtig ausgebildetes Jalent zu leidenſchaftlicher
Declamation, eine im Sturme des politiſchen Kampfes zur Ge⸗
wohnheit gewordene ſich uͤberſtuͤrzende Anordnung der Rede ſind
fo unvertraͤglich mit ber geduldigen Forſchung und ber ruhigen
Betrachtungsweiſe, die man von einem Geſchichtſchreiber vers
langt, daß wir mit einiger Überrafchung obiges Werk angekuͤn⸗
digt fahen. Hätte ſich deu Verf. vom politiſchen Sehen zurüd:
gezogen und ber Literatur als einer neuen Quslle der Aufregung
für einfame Stunden gewidmet, um feinem Gemuͤth, welches
aus in einer mannichfaltigen Beſchaͤftigung Ruhe finden kann,
einen Ableitungslanal zu eröffnen, fo mürden wir immer noch
an der Möglichkeit gezweifelt haben, baf der Verf. die zu einem
bedächtigen Urtheite über fireitige Punkte nöthige Ruhe erlan:
gen werbe; aber ein Berk, welches zu einer Zeit gefchrieben iſt,
wo ber Verf. noch an bes Spige der Agitation fleht, gefchries
ben fft mitten unter der Aufregung einer fieberifchen Discuflion,
kann nur al6 Daß gelten, was es auch in der That ifl, als ein
ausgeführteres politifches Pamphlet. Herr D’Gonnell bat wirt:
lich wenig mehr gethan, als Auszüge aus ber irländifchen Ge⸗
ſchichte zu veröffenttichen,, bie er in fein gemeinplägiges Buch
als Stoff für Reden einführte, und er hat ihnen nod) ein paar
Worte einer hitzigen Erlaͤuterung beigefügt, die ihm wol in einer
öffentlichen Verſammlung lauten Beifall einbringen würden,
aber nicht genügen, um ihm die Billigung und den Beifall eines
leſenden Publicums zu fihern. Charles Kor fagte, daß, was fich
als ein Verſuch recht wohl Lefen tafle, niemals als eine Rebe
von Wirkung fein koͤnne; aber das Gegentheil ift noch wahrer:
was als populaire Rede wirkfam fein, mag, bat ale eine ges
ſchichtiiche Denkſchrift die wenigſte Ausficht auf Erfolg. Schon
ber Titel zeugt von einem des Verf. unwuͤrdigen Mangel an
Ruhe und Vorficht; von bem ‚Native Ireland‘ fagt er faum
etwas, und von dem ‚Saxon Ireland‘ natürfich gar nichts,
da ein ſolches Irland nie eriftirt hat. Die erften Eroberer Ir:
lands von Britannien her waren normännifche WBarone, die den
urfprünglichen Bewohnern Englands ebenfo verhaßt waren als
den eingeborenen Irlaͤndern. Cine populair gewordene Rüge
mag mit Vortheil wiederholt werben, um ben lauten Beifall
bes Volks zu erlangen, aber ein Buch darf nicht nady demſel
ben Maßftabe beurtheilt werben wie eine Rebe, und es ift ein
unerlaubte3 literariſches Bergehen, den Titel mit einem vulgairen
Irrthum zu flempeln und fi auf ein vollsthümliches or:
urtheil zu berufen. So weit biefes Buch ein Object hat, iſt es
eine Beweisführung für die Aufhebung der Union, hergeleitet
408
ans den Weweifen für die fehlechte Leitung der englifchen Wer:
waltung.” Der englifche Berichterſtatter meint nun, baß man
eher das Gegentheil behaupten könne und daß die bel, welche
Irland getroffen bätten, daher entfprungen wären, daß man bie
Union zu lange aufgefchoben und zuiegt unvollftändig gelaffen
hätte. Cine vollftändige Union wuͤrde Irland alle jene Wohle
thaten des englifcgen Geſetzes gewährt haben, deren 26 entbehrte.
Wenn O'Gonnell beweife, daß Irtand nice ale eine Provinz
behandelt werden dürfe, fo müfle es entweder als ein integraler
Theil Britanniens oder als rin unabhängiges Volk behandelt
werden; eine andere Alternative gäbe es nicht. Auch könne fi
D’Sonnell nirgend recht deutlich machen, was er eigentlich uns
ter Aufhebung der Union verfiche. Der Werichterflatter ſchließt
mit folgender Bemerkung: ‚Wenn wir biefes Wert weder als
literarifche® noch als logiſches loben können, fo müffen wir doch
gerecht fein und die Kraft des Stils und die Aufrichtigkeit der
Gefühle anerkennen, aus benen es hervorgegangen iſt Die
Lecture deſſelben bat uns ein Werk von fehr verichiebener Art
wuͤnſchen laſſen; wir würden mit freudigem Danke Hrn. O' Con⸗
nell's Memoiren feines eigenen Lebens und feiner Zeit entgegen:
‚ nehmen. Beine Lebensgewohnheiten, fein natürliches Tempera⸗
ment, fein lebendige Gefühl für das Unrecht machen ihn für
die mühfame Forſchung und das ruhige Urtheil nicht geeignet,
welche erfoderlih find, um geſchichtliche Zeugniffe zu ſammeln
und anzuorbnen 5 aber eben jene Eigenſchaften würben ber Auto:
biographie eines Mannes, welcher in feinem Ginzelleben mehr
gethan, gelitten und triumphirt bat als eine ganze Generation
von gewöhnlichen Polititern, den Stempel von Kraft und Ge⸗
wichtigkeit aufdruͤcken.“ 13.
Literarifhe Notizen aus Franfreid. -
Beitrag zum Boͤlkerrecht.
Folix Hat fi in Frankreich durch die Herausgabe einer
juriflifhen Zeitung, an weldger bie hervorragendſten Rechts⸗
gelehrten von Paris mitarbeiten, vortheilhaft bekannt gemacht.
Außerdem hat er feine Wiffenfchaft durch mehre gediegene Schrifs
ten bereichert. Wir erhalten gegenwärtig ein Merk von ihm,
dur das er fi um einen wichtigen Theil des Voͤlkerrechts
großes Verdienſt erwirbt. Es ifk dies ein „Traité de droit
international prive’’ (Paris 1843). Das allgemeine inter:
nationale Recht iſt Häufig und erfchöpfend behandelt worden,
während man die Rechtsfaͤlle, die zmifchen Unterthanen ver:
ſchiedener Regierungen -vorlommen, aber doch dem Privatrechte
anbeimfallen,, feltener wiffenfchaftiidh beleuchtet hat.
dies zum erften Mate auf eine etwas befriedigende Weife, und
Dupin, gewiß ein competenter Richter, bat bereits in ber
„Gazette des tribunaux” von biefem Werte einen fehr vor:
theilhaften Bericht erflattet. Diefe Schrift gereicht der beuts
chen Jurisprudenz zur Ehre, indem Hr. Yölir ein Deutfcher
von Geburt iit und feine Bildung deutſchen Rechtsichulen vers
dankt. Seit geraumer Zeit lebt er inbeffen in Paris und bat
lange an der augsburger „Allgemeinen Zeitung” mitgearbeitet.
Sin Wert, das Rouffeau fhreiben wollte.
Rouffeau erzaͤhlt in feinen „„Confessions”, daß er ein Wert
zu fchreiben beabjichtigte, welches den Zitel „La morale sensi-
tive” führen folltee Er mollte in demfelben eine Anleitung ge:
ben, wie der Menſch durch Beobachtung gewiſſer diäterifcher
Regeln und fosufagen auf ganz materiellem Wege zur Zugend
und zum moralifd Guten gelangen koͤnne. Diefes Werk, das
unter Rouffeau’s Hand gewiß fehr originell gemorden wäre, ift
nicht zu Stande gefommen, und die Bruchflüde, die der große
Schriftſteller davon aufaefegt hatte, find zum größten heile
verloren gegangen. Valery, Bibliothekar zu Verſailles, der ſich
durch mehre Compilationen über Italien einen Namen gemacht
hat, läßt gegenwärtig eine Schrift unter dem Zitel „La science
Joͤlix thut
de la vie ou principes de condaite religieuse, morale et po-
litique’’ (Paris 1843) erfcheinen, das demſelben Gegenſtande,
ben Roufleau behandeln wollte, gewidmet if. Der Derausgeber
bat nur das Verdienſt, das Werk zuſammengeſtellt unb georbs
net zu haben, indem er die Baufteine dazu ber italieniſchen Li⸗
teratur, in der er fehr zu Haus zu fein fcheint, entiehnt bat.
Valery fagt, daß er feinen Stoff bei fieben italieniſchen Schrift:
ftellern, deren Werke ſich gegenfeitig ergänzen, vollftändig vor⸗
gefunden babe.
Über ven Geiſt unfers Jahrhunderts.
‚Bun es ſchwer iſt, ein vollfiändiges und getreus Bil
irgend eines Zeitraums zu entwerfen, To hält es gewiß doppelt
ſchwer, der Gegenwart einen Spiegel vorzubälten, in dem fi
alle Beiten berfelben abfpiegein könnten. Unſer Jahrhundert
namentlich, das fo wunderbar bewegt und von fo feindlichen
Richtungen durchkreuzt if, laͤßt ich nicht Leicht in ein abgeruns
detes Bild zufammenfaflen. Und doch ſehen wir alle Tage
Schriftſteller auftreten, die uns das ganze Leben ber (Gegens
wart in nuce erflären zu koͤnnen behaupten. "Wir könnten na
mentlich eine ganze Lifte frangöfticher Federhelden entwerfen, bie
alle den „esprit du siecle” mehr ober weniger ausführlich zu
ſchildern verfucht haben; aber wir wollen es bier bei dem
derartigen Werbe bewenden laſſen. Daffelbe führt den Zitel:
„Genie du dix-neuvieme siecle”, von Ed. Alles (Paris 1843).
Der Berf., der dur eine Abhandlung über die Demokratie
bekannt ift, ergeht ſich gar zu fehr in allgemeinen Redensarten.
Es fehlt ihm an beflimmten Grundideen unb er glaubt phile⸗
ſophiſch zu fein, wenn er dunkel redet. Seine Schrift zeugt
von einer großen Beleſenheit, namentlidy werben einige literas
riſche Richtungen nicht ohne Gluͤck gezeichnet, indeſſen ift bas
Ganze doch nur eine ungenuͤgende Skizze.
| Die bibliſchen Anfigten über die Erfhaffung der
eilt
Bei den englifhen Geologen fehen wir, daß fie trog ber
oft fehr originellen Anftchten, die fie über gewiſſe Yunkte ihrer
Wiffenfchaft aufftellen, doch felten den Muth haben, ſich von
ben biblifhen Ideen über bie Schöpfung der Welt, über die
Gündflut u. f. w. lotzuſagen. Wir Deutichen gehen dabei viel
freier zu Werte, wie wir, die wir im politiſchen Xeben fo
Kam find, denn in ben Wiffenfchaften oft die revolutionnair
en Anfiditen zu entfalten pflegen. Auch bie franzöfifcyen Ge:
tehrten flimmen in der Geologie nicht fonterlih mit den Ans
nahmen der Bibel überein. Indeſſen Hat man doch ſelbſt in
neuefter Zeit die altteflamentarifchen Lehren vielfady mit ben
Refultaten der Wiſſenſchaft in Einklang zu bringen geſucht.
Wir machen in diefer Beziehung auf ein Wert aufmerffom,
das zwar ſchon fein Publicum gefunden hat, von dem aber ger
gie, eine neue vermehrte Ausgabe herausfommt. Wir
nen „De la cosmogouie de Moise, camparde aux faits
geologiques”. Der Verf, Marcus de Serris, ift Profeflor
zu Montpellier und bat ſich bereits durch verfchiebene geichrte
Arbeiten befannt gemacht.
Neueſtes Wert vom Berf. des „Gamin de Paris“.
Wer kennt nicht ben liebenswärdigen Taugenichts, dem
„Gamin de Paris”? Der Berf. deffelben, Emile Banderburd,
der noch durch andere dramatifche Leiftungen befannt iſt, Läßt
gegenwärtig eine Reihe von Romanen erfheinen, die er war
befonders für die Jugendwelt beftimmt bat, die aber auch von
den Ewachſenen mit Vergnügen geiefen werben. Das nendke
Werk aus feiner fruchtbaren Feder, das einen Theil biefer
Sammtung bildet, ift „La maison waudite. Histoire cent
ans (2 Bde, Paris 1843) Es iſt in demſeiben einfachen,
ruhigen, geſchmackvollen Zone erzaͤhlt, der allen Romanen Baus
derburch's eigenthuͤmtich ift und der gegen ben affectixten und
verbrehten Stil der meiften neuern franzöfifchen Romanfcreiber
fehr abfticht.. 2.
Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Brodbaus — Drud und Berlag Yon J. A. Brodpaus In Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Donnerstag,
— Nr. 124. —
4. Mai 1843.
Ruͤckblicke.
Drei Landſchaftsmaler.
I, Profeſſor Friedrich.
Derſelbe gehoͤrte zu denjenigen Kuͤnſtlern, welche frem⸗
dem Unterrichte nur ſehr wenig verdanken. Durch ſeinen
Genius ſchon in fruͤheſter Jugend hinausgetrieben nad
dem Dunkel des Waldes und den ſonnigen Hoͤhen, wurde
das blaue Himmelsgewoͤlbe ihm bei Zeiten ſein liebſtes
Obdach. Die Akademie zu Kopenhagen, wo der aus
Greifswald Gebuͤrtige ſich zuerſt für die Prieſterſchaft der
Kunſt auszubilden dachte, wie uͤberhaupt das Wort und
die Lehren der Kunſtmeiſter wußten das Streben ſeines
Geiſtes nicht lange feſtzuhalten. Die Natur und ihr,
jedem Geweihten allenthalben aus derſelben hervorklingen⸗
der und leuchtender, großer, geheimnißvoller Zuſammen⸗
bang wurde fein unablaͤſſiges Studium. Und fo gelangte
er, ehe feine Hand noch fähig war, ihre einzelnen Er:
ſcheinungen nachzubilden, vielleicht ſchon zu einem weit
tiefen Verſtaͤndniſſe mit ihr als mancher bereits fertige
Landfchaftemaler. Wenn er auch das Verdienft der ſchoͤ⸗
nen Brucftüde aus ihr, die fo viele einnehmend in Bil:
der zu fallen wußten, Leinesweges verfannte, ja folches
nur allzu gern ſich baldigſt angerignet hätte, fo genügten
ihm Doch weder die getreuefte und gelungenfte Abfchrift
einer lieblichen Gegend durch Stift oder Pinfel, nody auch
die auf foliden Studien beruhenden, aus impofenten
Maſſen von Waldung, Bergen, Strömen phantaſtiſch zus
fammengefegten landichaftlihen Meiſterwerke. Außer der
Naturtreue und Schönheit der aͤußern Gompofition fo:
derte er von jeder Landfchaft, die ihn völlig befriedigen
folite, daß entweder eine befondere Idee das Bruchſtüͤck
zu einem lebendigen Ganzen umfchaffe oder doch fonft
ein eigenthuͤmliches Weſen im Allgemeinen foldyem eine
höhere Bedeutung ertheile. Es kam ihm nur wenig auf
Mamichfaltigkeit und Reichthum der Gegenftände, ſowie
auf wirkſame, malerifhe Contrafte der Landſchaft an.
Die tunfllofefte Einfachheit veichte ihm vollig aus, wenn
der feines Erachtens allen Kunflerzeugniffen unterzule:
gende tiefere Sinn ſich in ihnen hinlänglich ausſprach.
Zum beiten Commentar über feine Anfichten dienen bie
Landfchaftfichen Darftellungen in Sepia, die ungefähr zu
Anfange des jetzigen Jahrhunderts in Dresden von ihm
ausgeſtellt erfhienen, das er in einem Alter von 24
Zahren zu feinem Aufenthalte gewählt hatte. Wie feine
Naturbetrachtung mehr das Ganze umfaßte, ale dem
Einzelnen eine fecupulöfe Aufmerkſamkeit widmete, fo bes
zweckte er auch in feinen Nachbildungen vor Allem ben
Zotaleindeud. An Sorgfalt in Ausführung des Einzel:
nen fein Gedanke. Zuweilen fogar keiner an Baͤume
und ebenfo wenig an Staffage. Dafür aber fchien auch
kein einziger Strich feines Pinfels ohne Beziehung auf
da® Ganze gefchehen zu fein. Alle wirkliche Farben ganz
verfchmähend, wußte Friedrih aus feinem Duntelbraun
und Weiß und den mancherlei bazrifchenliegenden Toͤnen
der Einbildungskraft des Beſchauers den Reiz der Far:
ben hervorleuchten zu laffen. Und nicht dieſen allein.
Auh den Glanz und Schimmer des Sonnenauf: und
Untergangs. Diefen beiden Endpuntten des Tages wid⸗
mete er in der erften Zeit zundchfi feine Kraft. Dan
folte offenbar hauptſaͤchlich durch kunſtvolle Anwendung
von Schatten und Licht die raſtlos wirkende Seele ber
Natur in feinen Schöpfungen wiederfinden. Und in ber
hat, je länger ſich das Auge in feine Sonnenauf⸗ und
Untergänge vertiefte, deflo mächtiger umfaßte uns die
Größe der Erſcheinung, das erhebende Gefühl, von dem
wie in der lebenden Natur felbft ergriffen werden. In
der Folge trachtete er mehrmals irgend eine philoſophiſche
oder religioͤſe Idee durch feine Bilder auszufprechen. So
eröffnete er, wie er ſchon oͤfter als früher in die lands
ſchaftlichen Gegenftände menfchliche Handlung zu verwe⸗
ben fuchte, wiederholt mit großem Erfolg durch einen
aus hochbejaheten, frommen Mönchen beſtehenden Leichen:
zug in tiefem Schnee nach einer Kloſterkirche, oder durch
ähnliche Darſtellungen, tröftliche Ausfichten auf eine Zu:
kunft jenfeit des Grades, vorzüglih mit Hülfe eines das
düftere Gewoͤlk von oben zerfpaltenden, hellen Lichtſtrahls.
Noch fpäter verfuchte ex fih in buntfarbigen Olgemälden
zur Zufriedenheit feiner Verehrer auf gleiche Weife. Sein
unabläffiges Naturſtudium bewog ihn häufig zur Nach⸗
bildung ſolcher Gegenftände, denen der Maler eher aus⸗
zuroeichen als fich zu widmen pflegt, wie 3. B. in Nebel
gehuͤllte Berge und Gegenden. Er wußte au durch
richtige Auffaffung fogar diefen Nachbildungen ein be:
fonderes Interefie zu gewinnen. So gewiffenhaft und
forgfältig aber fein Pinſel fpdterhin bei den Olgemälden
494
verfuhr, um das Charakteriſtiſche aud ber Einzelheiten
zu erfchöpfen, fo ging barin dem Ganzen doch Vieles ab
von der Harmonie feiner Seplazeihnungen. Dem Ted:
nifchen des Baumſchlags und anderer Thelle in der Land:
ſchaft fehlte die ſolches vollendete Leichtigkeit, das zaubert:
ſche Karbenfpiel, die anmuthige Verſchmelzung der Töne,
welche dergleichen Kunſtwerken gerade ben hoͤchſten Reiz
verleiht. Vielleicht fühlte er das endlich ſelbſt und kehrte
darum zulegt hauptfächlich wieder zur Sepiazeichnung zu:
ch, bis eine langwierige Krankheit fich feiner bemaͤch⸗
tigtt. Eo bat, ſein Alter auf beinahe 66 Jahre gebracht.
Nach feinem im Mat 1840 erfolgten Tode hat
fein viekſaͤhriger Freund, der berühmte Landſchaftwaler
Profeffor Dahl, eine Leine Schrift unter dem Titel
Friedrich der Landſchaftmaler“ den zahlreichen Freunden
des Verewigten gewidmet, die durch ein früher in dem
das Morgenblatt“ begleitenden ‚‚Kumftbtatt” abgedruckt
geweſenes Urtheil des bekanntermaßen landſchaftliche Ges
genſtaͤnde ganz im Sinne des Verſtorbenen mit vielem
Gefühl und Gemuͤth auffaſſenden und darſtellenden Hof⸗
raths Dr. Carus über ihn und die Landſchaftmalerei
überhaupt, ſowie durch Friedrich's lithographirtes Bildniß
und Fragmente aus ſeinen nachgelaſſenen Papieren, un⸗
tee Künfttern und Andern große Aufmerkſamkeit erregte.
Mehre dieſer Papiere ſind Belege der Eigenthuͤmlichkeit
von Friedrich's kuͤnſtleriſchen Schoͤpfungen und gewaͤhren
nuͤtzliche Winke für andere Kuͤnſtler, wennſchon in mans
chen eine zu große Einfeitigkeit und eine innere Verbitte⸗
sung kaum zu vertennen if. Beides fcheint die Folge
eines aus den fruͤheſten Verhaͤltniſſen ſchon herſtammen⸗
den Truͤbſinns und des darauf eingetretenen einſamen
Lebens zu fen. Schon das mit lichtblondem Haar be:
grengte, durch zwei glanzuolle Augen empfohlene Geſicht der
Eräftigen Manneogeftalt hatte einen entfchieden duͤſtern
Husdrud. Aber das Menfchenfeindliche, welches der erfle
Blick auf daffefbe dem Kuͤnſtler beimaß, zerflöß in ber
Regel wie der trlbe Nebel vor dem warmen Sonnen:
feine, ſobald feine gefchtoffenen Lippen fih aufthaten,
und Mund und Ange verrietben zugleich die Bonhommie,
ober, wenn das Wort auf den wortlargen Rorbländer
Sriebrich angewendet, ber keinen franzöfifchen Blutstropfen
in ſich hatte, zu unpaffend Mingen follte, die freundlichen
Gefühle, bie er für alle Guten wie für alles Gute in
feinem theilnahmvollen Herzen trug. Und den Ausbrud
biefes einnehmenden Zuges eben vermißten die Freunde
des Berftorbenen recht ſchmerzlich an ber erwähnten, fonft
uͤberaus ähnlichen, Tithographifchen Skizze von feiner Phy⸗
ffognomie. Schon fehr frühzeitig hatte, wie man erzählt,
das Leben vol des finfterfien Ernfles ihn vom Boden
feiner Helmat hinweggeſcheucht. Mit einem zärtlichft:
geliebten Bruder eines Tages die eifige Luft des nordi:
ſchen Winters auf Schlittſchuhen genießend, würde Fried⸗
rich, auf eine nicht feſtgefrorene Stelle des Fluſſes gera⸗
then, vom Tode ereilt worden ſein, waͤre ſein Bruder
nicht fo gluͤcklich geweſen, dem ſchon halb von ber zer⸗
brechenden Eisdecke Verſchlungenen wieder herauszuhelfen.
Aber beide vergaßen in ihrer Freude uͤber die Rettung,
dag dem Wankelmuthe bes Gluͤckes nicht zu trauen if.
Ihren Schlittſchuhlauf forglofer vieleicht als zuvor vers
folgend, kommt bald darauf fein Bruder an bie Reihe
bes Verſinkens in die einbrechenbe Eisdecke und iſt be:
reits darunter hinweggeſchwunden, als Friedeich laut aufs
ſchreiend ſeine Arme audſtreckt, dem Bruder den Dienſt
auf gleiche Weiſe zu leiſten, wie er ihm eben ſolchen er⸗
wieſen. Das Entſetzen, das ben alſo vereinfamten Ben:
bee darüber erfaßte, foll ihm, nachdem er den erflen
Vorfag, den Ertrunkenen nicht zu überleben, bekämpft
hatte, da6 Bleiben in der Heimat unerträglid gemacht
haben. Aber bereits eine Zeit lang in Dresden feine
kuͤnſtleriſchen Studien fortſetend, überwältigte jener be-
kaͤmpfte Vorſatz den Künftler von neuem. Schon hatte
er fih in einfamer Kaufe eine tiefe Wunde am Halle
beigebracht, als die Thüre aufgsriffen und er doch noch,
nicht nur gerettet, fondern auch durch Sreundesvorftellun-
gen dahin vermochte wird, fein Ehrenwort auf Unterlaf:
fung jedes neuen Verſuches gegen fein Leben zu ver:
pfänden. Bei diefer Gelegenheit halte ich «6 für Mlicht
den Verdacht der Affection zu beflveiten, zu welchem
recht Diele der außerordentlich behaarte Geſichtsuntertheü
Ftiedrich's zu einer Zeit veranlaßte, wo an die ſpaͤterhin
unter der männlichen Jugend ziemlich allgemein gewor⸗
dene Art, Baͤrte zu tragen, noch kein Gedanke war und
Jeder, der eine Zierde darin fuchte, für einen laͤcherlichen
Bramarbas gehalten wurde. Auch Friedrich gerietb da⸗
ber in diefen Verdacht und recht oft wurde er gegen mich,
der ihn kannte, barüber bitter getadel. Da mir, dem
Berf. diefes Auffages, erſt vor kurzem feine Veraniaffung
zu der Sonderbarkeit befannt wurde, fo konnte ich bie
Tadler damals nur im Allgemeinen verfihern, daß der
Mann viel zu Eug zu einer Thorheit fei, wie man foldye
ihm zutraue, wenn ich auch achfelzuckend geflehen mußte,
baß ich mir ſelbſt diefen abfchredienden Bart an ibm gar
nicht zu erklaͤren wiſſe. Nachher erfuhr ich, daß wahr:
fheinlih feine Wertrauteften ihn zu der Sonderbarkeit
verleitet, oder ex felbfE um bestwillen auf fie verfallen
war, weil auf andere Welfe die ungemein große Narbe
bee Wunde, die ihm der Verſuch des Seibfimorbe beige:
beacht, dem Auge der Menſchen nicht zu entziehen gewe⸗
fen und ein Vermeiden der dadurch immer neugeweckten
Frage, wie er zu der Wunde gelommen, allerdings fich
rathſam darſtellte.
Wenn aber auch Seltſamkeiten aͤhnlicher Art, wie
das ragen eine damals über alle Gewohnheit großen
Barts, außerhalb feiner gefunden Natur lagen, fo war
ee doch von andern nicht frei, die zum Theil aus feinem
Hange zur Einſamkeit und einem fehr beſchraͤnkten Um:
gange mit der Welt herruͤhrten. So glaubte er, obſchon
aud ihm das Geſchick im Allgemeinen bie gewoͤhnlichſte
Krankheit der Künftler und Dichter, die Armuth, nicht
erfpart hatte, beſonders Vornehmen und Reichen gegen:
über einen gewiffen Stolz behaupten zu müffen. Einſt⸗
mald in fehr gedrüdter Rage, vertraut er fich eimem
Sreunde, dem im 3. 1842 verftorbenen Profeffor Ferdi⸗
nand Hartmann und ruft, da er von biefem bört, eime
ve Malerkunſt fehr ergebene Graͤfin, die eine Reiſo nady
Jalien vorhaba, ſuche umter vecht anflänbigen Bebingun-
gen einen Sin fen zu ihrer: Begleitung, froblodend aus:
„Me — hietzu paßte ich 5 in wol gleich, und
roſiger Hoffnungẽs⸗
fleg ihm: dabei über das ae N Ant⸗
Ks. Se. tiefe. er 4 in die Lage umd die bamit verbun⸗
kenn, glücklichen V iffe: für einen Mann. feiner
“flo flärker wird feine Sehnſucht bas
nah, biefer Begleiter zu werben, beflo dringender feine
Witte, der: Freund möge dach ja fig ohme Verzug bei
dee Sefin für: ihn vermenben, damit fein Anderer ihn
di nheit bringe, Stalien zu befuchen
mund: zugleich ber fun igen Graͤfin von gutem Nutzen
zu fein, deſſen ex: fich amfrichtigft beftschen werde. Außer
fih vor Freuden, als in deſſen Verfolg es Hartmann
gelungen: iſt, Alles Friedrichſs Wunſche gemäß abzuſchlie⸗
Ben, fällt dieſer dem ihm wohlwollenden Vermittler dank⸗
bar um den Hals und geſteht zugleich, was bis dahin
noch nicht geſchehen war, daß es bie — Zeit geweſen
gi"
fei: mit. biefem. faft unglenbliden ( the, da er wirklich
gar nicht mehr gewußt babe, mas. er vor oͤkonomiſchen
Verlegenheiten aller Art anfangen fole. Die Gräfin,
ehemfalld hocherfreut über die ihr [ehe paſſend erſcheinende
Acquiſition des. genialen Landſchaftmalers, brennt vor Der
kaugen, daB Nähere über die. Reife mit Sriebrich zu bes
[puechen, und läßt biefen durch den, Profeſſor Hartmann
wfuchen, fogleich zu ihr zu kommen. Doch nachdem fie
lange fruchtlos gewartet: bat, erfcheine Hartmann allein
und fehr unmuthig. Es find nämlich inzwiſchen in
Stiebrich eine Menge Bedenken gegen das ihm kurz zu:
vor als ganz unglaublich erfchienene Gluͤck aufgeftiegen
und der faum noch im Gefühle der ihm hoͤchſt erwuͤnſch⸗
ven Reife aͤußerſt Frohgeweſene Hat geradezu erklärt, durch⸗
aus keinen. Schritt über die Schwelle ber Wohnung ber
Gräfin zu fegen, ehe fie ihm die Erlaubniß habe zuſichern
ofen, daß es fie nie gnädige Frau ober gnäbige
Graͤfin zu nennen brauche, weil dergleichen gegen feine
Grundſaͤtze verſtoße. Auf diefe ſeltſame Foderung nun
hemaͤchtigt fi ſogleich ein unverkennbarer Unwille ber
Damm. „Sie koͤnnen leicht denken“, aͤußert fie, „daß es
mir hoͤchſt gleichguͤltig ſein muß, ob Herr Friedrich dieſe
gewoͤhnliche Redensart gegen mich gebraucht oder ſolche
mir entzieht. Das aber wird Ihnen ebenſo gut ein⸗
leuchten, daß man mit einem Manne, der abnliche Fode⸗
sungen Überhaupt machen kann, immer Gefahr laufen
wuͤrde, fi) Unſchicklichkeiten auszufegen und daß alfo das
ganze befprochene Verhältniß zweifchen ihm und mir nun:
mehr in keinem Falle flattfinden barf. “
Ein andermal kommt Friedrich in Hartmann's Ate:
Sie, wo ein ziemlich großes Ölgemälde des Landſchafters
fi) bereits befinde. Ein fremder Fürſt, ber eben in
Dresden fich aufhielt, hatte nämlich gerwänfcht, etwas von
feinen Werken zu fehen, um, wenn es ihm geflele unb
er über den Preis mit dem Künflier einig würde, folches
zw Saufen, und biefer e& herbeiſchaffen laſſen. Bald nad:
Her tritt der erwartete Fuͤrſt herein. Obſchon das Ge:
maͤlde, welchas das Peer und fein mit großen, von. je⸗
dem Reiz entblößten Steinen, ohne alle tation übers
fuͤlltes Ufer darſtellt, über den ein duͤſterer Himmel aus⸗
geſpannt iſt und weiter nichts enthält, dem Siyeften menig
suzufagen ſcheint, erkundigt fich diefer nach dem Preiſe.
Da Friedrich eine ziemlich hohe Foderung macht, fo ent:
ſchluͤpft Hierauf dem Fürften das Wort: „So viel! Und
dech hat man auch gar nichts auf Ihrer Lanbfchaft.”
„Wenigſtens würde das Futter, das Ew. Durchlaucht
daraus koͤnnten ſchneiden laſſen die Koſten meines Bil⸗
bes Ihnen nicht zu decken im Stande fein”, antwortete
Friedrich empfindlih, das. Gemälde von einer Staffelei,
auf die es geſetzt war, herunternehmenb. und es zur Seite
ftellend. Bei alledem entfchloß ſich ber gutherzige Fuͤrſt,
ben Unmuth des Kuͤnſtlers befien befchränkten. Verhaͤlt⸗
niffen zurschnend, 0, sum Ankaufe des allerdings nicht vors
züglichen Gemaͤ
Bei dem — eignen Sinne fuͤr Ordnung und
haͤusliche Stille würde er gewiß die eheloſe Einſamkeit
ſchen frühzeitig aufgegeben haben, wenn feine Einnahme
als. Künftler nicht zu ungewiß gewefen wäre, um das
Schickſal einer Lebensgefährtin noch an fein Dafein zu
fnüpfen, Die Anwandlungen zu einer Veränderung die⸗
fer Art kamen ihm aber immer ſtaͤrker und dfter, je
mehr die Unfreundlichkeit feiner dfonomifchen Verhaͤltniſſe
nad) umd nach fidy verminderte. In der Regel pflegte er,
wenn es nicht den Naturſtudien im Freien oblag, vor Son-
nenuntergang nur felten fein Wohn und Arbeitszimmer gu
verlaffen. As bie eines Tages wieder geſchah, fo ließ,
nachdem er ſolches verfchloffen hatte, der druͤckende Ge⸗
banfe an feine Einſamkeit auf dem Wege, den er ge:
nommen, nod lange nicht von ihm ab. Auf der Elb⸗
brüde fogar ſtillte der Genuß ber zu beiden Seiten des
Stromes fo anmuthig gelagesten,, reizenden Landſchaft in
ber Abenbbeleuchtung feine innere Unruhe nur kurze
Zeit, Es fiel ihm ein, daß er zu Haufe vergeffen, fein
Seuerzeug in gehörigen Stand zu fegen, und daher bei
der Heimkehr im Finſtern Bein Lichte haben werde, feine
hochbejahrte Nachbarin aber, die ihm in ſolchen Fällen
auszuhelfen pflegte, verseifi fe. Die Vorſtellung, wie
ba6 Allee eine andere Geflalt gewinne, wenn eine
auf feine häuslichen Beduͤrfniſſe aufmerkfame Lebens:
gefährtin zu Haufe feiner harte, war nur geeignet,
das Unheimliche feines jegigen Hausweſens ihm empfind⸗
licher zu machen. Da zieht plöglich ein junger, auf dem
Trottoir der andern Seite der Elbbruͤcke Voruͤberkommen⸗
ber feinen Hut vor dem völlig Verſtimmten ab. Das
freundliche Wohlwollen, mit dem es geſchieht, macht, daß
Sriedrich nachdenkt, wer der Mann fei, deſſen er fi
nicht fogleih erinnert. Bald befiunt er fih. Es if
Einer, bei bem er feine Bleiſtifte zu kaufen pflegt. Die:
fer Erinnerung gefellt fich die ambdere, dag in dem Kauf:
laden gemeiniglich die Schwefler des Verkäufers am Fen⸗
fer zu figen und zu arbeiten pflegt und daß dies ein
gar liebes, nettes, haͤusliches Maͤdchen zu fein fcheint.
Wenn diefes freundliche Kind in feiner Behaufung lebte,
denft er, würde es ihm gewiß Abends bei feiner Heim:
Sehr nicht an Feuer fehlen. Zeither hat er nur wenig
orte erft mit ihre gewechfelt und zwar ganz unbebeu:
tende. Aber er befchließe auf der Stelle, am nächften
Tage mit dem Früheften einen Bleiſtifteinkauf zu befor:
gen und bei diefer Gelegenheit der huͤbſchen Jungfrau
auf den Zahn zu fühlen, ob vielleicht ein bebeutenderes
Geſpraͤch mit ihr anzufangen ſei. Und ſiehe da, Alles
gelang dem feiner häuslichen Einſiedelei berzlichfatten
Küunftter fo gut, daß ſchon der folgende Abend einen
gluͤcklichen Bräutigam aus ihm gemadt hatte. Allent⸗
halben mußte fein fröhliches Herz fich mit Verbreitung ber
Kunde Luft mahen. Vielleicht war eine unerwartete
Frage die erſte Störung in feinem neuen Gluͤcksrauſche.
Ein Freund wollte nämlid den Namen feiner Braut
wiffen und es fand fi, daß der Bräutigam felbft ihm
keine Auskunft daruͤber zu geben vermochte. Aber Fried⸗
rich's anfängliches Erröthen vor Derlegenheit hierüber
machte bald einem herzlichen Belachen des gewiß höchft
felten im Leben vorkommenden Umftandes Plat. Übei:
gens betheuerte mir die Echtheit dieſer Heitathsanekdote
ein Mann, deflen Wahrheitslicbe Niemand bezweifeln
würde, wenn id ihn nennen wollte. Sollte er auch,
wider alles Vermuthen, felbft vieleicht damit getäufcht
worden fein, fo ſieht fie doch in der That der vom Ge:
wöhnlichen ganz abweichenden Individualität Friedrich's
durchaus nicht unähnlih. Was midy betrifft, fo find mir
allerdings bie häuslichen und ehelihen Verhältniffe des
Veremigten ganz fremd geblieben. Aber, der allgemeinen
Verfiherung nach, hat, nachdem Friedrich von der grund:
tofen Eiferfucht, die fich feiner in der erſten Zeit bemächtigt
hatte, zuruͤckgekommen war, die Zukunft das Gtüd feiner
Wahl volllommen beftdtigt und er in feiner Lebensgefährtin
ein Muſter der Liebe, Zreue und Häuslichkeit gefunden.
Die Anerkennung feines fittlichen und kuͤnſtleriſchen
Werths wurde durch die tiefe Ruͤhrung der zahlreichen Ber:
fammlung von jüngern und Altern Künftlern und Andern,
welche feinen Leichnam zur Ruheſtaͤtte geleitete, hinreichend
dargethan. Schon am Abende zuvor hatte ein Chorgefang
bei Fadelfchein vor feiner Wohnung flattgefunden.
Allerdings beklemmt ber Charakter mancher Landſchaf⸗
ten dieſes Künftlers durch ihre Dde und Einſamkeit.
Auf mehren nit nur noch keine Spur von dem Men⸗
fchengefchlechte und von der Thierwelt, fondern auch feine
ſcheinbar feblofen Gegenftände von einiger Auszeichnung.
Erde, Luft und Waſſer liegen gleihfam In ihrem eins
fachſten, reizlofeften Neglige fo vor uns, daß das Auge
zuerft vor Langemeile kaum weiß, was es mit ihnen an:
fangen fol. Aber das Intereſſe daran wählt meiftens
unter ihrer Betrachtung mit jedem Momente. Gerade
die geringe Auszeihnung des Einzelnen gibt dieſem im:
mer mehr das Anfehen eines zufammengehörenden Gan⸗
zen. Je länger der Bli auf der genannten Dreieinig:
keit ruht, defto befier glaubt er in ihr und dem in Licht
aufgelöften, geſtaltenden Sonnenfeuer den Urfloff der Thier:
und Menſchenwelt und alles Lebendigen wahrzunehmen.
Und fo in die Betrachtung der Natur felbft verfentt,
iſt mir der Schöpfer dieſer hoͤchſt einfachen Wilder im
Leben zuweilen Abends, am eiſernen Gelaͤnder auf der
Bruͤhl'ſchen Terrafſe ſtehend, vorgekommen, bald wenn bie
Sonne eben erſt ihren. Scheideblick ber Erde zugeworfen,
bald wenn die immer entſchiedener hervortretenden Schatten
allen Geſtaltungen ſchon die Umriſſe zu rauben drohten.
Es gehoͤrten auch, wie auf ſeinen Sepiazeichnungen
bie Sonnenaufs und ⸗Untergaͤnge, fo auf allen feinen
Schöpfungen die zroifhen Tag und Nacht geflellten Si⸗
tuationen zu den Glanzpunkten feiner Einbildungskraft.
Gerade weil er über dem Studium des ganzen Zuſam⸗
menhanges ber Natur die genaue Beobachtung des Eins
zelnen geroiffermaßen vernachläffige hatte, war die Daͤm⸗
merung und der Kampf in ihr zwiſchen Licht und Duns
kel eine wahre Fundgrube für die Kunſt dieſes gemüth-
vollen Mannes, der vielleicht ein ganz anderer noch ge
worben wäre, hätte der Ri, der mit dem frühen Untergange
des Bruders ihm fein Herz zerfpaltete, nicht einen dur
das ganze Leben ſich ziehenden und in allen feinen Werfen
widerhallenden, melancholiſchen Nachklang hinterlaffen.
Es fcheint die Kräfte der Malerei zu Überfleigen, dem
Geiſt aller Erfcheinungen anders als durch beren Körper
barzuftellen. Von Friedrich möchte man aber behaupten,
daß er in feinen Gebilden zumeilen ben Geift auch ohne
Körper darftelbar zu machen verflanden hätte. So werde
ich eine feiner in DI gemalten Dämmerungslandfcaften
nie vergeffen. Kein lebendiges Weſen in ihr zu erbliden;
die darauf vorfommenden Bäume bereits durch das im
diefelben verroebte Grau um den ganzen Charakter bed ihnen
eigenthümlichen Laubes gebracht. Aber das über das Ganze
ausgefpannt liegende, von der Dämmerung bereit6 ange:
bauchte, Mare Blau des Himmels riß alle Gemuͤther zur
Bewunderung bin. Das ahnungspvolle Herz glaubte auf
biefem Gemälde bie legten Wehmuthslaute des langſam
dbahinflerbenden Tages zu vernehmen und ſchon ſich der
fliten Heitigkeit einer fchönen Nacht entgegengeflihrt zu
fehen. Und doch gibt es auf dem Bilde gewaltigen An:
flog für da6 Auge in einem umnebelten Berge von gres
Ber technifher Unvolllommenpeit. Der Berg ift nicht
ſowol gemalt als blau angefltihen. Aber das Auge
kann nicht zur Sprache kommen vor ber harmoniſchen
Wirkung eines Ganzen, in dem die Seele ber Natur
fih auf das reinfte abſpiegelt. Der tiefe, Iebenswarme
Ton feiner Darftellung, worin die oft bedeutenden Maͤn⸗
gel des Einzelnen völlig zerfchmelzen, ift es, was dat
fühlende Gemürh bei den meiften Werken fo innig mit
biefem Künftler zu befreunden verfteht.
(Die Fortfegung folgt.)
Literarifhe Notiz.
In zehn Lieferungen erfcheint in Paris: ,, Collection de
60 feuilles d’alphabets historiees et fleuronndes, tirde des
plus beaux manuscrits de l’Europe, des documents les plus
rares etc,’ von DI. Sylveſtre. Der Verf., ber bereits eine
„Pal&ographie universelie‘’ herausgegeben, wirb ber Samm⸗
lung durch eine analytifche Tabelle noch einen erhöhten Werth
ertheilen. 18.
Verantwortlicher Herausgeber: Deinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brodhauß in Leipzig.
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
5. Mai 1843,
Ruͤckblicke.
Drei Landſchaftsmaler.
(Bortfegung aus Nr. 19.)
2. Drofeffor Klengel.
Einen volllommenen Gegenfag zu dem Mater Fried:
eich in Kunft und Leben bilbete der ausgezeichnete Land:
ſchaftkuͤnſtler Klengel. Schon 1751 in dem unweit
Dresden gelegenen Keffelsdorf geboren, war er bei Fried⸗
rich's Ankunft diefem an Jahren um Vieles voraus und
behauptete eine yroße Gelebrität unter den deutfchen Land:
fchaftmalern. Lange Zeit pflegte bei der jährlichen bresde:
ner Kunftausfiellung eine der erflen Fragen die zu fein:
Iſt von Klengel ſchon etwas da? und das hierauf erfol:
gende Fa oder Nein beflimmte den Fragenden entweder
die Ausftellung fofort aufzufuchen oder feinen Beſuch ders
ſelben bis zur Ankunft des Klengel'ſchen Beitrags zu
verfchieben. Ein Schüler von dem ehrenmwerthen Meifter
Dietrich, gründete Klengel feine Kunft von frühefter
Jugend an auf dad Studium der Einzelheiten der Na:
tur. Der Sohn eines armen Landmanns, hatte ex den
fhwerften Kampf mit den Hinderniffen, die während ſei⸗
ner Ausbildung auf der Dresdener Kunſtakademie fich ihm
entgegenftemmten. Jede ländlihe Situation, jeden hüb-
fhen Baum in dee Gegend fuchte er mit Stift oder
Pinſel fi) anzueignen, jeden Lichteffect zu erhafchen, jede
Hütte mit ihrer ganzen Eigenthuͤmlichkeit zu Papier zu brin:
gen, um Alles, wie er es gefunden, in einem Gemälde zufam:
menzuftellen. Der Dresdener, an mwohlgeflafteten Bäumen
fo reihe Große arten befaß vielleicht einen fchönen
Baummwipfel, dem er nicht auf einer feiner zahlreichen
Landfhaften ein Denkmal duch treue Nachbildung ge: |
ftiftee Hätte. Obſchon an kuͤnſtleriſche Notabilitäten, wie
befonders die Maler Alerander Thiele und bie beiden
Dietrih fi) haltend, bing| Klengel der Natur mit noch
größerer Teue als ihnen an. Aber freilich fiel es ihm
niche ein, ihr, wie der Landſchafter Friedrich, einen be:
fondern Sinn in feinen Darflellungen unterzulegen. Bei
alfer anerkannten Birtuofität im Technifchen und vorzüg-
lich des Baumſchlags, wollte man übrigens doch zuweilen
die gehörige Individualifirung der verfhiedenen Gattun⸗
gen vermiffen. Auch behauptete, wie ich mich erinnere,
namentlich der Landſchaftmaler Veith, Klengel fhöbe zu: .
weilen feinen herrlichen Waldbaumzmweigen bie Stämme
von Obſtbaͤumen unter.
Eine neue Phaſe ging für Klengel's Schöpfungen
mit feiner Reife nach Stalien auf. Die grandiofen Reize
dortiger Natur riſſen ihm dergeſtalt bin, daß die mei⸗
fien feiner nachherigen Kunſtwerke die deutlichfte Spur
davon an fih trugen. Die Wirkungen des mädhtigern
Sonnenſtrahls ertheilten feinen Werken befondere Anziehkraft
und bildeten oft auch da einen fcheinbaren Verein, mo
das Zuſammenraffen heterogener Gegenflände dem entge⸗
genarbeitete. Um feinen Sebilden einen befondern Stem:
pel der fonnigen Heimat aufzudrüden, verfäumte er felten
ihre Ausfhmüdung duch roͤmiſche oder griechiſche Rui⸗
nen, die fih feinem Studienbuche nicht hatten entziehen
£önnen, oder durch eine Staffage, welche die Nachbildung
eigenthünmtichee Gebräuche und Gewohnheiten beim Lands
bau im reigenden Stallen zum Gegenſtande hatten.
Es hieß aber freilich fein wahrhaftes Gluͤck in Auf:
faffung und Wiedergabe des ganzen Naturzaubers jenes
gefegneten Landes bis über die Grenze verfolgen, daß er
wiederholt den Verſuch machte, die Sonnenfcheibe felbit
im vollen Sarbenglanze am blauen Himmel erfcheinen zu
laffen. Allerdings hatte er hierin an Claude ein unfterb:
liches Mufter vor fi, durch welchen ein Gleiches gewagt
worden. Natürlich aber fcheiterte Klengel's Verſuch nicht
weniger als Claude's und die neuerlich von Schönberger
in Wien. unternommenen an der Unmöglichkeit. Wenn
auch das Auge des Beſchauers nach langem Hinſiarren
auf die kunſtvoll nachgebildete Sonnenſcheibe allerdings
die Zäufhung immer mehr anwanbelt, daß von ihr der,
Erde und Bäume überflutende, Glanz ausgehe, tritt es
doch nur allzu bald wieder fo weit auf den rechten Ge⸗
ſichtspunkt zurüd, um für eine fo mächtige Wirkung
die Urfache durchaus unzureichend zu finden. Inzwi⸗
fhen geben mehre Zableaur, wo Klengel diefee Kuͤhnheit
fid) unterzog, dem Kuͤnſtler dad rühmtiche Zeugniß, Alles
verfucht zu haben, um ben Kampf mit der Unmöglichkeit
zu beſtehen. Im Allgemeinen pflegte man feinen größern
kuͤnſtleriſchen Gompofitionen, wo es hauptſaͤchlich auf im:
ponirende Zufammenftelung der Gegenfäge und ihrer
finnreihen Verflechtung zu einem harmonifchen Ganzen
an fich, oder buch eine finnvolle Staffage, anlommen
möchte, die Heinen, der Jändlihen Wirklichkeit mit ihrer
498
vollen, lebendigen Wahrheit entiehnten Werke vorzuziehen.
Und in der That fprechen biefe Lieblihen Maturbilder,
durch Klengel's geſchickte Hand in das Gebiet der Kunſt
verpflanzt, mit ihren muntern Schafheerden, übervolien
Erntewagen und dem dem Ränfller felt früheſter Jugend
wohlbekannten Apparat der ganzen Feldwitthſchaft, befonder6
jeden Freund des Landlebens um fo mwohlthuender an, je
treuer in Klengel's Werken das ländliche Weſen und
Treiben fich ausgeprägt findet. Auch find bie Beinen,
einfachen Naturfcenen von dieſes Kuͤnſtlers Pinfel [dom
darum befonder® fchägbar, weil er die Originale dazu im
frifchen Leben felbft auffuchte, während feine größern,
kunftlichen Iufammenfleffungen zam Then
zu fein fchienen. Dem berühmten Hadert zu Neapel
machte man bekanntlich den Vorwurf, dab er vermöge
des Glaubens, die Natur bereits auswendig zu wiſſen,
in fpätern Jahren folhe, dem Mechanismus feiner ge:
ſchikten Hand allein verteauend, zu wenig zu Rath ge:
zogen habe. Vielleicht trat Daffelbe auch diswellen bei
Klengel ein.
Aus feiner Schule find mehre, zum Theil noch lebende
Kunftnotabilitäten hervorgegangen. Beſonders ſchien er
sine, übrigens ſchon längft verflordene Schülerin, Fraͤu⸗
Kin Sreiftein, zu beguͤnſtigen, die in der That, nament:
lich in ber Fertigkeit des Baumfchlages, ihm zur Seite
zu fielen war. Der fleifigen Hand biefer gefdidten
Künftterin hat die Kunſt befonders eine Menge hüͤbſcher
Banmgruppen und MWaldpartien des Großen Gartens
zu verdanken, die ohne alle Abſicht, fie zu verfchönern,
der Himalerei durch fie gewonnen, bei der größten Ein:
fachheit, vermöge ber reizvollen Durchſichtigkeit ihres
Laubwerks, auch als Bilder, dem Auge recht willkom⸗
men find.
Übrigens fagte man Kiemgel nach, daß er feine Dialer:
und Radirkunft (denn auch im Radiren bewies er &6
ala Meifter) wie ein Arcanum betreibe und nicht leicht Je⸗
manden zulaffe, wenn ex mit Palette und Pinfel an ber
Staffelei fige oder am einer Kupferplatte arbeite.
Beim Unterrichegeben in dee Malerkunſt bediente er
#4 einer eigenthuͤmlichen Terminsiogie. Vorzuglich hatte
er zu Bezeichnung des im Baumfchlage von bem Schu⸗
Ise zu Beobachtenden Ausdehde, die ſich ohne Erlaͤute⸗
sung nicht wohl verfüchen liefen. So rühmte er unter
Anderm einem derfeiben nad, daß er mit dem Baum⸗
Ablage im Allgemeinen huͤbſch fertlomme, nur da6 „Kaotr⸗
ige, Knackrige und Krospige” woch nicht gang berams«
Yringe. Unter deu Titeln „Priacipes des dessins pour
es paysages‘‘ und „Etudes des paysages“ find in bem
Jahren 1802 und 1824 Vorlezeblaͤtter von ihm im
Kunfthandel erfhimen. Er fbarb im dem zuletzt genaum-
ten Sahır.
Wie in Kunſtanſichten und Lelflumgen wichen auch
Friedrich und Klengei ihrer äußern Crfcheinung im Leben
nach völig voneinander ab. Während der Erſtere nicht
Fetten eine den Schein des Stolzes annehmende Micne,
Yefonberd gegen Vornehmere, hatte, nahm der Leptere,
namentlih gegen diefe, eher zu viel als wenig Rüd:
fichten.
(Der Beſchluß folgt.)
Der Zakobine in Win Iſſtreichiſcha Memoken auß
dem letzten Decenniam bes 18. Jahrhunderts. Zurich und
Winterthur, Literariſches Comptoir. 1842. Gr. 12.
1 Xhlr. 22% Nee. *)
@elten hat uns ein Buch in dem Grade getäufcht wie bas
— ent. —— — — — — war — eine zwiefache
on Sau wir daffelbe mit gering Erwartungen,
fanden uns aber angenehm überrafcht, Gare bios burd eine
| oinzEn
eigenthuͤmlich geheimnißvollen Gewande politiſche Zuſtaͤnde ent»
wickelten und an bie erſten Capitel des „Geiſterſeher“ mehr als
einmal erinnerten, ſondern auch durch kreffliche Fragmente hiſto⸗
riſcher Darſtellungen, welche theerſctta einen tiefen Blick in bie
oͤſtreichiſchen Staatsverhältniffe um die merkwuͤrdige Epoche vom
Kaifer Joſeph's Tode anfündigten. Unfer Intereffe wuchs von
Eeite zu Geite bis etwa gegen bie Mitte des Buchts bin for
wol für das romantifche ats für das biftorifche Element deflel:
ben, die uns beide in einer feltenen und originellen Miſchun
rei an Unterhaltung und Belehrung, eine ganz eigenttäkm
Arbeit darzuftellen ſchlenen. Da reißt auf einmal der Wabern
ab — der Reſt Zrivialität — wir ſehen einen feltfamen
Zorfo vor uns. Wine ſolche Erſcheinung if ſchwer zu erklaͤren;
es ift die Horaziſche SIungfrau, in einem Fiſchſchwanz endet,
und es bleibe uns nichts übrig, alE anzunehmen, daß das geifh
reich angelegte Buch in der Hand feines Erfinders ein Prag
ment geblieben, ala ſolches aber in bie Hände eines Unberufe
nen gefallen und von biefem in feiner unfertigen Geſtalt ber
ausgegeben fei, von Einem, der feine Zerriffenheit und Un⸗
genuͤge ni zu erfennen im ande war. Wie ed nım vor
uns Liegt, iſt es eine Materiatienlammtung zu einem biſtoriſchen
Romane, ohne Abfchiuß, aber in einzelnen Bruchftäden kebew
tend unb werthvoll in ſolchem Grabe, baf wir bie
dung des Unternehmens bedauern müflen. Rob und unverfchme:-
zen Hegen jegt hiſtoriſche und romantiſche WBrudjftäde vor uns;
aber in ben einzelnen Fragmenten ift die Hand eines Meiftens
fo unverkennbar, wie fie es in einem Weschitäde aus den „Ge
vennen“ oder dem „Mbfall der Niederlande‘ fein würde. Doqh
wir wollen biefe ofen Baufteine, ‚beren Zufammenfägung der
Dimmel weiß welcher Umftand gehindert bat, etwas näher an
feben, um uns baran Au erferuen. In den erſten Capiteln Aber
wiegt die Romantil. Wir feben einen Kicdhenfürften, den Car⸗
dinal⸗ Erzbifthof von Wien, mit geuchimwifcher Geberbe den Ich
Kaifer Joſeph's beweinen, waͤ er ale Minen ſpielen laͤßt,
das verhaßte Werk dieſes n Fuͤrſten und Bolkefreundes,
die Denk⸗ und Gewiſſensfreiheit, in die Luft zu ſprengen. Der
zweite Abſchnitt führt uns in die Verbruͤderungen und Verdin⸗
dungen ein, welche bie Regierung Kaifer Joſeph's aller Orten
zur Entſtehung gebracht hatte wab deren Ausrottung num die
Sauptaufgabe der neuen —— wurde. Dies natke
ih zu einer Parallee zwiſchen der Regierung Joſeph's und
der feines Nachfeigers Leopold, und der Berf. ſteht mun auf
einmal ganz auf hiſtoriſchem Boden. Das romantifhe Gewand
von feiner Schalter; aber wir folgen ihn wit faſt ned
erhöhtem Intasefle, denn. was er als Zeithiſteriker vortroͤgt
geist uns ben Gingeweibten, unb bie fer unb bie if
zeuge, welche er uns vorfühst, wehmen unfere Theilnahme im
gerechten Anſpruch. Allerdings war Katfer Leopold, ein Kürfl,
der in feinem fiydnen Zoscana ein anerkanntes Begierungitatent
·Es find und von zwei Mitarbeitern Auffäge über viele
Schrift zugegangen, bie beide non Jutereſſe für unfere Lefer feiz
möchten und die wir daher hintereinander abbruden.
D. Re.
pen Ya Regie a Ei ge m
u ers, er wieder m
follte. Adel und Geiftitchlert traten wie von ſelbſt vorbuͤndet
vor ihn hin mit einer erſchreckenden Darftellung ber im Volke
errfchenden Unzufriedenheit, und flachelten, mit dem Beiſpiele
ankreichs drohend, die natürliche Furchtſamkeit bes neum Ger
ieter6 zur Angft auf. Es gelang diefem Bunde, den fonft hel⸗
len Blick des Fürften zu umnebeln. Reaction ward das Los
fungswort, Vernichtung alles von Joſeph Geſchaffenen das Biel
der neuen Regierung. Zuetſt nahm die Beiftfichkeit alle ver:
lorenen Vorreqhte ftürmifh wieder ein, ihe folgte bee Adel.
Die vortreffliche oͤffentliche Policet Joſeph* ward zu einer beute-
gierigen geheimen umgefchaffen, an deren Spitze zu ſtehen
aifer Leopold ſelbſt fein Bedenken farb. Die Eehr:, die Rede⸗,
die Preßfreipeit Joſeph's verfchwand; aber ein Geiſt kleinlicher
Scheelſucht gegen den Abel machte, daß Leopold felbft ſatiriſche
Streifzüge gegen dieſen begünftigte, ja wol ſelbſt hervorrief.
Eine Menge anziehender Details dest uns biefen Kürften in
einem ganz neuen Lichte, einen Charakter, Bein im Großen
und groß im Kleinen und wie gefchaffen, um die Werke fein:s
großen Vorgängers zu zerflören. Die Doppeiregierung von Col⸗
orebo und Schlolenig zerftörte endlich alle Regierung und fegte
die Intrigue an ihre Stelle, und In biefem Elemente ſchwamm
Kaifer Leopold. Rachdem uns der Verf. merkwürdige Blicke in
dieſe Epoche der oͤſtreichiſchen Staatsgefchichte hat werfen lafs
fen, nimmt er den Baden feiner romantifchen Erzählung wieder
auf. Es folgen die anziehenbften Scenen auf dem Schloſſe In
Böhmen, in den Logen und Clubs, wo Hebenſtreit ber Held ift,
in dem lüfternen Hauſe der Baronin Saintral. Allein Alles iſt
nur fligzirt; es fehlt nicht an einer meifterhaften Anlage, aber
am Zufammenhange, an Berbindbung der Wegebenpeiten. In
derſelben unerflärlichen Weiſe endet das Buch. Der Club,
offenbar in Berbindung mit den parffer Iafobinern, wird ent«
deckt, die Mitglieder verſchwinden vom Schauplate und das
Buch fchließt, ohne daß eine einzige der eingeleiteten Begeben⸗
heiten zu einem annehmbaren Ende fortgeführt wäre. Gtatt
eines folchen erhalten wir einen Anhang von regierungsgefdicht:
lichen Notizen, die bis zum franzoͤſiſchen Krlege von 1199 rei:
chen und bier plöglich abbrechen.
Man wird uns einräumen, daß dies ein fonberbares Buch
M. Dee Schlüffel zu diefem Raͤthſel kann, wie ſchon angedeu⸗
tet, nur barin gefunden werben, daß irgend ein begabten Kopf,
Augenzemge dieſer Epoche, den Plan entwarf, fie zum Gegen:
ſtand eines Romans zu malen, einzelne Momente beflelben
ansführte, andere nur fligzirte, für noch andere nur Materias
lien fammelte, biernächft aber dad ganze Unternehmen aufgab,
und daß diefe unfertige Arbeit in biefem Buftanbe von einem
Unberufenen edirt wurde. Sie wäre der Vollendung werth,
und vieleicht in hoͤherm Grabe als Gchiller’s Seiſterleder⸗
e8 war. .
Wir find in Deutſchland nody fo wenig daran gewöhnt,
Selter anſerer Gtaatsangelegenheiten und biefe fest im
der OEffentiichteit zu erblidden (obwoli bie lettern biefes
am meiften bebürftig find und die erflern e® am wenig⸗
Wer zu ſcheuen haben foliten), baB jeder Verſuch, uns mit bei
den Bertrauter zu machen, unfern Dank verdient, follte er auch
in eier vom Serkömmiichen fo abweichenten, wir moͤchten faft
fegen, fo zweidentigen Yorım auftreten, wie bies bei vorkiegen«
dem Buche der Yan iſt Insbefonbere fließen die Quellen, aus
denen wie die Kenntmiß Öftreichifcher Zuſtaͤnde ſchoͤpfen, ohne
Bergleich viel Märtider als anderewo; wir befigen fafl keine
von dortigen Gtaatömännern herruͤhrende, mit den frauzoͤſiſchen
marken Memoiren in eine Elaffe zu fegende Denkwuͤr⸗
digkriten *), und find entweder auf bie offlciellen Relatlduen bes
2) ine In jeder Beziehung feliene Teſcheinung biefer Art find
45*
ſchraͤnkt, die natuͤrlich nicht an Anſcherungen und Me
niſſen entſprechen, oder auf die Berichte und et
von Privatperfonen angemwielen, denen Häufig die Blaubiwärbigs
beit adgedt. Wir beklagen nicht, daß uns Sehriften fehlen,
bie ſogenannte Gabinetsgeheimniffe entſchleieta, oder uns einem
Bid in das Gewirre der Hofintriguen thun laſſen; allein fäht:
bater ift ber Mangel fotcher, weldye, bie wichtigern Perioben bes
Öfterichifchen Staatolebens gleidfam begleitend, bie geſellſchaft⸗
lichen Merpätiniffe, die. Einfläfle der Dinge auf bie Menf
und umgekehrt (fo welt dieſe in das Gebiet der hiſtoriſch
Fer Dan Möletengen ber feungb
un tungen ber Tranzöfifdgden evolution Eimmte
man auch bie Schreibſeligkeit aufzähten, weiche fie, wenn nicht
ergeugt, fo doch auf einen vorher unbelannten Brad gefteigert
hat. Bom Heros berfelben angefangen bis zur Gontemporaime
herab haben ſich wenige Perfonen, denen fie zw einer Role wer
half, die Genugthuung verfagt, Wit: und Nachwelt mit ihren
„Seben und Meinungen‘ zu beſchenken. Die Bekenntniſſe gin⸗
gem und geben jedoch, was Leicht erklaͤruch iſt, der Mehrzahl
nad von derjenigen Seite aus, welche als bie am meiften ber
theiligte erſcheint. Die Framoſen treten überall in ben Border
nd und führen das große Wort, währmd Englaͤnver und
mar gelogentlich fich vernehmen laſſen, und die Deutſchen,
Ä gebrachten Beſcheidenheit gemäß, in letzter Beihe ihre
unmaßgebliche Deinumg abgeben, ungeachtet fie in erſter fchiu:
— geſchlagen wurden. Unter den Deutſchen find aber die
eicher bie ſchuͤchternſten, bie Öſtrolcher, denen im großen
Weltdrama des verfloffenen 30 Jahre fürwahr nicht die kleinfle
Rolle zugefalen war. Weather e dies zuzuſchreiben iſt,
wollen wir hier nicht unterſuchen; es find ums in jüngfter 3eit
von einee Dand, ber wir ſchon manche werthvolle Gaben vers
danken, Auffchtäffe geboten worben, nach denen wir es begreift
It finden, daß minbeftens dem Intereffe getoiffer Öftveichifcher
Staatsmaͤnner des SRevotutionsgeitalters das Schweigen mehr
zufagt als das Neben.
Mit den „Eebensbiidern aus dem Wefseiungskriege” laͤgt
fig der „Jakobiner in Wien’, fo fehr fonft beide Bücher vom
einander verfhieden find, doch in einer Rüdficht zufammenftel:
len. Iene machen, fo weit fie öftreichifche Verhaͤltniſſe berühren,
ungefaͤhr den naͤmlichen Cindruck, deu bie keätgenannte Schrift
besvorbringt. Wir fehen Leute an der Spige des Staats, bie,
bem Kampfe mit den Ideen einer neuen Zeit durchaus nicht
ewachſen, mit kleinen Mitteln große Zwecke erreichen wollen,
eute, die, mit allen Vorurtheiten ihres Standes, ihter Reli⸗
ion, ihrer Erzlehung behaftet, entweder in der unbebingten
ufrechthaltung des Alten das einzige Heil erbliden, ober wy
fle dem Neuen eine Berechtigung zugeſtehen, daſſelbe nicht zum
Semeingute bes Volks, fonbern Monopol einer Kafte mas
Ken wollen. Wir fehen bie klaͤglichen Widerſtandsmittel, welche
fogenannte Staatsmänner, bie blos auf Policeikuͤnſte eingehöt
firb, in ben Tagen der Gefahr kefammuenzuca en verſtehen;
wir fehen den Abgrund, ber ben Staat zu verfchlingen droßt,
wenn ihm nit die Energie des Volks zu Hülfe kommt; wir
ſehen, was biefe Energie vermag.
„Ber Jakobiner in Wien” zerfaͤllt, rote auch der Titel
anzudeuten Scheint, in zwei Ihefle, bie nur ſehr Lofe zufammens
hängen, einen biftorifcyen und einen ronanartigen. Die Kritik
kommt wirklich in Dretegenbeit, wenn fie die Gattang nennen
fol, der das Buch angehört. Es tft weder Gefchichte noch Ro⸗
man; Memoiren Im gewöhnlichen Sinne des Worts find es
auch nicht, und fo bieibt nur übrig, den „Jakobiner in Wien“
für einen Zwittet zu erklaͤren, dem von jeber biefer drei Gat⸗
tungen einige Merkmale ankleben. Vlelleicht find damit bie An:
fänge einer neuen Art gegeben, bie fi) zum Romane fo ver
bie acht Metanbände umfelennen Denkwuͤrdigkeiten bed Grafen
3. Q. von Ideger, Gtatthalter von Wien unter Leonelb I., weide
reichhaltiges, beinahe unbenugted Materlal für die Geſchichte jener
Seit darbieten.
Halt wie das politiſche Gedicht zur Eyrik. Der romanartige
Theil des Wuchs hat zur Unterlage die Verſchwoͤrung, wegen
welcher der Ylaphauptmann Hebenftreit 1794 in Wien am Gals
gen büßte. Der hiſtoriſche befpricht bie Zuſtaͤnde Oſtreichs vom
ode Kaifer Joſeph's II. bis zum zweiten Kriege gegen Frank⸗
reich. Berböte es der Raum nicht, fo wäre es bei der epiſodi⸗
fen Form bes Buche nicht ſchwer, zur Charakteriſirung deſ⸗
felben Auszüge zu bringen; aus bem naͤmlichen Grunde müffen
mir une auch entbaiten, über den Grab von Glaubwuͤrdigkeit,
weichen die zahlreichen in dieſer Schrift mitgetheilten Anekdoten
und Notizen über öftreichifche Notabilitäten verdienen, Unter
ſachungen anzuftellen. Die Hebenflreit’fche Verſchwoͤrung ſchrumpft,
wenn wir dem „Jakobiner in Wien‘ glauben dürfen, zu einer
Geheimbuͤndelei zufammen, die nicht viel gefährlicher war ale
das burfchenfchaftliche Complot, von bem wir Alle wiffen, wie
gefaͤhrlich es war. Sie fei aber, meint unfer Gewaͤhrsmann,
von einer Camarilla zu felbftfüchtigen Zwecken ausgebeutet und
von ihr benugt worden, um ſich mittels der Schredbilder , die
man vor dem Monarchen auffteigen ließ, einen ungebührlicyen
Einfluß zu fihern. Das allmälige Anwachſen der Reaction,
die ſchon in den legten Tagen Joſeph's ihre Haupt erhob, wird
mit ſcharfen, da und dort etwas grellen Sägen gefchiidert , das
Berhalten tes öftreichiichen Cabinets dem revolutionnairen Frank⸗
reich gegenuͤber als aufreizend und zu ſehr engliſchen Einfluͤſſen
nachgebend ſtrengem Tadel unterworfen und ebenſo unnachſicht⸗
ich werden die Bloͤßen aufgedeckt, die man ſich bei den kriege⸗
riſchen Operationen gegen einen Feind gab, den man zuerft
übermüthig verachtete und dann kleinmuͤthig fürchtete. ließ⸗
lich mag noch angeführt werden, daß die S. 42—47 vorkommen⸗
den Scenen ſtark an Dasjenige erinnern, was in den im I. 1800
in Paris erfchienenen „Memoires secretes sur la Russie et
particulierement sur Ia fin du regne de Catherine II et le
commencement de celui de Paul I“ von einem „Club phi-
sique” erzählt wird, dem man in ben legten Regierungsjahren
Katharina’8 in Moslau auf die Spur fam. ;Derlei Dinge
ſcheinen fih in der Eulturgefchichte fittentofer Ariftokratien öfter
zu wiederholen. .
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
In Paris erfchienen neuerdings Band 24— 26 der „His-
toire des Francais’, von dem berühmten, Zürzlid verſtorbe⸗
nen Simonde de Sismondi. Diele drei Bände umfaffen bie
Regierung Ludwig's KIV., welche 72 Jahre dauerte. Der
Berf. theilt diefelbe in drei Zeitabfchnitte, von denen ber erfte
1643 anfängt und 1661 aufhört; er enthält die Geſchichte der
Negentfchaft der Anna von Äſtreich und das Minifterium bes
Cardinals von Mazarin. Der zweite beginnt mit dem befann:
ten Ausfpruch Ludwig's: „der König regiert durch ſich ſelbſt“,
und dauert bis 1688; dies ift die Zeit der Größe, Macht und
Herrlichkeit dieſes Monarchen. Der dritte endlich umfaßt die
Zeit von 1689 — 1715, worin fein Glück und Anfehen immer
mehr abnaym. Die Regelmäßigkeit der Proportionen ift eine
der Verdienſte, welches beim Lefen biefes Werks fogleich in die
Augen fällt. Sismondi's Erzählung ift Leicht und Bar, und
die Arbeit des Hiſtorikers, welche fi) allmälig auf alle heile
des Sabre, ben er umfaffen mußte, erſtreckt, bietet wahrhaft
ſpnoptiſche Gemaͤlde dar, denen nichts Wefentlihes von Dem,
was bie Kriegsthaten, die gefeßgeberifchen Arbeiten und bie in
dem Charakter, den Anfichten und Meinungen der Nation be:
wirkten Mobificationen betrifft, entgeht; endlich führt die Kolges
reihe der Begebenheiten in bünbigen, Fräftigen und treuen Bes
Schreibungen die Portrait dee Männer vor, welche eine bedeu⸗
tende Rolle auf der politifchen Schaubühne gefpielt Haben, nicht
allein in Frankreich, fondern audy in den Ländern, welche der
Wechſel von Unterhandlungen und Schlachten nach und nach in
enge VBerhältniffe mit Frankreich brachte. Das Werk zeugt von
aa garen
GStudium ber Denen, welche 6
von 16 in Gpanien, Holland, Großbritannien,
bem beutfchen Reiche, Italien und fogar in ber Türkei zutrus
gen. Nur die Geſchichte der franzoͤſiſchen Literatur und Kunſt
im Jahrhunderte Ludwig’ XIV. behandelt Sismondi etwas zu
kurz, übrigens aber als grändlicher Kenner derfelben.
Sin für die Sprachforſchung fehr intereffantes Werk
erſchien kuͤrzlich in Paris unter dem Zitel: „Histoire de la
langue et de la litterature des Slaves, considerdes dans
leur origine indienne, leurs anciens wmonuments et leur
etat present par F. G. Eichhoff.” Indem der Verf. von
dev Geſchichte der Slawen, von ihren Spraden und ihrer
Literatur nacheinander handelt, erfennt er auch auf gebührende
Weife die Verdienſte feiner Vorgänger auf berfelben Bahn an,
namentlich bie eines Gretſch, eines Schaffarid, eines Reiff und
eines Schnigler, der fn feiner „Statiftil von Rußland”, feiner geo⸗
graphiſchen und hiſtoriſchen Befchreibung von Rußland und Finn
land, ſowie in der „„Encyclopedie des gens du monde” über
eine Menge fchwieriger Fragen ein neues Licht verbreitet hat.
Herr Eichhoff Hält die Scythen bes Herodot für die Stamm:
väter der jegigen Slawen und glaubt, daß die Beten und bie
Dacier diefelben Völker wie die Gothen und die Deutſchen find,
welche, nad) und nach von DOften nach Weften vorrüdend, ben
Namen Hermannen, Wehrmannen, Germanen erhielten. Im
3. Zahrhundert war bie Rolle der flawifchen Voͤlker in ber
Geſchichte Europas ziemlich friedlich. Die germanifchen Volker
hatten ihre Wohnfite verlaſſen, um ſich auf das römifche Rei
zu werfen; ſowie die öͤſtlichen Ebenen Deutfchlands von ihren
Bewohnern verlaflen wurben, drangen bie Slawen in biefelben
ein und nahmen die Weiden vom baltifchen Meere bis an bie
Donau in Beſitz. Damals ließen ſich die Ifchelen in Böhmen,
die Serben oder Soraben in Sachſen, die Obotriten in Mecklen⸗
burg nieder; unter einer großen Anzahl anderer flawifcher Böls
Eer gaben die Poruflen dem gegenwärtigen Preußen feinen Ra:
men, die Ulranter einem Theil von Brandenburg, der foges
nannten Udermarf, bie Hevellen dem an fie grengenden Fluß
Havel, bie Stezacen Schleſien, die Pomoranier (Rachbarn des
Meeres) Pommern, bie Mähren der Landſchaft Mähren, die
Polenen ( Ebenebewohner) Polen, die Khrobaten oder Kroaten
den Farpatifhen Gebirgen. Weiter nad) Norden au ben
Ufern des Ilmenſees gründete ber friedliche Stamm der Glos
venen die Wiege eines großen Reiche, des alten Slawinſk, bas
zerfiört und durch das neue Nomgorod erfeht wurde. Won
dem 7. Zahrhunderte an wurde das ganze Rand, weiches fi
vom Ural bis an die Elbe und an das Abriatifche Meer erfiredt,
von den Slawen befett. Im Weflen wohnten bie Deutſchen,
im Rorben die Finnen. Aber ihre Öftliden Grenzen waren
von finnifhen, türkifchen oder tatarifhen Stämmen bewohnt,
welche über Europa herfielen, Tod und Berwüftung darin vers
breitend. Im 9. Jahrhundert wurde das Ghriftenthum von
Konftantin und feinem Bruder Methobus aus Thefſaloniks
unter den Slawen verbreitet. Unterbefien waren noch die fol:
genden Jahrhunderte für die Slawen Zeiten bes Kampfes und der
Unterjohung; die Deutſchen unterwarfen Mähren, Böhmen,
Kärnten und Mecklenburg; bie beutfchen Ritter eroberten
Preußen, die Schwertritter entriffen den Letten einen Theil
von Liefland, bie Serben und die Kroaten erfannten bie Ober:
bersfhaft der Bulgaren und Briechen, die Schweden nahmen
Ingermanland in Befig; die Mongolen endlich, geführt von
einem Enkel Dſchingis⸗Khan's, verwüfteten das flawifche Europe
mit unerhörtee Grauſamkeit und beherrfchten Rußland faſt brei
Jahrhunderte lang. Alle Mundarten ber ſlawiſchen Gpradge
bieten einen gemeinfamen Typus bar, welcher ſich an ben indos
perfifchen Sprachſtamm, namentlidy an das Sanskrit anknüpft.
Das gebachte Werk iſt auf jeden Fall für die Völker: amd
Sprachkunde von größter Wichtigkeit. 1
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Broghaus. — Drud und Berlag von J. A. Brodbaus in Leipzig.
Blätter
literariſche
ür
u
nterhaltung.
Sonnabend,
— Nr. 126. —
6. Mai 1843.
Ruͤckblicke.
Landſchaftsmaler.
(Beſchluß aus Wr. 128.)
3 Mechau.
Mitteninne zwiſchen den Kuͤnſtlern Friedrich und
Klengel in Kunft und Leben fland gewiffermaßen ber in
feinen Lanpdfchaften das Ideal mit der Wirklichkeit fo
gern innig verſchmelzende, trefflihe Mechau. Er gehörte
zu denjenigen Künftiern, denen bei Betrachtung der Na:
tue immer bie Phantafie zur Hand war, bemüht, die
ihm vor Augen liegenden Gegenſtaͤnde durch Beifügung,
ober Hinwegnahme, auch zumellen nur andere Anerbnung
einzelner Theile, in ein fchöneres Ganze zu bringen und
fo zum Kunſtwerke umzugeftalten. Sein unabläffig veger
Sinn für Schönheit und Ebenmaß glaubte der Willkuͤr
ber Natur duch den Menfchengeift Schranken fegen zu
müffen. Wenn er aber Das, was fie feinem Auge im
Ganzen darbot, in dieſer Hinficht als bloßen Stoff für
feine Schöpfungen behandelte, fo ging er deſto gewiſſen⸗
bafter bei Auffoffung und Wiedergabe des Einzelnen zu
Werke. Keine Pflanze und kein Baum durfte an ber
ihnen von ber Natur befchiedenen Eigenthuͤmlichkeit das
Mindefte einbüßen. Davon zeugen beſonders die Bor:
gründe feiner Landfchaften, die, wie dem Kenner durch
ihre Kraft, auch dem Botaniker buch die Sorgfalt in
treuer Nahbildung ber verfchiedenen Pflanzengattungen
fi empfehlen. Gleiche Friſche und Kunſtfertigkeit zeich:
nete feine Bilder in Waſſer⸗ wie in Ölfarbe aus. Auch
Reben auf ihnen Licht und Schatten gemeiniglih in eis
nem recht relzenden Gegenfage und der blaue, buftige
Schimmer, den Mechau's Pinfel der Ferne abzugewinnen
wußte, gibt den Zauber ber Naturmwahrheit in feiner gan:
zen Fülle wieder. Sogar den einfachfien Landfchaften
wußte er, vermoͤge einer anziehenden Zufammenftellung
ober erfreulicher Lichteffecte, Leben und Seele zu erthei⸗
len, legtere auch oft hauptſaͤchlich aus finnvoller Staffage
bervorleuchten zu Hafen, deren große Wirkſamkeit fich
überhaupt in vielen feiner Landfchaften geltend macht.
Den bödften Werth aber behaupten immer feine Bilder
von weiterm Umfange. Die anfehnlichfte vielleicht unter
alten feinen Schöpfungen iſt die Ruhe auf der Flucht
nad Ägypten, mit ihren gewaltigen Eichenwipfeln im
Drei
ſten Werten.
BVorbergrunde, den herrlichen Gebirgsmaffen in der Mitte
und einer mit der Luft halbverfchmolzenen Ferne. Auch
auf bie, ben Gedanken des Künftlers ausfprecdhende Staf:
fage unter ber Eihe, Marla mit dem Kinde und So:
ſeph, tft die ruͤhmlichſte Sorgfalt verwendet.
Mechau rechnete biefe Landſchaft zu feinen gelungens
Aber erft nachdem der mit feinem Pinfel
häufig unzufriedene Künftler fie für einige Zeit beifeite
gefegt hatte. Schon ganz fertig, genügte fie ihm naͤm⸗
ih durchaus nicht, fodaß er foldhe zum zweiten Dale
in Arbeit nahm. Und es mar in ber That wun:
derbar, um wie viel größer und impofanter ihr Ein-
deud wurde, als er auf ihe Mehres in fchärfern Con:
traft geftellt und hauptſaͤchlich einen weit größern Raum
als zuvor In ihre Kerne zu bringen gewußt hatte.
Diefes Löftlihe Bild erinnert an ein, Angefichts beffelben
vorgefallenes drolliges Ereigniß. Der, ſeitdem auch ver:
ftordene, berühmte Baukuͤnſtler Weinbrenner aus Karls:
ruhe befuchte feinen alten werthen Freund Mechau und
ergögte fich befonders an dem wahrhaft geifl: und kunſt⸗
vollen Gemälde. Nur damit fehlen er fich nicht recht
befreunden zu können, daß der Kuͤnſtler zur Leitung und
zum Schuge der nach Ägypten Flüchtenden Engel ange:
bracht, deren Köpfchen mit den Flügeln allein fichtbar
find. Mechau mochte feines Freundes Miene eine Eins
wendung abmerten. Er drang daher in ihn, mit ber
Sprache gerade herauszugeben. „Ei, ei, Freund Mean”,
erwiberte Weindrenner in feiner fchwäbifchen Ausfprache,
„waſch werde zu diefche Engelsköpfche die Achelfchte ſage?“
„Dm, Hm!’ huſtete Mechau, „was kümmern mid die
Atheiften? Ich pflege nur für gute Chriften gu malen!’
Mechau farb im J. 1808. Ein Brief, den der das
mals in hohem Rufe fiehende Hiftorienmaler Gerhard
von Kügelgen, befage der vom Profeffor Haffe zu Leipzig
verfaßten trefflichen Biographie des Legtern, einen Monat
nach Mechau's Tode, am 16. Mai des gedachten Jah⸗
res, feinem Bruder, dem Landfchaftmaler Karl von Kuͤ⸗
gelgen fchrieb, nennt den Maler Mechau den erften Land:
ſchaftmaler in Deutfchland. Der gefühlvolle Kügelgen,
der leider 11 Jahr fpäter, nachdem er eben erſt auf dem
Punkt gelangt war, wo er der Sorgen wegen ber Zu:
kunft fich entbunden fühlte und noch bei voller Mannes:
kraft feiner Kunft und Familie mit aller ihm beiwohnens
den Liebe und Innigkeit zu leben dachte, das Opfer eines
Raubmoͤrders wurde, hatte diefem Urtheile in dem Briefe
noch hinzugefügt: „Sein (Mechau's) Hinſcheiden erfüllte
meine Seele mit der tiefſten Trauer, denn ich liebte ihn
fo ſehr als reg, 2 3 als Kirkiftier achtete.“
Henn uͤbttgens der’ Landſchaͤfter Friedtich genteinig>
lich jedes ſeiner Gebilde erſt durch einen eigenthuͤmlichen
Geiſt beleben zu muͤſſen glaubte, ſo traute Klengel ſogar
dem geringſten, willkuͤrlich von ihm abgeriſſenen Stud:
lein Landſchaft oder Witklichkeit im Augemeinen, daß
fein Pinſel naturgetren auf Papier oder Leinwand trug,
wie den einzelnen Theilen des zerfchnittenen Polypen ein
ſeckſtundiges Leben zw. Mechau hingegen, dieſes Leben
nicht anerfennend und auf der andern Seite die Natur:
ei inungen nie) für viel zu groß an ſich achtend, um
zu reinen, daß fie erſt einer auf Ftiedrichſs Wege ein:
zühauchenden Seele Bebürften, ließ ſich es angkligen fehl,
durch finnreiche Zufammienftellung dieſe Erſchtinungen zu
einem kunſtgerechten, höhern Leben zu berufen. 35.
Shakſpeare als Vermittler zweier Nationen. Bon Karl
Simrock. Probeband: Macbeth. Stuttgart, Cotta.
1842. Gr. 8. 26%, Mt.
Wir empfangen bier den erfreulichen Anfang eines Wertes,
das jedem Freunde bes. großen, Dichters und Jedem, für ben
die. Geifteöverwandtichaft ber Deutfchen und Briten Intereſſe
bat, nicht. anders als willlommen fein kann. Nach der Vor:
rede hat daffelbe die zwiefache Beflimmung, zuvoͤrderſt bahin zu
wirken, baß eben Shakſpeare der beiden Völkern gleich Lieb und
iſt und an bem fidh ihre Berwa am auffallend»
flen. exweiſt. noch ferner. zu ‚ifgem Bermittier gewählt BERN,
ſedann aber auch das, Verfländniß bes ‚Dichters bei beiden Ras
tionen upd feine Aneignung bei und weiter zu förbern, da man
ſich weder bet dem jetzigen Stande ber Fextkritik noch bei den
gangbaten Uberſetzungen und Erkläfungen beruhigen darf. Die
diefem doppelten! Zwecke entfprechende Ginridytung bes Bucht
beſteht darin, daß dem. engliſchen Text eine neue Üerfegung F
b efeüt und bei bein erſtern auf die allein authentifche
oligs Außgabe von 1623 zurüdgegangen wird, ohne damit die
enugung ſpaͤterer Editionen auszuſchließen. Im vorliegenden
Bande iſt für das Original, da die auf jene Ausgabe gteichkalls
gegründete „‚Victorial, Edition” von Sharles Anight den „Mat
betp‘’. noch nit enthielt. *),.ber von Delius mit fritiihen An-
merkungen herandgegebene Abdruck zum Grunde gelegt worden,
jedoch unter AÄbhuife Eleiner Nachlaͤſſigkeiten, weiche der übte
eferte Text bier und da wahrntgmen läßt, ſodaß manche Stel
len dem wirklichen Shakſpeare'ſchen Texte näher gebracht fein
bärften. Am Gphtuffe folgen deutſche Anmerkungen, ‚meiche theils |
rt» und Sacherklaͤrun eild ber Polemik ewidmet
ind. (inteitungen „zu jedem Ci e aber, die ben Stoff bei:
elben mit Erwähnung der Quellen befprecdhen, hat der Heraus⸗
geber nicht für nöthig erachtet, indem ex eins für allemal auf feine
Muellen des Ghalfpeare” (3 WBänbe, Berlin 1831) vermeift.
an kann, dergleichen gud), Fr entbehren, da man ſeibſt in
angelung des ee erks für eo —— ‚ans
dere Mittel findet, Namentlich bat Aler. 6 midt feinen „ ⸗
arklaͤrenben Anmerkungen za Shakſpeare's Dramen” (Leipzig 1342)
Wei denjenigen Gräden, deren Gtoffe auß Bagen iind Rovelien
endehnt finh, Zusgäge.öder vollſtaͤndige Mittpeilungen, ie .nab
ihrer Bebeutfaniteit ‚ beigefügt. Dagegen wäre es gut geweſen,
Seti ili er bereits erfchlenen.
‘ Shaffpearfs
in den Anmerkungen jebe wefenttiche Berichtigung des englifchen
Textes und jede Stelle ber Übertragung, wo bie Säge abſicht⸗
lich in abweichenden Sinne verbunden ober abgetheilt wurben,
mit kurzen Worten zur Sprache zu bringen.
Was nun bje Übeffegung betrifft, fo ſpricht für dieſelbe ſchot
ber * ——— Fed e Air ahder® Dramen
ir S. Widand’fchen Befdnfintatsgabeüberfruns und
baß biefes neue Unternehmen nichts weniger ald überflüffig ſei,
wirb von ihm in ber Vorrede nachgewieſen. Das Studium ber
Voß'ſchen lberfegungen, fagt er, hätte uns wenigftens Ichren
follen, wie man_nicht überfegen muͤſſe; aber bie Arbeiten Tiecks,
welcher hierüber nach feinen eigenen Außerungen body aufgefiärt
wäre, haben viele Fehler mit jenen gemein. Als foldye werben
genänht: allzu genaue Woͤrtlichkeit, durch die‘ er uns den Ger
‚ nuß mander Stellen vertümmert hat, während anbere wol ein
engeres Anfchließen an das Orlginal wünfchen laſſen; ferner
: Befangenheit in ber engtilghen Wortftellung und Ausdrucksweiſe;
endlich und hauptſaͤchlich Verfenfäng der Natur des bramatifchen
Verſes, der nie fo piel eichung bon ber gewoͤ en Wort⸗
: folge als der lyriſche nd er ? ihr Sn —A let⸗
ten Punktes, welchen wir am aueh
hrlichſten behandelt und burdy
Beifpiele aus Tieck's „Macheth“ und „Biel Lärmen um
Nichts" erläutert finden, macht der Verf. manche treffliche Be
merkung. Während es ſich von ſelbſt verſteht, daß Umſtettungen
der Wortſolge, die den Affect zu malen dienen, auch beim bras
matiſchen Dichter freiſtehen, iſt er außer dieſem Kalle tbeils
deshalb darin weit beſchraͤnkter, weit die dramatiſche Sprache
die des Lebens ift, welche vor ung von ıpirflichen Perfonen fd
geführt wird, wie es ihnen die Leidenfchaft oder dad augenblidk
liche Beduͤrfniß gebietet, und welche durch bie Geftattung zw
Verſen diefen Sharafter nicht verlieren kann, theit6 auch beds
wegen, weil, im Gegenfage des Inrifchen und epiſchen Bortrags,
deſſen langlameres Austönen dem Hörer Zeit gewährt, Dig zu
fammengehörenden Worte zu fammeln und für den Begriff zu’
rechtzuſtellen, bei der dramatiſchen Declamation Alles Moment
iſt und die Worte nach Lage und Stimmung des Sprecheuden
mehr ober minder raſch fließen muͤſſen. Diefen Unterſchitd hat
in übgrfehen,. indem ex dieſelben @efege, bie ex in feinen Keen
Is$yn n bes. Homer u. f. w. bewährt gefunden hatte, aud) b
hakſpeare's Dramen befolgte; und allerdings iſt es dieſes, fos
gar auf die Profa derfeiben angewandte Verfahren dat niche
allein, aber doch vornehmlich / wodurch feine üͤbertragungen, ihrer
Gediegenheit ungeachtet, fo wenig. genießbar werben mußten.
„Ss ſchien mir‘, fagt der Verf., „um fo nöthiger, diefen Ges
genfland zur — zu bringen, als jegt Wenige bavon zu
wiſſen fcheinen. &effing, Goethe und Schiffer mußten wot bas
von: man wirb in ihren eigenen für bie Baͤhne beftiuiikten:
Werken nicht einen Yall folder undrämatifchen Wortfteltuig fire
den; ebenſo wenig in ihren Überfegungen des Racine, Boltai
Shakſpeare. Dies ift ein großer und bieibender Vorzug
gallerfäen „Machety‘ vor allen den Überfedungen. At
. 8. von Sätegel bad dieſen Fehſer, wd er fonnte, md
ohne Bewußtſein vermieden. Ganz anders Med, beffen
Fr den Mangel des bdramtatifchen Verſes mit
Voß ſchen und Kaufmann'ſchen theilen. Die gänzliche
nung ber Ratur des dramatiſchen Berſes, bie durch
Stüde zieht, macht fle für bie Lecture witenvärtig,
—* Ge Darſtellung aber vdllig unbrauchbär. Wie ſehr
a der t
Blick zeigt, fie fei keine Tagtsgeburt, bertrexii berfelbt
| feine genügendbe Übertragung
piefes Drama befigen und auch die von Fied beforgte nur für
ine Worarbeit zu einem kanftigen deutfadd „Wacherh geiteh
Mhne, worauf er hit rähilichfer MWelcpeibenheit harzutfetk:
‚MEN die Kritik über bie: meinige ein gleiches Urtheit, fü wii:
ich mich gren berafigen, nur: auch mein’ Scherfiein beigefteuert
38 haben.” Wie ganz anders klingt das, als jenes pomphufte
Nachwort, in welchem ein kurz vorangegangener feger' aller
Ghakfpeare’fhen Dramen ſich recht naiv ruͤhmt, er habe das
Wert eines ganzen Menſchenlebens im Zeitalter der Eiſenbahnen
beinah in Jahresfriſt abgethan! Übrigens hat Simtock an ge:
dachter Stelle irrig erwähnt, daß bie von Tieck aufgenommene
Userfegung des ‚„‚Dacheth” ben Brafen Wolf von Baubdiffin-
zum Berf. habe. Denn unter ben im Nachworte zur zweiten
Ausgabe, Bd. 123, S. 400, namhuft gemudten Stüden, welche
vor dieſem überfeht worden, finden wie „Macbeth nicht, fons
dern „ein anderer überſetzer, der ſich nicht nennen will’, hat
nad ©. MI auch ihn vollendet, nachdem Tieck laut einer zur
erfien Ausgabe gemachten Bemerkung einen großen Thei ſeibſt
übertragen hatte. Daß jener Ungenannte feine verewigte Zoch:
ter geweſen, erfuhe man anderweit; bie legte Band aber bat
bei der zweiten Ausgabe, in welcher die Übertragung dieſes
Städs oft weſentlich von ber erften abweicht, wahrſcheinlich
wieder Tieck felbft angelegt.
Gin beftimmtes Verhaͤltniß der vorliegenden Überfegung zu
der Tieck'ſchen ergibt ſich aus der Verſchiedenheit ihres Ent:
ſtehens, welche dreifach iſt. Grftlih band fi Ziel nur im
Allgemeinen an das Metrum bes Originale und gebrauchte faſt
überall, wo ihm bie Verſe deffelden nicht ausreichten, die Kreis
heit, entweber einzelne Zeilen zu verlängern, oder auch ganze
Berſe hinzuzufügen. Simrock dagegen erlaubte ſich nur Außerft
felten, die Verſe des Originals in der Länge, wo bad Metrum
nicht ausgeſuͤlt ift, und noch weniger in ber Anzahl zu übers
ſchreiten: e® fragt ſich aber auch, ob er ſich hierin nicht zu ſehr
befchtäntt hat. Namentlich follte die Ausfüllung abgebrochener
Berfe wol nur dann Bedenken finden, wenn ber Inhalt einer
verkürzten Zeile ohne folche Abfonderung nicht den nöthigen Ein: |
druck machen, oder wenn eine neue Wendung ber Rebe fi im
weitergeienden Verſe zu wenig hervorheben würde. In beiden
Begicehungen rechtfertigt es fi z. B. vollkommen, daß unfer
Aberſeßzer in Banquo's Rede S. 20 den unvollſtaͤndigen Vers
„In’deepest consequenes nicht gleich Tieck durch Himneinziehung
von Worten aus der vorhergehenden und folgenden Zeile vers
längert bat; außer dergleichen Fällen aber darf unſers Erach⸗
tens blos das Beduͤrfniß einer treuen Übertragung enticheiben.
Ebenfo wäre Vermehrung der Verſe da nicht zulaͤſſig, wo bie
Rebe, welche fie bilden, eine größere Ausdehnung ihren
nothwendigen Charakter einbäßen würde. An jeber andern
Stelle dagegen, deren GSinn ſich mit allen dem kleinen Neben»
—— ee Due * einem a en —
nie malse gie ti d, in der Be dee als wie
hop fen" laͤßt, ſcheint es uns brfonbeto bei bramatiſchen Wer⸗
fen nicht nur erlaubt, fondern nfthig, einen Vers einzufchalten.
Man weade nicht ein, diefe Freihelt, werk fie emal gäftattet,
önnte fo’ gemisbraucdt werdet, daß dadurch an Kraft verloren |
gehen möchte, was bie Treue gewaͤnne. Zwar bleibt die Vers
meldung des Misbrauchs Yon dee andtheit und Gewiſſen⸗
haftigkeit des UÜberſteks abhängig, aber she diefe Eigenſchaf⸗
ten läßt fich bei aller Kenmtntb überhaupt nichts von ihm ers |
warted. Ferner war He um We Genfeßbarkeit bee dramati⸗
fen Sprache und um Entfernyuyg ven Anglicidmen nicht vors
zuͤglich beforgt, ſonderñ machfe eo auch in diefer Beziehung die
Axbett etwas leicht, indem er (aut ſeines Nachwortes der
An life nicht aldgte, Het der feinigen aber, wie es
; Witt befttimmtes Befeh befolgte. Nur darin lag ein Er
fdnderniß; daß er der Überfegurig, wie aus ben Anmetkincgen zer)
n Ausgabe hervorgeht, namenilich bei ben brei erſten Acten
die Foberung ftefte, nicht blos den Sinn des Originals wieber⸗
zugeben, ſondern and beſſen „wunberſame und zum Theil ins
correcte Sprache nachzuahmen. deſſen nahıa Sivtock
forgfäitig rauf Bebade, ein lesbaren und dem Geiſte der
race treuen dramatiſchen Vers zu liefern. Gine
dritte Verſchievencheio liegt endiich darin, daß Zied’s Überfegung
das Wert im Ganzen zu gewähren vermag,
ſedter vereinigt brei Eigenſchaften, weiche bei diefem Gefchäfte nıza
von einem Berein überarbeitet wusbe, in weldien der Ausau
zwiſchen drei Perfonen ihr zwar vortheilbaft werben könne
deſſen vielfache Bemüßtengen aber zuweilen vielleicht eine ge⸗
zwaͤngte Misbildung herbeifuͤhrten; wogegen Simrock fidy-mit
freierer Kraft dem Werke hinzugeben: und es mehr aus ehem
Su, zu Teaenn vermochte.
etradhtet man nun bie bemerkten Verhaͤltniſſe näher, fo
findet fi die Erſchwerung für unfern liberfeger f! m Bo
eriten Punkten beiweitem nicht durch den Vortheil aufgewogen,
der fi im dritten für ihn ergab. Wir muͤſſen daher das Bere
dienfi um fo höber anfchlagen, welches er fich durch bedeutende.
Berbefferung. feiner Worgänger unzweifelhaft erworben, und
baben es aur zu bedauern, daß zuweilen theils feine geoße Zus
rüdhaltung im Grgänzen ober Bermehren ber Verfe, theile:
fein: erfolgreiches Streben, einen fließenden dramatifcyen Bert
berzuftellen, merklich der Treue gefchadet, während freilich auch,
mancher Mangel hervorblickt, welchen man nicht auf Rechnung.
dieſer Umftände fegen Tann. Die meiffen Ausftelungen find im:
der That, ungeachtet ber großen im Ganzen fichtbaren Sorgfalt,
ih Bezug auf materielle Genauigkeit zu machen, es fei.
nun, daß der Wortſinn überhaupt nicht: getroffen, ober body,
unflar, unvollſtaͤndi ‚ober nicht Eräftig genug wiedergegeben
worden, ober daß Ginfchaltungen, abweichende Wendung oder
Verbindung ber Säge u. f. w. bie Treue verlegen. Ohne zu
jener falſchen Wörtlichteit binzuncigen, gegen weiche ſich dev.
Verf. in ber Vorrede nachdruͤcküch erklaͤrt hat, glauben wir body:
einer Arbeit, die fih für Überfegu n8 gibt, ein ſtrengeres Kefts
halten des Originals anfinnen zu müffen, als hier an einigen
Stellen zu finden iſt. „Vieles, fagt Zied, „muß in jeber.
Überfegung verloren geben, denn ber echte Schriftfteller lebt
und bichtet ganz in feiner Sprache und wird Gins mit ihr.”
Aber eben nur biefes „Müffen“, biefe wahre Notbwendigkeit
kann % - vechtfertigen. In ‚gleiten Sinne fagt
Heinrich Voß: „Dft bringt eine wörtliche Übertragung Steifheit,
Geziertheit, fragenhafte Bergertung, ja Unſinn hervor: in bies
fem Falle ſehe der Verdeutſcher, wie er, flatt zu uͤberſegen —
erſeze,“ Das Erſetzen ift aber aud erft dann erlaubt , wenn
jene Übelftände fich. nice andere vermeiden laffen. Kerner. bleibe
im Ausdrud ber vorliegenden Übertragung bier und ba me
etwas zu wuͤnſchen uͤbrig; doch kommt dies ſchon ſeitener vor.
. 4m wenigſten endlich wird gegen. den Versbau
‚ fein, und wo fich noch eine Unregelmaͤßigkeit finbet,, die zu
den
vermeiben geweſen waͤre, darf fie einem fo bewaͤhrten Bera
kuͤnſtler wenigſtens nicht als Rachlaͤſſigkeit Bear werben
: Unfere einzelnen Geinnerungen hier folgen zu Laffen, würde. me
weit führen, und wir behalten und deren Mittheitung auf einem:
andern Wege vor; fie können aber Keinem, ber die Schwierig⸗
keit der Aufgabe kennt, den hohen Genuß verfümmern, welchen
Denn unfer libers
feiten zufammentzeffen: ex begriff feine Aufgabe richtig,
ige völlig gewachſen und —** ch ni Pr Mi fen“
Von feinen gewandten Kürze wollen wir einige Beifpiele geben:
At 1, &c. 2 (8. 8):
Benor:
What a haste loske through his eye! So khould he look,
That senms- to speak thiage stwange.
In feinen Mugen welche Daft!
So blidt, wer Großes gu berichten Tommi,
Act 3, &. 2 (8. 56):
Macbeth:
To know uiy deed — 'iwere Dost mot Ruow myielfi.
Der Shut Bewaußtfein:, beffer Sein Vewußtfein.
&r. 3 (&. 68):
Doncatbain:
As sear in blaod',
Nachſtes Blut
The neiäree bloncy.
BuniäR am Bluten.
Kt 3, &. 4 (S. 104):
Macbeth:
I am in blood
Stept in se far, thats should I wade no mere,
Returniag were as tedious as ge ore.
So tief fie’ ih in Blut: mir wirb fo ſchwer
AS vorwärtswaten (don bie Wiederkehr.
Richt minder fat aber auch dem aufmerkfamen Lefer ber Fleiß
in die Augen, mit welchem ber Überfeger zu Gunſten des münd-
lichen Bortrags Härten und mögliche Wlisverfländniffe zu vers
meiden geſucht. Bier begegnen wir nicht jenen wiberwärtigen
Eiifionen, als deren Gipfel man, abgefehen von mancher Voß'⸗
ſchen Wendung , die Tieck'ſchen Worte „Daum 'nes Eootfen”
bezeichnen koͤnnte, würben fie nicht durch Hilſenberg's „b'gann
ein graͤulich Kämpfen’ noch überboten. Ebenſo iſt das Wert
von ungebührlicher Aufſchmuͤckung frei gehalten, wenn man ein
paar Stellen ausninmt, die aus ber faft zu ſtark benugten
Schiller’fchen Bearbeitung hineinfamen. Am gelungenften ſchei⸗
nen uns übrigens die britte, vierte und fechste Scene bes erften,
fowie die britte unb vierte bes zweiten Acts, ferner der britte
und fünfte Act, auch die beiden legten Scenen bes vierten.
Zum Schluſſe haben wir nur zu wünfdgen, daß ber Heraus»
geber alle andern Arbeiten, fo weit fie nicht etwa die würbig-
ften Denkmäler altbeutfcher Dichtung betreffen, bei Seite fegen
möge, um das glüdtich begonnene Werk mit berfelben Sorgfalt
zu Ende zu führen. Diefer Wunſch muß um fo lebhafter fein,
je weiter ber gleichzeitig angefangene beutfche Shaffpeare von
Keller und Rapp, fo viel man nad ben fünf erften Stüden
urtbeilen Tann, befonders im Ausbrud und Versbau zuruͤckſteht,
obwol die Erwartungen nicht geringe find, zu benen ber Name
bes erfigenannten Verfaſſers berechtigt. 55.
Betrahtungen.
Die That, in welcher. das handelnde Individuum verfchwins
bet, fpricht zu dem allgemeinen fittlihen Gefuͤhl. Zritt aber
das Perſoͤnliche heraus, fo tritt das Allgemeine, bie ſittliche
Macht zurüd, und nicht mehr die Vernunft ber Sache, fonbern
unfere Menſchlichkeit, unſere Theilnahme, unfer Mitleid eriangt
bie Herrfchaft. Der eingefangene Mörder ift dem allgemeinen
Daffe, dem Gefuͤhl der Rache verfallen, indem man nichts bes
denkt als fein Verbrechen; der Gntfprungene ruft das Mitleid
wach: man bentt ihn als WBerfolgten, wünfcht, er möchte ent:
tommen. („Kann er ſich body beffern 1”) Es ift ſehr gefähr:
lich, Maͤrtyrer zu machen; ſeibſt einer ſchlechten Sache gewinnt
das Maͤrtyrthum Anhänger.
Die Ermahnungen im „Robinſon Grufoe” und ähnlichen
abenteuerlichen @efchichten, welche die moralifdye Tendenz haben,
durch das Beiſpiel der erlittenen Unbilde und empfundenen Reue
junge Gemüther vom Abenteuerlichen abzufchreden, bewirken
ganz gewöhnlich das Gegentheil, indem fie bie Luft zum Abens
teuern reizen. Was ald das Boͤſe daran vorgeftellt wird, meint
bie junge Verwegenheit ja wol vermeiden und die phantaftifche
Roſe ohne jene Dornen pflüden zu koͤnnen. So geht ed mit
Tendenzen gemeinlich. Die beften Tendenzen dienen oft ber
fchlechteften Sache, und wenn man von dem Gchriftfteller flatt
Löbliher Thaten loͤbliche Tendenzen fobert, fo weiß man nicht,
was man wollen fol.
Diejenigen, welche am liebſten im Jenſeits leben, fei es
in bem der Vergangenheit, fei es in dem ber Zukunft, biefe
find es, die gewoͤhnlich auch am eifrigften nach dem dieffeitigen
Genuſſe trachten. Schwelgen in Tüßen Erinnerungen, Schwel⸗
gen in ſeligen Hoffnungen, Schwelgen im geſicherten Beſit ber
Gegenwart — dieſe Drei ſind Eins, der Lebenſtraum, in wel⸗
chem ſfich die ſchoͤne und romantiſche Seele genießt. Die Zeit
ber Schoͤnſeligkeit iſt aber voruͤber: ber Geiſt will ſich nicht
länger entfremdet bleiben, ſondern in wirklicher Gegenwart fich
ſelbſt befriedigen, inbem er das Vergangene und Zukünftige in
ber Gegenwart der Wirklichkeit zufammenfaßt.
Deine Stimmung gibt Allem, was bir erfcheint, Geſtalt,
Ton unb Farbe. Jedes, wenn dein ven voll Sehnſucht iſt,
erſcheint dir als der Gegenſtand deiner Wuͤnſche. Die Stim⸗
mung iſt der Oberonsſaft, der „getraͤufelt auf entſchlafene Wim⸗
pern, macht Mann und Weib in jede Greatur, bie fie zunaoͤchſt
erblidlen, toll vergafft”. Kommt zu der Einbildung dann ber
Eigenfinn und bie innere Übung und Gewoͤhnung des Vorſtel⸗
Iungsvermögens hinzu, fo wird die müßige Einbildung zur Wirk⸗
—Aã— zufällige Regung zur Begierde, die Stimmung zur
enfchaft.
Die ſchoͤnen Gefühle, die weichen Regungen bed Gemuͤths
find nicht ſtichhaltig. Im Helldunkel ber Stimmung, im Rabe
men des Innern täufchen fie ihren Beſiter, fcheinen Gold.
Heraus in die eckige Wirktichleit geworfen, werben fie oft fab,
ja lächerlich. Was ſtill empfunden vielleicht wahr gewefen, wirb
geäußert zum Komddienfpiel und führt, wenn man es bennoch
nicht opfern will, zur Heuchelei. Nur die Empfindung bes
Wahren, des gediegenen Inhalts, bes Rechten, Guten unb
Schönen ift der Form fähig und Tann ohne Selbitbetrug frei
ausgefprochen werben.
Genuß des Unſinnlichen und Genuß bes Sinnlichen ſtehen
in bderfelben Beit, wie in derfelben Perfönlichleit beieinander.
Das Mittelalter vertiefte fich ebenfo ſehr ins Geiſtige wie ins
Fleiſchliche. Im heutigen Rom noch begegnen einander finnliche
Beraufchung und ſchwaͤrmeriſche Froͤmmigkeit; Suͤnde und Buße,
ir Pr Sünde wechſeln. Sittlichkeit und Freiheit kann da
n n.
Das Abtreten des Schaufpielers iſt bekanntlich ſchwieriger
alt das Auftreten. Auch im Leben. Wenn ſich Zwei eine ſen⸗
timentale Scene vorgeſpielt haben und ber Eine muß endlich
leibhaft hinweggehen, fährt Leicht alle Illuſion zum Teufel. 48.
Literariſche Anzeige
Denkwürdigkeiten
Bermifdte Sheßften.
Vo
KR. AÆ. Varuhagen von Ente.
Zweite Auflage.
Qu ſechs Bänden.
Sether BIS dritter Band.
Gr. 12. Geh. 6 Thlr.
Die erften drei Bände der zweiten Auflage biefes intereflans
ten Werks enthalten „Dentwürbigteiten bes e *
Eebens“; der vierte bis ſechste Band werben B te
Schriften“ enthalten und ebenfalls in kurzer Zeit erfcheinen.
Bon der erften Folge ber erften Auflage (in vier Bänden) find
noch einzelne Bände zur Gompletirung, fowie ber fünfte und
ſechſte Banb in einigen Sremplaren vorräthig.
Reipzig, im Mai 1843,
S. A. Brockhaus,
Berantwortlier Herausgeber: Breinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. U. Brodhaus in Leipzig
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
7. Mai 1843.
Gharakterzäge und hiſtoriſche Bragmente aus dem Leben des Nb«
nigs von Preußen Friedrich Wiühelm II. Gefanmeit nad
eigenen Beobachtungen und ſelbſtgemachten Srfahrungen und
herausgegeben von R. F. Eylert. Erſter Shell. Magdeburg,
Deinridhehofen. 1842. Gr. 8. Preis für beide Theile 4 Thlr.
Das vielgelefene,, vielgelobte und weiterhin vielleicht
auch noch vielen Angriffen ausgeſetzte Buch, das wir bier
anzeigen, gehört jedenfalls zu den merkwürdigen und bes
achtenswertben, ja zu ben für die Kritik unumgänglichen
Erfcheinungen der Tagesliteratur. Beginnen wir bei ſei⸗
ser Beſprechung mit Dem, was eine zum Xudel aufge
legte Stimme dagegen vorzutragen vermag, um dann mit
um fo größerer Freudigkeit in feinem Lobe und feiner An:
erfenutnig enden zu können.
Der Biſchof Eplert, feit faſt 35 Jahren Hofgeiftlicher
und Beichtvater im evangelifhen MWortfinne bei dem hoch»
feligen Könige, ein Mann durch das ununterbrochene Ver:
trauen und die perfönliche Neigung Friedrich Wilhelm’s III.
geehrt, in den wichtigften Entwidelungsphafen der Ge:
ſchichte der evangelifchen Union felbfithätig, unternimmt
es bier, uns mit der Innern Geſchichte jenes unvergeßli⸗
chen Fürften, dem er fo nahe ftand, nach feinen Wahr:
nehmungen und nad) den Zagebüchern, in welchen er jede
wichtige Begebenheit feines Lebend und die bedeutendern
Unterrebuungen mit dem Könige fogleich zu firiren gewohnt
war, vertraut zu machen. Wer wollte an feiner Wahr:
haftigkeit und alfo an der Lauterkeit der Duelle zweifeln,
aus der und bier fo wichtige und erwünfchte Belehrung
herfließt? Und doch iſt der Hr. Verf. von vornherein in
einem Serthum befangen, der möglicherweife auf feine Dar:
fiellung eimen werderblichen Einfluß aushben konnte. So
wenigfieng Bann der Zabel fprechen! Der Verf. gebt von
dem Gedanken aus, daß der hochſelige König Friedrich
Wilhelm von Preußen von vielen, ja von den meiſten
Menſchen verkannt werden fei und als Menſch falfch be:
urtheilt werde. Der Hr. Bifchof tröfte und beruhige ſich
— der- Sag iſt gluͤcklicherweiſe wicht richtig. Hat er 1840
in Preußen nicht gelebt? Dat er ein Volk von 15 Mil:
lionen in feines Herzenstrauer nicht geſehen ? Dat er bie
heißen Thränen zu zählen vermocht, die diefem unvergeß⸗
lichen Kürfien, ich fage, aus der Seele feines Volks ge:
floſſen ſind IR in ganz Deutſchland, ja in der Wett,
auh nur Eine Stimme laut geworden, bie biefe tiefe
Zrauer nicht gerechtfertigt genannt bat? Iſt in feinem
Volke au nur ein Menſch anzusreffen, der an ber Alles
überragenden Gerechtigkeit, dieſer oberften aller Zürftens
tugenden, in der er felfenfelt war, an der Herzensguͤte, an
dem chriftlichen Ernſt des feligen Zürften zweifelte, und
bat der Dr. Verf. in einem großen Volke je ein fefteres
Bertrauen, einen unerfhütterlihern Slauben an die Zus
gend, die Liebe und die Menſchlichkeit feines Fürften ans
getzofien, als unter den Preußen für ihren König beftand?
ach biefen Einwürfen fragen wir, ob von Verkennung
eines ſolchen Kürften die Rede fein könne! Beſtaͤnde fie,
fie wäre eine Schmach; doch fie befteht und fie bes
ſtand nicht.
Es iſt died ein Irrthum, der allerdings auf die vors
liegende Darſtellung von Einfluß geweſen fein mag. Er
gab den Ideen des Biographen fofort eine polemifche Faͤr⸗
bung, nöthigte zu fhärferm Auftragen der Farben und
* zu einem Eifer Anlaß, dem es an anderm Grunde
ehlte.
Man kann vositer einwerfen, daß ber Verf. zu viel
fage, um nichts zu verfäumen. In Friedrich Wilhelm
durchdrang ſich der König und der Menfh in einem
Grade, wie er felsen angetroffen wird. Inden ber Verf.
nad) feinem geiſtlichen Standpunkte den Menfchen zu ent
ſchieden ins Auge faßt, verſaͤumt und benachtheiligt er den
König, Vieles von Dem, was er Preifendes von dem Ver⸗
Rorbenen fagt, manche derjenigen Eigenfchaften bes Geis
fies und der Seele, die ex ruͤhmt, gehören geradehin zu
denen, deren Abweſenheit fofort der DBegeiff der Untugend
dargeſtellt haben würden. Won mancher andern geruͤhm⸗
ten Eigenſchaft laͤßt fi fagen, daß fie den Menfchen
jiere, den König aber nicht Thmüde Wir wollen uns
nur an einem Punkte deutlicher machen. Die durchaus
chriſtliche Wefignation des Könige wird gepriefen: es
erhebt fi, aber die Frage, ob ein König refignirt fein folle,
in dem Sinne, wie biefe Seeleneigenfcaft etwa einen
Miffionnair odes den Vorſtehor einer Bruͤdergemeinde zie⸗
von mürde? Dan kann fügen: ein König folle handeln,
‚wirken bis zum lebten Moment der Selbflaufopferung.
Wir find der Meinung, der Verf. gebe hier, verleitet von
feinem fubjeetiven Standpunkte, zu weit, um nicht Einis
geä an feinem hiftorifchen Gewicht zu verlieren.
Es kann endlih der Einwurf gemacht werben, bie
ganze Form der Darftelung ſei verfehlt. Der Vortrag
entlehnt feine Beftalt durchaus von der typifchen Form
einer Gedaͤchtnißrede. Er reiht, wie fie fich dem Geiſte
barflellen, die einzelnen Seeleneigenfhaften, Gemuͤths⸗ und
Verftandesanlagen, ohne alles pragmatiſche Bindemittel,
mit ziemlicher Willkür aneinander umd begleitet diefelben
mit der Erzählung einzelner Züge, Anekdoten und Au:
Gerungen des Königs, ohne Ruͤckſicht auf hiſtoriſche Reihe:
folge, ohne Rüdblid auf Jugend oder Alter, auf glüd:
tiche oder unglüdtiche Lage, auf Umgebung, Zeit, Ort,
Entwidelung des innern Individuums und feines Mo:
ments in der fubjectiven Gefchichte.
Dies ift ein wefentliches Bedenken und es dringt fich
ung die Anfiht auf, daß es wol zweckmaͤßiger und befier
gewefen fein möchte, wenn der Verf. den Typus der Ges
bächtnißrede bei feiner Arbeit aufgegeben und flatt deffen
den der biographifchen Behandlung angenommen haben
möchte. Doc er wollte keine Biographie ſchreiben. Er
follte auch nicht; aber es gab einen Mittelweg zwiſchen
Gedaͤchtnißſchrift und Lebensbefchreibtung — und biefen zu
finden, war die Aufgabe.
Wie find mit unfern Ausftellungen zu Ende und
fügen hinzu, daß bdiefe Erinnerungen nicht fowol die unſe⸗
rigen als ſolche find, welche der Geift der jüngern Kritik
etwa erheben koͤnnte. Mit voller Seele treten wir nun
zu dem trefflichen und Löftlihen Buche, um uns feiner
und feines Gegenftandes mit allen menfchlidyen Gefühlen
zu erfreuen.
Aus dem Standpunkte des Verf. war zunaͤchſt zu er:
warten, daß wir Sriedrih Wilhelm III. mehr als Menſch
und FZürft denn als Regent, Heerführer und Staatsober⸗
Haupt gezeichnet fehen würden. In der That tritt ber
Iegte Charakter auch kaum in drei oder vier Zügen fo her:
vor, daß er für die politifche Gefchichte des deutfchen Va⸗
terlandes neu und bedeutend beleuchtet würde. Die Mit:
theilung biefer wenigen Züge verdient Dank; allein bie
Empfindung miſcht fid) mit dem Gedanken, daß der Verf,
ſelbſt mit voller Feſthaltung feines Standpunktes, in die:
fer Beziehung mol hätte etwas freigebiger fein koͤnnen,
um ein reicheres Maß des Dankes, der ihm gebübet, eins
zuſammeln. Won diefen Zügen müflen wie zuvoͤrderſt ef:
nige erwähnen. Als die erheblichfte Mittheilung diefer Art
tritt uns bier entgegen, was über den Allianztractat von
1813 mit Frankreich zu unferer Kenntniß gebracht wird.
Dem hellen, wir möchten fagen, dem prophetiſchen Blicke
des Königs lag in diefer verwirrten Lage der Dinge, in
welcher feine Näthe Leinen oder nur einen verzweifelten
und hoffnungslofen Ausweg fahen, die Zukunft wie ein
offenes Buch vor Augen; der Entfhluß, der allein zum
Heite führen konnte und deſſen Grundlage Selbflüber:
windung hieß, dieſer Entſchluß ging auch allein von dem
Könige aus. Der Himmel meiß es, wie ſcharf und viel:
fach der edle Fürft dieſerhalb getadelt und angegriffen wor:
den iſt. Die Gefchichte iſt indeſſen abgerollt und mas
liegt nun vor uns? Nichts Anderes, ale daß des Königs
Entſchluß der allein richtige war. Denn wie, kann man
fragen, wie wenn ber König, dem Drängen feiner Räthe
folgend, zu Rußland übertrat, wenn er, in natürlicher
Folge biervon, mit feiner Armee Über ben Niemen zuruͤck⸗
trat, wie wenn Napoleon, dort angelangt, Rußland den
Frieden bot, um Preußen als ein im Kriege erobertes
Land zu behandeln? Wir haben in frübern Nummern
d. BI. das Urtheil eines Mannes von einigem Blick in
der Politit über den König Friedrich Wilhelm III. ange
teoffen, das uns im erfien Eindrud tief berührt, bei fer
nerm Nachdenken aber mit Unwillen erfüllt bat. Wie ?
Ein Fürft wie biefer, ein Geiſt fo Heil und ſelbſtbewußt,
daß er in jener Eritifchen Epoche den falfchen Rath, ber
fih an fein Gemüth wendete, von dem richtigen, der nur
zum Verſtande ſprach, fo genau zu unterfcheiden mußte,
ein Mann von foldyer Energie des Geiſtes, daß er gegen
den Rath feiner ganzen Umgebung, ja gegen feine eigenen
Wuͤnſche, den einzigen beilbringenden Entſchluß zu faffen
vermochte, aller Verkennung, aller Nachrede zum Trotz —
ein folcher Fuͤrſt fol, wie dort behauptet wird, das aͤngſti⸗
gende Gefühl feiner Ungenügenheit lebenslang mit ſich
herumgetragen haben und darım fcheu und muͤrriſch ge:
weſen fein? Edler Geiſt des Unvergeßlichen — vergib jenem
Schreiber, der weder dich felbft noch dein fchönes Gott:
vertrauen zu erkennen ober zu würdigen geroußt bat, ver:
gib diefen feinem großen Irrthum!
Wir haben längft zugegeben, daß Friedrih Milhelm
kein macedoniſcher Züngling war, der für einen Schlach⸗
tenkranz das Wohl feines Reichs in die Schanze ſchlug.
Wäre er König Alerander geweſen, fo wuͤrden wir wol
ſchwerlich die herrliche Stelle In dieſem Buche Iefen, wo
er den Ruhm des Sieges von Kulm, den die Volkstra⸗
bitton ihm ohne Widerſpruch zufchried, ganz und gar von
fi ablehnt und ihn allein dem Zufall deimißt. Diefe
Stelle iſt das zweite merkwuͤrdige hiſtoriſche Fragment,
das wir hervorheben. Die Wahrheitsliebe und die Be:
fheidenheit des Königs feiern in ihr einen vereinigten.
Triumph.
Man Hat — fagte der König ungefähr — i
Kulm mir und meinen Xnorbnungen — — die
Sache ift faſt zur Bollstrabition geworben. Es ift nichts Wah⸗
res daran. 3% fand mit dem Kaiſer Alerander auf ber Höbe
bes Schloßberges von Teplit, um dem Portgange bed Kampfes
zwifchen Oflermann und Banbamme zujufehen; da brach, auf
feinem Rüdzuge begriffen, Kieift, einen Ausweg fuchenb, bei
Nollendorf hervor, griff den Feind muthig an und ber Sieg wer
Folge bes muthigen Entſchluſſes, Folge eines gluͤcklichen Zufalls.
Außer diefen begegnen uns über hiſtoriſch bedeutende
Mendepunkte kaum andere anzuführende Mittheilungen.
Für die innere Natur des Königs war freilich die in dem
Ungluͤcksjahren zu Königsberg entflandene vertraute Be:
kanntſchaft mit dem nachherigen Erzbifchof Borowski rin
fehr entfcheidendee Moment. In der apoftelifchen Strenge
und Sicherheit diefes Mannes, für den Friedrich Wilhelm
bie tieffte Verehrung fühlte, fand ber bis dahin ſchwan⸗
kende Wille des Könige einen Kern von Sicherheit und
Sottesvertrauen, die ihm nie wieder verließen. Er gefteht
bied felbft und feine Handlungen bezeugen es. Wie viel
verdankt Preußen und mit ihm Deutfchland dem feften
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. ftelen Wort diefe® Mannes, weicher der beginnenden Wie:
dergeburt des Staats gleichſam eine seltglöfe Grundidee
unterzulegen wußte. Wie ſchoͤn aber auch behauptet ſich
Die Pietät des Könige gegen dieſen feinen Seelenpfleger,
den er auffuchen mußte, weil er ſich nicht in das Haus
der Rönige drängte! Das innige Verhältni zu dem ruf:
ſiſchen Kaifechaufe, welches fi am treueften in dem Be⸗
fuch der Kaiferin » Mutter zu Potsdam (1827) abbildet,
iſt hier als ethe wenigftens halbpolitiſche Mittheilung gleich
falls zu erwähnen. Hiermit aber endet auc beinahe, was
wie als hiſtotiſch Wichtiges, als gefchichtlich Bedeutendes
aus diefem Buche auszuheben haben; in allem Übrigen
teitt und zunaͤchſt das Humane, das Weinindividuelle Dies
ſes Zürften entgegen, ſodaß wir durch dies Medium erſt
den Koͤnig und den Regenten ins Auge faſſen.
Wir haben ſchon bemerkt, daß der Verf. ſein Thema
in der Form einer Gedaͤchtnißrede abhandelt, den pragma⸗
tiſchen Standpunkt aber gaͤnzlich aufgibt. Die einzelnen
Eigenſchaften des Verſtandes, des Herzens, der Seele auf:
faffend, trägt er nacheinander diejenigen Züge vor, welche
über diefe Eigenfchaften bei Friedrich Wilhelm III. Licht
verbreiten, fie modificiren oder auch fie in Abrebe ſtellen.
Mit der Geſtalt beginnend, geht er zur geiftigen Eigen:
thuͤmlichkeit, von diefer zum Charakter über und be:
richtet im vierten und lebten Abſchnitt von des Könige
Zuruͤckgezogenheit in feinen Gärten. Dieſer legte Ab:
fchnitt enthält die koſtbare, viel bekannt gewordene Mit-
theilung über Friedrich's des Großen letztes Gefpräd mit
dem Könige.
Die Einfachheit des Fürften In Lebensweife und Au:
Serer Erſcheinung iſt ſehr bekannt und wird in humori⸗
fifchen Zügen, die jeder Preuße kennt, belegt. Hoͤchſt an:
mutbig und flet# wuͤrdevoll waren feine Handbewegungen
(Geſten), dagegen war die Stimme unſchoͤn und feine
Sprachweiſe, wie bekannt, aphoriſtiſch, concentrirt und oft
ſchwer verſtaͤndlich. Entſchieden war feine Abneigung ge:
gen Schoͤnrednerei und Phraſen; aber der Verf. liefert
häufige Zeugniſſe, wie wirkungsvoil, fließend und ſchoͤn ber
König zu reden wußte, wenn eine warme Überzeugung
ihn erfüllte und die Umgebung zu feiner Stimmung
paßte. In Speife und Genuß der Geregeitfie und Maͤ⸗
Siofte, hat ihn nie Jemand irgendwie das Maß über:
ſchreiten ſehen.
An die Spitze ſeiner intellectuellen Eigenthuͤmlichkeit
ſtellt der Verf. das hohe Maß natürlichen, gefunden Ver⸗
ſtandes, der mit richtigem Blick, gerecht, mild und ſcharf⸗
ſichtig in entſcheidenden Momenten und bei kritiſchen Ent⸗
ſchlüffen faſt ohne Ausnahme das Richtigſte zu treffen
wußie. Dies iſt gerade einer von den Punkten, bei wel⸗
chen der Biograph gegen Praͤventionen, die faſt zur Glau⸗
bensſache geworden find, anzukaͤmpfen finde. Man hat
dem Könige wol allgemein Scharfblick und gutes Urtheit,
nicht aber die Energie des Geiſtes zugefprochen, welche da:
zu gehört, feinem Urtheil wirkſame Geltung zu verſchaffen.
Es ſcheint uns, daß diefe Meinung fehr zu mobificiren
ſei. Friedrich MWithelm III. beſaß viel Reſignation und
viel Beſcheidenheit; allein wo irgend es darauf ankam,
als Koͤnig zu entſcheiden, in Dingen, wo er ſeinem indi⸗
viduellen Urtheile trauen durfte, weil es auf techniſches
Wiſſen nicht ankam, da fiel es ihm nicht ſchwer, ſelbſt
gegen die Anſicht aller ſeiner Raͤthe an gefaßten Entſchlie⸗
ßungen unbeugſam feſtzuhalten. Schreiber dieſes kennt
davon ein merkwuͤrdiges Beiſpiel, das hier nicht erzählt
iſt und zu beffen Mitthellung die Zeit überhaupt nicht ges
kommen ift; allein für ihn iſt bie Feſtigkeit des Koͤnigs
in Entſchluͤſſen, die nicht auf befonderer Wiffenfchaft bas
firten — benn in dieſem traute er feiner Einficht wenig
zu — eine ungmeifelhafte Thatfahe. Der Wig des Kb:
nigs, ber in engem und erwähltem Kreife oft gutmüthig
fpielte, trat niemals verwundend auf; in diefer Beziehung
wohnte ihm ein Zartfinn bei, der von alle Dem empfind>
lich berührt wurde, was irgend eine Perfönlichleit oder
auch feinen Begriff von gutem Gefhmad und Anftand
verletzend ſtreifte. Wigjäger duldete er nicht in feiner
Nähe, ein geſchmackloſes Wort und vollends eine Schluͤ⸗
pfrigleit vermochten ihn in beiterfter Laune fofort zu ver:
flimmen; ein gutes Scherzwort feiner Vertrauten dagegen
machte ihm Freude und er war ſelbſt damit nicht Earg.
Friedrich Wilhelm war in ber That zu tief religiös,
die ganze Stimmung feines Weſens war bem praftifchen
Chriftenthum zu fehr zugewendet, als baf er an den Ent:
widelungen der modernen Philoſophie einen tiefer einge:
benden Antheil hätte nehmen koͤnnen. Wie fo Viele,
hatte er mit Kant abgefchlofien; was darüber hinauslag,
galt ihm wenig, doch nur für feine Perſon; denn für
die Miffenfchaft uͤberhaupt ließ er auch biefem Streben
volle Gerechtigkeit widerfahren. Ex berief Fichte nach
Berlin und fliftete auf Beyme's Math die Univerſitaͤt
Berlin mit koͤniglicher Munificenz. Einen gleichen Ans
theil brachte er der Kunft entgegen; fein fletes Streben
aber ging dahin, bei ſich felbft die Einbildungskraft, in
der die Kunftbegeifterung vouzzelt, zu zügeln und einzu:
ſchraͤnken. Das rein Phantaftiiche mar feinem Naturſinn
zuwider und oft fagte er: Phantaften kann ich nicht brau⸗
chen, und „Phantafus war ein Bruder des Morpheus”
pflegte ex binzuzufegen. Bei dieſer Zügelung der Phan⸗
tafie, in der er den Keim der Sünbe entdedte, war und
blieb fein Gedaͤchtniß ſtaunenswerth. Es iſt jedem Preus
Ben bekannt, daß der König nicht blos jede einmal gefe:
bene Phyfiognomie fofort wiebererfannte, fondern mit ihr
zugleich an alles Das erinnert wurde, was mit biefer Pers
foͤnlichkeit in einer ihm je befannt geweſenen Verbindung
fand. Der Verf. berichtet davon merkwuͤrdige Beiſpiele,
an deren Nichtigkeit wir gar nicht zweifeln. Er erkannte
einzelne Soldaten nach 18 Jahren wieder und wußte bie
Mehrzahl feiner Gardiften beim Namen zu nennen. Pie
vergaß er einen Dienft, nie die befondern Verhaͤltniſſe ei:
nee Perfon, die ihm jemals näher geftanden hatte; was
er las und hörte, faßte der ganze Menfh auf und behielt
eö auf immer. Der Verf. fagt hierüber ſchoͤne Worte :
Das Gedaͤchtniß des Königs war darum fo treu, weil fein
Herz treu war; was er Mar aufgefaßt hatte, ruhte wohlver⸗
wahrt in biefem. Da er nur bie flillen, fanften und ſchuldlo⸗
fen $reuden einer ber Vernunft und bem Gewiflen untergeorb-
Phanta te, jele nah Faͤuſchungen aber an
Im —— murben, 10 war Raum in feiner Serie für ein
flarkes Gedaͤchtniß.
Diefer Sag Ift wahr; Phantaften entbehren des Ges
daͤchtnifſes.
Unter den Eigenthuͤmlichkeiten feines Charakters trat
zunaͤchſt ein bis zur hoͤchſten Strenge gefkeigertre Wahr:
heitsfinn hervor, ein natürlicher Daß der Lüge und aller
ihrer Abarten, der Schmeichelei, der Phrafeologie, der ver:
Beidenden Wortmacherei. Sein Anblid, fein ruhiges Auge
fhon foderte Jeden, der zu ihm trat, zur Wahrhaftigkeit
auf und nur der Wahrhafte war ficher ihm zu gefallen ;
denn feine Erkenntniß für diefe Eigenfchaft war außeror⸗
dentlich ſcharf. Dffenes ober verſtecktes Lob abzumeifen,
war feiner Natur nothmwendig; nah dem Siege von Leip⸗
jig, beim Einmarſch in Paris, beim triumphirenden Heim⸗
zuge börte man ihn ernft und feierlich fagen: „Nicht
uns, nicht uns; Gott allein die Ehre!” Im ltiefſten
Grunde der Seele aber verhaßt war ihm Schmeichelei im
Munde der BSeiftlihen, im Gotteshaufe. Hierzu werden
tharafteriftifche Belege geliefert; von einem Geiſtlichen, ber
in einer Anrede an Ihn des Lobes etwas viel vernehmen
ließ, wandte der König filh mit den Worten ab: „Das
iſt nie zum Aushalten, der Wann fast ja Unwahrhei:
tm!” As Friedrich Wilhelm 1809, von Konigsberg zu:
ruͤchgekehrt, zum erflen Dale in Potsdam wieder das hei:
fige Abendmahl genoß, floß dem geruͤhrten Verf. das Der;
über, Der König ruͤgte das ihm gefpendete Lob, der Verf.
vertheidigte feine Anfiht mit der Situation; allein Frie⸗
drich Wilhelm erwiderte: „In der Kirche gibt es keinen
König!” und bat freundlich, es, wenn es denn fein müͤſſe,
beim Lobe kuͤnftig wenigſtens gnaͤdig zu machen! So
mild, fo zartfuͤhlend war diefer ſeltene FJuͤrſt. Der Werth
dieſer Eigenfchaften aber wählt, wenn wir fie gegenüber:
ſtellen derjenigen Feſtigkeit feiner Seele, in melche er mit:
tels einer ſchweren Schule des Ungluͤcks ſich wahrhaft
praktiſch hineingelobt hatte. „Feſt in der Sache, mild in
der Torm”, dies war der Wahifpruch feines ganıen We⸗
fens, in welchem ſich Emtfchiebenheit und Sanfemuth fo
‚wie felten in einen Menſchengeiſt durchdrangen umd ge:
:genfeitig trugen.
Der heitere Glaube an die Menfchheit war in der
zreeiten Hälfte feines Lebens vor den bitten Erfahrungen
des Undanks und der Selbſtſucht der Welt gewichen; das
Mistrauen uͤberwog, aber es konnte weder ſeine Treue
noch feinen Sinn für Wohlthaͤtigkeit wankend machen.
Wir erfahren hier — und es mag beſonders am Rheine
fuͤr eine Lehre gelten — was den Koͤnig in dem beruͤhm⸗
ten Fonk'ſchen Proceß mit unbeſieglichem Mistrauen gegen
den Spruch der Geſchworenen erfuͤllte. Es war berichtet
worden, daß die Anklaͤger Fonk's am Tage ſeiner Verur⸗
theilung ein Ballfeſt angeordnet hatten. Der Koͤnig war
hoͤchſt gereizt hieruͤber.
„Erſchrechlich!“ rief er aus, „ſich zu freuen, wenn ein
Menſch zum Tode verurtheilt wird! Wo folde Gefühle und
Fußerungen hervorbrechen, da herrſcht Leidenſchaft, Parteigeift
und die Wahrheit fehlte. Bott fol mich behüten — mein Ges
wiffen erlaubt e8 nit — und nie beflätigte er dies Urtheit.
Die Big non Depmögüte, ‚hie der Verf. Yeridzten,
kshen (ich, verhaudertfuͤltigan; ser wurde nicht müde, ‚ge
geben und zu gewaͤhren, wrotz feiner Überzenguns, daß fh
auf den Glauben an die Menſchheit, mie er ſagte, „nick
niel pechen lafie”. Miemand kann ohne innige Ruͤhrung
leſen, was der Verf. Über die Frier detz funfzigabriges
Jubluuma des Generala u. Koderitz, Friedrich Bilbenn
teeneſten Freudes, berichtet. In dieſem Zeit, das her Ka⸗
als ganz und allein leitete und ordnete, feiern fuͤcſtlich⸗
Großmuth und Bossfinn ihren Aciunph; leidet müſſen
wir dem Leſer überlaſſen dieſe smpergfeidliche Erzaͤhlug
©. 114 — 121 ſelbſt nachuleſen, da ſie hier zu nie
Raum erfüllen wurde.
Der König Uebte in des Bezeigungen feine Erfienag
lichkeit vor allen Dingen hie Ähechaßhung; ve diefer Van
liche erzählt der Verf. ein anzichendes Beiſpiel amd dem
Lehen Miemeyer's. Diefer feinste fein funfzigiährigeh Dien-
feſt; fein hoͤchſter Wunf mar es, mit dieſem Lie Self
tung eines ‚eigenem Gebäudes fuͤr die Univerſitaͤt Halle wer
bunden zu ſehen. Er teng dem Könige, der ihm ſchaͤ,
den legten Wunſch feines Lebens perſoͤnlich vor. Umſobſt;
Friedrich Wilhelm entgeguete: Non habeo pecunissn, wie -
fein Ältervater zu fagen liebte. Aber fein tuenes Gerächenis
hatte ben Tag des Feſtos mahl geinerkt, und zu Tag umd
Stunde kam die Bewilligung von 40,000 Thalern fir ein
Univerfitätägebiude zu Halle bei dem uͤbexraſchten Gefeier⸗
ten an. AÄhaliches erlebte dor Verf. mehr als einmal af,
und mis ſchoͤn, mie zartfiunig, aber auch wie fcharffichtig
der König abfchlug und gewährte, erfuhr er gleickfaiie an
ſich fetbft, als er 1815, durch Umſtaͤnde verſtimmt, obne
volle Erwägung einſt um Dienfiverfegung gebeten hatee.
Man muß dies lefen, um bie ganze Uhte and den gan:
zen fehlen und ſcharfen Geiſt des Koͤnigs ganz zu würkis
gen, der hefler erlunnte als die Bittenden, was treien
Dienern frommte und maß nicht.
Mir übergeben hier, was bee Verf. Anzichendes von
ben Arbeiten der bekannten lithurgiſchen Commiſſion und
über den ehrwuͤrdigen Sack, des Könige Religlonslehrer,
mättheils, um nur zu erwaͤhnen, daß nicht blos der erſte
Gedanke der enangelifhen Unien in der Seele des Könige
feinen Urſprung genommen, ſondern auch, Daß die Camps
wiſſion fortwährend umter den Augen Friedrich Wilhams
felbit wirkte und arbeitete, ber diefer Arbeit einen nicht nach⸗
lafienden Fleiß und eine hoͤchſt muͤhevolle Leitung wihmete.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Rotiz.
Bon Ambroiſe Firmin Dibot's „ Bibliothdque greeque * er:
ſchien in Paris ein neuer Band, welcher die Scholien zum Ari fto-
phanes entpält. Sie find aufs neus mit den Manufcripten vers
glidden und durch zahlreiche, bisher noch nicht herausgegebene und
aus mehren Manufcripten ber koͤniglichen Sibliothek ausgezogene
vermehrt worden. Großen Werth verleiht diefer Oammiım
noch ber weitläufige Commentar von Dinborf und Duͤbner, a
ein immenfer Inder, worin ſelbſt die kleinſten Details, weiche
in dem Zerte des Ariffoppanes und in ben Scholien norlommen,
aufgeführt find. Diefe mühfelige Arbeit bat Dübner mit Ges
ſchick und großer Belehrfamkeit zu Stande gebracht. 18,
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von 8. X. Brodhaus in Leipzig.
- Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Montag,
— Rr 128 — 8. Mai 1843,
Die Schule des Ungluͤcks war für Friedrich Wilhelm
zu einer Lehrerin in der Kunft, zu verzeihen und zu ver⸗
geffen, geworden; aus der Thraͤnenſaat, in Königsberg vers
goffen, und von dem warmen Anhauch chriſtlicher Milde,
wie fie von Borowski ausging, keimte für ihn die fchönfte
menfchliche Tugend, die ber Großmuth. In ihrem voll:
fien Glanze erfchien diefe Seelmeigenfchaft des Könige in
dem Verhalten gegen den befannten Oberft v. Maflenbach.
Man weiß, zu welchen ſchweren Berirrungen die Leiden:
fchaft diefen Mann hingerifjen hatte; mie tief, wie blutig
er das Herz des Königs in einer Epoche verlegt hatte,
wo das Unglüd mit feiner ganzen erdrüdenden Wucht
auf ihn einftürzte, und wo feine Seele um feines Volks
willen in tieffter Trauer lag. Zu dieſer notorifchen Ge:
ſchichte erzähle der Verf., ein naher Bekannter Maffen-
bach's, noch unbekannte Züge; wir erfahren, daß er die
unbegreiflichen, verlegenden Zufchriften an den König, an
Stein u. ſ. w. dem Verf. zuvor zeigte, und daß diefer nicht
im Stande wär, ihn von ihrer Abfendung zurüdzuhalten.
Genug, der Verf. der „Denkwürbigkeiten”, der Diefelben
mit Drohungen dem Könige ſelbſt uͤberſchickt hatte, faß,
zu vierzgehnjähriger Feſtungsſtrafe verurtheilt, in Glatz, wo
er feine tolle Verbiendung in leichter Haft büßte. Auf ein»
mal, Jedermann ein Räthfel, erfhien fein Sohn in Ber:
lin bei dem General v. Wisleben, dringend um eine Aus
dienz beim Könige bittend, um ihm für die Freilaſſung
feines Vaters zu danken. Alle Welt erflaunte, Niemand
wußte das Mindefle von diefer Wendung der Sache, Der
König lag krank an dem belannten Beindruch darnieder.
Der Berf. faß gerade an feinem Bette, als v. Wipleben
eintrat, um den ganzen Vorgang zu berichten. Der Rd:
nig, fanft erröchend, antwortete: die Sache hat ihre Rich:
tigkeit. Er erzählte dann, daß er in einer fchlaflofen Nacht
ſich gefragt habe, wer fi am ſchwerſten an. ibm ver:
gangen habe, um nad den Worten des Evangeliums dies
fem feinem Feinde von Herzen zu vergeben. Da fet ihn
Maſſenbach eingefallen und fofort habe er Papier und
Feder gefodert und, um alles Gerede zu vermeiden, ſelbſt
Die Drdre feiner Steilaffung an den Commandanten ges
fchrieben und abgefendet.
„Scenen lieb’ ich nidgt”, fuhr er fort, „aber fagen Sie
dem Sohne, ich ließe feinem Vater wuͤnſchen, daß er in feiner
Familie nun ruhig und gluͤcklich lebe — Alles fei vergeben unb
vergeffen. Es ift mir lieb, daß es fich fo von ſelbſt gemacht hat.“
Mir haben wenigftens biefen Zug aus dem Leben des
gerechten Königs mit einigem Detail berichten wollen; je⸗
der Lefer aber wird fich freuen, ihn in voller Ausführliche
keit beim Verf. ſelbſt nachzuleſen. Friedrich Wilhelm war
durch Leiden zu jener Milde der Seele geführt, die der
ſtets Gluͤckliche ſelten kennt. Für feinen Lehrer in biefer
Tugend, für den Biſchof Borowski bemahrte der König
fein Leben hindurch eine treueſte Verehrung.
„&ie müffen fi) den Borowski denken“, fagte er zu bem
Verf., „wie einen Propheten bes Alten, einen Apoſtel des Neuen
Teſtaments — jedenfalls als das Urbild feines Standes; fein
Beruf war ſeine Natur geworden. Gerade dies vermiſſe ich ſo
oft an evangeliſchen Geiſtlichen; jeder Stand hat feine abge
ſchloſſene Sphaͤre, ſeine Form, ſeine Begrenzung; der Soldat
dieſe, der Juriſt jene. Dagegen ſinde ich in der evangeliſchen
Geiſtlichkeit unſerer Zeit eine ſicht⸗ und fuͤhlbare Zerfloſſenheit,
ein Schwanken, Rathen, Waͤhnen und Meinen, bei dem Einen
fo, bei dem Andern fo gefärbt in wechſelnden Zeitideen. Stag⸗
nation taugt nicht, allein ein unbeftändiger Wechſel laͤßt zuletzt
allen Grund und Boden verlieren.”
Der König führte dies Thema weit aus, im wunder;
barften Schmud der Einfachheit‘ und Überzeugung. Dies
fee fo tief veligiöfe Geift bewahrte ſich dur alle Pruͤfun⸗
gen feines Lebens die heiterfle Kindlichkeit der Seele. Im
Eleinen Kreiſe feiner DVertrauten kam mancher heitere Zug
freundlichfter Laune zum Vorſchein und der Verf. erzählt
dergleichen gern und mit Pierät. Liner der jovialften
Auftritte diefer Art ereignete fi, als kurz nad dem Er:
feinen des „Feſtes der Handwerker” der Kronprinz eines
Tages unpünftlih und zu fpät an der koͤniglichen Tafel
erſchien. Friedrich Wilhelm, ein Mann nach der Uhr,
pflegte von dergleichen Verſaͤumniſſen verflimmt zu werden;
man hatte auf feinen Befehl Platz genommen, als der
Kronprinz erfchien, Lächelnd auf frinen Vater zuging und,
ihm die Hand reichend, ſprach: „Herr Merfter, darum
keene Feindfhaft nicht.” Der König nahm lachend bie
Hand des Sohnes und fuhr in demfelben Zone fort:
„Fritz — du warft ja — allemal derjenigte — welcher. .”
zum großen Ergögen ber Öefelfcaft, Seine tindlic hei⸗
tere Seele zeigte ſich beſonders auch in der Art, wie er
ſeine Kinder zu Weihnachten beſchenkte, in ſeiner Vorliebe
fuͤr ſchoͤne Blumen und Fruͤchte, in der lleblichen Ge⸗
wohnheit, wenn er in ſeinen Landſitzen verweilte, jeden
510
Morgen feine Töchter mit friſchen ſelbſtgewaͤhlten Blu⸗
men und Heinen Körbchen voll Fruüͤchte zu befchenken,
in dem feifchen und befelfgten Gefühl, das er flet6 in
ferier Natur, befonders auf der Pfaueninfel und in Pa:
reg aisſpruch.
ie kreten nun alffhälig zu dem tieffleh und chatak⸗
teriftifchften Zuge im Weſen Friebrich Wilhelm's, zu demieni⸗
gen, der wie ein Stern uͤber ſeinem ganzen Daſein ſchwebte,
der wie ein rother Faden ſein ganzes langes Leben zu⸗
ſammenfaßte und durchzog, wir meinen zu ſeiner tiefen,
wahien ind warmen Religioſitaͤt. Gottesfurcht, fromme
Scheu, Gewiſſen, dies waren die Grundtoͤne, die Genien,
die Hüter diefes ſeltenen, relnen, fledenlofen Lebens, mit
dem wol Wenige in die Schranken treten moͤgen. Wir
haben fein frommes Teſtament geleſen; der Grund⸗
kon dieſes, 13 Jahte vor feinem Tode geſchriebenen
Slattes rohe der des ganzen Lebens Friedrich Wilhelm's.
Bielleiht möchten wir nach unfern befondern Anſichten
etwas weniger Gewicht darauf legen, als der Verf., naͤm⸗
lich der Beichtvater des Könige thut, dag Frledrich Wil⸗
beim ein pofitios gläubfger Chriſt war, der durch alle Gra⸗
dationen des Glaubens, von der erften Annahme auf Au:
torität hin, zum Denken, zum Fuͤhlen, zum Bewußtſein,
vom Bewußtfein zum Gehorfam, von diefem zur Erfah:
rung und von biefer aus endlich zur ruhigen, feſten und
Haren Hingabe an Gott durchgegangen war. Es genügt
uns, in feinen Selbſtbekenntniſſen, die bet Verf. mittels
einer gersiffen anomalen Kuͤhnheit mittheitt, einen fo ed):
ten Ghriftengeift, ein fo lauteres Bewußtſein von feinem
Verhaͤitniß zu Gott, eine foldye Tiefe der religioͤſen Durch⸗
Beingung zu erkennen, als wol felten einem fo praktiſchen
Reben geftattet ift, wie das Friebrich Wilhelm’s war. In
diefee Durchdringung hatte er es bie zu einer hohen Di:
vinationsgabe gebracht, ber er in allen Dingen vertraute
und nach welcher er, was gehen könne und was nicht,
was richtig ſei und was nicht, beſſer als feine einſichts⸗
vollften Näthe vorauszufagen mußte. „Wo der König nur
Immer nah diefen Innern Stimmen entſchied“, 3 der
Verf., „da folgte Segen und Erfolg über alle Wahr:
ſcheiniichkeit hinaus feinem Entſchluß.“
Friedrich Wilhelm war Proteftant im ganzen Wort:
finne; feine Bekanntſchaft mit der Geſchichte und den
Schriften der Reformation war eine feltene und tiefen:
dringende, der Geift der Reformation mar auch ber feinige
und den vwoichtigften Theil feier Pflichten fand er in fels
ner Stellung als Summus episcopus feiner Kirche. Atrin
diefe Überzeugung verdunkelte feinen Blick als König eines
Relchs von gemifchter Confeffton nicht; vielmehr war er
in Milde der Denkart feinem Lieblingsapoſtel Johannes
verwandt. Verkennung hietin ſchmerzte ihn tief, und was
er In feinen legten Lebenstagen duch dieſe Verkennung
8 leiden hatte, beruͤhrte den innerſten Menſchen in ihm.
er Öffentliche Gottesdienſt war Ihm uͤberaus theuer und
es bedurfte eines großen Entſchluſſes und vielen Anbrin:
gens ber Ätzte, bevor er ſich entfchloß, ihm bei vorgerück
ten Jahren durch einen Hausgottesdienſt zu erfegen. Die
Sicherheit feiner Überzeugungen als evangelifcher Ehriſt,
innig vertraut mit der evangelifchen Kicchengefchichte, wear
der Art, daß er, der fonft Widerfpruh mit größter Ge⸗
duld ertrug, in biefem Punkte ganz auf fi ſelbſt fußte
und feine Anſicht oft mis einem: „Ei was, das muß ib
beffer wiſſen“, verfocht. Helllg war ihin Die Gache dk
Kirchenunidn, Bern ſo ſehr er in hiſtorifcher Himficht Pro:
teſtant war, ſo ſehr misfiel ihm dieſe Bezeichnung doch
als eine dogmatiſche. Auf dieſem Felde fand manch ern:
ſtes Zuſammentreffen mit dem edeln, allzu vorſichtigen Al⸗
tenſtein ſtatt, das die Milde bes Königs aber ſiets be:
fiegte. Dennoch Heß er, obwol fehr ungern, feine Ideen
von der Beichte, über welche er 1831 einen merkwürdigen
Auffag geſchtiedetrs Hatte („Bern Araı ort Stäfa) adf
des Xerf. Vorftellungen fallen.
Mir koͤmen uns nicht entbrechen zur Brekekthtung des
Vorſtehenden, wenigſtens einige Gedanken aus den Selbſt⸗
bekenntniſſen Friedrich, Wilhelm's, welche der Verf. auf
einigen 30 Seiten mittheitt, einzufchalten; fie lehren im
Zufammenhange freilich mehr als jedes andere Bild Yen
Mann kennen, den wit fo laͤnge Zeit „ünfern Koͤnige
genannt haben. Er fagt:
Es thut noth, im Gebränge des Lebens von taufenb Dim
gen angezogen und abgefloßen, zerftreut, geſchwaͤcht, durch ben
Glauben wieder zu ſich felbft gebracht zu werben. Bon “
felbft viel halten, ift ein jämmerticher, kindiſcher Zuſtand; i
Eenne nichts, was die müde Seele mehr erfrifcht, als fromme
Sammlung. Es gibt ſtarke Geifter, die das entbehren !
— ich verhete es nicht. Ich wärbe elend fein, wenn ich das
Chriſtenthum nicht kennte unb hätte. Die miferabelfte Anficht,
die man vom Ghriftentfum haben Tann, iſt bie, daß ee noth⸗
wendig fei, um die untern Volksclaſſen zu zügeln. Soll das
Auftiärung fein? Ich wüßte nicht, woher den hoͤhern Gtaffen
Gewißheit, Erhebung, Würde, Licht, Troſt und Hoffnung kom⸗
men foll, wenn fie es nicht daher Hotem. Richt feinetwegen,
fondern der Sache und ber Menfchheit wegen, ſol man ein gu⸗
tes Beifpiel geben. Ich möchte fo gern alle meine Unterthanen
gluͤcklich ſehen; aber fein Menſch kann gluͤcküch fein, ohne gut
zu fein, und gut von Hetzen koͤnnen wie nar durch. die ſchaf⸗
fende Kraft der Religion werden. Ohne Glauben Teine rem!
Ein rohes, unwiffendes Boll kann kein gutes, alfo auch fein
gluͤckliches ſein — darum habe ich für den Unterricht gegeben
und bewilligt, was ber Gtaatshaushalt nur immer zuläßt.
Nur daB der Eine den Volksunterricht anpreift und heilfam,
der Andere aber ſchaͤdtich findet, macht verbrteßlicdh; man möchte
die Luft daran verlieren — das darf man aber auch nicke !
Die größte Gefahr unferer Zeit ift ber mit ber Intelligem
wachſende Pauperismus; jeber lerne grünblidy und ganz. was
er für feinen Beruf wiffen muß, das Mehr ift für ben Lebens:
zweck nicht förderlich, fonderh flörend und hinberlih. Meiner
tehrt mich bie Menfchen kennen, ich babe fie durdfchaufs das
Wahte an der ganzen Geſchichte ift: „der Menſch if mit fei-
nem Bersen von Bott abgefallen”. Klugheit it noch keine
Weisheit, Aufgebunfenheit noch Fein Muth, bat fchöne Wert
noch keine Geſinnung, Geſchmeidigkeit noch Feine Liebe und Be:
(häftsgewanbtheit noch Feine Treue; bie echte Tugend liegt tie:
fee und entfpringt aus gang anderm Quell.
Doch wir find gezwungen, hier mit dieſen Itagmen-
ten zu enden; fie genügen, um es klar zu maden, auf
welchem Grund und Boden Friedrich Wilden: ats Chrift
ftand. Das Chriftentyum war ihm ein heiliger Ernſt,
die erfle und oberfte Sache in feiner Lebmsaufgabe; er
fprady davon nur mit Scheu und Sammlung, aber ters
warm und in erhoͤhter Stimmung. In einer folchen
GH
ſhrieb et, Hei voͤlliger Gefundheit, fein betuͤhmt geworde⸗
me T t vom 1. Dec. 1827, das zunaͤchſt nur für
feine Familie Sefliint war; ein Zeugniß feiner fremmen
gebung und einer Reſignation, die weder Schwaͤche
ich Kleinmuth, ſondern das Ergebniß ſeiner ganzen ke⸗
bensauffaflung war. | |
— — des Biſchofs Eylert ſchließt mit einer Schil⸗
derung des Lebens Friedrich Wilhelm's in feinen Gärten
und auf feinen Landfiten, einem Gemälde von flillem
Reli; und von wohlthuendem Eindruck. In den Gärten
Potsdam, Paret, auf bee vor allen geliebten Pfauen⸗
infel lebte dies hohe fürftliche Herz fein: gluͤcklichſten Stun:
den; Hier allein verlieh den König das ſtrenge Gefühl ſei⸗
Her Pflichten als Fuͤrſt; hier, mit dein aufgeknoͤpften Mod,
fog er freiere Athemzüge, und zeine Naturllebe zog herr:
ſchend in dies einfache und kindliche Gemuͤth ein. Der
wilde idyRifche Eharakter der Pfaueninfel und die Erinne:
zung an die nie vergeffene königliche Gefährtin ſchwellte hier
feine Seele, daß ihre ganze Lirbenswärrdigkeit and Licht
seat. In Pareg lebte er mit den Dorfbeivohnern, die faſt
Den Tiſch des guten Grundherrn theilten und mit denen
er den fonntäglichen Gotteödienft theilte. In Sansſouci
tar er mehr freumdficher, humaner Fuͤrſt. Die fchönften
Züge feines Weſens enthält diefer Abſchnitt, in dem ſich
auch der Bericht über das vielverbreitete legte Geſpraͤch
mit dem stoßen König findet, ben wir bier leider über:
gehen mirffen, fordie die tiefgedachten Worte über die Stel⸗
fung Friedrich's TI. zu dem dogmatiſchen Kirchenthum.
Nicht minder ſchoͤn find die Züge aus dem Familienleben
des Koͤnigs, welche hier vorgetragen werden und welche
diefen Bericht zu einem wahrhaft harmoniſchen Abſchluß
deingen. Sn Charlottenburg war feine Seimmung ernfte
Wehmuth: hier ruhe, was er Theuerſtes auf Erben
en
Seit der Zeit — fagt der Verf. ſchließend —, daB auch er
Ju den Bätern verfammelt ift und in bemfelben Mauſoleum,
an ber von ihm erwählten Stelle, zur Seite feiner Luife zu,
sat Schloß und Park eine büftere Yarbe angenommen. Denn
hier ruht ein Königepaar, bad, weil es unter uns wandelte, bie
Liebe und das Entzäden aller guten Menfchen war und befien
Andenken Mit: und Nachwelt fegnet.
Zum Sctuffe dieſes Referate foliten wie noch ein»
mal, wie in einem Sonnenfpiegel, ben Eindrud zuſammen⸗
Taffen, den uns Died ungewöhnliche Buch gegeben bat.
Zür den aufmerkfamen Leſer iſt dies jedoch kaum eifober:
bh: es iſt ein Buch der Pietät, aber, wie wir glauben,
vom Geiſte der Geſchichte und ihrer Wahrheit eingegeben
und durchdrtingen. Wir glauben, daß der Verf. beide.
Soderungen vereint zu Iöfen geroußt hat, und daß er nicht
tet allen preußiſchen Herzen mit feinem Bude ein koſt⸗
bare Gefchenk gemacht habe. Sen Stil iſt ungefucht,
Bhue Kanſt, bisweilen ſelbſt umter der Foderung, weiche
man an pragmatiſche Behandlung des Stoffs oder an
ame Hhaftlerifce und gefhmadvolle Darftelung machen
tarm; er iſt eben darum vielleicht um fo befier. Er ver
est Nichts und gibt nicht mehr, als die Sache felbft
"Bidet — er iſt wahrhaftig.
Mit gefpannter Dheitnahme ſehen wir dem zweiten
Thelle diefes Werkt entgegen, das Mad) dem angeſchloffenen
Inhaltsverzeichniß des Wichtigen und Anzlehenden noch
viel zu bringen verfpricht. von Lüdemann.
. 22 “m 007 u m
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
@in Roman von Pauı Racroir.
Das neuefte Wert vom Bibliophilen Jacob (P. Lacroir),
von dem ber „Biecle” bereitd einen bedeutenden Auszug gegeben
bat, ift ein Roman, welder „Le songe” betitelt if. Et
fpielt in ber zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und gibt uns
ein Gemäibe der philoſophiſchen Sekte, welcher man den Na:
men der Atheiffen gegeben hatte. Verſchiedene hiſtoriſche Pers
fonen, bie mehr oder weniger berühmt find, werden vor ung
vorübergeführt. Wir erwähnen von denfelben namentlich den
betannten Guys Patin, den ber Verf. fehr gut portraitirt hat.
Die erfumdenen Charaktere find gleichfalls gut
bewegen ſich mit großer Natürlichkeit auf dem Hiftorifchen Hin⸗
tergrunde. Auffallend iſt es uns gewefen, daß Lacroirx diefen
Roman dem befannten Pianiften Eifzt gewibmet bat, ben er
wirklich bis zu den Wolfen erhebt. Er bewundert ihn nicht
nur als Kuͤnſtler, ſondern nennt ihn einen bedeutenden philofos
phiſchen Geiſt. Wir wagen nicht, zu entfcheiden, inwiefern
ber gefeierte Muſiker, ber ſchon Längft einmal von der „Revue
es deux mondes“ feiner Anfprüde auf den Namen eines
Jüngere der focialen Ideen wegen verfpottet ift, bierauf An:
ſpruch machen ann. u
Neueſtes Wert von Öranbpitle.
Der ganze Kreis Deffen, was Stoff zur Garicatur geben
ann, ſcheint gegenwärtig durchlaufen zu fein. Nachdem man
der Komik eine neue Quelle dadurch eröffnet hat, daß man bie
menſchlichen Schwächen und Lächerlichleiten unter der Geftalt
von Zhieren verfpottet, ſcheint auch fie erfchöpft. Wan bat
alſo darauf finnen müffen, dem Griffel eine neue Welt zu ers
obern. Grandville, der unerfchöpfliche Zeichner, hat es in feinem
neueften Werke, welches ben vielverfprechenden Zitel „Un hou-
veau monde” führt, gethan. Diefe neue Welt ift nicht etwa
das proſaiſche Amerika, fondern eine Art von Fata Morgana
unferer Welt, der aber die reiche Phantafie Grandville's einen
eigenthuͤmlichen Reiz gegeben hat. Bis jest haben wir nur bie
erſten Nummern biefes neuen illuſtrirten Werks erhalten, das,
nach benfelben zu urtheilen, hinter den übrigen Publicationen,
die ben Namen des fruchtbaren Zeichnere unſterblich gemadgt
’
haben, nicht zurüditehen wird.
Bibliographie.
Audin, 3 M., Geſchichte des Lebens, der Lehren und
Schriften Calvin's. Aus dem Franzoͤſiſchen uͤberſetzt. Mit
einer Vorrede von G. Egger. Uſter Band. Ifte Lieferung.
Augsburg, Schmid. Gr. 8. 12 Nor.
Bauer, G., Die Genfur: Inftruction dom 31. Januar
1848. Leipzig, DO. Wigand. Br. 8. 9 Kar.
Der weſtphaͤliſche Bauernſtand. Ein zeitgemäßes Wort
von dem Verf. ber „Weftphätifchen Zuftände” umb ber „Kritik
der Landgemeinden-Orbnung”. Eiberfeld, Buͤſchler. 8. MM Rgr.
Behn: Eihenburg, $ Zulehna. Ein Jugendtraum
im Kerker. (1835.) Bonn, Henry und Cohen. Gr. 8. 1Xtr.
Birch, &., Ludwig Philipp der Exfte, König der Kran:
zofen. Darftellung feines Lebens und Wirkene. 2ter Bant.
Stuttgart, Hallberger. Gr. 8. 2 The. 15 Ror.
oben, A., Das Luſtſpiel Böttor Wespe von Bob. We:
nebir nad) einer Aufführung deſſelben auf der frankfurter Buͤhne
beurteilt. Hanau, König. Gr. 8. 3%, Nr.
Dainos, oder Litthauiſche Volktlieder. Geſammelt, Über:
fegt und mit gegenuͤberſtehendem Ustert herausgegeben von ®.
zeichnet und
612
J. Rheſa. Rebſt einer Abhandlung über bie ſchen
Volksegedichte und muſikaliſchen Beilagen. Neue Auflage. Durch⸗
geſehen, berichtigt und verbeſſert von %. Kurſchat. Berlin,
Enstin. 8. 1 hie. 15 Nor.
Dumaft, 9. ©. de, Was hat Frankreich in ber oriens
talifchen Frage mit Recht gewollt? In Briefen an ben Redac⸗
teux bes Univerd beantwortet. Aus dem Franzoͤſiſchen überfegt
von einem katholiſchen Geiſtlichen. Reutlingen, Wäden jun.
&r. 8. 11%, Ror.
Eifelen, 3. F. &., Die Lehre von der Volkewirthſchaft
in ihren allgemeinen Bedingungen und in ihrer befondern Ent⸗
wicklung , oder wiffenfchaftlide Darftellung ber bürgertichen Ge:
ſellſchaft als Wirthſchaftsſyſtem. Ein Handbuch für bie Freunde
diefer Wiffenfchaft und für Staatsmänner. Halle, Schwetſchke
und Sotn. Gr. 8. 2 Thir. 15 Nor. “
Grinnerungen aus Danover und Hamburg aus den Jahr
ren 1803 — 13. Nebſt einem Anhang mit Bemerkungen. Bon
einem Beitgenoffen. Hanover, Helwing. Gr. 8. 20 Nor.
Politifche Gedichte aus Deutfchlande Neuzeit. Won Klop⸗
fto® bis auf die Gegenwart. Herausgegeben und eingeleitet von
9. Marggraff. Leipzig, Peter. 8. 1 Thir. 20 Nor.
Gerladh, G. W., Syſtem ber Philofophte in kurzer
Darftellung Uſter Theil: Fundamentalphiloſophie. Auch unter
dem Zitel: Die Dauptmomente ber Philoſophie in encyklopaͤdi⸗
ſcher überſicht dargeſtellt. Halle, Gebauer. Gr. 8. 1 Thlir.
Der kurheſſiſche Geſetzentwurf, bie religioſe Erziehung der
Kinder aus gemiſchten Ehen betreffend, betrachtet aus dem Ge⸗
ſichts punkte des Rechts und ber awedmäßigfeit. Mainz, Kirch⸗
beim, Schott und Thielmann. Gr. 8. 2%, Nor.
Guerike, 9. ©. F., Die rechte Union. Eine offene Er⸗
klaͤrung. Reipzig, Köhler. 8. 3%, Nor
Guillemon, Wiffen und Glauben
fhen. Münfter, Deiters. Gr. 8. 1Thir.
Hirſch, T., Die ObersPfarrliche von St. Marten in
Danzig in ihren Denkmaͤlern und in ihren Beziehungen zum
kirchlichen Leben Danzigs überhaupt dargeſtellt. After Theil.
Mit einem Grundriß, einer Seitenanfidht und einer Anſicht der
innern Kirche. Danzig, Anhuth. Gr. 8. 2 Zhir. 71, Nor.
Kornmann, R., Die Sibylle der Religion aus ber Welt:
und Menſchengeſchichte. Nebft einer Abhandlung über die gols
denen Zeitalter. Dritte verbefferte und vermehrte Auflage, nebft
einer beutfchen Überfegung der in fremden Sprachen vorkom⸗
menden Stellen. Regensburg, Dany. Gr. 8. 1 Thlr. 3%, Rgr.
Korfinsty, Album des Koͤniglich Wuͤrtembergiſchen
Hoftheaterd. Mit dem Peftfpiel zur fünfundzwanzigjährigen
Negierungsfeier Er. Mai. des Könige Wilhelm, von F. Löwe.
of einer Auuftration und 7 Bitbniffen. Gtuttgart, Etzel.
r. 8. hir.
Aus dem Franzoͤſi⸗
I 6 of
Kraufe, Lotte.Louife, Dramatiſche Scenen zu Polters
Abenden. Liegnis, Kuhlmey. 8. 122 .
Lasker, 3., Fidibus, Schelmenlieder. Danzig, Kabus.
Gr. 8. 20 Nor. ,
Lebensbilder aus Öftreih. Gin Denkbuch vaterläntifcher
Grinnerungen unter Mitwirkung ſinnverwandter GSchriftfteller
und Künftier zum Beſten ber bei dem verheerenden Brande vom
3 Mai 1842 verunglüdten Familien von Steyr, herausgegeben
von A. Schumacher. Wien, Zauer und Sohn. Gr. 8. 2 Thir.
Lengerte, ©. v., Gedichte. Gefammtausgabe. Danzig,
Gerhard. Gr. 8. 1 Zhlr. W Nor.
Lenzen, Daria, Die Bettler in Köin. Ein Roman.
Drei Theile. Leipzig, Kollmann. 8. 3 Thir. 7%, Nor.
Lewald, &., Die Mappe. Skizzen eines Gentleman über
beutfche Bäder. Mit 34 Hotzfchnitten nad engtifigen Driginas
lien Karlsruhe, Artiftifches Inftitut. Gr. 12. 2 Thlr
Lichtenstein, H., Zur Geschichte der Bingakade-
mie in Berlin. Nebst einer Nachricht über das Fest am
15. Jahrestage ihrer Stiftung, und einem alphabetischen
Verzeichniss aller Personen, die ihr als Mitglieder ange-
benbülber aus höhern und niedern Kreifen.
hört haben. Berlin, Trautwein und Comp. Schmal 4,
gr.
eog, ©, Drei Zage in Ban Carlo. Roman. Drei
Bändchen. Iena, Buben. 8. 1 Zhlr. 32), Mor.
Marcard, H. E., Uber die Möglichkeit ber Juden⸗
Smancipation im chriſtlich⸗germaniſchen Staat. Minden, Eß⸗
mann. Gr. 8. 11%, Ror. '
, Mignet, 3. %., Die Einführung ber Reformation und
bie Verfaffung des Calvinismus zu Genf. Aus dem Branzöf-
ſchen überlegt von 3. I. Stolz. Leipzig, Köhler. 8. 22%, *
Möller, A. B. C., Der Herr und feine Kirche. Ei
Cyklus Heiliger Bilder. Bielefeld, Helmich. 8. 8%, Rar.
Neigebaur, J. F., Handbuch für Reisendein Deutsch-
und, Leipzig, Mayer und Wigand. Gr. br. 13. 2 Thir.
er.
Reßler, 5. W., Der Herr mein Palm und mein Beil
CEhriſtliche Lieder für kirchliche und häusliche Andacht. Leipzig,
Friefe. 8. 22%, Ngr.
Paolo, F., Novellen aus dem mobernen eben. Berlin,
Bereinsbuchhandlung. 8. 1 Thblr.
Remele, I. R., Analyſe arifcher Giaffiter. Cine
rer DEN Icber aungarii grammatit und ein
e er claſſiſchen Literatur. ien bier und Schaͤ
1842. ®r. 8, 1 Zhlr. 5 Rar. " fe
& Rof entre any, 8 , re Do fungen, gehalten im
ommer an der Univ t zu Königsberg. Dami
ie Beemis S & —
alit⸗Seewis, 3. G. v., Gedichte. Ausgabe le
Hand. Zuͤrich, Drell, Fuͤßli und Comp. Gr. —— Fe
Saͤhe zur nähern Begründung einer allgemeinen Ginheite-
tehre. Ein erläuternder Nachtrag zu ber Saat: „Die Ein:
heit als Urweſen.“ Berlin, Deymann. 8. 7, A
Schioffer, F. C., Geſchichte des 18. Jahrhunderts und
19. bis gun Sturge des franzoͤſiſchen Kaiſerreichs. Brit befon
derer Ruͤckſicht auf geiftige Biidung. Iter Band (bie 1788)
2te Abtheilung: Wom Anfange des Seekriegs in Guropa um
1778 bi8 zum Mai 1788. Beidelberg, Mohr. Gr. 3. 7 Thir
tn a
ober, E., Uber bie Heutige muſikaliſche Tragddie.
Eine aͤſthetiſche Beige. Bamberg, Züberlein. Gr. 8. 3%, Nor.
Smith, H., Masaniello. Ein biftorifher Roman. Aus
dem Gnglifchen überfegt von W. A. Lindau. Drei Theile.
keiprig Kollmann. 8. 3 Thlir.
gr taat, Religion und Partei. Leipzig, D. Wigand. Er. 8.
gr.
‚ Stein, L., Die Municipalverfassung Frankreichs.
Leipzig, O. Wigand. Gr. 8. 18 Ner.
Suan be Barennes, Die Parifer Matroſen. See⸗
roman. Nebft einem Vorworte von &. Sue. Frei überfegt
An * Heine Drei Bände. Leipzig, Kallmann. 8. 3 Thur.
2 Xgr.
Told, F. X., Der Zigeuner. Roman. Wien, Tendl
und Schäfer. 1842. Gr. 12. 22%, Rer. “
ri ——— ——— Geograpdie —— und Daus,
er geographiſch⸗ hiſto 6% Hande⸗ und Ta ipgä
Böfenberg. Gr. 16. 1 Iblr. 73 Sepsis,
. ogel, ©. F., Die zwei neueften ſaͤchſiſchen Gef
Entwürfe über das literarifche Gigentbum und über bie Genf
Befreiung, vom 21. und 30. Nov. 1842, in ihrer Gigenthäms
lichkeit durch eine hiſtoriſch begründete Kritik der hierher gehh
rigen ditern und neuern allgemeinen chen unb fächfifdgen
Geſetzgebung leicht verſtaͤndlich charakterifist. Leipzig, Boͤſen⸗
berg. Gr. 8. Rgr.
Winter, Amalie, Nur ein armes Dienſtmaͤdchen. Le⸗
ipzig, Kolmann.
1 Zhir. 15 Nor. beipis,
Die katholiſchen Zuſtaͤnde in Baden. Mit urkun
Beilagen. 2te Abth. Regensburg, Manz. Gr. 3. 22%, Ner.
Berantwortlier Herausgeber: velaric Brockhaus. — Druck und BVerleg von F. A. Brodyaus in Setpzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Diekitag, _— r.
9. Mai 1843.
Gommentatoren deutfher Dichter.
Die Reflerion hat in jlingfler Zelt in der beutfchen
Literaturgefhichte mehr Eingang gefunden, als die man»
nichfachen entgegengefehten Bemühungen, zu generalificen
und zu concentriren, erwarten ließen. Wir meinen jene
vereinzelte Reflerion, die fi ein Object herausnimmt,
ſich an daſſelbe heftet und es mit einem mehr oder min:
der dichten Netze von Faͤden umfpinnt, deren Stoff oft
ſehr fubjectiv gewählt if. An Schüler umb Goethe wurde
zumeift diefe Kunſt geäbe: bald nad) ihrer Totalität, bald
nach einzelnen Seiten ihrer Leiſtungen wurden fie Eritifch
betrachtet und erläutert, und glüdlich noch, wenn fie nicht
durch Commentare ad modum Minelli zu einem Eperci:
tium für Schulknaben gemadht wurden. Wir haben ver:
fihiedene Beftrebungen biefer Art, beren einige aber auch
wegen der Freiheit und Objectiofeät ihres Geſichtspunktes
aller Anerkennung würdig waren, bei anderer Gelegenheit
in d. BL *) beſprochen. Gegenwärtig legen uns zwei
in diefen Kreis gehörige Werke vor, bie aber fowol nad
Stoff, als, wenigſtens das eine, nach Behandlungsweife
einen gewiſſen Fortſchritt zum Beſſern beurkunden. Nicht
blos, daß das ſo vielfach beleuchtete Dioskurenpaar dies⸗
mal nicht wieder in das Centrum der reflectirenden Be⸗
wegung geſtellt iſt, ſondern mehr noch, daß die Wahl auf
Dichter gefallen iſt, die überhaupt weniger oder gar nicht
in den Kreis folcher Separat:Refleplonen gezogen worden
find, fo ſehr fie es auch verdient hätten, möchten wir als
einen Fortſchritt bezeichnen. Einige neuere Dichter bat
der Eine, dar Andere Leſſing's Dramen gewählt. Sodann
iſt aber auch bie Behandlungsweiſe namentlich bei dem
Erſtern im Fortfchritte dadurch, daß er eine Im Allgemei⸗
‚nen wenigftens glädlich zu nennende und im befondern
Falle fehe anfprecyende Form der kritiſchen Reflexlon ges
wählt, man könnte fagen, erfunden bat, und auch bei
dem Regteen erfreuen wir uns einer Tuͤchtigkeit literar⸗
hiſtoriſcher Studien, bie manche andere Mängel leichter
überfchen laͤßt. Sept zu dem Einzelnen. Unter dem Titel:
2. Deutfche Dichter der Begenwart. Erlaͤuternde und kritiſche
Betrachtungen von ©. 2. Denfe an Sonders⸗
haufen, Rohland. 1842. 8. 2 Thir. 20 Nagr.
iſt d die Schilderung einer Reihe von Charakteren deutſcher
9 IR. 300—302 f. 1830 u. Rr. 22355 [. 1840.
e
Dichter der neueſten Zelt gegeben worden. Der Verf.
fheint — eine feltene Ausnahme — mehr fein Werk
ſeibſt fich einen Standpunkt finden laſſen zu wollen, flaer
den VBerfuch zu machen, ihm einen ſolchen in einer Bor⸗
rebe anzuweiſen: die letztere enthaͤlt in Allem drei Säge,
aus denen wir nicht einmal deu Umfang des Planes des
Derf. erkennen.
Unter diefen Umfländen erfcheint es um fo nöthiger,
einen Eurzen Auszug vorauszufhiden und bann erſt eis
nige Bemerkungen anzufnäpfen. Der Verf. beginnt mit
Ludwig Uhland. Er charakteriſirt das Romantifche feiner
Poefie als weſentlich verſchieden von den Dichtungen bee
eigentlichen romantiſchen Schule. Dieſer Unterſchied, ſagt
er, liegt in der Art, wie die Romantiker und Uhland
aus dem Mittelalter ſchoͤpften und ſich zu demſelben ver⸗
hielten. Wenn Uhland mit den Romantikern die Liebe
zum Mittelalter gemein hat, wenn er die Stoffe zu fets
nen Ditangen größtentheils aus biefer Zeit wählt, fo
verhält er fig doch dabei ganz naiv, harmlos und objectiv,
indem er jene Stoffe nur wählte, wenn fich durch fie
eine allgemeine menſchliche Smpfindung barflellen ließ.
Er bat dabei nur das mit den Momantikern gemein,
daß er das jugendliche, empfinbungsrelche Leben der Menſch⸗
beit in verſchiedenartigen Bildern zur poetifchen Anſchauung
brachte und daber fein Lichte von derfeiben Sonne ems
pfing, von welcher die Romantiker erleuchtet waren —
von Goethe. Der Verf. führe dies weiter aus, ſetzt aber
dann noch hinzu: Uhlanb haͤlt ſich nicht blos in dieſer
Sphäre der epifchen Lyrik auf, im welcher ber engere Kreid
dee Gemuͤthswelt ſich darlegt, ſondern geht weiter und
führt uns Geftalten vor, welche auf dem Boden freier,
ſelbſtbewußter Sierlichkeie ſich bewegen. Nach ſpeciellern
Erlaͤuterungen einzelner Gedichte gelangt der Verf. zu ei⸗
ner allgemeinen Eharakteriſtik Uhland's, aus ber wir fols
genbe Hauptfäge herausheben:
Die erſte Rand ‚bie wir an einen großen Dichter au
den muͤſſen, i er eine große Weltanſchauung habe.
Beltanf yauung Uhland's ift aber eine einfeitige und —
es find größtentheils nur die Empfindungen der Jugend, es iſt
bie Gentimentalitde und Treuherzigkeit des Mittelalters, 2—
hier zur ee Derfielung gelangen. Di ſchein
an den großen geiſtigen Bewegungen des Jahrhunderts, —288
lich der — A wenig 1e Te endigen Antheil genommen zu
haben, als daß er den Gefichtsfreis feiner poetifchen Anfchauung
hätte erweitern können; wie bemerken dies insbeſondere an fele
* 814
nen dramatiſchen Verſuchen. — Bei dieſer Beſchaffenheit ber
Ubland’fchen Poeſie, ba fie ſich ber Sirklichkeit und Gegenwart
mehr entfremdet ats zuwendet, iſt es denn natuͤrlich, daß Derje⸗
nige, welcher in der Poeſie nicht blos einen Reichthum jugend⸗
licher Empfindungen, fondern großartige Gharaltere, maͤnnliche
Leibenfyaften und Dandlungen fucht, von ber füßen, aber ers
mattenden Sentimentalität und Schwaͤrmerei Uhland’s * ab⸗
wendet. — Die Lieber, welche die Liebe betreffen, find üb:
land entweder reine Außerungen des Gefuͤhls, ober Ausdruͤcke
der Wehmuth wie im Volksliede. Über bie Einfachheit bes ſich
entäußernden Gefühle kommt Uhland nicht hinaus, während
Schiller und Boethe die Empfindungen der Eiche in dem allges
meinen Geiſte ſich verklaͤren laſſen.
Nach einem etwas verſoͤhnenden Schluſſe geht der
Verf. zu Juſtinus Kerner uͤber. Uhland's Gabe, heißt
es hier, iſt, ſich in unbeſtimmte menſchliche Zuſtaͤnde hin⸗
ein, Kerner's, ſich uͤber ſie hinaus zu empfinden. Hier⸗
durch fällt innerhalb des Bodens der Romantik ſelber
wieder Ubland der claffifhen, Kerner der romantiſchen
Seite zu. Uhland's Mufe, fo oft fie auch in das Uns
endliche als ſolches hinuͤberſtrebt, weiß ſich doch noch oͤf⸗
ter in ihren beſten Erzeugniſſen im Endlichen anzubauen
und in ihm das Unendliche zu finden: die Kerner'ſche,
obwol es auch ihr in manchen Balladen und Liedern ge⸗
lingt, im Dieſſeit ſich zu befriedigen, zeigt doch ihren ei⸗
genthuͤmlichen Charakter da, wo ſie das gegebene Menſch⸗
liche verfluͤchtigt und im Dufte der Sehnſucht in das
Jenſeit aufſteigen laͤßt. Der Verf. gibt hierauf einen
groͤßern Auszug aus den „Reifefhatten”. Ein Hauptzug
desfelben,, bemerkt er demnaͤchſt, iſt dee Spott gegen alle
Aufklaͤrung und Nüchternbeit des Verſtandes; jeder fa:
den, aufllärenden, nuͤtzlichkeitsſuͤchtigen Richtung des Ver:
ſtandes aber ſetzt der Dichter Geflalten und Erſcheinun⸗
gen mit Vorliebe entgegen, welche dem Gemäth genug zu
empfinden, dee Ahnung genug zus träumen geben. Weis
tee findet der Verf. in Kerner einen Myſticismus, ber
in ber Unendlichkeit bes Gemuͤths beſteht, welches fich In
feine innere Wunderwelt vertieft, eine weichliche Schns
fucht nach der Natur, eine kraͤnkliche Gemuͤthsſtimmung.
Er ſchließt mit einem Hinblide auf diejenigen Gebichte
Kerner's, welche ber Helle des Tages angehören und wirk⸗
liche Charaktere verherrlichen.
Es folgt Nikolaus Lenau. Seine Begeiſterung für
die Freiheit wirb zuerſt hervorgehoben ;
wie nun Lenau bie poetifchen Geftalten feines Landes energifch,
lebensvoll hinzuftellen weiß und barin fein poetifches Talent
am träftigften offenbart, fo entwidelt er auch benfelben Keich⸗
thum der Phantaſie in Ruͤckſicht auf die Natur.
In den Darftelungen hingegen, bie unmittelbar aus dem
Gebiete des Geiſtes flammen, iſt eine tiefe Melancholie,
eine ſchwermuͤthige Stimmung wahrzunehmen. Den
Grund hierzu findet der Verf. in dem Zwieſpalte, welcher
noch unuͤberwunden in Lenau's Geifle liegt: ein Zwie⸗
fpalt, der aus dem Umſtande hervorgeht, daß der Dichter,
duch die Bewegung des wiſſenſchaftlichen Geiſtes der
Gegenwart mit fortgerifien, die Unmittelbarkeit des Glau⸗
bens einbüßte, ohne die Kraft zu befigen, ſich der Er:
tenntniß In ihrer bernhigenden, bie tiefften Zweifel Iöfenden
Totalität zu bemächtigen. Lenau’s „Fauſt“ wird bier:
auf ausführlicher beſprochen und ale ein Ausdruck ſub⸗
jectiver Zerriffenbeit bezeichnet. Auch bier wieder ein vers
fühnender Schluß: Lenau’s Romanze Ziska“.
Anaſtaſius Gruͤn, „ber Mann des Ernfles, der Frei⸗
heitsfehnfucht, des Prophetenzorns, befien Mufe auf bie
großen Angelegenheiten ber Menſchen gerichtet iſt“, ſucht
„nah einem Wanne, dem er fein volles Dichterherz ent
gegentrage, dem er fein freiheiterfülites Lied weihe und
findet diefen Mann in dem Kaifer Marimillen”. Aber
Morimilian, bemerkt der Verf., ift kein epifcher Charak⸗
ter, ebenfo wenig feine Zelt: daher „Der legte Ritter“
nicht befriedigen kann. Es folgen Auszüge aus dem
„Schutt“. Der Berf. fagt:
Das Welen der Gruͤn'ſchen Dichtun i i
Naivetaͤt des Liedes als Ir ——— * ver =
danke. Daraus erfiärm ſich denn alle Borzuͤge und. Bängel
biefes Dichters. Wenn namentlich der „Schutt hoͤchſt anzie
penb ift durch bie Gnergie der Gedanken, die gewaltfam ſich
ahn brechen, fo find viele von ben kleinen Gedichten minber
anfprechend, weil uns ihre zeflectivende Haltung mehr ober wes
niger kalt iaͤßt. Mit diefer reflectivenden Richtung des Dichters
hängt es auch zufammen, baß vielen feiner Bebichte die wahre
Einheit fehlt, daß fie vielmehr nichts find als eine Reihe aufs
einanberfolgenber glänzenber oder wigig erfunbener Bilder. Un:
fer Dichter wird daher bei diefen Mängeln, welche mit Borzd-
gen auf ber andern Geite innig verbunden find, nur Denjenis
gen gefallen, welche in ber Poeſie weniger eine bequeme Unter
haltung, fondern große Ideen für ihre Denken und einen bebeus
tenden Inhalt für ihe Gemüth fuchen.
In Eduard Moͤrike — defien Roman „Dealer Nol⸗
ten’’ wie deſſen Gedichte der Verf. kritiſch betrachtet —
findet derfelbe einen Dichter, der einerfelts der Romantik
angehört, andererfeitö aber den Geift moderner Bildung
in fi) aufgenommen bat und in feinen Gedichten ent:
widelt. In den letztern tritt die romantiſche Seite in
feiner Liebe zum Wunderbaren, zum Geifler: und Mär:
chenhaften, zum Pbantaflifchen, ferner in der Naivetoͤt
hervor, welche aus vielen Gedichten wie aus Volksliedern
uns anfpeicht. Er bleibt jedoch in biefer Richtung nicht
fiehen, fondern da bie Kämpfe des modernen Bewußtſeins
fein tieffles Innere erfchüttert haben, da fein Gemuüͤth
ben Schmerzen und Leiden bes modernen geiftigen Lebens
ſich aufgefchloffen hat, mußte feine Poeſie auch dadurch
den Charakter der modernen Richtungen des Geiſtes
darſtellen.
Etwas kuͤrzer find bie Eharakteriſtiken des zweiten
Bandes. Boran ſteht hier Friedrich Mäder. Der Verf.
faͤlt über ihn ein ſehr umgünfliges Urtheil. Er findet, daß
Rüdert mehr bucch die Reflesion als durch die Phantafie
geftaltet, daß feine Probucte mehr Mefultate feines Ver⸗
flandes und Wiges als Ausdrüde des Gemuͤthes find:
daraus leitet ber Verf. den Umfland ab, daß Räder
eine große Neigung zur geiftlihen und didaktiſchen Poeſte
bat, „welche beide mit linvecht den Namen Poefle führen”.
Er ſagt: Ruͤckert's geiftliche Lieder find Reflexionen, aus
der Intelligenz, aus dem verftändigen Bewußtſein ent⸗
fprungen, geößtentheils formiofe Verſe. Er vermift an
ihnen die Sinnlichkeit der aͤltern Rirchenlieber, die tiefe
Empfindung der Gerhard'ſchen Dichtungen; er erblickt im
ber „Welöhelt des Brahmanen“ fophiftifhe Spielereien,
ne Sucht, das Zrediuufle und Saſtkoſeſte in Neime zu
bringen.
Die Ratur betradgtet Ruͤckert als einen Ausbrud ber ewis
gen Liebe. In dieſer Betrachtung tritt er allerbinge mit einem
großen Reichtbume bed Empfindens und Denkens auf, aber nur
zu balb verfällt er in das Gpigfindige.
Der Verf. befpriht nun „Edelſtein und Perle’ und
ben „Liebesfruͤhling“; er hebt einzelne Stellen aus, bie
feeitih ohne alle Muſik und Schönheit find.
Diefe ganze Natur: und Liebespoefie Rüdert’8 — fährt er
fort — ift, auch abgefehen von ihrer Kormiofigkeit, ein Beweis,
wie weit der Dichter von dem wahren Ideal ber Poefie fern ift.
Benn man auch der Liebespoeſie unb der Schilderung der Sm:
pfindungen fonft alle Gerechtigkeit wiberfahren laſſen muß, fo
iſt doch an Rüdert zu tadeln, daß fich diefes Thema bei ibm
fo unendlich breit macht, ſodaß neben ihr nichts Großes Plas
behält; wie würbe Homer, wie würbe Shaffpeare, biefe objectis
ven Dichter, die das Menfchenteben in feiner Höhe und Tiefe,
in feinen bedeutendflen Momenten zur poetifchen Erſcheinung
brachten, wie würden fie Iddheln, wenn fie diefe fo oft ſich wies
berhotenden Liebesempfindungen Rüdert’s und die noch ſchlim⸗
mern Reflexionen darüber lefen müßten! Das wahre Ideal der
Poeſie ift die Darftelung von Handlungen, von Charakteren;
Ruͤckert weiß nichts von dieſem Ideale, unb am weiteften ent:
fernt er ſich von demfelben in feinen orientalifchen Gedichten, in
jenen Gafelen, wo orientalifche Beſchaulichkeit und Quietismus
die Quelle der Poeſie iſt.
Nicht minder abfällig werhellt der Verf. über Graf
Daten.
Ze mehr biefer Dichter den lebendigen Quell ber poetifchen
Begeifterung in feiner Seele vermißte, befto mehr forcirte er
fih, ihn — AÄußerlichkeiten wie durch die Kuͤnſtiichkeit der
zu erfegen.
werden hauptfählih „Die verhängnißvolle Gabel”
und „Der romantifche Ödipus“ befprochen.
Benn diefe Platen’ichen Komödien — heißt e8 — wirklich
einen Genuß gewähren follten, fo mußten fie ganz anders mit
Humor und Beiftesreihtbum ausgeftattet ſein; der Dichter mußte
nicht bios perfifliren, fich alfo nicht bios negativ und kritiſch
verhalten, fondern über bie Perfiflage und das Negativ» Kritifche
hinausgehen zu einem pofitiven Kunſtwerke.
Dabei wird aber ein Vorzug nicht überfehen:
In der lyriſchen Poeſie wird Ylaten dann am glädtichften
fein, wenn ex feine Empfindungen und Gedanken über Stoffe ober
Gegenftände ausfprechen kann, welche ſelbſt poetiſch find oder
etwas Poetifdyes enthalten.
Es folge Heinrich Heine.
Ginge der Dichter nicht über die Schranken hinaus, in
ee fich innerhalb der ‚„„Darzreife’ noch hält, fo würden
feine Werke immer ben Genuß gewähren, weichen bie Anſchauung
eines frifchen, genialen Lebens gewährt. Aber an der Sucht,
intereffant zu fein, ſcheitert der Dichter. Anftatt ſich dem uns
mittelbaren Zuge des Gemuͤths und der Phantafle zu überlaffen
und fein eigenes Ich dabei zu vergeflen, macht ‚Deine vielmehr
immer geltend, wie er über Allem ſtehe, mas er empfindet und
darſtellt, wie er von keiner Macht des Geiſtes fo ergriffen werde,
daß er darüber bie Beſinnung verlöre. Dies lehtere Moment
der Befinnung, welches Heine fo oft und namentlich am Schtuffe
feiner Lieber hervortreten läßt, tft nun nichts weniger als poe⸗
tiſch, fondern gehört dem verftändigen Denken an und verbirbt
*53 die —3*— Eindruͤcke, welche wir fonft empfangen ha⸗
ben wuͤrden.
Weiter beißt es:
Der Charakter dieſes Dichters iſt, wie man uͤberall wahr⸗
nehmen kann, die Eitelkeit, bie Koketterie, bie Geſinnungs⸗
Lofigkeit
Segen den chin:
Jene Lieder, Die durch die Tiefe der Empfindung und die
Naivetät des Ausbruds an das Boikelied erinnern, geben den
Beweis, baß Deine ein Dichter iſt; zugleich aber fehen wir in ihm
ben Beweis, daß es keinen großen Dichter geben Tann ohne
große Gefinnung, ohne tiefe Wegeifterung für das Wahre.
Adalbert von Chamiſſo.
Die meiften feiner Gedichte bewegen ſich in ber Sphäre
bes wirftichen Lebens, flellen Vorfälle und Begebenheiten dar
und haben daher größtentheils einen epifchen Gharakter, der fs
gar in den beſten Inrifchen Gedichten Chamiſſo's bie Grundlage
bildet. Auffallend fann es nur erfcheinen, daß biefer Dichter,
befien Herz fo mild, Liebevoll und fanft war, in feinen Gedich⸗
ten am liebſten durch den Schmerz wirkt und namentlich in
dem epiſchen Theile derſelben ſogar graͤßliche und Schauder ers
regende Stoffe behandelt hat. Die Ipeatitdt, d. h. bie Dar
ſtellung der Idee im einzelnen Individuum, fehlt der Shamiffo’s
fen Porfle zu ihrem Nachtheil faft gang. Darin liegt benn
auch der Grund, daß fo viele feiner Gebichte bloße Anekdoten
find und bleiben, daß fie jener allgemeinen Wahrheit entbehren,
zu welcher bie wahre Poefie das ſchlechthin Einzelne, Charak
teriftifche zu erheben hat. Beiweitem intereffanter iſt uns ba
ber Ehamiſſo, wo er etwas Gharakteriftiiches ſchildert, womit
fid) zugleich da8 Ideale verfnäpfen laͤßt, wie wenn ex uns Bräfs
tige Raturen außereucopdifcher Weltthrile darſtellt.
Zum Schluffe: Friedrich Freiligrath. Der Verf. er:
kennt in ihm einen vortrefflihen Dealer der Natur, einen
wunderbaren Dichter; er findet feine Eigenthuͤmlichkeit
nit nur in der Darſtellung fremder Sitten und Ges
ſchicke, fondern überhaupt in der Liebe zum Kräftigen,
Außerordentlihen, wobri er fteilich zumellen den Unter:
ſchied zwiſchen der Kraft und der Roheit vergißt; ex bes
zeichnet als das Feld, das Freiligrath mit der größten
Meiſterſchaft beherrſcht, das der Schilderung und epifchen
Darftelung. „Der Dichter muthet uns am meiften an,
wo er eben feine Kunfl auf vaterländifche Stoffe wendet.”
Wir müffen geflehen — heißt es am Schluſſe —, daß er
durch bie Darftellung bes zu Individuellen und Zufälligen oft
die Befege der Schönheit Übertritt. Diefer Dichter iſt daher,
weit ex fi nicht immer im Kreife der Nothwendigkeit bewegt,
am meiften in Gefahr, in Manier zu verfallen und fein eigener
Nachahmer zu werben, eine Gefahr, die er bereits ſchon nicht
mehr überwunden hat.
(Der Beſchluß folgt.)
Amusements philologiques par Philomneste. Paris 1843.
Zwei Ausgaben, die von biefem Buche fchnell vergriffen
find, beweifen, daß der Inhalt feinem Xitel entfpridt. Der
befannte Bibliograph Peignot, der ſich hier hinter dem Pſeudo⸗
nym Philomnefte verfteckt, weiß felbft bie trockenſten Rotizen
zu beleben und unterhaltend zu machen. Es ift —5 den
Inhalt dieſer kleinen Schrift, die eigentlich den ſpr ——
geworbenen Titel De omnibus rebus et quibusdam aliis fähren
follte, zu bezeichnen. Der Verf. ergebt ſich auf dem weiten
eide ber Gelehrſamkeit und fein Kleines Werk ift wie ein Ders
arium zu betrachten, in dem er uns eine Auswahl von ben
feltenen und intereffanten Pflanzen bietet, die er auf feinen Ex⸗
eurfionen hufammengeiefen bat. Beſonders intereffant find bie
Partien, in denen der Verf. uns aus feinem reichen Schate
bibliogeaphifcher Guriofitäten mitteilt, und man fleht, baf
bie das Gebiet ift, auf dem er befonders zu Haus iſt. &o
finden wir ein ganz koͤſtliches Kapitel, in dem uns ber Verf.
eine Auswahl der merkwuͤrdigſten MDebicationen Liefert. Wir
machen r auf bie Abtheilung aufmerkſam, im ber wie eine
— ungewöbntich 8 hoher Honorare finden. Zur
auung aller Derer, die ſich wit einem beſcheidenen Ehren⸗
ſelde begnuͤgen mällen, wollen wir aufs Geratbewohl ein paar
Belfpiele daraus mittheilen. Die hiſtoriſchen Yragmente von
‚ bie tm Manufeript verauctionirt wurben, koſteten bem
5 der ſie an ib brachte, mehr als 33,000 Thlr. Der:
ibe
laflen wird und auf das wir vorläufig aufmerkſam machen wol
m.
tions singulid les predicateurs, entre-
mölses d’extraits des plus piquants des sermons bisarres et
faostieuxz prononcss notamment dans lo 15, 16 et 17 siäcles
tout en France qu'à l’6tranger.” 6.
Notizen.
Kannten die alten Römer auch [hon Wetten?
Es dürfte allerdings angenommen werben können, baß bie,
+ B. bei den Sngländern unferee Tage fo fehr und faft bis
zur Ungebühr, namentlich in Betreff der Summen, gewöhns
tichen Wetten, z. B. bei Pferberennen, ſchon im alten Rom
ihr Vorbild finden. So fcheint es nämlich nach einer Stelle bei
Dvid in der „Ars amatoria”, I. 168, wo der Dichter von ben
Stadiatorfpieten im Gircus und von ben babei gegebenen Gele
genbeiten ſpricht, Madchendekanntſchaften zu machen unb forts
zufesen; und wo er fagt, daß der Gircas ber Schauplag mans
her Kämpfe und Siege des Amor fei, indem mancher der
Schauenden, welder Wunden (naͤmlich Wunden der Gladiato⸗
ren) geſehen babe, felbft verwundet worden ſei (nämlidy von
ben Pfeilen Amor's). Und Dvid fährt darauf fort, jedenfalls
won bem Liebhaber ober von Dem, ber ein kiebesverhaͤltniß
ſucht, redend:
Dum leguitur, tangitquo menum , poveilque libellum,
Et quaerit, posito pigeore, vineat uter,
Sauelus ingemuit,, etc.
Beziehen fi nun bie Worte: quaerit — uter auf die Kämpfe
der Gladiatoren und bie, für ben Sieg des Ginen oder bes Ans
dern ſchon im voraus mit Pfändern, ald dem Preife des Sieges,
beftimmte und belohnte Beantwortung ber Frage: Wer wird ber
Sieger fein? fo hätten wir bier eine Wette, die noch dazu in
ein Büchelchen (poscit libellum), etwa in eine Brieftafche nach
unferer Art (nur baß fie beim Ovid das Mädchen bat) ein«
chrieben wurde, eine Wette, in ber Dauptfache ganz wie un⸗
fere heutigen Wetten in England Wir möchten wol wiſſen,
ob ſich noch mehr und beutlichere Spuren einer ſolchen Sitte bei
ben alten Römern finden, und ob demnach Bulwer, in feinen
„ketzten Zagen von Pompeji’, Recht gebabt Habe, biefe Sitte, als
bei den alten Römern im Schwange, mit in fein Sittengemälde
jener Zeit aufzunehmen. Denten läßt es fich allerdings, wenn
man auf ber einen Geite das Panem et Circenses! bebenft
und auf ber andern Seite ber raffinirten Srivolität und fpielen-
ben Genußſucht der Römer, namentlid zu Ende der Republik,
fih erinnert.
Die ungarifche Gelehrtengeſellſchaft in Pefth, die im 3. 1825,
befonders durch den Grafen Szechenyi, zu Stande fam und
namentlih aud den Zwed hat, die ungarifhe Sprade
auszubilden, ift biefem Zwecke nicht ohne Erfolg nachgeftxebt.
Sie Hat mandye neue ungarifche Wörter ausgeprägt und bie
Ungarn baben, in ber Freude und Luft an ber Bildung eigener,
vaterlaͤndiſcher, echt ungarifchee Wörter. biefelben bereits mehr
ober weniger allgeuielı in fidy aufgsheummm. So hat, wie Au
Arbunbert Zage auf ars in ben —Xæ Stastm“,
. ZHL) mittpeitt, jene Geſellſchaft, ſtatt des fremden Gigarre,
das Wort szipa eingeführt; fo hat fie für Apotheke, die man
früher mit dem, offenbar aus dem Sriechiſchen verberbten Pae-
tika bezeichnete , ebenfalls ein neues Wort gebilbet, das fo viel
bedeutet als Heilmittelniederlage. Kohl demerkt im Allgemel⸗
nen, daß ſolche neue MWorte ſich mit einer außerordenttichen
Schnelligkeit in Ungarn verbreiten, ſowie fie nur von ber peſther
gelehrten Geſellſchaft gebilligt find und auch als verflänbige
Bildungen dem Yublicum munden. Jedenfalis fpricht ſich in
biefer Empfaͤnglichkeit ber magyrifchen Ration eine nicht ges
woͤhnliche Seiſtes friſche und Kraft aus, bei deren richtiger del:
tung und Gntwidelung für die magyarifche Rationalität feisft
nicht wenig zu boffen ifl.
Das Wort Hufar iſt ungariſchen Urfprungs, von husz,
db. $. zwanzig, weil nad einem alten Rekruticungsgefege von
Zwanzigen Giner Reiter werben mußte, ſodaß Huſar eigentlich
fo viel ale der Zwanzigſte heißt (Kohl a. a. D. ©. 193).
Sind bie Hufaren echt ungarifhen Urfprungs, fo können fie
auch als ein Beweisgrund für bie Meinung mancher Gelehrten
gelten, daß bie heutigen Ungarn und bie alten Parther gang
baffelbe Volk feien, eine Meinung, bie nach Kobt (a. a. D.
&. 192) darin einige Unterftügung findet, daß man Das, was
die Römer von ben Parthern erzählen, in Guropa nirgenb befs
fer deuten und verftehen lernen Tann als In Ungarn. Mas bei
den alten Römern Horaz, Properz, Virgil u. X. von ber Reis
tergewanbtheit der Parther, von ihrer Flüchtigkeit und Schnei⸗
a erzählen, bürfte in ben ‚Bufaren ber Neuzeit ein Seiten:
& finden. Die Uhlanen find nur eine durch die Polen vers
beſſerte Einrichtung ber Zataren oder Koſacken, alfo urfprängs
li flawifcher Abkunft.
Blüdiihes Kandia!
&o kann man wol in gewifier Beziehung jedenfalls aus⸗
rufen; denn auf Kandia gibt es keinen Abvocaten! Aud Feine
andern Gerichtskoſten gibt ed dort als bie, welche bem Kläger
das geſetzlich gebotene Auffegen feiner Eingabe durch die öffentlichen
Schreiber Eoftet. Diefe Legtern bürfen aber nicht über fichen
Sous nach franzöfifhem Gelde für eine Klage oder Supplit, fie
fet noch fo lang, annchmen. Selbſt das Papier u. f. w., fo.
viel auch bavon im Werfolg der Sache verbraudgt werben Eönnte,
liefert da8 Gouvernement unentgeltlih, unh bis zum Austrag
derfetben bleiben die ſieben Sous für bie erfte Requete bie eins
sige Ausgabe der Parteien. Anderwärts muß ber Kläger gleich
von vorn herein eine Abgabe an den Staat zahlen, ohne Rüds
fiht darauf, ob er den Proceß gewinnt ober nicht. 31.
Literarifche Anzeige.
Bei S. Of. Bro “6 in Leipzi
duch alle —e erhalten: Pate IR erſchienen u
Gedichte
vom
Fürſten zu Rynar,
Gr. 8. Sch. 1 Thlr. 18 Mer.
Grüher erſchienen von dem Verfaſſer ebendafelbfl :
Der Bitter von Rhodus. Zrauefpiel in vier
Acten. Gr. 8. Geh. 20 Nee.
Die Mediceer. Drama in fünf Xcten.
Gr. 8.
Sch. 24 Nor. “
Berantwortiicker Gerauögeber: Heinrih Broddaud. — Drud und Balag von $. A. Brodbaus in Eeipsig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Mittwod,
Sommentatoren deutfher Dichter.
(Bella aus Mr. 129.)
Mir Haben einen näher tingehenden Auszug aus dies
ſem Werkchen geliefert, weil, vote wir Eingangs bemerk⸗
ten, wie in Diefer Art der Reflerion, im Allgemeinen wenig:
fiens, einen Kortfchriet der Kritik erbiiden. Wir denken
ans die Sache fo: Ein Dichterwerk, oder eine Mehrheit
von Dichtungen deffelben Verf. unterliegen der Kritik der
Tagespreſſe alsbald nad ihrer Ankunft auf dem Forum
der Literatur, und diefe Kritik wird wiederholt und viel
feitig gebe in demfelben Maße, als das Werk die Aufı
merkſamkeit der Seifter auf fid) zieht. Sobald aber dieſes
Werk aus dem Kreife des Meuen ausgefchleden und von
dem Markte der literarifchen Movitäten in die Hände der
Gebildeten übergegangen ift, ſobald der Werth des Be:
fies den Meiz der Neuheit erfegt, ſobald wird auch bie
journatiftifche Kritik fich deffelben entfchlagen und hoͤch⸗
ſtens bei anerkannter Bedeutſamkeit des Dichters ihm
von Zeit zu Zeit die Ehre einer Parallstefirung mit
neuen, jüngern Dichterwerden zu Theil werden laſſen.
Die journatiftifche Kritik kann nichts weiter hun, als
einen Maßſtab der Pehfung an den neuen Ankoͤmmling
legen; fie wird aber eben damit nicht für den Werth:
meiter der Bedeutung gelten Eönnen, welche dem bereits
auf dem Gebiete der Literatur ingebürgerten beigelegt
wird. Diefen Werth zu bezeichnen, iſt zur Zeit Aufgabe
des 8 terachiftorikers. Hiermit iſt aber zugleich der Man⸗
gel ausgefprochen, den wir bier finden. Der Literarhifto:
riker kann nur das Bergangene, das zur Gefchichte Ge:
worbene barflellen: es wird flets ein Raum zwiſchen ſei⸗
nem Standpunkte und feinem Objecte liegen müffen, den
genügend zu charakterifiren er felten im Stunde, noch
feltener überhaupt veranlaßt if. Hier nun treten ergaͤn⸗
zend Refumes, Paralielen und dergleichen ein. Je mehr
fie fih dem Standpunkte der Gegenwart nähern, beflo
mesr werden fie als Supplement ber journaliftifhen Kri⸗
tie erſcheinen; je mehr fie auf bereits gefchichtlihem Bo:
Dei fich bervegen, deſto größere Huͤlfe werden fie der lite:
ra:hiltorichen Kritik bieten. °
Indem das vorliegende Werkchen diefem Kreife ange:
hört, haben wir feines Erſcheinens uns zu freuen, bei
der Seltenheit und noch felteneen Tuͤchtigkeit diefer Ar:
beiten. Aber wir bergen und und den Leſern nicht, daß
das Anerkenntniß diefer Tüchtigkeit, das wir bereitwillig
gewähren, andererſeits beſchraͤnkt wird durch; mannichfaches
Ungenügende, das wir an dem Standpunkte des Verf.
bemerken. Zuerſt ift feine Eritifche Reflerion eine zu ver:
einzelte. Zwar zieht er öfters Parallelen, er weiß dem
estangten Eindrud mit andern Anfhauungen zu verbins
den, er geht auf die Gruͤnde deſſelben ein und Iegt fie
fh auseinander. Aber von einer aͤſthetiſchen Einheit
feines Urcheils finden wir viel weniger Spuren als von
der Eubjectivität des Beliebens bei dem und bei jenem:
Dichter. Wie wäre es fonft 3. B. zu erklaͤren, daß dem
Verf. die Kuͤnſtlichkeit der Ruͤckert'ſchen Didytungen fo
verwerflich erfcheint, daß er ſich dadurch insbefonbere mit
zu bem fo misfälligen Uctheite uͤber ben Dichter beſtim⸗
men läßt, das ſchlechthin einfeltig genannt werden muß,
waͤhrend er der fo fichtbaren Spuren derſelben Kuͤnſtlich⸗
keit bei Freiligrath gar nicht gedenkt? oder daß er bie
Richtung Rückert's auf das Orientaliſche fo misbillige,
während er bei Freiligrath in biefem auf das Fremde
gerichteten Sinne eine großen Theile feiner Poeſie nur hie
Eigenthumlichkeit einer wunderbaren Dichternatur erfumms?
Borfhen wir aber noch tiefer nach der eigentlichen Baſis
feiner aͤſthetiſchen Kritik, fo iſt zwar micht zu verkennen,
daß Ehrenhaftigleit und Tuͤchtigkeit der Gefinnung ihn
leitet, und daß ihn die vage Reflectirung des Subject,
wie fie bei Platen und Heine vorkommt, fehr abſtoͤßt;
aber ex geht zu weit, wenn er von der politiichen. @efin:
nung einen Maßſtab für den Werth der postifchen Leis
fangen entiehnt; er entfernt fi) von dem Boden objec-
tider Würdigung, indem er der Subjectivität drs Dir
ters zu wenig Anerkenntniß gewährt. Während er auf
der einen Seite duch fremdartige Eindrhde fi beſtim⸗
men läßt, über Dichterwerth abzuurtheilen, ſtreckt er an⸗
dererſeits poetiſche Producte auf das Prokruſtesbett feiner
ein für allemal feſtgeſtelten Anſicht. So wiberſprechend
dies ſcheint, ſo tritt es doch deutlich bei Ruͤckert hervor.
Hier finden wir die bekannte Floskel, daß Goethe (von
dem bier wegen der orientaliſchen Richtung in der Poeſie
die Rebe ift) keinen Sinn für die großen Bewegunges
des Vaterlandes hatte, und biesvon wird fehr wies Gele
genheit genommen, Huber den Dichter Goethe misliebig
zu urtheilen; und an einer andern Stelle wird die Na⸗
turwahrheit der Goethe'ſchen Poeſie wieder als preis:
0. 813.
ledig und hochſtehend bezeichnet. Diefer Widerſpruch
wäre vermieden worden, wenn der Verf. fi) daror bes
wahrt hätte, die Stellung bes Dichters zu feiner Zeit
von der Stellung deſſelben zur Poefie zu unterſcheiden.
So viel, um nicht gu weitläufig zu werden, uͤber bie:
8 Werkchen. Einen Anſtoß noch, der aber mehr die
Stonomie beffelben betrifft, mögen wir nicht verfchweigen.
Daffelbe könnte um bie Hälfte Lleiner fein, wenn nicht
fo viele Gedichte bald fragmentariſch bald volftändig darin
abgebrudt wären. Wer fie kennt, braucht fir bier nicht;
wer fie nicht kennt, lernt durch diefe Extracte den Dich⸗
tee nicht kennen.
3. eefiing's Dramen und dramatifche Fragmente. Zum erſten
Male vollftändig erläutert von A. Nobdnagel. (Eupple
mentband zu ſaͤmmtlichen Ausgaben von Leſſing's Werten).
Darmfledt, Leste. 1842. 16. 20 Near.
. Diefer Commentar trägt ebenfo fehe das Gepraͤge ber
Solidität als den Schein einer Eleinen Buchmacherei.
Um bie Beſchuldigung vor dem Lobe zu rechtfertigen, bes
merken wir, daß die erflärenden Anmerkungen zu. einzeb
nen Stellen der drei Hauptdramen oft Überflöffiges, bis⸗
weiten fogar Schwaches, faft ſtets aber derlei enthalten,
was für den Gebiideten, der das Übrige des Buchs ner:
Keen kann, ſelbſt verſtaͤndlich iſt. Aber freilich — das
Bädlein wähft dadurch. Herner meinen wir, baß die
Häufigen Epifoden, wo irgend Anatoges oder Parallelts
an: und ausgeführt tft (mie S. 69 die Bezugnahme auf
Emerentius Scaͤvola's Roman, S. 173 der voliftändige
Abdruck von F. Kind’s ‚König von Samos“ u. dgl. m.)
gleichfalls ein Pius find. Endlich hätte wol auch das
detaillirte Erpof& der einzelnen Charaktere vermieden wer:
den können. Das Misverhaͤltniß muß Bar hervortreten,
wenn man erwaͤgt, daß auf ziemlich drittehalbhundert Seis
ven „Emilie Balottt”’, „Nathan“ und, Minna von Barn-
hetm⸗ erponict werben, während den fieben übrigen Dra⸗
men zufammen nur hundert Seiten gewidmet find: halb
fo ſtark, unb das Buch würbe uns werthvoller duͤnken.
Die Methode des Verf. ift, daß er literarhiſtoriſch jedes
Drama einteitee und deſſen Geſchichte fogar in dem
Sinne verfolgt, ale er die Bearbeitungen gleicher aber
ähnlicher Sujets auffuͤhrt. Die geſchichtlich baſirten Dra⸗
men werden noch von dleſer Seite her erlaͤutert. Indem
hierbei eher zu viel als zu wenig gethan iſt, legt der
Berf. zugleich gründliche und vielſeitige Geſchichtskennt⸗
niſſe dar. Die aͤſthetiſche Wuͤrdigung der Charaktere iſt,
wie bemerkt, etwas breit. Aus dem Bereiche der Litera⸗
urgefchichte hat Hr. Nodnagel eher zu viel ald zu wenig
gefchöpft. Zu diefem Zuviel rechnen wir namentlich das
ausführliche Wiebergeben ber Urtheile Anderer über Lei:
fing, zuerft in ber Einleitung ber generellen, dann bei
den Hauptdramen aud noc der ſpeciellen. Dadurch
wird das Banze faft encyklopaͤdieartig. Wo foll ber Ge:
auf eines Kunſtwerks feine fehöne Unbefangenheit behal⸗
ten, wenn ber Weg zu demfelben duch Raifonnement
und Erplication ſchon fo breit getreten iſt? 56,
‚uber Bir G. L. Büliwer’g Lei
Die Stellung der Schriftfteller in England.
Das „Edinburgh review”, diejenige englifche Monatsſchrift,
welche mit dem ‚„Quarterly‘ den ausgebreitetften und begrünbets
ften Ruf gentift und Männer wie Brougham, den vormaligen
wohiggiftifchen Arggemimifter Macaulay u. A. unter feine Mitarbei⸗
ter zaͤhlt, kommt im Februarhefte d. 3 am Schlufſſe eines Artikels
ngen auf bic Stellung ber Schrift»
fteller in England zu fpredhen. Veranlaſſung dazu gibt ihm
das zweibeutige Benehmen Sir Lytton's, in welchem ber neu⸗
geadeite Baronct und ber berühmte NRovellift ihre Rangſtreitig⸗
keiten noch nicht ausgelämpft zu haben fcheinen. „Sir Lytton”,
beginnt der Reviewer, „wird und vergeben, wenn bie Bemer⸗
kungen, welche wir über fein Betragen als Eiterat zu machen
uns genoͤthigt fühlen, auf einem Misperftänbniffe beruhen. Gr
ift unſers Willens der jüngere Sohn einer in gutem Rufe
ftehenden Familie von Landedelleuten in der Grafſchaft Norfolk.
Nun hat man aber aus einigen Auferungen in feinen Schriften
den Schluß gezogen, er wuͤnſche fi ſelbſt Aber feine literariſchen
Collegen zu erheben, indem er zu verfiehen gebe, ber Beſitz
eines Abristitele weile ihm beu Rang über ihnen an. Geinen
abeligen Standesgenoſſen gegenüber nehme er hingegen auf den
Grund feines Schrififtellerrufs einen Vorzug in Anſpruch. Dies
mag erflären, warum es ihm oft erging wie der Fledermaus
und er von ben Schwalben und Mäufen Angriffe erfuhr. Die
Abeligen fallen über ihn her, als nicht zu ihnen gehörig; die
Literaten, weil er die Kameradichaft mit ihnen verfeugnet, unb
fo geräth er mit beiden Gtaffen in Gollifion. Zu wiederbolten
Malen bat er fi mit großer Beredtſamkeit über den Werth
titerarifcher Veftrebungen vernehmen laſſen. Kein Adeliger, der
diefe Stellen feiner Werke lieſt, wird fi einbiiden, der Verf.
halte das vergnügliche Geſchaͤft, von feinen Renten zu Ixben,
für ebenfo würbevoll, als dasjenige, welches Prinz Albert —
und diefe Worte gehören zu einer Reihe ähnlicher Zeichen uns
ferer Zeit — ‚den erhabenen Beruf der Bildung bes Menſchen⸗
geiftes‘ nannte. Zum Beweiſe, baß fi Bulwer in ber Ges
Iehrteirepublit eine ungebührlicye ilberfchägung des Abelstiteis
zu Schulden fommen laffe, wird auch der Beweggrund ange:
führt, auf den er fich berufen haben foll, ats er die Heraus⸗
gabe des „New monthly magazine * übernahm — naͤmlich um
zu zeigen, baß eine ſolche Stellung für einen Ebelmann nicht
unpaflend ſei. Verhaͤlt fich dies wirklich ſo, fo kann man bies
Motiv nur fehe jämmerlich und biefe Ziererei bei einem fonft
Fidhehadten und wahrhaft edeln Manne nur ſehr betruͤbend
inden.“
„In feinem ‚England and the English‘ entwarf Bulwer
ein fehr übertriebenes und unrichtiges Bild von ber i
fhägung, welche in biefem Lande ben Literaten im WWerglei
mit ben Gelbmenſchen zu Theil wird. Er und Andere, bie mit
ihm übereinftimmen, bezeichnen mit Entrüftung die Sucht nad
Reichthuͤmern als das englifche Nationallafter. Ihnen zufolge
wird bei uns nur dem Reidhthume und biefem allein alle Ehre
erwiefen. Allein unfere Beobachtungen fichen mit biefer Aus
nahme in gerabem Wiberfprud. Blos mit Geld erwirbt Ries
mand in England die höchften Ehren, noch erlangt er damit
Zutritt in bie befte Gefellfhaft von was immer für einer Art.
Rothſchild wurde von keinem Theile des engliſchen Publicumt
beklagt, und die verftorbene Herzogin von St.⸗Albans *) flößte
nie Eprerbietung ein. Man kann nicht fagen, baß bie befle
Geſellſchaft Londons — bie befte in jedem Sinne des Worte,
ſowol die erblidhe als bie perfönliche Ariftofratie der Haupt⸗
ſtadt — je um den Einen ober um bie Andere gebuhlt babe.
Wenn er ober fie mit cinem liebe bes hohen Adels, mil einem
Zonangeber der fafhionablen Kreife, oder mit einer von ben an⸗
erkannten Berühmtheiten der Wiſſenſchaft, Literatur oder Kunſt
jemals in Beruͤhrung kam, fo war ‚froftiges Adchfelzuden‘ das
Einzige, wozu ſich diefe herbeiließen. Gewiß würden bie Ads
») Witwe und Erbin bed reihen Bankier Cutté, in zweiter
(he mit dem Herzog von Gt. : Albans vermäßlt.
tumgsbezeigungen, weldge Stot b wäßsend feines ganzen Le⸗
ben⸗ —— Die Bufbigung en aufwiegen, mit der man in
diefer Hauptſtadt des MWeltyanteld Exott während eines einzi⸗
Zoos feierte.‘ .
„Jedoch felbft zugegeben, das ſich bie Sache fo verhaite,
wie Butwer meint, fo iſt das Auspofaunen der allgemeinen Wer:
achtung, in ber bie Literaten ſtehen, nicht bas Mittel, ihnen
Me allgemeine Achtung zu gewinnen. Rod; nis wurden Men⸗
fen in der Meinung dadurch gehoben, daß man berichtete, wie
fehe_fie in derſelben gefunfen find. Es gibt in der That eine
Glaffe von Leuten, die ſich anftellen, als veradhteten fie Diejeni-
gen, weiche ſich mit Literatur beichäftigen — die ganz gemei⸗
nen Mammonsdiener, die, fo behaupten wir, in ben Augen aller
andern Engländer felbft verächtiid find. Profeffioniften büden
füh vor ihnen der Kunbfchaft wegen 1 Hausknechte, Aufwaͤr⸗
ser und Bediente um bes Trinkgeldes willen und für Das, was
fie von ihnen erhaſchen können, aber Achtung erweiſt man ihnen
weiter Beine. Berechtigen fie dazu feine perfönlicyen Vorzuͤge,
fo entdedt ein geübtes Auge mit einem Btide diefen Mangel
und ficher folgt dem Enechtiichen Buͤckling felbft bei den unter
fien Ständen eine pöbelhafte Geberde der Verachtung. Ihr
Herzen Literaten! Reſpect vor euch ſelbſt.“
„Schriftſteller werden nicht für Abenteurer gehalten, wenig:
ſtens in keinem ihrer Ehre nachtheiligen Ginne, und verbienen
ale eine Staffe keinerlei Geringſchaͤzung. Was ſittiichen Cha⸗
zalter und Brauchbarkeit betrifft, ſtehen fie, durchſchnittlich ges
aommen, ebenfo hoch als jeder andere Stand. Ein bodhfinniger
Sournalift zu fein, erfobert vielleicht mehr moralifhe Kraft ale
font ein Beruf, und nad) unferer Überzeugung trifft man un:
ter ihnen ebenfo viele edle Geifter als in jeder andern Sphäre
des Lebens. Thoͤrichterweiſe wird zwiſchen ben gefeierten Schrift⸗
ſtellern, mit Ginfhluß der Mitarbeiter an den Reviews ‚und
denen, welde für Wochenzeitungen und Zagesblätter fchreiben,
ein Unterſchied gemacht, als wären fie nicht die nämlichen Per:
fonen.*) Allein wir behaupten, baf in in unferer Zeit Nies
*), Bulwer felbf dient als Beiſpiel, daß dieſer Unterfleb als
ler Begründung entbehrt. An einer andern Stelle ded von uns
benusten Aufſatzes kommt der Reviewer auf bie politifhe Wirkſam⸗
keit des Batonets zu ſprechen und erwähnt, daß die von demfelben
verfaßten Zeitungdartilel einem der beflen englifhen Sournaliften
zugeſchrieben worben fein. „Vielleicht⸗⸗, fährt er fort, „wird uns
Sir Lytton nicht dankbar dafür fein, daß wir eine bloße Vermu⸗
hung für beglaubigt halten und der Welt erzählen, er Babe „Leis
tende Artikel! gefhrieben. Allein thatfählih ift ed, für ganz Lon⸗
son kein Geheimniß, daß, obwol Zebermann damit heimlich thut,
faſt kein zu politifher Thaͤtigkeit Berufener es verſchmaͤht habe,
ein ober daB andere Mal von der Zeitungsprefſſe, biefem mädtig:
Ren Meinungdhebel, Gebrauch zu machen. Elner unferer Belann:
ten, ber einem Biſchof feinen Beſuch machte, mußte neben ihm
warten, bis er einen leitenden Artikel für ein Tagesblatt vollendet
Hatte. Einige politifhe Parteifuͤhrer machen kein Geheimniß dar:
and, daß fie in Seitungen ſchreiben, obwel fie, wie ſich von felbft
verſteht, nicht wuͤnſchen, daß man fie mit allen Mitarbeitern der:
ſelben in eine Linie ftelt. ‚Ihnen mag eb fehr leicht feinen, einen
BZeitungbartitel zu ſchreiben‘, fagte unlaͤngſt ein Gabinetöminifier bei
einem öffentliden Eramen, ‚allein verfuhen Sie es nur.‘ Und
wirklich gehört es zu den ſchwierigſten Aufgaben der Schriftſtellerei,
Über eine Tagesbegebenheit einen guten leitenden Artikel zu ſchrei⸗
Ben, beffen Beweisfuhrung fcharffinnig und leicht verftaͤndlich iM,
der witzig und wirkſam erläutert, die Thatſachen in deutlicher Kuͤrze
angibt und forgfam bie perfönliden NRüdfichten beobachtet, welche
die Zeitung felbft und die Partei, der fie angehört, auferlegt. Das
politifde Pamphlet iſt eine Reihe folder unter dem Gefichtspunkte
einer ihm elgenthümtichen Einheit miteinander verfnüpfter leiten⸗
der Artikel. Es bedarf wol wicht ber außbrädiiden Angabe, daß
Dt. Bulwer ber Berf. jened Pamphlels fel, welche vieleicht das
ꝓitanteſte und kraͤftigſte und gewiß das erfolgreichfie von allen war,
Die in füngfter Zeit erfhienen find. Er veräffentiichte ed, als ber
manb mehr wahre Hochachtung genießt ats jene Riteraten, bie
im Dienſte der Ginilifetion auf eine muͤtliche Weiſe thätig ge:
weien find, mögen fie nun biefen oder jenen Weg der Yublice:
tion gewählt haben. Unfere Landeleute find nicht blind, taub
und ſchwachkopſig. Sie wiffen, daß bie Iomenatiften eine große
Macht zu guten Zwecken gebrauchen und fic ehren fie darum.
Zweifelsohne werben die Journaliſten verachtet. Jeden trifft
dies Loos. Derachtung macht überall die Runte, Einer ſchaͤtt
ben Aubern gering. Lord John Ruſſell ſagt, daß die Feble
feiner Claſſe von Menſchen ſtrenger geruͤgt werben als jene ber
Lords. Sicherlich, Lords haben eine Menge Verächter. Leute,
bie unter der Geißel ber Journaliſten winfeln, reden ihnen na«
tuͤrlich Übles nad); aber nach der beften überzeugung VBerftän-
diger iR in biefem Augenblide kein Beruf in England geach⸗
teter als jener der Preſſe. So ifi es, wenn wir unfern Obren
und Augen glauben duͤrſen; doch innen fie auch im Irrthum
fein. Sndeffen geht unfere Auſicht dahin, daß die Kiteraten nur
ae fasten bebürfen, um al Das zu erringen, was ihnen
g t.“
„Unfere Beobachtungen berechtigen uns zu dem Schluſſe,
daß Riemand, blos weil ex biefem ober jenem Etande angehört,
mag berfelde fein weicher er wolle, eine höhere geſellſchaftliche
©tellung einnimmt, ober eine ebenfo hohe, ala Büyriftfteller,
die an ben beſten Monats und Wochenfchriften (reviens und
magazines) mitarbeiten. Sin Sig im Parlamente gibt einem
Manne ben Borrang, aber er wird deswegen nicht mehr — in
gutem ober uͤblem Sinne — beachtet. Wol wird jeber junge
Mann, ber ſich der Literatur widmet, gefragt, warum er nicht
lieber Juriſt werde, da fi) an den Gerichtsſchranken fortwährend
Gold aufpäufe und auf die Roßhaarperuͤcken vor denfelben fogar
Peerötsöndgen von Zeit zu Zeit ſich niederlaffen. Allein nie
fühet man als Grund an, daß dis juriftiiche Laufbahn ehren:
voller fei als die literarifche, daß die Sünger ber Themis einen
eblern Beruf haben als die Männer ber Preſſe. Grwibert der
alfo Befragte, es fei ihm nicht darum zu thun, reich zu wer
ben, und er fehäge die Aufgabe, mittels feiner Feder bie Ginifi-
fation zu fördern, höher als die Wappentrone eines gefehkuns
bigen Lords, fo wird ihm gewiß Keiner einwenden, daß er im
Begriffe ſtehe, fein Eeben uneblern Beſtrebungen zu weihen,
als die find, deren Schauplatz MWefkminfters Hat if. NRäth
man alfo einem jungen Riteraten, Abvocat zu werben, fo be:
sieht man ſich babei eingeflandenermaßen auf niebsige uab
feibſtſuͤchtige Beweggruͤnde — auf den Erwerb eines Bermd
ober eines Titels. Die Wreunde bes Wetreffenden benten, baß,
wenn cr biefen legtern Beruf ergriffe, ein Plat auf der Richter:
bank cher im Oberhauſe blos bie Stelle wäre, weiche ihm vers
möge des fpecififchen Gewichts feiner Talente zukaͤme. An ber
Hervorbeingung Deſſen zu arbeiten, was die Öffentliche Meinung
einer Nation wird, iſt ein großes Werk. Sich über Das zu
beſprechen unb zu einigen, worüber künftige Gefepgeber ihre
Berfügungen treffen werden, ift das tägliche Geſchaͤft der Lite:
raten. Keinem, ber rechts von Lines unterfckeiden kann, duͤnkt
die Verrichtung eines Journaliſten fo niedrig wie jene einer
bloßen parlamentarifchen Votirmaſchine. Die Gefeggebung thut,
was bie Preffe fie heißt. In unferer Zeit find die Literaten
Diejenigen, welche auf das geiftige Leben der Kationen den
größten Einfluß üben. Ihr Werk ift das erhabenſte, was
Menſchen thun Fönnen. Die Schaͤtung bes Menſchenwerths
betreffend, macht ſich jept aͤberall die mannhafte Lehre g.Itenb,
daß Würde nach den Werken gemeſſen werben ſoil, die ein
Menſch für feine Mitmenfchen thut. Gchriftfteller arbeiten an
ber Erzeugung des Wahren und Schönen. Ihe Werk iſt die
Givitifation 5 fie beſteht aus ihren beflen Gedanken. Sie rin
gen, daß aus Berfunkenheit, Irrthum und Unrecht das Gute
ſich erbebe, der Menfchheit zum Gegen. Zu allen Beiten hat
ein Schimmer dieſer Wahrheiten in klaren Köpfen gedämmert.
Tod des leptverfiorbenen Lorb Spencer eine Intrigue veranlapte,
die ein Minikerium in einem Tage ſprengte.“
„Sag ihm, feine Geche wohne in einem GSaͤßchen“, war bie
Antwort des Dichters an ben König. Geniale Menſchen hatten
lets ein mehr ober weniger denttiches Bewußtſein, daß ihr
Grit einen Thron einwehme. Unſere Bemerkungen betzeffen jes
doch nur die Scheiftſteller von Profeſſion.
man fie nicht höher fielen will, minbeftens die Kauf: unb
Handwerksleute im Reiche des Wiffene. In der wahren, nicht
vom ſchmuzigen Intereffe beſtimmten oͤffentiichen Meinung fleht
der Jorrnaliſt und Literat gewiß höher ald der Rechtégelehrte.
Ban bit Ihn von vorn herein für einen Dann von größern
Talenten, denn fonft könnte er ja von Journaliſtik gar nicht
ieben. Gewinnt er Grfolge, fo richtet das Publicum feine
Blicke mehr auf ihn als auf den gtuͤcklichſten Anwalt. Die
Verachtung, mit der man bie Advocatenkniffe und »Mänte, ihr
Zanken, übertreiben und keckes Lägen betrachtet, findet auf ihn
keine Anwendung. Seiner eigenen Partei fcheint er im Dienfte
des Rechts und ber Waterlandäliebe zu fieben. Dem Journa⸗
üften muthet man es nicht zu, daß er jedem Agenten zu Ge⸗
bote und bereit fei, für einige Guineen feine Lügen zu wieber:
holen. Seibſt die Verleumdung geht nicht fo weit, ihn anzukla⸗
gen, daß er feinen Verſtand und feine Beredtſamkeit auf offe:
nem Markte dem Meiftbieter verkaufe. Er bringt nicht 30 Jahre
feines Mannesalters damit zu, zu felbftfüchtigen Zwecken Ra⸗
butiftereien auszuhedlen. Der Zournatift, wenn mit Grfolg ge:
kroͤnt, ift in Vierteljahr⸗ und Monatichriften, in Wochenzeitun⸗
gen und Tagesblättern der Lehrer ber aufgeklaͤrteſten Geifter
feiner Zeit. Gein Publicum ift kein Oberbaus, in dem viellsicht
Wgeſchickte Leute unter 400 Dummeöpfen figen; kein Haus
der Gemeinen, in dem der fechete Theil aus gefchidten und
werftändigen Männern beftehen mag, während bie Übrigen ganz
gewöhnliche Alltagsmenfchen find; kein Gerichtshof, we fich,
etwa ein Dusend achtungswerthe Leute abgerechnet, ein gemei⸗
ner Daufe unbefhhäftigter Anwälte, auf Beute lauernder Ba:
buliften, Agenten und Gcheeiber herumtreibt. Der Journaliſt
Hat bie Beten alle aus dieſen brei Bullen zu Zuhörern und
nebftdem noch jeden geiflig DBefähigten diefed Bandes, ja am
Ende au Europas, ber feine Blicke nach den Höhen des Wiſ⸗
fens richtet, auf das anbrechende Licht der Civiliſation. Hoch⸗
finntge Shrenmänner machen obne Zmeifet den Stand ber Rechte:
gelehrten zu einem fo edeln Berufe, als er überhaupt werben
kann. Wir wiflen jedoch, baß einige unſerer vortrefftichiten
und hochgeftellteften Nechtögelehrten, die noch am Leben find,
darin übereinlommen, zu der Stellung unferer größten Journa⸗
tiften, auf deren Wort Europa horcht, laſſe ihr Amt ſich nicht
erheben. Die Gegenflände, mit denen ſich der Juriſt befchäfe
tigt, gehören ciner niedrigeren Stufe an. Die erhabenften Fra⸗
gen, an denen bie Advocaten in den eben verfloffenen Jahren
ihre Talente zu üben hatten, bezogen fich Darauf, weicher von
zwei Sekten eine Stiftung zuzuſprechen, welche von zwei Par⸗
teien in den Beſitz eincd Bergwerks zu fegen fel. Ein ober
zwei Male in jüngfter Zeit ertönte das Ohr des Publicums
von der Werebtfamkeit der Anwälte — in der Vertheidigung
rines Mörders, in der Lobrede auf einen Kuppler. Im Alb
gemeinen ſchenkt die Welt dem Journaliſten mehr wahre Auf:
merffamfeit als dem glüdlihfiin Anwalt. Man bemüht ſich
mehr um ihn. Seine dußere Erſcheinung, feine Lebensgeſchichte,
feine Manieren werden häufiger befproden. Beine Gegenwart
in einem Salon macht größeres Aufiehen. Die Zuneigung und
das Wohlwollen des Publicums wird ihm in höherm Grade zu
Theil. Er erntet den geraͤuſchvollen Beifall ber Menge, ihm
bringen die Auserwählten ihre Robeserhebungen dar. Gin Pa:
zagraph in einem abgelegenen Mintel einer Zeitung tft Allee,
was ein Peer, der fonft nichts ift, bei feinem Tode zu erwar⸗
ten hat; iſt er ein rechtögelehrter Lord, fo mag fich die Ro-
“iz; wol bis zu einer Spalte ausbchnen. Den Zournaliften bes
Elagen Artikel bis zu Hunderten. Seine Autographe werden zu
hohen Preifen verkauft. Zur gebührenden Zeit ftellen fidy zwei
oder drei umfangreiche Bände cin, bie feinem Leben gemeibt
find, wenn
find. Gein Name wird ein Theil der geiftigen Geſchichte feines
Beitatters. Zu dem Hauſe, in bem er geboren wurbe ober flach,
wallfohrtet das Jahrhundert. Zaufende und aber Tauſende er⸗
blicken in ber Beroͤffentlichung feiner Werke, in der Dffenbarung
feiner Echren, in der Berbreitung der Wahrheiten, die er aus
ben höhern Sphaͤren bed Gelftes herabholt und zugänglid
macht, eine wohlthaͤtige und ſchoͤne Erſcheinung, gleich dem
ling in der griechiſchen Ode, wenn er glaͤnzend ſich naht,
en ſtreuen 1.
’]Js nws dapes yarkyıog
zupıuss (oda Agvovaıy.”
Wir möchten no, um ben Borwurf ber Übertreibung,
welchen man gegen ben Reviewer als pro domo sua perorirend
gelten machen Fönnte, von bemfelben abzuwehren, an zwei
ournaliften feinee Stammes erinnern, die er wol vor Augen
haben konnte — an Franklin und Junius, und fließen mit
den Worten eines Mannes, ber eine nicht weniger hohe Wiek
nung von der Wichtigkeit und bem Ginfluffe der Literatur Hatte
und damit vielleicht nur eine tiefere Einſicht in die Schwaͤchen
ber Literaten verband — mit den Worten Mirabeau’s: „Ah!
s’ils se devouaient loyalement au noble mötier d’&tre utiles!
Si leur indomptable amour-propre ponvait composer avee
lui-meme, et sacrifier la gloriele A la dignite! 8i, au lieu
de s’avilir, de s’entre-dechirer, de detrüire röciproquement
leur influence, ils r6&unissaient leurs eflorts et leurs travaux
pour terrasser l’ambitieux qui usurpe, l’imposteur qui &gare,
e Jäche qui se vend; si, meprisaat le vil metier de gladis-
teurs litteraires, ils se croisaient en veritables freres d’ar-
mes contre les prejuges, le mensonge, le charlatanisme, la
superstition, Ja tyrannie, de quelque genre qu'elle soit, en
moins d’un sidche la face de la terre serait changee.”
54.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Beitrag zur franzoͤſiſchen Provinzialgeſchichte.
Es kommt ſelten genug vor, daß ein Werk mehr leiſtet
als fein Titel verſpricht. Man kann dies indeſſen von einer
intereſſanten Schrift ſagen, bie vor kurzem in Paris uns
ter dem Titel „Statistique historique de Tarrondissement
de Döle” von Armand Marquiſet (2 Bde.) herausgefoms
men iſt. Wir erhalten hier nämlich nicht etwa cine einfache
Statiftif, fondern die forgfältigfte Gefchichte dieſes Arrondiſſe⸗
ments, bie man fich denken fann; ja das Werk Eann faft für
eine Geſchichte dev Franche-Comté, deren Hauptftadt Döle war
gelten. Der Berf. führt nicht nur bie wichtigften Greigniffe
an, die fih auf diefem Schauplage zugetragen haben, fondern
er gibt bie vollftändige Monographie jedes wichtigen Monuments,
jedes Weged und Steges und bie Sagen, die fih an bie
Ruinen antnüpfen. Sein Werk ift reich an einzelnen Ro:
tigen unb intercffanten Anekdoten.
Zur Statiſtik der franzdfifhen Bibliotheken.
%. Marmier berichtet im „Moniteur universel‘’ über den
„Catalogue general des bibliotheques du departement de la
marine”, der vor kurzem von Bajot auf Befehl bes Mi:
nifteriums herausgegeben if. Wir feben aus demfelben, baf
feit einigen Jahren viel gethan ifl. Diefer Katalog führt mebr
ats 17,000 Rummern an, und was man noch vermiffen Eönnte,
wirb bald nachgetragen werben. Überhaupt fcheinen auf dem
Minifterium der Marine bie willenfchaftlihen Beſtrebungen bes
fonders befördert zu werben. Es ift deshalb ganz natürlid,
daß bie jungen Angeftellten auf demfelben es ſich angelegen fein
laffen, fi auch durch literarifche Arbeiten hervorzuthbun. So
baben wir vor kurzem eine recht intereflante Biographie Col⸗
bert's erhalten, bie aus der Feder eines jungen Mannes ber:
rührt, ber in diefer Abminiftration angeftellt ift. 2.
Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brockhaus in Leivzig.
nn wm
\WTORNUENZTU
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerdtag, — Nr. 131.
11. Mai 1843.
Stimmen der Zeit.
1. Gegen Georg Herwegh. Bon —— Vogelleim, ge
nannt 8. &. Meonte. Berlin, d 343. 16. 15 Nor.
2. Lieder eines Gefangenen. Fan Ferien gewibmet. Schuffs
haufen, Brobtmann. 1842, 12. 20
3. An artburgftinimen: VE a rag von Sriebeid Ludwig.
—— ei" Rönigsberg, Sp
4. 3 al eder eines yunıia en. nig eile.
1843. 8. 20 Rar.
Wozu die Lieber Menge
Von Freiheit, Bölkernoth,
Die alle andern Klänge
Faſt zu erftiden droht?
ruft einer diefer Dichter und beantwortet es felbfl. Be⸗
flügelt ziehen fie weiter und ballen verfläckt von Dit zu
Drte wieder. Wie für Natur und Liebe der Sänger
erglüht, erfüllt auch die Freiheit fein Lied mit heißem
Triebe. Es werde ein hundertſtimmiger Chor merben,
in welchen endlich auch das Volk einftimmen mäffe.
Haft gewinnt es den Anſchein, als habe der Sänger
Recht. Wie Viele fingen ſchon und aus demfelben Zone,
und wie viel Zaufende, die nie Gedichte lafen, die nie
auf folhe Dinge hörten, laufhen den Sängern und ler
nen die Lieder auswendig und recitiven fie wieder. Daß
ein Umſchwung der Verhaͤltniſſe durch Lieder zu bewirken
ift, wer bezweifelt das, feit Tyrtaͤus gefungen und Solon
fang, fih das maurifhe Lied „Wehe mir Alhema!’ in
Granada verboten werden mußte und Beranger der Vor⸗
fänger der Sulivevolution wurde. Aber bag in Deutſch⸗
land gerade zur Zeit, wo Einige vom Zollverein, Andere
von den Eifenhahnen das Heil erwarten; daß in unferer,
den materiellen Intereſſen, wie e6 beißt, ganz bingegebe:
nen Zeit durch die Lieber der Umſchwung vorbereitet wer:
den folle, {ft eine unerwartete Erfheinung! Kine duch
die Poefie bewirkte Revolution ift jedenfalls minder furcht:
bar als eine durch militairifche Kräfte, durdy wilden Poͤ⸗
belauflauf ins Werk geſetzte. Dis Poefie hat neben der
aufregenden eine wunderbar befänftigende Kraft.
Ihr lacht: es ift ja nur Poeſie! — Vielleicht. Es
find noch nicht Monden vergangen, fo glaubte ich es
auch. Was waren die Freiheitslieder da anders al& der
Widerhall der uralten Weile. Sie ſchmettern an ben
Felſen, fie bröhnen durch den Wald, fie wicbeln mit der
Lerche in den Himmel, und e6 find body nichts als Klänge,
bie allenfalls auch ein blutiger Tyrann ſich in ber Vers
dauungeſtunde vorfpielen laͤßt. Sie effectuiren nichts, weil
fie Schaummblafen der Phantafie find. Phantasmagorien von
einem gluͤckſeligen Zuftande, ber nie eriftirt bat und nie
exiſtiren wird, uralte Chablonen, nur mit neuen Streichen
und frifhen Karben ausgeführt. Und iſt e6 jest anders?
Die Dichter haben es nicht gemacht. Ihr Reich ber
Zukunft ift noch ebenfo unbeflimmt, ein vages Feld des
füßen Unmöglihen. Aber die Zuftände, aus benen fie
ſich aufſchwingen wie die Luftbläschen aus einem Chaos,
find in einem Gaͤhrungsproceß, der fo nicht fortbeftehen
kann. Sie find die Vorboten des Anderswerdens.
So betrachten wir fie denn auch andere. Nicht ihre
hohlen Seufzer und flimmernden Wünfche, fondern bie
Stoffe, welche ſolchen Lebensathem, gerade biefe Toͤne und
Bilder bervorbringen Eonnten.. Rene bleiben immer bie
felben. Es fol Etwas werden, was nie gemefen ift, noch
werden kann, bis das taufendjährige Reich eintritt, beffen
Exiſtenz und als möglih zu denken, wir nicht gute
ChHriften genug find. Jener Dichter fagt uns:
Bis daß ben alten Schranten
Entwägft ein ſtark Geſchlecht,
Erzogen in Gedanken
An ew'ges Freiheitsrecht
Dann wird die Freiheit ſiegen
Auch ohne Schwert und Blut,
Und Thron und VWoͤlker fügen
Ein Band wohl ſtark und gut.
Dann bei ber großen Beier
Bir ew'ges Voͤlkergluͤck
egt unſere Freiheitsleier
Als Wrihgeſchenk zuruͤck.
Bis dahin laßt uns fingen,
Was und das Herz erfüllt,
Rah Dem allein uns ringen,
Was uns das Hoͤchſte gilt!
Dies Hoͤchſte bleibe alfo einſtweilen in feinem unbe:
flimmten Daͤmmerſcheine ruhen, aber bie Lieder führen
auf das Leider fehr Beſtimmte in der Tiefe. Sie find
die Symptome, die Kritik der Zuflände, von benen, mer
frei iſt, forteilt. Wer fi ch nicht frei machen kann, ſchickt
wenigſtens feine Seufjer in die Freiheit hinaus. Melche
Ummwandlungen müffen da vorgegangen fein, baß, was
wir erſt vor kurzem geneigt waren als unverfländige
Phraſen beifeite zu ſchieben, uns jetzt, mit wenigen An:
derungen, als verfländig erſchelnen mag. Daß die Wän:
ſche der Jugend, in allen aufgemedten Zeiten biefelben,
alfo auch mit denſelben Waffen leicht zu betämpfen —
und fie werden in Regel von ihnen felbft, wenn aus ben
Juͤnglingen anflelige und angeftellte Männer wurden,
am fehärfften niedergedruͤckt, ja lächerlich gemacht —, daß
diefe unfchuldigen Wünfche auch vor dem größern Areopag
dee Nation als gehalterih und natuͤrlich widerklingen
mögen. Welche Misgriffe, welches Verkennen ber Zeit
und ihrer Aufgabe feßt das voraus! Im der Beziehung
find fie uns wichtig als Symbole und Kriterien des gros
fen Lebensprocefies, der Ruͤckwaͤrtsſtroͤmung in den Ge⸗
bieten, wo die Guten einen Gang nad Vorwärts er:
warteten. Hätten Die, welche wir bie guten Gonfervatis
ven nennen, Die, welche, nur den Sturmfortfchritten ent⸗
gegen, eine organifche Entwidelung beabfichtigen, mehr
Vertrauen gezeigt als Furcht, hätten fie nicht allein ihrer
eigenen Einſicht geglaubt, fondern aud) ber außer ihnen
Iebendigen, mächtig wachfenden, hätten fie ſich nicht allein
mit eifernem Willen an die alten Zormen bes Rechts
angellammert und ben Wachsthum des Rechts anerkannt,
hätten fie auch das Recht des Gefühle berüdfichtigt, dann
wären dieſe Lieder, was fie waren, fehöne Klänge, die in
der Luft verhallen. Man hört ihnen heute zu, man
freut fi) und morgen find fie vergefien.
Doc wäre e8 ungerecht, nicht auch auf ber andern
Seite zu erkennen, daß Fortſchritte da find, welche bie
umgemwanbelte Stimmung rechtfertigen. Iſt gleich das
Utopien noch immer ein ſchoͤnes Nebelbild, fo tauchen doch
ſchon einzelne Figuren, Grenzen mehr oder minder deut⸗
lich hervor. Der Tyrannenhaß ſpukt freilich noch ſo unge⸗
geberdig als fruͤher, wo es wirkliche Tyrannen gab, die
Aber unterirdiſchen Kerkern ſaßen und Sklaven in Ketten
Hierten an dem Fuͤßen ihres Thrones; aber die Mehrzahl
der Dichter hat doch ſchon gelernt bie feinen geifligen
Ketten von denen aus verroftetem Erz zu unterfcheiben.
Sie detaillicen die Stoffe, aus denen fie gefhmiedet find.
Die unerklaͤrliche Europamüdigkeit ift feit den Eiſenbah⸗
nen faft ganz verſchwunden. Selbſt der Dichter darf fie
nicht mehr aufnehmen. Das ift ein großer, faſt uner⸗
warteter Fortſchritt. Nicht in Amerika, nicht in den frem⸗
den Welten, in unſerm Erdtheil iſt noch Hoffnung auf
Freiheit; aus uns heraus foll fie erroachfen. Auch find fhon
mehre Propheten da, welche fie kommen fehen ohne Bol:
kerſchlachten, ohne blutige Kataflrophen, ohne erſtuͤrmte
Baſiillen, wie ein Kind, das empfangen iſt und geboren,
wie eine Frucht, die reif werden muß, und dann faͤllt ſie
vom Baum. Auch Spuren von Verſoͤhnung mit ber
Religion, mit dem offenbarten Glauben werben ſichtbar.
Die Freiheitsluſt erkennt wieder, daß die Freiheit nicht
beeinträchtigt wird, wenn fie Jeden glauben läßt, was er
Luft hat, und jeden Glauben ehrt. Sie erkennt, daß ber
ChHriftusglaube die Entwidelung der bürgerlichen Freiheit
nicht ausfchließt, daß der Spruch: Seid unterthan der
Obrigkeit, die Gewalt über Euch hat, nicht dem dumpfen
paffiven Gehorfam feiner falfchen Ausleger bedingt, daß
er nicht will, daß der freie Geift das Licht feiner Erkennt:
nis auch in jenen Dingen unter ben Scheffel ſtelle.
Noch mehr, fie ruft ſchon den alten Gott, den bie Hege⸗
lingen und ihre Wiedertäufer beifelte gefchoben hatten,
als einen Gott bes Zorns, ber fein nicht fpaßen läßt,
hervor. Nun, wo ber Bott des Zorns erfannt wird, if
auch Hoffnung, daß der Gott der Liebe den verlangens
den Semütbhern nicht lange mehr unfichtbar bleibt.
Wir haben «6 hier nicht gerade mit erſten Dicher⸗
Eräften zu thun; mo follten diefe auch herkommen! Durch
die, welche dageweſen und noch leben und in voller Ju⸗
gendkraft, und ihre Lieder gehen umher in wiederholten
Auflagen in ber Nation, durch fie ift die Exiſtenz fo
vielen bdichterifhen Fonds in Deutichland erwieſen, daß
wir gefättige find. Wohlverftanden, wir haben ber Licht:
blige, de Schlagenden, Treffenden, Pilanten einftweilen
genug. Das muß noch verarbeitet werden. Nun find uns
die Detailliſten willkommen, welche das Gewonnene für ihr
Specialpublicum in Ordnung bringen und ausſtellen. Wie
viel ift da zu thun, welche ehrenwerthe Aufgabe, welche ver:
dienftliche Arbeit, das Unklare deutlich zu machen und auf das
Nothwendige und Naͤchſte die Aufmerkfamleit zu lenken!
Der erfte der vier Dichter, der ſich Friedrich Vogelleim,
genannt F. F. Franke, nennt, hat ein Bändchen Gedichte
„Segen Georg Herwegh“ gefchrieben. Aus warmem Her:
gen alle, mit einer Zuelgnung an das ganze deutſche Va⸗
terland, deren Refrain die Worte des Erzherzogs von
Oſtreich find:
Kein Preußen und kein Öfterreidh!
Wir find als Brüder Alle gleich,
Sin einig deutſches Baterland!
- Reicht Euch als Brüder AU’ die Hank.
Das. Lieb an die Lerche gibt die Tendenz fämmtlicher
Gedichte. Es iſt noch Vorfruͤhling. Die Saat friert
noch und bittet um wärmere Blicke den Himmel. Da
ftudiren die Voͤgel ihre Rollen und haltın Rath im
ſchlummernden Walde, ob der Hochzeitsreigen beginnen
foren folle. Es ift Poeſie in ber Schiiderung:
Sept rüdten die Gräfer bie Köpflein vor,
Mit dürft'ger Zung' und gefpigtem Ohr;
Die Sonne küßte die Augenlider
Der Eiche; die kaͤmmte ihr falbes Gefieder
Und ftredte die Arme zum Himmel empor.
Es war, als ob es die Nachtigall wüßte,
Daß die Sonne ber Erbe die Augen küßte
Den Gträudgern dringt in bie Binger das Blut,
Als griffen fie nach der Sonnenglut.
Die fegeinden Weſtwindwolken fagen,
Es komme ber Lenz auf biumigen Wagen,
Die Veilchen und Primeln auf Bruft und Hut.
Das ift ein Leben, das ift ein Zreiben:
Zu Haufe will Niemand figen bleiben.
und — bie Lerche fpazirt in der golbigen Au
Und trinkt begeifiert ben Morgenthau.
Sie prüft erſt in Beinen Bogen den Fluͤgel
Und triumphirt dann über dem fammetnen Bügel,
Und fteigt fo fteil in des Himmels Blau:
Sie will e8 ben bleichenden Sternen fagen,
Es nahe der Lenz auf blumigem Wagen.
Aber fie feige noch höher wie ein Luftballon, fie weil
Sott felbft es fügen, daß ber Frühling kommt, ba fie
feit Alters ſein Derold war:
D atte fie leider jegt v en
De I —35— ſie 4 ig "gefeffen.
Darauf heißt es weiter:
Run fingt fie von nichts als von Freiheit und Tod,
Als lockten fie Engel mit Dimmelsbrot:
„Was ſaͤumſt du fo lange, bu Herr der Welten,
Und bebättft das Licht in den himmliſchen Zelten ?
Der Morgen weint fidy die Augen roth!
Schlaͤfſt du nody auf den feidenen Deden?
So will Ich mit meinem Triliho dich weden.”
Gott ließ längft die Roſſe fehirren und zeigte den Engeln
die goldene Bahn. Aber die Lerche flieht das nit. Sie
flattert in gefchmwägigem Raufh, nimmt in ihrem Wahn
den Diener für den Deren und ruft:
Gleich ſollſt du — Ich wili es! — auf blumigen Wagen
Den Lenz ausfenden! das muß Ich bir fagen.
Da ruft der Dichter ihr zu, das fei nicht gut. Sol⸗
cher Übermuth führe gu Fall und Tod:
So ſpricht man nit mit dem lieben Gotte,
Der macht bich leicht zu Spreu und zu Spotte;
hätte fie des Liedes Schwingen gemäßigt, fo könnte fie
fhön von und in Sreiheit fingen:
Der goldene Zügel, ber ift dag — Maß.
Wer das im Zichten und Trachten vergaß,
Der hat fein Leben ber Erbe verpfaͤndet;
Dem hat die Zeit die Augen geblenbet,
Und — er brödelt und bricht wie Thon und Glas.
Was Granit und Marmor konnte werben,
Das ſinkt als Afche und Staub zur Erben.
As der Frühling nun wirklich in brautlihem Glanze
prangte, da fiel die Lerche
— von ber Sonne geblenbet,
und hat fo — ihr junges Leben geenbet.
Der Sinn der Parabel iſt, daß es mehr als eine
Parabel if. Ja, vor einigen Monaten dachten Zaufende
und Millionen wie der gemüthliche, gefinnungsvolle Dichs
ter. Seitdem find Stürme gelommen und der Früh:
fing, den er fo nahe glaubte, iſt wieder zurüͤckgeſcheucht.
Bon der Lerche meinten wie Biele mit ihm, daß es mit
ibe aus wäre Sie ift angehaudt von dem frofligen
Winde; ob und wie fie fich wieber erheben und welche
Lieder fie noch in die Luft wirb ſchallen laſſen, das weiß
Niemand. Das if auch nicht die Hauptſache. Die
Lerche bat ſchwer gefündigt, fie hat viel verborben; wir
Alle find erfchüttert und ſchaudern vor den Nachfrofte,
der mit ihr Werk iſt. Um deshalb ihr jegt noch zu zürs
nen und «6 fie entgelten zu laflen, wäre Graufamteit,
mwohlverftanden, wie die Dinge jest ſtehen. Die Lerche
iſt untergegangen in dem großen Naturproceffe, und auch
vom Dichter Vogelleim find wir überzeugt, daß er dieſe
Gedichte gegen ihren übermuth in biefem Augenblicke
nicht gedichtet, oder wenn, in feiner Bruſt verfchloffen
hätte. Aber fie find da und find Momente ber Zeit,
fprechende gegen Diejenigen, welche die Nation verklagen
möchten, daß fie gefinnungslos ſich einem hohlen Raufche
bingab. Das deutfche Volt weiß nicht immer, was «6
will, aber mas es nicht will, das weiß ed. Dieſes Be:
wußtſein, dieſe Beſonnenheit liegt in feinem ruhigen
Blute. |
Die Übrigen Gedichte in dem Beinen Bändchen find
| weitere Ausführungen des Themas und der Geſinnung
des Dichters; doch find wir ihm ſchuldig, noch Einzeines
daraus mitzuthellen:
— mas ber Griechenhelden Morgenzug
Der Menſchheit nicht vermochte darzureichen,
Das ward den Völkern fegensooll genug
Durchs größte Epos, das die Erbe trug,
Wo fi des Südens Palmen mit den Eichen
Des falten Nordens inniger verbanden —:
Das ift bie Demuth, die am heil'gen Brab
Den Herzen jenen Zroft des Leidens gab,
Den Manche, die fo Mancherlei verftanden,
Doch nie im ſchweren Kampf des Lebens fanden.
Den andern Sängern ruft diefer Sänger zu:
In lauter Kataralten
Stürzt Euer Lieb herab,
Geftüst von keinem Stab:
Sin jeder Sturz ein Grab.
und:
Ihr fengt die Häufer nieber
Und habt nicht Rath, noch Riß
Zu neuem Bau! Gewiß,
Das macht mir Kümmerniß.
Aber fein wahrhaft Freier fürchtet auch Sein Gericht, er
fagt es fogar dem Kaifer ins Geſicht:
Nicht freier bi du auf dem Thron
Als jeber andre Erdenfohn :
Bor dem Geſetz find Alle gleich,
Sowie — vor Gott im Himmelreich.
und das Motto feiner deutfchen Freiheit ifl:
Die Freiheit ift uns Fein — Gedicht,
Sie ift uns Luft und Kebensticht!
Aus einem ganz andern Zone klingen die „Lieder
eines Gefangenen“. Sie find den Freien gewidmet. Ver⸗
bitterte Schmergenstöne eines Märtprers der Freiheit,
Sehnfuchtsfeufzer, wildes Rütteln an den Ketten, wuth⸗
fhnaubende Aufrufe in die Welt binaus und bittere
Refignation:
Grau ift nun mein Haar geworben
Und mein Leib iſt krumm gebüdt,
Und mein Auge ift erlofchen,
Dat fo lang Fein Licht erbiidt.
Nur zumeilen zittert freundlich
Durch die Seele mir ein Strahl,
Durch die Seele mir ein Hoffen,
Daß ich weinen kann einmal.
Tyrannenwuth und graufame Büttel und. Ketten und
feuchte Mauern und Märtyrer für ihre Überzeugung, die
auf faulem Stroh, ohne Zagesticht der Verzweiflung ent:
gegenbrüten, gehören boch nicht mehr der Wirklichkeit an.
Die Gefangenen von Chillon, deren Haar in einer Nacht
ergraut, find nur noch das Eigenthum der Dichter. Die
Tyrannen find aus der Welt verfhwunden, auch bie
Kerten find anderer Art, mit denen bie Freiheit gefeffelt
wird, weit flärker, aber man fieht fie nicht. Die Mauern
find nicht übereinander gethuͤrmte cyklopiſche Felsmaſſen,
Moos und Epheu ranfı nicht an ihnen; fie haben viele
Fenſter und die Buͤttel haben freundliche Gefichter; fie
lächeln mit Achſelzucken über die Verhaͤltniſſe, wie fie find.
" A
Wozu deshalb die Schreckgeſpeuſter der Vergangenheit für
die Dhantafie heraufbeſchwoͤren! Wer glaubt's, wem hilft's!
Weshalb Mühlen zu Rieſen machen, um die Lanze ges
gen fie einzulegen? Es find andere Miefen ba, gegen
weiche ber Freie Bimpfen muß, wach alle Sinne, daß fie
in ihren Schlangenwindungen ihm nicht entfchlüpfen.
So wollte ich fagen; aber ich vergaß, daß «6 doch noch
Kerker gibt, die noch nicht gefprengt find, zehnjaͤhrige
Proceſſe und Unterfuhungshaften. Ob die Kerker, in
denen bie Unglüdlicyen figen, feucht find, ob Molch
und Kröte unter der Diele zifcht, weiß ich nicht, aber ich
weiß von Mandem, beffen Haar grau geworden, und
die Gnade rief einen zerftörten Leib, eine verwuͤſtete Seele
ans Licht der Freiheit, und die Unglücklichen ſaßen —
um andere Meinungen, ald beren Meinungen waren,
welche fie einfperren ließen.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifche Notizen aus Frankreich.
eyriſche Poefien.
Bei dem größten Theile jüngerer Dichter, namentlich ber
kyriker, genügt e3, wenn man ihre Manier bezeichnen will,
das Vorbild anzuführen, nach dem fie fich gebildet haben. In
der Regel laͤßt ſich dies naͤmlich, fosald man nur einiges kriti⸗
ſche Gefuͤhl bat, auf den erften Blick erkennen. Accurſe Alix,
der vor kurzem ein beachtungswertbes Bändchen „Podsies”
herausgegeben bat, tft offenbar ein Zünger Lamartine's. Seine
Igrifchen Ergüffe, weldhe von Gemüth zeugen, find ganz im
Zone der „Meditations‘’ gefchrieben. Der junge Dichter gefteht
übrigens auch die große Bewunderung ein, die er für fein Vor⸗
bild hegt, fcheint aber zu glauben, daß Lamartine in neuerer
Zeit fih vom rechten Wege verirrt habe. Wenigftens ruft er
ihm in einem Gedichte zu, baß er fidh wieder mehr ben religioͤ⸗
fen Gefühlen, bie feine crften Verſe athmen, zuwenden follte.
Air fcheint alfo die legten Werke des großen Dichters ebenfo
wenig verftanden zu haben als ber Papft, ber biefelben auf
den Suter gefcht bat. Es ift grundfalf, wenn man annimmt,
Lamartine verleugne in feinen neuen Dichtungen alle Religion.
Theodore de Banpille ift efn junger Dichter ganz andern Schiags,
ber es mit der Religion nicht fo genau nehmen würde. Man
fieht c8 feinen Gedichten, die cr unter dem Zitel „Cariatides’
berausgegeben bat, an, daß es ihm darum zu thun ift, Auf:
fehen zu erregen. In ber Vorrede geberbet er ſich fehr wuͤthend
gegen alle Kritik und Eokettirt viel mit feiner P.rfönlichkeit.
Wir erfabren, daß er von altem Abel ift, daß er ein altes
Schloß befist, baß er felber aber im erften Jugendlenze ſteht zc.
Im Allgemeinen haben uns feine Gedichte, in denen er meiftens
zu ſehr nad Effect haſcht, nicht fehr zufagen wollen Indeſſen
wollen wir auf einen „Songe d’une nuit de printeinps” auf:
merffam machen, der fehr gelungen iſt. Die Gedichtfammiung
„la tragedie du monde‘ zeigt uns einen jungen Dichter Namens
Louis de Leon, der noch zu feiner rechten Klarheit gelangt ift.
Seine Spradye ift nody unbeholfen und er verfteht es noch nicht
recht, feine Gedanken auf cine natürtiche Art zu entwideln.
Die neueflen franzoͤſiſchen Fabeldichter.
Wir haben vor einiger Zeit der koͤſtlichen Kabeln Viennet's,
ber fi auf dem Titel derfeiben etwas anfpruchspoll l’un des
quarante de l’Acadömie francaise nennt, in bdiefen Blättern
erwähnt. Nachtraͤglich wollen wir deshalb gleich noch auf zwei
andere Sammlungen ber nämlichen poetiſchin Gattung aufmerk⸗
fam machen, die vor kurzem die Preffe verlaffen haben. Beide
verbienen nämlich ſowol Ihres Inhalts als der na wirt
liche Beachtung. Wir meinen erſtens die „Fables par L. A.
Bourguin“ (Yaris 1843) nnd die „Fables par Auguste Du-
vivier'' (Paris 1843), von benen bie erflern befonders ihres
naiven Stils wegen fehr anfprechen. So gelungen inbeffen auch
die in biefen beiden Sammlungen enthaltenen Stücke find, fo
darf man fle doch nicht mit den meifterhaften Yabeln von Wiens
net auf eine Linie ſtellen. Biennet hat unleugbar zwei Zitel
zur Unfterblichfeit. Es find dies erften® feine fatirifdhen „Kpt-
tres’’ und bann feine ‚„Kables”. Auf feine dramatiſchen Leiſtun⸗
gen legen wir weniger Gewicht, obgleich er dadurch, daß mehre
feinee Zragddien durchgefallen find, ſich nicht bat abſchreden
laffen, das Gebiet des Dramas immer wieber zu bebauen. Gr
ſelbſt ſcheint indeffen für die Schwächen und Mängel feiner
Stüde nicht verbiendet zu fein, wenigſtens erzählt man fidy,
baß der Dichter bei der erften Vorſtellung einer feiner eigenen
Tragboͤdien, ale Alles pfiff, mit großer Geibfiverleugnung mit
eingeftimmt bat.
Wichtige franzöfifge Memoiren.
Es ift gar nicht abzufehen, wann die Flut der Memoiren
über die ältere franzoͤſiſche Geſchichte einmal ſtillſtehen wird.
Jeder Tag läßt neue Denkwürbigfeiten, von deren Griftenz
Niemand etwas geahnt hat, ans Licht treten. Won alle ben
Memoiren indeffen, die wir in neuefler Zeit erhalten haben,
find keine von fo großer Wichtigfeit als die „Mémoires authen-
tiques de Jacques Nomper de Caumont duc de la Force“,
von denen focben ber Marquis de la Grange, Mitglied ber Des
putirtenfammer, vier Bände herausgegeben bat. Wir finden
in benfeiben nit nur die Denfwürdigkeiten bes Duc de la
—* bie an und für ſich ſchon vom hoͤchſten Werthe find,
ondern noch eine reiche Auswahl ſehr intereſſanter Documente.
Wir erwaͤhnen darunter namentlich mehre Briefe von Jeanne
d'Aibret, von Louis XIII., von Biron u. f. w. Was nun bie
Memoiren felbft anbetrifft, fo kann man fidy von ihrer Wich⸗
tigkeit einen Begriff machen, wenn man weiß, bag fie fi von
der Bartholomaͤusnacht bis zur Fronde, alfo über fieben Kegie⸗
rungen erflreden. Der Duc de la Force erſcheint uns in dens
felben zuerft als Freund und Bertrauter von Heinrich IV., dann
als Wicelönig von Navarra und Gouverneur von Bearn, als
Haupt ber proteflantifchen Partei in Guyenne und endlich als
Marihall von Frankreich. Die Zahl der beigebrachten Briefe
beläuft ſich allein auf 800.
Sammlung dbaguerreotypirter Anfidhten.
Das Daguerreotyp ift bis jest in ber Wiebergebung ber
meoſchlichen Sefichtszüge noch am wenigften gluͤcklich gewefen.
Die Portraits, die darnach angefertigt find, haben ſtets etmas
Starres und Abgeftorbenes. Dagegen iſt biefes Verfahren für
die Darftellung von großartigen Monumenten, die in ihrer gan⸗
zen Treue wiedergegeben werden, von ber größten Wichtigkeit.
Es war baher eine reiht glüdliche Idee, eine Sammlung fols
her daguerreotypirter Anfichten anzulegen und, wie es fdyeint,
baben auch die „„Excursions daguerriennes” von Lerebours riel
Beifall gefunden. Wir erhalten daher gegenwärtig eine zweite
Serie von bemfelben Herausgeber. Die erfte Lieferung {ft da⸗
von bereits erfchienen und enthält recht intereffante Sachen, die
durch Die beigegebenen Zerte noch erhöht werden. Die erſte
Platte bietet eine Anfiht vom Goncorbienplag zu Paris, 30
dem M. de Lagarenne eine gute Notiz geliefert bat. Dieran
reiht fi die Johanneskirche zu Lyon. Wir erhalten eine Be:
ſchreibung biefes intereffanten Gebäudes, bas aus dem 12. oder
13 Zahrhundert ftammt, aus ber Feder von Gontencin. Die
britte Anfiht zeigt uns den Arc de triomphe de l’Eteile am
Paris, den 3. Janin mit glüdlicher Hand ſchildert. Den Bes
ſchluß dieſes Heftes macht die Kreuzkirche zu Bordeaux, deren
Befhichte don Gontencin bis ins 9. Jahrhundert verfolgt
wird. 2
Berantwortiicher Deraußgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von F. &. Brochaus in Eripzig.
_—
Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
Freitag,
mn Nr. 132. —
12. Mai 1843,
Stimmen der Zeit.
(Beſchluß aus Rr. 131.)
Um welche Verbrechen, Meinungen oder Thaten bies
fer Gefangene fist, erfahren wir fo wenig, ald um welche
Victor Hugo’s Kondemnirter bingerichter werben fol.
Darauf kommt es auch niht an. Nur heißt «8 eins
mal:
und weil ich fprady nach Herzensdrange,
Weil ich den Gott in mir gefühlt,
Weil ih nicht meine eigne Schlange,
Dat man mein freies Herz durchwuͤhlt.
Run lieg’ ich, aller Frucht beraubt,
Gefangen in des Kerkers Räumen
Und bebe ſtill das weiße Haupt:
Laßt mich, laßt mich no einmal träumen!
Der Ketten Laſt zmängt fi ihm um die Lenden wie
das Verbrechen um den Bufen:
Wie's Verbrechen? — Beſſer noch die Ketten
Um das morfche, fchwächliche Gebein,
Und das Herz, das freie Herz zu retten,
As ein Sklave feiner felbft zu fein.
Beſſer in des Kerkers feuchten Tiefen,
Unerreiht vom Strahl bes Lichts, verborrt,
Als die Triebe, die im Buſen fchliefen,
Zu verſcheuchen durch ein falſches Wort.
Dann — dann laͤßt es ſich fo herrlich träumen —
Gern vergißt der Geiſt des Leibes Dual,
Heimlich wird es in den ſchwarzen Räumen,
Denn im eignen Herzen wohnt ber Strahl.
Seine Lieder find alfo Träume; Träume eines fo Se:
fangenen, ber fo von der Welt abgefchieben iſt, find mos
notoner Art. Bald verzweifelt er, bald hofft er wieder.
Er fpriht von Deutſchland, aber die Vorftellungen find
fo allgemeiner Art, daß man geneigt wäre zu glauben,
das Buch fei nicht allein in der Schweiz gedruckt und
gebichtet, fondern auch aus republikaniſch⸗ſchweizeriſchen
Auffafjungen von der deutfchen Fürftentyrannet und Dem,
was daſelbſt Freiheit beißt, hervorgegangen. Selbſt
Berfe wie:
Ihr baut Kandle, Ihr baut Dome,
» Der Dämpfer raufchet auf dem Strome.
und: .
Ihr habt ja jetzt die Zollverbanbe,
Was braucht Ihe noch ein deutfches Reich?
brauchten uns in biefer Annahme nicht Irre zu machen,
und Auffoderungen fo radicaler Art, wie:
Laft Kanonenbonner brüllen,
Fuͤrſtenohren find verftopft,
Daß fie fih mit Schreden füllen,
Klopfet an und klopft und klopft.
Dabt gefleht genug im Guten,
Laßt den Schmerz fich nun verbluten,
Seid ein ein’ger beutfcher Stamm,
Baut der Kreiheit einen Damm
find in der neueften Zeit in Deutſchland gänzlich vers
Hungen. Die vorwärts Gehenden und Stürmenden find
darüber einig, daß ber Fortfchritt, der durch Kanonendonner
erzwungen würde, ein vorübergehender wäre, einer, bem eine
Reaction auf dem Fuße nachfolgen müßte. Er fobert
auf die Fahne der Zeit zu ſchwingen. Sie rauſcht uns
Alm, aber Kanonendonner folgt nicht nad; es find
Triedenszüge. Laßt das ewige Onadelaufchen! ruft er
uns zu. Das gibt fih auch; fchneller, als wir. e8 in
Deutſchland erwarten durften. Kämpfen follen wir, daß
wir uns felbft befreien. Die Sklaven bitten nur, bie
Braven kaͤmyfen. Es wirb mächtig gefämpft. Wer ers
kennt in dem heutigen Deutfhland das Deutfchland vor
25 Jahren wieder! Wie viel Sinn, wie viel Aufmerk⸗
ſamkeit für Dinge, weldye damals der großen Menge
fremd, gleihgältig waren, iſt in das Volk übergegangen.
Nicht die wilden Auffoderungen zur Revolution, nicht
bie einzelnen unüberlegten Aufftände haben das zu Stande
gebracht, ed waren die glüdlichen Verſuche, den mächtig
werdenden Geiſt zu unterdruͤken. Indem fie ihn fcheins
bar unterdrädt, haben fie ihm genaͤhrt, ausgebreitet. Das
find die Waffen, welche Deutfchlands Volk zu ber Frei
beit führen, welche es will, nicht Bayonnete und Kanos
nendonner. Diefe Verfuche, die fih noch oft erneuern ,
werden, wirken wunderbar, aber auch wohlthätig. indem
fie die wilden, verzehrenden Flammen nieberfchlagen, vers
breiten fie das waͤrmende Feuer, welches die Saaten reift.
Nach allen diefen Reactioneumfchlägen tritt das Verlan⸗
gen immer fefter, befonnener, allgemeiner und doch mit
richtigem Takt, auf das Beſondere, was zunaͤchſt noth⸗
thut, gerichtet, hervor. Die ſchoͤnen Phraſen ſind nur
ein ſchoͤner Feberſchmuck über der Ruͤſtung; fie thun
nichts mehr in dem Kampfe, der um den Ernſt des Le⸗
bens ernſt gefuͤhrt wird. Ja, iſt das nicht auch ſchon
ein Triumph, daß waͤhrend die vorwaͤrts Strebenden, die
hohlen Phraſen von der Freiheit beiſeite laſſend, darauf
6 7
ihr Sinnen, Trachten und Denfen richten, wie fie in
dem einzelnen Dingen fi manifefticen fol, ihre Gegner
jetzt faſt nur noch mit hohlen Phraſen kaͤmpfen! Wo iſt
die Macht der Phraſen hin aus Haller's Reſtauration!
Wie verbluͤmt, mit liberalen Tiraden umwunden, wagen
aur noch die Anhänger der Reſtaurationstheorien ihre
Säge auf den Markt zu bringen, auf die fie einft nadt
ſchwoͤren liegen. Man appellirt an Gott weiß was alles,
was bei den Liberalen in Ehren flieht, um bie Pille, be:
ven Bitterkeit für den Geſchmack des Volks man fühlt,
zu verfüßen. Und das wäre fein Sieg, einer, der durch
die Macht der Wahrheit allen, nicht durch Blut und
Kanonendonner gewonnen iſt! Und mas würde das für
ein Sieg dagegen, von welchem ber Gefangene träumt:
O ftimd’ ich auf den hoͤchſten Spitzen,
Wohin die Adler ſelbſt nicht drangen,
und ſaͤh' den gluͤhnden Himmel bliten;
und koͤnnte doch bie Erd’ umfangen:
Dann wuͤrde ich in Freiheitsgluten
Die arme Dichterfeder tauchen,
Dann wuͤrde ich, in reinen Fluten,
Der kranken Erde Frieden hauchen.
und wie es oft in argen Wettern
Die Blitze in den Luͤften treiben —
So wuͤrde ich mit Flammenlettern
Die Freiheit auf die Erde ſchreiben!
So wuͤrde ich in großen Zügen
Der heißen Gehnfucht mich entiaben,
Zur Freiheit immer Freiheit fügen,
Bis Freiheit ſtrahlt von allen Faden.
Freiheit zur Freiheit gefügt, und immer mehr Freiheit
und nichts als Freihelt, was müßte das für ein Bild
werden, weiß in weiß! ine treffliche Negation. Wer
ſteht daflır, daß ber freie Menſch dann wieder, wie jetzt
nach ber Freiheit, nach etwas Knechtſchaft fi) ebenfo leb⸗
baft fehnt! — Da fälle mir jener wackere Republikaner
and Url ein, der mich Über ben Wierwaldfläbterfee ru⸗
derte. „Wir Schweiger find frei’, fagte er, „und bie
Freiheit if, daß mir können in die Berge gehen, und
Feder kann [hießen Hirfche, Gemſen, Fuͤchſe, Rebe, Abs
ter, fo viel er wid und Erliegen kann.” Das iſt doch
noch eine Freiheit ohne Policei, die etwas Beſtimmtes
win, naͤmlich wenn fie es kriegt. Ob mit einem Schwei⸗
ger oder einem Deutſchen, das laß ich dahingeflellt, aber
mit einem Dichter haben wir es zu thun:
Ich möchte Bluͤten fchätteln,
Das bald die Fruͤchte reifen,
Ich möchte vom Himmel rütteln
Die langen, ſchwarzen Streifen!
Und ben Schluß des Liedes:
Ich Tann, zur Freiheitswonne,
Als Friedenshauch nicht winten,
Ich kann als lichte Sonne,
Erleuchtend, nicht verfinten.
Ich kann nur feufzend klagen,
Ein Windſtoß durch bie Lande:
Ihr habt getragen!
Serreißt der Knechtſchaft Wandel
Das Schlußlieb fagt uns, daß, wenn au feine Kraft
in des Kerkers Mache verderbe, ber Gefangene doch nicht
fterben könne, bis daß Deutfchland feine That vollbracht
babe. Wenn aber erft die Sreiheitöfahnen raufchen wer⸗
den, will er, ein flerbender Trompeter, dab Dem noch eins
mal zur Hand nehmen und feinen Geiſt verhauchen laſſen:
In einem langen Breiheitsftoß.
Ein vaterländifher Sinn mit deutfcher Innigkeit weht
uns aus den „Wartburgſtimmen“ (Dichtungen von Fried⸗
rich Ludwig) entgegen, Freiheitsluſt und beutfche Begeiſte⸗
rung, aber noch im romantifhen Gewande. Dagegen
hätten volr gewiß nichts einzumenden, wenn nur das
Kleid und der Körper beffer zueinander paßten. Die
fchäumende Jugendluſt nimmt noch den Mund voll und
kommt fo fchmerer zum Maren Ausdrud Defien, was fie
will, ale jene abgeffärten Sänger, welche bie Gemüche:
welt längft als ein DHinderniß auf dem Wege zur Frel⸗
beit abgefchürtelt haben. Diefer glaubt, Hofft und liebt
noch, fogar die Erinnerungen der Vorzeit, was ihm An
dere gar zum Verbrechen anrechnen koͤnnten. Wir nicht;
aber auch die Gemuͤthspoeſie kann fi zu einer reinen
Klarheit durcharbeiten. Diefe Lieder zeugen von einens
Proceſſe, der noch nicht entfchieden if. Was er will
und wünfcht, kommt in ben meilten Gedichten nur noch
als Stoßfeufzer heraus; erft in ben Liedern ſpricht er
ſich deutlicher aus. Wie der Titel zur Mehtzahl ber
Gedichte ſich verhält, wird nicht ganz ſichtbar. Zwar
euft der Dichter im Anfange die Wartburg an:
Wie eine Warte ftehft du da im Lande,
Nicht drob, des Wandrers Ruh und Dab zu rausen,
Rein Idfen willſt du der Bebrängten Bande
Und fchügen beut, wie einft, ben freien Glauben.
Wie ein Aſyl ſtehſt du verfolgter Streiter
Für Menfchenrecht und ew’ge Gotteswahrheit,
Sie lockt dein Antlig, fo getroft und heiter,
Dein Felfenhort und beines Himmels Kiarheit
aber der geiflige Zufammenhang der Dichtungen mit je:
ner Burg, die er als Symbol ber geifligen Freiheit bes
trachtet wiffen will, ift nur ein loderer; viele, bie, ganz
felbftändig, gar nicht dahin gehören, find nur gelegentlich
hier untergebracht. Dem Titel nach hätte man eime poe⸗
tifche Geſchichte der vielen Kämpfe uns Geifteöfreihelt,
welche von der Wartburg herab über Deutſchland ſich
verbreiteten, erwarten follen; fie werden aber nicht einmal
alle angedeutet. Es iſt nur bie allgemeine liberale Be
geifterung der Gegenwart, bie fid, in ſcharfem Unmuth auch
in diefem Sänger ausfpriht. Er ruft die Germania am:
Noch nennft du deine Großen jene Schwachen,
Die freies Wort und Wahrheit nicht ertragen,
Die fürchten, GBeifterfonnen anzufachen,
Die zittern, wenn fie ſehn die Herzen tagen.
Noch nennft du deine Freien jene Sklaven,
Die unerfättiich fich in Lüften weichen,
und die am Markt, in Sälen und Conclaven
Der Schmeichler Schar, wie falfche Hunde, flreicheln.
Ko nennft du Fromme jene Heuchlerrotten,
Mit ſchoͤnem Blick, in Kutte, im Zalare,
Die frech des Helligften im Herzen fpotten,
Die läftern Bott, im Wert und am Altare
u
umd noch pofitiver an einer andern Stelle, nachdem er
vom Feſt zu Köln gehört und Alle zu einem neuen
Dombaufefte aufruft:
Der-Dom wird nicht gebaut zu Köln am Rheine,
Nicht wo die Elbe und bie Donau fluten;
Im Herzen tief verftedt das Grundgeſteine,
Im Herzen voll von heil'gen Geiftesgluten.
Se Höher eures Geiſtes Schwingen dringen,
Ze näher fie in Gottes Raͤh fih wagen,
So höher fi) des Domes Gäulen ſchwingen,
So böher werden feine Kuppein ragen.
In euerm Geifte follt ihe Den vwerchren,
Der felbft ein Geiſt, den Raum und Zeit nicht faſſen;
Dem Geifte follt ihr feinen Flug nicht wehren
Und Euerm Herzen feine Freiheit laſſen.
Wir empfehlen auch zu gutem Gebrauch das Schlums
merlied, von Rom für Deutfchland gefungen, das anhebt:
„Schlafe, mein Kindlein, im ftillen Gemach; ſchlafe, die
Siebende Mutter iſt wach.” Bon ben angehängten Bal:
laden, welche zum Sauptgegenflande gar keinen Bezug
haben, hätten mehre, die nur.poetifche Studien find, fügs
lich ungedrudt bleiben Finnen; in andern ringt fich das
Talent zu einer [chönen Geſtaltung duch. Das legte Lied:
„Das Kind und feine Mutter”, das wir freilich unter
politifchen Liedern diefer Art am wenigften erwarteten, ver
diente auch anderwaͤrts Aufnahme, wo es der Strom ber
Zeit nicht mit fich fortſpuͤlt.
Ein Publiciſt aus Königsberg tritt als Dichter auf,
vielleicht weil in Berfen Das noch zur Zeit erlaubt iſt zu
fagen, was in Profa nicht mehr erlaubt ifl. Die ſibiri⸗
fchen Dftwinde, über Lithauens Haiden in Oſtpreußen
hineinwehend, haben dort von Alters ber bie Luft von
mancherlei Illuſionen gereinigt. Anbere freilich beftehen
daneben fort, wie ſich ja eben bie fchroffen Gegenfäge überall
berühren. Die philoſophiſche Luft hat aber auch das
praktiſche Leben durchdrungen. Es wird bei ben Did;
tern und Politikern nicht gefchwebele und genebeltz; wenn
etwa bei den Herweghsfeiern einige zu weitfchichtige
Phraſen von Enthuſiasmus mit in ben Kauf gegeben
wurden — fie willen, was fie wollen. Nicht Alles, was
fie wollen, wollen wir auch; aber wir achten Die, welche
bei ſich über ihren Willen Mar geworben find. Die Kö:
nigsberger wollen unter Anderm, daß der Deutfche Par:
tei nehmen ſoll; einer ihrer Profefforen bat es neulich
fogar vom Katheder herab ausgefprochen. Wir waren
jüngft noch der Meinung, daß es ein Palladium bes
deutſchen Ernſtes und Freiheitsſinnes fei, über der Partei
zu ſtehen, nicht wie die Froͤſche im franzoͤſiſchen Convent,
die nur abmwarteten, auf welcher Seite die Wagfchale
finke, fondern als Götter und Richter in letzter Inſtanz;
aber die legten Zeiten haben uns faft eines Andern bes
Lehrt. Wo die Unten und Eulen zufammenräden, find
auch die Lichtoögel gezwungen aneinander zu halten, um
nicht zerfplittert von der compacten Maſſe ber Nachtun⸗
Holde aus dem Felde gefhlagen zu werden. Wie ba ber
gemeinfame Feind in Übel berechneter Strategil feine ges
trennten Feinde zwingt ein Corps zu bilden! Es iſt ges
wiß, daß die beften Lehrer und Exercirmeiſter ber Libere-
(en nicht ihre viel verfchrienen und gefürchteten Ver⸗
fhwörer waren, ſondern ihre blinden Gegner; biefe bewaff⸗
neten, inſtruirten und machten fehlagfertig ein Heer, das
in feinee Compactheit unwiderſtehlich iſt; aber vereinzelt
fechtend wäre es leicht zu überwinden geweſen. „Partei,
Partei!” ruft ber koͤnigsberger Publiciſt aus:
— ich habe fie genommen !
3u ihren Fahnen ſchwoͤr' ich ernft und frei!
Den freien Eid, ich halt’ ihn ewig treu,
Und von Begcifirung tft mein Herz entglommen!
Mein Eifer fagt mir, daß ich wuͤrdig fet,
Mein namenloſes Leben ganz zu weihen
Dem rühmlidy ernften Dienfle der Partei;
Ss ſoll der Schwache Sänger ſich nicht ſcheuen!
Ein feſtes Herz, das ift mein Dort, \
Und meine Waffe ift das Wort!
Den Mafftab des poetiihen Werthes angelegt, ficht dee
koͤnigsberger Publiciſt den andern Sängern nad, aber «6
iſt etwas Eigenes, Friſches in der Mefolucheit bes Wol⸗
lens, und wo biefes Wollen ſich wieder eine eigene Sprache
gebitdet hat, wird es auch zu einer eigenen Poefle, welche
ihren befondern Maßſtab fodern darf. Kecke, Iuftige Lie
der, fcharfe nicht weit ausgeholte, aber ihr Ziel treffenbe
Hiebe. Richtig gezielt, nicht mit einem Schuß den gan
zen Vogel von der Stange holen wollend und darum
febffchießend, fondern mit fiherm Bewußtfein auf ein be
flimmtes Sieb angelegt. Große Flackerfeuer, das mit
poetifchen Boͤllern in die Luft Schießen, ob es einen Vo⸗
gel ober einen Stern trifft, find abgethane Dinge; mar
weiß ſich hier (don an das Specielle zu halten. Diefe
loͤbliche Beſtrebung auf das Beflimmte erweitert die Kenne
niffe, zumal des Strebenden ſelbſt, die hohlen Phraſen
fallen weg, und es ift ſehr viel für beibe Theile gewon⸗
nen, wenn flatt der büftern Melancholie, des ſchnauben⸗
den Ohnmachtgrimmes der Scherz und Spott ihr Recht
behaupten. Anmuthig klingt das „Philiſterlied“; das trifft,
wenn bie Phtlifter fingen: ’
Hört das freche Raifonniren
Über Staat und Preßfreipeit!
Kann bas wol zum Guten führen?
Sind die Leute recht gefcheit?
Denkt doch huͤbſch an Haus und Speicher,
Strebet brav nad Brot und Sohn!
Macht die Preßfreiheit Euch reicher?
Saͤttigt Euch Conſtitution.
Auch das Lied „Die Conſervativen“, in welchem es heißt:
Nur ben Männern von Vermoͤgen
Steht ein lautes Urtheil zu,
Was dem Lande jchaffet Segen,
Was ihm Schaden bringt, was Ruh.
Das deutfche Meichepanier wäre zu ſchwer für eine Hand
in unfern Zagen. Der Sänger läßt es fchon in Heinen
Segen zerftüdt werden mit dem befannten incompetenten
Einheitsbunde, der in Friedenszeiten fo ficher bafteht, aber:
Wenn eine Zeit voll Krieg und Blut
Ginft predigt alte Lehre,
Daß freier Völker treuer Muth
No Eräftger ſchuͤßt als ‚Deere.
Wird dann das Boll, wenn Ihr es ruft,
Sich wieder um Sud fhharen?
628
Der Sänger läßt es antworten:
Ihr wart ja fletö incompetent,
Wenn wir mit Bitten nabten:.
t find auch wir incompetent,
Maͤht felber Eure Saaten.
Der Publiciſt als Beobachter entwirft kurze ſchlagende
Bilder von den Zuſtaͤnden, wie fie find, ober iſt das
auch Declamation, wenn es heißt:
Sucht nur in Zeitungen und Kammern
Dee Deutfchen Zreiheit ſchwache Spur;
Ihr findet nichts als ew’ges Iammern
Bon Policei und von Genfur!
Wir empfehlen das Lied „Die Bettler“ zur Beherzigung.
Das ‚‚unverbefferliche Geſchlecht der Schranzen — unbe:
lehrt durch die Geſchichte — blind für bes Schickſals
Strafgerichte“ ruft noch immer, nach dem Dichter, wo
die Völker bittend nahen: Ne craignez pas ces gueux!
Daß wir dem Dichter Unrecht geben koͤnnten!
Ze weiter wir in den „Zeitfignalen” blättern, um fo
vertrauter werden wie mit dem Dichter ald Menfchen.
Seine Sefühle find Wahrheit, die Sprache ſchwingt ſich
freilich nicht zu der Höhe, die andere Sreiheitsdichter ers
sungen haben, aber den Vorwurf, den, wie er fagt, feine
Gegner ihm machen, fie wäre feicht, verdient fie nicht.
Es ift die naive Ausdrudöweife, die von allen hohlen Phra:
fen ſich losgeſpuͤt hat, was uns mehr und mehr feflelt.
Manches koͤnnte kürzer, prägnanter fein; aber die ganze Art
ift wahr, nalv. Weder geht ihm Gemuͤth, noch inniger
Naturfinn ad. Die naive Weife, in der er feine eigene
Derfönlichkeit, feine drüdenden Verhältniffe und feinen
feifchen Much uns vorführt, nimmt für ihn ein. Er
iſt begeiftert für fein ſchoͤnes, dem übrigen Deutfchland
fo wenig bekanntes, Preußenland:
Ihr, die Ihr unfer Preußentand
Für eine Wüfte haltet,
O kommt hierher zum Oftfeeftrand,
Wo fi fein Glanz entfaltet!
Wo Euch der Park in feiner Pracht
Umpälft mit heil’ger Urwaldsnacht,
Ro hoch wie Preußens Ehre
Das Ufer fleigt vom Meere!
3um Ufer kommen raſtlos ber,
Sn fletem Drang gezogen!
Der ewigen Bewegung Bild
Ermahnt's den Menſchen ernfl und wild,
Daß vorwärts, vorwaͤrts fireben
Er fol im Erdenleben.
Dos Lied „In der Schenke” ift freilich, was ben poeti:
fhen Ausdrud anlangt, unbedeutend, das Ausgebrüdte
kann aber nicht oft genug ins Gedaͤchtniß gerufen werben:
Ja, Preußenland, du fchreiteft
Dem Mannedalter zu!
Erhebſt dich und geleiteft
Zu Grab die Zünglingeruh!
Erwacht bift du vom Schlummer,
Wo ohne Bram und Reid
Du träumteft obne Kummer,
In ftiller Schlaͤfrigkeit!
Eine allerunterthaͤnigſte Witte ſchließt die Lieder. Der
Dichter weiß nichts mit feinem kiederkram anzufangen,
wo er fie anbietet, fchile man fie feicht und lahm. Der
Verleger klagt, daß er fein Gelb verloren:
Denn mebr noch als zwölfpundert Gremplare
Sie bleiben flebn als todte Waare!
Nichts rettet mich aus meiner Noth
Als einzig ein Werbot.
Bei den Miniſtern aller Potentaten
In unfern dreißig Bundesftaaten,
Fleh ich in meiner tiefen Noth
Um gnaͤdiges Verbot.
Mir wollen ihm, auch wenn er abſchlaͤglichen Beſcheid
erhielte, wuͤnſchen, daß das Publicum ihn aus dieſer
Noth reiße. Die Lieder verdienen es. Es iſt eine
Wohlthat, wenn die gedrückte Bruſt noch ſcherzen kann.
W. Alexis.
Literarifhe Notizen.
Ein in ruffifher Sprache jest in Petersburg unter dem
Titel „Galerie von Portraits und Biographien” erſchienenes Werf
verfpricdht viel belehrenden Stoff zur Kenntniß der Literaten
und Künſtler Rußlands zu liefern. Bisher war biefe
Seite der Literaturgefchichte ſehr vernachlaͤffigt; mititairiide
Namen bildeten, wie in Kamenéky's Werke über die berühmgen
Männer Rußlande, ben Hauptſtock der ruſſiſchen biograptifchen
Werke. Kamensky's eben genanntes Werk enthielt über die ruſſi⸗
fchen Autoren nur fehr vürftige Skizzen. Auch bas ruffifche „Con
verfations:Lerifon”, fo ausgebehnt es auch angelegt iſt, entfpridt
in diefer Hinficht felbft mäßigen Anfoberungen nicht. Dagegen
wird Sokoly’s „Galerie“ eine Reihe von Portraits und biogra
phiſchen Skizzen bilden, welche ausfchließtich Diejenigen betreffen,
die fi in der Eiteratur und ben fchönen Künften ausgezeichnet
haben und von denen bie meiften noch eben und thaͤtig find.
