Skip to main content

Full text of "Blätter für literarische Unterhaltung"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 














BP 3GZ.! 


Library 









—— 
(muy 
v 


FROM THE BEQUEST OF 
SUSAN GREENE DEXTER 


DREIER E 















2 








Be 2 GE 





Blätter für literarische Unterhaltung. 





Vahrgaung 1343, 


Erſter Bund. 


re TE rn 





— 


Blätter 


für 








literarische Unterhaltung. 








Zahrgang 1843. 


Erster Band. 


Januar bb Juni. 


(Enthaltend: Nr. 1 — 181, Beilage Mr. 1, Literariſche Anzeiger Nr. I— XIV.) 










— 
— 9 


BP 312.) 


Be 

En Eee 2 7 
t * 4 . 
* "a pn .“ . BE? 
x 


Gi: 


MI--1V.M nr 79 


r 
s 
E + . . * 
— ! | ’ 
! Eu r 
. Pr . ⸗ . ” ” 


(87 CE Del, 25 


m =; £ 
2 2. mr * 2— 
Ba nr N 7 * N «2? 


% 


-_ 
NR 
» 


ee \ 2 
.? = 
Tir. —R 1 . 


a EI SEHEN 


1) sr DD) 
.. \d ⸗ in I 


24 
“ 
⸗ 
= 
w 
® 
m 


‘ 


. 2 
In 


fizer.) 329. 
RAU 1344, 





R gi 


ter. 
Uber, 3. 38. Arnold's Borlefungen. 1020, Bichi, Graf. 
Ibten zu St.⸗Denis. 88, Artaud de Montor. 712. ‚ |Biernagiy. 1 


Ziel W., Humoresten. 907. 313, 

85 Gedichte. 398. 

rg —X 6. ſaͤmmtl. Werke. 
ausgeg· v 


S Grimm. Angez. v. G. 


app, Graͤfin d. 
ee 


de la France. 


dt. 1064, % Skalder, 180, 

Abvocatengeivinnfu t. u y. 

Are. D Aushaͤngeſchild. 728. 

Afgelius, Kin. Aug-, Bollsfagen u. Volkes Xufter’, engl. Ueberfegung des Kauft. 883. 
lieder aus Schwedens älterer und neues Zutegrappiſch Sammlungen. 1027. 1331. 
rer (ucberf. v. F. H. Unge⸗ 2777 K. „Oskar ober ber treuloſe Gatte. 
witter 


Ainsworth, W. H., The miser’s da h- 1 [Badmann, „J. A., Waldmüllers Roͤschen. 


wer. 18. — Windsor Castle. 
Albert, 9. 996. Balbi. AM. 
Miviife Prämie. 1080. Balzac. La Comedie humaine. 4. 312. 
Aeris, W., der falſche Woldemar. (Be⸗ 416. — Pamela Geraud. 1428. 
„Arten v.. 8. Morning.) 369 Bailly de Lalonde. Le Leman. 24. 
Te 11 Bandinel. 756. 
Barbagan. 932. 
Barbier, X. 356. 
er H eg, Barbieri über die Kangeiberetfamtit 436. 
Allen, Dr. 104. Barham, Fr. 620 


Alten, ©. .g Ibichte des Koͤnigreichs Barren, sat —5* 1376. 
Dämemart. Barr 


Ay, G. —8 Le gönie du dix- neu- Bartbold, W., Geſchichte des großen 
vieme siecke. II2A. — ** — a $ vom Tode Guſtav 
sa 


uf, ©. 3. B., Zintomora. Gas|Bataille, C. 380. 
briele Mimanſo. 931. Batiffier, &. 628. 
Ambrofius, Leben und Sterben. 1255. Bauer, der beutfche. 944. 
Ymertunitäen 308 268, 303, 384, 612, 844,|®Bauer, £., Kaifer Barbaroffe. 774. 
971, 1038, 1068, 1256, Bantru, K. 44, 
1308 , 1430. Beaulieu. 796. 
Anagramm. 478. Beaumont. 348. 
Anatomie, beutiche, in Frankreich. 996. Beaumont⸗Vaſſy. 712. 
Anceist, Dob., Emerentia. (%. d. Franzoͤſ. Beaumont, Vic. de. 1032. 
o. Birken) 324. BScher, * Statiſt. ueberf. der Bevoͤlk. 
Yan € ., eines Dichters Bazar.| ber öflr. Monarchie. 
35 d. Daͤn. v. W. &. Chriſtiani.) Bechſtein, 8 , Yhilider. "us, 
Bedforb, we, Bathek. (A. d. Engl. v. 
Anderſon. 1092. D. Mohnike.) 19. 


Anckdoten aus dem Leben eines reifenben Bude 444. 

Arztes. 1356. einböfer, ©. A., die guabe Foelke. 775. 
L’Angleterre, I’Irlande et !’Ecosse. 712. Bla. RG R., Georginen. 
Annales de "agricultare frangaise. 1364. Silin. 


Annales de la societ€ »ericole. 1364. De Charles. 966. Seine Witwe. 13592, 
Aponius. 476. Bellanger , St. - Trois ans de „pzomenades 
"Arago’s Dilbeif, An Ary Scheffer von * ope et en Asie. 
Koreff. lmontet. 1143, 

Aragon. Fe Beuck. 1164. 

Ärbantre. 1228. Bereicherungen ber beutfchen Sprache. 562. 
Axblay, Mad. 97. Berlin. Gine engl. Gorrefpondenz im 

verſchied. franz. Yrovingen. 971.| Athenaͤum 532, 1448, 


Archief voor Kerkelyke geschiedenis. 116. | Bernard, General Louis. 


Ardinarb. . Bernouilli, Ch., Handbuch ber ulas 
Archives litt. du Nord. 364. tioniftit. 29, vor 
Archivie storico italiano. 1080, Bertrand, L., Gaspard de la nult. 431. 
Ariſtotratiſche Roman. 301. Betrachtungen. 04, 
—— Deutihlande Erhebung i. J. Beoblterun kunde. (Beſprochen von 2. 
Arlincourt, Bd, der Pilger. (X (Rd. dramdſ Bianchini. 1224. 

».9.6 —8 ) 


Bibliotheque prasaue. 509. 

Xrmanbi Bibliothäque tine-frangaise. 848, 

Zrmenirdes ; Journal in Gmyrna. 7144. |Bibliothöque phülosophique. 1180. 
1863, 


(.Hers| Atlas histor. et intique des depart.|Bingham, 


Bigot be —— 892. 

Binder, W., Alemannifche Volksſagen. 761. 
E,N Narrative of the late ex- 

pedition to China, 


Atterbom, P. D. A., Svenska Siare och |Biographical dictionary, „18. 


—— universelle. 

Biot, E., Ehinef. Lexikon. N, 

Bird, 8%. Ludwig Philipp L 710, 

Bismark, H.v., Napoleon in Aegypten. 1081, 

Bifchöftiches Faftenausfchreiben. 168, 

Billing, H. v., Victorine 56. 

Bittcher, 9. "839, 

Blamire, Miß. 44. 

Blanc, Histoire de dix ans. 256. 

Blanqui. 136, 712, 828, 932. 

Blaze, E. 5W. 

Blaze, 9., Meine Unreblichkeiten. 

But ington, Merebith. . 

Blücher. 39. 

Blum, R., Erklaͤrung. 452, ° 

Bons, E., bes Kriegs gcommiffate Pipitz Reife 
nad) talien. — Gprüde und 
Lieder. 1071. 

Boccaccio, G., das Delameron. (%. d. 
Hol. v. K. Witte) 1093, 

Boden, A., Beiträge zur Beurtheilung 
ber neue ten Literatur. 768. 

Börne. . 

Bogaers, X.,. Veemskerk's Seezug. (2. 
d. Niederländ. v. 8.8. v. —X 
lon.) 553. 

Borel d'Hauterive. 552. 

Borrow, G., The bible in Spain. - 694. 

Bofluet. 3. 

IBotiaftervorseihte 316, 


Bouditt 

Bouiller, 3. 176, 264, 560. 
Boulaye. 880. 

Bourban, SB 372. 
Bousquet, J. 1283. 
Bowen, Er. 28, 

Boyd, Sir. W. 940. 


Bo; , "Amerika. (Aus bem * v. Mo⸗ 
et 5, 


1104. 


Bourguin. 


Braus, H., Gedichte. 
Brandes, 9 —E 
Brafilien. 1 


Bremer, reberike, e Dichtun X , 
fog v. 5 A. * 35 age ai 
Englifchen. 79. 

Breyme, 4 * ©. de. 276. 


Brocker Borarbeiten zur roͤm. 
Gefqhi PR 263. 
Broug s ‚8ord. 756. 


Brunet, G.C., Manuel dü libraire etc. 308. 

Brunne, 61. 312. 

Summe, 5 ©., des Benius Malheur und 

Bü —8 e in land. 228. 

Bü east taufeh. Fe. Faglan 

Bü * —XE baräber. 656. 

erv a n 

Buden. 1032. 

Bülow, Ed. v., zur Nachfolge Ehrift. 27. 
’ . . . 1 . 


‘ 


—— — pen feine Ber —I — goman von Tkin Shen. 806. — Comtesse. 40. 880. 1412. 
affung, feine Verwaltung ꝛc. Davibfon, Eucretia und Margaret. 1383. 
un — uUeber Preußens  rafttice Chodrac⸗ Duclos. 364. Davis, J. F., La Chine., Ke traduit par 
GSrebitvereine.. 1449 odzko, A. Specimens of the popular A. Pichard ) 153. 
Bülow v. Dennewit, Bon einem preuß.| poetry of Persia. Dechalotte. 712. 
„or. Chopin. 64. Deg, 3. G., Fddichte. 1017. 
so. Choppin. Fre Definitionen. 
—— Monument. 212. Chownis = , acid unb Gerz 284. Delätre, L., Chats de Pexil. 052. 
Buol, 64. Chef 984. Delavergne. 1412. 
Burke, 3. H. 644. She, &., Usher beutfche Rationalgefek- —— ®., 2%. 
Burkbardt, Pr., poetifche Peldblumen-| ge — II. elecluse. 1260, 
Eränge. 842. if e Kirche. 1058, Dirk, A. 248. 312. 
Burnes, A., Kabul. (%. d. Engl, v. 6 riſtofet von Pe (Xuff. Dennie. , 
Th. Deifere.) 1061. W. 2. paffow.) Dennide, Baron. 148. 
Burns’ Schweſter. 123, — Burns im Gitate, 1261 Depping's neuefte Arbeiten. 1446. 
Scanzöfifchen. 1140. Slairville. 1136. Desbordes⸗ Valmore. 479. 
Buſſiere. 72. Claring. Maler⸗ Gänge: 842. Desnoyers, &. MA. 
Bust, Mrs. Forbes, historical memoirs|Slarfe, Macbonalb. 21: Despaz. 452. 
of the queens of France. 3230 Starke, Sir. 3 . Desperciere Bonaventure. 83. 
Butler’s Denkmal. 1360. Stavel, 5. 8. B. 468. Desportes : -Balmore. 300, 


Byron. 

Galderon be Ta Barca ‚Med. 731. 

Camden⸗Geſellſchaft. 772, 

Campagnes de Mille. Therese Figueur. 312. 

Sampbeil, Katherine. 123. 

Campbell, Speeches of Lord, 840. 

Cancan eines beutfigen Edelmanns. Zwei: 
ter Theil. 

Canconiero de Juan Alfonso de Baena. 68. 

Sannegicter, 9. 116. 

Capo de Feuillide. 548. 

Capefigue, B. H.R., L’Europe pendant 
ia r&volution frangaise. 1011. — 1251. 

Capodistria, Ir Le Comte. 891. 

Carle Abbe. 

Garlo bel Re. Sinige Dben bes Horaz. 1363. 

Carlyle wir bie gone Snglands. 1094. 

Garnot, 

Garriere , — der Eölner Dom als freie 
deutfche Kirche. 

Sartwright, Dr. Thomas , Biſchof von 
Shefter. 1244. 

Gary, Lucius. 1324. 

Gaftillon. 1228. 

Catalogue gen. d. bibliosh. du depart. 
de la marine. 520. 


Catlin, ©. 368. 

Gattermole R. 368. 
Caucheis-Lemaire. 812. Histoire de 
la revolution de 1830. 1151. 


Savour, ©. de. 224. 
Cellinis Memoiren franzoſtſch. 1364. 
Genfur der Theaterſtuͤcke in Frankkeich. 1072. 
Chabaille, |. Deſſalles. 
a x de Volvic. 64. 
abo, A. . 
Shambure. BU. 
Champollion⸗Figeac. 936. 
Channing's Neben über die Erhebung ber 
niebern Volksklaſſen. 738. 
Ghartes, J., Dichtesieben aus unferer Zeit. 


— bie Stimme bed Blutes, 923. 
Charpeı entier, Bibliotbeque philosophique. 


Spetien j Gef de. 1296. 
€ 


& ervin 
Siehe u ‚Karte von China. 1904, 


v 


Slay, Henry. 436, 
Stofter, ©. E., Gedichte. 9353. 
Collection des documents ine&dits relatifs 


Dessalles, Mystöre de Saint-Crespin. 48}, 
Deutihe Sagen. (Kuffag v. K. Goͤ deke. ) 


a Y’histoire de France. Deutfche Sprache. 1145. 
Collet, Zouife. 1268. Bau Wiſſenſchaft in Frankreich. 
Foliier. 1168, Deutſchlands politiſche Zeitungen. * 
Golonifationspläng, franzoͤſiſche. 1448. |Dentungen aus Deutichlands poetiſcher 
Combes, H. Gegenwart. 13. 
Somines. 3 Devokion , da "nee 752, 
Concy, Bi de. 712. Dinire ncelier Seguier en Nor- 
Sonny, 132. 


ale 
O’Conhell D. A memoir of Ireland. 491. Didier, Ch., a aunde en Espagne. 918. 
— Geſchichtliche Dentfrift Bie eine Frage. (Anger, v. A. Ae; 439 
über Irland u. d. Irlaͤnder. 793. Die legte Soirée der Gräfin Tolfa. 438. 
Conſentius, R.D., goniin Brunhild.N. Djourat, der größte Dichter Hindoſtans 


Contes r&mois. 
Cooper, J. F. The Jack 0’ Lantern. |Dichterfürften, bie. 933. 
243. 736, Died Bud ehrt bern Könige. 


kun, ggg, Myandone. 1216, vd. Koenig.) (Angeg- 
orbitre. . Diez, &. A., bi me 
lee. 484, * ie einfa Einkerkerung 
Cosnard, A. 432. Dinaur. 296. 
. 1&otta’s Gefammtausgabe beutfcher Claſſi⸗ Dingelftebt, &r., Wanderbuch. 758. 

& ter u 27 148 Ditputation, tbeofogifche. 1464. 

ou Dobene v., B ⸗ 
Somper, @ , een. Zen Sal dem) biätter. 750, riefe und Tagebuch 

gl. v. Dohrn, C. A., Spaniſche Dramen. 1466. 

Cramer, z* — er Erziehung Dorow. 150. W. Griestes. 1387. 


und 8 des Unterrichts in ben Niederlanden. | Dorpats Muſeen fär bie Alterthümer. 860, 


Drama, der Beruf unferer Zeit . 
Gramer, ©., zur claffifchen Walpurgis:| 720, ' ruf unferer Zeit für das 


nacht im mein Theil des „Kauft.“ 1422. | Dramatiſche Bibliothek des Auslandes. 1466. 
Sraon, Zürftin de. 880. Dramatifcgde Literatur in England. 896. 
Grabbls Bf an Gartwright. 1436. Dramatif e Literatur der Deutfehen. 769. 

raveiro. 

Crowquill. N Dreffelhuie . ‚ Abredht Beyling. 
Custine. La Russie en 1839, 1390. (X. KR: v. J. S. v. 5 ta 18 


Cuvier, G. Le regne animal etc. 356. Drobifh, RB ., empirifche —2 


Salat) „so ’ Fauſt. 779. 
raͤfin Den. I., Geſchichte Ludwig's XVI. (Be⸗ 
—— — Anſichten. 524 [proden von lorenkourt, ) Gi 
&conomistes. 1164. Drummond, Historica of noble english 


aire ollection des principaux 
Dalberg, Freifrau v., en Phantaſieleben Families. 


unb feine Kolgen ubois be Montpereur. 244. 
Dalei, B. te an. Schwarze! Dubos. 688. 
Lieber. 1073. Dufayel. 348, 
Damas » Hinard. 220, a 48, Dugrivel. 312. 
Dante. an dſiſch. — 1156. Duller, ©. 841. 
Dante’s Son T Torri. (Angez. Dumas, %. 880. 1412. \ 
v. K. Bitte). 1369: Dumége. 18. oo. “ 








O3 _ ut — 


Densutin. 439. Jink, K., Gedichte. 582. Gautier, U.E, U. 
Duspttits Thonars. 6241. Flämifche Literatur. (Aufl. v. 3. W. Gautier. Th, ‚Tre los Montes. 928. 
Depis, Mad. 412. Wolf. 4 637. Gautier, F. 
Dupert. 1200, $landin, E. 1108. Savard. X 
Durans. 1268. Flygare⸗Carle n, Emilie, die Roſe von Gaver. 432. 
Oettenhofer JF M., Ertlaͤrung. 460. ziftelön. 55. Waldemar Kiein. 1328.|®avin, Dr. 3? 1311, 
—— Florencourt, F. v., politiſche Literatur der Gay. 1412 
‚Sm. 312. Gegenwart in Deutichland. KXuffag.) | Ger Geel, Fr ;, Borfchumgunt Hhentafk (Ueberf, 
—ñ E F., die Menſchenraſſen. 1025. 1. Art. 93. 2. Art. 225. 3. Art. ierunde ) 
Ecenemistes - hnanciers du lBieme siecle.| 4. Art. WI. San den Strom. 908. 
Blourens. 373, Der Gehorfam gegen bie en. 436, 
— Lord F., Mediterranean aket-cFoa, 100. Gelb eine alte Here. 
348. Fölir. Fuge, Gelzer, H., bie Eau 3erwürfntffe 
—— 912. Förfter, K., Gedichte. Herausgegeben v.| in Zurich. Garant. DS zn Sutius. ) 
Eichel, — Schauſpiele von König Gu⸗8. zit. \ (Befpr. v.8. Aleris.) MI.| 1. 785. 
fan II . von Schweden. 1466. Br, 3 » — — die deutfche Wiche Literas 
j Sofepg Behr. v. 1097, orbin, Le portefeuille du comte de. 36.| tur ri Kiopftod und Leſſing. 1201. 
rer ef G. Force, de la, Memoiren. 924. Genin, 356. 
Eine gefährliche Situation. 1232. Foreign quarterly review über beutfche Gentz, * v., Mémoires et lettres inddites, 
Gitmer, X, die Abenteuer in ber Weih⸗ Zgriftneuer und deren Werke. 322. (Herausgeg. v. &. Sollefier. Be 
. 6. —— Dex Kitanibe. 434. —— —* an 8 br un * 
Eins, B, Gare. ourne . eograp an eſellſcha ecuei 
Eier, Som. Fowler, ©., drei Jahre in Perfien. 707. de Memoiren. 3 328, 
Eimei. 444, Fran an. A. M., die Ruine Schnallenftein.| George Selwyn and his contemp. 708. 
Elwood, Mrs., The literary ladies of Gerber, K., Spheublätter. 284. 
nd. 320, Tranzen, 8. M., der Rabuliſt und der Gerhards geifll. Lieder. 816. 
Smmishofen, ©. K., Lieber vom Bodens Eandprediger. 371. Gerftner, Elara v., Beſchreibung einer 
fer. 1017. Franzoͤfiſche Solonien. 192. 464. Reife durch die Verein. Staaten. . 
Enfantin. * 448, Franzoͤſiſch⸗ ruſſiſche Alone: 432. Gervais, Eb., Polit. Geſch. Deutfchlands 
—— Charakter. 412. Franzoͤſiſche Literatur, Charakter und] unter veinrich V. u. Lothar II. (Be: 
Enolſche Decmy. Stellung. 209. ſprochen v. K Bimmer.) 173. 
aristecratic education. 800. [Die e Rrangeen in Deutfchland im 15. Jahrh. Gersinns’ neuere Literaturgefchichte. 420. 
Editvos, —— v., der Karthaͤuſer. 
(X. b. » 9. Klein.) 223.|Zrauenromane. 1327. Su —* franzoͤſ. Provinzen. 971. 
Epoque de de France en rapport| Breiligrath, Ferd. 841. te bes weiblichen Geſchlechts. 1129, 
avec le theätre francais. 732. Freiberg, E., Srinnerungen aus England. Pr Romanorum. \perausgeg. v. J 
Er md Es. 449 703. G. J. Graͤſſe.) 
Erdbeben. 84. Frick, Ida. Sybrecht Billms 1330. Gewohnheitsrechte. )1 
. 1428. Friederike von Seſenheim. 1248. Gfroͤrer's allgemeine Kirchengeſchichte. 42. 
Ernft am uk, Kornblumen. 956. Friedrich, G., aus meinem Leben. 1185. | Giovanni da Emboli. 274 
Eſchenbach, W. v., Parzival und Titurel. | Friedrich, Deofeffor. 493. Girarbin, Mad. de., FJudith. 611. 
cucber .R. Simrod.) 719, a Br. beologiſche Sonette. 905. Siraudeau de Saint s Gervais. 464. 
L’Espagne artistique et monumentale, 24. | $roiffart. Der unbebingte Slaube. 436. 
Keomi sur la formation du dogme ca-Froſt en Kan. Glay, BE. de., Histoire des comtes de 
eügue. 348, gel, %., Leben Guftav 15. Adolf's. KFlandres etc. 1435. 


dry 
Ehe, B., Franz von Fuͤrſtenberg. 642.| (A. d. Schwed. v. T. Homber g.) 430. Gluͤmer, Ch. v., Die Geſchwiſter. 359, 
Exrner, J., Die Pſychologie der Hegelfhen | Fuchs, A., Robert. 2352. — Ueber die Gobbi, F., Ucber die Abhängigkeit der 
Schole. Rothwendigkeit eines gefehgebenben Ges phnf. Populationgbeäfte x 
Erlert, R. s, Shasokterzüge zc. aus d.| lehrtenvereins für Ber efferung der deut⸗ Gobwie » Gaftte. 3O1. 


Beben Fr. Wild TIL (Ange. v. B. feen Sprache. Goͤrling, & Ebbe und Flut. 
v. Eübemann.) 5805. G., C., Hermann. x * Sqhwed. v. F. Goͤrres Der börnen 2— 418, 
Eylert, J. A., Ride: auf Amerika. 589. 6. ngmitter) 567. Das Beilnahteke plein. 
8. ®. 1 abet, G. 64. Goethe's naturwi enfe ftl. Werte in Fran» 
min. m ber Kriegeſchawlat In J Sahie, Sy: Andre. , die Hegelſche Philos 6 — Par Du 
Zaun, H. S. der Kriegs 6 in In=| fopbie. oldenes Daar. . 
Sem. 707. Gabouard, A. 50. Goldprobuction. 1200. 
Sarıy, ®. 308. 200. Galerie compidte des tableaux des|&olowin. 996. 
208. eintres etc. 1251. Gonen, Se Baptista, Ignez de Castre. 
| 736. Galerie des contemporains illustres par| (X. b Dortugkt, v. A. Wuttich.) 62%. 
444. un homme de rien. 152. 1191. Gore, Mrs 
Fimı ifche Bildwerke. 288. Galerie von Portraits und Biographien. |@orle. 740. 
; . 328, Goßmann, 2. Be irn bed Krerzes. 3, 
i. 1148, rag 432, Gottis, Mad 
— Th. 132, Gallet, A. 704. Gottheif, 8 . und Sagen aus der 
étis, J. F., Biographie universelle des | Sans : Fr. v., Sapphira. 778, Schweiz. 433. 
mansieiens. 58. mte de la, Fiten et souvenirs a 5 Ulrich von Hutten. 770 
Fenerbach, E., das Weſen bes Ehsiften| du * de Vienne, 970, Sottiched. 656 
*46 ist, Gasi, instrusdion publique au 10itme|Gournerie. 933, 
De te dplanatie rangale Mn 104 a ae 
A, De sparin. . raham. 
sous Louis XIV. Sauthier, 4. 148, Sranbville. 313. SM. 


- - — — — — —— 


1". 


W 


Grange, M. de la. 2 Herwegh, G., Einundzwanzig Bogen aus 'Inflant. 756. 

* gorv. 459. der Shrehz. 1266. St.⸗Johanniat in dem appratahnan 

Srichenfands Heilquellen. Heſiod ins Bang. über. 416. ment bes Arr 

Griechiſche Sragiter in eutkhlant, 1183. Hiecke, R. H., Der —* Unterricht Jollivet, M. 4 

Groscreug, Miscellen aus dem auf beutfchen Gyranafi en. 879. Jeuffrob, zb 28, 

Gebiete der — und Satire. 1412. Hippologie. 832. Souenale in Indien. : 384. 

Grügmam, X., Liebeönonellen. 399. Hiftor. Miscellen. 563, Journale, franzöfifche und — 952. 

Gruget, ©. Histoire civile, morale et monumentale Srand, Skizzen aus. 

Gu 8, 3.8. Jahrbuch deutſcher Buͤhnen⸗de Paris, 1000. L’Irlande au 1Pime siecle. 784. 
ſſpiele 1481. Histoire de l’Helvetie 1134. Irokeſenhaͤuptling. 883, 

Gulpes von A. Karr. 424. Histoire litteraire de la France. 1219, Irreneinſ errung. 1244. 

Guerin, X. 32. History of our own times. 644. Italieniſches. 

Suiraud. 868. Higau, H., Gedichte. 842. Jubinal, A. 8, 372, Mystöres ined. du 

Gurney, Fauſt. 627. 835. Hochenegg, ‚Graf Britrih, Eimire und! 15 siecle. 481. 

Surowsli, Graf A., Der Polen Zufunft.] Ferdinand. Zulius, G., Die untern Schichten ber 


(Deutih v. 6. Hermann.) 227. |Böflen, ©, Der beutfche Zollverein in| Gefelfhaft in Großbritannien. 1121. 
Guſtav's III. nachgelaffene Papiere. 1349. [einer Kortbildung. (Angez. v. 8. sine). — Großes und Kleines. 1248. 
Gutzkow, K., Bermifchte Schriften. 1161. m, I. 8. 

Haare buch ang verloren. 1292. Hörfäle nach atuftifchen Grundfägen. 1288. Zt ‚a. 632. 
Hadländer, J. ©. , Daguerreotypen. 208. er E. T. A. in franzöfifcgen Ueber» | Juloecourt , 9. be. 356. 


Hacquert, M. , 372. 372. Iran Kikitenko. 348, 
Haden, 8, Zur _ geftitäen Geſchichte — H., Gedichte. 557. Kaͤmte Handbuch der Meteorologie. ( Ins 
Deutſchlands. Holberg, 2. 156. Franzoͤſ. von Ch. Martins.) 1276, 
Säring, | B. —* 701. rg B.9. m. 118. Kammerfeäulin in fürftt. Dienften. 252. 
Hahn, 8. A., Uebungen „ger mittelhoch⸗ Best, 70 Kandia. 
deutfchen Slommatie Hook, 5. Sanngipr, KR. ©, Iphigenia in Deiphi. 


Hahn⸗Hahn, Gräfin Ida. 21. — Gigis:|Horace de van Castel. 624. 
mund Korfter. 407. — Gin Reiſebuch Hormayr, Joſ. Frhr. v., fEeſchenbuch fuͤr Kant, J., Briefe. „a Perausgeg. v. W. 


im Norden. WI. vaterländ. Se idee. 1 Schubert.) 
beurſꝙ 7 Novellen. (Herausgeg. v. Horne, * H. Karl, V., Bag zu feiner Charak⸗ 
J. ©. Seidl.) 301. Horwig, A., eebenäfgmptome. 13. 834, teriftik. 8, 
Halle, —* graue. 371. Sogpitalienliteranun. Karl d. —8 ortrait. 476. 
Hauez⸗ Claparede. 488. Houſſaye, A. 184. 1412. Katholiſche Zeitſchrift. YOS. 
Halliwell, J. O., Nursery rhymes. (Bon Howitt, W., Ueber Deutfchland. 95. Kaulfuß, A., Das roͤmiſche Recht am 
X. Hoefer.) 1233. Huber’s —28 der engliſchen Univer⸗ —— II. 
Hallmann. 218. — 569. fitäten. Keller, A., Gedichte. 1078. 
Halm’s Grifeldis in engl. Gewande. 475. Saft, e., Stunden chriftlicher Andacht. Kempen, Fe omne von. 1344. 
— Imelda Sambertazzi 773. Keppel, Th., 368. 
Hamel, 3. du. 880. Guakman. 140. Keppler, Sohann, in kin. (Bon M. 
Summe, 432. 692. Hugo, A. 540. Koch.) 
dan, 5 Aeſthetik der Tonkunſt. 215. Hugo‘ V., Le Rhin. 664. Kinberbewahranftalten in Zoscana. 1407. 
Danke, d., Der Frau Tagebuch. 119. Huſar. 316 Klengel, Prof. 497. . 
Hanfemann, 2. 6. &. D., Verm. Ge⸗ſJablonowski. 380. Klerus, der franzöf. 120, 
dichte. 994. Jacob, P., Die Gräfin von Choiſeul⸗ Kiofterfpiegel in Sprücdmwörtern. 645. 
Harniſch, A., Hanfa- Album. 754. Draslin. (X. b. Branzdf. v. E. Wille.) Kobbe, 9. v., Roͤmiſche Gefchichte. 595. 
Harrys, ©., "Sagen, Märchen und Legen:| 531. Koch's Reife nah dem Kaufafus. 39. 
den Niederfachfens. 231. Jacob. IM. Komig, B., Regina. (Belpr. von R. 
Hart, Helmine. Willibald’s Lieder. Her⸗ Jacquemin, E. 128. Mornin ing) 145. 
zog Wilhelm. so. Zagemann, 2. v., Deutfüie Städte und | König, K Die neuefle Zeit in ber 
Haursau, B., Histoire litt&raire du Maine. | deutfche Männer. 81. ' evangelifchen Fiche des  preußifchen 
1454. Die Zalobiner in Wien. 498. Staate. 1269. 1410 
Hausſchild, E. F., Der Dom zu Köln. 841. James, G. P. R., Morley Ernstein. 44, Köppen, f. Religion, — ꝛtc. 
ganhuite 120. The false heir. 736. Kobl. 315. Der Berfehr und bie Ans 
Hebbel, F., Gedichte. Janin. 488. | ftebelungen der Menfchen. 749. 
— a im. 939. Zarnes. r ce 1m, Koreft an Letronne. 816. 
Hegel. m Franz aubert, Gra Kortüum, F., Die Entftehungsgefhichte 
Beben, I 5. Jauffret, E. 635. des Jeſutenordens. 1 es ü u 
I Boländifche Preislieber. |Iay- 756. Kranfheiten, erbichtete und eingebilbete. 


Anger v. 2. DHauthal.) 397. Feonne b’Arc. 832. 
ge Infant von Portugal. 532. Jeſſe. 444. 708, Krafinsti. 940. 
Heinri jR IV. Briefe. 1072. Zefuiten die. 1134. Ihre Angriffe auf Kraufe's wait ber Gefchichte ber Menſch⸗ 
Heifter, K. v., Ethnographiſche und ge⸗ das uUnterrichtsweſen. 1 heit. 

Tide Rotigen über die Zigeuner. 1107. |Tlustrations de l’histoire de France. 932. |Kronika Wiganda * Marhurga. 1331. 


Heu, Th. 352. — Dramatifhes Vergiß⸗ Illuſtrirte Werke. 938. Krylow, 3., Fabeln. (X. . Ruf. v. 
meinmtöht 1466. Samen 8. (Herausgegeben von| F. Tornen. ) 561. 
Heller, R., Eine neue Welt. 760. 8. Freili gratb. .) 3. W. — Eine Run, I ., Märkifche Sagen und Märchen. 
Henſe, '&. &., Deutfche Dichter der Gegen⸗ Religqusie. 
wart. 513. — Arumorabiien, Zweiter und britter | Kunftbeftrebungen ber a CAufl. 
Heralbik. 52. \ Theil. 134 v. A. Hallmann. 


erloßſohn, &., Fahrten und Abenteuer In ber Geimat 1327. Kupferftihfammiun de koͤnigl. Biblio⸗ 
’ — Enzian.. — Ingerslev, 6. F. 50. thek zu Paris. 932, II 167 





* + 


V 


Kulket, E, Dainoe. 908. Liederbuch der Latitia. 561. | Maurer, 3, 8 "., Geinnerüngen an. 1188. 
Labssiaye ‚„ Ed., Becherehes sur la Biterarif Pk ,‚ Berliner. 817. Maurice. 
— dv. et polit. des femmes. eitesarif ed Gigenthumsrecht in England. Mauriz, sit von St.⸗ Blaſien. 640.” 










, — in Amerfla. 1467. Mayenburg, A., Die Bellsfage vom Pülner 
Sk, Eouife. >82. ' eiteratur, ſchoͤnwiſſenſchaftl. ber Ruſſen. Bu.‘ ” 
ewig. 923. 900. 623, 8* — [Dir 3weilampf. 9. 
Aurtelie._ SI9. Literaturzeitung, neue fü webifä. 140. | Mehan 
kereir, 3. 313. 830. Loch, Gap. Grenville. Me aub. 35. 
&scrois, 9. SR. kodore, Roman a. d. Engl. v. A. Gräfin) Me 932. 
!eteuige.- 160. 380. v. 0. 851, Memoire ofthe late Lord Bydenham. 756. 
Ladoucette, Le Troubadour. 861. ehe, 3., Weber die gothifche Literatur, | M&moires et, prophötice du petit homme 
Sofarelfie. 120. befonders über piſilas und den Codex| rouge. 
time, M. 52. argenteus. . Mendelsfohn , 3, Wilde Bitumen. 1068. 
—— Reife in Schweben. 885. ein J 38 us. — ne etMarie Louise. 864. 
J., ze pehologifche Forſchungen 
* korent, Dr. R. 640. und Sammlungen. X Bf 
— 424. 488 de W., Der Proceß. Wa. Meon. 932. 
Lang, NRiüter u., Memoiren. (Bon %. ur Ip) Bilder aus ber Laterna magica|Mercier, A. 216. 
Kurtzel.) 1. nes Blinden. 727. Merlinau, A. ©. 8. Gebiäte 553, 
—— 2 Biäten des Alters. 355. — — Dei zogei in San Garlo. 851. | Meffias, ber rote © 
Louis de Leon. Metaxa, 
Lofberg, " 2 204. Lubojatky, — 1840. 935. Bun, © =, Hinterlaffene Schriften. 
Sothburp, ZU. ducas, * 033. 
Sau, @., Die —— 143. Luden. —58* ©. Serhihte be Wiege, D-, Rorbligter. 963. 
taube, D., Sräfin Shateaubriand. 1001. „„Denticen (Befpr. v. vr. may .|Michaud, „ Biographie ı universelle. 58. 
tandon, Eh. 6Gi6. eudwig F., Wartburgſtinmnen. —X Michel, X 
Saunay, E. de. 479. — Gedichte. 594. 


Midiewicz,, %., Borlefungen über pwi⸗ 
füe Siteratus und Zuftände 1114 


Layer Die legten Stumben unb eyncer, ®., Kuͤnſtlerleben. 1458. 
ã * 984. ‚F. A. A., Notices et mömoires 


der Tod in allen Staffen der Geſellſchaft. Maberiy, Mrs. 


1317. Machet im Driginal. 1007. —e— 1023. 12%. 
Lavater. SI. Madenzie. 444. Meilitairifcge Briefe eines Berftorbenen. 
Lavergne, U. de. 2376. Mäbchenunterricht in England. 1216, 
Savigne. 556. Magnin. 9. Arie, Thomas. 228. 
Sad. 444. Mailher de Chassat. 1264. Mirani, H., Hiftor. <romant. Gryählungen 
Brbensbaner. 338. Dialerei, deutfhe, von einem Briten bes] aus der Vorzeit Böhmens. . 
Lebreton, Th, Nouvelles heures de urtheilt. —— 1012. 
repos d’un ouyrier. 123. Maithus. Mobnile, DO. 194. 
432. Mandl 206 Mohnike, G., Leſſing. 1307. 
is. 880. Manceriil “ne 1056. Moniteur,, 1 neue Auflage. EN a 
t, A, La France statistique etc. | Maneini. ontaigne in engl. Ue 244. 
Ineays» “1 Wann 1060. Monumente. 1004. berſet 
rivei :Durocher. SG. anner®. Moore, Tb. 
u ,‚ DOrla. 156. Marbach, ©. O., —— und/ Morgan, Sir T Charles. 1232. 
ee — 
Die Albigenfer. . ar ‚PR 4. orris 
m Ric, 3 livres. die r Marcus de Serris. 492. 


Ima, M., De Bettler in Koöln. 851.Maricourt. 432. 
%e, H., ðeſchichte ber franzoͤſ. Revolu⸗ Marie saure. 479. 

tion. (Ungez. 9.3. v. Blorencourt.)53. Marktfchreierei, engl. 823. 
terontoff, D., Der Novize. (A. d. Ruff.| Varlborough, "Derzog v. 1172. 
». Frhr. Bud berg: Benninghaus> Warmier, ber Rußland. 1239. 


Mosquito⸗ U er. 135, 


Mühlbach, ®., Suftin. 301. 
Müller, ©. €, Die —— 1078. 


fen.) 023. Marobe. Miller, ©. #., Die Entſtehung bes 
Uumer, X. 32. 880. Marqueſac. 824. Drenfchengefchlechts. 1025. 
Lereux, Pierre, De Fhumanit etc. 86. BRarauefas Infeln, Be über bie. (Bon Müller, R., per und Sagen aus der 

184. 964. a“ NRoerbang.) — Feybaud. Schweiz. 
Sry. 296. 1036. — Dumolin und Desgraz. 1036. Mile, In, "Balladen und Romanzen. 
Les Francais sous ia revolution. 744. |Marquet > Baffelet. 224. 

Les gleires de la France. 52. Marquifet. 920. ring Näber, Hiſtoriſche Ueberficht des 
deſſingiana. (v. G. ©. ®updrauer.) 977.|Marryat, Capit. Persival Keene, 31. Zuftandefommens der norw. Gonftitus 
Les Siaves de la Turquie. 1448. St.» Martin. 240. tion. 685. 

Letzeune. 64. —— 44. —* G., Denkwuͤrdigkeiten aus dem — 
Letters of Horace Walpole. 708. Marr, 8 a, H., Grinnerungen an Engs| bes Freiberen &. 8. von Schäffer. 
—— —8— v., Sedichte. 557. land. 7 Mundt, Th. 84. 

eo. Maſſas. —— Niocolo 4 Duntaner, he ven j det ebien os 

Siohiöres. j Massimo :d’ o, Niccolo de ni Ueberf. v r. anz.) 
&isri. 1088. S., Er 1030, ofen 3 db. Ital. a v. —— en, * 4. In s 

: S. nnerungen an. affon, uftitmafchine. . 

ed, 5. &., 908. |Masson, Oh, Narrative of rarious jour-|ihe Nabk st Home. 108, 

Sühtäbriet in den Panbeften. 1324. neys in Balochistan etc. 146. 444. |Radörud. 1090. , 

Lirder der Gegenwart. 13. Mattioii. 1124 Rabault de Buffon.. - 1364. 

Sieber eines Befangenen. 921.. -  1MRaupieb. . Rapoleon, Gterfwürdige Aeußerungen. 871. 


Yyı 


Wopsien wab Ganove, 1881, \pepin, X. Io. [Burkan discipline izacs, 1168. 
Rapoleonsgruft auf Gt.: Helena. 1060. |Yerer, A |geioiem a4 
Narrative of @ 3 voyate in the Feriobie, ©& Ehrifen In d. fuangdf. Pros san, 3 —* v., a*igß von einer 
inz Reiſe na wede 
Kaffe, Fr ‚ Die —52 des 2* vericor an die 2. K. b. ſaͤchſ. Stände bez. Quesnet, E. 
tobeB vom wirkt. Angez · von 5, Pe. a7. Quillinan, E., Liebe und Krieg. (X. db. 
8. Hohnbaum.) 653. Men aiica de Im vie humaine. 120.) Engl. v. A. Binter) 333 
Regeefklaven, eine — der Natur. —— 466. Quin. 476. 1092. 
X., „ Gedanken über Recht, Quitard, P. M., Dictionnaire étymolo- 
Reugriedbifige Literotur. taat unb Kirche. 1293. gique etc. 645, 
Neumann, 8. G., ie 358, Yalsıı 3. J. F., Bilder aus dem Orient. |Rabou, Ch. 244. 312. 
— Fi uien. 45. v8. Raczynski. 959. 
Wiemcewieon ia. 3 U., Notes sur ma onp-|M’Pherson. Two years in China. 90. &aimbach, Abr. 1352. 
Avid & Bains-Potersbeurg. 1334. |Yhitomnefte. 515. Raiffon. 1416. 
‚©. v., Wanverleben am Buße Phlofopbir.beren ber dermaligeKriſe in Deutſch | Ramen, D. 348, 
der Alpen. 717. Rank, 3., Aus dem Böohmerwalde. 1001, 
Nodier, Sn, 40. — 1056. Kante ins GngL überfegt. 1244. 
Robnagel, X ‚ Leffing’® Dramen. 518. Philoſophie bee Hebrder. 1228. Rapp sZovialid, Atelanen. 751, 
Ned, RR ‚rund ge ber Phrenologie Paitofopt Re bie, auf der Univerſitaͤt Athen Raquer, Condy 212. 
(Beſpr ur Hohnbaum.) 33. im At sche, Raspaii. WB, 
Nolte, C. W., Lieder eines Einſiedlers. 8324. Pierron, % Rau, H., Gedichte. 1077. 
Rurtpelsrpehition bes Hudſonbay⸗ Com⸗ Gietiämus I € England. 1100. Raumer, 8, Geſchichte der Paͤbagogik. 
pany. 
Notices sur le roman en vers des sept Pitabal, der neue. ( Heran egeben von Raumer, 8 v., Hiſtori Zafchenbu 
sages de Rome. 603. Bisi und Häring.) % Ange; v. K. — 5 4 
Nougarède de Fayet. 635. Pitres Chevalier. 8. — Manuela Avileg. |Reader. 740. 
Stovellens Album. 468. (2. d. Bean, v. &. Tarnow.) S6l.|Recherches exper. — du syst. nerveux, 
rg franzoͤſ. 344. Pixerecourt. etc. 635. 
Rowal, Ir. K Das Bukgaremmäbdgen. Placcius, Bine. "1388. Regnault. 824. 
Plinius ber Zn afte, Die Heinen Leiben|Neichsacdht. 1064. 
Stümmberg. 716, des menferlichen Lebens. 1444, Reichstage, die Beutfgen, 352. 
Fr W., Fauſt. 554. Poeſie und —I8 1377. Reinhold, R., Der Freiherr. 391. 
Poggi. Beifebrief eines Engländers aus Franken. 
Dirk r% & 1447 a ab. (Bon — —— lea ch 
Dettinger, €. M., Helene. . (Bon Deencour * dur * burg und Tirol 
v’Dlincourt. 276, m en Ei Stalien. wars nad 
Drient, neue Schriften über ben. 36, yoliräe Poefi ie. 1143. Reife eines Beehdeutfäen durch bie 9b= 
Orleans, Herzogin ». Policei, parifer. 1416. pyrenaͤen. yoes v. W. v. Luͤde⸗ 
ige 16) —* er (uni Deinifhes Zonmal in Giasgem. 720. |mufttnenne. 
e. iſche urnal in ow. eratur. M 2 
Ortlepp, e eier eines politifchen Tag⸗ Polniſche Literatur. 1108. sraff.) u 9 Mary 
wächtere. 1077. Pongerville. 848. Reifefliggen aus dem Morgenlande. 700 
Dtto, $., „ Ecroeipeefogen 56. — 232. Reifeftigzen. Gpifteln an Mad. v. PB. 
Dzenne, Louiſe Ponroy, 4. 312, 432, Heine's Nachfolger. 714, 
Pablo de Segovie. 336. Ponfard, Lucretia. 611. 9. Reithard, J I., Gedichte. 1023. 
Paͤpſtl. Höflichkeit 316. vr überfegt von A. Böttiher und|Reli Fey, Sheolgie und Philofophie. (Vor 
Pamphlets, politifche. 1035. Delders. 839. pen.) 
bo, Rovellen aus dem mobernen a G. R., Progress of the Nation. —** $,., * — u. eig 393. 
Leben. 852. 1438, Reminiscenzen. Goethe’ Mutter. (Heraus: 
Paris, Slifton. TR. Poſtans. 1092, een v. Dorow.) 150 » 
francais de ia|Poussin. 400. G. T. De la puissance | Ren 048. 
biblisthöque du roi. 831. americaine etc. 1323. Reffel, De Bir ef einer Univerfal- 
Pariſer —— Bau 146. Prabel, Fr 180. a — 2 075, 
ng. Pratl, Zibe. eventlow⸗ Farve, Graf, Daͤnemark 
Pariſer Kunſtſammlungen. 1167. —28B* —ã— — ſeine Koͤnige. 550, und 
Parifer Ofizzen. 936. der eanzöt. —8 1328, Revue de l&gislation et de jurisprudence, 


Parker, S., Journale of an exploring Preis: Drama ‚engl. 

- war beyond the Rocky meuntains. 201.|Prescott, W. H., Gefdicte ber Re Verung Revue des &conomisteg, 33. 
— — in England. 904. — und fabella’8 der —* Revue du Nord. 964, 

Pascal. 20. en. Zngep u Br. — Raume Reybaud, Dime, Eh. 432. 624. 

2* cu in bie Academie Pur 136 Irlande. 1003. 2. [anbaus 2. 776, 


angeite. :Dften, A. v. Keine Sceften. 84 zis, 
5* ropo ee Pindustrie de la * For Du euil. 4392. 
2 Beni ſchte Schriften. (Geraud⸗- en France. 1364, Khetz, WB. v., Cine Reiſe in das F 
v. B. —XX Angez.Die Kirche. 216. feuer d. heil Patricius. ( Aufſatz) ML 
. v. 8. &. Jacob.) —— Ride, A. 
Paſſow, @. A. 876, Provence illustree, 784. Kiedhefl, 2. 3, Died 1457. 
Paturot, I. 188. |Umg, 9. &, Der aöttinger Dichterbund. Rien —* 
ecquenr. ⸗ nal⸗ 
XR —X 1089. | do. " 


vo 













ktrr, der rt. Mio⸗ , Betz zum ja ne num Deut 
u aber .v.8. v0. Raumer.)6l. gt S., Gedichte. 554. in 
Wer, I- ns. Seixaute ans du Théatre francais. WR. 











14 
Sqherr, Satıte und leiſe Eleder. 1074. 5 we Ge 





Nurtraßen 
Bin, 3-, in Piemens gemeinen Mon. 


Seiher, Ih., Die Kunſt der dramat.|Cchiff, D., Sunbert und ein Gabber. 76.|  fetet 

Boy — 3 — ier, in N Eulen, 789, 816, 904 — Beat) Sa. * 
Boger. 553. 738. Schilder und Bock. 9. — — ——  |@ u e sier Schweſtera (M. 6. 
Ren, E- de. 480 Schilling, A., Dramatifdge Sonturen. 1463. Franzöf. v. ee N dmeyer.) 143. 


aͤusler. 


Der Froſchm Schmid, u. R., Reime und Knospen einer | Souvefire, © 
( Derausgeg- EN 719.1 We 1338, 


Sparkaſſen. 8. 


Kon wub — ſ. von Schmid, S ., Dramatifche Werke. 3498. | Spaziergang wit ner ‘ Commentaren 
&. £ Gted.) Schmidt, & . 8. A., Leben und Willen] in der Xafdıe. 
cher, Dir. 736. (daft in ihren Elementen u. Gegenfägen. | Spiel. 316. 
Zeam, Ch. 40. 380 Spinbter, © @., Der Wogelhändier von 
Konzire. EB. a %., Schweben unter Kari XIV| Smft. 
i 710.| Zohann. äsı. ‚ von Saiffet ns et. BOR, 


ine — 
pringer, ©. A., — 8 (. v. 


Spruͤchwoͤrterliteratur, neueſte. (Anger. v. 
ee Ana 


midt, H. Altonaer Büder. 201. 
* 30. 





ber, Fr. v. 
Schoelcher, v. —8 colonies 2 1243. Staatslexikon v. Kotteck u. Welcker (Auf. 






— —— — Schoell, A., —*23 e Rittheilungen dv. K. Jürgens.) 125. 
Reugustte, X. 2316. aus Brick Staatsmänner,, neuere. 8. 
oufkean. left iv . Stomm, Ih, Gin weibliddes Herz. 7 
Roux de Liney,, Le Hvre des proverbes Schoolcraft, H. 80T. Stang, J., — Aeols harfe 352 
francza. . ot, A., F beutfchen Eolonien im — & : FR Stapg. 1963. 
Roger. „ nt. Monarchie. (Befpe. v. 
Rozmsitosci Sukocie, 730 Scäriftfteller in England. 518. M. Ko 13. ⸗ 
Aubini in Petereburg. 8 eifefe leveigenthum in Itatten. 1200. Ste mager, 8. Die Schacht bei Sea. 
Auckslicke. 43. Beier ‚ & yubat, 8., ‚ Memoiren eines Edelmanns on * etiofen deut 
de, ea ( v 2. eouife. E58. eigen, PP fen deutiher Spruͤch⸗ 
Si 2 unb „0033 (Befpr. v. eu A m. —* de. BR Stein, je ——— u u. mn 
o w 
* in Irland. 1154. © * —* Gebichte. 1069. x — * a ei. 


—— Die . des Abvocaten⸗ 


Schulweſen deſtreid⸗ 471. 
det. (Befpr v. Fr. v. Floren⸗ 


Smader, 3, A., Lebenspilder aus Deſt⸗ 


webifche Eiteratur, Rotisen über. 402, 
—— zrodia Archoologfi Krajowej. . . 


So⸗GHſche Ständeverfammt ap: von einem 
Engländer TH, 


Stens, ., Pre Auge 
Stent. 73%. hr 


& rife durch einige Gegenden 
aba, — * * 


Stephanopoli, N. 188, 


Beibenmanufactur in Irland. 1271, 
Seefried, Baroneffe v., Ein Album. 19352, 
Senden, G. 8. van., Kipenzogen. 1287. 
*. anndes en Chine. 348. 


3830, . 

—5 — a Srreüfäaft. Herausgegebene Sternau, ©. D., Mein Orient. 887. 
iften. Stieler, Kaspar v. 1484. 

Shaffpeare's ie 2 in 1136, en ber Beit. (Auff. v. W. Alexis.) 


Sııt, F. v., " Baien: Ad eftum. 836, Shatipeare , 


‚ englif 
Can: : Dart, "Grof-Patras Rationalſagen. , —— —— J Stöber, u Der Dichter i den; u. Friederike 
761. ood, Mrs. 11 v. &ten heim, (Angıy d. 2. Braut: 
Sıstarem „ Vie. le: BRecherches sur la|@&ibome, . 2, fels.) 347. 


Gieben wetfen Meifter, zur Sefchiehte ber | Stone. 444, 883. 
(v. H. Brodthaus.) 970, Strndwit, D. „Graf, Lieber eines Erwachen⸗ 
en. 


douverte des pays situ&s sur la oöte 
— d’Afrigue etc. 396. 


Och, 8. Sievers, I. H., Kinder der Zeit. 1078, 

Corsa. 1412 Silvio Het, 0, frungönte . Straf, und Befferutgsfnfleme, die neuern. 

Sauter. 492 imon, J 

Sarrut, @. 732. Simonde - Siemondi. 500. * eh 8. * H., Gedichte. ER 

Baorarela. 72. #16. imo, 8 , Ehaffecare eis Wermitrier|Gtranf, en Set 3uac ber Reis Des 

Gdöfer, 3. W. Rn Hanbbud) On der Geſchichte/ zweier Rafionen. 502. Diario AR 

ser beutfchen Fiter Sinclair, 8. 280. ©t. s Roche. 31. 
‚Gr. Ger 553. Smith. 136. 444. —— F., Forſchungen u. Erläuterungen 
‚zb, Kortun 558, Soci6t# desberds duRhin, —** ber Gerichte des Ges 
‚8, Bea —— 31, 1212, en Krieges. 


“u 
Misnemfinet, Gerweocisfeier der Gallenfer Zw igule, Sptmacus, Der neue Albrecht Bangerkein, 8, Th., Die Geelenverkäufer. 


Sue , Thördse en 4. 136. &eine —* e Tugenden. IIIG. Wardenburg, Generalmajor W. G. J., 
Latrtaumont. Ueber ber ‚euefken poetifchen Eiteratur.| ein Leben. 311. 
1140, Mystörcs er Paris. 1380, 553, 833, Wofferheillunft in Yarie. 1040, 
Chofeerrpedition. 219. nechtrit 8 . T N Einenfpiegei bes beutfchen | Waflermann , der. 351. 
&utios 956. Bolkes. Vaſſerwege Güdamerikas. 768. 
Sydow, W. v., Die Verierten. 1331. -— —_ “ giide n dae Häffetborfer Waterfton. 1024. 
Sylveſtre 496, ‚Kunft: u. Künftterleben Weber, Beda, Lieder aus Tirol. 1070. 
Tableau an tiaue de P’histoire univer-|Ulliac- Tremadeure. 100. Weber, 8. 8. E., Der Zug nad Moskau. 
selle etc. ungerifde Sprache. 516. 1081. 
Zarabügel. 1320. babet. 460. Webelind, B., Anna Arnold, die Herrn⸗ 
Tarnow, $., Heinrih von England. —31 ——* bie, in den Bereinigten Staa⸗ huterin. 
Zeamoweli, e, Eriminalgeſchichte. ten. ( . ©. 8. Weſſelhoͤft.) 393. Weerth, K., Die Entwidelung ber Menfchens 
— Die jüdifche Gaunerbande. 1000. "| @acquerie. 552. raffen. 1029. 
—2** er, engliſche. 295, Vail, A., Notice sur les Indiens de Wehrhan, O. F., Rorbbeutiche Reife. 113. 
vfchen. L Art. 1221. D. Art. Yanerigue — du Nord. 201, Böeihliche Schriftitelter al, 
Balery. H., Das claffifce Aterthum für 
ie "100. Vanderburh. 492. — Jugend. 679. 
Tastu , Amable. I00. Vatout. Weill, A ‚ Bittengemälde aus dem elfäffi- 
Zaylor, Coote. 92. Baublanc. 1416. ſchen —78 751. 
W. C. 736. Vaucluſe u. Petrarca. 292. Weip, ı Petersburger Skium. 718. 
— 9. 48. Venedey, J., Der Dom zu Koͤln. 225. ne Fr r. Theater. 
— Saron v. 1228, —— IR Odpffeus u. Draufifan. 781. Weſſelhoͤft * Das Bamilienleben in ben 
‚Tegg’s London magazine. 672. , Bereinig ie Staaten. 163. 
Zegoborsti. 12W. Biolean. 312. Wette. 
Zeionmouth. 756. Vincens, E., Histoire de la republique | ®etten ber ebmer 516. 
Zemme, 3. D. H., Die Vollöfagen von) de Gönes. 4. Bettzennen in Long⸗Island. 212. 
Pommern u. Rügen. 331. Bincont. M. B. 240. ‚ Humori —* Fortrage. 1380. 
Zenblau, A. M., Das Buch von Sagen |Binde, L. v., Derzweite Punifche Krieg. 782. hktchea, &h. 
u. Legenden jüdifcher Borzeit, 761. Binet, A. 416. Whpteheab, Ih. ; 
Ternaux⸗Compans. 380, Visconti, p E., Le Rime di Vittoria Wien u. Muͤn in. 
Zeftamente, feltfame. 1 Colonna. (Angez. ». X. Reumont.)|Wien im Jahre 1453. 1119, 
Zeufelöglaube, Keiftiger. 1436, 729. Wilde, W. R. 944. 
Thee, der. 1188 Vitae CI viror. ill. qui saec. XV. etc. geibenhahn, C. %., Leben und Gterben- 
The Scottish heiress. 679, (Angez. v. A. Reumont.) 965. 
The Wives of England. 501. Vivien. 128. —* Folkeſt. 620. 
Ahrrefe, Ein Aogebuch 327. — Falken⸗ —— du Berry. 16. Willis, Dr. Browne. 984. 
berg. 1347 Voͤlkerrecht. Geine Entwidelung feit dem Bilfomm E., Dentiwürbigteiten eines 
The voice of Jacob. 888. Weftfälifchen Frieden. 1198, hifhen 5 Kerkermeiſters. 447. 
Zfinanbesn. 932. 1104. Bogelleim. Gegen G. Herwegh. 521. —* ee katholiſch geiſtl. Akade⸗ 
Thiele, A 8, Di juͤdiſchen Gauner in Vogel's K., Methode des geographifdhen —* 860. 
Deutfchlan Unterrichts. 1366 E., Antonia. 435, 
erry, Pr — Voigt, J., Handbuch) der @efchichte Preußend —5 Entbecungereiſen 76. 
Thomſon. 444. bie Pr Zeit der Reformation. (Angez. Woͤlfen, P. L., Das Vorbild. 1464. 
Thomſon, Mrs. 6 K. Zimmer.) Wolfe allgem. —88 des Romans. 70. 
ſon's Fruͤhling. — Briefwechfel ber gerübmteften Selehrs | Wolff, ©. &. 
yrnau, ** 197. 301. * des Zeitalters der Reformation mit Wourabe, £., Der ſchwarze Kater. — 
Zimofeew, A ,‚ Elifabetb Kulman. (X. d. Herz Albrecht v. Preußen. 658. Hoch⸗ u. WWohlgeboren. 463. 
Aufl. über! v. K. F. v. re Volksbuͤ —*8 Wolowski. 120. 
— — Afhude. Volksdrama, alte. 16. Wright, Th 4 Biographia britannica lite- 
entänge. . raria. 1% 
öpffer, Komifche Btätter. 1020 ae  Srangöl wur, D-, ya der deutſchen uni⸗ 
Tommaseo,, N., Studi critid. 1059. 
Toms, ©. 708. Vorwärts! —EE 1177. —* es, s Okt. 
Zorfeder, 8: Blüten ber Liebe. 553. Buillefroy. 120. Zeitgebanfen. 106, 
Waagen, Dr. G., Ueber eo Stellung, Zeitſignale. 921. 
— ht, ie — 925. welche der Sauiuni ber Bildhauerei | Beitungsftatiftit, engl: 1076. 
endurg * zoiſche Frage/ u. Malerei unter den Mitteln menſch⸗ Zevort, Ch. 559, 
ers Cote, 1 licher Bildung zulommt. 853. Biegen, Sch. v., Worte ber Erinneru 
Zrentoweli, 8. F., Shomanna. 343. Wackernagel, B., Neuere Gebichte. 835. J 6. 8 Schwarz. 1418. 
Zribulet. 908. Wadernagel, 8. E. P., Der Unterricht — Sine Geisfihen, „(arten 
Zrollope, Mrs. 584. 1464. in ber Arutterfpead. 879. Sübemann. 
Tropus, K., Lebensgeifter. 22. Waldbruͤhl, W. v., —8 Balalaika. — —** Schriftſte * 
Trube 1068. 99. Zur Kenntniß der a. af se. 


X. Kitten. v., Buch der | Walter, W., Sammlung deutſcher Volks⸗ 
re — ai. », Bad bei, ©, Bammlung bar 8 zufner, Bi, Bebid 


— — — 


Blatter 


für 


iterarijhe Unterhaltung. 


Sonntag, 


— Rt]. 


1. Sanuar 1843. 





Zur Nachricht. 
Bon diefer Zeitfchrift erfcheint außer den Beilagen täglich eine Nummer und ift der Preid für den Jahrgang 
12 Thur. Alle Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Beſtellung darauf an; ebenfo alle Poftämter, 
die fih an die koͤnigl. ſaͤchſiſche Zeitungserpebition in Leipzig oder das koͤnigl. preußifche Grenzpoflamt in 
Halle wenden. Die Verfendung findet in Wochenlieferungen und in Monatöheften ſtatt. 


Alle Mitarbeiter haben neue Chiffren erhalten. 





Die Memoiren des Ritters von Lang. *) 
Es dürfte unfern Lefern ſchon binlänglih bekannt 
fein, dag das Jnutereſſe dieſer Memoiren weit über die 


tuhgtige Derföntichkeit hinausgreift, die ſich hier eigenhaͤn⸗ 


dig ein wäürbiges und gerechtes Denkmal gefest. Der 


Nitter von Lang gehört unter die feltenen Männer, die 


inmitten bed öffentlichen Elende und ber politifchen Auf: 
Kifung unfers Volks Kraft und Charakter genug befaßen, 
die Demoralifation des eigenen Welens von fich fern zu 
erhalten. Nur ein folher Dann kann der bewußtvolle 
Darfteler diefer unglücklichen Epoche werben. 
Lang fiand den traurigen Ereigniffem ſchon amtlich 
uohe, als das heilige römifche Reich unter dem Stoße 
ws außen und der Laft feiner eigenen Dinfälligkeit zu: 
mmufıne. Er aß und trand mit den vornehmen, 
Ispeiteiten, gottverlaffenen Wächtern, die um bie Truͤm⸗ 
mer um Staubroolten unferer politifhen Exiſtenz herum: 
- jappelteen. Er dDurchlebte alle Sphären einer durch Despos 
ind entneroten, durch doppelte Ariflofratie zum Helo⸗ 
mem herabgemürbigten Geſellſchaft. Ec fah, wie diefe 
zehtiichhen Ohnmachten und dieſe harakterlofen Voͤlker ein 
Ranb der Fremden wurden; er fah aber auch nad) den biuti: 
gen Kampfen und dem Erwachen eines neuen Lebens 
das ganze, oft geheime Zreiben der deutfchen Reſtaura⸗ 
tien und die Maßnahmen des Abfolutismus, das Driefter: 
uw Bureaukratenthum, die Adeldwirtbfchaft, womit bie 
pelitifche Errungenſchaft vernichtet und die deutichen Völker 
Gruſten der Privilegirten aufs neue lahm gelegt wer: 
den felten. 
Uns dies Alles, role «8 erlebt und empfunden wurbe, 
bat der liche Mann mit feſter Dand und mit einer 
fernen, unerbittlihen Steenge in die weiten Faͤden fei: 


2) Memoiren bes Karl Heinrich Ritter von Lang. 
Eftzzen aus meinem Leben und Wirken, meinen Reifen und meiner 
It Braunfdnveig, Bieweg und Sohn. 1842. 8. 4 Thlr. 


ned eigenen Lebensgefhides verzeichnet. Daß er in feiner 


amtlichen Wirkſamkeit und Nähe, bei feinem durchdrin⸗ 


genden Urtheile und dem übergewichte feines Charaktere, 
oft härter an die einzelnen Perföntichkeiten und ibre 
Thaten getroffen, als c6 bei uns gewöhnlich ift, dieſer 
gerechte Uebermuth, oder Unmuth kann wol keinem gefins 
nungsvollen Manne die Mittheilungen verleiden; denn 
zufegt iſt es immer nicht das perfönliche, fondern das 
öffentliche Skandal, die ganze große, genug befannte, aber 
immer wieder vergeffene Mifere unfers politifhen und 
focialen Daſeins, an weiche fih die Betrachtung des 
Verf. und des felbft Füchtigen Leſers heftet. Wenn aber 
der Verf. in Ausficht ſtellt, daß uns Gegenmärtigen jene 
politiſche Ohnmacht und Erbaͤrmlichkeit bald nur noch 
der Schatten einer verfuntenen Welt und die beutiche 
Reichstagsdiplomatie eine verflingende Sage fein wird, fo 
wollen wir e8 glauben, weil wir es gerade bei ſolchen 
Enthüllungen und Schilderungen nah dem Leben am 
lebhafteſten wünfchen muͤſſen. Vielleicht ift nad) einer fo 
gründlichen Ertoͤdtung alles öffentlichen und allgemeinen 
Lebens einer Nation die Veröffenttihung dieſer und aͤhn⸗ 
liher Schriften ſchon ein fichere® Zeichen, daß die Deuts 
fen, die Herrſcher und die VBeherrfchten, mit ber freiges 
gebenen Erinnerung an bie alte Schuld eine neue Epoche 
des palitifhen Lebens beginnen. 

Der Ritter Lang (geb. 1764) war der Sohn eines 
fhwäbifhen Pfarrers im Fuͤrſtenthume Ottingen: Waller: 
ftein. Bei dem frühen Tode feines Waters verlebte er 
eine unruhige, heimatlofe und gedrüdte Jugend, in der 
er zeitig Selegenheit hatte, feinen Charakter zu bilden und 
feinen froben Lebensmurh zu befefligen. Als ein glän- 
zender Kopf verfchaffte er ſich auf eigene Kauft einige 
Kenntniffe und bezog damit fehr bald die Lniverfität 
Jena. Hier lebte er zwar armfelig, aber Iuflig, und 
hatte nad) drei Zahren von Rechtswiſſenſchaft und allge: 


meiner Bildung ſich fo viel angeeignet, baß er bei dem 
Gerichts: und Megierungshofe des Fuͤrſten zu Öttingen, 
wo er eine Secretaicftelle eroberte, al& ein gelehrter, fleißi: 
ger und übermüthiger Züngling den Haß der alten Zoͤpfe 
und den Neid der Höflinge erregte. Wenn es viele fol 
her Gerichte in Deutfchland gegeben hat, und es gab 
deren unzählige, fo ift unfern Vätern die Rechtshuͤlfe und 
die Öffentliche Ordnung viel beſchwerlicher als förderlich 
gewefen. Jeder mußte an einem folhen Hofgericht in 
Jedes pfulhen. In den Seffionen, erzählt Lang, ging 
es ganz befonderd bunt zu. Um 10 Uhr famen bie 
Herren erſt herbei, das mündliche Gerede ging Ins Weite 
und alle Augenblide auf ganz fremdartige Saden und 
Tagesereigniffe über; oft, wenn ein Rath glaubte, er trage 
eine Erbfchaftsfache vor und dann im Streiten der naͤchſt⸗ 
figende Rath oder Präfident die Acten ſelbſt nachſchlagen 
mollte, handelten fie von einem Ochfenverfauf, oder von 
einer fremden Sache. Mit dem Sclage 12 Uhr war 
Eeiner der Raͤthe mehr zu halten; dba hieß ed: Herr 
Secretair, da gebe ich Ihnen alle Acten, madıen Sie den 
Schwanz dazu, und fo ging's aus der Eeffion fort ins 
Wirthshaus. Wenn Lang dann felbft fortging, fo liefen 
ihm die Juden nah und wollten wiffen, ob ihre Sachen 
in der Sefffion vorgeflommen. Der Präfident war als 
ein felbfländiger Mann und firenger Auffeher in Mis⸗ 
eredit beim Fürften und dem Gerichte, und Lang mußte 
bald diefe Ungnabe theilen, weil ihn der Präfident vor: 
309g und als einen vielverfprechenden Juͤngling ſchaͤtzte. 
Zuerſt wurde Lang beim Kürften der Sreigeifterei be: 
fhuldigt; und es wurde deshalb befohlen, er folle 
entweber am Ofterfefte das Abendmahl nehmen, oder fort: 
gejagt werden. Lang hätte gern das letztere gemählt, 
aber der Hofiude und feine Speifewirthin, denen er bei 
feinem geringen Gehalte verfchuldet war, baten ihn in 
die Kirche zu gehen: fie fingen ihn auf und fließen ihn 
hinein, wo ihn dann ber Pfarrer mit einer wahrhaft 
Gatilinarifchen Rede empfing. Als ihn bald darauf der Fuͤrſt 
ungerechterweife drohte, daß er ihn fünftig durch einen Cor: 
poral in bie Sefjlon werde bringen laſſen, fo verlor Lang doch 
die Geduld und nahm auf der Stelle feinen Abſchied. 
Mit einigen Empfehlungen an Reichshofraths-Agenten 
begab ſich jegt der junge Lang auf gutes Gluͤck nad Wien. 
Diefe Stade wurde damals von Rechts⸗Reichs-Praktikanten 
förmlich belagert, wie von folchen Leuten, die irgenb eine 
diplomatifche Anflellung bei einem der vielen beutfchen 
Höfe erhaſchen wollten. Es verſtimmte ihn nicht, daß 
er nicht fobald eine Anftellung fand; er behalf ſich kuͤm⸗ 
merlih, machte Belanntfchaft mit tüchtigen und gelehr: 
ten Männern, befuchte die Bibliotheken und fehte feine 
Studim auf jeder Weife fort. Nach einiger Zeit fund 
er ſich genöthige eine Hauslehrerftelle in Ungarn anzu: 
nehmen ; aber bier gefiel es ihm wenig und er kehrte bald 
wieder in Ausficht einer Secretairftelle nach feinem lieben, 
sauberhaften Wien zurüd. Unter den zahllofen deutfchen Ges 
fandten und Mefidbenten machte ihn enblidy der würtem: 
bergifche Sefandte, Baron von Bühler, zu feinem Pri⸗ 
vatſecretair. 200 Thaler Schalt, wenig Arbeit, das 


machte ihm die Stelle annehmlich, aber mweber bie Bes 
fhäfte nody der Herr Gefandte waren bem jungen, ſtreb⸗ 
famen und übermüthigen Lang angemeffen. Mit vielem 
Humor harakterifiren Die Memoiren die damalige Reiche: 
biplomatie und ihre Vertreter. Alle Poſttage, woͤchent⸗ 
ih zweimal, nachdem der Gefandte ben ganzen Bormit: 
tag bei andern, ähnlichen Diplomaten, Wechslern, Agen⸗ 
ten und Juden Erkundigungen eingezogen, mußte der Se: 
cretair eine diplomatiſche Note darlber entwerfen. Nach⸗ 
dem biefe Trivialitaͤten und on dits unter unzähligen 
und laͤcherlichen Händeln zwiſchen Herr und Schreiber, 
3 B. ob man Verzeihniß oder Verzeichnuß fchreiben 
müffe, den ganzen langen Tag lıbes waren zurechtgeſtellt 
und mit taufend Schnörkeln für ben würtembergifchen 
Seheimenrarh mundirt worden, fchaffte man fie als wich⸗ 
tige Depefchen in der Nacht auf die Poſt. Diefen De: 
peſchen war indeffen noch ein geheimes, für ben Herzog 
ſelbſt beflimmtes und in franzöfifcher Sprache ſtyliſirtes 
Bulletin beigefügt, da6 dem Deren Gefandten ganz bes 
fondere Arbeit und Mühe machte, wenn er nicht, wie es 
oft gefhah, dieſe Klatfchereien und Stadtgefhichten von 
einem alten Franzofen, deffen Gefchäft dies war, fchon 
ſtyliſirt kaufte. Ein wahrer Sammer ging aber im Haufe 
bes Sefandten los, wenn der Staatskanzlei eine minifte: 
eielle Note, z. B. um Erlangung eines Paffes, mußte 
übergeben werden. Da konnten nicht genug crhetoriſche 
Zierathen, auffallende Eingangs » und Schlußformeln, 
ungewöhnte Redensarten und koſtbare Papierjorten bers 
beigefhafft werden, und felbft die Meinfchrift, wegen im: 
mer noch mislungener Schnörkel und Striche, mußte 
zehn bie zwoͤlf Mal wiederholt werden, und nod öfter 
die Couverte, bis auch der Siegelabdrud endlich einmal 
untadelig ausgefallen. Die Depefhen und Aufträge, 
welche die Sefandtfhaft aus MWürtemberg erhielt, waren 
von gleicher Beſchaffenheit. Der Gefandte mußte Todten: 
[heine erheben und Legitimationen, dies fand obenan ; 
dann für den Herzog Beſtellungen bei Handwerkern und 
Kaufleuten machen, alte Bibeln und Incunabein von fei: 
nem Secretair aufgabeln laffen; beide mußten aud die 
Reichshofraths⸗Concluſa von vielen Jahren ber zufammens - 
bringen und bdergleihen. Den Landsleuten gab gewoͤhn⸗ 
ih Lang Audienz und Beſcheid. Daß aber diefe Ans 
Deutungen von dem Xreiben der damaligen Reichshofs⸗ 
Diplomaten und : Polititer wahr find, davon nur ein Bei: 
ſpiel. Einſt war in der Nacht ein Courrier im Hoͤtel 
des Sefandten angelommen, der am Morgen die Köpfe 
und die Bulletind von ganz Wien in Alarm und Muth: 
maßungen feste. Eins diefer Bulletins ſagte: 

„On dit que son Excellence Monsieur le Baron de 
Bühler, Ministre plenipotentaire de S. A Monseigneur le 
duc de Würtemberg avait recu la nuit passece un courrier 
qui a remis des depöches de sa cour d’une tr&s-haute im- 
portance, et qui doivent concerner, & ce qu’on presume, la 
nouvelle dignit6 e&lectorale, qu’elle est düe & cette maison 
illustre il y a long temps.’ 

Als Lang dieſes wichtige Bulletin las, befremdete es 
ihn um fo mehr, daß ber Geſandte ihn, die wichtigſt⸗ 
Perſon in diefer Angelegenheit, nicht hatte zur Unter: 





ı 





kitung und Berathung ber Depeche ziehen laſſen. Aber 
— wis ergab fh, als er endlich Ddahinterfam: Die 
wärtembergifche Mote hatte zwölf paar Schuhe zu einem 
Hefte verlangt, und diefe Commiſſion hatte, mie ge: 
wich, den Reichshofrath und die Wolke der Gefandt: 
Kfm in Bewegung und politifhe Combinationen gefeßt. 
Der Eluge und feurige Juͤngling wurde auf diefe 
Reife förmlich zur ewigen Verachtung dieſer vaterländi: 
fien Diplomatie und politifhen Spielerei gezwungen, 
dran folder Art wurde allenthalben Zeit, Kraft, Geld 
uud Stellung verſchwendet, und es iſt wohl zu begreifen, 
wie dieſes Heer deutſcher Diplomaten und politifcher 
Künfter, die das Geheimniß der Weltregierung fi an: 
geboren glaubten, den Fall des Reichs und die allgemeine 
Verwirrung eher fördern ale aufhalten mußten. Lang, 
der fih jezt mit Ernſt in die Staatswiſſenſchaften ver: 
ieft und dabei ſich auch das geiſtreiche Weſen und die 
allgemeine Bildung ſeiner Zeit anzueignen ſuchte, hatte 
fi) an die Preisfrage Joſeph's II. „Was iſt der Wucher?“, 
gemacht, und zwar nicht den Preis, doch eine ſehr er: 
munternde Belobung und die Anwartſchaft auf oͤſtreichi⸗ 
ſhen Staatsdienſt erhalten.”) Joſeph flarb und mit 
ihm die Hoffnung Lang's, in Oſtreich angeftellt zu wer: 
den. Er erariff daher mit beiden Händen bie Gelegens 
beit, bei einem ungarifchen Gerichte für feinen Herrn 
Sefaudten den Anwalt in einer Geldangelegenheit zu 
mahen. Die Befhreibung, die Lang von bdiefem Ber: 
kehr mit Magyaren gibt, iſt hoͤchſt geiftreih und launig. 
Ja Ungarn, wohin er ſich nun begab, dauerten damals 
Die Vorbereitungen zu einer gerichtlihen Stellung der 
Parteien fo lange, daß der junge Lang, ohne feine Ge: 
ſchaͤfte zu verfaumen, ein herumzichendes und Luftiges 
Leben führen konnte, ja, um ſich die Zeit zu vertreiben, 
wie er fogar nad Belgrab und befah fi die durch 
m Krieg vermäftete tuͤrliſche Grenze. Der Proceß foll, 
wetang verfichert, jegt noch nicht zu Ende fein. Bei fels 
wmRädtchr nach) Wien fandte der Sefandte feinen Secre: 
ksiz m einer gleichen Angelegenheit nach Frankfurt; Yang 
mar hier glücklicher, obſchon er fid die Zeit damit ver: 
ib, daß er unterbeflen mit einem reichen Dollähber auf 
acht Tage nach Amflerdam reifte, mo er für feinen Deren 
des feinfte Papier und Siegellad zu diplomatifchen Noten 
fzufte und fi damit in große Gunſt und Anfehen fette, 
(Die Fortſetung felgt. ) 





Karl Immermann. Blätter der Erinnerung an Ihn. 
Drrausgegeben von Ferdinand Srelligrach. Mit 
Smmermann’6 Bildniß in Stahlfli nach einer Zeich⸗ 
zen; von Leffing. Stuttgart, Krabbe. 1842. Gr. 12, 
1 Zr 15 Nor. 

Bas wir an verſchiedenen Stellen dieſes Buches, aus 

Deieſen Imermananꝰs an Freiligrath ſelbſt und an Andere, ers 


2) Erft fpäter iſt dieſe Feine Schrift im Drud zu Noͤrd⸗ 
üngen (1791) erfchienen, unter dem Zitel: „Sin Botum 
Über den Wucher, von einem Manne sine voto.” Sie machte 


den 
B irer Zeit viel Aufſehen. 





/ 


feben, mit wie viel Intereffe Immermann „ben Entfaltungen 
eines fo Tönen und frifchen Talents“, wie Freiligrath's, gr 
folgt it: fo begreifen wir leicht, daß der junge Mann bei Ims 
mermann’s unerwartetem Tode ſich lebhaft gebrungen fühlte, 
bem Gedaͤchtniſſe des Dichters nad) Vermögen „sin Denkınal’ 
zu fegen. Es häfte darum immerhin auch nur ein kleiner Kranz 
des Andentens fin dürfen, wenn folder nur friſch ‚auf das 
friſche Grab des Dichters gelegt worben wäre. Nun aber, nach⸗ 
bem fich der dankbare Sänger zwei Jahre Zeit genommen hat, 
durfte man auch wol ein wirkliches Denkmal erwartın, wie es 
den begrabenen Dichter ehren Eönnte. Statt beffen erhalten wir 
„Blätter des Andentens“. Blaͤtter find es nun freitich, 89 eng- 
bebrudte und auh an Immermann erinnernde; baß es aber, 
wie dee Herausgeber meint, kaum einer Erwähnung bebürfe, 
wenn ein folches, von Mehren zufammengetragenes Werk nichts 
Ganzes, nichts Erfchöpfendes brachte — darin irrt Hr. Preis 
ligrath fehr. Nach fo langer Zeit mußte etwas Befriedigender 
zes gegeben werden. Er entfchuldigt fi damit, daß er ja nur 
Blätter der (Erinnerung darbiete, fcheint aber, wenn wir une 
doch einmal an portifche Bilder halten follen, bei dieſer Ent 
ſchuldigung in feiner Vorrede vergeffen zu haben, daß er uns 
einige Briten vorher eine keine Tempelhalle verfpricht, von 
Freunden des Verſtorbenen auf deſſen Grabe errichte. Wir 
aber, follen wir denn glauben, daß die vier Männer, die bier 
neben bem Berausgeber Beiträge geliefert haben, bie einzigen 
Freunde Immermann's wären, die etwas aus dem Reben des 
Dichters oder aus ihren Studien feiner Werfe hätten mittheilen 
Eönnen? Rein, lieber wollen wir doch annehmen, Kreitigrath 
fei nicht thätig genug gewefen, die Kreunde und Berehrer Im: 
mermann 8 zum Bau einer „Tempelhalle“ zu verfammeln, und 
er babe zulegt, weil er mehr den mahnenden Werleger, mit 
dem längft abgeſchloſſen war, im Ohr, als des Dichters Ver: 
bienfte vor Augen gehabt, biefe flüchtig gefammelten Blaͤtter 
raſch zufammengebunben und hingeworfen, Blätter, die ihrem 
Inhalte nach nicht einmal fo mannichfaltig find, daß der ‚Der: 
ausgeber das Verdienſt hätte fuchen können, fie nad) cinem 
finnreicden Gedanken anzuorbnen und die Lüden zu ergänzen. 
Denn zwei Beiträge beiprechen eine und biefelbe Dichtung Im⸗ 
mermann’s, unb zwei andere erzählen uns von benfelben Bes 
ſuchen des Dichters in Jena — Weimar. Von ben übrigen 
Werten, aus ben andern Lebensregionen des Dichters erfahren 
wir aud gar nichts. Ja, felbft was man von ber Witwe Ims 
mermann 8 aus ihres Gatten Tagebuchdlaͤttern, mithin als Beitrag 
des Dichters felbft zu feines Andenkens Ehre, herausgebracht 
hat, berührt eben benfelben Wefuch in Weimar. Cr gibt uns 
Immermann's Gedanken im Goethe'ſchen Haus und in der Fürs 
ftengruft, Betrachtungen voll Seift und Gemuͤth, die uns Im⸗ 
mermann's Perjöntichkeit ſehr lieb machen. Diefe Mittheitungen 
und das dem Büchlein beigegebene Büdniß des Dichters, nach 
einer Zeichnung Lefling’s, in Stich gut ausgeführt, find es auch 
fon allein werth, daß man ſich dies Büchlein anfchaffe, in 
welchem alfo Immermann felbft zu feinem Andenken mehr als 
feine Freunde gethan hat. Betrachten wir indet doch auch, 
was diefe Berebrer zur „Tempelhalle aus Blaͤttern“ geleiftet haben. 

Zum Anfang und zum Schluß ftehen zwei Gedichte. Was 
Gottfried Kinkel „bei Kart Immermann’s Zod’ empfune 
den bat, iſt im feinen gefünftelten Strophen weder ticf elegiſch 
noh in feinen Gedanken recht charakteriſtiſch ausgeſprochen. 
Auch Freiligrath's Schiußgedicht iſt wenig bedeutend, ſchwer⸗ 
faͤlliger, als wirs von ihm gewohnt ſind, und ohne die Ein⸗ 
heit eines ſchoͤnen, herrſchenden Grundgedankens. 

Zwei Beſprechungen über Immermann's „Merlin“ find 
von Kinkel und Levin Schuͤcking. Freiligrath meint, 
beide Gommentare zu dieſem dunkelſten und am wenigſten 
bekannt gewordenen Gedicht ergänzten einander aufs fchönfte. 
Une iſt es aber vorgelommen, als ob Kinkel's Beſprechung 
neben Schuͤcking's viel umfaflenderer und tiefer eingeben: 
den Arbeit nicht blos zurüdfiche, ſondern ganz entbehrlich 
werde. Menigftens entwidelt er keine eigenthämtiche Anſicht 


über den „Merlin”, während er uns das Gedicht weber in deffen 
ſymboliſcher Bedeutung noch aͤſthetiſchem Werthe fo nahe bringt 
als Schüding. Diefer behandelt mit großer Kenntniß unb viel 
Geiſt die mittelaltertihe Sage, in welche der Dichter feine oft 
räthfelhaften Anſchauungen niedergelegt hat, dann ben Dichter 
feibft und deffen eigenthuͤmlichen Eritifch = poetifchen Dualismus, 
und endlich das Gedicht, in deffen Entwidelung und Bedeutung. 
Beide Kritiker blicken, gelegentlich des Gedichts „Merlin“, nad 
Goethe's „Fauſt“ und möchten gern bem jüngern Dichter einen 
Vorzug geltend machen. Sie ſprechen von einem gluͤcklichen 
Bund Immermann’s, während doch Goethe’s Griff in die vein 
menſchlichen Berhättniffe des Mittelalters echter und gluͤcklicher 
fheint als Immermann's Einbräten in die uns fremb gewor⸗ 
denen moftifchen Anfchauungen jener frühern Zeit. So gibt 
auch Goethe mehr Lebensweisheit, während Immermann viel 
Schulphiloſophie vorbringt. Und was an Immermaun unver: 
ftändlicher ift, Tann darum nicht für tiefer gelten, ald was man 
bei Goethe fo huͤbſch faffen kann. Und wenn nun Schuͤcking 
mit allem liebevollen Studium, das er dem Immermann’fchen 
Gedichte gewidmet bat, doch bekennt, daB ihm ein huͤbſcher 
Theil deffeiben unverſtanden geblieben fei: foll man dann fo un: 
bedingt in die Befchwerbe einftimmen, das beutfche Volk habe 
lange Zeit feinen Antheil an Immermann's Dichtungen genom: 
men? . Seine SPoefie fetbft ift gewiß nicht ganz ohne Schuld 
dabei. Um fo mehr muß es in Verwunderung fegen, daß ein 
fonft fo dharakterfefter Mann fi von diefer Theilnahmloſigkeit 
fo fehr verftiimmen und erbittern ließ. Der echte Dichter fchafft 
aus innerer Nothwendigkeit und findet in dem Hervorgebrachten 
die Dauptbefriedigung, bie Befriedigung feines fchöpferifchen 
Inſtinkts. Im Punkt fremder Anırlennung war Immermann 
nicht immer Mann. - 

Wir finden weiter unter den Crinnerungsblättern eine 
Mittbeilung von D. 2&. B. Wolff in Lena: „Wein 
Verhältnig zu Immermann.” Geht do! Wolff's Verhaͤltniß 
zu Immermann! Ad ob wir um Wolff's willen von ‚Immer: 
mann hören wollten! Was wir hier von Immermann erfahren, 
{ft zwar nicht von ganz befonderer Bedeutung, würde fi aber 
doch noch anziehender ausnehmen, wenn es nicht fo breit und 
mit mehr Geift erzählt würde. Wolff’s eingefchaltete Be: 
urtbeitung der „Epigonen“ dehnt ben Auffag ſehr aus, ohne 
etwas bejonders Geiftreiches über den Roman beizubringen. 

Die Mittheilungen Wolff's über Immermann's Beſuche in 
Jena und Weimar werden ergänzt und fortgefegt im Auffage 
Sriedrih von Müller’: „Immermann in Weimar‘, mit 
einigen interefjanten Briefen des Dichters. 
| Die fünf Briefe Immermann’s an Freiligrath drehen fich 

um des Dichters Iebhafte und licbenswürdige Theilnahme an 
dem jungen Lyriker und an beffen Gebichten. 

Aus verfchiedenen Briefen Immermann’d an Wolff geht 
biefe Theilnahme Immermann's an freiligrath hervor. Und 
wenn er bier einmal dem jungen Sänger das Prognoftikon 
ftellt, dee Mangel an Bildung und Kenntnifjen und die Ungunft 
ber Situation müffe zu baldiger Erichöpfung führen: fo mag 
Freiligrath, der mit liebenswürdiger Unbefangenheit diefe Auße⸗ 
zung in dem Büchlein mit aufgenommen bat, darin eine defto 
nachdruͤcklichere Auffoderung finden, fi in gediegenen Produc⸗ 
tionen lebbafter, als es feit einiger Zeit gefchehen, hervorzu⸗ 
tbun. Wir möchten lieber feinen eigenen, als von ihm’ übers 
fegten Gedichten begegnen; wir wünfchen ihn lieber gu den Fuͤ⸗ 
fen ber deutfchen Mufe, als ſtets nur unter dem Schreibtiiche 
der englifhen Dichterin Hemans zu finden. l. 





Riterarifche Notizen aus Frankreich. 

ine neue Ausgabe der gefammelten Werke des fruchtba: 
zen Romanſchreibere Balzac erfcheint unter dem Zitel: „In 
Comedie humaine. Osuvres completes de Balzac.'" Wahrſchein⸗ 
lich wid Balzoe mit diefem pomphaften Zitel fagen, daß feine 


nomie sociale et politique,’’ 


Werke das Bild des menſchlichen Lebens in allen feinen Schat⸗ 
tirungen geben. Aber es iſt dies grundfalſch. Balzac if fo 
unwahr wie ber größte Theil ber übrigen Romandichter, bie 
am meiften en vogue find. Seine fruchtbare Phantofie bat 
Ihm eine ganz eigenthümliche Welt gefchaffen, aus der ex feine 
Geftalten, wie er ihrer bedarf, herausgreift. Er gibt, fo zu 
fagen, nur den Schatten bes Schattens einer Welt. Es gelingt 
ihm wol, wie auch Paul de Kock, hier und da z. B. einen 
alten pariſer Ppilifter mit einiger Naturwahrheit zu ſchildern, 
aber in den eigentlichen Hauptpartien feiner Romane iſt nirs 
gend Fleifh und Leben. Seine Werke werden viel gelefen, aber 
menn fie den Reiz der Neuheit verloren haben, fo wird man 
kein Wort mehr davon reden und fie in einen Winkel werfen. 
In diefer Beziehung bat der geiftreihe Homme de rien, weis 
her die „Galerie des contemporains illustres’‘ fchreibt (M. de 
Lomeny), Recht, wenn er Balzac mit der Mademoifelle be Ecu: 
dery, um deren Werke man fich ehedem riß, wie jet um den 
neueften Roman bes Berf. des „„Pere Goriot’, vergleicht. Ihre 
Romane find ebenfo unwahr, aus ebenfo erlogenen Befüht 
zufammengewoben wie bie Balzac'ſchen. In den Romane 
beider Schriftfteler herrſcht diefelbe Süßlichkeit, nur daß Jeder 
dem Gefchmade feiner Zeit Huldigt. 





Der neueſte Roman von Eugen Sue: ‚Therese 
Dunoyer”, hat ein großes Auffehen ‚erregt, befonders weil 
er, wie in den Buchhaͤndleranzeigen gefagt hat, gaͤnzlich aus 
ber Wirklichkeit gegriffen if. Mit. Rebe bat Sid Nie 
(M. Zorgues) in einem geiftreichen Feuilleton nachgewiefen, 
wie gänzlich falfch dies ift und wie die gemeinen Kerle, welche 
die Haupthelden diefes Romans find, nur in der wüflen Phans 
tafie Sue's exiſtiren. Die Welt ift wahrlich beffer, als diefe 
aufgedunfenen Romanfchreiber fie darftellen möchten. 


Ohne ben wohlverbienten Ruhm bes vor einigen Monaten 
verflorbenen Gismondi fchmälern zu wollen, muß man doch ge⸗ 
ſtehen, daß fein bekanntes Werk über die Freiſtaaten Itallens 
manche ſehr ſchwache Partien enthaͤlt und ſpeciellen Arbeiten 
noch eine reiche Ausbeute läßt. Unter denſelben iſt eine kürz⸗ 
lich erſchienene Geſchichte von Genua zu nennen, die manche 
Punkte, die Sismondi nur oberflächlich berührt und oft gaͤnz⸗ 
lich vernachlaͤſſigt hatte, erſchoͤpfend behandelt: „Histoire de 
ia république de Genes”, von Emile Vincens (3 Bde, 


| Paris 1842). Dee Verf. diefer Schrift, frangöfifcher Staaterath, 


bat Genua felbft länger ale 20 Jahre hindurch bewohnt. Er 
bat Gelegenheit gehabt, die Archive der ehemaligen Repubfitt 
zu benugen, und außerdem hat er auf der großen Bibliothek zu 
Paris noch manches intereffante Document gefunden. Befon- 
dere Ausbeute haben ihm die intereffanten Berichte ber franzö⸗ 
ſiſchen Geſandten zu Genua geboten. Sein Stil iſt einfach und 
einem exnften hiſtoriſchen Gegenſtande angemefien. 


Seit Heinrich IV. von Frankreich, ber fi von der Ein⸗ 
richtung feiner chriſtlichen Republik die Wiederkehr des goldenen 
Zeitalters verſprach, hat die Idee von einem ewigen Frieden 
zw wiederholten Malen in edeln Köpfen gefpult. Gin neuer 
Vorſchlag, wie berfeibe zu begründen fei, findet fich in einem 
Kleinen GSchriftchen eines franzöfifchen Arztes Namens P. RM. 
Marhand, das ben Zitel führt: ‚Nouveau projet de traite 
de paix perpetuelle,” Wir koͤnnen uns bier in keine nähere 
Auscinanderfegung dieſer Lieblichen Träumerei einlaſſen. Biel 
gediegener und pofitiver ift folgendes Werk, das mit dem eben 
genannten zufammengebalten werben Tann: „De la paix, de 
son principe et de sa réalisation“, von Pecqueur (Paris 1842), 
Diefe Schrift, bie von der Gefellfchaft der chriftiihen Moral 
gefröne ift, bildet mit zwei andern vom nämlidhen Verf. eine 
Folge. Diefelben führen den Titel: „Des arınees dans leurs 
rapports avec l’industrie, la morale et la libert6, ou les 
devoirs civiques des militaires‘’ und ‚Theorie nouvelle d’6co- 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockkhaus. — Drud und Verlag von F. 4. Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


iterarifbhe Unterhaltung. 





Rontag, 


— ⸗ Nr. 2. mom 


2. Sanuar 1843. 





Die Memoiren Des KRitters von Lang. 
( Bortfesung aus Nr. 1.) 

Obi Lang fehr gern in dem ſchoͤnen Wien ges 
bieten wäre, fo fagte ihm doch diefe triviale Stellung 
fo venig za, DaB er Der Ruf eines Geheimen Hoffecre: 
. tits beim Fürſten zuu Wallerſtein mit 400 Gulden Ge: 
halt, die er aber nicht qusgezahlt bekam, annehmen mußte. 
Kit em Beginn diefer neuen Laufbahn entwickelt fich 
auh in den Memoiren ein neues Bild von dem Hof: 
und Regierungsteben eines Beinen deutfhen Fürſten: «6 
iR voii Interefle dieſes Bild, und zu bemerken ift nur, 
daE dieſer Kurt kein ſchlechter Fürſt feiner Zeit war. Der 
Türk und der newe Secretair kannten ſich fchon beide, 
denn Lang war früher in defien Bibliothek Amanuenfis 
geweſen und darum fortgeſchickt worden, weil durchaus 
feine neuen Bücher ausfgetrieben werden konnten. Die 
Regierung des Laͤndchens (das Collegium naͤmlich) war 
damald bei dem Fuürſten mit Haupt und Gliedern in 
Unguade gefallen. Der Fürft überließ ihr beshalb nur 
unter großen Beſchraͤnkungen die Verwaltung der höhern 
Yelicei und Juſtiz, feine Finanzlammer, das dürre Ges 
we des bloßen Rechnungsweſens, ftellte aber alle Ver: 
ungen au die Hauptkaſſe, alle Geldlieferungen, Er: 
whangen, Beräußerungen, die Bewirthfchaftung feiner 
chen Höfe, alle Dienftbefegungen, Begnadigungen, 
a Raatsrechtlichen , tirchenrechtlihen uno reich6gerichtlis 
den Segenftände zu feinem ausfchließenden, unbefchränf: 
za Befehl, den er aus einem Gewölbe neben der Hof: 
Ehe, Gabinet genannt, ergeben ließ und wohin auch 
De Recurfe, Klagen, Dinuncdationen in clien und jeden 
Juſtiz- Policei= und Kameralangelegenheiten gebracht 
werden konnten. Lang wurde in bdiefem Gabinet als 
Seheimer Hoffecretair angeftellt. Der Fuͤrſt gab ſich fein 
garzes Leben hindurch mit folgenden ftaatsrechtlichen Lieb: 
Imas3edanten ab, und wir fehen aus denfelben, daß die 
Meinen Höfe auch eine Politik hatten, denen alle andern 
Adagten feindlich geopfert wurden: 1) wollte er Die 
Erbassküche an die Herrſchaft Dachſtadt ducchfegen, was 
ihm aud gelang; 2) in Elſaß die an Frankreich gefalles 
am fleckenſteinſchen Lehen einziehen; 3) dem Reichspraͤ⸗ 
laten in Neresheim die 1764 durch Vertrag eingeräumte 
Reichsunmittelbarkeit wieder zu nichte machen; 4) ber 
Reichsſtadt Nördlingen allen Betreidehandel im Rieß per: 


ren und dafür eine eigene Sperre in Wallerftein errichten, 
zu welchem Zwecke Lang alle Sonnabende zur Beobachtung 
des Verkehrs auf der nördlinger Sperre verweilen mußte. 
Der Dienft, den Lang beim Fürften verfah, wurde fchred: 
lich durch das Iaunenhafte Welen, dem ſich diefer Kleine. 
Fuͤrſt oft in den wichtigften Dingen hingab. Lang, die 


andern Beamten, die Solticitanten, das Bolt, Alle muß: 


ten oft Zage und Nächte im Vorzimmer warten, bis fie 
der Fuͤrſt, obgleich fie oft beftellt worden waren, vorließ. 
Sing endlih nah fangem Harren dem Secretaie ber 
Stüdsftern auf, der ihn ins Gabinet führte, fo gedieh 
es nicht felten, zum Schredien der Außenflehenden, zu einer 
dreiftündigen Unterhaltung, in welcher von Europa, Afien, - 
Aftika und Amerika, von archivalifhen Raritäten und 
endlich auch vom Fürftenthume Wallerftein gefprochen 
wurde. Dabei war des Sürften Art zu arbeiten eine 
feltfame. Er fchichtete nämlich alle eingehenden Berichte, 
nachdem er fie geöffnet, neben feinem Schreibtifche hoch 
auf, fo hoch als nur fein Arm reihen konnte; hatten 
aber die Gefchäfte eine folche Höhe erreicht, fo wurde be= 
fchloffen den Haufen Eleiner zu madhen. Im Plaudern 
zog alfo der Fuͤrſt bald oben, bald unten, bald aus der 
Mitte einen Brief hervor, griff fchnell den Gegenſtand 
auf, erlauerte jede Gelegenheit, wo vielleicht gerade das 
Gegentheil von Dem, worauf die Gollegien angetragen, 
durchzufegen moͤglich wäre, bemerkte mit einigen Worten 
feinen Beſchluß und gab die Sache dem Secretair zum 
Eppediren. Mit felten wurden aber auch die Sachen, 
aus irgend einem Grunde, mit einem wahrhaft tumul: 
tuarifhen Berfahren in die Kanzlei gefchleudert. Leider 
erwuchſen jedoch aus diefen ſchockweis an die GCollegien 
fliegenden Gabinetsentfchliefungen beinahe ebenſo viele 
neue Drachenkoͤpfe. Die Regierung naͤmlich, empfindlich, 
daß die Befchtüffe oft in den nöchigften Sachen Sahre 
lang ausblieben, glaubte dem Fuͤrſten das Unrecht das 


durch fühlen zu laflen, daß fie endlich alle Monate, mit 


abfchriftlicher Beilage des erſten Berichts, im jeder einzel: 
nen Angelegenheit eine neue Erinnerung eingehen ließ. 
Es konnte darum bei den ambulirenden Erpeditionen des 
Fürften und dem zufälligen Derausziehen nicht fehlen, 
daß am Ende in ein und derſelben Sache oft fünf: und 
fechferlei verfchiedene Entfchließungen unter demfelben Expe⸗ 
ditionsdatum ankamen, denn Journale zur Conttole ließ 


er durchaus nicht paſſiren. Manche Sachen gelangten 
fo nie zu einem Ende. „Ich weiß”, erzählt Lang wört: 
ich, ‚einen armen Teufel, ber viele Sabre lang im 
Kerker zu Harburg faß, weil die Regierung nicht wußte, 
welches von den vorliegenden Urtheilen an ihm vollzogen 
werden follte, ob er al& Dieb gehangen, ausgepeitſcht, Ins 
Zuchthaus geſteckt, des Landes vertiefen, oder mit ange: 
technetem Arreſte entlaffen werben ſollte. Am Ende hat 
ee felbft der Sache ein Ende gemacht und war burchges 
brochen. ”’ 


Bei diefem Stande des Dienftes war es ein guter 
Zufall, daß der Fürft ald Director des ſchwaͤbiſchen Bra: 
fenbundes (das fürfllihe Haus war naͤmlich noch zu kei: 
ner Virilſtimme auf dem Reichdtage gelangt) feinen Secre: 
tair Lang nach Frankfurt a. M. fandte, um bei der Kaifers 
wahl und Kaiferfrönung ale Beobachter dem Hofe zu Wal: 
lerſtein mitzutheilen, was dort Merkwürdiges verhandelt 
werde, und ob vielleicht für das Intereſſe der Bleinern 
Stände gewirkt werden könnte, mworunter den Reichsgra⸗ 
fen befonders das Prädicat „Mir am Herzen lag. Die 
Belchreibung von Dem, was Lang zu Frankfurt fah und 
that, follte jedermann leſen, weil fie auf. die traurigen 
Verhaͤltniſſe unfers damaligen Öffentlichen und privatlichen 
Lebens ein helles Licht fallen läßt: und wären nur bie 
Folgen eines ſolchen Zuflandes für uns nicht gar zu 
ſchlimm gemwefen, fo würden fie jeden ernften Deutfchen in 
die heiterfte Stimmung verfegen, denn der fiharfe, un: 
befangene Lang fah und erkannte tiefer als der Dichter 
Soetbe. Lang wurde einem fchwäbifhen Grafen, dem 
Heren Reichserbtruchſeß Grafen von Truchſeß⸗Walddurg, 
und einem ifendurger Regierungsrathe beigegeben, von 
denen ihn der Legtere zum Protokolliten und der Aus: 
fertigung der Srafentagsdeputation, der Erſtere bei der 
bevorfiehenden Geremonie als eine Art Gentilhomme ge: 
brauchte. Für diefe Stellung mußte er bei dem Reiche: 
erbmarfhallamt noch ein befonderes Protectorium Iöfen. 
Die erfte bochwichtige Angelegenheit, die dem Diplomaten 
Lang nun unter die Hände kam, war ein Geſuch des 
Reichserbmarſchalls Grafen von Pappenheim, baß unter 
denjenigen jungen Grafen, melde die Ehre haben, nad) 
dem KReichsceremonfel die Speifen auf die kaiſerliche Ta⸗ 
fel zu tragen, auch die jungen Herren Grafen von Pap⸗ 
penheim möchten zugelaffen werden. Die gefammten 
deutſchen Reichsgrafenlande aber kamen über dieſe Zu: 
muthung, die einen ungeheuern Courtier: und Eſtaffetten⸗ 
wechfel veranlaßte, in den gemwaltigften Alarm; es wurde 
abgefchlagen, fintemal, unbefchadet der perſoͤnlichen Würde 
der Herren Srafen von Pappenheim, ihre Herrſchaft felbft 
Leine wirkliche Reichsgrafſchaft, fondern nur eine reiche: 
ritterfchaftliche Befigung fei. Nach diefem Sturme follte 
auf dem Reichstage zu Frankfurt nocd ein weit größeres 
Ungewitter zufammenziehen und auch Lang wurde ploͤtz⸗ 
ih nach Offendach, in das Werde der deutſchen Reiche: 
grafen > Deputation, einberufen. 

Das kaiſerliche Hoflüchenmeifteramt hatte nämlich ein Ver: 
zeichniß ſaͤmmtlicher Schäffeln, 37 an ber Zahl, mitgetheilt, um 
fie zur Auflegung auf die Zafel an bie hierzu beftimmten 


Reichägrafen zu vertheilen. Nun war aber feit Garolo Magno, 
oder auch etwas fpäter, das reichsgefeamäßige Herkommen, das 
jeberzeit bie erfle Schüffel von einem Schwaben, die zweite von 
einem Wetterauer, bie dritte von einem Kranken, und bie vierte, 
und fo allemal bie legte, von einem weitfälinger Grafen getragen 
werden mußte. Allein nach biefem Zurnus hätte es ſich getrof: 
fen, daß bie fiebenundbreißigfte Schüffel, al& bie allerlegte, wie: 
der auf einen fchwäbifchen Grafen gelommen wäre, worüber alle 
anmefende Schwaben, benen doch fogar felbft bei einer allgemeis 
nen deutfchen Keichscollegialfchaft zugelommen wäre, mit dem 
St.⸗Georgenſchild voranzuftehen, in den heftigften Unmillen aus: 
brachen, während gleihwol auch keiner der andern Stände drs 
Reichs diefer fiebenunddreißigften Schäffel fi annehmen reolite. 
Es ſchien wenig zu fehlen, daß es nicht gar zu einem bürger: 
lichen Reichögrafenktriege gekommen wäre. Die Eaiferliche Hof: 
Eiche ſchiug es geradezu ab, dieſe verwuͤnſchte fiebenundbreißigfte 
Schuͤſſel etwa wegzulaffen, welches ihr auch nicht zu Yerbenfen 
war, weil fie fi darüber mit allen Küchenzetteln von Kaifer 
Rudolf's Zeiten ber auszumeifen vermochte. Endlich doch fam 
gleihfam wie vom Dimmel her der geiftreiche Einfall, aus bie: 
fer großen Schüffel vier Eleinere gu machen, worauf bann bie 
letzte richtig wieder auf einen Weftfälinger kam, 


As Gentilhomme des Reichserztruchſeſſen hatte Lang 
nun ber Krönung felbft beizumohnen. Er vergleicht fie 
mit einer „altteflamentlihen Judenpracht“, hinter welcher 
fi die größte Nichtigkeit des politifchen Deutfchlande 
verftedte. Die in. ganzen Streichen berbeigeflogenen deut- 
[hen Profefforen und Docenten, fagt Lang, riſſen ſich 
um bie naffen Drudbogen der neuen Wahlcapitulatien, 
um zu erforfchen, an welcher Stelle etwa aus einem 
Komma «in Semikolon geworben, welche Abänderungen 
fie fi dann zum Verdienfte anrechneten. Am lebendig: 
ften wurde nad) Lang's Beobachtung auf biefem Reiche: 
tage die Rachefoderung ber franzäfifhen Emigranten ver= 
tceten. Sinntiches, luſtiges Schlemmerleben mar dabei in 
einem fo hohen Grade vorhanden, daß der Herr Kurfürft 
von Mainz unter einem Gefolge von 1500 Menſchen 
fogar aud eine Amme und einen Kapaunemflopfer mit: 
gebradyt hatte. 

Lang mar jet beſonders durch die archivaltfchen Kennt= 
niffe, die er fi im Folge der Wallerftein’fhen Staats⸗ 
projecte erworben hatte, dem Sürften eine werthe Perfon . 
geroorden, doc aber auch fuchte wiederum der Fürft es 
zu verhindern, daß dem muthigen, ftrebfamen Lang die _ 
Flügel zu ſehr wuchfen, vielmehr wollte ec ihn in dieſer 
untergeordneten Stelung abnugen. Lang ließ fih das 
nicht gefallen; denn als ihm der Fürft den Poften über 
das Arhiv, den er fhon längft verfehen, und ruͤhmlich 
verfehen hatte, deshalb abfchlug, meil er nicht fehs Schub, 
fondern nur fünf Schuh lang fei und wenig repräfentire, 
fo nahm Lang biefen herben Scherz übel und ging feiner 
Wege. Mit fhönen Kınntniffen jegt in Archivſachen 
ausgerüftet, überließ Lang dem Zufall, wohin er Ihn trei= 
ben würde, denn ein fefter, bedachter Lebensplan führte 
im damaligen deutfchen Reiche nicht leicht zum Ziele. Er 
wollte wieder nad dem fhönen Wien gehen, aber der 
Zufall führte ihn nah Göttingen, und bier nahm er 
feine Studien, namentlich die hiftorifchen Wiffenfchaften, 
wieder auf und vermeilte mit großem Eifer und ohne 
Geld wol einige Jahre an der ‚dortigen Univerfität, im 
Umgange und der Freundſchaft tüchtiger Männer. Er 


ie eine Preisfiage „Conamsentatio de dominii utilis 
atura, indole atque historia” und hatte das Gtuͤck, dem 
Kürten Hardenberg, der ſich zumellen auf feinem hand: 
wein Stammgute aufhielt, in Folge diefer Abhandlung 
iateſant zu werden. Sein Glück war damit gemacht, 
ke ir Kürft, der damals (1793) in Anſpach Minifter 
se, wufte das Talent aus der Maffe der jungen Aben- 
ser ſchon herauszufinden. Der Minifter übertrug jest 
aim Rang die Einrichtung feines eigenen Familien⸗ 
achiss und bie Gefchichtichrefbung feines Daufes; fo 
faunıe er die Kenntniffe und Zalente bes jungen Dan: 
nee kennen lernen, und nad zwei Jahren machte er 
denfeiben, obgleich die Familiengeſchichte der Hardenberg’: 
fen Familie ihrer freien Behandlung wegen nicht gefiel, 
zum Director des königlichen Archivs in Anfpady mit einem 
Sehafte von 1000 Gulden. Lang's Wirkfamkeit erhielt 
num einen freien, vollen, feinen Kräften und Kenntniffen 
angemeffeuen Spielraum. Ci entfernte zuvoͤrderſt, Die 
Sinecuriften von der Anſtalt und gab dem Archive felbft 
eine höhere wiſſenſchaftliche Ordnung; er fchrieb ferner 
eine Reihe nicht öffentlich gewordener, aber vwoichtiger 
Denkſchciften über die Erwerbungen bes preußifchen 
Staats; er redigirte einzelne Theile des Archivs, machte 
feinen Inhalt fo viel ald möglich praktiſch und zugäng: 
lich und benugte denfelben zu eigenen werthvollen wiſſen⸗ 
fhafttihen Arbeiten. Lang erlangte fehr bald durdy feine 
ausgebreiteten Kenntniffe, feine Rechtſchaffenheit und Thaͤ⸗ 
tigkeit ein ſolches Zutrauen und einen Einfluß bei dem 
Minifter, daß er ihn als einen in Reichsſachen erfahrenen 
PRaun der Geſandtſchaft auf dem Congreſſe zu Raftatt 
guerchrilte; überdies follte er auf demfelben noch das 
Sutereffe der preußifch = anfpachifhen Länder befonders 
wahrnehmen. Als er mit dem Minifter zuſammenkam, 
ſcheint ihm diefer noch den Auftcag gegeben zu haben, 
das Hardenberg'ſche Intereſſe gegen das des Minifters 
Deugwig zu vertreten, denn Lesterer war ſchon auf Erftern 
Rache und Lang erklärt hieraus die Ablehnung des 

Kar Gabinets, die Unterwerfung Nuͤrnbergs anzu⸗ 


—XX 

Die Darſtellung des Congreſſes zu Raſtatt duͤrfte 
zum wol der wichtigſte Paſſus in den Lang'ſchen Me: 
mern fin. Man kann das Fragment dieſes Diplo: 
matiſchen Schauſpiels ald Deutfcher nicht ohne Unmillen 
ze Scham leſen: wäre das Ungluͤck von Deutfchland 
euch ſonſt abzuhalten geweſen, baffelbe mußte ſchon ein- 
treten, weil es eine folche bodenlofe Diplomatie abwenden 
Et. Alles war bier von unferer Seite gott: und 
geißeverlaffen, frivol, hochmuͤthig, leichtſinnig und über 
die drehende Gefahr zum Theil völlig im Unklaren. Der 
Baf. der Memoiten charakteriſirt mit großer Umftänd: 
het das zahlloſe, unermeßliche Heer deutfcher Diplo: 
matın, Unterhaͤndler und Politiker, die fih in Raſtatt 
verfammeitm. Das luflige Schaufpiel, einen Bonaparte 
ib an der Spitze eines folhen Gefandtfchafts : Puppen: 
yield zu fehen, hatte Lang durch feine verfpätete Ankunft 
wiäumt. Dagegen traf er die andern franzoͤſiſchen Col: 
ken und wurde mit denfelben bekannt. Diefe beftanden 


zuerft aus Herrn Treilhard, von Anfehen, wie man auf dem 
Theater einen Notar fiebt, nur nicht im ſchwarzen, fontern im 
farbigen Brad, gleihfam hberbeigerufen, um für das deutfche 
Reich das Zeftament zu machen, immer mif ben Bänden fech: 
tend und plaidoyirend; dann Herr Bonnier, immer ſchwarz ger 
kleidet, einem wohlgenährten Stadtpfarzer gleichend, abır dabei 
trogig und flumm; Monſieur Jean de Bry, cin ſchwarzes, 
langes und hageres Männdyen, mit feurigem Auge, der ſich ges 
gen bie beutfche Langeweile burdy emfiges Ireiben der alten 
Wiffenfchaften,, befonder® der gricchiſchen Claſſiker, fchügte. 
Allen Dreien fab man bie tiefe Verachtung vor dem deutſchen 
Weſen in jeder Miene an und wie fie ihre zum befchloffenen 
Vorwärts gerichteten Krallen gar nicht verbargen. 


Die Wenigſten konnten die Rolle, welche bie drei 
größern Döfe, befonders Öſtreich und Preußen, bei dies. 
ſem Congreffe in Raftatt fpielten, recht begreifen. Lang 
ſtellt auch die Wahrfcheinlichkeit auf, daß der öftreichifche 
Gefandte Graf Lehrbach der englifche Agent zugleich ges 
wefen ſei. Oſtreich hatte das deutfche Reich in geheimen 


Artikeln ſchon laͤngſt aufgeopfert, von feiner Seite den 


Rhein als Grenze anerlannt und die Meichafefle Mainz 
zu übergeben verfprochen, nachdem es fid im Frieden zu 
Campo:Formio mit Frankreich in einem Separatfrieden, fo 
gut wie Preußen früher zu Bafel, für feine Berlufte in. 
den Niederlanden eine Entfhädigung In Stalien. ausge: 
macht und fich noch eine weitere an der bairifchen Grenze 
bis Wafferburg ausbebungen hatte. Als nun aber 
Frankreich auftrat und fowol die Nheingrenze anerkannt, 
als für die Verluſte deutſcher Fuͤrſten auf dem linken 
Rheinufer (nad Separatverteägen) ihre Entſchaͤdigung 
dieffeit des Rheins foderte, fo fing die öftreichifche 
Politik nun ihre fonderbares, damals räthfeihaftes Spiel 
an, das mit dem Untergange bes beutfhen Schatten 
Eörpers enden mußte. Dflreih gab die franzöfifchen 
Foderungen in umbhüllten Bedingungen zu, andecerſeits 
predigte es, beſonders damit Preußen nicht vergrößert: 
werden follte, die Integrität des beutfchen Weiche. 
Mit Staunen und Jubel wurde von ben Heinen Für: 
ften, Prälaten und Herrſchern des Reiche die vom erften 
öftreihifhen Gefandten mit Pomp auf dem Gongrefie. 
gegebene Erklärung von dem anerfannten Princip der: 
Neicheintegrität aufgenommen, ale zu eben diefer Zeit der 
zweite Gefandte die heimliche Übergabe ber Feſtung Mainz 
mit den Franzoſen verhandelte, während dazu der dritte 
Öftreichifche Gefandte in „bittere Thränen‘ ausbrad und 
bei dem allerhoͤchſten Reichsoberhaupte auf Snterceffion 
anzutragen vorfchlug, „damit biefe beffagenswerthe Über: 
gabe zurücgeftellt und die großmürhig ausgemwirkte Inte⸗ 
grität des Reiche gemahret werde”. Man meiß in der That 
nicht, wen der Zorn uͤber dieſe Thatfachen, die ung eigentlich 
erſt jegt allmälig zur Kenntniß und Erkenntniß kommen, 
gelten fol. Feder raubte, jeder wollte fich mit feinem 
Dominium aus den Trümmern retten, und die Motion 
ſelbſt, die ftand da ohne Recht, ohne Gefühl für die 
Schmach ihrer Zhellung, ohne gefchichtlichen Inſtinet, 
denn dee Despotismus und der Drud diefer unzählbaren 
geiftlichen und weltlichen Herren, die Thrannei Ludwigs XIV. 
hatte jie zu einer. recht: und bewußtlofen Heerde von 
Hindus gemacht. Sage Niemand, daß Deutfchland durch 


— ——— — 


Uneinigkeit gefallen fet, das tft hoͤchſtens auf den Egois⸗ 
mus einzelner Cabinete anzuwenden; es fiel, weil das 
deutſche Volk durch politiſchen Abſolutismus das Natio⸗ 
nalbewußtſein und dann uͤberdies jeder einzelne Buͤrger 
unter dem Scepter des Abſolutismus uͤberhaupt jedes 
politiſche Bewußtſein verloren hatte. Das damalige 
Deutſchland mit ſeiner voͤlligen Entnervung des politi⸗ 
ſchen Volksgeiſtes und der Verſumpfung ſeiner ſocialen 
Verhaͤltniſſe und Zuſtaͤnde wuͤrde ſich vor dem Andrin⸗ 
gen des neuen politiſchen Lebens nicht haben halten koͤn⸗ 
nen, und wenn alle die Hunderte von Souverainen eine 
Politik, ſelbſt wenn Deutſchland nur ein fuͤrſtliches Haupt 
gehabt hätte. Wenn man und darum jegt bei unferer 
erwachten Begeifterung für die Bröße unfers Vaterlands 
immer wieder von der beutfchen „Einheit vorfpricht und 
vortrinkt, fo dürften wir deffenungeachtet immer noch auf 
dem Punkte wie im Congreſſe zu Raftate fliehen, fol 
umter diefer Einheit die blos atomiftifche der Gabinete 
und nicht die verfianden wurden, die aus der Gemein: 
ſamkeit freier volksthumlicher Inſtitutionen und Berfaf: 
fungen hervorgeht. Im Gegentheil wären wir immer 
noch der große atomiltifhe Haufen, den man auf Con: 
greifen verdußern dürfte, oder nicht. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Literarifhe Notizen aus England. 


Ein Auffag über neuere Staatsmänner im „Dublin 
monthiy magazine’ enthält folgende Stelle: „Es ift auffal⸗ 
lend, wie empfindlich die Rechtsgelehrten (natürlich nur die 
großbritanniſchen) im Betreff ihrer Geburt ſind. Sobald fie 
anfangen berühmt zu werden, fangen fie auch an — fei es in 
Kolge der Verbindungen, die fie angelnüpft, oder in Folge ber 
VBorurtheile, die fie bei ihren juriftifchen Studien eingefogen — 
ſich auf die ariftofratifche Seite zu legen, und möchten Jeder⸗ 
mann glauben maden, daß fie aus Magnatenblute ftammen. 
Die mwiderwärtigfte Frage an cinen vom Glüd begünfligten 
Sadmalter ift: „Was war Ihr Herr Vater?’ Auch ift in der 
That die Zahl Derer fehr groß, die auf der Bahn bes Rechtes 
aus niedrigen Berhältniffen zu den hoͤchſten im Staate gelangt 
find. Der gegenwärtige Generalfiscal von England, Sir 3. 
Pollock, ift der Sohn eines Sattlers. Kin Laden in Sharing: 
Croß Lin London und allen Jagdfreunden wohlbefannt), jegt 
im Befig der Herren uff, gehörte vordem Pollod Pere, der 
fein Gefhäft den dermaligen &igenthümern verkaufte Der 
Bater des Generalprocurators, Sir William Follett, treibt 
nod jest in der Nähe von Ereter Holzhandel. Sir John Wils 
liams, Advocat an der Queen’s- bench in England (es gibt 
audy eine Queen’s-bench in Irland) ift der Sohn eines york: 
fhirer Roßkamms. Bir Eduard Sugden, Kanzler von Irland, 
it der Sohn eines Barbierd. Doh macht Sir Eduard eine 
Ausnahme; er rühmt ſich feiner Herkunft. Als er bei der cam: 
bridger Wahl, wo Lord Mounteagle ihn durch eine Majorität 
von 28 ſchlug, auf der Rednerbühne fland, rief ihm Einer aus 
dem Haufen zu: „Sort, fort, du Barbiersfohn !’’ Ganz ruhig 
antwortete Sir Eduard: „Der Unterfchied zwiſchen Dem, ber 
das fagte, und mir befteht einfach darin, daß, wenn er der 
Sohn eines Barbiers wäre, er fein ganzes Lebelang es zu 
nichts Anderm gebracht haben würde; ich bin der Sohn eines 
Barbiers, babe mich aber etwas höher hinauf gemacht. 


und als er vor einigen Jahren bei einem conſervativen 
Handwerkerverein in Lambeth den Vorſitz führte, ſprach ee 
ebenfo unbefangen von feiner Geburt. Sir Cduarb wer 
frühere Schreiber beim Notar (entfpricht dem englifchen con- 
veyancer) Herrn Groom. Das wurde ihm opponirt, als er 
ih um die Advocatur bewarb, und ohne das kräftige Aufttes 
ten bes verfiorbenen Francis Hargrave, eines ebenfo liebens⸗ 
wärbigen als gelehrten Mannes, ber für bie Bulaoffung des 
Candidaten auf den Grund feiner durch jurifkifche Schriften ers 
wiefenen Fähigkeit ſtimmte, hätte die Oppofition ben Widerſoruch 
durchgeſetzt. Der Vater des Kronanwalts Platt, eines der ausge⸗ 
zeichnetſten englifchen Redhtsgelehrten, war Schreiber des verftorbes 
nen Lord Ellenborough. Baron Burney’s Mutter verkaufte politis 
Ihe Flugſchriften. Lord Kenyon, ber nacheinander Generaifiscal, Bas 
ronet, Oberkanzleidirector und Lord Oberrichter an der Queen's- 
bench wurde, auch nebenbei 300,000 Pf. St. hinterließ, hatte 
als Schreiber bei einem Advocaten angefangen. Lord Hard: 
wide, in feinem 34. Jahre Generalfiscal, war der Bohn eines 
Geſchaͤfts mannes in Dover, der wegen Faͤlſchung gehenkt wurde, 
Lord Eldon war der Sohn eines Koblenmeflers in Rewcaſtle 
am Tyone, und fein Bruder, fpäter Eord Stowell, borgte 40 Pf. 
zu feiner Eauipirung. Lord Tenterden's Vater war in Ganters 
bury Bartfcheerer, Lord Langdale feines urfprünglichen Zeichens 
Geburtshelfer und Lord Campbell, fowie die zwei Gergeanten 
Zalfourd und Spankie eröffneten ihre Laufbahn als Berichte 
erflatter für bie „Morning chronicte,‘ 


— — — — — 


In einer Zeit wie bie gegenwärtige, wo Viele fparen 
möchten und Wenige fparen Binnen, haben die fogenannten 
Sparkaffen überall wohlverdiente Beachtung gefunden. Aber 
ein Bortheil berfelben, obglei ein tief in das Staatenleben 
eingreifender, dürfte noch nie deutlicher hervorgehoben worden 
fein als in der Schrift: „The history of Savings’ banks in 
England, Ireland and Scotland”, von Sohn Tick pratt 
(London 1842). Der Verf. ift Juriſt und erſcheint in Bolge 
des ihm von der Regierung ertheilten Auftrags, die Statuten 
der Sparlaffen, Annuitätens unb Dariehnögefellfchaften in 
England und Wales zu unterfuden, von vornherein zur Zu⸗ 
fammenftelung einer ſolchen Geſchichte und zur Abgabe eines 
Urtheils befähigt. Es ſcheint jedoch auch, daß er feinen Auf: 
trag mit Treue und Eifer vollftcedt Hat, und das drückt fih 
ebenfalls. in feinem Bude aus. Hier rühmt er denn naments 
lich von den Sparkafien, daß fie nächft bem beträchtlichen Nuten 
für die arbeitenden Claſſen ein Braftvolles Werkzeug zur Erhal- 
tung der Öffentlichen Ruhe feien. ‚Wer feine Eriparnifje‘‘, 
fage er, „dem Staate anvertraut bat, ber ift atıch bei ber 
Sicherheit diefes Staats betheiligt, und war nicht im Ver⸗ 
hältniß zu feiner Einlage allein, fondern für den Betrag ſaͤmmt⸗ 
licher fo angelegten Sparpfennige. Könnte ex baber vergeflen, 
daß es feine Buͤrgerpflicht ift, zu Verhütung öffentlicher Uns 
ruhen mitzuwirken, wird fein perfönliches Intereffe ihn ſchnett 
genug daran erinnern Es gibt Feine ftärkere Überzeugung von 
ber Wichtigkeit des öffentlichen Friedens und des Stantscreditt- 
als diejenige, die auf individuellem Grunde ruht. Und wer 
dies eine Stütze des Defpotismus nennt, einen Dalt für die 
jedesmalige Regierung, follte auch bebenken, daß es folglich 
nicht um bie Stabilität ber dermaligen Regierung, fondern im 
Aligemeinen und für jede Zeit um Ruhe, Drdnung und gutes 
Regiment fi bandelt. Der Werth diefer Bemerkung macht 
in dem gerade jegt.fo ſchwer bedrängten (England fi doppelt 
geltend, denn als Hauptrefultat der dem Werke beigegebenen 
ehferichen und ausführlichen Zabellen ſtellt fich hervor, dag am 
20. Nov. 1841 in den dur England, Wales, Irland und 
Schottland beftehenden 555 Sparkaffen 824,162 Perfonen bie 
Sefammtfumme von 22,915,940 Pf. Gt. niedergelegt hatten. 





Berantwortliher Herausgeber: Heinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. 7. Brockhaus in Leipzig. 





— En MA A A. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





(Beföiuß auß Str. 2.) 

Malnz war (30. Dec. 1797) von der öftreichifchen 
Politik faumı den Franzoſen übergeben worden, als bie 
fratzoͤſiſchen Befandten in einer energiichen Note erklaͤt⸗ 
ven, daß jeht ohne Umſtaͤnde der Mhein als Grenze an: 
zuerlennten fei (19. San. 1798), und mitten im Waf⸗ 
frufürkoude (25. Fan.) wurde die Rheinſchanze bei 


Mannheim weggenommen. 

Da entſtand — fast Lang — ein unglaublidhes Beulen 
und MWehliagen von Leuten, die wenigftens inſofern zu bemitleis 
den waren, dab ihnen fo etwas in ihrem libermaße des Glau⸗ 
ben und der fallen Hoffnung nur einigermaßen unerwartet 
—— 

t a und Tr it m 
Ecklaͤrungen, wie jegt noch bie Integrität des Reiches und die 
Abtretung bei Iinlen Rheinufers zu gleicher Zeit als Grundar⸗ 
£ilel bes Friedens beftchen könnte; bis man denn die beruhigende 
Grflärung barin fand: bie N fe he Pi ch vos 

b ‚ tonbern eine ſymboliſch ibealifche, 
rg — oder her, bo noch dieſelbe Verbindung 
des allerhöcften Reichsoberhaupts und deſſen allergetreueſten 
Srrfürſten und Stände des Reiche forttieftehen, zumal des bloße 
füeinbare Berluft auf der einen Geite Yurdy die effectiven Cats 
Wärigungen auf der andern vollfommen rebintegrirt werben follte. 

Wie nun aber Alle begierig waren, wo die Entſchaͤ⸗ 

\aangen herfommen folten, und Die, welche es ſchon 
nee, ſtillſchweigend die Achſeln zudten, eröffnete am 
15. März die franzöfifhe Gefandtfhaft die Löfung mit 
der katzen Erklärung: daß diefe Entſchaͤdigung in der 
Serularifation der geiftlihen Güter zu ſuchen ſei. Das 
Sigaal zur Plünderung war hiermit gegeben, die größern 
Siaͤnde entwarfen ihre Plane auf Bisthuͤmer oder Fetzen 
Isven, die Pleinern hafchten nach irgend einer Abtei und 
der geringſte Edelmann fuchte dee Kirche irgend einen 
Schafhef zu entreißen. Gewiß ein berrlihes Schauſpiel. 


fah die geiftlihen Gefondten als geächtet an und. 


Dan 
isnen jegt überall aus dem Wege. Es regnete gleichſam 
Bimmel herunter die igquidationen der Schuld, die jeber 
Glen Sthein erlitten haben wollte, mit Bezeichnung ber 
De, vie er Yafür zur Entſchaͤdigung wünfchte und bie er 
derh feine Regocianten bei den drei Geſandtſchaften von Frank⸗ 
rrich. Dfveich und Preußen zum Theil durch ausgewirkte uns 
mittelben Empfehlung der Miniſterien durchzuſetzen fuchte, wos 
bei man serausfegte, daß die arıne Arichedeputat ion ſelbſt nichts 
weiter ;u than haben würde, als die von den brei Mächten ge 
sebmigte Ausiheilung gehorſamlich gutzuheißen. Unterdeſſen 
derfachten die geiſtlichen Schaͤflein, den Wölfen, von denen fie 


fi) umgeben fahen, noch allerlei bewegliche Borſtellungen zu 
machen, B. daß es eine —— waͤre, ſolche gottge⸗ 
mweihte Güter an ſich zu ziehen, daß ihre Pluͤnderung bald ans 
dere nach fich ziehen würde, daß, wenn eine Sntfchädigung bars 
aus zu geben ſei, fie nicht ausfchließend von der geifttichen, ſon⸗ 
bern auch von der weittichen Geite geliefert werben müßte; baß 
man ſich ja auf guͤtliche Abfindungen in Geld ober nur theil⸗ 
weiſe Abtretung verſtehen koͤnnte. 


Ferner ſetzten die betroffenen geiſtlichen Fuͤrſten den 
kandverluſt am linken Rheinufer in Ihren Anfchlägen 
herunter, proteficten, daß das beutfche Reich wegen Vers 
lufte fremder Länder, wie die Erbſtatthalterſchaft in Hol⸗ 
land ſei, einſtehen ſolle; und als dies Alles nicht vers 
fangen wollte, fielen fie untereinander felbft ab, Die Bi⸗ 
ſchoͤfe wollten die Güter der Kloͤſter preisgeben, die Erz⸗ 
bifhöfe wollten wieder die Bisthuͤmer opfern und zu bies 
fem Plane die drei geiſtlichen Kurfürften durch die ges 
meinſchaftliche Theilung von Salzburg, Muͤnſter und 
Dulda bewegen. Mainz mollte fogar zu Allem ſtimmen, 
wenn man nur dafür forge, daß Mainz der beutfche Patriarch 
und Primas werde, denn ohne einen „Archi-Cancella- 
riss Imperü per Germaniam werde man das liebe deut: 
ſche Vaterland doch wol nicht beftchen laffen”. Da ins 
beffen Niemand, auch die Franzoſen nicht, über den Ge⸗ 
fammtbetrag der deutſchen Verluſte am linken Rheinufer 
im Reinen war, fo unternahm der Archivarius Lang 
felbft eine Statiſtik diefer Länder zu entwerfen und druden 
zu laflen. 

Da Preußen durch bie im Frieden von Campo⸗Formlo 
gefegten Artikel vor der Hand nicht auf Vergrößerung 
Anſpruch machen konnte, fo erfläcte es jest, das grofmie 
thige Opfer bringen zu wollen und für die Verluſte am 
Rhein nichts zu begehren, wenn Öftreih die für die Nies 
derlande ergriffenen italienifhen Staaten wieder aufgeben 
wollte. Diefe Erklärung, deren wahren Sinn man ans 
fangs nicht erfaßte, verurfachte eine ungeheure Freude 
unter den beſtimmten Opfern, aber bald follte auch biefe 
zufammenfallen. ſtreich ließ ſich durch dieſe Grimaffe 
weder erſchrecken, noch konnte es Preußen in der That 
von einer wirklichen Entſchaͤdigung abhalten, das um fe 
weniger auf die Secularifation verzichten durfte, als «6 
ben Genoffen der basler Separat:Friedensfhlüffe, Baden, 
Heſſen⸗Kaſſel, dem Erbſtatthalter, Würtemberg, Huͤlfe und 
Vertretung ſchuldig war und dem Haufe Zweibruͤcken 
ein volles Antheil der auf dem Anfall fichenben pfalgs 


2.013 
bateifchen Lande fihern, mie bie Abreißung des Stüdes 
von Altbaiern bis Wafferburg hindern wollte. Indeſſen 
batte man früher an die Secularifation der geifllichen 
Güter nicht gehen weilen, fo konnte man bald genug: 
nicht zu weit greifen. Man beachte nun nicht aller 
"Band und Leute in Anfchlag, fandern auf) commtereielle 
Vortheile, Rheinzölle, Kriegsſchaͤden und die geiſtlichen 
Güter wollte man nit nad Flaͤchenraum, fondern nad 
ihrer meift geringen Population, nah dem Maßſtabe ih» 
rer fchlechtverwalteten Einkünfte und nah Abzug aller 
darauf haftenden Schulden Überwiefen haben. Beſonders 
machte Lang diefe Dinge im Intereffe Preußens geltend. 
Denkt man fid aber zu diefem Menfchen: und Länder: 
wucher ein tolles und taumelndes Sinnenleben, das, wie 
Lang erzählt, trog fo vielem Jammer und Berlufte in 
Raſtatt aufgefchlagen war, und auf der andern Seite 
eine große, aber für ihr Schickſal faſt gleihgültige, wenig: 
ſtens unthätige Nation, fo kann man fi des Grauens 
Uber diefes Spiel gewiß nicht erwehren! 

Da nun die Frangofen, fagt Lang, jegt eigentlich 
immer noch nicht recht wußten, was fie wollten, da fer: 
ner Öftreih das gewuͤnſchte Stud von Baiern nicht ers 
fangen konnte, England über die Fortſchritte Frankreichs 
in Malta, Koppten und Italien Gift und Flammen fpie, 
fo gerieth der Congreß in foͤrmliche Stockung; er wurde 
am 8. April von der aiferlihen Gefandefhaft aufgelöft 
und am 12. Mai erflärten die kampfluſtigen Franzoſen 
aufs neue den Krieg. Über die Ermordung der franzöfl: 
ſchen Gefandten erklärt fi Lang ungefähr fo, wie fie 
ſchon in der neueften Zeit aufgefläre worden ifl. Er 
fagt beſtimmt aus, daß oͤſtreichiſches Militair, und zwar 
von der Escadron eines Rittmeifters Burkardt, den Mord 
ausgeführt habe; er getraut fid) aber nicht zuzugeben, 
noch glaubt er, daß es mit Bormwiffen eines höhern Com: 
mando, noch viel weniger des Eaiferlihen Hofes ſelbſt 
gefhehen ſei. Kaͤme es auf fein Dafürhalten an, fo be: 
kennt er zu glauben, der Graf von Lehrbach habe auf 
feine Kauft dieſe gräßliche That herbeigeführt, im Aufz 
teage der Engländer, denen ein ſolches tragifches Schau: 
fpiel der Wuth und Rache als ein Pfand der erneuerten, un: 
verſoͤhnlichen Feindſchaft zwifhen Deutfhland und Fran: 
teich geften follte. Die Motive, die Lang angibt, müffen 
hier auf fich beruhen. Der preußifhe Gefandte, Herr 
von Dohm, fuchte auf Drt und Stelle bie Spuren bie: 
fe6 voͤlkerrechtswidrigen Verbrechens zu entbeden, efne 
Sache, die ihm von den größern Höfen, und zwar von 
Preußen auch, fehr Übel genommen wurde. 

Dee zweite Theil der Memoiren hebt nun damit 
on, wie Lang als preußifcher Kriege: und Domainencath 
bei der Kammer zu Anſpach fungiert. Er hatte die Lan: 
beshoheitsfachen, das Schul⸗, Kirhen:, Stiftungss und 
Gefaͤngnißweſen des Landes zu. verwalten und zeichnete 
fih in diefem Wirkungskreife durch Humanitaͤt, Libera: 
lismus, Thätigkeit und ftrengfte Rechtſchaffenheit aus. Es 
ift mit großem Intereſſe zu lefen, von welchen Grund: 
fägen er geleitet wurbe, wie er in die damals emporblü⸗ 
bende Innere Politik des preußifchen Staats einging und 


10. 


% 


wie er ohne Ruͤckſicht die Perfonen und Zuflänbe maß 
und beurtheilte, mit denen er in Beruͤhrung kam. Cr 
hatte jest das Unglüd, in kurzem das dritte junge Weib 
zu begraben ;, "feine äußern Berhältniffe hingegen "warn 
duch Erpfhaft bluͤhend und: gänzlich unabhängig gewor⸗ 
den. 8 gegen den Herbft 1805 leitete und vollendete 
er die Grenzberichtigungen zwifchen Baiern und Preußen, 
ein Geſchaͤft, auf das er viel Werth legt und das nur 
feine Gewandtheit und außerordentlihe Geſchichtskenntniß 
der fraͤnkiſchen Länder gluͤcklich beenden konnte. Als 
1806 nad der unglüdlihen Kataftrophe Anſpach an 
Baiern fiel, zog er es vor, ein bost beguͤterter Mann, in 
die bairifhen Dienfte zu treten. Zu feiner „Geſchichte 
des Furſtenthums Baireuth“ fügte er jegt noch Die „Ans 
nalen des Fuͤrſtenthum Anfpach” unter der preußifchen 
Regierung, worin die Charakterificung dee Perfanen im 
Lapidarſtyl aligerneines Auffehen erregte. In den Kriegs⸗ 
jahren felbft leitete er die Angelegenheiten bes anſpachi⸗ 
(den Landes mit Stud und Zufriedenheit fort, aber ale 
einen felbiländigen, unbeugfamen Mann, der feinen Bor: 
gefegsen wol oft zu fchaffen machte, ſcheint man ihn end: 
id nah Münden felbft gezogen zu haben. Man trug 
ihm bier auf, die AUcchivangelegenheiten zu brforgen, und 
er brachte es auch trotz vieler Dindernifie dahin, den 
großartigen Plan eines Reichsarchivs zu entwerfen und 
zu vollziehen. ferner dirigirte er das bairifche Adelswe⸗ 
fen und nahm auf Grund biefes Amts an der neuen 
Conftituirung des Landes Theil. Als nach bem Sturze 
Napoleon's befonders in Baiern die politiſche Reaction, 
da6 Bureaufratenwefen und bie Adelswirthſchaft bereinbrach 
und Lang, obfhon jegt felbft Ritter, feinen vechtfchaffes 
nen und ernften bürgerlichen Charakter immer noch nicht 
verleugnen mochte, fo nahm er, tief gekraͤnkt, aus feinem 
Öffentlihen Wirkungskreife Abſchied und brachte die übri⸗ 
gen Fahre feines Lebens auf einem, aus der Wildnig 
ſelbſt gefchaffenen Landgute bei Anſpach in vielfacher lite: 
rariſcher Tätigkeit zu. Durch feine berühmten „Dam: 
melburger Reifen”, bie er allerbing6 anonym herausgab, 
bat er ſich auch dem größern Publicum als ein gebildes 
ter, geiftreicher und talentvoller Mann bewährt. Er 
durchreifte in feinen fpäteften Jahren ganze Theile von 
Deutfhland, den Torniſter auf dem Rüden, und hat 
fein graues, aber noch munteres Haupt am 27. März 
1835 zur Ruhe gelegt. 

Leider müflen ſich unfere Bemerkungen über den 
zweiten Theil der intereffanten Schrift auf diefe trodenen 
Notizen beſchraͤnken, da ber Übrige Inhalt, fo wichtig, 
man muß fagen, fo unechört er auch iſt, in d. BL. wol 
kaum befprodhen werden dürfte. Wie die Reftauration 
in Srantreih, fo trug fie auh in Deutfchland, na⸗ 
mentlih in Baiern ihre herben Früchte. Adel, Höfi- 
ſche Sollicitanten und Emporkoͤmmlinge drängten ſich 
jegt in die amtlihen Stellungen Derer, die bieber 
dem neuen politiihen Geifte mit Ernſt und Nach⸗ 
druck gehuldigt Hatten, und namentlich Lang erbiefe 
yon diefer Seite eine Üble Vergeltung feiner fruͤhern 
Verdienfte um das Land. Wie die Reaction in Frank: 


ms, ſo mufte fie auch in Deutſchland in allen 
anllihen Sphären eime furchtbare Demenalifation her⸗ 
wien: GSeellenjägerei, Verfglenderung der öffent 
ken Oder, Gruufamtelten und ſchreiende Rechtsver⸗ 
nun, die um fo grauenvollee find, je mehr das Ge⸗ 
dinij auf ihnen gelegen und zum Theil immer liegen 
a — das find fe bie Gapitel, zu welchen die Lang’ 
ka Remoiren eine Meibe von Belegen und That: 
bien liefen. Man follte das Buch gerade wegen biefer 
Enthälungen nicht verbieten, fondern mit einem ehrlichen 
and guten Gemwifferr Die Thatſachen aufs neue unterfu: 
den, de immer noch zum Dimme um Race ſchreien. 
Unfern Leſern mögen dieſe Memoiren als eines der 
wichtigſten Actenfiüche für den Charakter unſerer Zeitge⸗ 
ſchichte beſtens empfohlen fein. Auguft Kurgel. 





Über deutſche Nationalgeſetzgebung. 


1. Über dentſche Rationalgefeggebung. Gin Beitrag zur Gries 
lung gemeinfamer, für ganz Deuiſchland gültiger Gefegbücher 
uns zur Abſchaffung Des roͤmiſchen und franzdjifchen Rechte 
iasbeſondere. Bon A. G hrift. Zweite Auflage. Karlsruhe, 
Mile. 18412. Gr. 8. '22Y, Nor. 

2. Dos römifhe Recht am Permannsdenfmale. Gin Beitrag zur 
Berbefierung des Rechtsſtudiums in Deutfchland, vom Juſtiz⸗ 
tath X-Rautfuf. Berlin, Springer. 1842. Gr. 8. 15 Rgr. 

Schon bei Ariſteteles wird bie alte Grage, ob man das 
biöherige Recht nit codificiren und neue Legislationen geben 
fole, aus dem einfachen Grunde bejaht, daß Alles in ber Belt 
fortichreiten und fi beffern müfle. In Dekrſchland hat ſich 
eine fo einfade Antwort nicht geben laſſen, weil man lange 
3eit hindurch uickt recht sinig darüber werden Eonnte, was es 
wit dem Fortſchritte der Dinge in der Welt für eine Bewandts 
ziß bode. Den erfien Anftoß gab das Preußiſche Landrecht und 
biefed Unternehmen wird als erſter Verſuch achtungewuͤrdig und 
als Beijpiet nüglich bleiden. Dann beganu 1814 der von Thi⸗ 
baut angeregte Etreit um eine neue Gefeggebung, der indeß zu 
keinen Erfolgen führte, weit Thibaut eine deutſche Nationalges 
kigebung verlangte und einem ſolchen Unternehmen ſich politis 
(x Eäwiezigkeiten entgegenfellten. Nach dem 3. 1830, ale 
zn cn manchen Orten liberal geworden war, kam wieder bie 
War af Sefegbücher, boch diesmal in cinem ſehr verkehrten 
Die frciiinnıgen Leute in manden Fleinen beutfchen 
Etsarn mlündeten mit großer Zufriedenheit, daß man ihnen 
aches ætm Diagın auch deutfche Geſetzbuͤcher verſprochen habe: 
a Beripchen, welches zum Heile Deutſchlands nicht in Gr: 
Klug gegangen iſt. Es wäre, wie unter den ungedulbigen 
Ira cm Berge Sinai, welde das Geſetz nicht erwarten Eonns 
ken, ein goldenes Kalb — ober vielmehr eine Anzahl ſolcher Käls 
ber — eutfianden und die wahre Gefehtafel darüber zerſchlagen. 
Diefer Riberalisinus und fiin Geſchwaͤt ift jegt vorbei; 
kefüz erwacht aber die Cobificationsfrage aufs neue, und bieds 
mal a5 Rationalfrage- Mag jener Liberalismus eine wider 
zärtige Reminifcenz bieiben und uns durch feine freifinnigen 
Kerssartın nicht wieder daran hindern, der Frage und wo 
wözik, anch der Antwort darauf etwas näher zu kommen. 
Def die Geſetzgebung Deutfchlande, das Preußiſche Sands 
it wit eingefchloffen, auf die Länge nicht mehr beibehalten 
werben Ian, daß ein längeres Sögern und fiellenweiles Kuss 
in den einzelnen Staaten cin großed und das Erſcheinen 
ganjer Scegkücher in diefen Staaten das größte Ungluͤck ift, 
2a Riemzay Ieugnen. Die Schrift von Chriſt hat biefes auf 
ke bärbizfe und eindringlichfie Weile gezeigt und dabei mit 
kr baranf pingerwieien, daß die Deutfchen ih fchämen müf: 

R tin beutfches Hecht zu befigen und, wie es gerade fein foll, 

= eigen, franpöfiliem und — 


fo ed Gott gefiele, auch 


1 


rufſiſchem Rechte zu leben bereit fein waͤrden. Es müßte 
die Zeit endigen, in weicher man bie oͤffentiichen Einrichtungen 
als ein aͤußerlich Gemachtes und Begebenes bewußtlos hinnimmt 
und befolgt. Das Bolt müßte erkennen, daß die orbnungsvolle 
Gliederung feiner Verhaͤltniſſe im öffentlichen und Privatleben 
fein Gigenthum, fein Erzeugniß ift, und daß ihm biefes endli 

in ber gedankenmaͤßigen Form allgemeiner Säge auch Mar 
ausgefprochen werden und vor das Bewußtfein kommen müffe. 
In diefer Geſtalt eriftirt das Recht noch nicht, man hat Feine 
andere Reductionen des Rechtsſtoffes auf die gebanfenmäßige 
Borm, als Lehrbücher, und begreift oft den Sinn einer legisla= 


“tiven Arbeit fo wenig, daß man Geſetz- und Lehrbuch gar nicht 


voneinander zu fondern weiß. Daß jeder einzelne Bürger ein 
einfaches vater!ändifches Gefegbuch habe, aus dem er ſich Raths 
erholen koͤnne, und die Juriſten entbehrlich würden, iſt dabei 
nicht der Zweck. Daß dem Volke ſein Recht in gedankenmaͤßi⸗ 
ger Form ausgeſprochen und vor das Bewußtſein geführt wird, 
ſchließt noch jene detaillirte Belehrung des Ungelehrten nicht in 
ſich, die ſich ohnehin nicht durch einfache und noch weniger durch 
ausfuͤhrliche Geſetzbuͤcher erreichen laͤßt Es verhaͤlt ſich hiermit 
wie mit der Offentlichkeit der Rechtspflege; man täufcht fich, 
wenn man glaubt, daß bie einzelnen Leute in Frankreich alle in 
die Gerichte gehen und diefe controfiren oder ſich belehren. Auf 
ben empirifhen Erfolg im Cinzemen kemmt es aber auch gar 
nicht an; es genügt, daß bie Rechtspflege oͤffentlich ift, denn 
fhon durch diefes Princip nimmt das Volksbdewußtſein daran 
Theil. Ebenſo ift es mit Gefegbücern. Es kommt gar nicht 
barauf an und wirb auch nie erreicht werben, daß bie einzelnen 
Bürger fi feibft vom Rechte belehren koͤnnen; darum aber 
handelt es ſich, daß das Hecht als ein ausgefprochenes nationales 
Geſetz daftehe und fo vor das Bewußtſein der Sefammtbeit trete. 
Leider find wir nun nicht in der Lage, behaupten zu dürfen, 
daß der friſche und Träftige Geift des Volks das Nothwendige 
auch nothwendig machen!und fo hervortreiben werde, wir müffen 
umgekehrt hoffen, daß das unter glüdtichen Zeitumſtaͤnden raſch 
ergriffene Refultat jenen Geift erft wieder aufrüttele, wir muͤſſen 
erwarten, daß jett die Bedeutung des Bollvereins und ber leb⸗ 
bafter werdende Verkehr die Nothwendigkeit eines deutſchen Ges 
ſezbuchs praktiſch Klar mache, und daß unter diefen Umffänden 
die nationalen Anftande s und Ehrenrüdfihten — die in ber 
Schrift von Ehrift aus fehr richtigem Takte vorangeftellt find 
— überhaupt noch Beachtung finden werden. Bon bem Werthe 
und Unmerthe des jegigen Rechtezuftandes und der Nothwen⸗ 
digkeit einer deutfchen Rationalgeſetgebung fol hier nicht weiter 
die Rebe fein. Die ganze Frage ann in der Meinung aller 
Urtheitsfähigen bereits für entfchleden gelten. Damit man aber 
bie Sache doch nicht zu Leicht nehme und meine, dergleichen 
laſſe ſich — da man ja fo viele gute Suriften habe — leicht 
ing Werk richten, mollen wir die Schwierigkeiten und Hemm⸗ 
niffe betrachten, weiche ſich einer deutfchen Nationalgefeggebung 
entgegenflelen, und in biefem Punkte die Chrift’fche Schrift zu 
vervollftändigen fuchen. 

Das erfle Hinderniß iſt das allgemeine Leiden bet allen 
roßen Unternehmungen: die vis inertiae. &ı lange bie Ma⸗ 
Eine noch nicht ſtillſteht ober ein gelegentliches Nachſchieben 
noch helfen kann, entfchlicht man ſich nicht zu durchgreifenden 
Reformen. Diefe Bedaͤchtigkeit hat man indeffen eher zu loben 
als zu tadeln, fie bat uns in den Jahren unmittelbar nad 
830 vor dem Unglüde einer ganzen Anzahl deutſcher Geſetz⸗ 
bücher bewahrt. Gegenwärtig nahet fich ein neuer unb brin- 
genberer Anftoß, und wir bärfen hoffen, daß e8 am Ende nicht 
an Thatkraft und Entfchloffenpeit fehlen wird, ſobald die Noths 
wendigkeit der Sache unverkembar einleuchtet. ' 

Das weite Hinderniß iſt die Vereinzelung und ber Partis 
eularismus. Mit einzelnen Gefegbüchern in ben einzelnen Staa⸗ 
ten wird — wie Chrift bündig nachweiſt — nicht genügt, fons 
bern geſchadet: es wirb bie Wiflenfchaft des Rechts, auf bie 
wir flolz fein dürfen, getödtet, den Univerfitäten cin empfindli⸗ 
her g beigebracht und der Particularismus und bie Zer⸗ 





Prindy erhoben. Run aber entäußern bie 
einyelnen Staaten in einer Beziehung ihrer Souverainetät, fos 
bald nicht ein jeber ſich felsft feine Belege gibt und über den 
einzelnen Geſetzgebern eine durch Bereinigung Aller hergeſtellte 
Macht erſcheint, von ber die Gefekgebung ausgeht. Auch ift 
wol mancher einzelne Staat auf feine Befonberheiten ſtolz und 
glaubt allein bie Kräfte zur Erſchaffung einer guten Geſetzge⸗ 
bung zu befiten. Man bat befonders in Kleinen Staaten ges 
wiffe herkoͤmmliche Orakel, denen man «6 zutraut, etwas völlig 
Ausreichenbes zumege bringen zu koͤnnen, unb mit denen man 
leicht ſich dahin verftändigt, die Benugung fremder Kräfte nicht 
gern zu feben. Auch dieſer Particularismus ift zu überwinden. 
Die Vereinigung zu einer deutſchen Rationalgefeggebung würde 
eine völlig freie fein und die Souverainetätsrechte nicht beein« 
trächtigen, da jeder Staat das Geſetzbuch — ebenfo wie bie alls 
gemeinen Geſetze bes Zollvereins — ald das feinige zu fancixen 
und zu publiciven hätte. Dan ift nicht mehr fo aͤngſtlich wie 
fruͤher und erblidt in einer innigern Verbindung des beutfchen 
Volks nichts, was Souverainetätsrechten Gefahr drohen könnte. 
Der Glaube einzelner Beiner Staaten an ihre eigenen Kräfte 
ift aber meift eine Taͤuſchung. Dieſes wirb ſich bei der Betrach⸗ 
tung bes britten ſich entgegeuftellenden Hinderniſſes geigen. 

Diefes Hinderniß, das größte von allen, liegt in ber 
Schwierigkeit der Sache. Muß man dringend für ben Entfchluß 
zur Abfaflung eines Nationalgefegbuche fprechen, fo muß man 
ebenfo dringend auf biefe Schwierigkeit hinweiſen, da biefelbe 
dis jet oft überfeben if. Man traut fich leicht zuviel zu, man 
bat bisher Geſetze genug abgefaßt und zweifelt alfo nicht, daß 
mit ganzen Geſetzbuͤchern auch fertig zu werden fei. Nor dem 
nähern Eingehen wollen wir indeß nur eine cinzelne Thatſache 
bervorbeben. Wir dürfen behaupten, daß bie Rechtswiſſenſchaft 
in Deutſchland auf einem beimeitem hoͤhern Standpuntte flieht 
als in Frankreich, ja, ale in irgend einem andern Lande. Dene 
noch bat das franzoͤſiſche Recht in Curopa eine Wichtigkeit ers 
langt, bie weder feinem Werthe noch dem Standpunkte der 
feanzöfifchen Jurisprudenz entfprechend iſt. Außer feiner An⸗ 
wendbarleit in den Rhbeinlänbern, hat man es faft überall, wo 
eine neue Legislation nöthig war, zum Grunde gelegt und bie 
Codes theilweife woͤrtlich überfest. So bafirt fich bie Legisla⸗ 
tion ber wefteuropäifchen Staaten, Griechenlands, der italienis 
Shen Staaten, mehrer Schweizercantone und Hollands mehr 
ober weniger auf franzöfliches Recht. Won einer folchen euros 
päifchen Anerkennung beutfcher legislativer Arbeiten ift aber 
noch nie die Rebe geweſen. Das kommt nicht von ber allge: 
meinern Verbreitung franzoͤſiſcher Spradye und Sitte, fondern 

rabezu von dem Wertbe der frangöfifchen Codes her, die — 
5 viel fig gegen ihren Inhalt in materieller Hinſicht einwenben 
läßt — body auf eine Weife redigirt find, daß man fie wenig. 
ftens für durchaus brauchbar halten muß. Gerade die Redac⸗ 
tion ber Geſetze iſt es, welche man in Deutfchland — fo hart 
diefee Vorwurf auch klingt — erſt zu lernen bat. In Franke 
reich bat man einen glüdtihen Takt gehabt und bie rechte Art 
der Rebaction — einzelne Misgriffe ungerechnet — getroffen. 
In Deutfchland hat man ‚mar auch nicht daran gedacht, daß 
die Abfaffung ber Gefege eine Kunft fei, weldde man verfteben 
möüffe, man bat aber jenen Takt, der mit ber franzoͤſiſchen 
lichkeit zufammenhängen mag, nicht gehabt, und fo 

gang unbefangen dem Hange zur Gruͤndlichkeit nachgegeben und 
des Buten zuviel gethban. Eine Kunft ber Geſetzesredaction exi⸗ 
flirt alfo noch gar nicht, und man bat es immer nur einem 
richtigen Gefühle der Rebactoren zu banken gehabt, wenn guts 
gefaßte Geſeze zu Stande gekommen find. Um das Gefagte 
zu beweifen, braucht man nur die preußifchen Geſetzbuͤcher mit 
den franzoͤſiſchen zu vergleichen und neuere Legislative Arbeiten 
ins Auge zu faffen. Unfere Proceßgeſetze ſchwanken zwiſchen dem 
Charakter von Belegen und Inftructionen und Geſchaͤftsanwei⸗ 
fungen für die Gerichte. Der würtembergifche Entwurf eines 
Danbelgefegbuche von 1839 verzweifelt fogar, baß in Deutſch⸗ 
Land das zu codificirende Material ſich finden laffe, und nimmt 


12 


ben Code de commerce zur blages bie theoreti 
Ghmwäcen und Fehler des Code find auch zum Eye ara 
beibehalten, die einfache praͤciſe Yaffung & aber verloren ges 
gangen unb ber Entwurf if etwa noch eiamal fo umfangeeih 
und ausführlich) geworben als der Code de vommerce (8 
iſt zu erwarten, was aus dem heſſen⸗darmſftaͤdtiſchen Civilgeſeg⸗ 
buche werden wird, bei welchem nach oͤffentlichen Nachrichten 
ebenfalls der frangöfticye Code zur Baſis bient. Der befannte 
Entwurf einer Wechſelordnung für Sachſen von Ginert kuͤndigt 
fi ſeibſt als ein Lehrbuch für Die Genbeldisute am und ik — 
obgleich von einem fo anerkannt auögezeicmeten Rechtegelehrten 
verfaßt — auf eine Weile redigirt, daß man feine Brauchbar⸗ 
keit beftreiten muß. Hieraus kann man abnehmen, daß die’bes 
zeichnete Schwierigkeit allerdings eriflirt. Wir müffen aber 
noch mehr von uns verlangen, als bie Franzoſen geieiftet has 
ben: wir müffen mit größerer theoretiſcher Schärfe das Mate 
rial feſtſtellen und dann nit im Verlaſſen auf richtigen Takt, 
fonbern prineipgemäß beffen Gobification vornehmen. Cs ift 
bei dem Srotze, den wir auf den Standpunkt der Jurisprudeng 
in Deutfäptand haben dürfen, gar nicht zu begreifen, wie man 
ein franzöftiches Geſetzbuch, weiches, ungeachtet der aprieriichen 
und unbiftorifchen Richtung, der Zeit, in welcher die Codes ents 
fanden, ganz blind der Autoritaͤt der Altern Zurijten folgt, Im 
Deutſchland zur Grundlage nehmen und fi fo in zweiter Pos 
tenz der Autorität ſolcher Rechtöiehrer ergeben Tann, die ben 
unferigen weit nachſtehen. In Deutfchtand feibft ift dad Mate 
rial & unfern Gefegen zu finden und die Adoption eines frem⸗ 
ben Geſetzbuchs kommt mit einem apriorifchen Seſetzmachen ganz 
auf Eins heraus. Gteht aber das Material feft, fo reicht man 
mit der guten Abfiht und ber Anficht, die Ehriſt heat; es 
braudge uns um die Form nicht bange zu fein: Verſtand und 
rechter Sinn trage mit wenig Kunſt fi felbft vor, auf keine 
Weiſe aus. Chrift koͤnnte, abgefehen von ben Lehren der Er⸗ 
fahrung, confequentenweife die Sache nady feiner eigenen Lehre 
fo einfach nicht finden: er verdammt allgemeine und abflract 
gehaltene Geſetze und ebenfo detaillirte Geſeze. Er erfobert: 
„Nur wenig Anordnungen des Öffentlichen Rechts, wie z. B. 
Sorge für die Minderjährigen, Vorſchriften wegen der (Ehe, 
wegen ber Erbſchaften, wegen ber Grund» und Liegenfchafts« 
bücher und für das erfahren. Alle andere Beltimmungen, 
was nur im Unterfchiede des Öffentlichen Rechts Vorſchriften ber 
Wiffenfhaft bes Rechts find, wären überfiäffig und ihre Auf: 
hebung, ſelbſt in unfern, aus biefen Zuftänden bervorgegangenen 
Staatögebitben, würbe nur vorübergehenb uns auffallen.” Es 
möchte indeß ſchwer fein, nad) biefen Grundfägen Geſetze zu re: 
digiren, auch möchte babei ber Zwec einer Todification: ben 
Rechts ſtoff in der Form der Allgemeinheit zum Bewußtſein zu 
bringen, nicht zu erreichen fein. Es fcheint, als ob in Deutfi 
land die Theorie erſt der Anwendung vorangehen müfle, benr 
was bisher in Deutſchland über die Codiſtcation gefchrieben if 
bat nur bie Frage: ob, nicht aber die Frage: wie, erſchoͤp 
Rach Entſcheidung ber erften Frage, müßte man ſich nun übe 
bie zweite verfländigen, denn es flände der deutſchen Gruͤndtich 
keit und Tuͤchtigkeit Abel an, wenn. fie nicht einmal bis an bi 
Schwierigkeiten ber Sache durchbränge und fich durch fo mean 
Ken misgluͤckten Verſuch und das Beiſpiel der europälfchen An 
ertennung, welche bie franzoͤſiſchen Codes: gefunden haben, nich 
warnen ließe. In diefem einen Punkte, bei ber bezeichnete 
zweiten Frage: wie, find uns andere Nationen auch fdyo: 
theoretify voraus und befigen darüber eine Literatur, die un 
noch fehlt. Da uns nach Entſcheidung der Brage: ob, jest bi 
zweite Frage näher rüdt, fo ift zu erwarten, daß man fich, ef 
man frifhweg Geſetbuͤcher madıt, ernfllih mit ihrer Löfan 
chaͤftige. Es wird alsdann nicht fehlen, daß wir eine Flarer 
und beffere Theorie über die Art und Weiſe der Gobification eı 
balten, als fie von Bentham und feiner Schule, Cooper, Meyt 
u. J. ſtizzirt ift, und daß fo gänzlid in der Form misgläch 
legitiative Berſuche, wie ſich jest nachiveiſen lafien, ferner nid 
vorkommen werben. 4. 


Werantwortliger Dezauögeber: Heintib Brodhaut. — Drud und Verlag von E. I. Brodhaus in Leipzig. 


ld tfter 


für 


literarifdbe, 


Unterhaltung. 





Mittwod, 


Stimmen der Beit. 


L Lieber der Gegenwart. Königsberg, Theile. 
22%, Nor. 

2%. Ghrenfpiegel des deutſchen Volles und vermifchte Gedichte. 
Bon Friedrich v. üchtritz. Düſſeldorf, Schaub. 1849. 
&. 8. MM NRgr 


3 Gedichte von Kriedrih Hebbel. Hamburg, Hoffmann 
und Gompe. 1842. Gr. 8. 1 Ihr. 

4, Eebensfomptome von 3. Horwig. Berlin, Lefecabinet. 
1842. 8. 1 Ahle. 


1842. 8, 


Bier fehr verſchiedene Gedichtſammlungen von vier fehr 

verfchiedenen Dichten aus Königsberg, Düffeldorf, Ham⸗ 
burg und Berlin. Wir wollen uns der Mühe überheben, 
ipre Ähnlichkeit und Verſchiedenheit in voraus aufzufuchen, 
und unfern £efer der Berlegenheit, fidy zu zwingen uns zu 
folgen, oder unferm Witze den Zwang anzufehen, und ſich 
frei zu madyen. Das Einzige, was ich vorausfhide: wir 
haben ed mit vier Dichtern zu thun und ihre Gedichte 
paffen unter den Zitel. Sie find Stimmen ber Zeit. 
Das liege ſich freilich von allen echten Gedichten Tagen, 
denn fein Dichter ſingt aus feiner Zelt heraus. Auch 
wenn er als Prophet einer Fünftigen auftritt, ſingt er doch 
wu mit den Organen, welche in der Zeit, in welcher er 
ik, erifticen und Geltung haben. Aber ihre Beziehung 
x Zt Liegt näher; fie haben das Bewußtſein in 
Sb, das fie in Relation zu derfelben flehen und daß «6 
ie Aufgabe ift, an derfelben mitzuarbeiten, was an 
Yan ill. 

Keck und dreiſt fleht dies den erfigenannten Liedern an 
dr Stimm gefchrieben. Sie nennen fich felbft „Lieder der 
Geyumart” und find? aus Königsberg. Der Dichter 
bidmwört in der Widmung ale Zauberer die entfchwuns 
denen Zage : 

Vergangenheit erftcht aus ihrem Grabe; 
neuen Schmerz fügt fich die alte Klage: 
Daß nichts Beſtand ats die Verweſung habe, 
Daß eine Zeit der andern Leiche trage, 
Daß nur aus Todtenſchaͤdeln die Geſchichte 
Die ew'gen Monumente ſich erreichte. 
€, nod fo jung und ſchon zu biefer Meflerion gelangt! 
jung iſt noch der Verf., wir bören fogar, fehr jung. 
Teer es gibt in der Jugend eine Zeit, two man mit dem 
Zede kokettirt. Die Periode dafür, die fentimentale, mein: 
za wir indeß, fei voruber. Sie hing mit der Sehnſucht 


— — Nr. | 4, — 


4. Januar 1843. 


nach dem Ideale zufammen, mit dem füfen, traͤumeriſchen 
Schmerze, mit dem Hinhorchen nach der Sphaͤrenmuſik, 
was jegt mit allem Schwärmen längft abgethan und aus 
dee Mode ifl. Der Realität gehört die Welt, alfo auch 
bie Jugend an; fie ſchwaͤrmt nur nach vorwärts. So iſt 
es denn auch hier gemeint. Man ſchichtet die Todten⸗ 
ſchaͤdel zuſammen, um Platz fuͤr das kommende Leben zu 
gewinnen, der ungenannte Dichter iſt ein Dichter des Vor⸗ 
waͤrts; mit Maß in der Form, in der Geſinnung ſo weit 
voraus als die Kuͤhnſten unter den Kuͤhnen. Er fuͤhlt 
ſich gedrungen den Reigen fortzuſetzen, den er in ſeiner 
Wallhalla feiert: Boͤrne, Heine, Anaſtaſius Gran, Karl 
Bed, Frelligrath, Lenau, Gutzkow, den Nachtwaͤchter (Din: 
gelftedt), Herwegh. 

Er ift ein Dichter, der, was er fpricht, fühlt, und mas 
er fühle, ift ihm In dem Augmblid Wahrheit. Aber ob 
ibm dann nicht Bedenken kommen, wenn er diefen Rei: 
gen feiner Erwählten muftert, die voran waren im heiligen 
Kampfe, und darunter fo manden Abtrünnigen erkennt 
— Einige geißelt er dafüc —, daß ein Umfchlag möglich 
it, ja, daß ein Umfchlag in der Übergipfelung felbft ber 
dungen ift? Den Dichter und den Mann der Wahrheit 
darf das freilich nicht abhalten vorwärts zu gehen, und 
vor Allem nicht den Juͤngling; er muß denken: du bift 
durchaus wahr, bei dir muß die Wahrheit treu bleiben, 
denn du haft die Bewußtſeinskraft in dir, dag du dir ſelbſt 
treu bleiben wirft, Wo wäre je etwas Großes zu Stande 
gefommen ohne diefe friſche heilige Überzeugung. Aber 
gingen die Andern nicht von derfelben Überzeugung aus? 
Sehen wir ab von Börne, der im Unmuth über fein Va⸗ 
terland in der Fremde verfümmerte und flach. Kann er 
noch jest Deine als Vorkaͤmpfer für feine Sache anerken⸗ 
nen? Wer fand höher, wer war gefelerter als der wiener 
Spaziergänger, der Dichter bes „Schutt? Dit welcher 
mächtigen poetifhen Kraft bat er an bie alte Welt und 
ihre morfchen, wankenden Ruinen gefchlagen und hat fich 
jest, in Verzweiflung oder in Unmuth, warme Stuben 
dazwiſchen eingerichtet. Seien die Motive, welche fie wols 
len, das Factum ift Bar, er bat der Sache, deren glüs 
hendſter und glücklichſter Vorkämpfer er war, den Rüden 
gewandt. Wo ift Karl Beck, der mit dem keckſten Übers 
muthe die alte Philiſterwelt zerzaufte und feine Raketen 
des Wiges in den dunkeln Dimmel ſchoß? Hat er nur 


- 


14 


eine der theffalifchen Deren, den bleihen Mond’ bezaubert, 
daß er für eine Nacht ſchwarz ward. Er ift heimgekehrt 
in die braunen Haiden feines Ungarlandes, Freiligrath 
gehört kaum bahin. Seine Europamüdigkeit kam wol 
nur von der Müdigkeit, am Comptoirtiſch zu fliehen, wähs 
rend ihm die tropiſchen Düfte und Farben aus den Cor: 
tefpondenzbriefen finneberaufchend entgegenathmeten. Er 
bat feitdem die Ruine von Rolandéeck wieder ins Leben 
gefungen und, damit nicht zufrieden, auch den altın go= 
tbifchen Lölner Dom. Seine Zubunft ift noch innig vers 
fchwiltert mit der Luſt an der Vergangenheit. Lenau — 
von dem nachher. Gutzkow? Gehört diefer noch zu den 
Sturm: und Drangmännern, nachdem er feine ‚Briefe 
aus Paris” gefchrieben? Der Nachtwaͤchter iſt noch ſehr 
jung und war ſehr unzufrieden, und hat gewiß wie Alle 
Grund dazu; aber er fol auch in Paris unzufrieden gewelen 
fein, und — wird er nie umkehren? Herwegh fteht jegt ba, 
wo früher Anaftafius Grün fland, nur daß er noch Feder 
und allgemeiner gegen Vergangenheit und Gegenwart 
kaͤmpft; aber auch er ift ſehr jung, und was mehr, er 
iſt ein echter Dichter. Die Zeitungen laffen ihn fagen: 
wenn ed zur Frage kaͤme, entweder Dichter oder Politis 
ter? fo babe er bereitd entſchieden. Die Zeitungen find 
freilich eine Autorität, die nie lügt, aber die allgemeine 
Menfchennutur ift auch eine Wahrheit mit einem fo alls 
mächtigen Schöpfungs : und Gaͤhrungsproceß, daß bie 
Klügften unter den Klugen noch fein Schema der mög» 
lichen Umfchläge, die aus der Gemuͤthswelt hervorgehen, 
gefunden haben. j 
Der Sturm und Drang ift da; unleugbar. Es ift 
ein biftorifches Factum, daß alle Edlern und Beſſern ſich 
binausfehnen nad freiern Zuftänden ale die, welche man 
uns bis da als gut, als nothwendig gefchildert hat. Wagt 
man es doch fogar nicht mehr une das Öegentheil beweis 
fen zu wollen. Es find nur noch die morfchen Policeis 
ſchranken. Und weshalb weichen fie nicht folcher begeiftere 
ten Kraft! Es find nicht mehr Sängerflüge allein, das 
Volk fühle mit feinen begeifterten Barden. Warum tra⸗ 
gen fie nicht daffelbe mit in ihre Senfeit hinüber? Die 
Hemmungen thun es nicht. Die Cenſur konnte laͤngſt 
nicht mehr hindern, nur Ärgern. So muß denn alfo doch 
eine moralifhe Kraft da fein, die noch zu überwinden 
wäre. Wo ift diefe heimliche Scheu zu fuchen, daß «8 
nicht gelingt, wie die Kühnen wollen? Entweder ift das 
Senfeit noch gar zu unklar, oder es iſt noch Anhaͤnglich⸗ 
keit an der Vergangenheit im Volle. Wir meinen Beides. 
Wo ift das neuconftruirte Gebäude ? 
Es ift nicht hier und nicht dorten, 
Es ſchaukelt ſich wie ein unfchuldiges Kind auf des Sängers 
blühenden Worten 
ließe fih mit Immermann antworten. Selbſt der Bes 
griff fehlt noch in voller Klarheit den Bewußteſten. Und 
wäre der Begriff volftändig, conftruirt in allen Details, 
fo bliebe er doch nur ein Begriff; nicht um deswil⸗ 
len, weil er noch nirgend zur Wirklicykeie wurde, fondern 
weil es im Berftande allein wurzelt, weil Gemüch und 
Phantafie nichts damit zu thun hatten. Iſt es ein Kaͤth⸗ 


fel, weshalb die wahre Dichternatur fich davon abmendet, 
wenn fie nahe am Ziel iſt! Wir find ein Volk, in dem 
das Gemuͤth ſich nicht verleugnen läßt. Ich füge, Gott 
fet Dank, daß wir es find. Er ift unfer feftefter Schild. 


- Dafür daß er nicht zu groß werde, und die Ausficht und 


Umſicht verdede, iſt geforgt. 

Und meshalb gelingt der Bau nicht? Weil man alle 
Sundamente der Vergangenheit verwirft, weil jeder von 
heute, von ſich an batiıt. Das Volk fühle, ohne «6 ſich 
bewußt zu fein, heraus, daß das nicht die Art iſt, daß «6 
thöricht fei, anzunehmen, die Vorzeit tauge fo wenig, daß 
der Weiterbauende nicht bdiefen und jenen Stein, wenn 
nicht zum Eds oder Grundflein, doch als Pfeiler, Drnas 
ment brauden folle. Es ift die eingeborene Pietät, die 
ba iſt, wie fie fih auch Mühe gibt, fi) zu verleugnen. 
Die am weitelten voran find, fühlen das auch in ihrer 
Dde. So lange das große Gefolge mit Sang und Schell 
den Geiftern folgt, werden fie die nicht Inne; es geſchieht 
erſt, wenn fie mit ihren größern Kräften den Worfprung 
gewonnen, daß ihnen die Maſſe nicht folgen kann. Ein 
eigenes Gefühl mag fie dann befchleihen, ſich fo allein zu 
feben, und um was? Um eine dee; das ift freilich ſchoͤn, 
mit der MWolluft des Märtprergefühls verbunden. Aber 
um eine Idee zum Bellen der großen Maffe, die fie in 
ihrer letzten Gonfequenz nicht faßt. Das ann Verach⸗ 
tung, bittere Verachtung erzeugen und einen haͤßlichen 
Umfchlag, mit noch haßlichern Motiven. 1 

Damit ſei nichts gegen den jungen Dichter der „Liee 
ber der Gegenwart” gefagt. Er ift im Sturm und Drang 
geboren, der nur aus der Negation feine Begeifterung 
faugtz; er muß mit. Gluͤck auf zur Fahre. Wir haben 
nicht6 dagegen, wenn er die Genannten anredet: 

Ihr Heldengeifter, beutfchem Blut entfproffen, 

Die Ihr des Wortes fcharfe Schwerter ſchwingt, 

Rad) des Jahrhunderts fchönften Kränzen ringt, 

Des Rechts, der Freiheit treue Rampfgenoflen : 

Du heil'ge Schar, bie, Glied an Glied gefchloffen, 

Trytaͤus“ Sturmgefang, den Paͤan fingt, 

Kriegemüthig in bes Keindes Reihen bringt 

Auf des Gedankens lichten Sonnenroffen. 

Es liegt in der Natur der Sache, daß er Boͤrne fuͤr den 
Märtyrer deutſcher, freier Geſinnung erklärt, den Frank: 
reich zum legten Dienft feine Erde leihe: 

D Deutfchland! Land der Kürften und Barone ! 

So reichlich lohnſt bu deinem freiften Sohne. 
und 

Er ſtarb an deinem Schmerz, an deiner Schande 

Und liegt begraben in dem fremden Lande! 


und daß er Alle, die nicht in Boͤrne's letzte Rhapſodien 


einſtimmten, Poͤbel nennt, treue, wohlbeſtellte Schweines : 


huͤter, die ihrem allergnaͤdigſten Gebieter die Hand kuͤſſen 
und die ihm, dem neuen Heiland ins Angeficht geſpien 
und ihn geſchlagen haben. Er iſt jung und iſt begeiſtert, 


und für eine Perſon. Mir hören ihm ferner gern zu, 


wie er Deine, den Dichter, wieder aus feinem Herzen 
reißt und begräbt: 
— in das meite Grab 
Leg’ ich al deinen Dichterruhm, 
Und den Geiſt, den titanenträftigen, 


ur 7 Dur 7 Zn 


EP CE uw ı 277 067 Bee 


wer 


le MER. 


/ 


a 


nad al bie himmliſchen Gaben 
Deiner Gele, 
Und ich reif deinen Namen 
Yus meinem Herzen, 
Und leg’ ihn auch hinein, 
und dann Alles zu mit dem Epaten, 
Gin einſamer Iodtengräber, 
sin, wie Judas Iſcharioth, um ſchnoͤde Sitberlinge den 
fa) an die Pharifäer verriet; wir hören ihm gern zu, 
das am deshalb feine Anfiche zu theilen. Wir Iefen mit 
zocı grijerm Vergnügen, wie er, in noch unerkalteter Bes 
giheeng für Anaftafius Grün, die gebäffigen Infinua: 
tonm gegen denfelben von ſich weiſt und abermals, in 
deſſen Weiſe fi hineindichtend, fingt: 
Kein! Ich kann es nimmer glauben, diefes Euggerücht 
von bir; 
GBicher it} uns hergeſendet aus des Beindes Hauptquartier; 
Denn wer Dichter, dem die Gottheit ſelbſt den Himmels⸗ 
ſchluͤſſel lieh, 
Beust vor einem kaiſerlichen Kammerſchluͤſſel nicht das Knie. 
Ver auf lihten Bergespöhen jagt dem Wild der Freiheit nach, 
SS, fünnahr, ein ſchtechter Diener in bes Fuͤrſten Schlafgemad). 
Ebenfo lich ih erwarten, daß Freiligrach ihm nicht genug 
thet, weil / 
feines Ganges Mufe 
Rear fen und ſchuͤchtern an der Freiheit Pforte 
anfiopfte; denn: 
Rod) ſtrahlten nicht des Friedens Morgenröthen ; 
Reg seite und Verſoͤhnung nicht die Palme, 
Roh if der Kampf der Bott, zu dem wir beten, 
umd er ruft ihm die bekannte Lehre zu, welche den Dich» 
ter bereite in den Zeitungen gepredigt wurde, bie er aber 
gewiß ald Dichter, auch gern in Verſen tieft: 
Partei! Yarteil Bier gibt es keine Mitte; 
Du Juste- milieu, gebörft dem Weltgerichte; 
Da, Gchredgeipenft, mit ſchwankem Geiſtertritte, 
Bas wandeiſt du am Tage der Gefchichte? 
Dad Beib will ſich mit Helden nur vermählen, 
de willen, was fie wollen, was fie wählen. 
dugüchjeliger Dichter, dera die Freien nicht erlauben 
Mat, der herunter fol aus feinen lichten Höhen, 
mfzyi zu werden. Auch diefer Irrwahn ſei vergeben. 
& Ein nothwendige Gegenpol dafür, daß unfere Väter 
va Die foberten, er folle ald blut: und fleiſchloſes 
Ben zuiſchen Dimmel und Erde ſchweben. Das Er: 
hau flat dem Extreme, es ift das unabmendbare Natur: 
# Bıram dem jungen Dichter alfo verargen, daß er dem 
Yan Chetus in den der Drang ihn führte, nachſpricht. 
Kr Eins frage ich. Wir haben viele Dichter gehabt, 
ie 5& von allem pofitiven Glauben losyerungen haben; 
% Inne aber feinen, der glaubensleer anfing. Ein Dich⸗ 
Werne, der ſich nach Offenbarung und Erloͤſung fehnt, 
im die in dem 6000Ojaͤhrigen oder 1800jährigen Leben 
Bi en zu Geſicht oder zum Bewußtſein gekommen 


Kin ausruft: 
Aus weffen Lenden 
Bi de, o Herr, den Himmliſchen uns fenden? 
Ber A fo auserwähtt in unfern Tagen, 
da eu gen Gott in feinem Schoos zu tragen? 
Sihgefianten — mohlverftanden im Begriff; uns 
Ya Dichtern fliehen ihm wenige zur Seite — verlans 


15 


gen nicht nach einem Meſſias; er iſt in jedem felbſt. 
Wie, deutete dies Verlangen vielleicht auf eine ganz an⸗ 
dere Wurzel, auf eine jener dunkeln koͤnigsberger Verbin⸗ 
dungen, die Darauf ausgingen, einen Meffias zu machen? 
„Bald wird erzeugt ber MWelterlöfer fein’, ſchließt trunken 
die Dithyrambe. Und nun muß Lenau büßen, daß er den 
Zweifel mit dem Glauben vertaufcht hat. 


— — Zu bes Gedankens Purpurtrauben 
Biſt du, ein Fuchs, umfonft emporgefprungen. 
Sie hingen dir zu hoch, bir iſt's mislungen, 
Das Streben, jene füße Frucht zu rauben. 
Drum ſchleichſt du fort, wie ein beflegter Ritter, 
Und nennft die hoben Zrauben berb und bitter, 
Dich felbft zu täufchen und die Welt zu trügen. 


Geſetzt, der Verf. wäre erſt 20 Jahr, was wird er im 
vierzigften, was im fechzigften Sahre fein? Nach den Er: 
fahrungsfügen der Pſychologie das gerade Gegentheil von 
Dem, was er jegt ift. Möge ihn fein echter Dichterberuf 
vor diefem traurigen Schickſale behüten und ihm einen 
Weg zeigen, wo auch fein Gemüth Nahrung finde. Fort: 
jufchteiten, d. h. auf dem eingefhlagenen Wege weiter zu 
süden, ift faum denkbar. Mit Vergnügen gewahren wir 
um deshalb alle die Momente feiner Poefie, welche ſich von 
der Negative frei halten und von der Pietät Zeugniß ablegen 
(3. B. gegen Schön), die zum deutſchen Blute gehört. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Das Elend der Tellus. Ein Berfuch das Publicum in das 
große Raͤthſel hineinzuführen. Bon P. Sceitlin. 
St. Ballen, Tribelhorn. 1842. 8. 26’, Near. 


Menſchliches Leben ift vergängtih, zu kurz für feine Be⸗ 
firebungen, unbefriedigend in Genüflen, der Plage und Noth 
voll, überhaupt gedruͤckt durch phyſiſche und moralifche übel. 
Dem Verf. ſchwebte dieſe alte Wahrbeit lebhaft vor Mugen, es 
war ibm aber nidt nur um eine Darftellung des Elends zu 
thun, fondern bauptfädhtlih um Antworten auf das Woher? 
Warum? Wozu? — ein fchauerliches Räthfel, wie cr ed nennt, 
welches noch Niemanb befriedigend loͤſte, was der Verf. auch 
nicht .befriebigend ıdfen ann und es daher „‚nur darftellen und 
nachdenken und anwenden’ lehren will. Das Thema, ſpricht 
er, interefiirt viel ftärker als felbft das Dimmelreich auf Ers 
den; denn dieſes ift inwendig, unfichtbar, das Elend fchauerlich 
ſichtbar; jenes ift allenfaus für die Vernunft, diefes für Phan⸗ 
tafie und Gefühl, als „viel allgemeiner verbreitete Potenzen“. 
Alfo behandelt die Schrift folgende ‚Kragen: „Was verftchen 
voir unter dem Elend ber Zellus? Wie wollte man ſich beflen 
Entftehimg erklären ? Welche Anftrengungen und Mittel find vers 
ſucht worden, es zu heben oder body zu mildern? Welches was 
ren die Erfolge, oder wie ſteht das Elend zur Zellus? Wie 
ertlären wir uns bie Entſtehung dee Cünde und des Unglüde? 
Welches ift der Endzweck dieſes tellurifhen Elends, wirb «6 
ewig dauern, und wozu mag des Verf. Anjicht benugt werden ?’' 

Nur einiges Wenige gibt Ref. von den Antworten. Unter 
Elend verficht der Verf. alle intellectuelle moralifche und phyſi⸗ 
ſche Unvollkommenheit, was bunfel iſt, dunkel macht und zum 
Dunkel fuͤhrt, das Gerade kruͤmmt, das Rechte umkehrt, jedes 
Unglück der Menſchbeit ber Entſtehung bed Elends werben 
die Angaben tes Moſes, der Inder, Ägypter, Perſer, Griechen, 
fpäterer Philofopben angeführt. Es zu heben fuchten Reli⸗ 
Hionsflifter, Sittenverbeſſerer, Geſetzgeber. Eigentliche Troͤſter 
für alle Welt waren nur David und Chriſtus. Aber die Mit⸗ 
tel und Zröftungen haben nicht ausgereiht, Gelige finden wir 
Beine. Der Menſch ift Sünder durch Gchulb geworben und bes 


darf einer Art Wiedergeburt als Umfehrung, ben Urſprung ber 
Sünde und wie daraus das Ungläd entfproffen, vermögen wir 
nicht einzufehen. Doch läuft die Tellus einer Veränderung ents 
gegen, wird eine Grneuerung zur Vervolllommnung werben 
müffen, Das Wann ift verborgen. Lord Byron ſprach einft 
in feiner Nachtanficht des menſchlichen Dafeins : 

And if I Jaugh at auy mortal thing, 

'Tis that | mey not weep — . 


und unfer Verf. ruft: „Odre auf, Sünde unb Unglüd! höre 
auf, entfegliches Doppelelend! Laß mich wenigftens im @laus 
ben, in der Sehnſucht, in der Hoffnung, Zuverſicht und Freude, 
daß du für Alle und alfo auch für mic) einmal ein. Ende auf ewig 
nehmeft, ruhen, zu den Sternen ſchauen und fanft in dieſem 
Schauen einſchlafen.“ Kür den einen ober andern biefer Gegen⸗ 
fäge entfcheide fich der Sterbliche, oder gar für. beide. . 





Vocabulaire du Berry, par un amateur du vieux lan- 
gage. Paris 1842. 


Es ift dies eine neue und fehr vermebrte Ausgabe eines 
Keinen Werkchens, das vor ſechs Jahren erfchien und das von 
allen Kreunden der alten Sprache mit ermunterndem Bei⸗ 
fall begrüßt warb. Die erfte Skizze ift in bem vorliegenden 
Werke zu einem ftattlichen Wörterbuche angefchwollen, das nicht 
nur fehr reich ift an den intereffanteften linguiſtiſchen Bemer⸗ 
ungen, fondern das zu gleicher Zeit fehr anziehende Mittpei- 
lungen über die Sitten und Gebräude einer wichtigen Provinz 
von Franfreid enthält. Berry iſt zwar weniger reich an origis 
nellen Ausdruͤcken ale bie Provinzen, die weiter von ber Seine 
abliegen, aber es hat immerhin eine ganz betraͤchtliche Anzahl 
diefee wahrhaft franzöfifchen Worte vom alten gallifchen Stamme 
beibehalten, die fpäter von bem einbringenden romanifchen Idiome 
verbringt find. Diefe mots espaves (verloren, verirrt, unbe: 
fannt), wie fie Rabelais in feiner alterthuͤmlichen Sprache fehr 
bezeichnend nennt, find durch die feinern, abgeſchliffenern Aus⸗ 
drüde, die der Iateinifhen Sprache entlehnt find, nicht immer 
ganz erfegt, und es ift zu bedauern, daß das neuere Franzoͤſiſch 
fie ‚verfchmäht. Sie verleihen dem Dialekte diefer Provinz einen 
ganz eigenthümlicdhen Reiz. Wir können und nicht darauf ein: 
laſſen, einzelne Beiſpiele diefer kernigen, derben Ausdruͤcke bei 
zubringen. Ebenſo wenig wollen wir dem Verf. auf das 
ſchluͤpfrige Feld der Etymologie folgen. Es fei uns nur er: 
Iaubt, bier ein paar einfache Bemerkungen mitzutheilen, bie 
uns beim Durdpblättern diefes reichhaltigen Vocabulaire aufgeftos 
Ben find. Der Dialekt von Berry (l'idiomo berrichon) bat 
im Ganzen Etwas, was an Rabelais erinnert. Es Liegt dies 
in einer großen Derbheit, zum Theil aber auch in dem unglaubs 
lichen ‚Reichthbum der Synonymen. Um bem Lefer einen Begriff 
von diefer Überfülle finnverwandter Wörter zu geben, mag es 

enügen, wenn wir fagen, daß biefer Dialekt allein mehr als 
Ausdruͤcke für die verfchiedenen Arten von Koth und Schmuz 
von dem flüffigften bis zum fteifften und klebrigſten hat. Wir 
haben ſchon gelagt, daB dieſe Mundart ferner eine große Anzahl 
alterthuͤmlicher Wörter und Wendungen behalten hat, die im 
mobernen Zranzöfif ganz verloren find. Es war deshalb ein 
gluͤcklicher Gedanke bed ungenannten Verf. diefes Vocabulaire, 
daß er befondere Ruͤckſicht auf die veralteten Ausbrüde nimmt, 
bie ſich in den Altern Autoren, finden und die in biefem Dialekte 
allein noch fortieben. Auf diefe Art hat mandye dunkle Stelle 
der frühen franzoͤſiſchen Schriftfeller eine Erklaͤrung gefunden. 

Wir finden aber, wie gefagt, in dieſem intereffanten Werke 
außer den rein ſprachlichen Erörterungen noch manche beach⸗ 
tungswerthe Notiz über die Sitten und Gebräuche der Bewoh⸗ 
ner von Berry. Wir heben einige derfelben aus und laſſen uns 
dabei vom Zufall leiten. Wenn nad) vollgogener Zrauung das 
neuvermählte Paar aus ber Kirche zuruͤcktommt, fo greift ber 


16 


Dann zu einem Garteninftrumente, begibt fich in. den Garten 
und arbeitet einige Augenblide lang. Während beffen hat bie 
junge Frau ihre Spinbel hervorgeholt und einige Baden gefpons 
nen. Diefe Foͤrmlichteit wird als ber eigentliche Anfang bes 
neuen Haushalts betrachtet. Sie ruft gewiffermaßen den Neus 
vermählten wie Nothwendigkeit eines angeftcengten Fleißes ins 
Gedaͤchtniß. Am Abend vor der Hochzeit verſteckt fi die Braut 
mit mehren ihrer Freundinnen in die Wölbung bed Kamins, 
über bie ein großer weißer Laken gefpannt if. Der Bräutis 
gam muß nun mit feiner Hand unter biefen Vorhang fahren 
und alle Hände der Mädchen berühren, um zu fagen, welches. 
bie Finger derjenigen find, die feine Lebensgefährtin werben ſoll. 
Der Berf. diefer intereffanten Schrift bat ſich nicht ger 
nannt, aber es fcheint mehr als Zufall zu fein, daß der Buchs 
druder auf ben Umſchlag des Werks die Ankündigung von 
zwei Schriften Aber Botanik gefegt hat, die vom Grafen Jau⸗ 
bert herausgegeben find. Diefer geiftreicge Deputirte, der durch 
feine ungeftüme Beredtſamkeit ebenfo bekannt ift als burdy feine 
wiffenfchaftlichen Unterfuchungen und feine Reiſen nad dem 
Drient, fiheint in ber That ber Verf. biefes Werks zu fein, das 
feinem Geifte und feinem Fleiße gleiche Ehre madıt. 6. 





Notizen aus Italien. 


Diejenige Literatur, über welche uns Deutfchen Börres uns 
ter der Bezeichnung Volksbuͤcher eine Üiberficht gegeben hat, 
ift in Italien noch fehr reich. Ein Berzeihniß und Bericht über 
biefe vielgelefenen, allgemein zugänglichen Schriften müßte für 
Kenntniß des italieniſchen Volkscharakters mannichfach lehrreich 
fein. Die Mehrzahl derfelben ift veligiöfen Inhalte, Leben ber 
Mabonna, ber Beiligen; unter den neueften hauptſaͤchtich das 
ber heiligen Filomena. Gin großer Theil gebört den Sagenkrei⸗ 
fen des Mittelalter an, wie bie „Beali di F'rancia “, „Gue- 
rino meschino‘‘, „Ms. gigante Morante.” Wenige find komi⸗ 
ſchen, modernen Inhalts, wie „„Bartoldo’ mit feinen Abkoͤmmlin⸗ 
gen. In Neapel geben ſolche Vuͤcher aus ber Druderei des 
Nicola di Simone hervor. In Rom find auch venetianifche 
Drude der Art zu haben. Ic kaufte biefe Sachen bort bei ei⸗ 
nem alten zerlumpten Krämer im Borgo vecdhio, links an der 
Straße, welde von ber Engelsbrüde nad der Piazza Ruflicucci 
und dem Vatican führt. Gebrudt werben fie bei Balbaffari. 
Auch die Preſſen von Viterbo und Tobi find in biefem Kreife 
thätig. In Lucca ift Mehres diefer Art bei Domenico Maree⸗ 
candoli und bei Francesco Bertint erfhienen. Natuͤrlich ſtets 
con approvazione,. con permesso. BVenedig fcheint au für 
biefe Erzeugniſſe wie für das fonftige Buͤcherweſen ciner ber 
bauptfädhlichften Pläge. Am Eingang der Kirche San: Marco 
gegen ben Marcusplag, am Dogenpalaft unter ben Ballen ges 
gen bie Lagunen haben bie Händler ihren Kram aufgefchlagen. 


Das alte Volkösdrama, das Puppenfpiel, ift in Italien 
noch nicht erlofchen. Auf der Riva de’ Schiavoni in Venedig ift es 
jeden freundlichen Mittag ober Abend zu fehen. Auf bem Wege 
von Mailand nach Genua fpät Abends in Novi anlangend, fas 
ben wir auf einem freien Plage eine zahlreiche Volksmenge vers 
fammelt, weldye mit gelpannter Aufmerkſamkeit der Darftelung 
eines Puppenfpielers folgte, welcher bei Kerzentiht im Freien 
fpielte. Der Italiener ift dußerft ſchauluſtig; faft jedes Staͤdt⸗ 
hen bat fein Schaufpielhaus. Wei diefer Anlage des Votks ift 
e8 boppelt zu verwunbern, daß fi ein cigentlih nationales 
Drama in Italien nie gebilbet hat; wäre es, wenn Italien fich 
als eine Nation fühlen Eönnte? Am Freitag, während ber Ads 
ventszeit und der großen Kaften find in Rom bie Theater ge= 
ſchloſſen. In ben legten Zagen vor Afdhermittwod wird, um 
die Luft noch bis auf die Hefe zu genießen, audy bei Tage ges 
fpielt. Am Morgen vor Aſchermittwoch fab ih im Theater 
Zorbinone Roffini’s „Moſes“ mit eingelegten Ballets. 7. 


Verantwortlicher Herausgeber: Leinrih Brokhaus. — Druck und Verlag von FJ. A. Brodhaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerstag, u — Kr. >. 


5. Sanuar 1843. 





Stimmen der Zeit. 
(Beſchluß aus Nr. 4.) 


Au ptiver Gegenſatz gegen ben vorigen jumgen Saͤn⸗ 
ger tritt der uns wohlbekannte ehrenwerthe Dichter Fried⸗ 
rich d. Uhtritz im feinem „Ehrenſpiegel des deutſchen 
Bel" auf. Ob er zu den Zufriedenen mit dee Gegen: 
war zu reinen fei, laſſen wir umentichieden, aber er ges 
bit nicht zu den Malcontenten mit der Vergangenheit, 
daf er allein von ber ungeberenen Zukunft das Heil des 
Vaterlands erwartete. Seinen Standpunkt fpeiche bie 
Mivmanz des Gediches an einen Fürſten ans, an den 

— der dem greifen, unerichöpften Dichter, 

Bon deſſen Mund dad Herz wie Honig tönt, 

Der Köuigegnabe hellſte Weihnachtslichter 

Entflemmt, bes Lebens Abend ihm verſchoͤnt, — 

Tom, dem fein Bott erſt halb die Gunſt geboten, 

Die es in Zukunft reicher zollt — dem Todten. 

Seine Tendenz aber wird Bar ans. der Rhapfodie, „Die 
Fit" uͤberſchtieben, die als Prologus die Wilder des „Eh: 
onfpiegel” vorführt. Sie hat von Cheops' Pyramiden 
& Alles erlebt, 

Dod nicht von Trümmern komm’ ich heut’ zu fingen, 

Rt in die Fremde führe ih Euch. hinaus, 

A Eurer Heimat Grenzen foll mein Lied 

Saharren, Cuch mit raſchem Fluͤgelſchlag 

Ins fernen Nebeln ber Vergangenheit 

Bis in ben Glanz des heut'gen Tages tragen. 
& wühlt nicht in Truͤmmern, um nur Schutt zu finden, 
ſendem ruft im Morgenroth des deutſchen Eithenwaldes 
ve greien Erſcheinungen der Vorwelt zur Anſchauung. Wir 
Men Kart den Großen und Eginhard und Emma in ans 
muhem Bildern und altdeutſchem Versmaße geſchildert, 
der vonüglich gelungen iſt; demmaͤchſt in großem Sprunge, 
we foger über Die Hohenſtaufenzeit hinfortgeht, das 
Butungfeft. Prolegus, der den in Naht zuſammen⸗ 
* Glanz der Hehenſtaufen bedauert, ruft aber 

sr. x 


i D ber Herrlichkeit, 
Der bein Sitt' und Kun, bie ſich im Gchatten 
Des ßen Papſt⸗ und Kaiſerkampfs entfalten ! 
Die zwei gethürmten Dome fleigen auf, 
As hebe fehnfuchtspoll die Melt die Arme, 
Den Simmel zu erfaffen. Selbſt der Stein 
Bergißt der Därt’ und der granitnen Schwere; 
Sr Müpt in Rofen, fleigt in ſchlanken Gpigen, 


Schießt aus in feinfter Bierath, — recht ein Wild 

Der rauhen Menſchenherzen jener Tage, 

Die ebenfo ein lindes Wehn durchdringt 

Und fanft in fanften Blüten fproffen madht. 

Bon Minne tönt des Sängers Mund 
und in einer der vielen Weiſen, in denen die ritterlichen 
Sänger von Mai und Liebesiuft gefungen, führt uns der 
Dichter das MWartburgfeft vor. Die Blüte edler Sitte, 
die in zartefter Milde ins Auge glänzte, ift bald vorüber; 
in den Burgen tönt ſtatt holden Minneſangs wüfte Raus 
feret und Becherklang. Die Mufe hat fi des Bürger 
enge Werkflatt erkoren, der Dichter führt uns in das 
reiche, mächtige Leben der Städte und zaubert und Hans 
Sachs' Brautzug, ein hoͤchſt gemütbliches, friſches, deut⸗ 
ſches Bild hin, in dem er die erſten Geiſter und Maͤn⸗ 


ner der Zeit, einen Willibald Pirkheimer, Georg Frunds⸗ 


berg aufführt. Die Erfindung ift glüdtich, der Ton mei⸗ 
ſterhaft getroffen. Weshalb aber der Dichter nöthig hat, 
ernft gemeint, oder ironiſch, dies Bild zu vertheidigen, 
wie es in den darauf folgenden Rahmflüden gefchiebt, iſt 
uns nicht faßlich. Es beißt da: 
Ihr mwerbet den Rhapſoden hoffentii 

Richt tabeln, daß er, der in Fuͤrſtenhoͤh'n 

Mit Euch verfebet hat, und ben flogen Flug 

Nur auf den hehren Bipfeln deutichen Lebens 

Ausruben wollen, bei des Handwerksmanns 

Brautiuft und Iäppifch rohen Soͤldners Einſpruch 

&o lang verweilt hab’. Haltet body auch Ihr 

Ridge niedrig, was ung, wie der Kriegermuth, 

Das Bürgerwohlfein jener Tag’ ins Ders 

. Aus unferd Volkes lichtem Kern zwei Strahlen 

Mit Eräftigend fruchtbarem Schimmer gießt. 

Und find der Dichter, Weife, Künftter, Held, 

Die auf der Reichsſtadt Straßen uns begegnet, 

Nicht Kieinod’ in dem Ehrenfchage Deutfchlands. 
Gewiß, das find fie. Wer bezweifelt's? Wer's aber bes 
zweifelt, weshalb an den Worte verfchwenden! Die Res 
formationdzeit beruhrt der Prologus nur. Sie hat Gro⸗ 
Bes, Gewaltiges, Derzerfchütterndes erzeugt, das Erfreuliche 
liegt aber mehr im Reiche des Gedankens, das Bild faßt 
es weniger. Der preußifch gewordene Deutfche führt ung 
lieber zu dem Regenerator des Hauptſtaats des proteftan: 
tifhen Deutfchlands, zum großen Kurfürften. In einem 
fein tüfternen Bilde wird uns der Süngling vorgeführt, 
der fih aus den Armen der Verführung losringt, ſtuͤr⸗ 
miſch den Lockungen im Haag enteilt, um als Held frei zu 


Unelnigkelt gefallen fei, das iſt hoͤchſtens auf den Egois⸗ 
mus einzelner Cabinete anzuwenden; es fiel, weil das 
deurfche Voll durch politifchen Abfolutiemus das Matios 
nalbewußifein und dann überdies jeder einzelne Bürger 
unter dem Scopter des Abfolutismus überhaupt jedes 
politifhe Bewußtſein verloren hatte. Das damalige 
Deutſchland mit feiner völligen Entnervung bes politi: 
ſchen Volksgeiftes und der Berfumpfung feiner focialen 
Verhaͤltniſſe und Zuflände würde fi) vor dem Andrins 
gen des neuen politifchen Lebens nicht haben halten koͤn⸗ 
nen, und wenn alle die Hunderte von Souverainen eine 
Politik, felbft wenn Deutfchland nur ein fuͤrſtliches Haupt 
gehabt hätte. Wenn man uns darum jest bei unferer 
erwachten Begeifterung für die Größe unfers Vaterlands 
immer wieder von der deutſchen „Einheit“ vorſpricht und 
vortrinkt, fo dürften wie deffenungeachtet immer noch auf 
dem Punkte wie im Gongreffe zu Raſtatt fichen, foll 
unter diefer Einheit die blos atomiftifhe der Gabinete 
und nicht die verfianden wurden, die aus der Gemein: 
ſamkeit freier volksthuͤmlicher Inftitutionen und Berfaf: 
fungen hervorgeht. Im Gegentheil wären wir immer 
noch der große atomiltifche Haufen, den man auf Con: 
greſſen veräußern dürfte, oder nicht. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifhe Notizen aus England. 