Die Lifte der Perfonen, welche bier charalterifirt werben follen
ift von beträchtiicher Ränge. Das „Athenaeum” macht hierbei
die Bemerkung: „Ein Werk dieſer Art wird veſſer geeignet
fein, andere Länder mit dem jegigen Zuſtande der ruffifchen
Literatur und Kunft bekannt zu machen, als Shaw's Borbemer
tungen zu deſſen Überfegung von Marlinsky's ‚Amalet Bel‘,
weiche in einer der legten Nummern von ‚Blackwood’s Maga-
zine® begonnen hat. Auch irrt er in feiner Annahme, baf in
England Niemand bis dahin von irgend einem der ruſſiſchen
Rovelliften, welche er erwähnt, gehört Habe, denn dereits vor
einigen Zahren erfchien eine Analyfe von Bulgarin’s ‚Dimütel
und Polevoi’s ‚„Lomonofeff‘, im ‚Foreign quarterly rerien‘. De
‚„Amalet Bel‘ unter Marlinsky's Erzaͤhlungen nicht bios bie
befte, fondern auch die einzige ift, welche englifche Leſer ans
fpricht, fo ift ihe Erfcheinen in einem fo weit verbreiteten Jour⸗
nal ein gluͤcklicher Verſuch zu nennen. Yindet bas englifche
Yublicum daran Geſchmack, fo möchte wohl das Werlangen, auch
mit andern Erzeugniffen der zuffifchen Literatur befannt zu
werden, bie Folge davon fein.’
Francis Bowen gab zu Boſton „Critical essays’’ heraus,
die zuerft im „North american review” unb andern trands
atlantiſchen periobifhen Gchriften mitgethellt wurben. Das
Werk bildet eine unterrichtende Überficht über den gegenwärtigen
3uftand der fpeculativen Philofopbie in ihren haupt:
fächlichften Streitpunften. Beſonders befchäftigt er fidy mit bem
Spfteme Kant’s und mit Rocke, welchen er gegen feine kritiſchen
Widerfacher zu vertheidigen fucht. 18.
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brokhaus. — Drud und Berlag von E. 4. Brodhausß in keiysig.
NE we —
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
— — Nr. 133. — —
13. Mai 1843.
Ludwig Achim's von Arnim ſaͤmmtliche Werke.
Herausgegeben von Wilhelm Grimm. In zwoͤlf
Bänden. Erſter bis dritter und fuͤnfter bis achter
Band. Berlin, Veit und Comp. 1839—40. Gr. 8.
9 Thlr. 2% gigr.
Erſter Artikel.
Lieber hätten wir die Anzeige dieſer erwuͤnſchten
Sammlung von Arnim’s Werken fo lange verfchoben,
bis das ganze Werk erfchienen und von der verfprochenen
Zugabe des Herausgebers — einem Umriß von dem
äußern Leben des Dichters und Betrachtungen &ber fein
geiftiges Wirken — begleitet fein wird; aber andererſeits
erfcheint es doch als Pfliht, die Freude über diefe neue
Ausgabe eines reichbegabten Dichters und den Dank ge:
gen den Derausgeber nicht allzu lang zu verfchmeigen ;
auch ift das bis jetzt Erfchienene fhon ein reichlicher
Gegenſtand für die Eritifche Betrachtung, daher wir nicht
länger zögern und das noch zu Ermwartende einer fpütern
Beſprechung vorbehalten wollen.
Menn Arnim’s Erzählungen bisher nicht in dem
Maße, wie fie, verglichen mit fo vielen heißhungtig ver:
fhlungenen Romanen und Novellen, verdienten, in Deutfch:
land gelefen und bekannt geworden find, fo hat body
fhon die mit Clemens Brentano gemeinfchaftlid unter:
nommene Sammlung und Derausgabe von „Des Kna:
ben Wunderhorn“ Arnim's Namen feit vielen Fahren
in ganz Deutfchland ruͤhmlich bekannt gemacht und ihm
einen ehrenvollen Platz unter ben verdienten Freunden
und Beförberern Älterer nationaler Poefie erworben. Daß
uns in der preußifchen Geſchichte früherer und neuefter
Zeiten diefer Name öfters als ein ausgezeichneter begeg:
net, dies hat allerdings mit dem Werth und Berdienft
von Arnim's Poeſie nichts zu thun; doch iſt es wol
immer erfreulih und ſchoͤn, wenn ein fonft ſchon bedeu⸗
tender Familienname in Einem feiner Träger auch durch
ben poetifchen Lorbeer gefhmüdt wird und fomit ben
verfchiedenen Intereſſen des Waterlandes immer inniger
und vielfeitiger verwächft. Wichtiger iſt ohne Zweifel für
viele Sreunde der deutfchen Literatur der Umftand, daß
Achim von Arnim der Satte von Bettina war, von je:
nem wunderbaren „Kinde“, welches im legten Jahrzehnd
fo großes Auffehen gemacht, fo plögliche und in ber Haupt:
fache faft unbefttittene Triumphe errungen hat, welches
kam und fiegte! Ein folches poetifches Ehepaar iſt gewiß
an fi) ſchon eine hoͤchſt merkwürdige und anziehende Er:
fheinung, und wenn auch in der deutfchen Literaturge:
fhichte mehre ähnliche Fälle vortommen, fo findet man
doch fonft, fo viel dem Mef. bekannt iſt, entweder feine
fo tiefe innere Geiſtes⸗ und Gemuͤthsverwandtſchaft neben
unzmeifelhafter Eigenthuͤmlichkeit und Selbftändigkeit auf
beiden Seiten, ober Beine ſolche Richtung auf die Poefie
im engern und höhern Sinne. Die dichterifhen Schoͤ⸗
pfungen Arnim's und Bettina’s gemahnen uns wie aus
Einer tiefen Quelle bes Geiftes, des Gemuͤths, ber Phans
taffe, der Lebensanfhauung entfprungen, und doch hat
Jedes von Beiden feinem Eigenthbum einen ganz fchars
fen, unterfcheldenden Stempel feiner Eigenthämlichkelt,
feines Geſchlechts aufgeprägt. Gemeinfam ift Beiden das
gefunde, reihe, von vielen Seiten erregbare, genußfähige
Leben, ber offene, empfängliche Sinn für die Natur im
Großen und Kleinen, der den eigenen Reichthum mit der
| Schönheit der Gegenflände vermählt und fie oft erft durch
feine Anſchauungsweiſe verffärt, die gluͤckliche, ſcharfe Be:
obachtung, welche Kebendigem und Leblofem das Charaf:
texiftifche ober doch ein Charakteriftifches abzufaufchen, das
Gewoͤhnliche von irgend einer Seite bedeutend zu machen
verftehe, die fchlagende, kecke Schilderung und Bezeich-
nung, und was biefen Borzügen meift zu Grunde
legt: die Friſche, bie Naturfeligkeit und Kindtichkeit der
Phantafie und des Gemuͤths, durch Leinen gewaltfamen
Zwang erſtickt und eingefchlichtert, durch keine ertödtenden
Sormen des Herkommens abgenugt und abgegriffen, wor⸗
aus dann auch ber bald harmlos bald übermüthig ſpie⸗
ende Humor entfpringt, welcher in feiner Liebenswürdig:
ften Geſtalt nicht ohne die hoͤchſte Geiſtesfreiheit, ohne
eine kecke Erhebung über bie Gegenfäge bes Lebens ge:
dacht werden kann. Und doch — bei folcher Verwandt:
ſchaft, welche charakteriftifhe Verſchiedenheit. Am kürze:
ſten laͤßt fie ſich vielleicht fo bezeichnen: Achim's maͤnn⸗
licher Genius iſt auf das Geſchichtliche, und in der Kunſt,
in der Poeſie mehr auf das Plaſtiſche, Bettina's welbli⸗
cher Genius iſt mehr auf das Natürliche (verſteht ſich
im weiteſten Sinne) und in der Kunſt mehr auf das
Muſikaliſche gerichtet. Wie ein zwangloſes, leichtes Traͤu⸗
men, Erlebtes und Imaginirtes wunderbar vermiſchend,
das Naͤchſte und das Fernſte mit gluͤcklichſter Kuͤhnheit
verbindend, die forgfamften, treueften Schilderungen eines
beſchraͤnkten Stilllebens mit den wunderbarſten Ahnungen
und philoſophiſchen Phantafien verwebend, den ſchaͤrfſten
Verſtand mit dem toliften Muthwillen nedifch würzend,
immer aber um ben Mittelpunkt der eigenen Empfin⸗
dung, des eigenen Gemuͤthes Ereifend — fo iſt Bettina's
Doefie, weiche fo heißen muß, teog Ihrer ungebundenen,
ungeregelten Formloſigkeit nach dem Maßſtabe einer kunſt⸗
mäßigen Aſthetie. Acim’s Genius ſtrebt und ringe da⸗
gegen, uͤber die Sphäre der Subjectivität hinausczukom⸗
men, fein Ich zuruͤckzudraͤngen, Geftalten zu ſchaffen, den
Gang der Welt, die Verwickelungen dee Schickſale und
deren geheime, höhere Lenkung zu veranfchaulichen, ber
Sage und der Geſchichte ſich zu bemächtigen, bem menfch:
lichen Leben. nahe, iq in es hineinzutzeten, feinen: kleinen und
großen Jammer, feinen tiefen Ernf zu ergeinden und durch
feine Darftelungen nicht blos die Phantafle zu vergnügen,
fondern auch das Gemüth tiefer anzuregen, auf den denken⸗
den, ernfiftrebenden, mit dem Leben kaͤmpfenden Dienfchen zu
wirken. So wandte fi Arnim zu den objectiven Kunſt⸗
geflaltungen, zum. Drama und befonder6 zur Erzählung;
feine Iprifhen Poeſien, an welchen er reich If, find faſt
alle feinen Erzählungen einverwoben, und wenn. Bettina’s
überfhwänglichfte Empfindungen und Ahnungen wie eine
mufitalifche Phantafie feſſellos dahinrauſchen, iſt Arnim
beftrebt, die allerbefonderften, eigenthuͤmlichſten Stimmun⸗
en und Gefühle in bie ſtrengere Form des Liedes, des
Gedichte zu bringen, bie leiſeſte, flüchtigfe Empfindung
zu verkoͤrpern und feilzubannen, dem Hauch und Seuf⸗
zer des Gemuͤths Worte zu leihen. Die Vergleichung
weiter auszuführen, müflen wir uns bier verfagen; nur
die Bemerkung finde noch hier eine Stelle: wenn Bettina
eigentlich nue ihr eigenes Sein und Leben und ihre Ge⸗
danken und Empfindungen mittheilt, fo fallen. ihe gele>.
gentlich treffliche objective Schilderungen ganz ungeſucht
von felbft zu, während es Arnim gefchieht, daß fih in
feine übrigens fo reichen und verbienftvollen Schöpfungen,
welche möglihft objectiv gehalten fein follen und wollen,
doch mitunter fein Ich, feine Subjectivität allzu fehr hin:
eindrängt, wovon noch weiter die Rede fein wird. End:
lich iſt auch der Name des Herausgebers geeignet, . für
die Sammlung ein noch höheres Intereſſe zu erwecken.
. Die trefflichen Brüder Grimm haben in Erforſchung und
Würdigung der Altern deutſchen Sprache und Literatur,
des deutfchen Glaubens und Lebens zum Theil neue Bah⸗
nen gebrochen und fi) als Gelehrte Werdienfte erworben,
welche nicht auf bie Schule und die Bibliothek beſchraͤnkt
bleiben werden, ober geblieben find, welche für dis Sprache
und Literatur unferer Nation, ja feibft für das Leben
ihre Früchte tragen werden. Es muß die Theilnahme
und das günflige Vorurtheil für die Schriften Arnim's
verftärken, daß Einer diefer berühmten und verbienftoollen.
Foͤrderer unferer Altern Nationalliteratue und echt beuts
ſcher Wiffenfhaft es ift, der die Herausgabe übernom:
men. Doch nicht blos ber Freund iſt es, welchem ber
Dichter ſchon im 3. 1811 zufammen mit feinem Bru⸗
ber Jakob eines feiner Bücher mit einem Gedicht zueig-
nete unb bee nun biefe Ehre mir einem Liebesbienft vers
gilt — es tft nicht blos der Freund, ber bie zerſtreuten
Werke und den Nachlaß bes Freundes zufammenftelt
und orbnet, es tft auch der Liebhaber und Pfleger einer
. wahrhaft deutfchen, vaterlaͤndiſchen Sprache, Pesfie, Lite
ratur, Geiſtesbildung und Geſinnung, ber die poetiſchen
Schöpfungen eines hoͤchſt edeln, männlichen, echt deutfchen
Geiſtes mit der Empfehlung feines gediegenen, an ben
kraͤftigſten, Beufcheften Dichtungen einer flarfen unb ges
ſunden Vorzeit geübten Urtheiles, mit feinem unbefloches
nen Lobe begleitet. Mit Wehmuth gedenkt er des zu
frühe gefchiedenen Sreundes, der immer „in volkr Ge
fundheit, getragen von ben Stahlfedern feines Geiſtet,
auf feiner Bahn gewandelt”, und freut fi, Andern, des
nen ex im Leben fremd geblieben, die Blüte einer reiche
begabten Natur vorgubalten. Er fage:
Aus Arnim's Dichtungen quillt uns eine Külle von Leben
entgegen: aus tiefem, unerkünfteltem Gefühl, wie aus ernſter
Betrachtung der Welt hervorgegangen, find fie zugleich von lies
bevoller Hingebung an fein Bolt und Baterland durchbrungen.
Sein Urtheil war ſeſt, aber feine Geſinnung mild. Allem Yan
teiwefen fremd, hat er den Spaltungen ber Zeit gegenüber bie
edelſte Unabhängigkeit bewährt. Er war kein Dichter ber Ber
weiflung, der an ber Pein innerer Zerriffenheit ſich ergoͤtt;
ber Verwirrung und Dunkel erhob er fich, wie die Lerche, zur
Abendroͤthe, um die legten Sonnenſtrahlen mit Gefang zu prüfen
und auf den kommenden Tag zu hoffen. eine Dichtergabe bes
trachtete er als eine Quelle, die in auterkeit aus der Bruft
ftröme, der man einen ungehemmten Lauf gönnen müffe.
Dabei jedoch überfhägt W. Grimm feinen verftorbes
nen Freund nicht, er verfchweigt nicht bie Maͤngel feiner
Poefie und will ihn nicht in eine höhere Ordnung von
Dichtern erheben, als welcher ee wirklich angehört. Er
| berührt die Ungleichheit, die nicht feltene Unangemeffenz
heit von Gegenftand und Form, die Dunkelheit in feiner
Poeſie, aber er verfichert: Überall hat er die volle Wahr⸗
heit feiner Seele ausgefprochen, die er mit keiner Buhle⸗
rei nach Beifall befleckte.“
Die vorliegenden Bände enthalten: „Novellen”, zwei
Bände, „Die Kronenwächter” in zwei Bänden, wovon
der zweite noch zu erwarten iſt; die „Schauſpiele“ umd
die „Graͤfin Dolores” füllen je wieder zwei Bände. Noch
find zurüd: „Ariel's Offenbarungen”, ‚Die Gleichen”,
„Halle und Jeruſalem“, „Hallin's Liebeieben” *), „Land⸗
hausleben“ und ber ‚Wintergarten‘.
So unbeftreitbar und treu wie nur irgend ein Dichs
tee gehörte Achim von Arnim der romantifchen Schule
an, von welcher er einer der ausgezeichnetften und frucht⸗
barften Vertreter ifl. Angeborene Stimmung und Meis
gung ebenfo wie bie Beitverhältniffe zogen ihn zu dieſer
. Schule hin. Geboren 1781, war er jung gerade in den
Jahren, in welche die froͤhlichſte und glänzendfle Schoͤ⸗
pfungstuft ber Romantiker fällt, al& deren Denkmal und
Mittelpunft man den „Mufenalmanady” von 1802 betrady:
ten Tann, Die vielfeltige, glänzende Phantafie und Ah⸗
nung aufregende Thaͤtigkeit der Häupter dieſer Schule
mochte wol einen ceichbegabten und beweglihen Juͤngling
*) Da ein Auszug davon ber „Eräfin Dolores’ einderleibt
ift, fo wirb dies wol aus der Sammlung wegbleiben.
51
auziehen ats bie ſtillere, eruſtere Thaͤtigkett, das we⸗
niger nach Effecten firebende Schaffen der gereifteen
Dichter Goethe und Schiller, auch mochte fi) mit den
jungern Dichtern leichter ein perſoͤnliches Verhältniß an:
Inupfen loffen. ebenfalls fagte feiner Natur die vo:
wantifche Richtung ganz befonder6 zu mit ihrer phantafies.
vollen Ungebundenheit, mit ihrem Xieffinn und ihrem
Spiel, borzuglic aber mit ihrer Richtung auf das Volke:
mäßige, dad Deutfhe, auf die Religion und auf das
Mittelalter. Freilich, je mehr die Romantiker eine Schule
ausmachten, deſto mehr iſt zu bedauern, daß fo Diele, bie
zu ihnen gehörten, fo wenig Schule und Zucht zeigten,
und auch Arnim hätte * gewonnen, wenn nicht die
romantiſche Schule gar manche natuͤrliche Eigenheit und
Unart, die aus Bequemlichkeit oder Eigenſinn entſprang,
ſonderbare Grillen, genialiſche Freiheiten, myſtiſche Dun⸗
kelheiten, in welchen die Dichter ſelbſt wol oft nur einen
Sinn vermutheten, nachgeſehen, oder gar als Vorzuͤge,
als Zeichen der Originalitaͤt gebilligt haͤtte. Wenn dies
ungezügelte Waltenlaſſen der Originalitaͤt — worein ſich
aber haͤufig Affettation miſcht und nur eine falſche Ma⸗
nier erzeugt — für den pſychologiſchen Kritiker intereſ⸗
ſant ſein mag, indem es die Verſchiedenheit der Anlagen
und Neigungen nach allen Seiten hin ſich entwickeln,
jede Laune und Idioſynkraſie ſich gleichſam zum ſelbſtaͤn⸗
digen Organismus ausbilden laͤßt: ſo muß der aͤſthetiſche
Kritiker es doch tief beklagen, wenn hierdurch einem
ſtrengern, gleichfoͤrmig fortzubildenden und eine tiefere
Originalitaͤt keineswegs unterdruͤckenden Charakter und
Stil der Kunſt Abbruch geſchieht, wenn ihm die reichſten
Talente entzogen werden. Dies auf Arnim angewen⸗
det — ſo iſt er ohne Frage, fuͤr ſich betrachtet, als poe⸗
tiſches Individuum, eine hoͤchſt ausgezeichnete und erfreu⸗
liche Erſcheinung, eine Natur von ganz eigenem, ſchar⸗
fem Gepraͤge, von einem edeln Metall und Kern, ein
Gemuͤth voll Faſſung, Hoffnung und Begeiſterung in
einer verzagten, niedergedruͤckten, blaſſen Zeit, ein Mann,
der an der Poefie feſthielt, als die Proſa und Nuͤchtern⸗
heit die Welt zu uͤberſchwemmen drohte. Faßt man aber
feine Bedeutung für die bdeutfche Poefie und Literatur
ind Auge, fo muß man bedauern, daß er nicht tiefer .in die
Nation eingegriffen hat, aber man muß auch geftchen,
daß der Grund hiervon in ber Form und Eigenthuͤmlich⸗
keit feiner Schriften liegt. Um Größeres zu wirken,
Gtaffifcheres zu fchaffen, hätte ee einer ſtrengern Kunft:
form fich befleißigen, feine Gefühle und Gedanken zu
größerer Klarheit herausarbeiten, ſich von feiner Subjecti⸗
vität, obne den Kern feiner Sefinnung und Gefühle zu
verlegen, mehr befreien müflen. Je nachdem man nun
auf diefen oder jenen Standpunkt fi flellt, kann man
über Arnim's Werke ein außerordentlich guͤnſtiges, oder
aber ein vielfach tadelndes Urcheil füllen und beides mit
triftigen Gründen belegen und unterflügen; eine billige
und unpartelifche Würdigung hat die Mitte zwiſchen den
beiden Ertremen zu fuchen, fie darf fih dur die Ein:
feitigteiten der Schule und des Individuums nicht zu
einer geringfchägenden Verwerfung hinreißen laſſen, aber
’
fie darf auch über den glänzenden und lirbenswuͤrdigen
Borzägen des Individuums nicht die Anfoderungen eines
allgemein anfprechenden, im hoͤchſten Sinne nationalen
Stils und Charakters der Porfie aus den Augen fegen.
Nur ein befangener Schulz und. Sektengeift koͤnnte Ars
nim den eriten Dichten unfers Volks gleichftellen oder
vorziehen, aber auch nur eine engherzige, pebantifche Ver:
blendung koͤnnte feine Schöpfungen hauptfächlich unter
| dem Geſichtspunkt von midlungenen Verfuchen, von Ges
ſchmacksverirrungen, durch falfche Theorien und Muffer
veranlaßt, betrachten wollen. Berfuchen wir, Arnim nad)
unfern Kräften volle Gerechtigkeit widerfahren zu laffen
(Die Bortfegung folgt.)
Romanenliteratur.
1. Helnrih von England und feine Söhne. Cine alte Gage
neu erzählt von Fanny Zarnom. Zwei Theile. Leipzig,
Kollmann. 1842. 8. 3 Thlr. "
Heinrich von England und feine Soͤhne ift allerdings eine
alte, bereits vielfach ausgebeutete Sage, oder Gefchichte, wie
man will; daß fie aber von der Verf. neu erzählt, oder bears
beitet wäre, müffen wir geradezu beſtreiten. Wir find fogar
denfelben Perfonen, denfelben Berwidelungen und Berbältniffen
in al ihren Einzelnheiten, Scenen und Berflechtungen, wie wir
fie in dieſer angeblich neu erzählten alten Sage gefunden haben,
in. einem weit ditern, gegenwärtig wol bereits Längft vergeffenen
Romane „Walter von Montbarri” begegnet, und der Unterfchied
befteht Lediglich darin, daß der Held hier „Walter von Mont:
barri“ und bei unferer Verf. „Arthur von Montgomeri” heißt.
Sollte etwa unfere Verf. jenen Roman, ber, wo wir uns
nicht irren, gleichfalls von einer weiblichen Feder berrührt,
at8 Quelle bei ihrer neu erzäßlten alten Gage benugt has
ben? Macht man übrigens keine Anſpruͤche auf tiefere pfucholos
aifche Charakteriſtik ver Perfonen, auf anfchautiche Darftellung
und Schilderung der Sitten und Verhältniffe jener Zeit, ſowie
ber verfchiedenen Schaupläge, auf denen die Gefchichte abwech⸗
fetnd fpielt, fo Tann die leicht und anfpruchsios gehaltene Er:
zaͤhlung genügen, und es laßt ſich mindeftens ihr nachruͤh⸗
men: daß fie ſich leſen laͤßt, wie viele taufend andere aͤhniche
Geſchichten audh.
2. Die Gräfin von Shoifeul : Prasiin. Eine wahre Begeben⸗
beit aus der Zeit Ludwig's AV. von Paul Jacob. Aus
bem Kranzöfifchen von Emilie Wille. Zwei Theile. Leips
zig, Kollmann. 1842, 8. 2 Thlr. 7. Rgr.
Wir haben es offenbar einem böfen Sterne zu banken, daß.
wir ed fo häufig mit Überfegungen elender Machwerke frembläns
bifher Zunge zu thun haben. Gin foldes Machwerk ift nun
auch die „Graͤfin Choiſeul⸗Praslin“, dem der beigefügte Druder:
„aus dem Franzoͤſiſchen überfegt’’, fchmerlich auf bie Weine hel⸗
fen kann, vollends wenn die überſetzung fo fchlecht und ſchuͤler⸗
haft ift als die vorliegende. Eine jaͤmmerliche Geſchichte! Go
jaͤmmerlich und liederlich als die Zeit, der diefe angeblid wahre
Begebenheit angehören fol. Dan verliert nichts dabei, wenn
man fie nicht gelefen bat, gewinnt vielmehr die koſtbare, uns
erfegliche Zeit, die man babei auf eine unverantwortlicdhe Weiſe
verlieren würde.
3. Die Eroberung von Zouloufe. Cine biftorifche Novelle von
Bredkric Soulié . Aus dem Pranzöflichen übertragen.
Seipzig, Vinder. 1842. 8. 12 Nor.
Wir haben bee fchlechten und erbärmlichen Geſchichten und
Novellen von beutfchen Federn bereits zum Überfluß, und es
‚wäre daher gar nicht nöthig gewelen, uns mit dieſem erbaͤrm⸗
lichen Machwerk des noch obendrein franzöfifchen Rovellenfabris
kanten Soulid befannt zu machen. Zu beklagen ift, wer dazu
x
verurteilt genefen, bies elende Dugendflüd zu überlegen, feine
Zeit ma fein bischen Geiſt an ein ſolches te zu vergeuben,
und nicht minder zu beflagen ift, wer es zur Strafe feiner
Suͤnden, wenn auch nicht bat Lefen, fo boch mindeftens durchs
biättern möflen: denn Hier wird er nicht einmal mit Hamlet
fagen können: „Worte! Nichts ale Worte!” fondern: „Spreu!
Nichts ald leere Spreu!“ Schade nur um das verfchwenbete
gute Papier und den verfchwendeten guten Drud, denn das if
das einzige Gute an der ganzen fogenannten hiftorifchen Nos
velle des Deren Soulie.
4. Liebe und Krieg, oder die Romantik des Eoldateniebens, von
Eduard Auillinan. Aus dem Engliſchen überfegt von
Amalie Winter. Drei Theile. Leipzig, Kollmann. 1842
8. Thlr.
Wieder eine Menge Papier und Druckerſchwaͤrze an die
Überfegung einer ſchlechten dreibaͤndigen Geſchichte verſchwendet.
Wie die Verſchwoͤrungen, geheimen Geſellſchaften und ſonſtigen
Abenteuerlichkeiten, die uns bier in reichlicher und bunter Menge
von dem englifchen Verf. aufgetifcht werben, mit einer „Romans
tik des Soldatenlebens“ in Verbindung fteben, ift uns raͤthſel⸗
haft geblieben. Wir haben nichts von Romantifchem in der
ganzen Geſchichte von Anfang bis. zu Ende entdeden können;
wol aber ift fie une durdy und duch als ein non plus ultra
von Abgeſchmacktheit und Langweiligkeit erfchienen. Wohl Dem,
der fie nicht zu lefen braucht. 21.
Eine englifhe Correſpondenz über Berlin.
Das „Athenaeum’ enthält in einer feiner Iesten Nummern
eine recht intereffante Correſpondenz aus Berlin, welche fich bes
ſonders über die Aufführung der „Antigone” ausfpricdht. Nachdem
der Correfpondent feine unbegrenzte Verehrung und Bewunde:
zung für des Sophokles dramatiichen Genius ausgedrüdt hat,
bemerkt er, daß ihm die Darftellee weit unter ihrer Aufgabe
geblieben zu fein ſchienen, daß dies aber auch nicht anders fein
koͤnne. Madame Grelinger befige offenbar eine große Praris;
ihre Attituden feien in der That oft bewundernswuͤrdig gewefen,
befonders in der Ruhe, und fie habe ſich, je näher dem Schluſſe,
deſto volllommener gezeigt; aber ed habe ihr doch etwas — er
ſelbſt wiſſe nicht was — gefehlt, um die verurtheilte Tochter
eined gottgleichen koͤniglichen Geſchlechts, die ſich unterwerfende
und doch furchtloſe Dienerin der Bötter vollendet darzuftelfen.
Die übrigen Darfteller fcheinen ihm gar nicht in Betracht zu
tommen. on dem Ghore, meint er, koͤnne man nicht zu viel
fagen; zumweilen fei der Gefang nicht volllommen, aber doch im
Ausdrude ftets gehalten, würdig, edel und ſchoͤn geweſen, ganz
gemacht, den Eindruck der mächtigen und, ehrwürdigen Fabel
bervorzubringen. Die mise en scene laſſe ſich gar nicht be:
ſchreiben, man müffe fie gefehen haben; einige Momente, befons
derö ber Geſang an den Bacchus, wobei der Chor den Altar
umkreiſe und feine Thyrſusſtaͤbe ſchwinge, komme über @inen
mit übermwältigender Kraft und Feierlichkeit. Der Geſchicklich⸗
keit und Genialität, womit Mendelsfohn feine Aufgabe loͤſte,
1äßt der Gorrefpondent vollkommene Gerechtigkeit widerfahren,
obgleich aud er mit vielen Andern ber Meinung ift, daß fich
die Muſit zu felbftändig hervordränge. Daß die Choͤre gefun-
gen und nicht gefprochen werben müßten, darüber, fagt er, fei
fein Imweifel, wenn man die „Braut von Mefjina”, wie fie ge:
woͤhnlich dargeftellt würde, gefehen hätte; das Zuſammengewirr
der Stimmen bringe felöft diefe edeln und muſikaliſchen Verſe
um ihren Reiz. Diergegen bemerken wir, daß es doch nur ein:
seine Stellen und Schtußverfe find, welche der Chor mitfam:
men fpridjt, und ba findet in ber That ein fehr unharmonifches
Gebrauſe und Geziſche flatt; aber dem größten Theile nad) wird
der Chor doch nur von ben einzeinen Shorführern gefprochen,
und wie 5. B. der verftorbene Lemm die Aufgabe bes Gajetan
Löfte, machten diefe mächtigen Rhythmen und Worte Schiller’
einen intenfivern und wenigftens nadhhaltigern Eindruck als
ſeibſt bie WRufit Wienbeisfohn’s, in ber der gewaltige Text
verſchwindet.
Außerdem bemerkt der Correſpondent noch, daß Jakob
Grimm eine zweite Ausgabe feiner „„Deutfchen Mythologie“
vorbereite, und, daß er, der Gortefpondent, neulich einige Frag»
mente aus der Autobiographie der beiden berühmten Bruͤder
gelefen habe, bie er in England befannt wolle, bas
mit man dort bie Trefflichkeit, den Abel und die Einfachheit
der beiden „literarifchen Riefen” kennen lerne, ihre rührenbe
Familienliebe, ihr reines und erhabenes Gefühl für Natur, Bas
terland, Freiheit und Humanitaͤt; es fei dies ein rührendes Ab⸗
bild der beften Seite deutfchen Eebens und Charakters. — Das
Modell zu Rauch's Standbild Friebridy’s bed Großen erklaͤrt er
für ein Meiſterwerk; Stellung, Ausbrud, felbfi jene wunder
bare Beinhelt der Linien um den Mund feien vortrefflid. „Uns
fer Fritz“ erſcheine da, wie er lebte und ſich bewegte, wie er
blickte und zu Pferde ſaß; nichts fei Hinzugefügt als ein Her⸗
melinmantel, der in anmuthigen Falten über die eine Schutter
berabhinge und die Trockenheit einer befleibet bargeftellten
Figur milder. Auch die liegende Figur bes Leßtverftorbenen
Könige, welche beflimmt fei, an ber Geite ber ebenfalls in
Marmor gebitbeten Königin Luife gu Ghariottenburg zu ruben,
fei ein geniales Werk, der König Liege da wie
— — a werrier taking his rest,
With his martial cloak around him.
Meifterhaft fei au Rauch's Büfte ber Fuͤrſtin von Thurn und
Zarie, welche, hiernach zu urtheilen, feldft die Königin Euife
an Schönheit übertroffen habe, und eine liegende Statue der
verftorbenen Königin von Hanover, ber dritten Grazie in bie
fem herrlichen Trio. — Tieck, von feiner Krankheit wieberbers
geftellt, habe zwar feine Vorleſungen noch nicht wieder ans
gefangen, oe fein Auge fei glänzend und feine Unterhal⸗
tung lebhaft.
Seltſam ift die Abfchweifung, welche ber Gorrefponbent
plöglih von Berlin aus auf das Gebiet der ſchwediſchen Eiteras
tur unternimmt, indem er fich auf eine Kritit ber Romane
ber Frederike Bremer eintäßt. Veranlaſſung hierzu gab ihm
der Umftand, daß die Romane bes Fräulein Bremer au in
das Englifche überfegt worden find. Er lobt fie als eine Schrift:
ftelerin von gefundem Menfchenverftande, weiblichem Gefäpt
und Einſicht und trefflicher Schilderungsgabe, tabelt fie jeboch
ald eine ſehr mittelmäßige Erzählerin, indem fie theil® ſehr ge:
ſchwaͤtig, theild in der Erfindung fo romantiſch abenteuerüch
erfcheine, daß Ichtere Partien gegen das Hausbackene — ber
Sorrefpondent bebient fich biefes deutfchen Worte —, wel
fi reichlich vorfinde, fehr feltfam abſtaͤchen. — Durch die Güte
Waagen's, fährt er fort, fei er mit den neuen Erwerbungen
für das Mufeum befannt geworben ; barunter fei befonders aus⸗
zugeichnen eine herrliche und Eoloffale Abnahme vom Kreuze,
ein Werl des Gebaftian bei Piombo, nach einer Zeichnung von
Michel Angelo. Intereffanter noch feien die Sculpturen. Dan
muͤſſe fich freuen, daß diefe an ber waͤliſchen Küfte gerettet wor⸗
den. „Es iſt troſtreich“, ſagt er, „zu ſehen, daß England nit
daß einzige Land ift, welches Über forglofe und unkluge Conſuia
zu Magen hat. Der preußiſche Conſul zu Livorno, welden
diefe koͤſtiichen Sachen anvertraut waren, hielt fie drei Moden
zurüd und fchiffte fie dann am Bord eines Fahrzeugt ein,
deſſen Gapitain anerfanntermaßen ein ſchlechter Seemann
war.“
Literariſche Anzeigen.
Soeben erscheint bei F. A. Broekhausin Leipzig:
Trendelenburg ed) ‚ Die logische
Frage in Hegel’s System. Zwe
Streitschriften. Gr. 8. Geh. 10 Ngr.
Berantwortliher Deraußgeber: Heinrid Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus in Leipzig.
——— 000000202. 2
*⁊
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
Ludwig Achim's von Arnim fämmtliche Werke.
erauögegeben von Wilhelm Grimm. In zwölf
Anden. Erfter bis dritter und fünfter bis achter Band.
Erfier Artikel.
(Bortfetung aud Wir, 138.)
Bei Achim von Arnim finden fid) gar mandye, und
zwar manche der ſchaͤtzbarſten Eigenthümlichkeiten und
Richtungen ber romantifchen Schule, in welcher fich fo
verfchiedene, zum heil fchwer unter Einen Begriff zu
vereinigende charakteriflifche Strebungen kundgaben. Die
fheinbare oder wirkliche Ungleikhartigkeit ihrer Tendenzen
erklaͤrt fi zum Theil daraus, daß die Häupter und
Gründer derfeiben, fo viel und geiſtreich fie theorestifirten
und dedurcirten, doch haufig mit ihren Theoremen und
Behauptungen erſt hinter ihren Neigungen, Studien und
productiven Stimmungen, welche wechſelten, hinterdrein
kamen und mehr von einzelnen Punkten als von allge⸗
meinen Begriffen ausgingen, und dann das Einzelne und
in feiner Art, in feiner Sphäre Wahre und Bortreffliche
oft über Gebühr verallgemeinerten. Schön iſt an ben
Romantikern ihr lebhaftes, tiefes Naturgefühl, deſſen herr:
lichſter, begesiftertfier Prophet 2. Tieck war; dankenswerth
iſt ihe Verweiſen und Dringen auf das Einfache, Ras
särliche, Native im Menfchen: und Volksleben, auf das
Nationale und Baterländifche, ihre Beſtreben, die beutfche
Poeſte und Literatur durch Eröffnung der Quelien und
Schaͤtze der alten, echten, einheimiſchen Sprache, Poeſie,
Geſchichte, Sitte zu Präftigen und ihr eine ganz natio:
nale Richtung zu geben, was auch burch die innigere
Vermaͤhlung der Poefie mit der Religion bezweckt wurde;
— ihre Vertheidigung und Erhebung ber Iebendigen, bes
lebenden, indivibualificenden Phantafie gegen die nüchterne,
pedantiſche, engherzige, nivellirende Verſtaͤndigkeit; und
hinwiederum haben fie ſich auch Verdienſte erworben durch
ihre belehrende, foͤrdernde, fruchtbare Hinweiſung auf die
Literatur bed Auslandes, auf Shakſpeare, Cervantes, Cal:
beron, durch bie Kunſt, mit welcher jie die deutfche Sprache
in ben fchwierigften, verwickeltſten Metern und Reimen
mit den füdlichen Sprachen wetteifern ließen; und auch
durch ihre komiſchen, tronifhen, humoriſtiſchen Schöpfun:
gen und Verſuche haben fie zur Bereiherung und Er:
mweiterung eines in Deutfchland wenig angebauten Feldes
beigetragen. Was man bei fo vielen Verdienſten und
14. Mai 1843.
—— —
—o ol non
lobenswerthen Beflrebungen vermiffen kann, ift haupt:
fächlich die, Einfeitigkeiten und Launen außfchließende oder
beſchraͤnkende kuͤnſtleriſche Beſonnenheit und. Mäßigung,
der beharrliche, nachhaltige Ernſt, an deſſen Stelle man
bei ihnen einen raſch auflodernden Enthuſiasmus und
einen genialen UÜbermuth findet, der doch hinter dem ent⸗
fchlofienen Muthe des ernften Dichters im Erfolg meit
zuruͤckbleibt. Arnim fchloß- fich, wie gefant, den fchönften
und ruͤhmlichſten dieſer Richtungen und Beſtrebungen mit
Liebe und Eifer an; man findet bei ihm vorherrſchend
die Richtung auf das Nationale, das Deutfche, das tieffte,
empfindlichfte, zartefte Gemuͤth verbunden mit einer Phan⸗
tafie, deren Kraft und Tugend nicht minder in der böchft
lebendigen Beranfhaulihung des Vergangenen und ber
Wirklichkeit, als in ganz freien und kecken Schöpfungen
bewährt, die waͤrmſte Liebe für aͤltere deutſche Gefchichte,
Sitte und Poefie, einen tief religiöfen Sinn; und danes
ben auch eine überrafchende Vertrautheit mit dem Leben
und der Literatur fremder Nationen, ein ernſtes Streben
nad) firengern Kunftformen in der Lyrik und den kecken,
muthwilligen Humor ber Romantiler. Dee Humor aber
ift ein gefährlicher und ſchwer zu behandelnder Dämon;
nur den größten, gewaltigfien, ficherfien Geiftern iſt es
gegeben, ihn zu beberrfchen und dann durch ihn die größ:
ten Wirkungen hervorzubringen; nur Solche vermögen
ihn in ein wirkliches Kunſtwerk aufzunehmen, ohne daß
er es ihnen auseinanderfprengt; Andere aber beherrſcht
dee Dämon, den fie fich dienfibar machen wollen, reißt
fie willenlos und halb bemußtios mit ſich fort und zer⸗
flört ihnen weniſtens jede Kunftform. Am meiften tritt
dee Humor in Arnim’ dramatifchen Arbeiten (Bd. 5 und
6; die größern Dramen fehlen noch in der Sammlung)
hervor, mit deren Befprechung wir ben Anfang machen.
2. Tieck mit feinen ironifch:polemifhen und humoriſti⸗
fhen dramatifirten Märchen im „Phantaſus“, mit dem
„Octavian“ und „Zerbino“ war offenbar der Erwecker diefer
Gattung; aber auch Goethe's „Jahrmarkt zu Plunders⸗
weiler“ fchlug zum Xheil in diefe Gattung ein, bie ſich
baneben gewiffermaßen an Shaffpeare anlehnte. Arnim
fschte ihe befonders ein nationales Gepräge aufzudruͤcken,
theils durch die Mahl ber Stoffe, thells durch die an
bie ältere deutfche Bühne erinnernde Form. Es find Im
ganzen 11 Stuͤcke, eine Poſſe, ein Schattenfpiel, ein
Pidelberingsfpiel, ein Hanswurfifpiel, ein Duppenfpiel, ein
(tomifches) Trauerſpiel, ein (unbebeutendes) Nachfpiel,
ein heroiſches Luſtſpiel (ganz und gar phantaſtiſch), ein
Schauſpiel und ein Luflfpiel, welche doch bie auf einen
gewiſſen Grad dem feflen Moden des wicklihen Lebens
jich nähern, und ein geößere® Drama, „eine Geſchichte
in vier Handlungen“, mit einem leiſen hiſtoriſchen An⸗
flug. Unſtreitig iſt in dieſen dramatiſchen Arbeiten eine
Fülle von Humor, Wis, Geil, Phantafie und Semüth
enthalten, manche Charaktere find fehr ſchoͤn umrifien,
oder durch einzelne Züge vortrefflich bezeichnet, und eine
ungemeine Kraft, Kebendigkeit, Anfhautichkeit der Sprache
hebt und veredelt oft das Gewoͤhnliche; aber wenn man
mit Ergögen und Lachen, mit Spannung und gelegent:
ich mit Rührung dieſe Bände durchleſen hat, bedauert
man doch am Ende, daß fo viel ſchoͤne und edle Kraft
bier doch im Grunde an Poffen und Taͤndeleien in ei-
nem übermüthigen Spiele verſchwendet if. Freilich war
das Spielen mit den Gegenftänden ein Fehler mancher
Romantiker; die Sronie, von welcher fie fo viel zu fa:
gen mußten, beachte das mit fich; eine ungemeine, über:
legene Kraft ſcheint ſich darin auszuſprechen, daß man
von einem Stoffe ſich nicht hinreißen läßt, daß man
daraus macht, was man will, ihn in Scherz und in ein
Nichts aufloͤſt, als einen an ſich nichtigen Traͤger ber
Kunft; aber höher ſteht dody gewiß der Ernſt, der mit
einem großen Segenflande ringe und ihn am Enbe ganz
oder doc; großentheils bewältigt; Kunſt und Kraft, wenn
fie wirklich echter Art und bedeutend find, wachſen mit
dem großen und türbigen Stoff, während fie ſich an
dem geringfügigen Gegenſtand verzehren und verflüchtigen,
jedenfans keinen nachhaltig befriedigenden Eindrud her⸗
vorbringen. Die Schatten:, Hanswurft:, Pidelheringes,
Puppenfpiele und = Poffen enthalten in der That koͤſtliche
Züge, echt komiſche Situationen, fie zeugen von einer
äuferft gilicklichen und fruchtbaren Erfindungs: ober Be⸗
nhgungsgabe; aber fie flehen im dee jegigen Beit und Li⸗
teratur, in ber wirffihen Welt fo gar fremd unb unver⸗
ländlich da; bee harmloſe Leſer — denn aufführen kann
man biefe Sachen ſchwerllch — weiß oft gac nicht, Wer
eigentlich verfpottet, über Wen gelacht wird; und fo welt
foflte doch der Humor nicht potenzirt werben. Der Ins
balt der Poffe ‚„„Iann’E erſter Dienſt“ iſt folgender:
Der reiche, geizige Bauer Erbwurm jagt feinen faulen,
tötpelhaften Sohn Jann fort, um fi anderswo Dienſte
zu fuhen, unter den Wehllagen der Mutter um das
dreißigjährige Kind. Jann findet fogleich Dienfte bei dem
Heren des Dorfes, der am feinen plumpen, halb ſchlauen,
halb toͤlpiſchen Reden und Späßen Gefallen findet; Jann
wird fogleich von der Köchin, Jungfer Grethe, mit 11
Kindern, angetöbert und muß fi mit ihr verloben.
Bienen, die er dem Schwager feines Herrn bringen fol,
frißt er felbft auf; baflıe befommt er, ber nicht leſen
kann, von Jenem eine fchriftliche Anweifung auf eine Tracht
Schläge, als gutes Trinkgeld. Er ruͤhmt ſich deſſen ge:
gen feinen Water; dieſer emtreißt ihm die Antweilung, em:
Hängt die Schläge, kommt heulend und ſcheltend zurück,
Grethe komme mit den 11 Kindern vom GSchloffe gelau:
fen, wie der alte Erbwurm gerade dem Jann die em:
pfangenen Schläge erflattet; fie kommen dem Jann gu
Hüife, überwältigen den Erdwurm und zwingen ihm fei-
nen Segen ab, den er, mit Fluͤchen untemmifcht, ihnen
gibt. Im derfelben Sphäre hält fi das Hanswurfifpiel
„Der vwunderthätige Stein”. Der mit gutem Grund
auf feinen jungen Nachbar Wilhelm eiferfüchtige alte
Bauer Hans will einen Schwarzlünftier, der ins Dorf
gelommen, wegen feiner biuslichen Angelegenheiten zu
Mathe ziehen. Wilhelm fpielt die Rolle des Schwarz:
kuͤnſtlers mittel& einer Vermummung; Hans bittet den
vermeintlichen Teufelsmeifter, ihm bie Schelmengeflalt bes
Wilhelm zu geben, damit er feine Frau auf die Probe
ſtellen koͤnne. Der begünfligte Nachbar gibt ihm einem
Stein, der die Eigenſchaft haben fol, ihm, wenn er ihn
auf den Kopf legt, Wilhelm’s Geflalt zu geben, und un-
terrichtet heimlich in aller Eile die Frau von der Rolle,
bie fie zu fpielen hat. Der alte Hans verfucht feine
Grau, wird als Wilhelm von Ihe berb und ſchnoͤde abge:
wiefen, ia geprügelt für feine Zudringlichleit, im feiner
eigenen Perfon aber, wenn er den Stein vom Kopf ge
nommen, geliebloft und gefchmeichelt, und nun freut er
fi) hoͤchlich, durch den geringen Aufwand eines Gold⸗
ſtuͤcks, das er dem Hexenmelſter gegeben, die fichere üÜber⸗
jeugung von bee Treue feiner Frau gewonnen zu haben.
Manche komifche Einfälle, derbe Witze und Iuflige Si⸗
tuationen kommen in bdiefen Poffen vor, die freilich an
fi keinen Werth, keine allgemeine Bedeutung haben
und auch gar nicht anfprechen; es ift fo rein nur um
den komiſchen Effect, um das ungebundeme Spiel bee
Laune zu thun, daß auch bie fittlichen Verhaͤltniſſe, welche
unferm Dichter in dee That heilig find, mit muthwilli⸗
gem Leichtfinn behandelt werben. Daſſelbe gilt von dem
Sthattenfpiel „Das Loch ober das wiebergefundene Pa:
radies“, wo ein Ritter von der runden Tafel dem ſtumpf⸗
finnigen Kalfer vom Rhabarberiande feine Gemahlin ent:
führt und ihm feinen Rath Kafper zufammenhaut. Das
Stud if in Verſen gefchrieben, mit einem fatirifächumes
eiftifchen Prolog, und polemifirt und ironiſirt mitunter
ſehr ergöglich gegen und über politifche, philoſophiſche und
Humanitätsgrundfäge. Humor, Liebe, Poefle triumphi⸗
ven Über Pedanterei, Albernheit, Stumpffinn und Ranges
weile. Im Pidelberingefpiel ‚Here Hanrei und Maria
vom langen Markte“ wi ein alter Geizhals ein junges
Frauenzimmer heirathen, das fi anſtellt, ganz Unſchulb
und Hingebung zu fein. Wie er kaum ihr den Rüden
zukehrt, laͤßt fie fi mit einem bramarbafirenden Solda⸗
tem ein; ber Alte ſtellt ſich todt und erkennt mittels bie
fer Lift die Sefinnungen und Abfichten feiner Braut, laͤßt
fih aber doc wieder von ihr beſchwaten, bis fein von
ihm verfloßener Sohn Peter zurkdlommt und burg ein
fonderbares Ungefähr die Braut beimfährt, mit der ex
fon frührer fehr vertraut geweſen. Das Hauptmotiv,
ber alte, gelzige, verliebte und betsogene Hanrei, iſt aller
dings nicht neu. In dem Puppenfpkl „Die Appel:
pelmaͤnner“ bedauert man beinahe ben großen Aufwand
von ſchoͤnen, kraͤftigen, ergreifenden Empfindungen und
Gedanken für ein fo ſeltſames, mitunter Läppifches Thema.
Der Dichter wollte barin „mandgen fcheinbaren Widerſpruch
in dem Gemüche ber Menſchen zu einer wohlthuenden,
befriebigenden Einpeit bringen”. Schwerlich aber wird
Jemand In dem zwar reich autgeflatteten, doch tollen
Yuppenfpiel einem ſolchen tiefern Sinne nachipüren.
Nicht viel minder ummahrfcheinlicd; und märdhenhaft, aber
boch ergöglicher, von einem reinern Eindrude begleitet iſt
die ‚„‚Capitulation von Oggersheim“, we ber faft allen
in der von ben Spanien bedrohten Stadt zurückgeblie⸗
bene Stadtfhäfer mie Hilfe feines Weibes und feines
Anaben die anrückenden Spanter taͤuſcht und mit ihrem
General Corduba eine fehr guͤnſtige Capitulation mittels
finnreicher Liften und Schlauheiten abſchließt. Der eins
ruͤckende General erkennt in bed Scäfers Weib feine
Tochter, und fein Sohn, weichem der Schäfer das Leben
gerettet, bat deſſen Schweiter zu feiner Braut erwaͤhlt.
So wunderlih Alles ift, fo hat doch bie Geſtalt bes
Schaͤfers Warſch eine anfprechende, innere Wahrheit;
er veranſchaulicht recht ſchoͤn, wie bie Zeit dee Gefahr
und Neth den in einer anfpruchsiofen, aber gefunden und
kraͤftigen Seele fchlummernben Deldenmuth, Geiſtesgegen⸗
wert und Kiugheit erweden kann, wie ba die Wahrheit
und das Weſen über ben conventionnellen Schein den
Sieg davonträgt. Das bedeutendſte Stüd iſt das vier
actige Drama ,‚Der Auerhahn“. Der Landgraf Deins
eich der Eifeene von Thüringen kommt nad dem Tode
feines Vaters, mit dem er in Unfrieden gelebt, auf das
Schloß Marburg, wo berfelbe geflorben. Ex trifft das
fesbft die jüngern, unehefichen Söhne feines Waters, Dtt:
wit, Franz und Albert, bie ee fehr barſch und grob an⸗
laͤßt und ihmen feinen Widerwillen nicht verhehlt. Mit
Entrüftung vernimmt er den letzten Willen feines Ba:
ters, wornach, nicht wur die unehelihen Söhne reichlich
ausgeftattet werden fellen, fondern der auch verfüge bat,
daß des Landgrafen eigene Soͤhne die ihnen nad) ihrer
Geburt zukommenden Beſtimmungen vertaufchen, ber aͤl⸗
tere, Heinrich, ſich dem geiſtlichen Leben widmen, der
jüngere, Otto, aber Erbe ber Herrſchaft werben ſolle.
Auch hat der Todte feines Sohnes Tochter Jutta dem
Ottnit zur Gattin zugedacht. Der eiferne Heinrich tobt
und wuͤthet; feinen Sohn Dtto ſchickt er nach Köln, um
ein GBeiftliher zu.werben, ben zarten, frommen, kranken
Heinrich fchile er, entreißt ihn feinem Lieben frommen
Berufe, und wie er feiner Schweſter Jutta fein geiftlis
ches Gewand uͤberlaͤßt, in das fie fi bunt, um dem
Vater zu täufhen, haut er mit dem Schwert auf ihn
im Zorn ein, fobaß der Sohn an der Wunde bald flicht.
Auf die Bitte des Sterbenden jedoch verfchweigt ber
Kanzler dem Vater, baß er der Urheber von feines Soh⸗
ses Tode if. Jutta entflieht, um nicht von ihrem Das
ter zus Ehe mit feinem Neffen Günther gezwungen zu
werben. Ste trifft in ihrer geiftlichen Verkleidung mit
dem wilden Dtto zufemmen und fie fchiffen ben Rhein
hinab, nad) Kleve, wo Dtto (der Schüp), ohne feinen
hohen Stand zu erkennen’ zu geben, In einem Armbruſt⸗
fdiepen Steger wird, bie Gunſt bes Hubertus von Rice
umb bie Liebe feiner Tochter Eliſabech gewinnt. Eliſa⸗
bet, und Jutta werden Freundinnen und legen ſich mit
einander, in ihren Kleidern, fehlafen. Otto befanert fie,
glaubt Eliſabeth ſich untren, weil er Jutta noch immer
für einen Mann hält und will Beide ermorden; durch
Ottnit und Günther, die ihm nachgefchlichen, wird er
abgehalten. Diefe folgen naͤmlich dem Landgrafen, wel⸗
des feinen Sohn Dtto zu fuchen ausgezogen if. Aber
Eliſabeth, im Schreden, gelobt ſich der heiligen Jungs
frau und bleibe bei ihrem Gelübbe, welches eigentlich
ſchon ihre Mutter bei ihrer Geburt abgelegt bat. Otto
geräth außer fi), faßt und ergibt fi) dann, aber, von
feinem Vater aufgefliftet, will er doch noch einen Vers
fa machen, feine Braut dem Kloſter wieder zu entfühs
ven. In finfterer Nacht begegnet er vor dem Kiofter
feinem Vater, der foeben feinen Kanzler aus Zorn und
Mistrauen getöbter hat, und Beide, einander nicht erken⸗
nend, tödten fih im Zweikampf. Ottnit, der Jutta's
Satte wird, erbt die Herefchaft; fein Bater bat feine
Mutter heimlich fi trauen laffen und er iſt vom Kai⸗
fee legitimirt. Der Wille des eifernen Landgrafen bricht
fih an dem Willen bes Schidfale, des Himmels. Seinen
Titel hat das Stud davon, daf der Sage nad) die Seele
bes Ahnhern der Fürften von Thüringen in eines Auer: .
hahns Leib follte übergegangen fein, und fo lange biefer
Vogel lebte, follte das Hans der Fuͤrſten beftchen. Am
Anfange des Stuͤcks aber hat Ottnit einen Auerhahn ges
fhoffen und etliche Federn davon Jutta geſchenkt. Die
fer Zug rhdt auch dies Drama ganz In den Kreis bes
Phantafifhen und Abenteuerlihen, dem es freilich fonft
fon durch die ganze Art der Compoſition angehört, ob:
wol bin und wieber eine tiefere Charakterzeichnung un=
verkennbar if. Der eiferne Landgraf 5. B. iſt gluͤcklich,
wenn auch nicht ganz originell, angelegt, aber Skizzen⸗
haftes und Caricirtes miſcht fich dann immer wieber her
ein und läßt kaum ein tieferes, ruhiges Befühl, einen
feften und beſtimmten Eindruck aufkommen. Auch der
wilde Otto, ber fanfte Heinrich, der edle Ottnit, der bes
fonnene Günther, die kecke Jutta, bie ſchwaͤrmeriſche Eli⸗
fabeth find Geftalten, die einer befonnenern Ausführung
wol werth geweſen wäre. Aber es fcheint beinahe, als
babe dee Dichter abſichtlich in feiner Darflellung bie rohe
Einfachheit neben der ungebändigten Leidenfchaftitchkeit
umd ber Gemuͤthstiefe des Zeitalters, in welches er fein
Drama verlegt, ſich abfpiegein laſſen wollen. Das Sthd
iſt zwar im Profa gefchrieben, aber fo, daß ſich mit leich⸗
teflee Mühe bie metrifche Form herflellen ließe.
Mit beharrlicherm Eifer und wol auch mit entfchies
denerm Beruf ale dem Drama wibmete ſich Arnim ber
Erzählung im weiteflen Umfang. Das Gebiet der Ers
zaͤhlung if ein fehr großes, und wenn fie allerdings im
manchen Gattungen mit der nüchternften Proſa zufams
mengrengt und fich in ber alltaͤglichſten Wirklichkeit vers
llert, und das felbft in Werken, denen es weder an Wers
bienft in mancher andern Beziehung, noch auch an Wels
fan ſehlt — fo muß man doch anerkennen, daß es auch -
“
ſeiche Gattungen gibt, welche entweder durch bie Bedeu⸗
tung der in ihnen veranfchaulichten dee, oder aber durch
die kunſt⸗- und pbantaflevolle Behandlung und Darſtel⸗
ung ber Poeſie nahe gerückt werden, obwol fie durch ihre
Form von ihr geſchieden find. Und zwar iſt hiermit
keineswegs nur, ober vorzugsweiſe, das Märchen gemeint,
fondern folche Erzählungen, deren Factiſches hoͤchſt natuͤr⸗
lich fein mag. Ob überhaupt die ganze Gattung ber
Erzählung aus einer Entartung ber Poeſie ſtanme, bleibe
bier dahingeſtellt. Genug, bei allen gebildeten modernen
Nationen (bei den Griechen allerdings erft in den fpätern
Zeiten der finfenden Literatur) finden wir Erzähler, deren
Ruhm zum Theil mit dem von großen Dichtern wett:
eifert, wie Boccaccio, Cervantes; und gewiß gibt es eine
Linie, wie ſchwer fie auch zu ziehen fein möchte, weiche
die Erzählung (Roman, Novelle oder wie fie heiße) von
wirklichem poetifhen Sinn und Werth fcheidet von den
entweder nur auf Unterhaltung und Vertreibung der Lan⸗
geweile berechneten, oder den geiftceichen und lehrhaften,
bei welchen die Korm ber Erzählung mehr zufällig: und
willkuͤrlich iſt. Daß auch biefe beiden legten Arten von
unendlich verfhiedenem Werth fein können und find,
braucht kaum erwähnt zu werden. Der Gattung ber
blos unterhaltenden Erzähler, ohne Anfprüche auf Poeſie,
gehört die große Mehrzahl der modernen Roman: und
Novellenfchriftfteller Europas an. Zu den lehrhaften und
geiſtreichen Erzählern kann man mehre moderne Englaͤn⸗
der rechnen; von Franzoſen Fendlon und St.:Pierre; in
Deutfchland die Verf. von philofophifhen, Kuͤnſtler⸗ und
religiöfen Romanen, Nicolai, Wieland, Hippel, Jung:
Selling, Klinger; in die Sphäre der Poefie haben fich
als Erzähler unter den Deutfchen, mehr oder minder, er:
hoben: Goethe, Jean Paul, L. Ziel, Novalis, Heinrich
von Kleift (in einigen Stüden wol auch Callot : Hoff:
mann), Steffens und ganz gewiß auch Achim von Arnim.
Es ift eben angedeutet worden, daß man zwiſchen zwei
Arten ber auf Poefie Anfprudy machenden Erzählung un:
terfcheiden könne; bie eine wäre die, wo eine bedeutende
philofophifche oder geſchichtliche Ider mit postifcher Frei⸗
- beit und kuͤnſtleriſchem Sinne in einer erzählenden Dar-
fielung veranfchaulidht, aber nicht Ichrhaft erdrtert würde,
bie. andere biejenige, worin ein merkwuͤrdiges, durch Meus
heit und Seltſamkeit Intereffe erregendes Factum, fei es
nun ein mehr dußerlic, = Hiftorifches, oder ein: innerlich:
piochologifches, aufgefaßt und duch die lebhafte Hinein⸗
zeihnung eines von irgend einer Seite wunderbaren Er:
eigniffes in die gewohnte Autäglicykeit dee poetifche Sinn
angeregt wird. Dies, fcheint uns, könnte als Unterfchei:
dung des Romans und der Novelle gelten, und es wäre
damit zugleidy auch die Wirkungsweiſe beider angebeutet;
ber Roman wirkt mehr ideell auf den ganzen Menfchen,
jedoch mittels der Phantafie, die Novelle mehr materiell
und zunaͤchſt nur auf die Einbildungskraft. Der Ro⸗
man will und foll die Welt abfpiegeln und daher ein
befriebigendes, abgefchloffenes Ganze fein; die Novelle
wid nur ein intereffantes Einzelne herausgeeifen und
ein befriedigender Abſchiaß iſt für fie weniger unerlaͤßuch
Worin fi die Novelle von poetiſchem Verdienſt von der
nur unterhaltenden Erzählung unterſcheide, dies ift ſchwer
durch allgemeine Saͤte zu beflimmen; wir find verſucht,
als ein Hauptunterſcheidungsmerkmal das Vorwiegen bee
Objecrivieät oder der Subjectivität zu nennen, und erklaͤ⸗
ren dies näher fo: die Movelle, ihrem Namen nad ur:
fprüngtich eine Neuigkeit, eine frappante Begebenheit, und
zwar aus bee Wirklichkeit, aus dem Leben, fchließt fidh
mehr an die Gefchichte an; fie ſucht auf das gelegentliche
Wunderbare, Poetifche im Leben, im Lauf der Welt, in
der Begegnung und Verkettung der Leidenfchaften hinzus
weifen und durch den Contraft ber überrafchenden Neu⸗
beit mit der anſchaulichſten Wirktichkeit einen Effect ber
vorzubringen, auf ben die Schidfale der Menſchen unb
bie Welt beivegenden Geiſt als auf einen poetifchen bin:
zudeuten und die Perfon und Zuthat des Berf. tritt in
den Hintergrund zurüd; die Movelle berichtet Wirkliches,
für das fie Glauben verlangt, oder wenn fie erfunden
ift, fo beſteht ihr Verdienſt darin, daß fie das Erfundene
zur Anfchaulichkeit des Wirktichen erhebe. Die unterhal⸗
tende Erzählung ift näher dem Maͤrchen verwandt, und
roie dieſes geht fie darauf aus, der Einbildungstraft und
ben Berftande nur überhaupt eine Nahrung zu geben;
gegen die Mirklichkeit der erzählten Thatſachen iſt fie
gleichgültiger, ja die Erfindung gilt gerade für ein großes
Verdienſt des Erzählere, der fi wenig Mühe gibt, ge
möhnlich auch nicht das Talent befigt, durch fehr fcharfe
und anfchauliche Zeichnung ber Wirklichkeit, durch über:
rafchende Localfarben und Toͤne eine wirkliche Füuflon
hervorzubringen. Die Beflätigung obiger Auffaffung ber
Novelle finden wir 3. 3. in der Sammlung von Bülow
„Das Novellenbuch“, aus den novelliſtiſchen Schägen
aller Nationen, bei Boccaccio, Cervantes, und unter den
neueften beutfchen befonders bei Goethe in einigen klei⸗
nern Erzählungen, und bei Heinrich von Kieift (weniger
bei Tieck, der oft feinem dialektiſchen Geiſte zu viel bie
Bügel fchiegen laͤßt), und nad diefen Muſtern bat fich
wol auch Arnim gebildet. '
(Die Fortfegung folgt. )
Noti;.
In einer der lesten von ber Geographiſchen Geſellſchaft zu
Paris gehaltenen Sitzungen übergab Ferdinand Denis, einer ber
Sonfervatoren an ber Bibliothek Ster-Geneviede, der Geſell⸗
haft die Büfle des Dom Heinrich, Infanten von Por⸗
tugal, zugenannt ber Geefahrer. Diefe Büfte, von 3.
ausgeführt, iſt von genauer Portraitähnlichkeit, indem fie nad
einem autbentifchen Portrait copirt ift, welches fich in einem
koͤſtichen Manufcript der königlichen Bibliothek zu Paris befin⸗
det. Dies — enthaͤtt die Geſchichte der Eroberung
von Guinea, geſchrieben von Gomez Eanez de Azuram, erſten
Archivar des Koͤnigreichs Portugal. Verfaßt wurde fie im J
1453 auf Befehl Alfons’ V., bes Afrikaners. Wis
1703 befand fi das Manufcript in fpanifchem Beſige, —38
betrachtete man es als verloren, bis gegen Ende bes J. 1838
Ferdinand Denis es in der föniglicen Bibliothek zu Paris
wieder auffand. 18.
Verantwortlicher Deraußgeber: Heinrih Brodhaus. — Drud und Verlag von 8, 4. Brodpaus in Leipzig.
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Montag,
Ludwig Achim's von Arnim fämmtliche Werke.
Deraugeg en von Wilhelm Grimm. In zwoͤlf
Anden. Erxfter bis dritter und fünfter bis achter Band.
Erſter Artikel.
(Zortſegung aus Nr. 13%.)
Von den bis jetzt erſchienenen kleinern Novellen Ar⸗
nim's fallen jedoch einige nicht ganz in die hier charakte⸗
rifirte Gattung und find mit maͤrchenhaften, phantaſti⸗
fhen Elementen, nicht eben zu ihrem Vortheil, wie uns
bntt, verſezt. Dahin gehören „Mettd Maria Blain⸗
ville, die Hausprophetin aus Arabien”, ein in ben Zeiten
ber franzöfifchen Revolution fpielendes Märchen, das ganz
natürlich und vernünftig beginnt, aber in den tollſten Spuk
austäuft, dee doch mit dem Ernſt und ber Rührung bes
Fnhalts ſich nicht gut verträgt. „Die brei liebreichen
Schweſtern und der gluͤckliche Faͤrber“ heißt ein Sitten:
gemälde und hat in ber That eine Menge anziehender,
Überrafchender und gemüthlicher Züge aus dem Leben fo:
wie auch eine tüchtige und gefunde Moral; aber auch bier
mifche fi ein phantaftifdhes, wunderhaftes Element ein,
das ganz, unbefchadet dem Ganzen, hätte wegbleiben Sins
wen. „Fuͤrſt Ganzgott und Sänger Halbgote” iſt nicht
gerade maͤrchen⸗ und fpufhaft, aber humoriſtiſch⸗ phanta⸗
ftiſch und ironiſch; der Dichter macht ſich luſtig über das
fetbfigefhaffene, nur im der Einbidang und in ber liders
fättigung beftehende Ungluͤck großer Herten, welchem in
diefer Erzählung der luſtige Saͤnger Halbgott, ein Bru⸗
der bes Furſten, ein fröhliches Ende macht. Ganz durdy
drungen von dem phantaſtiſch⸗ maͤrchenhaften Element iſt
die größere Erzaͤhlung„Iſabella von Ägypten, Kaiſer
Karl des Künften erſte Jugendliebe“. Diefe Iſabella iſt
die fchöne, unfchulbige Tochter des wegen falfcher Be⸗
ſchuldigung eines Diebftahle gehängten Zigeunerfärften
Michael, welcher fein Volk in feine Deimat, nach Ägyp⸗
ten hatte zurüdführen ſollen. Einer Weiffagung zufolge
foll ein Sohn Bella's und des Lünftigen Behertſchers
Des größten Theile von Europa, Karls V., der Beherr⸗
ſcher der Zigeuner fein. In tiefer Unfchuld, theils durch
gufällige Verkettung von Umſtaͤnden, theils durch die abs
fichtlihen Berechnungen Anderer wisd Bella mit bem
jungen Fuͤrſten befannt und eine innige Liebe verbindet
Die Herzen Belder, und arglos folgt Bella der Weiffagung
und dem füßen Triebe ber Natur; aber bald werden fie
a Te u Eee
15. Mai 1843.
buch Misverfländniffe fowie durch zauberhaften Spuk
getrennt; Karl, zur Herrſchaft berufen, reißt fein Herz
von bee Geliebten los und dieſe zieht an der Spige ib:
res Volks, mit reinem Gewiflen und mit einer frohen
Hoffnung, in ihre Heimat, wo fie, bes ehemaligen Ge:
liebten mit Wehmuth, doch ohne Meue gebentend, ale
Königin hochverehrt lebt und ſtirbt. Die ausfchweifend-
fin Spukgeſchichten, Märchen und abergläubifchen Sa:
gen von Alraunen, Golems (beiebten Bildern), Bären-
bäutern u. f. w. find hier eingeflodhten, fodaß Einem
(dwindlih und wuͤſt darüber im Kopfe wird; aber das
Geheimniß⸗ und Ahnungsvolle, das Phantaflifhe und
Schauerliche, was in dem Leben, den Schidfalen, dem
Stauben, den Überlieferungen und Gitten ded merkwür—
digen Volks der Zigeuner liegt, ift mit außerordentlichem
Talent und Gluͤck benutzt und dargeſtellt. Wahthaft
tragiſch iſt der Contraſt des Titels und der Wuͤrde von
Michael und Bella, die von den Ihrigen als Fuͤrſten
verehrt werden, mit ihrem Schickſale und Ihrer Behand⸗
lung unter Fremden. Die Unſchuld, die hohe Reinheit
Bella's, ihre tiefe, Innige Liebe, ihre gewaltige Natur:
Craft machen fie zu einer hoͤchſt rührenden Geftalt und
bie merkwürdigen fpdtern Geſchicke Kaifer Karl’s V. wers
den von dieſem Maͤrchen aus mit einem ganz eigenthuͤm⸗
lichen Lichte beleuchtet. Die lebendigſte Anſchaulichkeit,
bie energifchite und dabei doch zarte Färbung zeichnet bie
nicht geradezu märchenhaften Theile dieſer Erzählung aus.
San; im Ton ber Novelle gehalten find: die ,Ehens
fhmiede”, ‚Die Verkleidungen bes franzoͤſiſchen Hof:
meifters und feines deutfchen Zoͤglingga“ und ‚Dee tolle
Invalide auf dem Korte Ratenneau”. Die erfle Er:
zaͤhlung ift allerdings nod etwas ercentrifh und abens
teuerlich, allzu bunt umd überladen und erinnert etwas
an Sallot: Hoffmann, bach herrfcht neben dem allzu außs
fhweifenden Humor eine wirklich ergögliche Laune. Dee
Verf. findet fih auf englifch:fchottifchem Boden fo Hut
zu Haufe wie auf deutſchem. In ber zweiten Erzaͤh⸗
ang iſt eine vecht gut erfundene und ſpannende Be
fchichte fehr artig vorgetragen, und der Charaktere des
Hofmeiſters iſt ebenſo originell als anziehend — ein ech⸗
ter Novellencharakter. Nicht minder trefflich iſt der tolle
Imdlide, der, In Folge einer Verwundung am Kopfe,
die er fruͤher in Deutſchland erhalten und von welcher
er durch die Pflege eines deutſchen Maͤdchens genefen iſt,
das er fobann gebeirathet, wahnfinnig geworben, von dem
Fort ans, wohin er als Feuerwerker geſchickt iſt, bie
ganze Stadt Marfeille bedroht und ängflige, bis fein
tremes Weib mit feinem Kinde es wagt, dem Wuͤthenden
entgegemzutreten und ben Sieg uͤber den böfen Dämon
daventräge. „Gnade loͤſt den Fluch der Sünde, Liebe
treibe den Teufel aus”, fchließt dieſe Erzählung Der
feanzöfifche Nationalcharakter ift hier und in ber vorher:
genannten Novelle recht glüuͤcklich und anziehend geſchil⸗
dert, „Die Majoratsherren” iſt eine hoͤchſt wunderliche
Erzaͤhlung. in ſehr reicher, krankhaft verſtimmter Das
joratoͤherr kommt, um fein praͤchtiges, reiches Haus zu
übernehmen. Er faßt eine Neigung für eine ihm gegen:
übeewohnende wunderfchöne Juͤdin, Eſther, die von ihrer
Stiefmutter zu Tode geplagt, am age ihrer Hochzeit
mit einem armen Juden flirbt; der Schmerz, ober das
Trinken aus einem Safe Wafler, das bei der Sterben:
ben geftanden und in weichem ber Todesengel fein Schwert
abgewifcht haben fol, tödtet den Majoratöheren. Sein
Erbe wirb ein biutaemer, alter Lieutenant, der einer als
ten Hofdame nunmehr feine Hand reicht, welcher er ben
Geltebten vor Zeiten im Duell getöbtet. Aber beide le⸗
ben aufs elendefte miteinander; nad) ihrem Tode, unter
der Franzoſenherrſchaft, kauft die böfe Stiefmutter Vaſthi
das Haus und legt darin eine Salmiakfabtik an; fo
„trat dee Credit an die Stelle des Lehnrechts“. Jnter⸗
effant iſt die Schilderung mancher Sitten, Bräude und
Meinungen dere Zuden. „Owen Tudor“ führt dieſen
Namen von einer eingeflochtenen Epifobe, welche, weil
ziemlich, mÄrchenhaft, weniger fpannt als bie Erzählung,
weiche den Rahmen bildet und beren Mäthfel eigentlich
nicht gelöft wird. „‚Angelica und Gosmus’ hat uns
am weniofien angefprochen; es iſt das Wiederfinden einer
Mutter und ihres Sohnes, die vor vielen Jahren ges
trennt worben find, ba Legterer das Kind eines erſten Gat⸗
tem iſt, mit welchem jene heinilich vermählt gewefen. Die
Ciferfucht des zweiten Gatten hat kaum einmal eine Bes
ung erlaubt, bei welcher der Juͤngling, in thörichtem
ahne, die zärtliche Liebe des Mutter ganz falfch gedeus
tet bat. Dies iſt ſtoͤrend für das Gefuͤhl. Auch fonfl
iſt dieſe Erzählung wunderlich und ungleich.
Noch find die zwei geofen Erzählungen, die „Gräfin
Doelores“ und bie. „Kronenwächter” übrig, in weichen
Arnim feine ganze reiche Kraft zufammengedrängt zu ha⸗
ben ſcheint. Dieſe umfaflienden Werke nähern fich ziem⸗
lich dem Roman, wie ibn Jean Paul behandelt hat,
wrbinben aber den Kon feiner ernften und feiner humo⸗
siftifchen Romane, des „„Defperus” und „Titan“ auf ber eis
men, des „Siebenkaͤs“ umd der, Flegeljahre auf der andern
Seite und neigen, flatt zum Gentimentalen, mehr zum
Ppansafifchen hin. Überhaupt laͤßt ſich Arnim als Ver⸗
mittler zwiſchen den Romantikern und Jean Paul anſe⸗
hen, welcher doch bekanntlich dieſer Schule nicht hold
wor, fo Manches er mit ihr gemein hatte. An Bes
rühmmheit koͤnnen fi die genannten Werke von Arnim
entfernt nicht mit denen von Sean Paul meflen, und
auch nicht au Popularität, obgleich es, fürchten wir, im
neuern Zeiten Diele gab, die Jean Paul priefen umb
Über ihn urtheilten, ohne feine größern Werke auch nur
recht zu kennen, da deren Lecture fchon eine größere Hin⸗
gebung srfobert, als Manche ihr zu wibmen geneigt fein
mögen. Dies Urtheil der Nation wird wol feinen Grunb,
es wird Recht haben; indeß fällt eine Vergleichung beiber
Autoren nicht in allen Städen zum Nachtheil Amim’s
aus. Ruͤhmen darf man an Arnim die im Ganzen
Sernigtere, gebiegenere, charaktervollere Sprache, gegenüber
von Jean Panl's Sprüngen, Ausrufungen und ge
then Unarten, das treuere Anfchließen an das Poſitive
und Wirkliche in Sitte, Geſchichte, ‚ feinen
Reichthum an Anfchauungen aus dem Keben, während
Jean Paul fo unendlich vie Anfpielungen und Retigen
aus der Schule, aus allen erfinnlichen Wiſſenſchaften
berbeiholt; feine vertrautere Bekanntſchaft mit den hoͤhern
Sphären ber Geſellſchaft, während er doch auch eine be
wundernswerthe Kemntniß der Art und Sitten ber nie
derſten Stände überall am den Tag legt, und endlich
auch das Hinſtreben feiner Erzählungen zur wirklichen
Poeſie, in welche fie gelegentlich, tie von einer undber
windlihen Macht getrieben, übergehen. Gar manche Bes
dichte find dieſen größern, wie auch den kleinern Eczaͤh⸗
lungen einverwebt, als integrisende Beſtandtheile, und
fie find theilweiſe won unbeſtreitbarem Verdienſt durch
Eigenthuͤmlichkeit der Form und bes Inhalts, durch die
glüdtiche Kühnbeit, womit fie, was für die Poeſte zu
fern oder zu nahe fcheinen koͤnnte, ergreifen und bewaͤl⸗
tigen, durch Tiefſinn und Zartheit nicht felten mit bem
Ihönften Lieben von Viel und Novalls wetteifernd.
Aber Häufig find fie auch dunkel, unklar, myſtiſch, er⸗
fheinen wie ein den Lefer neckendes und Affendes Spiet
und führen wie In eine Sackgaſſe wunberliger Gedanken
und Empfindungen. Dieſer poesifche Hauch über umb
in Arnim's Erzählungen erklärt vielleicht, obwol in eines
Dinfiht ein Vorzug, mit die geringere Gunft, die fie
beim Publicum gefunden, denn viele behagliche Leſer
fheuen, wenn fie zum höchften Genuſſe mit faft paffivens
Geiſt darauf loslefen, in einem Roman Verſe, wenn fie
nit kurz find wie auf einem Albumblatt, und Plar wie
Waffer, Ärger als „der Teufel ben Weihrauch” und geben
eine fo flörende und anſtrengende Lreture lieber auf.
Diefe Traͤgheit iſt wicht loͤblich; aber auch wer baven
frei iſt, kann fich Leiche ſtoßen am der Vermiſcheng Dre
Poefie mit der Profa, weil fie etwas Zwitterhaftes au
fih bat, zumal wenn bie Pasfie allzu oft, wenn fie nicht
am angemeflenften Drte, einen Ruher oder Eniminations:
punkt bilbend,, oder fonft befriedigend motiviet, eimtrkt,
zumal aber wenn fie nicht volkommen Bar und mit Dem
Ganzen harmoniſch if, wie 5. B. bei Cervantes, ober ia
Goethes „‚Wityetn Meier”. Die vonwiegende poetiſch⸗
phantaftifcye Compoſition uͤberhaupt bei Arnim fagt einem
groͤßern Publleum weniger zu als der elegiſch⸗gemuͤthtiche
Charakter von Jean Paul's ernten irren. Sean Paul
wendet fih zunaͤchſt am das gewöhnliche, allgemein⸗
menfchliche (vielleicht richtiger: an das Dausfchegenakthliche)
Bewaßtſetn, das er dann allmaͤlig, oft aud mit Tas
hen, gewaltfamen Sprüngen und Übergängen, in einen
irdel von füßen, fehmerzlichen, erhebenden, ſchwaͤrmeri⸗
fchen, träumerifchen und ſchmelzenden Gefühlen und Ideen
hineinrrißt, doc) immer wieder auf den Boden der Wirk
fichkeit zuchetverfegt. So feltfam nun auch bie Einfuͤh⸗
sungen und Einkleidungen bei ihm find, fo wunderlich
feine humoriſtiſchen Abfchweifungen, fo überfhwänglich
feine Entzuͤckungen, fo unberechenbar feine Launen, fo
bunt und regelbar feine Darſtelung durch alle denkbaren
Bilder, Bergleichungen, Anfpielungen: iſt doch das eigent⸗
fiche Gewebe feiner Fabel einfach, plan, das gewöhnliche
Bewußtſein anfprechend; meift iſt es die Geſchichte ber
Erziehung, der Bildung, der Liebe und Leiden von Juͤng⸗
lingen und Mädchen, wie alle gefühloollere Jünglinge
und Aungfrauen, unter veränderten dußern Berhäftnifien,
fein zu koͤnnen glauben oder wünfchen. Aber dies allges
mein Menfchliche (mas wenigſtens uns dafür gilt) in
Gefühlen, Ahnungen, Gedanken, Strebungen und Leidens
fhaften bat Jean Paul mit bewunderungswärdiger Tiefe
und Wärme dargeſtellt, ee iſt Unzaͤhligen der beredte, be:
geiſterte Deuter ihrer nur halb bewußten Empfindungen
geworden, und das Feuer des tieffühlenden Autors vers
bindee fich mit der Glut jugendlicher Gemuͤther, die er in
dem Paradies ihres eigenen Herzens erſt recht einheimifch
macht. Die allgemeine Denfchennatur (innerhalb einer
gewiffen Bildungsiphäre) hat er vortrefflich erkannt und
selhildest, und wenn er als Philofoph tiefe und allges
meine Wahrheiten über fie ausfprach, war er dabei auch
Dichter genug, um einzelne Charaktere individuell genug |
ſchildern, fie. mit eigenthümlichen Zügen ausflatten zu
koͤnnen. Arnim iſt weniger Philofoph, weniger aufs AU:
gemeine gerichtet, dad Individuelle zieht feinen poetifchen
Geiſt mehr an und es treten baher bei ihm beflimmte
Ideen weniger Mar hervor, fie find wenigſtens nicht fo
allgemein anfprechend wie bei Jean Paul. Die Anlage ſei⸗
ner Werke ift minder Elar, man verliert cher ben Haben,
man wird von der Fuͤlle von Seflalten und Gedanken,
welche ſich ohne bie gehörige Entwickelung und Unterorb:
nung unter einen überfichtlichen Plan herandrängen, bei:
nahe erdruͤckt.
(Dre Deſcqhluß folgt.)
Gin St.s3ohannid: Zag in dem Pyrenden=
Departement des Arritge.
Der St.: Iohannistag iſt in den Departements bed mittaͤg⸗
lien Frankreichs ein Feſt, in welchen die Gebräuche des grauen
Heidenthums ben Gewohnheiten der chriftlichen Ara die Hand
zeichen; bie Macht der Zrabition ift hier nicht nur flärker ge:
weſen als der Wechfel der Zeiten, Tonbern, was mehr ift, fie
bat den durch abweichende Religionsmeinungen erzeugten Haß
der Volker Aberwunden, und die Jammen, welche am 24. Juni
in Frankreich von allen Plägen ber Dörfer und Städte zwiſchen
dem Dcean und ber Nhone zum Himmel emporlodern, find nad)
der Verſicherung St.» Bernharb’s eine Überlieferung der Sara⸗
enen und Zürten. Court be Gebelin beftätigt die Meinung
jenes Helden bes Soangellums, indem er behauptet, daß die von
den Drientalen zu Bezeichnung ihres Sahredanfangs um bie
Zeit des Solſtitiums angeziimbeten heiligen Feuer in bie Johan⸗
niefeuer ber Ehriſten übergegangen fein. ee aber noch, aid
die Angabe jener beiden Sewaͤhrsmaͤnner, ſpricht ie füs
den erwähnten Usfprung ber Iehannisfeier bei ben Chriſten des
Umftand,, daß gerabe bie Bewohner der am Iängften der Maus
renherzfchaft verfallen gebliehenen Provinzen des fübfichen Brants
reichs die größte Anhaͤnglichkeit für die Flammen des 24. Juni
zeigen. Der täglich mehr zunehmende Holzmangel wird in der
Racht St.» Jean vergeffen und wenige Zage nach bem Fefte
ſchon fieht men in allen Pyrendenbörfern den Baum wieder ers
Keen, weicher verheißungsvoll der naͤchſten Feſtlichkeit entgegen
harrt und wm weichen fich demnaͤchſt ein großer Scheiterhaufen
auftyärmen fol. Diefer Baum iſt gemiffermaßen die Partei
fahne des Orts, der Ausdruck ber ailgenieinen Sympathie; um
ihn reihen fih von Allen getheilte Wünfche und Hoffnungen für
das naͤchſte Jahr, an ihn ſchließt ſich die Werfchiedenheit ber
Formen an, weiche die Gitte der Hrtlichkeit feit Jahrhunderten
für das Feſt geheiligt hat. Hier ziehen Jung und Alt in Pros
ceffion mit frommen Gefängen bee Brandftaͤtte zu, welcher der
Gegen des Priefters und bie Gebete der Anwefenden eine höhere
Weihe geben, und die vom Feuer nur halb verzehrten Reſte des
Holzes werben als wunderthätige Reliquien forgiam gefammelt
und am häusi.chen Herde aufbewahrt; dort wieder vereinigt fich,
weniger devot und der ungebundenen Bröhtichkeit ergeben, die
Bevölkerung in ungeregelten Fluten um das heilige Feuer; Maͤn⸗
wer und Frauen wirbein in bunter Reihe und, indem fie ſich
zum Kreife bie Bände geben, jubelnd um bie praffeinden Flam⸗
men; bier werfen fi) junge Burſche und Mädchen Kränze und
und ins Kreuz gebundene Blumenſtraͤuße zu und ſagen ſich
fo ohne Worte eine bis dahin verfchwiegen gebliebene Zuneigung;
dort fpringen bie Gewandteſten über die hochaufſchlagenden
Blammen , die weniger Khhnen über die bereits der Afche ver-
fadende Kohlenglut und glauben, baß der Sprung fie während
bes Jahrs vor mancherlei Krankheiten ſchuͤge; dort wirder wird
die noch gluͤhende Aſche in alle Winde zerſtreut, damit gleich
r das lauernde Ungluͤck zerſtreut ſei.
Auch in St.Girons, einem Staͤdtchen des Pyrenaͤen⸗
Departements Arriege, wo ich einen Theil des Sommers 1842
zubtachte, hatte ein rieſiger Gcheiterhaufen die ganze Einwoh⸗
nerfchaft um ſich verfammelt, Der jüngft verheirathete Ehe⸗
mann hatte, dem Gebraude treu, den großen Baum in bee
Mitte des Holzſtoßes geliefert und ber Präftbent des Tribunals
hatte bie entzuͤndende Kadel in das Reiſig geſchleudert. Balb
war burdy den Glanz der bis zu einer außerorbentlidhen Höhe
fi erhebenden Flammen bie monphelle Nacht in tiefe Dunkel⸗
heit verwandelt, und es waren bie zahlreichen Feuer, weiche
von der nahgelegenen malexifchen Gebirgékette des Surroc und
von antern Ausläufern bee Pyrenaͤen in das Thal herableuche
teten, zu Sternen zweiter Ordnung inabgefunten ; in bem
Gezweige ber den Schauplatz umgebenden Bäume unb Hecken
und in den Nifchen, Fenſtern und Gculptuven ber nahen urals
ten Kirche St.» Ballier ſpielten magifche Lichter, während ein
wilder, von Hunderten junger Leute bes Orts gebilbeter Reiben
19 reißend fihnell um ben brennenden Scheiterhaufen herum⸗
ewegte.
Deute ſollten feibft Elemente des fernen Nordens ſich bruͤ⸗
derlich dem Feſte des Suͤdens beigeſellen. Die Bonerationen
des Staͤdtchens verſammelten ſich zu einem Quartett, welches
Schreiber dieſes Auffanes feit kurzem in St.⸗Girons fi zu
ſchaffen glüdtic genug gewelen war und bei weichem die mufle
kaliſche Organtfation der Bewohner mittäglicher Linder balb
ben alten gebiegenen Meiftern deutſcher Kunft, Beethoven, Haydn,
Mozart, huldigend entgegengelommen war,
Das herrliche Allegro virace des erfien der drei Haydu
geroftmeten Quartetts von Mozart aus E-dur war eben vers
tungen, ber koͤnigliche Anwalt wandte, faſt erfchredt, vie
Augen nad ber eben bie nahe Mitternacht verfünbenden Pen⸗
dule und legte feufzend feine Wratfche in den Kaften, um, wie
ee fagte, durch feine Worbereitung zum morgenben Vortrage
noch einen Raubmörber zum Gandibaten bes Wells zu ſtempeln.
Der Praͤſtbent des Tribunalt, ein junger liebendwärbiger Mann
aftlicher hrer der Muſik, nannte ſolche Abſich⸗
ten der Gerechtigkeit eine Catweihung ber Kunfl und ergriff
bochaufrantende
verwanbelten Galerie, die, von ben @lasthüren meiner Woh⸗
nung aus, auf ber alten Stadtmauer entlong lief und meinen
von Drangenbiäten, Rachtviolen und Reſeda buftenden Garten
von der in voller Bluͤte fiehenden und durch Nachtigallen bes
vötferten Lindenallee der oͤffentlichen Promenabe ſchied.
Ein unter dem allgemeinen Aufbruche von mir an einen
jungen Daler aus Paris gerichteter Wink fagte biefem, meinem
- tzeuen Gefährten auf manchem Ausfluge ins Gebirge, daß ich
och heute ihm einen befondern Worfchlag zu machen habe. Nie
hatte ich den oft Wochen lang in feinem Atelier begrabenen
Künftier getäufcht, wenn ich, ber unbeſchaͤftigte, aber deshalb
eben des Landes und feiner, intereflanten Eigenthuͤmlichkeiten
tundige Fremde, ihm eine überraſchung zu bereiten verſprach
Auch ergriff ex mit Lächeln, aber willig und ohne weiter mit
* in mich zu dringen, den Gebirgeſtock, ben ich ihm
cqhweigend und geheimnigvoll darreichte; wenige Minuten fpäter
batten wir ſchon die Stadt, von deren beiden Thuͤrmen eben
in langfamen Schlägen bie zwoͤlfte Stunde der Nacht herabs
Hang , binter uns.
In uns verfunten, wol beibe gleich fehr von bem Zauber
der unter den Strahlen des Vollmonds ſchimmernden Juninacht
bebevrfcht, wanderten wir ſchweigſam durch bie taahellen, von
grünenben Hecken eingefhloffenen Saatfeider und Weinberge des
Böftlichen und, gleich einem Korb voll Fruͤchte und frifcher Blu⸗
men, im Schooſe feiner Berge ruhenden Thals von St.⸗Girons.
Wir mochten eine Viertelſtunde in füdlicher Richtung ges
gangen fein, als ber diefe Fluren bemwäflernde und in einem
zerriſſenen Felſenbette hinabftürmende Salat uns durch fein
Raufchen feine größere Nähe anfündigte. Hier, in nur gerins
ger Entfernung ſuͤdlich von St.⸗Girons, endet mit einem gro⸗
fen Gutsgebaͤude die Region der fruchtbaren Ebene um bie
Stadt; das Thal erleidet hier eine jener plöglichen Werengungen,
welche einen der Gharafterzüge ber Pyrenaͤenwelt bilden. Cine
Schlucht laͤßt dem Anbau nur wenig Raum noch zu feiner Ents
widelung übrig; der Bergſtrom raft bieht neben dem Wanderer
bin, table, fleinige Berge, auf welchen magere Heerden nur
nothbärftige Nahrung finden, flarren rechts und links von ben
bed Stroms empor; zumeilen nur deutet dort oben noch
sin Heines Gehoͤlz oder ein vereinfamtes Gehoͤft eine ben Schweiß
des Menſchen belohnende Strecke des Bodens an; bier und da
wagt eine Mühle ihre in ftarke, maffive Mauern eingefchloffene
Induſtrie dem Strome anzuvertrauen, ber vom Kochzebirge und
deffen wanbelbaren Saunen bad Beleg empfängt; bier und da
öffnet auch wol in ben Blanfen ber Berge eine Höhle ihren
naͤchtigen Schtund, neben weichem ber durch die Scenerie umher
verbüfterte Tag fich wieder aufhellt.
In diefer Einöbe fahen wir, trot der vorgerüdten Stunbe
ber Macht, dennoch häufig in die weißen, felbft ben Kopf durch
eine Kapuze bedeckenden Mäntel bes Landes eingehüllte Geftal-
ten uns zur Seite herfchleichen und, als bie Zahl folder zum
Theil auf Kruͤcken ſchwankender Nachtwandler ſich mehrte, rief
mein Begleiter aus: „Sie wollen mich zum Sabbat fuͤhren!“
mBielleicht‘‘, erwiderte ich, „wenn anders ber Teufel an der Fin⸗
fterniß fein Wohigefallen hat, die ihre Kortbauer in dem Claus
ben der Einfalt gefichert ſieht. Ich bringe Sie zu ber foges
nannten Fontaine du genou, bie in ber St.⸗Johannisnacht
zwifchen 12 und 1 uhr mit fo mwunberfräftigen Eigenſchaften
ausgeftattet ift, baß fie die von Gebrechen heimgeſuchten und
nach Eridſueg von denfelben ſchmachtenden Bewohner ber gan
gen ee zu fi binzieht."
Sch hatte diefe Erfiärung zu unferm naͤchtlichen Skrei uge
faum geendet, ale ein bumpfes Gemurmel von Denfchenftim:
men, wie das GBrollen der balbberubigten Meereswogen am
Strande, zu unfern Ohren brang, noch che wir ben Ort, von
wo es audging, unterfcheiben tonnten. Die Begenflänbe vor
uns wurden inbeffen mit jedem Schritte deutlicher und es ent
— ſich endlich in ber Helligkeit des Mondlichts ein Schau⸗
piel vor uns, wie ich ein aͤhnlichcs nicht geſehen habe.
Man denke fich eine waflerarme Quelle, die von ben sum
wirthlichen Höhen bes das rechte Ufer bed Salat überragenden
Gebirge herabſteigtz am Buße des letztern fängt eine kleine Bexs
tiefung im Boden bie wunderthätige Flüffigfeit auf. Um biefes
Loch herum , deffen Waffer durch die ſich zu feinem Gebrauche
brängende Menge alsbald in bien Schlamm verwandelt if,
singen ſchreiend, bittend, deobend Hunderte von Menſchen um
den Vorrang; benn Keiner will bie entſcheidende Stunde von
Mitternacht bis 1 Uhr und mit ihr fein Heil auf Erben, feine
Geſundheit, vielleicht fein Leben verfchergen. Der Kräntere und
Schwaͤchere erliegt dem gefundern und fräftigern Rebenbuhler,
die Riedergefallenen fuchen ſich Eriedhend einen Weg zwildhen
ben Beinen ber zum Biel Gelangten und vor ihnen Stehenden
zu bahnen. Bis weit hin von ber Quelle ab fiebt man auf
der bloßen Erbe, oder auf Karren ober Tragbahren burch ihre
Reiben, oder durch ihr Alter zu jeder felbfländigen Bewegung
unfähig gemworbene Männer und rauen ausgeſtreckt und von
der Freundfchaft ober Liebe ihrer Angehörigen einen Raub an
dem erjehnten Heilquell erwarten; bier und ba liegen Kranke,
welche bereits zur Quelle gelangt waren, ober aber bei bem
allgemeinen Sturme jede Hoffnung aufgegeben haben, ben Zweck
ihrer Reife zu erreichen, von der Müdigkeit überwältigt und
auf dem feuchten, Falten Boden in tiefen Schlaf verfunten.
Grauen, von ber zeugung ber bier allein noch möglichen
Rettung beherrſcht, vergeflen jedes Gefühl der Scham und
entblößen ſich faſt vollſtaͤndig, um bie leidenden. Theile ihres
Koͤrpers in das wohlthaͤtige Waſſer der Quelle zu tauchen;
Burſche von 15 — 16 Jahren ſuchen ganz nackend durch bie
bichte Maſſe der Gläubigen Hinburdygubringen, um ſich in dem
ſchiammigen und eislalten Wafler niederzumerfen, Kinber von
zwei bis drei Jahren werben durch ihre Mütter entkleidet und,
troß& ihres berzgerreißenden Geſchreis, ber Friſche der Nachtluft
ausgefest und in die Fontaine du genou getaucht — fo fann
ſelbſt das heiligfte Gefeg der Natur, die Mutterliebe, durch den
Abergiauben zum Mörder werben!
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifhe Notiz.
Viet mine Brantzeine
ictor Hugo bat nur einen Griff in bie fran 8
(dichte gethan, aber in mehren Scenen feines A
iſt das mittelalterliche Leben aufs meiſterhafteſte gezeichnet.
Sein Bruder Abel hat ſich ganz der Geſchichte Frankreichs zu⸗
gewendet. Wir haben bereits mehre Werke aus feiner Feder
erhalten, in benen er dieſelbe auf eine wuͤrdige Weiſe behan-
beite. Namentlich bat feine „France historique et monumen-
tale”, fein letztes Buch, einen großen Beifall gefunden, den c#
auch wirklich verdient hat. Cs ift gegenwärtig mit ber
3. Lieferung abgefäloffen. Abel Hugo verdankt feinen Ruf,
wie bad vol zumeilen zu gefchehen pfleat, nicht etwa Lebig-
lich feinem berühmten Bruder, ſondern er würde fich durch
feine gewiffenhaften Arbeiten, auch wenn berfelbe feinen Namen
nicht unfterblich gemacht hätte, bekannt gemacht haben. Seine
Werke find zwar meiftens nur Gompilationen, aber biefelben
find mic Fleiß, Sorgfalt und Genauigkeit gemacht, und der Stil,
in dem fle abgefaßt find, ift lebendig und gewandt. 2
Berantworiliier Serausgeber; Heinrich BroEhaus. — Drud und WBerlag von B. A. Brodhaud in Leipzig.
Blatter
für
literarijde Unterhaltung.
Dienflag,
Ludwig
eraußgegeben von Wilhelm Grimm. In zwölf
aͤnden.
Erſter Artikel.
(Beſchluß aus Nr. 135.)
„Armuth, Reihthum, Schuld und Buße ber Graͤfin
Dolores. Eine wahre Gefchichte, zur Ichrreichen Unter:
haltung armer Fräulein aufgefchrien” Fülle zwei ſtarke
Binde. Das Skelett dieſer Erzaͤhlung iſt dies: Ein
Graf, Minifter eines Fürſten, bat em Schloß gebaut,
welches den Neid diefes feines vieljähriaen Freundes ers
regt und fie fcheidet; der Graf verarmt, reift heimlich
nah Indien ab, feine Sattin ftirbt vor Kummer, und
die zwei jungen Gräfinnen Klelia und Dolores leben
allein, in Eläglichfler Armuth, auf dem von Gläubigern
ausgeplünderten, im Krieg unverkäuflihen Schloffe und
deffen Garten. Der junge Graf Karl, ein Mann von
hohem Geiſt, tiefem Gemüth; vielfeitigen Zalenten
und Kenntniffen, lernt fie auf einer Ferienreiſe ten:
nen, verliebt fih in bie jüngere, muthwillige, unge:
zogene, wilde Dolores und heirathet fie, nach einigen
Entzweiungen und Berföhnungen, da er Erbe reicher
Güter geworben if. Sie leben in Freude und Herrlich⸗
Leit zuerft auf dem Lande, dann in ber Stadt; aber der
Charakter des innigen, gemürhvollen Grafen flimmt mit
der ausgelaffenen und Taunenhaften Dolores nicht recht
zufammen; er wird oft von ihr verlegt und halb an ihr
irre. In der Stadt ſchenkt fie dem Grafen einen Sohn
und bleibt deshalb dort zuruͤck, während der Gatte wie:
der aufs Land gehe. Ein Marcheſe D.. iſt ihr Haus⸗
freund geworden; durch feine gefelligen Talente, feinen
Geiſt, durch magnetifhe Manipulationen und vermöge
ihres eigenen Leichtfinns und ihrer Eitelkeit verführt er
fie und verläßt fie dann. Er tft, mie fid) nachher zeigt,
Der Gatte ihrer Schmefter Klelia, ein ſpaniſcher Herzog
von I..., ben diefe in Stallen gebeirathet hat und mit
dem fie in Sicilien lebt. Der Graf, von Ahnung und
Verdacht gequält, flieht, kehrt aber bald wieder zu Dolo⸗
res zuruͤck. Diefe gefteht ihm ihre Schuld; er fucht ſei⸗
nen Tod baburch herbeizuführen, daß er fie ein geladenes
Gewehr auf ihn abdrüden läßt, wird aber nur ſchwer
verwundet und gene. Er ſucht auf einer Wallfahrt
Beruhigung und trifft an dem Waulfahrtsort bie reue⸗
volle, ganz umgewandelte Dolores, die auch bort Erleich⸗
terung ſucht. Kine Herzliche Verſoͤhnung erfolgt; doch
verlaffen fie Deutſchland und reifen nach Sicilien zu
Klelia, deren myſterioͤſer Gatte geſtorben ift und fie ohne
Kinder, aber im Befig großer Güter zurücgelafien hat.
Gluͤcklich und begluͤckend leben die drei Menfchen; Dolo⸗
res gebiert dem Grafen zwölf Kinder und lebt gang ihren
Mutterpflihten. Der zweite Sohn, ein Jahr nah Do⸗
lores’ Sünde geboren, geht, trotz aller Vorftelungen und
Bitten feiner Ältern, im dreizehnten Jahr in ein Kofler.
Das Glück der Familie erleidet eine Störung durch bie
Ankunft der Fürftin in Sicilien, welche für den Grafen
eine heftige Neigung faßt, während er, ganz arglos, nur
an ihrer Unterhaltung Gefallen findet. Dolores empfin:
bet den tieflten Kummer, aber um ihre Buße zu vollen:
den, will fie fchmweigend dulden. Das Misverftändniß
wird aufgeflärt, aber Dolores ſtirbt
an bemfelben Zage, in berfelben Mitternachtsftunde, in wels
her fie vor 14 Zahren die heilige Treue gegen Gott und
ihren Mann gebrocdyen, jedoch innerlich beruhigt: ſich erfreuend
der unmandelbaren Liebe ihres Karls. Nie fühlte fie fich ihm
fo nahe; ihre Fehler waren ihr ein frembes, abgelegtes Kleid,
wie ihr Körper; fie füpite ſich durch ihre Buße ihrem Mann
und der Welt verföhnt, fie fcheute ſich nicht, eine Ewigkeit zu
bleiben, wie fie in ben Augenbliden geworden, und ein Rüd:
blick in das veränderliche, fterbliche Leben machte ihr Schmerz.
Schon diefer nadte Auszug mag bemeifen, welch ein
eigenthümliches und ſchwieriges Thema der Dichter ſich
für feine Erzählung gewählt hat. Es zeugt von einer
ungemeinen Kühnbeit, wenn ein Autor von fo tiefem,
ſittlichem und religiöfem Gefühl ſich die Kraft zutraute,
feinee Heldin nah einer folhen Schuld flatt der Ver⸗
föhnung durch alsbaldigen Tod, oder durch Scheiden aus
der Welt in die Einfamkeit und Stille des Kloſters, die
Verföhnung im Leben, durch Liebe, Thätigkeit Pflicht
erfüllung zu Theil werben zu faffen, ohne daß ein jlören-
des Gefühl zuruͤckbleibe. Uber gerade duch die Xiefe
und Junigkeit feines fittlihen und religiöfen Gefühle iſt
ihm dies auf bemunderungswertbe Weiſe gelungen; bie
Berföhnung der Gatten durch Entfündigung von Oben
Mt meifterhaft motivirt und dargeſtellt. Auch die Ver⸗
wandlung des ganzen Charakters dee Dolores iſt fehr
ſchoͤn gedacht. Der Charakter des Grafen iſt ein Bild
edier, ruhiger, ſtarker Männlichkeit, amd fein Streben,
0.548
feine Thaͤtigkeit, feine Geſinnung treten uns nicht in all:
gemeinen Andeutungen, in nebelhaften Umriſſen, ſondern
in anfchaulich gefchilderten concreten Verhaͤltniſſen Mar und
anfprechend entgegen. An diefe Dauptperfonen aber hätte
ſich, unſers Beduͤnkens, der Dichter ausſchließlicher hal:
ten, daneben nicht fo gar viele andere, die jedenfals zum
Theil entbehrlich, oder zu weitläufig behandelt find, auf:
treten Laffen, die häusliche Familiengeſchichte nicht fo, wie
er getban, mit Staats: und Regierungsgefhichten und
Intriguen und noch weniger mit abenteuerlichen, maͤr⸗
chenhaften Elementen verfegen, er hätte fich vor den übers
wuchernden, gar nicht zur Sache gehörenden, nur zer:
fiteuenden und flörenden Epifoden hüten follen, fo ver:
dienftlich diefe au zum Theil an fi find. Der Rah:
men, ein ganz individuelles Bild aus bem fittlichen, dem
Familienleben, war zu eng, um alle6 Das zu umfaflen,
was Arnim in diefe Erzählung bineinlegen und zufam:
mendrängen wollte, und mit echt fagt wol Grimm
darüber:
Was ihm die eigene Zeit bot, was er felbft Tab und mit:
sriebte, das hat cr in dem Roman von ber Gräfin Dolores
niedergelegt, deſſen reihe WBelehrung nur von einer gewiſſen
berfülle, deren er fich nicht erwehren konnte, bedeckt wird.
Der darin enthaltene Reichthum von ideen, Gefüh:
len und Anfhauungen ift in Wahrheit fall unglaublich
und fie überrafchen ebenfo oft durch Wahrheit wie durch
Neuheit, aber es tik eben darum auch nicht fo ganz
Leicht, ſich darein fogleich zu finden; durch fie fowie durch
die gefchilderten Verhaͤltniſſe und die auftretenden Perſo⸗
nen fühlt man ſich in eine fremde Welt verfegt, in der
man ſich erſt eingemohnen muß. Und wenn der Dichter
das eine Mat feiner reichen und kecken Phantafie ganz
freien Lauf laͤßt in den verwegenſten Combinationen, in
ausfhmweifenden Gompofitienen und übermäthigem Hu:
mor, fo ſcheint er auch oft wieber genau die Wirklichkeit
zu copiren in feltfamen, wunderbaren und Lächerlichen
Charakteren und Originalen, wie 5. B. bei feinem Pre
diger Frank, bei dem Dichter Walter und dem wunder:
baren Doctor (mit welchem Beireis gemeint iſt). Wäre
es in Arnim’s Natur gelegen, oͤkonomiſcher zu verfahren,
fo hätte er aus dem Inhalt feiner „Dolores“ leicht zwei
und mehre Werke geftalten können, welche durch größere
Einfachheit, Harmonie und Klarheit mehr befriebigt ha:
ben würden, als dies eine, uͤberreichlich ausgeftattete
Wert, das aber doch auch in dieſer Geſtalt vollkommen
geeignet ift, ebenfo ben reichen, vielumfaffenden, tiefgebils
beten, poetifchen Geiſt des Dichters erkennen und bewuns
dern zu machen, wie fein tiefinniges, frommes, liebevolle®
Gemuͤth im ſchoͤnſten Licht zu zeigen. Nur eine kleine
Probe von ber ernften Sefinnung in dieſem Buche.
Ewige Gerechtigkeit, warum mußte fie (Dolores) fterben?
Das dir ſchaudere, Menfch, vor der Gewalt der göttlichen Leis
denſchaft, der allmädhtigen Kiebe, welche von der Jugend fo oft
in thoͤrichtem Leichtfinn aufgeſucht und ausgefobert wird; —
daß dir nicht graue vor dem Tode, flerblicher Menſch, denn er
ift dir gewiß; daß du gedenkeſt in ihm deines Lebens und beffen
unerfchöpftich reicher Erfahrung. Der Zukunft gehört alle Welt:
erfahrung s möge Keinem ihre gute Lehre gu ſpaͤt kommen; wer
ich nicht verfchließt, dem iſt fie nicht verichloffen, in ihr Lebt
alles Vergangene ein vollkommnes Leben. Der Menſch ſteht
aufgerichtet in der Welt, daß er ſich umſchaue mit offenen Aus
gen; oft will er fidy begnügen mit feinem Kreifes aber bie
Roth treibt ihn gewaltfam auf die Höhen, die feinen Blick erſt
befchräntten ; da ftrapit ihm das Licht der Welt, fie liegt unter
ihm, bie dunkle Erde fcheint Keuchtend, oben umfchließt ihn bes
ewige Blau. Zu dem Lichte möchte der Menſch dann auffirigen,
ba beweift ihm die irdiſche Schwere ſchwindelnd in ihm ihre
legte Macht: er fühlt, daß fie ihn flürgen kann, und er betet zu
Allem, was ihn erhoben, daß es ihn nicht zu Schanden werben
laſſe. Da fcheidet fi fein Wefen, das Blut aus tiefem irdi⸗
fen Triebe aufwallend zur hoͤhern, reinen Luft füllt den beten
den, dürftenden Munb, ber Menſch flürzt nieder, fein Soͤttliches
fleigt empor — dies iſt der Tod auf den Höhen der Welt, fo
befchreiben ihn die Neifenden, bie hohe Berge beftiegen.
Verwandte Empfindungen, aber noch anfprechenber,
klarer ausgefprochen und gleihfam unmwillfürlih in Poefie
uͤbergehend, liegen in folgender Stelle der „Kronenwaͤch⸗
ter”; ber feinem Tode ſich nähernde Berthold fagt:
D mie fo oft habe ich ein Zeichen erhofft, zogen Sterne
ben ſchimmernden Bogen durch die himmliſche Leere, durch bie
himmliſche Tiefe, daß ich der irdiſchen Schwere endlich auf im⸗
mer entſchliefe. Aber der Morgen loͤſchte die Sterne aus, we
die Sorgen, weckte des Herzens Haus und des Alltaͤglichen
Macht zwang die Ahnung der Racht.
Doc von den ‚, Kronenwaͤchtern“, von ben Gedichten
und dem noch zu erwartenden Reſte der Sammlung
werden wir in einem fpdtern Artikel noch berichten.
G. Pfizer.
Ein St.:Fohannistag in dem Pyrenden:
Departement bes Arritge.
(Beſchluß aus Nr. 135.)
Ich Hatte, von dem Anblicke diefer unglaubliden Scene
gefefielt, meinen Gefährten. aus ben Augen verloren; ich fanb
ihn auf einem Yelfenftäde, etwas oberhalb der Quelle, wieder,
wo er, begünftigt von dem Lichte des am woltentofen Himmel
binziehenden Monde, eifrig zeichnend mit Meiſterhand bereits
die Hauptgruppe diefeß abenteuerlichen und mit ben Zeichen als
* en belafteten Verſammlung auf das Papier gewor⸗
en hatte.
Mein Freund war voll Dankbarkeit für mid; denn ich
batte ihm durch meine Auffoberung zu biefer nächtlichen Wan-
derung die Materiatien zu einem Bilde verfchafft, bes bei ber
in Kunft und Literatur ber Neufranken vorberrfchenden Sucht
nach dem Drigfnellen, Außerorbentlichen von der größten Wir
fung fein mußte. Gern vertraute ee fi mir daher zur weitern
Führung an, als ich ihm einen zweiten Act des bier begonnenen
Dramas verbieß.
Es handelte ſich zuvorderſt darum, vom rechten auf bas
linke Ufer des Fluſſes zu gelangen.
Wenn man auf einer Fahrt mit dem Dampfſchiffe von
Shalons nach yon mit Recht über die große Zahl herrlicher
Kettenbrüden erflaunt, welche bie beiden Ufer ber Saont vers
binden und baraus den vortheilhafteſten Echiuß auf das Wer:
bienft bes heutigen franzoͤſiſchen Gouvernements um die Verbin:
bungen im Innern bed Landes macht, fo drängt das Departe-
ment des Arritge bagegen dem Beobachter die Überzeugung auf,
daß baffelde Souvernement auch feine Stiefkinder zählt. Der
intellectuelle und induſtrielle Zuſtand diefes Departements allein
beweiſt, baß die wenigen baffelbe burchfchneidenden größern Wer:
bindungslinien erſt feit Eurzem entflanden find; in den emts
legeneen Gegenden biefes Landes aber find Vicinalwege die eins
zigen, für den Verkehr mit Fuhrwerk oft ganz unzulängiis
Ken Sommunicationsmittel und, ein Kleiner Fluß wirb aus
Slangel an Wehen und Fahren oft auf weite Strecen ein
Hinbern
Um meinen Freund einem neuen Bilde in Callot's Manier,
dos unſer auf dem linken Ufer bes Salat wartete, entgegen
führen, ſtanden nur zwei Wege offen, die Ruͤckkehr nad St.⸗
Girons, ober der Bang nad dem eine Stunde aufwärts am
Fluſſe gelegenen Dorfe Laccurt, wo eine Brüde ben Übergang
möglich macht; ich wählte das letztere Auskunftsmittel.
Das mistönende Geräufch der um die Fontaine da genou
kaͤmpfenden Geſellſchaft von Krüppeln war bereits hinter uns
verſchollen und das Raufchen des allein noch die Stille der Nacht
unterbrechenden Salat vollſtaͤndig im feine Rechte zurückgetreten.
Barb erweiterte fi die öde, enge Schlucht, in welcher wir
entlang gingen, zum kleinen Wieſenthale. Der Mondſchein
warf die Schatten einer Reihe von Pappeln auf ben grünen
Plan, der Fiuß ſchien feinen Zorn in ber Ebene zu vergeffen,
duch die er bequem dahingleitet, und fein Toben bedeckte nicht
mehr die füßen Töne der Rachtigallen, welche in Heden und
Geſtraͤuch am Wege ein heimliches Plägchen gefunden hatten;
wechfelnd zogen, ale Boten befonnter Höhen, oder In ewigen
Schatten gebüllter Kluͤfte des Gebirge, balb warme, bald
ſchneidend kalte Luftfiröme über uns bin und trugen uns ben
Duft des feifchgemäbten Heus ber Wiefen entgegen, unb bie
Stimme eines in treuer Wacht bad Geböft des Deren ums
fhreitenden Hundes fchallte dann und wann von ben Bergen
nieder und faate uns, baß die Fruchtbarkeit Hier wieder ſich
aus der Ebene zur Hoͤhe erhoben, hier wieder ben größten
Schmud dieſer Gegenden, bie überall an ben Hängen bes Be:
birgs zerftreuten uerhöfe mit ihrem Kranze von jungen
Eihen und Fruchtbaͤumen, hervorgerufen habe.
Bald erfchien die herrliche, in einen Mantel von Epheu
eingehällte und auf hohem Felfen thronende Burgruine Über dem
Dorfe Lacourt und bald war auch das fchweigende Dorf felbft
erreicht, in defien durch bie Nacht veröbeten Straßen wir nur
einigen geifterhaft an uns vorüberziehenben verfpäteten Pilgern
nad der Wunderquelle begegneten; bann überfchritten wir bie
hoch fich über den Salat wölbende Brüde und eilten from:
abwärts dem Dörfchen Eichel zu, das am fühlichen Ende bes
Thalbeckens von Gt.: Girons fi hinbreitet.
Etwa zehn Minuten von Gichel entfernt ‚liegt bie burdh
uralte Linden und Ulmen befchattete Kirche bes Dorfe. Bon
einer mäßigen Höhe herab beherrſcht das Fleine Gotteshaus eine
koͤſtliche, wie eine Bucht, ein Anlerplag in ben ausgefchweiften
Fuß des Gebirgs bineintretende Wieſenſtrecke und weiter bin
das ganze blühende Thal von Ste⸗Girons, an deffen nord⸗
öftiichem Thalrande man von hier in unbeſchreiblich malerifcher
orm das Staͤdtchen St.⸗Lizier mit feinem alten bifchöflichen
alafte und vielen andern Ruinen ehemaligen Glanzes fi) am⸗
phitheatralifch aufbauen fieht.
Wenn man das Kirchlein des Dorfes Eichel fo entfernt
von den Wohnungen ber Menſchen und namentlidh feiner
Dfarrtinder Liegen fiebt, fragt man fich, welch romantifcher
Baumeifler den Plat dazu wol auserfeben haben möge, und bie
Eegende antwortet, daß, als ber Bau befchloffen war und alles
Material im Dorfe aufgefchichtet lag, die Bauern jenes eines
Morgens an dem Drte wieberfanben, wo jest bie Kirche fteht.
Bergebens wurben bie flüchtig gewordenen Ballen und Steine
on felbigem Tage wieder zurüdgebradht; ein neues Wunder
fegte diefelben in ber folgenden Nacht abermals in Bewegung.
Zn jener Zeit erflaunte Niemand über ſolche Dinge. Aber
„Der Wille der Heiligen fei erfüllt!” riefen Jung und Alt unb
das Kirchlein erhob ſich an der Stelle, wo es jeht ins Thal
herniederſchaut; biecher nun wendeten wir unfere Schritte.
Die Stille, welche in der Umgebung bes Tempels herrfchte,
wear der Überrafhung eines neuen Schaufpiels günftig. Ringe
um die Kirche herum, in allen Zugängen berfeiben, auf bem
Kircyhofe, unter ber durch ein hoͤljernes Dach gedeckten Bor:
halle lagen unzählige Pilger, in tiefen Schaf verfunfen, bie
Armut umbebedt ber feuchten, Ealten Nochtluft ansmefegt, tie
Wohlhabenheit, vor welcher ſelbſt der Weg zum Krane ſich
dornenloſer ebnet, mit großen Maͤnteln von der weißen ober
braunen Wolle ihrer Heerden bebedt.
Nur in der naͤchſten Nähe des Gotteshaufes war nicht als
les Leben erflorben. In ven Niſchen der Mauern, in ben
Winkeln der Saͤulen und Strebepfeiler fauerten um die dunkeln
Geſtalten der Priefter zahlreiche Beichtende, welche bie Schwelle
bes Heiligthums erſt gereinigt von aller Schuld betreten tolle
ten. Reunzehn Priefler hatte die Umgegend heute bierher ger
fendet, um alle die Reuigen zu hören und zu entbinden, welche
bie Beier diefer Nacht hier zufammenführt; und doch genügte
die Zahl der Beichtiger kaum ihrer Aufgabe.
Aus der Thür und durch bie Fenſter der Kirche drangen
Ströme von Lichts denn bie fonft fo befdgeidene entfaltet bies
eine Mal im Jahre den ftrahlenben Glanz von Kerzen, ben
ihre flolgen Schweftern in den Städten Fatholifcher Rande an
Feiertagen faft ohne Ausnahme in ihren dunkeln Mauern bers
gen. Kaum war es möglid, bie in dem engen Raume der
Kirche zufammengepreßte Menge zu durchbrechen und zu ber
Bogenthür einer Treppe binzugelangen, welche in eine unters
irbifche Kapelle binabführt. Bier Schritt ins Gevierte, aber
durch ein erbrüdend niedrige Tonnengewolbe gefchloffen,, bilden
die ganze Weite diefer eher einem Grabe als einem ber Gottes⸗
verebrung geweihten Orte gleichenden Kapelle; ein Altar in ders
felben trägt zwei unfoͤrmliche Bruſtbilder; diefe würben durch
ihren grellen Barbenglanz und ihre geſchmacklos reiche Wergols
dung an bie Goͤtzen eines alten mericanifchen ober indiſchen
Zempeld erinnern, wenn fle nicht zu fehr den Zerrbildern gli⸗
den, weiche ben Modehaͤndlerinnen unferer Kleinen Städte zur
Ausſtellung der Hauben und Hüte dienen. Zwei Wachskerzen
erleuchteten die Bildniſſe, und vor dieſen ſtanden, von ſchmui⸗
ger Kupfermuͤnze angefuͤllt, zwei Teller von Metall, deren Ins
halt theils Zeugniß von bee Armuth des Landes und der Opfern⸗
ben ablegte, theils die Wahrheit beſtaͤtigte, daß noch jett bie
Heiligen der Kirche ſich ihre Wohlthaten gern bezahlen Laffen,
wenn anders ber blinde Glaube das Gefchäft begünfligt.
Datte das Gebränge um bie Fontaine du genou und in
ber Kicche und ihren Umgebungen jede freie Bewegung erfchwert,
fo war dies noch mehr in ber Kapelle der Ball. An der Erde,
in den Winkeln des befchränkten Raums, auf den Stufen bes
Altars lagen zahlreiche Schläferinnen (denn die große Mehrheit
bee Anmefenden befand aus Frauen), welchen entweder bie
Kälte der Nacht diefen Zufluchtsort empfohlen hatte, oder welde
das reiben auf ber engen Treppe verhinderte, ben Ausgang
wieberzugewinnen. Um den Altar aber war ber Bubrang der
Ständigen befonders groß, denn bier erwartete biefelben aber
mals die Herſtellung von allen körperlichen Reiben. Die Deils
methode erfiärte zugleich, weshalb die hochrothen Wangen bes
heiligen Johannes, der feiner großen Praris wegen bier in bop:
pelter Geſtalt erſchien, zum Theil verwiſcht und mit andern,
dem Maler fremden Farben bedeckt waren. Die Hülfe und
Heilung; Suchenden nämlih rieben mit ihren Haͤnden den
Kopf ber Statuen und dann ben Theil ihres Körpers,
welcher mit einem @ebrechen behaftet war. Da aber leider
alle Theile unſers Körpers der Sit der Krankheit werden
tönnen, fo hatte dies oft etwas hoͤchſt Wiberwaͤrtiges und ſelbſt
Unanftänbiges.
Ein Blick auf die Verfammlung in der Kirche und Kapelle
zeigte mir, daß jene größtentheils aus den Bewohnern ber Um:
gegend von Waflat, einer Beinen, tief im Gebirge nach ber
fpanifchen Grenze hin, fünf Stunden von St.⸗Girons geleges
nen Stadt beſtehe.
Die merkwürdige Bevölkerung biefer Gegend weicht, wie
in ber Tracht, fo in Charakter, Sitte und Lebensweiſe von als
ten übrigen Franzoſen des Mittags entfchieden ab. Mit ber
Überlieferung einer der Wildheit nah verwandten Heftigkeit des
Temperaments unb mit der feltfamen dußern Form bes Lebens
bat der Bauer des Landes von Maflat in feinen faſt nie von
5
den Yermten betretenen Mhhfern bie religidſen Überzen
and den Aberglauben bes. Mittelalters ſich tren und ungeſchw
erbalten.
Dem Spanier, mit dem er Zhär an Thür wohnt, mehr
als dem Franzoſen verwandt, bewaffnet der Bewohner dieſer
Gegenden feine Hand in jedem Gtreite mit dem Weffer, und
irgend fonft in Frankreich ift die Statifti der blutigen Ver⸗
brechen fo reich als auf jener Scholle Landes, nirgend ſonſtwo
ift der Glaube an Zauberer und Hexen und böfe Geiſter fo eins
ewurzelt wie bort, nirgend fonftwo ift die Bigoterie fo unums
—*8* te Herrin als da.
Während die Tracht der Männer durch bie hinten in Beu⸗
telfoem lang auf den Rüden hinabfallende gewebte Muͤtze von
other, brauner ober blauer Wolle, ferner buch das kurze
Camiſol von dbemfelben Stoffe und mit blanten Knöpfen, dann
durch die rothe Leibbinde, die aus Binbfaden geflochtenen Sans
dalen der Tracht des Gatalanen ſich nähert, bewahrt die Klei⸗
dung der Frauen nicht weniger einen von dem der übrigen Be:
wohnerinnen des Departements abweichenden Charakter.
Ein weißes leinenes und in ein Dreieck zufammengelegted
Tuch, das dergeſtalt um den Kopf gefchlungen ift, daß die
Zipfel hinten zwanglos herabhängen, ein Spencer von vothem,
blauem, gewöhnlich aber grünem Tuche, welder Enapp um bie
Zaille anfchließt und hinten rund herum bis gegen bie Hüften
bin durch einen handbreiten Überfall über den Rod hinabgreift,
ein ſchneeweißer Kragen von grober Reinewand, ber auf bie
Schultern fällt, enge, kurze Ärmel, die unten einen Aufſchlag
haben, mit einer gelben oder rothen Borte eingefaßt find und
unter benen die Hemdaͤrmel hervorkommen unb ſich bi8 an das
Handgelenk fortfegen, vor ber Bruft ein vierediges Stud weis
Ber Leinewand, das von den Schultern aus ſich kleidſam nach
der Zaille zu verengt und unter einer oben eng zuſammengezo⸗
genen und breit geftreiften Schürze endet, ein ſehr Eurzer, false
tenrridger Rod, gewöhnlich von blauem Zuche, weiße Strümpfe
und Lederſchuhe, das ift der Anzug einer Bäuerin aus Maffat.
Der Morgen graute, der öftliche Himmel röthete fidy leicht,
die Sterne erbleichten und einzelne Vogelſtimmen erwachten leife
bier und da, als wir den Rüdweg antraten.
„Wie ifl es möglich”, rief mein Begleiter, nachdem er eine
Zeit lang nachdenklich neben mir hergefchrirten war, „daß Priefter,
weiche das Volk belehren und auffiären follten, daß Priefter des
19. Zahrhunderts ſolchem tollen Aberglauben Vorſchub teiften
and ihn durch ihre Gegenwart, durch ihr Anfehen befeftigen
nnen!’’
„Der Einfluß und die Herrſchaft über Andere find eine
große Verfuhung für den Menſchen“, ermwiderte ih, „und bie
Prieſter haben von jeher gezeigt, daß fie in diefer Beziehung
Menfchen waren; übrigens fühlen die Geiſtlichen bes Landes
den Borwurf, welden Sie ihnen maden, und entfchuldigen
fi mit der Unmöglichkeit, dem Unfug zu fleuern. Es ift in
der That vor kurzem noch in einem nahen Dorfe vorgeflommen,
daß der Beiftliche faft von den Bauern ermordet worden wäre,
weil ex fich weigerte, beim Gewitter die Glocken laͤuten zu laf-
fen und fein Dorf dadurch einer vermehrten Gefahr auszufegen.”
„Ich habe mir in Paris nicht träumen Laffen’, fuhr der
junge Maier fort, „daß auf franzoͤſiſchem Boden heutzutage
noch ähnliche Dinge gefchehen, auch wird mir es dort kaum Ser
mand glauben, wann ich zeicyne oder erzähle, was ich in jener
Nacht gefehen.”
„Da eben liegt ber Fehler”, entgegnete ich, „in welchen die
meiften meiner Landsleute verfallen; fie gehen nach Paris und,
wann fie dert, am Herde der hoͤchſten franzöfifchen Civiliſation,
ſich umgefehen, bilden fie fi ein, das ganze Land und bie
Sranzofen zu kennen; ich aber glaube, daß das ber Weg ift,
weicher am wenigften zu dieſem Zwecke führt. Das franzöfifche
Gentralifationsfpfiem führt Alles, was in der Provinz ausgezeich⸗
net und dadurch allein fchon ſich aͤhnlich ift, nach Paris, und
find ja in den bort fo verfammelten Glementen noch Spuren
verfchiebener Wetionabitit dorhanden, fo verfükwinhen biefe alt⸗
bald in der mächtigen Affimilation, weldye bie Hauptfſtadt ber
den ihr dargebotenen Stoff ausübt. Wer bie Schattirungen des
Landes kennen lernen wi, der ſuche fie an ihrer Quelle. 57.
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en NRationalge r. ung. e Auflage Berli
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vorgelegt zur Beherzigung, Pruͤfung und Abhuͤtfe. Grimme,
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Der Thurmwaͤchter auf St. Petri. Zwei Novellen. SBertim,
Vereinsbuhhandlung, 8. 1 Zplr.
Weider, &., Ein ſtaatsrechtlicher Injurien = Progep im
actenmäßiger Mittheilung Manheim, Baffermann. Er. 8
gE.
Berantwortiiher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung,
Mittwoch, — Kr. 137. —⸗
17. Mai 1843.
Der deutfche Zollverein.
Der beutfehe Zollverein in — 2 gußas Bf;
ten. Stuttgart, Gotta. 10 Nor.
Wenn man in dem beutfchen onen. * Keime
einer beſſern Zukunft Deutſchlands erblicken und von ſei⸗
ner Fortbildung die Beförderung muterieller Wohlfahrt,
ianerer Einheit und politiſcher Macht erwarten darf, fo
Kegt gerade in dee Vortrefflichkeit dieſer Borausfichten eine
dringende Auffoderung, die Feſtigkeit feiner Formen, die
Buͤrgſchaften für ein ſegenwolles Acheiten in diefen For⸗
mm und die Mittel zur gänzlichen Überwaͤltigung des als
tem Übels der Spaltung und Zerriffenheit näher ins Auge
zu fafien. Es kreuzen fich bier die mannichfaltigſten po:
Ksiihen und nationatdtemomilchen Fragen, neben der
Theorie fpricht auch die untheoretifche und ſich deshalb für
praktiſch haltende Erfahrungowelsheit mit und ebenfo be:
haupten auch Sonberinterefien und Spmpatdien und Ans
tipathien ihren Einfluß. Es iſt daher dankenswerth, wenn
zur Loͤſung jener Kragen ein von Diefen Beimifchungen
feeist und von einer tuͤchtigen patriotifchen Geſinnung zeus
gender Verſuch gemacht wird, und ein folcher liegt in ber
obengenannten Schrift von Höften vor.
Urſpruͤnglich waren die Zölle lediglich ein Mittel, fich
Einkunfte zu verichaffen, und fir den Handel etwas Drös
dendes. Eine Bollvereinigung kann man daher im Grunde
mar infofeen eine Vereinigung zur Foͤrderung des Handels
und ber Induſtrie nennen, als fie theils duch die Ent:
fenung von Binnenzoͤllen und @inheit des Zoffefteme
fenen Druck der Zölle Überhaupt erleichtert, theil aber —
ba jest bei dem Beſtehen von Zollſyſtemen in andern
Ländern ein eigenes Zolfoftem, koͤnnte man es Überhaupt
in finanzieflee Dinficht entbehren, in Rüdficht auf den eis
genen Handel und die eigene Induſtrie nicht entbehrt wer:
Ben kann — fie fo einrichtet, daß fie eine Schugwehr ges
gen die heutzutage flatt der Kanonenfchüffe in Gebrauch
kommenden coups de tarif de6 Auslandes abgeben koͤn⸗
nen. Nach den verfchiedenen Verhälmifien des Handels
Heß fich jener Drud durch Zölle mannichfach modificiren
und vertheilen; man Eonnte den Abfag ausländifcher Pro:
ducte und Fabrikate erfchiweren oder ausfchließen und ſo⸗
mit Production oder Fabrikation des Inlandes beguͤnſti⸗
gen, man fonnte durch Unterfchiedbsabgaben den fremden
Handel ausfchkießen, Und ebenfo ließ ſich durch Erſchwe⸗
sung obere Verbot der Ausfuhr von Gegenfländen, welche
der inilandiſchen Induſtrie dienen konnten, fuͤr dieſe ſorgen.
Bei einer folgen Anwendung der Zölle für Die Beguͤnſti⸗
gung des eigenen Dandeld und ber eigenen Induſtrie er:
gaben ſich denn ſogleich bie wichtigſten nationaloͤbonomi⸗
ſchen Fragen: die Zoͤlle konnten theils mit Erreichung die⸗
ſes Zwecks den Zweck, eine Duelle von Einkünften zu fein,
ganz verfehlen, theils konnte eine Bedruͤckung der fremden
Einfuhren zu einer gleichen Bedruͤckung des eigenen Dans
dels führen, und felbft im eigenen Lande konnte die Bes
guͤnſtigung der Production eder Fabrikation ſchaͤdliche Ruͤck⸗
wirkungen hervorrufen. Allgemein guͤltige Regeln ließen
fich in dieſer Hinſicht nicht auffinden und Schaden oder
Vortheil hingen immer von den Zeitverhaͤltniſſen, den be⸗
ſondern Verhaͤltniſſen des eigenen Landes, feiner Größe
and feiner Hälfsguellen und von den Maßregeln ab, wels
de in andern Ländern ergriffen wurden. Die Hanbels⸗
potitid verfuhr daher bis in die neuefte Zeit immer nur
nach Nuͤtzlichkeits⸗ und Zweckmaͤßigkeitsruͤckſichten, und
wenn fie gewiſſe theoretiſche Grundſaͤtze aufftellte, fo was
ven dieſe theils nicht anwendbar und wurden auch nicht
angewandt, theils aber — und hierin ſind die En länder
befonders ſtark geweſen — fuchte man damit bie Ubrigen
zum Feſthalten an einen ſchaͤdlichen Gpfteme, bei dem
man feinerfeits Vortheil hatte, zu verleiten.
Die europäifchen Staaten haben feit Jahrhunderten
auf diefe Weiſe die Zölle mie Ruͤckſicht auf Handel und
Gewerbebetrieb angervandt und nur in Deutfchland hat
man erft im neuerer Zeit angefangen, biefen Geſichtspunkt
nach feiner vollen Wichtigkeit ine Auge zu faflen. Den
fruͤhern Zuſtand In Deutfchland, wo jede Regierung Zölle
erhob, je nachdem fie gerade Einkünfte lieferten, und eine
Maſſe von Binnenzolllinien ben innern Verkehr in Feſſeln
fegte, während die Induſtrie durch die Einfuhren des übers
mächtigen Auslandes niedergehalten wurde, dieſen Zuſtand
wollen wir bier nicht weiter fchildern. Mit der Fortbil⸗
dung des deutfchen Zollvereins, welcher jegt eine Bevölkerung
von 27 — 28 Millionen einfchließt, hat ſich dieſer Zuftand
geändert. Das ganze Zoflvereinsgebiet wird durch eine
Zolllinie eingefchloffen und der innere Verkehr ift frei.
Der Tarif macht wenigſtens eine Goncuerenz der eigenen
Induſtrie mit dem Auslande möglih unb unter biefem
Schutze hat ſich diefelbe bereits bedeutend gehoben. Die
— _ — ——
546
Keeiheit des Innern Verkehrs führe dann allmaͤlig zu einer
Steichförmigkeit der Grundfäge Über das Conceſſionsweſen
und die Gewerbepolicei, und noch dringender gebietet er
die Einführung einer gleichen Handelsgeſetzgebung, an wel:
che fi) nothwendig eine Gleichförmigkeit des Rechtszuſtan⸗
des uͤberhaupt anfcliefen muß. Diefer Innern Confoli:
dirung der bisher fo unglüdlich zerfpaltenen Verhaͤltniſſe
entſpricht aber die politifche Stellung, welche die deutfchen
Staaten gegen das Ausland gewinnen müflen: flatt ber
Ohnmacht der Vereinzelung und der Wahrnehmung bes
fonderer mit denen der Geſammtheit nicht verträglicher
Intereſſen darf man auch hier in Zukunft ein träftiges,
dem Auslande imponisendes Eintreten in die voͤlkerrecht⸗
lichen Verhältniffe vor Augen haben.
Gerade diefe Hoffnung einer Conſolidirung ber politis
ſchen Verhaͤltniſſe Deutfchlands, weiche man oft mit einer
Art von Begeifierung zu hegen pflegt, fodert indeß gu eis
ner etwas tiefer eingehenden Betrachtung auf. Unfer pos
litiſches Leiden Liegt in der Zerfplitterung umd in bem
Gonflicte der verfchiedenften Sonderinterefien , in welchen
bie Kraͤfte, deren Verein die größte politifche Macht der
Welt bilden koͤnnte, auf fo bedauernswerthe Weiſe ſich
theilen. Der Zollverein ſtellt nur in Einer Beziehung, in
den Zoͤllen und im Handel, eine Einheit her, und die
Conſequenzen dieſer Einheit moͤgen zunaͤchſt Einheit der
Geſetzgebung, eine tuͤchtige Ordnung der Verkehrsverhaͤlt⸗
niſſe mit dem Auslande und allenfalls auch das Auf⸗
blühen einer deutſchen Seemacht fein: in allen andern
Beziehungen bleiben aber die jegigen Verhaͤltniſſe diefelben
und bie DVerfaffungen ber einzelnen Staaten umd ihre
Stellung zum Bunde dauern völlig unverändert fort.
Schon aus ber Stabilität diefer Verhaͤltniſſe werden für
jene zundchftliegenden Gonfequenzen ber Zollvereinigung
Schwierigkeiten entfichen. Wie fol alfo, muß man fra:
gen, das in einer Beziehung erreichte gluͤckliche Refultat
in allen Beziehungen beilfam witken? Laͤßt ſich eine fol:
che Einwirkung der einen Sphäre auf die Übrigen nicht
nachweifen, fo muß man in dee That jene Hoffnungen
von einem allfeitig ſegensvollen Einfluffe der Zouvereini⸗
gung für voreilig und übertrieben erklären. Die Antwort
auf jene Frage liegt im einer Betrachtung der verfchiebes
nen Functionen bes geſammtorganiſchen Menſchenlebens.
Man hat ſehr mit Unrecht den Staat oder die Sphaͤre
des Politiſchen für den Inbegriff und die legte Harmonie
aller diefer Functionen ausgegeben, ſodaß er — wie bei
Hegel — Moral und Sittlichkeit und alle übrigen Ent:
widelungspuntte des Menſchengeiſtes in fich enthält und
bie einzige Form ift, in welcher die Menfchheit ihren welt
gefchichtlihen Proceß, der alsdann folgerichtig blos In ber
Entridelung bes Staatlichen beftände, durchzumachen hat.
Die übrigen Kreife materieller und geiftiger Xendenzen, in
denen ſich das Menfchheitsteben feinen Anlagen nach zu
bewegen und fortzubilden hat, haben vielmehr sine gleiche
Berechtigung und jene Fortbildung muß eine allfeitige
und barmonifhe fein. Neben dem Staate, neben bem
öffentlichen und politifchen Leben gelten daher die Sphaͤ⸗
ven ber Religion, der Moral, der Wiſſenſchaft, der Kunft,
des Handels und. ber Sinbufleie als voͤllig felbftändige,
und die Sphäre des Staats oder das politifche Moment
fteht nur infofern am höchften, als es allen übrigen Kreis
fen theils erft die Form der Allgemeinheit und der Syn
thefe aus der Berfplitterung des Individualismus zu geben,
theils ihnen bie Bedingungen ihres Gedeihens zu ver
(haffen und endlich ihre harmoniſches Verhaͤltniß unterein⸗
ander und zu dem Staate felbft zu erhalten bat. Jene
Sphären überfchreiten fogae bie Grenzen eines befondern
Staats und umfafjen allgemein menſchliche Intereſſen:
zwängt fie der Staat in feine Grenzen ein, nimmt er
dem Handel, der Induſtrie, der Wiſſenſchaft und der
Kunft ihren kosmopolitiſchen Charakter und färbt fie mie
den Landesfarben, fo entfichen Misgeſtalten und Zerrbil:
der. Die Harmonie aller diefer Kreiſe ift das Ziel ber
Menfhheit, ihr mac) diefer Harmonie hinflrebender Kampf
ift der Verlauf der Geſchichte, und der Öbfieg und bie
UÜbermacht einer einzelnen Sphäre. ift dad Ungluͤck ber
Menfchheit. Im Driente waltete in den Prieſterſtaaten
die Sphäre der Religion vor und alle übrigen Seiten des
Beiftigen wurden erflidt und niedergehalten: in Phoͤnizien
und Babylon herrfchten bie materiellen Intereſſen und
führten nach der Abtödtung des geiftigen Nervs die Voͤl⸗
ker zum Erftiden im Schlamme des Materialismus. Im
claſſiſchen Alterthum herrſchte der Staat oder das Politi⸗
fye vor und ablorbirte alle übrigen Sphären. In ber
chriſtlichen Zeit rang das Religioͤſe mit dem SPolitifchen,
die Kirche mit dem Staate. Zumellen herrfchte das Pos
litiſche in aͤußerlich gewaltſamer, alfo unvolllonmener und
blos einzelne Individuen treffender Bewältigung der Kirche,
regelmäßig aber berrfchte letztere und die Theologie war
Wiffenfchaft par excellence, bie Philoſophie ihre Magd,
und wer ihr opponirte, den verfolgte man unter der Bes
nennung eines Ketzers als Dochverräther. Aus ber Mes
formation gingen beide geläutert hervor; die Kirche, geläms
tert von dee Weltlicykeit, der Staat von dem Jrrthume,
Süd, Frieden und Gerechtigkeit unter feinen Mitgliedern
in das Senfeit des Himmelreichs zu verweilen. Seitbem
ift der Staat frei und ſucht die übrigen Sphären zu
ordnen und in Harmonie mit fi zu erhalten. Schien
ihm die Wiſſenſchaft uͤbermaͤchtig und dem politiſchen
Momente, d. i. der Aufrechterhaitung eines geregelten Forts
gangs aller Functionen der Menfchheit, gefährlich zu wer:
den, fo gab er der religiöfen Sphäre weiten Spielraum.
Jetzt erſtarkt die Sphäre der materiellen Intereſſen und
wird als dem Politifchen ungefährlich, ja fogar mitunter tu
ber Meinung, als würden dadurch die Bemüther vom ge⸗
fährlichen abfiracten Raifonnemente abgezogen und berus
bigt, mithin unterwürfiger gemacht, gehegt und gefodert.
Man Hat wie das Religiöfe, fo die Sphäre der ma teriel⸗
len Intereſſen gleichſam als Gegner ber abfltacten Wiſ⸗
fenfchaft und ihrer dem Staate gefährlichen Conſequenzen
angefehen, die man ſtaͤrken und heben müffe. Richtiger⸗
weife hat man indeß nur die Derfiellung eines harmoni⸗
(hen Verhaͤltniſſes im Auge zw baden. Gelangten bie
materiellen Intereſſen zu einer wahren Herrfchaft, fo wuͤr⸗
den fie verderblich wirken, denn jede einzelne Richtung, fei
%
es die veligiöfe, die induſtrielle ober irgend eine andere
Sphaͤre, gewinnt, wenn fie uͤbermaͤchtig wird, auch einen
Einfluß auf die dem politiihen Momente zukommenden
Kunttionen und wird alsdann deffen Thaͤtigkeit ftören, bies
feibe ſich ausſchließlich dienftbar machen und am Ende fo
gut wie ganz aufheben. Raumt man — tn dem Glau⸗
ben, ein materielle® Intereſſe bei der jegt beftehenden Ord⸗
nung fei die ſicherſte Bürgfchaft gegen eine zevolutionnaice
Neuerungsſucht — in Deutichland nur ben materiellen
Intereſſen eine politifche Berechtigung ein, fo wird man
die bezeichnete Folge, die in Frankreich bereits fühlbar ge:
nug getvorden ift, auch in Deutſchland zu erfahren haben.
ol aber haben wir von einer Belebung der materiellen
Intereſſen bis zu einem harmonifchen Verhaͤltniſſe zu ben
übrigen Lebensfactoren auch für diefe ein neues Erblühen
zu erwarten: das Menſchheitsleben ift ein Organismus,
und die Heilung eines einzelnen erfrankten und erfchlafften
Gliedes diefed Organismus wird aud die von feinem feh⸗
lerhaften Zuftande auf die übrigen zuruͤckgefallenen Wir⸗
Zungen aufheben. In Deutſchland haben unter der Vers
kuͤmmerung von Handel und Induftrie und folgemwelfe bes
äußern Wohlftandes alle übrigen Gebiete mit leiden muͤſ⸗
fen. Die Beflimmung der Induftele iſt es, das Natürs
fiche und Stofflicye, defien der Menſch bedarf, ihm immer
gemäßer und dienflbarer zu machen und ihn am Ende
{immer mehr von der harten Arbeit, in welcher er der
Erde feine phyſiſche Exiſtenz abzuringen bat, zu befteien.
Auf diefe Weife verbinden fid) die materiellen und geiſti⸗
gen Sntereffen. Die fortfchreitende Wiſſenſchaft fördert
duch Entdeckungen die Induſtrie, und diefe arbeitet der
Wiſſenſchaft in die Hand, Indem fie das Matürliche vers
edelt und dem Menfchen die harte mechanifche Arbeit
(part. Ebenſo unzweifelhaft iſt die Einwirkung bes dus
Gern Wohlſtandes auf das Öffentliche Treiben, auf Kunft,
Religion und Sittlichleit. Das ganze Leben wird freund:
lichet und regfamer, man wird ſich nicht in ber Flucht
aus der harten und rauhen Gegenwart in bie von biefer
entfernteften Gebiete des abſtracten Wiſſens zu retten fus
chen, die Gelehrſamkeit wird nicht mehr duch ben darben⸗
den und aller äußern Behaglichkeit entbehrenden Geleht⸗
tenftanb des vorigen Jahrhunderts repräfentirt werben,
denn nur diejenigen Gelehrten werben darben, welche Die
Fiffenfchaft als Erwerbsmetel auszubeuten denken und
ſich in diefee Specufation verrechnen. Der fromme Glaube,
daß fich der Arme und Elende tröften könne, weil in eis
nem künftigen Himmelreiche die Sütervertheilung umge:
kehrt werde, wird fich endlich durchaus nicht halten: bie
Wünſche ſowie bie Kräfte werden ſich einem ruͤſtigen Ars
beiten für gegenwaͤrtige Intereffen zuwenden und in biefer
Richtung auf die lebendige Gegenwart müflen die Kräfte
erftarten und öffentliches und Privatleben einen neuen
Aufſchwung gewinnen. Auf denjenigen Standpunkt, wo
fie mit den übrigen Sphären in ein richtiges Verhaͤltniß
des harmoniſchen Zuſammenwirkens treten, ſind aber aͤu⸗
ßere Cultur, Handel und Induſtrie erſt durch die hier zu
einer Herftellung und Erhaltung diefes Verhaͤltniſſes beru:
fene Öffentliche Macht zu heben. Mau hat wol von Frei⸗
heit des Handels und ber Induſtrie in dem Sinne ges
ſprochen, als habe ber Staat beide fich ſelbſt zu überlaffen,
allein eine folche Anſicht ift nad ber Hier dargelegten
Theorie durchaus verwerflih. Der Staat foll nicht im
Handel und Induſtrie eingreifen und fo wenig dieſe als
bie Kirche oder die Wiſſenſchaft monopolificen und zu
Staatsanftalten machen, wol aber hat er fie durch von
ihm ausgehende Maßregein in das richtige Verbältniß zu
den übrigen Elementen zu bringen, und wenn er bier im
Ruͤckſicht auf leere Freiheitstheorien die Sachen geben
ließe, wie fie wollten, fo würde er gerade feine eigentlichfte
Zunetion unerfüllt laſſen. Was und wie viel in diefer
Beziehung gethban werden müfle, hängt bavon ab, wie
groß oder gering die Disharmonie iſt und wie kraͤftig
oder gelinde alfo die Mittel zu ihrer Aufhebung fein
müffen. Es leuchtet mithin ein, daB es thöriche iſt,
ſchlechthin eine beftinmmte Regel, ein beflimmtes Syſtem,
Schut:, Meciprocktäts: oder Prohibitiofpftem, oder gar ein
Spftem völliger Handelsfreiheit mit Lediglich finanziellen
Zwecke der Zölle zu empfehlen: was von alle diefem noth⸗
wendig iſt, hängt von der Größe ber aufzuhebenden Diss
barmonie und von der Wirkſamkeit ab, die den zu treffen.
ben Maßregeln an fich und den von andern Staaten ge:
machten Einrichtungen gegenüber zugetraut merben darf.
Durch zu ſtark wirkende Maßregeln, z. B. Prohibitiogölle,
kann gerade eine Disharmonie herbeigeführt werden, man
kann damit Mangel an unentbehrlichen Artikeln oder eis
nen kuͤnſtlichen Flor der Induftrie mit dem traurigen Ans
bange bed Pauprrismus und des Kabrikelendes hervorru⸗
fen; ebenfo wenig aber darf man unter der jegigen Lage
dee Dinge erwarten, daß ſich die Sache ohne Zuthun und
Hüflfe von felbft machen werde. Handel und Induſtrie
greifen weit über bie Grenzen des einzelnen Staates bins
aus, und biefer muß daher feine Einrichtungen auf Das‘
berechnen, was außerhalb feiner Grenzen von andern Staa⸗
ten gefcheben ift, wenn ex feine eigenen Intereſſen nicht
diefen fremden Maßregeln preisgeben will. In diefer Ruͤck⸗
ſicht kann Deutſchland ſchuͤtzender Zölle nicht entbehren.
(Der Beſchluß folgt.)
Der Dichter Lenz und Friederike von Sefenheim. Heraus:
gegeben von Auguft Stöber. Bafel, Schweighau⸗
fer. 1842. 8, 18% Nor.
Die Literatur wie die Weltgeſchichte hat ihre Männer bes
Leidens und ihre fchmerzenreichen Brauen, bie, bingeriffen im
Wirbel einer großen Zeit, dem Elend anheimfielen: jene, weil
ihnen die innere Kraft gebrach, durch bie Lebensftürme fiegend
inburchzufchreiten 5 biefe, weil eine unerflärtiche Misgunſt bes
chickſais ihnen jede reizende Gabe ber Natur zu einem Unheil,
jede Blüte zu einem Keim bes Leidens entwickelte. So Güns
tber, Lenz, Hölderlin, Luife Brachmann und jene mit ben
ſchoͤnſten Klängen echt deutſcher Eyrif geheimnißvoll verfchwifterte
riederike Brion. Und es ift, als fänden manche Leute einen
chmerzlich anziehenden Genuß, inmitten des Reichthums gluͤck⸗
licher Gefangsheroen, jene verfallenen Schachte menſchlichen
Trübfals wieder aufzugraben und bie dunkeln Wege zu beleuch⸗
ten, die der Irrthum und die Selbfttäufchung und der Mid:
muth einft gewandelt find. Wenn Hölderlin neue Geſchichtſchrei⸗
ber feines Trauerlebens findet, fo achten wir es recht und bils
Ugs man will den Srund ber Seele, aus ber fo wanche glähende
{fume emporfchoß, gern genauer kennen lernen. er Lenz,
welden Nachhall ließ er zurüd Im Voräberraufchen feines Das
feine, daß wir uns ben follten, der Spur dieſer Klänge
kaufchend nachzugehen? Gr hat Sieles geſtrebt und nidgts er⸗
cht; er hob ein Schwert und es zog ihn zu Boden. Dies
idfat theilt er mit Unzaͤhligen, deren Geiſt reich genug war
ihren Umkreis, doch aͤrmlich den Koberungen der Ration
gegenäber. Unſere Theilnahme wirb ihm nur deshalb vor Ans
dern, weil ex, tim bie Bahn ber Goethe ſchen Sonne geriffen,
einen Heinen Abgiang ihres Lichts empfing; denn bad if die
Bevorrechtung geiftiger Größe, daß fie auch das Kleine durch
ihre Bevorrechtung adelt, wie ber König von Spanien, wenn
er in der Vertraulichkeit einen Diener mit Du anrebete, ihn
dadurch zum Granden erhob. Alle Bedeutung, bie Lenz in ber
deutfchen Literatur haben kann, hat ihren Mittelpunkt in Goe⸗
thee Wahrheit und Dichtung”; feine eigenen Werke ſchlummern
in ben Einſiedeleien ber Bibliothelen und fein Name bat nie
im Rolle wibergetönt. Darum koͤnnen wir das neue Werkchen
von Auguft Stöber nur als eine Gabe für die befchräntte Zahl
Mer gründlichen Literaturhiſtoriker betrachten; biefe mögen ihm
ven Dank dafür abftatten, ben wir ihm nicht ſchulben.
Haͤtte Senz eine hohe Stelle unter feinen Zeitgenoffen eins
genommen, fo würde und um besiwillen auch fein inneres Leben
anziehend erfcheinen. Allein wir Bönnen in ihm wenig mehr
feben als einen Ungluͤcklichen, der feine bitterften Verfolger im
eigenen Bufen trug; unb wer untergeht im Kampf um Ruhm
und Liebe, bat gu viele Leibensgefährten, als dab fein boͤſes Ge⸗
ſchick allein ihm die Theilnahme der Nachwelt ſichern koͤnnte.
Lenz burchfchnitt auf feiner trüben Bahn mehrmals ben
Siegesweg Borthe's. Unfer Büchlein ſchildert in einer geſchicht⸗
lichen Einteitung und in Briefen von Renz zumeift jenen Zeit:
raum, ala er tm Elſaß lebte und, nachdem (Goethe das Ber⸗
haͤltniß mit Friederiken abgebrochen, feibft mit einer Liebe ſich
ihr anſchloß, die uns halb aus dem Herzen, halb aus bem
Thaͤtigkeitsdrange feiner Phantafie entfproffen dünkt. Öfters
ſchon habe ich fruͤherhin, zuerft in d. Bt., den Ruf der armen
Friederike mit teiftigen Beweisgründen gegen die Angreifer ver:
theibigt, bie ihre Grabesruhe flörtenz aber ich geitehe offen, daß
ih, nad den vorliegenden Briefen von Lenz, wenigſtens in
einer Hinficht geirrt haben mag : Friederike fcheint wirklich die Zus
nrigung von Eenz ermibert ku haben. Benz ſchreibt am 3. Juni 1772:
„Heute reift Mad. Brion mit ihren beiden Töchtern nad
Saarbräden zu ihrem Bruder, auf 14 Zagc, und wirb viele
leicht ein Mädchen dalaſſen, das ich wuͤnſchte nie gefehen zu
Haben. Sie bat mir aber bei allen Mächten der
Liebe gefhworen, nicht dazubleiben.”
und am 10. Zunt:
„Es ging uns Beiden wie Caͤſarn: Veni, vidi, vici.
Dur unmerfiihe Grade wuchs unfere Vertraulichkeit; und
jest ift fie beſchworen und unaufldstich.‘
Und ähnliche Stellen in mehren Briefen. Es kommt nun
darauf an, ob die Phantafie von Lenz, bie nicht immer ſich an bie
Ehrlichkeit der Profa hielt, nit in ſolchen Ausbrüden weiter
ging, als vor einem billigen Schiedsgericht zu verantivorten ge:
weſen wäre. Gin Verhaͤltniß zwifchen ihm und Friederike bes
fland; ob es von ihrer Seite ein rein freunbfchaftliches war,
ober fo innig, als er es ausfpricht, das mögen Andere entfchei=
ben. Balten wie uns jedoch an die Andeutungen Goethe's, fo
tönnen wir das Lestere feinenfalls annehmen.
Renz fiel wenige Jahre, nachdem er Srieberife Eennen ges
lernt, in unheilbaren Wahnfinn. Ob erſt hierdurch diefe Vers
bindung fich gelöft, ober ob fie ſchon früher aufgehört, laͤßt
das vorliegende Büchlein ungewiß. Kein feoherer Stern leuch⸗
tete feinem Pfade mehr. Gr ftarb als Bettler, von Almofen
fi trosig friftend, zu Moskau am 24. Mai 1792. Geboren
war er zu Geßwigen in Licfland am 12. Sanıtar 1750.
Das Werkchen von Stöber enthält außer ber Lebensbeſchrei⸗
bung und eier Anzabl von WBeiefen, bie zum Theil ats Wow
boten eines Wahnfinns intereffant find, auch mehre Gedichte von
Lenz, bie in ber Tieck'ſchen Ausgabe feiner Schriften fehlen;
ferner Gorthe's —— überſezung ber Oſſianiſchen Ge⸗
fänge, aus Friederikens Nachlaß abgedruckt, mit Beibehaltung
der ‚fen Rechtſchreibung; fobann die bereits bekannten
Gedichte Goethe's an Beieberifen. Als Beigaben find nod ein
Bacfimite jener Goethe ſchen Überfegung und die Abbildung bes
alten ſeſenheimer Pfarrhaufes zu erwähnen.
Hoffen wie, dag mit biefem Werkchen ein Abſchluß jener
unsrguidtidgen Bemuhungen gekommen fei, die Spuren Goethes
in Irrungen des Herzens und Jugenberiebniflen aufzufudgen.
Weder die Literatur noch bie Pfychologie gewinnen merklich das
bei, wenn wir erfahren, was aus Zrieberifen geworden, nach⸗
bem Goethe fie verlaſſen; Goethe's Liebe zu ihr hat ihrem Ras
men Ewigkeit verliehen und das Übrige gehört der Vergaͤng⸗
lichkeit an. Die Stelle, wo ein Lichling ber Götter einft in
Begeifterung geweilt, ift uns auf immer heilig; aber weiches
Schidfal vors und nachher biefeibe Stelle berührte, ift der
Rachwelt durchaus gleichgültig. 2. Braunfels,
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Spaniſche Dramen ins Kranzöfifche überfegt.
In Deutſchland find wir zuerft von X. W. von Schlegel
auf die Meifterwerke des ſpaniſchen Theaters aufmerffam ges
worben , während man in Frankreich ſchon laͤngſt verfucht hatte,
einige derſelben auf dev franzoͤſiſchen Bühne einzubärgern. a,
oählegel bot fi zum Theil, namentlich bei feiner Beleuchtung
von Lope de Vega, vielleicht von einem ſeiner franzöfifchen
Vorgänger gar zu fehr leiten laffen. Wir erwähnen unter ben:
felben insbefondere du Perron de Caſtera und Einguet. Reider
fonnte fich aber vorzüglich Letterer von ber leibigen Manier,
Alles über ben modernen Eeiften zu fchlagen, gar nicht los⸗
machen. Er verbrehte, veränderte und verballhornifirte da
nady Herzensluſt. Gegenwärtig erhalten wir nun zum fen
Male eine Auswahl recht gut bearbeiteter ſpaniſcher Dramen
und wire beeilen un® daher, auf biefelbe aufmerffam gu madhen.
Wir meinen bie „Chefs-d’oeuvres du théatre nolt,
von Damas » Hinard. Beſondert beachtenswerth find bie, lites
rarhiftorifchen Notizen, welche der Herausgeber feiner über:
fegung beigefügt bat. Diefelben zeugen von fehr grünblichen
Studien und find recht gefchmadvoll gefchrieben. An mehren
Stellen weift Damas⸗Hinard einige ber groben Irrthuͤmer nad,
weiche Schiegel ſich hat zu Schulden kommen laffen Auch einige
Verfehen von Bouterwek werben im Vorbeigehen berichtigt.
Sranzdfifhe Werte über Irland.
Bon den franzöfffchen Werken, melde Irland betreffen, bes
ben wir vorpäglich zwei hervor. Es find dies erftens die bes
kannte Schrift vom Deputisten Beaumont, der ſich durch feine
Werke über Rorbamerifa und namentlich durch feine Unter⸗
ſuchungen über das Sklavenweſen ber Vereinigten Staaten einen
bedeutenden literarifhen Namen gemacht bat, und dann das
Bud „De l’Irlande” vom Literarifchen Parteigänger Gapo be
Feuillide. Lehteres namentlich bat einzelne ſehr Intereffante
Partien und ift im Ganzen recht leſenswerth. Wir erhalten
gegenwärtig bie erfle Rieferung eines umfaffenden, illuftrirten
Werks, das ein vollftänbiges Bild diefes intercffanten Landes
geben fol. Es führt den Zitel „L’Irlande au 19ieme sieche“.
Die Kupfer find zum Theil fehr gelungen und ber Text, ber
von 3. 3. Prevoft , einem ber ehemaligen Rebacteure ber bes
Eannten „Revue britannique”, herrührt, ſcheint fehr belehrend.
Der verdiente Comte Taylor, der bereits an unzähligen aͤhn⸗
lichen Werken Theil genommen bat, licfert zu diefem Buche,
deſſen Vollendung nody im weiten Zelbe ſteht, eine intereffanre
GSinleitung, in der er die Geſchichte Irtands mit einigen alle
gemeinen geiſtreichen Zügen zeichnet. 2
Verantwortlicher Derauögeber: Heſnrich Brockhaus. — Drud und Verlag von 8. U. Brodyaus in Leipzig.
-
a U Ey D. | ZeNe ne Cu Zn EEE
Blatter
für
literariſche Unterhaltung.
Donnerdtag,
Der deutfhe Zollverein.
(Beſchluß aus Nr. 137.)
Auf diefe Weife wuͤrde nun in einem einzelnen Staate
das Beleben der erfchlafften materiellen Intereſſen den gan:
zen Staatskoͤrper verjüngen: Deutfchland iſt aber fein
einzeiner Staat, fondern ein Verein felbftändiger. Staaten,
und eben biefe mangelhafte Einheit ift der Grund feines
Zuruͤckbleibens hinter den übrigen Weltmächten, in deren
“ Weihe ihm der Eintritt erſt durch die aus bem Zollver⸗
eine folgende feflere Vereinigung zu fichern iſt. Es han:
deit fi alfo darum, daß die commercielle Verbindung
auch eine politifche werde, und bier ift zuzugefteben, daß
e8 zur Zeit an einem flaaterechtlichen Bande, wel
ches theils bie Dandelseinheit feft und bleibend machte,
theils eine feftere politiſche Einigung daran knuͤpfte,
noch fehlt.
Ehen das Fehlen dieſes ſtaatsrechtlichen Bandes ift «6,
was bei Manchen, und auch bei Höflen, noch Beſorgniſſe
erregt. Die Zollvereinigung beruht auf Verträgen, bie
nach Ablauf von 12 Fahren nad) vorgängiger Aufkuͤndi⸗
gung erlöfhen Finnen. Die einzelnen zu treffenden Maß⸗
regeln find ferner ebenfalls nur durch Vereinbarung zu er:
zeichen: ber Widerfpruch eines Einzelnen hemmt Alle und
eine Entſcheidung nach Stimmenmehrheit findet nicht ſtatt.
Höften erblickt die Abhülfe diefes Mangels einer felten
eganifution in einer Ausbreitung des Zollvereins über
ganz Deutfchland, welhe dazu führen wird, daß die Zoll:
vereinigung in Übereinftimmung mit Artikel 19 der Bun:
desacte ein Integrirender Theil der Bundesverfaffung und
ber periodifch zufammentretende Zollcongreß zu einem per:
manenten Zollrath wird. Diefe Ausfiht bat in der That
nichts, was gegen die Grundfäge des beutfchen Staats⸗
rechts verfließe: die Souverainstätsrechte ber einzelnen Res
genten werden auf eine mit jenen Grundfägen unverein-
bare Weife beeinträchtigt, wenn das Zoll: und Handels:
weſen Deutfhlands duch beflimmte, vom Bunde ausge:
bende Principien geregelt und — ebenfo wie das Mili:
tairwefen — der völlig freien Anordnung der einzelnen
Staaten entzogen wird. Gibt es aber auch von biefer
Seite her eine Schioierigkeit, fo iſt doch auch nicht zu
leugnen, daß das conflitutionnelle Princip, die „Voraus:
fegung einer mitwirkenden Volksthaͤtigkeit“, dabei leiden
dürfte. Dieſen Punkt hat befonders Steinader in einem
18. Mai 1843.
im erften Bande der Weil’fchen „‚Sonftitutionnellen Sahrs
buͤcher“ enthaltenen Auffage ins Auge gefaßt. Würde bie
Ordnung ber Verkehrs⸗ und Handelöverhäftniffe der Aus
tonomie der einzelnen Staaten entzogen und auf bie Bun:
desgewalt übertragen, fo fiele dieſe mitwirkende Volksthaͤ⸗
tigkeit natuͤrlich hinweg. Dieſelbe geraͤth uͤberhaupt in
Ruͤckſicht auf die Zollverhaͤltniſſe ſchon jetzt in eine beſon⸗
dere Lage: die von den Staaten verabredeten Maßregeln
bedürfen, wo man Conſtitutionen bat, der ſtaͤndiſchen Zus
flimmung und werden den repräfentativen Körperfchaften
(don fertig und feſtgeſtellt vorgelegt, fobaß deren Zuſtim⸗
mung meift deshalb, weil die Folgen einer Verweigerung
nicht wohl abzufehen wären, ertheilt werden muß. Bildete
die BZollvereinigung einen Theil der Bundesverfaffung und
wäre die Ordnung der Zollverhältniffe eine Sunction des
Bundes, fo ließe fih hier an eine Mitwirkung durch
Volksvertretung gar nicht denken. Eine folche Vertretung
ift nur in einem einzelnen Staate möglih und ihre Eins
führung bei der Bundesgewalt wuͤrde daher bie Veraͤnde⸗
rung diefer in eine beutfche Regierung und den völligen
Umſturz ber beftehenden Verfaſſung vorausfegen. Stein⸗
ader Außert deshalb die Idee, man könne dem Zollcon⸗
greffen ein conftitutionnelles Element beimifchen und ihnen
eine aus Abgeordneten der einzelnen Staaten, fodaß viel:
leicht auf 100,000 Einwohner ein Abgeordneter kaͤme, ges
bitdete Verfamminng gleihfam als zweite Kammer unb
vorerft nur mit berathender Stimme beigeben. Wir moͤch⸗
ten indeß — ohne im mindeften eine reactionnaire Ten⸗
denz zu haben — den Conſtitutionalismus bier noch nicht
fo entfchieden in den Vordergrund treten laffen. Gerade
in Zoll⸗ und Handelsfachen bat eine mitwirkende Wolke:
thätigkeit ihre ganz eigenen Bedenken. Es iſt zwiſchen
dem Intereſſe einzelner Perfonen und dem Gefammtwohle
oft ein großer Unterfchied vorhanden. Eine Vertretung
im Sinne des conftitutionnellen Principe bringt aber ‚nur
immer die befondern Intereſſen zue Sprache, und man
fieht an dem Beifpiele Frankreichs, daß eine entfchiedene
Geltung folher Stimmen der Sonderntereffen in hohem
Grade fhadlih if. Es kann alfo der Mugen einer fol
den Anftalt nur darin liegen, daß man die MWünfche,
Bedürfniffe und Sntereffen des Volks erfährt; zu dieſem
Ende bedarf man aber feines conftitutionnellen Inſtituts,
fondern es gibt andere Anftalten, welche biefem Zwecke
550
beffer genͤgen. Es darf Hier an die englifchen Parla:
mentsunterfuchungen und bie franzöfifhen Enqueten ern:
nert werden, welche allenfalls zu dem nicht als Regierung,
fondern nur als Verſammlung unterhandelnder Beamten
der einzelnen Staaten angufehenden Zollcongreſſe beffer
poßten als ein conftitutionnelles Element. Jene englie
fchen Unterfuchungen find oft In wahrhaft blindem Enthu⸗
fiasmus geruͤhmt: fie find In ber That nichts als eine
Auskunft, die durch ben Mangel einer centralificten Staate:
verwaltung und die Unmöglichkeit, fi auf andere Meile
offisielle und glaubhafte Machweifungen zu verfchaffen,
nothwendig gemacht wird, Der Zollcongreß kann auf bei⸗
weiten einfachere Weife bie nöthigen Machweilungen von
den einzelnen Megierungen, denen e8 an Mitteln zu ihrer
Herbeifchaffung nicht fehlt, erhalten. Näher liegen uns
alfo die franzöfifchen Enqueten, Unterfuchungscommiffionen,
die von der Regierung — oder auch von bee Deputirten:
fammer — angeordnet werben und im erſten Sulle unter |
dem Praͤſidium des Handelsminiſters thätig find. Solche
Gommiffionen würden aud in Deutfchland vorkommen
koͤnnen, jedoch bei den Arbeiten des Zollcongteſſes natuͤr⸗
lich nicht von einer Ständeverfammiung, fondern von ben
Regierungen anzuordnen fein. Bis jegt ift indeß ein Be:
duͤrfniß derfelben noch nicht fühlbar geworden, da die Mes
gierungen im Beſitze ber nothwendigen flatiftifchen und |
anderer Notizen find und nad den beflehenden Verwal:
tungseinrichtungen die Übrigen in Trage kommenden Nach:
eichten meift ohne befonbere Unterſuchungscommiſſionen
werden erhalten koͤnnen.
Wir dürfen überhaupt bei.den Anfprühen an die Per
litiE des deutſchen Zollvereind nicht fanguinifch fein. Es
ift gewiß ſehr richtig, wenn man die jest erlangte Einheit
in den bisher beflandenen flaatsrechtlichen Formen zu pfles
gen fortfährt und bie im Schoofe der Zukunft liegenden
politiſchen Confequenzen ſich ruhig entwideln und ins Les |
ben treten läßt. Alsdann wird fi für diefe Confequenzen
die Form ſchon finden. Sept würbe aber eine Einführung
folchee Formen, mit welchen man nad den Begriffen der
Gegenwart einen Inhalt politifyer Einheit und regen of:
fentlichen Lebens verbindet, namentlich die Einführung
conftitutionneller Elemente in die Leitung der Vereinsan⸗
gelegenheiten, nur bie Dinftellung von Formen fein, bie
erft auf den Inhalt warten müßten und im beflen Falle
unnüg, im ſchlimmſten verberblich wären. Ebenſo wenig
darf man zu fchnelle Mefultate und zu fcharfe Mittel in
Bezug auf Hebung des Handels und der Induſtrie erwar:
ten. Zölle find namentlich in Deutfchland blos ein Drud
bes Handeld gewefen. Die neue Einrichtung des Zollwe⸗
fens, welche zuerft von Preußen ausging, konnte zunaͤchſt
sur den Drud, der in den Zoͤllen lag, fo viel als thuns
lich erleichtern und man batte einen fegensreihen Erfolg
mehr von ber Ausbreitung und Arrondirung bes Bollvers
eins als von ber prohibitiven und fchligenden Matur ho⸗
bee Zölle zu erwarten. Eine Anfeindung des Auslandes
duch Tariffäge, ein plögliches Erzwingen de6 Aufblühene
einer allmälig kräftig woerdenden Induſtrie konnte babei
nicht in ber Politik des Zollvereins Liegen, bie theile
finanzielle Zwecke, theils auch die HMüdficht, dag man bie
Geſammtheit nit zu Gunſten Einzeiner befteuern dürfe,
zu wahren hatte. Michtsdeftoweniger wird auf dem eins
gefhlagenen Wege der Zweck, Deutfchland am Welthandel
zu betheiligen und fo feine Macht und Blüte zu heben,
gewiß erreicht werben, da es nicht fehlen kann, daß die
immer mehr erflarkende Induſtrie und die demnächflige
Ausbreitung des Zollvereins bis an das Meer diefem eine
Theilnahme an ben Dandelsvortheiten moͤglich machen wer⸗
den, deren Reciprocität amı Ende doch nur allen Prohibi⸗
tios und Anfeindungszölien der großen Hundelsmächte als
letzter zu erreichender Zweck zum Grunde liegen kann.
F. Liebe.
Dänemark und feine Könige bis zum Antritt des Oldben⸗
burger Haufes (1448). Vom Grafen Ernfi Re:
ventlow⸗Farve. Zwei Theile Kiel, Schwers.
1842. Gr. 8. 2 Thlr. 15 Nor.
Die Weltgefchichte gleicht einem großen Epos, bie i
ten ber Völker bilden bie einzelnen Rhapfodien und bie
ler der Klio find die Rhapfoden. Und wie alle Dichtungsarten
fih auf das Epos als Urquell hiſtoriſch zurädführen taffen, fo
bietet auch die Weltgeſchichte den Stoff gu jeder Dichtungégat⸗
tung dar. Allein fo wahr auch biefe Behauptung wergieidhungds-
meile fein mag, fo wenig kann doch die Möglichkeit gebadht
werden, daB entiweber die Welthiſtorie ober auch nur eine Spe⸗
cialgeſchichte ſich zu einem wahrbaft poetifchen Kunſtwerke ders
arbeiten laſſe Man barf zwar wiederum behaupten, daß ger
wife biftorifhe Grfcheinungen einen abfolut poetifchen Charak⸗
| tee zeigen und daß die SDarftellung berfelben einen poetiſchen
Schwung annehmen koͤnne, ohne ſelbſt in bie Kunſtform bez
Poeſie gekleidet zu fein; aber deſſenungeachtet muß, wie in ber
That auf der Hand liegt, bie Moͤgilchkeit in Abrede geftellt
werden, daß bie poetiſche und biftorifche Kunft je in Eins zu⸗
fammenfallen könne. Der erfle Grund if der, daß bie Quellen
der Wahrheit beiber verſchleden find: die Geſchichte geht vom
ber Anfchauung Aufßerer Thatſachen aus, während die Poeſie,
obſchon unter dem Ginfluffe dußerer Wahrnehmungen und Ein⸗
gebungen bis zu einem gewiflen Grabe ſtehend — das kommt
auf die Dichtungsgattung an —, aus innern Borftellungen
ſchoͤpft und freie Gebilde fchafft. Daher ift ſchon aus bems
Grunde bie griechiſche Poeſie reicher als die römifche, weil ber
erftern eine viel reichhaltigere Mythe zu Gebote ſteht als der
legtern. Die Geſchichte ift beichränkt durch das aͤußerlich Ge⸗
gebene,, die Poeſie dagegen frei durch bas innerlich WBerbenbe
und Geſchaffene. Mit einem Worte: bie erſtere hat es lediglich
mit der Außenwelt, bie legtere mit der innern Welt zu than.
Ein zweiter Grund ift folgender. Die Geſchichttdarſtellung muß
ſich ſtreng an die gegebene Beitenfolge binden, bie Poefte dage⸗
gen entweber an bie, welche die erfoberlihe Darmonie ihrer
orftellungen und inneren Anſchauungen nöthig macht und der
Darftelung Einheit gibt, ober fie entruͤckt ſich namentlig im
ihren hoͤhern Potenzen ber Beit gänzlih. Daher das Gefeg:
bie Geſchichtskunſt bewegt ſich fortfchreitend auf dem Gebiete
ber Zeit fo weit, als ihre Thatſachen gehen, das poetifdge Werk
aber ift an 3eiteinheiten gebunden und wirb nur frei in feiner
Ideenwelt. Ein dritter Punkt ift noch diefer: ber Geſchi
liegt als erfter Zweck die Belehrung ob, und diefer wirb theils
burch reine Erkenntniß der Thatſachen, theild durch Reflerionen
erreicht; die poetifche Kunſt verfolgt zwar biefen Zwed amd,
aber die Mittel, wodurch fie bie Erreichung deffelben möglich zu
machen fucht, find verfchieben: fie gruppirt waͤhleriſch gewiſſe
Einzelnheiten zu einem Ganzen und bemüht fi, durch das
Medium ber Phantafie und bes Gefühle einen Totaleindruck
Hr
| . &s bieten fi num allerbings bem Dichter
bifto Eheimungen dar, bie an und für fich ſchon fo poe:
tiſch find, daß es beinahe nur ber dußern Kunftform bedasf,
um ein dichteriſches Kunſtwerk daraus zu ſchaffen. In biefem
Zalle kann ein Gericht ſogar als eine hiſtoriſche Duelle betradh
tet werden, wie 3.8. bie „Pharfalia’’ des Eucan. Es kann aber
auch ein hiſtoriſches Sujet der poetiſchen Hebung bebärfen, wie
4. B. die „Maria Stuart” von Schiller. Allein ber exfte Kal
macht ebenfo wenig eine allgemeine Geſchichte möglich, ale der
zweite eine eigenttiche hiſtoriſche Quelle fein kann. Verſuche,
umfangreichere Begebenheiten poetiſch zu bearbeiten, find im
Altertbume von ben Römern gemacht worden, 4 B. von En⸗
nius, Lucan und Gilius Italicus. Es find aber dieſe Werfuche
nicht blos deshalb ohne bedeutenden kuͤnſtleriſchen Werth, weil
Ennius zu einer Zeit fchrieb, in weldyer die roͤmiſche Poeſie
erft im Entſtehen begriffen war und die beiben andern Dichter ber
Periode des verfallenden Geſchmacks angehörten, ſondern vorzuͤg⸗
Ih aus dem Grunde, weil das firenge Feſthalten an ber Ges
Ichichte den Dichter unfrel macht, während auf ber andern Geite
ein freies Gebahren des Dichters mit dem hiſtoriſchen Gtoffe
sine flörende Gollifion mit ber hiſtoriſchen Kenntniß erzeugen
muß. Die Griechen mit ihrem feinen Takte und bei bem Reich⸗
thum ihrer Mythen haben dergleichen Verſuche, fo viel uns bes
kannt ift, gas nicht gemacht. Gelbft ihr Roman, obfchon feine
Anfänge in das romantifche Zeitalter Alerander’s des Großen
fallen, Lehrte doch vielfach auf mythiſche Perfönlichkeiten und
blungen zurüd. Die Geſchichtsliteratur bes Mittelalters
trägt bis ins 13. Jahrhundert eine mehr obes minder poetifche
Faͤrbung an fi), aber gleichwol find bie ſchoͤnſten Dichtungen
dieſes Zeitalters nicht aus einem zeinbiftorifchen Grund und
Boden hervorgewachſen, fondern reichen mit ihren flärkfien Wur⸗
zein in ein ZBeitgebiet hinein, deſſen Gntfernung eine firenge
Sonberung ber Wahrheit von der Dichtung nicht mehr zulieh,
am fo weniger, ba den damaligen Dichtern und Geſchichtſchrei⸗
bern bie hiſtoriſche Kritik beinahe ebenfo unbelannt war, ale
unſere Geſchicklichkeit geübt iſt, mittels der großen Retorte uns
ferer Philoſophie die mythiſchen Subſtanzen zu einem hiſtori⸗
ſchen Ather zu ſublimiren.
Nach diefen Grörterungen, bie natürlich noch manchen Su:
fah, noch manche Erweiterung erhalten mäßten, wenn eine
Grihörfung bes Gegenftandes erfoberlich oder bier thunlich
wäre, glauben wir den Maßſtab genommen zu baben, nach weis
chem das vorliegende Werk beurtheilt fein will. Wir können
umnfer Urtheil in wenige Worte zufammenfaflen: es bildet bafs
felbe kein poetiſches Kunftwert, fondern ein hiſtoriſches
NReimwerk. Es tft allerbings die Möglichkeit denkbar, bie
Sauptmomente einer Volksgeſchichte ober bie hervorſtechendſten
Charaktere, Creigniffe und Thaten poetifh aufzufaſſen, na⸗
mentlich um fie befto leichter dem Gedaͤchtniſſe des Volks einzus
prägen, allein eine ſolche fireng chronologiſche Dichtung, wie
fie der Verf. gegeben bat, iſt ebenfo wenig geeignet, Eindruck
zu machen ober Begeifterung zu erregen, als geſchichtliche Be⸗
Jehrung zu erzielen. Das Ganze leibet an Gintönigleit, bas
Bebeutfahnere verfhwimmt in der großen Mafle bes Gleichguͤl⸗
tigen oder linbebeutenden und nur einzeine Momente, denen «in
yeetifcher Charakter entwerer ſchon inwohnt, ober leicht zu ers
Sheilen war, heben fidy hervor und unterbrechen auf eine ange
mehme Weife die Sinförmigleit. Diefe legtere ift aber insbeſon⸗
dere theild vermöge der allgemeinen und langmährenden Indi⸗
vibualität bes Mittelalter hervorgerufen worben, theils dadurch,
Daß bie ganze Darftellung ſich chronologiſch lediglich an bie Koͤ⸗
usige und beren Schickſale und Thaten anknuͤpft. Bon den
ebiern und befiern Regungen der Geifter, bie doch auch das daͤ⸗
niſche Mittelalter, namentlich in feiner zweiten Hälfte, aufzus
weiſen bat und die unter Kämpfen, Morden, Berrath und
Berwüftungen bem beobachtenden und theilnehmenden Lefer der
Geſchichte eine nicht minder nöthige ale angenehme Erholung
gewähren, zeigen fih nur geringe Spuren. Übrigens find wir
der Meinung, daß ber Verf. der gefammten Darftelung noch
dadurch wefentlich gefchabet habe, daß er e, vierzeil
Jambenverſe gewaͤhlt und nicht in einer Be 9—
die durch ein umfaͤnglicheres Rhyythmenſyſtem auf ber einen
Seite mehr Mannichfaltigkeit, auf der andern aber eine größere
Einheit und größern Gindrud erzeugende Zotalität zur Folge
gehabt haben würde. Die kurzen Verſe ermüben ebenfo fehe
bei dem Umfange des Werke, ais fie bie Serriffenheit des Vor⸗
trags befördern und ben Eindruck ſchwaͤchen. Überdies ſchlaͤgt
bie poetiſche Diction nur zu oft in Profa ober in eine unges
lenke Gonfteuction um und der Einfluß des Reims auf bie ge=
waͤhlten Wendungen und Wörter iſt nur zu oft ſichtbar. Wie
möchten das Ganze, um une fo bezeichnend als moͤglich auszu⸗
druͤcken, einen literariſchen Baſtard nennen: es tft weder reine
Poeſie, noch reine Geſchichte, es iſt von beidem etwas. Wir
haben es um fo lebhafter empfunden, wie wenig ruͤhmlich die
meiften Eigenſchaften bes vorliegenden Werks find, da wir
eichzeitig mit der Lecture der Erefflichen Preisfchelft Allan'g
die Geſchichte ‚Dänemarks beſchaͤftigt waren. Die eble
proſaiſche Sprache dieſes Schriftſtellers befit eine ungleich flärs
kere Anziehungskraft als bie Poeſie oder richtiger die gereimten
Verſe unfers Verf. Aus einzelnen Stellen geht inbeh bervor,
baß bemfelben ein gewifles poetiſches Talent inwohnen müffe;
allein es fcheint die Ausbitdung zu mangeln, fowie die fiber
kugung, daß Etwas, was einmal nicht poetifch ift, trotz aller
erfification und alles Reimens, auch nicht Poefie werben Tonne,
„ Um nun unfer Urtheil zu beftätigen, befonders infofern
wir oben bemerkten, daß ein Hifkorifches Factum, en im
an ſich ſchon eine poetifche Anlage eigen fei, mit Leichtigkeit bie
bichterifche Kunftform annehme, zugleich aber auch zum Weweis,
daß dem Serf. das Dichtertatent keineswegs völlig abgehe, her
ben wir eine der beften Gtellen des ganzen Werks aus, meis
nend, daß unfern Leſern mit einer guten Stelle mehr gedient
I as ad einer Tetehten. wi König Erich Gtipping wich
e egenpeit einer Jagd, auf ber er fich verirrt bat
Berichworene ermordet (1286): ſich hat, durch
Ein kalter Wind durchdringet Juͤtlands Gauen,
Die Duchenwaͤlder ſtreifte er ſchon ab,
Und bie gebraͤunten Eichenkraͤnze ſchauen
Geſenkten Haupts auf das bemooſte Grab.
Da kommt der Sturm, die Eichenkraͤnze fallen,
Entblättert ſtarrt des Waldes Niefenbaum ,
Sein Schmuck, die Pracht der himmelhohen Hallen,
Berſchwand, gleichwie des Lebend Blaͤtentraum.
Und durch den Wald und durch die dunkle Haibe
Schleicht eine finſtre Schar im Moͤnchsgewand,
as ob fie ſelbſt den Schein des Mondes meide,
Rachdem der Sonne Licht in Naht verſchwand.
Den Geiſtern glei verſchwinden jene Schatten,
K durch die Naht tönt Hell der Jaͤger Dorn,
Die fih im dichten Wald verloren Hatten
Und ſuchen eine Bahn durch Halb und Dorn.
Der König Erich iſt's mit feinem Knappen,
Des Truges Ebenbild, er iß's und finnt
Auf feinem ſchaumbedeckten Dänenrappen,
Wie er des Walded Ausgang bald gewinnt.
Der König läßt fein Hiſthorn flärker tönen,
Treu fendet es den Auf durch Wald und Mur,
Doch Alles ſchweigt und nur die Eulen Höhnen
Den König, welcher folgt bed Knappen Spur.
Bon Wiborg war er jagend ausgezogen
Unb Hatte fih in Haid' und Wald verirrt,
Durd Zügen feined Knappen ſchler betrogen,
Der wiſſentlich des Königs Sinn verwirrt.
Moch glänzt der Mond, doch ſchwarze Wollen ziehen
Und Lung birgt ihre keuſches Angeſicht,
Als wolle fie den Pfad des Truges fliehen,
Worauf den König führt ber Boͤſewicht.
662
Und ziehend weiter umter dunkeln Fichten,
Erreicht er, als das Auge klarer ſchaut,
— Der dichte Wald beginnt ſich ſchon zu lichten —
Ein Scheunendach von Holz und Halb’ erbaut.
Hier will der König jegt der Nude pflegen,
Indeß fein Roß fi ſcheut und warnend ſchnaubt,
Doch muß ed ſtumm fih bin zur Ruhe legen,
Weil Bott ihm nicht die Rebe bat erlaubt.
Doch fällt kein Schlaf auf König Erich's Glieder,
Umbült von ded Werratdes finſtrer Nacht,
Indeß der Uhu fehättelt fein Gefieder,
Sein Feueraug’ die Mörder flarr bewacht,
Die dreizehn an der Zahl, dad Haus erreichen,
Wie Wölfe, die fi einer Deerbe nahn,
Und Alle, als des biut’gen Bunded Beiden,
Mit Kutten grauer Brüder angethan.
Stig Anberfen winkt jest der Mörberbande,
Graf Jacob, Palle und noch Andre mehr
Bon Unzufriedenn Im Dänenlande
Stehn Ale barrend um den Kührer ber.
Doch als der Doi in feinen Händen bliget,
&o ſtuͤrzt die gottvergeß'ne Moͤrderſchar
Auf Erich, der im Stroh verborgen fitzet.
Dooh bald ein Opfer Ihrer Doiche war.
Dann übergeben fie dad Haus den Flammen
Und eilen fchnell nah allen Winden fort,
Indeß die Scähredendftätte bricht zufammen
Und Aſche deckt bed graufen Mordes Drt. .
Durchbohrt, zerfleifht von mehr als fiebyig Wunden,
Wird Erich, ald bad Morgeniiht erwacht,
Inmitten Schutt und Aſche aufgefunden,
Al graufes Opfer ber Caͤciliennacht.
Sein Roß entflieht und mit ihm Dänentreue
Durh Wald und Gau, durchs ganze Waterland,
Bis endlich Fürft und Volk, erfült von Reue,
Bon neuem eint ber treuen Liebe Band,
Sowie das ganze Werk mit einer kurzen poctifchen Debis
cation an bie Königin von Dänemark beginnt, jo endet daffelbe
mit einem poctifhen Schlußworte, das eines norbifchen Skal⸗
den nicht unmürbig ift und jedenfalls dem Verf. zur Ehre ge:
reiht. Auch wir wollen unfere Anzeige des Werks mit dem
Schlußworte deffelben befchließen :
Wer führte freundlich mid Berg auf Berg ab
Durd die Gefilbe jener fruhern Zeiten,
Mer war mein fihrer Zroft, mein Wanbderflab,
Der Borzeit Meeredfluten zu burdhfchreiten ?
Du nur allein, bu gabft mir Kraft und Muth,
Und unbetümmert folgend deinen Spuren
Beſang ih, ſchauend in die blaue Blut
Des Meers, ber thatenreihhen Vorzeit Fluren.
So ſende ich auch dir mit Zuverſicht
Des Dfſtſeeſtrandbes heimatliche Lieder,
Wo jede Woge rauſchend zu bir ſpricht:
D Dahlmann, kehre bald zum Strande wieder.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Shalfpeare in Frankreich.
Wenn jest einige neuere franzoͤſiſche Kritiker die Behaup⸗
tung aufzuftellen wagen, Deutfchland, ja England ſelbſt habe
Shakfpeare erft von Franfreih aus kennen lernen, fo ift das
wirklich ein ſtarkes Stuͤck. Als bätte nicht Voltaire den briti-
ſchen Dichter als ein monstre ber allgemeinen Verachtung preis:
gegeben, und als hätten die Sranzofen nicht die erbärmlichen
Überfegungen feiner Iragddien von Ducis auf dem Gewiffen!
Wirklich Hat man erft ſeit einiger Beit in Frankreich angefane
gen, die unfterblichen Werte Ghalfpeare’s zu würdigen. Co
geſchehe bier nur der Bearbeitung „Heinrich's IV.“ Erwaͤh⸗
nung, bie auf dem Theater bes Ddeon unter dem Zitet
„Walstaf'’ zur Aufführung gelommen ift. Die beiben jungen
Dichter, Maurice unb Bacquerie, von benen biefe Arbeit here
ruͤhrte, find in den Geiſt des englifchen Dichters eingedrungen.
Leider find auch fie von dem Wahne befangen, als müffe man
Shakſpeare für die franzöfifche Bühne erſt zuflugen. So haben
fie fih, wenn fie beim „Kalstaf” fchon gar zu willkuͤrlich ums
fprangen, bei ihrer neueften Arbeit noch flärkere Abweichungen
vom Drigfnale erlaubt. Statt nämlich eine einfache Überfegung
bes koͤſtlichen „Ende gut, Alles gut” zu geben, haben fie nur
einzelne Züge baraus genommen und ein neues Stuͤck gemacht,
dem fie den Namen „Le capitaine Paroles” gegeben haben.
Auf diefe Art iſt aus einem lebendigen Luftfpiele eine bloße Sil⸗
houette geworben. Trotzdem kann man ben Bearbeitern das
Verdienft nicht ftreitig machen, daß fie einzelne Zuͤge Shaffpeare's
auf das fehlagendfte wiedergegeben haben. in anderer talente
voller junger Dichter Namens Roger (er iſt ein Sohn des verr
ftorbenen Mitglieds der Academie francaise), ber fi d
die bizarre Dichtung „Oléar“ befannt gemacht hat, ſcheint
jest gleichfalle dem Studium Shakſpeare's zu mwibmen.
erſte Frucht feines Umgangs mit dem größten Dichter ber enge
liſchen Nation find bie „Beautes morales de Shakspeare”
(Paris 1843). Im Ganzen ift die Übertragung des „Rear“
und einzelner Scenen von „Heinrich IV.“, bie uns bier geboten
werden, gelungen. Leider hat der Verf. ſich genöthigt gefehen,
einzelne Schönheiten feines Originals fallen zu laſſen. Ss iaͤßt
ſich dies indeffen, wenn in Berfen und noch dazu in franzäfte
ſchen Verſen überfegt wird, nie vermeiden. Roger ift Profeflor des
Engliſchen am koͤniglichen Collegium St. Louis und hat vor
kurzem einen Cyklus von Borträgen über die englifche Literatur vor
einem gemifchten Publicum gehalten, bie fehr angefprocdhen haben.
Adelsalmanach.
Wenn es in Deutſchland mehr als eine Adelszeitung gibt,
fo finden wir dies ganz natuͤrlich. Aber in Frankreich, wo bie
Revolution reine Bahn gemacht bat, wollen uns berglsidgen Er⸗
fcheinungen Anachronismen duͤnken. Wir wiffen deshalb auch
nicht, 0b ber ‚Annuaire de la pairie et de la noblesse de
France” von Borel b’Bauterive ſonderlichen Anklang finden
wird. Es wird in bemfelben nad Art des -befannten „Al-
manach de Gotha‘ eine Chronologie aller fouverainen Pänfe
Europas und außerdem noch eine Genealogie der vornehnaflen
berzogtichen und fürftlichen Yamitien gegeben. Als Beilage em
hält man ein „Precis historique de la pairie en France”
und ein „Precis el&mentaire de blason”,
Die Ariflotelifhe Philoſophie.
Coufin bat fih das unfterbiihe Werbienft erworben, dem
Stubium der griechiſchen Phitofophie in Frankreich einen neuen
Aufſchwung zu geben. Rad ihm haben fich einzeine Gelchrte
in dieſes weite Gebiet getheilt-. So hat 3.8. Barthelemy St⸗
Dilatre, deffen Titerarifche Beflrebungen wir in db. BL. zu wies:
derbolten Malen erwähnt haben, feine ganze Kraft der Philo⸗
fophie des Ariſtoteles zugewendet. An feine Schriften, die der
Erläuterung dieſes Philoſophen gewidmet find, ſchließt ſich ein
Wert an, von bem vor Eurgem ber erfte Band die Prefle ver
laſſen hat. Es ift dies die libertragung der „Metaphufit?? des
Ariftoteled, von der zwar einige ditere franzoͤſiſche Bearbeityne
gen eriftiren, von benen aber, fo viel wir wiffen, keine einzige
im Druck erſchienen ift. Die Verf. biefer neuen überfegung,
zwei ehemalige 3öglinge der Ecolenormale, Alexis Pierron und
Charles Zevort, haben ihrem Werke, das mit Recht ihrem Leh⸗
rer Goufin gewidmet ift, mehre ausführtiche Anmerkungen beis
gefügt, die auf bie dunkelften Partien der Ariftotelifchen Lehre
ein helles Licht werfen. 2.
Verantwortlicher Herausgeber: Deinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von 5. 4. Brodhaus in Leipzig.
ws. 1. — — er
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Freitag,
19. Mai 1843,
Überfiht der neueften poetifchen Literatur.
Erſter Artikel.
1. Thalblumen. Gedichte von Fr. Ser. Schanza. Zwei
Bändchen. Wien, Gerotd. 1842, Gr. 12. 1 Ipir.
An dem verfificieten Borwort bittet ber Berf. den Leer,
auf den Pleinen, erfigeborenen (?) Nachen, den er durch die Wo⸗
gen (der Poefie) leite, einen gewogenen Bid zu werfen, ta e6
Schiffers Zuverſicht ftärke, wenn er in bie heilverheißenden
Augen ber Sterne blide. Offenbar ift er ein Reuling im Kahn
führen und ein etwas unbeholfener Schiffer. Das melodiſche
Wellengefäufel will er durch pretidfe Ausbräde (mie wir denn
gleich in der erſten Nummer auf „ſaͤuſetfrohe Zauben, Harmo⸗
nientrdume und Radhtigaligeflüfter” floßen) hervorbringen; aber
ee bedenkt nicht, dap es der Geiſt und nicht bad Wort ift, was
lebendig macht und Klänge fchafft. Überdies fieht man ben
meiften Liedern die Mühmaltung, das Gemachte, die Geburts:
wehen an, unb in ben Romangen offenbart fich eine unklare und
ſchwuͤiſtige Redfeligkeit. Den luſtigen Bräbern ruft er warnend
mu: „die Jugend flieht; darum genießt, was Okkaſio (sic!)
gibt, trinke, et, tanzet und lieber”, und &. 48 ruft er
einer entfernten Wilhelmine gu:
Es birgt die Bonn’ ihr ſtrahlendes Gefieder,
Und fintt beſcheſden am Dorizonte nieder,
Do& nit mit ihr mein Herz, das ſtets ein Kranz umflicht,
Der finnig bentt (117%): Vergiß mein nicht.
An biefee Probe wird ber keſer errathen, weß Geiſtes Kind uns
fer poetifcher oͤſtreichiſche Schiffer fei, und wirb zugleich bezwei⸗
fein, daß ein Auge mit Beifall auf den ſchlecht gezimmerten
und fchlecht geführten Kahn biicke.
Wien, Bed. 1842,
2. Gedichte von Bincenz Zusner.
Gr. 8. 20 Par.
Bier offenbart fich eine Klarheit und in ber Klarheit eine
Semüthlichkeit, die Jedermann verfländlid wird und bei der
man glaubt, die Sachen ſchon irgendwo gehört ober gefehen zu
haben. Man ſuche nichts, was Aber bie Sphäre des Alltags:
lebens hinausgeht, Fein großartiges Bild, Leine Plaftil, Leine
Bäßnen Gedanken; hier tft nichts als fließende Verſe, correcte
Sprache, Reinheit bes Reims, Gingbarkeit der Weifen und ly⸗
rifche Behaͤbigkeit. Die großen Lettern, das Format und das
weiße Papier machen das Buch zur Lecture für Greife und
Matronen gerignet, die mit unbewaffnetem Auge fonft nidt
leſen können.
3. Blüten der Liebe. Bon Wilhelm Torffſtecher. Prenz⸗
lau, Bincent. 1843, 8 35 Nor.
Nicht gern fagen wir bei Sängern beutfcher Lieder: no-
men - omen; aber bier liegt’8 nahe. Der Verf. dieſer Gebichte,
an denen ber Titel das Beſte iſt, fördert nirgend edles Metall
zu Xage, ſondern höcftens jenen ſchwarzbraunen vegetabilifchen
Brennftoff, der trog feines übeln Geruchs in vielen Gegenden
unſers Vaterlandes cin Surrogat bes Brennholzes geworben ift,
und wenn er auch Afthetifche Skandale vermeidet, ß ift ee doch
Träumen barf ih nicht,
Handeln kann I nit,
Lieben fol ich nicht,
Klagen will ich nit:
So gelinget mir benn au kein Gebicht.
4. Gedichte von ©. E. Cloſter. Nürnberg, Stein. 1841.
Gr. 12. 15 Nor.
Mit weniger Selbſtgefaͤlligkeit ale Hr. T er und
nicht ohne Anlage für Epifches auftretend, bietet diefer batrifche
Sänger in gar bunter Reihe, auf etwas graues Papier gedruckt,
NRomantifches, Srotifdye® und Naturgemaͤlde, worin fi) mander
Gedanke und mandyes Bild findet, das uns erhebt; aber häufig
werben wir burch einen hoͤchſt profaifchen Gedanken wieber ber:
abgezogen in bie nücdhternfte Nuͤchternheit; inbeffen darf die Kris
tik Teinen zu firengen Maßſtab an biefe Lieder legen, bie, einem
Burgen Borwort zufolge, eigentlich nur dem Kreife einer engern
Tyheilnahme beflimmt waren. Gut gehalten iſt „Byron's lehter
Troſt“ (S. 94),
5. Gedichte von A. ©. B. Merlinau. Berlin, Mittler.
1842. Gr. 12. 10 Nor.
In der erften Nummer, einem Sonette, legt der Verf. dem
Leſer feines Beiftes junge Blüten vertrauensnoll in bie Hände,
belehrt ihn, er finge nur von Treue und Baterland, nehme
mebr das Gemüth als den Verfland in Anſpruch, wünfcht herz⸗
ih, au gefallen, und ſchließt mit ber Werficherung, er werde
fein Saitenfpiel zertrümmern, wenn es Misfallen und Lange⸗
weile weden follte. Indeffen hat es bamit gute Weges Dr.
Merlinau, der ein junger patriotifcher Berliner zu fein fcheint,
wird in dem efwaigen Tadler feiner patriotiſchen Akroſtichen
u. ſ. w. gewiß nur den haͤmiſchen Kritikus oder den blaffen
Neider wittern und wird weiter fingen.
6. Rheinifche Kotsharfe. Herausgegeben von Jakob Stang.
Bonn, Habicht. 1841. Gr. 12. 20 Nor.
Das Büchlein gibt topographifche Gemälde, rheiniſche Los
calromanzgen, patriotiſche, erotifche und gelegentliche Reime ohne
Geiſt, worunter „Was brallt?” (©. 87) das ift, was bie frans
söfifche Sprache coq-a-l’äne nennt.
1. Heemskerk's Seezug nach Gibraltar. Gedicht von A. Bo:
gaers. Aus dem Niederländifchen übertragen von F. W. v.
Mauvillon. Rotterdam, Baͤbeker. 1842. Er. 8. 25 Nor.
Im 16. Sahrhundert Eonnte es ber Monarch Spaniens
nicht über feinen Stolz gewinnen, die Freiheit und Unabhängige
keit Hollands anzuerkennen. Im Anfange bes 17. Jahrhunderts
befchloffen die Staaten ber Vereinigten Rieberlande, diefe Aners
fennung zu erzwingen; de züfteten zu dem Ende eine Flotte
aus, deren Commando dem Admiral Heemekerk übertrugen,
—** den Spaniern vor GSibraltar bie Seeſchlacht lieferte, bie
in biefem ſplendid ausgeſtatteten Buche befungen if. —æ
criangte durch dieſe Schrift den von ber hollaͤndiſchen Geſellſchaft
für ſchone Künfte und Siſſenſchaften ausgefegten Preis. Hr.
v. Maupillon hat es zu Nug und Brommen ber Deutſchen vor:
treffiäg übertragen, unb bat fehe wohl daran geiban, ba wir
bis a mit vorhefmer Gleichguͤltigkelt auf die Erzeugniſſe wie
berländifcher Poefie geſchaut haben. Hätte ein beutfcher Dichter
indeffen diefen Stoff fo bearbeitet, wie bier zu leſen iſt, fo iſt
es die Frage, ob er den Preis erhalten hätte; denn wenn wir
die pattiotiſche Wärme hinwegnehmen, die aus dem Ganzen
haucht, fo bleibt ein winziger äfthetifcher Werth und Gehalt,
der noch obendrein durch den Mangel an epiſcher Kürge ge:
ſchmaͤlert wird.
8. Gedichte von ©. Schellenberg, geb. Biedermann,
Berlin, Reimer. 1841. Gr. 12. 230 Nor.
Cine Dame. Sie liebt zu reflectivens doch wänfchten wir
diefen Reflexionen etwas mehr Geiſt. Das Gelegentliche erhebt
ch kaum über Zriviales und ben Namen ber deutſchen Sappho
wird ſich die Verf. ſchwerlich erfingen.
9. Elmire und Ferdinand, oder: der Liebe Heldenmuth. Von
Beiebeic Graf Hochenegg. Leipzig, Hunger. 1841.
. 1 Zpie. 10 Nor.
Ein im Bänkelfängerton, ober im Geiſt der Romanzen, ges
druckt in diefem Sahre abgefaßtes Buch, in deſſen Lecture wir
nicht weiter ats bis S. 34 kommen konnten — in ber That
unter aller Kritik.
10. Kauft. Ein Gedicht von Woldemar Nürnberger.
(M. Bolitar.) Berlin, Logier. 1842. 8. 15 Nor.
Obwol ledbarer als ,„KElmire und Ferdinand“, wird bie
bier genaunte Ilias post Homerum doch immer nur nürnberger
Zand auf dem Bazar unferer neuern epiſchen Literatur bleiben,
und wir bezweifeln beinahe, daß felbft derjenige Kunſtrichter
gänftig darüber urtheilen wird, der im Stande fein follte, von
jeglicher Paralleie mit dem gleichnamigen Goethe'ſchen Meifters
werke zu abſtrahiren. Dex Hier auftretende Fauſt iſt ein gauz
gemeinen liederlicher Geſell, den zwar aud die Wiſſenſchaft nicht
befriedigt, ber ſich aber dem Mephiſto nicht ergibt, damit ihm
dieſer den Wiſſensdurſt Löfche, fondern damit er ibm Mittel und
Gelegenheit fchaffe, die ungezähmten Lüfte und Begierben zu bes
friebigen, bie ihn verzepren. Das thut denn auch biefer wirt
lich gemeine, ſchmuzige, ber Wöllerei und Trunkſucht ergebene
Teufel veblich und ſchuͤrt des Lehrlinge unkeuſches Feuer, in⸗
dem ex bemielben in Hätten und Paldfien Nahrung zuführt.
auft if Mebicus und Anatom; aber er bat bie menfchliche
tue nicht ſtudirt, noch das pfochifche Weſen anatomirt ; ſei⸗
ner Zeeltanfäauung mangelt Originalität und Ziefes bie Er:
eigniffe, felten gehörig motivirt, (einen bunt zufammengewürs
feit zu fein; bie Charaktere find mit einem unſichern, bie Ras
turreize mit einem plumpen Pinfel gemalt; Anfland und Gitte
wird oft verlegt; ſchuldloſen Jungfrauen muß bas Buch ein
Abſcheu, heipblütigen Juͤnglingen wird es ein moralifches Gift
fein. Nur ber Shtuf iſt originell und ſelbſt ergreifend; benn
der Rabe bes Hochgerichts, der bem an Geiſt und Leib gerrüttes
ten Wüftiing die Krüde in die welke Hand gibt, involviert einen
ſchen Gedanken. Die Berfe verrathen hin und wieder Ger
wandtheit im Ausdruck, aber der Reim ift nicht immer rein;
die Gonftruction iſt Häufig regels und geſchmacklos; auch an
Druckfehlern feblt es nicht; Summa: diefer „‚Baufl” konnte
fuͤglich im Pulte des Hrn. Nuͤrnberger verſchloſſen bleiben.
11. Vermiſchte Gedichte von D. C. ©. D. Hanfemann.
Hamburg, Perthes⸗Beſſer und Mauke. 1841. Gr. 12. 2 Ngr.
Zweck der Herausgabe des Buchs iſt Unterſtuͤzung ber Blin⸗
benanftalt in Hanover, weshalb auch voran ein langes Sub⸗
ſcribentenverzeichniß; Geift ded Buche ift der der alten Schules
der Inhalt deffeiben befteht in 26 Geburtstagsgedichten an Ber:
wandte, Freunde und hohe Goͤnner, in verfchiedenen Epithala⸗
mien, Gonetten, Scherzgebichten, Neujahrsliedern, Oden und ei:
bes Ir? u,
Bun nbeefehung be ainfangt von Dfflan’s „Bingat”. Moͤge ber
13. Gedicht i g . ,
5 —* von Briedrich Ludwig. Kaffel, Fiſcher. 1842.
8
Diefe von einer gewiffen Jugendfriſche angehaudhten Liedes
verratben in ibn Iingspreisgefängen —— in ihren
religioſen Hauchen fhommen, in ihren erotiſchen Erguͤſſen weiches
Gefuͤhl und in ihren vermiſchten Klaͤngen eine gehaltene Phan⸗
taſie; aber wir konnten nicht eines als ausgezeichnet notiren,
und ſie gehoͤren in die Kategorie derer, die unbeachtet von den
Wellen bes Zeitſtroms hinweggeſpuͤlt werben.
13. Gedichte von Henriette Braus. Barmen, Langemief
1843. Gr. 12. 25 Ror *
Wollen wir der Wahrheit bie Ehre geben, unb wir müfs
fen bad, ſelbſt auf bie Gefahr bin, bes ſchoͤnen Sängerin wehe
zu thun, fo gehören auch diefe Lieder, aus denen fid) einige Ans
lage für Epiſches kundgibt, zu ben Blumen, bie fie S. 217
dem Dichter darbietet. Ref. fagt mit dem Dichter:
Mein Kind, warem mir Blumen wäßlen,
Da ihre Schönkeit kur) nur lacht?
Kaum freut an ihnen fih bad Auge,
So weltt fdon ihre Farbenpracht.
14. Gebichte von Wilhelm Stens Komm, Habicht.
®r. 8 1 Thlr. 15 .
Ein gebüdeter Geiſt, eine wadere Geftnnung,
Gefuͤhl laſſen ſich diefem Sänger nicht abſprechen; aber damit
läßt ſich heutiges Tages im Steiche der Wtufen kein hoher Es⸗
senpoften erklimmen; ber Kunſtrichter ſowol als bad verwoͤhnte
Publicum verlangen mehr vom Dichter der Jetztwelt als Regels
und ' be’ (@. 7), „Auffoberung” (S. 21), „Giegie i
Winter” (&. 172) aus „Die —— —* —*
ſchende Gedanken, neue Biider, kuͤhne PYhantafirflüge ſucht man
vergebens. Des Erotiſchen finbet fi wenig. Als Gelungenes
notirten wir „Menſchen und Ratur” (©. Yn, „an Louife‘‘
(S. 52); unter den Sonetten, bie einen nicht unbebeutenben
Theil des Großoctavbandes füllen, beuten wir beifällig bin
Nr. 38 (©. , Ne. 40 (&. 290); unter den Ghaſeren auf
Ar. IV (S. 2394); unbebeutenden Di
&
auf „Der Kranz’ (©. ), „Die Blinde” (G. . DE
©trom" (&. 97165) if in Borm und Geif * einigen
Themen völlig der Schiller'ſchen „Glocke“ nachgebildet
wire ewiß Beifall gewinnen, wenn biefer Strom nicht zu
breit wäre und man nicht unwillkuͤrlich an das Vorbilb, wor⸗
nad er gearbeitet ift, erinnert würde. Ginige antik gemeffene
Stuͤcke find in metriſcher Dinficht mit Geſchicklichkeit behandelt;
um jedoch dem Berf. zu beweifen, baß wir feine Berſe pflicht⸗
mäßig gewärbigt haben, welfen wir auf einige Werfiöße in ber
Gcanfton hin; 4. B. &. 28 im Serameter hat er gemeffen:
‚waftand”, ©. 353 im dritten @onett heißt es: ich fehe mit
Gntzüden euch „hernapa”, S. 431 „zuwinft”, ©, 227; „wen
u — U
rief Neptun”, ©. 203 ift ein Spondeus im zweiten Zeil des
Pentameters; in mehre Sonette laufen fechsfüßige Jamben,
vgl. 3. B. ©. 273, 274, 278, 281, 282 und 283; in ans
dere verirren fi Yünffüßier. Der Verf. halte diefe Bemer⸗
Fungen, namentlich in Bezug auf die Sonette, ja nicht für Pe⸗
bantismus oder Spfitterrichtereis Boileau, wenn er fonft mod
als Autorität gilt, fagt: „Un bon sonnet vaut seul um Jong
po&me,”
15. Die Kriegskunſt. Lehrgebicht in ſechs Geſaͤn aus bem
Franzoſiſchen Friedrich des Großen metrifi ‚ überfe von
&. 4. Springer. Berlin, Heymann. 1842. 16. 18 Res.
Der Überfeger legt diefes didaktiſche Bebicht aus der Feber
bed großen Preußenkönige dem Prinzen von Preußen als Opfer
Sr
aa ung au Bien; und wer wollte ſolche Ce:
16. Bluͤten des Ailers von Karl Lappe. Stralſund, Löffler.
1841. &r. 8 | hir. “
Man wirft dem Alter Geſchwaͤtzigkeit, Tadelſucht ber Jetzt⸗
weit und verdrießliches Weſen vor, unb von einem bichtenden
Gerife behauptet man gewöhnlich, bas zur Poeſie nöthige Feuer
fei in feiner Bruſt erloſchen, er fei mithin unfähig, in dieſer
Hinſicht etwas zu leiſten;
reis nicht ‚ ber ben Boben ſeines warm fchlagenden
Hergens viel beffere Bluͤten unb Fruͤchte abzugewinnen weiß, als
feine Sandsieute den fandigen Schellen des Pomwerlandes. Wir
bönen hier das anmuthige Gepiauber eines beitern, freundlichen
Greiſes, deſſen gemüthtiche Reflexionen ſich licht in Ryythmus
und Reim. ſchmiegen, oft aber auch fich im ungebunbener Rede
ewgeben, ober fogar Monologen gleichen, bie alte Leute zu halten
Heben; &. 65 ftürzt er ſich ſogar in „Bute Nacht an mein
Herz ins Metrum und wieber hinaus, unb wir meinen, in
dieſem Treiben offenbare ſich eben fein Dichterberuf; in Folge
eines unabweisbaren Dranges muß er ſich ausſchuͤtten. Gewiß
hatte er nie nöthig, bie Berſe an den Fingern abzuzaͤhlen; uns
befümmert um Korm und Metrum, gibt ihm der günftige Mo»
ment ungefucht beibes. Doch ficht bapin, ob dieſe gemüthlichen
und Eunfllofen Grgäffe vor den Augen moderner Kunſtrichter
und ber Jugend Gnade finden; benn ein lebhafte, das Auge
beftechendes Farbenſpiel haben fie nicht; ſie find Probucte einer
langen Erfahrung, einer prüfenden Weisheit, eines patriotiſchen
Sinns, eines warmen Herzens, gedankenreich und kraͤftig. Im
„M. K. Gicero’ (©. SU) wird er ber Apologet bes Altenb:
Was wirft man doch dem Alter vor?
„Es hemmt die Wirkfamtelt?”" — Mit nichten!
„Aber dab Gedächtnis wird gefhwädt?
Ich kenne noch die ganze Welt mit Namen.
„Dem reife fehlt die Sänglingätraft?” —
Ich Bann noch immer mehr, als wie man fobert.
„Das Alter barbt an finnliher Luſt?“ —
D ſchoͤne Gabe, wenn es und von bem befreit,
Was unfre Jugendzeit erniebrigte.
„Der Tod ift vor der Thüre?” —
Auch Kinder ſterben, Juͤnglinge und Männer.
Eine erfte Leiche auf einem neuen Kirchhofe läßt er (S. 3) un:
zufrieben mit dem ihr angewieſenen Pläschen fagen:
O, wie beneib’ ich jene drüben,
Die gefellig wohnen, Wand an Wand,
Wie im Dorfe ber Bebenbigen ı
Meine längfigeftorbenen Ättern,
Meine voraufgegengenen Kinder,
Deine Bekannten und NRahbardlente !
Werft mir von ihren vermorſchten Särgen
Ginen Gplitter mit in die Gruft!
Es wird mir ein Tre fein!
Ebenſo originelle Gebanken und Keflexionen finden ſich (&. 10)
in „Die Doppelgemeine’, eine plaſtiſche Barftellung und lebendiges
Gemälde einer Gemeine, bie Sonntags zur Kirche u, mit
treffenden Binbeutungen auf kirchliche Zuſtaͤnde ber Jetgtwelt
und bie Geiſttichen unſerer Tage. Gehoben wird das Ganze
dadurch, daß ber Dichter mit den Lebendigen bie früher verſtor⸗
benen Mitglieder ber Gemeine zum Gotteshaufe ziehen und bas
zin Patz nehmen ſieht als unfidhtbare Zuhörer und Beter. An
ben Paftor läßt ex die Mahnung ergehen:
Schwarzer Dann, dort im Berfluffe,
Der du treten ſollſt auf die Höhe,
Und verkünden bad Wort bed Allerhoͤchſten,
Einwandlos predigen unb fdhelten
ine Siodraftunde fang —
Diſt du auch wärbig bereitet?
Daft du auch gruͤndlich flubizetz
Bom Montage ab bie ganze Woche? ‘
biefe Vorwürfe können den jowialen |
In jeder gäuftigen Gtunde
Gedanken geſchoͤpft und gefichtet,
Pruͤfend aufgefchrieben, ſchwarz anf meiß,
Memorirt, was fi tuͤchtig bewährte?
Haſt du das Bold des Munde geſchmiebet?
Fuͤhrſt du goldne Apfel in fllbernen Schalen ?
Oder ware bu weltlich gerichtet ?
Tag' aus, Tag ein bi6 zum Sonntagmorgen ?
Vertroͤſteſt di und und mit bem,
Was der Geiſt des Augenbiides
Dürftig genug zutröpfeln wirb ?
Sage nit: „Ich fehe leere Bänke;
Wie fol Hier Begeifirung fi entflammen?”
Dich fol die Stelle begeiftern,
Nicht Hinz und Kunz, nit Ehriſtel und Käthe,
Au iſt dad Haud mit nichten leer,
Es iſt vollgebrängt zum Crftiden.
Du ſiehſt fie nit; fie ſehen dic,
Ste ſchoͤpfen lauſchend jebed Wort,
Nehmen es mit in die einfame Gtille,
Auch find’ ja nicht die Laien allein,
Swanzig, dreißig Maͤnner vom Bade,
Ein hochwuͤrdiges Confiſtorium u. f. mw.
Bie warm und verftändig ſchwaͤtt und monologifirt er (8. 14)
über „Bücher und Bilder”; wir würden das Stüd für den Les
fer in feiner ganzen Länge bier abbruden laffen, wäre ber
Raum uns nicht fo fehr beſchraͤnkt. Daffelbe würden wir thun
mit dem anfprechenden Idyll oder Kindermaͤrchen (S. 16)
„Mutter Tanne“ überfchrieben, bas in naiver Darftellung ein
Muſter if. Gleiches Eob gebührt dem Monologe, den (S. 42)
ein flerbender Greis hält, woraus nur zur Probe die Worte
bes Scheidenden:
Mein Schöpfer und mein Bert,
Mein unumihräntter Gebieter und mein Richter,
Obwalter über den Wurm, der fib kruͤmmt,
Den du jeden Augenblick
Nach erhabener Willkuͤr
Ververben konnteſt und vernichten,
Wie bu ihn hervorgerufen, ohne Ihn gu fragen,
An unerlannte Belege ihn gebunden,
Sins Bahn ihn führf, bie Hinter ibm verfintt,
Während vor und neben ihm
Undurchdringliches Dunkel rudt —
Dem du aber für den Augenblick,
Ihm bad aufdrungene Dafein zu vergäten,
Froͤhlicher Senüfle Fuͤlle,
Der Sonne wärmenden Glanz,
Eine Blätenwelt unter Sturm und Schloßen,
Der Treundſchaft Taͤuſchung und der Liebe Traum,
Die Beine Gitelkeit
Bon Pracht, von Großthat, von deruͤhmtem Namen —
Den Belänftiger und Verſoͤhner Schlaf,
Und bie buntfärbige Narrin Phantafle,
AS ein heiteres Spielwert Hingeworfen —
Laß mid, wenn es moͤglich wäre,
Laß mid, enden ohne Angſt und Schmerz!
ber wunderbar, ber mittlere heil und das Ende bes Buchs
entipricht Eeinedmegs dem Anfange. Seine Stoffe werben Bas
gatsllen, er wird mitunter geſchwaͤtig, bed Witzes Pfeile find
unbefiedert und treffen nicht. Schon die Gedichte in pommer⸗
fer Mundart Hätten wir herausgewänfihts wie wibsig unb
unpaſſend ift die Ode nach Horaz im Plattbeutichen! Die bios
graphiſchen Preislieber auf ausgezeichnete Pommeranen hätten
wir ihm ebenfo gern gefhentt, ald die Nummern, bie von
©. 95 pommerſche Städte und Drtfchaften befingen, unb ber
Verf. täufcht fi, wenn er behauptet, baß dergleichen ärtliche
und perfönliche Poefien für das Ausland Intereſſe ober Werth
haben. Die ganze Sammlung ſchließt mit „Kteine
366
poefie die auch einem großen Theile nach durch erkünftelte
eme ausgebrütet if. ei alledem iſt das Beſſere überwies
gend und ber heitere, gemuͤthliche Greis braucht feine Lyra noch
nicht an die Wand zu hängen. Hell Dem, welchem bie Kälte
des Alters dieſes dulce lenimen senectutis nicht verfliimmt !
17. Kornblumen. Grbiäte von Sb. G. Ernſt am Ende
Dresden, Sillig. 1842. 8. 1 fir.
Die elegifche Saite klingt am veinften auf biefer befcheibes
nen Lyra und wir möchten auf den in ber ganzen Sammlung
vorherrschenden Geiſt die finnigen Schlußworte in ber Wibmung
an bie Mutter des jungen Sängers anwenben:
Ob man auch Sters im Maskenſpiele fände :
Im Scherze ſelbſt Liegt tief oft Ernſt am Ende.
Dr. Ernft von Brunnow führt den Verf. durch ein freundliches
Borwort vor ein größeres Publicum ; der Kornblumenkranzwin⸗
ber ſelbſt aber verfichert in biefem Vorwort, auf hohe poetifche
Richtung, kuͤnſtleriſchen Schwung und vollendete Form made
keins feiner Gedichte Anſpruch; feine Poeſien follten blos Zeu⸗
gen einer innern Ihätigkeit und jugendlichen Bewegung fein,
indem ihm bie Richtung nach außen durch koͤrperliches Leiden
und trübe Rebensverhältniffe ziemlich verfchloffen geblieben ſei;
er betrachte Poefie überhaupt blos als ein Mittelglied zwiſchen
Ideal und Leben und verzichte gern auf die Züngerfchaft einer
ule und auf den Auf der Mobernität. Solche befcheibene
ußerungen nehmen für ihn ein, auch beftätigt ſich die Wahr:
heit dieſes Selbſtbekenntnifſſes in allen drei Abtheilungen des
Bude, In den Sonetten bes erften Inrifchen Theils legt er
feine Weitanſchauung und feinen religiöfen Sinn bar. In
„Entſchließung““ (S. 37) geht. die dunkle Färbung, mit der das
Gedicht beginnt, zur Überrafchung bes Lefrrs, in einen heitern
Lichtglang über und ein gar freundliches und nettes Bildchen
eigt fich uns in „Maid und Böglein” (©. 50), wenn fonft des
Ögleins: Piep, piep! nicht Manchem zu fpielend ift. Die eros
tiſchen Lieder entbehren aller leidenſchaftlichen Glut und bieten
nur Alltägliches in Anlage und Ausführung. Die Romanzen,
Balladen und Erzählungen der zweiten Abtheitung find ſchwach
und wir konnten nicht eine herausheben; vielleicht flößt dagegen
die dritte Abtheitung dem Pſfychologen ein eigenthümlidyes Ins
tereffe ein, indem der Stoff berfeiben aus dem Leben einer juns
gen Somnambule genommen ift, bie im vorigen Jahre ber Ge⸗
genftand der regſten Aufmerkfamfeit für Dresdens Bewohner
war. Der Verf. verfucht bier die Erfcheinungen bed magnetis
fen Zuftandes in ihren Stadien vor die Seele des Eefers zu
ftellen und gibt dazu auch ein eriäuterndes Vorwort in unges
bunbener Rebe. Bliden wir nun auf das ganze Kranzgemwinde
und beurtheilen daſſelbe nach dem Eindrude, den es auf uns
macht, fo müffen wir befennen, mit einem andern Namen, als
dem der anfpruchlofen Kornblumen, konnte der Berf. am Ende
feine Gedichte nicht füglidd benennen; es genüge ihm, daß kein
Lolch und Feine Zrespe darunter ift.
18. Sammlung deutſcher Volkslieder. Peraußgegeben von Wis
Libald Walter. Leipzig, Rein. 1841. 8. 1 hir.
Wer liebt nicht Volkslieder, wer kennt fie nit? Sie ent:
halten in nuce bie Lebensphilofophie des Volks, fie find das
Mittel einer vernünftigen Erheiterung bei ber Arbeit Derjenis
gen, die im Schweiße ihres Angefichts ihr Brot effen, am Sonns
tage, am Feierabend des Werkeitags, in der Spinnftube, - im
Fabrikhauſe; fle machen Hochzeit⸗ und Kindtauffeter lebendiger,
und wir behaupten kuͤhn, daß „Freut euch des Lebens’ u. ſ. w.;
„Bluͤhe, liebes Veilchen“ u. f. w.; „Arm und klein iſt meine
Hütte” u. ſ. w; .‚Bıter Mond, du gehft fo file” u. f. w.
und das echt deutfche „Das waren mie felige Tage’ u. f. w.
von unendlich wohlthätigerm Ginfluß auf die Sittlichkeit und
Heiterkeit unfers Bolks geweſen find als die Erzeugniſſe der
Romantik oder die politiſchen Lieder der Neuzeit. Das bat man
u vor 40 unb mehr Jahren erfannt und aus Lofen fliegenden
Blaͤttern einen Schatz deutfcher Volkslieder mit Fleiß zuſammen⸗
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodhaud. —
getragen. So thaten Herder, Buſching, von der Hagen und
Brentano , ſpaͤterhin Goͤrres und Tieck, und neneriich Wolff,
Erbach und Soltau. An bie Genannten ſchließt ſich unfer
Antholog an, indem er bier ſolche Lieder gibt, bie er ſelbſt auf
Heilen aus dem Wunde des Volks gebiet hat und bie, wie ber
Zufag auf dem Titelblatt lautet, in feiner ber bither erſchiene⸗
nen Sammlungen zu finden find. Indeſſen nimmt fich biefer
Zufag wie die Worte eines Aushängefchiibes aus, das eine Waare
dem Käufer anpreift; auch möchten wir bie Vollſtaͤndigkeit ber
Sammiung obgenannter Anthologen nicht in Zweifel . &
find unter ihnen Ginige, die gute Augen und Ohren zu ihrem
Geſchaͤft mitgebracht haben, und kaum glauben wir, daß Dr.
W. Walter bei feinem Lucubeiren und Gntdedungsreifen giäde
licher als jene geweſen iſt; auch haben wir in ber That, wenn
wir einige Provinzialvollslicber und ein paar Eiſenbahnlieber
ausnehmen, die natürlich erſt bie Neuzeit erzeugt Hat, nur Be⸗
kanntes gefunden. Moͤchte der Sammler nur nicht verfi
haben, den beilebteften Opernarien , bie aus ber „Bauberflbte”,
„Fanchon“ und dem „„Breifhäg” in ben Rund bes Volks überges
angen find, ein Pıägchen zu gönnen. Dagegen kann es wol
ein, daß er von vielen bekannten Liedern neue und beffere Les⸗
arten babe, die da verdienen, bem größern Publicum mitgetheilt
zu werben; zu diefen gehören bie Nummern 10, 17, 47, 53,
66, 93, 94, 96, 97, 101, 108, 161, 173 u. a. m. dies
fer neuen Lesarten ift aber biefe Sammlung boch nichts als eine
Nachleſe, in welcher wir beſonders das naivrührende Es iſt bes
fiimmt in Gottes Rath‘, welches Menbelsfohn: Bartholby mit
einer fo entſprechenden Melodie ausgeftattet hat, mit Bergnä
gefeben haben; herausgewuͤnſcht hätten wir dagegen Nr. 162
„Ss waren vor Zeiten drei prager Studenten“, da bei allem
Wis und aller darin herrſchenden Schalkheit doch immer eine
unfeufche Gedanken» und üppige Phantafiebilder erzeugende
Zweibeutigfeit darin obmaltet.
(Die Bortfegung folgt. )
Literarifhe Notizen.
Eine breibändige Novelle; „Ragland-Castle, a tale of
the great Rebellion‘, von Mrs, Thomfon (London 1843), fpielt,
wie ſchon der Titel anzeigt, in jener tiefbewegten und vielbe⸗
fchriebenen Zeit, wo auf der einen Seite bie ritterlichen Cava⸗
liere fanden, in Spigen und Manfcetten, mit langen Locken
und feiner Sitte, auf ber andern die glattgefhorenen Runbköpfe,
die Männer, bie Alles abſchwuren, was nad Fieifchtichkeit
ſchmeckte, die eifengepanzerten Govenanters. Die Schilderung
jener Zeit, oft cine graphifche, bildet das Hauptintereſſe des
Buche. Der eigentliche Roman ift verhaͤltnißmaͤßig unbebeutend,
ift die Liebesgefchichte einer jungen Dame, Blanch Gomerfet,
und eines jungen Mannes, des in früher Kindheit ihr verlobten
Edward Herbert. Wie Beide zufammen aufwachſen, wählt in
Edward bie Liebe, in Band) die Abneigung. Herbert ift nicht
der Mann nad ihrem Sinne. Gr iſt ein flattlicher, hochbe⸗
gabter, tapferer Mann, aber nicht das Ideal bes jungen, heißen,
ſchwaͤrmeriſchen Maͤdchens. Das findet fie unter ben Stebeflen,
ben Rundkoͤpfen, als fie nebft ihrer Tante von ihnen gefangen
genommen wird; ber Gluͤckliche heißt Sidney Godolphin. Den
nahme fie, aber fie befommt ihn nicht, unb nachdem ‚Herbert
fie und das Schloß Ragland gegen General Fairfar ritterlich
ehenist hat, reicht ſie ihm die Hand, hoffentlich auch dad
er .
Aus dem Spaniſchen uͤberſegt von X. G. be Lavigne und
mit Anmerkungen und Vorrede verfehen von Ch. Nodier, erſchien:
„Vie et histoire de Don Pablo de Segovie, surnomme l’a-
Par buscon’, mit einer großen Anzahl Slluftrationen von
. &my. 18.
zu und Verlag von F. 4. Brockhaus in Leipzig
53
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
Überſicht der neueften poetifchen Literatur.
Erſter Artikel.
(Bortfesung aus Nr. 139.)
19. Gedichte von Heinrih Hoffmann. Frankfurt a. M.,
Sauerlaͤnder. 1842. 8. 384, *
Das Gedicht, durch welches der Verf. den Leſer in ſeinen
Muſentempel einführt, iſt „Die Rebellen‘ uͤberſchrieben; dieſe
Rebellen find nichts Anderes als kleine, trotzkoͤpſige Etfen, wel
vom Dichter die Veroͤffentlichung der um ihn liegenden, mit
Verſen beſchriebenen Blaͤttchen erzwingen wollen und ſeine Ein⸗
waͤnde dagegen ſiegreich widerlegen. Er muß den ſophiſtiſchen,
obſtinaten, neckiſchen Geſchoͤpfen nachgeben, und ſo ward der
Preßbengel in Bewegung geſetzt. Sonach haben Kritikus und
keſer blos zu unterſuchen und zu entſcheiden: That der Verf.
Recht, oder that er nicht Recht, daß er nachgab? Ref. aber er⸗
widert auf dieſe Frage, daß nur der ſplitterrichternde Kritikaſter
oder der übellaunige Leſer den Sänger wegen ber Veroͤffent⸗
lichung biefer Verfe und Lieder tabeln Tann, befonders wenn
man erwägt, daß Dichter überall nicht zu ſchweigen lieben und
fi) der Menge zeigen wollen, a
nen heutzutage weber ben Mund no bie Tinte halten!
Die vor uns in manchen Rhythmen und angemeflenen Weifen
fid leicht bewegenden Gedichte brauchen überdies bei allen mit:
unterlaufenden Reimbärten, fowie bei allen hin und wieder ver:
unglüdten Aufflägen, vor einem größern Yublicum nicht zu er:
röthen und koͤnnen ruhig vor jedes Eritifche Zribunal treten.
Unter den vermifchten Gebichten ber erflen Abtheilung beuten
wir auf das „Gebet eines Gottes” bin, und bemerken, baß dieſes
fruchtbare Thema ſowol geiftreicher als in größerer Ausdehnung
bearbeitet werben konnte, ba es eine Fuͤlle von Gebanlen er:
zeugt. Eines der vorzüglichften iſt, feiner Kürze ungeachtet,
„Die Wüfle” (&. 30), wo die Wenfchenbruft mit der Wüfte,
das Herz mit dem fleinernen Memnonsbilde verglichen wirb.
Die folgende Nummer: „Das Huͤnengrab⸗“, ſchließt fi) wuͤrdig
an jenes an, Wir theilen zur Probe daraus die Schlußſtro⸗
phen mit:
Du Menſchenherz, du bil bie Dale,
Sin weiter Trauerdom und doch fo Hein!
Die Leichen feines Kinder alle,
Die liebfien, legt ber Menſch in dich hinein.
Es ſchlummern dort die golbnen Jugendtraͤume,
Des Juͤnglings Hoffen unb fein freud’ger Muth,
Der kalte Ernſt bewacht bed Grabes Räume,
Auf dem als Grabſtein bie Erfahrung ruht.
Die zweite Abtheilung: „Aus bes Fruͤhlings gold’nen Tagen“, rer
det warm und kraͤftig vom Fruͤhling ber Liebe; aber der Titel
klingt doch etwas pretids und geſucht. In „Mit fröhlichen Ges
fellen‘’, tem dritten Abfchnitt, treibt der Wein vor allem fein
Seſen, und wenn e8 nachgerade unſern Dichtern fchwer fallen
muß, auf ein fo oft variirtes Thema immer wieder neue Bas
rtatio
nen zu ſchereiben, To koͤnnen wir body die hier geſchriebenen
& — und welche Dichter koͤn⸗
20. Mai 1843.
nicht eben zu ben verunglücdten ober fchon dageweſenen zählen.
„Reimnoth” (S. 99), „Das Butenbergstieb” (S. 107) und
„Jubilaͤum im Geifterreiche” (©. 11T) zeichnen wir als wigige,
kraͤftige, gedankenreiche Gaben dee Mufe aus. Unter den „Bals
laden’’ find ſchwache, namentlich „Der Glockenguß gu Breslau‘
(8. 150); beſſer gerathen ift „Die Nacht auf dem Meere”
(8. 143), „Die Eifenhochzeit (&. 173, der wie mehr epiſche
Kürze jedoch gewuͤnſcht Hätten) und bas Beſte ift „Das Märs
hen vom betrunfenen Riefen” (&. 189), worunter nichts Ans
beres als ber Scirocco zu verſtehen ifl. Um die Art ber Be⸗
handlung zu zeigen, erlaube man, folgende Strophe daraus
mitzutheilen :
Es greift nach dem Glaſe dee durſtige Rieſ',
Man haͤtte die ganze Stadt Paris
Bequem mit dem Glaſe zugedeckt,
Gleichwie man bei Tafel den Kaͤs verftedt.
Und es hätten alöbann die Franzoſen
Sezappelt wie Maden in Hoſen.
In ber leeten Abtheilung, betitelt „Aus bem Lalenbuche‘, hat
ung „Das Ders auf dem rechten Flecke“, ats ein ergoͤtlicher
Schwank, am meiften zugefagt. Wir vermuthen, ber Verf.
habe noch eine ganze Menge mit Verſen befchriebener Blaͤttchen
in feinem Pulte oder auf feinem Gchreibtifche liegen; follten
ihm nun die nedifchen Elfen ihr ancora zurufen und er nach⸗
geben, fo wuͤnſchen wir ihm einen ebenfo nachfichtigen Beurtheis
ter feiner Bere, als er hier gefunden hat.
20. Gedichte von Heinrich Ritter von Levitſchnigg.
Wien, Pfautfh und Comp. 1842. 8, 1 Zptr.
Diefe Gedichte wurden und von einer jungen Dame warm
empfohlen, und wir griffen deshalb mit freudtger Daft nach dem
sche, wie es zu gehen pflegt, wenn uns Semanb mit dem
Darreichen bes B ſeine Brille leiht. In der That fanden
wir die erſten Nummern genial, jugendfriſch, kuͤhn, voll pikan⸗
ter Bilder, den Reim hoͤchſt euphoniſch, die Sprache mit Takt
und Gewandtheit behandelt, und was etwa noch fehlte, als Ges
dankenreichthum, Einfalt, Natur und postifche Selbſtaͤndigkeit,
bofften wir auf den folgenden Blaͤttern zu finbens aber unſert
Hoffnung wurde getaͤuſcht; im Weiterleſen fanden wir mehr
Worte ald Ideen, mehr Kunft als Natur, mehr Koletterie mit
der Sprache als Gemüthstiefe oder Klänge, bie durchs Ohr in
bie Seele dringen. Will man biefes Urtheil beftätigt finden, fo
Iefe man ©. 21 „Am Nil”, &. 34 „Sonnenuntergang”, ©. 35
„Die Rachtigall im Käfig”, ©. 57 „Glaube, Hoffnung, Liebe‘
und viele andere mehr. Der Sänger erfäuft gleichſam dad Ge:
fühl durch den Strom feiner Worte. Das Auge, welches fo
viet zu Schauen hat, laͤßt das Herz nicht zum Empfinden kom⸗
men, unb fo verfehlt der Blick auf das feine, bunte Kunflge:
webe am Ende doch die heabfichtigte Wirkung. Dabei laͤßt ſich
nicht verfennen, daß der Verf. bei Freiligrath, Anaftaflus Grün
und 9. Heine in die Schule gegangen und wirklich etwas
Tuͤchtiges da gelernt hat; biefe Züngerfchaft offenbart ſich oft
und vielfach, wie gewandt er fie auch zu verſtecken weiß. Cine
358
iemliche Anzahl Gedichte verrathen ihrer Anlage nach etwas
—— wie ihm denn ein ſchoͤnes Talent keineswegs
abzufprechen iſt; aber ber Anfang entſpricht der Erwartung
und dem Ende nicht, und man findet ſich getäufcht durch den
matten Ausgang mit flumpfer Spitze. Kurz, auf ben erften
Anblick beftechen diefe Gedichte; fie find wie das Portrait bed
Dichters (es ſteht dem Titelblatte des hoͤchſt elegant ausgeſtat⸗
teten Buchs gegenüber), deſſen Außeres ebenfo einnehmenb fein
muß, wie feine darunter beſindliche Handſchrift leicht, flüchtig
und zierlich if. Wir empfehlen baher das elegante Buch allen
Damen, welche Gedichte und beren jugendfriſchkraͤftige, ritter⸗
Viche Verfaſſer lieben, auf das angelegentlichſte.
21. Gebichte von Karl Gere Neumann. Aachen, Re
ſchuz. 1841. 8. 1 Thir. 10 Nor.
Bier Haben wir, in fcharfem Gegenfas mit bem vorigen,
einen Dichter aus ber guten alten Schule, ber ſchon im letzten
Jahrzehnd des vorigen Jahrhunderts durch die Töne feiner Eyra
feine Hörer ergögt und fein Spiel bis zum Jahre 1840 fort:
geſetzt hat. Wir mögen nun bie von einem ſchoͤnen Rational:
gefühl erzeugten Lieber, unter denen fi ein „Preußiſches Na:
tionalfieb‘ (&. 11) auszeichnet, ober feine religiöfen Erguͤſſe,
oder die erotifchen Blüten, cber die Raturfchilberungen betrach⸗
ten, fo haucht uns immer ber Geiſt beutfcher Kraft und Ges
möüthlichleit wohlthätig an, und aus dem ganzen Beſtreben bed
gewiß nicht mehr jugendlichen Verf. (er iſt preußifcher Regie:
zungs= und Mebdicinalvath außer Dienft) geht eine Pierät_ gegen
die Mufenkunft hervor, die er in guten und fehlimmen Zeiten,
ein halbes Zahrhundert lang, in treuer Bruft gepflegt bat.
Was ift namentlich diefer Dichter ber frobfinnigen, fludirenden
Jugend durch fein befanntes „Akademiſches Trinklied (©. 52):
„Bob vom Dlymp herab ward uns die Freude” u. f. w. ge.
worben! Die Jahreszahl 1793 fteht über dem Liebe, es feiert
mithin in diefem Jahre fein golbenes Geburts s und QJubelfeft ;
5 Jahre lang haben taufend und aber taufend Sünglinge aus
diefem Freudenquell geſchoͤpft, ohne zu wiſſen, wer bad Baͤchlein
deſſelben in ihre Kreife leitete. Ref. beklagt übrigens nichts
mehr, als daß ber Verf. die beffernde Hand an bie Verſe ge
legt, alte, liebgewordene Lesarten verwifcht und noch eine ober
ein paar neue Strophen hinzugefügt hat. Gin Lieb ſolcher Art
muß im Lapibarftil flehen und Jedem, ber ibm mit Meiſel und
Feile naht, müßte man warnend zurufen: Manum de tabula!
Der Verf. kann im Bezug auf daffelbe mit allem Recht das
Wort der Vorrede von fich fagen :
Der Neib, den Lebenden gefährlich, ſchweiget,
Verdienſt wird na dem wahren Werth geſchaͤtt,
@obalb der Juͤngling feine Fackel neiget:
Dann leb' auch ich, von keiner Zeit verlegt.
Gin kleines Epos in drei Abtheilungen „Rapoleon” befingt ben
Sharafter, die Thaten und die wechſelnden Phaſen bed Ruhms
diefes Helden. Die freimaurerifchen Gedichte und Neben wer:
den ben Geweihten gewiß willtommen fein. Die Überfegungen
md Nahahmungen aus und von bem Pfalmiften, Salomo,
Walter Gcott, Byron und Horaz, beffen „Saͤcularfeier“ wir bier
auch Yefen, ſchließen fich nicht unmürbig an ähnliche Leiftungen
in der Jetztwelt an, unb unter ben vermifchten Gedichten ber
legten Abtbeilung möchten wir das NRachtgemälde mit ber Be⸗
flattung ber icbifchen Hefte Friedrich Wilhelm’s III., weiches bier
unter ber Überfchrift „Berlin in der Rat vom 11.—12.
Juni 1840° gemalt ift, als gelungen dem Leſer empfehlen.
2323. Gedichte von Hermann Achenbach. Düfleldorf, Stahl.
1843. Gr. 12. 25 Rar.
Im verfificirten Vorwort fagt der Verf.: „Der Feuerftein
ber Jugend ift verſchwunden, doch will auch, was dad Alter
fchafft, fo gerne noch aus feiner
ben.” Within abermals ein Eyrafpiel in alterswelker Hand.
Die alte Schule iſt bier weniger fichtbars aber in dem Gege⸗
benen geist ſich Schülerhaftes und felbft Schäterthemata (1. 8.
&. 115 „Der Hund") find behandelt. Mit großer Rebfeligkeit
aft befreit fein und entbuns |
verbindet fich eine Reimfertigkeit, die aller Driginalität entbchrt.
Belege zu diefem Urtheil geben „Die Poefie” (&. 29), „Der
Mann“ (©. 46), „Die Feder’ (&. 76), „Das Wafler” (S. 97),
„Der Kranke” (S. 105) und „Der Flüchtling‘ (S. 146), wel:
ches Überdies noch mandyerlei Abgeſchmacktheiten enthält; an
Icgtern fehlt es auch ber curiofen „Brabfehrift auf Nicolai 1.
-(&. 241) nit. In Hinſicht der Sprache wäre auch noch
mancherlei zu rügen, h B. der wunberliche Plural von Cherub
— „Sherubime” (S. 19), „beruht nur auf Gerüchte” (5. 190)
und forge (&. 272), Für das Elegiſche ift wenig Beruf ba.
Mit dem Scherzbaften geht es ſchon beffer, und ber Verf. bes
wegt fi auf biefem Gebiete leichter; man vergleiche darüber
„Sonſt und Sept (8.297) und „Das Verhör vor ber Him⸗
melsthür" (&. 274), obwol auch beide Stuͤcke an einer gewiffen
Berfahrenheit leiden, die den Lachkitzel bämpfen. Die Sharaden
und Logogryphen find In Bezug auf Erfindung und Behanb⸗
tung ohne Werth. Um jedoch nicht in ben Ruf eines übellaus
nigen ober boͤswilligen Jadlers zu kommen unb Gerechtigkeit zu
erfüllen, deutet Ref. auf „Das Leben” (S. 69), die erften fünf
Strophen von „Der Benius der Zeit” (&. 133), „Schweden“
(©. 166), „Der Aofchted” (©. 218), „Der Dfen’' (S. 269) und
einige Verſe aus dem „Reifeliede” (&. 242), als auf gelungene
Würfe hin; auch will er hiermit ber Pflicht und Wahrheit ges
mäß eingefteben, daß bem Verf. eine gewiſſe Fähigkeit zu por-
tifchem Schafen nicht abzufprechen ift.
23. Schweizerſagen in Balladen, Remanzen und Legenden, von
Friedrich Otte. Baſel, Schweighaufer. 1842. 8.
18, Nor.
Die Worte auf dem Zitel „Neue Sammlung‘ Laffen auf
eine frühere, von demfelben Verf. herausgegebene, fdhließen, bie
wir jebody nicht gefeben haben; gleicht fie indeffen ber vorlie:
genden, fo ift ihre Srfcheinung keineswegs zu beffagen und fie
ift gewiß nicht zu DMaculatur geworden; denn ber Bilbner unb
Sammier ift nicht ohne epiſche Anlage, trifft die gluͤckliche
Mitte zwifchen nöthiger Ausführlichkeit und kraͤftiger Prägnanz
in Wort und Vortrag ber Romangen, unter denen wenige bes
fannte find, und alle feine Gemälde athmen Natur und Jugend:
feifche. Anders targeftellt oder gänzlich hinweggewuͤnſcht haben
wir keine Nummer; auszeichnen möchten wie dagegen „‚Riklas
von der Fluͤe“ (S. IT), „Hans Bolbein” (S. 45), ein gar ers
goͤtzlicher Schwank, „Ahasver (8. 54), „Der wilde Jaͤger“,
ein Idyll (8. 66), „Snguerrand von Rondſchatel““ (&. 109)
und „Gertrude von Beim‘ (©. 136). Die dem aͤußerlich aud
wohlaußgeftatteten Buche angehängten hbiftorifchen Anmerkungen
werben Vielen willlommen fein.
24. Kortunat. Gin Gedicht in gehn Bildern. Bon Theodor
Scherrer. Leipzig, Hartung. 1842, Gr. 8. WO) Rer
Wer hat nicht als Kind aus bem Munde einer Gropmut:
ter ober Tante von bem Fortunatus und feiner Wuͤnſcheiruthe
erzählen gehört? Wer Fir ſich dabei auf dem Flügel ber Phan⸗
tafie nicht in das Reich der Wunder tragen laffen? Der Fox:
tunatus rebivlous gegenwärtigen Buche uͤbt ſolchen Zauber nicht
aus; Geiſt und Herz der großen Kinder, bie biefes Märchen le⸗
fen werden, geben wahrfcheinlich leer aus; benn wir haben bier
einen Brübler vor uns, deffen Herz ben finftern Maͤchten troſt⸗
Lofen Sweifeld verfallen if, ben Unzufriedenheit mit Gott, Weit
und Schickſat unftät umbertreibt, deſſen Leben eine chaotifdke
Maffe unmotivirter Handlungen unb Greigniffe ausmadht uns
von befien Ende fi das Auge unbefriedigt, ja ummwillig weg
wendet. Schon daß ber frühe Tob eines geliebten Zugendfrems
bes ihm bas Grbenieben völlig verfäuert unb verbiitert umb
ihm eine menfdyenfeindliche Stimmung einflößt, bie durch Nichte
milder wird, iſt unpfochologifh. Wir finden ben ‚Heiden auf
einem Felſen an Afrikas Meeresküfte, finfter brütenb über dem
Räthfel des Menfchendafeins und jammernb über das Loos ber
Menſchheit. Der wilde Kampf zweier Adler um eine Meeres:
beute, in wel ber eine erliegt, bringt ihn auf miibere An:
| fichten und weichere Gefühle; des. buldenden Heilands Bild tritt
vor feine Seele und floͤßt ihm ben Wunfch ein, das Lanb zu
fehen, wo er duldete, wirkte, litt und flarb. Er ſchifft ſich nach
Palaͤſtina ein. Ein türkifcher Kaper und ein Seeſturm bringen
ichzeitig Freiheit und Leben der Schiffenden in Gefahr. Das
iff ſcheitert. Mitteld eines Truͤmmers aus Holz gelingt es
dem Helden, fich felbft und noch ein Inbividuum von ber Mann:
Schaft des Korſarenſchiffs zu retten. Mitleidige Kifcher nehmen
den Dufelmann und den Ghriften am Ufer auf. Der von Kor:
tunat Gerettete ift der überaus reiche Ägypter Haſſan, der, von
Dankbarkeit durchdrungen, ben finftern Retter feines Lebens mit
in fein Vaterland nimmt, wo er ihn jedoch weder durch bie
Reize der afritanifchen NRaturfcenerie, noch durch die rührenben
Beweife freundlicher Theilnahme und Liebe von feinem Bram
beiten kann. Wol aber fcheint bie Zaide, Haſſan's reizende
Favoritin und Gemahlin, die er auf des Agypters Landfige bei
Kahiro Eennen lernt, zu vermögen. Er entbrenat in glühenber
Liebe zu ihr und fie zu ihm, und Beide verabseben einen Plan
zur Flucht. Bevor diefer jedoch ausgeführt wird, führt ihn der
gute, nichts Arges abnende Haſſan nad Üguptens Pyramiden,
die zu feben er fchon lange fehnlich verlangt hat. Wie nun
$ortunat, über dunkeln Gedanken brüten, in einer Nacht auf
dee Spige einer derſelben liegt, erblickt er im Innern bes koloſ⸗
foten Wundergebaͤudes einen magifchen Lichtglang und hört de
gleich feinen Namen rufen. Er fleigt eine Treppe hinab. Gin
Bmeitaufend Jahre alter Greis, der Bildner und SBeherricher
iefes wunderbaren unterirbifchen Lichtreichs, belehrt ihn über
bas Wefen, die Beflimmung und das Loos der Gtaubgeborenen.
Aber bes Greifes Anfichten unterfcheiben ſich in biefer Hinficht
wenig von benen bed Fortunat, koͤnnen bes Lehtern Stimmung
nicht beſſer machen, nod ihn ausföhnen mit dem Leben. Am
Schluſſe der Unterrebung befchenlt der Zauberer unfern Helden
mit einem Kreuz, fagend (S. 48):
Dier dieſes goldne Kreuz; nimm zum Geſchenk von mir;
Doch laß ed nie von deinem Dalfe kommen.
Nicht werthlos, wie ein andres Kreuz iſt's bir,
Es kann zum größeren Gluͤck dir frommen.
In welch' Geſchoͤpf du wuͤnſchſt, daß deine Seele fahre,
Wenn Überdruß und Krankheit dich umweht,
Du fährfk hinein, wenn dies ſich dreimal dreht.
Sieh das Geſchoͤpf nur an und denke dich hinein,
Dann dreh’ das Kreuz und bu wirft in ibm fein.
Richt kann dir's rauben menſchliche Bewalt,
Die folgen wird's in jegliche Geſtalt.
Bon diefem koſtbaren Geſchenke macht der ungufriebene Fortu⸗
nat ſogleich Sebrauch, indem er fi in einen Story durch
Bünf und Dreben bed Kreuzes verwandelt und bie ‚Hülle
feines Menſchenkoͤrpers feelentos liegen laͤßt am Zuße der Py⸗
zamibe. Zaide hofft und harrt auf bes Geliebten Wiederkehr,
und wie man ihr deffen Leiche nun bringt, erboicht fie fich in
VBerzweifung. Inbeffen fitegt der Held mit einer Schar wan⸗
dernder Stördge zur Frühlingsgeit über das mittellänbifche Meer,
Aber Griecheniand, Italien und bie Alpen nad) Deutſchiand, wo
er ſich auf dem Hauſe eines Predigers niederiäßt und ein da⸗
ſtehendes GStorchneft bezieht. Im der Nacht bricht eine Feuers⸗
beunfi aus, in der ber Sohn des Predigers ben Flammentod
findet. Mit neuem Unmuth und Grbitterung fliegt der Storch
von bannen und par nad ber iz, wo er fidh in einen
Adler verwandelt, der nun, feinem wilden Geläft folgend, ſchuld⸗
1ofe Thiere raubt und zerfleifcht. Wie er das Kind ben Armen
einer zärtlichen Mutter entreißen will, rührt ihn ber Jammer
ber ungiädlichen Frau; er ahnt und fieht es, Liebe laſſe fich
nicht toͤdten; aber er fühlt auch, ihm ſelbſt bleibe nichts ats
Bernichtung. Sein Wunſch, in einen flarren Alpenſels verwan⸗
delt zu werben, gebt mit des Kreuzes Huͤlfe in Erfuͤllung; fein
Geiſt ruht erſtarrt im tobten Stein. Dies in wenigen Worten
der JInhalt de Wie gewandt nun aber auch’ ber
Berf. die Sprache zu behandeln weiß, wie frifch bin und wies
ver gen find, wie die Anlage bes Sans
sen zu fein ſcheint, ‚fo wird er body fänvertich irgend eines de⸗
fees Srwartung befriedigen. Gen Fortunat iſt ein morali
Monſtrum, ein pſychologiſches Unbing. Des Helden es
motivirt feine Handlungen nicht, und ber Schtuß, wo ausgefagt
wird, daß Bott einfl allen Schmerz und jeden Bweifel, der das
Menſchenherz aͤngſtigt, enden und bes Lebens Taͤthſel Löfen
werde, föhnt das unbehagliche Gefühl nicht aus, mit welchem
man das Bud aus der Band legt.
(Der Beſchluß folgt.)
Der koͤlner Dom als freie beutfche Kirche. Gedanken
über Nationalieät, Kunft und Religion beim Wieder:
beginne des Baus. Bon Moriz Carriere. Stutt:
gart, Srandh. 1843. 8. 1 Thir.
Der Berf. hat die Gedanken über Nationalität, Kunft und
Religion, welche er in bem vorliegenden Buche niebergelegt,
auf eine etwas fonderbare Weile an den koͤlner Dom angelnüpft.
Er fieht nämtich in dem Wiederbesinn bes Baus das Symbol
des neuerwachten bdeutfchen Rationalbewußtfeins, und ba diefes
nicht allein erfcheint, fondern in feinem Gefolge alle geiftigen
Thaͤtigkeiten ber Nation fi) ebenfalls hervortbun, glaubt er
aud eine neue Kunſt und eine neue Religion fchon zu erbliden,
beren weſentliche Elemente er weitläufig befpricht. Dun wiffen
wir Alle, daß man in ben Zeitungen wenigftens ben Dombau
wirklich als das Zeichen der wiedererweckten Rationalität ans
gefepen hat: aber es ift uns ebenfo wenig unbekannt, baf man
fich vielfach darüber luſtig gemacht hat, und wie ſelbſt find ber
Anſicht, daß der Dombau nicht gerade als eine würdige Mani⸗
feftatton des Nationalgefuͤhls angefehen werben dürfe. Da gibt
es noch ar andere Dinge, welche ein beimeitem großartigeres
Symbol deflelben find, als z. B. Einführung der uralten ger-
maniſchen Öffenttichleit und Maͤndlichkeit, Einfuͤhrung ber ur:
alten germanifchen Freiheit der Rebe, Ginführung des uralten
germaniſchen Grundfages: wo wir nicht mit vathen, wollen
wie nicht mit thaten, und dergleichen. Wie nun? wenn man
biefen Dombau, ber von allen biefen Dingen nichts gewährt,
nur benugt hätte, um das Volk von Nationalität reden zu mas
hen, in ber Hoffnung, biefes fei ſchon bamit zufrieden, wenn
es nur davon fprechen dürfe, au wenn es von ben wahrhaft
nationalen Gütern keines befäße? wenn man bas Boll mit
einem Scheine von Nationalität habe befdhäftigen wollen, um
ihm ben Kern berfeiben defto beffer vorenthalten zu Tönnen ?
Bet einer fotchen Vorausfegung, fiebt man wol, wäre es fehr
fühn, an den Wiederbeginn bes koͤlner Dombaues die beutfche
Rationalität knuͤpfen gu wollen.
Doc fehen wir von der Einkleidung bes Wuchs ab, welche
wir tadeln, und gehen wir in ben @egenftanb beflelben näher
ein, fo müffen wir gefteben, daß biefer uns für jene auf viel
fache Weiſe entfchädigt. Was der Verf. über Rationalität und
Patriotismus fagt, ift zwar nicht neu, aber e8 kann uns ein
neuer Beweis fein, daß die rechten Anfichten darüber fich immer
mehr unter den @ebilbeten unferer Ration verbreiten, was ge:
wiß für die Zukunft von unberechenbaren günftigen Wirkungen
fein wird. Den Kern des Buchs bildet übrigens bie Religions:
anficht des Berf., bei weicher wir daher etwas länger verweilen
wollen.
Es leuchtet batb hervor, daß feine Tendenz keine anbere ifl,
ale, der bloßen Negation der neueften Kritik gegenäber, welche
nicht nur die Auswächle des Ghriftentbums, fonbern un
das Weſen deffelben, ja fogar alle Religion beftreitet, biefe
letztere zu reiten und ihr ihr Recht zu vindictren. Diefes ift
um fo verbienfllicher, als bei ben bloßen Ginreißen nichts
beraustommt , ja cher zu fürdhten flieht, baß bie deutſche Nas
tion, von jeher durch ein tiefes veligiöfes Gefühl ausgezsichnet,
fih mehr und mehr in die Arme der Reaction wirft, wenn fie
ſieht, daß fie bei der freiern Sichtung keine Wefriebigung ihres
Webürfniffes findet. Mir wollen damit nicht — haben, ale
wuͤnſchten wir die Kritik in ihrem Laufe gehemmt: im Gegen⸗
teile, wir glauben, es iſt gut, wenn ihr geflattet wich, fo
weit zu eben, als fie wi und kann. Denn nur dadurch wird
gulegt die Wahrheit an den Tag kommen. Zu gleicher Zeit aber
it e& nad) unferer Anficht wünfdgenswerth, wenn bem Volke im⸗
mer wieder in Erinnerung gebracht wird, daß noch Etwas ba
fi, an das es fich halten Tönne, daß nicht Alles in einem
wüften Chaos aufgelöft worden, daß gewiſſe leitende Ideen, bie
uns erheben und flärken, niemals ganz verſchwunden feien.
Diefes Verdienſt hat nun ber Verf.
Wir brauchen übrigens wol nicht erft zu bemerken, daß er
hierbei keineswegs auf der Seite der Reaction fleht oder fich ihr
nähere. Sein Standpunkt iſt ein durchaus freier, und er tritt
der Drthodorie wie dem Pietiömus ebenfo ſcharf, ja noch
ſchaͤrfer gegenüber und verlangt in religibſer Beziehung voll⸗
kommene Freiheit unb Zoleranz.
Daß man bdiefe im 19. Jahrhundert noch fodern muß,
ift freilich uͤberraſchend, und vielleicht koͤnnte man und entgegs
nen: fie feien ſchon laͤngſt gewaͤhrt, man brauche fie nicht mehr
zu verlangen. Allerdings ift es wahr, daß man heutzutage wegen
Heterodoxie nicht mehr gekoͤpft, geräbert und verbrannt wird.
Nichtöbeftoweniger ift die Intoleranz im Weſentlichen in unfern
Zagen noch ebenfo arg wie im Mittelalter oder im 16, und
17. Jahrhundert. Wir rädern nicht, wir Eöpfen nicht, wir
brennen nicht, aber fegen die Leute ab, entziehen ihnen ihre
Befoldung und laſſen fie verhungern fammt Weib und Kind.
Oder wie ftellen fie nicht an, wenn fie nicht unfere Anfichten
mit dem Munde befennen, unb morben dadurch ihre Geele,
weit fie mit dem Heiligften ein fchnöbes Spiel treiben müffen:
wie ziehen aus den Männern, welche Geelforger fein follen,
Heuchler, was noch viel ärger ift, als wenn wir fie binrichtes
ten, weil fie nun ihre ganze Gemeinde vergiftien. Wir haben
lange uns weis gemadt, durch bie Reformation ſei bad Prins
cip der Gewiffensfreiheit gerettet worben; wenn ed aber je eine
ungeheure Zäufchung gegeben hat, fo ift es diefe. Der Staat
bat nur das Heft in die Hund genommen, was eisbem bie
Kirche gehabt — mwenigftens in den proteftantifden Ländern hat
er bied getban — und führt nun über bie Gewiſſen ber Mens
fen ebenfo die Policei, wie über ihr politifches Betragen.
Der Staat kann fagen: Du mußt Dies und Das glauben; ich
will c# fo! Und wenn du nicht glaubft, fo mußt bu auf beine
Stelle verzichten! Wenn uns biefe Tyrannei im Mittelalter
begegnet, fo Schimpfen wir darüber; aber im 19. Jahrhundert
darf fie ungeftraft verhbt werben. Es ift der größte Hohn,
den man Bott anthun kann, fo die Gewiffen dee Menſchen, wo
er nur allein gebietet, zu beftxiden, fie mit felbfigemachten
Satzungen gefangen zu halten. Dies wird nun freilich nicht
anders werden, fo lange ber Staat die Religion ale ein Stüd
feinee Policei oder vielmehr als ein Mittel der Poltcei betrachtet,
ober betrachten darf. Aber die Öffentlihe Meinung bat fi
fon laut dagegen erklaͤrt und auch unfer Verf. verlangt mit
Gntfchiedenheit eine Zrennung ber Kirche und ber Religion
vom Gtaate.
Gr ſchlaͤgt dafür bas Recht der Affociation ber Gemeinden
vor, d. h., er verlangt, daß nun die Menſchen von gleichen
Religionsanfichten fich Aulammentgun bürfen, um nad ihrer
Weite und nad ihren Überzeugungen ihren Gottesdienſt zu be
gehen, natürlich mit dem Recht, ihre eigenen Prediger zu waͤh⸗
len. Hierdurch, meint er, könnte man am erflen dem religiöfen
Indifferentismus begegnen. Denn bann würbe Jeder mit Freude
irgend einer kirchlichen Gemeinſchaft angehören, wenn feinem
fauben nit Zwang angethan würde. Gr vermeift hierbei
auf Nordamerika, wo ähnliche Verhaͤltniſſe ftattfänden, wo nes
ben einer Unmaſſe von verichiebenen Sekten doch allenthalben
ein großes religidſes Bewußtſein vorhanden fei. Bei uns, bie
wir fchon fo weit in biefen Dingen vorgeichritten find, würben
übrigens nicht einmal fo viel verfchiebene Religionsbelenmtniffe
eutfichen,, es wuͤrde ſich viel einfacher Alles berausftellen ; in,
wir haben die Hoffnung, daß es dann nicht fange mehr dauern
würde, bis bie Idee einer einigen freien beutfchen Kirche, weiche
ber Verf. ebenfalls in Ausſicht ſtellt, ihre Berwirklichung fände.
Diele Idee, weiche eigeutiih auch die urfprünglidhe der Refors
mation war und daher gar nicht neu, welche befonbers in ber
legten Zeit zu bäufig außgefprochen worden, um fie nicht für
bie Öffentliche Meinung Halten zu bürfen, müßte freitich bie
Möglichkeit einer volllommen freien Entwidelung des Ginzeinen
wie des Ganzen in ſich ſchließen; man bürfte nur Aber geroiffe
allgemeine Säge — unb dies müßten foldhe fein, die in der
menſchlichen Watur felbft gegründet find — übereinfommen,
das Gpecielere müßte man dem Ermeſſen jedes Einzelnen übers
laflen. Dann erft fände bie große Ibee, welche der Reforma⸗
tion zu Grunde lag, ihre Realifirung: dann erſt koͤnnten wire
in Wahrheit von einer einigen Ration fpredyen: bann erſt
tönnte eine allfeitige großartige Entwicklung auf dem Gebiete
des menſchlichen Geiſtes eintreten. &o lange aber bie elenden
religidfen Gpaltungen zwiſchen Katholiken und Proteftanten ber
ſtehen, zwiſchen NRationaliften und Orthodoxen, zwiſchen Pie⸗
tiſten und den Maͤnnern ber freien Richtung; und fo lange
bie bornirte zeligiöfe Partei vom Staate unterſtuͤht und gehaͤt⸗
ſchelt wird, fo lange wird nichts aus uns Deutfdhen werben.
Die Yinfterlinge find von jeher die Erbſuͤnde der Menſchheit ger
wefen. Haben wir jene einmal überwunben, wirb es auch mit
biefer beſſer ausfehen-. 43.
Literarifhe Notiz.
Am Schluß von Nr. 44 d. Bi. wird ber „Histoire a
tique de la r6volution Cartesienne” von Francisque Boullier
(Paris 1842) als der erſten größern Arbeit eines jungen Phi⸗
Iofophen, der zu großen Erwartungen berechtigt, bezeichnet.
(Es ift eine vom Inſtitut gekroͤnte Preisfchrift.) Wie dieſer
preiswürbige Philofoph — ob das Beiwort „jung“ bier zutreffe,
möchten wir faft bezweifeln — auch mit ber deutſchen Philos
fophie, namentlich ber Religionsphilofophie, wohlbefannt fei,
bezeugt noch eine andere, von ihm und einem gleichgeſtimmten
Freunde (Dr. Lortet) in bemfelben Jahre erſchienene, wenn
auh nur Feine Schrift, welcher aber ein größeres Verdienſt
als jener oben erwähnten dürfte zuerlannt werben mäflen; denn
man barf hoffen, daß die Wirkung namentiidy im religid# fin:
ſtern Frankreich eine ſehr heilfame fein wird. Diele Heine
Schrift führt den Titel: ‚Theorie de Kant sur la religion
dans les limites de la raison, ouvrage traduit de l’allemaad
M. le Docteur Lortet; pröoede d’une intredection par
1. Franciseque Boullier'' (Paris 1842). Bon den Dunkel
männern und von den Pfaffen, weder jenfeit noch biefleit des
Rheins, wird diefe Schrift nicht gekrönt, aber von Lichtfreuns
den und ben echten Geiftlichen wird fie freubig begrüßt werben.
In ber Sinleitung, bie eine heile Überfit bes Ganzen eröffnet,
fagt Bouillieg: „Le livre que nous publions est un abrégé
de l’ouvrage de Kant, qui a pour tiere: De la Religion
dans les limites de la raison. Cet abrégé est göneralement
attribue a Kant lui-möme, cependant comme la boane fol
de l’&diteur qui l’a donne sous le nom de Kaat dtait un peu
suspecte en Allemagne, il demeure à co sujet quelques donws
que nous n’avons pu dissiper. Ce qu’il y a de certain et
ca qui imposte avant tout, c’est que oet ab ost par-
faitement exact, L’exactitude y- est poussde a point que
le plus souvent il est composs avec les phrases mömes de
grand ouvrage, sur lequel ıl a l’avantage de la cları& Il
a dte imprims pour la premiere fois & Riga, en 179,
c'est -a-dire apres ia seconde Edition de la Religion dans
les limites’ de la raison (1794). Mettre & la portse de tous
le monde les principes moraux et religieus oestenus dams
oe petit abreg6, tel est l’unique but de cette ——
Verantwortlicher Orrandgeber: Heinrich Broddand. — Drud und Berlag von 3. U. Broddeus in Eeipgig
» wa [no m
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
nn en -
Erfter Artikel.
(Eeſchluß aus Ar. 140.)
3. Sieg des Kreuzes. Religioͤſes Epos in ficben @efängen
von 3. B. Go m ann. Würzburg, Voigt und Moder.
1341. &r. 8. 1 Thir. 5 Nor.
In wohlklingenden Octaven, fireng nach den Berichten ber
neuteflamenttichen Synoptiker, durchdrungen von frommer Ehr⸗
fu gegen den ‚Heiden mit der himmliſchen Siegesfahne, wicht
end. von ben Anfickten und Satzungen feiner (ber katholi⸗
fhen) Kirche, wird uns bier ein Gemälde aus ben legten Les
benstagen des Stifters des Ehriſtenthume von einem Dichter
des Baierlandes aufgeftellt, dem wie wenigftens ſchon dreimal
asf dem Weite der epiſchen Leteratur begegnet find und befien
aͤſthetiſche Perföntichkeit und Leiflungen wir in d. Bl. fon fo
weit, als der Raum zur Befprehung ſolcher Gegenftänbe es ges
flattet, gewürbigt haben. rüber bewegte er fidh mehr in ber
Sphäre der Vaterlands⸗ und Heimatsliebe, Indem er eben unb
Thaten von Helden aus bairifhem Koͤnigsſtamme beſang; bier
betritt er Siona's Gebiet und fingt in fieben Abfchnitten (Der
Triumph, Das Abendmahl, Der Ölberg, Das Gericht, Das Kreuz,
Die Nacht, Die Glorie) ben Steg bes Kreuzes. Nun ift es zwar
befannt und allgemein angenommen, daß ein Dichter geboren
wird und nicht werden kann; aber es beduͤnkt Ref. bo, als
fei dem Berf. in den Jahren feiner Beftrebungen die Kraft zu
portifhem Schaffen gewachſen und ber Ton feiner Zuba Elinge
reiner unb voller al8 früher. Iſt das Wert auch keine „Wels
lade”, To ift es boch ein Beitrag zur modernen epifchen Litera⸗
tur, auf dem Sein Kunftrichter vornehm herabblicken wolle und
das kein frommer chriſtlicher Lefer ohne Erbauung aus der
Band legen wirb. .
3. Ivan Krylow's Kabeln in acht Büchern.
Ruffifhen von Ferdinand Zorney. Mitau, Rehyher.
1842. 8. 1 Ihe. 15 Nor.
Um zu zeigen, welche Sprache und weicher Geiſt in biefen
Fabeln herrſche, theilen wir (8, 7) bie vierte „Die Kräbe und
Das Huhn“ mit:
Als einft Smolenſtens Held
Sich wider frechen Muth erſt ſchlau verwahrt; geſtellt
Sadann das Netg den neu'n Vandalen,
Und Moskau ihnen ließ zu Schreck und Qualen;
Da ſchnürte, was bie Stadt bewohnte, Groß und Klein
Sein Bündel flugs, wie auf ein Zeichen,
um fort aud Mostwad Mauern zu entweidhen,
Wie Bienenſchwaͤrme querfelbein,
Und eine Kraͤhe ſieht vom Dache dies Getuͤmmel,
Streicht ruhig doch den Schnabel dort.
„Biebft du, Gevatt'rin, denn, beim Himmel⸗,
Vom Fuder ruft's ein Huhn, „nit fort?
Schon naht der Beinde bunt Gewimmel,
For -lärmend Worb!”
Aus dem |
"von
—— Kr, 141, 21. Mai 1843,
„Dab’ ih mit benen was u theilen? ”
Spricht ide prophet'ſcher Mund, „ganz dreift kann ich Hier weilen;
3a, beine Schweftern mahnt bie Pit;
Doch eine Kraͤhe kocht und brät man nicht.
Drum foll vor jmen Gaͤſten mir nicht bangen;
Birlieiht Bann ich durch fie ſogar noch wad erlangen,
Ein Staͤckchen Kaſe, ein Knoͤchlein, und wer weiß . . - -
Erb’, Buͤſcheltantchen, wohl denn, gute Reif!
@6 folgt die Kraͤhe keiner Gruppe;
Doch flatt Gewinnes bringet Noth
Bär fie Smolendtens Kür, den Uhfen — Bungerötob.
Sie ſelbſt gerätp no in die Suppe —
So rechnet aft der Menſch für ſich auch blind und bumm.
Er tanzet nach) der Hand bed Glaͤdes, wird ihm ſcheinet;
Doch wenn er fie zu fallen meinst —
Dreht er fi in der Suppe uw
So unklar, pump, gefchraubt und unbarmonifch wie in obiger
Probe Kutop und Dolmetfch fi) vernehmen laffen, find fie
das ganze, äußerlich elegant ausgeflattete, bem ruſſiſchen Minis
ſter Bollsaufflärung mit einem fubmiſſen Gedicht dedicitte,
mit dem Portrait Erylow's geſchmuͤckte, ach, 20 Bogen ſtarke
Buch. Mehr als 20 Kabeln, alle wie die obige, Tonnten wie
nicht lefen. Vielleicht folgen auf fpätern Seiten beffer erfundene
ober beffer erzählte. Wie ſehr waͤnſchen wir das!
371. Liederbuch der Lätitia. Breslau, Keen. 1842. Sr. 8.
Npr. Ä
Es wäre ungart, wenn man an biefes, als Manuſcript für
bie Mitglieder der breslauer Laͤtitia⸗Seſellſchaft gedrudte Buch
ben gewöhnlichen Maßftab ber Kritik Iegen wollte; aber thäte
man es auch und ließe dad Anathem (&. 51):
ern fel die Welt mit den ftelfen Philiſtern,
Neivifhe Kritiker feien verdammt —
unbeachtet, fo dürften doch die Männer, bie ihr poetifches Con⸗
tingent barin ſtellten, bas Öffentliche Urtheil durchaus nicht
fheuen; benn es find frifche, gefällige, anmuthige Klänge, was
uns bier entgegentönt. Die zahlreichften Beiträge (es mögen
überhaupt 50 und etliche Rummern fein) find von Beyer,
Gruͤnig und Loewenftein und fie zerfallen in drei Abthei⸗
. tungen: Gefellige Lieder, Trinklieder und Wanberlieder. Ein
Anhang bringt uns außerdem ſeche Lieder von Hoffmann
allersleben, welder allerdings bie übrigen Gänges
in Schatten ſtellt. Grin „Lied an die Deutfchen” (&. 108),
weiches beginnt: „Deutfchtand, Deutfchland über Alles” u. f. w.
möchten wir hervorheben und als das befte bezeichnen. Das
Liederbuch enthält eine fchägenswerthe Beilage durch bie Gome
pofition von ſechs Liebern, von den Tondichtern Schnabel, Rays
monb und Bröder, wobei wir blos bei der Compofition des Eoe-
wenftein’fchen „Shampagnerticdes’, wovon jede Strophe mit eis
nem energifchen : Puff! endet, fragen mödjten, warum ber Ton⸗
dichter und dieſes energifche Puff in feinen Klängen vorenthals
ten bat? Das Äußere des Buchs iſt feiner vermuthlichen Be⸗
. 2
ein Album für die Laͤtitia⸗Genoſſen zu fein, vollkom⸗
men prechend. Die feine Lithographie, dem Titelblatt ger
genuͤber, ſellt mit paſſenden Emblemen der Freude die Mitglie⸗
der der Geſellſchaft im Moment des vollen Freudengenuſſes
dar; jebes Lied ift mit fein gebachten und gezeichneten Initia⸗
len verfehen und unter jebem berfelben fieht man eine entſpre⸗
chende Vignette.
B. Gedichte von Karl Fink. Zweite Auflage. Kobin, Weiter.
1842. 8. WM Nor
Der junge Doppellänftier — sit venia verbol — ber
een mit feinem Namen ein finniges Spiel treibt, fagt Hrn.
. B. Rouffeau (8. 143):
Tauſend arme Boͤglein Hiegen dort und fliegen ſchuͤchtern Wie,
Können nirgend Ruhe finden, überall verſcheucht man fie.
Doch no gibt ed ſchoͤne Auen, die ber Poefie geweiht,
Wo im Hauche füßer Lieder endet jedes Erdenleid.
Auen, wo ber liebe Gaͤrtner felber mit ben Boͤglein fingt,
Daß der Klang durch alle Welten und bi8 auf zum Himmel bringt.
Und in ſolchen Gärten flog von Lieb’ befeelt ich flink:
Särtner wird wol nicht verjagen feinen treuen armen Bin.
Das thut auch der fo Angefungene nicht. Er thut noch mehr
für das ſchuͤchterne Voͤglein. In einem Prolog, in weldem er
eine Galerie von beutfchen Dichterportraits von Parcival und
Ziturel an bis auf Kerner und Brentano zeichnet und aufſtellt,
empfiehlt er mit warmer Theilnahme feinen Schuͤtling dem
Publicum und zeichnet zugleich fein Bild folgenbergeftalt:
Der biefe Lieder fang, gehört — Ihr werdet felbft 16 leſen —
Bu denen nicht, die, fhmug’gen Sinns, die But und bie Gifte
derböfen !
Aus feinem Munbe weht Sriede nur umb jener zeine Tom,
Dur den ein Dichter zum Bitter wird ber Chreulegien.
Noch lebt fein Derz, fein gemüthlicher Sinn in ber Unſchülb
" lichten Bezirken,
Sen Himmel iA nit mit den Hourid gefällt der opiumtrunke⸗
nen Tärten,
Er fiebt nur Engel mit Lilienkleid und Vergißmeinnichtſittig allda,
Unb ſtimmt, aufjauchzend, entzädt, in ihr HSofianng, Yalleiuja !
Dann redet er von feinem biedern Herzen; er fet ein Heſſe, aus
Kaſſel; er führe den Pinfel, werde von Kennern gerühmt, auch
fähe man wol an feinen Liedern, daß er fich auf Schmelz unb
Jarbenreiz verfiche. Dann fährt er fort:
Wohlan denn, koftet Ihe Andern auch, was mir konnt’ Freude
bereiten!
Mit vollen Glocken wit ich nicht zu biefem Büchlein Iäuten, —
Befeiben iR aoch Manches brin, wie befien Sinn, ber’s führieh s
Allein auch Bieles IR fo fhön! fo kiefgefühlt! fo Lieb!
Berzeiht — mild Urteil thut fo wohl! — dad Schwaͤchere
wegen bed Feſtern,
Und glaubet, unfer Dichter wird, ba die neun olympiſchen
Schweſtern
Ihm doch einmal die Stirn gekuͤßt, noch weiter ſtreben hinauf⸗
Wenn erſt er nicht verſucht, wenn ganz ſelbſtaͤndig geht ſein Lauf.
Bu dieſer Freundesrecenſion fegen wir noch einige Andeutungen.
Die Gedichte haben eine zweite Auflage erlebt, ein Beweis, daß
fie geen gelefen worden find. Unter den Romanzen und Balla⸗
ben, bie alle von eigener Erfindung zu fein ſcheinen, Haben wir
mit Bergnügen „Die lehte WReife” (8. 9), „Die Rovembers
nacht” (S. 16) und „Die Leiter’ (&. 45), als Stuͤcke gelefen,
die poetifche Anlage und Dichterberuf befunden und Zeugniß ab»
legen von dem Dafein innerer Wirkſamkeit der Seelenkraͤfte,
bie einem Dichter eigen fein müflen. Schwach dagegen find in
diefer Rubril „Die Sarbine” (3. 49) und „Das Mädchen im
Kapuzinergäßcken zu Würzburg” (&. Sl), indem fi in ihnen,
wie in vielen andern, eine jugendliche Unbeholfenheit offenbart,
die Dr. Dr. Rouffeau, fein Mäcen, Mangel an Selbſtaͤndigkeit
nennt: „Die Spinne und das Blämdyen” (&. 72) ift gut ev
funben, gehört aber nicht unter die Balladen, fondern iſt eine
* Gin gweiter Artikel folgt im Monat Jull
ten
Himmel“ je: „Thraͤnen“ (&. 1
nett ber Verf. in
Wir alle gebn zuſammen bier in bie Lebensfkul’,
Das Betum figt ald Lehrer auf finfierm Wolkenſtuhl.
Erfahrung find die Bücher, die Thraͤnen unfre Dint‘,
Mit Blut wird corrigiret — wo grobe Fehler find.
Schwarz find bie Bücherdecken, und golden if die Sahriſt,
Zerbrechlich, weich, auch fpröde if unfer Schreibefift.
Der Mäden Meiner Menſchen iR unfer Bäreitpuit bier,
Die Bungen bummer Leute finb unfer Löfchpapier.
Die Thaten guter Shrißen find unfer Lineal,
Die Folge krummer Zeilen It bed Gewiſſens Dual,
Gar weife if vertheilet bie Zeit im Stundenplan,
Sehn wir ihn au Topffäättelnd mit jedem Morgen an.
Sm Aug’ und auf der Stirne ficht offen die Genfur,
Da ſtehtes, wie man gelebet, doch unauslöfhbar nur.
Danach wird nun gerichtet des Schuͤlers Erdenlauf:
Bulest fließt dann der Himmel deu Bieib'sen Prima auf.
Summe unfers Urtpells: In der Prima ber pieriſchen Schute
figt unfer junge Sänger noch nicht; aber vielleicht wird er das
bin verfegt. *) 61.
Bon ben neueften Bereiherungen ber beuts
fhen Sprade.
Es ift nicht übel, wenn man ſich von Zeit zu Zeit Rechen»
ſchaft gibt über Gewinn und Berluft feines Vermögens inners
bald eines gewiffen größern Zeitraums, um eine Bilang zwi⸗
fen Vergangenheit und Zukunft 'abzufchliefen. Auch mit ben
geiftigen Gütern ift fo ein Verſuch zu Zeiten anzuflellen — unb
was thun bie Geſchichten der Sprache, Literatur, Kunft, Wiſ⸗
ſenſchaft u. f. w. anders, als die Vergangenheit mit ber Ge⸗
genwart controlircen? So ift es benn nicht ohne Jautereſſe,
auch einmal unfer ſchoͤnſtes und gewiſſeſtes Gemeingut, bie
theure Mutterfprache, darauf anzufehen, wie weit fie es in
Folge der ungewöhnliden Anftrengungen, die ihr bas lette
Menfchenalter zugemuthet, gebradjt hat. Für heute genüge es,
einmal vorläufig gewiſſer Gingelbeiten zu gedenken in Beden⸗
tung, Biegung und Verbindung ber Worte. Ginem Andern
bleibe es vorbehalten, dieſen Ginzelheiten gegenüber ein Ganzes
zu denken, aus dem jene erklaͤrt und beftätigt werden mögen.
1. In ber Biegung find Zaberungen eingefreten, bie
Ginigen ale Bereicherung, Andern, biftorifch @efinnten als Ber⸗
armung gelten werben. Gchon bei Luther finden ſich neben unb
ſtatt der ebein naturkräftigen fogenannten ſtar ken Formen der
Berben manche gefchwächte, deren Gintritt dem ſchoͤnheitlieben⸗
den Ohre ein Verderb fcheinen muß; biefe Formen nehmen auch
bei forgfältigen Schriftftellern feit dem vorigen Jahrhundert zu.
Ein kreuzbraver Mann aus jenem philiſtroͤſen Saͤcuium, dem wir
manche wunderliche Beſtimmung des Gprachgebraudye banken
und fie fogar theitweife gefegfräftig gemacht Haben — Bett
beſſer's! — ber machte fogar ben revolutionnatren Worfchlag,
man folle bo, ben Fremden, 3.8. Branzofen, zu Ges
fallen, bie Mehrzahl ber unregelmäßig flectirten (ai!
alles Starte war dem guten Deren wider feine Na )
Zeitwoͤrter abſchaffen und zahme abgeſtutte dafuͤr einfegen ! und
dieſer fromme Wunſch iſt leider in Erfuͤllung gegangen bei fol⸗
genden Berben, bie, wer weiß? ihre zahlreichen Nachfolger er⸗
warten.
D. Keb
.
. uhr: Haute, bratete, meibete (Iubith, Tobias)
Rott: hieb, briet, mich.
Kiopſtock: zufte, ladete, flatt: rief, Iub.
Goethe: faugte, ſproßte, fatt: ſog, ſproß (von
ſprießen).
Schiller und Spätere: gedeihte, backte, ſchraubte,
ſchnaubte, gleitete, kneipte, ſchallte, ſtatt: gedieh,
buk, fhrob, ſchnob, glitt, kniff, ſcholl.
Unter ben Subſtantiven, bie bei Schiller geſchwaͤcht
vorlommen, bebe ich hervor: ber Willen, ber Trieben, wo
Goethe das Echte feftpält: der Wille, ber Friebe, Die
Dialekte haben zum Theil erhalten: der Babe, der Garte,
der Shlitte Den unorganiſchen Plural: die Läden, bie
Sämmer u. f. w. haben die noͤrdlichen Wolksbialekte nicht
aufgenommen , während man bagegen in Böhmen hört: bie
Züge, und in Nieberfachfen an der Wefer: bie Hünbe.
2. Mannicfaltiger ift noch bie Bereicherung der Werts
bebeutungen und Zufemmenfehungen, womit genau zuſammen⸗
hängt die Aufnahme fremder Wörter. Man bat dem guten
Gampe feinen Yurismus vorgeworfen: nur halb mit Recht.
Denn ungeachtet feines abenteuerlichen Fanatismus bat er bodh
das Seine beigetragen zur Reinigung unfers herrlichen über
reichen Sprachſchatzes, und viete feiner lÜberfegungen haben
Bürgerrecht erworben. Heute thäte uns ein zweiter Campe
noth, um dem philofophifchen Jargon feine vomanifirende Sub⸗
ects Objectivität ideell und reell zu curiren, und wenigftens das
berflüffige Eſoteriſche, Precäre, Dubidfe, Relative, Reflerive,
Generelle und Specielle in feine notwendigen Schranken zuruͤck⸗
zuverweifen. Schlimmer jedoch als biefe Fremdwörter, bie
das beutfche Ohr als foldye vernimmt und vielleicht allmaͤlig aus⸗
fcheidet, Tcheinen biejenigen Wortbilbungen zu wirken, bie aus
einheimifhen Stämmen gebildet, aber in neue unorganifche Bes
deutungen umgeftempelt find. Hier wirb das heimiſche Gefuͤhl
nicht groͤblich verlegt, obiwol ber feiner Hoͤrende die Ungehoͤrig⸗
feit, wenn auch unbewußt, merkt. Der größte Theil biefer
Wörter find aus fchlechten Überfegungen entftanden und durch
die Zeitungsfchreiber eingeſchwaͤrzt. Man fieht ihnen oft das
Linkifche an und ahnt die fremde Zunge; es wäre ein Berdienſt,
diefen Bilbungen zu entfagen, und auch in ber Politik fein
dem: das deutfche Wort, vernehmen zu laflen. Ron biefer
xt find:
Unterſtellen, recht niedlich überfegt aus dem Hollaͤndi⸗
ſchen onderſtellen, welches wieder aus dem Franzoͤſiſchen
supposer matt genug nachgeahmt iſt. Wir haben für dies
Modewort laͤngſt ein altverftänblicdhes: vermuthen, ober ges
legentlich: unterlegen, vorausfegen.
Unterbreiten, noch entfeglichen gebilbet als Hyperbel
des vorigen und ebenfo entbehrlich. Sefegentwurf unter:
breiten: warum nicht: vorlegen, zu Grunde legen?
Überwadhen. Das Holländifge overwadhting warb
früher nicht .uneben mit Beobachtung, Bewakhung über
fept, der Nebenbegriff der Verantwortlichkeit ift in das
hoilaͤndiſche Wort willkürlich bineingetzagen, Dies Wort ift
ſchon aus ben Zeitungen in die neunbändige Literatur der Frau
von Paalzow eingedrungen.
Borgefehen. Im „Code Napoleon” {ft orime prevu
ein Verbrechen, das in ben @efegen vorkommt, bezeichnet wird;
etwa das bezeichnete, genannte, fragliche Vorgeſehen heißt
fonft nur provisus, cautus.
Sich herausſtellen if zwar nicht überfegt, aber body
fremdartig für erfheinen. Goethe bat es zuerft, wo wirklich
von Stellen die Rebe if. Das haben fi) die Zeitungsfchreis
ber fogleich gemerkt, um ein neues efoterifches Wort zu haben.
Herftellen bedeutet bei Goethe und den Blaffitern resti-
tao, wieder in den vorigen Stand bringen. Die fübdeutfchen
Zournatiften gebrauchen es für einrichten, binftelien,
machen, und es gilt für vornehmer, in fagen: es foll eine
neue Bräde hHergeftellt werden, flatt gebaup («tablir und
r6tablir).
Vorgehen heißt in allen beutfchen Bauen entwehes
ſonlich praeire,, oder unperfönlich accidere; aber nirgend, Ba
bie augsburger „Allgemeine Zeitung” aus dem franzoͤſiſchen pro-
ceder verdreht hat, fo viel ale verfahren. (Lyons ift gegen
ben Minifter Rudhart fhonungsios vorgegangen, flatt übel
mit ihm verfahren, umgegangen; a procédé mal
avec etc.)
Boranſchreiten bebeutet ſonſt praecedere, praegredi,
anteire. In den heutigen Zeitungen lieſt man: bald foll ber
Bau bes Doms voranſchreiten, flatt: vorwärtsgehen.
Bielleiht liegt in einigen dieſer Bilbungen fübbeutfcher
Dialekt zu Grunde; wenigftens haben manche fchweizer Blätter
dergieicgen im Übermaß, was fie zum Theil ben weltlichen Radh-
barn entlehnt haben. Auffallend ift unter anbern auch eine
Menge zuſammengeſetzter Zeitwoͤrter, bie nichts bezwecken als
— Steigerung des Einfachen. Ein paar Beiſpiele
en:
Zuwar ten iſt nichts weiter als warten, erwarten.
Andauern (auch im „Hamburger Correſpondenten“);
warum vr Hirt N
nbeftellen flatt beftellen, foll das Gegentheil vo
abheflellen beflimmter anbeuten. genth n
Verdankung eines Berichts (ſchweizer Blätter).
Unter bie mislichften Erſcheinungen aber rechnen wir einige
derartige Zufammenfeßungen, die entweder in fi unverſtaͤndlich
find und alſo eines Commentars bedürfen, oder zur Zweideu⸗
tigkeit neigen; beides Dinge, bie in einer Urſprache gar nicht
vortommen müßten und auch im Ganzen bis zum (Ende bes
vorigen Jahrhunderts ſehr felten find. Es ift ein Ruhm, ein
Borzug der deutſchen Sprache, daß jedes Wert eindeutig fei
(ben technifchen Gebrauch natürlich ausgenommen) und aus ſich
ſelbſt verfianden werbe. Bon den wiberwärtigen Worten aus
biefer Reihe nennen wir vorzüglich:
Dem naͤchſt fol bedeuten 1. ferner, naͤchftens; 2. fobann,
in Folge beffen. Es bedeutet aber von Natur nur das Erſte,
dv. h. dem (zu) naͤchſt.
Beiläufig I, was beistäuft, d. 5. nebenher, nebenbei;
9. in fübbeutfchen Blättern fo viel als ungefähr, bei Zahlen
gefeht; eine complicirte Idee, daß bie Zahl ungefähr bei diefer
und jener u. f. w. berläuft! Cbeildäufig 100,000 Men⸗
ſchen). Nur das Erſte ift natuͤrlich und richtig.
Dermalig 1. jegig, 2. resp. jebesmalig. Beides iſt
glei gut und gleich ſchlecht. Wenigſtens das Erſte, das fi
noch erklären läßt, müßte heißen: dasmalig, diesmalig.
Bislang, ein tragifch berähmtes Wort aus ber hanover⸗
fhen Kammer von 1834! fol bedeuten: fo lang bie hier,
bisjegt. Man könnte ebenfo gut'fagen bisgroß, bistief,
bisdumm, es wäre nicht duͤmmer als jene reizende Zufams
menfegung, um bie fih eine harmloſe Debatte zwifchen den lin⸗
guiſtiſchen Politikern entfpann, wo endlich ein geborner Däne
(Dr. Shriftiani) für das Wort fechtenb fiegte!
3. Endlich hat aud) die Wortverbindung Änderungen er⸗
faheen, bie nicht immer aus ber angeborenen Natur unferer
Srrache hervorgegangen ſind. Den Franzoſen nachgebildet iſt:
Das Miniſterium Thiers, Wellington, welche
Redensart im Franzoͤſiſchen nur aus dem Beduͤrfniß ber
bei der troſtloſen Fiexionsarmuth jener Sprache zu erklaͤren i
im Deutfchen aber gar feinen Grund bat, als Nachäffereis
—A Redensart folgt das Häufiggebörte: ber Proceß
affarge.
Man kommt iſt nicht beutih für Einer, Jemand
kommt, wie das franzöfifche on vient, on frappe. Leider bat
auch Goethe dieſe rheiniſche Redensart. Eind eutig bedeutet
das man immer die Verallgemeinerung (noch mehr als das
Griechiſche zus): die Menſchen überhaupt, die Allgemeinen, Uns
Fi als! man fagt, man glaubt, man traut
m nicht.
und ſehe ig nicht ein u. f w. Dieſe Stellung bes
Satzes nah und iſt ſchon ziemlich alt und hat in früherer Zeit
der ng in dem halb relativen Gebrauche be und,
noch in Sans Sachs erſcheint, z. B. Griſelvis ih wott
und daß du mir ſagen möchteſteu. ſ. w. Da aber die⸗
ſer Gebrauch des und gaͤnzlich verſchwunden und dieſe Par⸗
tikel jetzt rein coordinirend geworben tft, fo iſt jene Stellung
für uns falſch geworden, und es kann keine andere Folge na⸗
turgemäß ſtattſinden als: und ich ſehe nicht,
Die Tiefe iſt diefes, das Srundlofe, Unenbs
the zu bezeichnen. Diefe und aͤhnliche Rebensarten hat
Ze daͤufig. Das Beduͤrfniß neuer Ideendarſtellung dat die⸗
en großen Denker auch zu neuen Bildungen und Verbindungen
ber Worte gedrängt, die fich zumeilen durch ihre treffende Bes
deutfamkeit hervorthun, oft aber auch dem eingeborenen Sprach:
gefühl vertegend find. Die eben genannte Satzbildung iſt nun
zwar aus dem Zufammenpange genügend erftärt, body hat fie
etwas Widerhaariges an fih. Warum nicht ſtatt: iſt diefes
etwa: bat bies zu bedeuten, daß es iſt? hat die Bes
deutung, zu fein?
Mit diefer Biüteniefe ohne Wtütenftaub fei es für heute
genug. Wir wollen uns nicht wie Zionswächter geberben, welche
das Attertfum und das Jahrtauſend lang Geweſene ſogleich hei⸗
lg ſprechen; aber bas koͤnnen wir auch nicht ertragen, daß uns
jeder Horriblliſcribifax mit einem Sack Neuerungen in die Thür
teitt und mit der Anmaßung, dem Alten, Urfprüngliden eine
neue Seite abgewonnen zu haben, wenn er uns nur bie Ohren
kereuzigt. 62.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Periodiſche Provinzialwerke.
Es iſt eine alte, oft wiederholte Klage, daB in Frankreich
bad gefammte geiftige Leben von der Hauptſtadt abforbirt wird.
Falſch aber wäre ed, wenn man bamit behaupten wollte, bie
Provinz fei aller Literarifchen Thaͤtigkeit entbiößt. Im Gegen:
theil zeigt fich in mehren Departements, namentfi im Süden,
feit einiger Zeit eine rüftige Thaͤtigkeit, die wir keineswegs
ganz aus dem Auge verlieren dürfen. Wenn au früher fon
ter und da in der Provinz einzefne talentvolle Schriftſteller
auftauchten,, die fi in den mächtigen Strudel der Hauptſtadt
binreißen ließen, fo waren im Allgemeinen body befonder® die
Departementatjournate nur malte Abdrüde von ben Tagesblät:
tern der Hauptſtadt. Seit kurzem zählt nun bie Provinz ins
deſſen ſchon einige Zeitſchriften, die eine wirktiche Literarifche
Bebeutung haben unb die ſich allmaͤlig Luft machen werben.
Wir erwähnen hier nur beifpielsmeife bie gediegenen „Archives
litt&raires da Nord’, die zu Lille herausfommen. Ein Seiten:
fi zu diefem periodiſchen Blatte, dus ſchon eine Reihe von
Jahren befteht, ift die neue „Revue du midi”, bie in Mont:
peffier herauskommt. Das erfte Heft, das und vor kurzem zus
gelommen ift, verfpricht fehr viel Es enthält außer mehren
fietnen Artikeln folgende Auffähe: 1. ‚Orient es l’Occident‘’,
von Lallemand; 2. „Sur les traditions populaires carlovin-
giennes”, von Achille Jubinal; 3. „Recherches sur la philo-
sophie du droit”, von Maffot:Reynier u. f. wm. Bon den
aͤſthetiſchen Beiträgen, die wir in dieſer Revue gefunden haben,
7335 wir namentlich einige geiſtreiche Verſe vom bekann⸗
en- j
Sainte⸗Beuve.
Sainte-BVeuve iſt unſtreitig der liebenswuͤrdigſte Kritiker
des gegenwaͤrtigen Frankreichs. Er hat ſich bekanntlich eine
eigene Gattung ber Kritik, die man die pſychologiſche heißt, ge:
(haften. Aber außerdem hat er fich durch umfaflende literarifche
Arbeiten bekannt gemacht. Ganz neuerbings hat er erfl wieder
in feinem „Port-royal“ fein bedeutendes Hiftorifches Darftels
lungstalent an ben Zag gelegt. Schon früher hatte er dies ins
deffen in feinem verbienftvollen „Tableaa historique et cri-
tique de la po6sle francalsu et du tiitätre fiancals
in Leipzig aufmerksam
au Iölime
siöcle”! getyan Sainte s Beuwe hatte bei ber Ausarbeitung die⸗
fes ‚ von dem ber „Globe” bie erſten Druchſtuͤcke brachte,
einen fpecielen Zweck. Gr wollte nämiidy nachweiſen, daß bie
literarifchen Beſtrebungen ber romantiſchen Schule, zu berem
Hauptlämpfern er damals zählte, fidy an einzelne Richtungen
des 16. Jahrhunderts anknaͤpfen ließen. Somit war bicfes
Wert, das auf fehe umfaffenden Studien berupte, zum Theil
als eine Parteifchrift zu betrachten. Darunter mußten natürs
lich eingelne Partien leiden, in denen bie Anfichten der romans
tifchen Schule gar zu fehroff hervortraten. Wir meinen befons
ſonders die Stellen, in weidyen ben Dichtern bes 16. Jahrhun⸗
berts Ideen und aͤſthetiſche Grundſichten untergelegt wurben, an
welche fie wol ſchwerlich gedadyt haben mögen. Wir haben
deshalb zu unferer Freude bemerkt, daß Sainte⸗Beuve, ber
allmätig die @infeitigteit der eigentlichen romantifchen Schule
überwunden hat, tin bee neuen Ausgabe, welche ex von biefem
*— ae ne ** von der 3. Band heraut⸗
gekommen iſt, dieſen Mangel zu tilgen ſucht. Außerbem ſcheint
es uns, fe viel man nach einem fluͤchtigen Beide —— ta
ee ber Berf. weienttiche Bufäge zur erſten Ausgabe ges
Über ben uUrfprung des Menſchengeſchlechte.
Sin franzoͤſiſcher Priefter, Namens $.8. M. Maupied, bat es
unternommen, bie Wahrheit der Annahmen ber Heiligen ift
über den Urſprung des Menſchengeſchlechts ausführlich nad;
weiſen. Der Zitel feines Werks Tautet: „Prodrome d’ethao-
‚graphie ou essai sur l’origine des
peuples anciens, contenant
l’histoire neuve et detailldee du bouddhisme et du brahma-
‚nisme’”’ (Paris 1343). Der Verf. nimmt, zuwörberft eine alls
gemeine Suͤndflut an und ſucht dann, in Übereinftimmung mit
ber Bibel, darzuthun, baß das chaldaͤiſche Armenien die Wiege
der nachſuͤndflutlichen (poſtdiluvaniſchen) Menſchenrace geweſen
ſei. Es ſcheint ihm unwiderleglich, daß alle verſchiedenen Ras
tionen von einem gemeinſamen Stamme herkommen. In die⸗
ſem Falle muß natuͤrlich eine Grundſprache exiſtirt haben, weiche
ihm die ſemitiſche und zwar die alte chaldaͤiſche Mundart gewe⸗
ſen zu ſein ſcheint. Dieſer Theil ſeines Werks iſt am ausfuͤhr⸗
lichſten behandelt. Der Verf. gibt ſich den Anſchein, als habe
er nicht nur eine ganz neue Wiſſenſchaft, nämtid die Phyſio⸗
logie ber Sprache, geſchaffen, fondern er wendet fogar, um bie
Wahrheit feiner Annahmen nachzuweiſen, ein eigends erfundenes
Inſtrument an, das er „„Bloffometer” tauft. Von dieſen Sägen
geht er nun weiter und ſtellt bie Behauptung auf, baß ber
Buddhismus nichts fei als eine Umgeſtaltung ber juͤdiſchen Res
ligion. Auch bie Ghinefen haben, nah Maupied, ihre Re
lie und ihre Philofophie nur aus zweiter und britter Band
erhalten. 2,
Literarifhe Anzeige
Steunde der Siteratur
werden auf den Verlags-Katalog von F. A. Brockhaus
emacht, der soeben in eiuem
neuen, bis zam Jahre 1842 fortgeführten, mit einer wissen-
schaftlichen Übersicht und einem Autorenregister versehenen
Abdruck erscheint. Durch jede Buchhandlung sind Exrem-
plare gratis. zu erhalten, sowie auch ein erzeichniss
schönwissenschaftlicher, historischer etc. und an-
derer werthvoller Schriften aus demselben Verlage,
welche zu bedeutend ermässigten (nur noch kurse
Zeit geltenden) Preisen eriassen werden.
Verantwortliher Herausgeber; Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von J. 4. Brodhaus In Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Montag,
Vitse CHI viroram illustriam qui saecalo XV extite-
runt auclore coaevo V espasiano Fierentino. Praelt
Bernardini Baldi de historla tractatus. Rom 1839.
EErſt 1843 publicirt.)
Dee gelehrte und wnermüblihe Forſcher In den
Bibliotheken Italiens, Cardinal Angelo Mai, bat als
Fortſezung feiner aus dem haudſchriftlichen Schägen des.
Vaticans gezogenen Sammlungen ein „Spicilegium Ro-
manum‘’ herausgegeben, von welchem acht ſtarke Groß:
schaubände ſoeben (Februar 1843) erfchienen find, eine
Säle von Iateinifchen und griechifchen Ineditis, von den
Kirchenvaͤtern an bis ins 16. Jahrhundert enthaltend.
Einige Schriften in italieniſcher Sprache find gleichfalls
in dieſer Sammlung mitgetheilt: die umfangreichiten und
wichtigften derſelben enthält ber oben angezeigte Band,
4103 Lebensbefchreibungen berühmter Männer des 15.
Jahrhundetts, von dem florentinee Buchhändler Vespa⸗
Emo. Diefer Vespafians iſt ein in der italieniſchen Lites
sargefchichte keineswegs unbekannter Name: Muratori hat
feiner großen Sammlung der „Scriptores Rerum Italic.“
zwei von demſelben verfaßte Biographien der Päpfte Eus
gen IV. und Nitelaus V. einverleibe und dabei in Pin:
fiyt der Schreibart bemerkt: omnia haec multa cum
simplicitate seripta sed quae magnificam alıorum elo-
quentiam pretio superent; ein Paar andere Lebensbe⸗
ſchreibungen, bie der Gardindie Gefarini und Albergati,
des Agnolo Pandalfini und Sr. Filelfo, find andermärts
gebrudt, verfchiedene von ben übrigen mehrfach benupt
worden; ins volle Licht wird fein großes und eigenthuͤm⸗
liches ja beinahe einziges Verdienſt indeß erſt durch die
gegenwaͤrtige Publication geſtellt, welche uns mit dem
reichen Schatze der durch ihn geſammelten Nachrichten,
mit einer Menge ber intereſſanteſten Züge, mit anſpruchs⸗
lofen aber getreuen und lebendigen Charakterſchilderungen
bekannt macht. Bevor ich aber von dem Buche rede,
muß id des Autors gedenken, wobei bie inhaltreiche
Vorrede de6 Herausgebers den beften Leitfaden an bie
Hand geben ann.
Als das Studium bes claffifhen Alterthums in Ita⸗
Khers toiederaufjuleben "begann, bie Kenntniß der lateini-
fen Schriftſteller und die Kunft, in ihrer Sprache fich
auszudruͤcken, im Vergleih mit Petrarca’6 Zeiten bedeu:
{end eriveitert und vervolllommnet wurden, während bie
griechiſche Literatur erſt recht fi) Wahn zu brechen an⸗
fing, war Florenz ber Mittelpunkt biefer gelehrten Bes
firebungen, roelche, während fie nad einer Seite bin uns
endlich förderten und über bie legte Epoche des italieni⸗
[hen Mittelalters einen Stanz verbreiteten, ber nimmer
erbleichen wird, andererfeits die Entwidelung der Natio:
nalliteratur bemmten, bis diefe, genährt mit dem antiken
Saft, aber wieder frei in Form und Bewegung, von
neuem glänzend bervortrat. Jene Zeit, welche der Ex
findung der Buchdruderkunft nur um fo wenig vorans
ging, war auch die Zeit des Anlegens ber großen Biblio
theken im Deceibent: die Bildung begann fich fo weit zw
verbreiten und die literariſchen Huͤlfsmittel wurben von
Dielen fo emfig gefucht und fie wurden fo nothwendig, daß
der menſchliche Erfindungsgeift auch ohne fonftige Außere
Veranlaffung auf das KErfinnen einer bequemern und
minder koſtſpieligen Vervielfältigungsmwelfe, deren gefteigerte
Production mit den gefleigerten Anfoderungen Schritt zu
balten vermochte, angemwiefen war. Daß das Sammeln
von Büchern damals mit Mühe und mit großen Koften
verbunden war, braucht nicht noch erſt gefagt zu werden:
die Zahl Älterer Handfchriften war verhältnißmäßig ge:
ring und ber Preis fland mit der Seltenheit im Ber:
haͤltniß. Abfchriften wurden deshalb in Menge gemacht:
mancher Gelehrte copirte die Claſſiker für feinen eigenen
Bedarf, und wir befigen noch berühmte Beifpiele davon;
die Mohlhabenden liefen ſolche Kopien verfertigen und
die reihen Privatleute und Fuͤrſten beftellten, als es Be⸗
dürfniß und Sitte ward, Bibliotheken anzulegen, ganze
Sammlungen derfelben, wie denn ein großer Theil ber
Eodices, die wir noch befigen, aus diefen fpdten Zeiten
ftammt. Das Gefhäft des Buchhaͤndlers, der die Be⸗
forgung ber Manuſcripte übernahm, fei ed, daß er neue
Abſchriften anfertigen Ich, fel es, daß er den Verkauf dls
teree vermittelte, gewann dabei immer größere Ausdeh⸗
nung und Bedeutung. Denn, welche reihe Sammlun⸗
gen angelegt wurden in Venedig, Mailand, Urbino, Mom,
Neapel, namentlidy in Florenz durch Gofimo ben Alten,
dur Palla Strozzi, Riccold Niccok u. m. A. Ift aus
den Schriftſtellern jener Zeit bekannt und nachmals durch
Bandini im „Specimen litt. Flor.”, duch Mehus im
Leben bes Ambroſio Traverſari, Such Tiraboschi in
feiner ‚‚Literntusgefchichte‘‘, durch Fabroni in den Blo⸗
86 >
bien Palla Strozzi's und Gefimo’s und Lorenzo's
de Mebid, duch D. Giorgi im Leben P. Nikolaus’ V.
endlich durch Roscoe, Ghepherd und manche amdere
Neuere vollſtaͤndig erlaͤutert worden.
Ein ſolcher Buchhaͤndlor war dee florentiner Bespas
ano di Filippo, den man häufig nach Mehus mit Unrecht
Da Biſticci nennt, und er macht feinem Stande die größte
Ehre. Wann er geboren warb, ift ungewiß: er ſelbſt er:
zähle, daß er zur Beit, wo der Garbinal Gefarini vom
bafeler Concil abberufen, um ber florentiner Klrchenver⸗
fammlung beisuwohnen, in Florenz ſich befand, ein juns
ger Menſch war („di non molta età“) und ber Cardi⸗
mal ihn veranlaſſen wollte, in den geiftichen Sum zu
treten. Da er noch im 3. 1493 lebte, erreichte er jeden-
falls ein hohes Alte. Wie wenig er ſich darauf‘ be⸗
ſchraͤnkte, mit dem mechaniſchen Xheili feines Geſchaͤfts
fich gu befaffen, zeigen die Schriften, die ee hinterlaſſen,
bie Zeugniffe von Zeitgenoffen (fo ſchreibt umter Andern
der berühmte Gianozzo Manetti: „Sei dotato di buono
ingegno piü che mon si richiede all’ arte‘‘) und die
große Menge von Bekanntſchaften, die er mit gelehrten
und vornehmen Männern antnüpfte, wie die ehrenvolle
Behandlung, die ihm von bdiefen zu Theil ward. Als
Thomas von Sarzana, der als Nikolaus V. den paͤpſtli⸗
chen Stuhl beftieg, in Florenz verweilte, fah er dieſen
viel und Leiftete ihm manche Dienfle; daß er, nachdem) er
Papſt geworden, bemfelben noch Hold war, zeigt bie leben:
dige Schilderung, die Letzterer von einer Aubdienz bei Gr.
Heiligkeit entwirft:
Kurze Zeit nach feiner Wahl — erzählt Vespaſiano — bes
gab ich mich zu ihm, eines Freitag Abende, wo er Aubienz ers
£heilte, wie er einmal wöchentlich zu thun pflegte. Es war
ungefähr um die erfte Stunde der Rat. Kaum war ich in
den Aubienzfal getreten, fo bemerkte er mich und fagte mit laus
tee Stimme, ich fei wilkommen und folle mich gebulben, da er
mit mir allein fein wolle. Nicht lange Zeit verging, fo wurbe
mir angezeigt, ich follte mid zu Gr. Heiligkeit verfügen. Ich
ging und kuͤßte ihm ber Sitte gemäß ben Fuß, hierauf gebot
er mir aufzuftehen, ſtand felbft von feinem Stuhle auf und ver:
abfehtebete eben, indem er fagte, die Audienz fei nun zu Ende.
Dann ging er nad) einem geheimen Theil bes Saales, neben einem
Ausgange, der nad) dem Garten führte; gegen zwanzig Doppelleuch-
ter brannten, vier davon nahe bei &r. Heiligkeit. Er winkte,
man möge biefe entfernen, und nachbem Alle weggegangen, begann
ee gu laden und fagte zu mir: Vespaſiano, hätte das Bolt
son Florenz wol geglaubt, daß zur Beſchaͤmung vieler Hochmuͤ⸗
thigen aus einem zus Meſſe laͤutenden Priefler ein Papſt wer
den würbe? Ich antwortete, die Blorentiner würden glauben,
daß Sr. Helligkeit um eigener Tugenden willen zu biefer Würbe
gelangt und baß fie Italien den Brieben wiebergeben werde.
Darauf erwiberte der Papſt: Ich bitte gu Bott, daß er mir
gewaͤhren möge, Das auszuführen, was ich in Gedanken habe,
naͤmlich den Frieben zu fliften und während meines Papſtthums
einer andern Waffe mid zu bedienen als derjenigen, welche
Chriſtus mir zu meiner Vertheidigung gegeben — fein Kreuz,
weiches ich mein ganzes Pontificat hindurch führen will. Bier
auf wanbte er zu mir, indem er fagte: Du weißt, wie oft
Gofime de’ Wtebici mie in meinen Nöthen Wohlthaten erzeigt
bat, darum will id ihn nun belohnen unb werbe ia morgen
u meinem Depofitar (Schagmeifter) ernennen. Dan Bann nicht
‚ indem man bankvaren Leuten Gutes thut. Zur Zelt des
Zubildums geſchah es wet, daß die mediceiſche Bank über 100 000
„die der Kirche gehöorten, in Berwaheſam hatte, wie ich
kannt, obgleich das Schreiben meinem Stande fre
Beweggrü
von glaubwärbigen Perfonen weiß, bie babei waren. Hierauf
fuhr er fort: Ich will den Florentinern eine große Ehre erzei⸗
gen, morgen früh werde ich ihren Botſchaftern in einem öffent«
lichen Gonftflorium Aubienz erthellen, wie man bei Kaifern unb
Königen zu thun pflegt. Diefe Auszeichnung werbe ich ihnen
zu Theil werben Vaffen Und dann: es wäre gat, den Sa Fr
lippo di Ser Ngolino aus dem il yurädumwufen. (Diefee was
ein Florentiner, beffen Leben unfer Vespaſiano geichrieben bat
und dem ber Papft wohlwollte, ohne aber feine Abſicht zu fer
nen Gunften burchfrgen zu können.) Sch redete ihm gu, er
möge dies thun; er fagte: er wolle es fih als eine Gnabe auss
hitten, und fo that er. Hierauf empfahl ih ihm Meſſer Piero
deglt Strozzi, damit er biefem ein DBenefiz geben möchte. Er
verſprach ed mir und erfüllte, was er verheifen. Webrmais
fagte er mir, ich follte von ihm verlangen, was ich wuͤnſchte;
wnerfahren wie id; war, frug ich nichts. Rachdem ich längere
Zeit bei ihm verweilt, fagte er: Bleibet diefen Abend bier, ſo⸗
dann rief er Meffer Piero da Roceto und fagte: Morgen fekh
werdet Ihe mit ums efien. Gr felbit ging dann ins anſtoßende
Zimmer und fagte: bleibt biefe Madyt bier, worauf ex (es wer
in ben Faſten) das Abendeſſen auftragen ließ. Er bebamerte,
daß ber Dausflanb Papſt Eugen's völlig ausgeplündert wor⸗
—2 — und er die Betten fr bie Dienerfhaft habe borgen
müffen.
Papſt Nikolaus brauchte den Vetpaſiano viel in lite⸗
tarifchen Angelegenheiten und der Cardinal Aleandre
nennt ihn deſſen „‚Bibliopola”. Auch dem Herzog Fried⸗
rich von Urbino ging er bei ber Anlegung feiner berähers
ten Bibliothek, derem handſchriftliche Schäge jest mit den
Vaticanifchen vereinigt find, an die Dand, wie dem Ger
fimo be’ Medici bei der gegenwärtigen Laurenzianifchen
Bibliothek und jener ber Dominikaner von ©.- Warce,
dem Alerander Sforza, Hera von Pefaro, und mehren
Ausländern, geifllichen wie weltlichen ‚Deren, die im
Floren; Buͤcherſammlungen zufammenbeschten. Dadurch
kam er mit ſolchen Männern in genaue Beruͤhtung, uub
während er Fremden haͤufig als gelehrter Wegweiſer Ws
der Stade diente, wie dem Grafen won Worceſter, dem
fpanifchen Geſandten, den er bei Lionarbe Aretino ein⸗
führte, dem Gardinal von Girona, den Miniſtern Abe
wig Alfons’ won Aragon u. A., Hand er mit Gianono
Manetti, Ambeogio Traverſari, Sozomeno von Pifieie,
Victorin von Feltre u. A. in einem Berhaͤltniß, das in
manden Faͤllen ein freundfchaftliches genanne werben
muß. Bon diefen und Andern wurden sahlreiche Briefe
an ihn gerichtet, die zum hell auf ums gekom⸗
men find. Die perfönlihen Beziehungen, in bene
Vespafiano zu fo vielen ausgezeichneten Maͤnnern
den, umd bie vielen Nachrichten, bie ihm üͤber ſolche ger»
gingen, bie er nicht felber gefehen, veranlaßten ihn, von
den berühmteften derfelben kurze Denkwurdigkeiten aufzuzeich⸗
nen. Er ſpricht fi in dee Vorrede zu feinen Biographien
über die Grunde aus, die ihn dazu vermocht. Nachdem
er geklagt, wie felt dem Tede Papft Nikolaus’ und des
Herzogs von Uchino ber Eifer für die Wiſſenſchaften abe
genommen, fährt er fort: |
Da ich in jener Zeit gelebt und fo viele berähmte Mäuse
oefehn, über die ich viele Auskunft erlangt, fo habe ih, Damit.
ihr Ruhm nicht untergehe, in kurzen Gommentarien bie Denke
würbigfeiten aller gelehrten Leute aufgefeht, bie *
abe haben mic) bayıı angetrieben: der erſie, banzic DIE
Winnerung an — Bänder wicht untergehn moͤge; der
Kite, damit ‚ welcher etiva Lebensbeſchreibungen derſelben
teinifäy abfafſen wollte, den Stoff dazu vorraͤthig finde.
Indem er ſo that, hat Vespaſiano der Geſchichte
amd der Literatur einen groͤßern Dienſt erwieſen, als vr
wol felbft vermuthete, wenn ihm auch erſt jest, wo ſeine
Biographien, dfe bisher faſt ſaͤmmtlich Manufceipt ge:
blieben, durch den Drud bekannt geworden, bie allgemeine
Anerkennung, die er verdient, zu Shell werben wird.
Bon ſehr Vielen unser Denen, über weiche es uns Auf
zeichnungen binterlaffen, befigen wir war aͤltere tie neuere,
zum Theil ausführliche und gelehrte Lebensbeſchreibungen;
aber nur durch einen Zeitgenofjen, der Perfonen, Fami⸗
ie, Hausweſen, Verhaͤltniſſe kannte, der mit den Leuten
geredet und fie in Gluͤck und Unglüd beobachtet, der in
feiner Einfachheit nicht daran dachte, die Dinge mit an:
dern Zarbern als mit denen auszumalen, die feinen Au:
gen fih darboten, Eonnten wir fo zecht ins Innere, ge:
wifiermagen in Hans und Studirzimmer eingeführt
werden. Wir haben bier keine eigentlichen Biographien
vor uns, kein Geburts: und Sterbejahr iſt genannt, die
&ronologifche Ordnung nicht befolgt, oft befteht das Ganze
aur aus einzelnen Schilderungen und Charaktergügen ;
aber gerade dieſe Charakterzuͤge find. von ſo unendlicher
Wichtigkeit und laſſen und das Menfhlihe an den Men:
ſchen fo gut erfennen. Dazu kommt nody des Berf.
eigenes Sein und Wefen, wie e6 in diefen Schriften fich
Bar ausſpricht, feine liebevolle Natur, die Wärme, wos
wit er bie guten Eigenfehaften Derer, von welchen er redet,
anerkennt, das Dervorheben der moralifhen Eigenfchaften,
die er beiweitem höher preift und bewundert als fonftige
Vorzüge, fo glänzend fie auch immer fein mögen. So
find diefe Biographien aͤußerſt ſchaͤtzbare Beitraͤge zur
Kenntnif jenes betvegtem und ereignißreichen Jahrhunderts,
und ber Herausgeber verdient ben Tebhafteften Dank für
eine fo fhöne Gabe. Die Schreibart iſt, wie gefagt, ein:
fach und ſchmucklos; bisweilen iſt fie etwas gar zu kunſt⸗
ios, namentlich im Aneinanderreihen bee einzelnen Bege⸗
benheiten und Bemerkungen; fonft tft, wenn man einige
Eigenthuͤmlichkeiten ausnimmt, die fi auch wol bei an:
dern Florentinern jener Zeit finden, die Sprache rein und
in ihrer naiven Ausdrucksweiſe reich an glüdlihen Wen⸗
Bungen.
Was wir in dem vorliegenden Bande von Lebens:
befchreibungen des Bespafiano finden, iſt nach vaticani⸗
ſchen Sandfchriften gedruckt; vollftändig iſt indeß die
Sammlung nicht, fo fehlt das Leben des Bartolommeo
Sortini, weldes nah einem Coder der Riccardiana im
wierten Bande bes „‚Archivio storico Italiano” (©. 373 fg,),
Der unter der Preffe befindlich, enthalten fein wird. Auch
andere Schriften gibt's von unferm Autor, fo Biographien
berühmter Frauen feiner Zeit, der Paola Malateſta, der
Hetzogin von Urbino, Federigo's Gemahlin, ber Cecilia
Mancovana und mehrer Florentinerinnen u. A., endlich
ein Lamento d’Itala, bei Otrantos Eroberung durch die
Zürten im 3. 1480. Im gegenwärtigen Buche find,
wie der Titel angibt, 103 Lebentbeſcheeibuugen enthalten,
e
ſich mit zu neanen, datan. Gut an -
von denen 9T Bisher ungedruckt. Sie find in fünf Elaſ⸗
fen getheite: Päpfte und andere reglerende Herren (6),
Gardinäle (16), Erzbiſchoͤfe, Biſchoͤfe und andere Geiſi⸗
lie (29), Staatomaͤnner (20) und Gelehrte (32). Die
Bemühungen des Herausgebers, einen lesbaren Text zu
geben, verdienen alle Anerkennung; Noten und Verwei⸗
ſungen ſind nur in ſeltenen Faͤllen beigefuͤgt. Haͤtten
ſolche, bei der ungeheuern Maſſe des gelehrten Materials,
das ſich auf dieſe Zeit bezieht, nur einigermaßen vollſtaͤn⸗
dig und ſomit nuͤtzlich ſein ſollen, fo würden ſie den Um⸗
fang des Buchs, das ihrer für den gewoͤhnlichen Ge⸗
brauch nicht bedarf, bebeutend vermehrt haben. In literar⸗
hiſtoriſchen Schriften findet ſich das Hierhergehoͤrige.
(Dre Belchluß folgt.)
Romanenliteratur.
rer zolen (aus: geh . Blende) von Pitre⸗
evalier. Aus dem ſiſchen überfest von Kann:
Sarnow. Leipzig, Kollmann. 1842, 8. Taxe. di
Wieder eine Reiſegeſchichte! Der franzoͤſiſche Herausgeber
verfichert uns in einer Ginleitung über bie nöthigen Gigenichafe
ten eines volllommenen Zouriften, baß er fo gluͤcklich iſt, einem
Freund 3. zu befigen (bisher hat nur das X, fo viel uns bes
kannt iſt, zur Bezeichnung unbelannter Größen gedient), ber
ein fo merkwuͤrdiger Zourift ift, daß er fo wenig feine Denk:
würbigteiten als feine Neifebilder, Abenteuer, oder Briefe
druden laͤßt, unglüdticherweife aber biefelben feinen vertrauteften
Freunden, unter Anbern dem Herausgeber, erzählt hat. Go
erfahren wir denn bucch diefen eins von den aller merkwuͤr⸗
bigften Reifeabenteuern biefes merkwuͤrdigen Zouriften, von dem
unfer Herausgeber mit echt franzöftfcher Suffifance verſichert,
daß er Feine gedruckten Reifeberichte Bennt, die mehr werth find
als feine einfachen Erzählungen, und daß er beffer fpricht als
alle Bücher. Wäre nur Herr Pitre Chevalier dem guten Bei⸗
fpiele bes befcheidenen Zouriften, der dreimal beide Hemiſphaͤ⸗
ren burdjwandert hat, gefolgt, fo wäre uns bie undankbare
Mühe, eine abgeſchmackte Geſchichte Lefen zu müffen, erfpart
worden. Denn baß fie in Spanien fpieit, fcheint uns jest gar
nicht mehr merkwürdig; eher wuͤrden wir es für merkwuͤrdi
balten, wenn fie auf der von dem ehrlichen Sancho Panfa weile
regierten Infel Barataria ſpielte. Auch das können wir weder
für neu noch merkwürbig halten, daß fie von Großmuth, Ket⸗
tungsfcenen, Lebensgefahren u. dergl. überflicßt und mit einer
Hochzeit ſchließt. Wenn aber der durch beide Bemifphären ges
wanderte Touriſt 3. nichts Beſſeres und Geſcheiteres zu ers
zählen weiß, fo wird ihm hiermit ein ewiges Stillſchweigen
auferlegt. Zur Zugabe erhalten wir noch eine Gefchichte von
Jules Bandeau in den Kauf, deren, da fie von gleichem Ka⸗
liber wie bie vorige if, gedacht zu haben ſchon hinreichend iſt,
um fie ald Das zu bezeihhnen, was fie iſt: nämlich eine litera⸗
riſche Seifenblafe und Gintagsfliege.
3. Sermanı. Gine Novelle von G. &. Aus bem Schwediſchen
überfegt von ! G. ungewitter. Leipzig, Kollmann. 2843,
8 1 Ihlre. 1, Ror.
Bon verfchiedenen Seiten aus wirb darüber geflagt, daß zu
viel gefcdhrieben und gebrudt werbe, und dennoch werben wie
noch obenein alljährlich mit Überfegungen aus dem Franzoͤſiſchen,
Engliſchen und fogar Schwebifhen uͤberſchwemmt. Und wenn ed
noqh werth: und gehaltvolle Sachen wären, mit benen uns befannt
F machen es der Muͤhe lohnte, ſo moͤchte gegen dieſe Über⸗
ehungsmanie wenig zu erinnern fein. Wenn es aber fo gang
geiftz, werth⸗ und gehaltlofe Grzählungen find wie dieſer
ſchwediſche „.Dermann”, .beflen Verf. ſehr wohl baran_gethan bat,
ac lee auf das
wider die leidige
teflicen. So
. BE lektane „germann” eine duch und ver (cminbfüctige
Geſchiqhte. Die Heldin derſelben, Säcitie, mit einem ungelieb⸗
ten Manne verheirathet, flirbt zulegt aus lauter Liebespein zu
ihrem lieben Hermann an ber GSchwindfucht und Hermann gebt
auf Reifen. Wenn er nur nicht auf ben unglüdlichen Einfall
‚ als echter Zourift Reifebitder oder Reiſeſkizzen zu fchreis
Een Do er fcheint uns gleichfalls eine ſtarke Anlage zur
Schwindſucht gehabt zu haben, und wir hoffen baher, er wird
feiner GSäcilie bad im Mode gefotgt fein. Wenigſtens wäre es
sienbar das Weite, was er bätte thun können. RNoch beffer aber,
die ganze ſchwindſuͤchtige Geſchichte wäre ungebrudt geblieben !
3. Niccolo de’ Lapi oder die Palleschi und die Piagnoni von
Maffimo d'Azeglio. Nah dem italienischen Driginale
bearbeitet von Rudolf von Langenn. Bier Theile.
Leipzig, Kollmann. 1842, 8. 4 Thir. .
Bereitö find von unfern allezeit fertigen üÜberfegern die
englifche und fchwebifche Eiteratur ausgebeutet worben: es ift dar
Her ſehr natuͤrlich, daB fie auch die italienifche brandſchatzen.
Belch einen koſtbaren Schatz, welch ein unſterblich Meiſterwerk
haben wir nicht in dieſem „Niccolo de’ Lapi“ dem Herrn Über:
feger zu danken: er bat ſich durch die übertragung dieſes uns
Maͤtzbaren Meifterwerts ein unſterblich Verdienſt um unfere Li⸗
teratur crworben! Diefe Novelle ift mit allen Apparaten zu
einer biftorifhen Novelle uͤberreich ausgeſtattet: ber Berf. madıt
immer Anftalten und wird niemals fertig, ſett befländig an
und kommt niemals zur Sache! Das Ding fieht aus, als wäre
es etwas, ift aber nichts. 21.
Hiſtoriſche Miscellen.
Der Papſt keo X. pflegte ſich zuweilen von dem geraͤuſch⸗
vollen Rom binweg auf feinen etwa fünf Meilen entfernten,
ruhigen Landſitz Malliana zu begeben, wo er einen großen Theil
feiner Zeit dem Vogelfang und der Jagd *) widmete. Wenn er
auf diefem Landgute ankam, fo freuete fich jedesmal das Volk
aus der ganzen Gegend, als ob es bie reichfte Ernte eingefam:
meit hätte. Seine Freigebigkeit ergoß fi) über Alte und Junge,
bie ihn an der Heerſtraße ermarteten, um ihm ihre ländlichen
Gaben darzubieten. Er begnügte ſich aber nicht damit, nur
aufs Gerathewohl zu geben, fondern ließ fich oft mit ben Leuten
ins Gefpräd ein, erfundigte fih nach ihren Beduͤrfniſſen, zahlte
die Schulden der Bejahrten, Unglüclichen oder Kranken, fteuerte
junge Mädchen aus und unterflüste die Verforger zahlreicher
Bamilien ; benn nach feiner Dentart fand einem großen Zürften
nichts mehr an, als Elend zu mildern und jedem Bekuͤmmer⸗
ten mit leichtem deren und frober Miene von ſich geben zu
Loffen. Daher fagt Erasmus (Epist. lib. I. p. 30) von bies
fem Papfte, der noch überdies durch thätige und freigebige Er:
munterung aller Wiſſenſchaften **) und Künfte die meiften Ans
{prüche auf die Achtung und ben Dank der Nachwelt fich er:
morben hat: „Quantum romani Pontificis fastigium inter re-
Kiquos mortales eminet, tantum Leo inter romanos Pontifi-
ces excellit,”
etras Pantoia be Aiola, ein Mechtögelehrter von Toledo
im -17. Jahrhundert, fchrieb einen Gommentar über ben Tiger
%) Die Geſetze, melde den Geiftlihen bie Jagd verbieten
(«.1. 2. X. de elerico venatore), find zwar durdy gegentheilige Ge:
wohnheit außer Anwendung gekommen; dennoch aber nahm Leo’
Geremonienmeifter, Parid be Graſſis, daran großen Anſtoß, daß
fein Gebieter bei folder Gelegenheit Stiefeln zu tragen pflegte.
**) Ihm verbantt man ganz befonder& die 1515 erfolgte Aufs
findung ber fünf erflen Bücher ber „Annalen“ von Tacitus in ber
Abtei Korvei in Weſtfalen. Vergl. Lipsius ad Taclt. Annal. 2, 9.
„De alestoribus” in ten Pandekten nn. Gpber , wer
aber. ſelbſt ein fo leidenſchaftiicher Spieler, daß er fogar das
Landgut, auf weichem feine Kltern begraben waren, aufs Spiel
efegt und verloren haben fol. Wei diefer Gelegenheit verbicnen
bie von der Frau von Houlieres über die Spietwutrh verfaßten
Berfe, weile von Wenage (1692) bekannt gemadıt worken
find, hier wol einen Platz:
Leu plalsire sont amers si tät qu'on abuse,
Il est bon de joner an pen,
Mais il faat seulement que le jeu nous amuse,
Un joueur d'un oommun avoa
N’a rion d’kumain que l’sppatenes,
Er d’süleers li n'est pae ei face qu'on pense,
D'otre fort honndie komme et de jeuer gres jeu.
Le desire de gagner qui nult et jour occempe,
Est un dangereux alguillon.
Souvent quoique l’esprit, quoique le oseur seit bon,
On commence par 6tre dupe,
Os finit per #ire fripen.
Ludwig Jakob a &.:Carolo, Bibliothekar bei dem erften
Parlamentespräfidenten Achilles de Harley zu Paris (geft. 1670),
war ein Schriftſteller ohne Kritik und Urtheilskraft. In ver
von ihm herausgegebenen „Bibliotheca pontificia” (I.ugd. 1642
4.) läßt er fih fogar zu Schulden kommen, ben Articulus Smal-
caldieus zu einem Schriftfteller zu maden. Ihn übertrifft aber
hierin gewiffermagen noch ein Schriftfteller der neueften Zeit.
Der (nun verflorbene) Dr. Philipp Iofepb Mayr, Privat:
bocent ber Rechte an ber Ludwig» Marimilians : Univerfirdt zu
Münden, hat in feinem zu Landehuc 1831 erichienenen „Bands
buche des gemeinen und bairifchen Lehnrechts“, &. 293, Rote 34,
als Schriftfteller aufgeführt den „B. Parens de praescriptione
adversus leges prohibitivas”. Diefer B. Parens ift aber Rie
mand anders als der von Georg Ludwig Böhmer in den „Pris-
cipiis juris feudalis’, $&. 2723, Rote c, angeführte Juſtus Den:
ning Böhmer, der Water Georg Ludwig's, den diefer als „„beatus
parens’’ immer anzuführen pflegte, den aber unter biefer Benen:
nung ber gedachte Verf. eines der neueften kLehnrechtshandbuͤcher
zu einem von Niemand gekannten Schriftfteller geſtempelt hat.
Nachdem in der zweiten ‚Hälfte des 3. Jahrhunderts ber
römifche Kaiſer Poftumus, gleidh ben meiften feiner Worgänger,
eines gewaltfamen Todes geftorben war, ſchwang ſich Marius,
ein ganz gemeiner Handwerker — vilissimus opifex, fagt Eutro⸗
pius (9, 9), denn er war ein Waffenſchmied —, auf ben Ihrem,
weichen er aber nur zwei Tage bebauptete. Gin Soldat, der
vormals in des Marius Werkftätte gearbeitet batte und fi
nachher von ihm zurüdgefegt ſah, ftieß ihm das Schwert mit
den Worten in den Leib: „Dies Schwert ift von deiner eigenen
Arbeit.” Solche Befledung der Majıflät des roͤmiſchen Kaiſer⸗
throns preßt dem Aurelius Bictor in der Kaifergefchichte (33, 10)
bie Klage aus: „Nun war es aufs Außerfte gekommen und Alles
zum Untergange reif, nachdem ſolche Leute mit bem Thron und bem
Preife der außgezeichnetften Verdienfte ihr Spiel treiben Eonnten.“
Als bie ſpaniſchen Gotoniften in Amerifn bald nach ihrer
Anfiedelung von den Ameifen unendlich zu leiden hatten und alle
Verſuche, diefe Landplage zu kilgen, vergeblich waren, faßten
fie den Entſchluß, die Huͤlfe der Heiligen im Himmel anzuru
fen. Wie aber das Übel, gegen welche dieſe Sülfe in Anfprudy
genommen werden follte, von ganz neuer Art war, fo waren
fie aud in Verlegenheit, an weichen Beiligen, als tüchtiefien
Helfer, fie fü wenden follten. Sie gerietven nun auf den Eins
fall, das Loos darüber den Ausfchlag geben zu laſſen. Diefes
entfchied für den heiligen Gaturninu& Ihm zu Ehren wurden
ſonach große Fefllichkeiten angeordnet, werauf, wie ber ſpaniſche
Seſchichtſchrerber Serrera verſichert, das Ungeziefer auf bes
Stelle anfing feine Verheerungen einzuflellen, 37.
1— Metentsodiiliges OQerruczcer: Heinrtch Beoddeut. — Drad und VDertaq von J. U. Brodbaus in Seipjig.
.. wm -
Blatter
für
literarifde Unterhaltung.
Dienftag,
Vitae CIN virorum Mustrium qui saeculo XV ex-
titerunt auctore coaevo WVespasiano Florentino.
Praeit Bernardini Baldi de historia tractatus.
(Beſchius aus Nr. 142.)
Um nun den Vespafiano kennen zu lernen, wird es
bas Befte fein, ihn in feinen Schilderungen von ein paar
Männern, zu denen er in vielfacher Beziehung geftanden
unb denen er warme Anerkennung zu Theil werden läßt,
den Leſern vorzuführen. Die Beſchreibung der Lebens⸗
weife Herzog Friedrich's von Urbino möge den Anfang
maden:
Im Verhaͤltniß zu feinen Untertbanen — heißt ed bas
fetbft — benahm der Herzog ſich auf eine Art, daß fie nicht
Unterthanen ſchienen, fondern Söhne. Zu jeder Stunde bes
Zages konnten fie mit ihm reden und er hörte fie alle mit der
größten Kreunblichleit an, antwortete ihnen und ließ ſich nichts
verbrießen. Waren ed Dinge, bie ſogleich fich abmachen ließen,
fo that er ed, fobaß fie nicht zum andernmal gurädyufehren
brauchten; nidyt viele Angelegenheiten blieben über den Tag
hinaus unerledigt. Sad er Einen, ber mit ihm zu reden wünfchte,
ſich aber ſcheute, fo ließ er ihn rufen und machte ihm Muth,
fein Geſuch vorzubringen. Er benahm fich gegen feine Unters
thanen fo gnädig, daß, wenn er durch Urbino ging, Wänner
und Frauen nieberfnieten und fagten: Gott erhalte dich, o Herr.
Dft ging er zu Kuße umher und von ciner Werkflatt und Bude
zur andern und frug die Handwerker und Künftler, wie es ih⸗
nen gehe, ob ihnen nichts fehle, und bies mit ſolcher Freund⸗
lichkeit, daB fie ihn liebten, wie man Vater und Söhne liebt.
Seine Regierung bewirkte gang unglaubliche Dinge: das Volk
war wohlhabend, und er trug bazu bei, es jo zu machen, indem
er ihm duch die vielen Bauten, bie er aufführen ließ, Arbeit
verſchaffte. In den Ortfchaften feines Gebiets begegnete man
keinem Bettler. Wurde irgend eines Vergebene wegen Einer
yerurtheilt, fo war es leicht, Begnadigung dom Heren zu erlans
gen: nur in einem Kalle war er unerbittlich, bei Läfterungen gegen
Gott, bie Mabonna und bie Heiligen, wo er von Gnade und
Barmherzigkeit nichts hören wollte eine Freundlichkeit ers
ſtreckte fich auf Alle. An Marlttagen ſah ich ihn auf den Plag
geben und die Frauen und Männer fragen, wie viel fie für das
Mitgebrachte verlangten; dann fagte er ſcherzend: Ich bin der
Herr und habe Fein Geld bei mir, weiß aber, daß ihe mir Feis
nen Credit geben würbet, aus Furcht, nicht bezahlt zu werden.
Da waren denn bie Lanbleute fo froh darüber, daß der Herr
mit ihnen gefproden, daß er Alles, was ibm beliebte, mit ih⸗
nen hätte thun können. Ritt er umber, fo begegnete er Keinem,
den er nicht gegrüßt unb gefragt hätte, wie es ihm gebe. Bald
hatte er viele, bald wenige Begleiter; weder er noch Andere
von feinem Hausftand trugen Waffen. Im Sommer ritt er,
wenn er in Urbino ſich befand, bei Sonnenaufgang mit vier
ober hoͤchſtens ſechs Pferden auf, mit einem ober zwei unbe:
waffneten Dienerns fo legte er brei bis vier Wiglien vor ber
Stadt zuruͤck und kehrte nach Haufe zurüdl, wenn Anbere aufftanden.
Bei feinem Eintreffen begann bie Meſſe, der ex beiwohnte, dann
blieb er in einem Garten, deſſen Ihüren geöffnet waren, und
ab bis zur Speifeftunde Jedem Audienz. Wenn er bei Tiſche
aß, blieben die Thuͤren offenftehen; Jeder konnte herbeikommen
und ber Herr fpeifte nie, obne daß der Saal voll geweſen wäre.
Je nad) der Zeit ließ er ſich vorlefen, während der Faſten aus
geiſtlichen Büchern, fonft aus den Geſchichten des Livius, alles
in Latein. Die Speifen waren einfach zubereitet, Eingemachtes
aß er nicht, bes Weines enthielt ex ſich und trank nur etwas
Fruchtwein, wie von Pomerangen ober Äpfeln. Wer mit ihm
reden wollte, Tonnte es während des Eſſens oder nachher thun.
Nachdem das Effen vorüber war, trug ibm fein Appellationes
richter, ein ausgezeichneter Mann, die Proceßfachen in lateinis
fher Sprache vor, Sache nah) Sache. Sr entfchieb fie unb
ertheilte feine Beſchluͤſſe gleichfalls lateiniſch. Jener Rechtsge⸗
lehrte ſagte mir, die Entſcheidungen des Herrn waͤren ſolcher
* da Zrtolo und Baldo nicht anderes Urtheil geſprochen
en wuͤrden.
Nachdem er im Sommer vom Tiſche aufgeſtanden und vor
wie nachher Audienz ertheilt hatte, ging er in fein Zimmer, bes
forgte feine Angelegenheiten und ließ ſich je nach ben Zeiten
voriefen. Gegen bie Stunde der Vesper kam er wieder zum
Vorſchein und hörte unterwegs eben an, der ihm etwas vor⸗
zutragen hatte. Wenn ihm dann noch Zeit blieb, befudhte er
bie frommen Ronnen von Sta.: Slara, deren Kloſter cr gebaut
hatte, oder begab fih nad einem Franciscanerkloſter, mo ein
großer Platz und eine fchöne Ausficht ift. Nachdem er hier an«
efommen, feßte ex fidy nieder und 30 — 40 Zünglinge zogen
hre Oberkleider aus und begannen Übungen im Werfen, Rins
gen u. f. w., mas zu fehen der Mühe werth war. Liefen fie
nicht gut, oder zeigten fie ſich nicht gewandt, fo tabelte ber
Herr fie; alles Dies that er, auf daß fie fich übten und nicht
müßig biieben. Während diefer Spiele hatte Jeder Gelegenheit,
mit ihm zu reden, und auch dies war ein Grund feines Ber
weilens. Wenn die Stunde ber Abendmahlzeit heranruͤckte, fo
gebot ev Allen, ihre Kieldung wieber anzulegen, was fie im Nu
thaten. Zu Hauſe angelangt, war ed Zeit zum Abenbeffen,
wobei es zuging wie beim Mittagemahl. Nachdem bies zu Ende,
verweilte er noch einen Augenblid, für den Kall, daß Iemand
ihm nod etwas vorzutraggen habe; war bies nicht, fo zog er
fih mit feinen vornehmften Herren vom Hofe und Edelleuten
in feine Gemaͤcher zuruͤck, wo er fi aufs freundlichſte mit ih⸗
nen unterhielt. Bisweilen fagte er zu ihnen: Morgen fräß
will ich zeitig aufftehen und einen Spazterritt machen, um der
Kuͤhle zu genießen; Ihr ſeid noch jung und ſchlaft gerne lange
und wuͤrdet ſagen, Ihr kommt, und dennoch ausbleiben: legt
Euch daher fruͤhe nieder und jeder ruhe ſich aus. Da gingen
denn Alle weg und jeder freute ſich ber Leutſeligkeit des Herrn.
Eines Tages fagte er mir, daß Derjenige, weldger in einem
Königreih oder Zürftentyum ober einer Republik, klein ober
gb, zegiert, vor Allem leutſelig fein müffe, und er tabelte
tejenigen ſehr, die es nicht find. ed auch irgenb einen
Herrſcher, der feiner Ratur nach ſolche Bigenfchaften nicht ber
fige, fo müffe er ſich Gewalt anthun und ſich zu ändern ſuchen.
Denn die Leutfeligkeit fei bei den Mächtigen das befte Mittel,
Feinde in Freunde umzufchaffens ſei aber einer uafreundlich,
böre er Die nicht an, welche ihn um Audienz bitten, ober hoͤre
er fie nur fo an, daß er durchblicken laſſe, ex kuͤmmere ſich nicht
um ihr Anliegen, fo könne gr leicht Freunde in Widerfacdher
verwandeln, wovon er ſchon manche Beiſpiele gefehen. Geit
lange bat Stalien keinen Fürften gehabt, welcher ber Nachah⸗
mung fo würdig geivefen wäre wie der ‚Herzog von Urbino,
Eine andere Schilderung iſt die des Palla Strg,
eines der verdienteften und ausgezeichnetfien Bürger, die
Florenz gehabt, beffen größter, vielleicht einziger Irrthum
darin beitand, daß er, nah Machiavell's Ausſpruch, „ru:
big, gemäßigt und menſchlich gefinnt, und mehr geeignet
den Studien und Wiffenfhaften obzuliegen, als inmitten
bürgerlicher Unruhen ein Parteihbaupt zu fein’, in ber
großen Kıifis, wo es darum ſich handelte, ob Albizzi oder
Medici die Obergewalt haben follten, ſchwach und unents
ſchloſſen ſich zeigte umd zwifchen beiden Sactionen ſtehen
zu können glaubte, wodurd er fi und den Seinigen
die Verbannung aus ber Heimat zuzog, fin die er nicht
wieber zurückkehrte.
Meſſer Palla di Noferi degli Strozzi, einer Yamilie ange:
hörend, die durch viele würbige Männer, die aus ihr entfproffen,
hoben Abel erlangt hat, am meiften aber durch Meſſer Palla, ber
ihr durch feine großen Tugenden Ehre und Ruhm verſchafft, war
ein gelehrter Kenner ber griechifchen und lateiniſchen Sprache,
denen er mit fletem Gifer oblag. Gr war den Wiffenfchaften
ſehr hold und trug zu deren Kortfchritten in Florenz mehr bei
benn irgend ein anderer Wann. Da man in biefer Stadt auss
gebreitete — von der lateiniſchen Literatur beſaß, nicht
aber von der griechiſchen, ſo beſchloß er dieſe letztere gleichfalis
zu foͤrdern. Darum that er Alles, was in ſeiner Macht ſtand,
den Emanuel CEhryſoloras zu veranlaſſen, nach Italien zu kom⸗
men, und zahlte einen bedeutenden heil ber Koften. Als nun
Emanuel auf ſolche Weife, und namentlich durch bie Bemühuns
gen Mefler Palla’s nad Florenz gelommen, fehlte es an Buͤ⸗
dern, ohne die nichts zu madhen war. Meſſer Palla fandte
aun nad) Griechenland und ließ auf feine Koften eine große
Menge Bücher herſchaffen; die Kosmographie mit den Bildern
ließ er aus Konftantinopel kommen, die Lebensbefchreibungen
des Plutarch, bie Werke Platon’ und zabliofe Schriften Aus
derer. Die Politit bes Ariſtoteles gelangte erft durch Meſſer
Palla nah Italien, indem bdiefer fie aus Konftantinopel ver:
fhrieb, und als Meſſer Lionardo fie überfehte, bediente ex fich
bes GSremplars, welches jenem gehörte. Dadurch, daß Meſſer
Palla ben Emanuel Ehryfoloras auffoderte, in Italien fi nies
berzulaflen, war er Beranlaffung, daß Meſſer Lionarbo von
Arezzo von biefem Sriechifch lernte, fowie Guerino von Verona,
Bra Ambrogio Traverſari, Antonio Gorbinelli, Roberto de’ Roſſi,
Mefler Lionarbo Biuftiniani, Meffer Francesco Barbaro, Pier
Paolo Beraerio. Ser Filippo di Ser Ugolino, der nicht blos in
ber Iateinifchen Eiteratur vortrefflich Befcheib wußte, war ein Schuͤ⸗
ler Smanuel’s und wurde zu jener Zeit für ben gelehrteften Mann
unter ben Lateinern gehalten. Niccoid Niccoli war fein Schuͤ⸗
ter, namentlich im @ricchifchen. Die Früchte des Kommens des
CEhryſoloras waren fo reich, daß fie bis auf den heutigen Tag
eingefammelt werben, und da Meſſer Palla dazu den Anlaß ger
geben, verdiente und erwarb er ſich das größte Eob feiner Groß:
muth. Mefler Lionarbo von Arezzo pflegte von ihm zu fagen,
er fei der grädtichfte Mann, den ex in feiner Zeit gelannt. Denn
er befaß Aues, was zur menſchlichen Gluͤckſeligkeit erfoderlich if,
an Gaben bes Geiftes wie des Körpers. In beiden alten Spras
den war er fehr erfahren, von bewunberungswächigem Mer:
flande, ſchoͤn von Körper und vollkommen in allen Theilen, fos
daß Der, weicher ihn nicht kannte, nad dem bloßen Außen
hätte urtpeiten möffen, diefer fei Mefler Palla. Er hatte die
Thönften und wuͤrdigſten Kinder in ganz Fiorenz, Söhne wie
Töchter: bie Söhne waren trefflich unterricktet und von unte
delhafter Aufführung, die Töchter erzogen unter Reitung ber
Babonna Marietta, einer der ausgezeichnetften Krauen jener
Seiten. Er verheirathete fie an die erſten Leute der Stabt: eine
nahm Neri Acciajuoli, eine andere Francesco Gobderini, eine
britte Giovanni Rucellai, noch eine Zommafo Sacchetti, ale
vier von würdigen Familien und reich an welttichen Gütern,
bie der Stadt Zierbe waren und blieben. Um feine Baterfkabt
machte er ſich fehr verdient und erlangte von ihr alle Würden,
in der innern Verwaltung wie auswärts, die einem Bürger gu
Shell werden koͤnnen. Als Gefanbter erhielt er viele ehrennoße
Aufträge und förderte dabei jedesmal den Nugen feiner Heimat.
Mit biefen Gaben verband er bie größte Ehrbarkeit. Was
vorerft feine Perfon betrifft, fo war er ber geſittetſte und ge:
achtetfte Bürger, den bie Stadt befaß, und ein Sleiches, wollte
er, ſollten audy feine Söhne fein. Damit nun dies nicht fehl⸗
läge, hielt ex für leztere, mit reichlichem Gehalt, einen Leh⸗
ver Ramens Siovanni von Imola, einen ſehr gelehrten Mann.
Gingen feine Söhne in ber Stadt umber, fo brauchte man nicht
zu fagen, weß Kinder fie waren: ihr Äußeres war fo würdig, baf
fie von Jedem erkannt wurden. Als die hohe Schule in Florenz
gänzlich umgefchaffen werben follte und man wußte, weiche Riche
Meſſer Palla Strozzi zu den MWiflenfchaften hegte, wurde er zu
einem ber Beamten der Univerfität ernannt. Da orbnete ex in
jeder Bacultät ben trefflichſten Unterricht an, ber je in Slorenz
geweien, und bes Rufes fo vieler berühmten Lehrer wegen ka⸗
men aus allen Theilen ber Welt zahlreiche GSchäier nach der
Stadt. In jenen Jahren von 142333 befand fidy bie Stadt
Florenz im gluͤcklichſten Zuftande, reich an gelehrten Waͤnnern
in jeglichen Fach und voM trefflicher Bürger. Jeder bemüpte
fi, es bem Andern an Tuͤchtigkeit zuvorzuthun; in ber ganzen
Welt war ber Ruf ihrer Iobenswerthen Regierung verbreitet
und Jeder zitterte vor ihrer Macht. Meſſer Palla batte
Untermweifung feiner &öhne, wie gefagt, flets bie geieh
Leute in feinem Haufe gehalten und fah nicht nur darauf, daß feine
Kinder in den Wiſſenſchaften unterrichtet wurden, fordern vor
allen in ben guten Sitten. Außer Meffer Giovanni von Imola
hielt er noch Marftto Tommafo von Sarzana als Rehrer, ber
[päter Papſt Rilolaus wurde. Diefer war bet Erfte, den er
mit betraͤchtlichem Gehalt in fein Haus nahm, denn ba derſelbe
zu Bologna fludirte und es ihm an Gelb mangelte, den Wiffen⸗
[haften ferner obzuliegen, blieb er gwei Jahre lang im Haufe
ameiee florentiner Bürger, deren einer Meffer Rinaldo begli
ibizzi war, Meſſer Palla di Noferi der andere. In biefen
beiden Jahren gewann er fo viel, daß er nad) Bologna zu feis
nen Studien zurüdtehren konnte. Während feines Pontificats
ſodann bezeigte er ſich weder gegen Meſſer Palla undankbar,
noch gegen Meſſer Rinaldo. Da er ihnen ſelbſt feine Dankbar⸗
keit nicht bezeigen Eonnte, that er ed gegen Meffer Rinalbo’s
Söhne. Einem derſelben, ber nicht eigener Verſchuidung wegen
aus feiner Vaterſtadt verwiefen war, ertheilte der Papft ein
einkoͤmmliches Amt, von welchem er ehrenvoll Leben Tomate.
Den Mefler Garlo hr Meſſer Palla's Sohn, der nadh
Rom gegangen war, machte er zu feinem geheimen Kaͤmmerer,
und biefer fand bei Gr. Heiligkeit und dem ganzen Hofe fo
ſehr in @unft, daß er, wie bie allgemeine Stimme fagte,
nach einem Jahre Cardinal geworben wäre, hatte nicht ein
frübzeitiger Tod ihn dahingerafft. Diefer Züngling war von
folder Art, daß er nicht nur eine Zierde feiner Familie war,
fondern ber gefammten florentinifchen Nation, denn er bewies
ſich in feinen ſaͤmmtlichen Handlungen fo tugendhaft, wie Alle
thun folten, die zu folcher Würbe gelangen.
Um nun zu Meffer Palla zurüdzufehren, fo war biefer
von großer Beicheidenheit, fowol in feinem Privatieben wie in
5
feinen öffentiicgen Ämtern. Er furpte dem Weib zu cntflichen,
fo viel ex konnte, indem er wußte, weichen Schaden biefer in
gur Stadt anrichtet und wie er wadere Männer verfolgt.
ffentlich ließ er ſich nicht gerne fehen: auf den Piag (vor dem
Palaſt der Signotie) ging er nie, wenn er nicht ausdruͤcklich
dahin befchteden ward, ebenfo wenig auf ben neuen Marft.
Ging er nad) dem Plage, fo begab er fi an Sta.⸗ Zrinitä vor
bei durch den Borgo Sto. » Apoflole bahin, vermweilte nur kutze
Zeit und verfuͤgte ſich gleich in den Palaſt. Er achtete die
Zeit ſehr body und ging nie auf Straße und Plaͤtzen umber,
fondern kaum war er zu Hauſe angefommen, fo flubirte er
Griechiſch und Latein und verlor nie feine Zeit. Da er bie
Wiflenfchaften fehr liebte, fo hielt er immer bei ſich wie außers
halb des Haufes Abfchreiber, von den beften, die in Stalien was
sen, fir griechifche wie Iateinifche Werke, und er kaufte Alles,
was er von Buͤchern erhalten Eonnte, in allen Bädern. Es
war feine Abficht, in Sta. : Zrinttä eine Bibliothek anzulegen und
ein fchönes Local bafür zu bauen; er wollte fie öffentiich machen,
auf daß jeder nach feiner Bequemlichkeit fie benugen koͤnnte.
Sta.» Trinita hatte er gewählt, weil das Klofter mitten in ber
Stadt liegt und Allen leicht zugaͤnglich. Aber es kamen dar⸗
über die bürgerlichen Unruhen, die ihn des Vaterlandes beraubs
ten und fein Vorhaben zu nichte machten.
Endlich möge hier eine Schilderung bes Charakters
unb ber Lebensweife des Dominicanermoͤnchs Antonino
fliehen, den Papft Eugen zum Erzbiſchof von Florenz
wählte, eine Würde, die er nur unter Androhung der
Ercommunication annahm und welcher er durch die Hei⸗
ligkeit feines Wandels gleich große Ehre machte wie durch
feine Gelehrſamkeit.
Nachdem Antonino von ber Wahl in Kenntniß gefept wor⸗
den, begab er fid nach San : Domenico bei Ziefole, wo er eine
Beit lang vermeilte. Bon bort fehrieb er nach Rom und that
Alles, um ben Belchluß bes Papftes rückgängig zu machen, aber
biefer blieb fell und wollte von keiner Widerrede hören. Nach
San: Domenico gingen viele Bürger, ihn zu bewegen, daß er
das Erzbisthum annehmen follte, indem fie ihm den Vortheil,
der daraus erwachſen würde, vorftellten. Am Ende fah er ſich
genoͤthigt, des Papſtes Willen zu thun. Als er die biſchoͤfliche
Kieidung anlegte, riethen ihm Viele, den langen Mantel mit der
Schleppe zu tragen: er aber legte ein gewoͤhnliches Gewand an
wie jeder Moͤnch, und da es ſich einmal traf, daß man es um
ein paar Finger länger gemacht, ließ ex es abſchneiden. Bes
gegnete er einem Mönch, der einen ſchlechten Rod anhatte, fo
zog er wol ben feinen aus und gab ihn hin. Wie feine Klei⸗
dung war audy feine Lagerflätte wie bie eines einfachen Moͤn⸗
In feinem Schlafzimmer fland fonft nichts als ein alter
bölzerner Stuhl und davor ein. Pult, auf welchem ex feine Werke
ſchrieb. Im ganzen Haufe waren feine gewirkten Zapeten oder
Tonftigen fchönen Gegenſtaͤnde, an ben Thuͤren wollte er keine
Berfchläge, damit Jeder, der mit ihm reben wollte, frei zu ihm
eintreten koͤnnte. Die Site waren nadte Breter, welche er
fletö ſehr reinlich halten Tief, damit Die, fo ſich darauf festen,
ihre Kieider nicht verderben möchten. Zwei Moͤnche wohnten
dei ihm im Hauſe; zum Vicar wählte er einen, der ihm an Vor:
treffiicgkeit bes Wandels und ber Sitten gli. Bon Dienern.
wollte er nur fo viele haben, als der dußere Bedarf erfoberte;
Pferde hielt er nicht, fondern nur ein kleines Maulthier, wel⸗
ches er in Sta.» Maria nuova geborgt hatte. In jener Zeit bes
tiefen fich die Einkünfte feines Erzbisthums auf 1500 Seudi.
Davon nahm er, was eben hinreichte, fein Hausweſen gu führen,
nämlidy 500 Goldgulben, die übrigen 1000 gab er den Armen.
Den bifchöftichen Hof orbnete er von neuem, indem er Alles
abfchaffte, was auch nur im entfernteften einem Schatten von
Simonie aͤhnlich fah. Wei den Orbinirungen wollte er felber
zugegen fein und ließ bie Weihen nur nach vorgängiger Pruͤ⸗
fung an Die, welche er für würdig hielt, erthellen. Er verbot
von Denen, welchen bie Weihe erhielten, unter irgend einem Bors
wande Gelb zu nehmen: nur ber Notar, weidger bie is
gung über bie Ordination auf einem Pergamentblatt aus eltte,
erhielt dafür fünf Soldi und nicht mehr. So ordnete er ſelbſt
das Kleinſte. Fuͤr die Geißlichkeit, bei welcher große Unorb⸗
nung eingeriſſen, erließ er viele Verhaltungeregeln: fo ſchaffte
er die geſohlten Schuhe und daB lange Haupthaar ab. Aedes
Jahr befuchte er feinen Sprengel, und fo zwar, daß ben Kits
Ken, bie er vifltirte, Feine Koften daraus erwuchſen. Er verords
nee, daß jeder Priefter ein Breviar haben follte, und fchrieb
darin mit feiner Band und verzeichnete fie alle mit Nummern
in einem Hefte, auf daB fie nicht verfauft oder fonft veräußert
werben könnten, Um, tie gefagt, ben Kicchen feine Auslagen
zu derurfachen, ging er, ohne ib vorher anzufagen, und es lag
ihm nicht viel am Effen ober Sonftigem, wofern er für das
Seelenheil forgen Eonnte. Er ftrafte und beflerte viele fitten-
loſe Prälaten; die wiberfpenftigen entfehte er ihrer Benefizien,
wenn er fand, baß fie unverbefferlich waren. Durh Bitten
war nichts von ihm zu erlangen: was gerecht und ehrbar, bes
willigte er ohne dies. Anfehen der Perfon galt nichts bei ihm,
er ließ Armen wie Reihen Recht wiberfahren und benahm fi
gegen Ale gleihmäßig und ohne einen Unterfchied zu machen.
ie Nonnenktöfter in feinem Sprengel reformirte er nad ſtren⸗
gern Grundbfägen. Überhaupt verfuhr er fo, dag er ein Erzbis⸗
thum, welches ex in größter Unordnung vorfand, dermaßen ge⸗
ordnet hinterließ, daß es nicht einen Prieſter gab, welcher nicht
ſeine Pflicht erfuͤllt haͤtte. Als eines Tages einer unſerer Buͤr⸗
ger, der einflußreichſte Mann, den die Stadt damals hatte,
Coſimo de’ Medici, zu ihm ging, ihm eine Angelegenheit zu em⸗
pfehlen, die in der ergbilchöflichen Eurie entfchieden werben follte,
gab er ihm zur Antwort, dies fei unndthig: habe er Recht, fo
werbe er Recht finden, fowie er, fo ber aͤrmſte Bürger in Flo⸗
renz. Gr ſtand in großem Anſehen und ſoicher Verehrung, daß,
wenn er umherging in feinem einfachen Moͤnchsgewande, mit
geringer Begleitung, Jeder niederkniete, an dem er vorbeilam.
Und ohne Pferbe, ohne Dienerfchaft, ohne Kleiderpomp, ohne
Aufwand im Haufe, war er geehrter, ald wenn er mit ber
Pracht, weiche die Mehrzahl der PYrälaten an ben Zag zu legen
pflegt, fi) gegeigt hätte. Nicht nur in Florenz galt feine Aus
torität fo 0 „ſondern auch am römifchen Hofe: benn bie
Päpfte Eugenius und Nikolaus fanbten ihm viele Fälle zur Ents
ſcheidung zu, und die Paͤpſte wie das Sarbinats» Kollegium und
der gefammte Hof sichtete ſich nach feinem Urtheil.
Diefe Proben mögen hinreichen, von dem Geiſt und
der Darftellungsmweife de6 Verf. einen Begriff zu geben.
Es braucht nur noch hinzugefligt zu werden, daf diefe
Galerie von Bildniffen alle berühmten Zeitgenofien Bes:
pafiano’® umfaßt, vorzugsmweife die Florentiner, aber auch
viele andere Italiener und einige Ausländer, fo den Gars
dinal von Cues (Cufanus), über den freilich nur wenige
Worte gefagt find, ben Cardinal von Portugal, der in
Florenz ſtarb und in der Kirche S.: Miniato al Monte
begraben liegt, Alvar de Luna, den Bifchof Johannes
von Fuͤnfkirchen u. A. Ein Zractat über die Geſchichte,
von Bernardino Baldi, Abt zu Guaſtalla und Verf. ber
befannten und gefhägten Lebensbefchreibungen ber Her:
söge Sriedrih und Guidubald I. von Urbino, I6LL ges
fihrieben und bisher ungedrudt, iſt dem Buche vorgefest.
Alfred Reumont.
Eine Reliquie von Immermann.
as Immermann im Jahre 1821 als Divifionsaubiteur zu
Muͤnſter fand, fpeifte er nebſt einigen Freunden, zu denen auch
Einfender gehört, an der Table b’Höte bes Herrn F. Oberrecht
zur Stabt Amfterdbam. An dem Perbinandstage, bem Ramends
tage bes Baftgebers, wurde dieſem im Namen ber ganzen Tiſch⸗
!
v
geſellſchaft folgendes, von Immermann verfaßte, fte
Gratulationsgebicht überreiddt, und da baflelbe weiter ber
fannt wurde, fo werben bie zahlreichen Freunde des leider zu
früh dabingefchiebenen genialen Dichters es in d. BL. nicht ums
gern mitgetheilt fehen. Schließlich fet noch bemerkt, daß ber
am Ende ausgefprodhene Wunſch vor etwa zwei dahren fa
buchſtaͤblich in Erfüllung gegangen iſt.
D du, ber jeden Tag verſchiedne Magen fült
Mit Fleiſch und mit Gemüf, mit Braten zahm und wild,
Der wuͤrdig obenan bei Tiſche präfibirt,
Den Segen feiner Koft an fi hauptſaͤchlich ſpuͤrt,
Dem unterwürfig iſt fo Magd, als auch Marqueus:
Es gratulirt dir heut Civil und Militair!
Civil und Militair find fonften oft im Streit:
Wenn Eins die Glocke fdlägt, dann ſchweiget jeder Neid;
Civil und Militair feet fih geruhig hin
Und nur auf Speif’ und Trank gerichtet IR der Ginn.
Den Yunger ſtillen ja ſechs Schäffeln leicht und raſch,
An Waffer fehlt ed nicht in Weins uud Waſſerflaſch.
Ein Jeder kriegt fo viel, ald er nur kann vertragen,
Kein Stand Hat ob bed andern je fi zu beklagen.
Ein Friedensheiligtfum! Und Oberrecht iſt Priefter,
Die zwei Marqueure find des Briedenstempeld Küfter.
Hell! Heil! dem großen Dann, ber ſolche Eintracht ſchuf,
Der ſchwitzend Fleiſch tranchirt, im ebeiften Berufs
Hell aber au dem Tag, der Ihm den Namen reichte!
D, daß er oftmals noch dem Hochgeſchaͤtzten Leuchte!
Ihr Götter, Thüset ihn und feinen ganzen Stamm!
(Ih meine unfern Wirth zur Stadt von Amſterdam)
Laßt ed an feinem Tiſch fi fletd von Eſſern mehren,
Bewegt der Menſchen Herz, bei ihm oft einzukehren,
Unb laßt noch funfzig Jahr hindurch ihn Contos ſchreiben.
Auf welche Niemand ihm je mag mas ſhuldig bleiben;
Bulept eritid? ihn dann im Fett ein fanfter Tod! —
Dieb wünfät, Herr Oberrecht, dir deine Table d’Döte.
Bibliographie.
Fliegende Blätter für Bragen bes Tages. IV. Zeitungen,
Eherehtäreform, Dffentiiche Meinung. Berlin, Beſſer. Gr. 8.
er.
Brad, B., Preußentieder. Köin, Eifen. 8. 15 Nor.
Mititairifche Briefe eines Verſtorbenen an feine noch Lebens
den Kreunde, biftorifchen, wiſſenſchaſtlichen, kritiſchen und hu⸗
moriſtiſchen Inhalte. Zur unterhaltenden Belehrung für Gin:
eweihte und Laien im Keisgerorfen. 2te Sammlung. Aborf,
Berlags + Bureau. Gr. 8. The. 5 Nor.
Bulwer's, E. L., Saͤmmtiiche Werke. 44ſter und 45ſter
Band. Der letzte Baron. Aus dem Engliſchen uͤberſett von
D. v. Czarnowski. Ifter und 2ter Theil. Aachen, Bayer.
Gr. 12. Preis für 44ſten bis ATften Band, das vollftändige
Werk enthaltend, 4 Thlr.
Buch, G. F., Morando Moranbini, der furdptbare unb
unerfchrodtene Land» und Geeräuber, ober: Der Todtenritter.
Eine hoͤchſt abenteuerliche Räubergefchichte. Drei Theile. Nord⸗
haufen, Fuͤrſt. 8. 2 Thir. 22, Nor.
Danzer, A. R., Geschichte von Marienbad. Mit
Dr. Nehr's Portrait und vier lithographirten Ansichten. Prag
1842, Gr. 8. Ngr.
Dingelftedt, F., Wanderbuch. IT. Leipzig, Einhorn.
8. 1 Thir. 15 Nor.
Grimm, 8. A F. Geiftliche Lieder zu Erbauung Wis;
mar, Schmidt und von Coſſel. Er. 8. 11Y, Ngr.
Lange's, 3. P., Gedichte. Eſſen, Baͤdeker. Gr. 12.
1 Thlr. 10 Nor.
Laurop, ©. P., Das Forſt⸗ und Jagdweſen und bie
Forſt⸗ und Jagdliteratur Deutſchlands in —— ‚und
algemeinen, — dargeſtelt. Geuttgart, Sqhweizerbart.
vo, N .
Liederbuch für Burner. Gerausgegeben von H. Timm.
Parchim, Hinſtorff. 16. 5 Rar.
3 84 C., Dee Zigeuner. Roman. Merlin, Stubadk,
e r.
Maimonides’ (Rambam) diätetisches Sendachreiben
an den Sultan Saladin. Ein Beitreg zur Geschichte der
Medizin für Ärzte und Freunde des ciassischen Alterthums,
mit kritischen und sacherläuternden Noten. Herausgegeben
von ng Winternits. Wien, Braumülier u. Seidd. Gr. 8,
gr.
Midiewicz, %., Vorlefungen über ſlawiſche Literatur
und Zuflände. Gehalten im College de France in den Jahren
von 1840— 42. Deutfche, mit einer Vorrebe des KBerfaffers
verfebene Ausgabe. (2 Theile ober 4 Abtheitungen.) Ifter Theil
Zbtteitung. Leipzig, Wrodhaus und Avcnarius. Gr. 23,
gr.
Mundt, Z , Gefammelte Schriften, Rovellen unb Dich
tungen. Iftee Band. keipzig, Einhorn. 8. 1 Thir. 20 Nor.
Proben ſchleswig⸗ holfteinifcher Preßfreiheit, ober die deut
fche im Kampfe mit der danifchen Preffe. Leipzig, WBeldmann.
Gr. 12. I ru » Nor. Fr
Rand, ., 6 dem bmerwalbe. Leipzi Einhorn.
Gr. 8. 1 Ihle. s
Reifen und Länderbefchreibungen,, herausgegeben von E.
Widenmann und H. Hauff. 2öfte Kieferung: Reifen auf
den griedhifchen Inſeln des Agdifhen Meeres. Von 8. of.
ter Band: enthält Anbros, Gyros, Myconos, Amorgos, Aſth⸗
palda, Niſyros, Knidos, Kos, Kalymnos, Xelendos, Leros, Pats
mod, Samos, Ikaros, Delos, Rhenda, Gyaros, Beibina. Wit
einem Kupfer, einer Karte und mebren Holsfchnitten. Stutt⸗
gart, Gotta. Gr. 8. 1 Zhlr. 15 Rgr.
Schmid, u. R., Das Wefen der Erziehung im Elemen⸗
tarunterrichte mit befonberer A ettigung der Mutterfprade.
D&D ’ 2 1
Jena, Größer.
Die Schredensjah:e von Lindheim. Gin Beitrag zur Gits
Tür das Chriſtenvolk ers
r.
tengeſchichte des 17. Jahrhunderts.
zaͤhlt. Hanau, König. 8. TY Ng
‚ Schubert, &. 9. v., Der ungleiche Sohn unb ber gleiche
artige Gatet: Eine Erzaͤhlung. Gtuttgart, I. F. Steintopf.
.8, gr.
Sonnenfhmidt, F. 9., Über bie Redaction eines all:
gemeinen deutfchen Gefegbuches und Sie in biefer Hinſicht dem
Tune beizulegende Bebeutung. Greifswald, Koh. Gr.8.
3 TIGE.
Sparre, K. v., Deutſchland und bie Staͤdteordnung und
die Canbgemmeinbeorbnung. Gießen, Heyer's Verlag. Gr. 8.
, FBF.
Stegmayer, C., Die Schlacht bei Effegg. Hiſtoriſches
Schauſpiel in vier Aufzuͤgen. Wien, Stoͤckhoizer von Hirſch⸗
feld. 8. 18%, Ngr.
Steiger, K., Pretioſen deutſcher Spruͤchwoͤrter mit Bas
riationen. Ein Angebinde auf alle Zage des Jahre. St.⸗Gal⸗
len, Scheitlin und Zollifofer. Gr. 8. 1 Thir. 15 Nor.
Die neueren Straf» und Beſſerungs-Syſteme. Grinneruns
gen aus einer Reife durch bemerkenswerthe Gefängniffe in AL
gier, Spanien, Portugal, England, Rrankrei und Holland.
Bon I. R. von M—— Mir vier rabirten Zeichnungen.
Berlin, Beit und Comp. Gr. 8. 1 Ihir. 22%, Nor.
Thal, K. von, Das gebratene ‚Herz ober die Gräfin von
Rabenhaupt. Romantifche Daritelung aus ber Vorzeit. Mit
Abbildung. Norbhaufen, Fuͤrſt. 8. Y, Nor.
Humoriſtiſche Vorträge. Geſammelt von &. Weyl. Ber⸗
lin, Verlagsbucbhandlung. 8. 15 Nor.
Yfemer, 8. Th., Der Predigtamts- Kandibaten Not
und Klage. Gin Gendfchreiben an bie enangelifähe Kirche bes
preußiihen Staates. Berlin, Hermes. Gr. 8. 10 Nor.
Verantwortliher Herausgeber: Heinrih Brodhaus. — Brud und Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig.
J
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Mittwoch,
— Nr. 144. —
24. Mai 1843,
Kunftbeftrebungen der Gegenwart. *)
Toleranz. — Katholiſche und proteſtantiſche Kunftauffaffung.
Man kann wol mit Beltimmtheit behaupten, daß
alle Kämpfe, welche in ber neuern Zeit in geifliger wie
materieller Hinficht geführt worden find und es noch
werden, ihren tiefften, ja im weiteſten Sinne genommen
ihren einzigen Grund darin. haben, bag man fi bis
jegt nicht über die Auffaffung und Bedeutung des Wors
te8 Toleranz Mar geworden, und che die Menfchheit
fi) nicht bequemen wird einzufehen, dag wahre Duldung
nicht das Ergebniß einer geringern Schägung, zu welcher
der Drang ber Umftände, die Nothwendigkeit, uns zwingt,
fondern nur das Reſultat der gegenfeitigen Achtung
fein muß, nie von einem wirklichen Frieden der Voͤlker
und Confeffionen bie Rede fein kann.
Alle Steichheitstheorien laſſen fih am Ende auf die:
fen Punkt zurüdführen; der ganze Drang der Gegen:
wart, der Kampf der Stände gegeneinander, der Streit
ber Stände gegen den Thron, die Reibungen der Natio:
nen, endlid der Zwieſpalt der Religionsmeinungen, alle
bezweden,, koͤnnen vernünftigerweife nichts Anderes bes
zwecken als die Gleichachtung des Menſchen im In:
dividuum, Gleichachtung der Staͤnde vor Thron und
Geſetz, Gleichachtung der Nationen, Gleichachtung ber
Confeſſionen unter ſich.
Die Gegenwart kann viel ertragen, aber gegen bie
Worte: Alleiniggroß, Alleinigberrfhend, Alls
einigbeglädend erhebt fie fih wie ein bäumenbes
Roß und Enirfche die Zügel, weil eine individuelle Über⸗
hebung darin Liegt, weicher die Menfchheit entwachfen iſt.
Als Beduͤrfniß erfand man das juste milieu, welches
aber in der Anwendung oft bie fchreiendfie Intoleranz
wird, indem man bäufig als Princip befolgt, was
fiets nur Refultat fein ſollte; als Princip iſt Mittels
maͤßigkeit und Erfchiaffen die Solge, als Refultat Bewe⸗
gung und Thaͤtigkeit, wie fie zur Erhaltung der Welt
noͤthig. Der Fürft halte die Wage und feine Pflicht ft,
zu fehen, daß der gefeumäßige Bang ber Schalen nicht
*) Bol Nr. 55 d. Bl., wo in dem Auffag „Die proteftans
tilche Kirde' bie Anfichten bes Verf. diefes Auffapes, des Archi⸗
tetten X. Hallmann, über ben Bau proteſtantiſcher Kirchen
von einem Mitarbeiter d. Bl. beurtheilt wurden. D. NReb.
geftört werbe; legt aber eine Partei fo viel in die Schale,
daß die andere emporgefchnellt wird, fo fol er nicht ein:
greifen, es ift die hoͤchſte Intoleranz, um der Ruhe
willen dergleichen zu thun, denn was auf Erden wirklich
mehr in die Wage zu legen bat, ſoll auch mehr gelten;
wo nicht, fo wird der Erfolg fein, dag Gewicht fich auf
Gewicht haͤuft, bis die Stricke zerreißfen und die eine
Schale fi von dem Wagebalten trennt.
Wenn eine Nation in Wahrheit mehr Kräfte befige
als andere, fo wird fie ſchon, ohne es felbft auszufpres
hen, dafür erfannt und geachtet, das fehen wir an Eng»
fand; Frankreich Hingegen ufurpirte gegen Recht und
Sitte die Herrſchaft über Europa, Unterwerfung hieß die
Münze, wofür es feine prahlerifhe Sreiheit und Gleich⸗
beit bergab. In feinen frühen Zuſtand zuruͤckgebracht,
krankt es jest am der bee, mehr Rechte zu beſitzen als
andere Nationen, die erfte zu fein, und nur deshalb
gerieth es in Die iſolirte Stelung, weil Selbftübers
ſchazung ftets eine geringere Schägung von be
übrigen Welt zur Kolge hat. £
Der Menfh im Naturzuftande ward als Herr ber
Schöpfung geboren, aber wenn er in die Gefelifchaft der
Menſchen eintritt, fo wird er einfehen müffen, daß Bote
außer ihm noch einige andere Herren ber Schöpfung ers
fhaffen, und fich demgemaͤß fügen; Daffelbe gilt von dem
Meinungen und Anfichten der Maſſen, Daffelbe von ben
Religionen. Vor der Reformation konnte ſich ber
Parholifche Cultus mit mehr Recht den alleinfeligmachen:
den nennen, denn es war in der Chriftenheit noch ein
anderer von wirklich entfchiedenem Vorzug vorhandenz
ſeitdem aber ein bdreißigiähriger Krieg gezeigt hatte, daß
es eine Partei gäbe, welche zu unterbrüden man nicht
die Kraft befige, fo mußte man ſich entfchließen fie zu
dulden, freilich war es damals nur in bem Sinne der
Nothivendigkeit und der mindern Schaͤtzung; nachdem
übrigens die Erfahrung von Sahrhunderten gelehrt hat,
dag Millionen von Menfchen durch die proteftantifche Res
ligion begluͤckt und zufrieden gelebt haben, fo muß ſich
bei jedem denkenden Katholiken diefe Duldung mit dem
Gefühle der Achtung paaren, und wenn es nicht geſchieht,
fo wird dee Kampf fo lange fortdauern , bis es gefchieht.
Jeder Menſch, der fi zu einem Glauben bekennt,
aus Überzeugung befennt, kann es nur, wenn er für
574.
fein Individuum biefen Glauben als aleinbefeligend
erfannt bat, es mag auch, aus echter Liebe und Mitges
fühl, der Wunſch in ihm entfichen, daß feine Mitmen⸗
ſchen diefen Btauben mit ihm theilen möchten; aber wenn
er einſieht, daß viele derfelben, mit dem gleichen Geiſtes⸗
feäften, mit dem gleichen Talente, mit ähnlicher Übergeu:
gung, wie er ben feinigen, einem andern Glauben nach⸗
leben, fo wird die Realiſirung feines Wunſches eine
Überhebung feiner felbft, eine anmafende Intoleranz.
Überlaffen wir vorläufig die Schlichtung von dergleichen Dif:
ferenzen der Zeit, machen wir übrigens von dem, uns
nicht abzuleugnenden Rechte, die Welt aus unferm pro:
teftantifchen Geſichtspunkte betrachten zu können und uns
in diefem Sinne auszufprechen, Gebrauch!
Manchem wird «6 vieleicht unnoͤthig ſcheinen, ſolche
gowoͤhnliche und theilweiſe ausgemachte Wahrheiten bier
als Einleitung zu wiederholen; doch wollte ich ſie aus zwei
Gruͤnden nicht fortlaſſen, erſtens weil ich fie als Stuͤtz⸗
puntt für das Folgende gebrauche, zweitens weil eine
auf meithiftoftichen Wolken thronende, nur dem Anblicke
des überirdiſchen, Unmoͤglichen und Unerklaͤrbaren zuges
wandte Betrachtungsweife, wie fie in Deutſchland beliebt
wird, das Gewöhnliche, d. h. das Praktiſche vergißt und
oft abſichtlich ignorirt.
Es iſt nun eine unumſtoͤßliche Wahrheit und That⸗
ſache, daß die Kunſt bei allen Voͤlkern, vom hoͤchſten
Aiterthume an, ſich ſtets den Religionen aufs innigſte
angeſchloſſen, ja ſich ihnen gemaͤß entwickelt habe, indem
die Känfte dazu dienten, die der Maſſe unverſtaͤndlichen
Ideen zu verfinnlihen und zu erllären. Um fo mehr
HR es deshalb zum Verwundern, daß bei ber Sucht nad)
Tiefe unter uns Deutfchen es noch fo felten zugegeben
worden, daß eine Kunſt, weiche dem Proteflantisntus Dies
nen foll, eine wefentlich andere fein muͤſſe als bie, welche
dem Eatholifchen Cultus dient, um fo mehr zu verwun⸗
bern, da der Hauptunterfchied der Confelfionen in ber
Form liegt und die Kunſt doch bekanntlich ihre einzigfte
Ausdrudsweife in der Formenwelt hat.
Diefer Umſtand iſt es, ber leider zu deutlich zeigt,
wie wenige Menfchen es gibt, die den Much umd die
Kraft haben, über gewiffe Sachen fih Klarheit zu vers
fehaffen, indem ihnen ein buntes Gefühl fagt, daß fie
ſich auf unrechtem Wege befinden, baher Vieles aufopfern
möflen, um auf einem andern beflo mehr zu gewinnen.
Se ging denn das Beflreben der meiften beſſern Kuͤnſt⸗
ler und Belehrten ber legten Zeit dahin, die am deutlich
len hervortretenden Bloͤßen in den Kunſtbeſtrebungen
möglichft zu verdecken, durch exborgte, der Vergangenheit
entrifiene glänzende Segen, ohne die Wahrheit öffentlich
eimzugeftehen, daß fie dadurch bee Gegenwart ein ihr uns
wöärdiges Gewand umgehängt haben. Eine Erbenntniß,
die allerdings wol großer Opfer werth if, haben uns die
Anſtrengungen und Sorfhungen der legten Decennien un:
widerruflich gebracht, nämlih: daß es ebenfo wenig im
der Kunſt als Überhaupt in allen irdifchen Dingen und Bes
trachtungsweifen etwas Alleinigmwahres, Alleinig:
ſchoͤnes u. ſ. w. gibt, fondern, daß dieſes Alleinige nur
in dee Goͤttheit begruͤndet, von Ihe aber in dem verſchle⸗
benften Strahlen ausſtroͤmt und in fie zurkdflieft. Man
bat erfannt, daß, da jede Kunflepoche ihre befondern Schön:
heiten darbietet, die Kunſt etwas unendlich Höheres fei,
als fie in einzelnen Richtungen offenbar, Die Kun
im hoͤchſten Sinne iſt die verkörperte, gefammte, geiftige
Schöpfungskraft des menſchlichen Geſchlechts, fie wird
alfo mit den verfhiedenen Geſchlechtern ſteigen und fallen,
entfiehen und vergehen, fie wird das Abbild der Empfin⸗
dungs: und Auffaſſungsweiſen ber verfchiedenen Geſchlech⸗
ter bleiben, wie die Gefchlechter ſelbſt die mannichfache
Unendlichkeit des Schöpfers widerfpiegeln.
Nur Abgefchloffenheit kann ſoiche Äußerungen hervor
rufen, „daß die wahre Kunſt nur der Kirche allein dies
nen dürfe”, nur Mangel an Tiefe ſolche, welche befagen,
bag „das Reich dee Schönheit allein das Feld der Kunft
fei und fie mit veligisfen DMeinungsverfchiedenheiten we⸗
nig zu thun babe”. Weide Anfihen find im engem
Sinne falfh, in der weiteften Bedeutung der Worte
wahr, aber die eigentliche Wahrheit ſchwebt über beiden
erhaben ; denn die Kunft kann und fol nur das Goͤtt⸗
liche deuten helfen, und ihr Reich iſt unendlich, wie bie
Sortheit in jedem Gefchöpfe nach Verhaͤltniß unendlich
groß erfcheint.
Die Kunft des Mittelalters war dutchaus ſymbo⸗
liſch und diente, wie gefagt, dazu, der geiflig ungebildes
ten Maſſe finntlich vorzuftellen und fichtlich zu erklaͤren,
was fie geiftig nicht zu faflen im Stande war; beshalb
war auch zunaͤchſt die Schönheit der Darſtellung infos
fern Nebenfache, als die Deutlichkeit, die Verſtaͤndlichkeit
bes Darzuflellendben Hauptzwel war. Es erklaͤrt
fi) alfo von felbft und iſt hoͤchſt intereffant, es allmaͤlig
in denn Gange der Kunftentwidelung zu erkennen, daß
die roheſten und dann wiederum die Zeiten des Verfalls
für die religioͤſen Darftelungen bie graffeften und barba⸗
riſchſten Gegenſtaͤnde wählen, anfangs um die feiner
Eindräde überfehenden Augen zu fefleln, fpäter um die
berfättigten zu reizen oder zu bienden. Ebenſo natär-
lich iſt es, daß die Blüte der chriftlichen Kunft in bie
Mitte diefer Zeit Fällt, wo alfo die Darfielung den Grab
ber Schönheit erreiche hatte, um das gebildete Auge zu
befriedigen, ohne durch den Heiz der Darfiellung bie tie
fere Bedeutung des Gegenſtandes zuruͤckzudraͤngen; beum
es ift nicht zu vergeflen, daß die chriftliche Kunft nie daS
Goͤttliche ſelbſt darzuitellen beabfichtigte, fondern nur die
heiflliche Lehre zur Erkenntniß des Goͤttli—⸗
hen dem Volke anfhaulich machen wollte; die chriſtliche
Kirche diente, um einen Vergleich zu gebrauchen, der
Menfchheit in demfelben Sinne wie dem Rinde bie Bilder
fivel, um zu lernen, wie denn überhaupt jebe Kirchen⸗
form ihr Ziel erreicht, ſobald fie ihre Heerde fo weit gefuͤhet
bat, ihr Verhaͤltniß und ihre Stellung gegen Bott und bie
Welt in Wahrheit zu wärdigen und bemgemäß zu leben.
Fuͤr Alle, welche an einen Fortfchrite des menfchlichen
Geſchlechts glauben, mußte alfo ohne Frage der Zeitpunkt
einmal eintreten, wo diefe Art des Unterrichts mit einer
höhern vertaufcht zu werden gewünfcht würde, wie ber
Benfica, wenn er leſen gelsent hat, anfängt über das Bes
— erubenten, wie in allen chriſtlichen Orden ver⸗
fdiedene Stufen, wie fogar ſchon im Alterthume bei je:
dem Tempel verfchiedene Grade befanden und die Eleufi:
niſchen Geheimniſſe ſicher nichts Anderes fein konnten ale
eine formiofere Saffung der Glaubenslehren. Es gab
daher audy ſchon vor ber Reformation Viele, denen das
für fie hohl gewordene Formenweſen laͤſtig und überflüffig
wfchien, fie mußten anfangen, in ben Bildern, um fie zu
betoundern, etwas Anderes zu betvundern ale den Gedan⸗
fen, der zum Grunde lag, nämtih bie Darflellunge:
art feibft; fo murde bie Schönheit in den Kunſtleiſtun⸗
gen ein neuer Gultus, neben dem urfprünglichen, für Die,
weiche im Stande waren, ſich zu diefer Höhe empotzuats
beiten. Aber ſelbſt diefe Richtung hatte ihre Zeit und
die Kunft entwuchs ber Kirche umd Lehrte in das große
und wirkliche Leben zuruͤck; denn fie hatte ihre Aufgabe
volfendet, fie hatte durch der Wirklichkeit entlehnte, aber
für das zu Erklaͤrende ſymboliſche Formen
die Lehre verfiehen gemacht: „Im Anfang war
das Wort und das Wort war bei Gott.”
Die mittelalterliche Kunft wie überhaupt der katholi⸗
ſche Cultus hatte die Menſchheit fo weit geführt, daß fie
im Stande war, das Wort ohne Symbolik zu verfichen,
da gefchah die Reformation, der Proteftantismus trat
auf und unterfcheidet fi durch nichts vom Katholicismus
als dadurch, daß er auf Entfernung biefer Mittelglieder,
welche hinfort mehr vermwireten als nüßten, drang. Chris
ſten bleiben wie nach mie vor, nur fuhen wir uns uns
fer Verhaͤltniß zum Schöpfer jest durch das Wort zu
erklaͤren, und wir fanden, baß buch die Schärfe des
Wortes ſich der Erkenntniß dee Wahrheit in der Lehre
son Gott unendlich näher Tommen laſſe als durch die
bitdfiche Darftellung; die Wiſſenſchaft tritt Hinzu und
beginnt Das für: den Proteſtantismus zu thun, was bie
Kunft dem Katholicismus geleiftet, die Predigt ftellt fich
an bie Stelle der Bilder: durch die Leuchte der Wiſſen⸗
ſchaft fuchten die Proteflanten ihre Begriffe aufzuhellen
und ihren Glauben zu läutern; nad vielen Icethänmern,
wie bei allen menſchlichen Dingen vorkommen, wurden
wie endlich zur legten Stufe geführt, die der Menſch
auf Erben zu erfleigen haben wird, nämlich: einzufehen,
daS die Gottheit ſelbſt ebenfo unerfaßbar für unfere geiſti⸗
gen Augen, als das Innere der Sonne es für unfere
Eörperlichen bleiben wird; beide ſchweben über und, aber
wie die Sonne in dem Segen ihrer Wirkungen zu er:
Eennen ift, offenbart ſich die Sottheit in der Geſammt⸗
heit ihrer Schöpfung, und unfere Religion iſt, zu ers
kennen, daß Gott jedem feiner Gefhöpfe innewohne,
und ihn in feinen Geſchoͤpfen ſelbſt zu verfiehen und zu
verehren; fo tritt die Religion wirklich ins Leben wieder
en und mird die Welt, welche fie bis jest faſt aus⸗
ſchtießlich als in der Kirche wohnend betrachtet, in Wahr:
heit beleben und begläden, Kunſt und Miffenfchaften be:
ainnen das ungleich, größere Merk, ſtatt das Göttliche
ducch Gleichniſſe es nun durch das Geſchoͤpf im Geſchoͤ⸗
pfe felbſt zu erklaͤren.
Im Allgemeinen iſt dieſe Art von Gottesdlenſt noch
ein Ideal, jedoch, ſofern es die Kunſt betrifft, beweiſt die
Betrachtung hinreichend, daß die Kunſt im proteſtanti⸗
ſchen Sinne nie eine ſymboliſche Kraft gleich der des
Katholicismus ſein kann und ſein wird. Denn will man
in proteſtantiſchen Kirchen Bilder anbringen, ſo kann das
im proteſtantiſchen Geiſte nicht geſchehen, um ſymboliſch
etwas damit zu verfinnlichen, ſondern nur um an ein
für den Entwickelungsgang unſers Glaubens wichtiges
Ereigniß zu erinnern. In dieſem Sinne feiert auch der
wahre Proteftant das heilige Abendmahl, er erhebt fi
zur Beſſerung dur die Erinnerung an die Größe Des:
jenigen, der es einfegte. Pur in diefem Sinne habe ich
für den Dom in Berlin (wenn er nämlich gebaut
werben follte) Malereien und zwar auf Goldgrund ges
wuͤnſcht, indem ich damit nur eine Andeutung des Ent:
veidelungsganges der Chriftenheit bis auf uns beabfich:
tigte, welche gleichfam als Hintergrund für die fi im
Leben der Gegenwart bewegenden Geftalten dienen follte;
fowie man danach flcebt und es gerne hat, eine Legende
im Urterte zu leſen, ohne jedoch jedes Wortbild für buch⸗
fläblih zu nehmen. Der tatholifche Cultus hat, während
die Zeiten und bie Menfchen fich änderten, feine Form
beibehalten; für diefe Kirchenform befkreite ich nicht, daß
Borflelungen in der Art und Weife, wie Overbeck fie
ſchafft, Die geeignetiten fein mögen; aber ob fie noch dem
Eindruck Hervorbringen, den die Malereien in der Zeit
bervorbrachten,, welcher fie entiehnt find, datauf muͤſſen
Katholiten antworten, möglih, daß es für einen Theil
berfelben der Fall ift, aber die Gefchichte lehrt, daß
bie Maſſe der Gebildeten dieſer Kirche jener Symbo⸗
lik entwachfen war, denn auf dem Felde des Kathos
licismus felbft entfland ja Die fogenannte Ausartung
bee Kunſt, ein ficheres Zeichen für das Bedürfniß eines
andern Zuftandes: dies Factum der Geſchichte kann man
nicht umfloßen. Für den fluͤchtigen Überblick koͤnnte es
auffallen, daB ich die Darflellungen von Cornelius in
dee Ludwigsliche zu München einen Sortfchritt dee
Kunft genannt habe, indem fie boch derſelben Richtung,
weiche Overbeck verfolgt, angehören, "und was bie Aus:
führung beteifft, die legten den erflern durchaus nicht
nachſtehen. Die Overbeck'ſche Richtung erzielt aber, wie
der Deeifter es ſelbſt ausgeſprochen, die Zurückfuͤhrung
der Kunſt in jene aͤltere mehr ſymboliſche Darſtellungs⸗
weiſe des Mittelalters, waͤhrend Cornelius, mit maͤchti⸗
germ und ſtaͤrkerm Geiſte bemuͤht geweſen, bie ganzen ver⸗
ſchiedenen Darſtellungsarten der katholiſchen Kunſt zus
ſammenzufaſſen und in der Deeoration der Kirche die
ganze batholifche Kirchenlehre felbft zu fombolificen. Es
iſt als eine Zufammenfaffung aus allem, oft zerſtreut
Vorkommenden in dieſer Hinficht ein Kortfchritt, aber
auch zugleih eine Grenze, denn fo gerne ich bereit bin
anzuerkennen, daß es ſchwerlich einen Künftier fernerhin
geben wird, der dies mit mehr Geiſt und Kraft volifüh:
ven dürfte, fo ſehr bin ich überzeugt, daß eine ähnfiche
Darftellung die beabfichtigte Wirkung gänzlich verfehlen
muß und beshatb für die Fotge Aberfläffig fein wird,
576
denn fie belehrt, aber erfreut ben Geiſt nicht, fie deutet,
aber erwärmt nicht, denn fie belehrt und deutet nicht in
dem Grade, kann es nicht, als es die Schrift ſelbſt kann,
und die Kunſt erſcheint am ohnmaͤchtigſten, wo fie am
hoͤchſten binauffteigen wollte.
Ich kann es nicht genug herausheben, wie das Ge:
äußerte Lediglich eine Betrachtung aus proteftantifchem
Standpunkte, aber nicht im entfernteften eine Derabfegung
jener Richtung fein fol; dem fie paßt, der folge ihr; ich
bin nur bemüht zu entwideln, daß für Proteftanten bie
Kunftbeftrebungen auf einem ganz andern Felde liegen
als in ber Kirche fpeciell genommen, Daß der Unterfchied
zwiſchen Eatholifcher und proteflantifcher Kunſt nicht etwa
ein PBleiner, auf unbedeutender Deinungsverfchledenheit be:
eubender, fondern ein gewaltiger, das ganze Gebiet der
Kunft veränderhder fei, und endlich, daß man aufwachen
möge aus diefem Jerthume und nicht ferner der prote
ſtantiſchen Kunft dadurch aufzuhelfen fich beftrebe, ihr
Dinge anzukleben, die keinen Zufammenhang mit ihrem
Innern Wefen haben. So wenig der proteftantifche Got:
tesdienft von katholiſcher Kirchenform haben will, fo we:
nig kann die proteftantifche Kunft von Eatholifcher Auf:
faffungsweife gebrauchen.
Es thut mir wehe, daß man 3. B. In Berlin nit
zur Klarheit Über diefe Grundzüge kommen will, des⸗
halb in der Beförderung und Beſchaͤftigung der Künfte
ſtets ſchwankt und fo die von Fatholifcher Seite oft aus:
gefprochene Behauptung zue Wahrheit macht: „der Pro:
teftantismus ſei der Förderung und dem Gebeihen ber
Kunft entgegen”. So ift fie den denkenden Menſchen
sar nichts daran gelegen, ob bie Form eines proteftanti:
fhen Domes mit irgend einer beflimmten Form der
Vergangenheit übereinftimmt, wol aber, ob ein neuer
Dom feinen für bie jegige Generation leiſten follenden
Zweck hinlaͤnglich erfüle. Wenn eine Bafttikenform
vor 1000 Jahren zweckmaͤßig war, fo ift es deshalb
nicht nötbig, daß fie es jest noch fei; man thut.am
beften, fi dem wahrhaft natürlichen Gange ber Sefchichte
zu unterwerfen, auf dieſem Wege gelangt man zu Re:
fultaten, voelche nich? als etwas der Gegenwart Entfrem:
detes in die Zeit einſchneiden, man kann ſich
aus dem Überkommenen das moͤglichſt Benutzbare heraus⸗
ſuchen und es anwenden; ein ſolches habe ich bei dem
von mir entworfenen Plane verſucht, ohne den Glauben,
das Beſte geleiſtet zu haben, aber wol in der Überzeu⸗
gung, dem richtigſten Principe zu folgen. Weder im Les
ben der einzelnen Menſchen noch in dem Gange der
Sahrhunderte negirt man ungeflraft ganze Epodyen, und
wenn das im Allgemeinen wahr ift, fo ift es ebenfalls
in ber Kunft. Es iſt auffallend, daß in einer Zeit, wo
man fortwährend mit welthiftoriicher Bedeutung um ſich
wirft, man es nicht einfehen will, daß kein Schritt der
Geſchichte ohne eine ſolche Bedeutung iſt, indem jeder
Schritt ein endliches Reſultat vorbereitet oder foͤrdert,
es koͤnnte alſo fuͤglich die welthiſtoriſche Bedeutung bei⸗
feite geſchoben werden, als etwas ganz Alltaͤgliches, man
würde dann weniger ſchwerfaͤllig und beſtimmter aufs
treten.
(Die Beortfegung folgt.)
Notizen.
Auch politifhe Poeſie!
In einem Dorfe von Mittel: Deutfchland bildete ſich vor
etwa einem Jahre eine Schaufpielergefelfchaft, und auch ber
Dichter bee nöthigen Trauer #, 86 und Luſtſpiele fanb fi
in der Witte derfelbens fie fpielten anfangs In dem eigenen, bana
auch in ben benachbarten Dörfern. Gchreiber diefes kam kurs
nach einer foldhen Aufführung in bie Gegend und erfuhr bier
von einem alten Bauer, daß er zwar den Titel des Stuͤcket
nicht mehr wiffe, fein Inhalt aber fei folgender geweien: Um
eine Krone ftreiten zwei Prätendenten, der Buͤrgerkri
aus und ber eine Kronbewerber ift bereits bem lntepliegen
nahe; da verfprit er nicht nur, ſondern erläßt ſogleich für
den Ball feines Sieges eine hoͤchſt freifinnige Verfaſſung. Das
wirkt entfcheibend: in kuͤrzeſter Krift tft fein Gegner von allen An⸗
bängern verlaffen und der Liberale Fuͤrſt ergreift unter allgemeis
nem Jubel das Ecepter. Run fage man noch, ba6 in der enge
bes Volks kein Sinn für freie Verfaſſungen lebendig fei!
Etymologiſches.
Marode, Marodiren leitete man in ber Kindheits⸗
periobe ber Etymologie wie fo mandyes andere Wort aus dem
Hebräifchen her, fpäter von einem Volksnamen. Cine andere
Ableitung ift in ben abenteuerlichen „Bimpticiffimus” enthalten.
3ur Zeit des Dreißigjährigen Krieges habe ein Graf Merobe
ein Regiment gefammelt, welches aber aus dem al i
ſten Geſindel zufammengefegt geweſen ſei und ſich, ſtatt durch
ſeine Kriegsthaten, nur durch Betteln, Rauben und Pluͤndern
ausgezeichnet habe, deshalb habe man zuerſt die Leute dieſes
Regiments, dann alle Soldaten, bie, vom Heere ſich trennend,
ein aͤhnliches Leben fuͤhrten, Merodebruͤder genannt, und ſo ſei
dies Wort allmaͤlig in allgemeinen Gebrauch gekommen. Das
orthographiſche Bebenten, welches man gegen dieſe Ableitung ha⸗
ben koͤnnte, wird dadurch befeitigt, daß im, Simpliciſſimus Tas
bald Merodes, bald Marobebrüber gefchrieben ift. 38.
Literarifche Anzeige.
Neueſtes und vollftändigftes
Fremdwörterbuch,
zur Erklärung aller aus ftemden Sprachen entlehnten
Wörter und Ausbrüde, welche in den Künffen und
Wiffenfhaften, im Handel und Verkehr vorkommen, nebft
einem Anhange von Eigennamen, mit Bezeichnung ber
Ausfprache bearbeitet von
Dr. 3. $. Kaltschmidt,
Sn 10 Heften zu 8 Ngr.
Leipzig, bei F. A. Brockhaus.
efes Werk zeichnet ſich vor allen bisherigen Frembreärtere
i
Di
büchern durch Bon ſtndigkeit edmä tuvogea⸗
phfhe Einrichtung — ger ale
vortpeilhaft aus. Grfchienen ift bis jegt Heft I—S (A—N),
fehlenden Hefte werden in kurzen Zwiſchenraͤumen
Berantwortlicher Serausgeber: Heinrih Brodhaus. — Drud und Werlag von 8. &. Broddaus in Leipzig.
a
Blätter
für
literarifbhe Unterhaltung.
25. Mai 1843.
ons Nr. 144.)
Mach diefer Abfchweifung treten wir der proteflantis
fchen Kunftauffaffung etwas näher: Overbock bat im feis
nee Behauptung, welche die Kuͤnſtler fo fehr frappirte,
„dab Rafael's Hand in das verbotene Reid, gegriffen
habe”, von bem Standpunfte, wo bie Religion in ber Kirche
allein wohnt, ganz recht; nach uuferer Lefeart will es
freilich nicht® Anderes heißen, als daß Rafael wol eingeſe⸗
ben habe, daß Sort nicht allein durch die Lehre, fondern
durch das Geſchoͤpf unmittelbar erklärt und verflanden |
werden koͤnne, und firenge genommen war Rafael in der
fpätern Ausübung feiner Kun ſchon mehr Proteſtant
als Katholil. Am deutlichfien tritt dieſer Gontraft in
der Schule von Athen hervor, wo durchaus nichts mehr |
fombolifch, fondern alles natuͤrlich erſcheint, wo aber, durch
die Anſchauungsweiſe der Zeit, noch das Streben ſichtbar
ift, den Begriff oder fozufagen bie Erklaͤrung des wiffen⸗
fchaftlichen Schaffens barzuflellen, biefer Zuſammenhang
aber duch die Zufammenflellung von einer Menge in
fü; vortreffliher, jedoch eigentlich ohne Beziehung auf:
einander daſtehender Geſtalten nicht hinlaͤnglich ſich aus⸗
ſpricht. Dieſes Bild bedeutet nichts mehr, es iſt et⸗
was, d. b. es iſt kein Symbol, ſondern Wirklichkeit, es
bedeutet nicht die Wiſſenſchaft, denn Wiſſenſchaft ober
Philoſophie laſſen ſich nicht malen, fondern nur in ihren
Wirkungen erkennen, «6 ſtellt uns einzelne Dinner in ih⸗
ven wiſſenſchaftlichen Beichäftigungen bar, und bdiefe Ge⸗
Ratten ſah Rafael mit feinen Augen im Leben ſich
ebenfo bewegen, ob fie nun gerade daſſelbe Coſtum ge:
tragen, iſt gleichbedeutend. So find die Rafael’fhen
Mabonnen keine Mütter Gottes, nach dem firengen Bes
griff der Kirche, fondeen es find göttliche Mütter, d. h.
Seftatten des Lebens, in denen fid das Göttliche ber
menſchlichen Natur auf das vollkommenſte ausſpricht;
nach dem Principe der katholiſchen Kirche koͤnnen fie im
ſtrengſten Sinne keine Andacht mehr erwecken, nad) pro⸗
teftantifcher Anfhanungsart koͤnnen fie anbetungswuͤrdig
fein, indem fie auf die Herrlichkeit Gottes auf bie edelſte
Weife hindeuten. Nah unferer Denkart erhebt ſich der
Menſch mit der Seele und die Seele erhebt ſich bei
jedee Ahnung der Gottheit, denn fie iſt ein Theil von
ihre: ein Steahl der Morgenfonne öffnet bie Kelche der
Blumen und als Dankopfer firömen fie ihren Duft aus!
Deshalb genieht der wahre Künftler das Leben mehr als
viele andere Menſchen, weil er die Faͤhigkeit bat, mehr
durch das Göttliche in der Natur angeregt zu werden,
und duch die Wirkung feiner Werke kann und will er
nichts bezwecken, als die Maſſe der Menſchen, welche biefe
Empfängsichkeit nicht beſitzt, bucch fein Gebilde als Mits
telglieber auf das göttliche Dafeln hinzuweiſen; infoferm
iſt denn auch die proteftantifche Kunſt ſymboliſch, indem
fie nur das Individuelle Abbild des Goͤttlichen an die
Stelle des Schöpfers ſelbſt ſetzt; in diefem hohen Sinne
fogt auch Goethe: .
Alles Vergänglidye it nur ein Gleichniß,
Das Unzutänglidye hier wird's Ereigniß,
Das Unbefchreibliche hier wird's gethan,
Das ewig Weibliche zieht uns hinan!
Die proteftaneifche Kunft fol und will Beine Wunder bar:
fielen, die wir weder begreifen noch fehen Binnen, will
Seine Unmoͤglichkeiten dacftellen, fondern nur die Wunder,
weiche uns auf jedem Schritt entgegentseten, wenn mir
fie nur ſehen wellen; wie brauchen gar keine andere
. Wunder als die wirdliden, um unfen Glauben zu
ſtaͤrken, darum gefchehen auch wahrſcheinlich jekt Leine
unnatürligen mehr.
Die Kunft im proteſtantiſchen Sinne will aͤhnliche
Gefühle und Eindruͤcke hervorrufen als die Natur ſelbſt,
ans kuͤnſtleriſchem Standpunkte fragen wir nicht, was
fo jener Baum bedeuten, wir fühlen bie Schönheit befs
felben und freuen uns daruͤber; wir fragen nicht, weshalb
fieht der Berg da? wie fehen ihn umd find entzüdt über
fein Dafein; wie grübeln nicht beim Anblid des Meeres,
das unfere Füße befphle und in unabfehbarer Berne mit
dem Azur des Himmels verſchwimmt, die Seele jauchzt
auf und firebt dee Unendlichkeit nach, und wenn es Mo⸗
mente gibt, wo dee Dann in bee Umarmung bes Weis
bes felig iſt, fo frage er nicht, was iſt Liebe? er fühlt
fie und denkt nichts! Es ift ganz unmöglich, in den
Anblick von Naturſchoͤnheiten verfuntenzu fein, ohne am etwas
Anderes zu denken al6 das Göttliche, was darin außges
druͤckt erfiheintz deshalb iſt auch jeder Kunſtgenuß bdefte
ſtaͤrker, je unmittelbarer ee mit dem Gefühle aufgefaßt
. werben kann, und wird fchwäcer und fchwächer, je mehr
dee Verſtand oder gar das erlernte Wiſſen dabei den
578
Gommentar machen muß; ſolche Darfielungen erfreuen
nicht, fie interefficen nur.
Das Feld der proteflantifchen Kunſt ift alfo vorzugs⸗
weife die Wirklichkeit, worunter nicht nur etwa un:
ſere jegige Lebensweiſe zu verftehen, fondern überhaupt das
Leben des menfchlichen Geſchlechts, im allen Epochen,
mag es in dieſes oder jenes Gewand gehuͤllt fein, das iſt
im weiteften Sinne gleichbedeutend; die Geſchichte ber
Menſchen, d. b. die fihtliche Offenbarung Bottes,
im Entwidelungsgange der Schöpfung, das
Leben, und da fih das Leben am ſtaͤrkſten in ben
Thaͤtigkelten der Gefchöpfe, in den Eörperlichen und Sees
Ienbewegungen der Menſchen dyarakterifirt, bie Haud⸗
lung, die Thaten. Eine ſolche Kunftauffaffung nähert
ſich in gewiſſer Hinſicht der Kunft des Alterthums, nur
daß wir 5. B. die Naturkräfte nicht ale Götter in
menfchlicher Geſtalt darftellen, fondern daß wir das Gött:
tiche der Naturkraft durch fie felbft am deutlichften aus⸗
gedrückt und erklärt erkennen. Dies bezieht ſich zunaͤchſt
auf die fogenannte leblofe Natur, wir ziehen es vor einen
Strom zu malen flatt des Fußgottes, lieber ben Baum
flatt dee Dryade, lieber die Quelle ftatt der Nymphe, lie:
ber das Meer feloft ale den Neptun u. ſ. w.; dieſer Art
von Symbolik find mir ebenfo wol entwachlen als. ber
cheiftfichen. Sofern aber die menfchliche Geſtalt und das
Thun der Menſchen ſtets der Hauptgegenftand der Kunſt
bleiben wird, fo koͤnnen wie bei der Darftellung berfelben
uns immerhin bemühen, die herrlichen Antiken zu erreis
hen und wo möglich zu übertreffen.
Ein ſchlagendes Beifpiel für unfere Betrachtungsweife
gibt uns die Architektur, auch ſchon deshalb die erſte der
Künfte, weil fie nur des Gefühle bedarf, um aufgefaßt
und empfunden zu werben. Der Beſchauer fragt nicht:
Mas ift es, das mich beim Eintritt in eine ſchoͤne Kicche
erhebt? Warum oder was bedeutet es, daß mich der Eins
druck einer ſchoͤn geſchmuͤckten Halle oder eines geſchmackvollen
Saales erfreut? und er genießt die Wirkung biefer Kunſt
deshalb nicht weniger, weil er ſich das Wirkende nicht zu
erklaͤren verficht. In der Architektur find es überdies
nicht einmal die Kormen der Natur ſelbſt, fonbern nur
bie ewigen Geſetze des Gleichgewichts und der Statik,
wonach bie Welt ſich hält und bewegt, durch den Mens
fhen duͤrftig nachgeahmt, und wie viel ergreifenber könnte
die Wirkung der andern Künfte fein, denen es erlaubt
ift, fih in Zormen der Natur unmittelbar auszudruͤcken.
Ein Kunftwert kann dem Künftter viele Anſtrengung
und Sopfbrechen Eoften, er kann unendlich viel gedacht
und gefchafft haben, um es zu erzeugen, aber er foll bas
duch ben Beſchauer gleihfam der Mühe überheben und
ihm das Refultat feiner Anfirengungen geben, ftatt zu
verlangen, daß man ihm auf feinem Wege dazu folge.
Ein großer Philoſoph fage 3. B. die Wahrheit fei eins
fach, aber flatt Das, mas er für wahr hält, und das, wenn
es wahr ift, dee Menſchheit doch nur allein nüsen kann,
als ein Reſultat in wenig Worte zu fallen, muß er ein
halbes Jahr Vorlefungen darüber halten, wo ben Zuhoͤ⸗
rern von dem Wuſte von Gegenfländen und Stoffen,
Begriffen und Definitionen ber Kopf fo gu ſchwindeln
anfängt, daß fie das bischen Wahrheit ganz aus dem
Augen verlieren. Eine ähnliche Wirkung üben ungeheuer
tiefgebachte undarflellbare Unmöglichkeiten, worin man une
zu oft das Hoͤchſte ber jegigen Kunſt zu finden fire gut
haͤlt, auf das ungluͤckliche Publicum aus, und da bie
Kuͤnſtler erfter Claffe, d. h. die Hiftorienmaler, bemerkt
haben, daß das Publicum vor ihren Bildern voribergeht
wie vor leeren Mauern, fo ift es Mode geworden, im
die Eden der Gemälde erkläcende Anfchlagszettel auszu⸗
hängen, ein offenbarer Fortfchritt gegen die byzantini:
ſche Urzeit der chriſtlichen Kunft, wo den unerklaͤrlichen
Figuren die Zettel aus dem Munde hingen.
Ebenfo wenig ald der Staat Soldaten halten foll,
nur um Soldaten zu haben, fondern zur Aufredythals
tung ber Geſetze und zur Vertheidigung des Vaterlande,
ebenfo wenig fol ein Kunſtwerk feiner ſelbſtwillen geſchaf⸗
fen werden, fondern zunähf um zu wirkten, und biefe
Wirkung muß keine nur einzelne Individuen, fondern
bie größere, beſſere Maſſe der Menſchen erfafiende fein,
db. h. das Bild muß verſtaͤndlich fein und deshalb eins
fach; dieſe Einfachheit bezieht fi uͤbrigens nicht auf
die Menge der Figuren ober auf den Reichthum ber
Scenerie, fondern auf die Einfachheit der Handlung und
des Gegenſtandes, mit andern Worten, es muß natuͤrlich
fein. Es gibt wol jeder Menfh von Gefühl zu, daß
ihm ein einzelner vollendet gemalter Kopf Lieber fei als
eine Sompofition von 30 — 50 Figuren, bei denen bie
Schönheit der Darftelung vernachlaͤſſigt iſt; es mag nun
ben Einfturz der Welt darftellen, es erfhüttert und er⸗
faßt nicht mehr darum, fondern weniger als der einzige
Kopf, denn in ihm allein kann eine ganze Melt Legen!
Nah unferer Betrachtungsart verdient Alles, was
überhaupt edele und nach den verfchiedenen Abſtufungen
dee Bildung und Empfänglichkeit gute Empfindungen
und Einbräde hervorrufen kann, bargeftellt zu werden
und wird feiner Wirkung um fo mehr gewiß fein, je
ausgezeichneter, je vollendeter, je harmoniſcher der Vor⸗
teag und die Darfiellungsart if. Das abfichtlidhe Her:
abfegen der Vollendung in dee Malerei ift eine Thorheit,
eine Impotenz Derjenigen, welche, weil fie nidyt können,
aus der Malerei gerne eine Zeichen: oder Gomponiranftalt
machen möchten ; wenn ich zu fagen hätte, ſollte mir fortan
Niemand mehr malen, ber das Praktiſche der Malerei
gering achtet, er möge denn lieber ein Denker werben,
ein Maler ift er nie. Man wird einen eben aus⸗
lachen, der da behauptet ein Dichter zu fein, und feine
ſehr ſchoͤnen Gedanken nur in hinkenden Werfen oder in
bolperigtee Profa zu Rage fördert; ein poetiſcher Menſch
kann er fein, aber, um wirklich fchöne Gedanken in vollen
betee Form zu geben, gehört ſich's, außer der Gabe noch
die Geiſteskraft zu haben, die Gedanken vom Daupte bis
zue Feder geben zu laſſen und dabei nichts von der
Friſche derſelben einzubüßen, darin erft zeigt fi das
wahre Genie! Auf diefe Art gibt es viele Künftter! fie
können nur ihre Kunſt nicht treiben! Kann der Künfl:
ler, der Maler denken, nun fo ſuche er fi bie Kraft
679
en, dad Wild feiner Gedanken fo unmittelbar ale
möglich wiederzugeben; wenn er bagegen, durch unenbliches
Cartonzeichnen ermüder, endlih zum Malen kommt, fo
muß ihn das natürlid langweilen, indem er ſich ſelbſt
genoͤthigt iſt zu copiren und die Farbe und das fogenannte
Machwerk nur fo beigibt wie ber Schlaͤchter den Kno⸗
chen bei gekauftem Fleiſch.
Fuͤr gefuͤhlvolle Augen wird geiſtvolle Form immer
mehr Bedeutung haben als formloſer Geiſt; zu vollende⸗
ter Form gehoͤrt aber nicht blos Zeichnung, ſondern der
geiſtvollſte, der gefuͤhlvollſte, der innigſte Pinſel; jedoch
da liegt der Stein des Anſtoßes, das laͤßt ſich nicht mit
dem Berftande auffaffen, fo weit reichen Schulen und
Akademien nit. Das Machwerk, was da gelehrt wers
den kann, iſt feeilih nur ein hohles; jetzt find die mei⸗
ſten Kunftwerke freilich nichts als zufammengeflicdte Schul:
marimen und Spfleme, Muge Denker verfchangen ſich bin:
ger einem unüberfieiglichen Bollwerke von Stil und bo:
. ber Auffaffung und ſchlagen die Seele zurüd; laßt ber
Jugend die Freiheit, wieber feelenvolle Dienfchen zu wer:
den, und ihr mwerbet feelenvolfe Künftler und Kunſtwerke
Haben !
Es ift merkwuͤrdig, wie die Verſchrobenheit ganze Ge:
nnerationen durchdringen kann; fo bat man noch vor kur⸗
zem darüber gefiritten, ob die Wiffenfchaft dadurch ein:
Süße, daß fie ſich verftändlich auszudrüuden beftcebte und
do mehr Altgemeingut der Nation würde. Ebenfo ift es
mit der Kunft, man wagt «6 zu behaupten, ohne verhöhnt
zu werben, daß die höhere Kunft ſich niche mit Dar:
ſtellung des jegigen Lebens befafen könne! Was in aller
Melt will denn Wiffenfhaft und Kunfl, wenn fie es fich
niht zum Hoͤchſten anrechnen, der Nation, der Welt
moͤglichſt zu nügen; was will denn Poefie? Wil fie fich
ſelbſt vergöttern? Statt einer Maſſe politifher Baͤnkel⸗
Sänger, wäre es nicht beffer, wenn Leute, welche die
Sprache in der Gewalt haben, fi) bemühten, eine gebies
gene Sprache in der Journaliſtik einzuführen, um da:
durch zu zeigen, daß die Intelligenz in Deutfchland wirkt:
dich höher ſtehe als in andern Ländern, flatt baß jest
dadurch gerade das Gegentheil bemiefen wird. Es hat
mehr Werth für die Menfchheit, wenn der Bürger am
Abend oder in feiner Ruhezeit durch werthvolle Auffäge,
Die fein Leben und Treiben behandeln, unterhalten wird,
als diefe Unterhaltung nur allein im fogenannten Reiche
Ger Poeſie für möglich zu denken, und er dadurch gezwun⸗
gen wird, fih aus feinem reellen Zuftande herauszufeh:
nen, ftatt fih darin glüdlih zu fühlen. Die Sudt
wach Lurus ift im weiten Sinne nur die Folge davon,
daß die Kunft nur allein dem Lupus dient.
Es iſt im hoͤchſten Grade zu bedauern, daß in
Berlin, wo die Elite ber Gelehrten und fomit bie
einſichtsvollſten Männer beifammenfigen, nicht einer,
nicht ein Einziger auftritt, und anftatt fi in dem
Gebaͤude feiner Theorien zu befpiegeln, es vorzieht, das
allgemeine Verlangen nad Ktarheit, den Wunſch eines
edeln Könige nach einer wuͤrdevollen Beſprechung ber
‚wahren Intereſſen des Landes durch eine gediegene Zeit⸗
ſchrift zu befriedigen, nicht einmal den immenſen Einfluß
zu rechnen, den ein aͤhnliches Unternehmen einem Manne
von Charakter verſchaffen wuͤrde; ſonſt gibt es doch Egoi⸗
ſten genug in ber Welt, es wird alſo eine Ohnmacht
zum Stunde liegen, denn bie Preſſe iſt frei genug, das
beweifen einzelne anderweitige Erfcheinungen. Man bruͤ⸗
ſtet fih mit beutfcher Tiefe und verwechfele Tiefe mit
Gelehrſamkeit, man begnügt fih auf dem Katheder alle
Entiwidelungsphafen der Geſchlechter ab ovo bis auf une
zu demonſtriren, aber man findet feine Belohnung nicht
in dem Nugen biefer Anfttengungen, fondern nur in dem
Beifall der Zuhörer, den Tiſchreden bei Seftfchmäufen,
oder dem Orden ober Zitel, welchen der Hof ſchickt. Das
Schreiben ift doch fonft bei Gore nicht die ſchwaͤchſte Seite
bee Deutfchen, man ſieht aber hieraus um fo deutlicher,
wie überallemaßen jämmerlih «6 bei uns beſtellt iſt,
fobald es fih um Nutzen und Praris banbelt.
Es ift an ber Zeit, daß Künfte und Wiſſenſchaften
berunterfleigen von eingebildeter Höhe und den Traum auf:
geben, fich wegzumerfen, wenn fie der Nation zu Herzen fpre:
hen; gerade weil ich die Kunft unendlich hoch achte, wollte
ich Lieber meine ganzen Entwürfe und Studien zerreißen,
meine Pinfel zerbrechen und mit der Hand das Land
bauen, ſtatt Kunftwerke fördern zu helfen, bie weder er:
wärmen noch nügen. Es hat lange genug gedauert, daß
man ſich bemüht hat, Kunft und Wiffenfhaft dem Le:
ben möglichft zw entfremden und ihre Höhe in der Uns
verftänblichkeit zu fuchen, fie müffen fi dem Leben wie
bee nähern oder fie flerben. Die alten Höhlen der Bors
urtheile, bie fogenannten Schulen müffen zufammenitür:
zen und ihre Aushaͤngeſchilder Spftem und Stil ale
etwas Lächerliches abgeriffen werben, es muß in Deutſch⸗
land in geiftiger Dinfiht eine Schlacht gefchlagen mer:
den, wie die bei Jena für die fchönfterercitte Armee der
Welt, che Deutſchland praktifh wird und fein wahres
Beduͤrfniß erkennt, und wie Preußen durch die Kraft
eines tapfeın und ungefhulten Volks gerettet wurde,
fo wird es z. B. die Kunft duch die Richtung, bie man
jegt am geringften achtet, denn fie ift in diefem Augen»
blide die einzig gefunde, fie wird es durch bie Maͤn⸗
ner, die man der Kunft gefährlich nennt, weil die Kafte,
welche die alleinige und erfle Kunſt gepachtet zu
haben glaubt, fhon eine Ahnung hat, daß fie unterlie:
gen müfje und auch fchon theilwelfe unterlegen iſt.
Wenn das Junge Deutfchland feinen Eredit verloren,
fo gefhah es, weil ein großer Irrthum dabei zu Grunde
(ag, nämlich eine Überhebung der Jugend über das Alter.
Dos Alter kann fo wenig ohne die Jugend oder das
Neue fertig werden als die Jugend ohne das Alter, fie
ergänzen einander; aber es gibt eine Epoche im Leben,
welche weder an Jugend noch Alter fpeciell geknüpft tft,
es it die Reife. Ein reifes Deutfchland thut noth,
weder ein junges noch ein altes, es brauche in keiner
materiellen Berbindung zu ftehen und braucht keine Ans
führer; aber fein Streben follte fein, durch klare Darles
gung der Verhäteniffe den Einbildungen ber SSugend und
des Alters die Wage zu halten, fein Organ fei die Preffe
kin Wirkungslselö das yeakeifche Leben. Waffen wir nun
nochmals das Sefagte zuſammen, fo fol die proteftantifche
Kunft den Beweis liefern, daß wahre Poefie im wirkli⸗
en Leben fei, nicht außerhalb des Lebens, daß das Goͤtt⸗
Ude in den Geſchoͤpfen felbft, nicht von den Geſchoͤpfen
getrennt eziflice, und zwar in einem Sinne, der die Kunfl
nicht zum bloßen Abſchreiben ber Natur erniedrigt, fons
dern in dem Sinne des folgenden Sprache:
Nicht, was ich ſehe, will ich wiebergeben,
Nein, was ich fühlte, wie ich ſah!
Zu formen firebt’ ich jenes innre Leben,
Was aus dem Spiegel meines eignen Ichs
Mir von der Wirklichkeit zurüdgeworfen.
(Der Beſchiuß folgt.)
Meife durch einige Gegenden bes nördlichen Griechenlands
von Ludolf Stephant. Mit ſechs Steindrudtafeln.
Leipzig, Breitkopf und Härte. 1843. 8. 24 Nor.
Schon durch andere, in neuefter Zeit erfihimene Reiſe⸗
befchreibungen, 3. B. von Roß, Ulrichs u. ſ. w., bat es fi
Mar berausgeftellt, weichen Nusen biefelben fir nähere Kennt⸗
niß Griechentands, des gegenwärtigen ſowie bes alten im neuen,
und fowol in geographifcher und archaͤologiſcher Hinſicht als in
andern allgemeinern Beziehungen, wenn nur fonft bie Reifen
mit Aufmerkſamkeit, Umſicht und Genauigkeit gemacht werden
und die Reijenden im Beſitze der erfoderlichen Kenntnifle fich bes
finden, zu gewähren im Gtande find. Auch bie vorliegende
Heifebefchreibung durch einen Theil des nördlichen und nord⸗
dſtlichen Griechenlands vermag unfere Kenntniß davon zu vers
mebren, zu bereichern und zu berichtigen, beſonders auch infos
fern, als fie namentlih die Infel Eubda zum Gegenftande
hat, die noch wenig von Heifenden befucht und unterfucht wors
Sen ift, die 3. B. au) Brandis im erſten Theile feiner „Mit⸗
&heilungen über Griechenland” meniger in ben Kreis feiner
Reifeftizgen gezogen und bie dennoch in mancher Rüdficht beach⸗
tet und näher unterſucht zu werben verdient. Allerdings hat
nun ber Verf. der vorliegenden Reife vorzugsmweife das Alters
tum und was ſich von ihm auf Eubda, ſowie in den andern,
von bem Beilcnden befuchten Königreichs niand in Ins
ſchriften u. f. w. erhalten hat, ins Auge gefaßts indeß beruͤck⸗
fihtigt er auch die Gegenwart des Landes und Volks, und es
ift in jener, wie in dieſer Hinſicht Manches aus der Reife zu
fernen. Namentlich auch in Betreff der alten Gecgraphie ift
dies der Ball. Umftändlicher verbreitet ſich der Verf. Über bie
Lage alter Gtäbte, nach den mehr oder weniger erhaltenen
Spuren berielben, z. B. über bie Lage des alten Herakltia nicht
nicht weit von den Thermopylen, über die Stelle bes alten Kos
Ionos u. f. w., und ed wird dabei natürlich auch über alte
Architektur und Sculpturen berichtet. Außerdem find bes Verf.
Mittheitungen befonders in Anfehung erhaltener Infchriften von
nicht geringem Intereffe und er theilt davon viele, zum heil
ſchon befannte, zum hell unbelannte von Werth, mit. Uns
fere bisherige Kenntniß Griechenlands in geographifcher Bes
tehung erſcheint auch nad Demjenigen, was Stephani in
* feiner Unterſuchungen ausſpricht, noch als ziemlich man⸗
gelhaft, und 4. B. ſelbſt den Karten von Griechenland von
Kirchent werben im Allgemeinen und @inzeinen manche Unrich⸗
tigfeiten nadhgewiefen. Bon Dem, was aus den Mittheilungen
in vorliegender Reife befonderse der Gegenwart Griechenlands
angehört, will Rec. bier nur Deifen gedenken, was über einzelne
itten und Gebräuche im Leben des Volks, beren manche das
alte Griechenland ch unveränbert und wohlerhalten im
neuen erſcheinen Laffen, über den Volksgeſang, ben Tanz und
das Volkslied der heutigen Griechen gejagt wird. Auch einige
Volkslieder von nicht gewöhnlidher Erfindung werben Hier, je
body nicht busckgängig richtig, in der Driginalfpeache meitgetpeiie,
Im Ganzen ift es dem Bec. auch aus biefer Reife klar gewors
den, baß, wie viel auch bereits von Beite ber griechiſchen Res
gierung für bie materiellen Intereflen bes Landes, die hier zus
nacht nach Lage ber Sache ins Auge zu faffen waren, geſchehen
fein mag, doch jebenfals noch mehr hätte geſchehen koͤnnen,
5. 8. durch Anordnung allgemeinnäglicher Maßregein in Betreff
des Anbaus des Landes, der Sommunicationswege u .f.w.5 aber
noch weniger gefchieht in biefer Hinſicht, fo fcheint es, von
Seiten des Gingeinen und von freien Stüden. und doch if
das Land, nad Allem, was von Beifenden berichtet worben,
fo vielvesfprechend ; aber freilich iſt es Pflicht bes Wenſchen
das Beine dazu beizutragen und ben Schat, der in dem Mes
ben ruht, zu beben. Es fcheint, daß namentlich auch in Grie—
chenland der Sinn für das Allgemeine noch gar zu ſehr durch
den Egoismus des Einzelnen — dieſe Frucht des frübern türs
fifchen und felbft bes nationalen Defpotismus einzelner Kaſten —
zurüdgebalten wird; daß die Tugend bes echten, aufopfernken
Patriotimus zwar in Griechenland keineswegs fremb iſt, aber
daß fie boch nicht fo allgemein gefunden und geübt wirb, als
e8 zur wahren Wiedergeburt des Landes und Volks wuͤnſchene⸗
werth und nothwendig iſt. Die echte Zugend bes Patriotismus
bürfte „eich auch anberwärts in unferer Zeit gar wm, 1
mange .
Literarifhe Notizen aus Frantreid.
Zu Goffelin’s „Bibllotheque d’elite” gehört folgendes Werk:
„L’heptameron, ou histoire des amants fortunes; neurvelles
de la reine Marguerite de Navarre. Ancien texte, publi6
par Claude Gruget, dans l'édition originale de 1559; revu,
corrig6 et publie, avec des notes et une notice, par l»biblio-
phile Jacob.’ Bei biefer Gelegenheit erinnern wir an bas
freundfchaftlihe Verhättn'ß, welches zwiſchen ber Königim '
Margaretha und Siemens Warot befand. Beibe wechfelten
untereinander Rondeaur, ſcherzhafte Zufchriften, poetifche Epie
ſteln. Marot nannte die Königin feine mieux aimse, fdhilberte
fie in folgendem Berfe:
Corps feminis,, coeur d’komme et 1dte d’ange!
und fagte an einer andern Stelle:
Je l'aime tans que je n’ose l’simer.
Er fol auch wirklich von ihr geliebt worden fein; doch macht
man den Gluͤcklichen au zum begünftigten Liebhaber der Diana
von Poitiers. Was die Novellen der Königin betrifft, fo Iaffen
fie fidy mit denen des Boccaccio, obgleidy die Form ihnen nach⸗
gebildet ift, gar nicht vergleichen: Boccaccio war ein Dichter,
ein Künfter, ein Schöpfer; Margaretha erfindet nichte, fie er⸗
zählt blos. Merkwuͤrdig daran iſt jedoch die Polemik gegen bie
Geiſtlichkeit, der alle in biefen Novellen gefchliberten Verbrechen
und Laſter aufgebürbet werben. Daher ift der Eifer erklaͤrlich,
womit man biefe Novellen unter der frivolen antireligidien Res
gierung ẽudwig's XIV. wieder auffuchte und las. Ginige
Kritiler des modernen Frankreichs find deshalb über die ziem=
lich wohlfeite Wiederauflage biefer Novellen entrüftet, fie faͤrch⸗
ten, baß der irreligiöfe Geift, im Ramen ber Königin Marge:
ehe und auf ihr Beiſpiel geflünt, neue Nahrung erhalten
m e.
Der Verf. des Werts „La vie militaire sous l'’empire‘‘,
be& „‚Chasseur conteur’‘, des „Almanach du chasseur”, Gere
Eleazar Blaze, gab heraus: „Histoire du chien chez tous
les peuples du monde”, wobei er nidyt blos die Profanen, weie
Homer, Ariſtoteles, Xenophon, Herobet, Plutarch, Dvib, Des
raz, Virgit u. |. w., fonbern auch die Bibel, die Kirchenoäter
und ben Koran zu Hülfe gerufen hat. Der Verf. bat hierauf
20 Zahre Studium verwandt ! 18,
Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von 3. 4. Brockhaus in Leipzig.
SI atter
literariſche
Freitag,
Kunſtbeſtrebungen der Gegenwart.
(Beſchluß aus Nr. 145.)
Sehen wir nun, inwieweit bie Thatſachen der Ge:
ſchichte mit dieſer Richtung zufammenfallen: Seit der
Reformation find alle Kunftarbeiten ſowol von Katholi⸗
Ben als Protefianten (die Sachen der Reaction natürlich
abgerechnet) wenn nicht in jenem Sinne, doch dem Me:
Attate nad) in dem Sinne gefhaffen, fi) der Natur fo
viel wie möglich anzufchließen, man mochte fie nun durch
eine griechifche oder romantiſche Brille anfehen, das gilt
ffir unlern Standpunkt im Grunde gleich; ferner behan:
bein die beffeen und zahlreichſten Darftellungen der neuern
Kun geſchichtliche Facta, und wenn man biblifche
Gegenſtaͤnde gewählt, ſo find diefe (mit Ausnahme: der
Drobuctionen ber Reaction) auch nur im Sinne ge:
ſchichtlicher Facta dargeſtellt. Trotzdem daß man
es ſich von ber katholiſchen Partei und ſonderbarerweiſe
auch von ber proteſtantiſchen angelegen fein ließ, die fo:
genaumte, alleinig hohe Hiſtorienmalerei mit befonberer
Parteilichkeit zu unterſtuͤtzen, fo haben alle dieſe bedeutenden
Anſtrengungen das Refultat herbeigeführt: den Geſchmack
an dergleichen Kunſtſachen, flatt zu heben, von Jahr zu
Jahr geringer zu machen; ‚und wie bei bean Einnahmen
die Zahlen am beften beweifen, fo beweifen ſaͤmmtliche
Ausſtellungen, daß unter 100 Gemälden kaum 1 oder 2°
find, Die jener Richtung angehören und welche, trotz des
Gejammers ber Recenfenten, dennoch wenig berüdfichtigt
werben. Man gibt fich fo gerne das Anfehen, die öffentliche
Meinung zu ehren, ich bächte, fie wäre deutlich genug!
Die fi) für Auserwählte in der Kunft haften, fu=
hen fi dadurch zu entfchädigen, daß fie z. B. Die fo:
genannte Genuremalerei verächtlih behandeln; fo hörte
noch kuͤrzlich aus dem Munde eines unſerer erfien
Künfter, dab Ingres, ber doch die altchriflliche und afts
griechiſche Kunft nur In einer grauen Grimaffe wie:
dergibt, ber erile Maler Ftankreichs fei, nur weil er die:
ſelben Grundſaͤte mit ihm theilt, während jener Mann
tie vortrefflihen Gemälde von Delaroche mit ziemlich
wegwerfender Miene nur Genrebilder nennt.
Iſt man gezwungen den allgemeinen Drang der Völker
nach Gleichſtellung vor dem Geſetze zu achten, nun fo
fehe ich nicht ein; wechalb in ber Kunfl nicht eine gleiche.
Unpomteitichke
it bereichen fol, warum eine Kunſt, die die
für
Unterhaltung.
26. Mai 1843.
u a a ne
— — — — — — —— — — —
Nation erfreut, hinter einer, die nur einem ſehr beſchraͤnk⸗
ten Kreiſe gefaͤllt, zuruͤckſtehen fol. In proteſtantiſchen
Staaten müßte billigerweiſe uͤber die Richtung der prote⸗
ſtantiſchen Kunſt kein Zweifel herrſchen, obwol man in
Berlin mit dem Entſchluß darüber noch nichts weniger
als aufs Klare gekommen zu fein fchein. Man läßt
Schinkel's Sompofitionen am Mufeum von andern Künfl-
tern ausführen (beiläufig eine fehr wuͤrdige Aufgabe für
Künftier, wenn fie ſelbſt etwas leiſten koͤnnen), fie behan⸗
dein mpthologifche Gegenftände, find aber In einem allge
mein menſchlichen Sinne aufgefaßt, gut alfo! Man baut
ein zweites Mufeum, um allerlei Sammlungen und auch
fänmtliche Gypsabgüffe von Antiten hineinzuftellen, und
fhafft die noch fehlenden Gppfe mit großen Koften anz
nun, man wird al&dann Ruhe haben Binnen, alfo auch
gut! Endlih mil man Gruppen auf die Schloßbrüde
flellen, welche Beziehung zu dem legten Befreiungskampfe
haben follen, und obwol ſchon Bluͤcher, Bülow, Scharen
horſt und bald auch Friedrich der Große in ber Nähe
fiehen, weiß man, ftatt febendige Gruppen aus dem
Kampfe felbft darzuftellen, welche das Volt zum hoͤchſten
intereffiren müßten, nichts Beſſeres zu thun, als die My⸗
thofogie aus dem naheftehenden Mufeum „Wache heraus’
machen zu laflen, um der Nation zu erklären, daß bie
vorgefiellten nadten Sünglinge Preußen find, welche für
das Baterland gefallen. Bet einem zweiten Falle, wo
die Entſcheidung vom Publicum unmittelbare abhing, hat
man fich geweigere Beiträge zu einem Monumente ins
Thiergarten zu geben, was, von einer Sommiffion
gebitliget, durch drei tanzgende Mädchen an den ver-
florbenen König erinnern follte, und lieber gewuͤnſcht die
einfache Geſtalt des edeln Könige felbft binzuftellen!?
Das heißt verbeutfcht nichts Anderes als „wir wollen keine
Mythologie in unferm Treiben, wie wollen feine Sym⸗
bolik und Allegorie, wir wuͤnſchen Natur und Wahrheit”.
Über den beelinee Dom (von dem koͤlner Dombau will
ich hier ſchweigen) ift noch zu wenig Beſtimmtes bes
kannt, um fih Anmerkungen barhber zu erlauben; aber
wenn es wahr ft, daß Cornelius, ber boch nicht mehr
zu den Juͤngſten gehoͤrt, Cartons zu ben Fresken, welche
ein muthmaßliches Campo santo zieren bärften, zeichnen
fol, das noch nicht einmal zu bauen angefangen, fo koͤn⸗
nen ſich die jängern Künftter auf eine ber Schinkel' ſchen
u
Ihe Erbſchaft freuen; das find Ergehniffe der übers
an Richtungen, man veradyter das Machwerk und
verlangt dennoch, daß man Künfkter dazu auferziehe, um
die Gedanken Anderer auszuführen, alfo fie in dem eiges
nen Sinne zu Yandlangen macht; das hiefe wicht Die
Kuuft heben, das hiche fie zu Grunde wichten!!.
Smug! Gleichachtung der ‚Kunftbeflrebungen If es,
was wahre Kuͤnſtler verlangen Binnen! Sollte die Verblen⸗
dung in gewiſſen Regionen auch biefe Achtung verfagen,
fo fahrt nur feifch fort, ihr Kuͤnſtler Deutfchlands ! welche
ihe der Darflellung des marligen und herrlichen Lebens
huldigt, fahre fort, uns bie Darmonle der Landfchaft,
den Zauber, der in jeder Gegend der Erde, in jeder Be:
wegung der Thierwelt, die Poefie, bie in jeder Regung
dos menfehlichen Körpers und Lebens, fei es im der Ges
gentwart, fei «6 durch die ernflen Thaten der Geſchichte,
in Bilderwerken verzuführen, dee fuͤhlende Theil der Nas
tion wird euch mit Enthufiasmus danken, mit Wörme
die Hand Derer druͤcken, die ihn mit Aufrichtigkeit auf
das Schöne des Daſeins hinweiſen, und die knoͤcherne,
kaite Hand, die aus Gräbeen hervorlangt, um das Leben
zu ‚vernichten, mit Verachtung zuruͤckſtoßen! Und Ihr,
Edele und Großherzige unter den Deutſchen, laßt Euch
nicht herab, verſchrobene Alterthumsforſcher gleichſam zu
den Maͤklern und Dolmetſchern Eurer Gefühle zu ma⸗
hen, fagt nur Eure Meinung friſch und frei umd ſchaͤmt
Euch nicht ferner, daß Euch fogemannte umtergeorbnete
Bilder gefallen, muntest uns auf buch Eure Theilnahme,
Euch mehr und mehr zu geben, Euch höher und höher
zu führen, bie Ihr Reiner Fuͤhrer mehr bebürft!
Diefe Gleichachtung des Künfte fol ſich aber nicht in
einer bloßen Duldung von Seiten des Staats, fondern
auch in gleichmäßiger Förderung der Künfte bethätigen;
wenn man höhern Orts bei dieſem ober jenem Maler ober
Bildhauer jener Richtung ein Bildchen oder eine Statuette
beftellt, damit er nicht verhungert, das ift Beine Förde:
rung, d. h. mit lahmen Kaninchen einen Granitblod
fortſchaffen wollen! Wenn «6 erfannt wird, und es
muß erlannt werben, daß bie Beſtrebungen ber
Gegenwart nicht allein ihren Mittelpunkt in der Kirche
finden, ſondern daß die Kirche fich weiter ausgedehnt im
Staate, fo muß, wie jeder Stand des Reiches an der
Verwaltung Theil zu nehmen wünfct, auch jeder Zweig
der Kunſt zu gleichmäßiger Beſchaͤftigung berechtigt fein.
Don biefer Idee durchdsungen, habe ich den Plam zu einem
Staatsverwaltungsgebäude für Preußen von
gefchlügen, weil es ein der Gegenwart würdigen
Kunftvorwurf, die heiligſten Intereſſen des Nation
durch Die Kunft, die hohen nterefien der Kunſt durch
ihre Beziehung auf die Regungen der Mation adelt!
Ol über bie geiftige Blindheit! man gibt zu, weil
man es ficht, daß der Strom fo lange ſchwillt, bis er
ein unnatuͤrliches Bollwerk nieberwirft; man weiß, daß
das unſchuldige Waſſer die Luft uerpeflet, wenn es ein:
gefangen und ohne Bewegung daſteht, die heitere Luft
zerſchmettert Eiſen, wenn man fie kuͤnſtlich zuſammen⸗
nreßt, und dem Geiſte, des hoͤchſten Kraft der Menſchen,
m;
halten, IR «6
2 U-.
traut man weniger Refiſtenz zu und zweifelt, daß
bie
' eigen Naturgefege nicht jede Fieber des Daſeins durch⸗
Drängen. Man kann durch kuͤnſtliche Drittel den wirt:
lich ſtaͤrkern Gef einem Simſon gleich feffeln, man tanz,
ihn biendem umd der Melt erftgichen, aber dei der A
‚Gelegenheit erfaßt er bie Träger des ufarpicten
und reißt fih und Andere in die allgemeine Vernichtung,
die man berbeifährte, indem man fie verhindern wollte!
Für Diejenigen, welche fih bie Augen mit Gewalt zu:
‚ noͤthig Die fo zu fehlen, daß file
durch die Finger bringe. Noch find für. Kunft und
Wiſſenſchaft diefe Zuftände nit da, aber die deutlich⸗
flen Spuren davon liegen am Tage, der negirende Geil
In Norddeutſchland ift nichts Anderes als ein zuruͤckgehal⸗
tener, bush Schulmarimen verſtockter, ſich in Vernich⸗
tung fÄttigender und ſich ducchfreffender Geiſt; benn fein
Menfh bat mehr Freude an den Merten Anderer, wenn
ex feine Thaͤtigkeit gebemmt und feine Werke mit Ber
ringſchaͤtzung behambelt fickt.
Man wähle! man ſuche im vollen. Maße das Weſen
feiner eigenen Sache zu verfichen; die Kunft des Pros
teftantismus Könnte groß daſtehen, wenn fie
dem Kostfehritt Hulbigte, we nicht, fo veieb fie
dahinkraͤnkeln und verbient Bein beſſeres Schidfal, abs
zum Gelpötte bee ganzen Chriſtenheit, als sin Popanz
auf einer Kuhhaut im Triumphzuge der katholifihen Kunſt
zu Tode gefchleift zu werben! 4. Dallmenn,
Ältere franzöfifhe Literatur.
gonife Labe (geb. zu Lyon 1526, geft. ebendaſeibſt 1506).
Um das Jahr 1590 verfammelte fi zu Lyon auf ber Döte
von Yourpitres (Forum Voneris), in dem Haufe eined Derrm
von Lange, einer ber beukhmteften Dichterdereine
wäheend ber Bluͤtezeit bes Kiterarifchen Föberaliimus, we bie
Poeſie mit Freude und Erhebung aus tauſend Kehlen in allem
franzoͤſiſchen Provinzen erflang als wahre Boll: und Mens
ſchendichtkunſt, nicht als bloße Hof: und Gtabtpoefte, wozu
fie darch das ſpaͤter eintretende Gentratifetionsfpftem in Sachen
des Geſchmacks und ber Literatur einfchwumpfte. Zu ben Gets
beitäten jener Inoner Dichterakademie gehörten Etienne Dolst,
Maurice Schoe, Pernette du Buillet, Slemence de Rourges unb
Louife Labe. Von dieſen drei dichtenden Frauen fland Louiſe
Rabe, von dem Gewerbe ihres Mannes bie ſchoͤne Seilerin (ia
belle eordiöre) genaunt, mit Hecht im größten uf usb Une
ſehen, ebenfo_fehr wegen Ihrer poetifihen Arbeiten als wegen
ihrer feinen Manieren unb anmuthigen Geiftedgaben.
Sie war bie Tochter eines gewiflen Pierre Shariy ober
Sharlin, feiner Profefſton nach Seller und Bürger, ein wodl⸗
bhabender Mann in bedeutenden Geſchaͤften mit Marfelle, wos
Yin Lyon bamals ben ganzen Martinebedarf an Dau⸗ mb Ta⸗
kelwerk lieferte. Wie en zu dem Meinamen Lab gelemmen,
weiß man nit. Gr wohnte in ..ber Rue de l’arbre sec und
befaß vor dem Stadtthor auf bem Territorium la Bella ein
adıt Hafen großes Srundfhid, wo er fich eine Elcine Billa ans
— u mn eines Wäbenden, ruͤſtigen
ap er au . vom Lu das Gnabengefchent
einer Zochter, bie ‚unter bem Namen Louife. aus dem Bad ber
heiligen Taufe gehoben ‚warb. Da bie heranwachſende Sieine
ſtch mit jedem Zage zu Einem immer feltenern Wunder von
Schoͤnheit und Artigleit ausgeftattete, wollten bie Ättern im übe
rer Geziofung eher wendung ale Sparſamkeit üben ib
lieſſen ſie frühe in. Allem untgerichten, was bemals Manchen yon
uumuhmen: Gange vaten ‚wigehlaite in hen werſchie⸗
unterrichtechern cine * Sentigfeit und Vaſ⸗
abe. Sie fang. bezaubernd aud cewpopirte bie von ihe
gebichteten Lieder ſelpſ. Dabei verſtand fie Griechiſch, Latei⸗
sit, Italieniſch und Spamiſch und machte is allen dieſen
Gprarken huͤbſche Verſte. Cie war ein muſicirendes Genie und
eine Meifterin in der Kanf, die zierlichſten Bilder „mit den
Madel zu malen” ..
. Leitist ha vols que la musigee aveme;
Louise hs main ui text bien au kath foue; .
mib’ in Ayrer dritten Elegie fagt fie, mas das Sticken anfange
fo he ed in der „Rofenzeit ihrer Jugend’ volltommen
aufnehmen können mit ber
— — — qui, plus docts gue sage
Avec Pallas comparoit qon ouvrage.
Raum 15 Jahre alt, war Louiſe allgemeiner Gegenftanb
des Stodtgefpraͤchs und der Ortsbewunderung, ebenfo geprieſen
und gefeiert als die geprieſenſten und gefeiertfien Frauen ihrer
Beit, Gatherine de Vauzelles, Louife Sarrazin, Pernette bu
Suitiet, Elaudine Peronge, Ieanıe Creſte und Jeanne Gaillarde,
Bon aun an beginnt auch das an Abenteuern aller Art uber
reiche Leben ber Dichterin.
Die Hinderniffe, bie Lehnwefen und Geiftichleit ehedem
dem rafchen Bange ber Eultur in ben Weg gelegt hatten, war
sen um diefe Beit 41542) geößtentyeie befeitigt. Biel Leben
und Bewegung herrſchte auf Gebiete der Borihung. Das |
BStudlium der alten Rbmer war in Italten ſchon früher aufge
Kt, durch die and Konftantinopel nad) deſſen Yall flüchtenden
Gelehrten warb nun auch die Sprache der Griechen und ihre
heitece Weltanfiht daſeibſt bekannt und das neu aufgehenbe
Licht ſtrahlte baid nach Frankreich herüber. Vornehmlich er⸗
warb ſich ber berähmte Eastaris, von Franz I. nad
Yaris berufen, durch Verbreitung des griechiſchen Alterthums
bteibende Verdienſte. Vor Kranz I. gab es vielleicht keinen eins
zigen Branzofen, der Griechiſch verftand; nun fing man an Del
ienift zu werden, wie man jegt Orientalift wird. Man fludirte
die Alten mit Andacht, mit unbebingter Hingebung, mit religiös
ung und tiebe. Die mittelalterliche
fee felbftaufopfernder Verehrung ch mon, ouife, mach nicht 16 Tapes it, befant Ad m quch fein
Denk- und Ginnesart befriedigte nicht mehr. Wie früher der
Gebrauch ber Geuergewehre, die Auffindung bes Seewegs nach
Dftindien, die Entdeckung von Amerika, die Einführung des
Poſtweſens den Krieg, den Handel, ben Verkehr, bas ganze
gefellfchaftlihe Leben gewendet und gewandelt, fo hatten bie Ers
findung der Buchdruckerkunſt, die tiefere Ginführung bes roͤmi⸗
ſchen Redts, das Studium der alten Literaturen gegen ben Ans
fang des 16. Jahrhunderts in Frankreich, wie In ganz Europa,
eine mächtige Erfütterung in der Geiſterwelt bewirkt und die |
Übereinftimmung in ber Eebensanfchauung gpifden der Kirche
und ben Böcfigebilbeten aufgehoben. Rach ber Breiheit bes
Gedankens, nach ber intellectuellen Smancipation aus den Ban-
ven des mittelalterlichen Papfttbums firebten bald mit klarer
Erkenntniß, bald in dunklerm Sehnen die Geifter, und die Pros
duscte der claffifchen Welt wurden nur deswegen mit fo großem
Enthuflasmus aufgenommen und fludirt, mit ſolchem Heißhunger
verfchlungen und affimilirt, weil bie von dieſem Enthuflssmus
ergriffenen Geifter die Befriedigung ihtes eigenen innerſten @el- |
fledbebürfniffes in ihnen fanden, die Erloſung und das Aufers
eBungsfeft ihrer eigenen Vernunft in ihnen feierten und bie
* enungthuung hatten, ſich im Andern bei ſich zu fuͤhlen.
ur das ort der Verſtaͤndigung fehlte noch und fehlte fo
lange, bis der Moͤnch aus Wittenberg den Big in die Welt
ſchleuderte, der in allen Geiſtern zünbere.
. Das Mittelalter endigt, die Neuzeit hebt an. Die neuer:
wachten Verſtandeskraͤfte, ſich trennend von ber religiöfen Ger |
finnung und Begeiftesung, treten dominirend hervor; die Ge⸗
müthslräfte ruhen. —X il and Bepfithum far |
tig waren, wo bie ſte agfertige, chriſtlich europaͤi⸗
und maͤchtig | j g AB:
fe „aehosfame Mtnfäaft auf ein 2
. | —
haupts für Ablaßverheißungen unb.Geebitöriefe auf ben Dimmel
ih für des gottlofen Arianismus Unterdruͤckung und des heili-
gen Brabes Befreiung in den Kampf ſtuͤrgte; dia Deldenperiode
bed Chriftentbums, wo die alten mythiſchen Goͤtterkriege unter
von Wenſchen um bie Götter zuruͤckkehrten und die Weltge⸗
ſchichte ein zweites großes Epos, eine chriſtliche Itiabe, exhiekt,
wozu jede ber europäifchen Nationen einen Geſang Tieferte —
dieſes heroiſche Zeitalter ift zu Grabe gegangen; das Jahrhun⸗
dert ber Doctoren und Humaniſten, die kritiſche und wiſſen⸗
ſchaftliche Periode des Ghriſtenthums hat begonnen; alle Kräfte
zerſplittern ſich in den unſeligen Religioneſtreitigkeiten, in bibli⸗
ſcher Exegeſe und ſchelaſtiſchen Spitzfindigkeiten. Es lag in der
Natur der Sache, daß die Frauen länger als die Maͤnner bem
bominixenden Iibergewicht des neuen Geiſtes entzogen und dem
zurüchwirtenden Einfluß der alten Lebensanſicht verfallen blicken.
um eben diefe Zeit fliftet GClément Marot in Frankreich, neben
ber wiflenfchaftlichen und philotogifchen Forſchung, eine roma⸗
neste, galante Poeſie, welche die Damen fchuell ergreifen und
in ihr ritterliches Denken und Fühlen verweben. Louiſe Labe
ift das vollſtaͤndigſte Muflerbitd einer weiblichen Künftternatur,
Eriebniffen diefer merkwürdigen Dichterin bekannt gemacht zu
en.
Bon entfhloffenem Charakter, lebendigem Temperament, var
ſchem Weſen und unabpängiger Stellung, dabei für Herrens
und Frauendienſt, Wallfahrt und Kreuzzug ſchwaͤrmend, empfand
Eonife bald ein großes Misbehagen an dem ftillen, weichlichen
und friedlichen Stadt: und Familienleben und entflob, als Gols
bat verkleidet, aus dem aͤlterlichen Haufe mit den Truppen des
Daupbin, bie auf ihrem Marfche nad) Perpignan gerade durch
kyon kamen. Dieſer kecke dchenſtreich macht ihre Lebensbe⸗
ſchreiber ſehr verlegen; hoͤchſt wahrſcheinlich, ſagen ſie, hatte
entweder ihr Vater oder ihr Bruder eine Anſtellung im Heere,
eine wohlgemeinte Vermuthung, bie alle Anerkennung, indeß eine
uverlaͤſſigere Gewaͤhrleiſtung verdient, als die zweideutige Aus⸗
* eines bewundernden Biographen. Wie dem nun auch ſein
dung eines Kriegers, bei der Belagerung von Perpigngn (1542),
ſchlug fich gleich den Tapferften und hieß im ganzen Lager ber
Sapitain Loys. Kin gleichzeitiger Dichter vergleicht fie mit den
berühmteften Helbenweibern des griechilchen und zömifehen Alters
thums, mit Semiramis, Penthefllea, ben Amazonen u. f. w.
Louise ainsi furieuse
Et laissunt ion habite mols
Des femmes, et enneleuse
Du bruit, par les Eapagnois
Souvent Gouras, en grand’neise
Kt malat neeanf leur demse,
Quand ia jeuneses fsangeise
Perpigaen envisonus,
Lä ua forse elle despleie
Là de sa lanee elle ploye
Le plus hardi asselllant,
Bt, brave desous le selle,
Ne demontrait rien en elle
Que d’un chevalier vaillant.
Orss li forte guerriöre
Tourmait son destrier en rond:
Ores en une carriöre
Essayoit e’il estoit proat:
Branlaut en flot son panache,
‚ Soit quand elle ae jouoit
D’une pique ou d’une hache,
Chacun prince la loueit:
. Puls ayant & la senestre '
L’sapde salute, a la desire .
'ka üugee enriöhlu: d’er, *
Ba s’en allant toute armde
Ei’ semblolt parmi l'armdo
Un Ackille, ou un Hoecter.
Diefem galanten und brillanten Portrait fügen wir noch
ein zweites, von ber Dichterin felbft entworfenes und- igrer
dritten Elegie entlehntes bei: .
Qui m’eust vu lors en armes fiere aller,
Potter is lases, ot beis faire roler,
Le devoir faire en l’asieur furleez,
Piquer, velter ie cheval giorieux,
Pour Bradameute, ou la kaute Marphies,
Soeur de Roger, il m’eust, possible, preise.
Siehe es die Geſchichte zu, fo könnten wir hier irgend eime
fabeihafte Shronit hinzubidgten und ein weitläufiges Geruͤſt zu
einem glaͤnzenden Ritterroman, nad Art der fraͤnkiſchen Chronik
des Erzbiſchofs Turpinus aufrichten; allein bie nadte Wahr⸗
heit dringt und das Geſtaͤndniß ab, daß Perpignan damals vom
Herzog son Alba vertheibigt wurbe, gegen ben alle Tapferkeit
des Sapitain Loys nichts auszurichten vermochte.
Der „Parnasse des Dames” behauptet: „Cupido hätte im
Lager vor Perpignan der Louiſe aufgelauert und fie überwältigt.”
Zebo findet biefe Behauptung bei andern Lebensbefchreibern ber
flyönen Seilerin gegründeten Widerfprud und jene Überwaäͤlti⸗
gung dürfte erfi nad ber Ruͤckkehr von ber verunglüdten Be:
lagerung Perpignans anzufegen fein. Won ben reichften Freiern
und vornehmften Anbetern ihrer Poeſte, Schoͤnheit und Tapfer⸗
keit umſchwaͤrmt, weit und breit von Fremden und Einheimi⸗
ſchen aufgefucht, wehrte ſich Louiſe Lange gegen alle Eiche. Aber
eines Tages, erzählt fie, habe Amor, durch hartnädige Wider:
fpenftigkeit erboft, feinen Pfeil mit allee Macht gegen ihre
» zarte Hülle abgebrädt, die ein viel zu ſchwacher Harniſch, um
das Herz gegen einen Schügen zu decken, ber beftändig Sieger
fei. Nach der erften Brefche fei Amor in den Pla& gebrungen,
babe allen Frieden daraus gebannt, mache ihr unaufhörlich zu
Schaffen und gönne ihr weder Raft noch Ruh. Das Alles be:
ſchreibt fie in leicht anmuthigen und fließenden Berfen:
— — Amour ne put louguement voir
Mon coeur n’alınant que Mars et le scarvolr;
Et me voulaut domner auire söuct,
Eu »ourlant, il me diseit alnsi:
„Tu pense donc, 6 Iyonnalse dame,
Pouvoir fuir par ce moyen ma flame;
Mais non ferss; j'ai subjugud les dieux
Ee bas eufers, en la mer et da dienz.‘
Aiusi parloit, paie tout dehaufld d’ire
Hors de va trouse une engette il tire,
Bit dedcrochant de sen extresme force
Droit la tira oontre ma tendre dooree,
Faible harnois, pour bien ooavrir je o0eur
Osatre l’archer qui teajeurs ost veingumıt.
La breche falte, Amour entre on le place,
D’oü le repos promiäremont il ehasse;
Et le travali qu’il me denne sans came,
Boire, manger et dormir ne me lalese.
(Der Beſchluß folgt.)
Literarifche Notizen aus England.
Unter den vielen Schriftftellerinnen der Gegenwart — wie
viele find ihrer? — gibt es doch nur wenige, weldye bie Faͤhig⸗
keit der Mrs. Trollope befisen, ben menſchlichen Charakter mit
fefter, Eräftiger, unverzagter Dand zu zeichnen. Sie faßt ihren
Gegenftand tüdhtig an, nimmt ihm ohne Scheu und Compli⸗
mente alle conventionnelle Hüllen ab und die Maske dazu, wenn
er eine trägt, damit männiglich fein visage fehe, zieht ihm
dann nöthigenfalls auch bie Haut ab, und ift das noch nicht genug,
| Bwed, fondern zur Coloricung gebrauden.
fochet fie Syn His auf bie Knochen und der erſſaunten BE
die complicirte moralifike Maſchine, een er,
Federn und Hebel, bie nitberträchtigen Motive, die anſcheinend
fo wunderbar. edle, fo merkwuͤrdig tugenbhafte Handlungen zu
Tage gefördert haben. In Folge diefer feltenen, mit maͤnnlicher
Eniſchüoffen deit geuͤbten, von bitterm Sarkasmus begleiteten,
weit feuverainer Verachtung aller gefefchafttächen ten in
Anipenbung gebrachten Fähigkeiten ift die Trollope eine der am
meiften mishandelten,, aber eine ber geleſenſten Novelliſtinnen.
Afo wird auch ihr neueſtes Erzeugniß gelefen werben: .‚Har-
rave, or the adventures of a man of fashien” (3 Be.
Eonbon 1843). Und wer barin bie angebeuteten Eigenthuͤmlich⸗
keiten erwartet, kann fi ftellenweife irren. „„Dargrave, ober
die Abenteuer eines fafhionabeln Mannes“ ift eine allerliebſte
Liebesgefchichte, die auf einem Kelsvorfprunge am Munımelfer
bei Baden: Baden anfängt, in den Iuftigen Salons von Parit
fi fortfegt und gluͤcklich da embet, wo fie angefangen hat.
Hargrade, ber eitle, ſelbſtſuͤchtige Elegant, ift ein echtes Charak⸗
terbild, ebenfo echt, wenn er ſich in feinen Cirkeln beivegt, beren
Mittelpunkt er bildet, in der hoͤchſten pariſer Geſellſchaft den
| Zon angibt und durch feine faſhionable Ertravaganz der Welt
Sand in bie Augen Freut, als wenn er fih kruͤmmt und windet
unter der Seelenfolter brohender Schande, freundlich Lächelt und
Artigkeiten flammelt, während die Angft, feine verwegenen und
gelungenen Bübereien entdeckt zu ſehen, ihm den Angftichweiß
auf bie Stirn teeibt und bie Keble zuſchnuͤrt, er dann einfem
und gedemäthigt auf dem alten Schloffe Gernsbach feinen hoch⸗
fliegenden Ptanen entjagt, ein rekigiöfer Heuchler wirb und fein
glanz⸗ und ereignißmolles Leben in bes Abgefchiebenheit eines
ſpaniſchen Kloſters enbigt. Gleich echte, aber lieblichere Charak⸗
terbilder find die zwei ſchoͤnen Stiefſchweſtern, Adele und Sabina,
weiblicher Stolz und meiblidye Sanftmuth. Bargrave's Schwaͤ⸗
gerin, Madame Dautrivage, vepräfentixt bie hbeitere, luſtige
Branzöfin, bie zwar über den großen Wendepunkt des Weibes
hinaus, aber immer ned). eitel ift auf ihre achtſam gepflegten
Reise. Enfin, das Buch unterhält.
Mrs. Maberly gehört zu den modernen Rovelliſten, bie
nicht wie der alte Walter Scott die Geſchichte als Mittel zum
) Ein Hiftoritcher
Roman bdiefer Gattung ift ihre „Melanthe, or the days of the
Medici, a tale of the fifteenth century” (3 Bde., London 1843).
Die Scene liegt in Konftantinopel unter der Regierung des legten
Konftantin. Elphenor, von Konftantin’s Water ihm zum Bor:
munde beftellt und, wie es ſcheint, der einzige ehrliche Mann
in Byzanz, bat die Bunft des Monarchen verloren und ſich auf
fein Landhaus zuruͤckgezogen. Während er bier bie falfchen
: Regierungsmaßregeln bedenkt und bedauert, erhält er um Mit:
ternacht Beſuch. Konflantin iſt es, der Kaifer, der ihn bittet,
an den Hof zuruͤckzukehren. Elphenor verfpricht es und bei
der am folgenden Tage ftattfindenden Wahl bes Oberfammers
herrn wird das Amt zu allgemeiner Erftarrung Elphenor über:
tragen Hierauf geht er als Gefandter zu Mohammeb ET., ber
Konftantin’d Anträge unter der Bedingung bewilligt, daß der
Kaifer ihm erlaube, am Geſtade des Bosporus an einer belie⸗
bigen Stelle fih eine Burg gu bauen. Wider Elphenor’s Kath
' gefteht das der Kaifer zu und Mohammed wählt Eiphenor’s
Landhaus. Run gefchieht, mas Legterer befürchtete. Mohammeb
rüdt vor Konſtantinopel; die Stadt und der Kaffer fallm;
Elphenor's Gemahlin, Ida, wirb in den Harem des Suttant
geichleppt und, weil fie ihm ihre Gunſt verweigert, von ihm
erdoicht Dies, fozufagen, der Prolog des Romans, der erft
mit dem zweiten Bande anhebt und bas in die Geſchichte ber
Medici verwebte Schickſal Melanthe's crzählt, Tochter Ida's
und Elphenor's. Mit Huͤlfe von Schere, Papier und Kleiſter
koͤnnen aus „Melanthe‘ fehr bequem ein halbes ober ganze
Dugend Melodramen fabricirt werben. Und fie würben nicht
die fchleihteften fein, dafern fie bem Originale gleichen, über
welchem fein Eefer fo. leicht einſchlafen dürfte. 3.
Berantwortliier Herausgeber: Heinrich Brockdaus. — Drud und Verlag von B. A. Brockhaus in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonnabend,
Reiſeliteratur.
Erſter Artikel.
Seit fat einem Jahr haben ſich Reiſeſkizzen und
Reiſebeſchreibungen auf dem kritiſchen Secirtiſche des Re:
ferenten dergeſtalt angehaͤuft, daß er faſt verlegen und
verwirrt dieſer baͤndereichen, bunten, in den Farben aller
Himmelsgegenden ſchillernden Büchermaffe gegenüͤberſteht.
Es gilt hier, in wenigen Worten Geiſt und Charakter
der verſchiedenen Schriften anzudeuten und im lbrigen
durch pilante Auszüge die Bücher für fich felbft fprechen
zu laſſen; denn dies iſt der befte Prüfftein fr den Werth
einer Reiſebeſchreibung, daß fie zu intereflanten Auszügen
Gelegenheit bietet. Manches fonft unbedeutend fcheinende,
in Stit und Darfielung verwahrlofe Buch enthält oft
bier und da eine mittheilbar Intereffante Notiz, welche
bee Beachtung werth iſt, ohne bag man dieſer einzelnen
Motizen wegen dem Leſer zumuthen darf, fi) das Buch
anzufchaffen und durchzuleſen. Lestere, zum Theil etwas
mühfelige Pflicht iſt die des Berichterſtatters. Andere
größere, auch wol durch gefaͤllige Darſtellung bemerkens⸗
werthe Schriften enthalten dagegen wieder eine ſo große
Menge intereſſanter Angaben, Thatſachen oder Betrach⸗
tungen, daß es hinreicht, auf den Werth des Buches im
Allgemeinen aufmerkſam zu machen, vielleicht nur eine
einzige Probe, weiche für den Geift und die Darſtellungs⸗
weile des Verf. begeichnend iſt, mitzuthellen, im Übrigen
aber dem Lefer bie Lecture des Buches zu empfehlen.
Man begleite nun ben SBerichterflatter von Nordamerika
nah Italien, von dba durch einen Seitenfprung nad
Spanien, von ba nah England, von England nad dem
Morgenlande, nad Ägypten, Syrien, Perfien, Oftindien,
ven GSunbainfeln, dann wach Algier, endlich, nachdem
wir eine Station in den Alpen und im Heimatlande ge:
macht, nah Petersburg. Man ficht, die Reife if
nicht bie Pleinfle und fchreitet in gewaltigen Sprüngen
und Umwegen fort. Aus Achtung für ben Namen umd
das Talent des Verf. ſtellt der Verichterflatter voran:
1, Amerika. Von Boy (Didens). Aus bem Engliſchen von
E. 4. Moriarty. Drei Bände. Leipzig, Weber. 1843.
16. 1 Zhlr. ’
Diefe durch charaktetiſtiſche Darſtelungs⸗ und An:
ſchauungsweiſe ausgezeichnete Reifefchrife bildet ben 40.—
43, Theil von Bez’ ſaͤmmtlichen Werken, in der bei Weber
in feinen Anſichten durch eigene Anſchauung beſtaͤrkt zu
werden hoffe. Diefes günftige Vorurtheil wurde auch im
Allgemeinen nicht getäufcht, obgleich fi Boz dadurch
edenfo wenig, wie durch die ihm bei feinem Beſuche in
Amerika gefpenbeten Ehren über die mancherlei Mängel und
Schattenſeiten des nordamerikaniſchen Landes und Volks
irrefuͤhren ließ. Indeß hätte er ohne jenes fo günflige Vor⸗
urtheil, ohne die ihm geſchenkte ehrenvolle Aufnahme, bie
jeben deutſchen Schriftſteller der Gegenwart ben Kopf —
voransgefegt, dab er Kopf hätte — verruͤckt haben würbe,
no eine größere Anzahl von Mängeln und Gebrechen
entbedt. Man darf gerade gegen eine Beliebte nicht
Blind fein, aber man Liebe fie doch fo, daß dem Lichen:
ben fogar ihre Untugenden und Unfchönheiten unwillkuͤr⸗
lich als Worzlge erfcheinen, und während ber Eine ober
Andere Das ober Jenes an ihr auszufegen bat, meint der
Liebomde, gerade dies fei ihr eigenthuͤmlichſter Liehreiz,
man mäüfle fie nur fo innig kennen tie er — obgleich
ee fie von Allen vielleicht am wentgfien keunt, denn fe
mebr man eine Geliebte liebt, deſto weniger fennt man
fie und mit der Erkenntniß nimmt fchon die Mebe ab. In⸗
deß iſt e6 von vornherein unmöglich, baß ein fo klar blicken⸗
ber ſcharfſichtiger Geiſt wis Bo; Nordamerika nicht auch
in eingelnen Mängeln erfannt, in der Erkenntniß biefer
feiner Gellebten Fortfchritte getban und mithin in feiner
Liebe etwas weggelaſſen haben follte. Er wird, wenn er
aufrichtig fein will, geſtehen müflen, daß auch Noerdame⸗
rika ein ariſtokratiſches Land tft (von ben ſuͤdlichen Skla⸗
venſtaaten gibt er es ohnehin zu), wenn auch die Ariſto⸗
kratie aus ganz andern Glementen befteht als in Eng:
land, baß aber die nordamerikaniſche Ariſtokratie, ald aus
den engberzigen Elementen des Gelberwerbes und Geld»
befige® hervorgegangen, beiweitem ben Schwung, die geiftige
Größe, die edelmaͤnniſche Tugend nicht hat wie die eng»
liſche. Was Nordamerika für die Ausgleichung der Stände
— denn feine Ariftokratie bilder bei bem ewigen Wech⸗
fel, den die Geldſpeculation bedingt, keinen eigentlichen
Stand — für alle Principien bes Gemeinwohls und ber
Gemeinnuͤtzigkeit, für alle materiellen Intereſſen gethan,
sft fo ruhmvoll, dag man darüber kein Wort weiter vers
tieren darf; aber wo ift feine Kunft, feine Poeſie, diefe
feinduftigften Blüten eines gebildeten freien Volks? wo
auch nur die gefühlvolle Poefie im gefelligen Verkehr?
und was hat es auf dem Felde der Wiſſenſchaften, nas
mentlich der fpeeulativen, fo Großes gethan? Iſt bei dem.
Deutfchen zw viel Theorie, fo iſt bei dem Nordamerika:
‚ner zu viel Praxis, obgleich diefe gerade die Göttin iſt,
vor welcher die moderne Menfchheit auf den Knien liegt.
Ya einigen Jahrhunderten wird auch Nordamerika fein
Mittelalter und mit ihm eine Menge Misbräuche haben,
welche ihm vielleicht ebenfo viel Befchwerden machen wer:
den, als und bie Misbraͤuche und Mängel, bie unfer
Mittelalter uns überlieferte,
Der Berichterftatter hat mande Hypotheſe über bie
säthfelhafte Zukunft Nordamerikas auf dem Herzen; er
muß aber fo geſchwind als möglich abbrechen, um zu Boz
zuruͤckzukehren. Seiner edein menfchenfreundlichen Ges
muͤthsrichtung gemäß laͤßt fi Boz keinen Gang vers
drießen, um in Nordamerika die Stätten bes menſchlichen
Elends, die Krantens, Iren: und Gefangenhäufer kennen
zu lernen. Tiefruͤhrend ift 5. B. bie Erzaͤhlung von
Laura Bridgman, die, nachdem fich ihre Intelligenz raſch
entwidelt, von einer furchtbaren fünf Wochen lang wuͤ⸗
tbenden Krankheit ergriffen wurde, wobel fi Augen unb
Ohren entzindeten und deren Inhalt auslief. Erſt im
vierten Jahre erlangte fie ihre vollkommene Geſundheit
wieder, aber fie war blind, taub und flumm, ihr Ge:
zuchefinn gänzlich zerſtoͤrt, ihr Geſchmack abgefiumpft und
nur der Gefühle: und. Taftfinn war ihr übrig geblieben
als der einzige finnliche Rapport zwifchen ihe und ber
menfchlichen Geſellſchaft. Wie man ihr aber durch bies
fen ihr allein übriggebliebenen Sinn been und Kennb
aiffe zuführte und fie fogar fehreiben lehrte, dies iſt fo
merkwürdig, daß wie ben Lefer auf das Buch vermeifen
muͤſſen, da es une offenbar zu weit führen würde, wenn
wir den alimäligen Bildungsgang ded armen Mädchens
and bie babel zur Anwendung gelommene Methode hier
mittbeilen wollten. Boz befchreibt ihre aͤußere Erſchei⸗
nung folgendermaßen:
Ihr Anttig ſtrahlte von Intelligenz und Vergnügen. Ir
aar, von ihren eigenen Bänden geflochten ,‚ war um einen
pf gefchlungen, deſſen geiftige Faͤhigkeiten in dem fchönen
Contour und ber hoben freien Stirn herrlich ſich ausbrüdten;
ihr Anzug, von ihre felbft georbnet, war ein Muſter der Nettigs
keit und Ginfachheit; bie Arbeit, an ber fie eben geſtrickt, rubte
neben ihr; ihr Schreibebuch ag auf dem Pulte, auf das fie fi
fü Gleich den andern Bewohnern bes Haufes hatte
fie ein grünes Band um ihre Augen gebunden. Cine Yuppe
die fie angekteidet hatte, lag neben ihr auf dem Boden. J
bob Died Spielwert auf und fah, daß fie ein grünes Band,
wie fie felbft trug, gemacht und ber Puppe um bie Augen ges
bunden hatte.
Segen das Spftem ber einfamen Abfperrung ber Ges
fangenen erklaͤrt ſich Bez mit jener edeln Wärme, die
ihm, dem Anwalt bes Eienden und Ungluͤcklichen, eigens
thuͤmlich il. Beine Schilderung der in folchen einſamen
Zellen Begrabenen, welche er befuchsweife kennen lernte,
ift ebenfo maleriſch und lebendig als ergreifend. . Die
Schlußbemerkung theilen wir mit:
Auf dem hagern eingefallenen Antlig eines jeben biefer Ges
fangenen tag berfeibe Ausdrud. Ich weiß nicht, womit ich ibn
vergleichen fol. Er hatte etwas von jener gefpannten Auf
merkſamkeit, die wir auf den Geſichtern der Blinden unb ber
Tauben ſehen; gemifcht mit einer Art von Entſetzen, ats Hätte
man fie im Geheimen erfchredt. In jeber Heinen Kammer, bie
ich betrat, und an jedem Gitter, durch das ich fah, glaubte ih
baffelbe graufende Antlig zu ſchauen. Es tebt in meiner Erin
nerung, wie mit der Bauberkraft eines merkwuͤrbdigen Bilbes.
Fuͤhrt mir hundert Menſchen vor, und wenn nur Einer ben
unter iſt, ber nicht lang aus einer ſJolchen einfamen Zelle bes
freit it — ich will ihn augenblidtich erkennen.
Die traurigen Folgen biefes allen Geiſt und ſelbſt die
Sinne, namentlich den Gehörfinn, abflumpfenden, mehr
als die Todesſtrafe peinigenden Syſtems des Schweigens
und ber einfamen Abfperrung find von Boz fo überzen
gend ans Licht geftellt, daß ſowol die Unzweckmaͤßigkeit
ale Unmenfchlicykeit diefes Syſtems auch von Denen ers
kannt werden müfien, die e8 bisher wenn auch nicht für
das menfhlichfte, doc für das zweckdienlichſte gehalten
haben.
Hat die Erfahrung, ber Augenfchein Boz zum Geg-
ner der einfamen Abfperrung gemacht, fo iſt er natürlich
fhon von Gemüthsart und aus Princip Gegner der Skla⸗
verei, jener offenen Brandwunde am Körper der vereinigs
ten Freiſtaaten, in die man nicht erſt die Finger zu le⸗
gen braucht, um ſich von ihrem Vorhandenſein zu übers
zeugen. Mit zornbegeifterten Worten bounert Boz gegen
bies alle Phraſen von norbamerikanifcher Freiheit und
Philanthropie Lügen ftrafende Syſtem:
Die elende Ariftofratie einer unechten Republit — ruft ex
aus — erhebt ihre Stimme und zuft: ‚Die tliche Meinun
ift mächtig genug, um ſolche Grauſamkeiten zu verhindern, wie
Sie anführen.” Öffenttice Meinung I Ja, bie Öffentliche Mei⸗
nung in den Sklavenſtaaten iſt für die Eflaverei! Iſt es nicht
wahr? Die öffentliche Meinung in den Sklavenſtaaten bat bie
Sklaven in bie barmberzigen Hände ihrer Derren gegeben. Die
öffentliche Meinung hat die Geſetze gemacht und ben Sklaven
ihren us verweigert. Die dffentlidhe Meinung bat Dornen
in die Geißel geflochten, das branbmartchde Eiſen gegiäbt, Die
Buͤchſe geladen, den Mörder gefüst. — — Die Öffentliche
Meinung hat vor wenigen Jahren in ber Stadt St.:ouis einen
Sklaven am langfamen Feuer geröftetz unb bie dffen Meis
nung bat bis auf dieſen Tag jenen ehremverthen Richter im
Amt erhalten, der den Gefchworenen, die zufammenberufen wes
ven, um über die Mörder zu urtbeilen, erflärte, baß ihre ſcheuſ⸗
liche That eine Äußerung der öffentlichen Meinung fei und baß
fie demnach nicht beſtraft werben koͤnne durch die @efege, weiche
die oͤffentiiche Meinung geſchaffen hätte. Die öffentlide Mei⸗
nung war es, welche dieſen Lehrſag mit einem Geheul wilben
Beifalld begrüßte unb die Gefangenen befreite, daß fie herum.
gingen in der Stadt als Männer von Anfehen und Ginfiuf,
wie fie vorher gewefen waren.
Wir laſſen bier einige ber bezeichnendflen Zeitungs:
annoncen folgen, worin entflohbene Sklaven mit ber res
beften und ſchaͤndlichſten Aufrichtigkeit fignalifict find und
deren Boz eine große Anzahl zufammengeftellt bat:
ai en 23
Guifisfen, Vie Negerin Garoline. Hatte ein eiſernes ‚Halte
band an, mit einem einwärts gekruͤmmten Gifenflachel.
Davongelaufen, ein Negeriunge, etwa zwoͤtf Jahre alt;
trug ein Hundehalsband mit „De Lampert‘' barauf eingegraben.
Davongelaufen, ein Negerweib und zwei Kinder; wenige Tage,
ehe fie entflob, brannte ich fie mit glühendem Gifen auf die linke
Wange. Ich habe verfucht, den Buchſtaben M auszubrüden.
Entfiohen, ein Neger, Henry; das linke Auge iſt auöges
ſchlagen, bat auf und unter dem linken Arm Dolchſtiche und
vigle Narben von ber Hegpeitſche. |
Durchgegangen, eine Negerin, Rachel. Bat alle Zehen an
ben. Füßen, außer ber einen großen Behe verloren... —
Davongelaufen, ein Neger, Arthur. Hat eine große
Schmarre über Bruſt und beide Arme, von einem Meflers
ſchwatt immer von Gottes Allgüte.
Entfiopen, Sam. Iſt vor kurzem durch bie Hand geſchoſſen
und bat mehre Schußwunden in ber linken Seite und im linken Arm.
Entflohen, bee Reger Homer. fernen
um den linten Zuß. Ditto Grife, fein Weib, mit Ring und
Kette am linken Bein.
Entflopen, ein Negermaͤdchen, Mary. Bat eine Kleine
Narbe über dem Auge, mehre Zähne ausgefchlagen, den Buch⸗
flaben A auf Stirn und Wange eingebrannt.
Entflohen von der Pflanzung des James Gurgette, fol:
gende Neger: Ranbel, hat ein Ohr geflusts Bob, bat ein Auge
verloren; Kentudy Tom, hat ein Kinnbadtenbein gebrochen.
Funfzig Dollars Belohnung für den Fluͤchtling Sim Blake.
An jedem Ohr ein Stuͤck abgefchnitten und den Mittelfinger
ditto bis zum zweiten @liebe. Ä
Sünfunbgwanzig Dollars Belohnung für die Negerin Sally.
Sie geht, als wäre fie zum Krüppel geſchlagen.
Davongelaufen, ein Neger, Namens Ivory. Bat ein klei⸗
nes Stüd von jeder Ohrſpitze weg.
Und fo Wunde auf Wunde, Narbe auf Narbe,
Brandmal auf Brandmal, Verſtuͤmmelung auf Verſtuͤm⸗
melung Man fieht, daß die Plantagenbefigee für jene
befondern Kennzeichen zu forgen wiſſen, die in unfern
Signalements fo oft fehlen, weil wir die Natur alten
walten Laffen und feine künftlihen Mittel in Anwen:
dung bringen.
(Die Kortfegung folgt.)
tere franzöfifche Literatur.
Louife Lab.
(Beſchluß aus Nr. 146.)
Die erſte Eiche Louiſens fiel auf einen armen Ritter von
unbebeutenber Herkunft, ber im franzöfifchen Deere in Italien
Biente und feinen Igoner Schaf bald vergaß. Dieſes ungluͤckliche
Liebesverhältniß verbreitete einen ſchwermuͤthigen Anflug über
Louifens ganzes Leben, verlieh ihr aber einen ſchoͤnen Iyrifchen
ung und begeifterte fie zu mehren ungemein rührenben Klagen
im elegiichen Genre. Hier eins von ihren Bonetten als Probe:
Tant que mes yeux pourront larmes repandre,
Pour Fheur passd avec toi regretter,
Et que pouvant aux soupirs rösister,
Pourra ma veiz un peu so falro emiendre;
Tant que ma main pourra les cordee tendre
Da miguard luth, pour tes graces ohanter;
Tant que V’espris voudra eoontenter
De ne veuloir rien, lors que tel onmprendre;
Je ne seuhalte emeore polnt mourir:
Mais quand mes yoaxı je sentirsi tarir,
Me voiz enssce et ma main impulssante,
Et men esprit en ce mortel sdjear,
Ne pouvant plus montrer signe d’amante,
Prirai ia mort de me ravir le jour.
Hat einen eifernen Ringe
Eben darauf bericht ſich falgende wmerkwaͤrdige Quelle zus:
einer ihrer Gtegien, bie zugleich als Beleg dienen mag für ben
außerorbentlichen Ruf, worin bie fhöne Beilerin zu Lyon, bie
zweite Sappho, wie fie von ihren Gchmeichlern genannt wurde,
nicht blos in Frankreich, fondern auch im Auslande fand, zu
jener blühenden Zeit, wo huͤbſche Verſe fo enthufiaftifche Vers
ehrer erweckten und ben vertrauteften Umgang mit Königinnen,
Prinzeffinnen und den vornehmften Damen leinteiteten. Rouife
wendet fi an ben treulofen Freund:
Deja deux fois, depuis le promis terme
De ıon retour, Phebo ses cornes ferme,)
Sane quo do bonne ou mauvalue ferlune,
De toi, ami, j’ale nouvelle aucune,
SI toutefois, peur estre enamourd
Es on autro lies, tu as tamt demoure,
Si scais- je bien que t'amie nouvelle
A peine aura je renom d’asitre telle,
Soit en vertu, beaute, grace et faconde,
Comme plusieurs genu »savants par le monde
M'ont fait & tort, ce eroy-je, estre estimee; \
Mais qui ferait tsire la rosemmee ?
Non seulement en Franse suis fattde
Et beaucoup plus que ne veax exaltee;
La terre aussi quo Alpe et Pyrende
Aves la mer tienneut envirennde,
Du large Rhin les roulanies ardnes,
Le bosu pays auquel or te promeönes,
Ont entendu (ta me l'al fait nocroire) =
Que geus d’esprit me dennent quelgue gloire,
Gouste le bien que tant d’hommes desirent;
Demeure au but oü tant d’autres aspirent,
Et crois qu’ailleurs n’en suras une telle,
Je ne dis pas qu’elle ne solt plus belle;
Mais que jamais femme ne t’aimers,
Ni plus que moi d’honneur te portera.
Maints grands seigneurs d men amour pretendent,
Et a me plaire et servir prests se rendent;
Joustes et jeux, maintes belles devises
En ma fsvour sont par eux entreprises,
Et neanmoins, tant peu je m’en soucie,
Que seulement ne les en remercie.
Tu es tout seul test mon mal et mon bien; \
Avec toi tout et sans toi je u’al rien;
Et n’ayant rien qui plaise & ma pensde;
De tout plaisir je me vois delaleude;
Et poar pleieir, ennui salsir me vient:
Le regretter et pleurer me convient;
Et sur ce point j'entre en tel deconfort,
Que mille fols je souhalte la mort.
Ainsi, ainsi, ton absence lolntaine,
Depuis deux mois, me tient en cette peine,
Ne vivant as, mais mourant d’un amour,
Lequel m’occit dix mille fois le jour.
Reviens doac tost, si tu as quelque envie
De me revoir oncore un conp en vie;
Et si la mort, avant ton arrivde,
A de mon corps l’aimante ame privde,
Au-moine un jour viens, habill6 de deull,
Environner le tour de mon cercueil.
Que plust à Disn que lors fussent trouves
Ces quatre vers en blanc marbre gravds:
„Par toi, aml, tant vecue enflammde,
Qu’en lenguissant par fen enis oonsumee,
Qui oouvo eneore sous ma cendre embrasde,
Si ne la rends de tes pleurs zpaisde.“
on ihrem Geliebten verlaflen und von Bewerbern ges
brängt, entſchied ſich Louiſe endlich fär einen Gatten und hei⸗
zathete ‚ben reichen Geilermeiftes Gnnemond Perrin. Das
ſchmuckloſe Haus auf ber Höhe von Kourvieres wurbe nun mit
einer prädktigen Wohnung in der Rue Comfort vertauſcht, wo
Bonife Babe täglich bie geiſtreichſten und galanteften Maͤnner in
Soon um fich verfammelte und als Königin von Geiſtes Gua⸗
gen ſtets von einem glänzenden Hofe gleichzeitiger Gelebritäten
wngeben war. Hoͤtel und Park Gnnemond Perrin's gehörten
den größten und fchönften in Lyon; Armibens Eufthaine find
bei Zaffo Fein fo himmliſcher Aufenthalt als Louife Labe's Luft
wätbchen bei einem gleichzeitigen ungenannten Dichter. Tauſen⸗
derlei Reize und Lodungen nahmen alle Sinne gefangen; weiße
Lilien verzierten Majoranrabatten, mit Thymian eingefaßt, in
grünen, von Druscatweinlaub uͤberwachſenen Bogengäangen, an
deren Ränder Rosmarin und Rofengebuͤſche hinaufrankten. Oli⸗
venfetlinge, allerlei austänbifdde Pflanzen und Gewaͤchſe fproßten
in Baumſchulen in der herrlichſten Sonnenlage; im ‚Hintergrund
des Gartens umfchattete verflohlenes, beimliches GSebuͤſch und
verfchwiegenes, düfteres Laubwerk einen bepolfterten Hafen, wo
fih am liebenden Herzen fo ſuͤß die ganze Welt vergaß; im
Mittelgrunde WBatdpartien, von Nachtigallen, grünen flingen
und andern Gingnögeln belebt; überall Springbrunnen, ge:
ſchmuͤckt mit Ritterfporn, Maaßliebchen, Ringelblumen,
D’herbe tousioeurs vordoysute,
Peinte de diverses Beurs,
Qui ou l’eau desondeyante
Mesloient leurs belles eouleurs.
Duverdier in der „‚Bibliothdque frangaise” ift nicht gut
zu fprechen auf Louiſe Babe und fucht ihe mit aller Gewalt etwas
anzubhängen und abzuſtreiten; er fagt, fie wäre allzu galant und
gar nicht fchön, und bie Männer von Geiſt, weiche fie an fi)
gezogen, wären blos durch eine ſchoͤne Buͤcherſammlung unb
durch „Gollationen von ausgeſuchtem Naſchwerk in ihrem Kreife
feftgehalten worben. Diefe gehäffigen Spiitterridhtereien rühren
HE wahrſcheinlich von neibifchen Keinbinnen her, benen Dus
verbier als gefälliges Werteumbungsorgem diente. Denn bie
ſchroff entgegengefehten Meinungen und Wetheile über bie Ber:
dienfte und Vorzüge aller geledrten und dichtenden Frauen bes
16. Jahrhunderte iaſſen vermuthen, daß zwiſchen den damaligen
ſchoͤngeiſtigen Girkeln Lebhafte Feindſeligkeiten obmwalteten und
die Literaturhiſtoriker nicht ganz unbefangen ihre Stimme ab»
gaben, wenn es fich um gleichzeitige Getebritäten handelte, die
nicht zu ihrer Goterie gehörten.
Louiſe Labe hatte zu viel Yreunde, um ihre de zu
fuͤrchten; ausgelaflen und neckiſch, foberte fie oft unvorfichtig ober
maliziös den unverföhnlichften Hab heraus. Die Damen von
Lyon vergaben ihr nie ben ihnen zugefchleuberten Vorwurf der
Unwiffenheit und Fridolitaͤt; und nicht ſowol ‚aufgebracht über
Louiſens Eriegerifche und galante Abenteuer, als erboft über bie
unverhohlen geäußerte Geringſchaͤtung, rächten fie ſich durch Auf
hetzung aller Schriftſteller, die Eouife von ihrem Hofe entfernt
hielt und deren Huldigungen fie verſchmaͤht oder befpättelt hatte.
Duverdier und Galvin (denn au Calvin hat ihr in feinen
„Tractaͤtchen“ ſtarke Grobheiten aefagt) gingen aus verſchiede⸗
nen Gründen auf die gegen Louiſe Labé angezettelte Gabale ein,
und Bayle bat Duverdier’ Angaben auf Treue und Glauben
angenommen. Louife ſchadete fich vollends durch den unbeſon⸗
nenen Freundſchaftoͤbruch mit der eiferfüchtigen Giemence be
Bourges, der Tochter des Finanzgenerals in Piemont, Herrn
von Myons im Dauphine u. f. w., einem Edelfraͤulein von
größtem Ruf und vornehmfter Verſchwaͤgerung mit den erſten
Kamilien in Lyon.
Was auch ihre Verleumder unb Verkleinerer von ihrem
‚allzu großen Bange zur Galanterie, von ihrem unbebeutenden
Werth als Dichterin fagen, fo viel fleht feft, daB Louife Labe
in der poetiſchen Literatur des 16. Jahrhunderts einen ehren:
vollen Plag einnimmt und verbient. Es bedarf nur ber Lecture
ihrer Schriften, um Lonife Labe ats Dichterin gu lieben unb
hochz 3 die guͤnſtigen Verichte der Zeitgenoſſen, weiche
ihr im Leben nahe Banden, find völlig überflüfllg und bie boͤs⸗
willigen Anfchulbigungen, welche Duverbier unb nad ihm Baple
über fie haben drucken Iaffen, fallen in ben Augen ber Urkheila
fähigen wol nar auf weibiſche Meinbinnen, vielleicht auf fein
ftellernde rauen und Rebenbuhlerinnen zuruück; c’est que ces
dames filaient aussi, wie Lafontaine fagen würbe.
Die ältefte Ausgabe ber Werke Louiſe Labers iſt 1556 zu
Enon gebrudtz ebendaſelbſt wurde vor ungefähe 15 Jahren eine
neue Ausgabe veranflaltet. Louiſe LabE wibmet ihre Schriften
ber Giömence de Bourges; in einer kurzen Vorrede aͤußert fir
den Wunſch, die rauen möchten ir endlich ber Vormundſchaſt
entwinden und in Kunft unb enfchaft mit ben Maͤnnern
wetteifern. Das Thema ift wicht neu, und obſchon ſich das 10.
Jahrhundert die Ehre dieſer Salanterie beimißt, fo Haben oh
Guillaume Poſtel, der Skeptiker Cornelius A und neuer:
sich der Akademiker Thomas dieſes liebenswuͤrbige Yaraboron in
Frankreich abgehandelt. Zu einer Zeit, wo bie Daͤnner BVerſe
madıten wie bie Weiber, Eonnten biefe übrigens gang fuͤglich
eine hohe Stelle in dem flatterhaften Parnaſſe anfı ER,
wo
"Sean be la Taille, Etienne Dolet, Mellin de Saint: &alsis
und Ellment Marot faßen.
Hätte Louife nichts Hinterlaffen als ihre kleine Gebict-
fammlung, fo verdiente fie deswegen allein ſchon Ruf und Ras
men. „Le debat de folie et d’amour‘’ wirb von allen Bios
grapben als ihr vorzuͤglichſtes Gedicht gerühmt, und es gibt in
der That nicht Leicht etwas Artigeres als diefes Kleine Drama,
in Form einer gerichtlichen Verhandlung, wo Jupiter präfs
dirt und Apollo bie Liebe und Mercur bie Thorheit mit dem
beredteften Eifer vertheibigt. Won den gewichtigen Gründen
ber beiden Sachwalter betroffen, wagt ber vorfigende Richter
feinen Urtelöfprud zu Gunften einer ber betheiligten Parteien
zu fällen, und vertagt bie hochwichtige Angelegenheit auf drei-
mal fiebenmal 900 Sabre, bedeutet indeß ben flreitenben Par⸗
teien fo lange in Frieden und Eintracht zu leben, und daß bie
Thorheit inzwifchen bie blinde Liebe überall hingeleiten und ihre
treue Fuͤhrerin fein folles — ein ebenfo geiftreich erdachter als
unerwarteter Beſcheid.
In Ruͤckſicht auf Innern Werth, Raivetät bes Gefkhis,
Zrefftichleit der Borm und Energie bes Gtüs find zwar die Ge⸗
dichte der Louife Labe — mit denen ber Gotilbe be
Surville (geb. 1405, geft. 149%) zu vergleichen, zeichnen ſich
aber durch Wahrheit ber Empfindung, liebenswärbige Rachlaoͤſ⸗
figteit, leichte Anmuth und auch in technifcher Weyiehung aufs
vortheilhaftefte von denen ber meiften ihrer Beitgenoflen aus
und bezeugen eine für bie damalige Zeit ungewöhnliche Geiſtes⸗
bildung. Anftatt über Louiſe Labe's Werth als Dichterin uns
bier weitlaͤufig auszulaflen, theilen wir zum Beſchluß noch ihr
legtes Sonett mit, worin fie fich gegen ihre Feindinnen wegen
bes an ihr getabelten Danges zur Salanterie auf eine vibe
sende Weife entſchuldigt:
Ne roprenes, dames, si j'ay aymd;
Si jay senti mile torches ardentes,
Mile travauı, mile douleurs mordanies:
Si en plouraut j'say mon tems oomsume.
Las! que men nom m'en seit par vous blasmd;
Si j'ay failli, los peines sont prösentes ;
N’sigrisses point lcurs peintes vielenten :
Mais estimes qu’ Ameur, à polat nommd,
Saus votre erdeur d’um volsan eXouser,
Sans la beaute d’Adonis sesuser,
Pourra, #il veut, plgs vous rondre amenscusss,
Et ayaut moins que moy d’oocasion,
Et plus d’estrange et forte passion :
Ei gardez vous d’estze plus malheurenses.
Ich weiß nicht, welcher franzöflfche Dichter bes voriem
Jahrhunderts dieſe allerlichften Verſe zugeflugt und verflümmelt
bat, um fie bem poetifchen Toiletten « und — Oefänad
ber Damen ber Regentihaft geniehbar zu machen.
VBerantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Druck und Berlag von J. A. Brodbaus in getpzig.
Blätter
für
literarifbhe Unterhaltung.
\
Sonntag,
28. Mai 1843.
KReifeliteratur.
Erfier Artikel.
(Bortfegung aus Nr. 147.)
Menden wir und zu beiten Schliderungen, fo if
es namentlich die meifterhafte Schilderung der Seektank⸗
heit, welche im erſten Bande als ein komiſch⸗ tragifches
Genrebild hervortritt. Huͤbſch iſt auch folgendes Ge:
fprädy, welches Boz in einer Kutfche zu feinem hoͤchſten
Ergögen mitanhoͤrte. Ein Here mit einem Strohhut
guft aus dem Wagenfenfer:
Strohhut (zu dem unterfeäten Hörer mit dem braunen
Hute). Ich rathe, das iſt Richter Zefferfon, nicht?
Braunhut (ſchaukelt fi immer noch und fpricht fehr
langfam und ohne alle Betonung). Yes, ir.
Strohhut. Warmes Wetter, Richter.
Braunhut. Yer, Sir.
Strohhut. Hatten ein paar kalte Zuge letzte Woche.
Braunhut. Yes, Sir.
Strohhut. Yes, Sir.
Eine Paufe. Sie betrachten einander mit fehr ernſthaf⸗
tem Geficht.
Strohhut. Ich rathe, Ihr habt bie Sache mit dem
Gemeinderichter jest abgemadt ?
Braunhut. Yes, Eir.
Strohhut. Wie fiel das Verdict aus, Sir.
Braunbut. Kür den Angellagten, Sir.
Strobhut (fragend), Yes, Sir?
Braunhut ‚betheuernd). Yes, Sir.
Beide (nachdenkend und auf den Boden blidend). Yes, Sir.
Wicder eine Paufe; fie fehen ſich wieder an, noch ernfter
als vorbin.
8 H aunhut. Die Kutfche kommt heut ein Bischen fpät,
rath' ich.
Strohhut (zweifelnd), Bes, Cir.
Braunhut (die Uhr herausziehend). Yes, Sir; faft zwei
Stunden zu ſpaͤt.
Strobhut (zieht die Augenbrauen in größtem Erſtaunen
in bie Höhe). Yes, Gir.
v Zaundut (entſchieden, indem er die Uhr wieder einſteckt).
es, Sir.
Alle übrigen Innenpaſſagiere (unter ſich). Yes, Sir.
Kutfcher (fehr mürrifh). '6 ift nicht wahr.
Strohhut (zum Kutſcher). Nun, ich weiß nit, Sir.
Es hat ziemlich lange gebauert mit den legten 15 Meilen.
Das ift Factum.
Da ber Kutfcher nicht antwortet und offenbar Feine Luft
bat, über eine Sache zu flreiten, die ibm fo ganz und gar
gleichgültig if, fo fagt ein anderer Paffagier: „Yes, Sir; wor⸗
auf der Herr mit dem Strobhut in Anerkennung feiner Höflich
Leit erwidert „Yes, Sir!" Dee Strohhut fragt hierauf den
Braunhut, ob er nicht meine, daß die Kutfche, in ber er fiße,
neu fei? worauf ber Braunhut abermals erwibert: „Yes, Sir!”
Strohhut. Ich glaubte e8 auch. Ziemlich flarker Fir⸗
nißgeruch, Sir?
Braunhut. Ye, Sir.
Alle übrigen Innenpaffagiere Yes, Eir.
Braunhut (zu der Reifegefellfchaft überhaupt). Des, Bir.
Man fieht, daß es den NMordamerikanern ein wenig
an Ideen und Worten fehlt und daß ihre Unterhaltung
ohne ihr Jangmeiliges Yes gar ein belebendes Princip
baben würde. Aber auch bei Boz muß man, nie in
ben meiften tagebuchaͤhnlich fortfchreitenden englifchen Reis
febefchreibungen manches weniger Intereſſante und ſogar
Zriviale mit in den Kauf nehmen.
2. Ruͤckblicke auf Amerika, oder: Belenntniffe eines ausgewans
berten Poeten. Von F. R. Eylert. Drei Bände. Brauns
ſchweig, Meyer sen. 1841. 8, 4 Thlr.
Mit einer geroiffen Leichtigkeit und Leichtfertigkeit eis
ned modern vagen Talents gefchrieben, enthält dies Buch
erſt im zweiten Bande einige beachtenswerthe Notizen
über des Berf. Aufenthalt in Amerika. Ob er feine
eigenen Schickſale oder die eined Freundes fchlldert, ob
dieſe Schickſale, worauf ihr ausgeprägt noveNiftifcher Cha⸗
rakter zu deuten ſcheint, nicht zum Theil erdichtet oder
erlogen find, bleibe dahingeſtellt. ebenfalls geht der
ausgewanderte Poet fehr aufrichtig zu Werke. Er fchils
dert uns im erflen Banbe feinen Lebenslauf in Berlin,
der ſich durch feine eigene Schuld ſehr mislich geftaltete,
feine unglüdlicye Verheirathung, die erfolgte Eheſcheidung
u. f. w., feine Schmauferelen in Hamburg, feine liber:
fahrt von bier nach Neuyork, er nennt fich felbft einen
finnlihen Menſchen, den von früher Jugend auf ein uns
widerflehliher Drang fort und fort in die Wirthshaͤuſer
gezogen babe, der aus Sinnlichkeit immer feig gewefen
fei und auf der Univerficdt jedes Duell, wie auch ſpaͤter
jedes Flußbad aus Furcht vermieden babe u. f.w. Das
bei viel müßiges Din= und Hergerede über Dichter und
Dichtkunſt, über Dies und Jenes, über Etwas unb
noch Etwas. Manche Gitate zeugen von der claffifchen
Bildung des Verf., obgleich Darftelung und Stil gar
feine claffifche Sediegenheit, vielmehr nur den zweideuti⸗
gen Charakter moderner Loderheit und Zerfahrenheit has
ben. Mitten unter wuͤſtem und lofem Geſchwaͤtz ſtoͤßt
man plöglih auf eine überrafchend richtige Bemerkung,
auf Spuren eines ſchoͤnen, wahren, tiefen Gefühle, was
uns um fo mehr beweift, der ausgewanderte Poet, wahr:
ſcheinlich Eylert ſelbſt, fei eine wohl unterrichtete, aber
ducch falfhe Erziehung misleitete, durch Sinnlichkeit, durch
baltiofe Grundſaͤtze, durch Die zerflörenden oder abſchwaͤ⸗
henden Einfläfle der Zeit getrühte, aus ihren Wurgeln
geriffene, mit fich zerfallene, aber von Haufe aus gut or:
ganiſirte und für Beſſeres befähigte und berufene Perföns
lichkeit. Dabei ift er Katatift, feine Anficht iſt: was fein
ſoll — muß geſchehen! Und zur Bewahrheltung erzählt
er folgenden allerdings intereffanten Fall:
Sch kannte einen außerordentlich ehrbaren unb gefegten
Mann, welcher durchaus keine Anlage zu Verbrechen verrieth
und dem doch jedesmal der Anblid eines Sefangenhaufes ein
fo graufenhaftes Sntfegen zuzog, daß er In Krämpfe fiel. Und
diefer- ebrbare gefegte Mann ift als gemeiner Verbrecher im
Zuchthauſe geflorben. Wir koͤnnen uns dergleichen bunfle väthfels
hafte Gefühle nicht erklaͤren — fegt der Verf. hinzu —, aber es hat
Alles in der Welt einen innern gebeimnißvollen Zufammenhang-
Sewiß mehr Zufammenhang als des Verf. Charakter
und vorliegendes Werl, Am beften laſſen fi bie Par:
tien lefen, in denen gr die vielen Unglüdsfälle erzähle,
welche ihn in Nordamerika trafen. Überhaupt ſchildert
er und Nordamerika als ein Nahrftüd der flaatlichen
Einrichtung und des gefelligen Verkehrs:
Alle noch fo unfchuldigen Vergnügungen und Ergoͤtzungen
des Lebens find Verbrechen und Krivolitäten in biefem Lande
der Freudloſigkeit. Ich frage, was übrigbleist? Sind wir in
einer Welt des Todes oder des Lebens, in einer Schöpfung ber
reube oder der Trauer? Diele Kopfhängerei führt die Republik
cher nicht zur Ewigkeit.
Und ferner:
Niedrige Sefinnung, Lug, Trug und unbegrenzte Habſucht
find auch heute die natürlichen und unvermeibliden Wirkungen
des Krämergeiftes, der wie eine Sündflut bie Tiefen und Hoͤ⸗
ben der amerilanifchen Gefellfegaft uͤberſchwemmt. Jede uns
ſchaͤdliche Leibenfchaft, jedes moraliſche Gefuͤht ftumpft ſich ab in
dem täglichen Tagen nach möglichft großem und unmittelbarem
Gewinn. Jedes Verbienft, jede empfehlende Eigenſchaft, jeder
Bortheil der bürgerlichen teilung wird zum Gegenftande der
merfantiten Speculation. Das Gold ift der Ruhm, das Bold
die Ehre diefed Landes. Fuͤr Gold erreiht man hier literaris
ſche Erfolge, erwirbt man artiftifchden Ruf; für Gold erfauft
man politiichen Einfluß und Macht, um fie feinerfeits wuchers
tich auszubeuten; jelbft die Ehe ift hier ein kaufmaͤnniſcher Con⸗
tract, bie Liebe hat ihren beflimmten Tarif und das göttliche
Genie verbingt fi) dem Mammon. — Statt ber vermittelnde
Bote der Gonfumtion unb ber Probuction zu fein, hat ſich ber
Handel zum deöpotifchen Geſetzgeber beider gemacht. Ihm ſteht
der Geldreichthum zu Gebote, unb er weiß ihn fo gut zu bes
nutzen, daß er das Gteigen und Ballen im Waarenpreife nad
Gutduͤnken bewickt, daß er nicht felten ben Probucenten zwingt,
ihm um die Hälfte bes Werthes Das zu verlaufen, was tim
folgenden Xugenblid der Gonfument genöthigt ift, ihm um den
doppelten und breifachen Preis abzunehmen u. |. w.
Die nordbamerilanifhen Abenteuer brechen in der er:
ſten Hälfte bes zweiten Bandes kurz, das Ganze ſchnappt
novelliftifh ab, ſodaß das Bud, in fi unfertig, übers
haupt noch nicht fertig zu fein fcheint.
3. Beſchreibung einer Reife durch bie Vereinigten Staaten von
Nordamerika in den Jahren 1838-40. In Geſellſchaft des
Kitters Franz Anton von Serfiner unternommen von Clara
von Gerfiner. Leipzig, Hinrichs. 1842. 8. 1Thir. 25 Nor.
Der in Eifenbahnangelegenheiten oft und rühmlichſt
genannte Ritter von Gerſtner ſtarb befanntlich zu Phlla⸗
beiphia 1840, „als ein Opfer zu angeſtrengten Fleißes
und zu großer Thaͤtigkeit“, wie die Verf. dieſes Werke
fagt. Clara von Gerfiner hat unter Leitung und Belch
ung ihres Gatten aus Notizen biefe Reiſebeſchreibung
zufammengeftellt, die fi durch eine für eine Fran be
wundernswerthe Objectivität bemerkbar macht, befonders
bie nordamerikaniſchen Eifenbahnen im Auge behält und
an flariftifchen Angaben reich iſt, obgleich doch fonft die
Statiſtik den Frauen, die an Liebesverhältniffen in der
Regel mehr Geſchmack finden als an Zahlenverhaͤltniſſen,
wenig zuzufagen ſcheint. Inſofern ift das Bud, fo teiz
und farblos es gefchrieben iſt, doch von Wichtigkeit und
Intereſſe und ganz geeignet, dieſe Nordamerikaner, bie
wir unmöglich Liebenswürbig finden können, doch ihrer
erſtaunlichen und riefenhaften Unternehmungen wegen in
unferer Achtung hodyzuftellen. Hier ein Beiſpiel: Um
Neuyork mit beffeem Trinkwaſſer zu verfehen, beſchloß
man, nad mancherlei Unterfuchungen und Werſuchen,
einen 40 Meilen von Neuyork in den Hudſon mänden:
den Fluß, Namens Groton, nah Neuyork zu leiten.
1835 begann man den Bau. Diefer befteht in nichts
Anderm als der Herftelung eines 40. Meilen langen
unterirdifchen Kanals (Aquäducts), der, in einem Riveau
fortlaufend, bald über die tiefften Thaͤler fegt, bald durch
Selfen und Hügel geht und das Wafler auf eine Anhöhe
innerhalb der Stade in ein großes Reſervoir leitet, wel
ches 5 Acres einnimmt und 20,000,000 Gallons Waf-
fer faßt. Die Dimenfionen des Aquäducts find: 6 Fuß
Breite am Boden, 7 Fuß am obern heile und 8—10
Fuß Höhe; er iſt durchaus 4 Fuß hoch mit Erbe be:
det, bamit das Wafler im Winter nie friere. Im
Aprit 1840 waren erſt 26 Meilen vollendet und bie
Ausführung ber ſchwierigſten forte Eoftbarften Arbeiten
fland damals noch bevor. Nah dem Berichte eines
Ingenieurs dürfte der Bau, mit Einfhluß einer Brüde
über den Harlaren-River Eude 1843 beendigt fein. Die
Koften werden ſich vielleicht auf 10 Mill. Dollars belau:
fen, am 1. San. 1840 waren bereits nahe an 4 Mil.
verausgabt. Wir ermähnen no, daß man Herm von
Gerfiner und feine Gattin überall mit großer Zuvorkom⸗
menheit und Gefaͤlligkeit aufnahm, befonder& in Boſton,
wo es Sitte if, vornehme empfohlene Fremde zuerſt zu
beſuchen. Die Damen find bier alle muſikaliſch und
mehre fogar mit dern Deutfchen fo vertrat, daß fie fi
mit der Überfegung der Schiller'ſchen Tragoͤdien beichdf:
tigen. In einigen Samilien bemerkte Frau von Gerſt⸗
ner einen auffallenden Anſtrich von Ariftoßratie; fie ha
ben häufig die Wände Ihrer Parlours mie Portraits ih⸗
er Vorfahren gefhmüdt und find ſtolz Darauf, von den
Engländern abzuſtammen.
4. Reife durch Salzburg und Tirol nah Italien. Zweiter
Band. Düffeldorf, Schreiner. 1842. Gr. 8. 1 Xptr. 15 Rear.
Schon bei Gelegenheit des erften Banbes*) haben wit
auf biefe inhaltreiche, kenntnißvolle und in ber Darſtel⸗
9 Bsl. Ar. a d. Bi. f. 1881. D. Reb.
lung treffliche Reiſebeſchreibung die Aufmerkſamkeit unfe:
rer Lefer zu Leiten geſucht. Der Verf. ift, wie ſich von
jedem hoͤher Gebildeten, für die Schönhelten der Archi⸗
teftur, der Landfchaften und des Himmels Empfaͤnglichen,
mit Geſchmack und Sinn für die Künfle, mit bingeben:
der Liebe für urfprängliches Volksleben Ausgeruͤſteten von
ſelbſt verſteht, ein begeifterter Verehrer Italiens. Unter
Anderm erklaͤrt er ſich aufs entſchiedenſte gegen das viel⸗
verbreitete Vorurtheil, daß die Voͤlker des ſuͤdlichen Eu⸗
ropa weniger kraͤftig und ſtark als die nordiſchen ſeien:
Im Gegentheil — ſagt er — wir ſehen am gemeinen
Mann durch ganz Italien von der Lombarbei bis Neapel einen
wahrhaft normalen Körperbau, Alles ift muskulos, feft, vol
Kraft, ohne jedoch übermäßig di und fleifhig zu fein, bie
Glieder gerade, wohl proportioniet und zierlich. Ohne Zweifel
flehen dagegen viele Gegenden Deutfchlande, befonder& bed noͤrd⸗
lichen Deuiſchlands recht ſehr zurüd. Dazu kommt noch ber
Auftand, die ungezwungene Haltung, eine natürliche Anmuth in
allen Bewegungen, und ein fefter, elaftifcher, nicht ſchwerfaͤlliger
Gang, welches Alles dem Italiener angeboren zu fein fdheint,
endlich noch die harakteriftifchen, marfirten, Mugen, durchgaͤngig
fein geformten Geſichtszuͤge, gerade das Gegentheil von jenen
platten, vieredigen, nichtsfagenden Befichtern, jenen breiten Ras
fen, großen Maͤulern und flieren grauen Augen fo mancher
deutfchen Bauern, wie wir fie etwa auf Oſtade's Bildern
feben u. f. w.
Der Hauptgrund davon fcheint ihm in ber Beguͤn⸗
ſtigung des italienifhen Klimas und der daraus hervors
gehenden Verfchiedenheit der Eebensweife zu liegen.
Die arbeitende Claſſe in Deutſchiand — fagt ee — muß,
befonders auf dem Rande, ſchon von frühefter Jugend an bie
ſchwerſten Arbeiten den ganzen Zag hindurch vom Morgen bis
um Abend verridhten und ift babei der rauheſten Witterung
—B8 ausgeſetzt. Manche gewinnen dadurch wol einen
hohen Grad von Staͤrke, die Glieder werden geſtaͤhlt, aber ſie
werden auch vor der Zeit ungelenkig, ſteif und die Zuͤge alt;
die unaufhoͤrliche muͤhevolle Anſtrengung wird das Grab aller
Schoͤnheit. Dazu kommen denn nd {im Winter, abwechſelnd
mit Eie, Schnee, Sturm und Kälte draußen, die heißen, bum:
pfen, oft feuchten und raͤucherigen Stuben im Hauſe, und in
vielen Gegenden das Schlafen unter ſchweren und erhigenben
Kederbetten, endlich und bauptfächlich bie Unmaͤßigkeit und Voͤl⸗
Lerei, der abſcheuliche Branntwein, deffen Gonfumtion in der
neueften 3eit wegen feiner übergroßen Wohlfeilheit fo enorm
zugenommen bat! Dies Alles fält in Italien faft gaͤnzlich weg-
Ganz ohne Zweifel — fährt der Reiſende fort — lebt das
Bolt in Statien (trog feiner großentheils fehlechten Regierungen)
um vicies gluͤcklicher. So z. B. Eagt man häufig und vielfäls
tig über Mangel an Inbuftrie und Fabriken, und wahr iſt es,
daß davon in ganz Mittels und Güditalien, in Neapel unb
Kom, nicht viel zu finden iſt. Sind aber bie Leute deshalb
weniger gluͤcklich? Wer das Leben ber Arbeiter in vielen Fabrik⸗
ftaͤdten Beutſchlands aus eigener Anichauuung kennt, wer nicht
blos etwa auf einer flüchtigen Reife die fih von Jahr zu Jahr
vermebrenden ſchoͤnen Gebäude und palaſtaͤhnlichen Haͤuſer und
den aͤußern Schein jenes Reichthums, den nur Einzelne, naͤm⸗
lich die Fabrikherren, erlangen, waͤhrend bie Arbeiter nur kuͤm⸗
wwerlichen Tagelohn gewinnen, fondern wer auch gefchen hat,
wie diefe Leute jeden Tag vom früheften Morgen bis an ben
fpäten Abend ihr freubenlofes Geſchaͤft betreiben, wie ſelbſt zarte
Kinber fon, vielleicht unter graufamer Disciplin, bazu ange:
halten werben, wie fie dabei ihrem phyſiſchen und moralifchen
Berberben entgegengeben, wie bie bleichen Gefichter und ber
ſchwache Körperbau ein jammervolles Zeugniß von dem allmäs
ligen Entſchwinden der Gefundheit bei ganzen Familien, Gene
zationen, ja ganzer Orte und Gegenden geben, wer ed weiß,
wie dann die fonntägtiche Erholung biefer Beute im Genuß bes
Branntweins befteht, und wie gerade dieſe Fabrikgegenden beis -
weiten bie meiften Verbrechen aller Art erzeugen, — ber wird
Statien wegen des ihm fehlenden Fabrikweſens u. f. w. nicht
allzu fehe bedauern ! "
Schon eine Vergleihung der Bewohner der fuͤdbairi⸗
ſchen Alpen, der Steiermärker und Tiroler mit den Be:
wohnern der norbbeutfchen Flaͤche führt zu ähnlichen Re:
fultaten. Den Inhalt des zweiten Bandes diefer Reiſe⸗
befhreibung bilden die Reife von Rom nad Neapel, ber
Aufenthalt zu Neapel, die Ruͤckreiſe von Neapel nad
Nom, der zweite Aufenthalt zu Rom, die Reiſe von
Rom nad Florenz, der Aufenthalt zu Florenz, die Reife
von Florenz nach Genua, ber Aufenthalt zu Genua und
Zurin, die Reife Über Genf und Neufchatel zuruͤck.
Lebhaft — To ſchließt ber Verf. fein durchweg anziehendes
KReiſewerk — gebachte ber Geiſt des herrlichen Landes, ſchon
jest ſehnte ſich das Herz wieder dahin zuruͤck, und dieſes Seh⸗
nen, dieſes Heimweh wirb mich nicht verlaſſen, fo lange mein
Fuß auf diefer Erbe wandelt, wo auch das Geſchick mir einft
eine andere Deimat verleihen wird. — — Unb wie man fi
in der Erinnerung noch der feligen Stunden erfreut, die man
einft, und wär's auch vor Jahren, in der füßen Nähe ber Ge⸗
liebten verliebt bat, Stunden, in benen uns ein Blick aus ihrem
feuchten Auge, ein Drud der Hand, ein Berühren unferer Wange
mit bem dunkeln Lockenhaar in Entzuͤcken fehte, fo auch werben
mir die in jenem Lande verlebten Tage vorſchweben, jene Zage,
an weldyen ich in Tivolis lieblichen Dlivenhainen, in Roms
fdwermäthiger Campagna und an Amaifis holdſeligen Felskluͤf⸗
ten einſam umherſtreifte, an weichen ich in offener Barke, von
den Wogen geſchaukelt, die göttlichen Geſtade PYarthenopes um:
f&iffte und der Blauen Grotte Wunder fah! In meiner Phan⸗
tafie werben ſich bie impofanten gewaltigen Städte, dieſe glaͤn⸗
zenden Sterne Italiens, in all ihrer Pracht wieder aufbauen,
jenes romantiſche in dem Schooſe der Fluten geborene Venedig,
jenes Genua mit ſeinen hellen Palaͤſten, die ernſtgrandioſen
Feſtungen biefes ſonſt To lieblichen Florenz, das ſtille, große,
ruinenerfuͤllte Rom und das rauſchende praͤchtige Neapel, und
wie eine traumhafte Zauberwelt werden meinem Auge noch jene
unerreichbar ſchoͤnen Farbentoͤne vorſchweben, welche in jenem
Feenlande Erde, Himmel und Meer verklaͤren!
So muß es doch wahr ſein, was Jemand bemerkte:
daß, wer Italien geſehen, nie mehr ganz unglüdlich, aber
auch nie mehr ganz gluͤcklich fein koͤnne. Freilich, wer
als eine Pelzſtiefelſeele nach Ftalien geht, den wird auch
Itallen nicht neu verfohlen koͤnnen!
(Der Beſchluß folgt.)
Üiberfeger, hört, bört!
Ein charmantes Buch — muß uͤberſetzt werben — tft: „The
wires of England” (London 1843). Das Bud ift der Koͤ⸗
nigin Victoria gewidmet. In England wie auch mol in andern
Ländern erfobert eine ſolche Debication fpecielle Exlaubniß, und
hat die Verf. diefe nicht durch einen befondern Kunftgriff er:
langt, fo muß bie Königin fie gewährt haben, nachdem fie ftatt
des Wuchs bios das Vorwort gelefen, in welchem fie „the
highest example to her countrywomen‘“, das höchſte Mufter
ihrer Randemänninnen, genannt wird. Entgegengeſetzten Falls
ift die Erlaubniß nad Allem, was über bie Königin verlautet,
eins ber vielen unlösbaren weiblichen Räthfel. Der Zitel: „Die
Gattinnen Englands”, Tann eine Schilberung derfelben erwar:
ten laſſen. Das Bud ift aber ein Rathgeber für, eine Epiſtel
an die englifchen Frauen, ober vielmehr an die ſchoͤne Haͤlfte
jeder eiviliſirten Nation, folglich auch der deutſchen. an
deshalb verdient ed gegenwärtige Anzeige. Bevor ein Maͤdchen
Gattin wird, muß fie heirathen. Alſo erſtes Sapitel: „Gedan⸗
fen vor dee Heirath.“ Da prebigt die Verf. den Brundfag :
„Des Weibes Liebe kann nach ber Werheirathung fleigen, bie
des Mannes nicht.” Wenigſtens hätte fie Ausnahmen geflatten
follen, zumal gerade die Ausnahmen ber fchönfte Triumph des
Weibes find. Aber nein, keine Ausnahmen. Und wenn es
fpäter heißt: „Keine Mannes Gerz wirb vor ber Verheirathung
gewonnen’, fo kümmere ich mich nicht, ob das bie Meinung
der Königin vor ihrer Wermählung geweſen, möchte aber gern
von der Verf. erfahren, wenn das Herz gewonnen werden
Tann, das nach ber Verheirathung nicht mehr zu lieben vermag
als vorher. Dagegen lobe ich po ihrer Rathſchlaͤge. Sobald
Ihr verlobt feid, fagt fie, „denkt in Betreff aller Eurer übris
gen Liebesangelegenbeiten, vorüber iſt vorüber”. Das ift brav.
Und auf berfelben Geite: „laßt keine ſchlecht berathene Neugier
Euch verloden, dem frühen Wandel des Bertobten in Betreff
folder Angelegenbeiten zu genau nachzufpüren”. Sehr richtig;
feid froh, daB Such Einer nimmt und hätte er auch manchen
Hriebene geſtoͤrt und manches Herz gebrochen. Seite 38 wünfcht
die Verf., „der jungen Frau einige Eluge Worte ins Ohr zu
flüftern”. Als Dann wollte ih nicht horchen und bat eine
—* Frau, die klugen Worte zu lefen und mir ihr Urtheil zu
agen.
Barum fie dabei erröthete, weiß ich nit. Im Gapitel „Cha⸗
rafteriftil der Männer‘ beißt es: „Der Charakter eines edeln,
erleuchteten und wahrhaft guten Mannes befipt eine Kraft und
eine Erbabenheit, die Dem, was wir bie Ratur und Eigenthuͤm⸗
lichkeit dee Engel glauben, fo nab verwandt ift, daß, wie kein
Gefühl die Bewunderung und bie Achtung zu übertreffen vers
mag, welche die Betrachtung eines folchen Charakters erwecken
muß, fo auch Eeine Sprache im Stande ift, das auszubrüden.
Unter dem Ginfluffe eines folchen Mannes leben zu bürfen, iſt
ein Vorrecht der feltenften Art; feinem Gelpräche laufen zu
dürfen, ein ununterbrochener Genuß. Aber in feinem Derzen zu
wohnen, fidy mit ihm zu beratben und die erwählte Gefährtin
feiner Freuden und feines Kummers zu fein — es ift ſchwer zu
beftimmen, ob in einem fo bevorzugten, fo gefegneten Weibe
das Gefühl der Demuth ober dad Gefühl ber Dankbarkeit vor:
berefchen fol.” Bravo, fagte ich zu erwähnter jungen Frau,
das Laffe ich gelten. O ja, antwortete fie, aber wo findet man
einen ſolchen Mann? Ich ſah fie groß an und ſchwieg. Ich
thue das flets, wenn ich nichts zu erwidern weiß. Unb wie
die junge Frau lächelte, als ich auf ber folgenden Seite in uns
befonnener Haft die Worte ablas: „Wahr ift freilich, daß man
gelegentlich Männer findet, die, genau zu reden, weder ebel,
noch erleuchtet, noch überhaupt aut find.” Aber nicht lange,
fo fam das Lachen an mid, ©. 76 bei der Stelle: „Die Liebe
des Weibes wurde offenbar gefchaffen, um zu dienen; bie des
Mannes, um bedient zu werden.” Bald nachher berichtigt bie
Berf., was fie einen unter den Männern ſehr verbreiteten Irr⸗
tbum nennt. „Der Beruf des Mannes veranlaßt ihn täglich
zu einiger Arbeit, zu irgend einer Anftrengung für die Sub:
fiften, feiner Familie, und er bildet ſich da oft ganz ehrlich ein,
er arbeite für feine Frau.” Das nennt die Verf. einen argen
Irrthum und verfichert, der Dann würde ebenfo emfig arbeiten,
. wenn er auch gar feine Frau hätte, if he had no wife at all.
Ob fie recht hat? Niemand wird ihrer Behauptung wibers
fpreden, daß es „die natuͤrliche Charakteriftif weiblicher Liebe
in. deren verfeinerten und praßtifchen Entwidelung, ſtets Etwas
zu thun, das dem Gegenflande ihrer Neigung gefällt ober ihn
glüädtih nacht”. Sie belegt das mit den aus dem Leben ges
ariffenen Beifpielen eines Lieblingsgerichts und ber Geſtattung
des Sophas zum Mittagsfchläfchen. Zu befonderer Beherzigung
empfiehlt fie Folgendes: „Es ift chne Zweifel cin unverdußer-
licher Anfprudy aller Männer, ob gefund oder frank, reich oder
arm, klug oder dumm, mit Achtung behandelt und in ber
Sie fagte, die Worte ſchienen ihr ziemlich kiug zu fein.-
Haͤuslichkeit hoch geftellt zu werden. In bem legten Falle mag
die Erfülung biefer Pflicht allerdings ihr Schweres haben. Da
indeſſen kein Mann durch bie Werheirathung feinen Berftand oder
feine Sinne verliert, fo muß das Weib, das ihn fi zum Ges
führten erkoren, bie Bolgen ruhig binnehmen. Mag er daher
auch noch fo dumm fein, er hat doch ein Recht auf ihre Ad.
tung, denn fie bat ſich ja freiwillig in eine Lage gebracht, die
fie ihm nothwendig unterorbnet.” Wenn dann die Verf. zum
Troſt bemerkt: „weldhe Frau ſich felbft zu beherrſchen weiß,
kann auch ihren Dann beherrſchen“, fo tft Dagegen weiter nichts
einzumenben als etwa bie an Nürnberg erinnernde engliſche
Redensart: First catch your hare, Erſt fange ben Hafen. Doch
jeder aufrichtige Mann wird den Weibrauc zu ſtark finden,
daß „die große, vorragenbe Eigenthuͤmlichkeit im Gharakter dei
Mannes fein Adel, mit andern Worten, feine Befreiung von
jenen zahliofen Kteintichkeiten ſei, welche bie oͤnheit des
peibtichen Lebens verbunfein und deſſen Reinheit beſchmuzen.
Bon allen ihren verftohlenen Raͤnken, von all ihrem heimlichen
Neide, von all ihrer erbärmlichen Misgunſt ift ber Dann frei.”
Wollte Gott, Frau Berfaflerin, Sie Iprächen wahr. Aber ich
verfichere Sie, es gibt unter uns viele — Ausnahmen. Rod
Eins, und id bin fertig. Seite 203 — 205 wird ben Frauen
geraten, ihren „verirrten“ Männern zu verzeihen. Dad mag
ug fein; aber wie ſteht ed um die Moralität und was wird
Königin Victoria dazu meined? Die VBerf., deren Namen ih
übrigens nicht weiß, citirt oft ihre frühern Werke: „Die Toͤch⸗
ter Englands” und „Die Frauen Englands”. Soiche Gitate
laffen nicht gut. @teichwol, dba fie gut ſchreibt, würde ich mid
freuen, wenn es ihr gefiele, auch die „Tanten“, „Couſinen“ und
„Großmuͤtter“ Englands zu fdhreiben. 14.
Miscellen.
In ber L. 1. $. 5. D. De extraord. cognit. (50, 13)
ift der Grundſatz aufgeftellt: „Quaedam, tametsi honesto ac-
cipiantur, inhoneste tamen petuntur.” Welchen Misbrauch
hiervon ein gewiffer Abgeorbneter gemadt, lebrt nachſtehendes
Geſchichtchen aus dem Anfange des 18. Jahrhunderts: Der
Fürft von *** fandte einen Abgeorbneten an bie Höfe zweier
benachbarten Kürften, um deren Streitigkeiten beizulegen. Dee
Verſuch gelang und ber Streit wurbe geſchlichtet. Der eine
diefer Fuͤrſten ges dem Adgeorbneten bei feiner Abreife ein Ges
fchent von 100 Dukaten. Dankbar nahm diefer es an, erbat
fih aber ein fchriftliches Zeugniß, daß er 200 Dukaten als
Ehrenſold erhalten habe. Diefes wurde ihm auch (was freilich
‚nicht zu loben war) ohne weitern Anftand ertheilt. Mit diefem
Zeugniß begab ſich nun der Abgeordnete an den Hof des andern
Fürften, woſelbſt er nicht unterließ, die Freigebigkeit bes fürs
lichen Dofes, von dem er eben komme, zu rühmen , feine Lob⸗
fprüde mit Aufweifung des fchrifttichen Zeugniſſes belegend.
um ſich nicht übertreffen zu laflfen, gab man nun auch hier dem
der Zäufchung fich freuenden Abgeordneten 200 Dukaten.
Das römifche Recht geftattet nicht, fi unerlaubter Eibes⸗
formeln zu bibienen, wie benn namentlich in bee Nov. 77, Cap. 1,
$. 1 verboten ift, beim Haupt und Haar Gottes zu ſchwoͤren.
Das Tanonifche Recht hingegen läßt auch ganz unpaffende Girts
formeln zu. „Nos canonicum jus sequimur‘‘, fagten bie Zuriften
der Vorzeit und wiefen auf bie ditern Shriften hün, weiche fi, wi
aus Dufresnes „Glossar. med. et inf. latinitat.”’, v. Juramentum,
©. 166, zu erfchen ift, der abgefgmadteften Exbesformeln bedien
ten, 3.8. „Ich fchwöre bei meinen Waffen; bei meines Vaters
Seele; bei allen Nationen; bei den Zähnen Gottes; bei Sr
Jakob's Lanze; bei Chrifli Grab; bei Gottes Kehle ; bei Gottes
Haupthaar; bei Gottes: Zunge; bei des Kaifers Bart” u. 5 m.
Verantwortlicher Herauageber: Heinrih Brodhaud. — Drud und Verlag von 3. A. Brodhaus in Eeipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
KReifeliteratur.
Erſter Zrtiten.
(Eeſchluß aus Mr. 148.)
5. Reiſeberichte und ⸗Gedichte. Erinnerungen aus ben Sommer:
wanberungen 1841 von 8. Hellftab. Zwei Bände. Leip⸗
zig, Köhler. 1842. Gr. 8. 3 Thlr. 15 Ngr.
Der Verf. biefer ,‚MReifeberichte und = Gedichte” iſt
ums als WBerichterfiatter immer fehr willkommen, we:
niger al6 Dichter. In Iegterer Eigenſchaft verliert er
ſich nur zu oft in einen etwas dußerlichen, abgelebten
Apparat ber Romantik; aber ba, wo er bie unmittelbare
Gegenwart, bie Erfcheinungen ber Zeit raifonnirend be⸗
trachtet, find feine Mittheilungen meiſtens von tüchtigem
Schrot und Korn, während ihm bei der Auffafjung und
Schilderung gewiſſer die Empfindung aufregender Gegen⸗
fände jene romantiſche Element fehr zu flatten kommt,
indem es feinem Stile Wärme und Färbung ertheilt.
GSluͤcklicherweiſe ift in diefer Meifebefchreibung wol wur
Weniges gebichtet oder erbichtet, aber auch dies Wenige
hätte fortbleiben follen, da es den Lefer auch gegen man:
dies Wahre und nicht Erdichtete misdtrauiſch machen
ann. Der Berf. bemerkt in ber Vorrede wahr und
treffend, daß die wunderlich formloſe Korm feiner Reiſe⸗
befchreibungen toeniger ein Product eigener Willkuͤr ale
eins der Zeit fei, die man in näherer oder entfernterer
AÄhnlichkeit bei faft allem thätigen Lebenden Schriftfſtellern,
beimifchen und fremden, die einander nicht nachahmten,
ats ein glelchzeitig Erzeugtes antreffe. Rellſtab hat eine
fhöne Summe von Kenntniffen und Erfahrungen ange:
fammelt, und da er außerbem ein aufrichtiger und ehr:
licher Schriftſteller Mi, darf man Ihm auch Blauben
ſchenken, während man jest gegen fo viele Autoren auf
der Hut fein muß. Daß er bier und da zu einfeltig
fubjectiv anſchaut, wollen wir nicht leugnen, wo aber
wäre ein raifonnirendes Bud, überhaupt von biefem Feb:
ker frei? Außerdem machen Reilſtab's Retfefchriften ſtets
einen ſehr behaglichen, nirgend verlegenden oder verbit:
ternden Eindruck, obgleih man ihnen anbererfeits den
Borwurf einer allzu großen Behaglichkeit machen barf.
Bo ſich aber etwas Truͤbes ben Bilden barbietet, ba
verfchmäht er auch nicht, dies tehbe Element zur öffent:
lichen Kunde zu bringen und fich in feiner Datſtellung
übfpiegefn zu laffen. Demerkenswerth iſt feine Betrach⸗
20. Mai 1843,
—
tung über die verbäfterte Stimmung bes gegenwaͤrtigen
Wiens. Freilich gibt er zu, daß er vielleicht eine trübe
Periode getroffen, wo durch ein Zuſammenwirken traurts
ger und drüdender Ereigniſſe die Gemuͤther im Allgemei⸗
nen gereizt waren und man die Dinge ſchwaͤrzer fah,
härter beurthellte ald gewöhnlich. Sein Aufenthalt in
Wien fiel nämlich mit der Zeit zufammen, als die Ge:
muͤther noch allgemein durch bie große finanzielle Kriſis
bewegt waren, welche der eben Fundgewordene Bankrott
des Daufes Geymüller erzeugt hatte.
Doch felbft nach Abzug biefer Erhöhung allfeitiger Mis⸗
ſtimmung — fagt ber un — bleibt don ein —* — uͤbrig,
das eine tiefe Spaltung und Unterhoͤhlung verraͤth und vieie
Zuſtaͤnde als im grellſten Widerſpruch zwiſchen ihrem aͤußern
Schein, der ſo glaͤnzend, lockend und behaglich iſt, und ihrem
innern Sein, bad uns in vielen Theilen von weit um ſich greis
fender, herb nagenber Krankheit een dünkt, darftellte. —
Der forglofe Fröhliche Sinn der Öftreicher, ben man fonft bei
Hohen und Niedern antraf, war wie ausgeſtorben; ein dimpfes
Misvergnügen blickte aus Aller (1?) Zügen, verrleth fich in Al⸗
ler Geſpraͤchen; in den untergeordneten Etänben bagegen trat
jenes Glement adhtlofer Robeit, die wir vormals vielmehr in
Rorbdeutfchland, zumal in Berlin, in den Maffen antrafen, uns
gleich Tchärfer und allgemeiner hervor, als es mir ehedem jes
mals erfchienen war. Und von jener harmlos herzlichen Gurte
muͤthigkeit, bie fonft buch Sprache, Sitten, Geberden und
Handlungen fo wöhlthat, ift uns leider gar wenig bemerkbar
geblieben. Das heißt, vorzugsweife in Wien, in ben größern
täbten überhaupt; auf dem Lande Eonnten wir uns biefes
wohlthuenden Sinnes ber Bevoͤlkerung noch vielfach erfreuen. '
Hiermit beingt er auch einzelne Erſcheinungen In ber
Literatur, wo fie von hohen Gefellfchaftsfphären ausgin⸗
gen (3. B. Anaftafius Grün), in Verbindung. Daß
fih ein anderer Geiſt in Sſireich regt, ift aus vielen
Symptomen erkennbar; der Geiſt der Zeit ift einmal ein
fo feines und penetrantes Fluidum, daß «6 auch durch
die kleinſten Luftloͤcher eines fonft fo dicht verfchloffenen
Körpers wie ſtreich dringt; nur fragt fich, ob die bloße
Verſtimmung, die fich übrigens auch außerhalb ſtrelch
findet, diejenige Stimmung ift, aus welcher etwas Gro⸗
ßes als Nieberfchlag ber Niebergefchlagenheit erfolgen koͤnne.
In Öftreich befchäftigen den Reifenden vorzüglich bie Wi:
fenbahnen, für die ber Verf. fchon früher als Publiciſt
aufs dankenswertheſte gewirkt hat, Indem in Preußen
baum ein anderer Schriftiieller jene Popularitaͤt befaß
die, wie bie Pepularitaͤt Rellſtab's, ganz dazu ſich geeige
net hätte, die Sympathie für die große Angelegenheit ber
Eifenbahnen in weitern Kreifen zu verbreiten. Der zweite
Band macht uns in meift interefjanter Weiſe hauptſaͤch⸗
Kich mit Trieſt, Venedig, Mailand, dann mit der Reife
über dad Stilffer Joch und mit Münden bekannt.
6. Buch der Reifen. Bilder und Studien aus Italien, ber
Schweiz und Deutfchland. Bon Adolf Ritter von Sf ch a⸗
a 2,98 Wien, Pfautfch und Somp. 1842. 8. 1 Ihe.
„Nor.
Kaum hätte Meferent geglaubt, daß der ihm als
ziemlich fentimentaler Novelliſt bekannte Berf. dieſes
Buchs ſich einer hinlaͤnglich objectiven Betrachtungsweiſe
hingeben koͤnne, wie fie in biefem Buche, welches aus
einer Reihe unverbundener Skizzen befteht, vorwaltend
iſt. Was kann trockener und objectiver fein als des Verf.
Definition des Handels, womit er ein „Handel und
Schiffahrt“ betiteltes Capitel beginnt? Sie lautet:
Handel ift jene Gattung menſchlicher Thaͤtigkeit, woburd)
die Erzeugniſſe der verfchiedenen Länder und Völker dem Drie,
wo fie zu verzehren, zu verwenden kommen, zugeführt werben.
Diefe Definition iſt doch wirklich ebenfo Mar als
waͤſſerig. Und dazu, wahrfcheinlid nad) der öftreichifchen
Grammatik, die Wendung „wo fie zu verzehren, zu ver:
wenden kommen”. Nein, mein Lieber! wohin man
tommt, nice wo man kommt, fagt man bei uns in
Deutfchland; oder wollte Verf., wie wir vermuthen, Dafs
felbe fagen, was wir mit der Phrafe ausdrüden: zur Verwen⸗
dung kommen? Wan fagt ja nicht: „das Bud kommt
zu beſprechen“, fonbern „das Bud, kommt zur Beſpre⸗
hung”, Here Ritter von Tſchabuſchnigg kommt zur Ab:
fertigung u. f. w. Ich laſſe mich fonft nicht gen auf
Grammatik betreffende Zurechtweifungen ein; bier geſchah
es jeboch, weil wir folhe und ähnliche Verftöße bei einem
Manne, ber fonft von tiefem Wiſſen, ia gelehrten Stu:
dien in feinem Buche manche Zeugniffe ablegt, nur um
fo auffallender fanden. Das Buch enthält zuvoͤrderſt
Bilder aus dem Venezianifchen: „Baccanale am Lido‘,
„Die Lagunen”, „Ville Petrarca in Arqua’’; ferner aus
Trieft: „Carnevale“, „Handel und Schiffahrt”, „Der
Hafen”, „Sartorello”, „Die Hochzeit der Mandriara“;
Bilder aus einer Schweizerreife: „Catull's Vila am Gar:
dafee”, „Die Borromäifhen Inſeln“, „Das Chamounys
that”, „Der Genfer See”, „Berner Oberland”; Bilder
und Studien aus Deutfchland; Stalienifhe Studien;
Bilder und Studien aus Stallen und Sicilien: „Spo⸗
teto”, „Ponte molle”, „Das jüngfte Gericht“, „Villa
Mine”, „Berenice”, „Das Thal der Egeria”, „Ein
Diner im Benustempel zu Bajaͤ“, „Die Tänzerinnen
und Kentauren von Pompeji”, ‚Ausflug nah Paͤſtum“,
„Ciſa“ (ein farazenifches Luftfchloß bei Palermo), „Die
Katakomben zu Palermo”, „Eine Terraſſe in Meffina”,
„Sibylla von Cumd’. Bei unfern Radicalen wird der
Verf. kein Gluͤck machen. Dan höre folgende Worte,
die man jest felten vernimmt:
Schön und erſprießlich ift es auch, daB es nicht einen deut⸗
fen Staat, fondern einen beutichen Bund gibt. &o findet jede
Neigung, jede Anlage um fo leichter ihren Schauplatz; hundert
Weufenftädte blühen, aber Teine Gentratftabt gerſtreui ober ver⸗
diebt die deutfche Jugend. Die Säfte der teüigens
gleichmäßig ie Ober bie —— ach m
gebrachter Weiſe fchreitet bie deutſche Bildung unb Geftaltung
weiters weife Yürften und treue Voͤlker arbeiten baran in rebli-
dem Ginverftändniffe. Unſer Deutſchland hat noch keinen Ty⸗
rannen. Leife und milb wie Pflangenfäfte treiben die Lebens
£räfte in feinen Adern; jeber Fortſchritt ift organifche dauernde
Errungenfhaft.e Es mag fih nit mit Blutkitte frembartige
Flitter anſetzen. der Wunderbalſam ber Weltweisheit
wird in ſeinem Schooſe ausgekocht. Deutſchland iſt die Vor⸗
rathkammer ber Syſteme. Es erwägt immer auch ben Gegenſat;
darum treten ſeine Theſen nur allmaͤlig und vorſichtig ins Leben.
„O ihr Herwegh und Prutz, Prutzianer und Her
weghianer, kommt hierher, ſchaut und leſſt: Deutſchland
bat noch keinen Xyrannen! Da habt ihr nun gefungen
und euch angefungen und angeliebelt, und feid beſchmauſt
und betoaflet worden und habt einen entfehliden Staub
aufgewuͤhlt von Königsberg bis Zuͤrich, in Weimar umd
Polkwitz, und trog eurer tprannenfreffenden Strophen
wagt Ritter von Tſchabuſchnigg die Behauptung: Deutſch
land hat noch keinen Zyrannen!
7. Des Kriegscommiffair Pipig Reife nach Italien. Ein komi⸗
[her Roman von Eduard Boas. Bier Theile. Mir 12
Bildern. Gtuttgart, Scheibe. 1841. Er. 16. 3 Thlr.
Ta Ror.
Ein närrifhes Buch! Pipig, ein verruͤckter Phitifter,
der durchaus nicht unfern Planeten: Erde, fondern Waſ⸗
fer nennen will, weiß biefer Planet mehr Wafler: als
Landfläche enthält, der nicht die Sonne fagt, fonderm
ber Sonne, und wieder die Mond flatt der Mond,
weil feiner Anficht nach bie Sonne das männliche, der
Mond das weibliche Princip fei, reift mit feiner Tochter
Blanda nach Stalien, wo fie mit noch drei jungen Leu⸗
ten, Agathon, Leo, Camill, mit dem Baron Pappel=
ſtamm und deflen Gattin Liddy wie no mit mehren
andern Männlein and Welblein zufammentrefien, ſodaß
an dem Webeſtuhl des Buchs bie Fäden des — meiſt
tomifhen — Romans hin- und wiederfhiefen. Die
Formloſigkeit hat ſich wol bald nicht fo ertranagant ge-
zeigt als in dieſem dicken viertheiligen Buche; denn außer:
dem, daß der Roman ſich immer fortfpinnt, daß bie Rei⸗
febefchreibung , indem jeber bier Auftretende, feiner Indi⸗
vidwalität gemäß, über Stallen in feinen Briefen ſchwaͤtzt,
fih mit dem Romane verkuppelt bat, fo kat aud der
Berf. noch mandyes gerade bei ihm vorräthige Manu=
ſcript eingelegt: fo mehre ſatiriſche Vorreden zu fingirten
Buͤchern, eine Novellenſkizze unter dem Titel, Dpperiom
und Phaeton”, einen lufligen Briefwechfel zwifchen einem
Verleger und dem Berf. u. f. w. Ein Buch, weldyes
miehin für viele Publica gefchrieben ift, wird ſchwerlich
ein Publicum für fi gewinnen, welches gleichfam für
das Bud feiner Liebe und Zuneigung ins Feuer geben
muß. Recht böfe kann man aber dem DBerf. für feinen
Miſchmaſch auch nicht fein, da er ihn mit vieler Behag⸗
lichkeit und Gemuͤthlichkeit an das Tageslicht geförbert
bat und ein gewiffer Zug von guter Laune, von Bon
hommie durch das Gezeuge hindurchgeht. Wer das fächfiz
fhe Bericht, „„Alledlei” genannt, für einen Lederbiffen
hält, der wird allenfalls auch biefes Buch verdauen koͤn⸗
— u. m — —
524
—X
805
nee. Manche Wefchreibungen und Schilberungen find
recht frifh und farbig, leiden aber durch ihre Umgebuns
gen und erfliden im Wufle des Ganzen. Beigegeben
find zwoͤlf Fedetzeichnungen von Nisle. *)
9 Marggraff.
Roͤmiſche Gefchichte von Peter von Kobbe. Zweiter
Theil. Don dem erften punifchen Kriege bie Auguftus.
Leipzig, Engelmann. 1841, Gr. 8. 1 Xhir. 22". Nor.
Infoweit es fi um Roms dttefte Zeiten handelt, ift ein
jeder von den vielen Gelehrten, die uns immer und immer wie⸗
der mehr oder weniger umfaoflende Werke über roͤmiſche Geſchichte
darbieten, mit ſich darüber einig, daB er entiweber gegen Nie⸗
buhr polemifiven oder boch deſſen berühmten Werke Zufäge, vers
meintliche Berichtigungen und Grläuterungen anzubängen habe.
Bei der Anzeige des erſten Theiles des vorliegenden Buches
haben wir beridytet **), wie weit bie Kräfte und Mittel rei:
Sen, womit ausgeflattet der Verf. der eben angebeuteten
Aufgabe zu entfprechen geſucht bat. Dort ift bemerkt wors
den, wie wir jeden Beruf, über römifche Geſchichte ein bes
beusendes Wort abzugeben, Demjenigen abſprechen mäflen, weis
dem die Kenntniß bes römifchen Rechtes abgeht, und gezeigt
haben wir, wie Hr. von Kobbe ihrer fo gänzlich baur ift, daß
man bei ihm an ein Veritaͤndniß diefes allerwichtigſten Beſtand⸗
theiles der roͤmiſchen Zuftände nun einmal gar nicht denken darf.
Weitere Belege zur Rechtfertigung ber harten Behauptung lie⸗
fert bee vorliegende zweite Theil. Da wo Hr. dv. Kobbe auf
8. 72 — 76, alfo auf fünf nicht einmal vollen Geiten hinter
der Erzaͤhlung von den drei punifchen Kriegen einen „Innere
Verhaͤltniſſe“ überfchriebenen Abfchnitt folgen läßt, finden wir
in rechtshiſtoriſcher Beziehung folgende, wahrhaft Lächerlich duͤrf⸗
tige Notizen: „Seit dem Jahre 510 (244) wurde noch ein zweis
ter Prätor gewählt, um die Streitigkeiten ber Fremden zu ents
ſcheiden. Die Vermehrung ber Provinzen gab Anlaß zu weiterer
Vermehrung ber Prätoren. So wurden 5237 (227) noch pmel
Prätoren für Sardinien und Corſica ernannt; im 3. 557 (197)
nod zwei für Spanien. Die Gerichtäbarkeit der Prätoren ers
firedte ſich nur auf Privatflreitigleiten; zu Criminaiſachen wurs
den eigene Qudfitoren vom Volke beftellt, jedoch ward gewoͤhn⸗
lich eine ſolche Unterſuchung einem Praͤtor übertragen. Die öfs
fentlichen Bekanntmachungen ber Prätoren bildeten bald eine ber
widhtigften Quellen bes Rechts und ihre Entſcheidungen dienten
dazu, die firengen Formen des alten Rechtes zu mildern. Geite
dem Flavius die alten Rechtsformein bekannt gemacht hatte
waren don ben Patriziern neue Proceßformeln erfunden ; auch
diefe wurben durch die Bekanntmachungen bes Gertus Aclius
Gatus (552, 202) Gemeingut. Schon früher (500, 254) hatte
Tiberius Goruncanius, der erſte plebejifche Oberpriefter, Jeder⸗
mann, alfo nicht allein junge Patrizier, zu feinen Rechtsbeleh⸗
zungen zugelaflen und feitdem wurde biefe Gewohnheit allges
meiner." Was hat, fragen wir, ein Leſer, der nicht mehr als
Dr. von Kobbe von der Sache verftcht, begriffen, wenn er biefe
Worte gelefen?
Dinter dem vorlegten, „Auguftus” überfchriebenen Ab⸗
AIchnitt folgt unter der Rubrit „Sitte und Bildung” ber lette,
ſechs Blätter ſtarke, deſſen feste fünf Geiten zum hunderte
ften und aberhundertfien Male abgebeteten und nachgefchries
benen Notizenkram aus ber xömifchen Hedhtögefchichte ents
halten. Bier wiederholt ſich die bemitieidenswertbe, ber hiſtori⸗
fehen Schule nadhgefprochene Behauptung: Cicero fei kein Rechts⸗
gelehrter von Fach geweien, obfchon ber Unterfcheidung in Rechts⸗
gelehrte von Fach und nicht von Fach alle Realitaͤt in den
römifchen Zuſtaͤnden abging, wo Das, was wir Rechtsgelehrſam⸗
”) Der zweite Artitel folgt im nächften Monat. D. Red,
”») Bol. Str. 2 — Bl d. Bl. f. 1841. _ D. Ned.
keit nennen, nichts Anderes als Rechtspraris, aber eine fo geift⸗
reiche Praxis war, daß fie Über der Rechtsgelehrſamkeit unferer
Zeit, bemefien wir biefe nach den Leiftungen des juriftifchen
Schriftſtellers, weicher zuletzt jenes unverftänbige Urtheil über
Eicero zu rechtfertigen gefucht hat, ebenfo hoch ſteht, als über
bed Batteux Kunſttheorie die, man verflatte ben Ausbrud,
Kunftpraris des Homer. Cicero fol kein Rechtsgelehrter von
Bach geweſen frin, und dennoch wird gleich barauf in der names
lien Periode behauptet, deſſenungeachtet müßten „zu gelehrter
Kenntniß des roͤmiſchen Rechtes feine Reden in öffentlichen Ans
gelegenbeiten und vor Gericht, fein Briefwechſel, feine Werke
über Beredtfamkeit und Weltweisheit, feine Logik und feine Sit⸗
tenlebre täglich benugt werben”. Welchen Sinn Fann es baben,
dem Juriften daß ftete Studium der Werke Gicero’s anzuempfeh⸗
len, wenn dieſelben nicht alluͤberall durchdrungen find von Kennts
niß des gleichzeitigen Rechtezuftandes ? übrigens beweift, wer
fo etwas behaupten kann, daß er zu Vervolllommnung feiner
Rechtskenntniß zuvertäffig nicht täglich Cicero’s Werke benugt hat,
denn fonft müßte er vo wol auch einmal auf bie „Zopica’ ges
ftopen fein und bemerkt haben, wic Gicero, der biefe Schrift
waͤhrend einer Seereiſe und alſo gewiß ohne allen ſogenannten
gelehrten Apparat ausarbeitete, um feinen großen juriſtiſchen
Zeitgenoſſen, dem 6. Trebatius das Verſtaͤndniß ber Ariſtoteli⸗
fen Zopica in angemeflener Form zu eröffnen, unerſchoͤpflich
iſt, jeden Sat mit treffenden juriſtiſchen Beiſpielen zu belegen.
Barum fol nun aber troß alledem Cicero Kin Juriſt geweſen
fein und fo das unmoͤgliche moͤglich gemacht haben, als Staate—
mann und tömifcher Rebner groß und berühmt ohne bie allers
ausgezeichnetſte roͤmiſche Rechtskenntniß geworben zu ſein?
Darum, weil er zu verſtaͤndig und einſichtsvoll gewelen ift, um
nicht zu erkennen und auszufprechen, baß die Jurisprudenz kei⸗
nen Anſpruch auf den Namen einer Wiſſenſchaft bat, fobalb
wir den Begriff Wiffenfchaft in echt wiflenfchaftlihem Sinne
auffaffen, und weil er geglaubt hat, der Werth ihrer Leiſtungen
werde nur im Gebiete der Praxis erkennbar. Das haben dem
trefflichen Manne die Juriſten nicht verzeihen koͤnnen, das kraͤnkt
ben Duͤnkel der hiſtoriſchen Schule und darum predigt fie den
Ohren ber Ginfichtölofen, was Hr. von Kobbe in den Worten
nachſpricht: Gicero fei kein Jurift von Fach gewefen.
Indeß wir laſſen nunmehr des Hrn. von Kobbe Unkenntniß
bes römifchen Rechtes ein für allemal bei Seite liegen und wie wie
ber Anzeige bes erflen Theiles eine größere Bedeutfamfeit als
diejenige, weiche die Schrift felbft in Ausficht fleilte, dadurch zu
geben gefucht haben, daß wir im Allgemeinen über Borfchungen
in römifcher Geſchichte ſprachen, inſoweit biefelben ſich mit Roms
aͤlteſten, nur unvollftändig zu wirklich hiſtoriſchen gewordenen Beis
ten befchäftigen, fo bietet auch ber vorliegende zweite Theil ers
wünfchte Gelegenheit, näher auf die wichtige Frage einzugehen,
was denn nun neuere Gefchichtfchreibung auf einem Kelde leiften
Eönne, auf bem ihr bereite des Livius, Polybius, Piutarch u. f. w.
ruhmgekroͤnte Häupter vorausgegangen find? Man Eönnte fagen:
feine von den bedeutendſten Schriften der alten Hiſtoriker if
uns vollftändig erhalten worden und alfo haben wir ‚von dem
erften punifchen Kriege an — benn mit biefem beginnt Br. von
Kobbe ben vorliegenden zweiten Theil — nur infofern eine ununs
terbrochen zufammenhängende römifche Geſchichte, als wir uns
diefelbe aus den erhaltenen, ſich gegenfeitig ergängenden Beſtand⸗
theiten jener berühmten Werke zufammenfegen. Indeß, warum
fol Jemand ſich bemühen, damit Andere durch ihn einen 3wec
erreichen, den Jeder für ſich allein und mit der allerbelohnends
ſten Mühe erreichen Tann, indem er die alten Gchriftfieller in
berjenigen Verbindung lieſt, welche ben Bericht der GSchidfate
und Thaten Roms ihm in fletigem Zufammenhange der chrono⸗
logiſchen Aufeinanderfolge liefert? Somit gelangen wir, bie
Broge von biefem Geſichtspunkte aus zu loͤſen verfuchend, zu
nem normirenben Principe. Wol aber fcheint ein ſolches habe
ſtehenden Betrachtungen erreichbar.
Allgemeines Einverflänbniß, darf man annehmen, herrſcht
in unfern Zagen barüber, daß hiftorifche Forſchungen, noch fo
meifterbaft burchgefähet und Aberzeugenb dargelegt, bennodh keine
25 nur bie Borarbeit gu ehe Ph find, dieſe in
der —— von Thatſachen deſteht, weiche, wie jede Erzaͤh⸗
Bang, ihren höchften Werth dann erlangt, wenn fie zu lebendiger
Darftelung wird. Wo aber bleibt dann bie Grenzſcheide groif
Poefie und Geſchichte? Nicht kann fie auf ber erftern metrifchen
VForin beruben, indem, wie ſchon Ariſtoteles in Gap. 9 der,Poetik
bemerkt, ‚Derodot’s neun Bücher, obfchon in ihnen die antike Ge⸗
fyichtfehreibung im nädhften Zuſammenhange von dem Epos zur
Hiſtoriographie fortfchreitender geiehifger Bildung erſcheint, ſich
noch zu. keinem Gebichte durch bie Umſetzung in metriſche
Sprache umwandeln würden. Gr fagt aber ebenbafelbft über
jenen Unterfchieb zwiſchen Geſchichte und Poeſie Folgendes: „Die
Poeſie iſt philofophifcher und höher ſtehend“) als bie Hiſtorie.
Denn die Poefie druͤckt mehr das Allgemeingüftige, bie Hiſtorie
das den Ginzeinen Betreffende aus.” Wer nun ben Eindruck
fich zurädrufend und vergegenwärtigenb, ben die vorariftotelifchen
Hiſtoriker und deren größter, Thucydides, auf ihn gemacht, da⸗
mit vergleicht, wie Sliade, Odyſſee und der Sophokleiſche Odiput
ihn angeregt haben, und wie dad Intereffe, das wir in Thucydides
Darftellungen an ben Greigniflen bed peloponnefifchen Sorteges
unb an den handelnden Perſonen nehmen, bennody nicht gleich⸗
kommt bem befriedigenben Genuſſe, womit das Goncrete in jes
wen Werken der Poefie uns durchdringt, indem befien Betrach⸗
tung uns zugleich eine Weltanſchauung eröffnet, der wird jene
Äußerungen des Ariftoteles hinreichenb verftehen, um gemein
fafttich mit uns weiter auf ihr fortzufußen. Wol werth, ger
nauer (gmogen zu werben, ſcheint es nämlich, ob Ariftoteles feis
nen Ausfprudh wuͤrbde mobiflciet haben, hätte die biftorifche Lite:
ratur feiner Sage ein Wert aufzuweifen gehabt, in dem die Hi⸗
ftoriographie bereits biejenige Hoͤhe hätte erreicht gehabt, auf
welcher wir fie in dem römifchen Tacitus erbiiden, deſſen Dar⸗
fielungen keine poetifche an KRiarheit und Lebendigkeit übertreffen
koͤnnte, während biefelben zugleich, anftatt Belehrungen zu geben,
uns auf einen Standpunkt ftellen, auf bem wir fie uns nicht
fowol abftrahiren, als vielmehr uuf dem Wege unmittelbarer
Anſchauung fie erfennen. Dennoch würde Ariftoteles das Naͤm⸗
liche gefagt haben. Denn aud ber Taciteiſchen Gefchichtichreis
bung bient das Goncrete nicht zum Organ, um das Allgemeins
gültige zur Anſchauung zu bringen, fondern diefes tft ihr das
Drgan, durch weiches fie jenem höhere Bedeutung verleiht, ins
foweit dasjenige Gebiet bes Realen, das ſie fi) zur Bearbeitung
ausgeliehen, es verflattet. Sie bleibt alfo abhängig von dem
Stoffe. Richt völig frei, kann fie auch nie völlig zur fchönen,
zur freien Kunft werden. Der Befchichtfchreiber verhält fich zu
dem Dichter, wie zu ſich ſelbſt ein und derfelbe Baukuͤnſtier ſich
verhält, bem bier mit unbefchränkten Mitteln eine Kathedrale,
dort für eine im voraus abgemeflene Summe ein Palaſt zu irs
nd einem Zwecke bed bürgerlichen Lebens aufzuführen wäre
ertragen worden. In einem wie in dem andern Werke wuͤrde
fi der Bauſtil eines Yalladio kundgeben, mebr aber in jenem
als in diefem feine Künfttergröße. In Schillers „Wallenſtein“
muͤſſen wir die höher flebende Gattung anerkennen, obſchon auch
in der „Befchichte des breißigjährtgen Krieges“ der Dichter bes „Wal:
Ienftein‘ ganz er ſelbſt tft. Um nichts weniger aber hat ber Hi⸗
floriter feine Aufgabe vollftändig nur dann geloͤſt, wenn das
als ein Reales ihm aͤußerlich Begebene, das zu bebanbeln er
ausgewählt hat, uns, infoweit dies möglich war, in kaͤnſtleriſcher,
in poetifcher Darftellung vor das Auge tritt. Bon biefem Stand⸗
punkte aus angefehen, db. h. mit Tacitus verglichen, fcheinen
ef. allerbings biejenigen alten Hiſtoriker, weiche für uns Quel:
Ien der roͤmiſchen Geſchichte bis Auguflus find, nicht durchaus
das Maß einer unübertrefflihen Vollendung erreicht zu haben,
*, Dttfrieb Möller überfest in Bd. 1 der „Geſchichte ber grie⸗
qhiſchen Literatur, S. 470, Note 1, dab anovdarepov gebans
tenvoller, Gottfried Hermann dagegen ©. M feiner Ausgabe
des „Poetik⸗⸗ esoslientius.
und fomit wäse es wenigftens denkbar, baß eine neue
fe Geſchichte Roms vom erſten punifchen Kg an Fre
und mit Auguftus geſchrieben würbe, welche durch die Darftellung
Anfpru hätte, ihren Plat neben ben claffiihen Hiſtorikern
einzunehmen. e du Gründe, weshalb es mit biefem
Sebanten, menſchlichem Abfehen nach, bei dem bloßen Gedanken
bleiben wird, laͤßt Ref. bei Seite liegen, um auf eine Stelle
bei Hrn. von Robbe zu verweilen, welche befien Darftelungsgabe
in das gebührende Licht feht, nämlich auf den S. 30 —
enthaltenen, „Caͤſar's Zob” überfchriebenen Abſchnitt. Dem
Grmeffen des Leſers uͤberlaͤßt Ref., ob fich jenes tragiſche Er⸗
eigniß in trgenb einer der unzähligen neuern Geſchichten Stoms,
fobalb nur ber Verf. nicht eben wortkarg guvefen iſt, wes
niger erbaulidh ald von Hrn. von Robbe vorgetragen findet.
Hier etwas zu leiften, das bes Anerkenntniſſes koͤnnte verfickert
fein, war fein Genius, fonbera nur das Talent erfoberlih, in
biftorifcher Form zu reprobucizen, was in dramatiſcher Shakfoeare
für jeden mit echter Receptivität Wegabten auf postiih hoͤchſt
anregende Weiſe gebichtet hat.
(Der Beſchluß folgt.)
Notizen.
it a BF nun or den on en ſchon
v pfbrechens gemadt. „Die e“, ſagte aeuertq
Giambattiſto Ajello in ſeiner Abhandlung "Dell muliebrith
dei tempi di mezzo’‘, „war das vornehmfte Element der Poefle
in ber mittleen Zeit. Allein, wie foll man ſich dieſes Phaͤno⸗
men erklaͤren?“ Diefes Phänomen! Der Benannte
bie Anfiht, als fet die Frauenliebe eine Wolge der Retigion,
der Marienverehrung geweſen. Mit Reit! Die Cache iſt na⸗
tuͤrlich umgekehrt: Das Ghriftenthbum des Mittelalters, dab
alles Diefleitige als ein Ienfeitiges ber Verehrung darbot, bat
auch die Irbifche Liebe zum Weibe in eine himmliſche verwandelt.
Gin neuerer Phlloſoph bemerkt ganz richtig, dab ber Proteflan-
tismus das himmliſche Weib hinweggenommen, indem er das
trdifche wieder in bas Herz fihloß. Bedarf die Liebe zum Weibe
einer Erklaͤrung? Ober bedarf es einer Grflärung, daß das
Herz den Gegenftand feiner Liebe vergöttert? O der Gelehrten,
die den Walb vor allen Baͤumen nicht fehen. Bier ein Weir
trag zu euern tieffinnigen Unterfuchungen aus Immermann's
leßten Romane: „In fo bitterer Pein fand er das große
Geſetz der Liebe, weldhes dem Liebenden ewig feine tele
zu den Füßen ber Gellebten anweift, und wäre biefe eine aus
dem Staube bervorgegangene Bäuerin. Babe du die Schäge
des Moguls, grüne ber Lorberkranz des Ruhms um beime
Schlaͤfe, führe du Salomo's geifterbeherrichenden Ring, Träne
dich der Reif ber Hoheit — bie Geliebte wird, und nid im
abgefhmadten Gleichniß, fondern in ber Wahrheit und Wirk:
lichkeit deine Königin fein.”
Die Verachtung von Vernunft und Wiffenfhaft ik
in unfern Tagen wieder fehr im Schwange. „Die driftlidge
Ordnung”, fagt Hr. Eſchenmayer (in feinen „Grundzuͤgen einer
chriſtlichen Philofophie‘), „erfodert eine ganz andere Gonftructiom,
als der Vernunft» und Raturzufammenhang uns barbietet. Um
fie zu finden, muͤſſen wir über unfer Gelbfibewußtfein hinausgehen
und einem weit hoͤhern Element den Zutritt geftatten, das nicht
in uns erzeugt ifl.” If das nicht wirkiih, um aus ber Haut
zu fahren? Mephiſto fagt wiederum :
Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde,
Das find' ich gut; denn da gehoört ihr hin.
In einem Bericht über die zilſert haler Gemeinde gm
Erbmannsborf wirb unter ben Urfachen, welche 66 Ziroler bewo⸗
gem haben , * aeen folgende angefahet: „Bangigteit
egen eitlichen Fortkommens o (!) Mangel
ae eeeenmens, a on
Werantwortlicher Herausgeber: Ketarich Brokhaus. — Brud und erlag von E. X. Brodbauß ig Beipzig.
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienftag,
Holländifche Preidlieder von 3.9. Heije, nebſt
einem Vorwort über holländifche Sprache und
Literatur.
Es gereicht gewiß der Hollaͤndiſchen Geſellſchaft fuͤr
ferie Kuͤnſte und Wiſſenſchaften das ernſte Streben, bie
Reit ihres Vaterlandes auf eine Höhere Stufe zu erheben,
zur größten Ehre. Vielleicht war es ihe nicht entgangen,
Daß, ſeitdem der Lafontaine ihrer Literatur, „Vater Cats”
(1577 — 1660) der Schöpfer ihrer vaterländifchen Poeſie,
und feitdem der Srennd des Hugo Brotius, Hooft (1581
— 1647), der Begruͤnder ihrer Profa geworden waren,
und, feit Ihre Pindar und Shakſpeare, der geniale van ber
Vondel (1585 — 1647) durch, wenn aud bier und da
rohe, doch volle und foft ſehr ſchoͤne Naturlaute die Ger:
jen- ihrer Vorfahren getüßet, abgefehen von einigen em⸗
wRadimgereicheh und wohllautenden Liedern von Tollens
und ven einigen originellen und kraͤftigen Gefängen des
ebenfo . talentvollen als fruchtbaren Bilderdijk (geb. 1756)
und. von winizen Oden Feith's (geb. 1753) und Kinker's
und einiger anderer meift noch lebenden Dichter, wie Arntzenius,
Helmers, Strijivan Linſchoten, Loots, Meſſchert, Spandam,
Staring van ben Wildenboſch, Withuis u. m. A., den Prie:
fteen der heimifchen Polphymnia «6 an Weihe und Kraft
und as derjenigen Harmonie des Ausdrucks gebrach, wel⸗
che die Dichtungen einer muſikaliſchen Behandlung faͤhig
macht. Darum ſtellte ſie eine Preisaufgabe, welche von
Dr. J. P. Heije ſo geloͤſt worden iſt, daß ſeine Lieder ge⸗
kroͤnt und im Th. 2, Stuͤck l, S. 1—96 der „Nieuwe
Werken der Holiandsche Maatschappij van Fraaije Kun-
sten en Wetenschappen” (Leyden 1841) durch den Drud
befannt gemacht worden find. In dem „Voorberigt”
wird ausdrüdlid gefagt: „dat het den Auteur minder
te doen was om Lof als Dichter in te oogsten,
dan wel om door zijne proeve te trachten het muzij-
kaalelement te ontwikkelen en te verede-
len.” Da madıt es und denn ein wahres Vergnügen,
dieſes edle Beſtreben als cin [ehr gelungenes bezeichnen zu
tönnen, befonders in den „Liederen” ven S. 1— 54,
weichen von S. 55 — 78 „Zangen“ oder Gefänge und
von S. 79 — 96 „Gewejde po&zij” oder Hymnen und
Pſalmen folgen, die wir einer fpätern Mittheilung, zu>
gleich mit Berüdfichtigung der trefflichen geiftlichen Lieder
van Alpen's und der neneften Erſcheinungen im Gebiete
ö— Nr. 150. — 30.
Mai 1848.
der chriſtlichen Hymnologie in andern Laͤndern Europas,
an einem andern Orte vorbehalten.
Wir glauben uns aber durch den Abdruck einiger Lie⸗
der Heije's in moͤglichſt treuer und geſchmackvoller Über⸗
ſetzung um ſo mehr des Dankes der Leſer verſichert halten
zu koͤnnen, ſowol darum, weil uns der Genuß von Fruͤch⸗
ten der hollaͤndiſchen Literatur ſo uͤberaus ſelten geboten
wird, daß ſelbſt ein Profeſſor der neuern Literatur an ei⸗
ner namhaften Univerſitaͤt Deutfchlands, O. L. B. Woiff,
in den „Vorleſungen uͤber die ſchoͤne Literatur Europas in
der neueſten Zeit“ (Leipzig 1832) S. 391 über Mangel
an Hülfsmitteln Elagen Eonnte, als auch wegen ber eigen:
thuͤmlichen Schönheit diefer Meinen Gedichte, die fich durch
edle Einfatt und Einfachheit, durch eine das Herz rührende
Innigkeit und Sinnigkeit, duch fließende Verſification
und reine Sprache, und hier durch Anakreontiſche Lieblich⸗
keit, dort durch Theoktitiſche Anmuth und Naivetät, und
öfter endlich durch sine dem Volkslied angemeſſene epiſche
Haltung fehr vortheilhaft vor andern Erzeugnifien ber jüns
gern bolländifhen Muſe auszeichnen, in welchen es nicht
immer gelungen ift, zur Tiefe und Fülle die edle Sims
plicität und Anmuth, zur Popularität die Würde, zur
Herzsichkeit die Grazie und zue Kraft des Gedankens oder
zu dem Phantafiereihthum der Erfindung die Schönheit
der Sprache in angemeflener Versform und wohlkiingens
dem Ausdrud zu finden, noch aud einer geiftiofen Reis
merei und dem Abwege ſchwaͤchlicher Empfindelei, oder,
wie es bei Swanenburg fo fehr misfällt, einem laͤcherlichen
Bombaft auszuweichen.
Die Motive der Lieder von Heije find Mein, Liebe,
Frühling, Jagd und häusliches oder religiäfes Leben und
bier und da dem Soldatenftand und andern Verhaͤltniſſen
des Lebens entnommen, und wenn wir barin weniger
| Stärke und Bedeutung wahrnehmen, als bei den obenges
nannten aͤltern und bei jüngern Dichten wie Trips,
Huizenga, Bakkers u. A., fo finden wir, neben hinreichen⸗
der Entfhädigung dafür, leicht den rund in den Motis
ven felbft, deren Behandlung bald jugendliche Friſche, bald
zarte elegiſche Wehmuth athmet. Auch iſt im Allgemei⸗
nen ruͤhmlich zuzugeſtehen, daß ſich der Dichter den Ver⸗
fuhungen allzu getreuer Naturnachahmung, wie fie lei⸗
der zu oft die niederländifchen Dichter und Maler von der
Ihönen Wahrheit in die hausbackene, fleiſch-⸗, Frucht: und
blumenreiche Wirktichkeie hinabgezogen bat, glüdlih zu
entziehen geroußt hat, vieleicht in dankbarer Erinnerung
an bie edein Beflrebungen Bellamy’s und feiner Freunde,
die es für eine um fo höhere und nothwendigere Ver⸗
pflihtung dee holländifhen Künftler in Bild und Wort
erfannten, das Gefühl für ideale Schönheit zu nähren
und zu pflegen, je mehr fie durch Blimatifche Bedingungen
des Bodens und durch phyſiſche und politifche feiner Be:
wohner von dem Himmel, den fie wie über ihren Land⸗
haften audy über ihren Dichtungen durchſichtig in fchönen
Farbentoͤnen ſchweben laſſen follten, zur Erde hinabgezogen
und gleichfam hinabgedruͤckt zu werden Gefahr laufen, alſo
dag aus Schäfeebitdern und Schäfergedichten leichter ale
anderswo Schäfereibilder und Schäfereigedichte werden.
Denn wenn irgendwo fo befonders in Holland beftd:
tigt fich die Thatſache, daB jedes Kunftgebild den Charak⸗
ter und die Farbe des Bodens trägt, dem es feine Ent:
ftehung, feine Pflege und Erfcheinung verdantt.
Sagen doch ſelbſt Willems in „Verhandeling over
de Nederduijtsche Taal en Letterkunde ”’ (Antwerpen
1819), &b. 2, S. 11, und Brandt im „Leven van Von-
del”, &. 5, von dem in Köln geborenen aber in Amſter⸗
dam erzogenen und durch feine eigenthümlichen Lebensvers
haͤltniſſe, Anfichten und Schickſale fo merkwürdigen Bon:
bei: „Hij was wel buiten Holland gebooren, maar met
hollandsch melk opgevoed, en door geduurige inwoo-
ninge een Hollander en Amsterdammer geworden”, und
in der That ſtellt kein Dichter fo die Verſchmelzung einer
echtdeutfchen und, um fo zu fagen, Ins Hollaͤndiſche übers
festen Kraftnatur dar, als eben diefer Vondel, von dem
man wie von Hercules fagen kann, daß er das Gluͤck ges
habt, zugleich an einer unfterblihen und an einer fterbli:
chen Bruft gefogen zu haben. Aber das finnliche Trach⸗
ten nach unten, um deſſentwillen ein ebenfo unfelnes als
wahres deutfhes Wortfpiel die niederlaͤndiſche Kunft eine
niederträchtige genannt hat, und das bald mehr bald mes
niger behagliche, ja uͤppige Verweilen in den zwiebel⸗, obfts,
wildprets und heerdenreichen Auen und fetten Marfchen
der niederländifchen Ebenen fegt den Dichtern und Kuͤnſt⸗
fern große Schwierigkeiten entgegen, weil den ummnebelten
Augen leicht die Höhenpunkte des antiken Menſchenlebens,
der Parnaß und Helikon nicht nur, fondern auch die fells
gen und befeligenden Lichthoͤhen des Olympos entſchwin⸗
den, und mit ihnen zugleich das Streben, zur Fülle die
Kroft, zur Geſtalt die Bedeutung, zus Naturwirklichkeit
und Raturtreue die ewige Wahrheit und Schöne, zu oder vor
oder lieber ftatt der Moral die individuell dargeftellte und
durch fich ſelbſt redende Dandlung, und endlih zu der
idpllifchen Anmuth zugleich die heroiſche Erhabenheit *)
hinzuzufügen. Wenn nun aber der hollaͤndiſche Pegafus
leichter zu Falle oder in den Sal kommt, in den Erga⸗
flerien und Phrontifterien des Alltagsiebens die Slügel wo
nicht zu verlieren, doch nicht zu gebrauchen und, feine goͤtt⸗
liche Abkunft, feine himmliſche Heimat vergeffend, bie
*) Der Parnap nit nur wird von den Alten biceps genannt,
fondern von Spätern auch der Kraftmuskel des Oberarmö.
Bare Quelle des Genius zu truͤben, befto eifriger und aus
gefivengter und beharrlicher*) muß die Mufe, die befannt:
lich ohnehin der Fittige zu entbehren pflegt, darauf bedacht
fein, ihren hohen Beruf fi unausgefegt vorzuhalten, uns
tee Anführung bes aus Trümmern durch das Licht immer
neues Leben hervorrufenden Apollon, zugleich mit den Wäds
teen de6 Olympos, den früchtefpendenden Horen, und ih⸗
ren bolden Schweftern und den befiändigen Begleiterinnen
Aphroditens, den Chariten, erfreuend und erhebend, bie
ewigen Freudenfeſte der Olpmpier zu zieren und zu em
hoͤhen.
Je inniger und aufrichtiger wir es nun bedauern, ſa⸗
gen zu muͤſſen, daß es ſelbſt dem für feine Zeit großen
Cats, ebenfo wie Huygens, Kamphuyzen u. A. zum ges
rechten Vorwurf gereicht, ſtatt der verköcperten und ans
fhaubaren Ideale und nur Materie in poetiſchen Scha⸗
ten, nur Stoff in verfificirtee Gemandung, und, um ein
Beiſpiel anzuführen, bie Liebe (es iſt nicht genug zu be:
achten, daß bei der Aphrodite der Alten die Schönheit um
der Gottheit willen, die Chariten aber um der Schönheit
felbft willen da waren) nicht als ſolche, d. h. al6 cine
Goͤttliches wirkende Böttin, fondern als eine, wie Bom:
eing**) fagt, gute Eheleute machende umd folgfame Kin
der zeugende, aljo blos praktifche menfchliche Frau dar:
und hingeltellt zu haben — defto freudiger begrüßen wir die
Aufmunterung der ehrenwerthen Dolländifdyen Geſellſchaft
der fchönen Künfte und Wiflenfhaften, durch melde fie
den faft allgemeinen Übelftänden zu begegnen ſucht, die
den Genuß auch ihrer beſten Gedichte mehr ober weniger
beeinträchtigen, und welche bei Vondel's Kraft, Züle und
Originalität, bei Hooft’6 Würde, Harmonie und Anmuth,
*, Denn im rubigen und Haren Beharren unb Aabharren bei
bem für wahr und gut und ſchoͤn Erkannten zeigt ih vorzugsweife
die Wefenbeit und Kraft des Genie, beffen zweite — die adıiwe
ober productive — Gigenfhaft die felbfländige Darftellungdgate ik,
gegenüber dem, obwol bel, doch nicht ange flackernden Strohfeuer
eigeb allzu gefchäftigen, ertenfiv flachen, ebenfo nuͤchternen als kalten,
bald moralifirenden, bald raifennirenden, bald docirenden Dilettens
tismus, der entweder in eine mit verfiändiger Berechnung poetiſche
Moſalktheilchen zufanımenfegende unb zufanımenfiellende Redhenerem-
pelmadyerei, oder in eine bie erborgten und forgfältig geglätteten
glitter und Jetzen aud dem Kramlaben ber von gefuchten, geſchraub⸗
ten und hochtrabenden Redensarten vollgeftopften fogenannten poeti⸗
fen Profa zufammenfuddende und zufammennäbenbe, ober den tabs
ten Bliebermann und Puppentopf in ängflidier Sorgfelt anf mes
triſch⸗ rhythmiſche Fuͤße und auf theild antike theils meberne VYo⸗
flamente fegende ſchulgerechte Nachahmerei, ober in eine vomantif6
oder elegiſch ſchwindfuͤchtelade Sentimentalität dee Stimmung zab
der Darftellung, oder in bad innerlich bankerotte falſche Patkok,
oder in eine rhetorif aufs und zuftugende an fidy trodene, halbes
beroäffernde und baidebeblämelnde Didaktik, ober in eine ebenfo oft
trübe und träbfelige als wäflerige und mehr an Dornenſtachels ad
Roſen reihe Tendenzpoeſie oder Spigrammatil u. f. w. ausartet. —
Die Sonderbarkeit diefer Ausbrüde wirb Jeder mit der guten Ib
fit entſchulbigen, dadurch in gerechtem Uns und Wiberwillen eben
jenes vielkoͤpfige unheilſchwangere Ungedener und deſſen Biel uud
Bielerlei ſchaffendes ober vielmehr erzeugendes und gebarendet Us:
weſen einigermaßen zu zeichnen und zu charakteriſiren.
”, Bowring in dem Bude „Sketch of the language and B-
terature of Holland ’ (Amfterdam 1829) fagt: „Ho kas me seither
motion of love than that it is mennt to make good husbands and
wives, aud to produce paine-taking and obedient children.”
bei Feith's fanfter und gefählvoller und bei Bilderdijk's fo
erhabener und mwohltönender, bei Hoogoliet's, Smirs und
der beiden van Haren fo reinfließender und wohlverſificir⸗
ter Sprache doch immer den göttlichen Hauch vermiffen
laffen, ber immer mit demſelben Geiſte erfuͤllt, mit wels
chem er der Dichterbruſt entſtiegen iſt. Sowie nun, was
die Form betrifft, durch die Bemühungen des vortreffli⸗
chen Überfegers Feitama die Verſification ſehr gefördert und
gebildet und auch duch Andere, und zwar bei Gedichten,
ans nur Einen zu erwähnen, durch Bilderdijt's Überfegung
des „Koͤnigs Ödipus“, und bei Profaitern duch Vondel's
Zacitus und in glüdtichen Übertragungen Anderer auf eine
Meife in Anwendung gebracht worden iſt, die um der
überwundenen Schwierigfeiten willen eines doppelten Lo:
bed wuͤrdig erfcheint:: fo wird gewiß auch ber poetifche
Geiſt immer mehr gewinnen, neben der vorzugswelle prak⸗
tifhen Richtung des Volks und feines Lebens und We⸗
ſens, durch Benutzung der Mittel, die dazu geeignet
find, denfelben immer mehr und mehr zu mweden, zu be
feben, zu bilden, zu ſtaͤrken, zu adeln und zu erhöhen, und
befonders den dichterifchen Erzeugniſſen ihrer vaterländifchen
Mufe an Inhalt und Form immer mehr Werth und
Würde zu verleihen und auch bei den andern Nationen
Europas mehr Eingang, Beachtung und Anerkennung
zu verfhaffen.
Diefe Mittel find aber vorzüglich drei, weldye, wenn
wir aus einigen Andeutungen richtig fhließen, von den
Holländern ſelbſt als die wichtigften Hebel ihrer Sprache
and Literatur angefehben werben. Zunaͤchſt iſt «6 der
bildende Geift des rehtverftandenen Alter:
thums, das, zugleich und zu gleicher Zeit mit den Res
gungen flaatöbürgerlicher Setbfländigkeit und Freiheit bie
Gemüther erhoben und die Geifter genaͤhrt und geftäckt
hat durch die Ideale menfchlicher Bildung, duch die un:
vergänglichen Antiten in Wort und Bild, die den Voͤl⸗
kern immer role fonnebeleuchtete Hochgebirge in verklärter
Hoheit und mit verflärender Macht vor: und in die Daͤm⸗
merungen und Miederungen des Lebens hineingeleuchter
haben. Wenn nun irgend ein Volk der Welt ein reiches
Vermaͤchtniß in diefer Beziehung geerbt bat, fo find es
.— wie fagen e8 mit dem lebhafteften Gefühle dankbarer
Anerkennung — vor Alten die Holländer; aber je bedeus
tender dieſes Erbtheil ift, das ihnen die erleuchtetfien und
hochgefeiertfien Alterthumsforſcher feit mehren Jahrhunder⸗
ten binterlaffen haben, defto größer und dringender ift die
Auffoderung und Mahnung, die an fie ergeht, mit fol:
chem Pfund auf das Beſte zu wuchern und daſſelbe für
die Veredlung ihrer eigenen Sprache und zur Vergroͤße⸗
sung und Erhöhung ihres eigenen Sprachſchatzes und
Schrifthumes auch binfort immer mehr und mehr zu
verwenden.
Das zweite Mittel, ihrer Sprache und Literatur
mehr Werth und Würde zu geben, fcheint uns bie
Aufmunterung der Dichter zur Foͤrderung der
religiöfen Poefie zu fein. Wenn es nicht zu leug:
nen ift, daß die Naivetät der hollaͤndiſchen Sprache, als
einer ausgebildeten niederſaͤchſiſchen oder plattdeutfchen
Mundart, deren Laute und Ausdruͤcke bisweilen dem unbe⸗
fangenflen Lefer ober Hörer, befonders aber dem Deuts
(den, der den Maßſtab feiner Mutterſprache mitbringt
und zur Vergleichung mit der bolländifchen faft immer
genöthigt wird, bisweilen poſſitlich und komiſch erfcheinen
und Elingen, dem wuͤrdevollen Vortrage religiöfer Empfin⸗
dungen und Gedanken großen Eintrag thut: um fo hoͤ⸗
ber fleigert ſich die Verpflichtung der holländifchen Dich⸗
ter, dem Mutterlande nicht nur, fondern dem Gefchmade
und dem mufitalifchen Ohre des Weltpublicums gegenüber,
dieſer Schwierigkeit alle Kraft entgegenzufegen, um ihre
Sprache Immer mehr zu adeln und duch Wohllaut und
Wohlklang für den möglichft reinen und barmonifchen und
würdigen Ausdrud der hoͤchſten Gefühle empfaͤnglich zu
machen. Da ich dieſen Gegenſtand an einem andern
Orte riner ausfuͤhrlichern Beſprechung zu unterwerfen ges
denke, wie er denn bie ernſtlichſte Beruͤckſichtigung verdient
und in Anfpruch nimmt, fo gehe ich fofort zur Andeutung
bes dritten Mittels über, durch welches die holländifche
Sprache und Literatur zu heben fein möchte. Diefes be:
flieht in einem gründlichen und von aller Vor:
liebe und von jedem Vorurtheil freien Stu:
dbium ber Geſchichte eben diefer Sprache und
Literatur, in Verbindung mit einer unparteli⸗
fhen Forfhung über die hiſtoriſche Entwide:
lung des bolländifhen Volks: und Staat:
lebens. Und da möchte denn vor allen Dingen, um
auf Eins befonders aufmerkfam zu machen, die Lautlehre
einer forgfältigen Prüfung ebenfo beduͤrftig als fählg und
würdig fein, um, wenn es, oder vielmehr fo weit es über:
haupt bei einer lebenden und conftituirten Sprache möglich
ift, mit verfiändiger Hand allmälig hinzuzuthun und mit
fhonender ebenfo hinwegzunehmen, was irgend, ohne den
urſpruͤnglich und ſubſtantiell inwohnenden Genius zu vers
letzen, zur Reinigung, Veredlung und Vereinfachung eini⸗
ger Laute und Formen der Sprache beizutragen ſein moͤchte.
Sollte die Beſorgniß, welche Einige hegen, ganz und fac⸗
tiſch gegruͤndet ſein, daß es wegen unuͤberſteiglicher Hin⸗
derniſſe unausfuͤhrbar ſei, das Material oder den Sprach⸗
koͤrper und deſſen Gliederungen auf die angedeutete Weiſe,
beſonders aber (mas ih, um nicht misverſtanden*) zu
werden, nochmals ausdrüdlich Hinzuflge) bei manchen ans
flößigen und übellautenden Wörtern, allmälig zu verän-
dern, fo wird es nie möglich werden, die Sprache wohls
*), Daß dieſes kein Dirngefpinnfi eined vom Sprachleben träus
menden unpraltifhen philologiſchen Stubenhoderd fei, ſondern ein
aus vieljähriger befonnener Betrachtung und Wergleihung der Spra⸗
den und ihrer Geſchichte Herporgegangener und wirklich ausfähr=
barer Gebanke und Vorſchlag, biefes wird, un nur zwei Beifpiele
anzufähren, nit nur durch das Herrſchendwerden des Hochdeutſchen
in ber Schrift⸗ und Umgangsſprache, fondern vorzüglich auch durch
die Verbefferung und Veredelung bed Neugriechiſchen auf ber Grund⸗
lage ber altgriechiſchen Sprache volllommen bemwiefen und außer Zwei⸗
fel geſezt. Es bedarf nur des kräftigen feften Willens und einiger
tuͤchtiger durch Naturgabe und durch Sprachbildung und durch That⸗
kraft gleich ausgezeichneter Führer, welche im Volke und in ber
obenerwaͤhnten ehrenwerthen Geſellſchaft der freien Kuͤnſte und Wiſ⸗
ſenſchaften den rechten Ton auf die rechte Weiſe angeben und den
rechten Weg zeigen, indem fie denſelben ſelbſt gehen.
lautender und muſikaliſcher zu machen, und die Vertreter
der bolländifchen Sprache in gebundener und ungebunbener
Mede hätten dann zugleid ein Verdammungsurtbeil auss
geſprochen, das ihr Drgan für unfähig erflärt, das Er⸗
bubene in würdevollee Haltung und in ungetrübter Form
auszudräden und darzuftellen.
(Der Befälu folgt.)
Roͤmiſche Geſchichte von Peter von Kobbe.
Zweiter hell.
4 a — Nr. Sof 2 ' le
Obſchon, wie gedacht, Ref. der Hoffnung entfagt, jema
eine neuere römifche Gefchichte, der jene be Trefflichkeit
nachzuruͤhmen wäre, das Licht der Welt erblicken zu ſehen, bleibt
es doch ſehr wohl möglich, daß eine folche erfähiene, bie wenige
flens in einer Hinſicht leiftete, was jene zu leiften hätte. Da⸗
mit ift Folgendes gemeint. Was von Thaten und Begebenheiten
dem roͤmiſchen Schriftſteller in feiner benfelben nähern Stellung
wichtig war, das iſt es nach mehr als taufend, ja zweitaufend
Jahren entweder gar nicht mehr, oder nim im mindern Maße
für uns, befonders fobald es fi um vömifche Geſchichte im
Allgemeinen, nicht um die gefchichtliche Entwidelung diefes ober
jenes einzelnen Inftituts bandelt. Belehrend und darum wide
tig für uns ift in roͤmiſcher Geſchichte nur, was ben ethifchen
und intellectuellen Standpunft des Roͤmerthums und beffen Um:
wandlungen im Laufe der Zeit charakterifict, von welchem Stand⸗
punkte aus betrachtet Roms Politik und feine Kriege nicht merk:
würbig an ſich, fondern nur infofern es find, als entweder in
ihnen fich jener tiefere geiftige Gehalt ausfpricht oder fie in ih⸗
ren Wirkungen und erzielten Refultaten zu Momenten wurden,
ia Folge welcher der Römer intellectuelles und fittliches Leben
fig ummanbelte. Ausgehend von diefer Überzeugung, hätte ber
Hiſtoriker das allermeifte der factifchen Einzelheiten eines Livius
und Polybius von der Hand zu meifen und, auf bie entfcheiden:
den Hauptbegebenheiten fich befchräntend, dieſen eine umftänbli:
chere Wiederholung nur dann zu ſchenken, wenn ihr näheres
Detail bedeutende Sndioibuatitäten charakteriſtiſch ausgeprägt
barftellt oder daffelbe, durch feine Eigenthuͤmlichkeiten fähig, die
Phantafie anzuregen, bei ausführlicherer Echitderung eine wich
tige Thatſache fefter dem Gedächtniffe eindrüdt. Bor Allem
aber müßte er eingeben fein, daß nach dem Verlaufe von Jahr:
bunberten bie politifche Gefchichte allgemeingültige Wichtigkeit
nur infofern behätt, ale fie von der Geſchichte des menſchlichen
Geiſtes fich nicht trennen laͤßt, für alle Zeiten nur biefe von
ungerftörbarer, allgemeingültiger Wichtigkeit bleibt und aıfo fein,
auch nicht der geringfte Zug darf überfehen werden, wodurch
uns bie Eigentb müichkeit römifchen Sinnes, römifcher noch jetzt
die gefammte Welt in unendlich vielen Beziehungen durchdrin⸗
gender Bildung kann anſchaulich werden.