Ein Auffag über neuere Staatemänner im „Dublin 
monthiy magazine’’ enthält folgende Stelle: „Es iſt auffal: 
iend, wie empfindlich die Nechtögelehrten (natürlich nur die 
großbritannifchen) im Betreff ihres Geburt find. Sobald fie 
anfangen berühmt zu werden, fangen fie auch an — fei es in 
Kolge der Verbindungen, die fie angelnüpft, oder in Kolge der 
Vorurtbeile, die fie bei ihren juriftiichen Studien eingefogen — 
fh auf die ariftofratifche Seite zu legen, und möchten Jeder⸗ 
mann glauben machen, daß fie aus Magnatenblute ftammen. 
Die widerwärtigfte Trage an cinen vom Glück begünfligten 
Sachwalter it: „Was war Ihr Herr Vater?’ Auch ift in der 
That die Zahl Derer fehr groß, die auf der Bahn des Rechtes 
aus niedrigen Verhältniffen gu den höchſten im Staate gelangt 
find. Dex gegenwärtige Generalfiscal von Gngland, Sir 3. 
Polo, ift der Sohn eines Sattlers. Gin Laden in Sharing: 
Froß (in London und allen Zagdfreunden mwohlbefannt), jet 
im Befis der Herren GSuff, gehörte vordem Pollod Pere, der 
fein Gefhäft den bdermaligen Eigenthümern verkaufte. Der 
Vater des GBeneralprocurators, Sir William Kollett, treibt 
noch jetzt in der Nähe von Ereter Holzhandel. Sir John Wils 
liams, Advocat an der Queen’s- bench in England (es gibt 
auch eine Queen’s-bench in Irland) ift der Sohn eines york: 
fhirer Roßkamms. Sir Eduard Sugden, Kanzler von Irland, 
it der Sohn eines Barbiers. Doch macht Sir Eduard eine 
Ausnahme; er rühme fich feiner Herkunft. Als er bei ber cam: 
bridger Wahl, wo Lord Mounteagle ihn durch eine Majorität 
von 28 ſchlug, auf der Rednerbühne fland, rief ihm Einer aus 
dem Haufen zu: „Fort, fort, du Barbierefohn !’’ Ganz ruhig 
antwortete Sie Eduard: „Der Unterfchieb zwiſchen Dem, der 
das fagte, und mir befteht einfach darin, daß, wenn er der 
Sohn eines Barbiers wäre, er fein ganzes Eebelang es zu 
nichts Anderm gebracht haben würde; ich bin ber Sohn eines 
Barbiers, habe mih aber etwas Höher hinauf gemadht. 


und als er vor einigen Jahren bei einem conferbativen 
Danbwerkeroerein im Lambeth den WBorfig führte, ſprach ex 
ebenfo unbefangen von feiner Geburt. Sir Gbuarb wear 
früher Schreiber beim Notar (entſpricht dem englifchen con- 
veyancer) Herrn Groom. Das wurde ihm opponirt, ale er 
fih um die Advocatur bewarb, und ohne das Präftige Auftre⸗ 
ten des verflorbenen Francis Hargrave, eines ebenfo liebens⸗ 
wärbdigen als gelehrten Mannes, ber für die Zulaſſung des 
Sandidaten auf den Grund feiner durch juriftifche Schriften exs 
wiefenen Faͤhigkeit ſtimmte, hätte die Oppofition den Widerſpruch 
durchgefeht. Der Vater bes Kronanwalts Platt, eines der ausges 
zeichnetften englifchen Rechtsgelehrten, war Schreiber des verſtorbe⸗ 
nen Lord Ellenborough. Baron Burney’s Mutter verkaufte politis 
ſche Flugſchriften. Lord Kenyon, ber nacheinander Generalſiscal, Bas 
ronet, Oberkanzleidirector und Lord Dberrichter an der Queen’s- 
bench wurde, audy nebenbei 300,000 Pf. &t. Hinterlich, hatte 
ale Schreiber bei einem Abvocaten angefangen. Lord Hard⸗ 
wide, in feinem 34. Jahre Generalfiscal, war der Sohn eines 
Geſchäftsmannes in Dover, der wegen Faͤlſchung gehenkt wurde. 
Lord Eldon war der Sohn eines Kohlenmeflers in Remcaftle 
am Tyne, und fein Bruder, fpäter Lord Stowell, borgte 40 Pf. 
zu feiner Eauipirung. Lord Zenterben’s Water war in Ganters 
bury Bartfcheerer, Lord Langdale feines urfprünglichen Zeichens 
Geburtöhelfer und Lord Gampbell, fowie die zwei Sergeanten 
Zalfourd und Spankie eröffneten ihre Laufbahn als Berichts 
erflatter für die „Morning chronicle.” 


— — nn — 


In einer Zeit wie die gegenwärtige, wo Viele fparen 
möchten und Wenige fparen Bönnen, haben die fogenannten 
Sparkaffen überall mohlverdiente Beachtung gefunden. Aber 
ein Vortheil bderfelben, obgleid ein tief in das Staatenleben 
eingreifender, dürfte noch nie deutlicher hervorgehoben worben 
fein als in der Schrift: „The history of Savings’ banks in 
England, Ireland and Scotland”, von John Zi Pratl 
(London 1842). Der Verf. iſt Juriſt und erſcheint in Folge 
des ihm von der Regierung ertdeilten Auftrags, die Statuten 
der Sparkaſſen, Annuitätens und Darlehnsgeſellſchaften in 
England und Waled zu unterfuchen, von vornherein zur Zu⸗ 
fammenftellung einer foldhen Geſchichte und zur Abgabe eines 
Urtheils befähigt. Es fcheint jedoch au, daß er feinen Auf: 
trag mit Treue und Gifer vollſtreckt hat, und das drückt fich 
ebenfalls in feinem Buche aus. Hier rühmt er denn naments 
lid von ben Sparkaflen, daß fie naͤchſt dem beträchtlichen Nugen 
für die arbeitenden Glaffen ein Eraftvolles Werkzeug zur Erhol⸗ 
tung der Öffenttihen Ruhe feien. „Wer feine Erſparniſſe“, 
fagt er, „dem Staate anvertraut bat, der ift auch bei der 
Sicherheit diefes Staats betheiligt, und zwar nicht im Bers 
hältniß zu feiner Einlage allein, fondern für den Betrag fämmt: 
licher fo angelegten Sparpfennige. Könnte ex daher vergeflen, 
daß es feine Bürgerpflict ift, zu Verhütung Öffentlicher Uns 
ruhen mitzuwirken, wird fein perfönlicyes Intereffe ihn ſchnell 
genug daran erinnern Es gibt Feine flärkere Überzeugung von 
der Wichtigkeit des öffentlichen Kriedens und des Staatseredite 
als diejenige, die auf individuelem Grunde ruht. Und wer 
dire eine Stütze des Defpotismus nennt, einen Dalt für bie 
jebesmalige Regierung, follte auch bedenken, daß es folglich 
nicht um die Stabilität ber dermaligen Regierung, fondern im 
Aligemeinen und für jede Zeit um Ruhe, Ordnung und gute& 
Regiment fi bandelt.” Der Werth diefer Bemerkung macht 
in dem gerade jetzt ſo ſchwer bedrängten (England ſich doppelt 
geltend, denn als Hauptrefultat der dem Werke beigegebenen 
zahlreichen und ausführlicyen Tabellen ſtellt fich hervor, dag am 
20, Nov. 1841 in den dur England, Wales, Irland und 
Schottland beftehenden 555 Sparkaſſen 824,162 Perfonen bie 
Scfammtfumme von 22,915,940 Pf. St. niedergelegt hatten, 





Berantwortliher Herausgeber: Heinrih Brodhaud. — Drud und Verlag von F. 4. Brockhaus in Leipzig. 





Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 








Die Memoiren des Ritters von Lang. 
(Bella aus Mir. 2.) 

Mainz war (30. Dec. 1797) von der öftreichifchen 
Dolitit. kaum den Franzoſen übergeben worden, als die 
feanzöfiigen Geſandten in einer energiſchen Note erklaͤt⸗ 
ten, daß jeyt ohne Umflände der Rhein ale Grenze an: 
zuerkennen fei (19. San. 1798), und mitten im MWaf: 


fenftiüffande (35. San.) wurde die Rheinſchanze bei: 


Manheim weggenommen. 


Da entſtand — fast Lang — ein unglaublidhes Beulen 


und Wehliagen von Leuten, die wenigftens infofeen zu bemitleis 
den waren, daß ihnen fo etwas in ihrem Übermaße des Blau: 
bens und der falſchen Hoffnung nur einigermaßen unerwartet 
Hat kommen fünnen. Man füllte bie Protokolle mit wechfelfeis 
tigen Beileidsbezeigemgen und Ereuzigte ſich mit mannichfaltigen 
Erklaͤrungen, wie jett noch bie Integrität bes Reiches und bie 
Abtretung des linken Rheinufere zu gleicher Zeit als Grundar⸗ 
tikel des Friedens beflehen könnte; bis man denn die beruhigende 
Erklaͤrung barin fand: die Integrität bed Reich fei keine roh 
finnticye, koͤrperliche, fondern eine ſymboliſch idealiſche, nach wels 
er, Aheingrenze hin ober ber, body noch biefelbe Werbindung 
des allerhöcften Reichsoberhaupts und beffen allergetreueften 
und Stände des Reichs forttiefleben, zumal der bloße 

fiheinbare Berluft auf ber einen Geite durch die effectiven Ent: 
fhädigungen auf der andern volllommen rebintegrirt werden follte. 
Wie nun aber Alle begierig waren, wo die Entſchaͤ⸗ 
digungen herfommen follten, und Die, welche es fchon 
mußten, flillfchweigend die Achſeln zudten, eröffnete am 
15. März die franzoͤſiſche Geſandtſchaft die Löfung mit 
der kurzen Erklaͤrung: daß biefe Entſchaͤdigung in der 
Serularifation der geiftlihen Güter. zu fuchen fe. Das 
Signal zur Plünderung war hiermit gegeben, die größern 
Stände entwarfen ihre Plane auf Bisthlimer oder Fetzen 
daven, die kleinern haſchten nach irgend einer Abtei und 
der geringſte Edelmann fuchte der Kirche irgend einen 
Schafhof zu entreißen. Gewiß ein herrliches Schaufpiel. 


Man fah die geiftlichen Gefondten als geächtet an und- 


ging ihnen jetzt überall aus dem Wege. Es regnete gleichſam 
vom Bimmel herunter die Liquidationen der Schuld, bie jeder 
am liaten Rhein erlitten Haben wollte, mit Bezeichnung ber 
Objecte, die er dafür zur Entſchaͤdigung wuͤnſchte und bie er 
durch feine Regocianten bei ben drei Geſandtſchaften von Frank⸗ 
eich, Dftreih und Preußen zum Theil durch ausgewirkte uns 
mittelbare Empfehlung der Miniſterien durchzuſetzen fuchte, wos 
Bei man vorausfente, daß bie arme Reichedeputat ion ſelbſt nichts 
weiter zu thun haben würde, als die von ben drei Mächten ges 
nehmigte Austheilung gehorſamlich gutzubeißen. Unterdeſſen 
verfuchten die geiſtlichen Schaͤflein, den Wölfen, von benen fie 


3. Januar 1843, 


um 02. m mn nn 








fi umgeben ſahen, noch allerlei bewegliche Vorſtellungen zu 
machen, B. daß es eine Gewiſſensſache waͤre, ſolche gottge⸗ 
weihte Güter an fi zu ziehen, daß ihre Pluͤnderung bald ans 
dere nach ſich ziehen würde, baß, wenn eine Entſchaͤdigung bars 
aus zu geben fe, fie nicht ausfchließend von der geiſtlichen, fons 
bern auch von der welttichen Seite geliefert werben müßte; daß 
man ſich ja auf gütliche Abfindungen in Geld oder nur thril⸗ 
weiſe Abtretung verftehen koͤnnte. 


Ferner ſetzten die betroffenen geiftlichen Fuͤrſten dem 
Landverluft am linken Rheinufer in ihren Anfchlägen 
herunter, proteflicten, daß das beutfche Reich wegen Vers 
luſte fremder Länder, wie die Erbſtatthalterſchaft in Hol⸗ 
land fei, einflchen ſolle; und als dies Alles nicht vers 
fangen wollte, fielen fie untereinander felbft ab, die Bis 
[höfe wollten die Güter der Kıiöfter preisgeben, die Erz⸗ 
bifhöfe wollten wieder die Bischümer opfern und zu bies 
fem Plane die drei geifllihen Kurfürften durch die ges 
meinſchaftliche Theilung von Salzburg, Muͤnſter unb 
Fulda bewegen. Mainz wollte fogar zu Allem flimmen, 
wenn man nur dafuͤr forge, daß Mainz der deutfche Patriarch 
und Primas werde, benn ohne einen „Archi-Cancella- 
rins Imperii per Germaniam werde man das liebe deut: 
(he Vaterland doch wol nicht beftchen laſſen“. Da ins 
deffen Niemand, auch bie Franzofen nicht, über den Ge⸗ 
fammtbetrag der deutſchen Verluſte am linken Rheinufer 
im Reinen war, fo unternahm der Archivarius Lang 
ſelbſt eine Statiſtik diefer Länder zu entwerfen und druden 
zu laſſen. 

Da Preußen duch bie im Frieden von Campo:Formie 
gefegten Artikel vor der Hand nicht auf Vergrößerung 
Anſpruch machen konnte, fo erlärte es jest, das großmuͤ⸗ 
thige Opfer bringen zu wollen und für die Verlufte am - 
Rhein nichts zu begehrten, wenn Öftreich die für die Nies 
derlande ergriffenen italienifhen Staaten wieder aufgeben 
wollte. Diefe Erklärung, beren wahren Sinn man aus 
fange nicht erfaßte, verurfachte eine ungeheure Freude 
unter den beftimmten Opfern, aber bald follte auch biefe 
zuſammenfallen. ſtreich ließ ſich duch biefe Grimaſſe 
weder erſchrecken, noch konnte es Preußen in der That 
von einer wirklichen Entſchaͤdigung abhalten, das um ſo 
weniger auf die Seculariſation verzichten durfte, als «6 
den Genoſſen der basler Separat:Friedensichlüffe, Baden, 
Heſſen⸗Kaſſel, dem Erbſtatthalter, Würtemberg, Huͤlfe und 
Vertretung fchuldig war und dem Haufe Zweibrücken 
ein volles Antheil der auf dem Anfall flehenben pfalgs 


141 
bairiſchen Lande ſichern, wie die Abreißung des Stückes 
von Altbaiern bis Waſſerburg hindern wollte. Indeſſen 
hatte man früher an die Seculariſation der geiſtlichen 
Güter nicht gehen wollen, fo konnte man bald genug: 
niche zu weit greifen. Man beachte nun nicht aller 
"Band und Leute in Anfchlag, fondern au commeerrielle 
Vortheile, Rheinzölle, Kriegsſchaͤden und bie geiſtlichen 
Güter wollte man nicht nady Flächenraum, fondern nad) 
ihrer meift geringen Population, nad dem Masflabe ih⸗ 
rer fchlechtvermalteten Einkünfte und nad Abzug aller 
darauf haftenden Schulden Überwiefen haben. Beſonders 
machte Lang bdiefe Dinge im Interefje Preußens geltend. 
Denkt man fih aber zu diefem Menſchen⸗ und Länder: 
wucher ein tolles und taumelndes Sinnenleben, das, wie 
Lang erzählt, trog fo vielem Jammer und Berlufte in 
Raſtatt aufgefhlagen war, und auf der andern Seite 
eine große, aber für ihr Schickſal faſt gleihgültige, wenig: 
ſtens unchätige Nation, fo fann man fi des Grauens 
über diefes Spiel gewiß nicht erwehren! 

Da nun die Franzoſen, fagt Lang, jest efgentlid) 
immer noch nicht recht wußten, was fie wollten, da fer: 
nee Öftreih das gewänfchte Sch von Baiern nicht er: 
langen konnte, England über die Fortſchritte Frankreichs 
in Matta, Ägypten und Stafien Gift und Flammen fpie, 
fo geriet) der Congreß in foͤrmliche Stodung; er wurde 
am 8. April von der kaiſerlichen Geſandtſchaft aufgelöft 
und am 12. Mai erflärten die kampfluſtigen Franzoſen 
aufs neue den Krieg. Über die Ermordung der franzäfl: 
fen Gefandten erklärt fih Lang ungefähr fo, wie fie 
fhon in der neueften Zeit aufgeflärt worden if. Er 
fagt beftimmt aus, daß Öftreichifches Militair, und zwar 
von der Escadron eines Nittmeifterd Burkardt, den Mord 
ausgeführt habe; er getraut ſich aber nicht zuzugeben, 
noch glaubt er, daß es mit Vorwiſſen eines höhern Som: 
mando, noch viel weniger des Lafferlihen Hofes ſelbſt 
gefhehen ſei. Kaͤme es auf fein Dafürhalten an, fo be: 
kennt er zu glauben, der Graf von Lehrbady habe auf 
feine Fauſt diefe gräßliche That herbeigeführt, im Auf: 
trage der Engländer, denen ein ſolches tragifches Schau: 
fpiel der Wuth und Rache ale ein Pfand der erneuerten, un: 
verföhntichen Feindſchaft zwiſchen Deutfhland und Frank; 
reich gelten follte. Die Motive, die Lang angibt, müffen 
Hier auf fich beruhen. Der preußifhe Gefandte, Herr 
von Dohm, fuchte auf Ort und Stelle die Spuren die: 
ſes völkerrechtöwidrigen Verbrechens zu entdeden, eine 
Sache, die ihm von den größern Höfen, und zwar von 
Preußen auch, fehr Übel genommen wurde. 

Der zweite Theil dee Memoiren hebt nun damit 
an, wie Lang als preußifcyer Kriege: und Domainenrath 
bei der Kammer zu Anfpach fungirt. Er hatte die Lan: 
beshoheitsfachen, das Schul⸗, Kirchen⸗, Stiftungss und 
Gefaͤngnißweſen des Landes zu. verwalten und zeichnete 
fi in diefem Wirkungskreiſe durch Humanität, Libera⸗ 
lismus, Thätigkeit und firengfte Rechtfchaffenheit aus. Es 
iſt mit großem Intereſſe zu lefen, von welchen Grund: 
fägen er geleitet wurbe, wie er in die damals emporbluͤ⸗ 
hende innere Politik des preußifchen Staats einging und 


16 


% & 


wie er ohne Rüdfiht die Perfonen und Zuftände maß 
und beurtheilte, mit denen er in Berührung kam. Er 
hatte jegt das Unglüd, in kurzem das britte junge Weib 
zu begraben ; "feine äußern Berhältniffe hingegen ‘waren 
durch Erhfhaft bluͤhend und gänzlich unabhängig gewor⸗ 
den. 8 gegen dem Herbft 1805 leitete und vollendete 
er die Grenzberichtigungen zwifchen Baiern und Preußen, 
ein Geſchaͤft, auf das er viel Werth legt und das nur 
feine Gewandtheit und auferordentlihe Geſchichtskenntniß 
der fränkifhen Länder gludlih beenden konnte. Als 
1806 nad der unglüdlihen Kataſtrophe Anſpach an 


| Baiern fiel, zog er es nor, ein bort begütester- Mann, in 


die bairifhen Dienfte zu treten. Bu feiner „Geſchichte 
des Fuͤrſtenthums Baireuth“ fügte er jegt noch die „Ans 
nalen des Fürſtenthum Anſpach“ unter der preußifchen 
Regierung, worin die Charakterifitung dee Perfanen im 
Lapidarſtyl aligergeines Auffehen erregte. In den Krieges 
jahren felbft leitete er die Angelegenheiten bes anfpadyis 
fhen Landes mit Glüuck und Zufriedenheit fort, aber als 
einen felbflandigen, unbeugfamen Mann, der feinen Bor: 
gefesten wol oft zu fehaffen madkte, ſcheint man ihn end⸗ 
ih nah Münden felbft gezogen zu haben. Man trug 
ihm hier auf, die Archivangelegenheiten zu beforgen, und 
er brachte es auch trotz vieler Hinderniſſe dahin, den 
großartigen Plan eines Reichsarchivs zu entwerfen und 
zu vollziehen. Ferner dirigirte er das bairifche Adelswe⸗ 
fen und nahm auf Grund diefe® Amts an der neuen 
Conftituirung des Landes Theil. Als nad) bem Sturze 
Napoleon's befonders in Baiern die politiſche Reaction, 
das Bureaukratenmwefen und die Adelswirthſchaft hereinbrach 
und Lang, obſchon jegt felbft Ritter, feinen rechtſchaffe⸗ 
nen und ernflen bürgerlichen Charakter immer noch nicht 
verleugnen mochte, fo nahm er, tief gekraͤnkt, aus feinem 
Öffentlichen Wirkungskreiſe Abſchied und brachte die übris 
gen Fahre feines Lebens auf einem, aus der Wildnif 
ſelbſt gefchaffenen Landgute bei Anſpach in vielfacher Lite: 
rariſcher Thätigkeit zu. Durch feine berühmten „, Dam: 
melburger Reifen”, die er allerdings anonym herausgab, 
bat er fih aud dem größern Publicum als ein gebilde: 
ter, geiftreicher und talentvoller Mann bewährt, Er 
ducchreifte in feinen fpäteften Jahren ganze Theile von 
Deutfhland, den Zornifter auf dem Rüden, und bat 
fein graues, aber noch muntere® Haupt am 27. Maͤrz 
1835 zur Ruhe gelegt. 

Leider muͤſſen ſich unfere Bemerkungen über ben 
zweiten Theil der intereffanten Schrift auf diefe trodenen 
Notizen befchränfen, da der Übrige Inhalt, fo wichtig, 
man muß fügen, fo unerhoͤrt er auch ift, in d. Bl. wel 
kaum beſprochen werden dürfte. Wie die Reftauration 
in Frankteich, fo trug fie auch in Deutfchland, na: 
mentlich in Baiern ihre herben Früchte. Adel, Höf: 
fe Sollicitanten und Emportömmlinge drängten ſich 
jege in die amtlihen Stellungen Derer, die bisher 
dem neuen politiihen Geifte mit Ernfl und Mad: 
druck gehuldige Hatten, und namentlich Lang erhielt 
yon dieſer Seite eine Üble Vergeltung feiner fruͤhern 
Verbienfte um bas Land. Wie die Reaction in Frank⸗ 


11 


rich, 
amtlichen Sphaͤren eine furchtbare Demoraliſation ber: 
j i tfeplenderung Der öffent: 


vorbeingen: rei, Be 
Ken Gelder, Grauſamkeiten umd ſchreiende Rechtsver⸗ 
lezonzen, die um fo grauenvoller find, je mehr das Be: 
Yimniß auf ihnen gelegen und zum Theil immer liegen 
wid — das find fe bie Gapitel, zu welchen bie Lang’: 
Ben Memoiren eine Reihe von Belegen und hat: 
hen liefen. Ban follte da6 Buch gerade wegen biefer 
Enthillungen nicht verbieten‘, fondern mit einem ehrlichen 
und guten Gewiffen die Thatſachen aufs neue unterfu: 
den, die immer noch zum Dimmel um Mache fchreien. 
Unfern Lefern mögen dieſe Memoiren als eine der 
wichrigften Actenftäde für den Charakter unſerer Zeitge⸗ 
ſchichte beſtens empfohlen fein. Auguſt Kurtzel. 





Über deutſche Nationalgeſetzgebung. 

%. Über deutſche Nationalgeſeggebung. Gin Beitrag zur Erzie⸗ 
kung gemeinfamer, für ganz Deutſchland gültiger Geſetbuͤcher 
unb A Abſchaffung des römischen und franzoͤſiſchen Rechte 
ind 


ondere. Bon X. Ghrift. Zweite Auflage. Karlsruhe, 
Müller. 18412. Gr. 8. 22%, Nur. 


2. Das römifcge Recht am Hermannsdenfmale Gin Beitrag zur 
Verbeſſerung des Rechtsſtudiums in Deutfchland, vom Juſtiz⸗ 
rath X. Kaulfus. Berlin, Springer. 1842. Gr. 8. 15 ter. 

Schon. bei Ariſtoteles wird die alte Frage, ob man das 

Bisherige Recht nicht cobificiren und neue Legislationen geben 

folie, aus dem einfachen Grunde bejaht, daß Alles in ber Weit 

fortfchreiten und fi beffern müfle In Dektichland hat ſich 
eine fo einfache Antwort nicht geben laflen, weil man lange 
Zeit hindurch nit reiht sinig darüber werden Eonnte, was «8 
mit bem Fortſchritte der Dinge in der Welt für eine Bewandts 
niß base. Den erften Anfloß gab das Preußiſche Landrecht und 
dieſes Unternehmen wirb als erfter Verfuch achtungswürdig und 
als Beiſpiel nüglih bleiben. Dann begann 1814 der von Thi⸗ 
bauf angeregte Streit um sine neue Gefeggebung, der indeß zu 
keinen Erfolgen führte, weil Ihibaut eine deutfche Nationalges 
febgebung verlangte und einem folchen Unternehmen ſich politis 
Schwierigkeiten entgegenftellten.. Nach dem 3. 1830, als 
man an manchen Orten liberal geworben war, kam wieber bie 
Rebe auf Geſetzbuͤcher, doch diesmal in sinem fehr verkehrten 
inne. Die freijinnigen Eeute in manchen kleinen beutfchen 
Gtoaten verfündeten mit großer Zufriedenheit, daß man ihnen 
neben andern Dingen auch deutfche Gefegbücyer verſprochen habe: 
cin Beriprechen, welches zum Helle Deutſchlands nicht in Er⸗ 
fülung gegangen if. Es wäre, wie unter den ungebuldigen 

Juden am Berge Sinai, welche das Geſetz nicht erwarten konn⸗ 

ten, ein golbened Kalb — ober vielmehr eine Anzahl folder Käls 

ber — entflanden ımb die wahre Gefeptafel darüber zerfchlagen. 
Diefer Liberalisinus und fiin Geſchwaͤt iſt jest vorbei; 
dafür erwacht aber die Gobificationdfrage aufs neue, und dies⸗ 
mal als Nationaifrage. Mag jener Liheratiismus cine wibers 
wöärtige Reminifcenz bkiben und uns durch feine Freifinnigen 
Redensartın nicht wieder daran hindern, ber Krage und wo 
möglich auch der Antwort darauf etwas näher zu kommen. 
Daß die Geſetzgebung Deutſchlands, das Preußiſche Lands 
seht mit eingefchloflen, auf die Länge nicht mehr beibehalten 
werben kann, daß ein längeres Zögern und flellenweifes Aus⸗ 
beſſern in den einzelnen Staaten cin großes und das Erſcheinen 
ganzer Gefegbücher in biefen Staaten das größte Ungluͤck ift, 
wird Niemand leugnen. Die Schrift von Chrift Hat biefes auf 
bie bünbigfle und eindringlichlie Weiſe gegeigt und dabei mit 

Recht darauf hingewiefen, daß die Deutfchen fih ſchaͤmen müf: 

fen,. fein deutfches Recht B befigen und, wie es gexabe fein foll, 


nad) roͤmiſchem, franzöfiihem und — fo «6 Gott gefiele, auch 


ſo mußte ſie auch in Deutſchland in allen 


rufſtſchem Rechte zu leben bereit fen tmärben. Es müßte 
bie Zeit endigen, in welcher man bie oͤffentlichen Einrichtungen 
als ein aͤußerlich Gemachtes und Gegebenes bewußtios hinnimmt 
und befolgt. Das Volt müßte erkennen, daß die orbnungevolle 
Gliederung feiner Verhaͤltniſſe im öffentlichen und Privatleben 
fein Gigenthum, fein Erzeugniß ifl, und daß ihm biefes endli 
in ber gebantenmäßigen Form allgemeiner Säge auch ir 
ausgefprochen werben und vor daB Bewußtſein kommen müffe. 
In diefer Geſtalt exiſtirt das Recht noch nice, man hat Feine 
andere Reductionen des Rechtsſtoffes auf die gebanfenmäßige 
Form, als Lehrbücher, und begreift oft den Sinn einer legistas 
“tiven Arbeit fo wenig, daß man Geſetz- und Lehrbuch gar nicht 
voneinander zu fondern weiß. Daß jeder einzelne Bürger ein 
einfaches vatertändifches Geſezbuch habe, aus dem er ſich Raths 
erhoten Eönne, und die Zuriften entbehrlich würden, iſt dabei 
nicht der Zweck. Daß dem Volke fein Recht in gebanfenmäßis 
ger Form ausgeſprochen und vor das Bewußtfein geführt wird, 
ſchließt noch jene detaillirte Belebrung des Ungelehrten nicht in 
fi, die ſich ohnehin nicht durch einfache und noch weniger durch 
ausführliche Geſetzbuͤcher erreichen laͤßt Es verhält fidy hiermit 
wie mit der Offentlichkeit der Rechtspflege; man täufcht ſich, 
wenn man glaubt, daß die einzelnen Leute in Frankreich alle in 
die Gerichte gehen und diefe controliren oder fi belehren. Auf 
ben empirifhen Erfoig im Einzeinen kommt es aber aud) gar 
nicht an; es genügt, daß die Rechtspflege öffentiich ift, denn 
fhon durch diefes Princip nimmt das Volksbewußtſein daran 
heil. Ebenſo tft es mit Gefegbückern. Es kommt gar nicht 
darauf an und wird auch nie erreicht werben, daß bie einzelnen 
Bürger ſich ſeibſt vom Rechte belehren Pönnen; darum aber 
handelt es fich, daß das Recht als ein ausgefprochenes nationales 
Geſet daſtehe und fo vor das Bewußtſein der Geſammtheit trete. 

Leider find wir nun nicht in der sage behaupten zu dürfen, 
daß der frifche und Fräftige Geift des Volks das Rothwendige 
auch nothwendig maden!und fo hervortreiben werde, wir müffen 
umgekehrt hoffen, daß das unter gluͤcklichen Zeitumſtaͤnden raſch 
ergriffene Reſultat jenen Geiſt erſt wieder aufruͤttele, wir muͤſſen 
erwarten, daß jetzt die Bedeutung bes Zollvereins und ber lebs 
bafter werbende Verkehr die Nothwendigkeit cines beutfchen Ges 
ſetzbuchs praktiſch kiar mache, und daß unter biefen Umfländen 
die nationalen Anftande s und GEhrenrüdfihten — die in ber 
Schrift von Chriſt aus fehr richtigem Takte vorangeſtellt find 
— überhaupt noch Beachtung finden werden. Bon dem Werthe 
und Unwerthe des jeßigen Rechtszuftandes und ber Nothwen⸗ 
bigfeit einer deutſchen Nationalgefeggebung fol hier nicht weiter 
die Rede fein. Die ganze Frage Bann in der Meinung aller 
Urtheitsfähigen bereits für entfchleben gelten. Damit man aber 
die Sache doch nicht zu Leicht nehme und meine, dergleichen 
toffe ſich — dba man ja fo viele gute Juriften habe — leicht 
ins Werk rihtin, mollen wir bie Schwierigkeiten und Hemme 
niffe betrachten, weiche ſich einer deutfchen Nationalgefeggebung 
entgegenftellen, und in dieſem Punkte bie Chriſt'ſche Schrift zu 
vervollſtaͤndigen fuchen. 

Das erſte Hinderniß iſt das allgemeine Leiden bei allen 
roßen Unternehmungen: bie vis inertise. &ı lange bie Dias 
Eine noch nicht ftillfteht ober ein gelegentliches Nachſchieben 
noch beffen kann, entfchticht man ſich nicht zu durchgreifenden 
Reformen. Diefe Bedaͤchtigkeit hat man indeflen eher zu loben 
als zu tadeln, fie bat uns in den Jahren unmittelbar nadh 
1830 vor dem Unglüde einer ganzen Anzahl deutfcher Geſetz⸗ 
bücher bewahrt. Gegenwärtig nahet ſich ein neuer und brin- 
genderer Anftoß, und wir dürfen hoffen, daß es am Ende nicht 
an Zhatkraft und Entſchloſſenheit fehlen wird, ſobald bie Noth⸗ 
wendigkeit der Sache unverkennbar einleuchtet. 

Das zweite Hinderniß iſt die Vereinzelung unb der Partis 
cularismus. Mit einzelnen GSefegbüchern in ben einzelnen Stans 
ten wirb — wie Ehrift bündig nachweiſt — nichk genügt, ſon⸗ 
bern gefhadet: es wird bie Wiffenfhaft bes Rechts, auf die 
wir flolz fein dürfen, getöbtet, den Univerfitäten rin empfindli⸗ 
cher g beigebracht und der. Particularismus und bie Zer⸗ 


12 


riſſen heit HPriacip erhoben. Run aber entäußern ſich bie 
eingeinen Staaten in einer Beziehung ihrer Souverainetaͤt, fos 
Bald nicht ein jeber fich felbft feine Belege gibt und Über. ben 
einzelnen GBefeggebern eine durch Vereinigung Aller bergeftellte 
Macht erfägeint, von ber die Geſetzgebung ausgeht. Auch iſt 
wol mancher einzelne Staat auf feine Befonberheiten fol, und 
glaubt allein bie Kräfte zur Erſchaffung einer guten Geſetzge⸗ 
bung zu befiten. Man hat befonders in Heinen Staaten ges 
wifle berkoͤmmliche Orakel, denen man es zutraut, etwas völlig 
Ausreichendes zumege bringen zu koͤnnen, und mit benen man 
leicht fich dahin verftändigt, die Benutzung frember Kräfte nicht 
gern zu ſehen. Auch dieſer Particularismus ift zu überwinden. 
Die Vereinigung zu einer deutſchen Rationalgefeßgebung würde 
eine völlig freie fein und die Souverainetätsrechte nicht beein» 
trächtigen, ba jeder Staat das Geſetzbuch — ebenfo wie bie alls 
gemeinen Belege des Zollvereins — als das feinige zu ſanciren 
und zu publiciren hätte. Wan ift nicht mehr fo ängftlidy wie 
früher und erblidt in einer innigern Verbindung bes deutſchen 
Volks nichts, was Souverainetätsrechten Gefahr drohen koͤnnte. 
Dee Glaube einzelner Peiner Staaten an ihre eigenen Kräfte 
ift aber meift eine Taͤuſchung. Diefes wird ſich bei der Betrach⸗ 
tung des dritten fich entgegenftellenden Hinderniffes zeigen. 
Diefes Hinderniß, das größte von allen, liegt in ber 
Schwierigkeit der Sache. Muß man dringend für ben Entſchluß 
zur Abfaflung eines Nationalgefegbuche fpredhen, fo muß man 
ebenfo dringend auf biefe Schwierigkeit hinweiſen, da biefelbe 
bis jest oft überfehen if. Man traut ſich leicht zuviel zu, man 
bat bisher Belege genu abgefaßt und zweifelt alfo nicht, daß 
mit ganzen Geſetzbuͤchern auch fertig zu werben fei. Mor bem 
nähern Eingehen wollen wir indeß nur eine einzelne Thatſache 
bervorbeben. Wir dürfen behaupten, daß bie Rechtswiſſenſchaft 
in Deutfchland auf einem beimeitem böhern Standpuntte fteht 
als in Frankreich, ja, als In irgend einem andern Lande. Den⸗ 
noch hat das frangöfifche Recht in Curopa eine Wichtigkeit er 
langt, die weder feinem. Werthbe noch dem Gtanbpunlte des 
franzoͤſiſchen Jurisprudenz entiprechend iſt. Außer frinee Ans 
wenbbarfeit in den Rhbeinländern, hat man es faft überall, wo 
eine neue Legislation nöthig war, zum Grunde gelegt und bie 
Codes theilweife wörtlich überfest. So baftrt fich die Legiälas 
tion der wefteuropäifchen Staaten, Griechenlands, der italienis 
fhen Staaten, mehrer Schweizercantone und Hollands mehr 
ober weniger auf franzoͤſiſches Recht. Bon einer foldyen euro: 
paͤiſchen Anerkennung beutfcher legislativer Arbeiten iſt aber 
noch nie die Rebe geweſen. Das kommt nicht von ber allge⸗ 
meinern Verbreitung franzoͤſiſcher Sprade und Sitte, fondern 
erabezu von dem Werthe der franzöfifcyen Codes her, die — 
o viel fich gegen ihren Inhalt in materieller Hinſicht einwenden 
läßt — body auf eine Weile rebigirt find, daß man fie wenig⸗ 
ftens für durchaus brauchbar halten muß. Gerade bie Redac⸗ 
tion ber Geſetze ift es, weiche man in Deutfchland — fo hart 


diefee Vorwurf auch klingt — erſt zu lernen bat. In Frank⸗ 


reich hat man einen gluͤcklichen Takt gehabt und bie rechte Art 
der Redaction — einzelne Misgriffe ungerechnet — getroffen. 
In Deutfchland hat man zwar auch nicht daran gedacht, daß 
die Abfaflung der Geſetze eine Kunft fei, welche man verftehen 
möüffe, man bat aber jenen Takt, ber mit ber franzoͤſiſchen 
Oberflaͤchlichkeit zufammenhängen mag, nicht gehabt, und fo 
ganz umbefangen bem Dange zur Gruͤndlichkeit nachgegeben und 
des Gaten zuviel getban. Bine Kunft der Geſetzesredaction exi⸗ 
flirt alfo noch gar nicht, und man hat ed immer nur einem 
richtigen Gefühle der Redactoren zu banken gehabt, wenn gut» 
gefaßte Belege zu Stande gelommen find. Um bas Gefagte 
zu beweilen, braucht man nur bie preußifchen Geſetzbuͤcher mit 
den franzöftfchen zu vergleichen und neuere Iegislative Arbeiten 
ins Auge zu faflen. Unfere Proceßgefege ſchwanken zwiſchen dem 
Sharakter von Geſetzen und Inftructionen und Geſchaͤftsanwei⸗ 
fungen für die Gerichte. Der würtembergifche Entwurf eines 
Handelsgeſerbucht von 1839 verzweifelt fogar, daß in Deutfch- 
Land bas zu codificirende Material ſich finden Iaffe, und nimmt 


den Code de commerce zur dlage; bie oreti 
Schwaͤchen und Fehler des Code find * um K 
beibehalten, die einfache präcife Faſſung N aber —— ge 
gangen unb ber Entwurf if etwa noch einmal fo umfangreich 
und ausführlich geworben als der Cade de oommerce. 86 
iſt & erwarten, was aus bem beffensbarmftädtifchen Givitgef: 
buche werden wird, bei weldem nad oͤffentlichen Nachrichten 
ebenfalls ber frangöfifche Code zur Baſis dient. Der befannte 
Entwurf einer Wechſelorduung für Sachſen von Einert fündigt 
fi feihf als ein Lehrbuch für die Hanbelöieute an und it — 
obgleich von einem fo anerfannt ausgezeichneten Stechtögelehrten 
verfaßt — auf eine Weiſe redigirt, daß man ſeine Brauchbar⸗ 
keit beſtreiten muß. Hieraus kann man abnehmen, daß bie” bes 
zeichnete Schwierigkeit allerbings exiſtirt. Wir muͤſſen aber 
noch mehr von und verlangen, als die Franzoſen geleiftet ha⸗ 
ben: wir muͤſſen mit größerer theoretiſcher Schärfe das Dates 
rial feftftellen und dann nicht im Werlaflen auf richtigen Takt, 
fondern prineipgemäß deffen Gobification vornehmen. Es ift 
bei dem Stolze, ben wir auf den Stanbpunft ber Jurisprudenz 
in Deutſchland haben dürfen, gar nicht zu begreifen, wie man 
ein franzöfiiches Geſetzbuch, weldes, ungeachtet ber aprisrifchen 
und unhiſtoriſchen Richtung, der Zeit, in welcher die Codes ents 
fanden, ganz blind der Autorität der aͤltern Zuriften folgt, in 
Deutfhland zur Grundlage nehmen und fi fo in zweiter Pos 
tenz ber Autorität ſolcher Reditsichrer ergeben kann, bie den 
unferigen weit nachſtehen. In Deutfchland feibft ift das Dates 
rial zu unfern Gefegen zu finden und die Adoption eines freme 
den Seſetzbuchs kommt mit einem apriorifchen Geſetzmachen ganz 
auf Eins heraus. Steht aber das Material feft, fo reicht man 
mit der guten Abfiht und bee Anficht, die Chrift hegt, es 
brauche uns um bie Form nicht bange zu fein: Berſtand und 
rechter Sinn trage mit wenig Kunft fich felbft vor, auf Keine 
Weile aus. Chrift koͤnnte, abgefehen von ben Schren der Gixs 
fahrung, confequenterweife die Sache nad) feiner eigenen Lehre 
fo einfach nicht finden: er verdammt allgemeine und abftract 
gehaltene Geſege und ebenfo detaillirte Geſete. Er erfobert: 
„Rur wenig Anorbnungen bes Öffentlichen Rechts, wie z. 8. 
Sorge für bie Minderjährigen, Borfchriften wegen der Che, 
wegen der Erbſchaften, wegen ber Grund» und Liegenfchaftee 
büdyer und für das Werfahren. Alle anbere Beftimmungen, 
was nur im Unterfdyiede des Öffentlichen Rechts Borfchriften der 
Wiffenfhaft des Rechte find, wären überfläffig und ihre Aufs 
hebung, felbfl in unfern, aus biefen Zuftänden Bervorgegangenen 
Staatsgebilden, würde nur vorübergehend uns auffallen.“ ds 
möchte indeß ſchwer fein, nad; biefen Srundſaͤten Gelege zu rr⸗ 
digiven, auch möchte dabei ber Zweck einer Gobification: ven 
Rechtsſtoff in ber Form der Allgemeinheit zum Bewußtfeln wu 
bringen, nicht zu erreichen fein. Es fcheint, als ob in Deutfdhe 
land die Theorie erſt ber Anwendung vorangehen müffe, denn 
was bisher in Deutſchland über die Gobification gefchrieben if, 
hat nur bie Stage: ob, nicht aber die Krage: wie, erfchöpft. 
Rad) Entſch ung ber erften Frage, müßte man fi) nun über 
die zweite verftändigen, benn es flände der beutfchen Gruͤndtich⸗ 
feit und Tuͤchtigkeit übel an, wenn fie nicht einmal bis an die 
Schwierigkeiten ber Sache durchdraͤnge und ſich burch fo mans 
hen misglücten Verſuch und das Beifpiet ber europälfchen Ans 
erfennung, welche bie franzoͤſiſchen Codes gefunden haben, nicht 
warnen ließe. In dieſem einen Punkte, bei der bezeichneten 
zweiten Frage: wie, find uns andere Nationen auch ſchom 
theoretiſch voraus und befigen darüber eine Literatur, bie ung 
noch fehlt. Da uns nach Entſcheidung der Frage: ob, jeht bie 
zweite Brage näher rüct, fo ift zu erwarten, daß man ſich ehe 
man friſchweg Geſegbuͤcher macht, ernfllih mit ihrer Löfang 
beſchaͤftige. Es wird alsbann nicht fehlen, baß wir eine Harere 
und beflere Theorie über bie Art und Weiſe der Gobdification en 
halten, als fie von Bentham und feiner Schule, Gooper, Meyer 
* — BR X r en er der Form misglüdte 
a ‚ wie egt nachweiſen laſſen, ferner n 
vorkommen werben. fern Pa 





Berantwortlicher Gerausgeber: Heinzih WBrodbaub. — Drud und Berlag von 8. %. Brodhaus in Eeipzig. 


Bılä tter 


literariſche. 


Mittwoch, 


Stimmen der Beit. 
1. Lieder der Gegenwart. Königäberg, Theile. 1842. 8, 
72%, Rgr. 


2 
2.6 iegel des beutfchen Volkes und vermiſchte Gedichte. 
—— v. üchtrigg. Düſſeldorf, Schaub. 1843. 


®r. W Nor. 
3. Gedichte von Friedrich Hebbel. Hamburg, Hoffmann 
und Gompe. 1842. Gr. 8. 1 Ihr. 


4, Eebensfymptome von A. Horwig. Berlin, Lefecabinet. 
1842. 8 1 Zhlr 


Bier fehr verſchiedene Gedichtſammlungen von vier fehr 
verfchiedenen Dichten aus Königsberg, Düffeldorf, Ham⸗ 
burg und Berlin. Wir wollen uns der Mühe überheben, 
ihre Ahnlichkeit und Verſchiedenheit in voraus aufjufuchen, 
und unfern £efer der Berlegenheit, fi) zu zwingen uns zu 
folgen, oder unferm Wie den Zwang anzufehen, und fich 
frei zu machen. Das Einzige, was ich vorausfhide: wir 
haben es mit vier Dichtern zu thun und ihre Gedichte 
paffen unter den Titel. Sie find Stimmen der Zeit. 
Das ließe ſich freilich von allen echten Gedichten fagen, 
denn fein Dichter ſingt aus feiner Zeit heraus. Auch 
wenn er als Prophet einer künftigen auftritt, fingt er doch 
aur mit den Organen, welche in der Zeit, in welcher er 
lebt, exiftiren und Geltung haben. Aber ihre Beziehung 
ze Zeit Liege näher; fie haben das Bewußtſein in 
fi), daß fie in Relation zu derfelben flehen und daß es 
ihre Aufgabe ift, an bderfelben mitzuarbeiten, was an 
ihnen ill. 

Ke und dreift fleht dies ben erfigenannten Liedern an 
der Stirn gefchrieben. Sie nennen fich felbft „Eieder der 
Gegenwart” und find aus Königsberg. Der Dichter 
beſchwoͤrt in dee Widmung als Zauberer die entſchwun⸗ 
denen Tage: 

Vergangenheit erfteht aus ihrem Grabe; 

Zum neuen Schmerz fügt fich die alte Klage: 

Das nichts Beſtand ats die Verweſung babe, 

Daß eine Zeit ber andern Leiche trage, 

Daß nur aus Todtenfchädeln bie Serhichte 

Die em’gen Monumente ſich vrrichte. 
Ei, nod fo jung und fhon zu bdiefer Meflerion gelangt! 
Denn jung iſt noch der Verf., wir hören fogar, fehr jung. 
Aber e8 gibt in der Jugend eine Zeit, two man mit dem 
Tode kokettirt. Die Periode dafür, die fentimentale, mein: 
tem wie indeß, fei vorüber. Sie hing mit der Sehnſucht 


— NA — 


für 


Unterbaltung. 


4. Januar 1843. 


nad dem Ideale zufammen, mit dem füfen, träumerifchen 
Schmerze, mit dem Hinhorchen nady der Sphärenmufll, 
was jegt mit allem Schwärmen Längft abgethan und aus 
dee Mode if. Der Reatität gehört die Welt, alfo auch 
die Sugend an; fie ſchwaͤrmt nur nach vorwärts. So ift 
e6 denn auch hier gemeint. Man fhichtet die Todten⸗ 
fpädel zufammen, um Plag für das kommende Leben zu 
gewinnen, der ungenannte Dichter ift ein Dichter des Vor⸗ 
wärts; mit Maß in der Form, in der Gefinnung fo weit 
voraus als die Kühnften unter den Kühnen. Er fühlt 
fid) gebrungen ben Reigen fortzufegen, den er in feiner 
Wallhalla feiert: Boͤrne, Heine, Anaftafius Grün, Karl 
Be, Sreiligrath, Lenau, Gutzkow, den Nachtwaͤchter (Din: 
gelſtedt), Herwegh. 

Er iſt ein Dichter, der, was er ſpricht, fuͤhlt, und was 
er fuͤhlt, iſt ihm in dem Augenblick Wahrheit. Aber ob 
ibm dann nicht Bedenken kommen, wenn er dieſen Rei⸗ 
gen feiner Erwählten muftert, die voran waren im heiligen 
Kampfe, und darunter fo manchen Abtrünnigen erkennt 
— Einige geißelt er dafür —, daß ein Umfchlag möglich 
if, ja, daß ein Umfchlag in der Übergipfelung felbft ber 
dungen ift? Den Dichter und den Mann der Wahrheit 
darf das freilich nicht abhalten vorwärts zu gehen, und 
vor Allem nicht den Süngling; er muß denken: du bift 
durchaus wahr, bei dir muß die Wahrheit treu bleiben, 
denn du haft die Bemußtfeinskraft in dir, dag du dir felbft 
treu bleiben wirft. Wo wäre je etwas Großes zu Stande 
gefommen ohne diefe frifhe heilige Überzeugung. Aber 
gingen die Andern nicht von derfelben Überzeugung aus? 
Schen wir ab von Börne, der im Unmutb über fein Bas 
terland in der Fremde verfümmerte und flard. Kann er 
noch jegt Deine als Vorkaͤmpfer für feine Sache anerken⸗ 
nen? Wer fand höher, wer war gefelerter als der wiener 
Spaziergänger, der Dichter des „Schutt? Mit welcher 
mächtigen poetifchen Kraft bat er an die alte Welt und 
ihre morfchen, wankenden Ruinen gefchlagen und bat fich 
jest, in Verzweiflung oder in Unmuth, warme Stuben 
dazwiſchen eingerichtet. Seien die Motive, welche fie wol⸗ 
len, das Factum ift klar, er hat der Sache, deren glüs 
bendfler und glücklichſter Vorkaͤmpfer er war, den Rüden 
gewandt. Wo ift Karl Bed, der mit dem keckſten Über⸗ 
muthe die alte Philiſterwelt zerzaufte und feine Raketen 
des Witzes in den dunkeln Himmel fhoß? Hat er nur 


- 


14 


eine der theffalifchen Heren, den bieichen Mond’ bezaubert, 
daß er für eine Naht ſchwarz ward, Er iſt heimgekehrt 
in die braunen Haiden feines Ungarlandes. Freiligrath 
gehört kaum dahin. Seine Europamüdigkeit kam wol 
nur von der Müdigkeit, am Somptoirtifch zu fichen, wähs 
wend ihm die tropifhen Düfte und Farben ans den Cor: 
refpondenzbriefen finneberaufhend entgegenathmeten. Er 
bat feitdem die Ruine von Rolandseck wieder ins Leben 
gefungen und, damit nicht zufrieden, auch den altın go⸗ 
thifchen koͤlner Dom. Seine Zukunft iſt noch Innig vers 
ſchwiſtert mit der Luft an der Vergangenheit. Lenau — 
von dem nachher. Gutzkow? Gehört diefer noch zu den 
Sturm: und Drangmännern, nachdem er feine „, Briefe 
aus Paris” gefchrieben? Der Nachtwaͤchter iſt noch ſehr 
jung und war ſehr unzufrieden, und hat gewiß wie Alle 
Grund dazu; aber er fol auch in Paris unzufrieden gewefen 
fein, und — wird er nie umkehren? Herwegh fleht jegt ba, 
wo früher Anaftafius Grün fland, nur daß er noch kecker 
und allgemeiner gegen Vergangenheit und Gegenwart 
kaͤmpft; aber auch er iſt fehr jung, und was mehr, er 
it ein echter Dichter. Die Zeitungen laffen ihn fagen: 
wenn ed zur Frage kaͤme, entweder Dichter oder Politis 
fer? fo babe er bereitd entfchieden. Die Zeitungen find 
freilich eine Autorität, die nie luͤgt, aber die allgemeine 
Menfchennutur ift aud eine Wahrheit mit einem fo alls 
mächtigen Schöpfunge: und Gährungsprocef, daß die 
Klügften unter den Klugen noch fein Schema ber moͤg⸗ 
lichen Umfchläge, die aus der Gemuͤthswelt hervorgehen, 
gefunden haben. j 
Der Sturm und Drang ift da; unleugbar Es iſt 
ein biftorifches Factum, daß alle Edlern und Beſſern ſich 
binausfehnen nach freien Zuftänden ale die, welche man 
uns bis da als gut, als nothwendig gefchildert hat. Wagt 
man es doch fogar nicht mehr une das Gegentheil beweis 
fen zu wollen. Es find nur noch die morſchen Policels 
fhranten. Und weshalb weichen fie nicht folcher begeifters 
ten Kraft! Es find nicht mehr Sängerflüge allein, das 
Bolt fühlt mit feinen begeifterten Barden. Warum tras 
gen fie nicht daſſelbe mit in ihr SSenfeit hinüber? Die 
Hemmungen thun es nicht. Die Genfur konnte laͤngſt 
nicht mehr hindern, nur ärgern. So muß denn alfo doch 
eine moralifche Kraft da fein, die noch zu überwinden 
wäre. Wo ift diefe heimlihe Scheu zu fuchen, daß es 
nicht gelingt, wie die Kühnen wollen? Entweder ift dad 
Senfeit noch gar zu unklar, oder es iſt noch Anhaͤnglich⸗ 
keit an der Vergangenheit im Volke. Wir meinen Beides, 
Mo ift das neuconflruirte Gebäude ? 
Es ift nicht Hier und nicht dorten, 
Es ſchaukelt ſich wie ein unfchuldiges Kind auf des Sängers 
blühenden Worten 
ließe fih mit Immermann antworten. Selbft der Bes 
griff fehle noch in voller Klarheit den Bewußteſten. Und 
wäre der Begriff volftändig, conftruirt in allen Detaite, 
fo bliebe er doch nur ein Begriff; nicht um deswil⸗ 
len, weil er noch nirgend zur Wirklichkeit wurde, fondern 
weil er im Berftande allein wurzelt, weil Gemüth und 
Phantafie nichts damit zu thun hatten. Iſt es ein Raͤth⸗ 


fel, weshalb die wahre Dichternatuc fi) davon abmender, 
wenn fie nahe am Ziel ift! Wir find ein Volt, in dem 
das Gemüth ſich nicht verleugnen läßt. Ich füge, Gott 
fet Dank, daß wir es find. Er ift unfer feftefter Schild. 


- Dafür daß er nicht zu groß werde, und die Ausſicht und 


Umſicht verdede, iſt geforgt. 

Und weshalb gelingt der Bau nicht? Weil man alle 
Sundamente der Vergangenheit verwirft, weil jeder von 
beute, von ſich an datirt. Das Volk fühlt, ohne es fich 
bewußt zu fein, heraus, daß das nicht die Art ift, daß es 
thöricht fei, anzunehmen, die Vorzeit tauge fo wenig, daß 
der Weiterbauende nicht diefen und jenen Etein, wenn 
nicht zum Eds oder Grundflein, doc als Pfeiler, Orna⸗ 
ment brauden folle. Es iſt die eingeborene Pietät, die 
da ift, mie fie fih auch Mühe gibt, ſich zu verleugnen. 
Die am weitelten voran find, fühlen das auch in ihrer 
Ode. So Lange das große Gefolge mit Sang und Schall 
den Geiſtern folgt, werden fie die nicht inne; es geſchieht 
erſt, wenn fie mit ihren größern Kräften den Worfprung 
gewonnen, daß ihnen die Maffe nicht folgen kann. Ein 
eigenes Gefühl mag fie dann befchleihen, ſich fo allein zu 
fehen, und um was? Um eine Idee; das ift freilich ſchoͤn, 
mit ber MWolluft des Märtprergefühls verbunden. Aber 
um eine Idee zum Beſten der großen Maffe, die fie in 
ihrer letzten Confequenz nicht faßt. Das kann Verach⸗ 
tung, bittere Verachtung erzeugen und einen häßlicyen 
Umſchlag, mit noch häßlichern Motiven, 1 

Damit ſei nichts gegen den jungen Dichter der „Lie⸗ 
bee der Gegenwart’ gefagt. Er ift im Sturm und Drang 
geboren, der nur aus der Negation feine Begelfterung 
faugtz er muß mit. Gluͤck auf zur Fahrt. Wir haben 
nichte dagegen, wenn er die Genannten anredet: 

Ihr Helbengeifter, beutfhem But entfproffen, 

Die Ihr des Wortes fcharfe Schwerter ſchwingt, 

Rad) des Jahrhunderts fchönften Kraͤnzen ringt, 

Des Rechts, der Freiheit treue Kampfgenoffen : 

Du heil'ge Schar, die, Glied an Glied gefchloffen, 

Zrotäus' Sturmgefang, den Paͤan fingt, 

Kriegsmüthig in des Feindes Reihen dringt 

Auf des Gedankens lichten Sonnenroffen. 

Es Liegt in der Natur der Sache, daß er Boͤrne für den 
Märtyrer deutfcher, freier Geſinnung erklärt, den Frank: 
veich zum legten Dienft feine Erde leihe: 

D Deutſchland! Land der Kürften und Barone ! 

So reichlich lohnſt du beinem freiften Bohne. 
und 

Gr ftarb an deinem Schmerz, an deiner Schande 

Und liegt begraben in dem fremden Lande! 
und daß er Alle, die nicht in Boͤrne's letzte Rhapſodien 
einflimmten, Pöbel nenne, treue, wohlbeftellte Schweines 
hüter, die ihrem allergnädigften Gebieter die Hand küffen 
und bie ihm, dem neuen Heiland ins Angeficht geſpien 
und ihn gefchlagen haben. Er ift jung und ift begeiftert, 
und für eine Perfon. Wir hören ihm ferner gern zu, 
wie er Heine, den Dichter, wieder aus feinem Herzen 
reißt und begraͤbt: 

— in das weite Grab 
Leg’ ih all deinen Dichterruhm, 
Und ben Geift, den titanenkräftigen, 


Und all die himmliſchen Gaben 

Deiner Seele, 

und ich reif deinen Ramen 

Aus meinem Dergen, 

Und leg’ ihn auch hinein, 

und fharre dann Alles zu mit dem Epaten, 

Gin einfamer Todtengraͤber, 
mei er, voie Judas Iſcharioth, um ſchnoͤde Silberlinge den 
Seund an die Pharifüer verrieth; wir hören ihm gern zu, 
ohne um deshalb feine Anficht zu teilen, Mir leſen mit 
noch groͤßerm Vergnügen, wie er, in noch unerkalteter Bes 
griflerung für Anaftafius Grün, die gehäffigen Inſinua⸗ 
tionen gegen bdenfelben von ſich weiſt und abermals, in 
deſſen Weiſe fih Hineindichtend, fingt: 

Kein! Ich kann e8 nimmer glauben, diefes Euggerücht 
von dir; 


on bir; 

Gier iſt's uns bergefendet aus bes Feindes Hauptquartier; 

Denn wer Dichter, dem bie Gottheit fetbft den Himmels 
ſchluͤfſel Lich, 

Beugt vor einem Eaiferlichen Kammerfchlüffel nicht das Knie. 

Ber auf lichten Bergeshöhen jagt dem Wild ber Freiheit nad, 

I, fuͤrwahr, ein fehtechter Diener in des Kürften Schlafgemady. 


Ebenſo ließ fidy erwarten, daß Freiligrath ihm nicht genug 


that, weil 
ſeines Sanges Muſe 

Kur ſcheu und ſchuͤchtern an der Freiheit Pforte 

anflopfte; denn: 
Noch ſtrahlten nicht des Friedens Morgenröthen; 

Roch reichte und Berföhnung nicht die Palme, 

Rod) ift der Kampf ber Bott, zu dem wir beten, 
und er ruft ihm die bekannte Lehre zu, welche dem Dich: 
ter bereits in den Zeitungen gepredigt wurde, bie er aber 
gewiß, ald Dichter, auch gern in Verſen lleſt: 

Yartei! Parteil Dier gibt es keine Mitte; 

Du Juste- milieu, gehörft dem Weltgerichte; 

Du, Gchredgefpenft, mit ſchwankem Seiftertritte, 

Was wandeiſt du am Tage der Geſchichte? 

Dies Weib will fi mit Helden nur vermähfen, 

Die wiflen, was fie wollen, was fie wählen. 
D unglüdfeliger Dichter, dem die Freien nicht erlauben 
fr zu fein, der herunter foll aus feinen lichten Höhen, 
um Partei zu werden. Auch diefer Irrwahn ſei vergeben. 
Es ift der nothmendige Gegenpol dafür, daß unfere Väter 
vom Dichter foderten, er folle als blut: und fleijchlofee 
Welen zwiſchen Himmel und Erde ſchweben. Das Er: 
trem folgt dem @rttem, es ift das unabmwendbare Natur: 


geſetz. Warum dem jungen Dichter alfo verargen, daß er dem 


geoßen Chorus , in den der Drang ihn führte, nachſpricht. 

Aber Eins frage ih. Wir haben viele Dichter gehabt, 
die fih von allem pofitiven Glauben loßgerungen haben ; 
ich kenne aber Beinen, der glaubensleer anfing. Ein Dich⸗ 
terjüngling, der ſich nach Offenbarung und Erloͤſung fehnt, 
dem aber in dem 6000jährigen oder 1500jährigen Leben 
nichtd davon zu Geficht oder zum Bewußtſein gekommen 
ift, dee da ausruft: 

Aus weflen enden 


Wirft du, o Herr, den Himmliſchen uns fenden? 

Wer ift fo auserwählt in unfern Tagen, 

Den ew'gen Bott In feinem Schoos zu tragen? 
Seine Gleihgefinnten — wohlverftanden im Begriff; un: 
tee den Dichtern fiehen ihm wenige zur Seite — verlans 





15 


gen nicht nah einem Meſſias; er iſt in jedem felbft. 
Wie, deutete dies Verlangen vielleicht auf eine ganz ans 
dere Wurzel, auf eine jener dunkeln Eönigsberger Verbin: 
dungen, die darauf ausgingen, einen Meffias zu machen? 
„Bald wird erzeugt der Welterloͤſer fein’, ſchließt trunken 
die Dithyrambe. Und nun muß Lenau büßen, daß er den 
Zweifel mit dem Glauben vertaufcht hat. 


— — Zu bes Gedankens Purpurtrauben 
Biſt du, ein Fuchs, umfonft emporgefprungen. 
Sie hingen dir zu hoch, bir iſt's mislungen, 
Das Streben, jene füße Frucht zu rauben. 
Drum fchleihft du fort, wie ein beflegter Nitter, 
Und nennft die hohen Zrauben berb und bitter, 
Dich felbft zu täufchen und die Welt zu trügen. 


Geſetzt, der Verf. wäre erft 20 Jahr, was wird er im 
vierzigften, was im fechzigften Jahre fin? Nach den Er: 
fahrungsfügen der Pſychologie das gerade Gegentheil von 
Dem, was er jegt iſt. Moͤge ihn fein echter Dichterberuf 
vor Ddiefem traurigen Echidfale behüten und ihm einen 
Weg zeigen, wo auch frin Gemüth Nahrung finde. Fort 
zufchreiten, d. b. auf dem eingefchlagenen Wege weiter zu 
rüden, ift faum denkbar. Dit Vergnügen gewahren wir 
um deshalb alle die Momente feiner Poeſie, welche ſich von 
der Negative frei halten und von der Pietät Zeugniß ablegen 
(3. B. gegen Schön), die zum beutfchen Blute gehört. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Das Elend der Tellus. Ein Verſuch das Dublicum in das 
große Mächfel hineinzuführen. Bon P. Scheitlin. 
St.: Gallen, Tribeihorn. 1842. 8. 26’, Ngr. 


Menſchliches Leben ift vergaͤnglich, zu kurz für feine Be⸗ 
firebungen, unbefriedigend in Genüffen, ber Plage und Noth 
voll, überhaupt gedruͤckt durch phyſiſche und moralifche übel. 
Dem Berf. ſchwebte dicfe alte Wahrheit lebhaft vor Augen, es 
war ihm aber nit nur um eine Darficlung des Elends zu 
thun, fondern bauptfählih um Antworten auf das Woher? 
Warum? Wozu? — ein ſchauerliches Räthfel, wie er es nennt, 
welches noch Niemand befriedigend loͤſte, was ber Verf. au 
nicht „befriedigend ibſen kann und es daher „nur darftellen und 
nachdenken und anwenden‘ lehren will. Das Thema, fpridt 
er, intereſſirt viet flärker als felbft das Dimmelreih auf Er⸗ 
ben; denn dieſes ift inwendig, unfichtbar, das Elend ſchauerlich 
fihrbar; jenes ift allenfalls für die Vernunft, diefes für Phan⸗ 
taſie und Gefühl, als „viel allgemeiner verbreitete Potenzen”. 
Alſo behandelt die Echrift folgende ‚Kragen: „Was verftchen 
wir unter dem Gtend der Tellus? Wie wollte man fich deffen 
Entftehimg erklaͤren? Welche Anitrengungen und Mittel find vers 
ſucht worden, es zu heben oder doch zu mildern? Welches was 
ren bie Erfolge, oder wie flieht das Glend zur Tellus? Wie 
ertiären wir uns bie Sntftebung der Suͤnde und des Ungluͤcks? 
Welches ift der Endzweck dieſes tellurifhen Elends, wirb es 
ewig dauern, und wozu mag des Verf. Anficht benugt werden 2’ 

Nur einiges Wenige gibt Ref. von den Antworten. Unter 
Elend verficht der Verf. alle intellectuelle moraliſche und phyſi⸗ 
fee Unvolllommenpeit, was dunkel iſt, dunkel macht und zum 
Dunkel führt, das Gerade kruͤmmt, das Rechte umkehrt, jedes 
Unglüd der Menfchbeit. über Entſtehung des Elends werben 
die Angaben tes Mofes, der Inder, Ägypter, Perfer, Griechen, 
fpäterer Philofopben angeführt. Es gu heben ſuchten Reli⸗ 
gionsflifter, Sittenverbefjerer, Geſetzgeber. Eigentliche Zröfter 
für alle Welt waren nur David und Chriſtus. Aber die Mit⸗ 
tel und Zröftungen haben nicht ausgereicht, Gelige finden wir 
keine. Dee Menſch ift Sünder durch Schutd geworben und bes 


16 


darf einer Art Wiedergeburt als Umfehrung, ben Urſprung ber 
Sünde und wie daraus das Ungluͤck entfproffen, vermögen wir 
nicht einzufehen. Doch läuft die Tellus einer Veränderung ent: 
gegen, fie wirb eine Erneuerung zur Vervollkommnung werden 
müffen. Das Wann ift verborgen. Lord Byron ſprach einft 
in feiner Rachtanſicht des menſchlichen Daſeins: 

And if I laugkh at auy mortal thing, 

'Tis that | mey not weep — . 
und unfer Verf. zuft: „Hoͤre auf, Sünde und Unglüd! böre 
auf, entfegliches Doppelelend! Laß mich wenigftens im @laus 
ben, in der Sehnſucht, in dee Hoffnung, Zuverfiht und Freude, 
daß du für Alle und alfo auch für mich einmal ein Ende auf ewig 
nebmeft, ruhen, zu den Sternen fchauen und fanft in diefem 
Schauen einſchlafen.“ Kür ben einen ober andern biefer Gegen⸗ 
fäge entfcheibe ſich ber Sterbliche, oder gar für beide. 9. 





Vocabnlaire du Berry, par un amateur da vieux lan- 
gage. Paris 1842. 


Cs ift dies eine neue und fehr vermehrte Ausgabe eines 
Heinen Werkchens, das vor ſechs Jahren erſchien und das von 
allen $reunden der alten Sprache mit ermunterndem Bei⸗ 
fol begrüßt ward. Die erfte Skizze ift in bem vorliegenden 
Werke zu einem ftattlichen MWörterbuche angeſchwollen, das nicht 
nur fehr reich ift an den intereffanteften linguiſtiſchen Bemers 
ungen, fondern das zu gleicher Zeit fehr anziehende Mitthei⸗ 
lungen über die Sitten und Gebraͤuche einer wichtigen Provinz 
von Frankreich enthält. Berry iſt zwar weniger rei) an origis 
neflen Ausdruͤcken ale die Provinzen, die weiter von ber Seine 
abliegen, aber es hat immerhin eine ganz beträchtliche Anzahl 
diefee wahrhaft franzöfifchen Worte vom alten gallifchen Stamme 
beibehalten, bie fpäter von bem eindringenden romanifchen Idiome 
verdrängt find. Diefe mots espaves (verloren, verirrt, unbes 
kannt), wie fie Rabelais in feiner alterthuͤmlichen Sprade- fehr 
bezeichnend nennt, find durch bie feinern, abgefchliffenern Auss 
druͤcke, bie der lateinifhen Sprache entlehnt find, nicht immer 
ganz erſetzt, und es iſt zu bedauern, daß das neuere Franzoͤſiſch 
fie verfchmäht. Sie verleihen dem Dialekte biefer Provinz einen 
ganz eigenthuͤmlichen Reiz. Wir können uns nicht darauf eins 
Laffen, einzelne Beiſpiele diefer kernigen, derben Ausbrüde beis 

ubringen. Ebenſo wenig wollen wir bem Derf. auf das 
—** Feld der Etymologie folgen. Es ſei uns nur er⸗ 
iaubt, bier ein paar einfache Bemerkungen mitzutheilen, bie 
uns beim Durchblaͤttern dieſes reichhaltigen Vocabulaire aufgeſto⸗ 
Ben find. Der Dialekt von Berry (l'idiomo berrichon) bat 
im Ganzen Etwas, was an Rabelais erinnert. Es Liegt dies 
in einer großen Derbheit, zum Theil aber auch in dem unglaub: 
lichen Reihthum der Synonymen. Um bem Lefer einen Begriff 
von biefer Überfülle finnverwandter Wörter zu geben, mag «6 
enügen, wenn wir fagen, daß biefer Dialekt allein mehr als 
$O Autoräde für die verfdiedenen Arten von Koth und Schmuz 
von dem flüffigften bie zum fteifften und Etebrigften hat. Wir 
haben ſchon gelagt, daß diefe Mundart ferner eine große Anzahl 
alterthümlicher Wörter und Wendungen behalten hat, bie im 
modernen Franzoͤſiſch ganz verloren find. Es war deshalb ein 
glücklicher Gedanke bes ungenannten Verf. dieſes Vocabulaire, 
daß er befondere Rüdficht auf die veralteten Ausbräcde nimmt, 
die fi in den Altern Autoren, finden und bie in dieſem Dialekte 
allein noch fortieben. Auf diefe Art hat manche bunkte Stelle 
der frühern franzoͤſiſchen Schriftfteller eine Erklaͤrung gefunden. 

Wir finden aber, wie gefagt, in biefem intereffanten Werte 
außer ben rein fpradjlichen Grörterungen noch manche beach⸗ 
tungswerthe Notiz über bie Sitten und Gebraͤuche ber Bewohs 
ner von Berry. Wir heben einige berfelben aus und laffen uns 
dabei vom Zufall leiten. Wenn nach vollgogener Zrauung daB 
neuvermählte Paar aus der Kirche zuruͤckkommt, fo greift der 


Denn zu einem GBarteninfirumente, begibt fi in. ben Barten 
und arbeitet einige Augenblide lang. Während beffen hat die 
junge Frau ihre Spindel hervorgeholt und einige Baden gefpon- 
nen. Diefe Foͤrmlichkeit wirb ats ber eigentliche Anfang bes 
neuen Haushalts betrachtet. &ie ruft gewiffermaßen ben Reus 
vermählten wie Nothwenbigkeit eines angeftrengten Fleißes ins 
Gedaͤchtniß. Am Abend vor der Hochzeit verſteckt fid die Braut 
mit mehren ihrer Freundinnen in die Wölbung bes Kamin, 
über die ein großer weißer Laken gefpannt iſt. Der Bräutis 
gam muß nun mit feiner Sand unter biefen Vorhang fahren 
und alle Hände der Wäbchen berühren, um zu fagen, welches 
bie Finger derjenigen find, die feine Lebensgefährtin werben ſoll. 
Dee Berf. diefer intereffanten Schritt hat ſich nicht ges 
nannt, aber es ſcheint mehr als Zufall zu fein, daß der Buch: 
bruder auf den Umſchlag des Werks die Ankündigung von 
zwei Schriften Aber Botanik gefegt hat, die vom Grafen Jau⸗ 
bert herausgegeben find. Diefer geiftreiche Deputirte, der durch 
feine ungeflüme Beredtſamkeit ebenfo befannt ift als durch feine 
wiffenfchaftlidyen Anterfuchungen und feine Heifen nad dem 
Drient, füheint in der That ber Verf. biefes Werks zu fein, das 
feinem Geifte und feinem Fleiße gleiche Ehre macht. 6. 





Notizen aus Italien. 


Diejenige Literatur, über welche uns Deutfchen Börres un⸗ 
ter der Bezeichnung Volksbuͤcher eine Überficht gegeben hat, 
ift in Italien noch fehr reich. Ein Berzeihniß und Bericht über 
biefe vielgelefenen, allgemein zugänglidden Schriften müßte für 
Kenntniß des italienifchen Volkscharakters mannichfach lehrreich 
fein. Die Mehrzahl derfelben ift religiöfen Inhalts, Leben ber 
Madonna, der Beiligen; unter den neueften hauptſaͤchlich das 
der heiligen Filomena. Ein großer Theil gehört den Sagenkrei⸗ 
fen des Mittelalter an, wie bie „Reali di Francia”, „Gue- 
rino meschino‘‘, „Ms. gigante Morante.” Wenige find komi⸗ 
fhen, modernen Inhalts, wie „Bartoldo‘‘ mit feinen Abkoͤmmlin⸗ 
gen. In Neapel gehen ſolche Bücher aus der Druderei des 
Nicola di Simone hervor. In Rom find auch venetianifche 
Drude der Art zu haben. Ich Laufte biefe Sachen bort bei ei⸗ 
nem alten zerlumpten Krämer im Borgo vecchio, links an der 
Straße, weldhe von der Engelsbruͤcke nach der Piazza Ruflicucci 
und dem Vatican führt. Gedrudt werben fie bei Balbaffari. 
Auch die Preffen von Biterbo und Todi find in biefem Kreife 
thätig. In Lucca ift Mehres diefer Art bei Domenico Maree⸗ 
candoli und bei Francesco Bertini erfchienen. Natuͤrlich fiets 
con approvazione,. con permesso. Venedig ſcheint audy für 
biefe Erzeugniſſe wie für das fonftige Buͤcherweſen ciner der 
bauptfäcdhlichften Pläge. Am Gingang der Kirche San: Marco 
gegen den Marcusplag, am Dogenpalaft unter ben Ballen ges 
gen die Lagunen haben bie Bänbler ihren Kram aufgefchlagen. 


Das alte Volksdrama, das Puppenfpiel, ift in Stalien 
noch nicht ertofchen. Auf der Riva de’ Schiavoni in Venedig ift es 
jeden freundlichen Mittag ober Abend zu fehen. Auf bem Wege 
von Mailand nady Genua fpdt Abends in Novi anlangend, fas 
ben wir auf einem freien Piage eine zahlreiche Volksmenge vers 
ſammelt, welche mit gefpannter Aufmerkſamkeit der Darſtellung 
eines Puppenſpielers folgte, welcher bei Kerzenlicht im Freien 
ſpielte. Der Italiener iſt aͤußerſt ſchauluſtig; faſt jedes Staͤdt⸗ 
chen bat fein Schauſpielhaus. Bei dieſer Anlage des Volks iſt 
es doppelt zu verwundern, daß ſich ein eigentlich nationales 
Drama in Italien nie gebildet hat; waͤre es, wenn Italien ſich 
als eine Nation fühlen könnte? Am Freitag, während der Abe 
ventszeit und ber großen Kaften find in Rom bie Theater ge= 
—* In den letzten Tagen vor Aſchermittwoch wird, um 
die Luſt noch bis auf die Hefe zu genießen, auch bei Tage ge⸗ 
ſpielt. Am Morgen vor Aſchermittwoch ſah ich im Theater 
Tordinone Roſſini's „Moſes“ mit eingelegten Ballets. 7. 


Verantwortlicher Herausgeber: Leinrih Brockhaus. — Druck und Verlag von F. U. Brodhbaus in Leipzig. 


‚Blätter, 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerstag, 


— Nr. 5. — 


5. Januar 1843. 





Stimmen der Zeit. 
(Beſchluß aus Nr. 4.) 


As pofitiver Gegenſatz gegen ben vorigen jungen Saͤn⸗ 
ger tritt der uns wohlbekannte ehrenmwerthe Dichter Fried 
rich v. Üchtrütz in feinem „Ehrenſpiegel des deutſchen 
Volks“ anf. Ob er zu den Zufriedenen mit dee Gegen: 
wart zu rechnen fei, laſſen wir umentichieden, aber er ges 
hört nicht zu den Mafcontenten mit der Vergangenheit, 
daß er allein von der ungeborenen Zukunft das Det des 
Vaterlands erwartete. Beinen Gtandpumft fpricht die 
Widmung des Gediches an einen Fürffen aus, an den 

— der dem greifen, unerfchöpften Dichter, 
Bon beffen Mund bas Ger, wis Honig tönt, 

Der Königsgnabe hellſte Weihnachtstichter 

Satflammt, des Lebens Abend ihm verfchönt, — 

Ihm, dem fein Bolt erſt halb die Gunſt geboten, 

Die es in Zukunft reicher zollt — dem Todten. 


Seine Tendenz aber wird Bar aus der Rhapfodie, „Die 
Zeit“ überfchrieben, die ald Prologus die Bilder des „Eh⸗ 
renfpiegel” vorführt. Sie hat von Eheops' Ppramiden 
ab Alles erlebt, 
Doc nicht von Trümmern komm’ ich Heut’ zu fingen, 

Nicht in die Fremde führe’ ih Euch hinaus, 

In Eurer Heimat Grenzen fol mein Lied 

Berharren, Euch mit talhem Fluͤgelſchlag 

Aus fernen Nebeln der Vergangenheit 

Bis in ben Glanz des heut'gen Tages tragen, 
Er mwühlt nicht in Truͤmmern, um nur Schutt zu finden, 
fondern ruft im Morgensoth des beutichen Eithenwaldes 
die großen Erfcheinungen der Vorwelt zur Anfchauung. Wir 
ſehen Kart den Großen und Eginhard und Emma in an 
muthigen Bildern und altdeutſchem Versmaße geſchildert, 
das vorzüglich gelungen iſt; demnaͤchſt in großem Sprunge, 
ver ſogar über die Hohenſtaufenzeit hinfortgeht, das 
Martburgfeft. Prologus, der den in Nacht zuſammen⸗ 
begenden Glanz der SDohenftaufen bedauert, ruft aber 
Besser aus: \ ' 

D der Herrlchkeit, 

Der edalu Sitt' und Kunſt, die ſich im Schatten 

Des großen Papft: und Kaiſerkampfs entfalten! 

Die zwei gethürmten Dome fteigen auf, 

As hebe ſehnſuchtsvoll die Welt die Arme, 

Den Dimmel zu erfaffen. Selbſt der Stein 

Bergißt der Haͤrt' und der granitnen Schwere; 

Er öluͤht in Rofen, ſteigt in ſchlanken Spigen, 


Schießt aus in feinfter Zierath, — recht ein Wild 

Der rauhen Menſchenherzen jener Tage, 

Die ebenfo ein lindes Wehn durchdringt 

Und fanft in fanften Blüten ſproſſen madıt. 

Bon Minne tönt des Sängers Mund 
und ir einer der vielen Weiſen, in denen die ritterlichen 
Sänger von Dlai und Liebesiuft gefungen, führt uns der 
Dichter das Wartburgfeft vor. Die Blüte edler Sitte, 
die in zartefter Milde ins Auge glänzte, ift bald voruͤber; 
in den Burgen tönt ſtatt holden Minnefangs wüfte Raus 
ferei und Becherklang. Die Mufe hat fi des Bürgers 
enge Werkſtatt erforen, der Dichter führt uns in das 
reiche, mächtige Leben der Städte und zaubert und Hans 
Sache’ Brautzug, ein hoͤchſt gemütbliches, friſches, deut⸗ 
ſches Bid bin, in dem er bie erften Geifter und Män: 
ner der Zeit, einen Willibald Pirkheimer, Georg Frunds⸗ 
berg aufführt. Die Erfindung iſt glüdlich, der Ton mel: 
ſterhaft getroffen. Weshalb aber der Dichter nöthig hat, 
ernft gemeint, oder ironiſch, dies Bild zu vertheidigen, 
wie es in ben darauf folgenden Rahmſtuͤcken gefchieht, iſt 
uns nicht faßlich. Es beißt da: 

Ihr werdet den Rhapfoden hoffenttich 

Nicht .tabeln, daß er, der in Kürftenpöh’n 

Mit Euch verkehet hat, und den ſtotzen Klug 

Nur auf den Hehren Bipfeln deutfchen Lebens 

Ausruben wollen, bei des Handwerksmanns 

Brautiuft und Iäppifch rohen Soͤldners Einfprud 

&o lang vermeilt hab’. Haltet doch auch Ihr 

Nicht niebrig, wa® ung, wie ber Kriegermuth, 

Das Bürgerwoplfein jener Tag’ ins Herz 

Aus unfers Volkes lichten Kern zwei Strahlen 

Mit Eräftigend fruchtbarem Schimmer gicßt. 

Und find der Dichter, Weife, Künftier, Held, 

Die auf der Reichſsſtadt Straßen uns begegnet, 

Nicht Kieinod’ in den Ehrenfchage Deutfchlands. 

Gewiß, das find fie Wer bezweifelt's? Wer's aber ber 
zweifelt, weshalb am den Worte verfchwenden! Die Res 
formationdzelt berkhrt der Prologus nur. Ste hat Bro: 
Bes, Gemwaltiges, Derzerfchütterndes erzeugt, das Erfreuliche 
liegt aber mehr im Meiche des Gedankens, das Bild fat 
es weniger. Der preußifch gewordene Deutfche führt uns 
lieber zu dem Regenerator des Hauptſtaats des proteſtan⸗ 
tifhen Deutfchlands, zum großen Kurfürften. In einem 
fein tüfternen Bilde wird uns der Juͤngling vorgeführt, 
der fih aus den Armen der Verführung foseingt, ſtuͤr⸗ 
mild den Lodungen im Hang enteilt, um als Held frei zu 


Fe | - a er 


werden. Vortrefflich iſt auch Hier im Metrik und Sprache 


die ſonſt wenig troͤſtliche Poeſie der Zeit wiedergegeben: 
D web bir, Brandenburg! wie liegſt bu gleich dem Armen, 
Der bülftos aͤchzend ſtirbt, ohn Hülle zum Erwarmen, 
Mit Wunden überbedt, die ihm ein Frevler ſchlug, 
ade. Hab’ ihm frei aus feiner Huͤtte trug! 
“Der flotge Wallenßein mit feinen Kaiſerlichen 
ft wie ein gift’ger Wind ob dir dahin geftrichen, 
Mannsfeld hat dich belehrt, was Sölbnergier vermag, 
Der Schwede Wrangel kam grimm wie der jüngfle Tag. 


Und er, bes Landes Troſt, der junge Pring, ber einft 

ie Laft des Kurhuts trägt, was biickſt du hin — und wehrt, 

etrübte® Brandenburg, wenn er dem Blid begegnet, 

Der dich in Ängften fonft als Hoffnungsftern gefegnet ? 
Immer enger fchließe fih nun der Dichter der naͤchſten 
Geſchichte an, immer wärmer wird feine Sprache. Fried⸗ 
rich's Preis wird im Tone der Grenadierlieder von einem 
Preußen gefungen; der Öftreicher verſtummt nit ihm ge: 
genüber. Dann tritt Weimar in die deutſche Geſchichte, 
das geiftige Leben erwacht, es wird Alles berührt, was in 
biefer reihen Zeit da6 Leben bewegte. Die Revolution, 
ber Befreiungskampf, Leier und Schwert, die noch wichti⸗ 
gern Friedenskaͤmpfe, bis der Dichter, ganz in die Gegen: 
wart Üübergehend, mit einem Gedichte fließt, das in Sinn 
und Form unferer neueflen Epoche ganz angehört. Es 
fängt an: 

Hört mich, Sachſen, Baiern, Schwaben, Preußens, ſtreichs 
weite Gau'n, 


Hört mich Alle, bie der beutfchen Sprache reiche Schachtebau’n! | 


Eure Königin gebietet, fie ermahnt euch, hört fie an! 

Fahret fort, euch immer inu’ger, brüberlicher zu umfah'n, 
"Immer mehr die alten Zwiſte zu vergeffen, treu gefellt, 

Und ihr werdet, ich verfünd’ es, tapfer fteh’n der ganzen Weib! 
Denn nit Tapferkeit, nur Einheit war es, was euch einft 


bra N 
Nur mit eig’ner Kraft im Bwiefpalt Tieß bie Kraft der Deut: 
ſchen nad. 


Die chrenhafte Gefinnung des Dichters ift, fowie feine 
gründliche Auffaffung alles Deffen, was er poetiſch verar⸗ 
beitet, befannt, doch hörten wir ihn noch nie fo begeiftert 
mit vollen Tönen die patriotiſch durchgefühlte Überzeugung 
ausfprechen als in diefen legten Gedichten, wo alles Kuͤnſt⸗ 
liche zuruͤcktritt und die Diction ein freier Strom ebler 
Gedanken wird, die die glücklichſte Form gefunden haben. 
Möchten fie eindringen und das werden fie, wo fie Lefer 
finden. Zum Schluß nur noch fehs Verſe aus dieſes 
Dichters Biden in die Zukunft: 

Wiſſenſchaft und Kunft in Bluͤte ranken fih zur Sonn’ 


empor 
Offen fleht des deutfchen Handels Pfaden icbes deutfche Thor, 
Oder wird doch, darauf trau ich, wo man noch mic Niegeln 


hemmt, 
Bald vom Drang des neuen Seife, frieduch⸗ freubig aufge⸗ 
emmt! 
Keime ſind im frohen Wirken, wo das Auge weilen mag 
Und der Sitte heil'ger Tempel ruht noch feſt im deutſchen Hag- 
Der Gegenfag jener beiden Dichter iſt ausgeſprochen. Bei⸗ 
der Aufgabe: mit allen Kräften, die der Gott ihnen gab, 
fi in die Strömungen und Wirbel der großen Zeitfragen 
zu ſtuͤrzen; Sener, um, der Vergangenheit enteilend, in der 


ungewiſſen Zukunft das Heil zu fuchen, Diefer, um bie 


ungewiſſen Biber ber Vergangenheit zu einer troſtreichen 
Gewißheit duch die Poeſie zu geflalten, damit wir Kraft 
geroinnen, in die Zukunft zu bliden und zu leben. 


Don dem dritten Dichter, Friedrich Hebbel,’ dem 
Verf. des vielbeſprochenen Zrauerfpiel® „Judith“, ermartes 
ten wie nichts Anderes." Wer fo keck die alte Mythe aus 
dem eigenften Gedanken umconſtruirt und das Alterthum 
bienftbar den Fragen der Gegenwart machte, der müßte 
als freier Sänger doch ganz und allein in ihren Wirbeln 
und Strudeln leben, er müßte mit dem Entzliden vote 
%. Grün und Herwegh fi von den Sturmwolken tra: 
gen und ſchaukeln laffen und, wegfliegend über die Baͤch⸗ 
fein und Blumen, nur der großen Zukunft ſtarr ins Auge 
bliden. Weihe Überrafhung! Es find Gedichte über Al⸗ 
lerlei, über Liebe, Luft, Schmerz, Ungeduld; Sonnenfchein 
und Regen, wie fie zu aller und jeder Zeit aus der Bruft 
eine echten Dichters auffleigen mögen. Mit immer ftei: 
gender Verwunderung blidten wir weiter und weiter, faft 
auf jeder Seite durch dem Eräftigen und ſchoͤnen Ausdtuck 
ſelbſt eigenften Gefuͤhls uͤberraſcht und gefeſſelt. Michts 
von eminent genialen Gedankenſpruͤngen, die in pikanten 
Antitheſen ben Chimboraſſo und Devalagiri aneinandet 
binden, aber ſolche Gedanken und Gefuͤchle, die zu eines 
Jeden Sinn fprehen und in finniger, naiver Act kurz 
und lieblich ausgeſprochen. Wollten wir Preben mitthei: 
len, mas uns beſonders anfprah, fo müßten wir Seite 
um Seite ercerpiren. Woher dee Dichter in der Jetzt⸗ 
welt, der da fingt: 

, Rauſche nur vorüber, Wind! 
Bühl im Laub und Enide, 
Während ich mein füßes Kind 
An die Bruft hier bräde! 
Neſtle aus dem dunkeln Haar 
Ihr die junge Rofe, 
Wirf fie ihr zu Füßen dar, 
Während ich hier koſe! 
Dder: 
Der Blinde figt im tiefen That 
Und athmet Fruͤhlingsluft, 
Ihm bringt ein Hauch mit einem Mal 
Des erſten Veilchens Duft. 
um es zu pfluͤcken, ſteht er auf, 
Sucht, bis die Nacht ſich naht, 
Und ahnt nicht, daß fa irrem Lauf 
Sein Buß 'es längft zertrat. 
Dder, oder, oder — wir bitten bie Lefer nicht nach diefen 
Proben zu urtheilen, denn vielleicht griffen. wir ungluͤck 
ih; es find nod viel ſchoͤnere, glüdlichere da, in dene 
fid) die ganze füße Gemuͤthswelt aus der Bluͤteperiode dee 
Goethe'ſchen Liederpoeſie vergegenwärtigt. Kreili wenn 
man den allerliebſten „Bubenfonntag” mit dem fuͤrchter 
lihen Gedicht „Der Priefter” zuſammenhaͤlt, entdedit nunız 
bie finftern Spuren, wohin eines Dichters Sinn verirrem 
mag, und wenn wir in dem letzten Theil der Gedichte: 
„Ein Buch, Sonette” — vortrefflihe Sonette! — Iefen: 
Rein! öffne deine innerflen Organe 
und miſche dich im Leiden und Genießen 
Mit allen Strömen, die vorüberfließen, 
Dann dienſt du dir und dienft dem hoͤchſten Plane, 


49 


und fürchte uicht, fo in bie Melt verfunfen, 
Di ſelbſt und dein Ureig'nes zu verlieren: 
Der Weg zu dir führt eben durch das Gange ! 


fe Mm wir freilich, daß auch diefer junge Dichter fich 
mh ganzer Seele den großen Zeitfragen widmet. Aber 
wa fo wunderbarer, daß er dabei fo frifh und heiter wie 
ra Dichter aus der alten Zeit Eonne: und Wonne⸗, 
Scheide: und Meidelieder fingen kann. Diefe werden 
feanern, ich meine und hoffe ed, wenn die Sturm: 
und Drangfragen laͤngſt ale werwundene Momente eines 
Lebensproceffes zu den zeponicten. Acten gefommen find. 
Wir machen ed unfern Lefern zur Pflicht, fich nicht mit 
unfeen Auszügen zu begnuͤgen; Friedrich Hebbel ift ein 
Dicker, der gekannt, genoſſen zu werden verdient. 


Nicht minder der Dichter der „Rebensfpinptome” ; ein 
mut Name U. Harwis, aber ein Talent, das aus ſeibſt⸗ 
eigenem tiefen Gefühl fchöpft, und wenn feine Form fo 
ghucklich abgerumdet und wohlgefaͤllig wäre, ats feine Ge⸗ 
danken und Gefühle friſch, kraͤftig und eigen, den beften 
fich an die Seite flellen dürfte. Er ift auch ein Dichter, 
der entfchieden feine poetifhe Kraft in den Strom der 
Zeit wirft, aber, mit noch friſchem jugendlichen Sinn und 
Beusäth,, beichäftigen ihn die einzelnen fpeciellen ragen 
weniger, ex laͤßt fie bei Seite Liegen, um auf den Flügeln 
des Morgenrothes emporzufliegen. Ernſte Gedanken und 
ferudige Wehmuth, vor allem Hoffnung auf das Beſſer⸗ 
werden, auf die Heilung der Zerriſſenheit: 

Ihe Hummen Buͤcher der Geſchichte, 
Geſchrieben mit dem Voͤlkerblut, 
Ihe gebt von Bräbern wol Berichte, 
Dod; nimmer von ber debensglut, 
ruft er, die Poefie fol ihm, was der Gefchichte fehlt, er: 
gingen. Ex ruft ſich zu: 
— Kaur' did in dir zufammen, 
Benn dir Gewalt den Raum benimmt; 
Und sehr an. keinen eig’nen Flammen, 
So lang ein einz’ger unten glimmt. 
Denn draußen — das find Einzelſtuͤcke, 
Die nimmer fügt der Salte Sinn, 
und eh ſich füllt wege sine. Luͤche, 
Da flirht wol Wander drüber Hin. 
und draußen weiß man nichts von innen 
und nichts von Dem, was borten wallt; 
Man ſieht die Thränen nur, die rinnen, 
Und hört den Zubel nur, ber fchallt. 
und was im Herzen tief mir flutet, 
Und wie es mit dem eben ringt, 
und all bie Thraͤnen, bie es odetet, 
Eh es verzichtend unterfinft — 
Das meßt Ihr Alles nach bem Tropfen, 
Den auswärts bat ber Sturm gejagt, 
Und all das Strömen könnt Ihr ftopfen, 
Bern Ihr Ye Deutungsformel ſagt. 
Der Geſang iſt ihm die Vermittelung des geiſtigen Le⸗ 
bensproceffes: 
D Heine Lieber, kleine Worte, 
Wie feid Ihr ernfl, Drakeln gleich! 
Entſproſſen einem heiligen Orte, 
Des ‚Herzens ſtillem Prieſterreich. 


Er gelobt: 
Und fingen werd' ich, werde finnen, 
So lang ˖ ich was im Herzen ba’, 
und find’ ich einftend nichts auhr drienen, 
So geb’ ich ſchwrigend in das Grat. - 
Der Raum gebriht uns, aus bdiefen erniten und freudigen 
Stimmen der Beit mehr als Laute auszuheben. Möge 
man aus dem „Frage“ Überfcheiehenen mehr die Art im 
Beben des Dichters entnehmen, ald die Bedeutung feis 
wer Poeſie: oo 
Herz, was nutzen beine Schläge, 
Alles bleibt auf feiner Stel; 
Iſt die Zeit denn jegt fo träge, 
Diver fag’, bift du fo ſchneil? " 
Seine Auffaffungsgabe und der Ernft und die Aufrichtig: 
keit feiner Poefie ift fo eigen, urfprünglich und natürlich, 
Daß der neue Dichter alle Beachtung verdient. Namentlich 
leſe man den Abfchnitt „Friedensmanifeſte“ überſchtieben. 
Es wäre zu bedauern, wenn er eine Zeit fang unter der Übers 
maſſe poetifcher Gaben, die jeder Markt bringt, unbeachtet 
bliebe. Nicht daß ein echte Talent meiſt doch durch⸗ 
dringen muß, aber in den folgenden Stationen tritt es 
gewoͤhnlich bitterer auf. Die Freudigkeit und Hoffnungs: 
feifche ift aber in dieſem Dichter fo eigen und ſchoͤn. 
MW. Alerie. - 





Der VBicomte d'Arlincourt. 


Der Pilger, von Wicomte d’Ariincourt. Aus dem Franzoͤ⸗ 
fiiden von Paul Bauger. Zwei Abtheilungen. Karlsruhe, 
Macklot. 1842. 8. 2 Thlr. 


In einer furdtbaren Kritif bat 3. Janin den Verf. bed 
„Peleria”', wie es fcheint, auf immer fligmatifict. L’auteur à 
jamais ridicule d’Ipsibos, wie er ihn nennt, müßte ein eigenes 
Süd haben, diefe Bezeichnung je wieder loe zu werben, unb 
er kommt in bem vorliegenden Werke biefem Ziele um feinen 
Schritt näher. Im Gegentheil! Geiſtesarmuth, Geſchmackloſig⸗ 
beit, Eitelkeit und Duͤnkel können ſich nicht deutlicher conterfeien, 
wie in biefer Schrift geſchehen. Daß dies inhaltieere, gedanken⸗ 
lofe und langweilige Buch — nur zur Herzensfreude der pari⸗ 
ec Blauftrümpfe geichrieben — dennoch in Deutfchland einen 

erſetzer fand, ift eine von ben unbegreiflidhen Sapricen unferer 
Zeit. Der Bicomte b’Arlincourt, wie er ſich im Laufe feines 
Werkes wenigftens dreißigmal mit allen Lettern ſchreibt, gehört 
befanntlich zu jenen etwas confujen Leuten in Srankreid. bie 
den Legitimismus mit siner fragenhaften Wergätterung der Bo⸗ 
naparte’fehen Erinnerungen verfchmelzen, in dieſem politifcheg 
Kombabenthum fchwebend, ſich bie einzig Treuen nennen unb 
an ihre eigene Zugend glauben. Zu biefer Glique gehört der 
Berf. des „Pelerin”, aber ſicher nicht zu ben geiftreichen Leuten 
in ihr, fonft wäre es ibm nit vorbehalten gewefen, ein fo uns 
ſaglich armfeliges Buch zu ſchreiben. In eben diefem politiſchen 

btraum, ber im Grunde genommen. nichte ift, als ein moyen 
d’opposition wie ein anderes, und dem Leine Spur von Rechtes 
gefühl zum Grunde liegt, iſt es ihm auch möglid geworben, 
durch die befannte fabelhafte Erzählung „Der Wahnfinnige vom 
Mauville“ einen öffentlichen Skandal in Deutſchland zu erre⸗ 
gen, deffen leztes Stadium ihn mit den Tribunalen in Ver⸗ 
wicelung gebracht hat. Vielleicht hat Hr. d'Arlincourt dies 
Refultat gewänfdt, um feinem faft verfchollenen Namen einen 
neuen Glanz zu verleiben. Lag biefe Abſicht wicht vor, fo gibt 
es eine mertwuͤrdige Probe von bem Urtheil und ber Weltlennt⸗ 
ms des Den. Vicomte, daß er bie Erzaͤhlungen eines notorifch 


geiſteskranken jungen Menſchen — ber fi, wie alle. Seiſtet⸗ 
Franken, für gefund Hält — ohne alle Prüfung für baare Münze 
hinnahm und als ſolche wieber auögab. Wie leere muß ber 
Kopf eines Autors fein, ber zu foldyen Hifterien greift, um feine 
Seitenzahl voll zu machen! Zur Chreurettung leichtfinnig vers 
unglimpfter Ghrenmänner aber fei hier aus den lauter 
Duelien verfihert, daß diefe ganze Erzählung nur den Einbils 
dungen geiftesfranfer Perfonen entnommen if. Raͤchſt diefem 
unerhörten Capitel zeigt und ber Verf. die Stärke und ben Ge⸗ 
ſchmack feiner poetiſchen Srfindungen in einer Menge von Ga» 
gen und novelliftifcden hors d’oeuvres, bie fi fammt und fons 
ders durch Roheit und Widerfinn bemerklich machen. So ver: 
dient 3. B. die Sage von Stolberg wirklich als ein Meiſter⸗ 
flüd von Unfinn Auszeichnung. Da wo uns bie Albernheit der 
Erfindung nicht begegnet, ift e8 die ſchamloſeſte Eitelkeit, die 
hen Platz einnimmt, oder eine fo bobenlofe Riedrigfeit wie 
die in der Baftboffcene zu Lüttich. Zum Ernſt fehlt dem Verf. 
jebes Material, da er nichts weiß und zu jeber Beobachtung, 
zu jeder Reflexion unfähig ift; aber völlig unerträglich wird er, 
wenn er es unternimmt, launig und wigig zu fein. Die Ge⸗ 
Ichmacdtofigkit, in welche er alsdann verfällt, ift wahrhaft uns 
erreichbar. 