Beurtheilen wir des. Hrn. von Kobbe Verfahren auf Grundlage
obiger Bemerkungen, fo fönnen wir unmöglich daffelbe loben, ja es
ericheint, wie Ref. an einigen Beifpielen zeigen wirb, völlig prin⸗
ciplos. Während wir z. B. (vgl. S. 4) durchaus billigen muͤſſen,
daß bie originelle Methode nicht ift übergangen worden, welche
die Römer erfonnen, auf dem feſten Lande den Seedienſt einzus
üben, gleihfam um dann erft in das Wafler zu geben, wenn fie
ſchwimmen Tönnten, begreifen wir nicht, warum Hannibal's
Zug über bie Alpen (&. 20 u. 21) mit folgenden Worten abgethan
bleibt: „Durch eine Kriegslift bewerkftelligte Hannibal den Übers
gang über die Rhone, ließ nach einem Heitergefechte die Römer
unangegriffen, zog ben Strom binauf und lagerte nad) viır
Zageszügen auf der Infel, wo Rhobanus und Iſara zuſammen⸗
fließen. Hier benugte Hannibal die Zwiftigleiten zweier fuͤrſt⸗
lichen Brüder des Allobroger, fidh einen Anhang zu fchaffen; von
bier trat er den berühmten Zug über bie Alpen an, bie er,
wahrſcheinlich über den Beinen ©t.: Bernhard fein Beer führend,
‚fähigleit Roms Tann angefehen werben, uns ©.
in fünfzehn Tagen überfieg.” Bier wäre Ausfähutidgkit am
Plage geweien, um eine Wirkung bervorzubringen , welche jener
vergleichbar wäre, bie bei Livius’ trefflicher Schilderung eben
dieſes Xipenüberganges gewiß Tchon auf ber Schule die Mehrjzahl
unferer Leſer mächtig ergriff. Dafuͤr entfchäbigt nicht S. 21 u. 29
bie ellenfange Rote, weiche hinſichtlich ber Streitfragen, di
bar) Hannibal's Zug über bie Alpen find veranlaßt worden,
literarifche Notizen liefert, deren Vollſtaͤndigkeit Ref. nicht zu
beurtheilen wagt, bie aber felbft bei erfchöpfender Vollſtaͤndigkeit
nur ein Eriegsgefchichtliches Intereffe haben und überdies, einem
zu genügen, materiell gu dürftig und nichtsfagend fin.
Dagegen tft empf: bie Kürge, womit (&. 24 u. 25) von
der Schlacht am Traſimener See und der bei Cannaͤ kaum mehr
gelagt wird, als daß bie Römer total geſchlagen wurden. Dean
in unferer Zeit bleibt für Jeden, der nicht gelehrter Mititale
iſt, es gleichgültig, ob ſich noch ermitteln laſſe, welcher Art
bie Taktik war, bie jenes Tages fiegte, und andererſeitt bie,
welche beflegt ward. Allein welches Princip mag mol den
Hrn. von Kobbe bei Auswahl bes Stoffes geleitet haben, wenn
er uns (©. 35) folgende, die Phantafie unangeregt, des Leſers
urtheil unbefchäftigt Taffende, überdies auch nicht einmal als
unmittelbar reich an Folgen erfcheinende und darum dem er
daͤchtniſſe unaufhaltbar wie Wafler einem Giebe entfallende Rs
tigen zu leſen gibt: „Unter dem Gonfulate bes jüngern Zabind
und des Sempronius (541, 213) wurde der Krieg in Italien
ohne großen Rachbrud geführt. Fabius, unter Leitung feines
beim Deere gebliebenen Baters, nahm Arpi in Apulien ein,
Sempronius unterwarf mehre Städte in Lucanien und Bruttim.
Dagegen beiagerte Hannibal Zarent und nahm dieſen wichtigen
Ort mit Ausnahme ber Burg buch Lift ein. Die römilde Be
ſatzung 4: beimlih nad) Brundufium. Auch Detapont unters
warf ſich den Karthagern. Im folgenden Jahre, als D. Zul:
vlus Flaccus und Appius Claudius Pulcher Gonfuln waren
(342, 212), erlitt Hanno bei Benevent eine Niederlage, in Folge
weicher die Römer zur Belagerung Capuas ſchritten. Als der
Proconful Grachus aus Eucanien anrückte, un das Belagerungds
beer zu verflärken, wurde er burch die Berraͤtherei eines Gaſt⸗
freundes, ber ihn zu einer Zuſammenkunft mit ben Haͤuptern
der Lucanier geleitete, in bie Bände numibilcher Reiter geiiefert
und von biefen nach tapferer Gegenwehr erihlagm. In dem
nämlichen Jahre kamen die beiden Scipionen in Spanien um.
Um Capua zu entfegen, gab Hannibal die Belagerung der Burg
von Zarent auf, vernichtete ein von M. Gentenius Penula ans
geführtes ‚Deer und ſchlüg ben Gonfut Yuloius.” Diefe Stelle
iſt zugleich ein trefflicher Beleg für die totale Yarbtofigkeit in
bem Stile des Hrn. von Kobbe; denn vollkommen ihr ähnliche
könnte, wenn es darauf ankaͤme, Ref. aus diefem zweiten Theile
abdruden laffen. Daß endlich für das Hauptfächliche, hiſtoriſche
Darftellung roͤmiſchen @eiftes und römifcher Bildung, Hr. von
Kobbe gar keinen Sinn hat, beiveift der Umftand, daß er, nade
dem Gicero’8 Ermordung berichert worden, flatt eines jeden
Wortes über Gicero, als größte Literarifhe Motabilität Rome,
über einen Dann, ber vielleicht nicht fowol um des Einfiufles
willen wichtig ift, den er auf Roms Bildung gehabt hat, als
vielmehr weil er als Repräfentant ber Literarifchen Bine
unter
Nr. 37 mit folgender Rote beſchenkt: „Über Steero’s Schriften,
Reden, Rhetorik, Briefe, Philoſophie, Staatewiſſenſchaft, Res
ligion, Dichtkunſt enthaltend und betreffend, vergl. die neuefle
Uberficht von Erſch und Gruber, Sect. I, Th. I7, &. 210 — 2342."
Rach alledem außer Stand, zu berichten, was denn num
eigentlich des Hrn. von Kobbe Zweck und Abftcht bei Ausarbes
tung biefes zweiten Theils gewefen, murben wie erfreut fein
wirkte Dasjenige, was wir, dazu veranlaßt burch gegenvoärtige
Anzeige, über bie Aufgabe der neueften römifchen Biftoriographie
bemertt haben, überzeugend auf die Verfaffer zuvertäffig in nicht
ferner Zeit und zahireich uns bevorftiehender anberweiter Schrif⸗
ten über den nämlichen Gegenſtand. R
Verantwortliher Herandgeber: Heinrih Brockkhaus. — Druck und Verlag von F. A. Brodhaus in Leipzig.
7 a un ir no —
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Mittwoch,
Hollaͤndiſche Preislieder von J. P. Heije.
( Beſchluß aus Mr. 150.)
Wenn es nun in der Malerkunſt dem befreundeten
Nachbarvolke, wie die gediegemen politifchen Bilder von den
Belgiern Gallait und Biefve beweifen, möglich geworden
ift, Meiftechaftes, Vollendetes und Großes zu leiften, fo
dürfte auch den Holländern der Erfolg ihrer Bemühungen
nicht abzufprehen fein, wenn fie auf dem Gebiete der
Sprache und Literatur nur das Beſſere and Döhere ernſt⸗
lich wollen und zu erreichen fireben. Da fcheint uns aber
nur in einem Umſtande das Heil zu liegen, und diefer iſt
die unbefangene Annäherung an das Mutter:
Land, von welchem es doc, vor noch nicht fo langer Zeit die
Sprache nicht bloß, fondern — ich wage e8, den alten Streit
mit dem Buchdrucker Cofter zu berühren — fogar die erſten
gedrucdten Buchflaben und Buͤcher erhalten oder genoms
men bat. Sind die Hollaͤnder nicht ſtark genug, ihrer po:
litiſchen Selbfländigkeit unbefchabet, diefe Thatſache factifch
anzuerkennen und der VBerbefferung und Veredelung ihrer
Sprache zu Stunde zw legen, fo wird es ihnen, wie den
deutfchen Schweizern, nie gelingen, ihre Mundart zu el:
ner fchönen, Eräftigen und Würbevolled würdig ausdruͤ⸗
enden Sprache zu erheben, und ihre celigiöfe und hero⸗
iſch⸗ epifche Poeſie (die Romanzen, die ihnen befonders ge:
lingen, fchließe ich aus) wird nie auf die Beachtung und
Nachahmung der andern civilifirten Völker Europas ge:
gründeten Anſpruch machen können.
Diefe Angelegenheit aber fcheint uns von einer folchen
Wichtigkeit zu fein, daß wir theils in einer befondern Ab:
handlung darauf zuruͤckkommen werden, theils in der An:
zeige des vortrefflihen Nationalwerkes: „Germaniens Voͤl⸗
kerſtimmen, Sammlung der beutfhen Mundarten in
Dichtungen, Sagen, Märchen, Volksliedern u. f. w., ber:
ausgegeben von Johannes Matthias Firmenich“
(Berlin, Schleſinger), worin auch die verfchiedenen
Mundarten Hollands vertreten find, eines ebenfo beleh⸗
renden als unterhaltenden Buchs, in welchem mit hin:
gebender Liebe und unfagliher Ausdauer Proben ber
Mundarten der verfchiebenen deutfchen Voͤlkerſtaͤmme ges
fammelt und erläutert werden.
Hier folgen nun einige der Heije’fchen Lieder, von wel⸗
chen bereitd manche, 3.8. Nr. 14, 22, 27, 32 und an-
dere, durch den rühmlichft bekannten Componiſten Scan;
Commer in Berlin, der unlängft, zugleich mit Bennett in
London, Mitglied der Niederländifchen Gefelfchaft zur Be⸗
| förderung der Tonkunſt geworben ift, in Muſik gefegt
worden find.
Das Lied (Nr. 1, ©. 3).
rei, der Lüfte Athem gleich,
Launenvoll wie ihre Bider,
Deut wie vie — ——
orgen le lei
Se, o Lied, in Freud’ und Screen
Balfam für gerührte Herzen.
D das Hollands Poeſie
Al die Milde ließe fließen,
Au die Fuͤlle möchte gießen
Sn die Süße Metobie,
Daß du Ohren dann und Derzen
Balſam fei’ft in Freud' und Schmerzen !
Des Herren Haus (Nr. 2, ©. 4).
Aus den graubemooften Ballen
Dringt der Soden heller Schall:
Kommt denn, ihr bedürft es all,
Laßt im Chor die Stimme fdhallen.
Kommt, zieht Kreuz und Kummer aus,
Erst es ab in Gottes Baus.
Wie ihr weintet, wie ihr batet,
Thraͤn' und Witte hört man dort;
Ruhe leiht des Herren Wort,
Wie euh Mühe auch belabet.
Dort flieht aller Erdenbraus:
Friede wohnt in Gottes Haus.
Einfalt, unfchulb kehrt da wieber
In bas Der; von Gott entbrannt.
Jedes ſchwere Erdenband —
Legt es an der Schwelle nieder.
Biſt — o flieh' Palaſt und Kauf’ —
Gottes Kind in Gottes Haus.
Ihranen (N.3, G. 5).
Wie maͤchtiglich entzuͤcket
Die Thraͤne das Gemuͤth,
Die aus der Tiefe ſpruͤht,
Wenn's wahre Reue druͤcket!
O Balſam für die Schmerzen, .
Du — lindernd mit Geduld —
Rimmft fchweren Drud der Schuld
Vom tiefgebeugten Herzen.
So Leid wie Freud’ vereinen
Kann nur der Erde Sohn:
Cherubs vor Gottes Thron
Beneiben uns das Meinen.
Erdgeift (Wr. 38, ©. 480 — 49.
‚Mein Kind! ver eis iſt fleil und frei,
Und unten firdmt bie Flut fo grauss
Der Erdgeiſt flellt dort Bluͤmchen aus
Dee Moos und Epheu mandgerlei
Do pi ſtuͤcke keins! — Frau Maartens Rind
Hat jüngft die Kühnheit ſchwer gebäßt,
&o bu mid liebſt! — geh’, ſag' geſchwind
Zum Bater, daß bie Mutter grüßt!“
Das Kind Fam an ben fteilen Bang,
Das Kind kam an ben wilden Fluß:
Da noch ber Mutter lehter Gruß
Beim Flutgetoͤs ins Ohr ihr drang.
Doc auf der braunen Belfenwanb
Sieht fie ein reizend Blümchen ſtehn,
Mit weißem Kelly und golbnem Rand,
Und buftend fo betäubend ſchoͤn.
und i ihe r bebagt ber füße Duft;
Mit fchüchtern » fcheuem Fuß ſie wankt,
Und zaudernb bin und wieder ſchwankt,
Als riefen Sarfen durch die Luft:
„O pfluͤck' mid, pfluͤck mid, „artges Kind!
Für dich der Duft, für dich die
Pfläd’ mich: des Waters AA
2 ich, mir ift bein Water gut.”
Das Mädchen ſtreckt die Kleine Hanb,
Das Mädchen vedt den Kleinen Fuß,
Und ſtuͤrzt hinunter in ben Fluß,
De „adumend ſchlug bie flelle Wand. —
War’s nicht, als ob's dert hoͤhniſch Fang,
Wie Spottgelächter aus dem Fluß,
As tief binab das Mädchen äbcyen fan e?.
„Bring' doch dem Water meinen Sup“
Maitrank (Nr. 32, ©. 4). *)
Im Srün, im Grün,
Auf fmwellentem Hafen gefeffen,
Die Becher gefüllt mit dem goldgelben Wein
Bon dem Rhein;
Die Sorgen vergeffen
Im Brün!
Im Grün, im Grün!
Ob unten der Stromfürft auch brande,
Doch wäblen wir, über dem Waſſer, den Mein
n dem Rhein,
Selagert am Strande
| Im Grün!
°) Dieſes einfache Sefellfpaftötieb iR ſchwerer zu äberfegen ge:
vorfen ale die andern Lieder alle zufammen genommen, wegen ber
daͤnzlichen Abweichung ber weiblichen Reime in beiden Spraden.
In ver erſten Strophe:
Op t’donsige iager van zeoden
(soden und dad englifhe sod für Raſen if aus unferer Sprache
verſchwunden), unb
De zorgen ontvloden
In ber zweiten:
Bruist giader de koning der siroomen —
Gevlijd aan zijua zoamen,
wo bad Wort gevliJd nit von vleijen ſchmeicheln⸗ koſen, plaubern,
noch von viljt, fleißig getrunken, ſondern von vlijen orbnen, ges |
reiht, im Kreife figenb, abzuleiten iſt.
Enblich in der dritten:
Den geurigen Meidraak gedrenken, —
Ten borde geschonken,
wo ich früher fo Hatte:
Mit wärzigem Maitranl geträntet, —
Sum Rand voll geſchenket.
Im Gruͤn, im Gruͤn,
Den duftigen Maitrank genoſſen,
Die Kraͤuter der Berge gemengt mit dem Wein
* dem An: r
um Sand voll gegoflen
Im Grün.
Der Lanbetneht (Nr. IT, ©. 34).
Drei Würfel und ein Kartenfpiel,
Das ift im Frieden unf're Wehr ;
Im Krieg iſt's Schwert und Eangenfliel,
Schwert ſcharf und kurz und lang der Speer.
Richt Gnad' im Spiel noch in dem u
Das iſt's, womit's der Landeknecht 5
Ein Becher voll mit Wein vom Rhein,
Das tft im Frieden unfer Trank.
Im Kriege mag es Waſſer fein,
In Zeindes Land auf harter Bank;
Doch Wein im n und im Feld,
Das iſt'e, womit's ber Landsknecht Hält.
Sin Mädchen, das fein kuͤſſen kann,
Das tft im Frieden unfer Fang;
Im Krieg ba iſt's ein Henaftaeipann,
Mit Zeug von Gold und Sil lauf.
Guter Yang im Frieden —8* pi —*
Das iſt's, womit's der Landsknecht haͤlt.
was im Frieden ihn gereut,
Dach. zu flerben auf dem Bett.
Der od, der ihn am meiften freut,
Ruft ihn mit fehmetternder Trompet'.
Sr fa’ im Kampf auf freiem Selb,
Das iſt's, womit's ber Landeknecht hält.
Berwelkt (Nr. 3, ©. 42).
Dort unten an bem tiefen Rhein
Steht dicht im Walb ein Ci
War's dort ‚nicht, wo mein bin kam,
Und ſchwur mie ewig treu Be fein?
Der Baum trug üppig Blatt an Biatt,
Die Äfte Voͤglein mannichfach.
War's dort nicht, wo den @ib fie brach,
Unb Andre kuͤßt' an meiner Statt?
Noch fließt hinab der tiefe Rhein;
Der Eichenftamm iſt bärr und fill.
Ah! Wenn der Tob mich nehmen will, ’
So moͤcht' ich dort begraben fein.
Die Shlummernde (Nr. 14, ©. 13.
ar mein Yuß au wandeln mag,
Am liebſten mag er weilen
Dort wo Marta ſchlummernd lag,
Brei vor der Sonne Pfeilen
Die Radtigall im Buſche fingt
In füßem Web’ befangen.
Das Lüftchen um ihre Moosbett fpringt,
Holdſtreichelnd ihre Wangen.
und tönen denn nur um bas Moos
Die Rachtigallenlieber ?
und kuͤßt fo hob das Säftäen blos
Die liljenweißen Glieder?
Gewiß iſt ihrer Augen Licht
Dem Fragenden entgangen:
Er * das füße Lächeln nicht,
ihre Roſenwangen.
Mailied (Nr. 12, ©. 15).
Bien tragen alle Dage,
Däfte wehen überall,
Die Hütte auf der
Und der Nachtigallen Klage
Irrt am Haren Waſſerfall.
Sieh des Fruͤhlings Erdentuß!
Suͤßer Sänger, Mag’ nicht laͤnger!
Warum miſch'ſt Du, immer baͤnger,
Trauerklagen zum Genuß?
Die Mutter und ihr
Sie fchliefen beides
Huf Hügeln, auf der Haide
Blies ver Wind.
Das Leimenhuͤttchen krachte,
Doch Mutter nicht noch Kind
Erwachte.
Ganz arm und ungeliebt ſie ſind:
Das — oe
t wen egeben
Yo after und bem Kind.
Kein Engel mocht' fie umſchweben,
Und nur der Schlaf, der Armen Freund,
Saß an dem Lager eben.
Und rauher ſtoͤßt dee Wind
Das Hüttchen hin und wieder,
Stuͤrzt's nieber
a Mutter und auf Kind... ..
S ift einfam auf der Haide,
Die Mutter und bad Kind
Sie ſchlafen beide.
Ein altes Liedchen (Wr. 22, ©. 38).
Man Tann nidht allzeit luſtig fein,
Oft nugt ein traurig Weſen.
Ah! wären alle Wafler Wein,
Mic duͤnkt', ich würb’ genefen.
Doch müßten beine Lippen
Bor allen davon nippen,
Mein lieblich Maͤgdelein.
Ich hab' 'ne Huͤtt' von Tannenholz,
Ein Rohr, ums Wild zu jagen.
Ad wären alle Berge Gold
Mein Derz, ih ging’ did, feagen.
Do kann auf Königsthronen
Kein treuer Liebchen wohnen
Ks in dem grünen Wald.
Die weiße Frau (Re. 40, ©. 52—53).
„Was irrſt du, Maͤgdlein, trüb” und bang
Am Lodenhaar, von Ort Ri Dt?
Was irrſt du trüb’ unb einfam bort,
Dem fonn’gen Hügelrand entlang?”
Ich fpieite froͤhlich auf ber Flur,
Und tief den bunten Baltern nad.
Zu fpät, zu fpät da ſucht' ich ach!
Auf weiter Au’ der Mutter Spur.
Mein Haupt iſt von ber Gonne Heiß,
Die and mir vom Durfte glühn! —
„Ich weiß die Brombeeren in dem Grün,
Den kaͤhlſten Born im Wald ich weiß.”
Das weiße Weib fpricht mandjes Wort,
und fagt, bei manchem fühen Blick,
Das fie mit Frucht und Trank erquick',
Und — trieb das arme Maͤdchen fort.
Die Mutter irrte hin und ber,
Bei Racht und Zag, bei Zag und Nacht.
Sie bat im Haus fo Lang’ gewacht; —
Das Mädchen kehrte nimmermehr.
-&. Hauthal (gm. 5. F. Kranke).
Haide (Mr. 36, &. 45).
ind...
Notice sur le roman en vers des sept sages de Rome.
Paris 1839.
Über diefes Kleine nur in 65 Eremplaren gebrudte- Schrift
chen, daB mir jetzt erſt zugelommen, mögen mir ein paar Worte
vergönnt fein. Der Verf., der fi ©. 34 G. B. unterzeichnet
und dem Vernehmen nad Guſtav Brunet in WBorbeaur iſt, er:
wähnt gleich auf ber erften Seite in einer Anmerkung, daß er
ſich bei meinem Werte über ben „Roman des sep: sages’’ nicht
aufhalten wolle, ba Loifeleur Deslongchamps alles für einen
Sranzofen Intereffante aus meiner Einleitung feinem Werke
über denſelben Gegenſtand einverieibt habe. ‚Mais nous ne
nous y arröterons pas, car tout ce qu’elle offre d’interessant
poue un locteur francais, se retrouve dans l'excellent Essai
de M. Loiseleur Desiongchamps sur les Fables indiennes’ æc.
Allerdings bat das zum Theil feine Richtigkeit, indem Kr. Loi⸗
ſeleur meine Ginleitung fammt BDrudfehleen und andern Irr⸗
thümern fleißig ausgebeutet hat. Herrn G. B. war das aber
noch nicht hinreichend, denn er fagt ©. 4: „Cette dernidre
publication (meine Ausgabe nämlich) 6tant d'un prix assex
eleve, et ne convenant gueres yu’aux es familiaris6ses
avec ia langue allemande, nous avons eu l'idée d’offrir aux
amatenrs de notre ancienne littsrature un extrait que nous
nous sommes amusds a eu faire, et que prudemment nous
avons fait imprimer à petit nombre.’’ In diefem töblichen Vor⸗
fa beginnt er nun mit ber Bemerkung, welche inbeß nicht,
wie man nadh der eben angeführten Rote vermutben follte, aus
dem Text, fondern aus meiner Einleitung, bei der Hr. G. 8.
fih „nicht aufhalten” wollte, genommen tft, ber von mir erſt⸗
mals herausgegebene „Roman des sept sages” fei „la plus
ancienne r&daction connue de cet ouvrage en une des lan-
gues modernes”. Hr. ©. B. legt hier dem Werke einen
bei, den es mach meiner Anſicht nicht hat; er Hat
naͤmlich S. xxx1 die Worte „die Altefte, voliftändig erhals
tene Bearbeitung” überfehenz ich halte nämtich den Dolopathos
für älter, ben wir jeboch bekanntiich nur noch fragmentarifch
Ohne gehörige Rechenſchaft über den Inhalt der ganzen
Dichtung werden fobann &. 6 einzelne Gtellen aus dem Ein⸗
sang (3. 1—4, 9— 12, 21 — 42), ferner die Befchichte vom
Troſt der Witwe (3. 3680 fg.), endlich bie vom Zauberer Bir⸗
gitius (3. 3924 fg.) mitgetheilt, Leider ohne Beruͤckſichtigung ber
von mir ſchon in meiner Ausgabe S. xuv fg. gegebenen Ber
beffeeungen. So fiebt, um nur ein paar Beiſpiele zu geben,
3. 3 et sample flatt Essample. 3. 3693 lies ooutiaus. In
den barauf folgenden Zeilen iſt die Interpunction meiner Aus⸗
gabe unpaflenberweife verlaſſen. Ebenſo 3. 3717, 3892 fg.,
3931, 390. Die 3. 3781 Habe ich ſchon ©. zuvin verbefiert.
3. 3875 fteht ia flatt i a. 3.3927 lies nigremanche. 3.4058
nimmt Herr G. B. v für eine Baht, flatt für das Abverb.
3. 4059 Lies despendes? 3. 4068 lies Adont dist li rois
maintenant: signor, entendes mon samblant.
Nach diefem Auszug aus dem metrifhen Roman kommt
Hr. ©. 8. auf bie altfranzöfifchen Fortfegungen, zunaͤchſt das
Bud „De Markes de Romme” zu fprechen und erzählt, wie
9. Paris daruͤber bemerkte, es enthalte zwölf Erzaͤhlungen.
„Nous allons en transcrire un tel qu’il se trouve
&
‚manuscrit 4096.” WMerkwürbige Sympathie! Dr. G. B. fällt
auf das naͤmliche Beilpiel, das ih S. Lix— Lxxiii meiner
von ihm nicht benusten Sinleitung gegeben babe unb welches
er, nicht obne uUnrichtigkeiten, gleichfalls abbrudt. Weiter
fommt er auf bie Branche de Cassiodorus: „Laissant & plus
habiles que nous le soin de l’exploiter, nous ne renoncerons
pas cependant à ouvrir A-peu-pres au hasard, le manuscrit
4096, et nous lui emprunterons l’historiette sülvante”‘. Wahr:
ſcheinlich war der Band von frähern Benugern ber noch an ber:
felden Stelle gewöhnt aufzufallen, denn der Zufall führt Hrn.
G. B. wiederum auf die gleiche Geſchichte, die ich in meiner
Einleitung &. uxxııı fg. aus biefer Branche ausgehoben habe,
Dathfelhaft bei der Sache iſt nur bie G. 30 ſtehende Bemer⸗
tung: „Nous sommes dans l’impossibilite de eonsulter les ma-
nuscrits.’’
Weiter macht fih Or. G. B. mit der Gage von ben beis
den Freunden zu tbun, aboptiet S. 28 die von mir S. ocxzxuı
gegebene Deutung der Namen, beutet aber miles unrichtig mit
guerrier flatt chevalier. Ich erwähne bei diefer Gelegenheit,
daß bas altfranzdfiiche Gedicht über diefen Gegenſtand ſich hand⸗
ſchriftlich aud auf ber karlsruher Hofbibtiothel, ber gebrudte -
franzöfifche Yrofaroman auf der täbinger Univerfisätsbibliotkel
befinbet.
Daß der Verf. ben Kaifer Octavian, Magelone, Ritter
Gay u. f. w. ale Epifoden des franffurter Wuchs ber
Liebe aufführt, daß unfer Wirnt von ——— Wirich,
ver Engländer Ellis zum Ellies wird und dergleichen, kann nach
dem Bicherigen nicht auffallen. Nous ne nous y arreterons
pas. Nur die ſpaniſche Romanze von Bergilios, welche
auch in Ochoa's6 „Tesoro” &, 1 abgedruckt ſteht und
Hr. 6. 3. mit unferm Zauberer Birgilius in WBerbindung bringt,
bemerfe ich noch, daß mir biefe beiden Virgile nicht zuſammen
zu gehören fcheinen.
Am Schluſſe bes Schriftchens bemerkt Dr. G. B. über
men Wert: „Nous basarderions volontiers la r&produc-
tion de P’euvrage dont mous nous sommes bornds & detacher
deux fragments; mais” u. |. w. Sollte ſich derſelbe wirklich
ernfttich verſucht fühlen, dieſen Plan ausmführen, fo ift nur
zu wünfden, daß dies zu einer Zeit geſchehe, wo bie oben ber
zührte impossibilit6 de consulter les manuserits nidyt mehr
ftattfindet, denn Verbefferungen bebarf mein in großer @ile dem
Manufeript entraffter Text wol, und ich werde ſolche flets freu:
dig begrüßen, Tönnte dem Hrn. &. 8. in diefem Fall auch bie
Freude taffen, meine 246 Seiten fällende Einleitung aus zubeu⸗
ten und hinterher zu verfihern, ich babe ben Text nu et sans
aucun &claircissement gegeben. Abelbert Keller.
Bibliographie.
Anton, ©., Wörterbuch der Gauner: und Diebesſprache.
Mit befonderer Hervorhebung ber verfchiebenen Ktaffen von Raus
bern, Dieben und Diebeshelern und Bemerkungen über ihre Ber:
drehen und Machinationen. Re verbefferte Auflage. Magde⸗
burg, Baenſch. 8. 7Y, Near.
Arndt, E. M., Verſuch in vergleichender abifergeichiähte.
Leipzig, Weibinann’fche Buchhandlung. Br. 8 2Xhtr. 1), Near.
Barth: Barthenheim, 3. 8. E. Graf v., Öfeeih’e
Schul⸗ und Studienweſen mit befonderer Ruͤckſicht auf bie
Schul⸗ und Studtenanftaiten im Erzherzogthume Öftreich unter
der Sans. In 2 Abtheilungen. Wien, Braumüller u. Seidel.
Gr. 8. 4 Ihr. 20 Ror.
Beder, A., Die Bollephitofophie unferer Tage. Reu⸗
münfter, Def. Gr. 8. TIL Mer.
Ausführiicher Bericht über das articufirte Verhoͤr und die
erhobene fiscatifche Anklage gegen die Herren Jambers, Wurmb,
Doder und Meldau in punto erlaflener, verfaßter und verbyeis
teter yasqnilke gegen das hoͤchſtpreisliche Obergericht und vers
fchiebene Mitglieder der hochweiſen Hamburger Senats. ent:
lich veriefen im dam burgiſchen Niedergericht am 13. Maͤrz 1843.
Altona, Heilbutt. 8. 9 Nor.
Der Bravo. Erzählung in Werfen vom Verfafler bes Maus
ren und bes Nienegaten. Bresiau, Graf, Barth und Komp.
1842. Gr. 8. 17%, Nor.
Breier, E., Die Huſſiten in Ludiz. Roman. Wien,
Stoͤckholzer von Hirfchfeld. 8. 1 The. TA Nor.
Dobeneck, Magbalene Freifrau v., Briefe und Tages
suchblätter aus Frankreich, Irland und Stalien, mit einem klei⸗
wen Anhang von Compofitionen und Gedichten. Nürnberg,
Row. Gr. 2. 1 Thir.
Drobiſch, Ah., Thron und Herz. Hiſtoriſcher Roman.
Eeipzig, Peter. 8. 1 Thir. 15 Mer. or
Le Droit canen, et son application i l'églias
testante. Manuel tradeit de l’Allemand, par Henri —*
Leipzig, Brockhaus u. Avesarius, Gr. 8. I Tur. 25 Ner,
Die Erübrigungsfeage des bairifchen Staatsrechts. Min
den, Franz. Gr. 8. 5 Ner.
Eydam, J., Die Erſcheinungen des Magnetismus in ihs
ver Verbindung miteinander. Rach den neueflen Entbedungm
im Gebiete des Elektro» Magnetiömus und ber Inductions : Elek:
tricität, für Freunde ber Raturwiſſenſchaften und befondert für
Ärzte ausführlich bargefkeilt Mit 60 Abbildungen. Weiner
Hoffmann. Gr. 8, 1 Thir. 26%, Nor. '
Frang, G., Beundzüge des wahren und wirklichen abfe
Iuten Idealiemus. Berlin, Hermes. Gr. 8. 1Thirx. 15 Rer.
Strom. Gonstte. Stuttgart, Hallberger
Knapp, %.,
8. 2
Kromm, 3. J., Dis wangelifh ti
kirche Deutſchlande. ——— us
gr.
Kudraß, K. J., Religidie Dichtungen. Breslau
Barth u. Comp. Gr. 8 \ Thu. 10 * vestan, Sr,
Kugler, F., Vorlesungen über die Systeme des Kir-
chenbaues gehalten am 4. März 1843 im wissenschaftlichen
Verein zu Berlin. Mit 7 Abbildungen. Berlin, Gropius.
Gr. 8* al— Ngr.
bier, 3. H., Leitfaden der mathematifchen und
mine phyſiſchen Geographie. Btuttgart, Gotta. 8. ae
gr.
Magha’s Tod Cigupala. Ein sanskritisches Kunstepos.
Übersetzt und erläutert von U. Schüts, Iste Abtheilung
Übersetzung, Gesang 1— XI. Bielefeld, Velbagen u, Kla-
ring. Lex. -8, 1 — 2 Ner.
orden, M., Erzählungen. 2 heile. Leipzig, Wiens
brach 8. 3 Tpie. 10 Has. me Eh,
Denferofo, Das fchöne Maͤdchen am Gmünder See.
Novelle. 3 Theile. Leipzig, Wienbrad. 8. 3 Thlr. 10 Ner.
Ausgewählte Predigten ſchwediſcher Kanzelredner des neun:
gehnten Zahrhunderts. Aus dem wediſchen von &. Benz:
en. ifter Theil: Auswahl aus den Predigten des Grabifchoft
Wallin. Luͤneburg, Herold u. Wahlſtab. Gr. 8. 1 Zptr.
Rau, K. H., Zur Kritik über F. Liſt's nationales Ey:
Dem set politifchen Skonomie. „Beidelberg, Winter. Sr. 8.
gr.
Reiner, I3., Genealogie des Hochfuͤrſttichen Hauſes Ho⸗
henzollern. Gin Beitrag zur Gefchichte deſſeiben. Gtuttgart,
Bed En Beänet Gr. 8 150 a ver den
auer Rovellen von F. Kieophas. 2 Bänke. ⸗
sig, Peter. 8. 1 She. 15 Kgr. er
Die Schweiz und ihre Bundesverfaffung. Zuͤrich, Literar.
Comptoir. Gr. 8, TY, Rgr.
Über Befeftigungen zus neueren Rriegfühwung. Mit einer
Karte von Guropa und 14 Plänen. Wien, Braumäller und
Seidel. Gr. 8. 1 Thir. 20 Roar.
eh ie au einer den een und neuen Zwieſpalt Ver
nde verjöhnenden Reorganifation bes Adels. A
Beeiin, Kroplus. Paco 1 10 Ror. Atx Kuflag
ner, Edler von Maithſtein, Die ungarifden
Yubliciften über bie Broſchuͤre: „Ein Hauptbindernig 8 Fort:
ſchritts in Ungarn.” Wien, Gerold. Gr. 8. 12, Ror.
Bittde, 8. I. T. Die Verpflihtungen, Berichtigumgm
und Wuͤnſche bes preußifchen Arztes. Ein Beitrag zu Reform
ber Mebicinat » Berfaffung Preußens.
gr.
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockhaud. — Drud und Verlag von F. X. Brodpaus In Leipzie.
Erfurt, Müller. &r. 8
|
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Donnerstag,
1. Juni 1843.
m
| Zur Nachricht.
Bon diefer Zeitfchrift erfcheint außer den Beilagen täglich eine Nummer und ift ber Preis für den Jahrgang
12 Thlr. Alle Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Beftellung darauf an; ebenfo alle Poftämter,
die fich an die Eönigl. fächfifche Zeitungserpebition in Leipzig oder dad koͤnigl. preußifche Grenzpoſtamt in
Halle wenden.
Die Berfendung findet in WBochenlieferungen und in Monatöheften ftatt.
Bülow: Cummerom.
Preußen, feine Verfoffung, feine Verwaltung, fein Verhaͤltniß zu
Deutſchland. Bon Bülow: Summerow. Zweiter Theil
Sena, Frommann. 1843. Gr. 8. 1 Tolr. 15 Nor.
Daß der Verf. ein gefcheiter, von der Natur mit
tüchtigen Anlagen ausgeflatteter und bdiefelben zu gebraus
chen verfichender Mann fei, haben wir fchon bei ber ſehr
ausführlichen Beurtheilung des eriten Theile feines Werks
in d. Bl. bekannt *), und erhalten durch diefen zweiten
Theil Deranlaffung, dies Urtheil nicht nur zu beftätigen,
fondern fogar die Beſchraͤnkungen und Vorbehalte wegzu:
laffen, welche wir das erſte Mat hinzuzufügen nicht umhin
tonnten. Der Berf. hat feine Zeit gut benutzt; man
ſieht, baß er über die Gegenflände feiner Schrift weiter
and reiflich nachgebacht, daß er die ihm gemachten Auss
ſtellungen mohl erwogen und dazu benugt bat, um tiefer
und zufammenhängender in die Sachen einzudringen, mit
einem Worte, daß er zu begründeten Ausſtellungen weni:
ger Anlaß gegeben, vielmehr faſt überall die Anerkennung
feiner Anfichten von deren richtiger Auffuffung und bes
urtheilung ſich erworben hat.
Es konnte nicht ausbleiben, daß eine Schrift, wie der
Verf. veröffentlicht Hatte, eine geoße Aufmerkſamkeit auf
ſich zog und vielerlei Anfechtungen erführ. Als ein weis
fee und bedaͤchtiger Mann erweiſt derſelbe ſich ſchon das
durch, daß er durch dieſe letztern ſich im mindeſten nicht
aus ſeinem Gleiſe und ruhiger Erwaͤgung hat bringen
laſſen, ebenſo wenig aber ſie gering geſchaͤtzt und uͤberſehen,
und daß er, was ſchon zur Annehmlichkeit der Form unge⸗
mein beitraͤgt, es vermieden hat, auf das Einzelne einzugehen
und es zu beantworten, vielmehr ſolches auf allgemeine Be⸗
trachtungen und wichtige Momente von ihm gebracht und
zuſammengefaßt worden iſt. Solchergeſtalt brauchte er we⸗
der Geſtaͤndniſſe daruͤber abzulegen, wo er bekehrt worden,
” Bel. Nr. u—N ». Bl. f. 1088, D. Red.
was ſich von ſelbſt aus der anderweitigen Behandlung ber
Dinge ergibt, noch burfte er in Nebenbetrachtungen und
Befonderheiten eingehen, wodurch Abirrungen von den
Hauptfeagen herbeigeführt wurden.
Der Verf. ſelbſt claffificirt die Schriften, welche bie
feinige hervorgerufen bat, und ſtellt (S. vır) in bie erfle
Linie „die intereffanten und mannichfachen Belprechungen
der Tagesblaͤtter und Zeitfhriften, die fo mefentlich dazu
beitragen, ein politifches Intereffe zu erwecken und die Ans
fihten des Publicums über die behandelten Gegenftände
zu berichtigen”. Diefer Anerkennung uns erfreuend, wers
den wir in der audgefprochenen Abfiht auch diefen zwei⸗
ten Shell mit derfelben Ruhe und Parteiloſigkeit durch⸗
gehen und beurtheilen, als bei dem erfien unfer Beftreben
gewefen ifl; aber mir werden uns weit kuͤrzer faſſen, weil
wir meiftentheild nur zu berichten, nur wenig zu wider⸗
legen haben, indem wir faft überall mit dem Verf. nuns
mehr übereinftimmen. Selbſt Jenes erleichterte er uns
dadurch, daß er die Geſchicklichkeit befigt, den Inhalt feis
ner Ausführungen in wenige treffende Schlagworte zuſam⸗
menzudrängen, deren Anführung es nur bedarf, um unfere
Leſer auf die Standpunkte bes Verf. zu führen.
Über die drei aligemeinften und wichtigften Gegenſtaͤnde
feines Buchs legt der Verf. fein Glaubensbekenntniß im
der Einleitung offen und unummunden ab. Nach feiner
Anſicht, die er jedoch ausdruͤcklich mur für feine indivi⸗
buelle erklaͤrt, iſt
1) dee um die Hegemonie Preußens angeregte und ges
führte Streit entweder ein Hader um ein Phantom oder
um eine ausgemacdhte und nicht abzuändernde Sache, ie
nachdem man ben Sinn jenes fremden Wortes faßt.
Denn Preußen kann nach feiner ganzen Lage niemale im
Schilde führen, fih eines Einfluffes und einer Gewalt zu
bemächtigen, durch welche die Übrigen Staaten in Deutſch⸗
land gefährdet oder in ihrer Hoheit beeinträchtigt werben
tönnten. Preußen bebarf ebenfo fehr ber Einigkeit und
des Zuſammenwirkens mit dem übrigen Deutfchland, als
umgekehrt diefes fich nicht verhehlen kann, daß es des Zus
fammenhaltend mit Preußen bedarf und ohne Diefed ohn:
mächtig fein würde,
Darin etwas Kräntenbes zu finden, wenn Preußen eine
Schutzmacht oder der Vorfechter von Deutfchlanb genannt wird,
beweift eine fo reizbare Empfindlichkeit, baB man dahinter einen
Eranthaften Zuftand beforgen muß, weil außerdem es den Brauns
ſchweiger oder Sachſen nicht verlegen koͤnnte, bes fchügenden
Beiftandes des ftärkern Bruders zu gebenten. Denn in ber
Jamilie findet Leine Eiferſucht flatt.
Iſt auch das deutfche Volk lange noch nicht eine Samilie,
thut e6 ihm doch fehr moth, es zu werben,
3) Für Preußen ſelbſt iſt der Verf. der Meinung,
daß es (S. xvı) noch nicht an der Zeit fei, eine vollkom⸗
men ausgefellte Verfaſſungsurkunde zu entwerfen, fondern
die Aufgabe der Zeit nur darin beftehe, das Material zu
einer folchen zufammenzutragen und gewiſſe Vorurtheile
zu befämpfen, die dem Baue entgegenftehen, fowie gewiſſe
Anfichten zu bevorworten, welche unter allen Verhaͤltniſſen
wahr bleiben und deren Eingang mwohlthätig auf die weis
tere Entwidelung wirkt. Daß bie Verfchiedenheit der Ans
und Abfichten fo groß iſt, macht eben, weil die Verfaſ⸗
fung ſich noch in ber Entwidelung befindet und feinen
feften Anhaltepuntt gibt. Die Überzeugung des Verf.
aber ift es, daß für Preußen die heilfamfte Verfaſſung in
der ftändifchen Monarchie liegt, wenn dieſe fi vollkom⸗
men principgemäß ausgebildet haben wird, und zwar mög:
fichft auf hiftorifcher Grundlage, allein mit nothiwendiger
Beruͤckſichtigung der vorgefchrittenen Zeit, des Bildungs:
grades des Volks und der Verhältniffe nach außen.
- Wir fobern eine flarke, d. h. in ihrer Bethätigung uneins
gefchränkte und unbehinderte Regierung, bekennen uns aber ale
entichiebenften Gegner bes Abfolutismus, weil diefer antimonar:
chiſch, außergefegtich ift, und weil es felbft gegen die Religion
ftreitet, eine Regierung mit und nach Willkür zu führen oder fühs
ren zu laffen. Denn der Monarch, weldher von Gottes Gnaden
regiert, oder nur Gott und feinem Gewiffen verantwortlich iſt,
muß fih auch die göttlihe Regierung zum Vorbilde nehmen,
in welcher es keine Willkür gibt, fondern eine unmandelbare
Ordnung ber Dinge. Da es indeſſen Feine einfeitigen Rechte
geben kann, fondern biefe an Pflichten gelnüpft find, fo glaus
ben wir, es liege im wechfelfeitigen Interefle des Monarchen,
wie „oe Volks, daß fie durch die Verfaſſung fcharf beftimmt
werben.
Hiermit roiderfpricht fi der Verf. aber ſelbſt, wenn
er meinte, es fei noch nicht an ber Zeit, die Landes» oder
Regierungsverfaſſung dermalen ſchon vollftändig zu be:
flimmen. Denn welcher Unterfchied fol hier zwifchen den
Befchaffenheitsworten: volftändig und ſcharf obwalten?
In einem Berfaffungsgefege hängt alles Einzelne, was
den Nechtözuftand der Regierung und des Volks betrifft,
genau zufammen, weil fie ein organifches Ganze ausma=
hen, in welchem jeder Theil den Zuftand und die Thaͤtig⸗
kelt eines jeden andern bedingt, ſodaß es unmöglich ijt,
gemeſſene Beſtimmungen für den einen zu geben und dabei
die übrigen unbeſtimmt zu laſſen. Es iſt mithin ein
ganz unausführbarer Gedanke, eine Berfaffung ſtuͤckweis
und in verfchiedenen Abfchnitten einzuführen oder zu ha⸗
ben, was nur Stud: und Flickwerk und für ein zuſam⸗
mengefugtes Ganze ganz unbrauchbare Materialien zuſam⸗
menbringen und den Rechtszuſtand nicht ordnen, fonbern
verwircen und verdunkeln würde. Iſt es für den Staat —
und jeder Staat beflcht in feinem Volke mit felner Re
gierung — von wichtigem Belange, daß fein Mechtszufland,
d. h. eben die gegenfeitigen Pflichten und echte, mögs
lichſt genau beſtimmt werden, und iſt unleugbar das öf:
fentlihe Wohl das erfte und hoͤchſte Staatsgeſetz, fo heißt
ſolches mit andern Worten nichts Anderes ausfprechen,
als das Gebot der möglichft vollftändigen Beſtimmung der
ganzen Verfaſſung. Eine adfolute Vollkommenheit ift von
Menfchen weder zu begehren, noch würde fie für fie tau⸗
gen. Die Vervollkommnungsfaͤhigkeit des Menſchen if
fein Zuftand und feine Würde; darum muß ihm in als
len Stüden und zu jeder Zeit Dasjenige genuͤgen, was In
ihe zu befchaffen ift, aber auch nicht ſchlechter, Leichtfer:
tiger und feichter, ale es in ihre zu gewähren ifl. Nie
kann es einen abgefchloffenen und unveränberlichen Zuftand
geben; eine Nechtsvorfchrift dafür, welche davon ober dar
auf ausginge, würde eben darum fchon eine unmenfchlice
und rechtswidrige fein. Aber ebenfo fehr fireitet «6 mit
der Vernunft und bem Rechtsgebote, nicht zu ſchaffen und
berzuftellen, was diefelben erheifchen, fo gut, als es m
liefern if. Denn es bleibt eine Verfündigung an Gott
und an der Menfchheit, fich dem zu entziehen, es unter
irgend einem Vorwande zu verfchieben, es ungethan fein
zu laflen.
Es kommt ganz und gar auf Eins heraus, wie man
fid) den Entflehungs: und Rechtsgrund ber obrigkeitlichen
Gewalt vorftelle, ob aus einem Wertrage, oder aus götts
licher Beſtimmung hervorgehen. Denn Derjenige, der.
aus Gottes Gnade auserkoren ill, der Regent Anderer,
das Oberhaupt feiner Unterthanen zu fein, wird dadurch
ein Unmenſch, fondern if vielmehr das Haupt einer
menfchlichen Gefellfchaft, welche in feinem Gliede ihre
Vernunft und Würde verleugnen kann, deren Haupt viels
mehr dasjenige Sieb vorftellen muß, in welchen die Ger
bote der Vernunft zum klarſten Selbftbemußtfein kommen,
in denen ſich dee Wille Gottes kundbar macht. Bon
Gottes Gnaden, ober nach feinem gnädigen Willen und
Beftimmung, nad göttlicher Anordnung, Regel und Ges
fe, will Altes gleich viel fügen. Die Pflicht „gegen Gott
ſchließt alle Pflichten gegen den Naͤchſten von ſelbſt in ſich,
wie denn die Gebote: Liebe Gott und Liebe den Nächiten
wie dich felbft, von gleihem Werthe und Inhalte find,
weil wie unfere Liebe gegen Gott nur durch bie Erfüllung
unfers Berufs unter unfern Nebenmenfhen erweifen kön
nen. Ein von Gott auf feine Stelle berufenee Monardy
ift alfo ein Diener des Höchften mit dem und in dem
Berufe, feine aus feiner Stellung fliegenden Obliegen heiten
nach Kräften zu erfüllen, an Gottes Stelle feine Unter:
thanen zu regieren, die Gelege Gottes und der Vernunft
unverbrühlid und unerlaßlich zu beobachten und geltend
zu machen, und folchergeftaft gefegmäßig zu regieren, von
Wilke, Neigung, Laune oder Leidenfchaft aber fidy nicht
befchleichen zu laffen, fo viel an ihm if. Er ifl von
Gottes Gnaden deſſen Werkzeug nur infoweit, als er
Neſem feinem Berufe nachlebt und ihn erfuͤllt; im entge⸗
gefegten Kalle wird er eine Plage, welche die Vorſehung
ber die Menfchen fendet, um fie zur Erkenntniß und
Beflerung zu bringen, auch ſich davor zu fchügen. Go
wenig eine göttliche Regierung in Willkuͤr denkbar ift, fo
wenig kann ed einen Stellvertreter Gottes auf Erden ges
ben, der ohne Geſetz und Richtſchnur über Menfchen ge:
bietet. Alte Verſchiedenheit zwiſchen Regierung und Defpo:
tiomus, zwiſchen Monarchie und Tyrannei befteht in dem
Vorhandenfein oder dem Mangel des Geſetzes. Ohne Ges
ſetzchkeit iſt nirgend eine Rechtmäßigkeit der Regierung
vorhanden, mithin die Verpflihtung unleugbar, im Privat:
wie im Staatsrechte alle Verhaͤltniſſe durch Geſetze zu re:
gein. Weil aber die Stellvertreter Gottes auf Erden nicht,
wie Er Selbft, Altes wiffen und unwandelbar eroige Geſetze
aus fich entnehmen koͤnnen, fondern weil fie, als Mens
fen, nur nah Maßgabe ihrer Einfihten und Erkenntniß
des Mechten daſſelbe zum Gelege erheben können, muß jede
menfchliche Gefeggebung in die Zeit eintreten und mit ihr
fortfchreiten, ſonach ihrer Natur nach veranderlid fein,
doch aber unverbrüchlich, fo lange fie gilt, weil es außer
dem kein Sefeg fein würde. Weil ferner Menfchen nicht
lediglich im Geiſte und deſſen Vernunfterkenntniß leben,
fondern vermöge ihrer Leiblihen Erſcheinung auch unter
Umgebungen und Umftänden, welche auf ihre Zuftände
und ntfchließungen einwirken, muß es eine doppelte
Mechtsquelle unter den Menſchen geben, die Vernunft und
die Geſchichte, oder die Folge von Begebenheiten, aus de:
nen ein Rechtsverhaͤltniß fih entwidelt hat. Da das
Entfichen und Beſtehen eines jeden Rechts in der Mirk:
lichkeit dadurch bedingt ift, daß e8 dem Charakter und den
Erfodernifien des Rechten und Gerechten überhaupt ent:
fpricht, und da der vernünftige Geiſt das Weſentliche und
Bergängliche, alle zeitlichen und geſchichtlichen Beſchaffen⸗
beiten aber das Vergängliche und Unmefentlihe ausmachen,
fo ſtellt ſich dadurch von felbft die Regel für die Geltung
Des Vernunft- und des biftorifchen Rechts heraus. Die:
ſes gebt jenem in der Beobachtung, jenes diefem in der
&eltung vor; es kann gefchichtlich nichts zum Rechte wer:
den oder beftchen, was feinem Weſen nach Unrecht iſt;
wodurch aber kein Unrecht gefchieht, das muß beobachtet
werden, fobald ein Recht darauf erworben murde. Es
hindert um deswillen auch ein beſtehendes Recht die Ein:
gehung einer entgegengefegten Berpflichtung.
Ob das geltende Recht ein gefchriebenes oder unge:
fchriebenes fei, muß für feine Guͤltigkeit ganz gleich fein,
mithin auch einerlei, ob das pofittve Recht durch Vertrag
oder Vorſchrift der Geſetzgebung ausdrüdtich, oder durd)
Herkommen und Gewohnheit flilffchweigend aufgelommen
und eingeführt worden iſt. Dagegen bringt es die Be:
flimmung und der Zweck alles Gefeges mit fi, daß es
gewiß, alſo deutlih und beftimmt, fein müfle, weil die
Ungeroißheit die Nothwendigkeit der Beobachtung aus:
fchliegt. Eben hieraus folgt die gebieterifche Nothwendig⸗
keit der fchriftlichen Abfaffung und Aufbewahrung der gel:
tenden Gelege, mit Einfhluß aller Verfaffungsbeilimmun:
gen, damit ſowol Über das Borhandenfein als über bie
Faſſung und den inhalt der zur Richtſchnur bienenden
Vorſchriften aller Zweifel, Widerfpruh und Unficherheit
nah Möglichkeit vermieden, vielmehr außer Anfechtung
geftellt werde, was geſchichtlich Rechtens geworden fei, und
in welcher Art, damit ferner, was gefchichtlich noch unbes
flimmt geblieben, durch die Gefeggebung der Wernunft zu
Jedermanns Befolgung vorgefchrieben werde. Denn die
menſchliche Vernunft ift ihrer Natur nad ‘Reine untrüg:
liche Fertigkeit in der Mechtserfenntniß nach ihrem ganzen
Umfange, fondern nur eine durch den Gebrauch zu ver:
-volllommnende Anlage dazu, ſodaß das Muß der Vervoll⸗
tommnung über den Grab der Gediegenheit der Erkennt:
niß entfcheidet, mithin unter ben Einfihten Mehrer die
Gefeßgebung anzugeben hat, was, weil ihr entfprecyend,
Alte verbindend fein fol und muß. Es fteht folglich Bei:
neswegs in dem Belieben der Regierungen, die Landes⸗
verfaffung durch eine möglichft voltitändige, beſtimmte und
zuverfichtlihe Verfaffungsurkunde, oder auch Urkunden, ins
Klare zu ſtellen, fondern folches ift eine ihr durch ihre
Stellung auferlegte Obliegenheit, der fie ſich ohne geredys
ten Vorwurf nicht entziehen mag. Wir find hiernach mit
dem Berf. nicht allein hierüber völlig einverflanden, ſon⸗
dern rechnen es ihm noch befonders zum Verdienſte an,
daß er die ſcharfe Beſtimmung der gegenfeitigen Rechte
und Pflihten für unumgaͤnglich nöthig erachtet hat. Denn
gewoͤhnlich ift bisher immer nur von den Rechten, und
gar nicht von den Pflichten die Rede gewefen. Aber
nicht blos darum, weil Rechte und Pflichten immer wech:
felfeitig find, fondern bauptfädhlich darum, weil im Man:
gel pofitiver Entſtehung alle Rechte des natürlichen Staats:
rechts nur aus den Verpflihtungen, als Mittel und Be:
dingungen ihrer Erfüllung, hervorgehen und niemals wei:
ter gehen, fodaß ihr Umfang dadurch genau bemeflen wird,
folften die Pflichten jtet6 den Rechten vorausgeſchickt, oder
auch nur jene aufgeführt werden, indem bie gegenliber-
fiehenden Rechte daran von felbft abzunehmen waͤren.
Man erachtet leicht, welch eine große Meform in ber Be:
handlung und dem Erfolge des ganzen Staatsrechts dar:
aus hervorgehen würde, wenn daffelbe zum Vorwurfe er:
hielte, vor allen Dingen den Umfang und die Leiftungs-
art der Verpflichtungen der Regierungen gegen die Unter:
thanen, und ebenfo umgekehrt, feftzuftellen. Es würde
hiermit ganz von felbft das Sagen nad Erweiterung der
Rechte und das Außerachtlaffen der Obliegenheiten darüber
ſich verlieren und an deſſen Stelle die Auffuhung und
Ermittelung des Pflichtenkreifes und der durch diefen be:
grenzten Rechtöfphäre treten. Welcher unausfprechlidye Ge:
winn für die Ausbildung des Rechtsſinnes!
Wenn nun der Verf. fortfährt:
Es folgt hieraus, daß der rechtliche Verfaffungszufland nies
mals einfritig verändert werben kann unb daß, wie dem Mons
archen die ganze ausübende Macht zu Gebote ſteht, um feine
Rechte zu ſchuͤßen, aud den Ständen bie Befugniß zuftehen
muß, die ihrigen zu wahren, wobei wir uns in der Beantwor⸗
tung ber Brage, wie bie® zu bewerkftelligen, von Denen trennen,
welche foldyes durch die Theilung der Staategewalt, Verant⸗
worttichfeit ber Minifter und jährliche Steuerbewilligungsbefugs
niß zu erzielen meinen:
Hlumenreiche Wirklichkeit hinabgesogen bat, gluͤcklich zu
entziehen geroußt hat, vielleicht in bankbarer Erinnerung
an die edein Beflrebungen Bellamp's und feiner Freunde,
die es für eine um fo höhere und nothwendigere Ber:
pflihtung der hollaͤndiſchen Künftier in Bild und Wort
erkannten, das Gefühl für ideale Schönheit zu nähren
und zu pflegen, je mehr fie durch Elimatifche Bedingungen
des Bodens und durch phyſiſche und politifche feiner Be:
wohner von dem Himmel, den fie wie über ihren Land»
ſchaften auch über ihren Dichtungen durchſichtig in fchönen
Farbentoͤnen ſchweben laſſen follten, zur Erde hinabgezogen
und gleichſam hinabgedruͤckt zu werden Gefahr laufen, alſo
dag aus Schäferbildern und Scyäfergedichten leichter als
anderswo Schäfereibilder und Schäfereigedichte werden.
Denn wenn irgendwo fo befonders in Holland beftä-
tigt ſich die Thatfache, daß jedes Kunfigebild den Charak⸗
ter und die Karbe des Bodens trägt, dem es feine Ent:
ftehung, feine Pflege und Erſcheinung verdantt.
Sagen doch felbit- Willems in „Verhandeling over
de Nederduijtsche Taal en Letterkunde ” (Antwerpen
1819), Th.2, S. 11, und Brandt im „Leven van Von-
del”, &. 5, von dem in Köln geborenen aber in Amfter:
dam erzogenen und durch feine eigenthümlichen Lebensver:
haͤltniſſe, Anfichten und Schickſale fo merkwürdigen Von⸗
det: „Hij was wel buiten Holland gebooren, maar met
hollandsch melk opgevoed, en door geduurige inwoo-
ninge een Hollander en Amsterdammer geworden”, und
in der That ftelle kein Dichter fo die Verſchmelzung einer
echtdeutfchen und, um fo zu fagen, Ins Dolländifche übers
ſetzten Kraftnatur dar, als eben diefer Vondel, von dem
man mie von Hercules fagen kann, daß er das Gluͤck ges
habt, zugleih an einer unfterblichen und an einer fterblis
chen Bruft gefogen zu haben. Aber das finnliche Trach⸗
ten nach unten, um deffentwillen ein ebenfo unfeines als
wahres deutſches Wortſpiel die niederländifhe Kunſt eine
niederträchtige genannt hat, und das bald mehr bald we⸗
niger behagliche, ja uͤppige Verweilen in den zwiebels, obfts,
wildprets und heerdenteichen Auen und fetten Marfchen
der niederländifchen Ebenen fegt den Dichtern und Kuͤnſt⸗
fern große Schwierigkeiten entgegen, vwoeil den umnebelten
Augen leicht die Höhenpunkte des antiten Menfchenlebens,
der Parnaß und Helikon nicht nur, fondern auch bie felis
gen und befeligenden Lichthöhen de Olympos entſchwin⸗
den, und mit ihnen zugleich das Streben, zur Füuͤlle die
Keoft, zur Geſtalt die Bedeutung, zur Naturwirklichkeit
und Naturtreue die ewige Wahrheit und Schöne, zu oder vor
oder Lieber ſtatt der Moral die individuell dargeftellte und
duch fich felbft redbende Handlung, und endlih zu ber
idyſliſchen Anmuth zugleich die heroiſche Erhabenheit *)
hinzuzufügen. Wenn nun aber der hollaͤndiſche Pegaſus
leichter zu Falle oder in den Sal kommt, in den Erga⸗
flerien und Phrontifterien des Alltagslebens die Flügel wo
nicht zu verlieren, doch nicht zu gebrauchen und, feine gött:
lihe Abkunft, feine himmliſche Heimat vergeffend, bie
— — — — —
e) Der Parnaß nicht nur wird von ben Alten biceps genannt,
fondern von Spätern auch der Kraftmuskel bes Oberarms.
klace Quelle des Genius zu tehben, befto eifelger und ans
geftvengter und beharrlicher*) muß die Muſe, die bekannt:
lich ohnehin der Sittige zu entbehren pflegt, darauf bedacht
fein, ihren hohen Beruf fi unausgefegt vorzubalten, uns
ter Anführung des aus Truͤmmern durch das Licht immer
neues Leben hervorrufenden Apollon, zugleich mit den Waͤch⸗
teen des Olympos, den früchtefpendenden Doren, und ib
ren bolden Schweſtern und den befiändigen Begleiterinnen
Aphroditens, den Ehariten, erfteuend und erhebend, bie
ewigen Freudenfeſte der Dlympier zu zieren und zu em
böhen.
Je inniger und aufrichtiger wir es nun bedauern, fu:
gen zu müffen, daß es feldft dem für feine Zeit großen
Cats, ebenfo wie Huygens, Kamphuyzen u. U. zum ger
tehten Vorwurf gereicht, flatt der verkörperten und ans
fhaubaren Ideale uns nur Materie in poetiſchen Scha⸗
len, nur Stoff in verfificinter Gewandung, und, um ein
Beifpiel anzuführen, die Liebe (es iſt nicht genug zu be:
achten, daß bei ber Aphrodite der Alten die Schönheit um
der Gottheit willen, die Chariten aber um der Schönheit
ſelbſt willen da waren) nicht als ſolche, d. h. als eine
Goͤttliches wirkende Göttin, fondern als eine, wie Bon:
ring **) fagt, gute Eheleute machende und folgfame Kin:
ber zeugende, alfo blos praktiſche menſchliche Frau dar
und bingeftellt zu haben — defto freubiger begrüßen wir bie
Aufmunterung ber ehrenmerthen Hollaͤndiſchen Geſellſchaft
der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, durch welche fie
den fait allgemeinen Übelftänden zu begegnen fucht, bie
den Genuß auch ihrer beften Gedichte mehr ober weniger
beeinträchtigen, und welche bei Vondel's Kraft, Fuͤlle und
Originalität, bei Hooft’s Würde, Harmonie und Anmuth,
»), Denn im rubdigen und Haren Beharren und Aubharren bei
dem für wahr und gut und ſchoͤn Erkannten zeigt ſich vorzugsweife
die Wefenbeit und Kraft des Genie, deſſen zweite — die ackine
ober prodwtive — Gigenfhaft die felbfländige Darftellungdgabe if,
gegenüber dem, obwol hell, doch nicht lange flackernden Strohfeuer
eiged allzu gefchäftigen, ertenfiv flachen, ebenfo nüchternen als Kalten,
bald moralifirenden, bald raifonnirenden, bald docirenden Diletten-
tiömus, ber entweder in eine mit verkänbiger Berechnang peetifibe
Moſalktheilchen zufammenfegende und zufammmenftellende Rechenexem⸗
pelmacherei, oder in eine die erborgten und forgfältig geglätteten
Slitter und Jetzen aud dem Kramladen ber von geſuchten, gefäraub-
ten und bochtrabenden Rebensarten vollgeflopften fogenannten poetis
fen Proſa zuſammenſuchende unb zufammennäbende, ober den tabz
ten Sliedermann und Puppenkopf in ängflidder Gorgfelt auf me
triſch⸗ rhythmiſche Fuͤße und auf theils antike theild moderne Po⸗
ſtamente fegende ſchulgerechte Nachahmerei, ober in eine romantiſch
oder elegiſch ſchwindſuͤchtelade Sentimentalität der Stimmung zad
der Darfiellung, oder in dad innerlih bankerotte falſche Pathos,
ober in eine rhetorifh aufs unb zuftugende an fi trodene, halbes
bewaͤſſernde und haidebebluͤmelade Didaktik, ober In eine cbeufo oft
trübe und trübfelige als wäflerige und mehr an Dornenſtacheln als
Rofen reihe Tendenzpoefie oder Gpigrammatil u. f. w. ausartet. —
Die Sonderbarkeit diefer Außbrüde wird Jeder mit der guten Ab
ficht entſchulbigen, dadurch in gerechtem Un⸗ unb Wibertuilen eben
jenes vielköpfige unhellſchwangere Ungebeuer und deſſen Viel und
Bielerlei ſchaffendes oder vielmehr erzeugendes und gebaͤrendes Un
weſen einigermaßen zu zeichnen und zu charakterifiren.
”, Bowring in bem Bude ‚Sketch of the language amd Ut-
teratare of Holland ‘’ (Umflerdam 1828) fagt: „He has ne siher
notion of love than that it is monat to make good husbands and
wives, and to produce pains-taking and obedient children.“
bei Feich's fanfter und gefüͤhlvoller und bei Bilderdijk's fo
erhabener und mwohltönender, bei Hoogoliet's, Smit's und
der beiden van Haren fo teinfließender und wohlverfificir
ter Sprache doch immer den göttlichen Hauch vermiſſen
laſſen, der immer mit vemfelben Geifte erfüllt, wait wels
chem er der Dichterbruſt entftiegen iſt. Somie nun, was
die Form betrifft, duch die Bemühungen des vortreffils
chen Überfegers Zeitama die Verfification fehr gefördert und
gebildet und auch durch Andere, und zwar bei Gedichten,
um nur Einen zu erwaͤhnen, durch Biiderdijt's Überfegung
des „Rönige Ödipus“, und bei Profaitern duch Vondel's
Zacitus und in glüdtihen Übertragungen Anderer auf eine
Teile in Anwendung gebracht worden iſt, die um ber
äberwundenen Schwierigkeiten willen eines boppelten Los
bes wolırdig erfcheint: fo mird gewiß auch der poetifche
Geiſt immer mehr getwinnen, neben der vorzugsweiſe prak⸗
tifhen Richtung des Volks und feines Lebens und Me:
fens, buch Benugung der Mittel, die dazu geeignet
find, denfelben immer mehr und mehr zu weden, zu bes
feben, zu bilden, zu flärken, zu adeln und zu erhöhen, und
befonders den dichterifchen Erzeugniſſen ihrer vaterländifchen
Mufe an Inhalt und Korm immer mehr Werth und
Würde zu verleihen und aud bei den andern Nationen
Europas mehr Eingang, Beachtung und Anerkennung
zu verfchaffen.
Diefe Mittel find aber vorzüglich drei, welche, wenn
wir aus einigen Andeutungen richtig fhließen, von den
Holändern ſelbſt als bie wichtigften Hebel ihrer Sprache
und Literatur angefehen werden. Zunaͤchſt iſt es ber
bildende Geift des rechtverſtandenen Alter:
thums, das, zugleih und zu gleicher Zeit mit den Ne:
gungen flaatsbürgerlicher Setbfländigkeit und Freiheit bie
Semuͤther erhoben und die Geifter genaͤhrt und geftärkt
hat durch die Ideale menfchliher Bildung, durd die un:
vergänglihen Antiten in Wort und Bild, die den Voͤl⸗
kern immer wie fonnebeleuchtete Hochgebirge in verklärter
Hoheit und mit verflärender Macht vor: und in die Daͤm⸗
merungen und Niederungen des Lebens hineingeleuchtet
haben. Wenn nun irgend ein Volk der Welt ein reiches
Vermaͤchtniß in biefer Beziehung geerbt bat, fo find «6
. wir fagen e8 mit dem Llebhafteften Gefühle dankbarer
Anerkennung — vor Allen bie Holländer; aber je bedeu⸗
tender dieſes Erbtheil if, das ihnen die erleuchtetfien und
hochgefeiertſten Alterthumsforſcher feit mehren Jahrhunder⸗
ten hintetlaſſen haben, deſto größer und dringender iſt die
Auffoderung und Mahnung, die an ſie ergeht, mit ſol⸗
chem Pfund auf das Beſte zu wuchern und daſſelbe für
die Veredlung ihrer eigenen Sprache und zur Vergroͤße⸗
sung und Erhöhung ihres eigenen Sprachſchatzes und
Schrifthumes auch hinfort immer mehr und mehr zu
verwenden.
Das zweite Mittel, ihrer Sprache und Literatur
mehr Werth und Würde zu geben, fcheint uns die
Aufmunterung der Dichter zur Sörderung der
zeligiöfen Poeſie zu fein. Wenn es nicht zu leug:
nen ift, daß die Maivetät der holländifchen Sprache, als
einer ausgebildeten niederfächfifchen oder plattdeutfchen
Mundart, deren Raute und Ausdruͤcke bisweilen dem unbes
fangenfien Lefer oder Hörer, befonders aber dem Deut:
fen, der den Maßſtab ſeiner Mutterfpradye mitbringt
und zur Vergleichung mit der holländifchen faft immer
genöthigt wird, bisweilen poffirlih und komiſch erfcheinen
und klingen, dem würdevolien Vortrage religioͤſer Empfin⸗
dungen und Gedanken großen Eintrag thut: um fo hoͤ⸗
ber fleigert ſich die Verpflichtung der holländifchen Dich⸗
ter, dem Mutterlande nicht nur, fondern dem Geſchmacke
und dem mufikalifchen Ohre des Weltpublicums gegenüber,
dieſer Schwierigkeit alle Kraft entgegenzufegen, um ihre
Sprache immer mehr zu adeln und durch Wohllaut und
Wohlklang für den möglichft reinen und harmoniſchen und
würdigen Ausdruck der hoͤchſten Gefühle empfänglich zu
machen. Da ic diefen Gegenfland an einem anbern
Drte riner ausfünrlihern Beſprechung zu unterwerfen ges
denke, wie er denn die ernſtlichſte Beruͤckſichtigung verdient
und in Anſpruch nimmt, fo gehe ich fofort zur Andeutung
des dritten Mittels über, durch welches die holländifche
Sprache und Literatur zu heben fein möchte. Diefes be:
flieht in einem gründlihen und von aller Vor:
liebe und von jedem Borurtheil freien Stu:
bium der Geſchichte eben diefer Spradhe und
Literatur, in Verbindung mit einer unparteii—
(hen Sorfhung über die hiſtoriſche Entwides
lung des bolländifhen Volks: und Staats:
lebens. Und da möchte denn vor allen Dingen, um
auf Eins befonders aufmerkſam zu machen, die Lautlehre
einer forgfältigen Prüfung ebenfo bedücftig als fähig und
würdig fein, um, wenn es, oder vielmehr fo weit es uͤber⸗
baupt bei einer lebenden und conftituirten Sprache möglich
ift, mit verftändiger Hand allmaͤlig hinzuzuthun und mit
fchonender ebenfo hinwegzunehmen, was irgend, ohne ben
urfprünglih und fubftantiell inwohnenden Genius zu vers
legen, zur Reinigung, Veredlung und Vereinfahung eini:
ger Laute und Formen der Sprache beizutragen fein möchte.
Sollte die Beforgniß, welche Einige hegen, ganz und fac⸗
tiſch gegründet fein, daB es wegen unüberfteiglicher Hin⸗
derniffe unausführbar fet, das Material oder den Sprach⸗
£örper und deſſen Sliederungen auf die angedeutete Weife,
befonders aber (mas ih, um nicht misverftanden*) zu
werden, nochmals ausdrüdlich hinzuflige) bei manchen ans
ftößigen und übellautenden Wörtern, allmälig zu verän-
dern, fo wird es nie möglich werden, die Sprache wohl⸗
*) Daß dieſes kein Dirngefpinnft eined vom Sprachleben träus
menben unpraktiſchen philologiſchen Stubenhockers ſei, fondern ein
aus vieljaͤhriger beſonnener Betrachtung und Vergleichung der Spra⸗
chen und ihrer Geſchichte hervorgegangener und wirklich ausführ—
barer Gebanke und Vorſchlag, dieſes wieb, un nur zwei Beiſpiele
anzufähren, nicht nur durch das Herrſchendwerden bed Hochdeutſchen
in der Schrift⸗ und Umgangsſprache, ſondern vorzuͤglich auch durch
die Verbeſſerung und Veredelung bed Neugriechiſchen auf der Grund⸗
lage der altgriehifchen Sprache volllommen bewieſen und außer Zwei⸗
fol gefegt._ Es bedarf nur des Fräftigen feſten Willend und einiger
tächtiger durch Naturgabe und duch Sprachblidung und durch That⸗
kraft gleich ausgezeichneter Bührer, welche im Volke und in der
obenerwähnten ehrenwerthen Geſellſchaft der freien Künfte und Wils
fenf&haften den reiten Son auf die rechte Weiſe angeben und den
rechten Weg zeigen, indem fie denfelben felbR gehen.
lautenber und mufikaliſcher zu machen, und bie NWerterter
der bolländifhen Sprache in gebundener und ungebundener
Mebe Hätten dann zugleich ein Verdammungsurtheil aus⸗
geſprochen, das ihre Drgan für unfähig erflärt, das Er:
habene in wuͤrdevoller Haltung und in ungetrübter Form
auszudruͤcken und darzuftellen.
(Dex Beſchlud folgt.)
Roͤmiſche Gefchichte von Peter von Kobbe.
Zweiter hell.
act aus Nr. Sof “ ' m
Obſchon, roie gedacht, ef. ber Hoffnung entfagt, jemal
eine neuere römifche Geſchichte, der jene boͤchſte Trefflichkeit
nachzuruͤhmen wäre, das Licht der Welt erblicken zu fehen, bleibt
es doch ſehr wohl möglich, daß eine folche erſchiene, die wenige
ſtens in einer Hinſicht leiftete, was jene zu leiften hätte. Da⸗
mit ift Folgendes gemeint. Was von Zhaten und Begebenheiten
dem vömifcyen Schriftſteller in feiner denfelben nähern Stellung
wichtig war, das ift e8 nach mehr als taufend, ja zweitaufend
Jahren entweder gar nicht mehr, ober nur im mindern Maße
für uns, befonders fobald es fih um vömifche Geſchichte im
Allgemeinen, nicht um bie geſchichtliche Entwickelung dieſes ober
jenes einzelnen Inſtituts bandelt. Belehrend und darum wich
tig für uns ift in römifcher Geſchichte nur, was den ethifchen
und intellectuellen Standpunkt des Roͤmerthums und beffen Um:
wandlungen im Laufe der Zeit dharakterifirt, von welchem Stand⸗
punkte aus betrachtet Roms Politik und feine Kriege nicht merk⸗
würdig an fi), fondern nur infofern es find, als entweber in
ihnen fich jener tiefere geiftige Gehalt ausſpricht oder fie in th:
ren Wirkungen und erzielten Refultaten zu Momenten murben,
ia Folge welcher der Römer intellectuelles und fittliches Leben
fig ummandelte. Ausgehend von biefer Überzeugung, hätte der
Hiſtoriker das allermeifte der factifchen Cinzelheiten eines Livius
und Polybius von der Hand zu weiſen und, auf bie entfcheiben:
den Dauptbegebenheiten fich befchränfend, diefen eine umſtaͤndli⸗
ere Wiederholung nur dann zu ſchenken, wenn ihr näheres
etail bedeutende Individualitaͤten charakteriftiih ausgeprägt
darftellt oder daffeibe, durch feine Eigenthuͤmtichkeiten fähig, bie
Phantafie anzuregen, bei ausführlicherer Echitberung eine wich⸗
tige Thatſache fefter dem Gedächtniffe eindrüdt. Bor Allem
aber müßte er eingeben? fein, daß nach dem Verlaufe von Jahr:
hunderten die politifche Geſchichte allgemeinguͤltige Wichtigkeit
nur infofern behaͤtt, als fie von der Geſchichte des menfchlichen
Geiſtes ſich nicht trennen laͤßt, für alle Zeiten nur biefe von
ungerftörbarer, allgemeingültiger Wichtigkeit bieibt und alſo Fein,
auch nicht der geringfte Zug darf überfehen werden, wodurch
uns die Eigentb muichkeit römifchen Sinnes, römifcher noch jest
die gefammte Weit in unendlich vielen Beziehungen burchbrin:
gender Bildung kann anfchaulich werden.
Beurthellen wir des Hrn. von Kobbe Verfahren auf Grundlage
obiger Bemerkungen, fo tönnen wir unmöglich baffelbe loben, ja es
erfcheint, wie Ref. an einigen Beifpielen zeigen wird, völlig prins
ciplos. Während wir 4.3. (vgl. S. 4) durchaus billigen müffen,
daß bie originelle Methode nicht ift übergangen worden, welche
die Römer erfonnen, auf dem feften Lande den Seedienſt einzus
üben, gleihfam um dann erft in das Waffer zu geben, wenn fie
. Schwimmen tönnten, begreifen wir nidgt, warum Sannibal’s
Zug über die Alpen (S. 20 u, 21) mit folgenden Worten abgethan
bleibt: „Durch eine Kriegsliſt bewerkftelligte Hannibal ben Übers
gang über die Rhone, lieb nach einem Reitergefechte die Römer
unangegriffen, 309g ben Strom hinauf und lagerte nach viır
Zageözügen auf ber Infel, wo Rhodanus und Sara zufammen«
fliegen. Hier benugte Hannibal die Zwiftigkeiten zweier fürfts
lichen Brüder der Allobroger, fich einen Anhang zu fchaffen; von
bier trat ev ben berühmten Zug über bie Alpen an, bie er,
wahrfcheintich über den Eleinen &t. Bernhard fein Deer führend,
in funfzehn Wagen überflieg.” Bier wäre Ausfuͤhrlichkeit am
Plage gewefen, um eine Wirkung bervorzubringen , welche jener
vergleihbar wäre, bie bei Livius' trefflicher Schilderung eben
Diefes Alpenüberganges gewiß ſchon auf der Schule bie Mehrzahl
unferer Lefer mächtig ergriff. Dafuͤr entichäbigt nicht &. 21 u. 29
bie ellenlange Note, welche hinſichtlich der Gtreitfragen, die
durch Hannibal's Zug über die Alpen find veranlaßt worben,
Iiterarifche Notizen Liefert, deren Vollſtaͤndigkeit Ref. nicht zu
beurtheilen wagt, bie aber ſelbſt bei erfchöpfender Vollſtaͤndigkeit
nur ein kriegsgeſchichtliches Intereffe haben unb uͤberdies, einem
ſolchen zu genügen, materiell zu dürftig und nichtöfagend find,
Dagegen ift empfchlenswert$ bie Kuͤrze, womit (&. 24 u. 3) von
ber Schlacht am Traſimener See und ber bei Cannaͤ kaum mehr
gefagt wird, als daß die Römer total geichlagen wurben. Denn
in unferer Zeit bleibt für Seven , der nicht gelehrter Mititate
iſt, es gleichguͤltig, ob fich noch ermitteln laſſe, welcher Art
bie Taktik war, die jenes Tages fiegte, und andererſeitt die,
welche beſiegt ward. Allein welches Princip mag mol den
Hrn. von Kobbe bei Auswahl bes Gtoffes geleitet haben, wenn
er uns (©. 35) folgende, die Phantafie unangeregt, des Leſers
Urtheil unbefchäftigt Taffende, überdies auch nicht einmat als
unmittelbar reich an Folgen erfcheinende und darum dem Ge⸗
badytniffe unaufpaltbar wie Waſſer einem Giebe entfallende Ro
tigen zu lefen gibt: „Unter dem Gonfulate des jüngern Zabisd
und de8 Sempronius (541, 213) wurbe der Krieg in Stalien
ohne großen Nachdruck geführt. Fabius, unter Leitung feines
beim Deere gebliebenen Vaters, nahm Arpi in Apulien ein,
Sempronius unterwarf mehre Städte in Lucanien und Bruttium.
Dagegen belagerte Hannibal Zarent unb nahm dieſen wihtigen
Ort mit Ausnahme ber Burg dur Lift ein. Die roͤmiſche Ber
fagung zog heimlich nach Brundufium. Auch Metapont unter:
warf ſich den Karthagern. Im folgenden Iahre, als D. Zul:
vius Flaccus und Appius Claudius Pulcher Confuln waren
(542, 212), erlitt Banno bei Benevent eine Niederlage, in Folge
weicher die Römer zur Belagerung Capuas fihritten. Als der
Proconful Grachus aus Lucanien anrüdte, um das Belagerungs⸗
beer zu verftärken, wurde er durch die Verraͤtherei eines Gaſt⸗
freundes, der ihn zu einer Zuſammenkunft mit den Haͤuptern
der Lucanier geleitete, in die Bände numidiſcher Reiter geliefert
und von biefen nach tapferer Gegenwehr eridlagen. In em
nämlichen Jahre famen die beiden Scipionen in Spanien um.
Um Sapua zu entfegen, gab Hannibal die Belagerung der Burg
von Zarent auf, vernichtete ein von M. Gentenius Penula ans
geführtes ‚Heer und ſchiug ben Conſul Fuloius.“ Diefe Otelle
ift zugleich ein trefflicher Beleg fir bie totale Barbiofigkeit in
dem Stile des Hrn. von Kobbe; denn vollkommen ihr aͤhnliche
tönnte, wenn es darauf ankaͤme, Ref. aus dieſem zweiten Zheile
abdruden laffen. Daß endlich für das Hauptfächlicge, hiſtoriſche
Darftellung römifchen G@eiftes und römilcher Wildung, Hr. von
Kobbe gar keinen Sinn hat, bemweift der Umftand, daß er, N
dem Cicero's Ermordung berichert worben , flatt eines jeben
Wortes über Cicero, als größte Literarifche Rotabilität Roms
über einen Mann, der vielleicht nicht fowol um des Cinſluſſes
willen wichtig ift, den er auf Roms Bildung gehabt bat, als
vielmehr weil er als Repraͤſentant der literarifchen Bildunge
‚fähigkeit Roms kann angefeben werden, ung S. 323 unter
Ar. 37 mit folgender Note befchenkt: „über Gicero'e Schriften,
Reden, Rhetorik, Briefe, Philoſophie, Staatewiſſenſchaft, Re
ligion, Dichtkunſt enthaltend und betreffend, vergl. die neveſte
Überfiht von Erſch und Bruber, Sect. I, Th. 17, &. 210— 242."
Rach alledem außer Stand, zu berichten, was denn nuk
eigentlich des Drn. von Kobbe Zwed und Abficht bei Ausardes
tung biefe® zweiten Theils geweſen, wurden wir erfreut fe,
wirkte Dasjenige, was wir, dazu veranlaßt Durch gegenw
Anzeige, über bie Aufgabe der neueften roͤmiſchen Hiſtoriographit
bemerkt haben, überzeugend auf bie Verfaffer zuveriäffig in nicht
ferner Zeit und zahlreich uns bevorftehender anbermweiter Schrif⸗
ten über den naͤmlichen Gegenſtand. 34,
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockhaus. — Druck und Verlag von F. 4. Brodhaus in Reipzig.
Bla
tter
für
literarifche Unterhaltung.
Mittwoch,
Hollaͤndiſche Preislieder von J. P. Heije.
( Veſchluß aus Mr. 150.) |
Wenn es nun in der Malerkunft dem befreundeten
Nachbarvolke, wie die gediegenen politifchen Bilder von den
Belgiern Gallait und Biefve beweifen, möglid geworden
ift, Meifterhaftes, Vollendetes und Großes zu elften, fo
dürfte auch den Holländern der Erfolg ihrer Bemühungen
nicht abzuſprechen fein, wenn fie auf dem Gebiete der
Sprache und Literatur nur das Beſſere und Höhere ernſt⸗
lich wollen und zu erreichen fireben. Da fcheint uns aber
nur in einem Umſtande das Heil zu liegen, und dieſer iſt
die unbefangene Annäherung an das Mutter:
Land, von welchem es doch vor noch nicht fo langer Zeit die
Sprache nicht blos, fondern — ich wage ed, den alten Streit
mit dem Buchdrucker Coſter zu berühren — fogar die erften
gedruckten Buchflaben und Bücher erhalten oder genoms
men bat. Sind die Holländer nicht ſtark genug, ihrer po:
litiſchen Selbſtaͤndigkeit unbefchaber, diefe Thatſache factiſch
anzuerkennen und der Berbefferung und Veredelung ihrer
Sprache zu Grunde zu legen, fo wird e# ihnen, wie den
deutfchen Schweizern, nie gelingen, ihre Mundart zu ei:
ner fchönen, kräftigen und Wuͤrdevolles würdig ausdrüs
denden Sprache zu erheben, und ihre religiöfe und hero⸗
ifch = epifche Poeſie (die Romanzen, die ihnen befonders ge:
Iingen, fchließe ich aus) wird nie auf die Beachtung und
Nachahmung der andern civilificten Völker Europas ges
gründeten Anſpruch machen Eönnen.
Diefe Angelegenheit aber ſcheint und von einer folchen
Wichtigkeit zu fein, daß wir theils in einer befondern Ab:
handlung darauf zuruͤckkommen werden, theil® in der An:
zeige des vortrefflihen Nationalwerkes: „Germaniens Voͤl⸗
Eerftimmen , Sammlung der deutfhen Mundarten in
Dichtungen, Sagen, Maͤrchen, Volksliedern u. f. w., her:
ausgegeben von Johannes Matthias Firmenich“
(Berlin, Schlefinger), worin aud die verfchiedenen
Mundarten Hokhllands vertreten find, eines ebenfo beich:
renden als unterhaltenden Buchs, in welchem mit bin:
gebender Liebe und unfagliher Ausdauer Proben der
Mundarten der verſchiedenen deutfchen Voͤlkerſtaͤmme ge:
fammelt und erläutert werden.
Hier folgen num einige der Heije ſchen Lieder, von wel:
chen bereits mandye, z. B. Nr. 14, 22, 27, 32 und an:
dere, durch den rühmtichft bekannten Gomponiften Franz
Commer in Berlin, der unlängft, zugleich mit Bennett in
London, Mitglied der Niederländifchen Geſellſchaft zur Bes
| förderung ber Tonkunſt geworden ift, in Muſik gefegt
worden find.
Das Lied (Nr. 1, ©. 3).
Frei, der Lüfte Athem gleich,
Launenpoll wie ihre Wider,
Deute wie —— wilder,
Morgen leiſen Seufzern gleich,
Sei, o Lied, in Freud' und ————
Balſam fuͤr geruͤhrte Herzen.
D daß Hollands Poeſie
AU die Milde ließe fließen,
Aw die Fülle möchte gießen
Sn die Süße Melodie,
Daß du Ohren dann und Derzen
Balſam ſei'ſt in Freud' und Gchmerzen !
Des Herren Haus (Nr. 2, ©. 4).
Aus den graubemooften Hallen
Dringt ber Glocken heller Schall:
Kommt denn, ihr bebürft es all,
Laft im Chor die Stimme fchallen.
Kommt, zieht Kreuz und Kummer aus,
Beat es ab in Gottes Baus.
Wie ihr weintet, wie ihr batet,
Thraͤn' und Witte hört man dort;
Ruhe leide des Herren Wort,
Wie euch Muͤhe auch belabet.
Dort flieht aller Erdenbraus:
Sriede wohnt in Gottes Das.
Einfalt, Unſchuld kehrt da wieder
In das Herz von Gott entbrannt.
Jedes ſchwere Erdenband —
Legt es an der Schwelle nieder.
Biſt — 0 flieh' Palaſt und Kauf’ —
Gottes Kind in Gottes Haus.
Ihranen (Rr.3, S. 5).
Wie maͤchtiglich entzuͤcket
Die Thraͤne das Gemuͤth,
Die aus ber Tiefe ſpruͤht,
Wenn’s wahre Reue dräcder!
O Balfam für bie Schmerzen,
Du — lindernd mit Bebuld —
Rimmft ſchweren Drud der Schuld
Bom tiefgebeugten Herzen.
So Leid wie Freud' vereinen
Kann nur der Erde Sohn:
Cherubs vor Wottes Thron ,
Beneiden uns das Meinen.
613
wirb, abgefehen von ihrem Kunftwertpe, ſchon durch bie ganz
beftimmt darin ausgefprochene, ber neueften Schule entgegens
efegte Richtung flet einen bedeutenden Plag in der Entmwides
Tungögefriehte der franzoͤſiſchen Poefle einnehmen. Die von
Victor Hugo vertretene ultraromantifche ule verwarf die
in Raeine gu ihrer Bluͤte gediehene altfranzoͤſiſche Zragddie
ganzlich, ohne Beruͤckſichtigung ber in ihr rupenden trefflichen
Keime. In jener Zeit politiſcher und literariſcher Revolutionen
wurde Alles niedergeriſſen, weil es alt war, und alle neuen
Bauten mit um fo gröferm Gnthufiasmus begrüßt, je birecter
und auffallender ber Gegenfag war, weichen fie zu dem Zerſtoͤr⸗
ten bildeten. Anſtatt bie jede freie ER binbdernden Feſ⸗
fein der ſtrengen Kunftgefege ein wenig zu löjen und zu ermeis
tern, warf man fie ganz ab uod feßte Regelloſigkeit an bie
Stelle der Regungstoflgteit; anftatt die zuoefoiste Üüberfünftelung
auf die einfache Ihöne Natur zurüdzuführen, ließ man die
Ratur in ungebändigter Kraft mit ihrer ganzen Zugabe ber
Roheit und Haͤßlichkeit hervortreten. So wurde Gtarrheit
nicht zu Würde, hoͤfiſche Geſuchtheit nicht zu zarter Feinheit
veredelt, fondern durch ungeſchlachtheit und groben Wis erfegt.
Gründliches Rachdenken ımb richtiger Takt ließen Herrn Pon:
fard in feiner neuen Tragoͤdie den Mittelweg zwiſchen biefen
Vrtremen einſchlagen. Seine Figuren find nicht moderne Fran⸗
zofen, die über ihr Gallakteid eine antike Soga gehängt unb
auf ihr duftendes Toupet einen Eiſenhelm gedrüdt haben, auch
nicht rohe, halbnadte Heiden, die in der Sprache civilifirter
Menſchen Zeugniß von ihrer thierifchen Kraft und Leidenfchaft
ablegen, fonbern wirkliche Römer aus ber Königsperiode mit
oßen Derzen und ftarfen Leidenfchaften, voll Verſtand und
atkraft. Der in Worten, Stein und Farben fo oft behans
delte Stoff ift, wie ihn uns die Geſchichte überliefert, ſchon an
fi) ungemein dramatiſch; und der Dichter zeigt feinen fichern
Biick und fein richtiges Gefühl namentiid auch darin, daß er
moͤglichſt wenig an bemfelben gefünftelt, ſondern ſich fireng an
die Erzählung bes Livius gehalten und ihre einfache Groͤße treus
Jich wiedergegeben bat. Ginzelne Figuren nır bat er im Sinne
der neuern Anſchauungsweiſe deutlicher hervorgehoben und in ber
Tharakterzeichnung genauer ausgeführt, jedoch ohne Beeintraͤch⸗
tigung ihres Verhaͤltniſſes zum ganzen Gemälde. Außer Bru⸗
tus, dem Träger bes ganzen Trauerſpiels, erwähne ich Hier nur
den Gertus Tarquinius, welchen der Verf. mit Meifterhand
zum römifhen Don Juan geftempelt. Die von mehren franzoͤ⸗
fifchen Kritikern als eine überflüffige Epiſode bezeichnete Scene,
in welcher er der Cumaͤiſchen Sibylle den Ankauf der propheti⸗
ſchen Bücher verweigert, iſt zur Abrundung dieſes Gharakters
ganz nothwendig und erinnert vielfach an den Beſuch bes ſtei⸗
aernen Gaſtes bei Don Juan, der, wie Sextus, den Himmel
perfpottet und die Hölle verachtet. Die weiblichen Figuren tre⸗
ten, nach der Natur ber römifchen Sitten, bei dem eigentlich
Hiſtoriſchen des Handlung mehr in den Pintergrund; fetbft Lu⸗
cretia, bad Ideal eines roͤmiſchen Watrone, tft mit ihrer Aufs
opferung nur ber letzte Tropfen, den Brutus mit gefchidter
Hand in ben vollen Becher der Bolksunzufriebenheit fallen laͤßt
and ihn dadurch zum überſtroͤmen briagt. Die Sprache in
dieſer neuen Tragödie iſt kräftig und klar, die Gebanten
ſchoͤn und die Verſe wohlklingend.. Go gelangte fie benn,
nachdem Herr Ponfard bie beiden legten Acte etwas abgekürzt
Hatte, im Dbeon zur Aufführung und erntete, trotz mannid):
facher Cabale, den vwoohlverbienteften. Beifall, welcher bem
jungen Dichter gewiß auch in Zufunft nicht fehlen wirb, wenn
er fortfährt, fich feines fchönen Talents mit berfelben Bes
fonnenheit und Mäßigung zu bebienen.
Diefelbe eben angebeutete Richtung bat, wenn auch mit
weniger Sicherheit, bie Verf. der „Judith’’ eingefchlagen. Das
Beſtreben der Bichterin, die dramatifche Literatur der Franzo⸗
fen auf den richtigen Weg hinzulenken, ift allfeitig anerkannt
und gewürdigt worden, wenn auch ihr Talent zur Hervorbringung
eines Meiſterwerks nicht hinreichte. Den ebenfalls vielfach bes
banbeiten and bargeftellten biblifdgen Stoff hat Madame be
Sirardin umformen gu müffen geglaubt; fie hat die einfachen
Motive verändert und bie Präftigen Geſtalten ber alten übers
lieferung mit bem Schmucke moderner Gmpfindungen und Ges
fühle behängt. Cine bei dem weiblichen Gemuͤthe Leicht verzeih⸗
liche Scheu vor der Nacktheit gewaltiger Zeibenfchaften und ges
waltfemer Handlungen veranlaßte bie Verf. vielleicht zur Au
wendung fünftiicher Dedimänte. Dadurch aber, daß bem Lefer
das Haifonnement aufgedrängt wirb, gebt für ihn alles Ruͤh⸗
rende und Ergreifende verloren, deſſen die einfache Erzaͤhlung,
wie fie die Biber mittheilt, fo reichlich überflrömt. Die Schleier
um ſolche Stoffe find wie die Papierbätchen an nadten Mar
morftatuen. Das Schöne iſt wicht veriegend, und nur Ber
letendes muß ben Blicken entzogen werben. Freilich aber wohnt
nicht in jeder Hand fo viel bildender Takt und ZBartheit, um
hoͤchſte Kraftäußerungen ſchoͤn darſtellen zu können. So find
aud In biefem Drama, das übrigens einzelner Schönheiten nicht
entbehrt , namentlich bie Charaktere der Judith und des Hole
fernes durch empfindfame Schnoͤrkeleien abgeſchwaͤcht, und ber
Effect der ganzen Kataflrophe erhebt ſich kaum zu ber durch
eine gewöhnliche Salonsintrigue erregten Spannung. In deut:
ſcher Sprache ift derſelbe Stoff beiweitem befler behandelt wor:
den. Trotz aller Mühe, bie fig Herr von Girardin in feiner
„Presse“ unb in den ihm befreundeten Journalen gab, gelang
e8 daher doch nicht, ber Arbeit feiner Gattin ungetheilten
Beifall zu verfchaffen, und felbft bie Anftrengung und das Tas
Ient von Fraͤulein Rachel vermochten es nicht, die Äußerungen
bes Misbehagens bei der erften Darftelung im Théatre fran-
gais zu unterbrüden. 6.
Nordameritanifhe Miscellen.
(Auszüge aus den Öffentlihen Blättern der MWereinigten Staaten
vom Jahre 1842.)
Ein Hr. Maffey, meldet der „Reading Adler” In Penns
folvanien, machte Berſuche mit dem Pflanzen bes Welſchkorus
und erlangte folgende Refultate: Ex nahm eine Heine Quanti⸗
tät von dem zum Pflanzen beflimmtın Weiſchkorn unb weichte
es in eine Aufıdfung von Galpeter ein, wovon er fünf Reiben
pflanzte; ber übrige Theil bes Felbes wurde ohne biefe Vor⸗
bereitung bepflanzt. Der Erfolg war unglaublich, die fünf wit
Salpeter gepflanzten Reihen gaben eine reichere Ernte als B
von ben andern Reiben. Die fünf waren unberährt vom
Wurme, während faft alle andern flar von feiner Verwuͤſtung
getitten hatten.
Die Zeitungen aus den weſtlichen Staaten von Amerila mer
ben, daß dort jegt viel Brenndil aus Welſchkorn bereitet
wird. Das Korm wird nämlid zermalmt und in Gährung ge
bracht und während berfelben fondert fi das Öl von den mehe
ligen und fonftigen Beſtandtheilen ab und ſchwimmt obenauf.
Diefes DL foll ebenfo gut brennen wie bas beſte Sperwacetidl
und feinen wibrigen Geruch verbreiten. Die überbleibſel bei ver
Babrikation geben überdies noch vortreffiiches Viehfutter.
Die Einwohner des Staats Michigan legen ſich bereitd ber
beutend auf die Obſtbaumzucht. Zus einer Baumfdule in
VYpfilanti wurden in dieſem Fruͤhjahr allein über 18,000
Dbftbäume verkauft und ein Ooͤſtbaumhaͤndler in jener Gegenb
bat berechnet, daß in dieſem Staate im laufenden Sahre wenig
ftens 50,000 Obſtbaͤume angepflanzt worben find.
Aus Wareham in Maſſachuſetts wird berichtet, daß Me
Fiſcher im Kgemamfufk in einem Nachmittage die faſt unglaube
liche Anzahl von 320,000 Häringen fingen. Diefe Fiſche fer
gen im Frühjahr aus dem Mecre in die Fluͤſſe Neuenglande,
um bort gu laichen, unb zwar fn fo dichten Waffen, daß man
fie mit Eimern ausfhöpfen Fann. . 33,
Berantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brodbaud. — Drud und Verlag von F. %. Broddaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonnabend,
Bıalow:- &ummerow.
(Vertfegung aus Mr, 158.)
Noch an einem andern Weifpiele wollen wir zeigen,
wie ganz umvermerkt, ja zumelten abſichtswidrig, die Bu⸗
reaukratle Ihre Anfichten und Plane ber Regierung unters
zufchieben und biefeibe dazu zu bereden, ihr damit aber
Be Macht aus der Dand zu winden und ihrer entfchies
benften Abſicht entgegenzuwirken weiß. Es beweiſt dies
ber Entwurf des neuen Strafgefezbuches, den man fich
daburch ungemein leichte gemacht hat, daß es einmal ver:
mieden worden ift, auf irgend eine Begriffsbefimmung
der Verbrechen einzugehen, und zweitens, dab dem richter⸗
lichen Ermeflen ein ungeheurer Spielraum in der Wahl
dee unbeſtimmten Strafen eingeräumt worden ift. Beides
kann nur den Erfolg haben, die richterliche Subjectivität
auf den Richterfühlen auszubehnen und bie Objectivitaͤt
davon zu verdrängen, oder, mit andern Worten, den Ber
euf -der fländigen Gerichte zu vermehren und die Sehn⸗
fürchte nach Gefchworenengesichten zu beföchern, ganz ficher
gegen die Abfiht der Regierung. Der weſentliche Unter:
fied der fländigen Gerichte und der Jury iſt eben fein
anderer, ald daß jene objectiv und diefe fubjectiv zu Recht
fprecyen, das heißt, daß jene den Thatbeftand, uͤber den fie
richten follen, unwandelbar feflzuftellen und ihn demnächft
unter allgemein feitftehenbe gefeßliche Beſtimmungen ums
terzuordnen bemüht find, indem fie die Üsereinfiimmung
ber Merkmale an jenem mit den Rehnzeichen in diefen
nuchreifen; wogegen diefe die Auffoffung des Thatbeſtan⸗
des ſowol als die Urtheileblidung bee individuellen Auf⸗
merkſamkeit und Geſchicklichkeit eines jeden Richters ohne
frgend einen Nachweis darlber anvertrauen. Wo folglich
wahre und zuverläffige Rechtshegung allein fattfinden
ann, und wo ein bloßes Schaugepränge, durch welches
Die Veraͤnderlichkeit dee Subjectivitaͤt unter dem Anfcheine
einer großen Achtung des Rechts umd ber Gerechtigkeit
verſteckt wird, iſt unfchwer zu begreifen. Dennoch ift ſeit
einiger Zeit das Verlangen nach Gefchmorenengerichten und
mündlichen Verhandlung überlaut und allgemein geworben,
fo ſicher es aus dem eben angeführten Grunde auch ift,
daß eben dieſe Erſcheinung geradezu umfer Uetheil über den
innern Gehalt der fländifchen Beſchlußfaſſungen beftdtigt.
Die Welt will betrogen fein, iſt ein befannter Sag; und
wer am beten Komödie zu fplelen verficht, beträgt fie am
leichteften.” Denn alle Welt laͤuft Lieber Ins Theater ale
in eine Lehrflunde; ein „Nathan ber Weife” ober „„Hamtet”
aber bat heutzutage auch keinen Zulauf; Dper und Bal⸗
let find im Gefhmade der Zeit. Schon um deswillen
wird die Fury größen Beifall finden als fländige Ges
richte, bi8 das Bolt unter dem Beile einer Sternfammer
fühlen wirb, wozu fie brauchbar if. Weil aber diefe Er⸗
fahrung uns Deutfchen noch abgeht, fo meinen die Meis
fien in diefem Inftitute dasjenige Mittel zu erkennen,
durch welches eines der gewichtigften Mittel ber öffent
lichen Gewalt in die Hände des Volks gebracht und das
durch rin Theil der bemfelben zur Ungebuͤhr vorenthaltenen
Theiinnhme an den Öffentlichen Angelegenheiten ausgegli⸗
dyen voerden wuͤrde. Daß dies die Dauptteiebfeder bed
Begehrs nach diefer, aus der erflen Kindheit der Rechts⸗
Pflege herſtammenden Anſtalt, aber auch des’ ernflen Wis
derſtandes der Regierungen, darauf einzugehen, in fich ents
halte, kann keinem tiefer bliddenden Auge entgehen. Wenn
man nun aber Befegblicher herausgibt, welche für den al
lerroichtigften Theil der Rechtsbeſtimmung, nämlich dee
Staffification der verfihledenartigen Borgänge, gar keine
Borfchriften enthalten, macht man es eben dadurch fo weit
unmöglich, objective Mechtefprüche zu geben, und verwans
beit damit ganz von felbft die Ratur der fländigen Ge»
richte In Geſchwornengerichte. Die unausbleibliche Folge
diefes großen Nüdfchritts der Befehgebung kann nur der
fein, daß entweder bucch authentifche Beftimmungen, durch
wiſſenſchaftliche Erklärungen und durch einen fich ausbil⸗
denden Gerichtsgebrauch nach und nach die gemachte Lüdte
wieder ausgefüllt wird, bis fih am Ende die Nothwen⸗
digkeit ergibt, aus allem desfallfigen Wuſte wiederum eine
neue ergänzende Gefegfammiung auszuziehen, oder aber
daß es ganz und gar In das Begriffes und Erkenntniß⸗
vermögen jedes Richters geftellt wird, was er aus jedem
Vorgange zu machen für angemeffen bäft, folchergeftait aber
die buntfchedigiten Urtheile zu erleben und die Rechtöpflege
dem Zufalle zu überantiworten. In dem einen, wie in
dem andern Falle werden die häufigften lagen und Uns
zufeiebenheie nicht auöbleiben. Die allermeiften Menſchen
fühlen wol, daß und wo fie der Schub bradt, aber
wiffen darum noch nicht, warum er brüdt und wie bem
abzuhelfen ift? Nur bie fehe gut unterrichteten bleiben
nicht bei der nächften Wirkung ftehen, fondern ergeiänden
- — un.
\
04
bie entferntere Urfache davon. Es kann mithin auch nicht
fehlen, daß jene Unzufriedenheit den Übelſtand der beftes
benden Rechtspflege und ber Beſchaffenheit der Gerichts:
böfe beimeffen werde, da dieſe doch ganz unfhuldig daran
find, vielmehr das neue Strafgeſetzbuch die ganze Schuld
auf ſich hat. Die gemeine Meinung wird alfo die ftaͤn⸗
digen Gerichte um fo mehr noch verdammen und um fo
fehnfüchtiger nach der Jury ſchreien. Vielleicht daß die
Regierung am Ende nadygeben zu müffen glaubt!
Zwar bat keine einzige der fänımtlichen Provinzial⸗
fländeverfammlungen bdiefen Mangel des Geſetzentwurfs
aufgefaßt und gerügt; aber dadurch, daß er ihnen vorge:
legt worden, iſt doch uns bie Gelegenheit gekommen,
ihn zur Sprache öffentlich zu bringen, die weitere Erwaͤ⸗
gung Denen anheimgebend, denen fie zuflcht. Auf diefe
Weiſe beſchraͤnkt fi die Sphäre der Berathung nicht blos
auf den Kreis der Ständeverfammlung, fondern erftredt
ſich mittelbarerweife über Alle, welche ſich berufen fühlen,
ihee Stimme zu erheben. Dies und der davon unabloͤs⸗
liche Gewinn an Erwägungen und Einſichten iſt der un:
Ihhägbare Vortheil des Daſeins von Landfländen, in deren
Mitte fi) am Ende meift doch zufammendrängen muß,
was Brauchbares von irgendwoher zu Tage gefördert wich,
und woburd es unmöglich wicd, daß die Bureaukratie in
Einfeitigkeit oder Dummheit oder Unlauterkeit verfinke.
Se ernfllicher vielmehr die Stände ihre Beſtimmung er:
fuͤllen, deſto unausweichlicher befindet ſich die Regierung,
fi) mit der größten Intelligenz und Rechtſchaffenheit zu
umgeben. Günftlinge, Blender und Leute ohne Verdienſt
koͤnnen ba nicht am Plage bleiben. Umgekehrt, wenn bie
Stände nicht blos eine berathende, ſondern eine befchlies
Bende Stimme haben, bilden fid) bald Parteiungen und
Parteianfuͤhrer nicht um der Sachen willen, fondern les
biglich zu dem Zwecke, um dadurch zu einem Anſehen zu
gelangen, durch welches die öffentliche Macht genöthigt
wird, ſich mit den einflußceichen Leuten zu befteunden, ja
fi) ihnen in die Arme zu werfen und ihnen bie Leitung
dee Geſchaͤfte anzuvertrauen. Dieſes gefährliche Partei
fpiel, das immer bösartiger wird, je länger es dauert,
wird wieder zur erſten Ruͤckſicht aller vorzunehmenden
Schritte, worüber bie Angelegenheiten der Landeswohlfahrt
in den Hintergeund treten müflen. So offenbart fi
abermals, wie ſehr der Schein trügt, und wie dem Lande
duch Stände mit berathender Stimme weit mehr geges
ben wird als mit entſcheidender.
Indeſſen ift nicht außer Acht zu laflen, daß hierbei
‚nur von der Wirkſamkeit der Stände für die Geſetzgebung
und folche Einrichtungen, welche das Land angehen, bie
Rede war, und daß eben diefe Wirkſamkeit nur einen
Theil des fländifhen Berufs ausmacht. Einen zweiten
Theil deffelben erfüllt ihre DObliegenheit zur Bewahrung
und Vervollkommnung ber Landesverfaffung felbfl, wie
Ihon erwähnt ift, und wobei es ſich von felbft verficht,
daß ihre Beichlußfaffung eine maßgebende fein muß. Eben
dies iſt auch der Kal in Betreff des dritten Theils ber
Mirkfamkeit der Stände, der in der Gontrolirung ber ges
fammten Staatsvermaltung in allen ihren Zweigen beſteht.
Der Verf. gebenkt nur eines Leinen Theils biefer Witk⸗
famteit, naͤmlich des Petitions⸗ und Beſchwerderechts und
der Vorlegung bee Rechnungen über den Staatshaushalt,
damit bie Stände dadurch von biefem voliftändige Kennt:
niß erlaugen und die Überzeugung dev Verwendung des
Staatsvermögend zum Beſten des Landes. Allein das
Geld ift nicht das Wichtigſte; die immateriellen Güter
ftehen noch höher. Wie es nöthig iſt, da die Verwaltung
über die Anwendung und Verwendung jenes Öffentliche Re:
chenſchaft gebe, fo auch über den Gebrauch, die Erhaltung
und die Verbefferung dieſer. Die bürgerliche Ehre umd
Freiheit, die Anflalten zur geiftigen Ausbildung und pu
Beförberung der Sicherheit in allen | zum
Flore des Ackerbaus, des Gewerbes und Handels, die
Rechtspflege und Policei im ganzen Umfange find Dinge
von dem hoͤchſten Intereſſe für alle Lamdesbewohner, folg⸗
ih auch für die Beobachtung des Ausfchuffes derfelben,
durch welchen das Landesintereffe vertreten werben fol.
Dabei iſt das Unterlaſſen fchwieriger wahrzunehmen als
das DBegehen, aber von nicht geringerer Wichtigkeit ; und
das Wichtigfle von Allem ift die Heilighaltung des Grunde
ſatzes ber Deffentlichkeit, daß durchaus nichts den Staͤn⸗
den verborgen gehalten oder ihnen über irgend etwas voll⸗
ftändiger Nachweis verfagt werden darf, was in ber Staats:
verwaltung geichehen ober unterlaffen worden iſt, fobala
fie darnach Erkundigung anftellen. Die Öffentlichkeit if
das genügende, aber auch allein ausreichende Palladium ber
Landeswohlfahtt. Altes Gute läßt fie ſich gern gefallen; als
(ed Arge fcheut fie und fucht das Geheimniß. Es gehört
alfo zur ſtaͤndiſchen Wirkſamkeit, darauf zu fehen, daß bie
Derfaffung und die zu ihrer Sicherung feftgeflellten reis
heiten ober Rechte weder unmittelbar angetaftet noch mit⸗
telbar untermühlt werden; baf im ganyen Staate unb
befien Verwaltung nirgend eine Ungeſetzlichkeit fkattfinde,
noch unerlaubte Willkür; daß jede Beſchwerde diber eine
Behörde gehörig unterfucht und ihr gebührend abgebolfen
werde; endlich daß bie Aufmerkſamkeit auch darauf gewen⸗
bet werde, was unbeachtet geblieben, aber nicht bebeutunge:
108 if. So weit nun vermöge bdiefer Controle von bem
Ständen Anträge gemacht werben, die auf zu nehmende als
gemeine Maßregein abzielen, greift dies in die Geſetzge⸗
bung ein, bei welcher den Ständen nur die Berathung
und die Derlautbarung der Wünfche des Landes zugebil⸗
(ige voerden kann. Anders verhält es fich bei Beichwerben
über unmittelbare ober mittelbare Verlezungen der Ver⸗
foffung, über begangene Geſetzwidrigkeit, Pflichtvergeſſen⸗
beit oder unerlaubte Willkuͤr. Die Befugniß, dergleichen
zu rügen und auf Abftellung zu dringen, wäürbe zu einen
leeren Gebelle werden, wenn ihr nicht das Recht auf Ach⸗
tung derfelben zur Seite ſtaͤnde. Die Regierung darf
feine gegründete Beſchwerde zurudweifen. Darüber aber,
ob diefelbe gegründet fei ober nicht, koͤnnen freilich weder
die Stände noch die Regierung, welche durch ihre Billi⸗
gung auf die Seite einer angellagten Staatsbehörbe tritt,
einfeitig abfprechen, well beide Richter in eigener Sache
fein würden. Nichts iſt eine fo Lächerlihe und zugleich
aͤrgerliche Komödie, als wenn Miniſter, ber welche Kla⸗
⸗
615
gen gefuͤhrrt werden, dieſelben unter ben Namen bes Re⸗
genten für unſtatthaft erklären, den Ständen Verweiſe ge:
ben oder fie ausfhmähen. So unverlegli die Würde
und Perfon de6 Regenten fein muß, ebenfo auch das Ans
ſehen der Landesvertretung. Die Werfaffung muß bafür
Vorſehung tr fen, daß nur im folchen Formen verkehrt
werden darf, weiche diefer wechfelfeltigen Ehrerbietung kei:
nen Eintrag thun, und daß ein materieller Streit, der
Succh Unterhandlung nicht zur Ausgleichung gebracht mers
den kann, auf unpartelifche Weiſe durch einen oberſten
Staatsgerichtshof zur Entfcheldung und zum Austcage
Zomme, damit kein Zwieſpalt erwachle, der immer weiter
Hofft, je weiter die Spaltung geht. Ohne einen folchen bat
das ganze Gewölbe der Verfafſung keinen Schlußſtein.
Auch von Denen, melde die Hichtigfeit ber aufgeftells
ten Grfoberniffe begreifen, glauben Manche, es möchte gut
fein, nicht damit auf einmal hervorzutreten, ſondern ſich in eis
ner gewiſſen Hatbheit zu halten unb nur flüdweis nach und
nach immer Weniges herauszugeben, das man allenfalls, wenn
es zu unbequem würde, wieder zuruͤcknehmen koͤnne. Gin fols
des Spiel zu treiben, ſcheint mehe als gewagt; denn die Ver⸗
Hältwiffe der Regierung zum Volke find zu ernfl, um baraus
ein Spielwert zu machen. In allen Beziehungen gibt es nichts
Tadelnswertheres als die Halbheit. Die Bedingung aller ſocia⸗
len Berhaͤltniſſe ift bie Unterordnung bes Willens aller Einzel⸗
nen unter das allgemeine fefte Geſez. Wenn nun ben Fürften
bie Aufgabe geworden iſt, den geſeglichen Zuſtand aufrecht zu
erhalten, fo fest dies doch das Vorhandenſein ſolcher Weftims
mungen voraus, in denen nothwendig auch ber Umfang ihrer
eigenen Obliegenheiten und Befugniffe feft beftimmt fein muß.
bien fie, fo entbehrt bie Regierung der Hauptflüge, auf wel⸗
fie ruht, und zugleich die moraliſche Kraft, welche aus ber
innigen Bereinigung von König unb Bolk hervorgeht und weis
de den Thron gegen ben Parteigeift, ben Ehrgeiz und ben
Egoismus zu ſchuͤten vermag.
Denn fehlen fie, fo waltet nicht das Geſetz, fondern
Willkuͤr; unter jenem iſt der Staatsbürger Unterthan,
unter dieſer Sklave.
Se Ichärfer und zuverläffiger bie Grenzen ber Befugnifle
einer jeden Stellung, eines jeden Verhaͤltniſſes im Staate bee
ftimmt find, um fo geficherter iſt bie Ordnung ber Dinge und
Die Heftigkeit des Staatsverbandes. Denn nichts if conferdas
tiver als die GBefeglichkeit.
(Die Bortfekung folgt. )
Die Franzoſen in Dezptſdland im 15. Sabre:
undert.
Wie die Franzoſen im 17. Jahrhundert auf Ludwig's XIV.
Befehl in Deutſchland gehauſt, wo ihre Brandfadel am Rheine
und Nedar leuchtete, N weitkundig; weniger befannt find ihre
fruͤhern Sinfälle über die deutſche Grenze, bie fi damals noch
weit jenfeit des Rheins ausbreitete.
As Wilhelm von Diet, Erzbiſchof zu Strasburg, von
dem Dombechanten unb einigen Gapitularen gefangen gefegt und
felbft auf das Gebot bes Concils zu Koftnig nicht leid in
Freiheit gefett ward, ba hatten feine Kreunde für ihn thätig
ft, daß ber Kaifer Sigismund durch einen firengen Befehl
die Eoslaffung des Biſchofs erzwang. Ob diefer unmittelbaren Ans
theil an ber Ankunft ber franzöftfchen Kriegsleute hatte, die in eins
einen Banden das Land umher durchzogen und durch einen Herrn
von Finftingen aus dem Lothringifchen über Zabern in das Elſaß
gerührt wurden (1439), 14ßt fi mit Sicherheit nicht beſtimmen.
iefe Truppen hatten vorher unter dem Befehl eines Grafen von
Armagnac geftanden, man gab daher bem ganzen Haufen diefen
Natnen, den bie Rheinländer in Arme Gecken ummanbelten.
@ie Hatten bie Nacht um Zaubern in ben Doͤr elogen
und erſchienen am frühen Morgen vor ae fünr
Haufen um die Stadt aufgeſtellt, hoffend, die Bürger würben
herautkommen; body wehrte bies der Hauptmann Rüle Bars
pfennig, ben bie Bürger gewählt hatten. Nur etwa 600, meiſt
gemeines Bolt, gingen hinaus, wurben aber übel aufgenommen;
O blieben tobt, viele wurben gefangen und mußten ſich 1öfen.
Die räuberifchen Horden zogen nachher weiter, theils nach Da⸗
genau und Beummt, theils aufwaͤrts auf Molsheim, Roßheim,
ndiau; fie plünderten und verbrannten über 100 Dörfer und
ſchuugen tobt, wer ihnen in den Weg kam. Sie fanden nir—
gend Wiberfland; man hatte fidy keines überfalls verfeben und
war nicht darauf gefaßt. In Strasburg befeftigte man ſich
alles Fleißes, hieb die Bäume rings um die Stadt ab, zandete
bie Haͤuſer auf ber Bänfeweide an und bielt ſtarke cht.
Nachdem fie ſich bei Schlettſtadt verſammelt, 16,000 Mann zu
Roß, zogen fie nach dem obern Elſaß, „hatten 600 ſchoͤne Weis
bee bei ſich auf Pferden und viele Wagen und Karren mit
geftoplenem But”. Zwar folgten ihnen ZOO Pferde des Pfalz⸗
grafen Ludwig und wol 10, Mann Landvolk, bie in der
dandvogtei und in der Stadt Strasburg zufammengebracht wa⸗
ven; nachdem fie aber vernommen, baß die Armagnacs forte
gezogen waren, begaben fie ſich audy; wieder nach Haus. Jene
raubten und plänberten alle Kirchen und Ktöfter, nahmen Keiche”
und Monftrangen und morbeten, wen fie antrafen; nad) brei
Bochen zogen fie wieder über das Gebirge nach Lothringen.
Ste follen bei bem Abzuge von den Herren und Grafen von
Lichtenberg, Ochſenſtein, Lüselftein, Solms und Andern ans
gegsiffen und 2000 erfchlagen worden fein; doch behielten fie
das Feld und zogen nach Frankreich.
Als das Gonct zu Baſel und ber oͤſtreichiſche Krieg noch
währte (das dem Herzoge verbuͤndete Zürich hatte 1443 unters
gelegen und Bern bedrohte die Worlande bes Herzogs), da wandte
ſich Kaiſer Friedrich III. an feinen Schwager, Karl VII. von
Frankreich, und bat ihn, nach Beendigung des Kriegs mit Eng
land die Armagnacs, welche der gemeine Mann Arme Gecken
nennte, ihm zu Hülfe heraus zu ſchicken, die Schweizer damit
zu dbemmen, auf daß andere Voͤlker hören mögen, ihren Koͤni⸗
gen und Herren Gehorfam zu leiften. Zu folchem half ber Adel
Im Lande meiſterlich und griffen tapfer auf die Schweizer; hiers
mit meinte auch Kaifer Friedrich und Papſt Qugenius, das
Concilium zu Baſel zu verftören, jeber fah auf feinen Rugen,
aber der Armen ward nicht gedadht.
Während bie Schweizer vor Zuͤrich und Frundsberg lagen,
kam König Kart mit feinem Sohne Lubwig, bem Bauphin,
nach £othringen, foberte Mez, Toul, Berdun unb viel andere
St te, ſo zum Reiche gehörten, auf, ſchickte feinen Sohn vor⸗
aus in das Eiſaß (im März 1444) und ließ andeuten: „baß
Gtrasburg und die ganze Landfchaft bis an den Rhein zu Frank⸗
reich gehöre (7); begehrte: man wolle im Eiſaß 24, Mann
aufnehmen , babe im Übrigen nichts wider das eich vor, fon»
dern fei von dem Katfer wider die Schweizer zu Hülfe gerufen.’
Im Auguft 1444 zog der Dauphin mit 32,000 Pferben
auf Wömpelgarb, baher ließen die im Concil von Baſel es den
Zuͤrichern wiffen, die zum Schutz berbeigogen, aber an ber Birs
800 Mann verloren. Zum zweiten Male von den Franzoſen
angegriffen, wurben fie bei St.⸗Jakob'e Kapelle faft ganz aufe
gerieben und zerſtreut; fie Hatten 1100 Todte, doch die Feinde
nit weniger, denn bie Schweizer hielten fidy mannlich unb
fagte ber Dauphin, „baß er mit benfelben keine Schlacht mehr
begehrt zu wagen”. Gern wären bie von Bafel den guten reb⸗
Liden Leuten zu Hülfe geflommen, der Dauphin aber frie
8000 Pferde auf den Halt geftellt, fie und die Stabt zu übers
fallen, wenn fie ſich berausbegeben hätten.
Die Öftreicher führten den Montgommeri mit 6000 Pfer⸗
ben nad) Rheinfelden, Lauffenburg und Waldshut, da zogen bie
vor Frundsberg eilig ab, fchägten die Stadt um eine große
Summe und wollten über den Schwarzwald ing Breisgau; doch
weit ber Landvogt den Wald und alle Wege verbauen Taffen,
mußten fie zuräd gen Altenkicchen um Dauphin. Die Übrigen
an Munftrot, Demertüch und Enflöpelm.
Hler hatte Papft Felix eine Zuſammenkunft vorgeſchlagen,
auf der ein Vergleich zu Stande kam: daß bie Gidgenoffen dem
Daupbin 4l, Gulden erlegen und damit einen Frieden er⸗
kaufen ſollten, der zwar verbrieft und verſiegelt, aber nicht ge⸗
halten warb.
Der Dauphin foderte den Biſchof von Strasburg zu ſich
nad) Enſisheim, um von ihm Ruſtach und Egisheim einzubekom⸗
men. Er gab ihm ben legten Ort. Die Übergabe von Her⸗
liäheim ergwang ber Daupbin durch die Drohung: ben Herrn
won Hattitädt öpfen zu laſſen; ebenfo ergab fi) St.⸗Poͤlten
nach zweimaligem vergeblichen Gtürmen, weil ihr Oberfler er
ſchoſſen warb. Rachdem bie Zranzofen aller Bleden und Doͤr⸗
fee um Strasburg ſich bemächtigt hatten, kamen Briefe von bem
Herrn von Briffac und dem königlichen Kämmerer Veronne mit
dem Anfuchen: daß fie ungehindert aus⸗ und einveiten und fr
ib: Geld zehren koͤnnten; doch ward es Höftichft auräckaewiefen.
Sie fen barant in bie ut, wo die Mönche 1000 gIl.
anbfchagung za mußten.
Bald darauf * der Marſchall Johann von Finſtingen
mit 4000 engliſchen Reitern unter dem Oberſten Macle herein,
die in Wirtersweiler nachteten und dann weiter gogen. In
Markolsheim, dem Biſchof von Strasburg geboͤrend, fanden fie
keinen Widerſtand, wol aber in Rheinau, das von Strasbur
aus beſetzt war und tapfere Gegenwehr leiſtete; wofelbfi a
ein Anführer der Franzoſen erfchoffen ward.
Die Stadt Roßheim hatten fie mit harten Bebrohungen
aufgefodert, während fünf auf der Mauer fiehende Bürger es
weiter bringen Tonnten, ward einer berfelben an einer Zinne
erfchoffen, worüber bie andern Bürger bergeftalt erichraten, daß
fie etlichen mit Leitern über die Mauer geholfen und aud mit
ihnen das Thor inwendig geöffnet haben. Als bie Armagnacd
fo in bie Stadt gekommen, ſchwuren die Bürger ben Martchall,
der verhieß ihnen zwar, daß er fie bei ihren Freiheiten wollte
bleiben Lafien, ba bie Gecken aber Alles inne hatten, fpielten fie
den Meifter über der Moßheimer Leib und But, Auch Schioß
und Städtchen Biſchofsheim fiel in ihre Dändes in Wangen
hingegen ſchlugen bie Bürger den Sturm ab und zogen fich
dann in das Schtoß zuruͤck, wo num bie Brangofen ſich mit
Quartier und Eſſen gegen Bezahlung begnügten. Dambach
Yeiftete drei Tage lang unericheodene Gegenwehr, obgleich ber
Daupbin felbft zugegen war und bie Mauer an zwei Orten mit
Geſchuͤtz befchießen ließ, wobei er ſelbſt durch einen Pfeil am
Knie verwundet ward. Die Einwohner befamen freien Abzug
mit Allem, was ein Zeber auf einem Pferde fortbringen koͤnnte.
Das hielt man ihnen fo lange, bis fie vors Thor kamen, ba
nahm man ihnen baflelbe au. Ebenſo erging es ben Ein»
wohnern von Weftbofen, die ſich mit ben Raͤubern um das
halbe Gut vereinigt hatten. „Wie fie aber jenes hatten, nabs
men fie das andere auch.“
Nachdem fie ſich der meiften Eleinern Orte bemäcdtigt hats
ten, verlegte der Dauphin feine Reiterei in diefelben : die Spar
nier nach Egisſsheim, die Engländer nach Roßheim und die
Franzoſen in bie andern, zufammen 28,580 (oder nady einer
andern Urkunde 33,300 Pferde). Er felbft nahm 2000 Reiter
zu feiner Begleitung, als er zu bem Herzog von Eothringen
reiſte. Won den in ber Umgegend von Strasburg zuruͤckgeblie⸗
sen fagt bie Urkunde: „Die Armenyaden betrugen ſich, als ob
das Land heidniſch wäre und die Leute darin alle ungläubig,
Mörder ober Keger. Denn fie ſchonten Niemand, weder in
Kirchen, Kiöftern, geweihten ober gefreiten Orten, in Staͤdten,
Dörfern oder auf dem Felde, wenn fie an bie Leute kommen,
fie feien geiftiih ober weltlich, Prieſter oder Laien, Männer,
auen, Knaben, Töchter, Kinder alt und jung, ſchlugen und
achen fie viel zu Tode: einigen ziffen fie ihre Kehlen ab, cinige
erſchoſſen fie, einige hieben ober flachen fie wund und liefen fie
für todt liegen, einige nahmen fie gefangen und marterten und
peinigten fie jämmerlih, einigen banden fie Bände und Füße |
zuſammen unb fie. ſo gebunden Tag und Racht Hey,
daß Haut und —* durchſchnitten wurben und bie Bande bis
auf die Knochen gingen. Etliche töbteten fie felbft, wenn fie
ſahen, baß fie id elähmt hatten, andere fharben vor Kälte
im Winter, oder erfroren Hände und Füße, denn ſobald fe
Semanb fingen, zogen fie ihm b und Kleiber aus, nahmen,
was daran gut war, und ließen bie Gefangenen nackend.
verbrannten in ben angeftedien Haͤuſern, wo fie gebunden Ias
en und ihnen die Boͤſewichte nicht heraushalfen; andere liefen
he Hungers fterben, wenigftens mußten fie Bunger und Durft
leiten, unb waren in Kiften oder Faͤſſer eimgelpertt. Denen u
noch wohl ging, bie mußten am age arbeiten, was ihnen ge
peißen warb; des Nachts wurben fie wieder in ben Kerker ge
rat. Wer da klagte, daß er wegen Armuth nichts geben
koͤnne, ber ward über Tag gequätt mit Schlägen, Fußtritten
und dergleichen. Wer Löfegeld bot, aber es zur beffimmten Beit
nicht aufbringen konnte, über bie wurden fe ergrimmt, ſchait⸗
ten ihnen ben Hals ab, hingen fie auf, erſaͤuften fie oder
gelten fie zu Tode.“
„Sie nothzüchtigten und misbraudhten Frauen, Sinbbeites
sinnen und Kranke, beſonders Jungfrauen, denen fie bie Haͤnde
auf den Rüden banden. Gtlichen fperrten fie bie Beine übe
Wannen und fchaürten ihnen bie Züfle an bie Handhaben.
So mishanbelten fie eine nach ber andern und beoingen au
fonft mit Weibern mancherlei böfe üppigkeit und verfinchte
Muthwilligkeit, desgleichen nie mehr gehört ward und auch zu
grob ift, zu ſchreiben.“
Sie zaubten und brannten auf foldhe Art täglich im danke,
wo fie nur in die Staͤdte, Gchiöffer ober Dörfer kommen konn⸗
ten; ohne Ruͤckſicht, ob die Stadt ober das Gchloß befeit ober
von oben her verbrieft war. Gie waren Herr und Meiſter;
gab man ihnen nichts, fo nahmen fie ſelbſt, jagten bie Leute
aus ibren Däufeen und vertrieben fie aus der Stadt oder dem
Schloſſe. Viele gingen freiwillig fort, verließen Daus und ‚Hof
und wanderten mit Weib unb Sind als Bettler fort, ihr Habe
und Gut hinter ſich kaflend, das die Armagnacı veroifiten
und vergeubeten.
Als nun bee Winter kam, hatten fie einen Landfiri von
mehr als 20 Meilen eingenommen, wo fie in den Staͤdten la⸗
gen und Nahrung und Fuͤtterung vom Lande herbeiſqhleppten.
Es fehlte an fördernden Anftalten, fie zu vertreiben; denn was
gefchehen, war nicht hinreichend, wenn ſich auch einzeine zuſam⸗
menthaten , bem räuberifchen Bolke Wiberftand zu thun. Zwar
wurden viele deſſelben von jenen erſchlagen, erkoffen ‚ gefangen
und ertränft, fobaß. bie Anführer, als fie endlich nach Kothrins
sen fortzogen, den Verluſt über 10,000 Mann beredjneten, unter
denen mehr al8,1000 Herren und Ritter waren, die in den bluti⸗
gen Schlachten mit den Schweizern gebliebenen mit eingefchloffen.
(Der Beſchiuß folgt.)
Literarifhe Anzeige
Durd alle Buchhandlungen iſt von mir gu beziehen:
Asverus (®st.),
Die Denunriation der Römer und ihre ge
ſchichtlicher Zuſammenhaug mit Dem tr:
ſten procseinleitenden Derrete.
Gr. 8. 1 Thir. 15 Ngr.
Woeniger (A, Thdr.),
Das Saeralſyfſten und das Provoeations.
v sen Der Römer. Zwei Beiträge zur Kunde
bes roͤmiſchen Staats: und Rechtstebens.
Gr. 8. 1 Thle. 24 Nor.
Reipzig, im Mat 1843.
F. A. BSrockhaus.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brocbaus in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Sonntag,
Bülow: SGummerow. _
( Bortfegung aus Rz. 184.)
Nicht nur das Beduͤrfniß einer gefchriebenen Berfafs
fung hat fomit der Verf. klar gemacht, fondern ſich audy
über bie leitenden Grundſaͤtze bei deren Schöpfung richtig
erklärt. Was in einem lebenden Weſen felbfl lebendig
werden fol, muß ſich an dad Beſtehende anfchließen und
mit demſelben bergeftalt vereinigen, baß die Verbindung
eime ganz innige wird. Überall folglich darf im Staates
eben feine Einrichtung nach bios theoretiichem Ermeſſen
getroffen werden, fondern nur in bifkorifcher Anknipfung
und Entwidelung dergeſtalt, daß das Beſtehende genöthigt
wird, ſich von innen heraus in ber beabfichtigten Art ums
zugeflalten. Dagegen darf ba6 Beflchende darum, weil
es entſtanden iſt, noch keinen Anfpruh auf Kortbeftand
amd ungeſtoͤrte Fortdauer machen, weil bie Zuflände uns
ter den Menfchen beimeitem mehr ohne Vernunft und
wider die Vernunft ſich geflalten, als mit und nach der
Vernunft. Diefe aber iſt für Vernunftweien immer der
Leitſtern und die Regel, nady deren Srundfägen alfo alles
Siftorifche beurtheilt, gewuͤrdigt und ihm untergeordnet
werden muß. Darum muß alfo, was gefchieht, zeitgemäß
gefhehen (S. 94), das heißt auf die Weiſe, daß das Bes
ſtehende nicht gewaltfam über den Haufen geworfen und
vernichtet, fondern daß ihm eine ſolche Richtung und Thaͤ⸗
tigPeit gegeben wird, daß ed der Einrichtung zuwaͤchſt und
fie felbft verwirklicht, welche den Anfoderungen einer rich:
tigen Politik (Staatsweisheit) entfpriht, welche nie und
nirgend aus den Augen gefegt werden barf, und beren
Beboten zu genügen, allerdings kein Opfer zu ſchwer füllen
darf. Überall hierbei tft aber noch zu bedenken, daß nicht
Die Außere Erſcheinung, fondern die Innern Verhaͤltniſſe,
Kräfte umb Triebfedern der Dinge das Weſentliche derfel:
ben ausmachen unb beshalb weniger jene, als biefe zu
Eennen und zu beachten find. Ebenfo wichtig iſt die Be⸗
merkung, daß unter der Megel, das Hiſtoriſche zu chren,
ebenfo wenig ein Felthalten der Gegenwart ald eine Zu:
hrung auf irgend eines früheren Zuftand gemeine
fein koͤnne (S. 93). Was vorübergegangen und erflorben
ift, Liefert eben damit den Beweis, daß ihm die Lebens:
kraft — iſt, die kein Menſch irgend einem
Stoffe einfloͤßen kann, außer durch die Aufnahme deſſelben
in die einfachſten Elemente eines organiſchen Koͤrpers.
Nichts Hiſtoriſches hat einen abgeſchloſſenen Zeitpunkt;
was zu einer Zeit war, iſt in einer andern nicht; inſofern man
ſich an die aͤußere Form hält, kann man zu keinem hiſtoriſchen
Refultate gelangen. Möchte aus der Wergangenheit gewählt
werden, was da wolle, fo kommt man auf Zuftänbe, bie in bie
Gegenwart nicht mehr paſſen, bie ſich entweder aufgeloͤſt ober
geläutert haben ober des es verbiichen find, und aus beren
Grabe erft der Mittelftand und bie Lanbeshaheit, biefe Haupt⸗
beftandtheile ber Ausbildung ber beutfchen Monarchien, hervor⸗
gegangen find, weldye, nachdem fie gemeinfchaftlich die Todten
begraben haben, ſich ſelbſt als Demokratie und Gouverainetät
noch einander gegenuberfichen und miteinander ringen, anftatt in
Eintracht und Gemeinſchaft ige Werk weiter zu vollbringen.
Dierzu kommt, daß der premfifche Staat aus einer
großen Menge von einzelnen, auf fehr verfchiedene Weiſe
sufammengebrachten Landestheilen beſteht, von denen bie
meiften ein ſehr verfchiedentliches Recht aufzuweiſen haben.
Die Frage, wie e8 mit dem geſchichtlichen Rechte der
durch Eroberung erworbenen Provinzen flehe, kann auf
fi) beruhen bleiben, weit, infofern es bei ber Erwerbung
zugefichert worden, dieſes Maß gibt und im Gegentheile
es ebenfo ausgemacht iſt, daß bie Eroberung nicht durch
den König allein, fondern als Oberhaupt und mit den
Keäften des Staats gemacht worden ift, daß fie folglich
dem erobernden Staate gehört und dem Recheszuſtande
ber Bürger defjelben keinen Eintrag thun kann. Umge⸗
kehrt vielmehr müfjen diefe Provinzen ale in den Staates
verband ſolidariſch aufgenommen, in deſſen Rechtszuſtand
ebenfalls mit eintreten umd deſſelben theilbaftig werden.
Aber welches Recht der verfdyiedenen Landestheile und
welche Zeit feiner Geltung foll zur hiſtoriſchen Grundlage
für die Verfaſſung de6 Ganzen dienen? Einige Provinzen
befigen ſogar ein gefchriebenes Recht, durch weiches bie
Souverainetät des Fuͤrſten überaus beſchraͤnkt if. Gleich⸗
wol folgt daraus, daß es feit des Großen Kurfürfien Zeit
nicht mehr volftändig und ſeit Friedrich's des Einzigen
Zeit gar nicht mehr beobachtet und ihm nachgelebt worden
it, auf Leine Weife, daß «6 aufgehört habe. Wie jetzt
die Macht fi davon einfeitig entbunden hat, koͤnnten
veränderte Zeitumfiände eine Berufung darauf wieder ber
beiführen. Damit es von Rechtswegen nicht mehr zu
Recht fortbauere, muß alfo ein Rechtsgrund amgeführt
werden. innen, der bie Rechtsverſagung erſt rechtfertigt.
Diefer iſt allerdings vorhanden und beruht in dem hoͤch⸗
fin Staatsgefege, daß in einem Staate nichts Rechtens
fein kann, womit bie Exchaltung und bie Wohlfahrt des
Staats nicht beſteht. Dies unbedingt zugegeben, iſt je:
doch ebenfo ausgemacht, daß die Anwendung biefer fors
mellen Regel auf concrete Werhältniffe und die Umgeſtal⸗
tung einer beftehenden und gefchriebenen WBerfaffung nicht
der einfeitigen Beſtimmung ber Regierung anheim gegeben,
fondern nur durch Vergleih und Vereinigung mit den ges
ſetzlichen Vertretern des Landes fefigeftellt werden kann.
Schon die Klugheit gebietet deshalb ebenſo wie das Recht,
dee preußifchen Regierung ihr Rechtsverhaͤltniß auf recht:
lichen Wege baldmoͤglichſt und zu einer Zeit zu ordnen,
wo man ihr willig entgegentommt und gern jedem billi:
gen Begehren entſprechen wird. So ift «6 in Wuͤrtem⸗
berg gefchehen und der Segen biefer Pflichterfüllung iſt
dort nicht ausgeblieben. Früher oder fpäter kommt bie
Angelegenheit doch zur Sprache. Es iſt aber nicht weile,
es darauf anlommen zu laffen und die Zeit abzumarten,
wo man Rebe fliehen muß und wo die Noth dazu treibt,
auf Das einzugehen, was verlangt wird, fondern es iſt
weife, dem zuvorzulommen und eine Zeit des Friedens
und der Ruhe, des gegenfeitigen Vertrauens und Wohl:
wollens, der Befonnenheit und des Schweigens ſtuͤrmiſcher
Bewegungen im Innern oder von außen zu benugen, um
der Ungewißheit, den Zweifeln und den Beforgnifien ein
Ende zu maden und durch eine verglichene fefte Rechts⸗
beflimmung die Eintracht und das Einverfländniß zu be⸗
genden, in welcher das Volk mit feinem Oberhaupte und
der König mit feinen Unterthanen zu einer moraliſchen
Derfon verbunden find. Es iſt jegt noch dafür eine fo
günftige Zeit, daß faft zu bezweifeln ift, fie möchte jemals
wiedertehren, und bag noch in Wergefienheit kommen kann,
was ſchon verabfäumt worden iſt.
Unſtreitig endlich iſt es, daß, wenn eine Volks⸗ oder
Landesvertretung der Regierung zum Heile des Staats
zur Seite ſtehen muß, dieſelbe nur ihrer Aufgabe Genuͤge
keiften Eann, wenn fie in der That eine vollſtaͤndige Ver:
tretung in ſich fchließt. Da kommt denn die viel befpro:
chene Frage zum Borfchein, was vertreten werden muß
und wie und in welcher Art? Der Berf. Hält dafür
(5. 26), daß die gegenwärtige Einrichtung dem Zwecke,
der Verfaſſung eine größere Geftigleit zu geben, barum
nicht zufage, weil a) Überfehen worden iſt, daß ein durch
Verſchuldung, Verkaͤuflichkeit höchft beweglich gemachte
Grundbeſitz nicht das Patronat der Stabilitaͤt fuͤhren
kann; b) weil die zu ſchwache Vertretung des Mittelſtan⸗
des und ſeiner wichtigen Intereſſen denſelben unbefriedigt
laͤßt, wenigſtens eine Theilnahmloſigkeit erzeugt, die in
Dppofition uͤbergehen kann; und weil c) der erſte Stand,
ber, früher mit fo vielen Vorrechten ausgeftattet, feine
Stellung nicht hat behaupten können, fie noch weniger
gegenmärtig zu vertheidigen vermag, Mit klarer Einficht
misbilligt es demnach der Verf., daß der Grundbefig nach
der dermaligen Einrichtung nicht blos das wichtigfte, fon:
been im Grunde das ausfchließliche Moment der Befaͤhi⸗
gung zur Standfchaft abgibt in der irrigen Meinung, die
Stabilität dadurch zum Principe der fländifchen Thaͤtig⸗
keit zu machen. Denn der Hausbefig in den Städten ift
überall kein ſolcher Grundbeſitz, welcher den Beſitzet au
den Boden bindet (S. 233); vielmehr ift ein bedeutende
Gewerbebetrieb oder ein Stadtamt beiweitem bindender.
„Es war eine geroiffe Ängſtlichkeit, durch die Ereigniſe
zur Zeit der Geſtaltung der Provinzlalftände, welche auf
diefe Idee gebracht und welche ſich ſeitdem als völlig
grundlos erwiefen hat.” ine viel wichtigere Berudfictl:
gung iſt daruͤber ganz umbeachtet geblieben. Das iſt die
Vertretung be6 Handels und des Gewerbes nach den Koͤr⸗
perfchaften, in welche fi Im germaniſchen Geiſte derſelbe
von felbft zufammenfügt, wo er daran nicht behindert wird,
Ohne dergleihen Corporationen bleibt ber zweite umb britte
Stand immer nur eine Samminug vereinzelt Stehender
und wird zu feinem organiſchen Theile eines Staatskdrs
perd, wozu ein Zufammengeben und Ineinanderwachſen der
gleichen Einzelnheiten unumgdngli iſt (S. 32).
Richtig an ſich iſt die Berufung des großen Grund:
befiges zur Standfchaft, jedoch nur unter der Bebingung,
baß ebenderfelde durch feine Dauer eine heimatliche Ge:
finnung erzeugt bat, welche ihn theuer und werth mad.
Wo hingegen durch Fünftliche Mittel der Verſchuldung der
Boden mobitifirt worden ift und nur noch eine Waare
des Marktverkehrs abgibt, fchafft er fo wenig heimatlichen
Sinn als jede andere Handelöwaare (S. 26). „No
ift freilich die Zelt zu kurz, um ſchon alle die leidigen
Wirkungen bed eingetretenen Guͤterſchachers herbeigeführt
zu haben; doch werden und Binnen fie nicht ausbleiben.
Sie find eine nothwendige Folge der fchlechten Marine,
ben Gelbvortheil im Büterpreife hauptfächlich zu beachten,
da doch im Staate viel gewichtigere Ruͤckſichten zu beden⸗
ken find, welche ſich zwar nicht nad Zahlen, aber nach
ihrer Gewichtigkeit bemeflen laſſen. Die Staatspolitik,
welche erſt die uͤbeln Wirkungen der Verhaͤltuifſe und
Einrichtungen aus ber Erfahrung entnehmen und tenuen
leenen muß, um Ihnen ſodann wieder abzubelfen, gleicht
einem Dausarzte, ber ben Samiliengliedern alle beliebigen
Diätfehler geftattet, um immer Kranke zu curiten zu ha
ben. Da maltet niemals der Zuſtand aligemeiner Gefunds
heit, Wohlbefindens und Kraftgefühle. Das if die Auf
gabe der Staatsweisheit, die abfehbaren Folgen jebes Zu:
ftandes vorberzufehen und ihn darnach zu regeln, um bie
heilſamen zu fördern, den ſchlimmen aber vorzubeugen.
Auch bei dem Ländlichen Grundbeſitze iſt über deſſen
Überfhägung nad jenem Principe die politifche Stellung
des Adels ganz aus den Augen verloren worben, der als
folcher gar keine Standfchaft mehr genießt, vielmehr von
Jahr zu Jahr durch den Gutshandel daraus immer meht
verdrängt wird. Doch iſt der Erbadel eine hiſtoriſche Bil
bung, die noch Beſtand hat und deshalb nicht auf die
Seite gefchoben werden darf. Er allein ift in ber That
derjenige Stand, welcher ben Abſtand zwiſchen Füuͤrſten
und Unterthban vermittelt, indem der Adelige, wie jener,
nur Gott und ber Verfaſſung feines Vaterlandes ſeine
politifche Stellung zu verdanken bat, außerdem aber im
Rechte allen Staatsbürgern gleich ſteht und mit ihnen in
Gemeinſchaft. Darum tft auch die Erblichkeit ein weint
liches Erfoderniß biefes Inſtituts. Freilich aber bat unfe
Adel eine ganz ſchiefe Stellung erhalten und iſt durch fie
ein Stein des Anſtoßes geworden (&. 46).
Dem Schutze des Baterlandes in ber Wertheibigung ber
Rechte der Krone wie der Freiheiten bes Volks fi) ganz zu
widmen, das ift fein wahrer Beruf. Um aber biefen erfüllen
zu koͤnnen und des Gefellfhaft dadurch nüglich zu werben, bes
darf er einer Stellung, bie ihm eine Einwirkung auf bie Lans
desangelegenheiten verſchafft, wozu ex fich bie erfoderlichen Kennt
niffe erwerben, fein Vermögen zu Rathe halten, durch anſehn⸗
lichen Grunbbefig mit bem Sande verwachlen fein und der Bes
wahrer ber feinen Sitte und der GSchidlichkeit bleiben muß.
Richt die (meift gang unbefannten) Thaten der Worfahren, fon«
dern nur bie eigenen werthoollen Leiftungen können einen Ans
Spruch auf ausgezeichnete Achtung vechtfer ine unabhäns»
gige Stellung und die Snthaltung von einfeitigem Brotftubium
oder Gewerböbetriebe muß ihm eine allgemeine Bildung gewin⸗
nen und diejenige Freiheit des Geiftes und Pefligleit des Wils
lens bewahren, ohne weiche ex feinen Beruf nicht erfüllen kann.
Wenn wir hiernach von Dem, wie es fein follte, auf das her⸗
überfeben, wie es ift, befennen wir offen, daß eine Wieberges
burt durchaus nöthig iſt. Wis jest iſt bies fo wenig erkannt,
daß die Errichtung von Yamilisnfibeicommiffen erichwert und
betaftet ifl. Wil der Adel eine Bedeutung behalten, muß er
ſelbſt auf Errichtung von Majoraten bedacht fein und einer
wahrhaft adeligen Gefinnung fich wieder befleißigen. Nur ein
auf großen und unverfchuldeten Brundbefig gegründeter, wenig
zahlreicher und durch Sitte und Kenntniffe fich ehrenwerth
machender Adel vermag eine dem Lande erfprießliche Ariftos
Eratie abzugeben. Was dem entgegenfteht, muß alfo abgeſtellt
werben.
Auf den Begriff der Ariftofratie führt der Verf. über
Haupt bie Bedingungen ber Vertretung in ber Standfcyaft
zurüd (S. 30). Er verfleht darunter eine jede Gemein:
Schaft Mehrer, fo ein Sonderintereffe in ihrer öffentlichen
Stellung haben und hegen, jedoch mit demfelben ſich dem
allgemeinen Wohle einfügen und unterordnen. Alles alfo,
was ein mit dem Gemeinwohle unverträgliches und ihm
weiderfirebendes Intereſſe bewahrt, iſt davon ebenfo aus:
geſchloſſen, als umgekehrt Alles, was an ſich Gemeingut
und von allgemeinem Intereſſe iſt, da foldhes von Denen
{don mit vertreten wird, welche daneben noch ein eigenes
Intereſſe wahrzunehmen haben. Hiernach beſchraͤnkt der
Verf. die zur Standſchaft berufene Ariflofratie, außer dem
Adet, auf den Srundbefis, Dandel und Induſtrie, welche
corporativ ihre Vertreter zu den Ständen aborbnen follen.
Dagegen verwirft er ganz alle befondere Vertretung ber
geiſtigen Intereſſen, insbeſondere ber Intelligenz und Re:
figion, weil ſolche eine Angelegenheit aller Staatsbürger
find und deshalb Feiner abfonderlihen Vertretung bebürf:
sen (S. 51) Wir pflihten ihm bei, infoweit es
fi um die Beachtung der geiftigen Güter ſelbſt han⸗
deit, alfo um die Grundfäge und ben gelftigen Betrieb
der MWiffenfhaften und Religionen. Inſoweit diefelben
aber durch dußere Anflalten im Staate eine Stellung be:
haupten und zu moralifhen Perfonen geworden find, des
nen Rechte und Pflichten beimohnen, muͤſſen diefe auch
im Ganzen bei der Sefeggebung und den Staatseinrich:
tungen berüdjihtigt werden, und es ift deren Vertretung
hei den Ständen nothwendig, Damit dies wahrgenommen
und das Eigenthümliche ihrer Stellung gehörig zur Spra⸗
he gebradt werde. Es gilt dies vor allen ſolchen Ge:
wmeinfchaften, welche Gorporationssecht haben und welchen
eben darum wegen ihrer befondern Perſoͤnlichkeit ein Be⸗
bürfniß und ein Anfpruch auf unmittelbare oder mittel:
bare Vertretung nicht abgefprochen werden kann. Akade⸗
mien, Univerfitäten und die in jedem Staate öffentlich ans
erfannten, nicht aber die bloß geduldeten, Kirchen mögen
ihre Abgeordneten zur Standſchaft flellen. Der Nutzen
davon bat fih in Sachſen fchon zu Tage gelegt.
(Der Beſchluß folgt.)
Die Franzofen in Deutfchland im 15. Jahr:
undert.
Ralfer Karl —— aus Nr. 184.)
er Karl IV. hatte zwar ſich auf einem Reichstage zu
Nürnberg mit den Fuͤrſten berathen und an ben Sonig von
Frankreich geichrieben, um ber Läftigen Gäfte 108 zu werben,
deren man nun nad) beenbigtem ſchweizer Kriege nicht mehr bes
durfte. Gleichzeitig wendete ſich Herzog Ludwig von ber Pfalz
an den Dauphin und befam zwar eine freundliche Antwort,
ber aber bie That nicht entiprad, denn e8 wurden mittlerweile
noch verſchiedene Städte und Schloͤſſer von den Franzoſen ein⸗
genommen und fuͤrs erſte behalten. Daher waren einige
Reichsfuͤrſten der Meinung: man muͤſſe die Räuber mit Gewalt
aus Deutfchlands Grenzen verjagen; allein es fehlte Einigung
und gemeinfchaftlicher Entſchluß. Zwar wurden einige Fuͤrſten⸗
tage gehalten, in Mainz, in Nuͤrnberg und in Trier, der Her⸗
og Ludwig ward zum Oberbefehlshaber ernannt des Reichs⸗
eers, das die Franzoſen aus dem Lande treiben ſollte, das
aber niemals zuſammenkam. Mehre der Fuͤrſten waren gegen
die Gewalthandiung: der Markgraf Albrecht von Brandenburg,
der Erzbifhof von Mainz, der Markgraf von Baden, die Eris
bifchöfe von Köln und Trier drangen auf gätlichen Verglei
Die beiden Legtern kamen nach Strasburg und verlangten:
„man folle die franzoͤſiſchen Gefandten beim Concil zu Bafel
nad Gtrasburg kommen laffen, um fich mit ihnen wegen des
Abzugs der Sranzofen aus dem Elſaß und dem Oberlande frieb⸗
lich zu einigen.” Der Rath ber Stadt aber wollte ſich nicht
bazu verftehen, fondern fagte: „bie Franzoſen fein keine Leute,
die Frieden und Buͤndniß halten; man achte es am beften, daß
man den Schluß zu Nürnberg nachfegte (auf die fogenannten
Armen Geden unverweilt loszugehen), fo wuͤrde man bes uns
nügen Volks binnen acht Tagen ledig werben können.” *) Dazu
aber waren bie beiden Kurfürften nicht geneigt — fie mußten
für ihre Länder Alles fürchten! —, fie fegten ſich auf ein Schiff
und fuhren wieder nach Gpeier, wo ſich zwar viele Kriegsleute
verfammelt hatten und nach Strassburg zogen, boch enblidy wies
der auseinander gingen, weil Herzog Ludwig nicht kam, ber
fie anführen follte. Ohnehin fehlte e8 an Unterhalt, weil audp
um ben Andreastag ( 12. Dec. 1444) fo viel Schnee fiel, daß
alle Straßen unwegfam mwurben.
Es blieb den Strasburgern nichts übrig, als möglichft fi
felbft zu beifen. Ihre Sölbner, bie auf dem Kochersberge lagen,
machten deshalb faft täglich Streifzuͤge gegen die Plünberer,
nahmen ihnen den Raub wieber ab und machten Gefangene, bie
fie nach ber Stadt brachten und gewöhnlich daſelbſt ertränkten.
Sie erſchwerten ihnen dadurch die Fütterung und zündeten einige
ihrer Quartiere und bie Mühlen an, die fie erreichen Eonnten.
In Gayspolzbeim überfielen 150 Strasburger 800 Geden, bie
dafelbft Getreide ausgedrofchen und auf Wagen gelaben hatten,
nahmen ihnen über 200 Pferde, viele Harnifche und allen Raub
ab, womit fie fih in das Schloß zogen und bas Dorf durch
Feuerpfeile anzündeten, daß bie Räuber nad) Roßheim zuruͤck⸗
gehen mußten. Cine andere Partei von 400 Fußfnechten ging
*, Die granfame, empoͤrende Behandlung ber Ginwohner abe
gerechnet, findet fih Ähnliches in den I. 1812 und 1813 in Rußland
und in dem Frankreich befreundeten Sachſen wieder,
. 628
Gdariebergbeim, und weil bie Feinde gewichen waren, nabım
73 Faber Wein, alles Hausgeraͤth, Pferde und Vieh und
ztndete das Dorf an. Daſſelbe geſchah auch durch 1000 Mann
mit Wangens dann durch hie Bauern im Beilerthale, bie ben
Enoländern 60 Pferde und zwei große Güde mit Gülbergeichire
und vielem Gelbe abnahmen. firasburgifche Reiter und
1400 zu Zuß griffen das Schloß von Marienpeim an, gingen
über den zugefrorenen Graben und erfliegen bie Mauern auf
Reitern 3 36 Franzoſen wurden erfchlagen, ihre Pferde und
Waffen genommen und gulegt das Schloß angezündet. Sie
wurden zwar auf dem Ruͤckwege nach Strasburg von ben Fran⸗
zofen verfolgt und angegriffen, bildeten aber von ihren 100 Was
gen zwei Reihen, zwiſchen denen bie Schügen im — — ſchar⸗
mügelten.. Da that man zwei Schuͤſſe mit topbüchlen auf
den Zeind, der eine fehlte, der andere traf und töbtete fünf
erfonen. Da ihnen Mann aus Strasburg yur Unter:
gung entgegenlamen, gingen bie Franzoſen zurüd und lie⸗
$en jene ungehindert in die Stadt.
Ein Haufen Bauern vom Kaiſerſtuhl und ber Umge end,
630 Köpfe, kamen bei Markolzheim über den Rhein, erichlus
gen einige Branzofen und zogen nach Schiettſtadt. Ihnen folg⸗
ten noch 100 andere, die auf 40 feindliche Reiter fließen, von
nen gefchlagen und theils auf ber Flucht getöbtet, theils in ben
bein atjagt, 40 aber gefangen nach Markolzheim gebracht
wurden, benn Biete hatten weber Harnifch noch Gewehr, ſelbſt
keine Hoſen und Schuh, „gleich andern Öben verlorenen Buben, bie
nackt und blos Sommer: und Winterszeit waren”. Die übris
en 630 Bauern zogen dann in guter Ordnung zuräd über ben
Shin, baß ihnen die Feinde nichts anhaben Tonnten.
Am %. Januar 1445 (St.:Erharb’8: Tag n. ©t.) legte
ſich Ludwig, der Pfalggraf bei Rhein und Herzog in Baiern,
mit dem Grzbiichof Ruprecht vor Strasburg und TOO gehar:
nifchten Reitern vor Tagesanbruch in ein Verſteck bei Illkirchen
und überfielen 2000 Franzoſen, die auf Kütterung nad) Bledes⸗
heim ritten. Diefe hatten 300 Todte und verloren 12 Gefan⸗
gene, unter denen ber Gapitain Mettetin auf 15,000 X, Amt
von Balberg auf 4000 XI. und Aufferet Lebrave auf Fi.
Loͤſegeld geſchaͤtzt wurden, nach deſſen Bezahlung ſie frei waren.
war bekamen bie Franzoſen Hülfe und verfolgten bie Stra:
ger, die ihnen aber fchnell entgingen und mit Berluft eines
einzigen Drannes die Stadt erreichten.
Als fie nachher im April mit 8000 Pferden unb vielem
Gepäd durch dad Leberthal zogen, hatten fih 500 Fußknechte
unter vier Daupleuten zufammengetban und ſich bei Deilige Kreuz
aufgeftellt, wo ber Weg einige Schlagbäume hat und fo enge
ift, daß nur zwei nebeneinander reiten Tönnen. Nachdem nun
. ein großer Theil der Franzoſen hindurch war, fielen die Deut:
ſchen über bie Hinteren ber, nachdem fie die Schlagbänume nieber:
ezogen, baß fie weber vorwärts noch rüdwärts fommen konnten.
t Beuerröhren und Armbrüften beſchoſſen, mit großen Gtei:
nen geworfen und mit langen Spießen erftochen, verloren hier
bie Franzoſen gegen 300 Mann, 416 Pferde, 80 ganze Har⸗
niſche und viel andere Rüftungen, 9 große Buͤchſen ( Kanonen),
3 Tonnen Pulver, viel Schilde, 3 fliegende Fahnen, mehre
Saͤcke mit Silbergeſchirr und 60,000 Fl. in Golde. Gefangene
batten fie mehre und zwei Frauen, bie fie nach Schlettſtadt
brachten. Die no in Markolzheim Zuruͤckgebliebenen wollten
deshalb nicht Aber das Gebirge gehen, fondern marfcdirten am
Palmſonntage im flachen Lande aufwärts. Sie hatten bei einem
Gefechte 50 Gefangene bekommen, bie fi nicht mit Gelb Löfen
Tonnten, nahmen fie theil® mit nach Frankreich, fagend: fie
wollten fie dort an bie Juden verlaufen; die andern wurden
aufgehangen.
·Als fie nun endlich abzogen, nachdem fie nody in dem Ges
biete des Deren von Lichtenberg acht Dörfer abgebrannt, wo
gu Dettweiter und Lüselhaufen auf ben Kirchthuͤrmen gegen
40 Weiber und Kinder, bie fich dahin geflüchtet, ein Raub der
Flammen wurden, foberten fie noch ſtarke Brandſchatungen mit
| 5000 A.
Bedrohung des Anzuͤndens der verlaffenen Ortſchaften; fo wurten
Oderzheim, Ruffach, Markolzheim, Heilige Kreuz, Enſisheim
Hefingen, Hegenheim und noch viele andere Staͤdte, Dörfer und
Kloͤſter vom Peuer verzehrt. Die im PYfirther Amt gaben
damit fie verfhont wurben. Fuͤr Weſthofen und Berge
teithenhelm wurden 500 Pt. gezahlt. Won ben Gtrasburgern
foberte der franzoͤſiſche Marſchall Jalvignes Geld, daß er ihre
Häufer in Roßheim verfehontes weil es boch der Magiftrat nicht
erlaubte, Alb aus ber Stadt zu fchiden, unterließ er es. Auch
Niederenheim biieb unverfehrt, obgleich ber Beſiger, ein Der
von Landsberg, die gefoberten 1000 Ft. nicht zahlte; um Dam
bach zu retten, fanbte der Biſchof dem Oberſten zwei fdhöne
Pferde. Außerdem wurben beim Abzichen nebft Ruffach, Mars
kolzheim, Deilige Krug, Gnfishbeim das Schloß, Hefingen,
Hegenheim unb viele andere Städte, Dörfer, Cchtöffer und
Ktöfter dem Feuer übergeben, wobei Hunderte von Einwohnern
elenb umkamen, die mit den Händen unb Füßen an bie
Wände und Thuͤren genagelt Hatten und fo verliefen. Borher
batten fie bei Vertreibung ber Einwohner bie nuͤtlichen Hand⸗
werker, Müller, Bäder, Schuhmacher, Schneider, Schmiede,
Maurer und Zimmerleute zurüdgehatten und ihnen ihre Arbeit
reichlich bezahlt. Beim Ausmari aber nahmen fie ihnen Allet
wieber ab, und oft doppelt fo viel, als fie verdient hatten.
Do wurden fie unterwegs vom Grafen von Blamont, Bar
Ichalt bet Herzogs von Burgund, angegriffen und Aber 500
„getöbtet.
Sobald die Armen Gecken die Grenzen bes Reichs verlaffen
hatten, ging man auf Die los, von denen fie begünfkigt worden
waren. Johann von Finflingen warb von bem Grafen von
Luͤtzelſtein und von ben Stra®burgern angegriffen, bie ihm neun
Stäbtchen wegbrannten. Doc Walther von Zame, ber wegen
Waſſelnheim fein Lehnsmann war, ftand ibm treulich bei, er⸗
oberte Alsweiler, morbete Dann und Weib und zünbete den
Ort an. Die Gtrasburger, mit dem Grafen Luͤtzelſtein mb
dem Herrn von Lichtenberg gingen dann, mit bem Marfgrafen
von Röthel vereint, mit Kriegöleuten über ben Rhein gegen
den ‚Deren von Lupfen zu Kynsheim, beffen Gebiet fie beſchaͤ⸗
bigten, Engen gewannen und ihn felbft gefangen befamen.
‚. Auch die Schweizer fuchten fi am Herzog Albrecht von
Öftreich zu rächen, fie belagerten 1445 Rheinfelden und erobers
ten e8 nach vier Wochen. Sie zogen dann herab gegen Brei⸗
ſach mit Mann zu Roß und zu Fuß, um die oͤſtreichiſchen
kaͤnder, das Suntgau und das Hartgebirge zu verheeren, ſowie
es die Kriegsſitte jener Zeit war.
Die nach Frankreich zuruͤckkehrenden Armagnacs wurden be⸗
zahlt und verabſchiedet. Karl VII. errichtete dafuͤr die fogenana:
ten Ordonnanz⸗Compagnien, vielleiht bie erften flehenden Sol⸗
daten, auch im Frieden! 67.
Literarifhe Notizen aus England.
Der Verf von „Shakspeare and his friends”, Kolfeftone
Williams, gibt heraus: „Lives ofıhe princes of Wales, heirs
to the British throne, from the most authentic private and
public sources.‘ Ber erfte Band, mit IHuftrationen verfehen,
iſt bereits vollendet und umfaßt die Lebensbefchreibungen von
Ebuarb von Eaernarvon, fpäter König Eduard U. von Eduarb
von Windfor, fpäter König Eduard III., und von Ebuarb von
Woodſtock, der Schwarze Prinz genannt.
Erſchienen find: „The life and times of John Reuchlis,
the father of the german reformation", von Francis Barbam,
Derausgeber von Goflier'& „„Bcclesiastical history’ unb mit Dies
fem aud im Format correfpondirend; „The life and times of
Girolamo Savonarola, illustrating the progress of the re-
formation in Italy during the fifteenth century’, mit dem
Motto von Zaylor: „The world knows nothing of its
greatest men.” 18,
Berantwortlicher Herauegeber: Heinrich Brockh qus. — Drud und Berlag von F. A. Brockhaus im geippie-
Blätter
far
literariſche Unterhaltung.
Montag,
Buülow-Cummerow.
Beſchluß aus Mr. 166.)
Da der Verf. in der zweiten Abtheilung ſeiner Schrift
nicht die Staatsverwaltung einer allgemeinen Beurthei⸗
lung nach Grundſaͤtzen hat unterziehen, ſondern nur ein⸗
zelne, fuͤr die Zeitgegenwart vorzuͤglich wichtige, Gegen⸗
ſtaͤnde hat herausheben wollen, meinen wir, uns hierbei
auf eine bloße Inhaltsanzeige mit der allgemeinen Be⸗
merkung beſchraͤnken zu ſollen, daß, wenn wir auch nicht
Alles, doch das Allermeiſte aufrichtig unterſchreiben. Es
ſind 1) die Aufhebung der Vererbpachtungsbefugniß der
Rittergutszubehoͤrungen durch die Cabinetsordre vom 28.
Juli 1842, womit der Verf. ſehr unzufrieden iſt, weil fie
in den minder bevoͤlkerten Provinzen der noch unentbehr⸗
lichen Anſiedelung von Coloniſten in den Weg tritt, 2)
ber das freie Grundeigenthum nutz⸗ und zwedios hem⸗
mende Lehnsverband in Pommern, 3) die Vereinfachung
des Hypothekenweſens und die Unverantwortlichkeit des
Mangels gefeglicher Abfhäsungsgrundfäge für das unbe:
mwegliche Eigenthum, 4) die Anlage eines großen Eifen:
babnneges durch das ganze Land, deren große Wichtigkeit
in induſtrieller, commerzieller und militairiſcher Beziehung
dee Verf. auseinanderfegt und darans folgert, daß fie
ganz und gar von der Staatöverwaltung beforgt erden
müfje, 5) die Wohlthaͤtigkeit des Eöniglichen Erlaffes an
der Salzſteuer, endlih 6) die Grundiofigkeit der Klage
über Überbuͤrdung der meftlichen Provinzen in ber Grund⸗
fteuer, welche in dieſer Abtheilung abgehandelt worden finb.
Bei der Berechnung, durch weiche diefe letztere erwieſen
wird, find allerdings die Einkünfte aus ben Domainen
dem Grundſteuereinkommen hinzugerechnet, aber auch nach
deutſchem Rechte mit vollem Fuge, weil darnach das Dos
mantale fein uneingefchränktes Eigenthum der Landesherren
war, fondern aus den Einkünften die allgemeinen Verwal⸗
tungskoſten neben dem Hauseſtande der fürftlichen Familie
befiritten werden mußten und nur das Fehlende vom Lande
noch zugeſchoſſen und aufgebracht werden durfte. Es ge:
hören alfo nicht blos die Domaineneinkünfte, fondern auch
der Ertrag ber Regalien in die Berechnung. Es bedingt
3. DB. einen erheblichen Unterfchied im Werthe des Grund»
eigenthums, ob ben Befigern blos die Oberfläche ober auch)
Das angehört, was unter berfelben liegt, ob fie Foſſilien
graben dürfen oder nicht ?
Eine einzige allgemeine Bemerkung können wir nicht
ganz unerwähnt laflen. In einem fo ausgedehnten Lande,
wie Preußen ift, kann das Centraliſationsſyſtem es nicht
vermeiden, auf allgemeine Maßregein zu gerathen, welche
für den größten oder doch einen fehr großen Theil des
Staatsgebietd gut, für einen geringern aber fchädlich find.
Dies zu erwägen und in Betrachtung zu bringen, iſt ganz
eigentlich die Aufgabe der Oberpräfidenten und ber Pros
vinzlalftände. Alsdann ift zu erwägen, ob und welche
Ausnahmen oder Modificationen raͤthlich find oder ob das
Kleinere dern Größern zum Opfer gebracht werden müfje
und in welcher Art es dafür anderweitig ſchadlos zu hal⸗
ten fei? Ale Schuhe über einen Leiften zu fchlagen,
macht fie für viele Füße ungangbar.
In des dritten Abtheilung betrachtet ber Verf. diesmal
nicht ſowol das Verhaͤltniß Preußens zum übrigen Deutſch⸗
ande, fonbern die Sefammtheit des politifhen Zuſtandes
im ganzen deutſchen Vaterlande. Iſt der Verf. in ber
Behandlung biefer Materie in der Form des Vortrags
darum etwas weniger anfprechend, weil berfelbe zu viel In
bie Breite gezogen ift, fo wird bies ducch die Wichtigkeit
und lobenewerthe Freimuͤthigkeit feiner Betrachtungen reich⸗
lich verguͤtigt. Es will darum das Buch felbft gelefen
fein, indem es ganz unmöglich ift, durch einen Auszug
den Inhalt zur Anfchaulichkeit zu bringen. Mur vermöge
einzelner Züge kann ein Vorſchmack davon erzeugt werben,
in welcher Weife das Ganze gehalten iſt.
Die Zerriffenheit Deutfchlands in viele große und Steine
Länder und der Verfall bes Anfehens und der Macht bes Kais
fers mußte die natürliche Folge haben, daß durch die Zürften, -
die fie regierten, weniger die Intereffen bes ihnen untergebenen
Volks, als das ihrer Häufer gewahrt wurden. Dadurch mußte
fih das Wefen und der Grundgedanke der alten germanifchen
Verfoflung durchaus verändern, in ber bas Volk eine Gefamnits
beit bildete, in feiner Freiheit durch feinen Ancheil an ber Res
gierung und durch das Recht bes Landes geſchuͤtt.
So ift «8 dahin gefommen, was eine lange Gewohns
heit geworden war, baß das Intereſſe der deutſchen Fuͤr⸗
fin und ihrer Häufer als das Ziel aller Politik, das
Bolt nur ale das Mittel zu ihrer Verfolgung, bie Bes
amten bed Landes nicht fowol als Staatsdiener denn als
Fürftendiener angefehen wurden. In der That bezeichnet
der Titel des hoͤchſten Beamten im erſten beutfchen Staate
genau die Rangordnung feiner Beflimmungen: der Haus⸗,
Sof: und Staatskanzler! Solchergeſtalt mußte die Eins
heit des beutfchen Volks in den Gonderinterefien ber ein:
zelnen Regierungen ſich auflöfen umd untergehen. Als
Napoleon dies weislich benutzt und die XZrennungen ber
Deutfchen von Deutfchen fo weit getrieben hatte, daß fie
fait brudermoͤrderiſcher Hand einander zu unterjochen ſich
ihm hingaben, wurde man bie betrübten Folgen biefer
Spaltung inne, bereute fie und wendete ſich wieder bem
erftarrten Gedanken der Einheit und in ihr ber Kraft
des deutfchen Volks zu, dee in den Gemüthern wleder
auflebte, angefacht wurde und Großes bewirkte. Als durch
die Anfteengungen, Opfer und Zapferkeit bee einig zu:
ſammenwirkenden deutfchen Wolle die Bauen des Water:
Landes von der Fremdherrſchaft befreit und die Fuͤrſten von
ihrem Tyrannen erlöft waren, da erfüllte Dank für ſolche
Lelftungen die Seelen der nach Wien zum Friedenscon⸗
greffe ſich begebenden Fürften und Diplomaten. Es war
ein allgemeiner Gedanke, dag nur durch die Einheit
Deutſchiands daffelbe vor ähnlicher Gefahr ficher geftellt
werden inne und daß für das gefammte deutfche Volk,
deffen Öffentlicher Rechtsſtand durch die Auflöfung des
Reichs zerclittet und umgeflürzt war, die Gewaͤhrleiſtung
eines folchen eine unableugbare Pflicht fei. Von diefem
Geiſte und von dieſer Abficht zeugen die Acten des Con⸗
reſſes deutlich aus feiner erſten Periode.
Allein die Regungen bloßer Gemuͤthlichkeit halten nicht
aus und nicht Stich bei dem Auftreten der Politi. Was
lange Gewohnheit zur andern Natur gemacht hatte, mußte
bald jene Regungen beſchwichtigen; die verfammelten Fürs
fen waren als folche, nicht als die Vertreter ihrer Voͤlker
beffammen ; fie beruhigten fich felbft und Andere damit,
daß ihnen unbenommen bleibe, daheim freiwillig zu ges
währen und einzuführen, was als eine Verpflichtung ger
gen den Bund einzugehen ihnen bedenklid wurde. Die
in einem ritterlichen Sinne, der jedoch in Staatsgeſchaͤften
ſchlecht an feinem Orte iſt, von den Fuͤrſten einander ge:
gebene Zufage (S. 204), daß alle für das gefammte deut:
ſche Vaterland zu treffenden Einrichtungen duch einmüs
thigen Beſchluß gefaßt werden follten, hemmte bald bas
freifinnigere Beſtreben, binderte das Zuftandebringen einer
Vereinbarung und verfchaffte ber bedächtigen und argliftis
gen Behutſamkeit die Oberhand. Außer in Polen iſt ber:
gleichen noch bis dahin unerhört geweſen! Eine zweite
unglüdfelige Übereitung brachte aber den under der Uns
einigkeit und der Misgunſt in die Verfammiung, indem
die Aufrechthaltung der Theilung Polens die Zerritorials
ausgleihung in Deutfchland zur Kolge hatte. Denn nichts
tft geeigneter, die Menſchen zu entzweien, als wenn es
fi um Mein und Dein handelt (S. 204). Diefer Has
der wurde fo groß, daß, wenn es nicht Napoleon beliebt
hätte, in allee Gefchwindigkeie von Elba aus Paris wegs
zunehmen, nicht abzufehen gewelen wäre, weiches Ende
die Theilung der Lömenhaut genommen haben würde. So
indefien wurde bie gemeinfchaftlihe Sorge der Gegenwehr
bee Bewegungsgrund, alle Anlaͤſſe des Innern Unfriedens
zu befeitigen. Die Ländertheilung wurde nun vermöge ab:
genoͤthigter Nachgiebigkeit bewerkſtelligt und alle andern
Gegenſtaͤnde, worüber man ſich noch nicht verſtaͤndigt hatte,
wurden zur weiten Verhandlung nach erfolgter Abwehr
des Feindes Aller ausgefegt. So Lam die Bundesacte zu
Stande, in welcher über die politifche Geſtaltung Deutſqh⸗
lands, die orgamifchen Einrichtungen zu ihrer Ausführung
und Behauptung und beſonders über die Beroährieiftung
des Öffentlichen Rechts des deutſchen Volks gar fehr mes
nig, Im Grunde nichts feftgeftellt wurde, was nicht ſchon
in der That befland. Die Wiener Schlußacte folite das
beabfichtigte große Werk der Gründung eines ganz neuen
Staatskoͤrpers des deutfchen Bundes ergänzen und vellm
den; aber auch da befchäftigte man fi nur mit Dem,
was unumgänglich oder nach den umgewandelten A
und Abfichten abgemacht werden mußte, und behielt alles
Übrige den weitern Berathungen des Bundestags vor, durch
weichen nun feit beinahe 30 Fahren noch nichts zu Stande
gebracht worden tft, was ben Rechtszuſtand und bie or:
ganifche Ausbildung des Ganzen angeht.
Wie wenig eine folche Bundesacte ben gerechten Ex
wartungen entſprechen konnte, daruͤber täufchte fich von
Anfang an Niemand. Es wurde felbft von vielen hell:
nehmern des Bundes anerkannt und Verwahrungen des⸗
bald ins Protokoll niedergelegt, namentlich von Hauover,
Preußen, Luremburg und Naffau (S. 216). Wie die
Sache jest ſteht, IfE zwar ein Schug: und Trutzbuͤndniß
der Bundesmaͤchte unter fich abgefchloflen, allein der große
Zweck einer Wiedergeburt Deutfchlande zu einer Einheit
und zu einem Staatskoͤrper, der Vereinigung aller Deuts
(hen Volksſtaͤmme zu einem Ganzen und der Sicherung
eines allgemeinen bürgerlichen Rechtszuſtandes iſt unerreicht
geblieben (S. 325), Go, wie die Saden ſtehen, können
fie teiner der Erwartungen entfprechen, die man billig ges
faßt und gehegt hat, da dem Bunde nicht nur die uner⸗
laßlichen organifchen Geſetze fehlen, fondern auch die Kraft,
fih Geltung zu verfchaffen. Das deutſche Volk hat jetzt
einen andern Schus als ben guten Willen und tie Ges
rechtigkeitsliebe feiner Kürften; und wie wenig das Geſet
über die Handlungsweiſe der Kürften felbft entfcheidet, bes
weifen die Ereigniffe in Braunfchweig, Kaflel und Hanes
ver. Ein Grundgefeg des Bundes ordnet landſtaͤndiſche
VBerfaffungen an; in Oldenburg, Schwarzburg : Sonders⸗
baufen (und Preußen) find die Regierungen noch abfolnt.
Die freie Schrift, bie dem beutfchen Wolke zugefichert iſt,
hängt noch von den Anfichten ber einzelnen Regierungen
ab, und weder über den Gebrauch noch Misbrauch beſte⸗
hen zureichende gefegliche Beflimmungen. Sa, die mates
riellen Intereffen bes deutfchen Volks zu fügen, iſt ber
Sorge eines neuen Mebenbundes uͤberlaſſen geblieben; ver
Zollverein hat nur darum fich bilden müflen, weil auf
dem Bundestage ein folcher nicht zu Stande zu bringen
geweſen wäre.
Es iſt indeſſen weit gefehlt (S. 206) zu meinen, ba
Stammverwandtfhaft und gleiche Sprache ſchon hinrei⸗
hen, eine Volkseinheit berzuftellen ; denn weiter iſt dem
beutfhen Voͤlkern nichts Gemeinſchaftliches geblieben, da
der Bund nicht für fie, fondern Lediglich für bie Bundes⸗
glieder beſteht. Soll der Zweck erreicht werben, wird «6
A
umerloßtich, das Band durch Einheit des Öffentlichen
Rechts, durch Gemeinſamkeit der Verfaffungsformen, durch
Gemeinſchaft der Sefinnung, durch Betheiligung in Leid
und Freud, durch umfaffenden innern freien Verkehr im
Spirituellen und Materiellen, buch zuſammenwirkende
und uͤbereinkommende Anftalten, mit einem Worte durch
ein allgemeines Intereſſe zu verknüpfen, da eine Einheit
dee Regierung und der Verwaltung herzuftellen nicht
mehr angeht. Außerdem find alle Worte und Redens⸗
arten über Einheit und Einigkeit Deutſchlands hohle
Pheafen und ein Deuefcher iſt ein Wort ohne politifche
Bedeutung. 59.
Überfegungen aus dem Ruffifchen.
Das befte Zeichen ber. Anerkennung für eine junge Literas
tur ift, daß man es werth findet, einzelne Erzeugniffe derfeiben
in fremde Sprachen zu überfegen. Kür bie ruſſiſche Literatur
ift biefe Zeit noch von jungem Datum (denn einzelne Gebichte
und profaifche Aufläge koͤnnen hier nicht in Anfchlag gebracht
werben); aber die Zahl ber libertragungen nimmt in ſtarker
Progrefſion zu. So liegen vor uns wieder brei ſolche Schriften:
1. Die ſchoͤnwiſſenſchaftliche Literatur der Ruſſen. Auserwähl:
te6 aus ben Werfen ber vorgüglichften rufftfchen Poeten und
SProfaiften dlterer und neuerer Beit, ins Deutfche übertragen
und mit hiftorifchs kritifcher Überficht, biographiſchen Rotigen
und Anmerkungen begleitet von @. Wilhelm Wolffohn.
Srfter Band. Gedichte. Erſte Abtheilung. Leipzig, Kort.
1843. Gr. 8. Preis für bie erfle und zweite Abtbeilung
2 Thir. 15 Nor.
Der etwas audgebreitete Zitel befagt fo ziemlich Ales, was
im Bude ficht, und bie Leſer werben alfo nicht zweifelhaft
darüber fein, was fie hier finden koͤnnen. Es tft bier mehr
als liberfegung, wie anfangs bezweckt geweſen zu fein ſcheint;
es wird ein Gefammtbild der ruſſiſchen Belletriſtik zu geben
verfucht. Die ebenfalls gedehnte Vorrede des Berf. bezweckt,
nach feinem Worten, nichts mehr als ben Leſer „vertrauenspoll
mit der Gefchichte dieſes Buchs bekannt zu machen unb ihm
ven Standpunkt anzugeben, auf weldem er ben beurtheilenden
Lefer gern fehen möchte”. Er fchiebt die etwaigen Unvollkom⸗
menpeiten feines Buchs „ſo unbefcheiden” auf Zeit und Um⸗
fände, indem er einerfeits über ben Mangel an Hülfsmitteln
für den in Deutichland Lebenden klagt, andererſeits aber noch
einft Befleres liefern zu koͤnnen hofft, wenn er nämlich erft in
fein Baterland zurädgetehrt ifl. Unter dem Titel „überſicht⸗
Iiche8’’ gibt der Verf. in acht Abfchnitten die auf dem Titel
verfprochene Hiftorifch = Eritifche Überficht. Die beiden erften Ab⸗
ſchnitte, über Poeſie, Kunft, Literatur im Allgemeinen, gehören
nicht in das Bud, ber Verf. mag womit immer ſich entfchuls
digen. Ebenſo bünkt uns ber Abfchnitt III über bie Slawen
und bie Vorgeſchichte berfeiben und ber übrigen Voͤlker Ruß⸗
lands uͤberfluͤſſig; V, altflawifche Mythologie, gehört nur in
die Anmerkungen wo es nöthigz; Volksgeiſt und Volkscharakter
ber Ruſſen (IV) Tann eher am Orte fein, fowie VI bie ruſſiſche
Sprache. Nur Hätte fich der Berf. beffer vor Irrthuͤmern huͤ⸗
ten follen, wie 5.8. S. 24 fg. Cyrill ftellte das „ſlawoniſche (?)
Alphabet““ zufammen und brachte mit Method viele feiner Über⸗
fegungen zu Stande, bevor er nach Mähren kam. Schon aus
ben Zeiten vor Peter dem Großen findet man die jegt im Rufe
fiſchen geltende Schreibart, Peter war alfo nicht ihr Urheber;
am wenigften fann man fagen, er „riinigte, vervollftändigte
das Alphabet der Volkseſprache“, denn dieſe hatte gar kein Als
abet unb wurbe mit ber Cyrillica (Kicchenfchrift) gefchrieben.
Die Gintheilung ber ruſſiſchen Sprache und bes ruflifhen Volks
nach den Munbarten iſt in ber Beflimmung ber Grenzen ber
einzelnen ſehr unbeftimmt und von ben neueften Forſchungen
Sacharow's, Radjezdin's und Schafarik’s fehr abweichend. Die
unter VII aufgezäpiten Alteften Denkmäler der Schriftfteller ha⸗
ben eine Sprache, bie von dem (heutigen) Ruffifchen himmel⸗
weit verſchieden ift, da faft ſaͤmmtliche Gchriften biefer Reihe
im Kirchendialekt gefchrieben wurden. Grft mit VIIE fängt,
unferer Anficht nad), der Verf. die Gefchichte der ruffifchen Kis
teratur an. Gr fpricht von dem „kiede vom Igor's Heereszug“,
von ber „Geſchichte des gottiofen Zaren Mamaj”, alte Dichs
tungen, bie ſchon mehr das ruſſiſche Gepraͤge an ſich tragen.
Das Beduͤrfniß des Theaters erzeugte zuerſt einzelne Anfaͤnge
der dramatiſchen Dichtung. Den Einfluß Peter's des Großen
verkennt der Verf. ganz, nach unſerer Meinung vernichtete Pe⸗
ter durch feine fremdartigen Inſtitutionen alles Rationalleben
und jeden Aufſchwung, den der ruffifche Geiſt vor ihm genoms
men, ein Schlag, von dem ſich die ruſſiſche Nationalität nur
langfam erhoite. Ebenſo verfannt ſcheint uns bie Stellung
Kantemir's; beffer ſcheint der Verf. die berühmtern Schriftflele
ler, Lomonoſow, Derjawin, Karamfin, befonders auch Za⸗
koweky aufgefaßt zu haben, über welche lettere Beide er ſich weit
und breit ergeht, fobaß ihm wol bei den biographiſchen Notizen,
die er doch von biefen wird geben müffen, nichts übrig bleiben
wird, als das Gefagte zu wieberholen. Überhaupt wirb diefes
öfters vorkommen müffen, weit fih ber Werf. viel mehr an bie
Ramen ber Literaten als an das Weſen und ben Sharafter ber
Literatur und ihrer allmäligen Entwidelung hält. Der Berf.
hätte beffer gethan, die lÜberficht erſt nach Vollendung bes gans
zen Buchs zu geben. So viel wie indeß gegen manche Ein:
zelnheiten zu erinnern hätten, fo finden wir body im Ganzen
den Gang der zuffifchen Eiteratur gluͤcklich und entfprechend ges
zeichnet. Freilich iſt die Überficht dadurch etwas lang geworden;
denn bie Gedichte fangen exrft mit dem „Vom Zuge Igor's
auf &. 173 an, fobaß jene ziemlich die Hälfte der exften‘ Abs
theilung einnimmt. Außer dem genannten Liebe, das mit feis
nem, wie uns fheint, allzu ausgedehnten Sommentare ganze
54 Geiten einnimmt, finden wir noch 32 Volkslieder und fünf
aus Kirſcha Danilow, endlich vier Dichtungen von Lomonoſow
und ſechs von Derjawin. Über das Volkslied überbaupt, fos
wie über das ruffifche insbefondere, entwickeit der Verf. eigen⸗
thämtiche Anfidhten, die wir ihm laffen müffen, fo fonderbar fie
bisweilen Elingen. Bei ben Volksliedern find nicht felten bie
Melodien angegeben. Die Überfegung der Dichtungen ift ſehr
getreu und dabei ungemein fließend, ber befle Theil des Buchs,
das dem Minifler Uwarow gewibmet ift.
2. Der Novize. Bon M. kermontoff. Aus dem Üuffifchen
überfegt von Roman Freiherrn Budberg⸗Benning⸗
baufen. Berlin, Beſſer. 1942. 8. 15 Nor.
Ein Kaukaſierkind, das von einem ruffiihen General
fangen genommen wurbe, bleibt in einem Kloſter in Grufien
zurüd, wo fih ein Moͤnch deffelben annimmt unb es vom Zobe
rettet. Allein der der Kaulafierfeele angeborene Durft nad
Freiheit verzehrt ben Züngling in den engen Kloftermauerns er
weiß zu entichläpfen, irrt drei Tage in der Einoͤde herum, ims
mer nad) ben weißen Bergen des Kaukaſus, bem Biele aller
feinee Wünfche und Gebanten, ben Blick gerichtet. Am dritten
Bag: endlich fieht er fich piöglich in dem Thale, wo fein Kloſter⸗
kerker ſteht, wieder angelangt. Verzweiflung und Grmattung
überwältigen ihn; halbtodt ſinkt er nieder, wirb fo gefunden
und in bad Klofter zurädgebradht. Der Sram verzehrt indeß in
kurzem feine Lebenskraft, auf dem Zobtenbette ſchildert er dem
Mönche, der ihn als Kind gepflegt, die ganze Dual feines Aus
ſtandes; feine unvertilgbare Sehnſucht nach Kreiheit, nad der
Heimat, dem Kaukaſus. Es find dies herrliche Bilder voll
Kraft und Leben, voll Wahrheit und tiefen Gefühle. Man
fieht aus dem Gebichte, wie viele Ruffen das Verhaͤltniß ihres
Vaterlandes zu ben Völkern des Kaulafus anzufehen gewohnt,
und muß fich nicht felten wundern über die Entfchloflenheit,
mit welcher ber Verf. von Freiheit und dergleichen ſpricht.
Auch dieſes Buch mag Manchem dazu dienen, baß er beffer ben
Geiſt kennen lerne, ber gegenwärtig unter ben gebilbeten Rufs
fen, befonders der jüngern Generation herrſcht. Die Überfegung
ift fließend und rein, an vielen Stellen jedoch matt und pros
ſaiſch. Der Here Überfeger fcheint zu legterm überhaupt viel
Anlage zu haben, wie man unter Anderm aus dem alles höhern
Schwunges baaren Widmungsgebichte erfehen kann.
3. Eliſabeth Kulman, Phantafie von Aleris Timofcew.
Aus dem Ruſſiſchen überfegt von K. 8. v. G. Leipzig,
iefe. 1843, 8er.s8. 1 Zhle. 3%, Nor.
Gin bereits 1837 in Petersburg gebrucdtes Buch, das aber
jept als Novität verfendet wird. Die Schidfale dieſes höchft
mertwürbigen Mädchens find fo ziemlich allgemein bekannt; fie
machte zu ihrer Zeit ein fo außerorbentliches Auffehen, baß fich
der Ruf von ihr alsbald in den weiteften Kreifen verbreitete.
Zur Bervollſtaͤndigung und gleichfam als bleibendes Denkmal
jchrieb der befannte Äftpetiter, Prof. Nikitenko eine Biographie
der Eliſabeth Kulman, welche in vorliegendem Bude als Bors
rede mitgetheilt wird. Das Gedicht von Timofeew, eine ber
zarteften und gefühtreichften Schöpfungen ber ruſſiſchen Literatur,
bat nun das Leben biefer jugendlichen, echt weiblichen Seele zu
feinem Gegenftand. In 15 dramatifchen Scenen ftellt ber Did:
ter Eliſabeth in den verfchiebenften Verhaͤltniſſen bar, wo ſich
ihre engelgleidye Seele auf die mannichfaltigſte Seele offenbart.
Das Gedicht hat in ber That vortreffiihe Stellen. Die aus⸗
gezeichnete liberfegung wird nicht wenig dazu beitragen, auch in
Deutfchland Freunde einem Dichtergeifte zu erwerben, welcher
in Rußland zu ben vortrefflichiten gehört,
3. 9. Iorban.
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Reich an intereffanten Angaben find bie „„Recherches sta-
tstiques sur Paris’ des Grafen Chabrol de Volvic. Bon befon:
derm Jutereſſe find darin die Documente in Betreff dee Wahn»
finns und feiner Urfadhen. Namentlich iſt das Refultat
überrafchend, daß kei bem weiblichen Geſchlechte, welches man
fi dod mit einer fo lebhaften Phantafie, mir fo zaͤrtlichen
Gefühlen , mit fo großer Empfindſamkeit ausgeftattet denkt, bie
moralifcyen Urfachen nicht fo großen Einfluß auf die Entftehung
bes Wahnfinns haben als die phyſiſchen. Die Unterfuchungen
haben bie in der Salpetriere von 1815—20 behandelten wahn⸗
finnigen Frauen zum Gegenftande. Unter 1000 hatten während
dieſer Zeit 307 ihren Verſtand durch Krankheiten verloren, des
nen in Folge ber Pubertätsentwidelung, der Mutterfchaft und
des Alters ihre Geſchlecht ausgeſetzt iſt; die Lähmung, die Epi⸗
Iepfie, die Ausfchweifung, bie Trunkſucht u. f. w. figuriren in
biefer vergleichenden Tabelle mit der Zahl von 4455 außerdem
ab es etwa noch 100 unbelannte Urſachen; diefe abgezogen,
amen auf 1000 nur 112 wahnfinnige Weiber, die entſchieden
aus moralifchen Urfachen ihren Verſtand verloren hatten. Und
unter bdiefen haben bie religidfen Ideen, beren Einfluß bei dem
weiblichen Gefchlechte To allgemein und oft fo tief zu fein fcheint,
unter 1000 nur 11 zum Wahnfinn gebracht; bie Liebe — wer
folte e8 glauben! — bie Liebe, bdiefer mächtige Hebel all ihres
Denkens, Fuͤhlens, Handelns, da, res ganzen Dafeins, bie
ungluͤckliche Liebe, zaͤhlt unter 1 wahnftnnigen Weibern nur
ſechs! Wie viel Frauen dagegen laſſen unfere Romanfchreiber in
ihren Büdern mahnfinnig werben! Freilich halten fich dieſe
auch nicht an mediciniſche Schriften und ftatiftifche Tabellen,
die aller Romantik meift in fo hohem Grade fpotten. Ebenſo
merkwürdig flellt fich das Verhältniß für die wahnfinnigen Män-
ner im Bicktre. Unter 1000 hatte die Religion 30 (9 mehr
als unter ben Weibern), die Liebe 43 (37 mehr als unter ben
Weibern), ber Ehrgeiz 76 wahnfinnig gemacht. Man wirb
erftaunt fein zu hören, daß ber Handel nur 16 Narren gemacht
hatte, und zwar nicht unter 1000, wie wir ats Durchſchnitts⸗
zahl angenommen hatten, fondern unter 1763 im Bicketre bes
x
j 0.
-
banbelten WBahnfinnigen ; da befanden ſich darunter 98 Känf-
ler, fobaß der Ausſpruch: die Künfte find nit für bie
Gefundheit erfunden, rechtfertigt. Merkwuͤrdig iſt auch bie
Thatſache, daß unter ben wabnſinnigen Weibern ſich allein
356 Waͤſcherinnen, Stickerinnen und Naͤhterinnen befanden,
ſodaß ein Journal die Frage aufwirft, ob nicht die Pugfuct,
genährt durch den Anblid fo vieler Schmuck⸗ und Putzſachen
und durch bie Unmöglichkeit des Beſiges, die entferntere erſte,
wenn aud nicht naͤchſte und letzte Beranlaffung zur Verwir⸗
zung ihrer Begriffe gewelen ſei. Auch unter den wahnfinnigen
Männern war bie Zahl berer fehr bebeutend, die ſich mit Kieis
berverfertigung, Euzusgegenftänden u. f. w. befdgäftigten; fie bes
lief fih auf 388.
Alphons ibe gab heraus: „„Esclave et libert£; existence
de l’homme et des societ#s en harmonie avec les lois uni-
verselles’, aus zwei Bänden beftehend, wovon der erſte bereits
vollenbet If. Das Werk ift nad) folgendem feltfamen Schema
gearbeitet:
Etat de nature.
Liberte. Inegalite.
Opposition, combat. Destruction ou esclarage.
La soci&t& se forme par
Le despotisme. L’esclavage,
Intelligence, ordre. Travail, bien &tre,
Les soci6tes tombent en d&cadence par l’abus du des-
potisme et par
Lasouverainet€ La liberte., L’& galite,
du peuple, Opposition, Opposition
Ignorance, desordre. combat. aux lois universelles.
La perfection est dans
L’aristocratie. Le patronage. La famille.
Intelligence, Protection, Union d’interets,
Grandour des Bien £tre. Developpemeat.
peuples.
Bu ben intereffanteften Reifebefhreibungen, welche in
jüngfter Zeit in Frankreich erſchienen find, gehört ohne Zweifel bes
Admirald Dupetit:Thouare Werl „Voyageau tour da monde’.
Sehr reich an intereffanten Thatſachen, iſt et zugleich auch in
einem anziehenden unb eleganten Stile geſchrieben. Zu den pis
kanteſten Partien bes Werks gehören die Capitel, weidye Chile
und Peru gewibmet find und die Beobachtungen enthalten, weiche
der Abmiral während einer dreijährigen Station an den Küften
biefer Länder gemacht hat. Roh bat Fein früherer Reifender
fo anziehende Gemälde von dem gefelligen Leben in biefen ins
teveffanten und blühenden ſuͤdamerikaniſchen Staaten getiefet.
Die Sitten der rauen, das Goflume u. ſ w. find barin von
einem feingebilbeten Weltmanne geprüft und geſchildert, der
feine gefellige Bildung in den Salons von Parts erworben hat.
Aud der Geograph und Raturforfcher finden in biefen Bänden
car reichhaltigen Vorrath an werthoollen Nachrichten unb
otizen.
Der Verf. der „Etudes sur les reformateurs”, %. Reps
baud, gab heraus: „La Polynesie et les iles Marquises, vo-
yages et marine, accompagnes d’un voyage en Abyssinie et
d’un coup d’oeil sur la canalisation de l’Isthme de Panama‘
Auch erfhien ein Stluftrationswerf „Les 1les Marquises; di-
mat, productions, moeurs des habitents, par un capitaine
au long cours‘, mit 100 Bignetten und Portraits.
Bereits find mehre Eieferungen ber „Rois de France” vom
Grafen Horace de Viel⸗Caſtel erfchienen. Dies mit Klar:
beit und Methode gefchriebene Werk enthält zugleich bie Portrait®
fammtlicher Könige Frankreichs, geftochen nach ben Gemaͤlden
im Mufeum zu — un, geſtoch o⸗ 18.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinzih Brodbaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus ia Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Briefe über die Marquefas = Infeln.
Die fo unerwartete Befegung der Marquefas : Infeln
buch die Kranzofen hat die Aufmerkſamkeit von ganz
Europa plöslih auf diefen bisher ziemlich unbeachteten
Punkt unferer Erdkugel hingemendet. In allen Ländern
horchte man auf, forfchte nach den Urfachen, erwog die
Solgen. Frankreich, leicht erregt, triumphirte erſt und
unterrichtete fich dann Über bie Beſchaffenheit diefer Tex:
ritorial: Vermehrung. Alles, was hierin zur Belehrung
dienen, zur Aufklaͤrung beitragen kann, wirb jegt von
den Sranzofen mit dem regften Eifer aufgefucht und er:
griffen. So verfchlang man bie Sammlungen von No:
tigen und Documenten über die Marqueſaſs⸗Inſeln von
Dumoulin, Desgraz und einigen Anbern, wiewol fie nur
ſehr unvolfländige Mittheilungen über die Geographie,
die Geſchichte diefer Inſeln und einige Sitten ihrer Be:
wohner machen; fo aud reißt man fich jegt um die ums
foffendern „Lettres sur les iles Marquises”, welche
foeben bei ben Gebruͤdern Gaume in Paris erfchienen
find. *) Der Berf., ein Priefter aus der Sefuitengefell:
fchaft des Sacres coeurs, war in ben Jahren 1838 —42
als Miſſionnair auf diefen Juſeln und theilt alle feine
während biefer Zeit gemachten Beobachtungen und Er:
fahrungen einem feiner Freunde in fieben Briefen mit.
Die Form iſt überaus kunſtlos und einfach, zuweilen fos
gar etwas fchwerfällig; doc, erfegt bes Inhalt veichlich,
mas bei ber Behandlung des Stoffe zur Erhöhung des
Intereſſes verfäumt worden if. Alle Mittheilungen tra⸗
gen das Gepraͤge ber ungeſchminkten Wahrheit, ihre Ge:
nauigkeit zeigt von fcharfer Beobachtungsgabe und Gewif:
fenhaftigkeit, bie Beſprechung ber Beobachtungen von
gefunden Uetheil. Nur der Athem chriſtlicher Liebe, ber
das ganze Buch durchweht, die mit firenger Sittlichkeit
gepaaste, Altes umfafiende Milde in ben Worten dieſes
Mitglieds der Geſellſchaft Jeſu dürfte etwas verbächtig
‚zfcgeinen, wenn man fie mit feiner oft bis zur gehäffl:
*) Der vollſtaͤndige Zitel dieſer Briefe if: „Lettres sur
ies 1los Margvisos, Hr Memeires pour * à 'étoude reli-
gieuse, moralo, peliti et statistiqgue des 1los Marguises
et de l’Oc6anie orientale par le Pere Matkias G@-- '» pröire
de la Société des Sacres çoeurs (Picpus), missionnaire de
anie, recemmient arrire de ces tles.”’
Dienflag, _ — Nr. 157.
gen Kälte geſteigerten kauigkeit gegen die Mifſionnaire au⸗
derer Religionszweige zuſammenhaͤlt. Bei Erwaͤhnung
derſelben dringt aus feinen Morten ein mit Mühe zu⸗
ehdgehaltener Haß hervor, ein neidifches Misbehagen
dei dem nothgedrungenen Zugeſtaͤndniſſe ihres heilſamen
Wirkens und eine Art von Schadenfteude bei der Bes
richtung ihrer Zehlgriffe umd ihrer geſcheiterten Unterneh:
mungen. a biefent Beifte deutet er auf alle protefian-
tiſchen Miſſionnaire und auf die Emiſſaire der Bibelgeſell⸗
fdaften, welche er als rein commercielle Unternehmungen
bezeichnet. So beſpricht er die von Spanien, von Mord:
auerika, namentlich aber die von England ausgegangenen
Bekehrungsverſuche, gegen welches Legtere Land: ſelbſt die
fer von aller Politik entfernte Heanzofe, diefer dem Heile
der ganzen Menſchheit fich opfernde Ptieſter feinen alten,
eingewurzelten Nationalhaß auf keine Weile zu unter
drüden vermag. Daher macht es denn auch keinen bes
fondern Eindru auf den Lefer, wenn bee Verf. die Er:
folge der Rachalifhen Miſffionen über die Gebühr her:
vorzubeben und darzuthun fucht, wie ihre Diener altein
ed wären, bie von dem eigentlichen Zwecke ihrer Gene
dung gang durchdrungen und fich ihrer Lebensaufgabe:
„Vetbreitung religidfer und moraliſcher Auftiäeung, gei⸗
ſtiger Elviliſation“, deutlich beroußt fein. Diefee Bel
geſchmack verbittert ben ruhigen Genuß ber fonft einfachen
und natktlichen Erzählung intereffantee Erfahrungen ; ber
argwoͤhniſch getborbene Lefer vermuthet hinter jeder Nai⸗
verät eine ſchlau verſteckte Abſicht, er ſieht in ſedem from
men Seufzer eine Berechnung und muß einen getiffen
Grad von SGelb@beherefhung anwenden, um von dem
Berf. und feinen perfönlichen Reflexlonen gaͤnzlich ab⸗
ſtrahiern und ſich den rein biftortfchen Mitthellungen um:
geſtoͤrt Aberlaffen zu koͤnnen.
Diefen letztern wollen wir, ber innern @intheilung
des Buche folgend und an biefelbe anlehnend, einige all:
gemein intereffante Punkte entnehmen, wobei wir bee
Gelegenheit, die Anſchauungs⸗ und Auffaſſungsweiſe des
würdigen Pater Mathias zu beurtheilen, nicht ausweichen
werben. Einige concentelete Lichtftrahlen auf diefen ent⸗
fernten Inſelpunkt fallen zu laſſen, die ihn In feinem
jesigen Zuſtande beleuchten und ihn duch das Fernroht
des Journalismus auch deutſchen Augen näher zu ruͤcken,
buͤrfte nicht nur die allgemeine Wißdegierde befriebigen,
\
fondern auch mandyen Irrthum berichtigen und manche
Dunkelheit aufhellen.
Das Buch beginnt mit einer geographifchen intel:
tung, die durch eine fehr anfchauliche Karte näher erläu:
sere wird. Wir lernen barin Namen und Lage aller
Inſeln der ganzen Gruppe kennen und heben daraus nur
die wichtigften hervor. Die Hauptinſel wurde von dem
Gontreabmirat Dumont:d’Urville (der in dem Eifenbahn-
unglüd vom 8. Mai 1842 mit feiner Familie fo jammervoll
ums Leben kam) nach der Ausſprache der Eingeborenen
Nouka-Hiva, von Hrn. de Teffan aber, nad dem Mas
men des franzöfifchen Entdeckers biefer Inſelgruppen,
Marhand genannt. Jedoch wird diefer letztere Name jegt
vorzugsmeife der von den Franzoſen noch nicht befegten
Inſel Ua: Pou beigelegt, welche auch, nach ber Bedeutung
dieſer Worte, les Deux-Pica Heißt. Meben dieſer Juſel
ift die in Bezug auf Flaͤcheninhalt und Bevoͤlkerung be
deutendfte Ohiva: Da, auch Dominica genannt. In
Schönheit und Fruchtbarkeit jedoch wetteifert die ſuͤdlichſte
der ganzen Gruppe Fatu-Hiva oder Madalena mit ber
am meiften nach Oſten gelegenen Ua⸗Uka um den Preis.
Lebtere wird auch, nah dem Namen des Schiffes, auf
welchem Marchand das Meer durchfuhr, Solide genannt.
Diejenige Inſel, auf welcher die Sranzofen ihre erſte Nie-
declaſſung dur Errichtung eines Forts befefligten, heißt
Tahuata oder Santa⸗Criſtina de Mindana. Die Frucht⸗
barkeit, das hetrliche Klima, bie pittoreske Lage und die
fonftigen einzelnen Naturfchönhelten aller dieſer Inſeln
rühmt der Verf. bereits bei diefer Gelegenheit außerordent⸗
lich und kommt fpäter in feinen Briefen noch oftmals
darauf zuräd.
Der erſte der nun folgenden fieben Briefe enthält bie
Geſchichte des Archipels der Marqueſas⸗Inſeln, welche
der bei allen Gelegenheiten ſchulmaͤßig⸗methodiſch verfah⸗
rende Kloſterlehrling in fuͤnf Epochen eintheilt.
Die fabelhaften Zeiten vor Entdeckung der Gruppe
find durch eine wohlorganiſirte Mythologie und durch
Sagen von eigenthümlichem Charakter belebt. Der Verf.,
welcher biefer Nebeiperiode ben erften Abfchnitt widmet,
zeigt die wunderbare Ausbildung diefer heibnifchen Götter:
Sehre durch Aufführung einer vollftändigen genealogiſchen
Tabelle von dem aͤlteſten Stammvater O⸗te⸗Paona ‚und
defien Frau O⸗te⸗Koena herunter bis auf Date, der
Selen und Gefteine aus dem Meere angelte und fie über
Die Erde vertbeilte. Bon diefem geht das Geſchlechts⸗
zegifter durch zehn Generationen bis auf dem dort fehr
berühmten Tiki, den Erfinder der Bildfäulen und ber
Zätowirung, und beffen noch berühmtern Sohn Dtii:
Zapu, nebft feinee Frau Ohina-Ua, von welchem ers
lauchten Paare ſich faſt alle Könige der verſchiedenen In⸗
ſeln abzuſtammen ruͤhmen; denn auch hier, wie bei den
meiſten andern Voͤlkern, verſchmilzt die Tradition die er⸗
ſten Anfänge der Geſchichte mit den Goͤtterſagen. Merk:
soürbig iſt der. hier in der diteflen Zeit vorkommende,
jeboch . fpäter verſchwundene Gebrauch der ehelichen Der:
bindung zwifhen Bruder und Schweiter, wie denn
überhaupt mancherlei myſterioͤſes, von der aͤußerſten
Natureinfachheit zur Außerften Bizarrerie überfpringenbes
Weſen diefer eigenthuͤmlich herausgebilbeten Religion, das
fih noch bis auf den heutigen Tag erhalten bat, an bie
antifen, namentlid an die altägyptifchen Sitten oft leb⸗
haft erinnert.
Die zweite Geſchichtsepoche umfaßt die allmälige Ent
dedung der Inſeln. Der Spanier Mindana war ber
Erfte, bee 1595 einige Inſeln diefee Gruppe betrat und
ihr den Namen Marquefas-Infeln gab; dies gefchab zu
Ehren des Marquefe von Mendoza, Generalgouverneurs
von Peru, der Mindana zu näherer Befichtigung der
Snfelgeuppe Salomon ausgefender hatte. Daber flam-
men noch die fpanilhen Namen berienigen vier Sufeln,
die er befuchhte: Dominica, Madalena, Santa : Erifiina
be Mindana und San: Pedro. Im J. 1773 landete
Cook dort. Im 3. 1791 wurden zwei nady jener Ges
gend gerichtete Erpeditionen mit günftigem Erfolge ges
tönt. Der Amerikaner Ingraham aus Boſton entbedkte
naͤmlich einen Theil der nordweſtlichen Gruppe mit Nuku:
Hiva, auf welcher Infel jegt die Franzoſen ihr zweite
ort, das Fort Collet, angelegt haben, und in demſel⸗
ben Jahre fand und benannte Marhand, Capitain be®
marfeiller Handelsſchiffs Solide, die Inſeln Maffe und
Chanal. Des Lestern merkwürdige Reife wurde fpäter
von Hrn. de Fleurieu befchrieben und veröffentlicht. Im
J. 1792 kam Lieutenant Vancouver auf dem Walfifch-
fange dort an; 1797 Gapitain Wilfon, der beauftragt
war, alle diefe Inſeln mit proteftantifhen Miffionnairen
zu verfehen; 1798 Gapitain Farming und endlich 1804
Kreufenftern. Lesterer entführte damals von bort den be:
kannten Franzofen Cabry, aus Bordeaur gebürtig, ber
bei einem Schiffbrude in die Hände diefer Wilden ges
rathen war, die Tochter des Könige geheirathet, ſich taͤ⸗
towirt, ganz die Sitten jener Horden angenommen hatte
und damals eines ihrer einflußreichſten Häupter war.
Mach langen Reifen betrat derfeibe 1817 Frankreich wies
der, wurde Ludwig XVII, und dem Könige von Preu⸗
fen vorgeftellt und flarb plöglih, 42 Fahr alt, im Sep:
tember 1822 zu Valenciennes, wo er audy, troß ber
Bemühungen der Stadt Douai, welche feinen Körper für
ihr Muſeum erwerben wollte, begraben liegt. Den Lauf
diefer interefianten Entdeckungsgeſchichte der Marqueſas⸗
Inſeln, auf deren Hauptpunkte wir in dieſem kurzen,
wenngleich moͤglichſt vollſtaͤndigen Abriſſe nur hindeuten,
unterbricht der Verf. hier ploͤtzlich und bildet, gleichſam
mitten im Sage, einen neuen Abſchnitt, in welchem er
eine Epoche ber Hungersnoth in biefem Archipel befchreibt
und dann fortfährt, über die fernere Ankunft fremder
Seefahrer in demfelben zu berichten. Die erwähnte
Hungersnoth fällt zwiſchen die J. 1806 unb 1813.
Aus einer den Eingeborenen nicht befannten Urſache blie⸗
ben nämlich ploͤtzlich alle Fruͤchte, namentlich die wichtige
Brotfrucht, aus und, ihrer Verſicherung nach, verſchwan⸗
ben ſelbſt die Fiſche. Als nun bie wenigen auf ben Ju⸗
feln befindlichen zahmen Schweine und das Wild vers
jehrt waren, machten der Hunger und bie Anthropes
phagen: Gewohnheiten ber Kingeborenen ihnen den Ge⸗
banken fehr natuͤrlich, ſich untereinander felbft zu effen.
Es entftand der fchrediichfle Kampf, in welchem nicht
nur Einzelne, fondern ganze Stämme übereinander her:
fielen. Eine Mahlzeit war des Sieges Preis und das
noch athmende Dpfer wurde des Starken Speife. Nach
Ansfage der Eingeborenen raffte diefer geäßliche Zufland
etwa zwei Drittheile der ganzen Bevölkerung hinweg,
was duch die enorme Differenz in den Bevoͤlkerungs⸗
angaben der verfchiebenen Serfahrer, bie vor und nach
dieſer Kataſtrophe die Inſeln befuchten, beftdtigt wird.
Während Nuku : Hiva früher 10,000 Seelen zählte, hat
es jest nur 4 — 5000. Im 3. 1821 fandete ber
ameritanifche General Porter (derſelbe, der fpäter Ge:
fandter der Berrinigten Staaten in Konflantinopel war)
in Nuku⸗Hiva. Da die Vereinigten Staaten während
feines 15 Monate dauernden Aufenthalts dafelbft gerade
mit England im Kriege begriffen waren, fo fing er fieben
vorbeifegeinde englifche Schiffe ein und zwang deren Mann:
ſchaft, ibm ſowol bei Errichtung eines Forts, als auch
zur Ausführung feines Vorhabens behüuͤlflich zu fein, alle
Däupter der Infel unter einem Zürften zu vereinigen.
Sein Plan misglüdte jedoch und er fegelte unverrichteter
Sadye wieder ab. Nach ihm waren folgende die haupt:
fächlichften Landungen auf den Marqueſas⸗Inſeln: Im
. 1825 der ameritanifche Lieutenant Paulding; der pro:
teftantifche Geiſtliche Stewart, der einen intereffanten Be:
richt von feinem dortigen Aufenthalte erflattete, langte
1829 auf dem Schiffe le Vincennes dort an; im März
1830 der engliſche Sapitain Waldegrave und im Januar
1831 ber englifche Gapitain Pendleton, welcher in Nuku⸗
Diva den Engländer Moriffon unter ähnlichen Verhaͤlt⸗
niffen bei den Wilden eingebürgert vorfand, in denen ber
Sranzofe Cabry bei ihnen gelebt hatte. Der Beſuch des
Eontreadmirals Dumont:d’Urville auf diefer Inſelgruppe
ift aus feiner „Voyage pittoresque’’ befannt, welche
1834 in Paris erfchien. |
In der vierten Epoche behandelt der Verf. die An:
tunft und den Aufenthalt von. Proteflanten, namentlich
von Engländern, Schotten und Amerikanern. Das Auf:
treten berfelben bei dieſen Voͤlkerſchaften fällt in den Zeit:
raum von 1830 — 40, während welcher Jahre mehre
Bibelgeſellſchaften fi) bemühten, die Inſeln mit Miffion:
nairen zu verfehen. In diefem und dem folgenden Ab:
fhnitte befindet fih der Verf. in feinem eigentlichen Ele⸗
mente. Cr theilt mit einem gewiffen Behagen mit, daß
bie 1833 alle derartigen Verſuche gänzlich verungtäckten,
die Geiftlihen gemishandelt, die von ihnen mitgebrachten
Srauen, durch die fie beffer zu wirken hofften, verfpottet
und gefchändet, fie felbft beraubt und endlich vertrieben
wurden. Cr erzählt ferner, daß im 3. 1839 ein junger
Miffionnait, Namens Tomſon, mit großen Hoffnungen
und Entwürfen dort angelommen fel, die jedoch wie Ne:
belwolken in der Sonnenhige einiger mühe: und gefahr:
voller Monate verfhwanden — und er mit ihnen. Nur
einem unvermaͤhlten Hrn. Talworthy war es gelungen,
feften Fuß zu faffen und fih Achtung und Freundſchaft
zu erwerben, bie jeboch der Verf. nicht fonderlich au thei⸗
len ſcheint. Diefer proteftantifche Beifttiche befand fich noch
1841 in guten Derpäteniffen auf den Marqueſas-Infeln.
(Der Beſchluß folgt.)
Der zweite Theil des „Fauſt“ englifh von
Gurney.*)
Der treffliche kritiſche Überfeger des erften Theils des Goe⸗
the'ſchen „Sauft”, U. Hayward, fagt in dem Vorwort einer ber
legtern Ausgaben: „Man empfahl mir von mehren @eiten, nun
ben ganzen ‚Zaufl‘ zu Überfegen, und als das vollftändige
Werk angekündigt wurde, hatte ich auch gar nicht übel Luft
dazu; aber als ich es durchlas, überzeugte ich mich, daß bie
Scenin zu vereinzelt daftehen, um großes Sntereffe zu erregen,
und daß die ganze Poeſie nicht Subſtanz genug bat, um eine
Überfegung in Profa zu ertragen.” Gr widerraͤth fogar den
Engländern, aus Verehrung für den erften Theit, den zweiten
zu lefen, weil jener fo vollkommen und erfchätternd mit Mar:
garethens Gefaͤngnißſcene adgefchloffen fei, daß die im vagen
Reid der Träume und Ideen fich bewegende Kortfegung den
Eindrud nur ſchwaͤchen koͤnne. .
Seitdem find wenigftens brei englifche Überfegungen bes
zweiten Theils ben zehn bie zwölf Überfegungen des erften
heile gefolgt. Wir Eonnten durch die Proben der frübern,
welche wir bisher Gelegenheit hatten zu feben, nicht davon
überführt werden, daß Haymard Unrecht gehabt habe. Wie
follte der Engländer dem phantaſtiſch⸗ labyrinthiſchen Gewebe
des reflectirenden Dichtergreiſes folgen, wo der Deutſche ſelbſt
Mühe hat, ihm in bie Hoͤhen und Tiefen und in bie fettfamen
Schluchten und Klüfte nachzugehen, in denen er, anfcheinenb in
willfürtichfter Laune, luftwandelt.
Ein junger Engländer, Archer Gurney, der, wie wir hören,
längere Seit in Deutfchland zugebracht und ſich in Weimar und
andern Orten mit deutſchem Gein, Wefen und deutfcher Denk⸗
art volllommen vertraut gemacht bat, hat fi) nun baran ges
wagt, ben zweiten heit vollftändig und in Verſen — nicht zu
überfegen, er hat ihn — wiedergegeben, rendered from the Ger-
man Mir leſen in ber That diefe Wiebergabe mit fleigender
Verwunderung, wie es einem Englaͤnder möglich wurde, Das
ber praktiſchen britiſchen Nation in fließenden Verſen verftändlich
zu machen, was der ideologiſchen deutfchen unklar geblieben ift.
Hören wir ihn aber erft ſelbſt, wie er über das Gedicht ſpricht:
„Waͤhrend die Schoͤnheit einzelner Stellen und Scenen im
zweiten Theile des, Fauſt? von Niemand geleugnet wird, find
doch Viele der Meinung, dag wenig poſitiver Sinn, kaum ir⸗
gend etwas von einer feften Tendenz, keine Echre über Gutes
und Böfes aus diefem aufßerordentlichen Werke verblide. Man
behauptet, es fei nur eine Bufammenhäufung von &cenen, von
benen jede, für fidy genommen, allerdings großes Verdienſt habe,
bie aber durchaus nicht genugfam untereinander verbunden waͤ⸗
ven, um ein abgeſchloſſenes Ganze zu bilden. Ich teile dieſe
Meinung nit; und ich will verfuchen, in fo wenig Worten als
moͤglich des Autors Plan und Gegenftand in diefer wahrhaft
wunderbaren Production zu verfolgen.”
Ein:ge Zeit fei nady Margarethens Tode verftrichen, und
Bauft, auf die Erde zuruͤckgekehrt, fuche unter Meppiftopheles’
Leitung nach neuen Ergögungen. Aber fein Verlangen fei noch
immer fein reines und ebled, er fuche immer nur nach Gluͤck
und Wohlbehagen und nicht nach ber Tugend, nicht mittels des
unfterblichen Geiftes, fondern durch finnliche Regungen. Cr
verliebt fi in den von ihm heraufbefchworenen Schatten der
Helena und fucht, um ihren Befig zu erringen, bie claffifche
Walpurgisnaht auf. Vom mahren Ideal, dem xomantilche
chriſtlichen Gretchen, welche zu begreifen und deren überragen:
den Werth zu ergründen er nicht im Stande gewefen, ſich ab:
wendend, fuche er nun das Gluͤck beim falfchen Ideal, bei ber
*) Faust. A Tragedy. Part the second. ‚Rendered from
the German of Goethe by Archer Gurney. London 1842.
ſchen a, weiche ihm näher fehe und welche ex leide
tee begreifen könne. Aber nach Cyphorion's Tode, dem Kinde
ihrer gegenfeltigen Sinnenglut, kehre Helena in den Bades zus
rüd; die Bande der finnlichen Liebe feien Leicht gebrochen, und
von der Schönheit, welche nicht von der Tugend begleitet werde,
&bane Ihr entzäufchter Berehrer nicht wahre Treue erwarten.
Sept erſt werde Kauft inne, daß bie Bergnügungen, welche die
Sinnlichkeit gewährt, flüchtig und eitel fein, und vom Kaifer
um Herrn über das dem Meere abgewonnene Land gefekt, ar:
Brite er raftlos für ein durch ihn freies und gluͤckliches Volk
und flerbe im Gefühle wahrer Getigkeit. Der Wille bes Him⸗
mels fei nun erfüllt. Durch Sünden und Sorgen fei der raſtlos
arbeitende Sterbliche endlich zum Quell ber Gnade gebiehen.
Die Ecene, wie die Engel den böfen Feind und feine Geiſter
abtreiben,, fet im Sinn der alten Diyfterien aufgefaßt. In ber
lesten Scene, in welcher der alte katholiſche Himmel uns vor
Augen geführt wird, babe ber Autor gefühlt, daß das Werk
ba fchließen müffe, wo es begonnen, in den Regionen ber himm⸗
liſchen Seligkeit, aber fein vichtige® Gefühl babe ihm gefagt,
daß es unſchicklich fei, die Gottheit auch nur in einer Geftalt
ihrer Dreieinigen Vertreter erſcheinen zu laffen. Um deshalb
babe Goethe mit großem Takt und Urtheil bie Jungfrau Maria,
without too much shocking the reader, gewählt.
Seltſam nun, ja wunderbar fei es, daß Iemanden alles
Dies zwecklos und rein viffonnaie erſchienen, und baß er danach
noch meinen koͤnnen, der zweite Theil habe nur geringe Verbin:
dung mit dem erften und gemwähre feine genügenden Refultate.
Sm erften Theile erfahren wir aus dem Prolog, daß der Ewige
von Kauft erwartet, er werde die Mächte der Finſterniß beſie⸗
gen. Aber wir fehen ihn dem Geifte des Boͤſen unterliegen,
wir fehen ihn Gretchen, das Symbol ber Unſchuld und Tugend,
zerſtoͤren. So laſſe uns ber Schluß des erſten Theils in völlis
er Ungerwißheit, ob ber irrende Sünder ben Weg zur Erloͤſung
nden werde. Der zweite Theil Löfe diefe Zweifel und zeige,
durdy welche Mittel diefes große NRefultat erreicht werde —
durch wahre Derzensgüte und Liebe. Welchen ſchoͤnern und ge:
nügendern Schluß Eönne das Näthfel finden. Freilich, der Geiſt,
in welchem Fauſt diefe Mitdthätigkeit ausübt, fei nidyt ganz bie,
wie wir fie wuͤnſchen; er fei zu felbftändig, denke zu viel an
fi und zu wenig an feinen Schöpfer. Aber man müffe
binfichts diefer und ähnliher Maͤngel Rachſicht
baben mit dem Werke eines Mannes, ber geboren
und erzogen worden in ber Jogenannten beutfden
Säule des Rationalismus. Fauſt enthalte nicht bie
volle Wahrheit, aber einen guten Zheil der Wahrheit. Jeden⸗
falls fei die Grunblehre, die man aus dem Werke lefe, klar,
und bie fie nicht lefen wollten, müßten mit Abficht blind fein.
Es beweife, daß bie Gluͤckſeligkeit nie durch feibftifche Freude
errungen werde; baß aber das KBerarbeiten des Ichs in ber
Liebe zu unfern Mitmenfchen,, indem man alles mögliche Gute
für fie fchaffe, das wahre Mittel zur Stüdfeligkeit fei. „Und
dies iſt eine große und wichtige Wahrheit. Es iſt wahr, daß
die Selbſtverleugnung nur gefucht und erlangt werden fann
mitteld des Glaubens an ben Erloͤſer. Es ift wahr, daß Goethe,
der Rationalift, dieſes Myſterium nicht ergründen konnte. Aber
wenn wir fein Wert mit rechten Geifte lefen, wird ung man:
ches Gute daraus entgegenbliden. Es ift ſchon viel, zu wifs
fen, daß bie Kreude am Gluͤcke Anderer und zu unferer eiges
nen Glüdfeligkeit leitet. Die Seibftentfagung, wenngleich nur
eine theilweife, ift ein Mittel, um zur Selbftvollendung zu ge⸗
langen. Und biefe Lehre lehrt Zauft.”
So meint der Gngländer. Was Goethe wol dazu gefagt
baben würde, wenn er biefe Überfesung noch erlebt hätte!
Bielleiht ein vornehmes: „Run, bad ift ja auch gut. Es Läßt
fich jedes Ding von vielen Geiten betrachten, und uns freut es,
daß diefer Engländer auch von feiner aus eine Meinung bars
über 'zu dußern unternommen bat.” Herr Gurney ſchreibt
für Engländer, und uns fann es nur freuen, wenn das raͤth⸗
felhafte, wunderliche und wunderbare Werk auch einen Briten
fe daß er gedrungen fuͤhlt, feinen Laudeleuten
ben ffet zum Raͤthſei zu liefern. Unſer Schluͤſſa if es
nicht. Damit ſei nicht gefagt, daß er nicht ſchließt. Wir wär:
ben inbeß Das, was er Öffnet, unerdffnet der Deutung eines Se:
den überlaffen haben, ba uns das NRäthfelhafte und bie
Poeſie in andern heilen des ruht und baffelbe uͤber
upt etwas Anderes unb mehr iſt als bie Allegoriſtrung eines
ütlidgen Gedankens. Welche Welt von durchlebten Gebanken
und Anfchauungen gingen ald Schatten vor dem innern Gefidht
bes Dichtergreifes vorüber, und in contemplativer Kuhe ftredite
ee bier den Zauberflab aus und ruf: Steh und verweile! bei
anderen fuhr er mit ber Hand duch Die Lifte und rief: Ber⸗
über! Und bies wogenbe Meer, biefe bewegte Weit, diefe große
Laterna mapica großer Ideen, Kämpfe und Zeitſtroͤmungen ſoll
zu einem bürren, bürftigen moraliſchen Rechenerempel werben!
Aber der Engländer hat Recht Er fchrieb für fein Wolf und
dieſes Bolt wit ein praktifches Biel, eine kirchlich⸗ orthebare
Moral feben; ohne biele Leine Poeſie, wenn fie gelten ſoll
So uͤberſetzte Herr Gurney für die Engländer und hat für fie
einen „Bauft”’, zweiten Theil, exit gefhaffen, einen, ber ihrem
religidesfittlichen Anfchauungsvermögen zufagt und fo beuttich und
faßlich ift, wie fie es von einem Gedichte verlangen. Wunderbar!
rufen auch wir, und es ifl ihm gelungen, Das feſt zu merken,
was für uns loder ifl, und den Keiz, ber für uns im Unbeſtim⸗
ten ruht, ins Beflimmte zu übertragen. Iſt bad nun das Lob
ber Dichtung, die fo reich und vielgeftaltig iſt, fo entgegen:
geſetzte Behandlungen über ſich ergeben zu laffen, ober ein kob
des Berf., der das Miderfirebenbfte zu feinem Zwecke zu benugen
weiß? Und, noch wunderbarer! der Engländer bat ein dich⸗
teriſches Gemuͤth und cine allegorifch = poefiereiche Sprache; er
bat fie fo wohl zu verwenden gewußt, bag auch wir Deutfche
mit Luſt feiner fließenden, wohltönenden Diction folgen, bie
vieles von Dem zur beutlichften Anſchauung bringt, mas bas
Original im Unbeflimmten läßt. Mit einem Wort, das Enge
liſche lieſt fich beſſer, friſcher, fließender, Elarer, als viele det
räthfelbaften, im Abflracten fi umwindenden Berfe, Boethe's.
Vom erften Theile konnte man nicht fagen, daß eine Überfegung
bas Original an naiver Ausdruckskraft auch nur erreicht Habe.
Auch bier mögen Manche entfegt Aber unfern Spruch zuruͤck⸗
fahren und behaupten, er bat mit einer rauhen Maurerkelle die
Ihönen Hieroglyphen übertündt. Moͤglich hier und da; nun
aber find es für den Betrachter Eeine Hieroglyphen mehr, fons
bern er fieht ihm Wohlgefälliges und Berftänbli Zu einem
Zempelbau gehört Mancherlei, Myſterien und Saͤtze, die fo
lichtvoll und kiar find, daß fle Jedem zum Herzen ſprechen,
eben wie ber Wege zum Dimmelreiche viele find.
(Der Beſchlus folgt.)
Literarifhe Notiz.
Hanbbud der franzoͤſiſchen Archäologie.
‚. Dee Graf von Montalembert, der ein eifsiger Verehrer bee
bildenden Künfte ift, bat vor kurzem in einem Auffege eine
ganze Anzahl von Privatperfonen, die mit vandalifher Hand
zur 3erftörung ehrwürbiger Überrefte ber Borzeit beigetragen ha⸗
ben, Öffentlich an den Pranger geftellt. Alferbings ift es be:
dauernöwerth, wenn, wie dies nur zu häufig geſchieht, alte
Bauwerke, die ein kuͤnſtleriſches Intereſſe haben, ober an bie
ſich hiſtoriſche Erinnerungen Enüpfen, dem Boden gleichgemact
werben. Aber mit allen Declamationen gegen biefe Verheerun⸗
gen wird weniger ausgerichtet, ald wenn man das Bolt für
diefe Denkmale der Bergangenpeit zu interefficen fudht. Es
banbeit ſich alfo vor Allem darum, ber großen Menge bad Ga:
bium ber alten Monumente zu erleichtern. Wir wollen besheib
bier auf einen Abriß der archaͤologiſchen Wiflenfchaft aufmerffam
machen, ber ohne oberflächlich zu fein, body in einer einfachen,
allgemein verftändiichen Sprache gehalten iſt. Wir meinen bie
„Kisments d’archdologie nationale pr6ckd4s d’une histoire de
Part monumentale chez les andems’, von Louis Batiffier
(Paris 1843). 2
Berantwortlicher Derauögeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Berlag von F. U. Brodbaus in Beipsig.
-—- m Wu nn Wr TE “, rn ”
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Mittwod,
(Befühep aus Mr. 37.)
Endtich geht der Berf. zum. legten Abfchnitte dieſes
hiſtoriſchen —— zur Epoche der katholiſchen
Miſſtonnaite über. Nachdem der franzoͤfiſche Admiral Du⸗
petit⸗Thonars, ber jetzt auf dieſen JInſein eine franzoͤſtſche
Colonie gegrimdet bat, 1838 die erſten katholiſchen Miſ⸗
ſtonnaire dahin gebracht, worüber er ſelbſt in feinem
„Voyage autour da monde en 1836 — 38”
(Paris 1841) ausfahrlih Auskunft gibt, kam 1839
eine Verſtaͤrkung franzöfifchee Miſſtonmmaire dort an, über
deren Empfang das auf den Sandwich⸗Inſeln gedruckte
engliſche Journal „Sandwich Island Gazette” und das
„Journal of commerce” vom 27. April 1839 Bericht
erftattet. Diefe Gefelifchaft, unter der fi auch ber Verf.
befand, hatte guten Fortgang, taufte viele Eingeborene
und veröffentlichte ihre Erfolge in den „Annales de la
propagation de la foi”. Gleichwol benugten die alten
Gögenpriefter ihren immer noch mächtigen Einfluß nicht
felten zur Verurſachung neuer Ruͤckfaͤlee, biutiger Auf:
Hände und felbft langwieriger Kriege, bei weichem Be⸗
Rreben ihnen die Ankoͤmmlinge leider nur zu oft burch
zu fchnelle und zu gewaltfame Maßregeln in die Hand
arbeiteten. Denn das Volk der Marqueſas⸗Inſeln ift,
wie der Verf. ber Briefe verfichert, ſtoiz, mit lebhaftem
Sinn für Unabhängigkeit und Gerechtigkeit begabt und
treibt die Behauptung feiner hestömmlichen Rechte bis
zur aͤußerſten Hartnaͤckigkeit. Da es ſich eher vernichten
kaffe, als der Gewalt weiche, fo, raͤth der Verf., müffe
bei feiner Leitung mit befonderer Diilde und Mäfigung
verfahren werben; dann aber koͤnne man der günftigften
Refultate verfichert fein, denn es verbinde mit Stärke
eine eigenthümtiche Größe und Erhebung der Seele, weiche
tn ihren Kußerungen von Dulung und Großmuth nicht
Achtung und Bewunderung abnöthige.
Wem «6 in diefer Berichterflattung über das vorlies
gende Buch in unferm Zwecke lag, den hiftorifchen Mit:
theilungen des Verf. mit moͤglichſter Genauigkeit zu folgen,
fo tönnen wir uns dafür bei der Beſprechung ber ſechs
folgenden Briefe um fo Eürzer faffen, ba das Hervor⸗
heben einzelner intereffanter Punkte aus dem innern Les
ben ber Inſulaner zur Vervollſtaͤndigung und Berichti⸗
gung desienigen Bildes, das man fich bisher von ihrer
Lebeneweiſe gemacht, genügen duͤrfte.
7. Juni 1843,
Die Marqueſas⸗Infulaner erinnern, wie fchom ers
wähnt, in ihren Religionsbegeiffen und Religionsgebraͤu⸗
Gen, welche dee zweite Brief behandelt, vielfach an die bee
älteflen Voͤlker. Ihre unbeflimmten religioͤſen Ideen, bes
ven ſchwankende Umriſſe fich wicht Leiche in dem feſten
Rahmen eines Syſtema faſſen lafſen, legen fi um bas
Gerippe einer ausführlichen genealogiſchen Tabelle ihrer
Goͤtterfamllie, an beren einzelne Glieder fich diejenigen
Sagen anknüpfen, die in ihren Überlieferungen nod
beute die Grundlage ihres Glaubens bilden und ihnen
als Meligionsvorfchriften gelten. Es ſtellt ſich bei der
Betrachtung berfelben der Glaube an bie Unfterblichkeit
ber Seele, an Lohn und Strafe nach dem Tode herans.
Der Lohn Derer, welche bie Erfhlung keiner Vorſchrift
verfäume und kein Verbot übertreten haben, beflcht, in
einem obern Reihe, befonders in Ruhm und Wohls
tebn. Die in das untere Reich Gebannten fcheinen
dagegen feiner befondern Strafe zu unterliegen, außer
daß fie hin und wieder gendthigt find, daſſelbe zu ver⸗
laffen, um bie Lebendigen zu plagen. Das obere Reich
wird von den guten, das untere von den böfen
Goͤttern beherrſcht, von denen bie legten Menſchen vers
zehren, befonders aber die Augen berfelben lieben. ihre
Opfer, denen man befonbere, verborgene Tempel gewid⸗
met bat, find in dee Regel nur gefangene Feinde, welche
ſchnell und ohne Qual vor dem Altare getödtet werben.
An dem Göttermahle aber nehmen nur die Priefter, die
Häuptlinge und die ausgezeichneten Krieger des Volks
Theil, ſodaß bie Anthropophagie keineswegs eine graus
fame Sitte aller Inſulaner, fondern vielmehr nur ein
Opfer zu fein fcheint, dem fich die Erſten und Muthig⸗
fin zur Befänftigung der böfen Götter in abergiäubifcher
Furcht unterziehen. Demn jedes Ungläd, jede Krankheit
und Beſchwerde, die den Einzelnen ober das ganze Volk
teifft, wird dem unmittelbaren Einwirken böfer Götter
zugefchrieben. Der Verf. erzählt, dag im erſten Jahre
feiner Anwefenheit im Archipel allein auf Nulu: Diva
20 Menfchenopfer flattgefunden hätten, ohne daß bie das
mals noch fehr einflußlofen Miffionnatre im Stande ges
weſen wären, dieſem Greuel ein Ziel zu ſezen. Da bie
Driefter und Priefterinnen, welche bis zu einem gewiflen
Grade im Coͤlibat leben, dem Volke die Gebote der Goͤt⸗
tee duch Vorgebung einer unmittelbaren Inſpiration mit⸗
theilen, waͤhrend welcher, vote einft bei der Pythia und
noch jetzt bei den Derwiſchen, jedes ihrer Worte ein noth⸗
wendig zu befolgender Orakelſpruch iſt, fo bedienen fich
die Könige derfelben, um ihren Befehlen und Verboten
duch den zeligiöfen Nimbus ſchnellern Eingang zu ver:
ſchaffen und defto unbedingtern Gehorfam zu fichern.
Unfee rechtglaͤubiger katholiſcher Verf. hält fie daher fon:
derbarerwweife entweder für Halbnarren oder für ſchlaue
Betruͤger und behauptet, daß fie dem Molke nicht Ach⸗
tung, fondern Furcht einflößen. Die allgemeinfle und
gebräuchlichfte Form fire alle Verbote ift das fehr umfafjende
Sefeg Tapu, das eine eigenthuͤmliche Ahnlichkeit mit al:
ten israelitiſchen Vorſchriften und Gebraͤuchen bat. Es
beſteht nämlich bald in bem entweder fortlaufenden oder
auf gewiſſe Tage befchränkten Verbote, dieſe ober jene
Speife, Früchte, Bäume oder andere Gegenflände zu bes
rühren, bald darin, gewiſſe Orte, Perfonen oder auch
nur Körpertheile gaͤnzlich der Gottheit zu weihen. Ebenfo
wie einzelne Vorſchriften erinnern auch die Feſte an die
religioͤſen Gebraͤuche anderer Völker; namentlich die Herbſt⸗
feſte, welche mit den roͤmiſchen Lupercalien in vieler Be⸗
ziehung große Ähnlichkeit haben. Sie find gewiſſermaßen
dee Gipfel der ausgelaſſenen Freude, die ſich kurz vorher
milder und menſchlicher bei Gelegenheit der großen Ernte⸗
feſte über alle Voͤlkerſchaften verbreitete. Während dieſer
Tage ſind alle Feindſeligkeiten zwiſchen den einzelnen
Staͤmmen aufgehoben und werden bis zu dem Grade
vergeſſen, daß ſogar die Mitglieder ſolcher Voͤlkerſchaften,
die miteinander in Fehbe Liegen, ſich gegenſeitig zu dieſen
Zeiten befuchen. Doch bricht auch bier die kannibaliſche
Wildheit diefe Anthropophagen wie ein Blitz hervor, der
den ganzen Himmel biefes Friedens und biefer Freude
grell durchzuckt. Jeder fremde Gaft nämlich muß bei den
Feinden wohl auf feiner Hut fein und fih vor Beendi⸗
gung bee Seftlichkeiten nach Haufe retten. Denn in dem
Augenblide, in welchem das Feſt endet, iſt es erlaubt,
über die Fremdlinge herzufallen, fie zu erwuͤrgen unb,
gleihfam als die leckerſte Erntefrucht, zu verfpeifen. Xrog
folcher unnatuͤrlichen Auswüchfe wohnt im Gemuͤthe bie:
fer Wilden eine außerordentliche Kraft und Tiefe ber
Poeſie, die namentlich aud in ihren religioͤſen Sefängen
auf eine wunderbare Weile hervortritt. Text und Die:
lodie find außerordentlich einfach (oft befleht der erſte nur
aus drei Worten und bie zweite aus einer Abwechfelung
zwiſchen drei verfchiedenen Noten), doc ergreifen fie
ſtets auf das mädhtigfte das Herz durch ihre feierliche
Würde und Erhabenheit. Die Priefler, welche diefe Lie:
ber immer verfaffen, oft auch im Augenblide ertempori:
een, fingen biefelben zuweilen ganze Nächte hindurch in
ſtarkem Chor, unter der andächtigften Aufmerkſamkeit ber
verfammelten ſchweigenden Menge. Die fhauerlihe Ein:
dringlichkeit eines ſolchen nächtlichen Chorgefanges wird
noch duch bie Begleitung vermehrt, welche allein in
„ einer ftarken, tiefen Pauke befleht, deren dumpfer Ton,
weithin durch die Thaͤler und Berge dröhnend, tie
Glockenton die Gemuͤther zur Andacht mahnt und bie
Kernen herbeiruft.
In dem britten Briefe befpriht der Verf. den mo:
ralifhen und politifchen Charakter ber ſocialen Relationen
und zwar, wie er wisberum fehr genau unterfcheibet, ber
verfchiedbenen Stämme unter fih, in einem Stamme
und in der Familie. Die foclalen Relationen der vers
ſchiedenen Stämme unter fich reduciten fi auf die Art
Ihrer Kriegführung und ihrer Friedensſchluͤſſe. Beide, we⸗
nig abweichend von ben auch bei andern Wilden hierin
beobachteten Gewohnheiten, bieten nichts fonderlih In⸗
tereflfantes dar. Wol aber die gang feudalifiifchen Ver⸗
hältniffe, welche die verfchlebenen Abftufungen der Sieber
eines Stammes zufammenhalten und abfondbern. Diefe
treten befonder® zur Zeit eines Kriegs deutlich hervor.
Der König verfammelt als oberfler Feldherr feine Haͤupt⸗
linge zu einem Feldzuge um fich, biefe wieder ihre Unter:
gebenen u. f. w. bis zur gänzlihen Vervollſtaͤndigung
eines förmlichen Heerbannes. Auch bierbei fehlt der Ein»
flug der Priefter nicht, wie denn Überhaupt die weltliche
und geiftliche Macht bier mit mehr Vorficht und Übers
legung Hand in Hand gehen, als dies in den einft auf
gleicher Bildungsſtufe flehenden europäifhen Reichen ber
Fall war. Die Erblichkeit der Königewürde in männs
licher und weiblicher Linie ift eine Confequenz der bei den
Inſulanern hierin allgemein herrfchenden Grunbfäge, welche
fi befonders in bem beutlichen Begriffe und der forgs
fältigen Vermeidung einer Misheirath, wie auch nament:
ih in einem Geſetze ausfprechen, welches als eine Fort:
fegung und Erweiterung des vorzugswelſe in England
und Deutfchland beftekenden Inſtituts der Majorate ans
gefehen werben ann. Diefes hoͤchſt wichtige Gefeg, weis
ches nicht nur alle Zerfplitterung bes Vermögens, fondern
auch alle Erb: und Thronfolgeflreitigleiten verhindert und
in ihree Wurzel zerftört, beflimmt, daß alle Rechte unb .
Befigungen bes Waters auf ben diteflen Sohn ſogleich
nach feiner Geburt übergeben, ſedaß der Water nur der
Vormund und Verweſer der Mechte und des Eigentbums
feines Sohnes bleibt, dem er bei feiner Großiaͤhrigkeit
Alles zu übergeben verpflichtet iſt und fi dann nur als
feinen erſten Vaſallen anzufehen bat. Zwar wird hier
durch bie väterliche Autorität in ber Familie fehr ge:
ſchwaͤcht, doch iſt dies bei der alfeitig ungehinberten Aus:
bildung und bei der ganz ber Matur Überlaflenen Erz
ziebung der Kinder hier von geringem Nachtheile. Den
Nachtheil, weicher biecbei durch gefteigerte Ehrſucht und
Herefchbegierbe für bie Fortpflanzung, für die Vermeh⸗
rung der Bevölkerung aus dieſem Gefege erwachfen könnte,
befeitige bier wieder die überall frei waltende Natur,
weiche ihren Sunbamentaltrieben über alle kleinlichen Leis
dbenfchaften entipringenden Rüdfichten ben Sieg verleiht.
Die Natur iſt diefem Volle von der Wiege aus Amıme
und Erzieherin. Den Kindern läßt man bie unbebingtefle
Sreibeit bes Willens, fobald fie nur gehen können. Gie
entwideln ſich frei vor ben Augen des ganzen Stammes,
der bei der Beobachtung ihrer erften Regungen und leb⸗
baftefien Neigungen biejenigen Grundgefege ber Natur
täglich zu. ſtudiren ſcheint, welche allen feinen Dandiungen
und Gefegen ſtets zur Richtſchnur dienen folen. Wer
bächte hierbei nicht an bie lacedaͤmoniſche und athenien-
ſiſche Erziehung! Natürlich führt diefe unbebingte Der
ſchaft, welche der finnlichen Natur eingeräumt wird, zu
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einem an Epikuraͤiſche Grunbfäge ſtreifenden Materialis⸗
mus. Das Beduͤrfniß und die Fähigkeit zu genießen iſt
bereits bis zu einem folhem Grade geftelgert, daß der
gewoͤhnliche Lebensgang dieſer Wilden in einer forlaufen⸗
den Reihe von Vergnügungen beſteht, welche bei uns
mit bem Namen Zefte bezeichnet werben. Die Befriedis
gung' ber einfachften Beduͤrfniſſe, als Efien, Baden u. dgl.,
wird zur Luft erhöht, welche nur die Ruhe umterbricht;
ſelbſt der Tod eines Famillenglieds wird BVeranlaffung zu
einem Sefte. Aus biefer Berhdfichtigung der Naturtriebe
und der Beobachtung ihrer Gefege iſt eine Menge von
Gewohnheiten und Beſtimmungen erwachlen, weldye mit
europäifchen Einrichtungen und Anfichten vielfach im Wi⸗
derfpruche ſtehen. Da z. B. die Ehe auf keinem reli⸗
giöfen Gebrauche beruht, fo iſt die Scheidung ſehr Leicht
und gewöhnlich. Desgleichen iſt es einer Frau geftatter,
mit Erlaubniß ihres Mannes Handlungen zu vollziehen,
welche das Chriſtenthum Ehebruch nennt. Der Natur
gemäß kommt es ferner viel feltener vor, daß ein Dann
zwei Frauen, als daß eine Frau zwei Männer bat.
Jedoch herifcht in allen diefen Dingen eine außerordent>
liche Wilke, wie denn überhaupt in keiner Weife eine
policeitiche Aufficht auf diefen Inſeln exiſtirt. Die Staat:
gewalt tritt mit ihrer Macht, die allein in ausgebreiteten
Familienverbindungen befteht, nur in ganz außerordentlihen
Zälten ins Witte. Bei unbedeutendern DBeranlafjungen
verfchafft ſich Jeder felbft fein Recht; er holt ſich 3. B.
die geflohlenen Sachen vom Diebe wieber, oder laͤßt fich
ben doppelten Werth dafuͤr erfegen. Doch kommt Diebs
ſtahl, da fremdes Eigenthum nicht leicht zu verbergen
ift, felten vor. Geſchickt ausgeführt, ift er, wie in Sparta,
erlaubt und nicht entehrend; namentlid wird er gegen
Auslaͤnder beguͤnſtigt, denen man ihe Eigenthum felten
zuruͤckerſtattet. Mord ift in Seiedenszeiten ganz unerhägt.
Den natürlichen Rob erwartet man ſtets mit fo großer
Ruhe und Sammlung, daß fogar Jeder, wie fein an:
deres Dausgeräch, ſich auch feinen Sarg bereitet und ihn,
wie ein ganz nothwendiges Meubel, in feine Hätte ſtellt.
Dennod ift bei den Begräbnißceremonien auch eine ge:
wiſſe Zeit dem Wehklagen ber Angehörigen gewidmet,
wie eine andere den Schmaufereien und den bei biefer
Gelegenheit üblichen obſcoͤnen Taͤnzen, welche von nad:
ten Frauen ausgeführt werden. Dem Todten wird die
ſchoͤn taͤtowirte Haut abgezogen und in dem geheimen
Familienarchive als Heiligthum aufbewahrt. Der eben
erwähnte, vielfach ausgefchmüdte Sarg wird bei der Bes
ftattung nicht in die Erde verfenkt, fondern, luftdicht
verfchloffen, in dem Todtenhaufe der Familie an Seilen
frei in der Luft aufgehängt und, wie bei den alten
Deutfchen, von Speifen und Waffen umgeben. In bie
Erde veriharrt zu werben, ift eine Schmach, die nur fin
derlos geftorbenen Frauen zu Theil wird.
Die folgenden vier Briefe, wenngleich fie für man:
chen Zweig der Wiflenfhaft Intereffantes enthalten, be:
eühren wie bier nur kurz, zur Vervollſtaͤndigung des San:
mie wenigen Worten ihren Inhalt andeutend. Eine
ausführliche Beſprechung deſſelben würde zu weit über bie
diefen Mittheilungen geſteckten Grenzen Hinausführen.
lichkeit hat.
Der vierte Weief beſpricht die Arbeiten der AInfulaner-
und ihre induſtriellen Kunffertigkeiten. Der Verf. bei
fchreibt Hierin aufs genauefte ihre Wohnung, Nahrung
und Kleidung. Diefe Dauptbebürfniffe, an welche ſich
bei andern Voͤlkern alle Kunft und Induſtrie knuͤpft,
befördern bier um fo meniger bie Entfaltung derfelben,
als der Menſch auf dieſen gluͤckſellgen Inſeln fich gegen
die Natur nicht fhügen und ihr nichts abringen darf.
Ste bietet in ihrer Milde Alles fertig und im Überfluffe
bar umd gibt daher fehr wenig Auffoderung zu irgend
einer Geiſtes⸗ ober Körperthätigkeit. Die Guitivirung
des Tabacks und des Maulbeerbaums find die einzigen,
den Luxus befördernden Arbeiten, und ihre einzigen
Kunfiproducte find: Diademe von Hahnenfedern, Faͤcher
von Knochen, Goͤtzenbilder, Pfeifen, Obrringe und bie
Taͤtowirung. Die meilte Induſtrie und Kunft finder
fich bei denjenigen Stämmen, welche von fremden Schifs
fen am wenigſten befucht werden, da die Bewohner ber
beſuchten Küften duch Eintauf bie Erzeugniſſe euros
paͤiſcher Induſtrie ohne Mühe und eigene Anſirengung
erwerben. Hierbei verdient noch eine eigenthuͤmliche Taufch:
waare erwähnt zu werden: bie Scham. Die Frauen
bee Infulaner zahlen mit ihren Qunftbezeigungen bie
Waaren der Europder. Es iſt dies eine vollftändige und
unglüdtihe Ausbildung ber Proftitution, welche jedoch in
ihrer ganzen Immoralitaͤt hier nur von Seiten ber Maͤn⸗
ner verübt wird, bei den wilden Frauen jedoch, im Zu:
fammenhange mit ben Sitten ihres Volks, ganz den
Charakter der glüdlihen Unfhuld an fi träge. Wenn
biefe erft der Erkenntniß gemwichen fein wird, dann wird
ber kuͤnſtliche Rieſenkoͤrper „Civiliſation“ mit feinem
ſchwarzen, langgeſtreckten Schlagfchatten auch die noch
beife Bruft diefes fernen Voͤlkleins verdunkeln.
Der fünfte Brief enthält Bemerkungen über die
Sprahe ber Inſulaner und die Idee einer Grammatik
derfeiden. Die Mitcheilungen des Verf. geben einen volls
ftändigen Begriff von der Sprache, welche fehr viel Mu:
fit zu enthalten fcheint und in der Art ihrer Beugung
und Behandlung einen guten Gefhmad und ein feines
Ohr verräth. Gleichwol iſt die eigentliche Muſik bei dies
ſem Wolle nicht fehr ausgebildet. Faſt alle Melodien bes
ſchraͤnken fih auf die Abwecfelung unter hoͤchſtens bref
Moten und ihre Inſtrumentenreichthum befteht in ber
Pauke, einer mit drei Löchern verfehenen Floͤte, die durch
ben Hauch ber Nafe geblafen wird, und in einer Art
Holzharmonika, welche mit der von Guſikow viele Ähn⸗
Beſonders ausgebildet bei beiden Geſchlech⸗
tern findet fich bier die Kunſt der Beredtfamkeit, und
zwar erlauben die Infulaner vernünftigerweife, im Gegen:
fage mit Europa, ben Frauen, ihr unbeftrittenes Talent
zu dieſer Kunft auszubilden und zum Belten ihrer Mit:
menfchen, als Advocaten oder bergleichen, öffentlich anzu:
wenden. Ihre poetifchen Geſaͤnge find erhaben, volltönend
und in kurzen alliterirten Verfen. Neuerdings haben bie
Miſſionnaire ihnen auch geiftliche Kleber und Stellen aus der
Bibel, wie es fcheint, mit Gluͤck in ihre Sprache überfest.
Die komiſche Pedanterie und das foftematifch Lintirte
In dem Geiſte und ber Anfchauungsweife des Verf.
verleitet denſelben in feinen Anmerkungen ber den wiſ⸗
fenfchaftlichen Standpunkt ber Infulaner, von weichem
er im fechöten Briefe ein Bild entwirft, zu allerlei laͤcher⸗
lichen und thörichten Anmertungen. Er hätte biefen ſein
Buch verunftaltenden Brief ganz fortlaffen follen. Wir
überfpringen ihn daher ganz, wie aud ben legten, ber
von den Arbeiten der katholiſchen Miſſionnaire handelt,
da wie fchon oben Genuͤgendes daruͤber mitgetheilt, und
bemesten nur noch zum Schluſſe, daß das ganze ebenfo
intereffante als verdienſtvolle Wert des Pater Matthias
wärbig und paflend abgefchloffen wird durch bie wörtiiche
Mittheilung des merkwürdigen Berichts, weichen der
Gontreadmiral Dupetit» Thouars an den Marinemimiſter
über die Beſitznahme der Marqueſas⸗Inſeln, am 28. Juni
1842, erflattete, und aus weldem wie erfahren, daß
die Inſulaner eigentlih nur durch die Furcht vor ber
Rache der Amerikaner, wegen Tödtung einiger Männer,
bewogen worben find, fich unter Frankreichs Schutz und
Botmaͤßigkeit zu begeben. A. Roerdang.
Der zweite Theil des „Fauſt“ englifh von
Gurney.
(Beſchluß aus Rz. 157.)
Wir haben es alfo mit einer freien Überfegung zu thun,
feet im volften Sinne bed Worts, wo ber Überfeger wieber
zum Dichter für feine Nation wird. Ginzelne Beiſpiele mögen
es zeigen. Die Rymphen im Chor umfchließen den großen Yan:
Auch kommt er an!
Dad AU der Melt
Wird vorgeftellt
Im großen Pan.
Ihr Deiterften umgebet ibn,
Sm Gankeltanz umſchwebet ihn;
Denn well er ernfl und gut babel,
So will er, daß man froͤhlich ſel.
Esch mortel mas
To Earth must bow;
Behold him now
The mighty Pan!
Ye gracefull maids around him fiy
In lightsome mirth and revelry;
He sees yon dance, with joy elate,
For he is good as he is great.
Das war frei überfebt, aber ber folgende Geſang der de:
putirten Gnomen ift mehr ald bass er iſt aus ber Goethe’fchen
Specialliebe für mineralogiſch⸗geologiſche Proceſſe in das all⸗
gemein Menfchliche übergedichtet:
Wenn dab glänzend reihe Gute
Fabenweis durch Kluͤfte ſtreicht,
Nur ber klugen Wuͤnſchelruthe
Seine Labyrinthe zeigt,
Woͤlben wir in dunkeln Gruͤften
Troglodytiſch unſer Haus
Und an reinen Tagesluͤften
Theilſt du Schäge gnaͤdig aus.
Nun entbecken wir hierneben
Eine Quelle wunderbar,
Die bequem verfpricdht zu geden,
Was kaum zu erreihen war.
Died vermagfi bu zu vollenden, -
Nimm 08, Derr, in deine Hut!
Jeder Schatz in beinen Händen
Kommt ber ganzen Welt zu gut.
When ike dee ned ere is Iying
In iho meountalas gloomy cavo,
We its secret heunts deserying,
©'er (hem rods of magie ware,
Opes the roeR, und forth the breasures
From their kome to earikı we bring;
Thou reoeivest tham, king of Plonsures
Howsä the gold ia husps dest fing.
in this kmll a wondreus feantain
Even now we chanosd to find;
Pearly lake and ruby mountain
Never atores like tkosse combined.
Geld und gems, like waren are Bowlug —
Thou, o king their guarälen be!
So on all Ihe werid bestewing
ei mt * Guemes bestew on thes.
ie trefflich und charakteriftifh Here Gurney auch zu
überfegen weiß, bafür folgende Stelle aus den komiſchen
Partien. Der Gelehrte fprict:
Sch fah fie deutlich, doch geſted' ich frei,
Bu zweifeln iſt, 0b fie die rechte ſei.
Die Segenwart verführt ind Übertriebne;
Ich Halte mid vor allem and Geſchriebne.
Da lad’ id) beun, fie Babe wirklich allen
Graubaͤrtgen Trojas fonbertih gefallen;
Und wie mich bänkt, vollkommen paßt das bier,
Ich bin nit jung und do gefällt fie mir.
I soo her clearly, to say the truth,
I still must doubt if she be she in sooth.
The present often may deceive our eyes,
And pusts long ohronieles far more I prise.
Here then, I road that all Troyu greybeards thought ker
Werthy to be a Venus’ self the daughter;
This rale apply a tailor might or tinker,
I am not young, and get most beauteous think ker.
Es würde nicht ſchwer fallen, noch zaßlreiche Stellen aus
den. Igrifchen und braflifchen Partien ausgusichen und andere
ans ben Dialogen, in weichen die Reflexion mit der finnlichen
Auffaflung fo eigenthuͤmlich wunderbar, wie eben nur im Goe⸗
the ſchen „Fauſt“, verſchwiftert ift, und die alle in Friſche und
Kräftigkeit von dem Überfeger wiedergegeben find. Wie reich if
die engliſche Bolksſprache an Ausdrüden für finnliche Kuffaffun-
gen, daß unfere beutfche Mutterſprache durch bie Berührung
mit ihr, wenn fie in Abflrectionen ſich verirrt, ſich Immer wie
der Eräftigen und zu ben Raturiauten zurüd könnte leiten lafs
fen. Wie mandyer Teutfche zu feiner Belehrung bie Hayward'ſche
Überfegung bes erſten Theiis gelefen haben wird — bie kurzen
praktiſchen Roten derſelben verdienten ins Deutſche überfegt ya
werben —, fo koͤnte auch Mancher, wenn nicht zur Betehrung,
doch zus Anfeuerung im Nachbenten, biefe Gurnev'ſche über⸗
tragung in bie englifhe Eigenthuͤmlichkeit fludiren. Wie bie
verwandten Völker in ihren Sinnesrichtungen ſich theilen, bavon
liegen fich hier merkwürdige Belege fammeln. Der flarre cons
fervative Brite, der Highchurchman, kann, trod feiner Bewun⸗
berung für Goethe, body unmöglich defien Bewundermg fir
Lord Byron theilen und müht fich In den Roten ab, das Lob,
welches der beutfche Dichter ihm fpenbet, oetguifigen. Byron
im Grabe wird es ſich gefallen Laffen können. Der Anklang
für den Dichter iſt, aus ben britiſchen Grenzen hinaus, ein
europäifcher geworden. Er läßt ſich micht mehr fi aus
ber Gefchichte unferer intellectuellen Entwidelung, Geltfam
aber, daß bie englifche Nation, in ihrer engherzigen Beurthei⸗
lung Byron’, ihm nur die Ähnliche engherzige Beurtheilung,
die er an Shalfpeare verübte, vergitt. Sehr beachtenswerth
find auch die Winfelgüge, durch welche der englifche Überſther
mit Bewußtfein und Geſchick anftögige Wilder und Iüfterne Ans
fpielungen umgeht, welche ein englifches Ohr nicht anhbem
koͤnnte, ohne baß man ihm um beshalb vorwerfen barf, va er
falſch uͤberſetze.
Berantwortlicher Herauſsgeber: Oeinrich Brodbaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brodhaus in Leipzig.
— m — — — — — — —
—
Blätter
für
fiterarifhe Unterhaltung.
Donnerdtag,
8. Juni 1843.
Ruͤckert ald dramatifher Dichter.
Gaul und David, ein Drama ber peili em Gefchiähte von Beieduih
Rüdert. Erlangen, Heyder. 1843, Gr. 12. 1 XThir. 15 Nr
As Ruͤckert zuerft unter ben — ——*
auftrat, war er durchaus ein Sohn der Zeit und wid⸗
mete ihr in feinen „Geharniſchten Sonetten“ und in ſei⸗
wem „Kranze der Zeit” bie werthvollſten Erſtlinge feiner
Kraft; bald jedoch zog er feine Dichtung, theils wol aus
Innern, theils auch, wie Guſtav Pfizer in der bekannten
Schrift „Uhland und Ruͤckert“ anbeutet, aus perfönlichen,
jedoch den ebeiften perfönlichen Beweggründen, von dem
Schauplatze zuräd, auf dem fein Volt Eimpfte und mehr
noch litt als kämpfte. So war feine Stelung zur beut-
ſchen Dichtung, trog feiner großen Fruchtbarkeit, trotz
der hohen Trefflichkeit, die ein unbefangener Beustheiler
vielen feiner Leiſtungen nicht abfprechen kann, gerade ein
Vierteljahrhundert lang eine durchaus einfame und, ebenfo
fehe in Beziehung auf bie von ihm gewählten Stoffe
als auf deren Behandlungsweiſe, fait außer Zuſammen⸗
bang mit ber übrigen deutfchen Dichterwelt. Jetzt end:
ih, wo man doch wol nicht mit Unrecht bie Kraft jus
gendlichen Scyöpferdrangs in ihm wo nicht für erloſchen,
doch fuͤr allmaͤlig erloͤſchend halten darf, ſcheint er ſich in
gewiſſem Grade den Beſtrebungen ber Zeitgenoſſen wieber
zuzuwenden, ba er plöglich und gewiß allen Kennern ſei⸗
ner früheren Arbeiten überrafchend den zahlreichen jugend⸗
frifchen Kräften fich zugefellt, die jest von allen Seiten
den Drama zuſtroͤmen. Schon bald nah Rüuͤckert's
lÜiderftedelung in das nördliche Deutſchland verbreitete fich
das Gerücht von dramatifchen Arbeiten des Dichters;
dann erfchienen im „Morgenblatt“ Bruchftüde eines ber
armenifchen Geſchichte entnommenen Trauerſpiels, die
aber bei der verwidelten Anlage des Ganzen. noch zu kei:
nem Urtheile befähigtenz; jest endlich liegt fein erſtes voll:
fländiged Drama vor, welches nach dem Geſagten wol
zu eingehender Betrachtung auffodern-muß.
Hat fi) Rüdere mit diefer Arbeit der Richtung un:
ferer. Zeit infofern wieder genähert, daß auch er dem leb⸗
haft erwachten Eifer für dramatifche Richtung ihr Recht
zuzuerkennen fcheine, fo iſt er dach zugleich auch feinem
bisherigen Standpunkte nicht untreu geworden. Dies
zeigt zunaͤchſt die Wahl feines Stoffe. Während bie
übrigen Dramatiker unferer Tage entweder biftorifche
Stoffe behandeln, die uns theils durch ihren vaterländis
ſchen Gehalt, theil® durch ein mächtig ergreifendes pſycho⸗
logiſches Intreſſe nahe flehen, oder folche Stoffe ganz
neu erfinden, welche durch Abfpiegelung unferer ſocialen
Zuftände anziehen und fo zur Löfung fhwebender Lebens:
fragen das Ihrige beitragen: iſt NRüdert, was Zeit und
Drt feines Drama betrifft, in bderfelben Ferne flehen ges
blieben, in ber er fi fhon lange hält. Und der Unter
zeichnete muß leider gefleben, daß er ſchon darin einen
Misgriff erkennt, der alle Wirkung diefer Dichtung felbft
bei den größten fonfligen Vorzuͤgen unmöglih machen
würde. Ein Drama, weldes fefleln und wirken fol,
muß zunaͤchſt ſchon ein bedeutendes floffliches Intereſſe
erregen Binnen: dies ift aber won einer bramatifchen Ge
ſchichte Saul's und David's durchaus nicht zu erwarten,
da fie uns von frühefter Sugend an viel zu bekannt ift,
als daß fie bie Theilnahme der Neuheit in Anſpruch
nehmen koͤnnte. Noch mehr aber muß ein wirkfames
Drama immer irgend einen Punkt treffen, in dem «6
bie Gefühle, die Wünfche, die Bedürfniffe der Zuſchauer
ober Lefer berührt und befriedigt; dies konn „Saul und
David’ nicht erreichen, da es einer längft abgefchloffenen
Welt angehört, aus ber keine Gedankenbruͤcke in unfere
Zeit führt, noch dazu einer Welt, deren charakteriftifches
Kennzeichen eine eng befchränkte, fireng ausfchließende
Volksthuͤmlichkeit ift, aus ber fich allgemeine, ewig wahre
Gedanken und Gefühle nicht entwideln laffen, wie dies
im helleniſchen Alterthume der Fall ift, welches deshalb
auch niemals einer poetifhen Behandlung unfählg wer:
den wird. Hier wäre es höchftens durch eine gänzliche
Umgeftaltung des Stoffs möglich gewefen, eine große,
eiwige dee zum leicht erkennbaren Mittelpunkte des Gan⸗
zen zu erheben; daß Ruͤckert dies nicht gethan hat, wird
ſich weiter unten zeigen.
Müuͤſſen wir ſonach bie. Wahl bes Stoffes für eine
unglüdliche erklaͤren, fo "bliebe deswegen doch immer nach
die Möglichkeit, daß „Saul und David” ein kuͤnſtleriſch
body vollendetes Meiſterwerk wäre, unb «6 wird deshalb
nöthig fein, näher darzulegen, auf welche Weiſe Rüdert
feinen Stoff behandelt hat.
Entnommen iſt berfeibe dem erften Buche Samuelis
und dem Anfange des zweiten und verteilt in ein Vor⸗
ſpiel Saul's Erwaͤhlung“ von drei Aufzügen und das
‘ “4
Drama ſelbſt von fünf Aufzuͤgen. Die Form iſt durch⸗
aus metriſch, großentheil® gereimt und in verfchiedenen
Versformen wechfelnd, die, dem Inhalte und den ſpre⸗
chenden Perfonen gemäß, Rüuͤckert's laͤngſt anerkannte
Meifterfheft in Handhabung der dichteriſchen Formen
von neuem bewähren.
Das Vorſpiel enthält daB Verlangen bes juͤdiſchen
Volks nad einem Könige, Saul’ Salbung buch Sa:
muel, des Erſtern Sieg über die Ammoniter bei Tabes
in Gilead und die darauf folgende allgemeine Anerken⸗
nung feines Koͤnigthums. Das Drama ſelbſt beginnt
20 Jahre fpäter, wofür Luthers Bibelüberſetzung nur
einen Zeitraum von zwei Jahren hat. Dier erſcheint
Saul fofort als der mistrauifche, faft geiſteskranke Zürft
im Zwieſpalt mit Samuel; David komme an Saul's
Hof und erfchlägt den Goliath, wird vor Saul's Grimm
flügtig, und fo führt und der Gang des Drama, bis
nah Saufs und Jonathan's Fall David den Thron
befteigt und auch die wenigen noch uͤbrigen Anhänger
der Familie Saul's fi unterwerfen; David's großartige
Plane und feine Milde gegen bie Unterweorfenen machen
den Schuß. So hat fi) alſo Rüdert aller eigenen Er:
findung ganz und gar bis auf die leifefte Spur offenbar
abfichtfich enthalten, um bem gegebenen Stoffe mehrfach
Bis zur Woͤrtlichkeit treu zu bleiben. Aber nicht nur
den Stoff felbft hat er ganz unverändert beibehalten, fon:
dern auch bie Behandlungs: und Darſtellungsweiſe tft
ganz biefelbe wie in feiner Quelle; und beshalb führt
fein Wert nur den Namen Drama, obne irgend eine
andere Eigenfchaft deſſelben zu befigen, als baf es aus
einer Reihe, durch den Zufammenhang bes Stoffe ver:
bundener Dialogen beſteht, was freilich nur die aller
geringfte und Außerlichfte Bedingung iſt, die das Drama
zu erfüllen Hat. Es fehlt diefem Drama dagegen erſtens
ganz an Handlung: wie die Quelle, nach der Rüdert
gearbeitet bat, eine Chronik ift, fo befleht fein Drama
aus einer Reihe von Auftritten, in denen bie verſchiede⸗
nen Perfonen abwechſelnd die Stelle des Chrontfien ein:
nehmen; alle eingreifenden und handlungsreichen Ereig⸗
niffe erfahren wir Lediglich durch bie Erzählung dritter
Derfonen, fo den erfien Sieg Saufs, fo bie Salbung
David’, die Beſiegung bed Rieſen, den Ausbruch von
Saul's Zorn, den Kal Saul's und Jonathan's. Es
findet fi) deshalb in dem ganzen Werke auch nicht eine
dur eine große Handlung bewegte und beliebte Scene,
denn auch die, wo Saul zum König gewählt wird, bes
megt ſich der Natur der Sache nad nur in Wechfelceben,
und wo fonft Handlungen fihtli vorgeführt werben,
find nur einzelne Vorfälle und Perfonen dabei ohne we⸗
ſentliche Entſcheidung für das Ganze betheitige.
Wir müflen jedenfalls annehmen, daß biefe Eigen;
thuͤmlichkeit dos Werks von dem Dichter beabfichtigt. wor:
deu I, und es fehlt nicht an den glänzendflen Beiſpie⸗
Ien, die zu feiner Rechtfertigung angeführt werben gu
koͤnnen ſcheinen. Bei diefen tritt dann aber, um nur
an Goethes „Iphigenie” und „Tafſo“ zu erinnern, im:
mer ber Fall ein, daß ber Stoff ſelbſt einen folchen
Reichthum an Handlung nicht bietee wie die Geſchichte
Saul's und David's, und daß zweitens ber Mangel an
äußerer Handlung durch Innere Dandlung, d. b. buch
die ausgeführte Darfielung eines reichen und bedeutenden
Gemütheguftandes ber auftretenden Perſenen reichlich auf
gewogen wird. Dies if aber in Ruͤckert's Drama kel—
neswegs ber all, dem es im Begentheil an ſcharfer
Charakterzeihnung ber einzelnen Hauptperfonen und pfp
chologiſcher Motivirung ganz fehlt; dieſe fehlt allerdings
auch der biblifchen Erzählung, aber fie iſt eben kein Be
dicht, fondern eine Chronik.
Faſſen wir die Hauptperfonen in dieſer WBeriehung
näher ind Auge: Saul erfcheint im WBorfpiel als eine
heldenkraͤftige Natur im befcheidener und unſcheinbarer
Umhuͤllung. Als König iſt er plöglic zw einem launen⸗
baften, geiſteskranken Tyrannen umgervandeit, ber ſelbſt
von fih fagt (S. 140): .
D Herr,
Daß du mi Haft veriaſſen, fühl’ ich wohl,
Do nicht, warum du mic) verlaffen haft.
Und leiber weiß es der Lefer ebenfo wenig, denn ber in
dee bibliſchen Erzählung liegende Abfall won ber theofre-
tiſchen Verfaſſung feines Volks wirb nirgend hervorgehes
ben. David erſcheint bald als kindlich unbefangener
Knabe, bald als ſchlau berechnender Kronpraͤtendent, ohne
daß ein Übergang vermittelt wäre; namentlich aber wer:
miffen wir in ihm bie Kraft des unbedingten Gott
vertrauens, die die biblifche Erzählung bei aller Einfade
beit fo ſchoͤn in feinen Charakter zu legen weiß; und ber
Verſuch, dieſes auch bier toieberzugeben, der durch das
Einlegen mehrer metriſch bearbeiteter Pſalmen, einer bar
unter in Form eines Sonetts (©.280), gemacht weich,
ift mislungen, weil er mit allen Übrigen nicht zuſammen⸗
ſtimmt. Samuel iſt eine gang und gar unklare
befien Stelung weder zu Saul noch zu David man
beutlich verfiehen kann. An einzelnen Stellen zwar ſcheim
der Zwieſpalt zwifchen Saul und Samuel oder zwifden
Koͤnigthum und Prieftecherrfchaft als Grundidee dei Ban
gen hervortseten zu wollen, was dann allerdings «im
fruchtbare und naheliegende Anwendung auf unfere Zeit
geflatten würbe; aber diefer Gedanke ift viel zu ſchwach
angedeutet, als daß man auch nur eine derartige Abſicht
bes Dichters mit Sicherheit annehmen koͤnnte. Am wa
fequenteften durchgeführt find die beiden Geflalten des
Edomiters Doeg und Jonathau's: Erſterer aber ſpielt
als Aufreizer und Zutraͤger Saul's eine zu untergeerducte
Molle, als daß er einer ſolchen poetiſchen KBevorugung
würbig waͤre, und verſchwindet gegen das Ende dx Deo
mas fpurs und wirkungslos; und bie Gomfequenz bei
Letztern beſteht blos darin, daß er durchweg weich, far
timental, allenfalls zu Thaten perfönlicher Bravour, aber
nirgend zu einem böhern Auffchwunge fähig erſcheint.
Da fi fonach ein wahrhaftes Verbienft dirſes Des
mas weber in der Wahl des Stoffe, noch in ber De
nugung deſſelben, noch in dee Charakteriſirung der de
zelnen Perfonen, ober einer leitenden Grundidee nad
weifen läßt, fo werden bie Worzüge, welche es befigt, au
von ber Art fein koͤnnen, baß fle ber lyriſchen Voefle an-
ehören, und bies tft ja auch das Feld, auf dem fich
—** ſeinen ſchoͤnſten und reichſten — er⸗
worben bat; ein Drama aber, deſſen Vorzuͤge auf ſolchem
Boden ruhen, verliert ben richtigen Standpunkt und
nähert fi entiweber der Oper oder dem Oratorium.
Und namentlich letzterm nähert ſich das in Rebe flehende
Drama fehr entfchieden, nicht nur duch zahlreiche lyp⸗
eifche Elemente, nicht nur duch den biblifhen Stoff,
fondern auch duch ben erwähnten Mangel am pſycholo⸗
gifcher Entwicklung, die auch in ben Dratorien weder
efunden noch gefodert zu werben pflegt. Den Iprifchen
Dartien aber, bie in biefem Drama vorkommen, läßt
ſich große bichterifche Schönheit gar nicht abſprechen; fo
3. B. ben Wechfelreben, die in dem dritten Aufzuge bes
Vorſpiels von den Bürgern zu Tabes horartig gehalten
werden, als fie zuerft von ben Feinden rettungslos be
droht fcheinen, dann Saul's Verheißungen neue Hoffnung
erroeden und, endlich diefe auf das herrlichfie erfüllt
werden. Ebenſo laͤßt fih noch von mehren heilen
der Dichtung fagen,, daß fie, für ſich betrachtet, ganz
geeignet find, Ruͤckerts alten Ruhm zu erneuen; nur
von dem Ganzen können wir dies nicht behaupten.
Ich bin der Überzeugung, daß Nüdert dies fein
neueſtes Wert abfichtlih fo, role es vorliegt, geſtaltet
bat, indem er von ganz andern Principien dabei aus:
gegangen zu fen fcheint, als ih nad meinen An-
ſichten bei Beurtheilung eines Drama in Anwendung
bringen fann. ‚Saul und David’ gehört in allem We⸗
fentlichen berfelben poetifchen Richtung an wie Rüuͤckert's
„Leben Jeſu“, d. 5. einer Richtung, welche ſich darauf
befchränkt, einem gewählten Stoffe das dußere Gewand
der Dichtung umzuhängen, ohne weder an dem Stoffe
ſelbſt eine dichteriſche Thaͤtigkeit zu üben, noch auch bei
der Wahl eines Stoffs irgend eine andere Ruͤckſicht als
die der ſubjectiven Neigung zu nehmen, namentlich nicht
die, ob ein Stoff, der, an ſich betrachtet, einer der groß:
artigften fein kann, einer bichterifhen Behandlung für
unfere Zeit und für unfer Volk fähig If. Es iſt dies
aber die Folge theils jener oben erwähnten Vereinſamung
und Belchaulichkeit, in die fih Ruͤckert je länger je mehr
zuruͤckgezogen, theils wol auch der vielfach und mit felte:
ner Meifterihaft gelibten Überfegungstunft, die dem eige:
nen Talente nicht förderlich fein kann. Gebr fchade iſt
es, daß einer der wenigen lebenden Dichter, deren Zahl
zu ber der Verſemacher gerade in umgelehrtem Verhaͤlt⸗
nis flcht, einen ſolchen Standpunkt eingenommen hat
sind immer entfchlebener einzunehmen ſcheint, ber feinen
neueflen Arbeiten die Anerkennung, bie auch ber Unter:
zeichnete bei andern Gelegenheiten Rüderr’s frühen Ars
beiten freudig gezollt hat, zu verfagen zwingt!
MW. A. Paſſow.
Literarifhe Rotizen aus Frankreich.
Unterfuhungen über die Nerven.
Lobende Anerkennung verbient die zweite vielfach verbeflerte,
vermehrte und umgeftaltete Ausgabe von P. Flourens: „Recher-
ches expärimentales sur les prepriätses et lies fonotions
du ı nerveux dams les animaux vertöbres” (Yarks
1842). Der Verf., ein Schuͤler des berükmten Naturforſchers
Suvier und fein Nachfolger als beftänbiger Secretair beu
Alademie der Wiſſenſchaften, bat in biefee neuen Ausgabe
alle Arbeiten vereinigt, welche er früher über das Nerven:
foftem einzeln herausgegeben hatte, er hat biefelben coorbinirt
web durch neue Unterfuchungen erweitert und dadurch dem
Ganzen mehr Ginheit gegeben. Außer vielen neuen That—⸗
fodyen , welche biefe Ausgabe vorzüglich intereffant machen, vers
bient feine Methode beachtet zu werden. Der allgemeine Fehler
der ehemaligen Srperimente, die man über das Gehirn anftellte,
beftand darin, daß man ſich folcher Verfahrungsarten bediente,
welche eomplicirte Reſultate gaben. Das erfle Werbienft bes
Herren Flourens ift, fo zu Werke zu gehen, baß er die Theile
iſolirt, woburd er füch einen fihern Begriff von den Grenzen
ber Veränderung machen kann. Gr hat ganz beflimmte Organe
verflümmelt ober weggeriffen und iſt auf diefe Weife zu weit
ſicherern Ergebniſſen gekommen als feine Vorgängers denn er hat
eingefepen, wenn bie Phänomene complicirt find, man fie zer»
legen, mithin bie Organe voneinander trennen, db. h. alle ver:
ſchiedenen Theile genau voneinander unterfcheiben muß. Seine
alten Entdeckungen find in biefer neuen Ausgabe des Werks
von neuen Beweiſen unterflügt und mit neuern Unterſuchungen
vermiſcht. Durch Anwendung biefer Methode iſt Flourens
zu zahlreichen Reſultaten gekommen, bie wir bier nicht analy⸗
firen können. Mit einem Wort, bdiefe neue Ausgabe, die als
ein neues Werk zu betrachten ift, muß bie Aufmerkfamfeit der
Phyſiologen auf ſich ziehenz fie macht bem berühmten Verf.
in jeder Weife Ehre.
Über die zömifhe Berfaffung.
Bon Heren Nougarede be Fayet if in Paris neuerdings
ein „Essai sur la constitution romaine‘‘ erſchienen. In biefem
kleinen Werke, weiches nur ein Bruchſtuͤck eines größern, kuͤnf⸗
tig ericheinenden über bie alte Gefchichte ber römifchen Verfaſ⸗
fung in Gallien ift, fucht der Verf. dem Leſer bie verfchiedenen
Beränderungen, welche die roͤmiſche Gonftitution im Laufe ihrer
fucceffiven Revolutionen erfahren hat, vor die Augen zu fielen
und bie Grunbbeftandtheile diefer Verfaſſung mit ben Staates
verfaffungen der neuern Völker zu vergleihen. Man fieht, daß
ee ben berühmten Verf. des Werts „ Esprit des leis “,
MWontesquieu, fleißig flubirt bat wand dieſe kurze überſicht ber
Veränderungen ber römifchen Verfaſſung zeugt von Fleiß
und Kenntniffen. einen politiſchen Betrachtungen fehlt es
weder an Scharffinn noch an Nichtigkeit; die geographifchen
und militatrifhen Details geben Beweiſe von Geiehrfamteit.
Mehre Sharaktere find gut fEigairt, wie die von Marius, Sulle,
Auguftus und Tiberius. Die Regierungen bes Ziberius und bes
Caligula befchliehen biefe Arbeit, weiche nur die Worläuferin
einer größern, ausführticheen über benfelben Gegenftand iſt.
Regierung ber Franken
nad der Eroberung. Der zweite Theil enthält bie Gefchichte
der Karolinger bis zur Erlöfchung ihres Geſchlechts in Frauk⸗
reih im 10. Jahrhundert. Der britte Theil geht von Huge
⸗
Gapet bit Tode von Philipp Auguft, der vierte fährt und
bis zur Sröglerung Philipp's IIL am Ende des 13. uns
derts. Das Wert zeugt von Fleiß und Talent; nur ber Stil
bes Verf. bebarf noch der Felle. 16.
Bibliographie.
* Altmann, A. 8, Gedichte. Wien, Gerold. Ge. 8.
Nor.
Berg, D., Sklaverei, Seeherrſchaft und bie preußifche
GStaats zeitung. Ein Nadıtrag * meiner Schrift: „Morbame:
ritas Stellung zum Quintupelsraftat am 20. Dechr. 1841.
Königsberg, Sräfe und Unger. Gr. 8. 15 Ner.
ubl, 8, ragen ber innern Politik und Verwaltung.
garich ——8 Comptoir. Gr. 8. 15 Nor
uniger, ®., D und &, ober Durft and Tod, ober
Rob 23 laß oder Sitis und Satis. Faßliches. Mit einem
—— Anhange. Leipzig, Peter. 8. 22%, Nor.
Garnevalsfeier der Hallenfer Lumpia. Brei nach Goethe's
von Sturmfeder. Mit vier Federzeichnungen. Leipzig,
adowig., 8. 10 Ror.
Der alte Demagog, ober Abenteuer und Schickſale eines
Weltbürgerd. Vom Verfaſſer ber Chronique scandaleuse des
päpftiihen Hofes. Leipzig, Peter. Thlr. 5 Rgr.
Egon Ein Roman von Suſt av vom See 3 Theile.
Leipzig, Wienbrack. 8. 3 Thlr. TY, Nor.
Die Entfheidungsgründe der Juriftenfacultät gu Jena, zu
—* Erkenntniſſe im Reichsgraͤflich Bentinck'ſchen Succeſſione⸗
ß eiter han noanat mit Anmertungen. Oldenburg, Gtalling.
Ban ald. H. Geschichte des Volkes Israel bis Christus.
ister Band. "Göttingen, Dieterich. Gr. 8, 1 Thir. 20 Ngr.
Fahne, A., Diplomatifche Beiträge zur @efchichte ber
Baumeifter des kölner Domes und ber bei biefem Werke thätig
gewefenen Künftler. Mit Urkunden, architektoniſchen Xbbilbun,
gen und einer Karte. Köin, Du Mont» Schauberg. Gr. 8.
A _Ror.
Follen, 4. &. E., Das Ribelungenlieb im Ton unſerer
Bolkslieder. After Theil: Giegfrieb’s Tod. Zürich, Eiterarifches
Comptoir. Gr. 8. 15 Nor.
Haupt, A., Bamberger Legenden und Sagen. Bamberg,
Keindi. 1842. &r. 8.
2 Theile.
gr.
Heller, R., Eine neue Welt.
Pierer. 2 Ihr. 20 Nor.
Hofmann, 3. © K., Des Herrn Julius Wiggers Bes
zuf zum öffentlichen Anftäger I der Iutherifchen Kirche, geprüft.
Koftod, Stiller. 8. TR
Humboldt’s, W. v., gesammelte Werke.
äter Band. Berlin, Reimer. Gr. 8, 4 Thlr.
Jahrbuͤcher ber deutſchen Turnkunſt. Serausgegeben von
Altenburg,
öter und
8. Euler. Iftes Deft. Danzig, Anbuth. Gr. 12. Ti, Nor.
Kähler, ©. N., Keine Kirchen: Agende! Gin Ausruf.
Kiel, Schwere. or 8 3% Nor.
Karfen, 6 . J. B., 5 ſophie der Chemie. Berlin,
Keimer. Gr. 8. 1Thlr. 1
Kaslow,
Puſchkin, — Eine Sammlung aus
ihren Gedichten. Aus dem Ruſſiſchen uͤberſezt von F. Boden;
Rebe arig Kollmann. Br. 12. 1 Thir.
Kühne, F. G., Mein Carneval in Berlin 1843. Brauns
ſchweig, Weftermann. 9 Ngr
Die Liberalen ber Gegenwart und ihr Streben nad) Preß⸗
freigeit. Ein Zeitthema, vom volksthuͤmlichen Standpunkte aus
beleuchtet durch einen preußiſchen Staatsmann. Grimma, Vers
lagscomptoir. Gr. 12. 12%, Nor.
Lodore. Won dem Verfaſſer bes „Frankenſtein“. Nach dem
Engliſchen von des Überfegerin von Frauenlohn unb bemfelben
Sue gewibmet. 2 Bände. Altenburg, Pierer. K1.8. 3 Chir.
Nor.
Verantwortlicher Derausgeber:
Lorenz, wilbetmine io ber Daͤnenprien; Reman.
keipꝛie Wienbrack. 1 Thir. 1
eynder, $ —e dramatiſches Gedicht mit
Genien. Ri fünf ufzügen. een Sort. Gr. 16. 1 Thir. 10 fgr,
(ter, W., Die ſaͤchſiſche Schweiz. Sagen⸗Cycin
Beriin, — Berlagebuchhandiung. 8. 25 Rgr.
6. Nelly, Blüten aus Zeichens ‚goldenen Auen. 3 Theile
Leipzig, Wienbrad. 8. 3 Thlr. 1
ine unpolitifdge — en Parteien des Kan
tons Zürich gehalten von Jedediah Baudelius Enzian.
Winterthur, Steiner. 4. Nor.
Nitzsch, K. W., Polybius. Zur Geschichte antiker
Politik und Historiographie, Kiel, Schwers. 1842, Gr.8,
221, Ngr.
Dtto, Eouife, Eubwig der Kellner. Roman. 2 Bände.
bes Kia
keipzig, Wiendrad. 8. 2 Thir. 7%, Rgr.
Petition an die hohe Ständeverfammlung igeeiht
Sachſen, betreffend ben Schutz ber echte an literariihen Er
zeugniffen. Leipzig, Leo. @r. 4. 6 Nor.
Petition an biefelbe um Derftellung eines angemeffenen und
wirkſamen Rechtsſchutzes für bas Sigenttum dramatiſcher Auto:
ren und Öperncomponiften an ihren Werken, gegenüber den
Buͤhnendirectionen. Leipzig, Leo. Gr. 4. 5 Rgr.
Proteflantismus und Kirchenglaube. Bedenken eines Laien an
bie peoteftantifchen Zreunde. Glogau, Blemming. Gr. 8. 18%, Nor.
Der Proceß Saumartin » Sirey s Heinefetter. Ron einem
Augenzeugen. Leipzig, Herbig. Ki. 8. LE Nor.
Ritter, C., Die Erdkunde im Berhaͤltniß zur Natur und
zur Gefchichte des Denfchen, ober allgemeine vergleidende Geo⸗
graphie, als fichere Grundlage des Studiums und Unterrichts
in „abnßtalifcgen und hiſtoriſchen Wiffenfchaften. IOter Theil.
( Ites Buch. Weftafien.) 2te flark vermehrte und umgearbeitete
Yufloge. — Auch unter dem Titel: Die Erdkunde von Aſien.
Ttee Band. Ifte Abtbeilung: Das Gtufeniand des Euphrat⸗
und Ligeisfofleme. Berlin, Reimer. Gr. 8. 4hit. B Ngr.
Aufl, J., Wie entgeht man ber Armuth? ine Anwei⸗
fung, wie man mit Sicherheit zu einem ehrenhaften Wohlſtande
gelangen, alſo fi dor Armuth bewahren und felbft wieber ents
reißen kann. ‚Reime. Gr. 8. 1 Thle
Schober, © ud ber Jugend. —* Sonetten und Lie⸗
dern. Bamberg, Züberlein. Gr. 8.
Schubar, 8, Louiſe. Aus den — eines Gtaates
mannes. Berlin, veymann. 8. 1 Thir. 10 Ragr.
ggrrbien, Rußland und die Türkei. Berlin, Ehriver. 8.
gr.
Sommer, F. v., Kart ber Zweite, König von England.
in bhiftorifher Roman, nad) Quellen bearbeitet. 2 Theile.
Berlin, Morin. Gr. 13, 2 Thlr. 15 Nor.
Struve, G.v., Die Geschichte der Phrenologie. Hei-
delberg, Groos. Gr. 8. Ngr.
— — Über Tobeöftrafen, Behandlung der Strafgefangenen
und Zurckhnungsfäpigkeit, mit befonderer Rückficht af ben Cat⸗
wurf eines Strafgelegbudis für das Großherzogthum Baden.
Heidelberg, Grood. Gr. 8. 5 Nor
Zafchenbuch für angehende Zußreifende, @ine ber dentſchen
Inge gewidmete Fruͤhlingsgabe. Iena, Frommann. &. 12.
Nor.
Über bie Banken. Bon einem ſchwediſchen Büren. Deu
von 8. E. Zeller. Leipzig, So. Gr. 8. 11Y,R
Wehl, B., Berliner Wespen. Iftes Heft. 88 Ph.
Reclam jun. Gr. 16. 5 Ngr.
Weinhol z, K., Die fpeculative Methode und bie natuͤr⸗
liche Gntwitelungsmeile, erwogen. Roſtock, Stiller. Gr 8.
1 Thlr. 15 Nor.
Hierzu eine Beilage: e *. ur litere
zifche Seitums, DR 8
Deinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. 4. Brockhaus in u Te
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung,
Freitag,
Über flämifhe Kiteratur.
Wir Deutfchen haben bisher in mehr denn einer
Hinſicht den Flaͤmingen großes Unrecht gethan, wenn wir
über ihre junge Literatur uns Urtheile erlaubten. Die
meiften Verichterftatter über biefelbe waren zu wenig mit
ihe vertraut und faßten die Einen bloß ihre vhetoricale
Schattenſeite allein und einzig ind Auge, während die
UAndern, nur einige beffere ihrer Productionen kennend,
fie mit uͤbertriebenen Lobſpruͤchen beehrten. Weide fagten
uns viel Wahres, aber mit all dem Wahren kamen wir
immer noch nicht ins Kare.
Wenn wir das Wort hier noch einmal aufnehmen
und eine nähere Beleuchtung ber flaͤmiſchen literariſchen
Beſtrebungen verfuchen, fo glaupen wir und dazu in etwas
befugt; mehrjähriger Aufenthalt in Belgien fegte uns in
Stand, die Sache in der Nähe zu beobachten und une
recht innig vertraut mit ihre zu machen. Daß an Peine
Dartetlichleit von unferer Seite zu denken iſt, daran
brauchen wir mol nicht zu erinnern.
Am fügtichften vermeinen wie ba® ganze Gebiet ber
flämifchen Literatur in drei Schulen vertheilen zu koͤn⸗
nen: es find die altrhetoricale, deren Gebiet Weit:
flandern und beren. Hauptſtadt Brügge; die fi mehr
nach Holland hinneigende genter claffifhe, auf deren
Sahne Bondel und Bilderdijt prunfen, und die antiwerpener
romantifhe. Man könnte noch eine vierte anneh:
men, bie orthodorkatholiſche — Im Gegenfage zu
den beiden, festvorhergehenden, bie wir dann ale halb⸗
liberal und durchaus⸗liberal bezeichnen müßten —, aber
Diefe war bisher noch fo wenig productiv, daß wir glaus
ben beffer zu thun, wenn wir von ihr gänzlich ſchweigen,
ober ihrer nur in wenigen Worten beiläufig gedenken.
Was bie Altrhetoricalen beteifft, da meint es fein
Menſch beffer mit der Sprache und der Literatur als fie,
aber feiner trägt auch beiden weniger zu. Unberübet
von Allem, was um fie herum in ber Welt vorgeht,
füpwärmen fle götterfelig in dem alten Diymp umher und
tummeln ihren Pegaſus auf dem vielbetrappelten Pelikon.
Ihre Specialliteratur iſt die veichfie von der Welt: da
gibt es Deldengebichte zu Hunderten, Dramen zu Tau⸗
fonden und Oden und andern Meinen Kram zu Millio⸗
wen; Altes in wohlabgezählten Heidbenverfen (Alan:
Weinen). Sie ſchreiben große Dichteswettlämpfe aus und
um wie ein Schultnabe mit feinem Butterbrot;
9. Zuni 1843.
fchenten ben Siegen goldene und filberne Medaillen und
feifche grüne Lorberzweige. Kurz, es ift ein herrliches Les
ben unter diefen Leuten; fie geben mit der Unfterhlichkeit
ber
bürftigfte Landſchulmeiſter ſtellt ſich kuͤhn neben Homer,
das winzigſte Kraͤmerlein fieht Horaz mit Geringſchaͤtzung
an. Alles, was nur neu heißt, iſt ihnen in der Seele
verhaßt. „Die Saat der Neomanen hat ſtark um ſich
gegriffen”, ſprach der Praͤfibent der oſtender Rhetoritaner
am letztvergangenen 4. September, als er die Preisausthei⸗
(ung eroͤffnete, „aber wir werben uns ihr entgegenſtemmen
und unfere Rhetorica wieder auf den altehrwürbigen Fuß
zurückbringen, auf dem fie in ben goldenen Tagen unferer
Väter ſtand.“ Und als man auf dem genter Sprachcon⸗
greſſe den größten Nhetoricaten, den Apotheker van Loo *)
aus Brügge fragte, ob er die Regeln ber reinen Ortho—⸗
graphie, welche die königliche Commilfion **) anrieth, ans
nehmen wolle, fagte er: „Nein, bie alte Orthographie finde
ic) in meinem Tetraglotton und in meinen Rudimentis und
in meinem Katechismus; ihr entfagen unb meinem Staus
ben entfagen, das ift für mich eins und daſſelbe.“
Aus dieſem Wenigen ſchließe man auf den Gehalt
ber Leiftungen ber Schule. Doch wir würden uns an
unfern Lefern verfündigen, wollten wir ihnen ein Proͤb⸗
hen berfelben vorenthalten. Hier denn ein ganz feifches,
das Willkommengedicht, mit welchem ber Dekan der often-
der Kammer feine Wartburgs: Kämpfer am 4. Sept. vo:
sigen Jahres begrüßte: |
Meine Herren und Kunftfreunde!
Seid Herzlich willlommen, ihr berühmten Harfner,
feib taufendmal willkommen auf unferm Redeſaale; auf diefem
Saale, wo man bie Goͤtterſprache ſich paaren hört mit der
glänzenden Dichtkunſt unferer Mutterſprache. Ja, unfere Mute
teriprache, das Zlämifche, fo reih an Worten, fo fanft
fließend an Ton, an ber der Belgier fich hätt, fie fol flets der
) Diefer gab eben feine feit 1828 angefünbigte „ Dichtkunft
ober Profobla heraus, ein Werk von 2980 Heldennerfen, in view
Gefänge vertheilt und mit vielen lateiniſchen und ſelbſt einem grie⸗
chiſchen Citate ausgeftattet. Bon dem letztern ſcheint ber Autor je
doch wenig verftanden zu baden. Wir führen ein Verschen zur
Probe an: „Iſt es nicht die bolde Aurora Tithonus junge Braut,
die und den DOften mit Nofenfingern entſchließt ?“ u. f. w. "
* Über den DOrthograpbies Krieg Näheres in einer folgenden
glittheitung.
Ifen fein an Ihetis’ Geſtaben, auf weichem ber Barde von
FA feinen Tempel baut.
Kommt denn, Söhne Apollo’, au kaͤmpfen um bie
Lkorbern; kommt, tretet in Minerva’s Geleite in die Schrans
ten; wir bieten froben Empfang den Redelingen, bie ihre |
Bernunft uud ihre Zelt an Sprache und Dich wenben.
Die Ihe das Vorurtheil in fo kraͤftigen Zügen maltet and
feine unglüdtichen Kolgen in all ihrer Graͤßlichkeit beichriebet,
ihe, die ihre den Vortheil der Emſigkeit leuchten ließet, euer
Lob müßte durch Kama überall verbreitet werben.
O ihe Säulen der Kunft, euch bieten Themis
Hände den Lorber, ber eurer wartet für eure Scharffinnigs
keit; glänzende Ehrmedaillen beden hier bie Wände; wahre
Brubsctiehe weihte fle für die Sieger.
Tretet heran und lefet zu eurer Ehre eure preisbaren
Werte; die oftendifche Geſellſchaft mit dem Wahlſpruche
„Was reif, was grün’, bie euch brüberlich und wohl empfan⸗
gen fell, wird auf dem Heliton mit end ber Weisheit
en.
Wir müßten bier eigentlich noch Erklärungen zu
manchem in biefem theils mit ungehenerm Enthußasmus
empfangenen und thells mit wuͤhſam verhaltenem Lächeln
begruͤßten Meiſterwerke geben, ziehen jedoch ver, ſtatt
derſelben eine kurze Skizze des Preiskampfes felbfl mit:
zutheilen, die unfern Lefern jedenfalls willkommener fein
durfte. Haben wir doch in Deutſchland nicht mehr Ges
Isgenheit, ein ſolches Feſt zu fehen, unb würde body gar
Manchem der Mühe zu viel fein, darum einen Ausflug
nad Belgien zu machen.
MWoltte und will eine Rederykertkammer einen Wett⸗
kampf ausichreiben, fo fendet fie an all ihre Schweſtern
und an die bekanntefin Harfner einen gedruckten
Brief, in welchen fie die Preiöfragen und andere Bes
dingungen des Kampfes mittheilt; ein folcher Brief heißt
eine Preiskarte. Obenan auf bemfelben ſteht der
Kttel ber Geſellſchaft, ihm folgen nach einer kleinen Ein:
tefeung, in der Tag und Stunde des Kampfes beſtimmt
werden, bie Fragen, welche zumeiſt didaktiſcher Natur
find. Folgende waren die von Oſtende:
Erſte Frage: „Die unglüdtichen Folgen des Vorur⸗
theils“, ein Dichtwerk von 100 — 120 Heldenverſen.
Zweite Frage: „Der Vortheil der Emſigkeit“, cint
fünffttopbige Ode in Werfen freier Wahl.
Dritte Frage: „Eine Kammerftage“, in S— 123 Hel⸗
denverfen.
Ehe wir weiter geben in unſerer Analyſirung ber
Peeiskarte, müſſen wis noch einige Aufklaͤrungen geben.
Der Inhalt der beiden erſten Fragen laͤßt den anders
rächfeldaften Sinn der dritten Strophe des Willlommen:
edichte nicht mehr dunkel. Kammerfrage if ein alter
Runfiterminus. Um nämlich ſicher zu fein, daß die Kaͤmpfer
aud ihre Gedichte ſelbſt gefertigt hatten, mußten fie in
dem Kunffaale ein Gedicht fchreiben; dies geſchah
meiftene auf dem Knie unb darum hieß man Dies
Anieftüct ober, weil es in dee Kammer gefertigt war,
Kammerfrage. Wer in einem Gedichte die Feftgefegte
Zahl von Werfen überfchreitet, der kann nicht gekrönt
werden, voäre feine Arbeit auch die meiſterlichſte von dee
Welt. Go hatten bie befannten flämifchen Dichter van
Duyſe und Mens einmal mitgerungen, aber ber Erfie I.
flatt 150 Verſen 157 eingefandt; des Zweiten Ode hatte
fechs Strophen ftatt fünf und ihre Gedichte blieben um
beachtet, obmwol fie fonft beimeltem bie beiten waren.
Doch nun zuruͤck zur Preiskarte.
Die folgenden Preiſe ſeien den Siegern übereide
werben :
Erſte Frage, erſter Preis: Eine goldene Medaite,
Zweiter Preis: Eine filberne Medaille.
Zweite Frage, erfler Preis: Eine filberne vergoldete
Medaille. Zweiter Preis: Eine filberne Medaille.
Deitte Trage, erſter Preis: Eine filbeme Medaikk,
Zweiter Preis: Eine filberne Mebaille.
Daun felgen fübeene Mebaliten fe ben sin
zenbften Einzug — worüber [päter mehr —, bie größte
Zahl von Mitgliedern bei dem Zuge, die von ferufitom:
mende Geſellſchaft, den beſten Lefer, den beflen Gin:
ger und die befle Schrift. Nun kemmen die frnm
Bedingungen. Wer einen Preis haben will, muß kei
bem Kampfe gegenmärtig fein; die Leſer muͤfſen eine ber
Astworten auf die erfle Stage prima vista herumterleſen;
bie Sänger eine Antwort auf bie zweite Stage herunter
fingen und natürlich feibft bie Melodie machen; bie
Schreiber wenigſtens 60 Zeiten einfenden, ale Gedichte
auf Minifterpapier in Folio gefchrieben fein. Zum
Schluſſe der Preisaustheilung folge din Bat. Damit
find wir aber noch nicht zu Ende, denn nun kommen
noch die Preife für bie Declamateren; doch damit wollen
wir unfere Leſer verfhonen umb ihnen nur noch den
Schuß der Karte geben: „Alſo gefchehen in Situng
vom 3. April 1842, Gezeichnet N. Borfiser, N. Die
fon, NN. Kunftrichten, N. Secretair.“ Bel ben aͤltern
Kammern kamen noch Hinzu der Prinz, Dauptmamt,
Schatzmeiſter u. f. w.
Der Tag des Preiskampfes ſelbſt iſt für die Stabt,
In welcher der Streit gefeiert wird, eim echtes Beiläkf-
Alte Straßen find mit Bäumen bepflanzt und mit Des
peeien verziert. Fahnen in allen Karben wehen aus der
Höhe, Triumphbogen erheben fi zu Dutzenden, bie
meiften mit gewaltig großprablerifchen Inſchriften. Ende
lich kommt denw der Zug, ber bie fremden Mitkaͤmpfer
am There abhott und mit Ihnen zum Kunftfante zicht;
wir wollen ben oflender und anfehen.
Voran fchritt die Stadtmufit, hinter ihr kamen die
Shüpengilden vom Stahlbogen, dem Handbogen und
der Büchfe, jede mit ihren Wappen und Fahnen. Folgu
der befondere rhetoricate Zug, an beffen Spitze der Zromms
fee — benn einem ſolchen hat jebe Reberplersfemme —,
die Standarte umd bie Fahne. Dann Fama mi dia
riefigen Trompete — Moaͤbchen mit ſinnbildlichen Ben
ſtellungen auf großen Schilbdern — andere mit ben neun
Provinzen — die Üappen der Stadt, dei Königs um
der Königin — zei Mamtulen — Schilde wi
den Ehrendenkmnzen — noch ein Mami uw
ned; zwei Mamluken mit dem Wappen der Geh
ſchaft — die Kämpfer — der Vorſtand ber Geſel⸗
fhaft — und endlich ihe Pebell. Ungluͤcklicherweiſe fan
ben ſich am here Sehe fremden Kammern, bie um DB
Srets des glänzenden Einzugs mit Zronmmel und Bahne
und Wappen gerungen hätten, und fo ging denn ber
Zug zum Saale.
Das Urtheil über die eingegangenen Dichtungen fiel
gar fonderbar aus, doch echt rhetorical Immer. Ein grei⸗
fer Siebziger trug die drei erſten Preife bavon und das
war kein Wunder bei den greifen Richtern: dieſe fanden
des alten Gefellen Stuͤcke unvergleihlic, weil der Mann
ganz grenzenlos mit dem Olymp ſich herumgefchlagen und
dabei, wie fich einer ber Kunſtrichter ausbrüdte, „,zecht
Präftig dreingefprochen hatte”. So hieß ed unter Anderm
in dem getrönten Gedichte vom Vorurteil: „Es wirkt
aus Eigennutz, aus Rachſucht, Wuth und Neid, dermeil
es knirſcht und raft und grinft und heult und beißt“
nf. w.
Noch viel koͤnnten wir fagen von dem Jubel, mit
welchen die Gekroͤnten in ihren Städten empfangen,
weiche Feſte ihnen zu Ehren angefiellt werden, doch wir
hielten und wol ſchon zu lange bei dem leeren Formel»
wefen anf. Wir wenden uns denn zu der zroeiten Schule.
Waͤhrend wir In den Rhetoricalen einen lebensmüben
Greis ſehen, der noch bie legten Kräfte aufbietet, um
die feit fo mandem Jahrhundert gelieblofte Gunſt bei
. Ehren zu erhalten und der dennoch fehen muß, daß Ihr
Reich vergangen iſt und daß bald feine festen Trümmer
fchroinden werden, fo tritt in der genter Schule ein mu:
thiger Sohn jenes Alten vor uns, ein recht geſetzter
Mann. Gleich fern von veralteter Form mie von zu
fehr jugendlich brauferifhen Wefen, von orthodorem Kas
tholicismus tie von wilden Atheismus, behauptet Gent
eine gemäßigte Mitte, ber freilich mitunter die flammende
Stute, der Adlerſchwung der Begeifterung ein bischen
fehle, die jedoch immer noch einen gentigenden Theil Le:
benswärme läßt, um aufs fegensreichfte für Präftiges Ge:
deihen dee Sprache und Literatur zu forgen. Sehr nüß:
lich wirkten auf die Schule die ohne Ende ihre auf das
Haupt gerichteten Streiche der franzoͤſiſchen Partei; dieſe
halten fie ſtets wach und munter; ihnen jufl haben wir
Die Bittfcheiftenberoegung zu Gunſten des Flaͤmiſchen zu
danken, die vor zwei Jahren ganz Belgien faft in Aufs
ruhr brachte. Seit Gene den Sprachcongreß über bie Dr:
thographie entſchelden fah, erhielt es noch einem andern Feind
in einem halb flämifchen und halb franzäftfchen Club, befs
fen Hauptfig nun Brüfjel geworden iſt; doch iſt dieſer
beiweitem weniger gefährlich als bie ganz franzöfifch ge:
finnten Anhänger des Hofes. Der Dauptvorwurf, ben
diefer Club Gent macht, ift, daß es ſich zu ſehr nach
Holland hinneige und dadurch das Beſtehen des Flaͤmi⸗
ſchen als eigene Sprache gefaͤhrde.
Wie unſinnig dieſer Vorwurf erſcheinen mag, ſo liegt
doch immer etwas Wahres darin; freilich bezieht ſich das
Wahre nicht auf die Orthographie, im Gegentheil, es
iſt nur fehr zu wänfden, daß beide Dialekte, das Flaͤmi⸗
ſche und Hollaͤndiſche, bald zu einem einigen Nieder:
deutfch verfhmelzen; mie verſtehen vielmehr unter der
Hinmwelgung bie faft abgöttiiche Verehrung einiger Schrift:
fielter Hollands und brfonders des bei uns ſchon felt lange
gerichteten Biidernijze, ben Gent nun einmal mit aler
Gewalt nachäffen gu wollen ſcheint. Wir koͤnnten bei
bem Dichter immer noch ein Auge zubräden, gloriſteit⸗
ven fie ihm nur als Gelehrten — und wie tief flcht ber
gute Mann als ſolcher —, oder fügen fie nur den mit⸗
unter gar koͤſtlichen Saft, der in fo vielen feiner Gedichte
fi wirklich in reichem Maße finder, mit andern Wor⸗
ten, gingen fie behutfamer mit feinen Arbeiten zu Werk;
daran iſt aber nicht zu denken, Bilderdijt und die Dibel,
das iſt eins und baffelbe; feine duͤmmſten Dummpeiten
find noch Orakelſpruͤche für fie. Einer der ſchlinmſten
Punkte in diefer Hinſicht iſt der durch Bilderdijk new
beſtaͤrkte Gebrauch der Alexandriner. Mit allem Rechte
ſagt Snellant im „Belgiſchen Muſeum“, IV, &, 28:
Was ift eintöniger ale unfere Deldenverfe?
— Wriee —— a Pi * ce un
ein Leben ge 8
* Literatur hinderlich ae haben? fe werben ſtets unfe
Was hilft aber alles Prebigen, wo Bilderdijk [prach,
die Deldenverfe ließen die allergrößte Abwechſelung zu
und die Derameter der Griechen und Römer wären nicht
würdig, ihnen bie Schuhe aufzuldfen; wo er und Bondel
fo viel tanfend Heidenverſe ſchrieben. Wir Deutfchen
haben befanntlidy den Alerandriner ſchon feit lange ver:
laſſen; den Einwurf ſcheint Bilderdijk oft gehört, wenig⸗
ſtens zu hoͤren gefürchtet zu haben, darum fchrie er uns
fammt und fonders in feiner gewöhnlichen höflicken Ma⸗
nier für Koddumm aus und fagte, bei uns fei nie ein
guter Alerandriner gefchrieben worden. Freilich kannte
der ehrliche Mann unfere Literatur fo gut als gar
nicht, aber das ift Leinen Miederdeutfchen und am aller
wenigften einem enter einzupredigen; er bat es gefagt,
damit ift die Sache abgemacht. Diefer Übelſtand macht,
daß die beften Producte aus Gent unendlich verlieren
und für den mündlichen Vortrag nun einmal ganz und
gar verloren find: ein Drama in Heldenverſen if bie
fürchterlichfte aller Torturen. Es if in der That recht
ergoͤtzlich, ſich mitunter ein ſoich Gedicht nähere anzu:
[dauen; man fieht deutlich, wie der Verf. beim Nieder⸗
ſchreiben ſtets in dem, bei der Länge des Verſes nat
ih in bie Witte fallenden Ruhepunkt fant und fpäter
überall flidte und Lappte, um bie Caͤſur wieder wegzu⸗
beingen.
Se reich an Dictern, als die Rhetoricalen, ift
Gent nicht, doch mag es floly auf feine wenigen fein.
Werfen wir einen flüchtigen Blick auf Diefelben.
Der ältefte und in anderer Beziehung auch befann-
tıfte iſt Willens, in Deutſchland beſonders geſchaͤtzt
durch feine Ausgaben bes flaͤmiſchen „Reinhart“ und der
„Schlacht von Woringen” von Ian van Helu. Der
treffliche Mann hängt mit einer wahshaft rührenden Liebe
an feiner Sprache, für welche er felbft keine Verbannung
fcheute, denn anders mögen wir feine einflige Verſetzung
aus dem fchönen Antwerpen nad) dem trüben Encloo
nicht nennen; kein Wunder darum auch, wenn ihn feine
Landsleute buchfläbiih auf den Händen tragen. Wir
hatten Gelegenheit, einer uns tief rührenden Scene In
dieſer Beziehung beiguwohnen. Als bas dem Sprachcon⸗
greſſe ſich anſchließende Feſtmahl geendet war und bie
fremden Säfte ſich entfernt hatten, ba ſchloſſen fich bie
Flaͤminge in engerm Kreife zufammen und Willens’ Wohl
galt ihe erſter Toaſt; dann aber nahte ein jeder ihm und
druͤckte einen herzlichen Kuß bei berzlicher Umarmung
auf den «deln Mund, ber fo oft die Rechte der Sprache
wahrend gefprochen hatte. Außer dem „Belgiſchen Mus
feum‘‘, welches Willens ſchon feit einer Reihe von Jah:
ven mit größtem Belfalle ebirt, und vielen Ausgaben
älterer Sprachbentmäler danken wir ihm vorzüglich eine
recht gute Geſchichte der flämsifchen Literatur. Seine
UÜberſezung des „Reinhart” iſt zu einem wahren Volks⸗
buche geworben und erlebte bereite mehre Auflagen; nebfl
ihe finder fi) noch eine Menge von Eleinern Gedichten
von ihm in verfchiedenen Sammlungen.
Am fruschtbarften als eigentliher Dichter iſt Prudenz
van Dupfe, ein anerfannt großes Zalent. Seitdem er
zuerft mit einer Sammlung von Poefien in Holland aufs
trat, fleht er geachtet und geehrt, wie dort fo in Slam:
land. Am vorzüglichften iſt er in ber Ode, in der es
ihm wenige Niederländer gleich thun; doch handhabt er
au die Ballade und Legende mit vielem Güde; von
einer der lebtern, dem genter „Beginchen““, gab Eduard
Duller eine Überfegung in der „Europa”. Als Then:
teedichter ift er ſchwach, wenig beffer, obgleidy ungemein
bitter und ſcharf als Satiriker. Die allgemeine Erb:
finde, der Deldenvers, verdirbt viel an ihm, aber da iſt
nichts daran zu beffern, benn er ift einer der riefenhafte:
ſten Schwärmer für den „göttlichen Bilderdijk. Glei⸗
chen Fehler theilt mit ihm Karl Ladegand, nebſt ihm
der begabteften Einer. Diefer findet feit einiger Zeit gar
eine Schönheit darin, den Aterandriner in zwei mono:
tone Theile zu theilen; wir haben lange flumm darob
geftanden. Wie abfcheutich fein Gedicht auf die Unab⸗
bängigkeit von Belgien — Übrigene aud Antwort auf
eine Preiſfrage der Regierung —, fo rein poetifch iſt fein
„Burgſchioß von Bomergem”. Als Juriſt gab er eine Über:
fegung des Napoleonifhen Geſetzbuchs. Philipp Blom⸗
maert ift ein ziemlih Ealter Dichter, wie fehr warm er
für die Ältere Literatur gluͤht; Beweiſe für das letztere
find feine altflaͤmiſchen Gedichte des 12. — 14. Jahrh. und
feine Ausgaben des Theophilus und bes Lebens von
Sanct:Amand. Auch 5. Rene kann es zu hoher Wärme
nicht bringen und fein einziges Verdienſt bleibt mitunter
nur die Form, in ber er Meifter if; was man ihm
übrigens als dem Herausgeber einer jährlich erfcheinenden
Art von Mufenalmanady zu danken hat, das weiß jeder
Flaͤming wohl.
(Der Beſcluß folgt.)
——— ———— —
Notizen.
Zur hiſtoriſchen Literatur, die Theilung Polens
betreffend.
Seitdem Thiers in der Deputirtenkammer ſeinen Unwillen
uͤber die Theilung Polens erneuert und von Friedrich dem Gro⸗
fen geſprochen bat, glauben mandge Zeitblaͤtter, Die Gelegenheit
nicht vorbeigehen laſſen zu türfen, auf biefes Thema zuruͤck⸗
zulommen, fel ed aud) nur um ben Srminifter hiſtoriſch zu ber
richtigen. Wir können dieſes infofern nur billigen, als jede
Andeutung darüber, don mo jene größte aller Ungerechtig⸗
feiten bes vorigen Jahrhunderts ausgegangen ift und wer ben
innern Zwiefpalt in dem ungluͤcklichen Sande ber Polen Jahr:
zehnde lang unterhielt, um auf bie erfle Ungerechtigkeit eine
zweite und britte folgen zu laffen, um fo willlommener fein
muß, als bisher vielleicht Unfchutdige falfchem Verdachte bier:
unter ausgeſeht worben find. Unſere Leſer erlauben wir über
biefes ſtets wi bleibende Gapitel der Weitgeſchichte auf
Dasjenige aufmerffam gu machen, was Dr. R. Eoreng, Direo
tor des Gymnaſiums zu Ludau, im vierten Theile feiner „Als
gemeinen Geſchichte der Völker und ihrer Cultur“ (Elberfeld
840) darüber ſagt. Nachdem ber Berf. mit vieler Freimuͤthig⸗
keit und großem Rechte von Friedrich dem Großen fagt: „Rur
im Lande Preußen ſelbſt theilte man nicht ganz die Bewunde⸗
rung, welche das Ausland auch noch bem alternden Könige
zollte, dem die ganze WBebeutfamleit feines Staats auf ben
Schultern des Kriegsheers zu ruhen ſchien“, fpricht er ſich über
die Theilung Polens natärlih mit Unwillen aus, nennt ſchon
das Buͤndniß 1764, woburd die Anardyie Polens garantirt
worben fei, geradezu ‚‚einen Schandfleden‘. Dem oͤſtreſchiſchen
Minifter Kaunig läßt er die Gerechtigkeit wiberfahren, daß er
ih am laͤngſten gemweigert habe, auf ben ungeredhten Zerſtuͤcke⸗
lungsplan einzugehen, und erft durch bie Alternative: Krieg
mit Rußland ober Zheilnahme an ber Beute, dazu befimmt
worben fel. Bon dem Benehmen Preußens bei der zweiten Theis
lung fagt Dr. Loreng: „Rubig faben die Polen im Bertrauen
auf ben Beiftand Preußens 100,000 Ruffen ihren Grenzen zus
sieben. Aber fie erfannten es, daß ein Volk feine Rettung zu:
naͤchſt durch ſich felbft fuchen mäffe, und erfuhren, daß bie
Gunſt der Höfe und die Freundfchaft der Starken wandelbar
ſei. Preußens Freundſchaftsverhaͤltniß zu Polen war nicht ganz
uneigennügig gemwelen, es ſcheute neue Anflvengungen, wo es
feinen Erjag zu erwarten hatte, und ſchien bad revolutionnaire
Princip in Polen zu fürchten, das mit franzöfifdden Ideen über:
einftimmte.’’
Die Schweiz, unb ben Fuͤrſtabt Mauriz von Gt.
laſien.
In dem I Shaffhaufen erfhienenen Supplement zu Jo⸗
bann von Muͤller's fämmtlihen Werfen, herausgegeben von
Maurer» Sonftant u. f. w., wirb ein Brief mitgetheilt, worin
Kürftabt Mauriz ſchon im 3. 1796 fich mit folgenden Worten
klagend über bie Schweiz ausfpricht: „Der große, aber unficht⸗
bare Bund zum Umſturz aller Religion und der monardhifden
Staaten ift wirklich fein Unding, fondern beftebt in feiner gan
zen fuͤrchterlichen Größe. Er bat nicht nur alle Genfuren, fons
deen auch alle Buchhandlungen unter feinen Defpotismus ge⸗
bracht. Alle Werke, bie nicht den Charakter dieſes Bundes an
der Stirne führen, find zur Guillotine verurtheilt.” In einem
andern Briefe vom Februar 1798 theilt der Kürflabt Mauriz
mit, daß eine ungeheure Waffe von Aufruprszetteln und Emifſ⸗
farien im Lande berumfliegen. Gr findet den Mercantiltheil der
Schweiz von fchiefen @rundfägen burchbrungen ; „es mangelt in
der Schweiz an Einheit, an Energie, an Muth.” der
Schilderung immer trüber werbender Anfichten fagt er: „Wie
freut e8 mich, daß ich bie alten Grundfäge, in denen id; erzos
gen worben, rein in meinem Derzen bewahrt habe! wie freut
es mich, baß ich cin Geiftliher von dem alten Schlage bin.”
In einem Briefe, ben derſelbe Fürftabt 1785 noch als Archtvar
geichrieben, kommt folgende von wahrhaft propbetifchem Geiſte
dietirte Stelle vor: „Den Bewohnern ber Schweizerkiöfter ift zu
wohl, daher fie auf dem Gebiete der Wiffenichaft wenig Leifte-
ten; man barf ihnen einige Außerliche Unruhen wünfchen, um
fie arbeitfamer und fleißiger zu machen.“ 64.
Verantwortlicher Deraudgeber: Heinrih Brodpaud. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus in Leipzig.
m. —.— | — — — — —
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Über flämifdhe Literatur.
(Beſchiuß aus Nr. 108.)
Zwei wadere Srauen fchliefen fich dieſen Herren an.
Maria van Adere, geborene Doolanghe, riß ſchon feit
fange die Släminge hin durch ihre ungemein anmuthigen
umd bduftigen Lieder; ſchade nur, dag ihre immer noch
ein leiſer Anftrich ihrer chetoricalen Erziehung bleibt.
Jetzt ruht fie fo ziemlich und nur zuweilen noch dringt
ein Zon von ihr aus dem fernen, einfamen Dirmulben,
defien Bewohner fie in ber That vergoͤttern. Viel Eräf:
tiger, frifher und origineller ſteht eine Genterin ba,
Stau Courtmans. Diefe fehrieb und las bis zum zwan⸗
ztgften Lebensjahre nur franzoͤſiſch; kaum daß fie Flaͤmiſch
fprechen konnte. Da aber ergriff fie mit einem Male
der wieder in Slandern erwachende Nationalgeiſt; die
Sranzofen flogen in die Ede und fie flürmte daher im
lämifchen Liebe. Wo fie noch in Preistämpfen auftrat,
da mußte fid Alles beugen, ausgenommen — zu Dftende,
wo ein grauer Siebziger Ihe der Fuͤnfundzwanzigerin drei
Dreife freitig machte. Nach Allem, was wir bisher von
ihe fahen und hörten, zögern wir nicht, ihr das aus⸗
gezeichnetfte Talent zuzuerkennen, dem wir noch in Mies
derland begegneten; nur bedarf es freilich noch recht
fleißigee Studien. Sie bereitet eben eine Sammlung
ihrer Gedichte zur Derausgabe vor; wollte Gott, daß fie
uns darin mit Heldenverfen verfchonte,
Wir mögen nicht wohl von Gent ſcheiden, ehe wir
nicht noch einiger Männer gedenken follten, die, wenn
auch nicht ald Dichter, doch als Gelehrte, einen hoͤchſt
Gedeutenden Einfluß auf das Ztämifche bisher auslbten:
es ift Dr. Snelfaert und Profeffor Bormans. Der Erftere
erwarb fi) ſchon einen guten, klangvollen Namen duch)
feine treffliche Abhandlung über die Geſchichte der flämi-
ſchen Literatur bis auf Albert und Ifabelle, welcher bie
bruͤſſeler Akademie die goldene Medaille zuerkannte. We⸗
nige durchſchauen gleich ihm die noch immer vielfachen
Gebrechen der jungen Literatur, keiner fpricht fich fo offen
dsber Ddiefelben aus, als er es in dem von ihm rebigirten
„„Konft: en Letterblad“ feit drei Jahren that. Daß er
auf Diele Welle einen böhft unangenehmen Stand ba:
ben muß, iſt nicht ſchwer einzufehen; aber wir müffen
es zu feiner Ehre fagen, er behauptet fich recht brav und
süftig auf demſelben. Dom Profeſſor Bormans befigen
Sonnabend, —_ Kr. 161.
10. Juni 1848.
wir außer Heinern Abhandlungen nur ein größeres Werk:
es ift feine Kritik der bei der koͤniglichen Orthographie⸗
Commiffion eingegangenen Abhandlungen; aber dies «ine
Buch nur muß ihm den glaͤnzendſten Namen fichern.
Eine ſolche Tiefe und Gruͤndlichkeit, wie wir da fanden,
tam uns faft noch in Leinen nieberbeurfchen Werke ent:
gegen ; neben Bormans zerflicßt der riefige Bilderdijk nebft
noh einem guten Dutzend feiner Collegen in Nichte.
As Tateinifhen Philologen lernten wir Bormans gleich
vortheilhaft kennen durch feine Noten zum „Reinardus
vulpes“, den Done herausgab. Auch den genter Hoch:
lehrer d' Hulſter mögen wir billigerweife nicht übergeben;
wie er zuerſt mit Willems fi) auf der Lyra verfucht, fo
fahen wir ihn zuletzt noch in der Löniglichen Commiſſion
mit demſelben figen und eine Abhandlung über Behae⸗
gel's Sprachkunſt herausgeben.
Menden wir uns denn nun zu bem weniger geſetzten
und ernfien, mehr wild bahinbraufenden romantifchen
Antwerpen. Da herrſcht einftweilen noch allgewaltig roth⸗
gluͤhende Liebe und rothſtroͤmendes Blut: Alles,„ wallet
und ſiedet und brauſet und. ziſcht“, denn es mengt ſich
viel Waſſer mit noch mehr Feuer; doch ſteckt immer
noch Poeſie in dem muntern Voͤlkchen und mitunter
recht viel Poefie, wie ſehr Dies die katholiſch⸗pietiſtiſchen Loͤwe⸗
ner ableugnen wollen. Es iſt wahr, gehen die Autwerps
ner noch einige Zeit fo fort, dann fehen wir von dort
aus noch blutende Nonnen mit Dolch und Lampe, oder
den einen oder andern Ritter Bofo den Fürchterlichen
von Schredenflein ; aber neben fol grimmigen Producten
werden fich immer noch ambere ediere erhalten. Sieht
Confcience feinen „Löwen von Flandern’ — den uns Ans
dede eben Überfegte — noch einmal genau an, dann has
ben wir in demfelben wahrlich einen der beften Romane,
bie noch gefchrieben wurben. Sin de Laet befigt Antwers
pen einen ſehr guten Romandichter. Ban Rijewijd bat
fein Auge nur auf das Volk gewendet und ſcheint einzig
für dieſes fchreiben zu wollen; kein Wunder daher, wenn
er mitunter etwas gar zu Blumauerifch drein tappt. Bis
jege können wir ihm nur einen fehr geringen Shell des
Lobes zuerfennen, mit dem ihn die damit gar freigebigen
„Grenzboten““ überhäuften. Hätte ee nicht fein foeben ers
fchiemenes „Baterunfer’‘ gefchrieben, wie würben ihm fein
langes literarifches Leben prophezeien koͤnnen. Ban Kerb
heven, der Herausgeber bes „Mordflern"", iſt gewaltig
platt und thäte befier, die Lefer des Blattes mit feinen
Producten zu verfhonen. Wie ſehr fruchtbar der gen:
tee Theaterdichter van Peene tft, fo kann er ſich doch
in al feinen Stüden nicht über das ganz Gewoͤhnliche
erheben; beſſer macht es ein junger Antwerpener, E. Rofs
ſaels, deffen bisherige Arbeiten bedeutende Anlagen zeigen
und uns noch viel hoffen laſſen.
Ein letztes Wort denn über Löwen. Dies befigt
einen poetificenden und profalficenden Seudentenverein,
deſſen wahrhaft wärdiger Worfiger der hochverdiente Geil:
the Profeffor David if. Wir fahen nebft einer guten
von Beigien und einer gleich bravem flämifchen
Grammatik noch manche ſchoͤne Abhandlung von ihm In
feinem „Vermittler, nebft dem ‚‚Ronft: en Letterbiad”
bie beſte flämifche Zeitſchrift. Bon dem Vereine ſelbſt
kennen wir wenig; die Studenten find zu ſtlaviſch un:
terdruͤckt, ale daB fie fich frei und kraͤftig entwideln
koͤnnten. Wer von ihnen wagte, ins Theater oder zum
Tanze zu gehen, wer es ſich einfallen ließe, an einen
Schläger zu denken, dee dürfte ſicherlich auf Leine Abſo⸗
lution in der Ofterbeichte Anfpruch machen und wie fähe
es dann mit feinen Teſtimonien aus!
Mas aus diefen fo verfchiedenartigen Beſtrebungen
endlich hervorgehen wirb, da6 tft wol leicht abzufehen.
Sind die letzten noch übrigen Stägen dere Rhetorikkam⸗
mern gefunten, dann werden dieſe ſich entweder ganz
aufloͤſen, oder fi in einfache Literarifche Geſellſchaften
umbilden, wie died ſchon an mehren Orten und unter
andern in Antwerpen gefcheben If. Was die alten Kam⸗
mern ber Sprache und Literatur fo häufig waren: letzte
Aſple, wohin beide flüchten Eonnten, das mögen fie ih⸗
nen in der Umwandlung immer bleiben, werben es jeboch
hoffentlich nicht fobald fein müffen, denn bie Liebe und
Luft am Flaͤmiſchen nimmt in bemfelben Grabe zu, als
bee Widerwille gegen franzoͤſiſchen Leichtſinn fi mehrt.
Ob Geut noch lange mie Dichten prunfen wird, weiß
ich nicht; dafür wird es um fo Präftiger für eine wifs
fenfhaftlihe Literatur forgen, die in ber That bis
jege noch ſchlecht beftelke ifl. Antwerpen muß ausbraus
fen, dann haben wir rechte Sntes von ihm zu erwarten;
in ihm wird die Poeſte zulegt ihren Hauptſttz baben.
Löwen tagen wir nice ein günfliges Prognoſtikon zu
fielen, «6 müßte benn feine Liberale Partei mehr geben
und die Werfaffung des Univerfitdt eine ambere werden
und beides iſt in den naͤchſten Jahren wol noch nicht
abzufehen. Vielleicht empfängt bie Literatur von bort
aus noch einige ſprachwiſſenſchaftliche Werke oder, gebt
«6 weit, ein paar caflrirte Geſchichtsbuͤcher; dabei wird es
aber auch bleiben, denn ber Predigten und Katechismen
und Gebetblicher, die von da und von Mecheln su Hun⸗
derten kommen, mögen wir nicht wohl gebenfen.
Jedenfalls iſt nun eimmal ein Grund gelegt und eime
Bahn bald zu breden. An Eifer und gutem Willen
fehlt es nicht, koͤnnte berfelbe nur immer auf richtigem
Wege gehalten werden. Vielen Rutzen bringen in letzte⸗
ses Beziehung bie großen genter umd antwerpener Litera⸗
turvereine; ein kuͤrzlich noch zu Bruͤſſel geflifteter wich
hoffentlich feinen beiden Brüdern Eräftig in die Hand wir:
fen. Noch Eins aber bleibt zu eringen, die Einführung
bee Sprade auf den flämifhen Univerfitäten; könnten
bie Flaͤminge Died zu Wege bringen, dam wäre ihnen
gänzlich geholfen. Das aber fieht der frangsfifch:gefinnte
Hof zu gut ein und darum bietet er im Verein mir ben
Minifterien Alles auf, um’ jede Frage darnach gleich als
Stage zu erfliden, ehe fie noch zu einer Discuffion in
den Kammern gelangen kann. Daß dies hoͤchſt unge:
vecht If, leider keinen Zweifel, doch es iſt nun einmal
fo und Befleres muß die Folge bringen.
J. W. Wolf.
Franz von Fuürſtenberg.
Franz von Fuͤrſtenberg. Deſſen Leben und Wirken nebſt ſeinen
Sehriften über Erziehmmg und UNnterricht. Bon Wilhelim
Eſſer. Muͤnſter, Deiters. 1842. Gr. 8. 1&hir. 15 Nee.
Diefe Lebensgeſchichte iſt fo einfach und ſchticht geſchrieben
als es der Charakter und bad Weſen des ausgezeichneten Man⸗
nes waren, der ihr Gegenſtand und Inhalt if. Denn es iſt
nicht das geräufchvolle Leben und Wirken eines gewaltigen Er⸗
oberers, oder eines mächtigen Geiſtes, ber etwa die Seſchicke
Europas in der Weife eines Richelien ober Ü
hätte, das uns bier vorgeführt wird, fondern das Leben unb
Wirken eines Mannes, der in einem befchräntten Birkungs⸗
kreiſe mit befchränkten Mitteln und mit manderlei Schwierige
keiten und Hinderniſſen Lämpfend dennoch eine wahrhaft große
und fegensreiche Wirkſamkeit geübt hat.
Friedrich Wilhelm Franz, Freiherr von Kürftenberg, einem
der diteſten abeligen Geſchlechter Deutfchlands angehörenb, ward
am 7. Aug. 1728 auf feinem väterlichen Stammgute Herderingen
in Weflfalen geboren. Wie das Meifle bei Erziehung und
Unterricht auf die Geiſtes⸗ und Gharakteranlagen ankommt,
d. i. wie felbft die befle Erziehung und der forgfältigfte Uns
tereicht bei dem Mangel an Geiſtes⸗ und Gharakteranlage
nur ſehr wenig, dagegen bei vorhandener Geiſtes⸗ und
Sharakteranlage ſelbſt bie nachläffigfte Erziehung unb ber
mangelbaftefte Unterriht fehr viel” ausrichten und bewir—
ten ®önnen, zeigt auch dad Beifpiel unfers Fuͤrſtenberg, um
deſſen Grzirhung ſich der Kater wenig kümmerte und deſſen
Unterricht er einem zufällig auf ber bfiraße aufgegriffenen
Körner, ber einen Iateinifchen Fluch ausgeftloßen hatte unb
ehemals Theolog geweien war, anvertraute. Diefer Päbagog
betrieb ben Unterricht mit einer wahren Donnerfiimme und mit
fo heftigen Sefticulatonen, daß der Tiſch umfiel und bie in ber
Nähe befindliche beforgte Mutter in das Sculzimmer flärgte
und bem ungeflümen Giferer heftige Vorwuͤrfe machte.
der Sohn ruft ihr berupigenb zu: „Geh' nur, Mutter, «8
iſt beffer, der Tiſch bekommt's, als wir.” Dennod mag biefe
energiſche Weife bes Erzlehers viel zur Gntwidelung jener
Energie des Gharakters beigetragen haben, durch die fick anfer
nberg in ber Folge in feinen Verpäitniffen als Minifker
und ale Gurator des Schul⸗ und Unterrichtäweiens im Miän:
ferlande fo ſehr auszeichnete. Inzwifchen hat ihn fo wenig,
wie überhaupt irgend einen großen Wann, bie Schulftube, fons
dern nur das Leben gum großen Manne erzogen. Denn nad
dem ibm bereits im W. Jahre feines Alters (1748) eine Pr
bende an dem hochſtiftlich münfterfihen Domcapitel zu Aeil
geworben war, bradıte ihn fein Werhättniß als Domberr
bes Siebenjähigen Krieges, defien Schau⸗ und Zummelplag yrm
heil das Diünfterland war, nicht nur mit den Felbherren der
beiderfeitigen Heerr, fonbern auch mit ben auegezeichneten unb
bebeutenden Mannern in Beruͤhrung, bie ſich ders bei dem
von dem nb von Mrnunfdiweig vers
bündeten Deere befanden, al& namentiich mit dem Grafen Wil⸗
helm zu Schaumburg» Lippe und dem Generat Heinrich Lloyd.
Fürftenberg , an Geift, Gemüth und Charakter ein Wahl⸗
Verwandter von diefen beiden, burch Driginalität des Geiſtes
und Charakters, fowie durch ihre großen Kenntniffe in der
Kriegswiffenfhaft und Staatskunſt ausgezeichneten Männern,
mußte fi) natürlich bald durch die Bande der unzertrenntichften
und innigſten Freundſchaft mit ihnen verbunden finden, und es
konnte nicht fehlen, daß der freumdfchafttiche Verkehr mit ſolchen
Männern, der gegenfeitige Ideen⸗ und Gedankenaustauſch unter
und mit ihnen einen wichtigen und für das ganze Leben ent⸗
ſcheidenden Einfluß nicht nur auf die Bildung feines Charakters,
fondern auch auf die ganze Richtung feiner Ideen und Anfichten
über politiſche Berhaͤltniſſe und Zuftände, ſowie auch in Bezug
auf die Regierung und Bermaltung eines Staats, insbefondere
aber in Bezug auf die Stellung und bie Intereffen ber klei⸗
nen deutſchen Staaten in ihren Berhältniflen zu ben grös
Gern hatte. Es wurden bei unferm Fuͤrſtenberg ſowol durch
den freundfchaftlidhen Umgang mit den beiden genannten
ausgezeichneten Männern, die mit ihm übereinflimmende Ideen
und Änſichten hatten, als auch durch die furchtbaren Verhee⸗
zungen und Verwuͤſtungen des Giebenjährigen Krieges, beren
Augenzeuge er war und die nur zu lebhaft an die grauenpollen
VBerheerungen bes Dreißigjährigen Krieges erinnern mußten, in
dieſer Beziehung been und Anſichten gewedt, bie über feine
Seit binauslagen und daher von berfelben weber begriffen noch
gewürdigt wurben. Wie der fo originelle und ausgezeichnete
Graf Wilhelm von Schaumburg⸗kippe über feiner Zeit
Hand, fo auch Pürftenderg, ber mit jenem bie Anficht
theilte, daß die Abwehr ähnlicher Greuel und Schreckniſſe von
ben deutfchen Staaten und überhaupt die Rettung des deutſchen
Reichs, der deutſchen Volksthuͤmlichkeit und Unabhängigkeit den
fremden Mächten, namentlich Frankreich gegenüber, nur dadurch
möglidy werden dürfte, daß man das Volk wehrhaft und waffen:
geübt made. Wenn man bie Schilderung lieſt, die uns
ber Verf. vorliegender Schrift von ben Greueln und Verwuͤſtun⸗
en des Giebenzährigen Krieges in jenem Theile unfers deut:
chen Baterlandes buch feindliche und freundliche Deere gibt — in
andern Theilen des deutlichen Vaterlandes, bie ein Schau⸗ und
Zummelplag jenes furdhtbaren Krieged waren, waren fie natürs
lich nicht minder groß —, von ben unſaglichen Erpreffungen
und Plackereien, die ſich beibe Theile gegen das Land und beflen
Bewohner auf bie fehonungstofefte Weife erlaubten, unb wo⸗
durch es faft gaͤnzlich zu Grunde gerichtet wurde, fo bes
greift man volllommen, wie ein fo großfinniges, feuriges und
vaterlandsliebendes Gemuͤth wie das unfers Kürftenberg es
war, unb ein @eift wie ber feine, wol auf ben Gebans
ten von einer allgemeinen Volksbewaffnung, als dem einzigen
Mittel geführt werben konnte und gewiffermaßen werben mußte,
durch deſſen Anwendung fi allein mit Erfolg die Abwendung
fo großer Übel und fo ſchwerer Heimfuchungen von dem beutfchen
Batertande hoffen ließ: nämlich durch die Bildung von Volkes
heeren. Indem er biefe Ideen ſpaͤterhin in feiner Gigenfchaft
als Minifter in dem kleinen Wünfterlande in Anwendung zu
Bringen verfuchte, war er gewiffermaßen ein Seher in bie Bus
kunft. Allein es ging ihm, wie es noch Jedem ergangen ift,
den feine Zeit nidyt begreift: man verlachte ober verfpottete
feine mititatrifchen Einrichtungen und Anordnungen und betradh:
tete fie entweder nur als eine feltfame Brille ober gar als eine
Läcdherliche Don Qufroterie, und freilich, fofern man fie nur in
ihrer vereinzelten Beziehung auf das Feine Muͤnſterland auffaßte,
Bonnten fie leicht als ſolche erfcyeinen. Es bedurfte exft fo gros
Ber, ſchwerer und nachdruͤckücher Erfahrungen und Lehren, wie
fie die verhängnißeollen Jahre von 1806 und 1807 in ihrem
Gefolge hatten, um ſolchen kuͤhnen und großartigen Ideen
Geltung und allgemeinen Gingang u v ffen.
Schon in feinem 34. Sabre warb Faͤrſtenberg nad)
burg bie erwähnten NWerhäitniffe und SBegiehungen
ertangten tichtigen Merbitbung, bei ber er ar fein
eigener Lehrer geweſen war, als Minifter, Seheimer Conferen
rath, Generaldicar und Gurator ber hoͤhern Lehranſtalten an ve
pipe aller Angelegenheiten bes Münfteriandes geſtellt (1762), und
in biefem umfaffenden Wirkungsfreife entfaltete ex bis zu feinem
Ausiheiden als Minifter (1750) nad) allen Seiten und Richtun⸗
gen hin die großartigfe und umfafjendfte Thaͤtigkeit, um das
in allen Beziehungen faft gänglich zu Grunde gerichtete Band
wieder in feinen blühenden Zuftand ber öffentlichen Wohlfahrt
zu verfegen. Die Löfung diefer großen und fchiweren Aufgabe
gelang ihm über Erwarten und fein Wirken erfcheint in dieſer
Beziehung als fo wahrtaft groß, baß er ſich dadurch einen
ausgezeichneten Pag unter den großen beutfchen Charakteren
vollflommen verdient und erworben hat.
Er fand bei dem Antritt feines Minifteriums den Wohl⸗
ftand bes Landes dusch die Greuel des Siebenjährigen Kriege
nicht nur faft ganz vernichtet, fonbern es nody außerbem mit
ben brüdendften Schulden belaftet. Ferner druͤckten alle Gemein⸗
beiten und den größten Theil der einzeinen Unterthanen übers
häufte Schulden, wozu noch kam, daß fie durch Einquartirungen
und Fouragirungen, durch Lieferungen und Gontributionen ers
ſchoͤpft, daß ihre Gebaͤude und Mdergeräthe zerftört, ihr Pferde⸗
und Biehſtand zu Grunde gerichtet waren und die Ader
dde und verwüflet lagen. Dem Minifter von Fuͤrſtenberg gelang
e6 durch die gang einfache Maßregel einer nicht drüdenben Per«
fonenfchagung, die es ihm ungeachtet mancherlei Schwierigkeiten,
Hinderniffe und Ginwendimgen, die von Seiten einzelner Stände,
namentlich der Geiſtlichkeit bes zweiten Ranges, bawiber erhoben
und gemadjt wurben, einzuführen glücte, ben zerrütteten Wohl⸗
fland des Landes binnen kurzem in all feinen heilen wieder⸗
berzuftellen und die Schulden zu tilgen. Auch die Verſchoͤnerung
ber Hauptfladt war, nachdem dem Bauptbebürfniffe bes Landes
durch Tilgung ber Schulden genügt war, fein Verdienſt und
Werl, indem er die Feſtungswerke bemolicen ließ.
Ebenſo verbient wie um eine verbeſſerte Militairverfaſſung,
woräber wir uns ſchon ausgefprodyen haben, machte fidy der Mi:
nifter Zürftenderg um die Verbefferung bes Medicinalweſens und
ber Juſtiz; kurz, er war nicht blos der Wieberherfteller, fondern
auch ber Reformator des Pleinen Staats, da ihm Kurfärft Dari-
mitian Friedrich völlig freie Hand in Bezug auf die Landesderwal⸗
tung ließ. Aber fogar eine noch größere, eingreifendere und umfafs
fendere Wirkſamkeit war ihm in diefer Beziehung in Ausficht geſtellt,
ba ihm der Kurfürft, ber ſich bereits demjenigen Alter zu nähern
anfing, wo ihm ein Goabjutor erwünfcht fein mußte, mehrmals
erklärt hatte, daß er in dem Hochſtift Muͤnſter keinen Andern als ihn
zu feinem Nachfolger wuͤnſche, und daß, falls zunehmendes Alter
oder fonft andere Gründe ihn beflimmen follten, einen Coadjutor
für das Hochſtift zu begehren, er dies nie anders thun werde,
ats wenn er fich zuvor verfidhert Halten koͤnne, daß die Wahl
bed Domcapitels auf Bürftenberg fallen werbe. Da dieſe Befinnung
des Kurfürften allgemein befannt war, fo wurde Bürftenberg
bereitö überall ats kuͤnftiger Regent betrachtet und biefer burfte
fid feinerfeits der froben Hoffnung hingeben, dereinſt als ans
besfürft, Bifchof und Reihefürft für die Plane, die feine ganze
Seele füllten, in größern Kreifen und mit mehr Nachdruck
wirken zu koͤnnen. Inzwiſchen war bereits die Aufmerkſam⸗
keit der Höfe von Wien und Berlin auf bie Wahl eines Goab⸗
jutors für die Länder des Kurfürften von Koͤin und Muͤnſter
gelenkt worden, noch ehe biefer einen Goabjutor begehrt hatte,
indem jener fi für den jüngften Sohn ber Kaiferin Maria
Thereſia, Maximilian Yranz, um die Goabjutorie bewarb,
diefer aber bei deu damals gzwiſchen beiden Höfen beftehenden
für Deutichtand fo ungluͤcktichen Sivalität jenen Beftrebungen
beö wiener Def entgegenwirkte und fie aus allen Kräften zu
vereiteln ſuchte, um eme Vermehrung bes oͤſtreichiſchen Ein-
fluſſes tim nordweſtlichen Deutfchland u .Nicht ohne
Intereffe iſt die in dem vorliegenden Werke gegebeme hiſtorifche
Darftellung von dem Gange der Berbanblungen in Bezug auf
dieſe für Die damalige Zeit ſehr wichtige policiſche Frage, ſowie
von em dadel von beiden Geiten in
fpiet, in bem zuletzt bie biplomatifche ——— des een
Sefandten, Grafen Metternich von Winneburg, ben Sieg über
die preußifchen Unterbänbter Dohm und den General Wolfersborf
davontrug; hauptſaͤchlich deshalb, weil biefe beiden genannten
Männer mandyen biplematifchen Mitgriff und mandje biplomas
tifche Unvorfichtigkeit begingen, und weil Friedrich der Große
nicht gefonnen war, es um biefer Angelegenheit willen, fo unan»
enebm ihm auch die Wahl eines oͤſtreichiſchen Erzherzogs zum
—** des Erzſtifts Koͤn war und fein mußte, zu einem
eenfltihen Bruche mit Öftreih kommen zu laſſen. Go ward
denn der Erzherzog Franz Marimitian als einflimmig gewählter
Goabjutor des Erzſtifts Köln, ſowie auch des Hochſtifts Muͤnſter
roclamirt.
⸗ In Folge dieſer Wahl des Erzherzogs Franz Maximilian
ward der Miniſter von Fuͤrſtenberg, der bei dieſer ganzen Ange⸗
legenheit die edelſte und uneigennuͤtigſte Vaterlandéliebe bewaͤhrt
hatte, als ſolcher von dem Kurfuͤrſten Maximilian Friedrich,
jedoch mit Beibehaltung feines Gehalts von 1000 Dukaten und
des Generaloicariats ſowie der Direction des Schulweſens ent:
laſſen. Es konnte bies keineswegs ale eine Ungnade angeſehen
werden, in die etwa der Dinifter Zürftenberg bei dem Kurfürften
wegen der Rolle gefallen wäre, die ee bei dieſer Anlegenheit
gefpielt batte, als es vielmehr nur al8 bie ganz natürliche und
nothwendige Folge von dem Umftande, daß in diefem Wahlkampfe
diejenige Macht und Partei den Sieg davongetragen hatte, der
er am eifrigften und mit der größten Entfchiedenheit nicht aus
feibftifch kleinlichen Kuͤckſichten auf feine eigenen perſoͤnlichen
Wünfdhe und Ausfichten, fondern aus wahrer, voller übers
zeugung von ben Intereſſen des Landes, die er dadurch ger
fährdet glaubte, widerftrebt hatte. Als eine zarte Beruͤckſich⸗
fihtigung für den ausgezeichneten Mann muß es übrigens ers
fcheinen, daß das Minifterium im Münfterlande bie ganze ſpaͤ⸗
tere Dauer der kurfuͤrſtlichen Regierung hindurch unbeſetzt blieb,
was natürlich auch ihm nur angenehm fein konnte.
Der Minifter von Zürftenderg konnte feitbem feine ganze,
volle Aufmerkſamkeit und Thaͤtigkeit der Verbefferung des Schul:
weſens und der Schulen wibmen, und er that dies mit voller
Seele. Um ihn gleihfam in feinem warmen Gifer und in feinen
großartigen Beftrebungen für Kunft und Wiſſenſchaft noch mehr
anzuregen und zu unterflügen, fügte es fi, dab er um biefe
Zeit die Belanntfchaft einer durch Geiſt und Gharafter glei
ausgezeichneten Frau hoben Standes, nämlich der Fürftin Amalia
von Galligin, geborenen Bräfin von Schmettau, Gemahlin bes
zulfifhen Gefandten im Haag, machte, die fi) balb zu ber
unauflößlichften und innigften Kreundfchaft zwifchen beiden geftals
tete, bergeftalt, daß fie ihr anfängliche Vorhaben, fih am
Genferfee nieberzutaffen und dort ganz der Grgiedung ihrer
Kinder zu leben, aufgab und ſich in Wtünfter nieberließ, um
ſowol den ihr unentbehrlich gewordenen Umgang Fuͤrſtenberg's
zu genießen, als auch fich feines Raths in diefer Beziehung zu
bedienen. Beide übten gegenfeitig aufeinander einen großen
und wichtigen Ginfluß aus, ber fi für unfern Fuͤrſtenberg
unter Anderm auch dadurch geltend machte, daß er durch feine
freundfchaftliche Verbindung mit diefer ausgezeichneten und eigens
thuͤmlichen Frau in Berührung und Verbindung mit vielen ber
ausgezeichnetfien Männer feiner Zeit, bie in dem Hauſe ber
Be eine gaftliche Aufnahme fanden, gebracht ward, in bie er
onft —* ekommen ſein moͤchte. Dahin gehoͤrten namentlich
der Philoſoph Hemſterhuys, Jacobi, der Philoſoph von Pempel⸗
fort, der originelle Hamann aus Koͤnigsberg, ſowie auch Goethe,
der ſich auf der Ruͤckreiſe aus der Champagne, wohin er den
Herzog von Weimar begleitet hatte, einige Tage im Hauſe der
Fuͤrſtin aufhielt. Im J. 1800 kam noch ber Graf Friedrich
Leopold zu Stolberg hinzu, der mit feiner Familie feinen
Wohnſitz in Münfter genommen hatte und hier nebft feiner
Gemahlin und feinen Kindern zur katholiſchen Religion übertrat.
(Der Beldtuß folgt.)
Literarifhe Notizen aus England.
Eine Geſchichte unferer Beit.
Bon bem Verf. des Werkes: „The court and times of
Frederick the Great’ erfchien ber erfle Band einer: „History
of our own times”, mit Jiluſtrationen. Aus ber Vorrede ents
nehmen wir folgende Stelle: „Dies Werl wird alle jene außer
ordentlichen Scenen ber franzöfifchen Revolution aufroflen unb
die Greigniffe der langen Reihe von Kriegen berfeiben , weiche
in allen Theilen des Erdballs auf diefe Revolution folgten, bie
Gelbftdefreiung der fpanifch » amerilanifdgen Colonien, die Bes
freiung Griechenlands vom tuͤrkiſchen Joche, der kühntrogige
aber unglüdtiche Aufftand der Polen, das Verpflanzen ber franz
zöftfchen Krone auf einen neuen Zweig bes Hauſes ber WBourbons,
die Gründung bes Königreichs Belgien und bie graufamen Buͤr⸗
gerkriege in Spanien bilden die neuern Züge in diefem großen
bewegten Drama. Es ift wol kaum nöthig hinzuzufügen, daß
die Mittel, durch weiche das läd und die Macht des britiſchen
Reiches während dem von Stufe zu Stufe ausgebreitet und bes
feftigt wurden, bie befondere Aufmerkſamkeit des Geſchichtsſchrei⸗
bers in Anfprudy nehmen werden. Kurz, er wird fireben, in
populairer Form eine glaubwürbige und unparteiifche Chronik
aller wichtigen Greigniffe zu liefern, welche im Laufe ber lesten
50 Jahre geichapen. Man fieht ſchon aus biefer Stelle, daß
die Ereigniffe in Deutſchland, Das, was 1830 und fpäter in
Braunfhweig, Sachſen, Helfen u. |. f. geſchah, die innen
politiſchen und mercantiten Gntwidelungen in Deutfchland, bie
veligiöfen Spaltungen, ber Zollverein u. f. w., wie gewöhnlich
in Geſchichtswerken fremder Zunge, hoͤchſtens eine nur beildufige
Rolle fpielen werden; bean Deutſchland ift in ber citieten Stelle
nicht einmal angedeutet. Man betrachtet Deutſchland in polie
tiſcher Dinficht immer noch wie ein unreifes Kind, welches da
lat, wo andere Voͤlker verftänblich ſprechen; aber man verftebt
uns im Auslande nicht, weil wir fo durch⸗ und untereinander
raifonniren, baß wir uns felbft nicht verftehen, und unfere klein⸗
lihen Particularintereffen «ine großartige Rationalentwidelung
nicht zu Stande fommen laflen. Bögen bie Eeiter unferer ſtillen
und gemuͤthlichen Entwidelungen bebenfen, baß fie unfern Credit
im Austande befefligen, wenn fie dur Liberale Inſtitutionen
das Volk in ſich feitigen, jede engbeezige Anficht aufgeben unb
nicht das bloße Gefchrei um beutfche Einheit, fonbern die Sache
und bad Wefen ber deutſchen Einheit fördern. Die Ehre der
deutfchen Nation vor der Weltgefchichte wie vor dem Auslande
zu vertreten, iſt doch wahrlich eine würbige Aufgabe, welche
des Schweißes der Edeln werth ift!
Eine poetifhe Reife durch DOftindien.
„Days in the East‘ heißt ein Gedicht von 3. H. Burke,
worin die Erinnerungen eines Offizierd von ber Armee ber Oft⸗
indifhen Compagnie verfificirt find, Grinnerungen an eine Seife
von Bombay aus durch mehre der weftlichen Provinzen Indiens.
Das Gedicht iſt am Word des Schiffs entitanden, auf welchem
der Verf. nad) England zurückkehrte; er wollte fi dadurch bie
Langeweile vertreiben, weiche bei einer fo langwierigen Geereife
unvermeidlich ifts außerdem litt der ehrenwerthe KRriegemanz
noch an einer Kränktichleit, weiche ihm das Klima Oſtindiens
zugezogen batte. Das Gebicht erfcheint wie ein zweiter ab⸗
gebämpfter „„Childe Harold’ und {ft ganz in derfelben Weiſe und
Stanzenform, aber natürlich nicht im entfernteften mit dem
poetifchen Geifte deffelben geſchrieben. Das Gedicht mag für
einen Invaliden ein ganz erfprießliches Mittel gegen bie Lange
weile einer Seereiſe geweſen feins aber daffelbe Mittel hat nicht
bei jebem Kranken benfelben Erfolg, und obgleich das Pubu-
cum auch an Ennui zu leiden ſcheint, wirb das Gedicht nicht
im Stande fein, das Yublicum fo von biefer Krankheit, an der
man nidgt flirbt, zu beilen, mie es den Berf. davon erloͤſte 3
vielmehr möchte es das Übel nur fleigern. 18.
VBerantwortlicher Deranögebes: OHeinrich Brodpaut. — Drud und Werlag von F. U. Brodyans in Leipzis.
a. ma u: ww u ww me — —
‘
— 1%
So enthält die erſte Serie: „Les
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Sonntag,
Neueſte Sprichwoͤrter-Literatur.
I. Le livre des proverbes francais, par Le Roux de Lincy.
Zwei Bände. Paris 1842.
3. Dictionnaire “tymolegique, histerigue et anecdotique des
proverbes ot des locations proverbiales de la langue fran-
caise, en rapport avec des proverbes et des locutions
. proverbiales des autres langues. Par P. M. Quitard.
Paris 1842.
3. Kıiofterfpiegei in Sprichwoͤrtern, Spipreben, Anelboten und
Kanzeifihden. Bern, Jenni Sohn. 1841. Gr. 8. 15 Rgr.
4. Sprichwörter und Spruchreden der Deutichen.
ben von G. D. Marbach. Mit Holzfchnitten. Leipzig, D.
Wigand. 8. Ne.
5. SPretiofen beutfcher Sprichwoͤrter, mit Variationen von Karl
Steiger. Gin Angebinde auf alle Tage des Jahres. Gt.
. Ballen, Scheitiin und Zollilofer. 1843. Sr. 3. 1 Ihr. 15 Rer.
Wie uns Die Pflanzenwelt mit ihren zahllofen, in reis
gender Mannichfaltigkeit immerfort neu auffprießenden Blaͤt⸗
tern, Blumen und Fruͤchten immerfort von neuem anzieht,
daß wir und auch des Bekannteſten und Altäglichften
zu feiner Zeit erfreuen und deſſen gebrauchen, fo behalten
auch die Sprichwörter ihren Immerfort neuen Reiz im
Sanzen ımd Einzelnen; fie vergegenmwärtigen uns Erfah
wungen, Gemüthszuftände, Begegniffe ganz ebenfo lebhaft,
wie und 3. B. Korfblumen das Bild eines wogenden
Getreidefeldes vor die Seele bringen und ein Strauß von
Haideblumen uns im Geift die ganze Herrlichkeit von
Wald und Fels erſchließt.
Won dieſem Gefichtspunkt aus ſcheint es weniger auf:
fallend, daß auch in unſern Tagen, wo ſowol Theorie als
Praxis, mehr großhaͤndleriſch auftretend, den Kleinhandel
der Sprichwoͤrterweisheit nur fo Über die Achſeln anzu⸗
fohen gewohnt find, dennoch das Gebiet ber letztern noch
immer ſo emſig durchforſcht und bearbeitet wird und die
Theilnahme der Gebildeten an dieſen Dingen keineswegs
erkaltet iſt, wie ſolches die ſich faſt draͤngenden Erſchei⸗
nungen dieſer Art Doch wol genugſam bezeugen.
Mr. 1. Das erſte une vorliegende Wert: „Le livre
des proverbes frangais”, von Le Rour de Lincy, zeichnet
fih vor allen feiner Art ſowol duch Vollſtaͤndigkeit als
Anordnung aus und zungt von guter Kritik und einer
außerordentlichen Beleſenheit. Es zerfällt in 15 Abſchnitte,
in welchen die Sprichwoͤrter und Redensarten, ihrem gleich:
mäßigen Jahaite nach, alphabetiſch zuſammengeſtellt find.
proverbes sacres”,
Derausgeges |
„Dieu, Jesus-Christ“, ‚Personnages de l’Anden et da
Noureau Testament”, ‚‚Apötres”, ‚Saints‘, „Papes”,
„Eveques”, „Prötres”, „Moines”, Religions diverses
autres que la religion catholique”, „Diable”, „Mytho-
logie ancienne et moderne”. Wir theiten die Überſchrif⸗
tem dieſes Abfchnitts deshalb fo vollſtaͤndig mit, um es
anfchaulih zu machen, wie umfaflend der Plan diefer Ar⸗
beit ift; denn ganz ebenfo reichlich find die Überſchriften
ber übrigen 14 Abfchnitte, deren Daupttitel folgende find:
3) und 3) „Proverbes relatifs à la nature physique“,
4) „Relstifs aux animaux”, 5) „Belatifs & l’bomme”,
6 —- 14) Proverbes historiques“, und alle die, welche ſich
auf Politik, Stände, Krieg, Jagd, Spiele, Geſetzgebung,
Handel, Gewerbe, Sitten u. f. w. beziehen, 15) „Pro-
verbes relatifs à la morale”,
Der Zwe des Verf. war nicht 6108, die Syrichwoͤr⸗
ter feines Volks zu fammeln, fondern auch, was ungleich
ſchwieriger fein mußte, den Urfprung und die Zeit der
Entſtehung jedes einzelnen Spricyworts, fo weit dies mög
lich war, urkundlich nachzuweiſen, theild aus gedruckten
Werken, thells aus zum Theil fehr alten Handſchriften;
fowol von jenen als diefen wird, von S. LXxvu - cıx,
ein fehr Intereffantes Verzeichniß mitgetheilt. Mit Erklaͤ⸗
rung und Auslegung der Sprihmörter hat ſich der Verf.
weniger befaßt, um den Fehler der meiften Arbeiten biefer
Art zu vermeiden, dba man Alles deuten und erflären will,
mag es klingen oder Mappen, biegen ober brechen, wo
denn genug naͤrriſcher Gelahrtheit und unnuͤtzen Scharfe
finns zu Tage kommt.
Der kurzen Vorrede folgt ein „Essai sur la philono-
phie de Sanche” von Ferdinand Denis. Man definire
die Sprichwörter fchlecht als die Weisheit der Voͤlker; fie
feten vielmehr nichts Anderes, als nur bie lebendige Stimme
ber Menfchheit, de cette humanit€ qui parle, pleure
ou rit toujours, et qui ne se taira jamais’. Die
Sprichwörter feien deshalb auch gleichzeitig mit dem erſten
Leiden und Schnen des Menfchen; fie feten entilanden,
als er es zuerſt gewagt habe, fich uͤber fein Elend zu troͤ⸗
Ken und fi über ſeine Tyrannen luſtig zu machen.
Weniger ſentimental und gruͤndlicher iſt dagegen, was
©. vm gefagt wird: „Manches Sprichwort, das noch jehf
gang und gebe. ift in Indien wie bei uns, darf war
wol als vorfkmbfluttich betrachten, fodaß es une ebenſo
I)
Kunde gibt von der Weisheit Henoch’s, wie und Guvier's
Maftodonten einen Beitrag geben zur Naturgefhichte aus
Noah's und Methuſalem's Zeiten. Noch wahrer iſt ber
Satz ©. sur: „Si ce sont les philosophes qui inven-
temt les proverbes, c'est ie peuple qui les foramle.“
Deflo weniger aber können wir damit einverflanden fein,
wenn der Berf. am Schluß feines Verſuchs dazu aufs
fodert: „de faire bien vite d’autres proverbes”, damit
die künftigen Zahrhunderte und nicht weniger, wie wir
unfere Vorfahren, deshalb zu loben haben möchten.
Sprichwörter laſſen ſich nicht ſo bien vite hinmachen und
Gott bewahre une vor ſolchen neu gemachten. ©. xxvn
wird unfer Lichtenberg angefuͤhrt, ald ‚le grand faiseur
de proverbes allemands”, ein feinen Landsleuten gewiß
hoͤchſt neues Praͤdieat bes geffleichen Mannes, welches
Dr. Denis indeß wol umfehlbar auf eine ſehr uͤberraſchende
Weiſe zu vertreten willen würde.
Dem „Essai” folgt eine fehr ausführliche Einleitung
von ©. xus—uıxıv. Unterfuchungen über bie franzoͤ⸗
fiſchen Sprichwoͤrter; Charakter der ältefien und Prüfung
der Sammtungen derfelben vom 12.—15. Jahrhundert.
Was von den Alteften Speichwörtern ber Framzoſen, gilt
auch überall von den unferigen, wie das denn auch bei ber
nahen Berwandtfchaft beider Nationen nicht anders fein '
kann. Unſere Gebräuche, Sitten, unfere Geſchichte haben
den Wert geliefert zu einem geoßen Theile unferer Sprich
wörter, weiche wir jedoch auch noch zwei andern wicht we⸗
niger weichen Quellen ‘zu danken haben: 1) ber Bibel,
namentlih den Schriften des Könige Salomon; 2) dem
claſſiſchen Schriftftellem des Alterthums. Bon den Diſti⸗
den des Dionyfins Cato hat man ſchon eine Überfegung
in franzöfifhen Verſen vom 12. Jahrhundert; ebenſo alt
iſt die erfie Handfcheift von den grotesken Dialogen im
gereimten Speichwörtern zwifchen dem weifen Rönig Sa⸗
lomon und dem nicht weniger gefcheiten Toͤlpel Mackulph,
defien derbe, markige Wige einige Jahrhunderte hindurch
dem argbedrängten Wolfe gu großem Troſt und Geluſt
dienten.
Sammlung von Speihwörtern in je vier gereimten Ber:
fen (Quatrains), welche bei uns bis ins 17. Jahrhundert
Hinein, unter dem Titel „Der alten Weiſen Esempel-
ſpruͤche“ fo vielfach gebrudt und weiebergebrudt wurde
und welche bei jenen unter dem Xitel „proverbes aux
philosophes ” befanst ifl.
Der Einleitimg folgt eine ‚Bibliographie des pro-
verbes” von &. Lxzxru—cıx, welde und die bedeuten⸗
den handſchriftlichen Schäge biefes Fachs in der koͤnigli⸗
Hm und in bee Bibliothek bed Arſenals zu Paris kennen
lehrt. Das Verzeichniß der betreffenden gedruckten Werke
weift indeß mr diejenigen nach, weiche der Verf. zu ſei⸗
wer Arbeit beugt Hat. |
Was nun die Sammlung der Sprichwörter ſelbſt be
wfft, fo iſt auch hier wie in allen berartigen Sammlun⸗
gen, duschaus Bein Unterfchled gemacht worden zwiſchen
dem Sprichwort und ber fpnichmörtlicken Redendart, ob⸗
gleich dieſer Unterſchied fo bedeutend iſt and fo weſentlich
wie etwa der zwiſchen Feucht uud Blatt eines und deſſel⸗
So haben die Franzoſen auch dieſelbe alte
ben Baums; beide find freilich Eines Stammes, aber ſehr
verfchiedenen Werths und völlig verfchiedener organiſcher
Geltung. Wenn wir nun das Sprichwort gar wohl mit
Bluͤte und Frucht zu vergleichen haben, fo werden wie
bei den ſprichwoͤrtlichen Redensarten fa vom feihit an die
Fülle des Laubwerks denken, welhhes aur im Ganzen als
ein Lebensorgan wirkt, während jede einzelne Frucht an
und für fich eine felbfländige Lebenskraft enthält. So bes
ginnt das vorliegende „Buch der franzoͤſiſchen Sprichwoͤr⸗
ter“ gleich in der erſten Zeile nicht mit, einem Sprich⸗
worte, ſondern mit der pariſer ſprichwoͤrtlichen Redensart:
„U est de Fabbaye de Longchamp“, welche, mittels es
ner [pöttelnden Anfpielung auf eine Ortlichkeit, verbiümt
weiter nichts fagt, als: „Er hält fidy gern zu ben Damen.”
Diefe Redensart, welde durch Ausörud und Did das
unvertennbare Gepraͤge der feinen Gefelligkeit hat, wolle
wie bier nur glei als Beiſpiel einer eigenen Reihe von
Üedensarten bemerklich machen, weile wir ale Salonte
redensarten bezeichnen moͤchten, an melden bie Franzeſen
großen Überfluß haben, während fie in deutfchen Samm-
lungen fo gut wie gar nicht vorhanden find. Wir koͤnnen
überhaupt ans ber im Allgemeinen vorherrfchenden Eleganz
des Ausdrucks der franzöfiichen Sprichwörter wol mit vol⸗
lem Rechte annehmen, daß diefelben weit mehr aus dem
hoͤhern Geſellſchaftsleben in die niedern Kreiſe ſich vers
breitet haben, während unfere deutſchen Sprichwörter und
Redensarten mehr unmittelbar im Wolke feibft fo derb,
fhlicht und naiv ausgeprägt wurden. Es iſt ein weſent⸗
licher Zug im franzoͤſiſchen Ratienalcharakter, daß auch ber
geringe Dann «6 gewifjermaßen für Moral halt, von ber
Eourtoifie der höher Stände ſowol im Benehmen als im
der Rede, fo viel als moͤglich anzunehmen, während bei
uns der niedere Stand weder Neigung noch Geſchick das
für bat und vielmehr fi durch ein maſſives fittliches
Serbfibernußtfein zur Oppofition gegen Alle, was vornehm
ft, angeseist fühle, vongu benn freilich bed Deutfchen Vers
liebe zu dem bequemen Sichgehenlaſſen wol das Ihrige
beiträgt. Nur dee Suanzefe bat das Wort gener in fet
ner eigenthlimtichen Bedeutung, ebenſo in den vornehmſten
wie in den geringften Kreifen. Hiermit firft es im eng
fin Zuſammenhang, baß ber Franzoſe mach politiſcher
Freiheit zu ringen nicht müde wird, während ber Deuts
fie, im Behagen feiner ethiſchen Freiheit, feiner politifcgen
mit ansdauernder Rache entgegenficht. Ein Leuchtendes
Zengniß der ethiſchen Freihelt des Deutſchen find feine
zahlloſen, uralten Sprichwörter und Redensarten wider
Dapfte, Pfaffen, Mönche, Nonnen, Stöfler, Deilige, Iu⸗
tiften, Junker, Ritter und Edelleute. Welche Maſſe vom
Shimpf, Hohn, Wis und Spott ber allerderbſten, em
pfindlichſten Art wird ſchonungslos über Alles ausge:
geffen, was feinen ethiſchen Kreibeitäfinn beleidigt. Sim
dieſer Dinfige Find die framzoͤßſchen Sprichwörter Fa
ftunspffinnig zu nennen; fie begnuͤgen fi mit harmloſen
Wigen und fcherzhaften Ausfällen ‚auf bie Gebreches des
Adels, ſowie ber Heiligen und der Diener ber Kirche.
Usechaupt find die Trangöfiichen Sprichwoͤner witigen,
fpitiger, ſauberer; bie deutſchen dagegen ſinniger, inniger,
Sucher und gehhen mähr auf die Mach; wem z. B. der
Sranzofe das Wort hat: „Le diable est trop subtil” (aus
dem 15. Jahrhundert, vgl. Bo. 1, S. 9), fo ſagt das
deutfihe Sprihwort: „Der Teufel iſt ſubtil und fpinnt
doch grobes Burn” (Koͤrtr, Nr. 5870), wodurch des Teu⸗
feis Subtilitaͤt näher charakterifirt und zugleich wader
biamirt wird.
Die Sprichwörter find hier, wie ſchon gefügt, ihrem |
Inhalte nach, in 15 Serien abgetgeilt umd in jeder Serie ,
unter fi, nach dem Anfangsbuchſtaben entweber des er⸗
ſten oder des Hauptworts, alphabetifch geordnet. Nur
die hiſtoriſchen, ſowie die auf Ortlichkeiten oder Perſoͤnlich⸗
keiten fich beziehenden, und die aus Anekdoten entſtandenen
Sprichwoͤrter ſind kurz, aber immer genuͤgend erklaͤrt. Ein
Hauptverdienſt aber dieſer Sammlung iſt, daß bei jedem
Sprichwort nachgewieſen wird, in welcher Handſchrift oder
im welchem gedruckten Werke man ſolches am früheften
finde, in welches Jahrhundert alſo deſſen ſchriftliches oder
buchliches Erſcheinen zu ſetzen ſei: ein Nachweis, der bei
allen denjenigen Sprichwoͤrtern, welche wir nicht offenbar
den geiechifhen und roͤmiſchen Claſſikern oder ber Bibel
verdanken, von mannichfachem Sintereffe iſt, je nach dem
Geſichtspunkte, von welchem aus man biefe zum Zheil
fo koͤſtlichen Blüten des Menfchengeiftes zu betrachten
denkt. Jene ciaffifichen Urquellen der Sprichwörter find
leider vom Verf. faft gar nicht beachtet, während er feinen
Fleiß nur auf die Ausbeutung der aͤlteſten franzöfifchen
Handſchriften und Drude verwendet bat und zwar mit
einer fo gewiſſenhaften Kritik, wie man ed nur immer
wänfchen kann. In diefer Hinficht bar biefes Werk un:
endliche Vorzüge vor dem in gleihem Sinne angelegten
des verſtorbenen Eifelein, welches in Nr. 3 d. Bl. f. 1841
beurtheilend angezeigt worden iſt.
(Der Beſchluß folgt.)
Franz von Zürftenberg.
( Beſchiud aus Mr. 161.)
Fuͤrſtenberg, mit dem Gedanken der Verbeſſerung des Schul⸗
weſens ernſtlich beſchaͤftigt, ſuchte nicht allein durch Lecture
und Beobachtung Deſſen, was ihm nahe lag, ſondern auch durch
Reiſen in verſchiedene Gegenden Deutſchlands ſeine Einſichten
und Kenntniſſe des Schulweſens zu erweitern. So beſuchte er
unter Anderm 1788 in Geſellſchaft der Fuͤrſtin Galligin und des
Philoſophen Hemſterhuys das Paͤdagogſum in Halle. Unftreitig
dienten ſolche Reifen und ſolche Beſuche zur Bereicherung feiner
pädagogifihen Kenntniffe und infichten, unb er mag daraus
oft den erften Gedanken zu mancher nuͤtlichen Reform des Schul⸗
wefens in feinem Baterlande geſchoͤpft haben.
Fuͤrſtenberg batte noch am Abend feines Lebens ben
Schmerz, bas Werk feines ganzen Lebens zufammenftürzen w
fehen. Es brach nämlich um diefe Zeit jener ganz Europa in
feinen Srundfeſten erſchuͤtternde furdytbare Vuikan der franzds
fifchen Staattumwaͤlzung aus. Es war mol natürlich, daß ber
ochbeiahrte, bereits damals (17189) fechzigjährige Greis, deffen
ſchon längft hinter ihm lag, ſich mit der neuen Ära, bie
mit jener ungedeueen Kataftrophe begann und fi nur mittels
des Umſturzes des Alten Bahn brechen Tonnte, nicht zu verſtaͤn⸗
digen vermodte, vielmehr mit derfelben zerfiel, indem ihm natürs
uch der Umſturz ber alten Ordnung der Dinge, mit der er vers
wachſen geweſen war, ass ein Umſturz ber goͤttlich⸗ ſtttlichen
Meltoronung erſcheinen mußte. So wat es benn wel na⸗
tuͤrlich, daß Fuͤrſtenberg ein entſchiedener Gegner ber faanges
fiſchen Staatsuanwaͤtzung und ber neuen Ideen, bie fie in ihrem
Wefoige mit ſich führte, ward. Auch er laͤchelte nur mitleibig
barüber, daß man dem jungen, fehjeundzivanzigiährigen Bones
parte ben oͤſtreichifchen Graubaͤrten gegenüber ben Oberbefehl
Aber ein Heer anvertraute. Seine Äußerung, bie er einft gegen
mebre bei ihm verſammelte Profefforen machte: „Geben Cie Acht,
meine — die oͤſtreichiſchen Graubaͤrte werden ben Knaben
bie bie Königin von Sardinien nad dem Waffenſtillſtand vom
Bherasco über Tafei zu dem jungen General Bonaparte machte,
indem fte demfelben ihre Wermwunderung darüber zu erfennen
gab, daß man einem fo jungen Wanne bereitd einen Obers
Jbefebl anvertvaut babe, worauf Bonaparte kalt und gemeflen
antwortete: „Madame, en guaterze jours j'aorai Mil - na,”
Imwiſchen kam Fuͤrſtenberg zur Erkenntniß feines Iertyums,
indem er in einer aͤhnlichen Verſammlung von Profeſfforen,
äberrajdgt, wie wol ganz Europa, ven den unerwartet glänzenden
Siegen des jungen Feldherrn über die Graubaͤrte, äußerte: ‚„Bab’
sh mich ganz eben, meine Herren, ber Knabe lieſt nach
eigenen Heften“; vielleicht Hatte we ſich hierbei an Hannibai
erinnert, ber in einem gleich jugendlichen Alter den Oberbefedl
Aber ein Heer erhalten und feinen unflerblichen Bug über bie
Pyrenden unb Alpen unternommen hatte. Gleichwol vermochte
| er fich nicht mit dem jungen, kuͤhnen und ehrgeizigen Feldherrn
zu verföhnen: fein Inſtinct mochte vielleicht in ihm den Mann
errathen ober ahnen, ber ganz Europa aus feinen Bugen reißen
würde. Als ihm nämtich einft ein Buchhaͤndier ein MBilbniß
Bonaparte’ in großem Format zur Anficht brachte, wies er e6
höchft unmillig mit der Xußerung zurüd, er habe diefen Teufel
Ion in kleiner Geſtalt, und beduͤrfe eines fo großen nicht.
In Belge des Luneviller Friedens (1801) warb das Erz⸗
fift Moͤnſter fäcutarifirt und an Preußen zur Entfehäbigung
übermiefen, und bie Iegte münfterfäie Fuͤrſtenwahl, die nach dem
ode des Kurfuͤrſten Marimilion Kranz (27. Zuli 1801) durch
Erwaͤhlung des Erzherzogs Anton Victor in der Boffnung vors
“ genommen worden war, jenes Schickſal dadurch vielleicht noch
von dem Erzſtifte abwenden zu können, kam nicht zur Ausfühs
End indem fich der Erzherzog der auf ihn gefallenen Wahl
entzog.
Fuͤrſtenberg nahm auch noch unter der preußiſchen Negierung,
Me ihm die wohlverdiente Achtung uub Anerkenntniß im vollen
Maße zu Theil werben ließ, an dem guten Kortgange der Stu⸗
bien einigen Antheil, befuchte zumelien die Lehrſtunden und
wohnte den Prüfungen Bei. Gchmerzlicher noch für ihn waren
die bierauf folgenden fpätern Zeiten. Denn in Folge bes Zilfiter
Friedens kam Münfter Ai dem neu gebildeten Koͤnigreiche Weſt⸗
falen, fpäterhin zum Großherzogthume Berg, und endlich zum
franzoͤſiſchen Kaiſerreiche. Hiermit ſchien unferm Fuͤrſtenderg
Alles, wofür er gelebt und gewirkt hatte, dem lntergange ges
weiht zu fein. Dazu kam noch, daB ihm viele befreundete
Seelen bereits in das beffere Leben vorangegangen waren, und
daß namentlich das Hinfcheiden feiner Freundin, der edeln Fürftin
von Galligin, feinem Alter eine reiche Quelle bes fchönften
Troſtes geraubt hatte. So mußte er denn freilich zu jenem
Standpunkte religidfer Refignatien geführt werden, die und zu⸗
tegt einfehen laͤßt, wie Goethe mit Recht bemerkt: „daß uns
die Welt wenig ober nichts gebe, daß man fich in ſich feibft
zurädziehen” und in einem immer befchränftern Kreife um Zelt
und Ewigkeit beforgt fern mäffe”. Allıtn wenngleich er es kein
Hehl gegen feine Freunde hatte, daß er ſich mit Sehnfucht dem
Augenblicke feiner Auflöfung entge ne, fo h te dennoch
in feinem ganzen Wefen bie Milde und Ruhe eines Meffen
und Ehriften. Was die Perföntichkeit und den Charakter
biefes ausgegeichneten Mannes in feinem kraͤftigen Alter betrifft,
fo möge man hierüber die ſchoͤne Schilderung leſen, die ber
Bert. feiner Lebentgeſchichte S. 285 aus Dohnrs ‚„Denfwir-
digkeiten“ mitteilt.
m. — —— — — — — -
<< Bun einer beibigen A
cm % Sept. 1810 “ —X 6% Uhr in ne ke
ber allgemeinen Reigungew, Zugenben,
fowie auch des JIndividuellen feiner 53*
; 9)
ee im 82. Jahre feines Alters an Aitersſchwaͤche, jedoch bei | erſten Anfangsgrunbe des Feldmeſſens und Desjenigen, —
volliger Geiſteskraft fanft entſchlief. Seine Gebeine ruhen auf
dem Gottesader zu Muͤnſter vor dem Kreuze. Die Grabfidtte
wirb durch einen einfachen Stein mit einer entiprechenden Ins
ſchrift bezeichnet. Das übrigens Fuͤrſtenberg mit vollem Rechte
von ſich fagen Eonnte: „Herr, bu haft mir fünf Zalente agrachen,
fiehe , ich habe fünf andere damit gewonnen” (Mattb. 30, 20),
wie es in feinem Gterbezettel heißt, dürfte wol am Elarften
und unwiberleglichften aus bem kurzen Abriß bervorgeben, ben
wir hier nach dem vorliegenden Bude von ſeinem Leben und
Wirken gegeben haben.
Was Fuͤrſtenberg's Verdienſte und Wirken um und für
das Schul⸗ und Unterrichtöwefen feines Landes betrifft, fc
verweifen wir auf Das, was hierüber ber Verf. unter ber Kubrik
„Tuͤrſtenberg's Verdienſte um die Werbefferung der Lehran⸗
ſtaiten“ grundlich und ausſuͤhrlich muischeitt. Muͤſſen wie hier
die ſich nach allen Richtungen bin erfiredende großartig umfafs
ſende Thaͤtigkeit des Miniſters Yürftenberg bewundernd aner:
kennen, indem er das Schul: und unterrichtsweſen in allen
feinen heiten verbefierte, umgeflaltete, erweiterte und vervolls
tommnete, fo werben wir bie Anfichten und Grunbfäge, dis er
in feinen Schriften über ben Volksunterricht darlegt, faft noch
mehr bewundern müflen, nicht nur wegen ber Reife der Einficht
und des Urtheils, die ſich barin in das Wefen und bie Bedin⸗
gungen eines guten und zweckmaͤßigen Volksunterrichts klar und
ũchtvoll ausfpricht, fonbern auch insbefondere beshatb, weil fie
weit über fein Zeitalter hinausliegen und fich felbft gegenwärtig
noch als praktiſch brauchbar in vieler Beziehung bewähren bürfs
ten. Kach Fuͤrſtenberg zerfällt der Volksunterricht in zwei
Theile: 1) in Religions und Sittenlehre, und 2) in Das, was
die Gefundheit und bürgerliche Nahrung betrifft. Er geht von
dem ganz richtigen unb natürlichen Grundfage aus, daß ed vor
allen Dingen darauf ankommen werde, bie religiöfen und ſitt⸗
lichen Srundwahrheiten in ihre Begriffe zu zerlegen, ebe und
bevor man die Frage erörtern Bönne, wie diefe Wahrheiten dem
Unftubirten anſchaulich gemacht werben könnten, und er voll:
zieht hierauf dieſe Analyfe der zeligiöfen und fittiichen Begriffe
mit einer Klarheit und Schärfe, die von dem tiefdenkenden,
pbilofophifch gebildeten Geifte diefes ausgezeichneten Mannes
den Tprechendften Beweis gibt. Nicht minder bewährt er ſich in
der Unterfuchung von ber „Methode bes Unterrichts’ wie ein
Mann von Fach, der nicht bios durch Theorie, die bier nur
einen bedingten Werth bat, fondern auch praftifch durch Erfah⸗
zung und Beobachtung gebilbet iſt.
Die Methode des Unterrichts iſt eine zwiefachez naͤm⸗
lich einmal eine objective, die ſich nothwendig aus und nad
der Natur des Lehrobjectd beftimmt , und bann eine fubjective,
die ſich theild aus ber Individualität des Lehrers ergibt, theils
nach der Individualität des Schülers beflimmen muß. Der
Hebel gleihfam, auf dem Unterricht und Erziehung ihrer Wir:
tung und ihrem Erfolge nach beruhen, ift alfo ein tüchtiger
Lehrer, d. i. ein foldder, ber nicht blos das nöthige Ma:
terial (Wiſſenſchaft und Kenntniſſe), fonbern auch die Form
(Methode) vollkommen in feiner Gewalt hat unb zugleid
ein entſchiedenes Lehrtalent und eine darauf berubende Lehr:
gabe beſitzt. Fuͤrſtenberg verlangt nun von dem Volks⸗
lehrer nichts weniger, aldö: 1) eine gründliche Kenntniß fei-
ner Religions: und Bittenlehre; 2) eine gruͤndliche Menſchen⸗
kenntniß (,, Die wefenttichen pſychologiſchen Wahrheiten, bes
merkt er hierbei, „müflen ifm ganz anfchaulicy bekannt fein,
damit er bdiefeiben ben Kindern auf eine helle, leichte Art vor:
trage’); 3) zwar Feine gelehrte, mit unnöthigen Kunſtwoͤrtern
belabene Logik, aber dennoch eine deutliche Erkenntniß der wenigen
‚allgemein vorkommenden Gefepe bes Denkens, um fie fi in
Abficht auf feinen Vortrag deutlich zu machen; 4) bie Kenntniß
gemeinen Manne von ber Mechanik zugute kommt; 6) einen
gefgmeibigen Bortrag und das Talent, auszufragen; 7) endiid
Gruft, Liebe, Bebulb, Beſcheidenheit, Arbeitfamteit, wahren
Sifer, ober gar Wegeifterung für fein Amt und tiefe Retigien,
Wie viel dies von einem Lehrer gefobert beißt, und wie feltn
man einen Lehrer in ber Wirklichkeit antreffen werde, der biefen
Boderungen ganz oder auch nur zum großen heil entfprict,
leuchtet wol von ſelbſt ein umb wird aud von unferm
berg anerkannt, indem cr bemerkt, wie wenig man jid ver
forechen könne, „gute Schullehrer opne eine gute Schullehrer⸗
ſchule“ zu erhalten.
Nicht minder beadptungswerth und tief gedacht ik D
was Fürftenberg über die ‚Bildung des en *
dem er naturgemäß bie oberſte Aufſicht und Leitung über
dad Volks⸗, Schul⸗ und Unterrichtswefen anvertraut wil
fen will, unb in ber That fichen Schule und Kirche in einer
fo engen und innigen untsennbaren Verbindung zu: und mit
einander, daß. fie nit wohl voneinander getrennt werben
nnen.
Dies mag binreichen, um einen ungefähren Begriff von
dem hohen Werthe Bürftenberg’s als Wenid), Staattmann un
Gelehrter, fowie auch von bem reichen und mannicfaden Ia
terefje dieſer Gefchichte feines Lebens und Wirkens zu geben;
ber Verfaſſer bat durch fein werthvolles Werk unfere Eiteratur
wahrhaft bereichert. 2,
Bemerfung.
Bor kurzem lafen wir irgendwo aus ber Fieber eines ben
kenden Kopfes, ber das griechifche Alterthum genau kennt, bie
Worte: „Warum fällt es denn noch Keinem ein, aus den grie
chiſchen Tragoͤdien die erhabenfte, ſchoͤnſte Sittenlehre barzuftellen ?
Es thut e6 aber Einer gerdiß bald. Da fehlt kein Iota. Et
find bereits, wie auch an demſelben Orte kurz vorher bemerkt
wurde, ernſte Anfänge gemacht worben, uns das griechiſche
Altertyum wieder herauszufoͤrdern; biefe Anfänge haben ib
au nicht bloß auf das Altertum felbft, nicht blos auf das
Befondere, das NRationalgriehifche in ihm befchräntt, ſendern
zugleich auf das Allgemeine, bas rein Menſchliche, das Gittliche
in ihm fich erſtreckt, und gewilfe hyperorthobor schrifttige Sitten:
richter haben es vergeblich verfucht, dem griechiſchen Altertyume
im Allgemeinen den Befig einer erhabenen Gitteniehre flreitig
zu maden. In der mueſten Beit hat die Aufführung ber Gopho⸗
Bleifchen „Antigone” auf einigen Theatern Deutſchlands erwüniäte
Gelegenheit gegeben, die Wahrheit obiger Behauptung, daß In
ben griechiſchen Tragoͤdien die ſchoͤnſte und erhabenſte Gittenichre
ſich finde, an einem SBeifpiele fennen zu lernen. Es if dies
wol auch befonders hervorgehoben worden und jebenfalld iſt es
fon diefer Erkenntniß wegen ein nicht geringes Verdienſt Difien,
der bie Aufführung der „Antigone‘’ vermittelt hat, ein nicht geringes
Verbienft um dad griechifhe Altertfum. eben ber Afthetifchen
Schoͤnheit der griechiſchen Traͤgodie, die auch in der Überlefung
nicht bat verloren geben Können, wennfchon fie in bem Driginale
noch herrlicher fich offenbart, ift es vorzüglich die ethiſche Voͤrde
die ſittliche Schönheit In ber griechifhen Tragoͤdie, bie befonberh
dem mobernen Zrauerfpiele gegenüber hervorgehoben werben
muß, ald das Wefen ber griechiſchen Fragddie felbft. Ramentiik
auch in diefer Hinficht, was ben fittlichen Inhalt ber griehilden
Zragdbie anlangt, Tann unfere — wir wollen es hoffen, M
Werden begriffene — moderne tragifche Dichtkunſt viel, FIR
aan, mehr als unfere mobernen Dichter ſelbſt pr
muthen. .
Verantwortlicher Derautgeber: Heinrich Brodpant. — Disk und Verlag von J. X. Brodhpaus in Beipsig-
sm wi, Wo (Wu: gu Je DD U m —
Bläafter
ur
literarijhe Unterhaltung.
Kenefte Sprichwärter= Literatur.
Beſchluß aus Rz. 162)
Mr. 2: Quitard's „Dietionnaire &tymologique, histo-
rique et anecdotique des proverbes” if nach Plan,
Zwei und Bearbeitung durchaus vom vorigen unterfchles
den ımd als „Dictionnaire” beiweltem weniger vollſtaͤndig
als jenes. Der Verf. erkennt nur Das als Sprichwort
an, was der von Erasmus davon aufgeftellten Definition
entfpriht: „Celebre dietum scita quadam movitate in-
signe”, eine Definition, weiche indeß mehr auf des Eras⸗
mus Blumentefe aus den alten Claſſikern paßt, welche
er eine Sammlung von Sprichwörtern zu nennen beliebte,
als daß fie das eigentliche Weſen des Sprichworts ers
ſchoͤpfend charatterifit. Dem Berf. find alſo pikante
Wendung und origineller Ausdruck die weſentlichen Kenn⸗
zeichen des wirklichen Sprichworts. Damit aber fein
„Dictionnaire” nicht gar zu dünn ausfalle, habe er ſich
nicht eben fireng an jene Definition gehalten. „Mon Dic-
tionnaire”, fagt er, „est consacre & ces maximes d’une
sagesse traditionelle, & ces formules da sens commun
qui, jetdes dans la circulation universelle, forment la
monnaie courante de la raison et de l’esprit des peup-
les, & ces expressions pleines d’allusions, à des faits
euriewm, singuheres à force d’&tre naturelles, et dont
la vulgarit& ne detruit pas le sel.” Gen Zweck fe
ganz befonder6 der geweſen, alles Das zufammenzuftellen,
„qui peut servir à etudier V’histowe des moeurs par
Phistoire des expressions”, Im geraden Wiberfpruche
mit diefem feinem Löblichen Vorhaben, hat der Verf. je:
doch alle die Sprichwörter und Mebensarten von feiner
Sammlung Ahsgefchloffen, „gui se trouvent souvent dans
la bouche des gens sans edacation”, welche Leute dann
gleich näher als „In canaille” bezeichnet werden (S. 111).
Hierdurch hat fich der Verf. in eine ganz falſche Stellung
gegen die Sprichwörter gebraucht, bie nach Dem, was er
unter „education’ verficht, fo gut wie gar nichts fragen,
weit ihnen von bdiefer Seite ber fo viel wie gar nichts
zugute tommt, während Ihnen das Leben, die fröhliche
Armuth, die Regſamkeit und Betriebſamkeit des nicbern
demokratiſch⸗ derben und ruͤckſichtsleſen Volks den kraͤftig⸗
ſten und reichſten Nahrungsſtoff zuführen. Während jeme
yeude „education“ die Sprichwörter hoͤhniſch über bie
Schultern anfleht und fie ausſchließt aus ihren Eirkeln,
Nr. 163. —
flechten ihr die Sprichwoͤrter einen ſtrohernen Bart, dre⸗
hen ihr einen Zopf, ziehen ihr das Haͤlmlein durchs
Maul, weiſen ihr die Feige, bohren ihr gar einen Eſel
und behalten immer die Lacher auf ihrer Seite, wenn ſie
fo bin und her geängfiet wird. Der Verf. ſcheint es
ganz vergeffen zu haben, daß die Sprichwörter eben in
ihrer Sefammtheit ein fehr getreuer Sitten:, Leiden: und
Sreudenfpiegel ihres Volks und ihrer Zeit find, nicht etwa
befonders in Bezug auf irgend ein Erziehungs: und Bil:
bungsprincip diefer oder jener Standeögenoffen, fondern
vielmehr ein .umfaflendes Bild des gefammten Volksbe⸗
wußtfeins nach. allen Richtungen bin; er faat ja felbft
(S. vun): „Les proverbes d’un siecle expliquent ses
goüts, ses habitudes, et Poriginalite speciale, qui le dif-
ferencie de tous les autres. En changeant de qualites
ou de vices, la societ€ change de proverbes”, woher es
denn auch komme, daß die Sprichwörter fo oft einander
geradezu widerſprechen und theils für, theils wider eine
und diefelbe Behauptung eifern.
Gewiß hat der Verf. ſehr Recht, daB die Sprichwoͤr⸗
ter, qui expriment des sentiments universels, fich im-
mer und Überall wiederfinden, daß fie allen Völkern ges
mein find ihrem Inhalt nach, menngleich in ihrer Form
verfchieben ; aber er zieht daraus offenbar einen falfchen
Schluß, wenn er behauptet: man fehe daraus, daß nicht
etwa ein Volk dergleichen Sprichteörter von andem ent⸗
lehnt babe, fondern daß diefelben bei jedem Volle und in
jedem Lande felbftändig erbluͤht fein, heroorgetrieben par
le seul fait du sens commun; die Verſchiedenheit dee
Form fcheine zu beweifen, daß hier keine „traduction‘
flattgefunden habe. Dies wird ſchon dadurch hinreichend
widerlegt, daß wir gerade die allgemeingültigen Sprichwoͤr⸗
tee faft alle von den Griechen und Römern und aus ber
Bibel uͤberkommen haben, zwar nicht eben „Überfeht”, mol
aber fo, wie der sens commun jedes Volks fich dieſelben
alimälig mundrecht gemacht hat. Wie wir von den Gries
hen, haben biefe von den alten morgentändifchen Voͤlkern
Sprüche der Weisheit überfommen und fid) angeeignet;
es war keineswegs nöthig, daß jedes Volk es erſt hinrei⸗
hend an fich felbft erfuhr, 3. B. wie bedenklich es ſei,
Zn ohne weiteres unbebingt zu vertrauen, um daß
prichwort zu haben: „Trau, ſchau, wenn”; eben par le
seul fait da sens commun verbreitete es fich als Erfah:
eungefag von einem Volke zu den andern, bei weichem
es ſich nun als Sprichwort der Warnung und Lehre gels
tend machte. Nur hoͤchſt felten iſt es nachzuweiſen, role,
wann und wo ein altes Sprichwort zuerſt entſtanden iſt;
wie man ja denn auch meiſt vergeblich darnach fragt, wie
ein fein fremdes Kraͤutlein in unſern Garten gekommen fein
mag? Wo aber ift der Mind oder das Voͤglein, von dem
wir daruͤber genaue Auskunft erhalten könnten! Allerdings
wäre es hoͤchſt intereffant, wenn wir jedes Sprichwort In
feiner urfprünglichen Geſtalt Eennen lernen önnten: „Ils
seraient le plus curieux monument du progres des pre-
mieres societes; ils jetteraient un jour merveilleux sur
Phistoire de la civilisation, dent ila marquersient le point
de depart avec une irrecusable fidelite.‘
Bei manchen Sprihwörtern hat Hr. Quitard die ben:
felben entfprechenden in andern Sprachen beigefügt, fo
unter andern auch einige deutfche, die fi) denn wunder:
lich genug ausnehmen, 3. B. (S. 406) zu dem Sprich:
worte: „Le fou se trahit lui-m&me”, heißt es: „Le
proverbe allemand qui correspond au notre est tr&s-
spirituel: Der Kukuk feinen einigen Namen ruft aus.”
S. 585: „Les Allemands se servent d’un proverbe assez
plaisant pour marquer la force de la patience: Geduld
uber Windet Sauer kraut.” Zu dem Worte: „Ten-
dresse maternelle toujours se renouvelle”, heißt es
(&. 665): „Ce charmant proverbe est aussi allemand:
Muttertub! ift immer neu”*); auf dem Drudfehlerblatte
findet man dies ergöglih alfo berichtigt: „Page 665,
ligne 3, Mutterlub! lisez: Mullerlieb!” Gleichen Schlags
ift Alles, was fonft noch Deutſches vorkommt: ©. 149
„L’abbaye de Kedlinbourg en Allemagne.” Alles Deut:
ſche fhmedt den Sranzofen noch immer nach barbares du
Nord; das Sprichwort „C’est un pauvre höre” zapft
unfer deutſches „Hert“ an und bedeutet: „C’est un hom-
me sans merite, sans consideration.” ©. 451 wird bes
richtet, daß unfer edles „Roß“ im Kranzöfifchen rosse ge:
worden ift, welches Schindmähre bedeutet, und unfer „Buch“
tft in bougin verfchimpft, was unferm „alter fchlechter
Knaſter“ entſpricht. Nicht weniger anzüglich iſt das
Sprichwort S. 633: „Travailler pour le roi de Prusse —;
c’est travailler sans recevoir aucun salaire, Il est que-
stion du gros Frederic Guillaume I”, welcher nun, nad)
Voltaire's Darſtellung, als ein veritable Vandale geſchil⸗
dert wird. Wie Vieles haben die Franzoſen noch zu ler⸗
nen und zu vergeſſen, um ſich zu dem Standpunkte er⸗
heben zu koͤnnen, von welchem aus wir Deutſchen andere
Laͤnder, Voͤlker, Sprachen und Sitten gerecht und gruͤndlich
zu beurtheilen und zu benutzen wiſſen. Gruͤndlichkeit gehoͤrt
nun aber einmal nicht zur Education des Franzoſen!
Um fein Buch fuͤr die Leſer genußreicher, unterhaften:
der zu machen, bat der Verf. die melften Sprichwörter er:
Märt par des citations precieuses et significatives pui-
sees dans nos classiques. Es fchien ihm interessant et
curieux, zu zeigen, welchen Nugen bie großen franzoͤſiſchen
Autoren häufig aus den Sprichwoͤrtern gezogen haben, ins
7) 86 foR das Sprichwort fein: Wuttertzeu wird täglich new.
ben fie bie in denfelben enthaltenen Reime zu ben ſchoͤn⸗
ſten, glüdtichften Gedanken und Ausdrüden zu entfalten
verftanden. In der Erklärung der Sprichwörter iſt in⸗
deß bier eher zu viel als genug gefchehen ; fein einziges
iſt unerläutert geblieben, wo dann das Krinfale, Langwei⸗
tige nicht ausbleiben kann. Im Ganzen aber if dirk
Sammlung reich an wigigen, geiftvollen Anekdoten, Ein
fällen und Reminifcenzen, welche ber fehr beiefene Verf,
unter Anderm auch aus den vollfteömenden Quellen ber
feanzöfifhen Memoiren⸗kiteratur trefflich zu ſchoͤpfen gewußt
bat. Übrigens find die Meinungen über das Mehr oder
Weniger bei Sammlung und Erläuterung der Sprich⸗
woͤrter unendlich verſchieden, feibft auch unter Denen, die
fonft in Rüdficht des Principe voͤllig einverftanden-find;
es ift überall nur zu wahr: „Les gens du ımeme avis
ne sont jamais d’accord.”
Einige Proben von des Verf. Art und Welle ve
Behandlung werden unfere Lefer bier gewiß gern mitge
theitt ſehen. Bei Gelegenheit ber Sprichwörter uͤber den
Bart gibt er uns eine Rede über bie Gefchichte des Baru
aus welcher wir Kolgendes entnehmen:
La barbe devint meme une decoration gloriense döcer-
nee aux vouves argiennes qui, sous la conduite de la noble
Telesilla, avaient veng6 la meurtre de leurs maris. Le de-
cret rendu & ce sujet &tablissait, que ces veuves, ou se re-
mariant, auraient le droit de porter une barbe feinte au
menton, quand elles entreraient dans ia couche nuptiale,
Ce decret, cité par Plutarque, est assurdment un des plus
rewarquables qui aient jamais dt& faits.. A suflirait seul
pour prouver combien les Grecs &taient plus sages que
nous dans le choix des insignes qu’ils accordaient à la valeur,
Ces insignes, ils les prenaient parmi les attributs de la vi-
rilite, tandis que nous allons les chercher parmi les ome-
ments de femmes. Nous n’ofirons que des rubans A nos he-
ros; ils donnaient des barbes a leurs heroines.
Ovi, c'est un fait digae de la plus serieuse considöra-
tion, que la barbe se montra constamment aupr&s du ber-
ceau des empires, et le rasoir aupr&s de leur tombean.
Honneur & ces incomparables jeunes gens qui ont si
bien préludé à la restauration de ia barbe par ia guerre
contre les perruques! Quelle gloire pour eux d’&tre barbus
dans un sidcle ou les barbons n’ont point de barbe!
©. 159 finden wir folgende Gefchichte ber Jakobiner⸗
müge, welche vielen unſerer Leſer gewiß aud neu if.
Früher war le bonnet rouge ein Attribut des hohen
Abel: „I porte”, oder auch: „I est bonnet. ronge”
fagte man von Einem, welchen man ald von gutem Adel
bezeichnen wollte. Wunderlich genug warb fpäterhin le
bonnet rouge ein ſchimpfliches Abzeichen der Galeeren⸗
ſtraͤflinge und allee fchweren Verbrecher überhaupt. As
nun aber einige Soldaten des Schweizerregiments Cha
teaus Vieur, welche 1790 zu Nancy revoltict hatten und
deshalb zu ben Galeeren verurtheilt worben waren, balb
darauf von den Revolutionshelden befreit und in ihrem
Sträflingshabite im Triumph nad Paris eingeladen wer
ben, wo man ihnen zu Ehren glänzende Feſte gab, da
ward ihre voche Galeerenmuͤtze einer Bürgerkrone gieihege
achtet; jeber Patriot beeilte ſich, ſich damit zu ſchmuͤden;
fie ward als Freiheitsmuhe anerkannt, nachdem fie der be
ruhmte Mater David, welcher ihr die antike phrygiſch
.. XX — — — u
— [Zw
&1
Form gab, ber Weftikatue ber Freiheit aufs Haupt ges | und Demeifellen für Fraͤuleins.
fest hatte.
Nr. 3. Diefer „Kloſterſpiegel“ Hält uns, was leider
immer noch noth thut, alle Greuel des Kioflerlebens und
Moͤnchthums dicht vor Augen, damit wie fein wachſam
bleiben und nicht etwa glauben mögen, «8 habe nunmehr
weiter Beine Gefahr damit. „Die neuen Kirchenväter von
Züri und ihre laͤcherlichen Diakonen von Luzern‘ bewei⸗
fen uns toll genug das Gegentheil, wie wir ja auch noch
anderwärts jegt in Deutfchland Zeichen und Wunder ge:
nug fehen, daß das Papſtthum heimlich noch immer
Steine genug hinter ſich wirft, die fih unvermerkt in
Moͤnche, Kiöftee und Jeſuiten verwandeln. Es ift ch:
sicht und eitel, die Sturmgloden zur Freiheit in Schwung
zu bringen, fo lange es noch ein Recht des Pfaffenthums
iſt, ſelbſt geheiligte Glocken gebieterifh zum Kirchenjoch
zu laͤuten!
Das deutſche Sprichwort bat ſeit Jahrhunderten nichts
ſchaͤrfer aufs Korn genommen als das Pfaffen⸗ und Klo:
flertbum, und wenn es in ber Heftigkeit und Bitterkeit
feines Grimms foft keine Schranken finden kann, fo tft
das nur ein um fo wabhrbafteres Zeugniß von bem fitts
lichen Freiheitsſinn umfers Volks, welches felbft zur Zeit
der maͤchtigſten Kicchentyrannei ſich nicht fcheute, die Kirs
chengreuel [honungslos aufzudecken und mit den fchärfften
Ruthen des Abſcheus und Zorns furchtbar zu züchtigen.
Die Bemerkung — fagt bie Vorrede —, daß ſich das Al
les nur auf frühere Zeiten beziehe und bie Kiöfter heutiges Ta⸗
es anders feien als früher, ift dahin abzufertigen: 1) daß nach⸗
henbe Ausbrüche und Belege aus allen Zeiten bis auf die ges
genwärtige en find und alfo fortwährend bie begründete
und darum berrihende Meinung über die Klöfter waren; 2) ift
es eine hiftorifch und Literarifch beurkundete Thatſache, daß bie
Kloͤſter allerdings feit dem 12. Jahrhunderte nicht immer auf
demfelben Punkte, aber boch immer gleich weit hinter der Cul⸗
tur, Moral und Wiffenfchaft der Zeit fliehen geblieben find.
Mögen darum die Enkel forgfältig auf die Geiſter⸗
ſtimmen der Voraͤltern achten und darnach handeln!
Nr. 4 endlich iſt eine anſpruchloſe Sprichwoͤrterleſe
im Sinne eines Volksbuchs „gedruckt in dieſem Jahr“.
Die Sprichwoͤrter, ohne alle Vorrede oder ſonſtige Zugabe,
find einigermaßen alphabetiſch georbnet und frifch hinters
einandermeg, ohne Abfag; jedoch haben etliche einen Holz
ſchnitt über fih, der hier und da wißig genug ift, aber
von dem vorausgefegten Leſer nur felten möchte verflanden
werben. Das thut aber nichts, genug, daß die Bilder
wol dazu beitragen, den fehr wohlfeilen Sprichwoͤrterſchatz
dem Volke in die Hand zu fpielen, welches ja Laune ge:
nug zu baden pflegt, um fich die zum Theil ſchnurrigen
Siguren nicht nur kurzweilg, ſondern auch wol ſinnreich
auszulegen.
Pr. 5 iſt eins von den gutgemeinten Büchern, deren
Weisheit, Tugend und Froͤmmigkeit überaus wohlfeil find
und bie weder ſchaden noch nugen. Werthlofe Pretiofen
für geringe Leute, die fi Sonntags gern zu etwas mehr
herauspugen, daß Sungfeen für Demolfelten gelten können
guͤrten —S Flammenſchwert,
Solche witz⸗ und ſpitz⸗
loſe Saͤte wie: „Der Fleißige bat immer was zu thun.“
„Wir find allenthalben in Gottes Hand.” Jeden drüdt
was.“ „Die Alten ſollen das Bergſteigen den Jungen
befehlen.“ „Die Glocken klingen viel anders, wenn einem
ein lieber Freund geſtorben if.” „Manches Gebäude
zeigt, wie man kein Geld an ihm geſpart, ſondern nur
Verſtand.“ „Wo Natur proteſtirt, da mag bie Kunft
nicht durchdringen“ u. f. w, gelten bem Verf. nicht blos
für Sprichwörter, fondern fogar für Sprichwörter : Pretlo⸗
fen. Mit feinen „Variationen“ ift es nicht beſſer beſchaf⸗
fen. Die Variation zu dem Sprichworte „Auch der befte
Gaul flolpert einmal” beginnt alfo:
Dann aber wirb ihm tüchtig aufgewirt. Iſt er ein Gate
teipferd, bringt ex ja den ganzen Poſtwagen ing Unglüd. Dann
Fern er Fan bem Rittmeiſter, ber ihn zugeritten hat, wenig
re u. f. w.
Dagegen endet bie Variation auf „Cs braucht viel -
Schaufeln, die Wahrheit zu vergraben” um fo weniger
ſchlicht, vielmehr hoͤchſt prächtig, alfo :
Die Wahrheit ift ein Veſus. Wer will einen Veſuv bes
graben? Du meinft, er fei erloſchen. Hörft du denn nicht, wie
er feit lange warnt und droht, und plöglich wird er fich ums
wird baftehen mit dem
weithin leuchtenden Sternenkranz, ein Held unb Sieger bie
Feinde unter feine Fuͤße
verfchättet.
Es iſt fchauerlih mit anzufehen, wie ein fonft fo
wohlmeinender Autor den Veſuv, einen Helden und Sieger,
erſt mit gluͤhendem Flammenſchwert umgürtet und mit
weithin Ieuchtendem Sternenfranze fhmüdt und ihn dann
dennoch glei nachher unter ber Überwucht feiner Con:
ftruction auf ewig begräbt und verfchättet. Der Himmel
wolle doch jeden Helden und Sieger, namentlich) aber bie
Wahrheit, vor folhen Freunden bewahren !
Doch, wie ſchon gefagt, „auch der befte Gaul ſtolpert
einmal”, und wenn er auch das beſte Herz hat; es wäre
hart, ihm dafür „tuͤchtig was aufzuwixen“, befonders hier,
wo nur von einem Buche bie Rede ift, was er nur fo
ganz behaglich in aller Unſchuld niederfchrieb, für gute
Seelen, bei denen es Einem gar nicht einfällt, ihnen ein
Denken zuzumuthen; für gute, ordentliche Menfchen, die
gern mit aufgewedten Köpfen ihres Schlages tabagiren
und was auf ihre Religion, auf ihre Stiefeln und Haare
halten: außen fir, innen nir; außen fleaff und glatt,
innen fehlaff und matt, überall aber langweilig.
Wilhelm Körte.
gebracht auf ewig begraben unb
Bücherfabrikation.
Wir wollen nicht bie Geheimniſſe unſers Hanbdwerks aus⸗
plaudern, Hehhtet Es iſt jedoch eine zu merkwuͤrdige Sache,
nur dom politiſch⸗ okonomiſchen Geſichtspunkte aus betrachtet,
welche Fortſchritte die edle Buͤchermacherkunſt gemacht bat, ſeit⸗
den das British Museum in ber neuen großartigen !
eröffnet worden if. Wir erinnern uns recht gut der Zeit, ba
das einzige, enge, Beine Lefecabinet, rechter Hand, wenn man
eintrat, gerabe fo viele Studenten beherbergte, als ihrer Raum
fanden, um ihre Fuͤße auf den langen melfingenen Gteg gu fehen,
gerade fo viel einzelne Perfonen, als Daufen von B
jest daſelbſt anzutreffen find. Das Mufeum hat jet eine dop⸗
652
te Beſtimmung: es ift nicht blos bie große Mieberlage von
—2 — ſondern es if auch bie Jabrik, durch weiche der lite⸗
zarifche Heißhunger des unerſaͤttlichen leſenden Publicums bebient
wird, das Refervoir, aus welchem ber Weisheitsſtrom (mie auf
der huͤbſchen Wignette vor Bohn's Katolog in treuem Gonterfei
za feben) ſtuͤrzt, raufcht, fließt, fprubelt, fprüht, fprigt, rinnt und
teöpfelt, fo weit die engliſche Zunge reiht. Wenn die Bibliothek
des Miufeums einen Monat lang gefchtoffen wäre, fo würbe der
ganze Bücherverfertigungsbetrieb ſtillſtehen, und es wäre mög
ih, daß nicht weniger als taufend Menſchen, bie für ihr taͤg⸗
fies Brot auf ihre Weber angewieſen find, fi in Roth und
Eilend geftürst fähen. Zur Zeit der mühfamen Umſtellung, welche
karztich flattfand, Hat die Rüdficht auf eine ſolche Gefahr die
Beamten bed SInftituts (deren muͤhevolles Bagenert das Publi⸗
cum nur wenig zu würdigen weiß) bewogen, fo große und dans
tenswerthe Anftrengungen zu machen, um bie Anſtalt offen und
die Fabrik im Bange zu erhalten, opne eine einzige Autorgarn⸗
haspel zum Stoden zu bringen.
Diefer Zuftand unferer Biteratur hat, wie fo manches ans
dere Phänomen unferer zufammengeflicten GEriftenz, eine ſehr
traurige Seite, aber eine ſehr komiſche: traurig, wenn
man vedenkt, wie Viele, die zu einem beſſern Looſe geboren
wären, durch unfere jegigen focialen Berhättniffe zu einer Koͤrper
und Geift zerfiörenden Sklaverei verdammt find; komiſch, wenn
man es mit anficht, wie eine der höchften Gaben des Menſchen
praktiſch ausgebeutet wich, gleich der roheften mechaniſchen Kraft.
@iner der hauptſaͤchlichſten Wertführer bei der Bücherfabrifation
hatte neulich eine Schrift im Erziehungsfache unter Händen;
als die Rede darauf kam, was für Buͤcher er zu bielem Behufe
anfchaffen müßte, antwortete er: „Ad was, Vuͤcher! Bücher,
lieber Herr, braucht's halt dazu nicht. Auf die Manier werben
der Art Sachen nicht gemacht. AU fo was, mein lieber Derr,
madıt man im British Museum. Ich hab’ da einen capitalen
Kerl für Dergleichen, lieber Herr! jung, vol Feuer und Genie,
fir von der Hand, Herr! der Ihnen in acht Tagen, ag’ id
onen, eine Reihe Duartbände fo rein ausquetſcht, daß für
Seinen Dreier Material drin bleibt!’ Und wahrhaftig, durch
dieſen compenbiöfen Kusquetfcheproceß werben neun Zehntel alles
Materials gewonnen, bad in ben gemeinnägigen und lehrreichen
und Volks⸗ und Yugendfchriften zu Zage kommt, womit wir
Aberfchättet werben.
Eine andere zahlreiche Glaffe im Mufeum bilden die „Be:
arbeiter‘ (Translators). Es ift faum nöthig, zu bemerfen,
daß die gewöhntiche Bedeutung bes Worted Translator, näms
lich im Sinne des Überfegers aus einer Sprache in bie andere,
nur eine von vielen iſt, die man in den Wörterbüchern angeführt
findet. Johnſon zahlt ſechs Bedeutungen aufs wer aber eine
fiebente Eennen lernen will, weldye noch nit im Wörterbu
ftebt, der muß nach Saffron Hill und Chick Lane gehen, wofelb
er eine ſehr nüsliche Claſſe von geſchickten Handwerkern wohn:
haft finden wird, ‚Bearbeiter alter Schuhe‘ (translators of
old shoes) in der Kunſtſprache genannt, die neue Oberleder auf
alte Sohlen und neue Sohlen unter alte Oberleder fliden und
dergeftalt das alte Stud in ein neues umarbeiten. *) Das
Meifte, was im British Museum „gemacht“ wird, ift gerade
diefe Art von „Bearbeitung. Es gibt da 4. 3. eine Gtaffe
ſehr finnreicher Schriftfleller, weiche die vordem beliebten No⸗
vellen der Minerva: Druckerei in neue „umarbeiten”‘, indem fie
Die Anlage nehmen, das Canevas, wie die Frangofen Tagen, und
mit Figuren nicht im Geſchmack unferer Altvobern, fondern im
heurigen ausfüllen.
Aun kommen wie zu den „üÜberfegern” im gewöhnlichen
Wortſinne; diefe zerfallen in drei Glaflen. Erſtlich bie Über
*) Dad Bortfpfel if in dieſer ganzen Stelle unäberfeglih. Trans-
Inte Überfegen, umfegen, verfegen, umatbeiten. Um ed wenigſtens
annährtungsweife audzubrden, if oben ſtatt „Übderfeger das Wort
«Bearbeiter gerwäßlt.
feger, weiche eiaſichtevoll, mit ihrem GBegenftanbe befannt um
mit beiben Sprachen eng vertraut, wie Mrs, Auſtin, den
Autor, dem fie übertragen, fo gewandt in der fremden Zunge
reben laffen, als fpräche ex in feiner eigenen. Zu ſolchem Über:
fegen wird ein ebenfo eigenthümtliches Talent wie zu Original,
arbeiten erfobert, nur baß es feinen Rang vielleicht um einen
Grad tiefer in der Hierarchie ber Literatur einnimmt. i
die liberfeger, welche, bei leidlicher Wertrautheit mit ihrer Dkuts
terſprache und einiger Bekanntſchaft mit ber fremben, Verſtand
und Takt. genug befigen, um zu merken, wo fie nicht Befheid
wiffen. Dieſe heifen dann mit einer Grammatif, faden bie
ſchweren Ausdruͤcke im Wörterbuche nach, ober erholen fi vie
leicht bei einem Freunde Raths; und wenn ein gut gewähltes
Buch von einem Überfeher dieſer Kategorie „berumgeftiegt"" fi
auch vieleicht fleif und mager Lieft, fo iſt doch bie Arheit nick
ohne Nutzen für die Menge Derer, welche den Autor nur mit
Huͤlfe eines Dolmetſchers vernehmen können. Drittens bie Glaffe
Derer, welche nur eben im Stande find, ein fchlechtes Gugtiiä
zuſammenzuſtoppeln, und babei nicht im Stande „ zu erkennen,
wo fie das Original nidyt verfteben, fo unwiſſend alfo, nit
einmal zu wiffen, daß fie unwiſſend find. Dies etwa find ve
Stoffen der Bücherfabrifanten im British Museum. #,
Literarifhe Notizen aus Frankreich.
Überfegung von Geßner's „Tod Abers“ und Bies
land's „Oberon“.
Es gibt gewiſſe deutſche Claſſiker, von denen, obgleich fie
bei uns faſt ganz vergeſſen ſcheinen, ober die, wie ber geiſtrriche
Dr. Mifes fagt, die oberften Reiben in unfern Bibliotheken
einnehmen, in Frankreich Jahr aus Jahr ein neue Überfeguns
gen erſcheinen. An ber Spitze berfelben ſteht der ehrwoͤrdige
Geßner und namentiidh fein „Tod Abel’8”, von bem bereitt
unzählige franzöfifche Bearbeitungen vorhanden find. Auch
das verfloffene Jahr hat die Zahl berfelber wieder vers
mehrt. Wie es heißt, hat bie Herzogin von Orleans eine
Auswahl der Geßner'ſchen Idyllen Überfegt, die im Manuftripte
zum Druck bereit Liegen fol. Neben Geßner ift Wieland noch
eine von ben Autoritäten, bie jeber Franzoſe, wenn er audy
noch fo eng, von der beutfchen Literatur verfteht, body zu dis
tiven weiß. Übrigens iſt bies kein Wunder, ba von mehren
feiner Werke recht gute Überfegungen eriftiren. Wir haben ger
genwärtig eine neue Bearbeitung feines „Dberon” anzuführen, die
foeben die Preffe verlaffen bat. Der Berf. berfelben, Auguſte
Satin, fcheint gut in den @eift feines Originals eingebrungen
zu fein.
SranzdfifheBearbeitung der nordiſchen Geſchichte.
Die Geſchichte der „Rérolutions des peuples da Nord
ift mit bem vierten Bande, der vor kurzem erichienen iſt, eb⸗
geſchloſſen. Der Berf., 3. M. Choppin, der bereits durch
einen Abriß ber ruſſiſchen Geſchichte bekannt ift, hat fein Werk
auf eine wuͤrdige Weile zu Ende geführt. Der britte Theil
beginnt mit einer allgemeinen Schilderung der Weltlape im
15. Jahrhundert. So gelungen diefe Partie auch im Augemei⸗
nen ift, To ließe fich body Manches daran ausfenen. Wir har
ben unter Anderm bemerkt, daß ber Verf. den wendiſchen Bollt-
ſchlag, der doch mit den nordifchen Nationen durch die nädfte
Blutsverwandtſchaft verbunden tft, gänzlich uͤberſehen hat. Wir
erwarteten ferner, daß ber Verf. uns über einige Punkte ver
neuern Geſchichte Mußlande unbefannte Auffdytüffe geben wuͤrde
weit ihn feine frühere Stellung — er war Gecretaie bei the
maligen ruffifhen Gefandten Kurafn — in ben Stand fett
Notizen zu ſammela, die nicht für Jedermann zugänglid fad-
Er ſchluͤpft aber abſichtlich über die Partien bin, won fü
hätte compromittiren koͤnnen, ſodaß das Bild, das er von Rußs
land entwirft, dürftiger ausfällt als der Theil feines Werts,
weicher der Geſchichte ber übrigen Länder gewidmet ift. %
Verantwortlicher Heraußgeber: Heinrih Broddaud — Druck und Berlag von J. X. Broddaus in Reipzig.
Bıatter
fat
literariſche
» En r
.
.
Unterhaltung.
Dienflag,
Über den Scheintod.
Die Unterfcheibung bes Gcheintobes vom wirklichen Tode; gur
i uͤber die Gefahr, lebendi ben.
Bon Br. Kaffe. a an 810
Obgleich die Liebe zum Leben dem Menſchen, wie jeg⸗
Uichem Geſchoͤpfe eingeboren ift, das Gegentheil davon, der
Lebensäuberdruß aber den abnormen Zuſtaͤnden zugezaͤhlt
werben muß, fo laͤßt fich doch der Abfchen vor dem Tode
überwinden. j
Der Tod
Iſt Gebot,
Das verſteht ſich nun einmal,
ſagen wir mit Goethe und beugen uns unter das unver⸗
meidliche Schickſal, je, wenn es gilt, unſer bischen Leben
einer großen Idee zum Dpfer zu bringen, fo können wir
uns ihm fogar mit Dutch und Freudigkeit in die Arme
werfen. Nur möge er ung, wenn es möglich, raſch und mit
Eräftigem Arme faſſen, die Pulfe des flerbenden Herzens
nicht langſam in feinen Händen ausfchlagen Laffen. Dies
Tcheint wenigfiens ber Wunfc der Mehrzahl zu fein und
nicht Leicht Stiche ein Menſch eines raſchen, fanften Todes,
daB er nicht von Vielen deshalb gluͤcküch gepriefen würde.
Langes Sichthum, Schmerzen und Qualen und alle Vor:
Tehrungen, deren ſich der Unerbittlidye bedient, um endlich
den legten Reſt des Lebens abzutödten, vorzüglich aber
jene Momente, in denen der Menſch zwifchen Leben und
Tod bin und wieder ſchwankt, find es, die Alle fuͤrchten,
von benen Alle gerne verfchont fein möchten, wenn bie
Stunde des Sterbens naht. Kein Herz bleibt unbewegt,
wenn es diefe legten Kämpfe, biefe Erampfhaften Schwin⸗
ungen bes erlöfchenden Lebens erblict, und nur erft wenn
er legte Hauch ber geängfteten Bruft entflohen, wird un:
Jere Bruſt wieder ruhig und wir preifen den Entſchlafenen
luͤcklich, daß er überwunden bat und feiner Qualen ledig
ſt. Nur ein Gedanke trübt noch unſere Rube: iſt er
aud) todt, den wir foeben aus dem Leben fcheiden fahen ?
wer bürgt uns dafuͤr, bag Kämpfe, wie wir fie foeben
dor und fahen, auch immer dem wahren Tode in die
Arme führen?
In der That gibt es kaum ein ſchrecklicheres Bild
als das eines im Grabe Wiedererwachenden. Zwiſchen
guge Breter eingtzwaͤngt, Über, unter und meben fich bie
amburchheinglihe Erbe, keine Spanne Raum, um nur ben
13. Suni 1843.
Verſuch zur Befreiung aus dem fuͤrchterlichſten aller Ker⸗
Per zu wagen, undurchdringliche Finfternig, Beine Luft als
| der Beine Meft, der gerade noch hinreicht, die unaus⸗
ſprechlichen Qualen des Dafeins auf wenige Stunden zu
feiften und‘ dazu ber Gedanke, mitten unter verweienden
Leichen zu Liegen und auf die quatvolifte Weiſe verſchmach⸗
ten zu muͤſſen!
D, wach’ ich auf, werd' ich nicht vafenb werben,
Umringt von all’ den greuelvollen Schrecken,
Und toll mit meiner Baͤter Glieder ſpielen?
( Shakſpeares „Romeo und Zulie”.)
Der ſchwerzlichſte Tod von Henkers Dand ift nur ein
Kinderfpiel gegen dieſes Verſchmachten im Grabe; es troͤ⸗
ſtet wenigſtens dabei der Gedanke an die Gewißheit eines
baldigen Sterbens und das brechende Auge ſieht noch
Menſchen um fih und kann feinen Blick noch binamf
richten nach dem trößlichen Lichte. Lebten wir noch zu
den Zeiten ber Stiehen und Römer, fo wären wir aller
Sorge um das Erwachen im Grabe uͤberhoben. Aber
auch jegt noch gibt es viele Mationen ber Erde, die, weil
doch nur aus einer gewilien Scheu vor dem Gedanken
daran, ihre Todten nicht beerdigen, ſondern auf anbere
Urt der Vernichtung preisgeben. In Siam, Cochin⸗
china und bei den Birmanen werben nur die Leidmame
der armen und gemeinen Leute beerdigt, bei den His
dus bie Verehrer des Schima begraben, bie des Wiſchnu
hingegen verbrannt. Auch die Tſchuktſchen, akuten, Ja⸗
panefen, Tibetaner, einige pernanifhe Stämme und bie
Esttmos verbrennen ihre Todten. Auf mehren Inſeln
der Sübdfee läßt man fie auf hohen Geruͤſten verfaulen;
ebenfo halten «6 bie Tſchaktas, worauf ihre Priefler das
Fleiſch ablöfen und verbrennen, bie Knochen aber an der
allgemeinen Begraͤbnißſtelle aufbemaben. Die Kamtſcha⸗
balen ſtecken bie Leichname von Kindern in hohle Bäume
und bie Samojeden hängen fie in Wiegen an Baͤu⸗
men auf. Die Tibetaner, Siameſen und mehre nard-
amerikaniſche Stämme tragen bie Todten auf Hıgel
unb Gebirge, wo fie ben Elementen und Raubthieren
preisgegeben find. In Tibet werben bie Vornehmen ein⸗
balfamirt, die Armen ins Waſſer geworfen. Die Birma⸗
nen nehmen die Eingeweide heraus, füllen dem Körner
wit Spezereien, überziehen Iha mit Wachs, dann weit
Herz, endlich wit Füttergoid verbreunen ihn aber nach
Anigen Monsten Auf Drabeite wird ber. Körper nach
4 :
Entfernung dee Eingeweide mit wohlriechenden Slen bal⸗
ſamirt u. ſ. w. Uns erſcheinen zwar alle dieſe verſchiede⸗
nen Methoden, die Leichname aus dem Kreiſe der Leben⸗
digen zu entfernen, roh und barbariſch, aber geſtehen muͤſ⸗
fen wir doch, nicht eine darunter erfällt unfere Bruſt
mit dem beengenden Gefühl, dad uns bei dem Gedanken
an das Verſenken in bie finftere Erde und an ein mög:
liches Wiedererwachen ergreift. Dennoch aber wird die eins
fache Sitte, die Todten in die Erde zu begraben, bei als
ien civilifirten Voͤlkern die herrſchende bleiben und fie
würde ficher auch bie zweddmäßigfte fein, wenn nur einmal
das Mittel aufgefunden wäre, alles Lebendigbegraben für
immer zu verhüten.
Aber ift denn auch die Furcht, noch lebend in die
Erbe verfenkt werden zu können, fo gegründet, ald Viele
wähnen? Hat man uns nicht, wie bei fo vielen Dingen,
mit erdichteten und ausgefhmüdten Zeitungsnachrichten
und Märchen erfchredit, von deren Wahrheit, bei Lichte
betrachtet, am Ende Niemand etwas willen will? find
auch Menfchen, die man für tobt hielt, im Grabe wieder:
erwacht? Manche glauben nun einmal nicht daran und
widerftreiten können wir ihnen nicht, daß bei foldhen Er⸗
zählungen viel leeres Geſchwaͤtze und Dichtung mitunter:
läuft und daß Faͤlle der Art, wenn fie wirklich vorfommen,
ſchwer zu conftatiren find. Aber leugnen Lönnen fie nicht,
wenn fie anders bem darüber vorhandenen geſchichtlichen
Stoff einige Aufmerkſamkeit gefchenkt haben, daß Schein-
todte außerhalb des Grabes wieder ins Leben zuruͤckgeru⸗
fen worden find, und zwar unter ihnen folche, die nicht
aur Stunden, fondern Tage in diefem fcheintodten Buftande
zugebracht haben. Gerne geben wir, Insbefondere für die
letztern Faͤlle die Seltenheit zu, aber genug, fie find vor:
gekommen und was Über der Erde, kann audy unter ihr
geſchehen. Kaͤme aber auc unter 100,000 Todesfaͤllen
nur einer vor, wo ein für Zodtgehaltener im Grabe wie
bererwachte und eines zweiten fo grauenvollen Todes ver:
biihe, fo wäre es die Menfchheit fih und ihrer Ruhe
ſchuldig, ähnliches Ungluͤck nad allen Kräften von fich
abzumenden.
Abgefehen aber auch von ber Wahrheit oder Unwahr⸗
heit folcher Kälte, fo ift hauptſaͤchlich die Möglichkeit der:
felben wiſſenſchaftlich zu erörtern und die Frage zur Ent:
fheidung zu bringen, inmiefern der wahre Tod aus dus
Gen Zeichen am Leichname fiber zu flellen ift oder nicht.
Da ber Segenftand für jeden Menfchen von hohem In⸗
tereſſe ift und auch eine für den Raten faßliche Erpilication
zuläßt, fo möge es uns hier vergoͤnnt fein, etwas tiefer
in denfelben einzugehen. Werfen wir zuvoͤrderſt einen
Blick auf die verfchiedenen Exfcheinungen, welche wir ges
wöhntich an dem Leichnam wahrnehmen, wenn ber lebte
Lebensfunke erlofchen iſt. Sie treten vornehmlich in brei
verfchtedenen Abfchnitten ‚auf, von denen ber erfte ben Zeit:
raum der Erfchlaffung, der zweite den der Erſtarrung und
der dritte den der Aufloͤſung barftele. Doch folgen biefe
Zeiträume nur bet mittlerer Temperatur und bei mäßigen
Geade der Feuchtigkeit: fo regelmäßig aufeinander. Bei
Kälte und Trockenheit uͤberwiegt bie Erſtarrung und der
todte Körper vertrocknet, ſtatt zu faulen, bei äußere
Wärme und bei vollfaftigen Körpern dagegen tritt Die Aufs
loͤſung früher ein und «6 kommt gar nicht zur Erflarrung.
Der erfte Zeitraum beginnt mit dem Erloͤſchen aller Bes
wegungsfaͤhigkeit. Selbſt die ſtaͤrkſten Reize, Kigeln mit
der Feder an der Naſe und am Schlunde, Stechen mit
Nadeln unter die Fingernaͤgel, Salmiakgeiſt an die Naſe
gehalten, Auftroͤpfeln von brennendem Slegellack auf die
Herzgrube u. ſ. w. vermoͤgen keine Bewegungen mehr her⸗
vorzutufen, auch das ſtaͤrkſte Licht feine Zufammenzichuns
gen der Pupille zu bewirken. Mit der Bewegungsſaͤhig⸗
keit erliſcht auch das Refpirationsvermögen und der Blut
lauf. Ein vor Mund und Nafe gehaltene Spiegel laͤuft
nicht an, eine vorgehaltene Slaumfeder oder Lichtflamme
bleibt unbemweglic und ein auf die Herzgrube gefegtes, mit
Waſſer gefuͤlltes Gefäß zeigt keine Spuren von Athmunge⸗
bewegungen; Herz: und Arterienfchlag hoͤren auf, eine ges
öffnete Vene gibt Fein Blut mehr. Dabei werden alk
Theile des Körpers ſchlaff, verlieren an Volumen und
finten ein, fo namentlih Schläfe und Wangen; die Aus
gen finten in ihre Höhlen zurüd, die Naſe wird fpie, die
Hornhaut fchlaff und trübez die Gelenke werden biegſamer,
die innern Höhlen durch das Einſinken der in ihnen ent:
haltenen Eingeweide geräumiger,, die Muskeln ſchlaffer;
aller Lebensturgor verfchmindet, der Leichnam wird an dem
Stellen, wo er aufliegt, platter und nimmt von dm Koͤr⸗
pern, auf denen er liegt, Eindrüde an, ber Bauch wird
mehr in die Breite gedehnt, der Unterkiefer ſinkt herab,
da6 Auge iſt halb geöffnet; die Schließmusfeln leiſten
keinen Widerftand mehr und die Höhlen, zu denen fie ges
hören, flehen offen. Das Blut zieht fih aus den aͤußern
feinen Gefäßen zuruͤck in die Stämme der Venen, theil®
weil das Leben zuerft in der Peripherie erlifht und die
Kraft des Herzens nicht mehr zureicht,; es bis in die letz⸗
ten Berzweigungen zu führen, theils weil es durch den
Drud der engern Gefäße oder der aͤußern Luft nad ins
nen getrieben wird. Daher wird die Haut bleich, gelblich,
befonders an der Nafe, den Wangen, Ohren, Elinbogen,
Knien und Ferſen, und wenn man ein Kerzenlicht hintre
die Hand eines Todten hält, fo erfcheint nicht jener roͤth⸗
liche Schimmer, wie er fih im Leben zeigt. Aud bie
Augentider, Lippen, Mundhöhle, Naſenhoͤhle und Bruſt⸗
warzen werden bleih. Der ſchwerere Theil des Blutes
fentt fih nad unten in die tieferliegenden Theile de&
Körpers und bildet hier die fogenannten Todtenfleden, die
auf den aͤußern Drud verſchwinden, allmälig aber wieder
erſcheinen und eine Ergiegung außerhalb der Gefäße jis
gen. Auch in innen Organen, Lungen, Leber, Darm⸗
kanal u. f. w., ſenkt fi) das Blut nach den tiefen Stil:
len. Allmaͤlig erfaltet ber Leihnam und nimmt erft langs
fam, gemeintglih erſt 15 — 20 Stunden nach dem Tode,
die Zemperatur des ihn umgebenden Mediums an. Ber
ſchieden ift dies jedoch je nach den, dem Tode vorange
benden Krankheiten, nach Jahreszeit w. f. w. Die aͤußem
Theile erfalten am früheften, und zwar zuerft Haͤnde und
Süße, Lippen, Naſe, Schultern, Knie, dann Lelften, Ads
ſelgruben und Nacken; hierauf erft die Rumpfhoͤhle, und
zwar zuletzt bie Segend Über und unter dem Zwerchfele.
Die voäßeigen Theile des Kötpers verbünften, ſodaß man
fie in der Kaͤlte in Form eines Dampfes von ber Obers
Häche und beſonders aus den Dffaungen der Schleimhäute,
.am ſtaͤrkſten aber aus der geöffneten Bauchhöhle auffteis
gen fieht. Der Leichnam nimmt dadurch an Volumen
und Gewicht ab, die Haut wird trodener und bie der
Oberflaͤche nahen Fluͤſſigkeiten zaͤher. Auch das Blut
wird 24—36 Stunden nah dem Tode didlicher und
dunkler, fodaß es, befonders an tiefer liegenden Steilen,
eine fchwargothe, ktumpige ober falzige Maſſe darſtellt.
Die Hompaut des Auges wird weißlich, die Fluͤſſigkeit
deſſelben trübe und die Pupille mehr fhwarzgeau. Auch
Die ferdfen Haͤute verlieren ihre Durchfichtigkelt. Gegen
das Ende diefes Zeitraums fangen auch die organifchen
Flaſſigkeiten an ſich zu fcheiden und duch die Wandun:
gen durchzuſchwitzen; namentlich bringt bie Galle durdy
die Gallenblafe in das benachbarte Zellgewebe, wäßtige
Zeuchtigkeit in die von feröfen Häuten gebildeten Höhlen,
Blut durch die Gefäßwände in die Subſtanz der Dr:
gane u. f. w., wodurch ferdfe und blutige Infiltrationen
entſtehen.
Alle dieſe Erſcheinungen treten in allmaͤliger Folge,
nie zugleich auf, ja es muß aus manchen Umſtaͤnden ge⸗
folgert werden, daß das Leben nie in allen Theilen zu⸗
gleich erliſcht, ſondern daß, waͤhrend es in den Central⸗
organen bereits aufgehoͤrt hat, es noch in einzelnen Re⸗
gionen fortglimmt und ſich in einzelnen, unzuſammenhaͤn⸗
genden Erſcheinungen kundgibt. So dauert nach erloſche⸗
ner Bewegung die Faͤhigkeit der Muskeln, ohne durch un⸗
gewoͤhnliche Reize zu Bewegungen veranlaßt zu werden,
noch eine Zeit lang fort. Prochaska ſah die Muskeln
bei einem menſchlichen Leichname eine Stunde nach dem
Tode noch zittern und bei Reizung ſich zuſammenziehen,
und Autenrieth ſah den mehre Stunden nach dem Tode
abgefchnittenen Fuß eines an Lungenfuht Verflorbenen
auf gafvanifche Reizung fih bewegen. Diefe Reizbarkeit
erlifcht aber in manchen Organen früher, in andern ſpaͤ⸗
ser; nah Noften zuerft in den Arterienkammern des Her:
zens, die die meiſte Muskelkraft befigen, dann in den will:
Lürlichen Muskeln, hierauf im linken und zulest im rech⸗
ten Venenſacke, deſſen Lebenskraft noch durch das Zuſtroͤ⸗
men des Blutes von ben Hohlvenen aus erhalten wird.
Aber auch noch auf andere Weife offenbart fi) das noch)
fortglimmende Leben in muskuloͤſen Organen. Stedt man
ein Stud Fleiſch von einem foeben gefhladhteten Thiere
in den Gehoͤrgang, fo hört man ein NRaufchen, das fich
mit dem gänzlihen Abſterben des Fleiſches verliert, Auch
Starrkrampf und Kinnbadenkrampf dauern zuweilen bis
zum Cintritt der Faͤulniß fort; desgleichen bie periftaltis
fche Bewegung der Gedaͤrme und die Zufammenziehungen
des Uterus, ſodaß man Frauen nod) nad) dem Tode hat
gebären fehen. Aus der Cholerazeit her werden fi) man:
che Leſer noch erinnern, daß einzelne Glieder der daran
Berſtorbenen noch Stunden lang nah dem Tode zudten.
Setöpfte Vögel laufen nod in derfeiben Richtung fort,
die fie zuvor genommen hatten, und gelöpfte Froͤſche fah⸗
ven fort fich zu begatten. Enbtich ſah man Todte ſchwi⸗
gen und Ref. war felbft Zeuge eines Falles, wo man an
mehren Koͤrperſtellen einer weiblichen Leiche noch getaume
Beit nach dem Tode einzeine Schweißtropfen wahrnahm,
bie, weggemifcht, fidy wieder erneuerten. Dan hat früher
diefe, wenngleich filtene Erſcheinung zu den Erdichtungen
gezählt, fie läßt ſich aber ebenfo wenig wegdemonftriren,
als das Wachen der Zähne bei Kindern und das der
Haare und Nägel nach dem Tode.
Der zweite Zeitraum in der Reihe der Verwandlungen,
welche der Leichnam durchläuft, beginnt, wenn anders die
Zemperatur der ihm umgebenden Luft nicht zu hoch fl,
gewöhnlich 12 Stunden nad dem Tode, bei Kindern aber
etwas früher, und zeichnet ficd durch ein eigenthuͤmliches
Phänomen, die Erflarrung aus. Es beginnen nämlich
jest alle Organe ſich zufammenzuziehen; die Haut wird
fefter, das Zellgewobe und die Bänder feſt und wie zus
fammengezogen, Ohr: und Nafenknorpel pergamentartig
fteif, die Eingeweide dichter, Herz und Gefäße enger; das
Bett erflaret, wird talgartig, fodaß, wenn man an einer
Stelle des Körpers, unter welcher Fett liegt, mit dem
Singer druͤckt, eine Grube zuruͤckbleibt, die fich befonders
in der Kälte lange erhält; das Blut in dem Herzen und
Gefäßen zieht fih mehr zufammen, namentlich aber in
den Schlagadern, und in dem linken Herzen, in der Aorta
und in der Lungenvene bilden ſich polppenartige Berinnfel,
Die auffallendfte Erſcheinung aber iſt, daß alle Gelenke
ihre Beweglichkeit verlieren und der ganze Körper fteif und
(änger wird, als er im Sterben geweſen. Die Steifheit
beginnt zuerft am Rumpfe und Haffe, dann an den obern,
endlih an den unten Gliedmaßen, und zwar bei dem
Menſchen gewoͤhnlich 12 Stunden nad) dem Tode, nimmt
allmätig zu, dann wieder ab und verfchwindet nach vier
oder fünf Tagen in derfelben Orbnung wieder, wie fie bes
gonnen hatte. Es ift diefe Erfheinung noch nicht bins
reichend erklaͤrt, jedenfalls aber ift fie eine Hußerung der
noch fortdauernden lebendigen Muskelkraft und hat ihren
Sig in den Muskeln, denn, nad Nyſten, erfolgt fie auch,
wenn die Haut abgezogen ift, ober die Gelenkbaͤnder durch⸗
ſchnitten und die Gelenkfäde entleert oder mit Waſſer ges
fütte find, tritt dagegen nicht ein, wenn die Muskeln
quer bucchfchnitten find, ſodaß die Gelenke nach Durchs
ſchneidung der Beugemuskeln ſtreckbar, nach Durchſchnei⸗
dung ber Streckmuskeln biegfam bleiben. Sonderbar iſt
e6, daß fih die Muskeln dabei in einem ebenfo feften,
verkürzten und verdidten Zuſtande befinden, wie fie es bei
willkuͤrlicher Bewegung find, ohne dag man beshalb bie
Erftarrung der lebendigen Bewegung gieichftellen Eönnte,
denn Augen und Mund öffnen ſich mehr als im erflen
Zeitraume, ungeachtet die aufziehenden Muskeln des Uns
terkiefers mehr Kraft haben als die herabzichenden, und
der Ringmuskel der Augenlider ſtaͤrker ift als der Aufhebes
muskel. Auch hat ein erflarster Muskel, nah Buſch's
Berfuchen, eine ftärkere Cohaͤſion und trägt ein zwoͤlfmal
fchroereres Gewicht ale ein ſogleich nach dem Tode aus⸗
gefchnittewer; wird aber die Erſtarrung durch dußere Bes
malt überwunden, fo kehrt fie nicht wieder; wird ein ſtar⸗
0 ‚Stud mir Mendit- subagen,. eber din gebegenes ge:
ſiredt, fo ieibt es bewaglih.
So lange die Staerheit dauert, bemerke man nmoch
Beine Faͤulniß. Mit ihr beginnt der dritte Zeitraum; alle
noch an deu Proceß des Lebens ſtreifenden Erſcheimmgen
nun, denn obſchon die allgemeinen Bedingungen
derſelben, Waſſer, Luft und Wärme, mit denen des Les
bens ibdentiſch find, fo iſt fie doch ein rein chemiſcher Vor⸗
gang, durch welchen Form und Structur des organiſchen
Körpers zerſtoͤrt und er ſeibſt dem amorganifchen Reiche
hingegeben wird. Die nähere Betrachtung dieſes Proceſſes
bleibt hier ausgeſchloſſen, da es uns mur zunaͤchſt um ein
treues Bild der dem Leben näher ſtehenden und dem Les
ben im latenten Zuſtande verwandten Erſcheinungen zu
chun fein mußte, die Faͤulniß aber als die Grenzſcheide
enzufehen ift, mit welcher ber eigentliche Tod, ber Übers
gang des Leibes in die allgemeine Form der Materie, der
Eiemente, beginnt.
Man folite meinen, bei einer ſolchen Mannichfaltigkeit
von Merkmalen des Todes, wie wir fie oben in ihren
Grundzügen aufgeführt, koͤnnte Aber die Gewißheit deſſel⸗
ben in vorkommenden Fällen ein Zweifel entiiehen und
eine Verwechſelung mit dem lebenden Zuflande müßte
Saum möglich fein. Und doch iſt es fo. Die ausgezeich⸗
netſten Ärzte Älterer und neuerer Zeit ſtimmen darin über:
ein, daß es unter allen angeführten Zeichen bed Todes
Fein einziges untrügliches gibe als die Faͤulniß, und wenn
auch der Kenner aus der Geſammtheit der Zeichen fich
noch vor Eintritt der Faͤulniß von der Gewißheit des eins
getretenen Todes zu überzeugen im Stande fein foßte, fo
vermag er Died doch nur im Verlauf der Zeit und mis
Huͤlfe anzufteliender Verſuche, zu denen bie Gelegenheit,
die rtlichkeit, die Zeit u. f. w. nicht immer guͤnſtig find;
auch find nicht alle Zodtenbefchauer Kenner.
Schon der befannte Zufland, welchen wir Ohnmacht
nennen, gleiht in feinen Außern Erſcheinungen fehr dem
Tode und ſteht ihm auch, feinem Weſen nad, in vielen
Sällen nahe. Dem Ohnmaͤchtigen vergehen Hoͤren und
Sehen, die Muskeln verfagen ihren Dienft und der Koͤr⸗
ger finkt, dem Geſetz der Schwere zufolge, zuſammen, fein
Puls iſt mehr zu fühlen, die Hast, befonders im Geficht,
wird eiskalt und bieih, die Phpflognomie verändert fich
und wird ber eines Todten aͤhnlich, bie Augen fchließen
fich und wenn man fie öffnet, fo führen fie doc, dem
Benforium Leine Außen Bilder zu, die Schließmuskeln
ber Harublaſe und des Maſtdarms hören zuweilen auf
zu wirden, das Athmen, wenn es auch im geringen
Grabe fertdauert, wird body nicht bemerkt, ebenfo daß
Schlagen des Herzend. In einem ähnlichen Zuftande be
barren unter den Thieren bie Winterfchläfer Monate lang;
ohne Zeichen des Lebens, ohne Nahrung, ohne Ausleerun⸗
gen, ohne merkliches Athmen find fie einem Zuſtande bins
gegeben, der dem Tode vollkommen gleich ift umd fi nur
dadurch von ihm unterfcheidet, daß nur ein geringer Grab
von Kreitlauf im Innern des Koͤrpers forsbauert und
daß die Faͤhigkeit, von der zuruͤckkehrenden aͤußern Wärme
Berantweortliger Herausgeber: Heinrio Broddaut. —
wieder ind Leben yisheögerufen zu menbi, voch wicht a:
loſchen if. Obgleich nun der Menſch in Hinſicht fing
organiſchen Baus von dieſen Thieren maunichfaltig ab»
weicht, fo kann er doch durch krankhafte Einwirkungen
in einen aͤhnlichen Zufland von Scheintod verſetzt werden,
ja es koͤnnen bie oben augefiehrten Zeichen des Tobes bei
ihm groͤßtentheils vorhanden fein, und er Tann leben, ſa⸗
wie im Gegentheil bie meiſten fehlen koͤnnen und er dad
tedt fein kann. Neugeborene Kinder kommen zumellen
ohne alle merkbate Zeichen des Athemholens und
Kreidlaufs zur Welt, verharren ‚längere Zeit im dieſem Zu⸗
flande und werben dech wieder zum Leben erweckt. Dem
Ref. gelang es einſt din folches Kind, das bie .
bereitd von ber Mutter getrennt umd als todt bei Gase
gelegt hatte, zum Erſtaunen aller Anwefenden, durch fer
geſetzte Belebungsverſuche wieber ins Leben zuruͤckzurufm.
(Din Bertfegung folgt.)
—
£
Notizen.
Joh. Chr. Gottſcheb gab im 3.1736 feine Ausfuͤhrliche
Redekunſt, geiſtlichen und weltlichen Rednern zu gut” heraus.
Da in derſelben einige Spoͤttereien über ben damals herkoͤmm⸗
lichen homiletiſchen Schlendrian 'unb damit Bufanımenhängenbes
vortamen, fo wurbe ber Berfafler vor ben kurfuͤrſtlichen Kirchen⸗
rath gefobert, um ſich wegen ber visien anftößigen Dinge, bie
ber fludirenden Jugend zum Argerniffe gereichten, zu verant:
worten. Der gelehrte Profeffor wußte darauf, wie ex ferbft
erzaͤhlt, nichts Anderes vorzufchlagen, als baß er alle feinen
Dbern misfälligen Stellen, ja Alles, was von ber geiftlichen
Beredtſamkeit handle, auslaflen wolle. Mit biefer Erkioͤrung
gab man fidh zufrieden unb verbot bie angefchufdigte Ausgabe
nicht einmal, doch mußte Bottfcheb noch verfpredgen, bie neue
Ausgabe dem Dekan ber theologiſchen Facultaͤt zur
figt vorguiegen und in einer alabemiihen Gelegenheissidgrift
die Bemerkung einfließen zu laſſen, dab er es ben Studenten
nicht wiberriethe, auch homiletiſche Borleſungen zu hören. Die
vier fpätern Auflagen ber „Ausführlichen Rebetunft’‘ laſſen die
Kanzelberebtfamteit in der That gang unberuͤckſichtigt.
Eine der Alteften deutſchen Schriften über und für Buͤcher⸗
verbote if gewiß folgendes, 1581 in Wänden mit kaiſerlichem
Privilegium gedruckte Buch: „Tractat Herrn Gabriel Peuthers
beien von Thuron u f. w. Kon verbot unnd auffpebung deren
Bücher unnd Schriften, fo In gemain cne nachthril umnd vers
legung bes gewiſſens, auch ber frumb und erbarteit, ft mögen
gelejen ober behalten werben. Erſtlich bey lebzeiten Kaifer Garis
des V. im Latein beſchrieben, bifer geit aber von wegen des
wercks nugbarteit, in das hoch Zeutich getrewlich und verftenbe
ih tranßferirt.“ In der Vorrede des Überfegers werben zwei
Gattungen ſchaͤblicher Bücher bezeidmet, Romane wie der
wagen“ und der „Amadis von Gallia“ und Euther’s Schriften,
Ba ba m Ann Finger wagt
eht aus brei langen un iligen Dialogen, v op
von gefchmadlofer elepefamteit und breußent auf echt inquik-
toriſchem Zelotismus, der vor Allem die Unfehlbarkeit bes Pap⸗
ſtes lehrt und blinden Gehorſam gegen benfelben verlangt, gegen
Luther und Calvin nicht h genug lossichen Tann unb nehme
bei alle ſchoͤnen Künfte als felswerl verbannt. Das Bud
if Denjenigen zu empfehlen, bie in unfern Zagen mit Girmenes
sung aͤhnlichen Gefchreibfels eifrig befchäftigt find; ihnen mwixb
ohne Zweifel gefallen, daß bier als der kürzefte Weg zu Were
tilgung ſchlechter Buͤcher bad Verbrennen bee Chreider une
empfoßlen wisb. 38.
Drud und Werlag von 9. U. Brochaus in Letpz ig.
mr — On AED —
— — — — — — — -
Blatter
für
literarifhe Unterhaltung.
Über den Scheintod.
(Bortfegung aus Nr. 168.)
Unterwerfen wie die einzelnen Zeichen des Todes einer
aufmerkſamen Praͤfung, fo ergibt fih auch Hieraus ihre
Unficherheit und Truͤglichkeit. Puls: und Herzſchlag koͤn⸗
nen auf längere Zeit dem Singer unfühlbae werben, ohne
Daß deswegen immer ber Tod erfolgt. Bei hyſteciſchen
Dhnmahten koͤnnen fie oft flundenlang vermißt werben
und die Kranken bald darauf wieder friſch und gefund ers
wachen. Bel manden Ohnmachten fühlt man bie ſchwa⸗
«hen Herzbewegungen dann nicht, wenn des Kranke auf
dem Rüden liegt, weil ſich das Herz mehr nach hinten
ſenkt. Manche Menfchen haben fo Meine Schlagadern oder
ide Verlauf an der Handwurzel ift fo ungewoͤhnlich, daß
man ihren Schlag gar nicht fluͤhlt. ef. kannte zwei
fotche Menfchen, bei denen im ganz gefunden Zuſtande an
dieſer Stelle kein Puls zu entdedien war. Berryat berich
tet in der „Histoire de PAcademie des sciences” vom
J. 1748 von einer Stau, bei der aud bei völliger Ber
fundheit und bei der fläskiten Bewegung ober Erhitzung
des Körpers, an keinem Thelle, felbft nit an der Bruſt,
ein Pulsſchlag zu fühlen gewefen fei, aus welchen Grunde
ihe mehre Arzte in Krankheiten aus Irrthum das Leben
abgefprochen hatten. Das Athmen wird bei mandyen bp:
fterifchen Ohnmachten gleichfalls vermißt. Es find Fälle
vorgefommen, wo fich weder eine vor die Naſe gehaltene
Flaumfeder noch eine vor Mund und Mafe gehaltene
Flamme bewegte, nod ein mit Waſſer gefülltes und auf
die Bruſt geftelltes Glas die geringſte Wellenbewegung
verrieth, und doch war das Leben in ſolchen Fällen nur
fatent und fonnte wieberangefacht werden. Daflelbe ges
ſchah bet manchen Echängten und Ertrunkenen, bei denen ber
Athmungsproceß längere Zeit ganz unterbrochen worden war.
Ein noch trüglicheres Zeichen des Todes ift der Dan
ges an Empfindung. Es gibt krankhafte Zuftände, na:
menelich manche Schiagflüffe, Epilepfien, Katalepfien u, |. w.
bet denen alle äußeren Reize, felbfl das Brennen des Koͤr⸗
pers ohne alle Äußerungen von Empfindung angewendet
werden fönnen, und das Leben dauert doch fort. In den
alten Derenprocefien fommen Säle vor, wo Menſchen ge:
gen Stoß und Hieb, gegen Kneipen und Brennen ganz
unempfindlich blieben und fogar unter ben entſetzlichſten
Martern ber Tortur einſchliefen und keine Schmerzen em⸗
pfanden. Der heilige Auguſtin erzählte von einem Prie⸗
| tler, Namens Reſtitutus in Calama, daß er nach Belle⸗
ben füch dadurch, daß er einen Jammerton nachahmte, fo
ben Sinnen entziehen konnte, daß er einem Todten gleich
dalag und nicht nur Kuelpen und Stehen gar nicht
fühlte, fondern audy einmal ohne ſchmerzliche Empfindung
und ohne nachherige Wunde mit Feuer gebrannt wurde.
Man bemerkte auch keinen Athem bei ihm und er ſelbſt
fagte, daß er nur laute Stimmen wie aus ber Ferne
hörte. Bruhier berichtet von einer jungen Kaufmann
frau, die man am dritten Tage beerbigen wollte, daß man
auf Berlangen ihres Mannes derfeiben noch tiefe Eins
fhnitte gemacht und Scheöpflöpfe darauf geſetzt habe.
Nachdem man deren ſchon 25 fruchtlos gefeut und bereits
alle Hoffnung aufgegeben hatte, brachte es endlich ber 36.
Einfchnitt dahin, daß die Frau über Schmerzen fchrie.
Ein Beweis, wie wenig genügend bie neuere koͤniglich
bairiſche Verordnung, nad) welcher jedem Todten ein ties
fer Einfhnitt In die Fußſohle gemacht werden fol, zur
Berhütung des Lebendigbegrabens iſt.
Wie die Empfindung, fo fehlt auch bei manchen
Scheintodten die Bewegung, ſodaß fie Tage fang ohne aße
Lebenszeichen daliegen; ja auch bie dufere Wärme, die ja
andy bei Ertrunkenen und Erfrorenen fehlen kann, ohne
daß fie deshalb unmiderruflich todt find, kann bi zu ef
nem Grade ertöfchen, fodaß dee Körper eine Marmorkaͤtte
annimmt und doch noch Lebensfähigkeit befigt.
Die Todtenftarre beweift ebenfo wenig gegm das noch
fortdauernde Leben. Man Hat Menfchen fich wiebereches
len fehen, die in harten Mintern vie ein Schelt Hof
ftare gefroren waren. Auch folhe, die in kaltem Wafſer
ertrunken find, werden ganz fteif, und doch find darunter
manche wieder ins Leben gerufen worden. Aber auch
krankhafte Zuftände haben eine ſolche Starrheit in ihrem
Gefolge, namentlich, gehört hierher der Starrkrampf (te-
tanus) ; fie ift daher keineswegs ein nur dem gewiſſen
Tode zukommendes Merkmal. Umgekehrt iſt aber auch
der Nachlaß der Muskelthaͤtigkeit, das Herabfinfen der uns
tern Kinnlade, die Unthätigkelt der Schließmuskeln u. ſ. m.
Bein folches Zeichen, denn das erfiere kommt auch bei
ſcheintodten Kindern vor, bie wieder zum Leben kommen,
und ummilltürliche Harn = und Darmausleerungen kommen
auch bei Ohnmachten vor.
Endlich ift auch das Brechen dee Augen ober die Ver⸗
dunkelung der Hornhaut nur ein ſehr ungewiſſes Kenn:
zeichen, und es gibt krankhafte Zuſtaͤnde, bei welchen nad)
dem Tode die Hornhaut noch fo durchſichtig bleibe mie
im Leben. Schon Portal bemerkt, daß bei Erſtickten und
Bei Solchen, die keines langfamen Todes geftorben find, bie
Augen zuweilen noch am dritten Tage nady dem Tode
hell und fogar heller find, als fie felbft im Leben waren.
Selbſt die Faͤulniß, obwol unter allen das ſicherſte
Kennzeichen des wahren Todes, erfodert zu ihrer Unter⸗
ſcheidung in einzelnen Faͤllen große Aufmerkſamkeit und
ſcharfe Sinne, denn auch Geſicht und Geruch koͤnnen ſich
taͤuſchen. Es koͤnnen einzelne Glieder, z. B. in Folge
des Brandes, faulen, ohne daß der Tod im Ganzen ein:
getreten iſt. Die beginnende Faͤulniß reiche daher nicht
immer bin, einen Berftorbenen für wirklich todt zu erklaͤ⸗
een. Schon der große Haller fagt: „Ich halte nicht da»
für, daß bie anfangende Faͤulniß für ein gewiſſes Zeichen
des wirklichen Todes angenommen werden Bönne, da fie
nicht felten fogar im Iebenden, dem Tode nahen Men:
{chen fo vorhanden ift, daß biefer felbft feinen nahen To⸗
dessuftand vorausgerocdhen hat.’
Unfere Leſer mögen hieraus erfehen, daß felbft die Zei:
hen des Todes, die man als die vorzüglichften herausge⸗
hoben hat, keineswegs über alle Zweifel erhaben find und
in uns jede Befürdtung vor dem Wiedererwacdhen im
Grabe zu zerſtreuen vermögen. Andere, weniger gewich⸗
tige, auf deren nähere Prüfung wir uns hier nicht eins
laſſen können, vermögen es begreiflicherweife noch weniger.
Angenommen aber auch, daß die Sefammthelt aller Er:
fiheinungen des Todes die Gewißheit feines Eintritts zu
verbürgen vermöchte, in weſſen Hände würde man in jes
dem einzelnen Falle den Ausſpruch uͤber Leben und Tod
legen können? Doch gewiß nur in die ber Ärzte, und
zwar unter ihnen wieder nur in die der erfahrenfien, ges
wiſſenhafteſten, mit den ſchaͤrfſten Sinnen ausgerüfteten,
umfichtigften. Daß aber eine ſolche Todtenſchau, wenig⸗
ſtens in Heinen Orten nicht ausführbar ift, leuchtet von
felbft ein. Wir muͤſſen daher diefe an die des Faches
wenig oder gar nicht Kundigen, an Wundärzte zweiter
Claſſe, Bader u. f. m. Übertragen. Aber find dieſe zu eis
nem folhen Sefchäfte, was wahrlid Leine oberflächlichen
medicinifchen Kenntniffe erfodert, geeignet? glaubt man fie
abrichten zu können, Das zu fehen und zu erforfchen, was
oft nur dem gehbteften Auge mit Mühe gelingt? Wol
mögen ihre Kenntniffe für gewöhnliche Fälle ausreichen,
aber für diefe find wir gerade ihres Ausſpruchs am wer
nigften bebürftig, fondern wir wollen in folchen Faͤllen
Gewißheit haben, wo die Merkmale ungewiß, täufchend,
wo die Grenzen zwiſchen Leben und Tod ſchwer aufzus
finden find. Angenommen aber auch, dergleichen Leute
wären diefem Gefchäfte gewachſen, fo find fie nicht ein;
mal an allen Orten zu haben, es muß daher die Todten⸗
ſchau auf dem Lande den in den Städten wohnenden
Chirurgen und Badern übertragen werden. Das fcheint
leicht ausführbar, entfpricht aber, wie fi) Ref. aus Ex:
fahrung überzeugte bat, durchaus nicht dem Zweck einer
ſolchen Todtenſchau. Um zu beflimmen, ob ein Verſtor⸗
bener etwa noch im Scheintode liege, muß bie Beſichti⸗
gung ber Leiche ſogleich vorgenommen, um dagegen zu bes
flinnmen, ob die Leiche der Erde übergeben werben darf,
kann fie erſt nach mehren Tagen wiederholt werden, ja
oft reichen dazu mehre Tage nicht Hin, weil die Faͤulniß
fpäter eintritt. ine einmalige Befichtigung iſt daher in
keinem Falle zureicgend, fondern es müffen deren mehre
vorgenommen werden. Kommt der Leichenfchauer zu früh,
fo kann er keine Erlaubniß zur Beerdigung ertheifen,
kommt er zu fpät, fo kann indefien die Faͤulniß ſolche
Sortfchritte gemacht haben, daß fie die Lebenden beldfligt,
ihnen ſchaͤdlich wird und der Leihnam kaum unter Rei:
chenbegleitung zur Erde beflattet werden kann. Die Ber
gltung, die ein Leihenfchauer für feine Mühe erhält, ik
begreiflicyerweife auf dem Lande fo gering, dag man ihm
nit zumuthen kann, feine Beſuche, befonders im Wins
ter, bei fchlechter Witterung und fchlechten Wegen zwei,
drei und mehre Date zu wiederhofen, er kommt daher ein,
hoͤchſtens zwei Mal, ftellt den Beerdigungsfchein aus und
die Sache iſt abgethan; mit weicher Garantie für den
wirklichen Tod des zu Unterfudyenden iſt leicht zu ermeſſen.
Wir leugnen dabei durchaus nicht, daf eine folche Leichen⸗
(hau nicht auch ihren Nugen hat, daß namentlich daburdy
nicht verborgene Verbrechen, Berfäumnifie u. ſ. w. ans
Licht gezogen werden Sinnen, aber vor dem moͤglichen Res
bendigbegraben ift fie Fein binreichender Schuß.
Hätten wir nur ein einziges ficheres Zeichen des ge
wiſſen Zodes oder könnten wir unfern Leichenfchauers es
nen Lebens = oder Todtenmeſſer in die Hand geben, mit
dem fie die verfchiedenen Grade bes noch deflehenden Les
ben& oder beginnenden Todes abmeffen kinuten, wie man
etwa mittel6 bes Aërometers die verſchiedene Schwere agi>
fliger Fluͤſſigkeiten abwägt, fo wäre uns geholfen; Beides
aber gehört noch zu den vielen Dingen in der Welt, die
wir fuchen und bis jegt noch nicht gefunden haben. Ge
dacht und verfucht iſt darüber mancherlei worden; fo bat
namentlich ſchon vor 50 Jahren der Engländer Kite als
Prüfungs : und MWieberbelebungsmittel die Elektricität vors
geſchlagen und fpiterhin Greve und Heidmann dies mit
dem Galvanismus gethan, ja Struve zu biefem Zwecke
einen eigenen galvaniihen Apparat, von ihm Galvanodes⸗
mus oder Lebensprüfer genannt, erfunden, allein die Vor⸗
ſchlaͤge dieſer Männer find ſaͤmmtlich nicht zur allgemels
nen Anwendung gefommen und die Gefchichte der Medi⸗
cin bat fie nur noch gleich alten Waffen in einer Ruͤſt⸗
kammer aufbewahrt.
(Die Bortfegung folgt.)
Zur Gefhichte des 16. Jahrhunderts.
Briefwechſei der beruͤhmteſten Gelehrten bes Zeitalters der Re
formation mit Herzog Albrecht von Preußen. Bei zur
Gelehrten⸗, Kirchen⸗ und politifhen Befchichte des 16. Zaher
hunderts, aus Driginatbeiefen biefer Belt von 3. Beigt.
Königsberg, Borntraͤger. 1841. Gr. 8. 3 Thir.
Durch zufälige Umftände verhindert, in biefen Blaͤttern
das vorliegende Ihäsbare Werk gieich nach feinem GErfdheimen
zu befprechen, barf Ref. vorausfegen, daß baffelbe den Wiänmwern
u Eat. ge Ti.
von hereits binreichend bekannt und als ein veidhhaltiger
—ãâſ Seichichte jenes Zeitalters, defſen Jundgruben noch
immer nicht erſchoͤpft find, beſtens empfohlen ſei. Aber dieſe
angiehende Sammlung von Urkunden und Dentmätern bes ges
ſchon mannichfach für gruͤndliche Geſchichts forſchung erſprießlich
geweſen, an Ranke's Außerung in ber Vorrede zur „Deutſchen
zeugen und den echteſten unmittelbarſten Urkunden auferbauen
werde, und dazu wird auch dieſe Briefſammlung das Ihrige
des Altern, Markgrafen von Anſpach und Baireuth, ſchon im
zwanzigften Lebensjahre Hochmeiſter des Deutichen Orbens ward,
und nachdem er in kräftiger, vorurtheitsfreier Überzeugung . vom
aben möchten.
berühmteften Gelehrten des Zeitalters der Reformation‘, was
jedoch dahin beſchraͤnkt werden muß, daß auch einige minder
berühmte, aber allerdings ausgezeichnete Männer bier auftreten
und bie beiden Koryphaͤen, Luther und Melanchthon, obwol audy
fie mit dem Herzog in Briefwechfel fanden, übergangen find,
aus bem guten Grunde, weil ihre Sendſchreiben an ihn bereits
anderwärts durch den Drud befannt gemacht wurden. Zum beſſern
‚BVBerftändniß der Briefe find denfelben kurze Nachrichten von den
Lebenäumftänden und ber Stellung ihrer Berfaffer vorangefchickt,
die ausgewählten Bragmente ihrer Mittheilungen aber durch
erläuternde Zwiſchenreden bes Deren Herausgebers zu einem
Ganzen verbunden. Die Sendſchreiben felbft, obwol nicht volls
ftändig vorliegend, bieten body ein treues Bild der Denfart und
Beftinnung jedes Einzelnen bat. Die eingewebten Bruchſtuͤcke
aus den Briefen bes Herzogs find nicht minder anziehenb als
die meiften übrigen unb verdienten in vollem Mae nicht nur
aufbewahrt, fondern aud in einem größern Kreife bekannt ge⸗
macht zu werden, wie fie denn als böchft achtenswerthe Zeugnifle
von bem Seelenadel bed erlauchten Herrn erſcheinen.
Man kann nicht ohne bie lebendigſte und freudigſte Theil⸗
nahme ſolche Urkunden des innern und aͤußern Lebens eines
Farſten betrachten, der unter den Stuͤrmen einer tiefbewegten
Zeit, im Kampfe mit mamnnichfach wiberwaͤrtigen Verhaͤttni
im Drange vieifaͤltiger Sorgen und Geſchaͤfte einer ſich ja
geftaitenden Regierung bie hoͤchſten Angelegenheiten bes Lebens
nie aus den Auyen verliert und Muße zu gewinnen weiß, fich
räftig fortzubiiben, mit vielen auswärtigen Gelehrten in regen
Verkehr zu treten, nicht nur ihre bäufigen Zufchriften mit umers
müblihem Wohlwollen zu empfangen unb dem Inhalt berfelben
bie forgfältigfte Aufmerkſamkeit zu widmen, fondern auch in ber
Regel bald und umſtaͤndlich zu beantworten. Bei entfchiedener
Vorliebe für die Theologie bewahrte er hoch ein lebhaftes
Sntereffe auch für andere Wiffenfchaften, bie höchfte Achtung
für gruͤndliche Gelehrſamkeit und erwarb fich felbft ein reiches
Mas von Willen und Einfiht. Wenn er in feiner Hinneigung
zur Aftrologie und in feinem Wohlgefallen an der Rekromantie
und Nativitätöftellung von dem Wahne und den Vorurtheilen
feines Zeitalter abhängig blieb, fo war ihm dieſe Schwachheit
mit vielen acdhtbaren Zeitgenoflen gemein, unb er erbob fich in
anderer Beziehung hoch über den noch herrfchenben Aberglauben.
Dem geläuterten evangelifchen Glauben und bem großen Werk
der Kirchenreformation mit ganzer Seele ergeben, forfchte er
fleißig in der Schrift und feheute die Mühe nicht, weitfchweifige
und fehwerfällige Commentare, auch lateinifhe, ausdauernd zu
iefen. Um das hellere Licht, das ihm aufgegangen war, überall
in feinem Lande zu verbreiten, geündete er mit unermüdlichem
Eifer und mit einer bei feinen eben nicht glänzenden Finanzs
verhältniffen um fo ehrenvollern Munificenz Schulen, auf beren
Gedeihen er, mitten unter vielen Kegierungsforgen, unabläffig
bedacht war, und bie Univerfität Königsberg, der er bid an fein
Ende, duch manche wiberwärtige Erfahrungen nicht erkaltet,
die liebevollfte und thätigfte Vorforge widmete. Um für biefelbe
tüchtige Lehrer und für bie eriebigten Bifchofsfige und Pfarreien
gelehrte und treue Seelforger zu gewinnen, trat er mit fo vielen
berühmten Gelehrten des Auslandes in brieflihen Verkehr, ins
dem er entweder fie felbft zur Annahme der vacanten Stellen
zu bewegen ſuchte ober ihren Rath und Beiſtand zur Berufung
geeigneter Männer exbat.
Diele der ausgewählten Briefe in der Voigt'ſchen Samm⸗
(ung beziehen ſich zumeift auf ſolche Bacanzen, aber fie find,
der Sinförmigkeit deſſelben Gegenftandes ungeachtet, nichts we⸗
niger als langweilig. Denn recht anſchaulich dyarakterificen fie
die Denkart und Gefinnung des Herzogs und der damaligen
Gelehrten. Man kann ſich einigen Unbehagens und Misfallens
nicht erwehren, wenn man immer wieder wahrnimmt, wie fo
viele, faft die meiften berühmten Männer, mit denen ber großs
müthige Kürft in nähere ober entferntere Beziehung trat, fein
Wohlwollen und feine immer bereitwillige Wopithätigkeit in
Anſpruch nahmen, um für fich eine flüdtige Gabe oder größere
Unterftügung zu erbettein ober herauszuloden Zu ihrer Ents
fdyuldigung dient wol die in Folge der damaligen Zeitverhättniffe
oft hoͤchſt befchränkte, drüdende, ja peintiche Cage vieler Ges
lehrten, die Unficherheit ihrer Exiſtenz, die Kargheit ihrer Be⸗
foldung und bei den Theologen insbeſondere der oft rafche
Mechfel ihrer Stellung, ba fie um ber Lehre und bes Bekennt⸗
niſſes willen von Stadt zu Gtabt, von Provinz zu Provinz
getrieben wurden, zumal während ber Interimsftreitigkeiten und
der Religionskriege. Auch ift in Anfchlag zu bringen, baß bas
mals Manches unverfänglich und unanftößig war, wogegen jeht
unfere Anſichten und Gefühle fich firduben. Dod muß man
die Geduld und Dienftfertigkeit des Herzogs, der, wo es irgend
möglich war, nicht leicht die erbetene Hülfe verfagte, wie ex
auch mit unerbetener oft entgegentam, ebenfo fehr bewundern,
wie man den Mangel an zarter Ruͤckſicht und rechtem Ehrgefühl
an mandem ber Gelehrten beklagen möchte. Da legt es ber
eine auf ein vergütdetes Becherlein, der andere auf 00 oder
50 ober auch nur auf 25 Gulden an; einige begehren zur
Herausgabe gelehrter Werke, die bei dem bamaligen ſehr une
volltommenen Zuftande bed Buchhandels nur durch Vertrag mit
einem Buchdrucker auf eigene Koften des Autors in Selbſtverlag
erſcheinen konnten, oder zur Fortſetzung wiſſenſchaftlicher Studien
und Srperimente, ober zur Bettung aus haͤudlicher Verlegen
auch wol zu einem Dausbau ober zur Anſchaffung ber n
fegienden Fenſter in dem neuen Haufe, größere ober kleinere
Unterflägungen, ober ein Darlehn von 100, auch wol 6700 hlx.
und erneuen, wenn die begehrte Entſcheidung verzieht ober nicht
ganz befsiebigend iſt, immer wieder ihre Anliegen mit merk⸗
würdiger Unverfchämtbeit. Der gute Herzog hilft, wo er fann,
verfpricht bisweiten auch mehr als er bei dem ſchwankenden
Zuftande feines Rammervermögens halten kann, und Mancher
muß auf die zugefagte Summe lange warten, fie immer wieber
in Erinnerung bringen, endlich woi auch ganz auf ben Smpfang
verzichten, weil ber gnäbige De war die Zahlung angeorbnet
bat, die Kammer fie aber nicht leiſten kann oder nicht will.
Diejenigen, deren Bekanntſchaft der Dexiog nicht ſelbſt
ſuchte, die er nicht zuerft mit einer Zufchrift begrüßte, bahnten
fi) den Weg zu ihm durch die Bermittelung anderer, ihm
ſchon Befreundeter, am bäufigften durch bie Debication eines
lehrten Werkes, mit dem fie ihn überrafchten. Gr nahm
—*— Zueignungen immer dankbar an, und da ſein lebhafter
und aufrichtiger Eifer für Wiſſenſchaft und Kunſt, feine Freude
an ausgezeichneten Leiftungen und an den Fortſchritten der
Studien nicht ganz frei war von ber Eitelkeit, als Förderer
alles Guten und Schönen, ald Protector der Gelehrten Öffentlich
anerfannt und gerühmt zu werden, fo ließ ex es nicht nur gern
geſchehen, fondern veranlaßte wol auch felbft, daB man Werte,
denen er einen befonbern Werth beimaß, oder die berühmt zu
werben verſprachen, ihm bebicire. So find kaum je irgend
einem andern Fuͤrſten fo viele große und Kleine, erbautiche und
geiehrte, gute, mittelmäßige, auch mistungene Bücher zugeeignet
worden wie dem Herzog Albrecht.
3u manden Schriften aber gab er auch felbft die erfle
Veranlaffung. Denn er nahm, wie an ben aufblübenden Wiſſen⸗
fhaften und an der neuen Geftaltung ber Kirche, ihrer Lehre
und Verfaffung, fo an den theologiſchen Streitigkeiten feiner
Zeit zu lebhaften Antheil, als daß er nisht begierig geweſen
wäre, entweder dad Gutachten der Männer, die ihm vorzügliches
Bertrauen einflößten, zu vernehmen, ober audy fie zu bewegen,
daß fie oͤffentlich für diejenige Meinung ſich erklärten, ter er
ſelbſt huidigte. Dies war befonders bei den Dfiander’fchen
Streitigkeiten der Kal, die ihm ſelbſt fo nahe angingen, fo tief
berührten, fo mannichfach beunruhigten. Diefer ärgerliche Streit
iſt charakteriſtiſch für das Zeitalter. Es war noch ein harter
Kampf na außen zu beftehen, bie Eriftenz ber evangelifchen
Kirche noch fo mannichfady bedroht und gefährdet, ein muthiges
Zuſammenhalten und frieblide WBerftändigung der viel ange:
fochtenen Gemeinden und ihrer Vorſteher das dringendſte Ber
bürfniß; und doc, erhisten fidy die Bemüther, die auf Einem
Grunde, an Einem Werke bauten, fo gar leicht, daB aus einem
Beinen Funken raſch cine große und vermüftende Flamme ſich
entzünbete. Nicht nur eine geringe Abmeichung von dem herr:
ſchenden Lehrbegriff, aucd eine eigenthuͤmliche Geſtaltung und
Sntwidelung des Dogmas, bie mit jenem nicht buchftäblich
übereinftimmte, etwas hinzuguthun oder davon zu nehmen fchien,
ein ungewöhnlicher Gedanke, ein verfängliches Wort regte bas
mals das reisbare Geſchlecht der Theologen, einen oft nur zu
fleiſchlichen Eifer auf und riß Laien mie Geiftiiche zu beftigem
und hartnädigem Widerſtande mit fort. Es war eben eine
Seit allgemeinen und feurigen Kampfes, da benn in tiefents
brannter Kampfbegier bie Waffen gleich ungeftüm gegen Freund
und Feind fich richteten und der Freund leicht ſeibſt als ber
aͤrgſte Feind erſchien. Ofiander's früher Tod verföhnte feine
erhigten Gegner nichts die Wunde biutete und eiterte noch fort,
als Der, welcher bei reblichem Streben, urfprünglich wider feinen
Willen, die Urfache derfelben geweſen, ſchon, allem Kampf ent:
nommen, zu feiner Rube eingegangen war. Sagt man, ber
Herzog hätte ſich in biefe theologilchen Haͤndel nicht miſchen
follen, fo vergißt man, daß es rein unmöglich war, ruhiger
Zuſchauer zu bleiben und daß, zumal in jener Zeit, die am
zuließ, Jeder, per der Dr ber allerdings über ben Parteien
ſtehen unb von ihren Wirren fi frei erhalten follte, fi
wenn er vermittelnd eintrat, body irgend eine entidgiebene Mei:
nung ſich erringen und mit biefer ber einen ober der andern
Partei fi) zuneigen mußte. Daß er ben von ihm berufen,
redlichen, aber ftreitluftigen und eigenfinnigen Anbreas Oſiander
gegen die ungeflümen Angriffe feiner Goflegen in Schut nahe,
das kann ihm um fo weniger zum Vorwurf gereichen, ba er fi
keineswegs zum Richter über den theologiſchen Streit aufwarf,
fondern von beiden Parteien Eiare, unummwunbene Ecklirungen
ihrer Meinung, fowie von auswärtigen Theologen gränkide
Gutachten begehrte und Alles aufbot, um ben geflörtem Kirchen⸗
frieben wiederherzuſtellen. Meint man aber, er hätte, um ben
ärgerlichen, verderblichen Streit gleich im Sntfichen zu unts
brüden, ben Kämpfern alsbald Schweigen gebieten Hr ſo
moͤchte dies mit dem Priacip ber Lehrfreiheit ſchwerlich zu vers
einigen fein. Es iſt nur zu rübmen, daß, während manke
feiner 3eitgenofien, die noch nicht zur evangeliſchen freiheit
binburchgebrungen waren, gern eine paͤpſtliche Autorität fi
angemaßt und widerwaͤrtige Meinungen nicht blos mit hm
wert des Geiſtes, ſondern auch mit ben ſchnoͤden Waffen ver
Snquifition und der Kegergerichte bekaͤmpft hätten, Oerzeg
Albrecht zur Unterbrüdung der Meinungsverichiebenheit und der
ipn tiefbefümmernden Zwietracht feiner Theologen gewaltthätiger
Mittel ſich nicht bebienen mochte.
Es würde fi) der Mühe lohnen und wol mandem Leſer
willlommen fein, wenn wir aus der Schatzkammer, bie bier
aufgethan ift, alleriei Perlen, Gbelfteine und Erzſlufen, von
denen, neben einigem Lofen Geftein und geringhaltigem Metall,
eine reiche Auswahl ſich barbietet, zur nähern Beſchauuag ber:
vorhöben. Wir dürfen aber ben Raum biefer Blätter, vie
vielen und verfcdhiebenartigen Bebärfnifien genügen und das reiche
Gebiet ber neueften Literatur umfaffen follen, nigt mehr als
bilig in Anſpruch nehmen; und fo mäÄflen wir und begnügen,
bon den Gorrefpondenten bed Herzogs unb von bem Inhalt ihrer
Briefe Ciniges anzubeuten, was mehr zum Eefen ber ganyen
Sammlung reizen als es überfihffig machen ſoll.
(Die Bortfegung folgt.)
giterarifhe Anzeige.
KALTSCHFIDT (3. H.), :
oltffändige
PRTIT DICTIONNARE | 45 cn krarkerbnd
francals- allemand et allomand- der franzöfifgen und deutſchen
frangals
I) Tao),
Br a ame na im,
16. Geh. 24 Nor.
Leipzig, bei $. A, Brockhaus.
Diefes Wörterbuch zeichnet ſich vor allen anbern Taſchen⸗
Wörterbüchern durd) Wortreichthum, Töne Autfkat:
tung und einen verhäitnißmäßig Biligen Preis aus. Ducd
bie zweckmaͤßigſte und raumerfparenpfte typographifcge Sinrid.
tung wurde es möglich, faſt die boppelte Zahl der in anbern
ähnlichen Werken enthaltenen Wörter aufgunepmen , fobaß Kalt
ſchmidt 4.8. im Buchſtaben A über 4000 verzeichnet, währen
die bis jegt bekannten Tafchens Wörterbücher Deren Faum 2008
nachweiſen. Da es Überhaupt im Ganzen an 70,000 Wirte
enthält, mithin an Wortreichthum ſeibſt Thibaut übertrifft md .
hierdurch für bie Befiger andere Eoftfpielige Wörterbücher iker
fläfiig macht, fo wird ber Preis deflelben um fo mehr bilig
tendeinen, als auch Drud und Papier nichts zu wänfchen übrig
affen.
Berantwortliher Herausgeber: Heintih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodpand in Leipzig.
nn
———[ u To — — — — —
Blätter
für
(iterarifde Unterhaltung.
Donnerdtag,
15. Zuni 1848.
Über den Scheintod.
(ortfegung aus Nr. 165.)
Hr. Geheimer Medicinaltath Naffe hat uns In der oben:
genannten Schrift ein neues Unterfcheibungsmittel des
Scheintodes vom wirklichen Tod dargeboten. Der Verf.
iſt als guter und fcharffinniger Beobachter befannt und
fein Name hat einen guten Klang in der MWiffenfchaft,
weshalb wir uns doppelt aufgefodert fühlen müflen, ſei⸗
nem Vorfchlag ein williges Ohr zu leihen. Die Gründe,
auf die er ſich fügt, find, wie fi dies erwarten läßt,
nicht aus der Luft gegriffen, fondern haben Gehalt und
Erfahrung zur Baſis. Der Wunfh, ein fiheres Pruͤ⸗
fungsmittel des wahren Todes zu finden, wird aber noch
mehr durch die Lecture feines Schriftchens gefleigert und
Die Trüglichleit aller Zeichen des Todes, tie fie bier von
einem Kenner und tüchtigen Phyſiologen gezeichnet wird,
kann die Furcht vor dem Lebendigbegrabenwerden nur vers
mehren. Er zeigt nämlich unter Anderm, daß bie beiden
Erfoderniffe zum Athmen, einathmungsfähigee Blut und
das Dafein einer zum Athmen tanglichen Luft mit dem
legten Athemzuge keineswegs hinweggenommen werben ;
dag nah dem leuten Athemzuge noch eine beträchtliche
Menge Luft in den Lungen zurüdbleibt, woraus das in
ihnen befindliche Blut einen, wenn auch nur geringen:
heil bes zur Unterhaltung des Lebens noͤthigen Einfluſ⸗
fes ſchoͤpfen kann; daß felbft bei in Waſſer Verungluͤckten
die Daut noch den Saueritoffantheil der in dem Wafler
aufgelöften Luft verzehre; daß die Blutbewegungen, wenn
auch in einem ſchwachen Grade, noch nach dem Stoden
der Herzthätigkeit fortdbauern; daß 10, 15 — 20 Stunden
und zutellen noch mehr dazu gehören, ehe der Körper bei
einer mittleren Xemperatur feiner Umgebungen um 12
Grad von feiner Normalwärme herabfinft, und daß bie
fintende Wärme, fo lange fie fi in der Nähe des nor:
malen Standes hält, noch die Acte, In denen das Leben
Defteht, unterhalten könne; daß, Meffungen bei Verftorbes
nen zufolge, die innere Wärme fi nach dem Aufhören
Des Athemholens und dem Ausbleiben des Pulſes noch
ein paar Stunden lang und barhber in ber Mähe derje⸗
nigen Stufe, die fie bei jenem Aufhoͤren Inne hatte, zu
erhalten pflegt und erſt dann rafcher weiter ſinkt; daß
endiich - Seiftesverrichtungen und Muskelreizbarkeit noch
fortbauern u. |. m.
Altes diefe® dient zur Unterſtuͤtzung unferer obigen An-
nahme, baß das Leben nie in allen XThellen zugfeich er
liſcht, fondern ſtufenweiſe, böchft wahrſcheinlich aber auch
nicht in allen Fällen in derſelben Stufenfolge ber verſchie⸗
benen Organe; es belehrt und aber auch, daß wir bei jes
dem neuen Prüfungsmittel auf der Hut fein müflen, ob es
auch das Leben aller Organe in feine Sphäre einfchließe.
Das Prüfungsmittel unfers Verf. gruͤndet fih auf
Meffungen der thlerifhen Wärme.
Die Wärme, die ber lebende Körper in ſich ergeugt, ent⸗
fosingt aus dem innerflen Lebensorgane, worin Athmen, Bluts
bewegung und Nerventhätigleit in ihm zuſammenwirken; fie ges
bört nicht einem einzelnen heile, ſondern bem Ganzen an; fie
laͤßt fi in einem Theile auffuchen, ber mitten im Körper liegts
fie ift, wenn auch in den dußern Zheilen in fortwaͤhrendem
Schwanken, doch von biefem befto freier, je näber der Drt, an
dem man fie auflucht, bem Herzen liegt; fie kann zu jeber Zeit
zwifchen dem Aufhören des Athembolens und dem Eintritt ber
ausgemachten Räulnißzeichen gemeflen werben, und fest uns da⸗
durch in den Stand, ihrem fortfchreitenden Sinken von Grab
zu Grad zu folgen und fo den Verlauf ber nach jenem Aufhoͤ⸗
zen füch aneinander reihenben Zuftände, und nicht blos das Eude
dieſer Reihe, zu erkennen.
Wo bie innere Wärme in einer Umgebung, bie minder
warm ift als der Körper eines anfcheinend Beftorbenen, von
dem Aufbören des Athemholens an in Ginem fort von Stunde
zu Stunde fintt und damit über 20 Grad binabgeht, da iſt
mon anzunehmen beveditigt, daß wirklicher Tod eingetreten fei.
Als den zum Meſſen ber innern Wärme des Körpers
am beften fid) eignenden Det bedient ſich der Verf. des
Magens. Dos Anftcument, mit weichen bie Meffung be:
werfftellige wird, iſt ein Zilchbeinftab, an deſſen einem
Ende ein Beines Thermometer in ber Richtung des Sta⸗
bes befeſtigt iſt. Die in einer Glasroͤhre eingefchlofiene
Scala des Thermometers geht nur bis 40 Grab. Die
Kugel iſt von einer durchbrochenen Kapfel aus bünnem
Blech umgeben. Für Kinder find Ränge des Stabes und
Größe der Thermometerkugel nach Verhaͤltniß Heiner.
So finnreih nun aber auch biefes ganze Verfahren
erfcheine und fo überzeugend die Zweckmaͤßigkeit deffelben
von dem Berf. dargeſtellt wird, fo laſſen ſich doch dagegen
manche nicht ungegsündete Zweifel erheben. 1) Steht feis
ner allgemeinen Anwendung der Mangel an hinreichender
Erfahrung entgegen. Die wenigen Verfuche, die ber Verf.
an Thieren und an menfchlichen Leichen angeftellt hat,
koͤnnen uns nicht genuͤgen, fie müflen vervielfältigt und
bauptfächlich an Menſchen, die an den verfchledenften To⸗
desarten verftorben, wiederholt werden. So z. B. iſt, nad)
des Verf. eigener Angabe, noch bei keinem Scheintodten,
der an den aͤußern Theilen vor Kälte ſtarr war, die in⸗
nere Wärme unterfucht worden; ebenſo an keinem an
Verblutung Verftorbenen u. f. w. Gerade ſolche Körper
aber müßten vor allen andern geprüft werben. 2) ragt
es ſich, ob mit der inneren Wärme auch alles Leben, na:
menttich das fenforielle, erlifcht. Der Verf. meint zwar,
wie es jich auch nach dem Abſterben des Körpere mit ber
Dauer des Bemwußtfeins verhalten möge, an das erkaltete
Gehirn inne keines mehr gelnüpft fein, allein wir kennen
in das Minimum von Wärme nicht, bei dem noch Reſte
pfochifcher Thätigkeit beftehen können. Ohne Zweifel ver:
hätt ſich dies auch nicht bei allen Individuen gleich.
Kann nit 3. B. in jenen wunderbaren efftatiftifchen Zu:
fländen, von denen neuerlich wieder Enmemofer („Der
Magnetismus im Berhältniffe zur Natur und Religion”,
1842) mehre merkwürdige Fälle erzählt, bei denen auf
Lange Belt das Bebürfnig, Nahrung zu fich zu nehmen,
die Ausleerungen , das Wachſen der Haare und Nägel
gänzlich. aufhärte nnd Fein Puls an der Hand und an
den Carotiden mehr zu fühlen war, ja felbft bei 13 Grad
Kälte Tag und Naht Eein Fenſter gefchloffen werben
durfte, kann da nicht auch bie innere Wärme bis auf eis
nen Grad herabſinken, wo bei andern Menſchen fchon ber
Tod erfolgen würde, und dabei doch die geiftige Kraft
fortdauern? Wiffen wir doch gar nicht, ob überhaupt und
welches Verhaͤltniß zwilchen den pſychiſchen Thaͤtigkeiten
und der Zu⸗ und Abnahme des Waͤrmegrades im Gehirn
beſteht, daher auch die von dem Verf. (S. 56) angeführs
ten Verſuche keine entſcheidende Kraft haben. Sollte ſich
aber auch 3) das Verfahren des Verf. als ſicheres Prüs
fungsmittel des wahren Todes bewaͤhren, ſo zweifeln wir
doch ſehr an ſeiner allgemeinen praktiſchen Anwendbarkeit.
Er ſagt zwar, es mache bei einiger Übung feine Schwie⸗
rigkeit, das Inſtrument dur den Schlund in den Ma:
gen einzuführen, ja das Einbringen beffelben fei fo leicht,
daß, wo ein Arzt fehle, auch ein Michtarzt es verrichten
£önne, allein andere dabei zu berfichfichtigende Umftände und
Gautelen machen uns dies fehr unwahrfcheinlihd. Es muß
jedbesmat bei feiner Anwendung darauf Rüdfiht genommen
werden, ob der Tod durch plögliche Entziehung des Athem⸗
holens, wie Erhängen, Untergehen im Waſſer, Kohlendunft,
oder allmälig dutch Krankheiten, die zur Abnahme der Wärme
vor dem Aufhören des Athemholens Zeit gelaffen haben, er:
folgt feiz e6 muß genau auf die Temperatur ber umgebenden
Atmofphäre geachtet, die Meffungen müffen öfter wiederholt
werden; fol das Inſtrument noch während der fogenannten
Zodtenftarre eingebracht werben, was zur vollen Sicherheit
des zu fällenden Urtheils anzurathen ift, fo muß, damit wäh:
send diefer Starre der Mund fuͤr das Einbringen hinrei⸗
hend geöffnet fei, vor dem Eintritt berfelben ein Stück
Kork oder ein anderer nur wenig nadhgiebiger Körper zwi⸗
ſchen die Kinnladen gefteddt werden u. f. w. Alle diefe
Umftände fodern einen der Sache kundigen Mann, was
unfere Todtenſchauer, namentlich auf dem Lande, nicht
find und wol ſchwerlich je werben, abgefehen davon, af,
wenn fie auch die erfoderliche Geſchicklichkeit dazu erlangen
koͤnnten, fie um ben geringen Lohn, der Ihnen für das
gange Geſchaͤft zu Theil wird, fich nicht zu ſolchen zets
raubenden Verſuchen verfichen würden. In ihren Händen
würde daher die Sache bald zu einem leeren Schlendrian und
zu einem noch unficherern Prüfungsmittel werben als dag Krk:
terium der Faͤulniß, worauf fie bis jegt angewieſen waren,
Dürfte nun aber auch das Naffe'fche Prüfungsmittel
ſchwerlich zu einer allgemeinen Anwendung kommen, ſo bleibt
es doch Immer ein ſehr ſchaͤtzbares Mittel für den Mann vom
Sache. Diefer wird dem Verf. ſowol für die Erfindung als
für die ausführliche und fcharffinnige wiſſenſchaftliche Aug.
führung des Gegenftandes zum Danke verpflichtet fein.
(Der Beſchluß folgt. )
Zur Geſchichte des 16. Jahrhunderts,
(Kortfegung aus Nr. 165.)
Da die Briefe nach den Ramen ihrer Verfaſſer in atphe
betifcher Ordnung zufammengeftellt find, fo beginnt ber originehe
Kaspar Aquila, welcher wegen feines kuͤhnen Eifers gegen
das kaiſerliche Interim verfolgt, mannichfach umbergetrieben, im
Sabre 1560 als Superintendent in Saalfeld flarb. eine
Briefe, beren eigenthuͤmliches Gepräge in ben mitgetheilten Frag⸗
menten etwas verwifcht ift, weit die feltfamen Schnoͤrkel, Rande
loffen, Gitate in manderlei Sprachen, bie gelegentlichen Eins
alle und Abfchweifungen, mit denen er feine Schriften auszu⸗
ftatten pflegte, weggelaffen find, bewähren ihn ats einen glaubenss
eifrigen, einſichtsvollen, reblichen und Fräftigen Mann; fie bes
ziehen fich zumeiſt auf bie Oftander’fchen Streitigkeiten und find
übrigens für bie Gefchichte jener Zeit von geringer Bebeutung.
Johannes Brenz, ber gründlich gelehrte und vielfeitig
ebildete, durchaus tüchtige ſchwaͤbiſche Seformator, ber im
abre 1570 als Propft zu Stuttgart flarb, rechtfertigt durch
feine anziehenden und reichhaltigen Briefe, die über bie wichtige
ften Zeitverhaͤltniſſe und theologifchen Streitigkeiten ſich vers
breiten, ben wohlverbienten Ruhm, weldgen feine Zeitgenoffen
und auch ſpaͤtere Gefchlechter ihm zuerlannt haben. Um des
Snterims willen, bem er entfchieden fich wiberjegte, vom Kaifer
bedropt und verfolgt, aber unerfchroden und flandbaft im Bes
Benntniß ber Wahrheit bebharrend, fand er bei dem Herzoge
Ulrich von Wuͤrtemberg Schus. Auch Herzog Albrecht bot in
feinem Lande ihm eine fichere Zuflucht und ehrenvolle Anflellung
an. Dies veranlaßte zuerft den Briefwechſel, in welchem beide
wanzig Jahre lang, mit immer gleihem gegenfeitigen Vertrauen
fi einander mittheilten und insbefondere audy bie Oſiander'ſchen
Streitigkeiten verhanbelten. Brenz war einer ber Wenigen, die
von dem Herzog nichts begehrten; felbft ein reiches Beiden,
weiches der fürftiiche Gönner für eine willkommene Debication
ihm zufendete, wies er mit ebler Uneigennügigkeit jurüd, ſowie
er auch bie wiederholten, zum Theil ſehr großmüthigen Voca⸗
tionen nad Preußen aus Liebe zu feinem Baterlande und im
Gefühl der Wichtigkeit feiner heimatlichen Stellung abichnte.
Sohannes Bugenhbagen, nad feinem Baterlande audı
Dr. Pommer genannt, der Ordner bes braunſchweigiſchen, ham
burgifchen, tübedifchen, holfteinifchen und bänifchen Kirchenweſent,
geftorben 1558, als Profeffor und Generatfuperintendent ya
Wittenberg, trat in brieflihen Verkehr mit dem Herzog, der
er perföntich kennen gelernt hatte, zunaͤchſt durch
für hülfsbebürftige Stubirende, bie er ber Gnade des su
muͤthigen Fuͤrſten empfahl. Als im Jahr 1547 der Religients
trieg ausbrach und ſchwere Drangfale Wittenberg nahten, lud
auch ihn ber Herzog nad) Preußen ein; ex aber barrte Sett
vertrauend und flandbaft in ber Präfung aus. Seine Brick,
in denen ein ſtarker Glaube und heiterer Ernſt ſich ausfpriht
mn wu. rn y — — — — — —
enthalten intereſſante Notizen über bie Zeitverhaͤitniſſe. Spaͤter
mocqhte eine Weinungsverfchiebenpeit zwiſchen Bugenhagen und
feinem fuͤrſtlichen Freunde eine gegenfeitige Kälte veranlaſſen;
der Briefwechfel warb feltenee, der Herzog aber knuͤpfte ihn
ſeibſt wieder an, hauptſaͤchlich um ein Gutachten im Dflanber'fchen
Streit von ihm — Pa der ehrliche Pommer auch
eimäthig und rüdhaltlos ertheilte.
r —X Camerarius, ber vertrauteſte Freund Me:
lanchthon's. Einer der gelehrteſten Männer feiner Zeit, durch
geöndliche Studien der aiten Glaffiter gebildet, geftorben 1574 als
Profeffor der griechifhen und lateinifhen Sprache in Leipzig.
Sin ebenfo tächtiger Mathematiker wie Philolog, befchäftigte er
fi auch mit ber beliebten Rativitätsflellerei, durch weiche ex
uerft dem Herzog empföhlen ward. Bald aber lernte diefer
beine ausgezeichneten Faͤhigkeiten Tennen und achtete ihn fehr
hoch, fuchte ihn auch für das neue Päbagogium in Königsberg
zu gewinnen. Der Briefwechſel bezieht ſich zunächft auf dieſe
dem Fuͤrſten fehr theure Anſtalt. Nachmals fanden fih in den
Ofiander'ſchen Streitigkeiten, in ben feindſeligen und gehaͤſſigen
Beſchuldigungen, welche Melanchthon's Widerſacher gegen dieſen,
von dem Herzog wie von Camerarius geehrten und geliebten
Mann verbreiteten, und in den wechſeinden Zeitverhaͤltniſſen
immer neue Weranlaffungen zu gegenfeitiger Mittheitung, bie
jedoch keinen neuen Aufſchluß über das kirchliche und politifche
Leben jener Zeit enthält. ,
Sohann Carion, Profeffor der Mathematik in Frankfurt
a. d. O., guiset am Hofe Kurfürft Joachim's I. in Berlin, wo
er ſchon 1537 in noch jugendlichem Alter ſtarb. Der Ruhm,
den er durch die Aufftellung von NRativitäten, Revolutionen
(im aſtrologiſchen Sinne) und Prognoftiten ſich erworben,
empfahl ibn bem Herzog, ber ihn ſehr werth bielt. Ihr Brief⸗
wechfel bezog ſich zunaͤchſt auf dieſe aftrologifdhen Träumereien,
die von beiden ſehr ernfthaft behandelt wurden, nachher auch
auf einige Geſchaͤftsverhaͤltniſſe. As auswärtiger Geſchaͤfts⸗
traͤger des Herzogs meldet Carion dieſem auch manche intereſſante
Rotiz über politiſche Ereigniſſe und eigene Beobachtungen beim
Aufenthalte des Gardinald, Kurfürften Albrecht von Mainz in
Dalle, bei der vom Kurfürften Joachim ihm amvertrauten
Miſſion an den Eöniglichen Hof von Polen unb bei andern Ge⸗
legenheiten. Bitter beklagt er fi, daß man in Polen gegen
ihn als Gefandten fo gar wenig generdös gewefen, da ec nicht
mehr „als 16 Ellen ofen fchwargen Damaft, der nicht über
10 Gulden werth, und nicht einmal vom König felbft, ſondern
von einem der Diener deffelben zum Gefchent erhalten habe’;
darum bittet ex den Herzog, derfeibe wolle ein Brieflein an bie
königliche Majeſtaͤt fchreiben und ihm in forma meliori coms
manbiren: „Was follte es fchaden einem fogewaltigen Könige,
wenn id auch ſchon 100 Ungarifche &uiben von ibm kriegte
und ich weiß, fo es mit Fleiß angezeigt würd, ich bekäme fie.
— — Die Ocdfen ſtehen gar am Berge mit mir; das macht
das Doctorat und mein Bauen, welches ich vergangene Jahr
fchwerlid) in meinem Haufe gethan. D fo ber Gudud anging,
wär id ein Marter: Angfts Frenberrgefelle; bitte E. F. ©.
wolle einen GSteinwurf thun; fo ich etwas riegte, würde es
meinem gnäbdigen Herrn fehr wohlgefallen, auch der Königin;
denn ihre Snaden ift fehr gut mit mir.” Zum Schluſſe kommt
er wieder auf diefe Sache zurüd: „Ich bitte nochmals, ©. F.
@. wolle mir, wie ich im Anfang gemelbet, mit einem Fleder⸗
mäuslein aufs befte bei der Eöniglichen Majeftät zu Polen bes
pätfitch fein, denn hundert Gulden follten mie wohl erfprießti
ſeyn.“ Der Herzog antwortete: er möchte ihm gern behuͤlfli
fein, er vwifle aber nur nicht, wie es anzufangen, ba es am
poinifchen Hofe viel anders zugehe als an andern Höfen. Gr
rathe ihm daher, etwas zu Ehren des Königs zu ediren und
ihm durch einen Deren am Hofe überreichen zu laffen, und das
bei zu erinnern, daß er der Erſte gewefen, ber die Heirath ber
Zönigiichen Prinzeffin Hebwig auf die Bahn gebradht u. f. w.
Johannes Srotus, der geniale Verfaffer eines großen
Theits der „Episiolae obscurorum virorum”, der Bertraute Ulrich's
von Hutten, mit Luther befreundet, exft ein eifriger Foͤrderer
der Reformation und ein Yreund des Lichts, darum auch dem
Herzog Albrecht, der ſechs Jahre lang feines perſonlichen Umgangs
fi freute und ihn ſehr werth hieit, empfohlen, nachmals, ba
er Rath des Cardinals Albrecht in Mainz geworden, wieder in
den Schoos der roͤmiſchen Kirche zuruͤckgeſunken, ein reichbegabter
Mann, aber bem Kampfe ber Zeit nicht gewachſen, enthüllt in
den Briefen an den Herzog feinen Überdruß an den theologifchen
und kirchlichen Gtreitigleiten, die Beſorgniſſe, mit benen fie ihn
erfüllten, und fein lebhaftes Berlangen auf Wiederherftellung bes
tief erſchuͤtterten Kirchenfriedens. Er theilt dem Herzog eine
Geheimſchrift mit, in ber er Eünftig ihm fchreiben wolle. Mit
redlicher Freimuͤthigkeit meidet er im Jahr 1531 dem Herzog
feine Ruͤckkehr zur roͤmiſchen Kirche und motivict dieſen Schritt
duch Gründe, welche den Verdacht, daß er denfelben nur zum
Schein ober in fesftfägstigen Abſichten gethan, nicht zulaffen.
Beit Dietrich, 14 Jahre lang Luthers Zifchaenofie,
Reifegefährte, Mitarbeiter, bis an das Ende ein geliebter und
treuer Freund, ein Mann von Geiſt und Gemäth, Kraft und
Milde, gruͤndlicher Gelehrfamkeit und frommem Eifer, als
Pfarrer an der Sebaldskirche in Nürnberg geflorben nach langen
Leiden im 42. Lebensjahre 1549. Er hatte einen Ruf, weichen
der Herzog an ihn ergeben ließ, abgelehnt, aus Dankbarkeit für
bas ihm bezeugte Vertrauen feine Summarien über bas Alte
Teſtament dem erlauchten Deren dedicirt und bafür ein ans
ſehnliches Geſchenk mit freundlicher Erwiderung empfangen.
Seitdem blieben Beide in ziemlich lebhaften fhriftlichen Verkehr.
Bom Herzog wiederholt zu umſtaͤndlichen Mittheilungen über
kirchliche und potitifche Verhaͤltniſſe Deutfchlands aufgefodert,
berichtet er ihm getreulih, was ihm von bem Golloquium und
dem Reichstage zu Regensburg 1942, von der Kirchenreformation
des Erzbiſchofs von Köln, Graf Hermann von Wied, von ber
Ausbreitung ber evangelifchen Lehre, von dem Heereszuge bes
Kaiſers gegen Jülich, von dem neuen Religionsgeſpraͤch zu
Regensburg 1546, an welchem Dietrich perfönlich Theil nahm,
und fonft über bie beutfchen Kirchenangelegenheiten fund ges
worden. Die Briefe find fowie die Antworten des Herzogs
fehr intereffant. Diefer bewies au nad Dietrich's fruͤhem
Tode der Familie deſſelben tröftende und huͤlfreiche Theilnghme.
Johann Draconites (ODrach), ein Mann von ausgezeich⸗
netem Talent und großer Gelehrſamkeit, aber von unruhigem
Geiſt und wunderlihem Wefen, nahte dem Herzog zuerft mit
der Darbringung bes erften Theils feines Buches, „Aller Ver⸗
beißungen Figuren und Geſichte““, wofür ihm ein Dankfagungss
fhreiden und 20 Thir. überfendet, aber, wie man fpäter ents
dedte, von einem Gollegen unterfchlagen wurbe. Nachdem er
mebre Amter bekleidet, von benfelben aber vertrieben worden
oder freiwillig geſchieden war, berief ihn ber Herzog zur Präs
fidentfchaft des Bisthums Pomefanien. Gr nahm mit Freuden
ben Ruf an, zögerte aber lange, das Amt anzutitten, bat,
nachdem er nur kurze Zeit baffelbe verwaltet hatte, um Urlaub
zur Vollendung feines großen Werks, bie , Biblia pentapla‘,
kehrte auf wieberholte Auffoderung nicht zurüd, begehrte aber
immer wieder die Auszahlung feines Gehalts und Unterflügung
zum Druc feines Eoflfpieligen Unternehmens, warb endlich vom
Herzog des Amtes entjegt und flarb in Wittenberg 1566. Der
Briefwechfet zwifchen Beiden bezieht fi nur auf bie angedeu⸗
teten Berhaͤltniſſe und iſt übrigens unbebeutend.
Paul Eher, Melanchthon's geliebter und treuer Freund,
Berater und Gehuͤlfe, vielfältig gebiibet, neben ber Theologie,
Phitofophie und Philologie auch Mathematik und Afteonomie
zu lehren tüchtig, geftorben 1568 ats Profeffor, Generalfuperins
tendent und Pfarrer an ber Stadtkirche in Wittenberg. Geine
Briefe enthalten Gutachten über Gelehrte, weldye ber Herzog
zu berufen beabfichtigte, Nachrichten über Melanchthon und bie
theologifhen Streitigkeiten ber Zeit, auch über bie Grumbach'⸗
(hen Haͤndel, Rechtfertigung ber wittenberger Theologen gegen
die Berunglimpfung und Berbäcdhtigung ihrer Rechtglaͤubigkeit,
Berhanblungen über das Bemühen des Fuͤrſten, ihn auf einige
Zeit Beratung über die kirchlichen Angelegenheiten nad)
Preußen zu sieben, wozu ber Kurfärft von Sachſen bie Eins
willigemg agte. Der Herzog bewies ihm beftänbiges Ber⸗
trauen und Wohlwollen und erfreute ihn wieberholt mit ans
ſehnlichen Geſchenken.
Leonhard Fuchs, einer ber berühmteften und tächtigften
Arzte feiner Zeit. Der Herzog fuchte ihn als kLeibarzt für den
König von Dänemark zu gewinnen. Buchs widmete und fenbete
ihm einige Schriften und nahm feine Unterflügung zur Heraus⸗
be eines großen lateiniſchen Werkes mit Abbildungen in Ans
Pen ‚ ftarb aber 1566 als Profeffor der Mebicin in Tübingen,
bevor fein Geſuch erfüllt werben konnte.
Beora Hartmann, ein genlater Mechanikus, den aus⸗
ete Kenntniß in ber Mathematik und Phyſik in den
Stand festen, Werke zu liefern, welche in feiner Zeit Bewun⸗
derung und Staunen erregten. Seine Briefe tragen das lebhafte
Golorit des unermüblichften Eifers; er lebte und webte in feinem
frei gewählten Berufe, der ihm viele Auszeichnungen, auch bei
Kaiſer und Königen, body nur Large Unterflügung gewann.
Aber auch mandge intereffante Zeitung von kirchlichen und welts
Uchen Händen theilte er dem Fürften mit, ber ihm für feine
Aftroiadien, Quadranten, Horotogien fuͤrſtlich belohnte und auch
ihm bethätigte, wie freudig er an wiſſenſchaftlichen Beftrebungen
Theil m
Kaspar Hedio, einfreimäthiger und ſtandhafter Bekenner
der evangeliſchen Wahrheit, ausgezeichnet als Theolog und
Hiſtoriker, wie als Seeiſorger, ſtarb 1552 als Profeſſor der
Tyheologie und erſter Pfarrer am Muͤnſter zu Strasburg. Die
Überfendung feinee Ausgabe der Homilien bes Ghryfoflomus,
wofür ber Herzog ihm 100 Dukaten ſchenkte, leiteten den mehr:
jährigen Briefmechlel ein. Ginen Ruf nach Preußen Iehnte er
jna: ab, fein fürftticher Gönner aber bewahrte ihm daß tieuefte
oblwollen und Bertrauen und Iub ben hochgelehrten Dann
immer wieder ein, ihn „mit feinen Briefen zu befuchen”. Diefe
Briefe gehören zu ben reichhaltigften ber vorliegenden Samm⸗
lung; fie liefern manche intereffante Notiz und ein anziehendes
Detail von den kirchli und politifdden Verhaͤltniſſen aus ber
3eit von 153946
Juſtus Jonas, ber Ältere, der mit Recht gepriefene Mit⸗
arbeiter an dem großen Werke der Reformation, Profeſſor der
Theologie in Wittenberg, fpäter Paſtor in Halle, von bort
vertrieben, Hofprebiger in Koburg, enblid Superintendent in
Eisfeld, wo er 1555 flarb. Der Herzog hatte auf feiner Keiſe
in Deutfchland ihn perföntich kennen gelernt und bat ihn nady
ber um ausführliche Nachricht Über Luther's letzte Lebenstage.
Später wandte Jonas, aus Halle durch den Krieg vertrieben,
lange unflät herumwandernd, in großer Bedraͤngniß Huͤlfe
bittend, fi) an ben großmüthigen Zürften; welchen Erfolg dies
gehabt, findet fidy nicht aufgezeichnet.
Juſtus Jonas, ber Jüngere, bes Borgenannten Sohn,
nicht karg begabt, aber unftäten, projectreichen Geiſtes, eitel
und hoffahrtig, woburd feine guten Eigenſchaften verbunfelt
und Biele ibm Feind wurben. Gr hätte als gelehrter Jurift
viel wirken konnen, aber er zog es vor, als Agent und Bots
fchafter mehrer Bürften Anſehen, Ginfluß und ein günftiges
2008 zu erfireben. In Wittenberg, wohin er von Leipzig fich
wendete, ließ ihn bie juriftifche Yacultät nicht auffommen, weil
er fie durch feinen Duͤnkel verlegt haben mochte. Sein ganzes
Erben war eine Kette von Sorgen und Nötben, immer wieber:
kehrenden Geldverlegenheiten, Planen und Anftrengungen, ſich
Hülfe zu ſchaffen; trot feiner Eitelkeit fchämte er ſich nicht,
um Hülfe zu betteln, oft ſehr zubringlich und ungeflüm. Dies
erfuhr hefonders ber großmüthige Herzog Albredht, dem er ſchon
duch feinen chrwärbigen Water empfohlen war und in beffen
Gunſt er fich einzufchmeicheln wußte. Zehn Jahre lang (feit
1557) ſtand ber allezeit gefchäftige und bienflwillige, aber auch
ſtets bebürftige und begeprliche Jonas mit feinem erlaudgten
Gönner in ununterbrochenem Briefwechfel, dem feine Thaͤtigkeit,
fein meiſt gefundes Urtheil, feine Erfahrungen, feine Verbin⸗
dungen mit Gelehrten und an verfdpiebenen Höfen mannichfachen
Heiz gewährten. Was ber Derausgeber daraus mitgetheilt hat,
bas ift Alles ebenfo anziehend, zum Theil für die Zeitgeſchichte
ergiebig, wie charakteriftifch für ben Werfaffer, dem man mie
herzliches Witteid verfagen kann und von dem man bodh eine
günftigere Weinung gewinnt, als fonft wol über ihn verbreitet
fein mag. Durch fein amtliches Verhaͤltniß zu bem Herzog vor
Gotha in bie Grumbach'ſchen Händel verwidelt, wentgftens der
Theilnahme an benfelben verbädtig, ward er auf Befehl des
Kurfärften von Sachſen eingekerkert, zwar auf hohe Berwen-
bung wieder freigelaflen, aber nach Groberung ber Stadt Gotha
in Kopenhagen, wohin er fidh geflüchtet unb wo er alsbalb eine
Anftelung erhalten hatte, verhaftet und nad kurzem Proceß
1567 enthauptet.
Georg Major (Meier), der fromme unb gelehrte Freunb
und Mitarbeiter Luther’s und Melanchthon's, geſtorben als
Profeffor der Theologie und Gchloßprebiger in Wittenberg 1574,
war für ben fuͤrſtlichen Gönner ber Gelehrten, vornehmlich ber
Theologen, ein zu wichtiger Dann, als baß ex mit demſelben
nicht auch in Verbindung hätte treten follen. Gingeleitet warb
biefetbe 1547 durch Major, welcher feine erbaulicdye Bearbeitung
ber Pfalmen dem Herzog zufendete unb ihm zugleich ankänbigte,
daß er ihm feine Homilien über ben Römerbrief zu bediciren
beabfihtige- Won daͤuslicher Noth bebrängt , die ihn nie ven
taffen zu haben feheint, freute er fi der SD Gulden, welche er
bafür zum Geſchenk erhalten, und dankte aufs verbinblichkte,
fowie fpäter für anbere Unterflügungen, bie er durch vertrauliche
Darftellung feinee Armuth und WBebrängniß veraniaßte. Die
Interimsſtreitigkeiten, an denen er felbft lebhaften Antheil nahm,
boten immer neuen und reichen Stoff zu brieflidden Mitthei⸗
lungen, in benen fi) auch andere intereffante Radhrichten über
die kirchlichen Angelegenheiten finden, insbefonbere auch über die
Verhandlungen wegen der Theilnahme der Proteftanten am
tridentiner Concilium, und über bie Werfegerungen der Witten:
berger durch Flacius und andere Eiferer. Die Ofianber’fden
Steeitigleiten tonnten in biefem SBriefvechfel auch nicht uns
berührt bleiben.
(Der Beſchluß folgt.)
Notiz.
Eine Anzeige von Victor Hugo’ „Le Rhin‘ im „Quar-
terly review” fließt wie folgt: „Daß eine Saat großer po⸗
litifher und mehr als politifdyer Umgeſtaltungen gegenwärtig
in Rorbbeutfchland keime, ift in hohem Grabe wahrfceintid.
Deutſchland, das Vaterland bes Schießpulvers, bes Buch⸗
drucks und Luther's, Lönnte Leicht wieber die Welt in Gaͤhrung
bringen. Davon find wir überzeugt und koͤnnen bie Wranzofen
überzeugt fein, daß, welche Umgeftaltungen auch beporfichen,
body ftets in Deutfchland Ein Herz und Sinn fein wich, jeden
Hügel, jedes That, jede Stadt, jeben Thurm, woran ſich
beutfche Nationalerinnerungen knuͤpfen, zu vertheibign. Dy⸗
naftien mögen neu zeidte Fa werden, * er
epublik ober ein beutfches Reich möge bilden, {
Macht iſt bin auf deutſchem Boden, bin für immer. Gebald
es geiten wirb, bas Banner bes Arminius zu entfalten, wird
jede @iferfuchht und Nebenbuhlerfchaft zwifchen Fuͤrſt und Kürft,
zwilhen Staat und Staat, zwifchen Bolt und Bolt fi
ſchwichtigen. Dee Deutſche Bund wird burd das Blut des
Feindes gekittet werben, und fobalb die Weifchen ſich erfütnen,
anzugreifen, wird ganz Deutfchland fi in dem Ruf vererine:
„Sie folen ihn nicht haben u. |. w.” Bon Becker's Rhrisiih
wird eine englifche lberfegung beigefügt, wovon wir hier Mir
erfie Strophe mittheiten :
No — they shall never win it,
Our free, our German stream;
No — though like starving ravens,
They Rhine -ward, Rhine- ward ecream.
48,
Berantwortliher Deraubgeber: Heinrich Broddaus. — Drud und Verlag von $. U. Brodpaus in Leipzig.
|
|
Blatter
| | für
literariſche Unterhaltung.
Freitag,
Über den Scheintod.
(Befhluß aus Str. 166.)
| Erwaͤgen wir nun die Unficherheit aller biöher vorge:
ſchlagenen Pröfungsmittel des wahren Todes, fo werben
wir unwilllürlih wieder auf die Einführung von Leichen:
biufern bingewiefen, denn unter allen Zeichen bed Todes
bteibt immer das untrüglichfle die Faͤuiniß, ſonach aud)
| das Abwarten derfelben das ficherfie Schugmittel gegen
das Lebendigbegraben. Brei von allen Mängeln find frei:
lich auch diefe Anftalten nicht. Hoͤren wir namentlich,
was unfer Verf. ihnen zum Vorwurf macht:
Schon die Koften, welche bie Errichtung und Unterhaltung
eines Leichenhaufes, fowie die Befolbung der dabei angeftellten
| Perſonen exrfodert, find ein wichtiger Punkt; nur die Bewohner
| der Gtäbte können eines haben, bie bes platten Landes mäflen
darauf verzichten. Daß die Regierungen überall weldye anlegen
follen, gehört zu den frommen WBünfchen. Es kommt hinzu,
daß Darbietung von Leichenhäufern und Benugung diefer zwei
ſehr verichiedene Dinge find. Es gibt ja Stäbte, in benen man
mit beträchtlichen Koften ein Leichenhaus anlegte und Wärter
und Arzt daber anftellte, in welches aber Niemand ober hoͤch⸗
ſtens alle ein bis zwei Jahre Giger” hineingebradpt wird, weil
J die Kranken ſelbſt es verboten⸗ ober die Verwandten dagegen
find. Und iſt es denn durchaus zu tadeln, wenn liebende Ange:
⸗ hörige Bedenken tragen, -bie Geſtorbenen der Wachſamkeit von
æ Wörtern anzuvertrauen, über deren Berufstreue es Feine Con⸗
EV trole gibt, obſchon dieſe Treue, die Tage und Nächte nicht er:
„s müben foll, in der Rangeweile des Dafitens, in unabwehrbarer
nn Schlaͤfrigkeit und der Leicht entftehenden Meinung, es werde doch
J Keiner wiedererwachen, fo große Verſuchungen zu erleiden hat?
g! Nur die ntafte kann ſich ein folches Haus erbauen, wo nicht
s 6508 bie Maͤchter in der Wachſamkeit auf das Verhalten ber
⸗ Leichen / und der Erhaltung der noͤthigen Wärme Alles thun,
was fe thun follten, ſondern wo auch ber Arzt, wenn das Be:
dürfe feiner ſchnellen Huͤlfe «intritt, fih augenblicklich an Ort
* Stelle ſindet. Daß der Wiedererwachende ſich jedesmal
* drch Bewegungen, durch das Anziehen von Faͤden, bie zu einer
* locke fuͤhren, verrathen werde, iſt eine auf die Unkenntniß ſol⸗
# cher Bälle gegründete Erwartung, wo Scheintobte volles Be⸗
w” > vwubtfein hatten und ſich doch nicht regen konnten. Ja, der
„Jg S MWiedereswachte kann, wenn ber Scheintod in einen der ihm ans
* — Zuſtaͤnde, in Ohnmacht, tiefen Sopor, Starrſucht
us bergegangen, ſchon wieder ſchwach athmen, ohne daß er bie
* Faͤhigkeit, die Gliedmaßen willkuͤrlich zu bewegen, wiedererlangt
bat. Gefährlich ift aber, daß der Verfchiebene wenige Stunden,
nachdem er aufgehört Athen zu holen, von dem Lager, das ihm
für die Erhaltung feiner Wärme fo günftig if, weggenommen,
Daß er wol gar im Winter über die Straße, wo ihm doc bie.
* Athmungswege gegen die kalte Luft nicht verſchloſſen werden
a9 dürfen, gebracht werben ſoll, daß ex, wenn er noch Bewußtſein
bat, es empfinden muß, aus ber Mitte feiner Angehörigen hin
weg unter Leichen verfegt zu fein, daß er in der Atmofphäre
von Berwefenden (denn ſchwerlich kann man doch jeder Leiche
ein eigenes Zimmer geben) ſeibſt mehre Zage lang bleiben muß.
Diefe ganze Zeit wirb nun aber bloß mit dem mäßigen Wars
ten, ob er wieber erwacht oder ob bie Zeichen von Faͤulniß an
ihm merklich werden, hingebracht; erft der Ablauf diefer Probe⸗
zeit fol entfcheiden, ob er während berfelben noch Lebensfähigs
keit hatte, freilich etwas ſpaͤt, wenn es nicht nöthig war, ben
Transport ins Leichenhaus mit ihm vorzunehmen.
Manche diefer Einmwürfe find leicht zu befeitigen. So
find die Koften für Errichtung und Unterhaltung eines
Leihenhaufes gar nicht fo bedeutend, wenn man ſich ftatt
eines koſtbaren Baues eines einfachen Haufes bedient.
Auf dem Lande reihen ſchon ein oder ein paar geräumige
Zimmer in irgend einem Öffentlichen Gebäude hin. Den
Angehörigen, welche ihre Todten nicht fogleich ins Leichens
haus bringen wollen, Tann man ja ohne Bedenken ges
ftatten, fie fo lange bei fich zu behalten, als fie wollen,
voraußgefegt daß dies in einem erwärmten Zimmer gefchieht
und daß fie dann nad Berlauf diefer Zeit doch noch zur
Sicherheit in das Leichenhaus gebracht werden.
Beiweitem gegrünbeter find die Einwuͤrfe hinſichtlich
bee Berufstreue der MWärter, des Mangels an fchneller
ärztlicher Hülfe, der Unzulänglichkeit der Mittel, um bie
leifen Bewegungen eines Wiedererwachenden zu entbeden,
ded Transports ber Leiche im Winter, und gern. geben
wie zu, daß ſelbſt ein woohleingerichtetes Leichenhaus nicht
alle die Bedingungen erfuͤllt, die zur leichtern Wiederbele⸗
bung eines Scheintodten erfoderlich find; aber man vers
geffe nicht, daß es fich ja nicht allein um dieſe Wichers
befebung, fordern hauptfählih um die Verhütung des
Wiedererwachens im Grabe handelt, diefe aber kann, ws
ferd Beduͤnkens, nur durch das Reihenhaus ficher erzielt .
werden. Der Gedanke ift traurig, daß ein Scheintodter
im Leihenhaufe aus Mangel an fihneller und zweckmaͤßi⸗
ger Hülfe dem wirklichen Zobe anheimfallen oder daß ber
Feine Neft von Leben durch den Transport im kalten
Winter vollends vernichtet werden ſoll, aber er kann gar
nicht in Vergleich gefegt werden mit den Schredniffen,
die unfere Phantafie bei dem Gedanken an ein Wieder:
erwachen im Grabe erfüllen. Wir meinen, bie Mehrzahl
der Menſchen wird uns in biefem Punkte beiftimmen.
Daß Viele noch gegen die Leichenhäufer eingenommen find,
liegt theil6 darin, daß man ihnen das echt, ihre Todten
96
noch einige Zeit im Haufe zu behalten, verweigern will,
theils darin, daß man bie Sache noch nirgend mit dem
gehörigen Ernſte angefaßt und befonders da, wo man Lei:
chenhaͤuſer eingerichtet, noch nicht daran gedacht hat, das
Volk über ihre Zweckmaͤßigkeit auf muͤndlichem und ferift:
Ghen Wege zu belehren, endlich auch darin, daß die
Männer vom Fache ſich noch Über die Sache ftreiten und
fo den Laien noch die Wahl laffen, ſich auf die eine oder
die andere Seite zu fchlagen. Alles Neue findet Wider:
fpruch, weit es nicht das Alte fl. Hätten es une die
Engländer nicht vorgetban, wir hätten auch noch ane
Dampfmaſchinen, keine Gasbeleuchtung u. f. w. Vielleicht
lehren fie uns naͤchſtens auch, wie man die beſten Leichen⸗
haͤuſer bauen muͤſſe, und wir, die Prioritaͤt der Erfindung
‚und Ausführung unſerm alten Hufeland wahrend, bauen
fie nad). Karl Hobnbaum.
Zur Geſchichte des 16. Jahrhunderts.
(Beſchluß aus Nr. 166.)
Andreas DOfiander, ber muthige, aber auch freitfüchtige
Eiferer für evangelifche Wahrheit, hatte die erften Funken ber
Erkenntniß derfelben durch feine Predigten zu Nürnberg, als
der damalige Dochmeifter des Deutſchen Ordens dort verweilte,
in der empfängtidgen Seele bes jungen Kürften gewedt und
dieſer war beffen in treuer Dankbarkeit eingedenk. Als Albrecht
in Preußen die kirchliche Reformation, bie zugleich eine politi⸗
ſche war, begonnen hatte, wendete ſich Oſiander an ihn mit der
Bitte, ihm aus Rußland eine vollſtaͤndige Liturgie der griechi⸗
Ken Meffe in getreuer Überfegung zu verfchaffen, weil er ber:
iben zur Belämpfung ber Misbraͤuche in der roͤmiſchen Kirche
bedurfte. Gpäter fand er andere Werantoflung, bie Belannts
fdyaft mit dem Herzog zu erneuern, und näherte fi ihm ims
‚mer wieber, wol nicht ohne die Abſicht, eine Zuflucht in Preu⸗
fen unter den Wirren ber Zeit fi zu ſichern. Endlich aus
Nürnberg vertrieben und unftät umberirrend , richtete ex aus
Breslau, wo er eine bleibende Stätte zu finden vergebens ge:
hofft, an den Kerzog das Befuch um Aufnahme und Anftellung
in feinem Lande. Cie warb ihm ſogleich gern gewährt (1549),
und der Herzog erwies ihm von ba an die hoͤchſte Achtung und
thätigfte Theilnahme. Aber mit feinem Auftreten begann auch
ber hitzige Streit, der ben Reſt feiner Tage verbitterte; er
ſtarb ſchon 1552 ſchmerzlich beklagt von feinem fürfilidyen Sönner.
‚Die mitgetheilten Briefferagmente find nicht von Webeutung.
Kaspar Peucer*), ber reichbegabte und gelehrte Schwie⸗
gerſohn Melanchthon's, als Arzt und Mathematiker ausgezeich⸗
net, in die kryptocaldiniſchen Streitigkeiten vermwidelt, um wel:
cher willen er, ein beklagenswerthes Opfer ber damaligen Ber:
Bitterung der Bemäther, faft 12 Sabre lang (bis 1586) in har:
ter Gefangenſchaft ſchmachten mußte. Er ftarb im boben Al:
ter, als fuͤrſtlich anbaltiſcher Leibarzt zu Defiau 1602. Nach
Melanchthon's Tode fchrieb der Herzog an Peucer einen vor:
treffliihen Troſtbrief und fchenfte ihm und feinem Schwager,
Philipp Melanchthon, die 200 Thaler, welche zu einem Beer
beftimmt waren, mit dem ber gütige Fürft den ihm theuern
Kobten hatte erfreuen vollen. Der oft lang unterbrochene
Briefwechlel berührt einige kirchliche Streitigkeiten und enthält
auch Andeutungen zur Genealogie der Grafen von Zollern, auf
des Herzogs Begehr von bem gefchichtsfundigen Peucer zuſam⸗
mmgetragen.
Erasmus Weinhold, ein ausgezeichneter Mathemati⸗
Ser, Profeffor in Wittenberg, von dort durch die Peft vertries
N) Sein Geſchlecht Hräpt fort in dem jegigen Oberconfiftorials
peäftventen Friedrich Peucer zu Weimar und deffen Söhnen.
ben, farb in feiner Vaterſtadt Saalfeld 1553, erft 42 Zahre
alt. Durch Melanchthon und Anbere dem Herzog ausgezeichnet
empfohlen, empfahl er fi) dieſem auch feibft durch feine gelehr⸗
ten Werke und Genbfchreiben. Letztere enthalten zumeift Rad
richten von feinen wiſſenſchaftlichen Arbeiten und Gefſuche um
Unterftößung, deren er bei einer ſeht kargen Beſeldung, bei der
geringen Anerfennung unb der noch geringern Entſchaͤdigung,
welche den mathematifchen Studien zu Theil ward, für ſich und
feine Bamitie bedurfte. Gr fand an dem Herzoge einen allezeit
willigen, aber nicht immer vieloermögenden Geber und empfing
von Zeit de Seit freilich nicht ausreidyende, doch ehrenvolle Ge:
ſchenke. begehrte aber vornehmlich die noͤthigen Mittel zur
Verausgabe eines großen aſtronomiſchen Werks, dem er mit
wahrer Begeiſterung und Selbſtaufopferung ſich hingab, nament⸗
lich der Tabellen ber Himmelsbewegungen, weldye zu Ehren des
großen Kopernicus und des Berzogs unter dem Zitel „Tabulae
Prutenicae‘' erfcheinen follten. Giner feiner Freunde beutete
dem großmüthigen Fürften an, daß er wol auf eine Beifteuer
von I000 Guiden fi) Redinung mache; man babe ihm zwar
gerathen, das Werk dem Kaifer zu bediciren und den Titel
„‚Tabulae Caroline” zu wählen; er wolle es aber Lieber zu
Lob und Ehre des erlauchten Herzogs von Preußen „Tabulae
Prutenicae” uᷣberſchreiben. Der Herzog antwortete: „Wir har
ben hiebevor Reinholden ſchon nicht wenig Huͤlfe geleiftet, und
folches um des gemeinen Gutes und ber Fo ber loͤblichen
Künfte willen gerne gethan, wolltens auch noch in allem Thun⸗
lichen unbefchwert fein. Weit wir aber mit merklicyen und ſehr
vielen Ausgaben ſonderlich zu biefen Zeiten beladen find, Eönnen
wir unferer jegigen Gelegenheit nach Magifter Reinhoid's An:
foberung, die allzu Hochgeflellt ift, nicht willfahren.” Um aber
das Vorhaben nicht gehindert gu fehen und um zu zeigen, „daß
wie die Künfte lieben, find wir dahin entichloffen: wo ihm ned
mit 500 Gulden zu betfen ift, welche auf kommende Zeit und
Termin an gewiſſen Orten geliefert werben follten, wollten wir
ihm ſolche in Gnaden reichen Laffen, des Verhoffens, weil wir
mit dem, was zuvor gefchehen, und mit biefen 500 wol volle
1800 Bulden auf Reinholden wenden, er werde in Betracht ob⸗
gemetdeter unferer jetzigen Gelegenheit bamit zufrieden fein”.
Reinhold erwiberte, er zweifte nicht, dab, wenn der Freund bie
Sache mit dem Herzog muͤndlich Hätte verhandeln können, Ale
wol weit befier ausgefallen fein würbes „jedoch nehme ich bie
Munificeng des erlauchten Fürften, womit ex freunblidh die SUN
Sulden verfprochen, mit bem banlearften Herzen und ſchu
Ehrfurcht an’. Dann mwänfchte er, tar Herzog möchte fi
wegen laflen, die Summe fofort innerhatı eines Jahres autzah⸗
ten zu laflen, bamit er fie fo beffer für Wine Kinder anlegen
und fein Leben etwas bequemer einrichten Töne. Gr Hoffe auch,
ber Herzog torrde, wie es für die Debication irdend eines treff⸗
lien Werts wöbtiche Sitte der Zürften fei, ihn nd gnaͤbig ber
denten, „ſeys mit einem Kleide ober irgend einer abern Ehren⸗
gabe”. Es fol dabei dem gnädigen Herrn bemerkbe gemacht
werden, daß in deſſen Ramen ihm bisher mehr nicht, WE 222
Gulden gezahlt und außerdem zwei vergofdete Wrinkbedhı über⸗
reicht worden, fobaß er im Ganzen etwa 300 Gulden no, @k.
Durchlaucht erhalten habe. Wan wird dieſe Zudringlickit
‚weniger anftößig finden, wenn man die Roth der Beit und :
fonders den damaligen Zuftand des Buchhandels bedenkt. &
genttiche Verleger gab es nicht, der Schriftſteller fuchte einen
uder zu gewinnen, ber bie Koſten und das Riflco übernapem,
aber in ber Regel Fein Honorar zahlte; ein foldhes warb allein
burch etwaige engefchente für die Dedication und bie mei
tere Berſendung an Rärften und Vornehme erreiht. So ers
Thienen freilich Wiſſenſchaft und Kunſt häufig wie ein Ganb⸗
wert, das nach Brot geht, und auch feiner fühlende Gelehrte
trugen kein Bedenken, fih einen Ehrenfoid von ben Reihen und
Mächtigen zu erbetteln, weil bie Meinung und Sitte ver Zeit
daran keinen Anftoß nahm. Der Drud des Reinhold'ſchen großen
Werks ſchritt langſam fort, wie die Ausarbeitung felbft; enb-
lich fendete der fleißige Dann feinem fürftliden Gönner bie
Debicatienseptiel in Abſchrift, mit der Bitte, them zu melden,
ob fie in ſoicher Waffıng feinen Meifall habe. Dex Derzog war
damit zufrieden und verſprach nun, bie 500 Gulden (den Gut:
den zu 31 Grofchen meißmifch ober unferer preußiſchen Münze
U Großen), vom Erſcheinen des Werks an, innerhalb fünf
ahren erlegen zu laffen, wogegen Reinpold nicht nur die „Ta-
bulas Prutenicae”, fondern a alle andern Werke, die er
nachher auszugeben beabfichtigte, {hm bebiciren follte. Reinhold
Yanlte verbindlidft und nahm das Anerbieten au, „obwol au⸗
derwaͤrts vielleicht auf eine viel reichere Spende zu hoffen ges
weien wäre. Endlich im 3. 1551 konnte Keinhold dem Her⸗
zog ein gedrucktes Gremplar feiner aſtronomiſchen Tabellen, auf
die er faft fieben Jahre gewendet, uͤberſenden, wobei er denn
bat, baß ihm von ben Gulden zu Anfang des naͤchſten
Jahres 200 ausgezahlt werden möchten. Der Herzog dankte
fehe verbindlich und bewilligte die Auszahlung der 300 Gulden.
Reinhold ftarb in großer Armuth, bevor die noch fehlenden 300
Gutden entrichtet werben. Die Bormünder ber verwaiſten Kin:
der, auch bie Yürften von Sachſen, bie Gräfin Katharina von
Henneberg u. A., verwendeten I für die Erfuͤllung ber zuge
fagten Summe: aber die für Nentkammer zoͤgerte, ſodaß
noch im 3. 1565 Reinholb's Cohn den Herzog, deſſen gutmeis
enden Willen feine Finanzen nicht unterfiäßten, um die 2b:
tragung des alten BReftes angehen mußte, Wir verweilten bei
diefem Artikel etwas länger, weil in ihm die Verſchirdenheit je⸗
mes Beitalters von bem unferigen aufchaulich ſich abſpiegelt.
Georg Spalatin, der vielfeitig gebitbete Theolog, Hiſto⸗
riker, Altertbumstenner und Dichter, geftorben als Superintendent
unb Gofprebiger in Altenburg 1545, trat im 3. 1540 in Ber:
rehr mit- dem Herzog, ba biefer ihn bat, ihm „eine vechte und
wahre Abconterfeiung” des faͤchſiſchen Stammbaums, melden
Friedrich der Weife im Gchloffe zu Wittenberg hatte malen
laffen, und daneben „einen gründlichen, klaren, fchriftlichen Bes
zicht, gegen gebührliche Wergleihung” zu verſchaffen. Spalatin
erfüllte des Herzogs Wunſch und empfing bafür einen fhönen
ilbernen Becher. Auch ber Auffoderung, ihm von Zeit zu Zeit
ber bie kirchlichen und politifchen Händel Nachricht zu fenden,
entfprad er und gab zunaͤchſt Kunde von den Religionsver⸗
bandlungen auf dem regensburger Reichstage 1541. Des Her⸗
zogs Einladung, zu ihm nad Preußen zu kommen, mußte er
ablehnen, weil er treu an feinem Zürftenhaufe und Lande hing.
Dagegen bat er gang bemüthig, ber Herzog wolle ihm „fein
und feiner ehelichen Gemahlin Gontrafactur auf einem Tuͤchlein
fammt ihren beiden Wappen, um fie in feiner Lieberei zu ſei⸗
nem ewigen Gebächtniß neben anderer Könige, Fuͤrſten u. f. w.
Gontrafacturen und Bilbniffen zuftellen, auch einft bei guter
Gelegenheit ein wenig weißen Agtftein (Bernftein) fenden; denn
der meiner Lieben Hausfrau und mir durch den Herrn Biſchof
zu Mearienwerber vor zwei Jahren zugefchicte ift mehrentheils
Schwangern und andern Kranken zu Dienſt verbraucht“. Die:
ſem Briefe folgten, che eine Antwort kam, mehre, in welchen
jich Nachrichten über Karls's V. Feldzug gegen Zunis, über bie
fachfiſche Kirchenpifitation, an der Spalatin ſelbſt thätigen Ans
tbeit nahm, über bie Reichstagsverhandlungen in Nürnberg
1542) zur Beſchleunigung der Reichshuͤlfe gegen die Tuͤrken,
er den Kampf ber ſchmalkaldiſchen Bundesgenoffen gegen Her:
8 Heinrich von Braunſchweig, über den Feldzug bed Franzo⸗
den, der den Ramen Christianissimus ebenfo wie ber Papft den
Sanctissimus hat”, gegen Mailand. Beigefügt iſt wieberholt
die Bitte um etwas weißen Agtftein und um bas Gonterfei
des Königs vom Dänemark. Bernſtein fendete ber Herzog mehr
als einmal. Die erbetenen Bilder verſprach er.
Bictorin Strigel, ber gelehrte und wackere Schüler
Luther’s und Melanchthon's, ats Profeffor in Jena durch ben
wüthenden Gifer des Matthias Flacius auf barbarifche Weife
gefangen gefeht, nach drei Jahren zwar aus dem Kerker ent:
iaffen, aber auch dann weder feinem Amte noch bem vollen. Ge⸗
nuffe ber Freiheit wiedergegeben, in Aezis wohin er ſich ge⸗
fluͤchtet, von Armuth und Krankheit bedraͤngt, endlich zur Pro⸗
legentlich, aber vergebtich
feffur ber Theologie berufen, aber auch dort verketert und abe
Wyr enblich Profeffor der Ethik in Seibelberg, wo ex ſchon
flarb. Herzog Albrecht hatte fich mebrjäheig recht anges
bemüht, ibn für fein Land zu gewins
nen, und mit firftlider Muniſicenz ihn untesflügt. Auf eine
Anfrage, ob er eine deutfhe Ausgabe des Neuen Keflaments
mit. Anmerkungen Gr. E. H. bebiciren dürfe, antwortete Al⸗
brecht: „Uns ift es nicht allen nicht zuwider, daß Ihr uns
baffelbe Werk zuſchreibt, fondern wir nehmen es auch, doch
nicht der Meinung, uns feloft andern dhriftlichen hohen Poten⸗
toten damit worzuzichen, don Such zu gnäbigem Willen unb
Dank an, und wollen uns nicht allein gegen Euch hinwieber
dankbar zu ergeigen wiſſen, fonbern fofern wir Etwas in unferm
Vermögen hätten, wodurch ſolch chriſtliches Werk um fo viel
beffer und eher gefördert und ans Licht gebracht werben möchte,
folte au uns und unferm gnäbigen Willen nichts erwunben
werben. Wir wünfdgen daher, Ihr wollet in Cuerm Vorhaben
fortfahren und bei der unterthänigen Gewogenheit gegen uns
bebarren.” Dex Briefwechſel Weider verbreitet ſich faſt nur
über Strigel's Berufung nad) Königsberg und feine perfönlichen
Angelegenheiten, ift aber anziehend als Zeugniß der echt chrift⸗
ten Humanitaͤt bes Herzogs und als Urkunde bes damaligen
Zeitgeiſtes.
Martin Chemnitz, der zufällig zuletzt geſtellt iſt, eis
ner der ausgezeichnetſten und tuͤchtigſten Theologen feiner Zeit,
überiebte den Herzog, mit bem er vieljährig in fehr vertrau:
lichem Verkehr geftanden, um 18 Jahre; er flarb als Buperins
tenbent zu Braunſchweig 3586. Gr hatte in Königsberg feine
Studien fortgefegt, war bort Rector an ber Domfchule und dem
Herzog perſoͤnlich bekannt, audy wegen feiner mannichfachen
Kenntniffe und wadern Beftnnung fehr werth geworben. At
brecht, ber ihn ungern aus feinem Lande fcheiden gefeben, war
unabiäffig bemüht, ihn zurücdzurufen. „Wiewol wie wiſſen“,
ſchrieb er ihm, „daß Ihe Gottlob! bortigen Orts mit einem
guten Dienft, ſtattlichem Unterhalt und reichem Auskommen vers
fehen feid, fo finnen wir doch an Euch mit befondern hohen
Gnaden, Ihr wollet um der Ehre Chriſti willen und uns in
biefem unſerm betagten Alter (da wir Eure Perfon gern um
und bei uns wiſſen wollten) zu gnäbigem Gefallen, auch biefe
von Bott alfo auserfehene Vocation willig angelegen fein Laffen
und bei uns in Dienft eintreten. Wir wollen Such zu einem
ſolchen Amte gebraudgen, welches Euch ruͤhmlich und ehrenvoll
fein fol, und Euch auch einen Unterhalt verordnen und reichen
taffen, woraus Ihr nicht allein unfere Gnade fpüren, fondern
au ein gutes und danknehmendes Gefallen haben werbet”
u. f. w. Da Ghemnig ben Ruf abiehnen mußte, fo wenbete
der Herzog ſich wiederholt an ben Magiftrat der Stabt Braun⸗
fhweig und bat ihn dringend, ihm ben treffiichen Mann und
defien Collegen Mörtin zu überlaffen ; der Magiſtrat erlaubte
aber nur, daß Weide auf einige Monate ſich nad) Koͤnigsberg
begaben, um bem Herzog im Anorbnen des Kirchenweſens bei:
zufteben. Dort erneute ſich das Anbringen, fi) ganz bem Lande
zu wibmen, unb ba fie, dem Magiftrate noch verpflichtet, dar⸗
auf nicht eingeben Eonnten, erſchien gteich nach ihrer Heimkehr
eine herzogliche Sefandtfchaft, an deren Spige ber Hofmarſchall
ftand, in Braunſchweig, um beibe Geiſtliche und den Magiftrat
für die Wünfche des Herzogs zu gewinnen. Die eigenhänbigen
Sendſchreiben deffelben Tann man nicht ohne Lebhafte Theilnahme
und Rührung lefen. Auch die gefammte Landſchaft, bie Stände
Preußens, erließen ähnliche dringende Auffoderungen an die Ber
theiligten. Wirklich bat nun Mörlin um feine Entlaffung und
zog nad Preußen, wo er ſogleich zum Biſchof von Samland
ernannt ward. SEhemnitz rechtfertigte in feinem ebenfo befcheis
denen als berebten Antwortfcdhreiben an den Herzog und die
Stände feine Weigerung mit den triftigften Gründen, bie ber
Herzog anerkannte, ohne auf feinen Plan ganz zu verzichten.
Da Albrecht am 20. März 1568 ftarb, erneute fein Sohn und
Nachfolger, Herzog Albrecht Friedrich, die Werbung bei Chem:
nie, ber aber durch fein Gewiſſen ſich verpflichtet achtete, in
m Amte auszuharren. Gein Antwortäfchreiben iſt auch ein
Per Beugniß feines hellen Geiſtes, tiefen Gemuͤthes und bes
mätbigen Ginnes.
Diefe Andeutungen des Inhalts der reichen Brieffommiung
genügen, Diejenigen, weldye fie noch nicht kennen, auf biefelbe
aufmerffam zu machen, und zu beweifen, daß Hr. Profeflor Voigt
durch ihre Herausgabe ein ſehr achtbares Berbienft ſich erworben
at. Gewiß wird es Niemand bereuen, durch den 40 Bogen
arten Band, ber ebenfo viel Belehrung wie Unterhaltung gewaͤhrt,
ſich durchzuarbeiten. ef. wenigftens bat mit immer gleichem
JIntereſſe das Ganze zweimal geleſen und fenbet dem ‚Deren
Derausgeber Gruß und Dank, bie einzige Müge fich erlaubend,
daß die Schreibart bieweilen etwas nachläffig erſcheint, während
übrigens der Bearbeitung bes gegebenen Stoffe ruͤhmlicher Fleiß
gewidmet ift. 8 A. Koethe.
Bibliographie.
Allen, ©. Be Lehrbuch in Dänemarks Geſchichte, zum
Schulgebrauch. Überfest von &. A. Villaume. Kopenhagen,
Reitzel. Gr. 8 270g
2 r.
Becker, K. F., Ausführliche deutſche Grammatik als
Commentar der Schulgrammatik. 2ter Band. ?te neu bear⸗
beitete Ausgabe. Frankfurt a. M., Kettembeil. Sr. 8. lſter
und 2ter Band 5 Thlr.
Beleuchtung einer von dem Deren Canonicus von Bruch⸗
haufen zu Osnabruͤck am Sonntage nad dem Reformationss
Zubelfefte gehaltenen Gontroverspredigt. Nebft einigen Bemer⸗
tungen zu der Schrift: „Wo ift Lit und Freiheit?“ und zu
den Gontroversprebigten ber Herren Pfarrvicar Thiele, Allen
Seling und Dompaflor Bedimann. Ron einem evangeliichen
Seiftticen im Königreiche Hanover. Jena, Frommann. ©r.8.
Ya Ngr.
De Ehe im Geiſte Ehrifti und die gemifchten Shen. Aus
der ungrifhen Handſchrift des Weltprieſters Horaͤrik. Züs
bingen , Ofiander. Gr. 8. 15 Nor.
Georgi, F., Lehrbuch der Univerfalgefhichte mit vorans
gebender Methobit und fortlaufenden Winken für die Behand⸗
Iung des Gegenftanbes zunaͤchſt in Bürgerfchulen und Gchuls
iehrerfeminarien, fobann aber auch in Gymnaſien. Mit einem
Borwort von H. Leo. iſter Band. tes Heft: nebft vorans
flehendem Beiſpiel fpecieler Behandlung bes Unterrichts in der
Univerfaigefichte, zur Veranſchaulichung der Foberung, daß
derfelbe fein ſoll „die Gonftruction des Menfchengeiftes”. Halle,
Anton. 8. 5 Nor.
Gochring, C., Polen unter ruſſiſcher Herrſchaft.
fen und Gittenfchilberungen aus der neueften Zeit. 3
Leipzig, F. Zleifher. Gr. 12. 2 Thir. 22%, Nor.
Griepenkerl, W. R., Ritter Berlioz in Braunfchweig.
Sine Charakteriſtik dieſes Tondichters. Braunſchweig, Leibrod.
Gr. 8. gr.
Holſt, 3. G., Feierklaͤnge.
Rei⸗
nde.
Sine Sammlung religidfer
I hir.
Gedichte. Flensburg 1842, Gr. 8,
Huber, 8, Lebensbilder. I. Flensburg 1842, 8.
22%NR
2» gt.
Iſt Oſtreich deutſch? Eine flatiflifche und gloffirte Beant⸗
wortung biefer Brage. Leipzig, Weidmann. Er. 12. 10 Ngr.
Köbte, &. F., Über die Reform der proteftantifchen Kir:
chenverfaflung ‚mit befonderer Beziehung auf Würtemberg. Tür
bingen, Oſiander. Gr. 8. 15 Nor.
Lamennais, Amſchaſpands und Darvande. Deutich
von 3. Rudolphi. 2 Theile. Leipzig, Peter. Kl. 8. 2 Thlr.
Leo, ©. F., Gaunerſtuͤckchen der neueften Zeit. Zur Wars
nung und Belehrung. Leipzig, D. Wigand. Ki. 8. 21 Ngr.
Lexikon ſaͤmmtlicher Buchhändler und Buchdruder aller
Länder feit Erfindung der Buchdruckerkunſt bis auf die neuefte
Beit, herausgegeben von 3. ©. St. Schmalg und ©. 8. Vo⸗
gel. Hfte Lieferung. Leipzig, Schmalz. Gr. 8. 10 Nor.
Lbhe, B., Die Miſſton unter den Beiden. Zwei Bu
75 = Belehrung des Volks geſchrieben. Noͤrdlingen, Bet,
v gre.
Orelli, G. v., Spinoza's Lehen und Lehre. Nebſt einen
Abriſſe ber Schelling' ſchen und — Philoſophie. Aavan,
Sauerlaͤnder. Gr. 8. 1 Thlr. W Nor.
Palacky, F., Die Grafen Kaspar und Frauz Ster-
berg, and ihr Wirken für Wissenschaft und Kunst in Böh
men. Vortrag, gehalten in der Versammlung der königlich
böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften am 15. Decem-
ber 1842. Prag, Kronberger und Rziwnatz. Gr.4. 15 Ngr.
Ratisbonne, X., Gölhichte bes heiligen Bernpart.
Aus dem Franzoſiſchen überfeht von G. Reidhing. In 2 Theis
y ter Band. Iſte Abtheilung. Tübingen, Eaupp. Gr. 8,
3 ®.
Rauchenstein, R., Zur Einleitung in Pindar's Sie-
geslioder. Aarau, Sauerländer. Gr. 8. I Thlr.
Rinalbo Hinalbini ber Häuberhauptmann. Romantiſche
Geſchichte. 4 helle. Gte Ausgabe mit 18 Kupfern. Leipzig,
Dienbrack. 8. 4 Thlr.
Roſenheyn, M., J. Zaflo und Rofaura Piretti. Drams
in 9 Acten. Warienwerber 1842, Gr. 8. 232%, .
Die Sagen von den Abentenern Karl’s des Grossen und
seiner Paladine, der Ritter von der Tafelrunde. Aus den
ältesten spanischen Romanzen im Versmasse der Origi
übersetzt von E Brinckmeier. Leipzig, F. Fleischer. Gr. 12.
l Tbir.
Salomon, &., Das verkiärte Bild ber Freiheit. Gin
Kanzelvortrag am Paſſahfeſt des Jahres . Mamburg,
Geber. Gr. 8. 10 Nor. |
Friedrich Wilhelm Joſeph von Schelling. Ein Beitrag zur
Geſchichte des Tags von einem vieljährigen Beobachter. Leip⸗
zig, DO. Wigand. Gr. 8. 2 Thlr.
Schneidawind, B: 3. A., Die Gepdlig: Schlacht bei
Zorndorf am 25. Aug. 1758. 2te Auflage. Neuhatdensichen,
Eyraud. 8. 10 Rear.
Die beutfchen Sieben. Dem ſaͤchſiſchen Volke geweiht von
G. Rechten. Frankfurt a. M., Kömer. Gr. Ler.:8. 5 Rar.
Sophocles’ Antigene. Metrisch übersetzt und mit
Einleitung und Anmerkungen versehen von F. Rempel.
Hamm, Schulz. Gr. 8. 12%, Ngr.
Zoilettens Romane des Ausiandes. Fuͤr deutſche Leferinnen
herausgegeben von ©. R. Bärmann. Ifles bis Ites Baͤnd⸗
den: Zephyrina, die fhöne Zigeunerin. ine merkwuͤrdige Ges
ſchichte, dem Spaniſchen des Don Pebro Maria be Dlive nad
erzählt von &. N. Bärmann. Drei Theile. Braunſchweig,
G. C. E. Meyer sen. Gr. 12. 3 Ihr.
— — Derfelben 4ter und Ster Band: Gine Krone für
Karı den Kühnen buch A. &. G. Zouffaint. Überfeet aus
bem Bolländifhen von Hierunda. Zwei Theile. Braums
ſchweig, G. C. E. Meyer sen. 12. 2 Thir.
Trendelenburg, A., Raphael's Schute von Athen. Ein
Jertzas u afaftlißen Vereine zu Berlin. Berlin, Bethge
x. C B gr. -
Die ariſtokratiſchen Umtriebe, zur Verſtaͤndigung über bie
biftorifch begründete Gliederung der Geſellſchaft. Leipzig, B-
Tauchnit jun. Gr. 8. 1 Zhlr. 15 Nor.
Veuillot, &., Der heilige Rofenkranz in Gedichten unb
Betrachtungen. Aus dem Kranzöfiichen überfegt von E Vogt.
Tübingen, Laupp. Sr. 16. 11%, Rar.
Wahrheiten mit und ohne Schleier. Won einem beutfchen
Verbannten. Paris. 8. 25 Nor.
Weſtermayer, A., Die Fatholifhe Kirche und ihr Pros
felytismus. Hegensburg, Manz. Gr. 8. 11%, Nor.
Weftmorland, Graf von, Erinnerungen aus ben after
Belbzügen des ‚Herzogs von Wellington in Portugal und Spas
nien.. In das Deutſche übertragen vom Gr. ©. v. d. Golf
Berlin, Afher und Comp. Gr. 8. 0 Near.
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brokhaus. — Druck und Verlag von E. A. Brockhaus in geipzig.
1} nr,
wach vor ber politiſchen Kritik ſich nicht ſheuen.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
/
Sonnabend,
Diane. Ein Roman von A. v. Sternberg. Drei
Theile. Berlin, Leſecabinet. 1842. Gr. 12. 4 Thlr.
15 Ngr.
Dieſer merkwuͤrdige Roman iſt ſchon vielfach beſpro⸗
chen; auch von politiſchen Blaͤttern. Man hat ſeine
Stellung zu den großen Zeitfragen uͤber Ariſtokratie und
Demokratie hervorgehoben und ſich auf der einen Seite
geroundert, wie der Verf., den bie Öffentliche Meinung
in ein beflimmtes Parteilager verwies, plöglih einen
Streifzug gegen feine eigene Partei, und mit fo ſcho⸗
nungslofem kecken Humor unternehmen Finnen. Auf
ber andeen bat man ihm vorgeworfen, es fei nur ein
Scheingefecht, und ſtatt das Übel bei der Wurzel anzus
greifen, babe er damit nur cavaliermaͤßig gefpielt. Er
babe die Faulheit der ſocialen Zuftände in ein Licht ges
ſtellt, wie es ein demokratiſcher Schriftfteler, dem bie
Galle überlaufe, nicht vermöge; aber ſtatt mit Eräftigen
Armen fie zu ſchuͤtteln, babe er mit Glackhandſchuhen
aur bie Gardinen und Schleier gelüftee. Unb worauf
endlich Laufe das ganze Treiben hinaus? Daß Alles beim
Alten bielbe unb dee ariftofratifche Held feine Braut
nad) allen möglichen Romanentrübfalen heimfuͤhre. Wir
ſehen e8 als Beinen Fehlgriff an, daß die potitifche Lite⸗
zatue auch von ber aͤſthetiſchen Notiz nimmt unb wie
die Erfcheinungen bes Lebens and, bie ber Dichtung beobs
achtet, kritiſirt und in ihren Kataſtern denſelben einen
Hang anweifl. Keine Erſcheinung des Lebens darf jegt
mehr ifolirt fuͤr ſich daſtehen, fie ift ein lebendiges Glied
bes Geſammtlebens und muß ficy gefallen laſſen, auch
von Solchen beurtheilt zu merben, welche auf einem ganz
andern Standpunkte fichen, als von dem fie ausging,
von dem aus fie betrachtet zu fein wuͤnſchte. Auch bie
Poeſie muß fih das gefallen laffen, auch ihre Probucte
And Producte der Zeit, und fie muß bie Stürme und
Winde ertragen können, von welcher Seite fie auch her:
wehen; fonft ift fie eine Kunftblume, bie hinwelkt. Nas
mentlih aber muß der Roman, in feiner echteften Bedeu:
tung, als Spiegetbild eines, wenn nicht ganzen Nationals
tebens, doch eines großen, foclaten Segmente Veen,
uch
er iſt inficitt von den Gedankenſtroͤmungen feiner Zeit,
oder er iſt eia Unding, eine Mache und Fehlgeburt, bie
daid werlkmemet. Davon if Sein Roman autgefchloffen,
von ber „Schwediſchen Graͤfin“ Gellert's und „Sophiens
Reiſen von Memel nach Danzig“ bis zu den Romanen der
Graͤfin Hahn und der Frau v. Paalzow. Sie alle lie
fern und werden unſern Nachkommen noch mehr liefern
Documente über die geſellſchaftlichen Zuftände der Zeit,
nicht immer der, wohin bee Dichter die Kabel verlegt
bat, fondern derjenigen, in welcher er ſchrieb. Welche
wunderbare Aufſchluͤſſe wird 3.8. „Wilhelm Meifter‘’ den
kommenden Gefchiechtern nicht über das Theater, fondern
darüber liefern, wie der Geiſt ihrer Vorfahren zu Aus⸗
sang des 18, Jahrhunderts fih nur und allein mit bem
scheater, als damaligem einzigen Repräfentanten ihres
öffentlichen Lebens, ihrer Wünfhe und Gedanken bes
ſchaͤftigte.
Aber es waͤre Unrecht, der politiſchen Kritik allein
das Recht einraͤumen zu wollen, Dichtwerke der Zeit zu
beurtheilen, weil ſie der Zeit angehoͤren. Eine aͤſthetiſche
Kritik muß neben derſelben und unabhängig von ihr
eriflicen, wie das dulce neben bem utile, das xaxor
neben bem Ayasov fein felbfiändiges Recht hat. Hier
wollen wir die politifche Tendenz bes neueften Sternberg’s
ſchen Romans aus dem Spiel laffen und einmal nur
bie Afthetifche und pfochologifche Seite ins Auge faflen.
Mertwürdig iſt diefer Roman, abgefehen von feinen Ten⸗
benzen, durch feine Geſtalt, indem er ein echter Roman
im aften Sinne des Worts iſt, einer, in welchem Mens
fhen und Handlungen die Dauptfache, das Ralfonnement
die Nebenfadhe iſt. Ein Roman, nad) dem Generationen
vor uns bürfteten, weit er in buntem Wechſel fpannenbe
Situationen, eine Intereffante Handlung, haarſtraͤubende
Begebenheiten, bange Erwartungen, überrafhende Ent:
widelungen und neben den ernflen tiefen Charakteren
luſtige Seftalten und Auftritte uns vorfuͤhrt. Das iſt
eine abgethane, falfche Art, werben Biele einwenben; wie
find fortgefchritten und eine geläuterte Äſthetik bat uns
gelehrt, dag wir das wahre Intereſſe in Anderm zu
fuchen baben, ale in den Laterna = Magica : Bildern
von imtereffanten Begebenheiten, bie uns vorüdergaufeln
und nichts zuchdiaffen als eine flüchtige Erholung.
Die Aufgabe eines tüchtigen Romans. iſt heute eine
weit andere als zu Kiefbing’s Zeiten. Das iſt fie aller⸗
dings; aber wo biefe Aufgabe fo oft verpfuſcht worden,
barf ans eine gelungene Röfung ber alten Aufgabe, bie
L,
viel einfacher war, einmal erfreuen. Daß Sternberg An:
deres ſchaffen, daß er ſich auf die aͤſthetiſche Höhe der
Zeit ſtelen kann, hat er anderwaͤrts bewieſen, mit Gluͤck,
mit Ungluͤck. Nun faͤllt es ihm einmal ein, von die⸗
fer Höhe: wieder herabzuſteigen und einen Koman zu
fipreiben, was unfese WBäter einen Roman nannten, freis
lich zu einer Zeit, als die Romane für eine gefährliche,
die Phantafie verderbende, Lecture galten und gute Ael⸗
teen fie ihren Söhnen und Toͤchtern aus den Händen
tiffen. Jetzt gibt man fie ihnen allenfalls In die Hände,
dansit fie Menſchen umd Völker, Thaten und Sitten und
Bänder und Meere kennen lernen. Die Romane, welche diefe
kimmung erfüllen, ſtehen Aber die fie
nicht erfüllen, womit füllen fie fih und erfüllen den Les
fer? Beſſer als Wäften zu burchadern, worin auch biefe
Wuͤſten befichen mögen — in unverdbauten Gedanten,
Empfindungen, in Sandmeeren oder in Waſſermeeren —,
auf alte Weile von Stadt zu Stadt, von Wirhshaus zu
MWirchehaus kutſchiren und uͤberall abfleigen, ſich erfrifchen
und erholen. Gol denn daram, weil unfere Romane fich
jegt würdigere Aufgaben ſtellen, der alte Durft aach Un⸗
terhaltung verbannt fein! Ein tendenz⸗, ein bifterifcher, ein
ethnographifcher und geographifcher Roman, der nicht zu:
gleich unterhält, ift und bieibt eine Misgeburt. Warum
foH num wicht ein Dieter, zur guten alten Zeit zuruͤck⸗
kehrend, die Unterhaltumg zur Haupt⸗ und die Länder
und Bölkerkunde zur Mebenfache mahen? Wenn Stern:
berg es nicht ſchon fonft gethan, hier durch den Wurf
allein, durch diefe Caprice hätte er fein Dichterthum bes
wiefen. Ein Dichter, ein wahrer, darf nicht immer wers
haͤngten Zügeld mit dem Winde rennen wollen, er muß
bisweilen den Pegafus zwiſchen die Schenkel nehmen und
ihn auch feitwärts und gegen den Wind vennen lafſen.
Dürftet nicht einen Jeden zumellen nad) dem alten Quell
der Geſchichten aus der Kinderſtube, was foll der Dich
ter den Durſt überwinden! Wir möchten das Wunder:
bare ganz aus der Dichtung verbannen; läßt es fi denn
aus dem Leben ganz verbanmen? Und rächt es fich nicht
fire die ihm widerfahrene Zuruͤckſezung durch ben nicht
zu überwinbenben Sigel nach dem Schrecklichen und Grauen:
haften. Griminafgefchichten lieſt Jeder gem.
Aber die Wahrheit iſt doc, die Hauptſache. Ohne
Zweifel; aber aud) bie Wahrheit läßt fich verfchiebenartig
angreifen und in ein ſehr werfchiedenes Licht ſtellen. Ei⸗
ner gewöhnlichen Kritik wird es nicht ſchwer fallen, im
dieſem Roman „Diane” eine lange Meihe von Verſtoͤßen
gegen die Wirklichkeit und von Unmahricheinlichleiten her⸗
amszufinden. Schon wer in Berlin befanne ift, wird
ſchwerlich vor dem Halleſchen Thore ein Wirthshaus fins
den wie ber in diefem Romane gefeierte Schwan; ſolche
Bierbrauer wie Here Paͤdus, auch die Schwanenwirthin
ſelbſt find ſelten. och weniger moͤchte man in gem
Berlin ein Eremplar biefer Mignon > Diane auftreiben.
Die Fuͤrſten and Furſtinnen in Pommern And Fehr ſel⸗
ten, und «in Eremplar mit ſolchen commponisten Mamen:
Windiſch⸗, Wärbifch:; Gen: uub Ob: Bensheim, weis
qhes den ng über ſchliefe und ‚Die: Nacht bauch zu
Btackpandfchuhen machte, iR in der Nähe vom Kolberg
ebenfo unmoͤglich, als bort in Wahrheit keine Feudal⸗
ſchloͤſſee mit Thuͤrmen und Zugbrüden zu finden find,
weiche bie Ausfiht aufs Meer haben. Die reichen ge
adelten Banklers benehmen fh auch aubers als der new
Gutöbefiger dort, und endlich gehören fo Fe
milienintriguen wie diejenige, auf welcher die Fabel des
ganzen Romans, wie die Thuͤr in der Angel, ſich dreht,
zu den bei unſern buͤrgerlich⸗pollceilich controlirten Verhaͤlt⸗
niſſen aller ungewoͤhnlichſten Vorkommenheiten. Wenn
man dieſen Maßſtab der Wahrheit und Wahrfcheintidy-
keit einmal an ben Roman legen will, fo dient ihm auch
nit zus Repiftstigung, daf
lichbeiten zumeilen wirklich im Leben vorfallen; denn der
Künftler hat nicht die Aufgabe, wenn er den Horthzout
malen will, bie meteoriſchen Erſcheinnugen und feltene
grelle Wolkencompofitionen wiederzugeben , fordern viel:
mehr die Zaſtaͤnde und kLiche⸗ und Gehattenwirkumgen,
wie fie in der Regel da find und ein Klima de
takteriſiten.
Aber muß man denn dieſe Anfoderungen am jedes
Dichtwert fielen? Diefer Roman mit feiner kecken Er⸗
findung will fein Spiegelbild ber wirklichen Zuflände fein.
Dee Dichter will einmal fpringen, er fliegt fogar vom
Blume zu Blume, von der Lille zur Butterblume; ihm
war es gewiß ein Ergoͤtzen, als er ſchrieb, eine Seelen⸗
erholung. ZBIU der Lefer, ber ſich mit ihn ergögt und
erholt, piöglih eine finftere Miene ziehen und fidh fra
gen: was war es denn eigentlich, was bich ergoͤtzte? haft
du auch recht gethan, buch fo cudhalties der Luſtigkeit
hinzugeben, da es doch nur Geifenblafen waren, und du
mußt die gefiehen, daß die gute Mehrtzahl des Geleſenen
weder vorgefallen ift, noch verfallen kana? Es iſt Schade,
fage ih, daß die Kinder niche mehr Selfenblafen ſpielen.
Auch von den Dichters wünfchte ich es, da wir etwas
Abwechſelung in die Monotonie befimen. Im politiſchen
Ernſt ſchreiten auch unſere Dichter unverkennbar vor⸗
waͤrts, aber ein kleines Zwiſchenſpiel thaͤte doch gut, eine
Erholung von der Arbeit. Man ginge wieder um fo
rüfliger nachher daran. Here v. Sternberg bat viel ges
than. eine „Diane“ if ein Produ, in bem er mit
urfprünglicher Laune den Sauerteig bes Lebens, die Hp:
pochondeie der Tendenzen, bie Bitterkeit der Syſtematik
überrounden bat. Und wäre der Roman bdurch und durch
unmwahr, um diefes angenehmen Intermezzo wegen tan
ten wir es ihm vergeben.
Iſt aber die Unwahrheit fo entfchieben ? Das Unwahr⸗
fcheinliche und Unwirkliche kann man freilich mit ben Dänten
greifen, und es faͤllt vielleicht um deshalb noch mehr auf, weil
es bunt vermiſcht iſt mit Scenen aus ber Wirklichkeit, die ges
treu nach dee Ratur copirt find. Was kann man fich Leben⸗
digeres, Wahreres denken als bie Scene in der Poſtkut⸗
ſche, den ſchlaftrunkenen Offizier, dem das Schickſalekind
ia ben. Wagen gehoben wird, und er ſchlaͤft barkbar
ein und hält es firr einen Zramm! Was iſt der ſocialen
Mntur mehr abgeſtahlen als die wirnuntvolle Empfang
freie. im Poſtgebante, bie Fate, welche den jungen fie
Yer Iewilllonmmen? wind Anbrre? Die Poefle geſtattet
diefe Miſchung. Aber fie verlangt body Wahrheit, nur
daß dee Maßfſtab ein anderer ift, als welchen das große,
zichtende Publicum gewöhnlih anlegt. Sie verlangt eine
innere, pfochologifche Wahrheit, weiche uns uͤber die Wil:
kuͤrlichkeiten, die die Phantafie fi erlaubt, hinwegfuͤhrt
und die nicht willkuͤrlichen Verſtoͤße des Talents vergeffen
macht. And diefe Wahrheit ift im der Dauptfache da.
(Dre Beſchluß folgt.)
Bien und Münden.
Eine Parallele.
Mas tft das öffentliche Leben Wiens? Was iſt der Charak⸗
ter diefer Stadt? Alle Tage Sonntag, immer das gebratene
Huhn im Zopf, le peuple s’amuse, ber liebe Bauch die Gott:
beit; ein ewiges Drängen und Sagen nach Vergnügen, baf
man nicht weiß, wo am Ende Alles hinauswill. Cine Öffent:
liche Meinung, mit dem Gewicht und dem Einfluß anderer gros
Ben Städte, gibt es in Wien nicht. Öffentlichkeit findet ſich allen:
falls nur auf der Börfe, wo allgemeiner Zutritt geftattet iſt, und
fo geringfügig die Sache fcheint, Liegt tiefer Ernft darin. Die .
Policinelitheater im Wurftelprater müflen ftil, ohne Dialog, nur
mit Pantomine abgehalten werden. Ich habe die hauptfächlichften
VBergnügungsörter in und vor der Stadt befucht und Anlaß gefuns
den, den vlelgeftaltigen Feſten, die mit Muſik, Theater, Feuers
wert und Ilumination unter pomphafter Ankündigung abgehal:
ten werben, beizuwohnen. Zu Zaufenden waren überall die
Wiener verfammelt, eine anftändige Froͤhlichkeit war über fie
ausgebreitet, und die ftille Behaglichkeit ihres Zuſtandes ſprach
fi in Geſchmack und Gehör am beutlichften aus. Den Tönen
des Orcheſters lauſchte Alles mit rührender Andacht und nach
dem legten Bogenftrich erfcholl das lautefte Bravo, Haͤndeklat⸗
fen und Dacaporufen. In der Yaufe bis zum neuen Tanz
waren die Baden in Bervegung, und wir felbft wurben von ber
Allgemeinheit des Appetits angeftedt. Ausbruͤche der Brutalität
und Gewalt habe ich nie wahrgenommen; bie Gefellfchaft vers
hielt fih in jener ruhigen gelaffenen Stimmung, die weniger
ron dem Princip der Ordnung als von einer Abweſenheit der
Reigung, von einer Unbekanntſchaft feiner Kräfte, von einer
negativen Tugend herruͤhren moͤchte. Der Wiener fcheut das
Außerordentliche, weit er, vom Herkoͤmmlichen beherrſcht, fi
den kritiſchen Momenten im Leben nicht gewachſen fühlt. Wie
überhaupt eine paffive Sinnlichkeit bei ihm voriwiegt, fo fagt
ihm auch eine etwas ſchlaffe Moral mehr zu als PA ar
ſittliche Ernſt. Erſchlaffung der hoͤhern Geiſteskraͤfte, wide
des Willens, Herabſtimmung der perfönlichen Menſchenwuͤrde
und bie Abwefenheit jenes ebein Stolzes, ben das Gefühl geiftis
ger Freiheit gibt, verdunkeln die Lichten Partien des öftreichiichen
Volkðocharakters und Laffen ben Menſchenfreund auch die beffern
Eindrüde nicht ungetrübt genießen. Was ihn tröften kann, ift,
daß jene Flecken nur aufgebrädt, nicht angeboren find.
ür den den tft der erſte Bang in Wien auf die Pos
licet. Es flieht da aus wie in dem vieloerfchlungenen Räder:
wert einer Maſchinenſtube, denn kaum wirb eine Behoͤrde fein,
deren Arbeit umfaffender, meigter und verwidelter wäre.
Man zeigt ben gegen Abgabe des Paffes am Thore erhaltenen
Paſſagierſchein vor, um eine Aufentyaltsfarte zu loͤſen. Bevor
fie ertheitt wird, hat der Frembe folgendes Eramen zu beftchen:
Bas ift der Zwed Ihres Aufenthalts in Wien? Wie large
werben Sie bletben? Gaben Sie die Mittel aus Subſiſtenz und
bei weichem Banguier find Ste accreditirt? Won dem Genann⸗
ten wird noch ein befonberes Zeugniß verlangt. Erſt nach frics
ter Beantwortung biefer Fragen erhält man die Srlaubniß zum
Aufentyatt, mn deren
gefucht werden muß. Es mag Manchem biefe® Verfahren uns
BSertängerung je nad) vier Wochen nach⸗
delicat erſcheinen, und es fei fern von mir, dafuͤr Scha
gu veben. Allein die Beamten, weiche hierin nur ——
ten des Staats vefolgen, ‚trifft Fein axf; denn wenn ſich
ein unangenehmer Auftrag ned in moͤglichſt gefaͤlliger Weife
volfftredten laͤßt, fo kann dies Die Abrige Policei bei Ger oͤſtrei⸗
chiſchen ternen. Ic habe nirgend größere Hoͤftichkeit und Zus
vorkommenheit gefunden. über bie öoſtreichiſche Policei, befou⸗
ders die geheime, ſind ſo viele Fabein verbreitet worden, daß
man meinen ſollte, die eine Hälfte der Menſchen habe nichts
Anderes zu fhun, als bie andere Hälfte auszulundfchaften, zu
benunciven, unb hinter jedem Schritt und Tritt bes Fremden
folge die Spürnafe bes Gpions. Wäre es nicht wegen ber
Ordnung unb Sicherheit, die überall herrfchen, man würde
faum glauben, daß jenfeit der Stabtmauer eine Police, außer
der Grenze, eriftive. England ausgenemmen, gibt es vielleiche
fein Sand, wo bie perfönliche Kreibeit weniger deſchraͤnkt wäre.
Auf bie Volksredner und oͤffentlichen Politiker muß man allers
dings verzichten und als Fremder ſich des Urtheils Aber die Mer
gierung, ihre Syſtem und bie Machthaber, beögleichen eines
Glaubensbelenntniffes, das bem mobernen Franzoſenthum — ums
freitig der ſchlechteſten Empfehlung in Wien — angehört, ent
halten. Shut man das, was hier ja in Mangel an Gelegenheit
fo leicht ift, fo darf man ſicher fein, im Gebrauch feiner bürs
gerlichen, naturgemäßen Kreipeit durch Heine der pebantifchen
ien geftört zu werben, wie foldye häufig in andern Räns
bern vorkommen. Es gibt in Wien keine Policeifiunde, fem
allgemeines Verbot bes Rauchene. Man gefällt fich, flatt mit
einer kleinlichen, pedantiſchen, bünfelhaften Amtögewalt zu
prahlen, mit ber ruhigen, gemeffenen Handhabe der Ordnung
und Sicherheit im Großen und Wefentlihen. Mit einem
Worte, die Handhabung ber Policei in Wien tft mufterhaft und
allgemein nadgahmungsewerth. *)
München macht ben erſten Gindrud eines ſchoͤnen kraͤf⸗
tigen Zungen, bez fo fehnell emporgeſchoſſen if, daß ihm bie
alten Kleider viel zu eng geworben find. Man lacht ihm aber
nicht ins Geficht, erflens weil ex tuͤchtige Faͤuſte bat und fie m
brauchen weiß, und zweitens weil man ihn gleich feines branen,
echtdeutichen Ausſehens halber Llisbgewinnt. Dabei weiß der
Junge faum etwas von feinee Schönheit unb Kraft, weniaftens
befümmert er fich nicht darum. Geſund if er von Leib und
Serie, er fchafft, trinkt und Lüßt wie ber Wiener, aber ee
fingt auch Alpenlieber aus voller Bruſt. Gr wriß noch nichts
von Reflerion, bitbet fi) gar nichts ein auf feine Froͤmmigkeit,
kann fein Franzoͤfiſch und verabfdyeut den Thee. Aber eine
neue Welt Hat fi in Maͤnchen ausgebaut. Ja, ich möchte
faft glauben, daß bie Extreme Simplicität, bie Abwefenheit als
ler Kritit und Regation, alles hohlen, modernen Wefens noth⸗
wendig waren, um in Muͤnchen Das zur vollmbeten Anfchauung
zu bringen, was für ewig einen Abfchnitt im Bildungsgange
bes deutſchen Volks ausmachen wird — bie beutfche Kunft.
&ie hat ihren Gig in Muͤnchen aufgefdlagen; nehmen Sie
Münden weg und es bleiben viele geſchickte Maler, aber feine
eigenthümliche, Leine deutſche originele Kunftrichtung) Das
Hingt fab und doch iſt es wahr, weder Düffeldorf, Berlin, noch
Dresben ober Wien haben eine Schule, bie als folche einen
bebeutenben bleibenden Moment bildet. Nachdem ich fie alte
gefehen, ober kennen gelernt, nebft den übrigen bebeutenden
Kunftkäbten, als Rom, Paris, London, fo kam ich exft auf
den Bat, daß Das, was bie beutfehe Kumft als ſolche von jeder
andern unterſcheidet, entichieben blos in Muͤnchen zu finden
ober von bort ausgegangen ſei. Haben auch bebeutenbe Kuͤnſt⸗
fee in neuerer Zeit en vexlaffen,, fogar der genialfle —
Gornelinsd —, fo blieben body ihre Werke bort, bie Schöpfungen
ihres Eräftigften Mannesalters, mit all der imponicenden Nach⸗
wirtung , bie fie haben mußten. Das verbanft Wänden vors
nehmlich feinem König.. Ludwig von Baiern ift groß genug,
*) Bergl. Schereres „Reife nah OÖſftreich im Sommer 1849”
(Uhn 1888).
das Genie zu erkennen und ihm alle Mittel zur grenzenlofen
Thaͤtigkeit I die Hand zu geben. Als Kronprinz ſchon ver»
wenbete er mit giähenber Kunfltiebe feine Erſparniſſe auf die
Erbauung jenes herrlichen Kunſttempeis, der GBinptothet, bie
ewig ein Mufter bleiben wird. Cie war bie erſte jener Reihe
großartiger Prachtbauten, wie deren kaum irgend ein Begent
fo viele und gelungene errichtet bat. In 100 Jahren wird
man flaunen, wie ed einem eingigen Zürften, ber nur über maͤ⸗
Sige Kräfte gu verfügen hatte, moͤglich war, fo viel zu ſchaf⸗
fen, ohne Baiern durch bie Koften biefer Schöpfungen zu bes
iaſten. Es gibt Kein beutfches Band, bas biähender wäre von
einem Gnde bis zum andern, und nitgend gibt es vielleicht fo
wenig Arme, als in Baiern und namentlich in Bänden, wo
die großen Gummen, welche die Öffentlichen Gebäude und Pa⸗
täfte u. f. w. koſten, zum größten Theil in die Bände ber ars
beitenden Glaffe, der Maurer, Gteinpauer u. f. w. Tommen.
Zaufenbe Habe] eine forgenfreie Eriftenz und Gelegenheit zur
vollen Ausbildung ihrer Faͤhigkeiten bei biefen großartigen koͤ⸗
nigtichen Unternehmungen erhalten. Muͤnchen {ft dadurch groß
und berühmt geworden, und dennoch cine Stadt geblieben, wo
billiger gebaut und verhältnismäßig billiger gelebt wird als
irgenbivo.
Indem wir biefe Büge jenen Skizzen aus München ent
nehmen, welche in einigen Nummern ber „Zeitung für bie
elegante Welt” zu Anfang biefes Jahres geliefert worden
find, wollen wir unfererfeits aus eigener Wahrnehmung bin:
zufügen, daß für Das, was das Leben bes Volks ſelbſt betrifft,
alfo Wopifeitheit des Auskommens, bürgerliche Freiheit, Ver⸗
dgungen, Geſelligkeit und überhaupt alles Das, was drei
iertel unfers Dafeins ausmacht, Leine Stabt in Deutfchland
mebr Gutes und Ungezwungenes bietet als Münden. Der
Buͤrgerſtand in München iſt zu neuer freierer Bewegung vorges
ruͤckt. Man kann nicht fagen, er fei noch politifch todt; für
drei Viertel feiner Glieder würde bie Neigung zum Politifiren mehr
ein Schaden als ein Rugen fein, während er überall fo viel
Hg Kenntnig und Verdienſt hat, fi für fein Gewerbe,
eine Gemeinde, ja für fein Vaterland Eräftig, tücdhtig und freis
finnig auszubilden. Thut das der Bürger in Münden nicht,
fo wird er dort auch unter die Philifter, Feiglinge und Schma⸗
rozer gezählt. Auch vom Abel in Münden Tann man fagen,
baß er aus feiner Lethargie und ber Nachaͤfferei bes Auslandes
ziemlich herausgetreten iſt. Wir finden feine @lieber unter den
Gelehrten, Dichtern und Künftlern; er fühlt, daß er nach bem
erhabenen Vorbilde feines Könige vor Allım recht deutfch bleiben
muß, wenn er als Abel geiten will. Baierns Verfaflung ers
sieht die Münchner zur Nationalität, ihre Freiheit macht fie
national und ihre Rationalität macht fie frei. Das Ausland
bat daher fehr unrecht, wenn es neben Wien und Berlin Muͤn⸗
Gen nur Höchftens in Beziehung auf Kunft erwähnt. Wirkt
auch in München bis jegt noch nicht der Geifl, der ben Fried
richs II. mit dem Herzen Sofeph’e II. in Gins verbindet, fo
Tann es doch nody dahin kommen; benn München iſt bei mans
dem Dunft und Nebel body eine Sonne, unter ber ein feſter
Körper gedeiht. Es will der Geiſt von Batern, ber in Muͤn⸗
chen thront, Feine Kaifertrönungen und Prunfflimmer mehr,
wol aber Thatſachen, Gefege, Tuͤchtigkeiten. Gr begreift, daß
Batern fo wenig wie jeber andere Staat ohne Fortichritte fi
ernähren, ſich ſtaͤrken, ja ſich erhalten kann; biefer Geiſt ficht
ein, daß nur Unterricht, Wiffenfchaft und Religion bauernde
Wurzeln im Gtaatsieben treiben, und daß für bas inbuftrielle
Leben nichts zu gewinnen iſt durch ben inbivibuellen Ehrgeiz,
Alles aber durch die Benugung der allmaͤchtigen Zeit und durch
bie weile Löfung ihrer Kaͤthſel, bie fie als Sphinx ben Maͤch⸗
tigen ber Erbe zur Löfung aufgibt. Muͤnchens Geiſt, indem
er große Güter nur um große Mühen eintaufcht und feſthaͤlt,
laͤßt Münden wachſen trog aller fehlerhaften Reactionen, troß
aller einzelnen Rüdfchritte, tro& aller nicht vollgogenen Wünfche,
trot falſcher An
Furcht vor dem —. —
und vn
Literarifhe Notizen.
@ine neue Monatsſchrift erfcheint zu London vom Mai ab
unter bem Zitel „Tegg’s London magazine”. Wie gewöhns
lih wird in ber Anlünbigung gegen alle bisherigen Unterneh⸗
mungen biefer Art in einer Weiſe zu Felde gezogen, alö feien
diefe keinen Schuß Pulver werth, währen bie neue Monates
fehrift eben das Pulverfaß fei, um damit alle frühern periobis
ſchen Schriften in die Euft zu fprengen. Es Heißt in ber Ans
fündigung, daß dee Buchhändler und Derausgeber — und wel.
der Buchhaͤndler ſchuͤhßt nicht ſolche Motive vor? — von den
edeiften Beweggruͤnden geleitet fei, er babe erfannt, daß bie
bisher beftehenden zahlreichen periodiſchen Schriften Ihrem eigents
lichen Zwecke nicht entfprächen, indem fie den Geſchmack verdär:
ben u. f. w.; in biefer neuen Monatsfchrift folle ba eine
gefunbe Speife geboten werben. Unerſchoͤpflichen Stoff lieferten
die merkwürdigen Entdeckungen zu See und Land, bie wunder:
vollen Erfindungen und Wervolllommnungen u. f. f. Es fols
len barin enthalten fein: Befchreibungen aus der Naturgeſchichte,
mit befonderm Bezug auf das Thier⸗ und Pflanzenreich in ben
neuen Colonien,. — 28 — Details in Betreff der Coſtume,
Gebraͤuche und Zeitvertreibungen früherer Epochen, indem fie
mit denen ber jetzigen Zeit verglichen werben; biographiſche
Skizzen; Productionen der Einbidungskraft und Artikel von all⸗
gemeinem Intereſſe, welche ſich kaum claſſificiren laſſen; „all
dieſe Gegenſtaͤnde und unzaͤhlige andere, die zu bezeichnen und
zu rangiren unmoͤckich iſt, von ben — pfen unb
geübieften Federn bearbeitet und erläutert durch die ausgezeich⸗
netflen Holsfchnitte und Kupferftiche, werben, wir hoffen unb
glauben es, zufammen ein Magazin von einer noch unübertrofs
fenen Bollendung bilden.” Zu den wichtigſten Gegenflänben,
auf welche die Rebaction ihr Dauptaugenmerf richten will, wirb
noch bie Geſchichte des Menfchen in feinem fociaten Zuſtande ges
wit, wobei die Verſchiedenheiten ber menſchlichen Rocen, bie
inflüffe von Klima und Erziehung in beiondern Betracht ge:
nommen werben follen. Noch glaubt „Tegg’s London maga-
zine” ſich ein vorzügliches und unterſcheidendes Verdienſt da⸗
durch Fir erwerben, saß es monatliche Preife für die beflen Ars
titel über aufgegebene Themata ausfegt — kurz, es ift ein
vielverfprechendes Journal. 18. .
Aus anonymer, aber fehr gewanbter Feder ift eine dreis
bänbige Rovelle: „The Scottish heiress‘‘ (London 1843). Bei
aller Einfachheit der Intrigue ift die Durdführung finnreidg,
bie Sprache klar und deutli Verhältnifmäßig treten wenige
Perfonen auf. Keine ift unnuͤt und jebe gehört an ben Pat,
wo fie flebt. Die Geſammtheit bewegt ſich meift in ber hoͤhern
Geſellſchaft, ohne daß der Lefer mit Bornehmthuerei geftopft
wird, und wer in nieberer Sphäre rangitt, befundet das nicht
durch Gemeinheiten. Laut Titels iſt „eine ſchottiſche Erbin”,
db. h. ein reiches fchottifches Mädchen, die Heldin ber Erzaͤhlung.
Das Bauptinterefle concentrirt fi aber in Kenneth Ginne,
ebenfalls einem GSchottländer, ein braver, hodhfinniger junger
Mann, befien Yehler aus demfelben heißen Blute entfpringen,
das die fhönften Tugenden erzeugt. Er wibmet ſich ber ts·
wiſſenſchaft und es handelt ſich darum, ber reihen Erbin, Wi
Helen Ruthven, ben Beſitz von Gütern zu ſichern, um welche
ihr Oheim, Sir Edgar Ruthven, im Bündnis mit einem ſchar⸗
kiſchen Advofaten, auf ben Grund ihrer unchelichen Geburt fie
beftehten will. Ratürlich fiegt der junge Rechtsmann und — je
— oder bie Verf. bittet, das demouement nicht zu ge
ca en. 3
Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von J. A. Brodhaus in Seipzig.
. —
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®
Blätter
für
literarifde Unterhaltung.
Sonntag,
Diane. Ein Roman von A. von Sternberg.
i Theile.
„Diane beißt der Roman, benn Diane ift der Name
des armen geraubten Kindes aus eimer großen Familie, des
sen wunderbare Derwidelungen und Schidfale den Haupt
hebei des Romans im engern Sinne bilden. Diane, das
lieblihe Kind, wird uns auch in den mannichfachſten
Situationen vorgeführt, zerlumpt auf der Landflrafe, un:
tergebracht in einem Buͤrgerhauſe, zus Magd erjogen,
dienend für alle mögliche Perfonen, endlich fogar ins Ges
fängniffe, eines Verbrechens angeklagt. Immer tritt ihre
kindlich⸗ liebliche, gefunde Lichtnatur heraus, und wie ſich
das von einem Romane von ſelbſt verfieht, wird das
verlorene Kind doch zulegt erkannt und veih und glüds
lich, wie ein Poet, d. h. ein Romanendichter, feine Hel⸗
den gluͤcklch machen muß. Das Publicum will es has
ben. Aber die eigentliche Heldin des Romans iſt nicht
Diane, ſondern Judith, eine ganz neue, eigen⸗
thuͤmliche Erſcheinung im Felde dee Romantik, deren
Durchfuͤhrung den pſychologiſchen Scharfblick, das Ges
ſchick und den Salt Sternberg's bekundet. Judith iſt
die Tochter eines Berbrechers. Auch fie erſcheint zuerſt
auf der Landſtraße, in Lumpen gehuͤllt, ein fluͤchtiges
Bettelmaͤdchen. Verfolgt mit ihren Angehörigen durch bie
Diener der Gerechtigkeit, bemaͤchtigt ſie ſich des Briefes,
der jenem andern Kinde, der Tochter der großen Familie,
die Wege zur Anerkennung, zum Gtüde bahnen ſoll.