Das Ziel feiner Reife iſt befanntlih Steiermark, die Re⸗ 


fdenz des erlauchten und vertriebenen Königflammes. Nachdem 
ee uns in aller Rebfeligkeit beeichtet, wit, welchen Leuten von 
Stande er zufammengetroffen, weidhe Süßigkeiten ihm gefagt 
worben. und welche erlauchte Perfonen er mit Vorleſung feiner 
poetifhen Erzeugniffe unterhalten hat, kommt er gluͤcklich in 
Kichhberg an unb wird natürli wie ein erfehnter Herold ber 
Lesitimiftenpartei in Frankreich empfangen. Für ben Effect 
biefee Scene iſt, wie fi von felbft verfteht, das ganze 
Buch gefchrieben, welchem jeder Ioyale Legitimift natürlich 
ir Abnahme verbunden if. Dies tft das Geheimniß des 

ſatzes ſolcher Buͤcher in Frankreich! Er findet ben Herzog 
von Bordeaux noch ans Krankenlager gefeſſelt, feine Muſe vers 
ſcheucht ſeine Schmerzen. Wir 8*— dann einige Seiten, die 
etwas weniger langweilig find als der Reſt, einige Audrufungen 
und Bermunderungen, die man einem befperaten Parteimann, wie 
Hr. dV’Arlincourt iſt, gutmuͤthig und laͤchelnd vergeibt und dent 
dei fih: was doch das menfchliche Auge Alles zu ſehen vermag, 
wenn es einmal burch ein fo oder fo gefärbte Glas zu fehen 
gewohnt iſt! Endlich, nachdem „‚Eubwig Anton und Marie The⸗ 
zefe geruht hatten, mit ihrer gewohnten Guͤte die ſchmeichelhaf⸗ 
teften Worte an ben Verf. zu richten‘, nimmt er von ihnen 
Abſchiebd. „D, mit welchem Schmerzgefuͤhl“, ruft er aus, „riß 
ich mich von jenem Palaſt der Berbannung los, wo ich foldhe 
Größe gefeben und mo eine ſolche Zukunft weilte! Dirjenigen, 
die in Frankreich wünfden, daß der treue Royalift Kirchberg 
nur wie Dante’ Hölle, alle Hoffnung vor der Thüre laſſend, 
betreten möchte, nun, biefe mögen felbft dahin geben, mögen 
dort eintreten — vielleicht werden fie beim Weggehen die ihrige 
dort zurüdteflen!” Solche Ausrufungen machen auf un® einen 
eigenin, widerwärtigen Eindrud. Niemand fchlägt gewiß Treue 
und Loyalität Höher an als wir, und Niemand ſympathiſirt 
mehr mit ihrem Schmerz. Allein an ben Schmerz der franzoͤ⸗ 
ſiſchen Royaliften glauben wir einmal nicht, fo lange fie einer 
feits mit den Bonapartiften, anbererfeits mit den Republikanern 
und Sommuniften kokettiren und beide ihre Alliirten nennen. 
Doc zuruͤck zu unferm Pilger, ber, wie er erklärt, bie Politik 
Haft. Das Menſchenleben ift eine Pilgerſchaft; der Eine pile 
get nach Wahrheit und Recht durchs Leben, der Andere nad) 

lamz und Reichthum, der Dritte nach Ehre und Ruhm, ber 
Bierte na Genuß und Sinnenrauſch: — unfer Verf. pilgert 


nad huldvollen Blicken der Großen, nach Berührung mit vor | 


nehmen Ramen, nach Entzuͤckungen magenſchwacher Frauen 
und nach Sagen und Erzählungen, die er für romantif hält, 
burch die ganze Welt. Er fucht dergleichen jest in Petersburg 
und Mosfau und wird fie im näcften Jahre in’ Ierufalem und 


) Vergl. den Bericht darüber in Nr. 1 6. BI. 


Bagdad fuchen. Habent sibit Daß er aber nach biefer Tancen 
Pilgerfhaft in Deutfchland nicht ein Wort a tiel über Uns 
fer Ecben und Weſen, kurz, nicht einen Gedanken über Deutſch⸗ 
land und feine Bewohner mitzuthellen weiß, Ber der Aupuſ⸗ 
nung werth wäre, bad muß uns als Beweis gelten, wie fi 

ber Verfaſſer in fich felbft verſenkt umberreift, und wie bie 
ganze Welt für ihn in feiner zuhmgekrönten Perföntichkert 
rein aufgeht. 8 

ee eg gnaugnuf 

Dihterunwiffenpgeit. 

Es it doch immer gut, wenn unfere neuen Poeten auch 
etwas von ber Literatur des Atterthums wiffen und ihr Lateih 
noch nicht gany vergeffen haben. Dazu haben wir ſchon früher 
manchen Beleg gefunden und jetzt finden wir ihn in Freilig⸗ 
rath's Buche über Immermann *). In dem vortrefflichen Aufs 
fage aus -Immermann’s Reiſetagebuche über das Goethe’fche 
Haus wird ( S. 163) ſowol dem Erſtern ale Goethe ſelbſt 
die Unwiſſenheit aufgebuͤrdet, als haͤtten fie ben Römer Lucau 
mit dem Griechen Lucian verwechſelt. Dann ift auch ber lateis 
nifche Vers (Lucan. Pharsal. VII. 717.) faifch gedrudt, fobaß 
er gar feinen Sinn gibt. Er lautet aber richtig: 

Sollicet immenso supcrest ex nomine multum 
flett 

Seilioct immense super est ex homise multam. 
Immermann bat fo in feinem Tagebuche gewiß nicht geſchrie⸗ 
ben, denn er war gut und grümbli in der Meife unterrichtet, 
bie man jegt gar zu gern als Pedanterie begeichnet. 9. 





Literariſche Anzeige. 
Schriften von 9. Koenig, 


Neu erfcheint foeben bei mir und ift in alley Buchhand⸗ 
lungen zu erhalten: . 


Regina. 
Eine Herzensgeſchichte 
8. Koenig. 


Gr. 12. Geh. 1 Thir. 6 Ngr. 


Diefe Erzählung bildet bas erfle Bändchen einer Samm⸗ 
lung unter dem Titel: „Deutſches eben in beutfigen 
Rovellen.” 


rüber erfchienen von 9. Komig in meinem Verlage: 





Die hohe Braut. Ein Roman. Zwei Theile. 
8. 1833. Geh. 4 The. 

Die Waldenſer. Ein Roman. Zwei Theile. 1836. 
8. Geh. 4 Thle. 

Die Bußfahrt. Trauerfpiel in fünf Aufzigen. 1836. 
8. Sch. 20 Near. 


Reipgig, im Ianuar 1843. 
$: A. Brockhaus. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodbaus. — Drud und Verlag von E. 1. Brockhaus in Retpzig. 


\ 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


Zreitag, 





Weibliche Schriftfteller. 


Es if In ber Ichten Zeit viel von dem Beruf der 
Frauen, aud unmittelbar, öffentlich, mafjenweife zu wir⸗ 
Sen, gefagt werden. Diejenigen Männer, die in ben 
Frauen die Martha⸗Naturen fehen, die nichts wollen ale 
fie zu dienenden Geiftern, zu abfläubenden, menn aud) 
nur moralifcgen Kchrbefen zu machen, haben ſtark 
gegen irgend eine Emancipation, welcher Art fie fei, 
proteſtirt. Sie haben offenbar gefürchtet, von der haus: 
lichen Behaglichkeit etwas einzubüßen, wenn fie die Frauen, 
ihre rauen, dem Schriftſtellerleben ſich zuwenden ließen. 
Sie haben am die gefälteten Sabots, an die Suppen, an 
.die Ragouts, an ben flarken oder ſchwachen Nachmit⸗ 
tagskaffee gedacht. Es find ihnen bie Kinder eingefallen, 
für deren erfte (warum nicht auch für die zweite?) Er: 
ziebung die Frauen zu forgen haben. Alles das Ift ih: 
nen umvereinbar mit dem publiquen Leben der Zrauen 
erfibienen und fie haben: wehe, wehe, Über die gerufen, 
welche die Feder ergreifen. Andere find toleranter gewefen, 
fie find von dem Standpunkte der Männlichkeit auf ben 
dr Menſchlichkeit übergegangen: fie haben die Frauen 

u ſelbſtaͤndige Geſchoͤpfe betrachtet, fie haben fie nicht 
als untergeordnete, fondern als ihnen gleichfiehende Gei⸗ 
Arr angefeben. Die weiblihen Erfahrungen, ber Frauen 
Beobachtungen, ihre Ideengaͤnge find ihnen wichtig er- 
fhimm; fie haben Ihnen ein wichtiges, oft ein gldubiges 
Dir geliehen. Zu biefen Letztern wird fich offenbar ber 
Kritiker wenden, wenn er ein gerechter, ein wahrer Kriti: 
ker fein will. Die Kritiker find im Allgemeinen trübs 
felige Geſchoͤpfe; fie altern fehnell, weil fie mehr urthei: 
ten als produciren. Sie betrachten das Leben wie ein 
Schauſpiel, an dem pofitiven Antheil zu nehmen, fie fich 
fire zu gut halten. Welt fie gelangweilt find, langweilt 
Der Schaufpieler fie. Das Sahrhundert wird fchnell von 
Ihm abgeſchaͤumt; kaum daß der Bart ihre jugendliches 
Kinn umzieht und ſchon fällt vom Schädel das Haupt: 
Baar. Da fie nie an Andere glauben, glauben fie 
noch weniger am ſich ſeibſt. Das Leben ift ihnen zur 
Beide geworden; fie anatemifien an ihm herum, fie fer: 
ben mad jeder Hafer, nach jedem Nero, nach jeder 
Mackel; Haben fie Alles zerlegt, entdeckt, zerfchnitten, 
fa bleibt ihnen nichts unter ben Händen, als eine blu: 





6. Sanuar 1843. 





tende, Ieblofe Fleifhmaffe, in der die fchlotternden Kno⸗ 
hen den Halt nicht mehr bieten. Durchlaͤuft man, nach 
bem Erſcheinen eines jeden noch fo unbedeutenden Werks 
die zahllofen Urtheile, die die Literarifhen Blätter alsbald 
wie Regen auf baffelde, barmherzig oder unbarmberzig, 
fenden, betrachtet man die Kreuz: und Querzüge, durch 
die ein ſolches Wert hindurch muß und in benen «6 
mittels der Eritifchen Feuertaufe entweder Aſche oder uns 
verwuͤſtliches Pergament wird, fo erflaunt man über bie 
vielen Verſtandeskraͤfte, die ber Kritiker vergeudet und 
auf die meift Niemand ale der Betheiligte Rüdficht 
nimmt. Wie im Kaleidoflop liegen die bunten Bilder 
vor und. Was einfadh in drei oder ſechs Morten hätte 
ausgedrüdt werden koͤnnen, wird uns in weitfchweifigen 
Büchern vorgetragen. Nicht daß wir die Kritik angrei⸗ 
fm, daß mir ihr ihre Wichtigkeit rauben mollen, wir 
möchten nur, daß fie ein Handwerk würde. An unſe⸗ 
ver Zeit iſt fie allerdings eine Profeffion, ein Handwerk 
geworden, daher ihre Entwürdigung, bei aller Würdigung, 
daher ihre Vorurtheile, bei allem Urtheile. Da Jour⸗ 
nale erifliren, warum nicht auch eine Jury für diefe 
Journale, warum nicht Afthetifhe Richter, die über ein 
etwas wichtiges Werk ihre Gut oder Schlecht ausfprächen? 
Statt ihr drängen fiy Knaben, Minderjährige um bie 
Erzeugniffe der Reifen, drängen fidy ohne Erfahrung an 
Dinge, benen fie nicht gewachſen find und denen fie den⸗ 
noch aufs Gerathewohl einen Ruf aufbauen oder ihn zer: 
trümmern. Damit wollen wir aber nicht geſagt haben, 
daß nur Schriftfteller Schriftfteller beurtheilen follen, wir 
glauben im Gegentheil, daß 'diefer Weg zu Kämpfen ohne 
Mürde, zu Leidenfchaften ohne Kraft Anlaß geben würde, 
wir wollen nur den Wunſch ausdrüden, daß die Kritik 
aufhören follte ein Handwerk zu fen. Mir möchten 
den jungen Prieftern der Mufe, die im fchneeigen Ges 
wande der Srühlingsbläte einherfchreiten, den nagenden 
Schmerz erfparen, in fpäter Nacht bei einem bunkelflat« 
ternden Lichte ein vielleicht ihnen ſelbſt fchön duͤnkendes 
Merk In den Schlamm ziehen zu müfien, weil Neid 
oder Rache ihnen eine hämifche Kritik für den Lohn eines 
Paars gelber Glackhandfihuhe aufgedrungen hat. Die 
Kritik muß frei, nicht gegwungen, unmittelbar, nicht bes 
bingt fein. Sie muß von gediegenen Männern ausge⸗ 
ben, bie ducchdrungen von bee Wahrheit und dem Ernſt 





23 


dee Sache, aus Liebe zur Sache, biefe beleuchten. Es 
würde aledann auch bie Parteilichkeit ſchwinden, bie bie 
Kritik im Allgemeinen den Stauen ale Schriftiteller ge: 
gegenüber zeigt. Wie dem Manne die Sphäre der Ge: 
ſchichte, der Philofophie, ber Abftraction gehört, fo dem 
Meibe die Sphäre des Gefühl, der feinern Beobachtung, 
der Reflerion. Wenn der Mann fhafft, fo beobachtet 
die rau; wenn er Welten durchfliegt, fo geſchieht es ihr, 
an die Erdſcholle gefeffelt, fih für biefe zu paſſioniren, 
dieſe mit den glaͤnzendſten Farben zu ſchmuͤcken. Der 
Mann wird Zwecke, das Weib ſehr oft nur Zeitvertreib 
haben. Dem Mann das Ganze, dem Melde bas De: 
tal. Frauen find felten tüchtige Olmalerinnen, aber ihre 
Minaturbilder find daguerreotypmäßig; fie find wahr und 
correct. Da fie Muth, aber Leine Kühnheit haben, koͤnnen 
fie, wenn auch nicht Geſetzgeber, doch Geſetzvollſtrecker ſein. 
Um aber zu vollſtrecken, muß man wiſſen, um zu wiſſen, 
muß man beobachten. Herbart ſagt in ſeinem „Lehrbuch 
der Pſychologie“, daß bie innere Wahrnehmung, der Um: 
gang mit Menfchen auf verfchiedenen Bildungsflufen, die 
Beobachtungen des Erzieher und Staatemanne, die Dar: 
ſtellungen der Reifenden, Geſchichtſchreiber, Dichter und 
Moraliften den Stoff zur Pfychologie gäben. Das Reich 
dee Wahrnehmung gehört gleichzeitig der Ftau mie dem 


Mann, fie foll mit ihm in Gemeinſchaft Sandkorn auf 
Sie darf 


Sandkorn, Erfahrung auf Erfahrung legen. ° 
alfo auch die Sphäre des Dichters und Moraliften be: 
eübren, ja, fie gehört vecht eigentlich in fie umd zu ihr. 
Deswegen find denn aud weibliche Schriftſteller nicht 
allein beachtenswerth, ſondern auch nothwendig, nicht al⸗ 
lein nothwendig, ſondern auch naturgemaͤß. 

In letzterer Zeit traten einige Schriftſtellerinnen auf, 
die jede in ihrer Sphaͤre Vorzuͤgliches leiſten. Wir wollen 
uns heute auf die Ördfin Joa Hahn⸗Hahn beſchraͤnken, 
kommen woi aber auch ſpaͤter auf Frau von Paalzow, 
auf Frederike Bremer u. ſ. w., welche letztere, obgleich Aus⸗ 
fänderin, ſich durch Überſetzungen fo in Deutſchland feſt⸗ 
geſetzt hat, daß ſie unverſehens mit ein Glied in unſerer 
giteraturkette geworben iſt. 

Aus den erfien Werten ber Sräfin Hahn, die fie in 
Gedichten dem Nublicum bdarbrachte, ließ ſich ein weit: 
fichtige6 Talent, eine fhöne rhythmiſche Sprache, aber 
noch fein aufergewöhnliches Genie abftahiren. Es wa⸗ 
gen dieſe Buͤcher die Praͤmiſſen ihres Geiſtes, die Bluͤ⸗ 
ten, die die Frucht zwar andeuten, doch nicht geben; der 
Duft der Poeſie, aber ohne das Fleiſch des Verſtandes. 
Sie wirkte auf Einzelne, nicht auf Alle; ihr Talent 
wohnte im Boudoir der vornehmen Frau, es hatte ſich 
noch nicht unter Saͤulengaͤnge oder in das Gewuͤhl der 
Maſſe gewagt. In ihrem erſten Roman „Aus ber Se: 
ſellſchaft trat fie fhüchtern und behutfam in das zügel: 
freie Reich der Prof. Sie prüfte fih und Andere, fie 
blickte hierhin und dorthin, fie malte Bilder und Situatio: 
nen, Charaktere und Charakterlofe. Ste fhöpfte aus ſich 
und der Erfahrung, aus fi und ber um fie gezogenen 
Umgebung. Religion, Literatur, Kunft, Alles lag ‚Han: 
tiſch in ihr; es firebte der Entfeffelung, der Aufklaͤrung 





zu, aber es wußte noch nicht, wohin es ſich mit der un- 
endlihhen Sehnfucht wenden follte. Die Verf. war vor: 
erft noch Lyriker, fie hatte noch nicht die neue Form bes 
griffen. 

— „Jenſeits der Berge“ ſtreifte ſie die Schuͤchtern⸗ 
heit ab, die arbeitende Raupe war zum Schmetterling 
geworden. Wie ſie ſo lieblich im Urtheil auf- und ab⸗ 
ſchwebte, hier irtte, dort das Rechte fand, von Natur 
und Kunft glei mächtig angezogen, das Hoͤchſte bald in 
der Erhabenheit der italienifhen Scenen, bald in ben 
Merken der Menſchen ſuchte. Ste redete von Allem, von 
Michel Angelo und von Rafael, von der Brenta und 
dem neapolitanifhen Meerbufen. Dies liebte, das haßte 


fie. Sie Hatte aus nichts Arg, fie lief wie ein Kind 


unter Weihnachtsgaben dem erleuchteten Zannenbaum 
einher; fie Elatfchte in die Hände vor Freude oder flampfte 
auch wol einmal mit dem Fuße aus Zorn. In der 
Movelle „Mutter und Tochter“ glühte eine Cactus— 
fpeciofusblüte,; in die binein goß fie viel Sonnenlicht, 
viel Sarbenpradht, viel Thautropfen. Sie zeigte ein Herz, 
durchdrungen von Liebe, aufgelöft in ber Unendlichkeit des 
Schmerzes, hingegeben den myſtiſchen Troͤſtungen eine 
Geiſtes, mit dem fie leife und wohlig verkehrte. „Aus 
der Geſellſchaft“ und „SSenfeits der Berge” waren bie 
erſten Flugverſuche. Die Verfaſſerin glich dem Bild: 
bauer, der feine Form aus Thon knetet, der fie im 
Geiſte ſchon marmorweiß fieht, der aber noch nicht dem 
carrarifchen Block ohne Geäder und Fehler gefunden, 
oder, hat er ihn gefunden, noch nicht angemeißelt bat. 
Nun erfhien die „Gräfin Saufine”. Sie lehrte uns 
viel diefe Fauſtine, diefes Meerweib, diefe zum Vampyr⸗ 
gefchlecht ſich Hinneigende Gräfin. Aber fie lehrte uns 
nicht die Verf. lieben, fie lehrte fie uns fürchten. Wir 
fahen auf einmal in eine dunkellodernde, Recht und Ge: 
rechtigkeit verwirrende Phantafie, in eine über bas Geſetz 
hinausftrebende, wildsegoiftifche Perfönlichkeit. Die fchöne 
Fauftine, die in ihrem, mit rothen Vorhaͤngen verziertem 
Schlafgemach erhabene Gedanken fpinnt, die fie hinaus: 
trägt in die Welt, mit Menſchen und Geiftern verkehrt, 
Sonnen: und Mondlicht malt, Fauſtine bezieht doch Als 
les nur auf fih. Sie ift die Vergdttlihung des Egois⸗ 
mus, eine bespotifhe Seele, die nichts über fih, kaum 
etwas neben fich fieht, der Alles zum Zwecke dienen, At: 
les Mittel fein muß. Erſt liebe Kauftine Andlau (fie if 
allerdings fehr anmuthig, wenn fie liebt; es ift ein wet⸗ 
terleuchtendes, zauberhafte ſchoͤnes Weſen, das ſich in ihrer 
eigenften Eigenthümlichkeit bewegt), dann liebt fie Mengen. 
Weil fie nun nichts über fich, über die ihrem emancipieten 
Geiſte zur Wahrheit gewordenen Irrthuͤmer anerkennt, fo 
ſchreibt fie Andlau: „fie babe ihn vergefien”. Das Reich 
der Pflicht iſt ihr fremd. Sie iſt gewohnt aus jeder Blume 
Honig, aus jeder Frucht Nahrung zu ſchoͤpfen. Daß 
Blume und Frucht nicht ihretwegen allein ba find, daß fie 
auch eine felbfländige Exiſtenz haben koͤnnen, fällt Fauſti⸗ 
nen nicht ein. Sie thut zwar fo, als wiſſe fie's, aber 
das iſt S. 266 Leine Wahrheit, nur Spiegeifechterei. 
Eben dieſe Spiegelfechterei tritt uns ©. 295 noch be⸗ 


tröbender entgegen. Der grünenbe Kranz ber treue ift 
abarmlich zerzauft. Angftlich Käufe Fauſtine, das emanci- 
yate Weib, vor ihrem Schidfat hin und ber. „IH 
ft dich heirathen“, ruft fie ängfllih, faft komiſch, da 
ir zweite Liebhaber energiſcher als der erſte if. „Sie 
ws: ein leidenfchaftlicher Charakter’, fagt bie Verf., „und 
ker nur ſchwankend, ehe ein energifher Entſchluß in 
&x Wurzel gefaßt. Um ein großartiger Charakter zu 
kin, fehlte ihr nichts — als Strenge gegen fich ſelbſt.“ 
Die Verf. fühlte alfo, als fie „Fauſtine“ fchrieb, daß «6 
Etwas gibt, das das Leben und die Zwecke regeln, das 
eine Seffel an die mwoltüftigen Formen des Daſeins legen 
muß. Der taufendfarbige Diamant, das Indifche Gedicht, 
Stern und Rofe, Glanz und Duft, womit Zauftine ver: 
glihen wird, koͤnnen nur mittels der Erkenntniß des über 
fie waltenden Geſetzes des Schönen, der Ginheit beftehen, 
aber Fauſtine iſt aus lauter heterogenen Elementen zu: 
fammengefegt, fie bat bald Engel, bald Dämon, bald 
Liebe, dad Haß in fih. Vor Allem iſt fie — Egoift. 
Ihte eiſte heilige Liebe hat fie aufgegeben; ihre Ehe und 
ihre DRutterpflichten find für fie Schattenbilder. Sie 
fagt: fie fei müde, nicht des Lebens, nicht der Liebe, aber 
vom Leben, vom Lieben. S. 362 wiederholt fie den 
Gedanken: „Ich habe das Meinige gethan. Nun iſt's 
genug flr die Welt. Es war allerdings genug für die 
Wet; fie hatte Andlau geopfert, fo mußte die zweite 
Liebe der Nemefis anheimfallen und in der zweiten 
Sauftine felöft die genußfüchtige, liebenswürdige Fauſtine, 
bie alle Berhälnifje durchgekoſtet, alle Freuden erſchoͤpft 
hatte. Sie flirbe im Kofler; fie fucht int der Religion, 
was das Leben, was die Liebe, was all ihr Egoismus 
ihr nicht bieten konnte; natürlih, daß fies nicht fin: 
bet, daß fie die Flügel am Käfig round gefchlagen und 
daran verblutet ifl. „Eine ſolche feingeiflige Vampyr⸗ 
natur verbrennt und verbraucht den Andern, dann 
Eh ſelbſt“, ſagt die Gräfin Hahn von ihrer Zaufline. 
kan man diefer nun Unmoralität, Egoismus, mehr als 
Semstdlte vorwerfen, fo muß man doch geflehen, als 
Diätung, ale Bild, ift Faufline intereffant. Das 
Bad if dem heißen Sommertage gleich, über den bin: 
über wol kuͤhle Lüftchen weben, deſſen Hauptbeſtandtheil 
aber Glut iſt. Die Natur ſteht im Zenith; Goldkaͤfer 
ſchmirren, Thautropfen zittern an Grashalmen, Blüten 
dufte ihr Arom — es iſt Alles traumartig, maͤrchen⸗ 
haft in dem Buch. Die Sprache oft nachlaͤſſig vornehm, 
oft kindlich poetiſch, oft uͤberraſchend grandios. Die Ge: 
danken lieblich, der Dialog paradox. „Fauſtine“ iſt kein 
Reman, ſie iſt ein mit Byron'ſchen Elementen geſchwaͤn⸗ 


gertes Gedicht. 
(Dee Beſcluts folgt.) 





Lebensgeifter. GBegenwärtiges und Zulünftiges, von Karl 
Tropus. Leipzig, Hunger. 1842. 8. 2 Xhlr. 

Das Büchlein fol, nad) bes Verf. Wunſch, als Commen⸗ 

tar zu unfern fchönften Hoffnungen betrachtet werden, und er 

meint, daß es mehr Wahrheit enthalte, ale er oͤffentlich ſelbſt 

geſtehen dürfe. Der kargen Erzählung lägen Facta zum Grunde, 


bie fi zu einem rein tünftterifchen Gebilde in der Folge ge- 
flatten ließen. „Das Buch fell anregen und entflammm!" 

Aber doch nur Die, weiche mit den Anfichten bes Verf., 
oder den Anfichten, welche er in dem Buche ale die feinigen vorträgt, 
einverflanden find! Es ift gewidmet an Graf Bengel: Sternau, 
Ludivig Feuerbach, Johann Jacoby, Franz Lifst und Arnold 
Ruge, und die eingeflochtenen Aphorismen überwicgen bie zum 
Grunde liegende Erzählung dermaßen, daß der Verf. es felbft 
nicht in Abrede ſtellt, daB fie das eigentliche Fundament find, 
um die erſt fpäter das lofe Gewand einer gefchichtlichen Fabel 
gefhlungen wurde. Diefe Aphorismen, längere und ?ürzere, 
werben ihre Sreunde finden; ob fie diefe aber anregen und ent⸗ 
flammen werden, bleibe bahingeftellt, ba fie gewiß fehon ebenfo 
lebhaft als der Verf. angeregt und entflammt find. Es heißt 
unter Anderm: „Eines der freieften, muthigſten, reblichften 
pubiiciftifgen Inftitute find die Deutichen, ehedem Halliſchen 
Jahrbuͤcher für Wiffenfchaft und Kunſt, die, früher von Preußen 
aus redigirt, endlich mit Leib und Seele nach Sachſen au: 
wandern mußten. Ruge ift ein waderer, ebrenwerther Strei⸗ 
ter, ber um fich eine tüdhtige Schar erprobter Mitlämpfer ges 
fammelt; wie nennen nur Strauß, Feuerbach, Köppen. Auch 
der uneigennüsige Verleger, ber freibeitsdurftige Dito Wigand, 
muß rühmlichft genannt werben und hat auf ben Dank aller 
eiberalen, im Leben und in der Wiffenfchaft, den volften An⸗ 
ſpruch. Seit der Zmangsüberfiedelung der Deutſchen Jahr⸗ 
bücher hat fig das gebildete Deutfchland diefem freimüthigen, 
publiciſtiſchen und mwillenfchaftlihen Organe immer mehr und 
inniger angenähert und mit feinen offenen, herrlichen Tenden⸗ 
zen befreundet.” 


In dem Romane findet fi ein Entwurf einer allgemeinen 
Verfaffungsurkunde in 97 Artifein und ein Plan zu einer Nas 
tionalsepräfentation in 15 Artikeln. Mach diefem legtern treten 
die Volksrepraͤſentanten als Zribunen auf; die Rationalrepräfens 
tation hat ihren Sie in keiner Refidenz eines Fürften, und der 
Rationalverfammlung liegt es 0b, über innere und Außere Ins 
terejfen der einzelnen Staaten zu wachen. Der Rationalrath 
forgt für eine intellectuelle, induftrielle und mercantile Entwide: 
lung bed ganzen Staats und foll auch eine allgemeine Seemacht 
begründen. Da die Anfichten des Ref. in diefen Stuͤcken ſehr 
entfernt find von benen bes Verf., fo beginge er ein Unrecht, 
wenn er fih zum Richter über ihn als Dichter aufmürfe, da 
die ganze Dichtung, wie gefagt, nur die verfuchte Perfonificie 
sung der zum Grunde liegenden Gedanken if. Gbenfo wenig 
aber fühlt er fich veranlaßt, gegen ihn als Verfechter des ents 
gegengefegten Syſtems aufzutreten, einestheild, da er dies 
nicht ifE und in mehren Punkten gern dem Verf. beiftimmt, 
anderntheild, da hier nicht ber Ort dafür ift und die entgegens 
gefegte Partei der Streiter ebenfo wenig ermangelt als die des 
Verf. Der Roman fließt damit, daß jene beregte Volksver⸗ 
tretung von einem Kürften wirktidh ins Leben gerufen worben 
ift, und ber Held bes Romans und feine Freunde, früher ats 
Demagogen verfolgt, fommen zu Ehren. Jener wird Präfibent 
des Nationalraths, ein liberaler Prinz wirft mächtig ein, und 
das Buch fchließt mit dem Votum: „Mag die Zukunft uns Als 
einer an Fruͤchten reichen, ſchoͤnen, freien Zeit entgegens 

uhren.’ 

Fiat, wenn auch die Wuͤnſche darüber, was unter dem 
„Solch eine” zu verftehen, ſehr verfchieden find. Meine Wünfche 
find, wie gefagt, verfchieden von denen des Werf. über Das, was 
einer Volksverſammlung obliegt, die vollauf zu thun hat, wenn 
fie nur Rath gibt, die Stimme des Volks wirklich ausſpricht 
and die Handlungen der Regierung überwacht, als ohne welde 
legtere, und zwar eine Eräftige, kein Vorwaͤrts möglich, fonbern 
nur ein Ruͤckwaͤrts zu fürchten if. Andern Wuͤnſchen und an- 
been Träumen bleibe ihr Recht unbenommen. Wir freuen uns, 
wenn fie offen und deutlich ausgefprochen werden, es kann mur 
zur allgemeinen Berflänbigung wirken, und wir bedauern aufs 
ridtig, wenn ber Berf., aus Genfurrüdfichten, mit andern hat 
hinterm Berge bleiben müflen. Warum unternimmt e8 aber 


24 


Niemand, In einem utopifchen Romane das Deutſchland ganz fo 
und volftändig zu ſchildern, wie er es fi) auf jenem Wege 
erreichbar denkt. Die Meiften haben einen auferflandenen Michel 
emalt. Wohlan, unternehme es ein Dichter: das künftige 
Deutfäland nach Ruge⸗VFeuerbach⸗Herwegh'ſchen Gedanken zu 
malen, nicht die Kämpfe darum, fondern die Eerungenfhaft, 
das feiende, in feiner neuen Geſtait confervative, legitime, über 
allen Zweifel anerfannte, freie Deutfchland mit völliger Gleich 
heit der Bürger, ohne Stände, ohne, oder mit Schattenfürften, 
mit einer regierenden Vollsverfammlung, mit Nachbarn, bie 
‚fig wohl oder uͤbel dabei befinden, und mit ber erfehnten Flotte. 
Dann weiß Jeder, woran er fi zu halten hat, ob er mit ars 
beiten fol, diefen Zuftand herbeizuführen, ober, ob es beffer ift, 
am Alten feftzuhalten und nur zu fliden und zu reftauriren. 
An der poetifhen Malerei des ewigen Weltfriedens iſt die Poeſie 
und Theologie noch immer gefcheitert; auch der Evangeliſt Jo⸗ 
hannes hat uns das taufendjährige Reich nicht Mar und wüns 
fhenswerth zu ſchildern gewußt, 2 wenig als Dante die Freu⸗ 
den des Paradieſes. Das freie Deutfchland ift eine leichtere 
Aufgabe. Wenn das Bemußtfein erſt da und Mar ift: fo und 
nicht anders muß es werden, damit wir Alle befriebigt und 
gluͤcktich werden, alsdann finden fi die Mittel und Wege 
von ſelbſt. 10. 





Literarifhe Notizen aus Frantreid. 


Le Leman, ou voyage pittoresque, historique et litt&raire 
à Geneve et dans le canton de Vaud, par M. Bailly de 
Lalonde. 3wei Bände. Parts 1842. 

Dee Verf. fhildert in zwei ſtarken Bänden eine Reife, 
die kaum drei Monate gedauert hat. Indeſſen würde man fidy 
täufchen, wenn man glauben wollte, daß er alle geringfügi- 
gen Greigniffe feiner Reife aufs breitefte erzählt. Die Perfön: 
lichkeit bes Reiſenden tritt bei diefem Werke faft gänzlich in 
den Hintergrund, und es ift nur dadurch fo fehr angefchwollen, 
daß der Verf. fih in die ausführlichften Schilderungen Deffen, 
mas er gefehen hat, einläßt und forafältig jebe biftorifche und 
artiſtiſche Notiz auflieft, die er auf feinem Wege findet. So 
ergeht ſich ber Verf. in langen geognoftifchen und botanifchen 
Betrachtungen und zählt uns die Ramen aller Winde auf, 
welche die Fläche des Genferſees Träufeln. Unter den zahl⸗ 
reichen Excurſen, die ber Verf. feinem Werke einfchaltet, be⸗ 
finden ſich mehre, die nicht ohne Intereffe find. So verbienen 
befonders die Notizen über mehre Handſchriften 3. I. Roufs 
feau’s, die bisher zum Theil noch unbelannt waren, hervor: 
gehoben zu werden. Hr. Lalonde hat diefelben mit großer Auf: 
merkſamkeit ducchgefehen und Alles, was er von den zahlreichen 
Veränderungen und von den verfihledenen Varianten fagt, kann 
als Beleg zu der Behauptung Rouffeau’s dienen, baß vieleicht 
nie ein Menfch mit mehr Anftrengung ale er gefchrieben habe, 
@in gemiffer Hr. Coindet, mit dem Hr. Lalonde befannt ges 
worden war, befißt ungefähr 120 Briefe Roufleau’s, von bes 
nen der größte Theil noch gar nicht gedrudt iſt. Bei mehren 
derfelben zeigt fidy die ganze Sonberbarkeit Rouffeau’s, bie in 
feinen fpäteen Jahren immer mehr beraustrat. Er pflegte 
nämlich, wahrſcheinlich um ben Perfonen, mit benen er fidy 
unterhalten wollte, feine traurige geiflige Stimmung auszus 
dräden, mit folgenden vier Berfen, bie mit dem Briefe felbft 
in weiter keiner Verbindung flanden, anzufangen : 

Pauvres aveugles que nous sommes! 
Ciel, ddmasque les imposteurs, 
Et force leurs barbars eoeurs 
A s’ouvrir aux regards des hommes. 


Diefe merkwürdige Art, feine Briefe anzubeben, die Rouſſeau 
im 3. 1770 angenommen hatte, dauerte indefjen nicht lange; 
wahrfcheintich fühlte er felbft die Lächerlichkeit berfeiben. Ging 
der wichtigfien Stüde diefer Sammlung ift ein Brief vom Bas 
tee Rouffeau’s an Frau von Warens. Der alte genfer Uhr⸗ 


macher aehat fi wenig erbaut darüber, daß fein Sohn, ſtatt 
ein ordentliches Handwerk zu lernen, feine Zeit mit den Ba⸗ 
bern hinbringt. Außer ben Notizen über Sean Jacques find 
in dieſer Reiſe die biographifchen Nachrichten von der Familie 
Mallet (P. H. Mallet, der Geſchichtsforſcher; Mallet s Prevoft, 
Kr — —* ⸗ Dupan, De 3. %. Mallet, 

nom) hervorzuheben. erhaupt der literariſche Theil 
dieſes Werts —**— reich. haup 


L’Espagne artistique et monumentale. 

Unter ben neuern artiftifchsliterarifchen Publicationen zeichnet 
fich ſowol was känftierifche Ausfährumg als Wediegenheit des Tex⸗ 
tes betrifft obiges Werk vortheilhaft aus. Die artiftifche Beforgung 
bat der bekannte Villas Amil übernommen, der Text aber wird von 
namhaften fpanifchen Gelehrten verfaßt. Der Rebacteur sen schef 
it ein gewiffer Don Patrlcio de la Efcofura. Unter den Haupt⸗ 
mitarbeitern nennen wir nur die Namen eines Martinez be la 
Rofa, Eugenio de Dihoa, von dem naͤchſtens ein ausführlicher Katas 
log der ſpaniſchen Manufcripte, weiche auf der großen parifer Bis 
bliothek aufbewahrt werden, erfcheinen fol u. f.w. Beim Durch⸗ 
blättern dieſes großartigen, prächtig ausgeflatteten Werkes ift 
uns befonderd die Verſchiedenheit aufgefallen, die unter ben ab» 
gebildeten architektoniſchen Monumenten herrſcht. Alle verſchie⸗ 
denen Gtyle ber Baukunſt fpielen hier untereinander herum. 
Es iſt dies eine Eigenthuͤmlichkeit, die jedem Kunftfreund in 
Spanien auffallen muß. In Gordova findet man Moſcheen, 
in Granada einen Palaft aus ber Zeit dee Mauren, in Toledo 
eine prächtige gothifche Kirche, in Madrid Gotteähäufer im 
Stile Ludwig's XV. Auch die Römer haben hier die Spuren 
ihrer Derrfchaft gelaffen. Gatalonien, befonders Tarragona, ift 
voll von Waflerleitungen, von Landſtraßen und Bollwerken, bie 
an bie geftürzte Macht der Derrfcherin der Welt erinnern. Die 
Verf. der Einleitung zu diefem Werke führen biefe Idee, bie 
wir bier nur anbeuten Zönnen, aueführlidher durch. Dieſes 
Werk hat befonders deshalb cine fo hohe Bedeutung, weil in 
Spanien befonderd die Kunft zum Verſtaͤndniß der Gefchichte 
dienen fann. Ein geiftreicher Kunſtkenner hat in einem Auf⸗ 
fage über die reiche Gemätbefammlung des verftorbenen Aguabo 
ben Gedanken ausgefprocdhen, daß man erft dann ben flarren 
Charakter eines Philipp IT. verfteht, wenn man fi in bie 
tieffinnigen Bilder eines Murillo und Velacquez verfenkt hat. 
Ebenfo Laßt fi behaupten, daß nur Demjenigen das Verflände 
niß ber wichtigen Geſchichte Spaniens aufgeht, der die zahl⸗ 
reihen Überrefte ber fpanifhen Architektur ftudiet hat, denn, 
wie bie Verf. der Einleitung zu diefem Werke mit Recht fagen : 
die Gefchichte Spaniens ift volftändig in feiner Baukunſt 


Der Präfident be Broffes hat im Anfange bes vorigen 
Jahrhunderts den Franzoſen in feiner Gefchichte der von Salluſt 
behandelten Epoche ein Muſter gegeben, wie das Leben der 
alten Welt aufzufaffen und darzuftellen if. Er bat indefien 
erft in neuerer Zeit würdige Nachfolger gefunden. Gewöhnlich 
haben fi die Hiſtoriker, welche die alte Welt behandeln, von 
dem Wufte philotogifcher Gelehrſamkeit nicht losmachen koͤnnen. 
Erſt Lerminier, der bisher nur einzelne Stubien über bie rös 
mifche Gefchichte herausgegeben hat, und Michelet, der bie Ge⸗ 
ſchichte Roms ausführlicher dargeftellt hat, genügen den Ans 
foderungen einer wahren Hiſtorik. WBefonders ift das Eunftreiche 
Wert Michelet's, das ſich an bie großartige Geſchichte Nies 
buhr’s (von M. de Golbery ins Franzoͤſiſche überfegt) anlehnt, 
beachtungswerth; nur hat vielleicht Michelet gar zu viel Kunſt 
hineingetragen. Seitdem find nun bereits mehre xecht vexs 
dienſtvolle Arbeiten aus dieſer neuern hiſtoriſchen Schule her⸗ 
vorgegangen. Zu denſelben iſt ein ſoeben erſchienenes Werk: 
„Cictron et son si&cle’‘, von A. J. Gautier, zu zählen, das ſich 
zwar nidht zu einer fo freien Anfchauung, wie fie Michelet's Ge⸗ 
ſchichte bietet, erhebt, das ſich aber doch vortheilhaft von bem 
neigen biftorifchen Arbeiten über das Alterthum units 

eidet. 


Berantwortliger Herausgeber: Heinrih Brokhaus. — Drud und Berlag von 8. 4. Brodbaus in Leipzig. 





4 


Blatter 


für 


iterarifbhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 


7. Zanuar 1843. 





(Behind aus Nr. 6.) 

Nach der „Fauſtine“ erfchien „Ulrich“. „Ulrich“ hat 
ſchon zu viel von der routinirten Schriftſtelerin, von 
der Praxis des Buchhandels. In „Ultich“ iſt allerdings 
Doefie, aber eine raiſonnirende, eine forcirte Poefie. Die 
Epifode „Die erfie Liebe‘ wäre ein Stud Kaufline, wenn 
zit Ekel und Widerwille fih Ins Ende miſchte. Melufine, 
das liebliche, träumerifche, durchſichtige Geſchoͤpf, das bie 
Villa Pliniana zur Staffage bat, die in ihrem Roſamouſſelin⸗ 
kleide kaum die Erde beruͤhrt und dann in wahnſinnig 
entzuͤckender Liebe Ulrich in die Arme ſtuͤrzt, Meluſine 
iſt und bleibt die Maitreſſe eines vornehmen Deren !! 
Daß fie es vor ihrer Liebe zu Ulrich war, beklagen wir 
zwar, aber wir entichuldigen es boch, aber nach Ulrich 
no fündigen, nach Ulrich noch den Leib verfaufen, den 
Ulrich durdy Liebe und Küffe geheiligt hat, das iſt ver: 
bredyerifch, das macht, dab man Buch in die Ede des 
Zimmer ſchleudert und ſich aufgelöft, fchmerzerfülle aufs 
Sopha wirft. Indeß — man nimnit das Buch doch 
wieder auf, man will doch ſehen, was aus dem Ulrich 
wird. Ulrich iſt eine liebebedürftige Natur; da Melufine 
iin fo arg mitgefpielt hat, will er nun in der Ehe (ein 
verbrauchtes Mittel für viele Männer) ein frifches geifti: 
98 Bad nehmen. Aber fiehe da, er trifft auf eine Frau, 
die zwar ſehr ſchoͤn ift und liebenswürbdig thut, bie aber 
einen Zug des Eigenſinns zwiſchen der Stine figen bat. 
Mittels diefes Eigenſinns findet fie denn auch die Kräfte 
m fih, Ulrich am Hochzeitabend in ben bereitfichenden 
Zimmern mit dem Hut auf dem Kopf und den vielen 
Wachslichtern um fie herum, auf die Frage: was fie 
wole? zw erklären: Ich will allein fein! Jetzt und im: 
mer, fagt Ulrich beſtimmt. Unika bleibt allein, nicht etwa 
Hs am Hochzeitabend, fondern Jahre, fondern ihr Leben 
dindurch. Unika liebt Ulrih, aber fo weit geht bei dem 
eisenfinnigen Weibe die Liebe nicht, daß fie dem geliebten 
Mann um den Hals füllen und fagen follte: Vergib bie 
Berganımpeit! nen, das Wort kommt nicht. über bie 
feſtgeſchloſſenen, feingefchligten Lippen. Verſoͤhnend neben 
dieſem Unweib fleht ein Weib, ein echtes, rechtes Weib, 
ein Weib, fo zart, fo lieb, fo gut, fo fanft, daß es Einem 
wie Mondſtrahl ins Herz dringt. Margaretha ift ein 
Weib; in ber findes der Lefer die gefuchte, oft vermißte 


Weiblichkeit der Verf., für die kann er fi) enthuflasmis 
ten, an die kann er berauffehen, für die darf er Thraͤ⸗ 
nen veraießen. Durch Margaretha gewinnt ber Lefer 
wieder Vertrauen zu der Berf., er fängt an zu ahnen, 
baß der Dichter oft duch allerlei Waffer: und Feuerproben 
hindurch muß, ehe er vollftändig geläutert if. Er nimmt 
Fauftine niche mehr für einen Fehler, fondern für el: 
nen Irrthum. Mit dem Charakter Ulrich's wird Sein 
Mann und noch weniger eine Frau zufrieden fein. Der 
lodere Here weiß ſich gang prächtig feinen Liebesfchmerz 
mit Actricen und bdergleihen zu heilen; er zerftteut ſich 
duch Unwürbiges, nachdem er für das Wuͤrdigſte ent: 
glüht war. Das Ganze ift wieder im die f[chillernden 
Farben der Phantaſie getaucht; es fleht da wie ein 
Genrebild des Jahrhunderts, wie ein treues Conterfei 
einer Zeit, in der die gefellfchaftlihen Zuftände mit den 
natürlichen confus durecheinanderlaufen. Zwar iſt «6 aus 
dem Leben und der Erfahrung gefchöpft, aber es iſt den⸗ 
noch mehr wahr als erhebend, mehr betrübend als be: 
(ehrend, ed bat allo ald Roman feinen Imed verfehlt, 
denn ber Roman fol uns neben bem Boͤſen aud das 
Gute und zwar beides im rechten Lichte zeigen; die Lich⸗ 
ter der Gräfin Dahn fallen nicht geradezu auf die Vils 
der, fie find nur hier und dba als Zufälligkeiten anges 
bracht, fie macht uns nachdenklich, traurig, zumellen fo= 
gar ſchwankend, ein Beweis mehr, daß fie ſelbſt mit fich 
nicht im Reinm, auch Andern nicht das Wahre zeigen 
fann. 

Die „Reiſebriefe“ ftellen die Individualitaͤt der Verf. 
heraus. Was fie im Roman in Bildern und Situatios 
nen metaphorifh ausgedruͤckt hat, ſpricht ſich Hier pofitiv 
durch daB „Ich” aus. Kaufline, die Graͤfin Schönborn, 
Ulrich u. ſ. w. haben genug geredet; num redet die Verf. 
ſelbſt. Man kann der fpielenden, über ben Strom des 
Lebens hinfchwebenden Libelle doch endlich nahe kommen, 
man weiß doch endlich, daß die Gräfin Hahn eine Abfos 
lutiftin, eine Ariſtokratin ift, die bei all ihrem gelehrten 
Sprachvorrath, bei al ihrer Gedankenfuͤlle, bei all ihrer 
erſtaunenswerthen Freiheit nicht eine von der Erde losge⸗ 
loͤſte Seele, fondern ein Geiſt ift, der mit Starrheit an 
geroiffen Formen lebt. In ben „Meifebriefen” zeigt fie 
ihee Kraft und ihre Schroäche, ihren Hochmuth und ihre 
Demuth. Bald ift fie liebens⸗, bald haffenswürdig, bald zieht 


« 


fie in ben Krieg, laͤßt ihre Fahne flattern, ſchlaͤgt rechts und 
lines, oft blindlings drein, bald ruht fie an Waldbaͤchen, 
phantafire auf Spaniens Boden, fhlummert unter Pinien 
‚und Gppreffen oder Laufcht den Geſaͤngen der Nachtigall. 
Be hat in die „Meifebelefe” ihre gange bezaubernde, 
Herausfodernde, inethumreiche Individualitoͤt gegoffen; fie 
bat uns vergoͤnnt, tiefe Blicke in ein Herz zu thun, das 
manden Kampf gewagt, manden Schmerz durchrungen, 
manchen auf Erziehung und Vorurtheil gebauten Grund: 
fag durchgelämpft hat. Die Gräfin Hahn iſt eine aus: 
gezeichnete und, was mehr ift, eine edle Natur, aber fie 
wandelt nod) in den Irrgaͤngen des Lebens; ihr Plebt noch 
viel von dem Ariſtokratiomus, der das Menſchliche feucht, 
an; fie ift mehr Welt: ats Himmelsbürgerin. Sie hat 
viel Sehnſucht, viel Kummer, viel Ungeduld, fie ſteht 
noch im, nicht Über dem Leben. ihre Bliderbefchreibun- 
gen, ihre Bewunderung für Murillo, ihre politiſchen An⸗ 
fichten über Spaniens Zuftände verrathen ein feines, durch 
und durch feines Urcheil. Man fieht immer diefe Gräfin 
Hahn, wie fie nachläfig auf ihrem Sopha ruht, über Dies 
oder Jenes redet, Diefes oder Jenes lobt, Dies oder Jenes 
angreift, oder auch, man fieht fie in der Alhambra ftau: 
nend, hingerffien, entzuͤckt, aber doch immer fie, ſich nicht 
vergeſſend, ſich drängend in den DBordergrund des Buche. 
Es iſt das Seibfigefühl, das fie dazu treibt; mag ihr 
das Schickſal Manches verfagt haben, fie fühlt, es hätte 
the Alles gewähren follen. Sie hat ein Recht an Süd, 
ein Berlangen nah Befriedigung. Die Gräfin Hahn 
iſt unſtreitig eine Schriftſtellerin unferer Epoche, fie ſpie⸗ 
gelt in fich viele Zeichen der Zeit, fie ringe nah Ent: 
feffelung, nad) Wahrheit, fie legt die glühende Wange an 
bie Kälte des Lebens, fie umfaßt mit Kraft, ja mit Def: 
tigkeit das Bret, das ihr der Schiffbruch ließ; fie ſtuͤrzt fich 
In Abgründe oder rudert auf Dceanen. Eie mifcht ſich in Al⸗ 
led, will Alles wiſſen, über Alles urtheilen. Auch dazu hat 
fie ein Recht; indeß entfleht daraus doch eine Vielrederei, 
die ihrem Talent Abbruch thut. Sie fpricht zu viel, fie 
iſt nicht fanft, nicht gefammelt genug. Das Blappert 
und fummt in ihren Briefen, daß man Augenblide der 
tiefften Ermüdung, wie etwa am Rheinfall bat, wo man 
fich herzlich, vom betäubenden Eindrud binmeg, nad) 
Ruhe fehnt. Die Gräfin Hahn ift unruhig, irrwiſchar⸗ 
tig, fie hat immer offene Augen; nie ſinkt fie und feiert 
den großen Moment ber innern Einkehr. Wie Eva hat 
fie für Alles Gründe, für Altes Borwände. Der Stil 
iſt im Allgemeinen ſchoͤn, fie geht nicht auf Stelgen, fie 
ſchlendert natlırlich durch die Hecken ihrer Gedanken, aber fie 
bat doch im Stil ihre ariſtokratiſche Seite mit hineingebracht, 
diefe Puͤckler'ſche Vornehmthuerei, die franzöfirt und af: 
feetict, die ein Ragout von ausländifchen Vögeln bietet, 
indeſſen unfer gefunder Magen fi) herzlich nach edytem 
deutſchen Saft, na Harmonie und Einfachheit fehnt. 
War die Gräfin Hahn in ihren „Reiſebriefen“ ein 
bischen uͤbermuͤthig, eim bischen mwegwerfend, ein bischen 
abfprechend, fo überbietet fie fi von diefer Seite in den 
„Erinnerungen aus und an Srankreih”. Warum theilte 
fie dem Publicum eine naiv geflandene Erfhöpfung mit, 


die fie, von Spanien kommend, in Frankreich empfunden 
babe? Wer erfchöpft ift, hängt von Migraine, von Va⸗ 
peuts, von Wind und Wetter, alfo von unberechenbaren 
Zuftänden ab, die das Urtheil verruͤcken; der ſoll nicht 
ſchreiben, der ſoll fi ausenhen. Die Mrinuerungen“ 
find neben einem bominicenden Verſtande, neben einem 
immer f&lagfertigen, neben einem zu allem MWiderfpruch 
aufgelegten Urtheil voll weiblicher Ungerechtigkeiten, Par: 
teilichkeiten, Ungereimtheiten, die uns um fo bedauerlicher 


erfchtenen find, als ein ſolcher Geiſt Freier, unmittelbarer 


daftehen müßte. Warum iſt denn frankreich eine ge- 
ſchminkte und galvanijirte Rieſenlelche, warum fchüttelt 
unfere lieblihe Gräfin den franzöfiihen Staub von ih: 
vem Gewande und fürzt fich jubelnd in die Arme des 
Rheins? Eben weil fie eine excluſive, eine wegwerfende, ja 
eine trogige Natur iſt. Sie prüft nichts; was ihr ges 
fällt, das gefällt ihr; was ihr misfält, das misfällt ihr, 
aber fie bleibt nicht fiehen, fie fragt ſich nicht mit ber 
Hand auf der Stirne: Iſt dus recht, iſt das ſchoͤn, iſt 
das wahr? Gie ift capricids und in dieler caprichäfen 
Form offen und ehtlich. Ob fie aber mit diefem, Ihrem 
innerften Welen zu ben Quellen des Verfländniffes ge: 
langen, ob fie nit vielmehr der harmonifchen Haren 
durchſichtigen Darftelung entbehren wird, das laflen wir 
unentichieden. Wir glauben fie noch keineswegs eins mit 
fig, wir halten fie für unbefonnen: in der Begeiſterung, 
unfähig zur völligen Beherrſchung des Stoffes, der welt: 
lichen, aber keineswegs ber Sokratiſchen Ironie anheimge: 
fallen. Sie bat Augenblicke tiefen Unglaubens; fie iſt 
dann in einem fehmachtenden Zuſtande, klaͤglich aus ih: 
vem Element herausgeſchnellt, bis irgend ein glücklicher 
Zufall fie wieder in die fanften Schwingungen bringt, 
wo der Pendel des Derzens zwiſchen Religion und Poefle, 
Wahrheit und Schoͤnheit, Wiffenfhaft und Kunſt gleich⸗ 
mäßig und beſchwichtigend auf- und abſchwebt. Da fie 
nicht ſowol das Leben als taufend Meine Plane vor Au: 
gen hat, fo iſt fie noch nicht zu einer allgemeinen philo⸗ 
ſophiſchen Lebensanſicht gelangt; fie trinkt noch nicht aus 
dem kargen Becher der Enthaltfamkeit, fie hat noch kein 
inneres Maß. Natuͤrlich, daß ihre Bücher eine haſtige 
Angft, eine Üüberreizung und Gättigung verrathen, bie 
wir für die Menge als gefährlich bezeichnen müffen. Da 
fih nämlich die Graͤfin Hahn in Altes miſcht, da fie 
bald von Religion, bald: von Poefie, bald vom Staat, bald 
von Wiſſenſchaft und Kunft, bald vom Werftande, bald 
vom Herzen redet, fo trägt fie auch über Alles ihre An: 
fiht und zwar im natürlihften, oft im verführerifhen 
Gewande vor. Sie wirkt, fie hat Einfluß, aber ihr fehle 
Sanftmuth und Güte. Sie hat fi) aus dem Leben 
herausgefprocyen, fie muß. fi) wieder in baffelbe hinein: 
fließen laſſen. Oft zerſtoͤrt fie das Vorhandene, aber Sf: 
ters noch gibt fie nichts Hoͤheres; fie ift mehr Frau als 
Menſch, mehr abelig als menſchlich. Die ariſtokratiſchen 
Rechte gelten ihr zu viel; die hochherzigen Thaten, zu 
denen und die Gefuͤhle für die leidenden Bruͤder anfeuern 
fouten, find ihr fremd. Weil fie Alles auf ſich beziehe, 


iſt fie ſelbſtſuͤchtig; fie iſt nicht aus der Natur wie eine 


„entfeffelte Blume“ hervorgefproffen, fie iſt eine Zimmer⸗ 
eine Salonbluͤte. Daher ihr Mangel an einfacher Wahr: 
heit, aber auch ihre Sehnſucht darnach. Wir zweifeln 
nit, Daß die Beifin Dahn, wenn fie die Afthetifche 
Wettaufchauung inne haben wird und fh von dem Einfluffe 
des Hußern zu dem lodſagenden Gedanken erhebt, eine 
nicht blos wirkende, fondern auch bleibende Erſcheinung 
werden wird. Sie wird ſich zur Vermittlerin der Poefie, 
jur Bermittlerin der wahren Gefühle, zur Dolmetfcherin der 
rein geiftigen Beſtrebungen emporfhwingen. Mit dem Stern 
auf der Stirn wird fie voranfliegen und ein Wegweiſer für 
die Unkundigen, ein Tröfter für die Bedürftigen fein. Daß 
fie es noch nit ift, liegt lediglich an einer gewiſſen ſinnli⸗ 
hen Breite ihrer Schriften, bie fie der Sammlung ent: 
ziehe. Sie ift eine Heftige Natur; die Gewitterregion 
Liegt ihr nahe, fie fehleudert Blige, wo fie Sonnenftrahs 
fen fenden ſollte. Das wird bald beffer fein, fie wird 
vermittelnder, freumdlicher, umgänglidyer werden. Die 
Lehren, die fie von außen empfängt, werben nicht unbe: 
nupt verübergeben. Sie wird erkennen, daß die Litern: 
tur viel von ihr verfängen, aber nur Gediegenes empfan: 
gen darf. 11, 





Zuc Nachfolge Chef. Kine Legendenfammlung von 
Eduard von Bülow. Leipzig, Brodhaus. 1842. 
8 1 The 6 Ngr. 


Diefes, mit der nachgeſuchten Approbation bes hohen ka⸗ 
tholiſchen Confiſtoriume im Königreihd Sachſen verfchene Werts 
dien enthält zwar nur längft Bekanntes; indeß da immer wies 
Ber neue Leſer beranwachlen, denen: das Alte neu fein muß, 
fo kann es wol fein, baß der Autor einem Bedarf unferer Lite⸗ 
ratur damit genuͤgt. Auf jeden Fall hat er den richtigen Ton 
gefunden, worin die chrifttiche Legende vorgetragen werden muß; 
es ift einfacher, fchlichter Stil, der Ton der Überzeugung, ein 
tunfitofer Wortrag, ein Anlehnen des Wunderbaren an das Ras 
tärtiche durch poetifche Laͤuterung. Der Verf. verfichert, in kei⸗ 
wer der vorhandenen Legendenfammlungen, in Verſen ober Profa, 

in Rorbs oder Sübbeutfchland, zu poetifchen oder kirchlichen 
Imeden gefchrieben,, die Bedingungen, welche ex fich ſelbſt ges 
Belt, erfüllt gefunden zu haben, und Ref. gefteht ihm zu, daß 
er geleitet, was in diefem Fach zu Leiften ifl. „Die echte ers 
hasene Poeſie ift ja die Schweſter ber Religion, und ein cins 
trächtiges Zuſammenhalten beider wird jederzeit nur zu ihrem 
eigenen Frommen in ber Erhebung und Laͤuterung ihrer Gäu: 
bigen gereichen.“ So fast er fehr ſchoͤn in der Vorrede, und 
dieſes Wort iſt auch die Brille, durch welche der Beurtheiler 
die einfachen, gemuͤtoͤlichen, oft ergreifenden Erzaͤhlungen leſen 
muß Sie find zwar mehr geſchrieben für Leute, welche nicht 
urtheĩlen, ſondern ſich dem Eindruck blind hingeben. Der vor: 
liegenden Legenden find zwoͤlf: 1) „Die heiligen drei Könige”; 
2, „Der heilige Chriſtophorus“; 3) „Der heilige Einſiedler Pau⸗ 
vas3 4) „Die beilige Maria aus Agypten“; 5) „Der heilige 
Meidior” ; 6) „Die heilige Theodora von Alerandrien” ; 7) „Der 
beitige Sregorius vom Steine’; 8) „Die heilige Pfalzgräfin 
Genovefa”; 9) „Der heilige Alexius“; 10) „Der heilige Wald⸗ 
bruder Meinhard⸗; 11) „Die ungetreue Bottesbraut”; 12) „Ro: 
bert ber ZIeufel”. „Die heilige Maria aus Agypten“ fefelt bie 
Phantafie des Lefers gleich einer Novelle und ift die Trägerin 
der chrifktichen Glaubenslehre von Vergebung ber Sünderinnen. 
Ghriſtophorus“ geigt, daß bie Gottesverehrung durch bie That 
der des Glaubens und Betens an die Seite geftellt werden Tann. 
So ift jede dieſer Legenden ein Beleg zu irgend einer chriftichen 


der vor dir hier war? Hebe dich 
dieſer, Niemand war bier als ich ſelbſt. Das arme Ding 


Haji, dem fie vorher gefehen, ſich verwandelt habe. 


Blaubends ober Gittenichre. Sol ein Buch kann nur Ge: 
tes wirken und muß fih eines großen Yublicums erfreuen; es 
iſt für Frauen und Männer, für Gebildete und Ungebildete, für 
Erwachſene und für Halberwachſene; es paßt für höhere Stände 
und aud für das Wolf, und zwar ben Volksbibliotheken vor 
allen, mödıten wie «6 empfehlen. 12. 





Specimens .of the popular poetry of Persia, and the 
songs of the people inhabiting “he shores of the 
. Caspian see. Collected and translated by Alexander 
Chodsko. London, printed for the Oriental Transla- 
tion Fund. 1842, 


Gin Intereffantes Werk, eine Sammlung ber ungebrudten 
Dichtungen Rordperfiens, welche Chodzko aus bem Munde des 
Volks fammelte. Die Gitten, ber Charakter, die Gebräudge 
der Vollsflämme, unter. welchen bdiefe Wollsgedichte im Gange 
find, erhalten durch fie manches neue Lit. Das längfte und 
am meiften anzichende Stück dieſer Sammlung ift betitelt: 
‚Abenteuer und Gtegreifdichtungen des Kurroglou, Banbitens 

inſtrels des nördlichen Perſiens.“ Kurroglou blühte in ber 
zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, war zugleich als Bandit 
und Dichter berühmte und iſt noch der Rationalfänger und 
Mufterheid feines Volkeſtammes; ja, fein Feſt wird noch gegen: 
wärtig gefeiert, ohne daß feine Abenteuer oder Geſaͤnge retitirt 
werden. Kurtoglou iſt in der That die Perfonification ber 
Bitterlichleit diefee Romabentribus. Gr freifte umber, um ir⸗ 
gend eine reiche Karavane zu plündern, ober einen wohlhabens 
den Diftrict zu berauben. Dft trieb ihn auch die bloße Luft zu 
Abenteuern und Gefahren. Die Weiber behandelte ex in ht 
ortentalifher Weife und betrachtete fie wie Thiere, welche auf 
dem Marfte verkauft, ober wie jede andere Beute durch das 
Schwert gewonnen werben, wie Spielzeug, welches man wegs 
wirft, wenn ber Reiz der Neuheit verſchwunden if. Doc ift 
ber in bdiefen Geſängen geſchilderte Charakter der Weiber wird 
lich von der Art, daß die geringe Achtung, in der fie bei bem 
Krieger fiehen, gewiſſermaßen gerechtfertigt wird. Die Prins 
zeſſin Righara zum Beiſpiel hört von des Räubers Heldenmuth, 
wird von Liebe zu ihm ergriffen und fendet ihm einen Liebes⸗ 
brief mit ihrem Bildnis. Kurroglou geht unverzüglih nad 
Konftantinopel und erhält Zulaß im Palafle, ba er ſich als 
Haji oder Pilger verkieidet hat und vorgibt, er bringe eine 
Borfhaft von ihrem Water, welcher gerade auf einer Pilgers 
fahrt nad Mekka begriffen war. Während er als Chavuſch 


‚oder Bote angelündigt wird, wieft er feine Verkleidung ab. 
‘Die Prinzeffin erfcheint mit ihren Dienerinnen. 


Wo if ber 
Bote? fragt fie eine berfetben, welche ihn angelündigt hatte. 
Bei Allah Tchwöre ih, antwortete diefe, daß dieſer Mann bort 
bee Haji war und einen Turban auf feinem Haupte trug. Die 
Dienerin wendet ſich zu Kurroglou und fragt: Wo iſt der Hai, 

weg, Rärrin! antwortete 


kommt gur Prinzeffin zuruͤck und fchwört bei Allem, u we 

n! 
ruft die Pringeffin, du Haft mie in der That einen allerlichs 
ften Haji eingeführt. Ohne Zweifel Hat er dir einen Kuß oder 


:fo etwas gegeben. Wohlan, ihre Mädchen, bringt bie Ruthen 


ber! In einem Augenblide war das Mädchen an die Falaka 
befeftigt und unzählige Streiche fielen auf ihre Kußfohlen nies 
der. SKurroglou fuchte zu vermitteln, aber ber Zorn der Prins 
zeffin kehrte fih nun gegen ihn ſelbſt. „Gott bewahre Jeder⸗ 
mann”, heißt es Hierbei in der Erzählung, „unter die Nägel 
eines wüthenden Weibes zu fallen!’ Gin Hagelregen von 
Schlägen fiel nun auf Kurroglou. D Prinzeffin! xief er aus, 
haft du nicht Mitleid mit mir, fo erbarme dich doch deiner 


Dienerinnen; ihre Hände und Küße werden ſchwielig vom Schla⸗ 


gen! Da fagte die Pringeffin: Kommt, ihr Maͤdchen, wir wols 


‚len etwas Wein zu und nehmen und dann zurädlchren, um 


dieſen Encheibärtigen Betruͤger abermals bundggubläun! Damit 
gingen fie, kehrien aber wieder zucäd und gaben ihm eine 
zweite Tracht Prügel; er aber entflüpfte in einen Teich und 
währeud die Mädchen mit Gteinen nad ihm warfen, fiel ihm 
glädticherweife der ihm gefendete Brief ein, deſſen ex ſogleich 
erwähnte. Alſobald war die Scene verändert. Wenn bu Kurs 
roglou bit, rief da die Prinzeffin, fo vergeibe mic, mein Kurs 
soglou! Wenn ich dich beleidigte, fo geſchah es, weit ich nicht 
wußte, wer du warft; wenn ich dich ſchmaͤhte, fo ſteht es bir 
frei, mie die Zunge auszuſchneiden; wenn ich dich flug, fo 
erlaube ich dir, mic die Hand zu verflümmeln; nur verzeibe 
mir! u. ſ. w. AS er aus dem Waffer kam, war ihm bie 
Prinzeffin mit eigener Hand behülfliih. Man brachte ihm einen 
Mantel, der ihm ganz gut paßte; die Deingeffin und Kurroglou 
ſchlangen Jeder den Arm um des Andern Raden und fo vers 
eint gingen fie in den Kioft und tranten nad türkiſchem Ge: 
brauch, er zuerft, dann fie, einen Schluck Wein aus bemfels 
den Becher. Ratürli ging die Prinzeffin mit dem Banbditen 
durch. Aber ein werthvolled But war für Kurroglou fein Roß, 
Kyrat, an welches ex begeifterte Oben richtete, die zu den volle: 
thaͤmlichſten unter feinen @efängen gehören. Zuletzt ging Kurs 
roglou an des Königs von Perfien Hof, um fi ihm auszulies 
fern. Zwei Hofleute überrebeten ihn, mit ihnen die Nacht zus 
zubringen ; da tödteten fie fein Pferd, und Kurroglou, der den 
Beriuß feines Lieblingsroffes nicht überleben wollte, bot feinen 
Kaden freiwillig den Streichen der Meuchelmoͤrder dar. 

Mehre perfifche Sefänge ſtammen aus dem Harem des Ichtver: 
Rorbenen Könige, Zutteh Ali Schah; er war ſelbſt Dichter, und 
eine Sammlung feiner &hafelen, unter feiner Leitung niederge⸗ 
ſchrieben, befindet fich im Britifchen Mufeum. Einige berfelben find 
grobfinnlicher Natur. Die Gefänge der Ghilanie, Mazenderas 
nis und andere Stämme an der Küfte des Kaſpiſchen Meeres 
haben die Gigenthümlichkeit, daß fie, wie die Pfaimen, In einer 
Art parallelifivender Diftihen gefchrieben find. Chodzko Hat 


und durch dieſes Wert mit einer ganz neuen Literatur bekannt. 


gemacht; denn die andern Reijenden nahmen an, baß die Ge⸗ 
fänge der Barden (Aufhids) aus Firduſi, Sadi und Nizami 
genommen feien. Man Hat den Wunſch geäußert, daß auch ber 
Driginaltert dieſer Lafpiichen Dichtungen veröffentlicht werben 
möge, indem man glaubt, daß die reine Bendfprache fi in 
diefen abgelegenen Gebirgsgegenden unvermifchter erhalten habe 
als in den Klachländern,. die fo häufig eine Beute arabifcher, 
mongolifcher und türkifcher Eroberer gewefen find. 13, 





Literarifhe Notizen aus Franfreid. 


Wir haben in unfern flüchtigen Rotigen über bie neuen 
Erſcheinungen der frangöfifcyen Literatur zu wiederholten Malen 
der Romane des talentvollen Pitre⸗Chevalier erwähnt. 
Der größte Theil derſelben fpielt in der Geburtsgegend des Verf. 
und derfelbe iſt gewiffermaßen als der Walter Scott ber Bre⸗ 
tagne zu betrachten. In jedem neuen Werke entwidelt fid das 
Zalent des Romandichters immer Eräftiger und origineller und 
fein neuefter Roman: „La chambre de la reine‘, ift den beften 
Erſcheinungen der Begenwart auf diefem Gebiete an die Geite 
zu flellen. Ungeachtet der großen Productivität bes Verf. find 
feine Bilder doch ungleich fleißiger gearbeitet und forgfältiger 
ausgeführt ale der größte Theil dee Werke ber übrigen neuern 
feanzäfifchen Romanſchreiber. 


Bor kurzem ift ber Iehte Band der Borlefungen über Ras 
turrecht von Jouffroy erfchienen (‚Cours de droit naturel pro- 
fessé par Th. Jouffroy‘‘), und wir können nun ben Verluft, den 
Seankreich durch ben Tod biefes jungen Philofophen erlitten 
bat, in feinem ganzen Umfange beurthellen. Unter den vers 
ſchiedenen andern Worlefungen, bie im Drud erfcheinen, find 
defonders bie von Michel Chevalier über Rationalölonomie her⸗ 

‚vorzubeben, deren wir in biefen Blättern zu wiederholten Malen 


ewwähnt haben. Sie find ebenſo gebisgen in ber Form wie im 
Inhalte. 2. 





Bibliographie. 


Aleris, W. Der falſche Woldemar. Roman. 3 Baͤnde. 
8. Berlin, Buch. d. Berliner Leſecabinets. 6 Thir. 

Andaluſien. Spiegelbilder aus dem Suͤdſpaniſchen Leben. 
Aus denTBriefen eines jungen Deutſchen. Herausgegeben von 
W. Häring (W. Alerid). 8. Berlin, Buch. d. Berliner 
Leſecabinets. 1 Thlr. 15 Nor. 

Anderfen’s, H. ©., Bilderbuch ohne Wilder. Aus dem 
a ueertragen von 8. M. Fouqué. 8. Berlin, Befs 
er. er. 

Aue, &. von ber, Tafchenbuch der Liebe, Freundſchaft und 
Oefeligkeit. 16. Anclam und Swinemände, Diege. I Ihir. 


Rgr. 

Die frech bedraͤute, jedoch wunderbar befreite Bibel, oder: 
Der Triumph des Glaubens. Das iſt: Schreckliche, jedoch 
wahrhafte und erkleckliche Historia von dem weiland Licentia⸗ 
ten Bruno Bauer; wie ſelbiger vom Teufel verfuͤhret, vom rei⸗ 
nen Glauben abgefallen, Oberteufel geworden und endlich kraͤf⸗ 
tiglich entſetzet iſt. Chriſtliches Heidengedicht in vier Geſaͤngen. 
Gr. 12. Reumünfter bei Zuͤrich. Ao. 1842. 9Y, Ngr. 

Blumenfpiele. Vom Berfaffer des Werkes: Der Selam 
des Orients. Gr. 12, Berlin, Burmeiſter. 1 Thlr. 10 Nor. 

Brömel, A. T., Die freie Berfaſſung Norwegens in ik 
rer gefchichtiichen Entftchung und weiten Entwidelung, ihrem 
Wefen und ihren Kolgen. Ifter Theil. — Auch u. d. T.: Die 
freie Berfaffung Norwegens in ihrer geſchichtlichen Entftehung, 
nebft einteitender Vorgefchichte. Gr. $. Bergen. 2 Thlr. 

Das Ehegefeg in feiner Hiftorifchen mit ber Vernunft 
Abereinftimmenben Bedeutung. Gr. 8. Berlin, Hirſchwald. 

2 gt. 

Erwiederung auf „Prüfung des Durchſuchungérechtes von 
einem Amerikaner“, mit Benierfungen über einige andere zwi⸗ 
fhen Großbritannien und den Vereinigten Staaten anhängigen 
Streitfragen. Won einem Gngländer. Überfegt aus dem Eng» 
lifhen. Gr. 8. Berlin, Sonas. 15 Nor. 

Gebichte. 3 Abtheilungen: Pfyche. Lieder : Träume und 
Trümmer. Nachleſe. — Auch mit dem Umfchlag : Zitel: Samm⸗ 
lung von Gedichten. Breit 12. Wismar, Schmidt u. v. Coſ⸗ 
fe. 1841, 42. 22%, Nor. | 

Heſekiel, ©., Der Winternadhtstraum. 
Gr. 16. Berlin, Scherk. 10 Nor. 

Jahrbuch der deutſchen Univerfitäten von Heinr. Wuttke. 
I. Winterhaibjahr 18123. 8. Leipzig, Weidmann. 25 Nor. 

Knappich, J. M., Reden am Grabe. Mit ciner Vor⸗ 
rede von J. M. v. IStimenfee. 2 Bändchen. 8. Ravens⸗ 
burg, Gradmann u. Knapp. 20 Nor. 

Kopf, D. T., Altes und Neues aus der Mappe eines 
alten Päbagogen. Gin Beitrag zur Geſchichte des Volksſchut⸗ 
und Erziehungsweſens im nördlichen Deutfchland. 3 Theile. 8, 
Berlin, Wohlgemuth. 1 Tolr. 10 Ngr. 

Lubojagyfy, F., 1840. Hiſtoriſcher Roman. 3 Bände. 
Gr. 12. Grimme, Berlags:Somptoir. 4 Thlr. 15 Nor. 

Nachhall auf das Köiner Dombaulied von &.Prug. Ler:S. 
Stettin, Müller u. Comp. 2), Nor. 

ReventiowsKarpe, Graf E., Dänemark und feine Kö- 
nige bie zum Antritt bes Dibenburger Hauſes. 2 Bände. 
Gr. 8, Kiel, Schweres. 2 Thir. 15 Kgr. 

Slawismus unb Pfeudomagyarismus. Vom aller Ülens 
fehenfreunbe, nur ber Pfeudbomagyaren Zeinde. Gr. 8. Leipzig, 
D. Wigand. 15 Nor. 

Voigt, J., Codex Diplomaticus Prussicus, Urkunden» 
Sammlung zur dltern Gedichte Preußens aus dem Koͤnigl. 
Geheimen Archiv zu Königsberg, nebſt Regeſten. Zter Band. 
Gr. 4. Königsbere, Gebr. Bornträger. 2 Thir. 


Eine Arabeske. 





Werentwortlicher Herausgeber; Heinzih Brodbaus. — Drud und Berlag von 8. U. Brochaus in Leipzig. 








Blätter 


für 


literarifihe Unterhaltung. 





Sonntag, 





Über Bevölkerungskunde. 


1. Hanbbuch ber Populationiſtik oder der Wöllers und Mens 
fihenkante nach flatiftiihen Erhebniſſen. Bon EChriſtoph 
Berneulti. Zwei Abtheilungen. Ulm, Gtettin. 1841. 
Gr. 8. 3 Thlr. 227% Nor. 

3, Gtatiftifke Überfiht der Bevölkerung der oͤſtreichiſchen Mons 
ardjie nach den Ergebniffen der Jabre 1834— 40, Dargeftellt 
von Siegfried Becher. Stuttgart, Cotta. 1841. Gr. ð. 
2 Thir. W Rer. 

3. Über die Abhängigkeit der phyſiſchen Poputationsträfte von 
den einfachſten Brundfloffen der Natur mit fpeciellee Anwens 
dung auf die Bevoͤlkerungeſtatiſtik von Belgien, Bon ers 
dinand Bobbi. Leipzig, Brodhaus und Avenarius. 1841. 
mp. 4. 13 Atr. 

Die drei hier zu befprechenden Schriften begegnen ſich 
in dem Dbjecte. Die zweite flele aus einem einzelnen 
Staate und für beflimmte Jahre die Materialien, forgfäl- 
tig gefammelt und überfichtlic geordnet, zufammen, deren 
Gebrauch uns die erſte Schrift lehrt und deren willen: 
ſchaftliche Erörterung auch in der zweiten Schrift verfucht 
wird. Die dritte endlich macht den Verſuch, die Geſetze, 
weiche die erfte nur aufzeihnet, auch zu erflären und auf 
ein höheres Geſetz zurückzufuͤhren. Das Anfammeln fla: 
tiſtiſher Daten würde eine bloße Spielerei fein, nicht 
wertbooller, als das Sammeln von Wappen, Gchmetters 
lingen u. dgl. bei Anaben iſt, wenn es nicht zu dem Ende 
geſchaͤhe, damit aus diefen Daten Schluͤſſe gezogen, ihre 
Gründe erforſcht, aus ihnen das Wefen der Verhaͤltniſſe 
und daB Geſetz der Kräfte erkannt wuͤrde. 


Es Enüpft fi) ein eigener Reiz an diefe Unterfuchungen 
übre die Geſetze der Bevölkerung, und wenn man fie mit 
einer fo wunderbaren Regelmaͤßigkeit und Sicherheit mals 
ven und Creigniffe, die uns in jedem individuellen Kalle 
is Producte des Zufalls oder als befondere Schidung 
erſcheinen, und die das letztere für das Individuum auch 
jedenfalls find, in der Maffe der Faͤlle einer Ordnung 
und Beſtimmtheit unterworfen fieht, welche, wenn alle ers 
foderlichen Unterlagen gefammelt wären, die zuverläffigfte 
Berberberehnung erlauben würden: fo iſt man wol ges 
meigt, Hier noch einen geheimern Bezug, ein noch zu ent: 
raͤthſelndes tieferes Geſetz zu vermuthen und von bieraus 
uoch weitere Einblide in die geheime Werkſtaͤtte der Nas 
tar zu erwarten. Und doch ift die Sache nicht fo my: 


fteriös und bezlehungsvoll, wie fie ausficht; was aber 
wunderbar und gebeimnißreih an ihr ift, das wird wahrs 
fheintih immer der menfchlihen Forſchung unergruͤndlich 
bleiben. Es handelt ſich hier nicht um pythagoraͤiſche Zah⸗ 
Ienbedeutfamkeit und ebenfo wenig um willkuͤrliche Gefege. 
Wie überalt, fo iſt auch bier Die große DVerfaffung der 
Welt auf das Grundgeſetz des Gaufalnerus gegründet und 
im Bereih unferer Erde find es verbäftnigmäßig wenig 
einfache Kräfte, durch welche diefe gewaltigen Refultate 
und diefe in unendliher Diannichfaltigkeit ſich drängenden 
Erſcheinungen erzeugt und beherrfcht werden. Erſt wenn 
wir an jene letzten Gründe felbft und wieder an ihre Bes 
jiebung zu dee Geflaltung höherer Organismen, der 
Pflanze, des Thiers, des Menfchen kommen, rühren wie 
an die für den trdifchen Blick wol ewig undurchdring⸗ 
lihen Schleier der Geheimniſſe. Welcherlei Kräfte da 
oder bort wirken und was da vorgeht, ift erfannt worden, 
aber das innerfte Wefen diefer Kräfte und das Wie der 
Operation bleibt verborgen. Ebenſo wenn wir die Wire 
tungen der Geſetze, die wir für die Tauſende von Faͤllen 
berechnen und in ihrer naturgemäßen Nothwendigkeit ers 
klaͤren mögen, fi nad Raum und Zeit und auf die Ins 
bividuen vertheilen fehen, trifft es fich wol, daß der aufs 
merkfamere Bli in dem gerade jetzt, gerade fo, gerade 
unter diefen Umständen erfolgenden Eintreten Das zu ah⸗ 
nen vermag, was wir Scidfal, Fügung nennen, was 
aber in Wahrheit die erziehende Hand des großen Welt 
meifters if. Er bat auch die Kräfte gewedt und in 
Wirkſamkeit gefegt, die über die Bewegung der Bevaoͤlke⸗ 
ung gebieten. In ihrem gleichmäßigen. Wirken begegnen 
ihnen in dem weitern Raume, der gemefienen, längern 
Zeit, der größeren Zahl uͤberall die Bedingungen, unter des 
nen ihr Wirken eintritt, und fo wirken fie für das bes 
fiimmte Maß von Raum, Zeit und Zahl mit unveränders 
licher Sicherheit. In diefem groͤßern Maße verfchwinden 
alle die Abweichungen und befondern Bedingungen des Ins 
dividuellen und heben ſich gegenfeitig auf. Aber fie mas 
hen fih in der Vertheilung auf Raum und Zeit im 
Einzelnen geltend und in ihrer unendlichen Mannichfaitigs 
keit, Ihren feinen Schattirungen, Ihrem Zuſammenwirken, 
ihrer Abhängigkeit von Tauſend aͤußern ſcheinbaren Zus 
faͤlligkeiten, höhern Fügungen, fpotten fie jeder Vorherbe⸗ 
flimmung, und nur foweit auch bei ihnen ein gleichmaͤßi⸗ 


80 


ges Geſetz in einiger Ausdehnung waltet, mag es von 
ſchaͤrferer Beobachtung erkannt werben. 

Der Verf. des unter Nr. 3 genannten Werks hat es 
allerdings verfucht, die wahre causa movens, oder doc) eine 
von ihm für die hauptfächlichite gehaltene causa movens, 


die in allen Populationsverhäftniffen wirken fol, nachzu⸗ 


weifen und uns damit einen wichtigen Schritt näher zu 
dem Innerſten des großen Haushalts der Natur zu führen. 
Wir koͤnnen dieſen Verſuch nicht für wahrhaft gelungen 
halten, auch wenn der Verf. in der Sache ſelbſt nicht ge⸗ 
irrt haben ſollte. Wir koͤnnen aber auch, aus ſpaͤter dar⸗ 
zulegenden Gründen, keineswegs bebauern, daß der Ber: 
fuch von Hrn. Dr. Gobbi angeſtellt worden if. Durch 
fein ganzes Merk zieht ſich allerdings eine lange Kette 
phpfitatifcher Hppothefen, Über weiche wahrſcheinlich noch 
lange Zeit geftritten werden wird und die wir hier nicht 
eröctern wollen, uns auch nicht competent bafür halten 
innen. Aber das können auch wir fehen, daß man alle 
diefe Hypotheſen zugeben kann, ohne die praktiſche Bedeu: 
tung derfelben für den vorliegenden Zwed in dem Werke 
recht uͤberzeugungsvoll nachgewiefen zu fehen, ja nur eis 
gentlich zweckmaͤßige Anflalten zu dieſer Nachweiſung in 
den Werke zu finden. Die Sache iſt nämlich die. Der 
Verf. geht von bee Hppothefe des Laplace aus, wonach 
alle Planeten unfers Sonnenſyſtems aus der urfprüng: 
fihen Sonnenatmofphäre entflanden find, und kommt in 
ihrem Verfolge auf die ganz wefentlihe Bedeutung ber 
Sonne, ganz befonders aber auch des Waſſers für die 
Populationskraft. Er bite fih nun an das Waller 
und zeigt zuvoͤrderſt in einer ſehr intereffanten Unterſu⸗ 
chung, die man aber, wenn man nur das auf dem Zitel 
Verzeichnete ats die Aufgabe diefes Buchs fefthalten wollte, 
viel zu ſpeciell finden würde, die Einwirkung des atmos 
ſphaͤriſchen Waſſers auf den gefammten organifhen Proceß, 
namentlich auf die Veraͤhnlichung der Nahrungsmittel in den 
erften Nahrungswegen, auf die Refpiration, auf die Wär: 
mevechältniffe, auf die Etektricität und auf das Licht. Er 
gibt dann eine Darflellung der hydrographiſchen Verhaͤltniſſe 
in Belgien und darin in der That eine fehr lehrreihe und 
verdienfttiche Waſſerſtatiſtik diefes Landes. Daran chließt 
fih die Darftellung und Berechnung ber phyſiſchen Popu: 
Iationskräfte in Belgien. Hier erfahren wir weniger Neues 
und haben denfelben Gegenftand lieber als von Hrn. Gobbi 
von dem Berf. der Schrift Mr. 1 behandelt gefehen, ber 
den Einfluß vielfeitigerer Momente ine Auge füßt. Denn, 
obgleih Hr. Gobbi in der britten Abhandlung nunmehr 
den Zufammenhang zroifchen den hydrographifchen und dem 
Populationgelementen darzuftellen unternimmt, fo iſt das 
doch nicht auf eine und irgend faßlihe und einleuchtende 
Weiſe gefchehen. Er hat und gezeigt, wie fi die MWaf: 
ferverhättniffe und wie fih die Bevoͤlkerungsverhaͤltniſſe in 
den verfchiedenen belgifchen Provinzen verhalten; daß aber 
die letztern von ben erftern abhingen, das hat er, unſers 
Dafuͤrhaltens, nicht gezeigt und, wenn von einer unbeding- 
ten und bauptfächlichen Abhängigkeit die Rede fein follte, 
nicht zeigen können. Sa, er muß felbft in feine Berech⸗ 
nungen einen Gegenkampf frembdartiger Elemente aufneh⸗ 


men, und dieſer Gegenkampf, der aus ſehr verfchiebenartis 
gen Momenten berrühren kann, bücfte die Hauptſache bei 
dem ganzen Verbältniffe und nicht fo Leicht zu berechnen 
fein wie die hydrographiſchen Verhaͤltniſſe und die Kopf: 
zahlen. Wenn man auch alle Hypotheſen des Verf. und 
alle feine Schlüffe daraus zugibt, fo lernt man doch nur, 
wie fi bie Populationskraft in 5. B. zwei Ländern un: 
ter übrigens ganz gleichen und nur in Betreff des Hydro» 
graphifchen abweichenden Vechaͤltniſſen verhalten würde. 
Eine zufällige Volksſitte, eine religioͤſe Anficht, eine Mo⸗ 
biftcation der Gefeggebung, ein außeres Ereigniß, die Eins 
führung eines neuen Erwerbszweiges, das Erlöfchen eines 
andern, eine Veränderung in dem Handel des Auslandes 
Eönnen das ganze Verhältniß total alteriven und auf den 
wirklichen Stand der Sache ben gewaltigften Einfluß dus 
Bern, fodaß uns aus der Dorftellung des Berf. nur ber 
nach den bloßen natürlihen Verhaͤltniſſen mögliche Stand 
der Sache hervorzugehen ſcheint. Das waren noch vers 
aͤnderliche Momente, die wir anführten. : Bleibenderer Nas - 
tur find das Klima, die orographifchen. Verhältniffe, die 
Umgebung eines bewegten Stuatenfpfiems u. dgl. Dente 
fih doch einmal der Verf. diefes Belgien mit allen feinen 
jegigen hydrographiſchen Werhältniften nah Neuholland 
verfegt und frage er fih, ob es da feine heutige Bevoͤlke⸗ 
rung und gerade fo vertheilt haben würde. Das aber ift 
nicht zu verfennen, daß dieſes Wert, was nur mit fehr 
beträchtlichen Opfern zu Stande gebracht worden fein 
kann, ein Werk eines riefigen Fleißes, großen Scharfe 
finns, mächtiger Combinationsgabe ift und, wenn wir auch 
feine Hauptaufgabe nicht erreicht halten können, do bei - 
Selegenheit ihrer Erſtrebung eine große Reihe hoͤchſt in⸗ 
tereffanter und lehrreicher Unterfuhungen, Notizen unb 
Berechnungen zu Zage fördert, bie es jedenfalls zu einer 
ſehr wichtigen und verdienftlihhen Leiftung machen. 
Bleiben wir aber bei den Unterfuchungen über die Pos 
pulationsverhättniffe fiehen, fo darf es uns nicht irre ma⸗ 
hen, daß fie bis jegt Uber eine gewiſſe Grenze nicht zu 
dringen, den wahren legten Schlüffel nicht zu finden vers 
mocht haben. Denn abgefehen von dem geheimen Reize, 
den bie Betrachtung der Gefege einflößt, die das wunder 
barfte Raͤthſel des irdiſchen Dafeins, das Leben felbft be= 
herrſchen; abgefehen von der Foderung, die die Möglichkeit, 
bis zu einem gewiſſen Punkt in diefe Geheimniffe einzu⸗ 
dringen, an den wahrheitsdurftigen Geiſt richtet, auch bei 
ihnen feine Kraft zu bethätigen; haben biefe Unterfuchuns 
gen auch ihre fehr praktiſche Wedeutung, fofern fie Anz 
haltepunkte gewähren, um zu beurtheilen, ob der Verlauf 
dee auf die Bewegung der Bevoͤlkerung bezüglihen Mo⸗ 
mente unter unfern Umgebungen ein naturgemäßer fei, 
oder nicht, und in legterm Falle uns anfpornen, die ſtoͤ⸗ 
renden Einfluffe aufzufuchen und möglihft zu heben. Sie 
geben uns neue Kriterien an die Hand zur Prüfung dee 
fociaten Zuftände. Sie dienen unmittelbar zur-Grundlage 
wichtiger Anftalten, haben deren ficheres Wirken erft moͤg⸗ 
lich gemacht, zum Shell zu ihrem Entſtehen den erften 
Anlaß gegeben. Man mußte bereits eine gewiſſe Kennts 
niß der Mortalitätägefege haben, bevor man auf die Idee 





si 


dr Eebenswerfiherungsanftaiten kommen konnte, und an 
dem Mangel diefer Kenntniß find Hunderte von Leichen⸗ 
tafen bankrott geworden. Se forgfältiger, vollftändiger, 
auf immer feinere Beziehungen ſcharjfinnig durchgeführt diefe 
Unterfudyungen werden, deito mehr tritt «6 heraus, in wie 
vifacher Dinficht fie praftifch benuge werben Binnen, 


In dem zuerft angeführten Werke werden fie von el: - 


arm verdienfivolfen Gefehrten, der fich, voie auch das Werk 
auf jeder Seite beweift, duch lange Jahre mit diefen For⸗ 
ſchungen befchäftige und dabei mit allen dazu erfoderlichen 
Eigenfhaften, Kenntnijjen und Gaben ausgerültet ans 
Wert ging, in einer Vollſtaͤndigkeit, mit einer fichern Bes 
erundung, gewiffenhaften Sorgfalt, fcharffinnigen Berech⸗ 
nung angeftelit, wie zur Zeit noch von feinem Deutfchen, 
und es kann dafjelbe mit den Franzofen, die ſich hierin, 
wie in den eracten Wiffenfchaften überhaupt, mit Bors 
liebe und Glück bewegt haben, ruhig In die Schranken 
treten. Suͤßmilch's„Goͤttliche MWeltordnung” iſt nicht 


bios in den Daten veraltet; fie fußte auch auf unfichern 


Grundlagen und mehrfachen Irrthuͤmern, wenngleich für 
ihre Zeit ihe Verdienſt ein erhebliches war. Bickes bat nur 
Bruchſtucke gelicfert und mehr Materialien jufammenges 
fette, als Geſetze erforſcht. Weide Schrifefteller find durch 
Bernoulli weit überfligelt. , 

Ein ungludtihger Gedanke, der in Wahrheit manchen 
Leſer von dem Merle abſchrecken kann, war aber jedenfall 
das verwidelte Wert „Poputationiftil”. Muß man denn. 
aus jeder Unterabtheilung einer Wiſſenſchaft — die vors 
Hiegende Unterfuhung iſt ein Theil der politifhen Arith⸗ 
metik — audy gleich eine eigene Wilfenfhaft machen und 
dnen neuen Namen dafür erfinden? Doc das iſt Ne: 
denſache. Wichtiger, daß der Gebrauch des Werks für 
manche Lefer allerdings durch einen andern unglücklichen 
Gedanken des Verf. erichwert wird, daß er nämlich eine 
Imliche Zahl aus großen und Pleinen, mehrfach verbun- 
vn Lateinifhen Buchſtaben bejtehenden Bezeichnungen 
zar Abkırzung gewählt hat, die eine curforifche Lecture 
dei Buchs ſehr ſchwlerig machen. Wer befonders ſich 
nit regelmäßig mit den eracten Wiffenfchaften, in denen 

i wei Öfter vorkommt, befchäftige und dadurch 
(den an Ähnliches gewoöͤhnt ift, dem wird es ſchwer, das 
Mes im Gedächtnis zu behalten, jede Verwechſelung zu 
wamseiden und ber Unannehmlichkeit zu entgehen, daß man 
an manchen Gtellen ſich erft quält, aus dem Zuſammen⸗ 
hange zu errathen, was das Zeichen bedeute, und endlich 
dech noch im Werzeichniffe nachſchlagen muß. Unfere Zeit 
veiends will dad Studium möglihft bequem gemacht und 
je wichtiger es ift, der politifchen Richtung der Zeit auch 
in gründlicher flaatswiffenfchaftlidher Kenntniß den rechten 
Kern und inhalt zu geben, befto mehr follte man bar: 
nach fireben, auch die tiefern Lehren und mühfamern Uns 
terfuchungen einem möglichft weiten Kreife Gebildeter ge: 
niefbarer zu machen. Mit einer geringen Naumvermeb: 
rung bätte der Verf. die Wirkfamkeit feines Werks we⸗ 
ſentlich erhöhen und weiter verbreiten koͤnnen, und wir bes 
dauern diefen Übelſtand um fo auftichtiger, je höher wic 
fonft den Berf. umd frine Lriftung fchägen. 


Als Statiſtiſche verliert feinen Werth, ja wich ſchaͤd⸗ 
lich, ſtatt zu nuͤtzen, ſobald es den Charakter ber Richtig⸗ 
keit, in manchen Faͤllen der abſoluten, in andern wenig⸗ 
ſtens der annaͤherungsweiſen oder der durchſchnittlichen 
Richtigkeit verliert.” Dit Recht beginnt daher der Verf. 
mit den Mitten, die abfolute Bevölkerung zu erforfchen, 
und mit der Bemerkung, daß und warum in vielen Ans 
gaben derfälben, wider Erwarten, fo viel Ungewißhelt 
bericht. Gleiches tritt bei der relativen Bevoͤlkerung, d. h. 
der Bevölkerung im Verhältnig zum Areal ein und nicht 
immer iſt bier eine Vergleichung zuläffig; wie denn Übers 
haupt der Statiftiler fortwährend die Augen nad allen 
Seiten hin offen haben follte — feider nur zu felten auch 
wirklich bat —, um alle befondern, auf die von ihm be: 
trachtete Erſcheinung influicenden Umftände in Anſchlag 
zu bringen. Kine Tabelle über die Bevölkerung der euros 
pälfhen Staaten im J. 1840, wobei jedoch die deutſchen 
Staaten zuſammengerechnet ſind, zeigt uns die groͤßte Dich⸗ 
tigkeit der Bevölkerung in den Niederlanden (6,158), bie 
geringfte in Schweden (293). Hier rührt die geringe 
Dichtigkeit aus Elimatifhen, in Servien (724) rührt fie 
aus gefchichtlich = politifhen Urfachen ber. 

(Die Bortfegung folgt.) 


ar > 


Ein neuer Roman von Gapitain Marryat. 


Percival Keene. By Captain Marryat. Drei Bände. Bons 
bon 1812. 


über dieſen neueften Roman Marryat's äußert fi die „LI- 
terary Gazette” folgendermaßen : „„Percival Keene‘, vom Vers 
faffer des ‚Peter Simple‘, verräth die Abficht eines Gegenfages, 
und ber Verfaſſer von „Ialob Faithful‘ hat ihn redlich durchs 
geführt. Die Familie des Delden und fein Eintritt ins Leben 
werden mit fprudeinderfi fatiriihen Humor gefchildert. Schon 
die erſten Seiten find voll Leben und Gift. Dabei fieht Allıe 
aus wie Wahrheit und Wirklichkeit. As Percival zur See 
geht, marlirt fi in feinen Gabettenftreichen das Talent und 
bie Erfahrung eines Mannes, der das Ding Eennt und im 
Stande ift, e8 auszumalen. Später werden feine Abenteuer noch 
intereffanter und die Erzählung bleibt durchaus friſch und Erdfs 
tig. Nirgend ermattet fie und erlaubt dem Lefer nicht, im 
gortgange ber Geſchichte ſich zu langweilen. - Bom Anfang bis 

nde bietet das Buch eine leichte, unterhaltende Lecture, unb 
obwol bereit# ein populaires Lüftchen den literarifchen Feberftug 
des tapfern Gapitains bewegt, wird es bemfelben doch eine hers 
vorragende Feder beifügen.” 

Die „Literary Gazette” genießt auch in Deutfchland Ans 
fehen und wirb bisweilen fogar ohne Angabe vertrauensvoll aus⸗ 
gefchrieben. Das erftere verdient fie und letteres läßt fie ſich 
gefallen. Aber ihr Urtheil über „Percival Keene‘ Elingt im 
Ganzen ebenfo gezwungen wie bie Gleichnißrede am Schluſſe, 
und wer die Beziehung des Herausgebers zum „tapfern Gapis 
tain’’ kennt, braucht nicht juft cin boshafter Menſch zu fein, um 
in bem geipendeten Lobe die Babe der widerfpenftigen Minerva 
zu erbliden. Aber wir find allzumal Sünder und ermangeln 
des Ruhms und am Ende ift es kein fo gar ſtrafwuͤrdiges Vers 
brechen, das Buch eines Freundes, bem wir außer Ruͤckſichten 
auch Verbindlichkeiten ſchulden, in einer Weife zu loben, die ben 
£efer Leicht merken läßt, daß es nicht gem gebeten if. Das 
mit foll über „„Percival Keene” nicht von vornherein der Stab 
gebrochen fein. Keineswege. Zuvoͤrderſt liefert dieſe Seenovelle 
ben Beweis, daß, obſchon mit Seeromanen, wenn auch nice 
das Meer, doch ein Fluß gedämmt werden kann, ein folder im⸗ 


er noch einen BVerleger findet. Zweitens bemeift fie, daß, 
wenn fi Roman keinen andern Reiz beſitzt als bie barin er⸗ 
zählten Abenteuer, felbft ein Marriyat nicht vermeiden Tann, 
mutatis mutandis fich zu wiederholen. Ich will jedoch nicht 
weiter numeriren. Daß die Gefahr ber Wiederholung bei einem 
Roman, der im Käficht eines Schiffes ſpielt, groͤßer ſein muß 
als bei einem, der eine Weltſtadt, ein Paris oder London, zum 
Schauplat bat, begreift fih leicht. Was kann denn einem ſee⸗ 
fahrenden Manne Wichtiges begegnen? Gin Schiffbruch⸗ eine 
Jeuersbrunſt/ eine Schlacht; es gibt kaum ein Viertes oder 
Fuͤnftes. Allerdings laſſen dieſe Dauptaccidents ſich auf das 
verſchiedenartigſte eins und ausführen und bieten Gelegenheit, 
die verfchiedenartigften Sharaltere abzuconterfelen. Aber ein 
Roman, in weichem das gefchieht, befigt dann audy andere Reize 
als die darin erzählten Begebenheiten und gehört eo ipso in 
eine andere Kategorie als Marryat 6 „Percival Keene”. In 
„percival Keene paſſirt nicht viei Neues, oder richtiger, wer 
Marryat's frühere Seenovellen geleſen hat, braucht „Percival 
ſſen, was darin vorgeht. So⸗ 
unter andern Namen. Per⸗ 
reſpectabeln Seehelden. 