Daß es ihre gelingt, ſich im das höhere Leben einzuſchlei⸗
en, iſt nicht das Wunderbare und das Geſchickte, fondern
daß fie, in ber gebildeten Welt erzogen, bei ihrem Schuld⸗
bewußtfein — fie hat felbft an falſchem Papiergelde mit
gearbeitet — ſich in den höhern Lebenskreiſen zu behaup⸗
ten, ihr Glüͤck durch Klugheit zu ertrotzen und — uns
fere Xheilnahme fich zu erwerben weiß! Wie fie es er⸗
sroßt, verräth eine ſeltene Charakterſtaͤrke; aber das Mo⸗
tiv, freilich durch den Charakter des alten Generals wies |
ber motivirt, flreift aus den Grenzen des bürgerlichen in
ben romanhaften Roman. Möglich, auch hier und da
vorgefommen iſt eine ſolche Greuelthat, wie in Hätten
fo in Paläften. Aber «in Vater, der feinen Sohn im
Jaͤhzorn erfchiegt, weil ex eine die Ehre dee Familie ver:
legende. Handlung zu begehen im Begriff ift, iſt ein
— Rr, 169. —
18. $uni 1849,
Thema, welches ins Hochtragiſche uͤberſtreift. Es erfodert
die ganze Kraft und Aufmerkſamkeit des Dichters, um
es uns wahrſcheinlich, natürlich vorzufuͤhren. Wenn Bein
Drama, ſo müßte der Roman ſich darum drehen, es
müßte das Mittel: und Hauptſtuͤck fein, nicht eine Ne⸗
bengabe, etwas beilaufig, in einem gelegentlichen Nachts
ſtuͤck Abgefertigtes. Wie gefage, es mag in der Wirk
lichkeit vorgekommen fein, daß ein ariſtokratiſcher Water
auf einem einfamen Jagdſchloß feinen Sohn umgebracht,
weil er eine nicht ſtandesmaͤßige Deirach ſchließen wollte;
dieſer gigantiſche Vater aber muͤßte die Hauptperſon, der
Traͤger einer großartig gehaltenen Dichtung ſein, und
esfoderte doch noch die ganze Geſchicklichkeit eines mo⸗
denen Dichter, um uns Das in einer miobernen
Dichtung begriffs⸗ und gefühlögerecht zu machen, was
wir, in die antike Welt verrückt, weit leichter hinnehmen.
Aber als Epifode in einem humoriſtiſchen, von Wigflrahs
ken bilgenden und mit lachenden Karben gemalten Ro⸗
mon nimmt es ſich wie ein finfierer Spuk aus, der nicht
dahin gehört. Freilich verfennen wir nicht die Ironie bee
Memeſis, daß derfeibe Senior einer ariſtokratiſchen Fami⸗
lie, welcher das groͤßte Verbrechen begeht, einen Kindes⸗
mord, um bie Schande von derſelben abzuhalten, nachher
moraliſch gezwungen wird, in eine Heirath des Erben
der Familie mit der Tochter eines gemeinen Verbrechers
zu willigen, und um Dsöwillen, weil ber Schatten deö
Gemordeten ihn verfolge und die Entdeckung dreht. Aber
' Hätte fi ein folches, d. h. ein ähnliches Schulbbewußts
fein nicht auch ohne die geäßlihe That denken laſſen.
Dee vortrefflich angmegte Eharakter bed Alten wuͤrde das
durch am innerer Wahrheit, an großartigem Intereſſe ges
wonnen haben. Vielleicht daß der Alte nur die Mörbers
band gegen den Sohn erhoben hätte, ein Zufall wäre
dazwiſchengetreten, ober bie beſſere Beſinnung, aber dev
Sohn wäre doch in ummittelbarer Folge umgekommen
nr moraliſch laſtete auf dem Alten die Wirkung? Je⸗
denfalls wäre durch eine fosche, ober ähnliche mildere
Wendung die pinchelegtfche Aufgabe, bie Judith wuͤrdig
zu zsichnen, eine größere geworben. Wie anders, wie
bedsutungsvoll fände diefe ſchon jet geniale Schöpfung
des Dichters, wenn fie nicht bios durch die Drohung und
die zufällige Wiſſenſchaft von einem Familienverbrechen
fi) den Eintritt in die Familie ertsogte, ſondern durch
674
die aufßerorbentliche Lage, in welche zuerſt ein Betrug,
dann die Umftände fie verfesten. Das wäre eine große
Aufgabe gemwefen, welche bie Dichtung weit uͤber dem ges
wöhnlihen Romanenzufchnitt erhoben hätte. Alsbann
wäre es auch möglich geweſen zu zeigen, wie ein von
Natur edler Charakter fi nicht allein uͤber die Miſere
bes Lebens, fondern durch Kraft und Bewußtſein auch
über die Erinnerung an das Verbrechen wegfegen, erheben
und eine dauernde Stellung im Leben für ſich erringen
Tann. Das wäre eine noch größere pfochotogifche Auf:
gabe geworden, die Aufgabe eines echten Zeittomans, viel:
leicht auch eine chriftlihe. Dann hätte die arme Judith
nicht mit ihrem blutigen Tode für das Verbrechen ihrer
Kinderjahre nah dem altteflamentarifhen oder fatalifti-
Then Glauben büßen müſſen. ine gereinigte Judith,
in vollee Klarheit des Bewußtſeins, mitten in der gro:
Ben Welt, anerkannt in ihrem Urfprunge, und doch groß,
geehrt, gebietend; das wäre — vielleicht ein Traum, wie
die Dinge ftehen, aber ein fchöner Traum, befien Realifl:
zung aus dem Geſichtspunkt der Ideen des Kortfchritts
und benen des chriftlichen Laͤuterungs⸗ und Regenera⸗
tionsproceſſes nicht unmöglich erſchiene. Daß er fich dies
Thema nicht fiellte, darum hadern wir nicht mit dem
Dichter, denn auch Judith, vweie fie iſt, iſt eine hoch in:
tereffante Erſcheinung, ihr legtes Auftreten in Rom als
Diplomatin, als Sonne eines glänzenden Lebens, ale
Verf. eines Memoire, welches den neuen Kampf zwi⸗
fhen Rom und Preußen ſchlichten foll, ift zwar eine bit:
ter:geiftvolle Wendung, aber fo epigrammatifcher Natur,
daß fie nur loſe mit dem Bisherigen zufantmenhängt.
Kreilich iſt dieſes epigrammatifche Auseinandergeben
überhaupt ein Fehler des Romans — mohlverftanden
des Romans, nicht des Dichters. Der Käden wurden
ihm zu viele, als daß er fie alle einzeln und ordnungs⸗
mäßig abfpinnen follen. Er half fi alfo mit geiſtrei⸗
hen Impromptus, die alle den Dichter nicht verkennen
laſſen, der mit feinen reichen Lichtern nad) Wohlgefallen
und Bequemlichkeit Tpielt und immer noch etwas Brillan⸗
tes gibt, wo es auch nur Stuͤckwerk if. So find gerade
Im legten Theil die glaͤnzendſten Schilderungen, aber fein
Gemaͤlde mehr; Nachtſtuͤcke, Idyllen, Satiren Alles bunt
durcheinander gewürfelt. Er wollte es, oder es war ihm
fo bequem; wir tadeln es nicht, aber wir wänfchten, daß
eine fo reiche Kraft, bie, wie diefee Roman verräth, noch
folche Fülle in fi hat, fi einmal an die Arbeit ſetzte,
um ein großes, durchgeführtee Gemälde auf pſychologiſch
hiſtoriſchem Boden (mir meinen bamit feinen hiftorifchen
Koman) zu entwerfen und zu vollenden. Dazu gehört
freilich Arbeit, Studien, Ausdauer.
An den vothen Fäden, die bald duͤnn, bald dicht nach
alen Winden ſich hinziefen — es wird ungemein viel
gereift —, reihen ſich Perlen und Korallen ber mannich⸗
faltigften Art, echte, boͤhmiſche Steine und folche, denen
man auf den erften Blick anfieht, daß fie Falfch find. Um
von den ganz falfchen anzufangen, fo iſt der Advocat
Lobmeyer eine ſehr ungluͤckliche Geſtalt, da fie kaum ale
Garicatur noch in der Romanenwelt Gültigkeit bat. Ein
ſolcher Sachwalter kommt um ein Jahrhundert in Ber:
Un, Preußen, vielleicht in ganz. Deutfchland zu fpät.
Die berliner Advocaten find eine Menfchenclaffe, bie um
ihrer Eigenheiten und — aber glänzenden — Schwächen
willen wol in Romanen zu brilicen verdienten, aber fir
coftumiren ſich nicht aus der Polterkammer abgelegter
Boͤſewichter und GBeizhälfe, bie ſogar Moͤrder dingen und
falſche Criminalklagen machen, ihr Reich iſt der flim⸗
mernde Schein, die Chauſſée d'Antin von Berlin. Sie
ſind befaͤhigt zu Alem, was in der Mode glaͤnzt, nur
nicht ſchmuzige Knicker und gemeine Angeber zu ſpielen.
Ebenſo iſt es eine arge Verſuͤndigung, preußiſche Crimi:
naltaͤthe zu ſolchen raffinirten Boͤſewichtern zu machen,
welche unſchuldige Mädchen ins Criminalgefaͤngniß ſtecken,
um ſie zum Eingehen in ihre Abſichten zu zwingen, eine
Verſuͤndigung, welche fi kaum mit der poetiſchen Licen;
entſchuldigen laͤßt. Auch die berliner Bierbrauer ſehen
wol etwas anders aus als Herr Paͤdus; wogegen die gute
Frau Sempel guten Theils der Natur abgeſtohlen iſt. Eine
koſtbare Figur iſt die Dichterin, und was nicht an the
Natur waͤre, iſt von dem Dichter ſo geſchickt ſupplirt,
daß es wieder Natur werden muß. Nur in einem Punkte,
glauben wir, irrt er. Naͤmlich in der Verſicherung zum
Schluß, daß ihre Romane keine zweite Auflage erlebt
hätten. Gerade diefe Dichtungen von Damenband, two
e8 nur übermenfchlih edle und uͤbermenſchlich ſchlechte
Charaktere gibt, erleben zweite Auflagen, von Romanen
Dagegen, two die Menſchen als Menfchen bargeftellt wer:
den, iſt mir dies noch nicht bekannt. Die Dame mit
dem wahnfinnigen Haushalt tft freilich, fowie fie erfcheint,
nur Phantaſie, aber es iſt nur eine feine, dichteriſche
Deftillation einer nur zu wahren Wirklichkeit. Iſt doch
ihr Gegenſtuͤck, die elegante, liebenswuͤrdige Franzoͤſin,
die Gräfin Senneterre, mit ihrer für alles Interefiante
abgerichteten Poppda, mit ihrer vollendeten Liebenswuͤr⸗
digkeit und Güte ohne Herz, nur ein Gegenftüd, und
dies Gegenſtuͤck ft aus der. wahrhaften Wirklichkeit nur
herausgeſchnitten. Die Pietiften in Königsberg geben
nur als fluͤchtige Erfcheinung vorüber. In Berlin glaubt
man viele befannte Geſtalten zu erkennen, fo namenilich
die ſchoͤne Schaufpielerin Charlotte Hermann, welche, un:
fer Erachtens, fi durch dieſe Portraitirung nur ges
ſchmeichelt fühlen dürfte. Auch in ihrer Geſellſchaft tre⸗
ten, für den Roman zwar nur kurz lebende, aber [ehe
wahr gezeichnete Perföntichkeiten hervor, die ſich aber wicht
eben gefchmeichele fühlen dürften. Was das Romanin-
texefie betrifft, fo wird daſſelbe durch die Sconen im als
ten Schloſſe an ber preußifchen Küfte auf hoͤchſte geſtei⸗
gert; bier uͤberkommt den Dichter eine Weihe, bie es
faft bedauern läßt, daß er nicht einen ganzen Roman ir
dieſem Geifte ausgeführt hat, und die Hauptperſon, der
alte General erhebt ſich zu einer erhabenen Größe. Die
Scenerien, die Naturſchilderungen, ber Dialog wird alles
Hautrelief. Im dritten Theile, wo die Miftre der Ge⸗
fängnißfeenen einen breiten Raum mit ihrem unmwahr=
fheintihen und unwirklichen Beiwerk einnimmt, ſinkt dies
wieder, um fi in Rom in einer andern Art — wie wir
— =“ II — — — — —
x
675
oben angeführt, If fie mähr epigrammatiſch als drama⸗
tiſch und epifh — noch ein Mal zu heben. Die Jdylien
bes zweiten Theils find tief gefühlt und leicht hingehaucht,
der Sonnenfchein fpielt Lieblih anf dem Morgenthau, die
Abendwinde flüftern durch die Lindenblüten, es ift viel
dichterifcher Schmelz und pfochologifhe Wahrheit da; aber
fie fcheinen uns dort nicht recht am Plage, nad) den
deaftäfh mächtigen Scenen an der Oſtſeekuͤſte. Sie haͤt⸗
sen früher kommen müffen; und folkten fie nad dem
Vorangegangenen verföhnend wirken, fo müßten nicht bie
Scenen in Rom nachher kommen oder gar das wilde
Nachtſtuͤck auf der Brüde, von ber Vater und Sohn
ins kalte Waſſer flürzen, ein Nachtſtuͤck, das wie ein
Meteor erfcheint, um zwei Kiguren fortzufhaffen, die ben
Dichter vielleicht verdroffen und mit denen er deshalb auf
recht bizarıe Weile abfahren mollte. 10,
Der Religionskrieg in Deutfchland. Von Soͤltl. Brit:
ter und legter Xheil. Briefe und Berichte. — %. u.
d. T.: Denkwuͤrdigkeiten aus den Zeiten des Religions:
Erieges in Deutfchland. Hamburg, Meißner. 1942.
8 2 Thlr.
In unferer Anzeige ber beiden erſten heile biefes durch
Freiſinnigkeit und gute Darftellung empfehlungswertben Buchs
in Rr. 196 u. 197 d. Bi. f. 1841 vermißten wie die urkund⸗
Lihe Nachweiſung mehrer von Hrn. Soͤltt angeführten Actens
ſtũcke, Briefe und Nachrichten. Diefe Ausflelung hat der Verf.
in dem vorliegenden Theile zu befeitigen geſucht und eine ans
ſehnliche Anzahl von Briefen und Bertchten aus ben verſchiede⸗
wen Seiten des Dreißigjährigen Kriegs mitgethellt, theils voll
aͤndig, theild in Auszügen und Überfetungen aus bem Lateinis
ſchen, Engliſchen oder Franzoͤſiſchen, fobaß fie auch von Fünf:
tigen Geſchichtſchreibern des Kriege noch beffer benugt und an
ihren gehörigen Orten eingereiht werben Zönnen als bier, wo
fie loſe und ohne Zuſammenhang flehen. Für die intereffans
teften Beiträge halten wir bie Briefe des Ludwig Gamerarius,
von benen bereits Mofer („Patriotiſches Archiv für Deutſch⸗
Yand’’, Bd. 5, &. 12) Kenntnig gehabt und fie benugt hat,
jedoch ohne feine Quelle zu nennen, und bie jest auf ber Hof
und Staatsbibliothek zu München verwahrt werben. Diefe
Briefe eines ber treueften Anhänger des pfaͤlziſchen Hauſes und
wärmften Freundes ber Reformation laffen uns tiefe Einblicke
in das Getriebe ber damaligen Zeit thun unb erfüllen jeden Les
fer mit hoher Achtung gegen den feinem fürftlicden Haufe fo uns
erfchütterlih anhänglien, frommen, einſichtsvollen und gelehr:
ten Staatömann, aber auch mit Zrauer und Wehmuth über
das traurige Schickſal der pfälzifchen Eurfürftlichen Familie —
„ein ſchmaͤhlich Denkmal ber gefallenen Größe”, wie ver Dich:
ter fagt. Da wir aus diefen Briefen Feine Auszüge geben koͤn⸗
nen, fo wollen wir nur bei einer und zwar befonbers wichtigen
Angelegenheit aus Camerarius' Leben verweilen. Bekanntlich
gilt er für Den, ber ben Kurfürften Friedrich von der Pfalz
am dringendften zur Annahme der boͤhmiſchen Koͤnigskrone ges
ratben babe. Camerarius gedenkt in zwei Schreiben an feinen
Zanbesheren vom 17T. und 27. Zebruar 1621 (S. 144) und
noch ausführlicher in einem im September 1622 gefchriebenen
Briefe (S. 170— 173) ſolcher „gegen ihn gerichteter, bebräus
Ticher und befchwerticher Neben, als ob ex vor andern alles ges
genwärtigen Jammers, Blutvergießens und Zerrättung ein Urs
facher fei und neben antern ben Kurfürften vielfach verleitet
und in biefe Weitläufigkeit und Beſchwerung eingeführt habe”.
Dann fährt ee fort: „Dieſes Alles geht mir tief zu Herzen,
peinigt mich auch wol oft in bie Gedanken, ob nicht etwa für
mid und tie Meinigen darin am beiten fein fole, mit E. 8.
M. Belieben und gnäbigften Gonfene mic; binfäro ber bisher
gehabten Zunction und Gefchäfte zu entfchlagen und wo es Bott
gefällig, im Grit privatim irgendwie mein Leben zu fchließen.
E. K. M. werden mir felbft das Zeugniß gerne und gnädigft
geben, daß, fo viel bie Annahme ber böhmifchen Krone anlangt,
ich tein Anderes und Mebreres geratben, als das gefammte
Bedenken, welches E. K. M. von Herrn Sroßhofmeifter, Kanz⸗
lee und geheimen Rat vom Wahltag zu Frankfurt nad Anıs
berg gefickt worben, in ſich hält.” In das GEntlaffungsgefucdh
wollte Briebridy aber auf keine Weife willigen. Gr bebauert e&
in einem von Hrn. Soͤltt aus bem Originale mitgetheilten
Schreiden vom 21. Rovember 1622 fehr, daß Camerarius wer
. gen feiner ihm geleifteten treuen Dienfte fo vielen Kummer und
erdruß babe erfahren müflen. „Du haft dich aber deſſelben
nicht fo body anzunehmen, fondern beiner Unſchuld bich zu ges
tröften und des Zeugniſſes deines Gewiſſens, daß bu dich jeder:
zeit gegen Uns und gegen dad gemeine Wefen alfo erzeigt und
im Wert erwiefen haft, wie «8 einem treuen aufrichtigen Die:
ner zuſteht. In welcher Betrachtung denn, und dieweil wir
nie ein Anberes an bir verfpürt, Wir hingegen beffen refoloirt
find, daß bei allen Gelegenheiten, unangefeben Unſers aegenwäre
tigen .betrübten Zuftandes, Wir dennoch mit au den Mitteln,
die Uns noch übrig, bei dir halten und dich nach Bermoͤgen
fügen und vertreten wollen; in alle Weg aber hätteft du bei
diefer Gelegenheit deiner wohl wahrzunehmen und fehen Wir
gern, daß, Tobald du dein Hausweſen in Sicherheit und Rich:
tigkeit gebracht, du unferm vorigen Schreiben gemäß dich bei
uns einftellen thäteft” (S. 174).
Unter ben übrigen Auffägen ift bie Erzählung von Philipp
Eamerarius’ GBefangenfchaft in den Kerkern der Inquifition zu
Kom (1565) vecht intereffant, obfchon cigentlich nicht zur Sache
ehörig. Daflelbe gilt von der Rebe bes lothringiſchen Ge:
anbdten vor Papft Sirtus V. im 3. 1589, in der ein ausführs
licher Plan zur Unterdruͤckung der Evangelifchen in Deutſchland
entwicdelt iſt. Mit welcher Umficht biefelbe Abſicht, namentlich
in Beziehung auf das Kurfürftentyum Sachen, in den erften
Sahren des Dreißigjährigen Kriege feftgehalten worden ift, zeigt
ein Sendfchreiden des Oberſten Wolf von Mansfeld an ben Fais
ferlichen Beichtvater Lämmermann. Gine größere Anzahl von
Actenftüden find über die Werhättniffe der Union und der Liga
mitgeteilt, durch die unter andern bas klaͤgliche und zaghafte
Benehmen des Könige Jakob I. von England aufs neue beftd:
tigt wird. Ebenſo erhellt die Langſamkeit der Verhandlungen
auf dem Friedenscongreſſe zu Münfter und Osnabrüd, die Waffe
ber biplomatifchen Foͤrmlichkeiten und vor allen der mächtige
Einfluß der franzöftichen Geſandten aus ben Berichten ber bairi⸗
Then @®efandten, Krebs und Baslang, an den Kurfürften
Marimilian zur vollen Genuͤge. Zwei gleichzeitige Schreiben
über den Tod bes Markgrafen Johann Ernſt von Jaͤgerndorf
und des Herzogs Shriftian von Braunſchweig ergänzen in er:
wuͤnſchter Weife die bisherigen aceiten.
ber Guſtav Adolf, feine Plane, feine Feldzuͤge In Deutfc:
land, namentlich über die Schlacht bei Leipzig und die Gefechte bei
Nürnberg ift nichts Neues von Wichtigkeit in verfchiedenen Briefen,
Berichten und Auszügen aus Zeitungen angeführt. In den Nadys
richten über den Tod des Königs findet fid) ber Verdacht, ale fei
der König durch Meuchelmord gefallen, nirgend erwähnt, wol aber
beharrt Dr. Soͤltt (&. 343, 348, 354, 446) mit Sartnädig:
feit bei feiner frühern Angabe (Tb. 2, ©. 205, 207), daß
Guſtav Adolf nicht auf dem Schlachtfeide bei Lügen geftorben
fei, fondern erft in Naumburg, wohin man ihn nad feiner
Berwundung gebracht, und wo er nody bei feinem eben Alles in
einer erbaulichen Rede fo angeordnet habe, wie es nad) feinem
Tode gehalten werden follte. Aber wir müffen unfern Wider⸗
ſpruch ebenfo beftimmt wiederholen, ale es vor zwei Jahren
geſchehen ift, obgleich Hr. Söttt ihn wohl zu kennen ſcheint, aber
{hm mit einer Erwiberung zu begegnen nicht für gut gehalten
hat. Denn erftens find die von ihm angeführten Radrichten
aus Briefen, fliegenden Blaͤttern und Zeitungen durchaus Feine
amtlichen Gcheriben, ſondern ſaͤmmtlich von Privatyerſonen im
Augenblicde großer Beflürzung geſchrieben, und au die Stelle
aus einem von Schwanthaler Hrn. Soͤltl mitgetheilten alten
Duche verdient nicht die Beachtung, welche ihr der Werf. beis
legt. Wer mit feinem Gedaͤchtniſſe noch SD Jahre zurüdgehen
kann, muß ſich erinnern, weiche faifche Nachrichten uͤber die
Schlachten der Befreiungskriege nicht bios geſchrieben, ſondern
auch aus Briefen und vertrautichen Mittheilungen damals ger
druckt worden find. Jeder, der etwas erlebt ober erfahren zu
haben glaubt, hält es für wichtig genug, um feinen nähern
Betannten ſchnell Nachricht zu geben, und if im Augenblide
eigener, durch große GSreigniffe besvorgerufener Berechnung nicht
immer änaftic beforgt, die Wahrheit erft genau feſtzuſtellen.
In keines andern Weiſe find bie von Hrn. Soͤltl mitgetheilten
Nachrichten entftanben. Zweitens aber iſt doch hoͤchſt auffallend,
daß fi in Naumburg fo gar feine Sage oder Spur über ein
fo wichtiges Ereigniß, als ber Tod Guſtav Adolf's in den Mauern
diefer Stadt gewefen wäre, erhalten baben follte, während bach
eine fo genaue Relation über den Tod des Eöniglidien Pagen
von Leubelfing wit Angabe bes Hauſes, wo er geftorben if,
und des Arztes, der ihn behandelt hat, in besfeiben Stadt ver⸗
blieben und auch im Kreisblatte dieſer Stadt vom 3. 1826,
Nr. 36, abgebrudt worben if. Wir können noch hinzufesen,
daß ein angefehener Geſchichtsforſcher daſelbſt, C. 9. Lepfius,
uns verfihert hat, auch nicht bie geringfle Spur von bem Zobe
Guſtav Adolf's in Raumburg bei feinen Forſchungen wahrgenoms
men zu baben. Unftreitig if alfo non dem Briefſchreiber bei
Soͤlt Weißenfels mit Naumburg verwechſelt worden, mas bei
der Raͤhe diefer Städte, bie ja beide zum Kurfürftentypum Sachs
fen gehörten, bei ber wol nicht gerade zu großen Kenntniß ber
Topographie Deutfchlands unter ben ſchwediſchen Offizieren und
endlich, weit die Lönigliche Leiche dur Naumburg nad) Leipzig
geführt worden ift, gar nicht fo unwahrſcheinlich iſt. Eine Vers
gleichung des Könige mit Spaminondas und die Luſt am Rhe⸗
torifiren hat die Nachricht von erbaulichen Reden erzeugt, welche
der König follte gehalten haben, wobei die Schwere und Toͤdt⸗
lichkeit feiner Wunden (Unmöglichkeit, daß ein tobtwunder Dann
mehre Stunben weit habe transportirt werben und nachher noch
fo zufammenhängend reden können) gar nicht in Anfchlag ges
bracht worden ift. Aber auch foiche Geſchichten find vom fter-
benden Cyrus an erfunden und geglaubt worben. Drittens
wiffen bie beften ſchwediſchen Schriftfteller, namentlich Ruͤhs
und Geijer, nichts von den Sntdedungen bed Hrn. Soͤltt, und
derfeibe thut Unrecht ben le&tern, genauen und in Dingen feines
Landes wohlungerrichteten Schriftſteller ber Leichtglaͤubigkeit zu
befchuldigen, wodurch denn diefer Vorwurf nur mit um fo flärs
kerm Gewichte auf ihn ſelbſt zurüdfällt. Wir meinen alfo, daß
die bisherige, gut beglaubigte rehlung, nach welcher Guſtav
Adolf auf dem Schlachtfelde bei Luͤgen den Heldentod gefunden
bat, feine irdiſchen überreſte aber am Tage nach ber Schlacht
nah Weißenfels gebracht und dort einbalſamirt find, duxch
Hrn. Soͤltl in keiner Weiſe erſchuͤttert worden iſt.
Was uͤbrigens noch die Briefe, auf die unſer Verf. ſo gro⸗
Bed Gewicht legt, betrifft und unſere Zweifel über die Glaub⸗
würbigkeit ihrer Verf., fo erwähnen wie nur, daß auf &. 356
von einer Bewachung bes Eöniglichen Leichnams zu „Grimma in
Meißen”, d. h. im meißner Lande gefchrieben wird, die aber gar
nicht Rattgefunben bat. Ferner wirb nach Ausfage des ers
wähnten Schwantbalerfhen Buchs der Lönigliche Leichnam zu
Wittenberg „mit 15,000 Pferden” eingebracht (©. 446). Wenn
das Fein Drudfebler ift, fo hätten wir bier ein Zeugniß für
die Stärke der ſchwediſchen Gavalerie im J. 1636, das doch
wol fetbft Den. Söltt bedenklich vortommen müßte, um fo mehr
da auf der folgenden Seite nur „ein ftattlicher Somitat ſchwe⸗
difchen Volles zu Roß und zu Fuß“ erwähnt wird, ber den
am von Eutenberg (fi. Eilenburg) nach Wittenberg gib
set hat. ,
Literarifhe Notizen aus Frankreich
Überpdilerung.
Schon lingk waren bie Nationaldlensmen von vom Ge
banken beünrup * worden, daß bie immer mehr wachſende Be
vdikerung das Wohl der Staaten gefährden koͤnne. J
war Matthäus ber Grfle,ber in feinem „Essay on the prince
of population” energiſche Waßeegein in Vorſchlag brachte, um
diefee Fiut, bie von Jahrhundert ve ZJabrhumbert höher firigt
einen Damm entgegenzufegen. Diele berächtigte Cchrift, in der
unter Anderm angerathen wird, gegen bie Muth ber anfledenten
Krankheiten Feine Vorkehrungen zu treffen, well biefelben ats
ein leichter Aderlaß für einen gar zu uͤbervdlkerten Staat x
betrachten feien, diefe Schrift, fagen wir, verlette jedes Geſch
ber Wenfchlichkeit gar zu ſehr, als daß die Principien, auf de
nen fie beruht, von irgend einer Regierung hätten ins Lehen
efegt werden können. So haben benn andere nationaldkonomifde
riftftellee biefe wichtige Frage auf eine praßtifcere Art zu
zu löfen gefucht. Unter den neuen Werken, im denen die Frace,
wie der immer mehr überhbaubnehmenden Bevölkerung angemefkeue
"Schranken gefegt werden könnten, beleuchtet wird, verdient eine
Brofhäre von Charles Laudon befondere Beachtung. Gie führt
ben Zitel: „Solution (a jroblöme de la population et de la
subsistance” (Paris 1845), Das Mittel, weiches der Berf.
in Vorſchlag bringt, befteht in der Verlängerung des Stillen
der Kinder. Ohne Zweifel würbe daffelbe, wenn es ſich allge
mein einführen ließe, die gewuͤnſchteu Folgen haben, weil bes
kanntlich der Fall einer Schwangerfchaft, To lange die Mutter
ihr Kind noch ftillt, als eine feltene Ausnahıme zu betradten if.
Dabei ſcheint aber der Verf. einen wichtigen Punkt überfehen
zu haben. Die Berlängerung bed Gtillens bis auf beri Iahıe,
bie er anrathen möchte, würbe nämlich bei den arbeitensen Star
fen ſchwerlich Gingang finden. Die Mütter, weiche bisweilen
fon wenige Zage nach ihrer Riederkunft ihren oft anſtrengen⸗
den Geſchaͤften nachgehen müffen, würben naͤmlich unmoͤglich im
Stande fein, dis anhaltende Laſt bes verlängerten Stillens za
tragen. Außerdem dürfte dadurch doch amch moi die Gelundpeit
ber Wöchnerinnen gar zu ſehr geſchwächt werben. Es iſt alio
auf ein anderes Mittel zu denen, mie biefem „embonpeint des
societea”’, wie es ber befannte Bellart nannte, zu firurn Ik.
Souveftre's neuefter Roman.
Smile Souveftve zeichnet ſich nor den übrigen franzoſiſchen
Romanfchreibern befonders durch die moraliſchen Tendenzen feiner
Werke aus. In feinem legten Romane: „Le mät de cocagne”
(2 Bde., Paris 1843) wird die Gefelgfchaft als eine Kletterſtange
vorgeftellt, welche nur von ben Kühnften und von Denen, weldien
jebes Mittel recht ift, erkliamt wird. Diefelben plagen von
vornherein Gefühle, Grunbfäge und Alles, was ihnen hinderlich
fein könnte, in den Wind und haben mur das Ziel, dad fe
erreichen wollen, im Auge, Gouveftre drückt die Ider, bie ihm
vorgeſchwebt bat, am Schiuffe feines Werkes mit Karen Worten
aus. Er fagt: „Wiffen Sie, mein Beſter, was bie Moral von
der ganzen Geſchichte it?" „Nein“, entgegnete der General⸗
procurator. „Died beweift, daß bartlofe Knaben in der Politik
die Hauptrolle fpielen, und daß man, ums fich in bie Höhe zu
Ihwingen, es gerade fo madgen muß, wie fie, wenn fie eine
Kietterftange erklimmen wollen.” ‚Was tbun fie denn, Hert
Doctor?” „Nun, fie befchmieren die Stange mit Keth."
Souveftre zeichnet in feinem Romane einen jungen Mann, 2
fein Mittel verſchmaͤht, fi aufzuſchwingen, der fein Wort und
feine Pflicht mit Füßen tritt und der endlich fein Gluͤck mach,
und einen Andern, ber ſich nicht entfchließen kann, nur einen
Fußbreit vom Wege feiner Pflicht abzumeichen und der datt,
ungeachtet feiner wirklichen Verdienſte, ſtets in einer gebr
Lage bleibt. Es iſt dies eine alte Befchichte, „doch bleibt fit
ewig neu’. 2.
Verantwortlichen Heraudgeher: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von J. 4. Brodhaus in Leipzig.
Blatter
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literarifde
nterhaltung
19: Juni 1843,
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Montag, | — Nr. 170. — u
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nahme nicht verfagt und ic) glaube daher, daß bie Über:
fesung eines hoͤchſt intereflanten und bis jegt ungebrude
gebliebenen. Manufcripts vom J. 1466, deſſen Mitteilung
ich dee Güte des Beſitzers, Marquis v. C. zu Zoulaufe,
verdanke, dem geneigten Lofer nicht unwillkommen fein wird.
Die Naivetät des Verf. jener handfchriftlichen Erzählung,
die anziehende Schilderung längft verſchellener Sitten und
Gebräuche dürften, ohne der Sonderbarkeit des Gegenſtan⸗
des zu gedenken, alkin hinwichen,. die Aufmerkfamteit des
Leſers zu feſſeln. wur
Das Manufcript enthält außer der hier mitgetheilten
„Meile des Ritters Perilhos in das Fegefeuer des heiligen
Patrieius“ noch eine in Werfen gefchriebene beißende Sa⸗
tige auf die Beflrebungen des 13. Jahrhunderts und end:
lich die „DBerfuchung de6 heiligen Tindal“. Der Umland,
daß jener erfie Theil der Handſchrift im J. 1621, durch
einen Irlaͤnder, uͤberſeht zu Liſſabon unter dem Titel
erſchien: ‚‚Historiae catholicae Iberniae compendium a
Philippo Ossulevano Bearro Iberno Ulissipone”, fpricht
für die Wahrhaftigkeit der in dem Berichte des Ritters
Perilhos enthaltenen Mittheilungen uͤber den frühen Zus
Hand Irlande. BE .
Der Mangel an einem brauchbaren Woͤrterbuche der
romanifhen Sprache (denn die Arbeiten von Raynouard
und Roquefort find weit entfernt, fid ihrem Zwede auch
nur zu nähern), häufige in dem Manufcripte vorkommende
Fehler gegen die Orthographie haben mich über den Sinn
einiger wenigen Stellen des Originals in Unſichecheit ges
laſſen; ich babe diefe zweifelhaften Stellen unter dem
Terte bemerkt. Wenn ich dem geneigten Lefer fage, daß
felbR die mit meinem gelehrren Freunde, dem in den ro⸗
manifchen Sprachen hochbewanderten Prof. Moquin Tun:
don zu Toulouſe gepflogene Ruͤckſprache über die angezeig-
ten Schwierigkeiten Beine befriedigende Löfung herbeigeführt
hat, fo darf ih für ſolche Mängel meiner Arbeit um ſo
mehr auf die Nachſicht der Kritik rechnen.
Für den Lefer, welcher nie von dem Fegefeuer des hei⸗
ligen Patricius gehört hat, muß ich, behufs beſſern Vers
ftändniffes bes Mannferipts einige erklaͤrende Worte vor⸗
ausfchiden. Es ift mir, während ich mit meiner Über
fegung befchäftigt war, gelungen, mic) in Beſitz eines hoͤchſt
abenteuerlichen Werts zu fegen unter dem Xitel: „Histoire
de la vie et du purgatoire de St, - Patrice, mise en
Eine Reife in das Zegefeuer des hei-
| ligen Patricius.
(Rad einem ungedruckten Manufeript in romaniſcher Sprache.)
Es ift bekannt, wie aus der Verſchmelzung der durch
die’ Barbaren: in das roͤmiſche Meich getragenen Idiome
mit dem tateinifchen fi) die romanifchen Sprachen ent:
widelten und mie dann die romanifdh > provenzatifche Spra⸗
che bald fiegreich alle Ihre Schweſtern Überfirahlte;, in un:
glaublich raſcher Entwickelung erreichte Diefelbe ihre faft
drei Jahrhunderte-dauernde Blütezeit, um während bierer
Periode faſt die Univerfalipradye der Dichtkunſt zu werden.
Die Höfe der Fürften, die Burgen der Nitter, die Hör:
fäle der Städte ertönten von den wohllautenden Klängen,
in denen bie Troubadours, oft felbft Fuͤrſten und Ritter,
die Empfindungen des eigenen Herzens, oder die Thaten
der Helden fagten, oder auch wol in den fogenannten
Sirventes bie Geifel der Satire gegen die Veritrungen
der Zeit ſchwangen. Ebenfo raſch, wie die Sprache ber
Troubadours fih zu ihrer Höhe erhoben hatte, ebenfo
ſchnell fand fie wieder zu ihrer Wiege, dem vielgetheilten
patois ihres Vaterlandes, des mittäglichen Frankreichs, ber:
ab. Die Werke der provenzalifchen Dichter gingen gleich⸗
zeitig mit biefem Sinken der Form in die Reihe der den
todten Sprachen angehörenden Werke Über, um hier lange
Zeit faft im Staube der Vergeffenheit begraben zu bleiben.
Penn nun dies an den Poeſien der Troubadours in Ers
füuung gegangene Schidjal uns infofern natürlich und ge:
recht erſcheint, als jene ihrem Inhalte nach meiftentheils
unbedsutend, nur Spiele mit dem Reime in anziehenber
Form und nur ein glüdliches Zeichen des Kortfchritts in
ihrer Zeit find, fo iſt es auf der andern Seite begreiflich,
daß die den Poefien zur Seite ſtehenden Romane als hi:
ftorifche Documente länger vor der Vergeſſenheit bewahrt
blieben.
Seitdem in neuerer Zeit die hiftorifchen Stuben in
Frankreich einen bedeutenden Auffchwung genommen, hat
ſich namentlih eine vom Lebhafteflen Intereſſe begleitete
Ruͤckkehr zu den Werken der romanifch = provensalifchen
Schriftfteller geoffenbart. Deutfchland, deffen ebenfo tie:
fer als umfaffender willenfhaftlicher Sinn eine Frage
der Forſchung fremd bleibt, hat den neueften Arbeiten der
franzöfifhen Geſchichtsforſcher und Philologen feine Theil⸗
678
francois par le Päre Philippe de Bouillon de l’ordre
de St.-Frangois” (Paris 1643). Ich entiehne biefem,
durch feinen Inhalt und mehr noch durch die in jedem
Worte fich ausfpeechende innige Überzeugung bes Wer:
faſſers von. der Wirklichkeit feines Gegenſtandes hoͤchſt
merkwuͤrdigen Buche die bier folgenden Notizen über St.⸗
Patricius und fein Fegefeuer.*)
Nach dem Pere Bouillon ward der heilige Patricius
in einem englifhen Dorfe Namens Emptor geboren und
von feinen dem Chriftentbume ergebenen Ältern heimlich
getauft. Schon in bee früheften Jugend des Kindes beus
teten Wunder, welche daffelbe verrichtete, auf feine fpätere
Sendung bin. Nach vielfachen abfenberlihen Schidfalen
ward ber nachmalige Heilige von dem Papſte gegen die
Mitte des 5. Jahrhunderts mit der Biſchofswuͤrde und
dem Auftrage beehrt, das ChriftenthHum in Irland zu ver:
breiten. Des neuen Bifchofs Predigten hatten aber nicht
den ermwünfchten Erfolg und das inbrünftige Gebet des
Apoftels bewog Gott, ein fihtbares Wunder zu Gunſten
ber bis jetzt fo fruchtlo6 gebliebenen Arbeiten feines Dies
ners zu thun. Es iſt, erzähie der Pere Bouillon weiter,
{m nördlichen Itland eine Inſel mit einem tiefen See,
deſſen Waſſer befondere Heitkräfte hat. Ein Theil biefer
Inſel iſt eine malerifhe Wildniß, zwiſchen deren hohen
und mit Gletfchern bebediten Gebirgen ein anmuthiges
Thal ruht. Eine von fchroffen Felſen umgebene Höhle
bildet das Ende des Thale, und biefe Höhle eben umfchließt
das Wunder, wodurch Gott die verſtockten Heiden bes
Landes von der Wahrheit und Kraft des Chriſtenthums
zu überzeugen befchloffen hatte. Der Menſch kann hier
bei feinen Lebzeiten zum Fegefeuer eingehen und, wenn
er, mit unerfchütterlihem Glauben an Gott ausgerüftet,
den Verfuhungen ber Dämonen und den von den leßtern
über den Pilger verhängten Schmerzen widerfteht, gerei:
nigt von feinen Sünden an das Licht des Tages zurüd:
Echren. Ein Kofler der Auguftiner hat ſich in der Nähe
der Höhle erhoben und der Prior deffelben bewahrt den
Schluͤſſel zu einer Pforte, melche den Eingang in bie
Höhle fließt. Erſt nah Erfüllung eines von St.: Pa:
tricius felbft vorgefchriebenen Ceremoniels und unterftügt
ducch die Gebete der frommen Väter des Kloſters, geht
der mutbige Wallfahrer, der fich feft genug in feinem Ber:
trauen auf Gott glaubt, in die verhängnißvolle Pforte ein;
nur Wenige aber find aus derfelben zuruͤckgekehrt. Der
Bericht diefer Wenigen genügt indeſſen, das Dafein des
Fegefeuers des heiligen Patricius außer Zweifel zu ſtellen.
Ausfuͤhrlichere Nachrichten über diefen Gegenſtand finden fi
in „Voyage du puy de St.-Patrioe, par Claude Nourry’ (Lyon
1566); „Erreurs et prejugds, par Salgues’’ (Parid 1813); „‚Le livre
de !’Espurgatoire traduit du latin en 3300 vers francgols, par Marie
de France‘. Die im 3. 1381 verfiorbene Verfaſſerin war bie Ges
mahlin Philipp's des Kühnen und durch Ihren Geil und ihre Ans
muth zu ihrer Beit fo berühmt, tote fie durch diefe in ihren poeti⸗
fen Nachlaß übertragene Eigenfhaften noch jeht befannt zu fein
verdient; Roquefort hat 1820 eine Audgabe ihrer Werke veranftaltet.
Drei englifhe Mönde, Heinrich un 1180, Saltrey und Socelin am
Ende des 12. Jahrhunderts, Haben ebenfalls uber St. : Patricius
und fein Begefeuer gefchrieben.
Et quoique l’6glise catholique, notre möre communes —
feet Bouillon hinzu — ne nous oblige pas sous peine d’ana-
theme à croire comme article de foy que oette caverne se
rencontre dans le monde, neanmoins nous en avons des tra-
ditions si authentiques, on en produit des arguments zi con-
vainquants, des raisons si puissantes que c'est un acte de
pi6t6 chretienne d’y ajouter foy etc,
Der Verf. des Werks, dem dieſe Zeilen entlehnt find,
geht dann zu einer umfländlichen Beſchreibung des Ins
nern der Höhle Über und beſchreibt namentlich die graͤß⸗
lichen Strafen, welche in dem von ber Höhle eingefchloffe:
nen Fegefeuer über die Seelen der Sündigen verhängt
werden. Die zahlreichen bizarren Gemälde, welche, bie
Verfuchung des heiligen Antonius oder die Hölle darſtel⸗
lend, fih in faf allen Bildergalerien deutfcher Muſeen
vorfinden, find der treue bildliche Abdrud ber in dem Pa:
ter Bouillon und dem Reiſeberichte des Ritters Perilhes
enthaltenen Schilderung des Fegefeuers, zu welchem die
Grotte des heiligen Patricius für die Lebenden den Ein
gang bildet. Ich verweife den geneigten Lefer daher, um
meiner Arbeit nicht eine zu große Ausdehnung geben zu
müffen, auf jene Gemälde oder auf die ſich in biefem
Punkte faft copirenden und vorhin citirten Werke, und be:
ſchraͤnke mich in der Überfegung nur auf die Theile der
Reiſe des Ritters Perilhos, welche durch die Schilderung
der Sitten ber Zeit und der damaligen Irlaͤnder von bes
fonderm Intereſſe find:
Reife in bas Kegefeuer des heiligen Patricius.
Magni Patris sunt miranda merita Patricli
Cul Domiaus ostendit locum purgatorii
Quo viventes se ’expurgent delinguenies silil. *)
Alte iriſche Opmme.
Im Namen der heiligen und untheilbaren Dreieinigkeit.
Amen. Im Jahre der Geburt unſers Herrn 1398, am Abend
ber heiligen Marie vom Geptember**), nadıdem ich den &
des heiligen Waters Benedict XIII. **) erhalten, reiſte th,
Raymund, durch bie Gnade Gottes Vicomte v. Perilhos und
Roda +), Herr der Baronie Serret, von Avignon ab, um mid
nad) dem Wegefeuer des heiligen Patricius zu begeben.
Da alle Menſchen in ber Welt begierig find, wunderbare
und feltfame Dinge zu wiflen und da natürlich diejenigen, wel
he man durch eigene Anſchauung kennen lernen kann, angeneh⸗
mer finb als bie, welche man nur durch Hörenfagen weiß, fo
hätte aus dieſem Grunde ich, der ich in meiner Jugend mit
dem Könige Kari tt) von Frankreich auferzogen ward (fory
noyrit), welchem mich mein gnäbiger Here Water (der fein Ad⸗
miral und Kammerherr und an jenem Hofe war) überließ,
gleich allen Rittern und Edelleuten des Koͤnigreichs und fonfti-
per Länder, gern die wunderbaren, verichiebenartigen und felt«
amen Dinge Eennen gelernt, die man in ber Welt firht. Es
*) Bewunberungswärbig find bie MWerbienfle des großen Vaters
Patricius
Dem ber Here ben Ort bed PBegefeuerd offenbarte,
In welchem feine fündigen Kinder noch lebend fih von ber
Schuld reinigen möchten.
+) Heißt fo wegen eined im September zu Ghren ber heiligen
Sungfrau gefeierten Feſtes.
) Benedict XIII. aus dem aragonifhen Daufe Luna refibirie zu
Avignon, während der durch dad Goncil zu Konſtanz entfrate Part
Bonifaz zu Rom herrſchte.
+) Die Ruinen ber Schloͤſſer Perilhos und Noba exiſtiren n06
in Rouffillon.
tr) Karl V.
lag mir fehe am Herzen, wich mit eigenen Augen in Kenutniß
von Dem zu fegen, was id von mehren Kittern hatte fagen
hören. Und ich begann in der That auf Abenteuer audzugeben
in allen Ländern der Ghriften und Ungläubigen, Garazenen oder
Anderer von verſchiedenen Sekten, die in ber Welt find und zu
denen man ſich vernünftigerweife hinbegeben kann.
Und, da ich durch die Gnade Gottes ben größten Theil ber
feltfamen und wunderbaren Dinge, welche ich hatte erzaͤhlen hoͤ—
zen, gefehen habe, ſowol zu Lande als zu Wafler, fo kann ich
mit Wahrheit Zeugniß davon ablegen. Ich bin großen Gefahr
zen, Ausgaben und vielen Anftvengungen ausgefegt geweſen; ich
bin Gefangener in den Landen ber Ehriſten und Sarazenen ge:
wefen; ich werbe nicht von diefen Abenteuern fprechen, weit fie
dem Gegenftande, von dem ich handeln will, fremd find; ich
werde nur von der Reiſe in St.⸗Patricius Fegefeuer, das in
Irland iſt, reden, welche Reiſe ich mit der Huͤlfe Gottes ge⸗
macht und vollfuͤhrt habe, ſo gut ſie irgend einer ſeit dem Tode
des heiligen Patricius gemacht hat.
Ich werde dieſe Erzaͤhlung in vier Artikel eintheilen. Ich
werde zunaͤchſt erzäplen, warum St.» Patricius das Kegefeuer
einrichtete; zweitens, an welchem Orte es iſt; brittene, warum
ich mir in den Kopf feste, in das Fegefeuer einzubringen; vier:
tens, die Dinge, weiche ich in dem genannten Begefeuer gefchen
oder gefunden habe, aber nur Liejenigen, welche geoffenbart wer⸗
den bärfen; denn es gibt deren einige, welche nicht gottgefällig
wäre, wenn ich fie befannt machen wollte, da dies nicht thuns
Lich wäre der Gefahr wegen, welche daraus für den Offenbaren⸗
den und bie, denen fie geoffenbart worben wären, erfolgen
2önnte, was unvermeiblid) wäre.
(Der Beſchluß folgt.)
Das cloffifche Alterthum für Deutſchlands Jugend. Eine
Auswahl aus den Schriften ber alten Griechen und
Mömer. Übertragen von Heinrich Weit. Berlin,
Veit u. Comp. 1843. 8. 22% Nor.
Wınn auch Bäder und Wenfchen ſelten halten, was fie
verfprechen, To gibt es Loch Ausnahmen, wie zu allen Kegeln.
Bier haben wir eine Schrift anzuzeigen, bie mehr hält als fie
verfpricht ; fie kündigt fi als Jugendſchrift an, und bietet
nahrhafie, gute Speife für Männer. Allerdings ift dies auch
die Abficht des Verf., wie wir aus bee Vorrede erfehen: „Der
Titel widmet bied Buch ber Jugend Deutfchlands; allein dies
gilt nicht nur Denen, bie jung an Alter und Erfahrung, fons
dern Allen, die jung find an Geiſt und Herz, am innern Men⸗
fchen. Fuͤr diefe Alle find die noch friſchen, unverwelkten Bluͤ⸗
ten aus der kräftigen Zeit bes Menſchengeſchlechts, die man mit
einem wenig bezeichnenden Namen das Alterthum nennt. Nichts
ift alt an jener Zeit als die Ruinen ihrer Bauwerke: in Wahr:
heit find wie die Alten, jene die Jungen; noch heutzutage lebt
in ihren Schriften, tro& bed Staubes der Bibliotheken, trot
der ertöbtenden Gelehrſamkeit der Erklaͤrer, ihr Geiſt nad) Jahr⸗
taufenden in ewiger Jugend, ift noch immer für Alle, die bafür
empfängtiy find, — und empfänglich dafür ift jeber wahre
Menſch, — ein nie verfiegender Born der Verjuͤngung.“
Groß, unermeplich groß ift ber Reichtum ber alten Literas
tur, und ed war eine fchwierige Aufgabe, aus ihr eine gute
und zugleich für den Laien anziehende Auswahl zu treffen.
Doch hat der Verf. fie würdig geidft und in feiner trefflichen
Ubertragung ein Buch zufammengeftellt, das der Jugend ergößs
di und dem reifeen Alter willkommen ift, ein Buch, das in
feinen, mit Geiſt und Geſchmack ausgeſuchten Bruchflüden die
Griechen und Römer uns viel näher bringt und viel deutlicher
Darftellt, als es bie vollftändige Überfegung eines ganzen Wers
Les aus dem Alterthum vermöchte.
Die Übertragungen find faft in jeber Hinſicht gelungen; fie
find treu und doch deutſch, fie fchmiegen ſich in Geiſt und Wort
dem Schriftfteller an. Man erkennt in ihnen jede Eigenthuͤm⸗
lichkeit, Zenophon in feiner Kindlichkeit, Herodot als Liebenss
würdig gefhwähig, Thucydides in feiner ſtillen Erhabenheit,
Tacitus in ſchneidender und gedankenſchwerer Kürze, Plato tiefz
ſinnig und phantaſiereich, Anakreon in ſeiner unvergleichlichen
Naivetaͤt, Sophokles in hoher, wuͤrdiger Genialitaͤt. Wir er⸗
lauben uns, aufs Gerathewohl einige Proben mitzutheilen.
Epiktet: Die Rollen des Lebens.
„Bedenke, daß bu ein Schauſpieler biſt, in einem Stuͤcke,
deſſen Beſchaffenbeit von dem Willen des Meiſters abhängt.
Wil er es kurz, fo wird es kurz; will er es lang, fo wird es
lang. Wil er, daß du einen Bettler fpieleft, fo fuche auch den
Bettler mit Anftand zu fpielens ebenfo einen Lahmen, einen
Fuͤrſten, einen Unterthan. Denn das flieht bei bir, die gegebene
Rolle gut zu fpielen; fie zu beftimmen, ſteht bei einem Anbern.”
Demofthenes: Aus der Rebe für den Kranz.
„Wem die Unglüdsfälle der Hellenen ein Mittel waren,
fi berühmt zu machen, der verbient eher ben Tod zu leiben,
als einen Andern anzuklagen; und weſſen Vortheil übereinges
flimmt bat mit dem Bortheil der Feinde bes Gtaares, der
kann unmoͤglich dem Vaterlande wohlgefinnt fein. Das bemweifeft
bu auch burdy dein Thum und Treiben, durch dein Handeln im
Öffentlichen Leben und wieberum durch dein Nichthandeln. ft
die Frage über Etwas, das euch förderlich zu fein fcheint, —
ſtumm ift Aſchines. Iſt etwas hinderlich gegangen, und fo
wie es nicht ſoilte, — gleich kommt Äfchines : wie die Schäden
und Gebrefte; wenn ein Übel ben Körper heimfucht, dann
zegen fie 11: ER Wenn ich nun ſprechen wollte:
ich bin es, ihr Athener, ber eu bazu vermocht, ber Vorfah⸗
ren würbige Gefinnungen zu hegen, — bann büärfte mich Jeder⸗
mann mit vollem Rechte tabein. Run aber thue ich dar, daß
diefe Entfchließungen euch angehören; zeige, daß auch vor mir
bie Stabt von foldem Sinne befeelt war: nur an ben Dien-
fien, weldye das Ginzelne der Ausführung erfoberte, nehme
auch ich einen Theil in Anſpruch. Diefer aber, ber gegen Alles,
was gethan wurde, als Klaͤger auftritt, ber euch aufreizt, mir
unbold zu fein, weil ih Schrecken und Gefahren über die Stadt
gebracht hätte, — biefer trachtet nicht allein, mir die gegen:
wärtige Auszeichnung zu entreißen, fondern raubt auch euch
den Preis aller Folgezeiten. Denn wenn ihr mit ber Verurthei⸗
lung des Ktefipbon zugleich meine Staatsführung verdammt, fo
wird es ausſehen, ale ob ihr gefehlt, nicht als ob ihr durch
eine Unbill des Gluͤcks das Geſchehene erlitten hättet. Allein
ihr koͤnnt, ihr koͤnnt nicht gefehit Haben, Wänner von Athen,
indem ihr für die Freiheit und Erhaltung bes gefammten Vater:
landes Kampf und Gefahr beftehen mochtet, ich ſchwoͤr's bei ben
Delden von Marathon, unfern Ahnen, und bei ben Kämpfen
in Plataͤa's Ebenen, und bei ben Streitern in Salamie’ und
Artemifiums Gewäflern, und bei ben Andern, die zahlreich unter
ben Grabmälern des Staates ruhen, den tapfern Männern,
weldye die Stabt alle, obne Unterfchied, derfelden Ehre würdig
achtete und beftatten ließ, alle, Afchines, nicht die Gluͤcklichen
unter ihnen, nicht die Siegreichen allein. Mit Recht. Gethan
haben fie alle, was tapferen Männern ziemte; das Gluͤck tft
tönen geworben, wie der Gott ed einem Jeden beſchieden.“
Die Schwierigkeiten, welche die Übertragung poetifcher
Stuͤcke bot, hat der Verf. mit großem Geſchick überwunden;
ja, er hat es gewagt, hierin mit unfern tüchtigften Meiftern zu
wetteifern, und befteht die Vergleichung nicht unruͤhmlich. So
weifen wir 4. B. auf bie Stellen aus Virgil's „Landbau, welche
fih in der Weil'ſchen Überfegung neben ber Voß'ſchen fehen
laffen duͤrfen. Freilich ift man feit Voß’ Auftreten in der
Behandlung von Sprache und Versbau um ein gutes Theil
weiter gelommen und dem Gpätern wirb Vieles leicht, wo
der Zrühere mit taufend Mühen erſt Schöpfer werben mußte.
Als intereffante Probe möge bier die Übertragung eines
Anakreontiſchen Gedichte ftehen, welches auch Goethe ſchon wie
dergegeben hat. Nur müflen wir bemerken, daß Goethe ſich die
Arbeit etwas bequemer gemacht hat, indem er das urſpruͤngliche
Berdmaß (Leu _ urn) In einfache Trochaͤen
was unfer Verf. nicht durfte,
j An die Cicade.
Soethe.
Selig biſt du, liebe Kleine,
Die du auf der Baͤume Zweigen,
Bon geringem Trank begeiſtert,
Gingend , wir ein König lebſt!
Dir gehöret eigen Alles,
Was du auf den Keldern fieheſt.
Alles, was bie Stunden bringen;
Leber unter Aderbleuten, '
Ihre Freundin, unbeſchaͤdigt,
Du den Sterblichen Verehrte,
Suͤßen Fruͤhlings ſuͤßer Bote!
Ja, dich lieben alle Muſen,
Phoͤbus ſelber muß dich lieben,
Gaben dir die Silberſtimme.
Dich ergreifet nie das Alter,
Weiſe, zarte Diterfreundin,
Ohne Fleiſch und Blut Geborne,
Leibenlofe Erdentochter,
Fall den Göttern zu vergleichen.
Der Berfaffer.
D wie neib' ih bi, Gicade,
Wenn in hoben Boumeswipfeln,
Bon dem Troͤpfchen Thaues trunken,
Du ein König thronft und ſingeſt.
Es gehoͤret dir ja Alles,
Was du ſchauſt in Zeld und Wieſe,
Was bie Horen wechfelnd bringen;
Biſt der Aderdleute Freundin,
Die du keinem Pflaͤnzchen ſchadeſt;
Bit geehrt von allen Menſchen,
Du bed Sommers füßer Bote!
Sa, ed tieben dich bie Muſen;
Ja, es Ilebt dich Phoͤbus felber,
Hat dis füßen Sang verlichen.
Und bad Alter quält di nimmer,
Der Gefänge weile Freundin,
Unbefchwerbet , fleifchlo® , biutloß,
Ja den fel’gen Göttern aͤhalich.
In entfjiedenem Vortheil ift unfer Verf. in feiner meiſter⸗
haften übertragung der größern Haͤlfte des „Oedipus““ von So⸗
phokles. Er iſt genauer wie Donner, ſchließt ſich in Sprache
und Rhythmus viel inniger an das edle Weſen des erhabenen
Griechen und hat ſich in Bezug auf das Wersmaß keine der
kaͤſſigkeiten erlaubt, an denen die Donner’fche Überfesung fo
reich iſt; zugleich ift er beutfcher und klarer. Es thut uns leid,
daß die Grenzen diefer Beſprechung zu enge geftedt find, als
daß wir von Beiden bier noch eine Probe mittheilen könnten.
So fließen wir nur mit dem Wunſche, duß das Buch nicht
bloß, was nicht fehlen wird, in den Streifen ber Schulmänner
und Gelehrten , fondern in benen der Gebildeten überhaupt bie
Besbreitung finden möge, die es verbients dann wird es un:
zarifelhaft das Geinige zur Körberung eines edlern Geſchmackes
in der Literatur beitragen. 68.
giterarifhe Notizen aus England.
Eine engliſche Kritit von Mrd. Gore's neueflem Romane
„The money - lender” (3 Bde., London 1843) fänat unges
mwöhnlich galant folgendermaßen an: „Reizende, reizende, reis
zende Mrd. Gore. Unbezweifelt ift fie unter ben neuern Rovels
uften die große Zauberin. Ihe jüngfles Werk „Der Gelbvers
leiher“ ift das gewaltigfte Erzeugniß ihrer Feder; der Stil voll
Rerd und Sehne, eine Menge träftiger Schilderungen und jeber
ummwanbelte, I Gharakter
melde
ein Muſter jener voßenbeten Portraitirfertigkeit,
mit Recht den Ruhm ber fchönen, talentreichen Verf.
ausmacht. Auf jeder Gelte, wo Abebwego Dfaleg, ber Selb
verleiher, erſcheint, tritt er gleichſam aus der Leinwand vor ben
Leſer. Gr ik eine jener
Souls made of fire, children of the sum,
With whom revenge is virtue.”
Jedenfalls iſt die Perföntichkeit bes Geldverleihers eine rarı avis,
Gr debutirt damit, daß er einem junger Barbeoffigter, der ihn
um 300 Pf. St. „anpumpt“ und bafür eine in drei Jahren
gefälltge Verſchreibung mit Tanbesüblichen Binfen ausſtellt,
400 Pf. St. in die Taſche ſteckt. Solche Geidverleiher gibt es
nirgend. Sein Bureau, wo er dieſes Geſchaͤft abſchließt, M
eine faſt unmeublirte, erbaͤrmliche Stube. Ebenſo erbaͤtnlich
iſt das Haͤuschen in einer londoner Nebengaſſe — und weiche
ſchauderhafte Gaſſen ſind das —, wo er ſeelenallein und dem
Tode nahe wohnt. Ein paar Blaͤtter weiter gibt er in ſeinen
ſtattiichen, aufs feinſte meublirten Hotel, Bernard Street,
Russel - square, einigen der reichſten Geldmaͤnner der Gity ein
Diner, und was für ein Diner! Kein Kaiſer, kein König, fen
Fürft, kein Epikur, kein Bellogabal, kein Lucull bat ein bei:
feres gegeben. Won Millionen wird geſprochen, als lägen fie
eben zum Aufheben in der Straße. Co geht es fort, bis zu
legt ans Sapreicht kommt, daß bie Mutter bes erwähnten Gar
deoffiziers Abednego’® erſte und alleinige Liebe geweſen, daß fie
von ihrer Familie gezwungen worden, bem Oberſten Annesiey
ihre Dand zu geben, und daß bies den unglädlichen kiebhaber
bevegen hat, durch Geldverleihen ſich zur Geifel der Arikotratie
zu machen. Der junge Annesley heirathet Abednego's
an und damit loͤſt fih der Haß und das Gelubde des Geld:
verleihers.
Bulwer's neueſter Roman, The last of the Barons”
(3 Bde., London 1843) fol fein Icgter fein. So verkuͤndet er
im Borworte. Auch gut, fallder Wort hält, Bulwer's Romane
find nirgend, am wenigften in Deutfchland unterfhist, an
vielen Orten und namentlich von vielen £eferinnen überfchägt
worden. Kunft» und Geiſteswerke erften Rangts find fie nicht.
Der gute Baronet bat von vornherein feine Faͤhigkeiten unb
| feine Zutunft von einem falfchen Standpunkte aus geichen, hat
beide mit dem Maßſtabe der laͤcherlichſten Eitelkeit gemeflen und
fieht fi nun getaͤuſcht. Faͤhigkeiten befige er, das iſt nicht zu
leugnen, feltene Faͤhigkeiten, aber beiweitem nicht fo üben
ſchwengliche, als er von jeher geglaubt bat und noch glaubt.
In logiſcher Kolge entfpricht bie gefuntene Anerkennung nit
feiner Erwartung und fo empfängt die undankbare Welt feine
iegte Babe. Ungluͤcklicherweiſe — für Bulwer — ift jie nicht
geeignet, die undankbare Welt in Reue unb Verzweiflung zu
ftüurgen. „Der letzte Baron’ Leibet in Auffaffung und Behanbe
lung an allen Gebrechen feiner Vorgänger. Die mit der Ges
fhichte Adam Warner's — Warner ein Philoſoph? Warum
nit gar! — in Berbindung gebrachten Begebenheiten und vie
dem lebten Baron, dem Grafen von Warwick, auf der Ferſe
folgenden Greigniffe laufen bisweilen paraliel nebeneinander und
berühren fidy bisweilen, verrinigen ſich aber nirgend, nicht ein:
mal in der Schlußkataſtrophe. Das war unerlaßlich und ik
mithin eine flarfe Unterlaffung. Der ganze Adam Warner
ſcheint verzeichnet und auch an feiner Tochter Sibylla offenbaren
fich falfche Steige. Die Umftände, unter welchen Beide fterben,
follen pathetiſch fein — follen, barin liegt der Fehler. Der
Verf. bat nicht genug zu thun geglaubt, unb was ben Leſer
rühren foll, empört ihn. Zugleich beeinträchtigt e& bie außerden
ſehr ſchoͤne und echt pathetifche Zobesfcene des großen Ghrafın
und feines würbigen Bruders und Waffengefährten. Daß Bulwer
diefe geſchrieben, darauf barf ex ftolz fein. Überhaupt gebietet
der Charakter bes Grafen von Warwid unbebingte Achtung und
fodert die Sympathie als ein Recht. Wo ſich aber etwas theatraliſch
geberbet, agirt nicht Warwick, ſondern Bulwer. 3.
Berantwortliher Heraubgeber: Heinrih Brokhaus. — Drud und Berlag von 8. X. Bro@daus in Leipzig.
u ae ———
Blätter
für
literariſche unterhaltung.
Dienſtag,
m Kr. 171. —
20. Juni 1843.
Eine Reife in dad Fegefeuer des hei—
ligen Patricius.
¶Beſchiuß aus Mr. 170.)
Es folgt nun die Erzählung von der Errichtung des
Fegefeuers durch Vermittelung bes heiligen Patricius, er
ſten Priors des früher erwähnten Klofters der Augufliner,
wie wir jene ſchon durch den Pater Bouillon kennen. Der
Ritter fährt dann folgendermaßen fort:
Es ereignete fich, daß, während ich mit dem Papfte war,
ber obengenannte König Sean, mein natürlicher Gebieter, ſtarb.
Doͤgleich in den Willen Gottes ergeben, war id) doch fo ergrif:
fen und betrübt durch diefen Todesfall, wie ein treuer Diener
es nur durch ben Verluſt feines Deren fein Tann. Ich nahm
mir von biefem Augenblide an vor, nach dem Wegefeuer des
heiligen Patricius zu geben und In dafleibe einzubringen, um zu
erfahren, fo fern dies möglich, ob mein gnäbiger Herr in dem
Zegefeuer wäre und welche Strafen er erbuldete. Zu biefem
Ende rief id mir alle Dinge unb Urtbeile ins Gedaͤchtniß zu:
ruͤck, welche ich von verfchiebenen Perfonen über dies Fegefeuer
hatte fagen hören, und nad) einigen Tagen ber Abſicht, mid
nad bem genannten Fegefeuer zu begeben unb in baffeibe eins
zudringen, vertraute ich dem Papfte alle meine Plane an; er
wies biefe Idee ernſtlich zurüd und foderte mich auf, für nichts
in dew Welt eine Ähnliche Unternehmung zu verſuchen; außer
Dem, was er felbft mir fagte, ließ er mich mit mehren Cardi⸗
nälen , feinen Vertrauten, fprechen und namentlih mit zweien
derfelben, von welchen ber eine feinen Ramen von Taratcona
führte und aus dem Geſchlechte ber Galmeilho war und von
welchen der andere Iofua von ©t.» Alena hieß.
Alle zufammen redeten mie mit fo viel Rachdrud zu, daß
| ich Muͤhe hatte, zu widerſtehen.
Einige Tage nachher verſicherte ich den Papft, daB ich dieſe
Neife nicht aufgeben würde, und darauf, nachdem ich feinen Se⸗
gen erhalten hatte, reifte ih am Tage St.:Marid im Sep⸗
tember dr& obigen Jahres ab und trat meinen Weg duch
Frankreich an.
Ih ging nach Paris an den Hof des Könige*), beffen
Kammerherr ich war, fowie ich es bei feinem Water gewefen,
der mid in meiner früheften Jugend ernährt hatte. Der Kö:
nig von Frankreich, fein Bruder und feine Onkel, der Derzog
von Berri und der Herzog von Burgund, gaben mir Empfeh⸗
Lungsfchreiben an den König von England mit, welcher Schwie⸗
gerlohn ded Könige war, und an andere Herren beffelben Lan⸗
des. Auf Srund jener Beirath fand ein Waffenflillftand von
30 Jahren ſtatt.
Ich reiſte von Paris ab und kam mittels meiner Tage⸗
reiſen zu Calais an, woſelbſt ich mich nach England einſchiffte;
ich kam daſelbſt am Tage aller Heiligen an. Ich begab mich
») Karl VI.
Canterburi paſſirte.
Zu London erfuhr ich, daß der König*) ſich in einem gro⸗
Sen Park befände (ein Gehege wie ber Wald ven Rincennes
bei Paris), 20 Meiten von Oxford, wofelbft ſich große Univers
fitätseinrihtungen befinden. Die Engländer nennen jenen Ort
Eſtancfort. Der Park ift fehe ſchoͤn; der König hat daſelbſt
ein fehr ſchoͤnes und feſtes Haus mit weitläufigen Gemaͤchern.
und ber Briefe wegen, welche ich vom Könige von Frankreich
batte, warb ich fehr gut aufgenommen unb man erwies mie
große Ehre. Der König ließ mich ſicher durch fein ganzes Koͤ⸗
nigreich geleiten, welches ih, mit Ausnahme von zehn Tagen
AufenthaltE bei ihm, obne mie Ruhe zu gönnen, durchreiſte.
Ich begab mich alfo auf den Weg und kam in einer Gegend
mit Ramen Gefterrice”*) an, welches in der Provinz Wales iſt.
Ic miethete in der Stadt Kifter***) ein Schiff, um nad Ir⸗
land überzufegen. Nachdem ih an ber Küfte von Wales hins
aufgefegelt war, landete ich an einem Orte Namens Dlyet}),
von wo ich mit günftigem Winde aufbrach, um über den Golf
zu fegen; ich fam an der Infel Arman ++) an, welche zur Zeit
bes Königs Artus dem Könige ber 100 Ritter zugehörte. Deus
tigen Tages iſt fie gut bevölkert und gehbrt bem Könige von
Engtand. Bon da feste ich meine Reife fort, ſtets bei gutem
Wetter und landete nach einer Überfahrt von wenigen Tagen in
Irland, in Angefiht der Stadt Beloittf), weiche ziemlich
groß ift.
Ich fand dafelbft den Grafen von Marche, leiblidden Betz
ter des Königs von England; ich machte ihm Mittheitung von
meinem Reiſeplan. Gr nahm mid, den Briefen des Königs
und der Königin von England zufolge, fehr ehrenvoll auf; ex
fuchte fehe mich von meinem Vorhaben abzubringen, aus zwei
®ründen: der exrfte, weil ich eine bebeutende Strede Wegs zu⸗
rüdzulegen hatte und weit ich durch die Länder wilder Voͤlker⸗
ſchaften reifen mußte, in welche man fein Bertrauen fegen
konnte. Der zweite Grund war bie große Gefahr des Ginbrin:
gend in das Fegefeuer, wobei mebre gute Ritter verloren ges
gangen, ohne daß fie je wiebergelehrt wären, fobaß ich alfo für
nichts in ber Welt Gott verfuchen und mich felbft täufchen
möchte.
Der genannte Graf machte mir, nachdem er fi alle Mühe
gegeben, mich von meiner Reife abzubrimgen, und als er mich
entfchloffen ſah, einige von feinen Pferden und Kleinodien zum
Gefchente und gab mir ferner zwei von feinen Edelleuten mit,
deren einer, Namens Johann Dimi, mich durch das Gebiet
») Richard IE, welcher ſich mit Karl'd Tochter Ifabella, als biefe
acht Jahr alt war, vermählte.
") GSheftezfhire.
„... Shefter.
+) Dlyet, wol Holybeab.
++) Arman — bie Safel Man.
+++) Belvi if vielleicht Velfoh, ober Ballivir in ber Grafſchaft
Armagh.
we dem Könige von England in Irland , und
—— *3 mich nichts verausgaben eb, obwol
er die Bezahlung ganz gegen meinen Wunſch übernahm. Der
anbere Edelmann hieß John Talabot, weldyer die Sprache von
Irland wußte und mein Dokmetfiger war, unb alle Beide bat:
ten ben Xuftuag, mich zum Erzbiſchof von Armanhac zu bringen, -
und fo thaten fie.
Selbiger ift Primas auf der Infel. und hat das Anfchen
eines Papftes; ich fand ihn in der Stadt Diondary, welche fo
groß ift wie Puicerda oder Zaragona. Weine Führer ſtellten
mich dem Erzbiſchof vor, ich die Briefe des Königs und
der Königin von England und bie bes Grafın von der Marche
übergab, und der genannte Erzbifhof empfing mich fehr gut und
erzeigte mie große Ehre und, als er meine Abficht erfahren
mi e er Reife und vermahnte m
nicht weiter davon zu ſprechen (de non y anor dizen), daß au⸗
Ser ber Befahr, weiche mit dem Eingehen in das Begefeuer vers
bunden fei, weber er noch irgend fonft Iemanb mich bei der
Heife durch das Gebiet bes Könige Yrnel, noch anderer Herren
fihern inne, durch deren Länder ich zu paffiven hätte, bevor
ich bis zum Wegefeuer gelangte, und wenn ich mich nicht mit
beftimmtem Vorwiſſen verderben wollte, fo moͤchte ih «6 um
Fichte in der Welt verfucgen. ,
und darauf führte er mich in bie Sacriftei ber großen
Kirche und ermahnte und bat mid inftänbigft, daß ich um
Nichts in der Welt in das genannte Wegefeuer eindringen
möchte, erwähnte mir viete Gefahren und Ärgerniß, welche Ber:
fehiedenen in bem Wegefeuer widerfahren, die fi in ihr Wer:
derben geflürzt, und dann fagte er mic alle Gefahren, weiche
daraus hervorgehen koͤnnten und wirklich darin wiren, worauf
ich antwortete, je nachdem Gott es mir eingab, verſichernd, daß
ich nie meine Reife aufgeben würde.
Und als ex fab, daß er mid von meinem Entſchluſſe nicht
ebbringen koͤnne, gab er mir alle Anweifungen, bie ihm zu Ge⸗
bot flanden, und gab mir feine Beiſtimmung und tieß mich
beichten und ich erhielt von feiner Hand in größter Heimlichkeit
unfern Herrn und er fagte mir, daß er im Laufe der Woche in
einer Stadt Namens Dandela fein würde und fo that er.
Ich reifte fofort von ihm ab unb war in ber genannten
©tabt und von da fanbte ih an ben König Yrnel, welcher in
der Stadt Armanach war; diefee Heß mir in ber That einen
Geleitöhrief zulommen und einen feiner Reiter und noch einen
andern Boten, um mid; zu führen, bis ich bei ihm wäre.
und der Erzbiſchof kam an bem erwähnten Tage unb
führte 100 Solbaten, weldge auf ihre Weile bewaffnet waren,
mit fi, um mich zu begleiten, und gab mie einen anbern Dol⸗
metſcher bei, einen Leiblidyen Wetter von Johann Zalabot, wel:
cher fih Thomas Talabot nannte, und mit den 100 Bewaffne⸗
ten betrat ich das Gebiet ber wilden ‚Heiden, welche unter der
Herrſchaft des Könige Yenel ſtehen.
und als ih fünf und einige Stunden geritten war, wag⸗
ten die Bewaffneten nicht weiter mit vorzubringen, da fie mit
jenen in großer Feindſchaft waren, fobaß fie auf einem Hügel
halten biieben, und ich nahm Abfchied von ihnen und ritt weis
tee und nachdem ich ungefähr noch eine halbe Stunde weiter
gereift war, fand ich den Eonnetabel des Königs Urnel an ber
Spitze von 100 auf ihre Weiſe bewaffneten Seiten, mit wels
chem tch Zwieſprach hielt und mid) dann von ihm trennte und
zum Könige begab, weldyer mich nad) ihrer Meile wohl aufs
nahm und mir ein Geſchenk an WRunbvorrath machte, das in
Ochſenfleiſch beftand; denn fie eſſen weber Brot, noch trinken
fie Wein, benn fie haben dergleichen nicht und trinken Waffer,
und bie großen Herren trinken Milch ihres vornehmen Standes
wegen (per nobleza) und einige von ihnen Fleifchbruͤhe.
Und deshalb, weil ihre Sitten uns fehr fremb find, werbe
ih Euch, fo kurz ich Eann, etwas von ihren Suftänden und Ge⸗
bräudyen erzählen und von Dem, was ich beim Könige fah, bei
welchem ich das Weihnachtöfeft auf meiner Ruͤckreiſe zubrachte,
obgleich ich, als ich das erſte Wal auf meinem Hinwege mit
ihm zuſammen war, genug bavon gefehen habe. Die Koͤnige⸗
wöürbe iſt erblid und es gibt mehre Könige auf ber Juſel,
weldye fo groß wie bie Infel England ift und der größte
Be ift Yrnel und alle andern flammen aus feinem Ge
6 r.
Diefer hatte WO Mann yu Pferde, indem die Pferde mit
einem Kiffen gefattett waren, und jeber trägt einen aufgefchlit⸗
ten Mantel, je nachdem es iſt); fie bewaffnen ſich mit Pan⸗
zerhemden und Gürtel und ein Halsſtuͤck von eifernen Mafchen
und runde Hauben von Eifen. Sie haben Degen und Meſſer
und fehr lange Langen, jeboch find biefe fehr hänn nach Art der
alten ganzen und gweifchneibig. Die Degen find denen der Gas
razenen aͤhnlich, welche wir genezes nennen; ber Degenfuopf
und das Kreuz finb von anderer Art; ber Knopf bat bie Ge⸗
ſtalt einer ausgeſtreckten Hand.
Ihre Meſſer ſind lang und gebogen, ſo dick wie ein kleiner
— er und ſchneiden ſehr gut ein. So iſt die Form ihrer
affen.
Einige bedienen ſich einer Art von Bogen, welche halb ſo
lang wie die Bogen in England ſind und dennoch ebenſo ſtark
wirken wie die engliſchen. Sie find ſehr tapfer und ſeit lan⸗
ger Zeit fuͤhren ſie mit den Englaͤndern Krieg und der Koͤni
von England kann mit ihnen nicht zu Ende kommen, 3
fie noch verſchiedene andere Jehden haben.
Ihre Art zu kaͤmpfen gieiht der der Sarazenen und fie
fhreien dabei, wie biefe.
Die großen Herren find mit einem Rode ohne Futter, ber
bis aufs Knie Hinabreicht und oben, nady Art der Weiber, weit
ausgefchnitten ift, befleidet und fie tragen große Rappen, weldie
bis auf den Gürtel hinabfallen, und bie Kieider haben eine Gas
puze, die fo eng ift, wie ich geſagt Habe. **)
Sie tragen weder Schuhe, noch Gträmpfe, noch Hofen, fie
legen die Sporen an ihre bloßen Ferſen an, und in diefem Zus
ftande war ber König am Weihnachtstage und ebenfo alle Geiſt⸗
liche und Ritter, Biſchoͤfe, Abbes und große ‚Herren.
Das Volk geht einher, wie es kann, fchlecht gefteidet, doch
tragen bie Bornehmften beffelben Mäntel von Wolle und zeigen
alle Theile bloß, To Frauen, als Männer.
Die armen Leute gehen nadend, obſchon fie alle von jenen
Maͤnteln tragen, fie feien gut oder ſchleqt.
Und ebenfo waren bie Damen, die Königin, ihre Tochter
und ihre Schweſter gefleidet und trugen einen Guͤrtel.
Die Fräulein der Königin, beren Zahl fi auf 20 beiief,
waren ohne Schuhe, gekteibet, wie ich es Euch oben gefagt habe,
und tießen Alles, was fie hatten, mit fo wenig Scham fehen
wie ibr Geſicht.
Es waren mit dem Könige an 3000 Pferde und viel arme
Leute, weichen ber König große Almofen in Ochſenfleiſch auss
theilte. Sie gehören zu ben ſchoͤnſten Wännern und Prauen,
welche ich in irgend einem Theile der Melt geſehen babe.
Sie ſaͤen kein Getreide, noch ernten fie Wein; fie eben
nur von Odhfenfleifch und bie großen Herren trinfen Wild und
die andern Fleiſchbruͤhe und das Volt Wafler und fie haben ger
nug, bie einen, wie bie andern mit allem ihren Fleiſche, ſei es
von Dchfen, ober von Kühen und Pferden.
Am Weihnachtstage hielt, nad) der Ausfage ber Dolmet:
ſcher und einiger Andern, welche Lateiniſch fpredyen konnten, ber
König großen Hof; dennoch beitand fein Tiſch nur aus auf der
*), Der Sinn ber Worte segon que es (selon qu'il est) ifi mir
an biefer Stelle dunkel geblieben; vielleiht will der Verf. damit
fagen: ber eine fo, ber andere fo.
**) Et porto los vestitz ia cogula ayssi estrocha coma le dit.
Es iR ſehr zweifelhaft, ob bie obige Überfegung riätig if; feim
Wörterbuch wie dad Wort oogala nad und keiner der von mir
befragten Romaniften konnte mir Auffluß darüber geben; einige
Wörter, melde Wurzeln von cogula fein Eonnten, führten ze ver
Überfegung Gapuze. Los vestitz kann Nominativ und Accaſatis
fein; ich babe es Hier als Nominativ genommen.
—— —
m gi um u
Gede ausgebwiteten Binfen, abe neben ibn ward zarteres
Braut gelegı, um den Mund .. -
Es warb ihm das Fleifh auf Stöden gebracht, wie man
eine Tragbahre trägt; du fannft denken, wie feine Pagen ges
kieidet waren, Bott weiß wie!
Die Thiere freffen, anftatt Hafer, nur Gras und Wiätter
won Gtadheibeesen, weiche man ein wenig zerbricht wegen der
Dornen, die an den Wlättern fiten. Und bies genügt, was ihre
Kleidung anbetrifft, und vermeine ich nicht weiter davon zu reden.
Der König nahm mich fehr wohl auf und ſchickte mir ei⸗
nen Dchfen und Salz; denn Brot und Wein gab es an feinem
zen Hofe nicht. As großes Geſchenk ließ er mir zwei Rus
Sen zulommen, die fo dünn waren wie Gifentuchen und ſich
Gegen, wie nicht gebadener Zeig. Sie warın fo ſchwarz wie
Kohlen, aber fie waren fehr Ihymadhaft. **)
Der König gab mir einen Geleitsbrief, um durch fein Ges
biet und durch fein Votk zu Fuß und zu Roß zu paffizen, und
er ſprach viel mit mir, indem er mich vielfach befsagte über
die Könige und namentiich über den König von Frankreich und
von Aragonien und Caſtilien und über ihre gr} und ihre
Lebensweife und, wie es mir feinen Worten nach ſchien, hielt
er die Kleidung in feinem Lande fir die befte und vollkommenſte
in der Welt.
Ihre Häufer find gemeiniglid und meiſtentheils nahe bei
den Ochſen und fie wechſeln jene ber Weide wegen, wie bie
Alanen ber. Berberei und des Landes Soudan und fie treiben fie
jeden Tag aus ihren Städten, indem fie alle zufammen gehen.
Ich reifte vom Hofe des Könige ab und zog meines We⸗
ges durch verfchiebene Gegenden bid in eine Stadt Namens
Drocefio; die Einwohner derfelben fügen Niemand ein Leides
u und halten &t.»Patricius in Ehren und dies feit langer
Seit Ion. Die Königreiche und Könige betrachten jene Stadt
als unverleglid.
Und bie Pilger, welche dorthin gehen, find gebalten, ba:
ſelbſt ihre Thiere zu laſſen; denn weber Pferde noch andere
Thiere würden bie Berge und Gewaͤſſer paſſiren können, und fo
ging id) von ba zu Fuß nad der Stadt, wo bie Priorei und
in der Priorei das Fegefeuer if. Es iſt ba ein großer und
tiefer See, wo die genannte Inſel fi) befindet; das Waſſer ift
gut zum Trinken.
In dem See find mehre andere Infeln. Das Waffer fteht
fo hoch über der Infel, daß auf den höchften Bergen faum ein
Menſch durch das Waffer bieburchgeben kann; und oft Hat
man bad Wafler bi an bie Knie, ſodaß man zu Fuß große
Muͤhe hat burchzulommen, und daß es um fo mehr zu Pferde
win Wunder wäre, wenn ein Menſch burchlommen Tönnte.
Als ich von Proceffio abreifte, wollten der Herr des Orts,
weldger ein großer Herr iſt, und fein Bruder, bie beide eine
große Verehrung für &t.»Patricius haben unb fehr bereit
find, ſich ben Pilgern nüglih zu beweifen, mich zum Klofter
Hegleiten, wofelbft ich fehr wohl aufgenommen wurbe.
Ich feste in einer Barke von einem ausgehöhlten Baum⸗
ftamme über den See; denn andere Barken waren nicht vors
handen. Der Herr von Proceffio und ber Prior, welcher dort
war, blieben beifammen. Und ſobald ich im Kiofter war, frag:
ten fie mich, ob ich in das Fegefeuer eingehen wollte, unb ich
antwortete ja!
) Eingard, in feiner Geſchichte von England, erzählt, was bie
obigen Angaben äber den Sulturzuflend in Irland beflätigen moͤchte,
Daß vier iriſche Könige, weldhe während ber Fetdzuͤge RKichard's II.
in den Jadren 1204 — 86 fi diefem unterworfen, nur mit übe
werben Tonnten, Hoſen anzuziehen,
») Der oben überfehten Periode geben die Worte voraus: E
aro desmedan e de terra; diefe Stelle bat mir unäberfegbar ges
ſchtenen; wahrſcheinlich Hat ber Gepik des Driginalmanuferipts bier
einen Bebler in feine Abſchriſt gebracht. Mit einiger Verſetung
Ser Duchſtaben, Linnte man überfegen: Unb fie waren in ber
Erbe bereitet, gebaden.
Unb bana begannen fie mich eindringlich zu ermahnen,
id ja nicht bineingehen und Gott verſuchen möchte, da es *
nicht F um en Leib — ern —8 um die Seele handele,
weiche viel mehe werth fei, und fie nannten und zei mir
die Gräber Dever, welche dabei umgekommen feien. weigien
Und, ba fie meinen feften Entſchluß fahen, festen fie mie
auseinander, und dies zwar namentlich der Prior, es ſei ange
meffen, daß ich nach den Worfchriften des Kiofters, wie ſolche
St.⸗Patricixs und feine WBorgänger angeordnet und, gemäß
bem von bem Heiligen Patricius handeinden Gapitel, verführe.
und fo hat ich nach den Vorſchriften und, wie ſich's gebührt,
mit großer Andacht, ganz .fowie Diejenigen tbun, welche
Krankheits⸗ ober anderer Gefahren halber, auf ben Tod gefaßt
find; und nachdem dies Alles vollbracht ift, haben fie die Ges
wohnpeit, Den, weicher in bas Begefeuer einfahren wil, in
großer Proceffion in bie Kirche zu führen.
Und die ganze Zeit über vermaͤhnten fie mich inftänbig,
daß ich doch um nichts in der Welt hineingehen, ſondern auf
meinen Eingang verzichten moͤchte, und daß ich, um meine
Sünden abzuduͤßen, mich lieber in einen reiigidfen Orden bes
een möchte, um ben Bruͤdern zu bienen, ober, um Mönch zu
ein, und daß ich mich nicht in fo große Gefahr begeben möchte.
Und, nachdem, wie ich vorhin erwähnt habe, alle durch
St. Patricius erlaflene Verordnungen in der Kirche erfüllt find
und dies Alles bergeftalt gefchehen, wird von allen Geiſtlichen,
welde in der Umgegend zu haben find, eig Requiem über Den«
jenigen gefungen, welcher einfahren fol, und ganz fo, wie e#
ſich gehört, thaten fie mit mir.
As ich in der Kirche war, ſprach ich mit einem meiner
Neffen, dem Sohn meiner Schweſter, welcher aus ber Familie
von Sentelha und Doctor tft, und ferner mit meinen beiden
@öhnen, von welchen der Ältere Loys, ber andere Ramon hieß.
Und fammt meinen Begleitern und Dienern bereiteten fie ſich
zur Kuͤckkehr vor, im Fall Gott über mid verfügen follte.
Und ich übergab dem Deren Bernat v. Gentelha, meinem Ref:
fen, mein Zeflament, weiches ich in Majorca verfaßt hatte.
Und, als Alles fo vollführt war, fragte mich ber Prior, der
Herr von Proceffio und die Kiofterbrüber, wo ich für den Fall,
daß ich umläme, begraben werben wollte, und ich antwortete,
daß die Erbe die Begräbnißftätte der Todten fei und daß ih
fonady ihnen die Wahl Überlaffe, und fie führten mich in Pro«
ceffion zur Pforte des Fegefeuers und ich ſchlug dort vier zu
Sittern, unter weichen meine beiden Söhne waren; bie beiden
Andern waren ein Engländer, Namens Monfenbor Thomas und
ber Andere der Monfenhor Peyre Masco aus dem Königreiche
Balencia. Und bann fangen fie die Litanei und gaben mir
Weihwafler und der Prior öffnete mir die Thuͤr und fagte mir
vor allen Anwefenden folgende Worte: Ihr feht den Drt, in
weichen Ihr einbringen wollt; aber, wenn Ihr meinen Rath
bören wollt, fo werbet Ihr umkehren und auf irgend eine ans
dere Art Buße thun für Euer Leben in dieſer Welt; denn viele
Menſchen find Hineingegangen, bie nie zurücgelommen und fo
mit Leib und Seele verloren gegangen find, weil fie nidht ein
feftes Vertrauen auf Bott und Jeſum Chriſtum gehabt und fo
nicht die Qualen, welche da unten find, haben ertragen können.
Wenn Ihr indeffen durchaus hineingeben wollt, fo will ich Euch
fagen, was Ihr finden werber.
Und hierauf erwiberte ich ihm, daß ich mit Gottes Willen
eingeben werbe, um mich von meinen Sünden zu reinigen.
Da fagte er mir: Bon der Höhle will ich Euch nichts fas
gen; denn Gure Augen werben finden; aber an einer gewiſſen
Stelle wird Bott feine Boten fenden, welche Euch von Allen
unterrichten werben, was Ihr thun follt, und fie werben alsbalb
von bannen gehen und Euch wohlbehaiten zurüdlaflen, wie Ihr
gegenwärtig feld und wie fle mit Denen gethan haben, fo vor
Euch bineingegangen find.
Und barauf nahm ih von Allen, welche gegenwärtig wa:
sen, Abſchied und kuͤßte fie auf den Mund und empfahl mid
Gott und ging hinein und Hinter mir folgte ein Nitter, Nas
mens Mol r Guilhem, Dr. v. Goucy, weicher ber größte
der an ee Gemahlin die größte Dan in der I
der Königin von England, einer Tochter des Königs von Frank⸗
seich, waren. Und er machte alle bie Dinge, we
@intritt in das Pegefeuer zu thun ziemt, mit mir durch, wie
I6 tte.
” nr Ahertrüber foderten uns nachdruͤcklich auf, nicht mit⸗
einander zu fprecyen. Und, obgleich die mir gemachten Mittheis
tungen, die vielfach erwähnten Gefahren, bie verfchisbenen Qua⸗
ien, durch weiche alle Die, weiche hineingegangen, verloren ges
wefen und geftorben waren, mir einige Zweifel in ‚Her; unb
Self trugen, ließ body der fefte Wille, den ich hatte, meiner
Sanden ledig zu werden, mich Alles vergeffen, was mir hätte
zuftoßen können.
Ich empfahl mich den wirkſamen Gebeten der Guten und
rüftete mich mit Vertrauen und Glauben, fo viel ich konnte, und
bezeichnete mich mit dem Zeichen des Kreuzes und empfahl mid)
Gott und ging ein zum Fegefeuer und mein Befährte nach mir.
Und der Prior verſchioß die Thuͤr und Lehrte mit den
Geiſtlichen in die Kirche zuruͤck.
Hier num befchreibt Perilhos weitlaͤufig die verſchiede⸗
nen Steafen und Martern, stwelche er im Zegefeuer über
die Seelen der ſuͤndig Verſtorbenen verhängt gefehen hat;
er hätt fich jedoch die ihn verfuchenden Dämonen durch
fein inbrünftiges, an Jeſum Chriftum gerichtetes Gebet
fen. Der Verf. des Manuferipts ift bier volllommen
übereinftimmend mit den früher citirten alten Schriftſtel⸗
lern und mit den biefen Gegenftand barfiellenden alten
deutfchen Malern, auf melde ich mic ebenfalls In mel:
nem Vorworte bezog. Ich glaube alfo diefen Theil des
Manuferipts übergehen zu bürfen, ohne das Intereſſe an
dem Ganzen zu beeinträchtigen. Perilhos fährt dann fol:
gendermaßen fort:
und ich fah viele von meinen Kameraden und viele, bie
ich Zannte, und manche von meinen Verwandten und Verwand⸗
tinnen.
und bafeibft ſah ich den König Don Juan von Aragonien
und den Bruder Franz Deipueg, vom Orden ber Minoriten des
Kiofters zu Gerona. Ich fah auch bie Donna Albofa de Que⸗
zalc, meine Nichte, weiche noch nicht geftorben war, als ich
mein Land verließ und deren Tob id) no nicht wußte,
Alle dieſe befanden fih auf dem Wege zum Heil, aber für
ihre Sünden waren fie noch in der Pein. Die größte Strafe,
weiche meine Nichte zu erdulden hatte, war für bas Schminken
ihres Geſicht bei ihren Lebzeiten. Der Bruder Franz, mit wel⸗
chem ich ſprach, erlitt feine größte Strafe für eine Nonne, wels
&e er aus einem Klofler entführte, und er würde verdammt
worben fein, wenn er nicht durch die große Reue und Zerknir⸗
ſchung gerettet worden wäre, die er über feine Sünden fühlte,
fowie durch die während feines Lebens angeftellten Büßungen.
Und ih fprady auch viel mit bem Könige, meinem Deren,
welcher durch die Gnade Gottes auf dem Wege des Heild war.
Den Grund, weshalb er litt, will ich nicht fagenz ich führe nur
an, baß die großen Könige und Kürften, die in ber Welt find,
fi) vor allem Andern hüten follen zu Vergnügen, oder Gunſten
irgend Eines oder Irgend Einer Recht zu fpreigen.
Noch andere Männer und Frauen von dem Gefchledhte, aus
welchem ich entfprungen bin, ſah ich da; ich würde nicht von
ihnen reden, wenn nit, um Gott zu danken; benn fie find
auf dem Wege zum Heil; wollte Sott, daß wir unter biefer
Zahl wären, wenn wir nicht beffer können.
Wenn in der Welt die Menfchen wüßten, wie bie Sünden
oeftraft werden, fie ließen fich lieber in kleine Stüde fchneiden,
als daß fie dergleichen zu begehen wagten.
Nachdem der Wanderer den Scauplag der Qualen
durchſchritten hat, kommt es an eine Thuͤr, die von Aue
und koͤſtlichem Geftein ſchimmert; Wohlgeruͤche ſtroͤmen
aus derſelben hervor, als ſie ſich einer Proceſſion oͤffnet,
welche zu ſeinem Empfange dem Ritter Perilhos entge⸗
genkommt und ihn in ein feenhaftes, von uͤbernatuͤrlichem
Lichte ſtrahlendes Land voll grünenber Wiefen, mit Fruͤch⸗
ten beladener Bäume, voll Blumen und riefeinder Bäche
führt. Perilhos wird durch zwei Erzbifcyöfe, die ihn Er⸗
läuterungen und weile Lebensregeln geben, an eine Thür
geleitet, durch die er in das Eingangsgewölbe zum Fege⸗
feuer zuruͤckgelangt. Er fchläft hier aus Erſchoͤpfung ein;
ein Donnerſchlag erweckt ihn; feine Augen fallen zunaͤchſt
auf feinen Gefährten, welcher gluͤcklich, wie er felbft, zuräd:
gekehrt if. Dann Öffnet fi die Thür ber Höhle und
die beiden Pilger werden mit großen Freudenbezeigungen
von der Geiftlichkeit des Kloſters empfangen und in die
Kirche zurtchgeführt, wo fie ein Dankgebet für den ihnen
gnädig gewährten Schug an Gott richten.
Perilhos kehrt auf demfelben Wege, auf welchem er
gefommen, in fein Vaterland zurüd; er bringt das Weib:
nachtefeft, wie ſchon früher erwähnt, beim Könige Vrnel
zu, verweilt einen Tag im Schloſſe des Grafen von der
Marche, flattet dem König und der Königin von England
einen Beſuch ab und begibt fih durch die Picardie an
den Hof des Königs von Frankreich; feine Erzählung
endet folgendermaßen:
und ich biieb bafelbft (db. b. am Hofe bes Könige von
Frankreich) an fieben Wonate auf Befehl des Papftes umb ich
war mit dem Könige bei den Zurnieren, welde er bem Kaifer
von Deutfchtand gab, ber auch König von Böhmen war *); der
König von Ravarra**) war auch dabei und verfcdhiebene Her⸗
zöge unb große Herren.
Und als der König nach Paris zurädgefchrt war, reifte
ih ab und ging nach Avignon zuräd zum Papfte, welcher mich
auf ausgezeichnete Weiſe empfing.
Zept bitten wir unfern Seren Jeſum Chriſtum, weldger
alle Dinge in feiner Gewalt bat, daß er durch feine Heilige
Gnade uns bergeftalt in der Welt leben laffe, daß wir und vom
unfern Sünden reinigen und am Ende, in der Stunde bes or
des und ‚Dinfcheidens, die Strafen vermeiden mögen, fo Ihr
habt erzählen hören, und baß wir mögen zu jenem Ende ge⸗
langen, welches niemals aufhören wird.
Und mögen Alle, melde biefe Erzählung leſen, beten file
mich, den Vicomte dv. Perilhos und Roda. Amen.
Touloufe, im April 1843.
W. v. Rhetz.
) Wemeslaus hatte im Jahre 1997 eine Zufammentanft wit
Karl VI. zu Rheims.
**, Karl Ill. von Navarra.
Literarifhe Anzeige.
in Port ae ut hanhlungen ift von ®. 8. Brockhaus
Kannegiesser (R.L.), Iphigenia in Delphi.
Scaufpiel in drei Acten, mit einem Borfpiele: Iphi-
genie’s Heimfahrt, und einem Nachipiele: Iphigenta's
d. Gr. 8. Geh. „12 Near.
Berantwortlicher Herauögeder: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von B. A. Brodhaus ia Leipzig.
Blätter
für.
literariſche Unterhaltung.
Mittwod,
Bon Minh: Räder. *)
Als König Friedrich VL im Kieler Tractat den 14. Ja⸗
nuar 1814 und in den darauf folgenden Öffentlichen Ae⸗
ten jedem Recht auf die Krone Norwegens entfagte, war
es geroiß keineswegs feine Meinung, bie abfolute Macht,
welche er von feinen Vorfahren als die lebende Erinne:
rung der Irrthuümer und Vergeben, Lift und Schwach⸗
heit der Vorzeit ererbt hatte, dem Wolle zuruͤckzugeben.
Die Rechte, welche die Actenftäde von 1660 und 1661
dem - olbenburgifchen Stamm übertragen hatten, wur:
den von feinem Haupt einftimmig und bem beitehenden
Grundgefeg zuwider, durch die Noch gezwungen, dem ſchwe⸗
difhen Hofe überlaffen, deſſen Leiter, Karl Johann, ſtark
durch die aufßerorbentlichen Dienfle, welche er dem gegen
Napoleon vereinten Europa erzeigt, und auf den Bund,
in welchem Rußland, England und mehre Mächte bie
Abtretung Norwegens garantirt hatten, fußend, am Biel
feiner Wunſche, der Bereinigung der flandinavifchen
Zeenge unter Einem Scepter, zu ſtehen hoffte. Dieſer
ebanke, den Schweden ——* genaͤhrt und ſeit
Guſtav's IV. Fall mit Eifer zu realiſiren geſucht hatte,
war von Kaͤrl Johann mit Intereffe aufgefaßt, und mit
einer Kühnheit, welche dieſer Feuerſeele eigen war, hatte
er befchloffen durch eine folche Begebenheit eine neue Ara
zu begründen, und Strahlen des Ruhms über ihren An:
fang ausgießend, die Legitimitdt feiner neuen Dynaſtie
zu befeftigen. König Friedrich entband das norwegiſche
Volk am 18. Jan. feines Eides und ber Pflicht gegen
ſich und foderte e8 auf, fidy der ſchwediſchen Herrſchaft
ruhig zu unterwerfen. Die Rormeger, welche Friedrich
tiebten und zugleih im Ganzen ſich mit dem freundii:
hen daͤniſchen Volk fehr gut verteugen, fühlten ſich bit-
ter gekraͤnkt durch diefe Abtretung, deren Machricht, ob:
gleih man fie lange geahnet, unerwartet und unfiher —
wie ein Blitz — duch das Land fuhr; und Manche
glaubten fi, obgleich gewiß mit Unrecht, von ihrem Rd:
nig getäufcht und verrathen, der noch am 3. Sept. 1813
*) Rad) der im Jahr 1841 in Ehriſtiania herausgekomme⸗
nen fe bes Verf.: „Den norfte Eonftitutions Diftorie og
aeſen.“
erklaͤrt hatte, daß er ſich keinen ſchimpflichen und un⸗
ſichern Frieden durch das Opfer ſeiner treuen und tapfern
Normaͤnner erkaͤmpfen wolle. Die Zahl Derer war klein,
welche dieſe Begebenheit gleich als die gluͤcklichſte ſeit un⸗
denklichen Zeiten zu ſchaͤtzen wußten, und einſahen, daß
dieſe Handlung die wohlthuendſte war, welche wir dem
oldenburgiſchen Stamm danken; Wenige faßten es gleich,
daß der hoffnungsvollſte Moment ſeit der ungluͤcklichen
Verbindung mit Daͤnemark der war, worin ſie aufgeloͤſt
ward. Aber Alle waren darin einig, die Abdication Koͤ⸗
nig Friedrich's anzunehmen, waren froh, ihres Eides
foͤrmlich entbunden zu fein, und erfannten ihn von fels
nen Pflichten gegen das Volk ebenfo befreit, wie er fchon
erklärt hatte, fie nicht länger erfüllen zu können; das
norwegifhe Volt gab ihn auf, wie er ed aufgegeben
hatte. Doch auf eine Abtretung an Schweden wollten
wir und nicht einlaffen; der abfolute König konnte ebenfo
wenig wie der König der Könige al feine Macht einem
Andern übertragen; das abfolute Dominium tonnte nur
Friedtich's III. Nachkommen und keinem Andern zukom⸗
men; denn ihm allein hatten unfere Vorväter fih und
ihre Nachkommen mit But und Blut überantwortet.
Diefee Grund marb indeß wenig oder gar nicht hervor:
gehoben, wenigſtens nicht auf diefe Art, während andere
weniger unbefreitbare bei den fpätern Verhandlungen in
den Vordergrund gefhoben waren; wir fagten 3. B., daß
wie nicht nöthig hätten, Befehlen zu gehorchen, weil wir
unfers Eides unbedingt entbunden fein, und daß wir
gerade durch dieſe Weigerung den erfien Act unferer wies
dergegebenen Selbftändigkeit ausübten, wohingegen man
uns wiffen ließ, daß die Löfung nur bedingt aufzufaflen
ſei. Wir fagten meiter und belegten es mit ben Bel:
fpielen Spaniens und anderer Länder, es fei im Voͤlker⸗
recht anerkannt, daß Fein König fein Reich weggeben
koͤnne; wir wären ein eigenes Volt und wären immer,
wie fehe auch unfere Rechte gekraͤnkt, als Unterthanen
eines eigenen Reichs angefehen; wogegen ſich dann mie:
der einmwenden ließ, daß unfer Land doch im Grunde
nichts Anderes als ein Theil des dänifchen Staats gewe⸗
fen und mit deffen übrigen Provinzen ſich in gleicher Lage
befunden babe. Mehr als alles Raiſonnement wirkte
auf Männer, die fi immer al& frei angefehen hatten,
das unmittelbare Gefühl der Derabwürbigung beim Em:
pfang der Nachricht, daß man in ber Ferne, wo das
Vaterland fo manchmal zerſtuͤckelt und getheilt, jegt da⸗
mit geendet babe, dieſes felbft und Alles, was ihnen lieb
war, an Jemanden zu veräußern, ben fie von Herzen
haften. Sie wurden fo wenig durch bie legitimiſtiſchen
Deincipien und Terminologien beruhigt, daß fie eher bei
dem Gedanken, „mit vollem Eigenthumsrecht“ überant:
wortet zu werden, von Indignation überwältigt wurden
und gerade in biefem bitten Gefühl den Beweis dafür
fanden, daß es darauf ankomme, die heiligen Menſchen⸗
rechte zu vertheidigen, die höher ſtehen al6 das durch Ges
walt und Zwang beflimmte Recht.
Pas nun aud) die Gründe waren, ber Kieler Tractat
ward damals ebenfo wenig wie jemals fpäter von den
Norwegern anerkannt. Gleichzeitig mit der Nachricht
ſcheint faft Überall der Gedanke an Widerfland gewefen
zu fein, und Prinz Chriftian Friedrich, der feit dem Fruͤh⸗
jahr 1813 das Land in der Eigenfhaft eines Stattpal:
ters verwaltet hatte und mahrfcheinlicherweife, wenn er
gewollt, den Schweden bedeutend in die Hände hätte
arbeiten Finnen, hörte lieber auf die Stimme feines Ge:
wiſſens und Volks als auf die des Übermundenen Kö:
nigs. Schon im Januar, ehe noch das Bolt, außer
Chriftionia, die Bedingungen bes Friedens näher kannte,
trat er eine Reiſe nach Drontheim an, unterhielt ſich
auf dem Wege dahin mit dem Volk und erfuhr fo feine
Stimmung. üÜberall aͤußerte man Abſcheu vor dem
ſchwediſchen Joh, an manchen Drten flanden Alte und
Junge mit Thraͤnen in den Augen, fegneten den gelieb:
ten Sürften, während fie ihm aus innerſter Überzeugung
Treue im Leben und Tode gelobten. In Drontheim
zeigte er gleich nad feiner Ankunft deutlich, daß er fei-
nen Beichluß gefaßt habe: er erffärte nämlich am 5. Febr.
öffentlih: „Norwegen foll ungetheilt und unbezwungen
befteben. Ich bin unzertiennlih von Norwegen; mein
Vertrauen babe ich auf das norwegiſche Volk geſetzt, meine
Hoffnung auf Gott; die Liebe des Volks fol mein Lohn
fein!” Dagegen ward damals nod nicht Öffentlich von
einer Staatsverfaſſung gefprochen oder gefungen. Die
Selbftändigkeit des alten Norwegens und der Prinz wa⸗
zen immer Gegenfland der Toaſte und der Refrain ber
Lieder. Inzwiſchen hatte doch ber Gedanke an bie Wie:
bergeminnung ber Volksfreiheit beim Volk Eingang ge:
funden und dem Prinzen fehlte es auf dieſer Reife nicht
an Gelegenheit, dies zu erfahren. Als man merkte, daß
der Prinz die Alleinherrſchaft aufrechterhalten wollte, ver:
breitete fih eine unuhige Stimmung; drohende Gerüchte
von wirklichen Unruhen und von Volksverſammlungen
unter ber Anführung einzelner Patrioten waren im Ums
(auf, und der Prinz fand ſich veranlaßt auf feiner Reife
nah Chriftiania hinunter, ungefähre fünf Meilen von
diefer Stabe, in Eibsvold, anzuhalten, wohin er mehre
angefehene Maͤnner berief, um ihren Rath zu hören.
Hier kamen nun Carfien und Peder Anker, Amtmann
Coltet, Profeffor Treſchow, Oherfllieutenant Haffner, Bi:
(hof Bel, Agent Nielfen, Profeffor Sverdrup u. 2%.
zufammen; Alle oder wenigftens bie meiften von Chriftia-
nia. In biefee Verſammlung war es, baß er die ge
reifteften Anfihten daruͤber hörte, auf welche Baſis das
Staatsreht Norwegens für die Zukunft gegründet werben
müfle. Der Prinz hatte geglaubt, daß er, als naͤchſter
Thronfolger nach König Friedrich's Abdication, feine Herr
ſchaft auf das Koͤnigsgeſetz begruͤnden und ſo fortfahren
koͤnne, als legitimer von Gottes Gnaden eingeſetzter Fuͤrſt
davon Gebrauch zu machen. Doch der Meinung war
die Majoritaͤt nicht, die Rechte des oldenburgiſchen Na⸗
mens wurden durch das Vorhergegangene als unwider⸗
ruflich erloſchen angeſehen. Das Recht des Volks war
das Einzige, das noch beſtand; ſollte das, durch ſo manche
Ungluͤcksfaͤlle niedergedruͤckte Volk ſich noch mit der Kraft
erheben und zu den harten Opfern bereit fein, die erfo⸗
bert wurden, um ben Ausgang des bevorfiehenden Kam:
pfes einigermaßen zu fichern, fo mußte ein neues Agens für
die Kraftanftrengungen, ein neues und maͤchtig befeelen:
bes Princhp zur Entwidelung des Volkslebens, ein Ge:
genftand für den Enthuſiasmus aller Bürger gefchaffen
werden. Inſonderheit war es Profeffor Sperdrup, dem
es glüdte den Prinzen zu überzeugen, daß die Souverais
netät jezt beim Voll ſei. Er fand fi zuletzt in der
Verfammlung ein, da er erſt am Morgen deſſelben Ta⸗
ges von Chriftiania hberberufen war; nachdem er zum
Prinzen gerufen war, dußerte er feine ihm entgegengefeßte
Meinung und nad einer vierftändigen lebhaften Discuf:
fion erklärte der edle Fuͤrſt fih auf ebenfo liebenswuͤrdige
als rührende Weiſe überzeugt, und übertrug ihn, Mehre
der Verſammlung gleichfalls zu überreden. Später kam
dee Prinz felbft in biefe und erklärte feine jetzt veränderte
Anſicht. Sverdrup entwidelte des Fürften Auffoderung
zufolge aufs neue feine Meinung. „Dies iſt das Mechte‘,
rief Treſchow aus, der vorher unficher gewefen war. Bed,
der für die abfolute Macht bes Prinzen fi entſchieden
hatte, ging gleichfalls zu ber Meinung der Mehrheit über,
fodaß, fo viel man weiß, C. Anker und Haffner allein
dagegen blieben.
Am 18. Febr. kam der Prinz nad Chriftiania zu:
ruͤck, und wenig Rage nachher erfchien ein Theil der zu
Eidsvold discutirten Acten, ber offene Brief und die Be:
kanntmachung vom 18. befjelben Monats, worin erklaͤtt
ward, daß bie Nation befchloffen habe, fi Schwedens
König nicht zu unterwerfen, baß der Prinz vorläufig dem
Zitel des Megenten mit all ber Machtvollkommenheit am:
nähme, von der Friedrich VI. fich losgeſagt hatte, und daß
die von der Nation gewählten Repräfentanten fih am 10.
April in Eidsvold verfammeln follten, um eine neue Res
gierungsform feflzufegen; „von dieſer“, beißt es in ber
Belanntmahung an das norwegifhe Voll, „wird eb
abhängen, ob ich ferner bie Stelung einnehmen fol, zu
welcher der Wunfh ber Nation mid in diefer Stunde
euft”. In einem Girculair an die Biſchoͤfe warb erklärt,
„daß dem norwegifchen Wolf, dem fein urfprüngliches
Recht, Telbft die Megierungsform zu beflimmen, zurüdges
geben ſei, jest durch Einträchtigkeit feine Selbftändigkeit
handhaben könne; und dann angeorbnet, daß das Bol,
im Xempel des Herrn verfammelt, aufgefobert werben
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fole, auf die Handhabung von Norwegens Selbſtaͤndig⸗
Belt einen Eid abzulegen; ber Segen des Himmels folle
von den Predigern Über das norwegifche Volk herabgefleht
und der Tag ſelbſt als ein Bettag angefehen werben.
Dann follten auch Nepräfentanten gewählt werben, welche
die Adrefien an ben Regenten zu überbringen und bie
Gonftitution des Landes zu beftimmen hätten. Auf dem
Lande ward in jeder Gemeinde die Wahl zweier Maͤn⸗
ner unter den angefeffenen Beamten und größern wie
Heinen Landbefigern angeordnet; der eine der Gewählten
foute ein Bauer fein. Alle diefe, auf ſolche Weiſe ge:
wählten Märmer jebed Amts ernannten wieder drei Män:
ner, um bdaffelbe in der Reichsverſammlung zu vertreten.
In den Städten fand gleichfalls eine doppelte Wahl
flatt, wo mehre Gemeinden waren, aber wo nur eine war,
war bie Wahl direct; eine jede Stade fandte einen Re:
präfentanten, bie vier Stifteftädte ausgenommen, beten
jede zwei bis vier Deputirte. Die Wahlberechtigten in
den Städten waren Beamte und Bürger. Da das
Militair großentheild von feiner Heimat entfernt lag,
wurden für die Beikommenden befondere Wahlen verans
ſtaltet. Won ben verfchledenen Unterabtheilungen wählte
eine jede zwei Wahlmänner (einen eingeborenen Offizier
und einen zu den untern Glaffen gehörigen Landmann),
welcher für jedes Regiment und flr jedes Corps zwei,
für den Seretat vier Deputirte answählten — zur Hälfte
Offiziere, die übrigen untergeordnete Militairs.
Dies war das Wahlſyſtem, wodurch Chriſtian Friedrich
am fchneliften und ficherften fi) mit den wahren Reprä:
fentanten des Nationalwillens umgeben zu koͤnnen glaubte.
Am 22. Gebr. ſchon ſchwor das Bürgermilitaie und bie
Barnifon in Chriftiania auf dem Markt der Stadt den
Eid, und am 25. Iegte der Prinz vereint mit ber Ges
meinde in der Erxlöfersliche den Eid ab, Norwegens
Seibftändigkeit zu handhaben und Blut und Leben für
das geliebte Waterland einzufegen. Bon allen Seiten
des Landes liefen Berichte über die MWaterlandsliebe und
die Einftimmigfeit ein, womit man bem unglüdiichen
Vaterlande Treue gelobte, beſonders fheinen bie Bewoh⸗
ner Bergens und Drontheims ſich duch ihren Eifer und
Vertrauen ausgezeichnet zu haben. Letztere fchoffen Geld:
mittel zufammen, bie fie zur Dispofition des Prinzen
fteliten, und ihrem Beiſpiele folgten fpäter, nachdem der
Prinz König geworben war, die von Chriſtiania, Dram⸗
men, den Oſter⸗Risoer⸗, Moß⸗, Skien⸗ und Porsgrund,
Arendal, Frederikshald, Konger, Toͤnsberg, dem ager
Kirchſpiel, das nordenfjeldfihe Infanterieregiment, ſammt
mehren Städten, Diftrieten und Corporationenz die Das
men in Drontheim und dem Oſter⸗Risoer opferten außer:
dem Geſchmeide und Geld zu Norwegens Krone. Unter
au diefem Enthuflasmus und biefen Hulbigungen hatte
man ſich zum Werk der Gonftitution vorbereitet; Privat:
männer hatten für eine gute Abhandlung über bie künftige
Megierungsform des Landes eine Prämie von 6000 Thlr. aus:
gefest ; und ein Journal ward gegründet zur Aufbewahrung
von Beiträgen, die fuͤß Norwegens zukünftige öffentliche und
private Sefeggebung von Wichtigkeit fein dürften.
⁊
Alle hier im Lande waren indeß nicht einig; es fan⸗
den ſich auch Manche, die mit dem Gang, den die Sa⸗
chen nahmen, nicht zufrieden waren, dieſe waren naͤmlich
keine abſoluten Widerſacher einer Vereinigung mit Schwe⸗
den, ſondern fanden den Kampf ſowol ſchonungslos als
unnuͤtz, wenn man ohnedies die vortheilhaften Bedingun⸗
gen erreichen konnte. Koͤnig Karl hatte ſchon in ſeiner
Proclamation vom 8 Febr., welche wie Alles, was ver⸗
handelt wurde, gewiſſenhaft vor die Augen des Volks
gelegt ward, verſprochen, eine Conſtitution zu geben, ge⸗
gruͤndet auf Nationalrepraͤſentation und Steuerbewilli⸗
gungsrecht, „die ſchoͤnſten Rechte, welche einem edeln und
tapfern Volke zukommen“, und es ſchien natuͤrlich, wenn
die Repraͤſentanten der Nation, nachdem ſie alle Kraͤfte
des Volks aufgeboten und eine kriegeriſche und ernſte
Haltung angenommen, ſich in Unterhandlungen einließen,
fie dann für die Zukunft dem Lande ſicherere Garantien
zutsege bringen würden, als wenn fie unfere Intereſſen
ganz vereinten mit denen des Prinzen Chriftian Friedrich,
deſſen Verhaͤltniß zu Dänemark ihnen eine Wiederanknuͤ⸗
pfung der unfeligen Verbindung mit biefem Reiche wahr:
fheinlih machte. Im Ganzen wurden body die Ideen
biefer Ealtblätigern, aber zum Theil auch tiefer fchauen-
ben Männer keineswegs von der Maſſe des Volks ges
theilt, und fpäter in ber Reichsverſammlung ſtellten
Sperdrup, Falfen, der Paftor Rein und viele ausge:
zeichnete Dinner fich ihnen entgegen. Friede war wol
ber allgemeine Wunſch und Drang Aller, aber ber Haß
gegen die Schweden und das Mistrauen in ihre Verſpre⸗
dungen war doch noch viel flärker. Die perfönliche Lies
benswuͤrdigkeit Chriſtian Friedrich's machte ihn zum Abgott
des Volks, feine Aufrichtigkeit und völlige Dingebung für
die Sache, welche er als feine allein anſah, die Liebe und
das Vertrauen, daB er dem Wolke bewies, unb feine Ach:
tung für defjen Rechte, dies Altes hatte ihm die Herzen ge:
mwonnen und nötbigte Die, welche nicht glaubten, baß
man an ihn bie Hoffnung auf Erlöfung des Vaterlands
knuͤpfen bürfe, ſich zuruͤckzuhalten und die größte Vor⸗
fiht zu zeigen, um nicht als Verraͤther angefehen zu
werden. Obgleich ihre Anzahl nicht ganz unbedeutend
war und angefehbene und ausgezeichnete Männer, wie
Graf Wedel: Sarlsberg, die Kammerherren Loͤvenskjold
und Peder Anker, die Prediger Wergeland und Grogaard
u. 3. fih unter ihnen befanden, verhielten fie ſich fogar
in der Reichſsverſammlung zum Theil paffiv. _ Diefe
ward, nach gehaltenem Gottesdienft am Il. April vom
Prinzen eröffnet, ber in feiner Rede wieder ausfprach,
daß es ihr Beruf fei, den Grund zu einer Verfaffung
zu legen und fie Norwegen zw geben, und trug barauf
an, daß fie felbft woͤchentlich ihren Präfidenten wähle
und einen Comite zur Kortfegung des Conſtitutionsvor⸗
ſchlages ernenne.*) Ein Fürſt, der fo ohne Ruͤckhalt
*) Der Vorſchlag gu unferm Grundgeſetz ging alfo ebenfo
wenig, wie biefes felbft, von Prinz Chriſtian aus; uneigennügig
und edel, erleichterte er die Arbeit durch Wegräumung ber aͤußern
Hinderniffe, doch dem Volk ſelbſt überließ er die Ehre feiner
Ausführung und vermieb jeben Schein, auf feine fouverainen Bes
die Berechtfame ber Repräfentation anerfannte, konnte
nicht in Conflict mit Männern gerathen, bie ihn ehrten
und feine redlichen Abfichten kannten; deshalb waren fall
alle einig, Mäßigung zu zeigen und ſich jedes vorläus
figen Proclamicens ihrer Souverainetät zu enthalten.
Selbſt Graf Wedel — welcher unter der Discuffion we:
gen einer Dankadteſſe ed unwuͤrdig erklärte, zu zweifeln,
daß die Souverainetät des Volks jegt bei der Verſamm⸗
ung ruhe — war fo gegen daB Amendement, daß bie
Berfammlung, indem fie den Prinzen bat, bis auf Weiteres
die Regierung fortzufegen und ihm dazu förmlid Macht
und Mündigkeit mittheile, ihre Machtvollkommenheit
decretiren möge. Später zeigte fich indeß weniger Einig⸗
keit in der Verſammlung, ale es barauf ankam, eigents
Jich zu beſtimmen, wie firenge fie ſich an ihre Vollmach⸗
ten balten follte, die meiſtens nur darauf ausgingen,
daß die Depusisten die Staatsverfoflung beflimmen fol:
sen, oder ob fie auch in allen Beziehungen, wo fie felbft
wolle, unmittelbar in bie Staateverwaltung «ingreifend
auftreten und jegliche Mittel zum Wohl des Vaterlands
anwenden könnten. Jetzt galt die Frage nicht mehr eine
Form, fondern eine wichtige Realität. Es ward indeß
dieſer Punkt durchaus nicht confequent erledigt, denn
Die, welche das Vaterland und Chriftian Friedrich für
unzertrennlih anfahen und fürchteten, baß eine dictato:
zifche Reichs verſammlung bie Energie in den Veranftal-
tungen des Prinzen hemmen werde, und vielleicht zugleich
die Möglichkeit davon erwogen, daß die Majorität fich durch
den Bang der Begebenheiten günftiger für die von den Schwe⸗
ben uerlangte Verbindung flimmen laffen möchte, behaupte:
ten, daß die Vollmachten allein die Bafis für die Befugniß
der Repräfentation bilden, aber fie handelten ſelbſt dagegen.
So festen fie mehre auf die fupponirte bictatorifche
Befugniß gegründete Maßregeln buch, indem fie eine
neue Zettelemiffion becretitten und bie Zettel zu einem
gewifien Curs garantirten, wohingegen fie ſich auf jene
GSrundfäge beriefen, wenn es galt, die Vorſchlaͤge ber
Segenpartei zu flürzen. Am waͤrmſten ward der Streit,
als der Screnflriver Falfen eine vorläufige Beſtimmung
daruͤber vorgefhlagen hatte, baß die Verfammiung, fobald
die Gonftitusion fertig und der König gewählt fei, als
aufgelöft angefehen werden folle. Die Oppofition wollte,
daß die Reichsverſammlung, „die Seele des Meiche, bie:
ſes Eopfende Herz des Reichs,“ nicht getrennt würde, fo
lange das Schidfal deſſelben noch wankte; im Gegentheil
ſolle fie ſich aufs genauefle von den aͤußern Verhaͤltniſſen
unterrichten, und wenn etwas Wichtiges vorfallen ſollte,
ſchluͤſſe einzuwirken. Wenn Koͤnig Chriſtian VIII. es, ſo weit
bekannt, nicht noͤthig gefunden hat, der in Daͤnemark ſo oft
wiederholten Behauptung, unſere Verfaſſung gegeben zu ha⸗
ben, zu widerſprechen, ſo iſt dies wol nur geſchehen, um
nicht als ein Solcher misverſtanden zu werben, der bie ehren⸗
volle Rolle, welche er bier in jener Zeit ſpielte, verleugnete;
und vielleicht dürfen wir es aud als einen Beweis anfehen,
daß König Chriſtian VIII. die Handlungen, wodurch er Norwe⸗
gend Wiedergeburt duch eine bemokratifche Derfaffung beför:
derte, unter feine liebfien und flolzeflen Grinnerungen zählt.
dahin ſehen, ne quid detrimenti respublica caperet, 2:
venskjold, Wergeland u. A. redeten mit [o überzeugender Kraft,
daß die Wagſchale bei der Votirung gerade 55 gegen 55
fland, ſodaß es allein durch die Decifion des Präfidenten
war, bag Falſen's Vorfhlag angenommen ward. Die
Dppofition befland Übrigens meiſtens aus ungefähr 30
Mitgliebern, etwas mehr al& der vierte Theil der ganzen
Repräfentantion. Gegen dieſe Eleine Maſſe Andersden:
Sender entwidelte ſich allmälig eine ziemlich ſtarke Bit:
tereit und Argwohn; man nannte fie Schwebdifchgefinnte
und fürchtete, daß fie keine echten Vaterlandsfreunde feien,
was befonders vom Graf Wedel⸗Jarlsberg galt.
(Die Zortfegung folgt. )
Literarifche Notizen aus Frankreich.
Zur Seſchichte der Philoſophie des Mittelalters.
‚Die durfen die phflofoppifdden Beſtrebungen ber Framoſen
nicht mehr ganz außer Acht laffen. Namentlich zeigt ſich unter
den jüngern Gelehrten, bie von Goufin angeregt find, ein gros
fer Eifer für das Studium ber Geſchichte ber Philofophie.
Wir haben unter Andern einen intereffanten Beitrag zur Kennt:
niß der Philofophie bes Mittelalters erhalten, auf den wir bier
aufmerffam maden wollen. Es iſt bies eine Schrift unter dem
Zitel: „Le rationalisne chretien à la fin du Ilidme siecle,
ouvrage qui a obtenu à l’Academie francaise la premiere
medaille du prix de traduction‘‘, von H. Borchitté. Diefes
Heine Wert gibt zuvoͤderſt eine fehr gelungene überfegung ber
zwei befannten Abba en von Anfelm von Canterbury
(„Monologium‘ und „Proslogium‘‘), welche die Quinteſſenz des
mittelalterlichen Rationalismus bilden, und dann noch ſehr ges
diegene Einlcitungen und Anmerkungen, bie ein Mares Licht auf
diefe Periode der Gefchichte der Philofoppie werfen. Beſonders
gelungen if ber Abſchnitt, in bem bes Verf. das Stefultat ber
Dhilofophie bes Anfelm von Canterbury in unferer modernen
pbitofophifchen Sprache wiedergibt. Bouchitteé der Profeſſor
der Philofophie am Eöniglichen Sollegium zu Verſailles ift, hat
ſich bereits durch zwei intereffante Denkſchriften befannt gemacht,
in denen er die Gefchichte der Beweiſe vom Dafein Gottes ent»
wirft und bie in ben „Mémoires des savants ötrangers’' der
Academis des sciences morales et politiques abgedrudt find.
Branzöfifhe Überfegung bes Martial.
Die frangöfifche Literatur bat einige gute profaifche Über
fegungen von den griechiſchen und roͤmiſchen Dichtern, waͤh⸗
rend die meiſten verſtſicirten Bearbeitungen ganz ungenießbar
find. In der Regel find naͤmlich biefeiben fo und
berwäflert, baß man das Original faum zu erfennen im Stande
if: Gegenwärtig fängt man nun an, auch bei den poetiſchen
bertragungen fih etwas firenger an ben Text anzuſchließen
und überhaupt mehr den Foderungen der Kritit nadhzutommın.
In biefer Beziehung ift eine neue Bearbeitung von Martial
vortheilbaft zu erwähnen. Sie führt den Zitel: „Epigrammes
de Dlartial traduites en vers frangais par M. Dubos; pre-
codees d’un essai sur Ja vie et les ouvrages de Martial
par J. Janin’ (Paris 1842). BDubos, ber ein ehemaliger
Profeffor de College Louis le Grand ift, bat fh mit dem
Geifte feines Autors fehr vertraut gemadt und fallt nur az
wenigen Gtellen in nichisfagende Umfchreibungen. Leiber Hat
er fi, „um des Anftandes willen‘, abhalten laflen, alle Epis
gramme zu übertragen, indem er den Martial von allem ins
züchtigen zu fäubern verfucht hat. Wir lieben diefe „caſtrirten
Ausgaben”, wie fie ein geiftreicher Philolog nennt, eben nicht
ſehr. 3. Sanin entwirft uns in feiner Ginleitung ein ſehr be⸗
benbiges Bild vom xömifchen Leben unter Domitian. 2.
Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brochaus in Leipzig.
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Donnerstag,
Hiftorifche Überfiht des Zuſtandekommens der
normwegifchen Sonftitution.
Don Minh: Niäder.
(Bortfefung aus Nr. 172.)
Das Conſtitutionswerk ſelbſt hatte unterdeß nicht ge:
ruht. Schon am 12. April wurden Mitglieder des
Gonftitutionscomite gewählt, nämlich Oberſt Hegermann,
Soͤrenſtriver Zalfen, Profeffor Sverdrup, Jakob Aall,
Daftor Rein, Sapitain Mosfeldt, Etatsrath Rogert, Graf
Wedel: Farlsberg, Juſtizrath Diriks, Paflor Wergeland,
Oberſtlieutenant Stabell, Zollprocurator Omſen, Propft
Schmidt, Kammerherr und Oberſt Peterſen und Propſt
Middelfart; ſie waͤhlten Falſen wieder zum Praͤſidenten.
Am 16. April ward ſchon auf Vorſchlag des Comité ein
Theil allgemeiner Grundfäge Über die Theilung der Macht,
über Religion, Preb: und Gewerbefreihelt angenommen ;
ruͤckſichtlich des erſtern Punktes warb erklärt, daß der
Regent des Landes ben Titel eines Königs führen und
feine. Würde erblich fein ſollte; ruͤckſichtlich des letztern
warb feine Bevorzugung geftattet. Gegen den Könige:
titel ward Verfchiedenes geäußert, und 31 Mitglieder
wollten nit, daß hierüber eine Beſtimmung feſtgeſetzt
werden follte, weil fie bezmeifelten, daß die Nation
Vermögen befäße, eine fo glänzende Würde zu unterhal:
ten. Daß das Volk durch feine Repräfentanten bie
Sefeggebung und das Steuerbewilligungsrecht ausuͤben
folle, ward einflimmig angenommen. Am 4. Mai trat
der Gomitd mir feinem Vorſchlag zu dem eigentlichen
Grundgeſetz hervor, wozu er theil® direct fremde Con⸗
flitutionen benutzt hatte (in den Details fehr die ſchwe⸗
Difhe, wie wenig man auch von ihrer eigentlichen
Grundlage annahm), theils die von Dielen eingefomme-
nen Berfuche und Vorſchlaͤge. Ein folcdher war von
Sörenftriver Weidemann, ein anderer vom Propft Werge:
land, einer (anonym) von dem Schweden Gyllenborg
u. f-w.; der Entwurf, weicher am meiften benutzt wurde,
war von dem Soͤrenſkriver Salfen und Lector (jest däni:
fcher Geheimer Staatsrath) Adler und in dem früher er
mwähnten Journal abgedeudt. Aus dem Wergeland’fchen
Entwurf ward der Name Stosthing aufgenommen, obs
gleich man gefürchter haben fol, daß er beim Nennen
deflelben mie entgegengefegt von Smaatbing (Kleinigkeit
klingen und fo ins Lächerliche fallen möchte. Die Arbeit
22. Zuni 1843.
in ber Reichsverſammlung gleich
zur Verhandlung gezogen, und unter Diriks, fpäter
Falfen’s Praͤſidium in folder Eile discutitt, daß man
am 11. fertig warb und das Werk einem Comité ven
drei Mitgliedern überliefert wurde, um es „in Stil
bes Comitd ward
und Ordnung” zu beingen. Zur Beförderung ber Eile
teug nicht wenig bei, daß ber Entwurf fi fo viel
wie möglich auf allgemeine Säge befchräntt, ohne in die
Details und die genauere Anwendung, bie immer fo
leicht Streit zwiſchen den Sintereffen weckt, einzugeben;
war gleichwol hier und da eine Frage, die mit ernfl>
licher Uneinigkeit drohte, fo fegte man fie aus und über
ließ ihre Erledigung dem naͤchſten Sterthing, welche Ver⸗
fahrungsweife um fo mehr mit den Wuͤnſchen des Hofes
und dee Majorität übereinflimmte, als fie allein bie
ſchnelle Auflöfung der Verſammlung hoffen ließ, ehe
ſchlimme Nachrichten die Bemrüther beunruhigen und mögs
licherweife der damaligen Minoritaͤt die Macht in bie
Hände fpielen konnten. Auf biefe Weiſe umging man bie
Frage wegen des Adels und der Wehrpfliht. Man über:
Heß der Zukunft gleichfalls, über die verfchlebenen Functionen
bes Odelsthing und Lagthing einig zu werben, nachdem
es durch Mehrheit von zwei Stimmen abgemadht war,
daß der Storthing in diefe beiden Kammern getheilt wer:
ben follte. Gegen den Antrag des Comite, ber im We⸗
fentlichen angenommen wurde und daher im Ganzen
ebenfo demofratifh ale unſer jetziges Grundgeſetz war,
opponirte man, nicht ſo ſehr aus dem Grunde, daß er in
dieſer Richtung zu weit gehe, als aus dem entgegenge⸗
ſetzten. So wollten Einige, daß kein Beamter ohne Ur⸗
theil abgeſetzt werden koͤnnte, durchaus voͤllige Gewerb⸗
freiheit decretirt, keine Orden ausgetheilt und daß der
König nicht Krieg erklaͤren koͤnnen ſollte, wenn der Staats:
rath einftimmig dagegen ſei; alles dies wurde indeß mit
großer Stimmenmehrheit verworfen. Auch gegen das
Odelsgericht ward vergebens geredet; bie Beſtimmun⸗
gen wegen bes Wahlrechts und ber Zutritt zu Beamtens
fielen wurden indeß nad vielen Discufflonen verändert.
Ein paar Beflimmungen waren politifher Natur und
gaben Anlaß zu Erneuerungen des Principſtreits zwifchen
dee Majorität und ben fogenannten Schwedifchgefinnten.
Der Comité hatte nämlich vorgefchlagen, daß der Koͤ⸗
nig nicht allein Lutheraner fein, fondern es aud immer
ER -
gewefen fein ſollte; obgleich dieſe, gewiß ſehr un:
paffende Beſtimmung darauf ausging, die Freiheit ber
Koͤnigswahl zu beſchraͤnken, und außerdem perſoͤnlich auf
ben ſchwediſchen Kronpringen angelegt, ſchien, ging fie doch
en 32 Stimmen durch. Die Oppofition ſank fogar
nr 11 herab, als fie verlängte, daß es dem König
bucchaus verboten fein folle, irgend eine- andere Krone an-
zunehmen, welcher Vorfchlag natürlich die Abſicht hatte,
den Prinzen Chriftian Friedrich in die Nothwendigkeit zu
fegen,, gleich und ſchließlich zwiſchen Norwegen und Däne:
mare zu wählen; die Majorität hingegen fand «6 hin⸗
eeihend, die Annahme einer fremden Krone an bie Ge:
‚aehmigung des Storthing zu binden. Das gegen Däs
nemark herrfchende Wohlwollen zeigte fich bei diefer wie
‚bei mehren Selegenheiten unter den Mitgliedern der ſtaͤrk⸗
fen Partei; einige wolten fogar, daß Dänen als Be:
amte angeftelt werben ‚könnten, wenigflens fo lange wir
‚nicht binlänglih mit Kandidaten verfehen feien.
Dder Redactionscomitd war fertig und verlas feine
Arbeit am 16. Mai, der man ohne weiteres beitrat,
‚ohne ſonderlich Gewicht auf die Freiheit zu legen, wo:
mit: der Gomite fein Geſchaͤft behandelt hatte; bei die⸗
fee Belegenheit verfchwand auch die Beflimmung ber Re:
‚Uglonsfreiheit aus dem Grundgeſetz.) Der 17. Mai
sone baflır feſtgeſetzt, daß die Repräfentanten bie Conſti⸗
tution und. die Wahl bes Könige unterjchreiben ſollten.
Doch ward man allein mit legterm fertig, und dies vom
17, Mai datirte Eremplar, das dem König überreicht
.wurbe, war nur im Namen der Verſammlung von ih:
ren Beamten unterfchrieben, die voliftändige Unterſchrift
fand erſt Tags darauf flat. Der 17. Mai iſt, wie bes
‚Aannt, immer als das Datum dieſes Grundgefeges ange:
..feben worden; und als foldhes wird der Zag auch im
. Zitel des jetzt geltenden Grundgeſetzes betrachtet.
Die Wahl Chriftion Friebrih’6 zum König war
. einftimmig; doch waren Berfchiebene, weiche es ferner
noch als übereilt anfahen, einen König zu wählen,
und deshalb diefen Act ausgeſetzt wuͤnſchten; es tar
nur, weil die Majorieät beſtimmt eine Wahl verlangte,
daß diefe „natuͤrlich den Prinzen wählte”. Die Oppo:
‚ fitlon war ungefaͤhr 16 Mann. Nah der Abſtim⸗
mung rief dee Präfidene Sverdrup aus: „Der alte
Koͤnigsoſtuhl Norwegens ift wieder errichtet, auf dem
Adelſtens und Svperas das alte Rorwegen mit Weisheit
und Kraft regierten. Gott fehüge das alte Norwegen!’
. Der legte Wunſch warb feieilid von ber tief gerührten
Befammlung wieberholt. Eine Adrefle, in welcher bie
: Königewürbe und bie Conflitution dem Prinzen angebo⸗
ten ward, wurde ihm durch eine Deputation zugefandt
und bie wartende Verſammlung erhielt gleich die Ant:
wort, daß er etwas Zeit zur Überlegung verlange, doch
. an Chriſti Himmelfahrt, am 19. Mat, feine Erklaͤ⸗
*) Lesteres foll indeß nur ein Abſchreibefehler in.
an, Girl Ca Se Banner vn Bi
‚a | war, eilig ins eine
ſchreiben und überfah diefe Zeile.
eung abgeben und die Verſammlung fchliefen teil.
Dadurch war angedeutet, daß kein Abfchlag zu befuͤrch
ten jet.
An dem beflimmten Tage fand Ge. koͤnigl. Hoheit
fi, vom Gtaatsenth And feiner übrigen Suite begleitet,
in der Reichsverſammlung ein. Seine Rebe begam fe:
Korweger, ber hohe ruf, zu dem das Verträuen Eurer
Mitbürger Euch erwählte, ift erfuͤlt. Die Baſis der norwegi⸗
fen Gonftitution if gelegt. Die Nation hat durch Euch ihre
ausgewählten Männer, ihre Gerechtfame gehandhabt, fie für bie
Zukunft befeftigt und durch eine weife Vertheilung der Macht
bie BWürgerfreipeit und Ordnung im Staat gefichert, welde zu
erhalten die ausübende Macht pflichtig und vermögend ifl. Die
für andere Etaaten —* erkaufte Erfahrung hat die Repraͤ⸗
fentanten des norwegiſchen Volks gelehrt, die Regierungsform
in gleihem Grabe vor dem Gepräge des Despotismus als vor
dem Misbrauch einer Volksregierung zu fhüsen. Das alte Kb:
nigreich verlangt einen Koͤnig, ber aber ebenfo wenig in Form
als That Deöpot fer Mein, der erſte Freund und Bater
feines Volks muß er fein.
Mitten in der Rebe ſchwur er ben Eid, uͤbereinſtim⸗
mend mit der Conſtitution und den Gefegen regieren zu
wollen, nachdem er erklaͤrt hatte, daß er die Krone Nor
wegens als die Babe eines treuen und auftichtigen Volks
annähme. Er erinnerte an feinen großen KWorgänger
Chriftian IV., wünfcte, daß fein Geift ihm begleiten
möchte, und gelobte, daß fein Beiſpiel dem Herzen fei-
nes Sohnes früh eingeprägt werden folle.*) Darauf
foderte er bie Verſammlung auf, die Conſtitution glei
falls zu beſchwoͤren, und erſt nachdem dies gefcyeben,
ſchloß er feine fhöne herrliche Rede. Zum letzten Male
verfammelte man fih am. 20. Mai, um das Protokoll
zu unterfhreiben und voneinander Abſchied zu nehmen.
Nach Auffoverung des Gommandeur Fabricius ſchloſſen
dieſe Maͤnner eine Freundſchaftskette, indem ein Jeder
dem Mann zur Linken die rechte und dem zur Rechten
die linke Hand reichte, und in dieſer Stellung riefen ſie:
„Einig und treu, bis in ben Tod!“ worauf fie ſich mit
Wehmuth, Viele mit Thränen, trennten.
So endete diefe benkwürbige Verſammlung, bie in
ber Stunde der Gefahr den Brund zu einem Wer
legte, das fpäter unfer Gluͤck und Stolz geweſen if;
fie war, wie alle nah abfoluter Monarchie folgenden
conftituicenden Verſammlungen, demokratiſch gefinnt und
im hoͤchſten Grade liberal, doch verband ſie mit dieſer
Geſinnung mehr Maͤßigung als irgend eine aller jener,
beshalb arbeitete fie auch Etwas aus, das die Probe
befland, während die Merle bee andern bald im Strom
der Zeit verfanten. Dieſer Beine Haufe, vom Ge
tümmel ibee Stäbte entfernt, in einem Lande, das
durch die Natur wie durch feindliche Sperrung abgefen-
dert, war im eigentlichen Verſtande darauf hingewieſen,
Muth, Troſt und Kraft zum MWiederaufieben des Water:
*) Dabei beutete er auf bie Portraits hin, bie Im Saale
aufgehängt waren. Der neue Feine Kronprinz war in Schens-
größe, in einem Garten mit einem Feberbali ſpielend, beuge:
re Dies Gemälde war Tags zuvor aus dem Auslande ans
ommen.
er m em
691
lands allein in feiner eigenen Vaterlandsliebe, Beſon⸗
nenheit, Klugheit und Einigkeit zu ſuchen. Dieſe letztere
mar freilich welt entfernt, volfländig zu fein, dod für
die Hauptſache, das Wohl des Vaterlands und bie Wie:
deraufsichtung der Bürgerfrelheit, glähten Alle mit gleichem
Eifer. *) Prinz Chriftian theilte faſt die ganze Zeit ſei⸗
ned Aufenthalts in Eidsvold mit der Reichsverſammlung,
‘ohne’ indeß eine Einwirtung auf ihre Verhandlungen zu
verfuchen, deren völlige Freiheit er achtete;. doch kann
man wol ammehmen, daß die Majorität ſich durch bie
perfönliche Naͤhe ftärker Fühlee und zum Theil in neuem
Vertrauen durch die Ermunterungen, welche von ber
naͤchſten Umgebung des Prinzen .ausgingen, belebt wurde,
wis fie feinerfeits auch ihn in feinen Borfägen flärkte.
Der Prinz ließ fi nie in Parteikampf ein, fon:
dern trat nur verföhnend auf, indem er die Bitterkeit
zu mindern und bie Gemüther zu vereinen ſtrebte. Er
fol fogar gefucht haben, ben angefehenften Kämpfer der
überwundenen Oppoſition, den Grafen Wedel, zu vermoͤ⸗
gen, einen Play im Staatsrat anzunehmen; doch biefer,
der fich fehr zuruͤckhielt, ſeit er ſah, daß die Sachen und
der Ton eine andere Richtung nahmen al& er es wuͤnſchte,
wollte fi auf fo etwas in dem neuen Koͤnigthum nicht
einlaffen.
Am 19. Mat fertigte König Chriftian Friedrich **)
eine Bekanntmachung an das norwegifhe Doll aus.
Man vergleiche diefen ſchoͤnen Act, fo reich an Liebe und
Dank gegen das Voll, mit König Cheiftian’s VIEL. Pas
tent bei feiner Thronbeſteigung in Dänemark, es iſt in:
tereffant, den Unterfchied zwifchen des gewählten Könige
Anfprahe zu einem freien Volt und der Sprache zu
fehen, welche ein abfoluter Monarch gegen angeerbte Un:
terthanen führt:
Geliebtes norwegifches Boll! — fo begann die Bekannt:
madung — empfange den erften und innigften Gruß beines
Königs! Wir haben in der Reichsverſammlung mit Freude eines
freien und unabhängigen Volks erſte Gerechtfame, feine Regie:
zungeverfaffung zu beflimmen, ausüben fehen, fo weit Menſchen
beurtheiten Binnen, mit ber Überiegung, dem Vaterlandsfinn,
welcher jest, mittel® ber Gonftitution, bie Bürgerfreiheit und
des Staats Ehre und Wohl fichert.
So begann das denkwuͤrdige Actenſtück.
Am 22. Mai hielt der Koͤnig ſeinen Einzug in
Chriſtiania, das ihn mit einem nationalen und kirchli⸗
en Feſt empfing; dies war gerade der Jahrestag feiner
erften Ankunft in Chriſtiania. An bemfelben Tage ers
nannte er nicht weniger als 33 Dofleute. Die Kammer:
*) Eibsvold iſt jest durch eine Nationalfubfeription bas
Cigenthum bes Wolle geworben; bdiefer Ort wirb kaum von
irgend einem Rormweger ohne ein Gefühl von Pietät und Ehr⸗
furcht vor ben Heiligen Erinnerungen betreten.
**) Dies war bei uns fein Name; er war nicht in Folge
des Rechts feiner Borväter König, feine Legitimität war ander
zer Art als bie ihre, weshalb er ſich auch an ihre Reihe mit
Zeiner Zahl anſchloß. An Ghriftian Friedrich denkt das Bolt
noch mit Ehrfurcht; für Ebriſtlan VIII. hingegen bat es
keine, Gompatpien, da dieſer Rame und dieſer Zürft ihm
herren Eonnten aber nicht mit Schlüffeln verfehen werben,
unter ihnen finder man die Namen Trampe, Scheubo
Hegermann, Vargaos Bedemar, v. Dolten, Brock. Der
Staatsrat Darthaufen. ward Oberhofmarſchall. Man
fieht, der junge König vergaß nicht, was zu einem
rechten und echten Königthum gehoͤrt. Ein Hof ge
hörte dazu, man kannte damals keinen Buͤrgerthron,
un das Volk fand ſich deshalb ohne weiteres in diefen
aat.
Wie geliebt war dieſer Fuͤrſt als Prinz, wie vergoͤt⸗
tert als König! Noch kann man den Abglanz eines reis
nen unvermifchten Enthufiasmus geniehen, wenn man
mit Männern bes Jahres 1814 ſpricht. Es war eine
große hertliche Zeit. Nichts iſt fchöner ala eine Wendt:
terung, die von Einem mächtigen Gedanken, dem frei zu
leben oder mit Ehre zu ſterben, beſtelt iſt; und fo war
dies ſtil und bedachtſame, in einfamen Bergthaͤlern auf:
gewachſene Volk. Die große Maſſe der Nation zeigte
ſich rein verwandelt. Das Dichten und Trachten eines
Jeden ſchien darauf auszugehen, wie man ſeinem Vater⸗
lande am beiten dienen könnte; Alles war wie in dieſen
einen großen Gedanken, das Wohl des Vaterlandes, auf:
geloͤſt; im diefem Volt, das buch Hunger und mehre Jahre
Krieg decimirt war, war jeder Anochen voll Mark, jede
Muskel voll Kraft, wo es galt das alte Norwegen in
feiner Außerfien Noth zu retten. In Augenbliden folder
Gefahr weht der Genius des Volles mit gewaltigem Fluͤ⸗
gelſchlag und bidft dies Heilige Feuer an, deſſen Glut
unter ber Kleinlichkeit des Alltagslebens fo oft gedämpft
fheint und wovon doch ein einzelner Funke hinreichend
ift, da6 Vertrauen eines ganzen Lebens zu befefligen und
den Glauben an bie Vorfehung zu flärken.
Lange Zeit hindurch kamen faſt täglich hundertweis
neue Nationallämpfer nah Chriftiania und wurden von
bort an bie Grenze gefandt; fie trugen die einfache new
angenommene norwegifhe Uniform, grau mit grünen
Auffchlägen, mit dem Stolz freier Männer, und fein
Kummer war In ihren Zuͤgen zu erblidenz nur der Sieg
prägte fi in ihrem Antlis aus. Sie träumten von
Triumph. Diefe kühnen und friſchen Sünglinge von
den Bergen machten viel Auffehen in unfen Gaflen,
aber man fah fie nicht lange, denn fie eilten mit großem
Eifer hinaus, nur fuͤrchtend, daß die Schweden ihres
Weges gegangen fein möchten, ehe fie kaͤmen; fie woll⸗
ten ihren Vätern nice nachliehen, die Dutch gezeigt
und zu Aufopferungen bereit geweien waren, two es galt,
viel zweifelhaftere Guͤter als bie, welche 1814 auf dem
Spiel flanden, zu vertheibigen. Mit einem ſolchen Bolk
und einer folchen Armee hätten Wunderwerke ausgerich:
tet werben koͤnnen, wenn fie von einem talentvollen Feld⸗
herrn angeführt wären, ber auf fie allein baute und fußte.
Aber Ehriftian Friedrich hatte es mit fo mandyen ber
beften und ausgezeichneten Zürften gemein, baß er im
Srieden größer war als im Kriege. Died war, obgleich
unter gewöhnlichen Verhaͤltniſſen das Beſte, hier nicht der
Tal; denn die Umflände waren außerordentlich. Er
hatte großes Talent, hatte felbft die Proclamatlonen ge⸗
ſchrieben, bei denen die Herzen des Volks fchwellen, gab
ihnen ſelbſt diefe fchönen Wendungen voll Energie, die fo
großen Anklang fanden, wohin fie nur kamen; body Heer:
führer war er.nicht. Er befiegte die Herzen feines Volks
und brachte es dahin, daß Hohe und Miedere ihm mit
einer Ehrfurcht huldigten, die mit der conflitutionnellen
Gravitaͤt unvereinbar gewefen, wenn es nicht fo ar am
Tage gelegen hätte, daß fie aufrichtig und mit ber ins
nigften Herzlichkeit gepaart war. Der Enthufiasmus,
der für Chriſtian Friedrich berichte, war ganz beifpiellos
und in unfern abgekuͤhlten Zeiten unglaublich; Alles trug
dazu bei, das Volk für ihn zu exaltiren. Ex war frei
von jenem ariſtokratiſchen Hochmuth, dee bie Erdengoͤtter
aus untergeorbnetern Claſſen fo oft auszeichnet. Seine
Reifen von Ladegaard, wo er fi meiſtens aufhielt,
machte er in einer einfachen Cariole mit einem Burfchen
hinten baraufz nicht felten fah man ihn in den Straßen
Chriſtianias fpazieren, von Bauern umgeben, bie ihm folg:
ten und ſich fogar an feinen Rockſchoͤßen fefthielten, waͤh⸗
zend fie ihm ihre Liebe bezeigten und ihre Noth klag⸗
ten; er gab ihnen dann, im Mangel von Anderm, we:
nigſtens ein freundliches Wort, das fie mehr als viel
Geld tröftete.
(Die Bortfetung folgt.)
Plan eines gegenfeitigen Bücheraustaufches zwifchen
verfhiedenen Staaten.
Die unerfchätteriiche Ausdauer, mit welcher Alerandre Vat⸗
temare feit Iabren die Ausführung feines Planes zu einem ges
genfeitigen Austauſche von Buͤchern verfolgt, zeigt recht deut⸗
li, weiche Gewalt eine Idee, für die wir begeiftert find, über
ans belommen kann. Dr. Battemare bat zuerfi den Plan ent⸗
worfen, ziwifchen verfchlebenen Staaten eine gegenfeitige Mit⸗
theilung ber verfchlebenen Gegenftände, die in ihren Bibliothes
ten, ihren Archiven ober Mufeen in größerer Angabl vorhanden
find, zu organifiren. Bis jept hat dieſes Project, ungeachtet
der unbeftreitbaren Rüglichkeit, tie es bietet, noch Feine officielle
Sanction erhalten, und es hat daher, obgleidy es ſich Watte:
mare zur Aufgabe feines Lebens gemacht hat, noch immer nicht
ins Wert gelegt werben können. Vergeblich hat er es im 3. 1836
und im I. I ben franzöfifchen Kammern vorgelegt. Er vers
langte zwei Dinge, 3 baß bie Kammern eine Anzahl ber
auf ihre Rechnung gebrudten Documente zu feiner Dispofition
flellen, und zweitens, daß fie eine Commiſſion ernennen foll:
ten, um ben Entwurf zu einem regelmäßigen Austauſch zwi⸗
fchen den verfchiedenen Nationen, den er auf einem großen Fuße
organifiren wollte, zu prüfen. Der legte Plan, ben cr ber Der
putictentammer vorlegte, erſtreckte fih nicht nur auf Gegenſtaͤnde
der Wiſſenſchaften und Künfte, fondern er wollte, bad auch ges
wiffe Producte des Bodens und der Induſtrie in diefem gegens
feitigen Austauſche begriffen fein follten. Beibe Entwürfe wur:
den zwar auf eine für ihren Verf. fehr ſchmeichelhafte Art‘ von
den Kammern entgegengenommen, finb aber bis jest völlig un:
beachtet geblieben. Indeſſen ift das libereinfommen, das 1
awifchen ber franzöfifchen Deputirtenlammer und dem englifchen
Parlamente gefchloffen warb und in Folge deffen man fidy die
wichtiäften gedruckten Staatspapiere gegenfeitig mittheilte, zum
heil auf Rechnung des Eifers, den Battemare zur Verwirk⸗
lichung feines Planes entfaltet hat, zu fegen. Diefer Austaufch
der gebructen Documente zwifchen den verichiebenen National:
verfammiungen bat feitbem von Jahr zu Jahr eine größere
Kusbehnung erhalten, fobaß ex, fo viel wir willen, gegenwärtig
jagen den tin lungen Englands, Fcantreiä,
Igiens, Badens, Würtembergs und Portugals in Wirkſamkeit
it. Indeſſen bat es Wattemare dabei nidyt bewenden Laffen.
Er hat vor keinem Opfer, diefem erften Schritte eine größe
Ausdehnung zu geben, zurhdgebebt. Zu diefem Zwede iſt er
eigens in allen Ländern umbergereift. all und ſelbſt im den
Staaten, wo, wie in der Würfel, die wiſſenſchaftlichen Beſtre⸗
bungen nur eine kuͤmmerliche Unterflägung finden, bat er Ben
bindungen angelnäpft, die für feine Sache von Intereffe
Die —*— die ihm von allen Seiten gezeigt ward, gab
ihm Muth, en Plan unaufhoͤrtich zu verfolgen. So begab
er fich, als ein Deputirter auf der Tribune fagte, daß es wüns
fhenswerth fei, wenn ein aͤhnlicher Austaufch ber Gtaatsdonus
mente, wie er zwifchen ben meiften übrigen conftitutionnelien
Staaten bereits ftattfinde, auch mit ben Mereinigten Staaten
eingeleitet wuͤrde, fofort nach Amerita. Hier warb Vattemare
mit einem wahren Enthuſiamus empfangen. Wir haben Ge
legenheit gehabt, das Album zu fehen, da® er von feiner Reife
mitgebracht hat. Man glaubt feinen Augen nicht trauen zu
tönnen, wenn man bie zahlloſen Beweiſe von ber i
fieht, die ſein Vorſchlag bei den Norbamerikanern, bie wir und
als von materiellen Intereſſen ganz abſorbirt vorzuſtellen pfle⸗
n, erregte. Die Nüslichleit feines Plans wird in langen
ournalartitein und in Lobgedichten gefeiert. Bon Nordamerika
begab Wattemare ſich noch nach Havanna, wo bie Patriotifdhe
Geſellſchaft bereit war, mit ihm in Verdindung zu treten.
Der große Snthufiasmus, welchen biefes Project eines
gegenfeitigen Bücheraustaufcheö zwifchen den verſchiedenen Staa⸗
ten im ganzen Auslande gefunden hat, feheint auch auf Frank⸗
reich wieber zuruͤckzuwirken. Nach vielen vergeblichen ten
bat fih Hr. Vattemare jegt endlich eine beträchtliche A
der gewuͤnſchten Staataborumente verſchaffen koͤnnen, und er
fit fig gegenwärtig, wie es heißt, an, biefelben perſonlich
an ihre Befimmung zu bringen. Indeſſen kann man fidy nit
verhehlen, daß diefe vereinzelten Verſuche one große Wirffams
feit bleiben, fo lange fie nicht auf einer regelmäßigen Baſis bes
gründet werben. Wir hören, daß Hr. Battemare gefonnen if,
fih zum dritten Male an die Kammern ju werben, um biefels
ben dringend aufzufodern, in biefer wichtigen Angelegenheit bie
Initiative von Frankreich ausgehen zu Laffen. 6.
Notiz.
Srangöfifhe Urtheile über den Zuſtand von
gypten.
Es pflegt ſehr haͤufig zu geſchehen, daß die oͤffentliche
Meinung, nachdem fie irgend etwas als unbedingte Watrheit
angenommen bat, mit einem Male zum Gegentheile überfpringt.
In Frankreich namentiidh ruft ſtets übertriebenes Lob einen
übertriebenen Zabel hervor. &o können wir die neuefle Schrift
über Ägypten, „Keypie sous Mehemet Ali’, von P. R. Hamont
(2 Bde., Paris 1843), in welder Mobammeb Ali nicht mit
ben günftigften Farben gezeichnet tft, als eine unfehlbare Folge
ber gar zu emphatiſchen Xpologie, die der befannte Glot> Men
vor einiger Zeit herausgegeben bat, betrachten. Hamont,
tzenswerthe Aufläge gebracht hat, Eennt ÄAgypten aus eigemer
mehrjähriger Anfchauung. Gr begnügt fi, dem bombaftifchen
.Bobe ber Verehrer Mohammed Ali's beitimmte Facten gegenüber
zu Frankreich wird aus biefem Werke, das gewiß man
hen Widerſpruch finden wird, dieſen vielgepriefenen Schuͤtzling
von einer ganz meuen Seite Tennen lernen. Indeſſen bemerfen
wir fchon feit geraumer” Zeit, daß die franzöfiichen Wiätter nicht
mehr vom Paſcha, „ber das Licht der Givilifation in Agupten
angezündet hat”, To viel Weſen machen ald vor zwei Jahren.
Sollte man ſich vielleicht ſchaͤmen, ihn fo .fchmählich in ber
Klemme figen gelaffen zu haben? 2.
Verantwortlicher Herausgeber: Heintih Broddaus. — Drud und Verlag von F. 4. Brochaus in Leipzig.
Blätter
für
literariibe Unt
erhaltung.
Freitag,
Von Münch-⸗NRaäder.
(Sortfetung aus Nr. 173.)
Unfer jegiger König iſt auch geliebt, und keiner bes
oldenburgifhen Stammes hat vielleicht verdient, es in dem
Stade zu fein. Wir erkennen feinen ebein Charakter und
feine ausgezeichneten Eigenfchaften. Aber Chriftian Friedrich
fand uns näher; ihm fehlte die impoſante Vergangenheit
Karl Johann's und ward uns dadurch mehr glei; er
hatte nichts Fremdartiges, er war unter und ber befle,
feine Sorgen waren unfere, fein Herz flug dem unfern
in ben gemeinfamen Bedrängniffen entgegen. Diefe Uns
gluͤcksfaͤlle, die das Schickſal uns fandte und bie er mit
uns theifte, knuͤpften das Band zwifchen Zürft und Bolt
fe. Im Kriege war dies nicht genug, ein Anführer
war erfoberlich, Ordnung und Kraft in der Verwaltung,
Mittel. Altes fehlte. Die Armee lag auf ber Grenze
und verzehrte ihren Peinen Vorrath, während fie wartete,
bis die Schweden ſtark genug waren, fie anzugreifen.
Den Seftungen fehlte es an Ammunition, den Magazi⸗
nen Provlant, den Lazarethen Arzte, kurz, fie waren faft
von Allem entblößt. Das Tramsportweien war miferabef,
und das Korn, was man hatte, war zum Theil unges
mahlem, da bie Mühlen fehlten. Dies Alles mußte eine
niederfchlagende Wirkung üben; ber Eifer kuͤhlte ſich auch
wirtii in den Gegenden, bie den mannichfaltigen und
immer neuen Leiden, welche der Kriegszuſtand mit ſich
führt, am meiften ausgefegt waren, bald ab. Dazu kam
die Mäßigung ber Schweden unb der alliirten Mächte,
ihre Verſprechungen, bie nicht verfehlen Eonnten, einigen
Eindruck zu machen, da fie ein ſtarkes Bepräge von Wahr:
heit trugen. Schon feit mehren Jahren hatten die Schwe⸗
ben gefucht bie Norweger zu bewegen, Dänemark zu ver:
laſſen und fi mit ihnen zu verbinden. Emiſſaire, fo:
wol wirkliche als unechte *) durchſtrichen das Land mit
Proclamationen und um 1814 nahm das Weſen natür:
lich zu. Es ſcheint indeß nicht etwas bewirkt zu haben;
doch dad Betragen der fchwedifhen Armee, als fie in
*) In einem feiner Briefe an Graf Ablerfparre klagte Ko⸗
nig Karl XIII. ſchon 1810, daß ein öffentlich verurtheilter Dieb
in Norwegen ſich für cinen feiner Emiſſaire ausgegeben.
unfere Grenzen eingeruͤckt war, hatte groͤßern Einfluß auf
bie Stimmung. Ban übersengte fi, daß bie Schweden
nicht fo ſchlimm fein, als ber Daß bed Volks fie ges
ſchildert; es ward bekannt, bie ſchwediſche Gefangenfchaft
fei durchaus nicht ſchrecklich. Die Eampfluftige Armee
mußte fich außerdem auf hoͤchſten; für fie unbegreiflichen,
Befehl immer zuruͤckziehen, felbft da, wo fie den Sieg
als sicht und fidger anfah. Dadurch verloren fis thail⸗
weiſe das Vertrauen auf ihre Anführer. Es zeigte fich
Iafubordinatien; eine Truppenabtheilung brach fogar auf
und ging in ihre Heimat. Nur auf einzeinen Punkten —
befondess mo ber ODberbefehl nicht nahe wur — bam es
Wr eruflen Kampf und bie Norweger beflanden da mit
uhm.
Der Mangel an Energie in ber Verwaltung wurbe
ohne Zweifel zum Theil durch bie Diplomatie verams
laßt; feiten wur bat es einem kuͤrzlich frei geworbes
nen Volk genügt, fi damit einzulafſen. Wie hatten
gehofft, daß die Großmaͤchte Europas hinſichtlich Norwe⸗
gens nicht im Ernſt die Grundſaͤtze geltend machen wuͤr⸗
den, gegen welche fie gerade mit fo viel Sluͤck gekaͤmpft
zu haben behaupteten. In England war die Stimmung
für uns, im beiden Häufern bed Parlaments ward große
Sympathie fir unfere Sache geäußert. Bon Wynne,
Whitbread, dem kürzlich verſtorbenen Lord Ducham u. 3.
ward es ſcharf getabelt, daß man im Verein mit Schwe⸗
ben darch Hunger auszurichten fuchte, was mit Waffen
nicht erreicht werden konnte, und Lord Grey erflärte im
Dberhaufe, dag niemals der britiſche Charakter mehr bes
fleckt ſei als durch die Handelsweiſe des Binifterkums
gegen Norwegen. Er bewies durch bie Zeugniffe von Gro⸗
tius, Duffendorf und Vattel, daß der Widerfland Nor⸗
wegens vollkommen rechtlich fei und mit dem Voͤlkerrecht
uͤbereinſtimmte, zeigte, daß es nicht, weile man von ſchwe⸗
difcher Seite zu verbreiten fuchte, Dänen felen, bie Nor:
wegen durch Gewalt und Berfährung beherrfchten. Die -
Lords Grenville, Holland, Eſſer, Roslyn, Clifton, Wenth⸗
worth, Fitzwilliam, Stanhope, Lauderdale und Rerfolk,
wie die Herzöge von Suſſer und Gloueeſter erklaͤrten fich
mit Grey gegen das Verfahren der Regierung, aber fie
ließ fich nicht bewegen. Man begnügte fih einen Agens
ten, Morier, na Norwegen zu fenden, um bie Reiches
verfammlung zu benachrichtigen, baß England feine Ver⸗
pflihtung gegen Schweden erfüllen, aber vermitteln wolle,
dag den Norwegern bie conflitutionnellen Gerechtſame, bie
fie wuͤnſchten und welche der britifche Traetat mit Schwes
den zum Theil bedingt hatte, gefichert würden. Ex
tom indeß erſt am 5. Juni nah Chriftienia, alfo nach⸗
dem die Verfammlung aufgelöft war. Diefe hatte vor
Europa Norwegens Selbftändigkeit erklärt und Schweden
zur eine enge Alliance angeboten ; deshalb konnte Feine
Übereinkunft vor der Zufammenberufung einer neuen Reiche:
verfammiung fattfinden. Dies ward auch fowol Wo:
vier ale ben fpäter (am 30. Juni) angefommenen Com:
miffairen, oder wie fie fi aud nannten, Kriegsherolden
von ſtreich, Rußland, England und Preußen erklaͤrt.
Diefe entgegneten, daß bes General Bennigfen’s Ar:
mee und ein ruſſiſches Truppencorps zu Schwedens Die:
pofition geftellt und eine allgemeine Seeblockade beftimmt
fei; fie boten aber eine partielle Aufhebung ber Blockade
fammt Waffenftiltfiand an, wenn Chriftien Friedrich feine
Rechte in die Hände bes Volks niederlegen wolle, dat
Land zwiſchen Glommen und der fhmebifchen Grenze bie
auf weiteres neutral erklaͤrt und bie Feſtungen von Schwer
den befegt würden. Chriſtian Friedrich erklaͤrte ſich zu
dem erſten bereit, wie auch feinen Einfluß anzuwenden,
um eine Vereinigung mit Schweden, wenn das Grund⸗
gefeg anerfannt würde, zu Stande zu bringen. Die Übers
Heferung ber Keftungen warb aber für unmöglid und
gegen die Gonftitution fireitend erklärt, wo hingegen er
doch bereit war, fie zu räumen und ber Bewachung ber
Bürger zu überlaffen ; doch daneben erklärte er, fein Schick⸗
fal von dem bed Volks nicht trennen zu wollen, wenn
es den Widerftand der Verfühnung vorzoͤge. Da man
nicht einig werben fonnte, reiften die Commiſſaire fort,
um dem König von Schweden zu überlaffen, inwieweit
er ſich auf die norwegifchen Bedingungen «inlaffen wolle.
Am 28. meldeten fie wieder, daß der König von Schwe:
den nicht darauf eingebe, worauf derfelbe, der kurz vorher
die Verſammlung von Eidsvold als gefehwidrig erflärt hatte
und dagegen dem Kronprinzen aufgegeben, in feinem Nas
men die Stände zufammenzurufen, um ihnen ein Grund⸗
gefeß vorzufchlagen — nun auf die von ben Commiſſai⸗
ven geftellten Bedingungen einging; wie welt ee unfere
Berfoffung anerkennen wollte, ward nicht geäußert. Man
hatte gewiß viel Urfache zu beklagen, daß die Meichöver:
fommlung nicht beifammen geblieben war; der Streit:
punkt wegen ber Seftungen wäre dann entweder überflüffig
geworden oder hätte ohne Blut abgemadyt werden Finnen.
Jetzt war es nicht möglih. Die Kriegsbegebenheiten, bie
am 27. Juli begannen, brachten es bald mit ſich, daß
eine jener Feſtungen, Frederiksſtad, am 4. Aug. capitu⸗
lirte; die Schweden, deren Mapoleonifcher Heerführer
feine Truppen auf einzelnen Punkten zu. fammeln wußte,
um dadurch feine Überlegenheit beim Angeiff zu fichern,
drängte die Norweger in ben füblichften Theil des Landes
zurüd, wogegen das in der Nähe von Kongsvinger eins
geruͤckte ſchwediſche Corps am 5. Auguft gefchlagen ward.
Am 7. wurde ſchwediſcher Seite Waffenſtillſtand vorge:
ſchlagen; am 14. warb Waffenftilftand und Convention
- feln in bunten, vortrefflich
Theil des Volle — wie gewöhnlich
gefchloffen. Frederikoſteen ſollte diberliefert werden, der
Storthing wegfallen, die auslbende Macht vorläufig un:
tee einem Vorwande dem Staatsrath übertragen und bie
Krone In die Hand der Repräfentation niedergelegt wer:
den. Der König von Schweden gelobte bagegen, bie
Gonftitution anzunehmen, und behielt fih nur vor, bie
Deränderungen vorzufchlagen, welche eine Bereinigung mit
Schweden erheifchten; alle vorhergegangenen Drohungen
wurden zuruͤckgenommen. Die fchwedifchzenglifch:ruffifche
Blockade ward gleich nach dem Waffenſtillſtand aufgehobers
und ber König von Dänemark widerrief das ſtrenge
Verbot gegen Kornausfuhr, ber Kronprinz von Schwe⸗
ben fandte fogar, zur Dülfe der Mothleidenden, einige
Schiffsladungen Korn, bie indeß nicht angenommen wur:
ben. Der Waffenftillftand wurde fireng gehalten unb
ein in dem Norbenfieldfchen entfichendes Misverſtaͤndniß
mit kluger Eile ausgeglihen. Die Rationalverfammiung
ttat am 7. Det. zufammen und murde Tags darauf
vom Staatsrath durch eine koͤnigliche Rebe eröffnet, we:
rin der traurige Zuftand*) des Landes gefchildert und
Se. Mai. bewogen ward, feine Zufriedenheit und perfön-
lich gluͤckliche Stellung aufzuopfern, um das geliebte Va⸗
terland gegen Verheerung zu bewahren und ihm feine
eonftitutionnele Verfaſſung zu fihern. Am 10. deffel-
ben Monats legte er den förmlihen Act, worin er für
fih und feine Nachkommen **) abbicirte, in die Hände ei⸗
ner Storthingsdeputation und ging an bemfelben Tage
an Bord, um das Land zu verlaffen.
(Der Beſchluß folgt.)
Borrow und die Bibel in Spanien.
Der auch in d. Bi. als Verf. des geadhteten Werks über
die Zigeuner in Spanien genannte Gaglänber Borrow bat
unter dem etwas feltfamen Zitel: „The Bible in Spain,
by George Borrow‘ (3 Bbe., London 1842), ein anbes
res Werk veröffentlicht, von welchem das „Athenaeum ' nicht
mit unrecht ‚ e8 fei beinahe das außerordentlichſte
Buch, das feit Lange in ber englifchen oder in irgenb einer
Sprache erfchienen. Es erzählt im Weſentlichen die fünfjäheis
gen Bemühungen bes Verf., ald Agent ber British and Foreign
Bible society in London eine fpanifche Bibel in Mabrib bruder
zu laſſen und in Spanien zu verbreiten. Es enthält im Gans
zen wenig aus der perföntichen Geſchichte des Verf.; doch ſelbt
dies Wenige beweift, daß feine Abenteuer fabelhaft- i
geweſen. Auch iſt das Buch kein regelmäßiger, bei A anfangen⸗
der, bei 3 aufhoͤrender Bericht; Geſehenes und Grichtes wedhe
gemalten Bildern, und gerabe im
bem Fragmentariſchen Liegt ein Hauptreiz des Bude. Gegen⸗
wärtige Anzeige bezweckt hauptſaͤchlich eine überſicht des vom
Verf. Erſtrebten.
*) Diefer Zuſtand war um fo bebenflicher, da ein großer
nad einem ungiädlidyen
Kriege — fich ald von feinen eigenen Landeleuten verrathen anfab.
Die allgemeine GErbitterung, bie fogar tumultuarifche Auftritte
veranlaßte, wurbe durch die Einleitung von Unterfucdhungen ge
gen einige Anführer des Feldzuges beruhigt; mehre von ihnen
wurben auch fpäter verurtbeilt.
”*) Die letzte Glaufel „und feine Nachkommen“ war ur
fprünglich nicht darin, doch warb fie Hinzugefügt, nedhem
Statsrath Treſchow in einer Privataudienz auf dieſen Mangel
aufmertfam gemacht hatte.
| — —
Mitte Rovember 1835 landete Borrow in Liffabon und
verlor Feine Zeit, die mitgebrachten portugieflichen Bibeln und
Neuen Zeftamente nach Möglichkeit abzufegen. Einen Theil gab
er den Buchhändiern in Commiſſion, eine Partie ließ er hauſi⸗
zen tragen und mit dem Reſte machte er ſich nach Evora auf
den Weg — Evora bie erſte Stadt Portugals jenfeit bed Tajo,
einft der Sig eines 3weigs ber Snquffition. ‚Auf dem Wege
dabin wäre der Verf. bei einem Haar im Tajo ertrunken und
ebenfo kurz entging er ben Räubern. Fruͤh am Morgen verließ
ee mit einem Mauithiestreiber und deſſen Reffen feine Nacht⸗
berberge in Aldea Gallega. „Der Mond ſchien bel und ber
Dlorgen war eifig kalt. Wir wurden bald von fünf oder ſechs
Keitern überholt, die ſcharf zuritten, jeder eine lange Flinte
am @attel. Ich fragte den alten Mann, wozu biefe kriege⸗
riſche Armatur. Gr antwortete, die Straßen feien ſehr ſchlecht
— was fo viel heißen follte als voll Räuber — und daß jene
deshalb fich zur Vertheidigung bewaffnet. Cie bogen bald rechts
nad Palmella ein.” Mismutbig fleigt Borrow ab und verfucht
ein Geſpraͤch mit dem alten Manne. „Sr kannte nur ein
Thema ‚die Räuber‘, und bie Greueithaten, bie fie in ber Ges
gend zu verüben pflegten, bie wir eben paflirten. Seine Ger
fgichten waren ſchauderhaft. Ich feste mich alfo Lieber wieder
auf und ritt voraus. Nach anderthalb Stunden kamen wir aus
bem Walde in eine wilde, abfcheulie, durchkreuzte und mit
Gefträpp bewachſene Landfchaft. Die Mäuler hielten an einem
feichten Sumpfe, um zu faufen, und beim Umherſchauen er:
bitekte ich rechts eine eingeftürgte Mauer. Der Führer fagte, es
feien die Ruinen von Vendas Velhas, des alten Gaſthofs, einſt
der Aufenthalt des berühmten Räubere Sabocha. Ich flieg ab,
ging bin und ‚fand die Spuren eines Feuers und eine zerbro:
dyene Flaſche. Alſo waren bie Söhne bed Raubes noch vor kurs
zem Hier gewefen. Ich ließ ein Reues Zeflament und einige
Zractätchen zurüd und machte, daß ich fortlam.” Gin ande⸗
zes Mal begegnet der Verf. folgendem hübfchen Beweiſe von
Straßenſicherheit. Ein portugiefiicher Fidalgo zieht vom Lande
in bie Stadt. „Und hätten fie die Schäge Indiens durch bie
arabifche Wuͤſte gefchafft, mit größerer Vorſicht hätte es nicht
fhehen können. Woran ritt der Neffe mit gezogenem Gäbel,
Difsien in den Halftern, die gewöhnliche lange fpanifche Flinte
am Sattel. Hinter ihm marfchirten ſechs Mann in Fronte, Muss
teten auf den Schultern und jeder ein Beil im Gürtel, wahr:
ſcheinlich beflimmt, wenn es zum Handgemenge käme, die, Raͤu⸗
ber bis zur Bruft zu fpalten. Dann folgten fedye Wagen, bars
unter zwei Caleſchen, in benen ber Kibalgo und feine Töchter.
Die übrigen waren bedeckte Karren, anfcheinenb mit Hausgeräthe.
Bu beiden Geiten jebes dieſer Wagen ging ein bewaffneter
Bauer, und der Sohn, ein Burſche von vielleicht 16 Jahren,
führte die Nachhut, die aus ebenfo viel Mann befland wie die
Vorhut unterm Befehle feines Couſin. Die Goldaten waren
glüdticherweife leichte Reiterei, wunderfchön beritten, und ſpreng⸗
ten nad allen Ridytungen, um, falle ber Feind in der Nähe
Iauere , ibn aus feinem Verſteck zu treiben.”
Die Biegenheerde auf Monte Moro — bie Nadhtfcene in
Evora, wo ber Verf. mitten in einer ſehr gemifchten Pafchers
gefeufchaft — der Fluͤchtling, der zitternd und bebend ſich von
Dexen gejagt glaubt und Roſemarin in feinen Hut legt, bamit
fie ihn nicht finden follen — der von ber Nacht überfallene
Reitersmann, der nicht weiß, ob rechts ober links: — lauter
herrliche Schilderungen, bie hier unberüdfichtigt bleiben muͤſſen.
In Evora findet der Verf. einen Buchhändler, der den
Verkauf der Bibeln und Zeflamente ibernehmen will. Diefem
vertraut er bie Hälfte feines Vorraths; die andere Haͤlfte gibt
er dem Regierungsſecretair, der gemeinfchaftlidh mit dem Gous
verneur bie Begründung einer Schute beabfichtigte, in weicher
die Heilige Schrift zur Baſis des Unterrichts gemacht werden
ſollte. Während feines Verweilens in Evora ging der Verf.
täglich zu.dem Brunnen, wo bie Mauithiertreiber und alle zur
Stadt kommenden Landleute ihre Thiere tränkten. Mit Jedem
fuchte er sin religidfes Geſpraͤch anzuknuͤpfen. Aber nicht Einer,
verfichert er, hatte eine Bibel gefehen und kaum ein halbes
Dugend hatten vom Inhalte eiben einigermaßen einen Bes
griff. Doc hörten fie insgefammt feinen biesfallfigen Mitthei⸗
lungen aufmerkſam und wenigftens anfcheinend mit großem In⸗
tereſſe zu. Unter den Landleuten, namentlich in Portugal, ift
ber Glaube an Hexerei noch fehr ſtark, und Viele tragen bed»
halb Amulete, die von ben Mönchen gefertigt und verkauft
werden. Daraus könnte man auf fortbauernden Einfluß der
Moͤnche ſchließen. Allein Borrow behauptet auf das beftimms
tefte, daß ſowol in Spanien als in Portugal der Moͤnchseinfluß
in raſchem Sinken fei. Sogar die Pafcher in Evora fprachen
vom Prieftertyume und Moͤncheweſen mit bem größten Abfcheu
und verficherten einhellig, daß fie Lieber fterben als fich wieder
einem Joche fügen wollten, das ihnen chedem ben Naden mund
gericben.
Ungefähr 14 Zage nady feiner Rückkehr von Evora nahm
der Verf. feinen Weg über Badajoz nad) Madrid. linmittelbar
jenfeit ber Grenze trifft er einen Haufen ſpaniſche Zigeuner und
einer, Antonio, ber auch in dem frühern Werke vorkommt,
bietet fi zum Fuͤhrer an. Cine gewifle Vorliebe für Zigeuner
und der Wunfch, alle Eigenheiten dieſes feltfamen Volkes ken:
nen zu lernen, veranlaflen ben Verf. bas Erbieten anzunehmen,
und fo reift er auf einem Meinen, den Zigeunern gehörigen
Pferde eine ganze Woche, à la Zigeuner, bald im Feide, bald
im Walde, heute in einer Stadt, morgen in einem Dorfe übers
nachtend. An bdrolligen Auftritten fehlt es da nicht. In Dies
vida vaften Beide drei Tage im Hauſe einer alten Zigeunerin,
die dem Verf. eine Menge wunderbare Geſchichten erzählt von
ben Mauren und von Ausbruͤchen aus Gefängniffen, von Raͤu⸗
berheldenthaten und von ein paar KWergiftungsabenteuern, an
welchen fie in ihrer Jugend Theil gehabt. Zuguterlegt trägt
fie dem Verf. ihre Enkelin zur Frau an und widerlegt manns
haft jede Entſchuldigung, mit weicher er den zärtlidhen Antrag
ablehnt. Gr kommt indeffen ohne Frau davon. Antonio findet
e6 aber aus bewegenden Gründen rathfam, ben Städten, bie
nun in ihrem Wege liegen, aus dem Wege zu geben. Borrow
ſeht alfo feine Reife allein fort und überholt bei Zalavera einen
Reifenden, den größten und didften Dann, ber ihm in Spas
nien vorgelommen. Gr ift nicht nad) ber Eandesfitte gekleidet,
fpricht jebdoch gut Gaftitifh. Aber im Laufe des Geſpraͤchs
entfchlüpft ihm ein Wort, das ben Moresco verräth, und
daran Enüpfen ſich Gröffnungen, bie in Betreff des Zuflandes
biefer Menfchen in Spanien denkwuͤrdige Thatſachen ans Licht
ringen.
Kaum in Madrid angelangt, fuchte der Verf. um bie Er⸗
laubniß an, das Neue Teflament in caſtiliſcher Sprache bruden
zu loffen. Der englifche Geſandte, jetiger Lord Elarendon, gab
ibm ein Smpfehtungsfchreiben an ben bamaligen Premier, Mens
bizabal, und damit verfügt ſich Borrow auf beffen Bureau.
„Mehre Perfonen wurden vor mir cingelaffen. Endlich kam
die Reihe an mich und ich trat ein. Mendizabal fand hinter
einem mit Papieren bedeckten Zifche, die Augen feft auf dieſe
gerichtet. Da er von mir nicht die geringfte Notiz nahm, hatte
ih Muße, ihn zu betrachten. Gr war ein flarker, athletiſcher
Mann, noch größer als ich, der ich ohne Schuhe ſechs Fuß
zwei Zoll mefle. Seine Gefichtöfarbe war frifh, feine Züge
fein und regelmäßig, feine Naſe complete Abdlernafe und feine
Zähne glänzend weiß. Obſchon kaum 50 Jahr alt, war fein
Haar ganz grau. Gr trug einen prädtigen Morgenrod mit
einer goldenen Kette um den Hals und Maroguinpantoffeln.
Sein Secrttair, ein fchöner Mann mit einem Eugen Geſichte,
der, wie ich fpäter erfuhr, in ber englifchen und ſpaniſchen Li⸗
teratur fich einen Namen erworben, fland am Ende bes Tiſches,
Papiere in den Händen. Nach beildäufig einer Viertelſtunde
ſchiug Mendizabal ploͤtzlich die Augen auf, ein Paar durdhs
dringende Augen, und ließ fie mit einem befonders flechenden
Ausdrude auf mie ruhen. Meine Aubienz bauerte ziemlich
eine Stunde. Als ich mich verabfchieben wollte, fagte er: ‚Ihe
Geſuch tft nicht das erfte der Art. Geit ich an der Spige der
Regierung ftehe, bin ich in ähnlicher Weiſe von Englaͤndern ges
peinigt worden, bie ſich evangelifche Ghriften nennen und jet
Spanien uͤberſchwemmen. Beltfame Wethörung, die Euch mit
Bibeln in ben Haͤnden Aber Meer und Land jagt! Mein befter
Herr, Bibeln brauchen wir nit. Wir brauchen Flinten und
Pulver, bie Rebellen zu bezwingen, und brauden vor Allem
Geld, die Truppen zu bezahlen. Sobaid Sie uns biefe drei
Dinge bringen, follen Gie beralic willfommen fein; fo lange
jenes nicht, Können wir Ihre Beſuche wirklich entbehren, wie
groß auch die Ehre.“““ Rach dem batb darauf erfolgten Wi⸗
nifteewechfel erneuerte Borrow fein Geſuch, fand aber im Se⸗
eretaiv bes Herzogs von Rivas einen entfchiebenen Gegner.
Selbſt eine Introduction bes Marineminifters Galiano an den
Herzog, von welchem bie gewuͤnſchte Erlaubniß abhing, Half zu
nichts. Der Verf. fah fich bei bee Aubienz ein zweites Mal
getäufcht. Mit der Revolution von 2a Granja endete fein erfter
Aufenthalt in Spanien. Gr eitte nad England, mit feinen
Freunden einen neuen Bibelfelbzug zu berathen, und Lehrte über
Tadix, Sevilla und Gorbova nad Madrid zurüd. Hier wurbe
{fm Geiten bes Minifteriums zu verflchen gegeben, daß eine
förmliche Erlaubniß zum Drud der Bibel zwar unthunlich fet,
man jedoch ein biesfallfiges Unternehmen nicht hindern wolle,
und darauf ließ der Verf. 5000 Sremplare druden. „Ich hatte
bereitö befchloffen”, fchreibt ber unermäbliche Bibelagent, „zus
vorderſt eine Zahl Abdrüde in den madrider Buchhandlungen
nieberzulegen und dann fortzureiten, das Zeftament in ber
Hand, das Wort Gottes unter den Spaniern gu verbreiten,
nicht in den Städten allein, fonbern auch auf den Dörfern,
nicht unter den Kindern der Ebene allein, auch unter den Kins
dern der Hügel und Berge. Ich wollte Altcaftilien befuchen,
ganz Balicien und beide Afturien durchſtreifen, in allen großen
Städten Bibeln zurüdlaflen, in bie geheimften und verborgens
ſten Schlupfwinkel dringen, dem Wolke von Chriſtus erzählen,
ihm den Inhalt feiner Schrift erfiären und das Buch Denen
in die Hände geben, die meines Erachtens Rugen daraus ziehen
tönnten. Das Gefährtiche einer ſolchen Reife verbarg ich mir
keineswegs. Möglich, daß mich das Schickſal des heiligen Ste⸗
phan ereilte. Wer darf ſich aber einen Anhänger Chrifti nen:
nen und Gefahr fürdten im Streite für ihn, den er feinen
Meifter nennt?”
Das blieben nicht Worte und Entf&lüffe; der Verf. machte
fie zur That und verwendete darauf einen großen heil bes
J. 1837. Aber ohne fehr bedenkliche Gefahren ging es auch
nicht ab. Gr gerieth unter Banditen und wurde von den Gar
Kften ausgsplündert. Gin chriftinifcher Alcalde hingegen nahm
ihn für Don Carlos und wollte ihn auf ber Stelle erſchießen
taffen. Trotz alledem verlor er feinen Zweck nie aus den Augen
und Eonnte im Ganzen mit dem Reſultate zufrieden fein. Die
Buchhhändier in Salamanca, Leon, Gompoflella und andern
Städten fagten ihm ihre Mitwirkung zu und an Leute niedern
Standes verkaufte er felbft eine beträchtiiche Menge Teſtamente.
Durch den Erfolg kuͤhn gemacht, eröffnete ex bei feiner Rüds
Bunft in Madrid einen eigenen Bibeltaden, benachrichtigte bas
von das Publicum mittels Straßenanfchläge, nach engliſcher
Weiſe und zum Staunen ber Spanier auf buntem Papier in
ellenlangen Buchflaben, und annoncirte es außerdem in allen
Zageblättern und Beitichriften. Das war bes Guten zu viel,
Madrid gerieth in Aufregung und bas gleichzeitige Erfheinen
des Gvangeliums in fpanifcher, Zigeuner = und biscayifcher
Sprache hetzte der Regierung die Pfaffen bergeflalt auf den
Hals, baß fie ein peremtorifches Verkaufsverbot erließ. Ano⸗
nyme Briefe drobten dem Bert. Ermordung, bafern er den
Verkauf feiner „jübifchen Schriften‘ nicht einftellte, und nicht
lange, fo mußte er ins Gefaͤngniß wandern. Er kam jedoch
halb wieder frei. Merkwuͤrdig ift jedenfalls, wie fehr bie Spa:
nier oft nad Wibeln verlangten. on vielen Belegen nur
„einige. As Borrow eines Abende ſich und fein Pferb im Tajo
Sabete, „ſammelte fi am Ufer ein Haufe Wells uab fihrie :
‚Komm heraus aus dem Waſſer, der, unb gib uns Buͤ⸗
der; bier ik das Geld.“ Dabei firedten bie armen Leute ibee
Hände aus, in denen fie Peine Kupfermünzen hielten vom
Werthe eines Pfennige. Ungluͤcklicherweiſe hatte ich feine Teſta⸗
mente. Aber Antonio, bee in meiner Nähe, hatte eine. Er
zeigte es und augenblicklich riffen fie es ihm aus ben Haͤnden
und balgten fi darum. Bäufig geſchah es, baf arme Lanb⸗
leute, die gern Teftamente haben wollten und fein Geld befaßen,
Lebensmittel zum Austaufh bradgten, Kaninchen, Obſt unb
Serſte, und & machte es mir zur Pflicht, fie nie zu taͤuſchen.“
Gin altee Schulmeiſter fpenbete feinen letzten Real, um feinem
Scholaren ein Dutzend Teſtamente zu ſchaffen. „Unterm Por⸗
tico dort figt ein Bauer und lieſt. 84 Jahre find über ſein
Haupt gegangen und ee iſt faft ganz taub. Democh lieft ex
vas zweite Buch Matthaͤi mit lauter Stimme. Bor brei Ta⸗
gen beftellte er ein Teſtament. Gr konnte das Gelb nicht aufs
treiben und eben erſt hat er 30 Pfennige gebracht.“
In Bolge von Krankheit, die einen Luftwechlel rathfam
machte, ging Borrow ein zweites Dial nad) England, war aber
fhon am lesten Tage bes 3. 1838 wieber in Spanien und
wählte zu Bortfegung feines Werks die Dörfer oͤſtlich von Ma⸗
drid. Die Geiſtlichkeit war jedoch nicht mäßig geweſen. Gis
hatte fich Abes fein Treiben bei der Regierung befdhivert und
| diefe befahl den Alcalben ſaͤmmtlicher Dörfer von Neucaſtilien,
jedes zum Verkauf audgebotene Teſtament wegzumehmen. Hier⸗
durch nichts weniger als entmuthigt, verließ Borrow jene Ges
gend, wendete fich nach Madrid, ſchickte Bibeln von Haus ga
Haus und verkaufte in 14 Tagen nahe an 600. Sonderbar ge⸗
nug war einer feines eifrigften Golporteurs ein Geiſtlicher &
oft er ausging, Hatte er eine Bibel unterm Gewande, bie er
dem Erſten, bee ihm begegnete und einigermaßen wie Gelbs
haben ausfah, zum Kauf anbot. Wenn fidh num ber Werf. von
der auf ſolche Art bewirkten Werbreitung ber Heiligen Gchrift
einen mächtigen und wohlthuenden Ginfluß auf bie Denkweiſe
bee Spanier verfpriht, fo — koͤnnte bad einem frommen
Wunſche gleichen und zweifelhaft fein. Wenn er aber erwähnt,
daß in zwei mabriber Kirchen jeben Sonntag das Neue Teſta⸗
jbe® elf. eine Mit befät, fo cm bat er ir feine Suflnumg
ie e ne Bi igt, fo — hat ex eine
allerdings Grund. Mitte April 1339 waren alle —
ſetzt und Madrid, wie es ſchien, mit Teſtamenten geſaͤttigt.
Alſo nahm Borrow bie noch übrigen nad Sevilla, verkaufte
200 Städ und begab ſich mit dem Refte über Gabir und Gibral⸗
tar nach Tanger, um ben legten Vorrath unter bie in boetiger
Gegend wohnenden Ghriften zu vertheilen. Damit — man
kann nicht fagen fließt, ſondern — bricht feine Graählung ah
kiterarifhe Notiz.
‚Wenige Gedichte haben in den Iekten 15 Jahren fo viel
Beifall und Käufer gefunden wie ‚Ihe course of time” von
dem Schotten Robert Pollok. Es erſchien 1827, ift beras
burch die ſechszehnte Auflage gegangen und het «inen Abfes
von 40,000 Exemplaren gehabt. Wer daher für die Geſchichte
bes Gedichte und für den Dichter fich intereſſirt, ber leſe: „Life
of Robert Pollek, by his brother, David Pellok‘ (bi
und London 1843). Der Dichter wurde den 10. Det. 1798,
fein Gedicht unter koͤrperlichen und finanziellen Leiben geboren.
Sr farb in ber Nähe von Southampton am 18. Sept. 1837
und ruht auf dem Kicchhofe zu Millbroof unter einem Denkmale,
beffen Koften aus ben für ihn zu einer Reiſe nach Italien ges
fammelten Beiträgen beftritten worden find. Gr war bas fs
bente von acht Kindern eines wenig bemittelten Landwirthes
zu North» Moorhoufe im Kirchſpiel Eaglesham der Sraffchaft
Renfrewfpire. 3.
BVerantwortiiher HSeraugeber: Heinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodbaus in Leipzig.
r m u ET
on 2
—
—
Bläfter
literariſcht ne
Sonnabend,
Bo Mind: Räder.
(Beſchlu ud Nr. 774.)
Die Stimmung, bie in dee Reichsverſammlung ges
herrſcht hatte, fand nice mehr flat. Wol war man
der verlangten Bereinigung im Ganzen ſehr abgeneigt
und mistrauiſch; was ſich umter Anderm bei der Menge
wen Gubhferiptionen für den Fall der Erneuerung des
Krieges zeigte; doch anf der andern Sekte konnte man
die Vortheile einer Verbindung mit Schweden als bie gebie:
sende Nothwendigkeit Defien, was Europa foberte, ebenfſo
wenig leugnen. Jetzt trat Wedel⸗Jarlsberg weit Eifer
mb Kraft auf, um feine Anfichten geltend zu machen,
indem er bie Aufklaͤrungen Aber den Zuſtand des Mriche,
Ne ven einem vom Gtestbing — Unterfus
dungecomite mitgetheilt waren, benugte. Er bewies daß
wir mit 20,000 Mann ſchlecht gekleideter unb fhjtecht
genaͤhrter Zruppen und einigen wenigen Gchiffen nicht
hoffen bennten, eine Armee von 40,060 Mann, bie durch
englifdyes Seid in fehr gutem Zuſtande war, unter bem
Commande Karl Johann's ſtand umb von einer bedeu⸗
tenden Seemacht unterflüge war, zu beſtegen; wir ſtaͤn⸗
den ohne Bereinigungspunft, abe Alllirte, ohne geüͤbte
Generäle, ohne Haudel, ohne Schifſahrt, ohne Finanz
gegen die größten Maͤchte Europas. Ex zeigte, daß eine
iſolirte Selbſtaͤndigkeit ſehr ungfüdtich fe und überdies
ir einem fo kleinen Staat nur dem Namen nach flatts
finden koͤnne; wobei Doch jede Berbinbung mis einem an⸗
bern Lande ale Schweden ein Unding fein wuͤrde. Be
fonbers ſcharf ſprach er ſich gegen eine Wiebervereinigung
zeit Daͤnemark aus, „deſſen politiſches Syſtem fo ſtoel⸗
mb gegen das Intereſſe Norwegens iſt, deſſen zerruͤttet⸗
Finanzen lange ein Sprichwort geworden find, deſſen ver⸗
wickeltes Collegialweſen aller Geiſt toͤret deſſen verbech>
liche Charakterioſigkeit uns ſchon allzu febr angefledt hat,
deffen Kleinmäthigkeitögeift bei ums wur zu viele &puren
hinterlaſſen hat“; zuletzt entwarf er eine Schilderung der
Dortheile, die unſere bewahrte Selbſtaͤnbigkeit und 1
unter einem mit Schweden gemeinſamen König bie
ten würche. Der Landrichter Nanſen und Andere veroin⸗
sem fich diefe Verbindung als vortheilhaft zu ſchitdern,
uunb amı 39. Dice. wurden bie wichtigen Beſchtuͤſſe ges
—* Überfihe des Zuſtandekommens der
norreegifihen Gonftitutien
* welche Rorwogens Zukuuft beſtimmten. Bis auf
Eine dh erklärte der Storthing ſich berechtigt, den
Soſchluß zu fehlen, den er ſelbſt in Becreff einer aeuen
Konigswahl am zweckmaͤßigſten finde; — Etwas, bas übri⸗
gens mit andern hiſtoriſchen Daten zu beroeifen ſcheint,
daß ber Storthing zunaͤchſt fein Recht, das Wrundgefeg
zu veraͤndern, aus dieſem ſelbſt herteitete, anſtatt, was
gewiß das Rickigfke gewefen wäre, «6 auf die neue Befug⸗
niß zu thun, welche bie Nation iheen Reprifentanten gegeben
hatte, ruͤckſichtlich der —— Schwedens das Moͤ⸗
thige vorzunchmen. Man beſtimmte gegen fünf Stim⸗
men, alla Hagerup, Eonful Amor, Capitain Mo
feldt,. Secretair Chriſtie und Paſtor Dahl, daß Norwe⸗
gen als ſetbſtaͤndiges Reich unter Ginem König mit
Schweden vereint werben folle, jene fünf referirten alles
auf den von ihren Gommittenten (in dee Stade Berge
und dem noͤrdlichen Bergenhunsemt) ausbrüdtich zu er⸗
kennen gegebenen Willen. Wäbrmd ber Storthing fi
für berechtigt anſah, das Grundgefetz zu veraͤndern, wo
er fand, dab Veraͤnderungen nöthig ſeien, betrachtete er
es im uͤbrigen day ohne Ausnahme als geltend. Der
Thron fah er als. exfedigt am umb brachte die Beſtimmumng
des Grundgeſethzes für diefen Ball: dem Staatorathe ale
Inhaber der executiven Macht zwei mıue Mitgliedes zu⸗
zuosduen wub ben Eid derſelben, die Sonflitution aufs
vecht zu halten, weiche dieſe freilich der Umfidede wegen
gern vermieden hästen, entgegenzunehmen, zus Anwendang.
Ks der Stmatsrach dem Storthing die Erledigung vers
ſchiedener Regierungsfachen überlaffen wollte, erhtelt es
dieſelben mit der Welfung zurüd, daß fie unter die ere>
eutive Macht fortirten. Anbererfeits hielt ber Staats:
rath fich doch keineswegs mit Strenge innerhalb ber Li:
nie, bie er ſich vergegeichnes hatte, ſondern erlaubte fick
. fogar, ein ober das andere minder Weſentliche, das dem
Verein eigentlich nicht zukam, bei der Mobificatton des
Srunbgefeges zw deflimmen. Im Ganzen hatte man
wol einen ſehr unklaren Begriff davon, was berfelbe
nothwendigerweife erfodere. Streng genommen, beburfte
es gar keiner Beränderungen, damit Schwedens König-
zugleich der unfere würde, und nur fehr wenige, um biefe
Verbindung dauernd zu machen, und fie wurden meiſtens
nur vorgenommen, theils damit beide Reiche vor dem
übrigen Europa als Einheit aufgeſtellt werden koͤnnten,
"Tr
theild und vornehmlich um das Reich gegen die Incon⸗
venienzen zu fichern, welche durch den gewöhnlichen Aufs
enthalt des Könige außerhalb feiner Grenzen entftehen
Sönnten, wie auch gegen die Gefahren der Freiheit, welche
unfer Diötrauem ums vorfpiegelte. So traf. «6 ſich auch,
daß, wenn man, Seiten Norwegens allzw flarke Barantien
foderte, die ſchwediſchen Commiſſaire, welche mit dem
Storthing unterhandelten, oder, wie es hieß, ihm Aufklaͤ⸗
rung mittheilten, zu den bisher beſtandenen grundgeſetzlichen
Beſtimmungen zuruckgingen und verlangten, daß dieſe auch
ferner guͤltig ſein ſollten, wenn man ſich mit ſolchen Ver⸗
änderungen begnügen wolle, in welche König Karl ein⸗
willigen würde. So war dies ber Ball, als bie Rede
auf die Dispofition des Könige Über die Kriegsmacht kam,
weiche man. norwegifcher Seite — nach einem Vorſchlag
won Mosfeldt, Nanfen u. A. — allen moͤglichen Eins
ſchraͤnkungen *) unterwerfen weilte, von been indeß doch
nur einige buschgingen. Hier wie im Banzen wurde
ſchwediſcherſeits die groͤßte Mäßigung bewieſen und bie
größte Vorſicht angewandt, um dies wichtige Werk
zu Ende zu bringen, das auf ſo mannichfaltigem
Fundament von Nothwendigkeit umd freier Erkenntniß,
von Bitterkeit und Mistrauen, mit kaltem Nachdenken
and Berechnung vereint, aufgeführt wurbe. Niemand
liebte damals die Vereinigung, man erkannte nur ihren
Mugen. Man wurde, nachdem bad Brandgefeh im San:
zen wieder durchgegangen war, am 4. Rob, mit ber
Umarbeitung fertig. Der Storthing hatte alle feine Bes
fehlüffe in pleno gefaßt, die ganze Zeit unter dem Präfis
dium bes Sörenflriver Chriſtie. Am felben Rage wurde
eine Erklaͤrung an König Chriſtian Friedrich. ausgefertigt,
in der man feine Abdication anerfannte und ihn feines
Eides entband.”**) Auch empfing man von den ſchwedi⸗
ſchen Commiſſairen am 4. Nov. bie Erklärung, daß fie
das Grundgeſez im Namen des Könige anmähmen, wor:
auf man gleich die Königewahl vornahm, welcher Act
nach dem MWorgefallenen natürlih nur Kormalität fein
Sonnte, die beobachtet wurde, um die buch das Grund⸗
gefeg vom 17. Mat beflimmte Ordnung und Regel fo
viel als möglich aufrechtzuhalten. Das Grundgeſetz felbft
ward erſt am 7. Nov. von dem ermwählten Gomitd,
das fie am 3. zur Vearbeitung erhalten, beendet. Der
Stortbing machte auch ben Entwurf, zu einer Acte, wo:
*) Doctor Reumann wollte fogar eine Clauſel eingeführt
haben, daB Norwegen nie offenfio und nicht einmal defenſiv
Krieg gegen Dänemark führen dürfte, wenn nicht Norwegen
ſelbſt von Dänemark angegriffen würde: doch fiel biefer Vor⸗
flag weg, da angenommen wurbe, baß fein Angrifföfrieg ohne
Einwilligung bes Storthing geführt werben könne.
”") An bdemfelben Tage flieg Ehriftian Friedrich nad) einer
ſtaͤrmiſchen Überfahrt bei Aarhuus ans Land. In feinem Ges
folge befanden ſich Graf Bargass Bedemar, Major von Brooch,
Sapitain Holften und Lector Adler; audy ber Gtaatsfecretaie
von Holten hatte Norwegen verlaſſen. Beweiſe von ber Liebe und
dem Bedauern bed Volks begleiteten biefen Kürften in Norwegen
ſelbſt nach Rieberlegung der Krone; im Gtorthing warb eine
Dankabreffe vom Gtatsrath Treſchow vorgefählagen, vom Bis
ſchof Bel eine Apanage und von bem Gonful Konov fogar
ein Marmormonument; boch kam man zu krinem Beſchluß.
durch das Brundgefet vom König angenommen und baum
von dem GStorthing In deffen Namen publicirt werben
konnte; aber der König, ber biefem nicht beitrat, faßte
feioft eine Bekanntmachung vom 10. Nov. ab, worin
erklärt warb, daß er, nachdem er zum⸗ couflitutonnellen
König gewähls fel, das Brupdgefeg annaͤhme, befkdtige
und befräftige, forwie es zufolge ber Übereinkunft mit ſei⸗
nen Commiſſairen befchloffen fe, Doch daneben nahm
ber Storthing felbft am 16. eine Intimation an, worin
er befchtoffen und feftgefegt zu haben erklärte, daß flatt
der von ber Reichſsverſammlung gegebenen Gonflitution
die jüngft angenommenen theil® auf diefe gebaute, theils
bei Veranlaſſung der Vereinigung angenommenen
flimmungen gelten und baß alle Beikommenden fie tie
Norwegens Grundgefeg zu achten und zu befolgen hätten,
und dieſe Intimation warb jest in den Grundgeſetzaus⸗
gaben als die eigentliche Einleitung angefehen.
Gleich nad der Koͤnigswahl kam Karl Johann mit
feinem Sohn, von normwegifhen Jaͤgern escortirt, nad
Chriſtiania; er fand ſich gleich im Sterthing ein, wo er
durch die nachgiebigften Erklärungen das durch die Bege⸗
benheiten verwundete Nationatgefühl beruhigte und des Kb:
nigs conflitutionnellen Eid ablegte; auch bie Mitglieder des
Storthing leifteten bei berfelben Gelegenheit der Conſtitu⸗
tion und dem König ben Eid. Wol warb es nothwen⸗
big gefunden, daß ein Schwede (Graf Effen) zum States
halter ernannt wurbe, doch in dem Staatsrath — befien alte
Mitglieder blieben, Aall ausgenommen, der feinen Abfchieb
fuchte — wurben fieben der Männer aufgenommen, melde
thätigen Antheil am ber Entwidelng der Begebenheiten
zum Theil als Widerſacher Schwedens genommen hatten,
nämlid, P. Anker (als Staatsminifter), Wedel⸗Jarlsberg,
Treſchow, Diriks, Krogh, Motzfeldt und Hegeemann (ats
Staatsraͤthe), während andere wie Chriſtie, Fabricius,
Faſting, Holſt, Loͤvenskiold, Sibbern, Hagerup, Krebs
und Fleiſcher, die alle theils als Repraͤſentanten In Eide⸗
void oder im Storthing fungirt, theils ſich im Kriege
ausgezeichnet haften, gleichfalls Beweiſe der Gnade und
des Vertrauens erhielten. Am 26. Nov. ward der Stor⸗
thing vom Kronprinzen mit einer Rede aufgeloͤſt, die
durch einige Worte des Praͤßdenten, weiche bie Hoffnung
ausdruͤckten, daß ber neue Kürft bald bie Liebe des Volke
zu erwerben willen werde, beantwortet wurde. Dies
war die Schlußfcene in dem großen Act, durch den Nor⸗
wegens Freiheit und Giuͤck gefihert ward. Die Wüns.
ſche Chriſtie's fingen ſchon an in Erfülmg zu gehen,
bean der Kronprinz Karl Johann gewann die Herzen
durch feine ausgezeichnete Perfönlichkeit, feine aufricktige
Liberalität und das Vertrauen, das er Denen bewies,
bie vor kurzem noch feine Feinde geweſen waren.
Das Grundgeſetz felbft umfaßt nicht vollſtaͤndig alle
Fundamente unfers conflitutionnellen Rechts; als es bie
in Schweden für bie Thronfolge geltenden Regeln ans
nahm, beſtimmte es, daß dieſes Landes Succeffionsortuung
von 1810 in der Überfegung beigefägt werben follte.
Um einige nähere Beftimmungen in Betreff ber Drganks-
firung einer gemeinfansen oberfien Regierung auf bew
Lew wm u on 70
Hal der Thromecledlzung, der. Ummbnbigleit des Könige
oder feiner Untaugfichlett zum Regieren, wie aud für ben
erften Fa in Betreff der Koͤnigswahl, zumege zu bein:
gen, ward beflimmt, daß zum naͤchſten Storthing oder
Rteichseag ein Geſetz vorgeſchlagen und in biefer Veran⸗
laſſung beſonders das wichtige Princip der voͤlligen Gleich⸗
deit dee beiden Reiche ausgeſprochen werden ſollte. Im
J. 1815 kam ein ſolches Geſetz heraus, das indeß mehr
die Wisberhofung und nähere Wellimmung mander
Dinge enthielt, die ſchon im Grundgeſetz feſtgeſetzt waren,
doch auch fiir Schweden eine Art Intereſſe haben konn⸗
ten. Als Unionsdocument erhielt dies Sefeg vom 6. Aug.
den Namen einer Reichsacte.
Unter den Quellen zu unferm conflitutionnelien Recht
fann man, außer den hier angeführten Anordnungen, das
Geſetz von 1816 und ein gleiches von 1821 rechnen. Durch
das Geſetz von 1821 iſt ein Zufag zum Grundgeſetz ge:
fchehen; mit Ausnahme biefes iſt niemals irgend eine
Veränderung an dem Grundgefeg vom 4. Nov. 1514
vorgenommen, ungeachtet der unendlichen Maffe von
Borfchlägen, welche ſowol von Seiten des Königs als
Privater herausgefommen find. Beſonders feit 1824
ift es Princip geworden, dies fo viel wie möglich unver:
ändert zu erhalten, felbft wenn wie feine Mängel erken⸗
nen, und fo iſt es uns allmaͤlig ein heilige6 noli me
tangere geworden. Wir wollen bie Quellen unſers
öffentlichen Rechts fo rein und klar als möglich erhalten
und fie gegen das gewöhnliche Schickſal menſchlicher
Werke fichern, indem wir fie mit der Ehrfurcht umhegen,
die man dem Alten und ſtark Geprüften ſchuldet. Das
Recht iſt unteugbar das ehrwürdigſte und ftärkite, das
fi) aus ſich felbft oder aus dem Volk, ohne Huͤlfe pofi⸗
tiven Gebots entwidelt hat.
Zur Gefhichte der deutſchen Literatur.
1. Handbuch der Geſchichte bee beutfchen Literatur. Bon 3.
W. Schäfer Crfler Theil. Bon den älteften Zeiten bis
he Bremen, Schünemann. 1842. 2er.:8. 1 Thir.
2 BL.
3. Innere Geſchichte der Entwickelung ber deutfchen National:
Eiteratur. Gin methodiſches Handbuch für ben Vortrag und
zum Selbſtſtudium, von K. Fr. Rinne. Zwei Theile. Leip⸗
ig, Dartung. 1842. Gr. 8. 3 Ahle.
Swei ſehr verfchiedene Arbeiten auf bemfelben Felde und,
im Allgemeinen wenigftens, zu demfelben Zwecke. Hr. Schäfer
beabfichtigt möglichft gebrängte Darftellungs bei ber Andeutung
der interichiebe, die fein Werk von den befannten Werten Ans
derer babe, fagt er ausdrädtih vom Gervinus'ſchen Auszug
aus dem größern Geſchichtswerke, es unterſcheide fich derfelbe
wefentlich dadurch von feiner Arbeit, daß jener die Profalitera-
tur ausfchliege. „Man wird”, fagt cr in der Vorrede S. vıı,
„nicht alles vorhandene Material, wie in einem Repertorium
der Literatur, gefammelt finden, fondern es ſchien mir wichti⸗
ger, in den hervorftechenden Graeugniffen bes jedesmaligen Zeit:
alters den Bildungsgang der Nation nachzuweiſen, diefelben
nah Inhalt und Form kurz zu dyarakterifiren, ihrem Verhaͤlt⸗
niß zueinander, den Bäben, die von dem einen zum andern
teiten, nachzuforfchen, und dies Zuſammenwirken geiftiger Kräfte,
fo viel mir möglich, in kleinen Bildern zu veranſchaulichen.“
Der Entwickelungsgang, den der Verf. in dieſem erften heile
verfolgt, ift folgender: ex behandelt die Beit bis zu Opitz in
vier Büchern, zuerſt die aͤtteſie Zeit BIS zum nn des
der Laien und WBthtezgeit des Epos wie ber Lyrik, hierauf Uns
tergang ber. höfifchen Kunftdichtung und Geltung bes Wolks⸗
mäßtgen in Voeſie und Profaz endlich das Zeitalter der Refor⸗
mation, Ausbilbung ber Profa, Anfänge der Gelehrtenporfie.
Die einzelnen Bücher zerfallen in Gapitel, weiche aber nicht
nach einzelnen Perfonen .obee Dichtungen, fondern nady ganzen:
Sphären oder Gattungen abgetheilt find, z.B. das zweite Buch:
Dichtungen des 13. Jahrhunderis, beutfches Nationalepos, Blüte
des hoͤfiſchen Kunſtepos, höfifche Lyrik, Behrbichtung, Profalites
ratur. Fortlaufende literasbiftorifche Anmerkungen. verleihen dem
Buche noch größern Werth. Neben ber guten überſichtlichkeit
verdient hervorgehoben zu werben, daß es zweckmaͤßige Inhaltes
angaben der einzelnen bebeutendern Dichtungen enthält.
Das zweite Werk kuͤndigt ſich als ‚‚innere” Gefchichte ber.
beutfchen Literatur an. Der Verf. gebt von ber Anſicht aus,
daß biefe Gefchichte meiſt nur als Außere hiſtoriſche Wiſſenſchaft
vorgetragen werde, wie denn zu einer durchaus innerlichen Bes
banbiımg berfelben felbft nad) ben Arbeiten von Roſenkranz und
Gervinus in ber That die literarifchen Hätfsmittel noch nicht ausrels
chen, am wenigſten aber ſich einer methodifchen Anorbnung nähern.
Über die vom Verf. gewählten Geſichtspunkte bei dem Werfuche eis.
ner folden innern Geſchichte Tpricht er fich ſelbſt (Vorrede &. vı)
fo aus: „Nachdem baher der allgemeine Geſichtspunkt, unter
welchem, der abfoluten Beftimmung gemäß, bie Entwickelung
einer Literatur überhaupt, forte der befondere hiſtoriſche fefle
geftellt war, unter welchem die Gntwidelung der beutfchen Liter
ratur zu betrachten iſt, mußte weiter das concrete Gefeg derſel⸗
ben als Princip zu Grunde gelegt werben, deſſen Richtigkeit
fi fogleih daran befunden mußte, daß alle einzelnen Erſchei⸗
nungen fi als organifche Entfaltung deffeiben ergaben und daß
ihre natürliche und fihere Erklaͤrung von dem Gentraipunlte
des Ganzen mit Leichtigkeit hervorfloß. Denn nur fo kann fich
mit der Erkenntniß des Gingeinen die Anfchauung von dem
Verhältniffe ded Befondern zum Allgemeinen befefligen und ſich
an dem concreten Stoffe die abdfolute Wahrheit vergegenwaͤrti⸗
gen; nur fo kann der Züngling fich feinem Wolke und feiner
geiftigen Beſtimmung gegenäber praktiſch erfaffen und nur fo
alfo das. Berlangte erzielt werben: nationale, religisfe ober
Welts und Geſchmacksbiidung.“ In Gonfequenz biefer Grunbs,
fäge hat der Verf. von dem Gtoffliden nur fo niel aufgenom⸗
men, ald zur Norftellung von dem Ganzen und bazu nöthig
war, um daran ben geijligen Wortfchritt in feinem lebendigen
Bezuge auf das Princip ulencben: Bei einer foldyen Eroͤrte⸗
rung mußten ferner, wie fich ber Verf. felbft ausbrüdt, „alle
titerarifehen Erzeugniſſe, an denen nun der Fortgang nachgewies
fen war, in. ihrer gattungsmäßigen Entfaltung wie ein vom
Principe ausgehender, in feine unendlichen Arme fich zerichtas
gender , feine Gemeinſamkeit aber doch immer kund gebender
Rervenfirom erfcheinen. Endlich mußten ficy bei einer folchen
Darftelung angewahbte Aſthetik, Poetik, Rhetorik, ja ſeibſt
Profobit und Metrit — Wiffenfchaften, die der beutfche Unter⸗
richt nur durch großen Misverftand foftematifch abhandeln kann —
von ſelbſt in das Ganze verweben, fobaß fi), was davon dem
Schüler zu wiſſen nöthig tft, ihm ohne befondern Anfag von
feloft einpflanzt.” Das Buch tft ſehr philoſophiſch durchgear⸗
beitet und verdient große Beachtung. Bei dem eng gefchloffenen
DOrgantemus deffelben können wir, felbft wenn es der Kaum d. Dt.
verftattete, hier nicht auf Einzelnheiten eingehen. 56,
Bibliographie.
Ambroſch, 3. A., Über die Religionsbuͤcher der Römer.
Bonn, Marcus. Gr. 8 10 Nur.
Asher, A., A bibliographical essay on the Scriptores
rerum germanicarum. Berlin, Asher und Comp. Amaj. 4 Thir,
Aubin, 3. M., Geſchichte des Lebens, ber Lehren und
12, Zahrhunderss, dann Übergang der Dichtung in-
U Schriften M. Luthers. Rah der 2ten Ausgabe des franzd«
ü Weit einer Borrebe von &, Sauger. er |
Mont. Augsburg, DR. Rieger. Gr. 8. 1 Ihe.
Ber a1, OB. T., Wappesbuch der preussischen Rheia-
'ovinz mit Beschreibung der Wappen. Nachtsag za den
appen des immatrikulirten Adels. Bonn, Marons. 1842.
Gr. 2 Thir. 10 Neger.
Betrachtungen über bie heilige Gottesliche. Aus dem Ita⸗
Uenifgen, Wien, Wechitariften » Gongregationd : Buchhandlung.
gt. 8.
Braunfdgweig und Lüneburg. Neu beraudgegeben und mit Ans
mestungen egleitet. Ginftebein, Gbebr. ziger. kLex.⸗8.
& v.
Rieebet franzoͤſifcher Kanzelberedtſamkeit. Eine Gamm⸗
lang ausgewählter Predigten ber
lredner Frankreichs. Muſterbilder für Kanzelredner aller Con⸗
——* und Erbamngsbuch für tatpotifce Shriften. Ster Band.
Leipzig, Jackowig Gr. 8. 1 Thx. 10 Nor.
Bifkof, G., Populaire Vorlefungen über naturwiſſen⸗
ſchaftliche Gegenſtaͤnde, aus: ben Gebieten ber Geologie, Phyſik
und Ehemie, im J. 1842 gehalten vor ben gebildeten Bewoh⸗
nern von Bonn. Bonn, Marcus. Gr. 8. 10 Kar.
Bolko der Löwe. Erzaͤhlung aus ber fdhiefiichen Geſchichte
ar 18: unb 14. Jahrhunderts. Braunſchwrig, G. &.&. Meyer sen. |
Nar.
Carlopago, Gebichte. Leipzig, Brockhaus. 8. 20 Nor.
Carus, G., Atlas —— oder Abbil-
dungen der Schädel- und Antlitzformen berühmter oder senst
merkwürdiger Personen. Istes Heft, enthaltend auf zehn
kitho raphirten Tafela die Abbildungen der Kopflormen
Schille s, Talleyrand’s, eines Grönländers, eines Cretin’s,
Napoleon’s, eines alten Skandinaviers, eines Kaffera und
eines Bali, sowie zwei Tafeln übereinander gereichneter
Contoure dieser Köpfe. Leipzig, Weichardi. Ki.- Fol.
er
6 Thir, 10 Ngr.
Dalberg, Marta Feodora Freifrauvon, Ein Phans
tafieieben und feine Folgen. Roman. Zwei heile. Yrantı
a. M., Sauerlaͤnder. @r. 12. 2 Thir. 15 Nor.
Diefenbad, 2, Die Ariftofraten. Ein Roman. Frank⸗
fit a. M., Gauerländer. 8. 1 Zyle. 15 Nor.
Duller, ©., Maria Ihereſia und ihre Seit. Iftes ‚Heft.
Wiesbaden, Beyer Br. 16. 71, Nor.
Eichler, 8, Jonas. Cine Schneider⸗Idylle. Leipzig,
Baumgärtner. 8. 10 Rgr.
Eiſenhart, H., Philoſophie bes Staats, ober allgemeine
Socialtheorie. Leipzig, Brockhaus. Gr. 8. 1 Thir. 6 Nor.
'Enocyklopädie der gesammten Velksmedicin, oder Lexi-
kon der vorzüglichsten und wirksamsten Haus- und Volks-
arsneimittel aller Länder. Nach den besten Quellen und
mach dreissigjährigen, im In- und Auslande selbst gemach-
ten zahlreichen Beobachtungen und Kefahrungen aus dem
Volksleben gesammelt und herausgegeben von 6. F. Most:
ar Heft. (A— Brennnessel,) Leipzig, Brockhaus, Gr. 8.
Er. |
Forſter's, G., ſaͤmmtliche Schriften. Herausgegeben von
befien Zochter und begleitet mit einer Gharatteriſtik Forſter's
vn & ©. Gervinus. (Im neun Wänden.) Ifte Liefe⸗
sung. (After, Gter und Tier Band.) Leipzig, Brockhaus.
Gr. 12. 3 Tür.
Branbfen, 9. S., GC. Eiinius Maͤcenas Cine hiſto⸗
riſche Unterfuchung über deſſen Leben und Wirken. Altona, Ham⸗
merich. Br. 8. 1 Thir. 10 Ngr.
Gaͤbler, B., Die vollflänbige Liturgie und die 30 Arti⸗
kel der Kirche von England nebft einer Einleitung. — Anhang:
die Eiturgie der proteſtantiſch⸗ bifcgöftichen Kirche in ben Ver⸗
einigten Staaten von Nordamerika. Altenburg, Pierer. Gr. 8.
k Ihe. 15 Nor.
tichften Eatpotifchen Kans |
Swenwart uak Zukunft. Dre: IE Qeuichiand zeif zu
einer Reorganifation? Gin offenes Wort an das deutſche Wall,
Bon W. 8. Schaffhauſen, Brobtmann, 8. 7%, ee Ba
Seibel, &., Zeitftimmen. Gedichte. Ne vermehrte Aufı
lage. Elbe, Asſchenſeldt. 8. 15 Nor.
Hauber, %, De ⸗ Eixfisbie
bey Moͤnche
und alles geifllichen Drbensflände. Dargeßellt in
aus ber Geſchichte aller chriſtlichen Jahrhunderte. Ein Lefes
und Grbaungsbud für bie Beeunde bes kloͤſterlichen Lebens,
De Rieger. * 11%, Ror
L; „ Ger ® d Welertagbfeiuien berer
er — —— m Rau un
escmann, B. Derwegh und iglich pusus
Sifchen Bofpoeten. Herrn * W. —2 gewidmet. Schaf
bauen en 3 — Nat.
mann .. ich⸗
Recenftunden. Mena, Mast. Gr 8 Ar aeſchicheuche
Er 4 3
Brontmann. y 8. 5 N & n vanlen,
annegießer, K. L., i „Schauſpi
in I Acten, nie einem Borſpiele s ne ae reufiet
* Radfpiele: Sphigenie’s Tod. Leipzig, Brockhaus Gr. 11
Kirchner, 8. M., Id weiß an wen ich glaube. Stim⸗
men bed Lebens in evangelifchen Liedern. Mit einem Stahl⸗
ſtiche. Frankfurt a. M., Dermann. Gr. 13. 3° Mor.
Landoror, X., Beschreibung der Heilguellen Grie-
chenlande, Mürnberg, Schrag. Gr. 8. 2% Ngr.
Mendeisfohn’s, M., gefammelte Schriften. Nach den
Driginatbruden und Handſchriften. Herausgegeben von Prof.
®. 8. Mendeisfohn. (In fieben Bänden.) Ifte Lieferung:
Ifter biß ter Band. Mit Mendelsſohn's Büdniß. Leipzig,
Brockhaus. Gr. 12. 3 TIhir.
Moore's, T., poetiſche Werke, deutſch von T. Öldere
te vermehrte Ausgabe in fünf Wänden. Mit dem Portrait
bes Dichters. Leipzig, B. Tauchnig jun. Gr. 16. 3 Thlr.
Reinhardt, Lina, StundensBiumen. Gine Novellen
Dion Braunfhroeig, G. E. E. Weyer sen. Gr. 12. 1 Thlre.
gr.
Das Schulbenmachen ber Juſtizbeamten. Beleuchtung ber
allgemeinen Verfügung des Herrn Juftisminifters Mühlen vom
24. Sonuar I} ewidmet allen nicht etatsmäßigen Juſtiz⸗
beamten. Berlin, Veit und Comp. Gr. 8. 7Y, Wer.
Schwartz, K., Der Bruderkrieg der Söhne Ludwig’s
des Frommen und der Vertrag zu Verdun. Nach den Qael-
len dargestellt. Fulda, Müller. 4. 27% Negr.
Softmann, Wilhelmine, Der Bucftabe des Selaer.
Ein Roman. Braunſchweig, ©. ©. E. Meyer sen. Gr. 12.
1 Thir. 15 Nor.
Soutie, %., Der Paradies « Feigenbaum. Aus dem Fran:
fifcden überfegt von W. du Roi. 2er Band. Braufchweig,
. C. ©. Meyer sen. Gr. 12. 1 Thlr.
— — Die Schule bes Lebens. Roman nad Si j
savait, si vieillesse pouvait, Nach dem ranzöfiihen von
E.Rumann. ?ter Band. Braunfhiweig, G. 6. &. Meyer zen,
Gr. 12. 1 Thlr. 15 Rgr.
Tarnoweki, &, Kuͤchenknecht und Viscounteß. Gine
hiftorife Novelle. Braunfhweig, 8. C. E. Meyer sen. 8.
gr. |
— — Die Schleuberer an der Hafelmattlüfe.- Eine Schwei⸗
tnovelle aus dem 14. Jahrhundert. — Der blutige Dfterjubel.
in italieniſches Volksbild aus dem 13. Jahrhundert. Zwei
Novellen. Braunfhweig, G. &. E. Meyer sen. 8. 25 Kr.
Werg, A, Frichſon, der eble Fluͤchtiing. Eine hiſterch⸗
romantifche Erzählung, aus dem erften Biertel des 185. Jahr:
hunderte. Zwei Theile. Berlin, ©. ©. Lüderig. 8. 2 Ihr.
Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Brud und Verlag von F. A. Broddaus in Leiyıig.
— — — — — Mn —
in, X [oo
ce
fit
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erarifhe Unterhaltung.
.
-
Sonntag,
Reifeliteratur.
Zweiter und legter Artikel.) |
8, Andalufien. Spiegelbilder aus dem füdfpanifchen Leben. Aug
“den Briefen eines jungen Deutfchen. Herausgegeben von
W. Ps (8. Aleris). Berlin, Lefecabinet. 1842.
“ e v.
‚ine der augichenbflen Schriften, welche der Strudel
der Reiſeliteratur in jüngflee Zeit auf bie Oberflaͤche
ihrer wogenreichen Flut gefördert. hat. Mehre Skizzen
daraus erinnern wie uns beveitd im irgend einer deut⸗
ſchen Zeitſchrift oder Zeitung geltſen zu haben, bie und
Schon damals nicht wenig Interoffisten. Dit Recht macht
ber Herausgeber and Vorredner auf die im Gegenfatze
zu der Binfirtheit der vornehmen Touriſten doppelt er⸗
frewtiche urfprängtiche und gemüthliche Anſchauungskraft
des Juͤnglings, auf feinen gefunden, kindlich⸗ frommen |
Sinn, auf die Liebenswuͤrdigkeit feines anſpruchsloſen
Eharabeers aufmerffam. Diefe Briefe waren natürlich
nicht für den Druck gefchtieben, curfirten aber in Ab⸗
Schriften auch außer den Kreifen ſeiner Berwandten und
Freunde und erregten den Wunſch, fie durch den: Drud
and) einem. groͤßern Publicum bekannt gemacht zu fehen:
Der junge Dann milfahrte gen dem Berlangen- feiner
Feeunde unb wünfdte nur, daß eine ſchriftſtelleriſche Fe⸗
Dee in. der Heimat die noͤthigen Umarbeiten vornehme,
weiche familiaire Mittheilungen und Herzensergießungen
an naͤchſtſtehende Freunde ſodern, ſobald fie vor tin groͤ⸗
deres Publicum treten. Dee Herausgeber gewann nun
einen juͤngern Schtiftſteller, welcher ſich mit voller Liebe
der Arbeit unterzog. Was perſoͤnliche Berhaͤltniſſe bes
trifft, fo wurden dieſe andern Perſonen zugetheilt, hier
und da, wo ſich Luͤcken ſpuͤren und in den Briefen
nur Andeutungen auffinden ließen, wurde Einzelnes er⸗
gänzt und ausgeführt nach den muͤndlichen Mitthrilun⸗
gen. eines Freundes, ber den Verf; der Briefe und Ma:
ĩagas Örtlichkelt und Verhaͤltniſſe näher kannte. Der
Verf. felbft hat die Herausgabe nicht mehr erlebt; er flach
ars toisberhaften Blutſtuͤrzen und zu vafcher neuer Blut:
erzeugung. Seine oft rührend ausgefprachene Hoffnung
auf Genefung unter Mäfcgas füdlichem Himmel: has ihn
geräufcht, er farb, als ee gerade "die beſten Ausfihten
Haste, in: Geweinſchaft mis beonahrten jungen Freunden
TI) Bgı. dem erften Art: {Re 127 1409 b. UT O. Reb,
25. Juni 1843.
ein. eigenes. Geſchaͤft anzufangen. Mit ehrender Auszeich⸗
nung wie kaum je ein Sremder, den der Tod in Malaga
überrafchte, wurde er zur Legten Ruheſtaͤtte geleitet, ein
gerade zufällig an biefem Zage in Malaga gelanbeter
premßifcher Prinz folgte aus eigenem edeln Antriebe der
Leiche feines jungen, ihm perfönlich unbelannten Landes
manns. Nicht leicht iſt e8 einem Fremden vergönnt ge:
wefen, fo tiefe Blicke in das fpanifche Familienleben zu
thun, ba feine mufitalifchen Talente — ber Verftorbene
galt in Malaga als der befte Virtuoſe auf bem Pianss
forte — ihm zu allen angefehenen Famillenkreiſen in
Malaga Eintritt verfchafften. Er belaufchte daher manche
Beine intime Züge, die dem vornehmen Touriften, weichen
Toutiſt aus Profefiion oder Langeweile oder Faſhion iſt,
zu entgehen pflegen, und gerade biefe kleinern Büge ers
theilen diefen. Darfiellungen einen ungemeinen Reiz, eins
plante und eigenthümliche Färbung. Gleich im dritten
Gapitel ſtoͤßt der Leſer auf eine Lebendige Schilderung
eines Stiergefechts, dem ber Verſtorbene beimohnte,' bie
in ihrer feifchen Haltung jedem Romanſchriftſteller, dee ein
Stiergefecht als Epifode zu behandeln hätte, Ehre mas
hen würde; uͤberhaupt läßt fih in biefen Briefen am
vielen Stellen eine tuͤchtige Produetionsgabe nicht verken⸗
nn. Der Berf. ſah bei dieſer Gelegenheit den gefeiert
fin Stierfechter Spaniens, ben Don Montes, der auch
ein großes Werk über die Kunſt des Stierfechtens her⸗
ausgegeben hat. Mehr als 14,000 Menſchen umdraͤng⸗
tm den Kreis. . .
Der allenthalben uͤberlaute Pobel — fagt der Berf. —
war hier gar mit Inftrumenten zum Laͤrmenmachen bewaffnet;
mit Blechhoͤrnern, unfern Nachtivächtertuten ähnlich, um das
Bruͤllen der Stiere nachzuahmen, Trommeln und Pfeifen, um
durch die ſchallendſten Zöne das wilde Thier noch zu reizen.
Biele ſchwingen Piken, Bahnen, Tücher, um das Auge bes ger
höyten Thieres zu bienden, und alle biefe Inftrumente, im Sturme
der Srwartung jenes unvergleichlichen Schaufpiels probirt, das
iſt ein Anblick, ein Lärm, ber durch Auge und Obr die Geele
zu einer Witbheit reizt, bie einem Schaufpiel wie bad fommenbe
borangehen muß, wenn man barin, glei dem Spanier, das
größte Wergnügen der Wett genießen will, Nicht minder flürs
miflg, wenn auch mit enormer Grandezza gebt es auf ben Los
gen ringsum zu. Die ſtolzen Spanierinnen, weniger ſchoͤn, aber,
weit leidenfchaftticher noch, als fie verſchrien find, liegen weit
über die Brüftung gelehnt und uerfchlingen mit. gierigem
feurigem Auge jede Anftatt zu dem herrlichen Vergnügen, das.
ihnen. beborftght. , Die‘ ſchiwarzſeidfnen Keiber, die ſchwarh,
.. “ ) ]
} 4 -. &
Schleier, von ber glänzenden Haartour herabwehend, bis zur
ifle, umfchließen die üppigen Formen. Wie fo ganz eigen it I
der Teint, eine eigenthümliche Miſchung von Fettgelb und Roſa,
und biefe Miſchung fo heil und rein, fo gang geeignet, ben
Ausbrud der Augen, bie Isbhaften Misnen zu unterfkügen. ,
Endlich erſcheint Den Montes:
“Mo er auftritt, jubelt das Volk; das beutfche Wort Jubel
iſt aber für den ſpaniſchen Snthuflasmus nicht genug. Viel⸗
leicht fagt Euch das deutlicher, was Don Montes bedeutet,
wenn ich Euch fage, daß fein Portrait in jedem Damenzimmer
hängen muß. Der Gefelerte, mit einem Worte, der erfte Mann
Spaniens, ber fhlanfe Don Montes ift es, der geibliche, Aber:
reich pepußte, wie ee jeht vor uns fland, das ſtechende Fisine
Auge rundum mit einer gefebelichen Daft werfend und ſtolz bans
kend für den lärmenden Beifall, mit dem fein Auftreten fchon
begruͤßt wurde.
Und weiter, als der gehetzte ler einige Pferde durch
ben Stoß feiner Hörner niederfleedt: |
Bravo! Bravo! mie wild jubelt bas Bolt über biefe Hel⸗
benthat! O, ich wollte, Ihr fähet biefe gluͤhenden Geſichter, biefe
verzerrten, blutduͤrſtigen Mirnen bes Poͤbels, dieſe gebafiten
FJauſte, dieſe lechzenden Maͤuler, ſelbſt der zahnloſen Greiſe
Und die zarten Frauen, wie lebensgefaͤhrlich werfen ſie ſich uͤber
die Bruͤſtung, haͤndeklatſchend, bravorufend. Sie erſchoͤpfen ſich
in Lobesausrufungen über das wilde Ungethuͤm, das bis zu ſol⸗
cher Wuth emporgeſtachelt wurde. Belle Wonne, weiche Wol⸗
ink in ven Zügen! Das Auge ſieht ſich nicht ſatt an den
Audungen ber fierbenden Pferde.
Gharakteriſtiſch fuͤr die Nation war die Theilnahme,
welche der Flügel fand, den fich. der Verſtorbene aus
Deutfchland ſchicken lief. Ein ganzer Schwarm felgte
dem Flügel und feinen Traͤgern, bis er vor dem Kaufe
Band. Hier mußte der junge Deutfche einen Walzer von
Strauß auffpielen und wieder einen Walzer, und Walser
auf Walzer, bis ibm der Schweiß von der Stimm lief.
Die Träger ergriffen babei jeber eine zunaͤchſt ſtehende
Magd und ſchwenkten fi mit ihr auf ſpaniſch nad
dem Takte bes deutſchen Tanzes auf offener Strafe
herum. Später befuchte ihn ein Kapellmeiſter, ein De:
ganiſt und ein für den geiftlicken Stand beſtimmter jun⸗
ser Menſch. Nah Werlauf mehrer Stunden entfern⸗
een ſich die Herren unter vielen Complimenten über fein
Spiel, aber bald trat, mit glühendem Geſicht und fun:
kelnden Augen, ber junge Dienfch wieder ein. „Seiler!
Señor!“ rief ee in hoͤchſter Aufregung, „nur den Ans
fang noch ein Mal, nur ben Anfang, und dann kann
ich/s auswendig. D, Herr, Ihr vergeht mir! Nur dem
Anfang!" Der junge Deutfche fragte, welche Pikce er
meine? und fpielte, da ihm darauf keine beftimmte Ant:
wort gegeben werben Eonnte, alle Stüde der Reihe nad
neh einmal buch. Endlich traf er das rechte, es war
eine Melodie aus MWeber’s Oberen”.
Wenn ich jemals die Wirkung einer Muſik gefehen — er⸗
gu ber Berf. —, fie jemals felbſt empfunden, fo war es Hier.
Den Sompontften konnte nicht jebe Rote fo durchgluͤht, fo durch⸗
joaen fo durchbebt haben, wie hier den jungen Menſchen; er
ewegte fi, als ob jeder Ton bie einzelnen Glieder feines Koͤr⸗
Herd heben und ſenken machte, Alles, jede Nuance fpiegelte ſich
Ken Zügen wider, bie Augen zitterten, lachten, weinten,
ten und fchwammen wieder weich dahin, wie die Melodie,
und mit der Feenwelt ſchwebte ein Heer der zärtlichften Geiſter
am iin. — — ls ich geendigt hatde, faß er mit gefchloffenen
Augen, ktem da und
—* en Irn ee Dinbe mit ben ge
An einer andern Stelle widerlegt er dem jetzt weit
verbreiteten —— die Spanier des Katholicismus
aberdruͤſſig wären. Aber welch eine Religlon! Gin Laft⸗
traͤger erzaͤhlt ihm voller Seelenruhe, er habe ein filber⸗
nes Crucifix geraubt, ſei aber gleich davor auf die Knie
gefallen, habe +6 um Vetzelhung gebeten und geioßt, er
wolle es in beſſere Haͤnde verlaufen, als in denen es fi
jet befänbe, habe es damit geleiflet, daß er es zu einer
ſehr frommen Duelia bringen werde, bie werde es im
vollen Ehren halten und des Tages ſechs Mal ibe
davor verrichten, und. dann habe er fidy aus einem
«6
'
sen auf dem Hofe einen bejahrten Wann knien, ber ſich
mit der echtem bekreuzte, während er in ber Linken eb
nem ſchnurrenden Kater am Wüdenfell feſthielt; eine
ganze Maſſe ungen umgab ibn tniend mad alle von
richteten ihre Andacht im gewöhnlicher Weile; nach Be⸗
embigung derſelben aber gemahrte ber Deutfche, baf der
Alte in ber echten, mit ber er ſich befceusigte, ein
Maus bat, bie er nun am Gchwanze dem Kater mis
den Kopf ſchwingt und damit fein Auditorium beiuſtigt
Oder ein Burſche verzichtet fein Gebet und heftet zu
vor ihm Imienden. alten Weibern die Röde zufanmem,
während biefe, ihre Suͤndenbekenatniß fortfegend, den
Burſchen mit der Kauf ins Anttis fahren Mod eime
Converſation wiſchen fpauifhen Damen fei und erlaubt
hiee mitzuteilen; fie iſt einmal gebruck, werum follten
wir, als Berichterfintser,. Anand nehmen, fie mitzutheilem,
da fie fo ausnehmend charakteriſtiſch iſt? Sie lautet:
Erſte Dame: Vento (ein Hundename) geſtern
wieder bie ganze Racht nit zu⸗Hauſe geweien. ja Fre)
Se a ie ae
ge dräben ber Donna Caſtill TER
0.
.De Deut 4:B8ie t,
FR e Deutſche ni baß er nur aus Einbltcher BE
Bweite Dame: Unſinn ne kindliche Eiche,
Der Bediente Eonnte — * ih kaum mit dem Stocke audeine
ander treiben. '
Dritte Bame: Mb ws iſt denn bat fo Grofek.
—* und Eva ‚baben’s ebenfp gemacht wie jeht Ponto und
fe: Wet Mam und’ ⸗⸗
Dir Deutfäe: Me an FM wäh, nat *
ig Thier.
Der —6* Der Meunſch aber hat eblere Beweg⸗
Man ließ ihn jedoch nicht ausrebden
—5 edie Beweggränder?”” kicherte Dame.
bie erſte
„AB Adam der Eva nadlief, wollt er fie nicht ins Kloſter
H Die Thiere find nur nicht verſchaͤmt, das iſt ber einzige
renterſchied“, Tagte die Zweite
„Ach, was Gckam und Gqande“ rief die Dritte. „Das
ME doch nur Ziererei bei den Renſchen. Wären wir noch im
Paradieſe, fo wären wir Alle wie Adam und Eva!‘
Dies geſchah in einer großen Tertulla und ber Verf.
verſichert, daß er nichts ausgelaflen, —— verſtaͤrkt
ober hinzugeſetzt habe. Indeß iſt Ahnliches auch von
andern Kteiſeſchtiftſtellern berichtet worden. Man flieht,
daß es in den ſpaniſchen Geſellſchaften natürlicher und
weniger juͤngferlich und delicat hergeht als in unſern
Theegeſellſchaften — natuͤrlicher freilich, als man billigen
darf, aber auch umgefdnwintter und ungenirter. Könnten
wir den Spanierinnen etwas von unferer Pruderie und
Dellcateſſe ablaffen, fo moͤchten wir uns als Gegenge⸗
fchenE doch etwas mehr Natur und Friſche für unfere
deutfchen Damen ausbitten. Die Spanterianen haben
Deshalb auch ein maͤchtigeres Befüht, weit fie nicht fo
keicht wie die beutfchen Damen Anwanblungen von Ohn⸗
macht unterwosfen find.
9. Erinnerungen aus England. Aus der Januar: Nelfe 1842.
Don Ebuard Freyberg. Berlin, Kraufe. 1842. Gr. 8
— duͤnnes Buͤchlein, worin, wie der Verf. ſagt,
bie Gegenſtaͤnde, wie fie ſich ihm zeigten, naturgetren —
ohne Schmud und ohne Flitterwerk gemalt worden fein
foßen. : „Mag es fein’, fegt ex hinzu, „baß in dem Ne⸗
bei, der das englifche Babylon undurchdringlich verhülte,
mancher Gegenftand ſich finfierer ausnahm, als er von
Andern bei klarem Sonnenfchein gefehen wurde” — wir
fogen hinzu, auch bei klarerm Verſtande; denn verſtaͤn⸗
dig iſt es wol nicht, London von vornherein als das eng⸗
liſche Babylon zu bezeichnen; wie, wenn einmal ein eng⸗
. Sicher Reifender Berlin das preußiſche Babylon nennen
wollte? Der Verf. bezweckte durch feine Schrift die Liebe
fe Preußen und feine Inſtitutionen zu befefligen. Wir
Heben den preußifhen Rationalſtolz nicht, aber wir ach⸗
gen Ihn wenigftens und um fo mehr, dba die Preußen in
Deutkhland des einzige Voll find, dns einigen National⸗
fon, dieſe Queile fo vieler tüdhtiger Entwidelungen, bes
figt. ber diefer Stolz grenzt nur allzu häufig an Eigen
bankel, Großſprechereel und aumaßliche Eitelkeit; man
verenut abfichtlih die größern und freifinnigern Inſiu-
denen bed Auslaudes, um eimbeinsifchen viel kleinern
ud engherzigeen das Wert zu reden. Bei
dieſer Richtung iſt jeder Fortſchritt geheunmt, wenn wicht
unmoͤglich; man würde ſich ſogar bald gemuͤigt ſehen,
won genfiiden Chiefen qu, (gen. Dr. Breybeg IR
1. Mogetweide find Die fAnften, Bierten eitbentfäier
dm) von der YrnrofphAre' durchzogen, welche die Vedie
6 Könige von Preußen bei feiner Pathentelfe nad
England umgab. Er gehörte dieſer Geleitſchaft an. Alleg
in England erſcheint ihm Grau in Grau In den Ta—
bagien befenders vorwißt oc dab ,, fröhliche heltere *
Deutfchland. u
England — fagt er — ift groß und mächtig, feine Bag
gen wehen in allen Theilen der Welt, und doch iſt es uns Lieb,
ein Land zu bewohnen, das nicht fo reich und mächtig im Dans
bet und in ber Politik, aber reicher und mächtiger’ an jedweder
et ift, bie das Zuſammenleben der Menſchen bebingt und
erheitert.
Und als er dem freien Albion Lebewohl ſagt, meint er:
Aufrichtig geſagt, geſchah es ohne Bedauern, denn wenn
uns au mande —E und belehrende Stunde gegoͤnnet
ward, ſo hatten wir doch auch ſo viel Niederſchlagendes und
wenig Erbauendes geſehen, daß wir uns herzlich nach unſerni
theuern Preußenland, deſſen Fehler anderswo am Ende noch Tu⸗
genden werben, zurßdfehnten. .
Wie aber, wenn «8 Jemand einfiele, zu behaupten,
daß ſelbſt die Tugenden des „theuern“ Preußenlandes
anderswo am Ende noch zu Fehlern würden? Eins
moͤchte ſo tden ſein als das Andere. So viel, um den
Geiſt und die Tendenzen dieſes ziemlich unfertig geſchrie⸗
benen Buͤchleins zu charakteriſiren. Sein Inhalt iſt un⸗
bedeutend. Die paar Tage, welche der Verf. in England
zubrachte, reichen eben nur hin, um das Band zu vers
kennen, flatt zu erkennen.
(Die Bortfekung folgt.)
Usungen zur mittelhechdeutfchen Grammatik, Mit Ans
mertungen und einem Gloffarium von 8. M Hahn.
Frankfurt, Brönner. 1843. 8. 1 Thlr.
Das Studlum unferer altnationalen Literatur und ber alt
deutfchen Poefie insbefondere bat in neuerer Zeit ſich zu einer
Bedeutung erhoben, daß ein wahrhaft Gebildeter billig Bedenken
tragen muß, diefen Gegenftand als etwas Überfläfiiges, als eine
j fern liegende Suriofität von fi zu weifen. Und gewiß wäre
et dem vielen Trefflichen, was unfere alte Literatur bietet, die
Theilnahme daran und bie Kenntniß berfeiben viel verbreiteter,
wenn nicht die Sache ihre eigenthuͤmtichen Schwierigkeiten hätte,
die wir nicht leugnen wollen, um nicht einen gar zu leichtferti
Derzutretenden zu täufchen, die aber doch im Ganzen weit ni
fo groß und unüberfleiglih find, ald man ſich einiglich. vor⸗
ftellt. Allerdings möchte ein Autodibatt in biefem Fache vor
wenigen Jahren noch ſchlimmer daran gemefen fein, als etwa
bei bem Studium einer ber romaniſchen Sprachen, und auch
jegt noch würben wir die Leitung eines geſchickten Lehrers, wo
fie zu erreichen ift, für dieſe Faͤcher vorzugsweiſe empfehlen,
Sei es mit oder ohne Lehrer, möchte folgende Plan für
das Etubium bes Altbeutfchen zu empfehlen fein. Ich
fege voraus, daß man fich zuerft und vorzugswelfe zum Mittels
hochdeutſchen wenbe, das, wie Herr Hahn in feiner „Grammatik“
S. v fagt, uns nach Heimat und Belt, in die es gehört, am
naͤchſten Liegt und dem vor ‚Allem dadurch eine überwiegende
Theilnahme gebührt, daß wir hier unfere Ältere Literatur am
reichften und alfeitigften entfaltet fehen, daß, während andere
Dialekte zum Theil nicht viel mehr als proſaiſche Überfegungen
darbieten,' in dem Mittelhochdeutſchen uns mit Aebendige Poeſie
entgegentritt. Hier, wenn. wie nach inmem Gehalte und
dauerndem Verthe fragen, baſſen fi Serke mennen, denen bie
aͤbrigen germaniſchen Diolekte nichts Bleihes oder Höheuee ab
geaenzufiellen vermogon. Bedichte wie bie „Mibelungen’ und ‚Ad
beum”, Parziwal⸗ ugd xxiſtan“, oder die dieder Bauthers hon Ing
a Porfie und wo
7. ll. PR TIY: . .; »” !
wie ſig xs Beeren, und verbreitet, Die Dar⸗
Fe — chen Didier ift meift gewandt und
geh, vol Wärme und Gemuͤths, auch naiv zwar, wie man
gerne nennt, body öfter ebenfo ausgebacht und berechnet.
Dazı femme eine gebiſdete, im Ausdrud hoͤchſt mannichfaltige
Sehriſtſnrache, die zwat an Woltönigleit ber Gubungen una
Ableitungen und wa® dergleichen ſinnliche Vorzüge find, aͤltern
Mundarten natürlich weit nachftept, allein indem fie gerabe abs
ſichtlich das Alterthuͤmliche ſowie auch das zu Provinzielle mög»
hit zu vernieiden ſucht, indem fie in manches bisher Schwan⸗
gende mehr Conſequenz bereinbringt, gewinnt fie ein reineres
feftered Gepräge als z. B. das Althochbeutſche. Ebenſo mögen
ihre in fontaktifcher Hinſicht durch Abſchleifung der Flexionen
manche Gonfttuctionen verloren gegangen fein; bie find aber
leichter zu verfchmerzen, wo fo viel Geſchick und Eleganz herrſcht.
Diejenigen ımter und befonders, welche ſich mit allerlei Bor:
urtheilen diefen Dentmätern nähern, muͤſſen ſich wunderbar bes
teoffen fühlen durch den günftigen Eindruck einer ſo cultivirten
Sprache. Fuͤr den Anfang dieſer Studien woͤßten wir keine
paſſendern Suͤlfsmittel anzurathen, as die 1842 glteichfalls in
Fenteen a. M. erfchienene ‚‚Mittelhochdeutfche Grammatik“ von
Ir. Hahn und bie in der Überfhrift genannten dazu gehörigen
Die ledtern enthalten zuerſt einzelne abgerifiene Beb
fpiete, welche die Regeln der Grammatik nach einer georbneten
Zufammenftellung zur Anſchauung bringen follen, über weiche
aber freilich Manche einen nähern Nachweis vermiffen werben ;
fodann ift Material zur eigentlichen Secture geboten. Mit Recht
bat ſich der Verf. Hier nur an bie erzaͤhlende Poeſie, als
die leichtere gehalten, nuch nur wenige Städe gewählt, jedoch
fein. Augenmert meift auf die vorzuͤglichſten Gedichte gerichtet
und daraus anfehnliche Partien, zu Ernſt und Scherz, entnoms
men, naͤmlich aus dem „Smwein‘, dem „Parzival“, dem „Wils
heim’, dem „„Zriftan”, aus ben „Ribelungen“, aus bes „Strickers
Dfoffen Amis’ und endlich die Erzählung vom „Weinſchwelg'“.
Den Schluß des Buͤchteins macht sin forgfältiges Gloſſar und
einige Anmerkungen. Dit diefen „Ubungen’.bat uns Dr, Dahn
ungefähr Das wieder, und in verbefjerter Beftalt geboten, was
früher Lachmann’s „Auswahl aus den hochbeutfchen Dichtern
bes 13. Jahrhunderts“ (Berlin 1820) war, auf beren ers
fodetlich gewordene neue Auflage der Verf. im Anterefle
von W. Wackernagel's „Altdeutſchem Leſebuch“ verzichtet hat.
Allein Wackernagels Buch bat jenes Wert zwar in ſich ver⸗
ſchlungen, aber nicht etſetzt, denn es fehlte ſeither ein tuͤchtiges
Meines, woblfeiles, für Anfänger geeignetes Leſebuch. Hat der
Anfänger die genannten zwei Werke Hahn's gründlich durch⸗
gearbeitet, fo wird es ibm nicht fchmer werben, an die Lecture
des ganzen Ribelungentiedes zu gehen, wobei ich nur vor Ladys
mann's zweiter —28 deſſelben warnen moͤchte, da die Unter⸗
ſcheidung der fuͤr unecht erklaͤrten Strophen durch den Druck
den Leſer verwirsen und ben erſten unmittelbaren Genuß bes
großen Kunftganzen flören muß. Gbenfo wird e8 dann Leicht
werden, fiber das mittelhochbeutfche Spracgebiet hinaus zugehen
und durch die Lecture von Wackernagel's trefflichem „Leſebuche“,
mit Zuziehung eines literarhiſtoriſchen Compendiums, etwa des
Koberſtein'ſchen, ſich ein lebendiges Bild von dem ganzen Ent:
wictelungsgange unferer Epradje und Literatur don den Alteften
Zeiten bis auf unfere Tage zu verfchaffen. Dabei werden dann
Grimm’s „Srammatit”, „Mythologie, „Rechtsalterthuͤmer“
und andere Werke mit Nugen und ohne Schwierigkeit zuge:
ao werben und von da an wird ſich der Leſer ſelbſt weiter
elfen. J
kiterariſche Notizen aus Frankreich.
Legitimiftifhe' Schriften.
FJean Paul ſagt, daß es Menſchen gäbe, denen das Sqhickſal
Get. ihrer Geburt ein Ei lege, an dem fie ihr ganzes Erben
Üten müßten. Er meint damit z. B. Diejenigen, deren Ramen
De’ Sielſcheibe unaufhoͤrlicher
Verautwortlicher Verauogeber: Oeilarich Brodbaus.
Wigeleien rd. - So kann man '
r den Spott berausfobern. Wie Tann. man » 8.
feigem Muche einen Titel geben, wie: „Biens qui vaillent..
Extraits da portefeuille d’en oarliste, trouv6 sur le chemia
de Holy- Road” (Paris 1843). Wenn der Verf. wirklich der
Meinung gewefen wäre, daß die Bruchſtuͤcke, weiche ex dem
Publicum bietet, nichts taugen, fo hätte ex fie gar nicht fchreiben
oder wenigftens nicht drucken laſſen follen. Diefes kleine Wert,
von bem wir biß jegt drei Nummern erhalten haben, gehört
auch in ber That zu jenen nichtöfagenden Kleinigkeiten, die auf
dem literariſchen Markte völlig unbeachtet bleiben und nur in
befreundeten Girkeln Anertennung finden. Ein Geitenflüd uu
biefer Se bildet ein anderes Werk, das gang in bemfelben
Geiſte geichrieben if. Wir meinen „es proscrits, album d’un
röveur”' von Achille Ballet (Paris 1843). Indeſſen zeigt biefes
Taſchenbuch, bad, wie ſchon fein Titel andeutet, legitimiſtiſchen
Erinnerungen gewidmet iſt, offenbar vou größerm Zaient als
die nochererwähnte Schrift. So machen wir namentlich auf
eine „Pelerinage au mont Valerien” aufmerkſam, die ſehr gut
geſchrieben il. Wir ftellen mit diefen beiden Werfen, bie beide
vorzüglich für bas Faubourg Eit.: Germain berechnet finb, We
neuelte Schrift des vieibekannten Bicomte b’Artincourt zufammen,
die foeben unter dem Kütel „AI’Etoile polaire” (2 Bde.) ers
fheint. Der edle Vicomte hat kein Mittel verfhmäht, um die
Öffenttiche Aufmerkſamkeit auf biefes jängfte Product feiner Feber
zu ziehen, ſodaß das Publicum vielleicht: verblendet genug if,
darauf neugierig zu fein. fruͤher hatte er es ſich .einmel
mehr als 20,000 Fr. koſten Laffen, um feinem einzigen bramas
tiſchen Gtüde ben ephemeren Triumph einer einmaligen Vor⸗
ftellung zu fihern. Wenn man fleht, wie feine verfchrobenen
und geifftofen Romane faft m alle Sprachen überfest find, fo
follte man meinen, baß fie wirktiches Auffegen erregt haͤtten
und baf fie wenigſtens von einigen poetifchen (Sehalte wären.
Aber weber das (ine nach das Andere ift der Fall, und wenn
von jedem feiner Werke mehre Auflagen erſchienen find, fo kommt
dies daher, weil ber hochgeborene Gchrifrfteller feinen litera⸗
riſchen Ruf tuͤchtig zu „‚erploitiren” verſteht. Wie mean im
Deutfehland von feinen Reifeeindrücten fo viel Weſen hat
können, ift wirklich unbegreiflich. Aber vielleicht find fie in der
Überfegung wenigftens infofern leferticher als im Driginal, daß
die gar zu verfchränkten Perioden etwas zugeftugt find. Der
Bicomte d’Artincourt hat ſich in eine fo verdrehte Manier bineins
gefchrieben, daB man, wenn man nur einigermaßen in den
Geiſt der franzoſiſchen Sprache eingedrungen if, kaum zinen
Get von ibm leſen kann, ohne zu lachen.
FR PR —— —A— & —*—
n n unzaͤhlige uche gemacht, bie Bibel
ben Veduͤrfniſſe der berſchiedenen Atter und Bildungaflufen
zuſtuzen. So haben wir in Deutſchland eine betraͤchtliche
zahl von Schullehrer⸗, Kamiliens und andern Bibelausgaben,
bie zum Theil ihrem Zwecke entfprochen haben. Auch in Brand
reich fängt man jest an, Gottes Wort auf alle mögliche Ark
zuzurichten. Zuerft haben wir bie prachtvollen, mit Kapfera un
Goldſchnitt verfebenen Ausgaben „pour los gens du monde”.
Bon den verfhhiedenen Kamitienbibeln, die in neuefter Zeit herans⸗
gefommen find, heben wir befonders die vom Abbé Drftei, „La
bible des familles, a Parage des gens du monde‘ (Paris
1843) hervor, die mit vieler mficht angelegt zu fein fdyelnt.
Nur if es und ſtoͤrend aufgefallen, daß der Dernutgeber jebdes⸗
mal, wo er fich Beränberuugen im biblifchen Texte erlaubte, Dad,
was von ihm felber herruͤhrt, mit Gurfivlettern hat drucken lafjen.
Auf den erften Bid kann dies angemeffen erfckeinen; wenn man
aber bedenkt, daß dies meiftens foiche Stellen find, bie ſich für
bie Lecture ber Jugend nicht eignen, fo wird man einft hes, uf
man dieſeibe gerade durch ben auffalenden Orxck veraniet, amb
Neugierde die anglicgen Stellen in icgend einer andern Ausgabe
nachzufehen. Auf die e Yet wird, alfo der Zweck gerade oerfehlt:
ba einegute A bie
ein 3 ‚gute. Angahl von MWiächertitetn gibt
. U. Brockhaus in geipzig.
Blätter
für
fiterarifhe Unterhaltung.
Keifeliteratur.
Zweiter und legter Artikel.
(Bertfegung and Mr. 176.)
20. Erinnerungen an England. 1841, Bon 8.8.9. Barr.
Braunfchweig, Meyer sen. . &.8. 18hir. DO Ngr.
Der Verf. diefes im Ganzen intereſſanten, doch auch
manches müßige und unecheblihe Beiwerk und Detail
auftifchenden Buchs liefert von England ein dem eben
befprochenen Buche gerade entgegengefegtes Bild. Alles
orfcheint ihm in Großbritannien im rofenrotheften Lichte;
der neblige Himmel Londons hängt ihm voller Geigen
und Siöten; das ganze Land fit ihm ein Tiſchlein deck
dich von Auftern, Plumpudding, Delicateßwaaren, Porter
und Ale. Den fhauderereegenden Berichten zum Xroß,
welche von Engländern felbft ausgingen und das Elend ber
arbeitenden Claſſen in den Fabrikdiſtricten, in den Koͤh⸗
Imgruben, in gewiffen verwahrloften Theilen der üppigen
Hauptſtadt ſelbſt nachgewieſen haben, behauptet der Berf.:
Blicke ich in die von Arbeitern befuchteften Orte, fo kann
ich mich nichi genug über das gute Ausfehen der Leute, über
Das ſchoͤne Brot. und ſchmackhaſte Bier, weiches fie geni
wundern. Es gibt Nachrichten, die, wie gewifle Ihiere, Dir:
maphrobiten find und fich felber befsuchten und fortpflungen,
möge nun eine Wahrheit ihnen zum Grunde Tiegen oder nicht.
Bielteiht exiſtirt kein Land, wo Gold in allen Ständen fo vers
breitet ift wie in diefem ; es muß jeben Ausländer überrafchen, bei
Perſonen Sonertigns zu ſehen, wo er kein Sixpences vermuthete.
Ob aber der königlich hanoverſche Hofrat auch wirt:
Beh die Staͤtten geſehen hat und gefehen haben Ponte,
we das Elend und die Armuth, nach den Berichten Al⸗
Ber, haufen. ſelen? Ein Engländer, welcher in Berlin
wur die wiſſenſchaftlichen Anftalten, bie Theater, einige
affentliche viel befuchte Orte ſreqquentirt und nur Die
fafbionabein Staderheile kennen gelernt bat, wird freilich
von dem Elende in dem entferntern Zhellen, in ben Wins
deiſftraßen, in den Dachſtuben und Kellerloͤchern Leinen
Begriff haben. Trotzdem freuen wir uns, daß der Verf.
Benräht if, die Hochachtung für England bei uns zu
mehren und zu fleigern. Auch Meferent Hält das engl:
Bett, bei aller Schattenfeite von nationalem Egoies
zus, unpbllofephifcher Engherzigkeit und ſchroffer Ortho⸗
derxie, für das erfle, kraͤftigſte und, trotz aller chartiflis
ſchen Umcriebe, in fi gefeſtigtſte Volk ber Welt, für
Zus, welches im: Handela das. conſequenteſte, im Deuken
das praktiſchſte iſt, welches ſich feiner ſelbſt am bewußte⸗
ſten und ſicherſten iſt und weiß, was in jedem Augen⸗
blicke noththut. Selbſt ſeine Maͤngel dienen nur dazu,
um es zu einem Volke zu machen, während in andern
Ländern, namentlich in Deutfchland, hohle Theorten, in»
bividuelle, dem Grundcharakter der Nation zumwiderlaufende
Anſichten, philoſophiſche Träumereien über einen Zuftand,
dee vielleicht noch Jahrhunderte Über den gegenwärtigen
hinausliegt, Alles unterhöhlende Jugendthorheiten, altvaͤte⸗
riſche Verſtocktheiten und eitle ſelbſtgefaͤllige Raiſonne⸗
ments den Boden für volksmaͤßige Freiheit untergraben,
den man auf einem pofitivern, geſetztern Wege eher errei⸗
den wuͤrde. Fuͤhren wir zu dem Zwede noch einige
Stellen aus der vorliegenden Schrift hier an. Won ber
jetiger, dem unabhängigen Gelehrtenſtande fo
ungänftigen Zeit nicht Leicht antriffl. Die Lehrer braudyen,
zu ringenz das
nad) Zur
lei
fprechen mögen, fo ift es doch im Allgemeinen eine anerkannte
Thatſache, daß nur Männer, welche ſich al& Gelehrte und Lehr
rer einen entſchiedenen Ruf erworben und wegen ihres Sharab
ters in Öffentlicher Achtung fliehen, dazu gelangen.
An einer andern Stelle:
Die Scheidimg der Bürgerlichen von den Abeligen fällt in
einem Lande nicht auf, wo das Herkommen, das Kecht, der
Bells in fo Hoher Achtung flieht. Gin Anfeinden der Staͤnde
ı fupet nicht flatt. Man läßt Jedem das Geine, achtet bie lan⸗
| pesühlich angeerbten Vorzüge und iſt nur eiferfüchtig auf Das,
was Allen gemeinfam zulommt. Gs ift dieſes ein tieftiegender
Zug des Rationalcharalters, aus dem ſich vier herleiten und er⸗
karen laͤßt. Wei dem Geibftgefüht, das Aue in ſich tragen, bei
dem Bewußtſein, daß alle bor dem Geſche gleich feien,:
daß jeder Engländer auf jedem Punkte der Erde von feinem-
Lande Schutz und Beiſtand zu erwarten habe, bei bee Ausficht,
| die jedem Befähigten gegeben ift, die hochſten Ehrenſtellen des
Landes zu erreichen, bei der faſt gleichfoͤrmigen Art, wie ſich
faſt alle Haben, tragen, Bleiben, t dennoch eine fo
Dbfesvamy in Dem, was bie einzeinen GSlaſſen der Befrtiigaft:
Unterordnung unter bie aͤußern
Abzeichen des Ranges, der Geburt, ja des Bermoͤgens, daß in
— iſt, dieſes kaum begreiflich erſcheint
erner: | i
ẽ Ich ſehe es immer mehr ein, man muß die engltſchea Ber⸗
haͤltniſſe, weit fie ſo hiſtoriſch, fo durchgebildet, durch Gegenſaͤtze
fo zerrieben und wieder fo ſcharf geſpalten find, an Ort und
©telle kennen lernen. Betrachtet man bie öffentlichen Wiätter,
die literarifchen Verhandlungen, ja bie fociaten Grfcheinungen,
fo tritt Einem ber Zwiefpalt ber Parteien in allen Formen unb
Karben entgegen. Die eifrigften und lauteften find aber bie po⸗
titifgen. Die Poutik ift ein Gegenfland, woran Alle theilnebs
men, fie ift die tägliche Nahrung, die Speiſe bes Lebens. Das
Qnterefie an ihr iſt wicht wie auf dem. Gontinente ein verpoͤn⸗
tes, fondern eines, das ſich von felbft verfteht. Auch wird der
tehhaftefte Antheit nicht als ein unberufmes Mitfpreden, als
eiri Bekrittein der Regierungsmaßregeln, oder gar ein Conſpiri⸗
ren gegen bie Gefege und Berfaffung des Landes angeſehen,
fonbern ais ein natürliches, angeborenes, rechtmaͤßiges Trwaͤrun⸗
fein für Principien und Zragen, die mit dem Wohle ber Indi⸗
viduen, des Staats, ber Menſchheit innigſt zuſammenhaͤngen.
und Was mic) jeden Tag von neuem überrafcht, ift bie Ord⸗
nung in diefem anfcheinenden Chaos. — — Wahrlich, wer im
Übermuthe und Unverftande ber Jugend ſich berufen wähnt, bie
Sanung der Staaten umzulehren, bie Melt, wäre es and)
geraltthätige Mittel, zu verlafien umd feinen beſchraͤnkten
Geſichtskreis der großen Geſellſchaft aufzubringen, der komme
hierher, um Unterwerfung unter das Beſtehende, Refpect vor
der berrfchenden Gitte zu lernen. Vierzehn Tage in London
zugebradht, follten, meine ich, eber vermoͤgen, einen Solchen eines
Deſſern zu beiehren, als ebenfo viele Donate auf einer Feſtung,
hinter Wachen und Gifengittern.
Allerdings, gewaltſam und durch Feſtung und Eiſen⸗
gitter täße fi der Sinn für politiſche Ordnung umb
Anftändigkeit nicht hervorrufen, wenn ce nicht organifch
mit Staats: und Volksleben verwachſen und zwifchen
Bolt und Regierung das Verfländigungs: und Binde:
mittel ift.
11. Neifeflizgen aus bem Morgenlande. Zmweibräden, Ritter.
1841, Ler.,8. 1 hir. 10 Nor.
Der Ertrag diefes Werks ift zum Vortheil der Mif:
fionen beflimmt, eine Angabe, weiche Ref. über den Cha:
rakter des Buchs irre führte. Er vermutbete eine durch⸗
gehend chriftliche Tendenz, und obfhon das Bud viele
dahin einfchlagende Stellen enthält, iſt es doch aud
ebenfo reich am weltlichen Beobachtungen, Volks⸗ und
Detbefchreibungen, Anekdoten und Charakterzügen. Der
Verf. fcheint von hohem Stande und Vermögen zu fein
und deshalb auf feiner Reiſe viele Verguͤnſtigungen ges
nofien zu haben. In Beirut wurde er fogar dem Pa:
(da Soliman, bem Renegaten, vorgeftellt, der ſich feines!
Ramens erinnerte und dem Neifenden erzählte, Mar⸗
ſchall Ney ſei bei deſſen Großvater angeflellt geweſen und
duch dieſen ermuthigt werden, in den Soldentenſtand
zu treten. Daß er bairiſcher Untertben ift, gebt befon:
ders aus folgender auch in anderer Dinficht Intereflanten
GStelle hervor:
Es ift mir Lieb, daß den Baiern durch die Reife Prinz
Maximilian's ein guter Ruf vorangebt, ber leider! den Deut:
ſchen, anderer Hohen Reiſenden wegen, ſchon verlosen gegangen
eine ſolche ruhige, von allır Anfeins
war. Einer von biefen Herren, bem es an Gelb mangelie,
misbraudgte bie vom Wicelönig erhaltene Vollmacht auf feltene
Weile. Er Lich verſchiedene Sklaven auf Rechnung des Paſchat
kaufen, verlaufte fie Tags barauf und ſteckte ben Ertrag ein.
Der Verf. reifte von Rom nach Serufalem, um, wie.
er fagt, das aͤrmliche Serufalem mit dem ihm verwand⸗
ten, prächtigen Rom zu vergleihen. Den intereffanteften
Theil der Schrift bilder des Werf. Aufenthalt in Ägypten
und Reife auf dem. Nil; biefe Partie iſt an pilanten
und zum Theil neuen Nachrichten fehr reich. Won ber
fummarifchen und rapiden Gerechtigkeitspflege Mohammeb
Auli's erzählt der Reiſende folgendes Beiſpiel: .
Hier zu Rande trifft man viele ſchoͤn gewachſene Juͤnglinge
an, welchen ein Auge ober ein Finger fehlt. Die Väter, im
Bunde mit den Barbieren, ließen ibnen in ihrer Kindheit bie
Finger abnehmen oder Gift in das Auge legen, um fie vom
BSoldatendienfte zu befreien. Mohammed All merkte die Lift, weil
in einem und banfelben Dorfe ſich fo Wiele befanden,
der Daumen fehlte und die immer bie naͤmliche Ausrede vor⸗
fhüsten. Gr tieß daher allen Barbieren und allen Vätern fol
her Daumensofen den Kopf abſchlagen; feitbem blieb bies Be
freiungsmittel ohne Anwendung.
Einmal börte der Meifende einen Häuptling bad um
(ihn verfammelte Volk folgendermaßen anreben:
Bumpengefinbel! ich habe [yon vielen der Gurigen ben Kopf
abfchneiden, die Zunge ausreißen taffen, ich habe welche ertränten,
eitſchen und verbrennen laſſen, noch beſſert Ihr Euch nicht;
ich erfinne besbalb ein anderes Mittel: ich werde Euch nun⸗
mehr ſaͤgen laſſen!
Hierauf mußte ein jubelndes Beifall,eichen erfolgen.
Der grauſame Bei Defdadar lleß dem Schmiede, ber
ſein Leibroß ſchlecht gehufet, dieſelben ſchlechten Eiſen an⸗
ſchiagen; ein andermal ließ er das Fleiſch ſeiner Megger
um den nämlidhen Preis, als ihr geſchlachtetes, weil fie
dies zu theuer verfauft hatten, in den Straßen fellbieten.
Mohammed Ali, der diefen Bei zulegt ſelbſt fürchtete und
doch nicht abfegen durfte, lud ihn zu fi ein und ließ
ihm vergifteten Kaffee reichen. Defdadar, welcher bie
Apfiche des Paſchas merkte, eneblößte feinen Sarras und
fuhr auf ihn ein. Mohammed befänftigte ihn, ſchmeichelte
dem Stoljen und bradyte «6 zulegt dahin, daß Defdadar
dennoch bie Kaffeefchale leerte.
Die katholiſche Anſchauung des Reiſenden macht ih
hier und da in ſehr eclatanter Weiſe Luft; ja, es
find ihm ſogar, wenn man Ihm glauben vill, einige
Mirakel zugeſtoßen. Als die Warte, auf weider er nach
Syrien überfepte, bereitö im Umfchlagen wer, betete ſeimn
Have die chriſtlichen Worte, die er ihn gelehtt: „Jeſn
Marie‘ mit beiler Kindesſtimme von ber Kajüte herab
und fchlug dabei das Zeichen des heiligen Kreuzet. Da
neigte ih das Schiff, wie geheißen, in feine gehörige
Lage: Wan hat aber auch Beiſpiele, daß in ſolchen
Faͤllen alle an Maria und bie Heiligen gerichteten Ge⸗
bete nichts gefrudgtet haben und daß dab benneda
wit Mann und Mous unterging. Vielleicht ſteht aber
der Reifende beim Himmel befonders gut angefchrieben, was
wis jedoch nicht weiter unterſuchen innen und’ wellem.
In Sprien gibt es ein Feld voll erbfenartiger Steine,
die wirklich einmal Erbſen waren und, um einen Beamer
zu firafen, vom Himmel in Steine verwandelt mecbem.
Der Wetfende untırfuhte: Re gematı md. Iierzungte: ſich
von bem diefes „ möglihenmeife geſchehenen
Bundes. Seine zur Schau getragene chriſtlich⸗kathotiſche
Demuth haͤlt ihn keineswegs ab, in voruehmer Vetach⸗
tung der anders Biaubenden auf biefe und bie proteſtan⸗
tiſchen Ketzer zu ſticheln. Das nene Griechenland gefaͤlt
ihm ebenfo wenig wie das alte; „denn“, fragt ex, „worin
waren denn die alten Griechen fo volllemmen, fe, bie
ſich im Geiſte nicht einmal über das Irdiſche echeben
kenuten?“ O Eokrates! o Pinto! fleigt herab uud
nebmt diefen Menſchen in Zucht und Schule! Aber
in Italien, um Loretto herum, ba iſt des wahre Paradies.
Der bloße Anſtrich von Bildung, weicher die Hochmäthigen
Nordlaͤnder auszeichnet, mit denen id; auf meiner Heife zufams
mentam, hatte mir einigermaßen bie Fremde verleidet; allein
bier — in Stalien — war wieder Alles Liebe und Empfindung ;
ein demüthiges Boll, vol Ginfalt, hatte feiner himmliſchen
Yürfprecherin altes Koſtbare geopfert, Ihre Wohnung mit Edel⸗
fleinen 6efleidet u. f. w.
12. Der Kriegsichauplag in Indien und Lebensbilber aus bem
Dfien. Bon Henry Edward Kane. Aus dem Snatifchen
von ©. Richard. Aachen, Mayer. 1842. Br. 8. I Thlr.
22%, Nor. ,
Diefes Reiſewerk träge den Charakter ber engfifchen
Reiſeſchriften überhaupt: objective Anſchauung, Schilde
zung mehr des Gegenſtaͤndlichen als des Zuſtaͤndlichen,
und trodenes tagebuchmäßiges Fortſchreiten. Gerade Diefe
Eigenſchaften verleihen jedoch ben emglifhen Reiſewerken
in mancher Hinſicht größern Werth, als beutfche und
franzöfifche Neifefchriften durch ihren in der Regel mehr
fubjectiv anſchauenden und ralfonisenden Charakter je er:
reihen können; mir fegen binzu: in mancher Hinficht,
denn die Subjectivität und das Maifonnement eines
ſelbſtaͤndigen träftigen Charakters kann oft von hohem
Werthe fein und dem Buche jenes Lebendige Colorit er:
theilen, welches ben englifchen Meifewerken zum großen
Theile abgeht. Gegenwärtige Schrift iſt jedoch noch um
Bieles trockener, als fonft die englifchen Reifewerke zu fein
pflegen; wenigflens herrſcht, trog intereffanter Einzelnhei⸗
ten, in ber erſten Hälfte des Buchs dieſe Trodenheit und
Windſtille. Und doch bat der lÜberfeger die zwei Bände
des mglifchen Originals, welches unter dem Zitel „Five
years in India, compriing 'a narrative of traveis in
the presidency of Bengal, a visit to the court of
Runjit Sing, a residence in the Himalaya mountains,
an account of the late expedition to Cabul and Afgha-
nistan, voyage down the Indus and journey over land
to England” erfchienen iſt, „nah Ausſcheidung einer
Maſſe trivialer Aufzeichnungen“, in einen Band zufam:
mengezogen. Am interefjanteften geſtaltet fih das Werk
vom zwölften Capitel ab, wo über den verhaͤngnißvollen
Kriegszug gegen Kabul und Afghaniftan im J. 1839,
namentlih über die merkwürdige und ruhmvolle Ein:
nahme der Stadt Ghisnie Bericht erflattet wird. Kane
tann uns bier tie überhaupt als ein anthentifcher Mef.
gelten, da der damalige Oberbefehlshaber in Indien, Sie
Henry Kane, fein Oheim und er deflen Aide » be : Camp
war. Bon größerem Werthe freilich mögen ſolche Reife:
werke, mamwutiih bie Aber Dftiatien, flır den Englaͤnder
fein, da Oſtindien ein Hauprterrain der britifchen natlos
nalen Thaͤtigkeit fl, da der Brite gern bis ins Einzeinfte
die Stätte kennen lernen wird, auf dem feine Landege⸗
noſſen leiden, kämpfen und fiegen, und ba jedem Einzel⸗
nen die Möglichkeit, daß dieſes Terrain auch ber Schaus
plag feiner eigenen Wirkſamkeit werben koͤnne, nicht außer
Berechnung liegt.
13, Dvei Jahre in Perfien und Seifenbenteuer in Kurdiſtan
von Georg Fowler. Uberfest von &. Richard. Zwei
Sheile. Aachen, Mayer. 1842. Lerx.8. 3 Thir.
Den Geundcharakter der engliſchen Reifebefchreibungen
[piegelt zwar auch dieſes anziehende Werk ab, aber doch
nicht ohne individnelle Faͤrbung und eigenthämliche Auf⸗
faſſung. Die objective Anſchauung, ben realen Charak⸗
ter hat es zwar mit dem Buche von Fane gemein, aber
der Verf. ſteht auf einer hoͤhern wiſſenſchaftlichen Stufe
und ſchreibt nicht ohne ein gewiſſes literariſches Ziel und
Bewußtſein; er war nicht, wie Fane, einem groͤßern
Kriegszuge zugetheilt, er reiſte nicht einmal in Geſell⸗
ſchaft, ſondern allein aus Luſt und Neigung, und fo
bar fein Werk einen abenteuerlichen Charakter, eine leb⸗
bafte frifhe Färbung erhalten und iſt für die Kenntniß
des perſiſchen Landes und feiner Bewohner überaus wich⸗
tig. Der Verf. diefer Meifebilder befand fich dreimal in
Perfien, zuerſt 1829, bann wieder 1833, endlich vom
3. 1836 bis zum Schluffe bes J. 1838. in engli:
ſches Review fagt von ihm:
Herr Fowler hatte ganz eigenthuͤmliche Belegenheit zu ger
nauerer Erkennung ber Volksweiſe, da ihn fo wenig Zwang der
Etilette, als Drängen von Gefchäften belaſtete; mit Geiſtesheiter⸗
keit fügte er fich dem Beſchwerlichen, genoß das Angenehme unb
war vor Allem bereit und befähigt, feine Reiſezuͤge nad) allen
Hichtungen zu bezahlen — keine geringe Empfehlung bei den
een.
Wir wagen nicht, den Reifenden Schritt fuͤr Schritt
zu begleiten, obgleich er une eine intereffante Localitaͤt
nach der andern, eine intereflante Figur nach der andern
Eennen lehrt; wir wärben, wollten wir auch nus das
hervorftechend Sintereffantefte im Auszuge mittheilen, flatt
Spalten Bogen füllen müflen. Wir erwähnen jedoch,
daß das Bild, welches der Verf. von den Perfern ent⸗
wirft, keineswegs ein ſchmeichelhaftes umd liebenswuͤrdi⸗
ges if. Sie erfheinen uns in diefem Bilde außerordents
lich hoͤflich und gefällig, aber innerlich bi6 zum Grunde
demoraliſirt, kriechend, habfüchtig, heuchlerifch und luͤgne⸗
eifh. Die Grauſamkeit der Herrſcher, wie der Rechts⸗
pflege überhaupt laͤßt alle europäifchen Begriffe von oriens
talifcher Gewaltſamkeit hinter fih zuruͤckk. Der Berf.
erzählt:
rend meines Aufenthalts in Zeheran wurbe ein Ver⸗
brecher bei den Beinen an zwei emporgerichteten Stangen aufs,
gehängt und vom Scharfrichter, in Gegenwart des Schah buch⸗
ftäbtich in zwei Hälften zerfchnitten. Diefe Art der Todesſtrafe
ift in Perfien gewöhntidy, fie wird Schikih genannt und vom
Oberfcharfrichter vollzogen, ber ein gar gewichtiger Beamter und
immerwährend um die Perfon Seiner Majeftät iſt. Zuweilen
vollfähren fie auch noch jene aus dem Alterthum berfiammenbe
Hinrichtung. weiche der Gage nad zuerſt bei Beſſus, dem Moͤr⸗
der des Darius, zur Anwendung kam; — es werben naͤmlich
Ye Wipfet yusler junger Baumſtaͤmme une
mit Gtriden en. Hierauf wich der herbei⸗
geführt, feine Schenkel an bie Wipfel ber Bäume gebunden un
dann bie Stricke zerſchnitten; durch die Sewait und Federkraſt
ihres Aufſchnellens wird bes BVerurtheilten Körper durchriſſen
veffen abgefonberts Zpelle bleiben an jedem der Baume
gen. Andere Serafarten in Perfien erinnern in gleichem Grabe
an da6 darbariſche Zeitalter. Aueſtechen des Augen ift ein fehr
altertyämliches Verfahren. Berftämmelung ber Gliedmaßen, Durch⸗
bohren der Zunge und Naſe mit Pfriemen ſind einige der Zeichen
cdoniguicher Ungwafts unter den Tobesſtrafen zaͤhlt auch das Fort⸗
fgteubern aus der Muͤndung eines Moͤeſers.
Bekannt ift der barbarifche Gebrauch, welcher vers
langt, dab bei jeglicher Thronbeſteigung eine Menge
Gctachtopfer koͤniglichen Blutes fallen mäflen, oder daß
wenigftene die Augen ber ungluͤcktichen Speoͤßlinge ges
opfert werben. Ein vornehmer Engländer, erzählt Fowler,
herichtet folgenden rührenden Beleg zu dieſer Thatſache:
Bei feinem Beſuche eined ber Prinzen, bee damals nad
ein ganz junger Menſch war, fand er biefen mit verſchloſſenen
Augen, und mit beiden Händen, gleich einem Blinden, nach ſei⸗
nem Kalium ober Wafferpfeife umbertappend, welche fein Dies
ner ihm darreichte. Nach kurzem Weiten fagte der Fremde:
Was machen Sie, Prinz? leiden Sie an Augenübel? — D nein,
antwortete ver Knabe, ich übe nur Blindſein. Sie willen, daß
bei meines Vaters Ableben wir Alle getödtet oder und body bie
Augen ausgeſtochen werden, deshalb verfuche ih, ob ich im
Stande fein würde, ohne diefe fertig zu werben.
Bon dem fcheußlichen graufamen Agha Mohammed
Khan, dem Begründer der Kadjaren: Dynaftie, wird Fol:
gendes erzählt:
An Kerman hatten bie Ginwohner Auffland gegen ihn ers
hoben und einen feiner Widerfacher, Sulf AU, bei fich in Schut
genommen; ihnen legte er als Zwangeſteuer die Entrichtung
einer Anzahl Säde voll ausgeflocgener Augen auf. Man gibt
an, daß mehr als 7000 Menſchen biefe Verſtuͤmmlung erlitten,
um die gefoderte Maſſe voll zu machen; noch jett bnt man
in Perfien den Umſtand als unbeziweifelte Ihatfache, daß er, als
die ausgeftochenen Augen auf Zragtelleen zu ihm gebracht und
vor ihm auf den Boden bingefchütter wurden, mit dem Ende
—* Peiefhe fie ummüblte und an feiner Unmenſchlichkeit
ergößte.
Seine bis ins Kleinliche getriebene Habſucht kam feis
ner Grauſamkeit gleih. Hiervon folgendes Beifpiel:
Der Schah war leidenſchaftlicher Liebhaber der Jagd; eines
Tages aufgebracht darüber, einen Hirſch, auf den ex gefchoffen,
nicht eriegt zu haben, mwurbe er gornig und aͤrgerlich. Batd
barauf kam ein Bauer des Wege, der ein Stud Wilb auf ber
Schulter trug. Da rief der Schah aus: „Oho, des Menf hat
mein Wild getödbtet — fchneidet ihm die Ohren ab!” Der
arme Bauer, aus ganz entgegengefester Richtung kommend und
in völliger Unwiffenheit über Seiner Majeftät Fehlſchießen, that
Einrede gegen fragliche Behandlung, gleichwol entblößten bie
Feraſchen ihm die Ohren, um ihr Meffer anzufegen. Da fagte
er: „Gemach, ſchneidet nur ein kleines Stud von jedem Ohr
und id will Euch alles Geld geben, das ich in ber Taſche habe’
— ber Betrag deffelben war vier Rial, etwa ſechs englifche
Schillinge. Diefes Anerbieten, weiches der Schah mit angehört
hatte, reiste ihn; er fragte: „Was fagt ber Bauer?” Das
Srhieten warb wiederholt. Da fprady der Schah: „Ich will eis |.
nen beffern ‚Handel mit dir abfchließen, gib mir das Geld und
deine Ohren ſollen dir ganz erhalten werben! ”
Undere pilante Nachrichten find bie über das. weib⸗
liche Geſchlecht in Perfien, die er aus dem Munde einer
an einen perſiſchen Vornehmen verheitatheten Engländes
rin euhieit, Über bie Muuiffenßeit der Wetber, Die Eike
ſuche dee Männer u. f.w. Jutereſſant IR auch fein In⸗
ſammentreffen mit dem deutſchen Gelehrim Schulz ber
Antiquithten im Morgenlande zu ſammeln, und bee auch
eine Menge Keilinfchriften, wovon 43 aus feinen Pas
pioven beſannt geworben, mit raſtloſem Eifer cepive.
Der unglldtiche deutfche Gelehrte, welcher ſpaͤter von arge
wöguntfgen Eingeborenen hinterruͤcks mit mehren feiner
Diener todtgeſchoſſen wurbe, war, wie Fowler fagt, von
Alten, die ihm. kannten, hoͤchlich gefchägt, befaß einen tie
fen Reichthum von Golehrſamkeit und Weltkenntniß und
gangen war, fand er feinen Tod, obgleich das Oberhaupt
Ihn mit ausnehmender Baflfreundfchaft empfangen und
ihm ein — verraͤtheriſches — Geleite mitgegeben hatte.
(Die Vortfegung felgt. )
Literarifhe Notizen aus England.
Zur Geſchichte Englands im 18. Jahrhundert.
Mit Portraits und Sllaftretionen ausgeftattet erfihien in Lon⸗
bon ‚George Selwyn and hie contemperaries”, mit Memeiren
und Briefen von Eorb Holland, For, Dorace Walpole, Lorb
Grantham, Lord Wacartney, Lord Auckland, Biſchof Warburton,
Biscount Bolingbroke, Biscount Sidney, Lady Diana Beauctert
u. ſ. w. Herausgeber iſt J. Hinsage Jeſſe, Verf. der „Memoirs
of the ooart of England under the Stuarts” umb „The court
of England under the houses of Nassau and Hanover’. Zn.
der Anzeige des Werlegers, Richard Bentley, heißt es: Es feien
in biefen Briefen da8 Hofe und Stadtleben wie ber Karten
und SIodeictub von ©t. : James waͤhrend ber legten Haͤlfte des
verfloffenen Jahrhunderts dargeſtellt Diefe Briefe feien wie
bie von Dorace Valpole, denn fie ruͤhrten von einem verwandten
Geifte ber, voll von Anekboten, Bonmots und Perfiflage. Au
ber Spige ſtehe Walpole's Freund, der unnadahmlicdye George
Selwyn, das Idol der damals eriftirenden Clubs. Mit diefen
Briefen fein die al jener merkwuͤrdigen Perſonen verbumben,
bexen eigenthümlicher Gharalter, Humor und Wit dem DE
und ben Girkeln während ber Regierung Georg's III. einen.
ausgezeichneten und durchaus englifhen Charakter verliehen
hätten. Derfelbe Verleger Pündigt als naͤchſtens erfcheinend
an: „Letters of Horace Walpole, earl of Oxford. to Bir
Horsce Mann, resident at the court of Florence, from the
year 1760 — 85° (3 Wie), nad den Driginalmanufcripten
zuerfi veröffenslicht. Die Derausgabe dieſer Briefe vertraute
der verftorbene Lord Holland im 3. 1833 dem verflorhenen Lord
Dover an. Man fand damals an, das Ganze p veroͤffentlichen,
und wollte wenigſtens mit dem Tode Georg's II. abſchlkebßen, va
‚einige unmittelbare Ablömmtinge von Perfonen, bie in dieſen
Briefen anekdotiſch geſchildert werden, noch am Eeben fein mod
ten, ein Misftand, ber jegt, nach Entſcheidung der überlebenden
Srecutoren des verftorbenen Grafen von Waldegrave und mit
—— des gegenwaͤrtigen Grafen, als gehoben zu be
sachten ff. .
Ein feltfames Buch ift die „„Elistory of ancient America,
anterior to the time of Columbus” von George Toms, worin
die Ibentität ber Ureinwohner Amerikas mit den Tyriern und
SJtraeliten und bie Einführung des Ghriftentkums chem Aust
dur) den Apoſtel Thomas nachzuweiſen gefucht wird. Der
erfte Band trägt ben Xitel „Tyrian era”; „wei Bände werben
noch nadhfolgen. 18
Berantworilicher Serausgeber: Hreinrih Brokhaus. — Drud und Werlag von 8. X. Brodbaud in Leipzig.
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung.
Dienftag,
27. Zuni 1843.
. BReifeliteratur.
Zweiter und legter Artikel.
(Kortfekung aus Nr. 177.)
14. Bilder aus dem Orient. Bon 3. 3. 8. Pfyffer zu
Neueck. Zürich, Schulttheß. 1842. 8, 22%, Nor.
Diefes etwas aͤrmlich ausgeſtattete Buch enthält eine
Reihe von Skizzen, welche früher im ‚Wanderer buch
die Schweiz” erfchienen und, beſonders bei bes Verf.
Freunden, fo viel Beifall fanden, daß er, dadurch aufges
muntert, fie ohne weitere Bindung zu einem Büchlein
zufammenftellte. Diefe Skizzen betreffen Java und bie
Sundainfeln und follen befonder® dazu dienen, die vielen
untichtigen Vorflelungen, welche Über diefen Winkel ber
Erde berefchen und ihn faft zu einem Zabellande machen,
zw berichtigen, da er jene Gegenden aus eigener mehrjähs
riger Anfhauung genau Eennen gelernt zu haben vers
ſichert. Solche tolle und falfche Nachrichten, welche über
Dftindien in jüngfter Zeit ſelbſt in politifchen Zeitungen
verbreitet wurden, find bie von Tigern, die corpsweiſe
ausrüden und den Truppen Gefechte liefern, von Affen,
welche fich beigehen lafjen, Weibsperfonen zu rauben und
auf die Bäume im ihre Meter zu fchleppen u. f. w.
Da leſe der Berf. erſt das neuefle Wert von dem bes
Lannten anonymen Verf. der ‚‚Lebensbilder aus beiden
Hemiſphaͤren“, worin die Affen truppmweife die Mädchen
verfolgen und fi mit den Männern in förmlihe Schlaͤ⸗
gereien einlaffen! Freilich iſt das genannte Buch des
Anonymus ein Roman, aber daß man felbfl bie Affen
zus Romanenhelden erhoben hat, if bis auf dieſes jüngfte
Beiſpiel unerhört gewefen. Dies nebenbeil Noch be:
merkt Dfoffer:
Labarpe und Gaillot in ihrem Merle „Lands und Geereis
fen’, nach der vierten Auflage (1!) von W Bammer ins
Deutſche uͤberſetzt, ſchreiben in ihrer Schilderung von Java Fein
Wort von den Hauptſtaͤdten ber Infel, wie 5. B. Batavia,
Samarang, Burabaya, Gheriboen, Sura di Karta u. f. w,
melden dagegen, Balambuan fei eine berühmte, befefligte Stabt;
fie ſprechen von Joariam, das nicht einmal bem Namen nach
befteht, als von einem Seehafen u. f. w.
Schade, daß des Verf. eigene Skizzen einen fo zers
fireuten und mehr gelegentheitlichen Charakter tragen!
Es find darunter mandye intereffante, nur find fie zu
bunt untereinander gefchüttelt, wie in einem Kaleidoſkop.
Die Darftelung hat im Ganzen wenig Fülle und Glanz,
aber in ihrer Simplicitaͤt beflo mehr Glaubwürdigkeit.
Vielleicht iſt es manchem Lefer angenehm, einen Begriff
von dem muſikaliſchen Wohllaut der malalifhen Sprache
zu erhalten; wir theilen daher einige Strophen aus einem
Liede eines Panton (Minnefängers) mit, denen wir bie
Überfegung Pfyffer's folgen laffen:
Tempo dulu ada Radja,
Kras, besa ke satu gadja;
Bertinggal di Kota Bali,
Piki prang sa rebu Kali.
Murong Kita punja hatie,
Selab itu Radja mati:
Djatoh ke pohon waringie
Sam jekal alus tinghi,
In der Borzeit war ein König,
Wie ein Elefant groß und Eräftig;
Gr wohnte in ber Stadt Bali
Und zog wol tauſendmal in Schlachten.
„. Unfer Herz ift betrübt
Uber den Tod dieſes Fuͤrſten;
Er fiel wie ein Waringibaum
Mit ſeinen erhabenen feinen Haarlocken.
Auch der Laie wird erkennen, wie wohlgereimt und wohl⸗
gemeſſen dieſe malaiiſchen Verſe find:
Die Unzuverlaͤſſigkeit der Weißen in Liebesſachen iſt
bei den indiſchen Schoͤnen zum Sprichwort geworden;
ſie ſingen:
Bebo kali blandah bilang
Hati guwa, sinar matah!
Täpi tjinta lakas hilang
Tjuma tjingg:! katà katä!
Zu beutfh: „Tauſendmal fpricht der Weiße: O, du mein
Herz! du meine Geliebte! Allein die Liebe verſchwindet
ſchnell und es bleiben nur leere Töne.”
Von ber Öffentlihen Tänzerin (Rongin, Bedoio)
meint Pfyffer, daß fie, in der Mähe betrachtet, wol viel
Ahnlichkeit mit dem europälfchen Sreudenmächen habe,
doch fei fie zum Unterfchiede weder zudringlich noch ums
verſchaͤnt. Die Rongin will nicht einmal den Schein
von Unfittlichleit auf fi ruhen laffen und weifet rohe Zu⸗
muthungen oft mit dem Refrain eines Lieblingsliedes zuruͤck:
Laen dari njanje, Rongin ıra tahu,
Laen dari main, Rongin tra mahu.
Anders als fingen, kann bie Rongin nicht,
Anders ats fpielen, will die Rongin nid.