Keene”' nicht zu leſen, um zu wi 
gar bie Perfonen kennt ex bereite 
aval ſteht in Reih und Glied mit allen 
Bob Groß ſputt in allen Seenovellen. In diefen ſtolzirt ein 
Tommy Dott auf dem Halbverdeck jedes inienfchiffe, und felbft 
Gapitain Delmar, bie erfte Violine im Ordefter, geigt laͤngſt 
gehörte Melodien. n 
Deffenungeachtit bin ich weit entfernt, „Percival Keene“ — 
Überfegungen werben fon kommen — nit eben zu em: 
pfehlen, der nad einem Seeroman luͤſtern iſt, weil er noch 
feinen geleſen hat. Die Erzaͤhlung ſchreitet raſch fort, die 
Charaktere ſchaͤlen ſich zum Theil ganz geſchickt aus, der 
Dialog tft lebendig, die Leute zeben, wie ihnen ber Schnabel ges 
wachſen ift, und Marryat bat ihnen diefen Schnabel etwas wer 
niger als ihren Vorgängern ins Gemeine wachſen laſſen. Das 
Befte, was gelchieht, geſchieht zur See und die Skizze des ‚auf: 
gerollten Gemaͤldes zeigt einen Zufammenftoß mit dem Beine, 
die Verfolgung des flichenden und tühnes Entweichen vor der 
Abermacht. Hier ift Gapitain Marrpat zu Baufe und tout à 
son aise, in fhönfter gloire. Man fieht den Enthuſiasmus ber 
Matrofen, fieht die Offiziere in ehrerbietigem Geborfame die ere 
haltenen Befehle vollſtrecken und fieht dem Sapitain in ‚feiner 
Seldſtbeherrſchung, im vollem Gefühle feiner Verantwortlichkeit, 
in feinem anſpruchsloſen Heroismus. Rachdem man das geſe⸗ 
hen, ſollte Marryat Ginen weiter nichts ſehen laſſen. Je⸗ 
der Verſuch im Pittoresken mislingt ihm. Ein Landſchafts⸗ 
maler iſt er nicht, weder zu Waſſer noch zu Lande. Eine 
regatte, eine Brigantine, einen Kutter malt er vortrefflich. 
ber daruͤber iſt kein Himmel, daneben fein ufer, daruntır fein 
Maffer. Cine Action reißt uns fort. Aber die Acteure tom: 
men felten zum Vorſchein und noch feltener können wit uns 
ein Bild machen von ihrer aͤußern Erſcheinung, von ihren Ge⸗ 
ſichtern, ihrer Kleidung, ihrer Haltung. Das iſt inſofern 
ſchiimm, als von unſern neuen Bekannten uns kein deutliches 
@rinnerungszeichen bleibt. Ohne Einzelnheiten wurzelt kein 
Ganzes im Gedaͤchtniſſe. Woran uͤbrigens Marryat's Novellen 
nicht allein krank liegen, „Dercivat Keene“ aber ſchwer leidet, 
das iſt gegen den Schtuß hin — ob es biege ober breche — das 
' Haftige, unceremonieufe Aufräumen von Begebenheiten und Per- 
fonen. Es war durchaus keine Rothwendigkeit vorhanden, den 
Capitain Delmar tobtzufchlagen, und Dberft Delmar muß eis 
gentlich auch nur ein Böfewidht fein, weil die Erzählung einen 
Schluß haben will. Denno ift der Schluß als folder gut. 
Bon der Helbin als folcher laͤßt fi das ſchwerlich fagen. Ex 
laͤßt fi überhaupt von ihr wenig mehr ſagen, als daß ſie 
fi) außerordentlich rar madıt. Bei ihrem erften Auftreten ges 
winnt fie die Bunft des Leſers und er erwartet etwas von ihr. 
Sie mag auch eine ganz buͤbſche, angenehme und freundliche 
Perſon fein. Nur befommt man davon nichts zu ſehen, fondern 
muß es errathen, und beim Anlauf, den Marryat nimmt, ihre 





Derantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — 


erſonlichkeit zu ſchitdern, üͤberſchlaͤgt er fi. Schön nennt er 
fie, das ift wahr. Aber er rechnet auf bie Courtoiſie des Leſers, 
ihm zu glauben, denn daß Percival ſich in fie verliebt, beweift 
nichts. Percival hätte ſich auch in eine Haͤßliche verliebt. ins 
deffen ift der Verf. zu loben, daß er ſich mit dergleichen Schil⸗ 
derungen nicht befaßt. Er verſteht ſich darauf ebenſo wenig 
wie auf das Entziffern weiblicher Gefuͤhle und das Srgruͤnden 
weicher Empfindungen. Und daher iſt es ein lobenswerther Takt, 
es fo flüchtig als möglich zu verfuchen. Beine Stärke liegt im 
Grfinnen einer ſchnurgeraden Geſchichte, worin es Ichhaft zus 
geht, bie Menfchen um ein Haar breit verloren wären und das 
Glül mit. Windesfchnelle umfegt. Zwiſchendurch bewährt er 
ſich a‘8 gewandter Beichner derber, nachhaltiger Gefuͤhle, eines 
tüchtigen Putriotismus, ftrenger Pflichterfuͤlung und eiferner 
Dieciplin. Daß er dabei den Mechanismus des Seemannste⸗ 
dens volltommen inne hat, ift nirgend beftritten worden. Dies 
feg Leben ift feine Welt, folglidy eine enge. Was er von der 
Außenwelt gefeben, bat er eben nur gefehen, nicht begriffen, 
nicht fludirt. Und besbalb iſt meines Erachtens Marryat ein 
einfeitiger Novelliſt. Aber fein „Percival Keene” wird über: 
fest werden. 14. 


————— — — — — — ———— ————— 


Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Wir haden der trefflichen Zeitſchrift Für National: 
Stonomie („Revue des économistea“) dereits zu wiederholten 
Malen’erwähnt. Diefelbe erfreut ſich unter der Leitung ber erſten 
Rationalötonomen Frankreichs eines guten Kortgangs. Einer der 
thätigften Mitarbeiter ift Charite Dunoyer, Mitglied des Ins 
ftituts, Die erften Hefte dieſer Zeitfchrift brachten einen treffs 
lichen Auffag aus feiner Feder. Cr widerlegte in bdemfelben 
die Einwendungen, die man gegen die Soncurreng, dieſe maͤch⸗ 
tige Triebfeder ber menſchlichen Thaͤtigkeit, erhoben hat. Ebenſo 
beachtenswerth iſt fein Artikel „Sur les pretentions de notre 
temps à l’esprit pratique‘ und feine „Nouvelle nomenclature 
des arts qui agissent sur le monde materiel’’; ferner verbies 
nen die Auffähe,, in denen Blanqui feine Reiſebeobachtungen in 
der Zürkei niederlegt, hervorgehoben zu werben. L. Reybaub, 
der fi durch feine „Etudes sur les röformateurs modernes’’ 
einen Namen gemacht hat, nahm anfangs einen lebhaften Ans 
theil an ber „Revue des Sconomistes‘’, ſcheint fi aber von 
dee Redaction mehr zurüdgezogen zu haben. Sein letter Aufs 
fag enthielt mande gewagte Behauptung. Er ſprach fi im 
demfelben gegen jede Subvention, jede Belohnung, jeden Bars 
fhuß und ſelbſt gegen die Zuſicherung eines Mininums ber 
Ginnahmen aus, durch die der Staat große Unternehmen 
unterflüßt. Ganz vortrefflid ift ber Auffag von Hippol. Daf 
farb: „Etat financier de l’Angleterre et sur les mesures pro- 
posess par les wighs et les tories.’” 





Unter dem Zitel „L’Herbier” (Herbarium) gibt Als 
feed Leroux eine Sammlung anmuthiger Gedichte Heraus, die 
in dee Form und Richtung an die wenig bekannten Horfien des 
berühmten Botanikers Trinius erinnern. Der junge franzoͤſiſche 
Dichter entnimmt naͤmlich ebenſo wie ber Freund Ehamiflo’s 
feine Bilder der Pflanzenwelt, ohne jedoch in die Dürftigkelt 
der fogenannten Blumenſprachen zu verfallen. Unter der 
großen Menge von Poeſien, obſchon das große Publicum 
ihnen eine fo geringe ÄAufmerkſamkeit ſchenkt, heben wir fonft 
noch befonders eine Sammlung von Liedern hervor, zu denen 
ſich ein jugendlicher Dichter Amand Gucrin durch bie großartige 
Ratur ber Bretagne begeiftert dat. Sie führt den Zitel „La 
Bretagne”. Ginige dieſer Porfien erinnern an die Dichtungen 


von X. Brizeux, im Algemeinen aber gelingen bdiefem jugends 


lichen Dichter die Schilderungen wilberer 


Naturpartien, wäh, 


rend der Verf. der „Marie ſich mehr in einer idylliſchen Ruhe | 


gefällt. 2. 
Drud und Verlag von E. A. Broddeuß in Eeipaig. 


| 


Blätter 


für 


lite rariſche Unterhaltung. 





9. Jannar 1843. 





Über Bevölkerungskunde. 
(Bertfegung aus Rr. 5.) 

Der Verf. kommt nun auf die Serualverhättniffe. Eine 
moͤglichſt volkommene Gleichzaͤhligkeit beider Geſchlechter 
pifde die zutraͤglichſte Zuſammenſetzung der Bevoͤlkerung und 
ſcheine auch die Tendenz dee Naturgeſetze zu fein, da zwar 
überall mehe Knaben als Mädchen geboren würden, aber 
auch allerwärts die Knaben und namentlich im erften Le⸗ 
bendalter etwas ſchneller abftürben. (Ob letzteres wirklich 
oflerwärtd der Fall iſt und nicht blos in den heutigen eus 
ropäifchen Zuftänden?) Nichtsdeſtoweniger ergeben bie 
Volks zaͤhlungen nur felten ein ſolches Gleichgewicht beider 
Geſchiechter. Faſt aus allen gebt eine merkliche Überzahl 
der weiblichen Individuen hervor und nur zuweilen findet 
fi die entgegengefeßte Erſcheinung. Aus ben darüber bei: 
gebrachten Angaben heben wir aus, daß in Europa nur 
in Hanover die maͤnnliche Bevölkerung die weibliche Über: 
wies. Hier fommen naͤmlich auf 1000 männlihe In⸗ 
dividuen nur 957 weibliche; in allen andern Staaten {fl 
das weibliche Geſchlecht zahlreicher als das männlidhe, am 
fürfften in Böhmen, mo auf 1000 Männer 1102 Weis 
kr tommen. In den Bereinigten Staaten von Nords 
wwike und bei der weißen Bevölkerung einiger anderer 
emeitanifchen Ränder dagegen ift das maͤnnliche Geſchlecht 
jam Iheil beträchtlich Überwiegend. Freilich find die An: 
sehn nicht überall zuverläffig, wie e6 denn in dem ans 
führten Beifpiel von Böhmen dem Berf. ungewiß blieb, 
& das Militaie mit in Anfchlag gebracht war, oder nicht. 
Aus der zweiten Schrift erfehen wir aber, daß 1837 das 
Verhaͤltniß der männlichen zur weiblichen Bevoͤlkerung, mit 
Einſchluß des Militairs, mie 1000: 1100 fland und feit 
1834 der männtichen Bevölkerung auf 1000 14, ber weib: 
ühen 18 zugewachlen war. Kine Auslaffung in ben 
Zählungen dürfte übrigens in der Regel eher das weib: 
Ihe als das männliche Gefchlecht treffen. Bemerkens⸗ 
weh iſt es auch, daß in den großen Städten Europas 
das weibliche Geſchlecht noch entichiedener im Vortheil if, 
am mem in Rotterdam (1241 Weiber: 1000 Männer); 
wovon mir Petersburg (528 Weiber : 1000 Männer), 
Moskau (644 Weider : 1000 Männer) und Rom (891 
Veiber: 1000 Männer) auffallende Ausnahmen machen. 
In Warſchau dagegen ſteht das Verhaͤltniß ganz anders 


ds in den ruffifchen Hauptflädten (1139 Weiber : 1000 


Männer). Das männliche Geſchlecht ift mehr von dus 
fern, willtürlichen, den Einrichtungen und Stiebungen dee 
Menſchen entflammenden Umftänden abhängig, während 
das weibliche den Naturgefegen treuer unterthan bleibt. 
Der Berf. beleuchtet das Verhaͤltniß aber auch, wie nös 
thig, nach den einzelnen Lebensftufen. Werden mehr Kna⸗ 
ben geboren und ſitirbt der Überfchuß nicht fofort, fondern 
innerhalb einer gewiffen Zahl von Sahren erft ab, fo 
muß die Gefammtzahl der lebenden Knaben bis ins Alter 
der Ausgleihung nothwendig etwas größer fein. Und 
nimmt man an, die Natur beabfihhtige nicht nur völlige 
Gteichzähligkeit in den Pubertätsjahren, fondern in ber 
Totalität, fo folgt daraus, daß umgekehrt im höhern Alter 
das meibliche Geſchlecht etwas zahlreicher fei und daher 
aud) fpäter noch die Eterblichleit des männlichen, wenn 
au um fehr weniges, größer fein müffe. Dagegen wenn 
ein Misverhältniß befteht und 3. B. die männliche Bes 
völferung bedeutend überwiegt, fo muß doch eben unter 
ihrer größern Zahl auch in den höhern Lebensjahren die 
Sterblichkeit größer fein und dadurd das Gleichgewicht 
bergeftellt werden, fodap man keineswegs berechtigt if, aus 
dem bermaligen Nachruͤcken der männtichen Population auf 
ein baldiges Voreilen derfelben oder eine Überflügelung der 
männlichen zu fchließen. Entgegenftehende Anficyten wer⸗ 
den vom Verf. ſcharfſinnig befämpft. 

Hierauf die Vertheilung nad den Alter&claflen, wo 
der Verf. freilich nicht fehe zahleeihe Daten aufbringen 
Eonnte. Er zeigt jedoch auch darin, daß die Lebensver⸗ 
bältniffe oft weit mehr, als man gewöhnlich annimmt, 
differiren, und daß aud in dieſer Beziehung befonders 
ftädtifche Bevoͤlkerungen eigenthümlich befchaffen find. Diefe 
Abweichungen können von zweierlei Urfachen herrühren, von 
einem namhaften Zu: oder Abflug von Individuen einer 
befondern Altersclaſſe — und dies wirkt befonderd in 
den Städten — und von einer verfchledenen Abſterbeord⸗ 
nung. Je ſchneller die Geburten abfterben, deſto weniger 
zahlreich werden die höhern Glaffen fein und Daffelbe muß 
fich ergeben, bleibt das Mortalität6gefeg unverändert, waͤh⸗ 
rend die Zahl der Geburten merflidy zunimmt. Hier vers 
wirft nun der Verfaſſer die gewöhnlichen Berechnungen. 
Wenn unter 1000 Berjtorbenen 8 im Alter von 20 — 
21 Jahren find, fo urteilt man gewoͤhnlich, daß von 
1000 Geburten 8 im zwanzigften Jahre ſterben und con⸗ 


ſtruirt darnach bie Abſterbeordnung. Allen es iſt Mar, 
daß das nur dann richtig gerechnet iſt, wenn die Zahl 
der jaͤhrlich Geborenen der Zahl der jaͤhrlich Sterbenden 
gleich iſt. Dagegen waͤre es z. B. in dem Fall, wo auf 
1000 Geſtorbene 1400 Geborene kommen, ganz falſch 
berechnet. Es waͤre aber auch unrichtig, zu ſagen, von 
1400 Geborenen ſtuͤrben 8 im einundzwanzigſten Jahre; 
denn wenn 20 Jahre früher nur 1200 Geborene waren, 
fo find auh nur auf 1200 Geborene 8 im einundzwan- 
zigſten Jahre geftorben. In einer abgefhloffenen und ſta⸗ 
tionairen Bevölkerung muͤſſen naturgemäß die Altersclafien 
von Jahr zu Fahr abnehmen , wenngleich nicht in einer 
orbentlichen Peogreſſion, da die Mortalität in dm erſten 
Jahren fchnell abnimmt und fpäter wieder ſteigt. Die 
Berminderung wird aber noch bedeutender fein, wenn und 
je vafcher die Zahl ber Geburten waͤchſt (vorausgeſetzt, 
daß fi die Abſterbeordnung verlangfamt). Dies weiſt 
ber Verf. auch an Beifpielen und namentlih an dem von 
Belgien nad, was zugleich ergibt, wie fehr die Wirklich- 
keit von der Berechnung. bifferirte und daß dieſe Berech⸗ 
nung die Gtaffen ven 1 — 30 Jahren zu Klein, die über 
40 viel zu groß finden Tief. Noch macht der Verf. an 
Diefer Stelle einige fehr begründete Andeutungen: daß man 
bei Berechnung der Wehrkraft, der Statiftit der Selbft: 
morde, der Schufftariftit nicht die abfolute Bevoͤlkerung 
zum Grunde legen, fonbern die Lebensverhälmiffe beruͤck⸗ 
fihtigen fol. Er fagt in leßterer Hinſicht: 

Betragen die Schullinder in A 0,12 und in B 0,10 der 
Beoditerung, fo folgt daraus noch nicht, baß bie Jugend in A 
allgemeinen Schulunterriht genieße. Denn machen bie fchuls 
fähigen Kinder in A 0,16, in B 0,12 der Population aus, fo 


erhellt, daß dort ein Viertel, bier nur ein Sechstel derfelben 
ungeſchult find. 


Ein anderes Moment iſt die Verthellung in eheftand> 
tiher Beziehung. Der Verf. bebauert, daß die wenigften 
Volksliſten, außer der Zahl der Verheiratheten und Nicht: 
verbeiratheten beiderfei Geſchlechts, auch noch bie der Ver: 
roitweten und Gefchiebenen, der noch nicht heirathsfaͤhigen, 
der verheirntheten und unverhelratheten Meiber in gebaͤr⸗ 
fähigem Alter ermitteln laſſen. Bon befonderer Wichtig: 
Leit ift das Verhaͤltniß ber ſtaͤdtiſchen Bevoͤlkerung zu der 
laͤndlichen. Dan ift gemohnt und hat auch einen gemif: 
fen Grund, in einer ſtarken ftädtifchen Bevoͤlkerung ein 
günftiges Zeichen für die Cultur des Landes zu erbliden. 
Indeß fhon der Verf. macht darauf aufmerkfam, daß hier 
manche Trugſchluͤſſe möglich find, und wir möchten hinzu: 
fügen, daß es auch bier eine Grenze gibt, über welche 
hinaus ſich immer dunklere Schattenfeiten einftellen, daß 
nicht alle Gründe mehr fortwirken, welche ehedem die Cul⸗ 
tur vornehmlich an die Stäbte bannten, daß die verbeſſer⸗ 
ten Gommunicationsmittel auch hierin eine neue Reaction 
beginnen koͤnnen, und baß jedenfalls bei Würdigung des 
ftädtifchen Weſens zwifchen großen, mittleren und Eleinen 
Städten forglih zu unterfcheiden fein wird. Ferner find 
bie Berfchiedenheiten in nationaler, heimatlicyer und kirch⸗ 
licher Beziehung zu beruͤckſichtigen. Ebenfo bie Beſtand⸗ 
theile der Bevoͤlkerung in gewerblicher Hinſicht; die Ber: 
theilung in oͤkonomiſcher Beziehung, namentlich die Ar⸗ 


menzahl. Freilich eine der ſchwierigſten Aufgaben der Sta⸗ 
tiſtik. Auch eine Statiſtik des Wahnſinns (der Selbſt⸗ 
morde), der Taubſtummen und Blinden hat ihr Intereſſe, 
und es iſt wuͤnſchenswerth, daß bei dem allen auch bie 
Geſchlechter, die Lebensvechältniffe, die Gewerbs⸗ und Vers 
mögensclaffen, die örtliche Vertheilung nach Stadt, Land, 
befondern klimatiſchen Einflüffen ſorglich berüdfichtigt wer⸗ 
den. Überhaupt bedeuten ftatiftifhe Gefammtzahten fehr 
häufig ebenfo wenig, wie die Theilzahlen, aus denen fie 
ſich zufammenfegen, in den rechten Händen fehr viel bes 
deuten tönnen. 

In dem Abfhnitt von den numerifhen Verhaͤltniſſen 
ber Gebotenen fpeicht der Verf., nachdem er zuvoͤrderſt 
die Wichtigkeit diefer Unterfuhung ans Licht geftellt und 
einige intereflante Nebenfragen, zu deren Löfung es zur 
Zeit meift an Daten mangelt, angedeutet hat, zuvoͤrderſt 
von Einrichtung dee Geburtsliſten. Es müflen alle lebens⸗ 
reif gewordene Kinder In befondere Rubriken, jenachdem 
fie maͤnnlichen oder weiblichen Geſchlechts, lebend oder tobt, 
ehelich oder unehelich, einzeln oder als Zwillinge zur Welt 
gekommen find, an dem Drte ber Geburt und mit ges 
nauer Vermerfung des Datums eingetragen werden. Dar⸗ 
auf von der Bahl der Beborenen und ihrem Verhaͤltniß 
zur Geſammtbevoͤlkerung. In ganz Europa rechnet man 
auf 28 Seelen einen Geborenen, werden gegenwärtig in 
einem Jahre geboren nahe an 9 Millionen, alfo per Tag 
24,600 und per Stunde 1025. Bei der Unterfuchung 
des Beburtenverhältniffes find namentlich drei Punkte zu 
erforfchen: die localen Abweichungen deffelben, die tempo= 
rairen Schwankungen und die wahrſcheinlichen Urfachen 
diefer Deränderungen. Der wahrſcheinliche Einfluß des 
Klimas und der Stämme muß in der Regel durch andere 
wirkfamere Urſachen neutralifirt werden. Nirgend aber fin= 
det fich die Fruchtbarkeit auch nur annähernd fo groß, als 
fie der phyſiſchen Natur nach fein follte. 

Da jedes Weib zwiſchen 18 und 45 Jahren füglih alle zwei 
Jahre ein Kind zur Welt bringen Tann und die Weiber diefes. 
Alters meift ein Fünftel oder über ein Sechstel der ganzen Bevolke⸗ 
zung ausmachen, fo follte auf 12 oder gar auf 10 Einwohner 
eine Gebunt kommen. Auch in den fruchtbarften Ländern if 
aber die Ftuchtbarkeit kaum Halb fo groß. Sie muß demnach 
weit weniger von ber natürlichen Propagationsfähigkeit eines 
Volke, ald von vorhandenen Umftänden, welche bie Ausübung 
jenes Vermögens hemmen oder befchränten, abhängen, und na= 


mentlich alfo von allen, welche das frühe Heirathen hindern, 
oder auf Enthaltſamkeit in der Ehe hinwirken. 


Ein wichtiger Sag gegen die Theorie von einer na= 
türlihen Tendenz zur Übervoͤlkerung. Won weſentlichem 
Einfluffe iſt Hier die Mortalität und namentlich die der 
Kinder. Je raſcher die Kinder weafterben, deſto mehr wer⸗ 
den erzeugt, je vafcher die Erwachfenen, defto mehr wird 
geheirathet. Auch ein ftetiger Abflug von Einwohnern 
mag das Geburtenverhältnig fleigern. Mit zunehmendem 
Wohlſtand, leichterm Lebensunterhalt vermehrt ſich die Mes 
production; doch wirken bei größerm Wohlſtande auch wie: 
ber die vermehrten Bedürfniffe und die verminderte Mor: 
talität der Kinder retardirend ein. Aus einer Unterfus 
hung über die Fahreszeiten und Monate der Geburten 
ergibt fih, daß auf die ſechs Wintermonate weit mehr 








86 


Geburten kommen als auf die Sommermonate; daß das 
Maximum auf den Februar (den März), dad Minimum 
auf den Juli (und Juni) füllt, für die Empfängniffe alfo 
das Maximum auf den Mai, das Minimum auf ben 
Detober; daß das monatliche Maximum das Minimum 
um etwa übertrifft; daß auf dem Lande die Ungleich: 
beit noch flärker ift als in den Städten. Die Tag» und 
Nachrgeburten verhalten fi nahe wie 4:5. Hinſichtlich 
der Zodtgeborenen fcheint aus den vorhandenen Daten mit 
Zuverlaͤſſigkeit hervorzugehen, daß das Verhaͤltniß insgemein 
zwiſchen vier und fuͤnf Procent betraͤgt, ſich aber nach ein⸗ 
jenen Ortlichkeiten ſtark vermehrt und vermindert; ferner 
daß unter Unehelichgeborenen weit mehr, wenigftens bie 
Hälfte mehr, oft das Doppelte, Todtgeborene vorkommen. 
Auch deshalb finden ſich in großen Staͤdten mehr Todt⸗ 
geborene. Im Sommer follen Zodtgeborene etwas felte: 
ner fein. Merkwürdig iſt die geringe Proportion bei den 
Soden. Die Knaben bilden bei den Zodtgeborenen eine 
auffallend große Mehrzahl; in Preußen, wo das Verhaͤlt⸗ 
niß der männlichen zu den weiblichen Geburten wie 105,9 
:100 ſteht, ſteht e8 bei den Todtgeborenen wie 135,0 : 
100. Dffenbar hängt dies mit bdenfelben Urfachen zu: 
fammen, die überhaupt die größere Sterblichkeit des maͤnn⸗ 
lichen Geſchlechts noch fange nad der Geburt bedingen. 
Hinſichtlich der Unehelichgeborenen ergibt fih, daß fie in 
gewiſſen Ländern weit häufiger vorfommen ats in andern, 
in Städten mehr ald auf dem Lande und feit 40 — 50 
Jahren in vielen Laͤndern bedeutend zugenommen haben; 
doß ſich aber bie oͤrtlichen Verſchiedenheiten gar nicht auf 
allgemeine Urſachen zurüdführen Lafien und biefelben gar 
nicht für oder wider die Moralität eines Volks, auch nur 
in Beziehung auf den geſchlechtlichen Umgang zeugen, da 
befonders die Nichtentftiehung ſolcher Geburten noch keines: 
wege für größere Enthaltfamkeit buͤrgt. Mit Recht wuͤnſcht 
der Verf., daß bei Angaben über dieſes Verhaͤltniß ermits 
tt werde: wie viele Kinder von Witwen geboren werden, 
Ve keinen Vater angeben können, mie viele vom Vater an: 
erlamt werden, tie viele aus fogenannten natürlichen Ehen 
und Soncubinaten hervorgehen, wie viele durch nachfols 
gende Ehe legifimirt werden; Alter und Stand der Mutter; 
ob es ihre erfied amehelihes Kind iſt u. f. f.; wie fich das 
Berhältniß zur unverheiratheten Bevölkerung des gebär: 
fähigen Alters ſtellt. Hinfichtlic der Mehrlingsgeburten 
kann als das gemöhnliche Verhältnig in Deutfchland das 
von 1 : 84 betrachtet werden. Db fie ein Zeichen größes 
vs Reprobuctionskraft find, bleibt zweifelhaft, da fie fich 
keineswegs in allen den Jahren häufiger zeigen, wo bie 
Sehurten fehr zahlreih waren. Auch meiß man noch 
nicht, ob fie in ärmern oder wohlhabenden Glaffen, bei 
ehelihen ober unebelihen Geburten häufiger find. Hin⸗ 
fichtiich der Gefchlechtöverhältnifie machen die gemifchten 
Paare nur etwa ein Drittel aus und bei den übrigen 
prävaliren die weiblihen. Unter Zwillingsgeburten find 
frühzeitige faft dreimat häufiger als unter einfachen, und 
faft ein Drittel werden todtgeboren; auch ift ihre Sterb: 
lichkeit im erfien Jahre weit größer; ob auch fpäter, iſt 
noch nicht ermittelt. Ausführliche Unterfuchungen ſtellt 


der Verf. uͤber die Gruͤnde des Übergemichts der männ: 
lihen Geburten und die darauf Einfluß habenden Um⸗ 
flände an, ohne jedoch, fon aus Mangel an austei: 
enden Daten, zu einem ihm felbft genügenden Refultate 
zu kommen. Merkwürbig find bier und zugleich die Bes 
rechnung erfchmwerend die großen periodifchen Schwankun⸗ 
gen. Ob die Behauptung gegründet ift, daß jenes Über 
gewicht in den Gegenden am größten fei, wo in Folge 
ſchwerer Arbeiten die Muskelkraft vorherrſcht, ift noch nicht 
gewiß; ebenfo wenig weiß man, ob es mit ber größen 
Fruchtbarkeit in fleigendem Verhaͤltniß zunimmt, wie es 
ſich bei Exfigeborenen oder bei Legtgeborenen ftellt; wol 
aber daß es bei ehelichgeborenen weit flärker ift als‘ bei 
unehelichgeborenen.. Wichtig würde es fein, wenn ſich die 
Berechnungen von Hofader und Sadler beftätigten, mo: 
nach die weiblichen Geburten fogar zahlreicher find als bie 
männlichen, fobald dee Mann gleichen Alter mit der 
Frau oder jünger als fie ift, wogegen die männlichen Ge: 
burten ganz beträchtlich zunchmen, je mehr der Mann bie 
Frau an Jahren übertrifft. Doch find die Beobachtungen 
beiweitem nicht zahlreich und ausgedehnt genug. (Sie dürfs 
ten übrigens aud auf das Verhaͤltniß der Altersclaffen 
zu richten fein, ob nämlich das Verhaͤltniß fih auch m 
hoͤhern Lebensjahren beider Theile gleihbleibt.) In Städ: 
ten fcheint die Überzahl der männlichen Geburten Eeiner 
zu fein als auf dem Lande. Über den Einfluß der fons 
fligen rtlichkeit fehlt e6 noch an Beobachtungen. Bel den 
Juden ift jenes Übergewicht auffallend groß. Anhangsweife 
befpricht der Verf. in diefem Abfchnitte noch Größe und 
Gewicht des Menfhen in den verfhiedenen Lebensſtufen. 
(Die Fortfegung folgt.) 





Pasquier's Aufnahme in die Academie frangaise. 


Wir haben vor einiger Zeit ber Aufnahme Pasquier’s in 
die Acaddmie francaise beigewohnt. Diefe Feierlichkeit hatte 
ein großes Publicum herbeigezogen, das neugierig war zu fehen, 
mit welcher Stirn ein Mann, ber auch nicht einen einzigen Lie 
terarifchen Zitel bat, fi mit Ghateaubriand, Lamartine, Nobirze 
und wie bie großen Dichter und Profaiften alle beißen, auf eine 
Bank fegen würde. Wan begreift kaum, wie bie Wahl der 
Alabemie auf einen folden Mann, ber nie die Feder zu einer 
literarifhen Arbeit angeſetzt bat, fallen Eonnte, befonders ba ein 
Dichter wie ber Verf. vom „Cing-Mars”, von „Stello” ⁊c. 
fih mit ihm zu gleicher Zeit um ben vacanten Pla& bewart. 
Die Zagesblätter haben über biefe fonderbare Wahl, die im Gas 
Ion ber Mad. Recamier abgelartet ift, ben bitterfien Spott reg⸗ 
nen loffen. Der „National” unter Anderm, der in feinen lites 
rarifhen Artikeln ftets fehr pifant zu fein pflegt, erinnert bei 
biefer Gelegenheit daran, daß ber große Cid, ats er ſich einft 
in einer Geldverlegenheit befand, zu einem Geldwecheler ging, 
ihm eine verſchloſſene Kifte einhändigte, bie, wie er fagte, mit 
Juwelen gefüllt fei, und auf biefes Pfand eine bedeutende 
Summe erhob. Kinige Zeit barauf zahlte er biefe Schuld ab. 
Nachdem er dies gethan, öffnete er bie Kifte und zeigte, daß: fig, 
ftatt mit Diamanten, blos mit Sand angefüllt fei. Der Kanze 
lee Pasquier fol nun, wie ber „National behauptet, auf eine 
ähnliche Art verfucht haben, wie groß fein Credit fei. Gr 
führte naͤmlich bie Akademiker, bie feine Anfprüche auf eine 
Stelle in ber Akademie in Zweifel zogen, in das Heiligthum 
feines Schlafgemachs, holte eine große Kifte hervor und fagte: 
„Ss ift wahr, daß ich nie als Schriftftellee aufgetreten bin 
und daß ich fo vielleicht Feine Anwartſchaft auf einen Play in 








der Academie francaise zu haben ſcheine. Aber beruhigen Gie 
fih. Diefe Kifte enthält meine Denkwuͤrdigkeiten, die für die 
Geſchichte unferer Zeit von unfhägbarem Werthe fein und bie 
zugteich unwiderleglich darthun werden, daß in mir Stoff zu ei 
nem großen Schriftfteller ift. Wählen Sie mid) immerhin, meine 
Herren; die Werke, die nad) meinem Tode von mir erfcheinen 
follen und bie in dieſer Eoftbaren Kifte enthalten find, werden 
zeigen, daß ich würbig bin, im Kreife der 40 Unfterblichen zu 
figen.” Wenn aber nun, fragt das wigige Journal, das dieſen 
bizarren Vergleich zwiſchen dem würdigen Kanzler Pasquier 
und dem Eid, ber ftets feinem Worte unverbrücdlich treu war, 
anftellt, wenn aber nun die Kifte leer wäre? Pasquier hat 
recht gut gefühlt, daß es ihm obliege, bie Wahl der Akademie 
einigermaßen zu rechtfertigen. Er hat beshalb alle feine alten 
Papiere zufammengefuht und eine Auswahl von den Heben, 
die er in der Deputirten» und Pairskammer gehalten hat, her⸗ 
ausgegeben. Wir wollen der politilchen Werth diefer Reden, 
von denen bereits vier Bände erfchienen find, nicht beftreiten, aber 
wir £önnen dreift behaupten, daß ihre Form durchaus nicht clafs 
fish ift. Auch feine Antritterede ift ſchwach. Man hatte von 
einem Manne, ber in den Staatsgeſchaͤften ergraut iſt, erwar⸗ 
tet, daß er einige lichtvolle Blicke auf die Zeitgefchichte und auf 
die Politik im Allgemeinen werfen und daß er namentlich bie 
Epoche, von ber er in feiner Lobrede des Biſchofs von Hermio⸗ 
polis zu reden hatte, in einigen gluͤcklichen Strichen, zeichnen 
würde. Aber dem war nicht fo. Er begnügt ſich, das Leben 
des Hrn. v. Frayſſinous, das fo viel Stoff zu intereffanten Ber 
trachtungen geboten hätte, ganz einfach zu erzählen, und noch 
dazu in welder farblofen und dürftigen Sprache! Mignet, ber 
die Rede Pasquier's zu beantworten batte, fand Fein leichtes 
Spiel, wenn er in allem Ernfte beweifen wollte, daß Pasquier 
der Akademie würdig ſei. Seine Rede ift ganz meifterhaft, 
wenn man fie ale Yerfiflage betrachtetz indeffen wiffen wir 
nicht, ob Mignet fie als folche angefehen wiffen will. „Sie ba» 
ben fehr unrecht”, ſagt er zum Neuanfömmling, „wenn Gie 
fih der Ehre, die Ihnen die Akademie ermeift, für unmürbig 
halten. Ihre Beſcheidenheit laͤßt Ihnen Ihr eigenes Verdienſt 
verkennen. Sie haben die gerechteften Anfprüce darauf, Mit: 
glied diefer glänzenden Verſammiung zu fein; denn haben Sie 
nicht Vorfahren gehabt, die ſich durch die Kraft und den Glanz 
ihrer Berebtfamleit einen unvergängliden Ruhm erivorben ha» 
ben. ie find ficher berechtigt, in der Akademie zu figen, beren 
befondere Aufgabe es ift, die Reinheit der Sprache aufrecht zu 
erhalten, benn haben Sie nicht unter drei Königen bie erften 
Staatsämter bekleidet?” Hierauf lehrt er fi von der Jam⸗ 
mergeftatt Pasquier's ab und zeichnet mit Meifterhand das Bild 
des Hrn. v. Frayffinous, gewiffermaßen um dem neuen Akade⸗ 
miler zu zeigen, wie man einen folchen Gegenftand behandeln 
müffe. Während Pasquier fi in feiner Rede nur iin den Bei: 
nen biographiſchen Details herumtreibt, ſtellt Mignet fi) auf 
einen wahrhaft erhabenen Standpunkt und wirft über das weite 
Feld ber Zeitgefhichte einen freien Bid. Vor mehren Jahren 
fhon hat Armand Marraft einmat im „National“ in einem 
glänzend gefchriebenen Aufſatze das Leben des ehrwürdigen Kanzlers 
geſchildert; aber damals fehlte diefee Satire noch ein koͤſtlicher 
Zug, denn Pasquier war noch nicht Akademiker. 6. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Reue Schriften über den Orient. 

Die „Revue orientale” des Dr. Barrachin, von der wir 
in d. Bl. zu wieberholten Malen geredet haben, ift nach kur⸗ 
zem Beſtehen wieber eingegangen. Wahrfcheinlich find bie Uns 
terflügungen und Subventionen, auf die der Redacteur, der in 
feinem Proceffe mit Reſchid-Paſcha etwas zu ſehr als Char: 
latan aufgetreten ift, gezählt hatte, nicht regelmäßig eingelaus 
fen. Denn die Theilnahme an ben Ereigniſſen des Orients ift 
feldft gegenwärtig nody groß genug, um einer den morgenläns 


bifchen Intereſſen gewibmeten Zeitſchrift, wenn fie mit Umficht 
geleitet wäre, ein längeres Beſtehen zu fihern. Aber Hr. Bars 
rachin erging fi) gar gu fehr in allgemeinen Phraſen über bie 
verfchiedenen Nationalitäten u. f. w., flatt uns aus dem Gchate 
feiner Beobachtungen intereffante Mittheilungen gu machen. 
Geltdem find uns über die orientalifchen Werhältniffe in vers 
fhiedenen Werken mancherlei Belehrungen geboten. Bon Dem, 
was über die verſchiedenen jungen Nationalitäten, die, wie 
Lamartine fagt, aus dem Gchutte des zufammenbrechenden türs 
kiſchen Reiche hervorwuchern, gefagt iſt, dürften leicht die Mits 
theilungen von Gyprien Robert das Beſte fein. Der Verf. 
dieſer Auffäge, die in der „„Revuc des deux mondes“ erfchies 
nen find, Eennt die Levante und namentlich die nördlich von 
Griechenland gelegenen Partien der Türkei aus eigener Ans 
fhauung. Auch die Reifeffiggen von Thouvenel, der durch eine 
Reife in Ungarn befannt ift, und die von Buchon, einem ber 
thätigften Herausgeber des ‚‚Pantheon litteraire‘, die beide 
Griechenland betreffen und beide von der „Revue de Paris‘ 
mitgetheilt find, enthalten manche intereffante Schilderungen. 
Roch wichtiger, befonders für die Kenntniß der neuern (Sreigs 
niffe im Orient, ift die Schrift: „Deux anndes de l’histoire 
d’Orient”, von M. be Eadalvene und Barrault. Beide Verf. 
dieſes inhaltreichen Werks find mit den orientalifchen Verhaͤli⸗ 
nifjen innig vertraut. Hr. Barrault bat den Drient bereift und 
Hr. de Gabalvene Hält fi als Director der Paketboote der 
franzoͤſiſchen Regierung bereits feit mehren Jahren zu Konſtan⸗ 
tinopel auf. Er ſteht bafelbft in einem hoben Anfeben und ſoll 
fogar an mehren ber Verhandlungen, welche die Pforte mit 
Agypten gepflogen hat, Theil genommen haben. Schon früher 
hat Hr. Cadalvene in Gemeinichaft mit Bra. Barrault eine 
Gerichte des erſten Krieges zwiſchen Ägypten und der Türkel 
(1832 und 1833) herausgegeben und außerdem kat Grfterer 
nody mit einem gemwiffen M. de Breuvery ein intereflantes Werk 
unter bem ‘Titel „L’Egypte et la Turyuie” erfcheinen Laffen, 
in dem fich ſehr intereffante Mittheilungen über diefe beiden 
Länder finden. Den Inhalt des neuen Werkes, beflen Titel 
wir oben angeführt haben, bilbet eine Gefchichte des Krieges, 
der im Jahre 1839 zwiſchen dem Gulten Mahmub und Mebes 
med All ausbrach, bis zum Abfchluß des Julivertrags. 


Le portefeuille du comte de Forbin. 

Der Redacteur ber Zeitfchrift „La France litteraire‘ 

bat fi durch Veröffentlihung wichtiger Werke der Malerei um 
die Kunft ein bedeutendes Werbienft erworben. Wir haben von 
ihm verfchlebene, mehr ober weniger umfaffende Sammlungen 
von Kupferſtichen. Er beſchenkt gegenwaͤrtig die Kunſtliebhaber 
mit einer neuen Gabe. Es iſt dies eine größere Sammlung 
höchft intereffanter Zeichnungen, die den Zitel „Le portefeuille 
du comte de Forbin’” führt und von der bereits bie erften 
gieferungen erfcdienen find. Der Graf Korbin war Director 
der großen Sammlungen bes Louvre und einer der geiſtreichſten 
Kunfttenner der neuern Zeit. Gr hatte den größten Theil 
Europas, namentiih Spanien und Stalien und die Levante 
fetber bereift. Einen Theil feiner Wanderungen bat er in vers 
f&hiedenen Werken (3. 8. „Souvenirs de la Bicile‘, von denen 
eine neue Ausgabe vorbereitet wird) auf eine anziehende Art 
beichrieben. Überall, wo er gereift war, hatte er ſeibſt Zeich⸗ 
nungen entworfen und was nur an Bildern und andern Kunfts 
fhägen zu finden war, aufgefauft. Aus der reichen Samme 
lung nun, die er nad) feinem Zcde binterlaffen hat, wich Br. 
Shallamel eine Auswahl treffen, von ber man ſich bei bem Ger 
ſchmacke dieſes Gelehrten und Kuͤnſtlers viel verfprechen kann. 
Der Schwiegerfohn des Grafen Forbin, Hr. von Marcellus, 
Verf. eines ausführlich in d. Bl. befprochenen Reiſewerks über 
den Orient („Souvenirs de l’Orient”, 2 Bde.) und befonders 
befannt dadurch, daß er die berühmte Venus von Milo dem 
parifer Louvre gewonnen bat, wird bie Seichnungen mit einens 
erläuternbem Texte begleiten. 


Berantwortlier Deraubgeber: Heinzig Brodhaus. — Drad und Werlag von B. X. Brodhaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienitag, 


10. Sanuar 1843. 








Über Bevölkerungskunde. 
( Bortfegung aus Nr. 9.) 


Ein dritter Dauptabfchnitt betrifft die Statiftit der 
Chem. Zuerſt das Verhaͤltniß der DVerheiratheten zu den 
Unverheitatheten. Jede Volkszählung folte nicht nur er⸗ 
geben, wie viele Individuen von jedem Geſchlecht verhei⸗ 
rathet und nicht verheicathet (verroitwet, gefchieden) find, 
fondern auch welcher Altersclaffe fie angehören. Unfkreitig 
ift nicht ſowol das Verhältniß zur Population, ald dus 
zu den Erwachſenen in Betracht zu ziehen. Die Ungleich⸗ 
heit der Trauungen in verfchiedenen Jahreszeiten hat meift 
conventionnelle Urfahen; weſentlichere liegen natürlich den 
Schwankungen in den Jahrgaͤngen zum Grunde. 

Die Ehen find frequenter, wo man jünger und allgemeiner 
beirathet: weit mehr Individuen erreichen das vierunbzwanzigfte 
als das fechsunddreißigfte Jahr und jüngere find weniger bes 
daͤchtlich. Sehr verfchiedene und erfreuliche wie unerfreuliche 
Urſachen bedingen aber das frühere Heirathen. Man heirathet 
jüuger und häufiger, wo der Erwerb leichter und ficherer ift, 
wo die Bebürfniffe geringer und mwohlfeiler, wo die Sitten eins 
facher find — wo alfo wenfger Luxus herrſcht —, wo man fi 
mehr vor Erzeugung unehelicher Kinder fcheut, und eben fo aber, 
wo man forglofee und um die Zukunft unbelümmerter Tebt, 
wo das Volk keinerlei höhere Bedürfniſſe kennt. Fabrikarbeiter 
heirathen gewoͤhnlich früher — weil bei dem neuern Fabrik⸗ 
ſoſtem viele Arbeiter ſehr bald den höchſten Grad der Brauch⸗ 
barkeit, alfo den hoͤchſten Lohn erlangen und dieſer ziemlich fir 
erſcheint —, weil ber Arbeiter, um zu erwerben, durchaus kein 
Capital bedarf, alfo deshalb nicht erſt Grfparnifie zu machen 
braudgt, weil ferner bie Kinder ſchon fehr früh etwas verdienen 
können und bas Kabrikieben die Pubertät oft früher entwidelt 
zn a. m. Im Handelsſtande heirathet man fpäter, weil der 
Erwerb Iange fehr unſicher und veränderlich if und ein ans 
ſehaliches Gapital voraudfett. Wo die Lanbleute Grundeigen⸗ 
thümer fein wollen, werden fie fpäter und feltener (?) heira⸗ 
tigen, als mo fie größtentheils Pächter oder gar nur Zagelöhs 
ner find. Die Leibelgenihaft befördert wahrfcheintih frühes 
Hcirathen, ſowie orientalifcher Despotismus — denn bie Vor: 
Wr faut weg, wo man fein Gigenthum erwerben kann, oder 
dafeibe ſtets ungefichert iſt. 

Mon fieht, auch in dieſen einzelnen Beifpielen beftd- 
tigt der Berf. den allgemeinen Say: daß die Menſchen 
mit dem Heirathen warten, überhaupt wirthſchaftlich vor» 
fichtig - nd, fobald fie ein Ziel vor fich fehen, durch deſſen 
Erreigung fie ihre Lage weſentlich verbeffern zu koͤnnen 
hoffen, während fie zur Heirath eilen "und alte Vorſicht 
aufgeben, wenn fie von der Vorſicht hoͤchſtens fo viel era 


warten können, daß es Ihnen nicht fchlechter geht als fett, 
und audy das nicht ficher verbürgt fehen. 

Mit der Civiliſation vermindern fi gewöhnlich die Ehen, 
weit mehr als die Erwerbmittel unfere Bedürfniffe zunehmen. 
Aus demfelben Grunde ift die relative Zahl der Ehen in vielen 
Gegenden im Laufe des vorigen Jahrhunderts Heiner geworben. 
Umgekehrt mag hier und da die Verbreitung bes Kartoffelbaus 
gewirkt haben, indem er die unterften Glaffen in ben Stand 
fegt, noch armfeliger zu feben. Unter fonft gleichen Umftänben 
wird fie ferner Heiner, je größer die Dichtigkeit der Bevdlke⸗ 
tung if, weil bann befonders der Erwerb von Grundeigenthum 


immer ſchwieriger wirb. . 
Einige, wenn auch directe Hinderniffe, wie das kirchliche 


Colibot und die Gonfeription, fcheinen auf die Bahl der Ehen 
body wenig Ginfluß zu haben. Indem bie einen zu heirathen 
gehindert find, find andere dadurch begänftigt. Anders wi 
Geſede, die überhaupt die Vollziehung einer Ehe erſchweren. 
Diefe vermindern die Zahl der Shen und vermehren die ber 
unehelichen Kinder. 

Der Verf. zeigt an Beiſpielen, wie und warum die 
Zahl der Trauungen, in Folge aͤußerer Ereigniſſe, in ein⸗ 
zelnen Jahren fo betraͤchtlich abwcicht. Bei einer groͤßern 
Mortalitaͤt ergibt ſich zugleich eine groͤßere Frequenz der 
Trauungen und umgekehrt. Zur Berechnung der mittlern 
Dauer der Ehen wuͤnſcht der Verf., daß in allen Sterbe⸗ 
regiſtern, ſo oft eine Ehe durch den Tod zerriſſen wird, 
die Dauer derſelben ſorgfaͤltig eingetragen und daſſelbe hin⸗ 
ſichtlich geſchiedener Ehen irgendwo verzeichnet werde. Das 
gewoͤhnliche Verfahren der Berechnung dieſes Verhaͤltniſſes 
verwirft er aus guten Gruͤnden. Ferner wuͤnſcht er, daß 
uns die Eheliſten Auffhluß gaͤben, wie viele zum erſten 
Male Heitathende find, daß fie fpecificieten, wie viele Hei⸗ 
rathen zroifchen beid- ober einfeitig Xedigen oder Verwitwe⸗ 
ten (und Befchiedenen) gefchloffen merden. Aus dem zeit⸗ 
berigen Daten erfieht man jedoch fchon, daß anderwaͤrts 
beträchtlih mehr Weiber als Männer zur Ehe gelangen 
und daß auch, was die Protogamen betrifft, auf zehn les 
dige Männer etwa elf Jungfrauen heirathen. Wuͤnſchens⸗ 
werth ift in unfern Zuſtaͤnden (einige) Verfpätung ber 
Ehen. Die vorhandenen Daten leiden aber an dem Man: 
gel einer Trennung der Protogamen von den Wiederver⸗ 
heiratheten; ſowie es an allem Anhalt gebricht, die Heiras 
thenden nicht blos nach ihrem abfoluten, fondern auch nach 
ihrem relativen Alter zu claffificiren, woraus doch über eis 
nen ber dunfelften Punkte ber Bevoͤlkerungslehre, nämlich 
über den Einfluß des Aftersverhäfeniffes der Altern auf 


0 


dieſen Encbelbärtigen Betrüger abermals bundzubläuen! Domit 
een fie, kehrien aber wieder zuräcdt und gaben ihm eine 
zweite Tracht Prügel; er aber entfchläpfte in einen Teich und 
während die Mädchen mit Steinen nad) ihm warfen, fiel ihm 
glädlicherweife der ihm gefendete Brief ein, befien er ſogleich 
erwähnte. Alfobald war die Scene verändert. Wenn bu Kurs 
soglou bift, rief da die Prinzeffin, fo vergeihe mir, mein Kurs 
zoglon! Wenn ich dich beieidigte, fo geſchah es, weit ich nicht 
wußte, wer du warft; wenn ich dich ſchmaͤhte, fo ſteht es bir 
frei, mie die Zunge auszufchneiden; wenn id) dich ſchlug, fo 
erlaube ich dir, mir die Hand zu verſtümmeln; nur verzeihe 
mir! u. f. w. Als er aus dem Waſſer kam, war ihm bie 
Preinzeffin mit eigener Hand behülflich. Man brachte ihm einen 
Mantel, der ihm ganz gut paßte; die Prinzeffin und Kurroglou 
fdylangen Jeder den Arm um des Andern Raden und fo vers 
eint gingen fie in ben Kioſk und tranten nad türlifdem Ges 
brand ‚ ex zuerſt, dann fie, einen Schluck Wein aus demfels 
ben Becher. Ratürlich ging die Prinzeffin mit dem Banditen 
durch. Aber ein werthuolles Gut war für Kurroglou fein Roß, 
Kyrat, an welches er begeifterte Oden richtete, die zu ben volks⸗ 
-shümtichften unter feinen Befängen gehören. Zuletzt ging Kurs 
roglou an bes Königs von Perfien Hof, um fi ihm auszulie⸗ 
fern. Zwei Hofleute überrebeten ihn, mit ihnen die Nacht zus 
zubringen ; da töbteten fie feln Pferd, und Kurroglou, der den 
Verluft feines Lieblingsroſſes nicht überleben wollte, bot feinen 
Nacken freiwillig den Streichen der Meuchelmoͤrder dar. 

Mehre perfifche Sefänge ftammen aus dem Harem des letztver⸗ 
florbenen Königs, Jutteh Ali Schah; er war felbft Dichter, und 
eine Sammlung feiner Ghafelen, unter feiner Leitung niederge⸗ 
ſchrieben, befindet fi im Britiſchen Mufeum. Einige derfelben find 
grobfinnlicher Ratur. Die Geſaͤnge der Ghilanis, Mazendera⸗ 
nis und anderer Stämme an der Küfte des Kaſpiſchen Meeres 
haben die @igenthümlichkeit, daß fie, wie die Pfalmen, in einer 
Art parallelifirender Diftichen gefchrieben find. Chodzko hat 
uns durch biefes Werd mit einer ganz neuen Literatur bekannt 
gemacht; denn die andern Reiſenden nahmen an, daß bie Ge⸗ 
fänge der Barden (Auſchicks) aus Firduſi, Sadi und Rizami 
genommen feien. Man bat den Wunfch geäußert, daß auch ber 
Driginaltert diefer kaſpiſchen Dichtungen veröffentlicht werben 
möge, indem man glaubt, daß die reine Zendſprache ſich in 
diefen abgelegenen @chirgsgegenden unvermifchter erhalten habe 
als in den Kladjländern,. die fo häufig eine Beute arabifcher, 
mongolifcher und türkifcher Groberer geweſen find. 13, 





Literarifche Notizen aus Frankreich. 


Wir haben in unfern flüchtigen Notizen über die neuen 
Erſcheinungen ber franzöfifchen Literatur zu wieberholten Malen 
der Romane des talentvollen Pitre⸗Chevalier erwähnt. 
Der größte Theil berfelben fpielt in ber Geburtsgegend des Verf. 
und berfelbe iſt gewifleemaßen als ber Walter Scott ber Bre⸗ 
tagne zu betrachten. In jedem neuen Werke entwidelt ſich das 
Talent des Romanbichters immer teäftiger und origineller und 
fein neueflee Roman: „La chambre de la reine‘’, ift dem beften 
-Sefcheinungen der Gegenwart auf diefem Gebiete an bie Seite 
zu flellen. Ungeachtet der großen Productivität des Berf. find 
feine Bilder doch ungleich fleißiger gearbeitet und forgfältiger 
ausgeführt als der größte Theil der Merle ber übrigen neuern 
franzöfiichen Romanſchreiber. 


Bor kurzem iſt der Iepte Band der Borlefungen über Ras 
turrecht von Jouffroy erfchienen („Cours de droit naturel pro- 
fesse par Th. Jouffroy'‘), und wir fönnen nun ben Verlufl, den 
Frankteich durch ben Tod dieſes jungen Philoſophen erlitten 
hat, in feinem ganzen Umfange beurthellen. Unter ben vers 
jchiedenen andern Rorlefungen, die im Drud erfcheinen, find 
defonders die von Michei Chevalier über Nationalölonomie her⸗ 
vorzuheben, deren wir in biefen Blättern zu wiederholten Malen 


t haben. Sie find eb 
En da find ebenfo gebiegen in der Jorm wie im 





Biblisgraphie. 


Aleris, W:, Der falſche Woldemar. Roman. 3 Baͤnbe. 
8, Berlin, Buch. d. Berliner Leſecabinets. 6 Thlr. 

Andalufien. Spiegelbilder aus dem Suͤdſpaniſchen Leben. 
Aus denTBriefen eines jungen Deutſchen. Serausgegeben von 
W. Häring (8. Alerie). 8. Berlin, Buch. b. Bertiner 
Refecabinets. 1 Thir. 15 Nor. 

Anderfen’s, H. C., Bilderbuch ohne Bilder. Aus bem 
DER apertragen von 8. M. Fouqué. 8. Berlin, Beſ⸗ 
er. gr. 

Aue, &. von ber, Taſchenbuch der Liebe, Freundſchaft und 
Defeligteit. 16. Anclam und Swinemünde, Diese. I Ihir. 

er. 

Die frech bebräute, jedoch wunderbar befreite Bibel, ober: 
Der Triumph des Glaubens. Das ift: Schreckliche, jedoch 
wahrbafte und erftedticye Historia von dem weiland Licentias 
ten Bruno Bauer; wie felbiger vom Teufel verführet, vom reis 
nen Glauben abgefallen, Dberteufet geworden unb endlich Eräfs 
tiglich entfeget iſt. Chriſtliches Heibengebicht in vier Gefängen. 
Gr. 12. Reumünfter bei Züri. Ao. 1842. 9Y, Nor. 

Blumenfpiete. Vom Berfaffer des Werkes: Der Eelam 
des Orients. Gr. 12, Berlin, Burmeilter. 1 Thlr. 10 Nor. 

Brömel, %. T., Die freie Verfaſſung Rorwegens in ike 
rer gefchichtiichen Entftchung und weitern Entwidelung, ihrem 
Weſen und ihren Kolgen. Ifter heil. — Auch u. d. T.: Die 
freie Verfaffung Norwegens in ihrer geſchichtlichen Entftehung, 
nebft einteitender Vorgefchichte. Gr. 8. Bergen. 2 Thlr. 

Dos Chegefep in feiner hiftorifhen mit ber Vernunft 
übereinftimmenden Bedeutung. Gr. 8. Berlin, Birfchwatb. 


Ta Nor. 

Erwiederung auf „Prüfung des Durchſuchungsrechtes von 
einem Amerikaner“, mit Bemerkungen über einige andere zwi⸗ 
fhen Großbritannien und den Vereinigten Staaten anhängigen 
Streitfragen. Von einem Engländer. berfegt aus dem Eng⸗ 
lifchen. Gr. 8. Berlin, Jonas. 15 Nor. 

Gedichte. 3 Abtheilungens Pſyche. Lieder - Träume unb 
Zrümmer. Nachleſe. — Auch mit dem Umfchlag : Titel: Samm⸗ 
lung von Gedichten. Breit 12. Wismar, Schmidt u. v. Coſ⸗ 
ft. 1841, 42. 22%, Nor. 

Heſekiel, G., Der Winternachtstraum. Kine Arabeöfe, 
Gr. 16. Berlin, Scherk. 10 Rear. 

Jahrbuch der deutſchen Univerfitäten von Heinr. Wuttke. 
I. Winterhalbjahr 18*?/,,. 8. Leipzig, Weidmann. 25 Ngr. 

Knappich, 3. M., Reben am Grabe. Mit siner Vor⸗ 
rede von I. M. v. Ilimenfee 2 Bändchen. 8. Havenss 
burg, Gradmann u. Knapp. 20 Nor. 

Kopf, D. T., Altes und Neues aus der Mappe eines 
alten Pädagogen. Gin Beitrag zur Gedichte des Volksſchut⸗ 
und Erziehungsweſens im nörblichen Deutfchland. 3 Leite. 8. 
Berlin, Wohlgemuth. 1 Tolr. 10 Nor. 

Lubojagfy, F., 1840. Hiftorifcher Roman. 3 Bände. 
Gr. 12. Grimma, BerlagssComptoir. 4 Thlr. 15 Rgr. 

Nachhall auf das Kötner Dombaulied von E.Prug. ker :B. 
Stettin, Müller u. Comp. 2%, Nor. 

Reventlow⸗Farve, Graf E., Dänemark und feine Koͤ⸗ 
nige bis zum Antritt bes Didenburger Haufes. 2 Bände. 
Gr. 8. Kiel, Schwert. 2 Thlr. 15 Near. 

Stawismus und Pfeubomagyariömus. Vom aller Men⸗ 


fegenfreunde, nur der Pſeudomagyaren Feinde. Gr. 8. Leipzig, 
D. Wigand. 15 Nor. 
Voigt, J., Codex Diplomaticus Prussicus, Urkunden⸗ 


Sammlung zur dltern Gedichte Preußens aus dem Königt. 
Geheimen Archiv zu Königsberg, nebft Regeften. 2ter Band. 
Br. 4. Königsberg, Gebr. Bornträger. 2 Thir. 


Berantwortlicher Geraußgeber: Heinzih Brodhbaus. — Drud und Berlag von 8. X. Broddans in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonntag, 


8. Januar 1843. 





Über Bevölkerungskunde. 


2. Handbuch der Populationiſtik oder der Bbllers und Mens 
ſhenkunde nad) flatiftiichen Erhebniſſen. Won Ehriſtoph 
Bernoulti. Zwei Abtbeilungen. Ulm, Gtetin. 1841. 
Er. 8. 3 Ihir. 32% Nor. 

I, Statiftifc&e Überficht der Bevölkerung der öftreichiichen Mons 
archie nach den Ergebniflen der Jabre 1834— 40, Dargeftellt 
von Siegfried Becher. Stuttgart, Cotta. 1841. Gr.d. 
2 Thir. W Ne. 

3. Über die Abhängigkeit der phyſiſchen Populationskräfte von 
den einfachſten Brundfloffen der Natur mit fpeciellee Anwen⸗ 
dung auf die Bevötkerungsftatiftit von Belgien. Bon ers 
dinand Bobbi. Leipzig, Brodhaus und Avenarlus. 1841. 
Imp. 4. 12 Thlr. 


Die drei hier zu befprechenden Schriften begegnen ſich 
in dem Dbjecte. Die zweite ſtellt aus einem einzelnen 
Staate und für beflimmte Jahre die Materialien, forgfäl- 
tig gefammelt und überfichtlich geordnet, zufammen, beren 
Gebrauch uns die erfte Schrift lehrt und deren wiſſen⸗ 
ſchaftliche Erörterung auch in der zweiten Schrift verfucht 
wird. Die dritte endlich macht den Verſuch, die Geſetze, 
weiche die erſte nur aufzeichnet, auch zu erklären und auf 
ein höheres Gefeg zurüdzuführen. Das Anfammeln fla: 
tiftiiher Daten würde eine bloße Spielerei fein, nicht 
werthvoller, ald das Sammeln von Wappen, Schmetter⸗ 
lingen u. dgl. bei Knaben iſt, wenn es nicht zu dem Ende 
geihähe, damit aus diefen Daten Schlüffe gezogen, ihre 
Gründe erforfcht, aus ihnen das Wefen der Verhältniffe 
und das Beleg der Kräfte erfannt würde. 


Es knuͤpft ſich ein eigener Reiz an diefe Unterſuchungen 
über die Geſetze der Bevoͤlkerung, und wenn man fie mit 
einer fo wunderbaren Regelmaͤßigkeit und Sicherheit wal: 
ten und Ereigniſſe, die uns in jedem individuellen Falle 
als Producte des Zufalls oder als befondere Schidung 
erſcheinen, und die das letztere für das Individuum auch) 
jedenfalls find, in der Mafle der Fälle einer Ordnung 
und Beftimmtheit unterworfen fieht, welche, wenn alle ers 
foderlichen Unterlagen gefammelt wären, die zuverläffigfte 
Vorherberechnung erlauben wuͤrden: fo iſt man wol ges 
neigt, hier noch einen geheimen Bezug, ein nody zu ent: 
raͤthſelndes tieferes Geſez zu vermutben und von hieraus 
noch weitere Einblide in die geheime Merkftätte ber Nas 
tae zu erwarten. Und doch iſt die Sache nicht fo my: 


ſterioͤs und beziehungsvoll, wie fie ausfichtz mas aber 
wunderbar und geheimnißreich an ihr ift, das wird wahrs 
fheinlih immer der menſchlichen Forfhung unergruͤndlich 
bleiben. Es Handelt fi) hier nicht um pythagoraͤiſche Zah⸗ 
lenbedeutſamkeit und ebenfo wenig um willfürlicye Gefege. 
Wie überall, fo ift auch bier die große Verfaſſung der 
Welt auf das Grunbgefeg des Gaufalnerus gegründet und 
im Bereih unferer Erde find es verhaͤltnißmaͤßig wenig 
einfache Keäfte, durch welche biefe gewaltigen Refultate 
und diefe in unendliher Mannichfaltigkeit fi) drängenden 
Erſcheinungen erzeugt und beherrfcht werden. Erſt wenn 
wir an jene legten Gründe feldft und wieder an ihre Be⸗ 
jiehung zu der Geftaltung höherer Organismen, der 
Pflanze, des Thiers, des Menfchen kommen, rühren wir 
an die für den irdifchen Blick wol ewig undurddrings 
lichen Schleier der Geheimniffe. Welcherlei Kräfte da 
oder dort wirken und was da vorgeht, iſt erkannt worden, 
aber das innerſte Weſen diefer Kräfte und das Wie der 
Operation bleibt verborgen. Ebenſo wenn wir bie Wir⸗ 
ungen der Gefege, die wie für die Zaufende von Fällen 
berechnen und in ihrer naturgemäßen Nothwendigkeit ers 
klaͤren mögen, fi nach Raum und Zeit und auf die Ins 
bividuen vertheilen fehen, trifft e8 fich tool, daß der aufs 
merffamere Blid in dem gerade jest, gerade fo, gerade 
unter diefen Umſtaͤnden erfolgenden Eintreten Das zu abs 
nen vermag, was wir Schidfal, Fügung nennen, was 
aber in Wahrheit die erziehende Hand des großen Welts 
meifters if. Er bat auch die Kräfte gewedt und in 
Wirkſamkeit gefegt, die über die Bewegung der Bevoͤlke⸗ 
zung gebieten. In ihrem gleihmäßigen. Wirken begegnen 
ihnen in dem weiten Raume, der gemeffenen, längern 
Zeit, der größern Zahl überall die Bedingungen, unter des 
nen ihr Wirken eintritt, und fo wirken fie für das bes 
ſtimmte Maß von Raum, Zeit und Zahl mit unveränders 
licher Sicherheit. In diefem groͤßern Maße verſchwinden 
alle die Abweichungen und befondern Bedingungen des In⸗ 
dividuellen und heben fich gegenfeitig auf. Aber fie mas 
hen fi in der WVertheilung auf Raum und Zeit im 
Einzelnen geltend und in ihrer unendlichen Mannichfaltig⸗ 
keit, ihren feinen Scattirungen, ihrem Zuſammenwirken, 
ihrer Abhängigkeit von Tauſend Außern fcheinbaren Zu⸗ 
faͤlligkeiten, hoͤhern Fuͤgungen, fpotten fie jeder Vorherbe⸗ 
ſtimmung, und nur ſoweit auch bei ihnen ein gleichmaͤßi⸗ 


r0 


ges Geſetz In einiger Ausdehnung waltet, mag es von 
ſchaͤrferer Beobachtung erfannt werben. 

Der Verf. des unter Nr. 3 genannten Werks hat «6 
allerdings verfucht, bie wahre causa movens, oder doch eine 
von ihm für bie hauptfächlichfte gehaltene causa movens, 
die in allen Populationsverhaͤltniſſen wirken fol, nachzu⸗ 
weifen und uns damit einen wichtigen Schritt näher zu 
dem Innerſten des großen Haushalts der Natur zu führen. 
Wir können diefen Verſuch nicht für wahrhaft gelungen 
halten, auch wenn der Verf, in der Sache ſelbſt nicht ges 
tert haben follte. Wir koͤnnen aber auch, aus fpäter bar: 
zufegenden Gründen, keineswegs bedauern, daß der Ver⸗ 
fuch von Hrn. Dr. Gobbi angeftellt worden ifl. Durch 
fein ganzes Werk zieht fich allerdings eine lange Kette 
phyſikaliſcher Hypotheſen, über weiche wahrſcheinlich noch 
lange Zeit geſtritten werden wird und die wir hier nicht 
eroͤttern wollen, uns auch nicht competent dafuͤr halten 
koͤnnen. Aber das koͤnnen auch wir ſehen, daß man alle 
dieſe Hypotheſen zugeben kann, ohne die praktiſche Bedeu⸗ 
tung derſelben fuͤr den vorliegenden Zweck in dem Werke 
recht uͤberzeugungsvoll nachgewieſen zu ſehen, ja nur ei⸗ 
gentlich zweckmaͤßige Anſtalten zu dieſer Nachweiſung in 
den Werke zu finden. Die Sache iſt naͤmlich die. Der 
Verf. geht von der Hypotheſe des Laplace aus, wonach 
alle Planeten unſers Sonnenſyſtems aus der urſpruͤng⸗ 
lichen Sonnenatmoſphaͤre entſtanden ſind, und kommt in 
ihrem Verfolge auf die ganz weſentliche Bedeutung der 
Sonne, ganz beſonders aber auch des Waſſers für die 
Populationskraft. Er haͤlt fihb nun an das Waſſer 
und zeigt zuvoͤrderſt in einer fehe interefjanten Unterfus 
chung, die man aber, wenn man nur das auf dem Xitel 
Berzeichnete als die Aufgabe diefes Buchs feſthalten wollte, 
viel zu fpeciell finden voürde, die Einwirkung bed atmo⸗ 
ſphaͤriſchen Waſſers auf den geſammten organifhen Proceß, 
namentlidy auf die Verähnlichung der Nahrungsmittel in den 
erften Nahrungswegen, auf die Refpiration, auf die Wärs 
meverhältniffe, auf die Etektricität und auf das Licht. Er 
gibt dann eine Darftellung ber hydrographiſchen Verhältniffe 
in Belgien und darin in dee That eine fehr lehrreiche und 
verdienftliche Waſſerſtatiſtik diefes Landes. Daran fließt 
fi die Darftellung und Berechnung der phyſiſchen Popu⸗ 
Lationskräfte in Belgien. Hier erfahren wir weniger Neues 
und haben denfelben Gegenftand Lieber al6 von Hrn. Gobbi 
von dem Berf. der Schrift Nr. I behandelt gefehen, der 
den Einfluß vielfeitigerer Momente ins Auge füßt. Denn, 
obgleih Hr. Gobbi in der beitten Abhandlung nunmehr 
den Zufammenhang zwifchen den hydrograpbifchen und den 
Populationselementen darzuftellen unternimmt, fo ifl das 
doch nicht auf eine und irgend faßlihe und einleuchtende 
Weiſe gefcheben. Er hat uns gezeigt, wie fi die MWaf: 
fervechättniffe und wie ſich die Bevoͤlkerungsverhaͤltniſſe in 
den verfchiedenen belgifchen Provinzen verhalten; daß aber 
die letztern von den erflern abbingen, das hat er, unfere 
Dafuͤrhaltens, nicht gezeigt und, wenn von einer unbeding- 
ten und bauptfächlichen Abhängigkeit die Rede fein follte, 
nicht zeigen können. Sa, er muß felbft in feine Berech⸗ 
nungen einen Gegenkampf frembdartiger Elemente aufneh⸗ 


men, und biefer Gegenkampf, der aus ſehr verfchiebenartis 
gen Momenten bercühren Tann, dürfte die Dauptfache bei 
dem ganzen Verhältniffe und nicht fo Leicht. zu berechnen 
fein wie die hydrographiſchen Verhaͤltniſſe und die Kopf: 
zahlen. Wenn man auch alle Hypotheſen des Verf. und 
alle feine Schlüffe daraus zugibt, fo lernt man doch nur, 
wie fi die Populationskraft in 3. B. zwei Ländern un: 
ter übrigens ganz gleichen und nur in Betreff des Hydro⸗ 
graphifhen abweichenden Verbältniffen verhalten würde. 
Eine zufällige Volksſitte, eine religioͤſe Anficht, eine Mo⸗ 
biftcation der Geſetzgebung, ein aͤußeres Ereigniß, die Ein: 
führung eines neuen Erwerbszweiges, das Erlöfchen eines 
andern, eine Veränderung in dem Handel des Auslandes 
koͤnnen das ganze Verhältniß total alteriren und auf den 
wirklichen Stand der Sache den gewaltigften Einfluß dus 
Bern, ſodaß uns aus der Dorftellung des Verf. nur der 
nach den bloßen natürlichen Verhaͤltniſſen mögliche Staub 
der Sache hervorzugehen feine. Das waren noch vers 


änderlihe Momente, die wir anführten. Bleibenderer Nas - 


tur find das Klima, die orographifhen. Verhältniffe, die 
Umgebung eines bewegten Staatenſyſtems u. dgl. Dente 
ſich doch einmal der Verf. diefes Belgien mit allen feinen 
jegigen bydrographifhen Werhältniffen nah Neuholland 
verfegt und frage er fih, ob es da feine heutige Bevoͤlke⸗ 
tung und gerade fo vertheilt haben würde. Das aber ift 
nicht zu verkennen, daß diefes Werk, was nur mit ſehr 
beträchtlichen Opfern zu Stande gebracht worden fein 
kann, ein Werk eines riefigen Fleißes, großen Scharfs 
finns, mächtiger Combinationsgabe ift und, wenn wir aud 
feine Hauptaufgabe nicht erreicht Halten können, doch bei 
Gelegenheit ihrer Erſtrebung eine große Reihe hoͤchſt ins 
tereffanter und lehrreicher Unterſuchungen, Notizen und 
Berehnungen zu Tage fördert, die es jedenfalls zu einer 
fehr wichtigen und verdienftlichen Leiſtung machen. 
Bleiben wir aber bei den Unterfuchungen Über die Pos 
pulationsverbättniffe ftehen, fo darf es uns nicht irce ma⸗ 
hen, daß fie bis jegt über eine gewifle Grenze nicht zu 
dringen, den wahren legten Schlüffel nicht zu finden vers 
mocht haben. Denn abgefehen von dem geheimen Reize, 
den die Betrachtung ber Geſetze einflößt, die das wunder⸗ 
barfte Raͤthſel des irdifhen Dafeins, das Leben felbft be: 
berrfchen ; abgefehen von der Koberung, die die Möglichkeit, 
bis zu einem gewiffen Punkt in dieſe Geheimniffe einzu: 
dringen, an ben wahrheitsdurſtigen Geift richtet, auch bei 
ihnen feine Kraft zu bethaͤtigen; haben biefe Unterſuchun⸗ 
gen auch ihre fehr praßtifhe Bedeutung, fofern fie An⸗ 
haltepunkte germähren, um zu beurtheilen, 0b der Verlauf 
der auf die Bewegung der Bevölkerung bezüglichen Mo⸗ 
mente unter unfen Umgebungen ein naturgemäßer ſei, 
oder nicht, und in letzterm Falle uns anfpornen, die ſtoͤ⸗ 
renden Einflüffe aufzufuchen und möglichft zu heben. Sie 
geben und neue Kriterien an die Hand zur Prüfung der 
fociaten Zuftände. Sie dienen unmittelbar zur-Orundlage 
wichtiger Anftalten, haben derem ficheres Wirken erſt mögs 
lich gemacht. zum Theil zu ihrem Entſtehen ben erſten 
Anlaß gegeben. Man mußte bereits eine gewiſſe Kennt⸗ 
niß der Mortalitaͤtsgeſetze haben, bevor man auf die Idee 


31 


der kLebensverſicherungs anſtalten kommen konnte, und an 
dem Mangel diefer Kenntniß find Hunderte von Leichen» 
taffen bankrott geworden. Se forgfäftiger, vollſtaͤndiger, 
auf immer feinere Beziehungen ſcharfſinnig durchgeführt diefe 
Unterfuchungen werden, deſto mehr tritt es heraus, in wie 
vielfacher Dinficht fie praktiſch denutzt werden koͤnnen. 


Sr dem zuerſt angeführten Werke werden fie von ei⸗ 


nem verdienftvollen Sefehrten, der fi, wie auch das Werk 
auf jeder Seite beweift, durch lange Jahre mit diefen For: 
ſchungen beſchaͤftigt und dabei mit allen dazu erfoderlichen 
Eigenfhaften, Kenntnijjen und Gaben ausgeruͤſtet ans 
Werk sing, in einer Vellftindigkeit, mit einer fihern Bes 
gründung, gewifjenhaften Sorgfalt, fharffinnigen Berech⸗ 
nung angeftelit, wie zur Zeit noch von feinem Deutfchen, 
und es kann dafjelde mit den Franzoſen, die ſich hierin, 
wie in den eractın Willenfchaften überhaupt, mit Vor⸗ 
tiebe und Gluͤck bewegt haben, ruhig in die Schranken 
treten. Suͤßmilch's,Goͤttliche Weltordnung” iſt nicht 


blos In den Daten veraltet; fie fußte auch auf unfihern: 


Grundlagen und mehrfachen Irrthuͤmern, wenngleih für 
ihre Zeit ihr Verdienft ein erhebliches war. Bickes bat nur 
Bruchſtuͤcke gelisfert und mehr Materialien zufammenges 
ſtellt, als Geſetze erforfcht. Beide Schriftfteller find durch 
Bernoulli weit überflügelt. , 

Ein unglüdliher Gedanke, ber in Wahrheit mandyen 
Eefer von dem Werke abfchreden kann, war aber jedenfalls 
das verwidelte Wort „Populationiflif. Muß man denn 
aus jeder Unterabtheilung einer Wiſſenſchaft — bie vor: 
licgende Unterfuhung ift ein Theil der politifhen Arichs 
metik — auch gleich eine eigene Wiſſenſchaft machen und 
einen neuen Namen dafür erfinden? Doc das ift Ne: 
benfache. Wichtiger, daß der Gebrauch des Werks für 
manche Lefer allerdings durch einen andern unglücklichen 
Gedanken des Verf. erfchwert wied, daß er nämlich eine 


inmlihhe Zahl aus großen und Meinen, mehrfach verbuns 


denra lateiniſchen Buchſtaben beilehenden Bezeichnungen 
zu Abkuͤrzung gewählt bat, die eine curſoriſche Lecture 
des Buchs ſehr fchwierig machen. Wer befondere fi) 
nit regelmäßig mit den eracten Wiffenichaften, in denen 
dergleichen wol öfter vorkommt, befchäftige und dadurch 
ſchon an Ähnliches gewöhnt ift, bem wird es ſchwer, das 
Alles im Gedaͤchtniß zu behalten, jede Verwechſelung zu 
vermeiden und ber Unannehmlichkeit zu entgehen, bag man 
an manchen Stellen fich erſt quält, aus dem Zuſammen⸗ 
hange zu errathen, was das Zeichen bedeute, und endlich 
doch noch im Verzeichnifie nachſchlagen muß. Unfere Zeit 
vollends will das Studium möglichft bequem gemacht und 
je wichtiger es iſt, der politifchen Richtung der Zeit auch 
in orümdlicher flaatsreiffenfchaftlicher Kenntniß den cechten 
Kern und Inhalt zu geben, defto mehr follte man dar: 
nach ſtreben, auch die tiefern Lehren und mühfamern Uns 
terfuchungen einem möglichft weiten Kreiſe Gebildeter ges 
nießbarer zu machen. Mit einer geringen Raumvermeh: 
rung bätte ber Verf. die Wirkſamkeit feines Werks mes 
fentlich erhöhen und weiter verbreiten koͤnnen, und wie bes 
dauern diefen Übelftand um fo aufrichtiger, je höher wir 
fonft den Berf. und frine Leiftung fchägen. 


Alles Statiſtiſche verliert feinen Werth, ja wird ſchaͤd⸗ 
lich, ſtatt zu nuͤtzen, ſobald es den Charatter ber Richtig⸗ 
keit, in manchen Füllen der abfoluten, in andern wenig⸗ 
ſtens der annaͤherungsweiſen oder der durchſchnittlichen 
Richtigkeit verliert.‘ Mit Recht beginnt daher ber Verf. 
mit den Mitten, die abfolute Bevölkerung zu erforſchen. 
und mit der Bemerkung, daß und warum in vielen An: 
gaben derfälben, wider Erwarten, fo viel Ungewißhelt 
herrſcht. Gleiches tritt bei der relativen Bevölkerung, d. h. 
der Bevölkerung im Verhaͤltniß zum Areal ein und nicht 
immer {ft bier eine Vergleichung zulaͤſſigz wie denn uͤber⸗ 
haupt der Statiſtiker fortwährend die Augen nach allen 
Eeiten hin offen haben follte — feider nur zu felten auch 
wirklich hat —, um alle befondern, auf die von ibm bes 
trachtete Erſcheinung influirenden Umflände in Anfchlag 
gu bringen. Eine Zabelle über die Bevoͤlkerung der euros 
pällhen Staaten im 3. 1840, mobei jedoch die deutfchen 
Staaten zufammengerechnet find, zeigt uns die größte Dichs 
tigkeit der Bevoͤlkerung in den Niederlanden (6,158), die 
geringfle in Schweden (293). Hier rührt die geringe 
Dichtigkeit aus Elimatifchen, in Servien (724) ruͤhrt fie 
aus gefchidytlich = politifyen Urfachen her. 

(Die Bortfegung folgt.) 


in —r— — — ———— 


Ein neuer Roman von Capitain Marryat. 


Percival Keene. By Captain Marryat. Drei Bände. Lon⸗ 
bon 1842. 


über biefen neueften Roman Marryat's dußert ſich die „Li- 
terary Gazette’ folgendermaßen : „„Percival Keene‘, vom Vers 
faffer des ‚Peter Simple‘, verräth die Abficht eines Begenfapet, 
und der Verfaffer von „Jakob Faithful‘ hat ihn redlich durchs 
geführt. Die Familie des Helden und fein Eintritt ins Reben 
werden mit fprudelndem fatiriihen Humor gefchildert. Schon 
die erften Seiten find voll Leben und Geiſt. Dabei fiebe Ace 
aus wie Wahrheit und Wirklichkeit. Aus Percival zur ce 
geht, markirt fi in feinen Gabettenftreihen das Zalent und 
bie Grfahrung eines Mannes, der das Ding Eennt und im 
Stande ift, es auszumalen. Später werben feine Abenteuer noch 
intereſſanter und bie Erzaͤhlung bleibt durchaus friſch und kraͤf⸗ 
tig. Nirgend ermattet fie und erlaubt dem Lefer nicht, im 
Kortgange der Geſchichte fih ‚zu langweilen. -. Bom Anfang bis 
Ende bietet das Buch eine leichte, unterbaltende Lecture, und 
obwol bereits ein populaires Lüftchen den literarifchen Geberftug 
des tapfern Gapitains bewegt, wird es bemfelben doch eine herz 
vorragende Feder beifügen.” 

- Die „Literary Gaszetto” genießt auch in Deutfchland Ans 
fehen und wirb biöweilen fogar ohne Angabe vertrauensvoll aufs 
gefchrieben.. Das erftere verdient fie und letzteres läßt fie ſich 
gefallen. Aber ihr Urtheil Über „Percival Keene“ Elingt im 
Sanzen ebenfo geswungen wie bie Gleichnißrede am Schluffe, 
und wer bie Beziehung des Herausgebers zum „tapfern Gapis 
tain“ Bennt, braucht nicht juft cin bosbafter Menſch zu fein, um 
in dem gefpendeten Lobe die Gabe der widerfpenftigen Minerva 
zu erbliden. Aber wir find allzumal Sünder und ermangeln 
des Ruhms und am Ende ift es fein fo gar ftrafwürbiges Vers 
brechen, das Buch eines Freundes, bem wir außer Ruͤckſichten 
auch Werbindlichkeiten fchulden, in einer Weiſe zu loben, die den 
Lefer leicht merken laͤßt, daß es nicht gern geicheten if. Das 
mit fol über „„Percival Keene’ nicht von vornherein der Stab 
gebrochen fein. Keineswege. Zupoͤrderſt liefert dieſe Geenovelle 
den Beweis, daß, obſchon mit Seeromanen, wenn auch nicht 
das Meer, doch ein Fluß gedämmt werden kann, ein folcher ims 


mer noch einen Verleger findet. Zweitens beweiſt fie, daß, 
wenn “ Roman keinen andern Reiz befigt als bie barin er⸗ 
zählten Abenteuer, fetbft ein Marryat nicht vermeiden kann, 
mutstis mutandis ſich zu wiederholen. Ich will jedoch nicht 
weiter numeriren. Daß die Gefahr der Wiederhotung bei einem 
Roman, der im Käficht eines Schiffes fpielt, größer fein muß 
als bei einem, ber eine Weltftabt, ein Paris oder London, zum 
Schauptatz bat, begreift ſich leicht. Was kann benn einem fees 
fahrenden Manne Wichtiges begegnen? Gin Schiffbruch eine 
Jeuersbrunſt, eine Schlacht; e⸗ gibt kaum ein Viertes oder 
Fanftes. Allerdings laſſen dieſe Hauptaccidents ſich auf das 
derſchiedenartigſte ein⸗ und ausführen und bieten Gelegenheit, 
bie verfchiedenartigften Charaktere abzuconterfeien. Aber ein 
Roman, in welchem das gefchieht, befigt dann auch andere Reize 
als die darin erzählten Begebenheiten und gehört eo ipso in 
eine andere Kategorie ald Marryqt's „Percival Keene“. In 
„Percival Keene”” paffirt nicht viel Neues, ober richtiger, wer 
Marrmat’s frühere Seenovellen gelefen hat, braucht „„Percival 
Keene” nicht zu lefen, um zu wiſſen, was barin vorgeht. So⸗ 
gar die Perfonen kennt er bereits unter andern Namen. Per: 
cival ſteht in Reih und Glied mit allen zefpectabeln Gechelden. 
Bob Groß fpult in allen Geenovellen. In biefen ſtolzirt ein 
Zommy Dott auf dem Halbverdeck jedes Linienſchiffs, und ſelbſt 
Capitain Delmar, die erſte Violine im Orcheſter, geigt laͤngſt 
gehoͤrte Melodien. 
Defſenungeachtet bin ich weit entfernt, „Percival Keene“ — 
Überfegungen werden fon kommen — nicht Jedem zu em⸗ 
pfehten, der nach einem Seeroman tüftern ift, weil er noch 
keinen geleſen hat. Die Erzaͤhlung ſchreitet raſch fort, die 
Charaktere ſchaͤlen ſich zum Theil ganz geſchickt aus, der 
Dialog ift lebendig, die Leute veben, wie ihnen der Schnabel ges 
wachfen ift, und Marryat bat ihnen biefen Schnabel etwas we⸗ 
niger ald ihren Vorgängern ins Gemeine wachſen laſſen. Das 
Beſte, was geſchieht, geſchieht zur See und bie Skizze des auf⸗ 
geroliten Gemaͤldes zeigt einen Zuſammenſtoß mit dem Feinde, 
die Verfolgung bes fliehenden und kuͤhnes Entweichen vor der 
Abermacht. Bier ift Gapitain Marryat zu Haufe und tout a 
son aise, in fehönfter gloire. Man fieht den Enthuſiasmus ber 
Matrofen, fieht die Offiziere in ehrerbietigem @eborfame die er⸗ 
haltenen Befehle vollſtrecken und ſieht bem Sapitain in ‚feiner 
Selbſtbeherrfchung, im vollem Gefühle feiner Verantwortlichkeit, 
in feinem anſpruchsloſen Heroismus. Rachdem man das geſe⸗ 
hen, ſollte Marryat Einen weiter nichts ſehen laſſen. Je⸗ 
der Verſuch im Pittoresken mislingt ihm. Ein Landſchafts⸗ 
maler iſt er nicht, weder zu Waſſer noch zu Lande. Eine 
Fregatte, eine Brigantine, einen Kutter malt er vortrefflich. 
Aber daruͤber iſt kein Himmel, daneben fein Ufer, darunter kein 
Waſſer. Eine Attion reißt uns fort. Aber die Acteurs kom⸗ 
men felten zum Vorſchein und noch ſeltener koͤnnen wir uns 
ein Bild machen von ihrer aͤußern Erſcheinung, von ihren Ge: 
fihtern, ihrer Kleidung, ihrer Haltung. Das ift infofern 
ſchiimm, als von unfern neuen Belannten un tein deutliches 
Geinnerungszeichen bleibt. Ohne Cinzeinheiten wurzelt fein 
Sanyes im Gedaͤchtniſſe. Woran übrigens Marryat's Novellen 
nicht allein krank liegen, „Percival Keene“ aber {wer leidet, 
das ift gegen den Schtuß hin — ob es biege oder breche — das 
daſtige, unceremonieufe Aufräumen von Begebenheiten und Per⸗ 
fonen. Es war durchaus Feine Nothwendigkeit vorhanden, den 
Sapitain Delmar todtzufcjlagen, und Oberſt Delmar muß eis 
gentlich auch nur ein Böfewicht fein, weil die Erzählung einen 
Schiuß haben will. Dennoch ift der Schluß als foidher gut. 
Bon der Heldin als folcher laͤßt fich das ſchwerlich fagen. Es 
täßt ſich überhaupt von ihr wenig mehr fagen, als baß fie 
fi außerordentlich rar macht. Bei ihrem erften Auftreten ges 
winnt fie bie Gunſt des Leſers und er erwartet etwas von ihr. 
Sie man auch eine ganz hübfche, angenehme und freundliche 
Perſon fein. Nur belommt man davon nichts zu ſehen, fondern 
muß es errathen, und beim Anlauf, ben Marryat nimmt, ihre 


erföntichleit gu ſchitbern, überfchlägt er fi. Schön nennt er 

„ das ift wahr. Aber er rechnet auf die Gourtoifte des Lefers, 
ihm zu glauben, bean daß Percivat fi in fie verliebt, beweift 
nichts. Percival hätte fi auch in eine Däßliche verliebt. In⸗ 
deſſen iſt der Werf. zu loben, baß er fih mit dergleichen Schil⸗ 
derungen nicht befaßt. Er verfteht ſich darauf ebenfo wenig 
wie auf das Entziffern weiblicher Befühle und das Ergruͤnden 
weicher Empfinbungen. Und daher iſt es ein lobenewerther Takt, 
es fo flüchtig als möglich zu verfuchen. Seine Stärke liegt im 
Erfinnen einer fehnurgeraden Geſchichte, worin es Iebhaft zus 
geht, die Menfchen um ein Baar breit verloren wären und das 

ud mit Windesfchnelle umfegt. Zwiſchendurch bewaͤhrt er 
fi) a!s gewandter Zeichner derber, nachhaltiger Gefühle, eines 
tüchtigen Patriotismus, ftrenger Pflihterfülung und eiferner 
Disciplin. Daß er dabei den Mechanismus des Gcemannsles 
bens volllommen inne hat, iſt nirgend beftritten worben. Dies 
fes Leben ift feine Welt, folglich eine enge. Was er von ber 
Außenwelt gefehen, hat er eben nur gefeben, nicht begriffen, 
nicht flubirt. Und besbalb ift meines Erachtens Marryat ein 
einfeitiger Novelifl. Aber fein „Percival Keene” wird über 
fegt werben. 14. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Wir Haben der. trefflihen Zeitfhrift für Rational: 
dtonomie („Revue des economistes” ) bereit6 zu wiederholten 
Malen’ erwähnt. Diefelbe erfreut ſich unter ber Leitung ber erſten 
Rationalölonomen Frankreichs eines guten Fortgangs. Einer der 
thätigften Mitarbeiter iſt Charles Dunoyer, Mitglied des Ins 
ſtituts. Die erſten Hefte dieſer Beitfchrift brachten einen treff⸗ 
lichen Aufſat aus feiner Feder. Gr widerlegte in demfelben 
bie Sinwendungen, die man gegen bie Goncurrenz, biefe mädys 
tige Triebfeder der menſchlichen Thaͤtigkeit, erhoben bat. Ebenſo 
beachtenswerth ift fein Artikel „Sur les pretentions de notre 
temps à l’esprit pratique‘ und feine „Nouvelle nomenclature 
des arts qui agissent sur le monde matériel“; ferner verbies 
nen die Aufſätze, in denen Blanqui feine Reiſebeobachtungen in 
der Türkei niederlegt, hervorgehoben zu werden. L. Reybaud, 
der ſich durch feine „Etudes sur les reformateurs modernes” 
einen Ramen gemacht hat, nahm anfangs einen lebhaften Ans 
theil an der „Revue des &conomistes”, ſcheint fi) aber von 
dee Redaction mehr zurüdgezogen zu haben. Sein letter Aufs 
fag enthielt manche gewagte Behauptung. Er ſprach fi im 
demfelben gegen jede Subvention, jede Belohnung, jeden Bors 
ſchuß und felbit gegen bie Zuficherung eines Minimums ber 
Einnahmen aus, durch die der Staat große Unternehmen 
unterflüst. Ganz vortrefflih tft der Auffad von Hippol. Dufs 
farb: „Ntat financier de l’Angleterre et sur les mesures pro- 
posees par les wighs et les tories.” 





Unter dem Titel „L’Herbier” (Herbarium) gibt Als 
feed Leroux eine Sammlung anmuthiger Gedichte heraus, die 
in der Form und Richtung an die wenig befannten Poeſien bes 
berühmten Botanikers Irinius erinnern. Der junge franzöfifche 
Dichter entnimmt naͤmlich ebenfo wie ber Freund Shamiflo's 
feine Bilder der Pflanzenwelt, ohne jedoch tn die Dürftigtete 
des fogenannten Blumenfpradhen zu verfallen. Unter ber 
großen Menge von Poeſien, obſchon das große Publicum 
ihnen «ine fo geringe Aufmerkſamkeit ſchenkt, heben wir fonfk 
noch befonbers eine Sammlung von Liedern hervor, zu denen 
fi ein jugendlicher Dichter Amand Guérin durch bie großartige 
Ratur der Bretagne begeiftert bat. Sie führt den Zitel „La 
Bretagne’. Ginige diefer Porfien erinnern an bie Dichtungen 
von A. Brizeur, im Allgemeinen aber gelingen biefem jugenb= 
lichen Dichter bie Schilderungen wilberer Naturpartien, wähz 
a Verf. der „Marie“ ſich mehr in einer idylliſchen Ruhe 
8 2 ® 


Berantwortliher Herauſsgeber: Heinzih Brof haus. — Drud und WBerlag von 8. U. Brodbaus in Eripaig. 


Blätter 


für 


liferariiche Unterhaltung. 





Montag, 


ö—7 Nr. 9. 


9. Januar 1843. 





Über Bevölkerungskunde. 
(Beortfegung aus Nr. 8.) 

Der Verf. kommt nun auf die Serualverhälmifle. Eine 
moͤglichſt vollkommene Gleichzaͤhligkeit beider Geſchlechter 
biſde die zutraͤglichſte Zuſammenſetzung der Bevölkerung und 
fcheine audy die Tendenz der Naturgefege zu fein, da zwar 
überai mehr Knaben ald Mädchen geboren würden, aber 
auch allerwärts die Knaben und namentlich im erfien Le⸗ 
bensalter etwas ſchneller abfiürben. (Ob letzteres wirklich 
allerwaͤrts der Kati iſt und nicht blos in den heutigen eu⸗ 
ropdifchen Zuftanden?) Nichtsdeftomeniger ergeben bie 
Volkszaͤhlungen nur felten ein ſolches Gleichgewicht beider 
Geſchlechter. Faſt aus allen geht eine merkliche überzahl 
der weiblichen Individuen hervor und nur zuweilen findet 
ſich Die entgegngefegte Erſcheinung. Aus ben darüber bei: 
gebrachten Angaben heben wir aus, daß in Europa nur 
in Hanover die männliche Bevölkerung die weibliche über: 
wiege. Hier kommen nämlich auf 1000 männlidhe Ins 
dividuen nur 957 weibliche, in allen andern Staaten iſt 
das weibliche Geſchlecht zahlreicher als das männliche, am 
ſtaͤrkſten in Böhmen, wo auf 1000 Männer 1102 Weis 
bee fommen. In den Bereinigten Staaten von Mords 
amerika und bei der weißen Bevölkerung einiger anderer 
amsritanifchen Länder dagegen iſt das männliche Geſchlecht 
zum Theil beträchtlich überwiegend. Freilich find die An: 
gaben nicht überall zuverläffig, wie es denn in dem ans 
geführten Beilpiel von Böhmen dem Verf. ungewiß blieb, 
ob das Militalr mit in Anſchlag gebraht war, oder nicht. 
Aus der zweiten Schrift erfehen wir aber, daß 1837 das 
Verhaͤltniß der männlichen zur meiblichen Bevölkerung, mit 
Einfhluß des Militaire, wie 1000: 1100 ſtand und feit 
1834 der maͤnnlichen Bevölkerung auf 1000 14, der weib: 
lichen 18 zugewachſen war. Kine Auslaffung in den 
Zählungen dürfte übrigens in der Regel cher das weib: 
liche als das maͤnnliche Geſchlecht treffen. Bemerkens⸗ 
werth iſt es auch, daß in den großen Staͤdten Europas 
das veribliche Geſchlecht noch entſchiedener im Vortheil iſt, 
am meiſten in Rotterdam (1241 Weiber: 1000 Maͤnner); 
wovon nur Petersburg (528 Weiber: 1000 Männer), 
Moskau (644 Weiber : 1000 Männer) und Rom (891 
Weiber: 1000 Männer) auffaliende Ausnahmen machen. 
In Warſchau dagegen ſteht das Verhaͤltniß ganz anders 
aid in den ruffifchen Dauptflädten (1139 Weiber : 1000 


Männer). Das männliche Geſchlecht ift mehr von dus 
Bern, willkuͤrlichen, den Einrichtungen und Stiebungen der 
Menſchen entflammenden Umftänden abhängig, während 
Das weibliche den Naturgefegen treuer unterthan bleibt. 
Der Berf. beleuchtet das DVerhältniß aber auch, wie nos 
thig, nach den einzelnen Lebensftufen. Werden mehr Kna⸗ 
ben geboren und ſtirbt der Überfchuß nicht fofort, fondern 
innerhalb einer gewiffen Zahl von Jahren erft ab, fo 
muß die Sefammtzahl der lebenden Knaben bis ins Alter 
der Ausgleihung nothiwendig etwas größer fein. Und 
nimmt man an, die Natur beabfichtige nicht nur völlige 
Gleichzaͤhligkeit in den Pubertaͤtsjahren, fondern in der 
Totalitaͤt, ſo folgt daraus, daß umgekehrt im hoͤhern Alter 
das weibliche Geſchlecht etwas zahlreicher ſei und daher 
auch ſpaͤter noch die Sterdlichkeit des maͤnnlichen, wenn 
auch um ſehr weniges, groͤßer ſein muͤſſe. Dagegen wenn 
ein Misverhaͤltniß beſteht und z. B. die maͤnnliche Be⸗ 
voͤlkerung bedeutend uͤberwiegt, ſo muß doch eben unter 
ihrer groͤßern Zahl auch in den hoͤhern Lebensjahren bie 
Sterblichkeit größer fein und dadurch das Gleichgewicht 
bergeftelfe werden, ſodaß man keineswegs berechtigt iſt, aus 
dem bermaligen Nachruͤcken der männlichen Population auf 
ein baldige Voreilen derfelben oder eine liberflügelung der 
männlichen zu fchließen. Entgegenftehende Anficdyten wer⸗ 
den vom Berf. fcharffinnig bekämpft. 

Hierauf die Vertheilung nad) den Altersclaffen, we 
der Verf. freilich nicht fehe zahlreiche Daten aufbringen 
Eonnte. Ex zeigt jedoch auch darin, daß die Lebensver⸗ 
bältniffe oft weit mehr, als man gewöhnlich annimmt, 
differiren, und daß auch in Diefer Beziehung befonders 
ftädtifche Bevoͤlkerungen eigenthuͤmlich beſchaffen find. Diele 
Abweichungen können von zweierlei Urfachen herrühren, von 
einem namhaften Zu: oder Abfluß von Individuen einer 
befondern Altersclaſſe — und dies wirkt befonders in 
den Städten — und von einer verfchledenen Abfterbeorbs 
nung. Je ſchneller die Geburten abfterben, deſto weniger 
zahlreich werden die höhern Claſſen fein und Daffelbe muß 
fi) ergeben, bleibt das Mortalitätsgefeg unverändert, wähs 
rend die Zahl der Geburten merklid zunimmt. Hier vers 
wirft nun der Verfaſſer die gewöhnlichen Berechnungen. 
Wenn unter 1000 Beritorbenen 8 im Alter von 20 — 
21 Jahren find, fo urtheilt man gewoͤhnlich, daß von 
1000 Geburten 8 im zwanzigften Jahre flerben und cons 


ſtruirt darnach die Abſterbeordnung. Allein es iſt klar, 
daß das nur dann richtig gerechnet iſt, wenn die Zahl 
der jaͤhrlich Geborenen der Zahl der jaͤhrlich Sterbenden 
gleich iſt. Dagegen waͤre es z. B. in dem Fall, wo auf 
1000 Geſtorbene 1400 Geborene kommen, ganz falſch 
berechnet. Es waͤre aber auch unrichtig, zu ſagen, von 
1400 Geborenen ſtuͤrben 8 im einundzwanzigſten Jahre; 
denn wenn 20 Jahre fruͤher nur 1200 Geborene waren, 
ſo ſind auch nur auf 1200 Geborene 8 im einundzwan⸗ 
zigſten Jahre geſtorben. In einer abgeſchloſſenen und ſta⸗ 
tionairen Bevoͤlkerung muͤſſen naturgemäß die Altersclaſſen 
von Jahr zu Jahr abnehmen, wenngleich nicht in einer 
ordentlichen Progreſſion, da die Mortalität in dm erſten 
Jahren fohnell abnimmt und [päter wieder ſteigt. Die 
Berminderung wird aber noch bedeutender fein, wenn und 
je -rafcher die Zahl der Geburten wählt (vorausgefegt, 
daß fih bie Abſterbeordnung verlangfamt). Dies weit 
ber Verf. auch an Beifpielen und namentlid an dem von 
Belgien nad, was zugleich ergibt, wie fehr die Wirklich⸗ 
keit von der Berechnung bifferirte und daß dieſe Berech⸗ 
nung bie Glaffen von 1 — 30 Jahren zu klein, die über 
40 viel zu groß finden ließ. Noch macht der Verf. an 
dieſer Stelle einige fehr begründete Andeutungen: dag man 
bei Berechnung der MWehrkraft, der Statiſtik der Selbſt⸗ 
morde, der Schuiftariftit nicht die abfolute Bevoͤlkerung 
zum Grunde legen, fondern die Lebensverhäftniffe beruͤck⸗ 
fihtigen fol. Er fagt in leßterer Dinficht: 

Betragen die Schulkinder in A 0,12 und in B 0,10 der 
Bevdlterung, fo folgt daraus noch nicht, baß die Jugend in A 
allgemeinen Schulunterricht genieße. Denn machen bie fchuls 
fähigen Kinder in A 0,16, in B 0,12 der Population aus, fo 


erhellt, daß dort ein Viertel, bier nur ein Sechstel berfelben 
ungefhult find. 


Ein anderes Moment iſt die Vertheilung In eheftands 
ticher Beziehung. Der Verf. bedauert, daß die wenigften 
Volksliſten, außer der Zahl der Verheiratheten und Nicht: 
verbeicatheten beiderlei Gefchlechts, auch noch die der Ver: 
roitweten und Gefchiebenen, dee noch nicht heirathöfähigen, 
der verheiratheten und unverhelratheten Weiber in gebär: 
fähigen Alter ermitteln laſſen. Bon befonderer Wichtig⸗ 
keit ift das Verhaͤltniß ber ftädtifchen Bevölkerung zu ber 
laͤndlichen. Dan ift gemohnt und hat auch einen gewiſ⸗ 
fen Grund, in einer ſtarken ftädtifhen Bevölkerung ein 
günfkiges Zeichen für die Cultur des Landes zu erbliden. 
Indeß ſchon der Verf. macht darauf aufmerkfam, daß bier 
manche Trugſchluͤſſe möglich find, und wir möchten hinzu: 
fügen, daß es auch bier eine Grenze gibt, über welche 
hinaus ſich immer dunklere Schattenfeiten einftellen, daß 
nicht alle Gründe mehr fortwirken, welche ehedem die Eul: 
tur vornehmlich an die Städte bannten, daß die verbeſſer⸗ 
ten Eommunicationsmittel auch hierin eine neue Reaction 
beginnen koͤnnen, und daß jedenfalls bei Würdigung des 
ftädtifchen Weſens zwiſchen großen, mittlern und Heinen 
Städten forglich zu unterfcheiden fein wird. Herner find 
bie Verſchiedenheiten in nationaler, heimatlicher und kirch⸗ 
ficher Beziehung zu beruͤckſichtigen. Ebenſo die Beſtand⸗ 
theile der Bevölkerung in gewerblicher Dinficht; die Der: 
theilung fin oͤkonomiſcher Beziehung, namentlich die Ar: 


menzahl. Freilich eine der ſchwierigſten Aufgaben ber Sta⸗ 
tiſtit. Auch eine Statiſtik des Wahnſinns (der Selbſt⸗ 
morde), der Zaubflummen und Blinden bat ihr Intereffe, 
und es iſt wünfchenswerth, daß bei dem allen auch die 
Geſchlechter, die Lebensverhältniffe, die Gewerbe: und Wers 
mögensclaffen, bie Örtliche Vertheilang nach Stadt, Land, 
befondern Elimatifhen Einflüffen ſorglich berüdfichtigt wer⸗ 
den. Überhaupt bedeuten ftatiftifhe Gefammtzahlen fehr 
bäufig ebenfo wenig, wie bie Theilzahlen, aus denen fie 
ſich zufammenfegen, in den rechten Händen fehr viel bes 
deuten koͤnnen. 

In dem Abſchnitt von den numeriſchen Verhaͤltniſſen 
der Gebotenen fpricht der Verf., nachdem er zuvoͤrderſt 
die Wichtigkeit dieſer Unterfuhung ans Licht geftellt und 
einige interefjante Mebenfragen, zu deren Löfung es zur 
Zeit meift an Daten mangelt, angedeutet hat, zuvoͤrderſt 
von Einrichtung der Geburtstiften. Es müffen alle Iebenes 
reif gewordene Kinder in befondere Rubriken, jenachdem 
fie männlichen oder weiblichen Geſchlechts, Lebend oder tobt, 
ehelich oder unehelich, einzeln oder als Zwillinge zuc Welt 
gefommen find, an dem Orte der Geburt und mit ges 
nauer Vermerkung des Datums eingetragen werden. Dars 
auf von der Zahl der Geborenen und ihrem Verhaͤltniß 
zur Geſammtbevoͤlkerung. In ganz Europa rechnet man 
auf 28 Seelen einen Geborenen, werden gegenwärtig in 
einem Jahre geboren nahe an 9 Millionen, alfo per Tag 
24,600 und per Stunde 1025. Bei der Unterfuchung 
des Beburtenverhältniffes find namentlich drei Punkte zu 
erforfchen: die localen Abweichungen beffelben, die tempos 
rairen Schwankungen und die wahrfcheinlichen Urſachen 
diefer Veränderungen. Der wahrfcheinlihe Einfluß des 
Klimas und der Stämme muß in der Regel durch andere 
wirkfamere Urfachen neutralifict werben. Nirgend aber fine 
det ſich die Sruchtbarkeit auch nur annähernd fo groß, als 
fie der phyſiſchen Natur nad fein follte. 

Da jedes Weib zwiichen 18 und 45 Jahren füglih alle zwei 
Jahre ein Kind zur Welt bringen Tann und die Weiber diefes 
Alters meift ein Künftel oder über ein Sechötel der ganzen Bevoͤlke⸗ 
zung ausmachen, fo follte auf 12 oder gar auf 10 Einwohner 
eine Geburt kommen. Auch in den fruchtbarften Ländern ift 
aber die Fruchtbarkeit kaum Halb fo groß. Sie muß demnad 
weit weniger von ber natürlichen Propagationsfähigkeit eines 
Volks, als von vorhandenen Umftänden, welche die Ausübung 
jenes Vermögens hemmen oder befchränten, abhängen, und nas 


mentlich alfo von allen, welche das frühe Heirathen hindern, 
oder auf Enthaltfamkeit in der Ehe hinwirken. 


Ein wichtiger Sag gegen die Theorie von einer na= 
ehrlichen Tendenz zur Übervoͤlkerung. Don wefentlichem 
Einfluffe iſt bier die Mortalität und namentlich die der 
Kinder. Je rafcher die Kinder wegſterben, deſto mehr wer⸗ 
den erzeugt, je vafcher die Erwachſenen, defto mehr wird 
geheirathet. Auch ein ſtetiger Abflug von Einwohnern 
mag dad Geburtenverhältniß fleigern. Dit zunehmendem 
Wohlſtand, leichterm Lebensunterhalt vermehrt ſich die Mes 
production; doch wirken bei größerm Wohlſtande auch wie: 
der die vermehrten Bedürfniffe und die verminderte Mor: 
talität der Kinder retardirend ein. Aus einer Unterfus 
hung über die Sahreszeiten und Monate der Geburten 
ergibt fih, daß auf die fechs Mintermonate weit mehr 





86 


Geburten kommen als auf die Sommermonate; . daß das 
Maximum auf den Febiuar (den März), das Minimum 
auf den Juli (und Juni) fällt, für die Empfängniffe alſo 
das Maximum auf den Mai, das Minimum auf ben 
Detober; daß das monatlihe Maximum das Minimum 
um etwa */; übertiffft; daß auf dem Lande die Ungleich: 
heit noch flärker ift als in den Städten. Die Tags und 
Rachtgeburten verhalten fih nahe wie 4:5. Hinſichtlich 
der Zodtgeborenen fcheint aus den vorhandenen Daten mit 
Zuverläffigkeit hervorzugehen, daß das Verhälmiß insgemein 
zwifchen vier und fünf Procent beträgt, ſich aber nach eins 
jelnen Ortlichkeiten ſtark vermehrt und vermindert; ferner 
daß unter Unebelichgeborenen weit mehr, wenigftens die 
Häffte mehr, oft das Doppelte, Todtgeborene vorkommen. 
Aud) deshalb finden fih in großen Etädten mehr Todt⸗ 
geborene. Im Sommer follen Zodtgeborene etwas felte: 
ner fein. Merkwürdig ift die geringe Proportion bei den 
Suden. Die Knaben bilden bei den Zodtgeborenen eine 
auffallend große Mehrzahl; in Preußen, wo das Verhaͤlt⸗ 
niß der maͤnnlichen zu den meiblihen Geburten nie 105,9 
: 100 flieht, flieht es bei den Todtgeborenen wie 135,0 : 
100. Dffenbar hänge dies mit denfelben Urfachen zu: 
fammen, die überhaupt die größere Sterblichkeit des männs 
lichen Geſchlechts noch fange nach der Geburt bedingen. 
Hinſichtlich der Unehelihgeborenen ergibt fih, daß fie in 
gewiſſen Ländern weit häufiger vorfommen als in andern, 
in Städten mehr ald auf dem Lande und feit 40 — 50 
Jahren in vielen Ländern bedeutend zugenommen haben; 
bag ſich aber bie Örtlichen Derfchiedenheiten gar nicht auf 
algemeine Urſachen zurückfuͤhren laflen und biefelben gar 
nicht für oder wider die Moralitaͤt eines Volks, auch nur 
in Bezlehung auf den gefchlechtlichen Umgang zeugen, da 
befonders die Richtentftehung folcher Geburten noch keines: 
wegs für größere Enthaltfamkeit buͤrgt. Mit Recht wünfcht 
ber Verf., daB bei Angaben Über diefes Verhaͤltniß ermits 
telt werde: wie viele Kinder upon Witwen geboren werden, 
vie keinen Vater angeben können, wie viele vom Vater an: 
erkannt werden, wie viele aus fogenannten natürlichen Chen 
und Soncubinaten hervorgehen, wie viele durch nachfols 
gende Ehe legitimirt werden; Alter und Stand der Mutter; 
ob es ihr erſtes uneheliches Kind iſt u. f. fe; wie fi das 
Berhaͤltniß zur unverheiratheten Bevoͤlkerung des gebärs 
fähigen Alters ſtellt. Hinſichtlich der Mebrlingsgeburten 
kann als das gewöhnliche Verhaͤltniß in Deutfchland das 
von 1 : 84 betrachtet werden. Ob fie ein Zeichen größes 
ser Reproductionskraft find, bleibt zweifelhaft, da fie fich 
keineswegs in allen den Jahren häufiger zeigen, wo bie 
Geburten ſehr zahlreih waren. Auch weiß man noch) 
aicht, ob fie in armern oder wohlhabenden Claſſen, bei 
ebeligen oder unehelihen Geburten häufiger find. Hin⸗ 
fichtlich der Geſchlechtsverhaͤltniſſe machen die gemifchten 
Paare mur etwa ein Drittel aus und bei den übrigen 
prävaliren die mweiblihen. Unter Zwillingsgebutten find 
frühzeitige faſt dreimal häufiger als unter einfachen, und 
foft ein Drittel werden tobtgeboren; auch ift ihre Sterb: 
lichkeit im erſten Jahre weit größer; ob auch fpäter, iſt 
noch nicht ermittelt. Ausführliche Unterfuhungen flellt 


der Verf. uͤber bie Gehnde bes Übergemwichts der maͤnn⸗ 
lichen Geburten und die darauf Einfluß habenden Um⸗ 
flände an, ohne jedoch, ſchon aus Mangel an ausrei⸗ 
chenden Daten, zu einem ihm ſelbſt genügenden Refultate 
zu fommen. Merkwürbig find bier und zugleich die Be: 
rechnung erfchwerend die großen periodifchen Schwankun⸗ 
gen. Ob die Behauptung gegründet iſt, daß jenes Über: 
gewicht in den Gegenden am größten fei, wo in $olge 
ſchwerer Arbeiten die Muskelkraft vorherrſcht, iſt noch nicht 
gewiß; ebenfo wenig weiß man, 0b ed mit der größern 
Sruchtbarkeit in fleigendem Verhaͤltniß zunimmt, wie es 
fih bei Erfigeborenen oder bei Legtgeborenen ſtellt; wol 
aber daß es bei ehelichgeborenen weit flärker iſt als bei 
unehelichgeborenen.. Wichtig würde es fein, wenn ſich die 
Berechnungen von Hofader und Sadler beftätigten, wo⸗ 
nach die weiblichen Geburten fogar zahlreicher find als die 
männlichen , fobald der Mann gleichen Alter mit der 
Sram oder jünger als fie iſt, wogegen die männlichen Ge: 
burten ganz beträchtlich zunehmen, je mehr der Mann bie 
Frau an Jahren übertrifft. Doc find die Beobachtungen 
beiweitem nicht zahlreich und ausgedehnt genug. (Sie dürfs 
ten übrigens aud auf das Verhältniß der Altersclaffen 
zu richten fein, ob nämlich das Verhaͤltniß ſich auch in 
hoͤhern Lebensjahren beider Theile gleichbleibt.) In Städ: 
ten ſcheint die Überzahl der männlichen Geburten Meiner 
zu fein als auf dem Lande. Über den Einfluß der fons 
ftigen Ortlichkeit fehlt e8 noch an Beobachtungen. Bel ben 
Juden tft jenes Übergewicht auffallend groß. Anhangsweife 
befpricht der Verf. in diefem Abfchnitte noch Größe und 
Gewicht des Menfhen in den verfciedenen Lebensflufen. 
(Die Fortſetzung folgt.) 





Pasquier's Aufnahme in die Academie frangaise. 


Wir haben vor einiger Zeit ber Aufnahme Pasquiers in 
die Acadsmie francaise beigewohnt. Diefe Feierlichkeit hatte 
ein großes Publicum berbeigezogen, bas neugierig war zu fehen, 
mit welcher Stirn ein Mann, der auch nicht einen einzigen lie 
terarifchen Zitel bat, fi) mit Ghateaubriand, Lamartine, Nodicæ 
und wie bie großen Dichter und Profaiften alle beißen, auf eine 
Bank fegen würde. Man begreift kaum, wie die Wahl ber 
Akademie auf einen ſolchen Mann, ber nie bie Feder zu einer 
literariſchen Arbeit angeſetzt hat, fallen konnte, befonders da ein 
Dichter wie ber Verf. vom „Ciag-Mars”, von „Stello” x, 
fi mit ihm zu gleicher Zeit um ben vacanten Platz bewarb. 
Die Zagesblätter haben über biefe fonderbare Wahl, die im Gas 
lon der Mad. Recamier abgelartet ift, den bitterfien Spott reg⸗ 
nen laffen. Der „National” unter Anderm, der in feinen lite 
rarifhen Artikeln flets ſehr pilant zu fein pflegt, erinnert bei 
diefer Gelegenheit daran, baß ber große Cid, ats er ſich einft 
in einer Geibverlegenheit befand, zu einem Geldwecheler ging, 
ihm eine verfchloflene Kifte einhändigte, die, wie er fagte, mit 
Juwelen gefüllt fei, und auf biefes Pfand eine bedeutende 
Summe erhob. Einige Zeit darauf zahlte er dieſe Schuld ab. 
Nachdem er dieß gethan, Öffnete er bie Kifte und zeigte, daß fie, 
ftatt mit Diamanten, blos mit Sand angefüllt fei. Der Kanze 
lee Pasquier fol nun, wie der „National” behauptet, auf eine 
ähnliche Art verfucht haben, wie groß fein Grebit fei. Er 
führte naͤmlich die Akademiker, bie feine Anfprüche auf eine 
Stelle in ber Akademie in Zweifel zogen, in das Heiligthum 
feines Schlafgemachs, bolte eine große Kifle hervor und fagte: 
„Ss ift wahr, daß ich nie als Schriftfteller aufgetreten bin 
und daß ich fo vielleicht Feine Anwartfchaft auf einen Pla in 


der Academie francaise zu haben ſcheine. Aber beruhigen Sie 
fih. Diefe Kifte enthält meine Denkwuͤrdigkeiten, die für bie 
Geſchichte unferer Zeit von unfchäpbarem Werthe fein und bie 
zugleich unwiderleglich darthun werden, daß in mir Stoff zu ei 
nem großen Schriftfteller ift. Wählen Sie mic immerhin, meine 
Herren; die Werke, die nach meinem Tode von mir erfcheinen 
follen und die in dieſer koſtbaren Kifte enthalten find, werden 
zeigen, daß id) würbig bin, im Kreife der 40 Unfterblichen zu 
figen.” Wenn aber nun, fragt dad wigige Journal, das vielen 
bizarren Vergleich zwiſchen dem würdigen Kanzler Pasquier 
und dem Cid, ber ſtets feinem Worte unverbrüchlich treu war, 
anftellt, wenn aber nun die Kifte Icer wäre? Pasquier hat 
recht gut gefühlt, daß es ihm obliege, bie Wahl der Akademie 
einigermaßen zu rechtfertigen. Er hat deshalb alle feine alten 
Papiere zufammengefuht und eine Auswahl von ben Reben, 
die er in der Deputirten» und Pairskammer gehalten hat, her⸗ 
ausgegeben. Wir wollen der politilhen Werth biefer Reden, 
von denen bereits vier Bände erfchienen find, nicht beftreiten, aber 
wir können dreift behaupten, daß ihre Form durchaus nicht clafs 
ſiſch iſt. Auch feine Antrittsrede iſt ſchwach. Man hatte von 
einem Manne, der in den Gtaatögefchäften ergraut ift, erwar⸗ 
tet, daß er einige lichtvolle Blicke auf die Zeitgefchichte und auf 
die Politik im Allgemeinen werfen und daß er namentlich bie 
Epoche, von der er in feiner Lobrede bes Bifchofs von Hermio⸗ 
polis zu reden batte, in einigen gluͤcklichen Streichen, zeichnen 
würde. Aber dem war nicht fo. Er begnügt ſich, das Leben 
des Hrn. v. Frapffinous, das fo viel Stoff zu intereffanten Bes 
trachtungen geboten hätte, ganz einfach zu erzählen, und noch 
dazu in welder farblofen und dürftigen Sprache! Mignet, ber 
Die Rede Yasquier’s zu brantworten batte, fand Fein leichtes 
Spiel, wenn er in allem Ernſte beweifen wollte, daß Pasquier 
der Akademie würdig ſei. Seine Rebe iſt ganz meifterhaft, 
wenn man fie ale Yerfiflage betrachtets indeffen wiſſen mir 
nicht, ob Mignet fie als ſolche angelehen willen will. „Sie ha⸗ 
ben fehr unrecht”, ſagt er zum Neuanlömmling, „wenn Gie 
fi der Ehre, die Ihnen die Akademie ermweift, für unmürbig 
halten. Ihre Beſcheidenheit laͤßt Ihnen Ihr eigenes Verdienſt 
verkennen. Sie haben bie gerechteften Anfprüche darauf, Mit: 
glied biefer glänzenden Verſammiung zu fein; denn haben Sie 
nicht Vorfahren gehabt, bie fi) durch die Kraft und ben Glanz 
ihrer Beredtfamleit einen unvergänglien Ruhm erivorben ba» 
ben. Sie find ficher berechtigt, in der Akademie zu figen, deren 
befondere Aufgabe es ift, die Reinheit ber Sprache aufrecht zu 
erhalten, denn haben Sie nit unter drei Königen bie erften 
Staatsaͤmter bekleidet?“ Hierauf kehrt er fi von der Jam: 
mergeftait Pasquier’8 ab und zeichnet mit Meifterhand das Bild 
des Hrn. v. Brayffinous, gewiffermaßen um dem neuen Akade⸗ 
miler zu zeigen, wie man einen folchen Gegenftand behandeln 
müffe. Während Pasquier fich in feiner Rebe nur in den klei⸗ 
nen biograpbifchen Details herumtreibt, ſtellt Mignet ſich auf 
einen wahrhaft erhabenen Standpunkt unb wirft über das weite 
Feld der Zeitgefchichte einen freien Bid. Bor mehren Jahren 
Thon hat Armand Marraft einmal im „National“ in einem 
glänzend gefchriebenen Auffage bas Leben des ehrwürdigen Kanzlers 
geſchildert; aber damals fehlte dieſer Satire noch ein koͤſtlicher 
Zug, denn Pasquier war noch nicht Akademiker. 6. 





Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Neue Schriften über den Drient. 

Die „Revue orientale“ des Dr. Barrachin, von der wir 
in d. BI. zu wieberholten Malen geredet haben, ift nach kur⸗ 
zem Beſtehen wieder eingegangen. Wahrſcheinlich find die Uns 
terflügungen und Subventionen, auf bie der Rebacteur, der in 
feinem Proceſſe mit Reſchid⸗Paſcha etwas zu fehe als Char: 
latan aufgetreten ift, gezählt hatte, nicht regelmäßig eingelau⸗ 
fen. Denn bie Theilnahme an den Ereigniſſen des Orients ift 
feldft gegenwärtig noch groß genug, um einer ben morgenläns 


bifchen Intereffen gewibmeten Zeitſchrift, wenn fie mit Umſicht 
geleitet wäre, ein längeres Beſtehen zu ſichern. Aber Dr. Bars 
rachin erging fid) gar zu ſehr in allgemeinen Phraſen über bie 
verfchiedenen Nationalitäten u. f. w., flatt uns aus dem Schatze 
feinee Beobachtungen intereffante Mittheilungen zu machen. 
Geitbem find uns über die orientalifchen Werhältniffe in vers 
fhiedenen Werken mancherlei Velchrungen geboten. Bon Dem, 
was über die verfchiebenen jungen Nationalitäten, die, wie 
Lamartine fagt, aus dem Gchutte des zufammenbredyenden tür⸗ 
Tischen Reichs hervorwuchern, gefagt iſt, dürften leicht bie Mits 


 thellungen von Gyprien Robert das Befte fein. Der Verf. 


biefer Auffäge, die in der „„Revuc des deux mondes“ erſchie- 
nen find, kennt die Levante und namentlich die nördlich von 
Griechenland gelegenen Partien der Türkei aus eigener Ans 
fhauung. Auch die Reifejfizgen von Thouvenel, der durch eine 
Reife in Ungarn befannt if, und die von Buchon, einem der 
thätigften Herausgeber des ‚Pantheon litteraire‘, die beide 
Griechenland betreffen und beide von ber „Revue de Paris’ 
mitgetheilt find, enthalten mandye intereffante Schilderungen. 
Roch wichtiger, befonders für die Kenntniß der neueren Ereig⸗ 
niffe im Drient, iſt die Schrift: „Deux annees de l’histoire 
d’Orient”, von M. de Cadalvene und Barrault. Beide Berf. 
dieſes inhaltreichen Werks find mit den orientalifchen Verhaͤlt⸗ 
niffen innig vertraut. Hr. Barrault hat den Orient bereift und 
Hr. de Gadalvene hält fi als Director der Paketboote der 
franzoͤſiſchen Regierung bereits feit mehren Jahren zu Konſtan⸗ 
tinopel auf. Gr ſteht dafelbft in einem hoben Anfehen und fo 
fogar an mehren ber Verhandlungen, welche die Pforte mit 
Aaypten gepflogen hat, Theil genommen haben. Schon früher 
hat Dr. Sadalvene in Gemeinſchaft mit Bra. Barrault eine 
Gerichte des erſten Krieges zwiſchen Ägypten und ber Türkel 
(1832 und 1833) herausgegeben und außerbem kat Grfterer 
noch mit einem gewiffen M. de Breuvery ein intereffantes Wert 
unter dem Titel „„L’Egypte et la Turyuie’ erfcheinen laſſen, 
in dem ſich ſehr intereſſante Mittheilungen über dieſe beiden 
Laͤnder finden. Den Inhalt des neuen Werkes, deſſen Titel 
wir oben angeführt haben, bildet eine Gefchichte des Krieges, 
der im Jahre 1839 zwifchen dem Sultan Mahmud und Mebes 
med Alt ausbrach, bis zum Abſchluß des Julivertrags. 


Le portefeuille du comte de Forbin. 

Der Redacteur ber Beitfhrift „La France litteraire‘ 

bat ſich durch Veröffentlihung wichtiger Werke der Malerei um 
die Kunft ein bedeutendes Werbienft erworben. Wir haben von 
ihm verfchledene, mehr ober weniger umfaffende Sammlungen 
von Kupferftihen. Cr beichenkt gegenwärtig die Kunftliebhaber 
mit einer neuen Gabe. Es ift dies eine größere Sammlung 
hoͤchſt intereffanter Zeichnungen, die den Zitel „Le portefeuille 
du comte de Forbin’ führt und von der bereits die erften 
Bieferungen erfchienen find. Der Graf Korbin war Director 
der großen Sammlungen des Louvre und einer ber geiftreichften 
Kunftlenner ber neuern Zeit. Gr hatte den größten heil 
Europas, namentlich Spanien und Stalien und die Levante 
felber bereit. Einen Theil feinee Wanderungen hat er in vers 
ſchiedenen Werken (3. B. „Souvenirs de la Sicile‘, von denen 
eine neue Ausgabe vorbereitet wird) auf eine anziehende Art 
beichrieben. Mberall, wo ex gereift war, hatte er ſeibſt Zeiche 
nungen entworfen und was nur an Bildern und andern Kunfls 
ſchaͤßen zu finden war, aufgefauft. Aus der reichen Samms 
lung nun, die er nach feinem che hinterlaffen bat, wirb Pr. 
Shallamel eine Auswahl treffen, von ber man ſich bei dem Ger 
ſchmacke dieſes Gelehrten und Kuͤnſtlers viel verfprechen kann. 
Der Schwiegerfohn des Grafen Forbin, Hr. von Marcellus, 
Berf. eines ausfüprlih in d. BI. befprochenen Reiſewerks über 
ben Orient („Souvenirs de l’Orient”, 2 Bde.) und befonders 
befannt dadurch, daß er bie berühmte Venus von Milo dem 
parifer Loupre gewonnen bat, wird bie Seidhnungen mit einen 
erläuterndbem Texte begleiten. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Berlag von J. A. Brodbaus in Leipztg. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienftag, 


—— Kr. 10. 


10. Sanuar 1843. 








Über Bevoölkerungskunde. 
( Bortfegung aus Nr. 9.) 

Ein dritter Dauptabfchnitt betrifft die Statiſtik der 
Shen. Zuerft das Verhaͤltniß der Verheitatheten zu den 
Unverheiratheten. Jede Volkszählung follte nicht nur ers 
geben, wie viele Individuen von jedem Geſchlecht verhei⸗ 
rathet und nicht verheicathet (verwitwet, gefchieden) find, 
fondern auch welcher Altersclaffe fie angehören. Unftreitig 
iſt nicht ſowol das Verhältniß zur Population, ald dad 
zu den Erwachſenen in Betracht zu ziehen. Die Ungleich⸗ 
heit dee Trauungen in verfchiedenen Jahreszeiten hat meift 
conventionnelle Urſachen; weſentlichere liegen natürlich den 
Schwankungen in den Jahrgaͤngen zum Grunde. 

Die Ehen find frequenter, wo man jünger und allgemeiner 
beirathet: weit mehr Individuen erreihen das vierundzwanzigſte 
als das fechsunddreigigfte Zahr und jüngere find weniger bes 
daͤchtlich. Gehe verfchiedene und erfreuliche wie unerfreufiche 
Urfochen bedingen aber das frühere Deirathen. Man heirathet 
jünger und haufiger, wo der Erwerb leichter und ficherer if, 
wo bie Bebürfnifle geringer und wohlfeiler, wo die Bitten eins 
facher find — wo alfo weniger kuxus herrſcht —, wo man ſich 
mehr vor Erzeugung unehelidher Kinder fcheut, und eben fo aber, 
wo man forglofer und um die Zukunft unbelümmerter Tebt, 
wo das Volk keinerlei höhere Beblirfniffe kennt. Fabrikarbeiter 
heirathen gewöhnlich früher — weil bei dem neuern Kabrils 
foftem viele Arteiter ſehr bald den höchſten Grad ber Brauch⸗ 
barkeit, alfo den hoͤchſten Lohn erlangen und bdiefer ziemlich fir 
erfcheint —, weil ber Arbeiter, um zu erwerben, durchaus Teiln 
Sapitai bedarf, alfo deshalb nicht erſt Erſparniſſe zu maden 
braucht, weil ferner die Kinder fhon ſehr früh etwas verdienen 
können und das Fabrikleben die Pubertät oft früher entwidelt 
u. a. m. Im Handelsſtande heirathet man fpäter, weil der 
Erwerb lange fehr unſicher und veränberlich ift und ein ans 
ſehnliches Capital vorausfekt. Wo die Landleute Brunbeigens 
thũmer fein wollen, werben fie fpäter und feltener (?) heira= 
then, als wo fie größtentheils Pächter oder gar nur Tagelöh⸗ 
ner find. Die Leibeigenfhaft befördert wahrfcheintih frühes 
Heirathen, ſowie orientallfcher Despotismus — benn bie Bor: 
ſicht fallt weg, wo man kein Eigenthum erwerben Tann, oder 
daffelbe ftetö ungefichert ift. ' 

Man ſieht, auch in Diefen einzelnen Beiſpielen beftd: 
tigt der Verf. den allgemeinen Say: daß die Menfchen 
mit dem Deirathen warten, überhaupt wirthſchaftlich vors 
ſichtig find, fobald fie ein Ziel vor fich fehen, duch deſſen 
Erreihung fie ihre Lage weſentlich verbeffern zu Finnen 
hoffen, während fie zur Heirath eilen und alfe Vorficht 


aufgeben, wenn fie von der Vorſicht hoͤchſtens fo viel er⸗ 


warten koͤnnen, daß e6 Ihnen nicht ſchlechter geht als jetzt, 
und aud das nicht ficher verbürgt fehen. 

Mit der Civilifation vermindern ſich gewöhnlich die Ehen, 
weil mehr als bie Erwerbmittel unfere Bedürfniffe zunehmen. 
Aus demfelben Grunde ift die relative Zahl der Ehen in vielen 
Gegenden im Laufe des vorigen Zahrhunderts kleiner geworben. 
Umgekehrt mag hier und da die Verbreitung des Kartoffelbaus 
gewirkt haben, indem er die unterften Claſſen in den Stand 
fegt, noch armfeliger zu leben. Unter fonft gleichen Umſtaͤnden 
wird fie ferner Eleiner, je größer die Dichtigkeit der Bevoͤlke⸗ 
zung if, weil dann befonders der Erwerb von Brunbeigenthum 
immer ſchwieriger wird. 

Einige, wenn auch directe Hinderniffe, wie das kirchliche 
Götibat und die Gonfertption, ſcheinen auf bie Zahl der Shen 
doch wenig Ginfluß zu haben. Indem die einen zu heirathen 
gehindert find, find andere dadurch begänftigt. Anders wirken 
Geſetze, die überhaupt die Bollgiehung einer Ehe erſchweren. 
Diefe vermindern die Zahl der Shen und vermehren die ber 
uneyelichen Kinder. 

Der Verf. zeigt an Beiſpielen, wie und warum die 
Zahl der Trauungen, in Folge aͤußerer Ereigniſſe, in ein⸗ 
zelnen Jahren ſo betraͤchtlich abweicht. Bei einer groͤßern 
Mortalität ergibt ſich zugleich eine größere Frequenz ber 
Trauungen und umgekehrt. Zur Berechnung ber mittlern 
Dauer der Ehen wuͤnſcht der Verf, daB in allen Sterbes - 
regiftern, fo oft eine Ehe durch den Tod zerrifien wird, 
die Dauer derfelben forgfältig eingetragen und daſſelbe hins 
ſichtlich geſchiedener Ehen irgendwo verzeichnet werde. Das 
gewoͤhnliche Verfahren der Berechnung diefes Verhaͤltniſſes 
verwirft er aus guten Gründen. Ferner wuͤnſcht er, daß 
uns die Eheliften Aufſchluß gäben, wie viele zum erften 
Male Heirathende find, daß fie fpecificieten, wie viele Hei⸗ 
rathen zwiſchen beid- oder einfeitig Ledigen oder Verwitwe⸗ 
ten (und Befchiedenen) gefchloffen werden. Aus dem zeit 
berigen Daten erfieht man jedoch fchon, daß anderwärts 
beträchtlich mehr Weiber als Männer zur Ehe gelangen 
und daß auch, was die Protogamen betrifft, auf zehn le⸗ 
dige Männer etwa elf Jungfrauen heirathen. Wuͤnſchens⸗ 
werth ift in unfern Zuftinden (einige) Verſpaͤtung der 
Ehen. Die vorhandenen Daten leiden aber an dem Mans 
gel einer Trennung der Protogamen von den Wiederver⸗ 
heiratdeten; ſowie es an allem Anhalt gebricht, die Heira⸗ 
thenden nicht blos nach ihrem abfoluten, fondern auch nady 
ihrem relativen Alter zu claſſificiren, woraus doch über ef: 


‚nen ber dunkelften Punkte der Bevoͤlkerungslehre, nämlich 
“über den Einfluß des Altersverhäftniffes der AÄltern auf 





38 


das Geſchlecht der Kinder, Auffchluß zu erwarten wäre. 
Die Verehelihungsprobabilität betreffend, fo ergibt fi we: 
nigftens für die franzöfifche Bevoͤlkerung, daß bei der Ge: 
burt eines Knaben 49 gegen 51, und bei der eines Maͤd⸗ 
chens 55 gegen 45 zu metten iſt, dag das Kind einft 
heirathet. Auch die gewöhnlichen Berechnungen der mitt 
fern Fruchtbarkeit find nicht ganz zuverläffig und fallen 
gewoͤhnlich etwas zu niedrig aus. Es wäre lehrreich, auch 
über die Sruchtbarkeit einzelner Glaffen, die Zahl ber fies 
rilen Ehen, den Einfluß des Alters u. a. m. ftatiflifche 
Daten zu erlangen. Aus manchen Beobachtungen fcheint 
bereit6 hervorzugehen, daß die fruchtbarften Weiber nicht 
die find, die fchon vor dem zwanzigften Jahre heirathen, 
und daß fpät erft Heirathende in höherem Alter noch Kin: 
der haben, als andere. Es wäre zu wuͤnſchen, daß in den 
Geburtstiften aufgezeichnet würbe, wie alt die Mutter (und 
der Vater) des Geborenen ift und das wievielte von ihr 
Geborene das Kind ift. (Das wäre dann aud) mit den 
Eheliften zu vergleichen, woraus das Alter der Altern bei 
ber Heirath hervorgehen follte.) 

Ein wichtiger Abfchnite betrifft die Verhaͤltniſſe der 
Sterblichkeit, die Statiftit des Todes. Das abfolute 
Sterbeverhältniß iſt nach Ort und Zeit oft beträchtlich ver: 
fehieden und vermindert ſich insgemein mit den Kortfchrits 
ten der Civiliſation. Für England und Frankreich befon: 
ders ift eine flarke Abnahme feit 60 Jahren außer Zwei⸗ 
fl. Die Meinung jedoch, das Verhältniß fei am klein⸗ 
ften in nördlichen, am größten in füdlihen Ländern fins 
det der Verf. nicht nachgewiefen. Größere Volksdichtigkeit 
bedingt keineswegs eine vermehrte Sterblichkeit; weis haͤu⸗ 
figer fieht man das Umgekehrte; wol aber fteht einer groͤ⸗ 
Gern Mortalitätsziffer auch eine größere Geburtsziffer faft 
immer zur Seite. jedenfalls iſt es unerlaglih, auch die 
ungleiche Fruchtbarkeit und, die Zahl der Zodtgeborenen 
und Fruͤhtodten in Betracht zu ziehen, fo oft die reelle 
Sterblichkeit eines Volks gemeſſen werden foll. Die Mor: 
talität variiert nod mehr und öfterer als die Geburtszahl. 
In Sterblichkeitsjahren werden zudem fehr viele bereits 
ſchwaͤchliche und dem Tode nahe Individuen meggerafft, 
weshalb dann die naͤchſten Jahre oft um fo weniger Todte 
zeigen. Dit den Fortfchritten echter Civilifation muͤſſen 
diefe Fluctuationen mehr und mehr verſchwinden. Bel 
ihrer Unterfuhung follte aber insbefondere nachgewieſen 
werden, welche Claſſen der Bevoͤlkerung vornehmlich affi⸗ 
cirt werden und in welchem Verhaͤltniſſe in epidemiſchen 
Jahren die Sterblichkeit der Kinder, Greiſe, Armen ıc. 
ſteht. Ebenfo follte bei der Berechnung des Einfluffes der 
Jahreszeiten auf die Sterblichkeit namentlich zwifhen den 
Alterclaffen unterfchieben werden, fowie auch zwilchen 
Stadt und Land Berfchiedenheiten obzumwalten feinen. 
Auch die Berechnungen über den Einfluß der Gefchlechter 
und des Alters auf die Sterblichkeit laſſen noch viel zu 
wünfchen übrig. Erwieſen iſt die große Sterblichkeit im 
erſten Lebensjahre, wiewol auch dieſe ſich nicht gleich bleibt. 
Ebenfo, dab hierin das weibliche Gefchlecht vor dem 
männlichen begüunftigt iſt und daß die Mortalität im ers 
fen Lebensalter unter den unehelichen und Findelkindern 


überaus groß if. Manche Gründe laſſen vermuthen, baß 
durch die Fabrikbeſchaͤftigung die Sterblichkeit überhaupt 
und infonderheit die der Kinder vermehrt werde. Doc) 
fehlt es zur Zeit an directen numerifchen Belegen. Den 
Einfluß der Podenimpfung auf die Vermehrung der Ber 
völferung haͤlt ber Verf, ohne das Wohlthaͤtige der Sache 
feldft irgend in Abrede zu flellen, für nicht fo hoc. 
Denn jede Zunahme der Bevölkerung fege ſchlechterdings 
eine verhältnißmäßige Vermehrung der Subfiftenzmittel 
voraus, ba aber eine ſolche dusch die Ausrottung dee 
Poden nicht befördert werde, fo fei ar, daß mit der Ver⸗ 
minderung der Sterblichkeit eine angemeffene „ Verminde⸗ 
rung der Geburten eintreten müffe. Mit Kraft ſetzt uͤbri⸗ 
gend der Verf. die Michtigkeit einer WBerminderung ber 
Kinderferblichlrit auseinander und’ glaubt, daß es in der 
Maht des Menfhen fiche, dem Tode die allermeiften 
Opfer zu entziehen, die er bisher unter ben Kindern ges 
fodert hat. Die Sterblicykeit, die am erften Tage auffal= 
tend ſtark und überhaupt im erften Jahre am flärkiten 
ift, nimmt von da an von Monat zu Monat ab, ohne 
daß jedoch hierin eine conftante Proportionalität ftattfände. 
Die Alterömortalitdt kann Direct und indirect berechnet 
werden. Das directe Verfahren ift das einfachfle und zu= 
gleich das allein zu einem zuverläffigen Reſultate führende, 
wofern es auf zahlreiche und vieljährige Beobachtungen 
bafirt werden kann. Es befteht darin, daß man die Mit: 
telzahl der in einem Jahre Verftorbenen von jeder Alters 
claffe durch die Geſammtzahl der gleichalterigen Lebenden 
dividirt; denn find diefe beiden Größen mit gehöriger Ge⸗ 
nauigkeit ermittelt, fo muß fid) daraus unleugbar dag 
reelle Mortalitätsverhältniß ergeben. Leider fehlt es aber 
dermalen noch durchaus an den erfoberlihen Documenten, 
um eine folhe Berechnung vorzunehmen. Die inbirecte 
Berechnungsart ftügt fi) auf die Mortalitätstafeln. Aber 
diefe ergeben in ihrer jegigen Einrichtung die wirkliche Abs 
fterbeordnung keineswegs. So viel fcheint jedoch aus den 
bisherigen Unterfuchungen hervorzugehen, daß namentlidy 
für das männliche Gefchlecht zwifchen dem zwanzigſten und 
fechsundzmangigften Jahre eine größere Sterblichkeit ein= 
tritt. Dagegen fcheinen die dreißiger Jahre für das weib⸗ 
liche Sefchlecht gefährlicher zu fein als für das maͤnnliche. 
Die Jahre, in denen ſich bie Menſtruation verliert, zeigen 
fih für das weibliche Geſchlecht nicht fo Eritifch, als man 
geglaubt bat, und ebenfo werden die fogenannten kritiſchen 
oder klimakteriſchen Jahre duch die Statiſtik nicht beſtaͤ⸗ 
tig. Die Angaben, aus denen man fchloß, daß die Ehe 
ein Lebensverlängerungsmittel ſei, ftellen fih, ber Kritik 
des Verf. gegenüber, völlig ungenügend dar. Hinſichtlich 
ber Mortalität der MWöchnerinnen verdient unterfucht zu 
werden, ob und in welchem Berhältniffe eine Niederkunft 
bei den erſten Geburten, für jede Altersclaſſe der Mütter, 
für Unehelichſchwangere u. dgl. lebensgefährlicher fein mag. 
Auch über den Einfluß der Gewerbe und höhern Berufs 
arten auf die Sterblichkeit fehlt e6 noch ganz an verbuͤrg⸗ 
ten und genügenden Daten. Am meiflen muß «6 befrem⸗ 
den, baß über die Verhäitniffe des Militairs in biefer Be⸗ 
giehung noch fo wenige Unterfucgungen angeflellt find, und 





um fo mehr, da die vorhandenen auf fehr ungänftige 
Erfheinungen hinmeifen. In den Gefüngniffen war die 
Sterdlichkeit natürlich früher fehr groß, bat fidy aber neuer: 
dings fehr vermindert. Daß fie felbft geringer fel ale 
wuter Freien, erlärt der Verf. fur einen Irrthum, bei bem 
man nicht berüdfichtigt habe, aus welcher Altersclaſſe die 
Mehrzahl der Gefangenen herruͤhrt. Die Armuth anlans 
gend, fo berechtigten parifer Berechnungen zu dem Schlufje, 
daß fie die Sterblidykeit wenigſtens verdoppelt. Zur Sta: 
tiſtik des Todes wuͤrden auch Angaben Über ben relativen 
Sinfluß der verfchiedenen Todesurſachen auf die Mortali: 
tät, forsie über die Morbilitäe (Frequenz der Erktankun⸗ 
gen) und relative Toͤdtlichkeit der Krankheiten gehören. 
KHimmt die Mortalität mit der Morbititäe parallel zu und 
ab? Über den Setbftmord ergibt ſich auch aus den noch 
ungenügenden Unterlagen body fo viel, daß er in manchen 
Ländern häufiger ift als in andern, in Städten häufiger 
als auf dem Lande, daß er in neuerer Zeit und mit der 
fortfchreitenden Giolfifation merklih zugenommen, daß er 
weit häufiger von männlichen als von weiblichen Perfonen 
und vorzugsweije in gewiffen Altern verübt wird. Die 
Mordthaten fcheinen in gleichen Verhältniffe abzunehmen, 
wie die Selbftimorde zunehmen. Die Zahl der Seldſtmorde 
unterliegt aber großen Schwankungen und zumeilen wird 
dee Setbftmord epidemifh. Die Daten der Longävitäte: 
ſtatiſtik find noch ungenägend. Saft ohne Ausnahme fin: 
det man jedoch unter den über 80 Jahre alt Geftorbenen 
mehr weibliche; zweifelhaft it e8 aber, ob mehr Weiber 
ale Männer über 100 Jahre alt werden. 

Einen welentlihen Theil der Bevoͤlkerungslehre macht 
das Studium der Zu⸗ und Abnahme, oder der Bewegung 
dee Bevölkerung aus. Um den Anwachs einer Bevoͤlke⸗ 
mg im verfchiedenen Zeiten zu vergleichen, ift es offenbar 
nithig, das Verhaͤltniß des Zuwachſes innerhalb eines 
Jahres zur Bevölkerung zu berechnen, und zwar das mitt: 
km aus einer mehrjährigen Periode. Diefes Augmenta⸗ 
tiendrerhaͤltniß finder ſich indeſſen nicht richtig, wenn 
man, wie bäufig geſchleht, den mittlern jährlichen BZumach® 
mit der Bevölkerungszahl am Anfang der Periode ver: 
geht, fondern es muß auch der mittlere Populationss 
fland der Periode in Rechnung kommen. Aus ben Ans 
gaben des Verf. über den Zuwachs der Bevoͤlkerung in 
Europa ergibt fi: daß fie in den meiften Theilen -diefes 
Belttheits, in alten, aus denen Data vorliegen, im Stei: 
sen it, DaB aber der jährliche Zumadıe nur in den wer 
nigften 1 Procent oder darüber — am meiſten in Eng: 
ind (1,48), am wenigſten in Belgien (0,7) beträgt und 
daß in vielen die Vermehrung bereits wieder und merklich 
abuinımt. Beſondere Beruͤckſichtigung erfobert aber auch 
die Statiſtik der Sin: und Auswanderungen. Kerner iſt 
auch die relative Zunahme der verfchiedenen Beflandtheite 
der Bevoͤclklerung zu unterfuchen, bee Stand berfelben in 
Betreff der Sexual⸗, Alters :, Gewerbs⸗, Wohnorts >, 
Stammwerhaͤltniſſe. Ferner der Einfluß außerordentlicher 
Zufände auf die Fortſchritte des Bevoͤlkerung. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Koh’ Reife nah dem Kaufafub. 

Reife durch Rußland nah dem kaukaſiſchen Iſthmus in 
den Jahren 1836 — 38. Von Karl Koch. Gtute 
gart, Gotta. 1842. Gr. 8. 23 Thle. 10 Re”) 

Es ift diefer fchägbaren Unternehmung, bie in Sammlung 
werthvoller Reifefchitberungen fortfährt, in d. Bl. fchon oͤfter 
mit verdientem Lobe und mit Theilnahme gedacht worden. Biel 
leicht war es eben jegt nicht der rechte Zeitpunkt ein größeres 

Werk über Rußland in bdiefe Sammlung aufzunehmen. Die 

verfchiebenen Schriften des trefflihen 3. ©. Kohl über Rußland, 

ufanımen zehn Bände füllend, haben uns an eine fo wiſſen⸗ 

N haftliche, fo tebenvolle, fo geiftreihe Behandlung diefes Stoffe 

gewöhnt, daß es Außerft ſchwer fallen muß, nach einem fo ber: 

vorragenden Werke durch irgend ein aͤhnliches über benfelben 

Gegenftand noch eine regere Theilnabme zu erwecken. Der Reiz 

ber Darftellung, welder die Kohl'ſchen Schriften auszeichnet, 

fehlt dem vorliegenden Werke zu ſehr; der Verf. ſtellt ſich 

Au fehr auf feinen fubjectiven Standpunkt, er greift zu wenig 
den Schacht tieferer Reflerion und allgemeiner Wiffenfchaft 

binein, als daß er mit einem Dann, wie Kohl if, auch nur 

von weitem um ben Preis ringen Tönnte. Inzwiſchen führt 
ihn feine Wanderung doch durch Gegenben, bie jener Reiſende 
nicht ſpeciell geſchildert hat, und für biefen Theil feiner Arbeit, 
die ald Supplement zu feines Nebenbuhlers Schriften bienen 
kann, find wir ihm zu aufridhtigem Dank verpflidtet. Wo er 
jedoch mit diefem auf demfelben Terrain yufammentrifft, da 
wirb ber Unterſchied ber Auffaffungen auf lehrreiche Art fichts 
bar und es zeigt fi, wie weit bie Kunflform auch in ber 

Reiſebeſchreibung ihre Rechte und ihre Bedeutung geltend macht. 

Dies ift beifpielsweife der Kal mit der Schilderung des Weges 

zwifchen Petersburg und Moskau, welche auch bier den Cingang 

des Buchs bildet. Diefe Schilderung, welcher Kohl fo viel Reiz, 

Neuheit und Anziehungskraft zu geben mußte, baß unfer Ins 

tereſſe daran auch nicht einen Augenblidt lang erlifcht ober 

ſchwaͤcher wird, erfcheint hier ziemlich einfarbig, gleichſam grau 
in grau gemalt, und bie Ränge bes Wegs wird, um wenig zu 
fagen, dem Lefer fühibar. Kohl glänzt in bem Stil Benvenuto 

Gellin!’s, Alles iſt Thatſache des Beiftes, Anſchauung, unmittels 

bares Bild; Koch dagegen erinnert an den „Anacharfid’” und feine 

Rachbildner, in feiner Schitberung bebt fi nur etwa das Wild 

des alten Nowgorod, biefer fabelhaften Erſcheinung des ruſſi⸗ 

fhen Mittelaiters, als mit Wärme gemalt, hervor. In mans 
her Beziehung gibt bie vorliegende Neifebefchreibung aud ges 
rabezu bie Kehrfeite dee Kohl'ſchen Blider, bie allerdings mit 
unverfennbarer Vorliebe gefchaffen find. Die ruflifchen Staͤdte⸗ 
anfichten 4. B. fallen eher unter unferer Erwartung aus, waͤh⸗ 
rind fie bei Kohl fi mehr beroorheben als wir erwarteten. 
In den Heifebegegniffen weiß der Verf. nicht immer bas Ans 
ziehende von bem Unbebeutenden zu trennen, unb er trifft die 
feine Linie bes guten Geſchmacks nicht fo wie Iener. An Bus 
firömen ber Thatſachen, an Wiſſenſchaft und beweglicher ſchwung⸗ 
bafter Keflexion fteht ee feinem Vorgaͤnger weit nach, dem an 
tiefen Gindringen in das Material, an Kenntniß und überblick 
wol nicht leicht Jemand gleichkommen mag. Dagegen liefert er 
in großer Anzahl kurze und brauchbare Reiſenotizen unb em: 
pfiebit fi damit den Retfenden, weldye ibm nachfoigen. Hierin 


grenzt fih denn auch das Verdienſt biefer Schrift befonders ab. 
Bon Moskau nimmt au er den Weg nad Drel, Woros 


nei und Azow. Wir begegnen auch bier unter Anderm einer 
jener charakteriſtiſchen Räuberfcenen, bie uns auch Kohl fchildert 
und aus w bervorgeht, wie wenig ber Hufle zu ſtarken 
Verbrechen disponirt ift, und wie felbft die Straßenräuberei bci 
ibm den Sharakter der Yrellerei annimmt, um ſich mit einer 
gewiſſen Gutmuͤthigkelt auszufpredden. Bine ausführliche Schil⸗ 
derung ber KRofadenftämme parallelifict biefelben befonders mit 
den Webuinen Arabiens, ohne genugfam zu berüdfichtigen, daß 


TU | [05 


*) X. u.d. T.: Reifen und Länberbefchreibungen ber ditern 
und neueften Belt. Mit Karten. Dreiundzwanzigſte Lieferung. 


0 
7 


dieſelben ——— überall dieſelben Sitten erzeugen 
werben. Lieblich und willkommen find die Lieder, welche er mit: 
theiit und mit denen dee doniſche Koſack feinen Water Don, 
den er, weil er aus dem Imanfee entſpricht, zaͤrtlich Zwano⸗ 
Pd (Iwansfohn) neant, gu befingen liebt. 3. B. das eins 


ade Lien: 
Tichiy Don Stiller Don 
Biniy Don Blauer Don | 
1 sehirok Und breit 
I globuk Und tief u. f. w. 


Diefes feines faſt vergötterten Stromes gedenkt ber Koſack 
wnabläffig und feldft bei dem Xoaft, ben er bei feinen Gaſt⸗ 
mahlen dem kaiſerlichen Herrn zubringt: „Es lebe der Kaifer“, 
zuft er, „im felfigen Moskau und wir donſche Burſche am 
fanftfließenden Don!” Im achten Gapitel wird Neu⸗FTſcher⸗ 
keſſien gefchildert und hier beginnt jener werthuollere Theil dies 
fes Reifeberichts, deffen wir oben gedachten. Ciskaukaſien, mit 
der Hauptſtadt Stauropol, bie nomadifirenden Nogaier, ein 
Miſchlingsvolk von turkomaniſchem Stamm, mit Mongolen und 
Komanen gemifcht, und den krimſchen Sultanen tributpflichtig, 
in 10,000 Fitzhütten, etwa 70,000 Seeten ſtark, wohnend; bie 
Truchmanen (Zuraner), etwa ‚10,000 Seelen ſtark, und Kalmüs 
ten, felbft nach der Auswanderung von 1771, welche 60,000 
Seelen entfernte, immer noch der ftärkfte, 28,000 Kitzhütten ‚bes 
wohnende Volksſtamm, werben in ihren Sitten, Gebräudyen, in 
ihren fitttichen und politifchen Verhältniffen mit dankenswerthem 
Detail gefchildert, und bie Städte Georgieffst, Pjatigorok, Kons 
ftantinoff u. f. w., traurige Flecken, dargeftellt. Die Reife durch 
bie Kofadenlinie gibt Anlaß zu ausführlicher Darftellung diefer 
eigenthümlichen Militaircolonien und führt zu dem Kabardah⸗ 
gebirge, das ſchon dem Kaukaſus angehört. Won hier an be: 

- ginnen bie Zfcherkeffendörfer und die berühmte Kette von Veſten, 
“mit welchen Rußland die Faukafifchen Völker zu bezwingen hofft. 
Jenſeit des Leögen wird zuerft die Veſte Uruch bei dem großen 
Dorfe Borof befuht. Die Flora wird bier ſchon ganz die kau⸗ 
Zafifche, die Bevoͤlkerung von Aul ſchon ganz tfcherkeffiih. Die 
Srengbeflimmung für biefen Volkeftamm ift aͤußerſt ſchwierig, 
da die Maffe des Volks fi laͤngſt mit feinen Nachbarn viels 
fach gemifcht hat. Nur die Herrenfamilien haben ſich rein er: 
halten, und infofern beißt ber ganze norbweftlihe Kaukaſus 
nit mit Unrecht Tſcherkeſſien, obgleich Abofen, Zataren, No⸗ 
gaier unb Offen bie überwiegende Bevölkerung bilden. Diefen 
großen Landftrih, ben Kabarbah:, ben Kuban : Labafreis, bie 
Küfte, dann Abaffate, den Tatarenkreis und den Nogaikreis ler- 
nen. wir zuerft mit allen ftatiftifchen Einzelnheiten kennen und 
erfreuen uns hiernächft an einer warmen und lebendigen Dar: 
ftellung der Volksthuͤmlichkeit jener, jegt fo viel befprochenen 
tſcherkeſſiſchen Bevölkerung, welche in Ciskaukaſien auf 650,000 
Köpfe angelchlagen wird. Wie Bell nnd Marigny theilt auch 
der Verf. Proben tfcherkeffifcher Kriegslieder mit; er lehrt uns 
dies nüchterne, tapfıre, abergläubige, aber hochherzige Volk ger 
nau Eennen und ſtellt befonders fein Religionsfoftem lichtvoll 
und klar bar, in weichem bie Verehrung des Kreuzes Hand in 
Hand mit ber feiner alten Götter Tſchiblah und Zieges u. f. w. 
fortbeſteht. Wir- find vem Verf. für dies lobwuͤrdige ethnogro 


phiſche Bild zu Dank verpflichtet. 





Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Wenn die wahre Bibliomanie mit all' ihren ſonderbaren 
Ausartungen in England zu Haus iſt, ſo muß man Frankreich 
als das Land nennen, wo die Bibliographie bie meiſten wah⸗ 
ren Liebhaber zählt. Die Societé des bibliophiles Fann als ein 
Gentrum derſelben gelten. Die Leiflungen dee Geſellſchaft auf 
dem Gebiete der Bibliographie find, befonbers was Iiterariiche 
Suriofa und Raritäten anbetrifft, ſehr anerkennungswerth. 
Außer ben erften Gelehrten von Paris nehmen noch: mehre 
befannte Bibliophilen daran Theil, die durch ihren Reichthum 


in. den Stand gefegt werden, ben oft wunderlichen Launen der 
Boucherwuth nachzugehen. Das „Bulletin du bibliophile‘, das 
bereits felt einigen Jahren von Charles Nobier rebigirt wird, 
bitder eine förmliche Fundgrube für die Kenntniß ber alten 
Drude, der bibliographiſchen Geltenheiten, der Editiones prin- 
eipes u. ſ. w. Unter ben verfchiedenen Mitarbeitem an dieſer 
Zeitſchrift zeichnet ſich befonders Babriel. Peignot, Bibliothelar 
in Lyon, aus, der durch eine große Anzahl werthvoller biblio⸗ 
graphiſcher Abhandlungen, z. S. fein „Képertoire des biblio- 
graphies apéciales“ u, f. w. ruͤhmlichſt bekannt fl. Sharles 
Rodier ſelbſt, ber als Dichter, Sprachforſcher und Proſaiſt fo 
hoch ſteht, bat bekanntlich den Umfang feiner bibliographiſchen 
Kenntniſſe in feinen „Mélanges tirés d’une petite bibliocheque‘’ 
bereits bewiefen. Seine Auffäge im „Bulletin du bibliophile‘‘ 
zeichnen fih durch einen glänzenden Styl und oft durch einen 
glücklichen Wit aus, der felbfk die trockenſten @rörterungen der 
Bibliographie zu beleben weiß. So heben wir z. 3. einen 
Auffag über die Druckfehler hervor, der aus feiner Feder rührt. 
Ch. Rodier ift nie nur einer der ausgezeichnetſten und viel= 
feitigften Schriftſteller Frankreichs, ſondern auch einer der frucht⸗ 
barſten. ine vollfländige Sammlung ſeiner Werke würde als 
lein eine ziemliche Bibliothek ausmachen. Außerdem iſt er aber 
noch bei einer Menge von Journalen betheiligt und ficht noch 
der Leitung verfchiedener Kiterarifcher Unternehmen vor, die ſei⸗ 
nem Namen Ehre machen. So hat er ganz Fürziich erft wies 
der Die Herausgabe einer ganzen Bibliothek franzöfifcher und 
ausländifcher Meifterwerke übernommen, von ber bereits einige 
Bände erfchienen find. Diefelben enthalten bis jest die „Md- 
moires du cardinal Retz’’; „‚L&gendes populaires de la France‘, 
die eine neue Ausgabe der „‚Bibliotheque bleue“ bilden; ‚„Nou- 
velles vieilles et nouvelles“, yon Nodier, Töpfer, Baron von 
Peyronnet, Arthur Dudley. 





Schriftſteller aus den hoͤhern Claſſen der Geſellſchaft ſind 
nur ſelten im Stande, das Leben des Wolkes aufzufaflen und 
barzuftellen. So ift z. B. die Pringeffin Amalie von Sadıfen, 
die mit befonberer Vorliebe das Leben der mittlern Stände zeich⸗ 
net, eine wirkliche Ausnahme. In ber Regel greifen die Schrift⸗ 
fteller, bie auf den hoͤhern Sproffen ber gefellfchaftlichen Leiter 
ftehen, ihre Geſtalten und Bilder aus ben Kreifen, in denen 
fie fich bewegen. &o fpielen 3. B. bie Romane der geiftvollen 
Comtesse Dash (Gomteffe Ging Mars) faft immer in den 
glänzenden Salons der ariftokratifchen Geſellſchaft. Die Gräs 
fin D. D., Verf. des Romans „La princesse Sobleska’” und 
bee „„Memoires d’une femme de qualitoô“, iſt ein anderer fol= 
der vornehmer Bas- bleu. Auch ihre Romane bewegen ſich in 
ber Sphäre, in der fie felber heimifch ift. Ihr neueſtes Werk: 
„J.a duchesse de Grammont. Roman historique ’, enthält 
einzelne anziehende Schilderungen aus dem ehemaligen Gefells 
ſchaftsleben. 





Die Franzoſen wenden ſeit einiger Beit dee Geſchichte ber 
pyrenäifhen Halbinfel eine befondere Aufmerkſamkeit zu. 
So erfcheinen zwei große, fehr umfaffende Geſchichtswerke über 
Spanien, von denen jedes ſchon zu einer beträchtlichen Bändezapt 
angefhwollen ift, nebeneinander. Es find dies die Geſchichte 
Spaniens von Rofleums St.: Hilaire und die von Gherled Roc 
mey. Von letzterer ſind vor kurzem der fünfte und ſechste Band 
erſchienen, die das Werk indeffen noch nicht beſchließen. Ta 
biefen neuen Bänden findet fich befonders ein höchſt Interefianz 
tee Abſchnitt Über die Echtheit des Cid. Kerner heben wir 
noch ‚eine Schilderung der Revolutionen und Kriege hervor, die 
im 13. Jahrhundert den Norden Spaniens verbeerten. Dex 
Verf. Enüpft hieran eine Geſchichte ber Vorgänge im ſüdlichen 
Frankreich, fodaß fein Werk auch für die franzölische Geſchichte 
nicht ohne Inteveffe it. Man erkennt in diefer Hiftorifchen Schrift 
gründlide und umfaſſende Studien und befonders eine fehe 
glückliche Darftellungsgabe. 2. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodbeud — Druck und Verlag von F. X. Brochaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung: 





Mittwod, 


11. Sanuar 1843. 





über Bevölkerungskunde. 
(Beſchluß aus Nr. 10.) 

Sinen befondern Abfchnitt widmet der Verf. der ſta⸗ 
tiſtiſchen Erforfhung ber Lebensdauer. Er hat es aber 
dabei hauptſaͤchlich mit einer Darſtellung ber wichtigſten 
zeitherigen Mortalitätstafeln und einer ſcharfſinnigen Kri⸗ 
tie derfeiben zu thun und kommt zu dem Schluſſe, daß 
man, um moͤglichſt richtig die wieklichen Mortalitätögefege 
zu beftimmen, nicht nur bie Altersverhältniffe der Geſtor⸗ 
benen, fondern auch die der Lebenden, und überdies noch 
die Zahl der Geborenm von allen Jahrgaͤngen, welchen die 
Geſtorbenen und Lebenden angehören, Eennen follte. Be⸗ 
fäfe man jedoch auch von nur 10 — 12 Jahren voliftän: 
dige und genaue Liften der jaͤhrlich Geborenen, ſowie der 
jährlich in jedem Alter Geftorbenen und der in jedem 
Alter (nady mehren Zählungen) Lebenden, fo müßte man 
mit großer Zuverläffigkeft aus den beiden erften die Ord⸗ 
nung für die erften Lebensjahre und aus ben beiden letz⸗ 
ten die für alle folgenden Stufen beftimmen können. In 
einer zweiten Abtheilung des Werks (S. 441 fg.) betrach⸗ 
tet nun der Berf. die Bevölkerungsverhältniffe einzelner 
Staaten, indem er bier, wie in allem Vorhergehenden, el: 
an geoßen Reihthum ſtatiſtiſcher Daten beibringe, kritiſch 
peaft und umſichtig anwendet. Übrigens ſieht man aus 
dem ganzen Werke, daß für diefe Unterfuchungen noch ſeht 
biel zu chun iſt und daß auch die Staatsverwaltung ih: 
nen nach Vieles vorzuarbeiten bat. 

as Bernoulii im Allgemeinen, verfucht Becher in dem 
zweiten Werke für einen einzelnen Staat, den großen oͤſtrei⸗ 
hiſchen Staatenſtaat. Allerdings iſt hier das Darſtellen vor: 
hertfchend. Obwol er auch das Dacgeſtellte beſpricht und 
Schluſſe daraus zieht, Erklärungen aufſucht, und obwol 
wir die Art, wie er das thut, keineswegs unter dem Maße 
billiger Anfprüche finden, fo dürften feine desfallſigen kei: 
Rungen doch weder den Anfoderungen Bernoulli's noch 
dem von Hoffmann gegebenen Beiſpiele vollkommen genuͤ⸗ 
gen. Allerdings war auch er durch die Mangelhaftigkeit 
feiner Unterlagen beſchraͤnkt; das Vorhandene hat er mit 
Eifer, unter Beruͤckſichtigung der von Bernoulli, deſſen 
Schrift ihm bereits bekannt war, gegebenen Winke, be 
must. Wichtig wird aber das Merk hauptſaͤchlich durch 
die große Maſſe von ftatiftifhen Daten, bie es in Be: 
treff der Bevoͤlkerungsverhaͤltniſſe des großen Kaiſerſtaats 


beibringt. Der erſte Abſchnitt iſt der Bewegung der Be⸗ 
voͤlkerung gewidmet und betrachtet zuvoͤrderſt die Bevoͤlke⸗ 
rung nach der Anzahl beider Geſchlechter, des Militairs 
und der Vertheilung nach dem Flaͤcheninhalte, bei alle 
dem, wie durchgehends in allem Folgenden, die einzelnen 
Provinzen unterſcheidend. Die Ein: und Auswanderun⸗ 
gen werden befonders betrachtet. Kerner wird daB Ver: 
haͤltniß der Städte, Marktflecken, Dörfer, Häufer und Fa⸗ 
milien zum Flaͤcheninhalte im Allgemeinen und nad) den 
einzelnen Provinzen und es wird die Bevölkerung nach 
ber Religionsverfchiedenheit dargeftellt. Hierauf das Ber: 
hältniß der Geburten nach den Gefchlehtern und mit Bes 
rüdfichtigung dee unehelihen und todtgeborenen Kinder. 
Bei den Trauungen konnte er wenigftens die Lebensjahre, 
in denen beide Gefchlechter die Verbindung eingegangen, 
angeben, woraus man freilid das gegenfeltige Verhaͤltniß 
noch nicht ermeflen kann. Das ergibt fih, fo fagt er, 
daB vom 24.—30, Fahre und über 60 Jahre die Mehr: 
zahl des männlichen, und vem 30. bis Über 50 die Mehr: 
zahl des weiblichen Geſchlechts fich verheirathet. Es ift 
dad aber falſch ausgedrüude und er hat fagen wollen, daß 
in den Jahren von 24— 30 und über 60 mehr Mäns 
ner al6 Weiber, und in denen von 30—50 mehr Weis 
ber als Männer heirathen. Denn bie ganz große Mehrs 
zahl des weiblichen Geſchlechts heirathet allerdings bis zum 
dreißigften Jahre. Er gibt ferner die auf das ledig und 
verwitwet Heicathen bezüglichen Zahlen an. Die Zapf 
der Trauungen, wo der eine Theil ledig, ber andere ver: 
witwet war, beteug im Durchſchnitt ein Viertel aller ge: 
trauten Paare. Man vermißt aber bier die Angabe des 
Gefchtechtsverhättniffes. Hinſichtlich des Confeſſionsverhaͤlt⸗ 
niffes bemerkt er, daß die Zahl der proteftantifhen Trau⸗ 
ungen fehr gering fei und die Eingehung von gemifchten 
Shen feit 1834 beträchtlich abgenommen hätte. Bel dem 
die Mortalität betreffenden Abfchnitte hatte er den Bors 
theil, die Altersclaffen der Verſtorbenen angegeben zu fins 
ben. Auch hier war die Sterblichkeit des weiblichen Ges 
ſchlechts geringer. (Nur Dalmatien und 1837 auh Be 
nedig und Galizien maden davon Ausnahmen.) Die mei 
ſten Zodesfäle kommen in Dftreih unter der Ens vor, 
weit Wien dazu gehört; darauf folgt bie Militairgrenze, 
darauf die italienifchen Provinzen. Die geringfte Sterbs 
Kichkeit findet man in Dalmatien, Ungam, Siebenbürgen, 


Ag. 


Sprim und Tirol. Ganz angemefien dieſem Verhaͤlt⸗ 
niſſe und den obigen Lehren Bernoulli's entfprechend fin: 
det man in benfelben Provinzen, welche die geringfte 
Sterblichkeit haben, auch die geringſte Reproduction, das 
egen die gsößte in der Militairgrenze und Italien, ron 
die Sterblichkeit am größten war. Die größte Sterb⸗ 
lichkeit hat von der Geburt bis zum vierten und vom 
fechzigften bis zum achtzigſten Jahre flattgefunden. Die 
meiften Sterbefälle in Folge der Blattern kamen in Ga: 
lizien, dann in Stalien vor, fehr wenige in Öftreich ob der 
Ens, im Küftenlande und in Dalmatien. Durch Un: 
gtuͤcksfaͤlle kamen die Meiften in Galizien, Böhmen und Ita: 
lien, duch die Hundewuth auffallend viele in Siebenbürgen, 
durch den Selbftmord die meiften in Oſtreich unter der Eng, 
Böhmen, Mähren und Galizin, die wenigſten in Dal: 
matien, im Küftenlande und in Zirol, durch Mordthaten 
om meiften in Galizien, Sstalien und Dalmatien um. 


Der ſlawiſche Stamm vermehrt fih am ſtaͤtkſten, nad 


diefem kommen die Deutfchen; eine Ausnahme von bieler 


Regel bilden Öftreich "und Tirol, wo die Vermehrung 


ſchwach iſt; die am menigiten ſich vermehrenden Unter: 
thanen find bie Magyaren. 

Eine befondere Abtheilung iſt der Vertheilung der Be: 
völkerung nach Stand und Beſchaͤftigung gewidmet. Hier 
gibt ber Verf. zuvoͤrderſt eine Hauptüberficht der verfchie: 
benen Kategorien und Belhäftigungen der Bevölkerung in 
den Jahren 1834 und 1837, unterſchieden nach den Pro: 
vinzen und mit den Rubriken: Geiltliche, Adelige, Be⸗ 
amte, Honoratioren, Gewerbleute und Künftter, Bauern. 
Don der ganzen Bevölkerung kommen ungefähr auf 1000 
Individuen im Durchfchnitte 2 Geiftlihe, 3 Beamte, 
7 Gewerböleute und Kuͤnſtler, 11 Adelige, 13 Militairs, 
54 Bauern, 186 Individuen des Nachwuchſes von ber 
Geburt bis zum funfjehnten Lebensjahre, 29 des Nach: 
wuchſes vom fechzehnten bie achtzehnten Jahre und 187 
in Beine dieſer Kategorien gehörige (mobei es dunkel bleibt, 
woraus fich diefe Claffe, außer den Mentiers, dem Ge⸗ 
finde und den SProfetarieen, zufammenfegt), fowie 508 
Sreauenzimmer. Die größte Zahl der Geiftlihen haben 
Ungarn und bie Lombardei, bie melften Adeligen Ungarn, 
Siebenbürgen und Galizien, die meiften Beamten und Ho» 
noratioren Ungam und die Lombardei, die meiften Ge: 
werbsleute und Künftfer bat Böhmen, die meiften Bauern 
haben Ungarn und Galizien. Aus dem ber befondern Be: 
teachtung der Geifttichkeit gewidmeten Abfchnitte hebe id) 
aus, daß 1839 in den beutfhen und ſlawiſchen Provin⸗ 
zen 55 Perfonen vom katholiſchen zu akatholifchen (1837: 
54), dagegen 489 (1837: 484) von afatholifchen und 


99 (1837: 75) vom jüdifchen zum katholiſchen Glau⸗ 


bensbekenntniſſe übergetreten find. Hier wie in den fol 
genden Abfchnitten dient viel zur Darlegung der beftehen: 
den Einrichtungen. Zur Civilverwaltung gehörige und 
aus Staatskaſſen befoldete Beamte zählte man 1839 
37,989 (367 mehr als 1837), wozu nod 5557 Prak⸗ 
titanten, 1765 Diumiften, 38,223 Diener, Wächter und 
Auffeher, 52,728 Arbeiter kamen. Die Bezuͤge betrugen 
34,690,624 Gulden. Dazu kamen nod an Penfioniften 


s 


1138 Beamte, 9327 Beamtenwitwen, 744 Diener, 1249 
Dienerwitwen und 7403 Kinder mit 5,517,179 Gulden 
Bezügen, und an Provifioniften 11,445 Männer, 74,155 
Witwen, 7758 Kinder mit 1,148,511 Gulden Bezügen. 
Der active Gtand ber Militairmacht belief fi) 1830 auf 
465,132 Mann (53,818 weniger ald 1834.), Davon 
ftanden 281,833 in den beutfchen, 120,329 in den un: 
garifchen, 63,770 (1834: 103,542) in den ftalifchen Pro: 
vinzen. Die größte Anzahl war verhältnißmäßig in Ga⸗ 
lizien flationirt (1837: 81,271 Mann, 16,085 mehr. als 
1834). Hinſichtlich des Gemwerbflanbes geben genaue Tas 
beilen über deſſen Vertheilung in die einzelnen Branchen 
Aufſchluß. Ein befonderer Abſchnitt ift den Lehr-, Erzie⸗ 
hungs⸗ und Bildungsanftalten gewidmet und bat in fel: 
ner fpeciellen Ausführung großes Intereſſe. Auch in Öft- 
reich bat ſich die Frequenz der Univerfitäten, mit Aus: 
nahme jedoch der italienifhen, vermindert. Die meiften 
Schulen haben Zirol, wo auch allein mehr fchulbefuchende, 
als ſchulpflichtige Kinder gezählt werden, die Lombardei, 
die Militairgrenze, Mähren und Böhmen, bie menigfter 
Dalmatien, das Küftenland und Galizien. In Tirol 
kommt eine Schule auf 512, in Dalmatien eine auf 
7140 Einwohner. Merkwuͤrdig iſt der Unterſchied zwis 
ſchen der Lombardei, wo eine Schule auf 696, und dem 
Benetinnifhen, wo eine auf 1310 Einwohner kommt. 
Noch kommen am Schluffe einige Nachträge aus bem 
Jahre 1840. Friedrich Bülau. 





Gfroͤrer's Allgemeine Kirchengeſchichte. 
Veranlaßt duch Hrn. Profeſſor A. Fr. Gfrörer’s „Allge⸗ 

meine Kirchengeſchichte“ haben wir früher in d. Bl.) —8 
erſten Band und uͤber die erſte Abtheilung des zweiten Bandes 
dieſes Werkes unſern Leſern einige zeitgemaͤße Gedanken vor⸗ 
gelegt und, im allgemeinen Intereſſe, auf den ausgezeichneten 
Werth diefer Kirchengeſchichte, fo viel an uns Liegt, aufmert⸗ 
fam zu machen geſucht. In derfelben find über fehr bedeutende, 
von neuem aufgeregte Kragen, bie Bierarchie und ihre Verhaͤlt⸗ 
nie zum Staate betreffend, fo nöthige als erwuͤnſchte beleh⸗ 
rende Auffchläffe zu finden. Mit klarem, erleuchtetem Berflande 
bat der Verf. die Aufgabe einer chriſtlichen Kirchengeſchichte in 
unferer Zeit aufgefaßtz mit gruͤndlicher Gelehrlamkeit und viel: 
feitig geübtem Zalent Hat er feine Aufgabe gelöfl. Wir willen 
nit, was bie Gelehrten vom Fach zu den neuen Anfichten und 
vn der von bisheriger Routine abweichenden Methode des Verf. 
agen werben; find aber überzeugt, baß wahrhaft civilifirten 
Männern des Jahrhunderts feine Arbeit, als Befriedigung eines 
unabweislihen Bebürfniffes, willkommen fein werde. Jeder 
Gebitbete, jeber denkende Geſchaͤftsmann ſieht fi, zum Vers 
ftändniß und zur Würdigung unferer Beit, faft täglich dringend 
aufgefobert, über Entſtehung und Ausbildung ber Kirche und 
deren alte Wirren gründlich fig zu unterrichten. Zur Beur⸗ 
theilung ber erneueten Anſpruͤche der Bierarchie können weber 
liberale. noch minifterielle, abfprechende Phrafen genügen; mit 
ihrem Wefen Tann nur das Stubium der Kirchengeſchichte une 
befannt machen. In biefer Beziehung hat ſich Dr. Gfroͤrer ein 
namhaftes wahres Verbienft erworben. Wir glauben baber bie 
Fortſetzung feines Werkes (Band II, zweite Abtheilung), wie 
feüger bie erſten Lieferungen, mit gleicher Unparteitichleit als 
eine gelungene, aus felbftändigem Geiſte hervorgegangene Arbeit 
unfern Lefern empfehlen zu müffen und ihnen einen moͤglichſt 
gebrängten Bericht über bicfe Fortfegung ſchuldig zu fein. 


*) Bergl. Nr. 12 f. 1841 und Nr. 26 f. 1848, D. Red. 








4 


Der Werf. erzaͤtit bier bie Geſchichte der Kirche vem 
Kaiſer Konſtantin bis zu dem Papſte Gregor J., d. i. von 
323 bis 622 chriſtlicher Zeitrechnung. Mit gleichem befonnenen 
Berſtande und lichtvoller Auffaſſung bes Charakters verſchiede⸗ 
ner Zeitperioden, mit gleicher moͤglichſter Unparteilichkeit und 
gruͤndtichem Gtubium der Quellen, wie in ben beiden erſten 
Lieferungen, weiß er in ber Fortſetung bie ftufenweile Ent: 
widelung ber hierarchiſchen Macht nad, wie jolche ſich Dom 
4. bis zum 7. Jahrhundert in den morgenlaͤndiſchen Bis: 
thämern, und noch confequenter im Abenblande, durch kiuge 
Serechnung ber Inhaber des Stuhis von Rom, ausbilbete. 
Bir erinnern und nicht, ben Unterfhieb theoretiſcher Gpigfins 
digkeiten ber byzantinifchen Kirche und bes praftifchen, auf Bes 
gründung theofratifcher Macht gerichteten Verfahrens der Rad: 
folger St.⸗Peter's in irgend einer Kirchengefchichte fchärfer 
und beutlidder bezeichnet gefunden zu haben. Der Verf. ſchil⸗ 
dert, geftügt auf die aͤlteſten Zeugniffe, großentheils mit ben 
eigenen WBosten der Zeugen, bie Gharaktere und Syſteme ber 
jenigen Perfonen, durch weiche die fruͤhern Streitigkeiten kirch⸗ 
licher Parteien aufgeregt wurden. In Erforſchung der Motive 
ihrer Danblungen verräth er Menfchentenntniß, beren Reſultate 
leider nicht immer erfreulich find, und noch weniger in einer 
andern Zeit zur Nachahmung reizen. follten. ‚Möchte es auch 
ſcheinen, daß ber Verf. bisweilen zu kuͤhn über die Beweg⸗ 
gründe von Handlungen urtheüt, die vor mehr als taufend Jah: 
sen verübt wurden und über deren Zuſammenhang in den Schrif: 
ten ber Beitgenofien keine Aufklärung gu finden if: fo wird 
man doch geſtehen mülfen, daß Hr. Gfroͤrer pſychologiſche Gruͤnde 
fuͤr ſeine Bermuthungen geltend zu machen. weiß. In 
auf die Kämpfe der kirhlidden Parteien haben wir in bem 
Werke oft Anlaß gefunden, zu bemerken, wie in dieſen Kämpfen 
der Sieg felten dur größere Heiligkeit des Zweckes, baͤufiger 
durch Prieſterſchlauheit und gewoͤhnlich mit Huͤlfe weltlicher 
Gewalt ſich bald auf die eine, bald auf die andere Seite neigte, 
fobaß bie goͤttiiche Offenbarung, auf welche fi alle Parteien 
beriefen, in ein Gezaͤnke über unverftändliche, widerfprechende 
Säge zerriffen wurbe, bie bald als alleinfeliamachend, bald als 
ewig verdammlich gelten ſellten. Einheit kam in dieſes Chaos 
nur, als ber alte roͤmiſche Herrſchergeiſt ſich des damaligen 
Bolksglaubens, ſogar im Bunde mit heidniſchen Ceremonien, 
bemaͤchtigte und dadurch den geiſtlichen neuen Rom die Welt⸗ 
herrſchaft ſicherte, welche das alte Rom durch Waffengewalt und 
mütifche Künfte erworben hatte. Des Berf. Schilderungen bier 
ſer Berhältniffe und Zendenzen find von hohem hiſtoriſchen und 
pükhen Intereſſe und der ernſtlichſten Erwaͤgung in unfern 
Toga würdig; ihre Werth wird noch gefteigert durch feine un: 
(te, von allem Schwulft freie, fo klare ald Lebendige 
Derſtellung. Jeder gebildete Leſer fühlt fi lebhaft angezogen, 
ziht aleln dutch den Gegenfland ber Unterfuhung, fondern 
acch durch bie Darftellung, bie eindringend zum Verſtande wie 
zum Semüthe ſpricht und vielfachen Anlaß gibt zum Rachden⸗ 
ten über die wichtigſte Angelegenheit der Menfchheit. Und dies 
ſes Nachdenken wird ihm erleichtert, indem ex in dem Werke 
das Material der Gelehrſamkeit zu einem georbneten, verbun: 
denen Ganzen für allgemeines Verſtaͤndniß verarbeitet finbet, 
was ibn in den Stand feßt, ohne gelehrte Mühfeligkeit, aur 
mit Hülfe ber Logil und bes gefunden Verſtandes, ſachkundig 
über tirchliche Fragen zu urtheilen. Der ſinnige Leſer wird dem 
Bırf. auch dann für deſſen Forſchungen dank ar ſein, wenn er 
vielleicht mit deſſen Meinungen im Einzelnen nicht immer über: 
einkimmen ſollte. Denn in dem gewiſſenhaft treuen Auszuge 
bed Berf. aus den Acten ber kirchlichen Proceſſe find ſelbſt die 
Gründe eines abweichenden Urtheils unſchwer zu finden, was 
als ber ſicherſte Prüfftein ber Redlichkeit eines biftorifchen Be: 
i anerfannt werden muß. 

Fi diefen allgemeinen Bemerkungen wollen wir ben Ins 
halt der vorliegenden Abtheilung in ber Kürze anzeigen und 
dar) angezogene Stellen aus dem Werke felbft dem Leſer Ans 
laß zu eigenem Urtheil geben. Das erſte Capitel (das fiebente 


Bezug 


des zweiten Bandes) "Hat bie überſchrift: Die Donatiften 
und ihre Gegner. Prisecillian und der Kampf wiber ibn. 
Bilhof Martinus von Tours.“ Die Donatiften bildeten eine, 
auf verfländige Auffaffung der chriſtlichen Lehre und, anfangs, 
auf moraliſcher Gefinnung geflüste Sekte, beren Gegner bie 
fogenannten Rechtglaͤubigen, bie- bonatiftifche Anfiht nur bes 
tämpften, weil fie der Tatholifchen Herrſchſucht gefährlich zu 
werben drohte. ©. 547 fg. beißt es: „Seit bem Ende des 
3. Jahrhunderts findet fich bei den lateinifchen Wätern bie 
Behauptung, daß die Seligkeit jedes Chriſten von feiner Theil⸗ 
nahme an der allgemeinen chriſtlichen Gemeinde bedingt fei. 
Diefelde fand anfangs allgemeine Zuflimmung, was natürlich 
war, da die Kirche bamals der überwiegenden Mehrzahl nad 
aus guten Menſchen beſtand. Als aber in der Mitte des 
3. Jahrhunderts ein gemiſchter Menſchenhaufe in die Kirche 
eindrang, als in Folge von Konftantin’s Belehrung Geld» und 
Ehrgeiz Zaufende ſchlechter Menſchen zum chriſtlichen Bekennt⸗ 
niß vermochte, mußte jener Grundfag angefochten werben. Am 
ſtaͤrkſten thaten dies die Donatiften. &ie flellten ihm bie Lehre 
entgegen: bie Kirche Chrifti fammt ihren Segnungen Sei nur 
ba, wo ber heilige Geift wirkte. Der heilige Geift wirke aber 
nur auf fittlich gute Seelen, nicht auf Verworfene und Schlechte. 
Eine Gemeinde, welche grobe Günder in ihrer Mitte bulbe, 
babe fich ſelbſt vom Leibe des ‚Herrn losgetrennt. In einer fols 
hen Kirche koͤnne der heilige Geift nicht durch die Sacramente 
feine Gaben ausſpenden; alle in ihr vollgogenen Sacramente 
feien leeres Gepränge ohne Kraft u. f. w. Sie behaupteten 
weiter: die Katholiken Afrikas feien dadurch, daß fie Verraͤther 
und Böpenanbeter als Brüder anerkannten, von Chriſto abges 
fallen und der Önadengaben verluftig geworden. Sie erklärten 
fie daher für nicht beffer als Heiden, und bemgemäß tauften fie 
Alle, bie von ben Katholifen zu ihnen übertraten, won neuem. 
Ein fo ſcharfes Urtheil, das über bie re tgläubige Kirche von 
Afrita den Stab brach, mußte die Anhänger ber lehtern tief 
beleidigen, die Katholiken bebarrten bartnädig bei der alten 
Überlieferung, baß nur, wer ber allgemeinen, durch bie Wifchdfe 
vertretenen Kirche angehöre, das Himmelceich erben fünne. 
Sie zogen weiter einen Schluß, welder eine zweite Kluft zwi⸗ 
fhen ihnen und den Donatiften aufthürmte: „Da jeder Chriſt 
(ſagten bie Katholiken) das Wohl feines Rebenmenſchen auf 
alle Weiſe zu befördern ſuchen muͤſſe, fo fei es nicht bloß ers 
laubt, fondern heilige Pflicht, Sole, welche ih aus Irrthum 
oder Hartnaͤckigkeit der Gemeinfchaft der Kirche Gottes entzögen, 
im Nothfall mit Gewalt einer Anftalt zuzuführen, außer wels 
her Niemand felig werden möge. Die Mittel, Verſtockte zu 
zwingen, befige aber nur ber Staat, folglich komme es ber 
Kirche zu, die Huͤlfe der Staatsgewalt aufzurufen, bamit dieſe 
Biderſtrebende und Abtruͤnnige durch bürgerliche Strafen zur 
Kuͤckkehr in den Schoos der alleinſeligmachenden Kirche nöthige.” 
Die Donatiſten ihrerſeits ſahen in dieſer Lehre einen neuen Bes 
weis des Werberbniffes, das in der katholiſchen Kirche herrfcht ; 
fie wielen fie mit tiefftem Abſcheu zurüd. Der roͤmiſche Kaifer, 
fagten fie, möge über bie Leiber feiner Unterthanen verfügen, 
er möge ihnen ihr Gelb nehmen, aber über ihre Seelen habe 
er keine Gewalt; biefe feien frei und ſtehen in Gottes Hand. 
Donats Nachfolger, Parmenianus, bewies im 3. 370 in einer 
Streitſchrift die Verdammlichkeit ber katholiſchen Partei, weil 
fie zur Zeit bes Konftantius gewagt, Soldaten egen Beken⸗ 
nee Jeſu autzufchiden und Bekehrungen burch finete zu 
erzwingen. Auch fpäter, als Auguftin gegen bie Donatiften 
auftwat, kamen fie wieder auf biefen Vorwurf zuruͤck. In ſei⸗ 
nem Buche gegen Auguſtinus ſagt ber donatiſche Biſchof Peti⸗ 
lianus: „Haben die ÄApoſtel irgend Jemand verfolgt, oder hat 
Chriſtus Einen der weltlichen Macht überliefert? Du aber, ber 
du dich einen Jünger Chriſti nennft, willft bie Miſſethaten der 
Heiden nachahmen Meint ihr Gott dadurch zu bienen, daß ihr 
uns mit eigner Hand mordet? Ihr Elenden irrt, wenn ihr dies 
glaubt; Gott will Eeinc ‚Henker zu Prieſtern. Chriſtus wollte 
die Menſchen durch fanfte Überredung zum Glauben bewegen, 


4 


nicht fie mit Gewalt dazu zwingen. Warum erlaubt She nicht 
en Soden feinem freien Willen zu folgen, da doch Gott fetbft 
dem Menfchen den freien Willen verliehen hat? Was hängt 
Ihr Euch an die Fuͤrſten diefer Welt, in welchen die Ehriſten⸗ 
‚beit ihre Feinde von jeher erkannte! Auf aͤhnliche Weife ſprach 
fich der bonatifche Biſchof Baudentius aus: „Bott hat ben Mens 
fihen nad} feinem Ebenbilde und darum frei gefihaffen. Warum 
wollt Ihr ihm durch menfchliche Willkuͤr entreißen, was Gott 
ihm verliehen! Iſt es nicht wahrer Hochverrath, daß menſch⸗ 
liche Anmaßung ſich unterwindet, zu rauben, was Gott und 
geſchenkt, und daß fie erſt noch ſich ruͤhmt, dieſen Raub im Ra⸗ 
men Gottes zu verhben!! Gin Menſch, ber Gott vertheidigen 
will, beleidigt dadurch den Höchften, denn er kann nicht anders 
denken, als daß Gott zu ſchwach ſei, das ihm widerfahrene 
unrecht ſelbſt zu raͤchen. Der allmaͤchtige Gott gebrauchte der 
pheten, um das Wolf Ifrael zu befehren, nicht Fuͤrſten übers 
trug er dieſes Befchäfts der Heiland der Seelen, Iefus Chris 
ſtus, fandte, um feinen Glauben zu verkündigen, Fiſcher aus, 
eine Soldaten.’ Diefer Auszug aus Gfroͤrer's Nachrichten von 
der verkegerten Sekte wird genügen, offenbar zu maden, daß 
die Donatiften, durch ihre Sefinnungen, eine viel veinere Mo: 
ra) verfündeten als die fogenannten Rechtgiäubigen, welche bie 
Menfchen mit Gewalt alleinfelig machen wollten und dadurch 
die Moral felbft vernichteten, die ohne freien Entſchluß unmoͤg⸗ 
Uch iſt. Die Anwendung ber Lehre der Donatiften auf neuere 
kirchliche Zuftänbe bleibt, wie billig, bem Scharffinn des Leſers 
fetbft überlaffen. Den weitern Inhalt biefes Sapitels, Priscis 
Han und die biutdürftige Verfolgung biefes unfchulbigen Schwaͤr⸗ 
mers, den der raͤnkeſuͤchtige unbeilige Hofpfaffe Ithacius hin⸗ 
richten ließ und den der große Wunderthaͤter Martin von Tour 
nicht vetten Tonnte, obgleich er ein gutes Wort für ihn eins 
Iegte, dieſe denkwuͤrdige Geſchichte koͤnnen wir hier nur andeus 
ten, und in Bezug auf bie Eehre, die aus ihr hervorgeht, auf 
das Werk felbft verweiſen. 
(Die Bortfegung folgt.) 





Literarifhe Notizen aus England. 


Miß Blamire. 

Ziemlich ein halbes Jahrhundert nad) dem Tode der Miß 
Blamire, der „Muſe von Gumberland”, haben zwei Verehrer 
ihrer Dichtungen, deren nur wenige bei ihrem Leben In Drud 
erfchienen. find, es über fich genommen, diefelben zu ſammeln 
und nebft einem biographifchen Memoir und erläuternden No: 
ten in einem zierlichen Bande zu veröffentlichen — unter dem 
Zitel: „Thg poetical works of Miss Susanna Blamire, ‚the 
Muse of Cumberland‘. Now for the first time collected by 
Henry Lonsdale, M. D. With a preface, memoir, and notes, 
by Patrick Maxwell” (Cdinburg 1842), Kein Freund ber 
Dichtkunſt wird «8 bereuen, die Sammlung zu lefen. Bier je 
doch etwas von ber Dichterin nad) Anleitung bed Memoir. Gie 
war 1747 in Gumberland geboren und bie Zochter geachteter 
Ütern, erhielt eine gewöhnliche Erziehung und ſtarb unverhei- 
zathet und unbefcholten zu Carlisle im I. 1794. „In ihrem 
DW. Jahre“, fchreibt der Biograph, „beſaß fie eine gefaͤllige 
Geſtalt, etwas uͤber mittelgroß, und, obwol ein wenig pocken⸗ 
narbig, trug doch ihr Geſicht das Gepraͤge der Guͤte. Ihre 
dunkein Augen ſpruͤhten Feuer und bei der erſten Bekanntſchaft 
mußte man fie lieb gewinnen. Ihre Landsleute nannten fie 
a bonny and varra lish young lass, was fo viel heißt als 
ein fehönes, junges, lebhaftes Mädchen. Das Ungezwungene 
und Kreundliche ihres Wefens Löfte die Schüchternheit ihrer uns 
tergeorbneten Umgebung. Jeder und Jede bemerkten fogleich, 
daß fie ihnen wohl wolle und ihr Gluͤck nach Kräften zu meh: 
ren ſuche. Ste nahm Theil an ihren gefelligen Zuſammenkuͤnf⸗ 
ten, bie in Gumberland merry neets heißen, und gab durch 
ihre huͤbſche Geſtalt, ihr huͤbſches Tanzen und ihre hübfche Luſtig⸗ 


teit dem Vergnuͤgen einen Reiz, ven es ohne fie entbehrt haben 
würde. Man bat mir gefagt, ſolche Gelegenheiten hätten the 
fetbft viel Freube gemacht, zuerft habe fie die verfchichenen 
Schattirungen um ſich her mit ſcharfem Auge gemuflert und 
dann fei fie dem Vergnuͤgen mit lebhaften Intereſſe gefsigt. 
Ehe noch die Heiterkeit des Abends die bei beriei Bufammens 
fünften anfangs fleife Zuruͤckhaltung geſchmeidigt, amufirte fie 
das verihämte Naͤherkommen irgend eines jungen Landmanng, 
der zögernd feinen befcheidenen Krapfuß zog und fie um die 
Ehre ihrer Hand zum Zanze bat. Mit herzlicher Gutmuͤthig⸗ 
keit ftand fie auf, fprang im Zimmer umher und verſcheuchte 
dadurch die Befangenheit, die den freien Ausbrudy der Luft, das 
laute Lachen des Frohſinns gehemmt hatte.” Miß Blamire 
war 19 Jahr alt, als fie das erſte größere Gedicht fchrich 
Sin Jahr fpäter vermählte fi ihre Schweſter mit dem Oberfl 
Graham auf und zu Sartmore und Suſanna begleitete fie nad 
ihrem ſchoͤnen Wohnfige in UntersPerthfhire. Bier machte fie 
fi mit den Sitten und der Sprache des Landes, mit ber 
Volkspoeſie und der Volksmuſik fo vertraut, daß fie zulegt in 
Schottiſch faſt ebenfo fertig dichtete wie in Engliſch. In weis 
der vermandtfchaftiichen Beziehung ihr Schwager zum Verf. 
des berühmten Liedes fland: „Oh tell me how to woo thee”, 
bat der Biograph nicht zu ermitteln vermocht, und das ift zu 
bedauern, indem bieraus ſich ergeben würbe, ob Walter Seott 
fi wirklich hat anführen laſſen, ats er jenes Lied in fein 
„Minstrelsy of the Scotish Border” aufnahm. Bon ihrem 
3. Jahre an Eränkelte die Dichterin und ihr Biograph gibt 
der Bermutbnng Raum, daß eine ungluͤckliche Liebe, unglüdtich 
buch das Dazwilchentreten der Verwandten des Geliebten, die 
Veranlaſſung geweſen. 


Ein neuer Roman von James. 


Abermals ein Buch und zwar eine dreibändige Novelle 
von G. 9. R. James, betitelt: „Morley Ernstein, or the 
tenants of the heart (London 1842) Das Buch hat eine“ 
Vorrede und biefe Borrede haben zwei englifche Kritiker in Ars 
beit, d. h. unter die Scheere genommen — XAinsworth in fels 
nem nicht befonders erheblichen „Magazine” und das keines 
Lobes bedürfende „‚Athenaeum‘‘, Ainsworth perfiflirt ſeinen 
Gollegen auf drei enggedrudten Seiten, redet gricchifch und Tas 
teiniſch, deutih und franzoͤſiſch und ſchleppt einen Ballaſt von 
Citaten herbei aus Homer und Shakſpeare, Tom Jones und 
Hamlet, Jago und Anaftaflus, Rowena und Othello, Rebekka 
und Humphrey Klinker. Und wozu? Um es lächerlich zu ma: 
den, daß der Held der Novelle, Sir Morley Ernftein, bis an 
den Rand aller Arten von Verſuchungen gelangt und nicht 
faͤllt. „Dieſe großmüthige Ruͤckſicht für feine Eefer, ‚to raise 
the mourals and to mend the heart‘, fagt Ainsworth, „hat 
den Berf. auf dem Zelde beengt, wo unfere großen Novelliften, 
dfe Altern tie die neuern, ihre Stärke entwidelt haben.” Das 
„Athenaeum’ ift — „einigermaßen in Verlegenheit, wie es 
fein Urtheil ausdrüden ſoll“, doch klingt fein Tadel im Ganzen 
gemaͤßigter. Alles dies hat James ſich durch ſeine Vorrede zu⸗ 
gezogen, denn hätte er darin nicht die Theorie feines Syſte mse 
auseinandergefeßt, fo fländen zehn gegen eins zu wetten, daß 
weder Ainsmorth noch das „‚Athenaeum‘ an der praßtifchen 
Ausführung Anftoß genommen haben würde. Ernſtein, bee 
Held ber Novelle, iſt ein in Vorkfhire, nahe bei Doncafter, ges 
borener Baronet deutfher Herkunft, erbt ein großes Vermögen 
und kommt beim Antritt feiner Volljaͤhrigkeit in deſſen Befte. 
Seine feften Brundfäge führen ihn aus langem Kampfe mie 
feinen Leidenfchaften zum Siege. Den Gegenfag bildet Graf 
Eieberg, der Verſucher zum Böfen, und die Bermittlerin zwi— 
ſchen Beiden iſt die tugendhafte Julie Carr. Außerdem fehlt 
es nit an Nebenperfonen, von benen jedoch Eeine überflüffig 
erfheint. Die Darſtellung ift feifh, der Ton gefund, die 
Sprache rein und felbft einige Digreffionen find zum Vortheit 
der Erzählung. 3 


Verantwortlicher Herausgeber: Deinrih Brodbaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brodhaus in Leipzig. 