Daß die Miffionnaiee auf den Sundainfeln fo wenig
Erfolg baben, fchreibt er zum Theil ihrer häufig groben
310
und unglaublichen Unwiſſenheit zu. So lieh einmal ein hol⸗
laͤndiſcher Gelehrter bei dee Fahrt nach Batavia auf dem
Schiffe einem Miffionnaie Stuart’s „Römifche Geſchichte“
und erhielt fie nach ein naar
zuruͤck: „Er fel fein geoßer Liebhaber bee Mitelegie!“
Mythologie) — Derfeide fandte, an der Küfte von Su⸗
matra ausgefchifft, ein eigenhändig gefchriebenes Billet an
Bord, unter Anderm bed Inhalts: „Schidet mir bie
die große Kift mit heifernen Banden!”
15. Bilder aus Algier und ber Fremdenlegion von 8. von
ofen. Kiel, Bünfow. 1842. Gr. 19. 1 pie. 7% Ngr.
Der Verf. fagt im Vorworte: Man folle bier nicht
kunſtgerechte Gemälde erwarten, aus dem Pinfel eines
degabten und brgünfligten Malers, nicht auch detaillirte
Beichnungen aus dem Reißſtahl forfchender Techniker, nur
Skizzen enthalte feine Mappe, flüchtig hingeworfen in ber
Mitte eines bewegten Treibens, zumeiſt aus der niebris
gen Sphäre des Soldatenlebens. Gpäter ging der Verf.
mit der Fremdenlegion, als diefe durch einen merkwuͤrdi⸗
gen Act „philippiftifcher Politik” der Königin von Spas
nien abgetreten wurde, nad Spanien, wo fie der Sache
der Königin die bedeutendften Dienfte feiftete, flets in
den vorderſten Reihen focht, der Schredten der Karliften
in Gatalonien und Navarra mar, aber bald von 7000
Mann auf 1080 Krieger, meift duch Wunden für den
Dienft unfähig, zuſammenſchmolz. Wie fie in Algier bie
Willkür der Franzoſen erbulden mußte, fo litt fie nun
nicht minder unter der Undankbarkeit der fpanifchen Re:
gierung. Roſen, felbft in einem Treffen verwundet, wurde
mit den Übrigen obne weiteres plöglich entlaflen und
brachte nichts weiter in bie Heimat mit, als eine Kugel
in der Hüfte und feine Erinnerungen an das langweilig
muͤhſelige Ragerleben in Algier und an das bewegte
Kriegsleben in Spanien. Borliegende nicht uninterefjante
Schrift ſoll eigentlih nur einen Borläufer zu einem
Buche über des Verf. Abenteuer in Spanien bilden,
worin auch über die ungluͤckliche Erpedition bes Basken
Munagorei, an weldyer bee Verf. als Offizier Theil nahm,
berichtee werden fol. Wir können hierzu den Verf. nur
aunfmuntern. Seine Schilderungen find ebenfo anfpruche-
los einfach als lebendig. Leider fehlte es ibm in Algier
an Gelegenheit, feinen kriegeriſchen Sinn zu bethätigen;
Lager errichten, mit Schaufel und Hade flatt mit ber
Slinte umgehen, im Blockhaus bivouakiren — bie® wa:
ven die Hauptbefchäftigungen, zu denen man den größern
Theil der unglüdlichen Fremdenlegion in Afrika verwandte,
Damremont felbft, an den fi ber Verf. perfönlich zu
wenden hatte, rieth ihm von feinem Vorhaden, in bie
Sremdenlegion zu treten, wohlmeinend ab, indem er dus
Gerte, daß ein junger Menfch, der wie Rofen von gutem
und gebildetem Stande zu fein fcheine, fi) unmöglich im
Dienfle der Fremdentegion mwohlbefinden könne; er möge,
ba es noch Zeit fei, feinen Entſchluß aufgeben und fo:
bald als möglich in feine Heimat zuruͤckkehren. Intereſ⸗
fant iſt feine Unterhaltung mit einem Secretair des In⸗
kendanzbureaus zu Toulon, der fein Signalement zu ent:
nehmen hatte. Dies geſchah in folgendem Zwiegeſpraͤch:
Tagen mit der Bemerkung
Ihr Name? — Friebrich. — Borname? — Friedrich. —
Wie, mein Herr! —* riebrich? — Nice —SeS
Herr! — Aber — wo ſind Ihre Papiere? — In den Haͤnden
bes Herrn Großmajors — But! Gebuͤrtig aus? — Daͤne⸗
mark! — Daͤnemerk — Dänemark in Deuiſchland? — Rein,
mein Herr! in Daͤnemark! — Iſt das eine freie Stadt? —
Wenn Sie erlauben, ein Königreich — Ihe Stand? — Stu—
dent. — Alt? — 21 Zahr. — Gie kommen von wo —? —
Bon Brafilien. — Brafitien!? Das muß weit fein, viel weiter
glaube ich als Atgier. — Ginige Meilen weiter, mein Herr! —
Kamen Sie zu Lande aus Brafitien? — Nein! zu Meer, mit
Ihrer Srlaubniß u. f. w.
Einem Deutſchen ſchwindelt vor biefes craſſen fran⸗
zoͤſiſchen Unwiſſenheit, die man kaum glauben duͤrfte,
wenn fie nicht, was auswaͤrtige Geographie betrifft, ſchon
dur hundert andere Beiſpiele conflatirt wäre. Won
Joſeph Berne, dem befannten Anführer der Fremden⸗
legion, entwirft er folgendes Bild:
Sein Äußeres Hatte, wie ſchon bemerkt, eine Ühntichkeit
mit dem Rapoleon’s, beflen Landsmann er war. Seine
Heine gebrungene Geftalt, fein ſchwarzes ſchlichtes Haar, feine
ſcharfdlickenden ſchwarzen Augen erinnerten unwillluͤrtich an ben
großen Dann, den er felbft in Manieren und Stellungen nad
ahmte, wie er überhaupt auf bie Ähnlichkeit ſtolz zu fein und
fo viet ihm möglich dafuͤr zu thun ſchien. (Später in Spanien
abmte er Napoleon audy durchaus in feinem Gofum nad, trug
bie großen Beiterftiefeln, den kleinen weltgeſchichtlichen Hut uns
bie capote grise. Dabei ritt er ein falbes Pferd. Die hiers
durch noch vermehrte Ähnlichkeit zog ihm oft die größte Mes
wunderung und Beifall zu.) Bernell, ber für die Legion
außerorbenttich intereffirte und bem fle eine vorzägliche Organis
fatton und Gleichſteluung mit allen übrigen franzöfiichen Regie
mentern verdankt, die fie in mancher Oinſicht ſogar übertraf,
war immer erfreut, zahlreiche Detachements für fein Gorps anz
fommen zu feben, und verfehlte nie, ſelbſt diefelben zu infpiciren
und ihren Zuftand ſich anzufehen. — — Oft verfuchte er audh,
einige Brogen a an 23 *5 a 5
en, wa an id gar us und ihm
großen Spaß zu machen ſchien.
Noch eine gewiß flichhaltige Bemerkung über die Deuts
in politifhen Flüchtlinge erlauben wir und mitzu⸗
t n:
Die deutſchen politiſchen Fluͤchtiinge — ſagt ber
haben nirgend in Frankreich Depots; dennoch findet man beren
überall und fo aud hier (in Toulon); fie zeichnen ſich gewoͤhn⸗
lich dadurch aus, daß fie ihre ercentrifhen Ideen nirgend zu
verbergen wiffen, und dennoch, trog der allgemeinen Gpmpatyie
der Srangofen für politifde Opfer, im Algemeinen wenig As
fang finden,
(Die Yortfegung folgt.)
Ludwig Philipp J., König ber Sranzofen. Darftellung
feines Lebens und Wirkens. Bon Chriflian Bird.
Zweiter Band. Stuttgart, Hallberger. 1843. Ler.:8.
2 The. 15 Ne. *)
Der Umftand, daß ber, von welchem Gtanbpunfte aus
man ihn auch betrachten mag, immer hoͤchſt merkwürdige Mann,
deſſen Lebensfchiiderung uns hier vorgeführt wird, noch lebt und
regiert, tft micht bie einzige Schwierigkeit, die der Verf. biefes
intereffanten Werks bei der Behandlung unb Anoebnumg des
Ganzen vorgefunden hat. Schon bedbenklich genug war ed, Fir
innere Entwidelung ber Ideen, bie Anfchaumgsweife unb bie
*) Bol. über den erſten Band Nr. 13 9. Sr. f. 18.
D. Rei
= m War. u. u
——
711
Enpfindungen dieſer Perſonlichkeit zu verfolgen und zu fehirbern
in ihren eigenen Beziehungen; noch mehr gegenüber den großen
und erfhütternden Zeitereigniffen, die alle auf Eubwig Philipp 6
Sehen nachhaltigen Einfluß übten, auch als er noch von unmit⸗
telbarer Theilnohme davon entfernt war. Dies Alles war die
Aufgabe des Verf. in erften Bande, ber das Privatleben bes
Herzogs von Drleans fyitderte, bis zum Ausbruch der Juli⸗
revolution. Wir haben zu feiner Zeit bei der Anzeige davon
in d. Bi. die Haltung des Verf. bei feiner ſchwierigen Aufgabe
rahmend erwähnen können. Bei dem weiten Bande, ber mit
der Ernennung Ludwig Philipp's zum Generatftatthalter bes
ginnt, erweitert fi die Sphäre und wird bee Gehalt des Ges
senftandes ein anderer. Während der Verf. bis dahin den Gtoff
fjuchen, einem unter den Schichten biftorifcher Begebenheiten
verborgenen Privatleben nachgehen mußte, drängt ſich nun ber
Stoff ftürmifch hervor, und der Verf. muß gleich anfangs ſich
feftftellen, wenn er nicht davon überwältigt werden foll, ſodaß
fein eigentlicher Begenftan ‚ die Perfonlichkeit des Könige, ihm
aus den Augen gerüdt würde. Denn eine nicht geringe Schwie⸗
rigkeit entfpringt daraus, daß ber Verf. das Leben bes Königs
der Franzoſen ſchlldern, nicht bie Gefchichte Frankreichs fchreis
ven —* Wäre kLudwig Philipp ein König des Parlaments,
Vollftreder und Schirmer ber bort ohne ihn, wol aud gegen
ihn gefaßten Belchiäffe, wäre er eine Art Staatsdecoration,
wozu Herr von Gormenin und bie Gonlitionen ihn gern machen
möchten, fobaß er nur zu Zeiten, wenn gerade das conflitutions
nelle Räberwerk einer koͤniglichen Beglaubigung bebürftig, dazu
Zäme, um nad vollzogener Form wieder in feine königliche
Höustichkeit zurüdzutreten und von bort aus zuzufehen, wie
feine Dinifter und das Parlament bie Regierung verwalten,
dann allerdings wäre es leicht, den König als Perfon und bie
Vorgänge feiner Regierung auseinander zu halten. Allein es
iſt zur Genüge befannt, Haß Ludwig Philipp es verſtanden hat,
die ihm zugedachte Stelle bes leidenden Königthumsd abzulehnen
und aus ber flets genau beobachteten Legalität ſich einen Schild
u ſchaffen, unter deſſen Schutze es ihm gelungen iſt, einen
unnel zu führen unter dem braufenden Strom des zormglähens
den Parteigewühls, in welchem er bis jent feine Macht gebors
gen hätt. So oft auch die Flut verfuchte, in feinen Bau ein-
zubringen, fletö gelang es ihm, fie zurüczumeifen. Wenn man
daher eine Darftellung des Lebens und Wirkens des Könige der
Sranzofen geben will, fo muß allerdings bie Geſchichte Frank⸗
weiche ſeit der Julirevolution nothwendig mit in ben Kreis bes
Bildes treten. Bier aber gilt es, bie Hauptfigur nicht in
der Staffage untergehen zu laffen und bie Gompofition bes Ge⸗
matdes fo zu entwerfen, daß der maffenhafte Stoff fi in rich
ger Gliederung fondert, ohne baß bie Theile ineinander vers
(daimmen. Durch richtige Anwendung biefer Methode bedingt
ſich eine wefentliche Eigenſchaft des Ganzen, Klarheit ber Ent⸗
widelung und richtige Scenirung der Gruppen in biefem buns
ten Drama ber Zeitz fie mußte maßgebend werden für den
Werth des Ganzen. Wir wollen nun gleih don vorn herein
ſagen, daß es unferer Anficht nach dem Dr. Birch gelungen ift,
diefe Bebingung zu erfüllen, und daß er damit den Beweis eines
in der That nicht fehr häufigen Talents gegeben hats denn
man muß in ber Politit und in der Geſchichte einen nicht ges
ringen Standpunkt einnehmen, um über einen fo fchwierigen
Boden ein Straßennep werfen zu können, bas uns in ben
Stand feht, die rechten Wege, die zu einem Ergebniß führen,
finden und einhalten zu koͤnnen.
Die Generatftatthalterfchaft behandelt der Verf. mit Sorg⸗
falt und Vollſtaͤndigkeit, obwol fie nur neun Tage bauerte.
Aber dieſe hatten allerdings das Gewicht von Zubren. Wir
feben, wie Ludwig Philipp ebenfo kiug als kuͤhn die Wege bes
geitet, die zu einer Entſcheidung führen müflen, und unaufs
haltfam bie Hinderniſſe hHinwegräumt, die ſich ihm entgegenftels
len. So war ber Zug des Generalftatthalters nach dem Stadt:
baufe am 31. Juli ebenfo kuͤhn als Hug, denn er Überrafchte
bie Stadthaus⸗Partei, an deren Spige Lafayette flanb, bie zwar
wicht zahlreich, aber in Ihrem Bereiche gefägrtih wars er Grad
ihre Oppofition burch feierliche Berkoͤndigung der Proclamation
der Deputirtenfammer. Der Berf. fagt darüber:
„Es war Revolution, am Zage nach einem biutigen Ram
und die übererregten Gemuͤther dee Misvergnuͤgten waren ganz
bereit, durch einen Handftreich den Beſchluß ber Mehrheit zu
vernichten, der ihrer idealen Vorſtellung von Bolkegluͤck hindernd -
in den Weg trat. Und nun. nahte ber Herzog von Orleans,
unbewaffnet und in frieblicher Umgebung, dem bis an bie Zähne
bewaffneten Stadthauſe. Sie vergaßen aber, daß eben hierin
eine Macht lag, benn ein tühnes und unbebitigtes Vertrauen,
wie es bier gezeigt wurde, enthält einen flummen Aufruf an
bie Ehre des Gegners, vor dem auch ber wildeſte unwiilkuͤrlich
flugt. Lafayette mußte bier den Ausſchlag geben. Die-Orleans'z
ſche Partei der Deputirtenlammer Eannte ihn wohl und wußte
ihn zu behandein. Man hatte nicht verfäumt, ſchon am 29.
Radjmittag, wo ber Sieg bes Wolke entfchieden war, Anhänger
bed Generalſtatthalters in bie Umgebung Lafayette's zu bringen.
Es ſchmeichelte feiner Gier nach Bolksthümtichkeit, daß feine '
Gtimme als unerlaßlich geſchildert wurde, um dem Borfchlage
ber Generalſtatthalterſchaft bie Billigung ber Volkspartei gu
ſichern. Dann flelite man ihm vor, daß er eine große Berant-
wortlichkeit auf ſich lade, wenn er dem einzigen Mittel zur Mes
zuhigung des Augenblicks Ginberniffe in den Weg lege; bie
Plane des abſoluten Konigthums würden dadurch nur gefördert
werben; bei der Ginftimmigfeit ber Abgeordneten aber in ber
Berufung des Herzogs, für die fich eine überwiegende Mehrheit
in der Buͤrgerſchaft ausgefprochen, würde durch einen Wibers
ſpruch Lafayette's eine Spaltung ber Revolution offenbar were
ben und aus alle dieſem koͤnnte nur Anarchie entſtehen. Ohne⸗
dies fei bie Generalſtatthalterſchaft eine vorläufige Maßregel,
die noch immer zuließe, daß man alle Freiheit republikaniſcher
Nationalgerechtfame mit der kuͤnftigen Regierungsform verbinde,
über bie noch entfchieden werben folle. Eafayette, Republifaner
aus Gefinnung, aber aud) aus Gewohnheit, war dabei immer
Edelmann in den Umgangsformen geblieben. Er betrachtete
bie Unabaͤnderlichkeit feiner Grundſaͤge als einen Ehrenpunkt
und wollte ihnen auch Geltung verſchaffen, aber nicht mit ber
rauhen Unbedingtheit eines Fanatikers, fondern mit ber feinen
Zuläffigkeit eines Mannes der großen Welt. Daß ber greife
Freiheittheld zweier Weittheile nun den eriten Beſuch eines Fuͤr⸗
Ken vom koͤniglichen Gebluͤte empfangen follte, der auch unter
der breifarbigen Fahne gefochten, beutete gleichſam auf eine
Bahlverwandtfchaft bes Geſchicks, bie unwilltürtich den Edelmann
für den ehemaligen General ber Republit und den Republikaner
für den Prinzen gewinnen konnte.“
Der Werf. weift aus den Geftänbniffen der Republikaner
ſelbſt nad, daß es nie ein Stabthaus-Programm gegeben, baf
zwar bie bort verfammelten Patrioten ein ſolches entworfen
hatten, welches aber nie dem König vorgelegt wurbe. Tafayette,
der es bei einer Aubienz in ber Zafche hatte," war entzüdt von
ber Beutfeligkeit des Generalftatthalters und umſtrickt von fels
nem geivinnenden Worte; barum behielt er es auch in der Taſche,
indem er für unſchicklich hielt, „ein unziemlidyes Mistraucn an
ben Zag zu legen’ einem Prinzen gegenüber, der fo vortrefflich
gefprochen hatte über die amerikanifchen Snftitutionen. Die
Darftellung des Verf. deutet vortrefflich an, mit welcher feinen
Berechnung Eubwig Philipp bie Schwächen des alten Benerals
zu benugen verfland, und, gleich als ahnete er, welche bedroh⸗
ide Handveſte „ber Freiheitsheld zweier Welttheite” in der
Taſche barg, ihn gar nicht dahin kommen ließ, fie herauszulan«
gen. Es fehlt überhaupt nicht an Stellen, bie deutlich genu
zu erkennen geben, daß der Verf. recht gut weiß, wie die Tak⸗
tie befchaffen ift, die bisweilen in Anmwenbung gebracht wurde;
unb wenn er bier und da mit ſympathetiſcher Zinte fchrieb, im
Vertrauen, ohne Zweifel, auf ein chemifches Talent bes Eefers,
fo darf die Kritik ihm wol deffen Rechnung tragen, daß er ben
Lebenslauf eines Lebenden zu ſchildern hatte. Der Verf.
wirft bie Frage aufs „Konnte ber Herzog von Orleans ben
712
Dunſch Karl’s X. erfüllen, bie Thronbeſteigung des Herzogs
von I Ai verlünden? Wurde nicht durch das Aufgeben
der Regitimität die Volkeſouverainetaͤt thatfächlih und grund
fägtich feſtgeſtellt, und dadurch für immer der Beftand des Ihrons
bem Schwanken eines wogenden Bolfswillens anheimgeftellt g"
um nicht in den Anführungen zu weit zu gehen, müffen wir
auf das Buch felbft verweifen und bemerken nur, daß die Be
antwortung mehr objectiv, vom Standpunkte ber Franzoſen aus,
gegeben wirb, indem der Verf. fagt: „Was man auch gegen bie
obige Schlußfolgerung einmwenden mag und aud von einem
außerhalb der ſchlichten Wirklichkeit genommenen Standpunkte
einwenden Bann, bie Zranzofen hattın zu viele Dynaſtienwechſel
erfahren, als daß nicht eine foldye praktifche Vorftellungsweife
ſich bei der überwiegenden Mehrheit feftgeftellt haben follte.”
Wir wollen nicht behaupten, daß die Sache abgethan ift, wie
ver Verf., der feine perföntiche Anſicht gar nicht gegeben zu
haben ſcheint, ed entwidelt; aber daß es in einem Gemälde,
wie ex es zu entwerfen hatte, nicht helfen Eann, eine Ausfühs
zung der Gculfäge aufzuftellen, damit find wir einverftanden.
Geiſtreich aufgefaßt und in ber Ausführung volllommen
gelungen tft ohne Zweifel die Art und Weife, wie Dr. Bird
die Stellung Ludwig Philipp’® unmittelbar nach ber Thron⸗
befteigung ſchildert, umd die wir bier mittheilen wollen.
„Ludwig Phitipp empfing die Krone durch eine Revolution,
aber nicht von einee Revolution. Gr war nicht das gefrönte
Haupt der Revolution, nicht ein König ber Barrikaden, wozu
zafende Zanatiler ihn gerne machen wollten und wie Legitis
milten ihn gern ſchelten. Gr hatte ohne Zweifel eine feite und
Mare Anſchauung von der Sendung, die ihm geworden wat,
wenn er auch, wie alle Andere, von den Greigniffen überrafcht,
im erſten Augenblicke nicht überfehen konnte, ob alle Bebingun-
gen ihm ſogleich zu Gebote ſtehen würden, bie unerlaßlich wa⸗
gen, um den Weg einzubalten, ben er mit klarem Bewußtſein
als den rechten anerfannte. Er wußte, was er wollte und was
ee foltte, aber er wußte nicht, ob er es gleich Eonnte. Roch
follten die Elemente der verſchiedenen Richtungen, welche Gels
tung verlangten, fi um den neuen Thron gruppiren und ihre
Kräfte verfuchen, bis es fich herausftellte, mit wen der König
es. verfuchen konnte.’
„Es ift ſchwer für Ale, die nicht Ähnliches erfahren ha⸗
ben können, ſich einen Begriff zu machen von ben Gefühlen
und Anfichten eines Prinzen, ber, entfproffen aus einem ber
ätteften Sürftengefchledhter, geboren auf einem Vulkan, entwurs
it durch eine politifche Springflut, die den ſtaatlichen, religioͤ⸗
en und moralifden Boden in einer Alles gleichmachenden An⸗
ſchwemmung verfanbete, auch in der Verbannung nicht den Zus
fammenhang mit dem Vaterlande verlor, und der nun, nıd
einer neuen Erſchuͤtterung zur Herrfchaft berufen, fich bemäbte,
den gefunden Boden Frankreichs wiederzufinden, aus bem allein
ein neues Gtaatsleben hervorblühen kann. Das Bürgerthbum
war bie Macht, welche fiegreich aus der Julirevolution hervor:
gegangen war; und nicht die überrafchende Thatſache des Siegs
belehrte den König bavon, denn während ber ganzen Reftaura-
tion war er ein fcharffichtiger Beobachter geweſen von ber Ents
widelung diefee Macht, welche, nad Napoleon's Sturz zum
Bewußtfein ihrer Bedeutung gelangt, unter Ludwig's XVII,
Sharte ihre politifhe Erziehung begonnen hatte, im Kampfe
gegen die rüdgängigen Beftrebungen unter Kart X. alle intel:
ligenten Kräfte, bie eine Zukunft in ſich trugen, angezogen und
an ihre Spige geſtellt hatte und im gefeglichen Widerſtande
intänglich erftarkft war, um die Gegner des Geſetzes von dem
oben zu verbrängen, ben fie mit ungefeglihen Mitteln bes
haupten wollten. War nun audy der Umſturz des Beſtandenen
nicht urfprängtich in ber Abwehr des WBürgerthums als Abficht
enthalten geweien, fo war es body nicht bavor zurüdigetreten,
als die Fehler der Gegner ihm keine Wahl gelaffen hatten. Es
konnte aber nicht vollbracht werben, ohne dab andere Kräfte
ſich mit dem Bürgertum verbanden, die mit Ihm nur augen»
blicklich barin übereinftimmten, daß die Gewalt der Rompflichs
tigen Geiſtlichkeit und bes Iehnfüchtigen Adels, welche bie Wotkts
freiheiten zum Vortheil einer von ihnen üÜberflügelten Regierung
einzieben wollten, gebrodyen werben müfle. Nachdem diet ges
Sehen war, foberten num die Helfer bes Bürgerthums einen
kohn, bedroplidy genug, um bie Errungenſchaft des Siege za
gefährden; die Abrechnung konnte bedenklich werden Das Bär:
gertbum Hatte feinen König bekommen; und bie Patrioten,
welche den alten König vertreiben halfen, zwar nicht ihre Res
publit᷑, aber fie hatten in die Erklaͤrung, weldye den Thron ers
richtet, ungetöfte Fragen hineingeftellt, bei deren vorgefchriches
nen Löfung fie hofften, eine demokratiſche Grundlage unter den
Thron bes Vürgerthums einzufchieben. Eben bie Gite, womit
die Buͤrgerſchaft zur Grrichtung des neuen Königthums trick,
hatte die Patrioten begünftigt in @rlangung von Borbcdinguns
gen ihres Sinfluffes, deren gewichtige Bedeutung der Genctal⸗
flatthalter wohl erfannt hatte, die indeß Manchen von dir Bärs
gerſchaft nicht fehr verfänglich erfchienen, ſodaß fie bilizten,
was fie nachher auf ihre eigenen Koften zurückweifen mußte.
Der König wußte Schon vor friner Thronbeſteigung, mit weiden
Gefahren er zu thun haben werde, unb vom erften Tage au
faßte ex fiin Ziel ſcharf ins Auge; aber fo lange bis er We
Zuverlaͤſſigkeit der Mittel, welche ihm zu Gebote ftehen mwärden,
erforſcht Hat, fehen wie ihn bie Dinge mehe an ſich kommen
laſſen, als ihnen offenbar vorbeugend entgegentreten. Im Gas
binete warnte er vor Mafregeln, beren Misbrauch ein Ord⸗
nungefoftem erfhüttern konnte, er zeigte ihre Iragmeite und
fou dfter geäußert haben: Je vous atiends à l’epreure; aber
er Lich feine Minifter die Probe Deffen beſtehen, wäs fie unter
ihrer Verantwortlichkeit riethen.“
(Der Beſchluß felgt.)
Literarifche Notizen aus Frankreich.
Unter den Neuigkeiten ber franzöfifchen Preife find hervore
zubeben: „L’Angleterre, l’Irlande et l’Ecosse, souvenirs d'un
voyageur solitaire, ou meditations sur le caractere national
des Anglais, leurs moeurs, leurs institutions, leurs etablis-
sements publics, l’association britaonique, aussi que d’autres
socieL&s sarantes et les inventions nouvelles en fait de
sciences et d’arts’' (2 Bde.). Ferner das in Lieferungen er⸗
fheinende Wert: „‚L’ancienne Auvergne et le Velay’' von
A. Michel. Der Inhalt theilt ſich in Geſchichte, Archäologie,
Bitten und Topographie. Die Ausſtattung iſt prachtvoll;
36— 40 Monatslieferungen, jede ſieben oder acht Bogen ſtark
und mit dir Kupfern und Eithographien geſchmuͤckt, werden drei
Bände bilden, Eine Dame, Hortenfie Allart, gab eine ‚Histoire
de la r&publiyque de Florence” heraus, in welcher man bie
Männtichkeit des Stils rühmt, ber jeboch etwas nach mobrrur
Überfraft ſchmeckt, erklaͤrlich, da die Dame zu denjenigen Judi⸗
viduen gehört, welche eine politiſche Emancipation des weiblichen
Geſchlecht⸗ — und natuͤrlich in ihren Schriften die moͤg⸗
lichſten Kraftanſtrengungen machen, um der GEnırgie des Man⸗
nes, wenigſtens ſcheinbar, durch kecke Beharsptungen und hefti⸗
gen Stil gleichzukommen, wo nicht fie zu überbieten. Mit dem
achten Bande iſt befchloffen „Histoire de ka r&volution Iran-
giise”, vom Vicomte F. be Concy, Mitglücd der Deputirtens
tammer zur Zeit ber Julirevolution, und mit bem vierten Bandes
„La revolution, le consulat, l’empire et ia restauration etc.
jusqu’a 1841.” Bon 3. B. Dedhalotte erfchien: „Soult et
Brougham, glorieux pacificateurs de l’Europe‘ ; von X. Blan⸗
qui: „Precis el&mentaire d’economie politique suivi d’une
biographie des &conomistes”, welches Werf ein Beſtandtheil
der „Encyclopedie portative” (54 Bde.) iſt; von Artaub de
Montor, ehemals Gefandten in Rom: „Histoire du pape
Leon XII”; und vom Bicomte de Beaumont:Baffy: „Histoire
des etats europ6ens depuis le congr&s de Vienne”, ein Bert,
welches auf zehn Bände berechnet ift und deſſen erſter Band
Belgien und Dolland zur Aufgabe hat. 18,
Berantwortliger Derausgebers Heinridy Brodbaus. — Drud und Verlag von F. X. Brodhans in Leipzig
Blätter
für
literariſche Unterhaltung.
Mittwoch,
Reifeliteratur.
Zweiter und letter Artikel.
(Bortfegung aus Nr. 178.)
16. Rorddeutſche Reife von Otto Friedrich Wehrhan.
Dresden, Naumann. 1842. Gr. 12, 1 Zir.
Der als firenggläubiger Altlucheraner bekannte Verf.,
welcher feine religiöfen Überzeugungen im $. 1835 mit
Unterfuchungs= oder Kerkerhaft zu Liegnig büßte, ceifte
von Dresden nah Hamburg, wohin er einen Ruf als
Daftor angenommen hatte. Eine Anzahl Lutheraner fepas
rirten fi von der hamburger Kirche, fehrieben an Wehr:
-ban, daß die Union flattgefunden, und foberten ihn auf,
die Stelle eines Predigers bei ihnen anzunehmen. As
er jedoch binkam und der Sache auf ben rund ging,
erkannte er bald, daß von einer kirchlichen Union ber
£utheraner und Reformirten durchaus nicht die Rede fei,
und daß der Schritt, weichen jene Separirten gethan,
jedenfalls zu frühe gefcheben, mindeſtens alfo ein un:
zeitiger fei. Indem er, fagt dee Verf., nicht auf die
Gubjectivitäten in einer Anftalt, fondern auf deren Prin:
cip zu ſehen pflege, habe ex ſich verpflichtet gefühlt, dies
ganz neu creicte Paſtoramt nicht anzunehmen, ja nicht
einmal anzuerkennen. In diefem Buche, zufammen mit
feiner früher erfchienenen „Umfhan”, glaubt er einen
iemiih vollftändigen und nach beftem Wiſſen getreuen
berbli@ der aus eigener Anfchauung kennen gelernten
kirchlichen Verhaͤltniſſe des proteflantifhen Deutſch⸗
lands gegeben zu haben. Wir fürchten jedoch, daß
dieſer UÜberblick zum großen Theile auch ein falſcher
Blick ſei; einmal ſind die Anſichten des Verf. auf der
einen Seite im hohen Grade ſubjectiv, auf der andern
ſtuͤtzen fie ſich zu beharrlich auf den bibliſchen Autoritaͤts⸗
glauben. Die Autorität der Bibel iſt fo ehrwuͤrdig, daß
darüber nichts weiter zu fagen iſt; wollte man aber alle
Entwidelungen der Menfchheit unter das Commando ber
Bibel fielen, fo würde ein Stillſtand und mithin ein
Ruͤckſchritt unvermeidlich fein; der Bibelglaube, wenn er
durch nichts gemaͤßigt iſt, macht hart, unduldfam, despo⸗
tifch, allen Beſſerungen und Fortentwidelungen abgeneigt.
Dies beweift der Verf. mit feinem eigenen Beifpiele. Er
vertheidige 3. B. die Todesſtrafe und flüge ſich dabei auf
Mofes’ bekanntes Gebot „Wer Menfchenbiut vergieft,
deß Blut fol auch durch Menſchen vergoffen werben”.
Schlimm genug, wenn wir nad fo vielen Jahrtauſenden
noch nicht über Mofes hinaus fein follten! Die Erfah:
rungsfäge, die er zur Vertheidigung der Todesſtrafe in
Anwendung bringt, find durchaus ungenügend. Die gro=
ben und großen Berbrechen, worauf bisher Todesſtrafe
ſtand oder noch flieht, haben fich mit der zunehmenden
Civitifation und ber damit zufammenhängenden mildern
Rechtspflege allerdings vermindert, wenn auch die Zahl
ber kleinern Verbrechen im Wachſen fein mag. Auf
bloße Beitungsnachrichten follte der Verf. ohnehin bei ei⸗
ner [o wichtigen Angelegenheit nicht fo viel geben; Zei:
tungen find fehr felten reine Gefchichtequellen, da
fie, belogen, oft wieder lügen ober nut vorübergehende,
aus momentanen Umftänden entfpringende Erſcheinungen
berüdfichtigen.. Diefe biblifhe Härte Wehrhan’s fpriche
ſich namentlich in feinee Schugrede für Beibehaltung ber
Sklaverei aus. Auch hier ift fein Hauptargument ein
bibliſches; Sklaverei und Sklavenverkauf, fagt er,
herrſchten ſchon zu Jeſu Zeiten, Jeſus kannte fie und
verwirft ſie nirgend, folglich muß es (oder darf es we⸗
nigſtens) Sklaven geben. Dieſer Umſtand ſoll nun, trotz
ganz veraͤnderter Verhaͤltniſſe, trotz der fortgeſchrittenen
geiſtigen Bildung und davon abhängigen innern Ent⸗
wickelung und Reinigung des Chriſtenthums, auch fuͤr
uns beweiſend fein! Der Verf. ſagt im Vorworte: „Was
ich hierüber gefchrieben, halte ich für in ber Heiligen Schrift
begründet, und wenn ich anders gefchrieben, fo hätte ich
geheuchelt; follte ich aber geirrt haben und eines Beſſern
überzeugt werden, fo will ich gern der Wahrheit Gehoͤr
geben.” Er führt hierbei die Worte Luther’s an: „Man
laſſe die Geiſter aufeinander plagen’, denn fo, meint er,
werde die Wahrheit hervorgetrieben. Aber fühlt denn
der Verf. nicht, daß er die ihm fo göttlich duͤnkende Heilige
Schrift dadurch, daß er fie bei Vertheidigung eines von
allen menfchlich, recht und billig Denkenden gebrandmark⸗
ten Inſtituts wie die Sklaverei zum Grunde legt, wenn
nicht ſchaͤndet, doch in Miscredit bringe? und kann le&s
teres in feinem Plane liegen? Gewiß nicht! Wer aber
feinem Zwecke entgegenacbeitet, handelt mindeſtens unbe⸗
fonnen und unklug. Der Verf. führt auch mehre Fälle
von gluͤcklichen SHaven an, die ſich gerade unter ‚mildern
| Zee im Wohlfein befinden; wir verweilen aber dem
ef. auf das Capitel in Boz' „Amerika“, welches Über
‘ EZ
die Sklaverei handelt und woraus wir in Mr. 147
d. BL. ein paar fchlagende Proben gaben, und wenn ihm
dann nicht die Augen über dies fluchwuͤrdige Inſtitut der
Sklaverei aufgehen, fo muͤſſen wir den Verf. mit dem
ſchwarzen Staar des biindeflen Bibelglaubens behaftet er:
Bären. Der Verf. ift aber nicht flets fo biblifch geſinnt;
von ©. 81—88 fpricht er über das Efien und Trinken
in Hamburg, über Aalfuppe, Heidelbeerfuppe, dicke Gruͤtze
u. f. w. und über das Rauchen als denjenigen Genuß,
„ber fo zu fagen den Übergang von körperlichen zu gei⸗
fligen Genüflen macht“. Die Anfiht des Verf. ift: Bu
Jeſu Zeiten gab «es Sklaven, folglih bürfen wir auch
Sklaven halten; aber fo gut koͤnnte man fagen: Bu Jeſu
Zeiten rauchte man nicht, folglich darf Herr Otto Fried:
sh Wehrhan auch nicht rauchen!
17. Öftreich im Sommer 1842 von H. Scherer. Ulm, Stets
tin. 1843. 8. 22%, Nor.
Ein brofchärenähnliches Schriftchen, welches bereits
Im den „Zeitintereſſen“ mitgetheilt worden. Der Berf.
hat dadurch, daß man ihn ale Plagiarius, Nachdrucker
u. f. mw. anflagte, daß bee würtembergifche Advocatenver:
ein gegen ihn eine Erklärung veröffentlichte, des Inhalte,
Scherer fei von genanntem Berein nicht nach England
geſchickt, um Documente über das englifche Gerichtsver⸗
fahren zu ſammeln, ein nicht bemeldenswerthes Renommee
erlangt. Borliegende Schrift trägt mehr den Charakter
eines pofitifchen oder vielmehr politifitenden Pamphlets
als einer Reifebefchreibung, obgleich fich des Verf. pollti⸗
fhe Betrachtungen auf bie von demfelben im J. 1842
gemachten Reifeerrfahrungen ftügen und die befuchten Lo⸗
calitäten darin eine Rolle ſpielen. Im Ganzen ift die
Schrift für ſtreich wohlwollend abgefaßt, abfchon der
Berf. die Schwächen der Bermaltung nicht verbehlt und
namentlih den obmwaltenden Überflug an Cenfur und
Mangel an Xheaterfreiheit rügt. Unter Anderm erzählt
ber Verf. daß im „Egmont“ an ber Stelfe, wo das Volt
festen Helden mit dem Lebehoch der Fretheit begrüßt, ge:
rufen werden muß: Es lebe die Zufriedenheit! Der Verf.
ſelbſt hörte, daß Leporello im erften Sinale des ‚‚Don Juan“
die Maskenfreiheit weglaffen und dafuͤr die Schoͤnheit fingen
mußte Im Ganzen genügt es, wenigftens die Exiſtenz
diefer Schrift durch diefe kurze Anzeige dargethan zu haben.
18. Reiſeſkizzen. Epiſteln an Madame von H. Deines Nadı:
folger, Zwei Theile. Bamburg, Neftter und Melle. 1842.
&r. 12..3 Thir. 15 Rgr.
Dies unangenehm witzelnde, liederlich gedachte und
flitifirte Buch traͤgt das Motto: „Nehmt's, wofuͤr ihr
wollt; ich weiß, wofuͤr ich's gebe’; wahrfcheintidy für ein
mittelmäßiges Honorar, denn fonft iſt das Buch für gar
nichts zu nehmen noch zu geben. Ein Nachfolger Heine’s!
Man Höre diefen Nachfolger Heine’s: *
Eigentlich, Madame, follte th Ihnen gar nicht fehreiben
und am wenigfien biefe Briefe, da Sie vor mehren. Jahren
4
So lautet ber faubere Anfang biefer ſchmuzigen car
Birten Copie der Heine’fchen „Reiſebilder“.
Der Anfang des zweiten Briefes lautet:
Ich habe Racht ſehr ſchlecht geichlafen, Madame, ober
auch ſehr gut; weiß es ſelbſt nähe. Eigenmich ſchlief iq
ger nicht, denn ich lachte beftänbig, ober ich habe gefdkafen un)
abe im Traum immerfort gelacht. — — Und worüber habe
ich "denn geladht? Ich habe darüber gelacht, baf es heutigen
Tages fo leicht ift, ein Buch zu Tchreiben, das feinen Veiſal
findet, wenn man nur Übermutb genug hat, bem Publicum, vor
weiches man Tonft nicht anders als in Escarpins und mit vie
ien Bemüthigen Reverenzen trat, in Gchlafrod und Pantofkiz,
in hoͤchſter Burfchikofirät entgegenzutreten. um, das Publicm,
dies viellöpfige Ungebeuer, will es ja nun einmal fo, und ihm
geſchehe daher, wie Recht if. Die Sache wird fo einem Bierziger
durchaus nicht ſchwer gemacht, wenn er ſich nur auskleiden wii
Par den Gtubenten ober den jungen Doctor noch einmal durqh
pielen mag.
Der Verf. iſt affo von ber literariſchen und moralifken
Nichtswurdigkeit ſeines Buches überzeugt und dies kopfloſe
Ungeheuer wagt dem vielköpfigen Ungeheuer, dem Publicum,
diefe unumſtoͤßliche Wahrheit ſchamtos zu geftchen. Das
Buch iſt des Befprechens nicht werth und eigentlich ſchon
vergeffen, aber es iſt für uns immer noch wichtig als
Maßſtab für die Ungezogenheit, weiche ſich deutſche Schrifte
fteler dem Publicum gegenüber erlauben. Sn feinem
andern Lande iſt dergleichen moͤglich, und biefe Ungezo⸗
genheit, dieſe ſchmuzige Witzelei, diefe bequeme Supetel,
diefe katenjaͤmmerliche Beſchaffenheit des Humots — wo
finde ih Worte, dieſes demoralifirte Unweſen genügend
zu brandmarken? — bat Miemand weiter veranlaft ale
Seine, der zwar umter feines Gleichen immer noch als
König dafteht, aber als ein König, der ſich in feinem
Wise betrinkt, in feinem Humor bis zum Ekel überſaͤt⸗
tigt, mit den Rymphen der Straße verkehrt, Sitte, Ge⸗
ſchmack, Geſetz, Anſtand uͤbermuͤthig mit Fuͤßen tritt,
feinen an ſich etwas ſchaͤbigen Königs: und Putputman⸗
tel in den Koch ſchleudert und ihn erſt in diefem unſau⸗
bern Zuſtande unter feine Nachfolger vertheitt. Richt
ſowol Heine iſt daran Schuld als feine Anbeter von
ehemals, bie er innerhalb und außerhalb Kanaans, unter
Juden und Nichtjuden hatte und zum hell noch hat.
Man nenne mir die Literatur irgend eines Volks zu Ic
gend einer Belt, welche wie in den letzten Jahten bie
beutfche durch einen folchen Wuſt von liederlichen, hecze,
gemuͤth⸗, geſchmack⸗ geſinnungs⸗ und talemtfofen, an bet
Kruͤcke eines faulen und ekelhaften Witzes lahmenden
Schriften verunſtaltet worden iſt! Zu dieſer Schand⸗
und Schumbdiiteratur gehört obiges Buch, aus dem wir
noch ſchnell eine poetiſche Ergießung mittheitm wollen,
damit man den Verf. auch von bdiefer Seite kennen fern.
Diefes Poem lautet:
Madame, Sie haben mein jun
Gar ter er et I on
' ’ nicht, un ’ meinen Scqchwmerj
In hundert Auftern sewarffen!
‚(Dre Befchtuß folgt. )
wm — — —
18
Ledwig 1., Rinig ber Frauzeſen. Darſtellung
een und Wirkens. Bon Shyriſtian Bird.
Bmeiter (Beſchluß aus Nr. 178.)
Mit Laune iſt die Rage des erſten Orieaus ſchen Minifteriums
Denen gegenüber befehrieben, die Verlaugen trugen, fi dem
neuen Königtiume anzufdließen.
„Kaum hatten biefe Minifler iper Amtöchätigkeit begonnen,
fo wurden fie überflutet von der Plage aller Miniſter, vom
einem | von Gtellenfägern, die laͤſtiger find ats die
tenen im Berbft, und von benen bie Meiſten faſt fo bereit
nd, We um eine Anftellung gu tyun, wie bie Kliegenwebler
ene®s Sultans. Praͤfecten, Unterpräfecten, alle abjepbare
Beamte, die es nur irgend Tonnten, ließen ihre Provinzen im
Stich, die fi abminiftriren mochten, wie es Immer ging, und
tagen auf ben Landſtraßen, um nach Paris zu fommen. Wur⸗
den ſie abgefegt? Oder hatten fie Hoffaung, beibehalten zu wer⸗
den, ober gar zu fleigen? Einer neuen Regierung mußte man
ich yperföntich vorftellen, mußte feloft ber Herold friner Vers
dienfte fein und von diefen brachte Jeder beträchtlichen Borrath
mit. Bon allen Eden und Enden Frankreichs kamen bie öfs
fentlichen Wagen in Paris an, vollgeftopft mit Bittſtellern ge:
zingeree Corte, bie am grauenden Mosgen nad) ihrer Ankunft
im ſchwarzen Frack, dad breifarbige Band im Knopfloche, eine
ungeheure Gocarbe am ‚But, von boffnungszitternden Händen
erwartungẽvoller Provinzialmütter und ⸗Frauen gefertigt, Pas
piere und Zeugniffe in ber Bruſttaſche, nad) den Minifterhotele
firzten, um mit unabweisbarer Beharrlichkeit an ber Gabinets⸗
thuͤre eines Vorzimmers Tage lang zu kleben· Die Miniſter
und ihre Secretaire konnten ſich zu keiner Thuͤr hinausretten,
ohne an der Schwelle uͤber ſolche Stellenjaͤger zu ſtolpern, die
mit Praͤfectur⸗ und Staatsanwaltsſtellen anfingen und ſich zu⸗
jetzt mit einer Tabacksconcefſion begnügten. Dier offenbarte ſich
ſogleich ein Hauptgebrechen ber Stiaats geſellſchaft, welches
13 Sabre eines conftitutionnellen Syſtems nicht gemindert hatte.
&o war es unter dem Kaiſerthum, unter der Reſtauration,
beim Beginn der Juliregierung, und fo iſt es no. Es iſt
unglaublich, weiche Gier man hat, ſich dem Budget anzufchlies
Sen. Die befannte Empfehlang ‚Je suis le bätard de votre
apothicaire‘ hatte nur Variationen bekommen; es waren num
naturliche Söhne der Eroberer der Baſtille, Oheime von poly
techniſchen Schülern, aber immer Bewerber um ein Amt ober
ein Ämtchen um jeden Preis. ine traurige Erſcheinung, in
foldyer Weife, wo fie immer vorfommen mag, und fie zeigt ſich
mebr aber Kr überall, aber kaum in ſoichem überſchwange
wie in Frankreich.“
I Gegenfag zu Denen, bie ſich fo ber neuen Dynaſtie
an den Hals warfen, ſinden wir etwas weiter bin:
„Nur das Bolk verlangte nichts — als Arbeit. Es iſt
eine ruͤhrende und ſehr zu beberzigende Erſcheinung, daß ber ger
meine Dann vach dem Kampfe ſtillſchweigend zuruͤcktrat, die
Bräber der Gefalienen und die verwundeten Kameraden in den
Bpitätern, aber, keln Vorzimmer befucgte und nichts wollte
von allen Herrlichkeiten, welche die Regierung zu vergeben hatte,
für die er dem Tode getrogt, als das beſcheidene Loos eines
nicht aubeitälofen Arbeiters. Das pariſer Bolt hat ſich im
Kampfe großartig gezeigt und feine Uneigennuͤtzigkeit bei ber
Preisvertheitung nad dem Siege ift eine ſybilliniſche Mahnung
für die Zukunfi, die man nicht überhören möge, da man ihm
eben nicht mit dem WBeifpiel der Genügfamleit vorangeht, und
«8 doch zulept lernen koͤnnte, auch feinen Preis zu machen. Ich
weiß wohl, daß mit dem Unkengeſchrei trüber Warnungen nichts
getvan iſt; ich weiß, das wir fo ziemlich Alle rathios ſtehen
vor der Aufgabe, die eine Hülfe verlangt, weiche nicht Giner,
fondern nur Alle gewähren können; ich weiß, daß fie nicht in
politifchen Formen liegt, fondern nur aus einem gekäuterten
Griſte der Wefeltfchaft hervdrgehen kann, aber die Geſchichte
müßte derzlos fein, wenn fie bei fo ſchneidenden Gegenſaͤten,
wie fie bier einander gegemäberflanden, nicht daran erinnere
wollte, daß das Ungluͤck Diejenigen treffen mußte, weiche ſich
keiner Schuld bewußt waren und benen man die Fruͤchte deö
Siegs verwegnahm mit dem böfen Troſte, daß das nit am
ders fein koͤnne. Das eben iſt das größte Ungluͤck, daß es in
ber That jent nicht anders fein kann, während es doch andere
werden muß.’
Neu und fcharffinnig find die Bemerkungen des Verf. über
die eigenthuͤmliche Lage des bipfomatifchen Corps in Paris waͤh⸗
rend der Julirevolution und nach ber Thronbefleigung der neuen
Dynaſtie. Es wird nachgewiefen, wie enticheibend Hier ein
Formfehler wurbe und von weldyer Bedeutung bad Verbleiben
ber fremden Geſandtſchaften in Paris für bie neue Ordnung der
Dinge war.
Der Berf. behandelt die Frage der perlönlichen Regierung
des Könige, bie er für heilfam hält, wegen der politifchen
Richtung der Franzoſen im Allgemeinen, bei welcher ohne bis
perfönlihe Dazwifchenkunft des Königs ed der Bewegungspartei
gelungen wäre, einen allgemeinen Krieg herbeizuführen. Er
jhüdert uns babei die Franzoſen in Beziehung auf ihre poli⸗
tiſche Richtung in folgender Weife:
„Die Franzoſen find geiftvoll, beweglich, leidenſchaftlich
und unbedenklich einer großen Aufopferung fähig — aber, was
die große Mehrheit betrifft, meiſt nur für einen nahetiegenben
Zweck, defien Ergebniß bald ſich ald Nationalerwerb an Ruhm,
Glanz. und Anerfennung eines vorwiegenden Einfluffes auf ans
bere Nationen ausweilen muß, wenn der Eifer nicht erlalten,
die Beharrlichkeit nicht ſchwanken fol. Sie haben große polis
tifche Erfahrungen gemacht, aber fie wenden fie mehr auf Ans
dere als auf ſich an. Stets betrachten unb empfinden fie ihre
eigenen politifchen Zuflände nach dem Maßſtabe des Einfluſſes,
den fie auf Andere dadurch erlangen Eönmen. Es tft in ihnen
ein Drang, ber fie treibt, bie Verwickelungen ihres flaatlichen
Befindens nad) außen zu tragen, flatt fie am eigenen Herbe
durchzuarbeiten und zu loͤſen. Sie fodern als ein Recht bie
Snitiative der Givilifation, würben aber viel größere Anfprüche
darauf baben, wenn fie nicht immer noch meinten, baß ber
Fortſchritt mit einem Artilleriepark verfündigt werden müfle
und daß bie Givilifation nur in ber Form für Europa heilfam
fei, die fie in Frankreich an en babe. Das meinten, wie
ich wohl weiß, nicht alle Franzoſen, und es hat Frankreich nie
an hervorragenden und einfichtsvollen Männern gefehlt, welche
das rechte Verhättniß bei fich und in der Fremde, die Vorzüge
unb die Gebrechen aller Orten erfannten und verftanden. Allein,
wie fie auch immer darzuthun ſich bemühten, baß die Größe
Frankreichs aus der immern Entwickelung und einer regelmäßig
durchdringenden politifchen Bilbung hervorgehen mülfe, und daß
biefe die wahre und glorreilhe Propaganda fei, ſtets wurden
fie überflügelt von Denen, welche diefe nur für möglich und
ee, hielten, wenn bie Bedingung ber dufern Größe er⸗
t ſei.“
Weiterhin ſagt er noch in dieſem Betreff: „Iſt es nicht
ſeltſam, daß die Franzoſen von jedem neuen Frei
mit dem ſie Verſuche anſtellen, ſogleich Ableger in alle Welt
ſchicken wollen, ehe er bei ihnen Wurzel geſchlagen und ehe
ſie durch Acclimatiſtrung eine Gattung davon herangezogen ha⸗
ben, bie bei ihnen ſich fortpflanzt und Fruͤchte trägt 3”
Bir finden endli in dieſem Bande vorzüglich wichtige
Unterfuchungen über die Regierungsmaßregein bie zum Fieschi⸗
fen Attentat und über die daraus hervorgegangenen Septem⸗
bergefege vom 3. 1835. Das Wirken Ludwig Phitipp’s ers
ſcheint hier als auf Erhaltung bes Koͤnigthums gerichtet, wobei
er ſich allerdings genoͤthigt fah, feine Macht allmälig zu erwei⸗
teen, durch Mittel, welche unter den gegebenen Verhaͤltniſſen
unerlaßlig waren, follte der Staat nicht feine Centralkraſt
verlieren, ſollte er nicht den Wirren ber Parteien und ihren
haltungsioſen Theorien preisgegeben werben. Der Berf. ders
hehlt nicht, wie ber König bei diefem Beſtreben ſich eine >
zere Sewalt erwarb, als ber Geiſt der Verfaſſung von 1
T16
ertbeiite. Allein mit Steht wird anerfannt, daß, wenn
abet von einer Schulb die Rebe fein follte, diefe nur auf Rech⸗
nung Derer zu fehreiben fei, weiche als Bevollmaͤchtigte ber
Ration nicht verftanden,, conftitutionnelle Fuͤrſorge zu treffen,
die Webürfniffe der Nation, d. i. Ordnung und Geſetmaͤßigkeit,
fihern. Wäbrend die Parteien in ben Kammern rebfelig
um das goldene Vließ des Cinfluffes in die Regierung kämpften,
war die Revolution werkthaͤtig befchäftigt, das Königthum
fammt dem Kammerthum durch Caufgräben gu unterminiren und
bei günftiger Gelegenheit in bie Luft zu fprengen. Kamen biefe
unterirbifchen Arbeiten irgendwo zum theilmeilen Ausbruch, fo
waren bie Geſetzgeber davon uͤberraſcht, wie von einer, in ihre
Theorien und Praktiken nicht paflenden, von ihnen nicht voraus⸗
oefebenen Bewalt, bie ohne ihre Erlaubniß hHervortrat. Der
König dagegen hatte weder das Treiben in ber Kammer
noch das Wühlen außerhalb berfeiben aus den Augen verloren.
Gr hatte zugleich die Mittel erfannt, das Übel niederzuſchlagen
und bie Ordnung zu fihern. Wenn er nun diefe Mittel von
den Geſetzgebern foderte, einer Gefahr zu begegnen, an welche
fie nicht gedacht hatten, fo mußten fie, im Gebränge zwiſchen
ben Folgen ihrer Kursfichtigkeit und der vorausfehenden Klug⸗
beit des Könige, ihm wol Alles bewilligen, was fie nur hätten
verfagen können, wenn fie, unabhängig vom Könige, eine wirk⸗
liche Macht befeflen hätten. Wir glauben daher gern, was ber
Berf. behauptet, daß ber König damals von ben Volksvertre⸗
tern noch mehr, als er verlangte, hätte erhalten koͤnnen. Auf
welche Weife fich die Dinge zu Gunſten der koͤniglichen Macht
geftaiteten, nicht, wie Viele glauben, durch die Ränfe des Hofe,
fondern buch die verftändige Werechnung des Könige, ber die
Dinge heranfommen ließ und erft Im entfcheidenben Augenblicke
binzutrat, um bie Macht, die er Allen vorenthielt, auf gefeh-
mäßigem Wege ſich von Denen beftätigen zu laffen, deren uns
abfebbarer Wortlampf von ben Greigniften nachdrüdtich unter-
brochen und als unzeitig erwiefen wurde, dies Alles, ber Haupt:
grund aller Bewegung jener Tage, wird vom Verf. ins volle
Licht geftelt und der ſchielenden Anficht ber Parteien enträckt.
Übergeugend für jeden Unbefangenen ift feine kiare Nachweiſung,
wie die Shatfachen fi) aus ihren Keimen naturgemäß entwidels
ten; ruͤhmend anzuerkennen ift feine Gewanbtheit, bie Thatſachen,
feinem Bwede und ihrem Zufammenhange gemäß, zu gruppiren
und als georbnetes Ganze einer gründlichen Beurtheilung zus
gänglich zu machen. 15.
Mancherlei.
Gervinus in ſeiner, Geſchichte der poetiſchen Nationalliteratur
der Deutfchen” (Thl. 2, ©. 295) bemerkt über Nürnberg, es
feien deſſen reiche Bürger im 15. Jahrhundert bürgerlich in ihrer
Lebendart geblieben, und: „Wie unendlich verpflichtet find wir
diefen Städten für das Gedeihen ber Reformation; benn ibr ge:
funder Berftand, fo überlaben er vorher mit ſcholaſtiſchen Spitz⸗
findigleiten und bürren Dogmen war, griff mit um fo größerer
Sympathie nach ben neuen kehren Luther’s und nach der neu⸗
gebotenen Schrift." Überhaupt laͤßt fi das Chriſtenthum,
welches ber Reformation eigen, als ein Bürgerliches, im Gegen⸗
fag zu dem Königlichen und Kaifertichen beö Papſtthums begreis
fen. Es bat weniger Prunk, Aufzüge, Feſte und die Geiſt⸗
lichen, mit hinreichend mäßigen Sinkünften, ſtehen als Fami⸗
lienväter mitten in der Bürgerreihe. Den Großen und Maͤch⸗
tigen mußte dies wunberlich bünfen, da fie fonft Alles viel beſ⸗
fer gehabt als gemeine Bürger durch Seelenmeſſen, Ablaß,
fromme Stiftungen, und man darf flaunen, daß fie in bamıas
iger Zeit zum Theil von Bürgerfinn und Bürgerlichkeit fo forts
geriffen wurden, um bie Reformation zu befördern. Kommt
aber Ariftofratismus und Hoffinn bei ihnen und bei reichen Bürs
gern zum Durchbruch, fo wird ber Eifer für proteftantifches
Ehriſtenthum finten und bie Gewogenheit für Katholicismus
felgen. Dies ſcheint in unſerer Beit ber Fall; denn Gpigkes
. en und Dogmen, welche ebenſowol im Proteftantismus
ſich eingefunden haben als im Katholiciemus, koͤnnen
Liebe und Abneigung nicht entfcheiben. Der Elberfeider Krums
macher prebigte in Berlin: „ein wahrer eigentlicher Chriſt gehe
durch die Welt incognito, wie ein großer Herr, feines bhöhern
Ranges ſich vollkommen bewußt’; unb gewiß muß ibm baun
bie Euft anlommen, feine Glorie zu zeigen, wie Krummacher
felber, ber, mit dem Aufiehen, weiches er in Bremen gemalt,
noch unbefriebigt, au auf den Kanzeln ber Königsfabt bes
wunbert fein wollte. Da wird nun Roms Auffoderung lauten
und muthmaßlichen Bingang finden: „Kommt ber zu mir, theure
Incognitos, Ariſtokraten, laßt eure unſichtbare Kirchenhoheit zu
einer fichtbaren werbeu, bamit ihr auf den Stühlen leuchtet
vor dem Bürgertum ber Gemeinen!“
Wie CEhriſtus im Sinn ber hoͤchſten religiöfen Liebe fpriät:
„Liebet eure Feinde”; wie er binzufegt (Ruf. 6, 32): „fo ihr
liebt, bie euch lieben, was Dauks habt ihr davon? benn bie
Suͤnder lieben auch ihre Liebhaber‘: — fo ſpreche man im Ginne
ber hoͤchſten welttichen Liebe: „Liebt euern Rädhften, auch wenn
er Teine Liebenswürbigen Gigenichaften, ja felbft vielleicht wibers
liche beſigt; denn fo ihr Liebet die Gigenfchaften, welche euch
gefallen, was Danke habt ihre davon? Solches thun aud bie
Rieblofen und ergögen ſich an Demijenigen, was fie belufigt.”
Das höcfte But bes irdiſchen Daſeins ift eine uneigennägige
Liebe, und biefe iſt bleibend und unabhängig von Gigenfchaft,
vom Alter, vom Geſchlecht und währet bie in ben Tod. Aber
das hoͤchſte Irdiſche iſt fo felten im Leben als das chriſtliche
hoͤchſte überirdiſche, und jenes wäre gleichſam ein Vorbild des
letztern.
„Es hört und lieſt ſich ſelber Gott in Dichtern!“ — ſingt
ein neuerer deutſcher Poet. Alſo weiter: Gott hoͤrt und betet ſich
ſelber auf den Kanzeln, Gott hoͤrt und fpeculist ſich ſelber auf
philoſophiſchen Kathedern, er lobt und preift ſich ſelber in Das
vid's Pſalmen, er buͤßt und kaſteit ſich ſelber in frommen
Kioͤſtern, beurtheilt und verdammt ſich ſelber in Ketzerrichtern;
hoͤrt fi in einer Allocution bes Papftes, Ueſt ſich in jeder
Dogmatik, jedem Geſangbuch. Die Menihen aber hören un
Icfen Nichts von fi), fondern Alles von Gott, wobei nur zu
Fyendern, daß ihre Hoͤrerei und Leſerei nit beffer, nu
t.
Literariſche Anzeige.
Most (Dr. G. F.),
Encyklopädie der gesammten Volks
medicin, oder Lexikon der vorzüglich-
sten und wirksamsten Haus- und
Volksarzneimittel aller Länder. Nach den
besten Quellen und nach dreissigjährigen, im \n- und
Auslande selbst gemachten zahlreichen Beobachtungen
und Erfahrungen aus dem Volksleben gesammelt.
Erstes Heft: Aalsuppe — Brennnessel.
Gr. 8. . Jedes Heft 15 Ngr.
Der Name des Herausgebers, der dem Publicum durch
seine übrigen Schriften hinlänglich bekannt ist, bärgt fir
den Werth dieses populairen und gemeinnützigen Werks
Es wird aus fünf Heften bestehen und die übrigen Hof
werden in kurzen Zwischenräumen folgen. -
Leipzig, im Juni 1843,
"F. A. Brockhass.
Berantweortliger Herausgeber: Deinrih Brokhaus. — Drud und Verlag von F. U. Broddand in Leipzig
⸗
m War
am
u N 5 wi
Blätter
für
literarifhe Unterhaltung
Dannersteg,
— — — — — — — — ——
Meifeliteratur.
welter unb letter Xrtiker.
(Befhluß aus Nr. 178.)
19. Wanderleben am Buße der Alpen. Den Neifenden am
Senferfce gewlomet von Emma von Niendorf. Beilbronn,
Duchslee. 1843. 8. 1 Ahr. 927, No:
Abſicheich laſſen wir auf das role Buch des Hei⸗
maners biefe Neiſeſchrift einer, wie glauben jungen, ver
muthlich auch huͤbſchen, jedenfalls aber liebenswuͤrdigen,
mit Gemuͤth, Phantafle und bidyterifiher Anſchauung be:
Dane folgen. Ihr Buch ift uns weniger feines
öbjectiven Inhalts als der fich ‚darin ausfprechenden In⸗
Woidualität und Subjeerloität wegen intereffant und ges
Hort zu derjenigen Gattung von Schriften, welche man
in Frankreich die intime genammt hat. Die Berf. verin:
merlicht Alles; ja, die Natur ſelbſt erfcheine in Ihren Schit
derungen fa nur wie ein Mefler ihres Innern. Diefe
deutſche Raturauffafſung — welche Übrigens leicht auf
Abwege führen kann und ſekbſt Im der Malerei die Füße
Ach ſten und myſtiſchſten Gebiſde veranlaßt Hat, indem
man das Lebloſeſte ſelbſt zu einem netto geiſtigen Leben
gu fleigeen füchte — charakteriſirt fie felb im Gegen⸗
{ate der franzöftfchen wie folgt: U
Raur aunahmsweiſe werden Deutſche und Frauzoſen ſich
nerfleben, won 06. fi dom ber Nass handelt. Sie ſehen bie
Matur nicht wie wie mit dem Herzen, aur mit den Augen unb
mit dem Geifte an, können weift nur den guten Geſchmack wuͤr⸗
digen und nach diefem Maßſtabe die Geſtalt der Zelfen, die JFarbe
des Sees beurtheilen; durchblaͤttern bie Natur wie ein koſtbares
Am & Spracht geführichenes Bud Die Franzofen
Zehen miht in der Natur, fe
ter Laͤrm, daß alle offenbaren Träume, alle Dichtungftimmen
darin ungehört verflingen. Die Zranzofen bleiben mit der Na-
sur ſtets im ‚Somverfationstons es HE Eein Bichesbündmiß, ja füße Nachtigall nur mehr eine Sage find. Die ganze Nafur
ebadıtung be& Charakters, in der Anakyfe ber Zeidenfchaften, in | a8 anlegt den Menſchen nur mehr ıwie fein verlorenes Para⸗
harf das -
her nur auf den Menfihen und feine focialen Berhättniffe
wicht einmal Jerunbſchaft. baben jene ea auch in Ve⸗
Der ganzen Seelenanatomie fo weit gebracht, weit fie
ri
au von Ihrem gewandken Stile ein Veifpiel ſeinz aber
en. Gr iſt ihre einzige Natur In dem Gteinmerre Paris.
Das M geifteeih und meiſt auch richtig, und mag.
Diefe Art, zu betrachten und zu ſtillfiren, entgeht bet Ge:
Jahr, manferirt zu werden und im Phraſen auszulaufen, ':
nicht 53 auch nicht bei der Vorf. kun hoͤre, wie
L der: & ‘ ' .
. Berge Snud alkin ſcheint den Zauber zu beiten, dem bie
188. —ñ——
rauct
J nenpfeile bligen; gluͤhendes Ahendſonneng
jehen in ber Gonveniang und ganz
abforbirt von der Realitaͤt. Es iſt ſolche Zerſtreuung, fo bun⸗
20. Juni 1843.
Natur Rede Keht. In ben Schriften ber geninien Franzicn
wie von Neſſerfoͤlen; Loweinen donnern drein, ba
old ſchwebt um einfame
rd Zönen und Däften zieht durch die unbewegte Luft.
it Erlaubniß, ſchoͤne Dame! das find Phrafen,
I wie fie auf dem Markte der Literatur jetzt täglich rlge
boten werden, poetifhe Windbeutel und Bonbons,
im Munde zerrinnen, und es bleibt nichts von ihnen
| übrig als hoͤchſtens ein ſuͤßlicher Nachgeſchmack. Wenn
man zu George Sand's Schriften fagen kann: Ihr feht
aus wie eine Alpengegend! muß man mit bemfelben
Rechte doch auch zu einer Alpengegend fagen koͤnnen: Di
ffehft aus wie die Schriften von George Sand! Und daB
wäre doch wahrlich ein Weniges verrüdt. Zumellen ges
räth die Verf. in wirklich Eindifche Phantafiefpiele, 3. 8.
wenn fie fagt:
Wie lange no und ber Dampf trägt Voͤlker im Ft
durch die @uft! dann wird es Leine Bogel mehr geben —
werben en, wie bie Fiſche aus dan Maſſer wegbliehen,
Nas bi ‚peitichen — . -
aber, mein Himmel! ſolbſt angenommen, daß Luftdampf⸗
fahrten ein Traum wären, wo follen denn die Vögel
bieiden? Glaubt die Berf., daß unſere Luftdampfſchiffe
ſo zahlreich ſein werden wie Fliegen oder Muͤcken, daß
Jeder ſtine eigene Luftdampfequipage haben wird? Auch
bie, Fiſche ſind, trotz der Mäderfchläge, noch immer tm
Waſſer geblieben und nicht aufs Land gezogen. Mein,
im Nomen der Vögel ſtattet Ref. ber Verf. für die
hetzliche Theilgahme, bis fie ihnen widmet, feinen Dank
ab, muß fie aber zu beruhigen ſuchen, denn bie Poͤgel
wenden fich aufsgt an Die Euftbampfinagen gewöhnen, unb
de Luft iſt ja fo weit, fo weis, und der Vogel fo ge
ſchwind. Die Verf. malt ihren Traum noch weiter aus:
Zage können kommen, mo bie ſchmetternde Lerche und bie
dies gelten. Oas iſt gerade das Daͤmoniſche in Allem, was das
OBirn bei n unabhängig: vom Herzen hervarbringt. Das
Din will ohne Gott ſchaffen, und biefer kann bo, mei ar
elbſt Eein Gott iſt, nicht ohne Bott fein — die alte Geſchichte
vom ann —7 — . tonnen Ka ——
en flrasburger), wie an Lerche un
rein Brmönftiger mehr Blaue. nt
: Wie die Berf. Sefehle — nur tathen wir ihr, den
fishdeutichen Propinzialieamus nar mehr”, ben mis jegt
ſehr häufig in Schriften wen Suͤbdentſchen finden, mit
dem tichtigeen „‚num wech" Sanftig. zu vertauſchen. Oder
07
ift die Zeit fon da, wo man an bas tfhe „nur
noch” nicht mehr glaubt, wie man künftig an Muͤnſter,
Nachtigallen und Lerchen nicht mehr glauben wird? Man
fieht, die Verf. neigt fi zu Brübeleien und Traͤume⸗
bin, und mit diefer Hinneigung huge auch ihre
Myſtik, ihr Glaube an Geſpenſtererſcheinuugen, un⸗
gen und Traumerfuͤllungen zuſammen. Zugleich iſt fie
perfönliche Freundin und fchwärmerifche Verehrerin Juſti⸗
nus Kerner’ und erzähle in deſſen Geſchmack mehre
Anekdoten aus bem Geifterreiche, die Ref. auf ſich beru:
ben’ laͤſſen niuß, ba er wol unter den fogenannten Geiſt⸗
‚zeichen jegiger Zeit, aber nicht in den Geifterreihen Be:
. Sanntfchaften angelnüpft bat. Aber pfochologifch intereſ⸗
Samt iſt der Fall von einer. Kindsmörderin zu Bern, die
zum Tode verurtheilt, aber mit funfjehniäheigem Gefaͤng⸗
niß, wenn dies eine Gnade iſt, begnadigt wurde. Ihre
Mutter kam auf freiem Felde nieder, wollte das neuge⸗
borene Kind umbringen und hielt es ſchon über ben
Brunnen, als das Kink zu weinen anfing, wodurch bie
Mutter von der beabfichtigten That zurückgeſchreckt wurde.
Die Berf. meint, diefer einzige Moment habe vielleidht
den Sünbenfluh auf die Serle des Kindes übergehen
laſſen. Der Vater Magdalena's, fo hieß das Mäddyen,
war Metzger; Magdalena hatte daher häufig Gelegenheit,
Blut zu fehen, und fie fah es gern, wo Blut war, ba
fand fie, da flarrte fie bin; es duͤnkte ihr wunderſchoͤn,
ſchoͤner wie Gold.
oft.
Der Geliebte, welcher. fie zur heimlichen Berathung Über
die Schritte erwartete, bie das drohende Verhaͤltniß for
derte, verirete fü und kam breinial zum Hochgericht. Fa
des Nacht vor dem Morde fah Magdalena im Traum
drei Meine Kinder auf einem Tiſche Liegen, die fie ermor⸗
dete und denen das fo gut thatz dies entſchied. Nach
dem Geſtaͤndniß ihrer That war fie ploͤtzlich ein anderes
Weſen; fonft roh, gewaltfam, leichtfinntg, erfchten fie nun
faſt kindlich zart; Biut Eonnte fie fortan nicht fehen.
Sie wurde Unterauffeherin im Gefängniß, verrichtete ihre
Pflichten mit liebevolifter Treue und wirkte auf die Sitt⸗
lichkeit der übrigen Gefangenen aufs wohlthaͤtigſte.
Das Bud) iſt in einem eigenthuͤmlich abrupten, fluͤchtig
geiftreihen, oft kindlich nalven Stile gefchrieben, bildet
zu den Schriften unferer blafirten emancipirten Touriſtin⸗
nen den volllommenfien Gegenſatz und gibt, wenn auch
weniger zum Nachdenken, doch zum Nachſinnen unb
Nachfuͤhlen häufige Gelegenheit.
20. Petersburger Skizzen. Bon Treumund Welp. Drei
. Zheite. Beipyig, Weber. 1842. 8. 4A Thir. 15 Nor.
Es iſt nicht Teiche, über dieſes intereffante Werk ein
treffendes Urtheil zu fällen, fo lange man nicht ſelbſt die
geſchilderte Localität und Nationalitaͤt an Ort und Stelle
und nad langer Prüfung kennen gelernt hat, alfo bie
Anfichten und oft Eeden Behauptungen des Verf. auf
Neu und Glauben hinnehmen muß. Was: it daran
wahr, was nie? Was ift In Rußland ſchwarz, was
fah ‚der Verf. ſchwarz? Hob er ubfichtlich die Schatten:
deiten Rußlands hervor ober bramgen fich. bisfe in einer
Das Goͤttlichſte ME Blut! fagte fie |
Seltſame Warnungen gingen ihrer That vorher.
‚ 718 H
Welle auf, daß aud ber unbefangene Besobachter fie nicht
verfhweigen kann? Der Verf. polemifire an einer Stelle
gegen Kohl, indem er meint: jedem mit dem Gegenſtande
genauer Bekannten trete, bei der Lecture des Kohl'ſcheu
Buchs Mar vor Augen; daß? deſſen Sf. "offenbar nur
kutze Zeit in Peterchurg gelcbt, daß man Ihn gut: auf
nahm, ihm Alles in ber Roſabeleuchtung vorführte, daß
er endlih mittels Benugung ſchon vorhandener gedrud;
tee Quellen fein Werk zuſammengeſtellt habe; auch macht
er darauf aufmerkfam, daß der anfangs bei Kohl hervor⸗
Sretende Enthufiasmus fi im Verfolge immer mehr abe
bämpfe, ein Umftand, ber auf die Vermuthung führe,
fein Werk fei nah einem Tagebuche verfaßt und dabei
die allmälig fich eingefundene, herabgekommene Stimmung
beibehalten worden. Treumund Welp, ein Pfeubonymus,
fheint allerdings mit Petersburg in eine intime Bekannt:
[haft getveten zu fein; er hatte vertrauten Umgang mit
ruffifchen Literaten und hohen Beamten; ex iſt der ruffi:
fhen Sprache, wie er fagt, ziemlich mächtig; er weiß mit
Schärfe und Verſtand aufınfaflen, fleht aber an Anmuth
und Lebendigkeit des Darfichung Kohl weit nach, iſt ein
geſchwaͤtziger Anekdotenjäger und im hohen Grade medi⸗
ſant, freilich auch gerade deshalb amuſant. Er iſt kenne
nißreich, ſpitig und wigig, ſcheint auch von ber Wahr⸗
heit feiner Ausfprüche innig uͤberzeugt zw fein; nur fehlt
es feiner Geſinnung an einge: gewifien Generofität, feiner
Darftelung an Kürze, feiner Auffaffung an Gemüch und
Gefühl. Der Berf. if won Kopf bis zu Fuß der nackte
kriuſche Verſtand umb alle Werzhge des Buchs Liegen
nach biefer Seite hin. Des JInucereſſanten findet ſich
übrigens im Buche fo viel, baf wie e6 mit gutem Ge:
wiffen Jedem zur Lecture empfehlen können.
Den üÜberſchriften nach enthält der erſte Thell: Ein
Gang durch Gaſtinoi Dwor uud Sehtſchugin Dwor“,
„Sommerpromenade und ein Sonntag in Peteraburg“
„Das Bet in Peterhoff“, „Eine Wintscpromenade”,
„Srühlingepromenabe burg einen Theil der Stadt“,
„Ruflands Manufacturen⸗ und Fabtikweſen““, Hanbel
und Zollweſen“, „Die Behörden”. Man ficht ſchon aus
dem Inhaltsverzeichniß des erſten Theils, wie mannich⸗
faltig die Gegenſtaͤnde find, die der Verf. erörtert, wobei
«6 nur wunderbar bleibe, daß ein und derſelbe Wann in
allen Branchen fo bombenfefl fein folte, um Aber bie
verfchiedenften Gegenftände ein gruͤndliches Urtheil abges
ben zu koͤnnen; benn während er im erften Theile über
Rußlands Manufacturen und Fabriken u. ſ. w. urtheilt,
ſpricht er mit eben demſelben Selbfivertrauen im zweiten
Theile über die peteröburger Policei, über die Leibherren,
die Öranntweinspacht, die zuffifche Geiſtlichkeit, Unterrichts:
und Bildungsanflalten u. f. w., im dritten dagegen Aber
Muſik und Theater, über Literatur und Literaten, über Cen⸗
fur und Genforen und andere ganz verſchiedene Gegenfländr.
Da das Hauptintereſſe der Buchs in amekdotendhe-
lichen Mittheilungen berußt, fo führen wir deren einige
on. Alles in Rußland bezieht ſich auf ben Zar, dem
der Verf. großes Lob fpendet, ber aber aufs raffinirtefle
bintergangın wird und degegen ‚nie zur "geimdliden Eins
Rt in die ihen michfiitigchten Be
en gelangen, kann, wie der MWerf. zu verflchen gt.
5 {ft niemals ein Policeiofficdant zu fehen, wenn ſich
bes Kaiſer auf der Promenade befindet, aber wol vor:
und nachher, ja der Verf. ſah bei ſolchen Gelegenheiten
einige Policeiroͤcke fi) vor bem Kaifer in nahe offenftes
Bende Häufer fo fange verfteden, bis dieſer voruͤber war,
und bemerkte genau, wie die Träger der mit Recht ver:
ſchrienen Uniformen duch Thuͤtlucken alles Vorgehende
beobachteten. Redet der Kaifer, was er häufig thut, Je⸗
mand auf der Straße an, fo fällt die Polkel ſofort Aber
den Angeredeten her, um ihn auszufragen, was der “Do:
narch gewollt? So redete einſt der Kalfer einen beliebten
Schaufpieler des franzoͤſiſchen Theaters auf der Straße
am und, kaum vom Monarchen verlafſen, ſollte der Schaus
ſpieler dem herbeieilenden Policelbeamten Rechenſchaft von
Dem geben, mas er gewollt habe. Der Künſtler aber
antwortete raſch: „Seht! dort geht er noch, fragt ihn
ſelbſt!“ Dex Univerfitätsbirector zu Kafan, Fuͤrſt Muſin⸗
Puſchkin, ließ das Local der Univerfitaͤtsbibliothek faft ein
halbes Fahr Allen und Jedem verſchließen, weil daffelbe neu
angeftrichen worden und man den Wunſch begte, Seiner
Majeſtaͤt bei deflen zu erwartendem Beſuche diefe Sau:
berkeit vor Augen zu bringen. Miniſter Uwaroff ließ
eine geraume Zeit in den Wintermonaten alle Räume
bes neueingerichteten Univerſitaͤtsgebaͤudes täglich heizen,
obgleich gerade Holztheuerung flattfand und während bie:
fer Zeit gerade Serien waren, blos weil man einem Be⸗
fuche des Kaiſers entgegenfad. Altes Liegt ber Policei
daran, genau zu erfahren, welche Straßen der Kaifer auf
feinen Promenaden berühren werde, und dann wird Alles
daran gefegt, den Koth, ber fonft vielleicht das ganze
Jahr hindurch liegen geblieben fein würde, aufzuräumen.
Wo der Hof bie Wahrheit hört, verfchlieft er ihr das
Ohr nicht. Hiervon erzähle Welp folgendes Beifpiel:
Der Thro ee und beflen ebung fand vor mehren
Jahren — Pi Yemen man —* die Are
hatte, durch Hunde hegen zu laffen unb es wurbe
gu hiefer Diorgenumterhaltung auch ber kaiſerliche Leibarzt, Staats⸗
. zauth Reinhold, eingeladen. Ginmal und wenige Augenblicke
bemufsige ber Sihronfoiger Ihn um bie Nrface eines Kegel
dem er ihn u Urſache
bene 8 te. Ohne Umſchweife —2 derſelbe die Beſchaͤfti⸗
eine bes Prinzen unwuͤrdige, und ſeit dieſem Tage
— keine dergleichen mehr ſtattgefunden haben.
Hieran ſchließt der Verf. folgende ſeltſame Mitthellung:
Der König von Preußen, Friedrich Wilhelm III., warb oft
ungeduldig, wenn fein Reitpferd im Sommer nad den liegen
flug. Serviliſten veranftalteten daher, baß bie Pferbe eigens
zur Srtragun des Fliegenſtichs dreffict wurben, indem man fie
mit Honig ichen in die Sonne führte und ba zweckdienlich
%
Einige der interefianteften Gapitel tragen bie Über⸗
ſchriften ‚Der Leibherr“, „Das ruſſiſche Volk in Peters:
burg“ und die „Deutſchen in Petersburg”. Die Ruſſen,
namentlich die zuffiihe Dienerfchaft, kommen dabei übel
weg. Jene ſchildert ex als kriechend, fchlau, gewinnfüch-
eig, von flacher Gutmuͤthigkeit, bei aller Schlauheit ftupib.
Mit vollem Rechte, fagt ex, ruͤhme man bie leichte Auf:
6 und ters | faffunpögabe dee Buffen, aber menige
te Babe mem bisher
ben nathrlichen Begleiter dieſes Talents, die Obeiflaͤchlich⸗
keit, hervorgehoben; der Ruſſe ſchmiege ſich in Altes,
eigene fih Alles an, wenn er gezwungen werbe oder fel:
nen Vortheil Dabei zu machen denke; allein ec bemächtige
ſich der Gegenflände nur mechaniſch, ohne geiftig einzus
dringen. Schimpfwoͤrter, wie „Sohn einer Hündin”,
gelten ihm faft als Schmelcheleien; ber gemeine Ruſſe
weiß e6 nicht anders. Eine Ercellenz, die von einem ges
meinen Ruſſen auf der Strafe angeranmt wurde, fuhr
ihn mit dem wenig fchmeichelhaften Ausrufe „Schwein!“
an, worauf diefer gemuͤthlich antwortet: „So ift «6;
entſchuldige, Bäterchen!” Der Gehorfam des gemeinen
Ruſſen geht bis zu Stupiditaͤt. So erzählt er von eis
nem Diener, dem fein Herr einen Brief zur Beſorgung
gab. Der Diener mußte über die Newa; er konnte aber,
ihm fein Here Geld mitzugeben vergeffen hatte, die
berfabhet nicht bezahlen, und fprang nun mit böchfter
Lebensgefahr von Eisſcholle zu Eisſcholle, um den ihm
gewordenen Auftrag pünktlich zu erfüllen. Die Deutfchen
führen, nad) des Verf. Anſicht, in dem an fi freudens
lofen Petersburg ein ziemlich triſtes monotones Leben;
kurz, das Reſultat diefed Buchs iſt die Warnung: „Nur
nicht nah Norden!” 9. Marggeaff.
Altdeutſche Literatur.
1. Parzival und Ziturel. WRittergedichte von Wolfram von
Eſchenbach. Überfegt und erläutert von K. Simrod.
Zwei Bände Gtuttgart, Gotta. 1842. &r. 8. 5 Thlr.
2. Gesta Bomanorum, das ditefle Maͤrchen⸗ und Legendenbuch
des chriftlichen Mittelalters, zum erſten Mate vollfiändig aus
dem Lateinifchen ind Deutfche übertragen, aus gebrudten unb
ungebrucdten Quellen vermehrt, mit Anmerkungen und einer
Abhandlung über ben wahren Berfafler und bie bisherigen
Zubgaben und Überfegungen beffelben verfehen von J. @. X.
Gräffe Zwei Hälften. Erſte Haͤlfte, die erften 140 Ges
fpißten enthaltend. Dresden, Arnold. . 1842, 8. 2 Thir.
r.
3. Der Froſchmaͤueler. Komiſch-⸗didaktiſches Gedicht von G.
R al 1 enh .. h une an gon * 0 h er Gr es
nebir. nzethnungen von Levy Gifan. ejel
Kloͤnne. 1841. 8. 1 Thir.
Das Beſtreben, die literariſchen Denkmaͤler unſerer natio⸗
nalen Vorzeit immer bekannter und zugaͤnglicher zu machen,
greift in erfreulicher Weife mehr und mehr Platg. Diefem Bes
ſtreben gehören die vorliegenden gungen an. In Re. 1
gibt und der befannte und gluͤckliche Überfeger der „Nibelungen“
und des Walther von der Vogelweide auch den größten er,
nicht, wie Friedrich Schlegel meinte, ber Deutſchen überhaupt,
bes beutfchen Mittelalters, dergeftalt wieder, daß er mit
Beibehaltung bes Beramaßes Zeile für Zeile in unfere Sprache
fo überträgt, wie er fie in der feinigen erfand. „Wohl weiß ich‘,
fagt er in der Ginleitung (©. ), „wie viel ich wage, im
dem ich Werke des 13. Jahrhunderts in ihrer urfprüngl
Geſtalt dem 19. biete; aber das Wagniß wäre größer geweſen,
wenn ich fie biefer eigentyämtichen Beftalt entkleidet hätte, benn
ſchwerlich würbe ich ihnen eine, dem Inhalte gemäßere gelichen
haben.” Wir mäflen dem Überſetzer beipflichten, wenn wie
gleich nicht verfennen mögen, daß es fchwierig fei, auf biefem
Wege feinen Gedichten allgemeinere Zugänglichkeit anzubahnen.
Dem Zeitgeſchmacke wird bie vorliegende Überfegung nicht gang
munbredht fein; es fteht indeß zu hoffen, daß es Manche gebe,
galgenr
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38 bekannte eiterarbiſtoriter Graͤſſe hat in Rr. 2 den
Xofang einer Überfegung des bekannten Pifforiendudjs veröffentz f
8 unter dem ım der „‚Gesta Romanorum‘' eine .
a eh wefdhäftig, gu gerfioeut: 06 fehle ide Dee Humor,
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blos ale Erzaͤhlungen alten Lateinifchen de, Tondern | einer enden Kraͤntiichteſt: die Seeien ziel
en, lateiniſch noch ungedruckten Mebactton ente | in
au) cin meh
‚Hanbfdeift son &3 Wefdyieen der Genen, die üyum | bisfe
6 Srimm mittbeilte; ingieichen will er in eines beigefügten | Goban if walere Zeit zu mei
Feder feine Sntdetungen und Meinung über den wirds | «6 ipr. —X Tugenden Pe —X —8
der
mertt, in ve Sammlung fehr fpöne, größtentpeild nody uns wis feiner feiok Bir
et dee auch Pi dem | ids Zpeater, von dem Mufe — eher Chaufpitet a
abſprechen, fo if | gezogen, oder von ber ragt der Decorationen, ober zum Zeu ⸗
eibe, » aber das Sefte und das irffie im
fer geist einer weit zugänglichern ats der afthodbentfäen) | Drama Mi am ums weggmworfen. Das Duama gehhrt der der
Spra⸗ Haan Fe a —— fü Fein 7 Aigen irn he a na yrh
efen fein mödte. Zul t wit diefes, u ’ ns iteten ſocialen Sutereffen
Ur mit Genuß hintereinander fortiefen, ba ſich manche Bir darum gethan. 8.
—5 Ein polniſches Jouraal In England.
inftig abuetheifen, um fo mehr, da derfetbe in feinem . -
Franc] — et ned —S el und Beifägung Was man nit Alles erlebt und aus England betommtt
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wab Interpunctie ‚u fpredhens mateietl, Indem ex etwas | Eiber ‚Dimmel, wer werfücht benn in Emglank peiniid
Hoc ıin Büeapel vor ade miatil, ninnd air Gryehime mern do6 [ei mir in Deutfhtenb une wenlg heran.
aus dem Altextbume, alle Wegiepungen auf das v⸗ , | Wmd gut, bie „@chottifden —e Find für Pol
ftänd erſchweren GSuiden (15 Ror.) verfauft werden. Rußland, fi
A 8 y taum zu — — lauert ae —X — —
Gange beim modernen Geſchmache und Werkändniß näher ges | Mit, und das iſt mit das Merkwardigtte an diekm in
Sracyt worden; allein fraglich, bleibt «8, ob Diefs Werbionf, | Hrrausfommenden Journale. Auf das forgfättigfte
mod) mehe, ob ber MWeifall, den ſich ber Überfegee bafılz bei | Dermicden werben, was ben Kuffen Anftoß geben
dem großen Publicum verfpeedgen darf, bie Bebmken auftniegt, ae einige Kae RE mine ine Fi
Be een anti. Joaf, und nit mie Amt entugene Sue reißen wörte. Be nsalt foi fan ve
Grzähbungen,
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Kiterarifhe Notizen aus England. Anwerbung, Rotizen über Jabriten, topographiſche —
Über den Beruf unferer Zeit für das Drama. ueen’s College in Glasgow (ein neues Grgichung!
a ne Fa Be Be | BES RER EEE EEE
2 ") „Edwin air’ im
mQuarteriy review! unferer Zeit die bramatifähe Bäpipteit ab, | Bon Giähten m. [. m. naher
Beraatwortlicher Deraudgeber: Heinzih Broddaud. — Drud und Werlag von . X. Brodheus im Leipzig.
Blätter | ==
für
literarifde Unterhaltung.
Breitag,
in Merico.
Unter dieſer Auffchrife heißt es in der Beilage zur
augeburger „Allgemeinen Zeitung” vom 10. April d. J.:
Die Frau eines nach Mexico gehenden ſpaniſchen Geſand⸗
ten bat fi dem Zune... . . dee Touriſten angeſchloſſen und
the eben publicirtes Reifejournat ift fo lebendig gefchrieben, daß
ein paar Auszüge auch hier nicht an unrechter Stelle fein moͤch⸗
ten. Ihr Gemahl ift des Deutſchen ganz mächtig und hat den
„Sheron‘ metrifh ins Spanifche überfents fie ſelbſt iſt von
Geburt eine Schottin.
Damit flellt der Berichterſtatter dem Eugen Lefer ans
heim zu errathen, wo und in welcher Sprache das „Reife:
journal’ erfchienen ift, ob fpanifh und in Spanien, weil
die Berfaflerin „die Frau eines fpanifchen Geſandten““, ob
deutfch und in Deutfchland, weil „ihe Gemahl des Deuts
fen ganz maͤchtig“, ob englifh und in England, weil
fie „von Geburt eine Schottin”. Die Wahrheit if, daß
das Buch zuvoͤrderſt Fein Reiſejournal, fondern laut Ver:
ficherung des Hm. W. H. Prescott, befannten Verfaſſers
einer trefflihen „Geſchichte Ferdinand's und Iſabellens“,
ans wirklich gefchriebenen und bee Publicitaͤt nicht bes
ſtimmten Briefen zufammengefegt, daß dieſe Briefe englifch
gefchrieben und das Buch urfprünglih In Nordamerika,
der jehigen Heimat der Verf., unter dem Zitel: „Life in
Mexico, during a residence of two years in that coun-
try, by Madame C— de la B—” erſchienen und 1843
von Chapman und Hall in London für ihre mohlfeile
„KBoreign library” nachgedrudt worden ifl. Den Namen
der Dame hat der Berichterstatter richtig herausgefunden,
theils mittel& der gegebenen Anfangsbuchftaben „G— de
la B—”, dann mittel® der von der Verf. häufig genug
wiederholten Bemerkung, daß fie die Gemahlin des „Sefor
Don A. C. de laB-—, Minister plenipotentiary and En-
woy from H. C. M. to the Republic of Mexico”, und
drittens mittels der leichten biplomatifchen Weisheit, daß
es ein Here be la Barca war, ber zu Ende des Jahres
1839 der Repubtit Mexico die fpanifche Anerkennung ih⸗
rer Unabhängigkeit uͤberbrachte. Bei diefer Sendung bes
gleitete die Verf. ihren Gemahl, blieb bis Ende 1841 in
Mexico und hatte allerdings durch ihre gefeltfchaftliche
Stellung ausgezeichnet gute Gelegenheit, nicht blos bie
Sitten und Denkweile der Mexicaner, fondern überhaupt
30. Suni 1843.
Alles kennen zu lernen, was für das Ausland Intereſſe
haben kann. Sie hat die günftige Belegenheit vollftändig
benust, d. h. auf ihre Art. Sie überläßt Andern, infos
weit es nicht bereits gefchehen, die Truͤmmer von Mericos
einfliger Größe zu entdeden, den Vorhang aufzurolien, hin⸗
ter welchem die Geſchichte diefes „Ägyptens des MWeltens’’
verborgen liegt, feine Künfte, feine Literatur, feine Tempel
und feine in Waldesdunkel begrabenen Städte den flaus
menden Augen: der alten Welt zu offenbaren. Ihre Pros
vinz find Skizzen aus dem Leben in Merico, malerifche
Scenerien und Heine Reifeabenteuer, Alles ohne Ziererei
und in heiterer Laune den Freunden daheim brieflich bes
richtet, bisweilen mit etwas Pfeffer und Salz, immer je
doch nur die Oberfläche flreifend und vorzugsweife Äußere
Gegenftände und locale Erelgniffe berühtend. Im Gans
zen erhebt fich alfo das Buch nicht über das leichte, flüchs
tige Geplauder, wie es einer gebildeten Frau bei der Un:
terhaltung mit ihren Steunden in bie Feder laͤuft. Aber
es hört ſich huͤbſch zu, ruht ſich bequem dabei aus, und
das hat auch ſeinen Werth.
Die Verf. landet In Veraeruz, fleht und beſchreibt das
glückliche Gemifh von Pomp und Lumpen, das allen Na»
tionen fpanifcher Abkunft eigen ifl, und gelangt per Dili⸗
gence wie gewöhnlid in vier Tagen nach Merico — wie
gewöhnlich, mern die Diligence weder zufammenbricht, noch
von Räubern verzögert wird, was beides keineswegs unges
wöhnlich ift. In der Nähe von Merico erwartet eine um:
geheuere Menfchenmafle zu Fuß, zu Wagen und zu Pferde
Seine Ercellenz fammt Gemahlin.
Wir wurden erfucht, eine fehr ſtattliche Caroſſe zu beſtei⸗
gen, ganz Garmoifin und Bold, am innern Himmel das Wap⸗
pen ber Republik, der Adler und der Ropal, in goldener Sticke⸗
rei. Vier edle weiße Roffe zogen uns. Inmitten biefes uner⸗
meßlichen Geleits son Truppen, Wagen und RKeitern hielten
wir in ber Stadt Montesuma’s unfere Entree.
In einer freundlich gelegenen Billa vor der Stadt,
ziemlich comfortabfe, erblidt die Verf. aus den Fenſtern
auffalfend charakteriftifche Gegenflände, infonderheit merk
würdige Dienfchengruppen,
brongefarbene Männer, ein Stuͤck wollene Dede ihre einzige
Hülle, auf den Köpfen leicht balancirte irdene Gefaͤße, genau
von bee Farbe ihrer Haut, fobaß fie im Ganzen wie terra
cotta- Figuren ausfehen; die Gefäße find mit weißen Zucker⸗
wert oder weißen Fettpyramiden gefüllt; Weiber In ihren ro-
bosos und kurzen, boppelfarbigen Röden, meift über und über
Drehen, gleichwol um ben Saum bes Unterrods ein Spitzenbe⸗
au; keine Strümpfe unb ſchmuzige weiße Atlaeſchuhe, für ihre
Beinen braunen Yüße ein wenig zu kurz; Derren zu Pferde auf
mericanifchen Sätteln mit ihren sarapess umberlungernde le-
peros (Bettler), wanbeinde Lumpenbändel, die ans Benfter kom»
men und mit verftellter Stimme erbaͤrmlich um Almoſen bitten,
ober im Begengange liegen, faulenzenb Euft und Sonnenſchein
ſchluckend, oder flundenlang im Schatten ber Dauer ober an
der Thuͤre in der Sonne figen; inbianifche Weiber, mit ihren
engen Rödkyen von dunkelm Zeuch und dem wirren, mit rothem
Band durchflochtenen Haar, die, um zu ruhen, ihre Körbe abs
fegen und inzwifchen bebachtfam das Haar ihrer kupferfarbigen
Sproͤßlinge unterfuchen.
Madame GSalderon eıfährt bald, daß ein wichtiger Eti⸗
kettenpunkt beridfichtigt fein will.
‚Alle Neuankommende, gleichviel wes Ranges und Gtanbes,
fogar die fremden Geſandten, müffen jebe einigermaßen ange
fehene Familie der Hauptſtadt in feierlicher Druckſchrift von ih⸗
zer Ankunft benachrichtigen und fi und ihr Haus gur Dispos
tion ftellen. Wer das nicht thut, bleibt unbeachtet und uns
gekannt.
Alſo wurden flugs Karten ausgeſchickt und zu allen
Stunden ſtroͤmte Beſuch ein. Jetzt handelte es ſich um
das erſte oͤffentliche Auftreten. Man kam überein, daß
es bei Gelegenheit eines zum Beten der Armen im Then:
ter flattfindenden Balles geſchehen follte, und da der Ball
ein bal costume war, entftand die ſchwierige Frage: wie
fi Heiden? Madame Galderon wählte den Anzug einer
Bäuerin aus Poblana, und die ausführliche Beſchreibung,
bie fie davon gibt, vechtfertigt die Wahl. Ich empfehle
das Coftum für Maskeraden, verfteht fih an Orten, wo
die Maskeraden noch en masque befucht werden. Aber
bie Frau Geſandtin irrte fih. u
Geftern — ſchreibt fie — befuchte mich ber Präftdent in
großer Uniform und in Begleitung feiner Adjutanten. Er blieb
etwa eine halbe Stunde, freundlich wie immer. Bald nachher
tam mehr Beſuch, und ale wir glaubten, daß er zu Ende, unb
wie zu Tiſch geben wollten, wurben ber Staattiecretair ‚ der
Kriegsminifter, der Minifter bes Innern und Andere gemelbet.
Und weshalb denken Sie, baß die Derren famen? Mid u bes
fhwören bei Allem, was Gefahr brohe, die Idee eines Poblana⸗
anzugs aufzugeben! Sie verfidyerten uns, die Poblanas feien im
Allgemeinen femmes de rien; fie trügen eine Strümpfe, und
die Frau eines fpanifchen Gefandten bürfe ein foldyes Coſtum,
und wäre es für einen Abend, fchlechterbings nicht anlegen.
Ich holte die Kleidung, zeigte deren Länge und wie anftändigs
half nichts, und da ich nicht zweifeln Eonnte, daß bie Herren
recht hätten und nur aus Güte die Muͤhe über ſich genommen,
fo gab ich mit guter Wiene nach und dankte dem Gabinetsrathe
für feine zeitige Warnung, obwol nicht ohne Beſorgniß, daß in
diefem Lande des Saͤumens es ſchwer halten würde, mir ein
anderes Goflum zu verfhaffen. Kaum waren fie fort, fo ers
fdyien Sehhor — im Auftrage einiger der erften hiefigen Damen,
die wir nicht einmal kennen unb bie dringend gebeten hatten,
mir als Fremden bie Gründe mitzutheilen, warum ein Poblanas
anzug, befonbers bei einer fo Öffentlichen Gelegenheit wie ber
Ban, bier zu Lande nicht geftattet werden könne. Ich war für
mein Entwiſchen wirklich dankbar.
Nach ihrem erften öffentlichen Erfcheinen fah die Verf.
täglich, etwas Intereſſantes. Die vielen religloͤſen Feier⸗
lichkeiten amuficten fie ungemein. Amuficten fie, fage ich,
denn nicht allein, daß fie felbft fich fo ausdrüdt, fcheint
auch ihrer Erzählung zufolge die Religion in Mexico eine
Art Drama zu fein, das täglid aufgeführt wird. In
der Charwoche erreicht es feinen Glanzpunkt. Da ruhe
jedes Geſchaͤft; von allen Seiten ſtroͤmen bie Landleute
herbei 5 die praͤchtigſten Proceffionen bewegen ſich durch
die Straßen.
Es kann nichts Maleriſcheres geben als Mexito am Gränen
Donnerflage. Kein Wagen darf fahren. Gendthigt alfo zu
Buß zu geben, benugen die Damen diefe Gelegenheit, ben gan⸗
n Reichthum ihrer Toilette zu entfalten. Sie tragen an bie
em Tage nur Sammer und Gelbe. Diamanten und Perlen
fpazieren durch bie Straßen. Die Wantillen find von weißer
ober ſchwarzer Blonde, bie Schuhe von weißem ober buntem
tla8.
Die Kirchen waren zum Erdruͤcken voll; bie Orgeln
fpielten felerliche Melodien und in funkelndem Geſchmeide
lagen taufend Andächtige vor den Altären. Den fhönften
Anblid gewaͤhrte die Kirche des Santo: Domingo.
Sie glich einem Kleinen Paradiefe oder einer Schilberung
in den Arabifchen Raͤchten. Alle Stufen zum Altar waren mit
Toͤpfen ber eriefenften Bitumen befeht, mit Drangenbäumen
voll Blüten und Fruͤchte, mit Roſengeſtraͤuch vol Bluͤten unb
Knospen, mit Kryſtallſchalen voll gefärbtem Waſſer unb mit
Fruͤchten aller Art. Käfige voll herrlicher Singvögel hingen an
ber Wand und in den Zwifchenrdumen wahrhaft gute Gemälde.
Gin heiterer Teppich bebedite den Boden, und flatt ber gewoͤhn⸗
lichen Figur bes gefreuzigten Heilands lag quer ver tem Alter
ein kleines Chriftustind, Lieblik in Wache boffirt, mitten zwis
ſchen Blumen, rings von Engeichen umgeben. Denken Sie fidh
dazu die Mufit aus „Romeo und Julie” und Ste können fi
vorftellen, daB das Ganze mehr einer Dpernfcene als einer
kirchlichen Feierlichkeit glich. Jedenfalls verfichere ich Sie, daß
id nie etwas Hübfcheres und Phantafiereicheres gefehen babe
als den Moment, wo bad durch die bunten Scheiben fallende
Licht der untergehenben Sonne Alles in Rofengiut tauchte, Boͤ⸗
gel und Blumen, Früchte, Gemälde und Engel.
Die nächte von der Verf. befchriebene Scene gehört
nach Stalien, dee Deimat romantifher Schaudergefchichten.
Ich machte neulich einen Beſuch, don dem ich Ihnen Tagen
muß. &6 war bei ber reihen Seüora —, deren erſte Biſite
ih noch nicht erwibert. Sie war zu Haufe und ich wurde in
ein großes Zimmer geführt, wo ich zu meiner Überrafchung bie
Lampen, Spieget u. f. w. mit ſchwarzem Krepp verhuͤllt fanb,
wie das bei Zobesfällen bier Sitte if. Alſo vermuthete ich,
dag Jemand in der Familie geftorben wäre und ich meine Be
fuchszeit ſehr übel gewählt. Dennoch feste ich mich, und mein
erfter Blick fiel auf etwas Fuͤrchterliches, dem Sopha, wo id
faß, gerade gegenüber. Gehe Stühle waren aneinander
ben und auögefiredt lag barauf eine Geſtalt, anfcheinend ein
tobter Körper, ungefähr ſechs Fuß lang, in ſchwarzes Zuh ges
f(hlagen, nur bie Füße dadurch ſichtbar, daß fie das Zud em⸗
porftießen. Schrecklich, fehauberhaft! Und da faß id, bie Au⸗
gen auf biefer geheimnißvollen Erſcheinung, mich in
Bungen erihöpfend, weflen Leiche eö wol fein könne Der Herr
vom Daufe? Richtig, ber war fehr lang, fehr fränkiidy, konnte
ſchnell geftorben fein. Daß ich angenommen worben, war fein
Gegenbeweis. Denn während der erften neun Tage nadk einem
Tobesfalle wird das Haus von Freunden unb Befannten wid
leer, und die Witwe, die Waiſe, bie ihres Kindes berambir
Mutter muß in ihrem erften bitteen Schmerze die We
gungen von Allen unb Jedem empfangen. Man fdheint bier
hicht zu willen, baß es einen Schmerz gibt, ber ſich nad) Ein
ſamkeit ſehnt. Je länger ich ſaß und dadhte, befto unheimlicher
wurde mir. Auch ſchien die Luft immer beklemmender zu wer⸗
ben und ich wuͤnſchte aus Herzensgrunde, daß ein lebendes Mies
fen tommen möchte. Sogar mich wegzuftehlen, fiel mix eim,
nur fürdhtete ich Anftoß zu geben, und meine Nerven waren
dermaßen gereist, daß, als bie Señora endlich eintrat, Ich von
meinem Sitze auffuhr, als Hätte eine Piftole geknallt. Sie trug
ein buntes Muffelinkicis und einen blauen 5 bis war
keine Trauer. Rach den üblichen Bingangscomplimenten' erkun⸗
digte ich mich angelegentlich nad dem Gemahl, immer einen
Geltenbiid auf ber my
Und die Kinder? Hatten eben bie Poden gehabt, waren bebeus-
tend krank geweſen. „Nicht gefährlich?” ſagte ich zögernd,
denn fie Eonnte ja einen großen Bohn haben und Hatte ihre
bern Kindern gemeint. „Nein“, aber bie Kinder ihrer
weiter waren gefährlich krank geweien. „Keine verloren ?
boffe id.” „Keins.“ Ich war fo zerfireut, daß die Unterkals
tung binfte, ich fragte und antwortete, ohne zu twiffen was,
bis ich endlich zufällig fragte, ob bie Dame balb aufs Land
gehe. „Nicht um zu bleiben. Wir gehen morgen, nur um eis
nen Santo Cristo — eine Bigur des Gekreuzigten — dinzu⸗
bringen, der für bie Kapelle gefertigt worben iſt“, und dabei
biickte fie auf bie Geſtalt, „deshalb iſt auch, wie Sie fehen, das
Zimmer ſchwarz bebhangen’. |
Der Handel mit ſolchen und ähnliden Figuren, aus
Wachs, Holz und .anderm Material iſt ſehr beträchtlich,
dagegen in den befjeen Zweigen bet ſchoͤnen Künfte ein
großer Abfall bemerkbar. UÜberal Flitter, das Nüglice
Mebenlace, ſchoͤnes Kußere u. f. w. Das Lied fingen wir
such in Deutſchland. Pruntende Proceffionen ziehen durch
Mericod Strafen; die Straßen find ſchlecht gepflaftert und
ungeheuer ſchmuzig. Die praͤchtigſten Kirchen ſtehen Je⸗
dem offen; der Fußboden ift von einer Beſchaffenheit, die
vor züchtigen Lefern ſich nicht befcheeiben laͤßt. Das Wes
nige, was die Verf. von ber Erziehung erwaͤhnt, zeigt
diefe auf niederer Stufe. Literatur exiſtirt eigentlich gar
nicht; ein Paar magere Zeitungen und eine Monatefcheift
fütlen die Lifte der laufenden Tageserfcheinungen. Man
dertreibt ſich die Zeit außer dem Hauſe mit Bällen, Maste:
raden und Feten. Megelmäßiger Fleiß iſt nicht anſtaͤndig
und alle Feidarbeit in den Händen ber Indianer und der
freigelaffenen Farbigen. Das Einfangen von Stieren und
Stiergefechte ftehen fortwährend unter den Volksbeluſtigun⸗
gen obenan. Die Verf. war einmal Zeuge.
Drei oder vier tiere werben beigefrieben. Sie machen ei:
nen Augenblick Halt und meflen ben Gegner. Blos mit bem
Zaſſo bewaffnet, galoppiven die Reiter heran und mit dem wil
ven, böhnenden Rufe: „Ah toro!“ fobern fie die Stiere zum
Kampf. Die Stiere hauen ben Boben und flürgen wüthenb auf
die Pferde, verwunden fie oft beim erften Angriff. In geftreds
tem Galopp geht es die Runde, Stiere und Reiters bie Zu⸗
ſchauer ſchreien und brüllen. Der Reiter wirft den Eaffo. Der
Stier fchättelt das Seit vom Kopfe, wiegt bie Hörner und gas
loppirt weiter. Aber fein Schickſal ift entfchieden. Rieder fährt
das wirbeinde Seit, umſchlingt feinen ſtarken Hals. Gr wird
geworfen, kämpft wüthend, bohrt in Wuth und Verzweiflung
den Kopf wieberholt in den Boden. Dann werben feine Beine
efeffeit und ein Dann, das glübende, ziſchende, zu einem Buch:
Gaben ausgefchnittene Eiſen in der Hand, brennt ihn auf ber
eite zum Zeichen, daß er nun bem Herrn bes Bodens eignet.
WManche Stiere erbulden das Märtyrertbum mit fpartaniichem
Heldenmuth; kein Laut entfchläpft ihnen; andere, fobalb das
GSifen ins Flieiſch dringt, ftoßen ein langes Gebruͤll aus, das
weit über das Land ſchalt. Dann werben fie loegebunden, fies
ben wieber auf, und gleich gebranbmarkten Kains treibt man
fie fort, damit fie andern Plat machen.
Beit dem Stiergefechte, welches bie Verf. fah, wurden
acht edle Thiere, eins nach dem andern, zu Tollheit ges
best, dann getöbtet und die Menge Elatfchte und jubelte.
Im Algemeinen — fagt die Verf. — iſt es ein ſchoͤnes
Schauſpiel, die Gewandtheit unterhaltend; nur das Verwunden
ſterisſen Geftalt- War ziemlich wohl.
und Martern des Seiert thut Enem Tinertich weh. Es kann uicht
gut fein, das Bolk an foldye bintige Anblicke zu gewoͤhnen.
Man follte es beinahe glauben.
Unerfättlicher Hang zu Bergnügungen, fehlerhafte Er⸗
ziehung, Mangel an Induſtrie, Schwäche der Regierung
und eine Art Deficit an gefandem Menfchenverflande ha⸗
ben die Republik Merico zu Dem gemacht, was fie in
den Augen der Verf. ift — ein Elein wenig beffer alt
eine Bande Markefchreier, Bettler und Räuber. Es
nimmt nur Wunder, wie ein folder. Staat beflchen Eann..
Inzwiſchen ift kein Grund vorhanden, die Angaben der
Verf. zu verbächtigen. So Hagt fie umter Anderm über
die Schwierigkeit, Dienflleute zu befommen, bie arbeiten
wollten, befonders wenn fie ihnen die Erlaubniß verweis
gerte, nebenbei ihrem penchant zu folgen und ſchmuzige
weiße aunsihuhe En tragen. A
„Warum feld Ihr aus Euerm Dienfte gegangen
monatlich 12 Dollars Hatter “hörte Ian einee Tages —
eine zerlumpte Bettierin fragen. „Ach“, antwortete fie, „wüßs
tet Ihr nur, welche Wonne es ift, nichte zu thun“
Und fo denkt und handelt die Mehrheit. Wie ift es
aber einem folchen Wolke gelungen, fit) von Spanien un:
abhängig zu machen? Die Verf. antwortet:
Dere is nothink like trying, wie ber alte Perruquier
fagte, als er, um Georg IV. eine Perüde eigener Erfindung
überreichen, in einem fleinen Boote der königlichen Yacht nach⸗
- zuberte, die vom fchottifchen Ufer aus noch fihtbar war.
Die Verf. hat Recht, es geht nichts über das Wer:
fuchen. So verfuchten denn die fpanifchen Golonien, das
Joch des Mutterlandes abzufchüttein, und bei der Unent:
fchiedenheit, wer am bornicteften, ob Mutter oder Tochter,
gab es unter dem Titel Krieg eine Menge Mannſchießen,
wenig Verluft an Menfchen, viel Verluſt an Eigenthum,
große Mühfeligkeiten, Beine Refultate. Das Ende war
eine Verfchlechterung der gefelligen Zuflände und für das
Eingeriffene kein Aufbau. Zuerſt die Mevolution 1810
mit Zortfegungen und Veränderungen bis zu ihrer Todes⸗
flunde 1819; dann Iturbide's Revolution 1821; dann
der Ruf: Freiheit — grito de libertad — aus den Keh⸗
fen der Generale, „bememeritos de la patria”, San:
tana und Victoria 1822; das Foͤderativſyſtem 1824;
die entfegliche Revolution von Acordada und Plünderung
Mericod 1828; das Centralſyſtem 1836 und die Revo:
Intion- der Zöderaliftien 1840: in 19 jahren drei Regie:
rungeformen und zwei Gonftitutionn, — es geht nichts
über das Verſuchen.
Eine Revolution heißt in Mexico ein Pronunciamento
und ſcheint dort leichter zu Stande gebracht als eine
Straßenbalgerei in Deutſchland. Die Verf. erlebte die von
1840 und man kann die Beſchreibung des tragiſchen Er⸗
eigniſſes nicht ohne Lachen leſen. Leider iſt ſie zur Mit⸗
tbeilung zu lang. Der Praͤſident, der damals von den
Pronunciados beim Mittagsſchlaͤfchen gefangen und in das
Kloſter des heiligen Auguftin einiogirt wurde, war Gene⸗
ral Anaftafio Buftamente, fein politifcher und flegreicher
Nebenbuhler Antonio Lopez de Santana. Über diefen
gibt die Verf. einige interefjante Notizen.
Bon Perfon ift er ein anfländiger, gut auöfehenber, einfach
gekteiveter Wann, mit einem Anſtrich von Truͤbſinn und einiger:
ſchwarzen Augen fi
feinee Mienen anmuthig. Mur bis
er von feinem Beine ſprach, das unter lm &n
if, zudte etwas in feinem Auge, bas Ginen 3*
gens find feine Manieren ruhig und anftändig, er im Ganzen
ein weit zierticherer Heid, ale ich erwartet hatte.
Ob e6 ihm möglich fein wird, Fake und Srieben zu
Hiften, laͤßt die Verf. fich nicht abmerken. Bekanntlich
bat der talentvolle Gutierrez Eſtrada wegen ber in Drud
ausgeführten Behauptung , daß Die einzige Rettung für
Merico die Errichtung eines conflitutionnellen Monarchie
ante einem fremden Fuͤrſten, fi genöthigt gefchen, bie
Fiucht zu ergreifen. Es fcheine alfo, daß biefes Mittel
noch zur Zeit keinen Anklang findet, und iſt das ber Gall,
fo wird Merico vermuthlich unter Santana oder eis
nem andern glüdlihen Soldaten bie Feuerprobe eines mis
Heairifchen Despotismus befichen muͤſſen, bevor es conſti⸗
tutlonnelle Freiheit genießen oder auch nur begreifen kann.
Das iſt für ein fo ſchoͤnes, geſegnetes Land eine truͤbe
Zukunft; es iſt aber eine, die auch der Verf. beim Schei⸗
den vorgeſchwebt zu haben ſcheint. Sie ſchließt mit den
Worten:
Es wird uns unmoͤglich fein, Mexico ohne Bedauern zu
verlaſſen. Mexico bedarf nur eine feſte Regierung, um eins ber
arſten Länder ber Welt zu werden. Santana bat viel in
feiner Gewalt. Reste à aavoir, welchen Gebrauch er davon
machen wird. Vielleicht bat er in ber Ruhe ber Iehten Zahre,
bie er auf feinem Gute zugebracht, ſich etwas ausgefonnen.
Sonderbar, indem wir Beine Übel zu umgehen fuchen, flürgen
wie in ungelannte Kiüfte des Elends. Aber im geheiligten Ras
men ber Freiheit laͤßt jeber Misbrauch fich ertragen.
4,
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— Brangofen N Gpanier, De
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Hiſtoriſcher Roman aus der Zeit der eaierung 3 IV.
Rad dem Sranzöfifhen von @. 2. Wefche. wei Bände —
.u. d. T.: Studien über die Bretagne. —* und Öter Band.
Brig, Kollmann. 8. 2 Zir. 15 Rgr
Der Proteftantismus in feiner @etbkaufiöfung. Eine theos
logifch : „politifähe Denkſchrift in Briefen von einem Proteflanten.
Zwei Bände. Schaffhauſen, Burter. Kl. 8. 2 Thlr. 7 Wer.
Rodt, E. v., Die Feldzuͤge Kart’d des Kähnen, te
von Burgund und. feinee Grben. Wit befonderem Bezug
bie Theilnahme ber Oyaeiger an benfeiben. Iſter Band. ch.
haufen, Hurter. = 8. 3 Thlr.
Schuberth, 3 , Muffalifcdyes Fremdwoͤrterbuch zum Ge⸗
brauch fuͤr Zontünflier und Muſikfreunde. Ste verm unb
berbefferte Auflage. Hamburg, Schuberth und Gomp. Ki. 16.
Siguier, A., Die Groͤße bes Katholiciamus. Aus dem
Franzoͤſiſchen. Mit einem Vorworte von einem Tatholifchen
Feitichen er Zwei Bände. Regensburg, Many.
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enwart in Seinen und Umriffen. Acr Theil. 3tes und Ates
Bert. era, Dotop. 1 Zhlr.
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bes be feiner Lebensart, wahrer Höflichkeit, Lebens⸗
weiſsheit und Weltklugheit. Jungen Maͤnnern, welche in die
Des treten, gewidmet. Sondershauſen, Eupel. @r. 12.
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ling’® durch eine vernunftgemäße Offenbarungslehre zu derſoh⸗
nen. Berlin, Herbig. Gr. 8. 124%, Rgr.
Vecqueray, F. G., Sine Stunde wahrer Andacht, ober
Bluͤtenſammlung aus ber katholiſchen Religion. Gin Andachte⸗
und Belehrungsbuch. Zugleich als Zugabe zu meinem motivirs
ten Glaubensbekenntniſſe. Herausgegeben nad beffen Tode. Mit
einem Stahiftihe. Regensburg, Manz. . 18%, Ror.
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Cliat. Zürich, Weyer und Seller. Gr. 8. 1 Zhir. 10 Kor.
Waſſerſchleben, H., Die —& Kirche in ihrem
Berbäitniie zu den foiabolifchen Büchern und zum Gtaate.
Breslau, Pirt. —F 8. 10 Ngr.
Willkomm, E., Gifen, Gold und Geiſt. Gin tragi,
komiſcher Roman. Vrei Theile. deipzig, Kollmann. 8. ar,
Dierzu Beilage Nr. |,
lien nd
ri En Date
Verantwortliger Herausgeber: Heinrih Brodbaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
. Dänden zerbricht.
Beilage zu den Blättern für Literariiche Unterhaltung.
Br. 1.
30. Juni 1843.
Blicke in das duͤſſeldorfer Kunft: und Kuͤnſtlerleben von
Friedrich von Üchtritz. Zweiter Band. Düſſel⸗
dorf, Schreiner. 1840. 8. 1Thlr.
Der erſte Band ift in b. Bl. hinlaͤnglich, ausführlidh und
anertennend befprochen worden *); über ben zweiten bürfen wir
uns um fo eher kürzer faffen, da wir uns mit ber Anzeige bei
felben ein wenig verfpätet haben, offenherzig geftanden, weit ſich
Ref. wenig dazu gedrängt fühlte. Auch der Kritiker Hat, wie
der Dichter, feine Stunden, feine Anregungen, feine Hervorbrin⸗
gungs⸗ und Raftzeiten, feine Eieblingez er fühlt ſich geneigt, dad
Urtheil über Buͤcher, bie ihn kalt ober gleichgültig laſſen, To
lange als moͤglich zuruͤckzuhalten. Dieſem zweiten Bande iſt
krinetwegs Werth und Bedeutung abzufpredken, aber er leiftet
Das lange nicht, was ber erſte auch für ben zweiten und bie
etwa noch folgenden Bände verfprady, es fehlt ihm der innere
Drang ber Nothiwenbigleit, aus dem der erfte Band erfihtiich
bervorgegangen wars und fo verfegte er auch den Berichter⸗
fkatter nicht in jenen aufgeregten Zuſtand ber Ab⸗ ober Zuneis
gung, der ihn deängt, ſich fobalb als möglich feiner Gedanken
Darüber zu entladen. Hr. v. lichtrig ift, um fo zu fagen, nicht
bei der Stange geblieben; er ſegt fein begonnenes Werk nicht
eigentlich fort, er fegt nur an, bald biefes, batb jenes Fragment,
lauter kleine Kryftallifationen einer Reflexion, die ibm unter den
Die weitläufige Betrachtung über Goethe
nehmen wir aus, aber auch biefe bildet nur ein größeres Bru
ſtuͤck in einem Bude, worin ber Lefer Aufſchluͤſſe über Kunſi⸗
und Künflierieben in Düffeldorf erwartet und ſich dafkr ſam⸗
melt und flimmt. Was, fragen wir, hat eine Abhandlung über
Goethe von 140 Seiten mit Düffeldorf gemein? Das mag Als
les ſehr fchön und wahr fein, was ba ausgefprochen wird, und
es ift auch zum Theil ſehr fchön und wahr, aber nur bier, nur
in einem Buche über duͤſſeldorfer Kunft will man vergleichen
nicht leſen; man hat Feine Anregung dazu unb jede Abhandlung
ſeht bei dem Lefer eine Anregung voraus. Der erfle Band war
offenbar ein Werk des Liebe, des Drangs, der Nothwendigkeit;
man fah, daß ber Verf. fein Herz ausſchuͤtten wolltes er fuchte
ein Publicum, er fand es; aber wir fürchten, daß ihn biefer
zweite Band um dies Publisum umd das Publicum — vielleicht
leider | — um bie folgenden Bände bringen wird. Gchabe we⸗
*) Bal. diesäder Nr. 265 und 208 f. 1648, DR
Lob nicht, weiches einem Anbern zu Theil wird, Wir können
und in bie unerquidtiche Lage, im welche ſich Hr. dv. üchtrit
nad dem Erſcheinen des erften Bandes verfeht fah, recht gut
bineindenten. Gr hat in die Eoterien der duͤſſeldorfer Kuͤnſtier⸗
fhaft wie in einen Saufen vol Ameifen, in ein Neſt vol
Schlangen, in eine Belle voll Wespen und Hummeln geftochen,
bie nun alle an ihm emporkriechen, ihn umziſchen, ibn begels
fern, ihn umfummen und umbrummen. Da bat er alle Hände
voll zu thun, nur die aufgereisten ungethäme zu befänftigen,
u beſchwichtigen, abzuwehren und unſchaͤdlich zu machen. Dies
ee Umftand träbt auch allerdings die erſte Hälfte biefes Ban⸗
des, weiche fpeciell auf bie däffelborfer Kunft Bezug bat. Dee
Verf. befindet ſich mit jenem Mann in gleicher Rage, weicher,
indem er ſich in einer Befellfhaft verbeugte, an einen Deren
anfließ, gegen diefen, um fich zu entſchuldigen, eine Verbeugun
machte, babei einem zweiten empfindlich berührte, abermals fi
verbeugte und entfdyulbigte, und fo ind Unendliche fort. Daher
ift auch das Raifonnement in diefen Partien fo kalt, fo zaghaft,
fo breit und immer in der Stellung eines Menfchen, weicher
Niemand beleidigen möchte, fo vielen Grund ex auch dazu bat,
unb bei Jebermann fid zu entſchuldigen wuͤnſcht, ohne eine Ent⸗
fduldigung nöthig zu haben. Dagegen werben wir freilich für
diefe Mängel durch mandye trefflihe Bemerkungen und Reflerios
nen entfchäbigt, bie wenn aud nicht von Driginalität, doch von
Geſchmack, Richtigkeit und Übung des Urtheild und Denkens und
gefundem Dienfchenverftande zeigen. Der Verf. findet für feine
Anſichten auch immer einen Haren ftiliftifchen Ausdrud, dem «8
ſelbſt nicht an Schönheit fehlt, wennſchon er im Allgemeinen
an einer gewiffen Farblofigleit und Monotonie leidet. Die pis
kanten und fo beliebten epigrammatifchen Spigen und Sprünge,
wie fie uns bei ben Modernen fo häufig entgegentreten, findet
man nicht bei Hrn. v. üchtritz; wir wollen das au nicht ta⸗
bein, verfiete er nur nicht zu häufig in den entgegengefegten Feh⸗
ler einer bald zu bebaglidden, bald zu peinlichen umfländli
Breite. Schlaglicdhter dienen oft mehr dazu, als ein zu allges
mein gehaltenes Licht, ein Gemälde bis in feine innerften Ges
beimniffe hinein beutiich zu machen.
Gleich das erfle Capitel fagt mit vielen Worten wenig, ins
dem der Verf. fi darin bin unb Ger windet und kruͤmmt, um
den Eefern und namentiich ben däffelborfer Malern deutlich zu
machen, daß er biefe keines im erften Bande beleidigen ges
wollt, noch auch wirklich beleib * habe. An guten Bemerkungen
fehlt es dabei keineswegs, 3. wenn Hr. v. üchtritz davauf
hinweiſt, daß wir in unſerer Zeit gewaltig anſpruchtvoll gewor⸗
den, daß wir uns wie durch einen kraͤnkenden Borwurf ernie⸗
drigt fuͤhlen, wenn uns nicht gleich zugeſtanden wird, in Kunſt
und Leben ein zweiter Michel Angelo oder wenigſtens Rubens
zu fein u. f. w. In ben folgenden Gapiteln fchreitet er zur
Sharakterifirung mehrer Notabilitäten der büffeldorfer Schule
fort, zuvoͤrderſt des Malers Hildebrand. Mas er bei biefer Bes
legenbeit vom Portrait fagt, wovon nad feiner Anſicht bie duͤſ⸗
feiborfee Schule ausgegangen fei, ift volllommen richtig und
wahr. Es ift noch nid gar lange her, daß die Kunftausftels
lungen — mir meinen befonbers die in Berlin — mit mehr
oder weniger misrathenen Portraits uͤberreich gefegnet waren 5
gegenwärtig ſcheint diefe Kunftgattung mehr verbrängt zu wers
den. Dr. v. Tichtrig bemerkt mit Recht: „Wie hören bier und
Fe die en — —— en niedrig ki ai an
r wol felbft den Anfpru ns; abfprechen, i
Heiligthume ber Kunft eine Gtaie zu finden. Ich kann biefer
Meinung nicht beipflidhten. Was zunaͤchſt bie Portraits der
itafienifchen und nmiederlaͤndiſchen Maler des 14. bis 17. Jahr⸗
hunderts angeht, fcheint fie mir eine mehr als ungerechte. Das
gefchichktiche Interefie, das es uns gewaͤhrt, bie Inbivibuen
vergangener Beiten in ihrer vollen Lebendigkeit und Wtrktläkeit
vor Augen zu erbliden, kann bei biefer Frage allerdings nicht
beruͤckſichtigt werben. Uber auch abgefehen davon madyen
jene Geſtalten in ihren Sewanben,
. ern
wie fie uns auf den Portraits eines van Dyk ober Tizian
entgegentreten,, jene abeligen Gavaliere oder ehrſamen Bürger
‚jene geharnifchten Krieger und anmu⸗
indruck, ben ich entfchieben als
&inn
empfinde. (ich verkennt er die Klippen nidge, welche ſich
—— —— Gegenwart, des zugleich eine kuͤnſtleriſche
Bebeutſamkeit erſtrebt, in mehr als einer Dinſicht entgegen⸗
ſtemmen. „Den heutigen Geſichtern“, rer er, „mangelt in ber
Regel ebenfo fehr jene ſcharf nuancirte Indivibualität, wie ber
Ausdruck eines feften, gemeinfamen Lebens. Es iſt nur zu haͤu⸗
fig etwas unbeftimmtes, Berfloffenes, Ruͤchternes ober doch Dals
tungslofes in ihnen‘ u. f. w. Hildebrand, ber eine ganz unge:
wöhnliche Babe befist, bie Cigenthuͤmlichkeiten anderer Perfonen,
ihre Sprachweiſe, Geberbung u. f. w. nachzuahmen, ift im Por:
trait ausgezeichnet, indem er, um mit bem Verf. zu reden, bie
Geſichter, die fi ihm zum Gonterfeien bieten, in aller Weſen⸗
heit ihres Weſens wiedergibt, ohne diefelben durch eine charak⸗
terloſe Werallgemeinerung ihrer Züge heben zu wollen. Beſon⸗
ders werben Hildebrand's Verbienfte in Darftellungen ber Kin:
derweit hervorgehoben und namentlidy auf die beiden Prinzen
auf den Söhnen Ebuard's hingewieſen. Jett if ber Känft:
ler, nad) des Verf. Anficht, mit feinem Wolfey, den v. Üdhtris
für die bebeutenbfte unter ben Gompofitionen Bildebrand’s hielt,
in bie dritte Epoche feiner kuͤnſtleriſchen Laufbahn getreten.
Sein Streben geht nad Naturwahrheit und ſchon ats Knabe
verfuchte er fich in der Rachbildung von Käfern, an beren buns
ten Karbenfpielen er bie innigfle Freude empfand. Er hat aud)
eine ſehr anſehnliche Käferfammlung angelegt unb betreibt fein
Studium und fein Sammeln mit einem ſolchen Ernſte und fol-
cher wiſſenſchaftlichen Gruͤndlichkeit, daß feine Freunde zumwellen
die Sorge nicht ganz abwehren koͤnnen, er moͤge zu viele Kraͤfte
feines Geiſtes nach dieſer Seite hinwenden. —* Politik und
Theologie intereſſirt ſich dieſer Kuͤnſtler nicht, ebenſo wenig be⸗
ſchaͤftigt er ſich mit Aufſtellung, Prüfung und Durchfuͤhrung
allgemeiner aͤſthetiſcher cber anderer Theorien und Anſichten.
„Die Biibmosaefihichte Hildebrand's“, fagt er ferner, „tann
fuͤglich als Beiſpiel des Sntwidelungsganges eines wichtigen
amd vielleicht des wichtigften und gefundeften Zweiges ber hieſi⸗
om Schule gelten.‘
Intereffant find bie Mittheilun
Maler
—— und dter, welcher au
u
gefelliger Scherze
zugleich mit wabchaf
humoriſtiſchem
t
Erſindber
haben. Wie
£effing die Steine, Hildebrand für bie Käfer (ohne Ruͤck⸗
wirkung freilich auf deſſen Kunfläbung, wenn
Farbenreichthum der erweit in feinem GSolorit
wieberfinden will), fo ſchwaͤrmt Schroͤdter te Pflanzen: das
ift feine a aon6 feine Arabeslen in Pflanzen
chtenden, weichen legtern
geift bezeichnet, geht der Verf. zu einer Gharakterifirung Bende⸗
mann's über, a en in feinen —— Das hr
Bort „Orien 4 a
Gapitel befcyäftigt it einer KritiE im „Ra
® tt N
ae a Be a ee
als bem Dichter zufagen Tann. Das fei anders geweſen zu den
Zeiten Raſaers ober Michel Angelo’s, es fei nehmen, baf
dieſe ale Mitfprecher in bie Unterhaltungen an Taftl eines
ober Ga Bembo über Öegenfänbe ber
dirzimmer geiftreicher Frauen vorgebrungen, ber Platonitmus,
fet ihren Bebürfniffen bier wilfährig entg
ber Hegel'ſchen Philoſophie verhatte es
Dennoch könne der Kuͤnſtler, fo gut wie ei Angelo oder
Leonardo da Vinci, ein bentender und betrachtenber Geik fein,
und bie Bemerfung des Kritilers im ‚Kunftbiatt”, wenadh es
von ben Känftiern gelten fol, daß fie mehr auf bem Gebiete
des Raturs und Seelenlebens als
fih mehr für Beſonderes und
für allgemeine Überbiide i , koͤnne auf bie
Leuchter ber Kunft nicht zur Anwendung Tommen.
folte, fährt er fort, ein Kuͤnſtler wie Gornelins ſich nidt
in das eine und andere Platonifdye Geſpraͤch nachdenkend vertie⸗
d daſſelbe mit acti ofttpäri durchdringen
Finnen? Ci bed — Rent veie
großen Kün
eigentlich als ein Mythus im Geiſte des Pinto anzufehen u. r-f.
Gangen und
2"
&
{
:
obgleich auh
—
gen, er
wiſſe Breite und Umſtaͤndlichkeit den Kern
das er von Goethe uns
haupt, Ben er befnist eineinen
ne un
bieote aufiöl. Am in
8
*
Sen
g=
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orbenen Aufgabe uns
als ben beiöpnenbften. — —ãi— Ye —— *
nur infeweit biefes Beben ei
liches is; aber nichts meint er,
abftracter im ſchlimmſten Sinne fein, ats die Darfkellun
inbuftriellen — in den eier, —
— er en Werke hervortretende ſichtbare
7191
X
5
wagt; man mäfle den Rhein bewundern, wie er bei Schaffhau⸗
Waſſerfall niederſtuͤrzt, wie er bei Mainz in weiter
Harer fich dehnt, nicht wie er fi am laffe feiner
Bahn im Bande verliert. Laffen wir unfern kritiſchen Nieber⸗
kändern ihren Sand, fährt er fort, umb erfreuen uns an bem
Wogenflurge bes „Werther und „‚Baufl’’, an ber fpiegelktaren
e ber „Lehrjahre”. Goethe, fagt er, habe ſich wenigftens auf
Alter einen behaglichen Hausſtand in Liebe und Frieden bes
gednden wollen; da fei denn bad Werhätfchein und Gehrfchäg-
tfinden, bie unbebeutenden Gedichte an unbedeutende Perfonen,
das Binpadden des Hrn dv. &. und Fräulein v. Y. wie Haͤringe
für die Unfterblichleit angegangen. Das zeuge nicht von der
Liebe, weiche Shriftus erfüllt habe, ale er die Tempelſchaͤnder
aus dem Tempei trieb. Der edle Born, womit Goethe in ſei⸗
ner Jugend auf fo Manches losgefahren, habe biefer Liebe uns
gleich näher geftanden u. f. wm. Das Idylliſche, die Beſchraͤn⸗
g auf die Jnutereſſen bes Privatiebens unb einen beſtimmten
Kreis fruchtbringender Thaͤtigkeit fei allerdings eine dem deut⸗
ſchen Leben angemefjene und natürliche Aufgabe, und gerade auf
biefem Terrain habe auch Goethe das Herrlichſte geleiftet. Die
dramatiſche cheine uns jegt, wo wir dem Drange nach
Berſen
orm erf
fung das innere Leben genugthun möchten, als eine
dürftige, während wir für die Vorzuͤge derſelben, für bie hohe,
fichere, compacte Einheit, die raſche Bewegung und Hanblung,
bei der Innern Spaltung und aͤußern Shattofigkelt unfers eig⸗
nen Lebens keinen Anklang hätten. Unb doch babe gerabe Schlu⸗
ler durch feine hiſtoriſchen Dramen bie entfchiebenfte Bortsgunf
nnen. Die Auftsfung biefes Problems ſcheint uns der Bear.
en einem tänftigen Bande Idfen zu wollen. 66.
Romanenliteratur.
1. Die Gerlenverkäufer. Nach Thatſachen unferer Tage hiſto⸗
riſch⸗ comantifch bargeftelt von F. Th. Wangenheim.
Drei Bände. Braunſchweig, ©. ©. E. Meyer. 1841. 8,
3 Thir. 20 Nor.
Die Geſchichte
beiöfkabt Lebt ein rei Kau
San Dil # ee —2 —S S e liebt deſſen
in Gompa werben
In derfeibe bis um Beginn —ã—
er 2
chaut, losgeſprochen und gelangt
je Meg üit früger
bei von Dolen in nften gerwefen.
wieder Sapitain eines alten und fchlechten Schiffe, Aloyſa ger
nannt, welches der Firma es
fen derern
—2 — feiner ãA einem fchönen Landſtadtchen Deutf
ter Agathe. Er em a
Tande. Diee hat feine Koch
chiffe ein Neffe des
den Bay aber nicht kennt. Dieſer,
nimmt Agathen halb durch feine fchöne
Meſtalt und fein feines Vetragen für ſich ein, ja fie ver
über ihm fogar ihren Max und laͤßt ſich in ein —8 ef
mit ihm ein. Rachdem fie auf dem Meere manches lingem
ausgeftanden haben, kommen fie endlich in Amerifa an. Bier
findet Hr. Farting feine Hoffnungen und Erwartungen gänzlich
getäufcht; fein bedeutendes Vermögen, das ſchon unterwegs fehe
uſammengeſchmolzen, ift bald ganz aufgerieben und in
—* er tief in Schulden. Aus dieſen Hilft ihm aber Willy
Blood, ber die Familie überall begleitet. Durch feinen Edel⸗
muth, ben er auch ſchon während der Überfahrt bewiefen, ges
winnt ihn Kr. Farting lieb und verlobt ihn fogar mit feiner
Tochter. Dietje Baz findet in Amerika ben Lohn für feine
Berbrechen. Barting’s Frau ſtirbt inbeffen und er ſelbſt wirb
aus Heimweh faft wahnfinnnig. Nachdem fie viel Roth und
Drangfal in Amerika ausgeftanden, ſchiffen fie fich endlich nach
England ein, wo Wily Blood einen reichen Oheim bat, beffen
einziger Erbe er einft wird. Bald nady ihrer Ankımft in Enge
land heirathet Willy feine Agathe. Hr. Jarting bat aber auch
bier feine Ruhe, benn er win ſich von feinem Schwiegerſohne
nicht ernähren laffen. So Eehrt er denn mit ber erflen Belegen
t nad) feiner WBaterftabt zurüd, wo er den frühern Gelieoten
einer Tochter, den Mar Eleve, bereits mit des dafigen Buͤrger⸗
meiſters Tochter verbeirathet findet. Dies die Geſchichte. ef.
bat in derfelben durchaus keinen innigen, nothwendigen Zuſam⸗
menhang finden koͤnnen; nur burd die ihr zum Grunde Lies
gende Tendenz, von der Xuswanberung nad) Amerika abzu⸗
freien, werden bie locker verbundenen Faͤden einigermaßen gu
einem Ganzen vereinigt.
3. Bilder aus ber Laterna magica eines Blinden von Georg
Lot. Zwei Wände. Berlin, Sonas. 1841. 8. 2 Thlr. 15 Rgr.
Log nimmt unter ben Gryählern zweiten Ranges, weiche
bie Mittelclaffe zwiſchen den Literarifchen Künftiern und ben Jite
rarifchen Oandwerkern bilben, unbeflreitbar eine ber ehrenwer⸗
theften Gtellen ein. Bom Künfttes befigt er die Grfinbungss
kraft und ben Geſchmack, vom Handwerker den praftifcken Bück
und bie Handfertigkeit, und mit dieſen Jactoren bringt ee Pros
ducte zu Gtande, bie zwar feinen vein Afthetifchen 84 ha⸗
ben, aber body wie elegante Luxusartikel einen angenehmen, ges
fälligen Gindeud machen und ben Leſer über das Nivean des
gemeinen Lebens erheben. Won biefer Art find auch diefe ‚Nils
der aus ber Laterna magica eines Blinben”, unter denen man
ſich kleinere Novellen und Grzählungen zu denken bat. Der
Verf. weiß in benfelben irgend eine intereffante Perföntichkeit
ober fpannende Gituation fammt Zubehör in einen Bleinen Hohl⸗
fpiegel zufammenzubrängen und fie dadurch wirklich zu anſpre⸗
den Bi zu gefalten. Daß dieſer Spiegel nicht Alles
in ben richtigften WBerhältniffen wiedergibt, Manches zu groß,
Manches zu Bein erſcheinen läßt, Hier und da einmal etwas
chief und ben ‚ auch mandyes Unbebeutende mit
abfpiegelt, darf nicht befremben, ba befanntermaßen nichts
ſchwieriger ift, als auf kleinem Raume etwas wirklich W
volles oder gar Bollendetes zu leiſten. So este Anfı
pflegt aber auch das Publicum, welches nach derartigen
len greift, nicht gu machen, und biefes wich fih durch Das,
was ihm bier geboten wird, recht wohl befeiebigt bien
koͤnnen.
Bevue de kegislation et de jurisprudence, fondé par
Wolowski, Paris 1843,
Diefe gebaltreiche Zeitſchrift, von ber bereits 16 Baͤnde
erſchienen find und die mit bem vorliegenden Jahrgange eine
Neue Folge begimmt, bat für die Kenntniß ber neueren franzd
fchen Kedtsimirfenfdaft eine fo große Bebeutung, daß wir ni
umhin Eönnen, ihrer in diefen Blättern wenigſtent mit einigen
Worten zu gebentn. Was fie befonders vor ben übrigen juri⸗
ftifchen Journalen Frankreichs, beren es eine ganz bedeutende
Anzahl gibt, auszeichnet, ift bie befonbere Beachtung, bie in
728
Kr ausiäabikäee und namentlich beutfcher Miffenfihaft gewibmet
. herrſcht in allen i Artikeln ein vebti
——— — ort, ben man in ehr als einem geierien
Blatte immer mehr zu vermiffen anfängt. Wir wollen, um
von bem reichen Wechſel zu geben, ber uns in
diefer Revue’ geboten wird, nur auf gutes Gluͤck bie Zitel
eini
geſchienen haben. Wir befchränfen uns jeboch dabei nur pr
einige der zuiegt erfchienenen Bände. Fauſtin Helie, ber fi
durch mehre ſehr umfaffende Rechtswerke bekannt gemacht hat,
gibt einen gehaltreichen Aufſat über „bie Bildung ber Jury”;
aus den Papieren bes zu früh geflorbenen Klimrath, ber, wenn
wir nicht ivren, von Geburt ein Elſaſſer war, erhalten wir eine
geiſtvoll ſtizzirte Geſchichte des Öffentlichen und Privatrechts
in Fran , an bie fig eine treffliche Xbhanblung von Labous
Iaye ‚‚Bur les contumes de France’ anſchließt. Des Verf.
dieſes Äuffages ift befonders vertraut mit den berporragenbfteu
Erſcheinungen ber beutfchen Rechtswiſſenſchaft und hat feine ums
fafiende Kenntniß ſowie feine große ſtiliſtiſche Gewandtheit nas
mentlich in einer gelungenen Charakteriſtik von Gavigny dar⸗
gethan. Sehr intereffant find bie kurzen Abhandlungen, welche
das juriſtiſche Tageblatt „Le droit” aus feiner Feder bringt.
Als eine Ergänzung dieſes Artikels über bie „Coutumes’’ von
Frankreich kann Raynal’s „Sur les coutumes de Berri‘, das
für bie Kenntniß des provinziellen Rechtes von Frankreich von
großem Intereſſe ift, angefehen werden. Auch ber nach allen
Seiten bin thätige Roffi ift Mitarbeiter biefer „Revue. Kon
feinen Auffägen, die von berfelben bis jest gebracht find, heben
wir befonders ben Artikel „Sur le droit francais, considere
dans ses rapports avec Petat &conomique de la soci6t#”
hervor. Er ift in jeder Beziehung beachtenswertb. Wolowski
ſeibſt, der bekanntlich Yrofeffor an dem berühmten Conservaroire
des arts et mötiers iſt, bat feine Beitfchrift mit einer ganzen
Neibe der gehaltreichſten Auffäge geziert. Wir koͤnnen ideen
derfelben bier nicht einzeln Erwaͤhnung thun. überhaupt können
wie nicht näher auf den bunten Inhait biefer Zeitfchrift ein
‚geben, indem es unfere Abficht nur tft, auf dieſelbe in Deutſch⸗
land aufmerffam zu maden und ihr wo möglich einen recht
weiten Leferfreis unter uns zu verſchaffen. Die bisher erſchie⸗
nenen Hefte ber Neuen Folge fliehen hinter denen des vorigen
Sabrganges nicht zurüd, im GBegentheil hat die „Revue das
duch nur gewinnen können, daß jeber ber verfähiebenen Zweige
der Rechtöwiffenfchaft in den Herren Zroplong , &h. Giraud,
r Hille und Drtolon, lauter ausgezeichneten Männern, einen
petiellen Rebacteur erhalten hat. 6.
Midcellen.
Beltfame Teftamente.
Schon Juſtinian hat in der Nov, 107 pr. darüber geffagt,
daß zumeilen Leute, welche ein Teſtament madyen, in eine ſolche
Andeutlichkeit verfallen, daß ihre Worte mehr eines Weiſſagers
"als eines Erklaͤrers bebürfen. Auch in neuerer Zeit bat es
nicht an Beifptelen der Art gefehlt. So gebieb im 3. 1703
— wie Leyſer (Med. ad Pand., 3b. 12, ei erzählt —
ein Rechtöftreit, weldyer mit vieler Leidenfchaftiichkeit unb einem
‚anßerorbentlidden Koftenaufwande geführt worben war, zur
Entſcheidung an bie wittenberger Juriftenfacuität. Es hatte
"ndmlid Jemand ein Teſtament gemacht, in welchem er „Jeſus
EChriſtus, feinen Eribſer“ zum Erben eingefeet hatte. Es fragte
daher um bie Erklaͤrung biefer Erbeinſegung. Die Ents
ſcheidung fiel bahin aus, dab anzunehmen fei, der Teſtator habe
damit feine Parochie gemeint. Ganz in ähnlicher Art bat fi
u Anfang biefes Jahrhunderts ein Ball in München ergeben.
ine begüterte Frauensperfon, ohne nahe Berwanbte, hatte auf
Veranlaffung eines nicht geiſtlichen Gewiſſensrathes, der dabei
‚feine Rechnung fand, ein Teſtament gemadjt, in welchem fie
Auffäge herfegen, bie. uns befonders deachtungtwerth
”
—— Erben eingeſegt und hiernaͤchtt vers
Legate beſtim
Rechte zu Frank⸗
furt an der Oder, ein überaus eitier Mann, ber ſich beſondert
mit ſpaniſcher Literatur beſchaͤftigte (geſt. 1735), vermachte ber
uUniverſitaͤtebibliothek ein Buch, feine Genealogie betreffend, in
welchem die Lateinifchen Leichengebichte enthalten waren, bie
man zu Salamanca unb auf andern fpanifdyen hohen ulen
verfertigt haben follte, als fich, bei feinen Lebzeiten, bas grund
Iofe Gerücht von feinem Tode verbreitet hatte, weide Gebichte
aber, ald Machwerk von Iufligen Kunden, ihm, um ihn zu
Affen, mit dee Poft zugefendet worben, als kämen fie aus Gpas
nien. In feinem Ieflamente hatte er überdies über feine für
unfhägbar geachteten hinterlaffenen Wanuferipte mit ber größs
ten Genauigkeit verfügt, und? — was bie Hauptſache
feinen Geiſt ſaͤmmtlichen Gelehrten in Guropa vermadit, in ber
Hoffnung, daß folder zum Heile der Menſchen und zum Frommen
der Gelehrſamkeit auf diefe Act fortwaͤhrend wirkſam fein werbe.
Definitionen.
Die beiden Profefforen ber Rechte zu Tübingen, Eberhard
Gbeiftopt Ganz (geft. 1773) und Ghriftoph Friedrich Oarpprecht
(geft. 1774), fprachen öfter miteinander von KBegriffäbeftim:
mungen in des Rechtslehre. „Ich, für meine Perfon”, fagte
einmal bei einer ſolchen Gelegenheit der Eine, „kenne te
Definition, bie fo kurz und yuateit fo begeichnend wäre, als
die, weldye Cicero (De offic, 3, 29, 3) vom Eide gibt: Jus-
iurandum est affırmatio religiosa.” „Ich gebe zu‘, verfeste
darauf bes Anbere, „daß dieſe Definition an ausbrudsseike
Kürze wenige ihres Bteihen haben bürfte, aber das Pröbicat
„bezeichniend“ möchte ich ihre nicht beilegens ſolches fommt aach
meinem Dafürhatten wol eher jener Definition gu, bie ein Uns
genannter vom Proceffe gegeben hat: Processus est rulva ca-
nina; facilis introitus,, difficilis exitus.“
Ein Beitrag zur Literatur ber Aushbängefhilde.
In München, in der Kaufingergaffe, iſt am Hauſe Nr. 14
eine ſchwarze Tafel Öffentlich ausgehängt, auf weldger, wie
Ref. ſelbſt Er überzeugt bat, mit weißen Buchſtaben zu leſen
it: „Anaſtaſia Freydenberger, abprobirte und verpflicte
Hebamme.” Die Schreibart biefer Aufichrift (Orthograpbie kana
man fie nicht nennen) muß in ber That den Lefer zweifelha
taffen, ob es fich hier von einem tituli falsi figmento — wie «8
in ber L. 7 C. de contrah. emt. et vend. (4, 38) hei —
oder von einer foldhen Bezeichnung handelt, von ber Martial
(Epigramm. 13, 3, 7) fagt: „Addita per titulos sua nomina
rebus habebis.” 31.
Berantwortliger Herausgeber: Deinzih Brodhaud, — Drud und Werlag von & X. Brodbaus ia Seipatg
Gräfe gegen bie literarifche Zeitung 1843 No. 19.
His die literariſche Zeitung noch biefelbe Tendenz hatte, welche ih
in meiner Xligem. Literärs Gefchicdhte verfolge, naͤmlich die veinfeientis
viſche einer vollſtaͤndigen Notiznahme von dem Material ber Lite:
ratur und feinem Zufammenhängen, damals betrachtete fie mein
Buch mit fehe günfligen Augen; feitbem num aber bie moderne
Romantil, das ‚volle Herz” des Pietismus und bie übrigen Gas
priolen der reactionären Phantafie an die Stelle ber alten litteras
riſchen Rüchternheit und Solidität getreten And, geſchieht ed, daß
bei Gelegenheit des lezten Bandes meiner Fiterär-Gefbichte ein Ano⸗
nymus Auftritt, um nun auf meine Koften das alte Prineip biefer
Zeitfchrift von dem jungen ober, wenn man das Wort vor dem
Beweiſe hinnehmen will, da es ja notorifc ift, von bem jungen
haften aus, dem fie jegt folgt, zu bekämpfen.
Daß der anonyme Recenfent des neuen Principe in allen Puntten
bie größte Unmiffenheit an den Tag legt, ba er einmal felbft aue-
foricht, daß er auch in literarbiftorifchen Dingen bie Wahrheit ber
Sachlage „‚fühlt”‘, alfo aus dem „vollen Herzen‘‘, nicht aus ben
Documenten nimmit, Tonnte mich zwar nicht wundern; ale ich aber
auf offenbare Entflelungen und Verdrehungen meines Buches flich,
fing ich, wie man das natürlich finden wird, an zu fürchten, daß
es doch vielleicht noch Leute geben möchte, die bie literarifche Zei⸗
tung im Thatfächlichen mit dem alten Bertrauen läfen, zumal da
fie ja ſelbſt ein foͤrmliches Feuilleton für Entſtellungen und Lügen
anderer Blätter angelegt ga. Für biefe Rubrik in Beziehung auf
fie fetbft, — denn wie tonnte ich den Redacteur gleic, für einen
Mitfchuldigen des Recenfenten halten? — fandte ich nun eine Ent
egnung, bie jedes andere Blatt aufgenommen haben würbe, nad)
erlin. Die Rebaction der literarifchen Zeitung erhielt fie den 15.
März. Statt fie aufzunehmen oder im entgegengefepten Ball umge⸗
hend zurüdzufchidten, wie ich es verlangt hatte, drudte fie in No. 23
meinen Privatbrief !! und zwar mit abſichtlichen Entftellungen
ab. Man lieft mit gefperrter Schrift: „In dieſen (flatt in dieſem)
Augenblide”’ und „ob daß” (flart dieß), wie ich gefchrieben hatte.
Was wollen biefe Praktiten aus mir machen? und auf wen fällt
die kindiſche Abficht, mich mit der Orthograpbie und Grammatik
du, Brouillicen, zurück? Ich bedaure biefen Sedantenflug bes Herrn
dacteurs und muß gefteben, daß ich einem Manne, der fich in
diefen Enabenhaften Gefichtsfreis verlieren Tonnte, Baum noch zumu:
then möchte, mit fich zu Rathe zu gehen, ob er denn auch bad Recht
gehabt und ob es ehrenhaft gewefen, was ich ihm in einem Privats
tiefe anvertraut, wider meinen Willen der Deffentlichkeit zu
übergeben! Jedoch da ich einmal in die Schulregion herabgezerrt
bin, fo will ich ihm wenigftens ben Horatius citiren; vielleicht ift
ihm der noch eine Autorität für die gute Lebensart. Er fagt:
Fingere qui non visa potest, commissa facere qui ne-
quit, bic niger est, hunc tu, Romane, caveto. ,
Die fpäte Rüdfendung meines Manuferipts aus Berlin, das,
wie ich aus den Kleden, die ih darauf fand, fchließe, dort erft die
Runde bei den Bekannten des Redacteurs und Recenfenten gemacht
paben mag, hat die Einfendung meiner Entgegnung an bie geehrte
edaction bieſer Blaͤtter und damit die Aufklaͤrung des Publicums
zwar_verzögert, aber nicht vernichtet. Solche Aufklaͤrungen kom⸗
men nie zu fpät. Alſo jetzt zur Sache.
Der anonyme Recenſent meiner Allg. Literaͤr⸗Geſch. in No. 19
der lit. Zeitung fagt zuaft ©. 304, mein Bud fei nirgends
genau gewürdigt worben, und nennt feine Kritit von einer halben
olumme Ausftellungen an einzelnen Notizen und zwei Golumnen,
bie durch drei angeblich von mir begangene Plagiate eingenommen
werden, genau. Schon hieraus Tann man im Allgenfeinen abneh⸗
men, was bie lit. Zeitung gegenwärtig unter Benauigfeit verſteht.
Im Einzelnen wird dieß noch deutlicher werben. ob will ich
gleich hier aus reiner Genauigkeit bemerken,‘ daß alfo der Anonv⸗
muß bie Kritilen von Hammer:Purgftall in ben Wien. Jahr:
bühern 8b. XCI gerade 49 Seiten und bie von Bähr in ben
geetberg. Jahrb. 1838 Nr. 58. ©. 912 fig. 1840 ©. 139-154 u.
. 790, bie einen cben fo großen Raum einnimmt, unb bie fid
beide mit vielen Einzelheiten genau einlaflen, nicht zu kennen ſcheint.
Denn daß er eine ſolche Genauigkeit auf einer halben Columne
übertreffen und ein fg umfaflendes Buch, als bad meine ift, ein
Bud, das Überhaupt nur im Detail gewürbigt werben kann (mas
jeder Kenner einräumen vwird), ſchließlich mit einigen allgemeinen
Antithefen abthun will, verräth jedenfalls die tieffte unkenntniß des
ganzen literarifchen Gebietes, um bas es fich bier handelt.
Er fagt: „der nachſichtigſte Beurtheilee werde das Erſcheinen
meines Buches nur bedauern können, benn dem Lernenden fei ber
Berfaffee ein verworrener und regellofer Führer, ber Wahres mit
alfchem, Gewiſſes mit Beftrittenem, ehendes mit Abgethanem,
üchtiges und Brauchbarcs mit Abgefchmadtem vermifche ıc.” &.301
hatte er gefagt, „des Werkes Vorzüge befländen In der Ausdauer
des Verf. im Sammeln und Zufammenfchreiben, oder Zufammens
ſchaufeln (wie genial!) des Materials und der gelehrten Nachweis
Jungen und einem rühmlichen Beſtreben, keine Nation, Teine
Seite der volffenfchaftlichen Gultur zu vernadhläffigen, worin er
feine Vorgänger weit übertreffe, allein dieß fei am Ende kein Ver⸗
dienſt, denn die Literärifchen Huͤlfsmittel feien jet zugänglicher etc.“
Hätte der Rec. die Verdienſt- und Ruglofigkeit meines Buches bes
weiſen wollen, fo mußte er feine eigenen Antithefen genau belegen
und erharten und fobann folche Urtheile genam widerlegen, als
1.) ind. Wien. Zaprb. Bd. 90. &.38 bas von Hammer⸗Purg⸗
fall: meine Literärgeſchichte „fei eine vortrefflidhe
und in Rückſicht der Vollſtändigkeit wirklich kei⸗
nen Wunſch übriglaſſende;“
2.) ind. Heidelb. Jahrb. 1840 &.790 das von Bähr: „Immer⸗
in wird dieſes Werl unter den ähnlichen n biefer Art,
owohl von Beiten feines Umfanges unb feines Reihthums
m Ginzelnen, als ber feientivifehen Ansrbnmg im Ganzen
bie erfte Stelle einnehmen und darum auch nie ohne —*
zu Rathe gezogen werden;“
3 ſelbſt. 1
u
das der früheren ehrbaren liter. Zeitun
S. 477 heißt e& nämlich wörtlih: „Herr Dr. Sr. bat fi
ber fchwierigften Aufgabe unterzogen und fie auf eine Weife zu
löfen begonnen, bie bem Ibeale einer Literärs@cid,,
wie es Referent fih gebildet, ſich weſentlich näs
hert (wie verfchieden find die Ideale der jegigen Recenfenten
der Lit, Zeitung !!) — wir heißen vieles * trotz ber an
beuteten Dängel in der Anordnung willkommen und empfehlen
es allen Freunden der Literärgefchichte — es hat. nicht etwa
blos eines Volkes Literatur, Tondern auch bie der übrigen
berüdfichtigen und möglichft vollftändig gu verzeichnen nice
unterlaffen, fondern aud ben Entwidelungsgang jeder einzels
nen Wiffenſchaft (nicht blos der Dichtkunft, Gefchichte zc.,
fondern auch der Mathematik, Ratumviffenfchaften zc., von
welchen ledtern bei Eichhorn und Wachler faſt nipgende ein
Wort fteht) mit gleich vertheilter Sorgfalt behandelt.” &. 929
wird weiter mein Bud, über das Wachler’fche erhoben und
gefagt: „wir dürfen biefer Leillung unfere Anerkenn nicht -
verfügen und wünfchen aufrichtig, daß dieſe Biterärgefhichte ſich
moͤglichſter Verbreitung erfreuen möge.“ Jahrg. 1840 &.678
wird meinem „ſorgſamſten Fleiße und meiner „Belefenheit‘‘
das beßte Beugniß ertheilt, und nur gewünfcht, baß ich bei
ben Hiſtorikern mein Urtheil über ben Werth ober Unwerth
der einzelnen angegeben hätte. Weiter wird dann gefagt:
„gerade dieſe lehtere Partie (nämlich die Philologie) iſt mit
eigenthümlicher Liebe gearbeitet, die ben Verfaſſer oft zu weit
führt, fo daß feine Literärgefchichte den Charakter einer Cul⸗
turgefhichte annimmt, eine Abweichung, welche ſowohl in dex
nahen Berwandtfchaft, durch welche diefe beiben Felder. in
einander verfchlungen find, als auch in dem Intereffe des
Gegenftandes um 1 eher Entfchuldigung finden wird.“ Aber
auch mit der Preuß. Staatszeit. 1840 Nr.24 8.95 flg., hätte
ih der ‚‚genaue‘‘ Anonymus abzufinden. Sie jagt unter
nbderem: „mein Buch fei ein Fortſchritt in ber Wiſſenſchaſt.“
Achnlicher Urtheile, 3.8. in der deutſchen Preßzeitung 1841
Nr. 73 S.692flg. und in den Blaͤtt. für Iiter. Unterhaltung _
1839 Nr. 208 f., nicht gu gedenken. .
Recenfent wirft mir erfllih feines Selbftlob vor, weiltd ges
fagt, ich habe das Original bed Faustus entbeckt. Der Anonymus
weife nad), daß er jemals irgend etwas entdeckt und, wenn dieß je ver
Kal war, verſchwiegen habe, daß er es gewefen fei, ober if itwa feine
!
Anonymität ſchon ber Beweis feiner „ſtillen Verdienſte?“ Seit wann
iſt es nicht mehr
en zu baden, weiches bie erfle Quelle einer Sa
Dieb ift To fehr gelehrte Sitte, daß ber Vorwurf des Anonymus
nur einen Sinn hat, wenn er eine ungerechte Anmaßung barthun
Zönnte; und da fordere ich den Recenfenten auf, mir nachzuweiſen,
in welhem andern Buche die Driginale des englifhen Faustus
verzeichnet find als bei mir, ber ich fie im Deber’fchen Gatalog
zuerft aufgefunden. Ich fordre ihn ferner auf, mir nadızuweifen,
wer vor mir die Leffing und allen Bibliographen unbelannte ältefte
nieberbeutfche Ausgabe des Eulenfpiegels (ſ. m. B. Bb. 1.2.
&.1020) entbedt bat, mir barzuthun, wer ähnliche Unterfuchungen
über die Mirabilia Romae, die Specula, Ars moriendi, Biblia
paaperum etc. angeftellt (daß Ich dieſe Belfpicle aus taufend andern
meinem Buche zerftreuten bibliographifchen felbftfländigen Unter:
ſuchungen anfübre, Far darum, weil ich nur an dieſen Stellen.
gefagt habe, daß diefe Quellen zuerft entdeckt) und frage ihn,
wie er, wenn er nicht der gröbfte Ignorant ift, leugnen kann (&.303),
daß biefe Unterfuchungen in eine Literärgefchichte gehören. Weiter
wirft er mir vor, „ich habe Ebert ©, 32 flg. getadelt,’ wiederum,
als wenn es nicht erlaubt wäre, einem Autor fo offenbare Fehler in
der Sache nachzumweifen, wie ich es bei Ebert an hundert Stellen
ſtillſchweigend gethan, und fo auf einen andern (8. 1040), weit ſchlim⸗
mern, den der Here Recenfent aber nicht nennen mag, verweife?
Bat denn Ehert anders gehandelt, hat er nicht die beten Gelehr⸗
ten iwegen weit geringerer Fehler an den Pranger geftellt und bei
feinem Bibl. Ler. fo Vieles aus dem wadern Brunet, ohne ihn
u nennen, genommen, daß man ihn gar wohl, wenn man flreng
% wollte, des Abfchreivens anlagen koͤnnte? Wenn ich folche
ehler nahfhriebe, wiejene bei@bert, fo würdeman
mit Recht mein Bud untritifh nennen und mid bes
unäberlicgten Abfhreibens befhulbigen Dürfen. Uebri⸗
gend babe ih Ebert an vielen andern Stellen volllommene Ge⸗
vechtigkeit widerfahren laſſen, wie Jeder, ber mein Buch befist,
felbft nachfehen Tann.
Der Anonymus fagt ferner jehr vornehm, ‚‚tch hätte Bein Be⸗
wußtjein von den Anforderungen an eine Literärgefchichte‘‘, ich ent⸗
gegne ihm aber, baß er felber Feinen Begriff davon hat, benn ich
wollte nur den ußern Se der Literärgefchichte behandeln (f. meine
Vorr. Bd. J. S. X), und worin biefer befteht, hätte er aus Wolf’s
Muſeum der Alterth. 8. J. 1. S.60 fig. lernen Tönnen; ich wollte
ein Handbuch zum Nachſchlagen liefern und über jeden Schriftſtel⸗
ler bie moͤglichſt volfftändige Nachweiſung feiner Schriften und ber
Quellen, in welchen man fich über ihn Raths erholen koͤnnte, geben,
und daß ich diefes geleiftet und für Bibliothekare, Literärhiftoriker ıc.
das vollftändigfte Handbuch, das bisher erfchienen, geliefert, Kate
bis jept Allc, die ‚genau‘, d. h. in diefer Materie zu Hauſe
geweien find, anerkannt und werden es ferner anerkennen, wenn
nicht das ‚‚volle Herz?‘ der neuen Zeit es ehe überflüfflg mas
hen follte, Bücher, wie das meinige, genau anzujehen. Daß aber mein
Buch und feine eigenthümliche Brauchbarkeit anerkannt ift, beweift
die große Verbreitung beffelben im Auslande troß des etwas hoben
Preifes, bemeift der Umftand, daß Leute, wie Maßmann in feiner
Beichreibung der alten Holzdrude in Münden, Eram er in feiner
Geſchichte der Erziehung in den Niederlanden, Schäffer in feiner
deutſchen Kiterärgefchichte, Otto Comm. crit. ad codd. bibl. Gifs.
rc. ⁊c. es eitiren. Wenn ich manches unbedeutende Buch als Quclle
mit eitirt habe, fo wirb man das jedenfalls meiner Abficht, vollftän=
dig zu fein, zu gute halten, wie man auch in einer Bibliothek nies
mals im Stande fein wird, blos gute Bücher zu erhalten, und im
Gegentheil, wenn ich jene Gitate nicht hätte, mir der Anonymus wies
ber vorwerfen würbe, ich hätte bie bekannteſten Sachen nicht eitirt.
Segen die Behauptung, ich fei gegen meine Vorgänger, Wach⸗
fer und Eihhorn, anmaßend, biene zur Antwort, was in meiner
Literär- Gefch. Bd. J. S. VIII und X zu Iefen ift, und was ber Anos
nymus felber eingefteht, indem er fagt, ich hätte fie weit übertroffen,
wenn ed auch Fein Verbienft fei.
Weiter ſagt er S. 302, ich führe zum Prunk (T) griechifche
und hebraͤiſche Worte an, und di hinzu , fat fein Wort bliebe
einen und mehrere Zehler. Darauf entgegne ich ihm, baf
durchgängig alle griechifchen Schriften, wo es anging, ihren gries
chiſchen Titeln nach vom erflen Bande bie zum fiebenten angegeben
werben, wie auch bie hebräifchen, alfo daß es Plan ift und kein
Prunk, oder bezweifelt er etwa, daß ich biefe Sprachen verſtehe, fo
wäre das freilich ein ſehr fchülerhafter und, ich geftehe es, mir zu
moderner Zweifel. Hinfichtlich der Behauptung, Fein griechifches
aubt, ſich ienfb angurrchntn , Ki] . au —ES —— ae She
und hebraͤiſches Wort bliebe ohne einem oder mehrere Fehler, ers
‚Yan wenn 8
| ehanpehng, daß fa
fein Wort ohne einen oder mehrere Fehler fei, im Angefichte aller
derer, bie mein Buch befigen und mid, felbft als einen gewiflenhafs
ten und namentlich in diefen Dingen genauen Schriftftellee Tennen,
das Schamlofefte und Grundlofefte zugleich, was mir vorgekommen.
Sr fagt ferner, ich ſchriebe Gitate ab, und will mir bieß bamif-
beweifen, daB an einigen Stellen meine Gitate mit denen Hambers
ger’s übereinftinmen. . Dan febe die Wergleihung einer eigen
Stelle (Bd. 1.2. &.301) mit der bei Damberger Bb.IV. 8.547
nach und überzeuge fi), ob die Eitate überhaupt flimmen, denn erſt⸗
lich babe ich mehrere, dann viel genauer verzeichnete, und drittens
find fie aus Büchern genommen, die in Jedermanns Händen find, die
ich ſelbſt befige und die ſowohl ich, als Hamberger citicen mußten;
oder folen Du Pin, Eave, Dubdin, Bruder, Fabricius
nicht über die Theologen des Mittelalters angeführt werben?! Hebris
gene habe id ©, 302 weit neuere Gitate über die Lehre beffelben
ecam angeführt, allein davon fagt der Anonymus nichts, weil
er mid) verdächtigen will und es alfo nicht in Seinen Kram paßt.
Jeder fieht ein, daß, wollte er mir Abfchreiben von Gitaten mit
Recht vorwerfen, er mir beweifen müßte, daß ich nur bei ben
Schräftftelleen, die Hamberger nennt, bie Gitate deſſelben ans
führe, biefelben aber fonft nicht habe, oder Druckfehler in der Ans
gabe von Citaten abfchreibe; gleichwohl führe ich aber biefelben
Hilfsmittel faft bei jedem — des Mittelalters, und deren
habe ich gegen tauſend mit ihren Schriften verzeichnet, an, und alſo
muß ich ſie doch wenigſtens da nachgeſchlagen haben, wo Ham⸗
berger ſchwieg. Letzterer Punkt beweiſt auch aͤnglich, wie ich
Dambergern benutzen konnte, denn dieſer führt von Anbeginn
der Literatur bis 1500 im Ganzen nur 1021 Schriftſteller auf,
ih babe eben fo viel Theologen, lebiglid vom 5. bis 15. Jahrh.
befprochen.
Daß im Terte bie beiden S. 305 angeführten Stellen aus Hams
berger durchaus Fein Plagiat bei mir nachzumeifen vermögen, fieht
Jeder, der fie Lieft, denn wenn das Plagiat ift, daß zwei Schrifts
fteller diefelben Lebensbegebenpeiten einer Perfon mit verfchiebenen
Worten erzählen, fo iſt jeder Hiftoriker ein Plagiarius ). Wie
Roh ©. 305
*) Das eine angebliche Plagiat feße ich hierher.
follen nämlich übereinftiiamen 9
Graäße H. 2.2. 8.301. Hamberger Bb.IV.&.547.
Builielmus Decam, aus] Guilielmus ober Wühelm Decam,
einem Dorfe diefes Namens in]aus einem Dorfe diefes Namens in ber
der Provinz Surrey in Eng:| Provinz Surrey in England, bradıte
land flammend, fludierte frühs lein fehr gefchidtes Ingchium zu der
zeitig unter Dune Scotuß, [ein fnbigen Sculpbilofophie mit auf
was ihn jedoch nicht hinderte, die Welt, die er unter bem bekannten
von bdemfelben abzuweichen,IDuns Scotus ſtudirete. Er wid
bie Sekte der Rominaliften zulaber von demfelben ab und veranlak
erneuern und mit deſſen Anz|fete, indem er die Secte ber Romines
hängern in geftigen treit zu ‚liften wieder erneuerte, zwifchen feinen
erathen. Er trat auch in den und des Scotus Anhängern heftige
— lehrte zu und bis aufs Blut gehende Streitig⸗
aris die — verthei⸗ keiten. Occam nahm den Francis⸗
digte die Sache Philipps des canerorden an und lehrete zu Paris bie-
Schönen gegen Bonifacius Theologie mit befonderem Ruhm. Gr
VIN., die Armuth Chriſti und verſahe es aber auf verſchiedene Weiſe
ſeiner Apoſtel gegen Johann |mit dem römifchen Hofe, indem er des
XXI. und endlich auch bie| Königs Philip bed Schönen Sache ges
Sache Ludwig des Baiern und gen den Yapft Bonifacius vertheibigte,
bes Gegenpapſtes Petrus de|die Armuth Chrifti und feiner Ap
Corberia, wodurch er fihjgegen ben Papft Johann XXI. und
ben Bann zuzog, Italien und |bie Dominilanermöndge behauptete, und
Frankreich verlaffen mußte,iendlih für den Kaifer Ludwig von
und fich zu eudwig dem Baier |Baiern und den Gegenpapft, Petrus de
flüchtete, der ihn auch auf: |Corberia, die Keber führte, Hierüber
nahm und bis an feinen den zog er fich den päpftlichen Bann za und
10. April 1347 zu Dünchen |jade fich genötbigt, Italien zu verlafs
erfolgten Zod in wichtigen Anz |fen und anderswo Sicherheit zu fuchen,
gelegenbeiten brauchte. Sein |die er theils in Frankreich und bei dem
einame ift Doctor singu- [vorhin gebachten Raifer fand... Ends
laris, venerahilis Inceptorjlid nahm ihn der Tod aus der Welt,
et Doctor iuvincibilis. und biefes geſchahe nach der gemeinen
Meinung zu München den 10. April
ed mit der Stelle hinſichtlich des Inhalts bes Dialogus inter Mag.
et Discip., bie ziemlich gleichlautend bei mir und Hamberger
if, ſich verhält, Hecht Jeder, der mein Buch in bie Hand nimmt,
ein, benn ber lateiniſche Titel fleht bei mir gleich hinter dem beut=
hen, und Zeber Tann den Drudfehler „den’ für „der“ leicht
verbeffern, auch ift es möglich, daß ich beim Rieberfchreiben biefer
3 Zeilen Hamberger’s Buch vor mir hatte, was ich nad fo
geraumer Zeit jegt nicht, ganz beſtimmt weiß; überbieß citive ich,
nicht etwa blos. bie Editio pr., fondern führe bie Seitenzahlen
aus Goldaſt an, den Hamberger mur obenhin unten ans
führt, während ich ihn dei jedem einzelnen Werke Dccam’s genau
dtire. Webrigens habe ich gerade bei biefem Artikel einige Ausga⸗
ben, die Hamberger nennt, nicht und führe dafür nicht allein
3 Schriften, die jener gar nicht kennt, an, fondern citire auch ganz
anders, wie Jeder fehen kann. Ebenſo verhält es fi) mit meinen
Angaben über Petrus d'Ailly und Gerfon, die angeblich aus
Samberger entiehnt fein follen, man lefe beide Stellen und ur:
thefle dann, ob ih Unrecht thue, wenn ich den, der fo etwas be⸗
hauptet,. für einen Verläumber erkläre, Wahrhaft frech ift die Ber⸗
baͤchtigung, als fei ich ein Plagiarius gegen Hamberger in Be
ug auf Gerſon, wo ich nicht allein S. 300 die neueſten Unter⸗
—*8* über ihn anführt (Monographieen und eingedruckte Abs
handlungen), fondern fogar- feine fämmtlichen einzelnen Tractate,
mehrere hundert, mit Angabe ber Seitenzahlen zweier Ausgaben der
Opera beffelben auf ber hieſigen Koͤnigl. Bibl., einzeln angebe.
Ich frage den Anonymus: hat Hamberger etwas Aehnliches oder
kann er mir nachweiſen, daß Iemand vor mir fi die Mühe gege⸗
ben hat, die einzelnen Schriften Gerſon's mit der Angabe der
Seitenzahlen aus zwei Ausgaben anzuführen? Nicht einmal Fa⸗
bricius bat es gethan. Er fagt ferner, bei ber Beſprechung Pes
trarca’s und Dante s habe mir Gamderger zum Grunde gelegen.
Das ift die unverfchämtefte Lüge, die mir jemald vorgelommen ift.
gamberget referirt ©. 508 fig. in 14 weitgebrudten Seiten über
ante und feine Commedia (mit Ausſchluß der Ausgaben), und
bei mir nimmt der Bericht über ihn S. 1191 — 1202 eng gedruckt
und in großem Format ein; ich citire hier ſowohl als bei Petrarca bie
neueften deutſchen, italiänffchen und franzöfifchen Unterfuchungen über
fein Leben und feine Werke, faft bei jedem einzelnen Sage (fo bei
Detrarea bei mir &. 1219-1228, bei Hamberger ohne die Außs
aben ©. 585 flg., der aber alle feine Werke befpricht, während ich
Bier nur von feinem Leben und feinen Rime rede), umd es kann nod)
ein Menſch fo frech fein, fo etwas hinzufchreiben! Ich fordere alle Leſer
diefer Blätter und meines Buchs auf, ſich durch eigene Anficht zu
überzeugen, und hoffe, fie werden einem fo hämifhen Kritilafter,
der das Publitum geradezu belügt, bie gebührende Verachtung an⸗
gebeihen laffen. Seine Abſicht, mir zu fchaden, leuchtet endlich noch
aus folgenden Worten beffelben hervor; er fagt: „auch den biblios
rm Apparat Hamberger’s findet, man nur mit vielen
RR und einzelnen Ballhörnern” (bat das nicht ein Gym⸗
naftaft gefchrichen? alfo „Druckfehler und Ballhörner?“ neues
Princip, neue Zermini!) „bei Sräße wieder, 4.8. S. 321 heißt
es unter den Schriften d' Aillys: „‚„tractatus de concordia
astron. veritatis et narrationis historicae scriptus. Basil. -
1418.*° [als ob dieſes Buch 1418 zu Bafel gedruckt erfchienen wäre!
Bei Dam bergen fteht: „... scriptus Basileae A. 1418. Hier:
auf mtgegne ich:
1.) muß es Bibliographen erlaubt fein, Ausgaben aus andern
- bibliographifchen » fsmitteln zu notiven, ih habe z. B. bie
Hist. litt. de la France, Biogr. Univers., Hain, Reper-
tor. ſtets benuspt, ebenfo Brunet und Ebert, Die Außs
gabe ift von mir aber aus Fabric. Bibl. Med. Lat. ents
nommen, nit aus Hamberger, wie Jeder aus dem Schluffe
bes Titels bei diefem fehen Tann, und Bibliographie ohne Be:
nutzung Anderer tft undenkbar, unmöglich, jeden Katalog ober
jedes fonftige Hülfemittel, wo eine Ausgabe eines Buchs fteht,
A nennen. Meberdieß finden fi bei mir auch nur diejenigen
qhriftſteller eitizt, welche entweder mehr oder von dem bei
mir ſich Sindenden Abweichendes berichten; folglich konnte
Bamberger, ber faſt immer nur des Fabricius Bibl. M.L.
außgefchrieben hat, nur citirt werben, wenn er etwas Selbſt⸗
Rändiges hatte, und dieß ift nur da der Kal, wo er feltene
Fünngaben beſchreibt, und dann Habe ich ihn auch flets anges
ührt.
ten, er wäre erſt im 3.1350 zu Gapua
Im, Blos Wadding will behaups
verſtorben.
2 —
nctum von Basil. allerdings Druckfehler, allein der
tel iſt nicht fo nnde bei mir hingeftelt, wie es fcheint,
ide des Anonymus hat abſichtlich diefen Sag aus dem’
ufammenhange geriffen, um einen falſchen Sinn bineinzules
gen. Der Zitet heißt bei mir fo: „[’T. de Alliaco) Tra-"
ctatus de imagine mundi. Epilogus ımappae mundi.
De correctione calendarii. De vero cyclo lunari. Tra-
ctatus dua cosınographiae. . Yigintiloquium de con-
cordantia astronomide veritatis cum iheologia. , Tra-
etatus de coucordia astronom. veritalis cum theologia.'
Tract. de concordia astren. veritatis et narrationis,
histor. scriptus. Basil. 1418. Tract. elucidarius astron.
‚concord. cum theologia et c. hist. narr: Apolog. du-
plex asitron. veritatis compos. Colon. 1418. et Tr. de
concordia discordantium astronomorum. s. 1. et a. fol.
Zeder ſieht, daß biefes ein Convolut verfchiedener Tractate
it, das zum Ueberfluffe noch von der folgenden Ausgabe durch
‚einen Strich getrennt wird. Iſt dieß nicht boshafte abfichtliche"
Verdrehung und rätbfelhafte Albernheit, nur gu denken, daß
ſich Jemand einbitden könne, ein Bud) fei 1418 gedrudt
2.) F das
worden.
Ferner ſagt er S. 301, ich wiſſe oft nicht, was ich einige Seiten
früher nefchriehen babe, md —5— darüber Belege 8 U. 1..
&. 723 vergl. mit 725 über Einhard und Bd. 11. 2. ©. 629 fig.
über Kauft. Hierin find abermals Lügen und Nachläffigkeit des Res
cenfenten zu rügen. An erfterer Stelle fpredhe ich S. 723 davon,
bag man Einhard auch bie Annales regum Fraucorum Pi-
pini, Caroli et Ludovici zugefchrieben habe, und ©. 725 (Druckf.
d. Anonym. fl. 726, wo es bei mir fleht) von feinem Chronicon’
breve a mundi exordio usque ad Chr. n, 810. u. feiner Yita
Caroli M., und das fol Alles daflelbe fein?! man flieht, der Ano⸗
nymus befiät eine fehr genaue Kenntniß der Literatur und mei
ned Buches! Was die zweite Stelle über Fauſt angeht, fo hat
der Anonymus geradezu gelogen, denn ich habe an Zeinem andern
Drte über ihn gefprochen als bier, auch hat berfelbe Füglich untere
laſſen, eine andere Stelle meines Buches zu conferisen, weil Feine
2
So viel über die gelehrten oder vielmehr ungelthrten und ziem⸗
lich Eurzbeinigen Marimen der neuen lit. Zeitung. Ich will jett
bie geringfügigen Ausftelungen an einzelnen Notizen, bie der Nee,
macht, widerlegen. Es iſt eine einzige flichhaltig. Er fagt, ich
fhreibe erftlich Edrissi für Edrisi und fage: „er habe den Weis
namen: „El Scherif ober Mumenim gerührt,” „da wäre ex ja
Kalif gewefen, denn nur folche führten biefen Titel;“ bet mie
heißt es aber erſtlich: „El Scherif oder Emir al Mumenin, “
alfo abfichtlihe Weglaflung jeder Worte, um den Sinn zu ent: _
En, dann fhreibe ich Edrissi, d.h. von ber Linie der Edris,
nad) der Autorität von Roffi und Herbelot, und drittens muß
ich bier in Erftaunen über die Ignoranz des Anonymus geraten,
ber gar nicht weiß, was der Name Edrissi eigentlich bedeutet, und
noch weniger je gehört hat, daß Alle, welche durch Ali von Mo⸗
paimmeb abftammten, wie biefer, ben Ehrentitel Emir al Muınesin
jetamen (f. Herbelot Vol. IV. p. 178. II. d; 296 sq. [ed. m 4.
IM. p. 264. II. p. 625] Reinaud, Monum. Musnlm. T. 1. p.210)
und daß ihn Edrisi befaß, ficht man aus der Hdſchr. (f. Casıra
T. II. p.13.). Und ein fo unmiffender Menſch will mie den Kopf
urecht fegen?! Es wäre darum nicht nöthig, in Bezug auf bie-
hier im Arabifchen weiter gegen einen, der von biefer Sprache fo
viel verfteht, wie der Blinde von der Barbe, mic zu uertheidigen ;
allein ich will zum Ueberfluß nod Einiges hinzufügen. So wirft
er mir vor, ich fehriebe Leo Africanus ed. Fabricius, was denn
das fei? Nur ein Ignorant wie der Anonymus weiß nicht, daß
defien Buch de viris illustribus in d. Bil. Gr. von Fabricius
emeint ift. Kerner follen meine Eitate über Aben Zohr unver⸗
ändlich fein; nun ich möchte wiflen, wer nicht verflünde, was
Abulfeda Aun. Arab. (flatt Mosl.), Leo African. de med.
et phil. Arab. c. 16. p. 279, ed. Fabric. und Rossi, Dizion.
degli scrittori *) Arabi bebeuten? Gr fagt, ich fehriebe, fein
Bud hieße Theisir filmo, und das fei unſinn; abermals boshafte
Beglaflung meiner Worte, man lieft bei mir ©. 664: Tbeisir
filmo dadat wel deibir; met babe ich hierauf nicht zu ent⸗
gegnen. Wüſtenfeld's Buch ſoli ich nicht gelefen haben,
”) fr autori, das andere Wort ift bekanntlich auf Titeln Stal,
ibl. cbenfo gewöhnlich und habe ich dad Buch auch zehnmal
mit autori citirt; alfo bloßer Schreibefehler,
Lau
— 4 —
adaleich Ich es eitire, fügt ber Anonymud Hinzu, und!! — gerade
an a Steite Fo die Zitel ber Schriften Zohrs
«us Wöftenfeld genommen, denn S. 91 ſteht bier ber
Zitelfo: El Teisir filmo dawat weltedbir, alfo
babe ih ihn benugt und gelefen, und mein Titel ifl richtig,
nur daß es flatt dadat, dawat heißen muß, ein leicht verzeihlicher
Drudfegler, w in d zu verwandeln. Alfo abermals Spnovanz
und —45 vereinigt. Der Anonpmus tadelt mid, weil
ich eitike,oöohne nachzaſehen, und ſchlaägt ſelbſt nicht ein⸗
maldas Büch nach, aber an's Leſen denkt er ala Bis
bliograph nicht, er „fühlt“ Alles! ei! ei! wie dumm! wels
her Bidtiograph wird fih das „Fühlen“ flatt der Kritik, ſiatt
iner gefunden Xugen die Fühlhörner des Anonymus, ſtatt ber
nen die Ahnung, flatt des Berftandes die Phantafle aufhef⸗
ten laffen? Genug des Unfinns.
Ich gehe nun zu bem Deutfchen über, wo er mic Fehler (bie
einzigen, Fir ee auffindet!) vorwirft, „ich fehe Heinrich von Beldecke
el in das Jahr 1209, er feine Eneit fhon 1184—1189
gebichtet,'' ganz gut, das fteht dei mir Bd. III. 1. ©. 122 flg. auch
und noch weit mehr, allein ich fehte feine Blüthe bis um 1209, ba
ja Mone, Borfhungen B. J. &.252, ihn aus Urkunden bis 1253
am Leben nachweiſt. Alſo noch einmal, der Anonymus iſt ein uns
wiſſender Menfch und wirft mir Fehler vor, bie keine find. Weiter
tabelt er mich, daß ich fage: „Hartmann von der Aue“, es Mmüſſe
„Uue” bios allein heißen; das hätte ich ihn aus Sd.IIL. 1. ©. 215
auch ehren können, ja daß er eigentlich „von Weſterſpuͤl“ Heißt,
allem Lachmann in feiner Uusgabe und Gervinus haben ihn
„von ber Aue’ genannt, und daher wird ed mir wohl auch erlaubt
iin. Das Maßmann zweifelt, ob ihm das Gedicht vom Blau:
en gehört, habe ich ausbrüdlih &. 971 bemerkt; daß berfeibe aber
auch den Gregor v. Steine ald Acht und ihm gehörig anzıweifelt,
Kann Jeder feben, ber feine Denkmäler a.a.D. in die Hand nimmt;
alfo Fein Mißverſtaͤndniß von meiner Geite, ſondern von ber des
elehrten Griticus, der zwei verfchiedene Schriften Mafpmann’ 6
c eine Hält. Weiter ift es ihm nicht vecht, daß ich mit Graff
Hifrids Gedicht Kriſt nenne; nun dieſe Benennung iſt bis jett
überall, auch bei Gervinus zu finden, und des Anonymus wegen
werde ich fie nicht ändern. Er fagt, ich glaube, der Bee ung erie
Ki er gehalten, das fei abgefhmadt! Mag er mir doch e
Ki Gegentheil hiſtoriſch beweifen! bisher haben dieß fogar die ges
Ichrten Monographen beffelben, auh Bervinus (ausgenommen
Hinne) nicht verneint; alfo Tann ich ruhig fein, und warum foll
nicht nach dem Mufter der Provencalen ein foldher Streit unter
dem Tunftfinnigen Hermann von Thüringen möglidy geweſen fein?
Bas ih von dem — — my Fe a * 83. als F
de“ des 15ten ts. zu ſetzen, geſagt haben ſoll, we er
—* it igi * von mir S. 1019 - 1024
Endlich wirft ee mir noch vor, ich habe die Minnefänger
nicht chronologiſch, fondern nur nach der Ordnung in der Hands
riſt behandelt, allein ih bin Hagen’ und feiner Anordnung
olgt und berußige mich mit biefem Gelehrten völlig über den
nonymus.
Das ſind alſo älle Ausſtellungen gegen mich und mein Buch
und wegen dieſer, wenn fie auch alle gegründet wären, geringen
Mängel, fagt er, mein Buch ſei ein unficherer Führer durch bie
giteratur und vermechfele Wahres mit Falſchem, unb erwähnt mit
feiner Sylbe die Hunderte und Taufende von Monographieen, die
ih für einzelne Notizen habe durchgehen müflen, wie Jeder aus
den Gitaten bei mir felbft zugeben wird.
Endlich fagt er, ich Hätte manchmal wichtige Gitate vergeffen, und
führt für mein dides Buch zwei Beifpiele an, da der große Biblio:
geaph nicht mehr wußte, namlich: Ritt er's Aufſatz über Dccam in
des Encyclopäbie, den er aber bei mir unter ben Rachträgen Bd. HI.
finden wird, und Sontheimer’s Ueberfehung des Beithar,
Gedrudt dei Eenfl wlochmann in Dresden.
allein Iehtere Lam erſt heraus, als jene Bogen meines Buchs Yängft
gebrudt waren. Da Biete ih ihm mehr Rachträ ngeben —
wenn er mich darnach gefragt hätte, und würde mir es auch für feine
Schande rechnen, wenn ee mir hundert nachgewieſen hätte, benn
Alles kann man nicht wiffen, und ob ich fleißig gefammelt habe, dar⸗
über wird wohl Riemand, ber mein Buch kennt, in Zweifel fein,
Endlich fagt er, ich haſche darnach, pilante und fcandalöfe Gas
hen borzubringen, will alfo auch meinen rakter verdaͤchtigen;
Leider hat er aber nicht hinzugefügt, wie jene fünf Stellen bie dama⸗
lige Zeit und die Werderbtheit der Möndye charakterifiren follen und
dieß auch ausdrüdlich an vier Stellen gefest iſt, die übrigens, mit
Ausnahme einer einzigen, alle in der Einleitung flehen, wo fie als
eulturgefhichtlich auch hingehören. Was meine, wie ich benfe,
nicht undyriftliche Gefinnung angeht, fo iſt der Anonymus nicht der
Mann dazu, mid, darüber zur Rede zu fegen, und eine Eiterärge:
ſchichte der allerungeeignetfte Ort, um eine Blaubensinquffition daran
anzufnüpfen. Diefe Partie honteuse ber lit. Zeitung überlaffe,
ich übrigens ruhig der Öffentlichen Meinung, die fich die Sewiffene-
freipeit durch einige anonyme Seribenten von ber zweifelhafteſten
Art nicht entreißen laſſen wird.
Roh wirft der Anonymus meinem Buche Drudfehler vor.
Ich weiß, daß fich mehrere darin finden, allein eine unerträglice
Sant, wie er ragt, bilden fie nicht, und werben, vorzüglich die in
den arabifhen Wörtern, welche Hammer bereits verbefiert hatte,
am Ende bes Ill. Bandes ihre Grledigung finden. Jedoch hätte
billig der Schreiber dieler Kritik fich ſelbſt vor bergl Sünden die
ten follen, er aber fchreibt ©. 303 Abulfelda fiatt Abulfeda,
&. 305 invicibilis flatt invincibilis u. a. m., ja citirt ſelbſt mehr⸗
mals falih, nämlih über Gerson &. 309, wo es 308 heißen
mußte, dann fchreibt er questiones, wo es bei mir quaesliones
heißt, und glei darauf 319, wo er 321 fchreiben follte, und gleich
daneben 321, wo 323 ſtehen mußte, alſo innerhalb 12 Zeilen gas
vier Drudfehler, und ein folcher nad) er Menſch will mid tar
bein, wenn in einem Bande von 1241 Geiten einige Drudfchler
untergelaufen find ?
r tabelt ferner meinen Styl und fagt, er verſtehe ©. 1019
ben Sad: „von Wilhelm Weber theilt Bagenfeil einen ihm
ſelbſt paffirten und von ihm ertemporirten Schwenk in Berfen mit,
burchaus nicht, allein ich behaupte, daß nur ein Blödfinniger zwei⸗
fein wird, daß hier von Weber bie Kede ift, und wenn aud das
Wort „„paffiet‘ nicht ebel fein mag, fo reicht es doch noch lange
nicht an die „Ballyörner” bes Recenfenten. Allein lächerlich iß
es, daß er mich tadelt, weil ich fage: „die Völker der ſcandinavi⸗
ſchen Halbinfel,” da es heißen müffe: „Halbinſeln;“ denn ſchwerlich
bürfte jemand Anderes als ber Anonymus ganz allein daran Aus
ſtoß nehmen. Uederdieß finden ſich auch im ber vorliegenden Kris
tik zwei Muſter von Eaten Sägen. Es heißt 8.305: „, Dier hätte
Gr. vorfichtig fein und die ungenaue Uebertvagung Hamberger’s
(am wenigften fehlerhaft) abfehreiben ſollen.“ Alſo abichreiben
tte ich fie follen. O einfältiger Anonymus! &. 904 fleht: „un⸗
ere Leſer werben uns gewiß auch den Schein von Willkür zu Gute
halten, welcher bei der Anführung von Gingelnheiten unvermeiblid
ft.” Ich geftehe, ich verſtehe nicht, was der Kritilafter will, and
vermuthlich werden es auch Andere nicht wiffen, denn nxan bieh
ſoviel heißen fol, als daß er aus vielen Fehlern meines Budet
aur einige willkürlich ausgewählt habe, fo iſt bief leere Prah⸗
lerei; benn gitte er nur irgend bebeutendere Berlöße in ber Sache
und berglei auffinden tönnen, fo wuͤrde er folde doch gewiß
de mir gorgrrüct haben, als diefe von mir wiberlegten angebli-
en .
mit wäre benn, wie ich denke, binreichenb bewicſen, baf
ber Criticus ſich nicht etwa blos geflifientlicher Verdrehung ber
Wahrheit ſchuldig gemacht hat, fondern auch unendlich unwifſſend
und Burchaus unfäbig ift, über mid und mein Buch ein Urthei
abzugeben.
Schließlich forbre ich ihn hiermit öffentlich und feierlih aufı
das Viſir der Anonymität abzuziehen und feinen Namen zu mumEen,
damit man boch fieht, was ex denn feinerfeits Durch Arbeiten auf
ben Felde ber Literaturgefchichte ober Bibliothekwiſſenſchaft bereits
geleiftet hat. Folgt er aber meiner Aufforbe nicht, fo halte ich
es für bewiefen, baß er tn biefem Falle fich jeined Rament umb
feiner That zu fchämen geflänbig fei.
Dresden, den 1, April 1843.
Br. 3. G. zb. Gräfe.
En a
Literariſcher Anzeiger.
1843. Nr. I.
— — — — — — — ——— — — — — —— — — ——
ſeſer Literariſche Anzeiger wird den bei F. A. Brockhaus in Leipzig erſcheinenden Zeitſchriften „Blaͤtter für literariſche
—— a Kl beigelegt ober beigeheftet, und betragen die Infertionsgebühren für die Zeile ober deren Raum 2, Nor.
Leipziger Repertorium
der
deutschen und ausländischen Literatur.
Unter Mitwirkung der Universität Leipzig
herausgegeben
Dr. E &. Gersdorf.
Hofrath und Oberbibliothekar.
* Wöchentlich ein Heft von 2!,—3 Bogen in gr. 8.
. Preis des Jahrgangs 12 Thlr, u
Seipiig, bei F. A, Brockhaus,
Unter obigem Titel erscheint vom Jahre 1843 an eine allgemeine literarische Zeitschrift, welche die
Gesammtheit der neuesten deutschen und ausländischen Literatur im weitesten Umfange zusammenstellen
und die wichtigsten Erscheinungen zwar kurz, doch zur Kenntniss und zur Würdigung derselben genügend
besprechen soll. Ein Literaturblatt dieser universellen Tendenz besteht in Deutschland noch nicht, und
auch das Ausland kann ein. solches nicht aufweisen. Gleichwol ist das Bedürfniss desselben vielfach
erkannt und: dringend, da die deutsche Literatur, so bedeutend diese auch seit einigen Decennien an Zahl
. und Umfang sich vermehrt hat, dem einheimischen Gelehrten die Kenntniss der ausländischen nicht
entbehrlich machen kann, vielmehr die Beachtung derselben in neuester Zeit um so wichtiger und noth-
wendiger gewoxden ist, je mehr auch sie nach den verschiedensten Seiten hin erweitert worden ist, und
je häufiger die Arbeiten deutscher Gelchrter und Schriftsteller im Auslande berücksichtigt werden. Unsere
Allgemeinen Literaturzeitungen, so Vorzügliches sie auch leisten, können dem angedeuteten Bedürfnisse
bei der Menge der .jährlichen Erscheinungen nicht ausreichend mehr abhelfen; die in ihnen vertretene
wissenschaftliche Kritik gestattet bei einem verhältnissmässig nur sparsam zugemessenen Raume weder
die deutsche Literatur in ausgedehnterer Weise zu berücksichtigen, noch auch der ausländischen eine
umfassendere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Einzelne Versuche, eine allgemeine literarische Zeitschrift zu
- begründen und planmässig und in der unbedingt nothwendigen Vollständigkeit durchzuführen, sind bisher
an den S@hwierigkeiten gescheitert, welche die Herbeischaffung des nöthigen literarischen Materials auf der
einen, und die Erlangung und das Zusammenhalten .der erfoderlichen intellectuellen Kräfte auf der
andern Seite entgegenstellten. Leipzig, seit Jahren der Centralpunkt des deutschen Buchhandels, ist
neuerdings auch mit dem ausländischen in so vielfache und unmittelbare Beziehungen getreten, dass in
Deutschland vorzugsweise nur von da aus «in solches Unternehmen begründet und zu einem für die
Literaturkenntniss und die Wissenschaft nützlichen Erfolge geführt werden kann. Yon dieser Ueberzen-
gung geleitet und unterstätzt durch die Bereitwilligkeit des akademischen Senats hiesiger Universität,
das neue Unternehmen thunlichst zu fördern, beabsichtigt die Redaction des seit 1834 erschienenen
‚BRepertorium der gesammten deutschen Literatur vom Jahre 1843 an dieses
\
unter obigem Titel "zu erweitern und in eine Zeitschrift umzugestalten, weicke} nicht, “wie ‚bisher, di
deutsche ausschliesslich, sondern die gesammte Literatur aller Länder und Völker berücksichtigt. Es wird
dies in zwiefacher Weise geschehen, indem "
I. die Titel neuer Schriften sofort nach deren Erscheinen bibliographisch genau verzeichnet und
I. über die wichtigeren derselben kurze Berichte gegeben werden.
Für die Ausführung ist folgender Plan festgestellt worden:
| I.
1. In bibliographischer Beziehung wird hinsichtlich der innerhalb Deutschlands und der in deutscher
Sprache erschienenen Schriften die grösstmöglichste Vollständigkeit angestrebt, die Literatur des Auslandes
aber mit Ausschluss kleinerer Broschüren und Schriften von blos localem Interesse verzeichnet.
2. Die Titel der Schriften der deutschen Literatur werden unmittelbar, nachdem diese im Buchhandel
versendet worden, die Titel der ausländischen, dafern die eigene Ansicht derselben in kürzester Frist
unerreichbar sein sollte, sobald ihre Existenz glaubhaft erwiesen ist, mit Angabe der Bogen- oder
Seitenzahl, des Formats und des Preises aufgenommen, diejenigen Schriften aber, über welche noch besoa-
ders berichtet werden soll, in der Regel durch ein Zeichen kenntlich gemacht.
3. Da bei dem dermaligen Standpunkte der Literatur für eine umfassende Kenntniss der neuesten
Erscheinungen und Leistungen die Bekanntschaft mit den einzeln und selbstständig erschienenen Schriften
nicht ausreicht, sollen auch die in wissenschaftlichen Zeitschriften des In- und Auslandes -enthaltenen Ab-
handlungeu und längern Aufsätze berücksichtigt und ihren Ueberschriften nach aufgeführt werden.
4. Auf gleiche Weise werden ausführliche, auf Inhalt und Werth einzelner Schriften genauer eingehende
Recensionen aus den grössern Literaturblättern des In- und Auslandes von Zeit zu Zieit nachgewiesen.
5. “Alle diese bibliographischen Nachweisungen werden unter bestimmte, feststehende Rubriken geordnet,
damit Derjenige, welcher vorzugsweise in Bekanntschaft mit den literarischen Erscheinungen eines einzelnen
Faches sich zu erhalten wünscht, leicht sich orientiren könne.
II.
6. Das Repertorium soll indess nicht blos die Titel und Ueberschriften der neuesten literarischen
Erzeugnisse in der angegebenen Maasse zusammenstellen und zur allgemeinen Kenntniss bringen, sondern
dem Leser auch einen treuen und möglichst vollständigen Bericht über die wichtigern und werthvollern
Bücher geben, durch welche er in den Stand gesetzt wird, selbst zu beurtheilen, welchen Standpankt die
neue Schrift einnehme, ob und wiefern dieselbe Berücksichtigung verdiene und für seine eigenen Bedürf-
nisse brauchbar zu sein verspreche oder nicht.
7. Dem Repertoriun sind hiernach weitläufige Mittheilungen über Materie und Form einer Schrift,
sowie umständliche Widerlegungen der in ihr enthaltenen Meinungen fremd. Nur der wesentliche Inhalt eines
Buches, der Zweck, den der Verfasser oder Herausgeber vor Augen hatte, der Plan, den er befolgte,
die Hülfsmittel, die er benutzte oder auch unbeachtet liess, die hauptsächlichsten Merkmale, "durch weiche
es sich von andern ähnlichen unterscheidet — diese Momente sollen hierbei insbesondere berücksichtigt, dem
Leser soll nicht, was der Recensent. meint, sondern vorzugsweise was der Verfasser sagt, zur Cha-
rakteristik des Buches in thunlichster Kürze vorgeführt werden. |
8. Kleinere Schriften, die nicht ein höheres wissenschaftliches oder ein wichtiges Zieitinteresse haben,
gewöhnliche Erbauungs-, Schul- und Lesebücher, und die Erscheinungen der belletrisktschen Literater
werden in der Regel nicht besprochen. | “
9. Dagegen werden, um einen leichtern Ueberblick über die literarischen Bestrebungen einer einselsen
Nation sowol, wie über die Fortschritte und Leistungen in besondern Fächern den Lesern des Repertorlam
zu verschaffen, von Zeit zu Zeit ralsonnirende Uebersichten gegeben, in welchen der dermalige Siand-
punkt derselben kritisch untersucht und dargestellt wird.
10. Um aber das gesammte bibliographische und literarhistorische Materlal der neuesten Zeit in einer
Zeitschrift möglichst zu concentriren, werden zuverlässige Berichte über die Thätigkeit wissenschaftlicher
Institute und gelehrter Corporationen, geeignete Mitiheilungen zur Literaturgeschichte und Literaturstatisik,
auch jedem Hefte sorgfältig zusammengestellte P£rsonalnotizen beigefügt werden. .
Die Verlagshandlung wird mit allen Ihr zu Gebote stehenden Mitteln das Unternehmen möglichst fördert,
wogegen sie aber auch auf die Unterstützung Derjenigen rechnet, für die ein solches Unternehmen bestiums
ist. Auf eine zweckmässige typographische Ausstattung und die grösste Correctheit wird besondere
Sorgfalt gewendet werden. Wöchentlich erscheint ein Heft, das in der Regel 24 — 3 Bogen enthalten
wird, und der Jahrgang, aus 53 Heften oder 4 Bänden bestehend, kostet 12 Thir. Für litera-
rische Bekanntmachungen aller Art ist der jedem Hefte beigefügte
Bibliographische Anzeiger
bestimmt. Die Insertion beiragen
berechnet.
Leipzig, im Januar 1849.
Die Verlagskandlung:
F. A. Brockhaus.
sgebühren 2 Ngr. für die Zelle oder deren Raum. Besondere Bai-
lagen u. dgl. werden mit dem Repertorium, ausgegeben und dafür die Gebühren mit 1 Thlr. 15 Ngr.
s
Die Redaction:
E. G.
EEE
| SchIußheft bes Univerſal⸗Eexikons ber
Zontunft. |
Im Verlage von F. G. Böhler in Stuttgart iſt
erſchienen und. kann durch alle Buch⸗ und Mufithandiungen
Deutfchlands bezogen werben:
EneyFlopädie
er
gesammten musikalischen Wissenschaften,
d
Hniverfol:Regiton der Tonkunfi.
Supplementband. btes Heft.
Sr. 3. Broſch. 12% Ngr. (10 gGr.) = 45 Kr.
Herausgegeben
von
Dr. 2 &, GSaßuer,
großherzogl. babifher Hof: Mufikölrector.
Dies Schlußheft enthätt ausſchließlich Biographien, welche
in dem Dauptwerfe bisher ungern vermißt wurden.
Das ganze jegt vollftändige Werk, welches in keiner Biblio⸗
thek von Muftleun, Lefevereinen und gefchloffenen Geſellſchaften
fehlen follte, umfaßt ſechs Bände eb einem Supplementband,
im Ganzen gegen Bogen des größten Leritonformate.
Es verbreitet fi über alle Theile des muſikaliſchen Wiſſens in
größter Ausführlichkeit, umd fteht im dieſer Hinſicht einzig ba.
- Der Suppiementband ift vom Hauptwerk ungertrennlid, und
überhaupt unentbehrlich, ba er eine Menge Berichtigungen und
Ergaͤnzungen enthält, ohne die das Hauptwerk lüdenhaft bleibt.
Dee Dreis aller fieben Baͤnde tft jegt vollſtaͤndig
10'% Xhlr., oder 18 Fl. 54 Kr.
In Unterzeichnetem iſt foeben erſchienen und an alle Buchs
Handlungen verfandt worden:
Amrilkais,
der Dichter und Koͤnig.
Sein Leben dargestellt in seinen Kiedern.
Aus dem Arabifhen Übertragen
von .
Friedrich Rückert.
Gr. 8. Belinp. Broſch. Preis 1 Thlr., oder 1Fl. 36 Kr.
Inhalt:
Amrilſtais Ben Hodſchr. — I. Beine end. Die
aicbesabenteuer. Die Gorgennadt. Die A and Der
Jagdritt. Die Regenſchau. Mus dem Diwan bes Am⸗
iS. Geinnerung an Selma. Beshaſa. Der gefähes
Liche Beſuch. Ommo Dichondob. Umeima. Gine Iingenannte,
Die Trennung in Jemama. Suleima. Gsma. Mawija.
Selma's Reiz. Hind's Freier. Die geliebte Hirr. An bie
Tochter des Ameri. Trotgedicht gegen Sabi Ben Auf. Segen
Die Drohungen und Anſprüche feines Wetters Abul Aßwabd.
-fehlgefchlagene Unternehmung gegen Ben Eßed.
-
Der gute Kamerad. Der Bekehrte. Schamus. Die Zeit⸗
genofienfchaft. Die vier vorbehaltenen Stüde. Die Beſendete.
Der Regen. Der Wettgefang. — II. Sein Reben in feinen
Eiedern. Als ihn bie plögliche Nachricht von der Ermor⸗
bung feines Waters traf. An feine Tochter Hind. Über feine
Siegeslied.
Loblied auf Oweir. Der Treuloſe und der Treue.
zu Ehren Oweir's und der Beni Auf. Als er in ſeiner Be⸗
draͤngniß ſich an die Beni Schemedſcha Ben Dſcherm wendete
(oder wenden ſollte). Zu Ehren des Tarif Ben Malek. In
Ungeduld und Unmuth über ſeine geraubten Kameele. Muthi⸗
ger Ritt. Ein Sinnſpruch. Als er bei Abu Hanbal von den
Beni Thoal einkehrte. Während er am Berg Adſcha in Tei, bei ven
Beni Thoal, ben berühmten Bogenſchühen, fich ficher fand.
Dee Bogenſchütze von Thoal. Zu Ehren zweier Zäger von
Tai. Betrachtung. Erinnerung an bie erfte Niederlage feines
Geſchlechts. Er gebenkt feiner Schweſter. Hinfälligkeit. Der
Kranke. Des Dichters Lebensweisheit. Er verfenter fih in
Grinnerungen. Auf der Reife durch Syrien nach Konftantinopel.
Krank, auf der Rückreiſe vom Kaiſer. Sein letztes Gebicht.
Stuttgart und Er im December 1842.
Cotta'ſcher Verlag.
Durch alle Buchhandiungen und Poftämter ift zu bezichen:
Tandwirthschaftliche Dorfzeitung.
Herausgegeben unter Mitwirkung einer Geſellſchaft prak⸗
tifcher Land» und Hauswirthe von &, v. Pfaffenrat
und William Röbe, Mit einem Beiblatt: Eemein-
nütziges Mnterhaltungsblatt für Stadt und Land.
Dritter Jahrgang. 4. 20’ Nar.
Hiervon erfheint woͤchentiich Bogen. Enkünbdigun⸗
gem darin werben mit 2 Ngr. für ben Raum einer gefpaltenen
Zeile berechnet, Defondere Anzeigen 1c. gegen eine Bere
gütung von %, Thlr. für das Tauſend beigelegt.
Inhalt bes Monats December:
Dorfzeitun .uUnterweiſung in der Obſtbaumpflege. —
Einfaches und Leichtes Verfahren der Flachs⸗ und Hanfröftung. —
Die Wiefe ift bes Lundmanns größter Schag. — Correſpondenz
ber Landwirthſchaftlichen Dorfzeitung. — KBerbandlimgen ber
beutfchen Lands und Forſtwirthe in Stuttgart, in Betreff ber
zu ergreifenden Maßregeln gegen die für ben Landwirth durch
die diesjährige Dürre -eingetretenen Futternoth. — Iſt bie
Düngung der Wieſe durch Wafler ober eine Bewäfferung in
Kleinen Wirtbfchaften ausfuͤhrbar? — Wichtigkeit des Seiden⸗
baus. — ‚Kennzeihen und Vorboten ber Neigung zu ben erbs
lichen Krankheiten unter den Schafen. — Welches iſt eine gute
Melkkuh? — Anzucht und Pflege der Maulbeerbäume — Mis⸗
ceRen, Ankundigungen.
Mnterhaltungsblatt. Der Biſchof Thilo in Merfehur
und fein Habe. hr Ausmwanberer nad) Rorbamerika. s
Büdermardt, Wermifdites, Anekdoten, Aukün⸗
bhigungen.
Eeiptig, im Januar 1843,
S. a. Brockhaus.
“
Abermals
x \ ®
Bi J. &. Gehaub in Däffeiborf ift ſoeben erſchie⸗
am und in allen Buchhandlungen zu haben:
Eprenipiegel
des deutſchen Volkes
und
vermischte Gedichte.
on
Friebdrich von Uechtritz.
124 Seiten in Großoctav. Auf ſtarkem Velinpapier. In
farbigem Umſchlag geheftet. Preis 20 Sgr.
In dem Hauptgedicht der vorſtehenden Sammlung werden
dem Leſer die wichtigften Entwickelungsſtufen des deutſchen Volks⸗
lebens in lebendigen Bildern vorübergeführt, bie, in ſich abge:
fchloffen, durch „bie Zeit‘ als Rhapſode und Chorus verbun:
den und vermittelt werden. Wir fchen das Walten Karl's des
Großen, ben Sängerkrieg auf der Wartburg, Bürger und
Landsknecht auf den Straßen Nürnbergs, den großen Kurfürz
fien, die Iehten Jahre Friedrich’s bes Großen, neben dem aufs
blähenden Gefftesieben Weimars, das Jahr 1813. Zulett
fpriht, als Symbol der Gegenwart, Germania vom Stuhle
Karls des Großen herab, Doc wir dürfen nicht mehr ver-
zathen, um bem Lefer den Genuß bes hoͤchſt eigenthümlichen
Bedichtes nicht zu verlümmern, das gewiß jedes deutſche, für
Deutfchlands befte Srinnerungen und Hoffnungen empfängliche
Herg anſprechen wirb. |
In ber Buchhandlung des Waiſenhauſes in Halle
iſt foeben erfchienen und in allen Buchhandlungen des In⸗ und
Auslandes zu haben: .
V. R. Wellftch’s Reiſen in Arabien.
Deutſche Bearbeitung herausgegeben mit berichti⸗
genden und erlaͤuternden Anmerkungen und einem @g-:
eurs über himjaritiſche Aufchriften von Dr. E.
Mödiger. Mit Karten und Sinfchriften. Zwei Bände.
Sauber broſchirt. 3 Thlr. 15 Sgr. (3 The. 12 gGr.)
Wellſted's Neifeberichte betreffen großentheils ſolche Gegen:
den Arabiens, bie guvor noch von Feinem Europäer betreten
find, namentli ben Süd: und Oflrand der Halbinfel. Gibt
ihnen bier die Neuheit des Gegenftandes ſchon Intereſſe, fo
feſſeln fie den Leſer auch da, wo’ fie fih auf befannterm er:
zain bewegen, wie beim Sinaigebirg, durch felbftändige Auf:
faſſung und durch eine eigenthümliche e der Beobachtung
und Darſtellung. Gin Slick in das Inhaltsverzeichniß wird
die bunte Mannichfaltigkeit des Werkes anſchaulich machen.
Maskat und Aden, Sinai und ber Glockenberg, Myos Hor⸗
mus und die Ruinen von Berenice, die Dampffahrt auf dem
Rothen Meere und andere Punkte vom jüngſten Zeit⸗
intereffe kommen zur Sprade, und ber noch fo heue
Fund ber himjaritiſchen Infchriften verdient jegt auch wol ber
größern Lefewelt vorgeführt zu werden. Man erwarte übrigens
nicht eine jener fabritmäßigen Überfegungen, das Buch möchte
ſich vielmehr an bie befjern Arbeiten diefer Art würdig ans
fließen. Die Karten und Infchriften find auf zwei großem
Zafeln mit aͤußerſter Genauigkeit und Sauberkeit ausgeführt.
In unserm Verlag ist soeben erschienen und in allen
Buchhandlungen zu haben:
Nouvelle
CHRESTOMATHIE FRANGAISE
Choix de. propositions et de morceauz extraits des
meilleurs E&crivains frangais
par
Ch. Richon,
Auteur de la grammaire francaise theorique et praligue composde
d’apres l’idde du systeme de Becker, „
8. 18% Ngr. (15 gGr.), oder I Fi.
Bei Abnahme grösserer Partien dieses, durch besondere
Vorzüge sich auszeichnenden Schulbuches werden bedeutende
Vortheile gewährt. Die Anerkennung, welche der Gram-
maire des Herrn Herausgebers zu Theil wurde, gibt die
Gewähr auch für die Trefflichkeit dieser Chrestomathie.
Meyer & Zeller in Zürich,
Elavierfpielee machen wir auf bie neue in Paris mit
ausgezeichnetem Beifall aufgenommene
Fantaisie comp. par Kalkbrenner
sur des mofifs de l’Opera la Beine de Chypre (Die
Königin von Cypern) de Halevy, Op. 157, 25 Sgr.,
und auf bie Etude heroique Ajax, 10 Sgr., aufmettſam.
Berlin. .
Schlesinger’sce Buch - und Musikhandlung,
Das Mennig- Magazin
Beginns mit 1843 feinen elften Jahrgang, während die Mehrzahl ber bemfelben nachgebildeten Blätter laͤngſt aufs
gehört hat zu erfheinen, und die nah zehnjährigem Beſtehen noch fehr bedeutende Abonnentenzahl gibt wol den
beften Beweis dafür, daß das Pfennig: Magazin einem wirklihen Bedürfniffe entfpriht. Die Redaction wird ſich
indeß befiteben, noch forgfältiger den unermeßlihen Stoff des Wiſſenswerthen und Sntereffanten aus alm Theilen
ber Erde und aus allen Borkommniffen des menfhlichen Verkehrs zu benugehn und namentlich auch neben der
Belehrung, fo weit es möstih, auf anfprechende Unterhaltung Bedacht nehmen, ſowie von Woche
zu Woche merkwürdige Erſcheinungen ber Gegenwart in Miscellenform zus Sprade bringen. Die mit 1843
beginnende Neue Folge wird wie feither mit den beften englifhen, franzöfifchen und deutfchen Holzſchnitten
gefhmüdt werben, und fo werden Redaction und Verlagshandlung Alles anwenden, um das Pfennig: Magzin
immer mehr zu einem wahren Volksblatt zu machen, das es jegt ſchon durch feine außerordentliche Verbreitung
zu fein beanfpruchen darf.
Der Preis bleibt unverändert für den Vahrgaug von 52 Nummern 2 Ihle.
Probeblätter sind in allen Buchhandlungen zu erhalten.
u‘
Reipzig, im Sanuar 1843.
Drud und Werlag von F. 4, Broddaus in Leipzig
F. A. Brockhaus.
—
Siterarifher Anztiger.
1843. Nr. II. |
ee — — —— —— —— — —
Literariſche Anzelger wird den bei F. A. Brodhaus in Leipzig einenden Zeitſchriften „Viaͤtter für literarif
—e— an KH beigelegt ober beigeheffet, und betragen bie —E— fuͤr die Zeile ober. beren Kaum —
Im Verlage von 3%. Brockhaus in Eeipzig erſcheinen für 1843 nachſtehende
Zeitungen und Journale
und werden Beſtellungen darauf bei allen Buchhandlungen, Poſtaͤmtern und Zeitungsexpeditionen angenommen.
») Reipziger Hllgemeine Zeitung.
365 Nummern nebft vielen Beilagen. Hoc 4. Pränumerationspreis vierteljährlich 2 Thlr.
Wird Abends für den folgenden Tag auögegeben. 0
Anzeigen aller Art finden in der Beipgiger Augemeinen Zeitung eine weite Verbreitung. Die Infertionsgebühren
betragen —* den Raum einer dreiſpaltigen Zeile 2 Ngr. |
2 Weue Jenalsche Allgemeine Literaturzeitung.
"Im Auftrage der Universität zu Jena redigirt von Geh. Hofrath Prof. Dr. F. Hand, als Geschäfts-
führer; Geh. Kirchenrath Prof. Dr. L. F. ©. Eaumgarten- Crusius, Ober - Appellations-
rath Prof. Dr. WW. Francke, Geh. Hofrath Prof. Dr. D. &. Hiieser, Geh. Hofrath Prof.
Dr. «I. £f. Fries, als Specialredactoren.
— Be, En nam mean 1
Die 3ei eint n ſechs ttern ann aber au nats heften bezogen werben. werden
mit 1%, Rer. ha Kaum einer gefpaltenen Zeile, und befondere Beilagen mit 1 Thlr. 15 43 berechnet. zeigen
3) - Leipziger Repertoriun der detitschen und ausländischen Literatur.
Unter Mitwirkung der Universität. Leipzig herausgegeben von Dr. E. 6. Gersdorf, Hofrath und
Oberbibliothekar. | |
ahrgaung 1843. Wöchentlich ein Heft von 2',,—3 Bogen. Gr. 8. 12 Thir.
J
Dem Repertorium ifl ein
| Bfbliographischer Anzeiger
ben unb werden Inferate in bemfelben mit 2 Nor. für die Zeile ober deren Raum berechnet, befondere Anzeigen
u. Agl. gegen eine Verguͤtung von I Thlr. 15 Nor. beigelegt. |
2) Blätter für literarische Mnterhaltung.
. 365 Nummern nebft Beilagen. Gr. 4. 12 Thlr.
Es erſcheinen wöchentlich fieben Rummern, bie Zeitfchrift kann aber auch in Monatsheften bezogen werben.
5) | 1818. |
Encyklopadiſche Zeitſchrift, vorzüglich für Naturgefchichte, vergleichende Anatomie und Phyſiologie von Dken.
123 Hefte. Mit Kupfern. Gr. 4. 8 Thlr.
Bu ben Iegtgenannten beiben Beitfchriften erfcheint ein
Eiterariſcher Wuzeiger, _
für literariſche Ankündigungen aller Art beflimmt. Für die gefpaltene Petitzeile oder deren Raum werben 21, Nor. berechnet.
Gegen Vergütung von 3 Thlrn. werden Anzeigen u. dgl. ben Blättern für literarifäpe Unterhaltung und gegen Vergütung
von 1 hlr. 15 Nr. ber Zas beigelegt ober beigcheftet.
6) Handwirthschaftliche Dorfzeitung.
Derausgegeben unter Mitwirkung einer schaft praftifher Sand», Haus» und Forſtwirthe von €.
von Dfaffenraty und William Göbe. Mit am Deiblaft Ä Geneinudiiges Uutechaltungsblekt
ge un and,
i N . & 2 Rear.
Bag al rn A a m
y, PH für das Zaufend —*— Fr einer gefpaltenen Zeile ur Babe Beilagen wi gegen eine Wergätung von
—
6
5
für Unterhaltun
Neue Folge. Erſter Jahrgang. 52 Nummern.
Das Pfennig- Magazin
g uud Belehru
es
it vielen Abbildungen. Schmal gr. 4. 2 Thlr.
bas Pfennig⸗Magagin werben Anzeigen aller Art aufgenommen und ber Btaum einer gefpaltenen Zeile mit 5 Re.
In
berechnet. Beſondere
ellagen werben gegen BVergoͤtung von /, Thir. für das Tauſend beigelegt.
a )
Im Verlage von Brockhaus & Yvenarius in Leipzig erfcheint:
Echo de la litterature francalise.
Journal des gens du monde.
Troisitme annee.
eint in wo
Erſch
geſammten franzoͤſiſchen Journaliſtik.
Gr. 8. 52 Nummern.
chentlichen Nummern von I—2 Bogen und bietet eine Auswahl bes Beſten und Intereffanteften aus ber
Preis des Jahrgangs 5 Thir. 10 Ngr.
m
Snferate werben mit 154 Nor. für die Beile berechnet, und befondere Anzeigen gegen Vergütung von 1 Thlr. beigelegt.
In unferm Berlage if ſoeben erſchienen und in allen Buch⸗
handlungen zu haben:
@inleitung
in db
ie
alte römische Humismatfik
Dr. Sr. Huton Mayer,
zefignirtem Stadtpfarrer von Eichſtaͤdt, Königreich Baiern.
Mit drei Tithographixten Tafeln.
8. Broſch. 7% Thir., oder 1 Fl. 30 Kr.
Dieſes vortreffliche Handbuͤchlein für Freunde der Numis⸗
matik kann mit deſto groͤßerm Rechte beſtens empfohlen werden,
als der Herr Verfaſſer ſchon durch viele Schriften über Alters
thumstunde ruͤhmlichſt bekannt iſt.
Meyer & Zeller in Zuͤrich.
n zweiter SE |
tft ſoeben bei —* in — erſchienen:
Eebens bilder
aus
der westlichen Hemiſphäre.
Dom Verfaſſer des Legitimen, des Virey, des Cajuͤtenbuchs
und von Süden und Norden. Zweite burchgefehene Auflage.
5 Theile. 8. Velinp. Geh. 9% Thlr., oder 15 51. 12 Kr.
Berner iſt von bemfelben Verf. foeben dei uns erfdhienen :
Su
en und Norden,
ifter und 2ter Band.
8 Sch. 3% Thlr., oder 6 Fl. 12 Kr.
Dieſes neueſte Werk führt uns in. bie Süblande von
„ Merico. Die charakterifche, kraͤftige, treue Skizzirung, bass
Lebendige, Maleriſche der feelenvollen Schilberungen- werden ben
Leſer Hier ebenfo unwiderſtehlich hinreißen, bezaubern, wie bie
hern Schriften diefes „ausgezeiänetfen aller Reifes
Novelliſten“. Die 3 oder 3 noch folgenden Wände
nen raſch im Laufe des nächften Jahres.
Borraͤthig in allen Buchhandlungen.
Preishorabsetzung von & 5 auf & 2 Thlr.
der vollständigen Clavierauszüge mit deutschem und franzö-
sischem Text der Opern
Iphigenie in Tauris yo pheüs und Armide
t von ©. „ Bohmidt und
das beste bekannt; Schönheit des Druckes,
Das Arran
Mellwig st
Format und Correctheit zeichnen diese Ausgaben aus; der
überaus billige Preis der vorräthigen Exemplare ist durch
Concurrenz herbeigeführt. Armide ist in kl. Foliofermat.
Darch alle Buch- und Musikhandlungen zu beziehen.
Berlin.
- Schlesinger'she Buch- und, Musikhandlusg,
— — — — — —
En vente ches Brockhaus & Avenarlus à Leipzig:
de la litterature francalse.
Journal de gens du monde.
Deuxieme annde. 1842.
Sommaire du No: 23. LaFinlande, La soqete
Russe, Par Une passion sur les toits,
Par Camille Berru. — Le tabouret de la Princesse
de Furstemberg. Par ML. je oomte de V****, _
Le bonheur impossible. Par Louis Lurine. — Un
oignon sale, — Esquisse de Tribunaux:
Sommaire du No. 24. De la Teutomanie. Par
— Les cayes d’Elephanta. Par "Th. Pavie.
— Mieux vaut jamais que tard. Par Camäle
Berru. — Fables. Par Vienmet.
In der Karl Bersid’fhen Buchhandlung in Bien tk
erfchienen :
Jahrbuͤcher
Der RKiteratur,
NReunundneunzigfler Band.
1842.
Auli. August. September.
Anhalt bes neunundueunzigfien Saudes.
Art. I.
n
1) Gemmentar zu Horaz Oden, Buch 1 - III. Bon Pr.
gäbken. Cqlerwi⸗ 1841. 2) Fasti Horatiani. SBeripsit | VIII. Dee Pilger, von Bicomte d'Arlincourt. Aus vn
Carolus Franke. Accedit epistola Caroli Lachmanni. Bero- | Rranzöftichen von Paul ® anger. Karlösuhe 1842
lini 1839, 3) Quaestiones Horatianae. Scripsit ©. Kirchner. | Die Mebicerr. Drama in fünf Acten vom Fürſten zu 54.
Lipsiae 1834. — IV. Über die Theogonie des Heſiod, Ihe Ber⸗ Leipzig 1842. — X. Die Epiſteln des Quintus Horatius
derbniß und ihre urfprimgliche Geftalt. Bon Dr. D. F. Gruppe. | Blaccus, Überfegt von Merkel. Afchaffenburg 1841.
in 1841. — V.X ine Ratu icht lle Staͤnde,
ae Dr Be et teen) | ZRbalt Des Mnzeige-Winttes Me, XCIK
VI. iflenfchaftlich = Iiterarifche gucpelo die der —55 Ein „K. Maximilian's TI. Bibliothek“ in der k.k. Ambraſer
Sammlung in Bin, vom E. k. Major Sof. u pagr im
I sEritifches Woͤrterb tifchen Kunſtſprache.
en eeit ae 180 1842. ” VII. Gedichte von geftiftet. Bon Joſ. Bergmann. — Die Ef. Ir⸗
Wilpelm Emets. Gtuttgart und Tübingen 1842. — — in Prag.
Ergänzung der ältern Ausgaben
Goethe's fämmtlichen Werken
in 55 Bänden, fowol in Octav als in Taſchenformat.
In Unterzeichnetem And in Bolge hohen Bundesbeſchluſſes ſoeben erfäjlenen und an alle Buchhandlungen verfandt
Goethes
wachgelassene Werke,
. _16ter bis 20fter Band oder
Der Tammtlichen Werke, volftandige Ausgabe letzter Band,
56fter bis 60ſter Band.
Mit Goethe s Portrait von Schwerdgeburth nach Chodowiecki in Stahl gestochen,
Ausgabe in Taſchenformat. Belinpapier. Des r Thlr., oder 3 Fl. 15 Kr.
Aubgabe in Dctav. - 3 Xhle, : 5$t.
Inhalt:
e Baub.
Bermifchte Gedichte. An Perfonen. Invectiven. Zahme Zenien. Rachtraͤge vum um Divan. Marimen und Reflerionen. Ver⸗
ſchiedenes Einzelne. Reiſe ber Söhne Megaprazons. SBrief des Paftors an feinen Amtsbruder. Zwo wichtige biblifche Fragen.
STfter Band.
Das Luflfpiel: Die Wette. Iphigenia in Profe. * und Elmire, und Claudine von Villa Bella in der fruͤheſten Ge⸗
ftalt. Die ungleichen Hausgenoſſen. Gingfpiel. Zwei aͤltere Scenen aus dem Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. Hanswurſts
— ae zu Fauſt. Fragmente einer Zragdbie: Die natürliche Tochter (Schema der Fortſetzung). Pandora (debe
auſikaa
SSfler Band. j
Die Metamorphofe der Pflanzen. Beiträge zur Optik.
SOfer Band,
Der polemifche Theil der Farbenlehre.
sofRer Band. .
& a — —— Jdarbenlehre, zum Mineralogie und Geologie. Biographiſche Einzelnheiten. Chronologie der Entſtehung
Bei Ertheilung des Prloilegiums an die von Bretbe’fchen Erben für die legte Ausgabe ber Werke Goethe's ift von
der durchlauchtigften Bunbesverfammlung angeorbnet worben, baf im Intereſſe dee Weflger der Altern Ausgaben denſeiben burdy
nr. Alles zum Ankauf bereit gehalten werben folle, was biefe neuefte Kusonde mehr enthält als die fruͤhern.
te haben baber, im Ginverflänpnis mit den von Goethe'ſchen Erben, Anftalt getroffen, diefem Hohen Auftrage nachzu⸗
tommen und Gern Dr. 3. 9. Ecermann, ben vieljährigen Breund und Hausgenoffen Byethe’s, den gruͤndlichſten Kenner
feiner Schriften, fir die befonbere Zuſam enftellung alles Deflen gewonnen, womit bie lehterfchienene Ausgabe in 40 Bänden
Das —— fließt fi genau ben älteen Editionen an, Papier und Drud aber find ben Anfoberungen des jegigen Zeit
entſprechend gewählt worben.
Gtuitgart un Tübingen, im Januar 1843. I. &. Cotta’scher Verlag.
=
Neuigkeiten amd Sortsetzungen,
verfendet von
U. Brockhaus in Leipzig -
im Jahre 1842,
JA IV. Odober, November und December.
Mr. 1 dieſes Werichtd, die Verfendungen vom Januar, Bebruar
und März enthaltend, findet fi in Mr. XI und XII des Eiterarb
fen Anzeigerös Nr. II, die Werfendungen vom April, Mail und
Zunt, in Rr. XXI und XXI; Rr. Il, die Werfendungen vom
Suli, Auguf und September, in Nr. XXX beffelben.)
76,_Wueiennetäts : Rite Des Bfficier - Corps ber
Ge End Ben Munslien und Bel ie —
twe m en Rang uni ltairs jenblättern
SE —æã—ſ Pr D. Mansteldt, Gr.8. Sch.
Ir.
Eiementine. Gr. 19. Geh. 1 Ile.
= Vlgemeine —æe— der Wiffenfpaften
—8 in alphabetiſcher Jolge von genannten “
Fine bear! und herausgegeben von J ·
und &. @. Gruber, Mit Kupfen und * er
für m Zu auf
Gart. Pränumgrastondnerit
le.
5 Thir.
=D. — G. Gruber.
—S ©. x Hoff:
9 8 un
. — —e
I. Heinfins (98.), Cügemeines *. ers Regi-
Bom, ober alphabstifches Berzei—gnis aller von 1700 bis gu
Gnde 1841 erfchienenen Bücher, melde in Deutſchland und
in den duch Gprade und Literatur bamit verwandten Laͤn⸗
den gedrudt worden find. Rebſt Angabe ber Deudorte,
der Werleger, des Erfdeinungsjahrs, des Zormats, der Bos
je ahl, bee Preife ıc. NReunter Band, meldet bie von
is il —— und bie Berich⸗
ui jexer Grfheinungen enthält. Herausgegeben vom
Er Erfie Eimung. (A — Beschreibung‘)
u RA Ror., ‚reibpap. 1 Zpie.
Kae 2 Re 9 Toten
— EEE 2.
FE aa
&0. 'Werbarte * 3 .) kleinere Uhllesophlsche
'hriften und Abhandlungen, nebst dessen
wissenschaftlichem Nachlasse. Herausgegeben von et.
Zweiter Band. Gr, Br 3 Tılr., 158, er;
Hartenstein.
Dee ve Band, mehr nalen CE: nettung g
an: weni lege Sammlung yeläie
8. geist mist ae 9.), Reneftes und von⸗
Hänbig; A rterbuch, zur Erklärung aller
aus fremden 8 entlehnten Wörter und Ausbräde,
Fr ;e in den Künften und Wiſſenſchaften, im Handel und
jehr vorfommen, nebft einem Anhange von Gigennamen,
a Bezeichnung der Ausfpradhe brarbeitet. In aim ‚Heften.
a ‚Heft. (Brachypnoisch—critisch.) @r. 8. Jedes
ef
——
Bi —5 —
d. =:
Leben in de R 3
nn ©
—
8. ha. (0.2, Besim. Gine Hergensgeftäte. —
*
45
8_Röbe (Mbilliam), FL 1
Erd asian mm ae
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ee *
a Mir
I. nr — —— el DR tion
Auch u. d. L: —— —
Beiträge wur Gere te 3 vom Staaterecht von Gadfen.
Erſter Band. Er. 8, Geh. 3 Thir.
85. Xugemeine beutfpe Beni: Guchklopäbie
jebilbeten Stände, (Gony le
Ton.) Reunte yerbeflerte und fehe vermehrte Originalaufs
lage. Bolftändig in jeha Wänden oder einhunberiund
ar; ig Heften. Erſtes und zweites Heft. (A— Albrecht)
A Jedes Heft 5 Ror. ö
RP a
* Ele
Meperterium de, — ‚hen
Literatur. (Neunter Jahrgang, für das Jahr 1842)
Koh ce im Verein mit mehreren
er Ted Band in —X Hallen 3 The. -
. s (EL.), Inscriptiones Graecae ine
Füsc. u. —5 —* insularum Andri, Si,
» Byri, Amorgi, Mycon! Astyralacae, Nisyr,
Telt, Gel, Calymnge, Lan Patztı Baml] Lecbt There‘
Anaphae et Peparethl. Ama). Geh. 2 Thlr.
PT L *2* Be a an he Ta Re
88 Zu
von @b. —e— — 8 Fr Pe
Im Verlage von Kugtfi Ecw ft Cou⸗ in Hamburg if
erſchlenen und wird PR der Übrige Verlag deffelben von
F. 9 —— in Reipgig bebitiet:
Srenbt(h.
Kleine Bedenfule, ober
A eh —* die enge Bierte Auflage.
Stockſbolrer v. Birſ⸗
den en und in jeße folhen
su haben
Die Peſt in Wien.
Hiſtoriſche Novelle von Em. Straube, mit des Berfaf
fer6 Portrait in Stahl geflohen. Auch unter dem Ziel:
Em. Straube's Schriften. Erſter Band. 8. Leipzig
und Wien. 1842. Delinpapier, Elegant geheftet.
1 Ihe. 5 Mor.
Emanuel Gtraube hat fich feit einem Zahrzehnd her durch
fein Zatent in novelliftifdher Hinſicht ſowie auch als kritifäer
‚Bauptmitarbeiter eineß ber gebiegenfen u und befannteften Jour⸗
nale, bie volle Hodhachtung des gebildeten 18 erworben.
Die obige Berlagshandlung, bie Beliebtheit des — »
igend, hat denfelben bewogen, feine ſaͤmmtüchen bei
nn % gefammelt —e— — wovon wir *
— Band — veröffentlichen. Wis jegt iſt bie Bänke
zahl auf 20 feftgefegt, und da ber Gr. Werfafles in der Folge
noch manches —ä leiten —ã fo darfie bie vefp.
weit eine Reihe ſchriften erhalten, melde,
Charakter bes Hrn. ee gemäß, I Jungfrau wie
zur Hand nehmen kann, ohne bie Sittuchteit
tegen, Inden, eine reine, gebildete Sprache und Darfellung —
6 A Wien iſt fe
lung Deutfdlaude
—*
Drud und Derlag von ©. &. Brodhans in Beiysig
- [nn
Literarifger Anzeiger.
9.0 1848, Nr. IE
Diefer ee ——— wird den bei F.
Unterhaltung” and
beigelegt oder beigeheftet, und betragen bie In —2*&
L Bro@paus in Lel piie — Zeitſchriftenlaͤtter für —*
hren ſuͤr die Zeile oder deren Kaum M. Nor.
Verlags· und Commissionsartikel
Brockhaus& venartus: "
für deutsche und ausländische.
ur in Leipzig.
1642, er IV. Gctober- bis Derember.
(Nr. 1 dieses Berichts, dis Vorsendungen vom Januar bie März
enthaltend, befindet sich in Nr. XI des ischen ‚Auselgsra}
Hr. 11 Versendupgen: vom; ;April bie Juni, in Nr. XxXIV;
Br. 1l, die Versendangen vom Juli bis Boptomber, is
Nr. XXXVII.)
Alan (F. ), Nouvelle methode pratiqe et Saeild pour
8. Leipsig und: Paris.
Buckhan
"T re la languo allemande,
bir.
Aul aben über die Regeln der Tranzösischen‘ Sprache für’
Anfänger, (r (von Alex. Frege). 8. Leipzig und
Paris.
Dergleichen * r} eäb tere. 8. Leipzig und Paris, y, Thlr, j
che de la litsärkture frangaise. Journal des gens du mode.
Deuxitme annee. 1842. Ns, 19-—24. la- 8. Preis des
Jahrgangs 5% Thir.
‚Erscheint von 2843 an w
Auswahl des Besten und interessantesten aus der gesammien Ir ransö-
sischen Journalistik.
L’Album,. ’ owrnal Aitin⸗ a Veinseignement da dessin «t
de la peinture; r&dig6 par une soci6te d’artisies et d’hem-
mes'’de lettres, suus la irevtion de U. Balme. Ivo ut
Ze anndes. 2 vol. In-4. Paris 6 Thir. .
Biuet (A. P:), Nouvelle ‚opinion sur les pheno
la marche, la cause et le si6ge de la goutto et neurelie
methode curative pour gedrir radicalement cette maladie;
In-8, Paris. 9%,
Chassaignae (W.), Le coeur, les arlöres ot les veines,
texture et developpement, In-8. Pers. 1%, Thin
— Bes pisies de ia 'töte, -In-8, Paris. -1%-Thlr;
——, Be —e des appareils orthöpädiques,
a-B. Paris, -I
Gliake (Dimttliy ak); La oneghie de droit
55* —— de), La ege Peris.- 3%, —*
range TC penis , par eux - mömes, T. V, 1-10,
an Br Jede Lieferung schwarz Thig.,
„Thir
—— a 3. de), Yiudes sur P’histoire, les Tois et
—8* de 3 ' msrovingienne, F. I. Ia-8.
Paris et Leipzig. Ir...
Rigauit- Kebkun, "Moialair! "Bafte!; e-18. Paris.
{} Thir. - , u.
Anäryseowice (3. —— starok 'P ki *
powszechnemu Kae wydana. In - 12, gun : * Thlr,
Chronioon sen Aunales Wigandi Harburgenaie, | &
ee es nn Dry an Prinum ediderunt,
es Vo & . Bacnyuakl,
Pomasnieo 3. Thir,
polnisches Uchersetzung.
üchentlich, und biete eine,
= (I); Kike al o Polsce i dia Polski,
Poitiers.. 1% T
—* ludu wielko —8 zebrat 1 wydat a: 2. I Li»
—
l-42 Posnab.. nur,
— Br), Cheortannai; asyli San Dode-
, gogiki narodowej. 4 tomy.. In- 8. Poznaü, 6 Thir.
‚Als eine_der anziebesdsten neuern Kemädien empfehlen:
Los‘ Mömoires du diablo d’apräs Sowie 10 Nor.
Repertoire du thöätre frangaigd Berlin. IL BB Be:
L’umbitieax, oomédie en 5 actes p,
Yatdl, ee p· Seribe. Indiana: et sr. Oanzlenngne u“
Dan , ie " Seribe 5 Ser.
gone & emme 5 Sgr
L’ange di dans le monde et le able & ia meison 7) Sg ’
Der Subscriptionspreis für 6 Nen. (8 vollständige Btäck
ist 1 Thir., das vollständige 3. des —
in „Ben Buch hirandiungen gratis.
Behlosinger'sce Bach. ‚und. Mosikbandiang,..
— r G
Das aweite FT
aranten Auflage Ä =
Comversations - Cerikon
ie nd durch alle Baghandlawgen “
Diet neunte ——— Andene Mn 1 Bias —
120 Heften zu dem Preiſe vo
5 Rgr.— 490 —18.8t. = 15% SM.
yaptenı ie ver X feinem Gceribpapien Sofker.
—F 3 —— auf —— ———
an gehe auf. Minen Betinpuptee 3 Sub." "ech 5 Su:
— ⸗ *
5* ee — us ver
‚Meipglg, im Zanuar 1643
EM Mendes.
a Be Bi n.. ’ "
”
dh
"3 Unten 1 fr offen u . Sacam werben :
Goethe's
Portrait
(in feinem 27ften Jahre)
von Schwerdgeburth nach Chodowiechi in Stahl gestochen,
Preis 10 Rgi. (8 3Gr.), oder 36 N
Aeuttgnet u und Tübingen, im Januar 1843.
3. .. Cotie'scher Verlag.
Pränumeratien auf den Jahrgang 1843 der
_ Östreichischen militairischen Zeitschrift:
Bi.Brmiten & Geibel in Wien iR ſchientu⸗
Das Aue Geft ver
. Geötreichischen militatrischen Zeitschrift 1842.
Inhalt diefes FEN
I. Der Feldzug 1747 in Stalin. “ ee Abſq̊nitt.
Bit dem Plane bes Gel letter — * Über die
tthung tes Gonfertptionsgefedes. — I.
v un, einer Stelle in Oberſt Kaudters Belöpögen
von Bank Mit seiner Lithogsaphie. — V.
ige Bemerkungen über bie Gabdettenfhulen. — Vi. Des
ya Eugen vo von Savoyen Wirken in den Jahren 170 —
Krirgeerfahrung; Kriegeftubium; ——
führung. l Kartenanfündigung. - — IX. Ru
—— S—
Preis des Jahrgangs 1842 in 19 Heften 8 Thle.
Auf d & 19843 wis I allen
—— e 8 Zhls. ———
Bot N GC to J
ie 1932 von Deren Hofrath
Neichen dach Flora germanka e
—— Fir te. a * ma ı auf bie
Sostfehung Defet Biete, herausg Breutel,
aufmerkſam. Die
nen und bush mid zu beziehen. Dem frühern
* biich bei (ine vielſachen Geſchaͤften um Zeit
übrig, die Herausgabe der Phanerogamen gu beſorgen, ‚von
denen gegenwärtig 23. Genturien getrockneter beutfcher —*
* en unb noch 3 Genturken zu exwarten fin
—ã,s Fr
Sungen u. ſ. w., er eine unerwartete nach den Ans
tilen, fehten den Termin bes Erſcheinens weites hinaus, als «8
im’ one lag. Dafür iſt Per —ã dieſe zweite Centurie fo
* Aon.
Hedw. — uch. —— casspltosum V.
Splachnum Eroelichianum Hedw. elesia serrulata -Mınk.
Grimmia plagiopus Schwäg. Dieranum graciiemens Wi. SM.
Fortnla. algita Bruch. Orthöfrichum corvifolium Wahl.
Cyaclidium stygium Schwars. Mnium spinosum Schwädg.
Duvalii Voit. Wahlenbergia commutata W. Eu. Anomeodon
zweite —* — u leiden Preife) [1 1 foeben
Herm |
Zafsberungen 6 übertrifft
—— den *
—— | Bu) Hypnum megapolitanum Bland. Preissia
comsiutata
Benn 4 fr anführe, daß eiufge Gollertionummern vor⸗
ben beigelegt ünd, daß Kies
%o N] » ein b
"sidiiäee Anpıhl und in infmetioen Ermmpieren
1 ur et
o wird meine E { dem Werke die verbiente X
Tomtsit pefttlch ande. ee
‚ Beipsig, im Januar 1843,
Friedrich Hofmeister.
Bei und find erſqienen eb in allen Butchhaud⸗
ee ehe
"cn Bine ober: Die Kinder ,
. don mein. ng rer a Dritte Auflage.
N ehe Ruobe. Gine Erzaͤhlung für Kinder und Kin:
derfreunde. Dritte Auflage
— Die Auswanderer. Eine
berfreunde. Dritte Auflage.
— Betty und Romt, F Doct
Lehreiche Erza
et ir
— Die ——i— hun frau. @ine belehrende
bie em. Dritte Zuflage
Ansgaten),
und bither anbef
—— — —
riebene Geſchichten und Rein der
büzges in Misnopotamien, hinter Utopia
ammen und —E
De Ken von F. 3. Gubit und unter beffen Leitung,
ungen von Golbein. Y, Zhlr.
en 6. Altonaer Bilder. er und Ofen.
——
Vereins - Buchhandlung.
rn meinem Berlage iſt erſchienen:
Der letzte Ronig.
Volitiſcheo Drama in fuͤnf Aufzuͤgen
D. S. Seemann.
Gr. 13, Geh. 24 Ngr.
; Baipeis, im Seruar 1843,
| 3 A. Btodhens.
- Mit einem Kupfer.
An unfgrm Mertage AR fühen eifftenen und in olln Bud
yankungen zu haben:
Guellens sammlung
Ceſchichte pe nenriamentichen Gänons
Sierongmus.
Herausgegeben
und mit Anmerkungen erläutert, vorzüglich me Studirende,
von
E. Kirchhofer,
Profeſſer und Diakoa am oberer in Schaffhauſen.
8, Brofch. Preis 1 Khle., oder 2 Fl. 43 Kr.
» keit und Rothwendigkeit eines folchen Hands”
Dir —— der —*ð& wird auch ohne Empfeh⸗
—* ſelbſt einleuchten.
Meyer & Zeller in 3uͤrlch.
—
Durch alle Dudh handlungen und Poſtaͤmter iſt zu begiehen:
HSES. Enakiepädifhe Beitfeprift vorguglich für |
Naturgeſchichte, Anatomie und PYhyſiologie.
Bon Oken, . Jahrgang 1842 Ciftes Heft.
Gr. 4. . Preis des Jahr:
gangs von 12 Heften mit Kupfern 8 Thlr.
Dee RO und den * füs uterariſch⸗ un.
serhaltung gemeinſchaftlich iR ei
Riterarifcher Sinzeiger,
unb wirh darin der Raum einer gefpaltenen Zeile mis 2:4 Nor.
onbere Anzeigen ıc. werben ber für
2 Fr 15 Nor. beigelegt
Reiypgig, im J 1843,
u ET 5% Brockhaus.
Shpatfpenre’s Sihaufpiele
neu überfeht .und erläuteet
Adelbert Kieller-und Moritz Rapp.
dieſer laͤngſt vorbereiteten, neuen Überfehung fämmts |
Haar Dchauſpiele Shakſpeare's wurden ſoeben die exften fünf
Othello; ; Timon von An; Eymbelin; Titus
Anbdronicus; Kön
autgigehn und fm vr
SBanuar und Febru
weiten
— Dechan. Im Sa
ſchenformat d {ders Werken Georg ausgeftattet, Tofket
jedes Schauſpiei, mit Binleitung und Eriäufezen-
gen, in Fr geheftet:
Ngr.. (5 gSr.), oder 21 Kr.Rhein.
ai ——* sur Abnahme bes ganzen Werkes wird
u Deciang
je Prüfung und Vergleichung ber. audgegebenen net
wird, Dee wir daB bieſe m
in hen VBuchhandlungen. Im
von Männern, die bei der an Berebrung fü für uf Diät
fein genaues, Verſtaäͤndniß und das Stadium fsiner
nen Hauptaufgabe ihres Lebens geraht haben, nit in
ie Gloffe der überelit gefertigten, melſt von fruͤhern —
en, einzig durch fehe billigen Preis na empfchlenden I
843 folgen en abermals 4 Gtüde und bie
-
—— gebfre, and The die Genf aid u 0.8
ber Be —5 — mn
ea ein ab ehr — t
Kad-ig fi u — In ——
S. B. Metz ler ſche Buchhandlung in Seuftgast, |
Be
Te ander Dunder,
. abler in Berlin,
erſcheint ſoeben:
G. GARLER
Professor an der meins Halversitdt u Berlis,
Miegel’sche e Philosophie.
zu Ihrer richtigern —— und Würdigung.
' € '
. Gr.8. Geheftet. 1Y, Thlr.
Davis Hansemann
Über
bie Kusfüprung
Preußiſchen ifenbahn- ‚Duftems.
8. Weheftet Y,
Bde Gräfe Hal — |
Kuder auf dem Feedbers
8. Tlegant geheſtet. / Thir.
Unlängf erſchien von derſelben Verfaffertia:
Astralion. — Erinnerungen an und aus
Srankreich. — Gräfin Saustine. Zweite Auflage.
— Der Rechte. — Beisebriete. — Sigismund
Ä Forster. — Mirich.
Im Sanuar wird ausgegeben:
| F. Baucher |
Metbode der Reittunf
nach neuem Grundsätzen. u
Nach der zweiten Auflage des franzoͤſiſchen Originals von
einem liberzeugten.
Mit 12 Kupfern. Gr. B. Eiegant geheftet. Circa I Thix.
Im debruar:
02 u. RORBERK
= ' LEHRBUCH
Nervenkrankheiten des Menschen. -
I. Band. 2. Abtheilung. Er. 8,
Da der Druck dieser lang erwarteten Abthäilung Jetzt
schnell fortschreitet, so kaun zu dem angegebenen Termin
Erscheinen mit Bestimmthelt versprochen werden.
— — — — —
- zu Strasburg,;
Derch alle Buchhandiengen wad Postämier jet zu: beuiahen :
Neue Jenaische
Allgemeine Literatur - Zeitung.
Im Anoftrage der Universität zu Jena redigirt ven
Geh. Hofrath Prof Dr. X Hand,
| wis rschäfts-:
führer s Geh, Kirchenrath Prof. Dr. L. M O. Baum-
arten- UOrwsius, Ober- Appellstionsrath Prof.
r. W. Francke, Gch. Hofrath Prof. Dr. D. ©.
MKieser, Geh. Hofreih Prof. Dr. «I. V. Fries,
- als Sperialredactoren.
Jahrgang 1842. Deoember.
Inhalt:
=: Üllstoriae Buthenieae seriptores extarl,
oollegit et ad veterum edikienum fidem edidit A. de Star-
esewski. (Nr. 29.) — v.
ten und Excerpten hergestellt von WW. Giesebrecht. (Nr. 288.) —
Akbeken
: Über die tyrrhenischen Pelasger in Etrurien und,
über die Verbreitung des italischen Münzsystems von Etru-
rien aus. Von R, . (Nr. 29 u.200.) — Schwenoi:
F. M. Klinger’s ausgewählte Werke. (Nr. 200, 201, 398 u,
29.) — Liebe: 1) Entwurf einer Wechselordnung für das
Königreich Sachsen, In ellerhöchstem Auftrage gefertigt
von K. Einert. 3) Dr. K. Einert’s Entwurf einer Wechsel-
orduung für das Königreich Sachsen vom J. 1841. Bau
theilt und mit-der ungarischen Wechselordaung vom J. 1840
verglichen von Iga. W’ildner Edler v. Maithsiein. (Nr. 208,
206, 297 u. WE.) — : 1) Die preussische Hege-
Ackermann
monie in Deutschland, hervorgerufen durch die Schriften’
von v. Bülow- Cuserow und Heilvung, aus deutschem Ge-
sichtspunkte besprochen von einem Nichtpreussen Stralenau-
Ückhowd. 2) Über das Verhältniss Preussens zu Deutsch-
land mit Rücksicht auf die Schrift des Hra. v. Rülsw-
Cumerow: Preussen, seine Verfassung u. 8. w. Von K.
Steinacker, (Nr. M n. 28,) — Lähker: Charakteristik
des Horaz. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte. Von W.
S. Teufel. (Nr. 0) — . 3 Geschichte der Pfanzung
und Leitupg der christlichen Kirche dureh die Apostel, als .
selbständiger ‚Nachtrag zu der allgemeinen Geschichte der
obristlichen Religion wnü Kirche, Von 4A. Noander, (ir. Hl,
22, 303 =. 3.) — Schwarz: 1) Predigten, gebalten von
Fr. 4. Wolf. 23) Dr. Er. A. Welf als Prediger Vrag-
ment einer Vorlesung von Fritsche. (Nr. a2) — vw. We
senberg: Schelling und die Oflenbarung. Kritik des
neuesten Reactionsversuchs gegen die freis Philosophie.
(Nr. 9) — Martin: 1) Zur Lehre von der künstlichen
Frähgeburt. Von EZ. K. J. v. Bieheld.. 7) Die künstliche
Prübgeburt, bewirkt darch den Tampon. Mittheilung eines
neuen höchst: dnfachen Verfahren. Von J: V. Sehöller.
(Mr. 307.) — Schooman: Das Handgelenk in mechanischer,
anatomischer und chirurgischer Beziehung. Dargestellt von
G. B. Günther. (Nr. 1 oe. 38.) — Droklsch: Neue Mes-
thode zur Auffindung des reellen Wurzeln höherer nume-
rischen Gleichengen und zur Ausziehung der dritten und
der höhern Wurzeln aus bestimmten Zahlen. Zunächst nach
englischen Quellen bearbeitet ven D. L, C. Schulis v.
Strasenickt. ( Nr. 3.) — Buckow: 1) Lehrbuch. der St3-
chiometrie. Ein Leitfaden zur Kenntaiss und Anwendung
der Lehre von den bestimmten chemischen Proportionen.
Von H. Buff. 2) Lehrbuch der Stöchiometrie und der all-
gemeinen theoretischen Chemie. Von C. F.
(Br. 38 2,20.) — Louckart: Beiträge zur Na
der wirbellosen Thiere, von C. Th. ». Sieboldt. (Nr. 810 =.
31.) — Miosen: Moni. Ein Roman von A, von Stern-
berg. (Nr.212.)—— Der zehnte französische Gelchrtencongress
: Gelshrts Gesellschaften; Beförderungen und
: Annales Altabeases, eine
Quellenschrift zur Geschichte das 11. Jahrh,, aus Fragmen- _
Von dieser Zeitschrift erscheinen w ieh obchs
Nommerz und As wird wöchentlich usd mensslich. au«re-
geben. Der Jahrgang kostet 12 Thlr. Ank en
werden mit 1% Ngr. für den Raum einer gespaltenen Zeile
» suchnet ’ mepägyn ‚tu
Vergütung von 1 Thlr. 15 . beigelegt. crew "cm
: Weipmig, im Janugs 159. 5
-
In Unterzeichnetem ist soeben erschienen. und an alle
| Buchhandlungen versandt worden :
JAHRBUCH-
1843. |
Herausgegehen
von.
| mit Beiträgen von ,
Bessel, Hansieen, Lehmann, Mädler und Olber:.
B. Cart. Preis 2 Thir., oder 3 Fi, 24 Kr,
Inhalt:-
Astronomische Ephameride für 184% Tafeln, um aus
der Ephemeride den Aufgang der Sonne für Orte-zwische
44% und 53° nördlicher Breite zu berpchass: Tafeln zur
Bestimmang der Höhen vermittels des Berometers von Causs,
Bessehs Tafelo, en —— aus Barometerbeo-
ungen zu: aà. '' Tafeln’ zur Verweillung
Barometerscalen. Tafeln zur. Verwandlung der Thonmerien
acalen. Tafela zur. Bestimmung der löhen vermittels des
Barometers, von’ I. Oltmans. Dänische und preussische
Wusse. Toisen. Pariser Russe. Meter. Englische Pusse.
Specifische Gewichte. Ausdelmung der Körper durch die
Wärme. Über den Magnetismus der Erde, von-E. W, Bessel, -
Über den Erfinder der Fernröhre, von Olbers. "Über Berich-
Ggung der Thermomdter, yon Hansteen. Über‘ den Gang
der "Temperatur im Laufe des Jahres, von Mädier. \Über
Störungen, von Mädler. Über den Menschen und die Ge-
setze seiner Kntwickelung, ven Dr: Jak. Wilh. Heigr. ‚Leh-
mann. Beobachtung der totalen Sonnen iss ia 8, Juli
1842 in Wien, von H. C. Schumacher. .
ie Erscheinung des Jahrbuches für 1843 ward durch
‚wnvorhergesehone Umstände verhindert. Be wird künftig
frühzeitiger als sonst und immer vor dem Anfange des
Jahres, für das es bestimmt ist, ausgegeben werden.
Stuttgart und Tübingen, im Januar 1843.
I. 6. Cotta’scher Verlag.
Bon B. 8. —
——— u haus im Leipzig ik bush alle
Das Biurggrafthum Meikien:
- Ein histerisch-publicistischer Beitrag
Le: he
faͤchſiſchen —** zeige *
Dr. Crangott Märker.
MEHR seinem Urtunbendude.
Sr. 8. Geh— 3 zur.
Drud und Berlog von J. U. Brodhaus in Seipzig.
Siterarifher Anzeiger.
-1843. Nr. IV.
Oueſer Eiterarifäge Rupie wird ben bei ®.
Unterhaltung” und
Brodhaus in Leipzig erfe
beigelegt oder ebene, und betragen bie Infertionsgel
den Zeitſe „Blätter für literarifi
m fir die Aa er deren Raum 2), Po
Bericht
über die im Saufe bes Sahres 1842
SA. Brockhaus in Teipzig
erfchienenen neuen Werke und Fortſetzungen.
1. Analckten für Frauenkrankheiten, oder
Bammlung der vorzöglichsten Abhandlungen, Mono; raphien,
Preisschriften, Dissertatipnen und Notizen des In- und
Auslanden über die ’Krankheiten des Weibes und über
die Zustände der Schwangerschaft und des Wochenbettes.
. Herausgegebm von einem Vereine praktischer Ärzte.
dritter Baud (12 Hefte). Gr.8. 1837—
Fa Heft 20 Ngr. © v
eienn Kifte bi er Dffisiee: 9:96 ber
Königl. a Hrmee ehr 1848.
* @ntworfen nach den Rangliftien und —E r⸗Bochen biaͤt⸗
3 von 2a Sberiieutenant a. D. Mansfelbt. @e.S.
ie. r
3. ulı runs Gelbfifiudium der Medanid.
Zus dem en von S · hd wit
86 Apbilbwngen. Zweite Auflage. @.
END, nm
), dor en deutſcen
Bunbesfinaten. Ci if
un Le 7 En Ergebniß ae Reifen. Zwei
re 1848 an bie Mitglicher
eriht vom ZJapı
°, 5 *
ee Seren
& Karben von dem
1. Bershsis Er eeamin Rote. Her⸗
A——
8 Allgemeine Bibliegraphie für Beutsch- |
land. Eine Übersicht der nenen Literatur Deutschlands,
mebst Angabe künftig erscheinender Werke und anders
BE. von am mu
auf den literarischen Verkehr bezüglichen Mittheil
und Notizen. Mit Register. Biebenter Jahrgang. 1849.
0. Musgewätte en Ristiocpe Elafpt:
egew bee Elaffiter bes
538 Wie Bograppifg sierarigen Cintetungen.
a die nur webrbaft
— — ta tot — unter befondern
Rn —— een ett e vr
Zeig Bapcifa),,
wi # — PIE
—— e dem Wallenl⸗
* —— Dritte Cr 10 U
I. yigmer (ömbatte), Sein, weite Auflage, Bwei
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tale —A 3 Mt ——
AR — 5
— Peters Eur
sermehrte und ae Auflage. Bwel
88 Kr aupte Gimer, Zub dem
tabhıfaen briigtäiten berfeilenben Kerr.
3* Nasen. Seästungen, 10 0
Sieuen in N) ee an 16 —
10. Blatter für literariſche Unterhaltung. gabepeng
1842. Nummern nebft Beilagen. @r. 4. 12 chir.
3 a ten vr, Iienasitae Unterhaltung und der
1a: 43
— Karl Een aller EEE —A— die et
ae a hung —5* —
i een Mianans —R Gmb a
1. 8r .n v io (&5.%.), meisheitungen über Sri
land. Drei Theile. I. Neifeffiggen. II. Bur Bis
ichte des Befrelunge ringe ‚ mad griechtcher Quelten,
u. pie auf Me —* — Buftände des Konigreicht.
ren (er Teen
zedow kuria van
Brauuſchweig. Drama in —A $ 8 Kor.
— —
v1
13. Bremer ( zeberide), Sizzen aus vom
Khtagdlehen. Aus dem Schwediſchen. eURandin Yutı
gabe in 10 Theilen. Gr. 12, Geh, Jeder J Nur.
Die einzelnen Theile unter befonbern Titeln:
I. IE. DBie Nachbarn. Mit einer Vorrede ber Ber:
fee. Dritte verbefferte Auflage. Zwei Theile.
II Die Töchter bes Präfidenten. Erzählung einer
Gouvernante. Dritte verbeflerte Auflage.
IV. V. Nina. 3weite verbeſſerte Kufloge. Zwei Theile.
VI. VII. Das Baus, aber Familienſorgen und Fami⸗
yuien — Dritte derbeſſerte Auflage. Zwei Theile.
ie milie
ix. Kleinere Era lungen.
Streit und ehe, „ber einige Geenen in
Trarsegen. weite verbefierte Auflage,
14, eruns 38); Pe und Manta. Zwei Theile.
Thir Nor.
* Lin? dentſchen Edelmanns. Gr. 12.
Geh
16. 12. Geh
The.
11. Dante ligbierts — Wedichte. Aus
dem Italieniſchen — und gu gutlär vn 8. Æ. Bau:
negtießer und K. te, Zweite, vermehrte
zu er Auflage. mis helle. Er. 12. Geh.
ie F —5 reits bei mi
te ertiggteri eben, Aus d talieni &
rt und erläutert von Das zen — . a PR Set. ; vo Kar.
is sn emeine EncyBlopäbie der Kuiffenfeaften
unfte, in alphabetiſcher Folge von genannten Schrift
Ken bearbeitet, und herausgegeben von J. G.
und J. G. Bruder. Mit Kupfern und arten. Gr.
Cart. Pränumerationspreis für ben Theil auf
Drudpap. 3 Thlr. 25 Nor, auf Belinpap. 5 Thlr., auf
estrafeinem Velinpap. im größten Quartformat mit breitern
Kit Ar —— 15 Thlr.
oR “a Gera egeben von
a ot PR —
— — ai ((Penoda--Perse-Rasch.) "
BP a — fowie a eh
e zur angung uuvollftänd Ggemplare,
gewähre ich die Hilligften Wediugn
19, Srignami (engeis), © kein Wahnfſtun im
Kerker. Memoiren. _ 12. Geh. 1 Shir. 15 Ngr.
x. Gervaiso (Ed.), EAſtolf. in dramatifches Ges
ii in fünf Acten. 8. Sch. OR YY
al, — —, Politiſche Geſchichte Denia:
Sands unter der Rı egferung der Kaiſer Heinrich V.
Lothar III. Zwei Zelle Gr. 8. 184143. 4 Ahle 15 Sur
N. @ugtow (8), zeetefe aus Yaris. Zwei
Stelle. Or. 12. nt
3. Ganbsus für eifende in Briedeniand von
S. Sb. Meigebauer und SB. Aldenhoven.
Imei —— Gr. 12. Gart. 4 hie.
amneng [br Reifen von 25 bei u, 220. BR OR
eifente 1 ?. gr.
2 nen it , arbeitete,
sei und oerbefierte Ka rei Diele, ‘ ta” —
24. HBeiufins (W.), Augemeines Bäder; —
Eon, oder alphabetifches Wergeichniß aller von 1708 bis
Ende 1841 erfchienenen Bücher, welche in Deutfchland un
tu den burch Sprache und Riteratur damit verwandten ein
dern gebrudt. worben find, Rebſt Angabe ber Drudorte, der
Verleger, des Erſcheinungtjahrs, des Jormate, ber Bogen⸗
sohl, der Preiſe ıc. Reunter Banb, weicher bie von I
dia Ende 1841 esfhienenen Bücher und bie Berichtigung
—— Gefelnungen entpd Fa ‚Derausge eden * 3 *
Anis rfte Li
* Gi he 35 el nr .
rs. elta gr sup ernde
Re — Druckpapier 10
Merbarts a: FR. — philosophische
Schriften Abhand andlungen, nebst dessen
wissenschaftlichem en Non Herausgegeben von .
gr Erster und zweiter Band. Gr. 8,
er.
Der ee Bei Band, welcher zuglei eine ausführliche Cinleitu
ver Os Seben und, Säriften miolle. aes Ir,
* made — Si, 18 Sur; Falk er delt RL womit biefe hr
Mäübeser (B. A. E. ‚„Bie Lehre von der
Ansteckung, mit besonderer Beziehung auf die sani-
tätspoliceiliche Beite derselben. Gr. 8. $ Thlr.
27. DRS. Ercyklopaͤdiſche Zeitſchrift, vorzüglich für Nature
geſchichte, vergleichende Anatomie und Phyſ totogie von Dan
Jahrgang 1842, 12 Hefte, Mit Kupfern. Gr
dee *
lichen Eebens in ber proteſtautiſchen Kirde,
a se und. praktiſche Grörterung. Gr. 8,
e r
29, —— i "(Jar ), Meuelies un
vouftäudigftes Wremdiwöärte Pe sur Grklärung
aller aus fremden Sprachen entiehnten Wörter und Ausbrüde,
weiche in ben Künften und Wiffenfchaften, im Sanbel und
Berkehr vorkommen, nebfi einem Anhange von Eigennamen,
mit Bezeichnung ber Ausſprache bearbeitet. In zehn Peften.
RC und zweites Heft. (A—critisch) Gr. 8,
H
30. Raune ( Hrn), Reben unb aus dem
Reben et — JR erweckter Ehriften
aus ber proteſtantiſchen —— Ausgabe.
Ari —* r. 8* a 1 Zhlr.
— — ET ET art
. Ranuegießer (8. 2.) I), Deutſches ‚Decias
—8* an ber! en Bweite, mit einem Aus
ange von deutfcdhen, fran en, engl talienifdjen
Gedichten vermehrte Ten, es u} Shhr. ien
Die einzelnen Theile unter befondern Auütein:
23), — — — — Decla⸗
Dent ſches
matorium für Das erſte Aug — insbeſondere
füe Elementarſchulen und bie untern Glaffen der B& ———
und Gymnafien. Zweite, mit einem Anhange von beuts
ſchen, — iſchen, engliſchen und italleniſchen Gedichten
vermehrte Auflage. 8. Geh. 10
es ODSeela⸗
matorium für das mittlere 7 Beustans insbes
fondere für die höhern Glaffen der Baͤrgerſchulen und bie
mittlern Glafien der Gpmnaften. Zweite, mit einem Ans
hange von deutſchen, frangöfifchen, engliidien und italien
le Gedichten vermehrte Auflage. 8. ch. 15 Re
—m m, es
matorium für Das reifere Qugenbalter, iatbeſon⸗
here für Br obern Staffen * Gymnafin. 3welte, wi
einem Anhange von beu , ,
— —XR . Kuna rg
Nor
ee Gele tun Det 1. 2 Mer
er Roenis (8.), ** Eine He —
a .d. TJ.:
Bien 0 ar — veien. (riet
ee ee
* . "Gin Roman. Bwe Zfeik. 8. 1822.
Die MBußfaprt. Trauerſpiel in fünf Xufzägen. 8. 1626,
ur + Gin Roman. Zwei Theile. 5. 1836.
(Der Beſchleß folgt.)
—
% “
Im Werlage bee Untergeichnetin iſt forben erfäflennm: -
Die organifche Chemie
in ihrer Anwendung auf f
Vhyfioiogie und Pathologie
von
Dr. Justus Liebig.
Zweite, unperänberte Stuflage.
Gr. 8. Fein Velinpapier. Geh. Preis 2 Thlr.
Die organifhe Shemie
- in. ihrer Anwen uf
Agrienltur uud rn Ingie -
von
Dr. Justus Liebig.
WBierte Kuflage. Gr. 8, Sein Velinpapier. Geh.
Preis 2 The.
- Die vierte, eben die Preffe verlaffende Auflage bes letgtern
‚ Towie die zweite Auflage des erftern, weile unmit:'
telbar nad dem Exrfcheinen deffeiben nöthigmwurbe,
mögen das volle Intereffe bethätigen, welches‘ die Wiſfenſchaft
an ben für den Ehemiler, Arzt und Agronomen fo unendlich
wichtigen Gorfchungen bes berühmten Berfaffers nimmt.
Anleitung
qualitativen chemischen Analyse.
ür Anfänger bearbeitet von
Dr. €. Bemigins Freſenins,
Assistent am chemischen Laboratorium der Ludwigs - Universität
zu Giessen,
Mit einem Vorworte von Dr, Justus Liebig.
Zweite vermehste und verbesserte Auflage,
Gr. 8. Mit in den Text gedruckten Holz-
schnitten. Geb. Preis 1'% Thir.
As vollgäftige Empfehlung diefes Werkes dürfen wir bie
bes Deren Profeffor Liebig anführen, in welcher er
- bie Methode des Herrn Berfaflers, der im gteßener Univerfitäts:
Eaboratorium ben Unterricht ber Anfänger in der Wineral:Analyfe
Allen empfiehlt, weiche fidh in den Anfangsgrünben bers
felden unterrichten wollen, und bas Bud) als befonders geeignet
den Gebraudy in Lehranſtalten und namentlidh für
Apotheker bezeichnet.
Diefe zweite fehr bermebrte und verbefierte Auflage tft
nach Iabresfrift nöthig geworben.
Beaunfiweig, im December 1842.
Friedr. Vieweg & Cohn,
In age iſt foeben erſchienen und in allen Buchs
I at oꝰs ,
Mnterredungen über die Gesetze
fi . vos .
3. ©. Schulthess.
Bweite Auflage, neu bearbeitet von
fogung obigen Platoniſchen Werkes if. Der Herr Herausgeber
diefer neuen Ausgabe empfiehlt daſſelbe mit Recht auch alle
gemeinern RLefekreifen mit folgenden Worten: „ Vielleicht
bat es gerade in unferer Zeit, bie fid) im Schaffen und Erwaͤgen
unſerer Berfaſſungen bewegt, ein allgemeineres Intereſſe,
den Verſuch einer ſolchen Berfaffung aus ber Hand bes geifts
reihen Philofopben bes Alterthums zu betrachten,
zumal er bier, wie nirgend fonft, bas Praktiſche zu feinem
Augenmerk gemacht bat.“
Richt nur Geſetzgeber, Kaͤthe und Richter, ſondern auch
febet Gebildete überhaupt wird in diefem Serte eines ber erften
Philofophen und Republilaner bes Alterthums einen
Schatz von Weisheit finden.
Meyer & Zeller in Zuͤrich.
Soeben ift erfchlenen und durch alle Buchhandlungen von
uns zu bezichen:
Ä Discours Ä
prononcksdanslesChambreslögislatives
par
ML le Baron Pasquier,
Chancellier de France.
1814 — 1836.
4 vols. In-8. Paris, 1842. Preis 30 Fr.
Paris, im Januar 1843.
Brockhaus & Avenarins,
Buchhandlung für deutsche und ausländische Literatur,
Gesänge für eine Singstimme mit Piano,
weiche in den Ießten Goncerten mit allgemeinem Beifall aufges
nommen worden find:
Donizetti, Sopran-Arien No, 11, und Gebet aus La Fa-
vorita, ä 10 Ser. n (D 7
Burghersh, Romanze aus Il torneo as Turnier) ' 71%, Ser.
Irsc ; Der Neapolitaner. Holdhilde. or 5.
15 Ser.
Eckert, O sanctissima (Perle zu Lindahaide) 12%, Sgr.
Halövy A: Ban - Cavatino No. 9, aus der Königin von Cy-
pen, Br.
Kullak, Os sguardo di nera pupilla 5 Ser.
Frühlingswanderschaft, Vöglein mein Bote, Herein,
Wiegenlied, Flieg Vöglein, Tscherkessenlied, à 10-20 Ser.
, Suleika, Rachel, Le ricordanze, à 5-10 Ser.
Loewe, Mein Herz, ich will dich fragen, ®te Auflage,
10 Sgr., mit Guitarre 5 Sgr. Mohammed % Ber:
„ Du sichst mich en und kennst mich nicht Ser. .
Truhn, Der Hidalgo, Der Zigeunerknabe, Der Korb, a 10 Ser.
B
Schlesinger'sche Buch- und Masikhändlung.
Bi J. E. Schaub in Düffeldorf if foeben
nen unb 2 Fe tet ha zu haben : erſchie⸗
Deuntſches Sefebuch
fuͤr die obere Claſſe der Volksſchulen
J und die
untern Glaſſender hoͤhern Lehranſtalten,
A herausgegeben
Profeſſer am Opmmellum tn Bärkg, | un
Bwei Ihelle 3.7. Weus, 5. Sobick und 6. M. Print;
Ledrer in Kheidt.
8. Breſch. Preis 1 Zhfe, 29% Mar. (1 Ep. 18 48),
ober 3 Fl.
Bir erlauben uns B
——
20 Bogen in 8. Auf weißem Papier. Preis nur 10 Ser.
Die Berfafier ebuchs es fich. zur X
a ee a ea Sohn 3 Ah a af
vom. --.. | | -
*
unfern beſten Rationelfigeiftefieen den bödern —— in .. ſchonſten Erzählungen, Ric, ‚yazabein, & ratter
gi fördern. Es wird dem Sachkenner beim erſten Sic Ben und
auf den fo reichen Inhalt in der Marften und ſtrengſt logiſchen —2 ichte, fowie and) bie been, 34 und Gemüth
Anorbnmg einteuchten, wie vortrefflich diefe Aufgabe geiöft IR. nb anfprechenden Eräftigenden Poefien unferer
Bir machen babe ak —* der —— — 2 * —— | ne Sana * Bo Mi Drud auf fehr
Glaffen der hoͤhern nflalten au ebuch a am, e nichts zu wär
dae jr intereffanteſten WRomente aus Menſchenleben und Ratur — ' “ =
ertionem aller Art werben in nachſtehende im Verlage von A. B 6 in Leipai
—æ— —*8 und Anzeigeblaͤtter aufgenommen : ® rockhaus in Leipris fi
» Eeipziger Allgemeine Zeitung.
Bon derſelben erſcheint taͤglich, mit Einſchluß der Sonn: und Feſttage, 1 Bogen nebſt Beilage.
Die Infertionsgebühren betragen fhr bie bdreifpaltige Zeile oder deren Raum 2 Mer. Beſondere Beilagen,
Anjeigen u. dgl. werden der Leipziger Allgemeinen Zeitung nicht beigelegt. ,
2) . Biterarifher Wngsiger.
Derfelb nt in der R I wöchentli einmal und wird mit den Lieferungen ‚ber Blaͤtter
al Unterhaltung forte auch mit den Monatsheften ber 6 von Dfen ausgegeben. für lue
Für die gefpaltene Petitzeile ober deren Raum werden an Infertionsgebühren 2% gr. berechnet, und befonbere
Anzeigen gegen eine Vergütung von 3 Thalern den Blaͤttern für literarifche Unterhaltung der Ss
aber gegen eine Gebühr von 1 Thlr. 15 Ngr. beigelegt ober beigeheftet.
3) Bibliographischer Anzeiger.
Wird, mit dem Meipziger Repertorium fürs beutfche und auslänbifche Literatur von
Dorf ausgegeben und Inſerate in bemfelben werben für bie Petitzeite oder deren Raum mit 3 Mer,
befondere Anzeigen u. dal. mit 1 Thlr. 15 Ngr. berechnet. -
4) Neue Jenaische Allgemeine Literaturzeitung.
Die Zeitung erfcheine woͤchentlich und werden Anzeigen für ben Reum einer geſpaltenen Zeile mit 1 7 Agr.,
beſondere Beilagen, Antikritiken u. dgl. mit 1. Thlr. 15 Ngr. berechnet.
>) Pfennig - Magazin.
Bom Drennig Magazin erfcheint Fa eine Nummer von 1 Wogen.
Antiindigungen werben gegen 5 Ngr. Sufertionsgebühren für bie gefpaltene Belle oder beren Raum in ben
Spalten des Blattes abgebrudt, befondere Anzeigen gegen eine Vergütung von Y% Thlr. für das Taufend beigelegt.
6 Kandwirthschaftlich he Borfzeitung.
Diefelbe erſcheint wöchentlich einmal nebft, einem damit verbundenen Unterhaltungsblatt für Stadt
Antlndigungen werden bie gefpaltene Zeile ober deren Raum mit 2 Ngr. beredynet, befondere Beilagen dere
felben gegen eine Gebühr von ı Thlr. für das Tauſend beigelegt.
u) Conversations- Lexikon. Neunte Auflage.
Auf den Umſchlaͤgen der einzelnen Hefte werden Anzeigen u. dgl. abgedrudt, und fie: jedes Tauſend Eremplare
A Nor. für ben Raum einer Zeile berechnet. Sollte indeß bie Auflage ſtaͤrker als 20,000 fein, fo werben im
feinem Kalle“ die Safertiondgeblihren mebr als AO Mär. fuͤr die Zeile betragen.
Vou dem im Verlag von Brockhaus & Anenarins in Leipzig efeinmden
| Echo de la littörakure frangaise
wird woͤchentlich eine Nummer ausgegeben. Ankundigungen in demſelben werden für die Zelle oder deren Raum mit
1 Ngr. berechnet, befondere Anzeigen u. dgl. gegen eine Verglitung von J Thfe. beigelegt.
Dru@ und Berlog von F. %. Brodbans in Leipzig.
—
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z
I, [4
‘
Zweites Büchergesuch.
— —
Nachstehende Bücher der Literatur der Reisen, Geographie, Geschichte und Naturgeschichte, grösstentheils über ausser-
epropäische Länder handelnd, bin ich beauftragt zu kaufen. loch bemerke hier noch besonders, dags ich. alle Ausgaben der verzeichneten
Bücher, sowie alle bis 1600 aus jenen Fächern der Lit-ratur erschienenen Bücher kaufe, sollten dieselben auch nicht in diesem Büchergesuche
verzeichnet sein. Viele dieser Schriften fassen aur wenige Blätter und bitte ich hierauf besonders Rücksicht zu nehmen.
chern suche ich im Allgemeinen :'
Ausser diesen Bü-
1) Griechische and lateinische Kirchenväter, dech die griechischen nicht, wenn nur in lateinischer‘Uebersetzung. Alle Schriften
der Jesuiten, Reformatoren etc. in lateinischer Sprache. J
2) Manuscripte mit Malereien, Codices der griechischen und römisohen Autoren etc.
. 3) Altdeutsche Gedichte, Volksbücher, Volkslieder, Curiositäfen, z. B. von Fischart, Murner, Brandt etc.
4) Altitalienische, französische, spanische und altenglische Gedichte, Schauspiele, Chroniken eto. z.B. Dante, Roman de la rase,
Romancexo, Chaucer etc, .' \
5) Bücher mit Holzschnitten von Holbein, Dürer etc.
6
7
8
‘ Hulsius etc.
Alle bis 1470 gedruckte Bücher, doch auch spätere, bis 1500,
Alle bis 1700 in Palen und Russland oder über diese Länder erschienenen Bücher.
Alle Reisen, welche bis 1580 erschienen oder Sammlungen solcher Reisen z. B. Columbus, Vespucius, Marco Polo, De Bry,
besonders in Italien gedruckte Ausgaben der Classiker.
9) "Sammlangen'von Kupferstichen, Zeichnungen, Holzschnitten, Radirungen etc.
10) Handschriften berühmter Männer. °
.
. C=Z> Auch kaufe ich ganze Bibliotheken zu den höchsten Preisen und bin gerne hereit, den Besitzern der von ınir gesuchten
Bücher, wenn sie es vorziehen sollten, nach eigner Wall neue und die neuesten Bücher dagegen ‚zu liefern,
Abbeville histoire de la mission des Peres Capucins en Tisle de Ma-
ragnan. Par. 614. 8, |
Acosta Iistoria rer. a Soc. Jesa in oriente gestarum. Par. 674. 8.
. historia natural de las Indias. Sevilla 500. 4. Alle Ausgaben
latein. engl. Ä
Acuna nuevo descubrimiento del gran rio de las Amazonas. Madr.
Adamannie de sita terrae sanctae libb. tres. Ingolst. 819, 4.
Alcedo Diecianario geograph. hist. 5 Voll. et Atlas. Madr. 786. 4.
. Alfonce Saintongeois, les voyages avantırenx. Alle Ausgaben.
Alvarez verdadera informaco da Preste Joam das Indias, Alle Aus-
gaben.
- _ „historiale description de l’Ethiopie. Alle Ausgaben,
Amati historia del regno di Voxu del Giapone. Roma 815. 4. Alle
Ausgaben.
America, Of the newe landes and of the people founde by the mes-
sengera of tie kynge of Portyngale named Kmannel: Alle Ausga-
en. D ı \
Anglerli martyr. mediol. Opera. Hispal. 511. Madr. 516. Alle Aus-
gaben.
de orbe nov. decades Ill. ‘Alle Ausgaben latein. engl. eto.
. decades octo. Alle Ausgaben.
opus epistolarum. Complat. 530. Alle Ausgaben.
p de nuper sub Carol. repert. insulis. Basil.’ 521.
gaben. Ze
Annales Indigues. Anvers 500. 8. 2
Argote de Molina historia del Grand Tamorkın e itinerarie, Sevilla
582. Fol, Alle Ausgaben. '
—
nm — HU CE
w..
Alle‘ Aus-
T. O. Weigel,
Buchhändler in Leipzig.
Arthas hist. Indiae orient. Colon. Agr. 608. 12.
Balbi viaggio dell’ Indie orientali. Venet. 590. 8. Alle Ausgaben.
Barlaeus Novus orbis descriptio. Amstel. 628. Fol.
Barros y Couto Decadas da Asia. 12 Voll. -Lisbos, Madrid, P
552 736. Fol. ‚Alle Ausgaben und einzelne Bände,
Bartema Itinerario nello Egypto. Rom. 510. 4. Alle Ausgaben i
latein, span. deutsch etc. |
j Baumgarten peregrinatio in Aegyptum. Norimb. 594, 4. Alle A
gaben. ' , ‘
Benzoni la historja @el mondo nuovo, Alle Ausgaben. .
Bergeron voyages faits princip. en Asie dans les XIl.—XV. sie
"2 Voll, & la Haye 138. 4.
Berlinghieri Geographia. Alle Ausgaben.
- Beroa litterae annuae provinc. Paraquariae Soc.
Alle Ausgaben.
Blefkenius islandia. Lugd. Bat. 607. 16. ‚
(Breydenbach) Die Fahrt oder Reyaz über Mere. Mainz 486.
Alte Ausgaben. u | |
Breydenbach peregrinatio. Mogunt. 486. Fol. Alle Ausgaben la
deutsch, französ. etc.
Breuning orientalische Reyss. Strassb. 802. Fol Alle Ausgaben.
Broniovii Tartariae descriptio. Colon. 595. 8.
Brussius de Tartaris diarium. Francof. 598. Fol. Alle Ausga
“ Burgo viaggio de cinque anni in Asia etc. 3 Voll. Milan. 12.
Ausgaben. \
Caoursin, G. obsidionis Rhodii urbis descriptio. Alle Ausgaben. .
Caoursini Opera ad hist, Rhodior. spectantia. Ulm. 496 Fol.
Ausgaben latein. deutsch, etc.
Capodilista Itinerario de la Terra Santa. Alle Ausgaben.
Jesu. Insul, 642.
vr T . — —
Caraonnei complementum Fortunatarum insularum. Lond. 662. 8.
Cartier brief recit de la navigation faite &s isles de Canada. Par.
545.
8.
Carvajal oratio super praest. solenni obedientia Alexandro Papae VI.
ex parte’Fernandi et Helisabe Hispan. Reg. Rom. 483 habita. S.
let a
Carve Itinerarium Pars I. Mogunt 639. Pars II. ibid. 641. Pars III.
38
Spirae 646. 38.
— — Editio tert. Pars I. et II. Mogunt. 640 41. Pars III.
Spirhe 646. 18. | ’
— Reysbächlein. Mainz 640. 2r Theil Mainz 642. 18.
» Auch einzelne Theile der latein. u. deutschen Ausgabe.
Casas Warbafftiger und gründlicher Bericht der Hispanier grewlichen
und abschewlichen Tyrannen etc. Alle Ausgaben. 4.
— relacion de la destruycion de las Indias. Sevilla 552. Alle
Ausgaben. :
— narratio region. Indic. per Hispan. quosd. devastarım. Fran-
cof. 598. 4. Alle Ausgaben latein. französ. englisch etc,
Castaneda historia del conquista de la India. Anvers 554. 8. Alle
Ausgaben span. französ. etc. \ ,
Cauazzi da Montecucolo istor. descriz. de tre regni Congo, Matamba
et Angola. Bologna 687. Fol. Alle Ausgaben franz. deutsch etc.
Centeno historia de cosas del oriente. Cordova 585. 4. ’
Cevallos viage del mundo. Madrid 614. 4. Auch andere Ausgaben.
— tratado de los reynos de la China etc. Iaen 628; 4. Alle
Ausgaben, '
Challeux discnurs de l'histoire de la Floride. Dieppe 566. 12.
Chirino relacion de las jalas Fili inas. Roma „0 te
Churchyarde a prayse of Forboishers voyage. Lon A
Cieca de/Leon pfimera parte de la chronica del Peru. Serilla 553.
Fol. Anvers 554. 16. - u
— Chronica del Peru, historia delle nuove Indie, historia di F.
Cortez. 3 Voll. Venet. 570, he 1.4
Cignano quattro navigationi. Bologn. .4.
Civitates Tebis terrarunn G. Bruin, S. Novellani etc. Colon, 372.
Fol. -
Columbus. Hpistola Christofori Colom. de insnlis Indie. Rom 493.
4. 3 Blätter mit 40 Zeilen auf der Seite.
8.1, e. a. 4. 4 Blätter mit 84 Zeilen auf der Seite,
S. l. e. a. 4. 4 Blätter mit $S3 Zeilen aaf der Seite.
Basileae, B. de Olpe, 494. 4.
S. I. e. a. 8. " 8 Blätter, "
Ein schön hübsch lesen vonetlichen insslen etc. Stras
hurg 497. 4. 8 Blätter. .
spanisch. Dieses Original muss 1498 in' Spanien er-
schienen sein und fasst sicher auch nur wenige Blätter.
6æ Auch suche ich den andern Brief des Columbus, datirt Ja-
maica 1503, in allen Sprachen.
Constantinus insulae Materiae historia. Rom. 599. 4.
Contarini viazo al Uxuncasam Re di Persia. Venez. 467. 4,
Firenze 516. 4. 6Blät-
itinerario. Yinezia 524,
Corsali lettera allo Duca Juliano de Medici.
/
— allo Principe Laurentio de Medici. 8. e. a. B.
Dotovici itinerarium Hierosol, et Syriacum. Antverp. 619. 4,
ter.
Dortes carta de relacion. Sevilla 522. Fol. Caragoca 523. Fol.
— carta tercera de relation. Sevilla 523. Fol.
— 1a guarta relacion. Toledo. 525. Fol. x
— _nove de le isole et terra firma. Mediol. 522. 4
la preclara narratione della nuova Hispegna. Venet! N. da
bio. iss, Venet. B. de Viano, 524. 4.
de nova maris oceani Hyspania narratio. Norimb. 524. Fol.
tertia narratio. Norimb. 924. Fol.
.narratio de insulis nuper inventis. Cclon. 532. Fol. _.
zweiter Brief deutsch, O. O. u. J. Fol,
‘ Von dem Newen Hilpanien. Augsburg 550. Fol.
voyages. Par. 588. 8. 3*
the pleasant historie of the conquest of the West India. Lond.
Lond. 585. 4.
Narratio Regionum Indicarım. per Hispanos quosdam deva-
WERT:
3
statarum. Francof. 698.
CZ Auch.alle anderen Ausgaben in allen Sprachen.
Bry Collectiones peregrinatienum in Indiam occidentulem. 13 Par-
tes. Francof. 590-634. Fol. Uınfasst:
Pars I. Admiranda narratio — de commodis Virginiae. Fran-
cof. 500. 600 und 620. . , .
Pars 2. Brevis narratio eoram quae in Florida—Gallis accide-
runt etc, Francof. 501.
Epistolae Indicae,
Pan sau. Americae pars tertia — America pars XI. Francof-
Pars 12. Novi orbis pars duodecima. Francof. 624.
Pars 13. Decima tertia pars historiae Americanae. Franoof.
De Bry Dieselbe Sammlung deutsch uuter den Titeln:
Theil 1. . Wunderbarliche, doch Warhafftige Erklärung, von der
Gelegenheit der Sitten der Wilden in Virginia. Frankfort 590.
Theil 3, Der ander Theyl, der newlich erfundenen Landtschafft
Americae, Frankfort 501.
Theil 553 Das dritte — fünffte Buch Americae. Frankfurt
Theil 6-11. Das sechste — Eylifter Theil Americas. Frank-
furt 619-—-20.
- Theil 12. Zwölfter Theil der Newen Welt. Frankfurt 623.
„ Theil 13-14. Dreyzehender und Vierzehender Theil Americani-
: schen. Historien. Frankfurt 827 und 630.
De Bry Collectiones peregrinationum in Indiam orientalem. 12 Par-
tes. Francof. 598 —628, Fol. -
Pars 1. Regnum Congo, hoc est vera descriptio regni Africasi
vetc. Francof. 598,
Pars 2—11. Secunda — undecima pars Indiae orientalis. Fran-
cof. et Oppenh. 590-628,
Francof. 628.
Tomus 12 historiarum orientalis Indiae.
Peregrinationes in Indiam orientalem:
Pars 1. Vera descriptio regni Africani. Francof. 624.
Pars 2. c. Paludani annotationibus. Francof. 628.
Pars 3. fid. stud. et op. de german. in latin. translata B. Sto-
baes. Francof, 628,
Dieselbe Sammlung dentsch unter dem Titel;
Theil 1. Warhafftige und Eigentliche Beschreibung desz König-
reichs Congo in Africa etc. Frankfurt 597.
Theil 2—13. Ander Theil — der dreyzehende Theil der Orien-
talischen Indien. Frankfurt 597—628.
6» "Ich suche von diesen Sammlungen nicht allein complete
Exemplare sondern auch einzelne Theile und Separatausgaben der
occident. und orient. Reisen, welche in Oppenheim, Frankfurt; Am-
‚sterdam etc. gedruckt wurden; überhaupt Alles, wasBezug auf diese
Sammlungen hat, nd
Lond.
Deibe de life and strange adventures of Robinson Crusoe.
Den rechten Weg aus zu fahren von Lisbona gen Kallakuth. Alle
Ausgaben.
De trium Regum Japoniorum legatis. Lovan. 585. 4. Alle Ausga-
n. .
Diarium Nauticum. itiner. Batav. in Indiam orient. Par. 588. 4.
Drake Expositio in Inrlias occidentales. Leydae 585. 4.
a suminarie and true discourse of Sır F. Drakes West Indian
Voyage., Lond. 589. 4.
Relation, oder Beschreibung der Reiss und Schiffahrt aus
Engeilandt, O. O. 588. Fol.
Ephemeris exped. Noreysii et Drake in Lusit. Lond. 568. 4.
Narrationes duae etc. Norimb. 590.
brevis et iida narratio etc, Francof. 590. 4.
voyage aux Indes occid. Leyde 588. 4. “
Dudleo dell’ Arcano del Mare. 6 Ptes. Firenze 646--47. Fol.
Du Nort description du penible voyage fait entour du l’Univers. Am-
sterd. 610. Fol. j
Eden history of Trauayle in the West and Kast Indies. Lond. 577. 4.
Emanuel, Obedientia potent. Emanuelis Lusit. Kegis etc. p. Dieg.
Pacettun. orat. ad lulium Il. S, I. 505. 4
— (esta proxime per Portugalenses in India etc. Rom. 506.
Nurenberg. 507. 4 °
episola ad Iulium Pap. II. de viotoria contra infideles. 5. 1.
4 Blätter. S. L e. a, 3 Blätter.
epistola de prouinciis etc. orientalis partis. 508. 4.
epistola de Ie uitorie haute in india et Malacha etc. Senza
nota. 2 Blätter. 4,
— — lateinisch. Rom. 6 Blätter. Viennae, Argentorati, Er-
phordiae etc. _“
Ich suche alle Ausgaben in verschiedenen Sprachen dieser
stets wenige Blätter nur fassender Briefe,
Enciso Suma de geographia. Sevilla 519. ibid, 530, ib. 546. Fol.
Ens Indiae occid. historia. Colon. 612. 8.
— Magnae Britanniae deliciae. Colon. 613. 8.
Epistolae Japanicae. 2 Partes. Lovan. 5868, 12. ib. 570. 8. Alle Aus-
ben latein. französ. ital. etc.
Dilingae 563. 8.
Lovan. 566. 8.
nun
Kpistolae Inditae et Japanicae. Lovan. 570. 8.
Rpist, Rhodior ad Frederic. de Rhodiae obsidione. Alle Ausgaben.
Kequemeling Piratas de las America. Colon. Agr. 681. 4.
Brondelle Nova F'rancia or ‚the description of New France. Lond.
—* discurso de la navigncien, Sevilla. 577. 8.
Fabri · Beschreibung der hin vnnd wider farth zu dem Heyligen Landt.
0, 0.57. 4.
Fareweil An Kast-India Colation. Lond. 633. 16.
Federici. Viaggio nel India Orientale. Venez. 587. 8.
the voyage and trauaile. Lond. 588. 4
Federman Rais so er in Indins gethan. Hagenau 557. 4,
Fernandez. prim. y sec. parte de la historia de Peru. Sevilla 571.
Fol,
Feyerabend Reyssbuch des heyligen Lands. Franckfort 584. Fol,
Fiorid.. 603. Fol, "
?orbisser (Frobisher) discourse of the late voyages of discouerie.
Lond. 578. 4.
la navigation &s region de West et Nordwest, 578. 8.
de navigatione in regione oocid. Norimb. 580. 8 Hamb.
‚675. 4
rancesco da Bologna lettera dal India. Bologn. ®. a. 4.
ridrich. Ein warhaftige Historie von dem Kayser Fridrich mit ei-
nem langen rothen Bart. Alle Ausgaben.
hrer itinerariom Aegypti, ahrabiae etc. Norimb. 620, 4 4..
aby relation de la Nigritie. Par. 889, 12.
arcilasso la Florida del Ynca. Lisbon. 604-5, 4.
Fol.
sorgieuich Opera nor. que comprende quattro libretti. Rom. 555.