Blatter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Donnerdtgg, 


— Nr 12, —— 


12. Januar 1843, 





Niebuhr's Reliquien. 


Niebuhr's Leben und Denken liegt jest in feinen Brie⸗ 
fen auf da6 klarſte vor uns. Die unerfchütterliche Recht: 
lichkeit feiner Gefinnung, fein fireng : fittlicher Ernſt, fein 
edler Patriotismus, fein echt willenfchaftliher Sinn, feine 
große Zärtlichkeit für Altern, Gattin und Kinder, feine 
aufopfernde Liebe für Freunde — Alles dies macht ihn 
jeglichen Lobes werth. Und dies kann auch da nicht ge: 
fdymätert werden, wo Niebubr bei dee Erregbarkeit feiner 
Gefühle und bei der Stärke feiner fubjectiven Überzeugun: 
gen ungerecht gegen Einzelne, wie 3. B. gegen den Für: 
fen Hardenberg, mard oder zu herben, Leidenfchaftlichen 
Tadel über gewiffe Beftrebungen und Anfichten ausfprach. 
Ganz ungetheilt aber ift fein Lob als Geſchichtſchreiber 
Roms im In: und Auslande, weit feine Gefchichte, wie 
die bedeutendften Philologen und Rechtögelchrten anerkannt 
haben, vor Alien Savigny, fo folgerecht, im Ganzen ge: 
nommen, durchgeführt iſt, daß man es nur als bie größte 
Ungerechtigkeit anfehen kann, wenn Jemand über ihn im 
fummarifhen Verfahren den Stab brechen wollte, etwa 
wie P. v. Kobbe mit Teidenfchaftlicher Erbitterung — aber 
furlich ohne Erfolg — gethban hat. Wenn dagegen Män: 
ar von Geiſt und Gelehrſamkeit, wie Dttfried Müller, 
Goͤttling, Rubino, Rein, Niebuhr's Anfihten im Einzel: 
zen berichtigten oder Fehler aufdedten, fo iſt dies mit vol: 
ler Bewunderung feiner großartigen Unterfuchungen gefches 
ben und der Widerfpruh in einer ſolchen Weife geübt, 
dag Niebuhr ſelbſt, der emfige Korfcher, es gebillige haben 
würde, er, der die „Römifche Geſchichte“ für das Merk feines 
Lebens erklärte, das feinen Namen, des väterlichen nicht 
unwerth, erhalten follte, das er niemals laͤſſig aufgeben 
würde. 

Bekanntlich gab Niebuhr noch bei feinem Leben eine 
Sammlung Meiner philologiſcher Schriften heraus, deren 
Vielſririgkeit die verdiente Anerkennung gefunden hat. 
Statt rines zweiten Bandes, zu dem, wenn wir nicht 
irren, Heffnung gemacht wird, erfcheint jegt eine Samm⸗ 
tung ber nichtphifologifchen, meiſtens ungedrudten Auf: 
füge aus der Hand des Sohnes und eine vom Vater zur 
Belehrung eben diefes Sohnes aufgelegte Sammlung von 
Heroengeſchichten aus dem griechiſchen Alterthume, unter 
dem Titel: 


1. Nachgelaſſene Schriften B. ©. Niebuhr's nicht⸗ 
philologiſchen Inhalts. Hamburg, F. Perthes. 1842. 
Sr. 3. 2 Thlr. 20 Nor. 

2. Griechiſche Deroengefchichten. Bon B. G. Niebuhr 
ſeinem Sohne erzaͤhlt. Hamburg, F. Perthes. 1842. 
Sr. 8. 67 Nur. 

Marcus Niebuhr, der Sohn Liegt Neferendarius bei 
der koͤniglich preußifchen Regierung zu Merſeburg), bat 
fi durch diefe Veröffentlichungen ein großes Verdienſt um 
die Merthhaltung des väterlihen Namens erworben, und 
Viele, die nur von Niebuhr’s „Roͤmiſcher Gefchichte” etwas 
tiffen oder beiläufig gehört huben,, werden ſich wundern, 
denfelben Mann bier über neuere Gefchichte und Politik 
fo einfichtsvoll reden zu hören, ihn in der Finanzwiſſen⸗ 
ſchaft und Landwirthſchaft fo wohl unterrichtet zu finden, 
mit einem Worte eine Wielfeitigkeit von der feltenften Art 
wahrzunehmen. Um fo mehr verdiente das Unternehmen 
feines allgemein wiſſenſchaftlichen Intereſſe wegen in d. 
Bl. befprochen zu werden. 

Was nun den Inhalt von Mr. 1 anbetrifft, fo iſt 
der nichtphilotogiihe Nachlaß Niebuhr's bier nicht volls 
ftändig mitgetheilt worden. Ausgeſchloſſen find die rein 
polemiihen Schriften, als ‚Preußens Recht wider den 
fähfifhen Hof” (Berlin 1814) und die gegen den Gehel: 
men Juſtizrath Schmalz, weil fih Niebuhe ausdruͤcklich, 
in der Vorrede zu feinen‘,,Kleinen Schriften” und in den 
Briefen („Lebensnachrichten“, III, 212), dahin ausgeſpro⸗ 
den hatte, daß polemiſche Schriften ebenfo wenig ale uns 
freundliche Außerungen aufbewahrt bleiben follten. Die 
esftere Schrift nennt der Herausgeber „einen wahren Spies 
gel deutfchee Gefinnung”. Aber wir billigen es, daß „te 
alte aber vergeffene Erinnerungen nicht wieder hat wecken 
wollen, die um der deutfchen Einheit willen begraben bleis 
ben follen”. Ebenfo find auch einzelne in Zeitfchriften ab- 
gedruckte Auffäge von blos vorübergehendem Intereſſe nicht 
mit aufgenommen werden. Dagegen finden wir hier bie 
aus Holland gefchriebenen Gireularbriefe, die nash unges 
druckt waren, und eine Anzahl aus dem „Preußifchen Cor: 
tefpondenten” entlehnte Artitel, welche die größere Hälfte 
des Bandes füllen und ein befonderes Intereſſe haben. 

Bekanntlich ward Niebuhr im J. 1808 vom Miniſter 
von Stein nach Holland geſchickt, um bei dem fo bedauer⸗ 


tichen Buftande der preußifchen Finanzen dafelbft eine Anz _ 


46 


feihe zu neyociren. Er kam im März 1808 an und blieb 
bie zum Aprit 1809. In dieſer Zeit ſchrieb er an feinen 
Vater und an feine Angehörigen eine Anzahl Circular⸗ 
briefe („Lebensnachrichten“, I, 333), in denen er theil® -über 
den Gang feines Geſchaͤfts berichtet, theils aber, und dies 
in einem noch höhern Grade, die Mefultate feiner Beobach⸗ 
tungen und Studien des Landes mittheilte. Diefe Briefe 
wollte er ſpaͤter überarbeiten und herausgeben : das legtere 
iſt nun in gegenmwärtiger Sammlung geſchehen, aber ohne 
Zufäge von feiner eigenen Hand, die wir nun blos pie den 
fhon gedrudten Briefen Nr: 163 — 179 entnehmen können, 
zu deren Ergänzung das bier Begebene wiederum dient. 
Allerdings find jegt 34 Jahre vergangen, feitdem Nie: 
buhr jene Briefe fchrieb, aber fie enthalten doch noch viel 
Wahres, Brauchbares, ja Meues, da Holland, fo viel ug: 
‚fere Zouriften auch die Welt durchſchwaͤrmen, felten einen 
Reiſenden fo lange feffelt, als Niebuhr, durch die Verhaͤlt⸗ 
niſſe genöthigt, hier verweilt hat. Daher konnte er aud) 
nicht allein nach Eindrüden, fondern nady Überlegung und 
berichtigtem Urtheile feine Wahrnehmungen mittheilen. Es 
gilt dies nun ganz befonders von der Natur und phyſi⸗ 
hen Beſchaffenheit des Landes, wo die Bemerkungen über 
die torfhaltigen Moore, die Polder, die Dünen und An: 
ſchwemmungen, die Deiche, die Marſchen und über ähn: 
liche Gegenftände alle Aufmerkſamkeit der Phyſiker ver: 
‚dienen, ſowie die über Lands und Gartenbau das ns 
treffe der Landwitthe. Welche wichtige Reſultate Niebuhr 
aus ſolchen Beobachtungen für die Geſchichte zu ziehen 


mußte, ift aus vielen Stellen feiner „MRömifchen Ge: 


(dichte und aus den Briefen im zweiten Theile der „Le: 
bensnachtichten“ bekannt. Der längere Aufenthalt im 
Lande geftattete ihm den Beſuch der wichtigſten Städte, 
Amfterdam, Utrecht, Haag, Rotterdam, Gouda, Leyden, 
der berühmten Dörfer Saardam und Broek, mancher klei⸗ 
nern Drtichaften, in deren Befchreibung uns überall der gebil- 
dete Reiſende entgegenteitt, ſowol wo er über die äußern Ge: 
genftände ald über die innern Einrichtungen urtheil. Im 
ber erjiern Beziehung nennen wir die Schilderungen ange: 
fehener Bibliotheken, wie dee zu Leyden, beren vollftänbi: 
ger Genuß ihm freilich durch Wyttenbach's Ungefaͤlligkeit 
nicht geftattet war, und berühmter Kirchen, wie des Doms 
zu Utrecht, der Öffentlichen und Privat: Gemäldefammlungen 
und der Denkmäler berühmter Helden und Staatömänner. 
Die große Vertrautheit Niebuhr's mit allen Perioden ber 
niederländischen Geſchichte macht diefe Belchreibung fehr 
Iehrreih und gibt Veranlaſſung zu allerhand Ereurfen, 
wie über Rupter, „‚unftreitig den größten Seemann, der 
jemals lebte, und deifen republifanifche und menfchliche 
Zugend feiner Körpergröße gleich war”. In der zweiten 
Beziehung verdienen die gemeinnügigen Anftalten, Die 
Waifen:, Acbeite: und Krankenhaͤuſer erwähnt zu vorrden, 
wo wir überall den kenntnißreichen Dann mahrnehmen. 
Das intereffantefte Stud — und aud nah F. W. Deth⸗ 
mar's „Freundlicher Erinnerung an Hollond und feine Br: 
- wohnen” — iſt unftreitig der Reiſebericht über Friesland, 
Groningen und Drenthe, diefe Länder der unverfälfchten 
frieſiſchen Ration, wie fi Niebuhr ausdruͤckt, die jedoch von 


den Amfterdamern kaum ber Beachtung werth gehalten 
wurden. Niebuhr beflimmte zu diefer Reife feine lang: 
genährte Vorliebe für die friefifche Nation, in beren Sit: 
ten und Gewohnheiten er mehrfache Ähnlichkeiten mit den 
vaterländifchen Dithmarſchen zu finden hoffte. Daher er: 
halten wie bier die forgfamfte Beſchreibung diefer Provin: 
zen, ſowol der wichtigern Städte Enthunfen, Groningen, 
Dokkum, Leumaarden, als mehrer Meinerer Städte und 
Dörfer mit reihlihen Nachweiſungen über die Beſchaffen⸗ 
beit des Bodens, über den Aderbau und die dazu noͤthi⸗ 
gen Geräthfchaften, über Wohnungen, Kleidung, Gebräus 
che, Charakter und Landmaße der Frieſen, ſowle über ihre 
alte Verfaſſung, ihre Rechte, ihre Sprache, Alterthümer 
(3. B. die Hünebedden in Drenthe) und Gefdichte, deren 
Verdienfllichkeit und Nutzbarkeit (wir glauben, auch noch 
für die Jetztzeit) durch die Mühe erhöht wird, mit wel⸗ 
her Niebuhr diefe Nachtrichten einfammelte. Denn bie 
friefifhen Bauern waren nicht blos ſcheu, fendern auch 
voll Widkrwillen gegen Fremde, die ihr fo merkwuͤrdig ab: 
geſchloſſenes Land befuchten. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Gfroͤrer's Allgemeine Kirchengeſchichte. 
(Zortſequag aus Nr, Il.) . 

Das folgende Gapitel handelt von dem Erzbiſchof Ambros 
fius von Mailand und von den römifchen Patriziern als Bifchöfen. 
Ambrofius war ein großer ehrwuͤrdiger Charakter, Wir willen 
nicht, ob in neuern Zeiten viele Kirddenfürften fein erbabenes 
Beifpiel nachzuahmen das Gluͤck hatten; ficher ift, daß nur 
durch eine fo fromme Geſinnung, durch eine, feiner moraliſchen 
Natur entfprungene, fo lebendige Überzeugung von ber Heilig⸗ 
keit einer Religion der Liebe und der Menſchenfreundlichkeit, wie 
Ambrofius in feinen Handtungen beurkunbete, der Kirche das 
Anfehen einer göttlihen Anſtait erhalten werden kann. Dieje⸗ 
nigen dagegen würden irren, weiche durch brutale Nadhäffung 
ber Künfte eines Athanafius (der, wie unfer Verf. fagt, „nicht 
in den Wegen der Apoftel gewandelt”) der Hierarchie die ver⸗ 
lorene Gewalt wieder zu erwerben verfuchen moͤchten. Mit 
Muth, doch ohne Reidenfchaft, arbeitete Ambrofius den Aria⸗ 
nern entgegen; burd ein fo mürbevolles als Huges Be⸗ 
tragen enteräftete er die Intriguen und die Gewalt der Artas 
nifhen, von ber Kaiferin Suftina begünftigten Hofprieſter⸗ 
partei. Gin WBeichüger und Wohlthaͤter des Volks, fonnte 
er auf deffen Beilland in ber ihm drohenden Gefahr 
rechnen. Seine fittlih Fromme Würde flößte fogar den gegen 
ihn ausgefendeten Sotdaten Ehrfurcht ein und entwaffnete 
ſie. Seibſt den großen Theodoſius wußte er, wegen einer 
von bem Kaifer, im Born, gegen bie Theſſalonier verübten 
Graufamkeit zu demütgigender Buße zu beftimmen, nicht 
duch heuchleriſche Künfte, fondern durch firenge, doch die 
Würde des Kaifers nicht verlegende Beredtſamkeit; daher biefer 
auch dem Erzbiſchofe nicht gram wurde, fondern ihn ale Va⸗ 
ter ehrte. Genf, aber mit chriftliher Demuth und Milde ſprach 
er zu bem weitlichen Herrſcher; die kecken Hofleute verwies 
er in bie ihnen gebührende untergeorbnete Stellung zurüd. 
Seine Sunft bei dem Kaifer benugte er nicht, um Geld oder 
Ehrenſtellen für fih ober feine Scüslinge zu bitten, ſon⸗ 
dern um Milde gegen SBefiegte, Anordnungen zum Wohl 
dee Menfchheit dem mächtigen Gebieter zu empfehlen. Richt 
Herrſchſucht, nicht Priefterftol;, die Übergeugung von ber 


"Heiligkeit der Religion gab ihm Muth und Kraft, bie 


Unabhängigkeit der Kirche von willkuͤrlicher weltlider Ges 
walt zu vertheitign und zugleich die Bade bes Works 
gegen Bebrädung der Großen zu befpügen. „Wir ſehen“, fagt 





der Berf., „an dem BWrifpiele des Erzbiſchofs von Mailand, wie 
die Geiäftserfahrung und der politifche Geiſt, welcher bie gros 
Sg vömifchen Familien auszeichnete, ſich mit den Grundfägen 
des Ghriftenthums vermählte.” „Waͤhrend bes zweijährigen 
Kampfes (gegen die Arianifche Hofpartei) übte ber Erzbiſchof 
auf feine Gemeinde einen Sinfluß aus, ungefähr wie einft bie 
roͤmiſchen Tribunen in ben beflen Zeiten der Repubtif auf das 
Bott. Die Gemeinde bewies am eine Anbänglichkeit ohne 
Gleichen. Wie die Glieder eines Körpers bewegten ſich auf feis 
nen uf die Dunbderttaufende Mailande. Die Charafteritärfe 
und Die Zugend bes Erzbiſchofs war es, was diefes innige Band 
zwiſchen ihm und ber Menge ſchlang.“ „Glorreich ging Am⸗ 
brofius aus dem Kampfe bervor ; er hat bamals den Grund zur 
Unabhängigkeit der lateiniſchen Kirche gelegt.” 

Gapitei 9. „Hieronymus. Rufinus. Das Moͤnchthum im 
Abendiande. Jovianus, Sarmatio und Barbatianus. Pauli: 
nus von Nola.' Der Berf. zeigt an einer Reihe von Maͤn⸗ 
nern, wie der Oſten, in Beziehung auf das Mönchtkum, auf 
den Weſten eingewirkt bat. Der befchränfte Raum d. Bi. nds 
tbigt , mit dieſer allgemeinen Inhaltsanzeige uns zu begnügen. 

Capitel 10 handelt von bem Kirchenvater „Auguftinus, Peta⸗ 
gius und Caͤlrſtius. Von dem Streite zwifchen den Anhängern 
der Willensfreideit und der Gnade ıc. Der Verf: fcheint mit 
befonherer Vorliebe bei dem Eharalter ded Auguftinus zu ver: 
weilen, welcher allerdings auf fein Jahrhundert und die folgenden 
Jahrhunderte entichieden einwirkte, fobaß noch gegenwärtig die 
deutlichſten Spuren feines Geiſtes, feiner Lehren und feiner 
Handlungsweiſe ſich in den Zufländen der Kirche nachweiſen laf- 
fen. Dbglei nun wir nicht leugnen können, daß ein fo lange 
dauernder Einfluß nur aus einer reihen Quelle von Geift und 
Thatkraft zu .erfiären fei, fo müflen wir doch geftchen, daß wir 
in die faſt unbedingte Bewunderung, die der Verf. diefem Kir: 
chenlehrer zollt, nicht durchgaͤngig eingehen können. Doch 
iſt bier der Ort nicht, unſere abweichende Meinung ausfuͤhrlich 
zu begründen. Wir erlauben uns nur einige Andeutungen in 
Bezug auf Kuguftin’s Lehre vom Suͤndenfall und daraus ers 
foigter Berworfenheit des menſchlichen Geſchlechts und von ber 
Gnade, im Widerfprudy gegen tie Anhänger der Willensfreibeit. 
Die Pelagianır, gegen welde Auguſtin mit allın ihm zu Ges 
dote fichenden Waffen kämpfte, lehren: „Der Menſch iſt frei 
geboren. Icder befigt in der Kreiheit feines Willens die Kraft, 
das Gute ober das Böfe zu wollen und zu thun. Nur von 
dan hängt es ab, ob er gut cher böfe fein will. Cine Erb⸗ 
fanıe gibt es nicht. Indem Adım das Gebot Gottes übertrat, 
Kadett ex nur fich ſeibſt, keineswegs feinen Nachtommen. Der 
Zod, fen er litt und den wir erleiden, ift nicht Folge feiner 
She. Er wäre geitorben, wenn cr auch nicht gefündigt hätte. 
Seber Reugebcrene befindet ſich in demfelben firtlichen Zuftande, 
im welhen Adam vor den Kalle war. Gott will, daß allen 
Venſchen geholfen werde und daB fie nach dem leiblichen Tode 
jum ewigen Deile gelangen. Verſchiedene Wege führen zu bems 
felben. Fromme und rechtichaffene Heiden gefallen Gott burch 
re Zugend und werden nad) dem Tode der Seligkeit theilhafs 
tg. Der volllommenfte Weg aber ijt das Evangelium und bie 
Reiigion Jeſu, denn das Beilpiel Chrifti und die Belehrungen, 
weildye er uns gibt, erleichtern und den Gehorfam gegen Gottes 
Gebote, indem fie unfern Verftand erleuchten, unfer Herz rüb: 
men. Audy läßt Sott in die Gemuͤther Derer, welchen es ernft 
in wit dem Chriftentyum, auf uͤbernatuͤrliche Weife feine Gnade 
eiufrömen. Nur muß diefe Gnade durch Anjtrengung verdient 
fein. Sie kommt nur zu Denen, welche fie durch tug:ndhaftes 

za erringen tradjten, und wenn fle kommt, thut fie doch 
dent freien Willen keinen Sintrag‘ u. f. w. 


öpfers kam, befaß er eine Vollkommenheit 
des Pribes und ber Seele, und genoß in Folge deflen cines 
Side, von dem wir uns gar keinen Begriff mehr machen 
Saunen. Sein Verſtand war himmliſch und ber tiefften Erkennt⸗ 


47 


niffe fähig, fein Wille gänziic frei, ſodaß er Gutes ober. Wh: 
fee nah Willtuͤr waͤblen konnte. Gin Reiz zur Eünde regte 
fih nit in ihm, die vernünftige Seele deſaß vor dem Falle 
vollfommene Herrſchaft über bie Sinnlichkeit, ſodaß nie ein 
Streit zwifchen der Vernunft und wilden Begierden ſtattfand. 
Auch beſchwerte der Körper die Seele nicht. Derſelbe war vor 
bem Balle weber dem Zode noch irgend einer Krankheit unter: 
worfen. Das Paradies, in welchem Adam lebte, vereinigte 
alle Seligkeit in fi, felbft in feinen Träumen umfchwebten 
ihn gluͤckliche Bilder. Die Ihiere gehorchten ihm, die Früchte 
des Gartens zeichneten fi durch ihre Zrefflichkeit aut. Alle 
biefe Wonnen gingen durch den Fall Adam's nicht nur für 
ihn felbft, fondern auch für fein Geſchlecht unwiederbringlich 
verloren. Denn in ihm und durch ihn fündigten alle Denfcen, 
feine Nachkommen. Darum ift der Zod, der Sold der Eünde 
Adam’d, zu Allen bdurchgebrungen. Jener Fehitritt bat bie 
ganze menſchliche Natur vergiftet, die fittliche Kreiheit ift vers 
loren. Jeder Menſch bringt mit der Geburt ein fo verberbtes 
Herz mit auf die Welt, daß er aus eigenem Antriebe nur Bo⸗ 
fee, nichts Gutes thun kann. Als ein durch und durch verdors 
benes Geſchlecht unterliegt ber Menſch mit vollem Rechte dem 
göttlichen Fluche. Gleichwol hat der Herr aus lauterer Barm: 
herzigfeit von Ewigkeit ber den Beichtuß gefaßt, aus dieſer 
Mafle des Verderbens Einige zu retten. Denjenigen, welche 
er zu biefer Seligkeit beftimmte, gibt er die Mittel dazu; alle 
Andere, welche nicht zu der Heinen Zahl der Auserwählten ges 
bören, trifft woplverdientes (?) ewiges Verderben (!!). Unb 
zwar erfolgt bie Erloͤſung durch Chriſtum. Alle Heiden, ſowol 
die, welche vor Chriſtus lebten und alſo nichts von ihm wiſſen 
konnten, fowie die, welche nad) ihm lebten und nichts von ihm 
willen wollten, find ewig verloren. Da wir von Natur durch 
und durch verdorben find, fo ift es Unfinn, die göttliche Gnade 
von der Ruͤckſicht auf unfer größeres oder geringeres Verdienſt 
abhängig zu machen; denn wir find vor Gott Alle auf gleiche 
Weife nichts wert. Nach freiem Willen ertheilt Gott feine 
Gnade. Welche er, vermöge ſeines ewigen Beſchluſſes, erwaͤh⸗ 
ten will, die erwählt er. Kur für diefe Auserwäpiten ift Chriftus 
in die Welt gefommen und geftorben.‘ 

Dies ift die Lehre des heiligen Auguftin von der Erbſuͤnde, 
von der Verworfenheit der menſchlichen Natur, von der Gnade, 
die Gott, nad) Willlür, von Ewigkeit her nur für einige Wenige 
aufiparte, benen zu Liebe er die große Anftalt der Erlöfung durch 
Chriſtum anorbnete, vermuthlih weil er dies nicht auf ein« 
fachere, leichtere Art zu Stande zu bringen wußte. Wir müf: 
fen gefteben, daß wir in den Meinungen des rechtgläubigen 
Kirchenvaters nur hoͤchſt unmwürbige Begriffe von der Gerechtige 
teit und Barmberzigkeit Gottes und überdies eine ganz verfchrte 
Anſicht von der Moral entdecken können. Einen Priefter, wel« 
cher ſolche Grundfäge, wenngleich nicht erfand, doch zu einem 
Syſtem ausbiltete und fie zur Richtfchnur in der blutigen 
Verfolgung Andersdenkender machte, könnten wir unmöglich 
„einen außerordentlihen Wenfchen” nennen, „ber weit feine 
Zeitgenoſſen uͤberragte“. Wie rein und erbaben lautet bas 
gegen die Lehre des Pelagius, welche Auguftin als kegeriſch 
verfolgte! Wenn „ber ganze bobe Klerus Afritas in ben Gonr 
cilien“, die den Pelagius verbammten, „wie ein Mann zu 
ibm, dem Auguftin, ftand”, fo mochte es eben keine Ehre fein, 
diefen zu überragen, d. i. zum Vortheil der Prieſtermacht zu leis 
ten. Dem geringften Grade von gefundem Menichenverftande mußte 
es leicht werden, jene Lehre zum Gefpötte zu machen. War 
ber Verſtand Adam's himmliſch und ber tieflten Erkenntniſſe 
fäbig; war fein Wille gaͤnzlich freis regte ſich kein Reiz zur 
Eünde in ihm; befaß feine vernünftige Seele vor dem Kalle 
vollkommene Herrſchaft über die Sinnlichkeit, fodaß nie ein 
Streit zwifchen ber Vernunft und wilden Begierden flattfand: 
fo.war ja feine Übertretung bes Geſetzes ohne allen zureichen- 
den Grund und bei einem Menſchen von himmliſchem Verſtande 
wirtiih moraliſch unmoͤglich. eines unbegreiflichen Abfalls 
wegen mwurben jedoch alle feine unfchutbigen Nachkommen vers 


48 


urtheitt, ein verworfenes Geſchlecht zu fein, das nur Wöfes, 
nicht Gutes aus eigenem Antriebe thun kann!! Wenn aber 
nur auf fremden Antrieb, durch bie willkürliche, unverbiente 
Gnade des Bern, der Menſch Gutes thun könnte, wäre damit 
nicht alle Moral, jede Tugend, bie moralifche Zurechnung felbft 
vernichtet ? — Was follen wir uns vollends bei einem Gotte 
denfen, der voraus wußte, daß fein volllommener Menſch Adam 
u Bau kommen würde,’ und doch diefen erſchuf, damit alle 
Keine Nachkommen verworfen und verfiuht würden? Wo hat 
Jeſus Shriftus jemals ſolche Lehre von feinem allgütigen Vater 
geprobigt? Wenn er ſprach: „Niemand kann zu mir fommen, 
es fei denn, daß Ihn ziche der Vater, der mich gefanbt Hat”: 
ſo heißt, dies ganz einfach: „Nur gute Menfchen, deren inneres 
Derz fi zu Gott angezogen fühlt, fönnen mit mir und meiner 
Lehre übereinflimmen.” Unmoͤglich Tann „folgerichtig” aus jenen 
Worten die Auguftinifche Lehre herausgedreht werden. Endlich 
tft die Behauptung Auguftin’®: „Jeder Menſch bringe mit ber 
Geburt ein verderbtes Herz mit auf bie Welt, unb wir feien 
von Natur durch und durch verborben”, diefe Lehre, Tage ich, ift, 
die Wahrheit zu fagen, reiner Unfinn. Der Menſch trägt in 
fi die Fähigkeit des Guten wie des Böfenz feine Natur if 
darum nicht verdorben. Die menſchliche Natur ift auch nicht 
nach den anfänglichen Zuftänden des Kindes oder einer noch 
rohen Geſellſchaft zu beurtheilen; erft in ber Entwickelung ber 
cioilifirten Gefellſchaft offenbart fi die Menfchennatur. Dies 
{ft vor Allem zu bedenken. Unfer Verf. fagt: „Auguftin’s 
Behauptung einer völligen Verderbniß menfclicher Natur bes 
ruht am Ende auf ben Grlebniffen feines Innern”, d. h. 
Auguftin führte vor feiner Bekehrung, wie er felbft fagt, ein 
mit Sünden beflecktes Leben; er war ein Sklave der Wolluft. 
Alſo hielt fich der fündige Auguftin fir ein vollguͤltiges Muſter 
der menſchlichen Natur? Seine Indivibualität war ber allge: 
meine Typus! Es hat aber von jeher gute, edle Menfchen gegeben, 
die ſich durch GSittenreinheit auszeichneten; warum follten bdiefe 
nicht Zeugniß geben von der Güte ber menfchliche Natur? 
Zu bdiefen Bemerkungen eben wir uns veranlaßt durch 
bed Verf. Neigung, bes Auguftinus Lehre von der Berderbniß 
der menfchlihen Natur zu vertheidigen. „Der Menſch, fo 
ſcheint es uns”, fagt Hr. Gfrörer, „ift von Natur durchaus 
feloftifch, er fucht nur fein Vergnügen, feine Ehre, feinen or: 
tHeit und gebt barauf aus, den Andern als Mittel für feine 
Zwecke zu benutzen. Zwar geſchieht es in Folge gemiffer Ein» 
richtungen, daß dieſe Selbftfucht nicht zu grell und ſchamlos 
bervortritt, aber fie ift Ddefienungeadhtet vorhanden. Denn 
ftelt euch in Gedanken einen Zuftand vor, wo die Macht der 
Geſetze gegen Eingriffe in fremdes Eigenthum, gegen Woluft, 
gegen Ausbrücde des Haſſes, der Rache, ber beleidigten Eitel⸗ 
feit, wo endlich die Angft vor dem Tadel ber öffentlichen Mei: 


nung aufgehört hätte — was würde dann zu Zage Eommen? — 


Kurz, ed ift Erfahrungsfag, daß ber Menſch von Natur ein 
fetoftfüchtiges und böfes Geſchoͤpf fei. Auguftin hätte demnach 
in einem Hauptpunkte recht.“ Wir erlauben uns dagegen zu 
fragen, ob bie Seibſtſucht und Schlechtigkeit wenn auch noch 
jo vieler Individuen über die Natur des ganzen Menfchens 
geſchlechts entfcheiden könne? Stehen die guten Menſchen außer: 
halb der Natur ihres Geſchlechts? Sind die Einrichtungen und 
Sefege, wodurch ber Böfe in Schranken gehalten wird, nicht 
auch ein Auafluß der menſchlichen Natur, bie fih nur in der 
Geſellſchaft offenbart; denn wer die Menfchennatur beurtheilen 
will, fol das Ganze, nicht einzelne Theile ins Auge faflen s 
bas Ganze aber zeigt fidh nur in den Banden der Gefellfchaft, 
nit in dem Agregat ber Individuen. Der Menſch ift, feiner 
Natur nach, durch und für die Gefellfhaft und außer ihr ein 
vernunftiofes Thier. Die Sprache, die den Menſchen von an- 
bern Geſchoͤpfen der Erbe unterfcheibet, ift nur in der Gefell 
ſchaft möglich. Es ift nicht in einzelnen gegebenen Räumen 
und Zeiten, fondern in der Entwidelung, in der Gefchichte der 
Menfchheit ihre Natur zu erforſchen. Iſt es enblich ein Irr⸗ 
tbum, wenn. „Manche die innere Stimme (bed Gewiſſens) zu 


dem Weſen des Menfchen zählen und darin einen unabtrenn 
baren Beſtandtheil der menſchlichen Natur ſehen“? Dieſe 
innere Stimme iſt das Organ ber moraliſchen Natur und 
der Menſch bringt dies Organ, wie Aug und Ohr, bei 
ſeiner Geburt mit auf die Welt. Die Gegner Auguſtin's koͤnn⸗ 
ten aus ſeinem Syſtem ſchließen, daß daſſelbe nur auf von Na⸗ 
tur Verworfene anwendbar und für wilde Voͤiker berechnet ſei, 
von wahrhaft edeln Menſchen aber und einer ſittlich civiliſirten 
Geſellſchaft durchaus entbehrt werden koͤnne. 

Hr. Gfroͤrer ſagt: „J. J. Rouſſeau, der noch einen ſtaͤrkern 
Gegenſatz zu Auguſtin bildet als Pelagius, behauptete, der Menſch 
ſei von Natur gut und werde blos durch die geſellſchaftlichen 
Einrichtungen verdorben. Wäre Rouſſeau ſtatt 1178, erſt 1800 
geſtorben und hätte er die franzoͤſifche Staatsumwaͤlzung mit 
allen ihren Greueln eriebt, fo würde er vielleicht feine Anſicht 
geändert haben.” Wir dürfen unfern Widerſpruch gegen dieſe 
Anficht‘nicht verfchweigen. Rouſſeau's Behauptung war fo eins 
feitig und verkehrt als jene des Auguftinus: er hielt den Bus 
ftand ber Kindheit für den Raturzuftand und bedachte nicht, 
daß diefer ſich exit in ber Sntwidelung offenbart. Jedes orga⸗ 
nifche Wefen ift nicht nach dem Zuſtande des Kindes, bes Em⸗ 
bryo, fondern in feiner vollen Ausbildung zu beurtheilen; flus 
fenweifes Entfalten verfciebener Kräfte iſt bie Bedingung fets 
ner Natur. Auch find die organifchen Wefen nicht nach einer 
gewiffen Zahl von Individuen, ſondern nach den Eigenſchaften 
ihres ganzen Geſchlechts zu beurtheilen. Bei der Geburt kommt 
der Menſch noch nicht fertig aus den Händen der Ratur; er ift 
auf diefer Stufe weder gut noch böfe; er trägt nur bie Faͤhig⸗ 
keit der Zugend und des Lafters in fih. Was übrigens bie 
franzoͤſiſche Revotution betrifft, fo war fie gerade die natürliche 
Bolge ber frühern gefelfchaftlichen Einrichtungen, welche wol 
als verborben. angeklagt werden dürften. In ber evolution 
aber war nicht Alles Greuel, Lafter und Verworfenheit; bie 
Greuel wurben von den Zöglingen des alten Regime verübt. 
Wellen Schutd war bie VBermwilderung bes Volks? Dennoch, mit⸗ 
ten in der ungeheuern Aufregung und wilden Gährung der Maſ⸗ 
fen zeigte ſich Häufig die moratifhe Kraft und unverwuͤſtliche 
Güte der menfchlihen Natur in ihrer ganzen Größe. Seibſt in 
den Charafteren, deren Außerer Anfchein Schauder erregt, ente 
bedit, bei ernfter Korfchung,--der tiefere Menſchenkenner noch 
moraliſche Elemente, die während ben Ausbruͤchen des Vulkans 
nur in verzerrter, unnatürlidher Geftalt zum Vorſchein famen.. 
An diefem vicfenhaften Ereigniß ift nicht blos die Zahl der 
Todten und Gemordeten, es find auch die Thaten und Tugen⸗ 
ben der Helden in Rechnung zu bringen. In dem entfeglidhen 
Kampfe der alten und neuen Zeit war die Doffnung auf Ber: 
befferung des geſellſchaftlichen Zuftandes, melde bie Menſchen 
beſeelte, kein Beweis der Verworfenheit menſchlicher Natur; fie 
war nicht einmal eine Taͤuſchung; fie war ein ehrwuͤrdiger Glaube, 
ebrwürbiger als die Lehre Auguſtin's — von angeborener Schlech⸗ 
tigkeit — eine Lehre, bie ihn zur blutigen Verfolgung ber Pelagia= 
ner trieb, weit diefe an Freiheit und moralifche Kraft glaubten. 

Wir kehren zur Kirchengefchichte des Hrn. Gfrörer zuruͤck. 
Der Verf., deffen Unterfugungen wir mit großer Aufmerkſam⸗ 
keit und lebhaftem Intereffe gefolgt find, wird es uns nicht 
übel deuten, wenn wir bie Lehre bed Pelagius gegen ihn in 
Schutz nahmen. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifhe Notiz. 


Die Herausgeber des Wiederabbrucis bes alten „Moniteur’”, 
der für die Geſchichte der franzöfifchen Revolution von fo hohex 
Bedeutung ift, fehreiten der Vollendung ihres Werts rüflig ente 
gegen. Die lebten Hefte, welche bis jest erfchienen find, ſchlie⸗ 
fen die politifche und ’parlamentarifche Geſchichte der legiälatie: 
ven Berfammlung. Die Abtheilung der Constituante fowie 
auch die Sonvention iſt bereits zu Ende geführt. 2. 


Verantwortlier Deraudgeber: Heinrih Broddaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 








Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Freitag, 








Niebuhr's Reliquien. 
(Veſchluß aus Nr. IR) 

Niebuht's allgemeine Urtheile über die damaligen Mies 
derlaͤnder können um fo mehr als glaubhaft angenommen 
werden, weil Miebuhr von Jugend an den Miederländern 
einen ganz befondern Antheil zugewendet hatte. Und fo 
bat er auch jegt von Einzelnen, mit benen ihn theils fein 
Geſchaͤft, theils dee Zufall zufammenführte, viel Gutes zu 
erzählen und die Wohlthaͤtigkeit, Arbeitfamkeit, Drönungs: 
liebe, angewohnte Rechtlichkeit, Geſetzlichkeit und nament⸗ 
Ich die außerordentliche Höflichkeit der niedrigſten Claſſen 
vielfay zu loben. Ein längerer Aufenthalt ließ ihn aber 
auch manche Schattenfeiten erkennen. Dahin rechnet er 
wie Schwierigkeit naͤherer Belanntfchaft, indem ein Aus: 
laͤnder, und nenn er ſelbſt Jahre lang im Lande ver: 
weilte, der Nation doch immer fremd bleibt, ferner den 
Mangel an Dxiginalität (Friesland ausgenommen) und 
Beiftesfrifche, das Überhandnehmen von Vorurtheilen und 
de Urtbeilstofigkeit der mriften Kaufleute, die freilich kein 
Wunder ift, wenn man die Lehrjahre der jungen Kauf: 
ente erwägt, die fie ganz zum Knecht herabwürdigen und 
u Gefühl in ihnen rfliden. Das traurige Bild, wels 
hiervon entworfen ift, dürfte auch noch jet in an⸗ 
den Laͤndern als in Dolland Anwenbung finden und er 
net an die treffenden Bemerkungen, die F. Perthes 
use einigen Jahren über die Bildung der jungen Leute, 
die ſich dem Buchhändlerflande wibmeten, veröffentlichte. 
Ferner rügt Niebuhr den häufigen Mangel an Anſtand 
sad an dem Gefühle für äußere Dieinung, das hartnädige 
Aeben an Parteianfichten, die geringe Bildung der Frauen, 
du politifchen Fanatismus in allen Parteien, den unfeli- 
gen calvimiflifcyen Meligionseifer und die plumpe Tyrannei 
ker hollaͤndiſch⸗ reformirten Kirche. Unter den visien Bes 
weien mag es an der Anführung des einen genug fein, daß 
men gegen einen regisinnigen den großen Dichter Wondel, 
gar nicht nennen durfte, weil er in feinem Alter zur roͤ⸗ 
miſch⸗atholiſchen Kirche Üübergetreten war, während Myns 
here Bilderdyk, trotz feiner frivolen Gedichte, als ein fehr 
ueligidfer Mann galt. 

Was nun die perfönlichen Bezüge Niebuhr's betrifſt, 
fe wurd ihm fein amtliches Geſchaͤft ſehr erſchwert, es zog 
Gh gewaltig in die Laͤnge und da Ihm Land und Leute 
wenig bebagten, feine Frau auch fehr durch das Klima 


13. Januar 1843. 





mm nn U 


litt, fo erneuern fich hier diefelben Klagen wie bei feinet 
eömifchen Geſandtſchaft. In freien Stunden gab er fid 
viel mit hollaͤndiſcher Sprache und Literatur ab, ja, der 
Sinanzmann konnte fogar daran denken, ſich von feinen 
boffteinifhen Freunden biftorifche Werke [hidden zu laffen, 
um bie Gonftitution des alten rapublikaniſchen Dithmar: 
fhen zu erläutern. Für das gemöhnliche diplomatifche Le: 
ben war er [dom damals verdorben und da ihm bei Aus 
dienzen, biplomatifchen Diners, Repräfentationen und aͤhn⸗ 
lichen Bellen die weltmaͤnniſche Saffung (mie fpäter im 
Rom) fehlte, fo enthalten feine Briefe bittere Klagen über 
die Langweile bei ſolchen Gelegenheiten; in den hollaͤndi⸗ 
(hen großen Geſellſchaften befand er ſich ebenfalls fehr un⸗ 
wohl, da er fein Kartenfpiel verftand und ſich ſchwer Ars 
gerte, wenn die Wirthin es gar nicht für möglich hielt, 
daß er nicht fpielte. Wir machen ihm aus diefer Unkunde 
ebenfo wenig einen Vorwurf als Steffens, dem in Kopen: 
hagen Ähnliches widerfuhr; aber als Diplomat mußte 
Miebuhr auf folhe Vorkommenheiten gefaßt fein, die nım 
einmal der Weltlauf — nenn auch nidt gerade zum 
Stud — mit fi bringt, oder ſich wenigſtens nicht dar: 
über ärgern. Unter den Perfonen, mit denen er verkehrte, 
wird mit befonderem Lobe der Minifter der auswärtigen 
Angelegenheiten, Roel, und der ehemalige Gouverneur des 
Caps, General Zanffens, erwähnt, unter den Gelehrten 
verdankte Niebuhr am meiften den Unterhaltungen des Pros 
feſſors Bruͤgmans in Leyden, während er die gehoffte wiſſen⸗ 
ſchaftliche Ausbeute bei dem berühmten Phyſiker van Swinden 
in Amſterdam nicht fand, ja fogar mit Mühe bei ihm Zutritt 
erhielt. Ebenſo wenig gefällig bezeigte ſich Wyttendach in 
Lenden gegen den deutfchen Phllologen, den feine jegigen 


Landsleute, ein Geel und Bake, seit freundlicher aufges 


nommen haben würden. Beſonders anziehend find die 
Mittheilungen über den König Ludwig, Napoleon’s Bru⸗ 
der, deſſen Herzensgute und Redlichkeit von Niebuhr eben⸗ 
fü belobt werden nis von Goethe und Strombeck. Auch 
bier wird der heldenmuͤthigen Befinnung gedacht, mit weis 
cher er fein Leben bei den furchtbaren Überfhmwemmungen 
1809 ausgeſetzt bat, wie er in einem Boote duch Die 
Eisſchollen fuhr und die Bootsleute durch fein Beiſpiel 
ermunterte. Er, der in feinem Palafte, um ſich wohl zu 
fühlen, einer Temperatur bedurfte, die für einen Gelundern 
erſtickend ift, hatte damals 16 Stunden zu Fuß, zu Pferde, 


— * 


zu Wagen in dem gräßlichen Orkane vom 21. Febr. 1809 
auf dem Deiche ausgehalten, und daß er dies ertragen hat, 
zeigt mol ſtark von der Tiefe feiner Gemüthsbewegung. 

Bei allen diefen Erzählungen und Korfhungen iſt Nie: 
buhr's eigenes Gemuͤth auf das tiefite von der unglüd: 
lien Lage feines WBaterlandes bewegt, wie aus vielen 
Stellen hervorgeht. Bei feiner großen Anhänglichkeit an 
den. Miniftee Stein, in dem er den Megenerator des preu⸗ 
ßiſchen Staats erblickte, traf ihn die Nachricht Über deffen 
im Sommer 1808 aufgefangenen Brief wie ein Donner: 
ſchlag aus heitern Himmel. Den genauern Hergang hat 
Varnhagen von Enfe (,Denkwuͤrdigkeiten“, III, 170 fg.) 
erzählt; es iſt ergreifend, wie fi Niebuhr daruͤber aͤußert, 
er will den unglüͤcklichen Brief nicht rechtfertigen, aber er 
iſt weit entfernt, ihm den Sinn unterzulegen, in welchem 
ihn die franzöflfchen Journale genommen haben. Von ber 
Zeit an nimmt die trübe Stimmung noch zu: 

Wir können durchaus — fagt er — nur vom Tage zu 
Tage leben und Niemand kann wiffen, ob das Ganze, zu bem 
er gehört, um acht Zage noch beftehen wirb. 

Gegen den Minifter Hardenberg zeigt fih fchon bier 
die feindliche Sefinnung, welche im Jahre nad) Niebuhr's 
Ruͤckkehr aus Holland, im Mai 1810, feine Entlaffung 
von den Kinanzgefchäften und aus dem activen Staats: 
dienfte zur Kolge hatte. 

Der zweite größere Auffag in Nr. 1 enthält eine An: 
zahl Niebuhr'ſcher Auffüge aus dem „Preußiſchen Corre: 
fpondenten”. Diefe Zeitfchrift, welche zuerft am 2. April 
1813 erfcyien, dürfte vielen Lefern fchon dem Namen nad) 
unbekannt fein, aber ed war eine wohlüberdachte Unter: 
nehmung in jener politiſch aufgeregten Zeit und unter 
Niebuhr's Auffägen, der diefelbe redigiete, find die hier 
mitgetheilten Auffäge allerdings der. Aufbewahrung werth, 
wie fchon in den „Lebensnachrichten“ (1, 478) geurtheilt 
worden if. Die meiften derfelben find leitende Artikel, 
wie fie die Sprache der heutigen Journaliſtik nennt, aber 
freilich weit gruͤndlicher und mit beffern hiftorifhen Kennt: 
niffen gefchrieben als viele Artikel, die ſich jegt mit diefem 
Titel brüften. So heißt es gleih in dem Auflage vom 
genannten Tage: 

Wir müffen noch nicht genießen wollen, fondern nur fiegen 
und unfer Zaterland befreien und feine Freiheit feft begründen. 
Die Rettung liegt in unfern Bänden: das Gluͤck hat ſchon mehr 
getan, als der frömmfte Schwärmer je hoffen durfte. Vom 
Süd wollen wir nicht mehr hoffen, als Gott uns ſchon gewährt 
hat. Wir müflen nie träumen oder täufchen, daß ber Feind 


ſchwaͤcher, der Kampf leichter fei, als er if. Es fchadet ja’ 


nichts, daß man hört, daß er noch mädtig ift, daß er große 
Scharen verfammelt und heranführt, da wir uns flark wiffen 
und die edein Bundesgenofien unfers Königs; da wir nur bie 
Wahl haben, weiche der König ausgeſprochen bat, und nur da⸗ 
zum des Lebens froh find, weil von feiner andern die Rede fein 
tann. Won uns hängt es ab, daß die Macht bes Baterlandes 
wachſe, und wie fie waͤchſt und ſich begründet, fo nimmt bie 
des Feindes ab. 


Ein zweiter Auffag: „Der Krieg und das preußifche 
Heer’, ſtellt einzelne Artikel aus der Zeit vor und nad) der 
leipziger Schlacht zufammen, erwähnt ded guten Geiſtes 
im Heere an einzelnen Beifpielen, vergleicht die Macht eines 


Volkskrieges mit der Macht Frankreichs und gedenkt dee 
theilnehmenden und thätigen Liebe des englifchen Volks. 

Wir — Schreibt Niebuhr — die wir noch wehrlos zu ‚Haufe 
find, wir wollen uns ber Xortrefflichkeit unfere Heeres nidt 
rühmen; auch if die innige Liebe nicht ruhmrebnerifch, fondern 
vielmehr fill über den Gegenſtand, für den fie gluͤht. Wir 
rihten unfer Gebet und unfere Hoffnung vertrauensvoll empor, 
in biefen Tagen vorbereitender Entfcheidtung. Das willen wir, 
baß Feine Armee in der Welt der Sache würbiger ift, für bie 
fie ſtreitet; das fühlen wir, daß wir Unthaͤtigen tief unter den 
Geringften in ihr flehen. 

Ein fehr wahres, noh für unfere Tage wohl zu bes 
berzigendes Wort! Und dann: 

Die Preußen find über ibre Thaten fo ftille wie der fie 
bende von feiner Leidenſchaft: was die ganze Seele erfüllt, dars 
über verliert man ſich in froher Beſchauung, darüber kann man 
am wenigften Worte machen. Es ift fogar IAftig, wenn man 
Andere Worte und Lob darüber machen hört. In einigen klei⸗ 
nen beutichen Rändern ift man unferer Armee mit großen Lob» 


 preifungen entgegengelommen. Die £eute follten uns aber nid 


rühmen und von unfern Thaten reden, fehrieb einer unferer Ofs 
fiziere, fie follten nur ganz natürlidy finden, was wir gethan 
haben, unb desgleichen thun. Auch die Rufjen haben von dem 
lömenmüthigen Wefecht ihrer Garde bei Kulm nur wenig ges 
fprodyen und das war ein vom Süd belohntes Thermoppylaͤ. 

Mir Eönnen diefe Bemerkung nicht ohne den Zuſatz 
vorüberlaffen, daß bie Krieger aus jener Zeit fich diefe 
nationale Befcheidenheit und Selbſtverleugnung auch noch 
in unferer Zeit erhalten haben und daß man wol vergeb> 
lich nach Driginalen in der ganzen preußifhen Armee fucht, 
die bei Katzbach und Waterloo ſchwoͤren und fluchen. 

Der dritte Auffag Handelt mit vieler Einſicht von ber 
Lage Frankreichs unter Napoleon im Frühjahr 1814 und 
gibt im Gegenfag zu dem Rapport des Herzogs von Bafs 
fano an feinen Kaifer über die preußifche Kriegserflärung 
in aphoriftifch = Eräftigen Sägen die Schilderung aller Be⸗ 
leidigungen, die Preußen feit dem Unglüd von Jena burdy 
Napoleon erlitten hatte, in der That ein trefflichee 
Sommentar zu den Worten des General Foy: „Napo⸗ 
leon war gegen Preußen ohne Edelmuth und Mitleid.” 
In einem vierten Auffage find mehre Artikel über Die 
kirchlichen Verhaͤltniſſe Englands vereinigt, namentlich 
über die irländifhen Katholiten, denen Niebuhr fchon 
in feiner „Roͤmiſchen Gefchichte” eine fo warme Theil⸗ 
nahme bewiefen hatte, über die Rechte der Katholis 
fen und tiber die englifche Meformation. Derſelbe richtige 
politifhe Blick zeigt fih in den Auffägen über Sicilien 
und über die Schweiz. Bon ganz verfchiedener Art iſt dee 
Auffag über die doniſchen Kofaden und ein anderer, ob 
e8 „Niederland“ oder „das Niederland' heißen müſſe. 
Der Gebrauch unferer echten alten Sprache, fagt Niebuhr, 
der Sprachgebrauch unferer niederdbeutfchen Brüder, die 
Analogie, der würdigere Ausdruck entfcheiden für „Nies 
derland“ ſchlechthin. | 

Über die vermifchten Auffäge in zweiten heile vom 
Nr. 1 müflen wie ung kurz faffen. Gedrudt waren 
fhon: einige Nachrichten über Wilhelm Level und den daͤ⸗ 


nilſch-oſtindiſchen Handel unter feiner Verwaltung (Mr. 1), 


über die Trennung der Union von Nordamerita (Nr. 6), 
die Vorrede zu von Vincke's Schrift über Großbritanniens 





Si 


(Rr. 7) und das Vorwort zum neuen Abdend der lbers 
fegung von Demofthenes’ erfter philippifcher Rede (Mr. 13). 
Dagegen werden bier folgende Auffäge neu bekannt ge: 
macht: „Uber die Perioden des Genies in der Literatur 
(Nr. 2), „Über Icland” (Mr. 3), ein „Memoire sur la 
guerre entre l’Angleterre et la France” (Mr. 4), „Uber 
Englands Zukunft” (Mr. 5), ‚eine Apoloyie zu der eben 
genannten Vorrede (Nr. 8), „Über das franzöfiihe Wahl: 
gefeg von 1816” (Mr. 9), „Über die fpanifhe Staates 
fchuld und bie Finanzmaßregeln ter Regierung ſeit der 
Revolution‘ (Nr. 10), das „Schreiben eines Proteltans 
ten an einen Katholiten (Nr. 11), „Über ftändifche Ber: 
faffung” (Nr. 12). Diefe Auffäge haben ſaͤmmtlich einen 
eigenthümlichen, noch für unfere Zeit geltenden Werth 
duch gruͤndliche hiſtoriſche Kenntniſſe, lichtvolle ſtatiſtiſche 
und finanzielle Überblicke und Eroͤrterungen, wahrhaft Li: 
berafe Gefinnung und dur die Billigkeit und Verſoͤhn⸗ 
lichkeit in Religionsfachen ; namentlich gilt dies von Nr. 5, 
10, 11 und 12. 

Eine ganz befondere Zierde dieſes Bandes iſt die Ab: 
bildung des herrlichen Basreliefs von Rauch, mit dem bie 
dankbare Erinnerung König Fiiedrich Wilhelm's IV. von 
Preußen die Grabſtaͤtte Niebuhr's in Bonn gefhmüdt hat. 
Daffelbe ſtellt ihn nebſt feiner zweiten Gattin Marga⸗ 
retha, die neun Tage nad ihm flarb, in der edeliten, 
würdigften Meife dar. Bon Niebuhr's Bilde bezeugt der 
Herausgeber, daß es mol das aͤhnlichſte fei und feinen 
Ausdrud in ernſter Stimmung fehe treu und lebendig 
wiedergäbe. Es follte alfo in den Händen aller Vereh⸗ 
ser Niebuhr's fein. 

Nr. 2. Wir wiffen aus Niebuhr's Briefen („Lebens⸗ 
nachrichten”, I, 485 fg.), daß er fih in Rom damit be: 
ſchaͤftigt habe für feinen Sohn Marcus Erzählungen aus 
der griechifchen Mythologie zu ſchreiben. Diefe Erzählun: 
gen find aufbewahrt worden und werden jegt dem Publi: 
am überliefert. In ihnen erfcheint Niebuhr fehr liebens⸗ 
wiodig und wird bei Allen, die das Eleine Buch zur Hand 
weh, durch die zarte Sorge gewinnen, in welcher er 
Sindergefchichten aufzufafien und feinen Geift den Begrif⸗ 
fen eines Kindes anzupaffen verftanden hat. Es find nur 
die Sagen von den Argonauten, von Hercules, von den 
Herakliden und von Dreftes, aber man fann bei ihrer Le: 
fang nur wänfhen, daß audy andere geachtete Schrift: 
heller dem Beifpiele eines Niebuhr, Jak. Grimm und 
& Jacobs folgen und die deutfche Jugend im folchen oder 
aͤhnlichen Kinderbüchern belehren möchten. 9. 





Sfrörer’3 Allgemeine Kirchengeſchichte. 
(Beſchiuß aus Nr. 1%) 


Der Inhalt der weitern Capitel ift folgender: Gapitel 11. 
Das Papſtthum bis auf Leo. Gottesdienſt. Feſte. Gebräuche. 
i i Ausbreitung der Kirche. Patricius von Irland. 

Gapitel 12. Geſchichte der byzantiniſchen Kirche vom 
Gencit ga Chalcedon bis zum Beginn bes J. Jahrhunderts. 
Die monophnfitifcden Haͤndel. Das Henotikon des Kaiſers 
320. Die Kaifer Anaftafius, Juſtinus I., Juſtinian I. Ein 
Ib des Letztern auf die Angelegenheiten ber Kirche. Wieder⸗ 


ausbrucy der Origeniſchen itreitigkeiten. Die drei Gapitel. 
Jakob Baradai. Johannes Phitoponue. Die angeblichen Schrif⸗ 
ten des Areopagiten Dionyfius. Geift der Byzantiner. 


Capitel 13. Die Kirche in den neuentftandenen deutfchen 
Reichen. Die Vandalen. Odoaker. Die Oftgothen in Italien. 
Theoderich, Boethius, Saffiodorus. Die Longobarden. Der h. 
Geverinus in Roricum. Die Burgunder und MWeftgothen. Die 

anken. Biſchof Gregorius von Tours. Salvianus von Mars 
eille, Sidonius Apollinarie. Das Moͤnchthum im Abendlande. 
tus von Nurfia. Neuer Ausbruch der Pelagianifchen 
ndel. 

Sapitel 14. Das Papſtthum von eo I. bis Anfang des 
fiebenten Jahrhunderte. Gregor der Große. Belehrung der . 
Angelfahfen. Der Abt Auguftin. Die altbritifhe Kirche. Cor 
lumba. 

Wir bedauern, daß der befchränfte Raum db. BI. nicht ger 
ftattet, über bie hoͤchſt Iehrreichen und allgemein intercffanten 
Gegenftände, die in dieſen Gapiteln verhandelt werden, une 
weiter zu verbreiten; wir müffen ung mit ber nadten Inpalte: 
anzeige begnügen, welche wir nur durch einige kurze Auszüge 
aus dem Werke und durch wenige Bemerkungen näher bezeichs 
nen können. 

In Abſicht auf den Gottesbienft und auf Firdhlicde Feſte 
ft aus Gapitel IL folgende Stelle bemerfenswerth: „Unter 
richt in der Schrift galt (im 4. Jahrhundert) für den wich⸗ 
tigften Theil einer guten Erziehung. Allein ciner weiten 
Verbreitung ber Bibel ftanden zwei unüberfteiglihe Hinder⸗ 
niffe im Wege: die Unkenntniß des Leſens und der hohe Preis 
ber Handſchriften. So fam es denn, baß die große Maffe, die 
ungebeure Mehrheit der Bevoͤlkerung bes roͤmiſchen Reichs, in 
Hinficht der Religion auf den Öffentlichen Gottesdienſt befchräntt 
blieb. Und diefer öffentliche Gult hat in unferer Epoche eine 
merkwuͤrdige Veränderung erfahren, fo fern eine Menge heid⸗ 
nifger Gebraͤuche und Kormen in ihn eindrang. Diefe That⸗ 
ſache ſteht fo feſt, daß ſelbſt die Flugften unter ben Wortfühs 
seen des Papſtthums nicht für gut fanden, fie in Abrede zu 
ziehen. Statt zu leugnen, haben fie Dem, was zu Zage liegt, 
licher eine günftige Seite abzugewinnen geſucht. Baronius, 
der berühmte Cardinal und Geſchichtſchreiber der Kirche, fagt: 
„Ss ift weitbefannt, daß auf göttlichen Befehl aus dem Golde 
und Silber der Ägypter Gefäße zum heiligen Dienfte Jehova's 
gegoffen wurden. Gleicherweife hat auch die chriftiiche Kirche 
viele Gebräuche, die aus dem Heibenthume flammten, zu ihrem 
Dienfte umgeformt, wie aus Beugniffen mander Väter erhellt. 
In Abſicht auf Weihnachten, als Geburtstag Chrifti, ſagt Hr. 
Gfroͤrer: „Dieſes Chriftfeft ift das wichtigfte unter den neuen, erſt 
im 4. Jahrhundert entftandenen. Und gluͤcklicherweiſe ken⸗ 
nen wir feinen Urfprung ziemlich genau. Weit und breit war 
im roͤmiſchen Reihe um das 4, Jahrhundert ber Mithrass 
bienft verbreitet, felbft in unſerm füdlichen, von den Römern 
befegten Deutfchland, wofuͤr Hunderte von fteinernen Inſchrif⸗ 
ten zeugen, die man aus der Erbe gegraben hat. Beſonders 
aber in Rom zählte ber Mithrasdienft zahlreiche Verehrer. 
Diefe aus Perfien ftammende Religion zog durch ihren prächtis 
gen, bie Phantafie beftehenden und geheimnißvollen Cult bie 
Gemüther wunderbar an. Die Mithrasbiener nun feierten am 
25. Dec. den Geburtstag bes fiegreichen Sonnengotteö, natalis 
invicti solis, benn ber unrichtige alte Kalender berechnete ben 
Anfang des Sonnenjabrs, flatt auf den 21 —23., auf den 
25. Dec. Man begreift, daß ber römifchen Kleriſei, fobalb es 
dort einmal zum ernfllidden Kampfe mit bem Deidenthume kam, 
viel daran gelegen fei mußte, dieſe beidnifche Beier zu verdraͤn⸗ 
gen und eine chriſtliche an ihre Stelle zu fegen, welche im 
Stande war, den übergetretenen Heiden Erſatz für jene praͤch⸗ 
tigen Feierlichkeiten zu gewähren. Wirklich ift dies der Urfprung 
des Chriftfeftes. In demfelben feste die roͤmiſche Kierifei dem 
Geburtstage des heidniſchen Gottes den bes chriftlichen entgegen, 
indem fie den Zag und auch gewiffe Kormen aus dem Heiden⸗ 
thume entiehnte. Und zwar fällt bie Entſtehung bed neuen 


Feſtes gerade in die Zeit bes entfcheibenden Kampfes zwiſchen 
der neuen und alten Religion. Gichere Spuren weifen nämlich 
darauf hin, daß bie Feier des Chriſtfeſtes am 235. Dec. unter 
dem Begiment des Papfles Julius (337— 352) eingeführt 
worden fein muß, folglich um bie Beit, wo bie Kaifer Conſtans 
und Gonftantius zuerfi bie Art an bas Heidenthum legten und 
vernichtenbe Gefege gegen bie alten Goͤtter zu fchleubern begans 
nen. Unter dem Nachfolger des Julius, dem Papſte Liberius, 
erſcheint Weihnachten als ein gewöhnliches Feſt, wie man aus 
einer Stelle des Ambrofius erficht. Man kann fi nicht wuns 
been, wenn ein offenes Zugeftänbniß dieſes Thatbeſtandes paͤpſt⸗ 
lichen GSchriftftelleen fauer wird. Selbſt gewiſſe Proteflanten 
nehmen, wie ich bemerfe, Anftoß daran. Gleichwol find bie 
Zeugniffe zu ſtark und laut, ale baß man zweifeln bürfte, for 
fern anders der Hiftorifchen Wahrheit ihr Recht gelaffen werden 
fol.” Der Verf. führt mehre Beweife an, daß hbeidnifche 
Gebräuche und Feſte in den chriftlihen Gottesdienft übergine 
gen: „Die Kirche hatte zwar ben Sieg über das Heiden⸗ 
tbum errungen, aber während der legten Kämpfe und bes 
Triumphs nahmen die Sieger unvermerft Denkweiſe, Meinun⸗ 
gen, Gebräuche der Beſiegten an. Gin unerbhörter Umſchwung 
fand im Laufe bes 4. Jahrhunderts flat. Noch zu Anfang 
deffelhen rüdte Arnobius ben Heiden vor, daß die Götter, die 
fie anbeten, größtentheil® tobte Menſchen feien, und 100 Jahre 
fpäter wird die Verehrung eben ſolcher Todten Chriſtenthum ge⸗ 
nannt ꝛc.“ Bei Augufltinus findet fi folgender Ausſpruch 
des Manichders Fauſtus: „Ihr Katholiken feld nichts Anderes 
als eine Abart von ‚Beiden (schisma), nur bie gefellige Vers 
faffung (conventus) ift geändert, nit das Weſen. Non 
den Heiden habt ihr den Glauben, daß Alles aus Gott fei, mit 
herübergenommen. Die Opfer der Heiden habt ihr in Agapen 
umgemandelt, ihre Bögen in Wärtyrer; bie Schatten der Ber: 
florbenen fühnt ihr (wie bie Heiden) mit Weinſpenden und 
Mahlzeiten. Ihre Feſte feiert ihe noch mit ihnen an den Gas 
lenden und Sonnewenden.“ Auguftin fucht zwar bie Einreden 
des kecken Mahners zu widerlegen, aber nicht mit Gluͤck, benn 
Bauftus hat den geſchichtlichen Stand der Sache kühn und kurz 
ausgefprochen. 

Sm 13. Capitel ift die Geſchichte der Kirche in den neu 
entftandenen beutfhen Reihen in Gallien, Spanien ꝛc. eine 
hoͤchſt gelungene Arbeit, ber ſich ſchwerlich eine frühere über 
biefen Gegenftand an bie Geite ftellen dürfte. Die Darftellung 
geftattet Beinen Auszug. 

Im 14. Sapitel finden wir eine faft unbebingte Verehrung 
des Papftes Gregor I. ausgefprochen, mit welcher wir nicht 
durchgängig übereinftimmen. Doch können wir, um biefen Auf: 
fag nicht zu ſehr auszubehnen, unfere abweichende Anficht nicht 
näber bezeichnen. Wir verweilen auf den fehr gründlichen Ars 
tilel: Gregoire I. in Bayle's „Dictionnaire historique’’. Übris 
gens verkennen wir nicht bes Verf. chrenhaftes Beſtreben, ger 
recht zu fein auch gegen bie Fatholifche Kirsche und ihre Helden. 

Nach Allem, was wir über die Kirchengeſchichte des Hrn. 
Sfrörer angeführt haben, wird ber Leſer, wie wir boffen, mit 
uns übereinftimmen, baß diefe Schrift von Allen gelefen und 
fludirt zu werden verdient, welche mit ber wichtigſten Angele: 
genheit der Menſchheit und mit ber Haltbarkeit der erneuerten 
Anfprüde ber Hierarchie auf eine jedem Gebildeten zugängliche 
Weife fih gründlich zu unterrichten wünfcen. 15. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Es ift eine alte Klage, daß unferer Jugend gar zu viel 
vom Alterthume vorgerebet wird, fodaß fie ſich in der Gegens 
wart gar nicht zurecht finden kann. Das ausſchließliche Stus 
dium der alten Autoren, namentlidy bes Plutarch und Tacitus, 
fegt den jungen Leuten einen griechifchen und römifchen Herois⸗ 
mus in den Kopf, der für unfere Zeit nicht mehr paßt. Unfere 
Vorzeit ift felbft reich genug an fchönen Beifpielen bes Muthes 


und eines hoben und herelichen Sinnes. Mir brauchen dethalb 
nicht bei jeber Gelegenheit auf Horatius Gocles und Gcäpola 
zurüdzulommen. In Frankreich wird vielmehr barauf gehalten 
ats bei uns, baß die Jugend bie großen Begebenheiten und bie 
großen Männer der vaterlandiſchen Geschichte kennen und 
lieben lernt. Diefer echt nationelle Sinn geigt ſich nicht nur in 
bee Vorliebe, mit ber in den franzöfifcken Schulen bie Geſchichte 
Frankreichs getrieben wird, fondern befonders in ben hiſtoriſchen 
Werken. Die franzoͤſiſchen Hiſtoriker befchäftigen ſich nicht nur 
mie großer Bortiede mit vaterländifchen Stoffen, fonbern fie 
verlieren aud) nie, ſeibſt wenn fie die Geſchichte anderer Länder 
und Wöller darfiellen, aus bem Auge, daß fie für ihre Nation 
ſchreiben. Es kann dies eine gewiſſe Ginfeitigkeit (ein Vort, 
für das der Branzofe kein Äquivalent hat) zur Foige haben, 
aber diefer Nachtheil wird dadurch, daß cin ſolchee einfeitige 
Merk oft im Gtande iſt, bas nationelfe Selbſtgefuͤhl zu heben, 
reichlich aufgemwogen. Unter ben ausführlichern Werken, deren 
Zweck es iſt, dem Wolfe bie beruͤhmten Männer des Vaterlandes 
In ihrer ganzen Größe als wuͤrdige Vorbilder vorzuhalten, vers 
bienen „Les gloires de la France” eine befondere Erwähnung. 
Diefe Galerie, zu ber bie beſten Schriftfteller Frankreichs bei⸗ 
feuern, enthält gang treffliche Biographien. Unter denen, bie 
bis jegt bereits in den Buchhandel gekommen find, heben wie 
bervor: 1. „Histoire de Godefroy de Bonillon‘, von M. 
d’Eranvillez; 2. „Histoire de Bayard’’, von Delandinc be Gt.s 
Eiprit; 3. „Histoire de Suger”, von Alfred Rettement,, das 
befonders intereffant ift; 4. „Histoire de St.-Vincent de Paul”, 
vom Abbe Orſini; 5. „Histoire de Mad. de Sevigne”, von 
Walfh, von ber nebenbgi gefagt feit einem Jahre brei verfchies 
dene Eebensbefchreibungen erſchienen find. Die naͤchſten Theile 
werden „La reine Blanche”, von Danielo; „Malebranche‘', 
von Lourdoueix; und „Cardinal de Berulle”, von Genoude ent: 
halten. Jede Biographie dieſer Sammlung enthält einen ziem⸗ 
ih ſtarken Band, deffen Preis ſehr mäßig ift. 


Ein junger rühmlichft befannter ‚Hellenift, Namens Mynas, 
der dom franzoͤſiſchen Minifterium des Unterrichts beauftragt ift, 
Grichenland und Kleinaſien wiſſenſchaftlich zu bereifen, hat 
kuͤrzlich mehre fehr wichtige Manufcripte eingefchidt, die ber 
großen parifer Bibliothek einverieibt werben follen Unter bens 
felben befinden fi namentlich ein phyſikaliſches Werk von Theo⸗ 
dor Laskaris, cin wichtiger Sommentar zur Metaphyſik des 
Arifloteles, zwei intereffante griechiiche Lexika, drei Stüde von 
Ariftophanes, die zwar nicht neu, aber mit ſehr wichtigen Scho« 
lien verfeben find. Außerdem wird beſonders noch eine fehr ſchoͤne 
Handſchrift citirt, die dem 14. Jahrhundert anzugehören ſcheint. 
Diefelbe enthält die „Affifen von Serufatem” und ift um fo 
wichtiger, ba das auf der Bibliothek zu Paris befindlihe Exem⸗ 
plar, das Graf Beugnot herausgegeben hat, fehr luͤckenhaft ift. 


Eine merkwürdige Erſcheinung ift es, daß in Frankreich, 
wo der Sturm ber Revolution die Ariftofratie in ihren Grund⸗ 
feften erfättert hat, Werke über Heraldik noch von 
©eiten des Publicums eine fo lebhafte Theilnahme finden. Ober 
follten die zahlreichen Yublicationen diefer Art nur auf Koften einis 
ger adelſtotzen Familien erfheinen, welche den matten Glanz 
ihrer Geſchiechter wieder auffriſchen möchten? Unter den Wer⸗ 
fen, die ausfchtießtich der Geſchichte altadliger franzoͤſiſcher Fa⸗ 
milien gewidmet find, verdient trog ber großen Anzahl, die täg- 
lich herausgegeben werden, nur ein einzige® hervorgehoben zu 
werben. Es find dies: „„Les archives genealogiques et histo- 
riques de la noblesse de France”, von M. Laine. Bon bie: 
fem fehr umfaffenden Werke, das zum Theil fehe gründliche 
biftorifche Studien enthält, iſt vor kurzem bereits der ſiebente 
Theil erſchienen. Derfelbe Liefert die Geſchichte der alten Ge⸗ 
ſchlechter der Auvergne, und obgleich er manches unnüge Detalt 
enthält, wird ber Hiſtoriker doc in ihm eine reiche Lefe eine 
zeiner Facten finden. 2. 


Berantwortlider Herausg eber: Hei.rın Brodbaus. — Drud und Berlan von F. U. Brodbaus in Reipgig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


Sonnabend, 


14. Sanuar 1843. 





Profeſſor Leo über die franzöfifche Revolution. 


te der franzoͤſiſchen Revolution von Heinrich eo. 
Aus dem Lehrbuche der Univerfalgefcdhichte beſonders abgebrudt. 


Volle, Anton. 1842. @r. 8. 2 Apr. 15 Rer. 


Ich hatte eben das Wert von Droz über bie Urfas 
chen der franzoͤſiſchen Revolution *) gelefen, als Ich dieſes 
Bud von dem bekannten Profeffor der Geſchichte in Halle 
lad. Wenn ih das Gefühl bezeichnen foll, was mich bei 
Lefung diefes letztern ergriff, fo muß ih es ein Gefühl 
der tieffien Scham nennen. Nein wahrlih, ein ſolches 
Buch macht uns Deutfchen wenig Ehre, uns, die wie 
immer fo ſtolz auf unfere unpurteiifche, tiefere Geſchichts⸗ 
auffafliung find und die Sranzofen fo gern der Xeiden: 
ſchaftlichkeit, Oberflaͤchlichkeit und Verdrehung der That: 
ſachen beſchuldigen. Welcher Contraſt zwiſchen dieſen bei⸗ 
den Werken; das des Scanzofen im Geiſte wahrhaft chriſt⸗ 
cher Geſinnung gefchrieben, voll Gruͤndlichkeit und allfeis 
tiger Würdigung der Thatſachen, eine wahre Bereicherung 
der Wiſſenſchaft und der öffentlihen Moral; das dee 
Deutſchen Leidenfcyaftlich, gebäffig, im hoͤchſten Grade par⸗ 
wüfch und abſichtsvoll gemacht, vor Allem aber ohne alle 
Eyar von humanem Wohlwollen, von hriftlicher Liebe. 

Hr. Leo hat fi) zum Champion eines Syſtems auf: 
mern, Das ſich vorzugsmeife das chriſtliche nennen möchte; 
a [deine fich in diefer Rolle zu gefallen und je mehr Laͤrm 
und Spectakel er verrichtet, defto mehr fcheint ihn dieſer 
eleibafte Kampf, bei dem außer dem Namen noch nichts 
Chriftliches zum Vorſchein gefommen ift, zu erfreum. DD 
nein, nichts Chriftliches. Hr. Leo vergönne diefe Behaup⸗ 
tung einem Manne, den er gewiß fogleih nach beliebter 
Manier zu den Meologen, den Hegelianern, zu denen die 
fh von Sort loßgefagt haben, werfen mollen wird, der 
Ya ober verfihern kann, daß er die melterlöfende Kraft 
des Chriſtenthums und die heilige Perfon ihres Stifters 
in fe tiefiter Seele verehrt, wie wir es von manchem lau: 
ten Eiſtter In feinem Sinne nicht annehmen zu können 
glauben. Mir halten es wirklich an der Zeit und find 
der Biſſigung vieler Chriftlichgefinnten gewiß, wenn wit 
die ernſteſte Misbilligung eines Treibens ausfprechen, tie 
6 Leo, Hengſtenberg und Ähnliche nun fchon feit Jahren 
wäführen, wodurch fie eine heilige Sache für und für 


*) Dierlber berichten wis nädftene. D. Red. 


entwelhen und dem Chriftenthume mehr Schaden bringen 
und Gegner erwecken, als alle Feinde beffelben nicht im 
Stande find. 

Die Geſchichte zeigt uns, daß jede Idee ſtets zwei 
fehr verſchiedenartige Bekenner gefunden hat, ſolche, die fie 
in ihrem Wefen auffaßten, fie im Geifte und in ber 
Wahrheit zu erkennen und fich einzuverleiden firebten, und 
ſolche, die vermöge ihrer individuellen Unfähigkeit fi nur 
bes Buchſtabens, der aͤußern Form bemächtigen konnten. 
Je weniger fie im Grunde an dieſem bloßen Gedaͤchtniß⸗ 
und Verftandeskram hatten, deſto ſtolzer waren fie auf 
biefen Beſitz. Diefe legtere Claſſe iſt es auch, welche von 
jeher fi) der Polemik bemächtigt, ſich dem aͤußern Kriege 
zugewandt bat, in deren Schoofe Rechthaberei, Spibens 
ftecherei und wiüthender Fanatismus wucherte. Wem der 
Innerlihe Anbau einer Idee unbequem ift, der wird fie 
ſtets zum Dedmantel Außerer Zwecke gebrauchen. 

Dem Ghriftenthume, dieſer tiefiten, heiligſten morali⸗ 
[hen Grundidee der Gefchichte, iſt es eben nicht anders 
gegangen. Es hat Belenner im Geiſte und in der Wahr⸗ 
beit, es hat Buchflabenanbeter gehabt, und leider bis jetzt 
von legtern nicht wenige. Die Greuel der Spanier in 
Südamerika, die Bartholomaͤusnacht, die Religiondkriege, 
die Judenverfolgungen, die Snquifition u. f. w., alle die 
unzähligen Abfcheulichkeiten, die im Namen des Chriften- 
thums begangen find, hatten ihren Entftehungsgrund in 
ienen Buchflabenfanatitern, denen Chriſtus ſelbſt ebenfo 
fremd wie unbegreiflich war. Umgekehrt haben die eigents 
lichen Befoͤrderer des Chriſtenthums, die ſich in die gött: 
liche Perföntichkeit ihres Deren und Meifters wahrhaft 
verfenkt hatten, denen das wirkliche Welen des Chriftens 
thums aufgegangen war, die in alle Weltgegenden feine 
befeligende Wahrheit trugen, ſich wenig um jene advocatis 
ſche, dogmatifch :todte Buchftabenkfauberei bekuͤmmert, fie 
haben ſich an die Liebe gehalten, mit Streit und Lärm 
zu machen, innig überzeugt, daß das Verſtaͤndniß des wah⸗ 
ren ChHriftus unabhängig fei von dialektifchen Unterfuchuns 


gen, und daß Demuth und Einfalt des Gemuͤths genuͤg⸗ 


ten. Geduld und Liebe find ihre Waffen gewefen, die, 
wie der Regentropfen zulege den Marmorſtein ausboͤhlt, 
fo zulegt auch in das verhärtetfie Gemuͤth einzubringen 
vermögen; Zetergefchrel und Werkegerung, diefe Praris der 
Pharifäer und Schriftgelehrten, hochmuͤthige Rechthaberel 


34 


und wuͤthende Partikelſtreitigkeiten war ihnen fremd. Wenn 
einzelne große Maͤnner, wie Luther und Calvin, ſich hier 
und da auf aͤhnliche Weiſe verfuhren, ſo hat man ihre 
Chriſtlichkeit nicht in dieſen Verirrungen zu ſuchen, ſon⸗ 
dern man verzeiht ſie ihnen in Betracht ihrer Verhaͤltniſſe, 
der menſchlichen Schwäche überhaupt und um ihrer an: 
dern unendlichen Verdienſte willen. Mer wahrhaft von 
der Goͤttlichkeit Chriſti durchdrungen ift, der wird mit 
Nothwendigkeit zur Nacheiferung und zu moͤglichſt voll 
tommener Nachahmung diefes fittlichen Muſters im eige⸗ 
nen Leben ſich geteieben fühlen; feine ganze Erfcheinung 
wird ein Hauch von jener göttlichen Liebe durchwehen, 
die uns in Chriſtus fo überwältigend entgegentritt umd 
zur Anbetung zwingt. Wo ſolche Spuren, wo folder 
Enfluß nicht bemerklich ift, da kann man mit Gewißheit 
behaupten, daß Chriftus noch nicht erkannt, noch nicht 
eingekehrt ift, und wenn fi) auch nod fo große dogma⸗ 
tifche Gelehrſamkeit, noch fo zelotifches Eifern für die 
Partei zur Schau trüge. Aber jedem Unbefangenen, ber 
überhaupt einen Mapftab für chriftliche Liebe im Herzen 
hat, kann man kuͤhnlich die Entfheidung Uberlaffen, ob 
in fämmtlihen Schriften Leo's ohne Ausnahme nur 
die Teifefte Spur jener wirklich chriſtlichen Geſinnung, Die 
an das Vorbild und den Gründer unferer Religion erin: 
nert, zu finden ſei? Die Entfcheldung wirb leider ver: 
neinend ausfallen müffen. ‘ 

Was foll man nun zu einer fo feltfamen Erſcheinung 
fagen, zu einer Individualität, die es fi) vorgenommen 
zu baben fcheint, den Maßſtab der Chriftlichkeit an die 
ganze Geſchichte zu legen, jede ihrer Ereigniffe und Per: 
fonen mit diefem Maßſtabe zu meſſen, und zwar auf fo 
abfprechende, allezeit fertige entfcheidende Weiſe, wie auch 
wol die tiefften chriſtlichen Gemuͤther fich nicht erfühnen 
möchten — und der doch von dem Mefen des Cheiften: 
thums nicht die leifefte Dämmerung aufgegangen ift, fon: 
dern die recht eigentlich in ihrer hochmuͤthigen Setbflüber: 
hebung, Semüthsverhärtung, unlautern Leidenfchaftlichkeit 
und buchflabendienftlihen Schriftgelehrtenthbum einen recht 
anfchaulichen, warnenden Gegenfag bilder? Wäre eine fol: 
che Erſcheinung nicht zu allen Zeiten häufig genug gewe⸗ 
fen, fo würde man ſich davor entfegen, dennoch aber tritt 
fie in Leo's Geſtalt auf eine fo kecke, ſcharfe Weiſe her: 
vor, daB man mol im Geifte unfers SSahrhunderts und 
im Geifte wahren Chriſtenthums fid zum SProtefliren da⸗ 
gegen aufgefodert fühlen muß. 

Ziehen wir ungefähr ein Drittel des Buchs ab, wels 
ches die Kriegsgefchichte der franzoͤſiſchen Republik erzählt, 
nebenbei bemerkt für den Mann von Fach viel zu unges 
nügend, für den Laien viel zu weitläufig, zu wenig an⸗ 
ſchaulich, zu fehr mit militairiſcher Gelehrſamkeit koketti⸗ 
rend, à la Thiers, mit dem Hr. Leo überhaupt bie auf 
das größere Talent und die größere Gewandtheit des Fran⸗ 
zofen in feiner entfchiedenen Derzlofigkeit und feinem leicht 
fertigen ſich Anftudiren einzelner Branchen der Wiffen: 
ſchaft große Ähnlichkeit hat, nur daß diefer es zufällig für 
gut findet, die Repräfentatioregierung in der Regel zu vers 
treten, 2eo dagegen zufällig die Partei des kirchlichen Ze⸗ 


N 


lotismus und der Haller'ſchen Reftaurationsidee nach fans 
gem Erperimenten ergriffen hat: — fo befleht der uͤbrige 
Theil in einer grellen, einfeitigen und übertriebenen Dars 
ftelung aller Greuel, die im Verlaufe ber franzoͤſiſchen 
Revolution fi zugetragen haben. Dirt einer wahrhaft 
ekelhaften, hoͤhniſchen Schadenfreude wird all jener Jam⸗ 
mer ausgemalt und ins grellſte Licht gefegt. Der ewige 
Refrain iſt dabei, daß dieſes die Strafe der Sünde ge 
wefen und die Folge, weil das ganze franzöfifche Volk von 
Gott abgefallen fei. Das heiße ſich allerdings dus Urheil 
bequem machen. Bon einer billigen Beurtheilung der vers 
fhiedenen Individualitäten,, von einer Unterfcheidung der 
einzelnen Charaktere und Motive keine Spur. Alles wird 
in einen Topf gegoffen und mit der allgemeinen Brühe 
der Verdammniß uͤberſchuͤttet. Selbſt die anerkannteften, 
großartigften Charaktere werden mit demfelben verleumbe- 
rifhen Geifer befprist, an dem Hr. Leo einen fo großen 
Überfluß zu baden ſcheint. Turgot z. B. wird in eine 
Claſſe mit Calonne gefegt, weil er bie Zünfte und die ins 
nern Zölle in Frankreich anzutaften wagte. Das war ein 
Vergehen gegen das göttliche Mecht des Beſtehenden, folg⸗ 
id ein Abfall von Sort. Selbſt das Hoͤflingsunweſen 
rechnet Dr. Leo mit zu den organifch = göttlichen Inſtitu⸗ 
tionen, und die Minifter, welche «6 zu reformiren fuchten, 
werden des Frevels gegen die göttliche Drbnung der Dinge 
und der fündhaften, hochmuͤthigen Willkuͤr mit derfelben 
ruͤckſichtsloſen Bitterkeit angelage wie Jakobiner und Des 
bertiften. Edle Naturen, die felbft noch bei einzelnen Ver: 
ieeungen den hoͤchſten Anfprudy auf Theilnahme und Hody 
achtung haben, Lafayette, Bailly, die Roland u. f. w., 
werden mit bderfelben frechen, übermüthigen Geringſchaͤtzung 
behandelt wie Marat und Cloots. Es ift gar leicht im 
3. 1842, wenn man ruhig al6 Profeffor in Halle fige, 
über die Verirrungen, in welche der Strudel der Revolu⸗ 
tion Alles fortrig, den Stab zu breden. Aber Hr. Leo 
möge fi) die Frage aufwerfen, wenn er überhaupt zu eis 
ner Einkehr in ſich ſelbſt noch fähig iſt, welche Role er 
denn wol gefpielt haben würde, wenn die Vorfehung es 
gewollt, daß er 1792 in Paris gelebt Hätte? Und er 
möge e6 uns als unfere feftefte Überzeugung glauben, daß 
es uns fehr wahrfcheintich fei, wie fein Name alsdann 
neben Anacharfis Cloots oder Hebert in größter Nähe 
figurirt haben würde, denn herzlofe Excentricitaͤt iſt der 
Charakter der ſowol bei ihm als bei jenen wahnfinnigera 
Unglüdtichen als bervorftechend ins Auge fällt. Wer aber 
zurechenbarer, jene Unglüdlichen, die in einer viren, je⸗ 
den feſten Haltes entbehrenden Zeit wie im Raufhe zu 
ſolchen krankhaften, der göttlichen Drönung der Dinge wi 
berftreitenden Anfichten und Handlungen gleihfam bewußt⸗ 
(06 getrieben wurden, oder Dr. Prof. Leo mit feiner Pſeudo⸗ 
chriſtlichkeit und göttlichen Verbammungstheorie in einer 
Zeit und in einem Volle, wo alle Gelegenheit zur Er⸗ 
werbung chriftlicher Sefinnung und gefunder Lebensanfidye 
gegeben ift und mo nur die abfichtlichfte, verftodtefte Wil 
eür zu folhen Manifeftationen und Richtungen führese 
Bann? Die Beantwortung biefer Frage ift für uns we= 
nigftens Seinen Zwelfel unterworfen. Auch wiſſen wir, 


Pi) 





55 


wer mehr Mitleiden verdient, Hr. Anacharſis Cloots oder 
dr. Leo, wir zollen es Jenem mehr wie Diefem — und 
daß Jener eine atheiſtiſche Kebensanficht predigte, Dieſer aber 
eine Anſicht, die ſich mit dem Namen unſers Herrn und 
Meiſters aͤußerlich ſchmuͤckt und damit prahlt, das eben 
macht uns Jenen noch ertraͤglicher wie Dieſen. Uns iſt 
die nackte, traurige Unwahrheit lieber als die geſchminkte, 
das Heiligſte beſudelnde und profanirende. Nein, wenn 
künftig Dre. Leo wieder etwas über Gloots, oder Marat, 
sder Hedert ſchreibt, fo gebe er zuvor in fein Kämmer: 
kin, fchlage an feine Bruft und rufe: „Gott fei mir 
armen Sünder gnädig.” 
(Der Beſchluß folgt.) 





Romanenliteratur. 


l. Die Rofe von Zifteldn. biung aus den Scheeren von 
Gmilie Ztygares Garten. Aus dem GSchmwebifchen. 
Drei Theile. Berlin, Moria. 1842. Gr. 12. 2 Thir. 
13 Rear. 

Schon die erfien Geiten verfegen ben Lefer in die dankbar 
romantiſche Sphäre des Schleihhandele, dem die Lage von 

Zifteldön oder der Diftelinfel mit ihren Selfenufern und den 

nahen Paternofterfäheeren fo guͤnſtig iſt. Gr macht die Bekannt: 

fchaft des Scyteihhändiers und Serräubers Heraldſon, nebft feiner 

Samilie. Birger, der aͤuteſte Sohn, fcheint des Vaters Wilbheit 

ererbt zu haben, während Anton, der jüngfte, ſchwach und ſcheu, 

nur am wilden Seemannsieben Theil nimmt. Gabriele, 

Die Hofe von Ziftelön, wird als Eleines, liebliches Kind vorge: 

führt, und Erika, ihre Wärterin und Grzicherin, zeigt ſich als 

RRarkes, entfchioflenes, Eräftiges Veſen, das Allen Achtung gebie⸗ 

tet darch bie der Zugend und eines flarfen Charakters. 

Sie bat das wilde, verbrecherifche Treiben der Maͤnner durch 

ſchaut, aber fie fchweigt und weilt unter ihnen, denn fie gelobte 

ver fierbenden Gattin Deratidfon’s, die Kinder zu fchügen. Birs 
ger liebt fie, fie aber fehlägt ihn aus in einer verhängnißvollen 

Radıt, und er erfüllt feine Drohungen und begeht in ber Ber: 

weifiung ein Verbrechen — mit dem Water ermordet er den 

Yttieutenant, der den Schleichhaͤndlern nachſtellt. Der Heine 

Iaten, welchen ber Vater mitzugehen zwang, iſt Zeuge des 

Bates unb wird wahnfinnig. Birger verläßt das Vaterhaus 
ur abe das Handwerk des Schleichhaͤndlers auf; Reue nagt 
on ſrinem Derzen, milder kehrt er zurüd und Erika reiht dem 
Deirenden die Hand; fie Hat füh einen heil feiner Schuld 
murhdrieben, weil fie ihn in jener Etunde verſchmaͤhte. Birger 

Adtet nım feine ganze Energie auf das Gute und Grifa wals 

m eis Haus frau auf Tiftelön, während Heraldſon feinem vers 

kerhten Bergen noch in Worten, Fluchen und Wuthausbrüden 

een den wahnfinnigen Anton Luft macht. Als Gabriele ſchon 
derangewachſen ift, verlobt fie fi mit dem Sciffscapitain Ro: 

Er ift ein Beweis, wie wenig in jenen Gegenden ber 


Achen if der Sohn des gemordeten Iadıtlieutenants der Held; 
Küt ia des Baters Stelle, verfolgt die Schleichhaͤndler und 
die Rofe von Ziftelön. Er liebt fie — fie iſt aber Braut —; 
seh; Jahren man den Bräutigam für tobt hält, tritt 
feinee Bewerbung hervor. Beine Liebe wird ermwibert, 
Gefühle für Rofenberg bat Gabriele auf ihn uͤbertra⸗ 
‚ fir ahnet nicht, daß fein Vater von ben Ihren ermordet 
Aber Erika, Birger, ſelbſt der Water find gegen bie 
Sutiadung, und Anton vor allm, und als er die Schweſter in 
w jungen Lirutnante Armen findet, befchließt er Water und 


[ 


Bruder anzugeben. In feinem Wahnſinn hätt er fi für den 
Waffergeift, dem die Sage eine flete Sebnſucht nad der Meer 
restiefe in die Bruſt gelegt; er meint aber nur erlöft zu wer⸗ 
den, wenn er das Verbrechen enthüllt. Gabriele verlobt fidy 
aber mit dem Sohn des Gemordeten, und in diefem Augenblick 
der Geligleit kehrt ibr erſter Bräutigam zuruͤck; fie hatte un. 
ter zweien zu wäblen, fie entfagt aber beiden. Ihr Bater 
und Bruder follen auf Anton's Angabe verhaftet werben, fie 
wollen fliehen und werden gefangen unb gebunden. Gabriele 
fledt das Haus an und den Augenblid ter Verwirrung benußen 
fie zur Flucht; fie find eingefchifft, da entdeckt Birger, daß Erika 
fehlt. ie ift in das brennende Haus zuruͤck, Birger zwingt 
den Vater mit überiegener Jugendkraft umzukehren, fie fallen 
den Häfchern in die Hände, Erika ift tobt; Heraldſon und fein 
Sohn fterben auf dem Schaffot, Anton ftürzt fidh ins Meer, 
und man fieht bie Rofe von Ziftelön, welche man in den erften 
Seiten als Knospe begrüßte, nun verwelkt in Zicffinn unb- 
Trauer, als altes Mütterchen wieder. — Diefem Roman fehlt es 
gewiß nit an Bandiung und der Leſer kommt nicht aus der 
Spannung heraus; man möchte beinahe zweifeln, daB biefelbe 
Beber, weiche „Emma's Herz’ und den „Profeflor und feine Zoͤg⸗ 
linge“ ſchrieb und fi in jenen beiden Werfen mit fo vielen 
matten Geflatten abgab, auch diefes beliebte, Eräftig charalteris 
firte Wert hervorgebracht habe. Alle Nebengeftaiten find gelungen 
und fämmtliche Charaktere von Anfang bis zu Ende treu durch: 


. geführt. Die Mutter des Jachtlieutenants Arve ift eine ſtarke 


Frau, body in ganz anderer Art ftart als Erika; Gabriele 
fcheint des Waters Muth mit allen Zugenden ihres Geſchlechts 
zu vereinigen; fie ift die Liebliche, wenn auch nicht ganz fehler⸗ 
freie Heldin, während bie fanfte, Liebende, in ihrer Liebe uns 
glädliche Joſephine, in ihrem Verhaͤltniß zu Arve, trog des 
wenig huͤbſchen Außern, trog des Verſchmaͤhtſeins, boch das In⸗ 
terefie bes Lefers auch zu feſſeln vermag. Arve’s Briefe aus 
dee Lehrzeit und fein Verhaͤltniß zur Frau Zollverwalterin find 
mit viel Humor vorgetragen, und die guten, einfagen Antwors 
ten ber Mutter treffen immer ben Nagel auf den Kopf bei ihr 
ven Rathſchlaͤgen und Ermahnungen, unb charalterifiren bie 
ſchlichte, wuͤrdige Buͤrgersfrau, weiche durch Religioftität und 
ie mfrengſten Begriffe von Recht reichlich die feine Bildung 
erſetzt. 


2. Willibald's Lieder. 


Eine Phantaſie von Helmine Hart 
Zwei Theile. 
VR 


Magdeburg, Greug.- 1842. Gr. 12. 1 Ipir. 


gr. 

3. Herzog Wilhelm. Roman in yeei Abtheilungen von Hel⸗ 

ine Hart. Magdeburg, Baͤnſch. 1843. 12. 1 Thrr. 
gr. 

Dem erftern Werke find Anſichten über Muſik, dem zweiten 
eine Periode aus ber kurlaͤndiſchen Geſchichte als Stoffintereffe 
beigegeben ; Erſteres deutet auf gründliche muſikaliſche Kenntniß 
der Verf., das Zweite gibt allerdings einen interefianten Mor 
ment. Der Ausführung beider Werte mangelt aber gänzıich 
jene pfochotogifche Wahrheit, die man im 19. Jahrhundert in 
Romanen, Novellen, Gedichten, ja fogar in Märchen verlangt. 
Es tauchen eine Menge matter Frauenbilder, liebliche, füße, 
ätberifche oder kuͤhne Erfcheinungen auf Ws fprecdhen und hans 
bein ohne alle Natur; es werben Detail gegeben, bie nicht zur 
Verfländigung des Ganzen gehören, und eine Menge Perfonen 
aufgeführt, weiche keine andere Beftimmung haben, als bie, daß 
fie da find und einige fentimentale oder bumoriftifche Worte fas 
gen. Es fcheint fein beftimmter Plan entworfen, kein Charak⸗ 
ter ift ausgeführt, es liebt und ſpricht und feufst und fingt Al⸗ 
les burcheinander und eine auf Kothurnen einherfchreitende Sen⸗ 
timentalität ragt aud beiden Werken hervor. Die Liebe des 
Gomponiften zur Gräfin, mit den fo oft ſich wiederholenden Abe 
fchieben auf ewig, vermag nicht das Intereſſe der Refer zu feſ⸗ 
feln, und alle die ſchoͤnen Mädchenerfiheinungen, alle jene Hel⸗ 
binnen des erften und zweiten Romane, die man von ‚der Kinde 
beit an beranwachfen fieht, mit Ihrem Liebeln und Zändeln, er 
regen enblid nur Ungebuld. Sie find ſich beinahe alle aͤhnlich; 


wenn auch eine Ulrika in ihrer Kindhelt einmal wilbe Pferde 
veitet und fpäter noch zuweilen trotzig ift, fo ſpricht fie doch bei 
andern Gelegenheiten wie die Sanften, Liebenden, Schmachten⸗ 
den, und bie Liebe und Freundſchaft erhält auch immer benfels 
ben ſchwaͤrmeriſchen, weichen, aͤtheriſchen Anſtrich, welcher fo 
leicht ermübet. Doch ift die Verf. richt ohne Talent. Die erften 
Seiten von ,‚Willivald’8 Liedern ”, die Schiiberung des alten 
Kapellmeifters, die der erften Liebe des jungen Somponiften find 
fehr gut und verhießen Gutes — fo auch bie erflen Gapitel von 
„Herzog Wilhelm‘ —, der Hang zu einer Eräntelnden Sentimen⸗ 
talität verdirbt jebocdy immer ben guten Eindruck; auch wird Als 
les zu ſehr in die Länge gezogen, zu fehr ausgeführt, jedes 
Thema erſchoͤpft; es bleibt dem Eefer nichts zu ahnen und nichts 
zu benten übrig, er muß Alles Iefen, ja fogar mehr, als er wiſ⸗ 
fen möchte. Au ift nichts Hervorragendes in biefen beiden 
Romanen, woran man ſich anftammern Eönnte; fein großer 
Held, kein großer Gedanke, es foll Alles groß fein. Die Spradye 
ift aber ſchoͤn; die Verf. muß fehöne Briefe ſchreiben, zu Reife: 
ober Gefellfchaftsbriefen hätte fie Talent. Yrauenromane find 
gewöhnlich die. gematten oder gefähliffenen Fenſterſcheiben, wos 
durch man in der Verf. Herz fieht, und wenn man audy bier 
mit ben Figuren der Scheiben nicht zufrichen ift, fo kann man 
doch auf die fchöne Seele, ben gebildeten Verſtand der Berf. 
ſchlieben. 

4. Victorine, ein Roman von Henriette von Biſſing. 

Zwei Theile. Hanover, Hahn. 1842. 3 Zhir. 

Unfere fo blafitte Eefewelt noch durch ben Verlauf einer 
Erzäͤhlung zu fpannen, ihr Herzpochen und langes Grwarten 
zu erregen, zeugt von Zatent, und dieſes Talent befigt die Verf. 
in vollem Maße; es fpridt ſich befonbers in dem erften Theil 
der „Bictorine” aus. Die fchöne, fo natürlihe und doch fo ges 
feitte Sprache, der edle Zon des Vortrags, bie geläuterten Ge⸗ 
fühle, die durchdachten Meinungen und Anfichten, Alles gibt dem 
Lefer das Gefühl, ſich in gebildeten Kreifen zu befinden, und 
trotz allen Spannens der Erwartung, weldye die Begebenheiten 
erzeugen, fieht man ſich nie von ber Furcht vor Gemeinheit und 
Revoltirendem ergriffen, wozu ein Verhaͤltniß wie das des hafs 
fenswürbigen Falkiand mit der reigenden, unerfahrenen Bictorine 
bei mandyer andern Reber wol Anlaß geben moͤchte. Die Art, 
wie ec fie umgarnt, für fi zu gewinnen ſucht unb als feine 
Braut aufführt, ift ſehr zart gehalten; Victorinens Charakter 
ift der Lichtpuntt bes Ganzen und verleiht der fonft fo gering» 
geſchaͤzten Stellung einer Gefellichafterin eine größere Wichtig 
feit. Die Grundfäge der reinen Ghriftenlehre mit Rath und 
That werden giädiih in ihrer Wirkung dem pietiſtiſchen Wefen 
und Ginfchreiten entgegengefeßt. Des jungen Grafen Abenteuer 
im griechiſchen Befreiungskriege bilden eine gluͤcklich gewählte 
Epiſode und find in geböriger Kürze mitgetheilt, um nicht zu 
ſehr vom auplag bes Romanintereffe abzuleiten. Die Ins 
triguen, weldye die Sräfin Waldenburg und ihren Sohn tren⸗ 
nen, find ſeht gut eingefäbelt und burdhgeführt. Ref. follte nur 
meinen, baß fie ein wenig zu ſchnell bei der jungen Gefellfchaf: 
terin Erfcheinen ſchwinden. Auch ift die Verlobung des jungen 
Grafen mit Victorine etwas demüthigend für legtere, da fie in 
dem Kugenblid, wo D an eine andere Braut glaubt, feibft dazu 
erflärt wird, ihren Namentzug mit dem feinen vereint erglän: 
zen fiebt, ohne daß man ihre Sinmwilligung vorher verlangt 
hätte: In jegigen Zeiten beglüdt ber Heirathsantrag eines 
Grafen die Bürgerliche nicht mehr. fo unbedingt, um ihrer Sins 
willigung ſchon ganz gewiß zu fein; unter feinem Verhaͤltniß 
follte die Darreihung der Band am Alitar ald Gnabenfadye dar⸗ 
geftellt werben. 
Theils etwas weiter ausgedehnt, als das Intereffe des Leſers 
bedurfte. Das ift aber auch der einzige Tadel, den diefer huͤb⸗ 
ſche Frauenroman in und erregte; befist die Verf. auch nicht 
das Talent der Gräfin Hahn » Hahn, die großen Leidenſchaften 
der vornehmen Welt mit ihrer unter ber Lavadecke der Conve⸗ 


nienz brennenden Flamme darzuftellens verſteht fie fih auch nicht. 