8.
waldini itinerarium. Rom. 631. 8.
sta proxim. p. Portugall in India etc, Alle Aus
usgabe |
intele Tvoyage in: den landen van Slauonien etc. " Ghendt 557.
Sa
663. 4. Ghendt 572. 4.
Ibert discourse of a discouerie for a new Passage to Cataia. Lond.
6. 4
bus mundi. Argent. J. Graninger (1509) 4.
detroy de Bouillon les passages de. oultremer. Par. we 8. Alle
kusgaben.
dinho Relacao de novo Caminho, Lisboa 865. 4.
tfrid. Hertzog Gotfrid Wie er wider die Turgen gestritten. Augsb.
ylforde Pylgrymage towardes Iherusalem. - Lond. 511. 4.
kluyt notable historie containing foure voyages etc. Lond. 587.
7 Jivers voyages touching the discouerie of America. Lond.
— the
80. 3 Vol
the discoveries of the World. Lond. 601. 4.
iod briefe and true report of the newfoundland of Virginie. Lon-
en 588, 4.
— zmeryveilleux et estrange rapport tontesfois fidele, des commo-
itez qui se trouve en Virginia. Francof. Wechel, 990. Fol,
briefe and true report of the Newfoundland ‚of Virginia, Fran-
f. Wechel, 590. Fol.
— admiranta narratio, de commodis et incolarum ritibus Virgi-
ae. Franchf. . Fol. - |
wanderbarliche, doch warhafftige Erklärung, von der Gelegen-
it, und Sitten der Wilden in’ Virginia. Frunkfort 590. Fol.
tznez. ltinerarium Germaniae etc. Norinb. 612. Bresi. 617. No-
a
| Jtänerarium ad Ihrim. S. I. e. a. 4. Daventr. 504. 4. Alle Aus-
n.
Itinerarius ad Hierusalem. S. 1. e. a.
m discovery on the Coast of Florida. Lond. 664.
stoire de la Terre-Neuve du P£rou. Par. 545. 12.
sire du Pays nomme Spitsberghe. Amsterd, 613. 4.
sire gener. des Indes occid. Par. 969. 8.
>rie von der Kreuzfahrt. Augsb. 482. Alle Ausgaben.
sria Anfipodum,. Newe Welt und Americanische Historien. Frank-
re 631. Fo
von descriptio geogr. detectionis Freti. Amstel. 612. ib. 613. 4.
tus 26 Schifffahrten nach Ost und Westindien sowie nach den
wdiändern vom Jahre 1598 —1650. Nürnberg, Frankfurt, Oppen-
mm und Hanau, 598-6883.
=> Ich suclie nicht allein complete Exemplare sondern auch ein-
ne Schifffahrten. /
“
1
Lond. 598—600
- Origen de las Yncas. 2 Voll. Lisbon. e. Cordov. 600 - 17.
‚ ltinerarii in Tartaria.
N
prindipal navigstions etc. of the Englisch Nation. Lond.“
. Fol
The last Kast Indian voyage. Lond. 606. 4.
West-Indische Spieghel. Amstelred. 624. 4.
ineg. 537. 8.
Jaınes gie nge and dangerous voyage, Lond. 633. 4. |
Iarric Histoire des chöses plans memorables advenues tant ez Indes
Orientaltes etc. 3 Voll. Bourdeaus. 610--14. 4. Arras 6ll. 8.
— ‚Thesaerus rerum Indicarum. 3 Voll. Col. Agr. 615. 8.
Toannis Presbiteri epistola de ritu et moribus Indorum. Alle Aus-
gaben.
Korb Diärium itineris in Mosteviam. Vienn. Austr. 700, Fol,
Laudonniere histoire de la Bloride. Par. 586. 8.
Lederer discoveries. Lond. 872. 4.
Leuppold. _Hie hebt sich an ein schön und curtzweilige Histori ze-
lesen von Herozog Leuppold und seinem Sun Wilhalm von Oester-
reich. Augsb. 481. Fol. Alle Ausgaben.
Linschoten discourse of VYoyages. Lond. 598.
navigatio. Hag. Com. 599. Fol. Alle Ausgaben lat. fran-
Indien.
Inga.
zös. etc.
Lopez relatione di Congo. Rom. 580. 4. Alle Ausgaben span. engl.
eto.
Magalhanes historia da Provincia sancta Cruz. Lisbon. 576. 4.
Magni viaggi in Turchia. Parına 679. 12,
Mandeville. Ce liure est appele mandeville. 480. Fol. Alle Ausga-
ben.
— Itinerarius. Alle Ausgaben,
— Itinerario. Alle Ausgaben.
_ Das bucfi des Ritters von Montevilla. Augsburg 400.
Fol. Alle Ausgaben.
= Ich suche alle Ausgaben in verschiedenen Sprachen.
Maunderille tbe boke of wayes to lerusalem. Alle Ausgaben.
Manutius Transsilvaniae descriptio. Rom. 596. 4.
Marcho Polo. Hie hebt sich an das Puch des edeln Ritters vn landt-
farers Marcho polo. Nürnberg 477.
— de consnetudinibus et condit, —8 regionum. Ss. Le... 4
— de le maravegliose cose del Mondo. Venet. 406. 8.
220. de la las oosas maravillosas en las partes orientales. Logrono
ol.
EZ» Alle Ausgaben deutsch, lat. ital. span. französ, engl. etc,
Marmol deseripcion de Africa, 3 Parte. Granada et Malaga 573—79.
l
Maximilient Transylv. epistola de Hispan. in Orient. navigatione,
Rom.
epistola de Moluceis insulis. Colon. 523. 8.
Alle franz. engl. ital, span. deutsche, latein. etc. Ausgaben, .
Matelief Reyse der Holländer etc. in OstIndien. Frankf. 608. 4.
(Hulsius Reisen 10r Theil) Auch all® anderen Ausgaben.
Meyerberg Iter in Moscoviam. 'S. l.e. a. Fol.
Miechow tractatus de duobus Sarmatiis. Cracor. 517. 4 August,
Vind. 518 und andere Ausgaben,
I Mondo Nouvq. Vicent. 507.
Morgeners, des edeln Ritters, Walfart ; in 8, Thomas Land.
Müller commentatio de Sinarum rebus. 4.
— nomendator geogr. imper. Sinensis. 4 |
— Abdallae Bidavaei hist. Sinensis. 4. '
— Basilicon Sinense, 4.
— disquis, geogr. et hist, de Chataia. Berol. 671. 4. '
Munster treatyse of the newe India. Lond, 553. 8.
Narrationes rer. Indicarum. Lovan. 589. 8.
Nayareto tratados de la monarchia de China. 2 Voll. Madr. 676-670.
Fol
Newe (die) Welt der Landschaften und Insulen etc. Srassb. 534. Fol.
Nicdlai navigationi nella Turchia. Anversa 676. 4.
navigations. Lond.
la navigation. Par. 588,
Nodal relacion de Viage
Novus orbis, i. e. navigationes
Nm orbis regionnm ac insul,
Nürab,
rim. in Americam. Rotter. 616. 8.
Basil. 541. Par. 632. Basil, 534.-
Fol.
Nunez la relacion de.lo acaesgido a las Indias. Väalladol. 555. 4.
Obsidionis urbis Rhodii descriptio. Alle Ausgaben latein. ital. etc.
Olavii enarrationes hist. de Islandiae natura. Hafn. 749. 12.
Olivier da Nord description du pe enible voyagı. Amstel. 602, : Fol.
Ona primera parte de Arauco. Reyes 596. 4. a
‚Orientalische Indien. 12 Theile. Frankft. 628. Fol.
Oviedo de la natural hystoria de las Indias. Toledo 526. Sevilla
535. Franz. Par. 536. Fol.
Oriedo hist. gener. de las Indias. Salam. 547. Fol.
Oviedo libro xx de la segund. part. de la gener. hist. de las Indis$
Valud. 557. Fol.
Palafox y Mendoza Virtudes del Indio. S. L. e. a. 4.
Passaeus eſſi igies Regum ac Princip. eo seil. quo. vis. ac potentia -
in re nautica s. Marina praecet, spectab, est.
Passages (les) de otltre mer du neble Godefroy de baitlon. a. d. 4.
Peckham a trae reporte of the late diseoneries. Lond. 589. 4-
ei opera, Legatio Babyl. Ocsani decys etc, Hispali 511.
536 * ſoboe ocennicis et d6 novo orbe deoades. Basil. 538. Par.
. Fo
— de nuper sub D. Carol. repert ‚insulis. Basil. 521. 4.
— — französisch. Paris 592.
Petri Martyris de orbe novo 4 Aloala 516. Compit 530. Fol.
Philoponus Nova typis transacta navigatio. S. I. 621. Fol.
Pietro Martyr. libro prim, della hist. delle Indie occid. Lib. segundo
8Summärio de la naturale hist. del Indie. Libro ult. del. Summar,
del Indie oceid. Vineg. 53.
Pignfetta viaggio fatto da gli Spagnuoli atorno alMondo. S.1. e. a. 4.
— le voyage par les Espaigno:z es Isles de Mollucques, Par.s.d.
c= Alle Ausgaben in verschiedenen Sprachen.
Pizarro Conquista del Peru. Sevilla 534. Salam. 57. Fol.
Portolano Questa e una opera necessaria a totti li naviganti etc.
Venet. 490. 4.
delli lochi maritimi. Venet. 528. B.
Potocki voyage dans la Basse Saxe. Hamb. 785. 4.
Presbyteri Joannis legatio. Alle Ausgaben.
Pieben Johan Botschafft des Konigs David etc, S. 1. e. a. Alle Aus-
. * his Pilgrimes. 5 Voll. Lond. 625. Fol. Auch frühere Aus-
aben.
Radaivili Hierosolymitana peregrinatio. Brunavig. 601. Antv. 614. Fol.
Ralegh descriptio Regni Guianae. Norimb. 59. 4. Alle Ausgaben
in verschiedenen Sprachen sowie Raleigh’s andere Schriften.
— _ Kurtze wunberbare Beschreibung des geldreichen Königreichs
Guianae. Nürnberg. 560, 4. (Hulsius Reisen ör Theil). Auch alle
übrigen Ausgaben.
Ramusio navigatione. 3 Voll, Venet. Fol.
— :narration of the two navigations. Lond. 580. 4.
Rauwolff Beschreibung der Reyss etc. 4 Theile. Lauging. 583. 4,
Recentes novi orbis historiae. Colon. Allobr. 612,
Resendius epitome rer. gestar. in India. Lovan. 531. 4
Reyszbuch desz heyligen Lands. Frankf. 584. Fol. /
Robertus Monnch. Historia Hierosolymitana. S. l. v. e. 4. Alle Ans-
ben.
— Bellam Christianorum Prineipum. Basil 583.- Fol.
Roeslin Mitternachtige Schiffarth. Oppenh. 611. 4.
Sa Itinerario da India. Lisboa GII.
‘ Bagard le grande voyage du pays des Hurons. Par. 682. 8.
Sande de missione legat. Japonens. ad Rom. curiam. Maeoens. 500. 4.
Santa Brasca, viaggio a Gierusalemme. ‚Milan. 481. 4. Alle Aus-
ben.
iffahrten siehe Hulsius.
Schildberger. Hie vachet and’ schildberger der vil wandern. erfaren
hatt etc. Ohne Ort und Jahr. Framekfurt 349. 4.
Schmidel von Straubingen. Neuwe welt. Ir Theil. Warlafftige und
liebliche Beschriebung. 2r Theil, Frankf. 567. Fol,
⁊
⸗
Schmidel vera hist, admir. navigationis. Noriherg. 500. 4.
Schmidel von Straubing. a arbafflige Ristorien einer wunderbar
Schiffart. Nürnb, 509. 4. (Hulsius Reisen Ar Theil). Auch and
Ausgaben.
-Schouten relation: of a wonderfull voiage. Lond. 619, 4,
Sechster Theil, Kurtze, Warhafftige Relation vand Beschreiben
der Wunderbarsten vier Schiffahrten, so jemals verricht werde,
Als nemlich: Ferdinandi Magellani etc. 1618. 4.
Settle last voyage in the West aud Northwest regions. Lond. sm.
Souto relacam dos trabalhos. Evora. 557. 12,
Spilbergen Specalum orient. oceidentalisq. Indiae narigat. Lapı Ba
619. Fol. Ale Ausgaben.
Staden von Homberg. Warhafftige Historia einer Landtscaft der Fi.
den. Frankfurt. Marpurg, 597.
Suchen Von dem gelobten land vnd weg gegen Iherusalen. 0, 0. ı
I. O. ©. 1477 und alle anderen Ausgaben.
— de terra sancta. Alle Ausgaben.
Tellez historia de Ethiopia. Coimbra 660. Fol.
Thevenot relations de div. voyages. 4 Partes. Par. 663-1. Fol.
Thenaud voyage. Par. 8. Alle Ausgaben. /
Tucher Wallfahrt und Reise in das gelobte Land. Augsb. #2. Fa
Alle Ausgeben.
Vartomani nov. Itinerarium Aethiopiee etc. Mediol. 506. Fol.
Ausgaben, auch Varthema, Bartlıema, Vartoman etc.
Verardus. In laudem Ser. Ferdinandi Hip. Reg. obridio, vieoa
triumphus. S. 1. 494. Basil. 494. 4.
Vesputius de ora Antarctica: per reg. Portugall.inventa, Artgent. Mi
— Von den nuwen insulen und landen. Strassb. 508. 4
— __Incominza il libro de la prima navigatione, Milano Hl
— . Lettera di Amerigo vespucoi, delle isole nonamente im
ati etc. S. I. e. a. Alte Ausgaben.
— paesi nouamente retrouati. Vicent. 507. ‚Milano — *
. 1. 507. Deutsch 508. 4.
lan. 519, Venet. 521. Alle Ausgaben.
— quatuor navigationes. S
EL itinerarium Portugall. e Lusitania in Indian. 8. L#
ol.
— eosmographiae introductis. Argent. 507. 500. 4.
— Newe vnbekanthe landte. Noreinb. 508. Fol,
— Sensuyt ie nouveau monde. Par. 4. Alle Ausgaben.
Laurentio P. F. de Medicis salutem plar. dicit. Alle Au:
Mundus novus. ' August. 504. Argent 9%.
Ausgaben. Fasst nur 4—6 Blätter. Deutsch 505. 7 Büter
Der Name Vesputius steht nicht auf dem Titel,
— Von der nengefunden Region. 3%. 4. Me A
Leypsick 506.
c=> Von diesen Schriften suche ich alle Ausgaben mr
nen Spraehen.
Viaggi fatti da Vinetia, alfa Tana. Yenig. SR .8 Alle A
Viazo.da Venesia al sancto iherusalem. Bologn. Mn. 4: Alle
gaben.
Virginia. Oppenh. 620. Fol.
Zeitung, eine schöne nede, so Kais. Majest. ausz Indie yelz m
zukommen seind etc. Acht Blätter in 4.
Zigler America. Frankfurt 617 Fol.
gaben.
Publication periodique pour l’annee 1843.
DE LA
LITTERATURE FRANGAISE.
Troisieme aunee. 1842.
— — — — —
Prospectus.
Pour se conformer au desir d’un grand nombre de nos
lecteurs, Echo de la litterature francaise va subir une
modification dans la periodieite. Paraissant seulement tous
les quinze jours, notre reeueil n’etait pas en rapport avec
l’empressement et les exigeances bienveillantes des amateurs
des lettres francaises. En consequence, & partir du mois de
janvier 1843, l’Echo sera publie par livraisons hebdoma-
daires, composees d’une feuille ou de deux feuilles. Ja-
loux de meriter de plus en plus l’approbation du public,
nous introduirons aussi un changement dans le plan general
et le choix des matieres. A l’avenir, nous publierons moins
de travaux d’une certaine etendue; nous ajouterons des ar-
ticles extraits de ces petits journaux satyriques qui font le
charme des lecteurs parisiens. Ces jeux d’esprit, ces fines
moqueries, ces tableaux de genre dont le dessin est si net, la
touche si delicate, toutes ces publications mordantes, legeres,
frivoles et spirituelles, seront dorenavant du domaine de l’Echo,
qui cherchera toujours avec le m&me zele & justifier son titre.
Conditions de la souscription:
L’Eeho paraitra en numeros de 1 a 2 feuilles le ven-
dredi de chaque semaine et formera par an un beau volume in-8.
Prix de Pabonnement: 5% Thir. par an.
‚ Les nouveaux abonnes pour cette troisieme- annde de
PEcho ont la preference de se pouvoir: procurer les deux
ann6es au prix d’une seule.
On s’abonne chez tous les libraires et à tous les
hureaux de poste.
KLeipaig, Janvier 1843.
Brockhaus & Avenarius,
Librairie Frangaise - Allemande et etrangere.
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by Lord Warncliffe, 3 vo)
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— ILLUSTRATI@ENs oF B
second edition, boande. ,
SHAKSPEARES 1
VALPYS CABINI
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Oviedo libro xx de ia segund. part, de la gure
Valad. 557. Fol.
Palafox y Mendoza Virtades del Indio. S 2_
Passaeus effigies Regum ao Princip. eo —
in re nautica s. Marina praecet. sp -
Passages (les) de oultre mer du neble Gang
Peckham a trae reporte of tlıe late dscoueur am
Pewri Martyris opera, Legatio Babyl. Ocea mi
l.
— de rebus oceanieis et de nove orbe de
536, Fol.
— de nuper sub D. Carol. repert. inswuB2m
— — französisch. Paris 532,
Petri Martyris de orbe novo decadet. Alcaam
Philoponus Nova typis transacta navigatio. "
Pietro Martyr. libro prim, della hist. die Ey
Summärio de la naturale hist. del Indie.
del Indie occid. Vineg. 534.
Pigafetta viaggio fatto da gli Spagnuoli atom
— le voyage par les Espaignoiz es IsR«
6 Alle Ausgaben in verschiedenen Sy»:
Pizarro Conquista del Peru. Sevilla 534. 3
Portolano Questa e una opera necessarizm.
Venet. 4%. 4.
delli lochi maritimi. Venet. 528.
Potocki voyage dans la Basse Saxe. Hamk>.
Presbyteri Joannis legatio. Alle Ausgaber _ '
Peer Johan Botschafit des Konigs Davidi
en.
. ‚Purchas his Pilgrimes. 5 Voll. Lond, >. .
gaben.
Radzivili Hierosolymitana peregrinatio. Bron
Ralegh descriptio Regni Guianae. Norimb.
in versehiedenen Sprachen sowie Raleigkh"
— _Kurtze wunberbare Beschreibung di«
Guianae. Nürnberg. 560, 4. (Hulsius FR«
übrigen Ausgaben. |
Ramusio navigatione. 3 Voll Venet: Fol
— .narration of the two navigations.
Ranwolff Beschreibung der Reyss etc. 4 "F
Recentes novi orbis historiae. Colon. Altol
Resendius epitome rer. gestar. in India. Lu
Reyszbuch desz heyligen Lands. Frankf. 9
Robertus Monach. Historia Hierosolymitans
gaben.
— Bellam Christianorum Prineipura
Roeslin Mitternachtige Schiffarth. Oppenh;
Sa Itinerario da India. Lisboa All. "4.
‘ Bagard le grande voyage du pays des Huro
Sande de missione legat. Japonena. adRom
Banta Brasca, viaggio a Gierusalemme. N
- gaben.
Schiffahrten siehe Hulsius.
Schildberger. Hie vachet and’ schildberge
hatt etc. Ohne Ort und Jahr. Framekfutf
Schmidel von Straubingen. Neuwe welt. ]
liebliche Beschriebung. 2r Theil. Frankl
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they were sold at the fall prices. -
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ining 54 exquisiie engravings by Finden, Le Keux,
, Goodall, &c. after the desings of Turner and rd,
iginal and fine impressions, Cadell and Moxon, 1836, one
ı post Svo. some of * Venves —— apotted, boards .
e same, quile clean, Ihe spols having been remoued, while
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und in morotco, extra, wilh ornameni am sides, gilt edges
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BOOKS,
TEE. FINE ARTS,
TORFY, PHILOLOSY,
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on its like again — it: beats all the annuals together. '
wiry, wealil, taste, are here blended beautifully, and tbe
solt is the most aplendid ‚piece of illnstzateil typagraphıy
has ever been our ‚gortune vo look an. Lat all tbat bare
te, or pretend to it, atrive for an .eauiy: nopy, and trea-
tha jewel ot their lihrariea.” ” Akmesm.
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D JAVA, CHINA, An» rux carır LOO CHOO 1S-
AND; with Accoupts of Sir Murray Maxwell’s Attack on
» Chinese Batteries; also, his Journals in Chili, Peru,
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3 -plates, eolauned,. richly Rh
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Schilde Waverley Nopels, Byren, #c.
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Sohmĩchacka, nd, ſaur unriows and sla-
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egling the lech, nad Bir Andrew
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— Lertens AD Wonxs,
Published at Reduced to
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LES, cumplete. 4 vols. Bro, with 256: beuukifully finishesl
engravings, extremely acemmate ie ‚Architectural Betail, kadf
morocco, top edges geölt so co...
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Srnurr's DrEssEs AND nass 08 TOR EnesteH, BBATER,
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plates, cloth letiered . 1.2 0 1 1.2 8 8 Le
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EDITED Br ]J. Prancnk, Ksq. F.S A. seyal: dte.. 28
plates, cloth —* Per Tuer Br Ze vr ur
QFVOBRS ANATOMY OF THE Men, impseil —R
plates, bds. leather bach
The original edition af this fine old work, which ‚i is_in-
“ dispensable to artists. it has long hoen. considered rare.
Tımrerıer's (C. H.) Ewosemsranpıa or Larzsanı AS
TrrosrarHicaL AÄNKCDaTE, wnantaining iha Histcy of
Books asd Booksellerz ; second edition, 1 ta which: is added
a Practical Manual of Prietisg, amD A OONTINUATIeN To
1842, royal 8vo. gi clath 08 0... 46
Tucker's LienT or. Narung PURsURD, complete in 2 vol.
Sra.: new editian, clolk 2843
“Tag *Lient or.NATuae'.ıs A won » WASCH AFTER
MUCH CONSIDERATION , | THANK MATSELF AUTMORIED TO
2 CAEL THE MOST ‚ORIGINAL AND FRAPOUND THAT Has
EVER APPEARED ON M(BAB RULORORRY.” — Sir James
Mackintosh.
Wuukzsr’s {AL®X.) Wowan, piyeioo ically ‚considered as 40
Mind, Morals, Marrlage, M Siavery, Yalldelity,
and Divorce, Bro. second. edition, ezten.chäh . .
35
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12,000 more Words than any otlier, 2 vols. 4to clork .
———— (MWUKE OF) DISPAT.
EDITED BY ÜSLoNKL, GERWOOD, with general
Index, 13 vols, Sv&, Zus.
. 0 0.0 8 6 u 0.6
ii Liege, by Sie JamısE, AnExANDER, embraoimg iris- Ciil,
Military, and Politieal: Carver, to the present time, 2vols.
|, 8vo. with 16 poriraits und pintes, chah Itered . . .» -
Weıstep’s Cırr 6F TAX Carıens, and Voyage to the
1 Coast of Arabia, 2 vols. Bro. maps We. choth Fell. .
Woop’s ConcHoLogr, accending 10 ‚the Linngaean Systen,
15 2O| evith 60 onloured plates, hal[ morocco extra, gilt edyes „ .
Warisar’s (Tnos.) Quszan Ra@anErH AaD. RER Touzs,
ı! 2 thick vols. 8vo. perirait, elath leiterei, .
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STOTBHAnD'S MoNUMBNTAL Brrıes on Gurır Batraiu,
‚sh 2 vol. royal 4to, 158
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1— —— ORDERS, EDITED nr CoLoNEr, Guawoon, Bro.
Published at Rodeujı
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Literariſcher Anzeiger.
1843. Nr. V.
Dieſer Literarifche Anzeiger wird ben bei 9. A
. Brodhaus in Leipzig erſcheinenden Zeitſchriften „Widtter für —
Unterhaltiing” und „Ifiß” beigelegt ober beigeheftet, und betragen bie Inſertionsgebuͤhren für die Zeile oder deren Raum 2, N
Beri
über die im Laufe des gthres 1842
bei
F. A. Brockhaus in Leipzig
erfehienenen neuen Werte und Fortfeßungen.
(Beſchluß
2
0 t I hr en. —
B m . Frauerfii ei ini
8
Dreaucesea. Trauerſpiel
—* as Kriegerthum. Von einem Invaliden, Erster
Theil: Wehl ynd Bildung höherer 'Truppenführer, Gr. 8.
- Geh. 1 Til. 5 N
38, a nbwirtbieefitige Dorfzeitung. Herausgegeben
unter Mitwirkung einer Geſellſchaft praktiſcher Land» und
. Hauswirthe von &. von Pfaffenrath und Bil:
kam Es be. Mit einem Beiblatte: Gemeinnütziges
. Unterbaltu angeblast für Gtabt unb Rand. Dritter
zgang. 52 Nrn. 4. Preis bes Jahrgan 8 20 Nor.
. Keletetigeisen den —* einer — E te IN zer
ombere Knzeioen, 8. 5 werben gegen eine Ber g von 3
, Neue. e Allgemeine Literatursei-
Im Aufteage der Universität zu Jena redigirt von
Geh. Hoefr. Prof. Dr. F. Mand, als Geschäftsführer ;
Geb. Kirchenrath Prof. Dr. U. V. @. Baungar-
ten- „ Ober-Appellavionsrath Prof. Dr. 9.
Francke, Geh. Hofrath Prof. Dr. D. &. Hieser,
Geh. Hofrath Prof. Dr. J. F. Fries, als Specialre-
dactoren. Jahrgang 1842. 313 Nummern. °Gr. 4. 12 Thir,
Die ng, liefert w Schentfich ſechs Blätter, von denen daß fehäte
Wen oce befizumt IR. Moyciun werben mit 17% Dar, Hr
einer Belle un befondere Beilagen u. bgl. mit 1Thlr Raa oe Kaum
40. Q S be (Silliam), — —— ir Eanb⸗
wirthe, Gärtner und Seit ) lithogras
phirten und illuminirten —** Gr. 8.
Kann auch in 5 Heften a 12 Nor. gap ——
4. Eynar ¶ Fürſt zu), Der, itter von Ahobus.
Zrauerfpiel in vier Acten. Gr. 8. Geh. 2U Nor.
42. — — , die Mebiceer. Drama in
fünf Acten. Gr. 8. Geh. 24 Rgr
4, märder (Zrg.), Bas Burggrafihum Meif:
fen. Sin Hifortfch s publiciftifcher — zur ſaͤchſiſchen
afgefchichte: Ans archivaliſchen Quelen. Nebft einem
urkundenbuche. — Auch wm d. T.: -Diplomatifch s Eritifche
— zur Geſchichte und dem Staatsreiht von Baden.
&. 8 Geh. 3 Thir.
44. ost (6. F.), Denkwürdigkeiten aus der
inischen und chirurgischen Praxis.
Erster Band. Gr, 8 8 ech I Uhr. 21 Ner.
j —— — —— der a ie schen und obirur
— hei sr Zweite Aufl, ZwetBände. Gr. 8 1836 Irurginche ir.
Kaasis 27 zur ersten Auflage, Gr. 8. 1837. 2 Thir. ö Ner,
a u s
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Au Pe Quppie Staatsarsneikunde.
ware! ei Binde ya A ein u Bl er 8. Bes] 38. 11 Zbir. “er.
vers hie des Rrarm . ne ei ung der 1
Über 7 te un Ehe tı in Re “ nate r 5*
Hcher und tetischer Hinsicht. Dr tte Auflage.
Gr. 8. 1837. 1 Thlr. 10 che
Ü alte und Er „medicinische, Lehrsysteme imma
liches Run Medicein Insbesondere “or &
45, —— * br.), Befamimeite Novse Uen.
Erſter Eu Theil. BA 12. Beh. 4 Thlr. 15 Nor.
PH alt: Leben nmasie. _ ER; I So orten ee a 5P gwei
46. Noback (K.), Rebrbuc ber Waarenkunde.
In 8— 10 Heften zu 8 Bogen. Erſtes und zweites Heft.
Gr. 8. Jedes Heft 15 Nor.
—— (&. W.), Kicher eines Einfichiers,
Geh. 16 Ngr
Iren rino. m), Andeutungen über den
lichen Beligionsunterschied der
römischen Patricler und Plebejer. Gr. 8.
83 20 Ngr.
Metde | (R5.), Bas UAnmoralifche ber Tobes⸗
arte. achtrag zu deſſen „Anſicht ber Welt”. Gr. 8,
Br. ER F
ficht der Welt.
der Bu) Beten — zu — 28* erſchien 1838 und ko die böcfte «aufgabe
50, Das Pfennig⸗Magagin für Berbreitung gemein.
nüßiger Kenataife, Zehnter Jahrgang. 1842. 52 Nums
un G (Ar: * 57-509.) Mit vielen Abbildungen. Schmal
⸗ t
is , piran Se F Fir — aus 8. in einer Eenen
— fünft i gang kolen yufommengenommen Rat
che ge it a —28* * — 08 neun e ee
Ebenfalld im greifen beradgeregt find folgenbe Säriften mit
vielen Abbildungen
Pfennig-Magazin für Kinder. Zünf Bände. Fräher
Shir._ Iegt 2 Thir. 15 Nor. Einzelne Jahr⸗
gänge 0 Nor.
Sonntage. magazin. Drei Bände. Fruͤher 6 hir,
ent 2 Thlr
Rational. Magazin. Bin Band. Früher 2 The
Jetzt 20 Nor.
Unterhaltungen eines Waters mit feinen Kinbern.
Zwei Bändchen. Mit 51 Abbildungen. Früher 1 hir.
15 Ngr. Jetzt 15 Nor.
51, Der neue Vitaval. Die interefien: Srim inal⸗
gefgidhten älterer und neuerer Beit aus —e— —8
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©. von Bülsw. Nor.
8». et ee Mefe. Gin epifärs Ber
54. Stanmer (B. von), Seſgichte bee Hohen.
faufen und ee Sehe ⏑
ehrte Auflage. In 6 Wänden oder 24 Bieferungen. Gr. 8.
2 0— 42. Belinpapier 12 Thir., ertrafeines Velinpapier
4 and bantweife uud in Bieferuugen bezogen werden.)
si —æãT ee Karten zur erfien Auflage dieſes Werts werden
» @ngland. Zweite vers
und mit einem Bande verme! * Lollese. Drei
&. 12. Gr. 6 Kpe. 15
Der dritte Keil einzeln auch unter dem au.
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a0 107000 Ereyı el ul Aber 10 — —* net werden.
58. Bepertorlum der gesammten deutschen
Literatur. (Neunter Jahrgäng, für das Jahr 1842.)
Herausgegeben im Verein mit mehrern Gelehrten von
m. €. wird: Allgemeine
Bibliographie für )_Einunddreissigster bis
vierunddreissigster Band. Gr..8. Jeder Band in Idtägigen
Heften 3 Thlr. ,
erſchelat von 1848 an im neuer Geſtalt unter dem
el;
Lei; Be rium für deutsche und
—— — teratur. Unter Mitwirkung der
Universität — ben von Dr. E. €.
GersdarT, — und Sberbi berbibliothekar. 52 Hefte.
Gr. 17 Thir.
. Dem Leipziger Repertorium
—
—28
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Biotiegrapdifher enzeiger
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'C. P.W.), Beiträge zur wissen-
Meilk: Gr.8. Geh. 1 Thir.9 Ngr.
raecaeineditae.
i, di, Teni, Syri,
coni, Parl, Astyralaene, Nisyri, Teli, Col,
Calymaae, gen Patni, Bami, Lesbi Thorae, Anaphae,
et Peparethi, dm), Geh. 2 Thl
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Megariene Phnkene) eefälen Ta unbtonet 1 ade I fer
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Bräher erſdien von dem SBesfaffer Sei mir:
re Sin Peenmärden. Zwei Theile. 8. 198,
67. Stra "a. 2 8.5 Sediqhte. Sr. 3. 64.
oa ift unter dem en Ktte von Beppen —
iſches Aaſchenbuch. Herausgegeben von
—* Raumer. Reue ar Bierter Jahrgang. Gr.
8 Hiftorifhen BANN ‚ans
Bas — en Eh —
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n — Bet. ve
6. Vollständiges Taschenbuch der Men,
Maass- und Geywichta- Vorhältuisse, der
Staatapapli:
(Aachen— Lissabon.) Gr. 12. Preis 8 Heftes 15 Ner.
WV_Zeffoni (Kieffanben), er sesube
@imer, Aus dem Jialieniſchen berfegt AR yR
Keig. Mit einer bie in dem Gedichte vorkommenden
3 Seriäreiien darftellenden Karte. ®r. 12.
71. Heania. — auf das Jahr 1843. Reut Balge:
Fünfter gehrgan- Mit dem Bitenim Siatomo An
bunt, Ele; ante WAR 1 Zhle._20 Nor.
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79. Barnbagen von uns (8. ——
digkeiten umb vermiſote Schriften. dicie un
none oder wu Be “ * zweiter Band. Gr. 8.
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714. Bouſtaͤ es habetiſchee Miamen- *
Gaöregifier der ae Algemeinen Zeitung für 130.
209 4. 10 Nee. ,
75. 2 ers binfemmdh
* — von Bulowo. 8. di Ihn 6 Kar
Im Werlage von Auguft Eampe in. Hamburg if |
erfchisnen und wird ſowie ber übrige Verlag deſſelben von
3. A. Br in Leipzig debitirt:
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res ” bad für bie erſten Anfänger. Bierte Auf:
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scher etc. und anderer werthvoller Schriften
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sigten Preisen erlassen werden. (2 Bogen.)
63” Die vortheilkaften Bedingungen, unter denen diese
ausserordentliche Preisermässigung stattfindet, sind aus dem
Verzeichniss zu erschen und gelten nur noch kurse
est, indem später die frühern Ladenpreise wieder eintreten.
2) Verlags-Katalog von F. A. Brockhaus in
Leipzig. Bis zum Jahre 1842 fortgeführt und mit
“ ‚einer wissenschaftlichen Übersicht, und vollständigem
Auterenregister versehen.
Bei ME. Bonnier in Stodholm tft erſchienen und
Yurch alle Buchhandlungen zu haben:
Der Selddienst.
Zeitfaden fuͤr die Offiziere bes vierten Militairdiſtricts der
koͤnigl. ſchwediſchen Armee. Entworfen von dem hoben
commandiremben Generale des Diſtricts
- Aronprin; Oskar.
Aus dem Schwebifchen überfeht von
Udo Waldemar Dieterich,
Mit 3 Plänen. 8. Broſch. 1 Thlr.
Der geiftvolle Prinz Dslar von Schweden, ale Ber⸗
faflee mehrer anderer Werke von ſtaatswiſſenſchaftlichem In⸗
tereſſe rühmlichft befannt, hat in oben angezeigtem Werkchen
berviefen , das ihm auch in militairwiſſenſchaftlicher Hinſicht
Einſicht und Kenntniffe in umfafiender Weiſe eigen find.
Das neue preußifhe Ehegefet;
‚Audlatur et altera pars!
| Eine
Freie Stimme
über den preufifchen
Ehe ſcheiduugs 8 Geſetzentwurf W
8. Broſch. 10 Mer.
Dies Schriftchen, aus der Feder eines rühmlichſt anerkann⸗
tem Autors, beleuchtet den bekannten Entwurf auf eben fo geiß
reiche als praktiſche Welfe umb weißt mehre entfchledene Mängel
v
a, ann ga Ian Inte dern mn
Reipgig, im Sanuar 1843,
Ä — A. F. Köhler.
In unserm Verlage it soeben erschienen und in allen
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ab L. Bossio repertum
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distinxit emendavit annotavit
Bermannus Sauppius. .
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ANTISTHENIS
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collegit et edidit
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zur Beförderung der Schafzucht in Würtemberg
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Bierteljahrs- Shhri
für 1843.
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Inhalte: |
Die Preffe und das Jahrhundert. (Zerſtreute Gedanken.) — Der gegenwärtige Stand der wiſſenſchaftlichen
Bearbeitung des deutſchen Staatsrechts. (Zweiter Artikel.) — Über die Möglichkeit eines zwiſchen dem deutſchen
Zoliverein und ben Vereinigten Staaten von Amerika abzufchließenden Dandels: und Schiffahrtsvertrage. — Die
Nahahmungsfucht der Deutfchen. — Die Bedeutung bes Nationalen im religiöfen Leben, mit befonderer Beziehung
auf die Gegenwart. — Gemeinnüsiger Vorfchlag, die freiwilligen Sammlungen für Abgebrannte betreffend. — Aut
wanderung im Allgemeinen und nad Nordamerika insbefondere. — Der jegige Stand der Volkswirthſchaftslehre
In Deutſchland. — Die Entwickelung ber chriſttichen Kunſt in- Deutfchland und Frankreich. — Welche Ruͤckſichten
kommen bei bee Wahl der Richtung von Eifenbahnen in Betracht? — Über den ſtrategiſchen Beth einiger Punkte
im ſuͤdlichen Deutfchland, — Kurze Notizen.
Stuttgart und Tübingen, im Januar 1843. 3. ©. Cotta’ scher Verlag.
(Reneb pbhyfikaliſches Werk.) In 1. und 2. Lieferung iſt in alten Buchhandlungen vorrätbig:
Die Exrperimentalpbunit.
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Drofeffor, Schrer der mathematiſchen un phyfikaliſchen Wiffenfhaften und der nenern Sprachen.
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geſchehene Benugung der Bereiherungen, weldge bie Phyſik durch Erfahrungen und Verſuche dee neueften Zeit,
befonders in Bezug auf Dampf (Dampfmafhinen), Balvanismus (Galvanoplaſtik), Eiektzicitar ( irkteomagas
tismus), Licht ——— und Meteorologie (Phyſik des Luftkreiſes) zc. gewonnen hat, dies — und baf es arij
für Solche berechnet iſt, welche keine mathematiſches Kenntniffe beſigen — find die Borzüge, welqhe diefed Berk
vortheilhaft auszeichnen.
Für das Jahr 1843 erscheint bei Brockhaus & Avenarius | zösischen Journalistik, um so besser zu erreichen, haben
in Leipzig und ist durch alle Buchhandlungen und Post- | wir uns entschlossen, dasselbe von nun an wöchentlich er-
ämter zu beziehen : scheinen zu lassen. Jeden Freitag wird eine Nummer von
2 1—2 Bogen ausgegeben werden. Bei der Auswahl des
Stofis wird besondere Aufinerksamkeit darauf gerichtet sein,
für anziehende und anregende Unterhaltung zu sorgen.
Der Preis und die übrige Einrichtung bleiben unver-
ändert; wir sind jedoch merci. neu eintretenden Abenze-
auf beiden ersten Jahrgänge
den Jahr
Preis des Jahrgangs für 52 Nrn. 5/5 Thlr. fir den Preis eines einen abzugeben. -
Um den Zweck dieses Journals, schnelle Mitthellung Probenummern sind in allen Buch-
des Besten, @ediegensten und interessantesten der fr handlungen einzusehen.
Drud und Verlag von F. 4. Brodbaus in Leipzig.
Literariſcher Anzeiger.
1843. Nr. VI.
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Dieſer Literariſche Argeger wird den bei F. A. Brockhaus in Leipzig erſcheinenden Zeitſchriften „Blaͤtter für literariſche
fis’’ beigelegt oder beigeheftet, und betragen bie Inſertionsgebuͤhren für die Zeile oder deren Raum 2%, Rgr.
Unterhaltung‘ und „
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vr Karl Berold’fhen Buchhandlung in Wien
ISAI und 1842,
Ables, W., Die Arzneten und ihre Heiltugenden, nebft
einem Anbange, enthaltnb: a) den phyſiographiſchen und
chemiſchen Shell ber Arzneikoͤrper und bie Beſchreibung der
officinellen Präparate; b) die fpecielle Receptirkunde; c) die
neueften Entdeckungen im Gebiete ber Pharmakologie; d) eine
Receptenfammlung berühmter Arzte. Begleitet von einem
Borworte bes Heren E. k. Rathes v. Töltenyi. Zwei Bände.
Gr. 8. 1942. Broſch. 23 Ihe. -
Album ber Mohlthätigkeit durch Beiträge der vorzögliähften
Dichter und Künfller. Gr. 8. 1841. Gart. 2 Thir. 20 Nor.
. Yenetb, Fr. Hektor, Die menſchliche Stimme und ber
Einfluß des Gefanges auf bie Athmungsorgane nebfl einigen
Berhaltregein für Sänger. Gr. 12. 1842. Mit 5 lith.
Zafeln. Cart. ige:
Baumgartner, NAubreas, Die Naturlepre nach ihrem
gegenwärtigen Zuftande mit Rüdficgt auf mathematifche Ber
rundung. Giebente Auflage. Vom Genannten und von
Acndreas 9. Ettingshanfen gemeinſchaftiich umgear-
beitet. Mit 8 Kupfertafeln. Gr. 8. 1842. 4 Thlr.
Berres, Jos., Anthropotomie, oder Lehre von dem Baye
des menschlichen Körpers. Zweiter Band. Zweite ver-
besserte und vermehrte Auflage. Gr. 8. 1841. Brosch,
3 Thir. 15 Ngr.
Betzhold, Fr., Anfihten und Erfahrungen über ben Anbau
der Zuckerrunkelruͤbe, aus Veranlaſſung ber Berfammlung
h tfcher Landwirthe ꝓ Karlsruhe. Mit 1 lith. Abbildung.
Gr. 8. 1841. Broſch. 25 Near.
.Wuhmüher, nt. E., Anfangsgründe der Naturiehre, mit
logiſchen, arithmetifhen und geometrifhhen Borbereitungsiehren
für angehende Ihierärzte und Ökonomen. Mit 6 Kupfer
tafeln. Zweite verbefferte Auflage. Sr. 8. 1842. 2 Thir.
aranza, D. J., Theoretifch = praktifche englifche Sprach:
Be oder —SE Lehrgebaͤude der engliſchen Sprache
fuͤr Deutſche. Mit ſteter Hinweiſung auf die Regeln der
deutſchen und das Verwandte anderer Sprachen. Fuͤr den
Selbſtunterricht und die Lehrſtunde nach wiſſenſchaftlichen
Grundfägen und auf eigene Erfahrung gegründet. Gr. 8.
1842. Brofh. 1 Ahle. 5 Nor.
Chmel, J., Die Handschriften der k. k. Hofbibliothek
in Wien, im Interesse der Geschichte, besonders der öst-
xeichischen. Zweiter Band. Gr..8. 1840. 3 Thir. 15 Negr.
— —, De Öfleeiifhe Geſchichtsforſcher. Zweiter Band.
Grfies, zweites und drittes Heft. Ge. 8. 1841. Broſch.
Das erfle Heft koſtet 1 Abir. 20 Nor; das zweite unb
dritte jedes I Thir. 10 Nor.
fon, Rob., Über die Granular: Entartung ber Nies
ren und ihre Verbindung mit Waflerfucht, Entzündungen und
andern Krankheiten. Aus dem Engliſchen überfegt von Jo⸗
bann Mayer. Mit Anmerkungen verfehben von Karl Bo:
titansfy Gr. 8. 1841. Brofh. 1 Thir
Elairmont, Karl Baulis, Reine Brunhlehre der engli⸗
fhen Sprache, mit einem erſten Leſebuche, die vorzäglichften
fontattifhen Gigenthümtichkeiten mit gehoͤriger Betonung ber
Wörter enthaltend, und nach der Interlinear⸗ Methode bear
beitet, wodurch bad Wörterbuch dem Anfänger ganz entbehrs
ich wird. Dritte verbefferte und ſehr vermehrte Auflage.
Gr. 8. 184. Broſch. 1 Thlr.
Clairmont, Karl Baulis, Zweites Lefebuch zur Erler⸗ |
nung ber englifchen Sprache, beſonders zum Selbflunterrichte
geeignet; mit einer genauen, analytifchen,, deutfchen über:
fetung, woburd bad Wörterbuch dem Anfänger ganz ents
behrlich wird, und mit Betonung ber Wörter. Zweite Aufs
lage. Gr. 8. 1841. Seh. 23 Thtr. |
Czelechowaky, 3. B., Chemisches Wörterbuch zum
Gebrauche für Arzte, Pharmaceuten, Techniker und Ge-
bildete jeden Standes, In Einem Bande. Vier Lieferun-
gen. Gr. 8. 1841. Brosch. 2 Thir. 20 Ngr.
Bolliner, &., Enumeratio plantarum phanerogamicarum
in Austria inferiori crescentium. Gr. 8. 1842. Brosch.
26), Ngr.
ZEndlicher,
reichischen Pharmakopöe. Ein Handbuch für Ärzte und
Apotheker, Gr. 8. 143. Brosch. 3 Thir. 10 Ngr.
— —, Catalogus hordi academici Vindobonensis. Tom. I,
I. Gr. 12. 1843—43. Brosch, 2 Thlr. 20 Ner.
Ent, M., Die Epiftel bed Quintus Horatius Flaccus über
die Dichtkunft. Kür Dichter und Dichterlinge gebolmetfcht.
Gr. 8. 1841. Broſch. 12%, Nor.
8 Über Bildung und Selbſtbildung. 12. 1842. Broſch.
gr.
Feuchtersleben, ©. Freih. v., Zur Didtetil der Seele.
Dritte verbefierte und bebeutend vermehrte Auflage. 12.
1842. Gart. 20 Nor.
Gaal, Gustav v., Das Nöthigste über Auscultation
und Percussion und ihre Anwendung in der Medicin, Chi-
rurgie und Geburtshülfe, mit besonderer Berücksichtigung .
der pöye'kalischen Behelfe zur Erkenntniss der Brust-
und Herzkrankheiten, nach den neuesten und besten Quel-
len zusammengestellt. Gr. 8. 1842. Brosch. 20 Ngr.
Blpan, Peter Erasmus, Abhandlung über bie Fidei⸗
commiffe. Nach dem oͤſtreichiſchen Geſeze. Grfter Band.
Von dem Fideicommiffe überhaupt. .Sweiter Band. Ron
den aus dem FibeicommißsInftitute bervorgebenden Rechter
verhältniffen. Zwei Bände. ‚Sr. 8. 1842. 2 Thlr. 10 Rgr.
Hager, M.., Die Geſchwuͤlſte, befchrieben und durch Bei⸗
fpiele erläutert: Zwei Bände. Gr. 8. 1842. 4 Täler.
Halm, Friebr., Grifeids. Dramatifches Gedicht in fünf
Acten. Dritte Auflage. 8. 1842, Broſch. 1 Thlr.
ur —, Imelda Lambertazzi. Trauerfpiel in fünf Aufzuͤgen.
1842. Broſch. 1 She.
— —, König und Bauer. Luſtſpiel in drei Aufzuͤgen. Rach
dem Spaniſchen des Lope be Vega GCarpio. 8. 1 42.
Broſch. 1 Tholr.
Aancjéri, Alessandre, Dictionnaire frangais - arabe-
persan et turc, enrichi d'exemples en langue turque avec
an, Die Medicinalpflanzen der öst-
des variantes, et de beauooup de mots d’arts et de sciences,
Gehenkrsit, Drei a — *—* ber 15 Her.
Ken Dr or enſchaftlich⸗literariſche Ency⸗
klopaͤdie der — Ein etymologiſch⸗ Eritifches Wörterbuch
der © Aftpetifgen Runfifpea e. In Einem Bande. Lieferung
Jede Lieferung 19 Nor.
Henschel, Dictionnaire des langues francaise et alle-
mande. Zwrei Theile. Zweite Ausgabe. (Pariser Original-
auflage) Gr. 8, 1841. 7 Thir, 15 Neger.
Hiubek, Franz Xav., Der Verkehr zwischen Triest
und der "Monarchie ‚ und die Wien-Triester Eisenbahn.
Mit einer Zeichnung, welche die Bichtung der psojec-
tirten Bahn darstellt. 4. 1841. 2214 Ngr.
“Hofmann, Gtier von Bofmanns dal, Xen., Die
Caruba di Giudea an ungendampf und andere Brufl-
krankheiten. Gr. 8. 2. Beofh. Mit einem Kupfer.
Schwarz 10 Nor. JIlluminirt 15 Ber.
*Hrbine, op. Mep., Geſchichte der Wieliczkaer Baline.
Rad beffen Tode herausgegeben und mit einer geognoftifchen
Beſchreibung der Gatzformationen, techniſcher Erklaͤrung der
Grubenmanipulation, und Anleitung fuͤr Fremde bei der
unterirdiſchen Befahrung der Gaſttour vermehrt durch Ludw.
Eman. Hrdina. Wit 3 Karten. Gr. 8. 1842. 1 Kr.
N Ror.
+ ati Pittoreske Anfichten einiger ber vorge:
tcften Partien ib. Steinſalzwerkes in Wieliczka.
An Umſchlag geheftet. 2 Ihr.
HOuete .Mx., Grundriß ber Kuffatlehir. Sin theoretiſch⸗
prabtiſcheẽ — sum öffentiidgen und zum Pridatunter⸗
—— Zweite verbeſſerte Auflage. Gr. 8. 1841. 1&hir.
Jahrbäder der Literatur: 9er bis 1008er Band. Gr. 8.
1841 —42. Jedar Jahrgang zu vier Bänden 8 Thlr. Gier
zein jeder Band 2 Thlr.
Leben und Thaten des Anton Wallner (vulgo Xichberger), Wirth
in Bindiſch⸗ Matrey und Landesvertgeidiger ber Salzburger
ande im Jahre 18009. Der Wahrheit getreu Sefie
von, .. und herausgegeben *. —8* Man⸗
—** 1843. Broſch. Mit Fitelkupfer. 1
en der den eng
„Theorie ber Gärtnerei.
en n Deiginalen Bed. 3 Shi Abbildungen. Bier Hefte.
est von &. &. Mit vielen, getreu na
Gr. 8, I Thir
Linnael, Carell, Epistolae ad Nicolaum Josephum
Jacquin, ex auto bis edidit Car. Nic. Jos. Eques a
SchreibersC.,
raefatus est notaaque adjecit —
nus Endlicher. Gr.8, 1841. Brosch, 1 hir, 77
Rittrow, ©. E. v., Srläuterungen zu 3. 3. p. eiekrow's
__Borlefungen über Aftronemie. Mit 51 lith. Tafeln. &r. 8. 1842.
‚, Kalender re alle Stände. 1841. 18493. 1848. 8.
rofl. A127, Mae. Gart. und burdfceffen & 15 Nor.
- R@öwe, Dr. Aruold, Geiſt der erften piwſiſchen Gryiehung
7 ‚asien, Weiter Beitgemäße Darftelung. Gr.
. Bro
1 Tolr.
Mandi s J. Frane » Handbuch der
harmaceutischen
feuerungserfparenber, rauch: und geruchloſer, luftrei Nude
-und eitövertreibender Stuben » Deigungsapparat. Sr. 8
1841. Broſch. 12%
hetti, Theoretisch - -praktische Abhandlung über
die Wasserscheu, enthaltend die vom Verfasser im Jahre
1820 mitgetheilte Präservativcur u. s. w. Gr. 8. 1843.
Brosch, 1 Thir.
“Mlelicher, L. 8 2 Tractatas de Apoplexia. Gr. 8,
1841. —
NN 77 Sin Trauer⸗
ſp j. bier a ©. 5 . fü. 1 Züır.
Aus we Engli⸗ |
73 Pr zan. Über die Theorie bes Nach einem
Beh. uqufti ——
a ran ann. Br.
Meumann, Prof. J. =. Danbbady ber Phyſik für unter⸗
richt und Getbfibeleprung, mit immerwaͤhrender
auf Anwendung. Band I, Dritte, Ite ji einem durchaus neuen
Werke umgeftaltete Auflage. Kupfertafein. Gr. 8,
1842. 3 Thlr, 15 Nor.
Deth, E. v., Über die mechanifche Bradfpinnenei in Deutſqh⸗
land, mit befonderer Rauͤckſicht auf die k. k. oͤſtreichiſchen
Etonten. 43. 3. 1841. Pant 15
ecun, B, eflung ber erfolgreich Art
und Meife bes Anbaues, ber Pflege und an, ber
Runkelruͤbe und ber Zuderbereitung aus bderfelben auf dem
Wege ber verbeſſerten fiebend beißen Maceration Ein gan;
pop Handbud) r Landwirthe, welche biefen Inbuftrie
geei nicht in Ta! zu — beabſichtigen. Gr. 8.
ro Ir.
uch für das Denten. Ein
Fe hr Eee get = Bei. 1 pie. 10 Nor.
v. — er Regierung L.
—
2., e na em Orient
Erhebung mercantiler Rotizen für Sſtreichs —**
®r. 8, 1840. Broſch. 1 pr. 10 Star. |
Nollett, Hermann, Liederkraͤnze. 8. 1842. Broſch. 1 hir.
BRubichon et Houniler, Des travaux d’utilite publigue;
des produits du r&gne nrineral; des bois de sonstruction
dans la Grande-Bretagno et en Irlande. Extrasts des
enquetes et des pieces officielles publides en Angleterre
par le parlement, depuis ’annde 1833 jusqm’a ce jeur;
——— de quelques remarques. Troisieme volume.
Gr. 8. 1849, I" T in 20 Ner.
— —/, De la peche; de la navigation; du commerce de
!’Inde dans la Grande- Bretagne et en Irlande. Extraits
etc.
Quatriöme volume. Gr. 8. 138432. Brosch, I Tulr.
Balgmann, A. Gottfr. ber Zonfunfl. Gr. 8.
—* Brofh. 1 1 Zu. a *
Echauga, Br. ©., — Gedichte. 8. 184.
Zwei Bände. zo4
*G ı Se ottileb. Beiträge zut Rumitnetik,
befonberd zur Erkenntniß ber Echtheit der aiten Münzen aut
anderer Begenftände von Metall, neo einigen numlämattiäyen
Epigrammen. Gr. 4. 1841. 10 Nor.
Schmidt, U. ., Eine Woche in Wien. Zuverläffiger und
zeitfparender Führer durch bie Kaiſerſtadt und ihre ne
Umgebungen. 13. 1842. Gart. Mit einem Plan. 20 Kor.
Schnabel, G. M., Die Willenfchaft des Rechte (Ras
turrecht.) Auch u. d. T.: Du „natücikiie Privatreqht. &r. 8.
@aufete, ©. 1 age 10 be Gin Sefäiee u I
wielre . a uther e aus
wiener Boltsiehen. 12. 1841, ne Broſch.
— —, Bufliges und Lebrreiches für Kinder ale — 1.
1842, Gart. 25 Nor.
"Btupper 9 © L. f) Medicinisch - pharsanceutische Beta-
nik, oder Beschreibung und Abbildung sänamtlicher in der
neuesten k. k. östreichischen Landes- Pharmakopse vom
Jahre 1836 aufgeführten Arsnelpflanzen ; in naturklsteri-
scher, phyto her, pharmakognestischer und pher-
makodynamischer Beziehung, mit besonderer Rücksicht auf
die botanisch - pharmaceutischen Synon und Vorßi-
schung oder Verwechselung der abgehandelten Arzneistafle.
Mit — getr eu gezeichneten und fein colorirten Abbä-
m Gebrauche für angehende und ansübende
rate ) und Pharmaceuten. Erster und zweiter Band.
Gr. 4. —— 27 à 10 Thir.
Kheaterjeitung, AU, ben
ee bie "Se —e— ——
blidern. Gr. 4. Seven: Jahrgang 13 Tür.
Anger, M., Softematifike Darſtellung ber Gefege über bie
höpern Studien in ben geſammten ber italieniſchen Pro⸗
vinzen ber oͤſtreichiſchen Monerdie. ei Theile. Rebſt
einem Repertorium. Gr.
Weith AHAoß. Emanuel, —8 8 Beterinärkunde,
in befonberer Beziehung auf bie Seuchen ber arſten Haus⸗
Saͤugethiere; fuͤr Phyſiker, Kreiswundaͤrzte, ieraͤrzte und
konomen. Vierte Auflage. Mit vielfaͤltigen Zufägen vers
ſehen und zeitgemaͤß vervollſtaͤndigt von Joh. Sins Beith.
Zwei Bände. Mit Kupfertafeln. Gr. 8. 1840. 4 Thlr. 15 Nor.
Berhanbiun en des niederöftreichifchen Gewerbuereing. Br. 8
SBroſch. 1842. Erftes bis viertes Heft. Jedes Heft 1 Ehlr.
Viſtui, EAndreas, Beiträge zur Criminalrechtswiſſen⸗
ſchaft, mit beſonderer Ruͤckſichtnahme auf au öftreichiiche
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"Wagner, P. P. V., Anleitung zur —æe Arz-
neikunde für Gerichtsärzte und Rechtsgelehrte des Mili-
teir- und Civilstandes, und zum Leitfaden bei akademi-
. schen Vorlesungen. Erster Band. Formeller Theil. Gr. 8.
1833. 2 Thir. 10 Ngr. Zweiter Band. Materieller Theil.
1840. 4 Thir. Beide Bände 6 Thir. 10 Ngr
Mehtrele, EA., Behrbuch ber Probir - uns woi tienkande ar
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Zeitſchrift, Wiener, für Kunſt, Literatur, Theater und Mode.
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“ Durch alle Huchhandiengen und Postämter ist zu beziehen :
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Allgemeine Literatur - Zeitung,
Im Auftrage der Universität zu Jena redigirt von
Geh. Hofrath Prof. Dr. F. Hand, als Seschäfts-
führer, Geh. Kirchenrath Prof.Dr. %,. M. O. Baum-
garten. Orusius, Ober-Appellationsrath Prof.
Francke, Geh. Hofrsth Prof. Dr. DD. &.
, Geh. Hofrath Prof. Dr. «I, Fi. Fries,
als Specialredactoren.
Jahrgang 1843. Januar.
Inhalt:
P. v. Möller: W. v. Humbeidl’s gesammelte Werke,
Erster und zweiter Band, (Nr. 1 u. 2) — GE Heim-
Bach: Corpus iuris civilis recognoseci brevibusque adnota-
tionibus eis instrul coeptum a Dr. Amerto et Dr. Mau-
ritio fratribus is continuatum .—. studiegee Dr. A.
Herrmanni. (Nr. 8, 4 u5.) —
and Rom ete. Nach den besten vorhandenen Übersetzungen
herausgegeben und mit fortiaufenden biographischen und
literargeschiehtlichen Erläuterungen vorsehen von X. Fr.
Borberg. Mit einem Vorworte von J. K. v. Orelli. (Nr. 5.)
— A. : Ktwdes sur les (ragigees ou examen
wi ze d’ Kachyle, de Sophoclo et d’Euripide, procodo d’une
generale de la ec grecque, Dar M. Patin,
—— Ku) — Weisse: Kritik der evange-
lischen Geschichte der Synoptiker. Von B, Bauer. (Nr. 1,
8,9,18,10 15) — &: In I Niimeises da la Bocists
ethnelogique. (Nr. 9, 38 a. 1) — a : Logische
Untersuchungen, Von A. 3— Zweiter Artikel.
{Nr. 15, 16, 1 u.38) — F. B. Volgt: Bericht über die
wissenschaftlichen Leistungen im Gebiete der Entomalagie
tigte unb vermehrte Auflage. |
KR. G. Jacob: Hellas |
” )
während des Jahres 1840. Von W. E. Erichson. (Nr. 18.
— F. 8. Volgt: I) ‚Symbolne ad historiam Helicearum.
Auctore L. Pfeiffer. 2) Horse anatomicne, Ven H. Loew,
3) Observationes zoolagicae de Zoophytis Coralliis, speciatim
de — Fungia etc. Edidit F. S. Leuckerdt. (Nr. 18.) —
K.
. Stark: 1) Handbuch der gerichtlichen Medion,
nach dem gegenwärtigen Standpunkte dieser Wissenschaft
für Ärzte und Criminalisten. Von G. H. Nicolai. 2) Anlei-
tung zur gerichtsärztlichen Untersuchung der Körperver-
letzungen. Von J. R. Friedreich. (Nr. %, 21, 2,23 u.%.) —
F. Gottschalck: Streifzüge durch die Felder des königl.
preuss, Wappens. Von Ya I Ledebwr. (Nr. 5) — Aus
burg un den Frefser Kusag Kasagartn Zu F u al ad; dena
rarische —E — —— —
Von dieser Zeitschrift erscheii erscheinen wöchentlich sechs
Nummern und sie wird wöchentlich und monatlich auge"
geben. Der Jahrgang kostet 13 Thlr. Anklim
werden mit 14 Ngr. für den Raam einer gespaltenen sile
berechnet, besondere etc, gegen elite
Vergütung von 1 Thir "15 Ner. beigelegt.
Leipzig, im Februar 1843,
F A. Brockhaus.
Bei SE. Bonnier in „etodpotm ift erſchienen und in
allen Buchhandlungen zu haben
Biunlands
Gegenwart und Zukunft.
Sammlung —* Streitſchriften
J. qwasser, Pekka Anoharinen, €. G. Geijer
und Olli Kekälainen.
Hus dem SGchwebiſchen von R.
8. Broſch. 2 Thlr.
Sum erften Male bringt ein Wer Kunde über Fin nlande
politifcge und gefchichtliche Beflaltung. Das vorflchend ange:
zeigte gibt In praktiſcher und gutgewählter Zufammenfellung
den Beeumben der Kate und — ia —E Dar⸗
ftellung € N
Bilde und: Anndfäer Oproßie efäenn I 0
Heute wurde ausgegeben:
Lonmversations- £ exikon.
Reunte Auflage. Fuͤuftos Heft.
Diefe neunte —* sent ne 15 Bänden ober 120
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Sandwirthschaftliche Dortzeitung.
Herausgegeben unter Mitwirkung einer Geſellſchaft prak⸗
tifcher Sands, Haus⸗ und Forſtwirthe von &, 9
—*5— amd | illien Böpe. Di —*
iblatt: Gemein iges MN ungs ur
Stat und Land. g⸗
Vierter Jahrgang. 4. 20 Nr.
Leipzig, bei F. A. Brockhaus.
Hiervon erfeheint nei 1 Bogen. Annkündigun⸗
ew darin werden mit 2 Kor. den Raum einer gefpaltenen
berechnet, Defondere Anzeigen sc. gegen eine Vers
gütung von . Thir. für das Taufend beigelegt.
Inhalt des Monats Sanuar.
zeitung: Borwort. — Bemerkungen über die in ber
fürtber Gegend allgemein übliche Grünfütterung des Klees. —
Sruppen englifhen Rindviehes. Mit einer Abbildung —
Nachrichten über den Ausfall der Ernte im Eiſenachſchen. —
Der Aberglaube ift eine Wurzel alles Übel. — Ginige Bes
merkungen über die Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit bes vers |
fioffenen Sommers. — Verbeffertee Kochtopf für Kartoffeln. —
Srfaprungen über die Mund⸗ und Klauenfeuche des Kindviehes.
— Das Yutierabfchneiden in den Waldungen in Zeiten bes
Futtermangels. — Eanbwirthſchaftliche Meuigbeiten,
Miseelien u. f. w. — Mnterhaltungsblatt: eob ber
Landwirthſchaft. — Goldenthal. — Dex Goventgarbenmartt
in London. — Der Arbeiter in ben englifchen Steinkohlengru⸗
ber. — Den Eefern ber Landwirthſchaftlichen Dorfzeitung.
ee N: 2 "
Da die Direetoren der Geukenberg'ſchen
uaturforfchenden Geſellſchaft — in Folge der
neuen Statuten — peziodifh wechſeln müffen, fo werden
alle Diejmigen, welche Briefe oder andere Gegenſtaͤnde
an bie Sefelffchaft überfenden wollen, gebeten, bazu folgende
Abreſſe zu wählen:
_ An die Senkenberg’sche naturforschende &e-
sellschaft in Srankfurt 3 M.
r. Aug. de Bary,
zweiter Eecretair.
In unfesm Verlage iſt ſoeben erſchienen und in allen
Buchhandlungen gu haben:
Zeitgemäße cuswahl
Huldreich Bwingli’s
praktischen Schriften,
aus dem
be .
Alt: Schweizerbeutfhen und Kateinifchen ins Schriftdeutſche
überfegt und mit den nothwenbigflen geſchichtlichen Er⸗
. Härungen verfehen.
maget Eheiftefiel,
V. D. M
Dieſes Werk wird in Heinen Lieferungen erſcheinen, von
benen jede nus Mine Schrift Bwingli's umfaßt, ſodaß Ries
mand gezwungen fein wird, ſich das Ganze anzufcheffen,
fondern au nur das für ihn Iutereifante aus:
wählen kann. Als nortseffliche Beigaben zu den Schriften
Iwingies felbft dürfen noch befonbers bie gehaltreichen Bor:
Drud und Verlag von 8. X. Brodhaus in Leipzig.
zeden odet, eigentlich zeſprochen, Einleitungen zu ben ein,
zelnen Bändchen zum Befen empfohlen werben.
- Das Ganze wirb den Preis von 5 Fl. nicht überfleigen.
Bis jetzt find erſchienen:
Won ber Klarheit unb Bewißheit bes göttli—⸗
den Wortes. 7, Nor. (6 4Gr.), oder 27 Kr.
Spriftlie Einleitung. 5% Nor. (4% gGr.), oder
Kr,
Der Hiet. 11%, Nor. (9 gGr.), oder 36 Kr.
Das igtamt. 7%, Nor. (6 gBr.), ober 37 Mr.
Die Peilige Laufe. 15 Nor. (12 g@r.), oder 54 Kr.
38 Beilige Abendahl. 11, Nor. (9 gEr.), oder
Den Schluß des Ganzen wird eine Miumenlefe aus der
übrigen nicht vollſtaͤndig aufgenommenen Schriften Zwinglis bilden,
Meyer G Zeller in Zürich.
Sorben ift bei uns erſchienen und durch alle Buchhandlun⸗
gen zu beziehen:
Aufgaben uͤber die Regeln der franzoͤſiſchen
prache fuͤr Aufänger (von Alex. Frege).
8. Leipzig und Paris. /, Thlr.
Dergleichen für GSeübtere. 8. Leipzig
und Paris. ", Thl |
Reipgig, im Februar 184
\ Brodbous S Wuenarins,
Buchhandlung für deutfche und auslänbifche Literatur.
Nachdem die hohen Minifterien das Verbot bes
fönigsberger Siteraturblattes
xedigiet von Alex, Jung
aufgehoben unb bie Herausgabe deſſelben obne jede Be
[orantum wieber "freigegeben haben, wird baffelbe vom
. April d. 3. ab wieder ins Leben treten und im Berlage 6
Untergeichneten erfcheinen. |
Vorlaͤufig werden (weitere Ausbehnung vorbehalten) wödhents
Lich zwei Nummern erfcheinen. Der Abonnementspreid beträgt
ß; Anno 4 Thlr., alſo für dieſes Jahr (vom 1. April bis
1. Dec.) 3 Thlr., und nehmen ſowol ſaͤmmtuche Buchhanbiuns
gen als bie koͤnigl. Poftämter Beſtellungen an.
Das ftete Ziel und Streben bes Königsberger Literatur⸗
blattes if: echter Riberalismus, unb fo werben alle
Breunde deffeiben das Wiedererſcheinen dieſes Blattes freubig:
egrüßen. -
Ausführliche Profpecte find 3 allen Buchhandlungen zu haben.
Danzig, 1. Februar 1843.
Fr. Sam. Gerhard.
Durch alle Buchhandlungen iſt von mir zu beziehen:
Rede
sur Gedaͤchtnißfeier
König Friedrichs
gehalten am 26. Januar 1843 in ber koͤnigl. preuf.
Alademie der Wiffenfchaften
. von .
Stiedrich von Raumer.
Gr. 19. Geh. .6 Nor.
Keipzig, im Februar 1848.
3. A. Brockhaus.
Proſpeetus.
Etymologiſch-ſymboliſch mythologifches
Realwörterbuch
zum Handgebrauche
für
Bibelforſcher, Archäologen und bildende
| Künftler,
mit Rückſichtnahme auf die mythifche Bedeutung einiger Länder-, Städte: und
Vöolkernamen, auf die fonıbotifche Bildnerei und Architectur des gefammten alten
Drientd und Occidents, auf die Feſte, gottesvienfllichen Gebräuche und andere
Geremonialgefeße der clafliichen und anderer heidniſchen Völker des Alterthums, wie
auch mit befonverer Rückſicht auf die Ritualien der jüdiſchen und chriftliden Kirche,
auf die Kunſtſymbolik und Iconographie des Mittelalterd u. a. m.
Bon
8. Work.
ar. Lericonformat circa 115 Bogen, feinftes Belinpapier.
on
zwölf Sieferungen oder vier Bänden.
Preis fl. 18 rhein. oder Athir. 11.
Verlag der J. F. Caſt'ſchen Zuchhandiung in Stuttgart.
Die encyrlopäbdifche Literatur behandelt noch immer die mythologifchen Artikel auf
eine, die vwoiffenfchaftlichen Refultate ver neueften Zeit im Bereiche der Alterthumskunde,
gänzlich ignorirende Weiſe. Sie urtheilt über die Denkmäler der Urzeit nur aus ihrer
- fpätern Berbildung,, denn ungebuldig geworben über den Träumen unmiffender Ueberlie⸗
feree nimmt man fi nicht die Zeit, den Sinn Deſſen zu belaufchen, was die von und
eitirten Kinder ihren Bätern nachlallen. Daher befchränfen fich jene Hülfswerke auf Die
trockene Aufzählung der tieffinnigen Räthſel der Urzeit des Menfchengeichlechts, welche
ohne ernftere Prüfung ihres Gehalts, als phantaflifche Träumereien, als fehmwülftige oft
unfittliche, aber alles tiefen Sinnes entbehrende Bilverfprache belächelt werben, ungeachtet
Schon Ottfried Müller (Proleg. S.266.) auf die Wichtigkeit des Symbolftubiums mit fol
genden Worten aufmertfam machte: „Sehr oft iſt der Mythus nur ein entwideltes in
Thätigkeit gebrachtes Symbol, an dem Symbol und durd das Symbol entſtanden. Biele
Sagen find nur Erflärungen und Ableitungen von Symbolen, zwiſchen deren Schöpfung
“und der Bildung der erftern oft Jahrhunderte Tagen. Die Symbole find älter und ur⸗
ſprünglicher als vie Mythen, eine unbeftimmte Ahnung des Göttlichen 20.” Und gleich
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nachher: „Zum fihern Berffänpniffe der mythiſchen Redeweiſe zu ge-
langen, muß der mytpifche Ausprud als eine eigenthümliche Art einer kindlich
einfahen Sprache betrachtet werben, deren Wörterbuch nachzuweiſen if,
eine Unterfuchung,, die auch blos vom gegebenen Stoffe ausgehen kann, da eine Tradition
über die Deutung diefer Ausprudsweife, eine authentifche Interpretation aus dem Alter
thume felbft nicht anzuerkennen iſt; denn die Zeit ver Mythenſchöpfung konnte unmöglich
dem Mythus die Deutung hinzufügen, ba es das Dauptgefeh dieſer eigenthümliches
Geiftesthätigkeit if, DaB fie das Gedachte gleich ale wirklich nimmt, und über ſich felfh
durchaus nicht reflectirt ; die fpätere Zeit aber, die ſich wohl mit dem Deuten befchäftigte,
hatte mit ber fchöpferifchen Phantaſie auch den innern Sinn verloren, und Die VO@pıLopevon.
welche Diythologeme von Facten zu unterfcheiden, die für ihre Zeit große Kühnheit halten
(Plat. Phaedr.), tlügelten nur daran; zu einer biftorifchen Betrachtung und Entwidlung
der Sache hatte jedoch das Altertfpum nicht Selbftentäußerung genug, und ermangeli
ber Faähigkeit, fih einem fremdgewordenen Dichten und Denten anzufchmiegen; font
würden die Gelehrten, die Aleranvders Zug begleiteten, die Namen ver Bölter, vie
fie tennen lernten, nicht aus griechiſcher Mythologie gedeutet haben. *) In biefer Hin
ift alfo dem Altertum keine gefeßgebende Autorität augugeftehen und die Erforſchung dei
mythiſchen Ausdrucks Tann in unferer Zeit noch mit großer Sicherheit ausgeführt werben,
ſchon deshalb, weil wir ung einigermaßen in die Denkweiſe jener alten Zeit hinein:
feßen vermögen.“
Nichtsveſtoweniger ift diefe vor mehr als anderthalb Decennien ergangene Mahnung
eines der erſten Eoryphäen der Alterthumswiſſenſchaft bis jetzt unbeachtet geblieben. Auch
die neueſten archäologiſchen Handbücher übergehen entweder ganz die Deutung biefer Alle
gorien und Mythen, oder fie begnügen ich mit ven vagen Erflärungsverfuchen der Hellenen,
welche die urfprünglich theils aſiatiſche theils egyptiſche Heimath ihrer Cultusſprache nicht
mehr kannten, und daher wie Blato: Heog(ffr. dewas Lichtweſen v. dju leuchten) von Yo
) Aehnliches paſſirt noch jetzt alltäglich ſelbſt gefeierten Philologen, am hinfigfien aber,
wenn die Etymologie um ihren Beifanb angerufen wird. Gin eihmologiſches Schwaͤnk⸗
hen dieſer Art ift jedoch zu poſſterlich, um es nicht hier zur Mittheilung zu dringen:
und wenn wir ben Berfafler nicht namhaft machen , fo wird er und minbeftend tiesmal
für unfere Verfchwiegenheit Dank wiſſen. Diefer, nachdem er Welder’s Etymologie
des Namens „Gerberus“ von Egeßog mit worgefeßtem x und eingeihaltetem _ (fo dap
ed uriprünglich xepeßoog gebeißen haben müßte), ſo mie Voͤlker's Ableitung jened
Wortes aus Zoregog (! wo alſo das o in E übergegangen feyn ſoll) mit Het
verworfen, gibt zu bedenfen, ob nicht Gerberus von ven Röchelfröfhen, — welde
zwar AuAaysc, aber and) xöpßepoL hießen — feinen Namen erhalten habe!! Selbtt
Kannc’e etymologifcher Witz ſcheiterte an dieſer Aufgabe, denn er vermuthete xtoßtooc
aus zwei Worten, xp und B0000 zuſammengewachſen, und überfepte: Herze oder
Leberfreſſer. Movers zug das Hebräifcye zu Raihe, und las an 35> (canis igness)
was für den Hunbafterrn — denn biefer ift Gerberus — am meiften paſſen marke.
und ben meiften Beifall verdiente, wenn nicht die Sanſkritſprache und ter mike
Mythus uns noch eine weit zuverläßigere Herleitungsquelle zeigtem. Der Tottengolt
Dama hat nämlich in feiner finflern Höhle zwei Hunde, von Denen einer Karburs
i. e. Gekerbter, Gefledter heißt, weil er wie der hundertäugige Mrous das ganze
geftirnte Firmament repräfentirt, nämlih der Sirius als glaͤnzen dſter Stern alle ans
dern Sterne, pars pro foto. Dieſer Hund ift es, welcher alle Abende die Sterne
wieder ausſpeit, welche er in ber Frühe verfchlucte, und fein Arrfenthalt if die Ur
terwelt, weil die Sterne des Tages über unſichtbar find. Jener Argus, welder die
Mondkuh hütete, nämlich der Sirius als sidus colleciivum, war Hermes als Be
gleiter ver Ins, obgleih er von Hermes Kuvoxtgakog ( Hunds kopf) getoͤdtet war;
denn die Tages» und Jahresgrenzen werben von zwei Hunden (Hermen) bewacht, de
fi mwechfelfeitig ablöfen, in der mythiſchen Spradye: todt ſchlagen. Ginen biefer beides
Hoͤllenhunde hatte auch Hercules (ver Lichtheros) erfchlagen, den antern an die Lit
welt geführt, aljv nur eine andere Geſtaltung des erftern Mythus.
Arım. d. Herankg.
faufen (sc. Umlauf der Geſtirne) oder wie Ovid die ancilia von ihrer gebogenen Form
— anderer kindiſchen Etymologien eines Cicero, Feſtus, Barro u. A. nicht zu ge
denken — ableiteten, und zu ebenfo trüglichen Behauptungen verleitet wurden, wie der
alexandriniſche Philo, welcher die Griechen nur mit ihrer eigenen Münze bezahlte, wenn
er Plato's den Orphikern oder vielmehr dem Orient entlehnte Philofopheme wie 3. 8.
ben boppelgefchlechtigen Urmenfchen, den Fall der Geifter, den Welt fihaffenden Lo⸗
908 u. f. w. ebenfo fälfchlih dem Moſaismus vindicirte. Dies Tam daher, weil jedes
Soft das Urvolk zu feyn vorgab, obgleich alle diefe Nationen aus Einer Offenbarunge-
quelle getrunken hatten, und nur verfchievene Dialecte einer und derfelben Sprache des
Geiſtes reveten, deren tiefen Sinn nur noch die mittelft einer vererbten Geheimlehre
deutungstimbigen Priefter kannten. Bieljähriges Forfhen und Sammeln auf dem Ge—
biete ver Archäologie hat dem Herausgeber diefes Wörterbuches täglich neue Belege für
die vorhin gerügte vertehrte Behandlungsweife der hieratifchen Literatur ) der Bormelt
auffinden laffen, und gu der Behauptung getrieben, daß die Mehrzahl unferer Dichter
und Kunflrichter Horazens Vorſchrift:
— — — Exsemplaria graeca
Nocturna versate manu versate diurna
nicht fobald vergeflen hätte, wenn ihnen der eigentlihe Werth der Alten nicht von bem
bezopften Magifter Dunflus verläugnet worden wäre, welcher wegen feiner vielleicht an⸗
gebornen Geifterfcheu fih Hinter Buchftaben zu retiriren pflegt. Große Schlachten hatten
die Partheien lenis und asper feit drei Jahrhunderten fih gegenfeitig geliefert, unterbeß
war ber Spiritus ihnen entflogen; und wer an biefem fpirituöfen Kampfe feinen An-
theil nahm, ließ fih unter den Romantitern anmwerben, weldhe die Reaction gegen bie
fich überfchäßende Philologie aus dem Nichts hervorgerufen; welche Schule in das andere
Ertrem verfiel, fogar das verworrenfte Zeug anzupreifen, wenn unter den vielen
Schlacken auch nur Eine Geiftesader entdeckt wurde. Die feit einigen Jahren immer
fanter werdenden Forderungen der Mtilitätgmenfchen nach gänzlicher Befeitigung der Hu-
manttätsfiubien Kündigen das Borbandenfepn einer zweiten Oppofltionsmacdht an, welche
den Philologen um fo gefährlicher werden dürfte, da fie nicht gleich den Romantifern nur
von der flüchtigen Modeſtimmung getrieben wird. Gleiche Urfachen erzeugen gleiche Wir⸗
kungen, und ver Buchftabendienft trägt allein die Schuld, daß, wie jeßt nur noch die Ilias
von Philhellenen ex professo gelefen wird, ebenfo die biblifhen Schriftfteller nur von denen,
welche mehr ein geiftliches als geiftiges Intereſſe befeelt. Und felbf unter dieſen Hagt
die Mehrzahl more rationalistarum , welche in jenen ehrwürbigen Urkunden einer längft
untergegangenen Culturperiode den modern trodenen Zeitungsfiyl vermißt, über Aus—
wiüchfe einer ſchwülſtigen Phantaſie wunderfüchtiger Orientalen, über Dunkelheiten und
Widerſprüche, Anachronismen und phyſikaliſche Irrthümer! Und dennoch bergen auch
biefe Schachte fo manchen Geiſtesſchatz, weicher noch feinen Beſchwoͤrer erwartet. Doc
nur biejenigen werben ihn heben, welche der hier niebergelegten Zauberformeln kundig
find, denn nicht der nüchternen Kanzleifprache entlehnte Phrafen, fondern magifche Sprüche
fprengen die Pforten des Geifterreiche.
Au bildende Künftler dürften mit Ruben in diefe Vlätter bliden, fie werben dann
niemals um paflende Attribute für die von ihnen darzuſtellenden Böttergeftalten, Heiligen-
bilder u. dgl. verlegen feyn. Und weil ed für die nähere Kenntniß und Beftimmung
*) Zu bdiefer find nicht nur die aus den alten Feſtdramen hervorgegangenen Tragödien
(mit Ausnahme der rein politifchem Zwecke Huldigenden „Perfer” des Aefchylus), fowie
die Heftodifche Theogonie, Homer’s Epopeen und Virgils Aeneis , fondern aud die „Der:
wandlutgen“ des Ovid, Claubians „Raub Proſerpinens“, die „Thebaide“ des
Statius u. a. m. zu zählen, wenn auch dieſe ſpaͤten Umarbeiter jener urſprüuglich dem
Cultus gehoͤrenden Dichtungen die eigentliche Bedeutung derſelben nicht mehr verſtan⸗
den; ſonſt wärben die roͤmiſchen Satyriker nicht das geheiligte Versmaaß der Pythia
ihren profanen Zwecken gleichfalls dienſtbar gemacht haben.
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der Kunſtwerke des kirchlichen Mittelalters nicht unweſenilich iſt, die Perſonen der auf
denſelben dargeſtellten Heiligen unterſcheiden zu können, und bie Zeichen gu willen, an
welchen fie ertennbar werben, fo ift bei jevem Heiligen — doc find nur bielenigen in
diefes Realwörterbup aufgenommen worben, welde auf Bildern, Bildwerken, Münyn x.
vortommen — angegeben, in welder Tracht er gewöhnlich bargeflellt, welche befonder
Embleme zu feiner Characteriftit angewendet worden, und welche Beranlaffungen etw
für leßtere nachzuweifen find. Bei weitem die Mehrzahl viefer conventionellen Attribak
bezeichnen die Werkzeuge des Mariyrertoves, einige beziehen fi) auf verrichtete Vunder
die geringfte Zahl ift rein fymbolifch, und deutet entweder Umſtände aus dem Leben bei
Heiligen oder gewiſſe Eigenfohaften an, die ihm beigemeflen werben. Bei den Coftünes
ift in den meiften Fällen nur darauf bingeriefen, daß der Heilige in der bezeichnen
Kleivung als Papſt, Biſchof, Einſiedler ꝛc. vargeftellt worben, da die betreffenden Ari:
bute, fowie bie Kleidung ver verſchiedenen geiftlichen Orden man als bekannt vorausiufehen
darf. So fleht denn zu hoffen, daß diefe Frucht mehrjährigen Sammelns den Bedürfriſen
der verfchiedenften Partheien in Kunft und Wiffenfchaft entfprechen, und bei fleißiger 3.
ratheziehung diefes Hilfsbuches, welches nach den reichlichſt fließenden und zuverläfigfe
Quellen ausgearbeitet ift, fchwerlich billige Wünfche unbefriedigt bleiben werden.
— — — — — —— ——· —
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Subferiptionsbedinguugen.
Unter Bezugnahme auf vorſtehenden Profpecet gibt die unterzeichnete Verlagehand
fung fih die Ehre, die Geb:lveten aller Stände, insbefondere aber Bibelforfher, Arie
logen und bildende Künftfer, zu reger Theilnahme für dieſes, unbefreitbar höchſt wichtige
und bisher einzige Werk ergebenft einzuladen. Daſſelbe wirb unter unferer Garantie
in einer, der Wichtigkeit und Würdigkeit des Ganzen angemeflenen Weiſe ausgefattet,
vom Jahre 1812 ab, in zwölf Lieferungen, jede 8 — 10 Bogen (groß Eericonformat)
umfaſſend, erſcheinen und beträgt
der Subferiptionspreis für die Lieferung
fl. 1. 30 kr. oder 32 gar.
Das Bert kann indeffen auch bandweife bezogen werben ; jeder Band umfaßt beri
?ieferungen und toftet fl. 4. 50 Te. ober Thlr. 2. 58 gar.
Indem dadurch die Anfchaffung des Werkes auch Minderbemittelten ermöglicht iR,
wird zugleich die fefte Verfiherung gegeben, daß |
alle zwei Monate regelmäßig eine Lieferung,
alle ſechs Monate regelmäßig ein Banb
ausgegeben wird. Die erfte Lieferung erfcheint im Januar, ver erfte Band im
Monat uni, und wird fomit das ganze Werk binnen zwei Jahren in ven Bünten
feiner verebrlichen Abnehmer ſich befinden.
Alle Buchhandlungen des In- uud Anslandes nehmen
| Veftchungen en.
Atuttgart, im December 1842.
| I F. € aſt'ſche Buchhandlung
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Probe⸗ Columnen.
Acht. 9
Acht, in ver Zahlenſymbolik als die doppelte Vier, welche die Signatur der
Offenbarung Gottes in der fichtbaren Welt iſt (f. Vier), druͤckt jene Idee in verflärf:
tem Grade aus, wie die Decas jene der putbageräifchen Pentas; daher, wenn zur
Amtstracht des gewöhnlichen Priefterd vier Kleidungsſtücke gehörten, ver Hohepriefter
veren acht haben mußte (Baͤhr's Symb. des mof. Cults U. 116), und fo find at:
mal fleben Säulen des Vorhofs der Stiftshütte, denn die Acht kommt nirgends im
Mofaiemus als ſelbſtſtaͤndige fymbolifche Zahl vor; daß unterſcheidende Maaß ber
das Innere ver Stiftähütte bildenden Dede, find nur die Vier und Sieben (Ebendaſ.
1. 230.). So bilaete die Grundlage des Belustempeld ein Viereck, meil ber Tempel
als Wohnung der Gottheit die fichtbare Offenbarung Gotted, die Welt, welche man
ſich viereckig Dachte, vorftellen follte; erhob fich aber in acht Abſätzen übereinander.
Wie nun binfichtli de Raums die Acht als Doppelte Vier fich geltend. macht, fo
andy Hinfichtlich ver Zeit. Das ewige Jahr des Apollodor (aidıog dvinurög Apol-
lod. III. 4, 2.) war nur eine voppelte Olympiade, und aus diefem Gefichtäpunfte
erklärt ſichss warum zu Delphi in jedem achten Jahre ein den Apollo repräfentiren:
der Knabe den Kampf mit dem Python darftellte, in welchen ver Frühlingagott als
Ueberwinder der Winterfchlange verfinnlicht ward (Dtifr. Müller’3 Proleg. ©. 302) ;
warum Der Sonnengott Odyſſeus erft im achten Jahre von der Mondgoͤttin Calypſo
gemahnt wird, an jeine Heimkehr (von ven Wanderungen durch den Thierfreis) zu
denken (Odyss. 7, 251 sq.) und der Sonnengott Menelaod erſt im achten Jahre
mit der Mondgöttin Helena in Sparta wieder anlangt (Odyss. 8, 81.); Gabmus
dem Mars wegen der Ermordung ded Drachen acht Jahre vienftbar jeyn muß
(Suidas s. v. Kadnog), obgleich Apollo dem Admet wegen Toͤdtung des Drachen
Python nur Ein Jahr; venn folche acht Jahre waren das große Jahr ber Thracier
(Müller Dor. U. 100 ct. II, 126); nach einer Wanderung von acht Jahren Aencas
in Latium landet (Virg. Aeneid. 1, 755. 5, 46.); Numa im achten Fahre feiner
Regierung das Ancile erhält (Ov. Fast. 3, 371). Als Signatur der Offenbarung
in Raum und Zeit im doppelten Sinne (im Verhaͤltniß zur Bier) heißt die Acht
mit Recht die Augenzahl, denn oxr@, octo ſtammt von öxog, oculus (Sfr.
aksbi Auge, aotau adıt ac feben, fcharfiiähtig feyn), und von dem Dialer une
(für 6x0) leitet man bie Form Once, önropas fchauen, fehen, jehnen (für docouee)
ber. Auch bildet die Figur ver Acht (B) zwei Augen (oo). Als deppelte Dffen-
barungszahl an vie hervorbringende, ſegenſpendende, befruchtenpe, Gedeihen foͤrdernde
Kraft mahnend, gehörte fie dem Waflergott Neptun, dem in Athen ver achte Tag
eined jeven Monats gebeiligt war (Alex. ab Alex. UI. c. 18.), und iſt dem Gebräer
die Fett oder Delzahl (IC von 72% pinguem esse), und das Geſetz beſtimmt
den alten Tag nach ver Geburt eined Knaben zur Beſchneidung des Zeugegliedes,
wofür dem Abraham eine zahlreiche Nachkommenſchaft verheißen wird Cogl. 1 M.
17, 14. 16.). Darum ift auch der Geervenmehrer Ban im egyptiſchen Götterſyſtem
ber achte, die andern fieben in feiner Perfon vereinigenn; beißt als achter Kabir
auf Samothrace Ismuni, d. i. der Kette (HEY Toumvıog) und dem Heilgott Aeſcu⸗
lap gehörte der achte Tag der Eleufinien; und well die Obttin von Gleufis ats
Fruchtſpenderin, vie Schöpferin alles Lebens, Aphrodite oder Aſtaroth die Hrerden⸗
mehrerin felber ift, daher wurde auch auf Münzen. von Paphos (wo die Liebrsgättin
ihren Euftus Hatte), und auf gefchnittenen Steinen, vie den Tempel daſelbſt vor:
ftellten (f. Münters Rel. ver Babyl. ©. 107) der Stern Aftartend.mit acht Strah⸗
lea abgebilbet, ebenfo auf ben Münzen des Babylon benachbarten Edeſſa. Zuweilen
bejigt die Acht ven verflärkten Heiligkeitscharakter der Sieben, wie Cotelier zum
Briefe des Barnabas e. 15. mit Beziehung auf Jeſ. 1, 13. anmerft: Senarium sae-
pissime applicant praesentis vilae, octonarium fulurae, septenarium autem made
uni, mode alteri und bezeichnet auch wie dieſe den xoouog vanrog (vgl. Clem. Alex.
Strom. IV, 25. V, 6.). Diefe Bedeutung hatte die Acht beſonders in den Syſtemen
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der Gnoſtiker. Ihnen zufolge bilden die 7 Urkraäfte (duvcueic) mit dem Urweſen,
deſſen Emanationen ſie find, die erfie Acht (nporn dydoag), die von allem andern
Dajeyn der Grund ift. Dafilives fand Aehnliches in der perilfchen Lehre von Zerrane
akerene (die anfangds und endlofe Zeit) und den 7 Amfchafpande. Die Acht war
den Theofophen Überhaupt eine fehr wichtige Zahl. Die 7 Sterne, find xoouoxpa-
ropeg; was ihrem Ginfluffe angehört, If der Nothwendigkeit unterworfen, hingegen
was darüber erhaben, die Ruhe des Unwandelbaren, das Reich der Freiheit (opaıpa
ankavng). Der Pſeudohermes nennt als höchftes Ziel des vovc, daß er ſich befreie
von den Ginflüffen der fiverifchen Welt und fich erhebe zur gvoıs dydoarınn.
(Neander Entw. gnoft. Syſt. ©. 34, 76). Die Sphäre des Saturn machte nur
ven Uebergang zu ver nicht mehr ver Planetenwelt angebdrenden Sphäre; daher
über den 7 auf die Planeten fich beziehenden Pforten (im Fragment aus der Schrift
des Gelfus) noch eine a te fleht, Die ald nepiodog dnAavng den Gegenſatz bildet zu
der neplodog &ig rovg nAdvnrac Yeyernubvn.
Heidalia (A-xidadın, Zwiebel), Beiname der Venus, angeblich von einem
Brunnen Acivaltus zu Orchomenos In Böotien. Die Bedeutung dieſes Prädicats
ſ. u. Zwiebel.
Acts (Axicç, reißend, ſchnell), Nebenbuhler Polyphems in der Liebe zur
Balathbea, und von dieſem durch einen Steinmurf getodtet. Sein bervorgnillenve
Blut verwantelte Galathen in einem Strom feined Namens Ov. Met. 13, 750.
Acer (apovoa, bei Arfhyl.: „Sieben vor Theben.“ V. 738), Garten
(xnnog) und Zurche (sulcus bei Lucrez) nannte abwechſelnd die Hieratifche Sprache
das Weis, To wie den Mann, die den Boden aufreißenne Pflugſchaar (vomer bei
Ructez); daher hat der Genuß von ber verbotenen Frucht zur Felge, daß Adam bie
Erde bauen muß, und Eva Geburtöfchmerzen bekommen fol, melche gleichzeitig
bietirte Strafen fonft alles Zuſammenhangs entbehren. Selbft der die Schlange tief:
fende Fluch Erde zu frefien, wovon die Naturforfcher nichts wiffen, erhält bann feine
Berftänplichkeit; denn die Schlange iſt in den Myſterienſtyl immer der Phallus,
daher auch Cadmus mit Draddenzähnen den Boden von Lacedaͤmon furdiend, die
erften Spartaner fürte. Nur in diefem Einne ift es zu verfiehen, warum Kain ein
Ackersmann wird, denn fein Name ſchon bedeutet eine hasta (T’p ? Sam. 21, 16.)
sc. virilis, wie xovrög, und Die „Lbchter des Menfchen” nach denen die Kinder
Gottes fhauend, zu gefallenen Engeln (Nephilim) wurden, (1 M. 6, 2.) follen ber
tabb. Tradition ' zufolge „Töchter Kain“ geweſen ſeyn, melcher nicht ein Sohn
Adams, fonvern des Sammaels, des Oberſten der Teufel war, was daraus zu
fließen, daß bei der Geburt Seths Gemerkt wird, diefen habe Adam nad feinem-
Ebenbilde gezeugt (1 M. 5, 3.). Sammael aber ward Urheber der Zeugungdfuf und
des Tobes. Verſteht man nun unter Aderbau vie Kinderzeugung, fo bevarf rd
feiner Erklärung mehr, warum auch Pſyche (die Seele), nachdem fie verjährt durh
Aphrodite, die Göttin der Sinnlichkeit, dem himmliſchen Eros (durch das Streben
nad Individualität) untren geworden, zur Strafe — ven Pflug ziehen muf. So
erblidt man fie auf einem geſchnittenen Steine tn ven Zeichnungen des befunnten
Gheppi in der Batican’fchen Bibliothek. Die Ehe wurde auch yon der Sprade viel⸗
fach durch den Aderbau ſymboliſtrt. Das Querholz, woran die Bflugftiere geipannt
wurben (Zuyog, jugum) hieß nun oonjugfum. Das Bild diente zum Außorude ver
zärtlichften Gefinnung ‚ wenn fich zwei Liebende ro Zuys (Theocrit. 12, 15.) lieb⸗
ten, oder wenn man in einem Gochzeitgebichte zurief: Tamque pari semper sit Venus
aequa jugo (Martial. 4, 14.). So galt auch das Hochzeitopfer (sacrificium nuptiale)
der Ceres, dadurch auf den innigen Zufammenhang zwifchen ver Agricuftur und der
Ehe Hinweifend. Ceres, die Stifterin der agrarifchen Cultur Hat auch den ehelichen
Verein geftiftet (Baur's Symb. 11., 2 ©. 331), daher dad Kinderzeugen mit Ant
vrüden Bezeichnet wird, die vom Pflügen und Shen entlehnt find (onöpog zaı
Adamantus — Adler. 13
Adamantind, (A-danavrag, Unüberwindlicher), Beiname des Pluto.
Adamas (A-Sauag, Unbezwinglicher), ein Trojaner, Iliad. 2, 560.
Adar (perf. Atar, Feuer), Ized des Feuers.
Adargatis, ſ. Atargatis.
Addephagus (Adön-payog, Bielfraß), Präpicat ded Hercules, meil er einen
ganzen Ochſen aufgegefien haben folL als er in das Land ber Degopen fam (Apollod.
1, c. 6. $. 7.). Die Bed. d. Mythe f. u. Stiertödter.
Adeona (Ad-eona v. 00, ire) eine Goͤttin, welcher diejenigen ſich befahlen, die
den Hinzugang zu einer Sach⸗ ſich gluͤcklich wänfchten, Augustin. C.D. IV. c. 21:
Ader, Symbol der Bluts-Verwandtſchaft, Air = piebs.
Adiferen, ſ. Schlange.
Aditi, eine der beiven Frauen des indifchen Mondgotts Kaſyapa, entfpricht der
Ada (ſ. d.), Lamechs Gattin, wie Diti ver Zille. Mit der Apiti zeugte Kafyapa die
12 Adityas als Nepräfentanten der Monate, allegoriſch vie 12 Standpunkte ver
Sonne in ihrem fcheinbaren Lauf durch den Thierkreis.
Adler (ver), ift unter den Vögeln, was der Löwe unter den Vierfüßlern, König
der Lufibewohner, nicht aber wegen feiner Größe, ſondern wegen feines hohen Fluges
und fcharfen Geſichts. Der ven beflenerten Gefchöpfen eigenthünliche Vorzug ſich
über Die Grove zum Himmel frei zu erheben und im unermeßlichen Raume ſich bewegen
zu Eönnen, vermoͤge ihrer Flügel, gab ihnen in der Symbolik eine ſehr wichtige Stelle.
Man betrachtete fie ald die Boten und Zungen (Kleufer Anh. z. Zend-Av. IL Thl. 1.
p. 104. Philostr; vit. Apollon. I. 25.) der Götter, melche deren Willen und Beichlüffe
vom Hinmel auf die Erbe bringen, alfo auch mit den göttlichen Befchlüflen vertraut
find (Job. 28, 21), daher die Perſer, wie die Römer aus piefen Vögeln omina zu
nehmen pflegten, und folche in Käfigen verwahrt, im Kriege mit ſich führten
(Dorville ad Charit. p. 560). Was das Eigenthuͤmliche der Vögel überhaupt if,
das kommt im hoͤchſten Grade den Adler zu; fein Vogel hat eine ſolche Flugkraſt
wie er (Sprw. 30, 19. Ser. 4, 13. 49, 22. Kl. 4, 19.), feiner, fliegt jo Doch und
fo weit, daher fein Praͤdicat Uyınseng. Im Sanffrit, im Hebräifchen, im Griechi⸗
fchen und ſelbſt noch im Deutfchen führt er darum einen Namen, welcher auf feinen
hoben Flug anfpielt (Ati, O2, alerög, Adler vo, fir. at: fich erheben). Er Heißt
auch Aar als Beberrfcher der Luft (arjo, aer), feiner Hat fo große Flügel wie
er, woher fein Beiname ravunrepog (lliad. 12. 219. 13. 822. 22. Odyss. 20,
243. 24. 538. Pind. Pyth. 5). Auch im Zend-Aveſta wird gefagt: „Der Adler
schwingt feine beiden Flügel nach den Enden ver Welt" 1, S. 92). Auf gleiche
Weiſe zeichnet fich Der Adler durch feine Sehkraft nicht nur vor andern Voͤgeln, fon:
dern vor allen Thieren überhaupt aud (Job 39, 29,). Er ſieht feine Beute von der
böchften Höhe herab, wo er dem wenjchlichen Auge kaum mehr jichtbar ifl. Die
Alten glaubten, er könne unverrädt in die Sonne fihauen (Aelian. H. N. 1, 32:
alsröc de sevidav ö&untepog, vgl. die Stellen bei Bochart Hieroz. II. p. 174),
daher er frühzeitig Symbol der Sonne wurde, ſchon fein Erfcheinen deshalb von
günftiger Vorbeveutung war (Iliad. 13, 821. 24, 314.). Der Perſer nannte ihn
Eorosh (gleichbebeutend mit Horus, AR Licht) den Vogel Ormuzdos (ber felbf
Bore mezdao: „großes Kicht* Heißt), ver Grieche ebenfalls, wie dad Tageögeftirn:
"Adowv (feurig, glänzend), . Hygin. f. 31, nach dem Sonnengott Zeus (Munker ad
Hygin. f. 82.), welcher als Behexrſcher der Luftregion (eidg) feinem Lieblingövggel,
den flolzen Aar den Namen aigAuog verichaffte, welcher in den Mythen als deſſen
Sohn aufgeführt wird. Aus gleicher Urſache hieß der Adler privn (der Leuchtenve
v. galvo) und pAsyvag, d. I. der Brennenve (Hesiod..scut. Herc.). Als Vogel der
Luft wurde ver Adler auch Bligträger (xegauvopsgog), vielleicht, weil nach Plinius
CX, 34.) der Adler nie vom Blige getroffen wird. Daher brachte er im Sitanenftreit
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den Zeus die Donnerkeule (f. Eratosth. Calasier. c. 80.) und wurde irberbaupt
„Jovis armiger“ (Virg. Aen. V. 255), in Tempel des Jupiter Ammon im theibaifchen
Nomos fogar göttlich verehrt (Sırab. Geogr. 17.). Weil der Siriusſtern feines hellen
Lichtes wegen Zelotoç, alfo wie die Sonne (osıpög, fr. surya v. Stw. swar, 7Ö
oeıpıda leuchten) genannt wurde, die Egypier und Griechen in ver Sommerfonnen:
wende bei den beliafifchen Aufgange des Sirius (am 27. des Krebsmonats nach
Guborius und Euftemon) das Jahr eröffneten, fo wurde ver Adler in ver Hieroglyphe
Vogel des Sirius und Jahresgrenze, durch das Solftitium das Jahr in zwei Hälften
fonvdernd. In dieſer Sigenfchaft kannte ihn nicht nur die griechiſche Mythe, welche
ven Mep-oıb — der Dann mit dem „getbeilten Beficht,” weil er wie Janus in
die alte und neue Zeit ſieht; Meropen hießen nach Ihm vie Menfchen, inſofern Zeit:
ſchoͤpfung Menjchenichöpfung, vie beſtimmte Zeit aber mit dem Aufgang des GSirins
anfing — von der Mondgöttin (Juno), die dem Krebömonat JZunius von ben
Aftrologen als Regentin vorgefegt ift, in einen Adler verwanveln fäßt (Hygin. Astr. II.
c. 16.) ; fondern auch der Hebräer, denn er nennt in feiner Sprache viefen Bogel ben
Abtheiler (az vo. 18} = "772 serrare abfondern, wovon YT5= serra Säge).
Jahrtödter ift er in griechiſchen Mythen, und als Aufldfer der alten Zeit frißt er
die Leber (ſ. d.) des Prometheus, vie aber wieder wächft, weil Die Zeit nur ſcheinbar
flirbt. Und felbft die Verwechslung des Sirtusvogeld mit dem Symbol des großen
Sirtudjahrs, dent wie die Zeit ſich verjüngenden Phönir, mar dem biblifchen Dichter
nicht fremd geblieben, denn "792 Tann Pf. 103, 6. Jeſ. 40, 31. nur auf den fi
verjängenden, daher feine Kraft wechſelnden Phönir bezogen werden (ſ.
Phönix) ; daher ver Adler dad Reittbier des Heilgottd Wiſnu und Symbol Ra-
phaeld Auch die Kirche bemächtigte fich dieſer Idee, denn ein Adler fehügt ven
Leichnam der Märtyrerin Sta. Prisca bewachend, vor der Verweſung. Als Jahr:
ſchopfer wurde der Adler in der Perſon des AI Arog ein Sohn der „Erfigebornen"
Hocdcroytveic, ſ. Hyg. fab. 155.); und als Im führte er mit dem Roß ber „Mor:
genröthe” (Serv. ad Virg. Aen. XI, 89.) wie ald DAsydag mit dem Sonnenpferbe DAs-
yo» (Ov.Met. 11. 154,) einen gemeinſchaftlichen Namen. So ift auch begreiflich, warum
TO 032 (Flũgel der Morgenrdthe Pf. 139,9.) in der fyr., arab. und Athiop. Weber:
fegung einflimmig: „Flügel des Adlers“ lauten; ferner, warum Athene, welche vie
Morgenröthe des Aequinoctialjahrs durch den Wi dderkopf aufihrem Helme (Sreugerd
Symb. II. 672.) andeutet, von Homer mit dem Aar verglichen wird (gr eidouden,
Odyss. 3, 372.), eben weil fie Lichtbringerin beißt. Euſtathius vergleicht zur angef.
Stelle Odyss. 1, 320. und fährt dann fort: pnvn yap napa Tb Yainsıy Eorxe
nepfiydar. Boopdpog 88 7 AInva; Minerva word für bad ätheriſche
Feuer gehalten, Eustath. ad Iliad. I. p. 123. Daher gaben ihr die Alten bald ein
rothes, bald ein gelbes Gewand (Winkelmann in der Alleg. p. 515, neuefle Dredde.
Audg.). Auch In ver hrifklichen Kirche Eonnte darum der Adler (abwechfelnd mit der
Taube) ven Heil. Geiſt bebeuten. Einen Anhaltépunkt batte den Allegorifera
fhon der Adler des Propheten Eliſa 2 Kön. 2, 9. gegeben. Der zwiefältige Geift,
den der Prophet dort erfleht, wird in der kirchlichen Sconegraphie durch Dem zwei:
kopfigen Adler ausgedrückt, und man fieht, daß die Firchliche Trapition unter dieſem
Beifte ven Heiligen Geift verflanden wiſſen will. Die Legende vom h. Bertulpk,
welcher auf dem Felde in einem Buche leſend, umgeben von einem großen Glanz,
und über ihm ein die Schwingen ausbreitender Adler, angetroffen worden, iſt aus
dem Gefichtöpunfte, daß dieſer Vogel ven h. Geift verbildliche, zu erflären. In
der fpätern Zeit mußte der Adler den Heiligen auch andere Dienfle verrichten, 3. B.
den h. Servatius vor den Eonnenftrahlen, den h. Medardus vor dem Regen fchüßen.
Dies kam daher, weil er einmal zum Begleiter frommer Männer erwählt, die Urſache
dafür aber nicht mehr befannt war. Weil bei ven heliaktiſchen Aufgang des Sirius
am längfien Tage vie Sonne auf ihrer jährlichen Wanderung durch den Thierfreis den
Die im Verlag der Unterzeichneten erscheinende:
Paedagogische Revue.
Centralorgan
für
Pädagogik, Didaktik und Culturpolitik.
Herausgegeben
von
D.Mager
‘ ist seit Ihrer Begründung im Jahr 1840 als eines der bedeutend-
sten Organe der Pädagogik, Didaktik und Culturpolitik
anerkannt, dessen permanenter Werth in der Gediegenbeit der
durch daselbe veröffentlichten Original- Abhandlungen und Re-
censionen die sicherste Bürgschaft hat. Kein wissenschaftlich
gebildeter Schulmann, kein im Unterrichtswesen beschäfligter
Staatsmann, kann fortan dieses Organ unbeächtet lassen, in
welchem fast alle literarische Notabilitäten der betreffenden Fächer
ihre Ansichten und Erfahrungen niederlegen, und in welchem
bei gleichmässiger Berücksichtigung der Theorie und der Praxis,
der Literatur, Geschichte und Statistik, des gelehrfen, wie des
Real- umd Volksschulwesens, alle pädagogischen Schulen vertreten
sind. Indem wir hiedürch den Fortbestand dieser Zeitschrift auch
für das nächste Jahr ankündigen, und zu lebhafler Theilnahme
einladen, erachten wir für nöthig, nachstehend eine Inhaltsüber-
sicht, der seither erschienenen fünf Bände, für diejenigen hier
anzufügen, ‘denen die Revue weniger bekannt seyn sollte.
EInhalts- Uebersicht.
1. Band. Bie moderne Philologie und die deutschen Schulen. —
Darstellung eines bildenden geographischen Unterrichts. (1. und 2, Art) —
Schulpforte in den Jahren 1812-1818. — Princıp der Erziehung und des
Unterrichts. — Die philosophische Propädeutik auf Gymnasien. — Erinne-
rungen. — Fröbels Verdienste um die Erziehung der Kindheit. — Die Gym-
nasion im Kampfo mit dem Zeitgeist. —. Das Manuscript des Breslauer
Pbilologen. — Pädagogische Aphorismen.
El. Band. Das Häbräische and unsere Schulen. — Kritische Be-
leuchtung der in der neuesten Zeit anempfohlenen Methoden bei dem natur-
historischen Unterricht. (1. und 2, Art.) — Erfahrungen über die Wirkungen
des höheren Gymnasial-Unterrichte. — Ueber den Werth des Lateinschrei-
bons, — Ueber den successiven Unterricht in den auf den Gymnasien zu
lehrenden Sprachen. — Nachwort. — Das Sendschreiben über einige Mängel
der preussischen Schulverwaltung. (1. Art.) — Darstellung eines bildenden
geographischen Unterrichts. (3. Art.) — Was können Jie Gymnasien zur
Wiederherstellung der öffentlichen Beredtsamkeit tbun? — Zur Frage über
die Principien. — Die deutsche Bürgerschule. — Die neuesten Schriften
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Den ricchlichen Gpradie beraelalt, daß bie"a0O Magen more | 5 MET.
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HYmnaften mögtichft zu erieich⸗
E aufmerkſam darauf zu machen,
Band bereits volftändig erſchie⸗
— die Verpflichtung
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den Schluß bes ganzen
December, wahrſcheiniich aber
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RS Werkes zur Anfiht und Prüs
Vorliegen.
Ardige Unternehmen dem Wohle
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Karl von Raumer.
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Münch, Ernst von, Sämmtliche Dichtungen. Ausgabe letzter Hand mit
Auswahl, Mit dem Bildniss dos Verfassers. 8, geh. 2 A. 30 kr. oder
t Bthir. 12 ger.
— — dasselbe in ongl.. Leinwand geb. 36 kr. oder 8 ggr. netto mehr.
Mork, Dr. Fr., Die Götter Syrioms, Mit Rücksichtnahme der
neuesten Forschungen im Gebiete der biblischen Archäologie. brösch. B.
18.36 kr. oder 1 Rthir.
— — Biblische Mythologie des alten und neuen Testaments. Versuch
einer neuen Theorie zur Aufhelluag der Dunkelheiten und scheinbaren
Widersprüche in den canonischen Büchern der Juden und Christen.
Erster Band. gr. 8. brusch. 2 Rthir. 15 ggr. oder A A. 30 kr.
(Der zweite Band ezscheint zur nächsten Ostermesse.) ”
— — Daumer, ein kursweiliger Molochsfänger. gratis.
Osiander, Mi. P., Ueber den Handelsveorkehr der Völker, Zwei
Bände. Zweite Auflage. brosch. 8.5 4. 24 kr. oder 3 Rthir. 8 ger.
Palxhans, IH. 3. (Französischer General,) Militärische Stärke und Schwäche
von Frankreich. Ein Versuch über die Frage der Vertheidigung der
Staaten und aber den Defensiv-Hrieg. Frei ins Deutsche übertragen
von F. v. Kausler, Oberst im K. würt. Generalstab. 8, geh. if. 45 kr.
oder 1 Rthir. |
Pipitz, F. E. Memoiren eines Apostaten. Aus dessen Papieren heraus-
gegeben. gr. 8. geh. & 4 12 kr. oder 1 Riblr. 12 ger.
Possart, Prof. Dr. P. A. F. K. Kleine lappländische Grammatik, mit
kurzer Vorgleichung der Aunischen Mundarten. 8. geh. 36 kr. oder 9 ggr.
Pusehkin, Alexander. Geschichte des Pugatschew’schen Aufruhrs. Aus
dem Russischen übertragen von H. Brandeis. 8. geh. 2 8. oder
1 Rtbir. & ger.
Quednow, A. Aus der Schule des Lebens. Roman in drei Büchern.
gr. 8. geh. 2 . A2 kr. oder 1 Rthlr. 15 ger.
Eau, Heribert. Girandolen. 2 Bde. 8. 3 8. 30 kr. oder 2 Riklr.
— — Dis Pietisten. Roman aus dem Leben der neuesten Zeit. gr. 8.
8 Bde. eleg. brosch. 8 Rthir. 18 gr. oder 6 Ai.
‚Bebau, IH. (Verfasser der Naturgeschichte “für die deutsche Jngend und vieler
anderer Schul- u. Jugenäschriften). Die merkwürdigsten Säugeihiere nach
“ihren Stämmen , ihrem. Naturell, ihrer Lebensweise, ihrem Nutzen und
Schaden, nobst ausgewählten Erzählungen zur Erläuterung ihres Cha-
rakters und ihrer geistigen Fähigkeiten. Belehrendes und unterbel-
tendes Lesebuch für die Jugend beiderlei Geschlechts. Mit schwarzen
Kupfern. 8. cartonirt. 1 A. 45 kr. oder 1 Rthir.
— — ditto ditto. Mit illum. Kupfern. 2 fl. 30 kr. oder-1 Bthir. 12 ggr.
Shinse einer Geschichte der Zigeuner vide Kogalnitchan.
Tendlau, A. M., Das Buch der Sagen und Legendeh jüdischer Vor
seit. Aus den Quellen bearbeitet, nebst Anmerkungen und Erläute
rungen. brosch, 8. 1 fl. 48 kr. oder 1 Rithir. 3 ggr.
Warusm sollen wir und auf weiche Weise können wir Frieden halse.
Betrachtungen eines deutschen Staatsmannes. 8, geh. 45 kr. oder 12 gpr.
2
3
— - Me m _ U A Te = _1s PU we Lu — — ——
Literarifhber Anzeiger.
0 1843. Nr. VII. |
——— — — — — ——— — — — nn,
Dieſer Literariſche — wird den bei F. A. Brockhaus in Le — erſcheinenden Zeitſchriften „Blaͤtter fuͤr literariſche
/
Unterhaltung‘ und
Heute wurde ausgegeben:
Comversations - Lexikon.
Neunte Auflage. Qechtes Heft.
Diefe neunte Auflage erſcheint in 15 Bänden ober 120 Hefs
ten zu dem Preife von 5 Nor. für bas in der Ausgabe
auf Mafhinenpap.; in ber Ausgabe auf Schzeibpap.
foflet der Baub 2 Ihle., auf Belinpap. 3 Thlr.
Alle Buchhandlungen Liefern dos Werk zu
biefen reifen und bewilligen auf 32 Er. 1 Frei:
ere ar,
* nkünbigungen auf ben Umſchlaͤgen der einzelnen Hefte
des Converſationẽ⸗ Leriton werben für den Raum einer Zeile mit
Yy Nor. für jedes Tauſend Exemplare ber Auflage berechnet.
Eeiptig, 28. Februar 1843.
S. A. Brockhaus.
Im Verlage ber Unterzeichneten iſt ſoeben erſchienen:
Ha ndwoͤrterbuch
griechiſchen Sprache
Dr. W. Pape,
Profeffor am Berliniſchen Gymnafium zum grauen Kloſter.
keriken⸗Oetav. Zwei Bände, jeder von 80—90 Bogen;
nebft einem dritten Bande von 27 Bogen, bie griechi⸗
[hen Eigennamen enthaltend.
bferiptionspreife
Ge en ee TUT
Fuͤr das gange en Ä able.
Für das griechiſch⸗ deutſche Wörterbuch von zwei Bänden 6 Thlr.
Kür das Woͤrterbuch ber
griechiſchen Bigennamen 1Y Zhir.
Dirfes Woͤrterbuch, weiches Iamgjährigen Forſchungen feine
Erſcheinung verbantt, ift befkimmt, ben griechiſchen Sprach
in umfoffenberes WBeife dem Gelehrten wie dem Schuler u Angs
Up zu machen, und ben Sprachgebrauch ber claſſiſchen drift
ſteller in viel reicherer und Eritifcherer Weife durch Autoritäten
zu belegen ats dies bisher in irgend einem griechiichen Wörter:
budhe g eichen Umfangs geſchehen ft.
; Dien-und- enden; wir
‚heres aus dem ſpectu⸗ ben .Borreden zu erſehen bitten,
erfcheint in beet Bänden f Ken weldgen bie beiden erften das
griechifch : deutfche Wörterbuch mit Ausfchluß der Eigennamen,
der britte das orterbuh der grichtfihen Eigennas
men, welches zugleid als Supplement für jebes andere gries
chiſche Voͤrterbuch dient, umfaffen.
“7 Diefe beei Bände enthalten prpr. 20O Wogen in großem
Lexikon⸗Octav, In englaufender, aber fehr klarer und beutlicher
Petitſchriſt. Die typographiſcha Raumiiihleit des Wäztes verhätt
ſich zu jener der vierten Auflage von Paffom’s Woͤrterbuche
der griechtfchen Sprache bergeflalt, daß die 200 Bogen bes
beigelegt ober beigegeftet, und betragen bie 3
tionsgebühren für bie Zeile ober deren Raum 2%, Ror.
P & eftien Woͤrterbucht 275 Bogen des Paſſo w'ſchen füllen
würden.
- Die Verleger Haben gethan, was in ihren Kräften flanb,
um das Werk durch Gorrectheit, ſcharfen, Maren Drud und
ſchoͤnes Papier typographifch wuͤrdig auszuflatten. Sie haben
zugteich durch einen Tehr wohtfeilen Preis und Freiexem
plare bie Sinfügrung tn die Gymnaſten möglichft zu erieich⸗
teen .
Sie erlauben ſich beſonders aufmerkſam barauf zu machen,
baß jest ber erſte und der britte Band bereits volftändig erfchies
nen iſt; daß bie Verleger ausbrüdtic bie Verpflichtung
übernehmen, bie erfte te des zweiten Bandes bis Oſtern
1843 und bie zweite Hälfte, den Schluß bes ganzen
Werkes, jedenfalls bit Ende December, wahricheintidh aber
ſchon bis Michaelis 1843 zu lieſern; daß bis zur Vollendung
des Ganzen die GSubfcriptionspreife beflehen bleiben; daß biß
dahin jede folide Sortimentshandlumg in den Stand gefept if,
die Exemplare auf feinem geglätteten Belinpapier,
und, aufderen ſecht, ein Freferemplar zu liefern,
und daß endlich Eremplare bes Werkes zur Anfiht und Pruͤ⸗
fung in allen Buchhandlungen vorliegen.
Sie empfebten dieſes würbige Unternehmen ben Wohle
wollen der deutſchen Phflologen und Schulmaͤnner und bitten
ihm die Beachtung zu ſchenken, deren es ſicherlich werth iſt.
BSraunfäweig, im Mär; 1843.
Feiebrich Wieweg & Sohn,
Schriften von Karl von Raumer.
Bei F. X. Brockhaus in Leipzig ift neu erſchienen
und durch alle Buchhandlungen zu erhalten:
Beiträge zur
bibliſchen Geographie.
nebst einem Höhendurchschnitte.
Beilage ya des Verfaſſers „Pala ftiua⸗“.
Gr. 8. Seh, 15 Nor.
Von dem Berfaffer erfchien früher ebendaſelbſt:
Palaſtina. Zweite verm. Auflage. Mit einem Plane
000 Jeruſalem, einer Karte der Umgegend von Sichem
und bem Geundtifſſe dee Kirche des. Heiligen Grabes.
Sr. 8. 1838, 1 Thlr. 20 Nor.
Bes Qevasliton aue Napten nad Ra⸗
naar. Beilage zur des Verfaſſers Palaͤſtina“. Mit
I Karte. Gr. 8. 1837. 15 Nor.
Die Kants von Pelaͤſtina ˖ eingein 8 Nor.
Eehrouch ber altgemeinen Geographie. Zweite
— it 6 Kupfertafeln. Gr. 8. 1835, 1Thlr.
15 or. ur
Befepreibung ber Erbobaer Meche. Eine Vorſchule
der Edlande Dritte verb. Auflage Gr. 8. 1838.
5 Ngr.
N
Einlademg zur Pränumeration
auf den Jahrgang 1843
Medicinis chen
JAHRBÜCHER
des kaiserl. königl, Staates
und der damit verbundenen
Östreichischen medicinischen Wochenschrift.
Herausgegeben von
Dr. Joh. Wep. Ritter v. Haimann,
Prof. Dr. >
-
A. Edien v. BHosas
Primar- Wundarzt Dr. Karl Sigmund.
Preis des Jahrgangs von 12 Monatsheften und 52 Nummern der Wochenschrift 10 Thlr.
Dieses Journal fand im Jahre 1841 eine wesentliche Umgestaltung durch Hinzufügung der medicinischen Wochenschrift,
und wird nun auch im Jahre 1843 nicht nur in gleicher Weise fortgesetzt, sondern bezüglich der Auszüge als auch der
Literatur namhaft erweitert. J
Für Diejenigen, welche bereits das Blatt besitzen, dürfen wir nur versichern, dass alle Änderungen nur im Interesse
der Wissenschaft und der Leser vor sich gehen, sowol was den innern Gehalt der Originalaufsätze, der Aus-
züge fremder Journale Deutschlands, Englands, Frankreichs, Italiens , Ungarns und Russlands, als auch was die schöne
Ausstattung und die regelmässige pünktliche Ausgabe betrifft.
Für Diejenigen aber, welche sich noch nicht von den wesentlichen Vorzügen, weiche dieses Journal vor allen andern
medicinischen auszeichnet, überzeugten, wird es nicht überflüssig erscheinen, die Tendenz desselben zu entwickeln.
Die 12 monatlichen Hefte erscheinen am Ende des Monats und bringen:
1) Beobachtungen und Abhandlungen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. .
2) Geschichte und Ergebnisse der meodicinischen Lehraustalten, wie auch der Krankenhäuser und Wohlthätigkeits-
Institute, dann medicinischs Topographie.
3) Kritik der in- und ausländischen medicinischen Literatur und Ergebnisse der Journalistik.
4) Misoellen,
Die 52 Nummern der Wochenschrift enthalten; .
1) Originalsittheilungen aus der Praxis. Fälle, die schnell der Lesewelt mitzutheilen sind, werden hier auf-
enommen,
3) Auszüge aus in- und ausländischen Zeitschriften und fremden Werken.
3) Notizen, Beförderungen, ‚Ehrenbezeigungen. |
4) Literarische Anzeigen. Angabe der medicinischen Bücher, welche in jeder Woche in Deutschland, Kagland,
Frankreich und Italien erscheinen, mit genauer Angabe des Origimalpreises und der Bogenzahl; an
werden sich Beurtheil selcher Schriften anschliessen, bei denen eine raschere Bekanntmachung und eiste
summarische Anführung. des Inhalts erwünscht sein dürfte, .
5) Verzeichnisses der in verschiedenen deutschen und fremden Zeitschriften enthaltenen Originalaufsätze.
Der ganze Jahrgang, auf das schönste Maschinenvelin gedruckt, besteht aus 172 Bogen, zu dem noch im Laufe des
Jahres eine grosse Anzahl Extrabeilagen kommen, sodass der Pränumerant für 15 Fl. mehr als 208 Bogen erhält.
Sämmtliche Herren Pränumeranten werden im Decemberheft jeden Jahres namentlich aufgeführt. Die Abseh-
mer des Jahrgangs 1843 ü 800; eine solche Theilnahme därften sich wol nur wenige wissenschaft-
Hehe Journale erfreuen, und liefert den besten Beleg der zweckmässigen Anordnung und der Gediegeaheit des. Inhalts.
Braumüller & Beidel in Wien.
Bei Gerßard in Danzig eeſchien ſoeben und iſt in Im Verlage von Friebrich Mieweg & Gehen in
allen Buchhandlungen zu haben: Braunfcyweig ift erſchienen:
Bebichte von Güfar von Mengerke Die nenekte Zeit
(in Königsberg), Gefammtausgabe. Cr. 8, ‚ine ,
372 Seiten. Broſch. Preis 1 Thir. 20 Ngr. | enangelifhen Kirche des preußiſchen Staates.
0 ge) die in dieſem Bande enthalt | Bari Berabern Köni
| — — [erde ie etyattenen | Gr. 9. Velinpapier. as. Preis 10 A fe gr.)
Kandwirthschaftliche Dorfzeitung.
Herausgegeben von
©. v. Pfaffenrath unv William Röbe,
Bierter Jahrgang. 4. 20 Ngr.
Leipzig, bei F. A. Brockhaus.
Hiervon erſcheint woͤchentlich 1 Bogen. Ankündigun⸗
en darin werben mit 2 Rgr. für den Raum einer gefpaltenen
Belle berechnet, befsnbere Anzeigen zc. gegen eine Ber:
güfung von %, Thir. für das Tauſend beigelegt.
Inhalt des Monats Februar.
Worfzeitung: Mittheilungen des Herrn Pfarrer Weife. —
Wie kann der Ländwirth bem durch bie vor⸗ und biesjährige
Futternoth hervorgerufenen Düngermangel ſoviel ale möglich
vorbeugen? — Sendſchreiben des Drteihulgen K. unweit Hal⸗
berftabt an ben Deren dv. Pfaffenrath. — Statuten des Mäßig:
keitsvereins zu Dillenburg. — Über bie Nachtheile bes Auf:
blafens der gefchtachteten Kätber mit den Bunde. — Über die
Anpflanzung ber Strauchweiden zur Gewinnung von Korbruthen.
— Ranbwirtbigeftiide sigfeiten, Miscellen
u. ſ. w· — Mnterhaltungsblatt:, Sitten und Gebräuche
ber Griechen. — Die Wilhelmslinde zu Dillenburg. — Der
gebefierte Trunkenbold am Neujahrsmorgen. — Generalverſamm⸗
tung ber Deputicten aller Enthaltfamkeits: und Maͤßigkeits⸗
vereine bes deutſchen Vaterlandes. — Der Biſchof Thilo in
Merfeburg und fein Rabe.
In der Bari Bersid’iden Buchhandlung in Wien tft |
Kabrbüder
Der Riteratur,
Dundertfler Band.
1842.
October. Tliovember. December.
Juhalt des bunderiften Mendes,
Art. L Geſchichte des Giftercienferktofters Wilhering, don
Zodot Stülz Gin Beitrag zur Landes: und Kirchengeſchichte
Dberöftreiche. Linz 1849, — I, Allgemeine Raiurgeſchichte
für alle Stände, von Prof. Den. Gtuttgart 1833 —41.
ortfegung.) — III. Überfigt von neunzig Werken orientali:
De Literatur. (Fortſetung) — IV. Synopsis numorum an-
tiquorum, qui in Museo Caesareo Vindobonenai adservantur.
Digessit Josephus Arnet. Pars I et II. Vindobonae
— — V. Gedichte von Ferdinand Freiligrath.
Bierte Auflage. Stuttgart und Tuͤbingen 1042. — VI. 1. Lie⸗
dertafel von Joh. Gabr. Seidl. Wien 1840. 2. Bifolien,
von Ebendemſelben. Zweite Auflage. Wien 1841. — VII.
Acschyli Cho&phori. Ad optimorum librorum fidem recensuit
Ferdinandus Bamberger. Gottingae 1840. — VIII. Wiffen:
ſchaftliche Encyklopadie der Äfthetil. Bon Dr. Wilhelm Be:
* Gmatift Digt | fie Altre of Deinperbfsim, ooafat
a g af Deinparbfiein, at a
bienfdgläger. Edbenhavn. Dans Sache. Dramatifches
Gedicht in vier Acten, von Deinbarbfiein. Wien. Zweite
Aufiage: — X. Geimfahrt von Jeruſalem Hans Gtodar's
von Mgaufen, — zum beiligen Grabe im Jahre bes
Heiis 1519, und Tagebuch von 1520 bis 1529, nebft achn
Beisfen des Hauptmanne Ulrich Harber von 15234 und 1535
u — aus dem beiligen Leben von 1475. Gchaffhaufen
89. — Al.
Das Wappenweſen ber Griechen unb. Bömer ;
> anderer altıe Voͤller. Aus den Gchriften und Kunftbent:
mälern bes Aitertgums und Mittelalters bargeftellt von Dr.
Bernd. Bonn 18
AU. Gedichte von Nikolaus
Beder. Koͤin 1841. — XII Die italieniſche Dichtkunſt.
Meiſterwerke. überſetzt von Karl Strecfu ß. Arioſto. Dante.
Taſſo. Ausgabe in Einem Bande. Halle 1841. — XIV. Ab-
origines et incunabula Magiarorum ac gentium cognatarum,
populi Pontici, Pontus. Disquisivit Georgius Fejer. Budae
840. — XV. Gesta Romanorum. Das ältefte Märchen- unb
Legenbenbuch des chriftlichen Mittelalters, zum erften Male voll:
fländig aus dem Rateinifchen
ins Deutſche übertragen, aus ges
drucken und ungebrudten Quellen vermehrt, mit Anmerkungen
und einer Abhandlung über den wahren Werfaffer und bie bie-
berigen Ausgaben und Überfegungen beffelben verfeben von Dr.
Gräße. Erſte Bälfte. Dresden und Leipzig 1842,
Juhalt des Auzeige⸗Blattes Mr. C.
Zuſchrift. An Seine Excellenz ben ‚Seren Grafen Morig
Dietrichftein. Bon Dr. Fluͤ
gel. Die neu erworbenen orientas
liſchen Bandfchriften der E. k. Bibliothek zu Wien. (Schluß) —
Über die neue Karte von M
eigenen Meflungen unb den
ontenegro. Zufammengeftellt nach
neueften gefammelten Waterialien
durch den k. f. Obrift Grafen Karacsah — Intelligenznach⸗
richten. — Regiſter.
Im Verlage des Unterzeichneten beginnt
Röhr's
kritiſche Predigerbibliothet
mit 1843 ihren SSſten Jahrgang, ein Beweis, in welcher
hoben Achtung dieſes gebie
fi) bei der —* ——x8
jeben —*
ene Journal ſeit ſeinem Anfan
erhalten hat. Es iſt aber auch fuͤr
ſchen Eeſeverein unentbehrlich, was aus
ber ſich immer noch feigernden Theilnahme beuttich hervorgeht
Das Afte Heft für
1943 ifi bereits erfgienen,
und bittet man, Beſtellungen auf ben laufenden Zahtgang
möglihft vald abzugeben. Der Preis ift unverändert für
ben Band (oder Jahrgang) von & Heften -5 Thir. 7Y, Nor.
Zu beziehen durch jebe folide Buchhanbfung.
Meuftabt a. D., im Februar 1843.
3 3. G. Wegner.
Reu erſchien bei mir und ift in allen Buchhandlungen zu
erhalten:
Gedichte
von |
Karl Färfſter.
Herausgegeben von
Ludw
ig Tieck.
wei Theile,
Mit dem Bildniffe des Pichters.
&r. 12,
Sch. 3 Thlr.
In meinem Verlage erfchienen früber:
r. 5 Mer.
Nor.
Buante Hligpieri, Bas neue Beben. Aus dem
überſ. und — * von 8. Börfter. Gr. 12. 1841. 2ONgE.
Reipsig, im Min 1
Stal.
843.
\
F. A. Arocuhaus. | u
* und if ſoeben erſchienen und bdurch ale Buchhandiungen
u begichen:
"ETUDES
| SUR
L’HISTOIRE LES LOIS ET LES INSTITUTIONS
DE L’EPOQUE ‚MÄROVINGIENNE
J. DE PE TIGNYN,
ancien diöve de Pécolo des chartes.
Tome Ier. In- 8. 2% Thlr.
Eeiprig, im März .
ee Brockhaus S Avenarius,
Buchhandlung für deutſche und auslaͤndiſche Literatur.
Bei Ebd. ENuton in Halte iſt ſoeben erſchienen und in
allen Buchhandlungen zu haben:
Kaspenres, EX. Th. (Prof), Syſtem des preu⸗
333 . Zum Gebrauche bei Vor:
lefungen im Grundriffe entworfen. Gr. 8. Geh.
1 Zhle. 10 Ser. . |
Tholuck, A. (Prof.), Uberfegung und Staus:
Tegung der Pſalien für Geiſtliche und Laien ber
chriſtlichen Kirche. Gr. 8. 3 Zhle.
Durch alle Buchhandlungen und Poſtaͤmter ift zu beziehen:
Leipziger Reperterium für deutsche und aus-
ländische Literatur. Unter Mitwirkung der Uni-
versität Leipzig herausgegeben von W. GRf.
Gersdorf. Erster Jahrgang. Erstes
bis achtes Heft. Gr. 8. Preis des Jahrgangs
vou 52 Heften 12 Thir.
"Dem Leipziger Roportorfum iſt ein
Bibliographischer Anzeiger,
für literarifche Anzeigen aller Art beflimmt, beigegeben. Anu⸗
Sündigungen in demfelben werben fie bie Zelle ober deren
Raum mit
gegen Vergütung von 1 Thir. 15 Nor. beigelegt.
Eeipzig, im März 1843, |
* S. A. Srochhaus.
eunde der hiſtoriſchen Literatur benachrichtigen wir, daß
seroni GSeotti in Mailand eine neue, im
bei
unperänberte, mit erlänternden Moten unb Mn:
merkungen verſehene Ausgabe von
Carlo Botta’s
Storia d’Italia, continuata da quella del
Gruicciardini smo al 1814
unter ber Preffe ifl. In jedem Monate erfiheinen 2 Hefte, deren
6 einen Band von circa 800 Seiten bilden. Das Wert wirb 7
Bände umfaffen und in 20 Monaten vollendet fein. Auf Cor⸗
rectheit und fchöne typographiſche Ausftattung wirb befondere
Sorgfalt verwendet. Die Herren Subſeribenten verbinden fish
ur Abnahme bes Ganzen. Das erfte Heft mit dem Bildniſſe des
faſſers iſt bereits erſchienen. Preis pr. Heft 12%, Nor. Den
Debit Für ganz Sentſchlaud beforgt
Friedr. Volke's Buchhandlung in Wien.
Nor. berechnet, und Beſonbere Anzeigen 10.
Drud und Berlag von ®. %. Brodbaus in geipzig.
11er}
[4
en ift eefälenen und derch alle Mucke
Cechnologische Encyklopädie
alphabetiſches Saubbuch
Technologie, der techniſchen Chemie und
des Maſchinenweſens.
Zum
Gebrauche für Kameraliſten, Ökonomen, Kimſtler, Fa⸗
brikanten und Gewerbtreibende jeder Art.
Peraußgegeben
Joh. Ios. Prechtl,
k. k. nicheröfte, wirtt. Segierungsrathe und Director bed k. k. poly
techniſchen Inſtitutes in Wien ıc.
Zwoͤlfter Band.
Böpren — Echlo fſer.
Mit ben Kupfertafeln 288 — Wa.
Preis 6 Fl., oder 3 Thlr. 15 Ngr. (3 Thlr. 12 gGr.)
Der vorliegende Band biefes bisher mit ungetheiltem Bei⸗
fa aufgenommenen und in technologifchen Schriften aller Art,
ſelbſt im Auslande, vielfach benukten Bestes enthält bie Artikel:
peter, Galpeterfäuse, Gartierachelten, Geeiöume
e erfäuee, Sattlera
(auf naffem Wege), Schere, Schießpulver, Sälöfter.
Diefe Artilel bilden ebenfo viele Originalabhandlungen, in denen
jeber Gegenſtand nach feinem weſentlichen und neuefhen Zuſtande
ſachkundig und erſchoͤpfend dargeſtellt iſt, ſodaß ein Jeder Hier
auf wenigen Bogen zuſammengedraͤngt finden Tann, was er
felbft mit Benugung einer bedeutenden Wüdrerfommiung n
aufzufinden im Stande wäre, ba bie oinzetuen Artiä oft
tige, ben Verfaſſern eigenthämliche, noch nicht durch den Druck
befanntgemachte Erfahrungen und Be en enthalten.
Die erften 11 Bände, mit 257 Kupfertafein, koſten jeher
6 Fl., oder 3 Thlr. 15 Nor. (3 The. 123 98er.)
Stuttgart uns Tübingen, im Zcbwmax 18%.
J. G. Totta ſqcher Verlag.
Geſchichte der Regierung
| Serdinand’s und Isabella’s
der Katholifhen von Spanien.
Bon
Wiliam 9. Prescott.
And dem Snglifiden Aberfekt.
.. . Zwei Vpeite.
Gr. 8. Geh. 6 Thlr.
Leipzig, bei F. A. Brockhaus
Der ungetheilte Beifall, welchen biefes ausgezeichnete Se—
ſchichtswerk bei feinem Erſcheinen in England und. ben WBer-
einigten Staaten gefunden, berechtigt zu dee Erwartung, ba
demſelben auch in Deutſchland eine feiner Wichtigkeit unb ber
geblegenen Überfegung entfprechende Aufnahme zu heil ver⸗
n wird.
Literarifher Anzeigen
1843. Nr. VIII. u
Diefer Literarifche Anzeiger wirb ben bei 9. A. Brockhaus in Leipzig erfcheinenden Zeitfchriften „Blaͤtter für literariſche
Unterhaltung” Ka ae beigelegt ober beigebeftet, und betragen bie Infertionsgebühren für die Zeile oder deren Raum 2%, Nor.
Verlags- und Commissionsartikel
von
Brockhaus& Avenarius,
Buchhandlung für deutsche und ausländische Literatur
in Leipsig.
1842. Januar bis December.
Ahn (F.), Nouvelle methode pratique et facile pour
a rende 1a langue allemande. ©. Leipzig und Paris.
7 blx
Koho de la littörature francaise. Journal des gens du
tmonde. Deuxieme annee 1842. 24 Nrn. In-8. Leip-
zig. Preis des Jahrgangs 5% Thir.
rift enthält die A hi des Besten aus der gesamm-
ne a sen Joarsalistik wad ist daher far jeden Liebhaber die-
.ter Literatar von grossem Intercese. henitichen N a
j | cheint dieselbe in wöchentlichen Nummern von 1—
Bogen. Die dadarch erzielte schnellere Mitthellumg und der
Plan, mehr kurze und lsanige Artikel aufzunehmen, wird sicherlich
di Ten gen Abonnanian Anschafung der
er rgan 16
Beiden ersten zo erieichtern, geben wir dieselben für den Preis
eines
E'rege, Alex.) Aufgaben über die Regeln der franzö-
‘ sischen "oprache für Anfänger 8, Leipzig und Paris,
Y, Thlr. "
* — Dergleichen für Geübtere. 8. Leipzig und
Paris. ‘, Thir. .
Gobbi (Dr. F.), Über die Abhängigkeit der physischen
Populationskräfte von den einfachsten Grundstoffen der
Natur, mit specieller Anwendung auf die Bevölkerungs-
statistik von Belgien. Imp.- 4 mit 32 Tabellen und
4 Karten. Leipzig und Paris, 12 "Wir. .
“ Goethe, Maximes et röflezions, uites pour la pre-
miere ieh r 8, Sklower. In-8. Paris und Leip-
zig. 1 Thir.
Kant, Philosophie critigue, exposee en vingt- six lecums.
Ouvrage traduit de l’allemand par Wenri Jouflrey.
In-8. Leipzig und Paris. 1°, Thlr.
Lethierry Barrois
leurs derives dans les principales langues de l’Euro
r6c&ddes de l’explication des symboles formes par
verses combinaisons des lettres hebraiques et de r
prochements entre le chinois, I’hebreu, le copte et le
sanscrit. Ire partie. In-4. Paris. 3 Thlr.
Manuel de littörature ancienne, ou Court apergu des auteurs
elassiques, de l’archtologie, de la mythologie, et des
antiquitds des Grecs et des Romains., Ouvrage traduit
de Fallemand par Menri Jouffrey. In-8. Leip-
zig. r.
©bermüller (Gi.), Atlas ethno „aöographique. Seconde
division. Les pays et les peuples de l’Europe, de Y’Asie
antsrieure et de la Berberie, dans leur état actuel. Ire
lanche — 2e edition. In-fol, Paris und
ipzig. 27/, Thir. i
Pantheon des grands dcrivains des temps modernes, depuis
le XIIIe siecle jusqu’& nos jours, par J. Pescantini
et L. Delätre. 2e €dition. In-fol, Paris 2 Thir.
(A.), Racines hebraiques avec
Petigny (3. de), Etudes sur I’histoire, les lois et
les institutions de epoque merovingienne. T. I. In-8,
Paris und Leipzig. 2, Thir.
$PIAOZTPATOZ. Philostrati epistolae ad fidem codicum
manuscriptorum recensuit, scholia graeca adnotationesque
suas addidit J. Fr. Boissonade. Gr. 5. Parisüs
et Lipsiae. 1, Thir.
De la Regence. Opinion de Pabbe Miaury, prononcde &
‚V’Assemblede nationale le 22 Mars 1791, annotee et publise
avec les documents qui s’y rattachent, par de Moff-
manns. In-8. Paris und Leipsig. ?/, Thlr.
L’Album, journal destine A l’enseignement du dessin et de
la peinture; redig6 par une soci6t6 d’artistes et d’hommes
de lettres, sous la direction de L. Salme. Ire et Zme
anndes,. 2 vols. In-4. Paris 6 Thir.
Bizet (A. E.), Nouvelle opinion sur les phenomänes,
la marche, la cause et le siege de la goutte et nouvelle
methode curative pour guerir radicalement cette maladie.
In-8, Paris. 3% Thir.
Mystrzonowski (%.), Notice %ur le reseau strate-
gique de la Pologne, pour servir d’ane guerre de par-
tisans. Iu-8. Paris, °/, Thir.
Chassaignae (W.), Le coeur, les artères et les veines,
texture et developpement. In-8. Paris. 1%, Thir.
——, Des laies de la tete. In —— 1Y, Thir,
—— —— , De Tapprecistion des a s orthop6digues,
In-8. Paris. 1 Thlr. PR
Chopin (3. M.), Revolution des peuples du Nord.
T. 3, 4. In-8. Paris. 5°, Thlr.
T. 1, 2 kosten 6!, Tr.
Couder (A.), L’architecture et l’industrie comme moyen
de perfection sociale. In-4. Paris und Leipzig. 5'/, Thir.
Dumont B’Urvilie (3.), Voyage au pole Bad et
dans l’Oc6anie sur les corvettes l’Astrolabe et la Zéloe,
ex&cut& par ordre du roi pendent les anndes 1837, 1838,
1839, 1840. T. I. In-8. Avec carte et atlas, Paris.
Preis der gewöhnlichen Ausgabe 1}, Thir. -
Preis des Atlas 47/, Thir.
Preis der feinen Ausgabe mit Atlas 67/, Thir.
Diese feine Ausgabe wird nicht ohne des Atlas verkauft.
Les Francais, peints par eux-mömes, T. IV, V. Gr. in-,
—— Jede Lieferung schwarz % Thlr., colorist
bir.
PER Band enthält 16 Lieferungen,
Glinka (Dimitry de), La philosophie du droit, ou
Explication des rapports seciaux. In-8. Paris. 1Y/, Thir.
Hao - Khieou- Tchouan, ou la Femme accomplie. Roman
chinois, traduit sur le texte original par Guillard |
d’Arey. In-8. Paris. 2%, Thlr.
Laboulaye (Ed.), Essai sur la vie et le doctrines de
Frederic Charles de Savigny. In-8. Paris. °, Thir.
de Lundblad (J.-F.), Recuell des exposes de l’ad-
ministration du royaume de Sudde, presentes aux +tats
generaux, depuis 1809 jusqu’a 1840. Traduit du Sue-
dois, In-8. Paris. 2%, Thlr.
de Marincourt (F. A. Serpette), Histoire de
France, depuis Clovis jusqu’A la mort de Louis IX. Avec
le tableau des institutions et des moeurs des temps bar-
bares et du moyen-Age. 3 vols. In-4. Paris, 1841. 4 Thir.
Mereier (B.), De la perfectibilit6 humaine, ou R£+-
flexions sur la vraie nature du pouveir, ouvrage ou l’on
rouve l'impossibilit6 d’une forme arrôtée et definitive de
soci6t6. In-8. Paris. 2 Thhr.
Michiels (A.) „ Histoire des idees littöraires en F'rance
au 10iöme siäcle, et de leurs origines dans les sidcles an-
terieurs. 2 vols. In-8. Paris. 5 Thlr.
Le Nouvesu testament, traduit fiddiemeat du texte original
grec, et comment& sur tous les points qui ont besoin d’ex-
lication. Ia - 8. Paris. 1%, hir,
Politique d’un philosophe chretien, ou Considerations adres-
sees aux hommes de foi.. In-8. Paris. 2% Thir.
Baczynuski (A. comte), Diotionnaire d’artistes pour
servir & l’histoire de l’art moderne en Allemagne. In-8.
Berlin. % Tbir.
Villemarque (Th. de la), Contes populaires des
anciens Bretons, précédés d’un Essai sur l’origine des
&pop€es chevaleresques de la tableronde. 2 vols. In-8,
Paris. 5 Thlr.
Vitraux peints de Saint-Ktienne de "Bourges, recherches
“ detachees d’une monographie de cette cathedrale, par
A. Martin et C. Cahler, pröwres, Verrieres du
Xllle siecle. Ire Hvr. In-plano. Paris. 4 Thlr.
(Der Beschluss folgt.)
Pränumeration auf ‘den Jahrgang 1843 der
Östreichischen militairischen Zeitschrift.
Bei Branmüller & Geibel in Wien iſt erfchienen:
| 1B8te Geft der
Oestreichischen militairischen Beitschrift 1842.
Inhalt diefes Heftes:
I. Biographie des k. E. Generals der Gavalerie, Kudolf
von Dtto. — II. Der Feldzug 1709 in Spanien und Portugal.
Dritter Abſchnitt. — III. Multairiſche SBefchichte des Rheines.
(Zortfegung) — IV. Die Regiments s Srziehungshäufer. —
V. Literatur. — VI. Reueſte Militairveräuderungen.
Preis des Jahrgange 1842 in 12 Heften 8 Thlr.
Auf den Jaßrgaug 1848 wird in allen Buchhandlun⸗
gen bes Ins und Kuslandes Pränumeration angenommen.
Durch alle Buchhandlungen und Postämter ist zu beziehen :
Neue Jenaische
Allgemeine Literatur - Zeitung,
Im Auftrage der Universität zu Jena redigirt von
Geh. Hofrath Prof. Dr. M. Hand, als S:schäfts-
führer, Geh, Kirchenrath Prof. Dr. L. M o ®. Baum-
arten- Orustus, Ober - Appellationsrath Prof.
r. W.Francke, Geh. Hofrath Prof. Dr. D. &.
MMieser, Geh. Hofrath Prof. Dr. I. V. Fries,
als Sperialrevactoren.
Jahrgang 1843. Februar.
Inhalt:
V. A. Huber: The genuine remains of Ossian literally
translated, with a preliminary dissertation by P. Macgregor.
(Nr.27,2u.20.) — -Crusius: 1) Die christ-
liche Mystik in ihrer Entwickelung und in ihren Donkmalen,
Von A. Helfferich. 2. Meister Eckart. Eine theologische
Studie von H. Martensen. (Nr.3u3%) — Ackermanzm:
Reden über die. christliche Offenbarusg in Beziehung auf
die neuere Astronomie. "Von Th. Chalmers. Nach der
zwölften Ausgabe aus dem Engl. übers. von 4. F. A. Rei-
necke. Mit einem Vorworte von A, Tholugk. (Nr.2) —
W.v. Lädemann: Die ungättliche Komödie. Aus dem
Polnischen von K. Batornicki. (Nr. #u.31) — A, Well.
mann: Tristan und Isolde. Ein Gedicht in Romanzen von
K. Immermann. (Nr. 4, @ u.) — EB E. Hudemann:
Der zweite punische Krieg und der Kriegsplan der er.
Eine historisch - politische Vorarbeit zu einer Fehr
des zweiten punischen Krieges, Von L. v. Vincke. (Nr. 3.) —
Julius Olsar: Sophokles. Sein Leben und Wirken. Nach
den @oellen dargestellt von A. Schöll. (Nr. 33,34, 3: u.86) —
Otto Jahn: 1) Il laberinto di Porsenna comparato coi s-
poleri di —88 - Galella ultimamente dissotterati nell’ agro
lusino pubblicati e dichiarati dall’ instituto di corrispon-
denza archeologica. 2) Oreste stretto al parricidio dal fate.
Specchio etrusco di G. Ba io illustr. da E Braun. 3)
Il aacrifizio d’Ifigenia, bassorllievo d’una urna Etrusca spie-
ato da E. Braun. (Nr. 83.) — A. L. J. MU :
ber Rechtlosigkeit, Ehrlosigkeit und Echtlosigkeit. Eise
Abbandlung aus dem deutschen Rechte von J. F. Budde.
(Nr. 8.) — EB, 8. Mlirbt: Immanuel Kant’s sämmtliche
Werke. Herausg. von K. Rosenkranz und F. W. Schubert.
Eifter Theil. (Nr. u. #) — IM. Peter: Andeutungen
über den verschiedenen Religionsunterschied der römischen
Patricier und Plebejer. Ven D. Pellegrino. (Nr. @u 4) —
Choulant: Denkwürdigkeiten aus der medicinischen und
chirurgischen Praxis. Von @. F, Most. (Nr. 4L) — Trex-
ler: Beobachtungen über den Nutzen und Gebrauch des
Keil’schen magnet - elektrischen Rotationsapparats in Krank-
heiten, besonders in chronisch - nervösen, rheumatischen und
gichtischen, gesammelt zu München, Augsburg, Würzburg
und Kissingen von Wetsler. (Nr.0.) — Luadwr. Ettmäller:
Über zwei entdeckte Gedichte aus der Zeit des deutschen
Heidenthums, Von J. Griam. (Nr. @e.%8) — LF.
Fries: Über Gewinn und Verlust bei Rentenanstal
Klee J. N Becker. (Bir. 2 Pen A. — Die
0 e Frage in el’s System. Eine Auffoderung zu
ihrer wissenschaftlichen Erledi , Zweiter Artikel. (Nr. 6,
“# u 4.) — Gelöhrte Ges ; Beförderungen und
Ehrenbezeigungen; Chronik der Universitäten; Literarische
Nachrichten; Preissufgaben; Miscellen; Nakralag.
Von dieser Zeitschrift erscheinen wöchentlich sechs
Nummern und sie wird wöchentlich und monatlich ausge-
geben. Der Jahr kostet 12 Thlr. Ank
werden mit 114 Ngr. für den Raum einer gespaltenen Zeile
berechnet, besondere Anzeigen etc. gegen eine
Vergütung von I Thir. 15 Ngr. beigelegt.
Leipzig, im März 1843.
F. A. Brockhaus.
Im Verlage ber Unterzeichneten iſt foeben erſchienen:
Aus dem Tagebuche
des Generals u. Wachho
Zur Geſchichte der fruͤhern Zuſtaͤnde der
preussischen Armee
unb befonders des
Felbzugs des Herzogs Friedrich Wilgelm
von Braunfchweig:Dels, im Jahre 1809,
Bearbeitet unb herausgegeben von €. St. von Vecheltr.
8. Sein Velind. Geh. 2 Thlr.
Memoiren
des Ritters Karl Heinrich v. Rang.
2 Theile. 8. Fein Velinp. Geh. 4 The.
Braunfweig, im Mär; 1343.
WGeiedeih Wieweg & Cohn.
%
Bei Reanmüller und @eidel,
Buchhändler in Wien, erſchienen:
Darftellung |
Aquilibrial⸗Methode
zur ſichern Heilung der
Oberschenkelbrüche ohne Berkürzung,
Georg Moififonies,
meb. und dirurg. Doctor, Dperateur, k. ©. Primars Ghirurgen im allgemeinen Krankenhauſe ıc.
Mit 4 Steindrudtafeln. Preis 1 Thlr. 5 Ngr. (1 Thlr. 4 gGr.)
Die Berlagsbuchhanbtung Tchmeichelt ſich, durch dieſes Merk einem tiefgefühlten Bebürfniffe der AÄrzte und ber Leibenben
Menſchheit entfprochen zu haben.
Den praktiſchen Ärzten iſt es befannt, daß die meiften Oberfchenkelbräche nur mit einer Ver⸗
#ärzung heiten, welche ein lebenslaͤngliches Hinken in ihrem Gefolge hat. Die Aqu
ilibrial⸗ Methode, geftlüst auf unerichütters
liche mathematifche Grundfäge, Tann in allen Fällen mit Eicherheit und in einer kurzen Beit biefes unangenehme Ereigniß vers
hüten, wofür zahlreiche Erfahrungen ſowol im Kranfenhaufe als auch außer bemfeiben, vom Werfafler felbft und andern Arzten
gemacht, unzweifelhafte Zeugniffe liefen. Daß bie Da
Uung der Aquilibrials Methode in jeder Beziehung originell und gebiegen
für bürgt fchon ber Huf bes Verfaſſers, und die Verlagshandlung hat Nichts unterlaffen, für eine des großen Gegenſtandes
ift, da
würbige Ausftattung zu forgen.
In meinem Verlage erschien und ist durch alle Buch-
handlungen zu beziehen :
J. F. Herbarts
kleinere philosophische Schriften und Abhand-
langen, nebst dessen wissenschaftlichem Nachlasse.
Herausgegeben von Gustav Hartenstein.
Erster und zweiter Band.
Gr. 8_ 6 Thir. 15 Ngr.
Der erste Band, zugleich eine ausführliche Einleitung
des Herausgebers über Herbart’s Leben und Schriften ent-
haltend, kostet 3 Thir., der zweite 3 Thir.°15 Ner. Ein
dritter Band wird diese Sammlung beschliessen, und im Laufe
d. J. erscheinen.
KLeipnig, im März 1843.
| MB. A. Brockhaus.
Bei uns find erfihienen und zu erbulten::
Chroniken, Stralſundiſche. Zweiter Theil, enthaltend
die flralfunder Memorialbuͤcher Joachim Lindemann’s
und Gerhard Hannemann’s (1531 — 1611). Zum
erfien Male aus der Handſchrift herausgegeben unb
mit Einleitung, Inhaltsverzeichniß, Bemerkungen und
Woͤrtererklaͤrungen begleitet von Dr. E. HG. Zober.
Gr. 8. Preis 1 Thir.
Eramer, Prof. Dr. F., Geſchichte der Erziehung und
bes Unterrichts in den Niederlanden während bes Mit:
telalters,, mit Zuchdführung auf die allgemeinen lites
rartfchen und paͤdagogiſchen Verhaͤltniſſe jener. Zeit.
Sr. 8. Preis 1 Thir. 30 Ser.
Yeabricius, ©. G., Urkunden zur Geſchichte des
Fuͤrſtenthums Rügen unter den einheimifchen Zürften.
Herausgegeben und mit erläuternden Abhandlungen
über die Entwidelung dee ruͤgenſchen Zuflände in den
einzelnen Zeitabfchnitten begleitet. Zweiter Band. (Er:
ſtes Heft der Urkunden von 1193 — 1260.) Mit zwei
Tafeln lithographirter Abbildungen von Siegen und
Münzen. Gr. 4. Preis 2 Türe.
(Der erfte Band, Einleitung, erſchien 1841. Preis 1XHlr. 20 &gr.)
Hohmann, Der allgemeine Bettag. Aus, dem Däni-
[hen überfegt. Broſch. Preis 3” Ser.
C. Röffleriäe Buchhandlung (€. Hingst)
in Stralfund.
Heute wurbe ausgegeben: .
Conversations - Lexikon.
Reunte Auflage. Siebentes Heft.
Diefe neunte Auflage erſcheint in 15 Bänden ober 120 Hef⸗
ten zu bem Preife von 5 Nor. für das Geft in der Kusgabe
auf Maſchinenpap.; in ber Ausgabe auf Schreibpap.
koſtet der Baub 2 Thlr., auf Velinpap. 3 Thlr.
Alle Buchhandlungen liefern das Werk zu
dieſen Freißen und bewiliigen auf 12 Er. 1 Frei-
ert ar.
nFünbigungen auf ben Umfchlägen ber einzelnen ‚Hefte
des Sonverfationg » Lexikon werben für ben Raum einer Zeile mit
Yz Nur. für jebes Tauſend Exemplare ber Auflage berechnet,
Reipsig, 10. Maͤrz 1843.
S. A. Brockhaus.
Durch alle Buchhandlungen und Poflämter iſt gu beziehen:
Das Pfennig-Magazin|®
für Belehrung und Unterhaltung,
1843. Jebenar. N. 5—8.
Neue Folge. Erster Jahrgang.
—A Elſenbahnarbeit (Be:
* Danzig. — Der Etſenbahn er. ⸗
ſchluß.) — Die Kartoffel. — Hebung eines alten Schages. —
Die Pfändung. — Die Rofenftöde. Erzählung aus dem Leben.
— *+Die Sntbedung Madeiras. — Die ne "8 der fibiris
Ichen Berbannten. — Parifer Gerichtsfceene — *Benebir und
n. Gin . — ilber Liepmann's Ölgemätbebrud.
— —— einer Klippe bei Dover. — *Gine brabanter
Landſchaft. — Die Ebbe und Flut. — Befteigung der Mala⸗
detta. — Leben eines Prinzen. — * Die Orgel von Expailly. —
Aus ber Chronik bes Monats Januar. —
Die mit * bezeichneten Aufſaͤtze enthalten eine oder mehre Abbildungen.
+ Bellebda.
eis des Jahrgangs von 52 Nummern 3 Ihlr. Mu⸗
ew werden mit 5 Nor. für den Saum einer
* eile berechnet, —A— eigen 2e. gegen
— * von %, Thlr. für das Tauſend beigelegt.
an)
Preit der erſten fünf Iahrgänge bes Pfennigs
Ma De Be — I ß —8 Thle. % 3*
5 ermäßigt. ulm te Eoftet jeber biefer. Jahr:
gänge 1 he 10 Rare die —42 jeher 3 Thir.
Ebenfalls im Preife 2 find fü folgende Schriften
mit vielen Abbildungen:
* ‚Meg im, Dre Bände, 2 Et.
ational: n
—33 ur Kinder. Fuͤnf Rande
2 Thlr. 2 gr.
Eeipzig, im März 1843,
FJ. 4. Brockhaus.
In Karl Geroldꝰs Buchhandlung in Wien
iſt Fi erfchienen und daſelbſt, fowie in allen Buchhands
lungen Druin * zu haden:
Dilfen ſchaf des Rechts.
(Raturreht,)
Georg Norbert Schnabel,
Dr. ver Nechte, k. k. oberäfte. Profeffor ded Natur⸗ und öfter. Gris
minalrechts an ber Karls Berbinande s Univerfität zu Prag. Mitglieb
und Hißoriographen ber juridiſchen Facultaͤt daſelbſt, Mitglied ber
Dandelscommiffion für dad Königrei Böhmen x.
Auch unter dem Titel:
Dad natürliche r Privatrecht.
®r. 8. In Umſchlag al Preis 1 Thlr. 10 Nor.
(1 Thir. 8 gGr.)
„Borliegende Bearbeitung ber Rechtswiffenfhaft geht von
ber Anſicht aus, daß das Naturrecht, wiewol an fidh eine phis
loſophiſche Wiſſenſchaft, doch zugieich eine Theorie für das wirk⸗
Ude praftiiche Leben feiz daß, wenn es auch no
As legte —— alles Deſſen, wat —— —— iſt, in
doch auch ats Lehrgebaͤude eine fi
* muͤſſe, daß es nicht nur gur Erklrung der
Bofitiven Rechte, ſondern ſelbſt zur Entſcheidung
— vorkommender —— leicht ge⸗
braucht werben kann.“ So äußert ſich ber Herr Verfaſſer über
Geiſt und Zweck feine in der Vorrede, indem er ſie
zugleich als ben „Verſuch einer conſequenten Durchſthrun, bes
den gegenwärtigen Btand ber Wiſſenſchaft bezeichnenden, der
relativ moraliſchen Rechtsdedaction gegränbeten, bie
entf ebene pflicht der Gerechtigkeit und ein allem
Rechte zum Träger eat Gigenthbum voraus
fetenben Rechtsprincipes dharalteri
Die Verlagshandlung bat ide beizufügen, ale baß „fe
fi bemüht hat, dem Werke eine feinem innern Gehalte ent
fprechende Außere Ausflattung zu geben.
Bei E. Kummer in Leipzig ift foeben erſchienen:
Auderfen, G. E., Eines Dichters Bazar. Aus dem
Bien von W. €. Christiani. 2 Bände. 8.
Babenkorfi, E., Populair- praktifche Botanik, oder
Anleitung die in Deutfchland häufig wildwachienden
und gezogenen Gewaͤchſe kennen zu lernen, nebſt einer
Überficht des Gewaͤchsreichs nach feiner organogenetifchen
Entwidelung. Mit einer Tabelle. 8. 1 Thlr. 277.4 Nor.
Stürmer, gs. Zur Vermittelung der Ertreme in
der Heilkunde. Iter Band. Gr. 8. 1 Thle. 2774 Nor.
Na de, in meinem Verl Verke fin
durch ——— — — 7 erhalten : erſchienene ſ
Der Fuͤhrer in das
Reich der Wissenschaften und AAünste.
Nach dem Book a science
von I, Gpor ſchil und R
Drei Bände in 14 Gieferungen.
wie 375 Ep piIduuges.
Ki. 8. Geh. 6 Thir.
(BGaãmmttliche Bieferungen tad unter befunden Titeln and
dingelm an Paben.)
Vollständiges Taschenbuch
der Münz-, Maass- und Gewichtsverhältnisse, de
Staatspapiere, des Wechsel- und Bankwesens und der
Usanzen aller Länder und Handelsplätze. Nach dea
Bedürfnissen der enwart bearbeitet ven
Christian und. Friedrich Noback.
his viertes
Heft. (Aachen
Gr. 12. Preis eines Heftes 15 Ngr.
Lehrbuch
der RB aarentunde.
Herausgegeben von Noback.
Erſtes und zweites Heft. Gt. 8. Jedes Heft 15 Nor.
Heften, Diefes foftematifch geordnete Lehrbuch erfcheint in 8 10
e ‚im Waͤrz 1843.
er. “ . F. A. Brockhaus.
Druck und Werlag von F. U. Brodhaus in Leipzig.
ee U + | 1
.
t
LEiterariſcher Anzeiger.
1843. Nr. IX.
Diefer Literariſche Anzeiger wirb ben bei F. A. Brockhaus In Leipzig erfcheinenden Zeitſchriften „Biätter für literariſche
Unterhaltung” und „fie beigelegt ober beigeheftet, und betragen bie Infertionsgebühren für die Zeile ober deren Raum 2, Rgr.
*
Verlags- und CGommissiensartikel
:- von
Brockhaus & Avenarius,
Buchhandlung für deutsche und ausländische Literatur
in Leipsig.
1842. Januar bis Wecember.
(Beschluss aus Nr. VIII.)
Annali di corrispondenza archeologica. Vol. XIII. (1841).
In-8. Bullettino dell’ Instituto di corrispondenza archeo-
logica pel’ anno 1841. In-8. — Monumenti inediti dell’ |
Instituto di corrispondenza archeologica pel’ anno 1841.
In-foglio. Roma. Prän, -Preis jedes Jahrgangs 14 Thlr.
Für die frähern Jahrgänge tritt der Ladenpreis von 18 'Thirn. ein.
M, JuSt LS” Book of religious and philosophical
sects, by Muhammad Al-Sharastäni. Part I.
Containing the account of religious sects. Now first edi-
ted by Rev. W. Cureton. 8vo. London, 2% Thlr.
Bieterich (Udor Waldemar), Auswahl einiger
schwedischen Gedichte, nebst einer getreuen Übersetzung,
zur leichtern Erlernung der schwedischen Sprache. 8.
Stockboim. % Thlr.
Gerhard (E.), Griechische und etruskische Trink-
schalen des königlichen Museums zu: Berlin. Fol. Ber-
lin, 1840, 15 Tbilr.
‚ Archemoros und die Hesperiden. Eine.aus den
Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaf-
ten besonders abgedruckte Vasenerklärung. Mit 4 Kupfer-
tafeln. 4. Berlin, 1838. 2 Thlr.
» Über die Metallspiegel der Etrusker. Eine in
der königlicheh Akademie der Wissenschaften zu Berlin
vorgelesene Abhandlung. Mit 3 Kupfertafeln, 4, Ber-
lin, 1838. 1 'Thir.
Graf (C. M.), De librorum Samuelis et regam compo-
sitione, scriptoribus. fide historica, imprimis de rerum a
Samuele gestarum auctoritate dissertatio critiea. In-4.
Argentorati. °, Thir.
Guanciali (@&.), Hahnemannus, 200 de homosopathia
libri octo. In-8. Neapoli, 1840. 2 Thlr.
Pitture di vasi fittili esibite dal Cav. Franceseo Inghl-
rami per servire di studio alla mitologia ed alla storia
degli antichi popoli. 4 vol. In-4. 1835—37. 80 Thir.
BMaczynsul (A. Graf), Künstler - Wörterbuch zur Ge-
schichte der neueren deutschen Kunst. Gr. 8. Berlin,
.%, Thir.
Garnysz (J.), Kilka mysli o Polsce i dia Polski. In-8,
Poitiers. 1% 'Ihlr.
Polska chrystusows, pismo poswiecone zasadom spölecznym,
wydawane staraniem L. Birdlikowskiego. Zeszyt I.
In-8. Paryi. 2 Thir.
Stawlenin, Poszyt pierwsuz. 1841. In-16, Paryi. %, Thir.
— — — drogi. 1842, In-16. Paryi, % Thlr.
ne
— —⸗
NOVA SCRIPTORUM LATINORUM BIBLIOTHECA,
edidt ©. L. F. Panckoucke.,
In-8, Jeder Band 1”, Thlr.
Neu erschien hiervon:
Virgilius (M.), Opera. Vol. 1, 2. — Plinlus Se
cundus (C.), Historia naturalis. Vol. 7—9. — Vale
| rius Flaccus (C.), Argonauticon libri octo, edidit
Muguet e. I vol. — Cicero (MM. T.), Orationes.
ol. 3—1.
Wir haben von dieser Bibliotheca den Debit für Deutschland über-
sommen und stets Alles, was» hiervon erschlenen, auf unserm Lager.
BIBLIOTHEQUE CHARPENTIER.
In-12. Jeder Band 1'% Thlr.
Neu erschien hiervon:
de Bemussat, Essai sur l’&ducation des femmes. 1 vol. —
Schiller, Histoire de la guerre de trente ans, traduit
par Mad. de Carlowiiz. 1vel.— de Vigny, Thöätre
complet. I vol. — Poesies completes. I vol. — Servitude
et grandeur militaires. I vol.— Mialebranche, Oecuvres
2 vols. — Mrs. Inchbald, Simple histoire. 1 vol. —
Marmier, Chants populaires du Nord. 1 vol. — Hugo,
Le dernier jour d’un condamne. Bug-Jargal. 1 vol. —
Han d’Islande. I vol. — Odes et ballades, 1 vol. —
Feuilles d’automne. Chants du crépuscule. 1 vol. — Voix
interieures. Les rayons et les ombres. 1 vol, — Alme
Martin, Lettres à Sophie sur la physique, etc. 1 vol. —
Miase, Poesies completes. 1 vol. — de Girardin,
Po6sies complötes. 1 vol. — Miachlavel, Histoire de
Florence, tradiction de Perids. 1 vol. — Malher-
ben, Po&sies, avec un commentaire inedit par Chenier.
I vol, — de Staäl, De la littrature. 1 vol. — Sterne,
Vie et opinions de Tristram Shandy, gentilhomme. 1 vol. —
Balzac, Louis Lambert, suivi de Seraphita, 1 vol. —
Capefigue, Histoire de la restauration. 4 vols. —
Bescarten, Oeuvres. 1 vol. — Leibnitz, Oeuvres.
2 vols. — Malebranche, Oeuvres. 2 vos. — Me
rimee, Clara Gazul. La Jacquerie. La famille Carva-
jel. 1 vol. — Merimede, Colomba. Mosaique. 1 vol. —
BDesbordes- Valmeore, Po6sies. I vol.
Verlagswerke de Nenen Buchhand-
lung in Posen, deren Debit für Deatsch-
lan wir übernommen haben.
Anärysowicz (3.), Jeografia starozytnej Polski ku
powszechnemn u3ytkowi wydana, In-12. Poznas. 4, Thir.
Chronicon sea Annales Wigandi Marburgensis,
equitis et fratris ordinis Teutonici. Primum ediderunt,
Yoannes Voigt et Ed. Comes Baczynski.
In-4. Posnaniae 2 Thlr,
Mit gegenäberstehender polnischer Uebersetzsung.
Czaykowski (ML.), Anna, powiese. 2 Bände, 8.
3 Thir.
Historya panowania Jana Kazimiersa przez hieznajomego
autora. Wydana z rgkopiamu pre EB. Maczıyn.
skiego. 2 Bände. 8. 4 Thir,
Lukaszewiez (J3.), Obraz historyczne- ——
miasta Poznania w dawniejszyeh ezasach. 2 Bände. Mit
Kupfern, 8, 4 Thlr. .
— ——, Diieje kosciotöw wyznania heiwsckiego w Lit-
wie. T. I. 8. Subscriptionspreis 2 Thir.
Marchocki (M.), Historya wojay moskiewskiej, wy-
dana przez Redakcyg Oredownika. 8, 1 Thir.
Obraz Polaköw i Polski w XVII, wieku, czyli Zbiör pa-
mietniköw, dyaryuszöw, etc.. atuigcych do wyjasnienia
stanu Polski, wydany przez EB. Bacsynskiegeo. T.
1—15. 12. Jeder Band ’/, Thir.
Diese Sammlung euihält:
T.1—3. Pamietniki do panowania Stanistawa Augusta
i Augusta IU.
T. 4—6. Pamietniki Wybickiego.
T. 7-10, Kitowicza Opis obyczajöw i zwyozajow za
Augusta Ill.
T. 11-19, Koltgtaja Stan oswiecenia w Polsce (1750-64).
T. 13. Materyaty do panowania St. Leszezyfskiego.
T. 14. Konfederacya Tarnogrodzka,
T. 15. Bunt Zeleiniaka i Gonty (1768).
Jede dieser wichtigen historischen Memoiren ist auch einzeln m
Oredownik naukowy. Dritter Jahrgang. 1843. 4. 3 Thlr.
Diese belletristische Zeitschrift erscheint in 52 wöchentlichen
Nammers unter der Bedaction von A. Pop und J. Lu-
kaszewios.
Pionski ludu wielkopolskie o, zebrai i wydat 3. J. Li-
pinski. Gi . Ja-12. Pozoas. 1, Thlr.
Poplinski (A.), Elementarbuch der polnischen Sprache,
zum Selbstunterricht und Schulgebrauch, 8. °%, Thlr.
Trentowski (B. F.), Chowanna, czyli System peda-
gogiki narodowej. 4 tomy. In-8. Poznas. 6 Thlr.
Nowy Zbisr klassyköw polskich drukiem dotad nieupow-
szechnionych., V. I. 12, Thlr. Enthält: (Op
‚linski K., Satyıy.)
Zywot, J. O. Ksiecia Bogustawa Radziwilta, z rekopis-
‚now Hr. T. Buiniynskiego. 12. 24 Thlr.
Zywoty siawnych Polakow XVIII. wieku, wydane przez
E. Baczynskiege. 8. 1 Thlir.
Dieser Band enthält: |
Zywot Nowodworskiego, Albrechta i Bogusawa Radsi-
witiow.
Bei Breaumälfer & Seibel in Wien iſt erſchienen:
Dos Ifte Heft der
©estreichischen militairischen Zeitschrift 1843.
Inhalt diefes Heftes:
I. Des Prinzen Eugen von Savoyen Wirken 1720 — 36.
— 1. Die Belagerung und ber Entfag von Olmis 1758.
(Mit dem Plane der Belagerung.) — 111. Militairiſcher Ges
brauch der Eifenbahnen durch eine neue Zugkraft. — IV. Die
Schlacht bei Aspern am 21. und 22. Mai 1809. (Der Plan
diefer Schacht wird dem Schluffe dieſes Auffages beigegeben
werden.) — V. Kriegsfcenen. 1) Erzherzog Joſeph Dragoner
in dem Gefecht bei Semlin am 9. September 1788. 2) Gr»
oberung von Drchies am 15. Zuli 1792. 3) Die Vertheibigung
der Stellung von Trier im December 1792. 4) Reiterangriff
in ber Schlacht am Mincio, am 8. Febr. 1814. — VI. Neueſte Dis
fitairveränderungen. — VII. Miscellen und Rotizen; Nr. I—16.
Preis des Jahrgangs 1843 in 12 Heften 8 Thlr.
Die älteren Jahrgänge haben folgende Preife: Die
dritte Auflage ber BR En. 1813 on 1813 in vier
Bänden 6%, Thlr. Jeber einzelne Jahrgang von 1818 —
39 Eoftet 6%, Thlr.z3 von ben Jahrgaͤngen 1840, 1841 und 1842
jeber 8 Thir. Bet Abnahme einer ganzen Sammlung der Altern
Jahrgaͤnge werben bie dritte Auflage ber Jahrgänge 1811, 1812
und 1813 zufammen zu eh Thule , die übrigen Jahrgänge aber
don 1818-30 jeder zu 5%, Ahir. berechnet
Allgemeine Enchklopädie
ber Wiſſenſchaften und Künfte,
in alphabetifcher Kolge von genannten Schriftftellern
bearbeitet, und heraeseg en von
J. G. Erſch und J. G.
Mit Auptern und Karten.
Der Pränumerationspreis beträgt für jeden Theil
in ber Ausgabe auf Druckp. 3 Thlr. 23 Ngr., auf Velinp.
> Thlr., auf ertrafeinem Velinpapier im größten Quartformat
mit. breiteen Stegen (Prachtexemplare) 15 Thlr.
rfte Seetion (AG). Herausgegeben von 3. G. Sre:
ber. 3Öfter und 37ſter Theil.
Zweite Seetion (HN). Herausgegeben von A. &. Hoff:
mann. Aſter und 2ifter Theil.
vitte Geetion (O-—Z). Herausgegeben von M. H. E. Meier.
16ter und 1Tter Theil.
Diefe im Sabre 1842 neu erfchienenen ſechs Theile
enthalten unter Anderm nachſtehende wichtige Artikel:
Erfte Section: Epos und Erigena von Gruber; Equites
von Bacher; Equus von Streubel; Erasmus von Rotterdam von
Erhard; Erde (ald Weltförper, mit 3 Tafeln Abbildungen) von
Kämts; Erinacens von Burmeister; Erkenntniss und Erklärung
von Scheidler; Erlöser und Erlösung von Franke; Ermland
von Sirambery; Ernstfeuer und Kroberung von Hoyer;
Eros von Richter; Erskine von Stramberg; Krz- und Erb-
ämter von Wachter; Erziehung von Rosenbaum.
3mweite Section: Inverness von Fischer; Investitur
von Danz; Jo von Schincke; Jodocus von Wachter ; Jodsauer-
stoff von Duflos; Jogi von Benfey; Joachim (Rrgenten dieſes
Ramens); Johann (Regenten, Grafen und Prinzen); Johann
von Leyden von Röse; Johanna (Pürflinnen); Johanna die
Päpstin von Külb.
Dritte Section: Pennsylvanien von Keler; Pentame-
ter von Göppert; Perceval und Percy von Stramberg; Per-
coides und Perdix von Streubel; Perdikkas von Meier; Per-
gamenisches Reich von Meier; Perikles und Persephome von
Eckermam; Periodicität von Piper; Perm von Petri; Perotti
von Hoffmann; Perrault von Krause; Persepolis von Lassen;
Perser von Flathe, Lassen, Fischer unb Flägel.
ò— —— U
N des ganzen ! ,
Bei dem Wulaufe si Rei ei Nöertes, aber
eiuer_bebeutenden Anzahl
Er nuvo ſtãndꝰ Egxemp ge⸗
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Darftellung die wichtigften Gegenflände ber Naturreiche behan⸗
deit, Tann allen denkenden Landwirten, Gärtnern und Jech⸗
nikern empfohlen werden. Die bem Xerte beigefügten Abb
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Paris wie e6 wirklich ift,
das heißt:
wie es lebt, liebt, ißt, trinkt, ſchwelgt, darbt, handelt,
fptelt, intriguirt, cabaliſirt, wacht, ſchlaͤft, träumt, phan⸗
taſirt, philoſophirt, lieſt, ſchreibt, dichtet, muſicirt, lacht,
weint, promenirt, reitet, faͤhrt, klatſcht, ſchwatzt, Schul⸗
den macht, betrügt, ſtiehlt, raubt, politiſirt, kannegießert,
emeutirt, — rebellirt ꝛc. ꝛc.
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Rolontair zu Paris.‘
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Troisieme annde. 1843.
DB paralt semaine un numero de 1 —2 feulllos. —
par an 5'/, Thir. == On s’abonne chez tous les 1i-
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Sommaire des Nos. 1—8.
Episodes et souvenirs de P’Algerie francais. Par F.
Mernand. — Le de beiser. Pır B, Galle. —
Une. vengennce de femme. Par Bi, — Seuraniss
⸗
intimes d’un cabinet: particulier. — Ohantage. Par A,
Karr. — La Grece, les Cyclades et les 1les Ioniennes, Par
Buchoz. — Les &conomies de d6cembre. Par E.
— Nourvelles a la main. — Comptes et mécomptes du jour
de l’an. Par F. — Acadömie francaise. Par
— Eitude de moeurs, — La vengeance
d’un tribun. Par Ch. de Miazade. — Chronique de Poli-
chinelle. — Une sylphide d&meublee. — Une salle d’asile
litt6rsaire. — La croix de Saint-Jean. Par ©. de Planoy.
— Le signalement du pirate. Par EB, Oorbiöre. —
— chapitres des méemoires de Jerome Paturot. Par
— Une matinde litt6raire. — Une fin d’annee,
— - Revue ‘de tribunaux. — Une indiscretion, Par Mime.
M.... — Gluckistes et Piccinistes. — La femme. Par
E. Briffaäult. — Ivan. Par L. Bolvin. — Le ratier.
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berholten Auflagen biefes für jeden Gebilbeten wichtigen und in⸗
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Herrn Verfaffer mit befonberer Sorgfalt Überarbeitet, mit vielen
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Das Gieschlechisieben des Weibes
in physiologischer,, pathologischer und therapeutischer
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Erster Band: Physiologie und allgemeine Pathologie des weib-
lichen Geschlechtsiebens. 188. 3 Tihir. 35 Ngr.
Band: Aotiologie, Disgeostik, Therapie, Diätetik
und Kosmetik, sowie auch speclelle Pathologie und Therapie
der weiblichen Geschlechtskrankkeiten, getrennt von der Schwaa-
gerschaft, der Geburt und dem Wochenbette. 196. 8 Thir.
Dritter Band: Voa den Geschlechiskräukheiten das Weibes
nad deren Behandlung. Specielle Pathologie und Therapie der
Kraakheiten der weiblichen Geburtsorgaue. 191. 2 Thir.
Vierter Band: Von den Geschlechtskrankheiten des Weibes
und deren Behandlung. Specielle Pathologie und Therapie der
Krankheiten der weiblichen Geburtsorgane. Von den Krankheiten
der Geschlechtsverrichtungen des Weiber. 188. 5 Tilr.
Das Werk wird aus fünf Bänden bestehen
fünfte Band im
en
6 Tr BOWW R zur
sorn Verständniss des Yorgetragenen folgen. oe.
Lei r ae 1838.
wei, ia F. A. Brockhaus.
In Unterzeichneten iR ſoeben erſchlenen und an alle Buchhandlungen verfanbt worden:
Der Hibelungen Noth
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Die Bearbeitung des Terxtes
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Dr. Suftev Pfizer.
Achte und letzte Lieferung. Preis 1 EL, oder 17°. Ngr. (14 gGr.)
Dreis des volftändigen Werkes 8 Fl., oder A Thle. 20 Nor. (4 Thlr. 16 gGSr.)
Wir übergeben das achte Heft des Ribelungen » Liebes, womit dieſe ilufirirte Ausgabe nunmehr vollendet iſt, mit bee zuver
fiptlihen Erwartung, daß das edle Gedicht in der Form und Geſtalt, worin es bier vorliegt, ſich den Beifall j
gewinnen werbe, welche, echter Poefie und würbiger Kunſt zugetban, eine harmoniſche Verbindung beibes zum erhöhten , befriedi⸗
gendflen Genuß gern anerkennen und willtommen beißen, mit der Hoffnung, es werben bie Brunbfäge, welche bie künſtleriſchen
und ſprachlichen Bearbeiter geleitet haben und weldye dahin gingen, bem großen, reinen und einfachen Charakter des altem,
ehrwürbigen Ratlonalepos in Eeiner Weife Gewalt anzuthun, fi ihm mit forgfältigfler, treuefter Auffaflung feiner Cigenthümlich
Zeit anzuſchließen und feine Driginalität in Ton, Haltung und Geftalten ebenfo fehr einerfeits ſchonend zu bewahren, eis
anbererfeitö zur lebendigen Anfchauung zu bringen, in der Billigung ber zum Urtheile Befähigten, der für Ehre unb Reinerbaltung
biefes herrlichen, alten Denkmals von deutſcher Sprache, Poefie, Sitte und Kraft Antheilnehmenden, ihre Rechtfertigung und
Bewährung finden; es werbe das in biefer neuen Geſtalt unentftellte Alte die bleibende Liebe zu echter, volkethümlicher Kunft
und Poeſie in vielen Gemüthern zu erweden und zu befefigen beitragen.
Gtuttgart und Tübingen, im Mär; 1843.
3. ©. Cotta'scher Beriag.
Durch alle Buchhandlungen und Poflämter ift zu beziehen:
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zweites Heft. Gr. 4. Preis des Jahrgangs
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Der und den Blättern für literariſche Un⸗
—— emeinſchaftlich iſt ein
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und wird darin der Raum einer gefpaltenen Zeile mit 2'4 Nar.
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Königsberg, im Mär; 1843, ı
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Bi J. U. Brsdfans in Leipzig iſt erſchienen
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kleinere philosophische Schriften und Ab
nebst dessen wissenschaftlichem Nachlasse.
Herausgegeben von Gustav Hartenstein.
Erster und Zweiter Band.
Gr. 8, 6 Thir. 15 Negr.
Der erste Band, welcher zugleich eine ausführliche Ris-
leitung des Herausgebers über H.’s Leben und Schriften ent-
hält, kostet 3 Thir., der zweite 3 Thir. 15 Negr. Eia
dritter Band, welcher diese Sammlung beschliessen wird,
erscheint in diesem Jahre.
Meber die Hebung des kirchlichen Lebens
in der proteſfſtautiſchen Kirche.
Eine kirchenrechtliche und praktiſche Erörterung
von &. Julius.
Gr. 8. Sch. 1 The. 15 Mer.
Andeutungen über den ursprünglichen Religionsunter-
schied der römischen Patricier und Plebejer. Ven.
D. Pellegrino. Gr. 8. 20 Ngr.
Das Unmoraliſche Der Todesſtrafe.
Bon Dr. Michael Petöcz.
Nachtrag zu deſſen „Anſicht der Welt”.
©. 8. Geh. 18 Wer.
Des Verfaſſers „Auficht der belt”, an weiche biefe ins
tereffante Schrift ſich anſchließt, erſchien 1839 und Eoftet 3 Zgtr-
Drud und Berlag von 8. U. Brochaus in Leipzig.
4
Literarifcher. Anzeiger.
1843.
Diefex eiteracifäie 4
Imtechaitung” und
Nr. % Ä
ngeiger wird den‘ bet 9: X. Brodhaus in Lei nden Zeitädkei ’
‘316 beigelegt ober —— —— und — F a ae Beitigeiften Viaͤtter für Iiterarifdie
en fuͤr die Beite ober deren Reum 2, Nor.
Beriht
Berlogsunteruchmungen für 1843
| F. M. Brodhaus in Leipzig.
Die mit Kuppgeihmeten Artilei merben befkimmt im Saufe des Jabres fertig; von ben übrigen IR bie Exfdelnung ungewifler.
L An Zeitſchriften erſcheint für 1848:
J ——— Zeitun Saprgang I 100. Br mit
1E is Schon: dm a en
® ehrt * — nn
——— tm folgenden Tag — € ler Art
finden In | in — — ex ee 3e eltung eine meit te Berhee
a yes —— ——a — Im
—* ven 10
tt lit Imterha (Herauögeber: H. Brock⸗
” * Sa — den —* fr eine
- Gries act * a Saat % ICH ee. erben.
vergleichende ie Herausge⸗
"iii ZA Di ten. Jahrgang 1843. ee ri Kupfern.
Gr. 4. 8 Tl.
Ge) Sie. 2 und ———— Zeitfqhriften erſcheint ein
Literariſcher Amgeigen,
I
En man nen
site — Tieren e interde dal en gegen Bergütung
*4. Landwirthſchaft liche —— — Herausgegeben unter Mit⸗
wirkung einer Geſellſchaft praktifcher Land⸗ Haus⸗ und Forſt⸗
wirthe von ©. von Dfoffenrath und William Ebbe,
Mit einem Beiblatte: Gemeinmügiges unterhattungeblatt für
Stabt und Land. Fe 1843. 52 Nummern: 4, Preis
bes Sahrganne
org: > fie Den Ram ei eine paltenen Belle Fr 453
e
neue J a N Literaten Im Auf-
trage der Universität zu Jena redigirt von Geh. Hofrath
Prof. Dr. F. Hand, als Geschäftsführer; Gel. Kirchen-
rath Prof. Dr. L
th Prof. Dr. W. Francke, Geh. Hofrath
Appellationera
piot Dr. D. G. Kieser, Geh. Hofrath Prof. Dr. J. ER
Fries, als Da Jahrgang 1843, 312 Num-
—— Or, 12 Thir
a6 außgeachen N um aber and in Dtenatöbeften
— u. dal "te au ae er Den Lam um elntt X imd —
—— Untecheltung.
"nm a $ı ang. 1043 52 Nummern, Mit
bung mal gr. 4. 2 Ihk.
—— u miete
. Leipzig von Hofrath und Oberbiblioth
L. FO. Baumgarten-Crusius, Oben |
| I’. Bremer
zufenimengenemmen Ratt 9 hr.
. im b t i Ir., In
ar Im AAN Teams db wanie Aa r. ar sa en
im Dreife herabgeſeht mb folgende Gäriften mit vielen
Pfenäige Bogayi F r Kinder. Fuͤnf Bände. Fruͤher 5 Thlr.
Ein eine Sa rgaͤnge 20 Ser.
Comatoge. again. Dre Bi ade 4 Früher 6 Eile. 2*
—* Magazin. Ein Band. Fruͤher 3 Thlr. Sege
Unterhaltungen eines Vaters mit feinen Kindern. Zwei Bänts
Fr j 51 Abbildungen. Früher 1 Thir. 15 Non
gr.
Perſiſche Fabeln. Mit 18 Abbilbungen. 5 Nor.
"ra En der Botanik zum Gebrauche für Schulen und
elbftunterrichte. Awe it Auflage, gaͤnzlich umgear
Mit 140 Abbil-
beit und 5 von Sb, Winkler.
(
———
*
jeder —
— ey
— lee ne Der u, dgl, gegen Wergütung von %, Ahlr. für dab
55*
rium für deutsche und ausländische Li-
—— —— — unter Mitvirkang der Universität
Dr. E GA,
Gersdorf. Jahrgang 1843. 52 Hefte. Gr, 8. 12 Thlr.
Des Leipaiger Espvırorium erſcheint in woͤchentlichen Heften
vn_ 2a —3
in ustährkiäer Preſpect vorlber N in allen Budkaubiungen.gretis
er il it ein
ion er x bemar. Angeiger
I an N 3 e X rer
oder deren Haum alt 2 Nor, bereut,
— —— — —E von 1 Dr. 15 Kar. Geigelegt.
I An Fortſetzungen erfcheint :
erhalten.
"> Dem Leoipai
*8, Analekten für Frauenkrankheiten, „Bemmkung der
vorzäglichsten. Abbandlun en, Monsgre ‚ Preisschri$-
ten, und Notiz da h- u und Auslandes
über die er * Weibes . über die Zustände
der. Schwangerschaft und des Woohenbettes. Herausge-
ben von einem Vereine praktischer Ärzte. Vierten
Sn erzien Heft und fe e. Gr. 8. Jedes Heft 20
beitte Band, eften (1897 — 42), Toften 8 Ehir.
“, —— * hierhe der Slaffker des Auslandes. Mit bios
raphiſch⸗ literarifchen Cinleitungen. Siebzehnter Band unb
Igende. Gr. 12, Geh.
Die bis ——ã— dieſer Gammiung find unter beſondern
e
⸗ —— Aus
der Beriede Der —ã Dritte Auflage. Ve Te. on
= *9
V. ante Geben Krlit dr * *
und erläutert von K. %
V. Bremer Beben), Di ——* — nl in ‚einer
"2 Bremer (Beeberite), Mine. cite Auflage. Amel Theile.
Drem er eos * Er ober Yo nüenforgen und as
euben. Dritt Iue
Bremen ——6 5
.Prevoſt to * Bach, eſchlchte der Ranon Feb:
7 an cs zwalier r D Ausb dem Franzofiſchen überfept
. Dante All er 8 Geblichte. Aus ven yıllml
ee en überfept und rt von K annegieher und K. Witte.
— vermebrte und verbefferte Auflage. Zwei Xhellc. 2 Ahle.
xIv. D b im 8
Kalten! Ge), (k ER rn be Pimer 2 er. Zus 22 —26
va seogtenh! Zen —E z33 en 1 * . I Nor
derife), Ki Ieineve Grzäplu y naen. NR
n riede,
XVI. Bremer (Brederite) oder —* Genen in
ve
(Prans {8 Merie Ru, de), Die Genriade. Aus dem
drfden im —* des Driginals überfept von J. Schröder.
XVII. u a» IH. 2. (König von © — Vppleie. Aus dem GSchwe⸗
ZIx. sjsdere (ar. Vita 77 SGe Aus des Schwediſchen überfept
Kannegieher. DO Rer.
10, "Busch (Dt. W. H. Das Geschlechtsieben des
"pathologischer und therspeu-
Weibes in physiologischer ,
Escher Hinsicht dargestellt. Vierter und fünfter Band.
Banb u ud weibi Su
(aan Beate, ne und a Se ve Pathologie —* ns
—* idtetit un, 3 —*— euch * e —
= u ‚Beil er
eiten ’
—8 ein Atlas ber di Abbildu
ML Ann Mergetragenen nn für A un Vai
+1. Eupier (Baron von), Das —— georbnet nach
feiner Organtfation. Als Grundlage ber Naturgeſchichte ber
Thiere, unb Ginleitung in bie Anatomie. Nach
der zweiten vermehrten Ausgabe überfeat und Durch Zufäge
erweitert . Bänden Sehe
von $. Son. —X anf
u en Taasten Ende veunieh be
—
N t Ban ⸗ * u
— De a
8 der fünfte Wens ts
ee ||
Yaltend (1843), 3 he. 10
»13, emeine —* ber Diſſenſchaften und Kuͤnſte,
in al tiſcher Folge vo N genannten ellern bearbeitet,
und herausgegeben von I. Sm. ya ms. &f. Sruber.
Mit In po Karten en. least ’ art, an
Spreife auf gu an Billa r.
5 * — ne —— ba ge auf grreefetn ter tm
section, AG, herr von: Cr Ar Atts
unbbrelbigfter hell hell und fe
AR Gection, uögegehen von And, Gli. Hoffs
m any! I und ende.
— —— — 5 — von Re. on @d. Meler.
— — ‚ werden —
3. Heinfiuß —*8* ), % 8 Wücher : Eerilon, oder
* abetifi Anis ar den 1700 bie zu Gude 1841
enen 2 er in Deutfland ind in den durch
Ste und Literatur damit verwandten Ländern gebrudt
worden find. Rebſt Angabe ber —— der Verleger, des
Erſcheinungsejahrs, des Formats, der Bogenzahl, ber Preiſe
zc. Reunter Band, welcher bie von 1835 bis Ende 1841
erfchienenen Bücher und die Berichtigung früherer Erſcheinun⸗
gen enthält. Serausgegeben von D. X. Schulz. In Eiefe
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lasse. Bande &r.6, von Gst. Hartenstein. Dritter
etzter) Ba Band.
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Ban — — wre und Gain erhält topet 3 se. “bee Meier
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ung aller *5* Medicin, und Ge-
ter Mitwirkung der Herren: Hefrath und
—— Prof, Dr. v. Ammon in Dresden; Prof. Dr, Dieffen-
bach in Berlin; Leiberzt Dr. Gressheim in Berlin; Geh.
Bath Prof. Dr. Jüngken in Berlin; Geh. Rath Pref.
Dr. Kluge in Berlin; Geh. Rath Prof. Dr. Trüstedt in
Berlin, besorgt und herausgegeben von Dr. F. Jak.
Behrend. Zweite Abtheilung: 'Beinbrüäche und Verren-
ku en. Grossfolio.
Die —J — der Teſela dieſer zweiten Abtheil i
—* ——5— —— vet a
* € are ni Ar —X nnen. Die erſte Abthellung, — 1833
u che Darstellang der Bicht-srphilitiscken
ikonog
Herm —5* Prot. BD
r. Trüstedt beso
Dr. r Jah Behr end. 38 Tafein Ab
16. Sadifche Gebicht in beutfchen a
e
oefer. Zweite Leſe. Gr. u eh. ver ai.
ie erſte Lefe (1041) tötet 1 Ahlr.
+17. Kaltigmibe (3% H.), — und veuttindigtee
Fremdwoͤrterbuch, zur Erklaͤrung aller aus fremden Sprachen
entiehnten Wörter und Ausbrüde, weiche in ben Künften und
Biſſenſchaften, im Handel und Berlehr vorklommen, weht
einem Anhange von Gigennamen, mit Bejeichnung ber Aus
— —— In een. Drittes Heft und fol
| 9 Kor
erfte bis vierte De er re A a ak allen **
a EN Idea SRG a yo ——
richtung und Billigkeit ſich gleich ——
"en 8 Kriegertkum. Von einem | Invakden. Zweiter "Theil,
ar “ [: „Wahl und Biläung höherer Truppenfährer‘‘ (1882),
9. —— Denkwürdigkeiten aus der mediciai-
schen u 58 chirurgischen Praxis. Zweiter Band und fol-
Ban (1012) Iofet 1 Zblr. 21 War, — he
*20. Robad (R.), Lehrbuch der Wa *
Dänben. Drittes Heft und folgende: Gr. 8. Jebes 38
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fen 8— 55* gas si
Der neue Bein Die ——
erer und neuerer Zeit aus allen Laͤndern. Herauigegeben
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bi; Geſche Mar 3 ——W8
ar ördeeinmen einex ‚Here.
=. "Tigemeine Prebigtfammlung aus ben Werken d ——
lichſten Kanzelredner zum —* in * auch
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Yrligcn ea "ach \ " dDigten über frele Texte enthalten,
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ar ee Giebenter Band und folgende. Gr. 8.
Auf dpapier und
n Du ee © Fi ey Fee auf Drudpapier 7 Ablr.
ende bedeutendere
PA — re iR en
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ge —F erh um a are te en 8 —*
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8 Rer.
—8 gr num & Sefbißte and, dem en Rufam u u nD Weiber:
dem Tori I der aaa ot 39336. TAbir. 15
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forentiner. Dritter, ober
U. Roͤmiſche Briefe, von einem
erfter Band. Gr. 12. Ge
Zu Be ne Band (1840) Toften 4 "pr, Ner.
35, Hiftorifches Taſchenbuch. Herausgegeben von Di, vos von Rau:
nn Ya Ba Bitwrläe Kalle ze Bach ant yein Seheringen
en Sapenpreife 19 hir. 20 Mgr- aim cher
1890-89) ,
—34) alö ben ſecht x
hol den ern a ondenommen für IIYE: Ahaeler, —*
wi u ne
t
2 — HH. König
ee Due Siktgeng 283 —
zweite 2 Ahle. 15 Rer., der dri Irte mad Bierte e jeder
ſchenbuch bramatifcher Deiginalien.
Dr, Srand. Reue Folge. Zweiter Sahrgang.
Az Tage
u vom
einem
I87 —41 ende di
Pre Xen {m imsstapactes \ Kinbrelieeatte, (sad,
Bilbniß. 8
Die erfie aus fünf
buches koſtet "lammen ngen
einielae abreänge
8 (1882) ? oftet 2 Kir.
27. Vollständiges Taschoabuch der Mönz-, Maass- und
Gewichts Verhältnisse, der Staatspapiere, 'des Wechsel -
und Bankwesens und der Usanzen a er Länder und Han-
e. Nach den Bedürfnissen der Gegenwart bear-
beitet von Ch. Noback und F. Noback. Fünftes Heft
und folgende. r. 12. Freis ‚eines Heftes 15 Ngr.
Pr Des ee Su fans $ Set enthalten : en—Mannhokn ; bie übelgen
98. Ulfilas. Veteris et Novi Testamenti versionis gothicae
fragmenta quae supersunt, ad fidem codd, castigata, lati-
— donata, adnotatione critica instructa cum giossario
et grammatica gothicae conjunctis curis ediderunt
H. C, de Gabelents ot J. Loebe. Zweiter Band, den
Schluss des Textes, ein vollständiges Glossar und eine
Grammatik der gothischen —* enthaltend. Gr. 4,
Geh. Auf Druck - Und Ne velinpe '
3 * der Shnuphafe’ ſchen
tig a at dem in —— Ber * über d Eoftet
Nr ⸗
— 2 Enle. 18 Rot, auf Melinpaplee egeee Bi nt
au me‘ 18 een Ba Bandes, den —— De [here und da Soffer ent⸗
W. Urania. Jahe 1844. Neue Fo
Secheter Iahegang. Mit einem Bühnifie. 8. Sart. er
Bon rähern ihn, Se Im der Urania find nur nod einzelne remplare von
—57— beradssfepten Dreife zu 15 Rer. ber
* —— 1 Ahle is Mror.. ber ii De eg nr
(Die Bortfegung folgt. )
In Untergeidgnetem iſt focben erfchienen und an alle Buchhandlungen verfanbt worden:
Reisen und Zanderbeschreib ungen,
24fte Lieferung.
Auch unter dem befonbern Zitel:
Beihreibung
Kordofen
und einige angrenzenden Ländern,
nebit einem Überblick über deu bafigen ‚Handel, bie Sitten und Gebraͤuche der Einwohner und. die
unter der Regierung Mohammed 3 aus flattgefundenen Sklavenjagden.
| Iauas Yıllme
während deſſen Anmwefenheit in den Jahren 1838— 39 verfaßt.
Gr. 8. — Preis 2 Fl. 15 Kr., ober 1 Thir. 10 Ngr. (2 Thlr. 8 gGr.)
Inhalt: 1) Lage, © Gewaͤſſer,
5) Charakter der Einwohner. u Die Botlare. Kabobiſch.
Schetuk, Nuba, Takele u. ſ. w.
von ·Korbofan. 15) Hanbel.
I820. 18) Rachxrichten über den Lauf ber
das Reih Darfur.
Giusttgnrt un Tyiuigen, im Wär, 1843.
10) Seligion.
oben und Klima. 2) Gefchihte.
8) Dar⸗ Hammer. . 2)
1) Krantpeiten. 12) Das Milltair.
16) tionenjagden Mohammeb Ali's im Allgemeinen.
Bacherabbiad (weißir Mil)
3) Btrgierung. 4) Gitten und Gebraͤuche.
9) Bolkeſtaͤnme die an —— angtengen
13) Producte. 14) Seuptfet:
IT) Skiavenjagd in ben Yan Kan und
Banbonianiamı. 19) Über
2. 6. Cotie ſcher Verlag.
*
iterthuͤmer in Korbofan.
sehr verbesserte und vermehrte Original- Auflage.
Yerpis, Dei 3. U. Weräyent.
De eefe Baud (Het 1 —8, A— Balbucme)
diefer neumten Auflage iſt fertig, Sie orſcheint in 15
Bänden oder 320 Heften zu dem Preiſe von 3 Nor. für
das Heft in der Ausgabe auf Maſchinenp.; in der Aus:
gabe auf Schreibp. koflet der Baud 2 Thlr., auf Velinp.
3
Wie bisher, fo werden auch in Zukunft monatlich In
der Regel drei Hefte erfcheinen, die Auslagen für bie Ans
ſchaffung des Werks vertheilen ſich ſomit auf drei Jahre.
ie volftändige 2 in 1220 ‚wird
D
ih gevantiet, fobaß die Subſeribenten et-
waige weitere Hefte gratis erhalten würden.
Die fehr große Theilnahme, welche biefe neue Auflage
sefunden bat und welche jetzt bereits eine Auflage von
fünfundswanzig Tausend Ezempların
nöthig macht, ift die fprechendfte Anerkennung bee in⸗
nern und Außen Vorzüge, wodurch dieſelbe vor frühern
Auflagen und allem aͤhnlichen Werken fig auszeichnet.
Auf den Umfdhlägen der einzelnen Hefte
werden Aukündigungen
Raum einer Zeile wird mie 10 Ngr. berechnen.
.. Ale Buchbandlungen. liefern das Conversations-
Lexikon, zu obigen reisen. a kann nicht in
Anspru ommen werden; Subscribenten-
Sammler erhalten auf 75 - Freiex
Soeben ift im Berlage von Bundien u Sumb
Berlin erſchienen und in allen Buchhandlungen zu erhalten:
Ontwidelungsgefdjichte
neuesten deutschen Philomophie,
mit —— Eoı Br den
en Ka elling's mit ber
a Can ee
Dargeftellt in Vorleſungen an der Friedrich: Wilhelms»
Univerfität zu Berlin im Sommerhalbjahr. 1849,
vo
Dr. C. £. Michele. -
Br. 8. 25% Bogen. Preis 2 Thir.
lungen
abgedrudt, und der
Ist in-
Soeben iſt kei ums, und
6 Segen: erſchienen darch alle Neqhtau
L’Angleterre, TIrlande et Piesese
Souvenirs d’un voyagenr solitaire,
uneditattans |
sur le oaractöre national: des: Angieis.
leurs moeurs, leurs institutions, leurs ©tablisse-
ments publies, l’asseciation britannigue ainsi que
d’autres socletds savantes et les inventions non-
a ro velles en ı dait de sciences et d’arts.
vol. Ia-8, Leipzig und Paris,.
—— ri, ’ eris,.1843. 5°, Thk.
6 5 Wrenesins,
Buchhandlung für deutſche und ausländifche Kiterater,
En
Im Berlage von Sonard Weyer in Sottbugi
ſoeben erſchienen unb in allen Bufjbandlingen ya Pre f
Airchliche
Der Berfaſſer entwickelt in bie benſ
gruͤndliche als parteiloſe und unbefangee a u af
i Kirche.
nen, bie hoffenttich dem Ausſpruche des großen Apofkeld: „Drüs
fet aber Allen, und das Gute et ne
N
Bon %. 1
Sei >» — in keipſtig iñ sur alle
Über das Verhältniß bed Staats
Otheinifchen @ifenbahı- Gefekjäeft.
'- Zur tung ein ’ i
Delench — — Denkiärift
Gr. 8.. Geh. 4 Mer.
Neu erſchienen 5 of N
- Siegfried Schm
Drenwatit
Zuhalt: Burus, — —E Sompin, hier.
Friedrich Fleiſcher.
id
Deutſche Allgemeine Zeitung.
Auf dieſe vom 1. April 1843 an in meinem Derlag unter ber Redaction des Profe , Büles
täglich Abends erſcheinende Zeitung werben bei allen Goftämtern und —— — N; In: un
Auslandes Wetellungen angenommen. Der Preis beträgt in Sachſen vierteljährlih 2 Thlr., in ben übriem
Staaten aber-wirb derfelbe nach Maßgabe der Entfernung von Leipzig erhöht. Die Infertionsgebühren
werden für ben Raum einer Zeile mit 2 Ngr. berechnet.
Leipsig, im Wiägg 1843, P. A. Brachbens.
Drud und Berlsg von ©. U. Bro@daus in Beipzig.
RE
‚Dr. Dilba.
Theologie bed ve A.,
Se
Ziterarifcher Anzeiger.
1843. Nr. XI.
Brockhauns in Leipzig er
‚und Beten die-Bnfertionäge
Dieſer Literarifche Anzeiger wirb den b
—— — und „Iſis beigelegt eder
Vorlefungen,
welche im Sommerſemeſter 1843 auf der Kieler
Univerſitaͤt gehalten werden ſollen.
I. AAgemeine Aige nige Seorlefungen ·
Philoſophie. Hodegetik, 1 ©t., Dr. Harms.
Geld. der aum Phit. 2 St., Dr. Thaulow. Geſch. ber
83 Dr. —88 Geſch. der praktiſchen Pal,
— Rome, 4 St., Derf. Ginleit. in die Anatufis,
t
3) EEE Beotogie, > St., Prof.
Behn. Zootomiſche Übungen, Derf. Botanit, 56t.,
Drof. Rote. Botan. Exc
demonftrationen, 2 St. Der
fen. Mineralog. Terminologie, sen. Dei.
petitorien, Dr. Zielle und Dr.
ꝓbyſik, 4 ©t., de Tielle. Phyſfikal. Bepetit., Derf. Theo⸗
zet. Chemie, 4 St., Derſ. Analyt. Ghemie, 3 St., Prof.
Pfaffz 6 &t., Dr. Tielle,
ver, 3 ©t., Prof. Pfaff. Ghem
Nepetit., Dr. Zielle und Dr. Süerfen.
4) Literatur und Spraden.
a. orientalifche. Arabifh, Prof. Olshaufen. 9
tete Srammatit, 3 St. Derf. Pfalme, 5 St., Der
Dr. Baumgarten. —8 und Ghalbäifch, Srivatif F
Bart, Ols hauſe
Mineralog. *
Privatiſſ. Oerſ. Ehem.
b. claffif * Mythologie der Grie und Römer, |
4 St, Prof. Ritzſch. Archaͤologie be griech. Kunst 4
Drof. Forchhammer. Pindar, 4 St., Derf. PT
@umeniden und Quripfdes Spbigenia in eure, 4 St, Prof.
Risch. Ariſtoteles Met it edle ©t., Prof. Borhhammer.
e Rorbifche Mythologie, 1 ©&t,,
Prof. Fier. Daͤriſch2 Ah Derf. Bänifchfchreiben, 2 St.
Be Den, emeeii und Serdnbifl, privatiſſ. Derf.
8, Lector v. Buchwa ald. une tterar.
eh Derſ. Shakſpeareis Heinrich IV., 3 St., Lector
ubbren. Engliſch, privatifl., Derſ. über Ghakfpeare’s
Macbeth, 1 St. Dr. Element.
9) Geſchichte. Geſch. Iſraels, 26, Dr. Baumgars
ten. Alte Geographie, J St., Prof. Dropfen. Sacls
sus Germania, 23 St., vrei Wait und Dr. Element.
vaterlänbifäje Gefch., ak. Prof. Wait und Dr.
Renefe - t., D
Portfärpotiifge Übungen, Dest. ‚Prof. Dropien. Hi
9 —— —— — Rationaldkonomit, 4 St.
werbepolicei, 2. —— Santınirtpfcheft, 2 ©t., Dr. Wilde. |
AU. Faenttaͤtai ſſenſchaften. J.
1) Theotogie. Encykiopaͤdie, 4 Bt., . Pelt.
) Theologie. so cy Bee en — Pelt.
braͤrr· 4 Eiĩ., —5 — Bir Rinarkb- , ‚erfer
| — 4 —— dercmann.
tsphil., 1 6t, Dr. Thaulom. —8 —2
c5 Mathematik. Reine Mathem., 4GSt., Prof. Scherk.
nen, 4 Derf. Pflanzen⸗
Mineralogie, 4 St., Dr. —
Suͤerſen. Grperimental
eh der anorganilden Körs
| logie, 6 —— — Behn.
fen. Pharmalogneftifche Demonfirati
:| ‚meifter 1
‚5 St., Prof. Ravit. Ber |].
enben Zeit „Blaͤtter für literariſche
ren für bie Pre deren Raum 2%, FE
— rof. Thomſen; zweiter Theil, 4 St., post. Pelt
— 19) Fahräunderts , ge. ., Ders. Yatriftil,
; ei. Prof. Ehomfen. Dogmengefch., zweiter Shell, 4 &t.,
Derf. Moral, 6 &t., Prof. Mau. X opti, 76&t., Prof.
Dorner. Paftoraltheologie, 2 St, Prof. Lüdemann. Kater
chetik, 2 @t., Derf. Katerhet. Übungen, 2 St., Derſ. Bi
biiſch⸗theol. Übungen, 2 St., Prof. Delt.
2) Rehtswiflfenfhaft. Encyklopaͤbie, 3 St., Prof.
Juriſt. kLitera A 3 St., Prof. Ratjen. meqti⸗
NRom. Nechtsalterthuͤ⸗
mer, 2 ucharbi. Gellius, 3 St., Dr. Ofen»
sen * " Rehtägefch. u. Suftitutionen, 10 St., Prof. Burs
Bar Yanbekten, 12 St. Prof. 3. Chriſtianſen; Fa
r. Ofenbrüggen. Gnegrtiie | hingen, Prof. 3. Chris
ftianfen. Erbrecht, 4 ©t,. Dr. €. Ghriftianfen. Deut
ſches Privatrecht, Prof. Fa "Rorbifie Rechtsgeſch., 1 ©&t.,
Prof. Paulfen. Gchlesw.cholft.»lauenb. Privatrecht, 5 St.,
Derf. Deutſches Staaterecht, 4 St., Der. Ausgew
Gapitel des Griminalrchts, 2 St., Prof. Bald. Griminals
Sodification, 2 St., Prof. Seremann. Bem. Civilproceß,
4 St., Def; ‚Sönfen. Gem. unb vater!. Ginitprees, 0 B ‚Br
. ; 6 &., Dr. Shmib. Schlesw. ‚helft, GB
zuat, ; er, Prof, Zönfen. Summar. Proch, 2 ©t.,
Deri. Gem. u. fehlesw.sholfl. Geiminalproceh, 4 Bt., Prof.
Herrmann. Proceß⸗Prakticum, Prof. Bald. Zurift. Pri⸗
vatiſſima, Prof. Burchardi und Dr. Schmid.
3) Arzneiwiſſenſchaft. Encyklopaͤdie, Prof. Ritter.
Allgem. Anatomie, 3 ar ., Prof. Behn. Dfteoiogie und Syn⸗
besmologie, 3 ©t., Dr. Weber. Nerven und Ginnedorgane,
2 6t., Prof. Behn. Patbologifche Anatomie, 3.&t., Dr. We:
ber. Ghirur. Pathologie, 2 &t., Prof. Lan enbed. Phyſio⸗
Patholog. Semiotik, 4 St., Prof.
Ritter 3Gt., 356 eg Def: Hfaff.
Kg. Aherapie, 6 "Sb, Dr Kichner. Nofo nd Thera⸗
ie ber Kagherien, 5 Prof. Meyn. ke & Kranl-
iten, 4 &t., Dr. Kirchner. Torikologie, — Dr. Süer
ionen, 2 Dr. Kirch⸗
ner. Gefundbrunnen, 1 &t., Derſ. een 1 6&t.,
Prof. Meyn. Chirurgie, erfter Theil, 5 St., Prof. Lan:
genbed, Prakt. Chirurgie, 4 St. Derf. Weliberkrankhei⸗
ten, 3 ©t., Prof. Michaelis. Mäeutifche Operationen,
3 &t., Derf. Medic. Klinik, täglich, Prof. Meyn. Ghirars
un Klinik, 12 ©t., Prof. Langenbed. gräeutifihe Kinit,
©t., Prof. Michaelis. Gerichtliche Medicin, 5 St., Prof.
Meyn; 2 St., Dr. Valentiner. Privatiſſima, Prof. Der,
gewifd, Dr. Kirchner und Dr. Weber.
IE. Rünfe.
- Medjanifde, univ.⸗ —— ECramer. Veterinair⸗
kunſt, Stallm v. Balle. Weiten, Zeichnen und Mas»
len, penlebeer Rehbenigt. Ben a Gymnaſtik, Fecht⸗
Tanzen, Tanzmeiſter v. Wobeſer⸗Roſen⸗
EV. Anſtalten.
Die Biblio t li Rat Das
‚Gemina —* — —— va — le
ad an
bain.
emann.
und —S
beauffihtigt Prof. wen Den botan. Ga — Pr
Beridht
Berlagsunternchmungen für 1843
®. A. Brochans in Leipjig.
Die wit * dezeiäneten Krtilel werden befktuumt im Baufe bed Jadre6 fertig; won den übrigen IR Die Erfeinung ungewiffer.
(Bortfegung aus Rr. X)
IL An neuen Auflagen und Neuigkeiten erſcheint:
*30. Moneldi. Cine Gryäplung. Aus bem Englifhen des ame:
ritaniſchen Malers Washington —— — von
SE &. ns.
. Antike Marmorwerke zum ersten Male bekannt gemacht
en Emil Braun. Folio.
eu he ua ymet erhe Fat, im Era beraiet und werten mit
Kai des Aristophanes, übersetzt und
der. Möller. Drei Bände. ug 8.6 Geh.
Der met Kan ‚biefer FH
wird, auber sine eügemein
Kt ERS
—— (BF), Di, Demand —— u
a ae 16 och
«rd. Banfey (Far, U mt Gas Verhältaiss der -
Pi chstamm. Gr.8.
KERTERT an die Detgtleber ber Deutfien Ger
—
en Gerade und Kteripd,
‚Herausgegeben von K. ſpe. @&. 8.
Een
Edidt 6. Julius. Gr, 8. Geh.
theca romana.
6 über di s
1a: PER IE HROHOER HN hellen Wi
—* es — publis par H. de Hoff-
mans. Gr.
ice Bir ic u — en et folgenden Xbs
unter Zt mug engein
3 — dipiomatigue, 2 Bänke;
waiversel, 2 Bände; Droit des gens ; Histolre et it
15 —⏑—
Binde; Histolte des diats tables.
Sons 'sourerainen, 3 Wine; Pol —— des » 2 Binde;
Drei Theile.
* —A FACH, © 47 Wortefung — die an
der deutfihen of Erlen. &i
bie erwachfene Ju; nn ” -
et He der Bande
—— von Hm. Brockhaun, Gr. 8,
4. —&S8 ha Chandrodaya. System der Vedänta-Phi-
dramatischer Form entwickelt von Kriskns
Miro. Air ms Düne herausgegeben und
— me Di dee Get han ai
— 1886, mi *
—
tel für dab Ganze beigefügt
*42. Sammlung orient —— — Märchen, Erzählungen und
Fabeln, beransgegebes von Hm, Brockhaus. Erstes
und zweites ichen. — A. u. d. Titel: Kathä sarit
des Somadeva Bhatta aus
Sanskrit übersetzt.
Er. I‘
Geh.
te Bud Mefer Miräenfommüune erfälen 1899 bei mit
Roc BR En
züher erfälen von dem Herausgeber bei mic:
Grändang, Ger Bad, Fataliera, uud Göosiahie ar Lyaien.
* doutsch. —X 18%. 8 A hun)
überfegt von Sb. male, We &. 12, 8.
— — Die göttliche Tomddie. Überfept um
gRrt von
Auflage. Drei Tpeile. Wit mehren Tafeln. &. 11. 94.
und erläutert, von SeRer. Ge. 10. 1361
Dante ET Geblägte. _Überfept und erfldet ma 2.
in Qua
Ra
Bene
“ Dietrich (Fr. —X CA.), Ältzordisches Lesebuch aus
der skandinavischen P.
girt von A. Moser. Gr. 14.
van a lenken Gau ae reg
ae Medi, ehoble und Theraoie, Bemketik and Diniasnkı Pr
"Anatomie; Materia medica ; ; Chir:
BEE IN ENTE. Ai
Sea,
5l. Gnnemofee of), —— Veyeia ·
Zeit. Systematisch bearbeitet und mit dem möthigen Be-
gistern versehen, Dritte Ausgabe, besorgt von Ch. Ant.
v
ilelogie mh em
— dh ehe rer egten Felle at af Dreh hai af
auf
I a ER ebenfalls 3 (sten "De Anyrlacn
Philosophie und Prdensgik. 1922. 0 Ngr. — T
— —— 1823. 20 Neger. -- Medicin, 1
u erbakunde, 182. 1 Thir. 0
egeben
"Dit ef —— —S eines ara 2 3.12. 00.
ie
{n efem Sabre vo i“ e. Zire.
® Ö 8. Ss A audgeg von e
u. rfier (8), en. Gr. 10, We
Theile. Mit bem air bes DI
zerfhtenfrn OR
waren Huch 2 dan Ganzonen, Gonettr, Balleten und
Kcumphe, ept mb mit en uternden Anmerkum nen en von
a: u weite berbefierts Auflage. Gr. 8
— Zegt 1 Xhlr. 5 Star.
Fürftenbund.> Präliminarien. Berichte. Acten⸗
_ "nie ; 55* Eingeleitet und herausgegeben von
8. eke
56. Seife (2.), Allgemeine Päbagogit in drei Büchern.
* Bub: Der Menſch, feine a oidelung und Bildungs zweites Ond:
Grylehung ; Duch:
57. Grässe (J. ©. Thar), Wörterbuch der gesammten
Mythologie aller bekannten Völker der Erde, nach den
Originalquellen bearbeitet, mit den wichtigsten Beoweis-
stellen und mit Übersichten der wichtigsten Religions-
Be temo versehen. Ia Heften. Gr. 8.
+58. Guftav II. (König von Schweben), Schaufpiele. Aus bem
Schweriſchen überfegt von 8. Eichel. Zwei Theile. Gr. 12.
12%
+59. an E Handbuch de der Kinderkrankheiten, nach den
neuesten Mittheilungen ausgezeichneter Ärste aller Län-
der systematisch bearbeitet von A. Schnitzer und B.
Werft. In a et er und koſtet 2 Ahle. 12 Nor.
vo
—— Darstellung der Beiobrüche und Verren-
*60. Ikonographische
kungen —— a anatomisch ologischen und thera
tischen Verhältnisse unter wirk des Geh. el-
Rath Prof. Dr. Kluge bearbeitet und herausgegeben von
Dr. F.Jak. Behrend. Gegen 30 Tafeln Abbildungen mit
Text. In „Lieferungen. Grossfolio.
1 Rattihmidt „E22 2gptanies 55*
* er en ire’de lAcadenie ran
— A. u. d. T.: Petit Dictäonnaire —— —
de Packdmie —
*55 000 @örter ,_ mit⸗
metal! este |
BE uf t übertrifft,
F ae @inridtrung oo
ey einen —— 28
52. Kannegießer ( , Sphigenta in Delphi. Schau⸗
fotel in bie Acten, mie iR Vorſpiele, Iphigeniaꝰs Heim⸗
fahrt, und einem Nachſpiele, Iphigenia's Tod. Gr.13. Seh.
83. Das Märchen vom geftiefeiten ter, in den Bearbeitungen
von Straparola, file, Perrault und 8. Zied.
Mit 3 Rabfenngen von D. Spedter. Gr. 8. Auf fein
em Be
nbalt;
8. liufo, Bon Siovambettifte Baft
—— Kater.
in ek ee Sa
ranceäce Brzeparoie.
urner,
gr geRiele Its Kas
ter. dee Atn,
2 8 ! * alien. ch an Pens
— — * — wird in lie ri
—3 — year —— uf Ne — — — * I Dh Sp
“54. Kütsing (F, Tr A ehr ‚
un6 g- 5* bene {er Tan oder
—— Abbil dungen 1 von mehr als
40 Bogen Text
gravirte und gedruckte Tafeln
5* 4. Auf feinem Velinpapior. Cartennirt. Bubscrip-
der Zafeln ift dereits vollendet umb ber Druk des. Zexres
Tal diefes Zotiee und intereſſante Merk lem im Laufe
me mE e In fäntigungen find In allen Bugbandlum
55. Eöbe (William), Die altenburgiſche Landwirthſchaft in
ihrem gegenwärtigen Zuftande, mit befonderer Beruͤckſichtigung
zer weige unb ber agrarifchen Befehgebung bargeftellt.
© ri Kane ———— are V
ehren rge ehe pi t ae a niet, litho⸗
2
A een ell (3. 8) ), —— in Umriſſen und Ausfuͤhrrun⸗
er Band und folgende. Gr. B.
me de Ren Biefen 2 ntaeigen um und intereffanten Werts wich hoffentlich
eiem Sabre erfi
u eynar et zu), Seriäte. Gr. 8. Seh. 1 Thlr.
abre 1842 hub. Aerurpliin a Kam. GE 0 0
er Ritter von Rhob — — in 4 Xcten. Ox 8. 20 Xaqr
"2 Mediceer. Drama in fü
68, Martens (Charles u) Biographie des‘ diplomaten
les plus c&l&bres des trois derniers siöcles, d’aprös l’ordre
gphebeiiaus des nations auxquelles ils appartiennent.
9. — — —, , Nourelles causes osläbres
du droit des ee Deux volume. Gr. 8. Gate
Sa ao eng ber in A de T 2. u 4 ae
ikherertäten on dem im Sernußgsbse tn imemBerlege:
SF
und aus Han en bera v
—* Dr. G —“ Sieben Bine Gr. 13.
Geb. * Thlr.
nahe a Werke Mendelsfehn’s, welche außer
den AH Y * elnen zum I anonym In e
Beifärine en ie Zufläpe As mebre no A ungedrudte
i denmachſt Die
den. Der An and — — eine
nd ſes
ee
x
Mesdeld 33 38 en vom
“71. Most (6. F.), Ency pädie de — Volksmedicin,
oder Lexikon der ‚vorsüglichsten und wirksamsten Haus-
und Volksarzneimittel aller Länder. Nach den besten
Quellen und nach dreissigj ‚im In- und Auslande
selbst gemachten zahlreichen
rungen aus dem Volksleben
In „often. Erstes Heft
® Thir.
——— nlement Fur — —— — die Ver-
— und Zusätze der zweiten Auflage. Gr. 1837. 2 Thir.
der
Absführliche Encyklopädie gesammten Staatsarzneikande.
Vereine mit mebreron Doctoren der tagelahrtkeit, der Philosophie,
der Medictn und Chirosglo, mit praktischen Civil-, —— und Gerichts-
Arsten und Chemikern bearbeitet und herausgegeben.
ehrte, Policeibeamte, Milltairärste Gerichtliche ‚Ärzte, Wand‘
Arstt, eker und Veteriaärärste. 2 wei Bände de und ein Supplemeat-
de. Gr.8, hir.
Kai a ar Anl ige, wat Haan —*8 m gehen br
Dritte, vöRig umgearbeitete, ac vermehrte — et
1 Ablı
rer alte und neue medicinische Lehrsysteme im inen und über
.J. L, Schöslein's neuestes natürliches has Eyetemn de der Medicin insbeson-
dere, -kritischer Versu L. 1 Tbir. 3 Ngr.
(De —*ãð folgt.)
In untergeiäurtem find 100 ſeeten erſchiew⸗ und an ae Bud
—— verſandt warben
ee . Be ne an te |
| ee fein.
Gottfried Ainkel. Die ve@te i Buian,
8. Denpepla. Broſchirt. Paris 2 51 15 9, om. offene
1 The, 10 ts v0 Maße 8 2 * ur D * |
Zum PR — Bilber ans re —* * — Pıof. 8. R d, A * aueh.
sand — - u Diäten eeben und En lung, I |
deutichen W 6 Erwachen. —
Otto der —8 Eine einifie Sefchichte in — Xognteuern. |
GStuttgart und Kübingen, im Mär; 1843
3. G. Cotta’scher Beriag.
Heute wurde ausgegeben:
Usmversations - Lexikon,
Reunte Auflage. Zehetted Heft.
67° Der erste Band ist mit dam achten Hefte geschlogsen,
Disfe neunte A erfeheint in 15 Wänden oder 139 94
ya dem Preiſe von 5 Mor. für das Keft in der Ausg
auf mei inenpap.; in der Ausgabe auf Schereibpap. |
et 3 Shlr., auf Belinpap. 3 hir. |
e Buchhandiun —ãA liefern eo. Bei zu
Bei W. Ginthorn in Leipzig Hk ſoeben erfchienen und
durch alle Buchhandlungen des Ins und Auslandes zu beziehen:
Anus Dem Böhmerwalde,,
Bon Ioset Rank.
agent gob. 1 Talr. — Fl. 80 Kr. 0... — 1 Fl. 48 Kr. Rhein.
— Anbefannt, dicfee ausepirioerforechenben Kufdapen befannt
ANT, v a
gereg, Bedarf e mıde vor — * Bet m mei biefen u Poefen un bew 12 @r, 1 8x
u en gan, neuen n
Boltsiieber, Wolksländier, Wolksiehen in eigens! ner Sieh —8 —— he ag an —— ef
und Friſche ef tieht. 6 find in Bahrpeit ———— 22— Zeile mit 10 Per. boccch
Dörfer”, we hier dem Publicum fi aufthbuns aber es i er. derech
urete nur ein, m fich gefeffelt und heimiſch zu fühlen. Eeiptig, 20. Aprit —— d.&
® ® ochbeus,
Erklärung.
Bei K. F. Köhler in Leipzig iſt erfchienen und in
allen Buchhandlungen zu haben: _
Bun und „& el toreneourt hat ſich da
igot omuer ae u 23 von | ei — — bat bat ſich — si
Protestantismus in Frankreich. | 5*
Aus dem Brangöftfigen überfegt
|
‘| ‚nem meiner entſchiedenften Gegrer gefihrichene Fiagle
„Deutſchlands politi 3 " |
nie u Bersinft (de ac ——* * wir *
6 &
8. Broſch. Fi + (9 g8r.)
rüßrenben leitenden Artikel nicht ſchoaͤrfer gr. on Fu
Die beiden Schriften von Buizot und Coquarel yafammen
‚onen in gebwängter Kuͤrze das lebhafte Bild des Proteflantis:-
mus in Fran ‚ feiner Zukunft und feiner Hoffuungen. Vor⸗
‚Rebenbe deutſche Iberfegung dürfte allen Denen willlommen fein,
die fi von bem innern Leben des und in habem Maße intereſ⸗
senken Nachbarnolkes eine mehr als oberflächliche Aenntniß zu
ve wünfchen.
Florencourt verſichert, biefe — wären „einer "hoblen Ruf
one oem Rum u berglcihen; er behauptet, daß and ven
vielen Tauſend leitenden Artikeln, bie ich — 5
zige Überzeugung “ peranszulefen fei. ‚Ex fü
tung noch einige perfönliche Astigtsiten 5 ei ni
| ee ira, weil y für das Publicuna n 1 don *
Einführuug ber Beformatipon | %
ng
fallend, daß um tanber Nafſe willen ein fo gewaltiges
beine ein⸗
gi
und die Bearfaffung erhoben werben follte, wie von ben Weortführern ber
des ralen Partei in allen ben Blaͤttern, die ihnen noch zu Sk |
Calvinismus in Bıuf ftehen, fortwährend gegen meine Wirkfamkeit *7 vid.
cm das —1 — ae eeanefrt or rühren, Kb
n N;
Su ne ‚die (ektfelkrifäe eaufkate Kann ve
Piguet.
Aus bem N Steh. überfegt
Sr. 8. Broſch. 22% N (18
säpmte iker, in lem a Intenfunten A
riker,
ſchnitt der allgemeinen Reformatlonegeſchichte, den der Gruͤn⸗
Druck und Berlag von J. A. Broddans in Leipzig.
Ä ben Beifall, ben biefeite bei ber
De gebildeter und du vi Männer ——
gnet —— den Herren das Spiel zu verderben
biendung bezeits für guvonnen ?
" &bln, — Apri 1843.
——
— — — — — —
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\ - HARVARD COLLEGE LIBRARY j
DEXTER FUND
ve
244 a
Siterarifher Anzeiger.
1843.
‚Nr. XI.
Dieſer eiterarifche Anzeiger wirb ben bei 9%. Brodhaus in Leipzig erfi
. Unterhaltung” und „Iſis beigelegt ober beigeheftet, und betragen bie Infertiousgebühren für die Zeile oder deren Raum 2%, Nor.
u
Bericht
übet die
Berlagsunternehmungen für 1843
von
F. A. Brodbaus in Leipzig.
Die mit * bezeiääneten Artikel werben bekimmt im Laufe des Jahres fertig; von den übrigen iM die Erſcheinung ungemiffer-
(Beſchluis aus Re. KL)
DI. An neuen Auflagen und Neuigkeiten erfcheint ferner:
172. Roback Eti .), Vollſtaͤndiges Handbuch ber Muͤnz⸗,
Bank⸗, und Wechſelverhaͤltniſſe aller Länder und Handelsplaͤte
der Erde. Zweite, umgearbeitete, vermehrte und verbeſſerte
Auflage. Drei Theile. Gr. 8.
73. Rovellenſchat der Italiener. In einer Auswahl überfest von
A. Keller. Drei Theile. Gr. 13. Geh.
74. Ott (Kr), Geſchichte ber. « en Kämpfe Napoleon's.
Revolution und Reſtauration. Schelle. Sr. 8. Geh.
“75. Paſſow's (Fr.) — Schriften. Herausgegeben
von W. A. Paſſow. Mit zwei lithographirten Tafeln.
Gr. 8. Geh. 2 Thlr.
"10 an Seeſcenen und Charakterſkizzen. Zwei Theile.
12. Ge
“771. Prescott (William Henry), Gefchichte Ferdinand's
und fabella’s der Katholifhen von Spanien. Aus bem
- Gnglifchen überfest. Zwei Baͤnde. Gr. 8. Beh. 6 Thir.
*78. Puchelt (F. A. Bj.), Das Venensystem in seinen
krankhaften Verhältnissen. Zweite, ganz umgearbeitete
Auflage. Drei Theile. Gr. 8.
BondemBerfaffer erfälen früberin meinem Berlage:
Ueber die individuelle Gonftitution und ihren geinftus aufs bie @ntftehu
und den Charakter der Krankheiten. e. 1823. 3 Rar. a
+79. Roumer (F. von), Rebe zur Gebächtnißfeier König Frie⸗
drich's IL, gehalten am 26. Ian. 1843 in der koͤnigl. preuß.
Aabemie De der Wiffenfchaften. Sr. 12. Geh. 6 Fr.
0. Raumer (K. von), Beiträge zur biblifchen Geographie.
Mit einem Hoͤhendurchſchnitt. Beilage zu des Seleſſere „Pa⸗
Idftinav. Gr. 8, Geh. 15 Nor.
" n Grab rx.
"Dr Zug der Braeliten sus F ten nad Fr Brilage zu des Wer
Ar 1 Sakte. Gr. 8. 1837. 15 * (Die Karte
ech engen, ‚Geographie, € An eite dermehete Kuflege. Mit
Be —5 — der Grboberlädke, Eine Bari ber Erdtunde. Dritte |
— Auflage. 1838. 5 Rar.
sg]. Allgemeine —* Real : Eachti⸗ aͤdie für die gebildeten
©tände. Sonverfations-Mexiton. Neuute, verbefferte und
ſehr vermehrte DriginalsAuflage. Vollſtaͤndig in 15 Bänben
ober 1m 2 Deften. Erſtes Heft und folgende. Gr. 8. Sees
int in 15 Wänden oder 120 ‚Heften zu dem
beft u
Diefe 35 in dee Ausgabe auf Mefninenpapier;
Preife von 5 Rar. für
vapler Salıe auf Shreibpapter koftet ber Band 2Thlr. auf Belin:
au ——— das Bert zudiefen Preis
fen ans dem! TERN uf „ir er grem laxe eurer
eiupe werden
Bignn 1 A vr Fr nnd ch 28 Aue Seile mit 10 a:
*82, Rellftab (2.), Gefammetse — Erſter bis zwoͤlfter
Band. Gr. 19. 13 Thlr.
Diefe vorläufig * 5 Bänden be chende Gammlın — in vier
dieferup en * u drei Bänden, ausgegeden, die jebody nicht getrennt wer—
nung enthält die ns en drei Shelle * in dritter Auf⸗
— einen iR tyen —E 832 werben dem Schluß
1812”, eine Auswahl von Novellen, Se dichte, —
—26 un vermiläte und Peitifhe &&hriften enthalten.
Sinn eus usführli Anzeigeſiſt in allen Buchhandiungen
183, Rouffeau (Jean Jacquee), Be Betenntmiffe Aus dem
Franzoͤſiſchen. Drei Theile 2.
SR ut th 5) .), Geſchichte der italieniſchen Fo e. Zwei Theile.
85. Schmid —0 ), Die G der Angelſachſen In
der Urſprache mit Überfegung , ——— und einem an⸗
ti art ſven Stofiar: awei i £ e „Herbefierte Auflag Bi Gr. 8.
f e 4 ‘ 63
halten "a find nod) einzel ne Oremplare zu Gen Preife a ats
+86, Samidt (k. E. W.), Dat —F iſche Familien⸗ Recht
nach dem Allgemeinen Landrecht ckſicht auf das ge⸗
A and beuffche Recht, at kritiſch a &:.8,
37. Gebichte von Erik Siöberg (Vitalis). Aus dem"
edroetifhen € Öberfegt von K. L. Kannegießer. Gr. 12.
*88. Snell (8), Sintetung in bie Differential und Integral
rechnun Tr.
us Dee Verfaſſer erjaten feüher bei mir
echebuh ber Feemeirle. 6 lithographirten Safeln, Gr. 8 11.
Ih!
89. Die "fymbotifihen Bücher der reformirten Kirche, überfegt und
mit einer Einleitung = ee herausgegeben von €.
Sf. aaf Bödel.
ef fe Gommlung mi nie, Im Een aa a anz mit ber az fm meinem ierie er:
(den K 11672 gut — — —— Bine von J. X. Kert tder ar
einftimmen.
0, Korquato Taſſo's Inrifche Gedichte. uzgett von K.
Börker. weite „e, berbeflerte Auflage. Gr. 12. Beh.
Pi Ak N Ar Befreites Jeruſalem. Überſeßt 8 Gtred:
uß. 3meite verbefierte Auflage. Zwei Bänbe. 1%. 183.
nk Ehen 3 N. Fir egenfiderichendem Driginal⸗
rt find nod einige &. vorrätbig, bie Ich für 22 Nor. erlaffe.)
enden Zeitſchriften „Blaͤtter für literariſche
UM in =... —
Bl, Trendelendbur —4 Die logische Frage in
rendelen , ie log en
10 eher System. wei . Gr. 8
E K. A.), Denkwuͤrdigkeiten
—— 3 elle Auflage. Se Bine
Gr. 12. Geh.
Die erfien drei Wände
nr abet,
Band werden „Bermi
4 dieſes intereffenten Werd
ten Den eignen Kevenan der vierte
di heine 6 enthalten, und
** nungen Zeit af *35 = Bon be 6
er Bã
ur ren fen —
und fedöte an in 334 —A ——
93. Veinticinco Comedias de Lope Fellæ de Vega
Carpio, con su vida y notas criticas, escogidas y or-
denatas por D. Eligo Baron de Münckh-Bellinghau-
sen y D. Fernando Jose Wolf. Gr. 12. Geh.
94, Boltaire (Brangois Marie Arouet de), Die
Henriade. Aus dem Franzoſiſchen im Veremaße des Drigi-
nals überfegt von J. Schröder. Gr. 12. Geh. 1.XHlr.
9. Waagent). E) 3 Kunstwerke und Künstler in Deutsch-
land. Gr.
a beſon Aitel
Der z erfe het D Theil —* Glenn Be Bas nich ud de den befondern
"6. Wicke (R rn), Versuch einer Monogra hie des
grossen Veitstanzes und der unwilikürlichen Muskelbe-
wegung, nebst Bemerkungen über den Taranteltanz und
die Beriberi, Zwei Theile. Gr. 8.
97, Die Wieberkehr. ine Novelle. Serausgroeben von dem
Einfiebier bei St. Johannes. Drei Theile. . 123. Geh.
6 Thir. 15 Rer.
”98, Traditiones Corbeienses. Derausgegeben von P. Wigand.
6.8 G
Bon dem Kraus eder eriäien bereits bei mir:
Die een en Gele ihtsquelen 38 Radtras zur kriti Prufung
Die Provinz Bes
arte —— nn SEE
I
a * ben 4 Quelien bargefie
15 N r.
Die Kool Inchte des a Minden, der De Haven
berg und g in
Bentel, len, KR „rer —— et Eriälung u. en
09, ef “a. = ), Rieberbentiche Sagen. Mit einer
Abbildung. Gr. 8. Geh.
*2100. Woeniger (X. Ihdr.), 2 m aeraifoften unb ba8 Pro⸗
vorationsverfahren der Römer. Settzige zur Kunde bes
sömifchen Staats» und Beten. &r.8, 1 Ihe. HRer.
te i ‚ 8,
und 62 ermähnten Ben *.. „auber Jon Dei Sir. 7. 56, 68
1) Katalog schönwissenschaftlicher, historischer etc, und
anderer werthvoller Sehriften aus dem Verlage von F.
A. Brockkaus in Leipzig, welche zu bedeutend er-
nn Preisen race v werden. (2 Bogen.)
vortkeiläaften gungen, unter denen
ordentliche Preisermässi stattfindet,
erschen und gelten nur noch kurse Zeit, iniem indem später die
——— wieder eintreten, 3
3) Verlags- Kintaleg von F. A. Brookhaus in Leip-
zig. — zum Jahre 1842 fortgeführt und mit einer wis-
senschaftlichen Übessicht und vollstänäigem Autorenregi-
ster versehen.
Im Verlage vn Brockhaus & Avenarius in Leipzig (4 Peris: möme maison,
Rue Richelieu No. 69) werden im Laufe des Jahres 1843 folgende Werke erscheinen:
+], Echo de la litt£rature frangaise. Troisidme annde. 1843.
532 Nrn. — I-2 Bogen). Gr. 8. Preis des Jahrgangs
8 Thlr. en \
biktet en —
eine f nee Mernat 0er beiten
reänet, —— — — gegen Bergütung von 1 urn beige
*2. Annali_ dell’ Instituto di cerrispondenza archeologica.
Vol. XIV, (1842) In-8. — Bulletino dell’ Instituto di
corrispondenza archeologica pel’ anno 1842 In-8, — Mo-
numenti inediti deli’ Instituto di corrispondenza archeo-
logica er ‚anno 18m. re. Roma. Pränumerations-Preis
dieses
Bir ng: I 6 werthvollen en des Sundtuts fü
togt
Pr nn aufeben JI t & 18 Xbhir. per Sabegeng Li tie m Da "hr
”3, Le Canconiero de Juan Alfonso de Busno, ou
Collection d’anciens troubadours espagnols inddite. Gr. 12.
Geh.
*4, Epiphanũu Monachi et presbyteri tam edita quam inedita.
Cura Alb. Dressel. Gr. 8. Geh.
+5, Jouffroy (H.), Constitution de l’Angleterre. Gr. 8. Geh.
© Malcseweki (Antoni), Marja, powieié ukraikske,
eue
“7. Manuel du droit canon et de son application aux &glises
protestantes. Ouvrage traduit de l’allemand par H. Jouf-
froy. @r.8,
” Midiewic
tesatur und Zuftd Borgetragen im Collöge de
in den Jahren er Deutidje, mit einer Vorrebe bes
—— A Kutgabe. Zwei Theile in vier Abtheilun⸗
Geh.
‚xba ), Borleſungen &b wifche Bis
m), oriefi 2 Co ec Nlaw ſche
Za gefälliger Beachtung!
Ein bedeutendes Lager von Werken der ausländischen
Literatur, namentlich der französischen und engli-
schen, sowie die vielscitigsten Verbindungen mit
Auslande setzen uns in den Stand, alle uns ertheilten
Aufträge zn den billigsten Preisen mit "möglichster Schnellig-
keit auszufähren; wir empfehlen uns daher Allen, die Be-
darf davon haben, und sind stets bereit, nähere "Auskunft
tber unsere an u 8, w. zu erthellen.!
Eine regelmässige Übersicht der wichtigsten Erschei-
nungen der französischen Li Literatur —— unser
Bullelin bibliographigue de la littdrature eirangere,
welches mit 1843 seinen siebenten Jahrgang begiant; alle 2
Monat erscheint eine Nummer und ist —— durch jede
gute Buchhandlung grotis vom uns zu erhalten.
Ferner sind von uns folgende Kataloge gratis zu beniehen:
1) Verseichniss einer Sammlung älterer und neuerer Werke
in französischer, englischer, italienischer ete. Sprache,
welche zu bedeutend berabgesetzten Preisen von Brosk-
haus 4 Avcnerius in Leipzig zu beziehen sind, Nr. 2,
2) Catalogue de Livres au Rabais qui se trouvent chez
Brockhaus $ Anenarius. 1842.
3) Die Werke der drei orientalischen gelehrten Gesellschaf-
ten in England,
4) Verlagıwerke der Neuen Buchhandlung (J. Luke-
ssewics) in Posen, weiche. für Dentschland durch
Brockhaus 4 Asenariae In Leinaig zu beaichen sind
Bierteljahrs - Schrift 1543, 2tes Heft.
In unterzeichnetem hat Tocben die Preffe verlafien und iſt an alle Buchhandlungen verfandt werben:
Das 2te Heft
der deutschen
Biertchjahrs-Shri
für 1843,
April —JZuni.
Preis des Jahrgangs von 4 Heſten 12 Fl., ober 7 Thlr. 10 Ngr. (7 Thlr. 8 gGr.)
Dee Streit bes Dieffeit und des Senfeit in
Inhalt:
der deutſchen Philoſophie oder vom abſoluten Wiſſen. — über
den Entwurf eines Eheſcheidungsgeſetzes fuͤr Preußen. — Das deutſche Theater. — Das Decimal-Muͤnzweſen in
Deutſchland. — Geſchichte des Nibelungen: Liedes. — Der Flurzwang in feinen Folgen und bie Mittel zu deſſen
Befeitigung.
Mit 2 Karten. — Populaire uno fatirifche Zeichnung in Deutfhland. — China und Deutfch-
land, — Über das gegenfeitige Verhaͤltniß ber deutfchen Staaten hinfichtlich der BVerbindungsmitte. — Kurze Notizen.
Stuttgart und Tübingen, im April 1843,
3. ©. Cotta’scher. Verlag.
Bei Wreaumäliee A Geidel in Wien if erſchienen:
Das Ste Heft der
Oestreichischen militairischen Zeitschrift 1843.
Inhalt diefes Heftes:
I. über Feldmanoeuvres. — II. Die Belagerung und ber
Entſat von Olmuͤt 1758. Fguuß) — III. Das Gefecht bei
Regotin am 6. Januar 1790. — TV. Die Schlacht bei
a1 u 22. Dai 1809. Mit dem Plane ber
lacht. (Schluß) — V. Bemerkungen über das Schul⸗
weſen bei den Begimentern. — VI. Neueſte Militatrveränderun:
gen. — VII. MMiscellen und Notizen; Nr. 17— 3%.
"Preis des Jahrgangs 1843 in 12 Heften 8 Thlr.
Kerner iſt zu haben:
Über
| zur u
nenern Kriegführung.
AMu einer Karte von Europa und 14 Plänen.
Bien 1843. In Umfchlag brofchirt. Preis 2 Fl. C⸗M.
unfexe Beit duͤrfte dieſes Werk veihtfertigen, da die Be⸗
feftigungstunft wirklich problematiſch wurde und ber
neuern Kriegführung immer weniger zu entſprechen fchien.
dieſe bat es nun der Merfaffer verfucht, nicht nur bie
tanbpunlte für Feſtungen und Beibihangen anzu⸗
geben, ſondern auch Ihre Formen zu ;umftalten, erſtern
inebeſondere zu ihrer : gebbexe Widerftandsfähigkeit bie Ei⸗
fenbahnen In bee Art ein Mittel angewendet, wie folches
dem Angreifer nicht A Gebote ſteht.
Die Schwierigkeit eines folgen Unternehmens nicht verken⸗
nend, hat fi der Berfafler biergu der Ausfpräcde ber größten
Feldherren neucver Beit, wie Sricbrich bes Großen, Erz:
— Kari und Napoleome, gieidhfam ats
ebient. Dennod aber wird bie gegenwärtige Bearbeitung nur
Befeltigungen |
als Verſuch erkiärt, Sachverſtaͤndige aufzuſodern, für einen fo
wichtigen Zweig der Kriegskunſt Beſſeres zu teiften.
Bon bemfelben Herrn Berfaffer erfchien früper :
Die plaftifche
Terrainzeichnung
für alle Stände,
insbesondere für Mlilitairs.
Mit einem Plane.
Wien 1841. Gr. 8. In Umſchlag broſch. Preis 40 Kr. C.⸗M.
Zimm, Dr. 8, Liederbuch für Turner.
Partiepreis bei 15 Erpl. Ys Thlr., einzeln '/s Thle.
Diefe mit dem Takte getroffene Auswahl unſerer
volksthuͤmlichſten und fchönften patriotifchen Lieder und der beften
eigentiichen Zurnlieber wird gewiß zur Grreihung bes Turn⸗
ziels allenthalben mächtig mitwirken; denn keineswegs gleidh-
gültig Ift ed, was ber Zurner bei feinem fröhlichen Thun fingt.
Das Xußere des Fleinen Buchs iſt ſchoͤn, ſeine Form zweck⸗
gemäß, der Preis moͤglichſt billig.
Parchim und Rubwigsiuft, im Mai 1843.
Siuftorff’fhhe Hofbuchhandlung.
Soeben erfcheint bei V. ME. Wesdhaus in Eripzig:
u General Straf
Bülow von Dennewis
in den Feldzuͤgen von 1813 und 1814.
u. —— aan 18 Nor.
Soeben iſt erfchienen und durch alle Buchhandlungen von
uns zu beziehen:
Eclaircissemens
sar V’histeire de l’invention de l’imprimerie,
A. de Pries,
Doeteur es leitres, Membre de l’Institut Roysi des Paeya-bas.
Traduit du hollandais
par
3. J. F. Noordziek,
Bonus - bibliotheösnire de la biblieihöque Royale a La Haye.
t vol. In-8. La Haye 2% Thlr.
Leipzig, im Mai 1843.
Brockhaus & Avenarius,
Buchhandlung für deutsche und ausländische Literatur,
Bei PElegander Bunder, koͤnigl. Hofbuchhaͤndler in
Berlin, erfiheint foeben:
Ida Gräfin Hehe: Hahn.
,Reiseversuch im Norden.
8. Geh. 1'% Thle.
Bon derfetben Berfafferin erfchien früher:
Astralion. Erinnerungen an und aus
Srankreich. — Gräfin Saustine. Zweite Aufl. —
Die Kinder auf dem Abendberge. — Wer Kechte.
— Reisebriefe. — Sigismund Forster. — Mlrich.
In vierzehn Tagen wird ausgegeben:
Das Portrait
Gräfin Da Bahn- Wahn.
Gezeichnet von Fraͤulein v. Meyern, in Kupfer
geftochen von SE. ef.
Auf weißem Papier 2, Ihir. Auf chineſ. Papier (exfte Abbrüde) 1 Ihle.
Died Portrait, das foeben nad ber Natur gezeichnet
worden, gibt in geiſtreicher Auffaflung die Züge ber geehrten
Gchriftftellerin auf das frappantefte wieder. Der Stich tft mit
befonderer Eorafeit ausgeführt. Den Subferibenten werben
die erften Abdruͤcke überfandt werben.
In Unterzeichnetem ift ſoeben erfhienen und an alle Buch
bandlungen verfandt worden:
Leitfaden
. der mathematifchen und allgemeinen A
Geographie
rd). 9. "Mile,
kaiſ. ruſſ. Dofrath, — Profeſſor der Aſtronomie und Director
der Sternwarte zu Dorpat.
8. Vellnpap. Fr Preis 1 The. 20 Mor. (1 Thle.
6 gGr.), oder 2 Fl. 42 Kr.
Der durch PA Borträge in Berlin und Dorpat berühmte
Here Werfaffer beabfichtigte in gegenwärtigem Leitfaden die Leh⸗
ren ber mathematifchen und allgemeinen phuftfchen Geegrappie
fo barzuftellen, wie fie fi nach ben neuen Forſchungen geftals
tet haben, ohne jedoch babei mehr vorauszufegen als bie Ele⸗
mente der Beometrie, Trigonometri und Algebra, fobaß es für
bie mittleren Claſſen der Gymnaſien unb höheren Buͤrgerſchulen
als Lehrbuch brauchbar und zugleich dem Selbſtudium dienlich
fein Eönne. Für bie in ber Geographie vorlommenden Berech
nungen ift das Detail mögtäft ausführt gegeben; ebenſo
wurde ben SBeränderungen, Erdkoͤrper erlitten bat,
ein eigener Abſchnitt —æã Fb phyſiſchen Schelle iſt das
die Meteorologie Betreffende ausführlider als gewöhnlich ge
Fa und man wird auch bier bie neueflen Unterf gen ni
iffen. Am Schluſſe ift eine Ortstabelle h gt, weilche
bie gesgrapbifiien » bupfometrifhhen und thermiſchen Conſtanten
o viel als möglich voitändig angibt. Diefer eritfaben, welcher
on wirklichen Beduͤrfniß — enthaͤlt uͤberhaupt Man⸗
ches, was in aͤhnlichen Werten theils gar nicht, theils zu kun
ober in einer jett veralteten Geſtalt vorzulommen pflegt.
Stuttgart und Tübingen, im Mai 1843,
3. ©. Cotta ſcher Verlag.
Bei Trautwein & Gomp. in Berlin tif forben
erfhienen und an alle Buchhandlungen verfanbt:
Beweisführung,
daß die Lehre der neuernePhnfi fer vom Drude bes
Waſſers und der Luft falſch iſt; nebſt einem Ber;
ſuche, die Erfcheinungen an Auf igen Körpern obne
atmofphärifchen euftorud zu erfiären.
Heicdrich Son Dricherg.
Mit einer Tafel Abbildungen. Bte Wufiage. Brofd. Y, Iptr
zaufen: 2 BSukaten Bem, ber es vermag, bet
Wertaffers Beweiſe zu wiberlegen.
Allgemeines
Bücher⸗ Lexikon «-
Von
Bilhelm Heinfius.
Neunter Band, welcher die von 1835 bis Ende 1841
erſchienenen Bücher und die Berichtigung früherer Er—
ſcheinungen enthält. Herausgegeben von
er tto August Schul;.
e und zweite Micferung, Bogen 1.
5 8 (A—Christ.) g
r. 4.
auf Schreibpap. I Thlr. 6 Net.
Reipgig, im Mai 13.
$ ‘ a. Srockheus.
Drud und Verlag von 8. U. Brodpaus in Leipzig.
Geh. Jede —* auf Druckpap. 25 Nor., Ä
20 Zhlr. zu erhalten; |
Fig _
Literarifher Anzeiger.
.1843. Nr. XIII.
Diefer Ei
Neuigkeiten und Sortsetzungen,
verfendet von
F. A: Brockhaus in Leipzig
im Jahre 1843,
RL Januar, Februn Februar. und März.
ittee literarifcge Unterhaltung. ¶ Geraus⸗
. [+ ET Sen, 115 ae den
Uubgegeen, — — "a im 1 Beten bezo⸗
—— Zeiſchrift. für Katar
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Anfang 1 1843. 52 —e— Pu Preis des 2 Yaprgangı
Nor.
Wird Freitags ‚und eB erfcheint wöchentlich 1 Bogen,
PR SE N
4. Neue Jenaische , Allgemeine Literater-
seitung. Im Au Iniversität zu Jena redigirt
von Geh. Hofrath Prof. Dr. P. Hand, als Geschäfts-
führer; Geh. Kirchenrath Prof. Dr. Z. F. 0. Baum-
's Ober-Appellationsrath Prof. Dr.
. Mramoke, Geh. Hofrath Prof. Dr. D. &. Hie-
ser, Geh. Hofrath Prof. Dr. J. F. Bries, als Spe-
ae ren. Jahrgang 1843, 312 Nummern, Gr. 12,
Ir.
Sahd Britage aubgegeben, kann aber aut) in Mmatäheften beze⸗
* ‚den mit ——— a Bee nd Der
— 5555 — für er Betehrung u und Unterhals
Jahrgang. 52 Rums
— nt gr. 4. 2 Ba
"ae
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eh Dreife —** find folgende mn
Ye an Kinder. inf Binde. Sri
— edt 2 tr. 15 Kar. Einzelne Jahr⸗
gänge
—— —22 Drei Bände. Frauͤher 6 Thir.
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| ger re
terariſche %ı wird ben bei ®. &. Brodhaus in Leipzig erfheinenden Zeitſchriften „Viaͤtter für literaril
Unterhaltung” und SR, ‚oder beigeheftet, unb betragen bie Safehihneochlgren für die — — 2%, ati
Te SS SOSSE —
aan © Gin Band. Prüher 2 Thir. Iegt
*8* aters mit Kin
ken. Bänbejen. ee Si 51 en Bin
4. — Ie 15 Nor.
ge In, Mit 18 Abbildungen. 5 Nor.
— —X al At
dgl. gegen ang von Y%ı Pa:
6. Leipziger, rtorium für deutsche und
he Literatur. Heramgsgeben unter unter
Mibrickung —— Leipzig von frach, und
berbibliothekar Dr. * dorf. Jahrgang
1843. 52 Hefte. Gr. 8. Thir.
Die ſe Zeitſchrift erſcheiat im —— Heften von Yr-3 Bogen.
Sin ausführlicher —— ‚diefed neuen Unternedmens ift in allen
——— 7 —
—— el ale RT A
Tee De æ Wuzeigen om Bergktung von 1
7. Oeutſche PR jemeine Jahrgang 1843.
was mie ann ber Sonn und u vn Kummer
Id bi Beilagen.
Hong il ei 3 a 58 er
er Faden In — en Yan EEE
— —— A ne EEE le den Hay *
Vree von 10 Kar. en
8. Analekten für Frauenkr „ oder
Sammlung der vorzüglichsten Abhandlungen, Moso
phien, Preisschriften, Dissertationen und tizen des In-
über die Zustände der Schwangerschaft und des Wochen-
beites, Herausgegeben von einem Vereine praktischer
A Vierten Bandes erstes Heft. Gr. 8. Jedes Hoft
se "ehe bis dritte Band, jeder in 4 Heften um, koſten
9. Ba (SR) Die en der Rö
in iprem sefsictli en menhen, e
mie dem Derzeit,
&. 8. 1 Zpie. 15 Nor.
10. usa wä
bite MfblintheR ber Satire ns
uslandes, Mit biographifc literariſchen Einleitungen.
Sigi bis neungehnter Band. Gr. 12. Geh. 2 &Htr.
ide biefer Sammlung find unter befons
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* Aus dem
8 dem Sawediſchen
1. Karen (Dt. W. M.), Das Geschlech
leben des Weines in physiel.
thel. und rapeu! Icht
daı “ Vierter Band: Von den Geschlechter
krankheiten des Weibes und deren Behandlı 8
Schi kerpla der jeburt —88
ar der Se Band: — Par
Ei Therapie der Krankheiten der weibliehet
ert wird aus fünf Wänden beflchenf und beu fünfte Bund
EM — Eger SCH — — *
ie befleen
12 Serien [Baron v
En)
wer MEIguup TOR.)
Bei E. Welter in Köln erſcheint:
- Collection:
des meilleurs auiourı frangals da XIX siecle.
Tome I.
Les mysteres de Paris,
par Kugene Bue.
Quatre volumes, ouvrage complet.
Die beiden erften Bände find bereits in allen foliben Buche
hanblungen en je haben.
Die mmlung ber Werke franzöfifcher Schriftfteller
unfers Saprpunberts hat zunaͤchſt zum äImede, in einer Aus⸗
wahl mögtiät nur das eigene und Trefflichſte der ſchoͤn⸗
geiftigen Literatur unferer Rachdarn, der Franzoſen, zu geben,
und im fo, daß in biefer Sammlung dem ®reunde der
feanzöffcgen Sprache und Literatur nicht allein eine unterhals
‚lien, weil
ae Eee auf eis unfoa gelfigen Knfpderungen entfpre:
= ME m en Ve u m.
Die Bersinbticjfrit 2 erhondt fi) übrigens
aut Bene ti aa tt h auf
er Sanıml junehmen! fernen
und beleben Bj den
Sorrecter Dru⸗ a
Sea dazu betragen, — —E —
en a find forken erſchienen und buch all
Gedichte
Mlbeet Rnapp.
Neuefte Folge.
40 ns in — Belinpapier. Beoſqhirt.
2 Thir., oder 3 Fl. 30 Mr.
Die me ihte, jaltige Band
tentheits fü MT Berfaflers, ante geäfe
öffentlich erfhienen find, und kein ein iges ber in
ben fräpern Sammlungen feiner Poelien befinds
er ein burdaus neues unb felbfkäns
diges Wer Gier, das eine gefidgtete Auswapl der
neueften Erzeugniffe ww * enthält, und ſich babe
E | u —— heres —8 von ihnen ve
ben if. Die EA Bifer neueren Gedichte find mit den
al⸗ —
—8ð und Tübingen, im Mai 1843...
3 ©. Cotta ſqer Pr
En vente chez Breekhaus & Avenariusi Leipeig:
Troisieme annde. 1843.
a chague semaine un numöro de 1—2 feniiiee. —
vu a dl Mi vuraaum Fabonne Chez, teas be IF
—X
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abounds ivent 30 deux
P ron anndes de Fi ar Zune
seule,
‚Sommaine des Nos. 14— 17.
L’Oberland. . Par 38* Pur, — Les. dchamee
de Namur. Par gg, Yolim
1843, —
Per Anals un Er Par Baissey.
— Jouraal Tann woyagear. — Le colanel Santa -Orsen
Par — Lettres derites dltalie Par
— La cavorne. de. Cagahuamilpa la
Tierra Caliente (Mexique), Par Jaoques — —
Tribunaus. .
> BRAUMÜLLER. & EDEL IN WIEN
" ist soeben erschi
Praktische Abhandlung
über die
J
Verengerung der Harnröhre
und ihre ‚Heilung ohne Aetzmittel;
nebst einem
Anhang über die Unzulässigkeit und Gefahr der Anwendung des Aetzmittels.
Johann Kualer,
Opersteur und Augenarzt des k. k. allg. Krankenhauses, Mitglied mehrer geiehrten Gesellschaften ete. ats.
Mit 2 lithographirten Tafeln. Wien 1843. Gr. 8. Geh. u
Preis: 20 Kr. C.-M.
Perle alle Buchhandlungen bes In. ⸗ und Autlanbes iſt zu
u Sefaumelte Schriften
von
Ludwig Rellſtab.
" 3wölf Bünbe.
In vier Lieferungen zu drei Bänden, _
Gr. 12... 19 vn
Keipzig,
bei F. AR. Brockhaus
iften‘‘ Eubiwig Rell⸗
be ber „ elt
Birfe Ausga Gefamm en | ofen our
bir wirb in einer Auswahl feiner. vo
Mopelien, ram amatifchen 2 en,
Beitifchen Mrbeiten uud besmifchten bes
ſtehen, vortäufig zwölf Wände umfaflen.und in vier Liefe⸗
zungeh zu brei Bänden, die ſich in kurzen Suifceneiumen
ſoigen werben, jebe Lieferung 3 Thaler koſtend, ausgegeb
Der größere heit dieſer Schriften if feit — — oder
kuͤrzerer Zeit nicht mehr im Buchhandel zu haben gewefen. —*
dem Roman „A 1sa “4 was feit Jahr und Ta
Auflage nöthig; ver kleine Roman „Der Wildf Re fepit
feit mehren Jahren, ebenfo finb die Altern Sammlungen von
Movellen, Skizzen und Gebichten zum Theil nur nod in. eins
geinen Sremplaren vorräthig, und es konnte mithin der, das
andauernde Verlangen bed Iefenden Publicums nach biefen
Schriften befundenden Nachfrage gar nicht .oder body nur fehr
unvollftändig genügt werden. Überdies find gerade bie gelun:
n und beliebteften Arbeiten bes Verfaſſers im Gebiet ber
velle, ber Kritik, Lebensdarftellung u. f. w. fo in einzelnen
agaben, ober auch in Iournalen und ———— zer⸗
Faro daß pie offene auch derjenigen, vie fich noch im
Buchhandel be Ham und jedenfate viel theurer iſt als
* eine ee
So erſcheint denn die Beranftaltung einer Sammlung der
Schriften des Berfafleed, der zu den gelefenften Schriftftellern
anferer Zeit gebört und fi auf fo verſchiedenen Bebieten bes
oegt hat, ein durchaus zeitgemäßes Unternehmen, welches ſich
großer Theilnahme im Publicum gewiß erfreuen wird. Zur
Erhodhung derſelben if ſowol von Seite des Berlegers durch
angemeflene rihtung und Ausflattung, wie von ber des
Autors durch forgfältige Durchficht, Zufammenftellung und Aa⸗
ordnung, nach Kraͤften beigetragen worden.
Die erſte eieferung, die bereits erſchienen ift, ‚euthätt
brei erſten Theile bes hiſtoriſchen Romans „MOLB"; die —
gen Lieferungen werden in noch näher zu beſtimmender Anorh⸗
nung bie Rovellen, Gedichte, dramatifgen Arbei⸗
ten, kritiſchen und vermiſchten Schriften enthalten.
Bon den Gedichten iſt nur im Jahr 1825 eine Sammlung er⸗
f&ienen, feitbem aber nur einzelne Gedichte, in verfdgiebenfter
Weife eut. Bon den bramatifchen Werken ift Bisher,
Trauerſpiel „Karl der Kühne” ausgenommen, we
erfte Arbeit war, womit ber jugentlidge Autor vor dem Yublis
cum auftrat, noch nichts gebrudt worben, obwol mehre ber:
felben, namentlich „Sugen Aram’, auf vielen Bühnen Deutfi
lands bargeftellt worden find. Die kritiſchen Arbeiten end
duch welche der Autor vielleicht, am gefannteften ift, find nuc
in den betreffenden Zournalen erfchienen, aber, bis auf wendge
Ausnahmen, nirgenb wieder abgebrudt, geſchwei — —
worden. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß aus bi
Mrd zu der ungemeinen Zahl, nur eine fehr — dus
etroffen werben Eonnte, vorzüglich von foldyen Auflägen,
ie x Rn „arterarifäe ober SKunfterfcheinungen von dauern⸗
en.
a ne denn bie legten Bände ber Ausgabe dem
Iefenden Publicum faſt nur Neues obes fo gut als Neues
bringen, und da8 Ganze bee Sammlung von bemnfelben ee
lich mit eberi der Theilnahme aufgenommen merben, welche
fen Arbeiten des Autors bei ihrem einzelnen Srfcheinen ud
wo fie ſich in ber That eines Antheils zu erfreuen hatten, wie
ihn nur wenige ber lee unferer Tage gefunden.
‚im Mai 1
meinte, (m Ra 8. A. Besdbans.
Soeben ift neu a
"unter tuffilger Bberrſchaft.
| Reifen
J und Sittenschilderungen
aus der neueften Zeit
von & Gsh being.
Drei Theile. Eleg. geheftet 27/ Thlr.
Leipzig, bei Friedrich Fleiſcher.
meaflilihen Kop
Heute wurbe ausgegeben :
Conversationg -Lexikon.
Reunte Auflage. Zwolftes Heft.
Oieſe neunte Xuflage erſcheint in 15 Bänden ober 120 Hef⸗
ten zu dem Preife von 9 Nor. für_das gr in der Ausgabe
auf N in ber Ausgabe auf egreibyap.
Toftet der le., auf Bein ap. 3 Ib
Alle Buöpanblungen liefern daß "Bat zu
biefen —— und bewilligen auf 29 Er. 1 Frei⸗
e ar.
ber eingelnen Hefte
des Sonverfations s ——* [2 Erempiate) werben
der Raum einer I mit _
— A. Brockhaus.
In Unterzeichnetem ift ſoeben erfihlenen und an alle Buch⸗
haniiet verſandt worden:
Ber weiche Hinterkopf.
zur Ph logie und Pathologie der
0
7 ersten Kindheit.
NMit Untersuchungen über die Entwickelung des Säug-
lingaschädels überhaupt, über die Rhachitis dieses Alters
wnd über den Tetanus apoicns periodieus, inſfantum.
Dr. €. L. Elsässer.
Mit Abbildungen.
Gr. 8. Velinpapier. Broſch. Preis 1 Thlr. 20 Ngr.
C(A Thir. 16 gGr.), oder 2 Fl. 42 Kr.
Der Herx Verfaſſer, belannt durch feine Seobachtungen
über die aſtatiſche Cholera, gibt uns aus dem Schatze einer ver
den Gefahrung und, umfaflender Gtubien Auftlärungen über
eine Bieibe Hr und pathotogifcher Zuftände bes Saͤug⸗
Iingealters. Den eigenthämlichen Bau und Eebensguftand des
Kopfs in der erften Kindheit bringt er im genetiſchen
Sufammenhang aa einer gar nicht feltenen, aber bis jetzt nicht
befehriebenen Krankheit dieſes Alters, welche in zahtreichen
Krankheitsfaͤllen und Bectionen verfolgt und durch werthvolle
Abblidungen. verfinnticht wird. Der a age ber
Rhachitis und namenttich ihre bisjegt nicht gewürbigte
im Gäuglingsalter werben befchrieben unb a phy de
Balls erläutert. Über eine noch vielfady unr aufgefaßte
Krankheit, ben Tetanns apnoicus Deriodicus. fantum (da6
fogenannte Asthma thymicam), feine Ratue und Urſachen, (bar
den wichtige Kuffchläffe ertbeitt. Die Siſſenſchaft exhält mit
biefer amnonographie einen Zuwachſs, durch welchen eine weſent⸗
lie und zum heit ungeahnte Luͤcke ausgefüllt wirb.
tuttgart uns Tubingen, im Mai 1843.
, &. Cotta’scher Berlag.
Bel Beaumülier & este Bett Bien ift erfchienen :
Das Bte
Otstreichischen militairischen Zeitschrift 1843.
Ianant nfetee Heftes:
in. Geflee Abſchnitt. —
11. Bimetunge u ID das Gchuimefen bei ben Regimentern.
(Schluß) — III. Biographie bes Grafen Johaun Rep. v. Noſtitz⸗
Khieneck, k. k. en Lieutenantse. — IV. Kriegsfcenen.
Az Gefecht bei Taufers und Münfter am 4. April
Vinnahme von Lannoy und Houba am 9. Sept.
1103. 9 3* Commines an
nahme von
bei MWanbeim am 18, Fr 7 14 efan (= Sein
Dt Se — Dffiziere im Breisgau am 5. — 1 ee 15) äsße
— tm Gefechte bei Savigliano am 18. Sept.
8 Sc: Ehevaurlegers im Sefeäte an ber Stura
veränberungen
reis —8 Jahrgange 1843 in 12 Heften 8 The.
An sämmtliche deutsche Schriftstell d
er m
9
Du piefige bat in confequenter al
des ihm vorgeſteckten Ziels: „Wahrung —— —
— jr de — Bu um naliete vB beflo
ee und an er verfolgen zu koͤnnen, en, bie
aus ben literariſchen Beitraͤgen fei ! Son
Bibliothek beſonders bapin i
möglich alles Dacjenige in ſich vereinige, was zu den Zwecken
des Bereind Gberhaupe in näherer Bestehung flieht. Dahin ges
hören insbeſondere diejenigen — Welche die Gtellung
des Cchri das literariſche Gigenthurmöredit, bad
Berlagsweſen unb ben buchhaͤndleriſchen Vertrieb betreffen,
ner die gefeglichen ee ee und legislativen Berhanbluns
en va —— aan de Staate, Rachrichten
er n a ee anblungen unb abmi⸗
nike Where u L * Zeit ſ en
Der in er n eines
mannichfache ln en nuͤglicher und erfolgreicher Thaͤtigkeit .
gelegt unb dadurch eine Aufmerkfamkeit und fortwährend ſich
ſteigernde Theilnahme erregt, die zu den erfeentiäfien Soffnun:
gen berechtigt; bie Unterzeichneten fürchten daher keine Febibitte
u thun, wenn fie in Folge des fa aeworbenen Yuftrags an
Hmmttäche deutf ebenfo
Krug als ergebene Geſuch eihten: ANe —*
durch g Site Überfenbung eines Gisemplard aller in bie bezeich⸗
neten Faͤcher einfchlagenden — ſeien es einen.
ere Werte und Abhandlungen, ei eine
größere oder Fieinese
Se uffäte in Sonenalen u. [. w., 7
wie fig die gti Geber ein erſeite beö
Beilreben „deſſen Erfolge, — auch
theils noch im Hr der Zukunft verborgen liegend, nichts⸗
beftoweniger lohnend 8* werben verſprechen; — die aber
handler wie den ————— d überhaupt
alle —— * , en —* "her Biteratuer
n
Der mitun 3 er Marie wurbe vorläufig zum
Bibliothekar des & beſtellt, und werden gefällige Eins
fendungen auf Buchhänblerwege an denſelben zu richten wie
Sämmtliche Kedartisnen von Zeitschriften w
freundlichst ersucht, vorstehenden Zeilen vermittets Wr
rer Wlätter weitere Verbreitung zu geben.
Eeipzig, am I. Mai l
Die für die Bihliotger des Literatenvereind
ernannte Conmifſion.
Br. R. N. spe, Rebacttur des Gonverfations:Leritons.
g 8 inte, Ned. d. Boͤrſenblattes f. d. deutſchen Bud
Br. u. der Fügen Bibliographie f. Deutfchlaut.
t der tow
er akad. Fa der —* iſſenſcheſ.
Drudck und Berlag von F. A. nn in Leipzig.
ee en
Literariſcher Anzeiger.
1843. Nr. XIV.
Diefer Literarifche Anzeiger wird den bei F. A. Brodhaus in Leipzig
Unterhaltung’ und „Iſis⸗ beigelegt oder beigebeftet, und betragen die Infertionsgeb
Erklärung.
Eine Kritik des „Hiſtoriſchen Taſchenbuchs“ von 1843 in
der „Augsburger Allgemeinen Zeitung” erwähnte bie Anzeige
eines fluttgarter Localblattes, wonach zu meinen beiden Aufs
fügen dafeibft der Rachlaß des verftorbenen geheimen Pofrathe
Muͤnch ohne Angabe der Quelle benugt worden fei. Rachdem
ih vor meiner XAbreife von Gtuttgart im November vorigen
Jahres den Pflegern und ber competenten Behörde über bie mir
gerichtlich und nad dem Wunſch meines verflorbenen Freundes
feibft übertragene Verwaltung feines Rachiaffes die übliche Re:
&enfchaft abgelegt und in diefem venwidelten und ſchwierigen
Gefhäft mit der Sinnesweife eines Freundes gearbeitet, mir
fetbft die Hlhe des Bewußtfeins und von Außen die laute Ans
exkennung Derjenigen, die von dem Sachverhaͤltniß willen,
erworben habe, ftand meine Ehre wahrlid zu bach, um von
fo niedriger Berleumdung erreicht zu werden. Ich genügte meis
ner Pflicht, ale ich die fpeciellen Werzeichniffe über den Rach⸗
laß vorlegte, prüfen ließ und über meine gefammte Thaͤtigkeit
den umffaͤndlichſten Bericht erflattete. Wie hätte ich cher bie
Stabt verlaffen können, bis hier nicht Alles georbnet, richtig
befunden und alfo befcheinigt? Ich halte ed unter meiner
Würbe, hier die Freundſchaftsperke anzuführen, bie ich für
die Kinder meines Freundes getban, fie find meinem Herzen
ein Beduͤrfniß geweſen. Das große Publicum ift dabei nicht
intereffirt, und in dem engen Bezirk meiner Heimat leben fpre:
chende Zeugen bafür.
Muͤnch's Nachlaß beftanb allerdings aus einem großen Mas»
terial von Manufceript, was bei einem Manne, der mehr als
breißig Bände in kurzer Lebenszeit gefchrieben, nicht Wunder
nehmen darf. Der biftorifche Theil beffelben umfaßte theils
die Soncepte zu bereitö erſchienenen Werken, weldye er nad
der Sorreetur fi aufhob, theil® einige zerftreute Materialien
zu der Gefchichte des Haufes Fuͤrſtenberg und Raflau: Dranien,
die beide feit Jahren unvollfiändig noch auf ihren Schluß wars
teten. Grftere wurde dem Kürften gegen Verzichtleiſtung einer
beträchtlichen Koderung zurüdgegeben, lestere bot ich dem berzogl.
naffauifhen Archiv zum Kauf an, weil der etwas precaire Vers
mögengszuftand jeden Zuſchuß wuͤnſchentwerth machte. Doch er⸗
hielt ich dieſelben als unbrauchbar zuruͤck. Daß Muͤnch fertige
Manuſcripte in feinem Pulte unbenutt babe liegen laffen und
fidy dergleichen im Nachlaſſe vorgefunden,, ift, abgefeben don
dem Mangel jedes dußern Beweiſes, zugleich von innerer
Wahrſcheinlichkeit verlaflen, da ein Schriftſteller wie er niemals
ohne vorgängiges Engagement mit einem Buchhändler eine Ar
beit unternahm und am wenigfien der Mann war, größere
Arbeiten auf einmal und im ganzen Stuͤck zu vollenden und
zum Drud fertig zu halten. Dies werben alle Buchhaͤndter bes
ftaͤtigen, bie mit ihm zu thun hatten. Unter den Gläubigen
liquidirten mehre Buchhändler Vorſchuͤſſe, die fie auf Bücher
gegeben, welche nod unter ber Feder waren, und bie ber
Zob unt . &o habe ich ſelbſt die legten Bogen ber
Sftreichifchen Geſchichte corrigirt, die Aur immer einzeln zum
Satz kommen konnten, weil. da6 Manufeript nie vollftänbig
beifammen war. Xußer den genannten hiftorifchen Werken las
gen Schneller's Nachlaß und die Reiſebilder unvollendet ba und
hatten den Verſaſſer bis zu feinem Lebensende noch unterwegs
befchäftigt-
. Man wich fi) erinnern, daB Muͤnch gegen Ende des Jah⸗
zes 1840 die Ankündigung eines Werkes: „Deutſchlands na⸗
türliche Brenzen”, erließ, das unter Bereinigung deutfcher His
eskeheinenben Zeitſchriften „Rlaͤtter für literariſche
hren für die Zeile oder deren Raum 2Y, Ngr.
ſtoriker ein Nationalwerk werben follte. Die Idee ergriff mich,
und meine literarifche Schätigkeit, damals noch im Entſtehen,
warf ſich begierig auf bie politifhe Bahn. Münch, deffen
reichliches Wohlmollen ich genoß, beförderte das Streben, und
theifte mir bei dem gedachten Volksbuch die zwei Epiſoden über
die Bisthämer Verdun und Gtradburg zu, an beren erfle
Arbeit ich unverzüglich und mit allem Eifer ging. Die Mo⸗
nograpbie war bis Oftern 1841, alfo in einer Zeit, wo Muͤnch
noch Tebte, vo!lendet. Unterdeß hatte fi aus verfchiebenen
Gruͤnden der Plan mit ben „natürlichen Grenzen’ zerichlagen,
und id} fandte auf Muͤnch's eigenen Antrag meine Arbeit in die
Verlagshanblung des „Hiſtoriſchen Taſchenbuchs“ *),. der ich zus
gleich ſchrieb, daß ich für den übernädften Jahrgang in aͤhn⸗
licher Weiſe den Ferratg von Strasburg behandeln wolle. Und
ſo geſchah es auch. ie Quellen, die ich in beiden Mono⸗
graphien benutzte, ſind jedenfalls gewiſſenhaft angezeigt, und
wer nur etwas von Geſchichtéſchreibung verſteht, weiß, daß
— alten Materials nicht nur erlaubt, ſondern ſogar
geboten iſt.
Alſo verhaͤlt ſich der Thatbeſtand, klar, offen und in allen
eilen zu erweiſen. Jene Anklage kann daher nur die blinde
Leidenſchaft eines ſehr unedlen Feindes zur Quelle haben, eines
Feindes, der unter dem Schut der Anonymität ſich den Augen⸗
bit zum Angriff wählt, wo ich in fremden Rändern weile und
von allen aͤhnlichen Umtrieben nichts erfahre. Nun, ich würde
mich auch ſchaͤmen, Leine ſolche Zeinde zu haben. Im Begriff,
ben Gontinent auf längere Zeit zu verlaffen, kann ich dem ver-
ſchiedenen Kabalen und Intriguen unferer Literatur unmöglid
folgen, id muß es dem Publicum überlaflen, nad biefer Er⸗
Härung zwifhen Trug und Wahrheit, zwifchen Verleumdung
und Unbeicholtenheit zu unterfcheiten. In meinem Gtreben
nad) dem Edeln und Großen fol, fo Bott will, mich alles dies
nicht irre leiten; die Preundfchaft mancher Ehrenmaͤnner uns
ferer Nation hält aus, und wenn mich daher, wie Goethe fagt,
auch mitunter Menſchen inbigniren, bie Sachen werbeg mid
immer entſchloſſen finden. **)
Brüffer, 22. Aprit 1843.
5. Scherer.
%) Der Wahrheit gemäß beflätige ich, daß Herr Dr. Scherer am
36. April 1841 den Auffag: „Raub ber drei Bisſthuͤmer Met Tull,
Berdun⸗ für dad „Hiſtoriſche Taſchenbuch⸗ anbot und das Manu⸗
ſeript bereitd am 8. Mat in meinen Dänden war, alſo vor Mündy’s
Tode, der bekanntlich am 9. Juni 1841 erſt erfolgte.
3. A. Brockhaus.
»e) Ich vernehme, daß ein großer Theil der Journaliſtik in wah⸗
rer Berſerkerwuth mit einem „Steiniget ihn, ſteiniget ihn!”
über mich derfaͤllt, indem fie einestheils bie voranſtehende Anklage,
welche, ih wieberhole ed, einen anonymen Berleumber zum Urheber
hat, ald Thatſache annimmt und anderntheild einen Aufſatz ber
wiener Beitfhrift, welcher Nachdruck eined vor 39 Jahren erfchienes
nen Artitel6 In ber „„Eleganten Welt” fein fol, su Grunde legt.
Ich werbe wid durch biefen Sturm aus ber fihern Pofltion meis
ned rubigen Bemußtfein nicht bringen laſſen, felbit dann nicht,
wenn jenen Biättera des animofen Angriffe das Rechtsgefuͤhl abe
singe, meine Vertheldigung, wie fie über ben einen Fall vors
anfteht, aufzunebmen und bie Erklaͤrung abzuwarten, welche ich
nah eingegangenen Grlunbigungen in dem betieffenden wiener
Blatt für den andern Fa bereit halte,
‚Neuigkeiten und Sortsetzungen,
verfendet von
8 9: Brodbaus in Leipzig
.im Jahre 4843.
„X I. Januar, Februar und März.
(Welbiuß aus Rr. xiu.)
—2 (8), Sedichte. Herausgegeben von E.
Zwei Theile. Mit dem Bibaife des Dichters.
&. —8 Sb. 3 The.
Sräder erſchlen bei mir:
RAT Bee eu ne un
gun vet a $ ih er, —e — —— uflage-
15. @nfta» HEN. (König von Schweden) ——
Aus en überfegt von 8 @idel, Gr. 12.
Seh. 1 Zpir. 6 Nor.
16. Praktisches Handbuch der Kinderkrank-
heiten, nach Mitteilungen bewährter Ärzte heraus-
‚geben von Dr. A. Schmäfser und Dr. B. Wolff.
— Bänden, Eirster Band. Gr. 8. 2 Thlr. 19 Ner.
17. Heinfins (IB.), Hägemeines Büder- Lei:
zn, ‚ober alphadetiſches gerri aller von 1700 bis zu
1841 erfchienenen Bücher, welche in Deutfdylaud und
den Ye ur Sprache und Eiteratur damit verwandten Ländern
worden find. Rebft Angabe der Drudorte, der
, des Grfcheinungsjahrs, des Formats, ber Bone:
der e Deeife u. Reunter Band, melder bie von 18}
Ende 1841 erfäienenen Bücher und bie A —
Grfeinungen enthält. Herausgegeben von D.
Zweite Lieferung. (Beschreibung — Christ.) A 9er
Drudpapier 25 ar. 1“, Schreibpapier 1 Thix 6
Der biö fiebente Band von Di
18. rasen *5 PREHEN, 9.), Reuefies und
v
aller aus nr — entlehnten Wörter und Ausbrüde,
melde in ben Känften und Wiflenfaften, im Handel und
Verkehr vorfommen, nebſt einem Anhange von Gigennamen,
zit Begeichnung der Ausfprache Bearbeitet, In zehn Beften.
Drittes und Bi ‚Heft. (Critisiren — Insusceptibel.)
Sr. 8. Jedes Heft 8 Ror.
‚ Boäftändiges
19.
aſchen ⸗ Worterbduch ber Franzöftfiden und Deut: beuts
fen Sprade, nad den neueften und beſten Serten
dem Dietionnaire de l’Acad6mie frangaise etc., beaxbeitet.
— A. u. d. T.: ——— — complet frangais -alle-
mand et allemand - is, co —— les meil-
leura ouvrages, PaAcademie francalse
* „16 ch. Yu Nor
——— enthält im Sanyen made,
an 7.
—ãe—
Be en * en nd EA”
en Preis
—— — Gr. A Sep. 1 Thir.
Sen Satre 10 Mdien von dem Berfefer de mie:
Dez geitter von Mhedns, Trauerſpiel in vier Acten. Br. 8. Geh.
Drama in fänf Acten. Gr. 8. Geb.
wi
2. —— — Be ein
phieten Tafeln.
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—EE nd ApfebenerS Der —ãA Sen | 3a
granien. u 5. Aus um vn überfeht. Zwei Blake,
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Bon X. von Raumer erſchien bereitö in meinem Berlage:
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bie gebildet: ationus· Eerikon)
NReunte, verbeſſerte und ſeht vermehrte Originals.
Boliſtandig in 15 Wänden oder 120 Heften. Gifte 2
ads Si erſter Band. (A— Balbuena) Gr. 8,
jede: J
If neunte Hufe fäcit I 15 Bänten, are 19 Sofa vn
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Fünftes Heft. (Liverpeoi—Maita) Eds, Preis
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—2 (8. %.)
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RE Re FE
32. Boltaire (Branceis Marie romet be), Di
Genriahe. %us dem Aranzöfiden im Beromaße bes Dris
ginals überfeat von F. Schröber. Gr. 12. Geh. 1 Shlr.
3. Die Mied >» Gine Novelle. Derausgegeben von
dem Einſiedier bei St.» Iotranned. Drei Theile. Gr. 12.
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«MI. Ktinaer’s ansgewählte Werke nunmebr
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F. M. Slinger’s
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Inhalt:
J. Bd.: Die Zwillinge. — Die falſchen Spieler. — Elfride. — Konrabin. — Der Schwur gegen die She. — II. Bb.: Dee
Günftling. — Ariſtodemos. — Medea in Korintt. — Mebea auf dem Kaufafoe. — Damolles. — III. Bd.: Fauſt's Leben,
Thaten und Höllenfahrt.. — IV. Bb.: Geſchichte Nafacl’s de Aquillas. — V. Bd.: Geſchichte Giafar's des Barmeciden. —
VI Bb.: Reifen vor der Suͤndflut. — VII. Bb.: Der Kauft der Morgenländer. — VII Bd.: Gefchichte eines Deutſchen der
neueften Zeit. — IX. Bd.: Der Weltmann und der Dichter. — X. Bb.: Sahir, Eva's Erſtgeborener im Parabiefe. — Das zu
frühe Erwachen bes Genius der Menſchheit. — XI. Bd.: Betrachtungen und Gedanken über verfchiedene Gegenflände der Welt
und ber Literatur. 1. Shell. — XI, Bb.: Betrachtungen und Gedanken über verfchiedene Gegenſtaͤnde der Weit und ber Riteratur.
2. heil. — Lebensſtizze 5. M. Klinger's.
Klinger ift der vornehmfte Vertreter ber in der beutfchen Literaturgeſchichte fo wichtigen, von Goethe trefflich gefchilberten
„Sturm: und Drangperiobe”, welche ihren Namen felbft von einem Drama Klinger's: Sturm und Drang, erhielt —
der Landsmann, Zeitgenoffe und „Freund“ Goethe's) —, wurde nur wenige Jahre nad) diefem zu Frankfurt geboren und ſtarb
ein Jahr vor ihm als penfionixter Generallieutenant in Petersburg. — Klinger war ein Dann von „ſtolzer Unabhängigkeit‘,
von ungemeiner Charakter⸗ und Willenskraft, vom tiefften Gefühl und impofanter Perföntichkeit ; ein Schrifiſteler, der, was er
als Menſch empfand, dachte und wollte, mit der feurigften Energie in feinen dichterifhen Gebiliden ausfprach und dadurch refore
matorifd zu wirken firebte; der bie Gefühte, Gedanken, Zweifel eines gährenden, ſtuͤrmenden Gemüthes, eines raſtlos grübelnden
und titanenhaft ringenden Geiftes mit ben Grfahrungen und Anfchauungen eines mübfamen, bewegten, wunderbaren Rebens tn
niedern und in den hoͤchſten Regionen verband, und beide in feinen Fictionen und Betrachtungen niederlegte; ber die Blut bee
empörteften Leidenſchaften und die Kälte des Elarften, nüchternften, unbeftedjlichften Verſtandes mit gleicher Meifterfchaft darſtellte;
der auf den Rauſch ber füßen Illuſionen des Herzens fich fo gut verfland wie auf bie Refignation des nächtsbewundernden Stoi⸗
kers und des enttäufchten Mijanthropen, und der das lettere nur barum war ober ſchien, weil das moralifche Gefühl fo
mächtig in ihm lebte; ein philoſophiſcher Dichter, der mit den großen Problemen der Beit, welche Goethe und Schiller befchäftige
ten: Recht, Freiheit, moraliſche Weltosbuung, ebenfo raſtlos rang, und von ber bramatifchen Darftellung der Gollifionen des
bürgerlichen und gefellfchaftlichen Lebens zu der exrfchütternden, wenn audy nicht befriedigenden Darftellung ber NRäthfel des Welt⸗
laufs, der Einzel⸗ und Voͤlkerſchickſale in feinen Erzählungen und Romanen fortſchritt; ein Profaiter, deſſen Styl faft durch⸗
aus durch Friſche, Klarheit, Schoͤnheit und Gedrungenheit dem beſten ſich an die Seite ſtellt ‚und bie edelſte Männlichkeit athmet;
er iſt ein deutſcher Autor, der nidyt minder feiner bleibenden Vorzuͤge als feiner literarbiftorifchen Bebeutung wegen in noch
weiterm Umfang als bisher gekannt zu werben verdient. Den Selbſtaͤndigen und Geiſteskraͤftigen wird er, mit all feinen aͤſtheti⸗
ſchen, philofophifchen und moralifchen Schroffpeiten und Härten, in feinen Schriften eine anziehende Geiftesnahrung bieten, wenn
auch ein allzu zarter Gefchmad und ein fehr weiches Gemuͤth ſich nicht mit ihm befreunden ober vertragen ſolite. Wer Manni
faltigkeit und Heichtbum bes Lebens liebt, und zur Grweiterung feiner Begriffe, Anfchauungen und Weltkenntniß fi nicht
ſcheut, auch in fremdartige und ſchroffe Anfichten ein en, wird biefe Exiegerifche, trotzige Geſtalt neben den vielen frieblichern,
mitbern Bertretern der beutfchen Literatur gern erbliden, und in Dem, mas Klinger von andern Gchriftftelleen unterfceidet, eine
—55— hast Anregung, ja Roͤthigung zum eruſten Nachdenken über fih und die Melt, zum gewiflenhaften Suchen der
a .
Stuttgart und Zübingen, im Mai 1843.
3. Woeniger (NA. Spbr), Bas Garealfytem
und das Provocationsverfahren bet mer.
Zwei Beiträge zur Kunde des römifchen Staate⸗ und Rechtes
lebend. Gr. 8. 1 Thlr. 24 Nor.
3. G. Cotta'ſcher Verlag.
*) Berg. über Klinger: Goethe's Werke, Aubgabe in 55 Bänbchen, Bd. XXVI, ©, zu.
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Nexue medicinische Schriften.
Nachstehende Im Jahre 1842 bei mic erschienene Werke
sind dureh alle Bachhandlungen zu beziehen :
Analekten für Frauenkrankheiten,
oder Sammlung der vorzüglichsten Abhandlungen, Mo-
* rapbien u. s. w. über die Krankbeiten des Weibes
über die Zustände der Schwangerschaft und des
Wochenbettes. ‚Erster bis dritter Band in 12 Heften.
8, Jedes Heft Heft 20 Ngr.
Das fieschlechtsieben des Weibes
in pbysiologischer, pathologischer und therapentischer
Hinsicht dargestellt von
Dr. Dietr. Wilh. Heinr. Busch.
Erster. bis vierter Band.
Gr.8. Auffeinem Druck-Velinpap. 1839-43. 15 Thir. 25 Ner.
Die Lehre von der Ansteckung.
Mit besonderer Beziehung auf die sanitätspoliceiliche
Seite derselben von Dr. W. A. L. Hübener.
Gr. 8. 3 Thlr.
Beiträge zur wissenschaftlichen Heilkunde
von Dr. ©. F. W. Richter.
Gr. 8 Ge. 1 Thlr. 9 Ngr.
Denkwürdigkeiten
aus der medicinischen und chirurgischen Praxis.
Von Dr. Georg Friedrich Most.
Gr. 8, Ch 1 Tbir. 21 Ngr.
Früher erschien von dem Verfasser bei mir:
Encyklopädie der medicinischen und chirurgischen Praxis.
Zweite Auflage. Zwei Bände. Gr. 10 Tblr.
Supplement zur ersten Auflage. Gr. 5. 2 Talr. 15 Ngr.
0 Eucykiepädie der Staatsarzneikunde. Zwei
Bände und ein Supplementhand, Gr. 8. 11 Thir. 30 N
Versuch einer kritischen Bearbeitung der Geschichte I
— —— —
r Liebe un 8 md
In aniseher Einsicht. Dritte Auflage. Gr.8. I Thlr.
Über alte und neue medicinische Lehrsysteme im Allge
meinen und über Schöalein’s ne natürliches System
der Medicin insbesondere. Gr. I Thir. 25 Ner.
Leipzig, im Juni 1843,
F. A. Brockhaus.
Bei Friebrich Fleiſcher in Leipzig ift new erfchienen:
Die Sagen von den Abentenern
Rarl’Ss des Großen
und feiner Paladine
des Ritter von der Tafelrunde.
Aus den aͤlteſten fpanifhen Romanzen
überfegt von
Ehnard Briukmeier.
Seh. Preis I The.
Soeben ift bei uns erfchienen und durch alle Buchhandlun⸗
gen zu beziehen:
Le droit canon
son application & 3 Teglise protestante.
Manuel traduit de de l’Allemand
HENRI JOUFFROY.
I vol. In-8. Leipzig et Paris. 1% Thkr.
Reipzig, im Mai 1843.
Brockhaus S Avenarins.
Buchhandlung für deutſche und auslaͤndiſche Literatur
In unterzeichnetem iſt ſoeben erſchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen:
Reisen und cünderbeschreibungen,
25ſte Lieferung.
Auch unter dem beſondern Titel:
Beifen anf den griechiſchen Zuſeln
Br des ägäischen Meeres,
Dr. Eudwig NMoß,
ehemal. Ober⸗Conſervator der Alterthuͤmer, ordentlichem Profeſſor ber Archäologie an ber k. Dkto’d = Univerfität x-
Smweiter Band.
Mit einem Kupfer, einer Karte und mehren Holzfhnitten.
Gr. 8. Belinpapier. VBrofh. Preis 1 The. 15 Ngr. (1 Thlr. 12 gGr.), oder 2 Ft. 30 Kr.
Anhalt: Andros. — Gyros. — Mykonos. — Amorgos. — Aſtypalaͤa. — Nifyros. — Knidos. — Kos. — Kalymnos.
— Telendos. — Lerod. — Patmos. — Samos. — Ikaros. — Delod. — Rhenaͤa. — Gyaros. — Belbina.
Stuttgart und Tübingen, im Mai 1843.
3 G. Cotta ſcher Verlag.
Druck und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig.
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