Überhaupt ift die este Haͤlfte des zweiten. 


wie die gemüthliche Freberile Bremer auf die Detallmalsrei bes 
bäustichen Lebens, und Fann fie auch nicht ganz wie Frau von 
Paalgow bie Tpannenden Verwirrungen eines Geſchichtsfadens 
erfinden ımb Löfen: fo Liefert fie doch in „‚Wictorine” ein Merk, 
weiches von jeber biefee drei ausgezeichneten Schriftſtellerin⸗ 
ven einen Funken enthält und ben Weruf ber Autorin bes 
undet. 
5. Die Abenteuer in ber Weihnachtekrippe. Gin Maͤrchen von 
Sarl Eitner. Berlin, A. Dunder. 1843, ia Thlr. 
gr. 

Elegant ausgeftattet und mit bäbfchen Kupfern verfeben. 
Der Weihnachtsabend wird geſchildert; brei Alterniofe Kinder 
begehen ein kleines Verſehen — geben in bie Shriftmette, effen 
GShrifttarpfen, das Vergeben wird geftraft, indem man fie allein 
läßt und ihnen nicht beſcheert. Gin ihnen von einer alten Koͤ⸗ 
din zum Troſt gereichter Trank fcheint fie beraufcht zu haben, 
ihre Träume nehmen die Geflalten der Wirklichkeit an, bie 
an ber Weihnachtskrippe aufgeklebten Figuren bemädhtigen fig 
der jugendlihen Phantafle und fpiegeln ihnen Grfcheinungen 
unb Erlebniſſe ohne allen Zufammenbang vor. Sie feben Sim⸗ 
fon, den heiligen Chriſtoph, einen Kreuzritter; fie ſehen David 
und Goliath Fämpfen, Johannes den Zäufer Jeſum taufendz 
fie betreten das Land der Ewigkeit; Zauberer, Einſiedler, alle 
möglichen frembartigen Geftatten ziehen auf und ſchrecken fie. 
Zulegt aber ſchweben die beiden Geftaiten bes Papfles und eines 
Minds, indem fie einander eintrachtsvoll umfchlungen halten, 
auf zum Himmel und verſchwinden endlich in einen Strahlen⸗ 
fern, und Ghriftus erfheint in feiner Glorie und ruft: „Gehet 
bin, in meines Vaters Haufe find viele Wohnungen.” Da ers. 
wachen bie Kinder und haben ſich wol mehr über die vor ihrem 
Bette ausgebreiteten Weihnachtsgeſchenke gefreut ats über die 
prophezeite Vereinigung bed Katholieismus und des Luther⸗ 
thums. Kür Kinder iſt dieſes Maͤrchen zu verwirrt, für Er⸗ 
wachſene zu kindiſch; es ift ſehr breit erzählt und nicht poetifch 
genug ausgefhmädt, um all das Durcheinander zu verfüßen. 

12 


— 





giterarifche Anzeige. 





Allgemeines 
Bücher-Zexikon «- 
Wilhelm Heinfius. 


Neunter Band, weldyer die von 1835 bi6 Ende 1841 
erfhienenen Bücher und bie Berichtigung früherer Er⸗ 
ſcheinungen enthält. Serausgegeben von 

Otto August Schuls. 


Erfte Zieferung, Bogen 1—10. 
(A— Beschreibung.) 
Seh. Jede Lieferung auf Drudpap. 25 Ngr., 
auf Screibpap. 1 Thlr. 6 Ngr. 

Die erſten firben Bände bes ‚Allgemeinen Bücher⸗ . 
von Heinsius ( 1812— 29) find jet aa est Eon“" 
im herabgeſetzten Preiſe für Pi Thlr. zu erhalten; audy 
werben einzelne Mände zu verhältnißmäßig erniedrigten Preifen 
erlaſſen. Der achte Band, weldger die von 1828 bi8 Ende 
1334 erfchienenen Bücher enthätt, koſtet auf Drudpap. 10 Thir. 
15 Ror., auf Schreibpap. 12 Thlr. 20 Mor. 

Eeipzig, im Zanuar 1843, 


S. A. Brockhaus. 


Gr. 4. 


Verantwortlicher Herausgeber: Deinrih Brodbaus. — Drud und Beriag von 8. U. Brochaus in Eeipzig. 





Blätter 


fir 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 





. Profeffor Leo über die franzöfifche Revolution. 
chiuß aus Mr. 14.) 

Es mag fehr an * Zeit ſein, den unvernuͤnftigen An⸗ 
preifungen ber franzoͤſiſchen Revolution ‚ wie wie fie von 
jungen, unreifen Leuten jegt häufig boren müflen, auf eine 
überzeugende Weiſe entgegenzutreten. Hr. Leo ſchlaͤgt in feiner 
fanatifdgen, unmahren Übertreibung jedenfalls aber den falfchen 
Weg rin. Allerdings ift jene Theorie, nad) welcher nichts 
Großes ohne eine angemeffene Bergiefung von Blut, 
ohne eine Bluttaufe geſchehen könne, ebenfo unmwahr als 
undriftih und namentlich mit einer richtigen biftorifchen 
Auffafjung dee heutigen moraliſchen Zuftände und Stim⸗ 
mungen im ſchneidendſten Gegenſatze. Im Sinne der böch: 
Ben Weltregierung mag Alles, was geſchieht, nothwendig 
fein und felbft aus Verbrechen und Greuel mag zulegt 
das Bute erwachſen. Eine foldhe Anſicht müffen wir gläus 
big annehmen, wenn wie audy die DVerkettung der Folgen 
nicht mit unferm kurzſichtigen Auge erreichen können. 
Eine wahnfinnige Schlußfolgerung aber würde es fein, 
wenn wir hierin eine Auffoderung finden wollten, um 
ebenfalls durch Verbrechen Gutes ftiften zu wollen. Die 
merafffche Ordnung in der Geſchichte der Menfchheit zeigt 
uns deutlich genug, wie aus jeder Übertretung des moras 
Uſchen Geſetzes Schlimmes entftchen muß. Nicht Leiden: 
ſchaft, nicht Haß, Rache, Schwaͤrmerei u. f. w., nicht der 
Schrecken erzeugt wahrhaft Großes und ſittlich Bleibendes, 
fondern einzig und allein die Liebe. Jene in mwüfter Be: 
fangenbeit des Schreckens und rafender Leidenfchaft voll: 
brachten Thaten, welche man jest To hoch feiert, fie has 
ben allerdings einen Keim des ſittlichen Merderbend in 
Fraufreich zuruckzelaſſen. Jene trunkene Erregtheit, jene 
wilde Leidenſchaft, welche junge Leute von ungebildetem 
firttichen Gefühle als etwas Erhabenes zu bewundern ſich 
eiauben, wie Hein und verwerflich erfcheinen fie neben wahr: 
Yaft fittficher Größe, die ſtatt auf Leidenſchaft und Illu⸗ 
ſten auf Liebe und Wahrheit gegtuͤndet iſt. Unbegreif⸗ 
dd, wie eine Schule, welche über alles Unbewußte 
im Handeln der Menfchen ihre Berdammungsurtheil aus⸗ 
Deich umd nur das woüfländig Bewußte als frei und ver⸗ 
utuftig anerkennt, eben jene Periode der Gefdgichte, welche 
mter dem Ramen der franzoͤſtſchen Revolution begriffen 
wird, zu felern ſich erkuͤhnt, einen Zeitraum, ber ſich durch 
— wahnfinnige Bewußtlioſigkeit auf beiſpielloſe Weiſe 


charakteriſirt und der bei jedem Gebildeten Schauder und 

moraliſchen Ekel erregen muß. Wenn ſolche ſcheußliche, 
bewußtloſe Proceſſe noͤthig find, um einen hoͤhern Grad 
von buͤrgerlicher Freiheit zu erreichen, fo wäre es Niemand 
zu verdenken, wenn er bei ſolchem unvernünftigen Dis 
lemma ſchwankend innehielte und ſchaudernd zurücktraͤte. 
Aber, Gottlob, dem ift nicht fo. Solcher rein unvernünfs 
tigen Widerfprüche gibt es nicht in der moralifhen Ord⸗ 
nung der menfchlihen Dinge. Der Weg zur bürgerlichen 
Freiheit IE auch der Weg der Sittlichkeit, der beroußten 
Überlegung, der Wahrheit, der cheiftlichen Liebe. Eben die 
wahnfinnigen Thaten der franzöfifhen Jakobiner geben el 
nen deutlichen Beweis davon, wie unendlihen Schaden 
der guten Sache durch folhe Mittel, durch fo thierifche 
Handlungsiweife erwaͤchſt. Menforlicer Berechnung nad 
ftände es jet beffer um den Sieg einer vernünftigen, zeits 
gemäßen bürgerlichen Freiheit, menſchlicher Berechnung 
nad wären ſowol Frankreich als auch Deutfhland [dom 
weiter fortgefchritten nad dem Ziele eines öffentlichen bürs 
gerlihen Rechtlebens, wenn jene gräßliche demagogiſche 
Orgie nicht die Begriffe verwiret, das moraliſche Gefühl 
vergiftet und um allen Much und alles Vertrauen ger 
bracht hätte, 

Es ift ein großer Irrthum, zu glauben, die feanzöfifche 
Revolution habe jene Ideen von bürgerlicher Freiheit und 
rechtlichem Staatsleben erzeugt, die jeht bie gebildete Wett 
erfüllen und die nach unferer innigften Überzeugung mis 
hoͤchſter Conſequenz in den einfachen Lehren des Chris 
ſtenthums liegen. Diefe Ideen find. gewiffermaßen immee 
dageweſen; gegen Ende des vorigen Jahrhunderts traten 
fie uns nicht nur lebendig im emglifchen Staatsleben und 
in den jungen Freiſtaaten von Nerdamerika vor Augen, 
ſondern ihre Sortentwidelung, das Streben nad ihrer dus 
Bern Geltendmachung und Realifirung lag auch im Geijte 
der Zeitz die allmälige Entwidrlung des Keime war noth: 
wendig, als bie franzoͤſiſche Revolution wie ein Ungewit⸗ 
tex bean Thenfube und alle biefe Keime anf längere 
Zeit zerſtoͤrt 

Für Frankreich bot fie die traurige Folge gebabt, daß 
alle wirkliche moraliſche Freiheit, alle wahrhafte innerfte 
Überzeugung, alles wabrhafte Heldenthum, jeder tüchtige 
Rechtsſinn, jedes ſtabile, unwandelbare Sittlichkeitsgefuͤhl 
gewichen if, ohne weiche Eigeuſchaften eine bürgerliche 


% € . 


2 x e.. 
.“ » 
ı 
2 


Freiheit denkbar. Das Zerſchlagen ber alten Misbräuche 
umb Vorrechte, welches auf ruhigem, ſittlichem Wege eben⸗ 
falls haͤtte zu Stande kommen koͤnnen, iſt um dieſen Preis 
zu theuer erkauft. Alle jene Vorrechte und Geſetze, die den 
firgchen Anfederungen der Jetztzeſt atterdings roidgefpras 
Gen, hätten durch ruhige. Geſetzgebung beſeitigt den 
koͤnnen, wenn auch nicht ſo ploͤtzlich, ſo mit einem Schlage, 
wie in der Nacht vom 4. Auguſt. Durch welche Geſetz⸗ 
gebung laſſen ſich aber die geiſtigen und fittlichen Gebre⸗ 
chen beſeitigen, welche in einem ſo verwahrloſten Zuſtande 
von herzloſer Schwaͤrmerei, niedrigem Servilismus, ſcheuß⸗ 
licher Grauſamkeit, Irreligioſitaͤt und Selbſtſucht uͤber das 
Belt von der Herrſchaft dee Guiliotine bie zum Sturze 
Napoleon’s bereingebrochen find? Die Form der Freiheit 
HE in der That mit dem Verluſte des Geiftes der Frei: 
heit zu theuer erkauft gewelen, und wenn wir mit Xeo 
auch nicht annehmen — Gott bewahre Uns vor ſolchem 
pharifäifchen Aburtheilen —, daß das franzoͤfiſche Volk eins 
mal in Grund und Boden verdorben und dem Zorne 
Gottes (nebenbei auch dem Schwerte feiner Nachbarn) für 
immer verfallen fei, fo glauben wir doch, daß es von bie: 
fen geiftigen Wunden lange nicht genefen und eine ſchwete, 
Innerliche Arbeit zur Sühne und Selbſterziehung zu ver: 
richten haben wird. 

hr Deutfchland aber hat die franzöfifche Revolution 
den Nachtheil gehabt, daß unfere Kräfte, ſtatt auf ver: 
nönftige Umgeſtaltung ber Staatsformen gerichtet zu wer: 
den, fi nun gegen bie Übertreibungen der franzöftfchen 
Revolution menden mußten. Nicht nur unfer Blut und 
unfer Geld, auch unfere geiftigen Kräfte wurden in Ans 
fpruch genommen und geopfert zur Bekaͤmpfung bes Un: 
ſinns unfereer Nachbarn. Wir wurden irre an der Sache 


der Freiheit, weil wir fie zu fo furchtbarer Stage werden | 


fahen; wir verloren ben guten Glauben an fie, und bie 
Furcht bemädptigte fi unfer, beim Fortfchreiten auf ber 
Bahn vieleicht ähnlicher Anarchie und Roheit zu verfallen. 
Es hat lange gedauert, bi6 das Geſpenſt der franzöfifchen 
Nevolution nicht drohend zwifhen unfere Wünfche und 
Beduͤrfniſſe getreten ift, und noch bi6 heute hat es feine 
Macht nicht ganz verlosen; namentlih ſpukt es noch 
Immer vor den Augen unſerer Großen und Maͤchtigen, 
und der junkerliche Eigenes forwie der herrifche Beamten: 
ſtolz weiß es noch immer trefflih zu benugen, um zu 
ſchrechen und zuruͤckzuhalten von Dem, was doch einmal 
nothmendig iſt und vom Ehriſtenthum ebenfo geboten wird, 
wie von verfländiger Augheit. Auch dem Pfaffenthume 
bat die franzöfifche Revolution. errvünfchte Gelegenheit bare 
geboten, alle jene Greuel und jene Gottloſigkeit mit buͤr⸗ 
gerlicher Freiheit im Allgemeinen zu identificiren. Die 
RNevolution ift ein terminus technicas gerworden, den man 
als Bannſtrahl gegen jedes Streben, und ſei es aus noch 
fo tiefschriftlichem Gemtthe entfprungen, allen Denen ents 
gegenfchleudert, welche ba glauben, daß noch viel zu thun 
fei, che das Meich Chrifti ſich im Geifte und in det 
Wahrheit Hier auf Erben geltend machen werde. Zu bies 
fm pfaͤfftſchen Weſen gibt Leo's Bud; einen befonders 
intereffanten Beitrag. Es zeige and nebenbei, wie die 


unchriſtlichſten | Mittel von diefem fogenannten „chriſtlichen 
Fanatigmus nicht gefcheut werden, wenn es fih um 
ucchführung ihrer Abfichten handel. Das Werk von 


Leo predigt ziemlich unverhohlen, wenn auch nicht, mi 
ganz diresten Worten, einm Krkuzzug gegm Fran d 


natürlih in msjorem Dei gloram. Mobespiewe ghill 
tinirte luſtig darauf los zur VBeförderung der Tugend, 
zur Auscottung des Laſters; unfere pfäffifhen Staates 
männer möchten Frankreich mit Blut Überfirömen und aus 
dev Reihe der Voͤlker vertilgen, Alles der Gottesfurdt 
wegen und ber Froͤmmigkeit. Es ift immer Daſſeibe, es 
mag fih nun hinter die Religion verftedden oder hinter 
bie Fretheit, Hinter die Philbſophie ober eine andere ſchoͤne 
Sahne aushängen; «es ift das alte Bild von unferer Frau 
Baſe Schlange, die ehem uns dann recht ficher hat, wenn 
wir uns recht prahleriſch über unfere Mitmenſchen erheben. 
Diefe Eriegerifche Froͤmmigkeit und dieſe chriſtlich⸗ geema⸗ 
niſche Luft nad Pulverdampf faͤngt jetzt an ſich recht 
beeit zu machen; ſie iſt Modeton geworden, ſeitdem man 
damit Anklang bei einer hohen Perſon zu finden glaudt, 
bie man nicht verſteht. Unſere Generale find jetzt ſehr 
fromm, gehen Morgens in die Kiche und machen Nach⸗ 
mittags Kriegeplane gegen bie Franzoſen. Sonderbar, 
wie fich die Zeiten ändern! 
8. von Florencourt. 





t. Biographie universelle, publ. par Mickaud. Banb 
69 — 71. 

2. Biographie universelle des musiciens par F. J. Fetis. 
Band 5— 7. 


Das unermeßliche Denkmal, das Michaud zur Ehre ber 
verfchiebenartigften Gelebritäten aller Länder und aller Zelten 
errichtet bat, warb im 3. 1811 begonnen. Im 3. 1828 wer 
man mit dem 92. Bande bein Buchflaben 3 angelangt. Aber 
nachbem die Herausgeber noch einen Anhang von drei Vaͤnden 
binzugefügt hatten, in benen fie alle Götter, Söttinnen, alle 
Dalbgötter und andere mythologiſche Perfonen behandelten, ſahen 
fie doch ein, daß das Werk noch lange nicht vollſtaͤndig ſei. 
Während fie das Leben der Todten, deren Namen mit ben 
Buchſtaben O und P anfangen, fchrieben, hatte der Zoch ſchon 
eine beträchtliche Anzahl Titerarifcker, politifcher und artiftifcher 
Größen, deren Anfangsbuchftaben A und B waren, hingerafft. 
Sie fahen fi alſo genäthigt, an ein Supplement zu denen. 
&ber ehe man bei biefer Nachleſe am Iepten Buchſtaben bes Ml⸗ 
phabet® angelangt fein wirb, muß ſchon wieber beim erfien ame 
gefangen werben, und das wird fo fortgehen, bis am jüngften 


| Gericht alle diefe Berühmtheiten nah ihrem wahren Wert he 


emefien werben. Der 69. Band, ber zugleich den 14. des er⸗ 
n Supplements bildet, enthält den Schtuß des Buchftaben Ke 
und führt den Buchſtaben € bis zur Gpibe Sal, Ge enthält 
ganz vortreffliche Artikel, und wie könnten, wenn es ber Rates 
geftattete, bier eine reiche Auswahl der werthoollften Notizen 
aus ben verfchiebenen Biographien, bie in bdiefem Theile mit- 
getheitt werden, ausheben. So ift der Auffag, ber bem beweg⸗ 
ten Reben Lafayette’s gewidmet ift, hoͤchſt bea 
vo der —— | Aneldoten. Ei 


gypten zu er⸗ 


und ohne Unterflügung irgend einer Reglerung 
e Berhbaͤitniffe noethigten, diefe p n 


obern. Aso ihn bi 





fine, be m reife Eenaparte verwistitäite, fallen 
* wollte er wenigſtens auf eigene Koften die Barba: 

aten einneimmen. Diefe a durch eine Stelle 
uns unkefannten MReimoiren von St.⸗Prieſt belegt. Bekannter 


Wort NRapoleon’s, der von Lafayette in voller GSenats⸗ 
fügte: „Tout le monde en France parait corrige 


* 


ercopt€ Lafayette. Vous le croyez trangnille: eh bien, je’ 


vons dis, moi, qu’il est tout pret a recommencer.” ber 
wir dürfen uns nicht zu weit in dieſe Details einlaffen. Wir 
degnuͤgen uns daher nur im Worbeigehen auf zwei Notizen auf 
werkſam zu madyen, don benen bie eine Labourdonnaye und bie 
undere Laie betrifft, umd bir beide aus der gemandten Feder 
Durozoir’8 gefloffen find. Leider zeigt fidh. indeffen auch bier, 
daß die royaliſtiſche Kichtung, welche die Herausgeber ihrem 
Verke aufgepraͤgt haben, ber unparteiiſchen Würdigung zumweis 
im Eintrag getban Hat. Schr intereffant find die beiden Ars 
tikel Kotzebue und Krudener. Auch bie beiden übrigen Bände 
(70 und 71), die im Jahr 1842 noch erfchienen find, enthals 
ten einen wahren Schatz bicgraphifcher, kiterarifcher und hiſto⸗ 
zifher Bemerkungen und wir wünfchen fehnfichft, daß die Her⸗ 
ansgeber ihr Werk mit gleicher Schnelligfeit und Gediegenheit 
fortführen mögen. Es ift dies eins von ben Werfen, denen 
keine Literater etwas Ähnliches am die Seite zu flellen hat und 
auf das bie franzöfffihe Ration flolz fein kann. 

Zuůu gleicher Zeit erwähnen wir noch ber Fortfegung ber 
trefftichen „Biographie universelle des imusiciens” von Fetis, 
von der voriges Jahr den fünften bis fiebenten Band gebracht 
bat. Der verdienſtvolle Herausgeber biefts Werkes hat mit 
dem größten Fleiße und mit einer unermeßlichen Belefenheit die 
Biographien der wiätigfien wie ber unwichtigſten mufifalifchen 
Sompomiften zufammengetragen. Indeſſen bat ihn wol daß 
Berlangen, regt vollfiändig zu fein und gar nichts auszutaffen, 
etwas zu weit geführt. &o hat er ber mythologiſchen Perfon 
Yan einen voliflänbigen Artikel gewidmet. Ebenſo wenig iſt der 
Kaifer Rero vergeflen, der, während er mit kaltem Auge den 
Brand Rome anflierte, ruhig die Lyra ſpielte. So figurirt 
£ubwig XIII. von Frankreich in diefer Biographie ber Muſiker, 
weit er ein vierfiimmiges Lied componirt hat, dad mit den 
Sorten „Te crois, ô beau soleil‘ anbebt. 6. 





Literarifhe Notizen aus Daͤnemark. 


3u ben von chſten reuen Erſcheinungen auf dem Gebiete 
Whsttetriffiihhen Literatur in Dänemark gebören: „Gen 
i M, Novelle af Borfatteren ti em Hperbagshifterie”, heraus: 
tguhen von 3. 2. Heiberg und „Raer og Fiern“, Novelle von 
X Berfaſſer. —3*8* ſich beſonders Goethe zum Mus 
gnonmen zu haben, ben er jedoch beimeitem nicht er⸗ 
Der Verf. Hat hier in Nr. 1.in mehren, durch einen 
kter zufammiengehaltenen Epiſoden ein daͤ⸗ 

Thema varlirt: nicht wahre Liebe, ſondern die 
it, die man für bad Portrait einer theuern Perl 


Eiglishtbeit , on 
füsit, wird Hier geſchildert. Der Held der Novelle, Trolle, liebt 






Granmızisamer, bie mit feiner erſten Geliebten, Elara, eine 
it haten. Des Verf. hätte ohne Zweifel beffer gethan, 


e 


ur 
in⸗ 
(in auftlaͤrte, doch den magiſchen Schleier zerriſſe, welcher 







vernichtet. Niht 
conſequent 


durchgefuͤheter 
Ge sine Wlnen- und: alle: andy: ohne Mhnenftale, gebiedett ohne 


— 


eniger iſt Trolle ein intereſ⸗ 
rates ex tft Ariſto⸗ 


1’ Yebanterte,”" arg — im Ganzen en Mebentroßrhiger ausacbitbe: 
ter Menſch. Bon den uͤbrigen Charakteren, bie in diefer No⸗ 
velle ſpielen, dat keiner beſonderes Intereſſe, zeichnet ſich keiner 
durch ODriginalitaͤt aus. Was biefer Novelle mangelt, iſt ein 
eigentticher Weltzuftand. Gituation und Hanblung hat fie ge-. 
mıg, aber ein eigentlicher Geſichtskreis fehtt ihr; es ift ein Ges 

maͤide ohne Dintergrund. Dagegen herricht in ihr eine größere 
Abwechſetung, ein tieferer Blick in die Entwickelung des Chas 
rakters und in bie Geſchichte dei Keidenfchaft ats in den meiften 
fruͤhern Novellen deffetben Verf., um nichts zu fagen von dem 
Geſchmack und dem Geſchick, womit bie verfchiedenen Epiſoden 
verbunden und geordnet ſind. 

Die zweite oben genannte Nodelle iſt im Ganzen ge: 
nommen in einem weniger boben Styl gefchriebens der Con⸗ 
traft zwiſchen Hintergrund und Worbergrund, Gorigont und 
Situation ift nicht fo ſehr in die Augen fallend. Ste fpielt 
übrigens in unferer eigenen unmittelbaren Jettzeit und bewegt 
fi zum Theit um ihre ephemeren Intereffen. Poeſie, Thea: 
ter und Politik machen die Quinteffenz nicht allen ber Conver⸗ 
fation, fondeen, wie im wirflichen Leben, auch bes Gedanken⸗ 
lebens aus: Es iſt nur das liebende Paar, welches wacht und 
betet und nicht politifirt. Der Gefichtskreis ift demnach neber 
‚licht genug; der Novelle Himmel ift fo dunkelgrau; es ift ein 
"echt langweilige® Topenhagener Rovembermetter, welches bie 
handelnden Perfonen umgibt, und ein Paar. von biefen fcheint 
"auch zu den Menſchen zu geßören, auf deren Laune bas Wetter 

“einen wefentlihen Ginfluß hat. Wan ben Charakteren, weiche 

‚in diefee Rovelle vorfommen, ift Frit German der intereffantefte. 

‚Er ift edel und babei Leichtfinnig, ohne charakterlos zu fein, 

: gutmüthig, ohne einfältig zu fein, kuͤhn und flo. Wagner ift 

‚ein guter zuverläffiger Dann, aber doch Fein wefentlidder Cha⸗ 

rakter in der Novelle. Brau German iſt eine Copie don taus 

: fend Drfginalen. Herr Alfred iſt ein echter Ditettänt im eigents- 

"ten Sinne des Worts. Die Unbebeutenheif und Geiftesleer- 
beit des Dilettanten, alles Dohle und Nichtsfagende, welches 

' diefe Art Menſchen charakterifirt, it fein Lebensprincip, fein eis 

ı gentliches Weſen; er if ein daͤniſcher Typus, ein Metallſpiegel 

ı für alle Ditettantenz; ber flüchtige Enthuſiasmus, bas faliche 

: Streben, der gaͤnzliche Mangel an Lebens: und Weltanſchau⸗ 

‚ung, Talenteitelkeit, Verachtung ber mehr praftifchen Seiten 
des Eebens, ber affectirte Kampf gegen Formen und Materien, 

kurz gelaat, alle Ingredienzien eines Prachteremplars: von el: 
nem Dilettanten find in biefem geiftfigen Automaten, dem der. 

Berf. den Namen Alfred gegeben hat, enthalten. 











C. 8. Ingerslev's Schrift: „Om det laerbe Skolewe⸗ 

ſens Tilſtand i nogle tydſke Stater og i Fraukrig tillige 
med VBetragtninger og Forſlag angaaende det laerde Under⸗ 

viisningsvaefen i Danmark”, hat auch für Deutſchland Ins 

tereſſe. Was der Verf. in dieſer Schrift dem Publicum vor⸗ 
i legt, finb die Ergebniſſe einer 1839 auf königliche Koſten unters 
ı nommenen Weile, auf ber ev Beobachtungen über eine Anzahl 
deutfher und frangöfifher Unterrihtsanftelten 
anſtellt. Inhalt des Buchs iſt folgenber: Zuerſt fchildert 
' der Berf. dad Schulwefen ber von ihm befuchten Staaten in 
folgender Ordnung: Preußen, Gachſen, Baiern, Würtemberg, 
ı Hamburg, Frankreich. Godann felgen Wetradhtungen und Vor⸗ 
‚ flüge, das Schulweſen Dänemarks betreffend. Endlich ift ein, 
. Beil, und Erläuterungen enthaltender Anhang hinzugefügt. 
Die Beobachtungen find uͤherall mit einem lebendigen une auf: 

merkſamen Bil angeftelt und big Merichterfta mit. ebenfg 
vier Sachkenntniß und Erfahrung als Eifes und Intereffe für 

den behandelten Gegenſtand abgefaßt. Dieſeibe wird daher mit 

Nusgen gelefen werden können, obgleich fie theilweiſe denſelben 

Gegenſtand behandelt, worüber wir por nicht langer Zeit eine 
aus brtiche Pa ſehr tg in don 

: dem verbienflvollen norweg eckor Bugge erhalten baben, 

allein Länder bereffl‘ u 


. ber. nicht. dieſelben Laͤr ſich ia derſelben 
Bee bemuhe Ya, ſich mit ausm Un bekannt „zu 


2 


machen, ſondern auch wenige Ahge gemeinſam mit dem 
Reckor Ingersien hat, . Ihrer gr Dorftellung eine bes 
fimmte Farbe geben, wozu wir z. B. eine entidiebene religioͤſe 
Haltung, eine ſtarke Tendenz zu humaniſtiſchen Principien, eis 
nen praßtifchen Geiſt, eine gewiffe Begrenzung, verbunden mit 
Klarheit und Überfchautichkeit innerhalb dieſer Brenzen, rechnen. 
Der Unterſchied zwiſchen ihren Arbeiten iſt thells im Umfange 
derfelben zu fuchen, indem Rector Bugge's Buch das ganze Un: 
terrichtöwefen (Eiementarſchulen, Buͤrgerſchulen, Realſchulen, 
SGymnaſien) umfaßt, theils in ber Behandlungsweiſe, indem 
Rector Bugge ſich vornehmlich bei der allgemeinen Organifation 
des Unterrichtswefens aufhält, während Rector Ingersieo insbes 
fondere ausführlidde Nachridyten von dem Bang und ber Mes 
thobe des Unterrichts, von ber Dieciplin u. f. w. mitgetheilt 
bat. Beide dieſe Momente find gleich weſentlich und nothwen⸗ 
dig zu einem klaren unb burdpbringenden überblick über das 
Unterrichtöwefen in beffen Ganzheit, und man ift darum beiden 
Berfaffern die Bemerkung ſchuidig, daß feiner von ibnen ſich 
einfeitig bei tem einen aufgehalten und das andere beifeite ges 
feat bat, fondern daß fie, wie man von forgfältigen und ſelb⸗ 
ftändigen Beobachtern erwarten konnte, beide einander in biefer 
Binfiht bekräftigen unb ergänzen. 16, 


Bibliographie. 


Genealogiſch⸗hiſtoriſch⸗ſtatiſtiſcher Almanach. 2Ofter Jahr: 
gang, für das Jahr 1843. Gebildet aus dem 19ten Jahrgange 
für das Jahr 1842 und aus Ergaͤnzungen dazu, nebſt alpha⸗ 
ey Degifter. Weimar, Landes: Induftrie = Gomptoir. 

. , Nor. 

Amtilkais, der Dichter und König. ein Leben bargeftellt 
in feinen Liedern. Aus bem Arabiſchen übertragen ven F. 
Rüäsckert. Stuttgart, Sotta. Sr. 8. 1Thlr. 

Das belletriftifche Ausland, herausgegeben von K. Spinbs 
ler. Kabinetsbibliothek der claffifhen Romane aller Nationen. 
Ifter und ?ter Band. Enthält: Die Töchter des Präfidenten. 
— Auch u. d. T.: Die Zöchter des SPräfidenten. Erzaͤhlung 
einee Bouvernante von Friederike Bremer. Aus dem 
Schwediſchen überfegt von G. Sint. Mit Portrait der Ver⸗ 
fofferin. Gtuttgart, Brandt. 16. 4 Nor. 

Beine, H., Die Alpen. lſte bis Ite Kieferung. Golberg, 
Hof. Br. 8. 1 hir. 

Blom, G. P., Das Königreich Norwegen. Statistisch 
beschrieben. Mit einem Vorwort von C. Kitter. 2 Theile. 
Mit 2 colorirten Karten. Gr. 8. 
4 Thir. 15 Ner. 

Bube, %., Gotha's Grinmerungen an die denkwuͤrdigen 
Junitage des Jahres 1842. Mit Lithographirten Darſtellungen. 
Sotha, Glaͤſer. Br. 8. MO Nor. 

Budberg⸗Bennighauſen, R. Preiherr., Gerichte. 
Bertin, Buch. d. Berliner Lefecabinets. 8. 20 Nor. 

Dablmann’s, F. ©., erfter Bortrag an der rheinifchen 
Hochſchuie. 28. November 1842. Bonn, Marcus. Gr. 8. 
3%, NR 


gr. 

Dannenberg, ©. W., Synchroniſtik der Schredendtage 
Hamburgs von 5. bis 8. Mai 1843 und deren Folgen. Ifter 
Band. PBamburg, Herold. 8. 1 Zpir. 10 Nor. 

Fitzau, D., Gedichte. Soldin, Siebert. 8 1 Zr. 

Sriedtänder, A., Die Lehre von ber unvordenklichen 
Zeit. After Theil. Dogmengefäichte und Roͤmiſches echt. — 
Au u. d. T.: Die Lehre von der unvordenklichen Zeit. Gine 
von bee Juriſten⸗Facuitaͤt zu Heidelberg gekroͤnte Preisichrift. 
Marburg, Elwert. Gr. 6. 13 Nor. 

Fuͤrſt, J., Zur Würdigung eines Künflterausfpeuchs über 
drei Gemälde der Berliner Ausftelung. Nebſt einem Aufruf zur 
Gmanzipation. Berlin, Jonas. Br. 8, 5 Rgr. 


Leipzig, Weber. 


Gr. 8. 


Gerold. Gr. 8. 


d 8 ‚ Der huͤrnen Segfrich unb 
bem —88 En altdeutfche Gage. Koh ihn * 
über den Geiſt bes germaniſchen Heſdenthume und Die Bedeu⸗ 
tung. feines Sebenfege für ge Geſchichte. Schaffpaufen, Hurs 
& 


ter. Gr. 4. x. 

— — Das Weibnaditslripplein und Prinz. Schreimund 
und Prinzeffin Sdroeigfiln. Ein Chriſttagsduͤchlein. Schaff⸗ 
haufen, Hurter. Gr. 16. 10 Nor. 

Habn-⸗Hahn, Ida Gräfln, Die Kinder auf dem Abend 
berg. Kine Weihnachtegabe. Berlin, X. Dunder. 8. 10 Nor, 

Bust, #. 3., Die Gtetfcher und bie erratifdhen Biöde. 
Golotburn, Jent u. Baßmann. Gr. 8. 1 Zpir. 221, Not. 

Kalisch, M., Herr J. J. Sachs vor den Richterstuhl 
der öffentlichen Meinung gefordert. Berlin, Oechmigke. 
Gr. 8. T'% Ngr 

Kod, Ch. Paul de, Die große Stadt. Reue Biber 
aus Paris. Aus dem Kranzöfifhen von D. von Birkeneck. 
2 Bände. Leipzig, Literar. Muſeum. 8. 1 Thlr. 20 Nor. 

Kornfeger, A, Stuben: und Reifebilder eines phantaſti⸗ 
ſchen Mediziners. Nene Folge. Bamberg, Dreſch. 8. 1 Ipir. 

tindow, ©. £. W., Das Bluͤcher⸗Feſt oder der 16. Des 
cember 1842. Drama mit Gefang in einem Aufzuge. Berlin, 
Oehmigke. Gr. 8. 15 Nor. 

Reybaud, Mad, Eſther und Chazeuil, oder Gott raͤ 
die Todten. Novelle nach dem Franzoſiſchen von W. v. G. 
Gera, Heinſius. 8. 1 Tholr. 

Reybaud, Ch., Gott raͤcht bie Todten, oder dad Fraͤu⸗ 
lein von Chazeuil. Aus dem Feanidſthen van O. von Bir: 
tened. Leipzig, Literar. Mufeum. 8. 224, Nor. 

für die kuͤnftige 
Stellung rt Juden in Preußen. Hamburg, DBerenbfohn. 
r. 8, rx. 

Rupp, J., Über den chriſtiichen Staat. Rede am 15. 
Dctober 1842 in der König. deutſchen Gefellfchaft gehalten. 
Königsberg, Voigt. Gr. 8. 10 Near. 

Salzmann, B®. G., Lehrbuh der Tonkunſt. Wien. 
I Ihe. 9 Nor. 

Schäffer, 3.8.9, Der Kölner Dom und feine Bollens 
bung in ihren Beziehungen zum beutfchen Vaterlande, resp. zum 
Proteftantismus. Magdeburg, Schmilinsky. Ler.:8. 7 Har. 

Schiefier, ©., Grinnerungen an Wilhetm von Bumbolde. 
Ifter The. Iſte, Ate Hälfte. Won 1767 His 1794. Gtutte 
gart, Köhler. Gr. 8. 2 Thlr. 7’ Nor. 

Schnabel, ©. R., Die Wiſſenſchaft des Rechtt. (Naturs 
recht.) — Auch u. db. T.: Das natürliche Privatrecht. Wien, 
1 Thir. 10 Nor. _ 

Strauß, D., Himmel, Hölle und Teufel, oder was hat 
der Menſch vom Himmel zu hoffen, von der Hoͤlle zu fürchten 
und vom Zeufel zu halten? WBaugen, Reichel. 16, 4 Y Nor. 
Die legte Soirée der Gräfin Zolfa, oder der Nemeſis 
Walten. Roman von ber WVerfafferin der Gräfin Loͤwenmark. 
2 Xteile. Gera, Heinfiue. 8. 2 Thlr. 15 Nor. 

Über Partpei und Partheinekmen der Königsberger Zeitung. 
Königsberg, Voigt. Ler.:B. 6Y, Nar. 

Das dentwürdige Unglüds» Jahr 1842. ine forgfältige 


Rießer, G., Beforgniffe und Hoffnungen 


Darſtellung aller in dieſem Jahre vorgekommenen Denfwürdigs 


feiten und Ungluͤcksfaͤlle nebft ſchüeßlich beigefügter Beſprechung 
über alle Berhättniffe. Nebit Plan von Damburg und Abbils 
bung der abgebrannten Gebäude. Leipzig, Phnide u. Sohn. 
Gr. 8. W Nor. | 

Bogel, ©. F., Schelling oder Hegel oder Keiner von 
Beiden?! — Ein SeparatsBotum über bie Eigenthuͤmlichkeiten 
der neueren deutſchen Phitofophie, mit befonberer Beziehung auf 
die, vom Beten &H. Prof. D. Friedrich Jacob Fries zu Sena 
in feiner „Gedichte der Phitofophie” neurrlih hierüber ausge 


fprochenen Anſichten. Leipzig, Rein. Gr. 8. 11%, Nor. 
Berner, D., Des Kaifers Traum. Geſchichtliche No⸗ 
velle. Gera, Beinus. 8. 1 hir. ah 


Berantwextiiger Oerengeber: Hetarih Brodhend — Deud‘ sub Berlag von. V. U. Mrsdyaus in Letpz is. 


Blaͤtter 


für 


lit erarifche Unterhaltung. 


Montag, 


Geſchichte der chriſtlichen Philofophie von Heinrich 
Ritter. Zwei Theile — Auch u. d. T.: Geſchichte 
der Philofophie. Fünfter und fechöter Band. Ham: 
burg, 5. Perthes. 1841. Gr. 8, 5 The. *) 


Nach langem Zwiſchenraume übergibt der wärbige 

Berf. feinen zahlreichen Freunden die erfehnte Fortſetzung 
feiner „‚Sefchichte der Philofophie. Wenn die Verdienfte 
der erften vier, die alte Philofophie behandelnden Bande, 
in Hinfiht auf Form und Inhalt ſchon dankbar aner: 
fannt wurden, fo befriedigen die vorliegenden beiden Bände 
faſt ein noch größeres und bringenderes Beduͤrfniß. Denn 
der vorzugsmeife theologifhen und dogmatifhen Auffaf: 
fung gegenüber bedurfte es einer neuen Durchfotſchung 
der Werke jener Männer, um die philofophifhen 
Ergebniffe derfelben dem jegigen Stande der MWiffenfchaft 
gemäß im Zufamenhange und unpartelifch darzulegen. 
Ueber diefen Standpunkt der Auffaffung und Behand: 
lung find Die heutigen Meiſter und Chorführer in der 
Phitofophie nicht einig und der Verf. ſagt (S. 17) zur 
Bertheidigung des feinigen: Das Chriftenehum iſt keine 
Philoſophie, und nicht der Gedanke, fondern der Wille 
% das erfle, auf welchen erſt das Wiſſen des Guten 
Me Die Wiflenfhaft, der ausgebildete Gedanke kann 
sur nur ein ſpaͤteres Erzeugniß des Lebens fein: man 
amd erſt einen kräftigen Willen in feiner Seele, einen 
ſichen Haltpunft für dad weitere Leben gewonnen haben, 
ehe man wiſſen kann. Der vernünftige Wille führe zum 
Biffen, und die Entfhlüffe des Willens leiten die Reife 
des Gedankens ein. 

Recenſent moͤchte nicht das unbedingte Gegentheil 
des bier Geſagten behaupten, wol aber dem Clemens von 
Alexandrien beitreten, wenn er aͤußert (Th. 1, ©. 464): 
Erkenntniß und Handeln, Wiffen und Wollen ftehen in 
ine nothwendigen Verbindung; eine Lehre, welche Spi⸗ 
mo noch vollfländiger entwidelt. Der ausgebildete Wille 
R (geihiwie Der ausgebildete Gedanke) erſt ein fpäteres 
Ehztagniß des Lebens, und cohes MWiffen und rohes Han: 
deln gehen Hand in Hand. Der Wille kann, vor allem 
Wiſſen, noch gar nicht den Beinamen des Vernünftigen 
verdienen, ober Beſchlüſſe faffen, die als Haltpunkt für 


°), Zuletzt berichteten wir über dieſes Werk in Nr. 61 d. BI. 
2 r_ viet D. Red. 





— Kr. 16. — 


4 


16. Sanuar 1843. 


das ganze Leben zu betrachten wären. Diefe und aͤhn⸗ 
liche Gegenfäge und Trennungen (fo Geiſt und Herz, 
Denten und Fühlen, Vernunft und Offenbarung, Ra: 
tionalismus und Supernaturalismus u. f. mw.) find unter 
georbneter Art und bedürfen einer tiefen Durchdringung 
und Berföhnung. 

„Das Chriſtenthum ift keine Philoſophie“; das heißt: 
die Zotalität feines Weſens tft keineswegs auf den Be: 
griff einer philoſophiſchen Schule oder Dischptin binabzus 
bringen; wol aber enthält es philofophifche Elemente, oder 
(wie Andere behaupten) das Weſen und den Inhalt 
aller wahren Philofophie — fonft wäre ja auch 
eine Gefchichte der chriftlichen Phitofophie ganz unmoͤg⸗ 
ih. Wenn nun aber Grund, Boden und Lebens» 
quell der chriftlichen Philoſophie fi ohne Zweifel im 
Neuen Zeftamente findet, fo wuͤnſchten wir, daß der Verf. 
feine Geſchichte nicht mit den Gnoſtikern und Apologeten 
begonnen hätte, fondern mit einer Darftelung der Phi⸗ 
lofophie des Neuen Teſtaments. So wenig man bie 
Sokratiker ohne Sokrates, die SPlatoniker ohne Platon 
begreifen und wuͤrdigen kann, fo wenig die Kirchenväter 
ohne Chriftus und die Apoſtel. Erſt wenn diefe Grund⸗ 
lagen hervorgehoben und ins rechte Licht geftellt find, wird 
man darlegen und ertoeifen können, ob und wo bie Kits 
henväter fortgefchritten oder zuruͤckgegangen find, was 
lehrreiche Entwidelung, was verkehrter Zufag und wels 
ches Derdienft ihnen beizulegen ift. Die Philoſophie des 
Paulus, Johannes, Jakobus und der Evangeliften ift 
unendlich tieffinniger als die eines Baſilides oder Valen⸗ 
tinian; und andere dhriftlihe Philofophen ſtehen nicht 
über ben heidniſchen durch ihre eigene Kraft und Weis⸗ 
heit, fondern durch die des Neuen Teſtaments. Was 
im Berhättniffe zur Stoa und Akademie als Fortſchritt 
erfheint, iſt es nicht im Verhaͤltniß zu den Lehren der 
Bibel, und Platon und Xriftoteles würden mit Hülfe 
berfelben keineswegs hinter Irendus oder Tertullian zus 
ruͤckſtehen oder zuruͤckgeblieben fein. 

Vielleicht antwortet der Verf. auf unfern Wunſch 
wie Neander (Kirchengefchichte I, ıx): 

Die Geſchichte der apoftolifhen Kirche iſt mir etwas zu 
Wichtiges, als daß ich mich entfchließen Eonnte, fie gleich diefem 
geſchichtlichen Werke mit einzuverleiben. Ich feste fie daher 
bier überall nur voraus und behalte mir die Mittheilung der⸗ 
feiben als eines befondern Werks noch vor. 


Sollte es denn aber für das Verſtaͤndniß der Sachen 
und für die Lünftlerifhe Abrundung ihrer Werke nicht 
beffer gewefen fein, wenn beide Meifter das Fehlende 
darin aufgenommen und eingefügt hätten? Wenigſtens 
hoffen wir, daß Hr. Ritter (wie es Neander gethan) daſ⸗ 
felbe noch nadhliefern werde. 

An der Vorrede fagt der Verf.: 

Man wird vielleicht befürchten, daß dies Werk cinen zu 
großen Umfang erhalten dürfte, wenn man findet, daß ich ber 
Philoſophie unter den Kirchenvätern zwei Theile gewidmet babe. 

Wir theilen diefe Furcht nicht, denn der Stoff erfo⸗ 
dert eine fo umſtaͤndliche Erzählung. Wol aber entſteht 
uns eine andere Beſorgniß, wenn der Verf. binzufügt: 

Dieſer Furcht mag die Erklärung begegnen, daß ich bie 
patriftifche Philoſophie, gegen bie gewöhnliche Meinung, für 
wichtiger halte als die Philofophie unter den Scholaftifern. 

Mir ftellen uns naͤmlich auf die Seite der gewoͤhn⸗ 
lichen Meinung und würden e8 fehe bedauern, wenn der 
Berf. die Scholaftiler verhältnigmäßig kürzer behandeln 
wollte als die Patriſtiker. Jene find noch weniger be: 
kannt, noch öfter misverflanden und mishandelt als dieſe, 
und die Meiften begnügen fich Oberflächlicyes über fie 
zu wiederholen, anftatt die ernfte Arbeit meiläufiger un 
mühfamer Forſchung zu übernehmen. 

Sn philofophifcher Beziehung hat die zufammenhän: 
gende, abgerundere Syſtematik der Scholaftiter mehr 
Gewicht als die zerftreute Polemik der Patriſtiker, und 
es war leichter, der heidnifhen Religion und Mythologie 
gegenüber fiegreich zu bleiben, als alle die philofophifchen 
Richtungen und Gegenfäge durchzudenken und auszuar⸗ 
beiten, welche auf chriftlihem Boden emporwuchſen und 
emporwachfen durften. Hinſichtlich der Form ftehen bie 
Patriſtiker den Scholaftikern nicht voran, mol aber find 
diefe Hinfichtlich des Inhalts weit vollftändiger und man- 
nichfaltiger. So bleibt zwar bie Naturphilofophie aud) 
bei ihnen nur untergeorbnet; doc) zeigen Albert der Große 
und Roger Bacon in biefer Beziehung mehr Eifer, Ar: 
beit und Ausbeute als alle Patriſtiker zuſammengenom⸗ 
men, und wo wäre unter biefen eine Ethik, welche ber 
des Thomas von Aquino, ein Syſtem fcharfer Begriffe: 
beftimmungen, welches dem Duns Scotus könnte gleich: 
gefegt werden? Der Verf. gefteht die Schwäche ber pa: 

triſtſchen Philofophie felbft an mehren Stetten ein (fo 
S. 76, 89, 95, 105) und die neuere Kritik hat mit 
Recht darauf aufmerffam gemacht, daß die Willtür und 
Schwaͤche vieler dogmatifhen Beſtimmungen bamit in 
nothwendigem Zuſammenhange ſtehe. 

Die Zeit der Patriſtiker war (nur mit Ausnahme 
des chriftlihen Elements) in allen Beziehungen eine alte, 
dahinfterbende, zu neuem Leben unfähige, und ſelbſt bie 
Macht des Chriftenthums konnte keine friſche Jugend 
hervorrufen; das 12. und 13. Jahrhundert zeigt dage⸗ 
gen überall (in Staat und Kirche, in häuslichem und 
öffentlichem Leben, in Künften und Wiffenfchaften) eine 
neue, eigenthuͤmliche, hoͤchſt mannichfaltige, Überall durch⸗ 
brechende und ſich geftaftende Lebenskraft. Schon des⸗ 
halb ſtehen die Scholaftiter, in ber Xotalität ihrer Um: 
‚gebungen aufgefaßt und betrachtet, höher als die Patri⸗ 


filter. In SKonftantinopel, in Abpffinien, im Innern 
Afien wirkte das Chriſtenthum ganz anders al& In ben 
beutfhen und romanifhen Völkern, und die, an fid 
gleichartige, Offenbarung trug in weſentlich verfchiedenen 
Ländern und Zeiten auch fehr verfchiebene Fruͤchte. Mit 
Recht behauptet deshalb der Verf.: es fei das Weſen des 
Chriftenehums In keiner, durch beflimmte Kormeln aus: 
gefprochenen Summe der Lehren zu finden, und eine 
philofophifhe Unterfuchung deffelben nicht zu fliehen, ſon⸗ 
dern zu volllommener Einſicht und Verklaͤrung nothwen⸗ 
dig und beilfam. Allein nicht Jeder, welcher diefe Auf: 
gabe zu Löfen verfucht, trägt den wahren Glauben, oder 
die rechte Erkenntniß, als untrüglihen Maßſtab ſchon in 
fih; vielmehr fallen bei der Berührung und Wechſelwir⸗ 
tung die oft mitgebrahten Schladen und Irrthuͤmer zu 
Boden, welche vereinzelt wol noch lange und anmaßlich 
forgelebt hätten. 

Die alte Philofophie (fagt der Verf. Th. I, ©. 40) 
war mehr eine Vorbereitung auf die chriſtliche als eine 
Betätigung der heidnifhen Religion. Indem diefe neue 
Lehre (S. 35) von den Vorurtheilen, von der Hoffnungs⸗ 
lofigkeit der alten Religionen befreite, gab fie auch der 
Philoſophie eine kräftige Anregung, in die Tiefe einzu: 
dringen und ihr Nachdenken zur Löfung der wichtigften 
Fragen anzufpannen. Das Ziel (S. 42), welches die 
chtiſtliche Philofophie verfolgt, iſt viel zu groß, um an: 
nehmen zu dürfen, daß wir ihm fchon fehr nahe gekom⸗ 
men fein follten. Wir können und (5. 69) nicht zu 
der Meinung Derer bekennen, welche davon überzeugt 
find, daß die chriſtliche Glaubenslehre ein für allemal 
feftgefege fei durch die Unterfuchungen der Kirchenväter, 
der Scholaftiker, oder des Jahrhunderts, in welchem die ' 
kirchliche Reformation zu neuen Seftftelungen der Glau⸗ 
bensartitel führte. Wenn, wie nicht zu bezweifeln ift, 
in der patriftifchen und ſcholaſtiſchen Philofophie nur eine 
einfeitige theologifhe Richtung berifchte, fo müflen wir 
auch die Richtung der neuern Philofophie, feit Herſtel⸗ 
lung der Wiffenfhaften (mie einfeitig fie auch zulegt ge⸗ 
gen bie dhriftliche Theologie ſich erklären mochte), ale dazu 
beftimmt anfehen, eine nothwendige Ergänzung der fruͤhern 


Einſeitigkeit einzuleiten. Mögen wir uns freuen (&. 70), 


wenn wir jegt zu einer billigern Schägung der Verganz 
genheit zurüdgelehre und im Stande find einzufehen, daß 
die theologifche Richtung in der Philofophie nur in Vers 
bindung mit ber weltlichen die richtige Einfiht in das 
Weſen der Dinge uns gewähren kann. Beide Richtun— 
gen find jege (S. 71) untereinander auszugleichen. 

(Die Bortfegung folgt.) 





Sonez de Caſtro. Trauerſpiel in fünf Aufjlgen von 
Zo&o Baptifta Gomes. Nach ber fiebenten ver- 
befferten Auflage der portugiefifhen Urfchrift überfegt vorr 
Alerander Wittich. Mit gefchichtliher Einleitung 
und einer vergleichenden Kritik der verfhiedenen Ignez⸗ 
Tragoͤdien. Leipzig, Brodhaus. 1841. Gr. 12. 20 Ngr. 

João Baptiſta Gomes, der Verf. diefer Tragoͤdie, die biex 
zum erſten Male in deutſcher Überfegung dem unermeflihen 


Yantheon der dentſchen Literatur einverleibt wird, if derjenige 
Dichter, auf welden bad moderne Portugal die größten Hoff: 
aungen einer Wiedergeburt feiner dramatifchen Literatur fehte. 
Das tiefgebeugte Land wurde hierin wie in fo mandyen andern 
Erwartungen getäufht. Gomes flarb zu früh, um jene Deff: 
nungen erfüllen zu können. Sein Hauptwerk iſt die vorliegende 
Zrogövie, ein Eieblingsftüd bes portugiefifchen Publicums, wie 
ſchen der Umſtand beweift, daß fie in nicht gar langer Zeit fies 
den Auflagen erlebt hat. 

Die Dichtung iſt ſchon infofern interc ſant, als fie augen: 
rinsich ganz aus dem Geiſte der portugiefifchen, durch Frank⸗ 
sich und die frangöfifche Literatur des vorigen Jahrhunderts 
sermittelten Xufllärung hervorgegangen iſt, an deren Einfüh⸗ 
sung der gewaltige Pombal zu Grunde ging. Portugal hat 
wor niemals in gleichem Maße wie das verſchwiſterte Spas 
sten dem Fonatiemus, dem Dbfcurantismus und jener das 
Leben tödtenden, dafür aber die Leiche mumifirenden Ein⸗ 
balfamirungslurft des Katholicismus ober vielmehr ber katho⸗ 
lijchen Hierarchie gehuldigt. Nichtsdeftomeniger gehörte es naͤchſt 
Spanien länger als irgend ein anderes Land Europas zu den 
werthvollſten Zumwelen im Roſenkranze Gr. Heiligkeit des Pap⸗ 
ſtes, bei denen das Gebet des Dberhirten der Ghriftenheit Iäns 
ger und mit befonderm Wohlgefallen vermweilte. Und mandem 
deutfihen Eefer, der das für die neuere Befchichte allerdings un: 
bedeutende Läudchen aus den Augen verloren hat, mag es wol 
noch gegenwärtig nur von dem dunkeln Schleier bes katholiſchen 
Aberglaubens umpüllt erſcheinen. Die Tragödie des Gomes ifl 
ganz geeignet, dieſen Wahn zu gerflören und zu zeigen, daß, 
freilich) wol nur in den gebildetern Claſſen, das Princip der 
Auftlärung auch in Portugal Wurzel gefchlagen und den mor⸗ 
[hen Bau der Dierarchit und des mittelalterlichen Feudalſtaats 
erſchuͤttert Hat. Der Dichter weiß nichto mehr von der Mutter 
GSottes und dem hunderttaufend Heiligen, nichts mehr von ber 
Almadıt des Papfles und den Privilegien der Kierifei, nichts 
mehr von bem abfoluten “SH des Königs; ja felbft des Chris 
ffenthums und der chriſtlichen Kirche geſchieht mit keinem Worte 
Erwähnung. Beraunft und Zugend find feine Gdttinnen, bie 
Pflicht die hoͤchſte Inſtanz, an die feine Helden appellicen , ber 
König nur der erſte Staatödiener, der dem Wohle des Volkes 
feine liebſten und höchften Intereſſen zu opfern bat. Der Ber: 
nunft tritt die Gewalt der Reidenfchaft, der Pflicht des Königs 
We Pflicht bes Baters, dem Zwange der Gonvenienz treten die 
Wertungen der Ratur, dem tobten Geſetze die ewig lebenden Men: 
eercchte fireitend gegenüber. Um biefen Gonflict, um biefen 

Iytunft der Aufklärung und ihrer Tochter, der franzoͤſiſchen 
Reveistion , dreht ſich die Brundidee bes ganzen Dramas nad 
Sem und Gehalt. 

Während das Stück nad biefer Seite hin von dem ins 
fiuffe der franzöfifchen Ideen und ber feanzöfifchen Literatur ſtark 
infeiet erfägeint, bewegt es ſich andererfeits mit einer gewiſſen 
Fecihelt und thut offenbar einen nicht unbedeutenden Schritt 
serwärts zur Emancipation von ber literarifchen Herrſchaft des 
Srengofentbums, der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahr⸗ 
hunderts die pyrenaͤiſche Halbinſel, wie die ganze Welt, vers 
feien war. Der Dichter hat fi nicht nur frei gemacht von 
dem Zwange und der künſtlichen Steifheit bes klappernden 
VLerandeiners, fondern auch von dem Joche der franzoͤſiſchen 
Regelrechtigkeit, ber fogenannten Einheiten des galliſirten Ariſto⸗ 
Wei. In dieſer Beziehung folgt er mehr dem Vorbilde der 
dien chen: und fpanifgen Dramatiler des 16. und 
17. Jeiptanderts. Aber auch die comventionnelle Hofſprache ber 
freugöfähen Tragiker, den rhetoriſchen Bombaſt, die fleifleinene 
Gefabenpelt und den folzierenden Hahnenſchritt der franzoͤſiſchen 
dat er abgethan. Beine Sprache, obwol zumellen 


Bi 


übe Erguß des Gefühls und ber Leidenfchaft. Ihe Fehler if 
ia Gegentheil, Daß fie zu lyriſch, zu wenig dramatisch iſt, oft 
Wu Sentimentale binüberfireift, was ſich namentlich in den vies 
a amübenden Snterjectionen, dem ewigen Ach und Ob und 


Ifig und unbehülftid, iſt doch der freie, oft nur zu reich⸗ 


Ja und Rein ausfprit, im Ganzen aber nicht indioiduell 
genug, zu gleihförmig und eintönig, zu allgemein gehalten, in 
einem unterfchiebslofen, das ganze Stück durdhzichenden und 
aus allen Hauptperfonen widertönenden Gefühlspathos dahinfließt. 

Überhaupt ficht man es dem Stücke an, daß es die Zu: 
gendarbeit eines zwar begabten, aber noch unreifen, in feinen 
Sünglingsideaten noch befangenen Dichters ifl. Die ganze Le⸗ 
bensanſicht, die ihm zum Grunde liegt, iß die eines braufens 
den Jünglingskopfes; es fehlt die männliche Kälte, Beſonnen⸗ 


beit und Entſchloſſenheit, die männliche Energie, Willensftärke 


und Thatkraft; die Springfeder der Entwidelung ift überall 
nicht der Wille, nicht die thatenluflige Leidenſchaft, fondern 
das von Gefühlen und Affecten beflürmte, wankende und ſchwan⸗ 
Eende Herz im Kampfe mit Vernunft und Pflicht. Gelbft der 
alte König und der greife Sancho erfdheinen von diefem Gtrus 
dei ergriffen, und die Partie, in ber der trockene Verſtand, die 
Intrigue und Planmaͤßigkeit felbftbemußter Abfichten ein Bes 
gengewicht gegen bie Überflüffigkrit der Gefühle und Affecte in 
die Wagſchale hätten werfen follen, wir meinen die Charaktere 
und bie Thaͤtigkeit der feibftfüchtigen, ehrgeizigen, intriguanten 
Hofmenſchen, Coelho und Pacheco, tritt nicht nur ſehr in den 
Dintergrund gurüd, fondern ift auch offenbar die ſchwächſte am 
ganzen Stücke. Daher dann der Mangel nicht eigentlich an 
Action, aber an der draſtiſchen Form der Action: bie Handlung 
verläuft an einem nie abreißenden Faden von Herzensergießun⸗ 
gen und Ausbrücen bes Affects. Daher der Mangel an indi⸗ 
vidueller Färbung der Diction, -die vielen fhönen Redensarten 
und allgemeinen, oft zwar treffenden unb inhaltsvollen, meift 
aber (für uns wenigfiens) abgedroſchenen Sentenzen. Daher 
endlich der Mangel an Individualifirung der handelnden Per: 
fonen und mannidfaltiger,, durdhgeführter Sharakterifiit. Die 
Figuren des Dichters haben alle eine anverfennbare, zu ſtark 
marfirte Bamilienäpnlichkeit : faft alle ſtehen auf einer jugend: 
lich = idealiſtiſchen Baſis, der König, Sancho, Ignez und geles 
gentlih auch Don Pedro fprechen viel von Pflicht, Bernunft 
und Tugend und ſuchen ihre da widerfireitende Reigungen zu 
belämpfen. Namentlich erfcheint Don Pedro ganz wie rin feine 
Ideale auf Leben und Tod vertheidigender, unfelbfländiger, 
von feinen Affecten bins und bergeworfener Jüngling, der in 
demfelben Augenblicke gegen feinen Water fi) auflehnt, wuͤthet 
und tobt, und in Reue und Zerknirſchung über dies furchtbare 
Vergehen fid) dem Water zu Füßen wirft, einen Moment fpäter 
aber dieſe Unterwürfigkeit wieder bereut, in fein obnmädhtiges 
Toben zurüdfällt, von — befänftigt, zum Gehorſam zurüds 
kehrt und in den Kerker ſich einfperren Läßt, dort aber wieder, von 
feinen Affeeten übermannt, mit den Mauern und Gifenftäben 
des Kerkers ringt und endlih am Schluffe des Stüds rache⸗ 
ſchnaubend die Bühne verläßt. 

Am .gelungenften tft die Compoſition, bie dramatiſche Ent⸗ 
wickelung. Hier zeigt fi) das Zalent des Dichters in feinem 
beften Lichte. Mit richtigem Takte hat er nicht nur das echt 
Tragiſche in der Befchichte der unglüͤcklichen Ignez herausgefühlt 
und ift daher im Gegenfage gegen feine Vorgänger mit biftori- 
fher Treue den gegebenen Daten gefolgt, fondern auch bie 
einleitende Erpofition wie bie ganze Anordnung des Stoffe, die 
Reipefolge der Scenen, das Ineinanbergreifen der Handlungen 
und handelnden Perfonen, die Vorbereitung ber Kataftropbe 
verräth einen feinen Sinn für organifche Gliederung und künſt⸗ 
lerifche Abrundung. Nur der eigentliche Schluß, jenes rache⸗ 
ſchnaubende Drohen und Toben des Prinzen gegen die Mörder 
feiner Ignez ift untragifch, weil es eine zu fchreiende Differenz 
in der Bruft des Zufchauers zurüdläßt. 

Schließen wie ad, fo Fönnen wir freilich bem Überſetzer in 
feiner Borliebe für fein portugiefifhes Schooekind nicht ganz 
beitimmen. Nach portugieſiſchem Maßſtabe mag die Tragoͤdie 
allerdings zu den Meifterwerten gehören. Allein auf ben deut⸗ 
fhen Parnaß verpflanzt, auf dem fie mit einem Shakſpeare, 
Goethe, Schiller und den Heroen aller Zeiten und Länder in 
Berglei tritt, dürfte es ihr ſchwer fallen, ſich unter ben 








63 


Meifterwerten einen Plat zu erringen. Der „portugieſiſche 
Schiller” mag Gomes mit Recht genannt werden können. Wie 
aber unfer deutfches Vaterland in religiöfer, politifcher,, wiſſen⸗ 
fchaftlicher und Lünftlerifcher Hinfiht das zurüdgebliebene Pors 
tugal weit überragt, fo liegt zwiſchen dem portugiefiihen und 
dem deutfchen Schiller noch fo manche Stufe, bie die portugie⸗ 
fifrhe Bildung erft noch zu erfleigen hat, ehe fie Schiller's 
Höhe erreicht. Nichtsdeſtoweniger ift es fon an fi ein vers 
Dienftliches Unternehmen, das deutfhe Yublicum mit Dem bes 
Tannt zu machen, was irgendwo für meifterhaft gilt und natios 
nale Bedeutung gewonnen hat. Insbefondere aber war es Zeit, 
die deutfche Literatur, in beren univerfellem Umkreiſe nun eins 
mal kein Glied von dem literarifchen Leibe der ganzen civiliftrs 
ten Welt fehlen darf, wieder einmal an bad fafß vergeflene 
Portugal zu erinnern, das nad) Kräften bemüht If, aus ben 
Trümmern feiner großen Vergangenheit ſich eine neue Zukunft 
zu gründen. Der Überfeper hat es an Fleiß und Sorgfalt nicht 
fehlen laffen. Seine Übertragung lieft fi gut, und wenn auch 
die Sprache hier und da flüffigee und gewandter fein könnte, 
fo wird man nicht nur nirgend geftört, fondern fühlt fich im 
Ganzen auch von Iufitanffcher Luft ummeht. Auch die gefchichts 
liche Einleitung und die vergleihende Kritik der verfchiedenen 
Zanezs Tragöbien dienen an ihres Stelle dem loͤblichen Zwede 
be6 ganzen Unternehmens, 17, 





Literarifhe Notizen aus Franfreid. 


Über Ifidor Eöwenftern’s Reifebud: „Les Etats- Unis 
et la Havane, souvenirs J’un voyageur“, ſchrieb Michel Cheva⸗ 
ter einen Artikel, der in vielfacher Hinſicht und was die Prins 
eipien betrifft, werthvoller ift als das befprochene Buch. Michel 
Chevatier fagt, baß er das Bud) Loͤwenſtern's, der ein gebore⸗ 
ner Öftreicher fei, mit vieler Neugier aufgefchlagen habe. Je⸗ 
doch von den erften Seiten an habe er gemerkt, daß Löwen: 
flern Land und Volk falfh, d. h. misliebig auffaffen werde. 
„gr. Löwenſtern“, fagt er, „bat Sprache und Bitten eines 
Mannes, welcher der guten Geſellſchaft angehört. Wer an bie 
Salons der Hauptftadt Öftreiche gewöhnt iſt, wo den Berich: 
ten reifender Fremden zufolge eine ausgefuchte Zeinheit, eine 
raffinirte Urbanität herrſcht, muß natürlich das Leben in einem 
Lande unerträglih finden, welches ben Ideen einer unerbitts 
lichen Gleichheit unterworfen ift, wo der Zufammenfchmelz als 
ler Glaffen die Zierlichleit, die Anmuth und den Geſchmack 
verbannt hat, Eigenſchaften, welche der englifche fonft fo reich 
begabte Stamm von Haufe aus nur in mittelmäßigem Grade 
befist. Ich war a priori auf eine geiftreidhe Kritik vorbereis 
tet, denn man hat zu Wien vielen Geift, obſchon man fich 
feinee nur wie eine verbotene Frucht bedient, aber auf cine feft 
begründete Kritik. Als ich aber entdedte, daß ber Verf., 
„poussé par la manie seule de courir le monde‘, nur reifte, 
um ſich zu zerficeuen, um neue Eindrüde zu empfangen, um 
den Genuß des Unbelannten zu haben, da blieb mir Fein Zwei⸗ 
fet mehr übrig, Hr. Löwenftern werde vom Anfange bis zum 
Ende misvergnügt, gebrüdt, zornig fein, gornig wie ein Mann 
von jovialem und mohlwollendem Charakter e6 zu fein vermag. 
Hätte er, getrichen von der Leidenſchaft für Volksverbeſſerung, 
Rordamerika burchreift, um fi über die Mittel zu unterrich⸗ 
ten, durch welche eine Ration von 17 Millionen Menfcen, die 
fi unter die Ägide der Arbeit geftellt haben, ſich ein allgemei⸗ 
nes Wohlfein begründet und dad Elend vor die Thüren des 
Landes verwiefen bat; wäre er nad Amerika gegangen, um 
dort das Gemälde einer Geſellſchaft zu ſuchen, im weicher der 
Arbeiter in Feld und Stadt jenen zügellofen Gewohnheiten nicht 
unterworfen iſt, weile, man muß es jest ausfpredden, wo 
Einige bei uns zu Lande die oberfle Gewalt für die Menge In 
Anfpruch nehmen, fo oft in Quropa die arbeitenden Claſſen bes 
laſten, verfchlechtern,, entfittlichen; bätte er, betrübt über bie 
verworfene Lage jener unglüdlichen @efchöpfe, weldye bie euro: 


Berantwortlier Herausgeber: Leinrih Brodhaub. — Drud und Berlag von E. U. Broddauß in Leipzig. 


pälfhen Fabriken beudlkern und bie, den Kopf nach unten, 
fid in den Abgrund eines ſchandvollen Lebens flärzen, gewänfcht, 
bie Grundzüge zu einer genauen Parallele zwifchen ihnen und 
jenen 10, Arbeitern des Lowell zu gewinnen: — fo würde 
er über bie taufend Verdrießlichkeiten, Langweiligkeiten und Bes 
zwungenpeiten hinweggeſehen haben, welche in biefem Lande der 
Freiheit Denjenigen beläfligen und einengen, welcher ber gebils 
deren Glafle Europas angehört. Als ein gutlauniger Mann 
würde er dann das Ding wie eine Garnevalsfcene, wie ein 
Vaudeville angefehen haben u. f. w. Aber von dem Augens 
blide an, wo Löwenftern eine Vergnügungsreife machte, mußte 
er fi graufam getäufcht fehen. Beifreid unb muntern Der: 
zens, fuchte er fi zu vergnügen; er fuchte Menſchen, die fich 
mit ihm vergnügten, aber er fand nur folche, für welche das 
Bergnägen ein Frohndienſt ift, welche das Sichgehenlaſſen und 
dad Lachen aus vollem Herzen nicht kennen; er glaubte, auf 
der jenfeitigen Küfte des Atlantiſchen Meeres Brauen zu finden, 
die In einem Salon ihren Thron auffchlagen; er rechnete viel⸗ 
leicht darauf, Europa in dem liebenswürdigen weiblichen Ges 
ſchwaͤhe zu vergeffen, welches das Dafein in den Geſellſchaften 
von ehemals, die Paris feit 50 Jahren immer mehr verliert, 
die aber Wien nod bewahrt bat, mit fo reihem Zauber ums 
gab. Er fand ohne Zweifel ſchoͤne Frauen, von nicht gemeis 
nem Verſtande, vortreffliche Bamitienmütter, ihrer Pflicht bins 
gegeben, liebenswärdig gegen ihren Gemahl, zärtlich gegen ihre 
Kinder, unermüdlih in der Sorge für ihren Daushalt, aber 
welchen eine bis zum aäußerſten firenge Meinung, bei Strafe 
des Brandmarkens mit glühendem Gifen, gebietet, gegenüber 
jedem Fremden, der fich ihnen in einem Balon vorftclt, ja ges 
genüber Iebem, der nicht ihr Ehemann iſt, eine eifeene Ruhe, 
die Haltung einer Matrone, das Schweigen einer Bildfäule zu 
bewahren. Er mußte ſich aufs graufamfte in der neuen Welt 
langweilen.’ Doch gefleht der Berichterftatter, daß bas Buch 
nicht denfelben Eindruck auf den Lefer made; es fei angenehm 
zu leſen; man finde barin fehr ergöglidhe Sittenſchilderungen, 
bes Verf. Urtheile feien lebendig, oft boshaft, aber nie böswillig. 


Neue Erſcheinungen ber frangäfifchen Riteratur. ‚‚Traite 
el&mentaire de la science de l’homme consideree sous Lous ses 
rapports‘‘, von G. Gabet (3 Bde.); „Le vrai patriotisme ou la 
vocation deSaint-Bernard, essai d’une piece soliloque (!)”, vom . 
Grafen Bichi; „Histoire d’Angleterre depuis les temps les plus ' 
recul&s’', von 4. Rode, Profeſſor ber Gefchichte (2 Bde); | 
„La philosophie de l’absolu en Allemagne daus ses rapports * 
avec la doctrine chretienne”, von Gh. Buol; „Recueil des i 
inscriptions grecques et latines de l’Egypte, &tadiees dans _ 
leur rapport avec l’histoire politique, l’administration inte- “ 
rieure, les institutions civiles et religieuses de ce pays de- ? 
puis Ja conquete d’Alexandre jusqu'à celle des Arabes”’, von: 
£etronne (erſter Band, mit 17 Kupferplatten); „Revolutions des., 
peuples du Nord’ (Rußland, Schweden, Norwegen, Dänes_ 
mark, Gngland, Boten und das nördliche Deutfchland ), von" 
3 M. Chopin, vierter und letzter Band. 438, 
> 
giterarifhe Anzeige. x 


* 


Clementine. 
R 





LT 


— — — — 


Motto: Woman’s lore! how strong is it im } 


weaknevs, how beautiful in ite gwilt. ' ı 
Bulwer, Pelham. 4 q 


——— — — 


Gr. 12. Geh, 1 Thir. * 
Leipzig, bei F. A. Brockhaus. 2* 
— —— 


° 





Blätter 


für - 


literarifhe Unterhaltung. 


⸗ 





Dienſtag, 


m m U 


Sefchichte der chriftlichen Philofophie von Heinrich 
Ritter. Zwei Theile. 
(Vertfetung aus Rr. WM.) 

Nachdem der Berf. im erften Buche ſehr Mar und 
lehrreich vom Begriffe der chriſtiichen Phitofophie und 
ihrer Eintheilung gehandelt hat, fpricht er im zweiten 
Bude von den Selten dr Gnoſtiker. Man kam 
deren Lehren (S. 96) als Übergänge aus der vorchriſtli⸗ 
hen in die chriſtliche Philoſophie betrachten. Sie zeigen 
eine Wermifchung von orientalifchen, griechifchen uͤnd 
riftlichen Beſtandtheilen (S. 115) Bor Allem be 
ſchaͤftägen fie fi mit der Frage nad) dem Grunde des 
Übels umd des Böfen, und weil den meiften unter ihnen 
dafſelbe bei der Annahme eines allmädıtigen und allguͤ⸗ 
tigen Gottes unbegreiflih und unerklaͤtlich erfchten, fa: 
men fie nicht nur zur bdualifiifchen Annahme zweier Urs 
weten, fondern bildeten auch bie Lehre von Emanatlonen, 
Aonen u. ſ. w. mit einer grengenlofen, ganz undhiloſophi⸗ 
ſchen Willkür ans. Die Öffenbarungen ber heiligen 
Schrift (S. 161) erfchlenen Ihnen nicht genügend, well 
(e weder umnzweldentig, nod ausreichend den Lauf ber 
Viltentwickelung bezeichneten, befonders weil fie über die 
Wöde Seite des weltlichen Daſeins keine genityende 
‚Autbenft gäben. Den Guoſtikern erfhien Alles, was 
niht der Erkenntniß angehört (S. 242), nur als etwas 
Sringfügiges, ja Sleichguͤltiges; und ein gelftiget Hoch⸗ 
much ihrer Lehre (&. 244) gewann auch wol auf ihre 
Handlungen einen ſchaͤdlichen Einfluß. Alte Emanationss 
ifre (S. 259) Binnen wir der chriftlichen Denkweife 
nicht entfprechend finden, weil fie unvolllommene Zwi⸗ 
ſchenglieder zwiſchen Gott und feinen Gefchöpfen ein: 
ſchiebt und daber der innigen und unmittelbaren Ge: 
meinſchaft mit Sort, nad) welcher der Chriſt firebt, un: 
wmsängiihy Abbruch thun muß. Moch fchneidender ftellt 
B& die Lehre vieler Gnoſtiker in Widerfpruch mit der 
drifshen Denkweiſe (&. 261), wenn fie, die finntiche 
Welt verachtend, auch die Werke in ihr und das han: 
deinde Eden ale etwas Gleichguͤltiges für die Gewin⸗ 
sung bes Heils betrachten. Rur in der Ruhe des be: 
Wanficen Lebens fuchen fie die Seligkeit; fie fehen in 
Yes finnlidyen Leben nur den Schein, feine Wahr: 
be verfennen fie. Hiermit hänge auch die Schroffheit 
% Unterfchiede zufammen, welche diefe Gnoſtiker zwiſchen 





17. Sanuar 1843. 





ben Raturen der Menfchen ſehen, zwifchen den geiftigen, 
den feelenartigen und den materiellen Menſchen, wodurch 
bie Vorurtheile der alten Welt, weldye Volksgenoſſen und 
Barbaren ald Weſen verfchiedener Natur betrachteten, in 
einer andern Geſtait erneut werben. 

Gewiß flehen die gnoftifchen Lehren (S. 283) von 
der chriftlihen und kirchlichen Anfiht der Dinge ab. 
Während fie ein weitlaͤufiges Syſtem von Schwaͤrme⸗ 
veien fi erfinnen, um in diefem die Grundlage ihres Les 
bens zu entdeden, während fie vor allen Dingen verlangen, 
daß wir in diefen Iuftigen Bildern ihrer Phantafie heimiſch 
werden ſollen, um mit ber rechten Lehre ausgeräftet uns 
in dieſer Welt zurechtfinden zu koͤnnen, hält die chriſt⸗ 
liche Kirche vor allem Übrigen das praßtifche Leben diefer 
Welt feft und erwartet nur von ber Sefinnung der Liebe 
und dem mit Bott vereinenden Geiſte Belehrung und 
Auffchtuß über die Raͤthſel diefer und einer hoͤhern Welt. 

Das dritte Buch handelt von den Apologeten, 
oder Vertheidigern des Chriſtenthums gegen Heiden unb 
Gnoftiter, von Juſtinus, Athenagoras, Theophilus, Ras 
ttanus, Irenaͤus, Zertullianus. inige unter ihnen fu: 
hen die alte Philofopbie für ihre Zwede zu benugen und 
mit denfelben zu verföhnen, Andere ftellen ſich ihr feind⸗ 
Itch entgegen, und ſelbſt jene (fo Juſtinus) vertrauen 
mehr dem Beweife des Glaubens und der Kraft (S. 299) 
ale den Stunden menſchlicher Wiffenfchaftl. Dem ſittli⸗ 
hen Gehalte des Lebens (S. 303, 291) Legen fie, abs 
weichend von den Gnoftifern, das größte Gewicht bei 
und noch jest iſt der Ausſpruch des Briefs an den 
Diognetus wahr: was die Seele im Körper tft, das find 
die Chriſten in der Welt. Ähnlicherweiſe hebt Irenaͤus 
(S. 354) den Gedanken einer Erziehung ber Menfchen 
durch Sort hervor, welche den Zoͤgling durch verfchiedene 
Stufen feiner Vollendung und dem volllommenen Schaum 
Gottes zuführen fol. Nicht von Natur, wie die Gnoſti⸗ 
Ber lehrten (S. 355), follte der Menſch gut ober böfe 
fein, fondern durch feine eigene Wahl. Zur Seligkeit 
des Menſchen gehört indeß nicht allein die Heiligkeit des 
Willens, fondern auch die Bolllommenheit aller feiner 
äußern Verhaͤltniſſe. Gern flimmen wir dem Verf. bei, 
daß die Anfänge der chriftlihen Philoſophie (S. 362) 
nicht unfcheinbarer find, als die Gedanken eines Thales 
oder Sokrates; doch darf man nicht vergeffen, dag für 


1 


: 6 


diefe Männer ber Anfang fehr ſchwer, für jene (mit dem 
Evangelium in der Hand) fehe leicht war. Daher hat 
Zertullian durchaus Unrecht in der Art (S. 365), wie 
ec den Sokrates mishandelt, die Philofophie als Werk 
dee Dämonen betrachtet, alles Wiſſen verachtet und für 
ven Slauben allein die Regel (S. 368) aufflellt: mas 
die heilige Überlieferung fagt, iſt glaublich, weil es abge» 
fhmadt iſt; es ift gewiß, weil es unmoͤglich: credibile 
est, quia ineptum est; certum, quia impossibile. Mit 
diefen Anfichten flimmt es ſchlecht zuſammen, wenn Ter⸗ 
tullian die Überzeugung ausfpriht (S. 374): daß jede 
Meinung nur infofern ein wahrer Fortſchritt fei, als fie 
auch das Alte und die bewaͤhrten Güter der Vorzeit zu 
bewahren wife; oder wenn er anerkennt, daß Gott fich 
au in der Natur (S. 376), feinem ſchoͤnſten Werke, 
offenbare und dies Merk Lediglich für die Menſchen ee: 
ſchaffen fei. 

Das Näthfel des Boͤſen in der Welt ift nicht erklaͤrt, 
wenn Tertullian fagt: es lag in dem Beſchluſſe Gottes 
(S. 401), daß der Menf frei fei, und deshalb hielt er 
feine Altwiffenheit und Almadt in ſich ſelbſt zurüd, da: 
mit das Boͤſe gefchehen könne; — auch geſchieht man: 
cherlei (S. 402) ohne den Willen und den Befehl 
Gottes. 

Am Berhättniffe zum Evangelium, zu Paulus und 
Johannes erfcheinen die Gnoftiter und Apologeten eher ale 
Ruͤckſchritt, oder als willlürliche und fragmentarifche Auf: 
fafjung,, denn al8 wahrhaft höhere und umfaffendere Ent: 
widelung. Erſt in der alerandrinifhen Katedeten: 
ſchule (viertes Buch), bei Clemens und vor Allem bei 
Drigenes, treten Gedanken und Beziehungen hervor, welche 
man im echtern Sinn als philoſophiſch anerfennen muß. 
So arbeitete Clemens mit Recht barauf bin, das Chri⸗ 
ſtenthum von der jüdifchen Engherzigkeit loszumachen. 
Ihm ift es gewiß (S. 424), daß die Vorſehung Gottes 
nicht allein auf die Juden ſich habe erſtrecken koͤnnen, 
fondern ebenfo fehr den Heiden zugemendet gewefen fei. 
Er rechnet Diejenigen, welche die Phitofophie nicht als 
ein Wert Gottes anerkennen wollen, zu Denen, weldhe 
der Allgemeinheit der göttlichen Vorfehung zu nahe treten. 
Die Phitofophie (S. 4237) erzog die Griechen, wie das 
Sefeg die Zuden zu Chriſto; und die mannidjfaltigen 
Kenntniffe der Philofophie oder die Wiſſenſchaft über: 
haupt find nothwendig zum Werfländniß der heiligen 
Schrift (429). Zur wahren chriſtlichen Einſicht ge: 
hört (laut Clemens) auch der wiſſenſchaftliche Beweis der 
Glaubenslehten, und er erwartet durch diefen die Vollen⸗ 
dung Defien, was aus dem Glauben zum ewigen Leben 
fi entwideln fol. Glauben, erkennen und handeln ſteht 
ihm im engften Zuſammenhange und Mechfelverhältniffe 
(464), und ebenfo gebt durch feine ganze Lehre (457) 
der Gedanke hindurh vom Zufammenhange aller Dinge 
untereinander, von einer Harmonie und Symphonie 
aller Geiſter, welche in ber Einheit ihres Weſens ge: 
gründet if. 

In noch umfaflenderm Sinne ald Clemens ſuchte 
Drigenes (185--254 nach Chr.) Chriſtenthum und Phi: 


.. 


loſophie zu verföhnen. Wenn dies auch in damaliger 
Zeit und mit den gegebenen Beſtandtheilen nicht vollſtaͤn⸗ 
dig gelingen Eonnte, wenn fi auch Schwankungen, Irr⸗ 
thümer, Willtür und Widerfprlche zeigen, fo bleibt doch 
Origenes des größten Lobes würdig ale einer der regſam 
fen und firebfamften Geifter, und es liegen in ihm fo 
viel Elemente weiterer Gedanken und Entwidelungen, fo 
viel fermenta cognitionis, daß man nur wenige Philofe: 
phen und SKirchenlehrer in diefer Beziehung ihm gleich 
flelen darf. Gewiß gingen feine Beſtrebungen, wenig: 
ſtens zum Theil, Über den Gefichtskreis feiner Zeit hin: 


aus; und nad ihm verloe man bie breite, umfaflende 


Grundlage für eine chriſtliche Phlofophie aus den Augen 
und ſtritt mit Scharffinn oder Verblendung faſt nur 
über einzelne Fragen. 

Jene Achtung des Philoſophiſchen hindert aber den 
Origenes nicht zu lehren: der chriſtliche Glaube (S. 480) 
gewähre allen Menfchen eine heilfame Überzeugung, wäh: 
rend die Philofophie immer nur auf Wenige einen Ein- 
fluß gewinne. Aber fein Hauptbeweis für die Wahr⸗ 
beit und Heilſamkeit des chriftlihen Glaubens iſt -das 
praktiſche Leben der Chriften. Kin jeder Glaube ohne 
Werke ift ihm ein todter Glaube, in ber Sünde erſtor⸗ 
ben; der wahre Glaube bewährt fih nur im Siege über 
die Sünden. Daher iſt ihm der Glaube der Einfältigen, 
welcher ſich in ihren Thaten offenbart, größern Werthes 
als die Worte der fogenannten Weifen, welche durch ihre 
Thaten widerlegt werben; denn er ift die Grundlage je: 
des wahren Erkennens, weil in Wahrheit nur der Gute 
einfichtig und ein Lafterhafter verftändig if. Nur von 
einem reinen Herzen kann Gott, das Biel alles unfers 
Denkens, erkannt werden; wer aber nicht glaubt, kann 
nicht erkennen. Des guten Weges Anfang ift, das Ge- 
rechte zu thun (S. 484); dieſer praktiſche Weg führe 
aber zum theoretifhen Ende, in welhem nur ein Thun 
erfunden wird, das Gott Erkennen. 

Laut Drigenes ift Gott unveränderlih und eine un- 
theilbare (S. 490) Einheit. Daher betrachtet er audy 
den Sohn Gottes gewiffermaßen als Schöpfer (S. 496) 
und fieht Gott den Vater nur infofern als Schöpfer an, 
wie der Sohn den Befehl des Vaters volljog Der 
Bater kann ihm in keiner Weile als Vielheit gedacht 
werden, während der Sohn in Dielen verfchleden ift und 
wirft, mithin als DVielheit gedacht werden muß. Man 
kann fagen (S. 500), «6 liege hierin ein Beſtreben, den 
Begriff der unveränderlihen Einheit Gottes, wie er beim 
Platon fi findet, mit dem Begriffe der Energie, in welchem 
Ariftoteles das Weſen Gottes auszudrüden gefuht hatte, 
zu vereinigen. Jener platonifche Begriff ift im Begriffe 
Gottes des Vaters, diefer ariftotelifche im Begriffe Des 
Sohnes dargeftellt, und indem beide zu einer Einheit 
verbunden werden, ſcheint beiden philofophifhen Lehren 
ein Genüge gefchehen zu fein. Doc ift es ſchwer, im 
Begriffe des Sohnes die Vielheit und Veränderung mie 
dem bleibenden Weſen deſſelben zu einigen (S.501) und 
zu verfiändigen. 

Wegen des Zufammenhanges aller Dinge in der Weite 





8 


mußte Drigenes fegen, daß der Abfall ber Geiſter von 
Gott die ganze Welt durchdringe und kein Geift gedacht 
werben koͤnnte, weicher nicht in einer nähern oder ent: 
feratern Weife an ihm Theil hätte. Auch die Geifter, 
welche nicht gefallen fein follten, werben in das Schidfal 
der übrigen Welt verflohten und haben an der Eitelkeit 
und den niedern Zuftänden Theil, weiche alle Dinge ber 
firenlichen Welt erfahren muͤſſen. 

Das Böfe iſt wefentlih nur ein Mangel des Guten 
(5. 524), it an den Dingen das Nicht: Seiende. Ge: 
ſchoͤpfe können nicht die ganze Vollkommenheit des Schoͤ⸗ 
pfers faffen. Soll die Welt begreiflih fein, fo muß fie 
igre Grenzen haben in der Zeit wie im Raume; body iſt 
neben dem ewigen Sein au ein ewiges Werden. Nicht 
die Nothwendigkeit Ienft den Lauf der Welt (S. 527), 
fondern biefer hängt von der Freiheit des Willens ab, 
weiche in verfchledener Weife vom Guten fi) abmendend, 
auch Grund verſchiedener Weltbildungen werben muß. 
Da der Abfall der Beilter von ihrem gemeinfamen Grunde 
fie in verfchiedene Arten des Dafeins zerriffen und in 
(&. 531) Imietracht gefpaften hat, fo war es nöthig, fie 
miteinander zu verbinden nach einem nothiwendigen Ge: 
fege, wenn aud mit Bewahrung ihrer Freiheit, und dies 
iſt dadurch geſchehen, daß die verfhiedenen heile dieſer 
finnlichen Welt wie Glieder eines lebendigen Wefens zu 
einem gemeinfamen Zwecke vereinigte wurden. Alle Un: 
terfchiede in der geiftigen Welt (S.533) find Unterfchiede 
des Grades; doc bleibe zwifhen Geiſtigem und Körper: 
tichem, Bernünftigem und Unvernünftigem ein flrenger 
Begenfag. So kann die Seele zwar verſchiedene Grade 
der Bernunft haben, aber nicht aus einer vernünftigen 
zu einer unvernünftigen werden. Diefe Welt (S. 537) 
iſt ein Schauplag für die Entwidelung der Vernunft 
und die Geſchichte der Welt ift ein Durchgeborenmerben 
ver Geiſter durch die verſchiedenen Stufen ihres Lebens, 
wm zu ihrem Urfprunge wieder zuruͤckgebracht zu werden. 
Ale Zeitläufte, wie gewaltig fie auch die Welt verändern 
migen, haben nicht in phyſiſchen Kräften, fondern in 
ethiſchen Zwecken ihren Grund. Selbſt der Teufel wird 
Eh zutegt der Herrſchaft Gottes unterwerfen; denn kein 
Veen kann auf die Dauer der Wahrheitökraft des 
Wortes Gottes widerſtehen. 

Im fünften Buche trägt der Verf. die Geſchichte der 
Streitigkeiten über die Trinitätslehre vor. Daß ein 
Analogon derfelben fich bei Platon findet und bie meiften 
Miloſophen fih bemüht haben, fie ihren Syſtemen an: 
zueignen, ober benfelben gemäß umzudeuten, iſt allerdings 
VBeweis einer weſentlich philofophifhen Grundlage und 
Bedeutung. Woher kommt es nun aber, daß, bis auf 
den heutigen Tag, fo viele Chriften laut oder im Stil: 
len dieſe Lehre bekämpfen, ober doc, gleichgültig zur Seite 
tiegen lfm? Wahrſcheinlich weil fie meinen, daß dieſe 
mit den Worten der Bibel und einer einfachen Aus: 
Lsung berfelben nicht uͤbereinſtimme, ſondern zuviel bin: 
ein- oder herausgedeutet werde. Sie würden ſich die phi⸗ 
tlephifche Erklärung von dem einen, unveränderlichen 
Sett, von feinem Abbilde dem Sohne, und einem heilis 


gen und heiligenden Geifte wohl gefallen Laffen; ſchwer 
aber wird ihnen anzunehmen, daß alle Beduͤrfniſſe und 
Seheimniffe der Speculation mit Recht auf den gefchicht: 
lichen Chriftus übertragen werden, daß diefer von Emig: 
feit vorhanden, Schöpfer und Erhalter der Welt und 
(mit Zurüdfegung feines unermeßlihen Wirkungskreiſes) 
als einzelner Menſch fo lange in Paldflina gelebt habe. 
Sie fragen: ob dies laut rechter Exegeſe evangelifh und 
apoftolifch fei, oder fich diefe weitere Entwidelung zum 
erften Keime etwa verhalte wie Plotin zum Platon? Sie 
innen ſich nicht barin finden, philoſophiſche Begriffe als 
Perfonen zu betrachten, oder, beim Zugeftehen dieſes Be: 
dürfniffes, den heiligen Geift nur vorübergehend als Taube 
erfcheinen zu fehen. Auch ohne Trinitaͤt ſei ein unmits 
telbares Verhaͤltniß der Gefchöpfe zu Gott und eine ge: 
nügende Offenbarung möglih und wirklich; weshalb diefe 
ganze Lehre nicht zum Weſen des Chriſtenthums gehöre, 
oder doch ein Geheimniß, und zwar ein entbehrliches Ges 
heimniß bleibe. Wenigſtens follte man mit Petrus Lom: 
bardus aufrihtig fagen: ich weiß es nicht, ich erforfche 
ed nicht; ich tröfte mid, da Engel es nicht wilfen und 
Jahrhunderte nicht faffen. 

Einwürfe diefer und ähnlicher Art find von den An⸗ 
bängern der Trinitaͤtslehre ſtets als oberflächlih, platt 
und gottlo® zurücgeroiefen, aber beffenungeachtet immer 
wieder erneut worden; ein Beweis, daß nad all dem 
unermeßlichen Bemühen, diefe Lehre aufzußlären und zum” 
Derftändniß derfelben zu zwingen, immer wieder neue — 
vielleicht tantalifche Arbeit noͤthig wird. Mit Recht bat 
der Verf., unter Zurüdfesung all ſolcher Zweifel, die 


philoſophiſchen Beſtandtheile diefer Begriffe hervorgehoben 


und fie fo erklärt, daß auch Unitarier auf die Erörterung 
eingehen könnten; ob aber eifrige Trinitarier diefe vorzugs: 
weife philoſophiſche Betrachtungs- und Erklärungsweife 
genügend und erfchöpfend finden dürften, ift eine. an: 
dere Stage. 

Das feste Buch iſt dem wichtigſten aller Kirchen: 
väter, dem Aurelius Auguflinus gewidmet. Die Dar: 
ftelung feiner Philofophie wird dadurch erfchwert, Daß 
ſich feine Überzeugung durch fortgefegte Unterfuchungen 
über wichtige Punkte anderte und Krüheres deshalb von 
Späterm verfchieden if. So erfcheint ihm Werth und 
Bedeutung der Phllofophie anfangs von viel größerm 
Gewichte als nachher, und in gleihem Maße werden 
feine Urtheile über die heidnifchen Philoſophen firenger, 
toährend ihm Anfehen und Entſcheidungsrecht der Kirche 
bergeftalt in ben Vordergrund tritt, daß er fügt (Th. 2, 
S. 171): auch dem Evangelium würde ich nicht trauen, 
wenn mich das Anfehen ber katholiſchen Kirche nicht dazu 
bewegte. Nur was unmittelbar und zunddft mit dem 
Chriſtenthume zufammenhängt, ſcheint ihm nothwendig 
und rathſam; alles Andere gehoͤrt dem philoſophiſchen 
Stolze an und iſt tadelnswerth, weil es ſich von der De⸗ 
muth entfernt, welche Chriſtum allein als unſern Lehrer 
anerkennt. Mit einer einſeitigen Auffaſſung dieſes Satzes 
ſtand die voͤllige Vernachlaͤſſigung der Phyſik und Natur⸗ 
philoſophie in Verbindung und nicht minder knuͤpfte ſich 


die umfelige Behauptung daran: man müffe Kegereien 
wie Verbrechen befltafen und zum Glauben zwingen. 
Mechtfertigte man doc zur Zeit Ludwig's XIV. die ver: 
dammilichfien Verfolgungen ber Proteftanten durch Bezug: 
nahme auf Auguftinus. Trotz diefer und andern Schatten: 
fetten erhoben ihn feine Schriften auf Jahrhunderte hinaus 
zu einem Hauptlehrer der abendlaͤndiſchen Chriftenheit. 

Der größte Vorwurf, welchen Auguftinus den Phi: 
loſophen macht, if, daß fie durch ihre eigenen Kräfte zur 
Erkenntniß der Wahrheit kommen wollten. Die Anficht, 
daß diefe Kräfte doch auch Gabe Gottes find, wird nicht 
bernorgehoben, fondern erläuternd hinzugefügt: die Wil: 
fenfchaft hilfe ohne die Liebe nichts: nur die Liebe erbaut, 
die Wiffenfchaft blaͤhet auf (S. 193). Nicht die Schwäche 
der menfchlichen Wernunft (S. 196) iſt der Grund, wes⸗ 
wegen bie philofophifchen Forſchungen mislingen mußten, 
fondern ihr fittliches Verderben, ihr Stolz; wenn bie 
Vernunft durch Gottes Hülfe gefund ift, ift fie den hoͤch⸗ 
fen Aufgaben gewadhfen. Weil den Heiden und auch 
den heidniſchen Philofophen die wahre Froͤmmigkeit fehlte 
(S. 198), muf man ihnen jede Tugend abfprechen. 

Es ift eine unverftändige Neugier, das Verborgene der 
Natur erforfchen zu wollen; dies geht über unfere Kräfte, 
ja die phpfifchen Kenntniffe (S. 200) find etwas geradezu 
Unnüges. So hat die Zorfhung des Auguflinus einen 


durchaus theologifchen und beſchraͤnkt theologifchen Charakter. 
Der Beſchluß folgt.) 





Beiträge zur Gefhichte der älteften ſpani— 

fhen Poefie. 

Le canconiero de Juan Alfonso de Baena ou collection 
d’anciens troubadours espagnols inédits. Vier Bände. 
Paris 1842. 

Diefes Werk ift für die Kenntniß ber Anfänge ber caftilis 
fyen. Poefie von ber höchften Bedeutung. Alfond von Baena, 
von dem diefe Eoftbare Sammlung altfpanifcher Romanzen und 
Lieder herrührt, lebte im Anfange bes 15. Jahrhunderts. Gr 
flammte aus einem angefebenen jüdifchen Gefchlechte, bekehrte 
ſich aber zum Chriſtenthume und warb in der Folge Gecretair 
des Könige Johann's II. Selbſt ein gefälliger Dichter, fand er 
einen befondern Gefhmad an den älteften buftreichen Blüten 
der fpanifchen Poeſie. Er legte daher eine Sammlung berfele 
ben an, die nad) Verlauf mehrer Jahre zu einem bedeutenden 
Umfange angefchwollen war. Das Cremplar biefer wichtigen 
Sammlung, das er feinem Könige überreicht hatte, warb der 
Bibliothek des Escorial einverleibt, wo es lange vergeflen blieb 
und ohne daß man es für ber Muͤhe werth gehalten hätte, eine 
Abſchrift davon zu nehmen. Erſt Rodriguez de Caſtro ſchenkte 
ihm einige Aufmerkſamkeit. Er ſpricht in feiner „Biblivteca 
espahola vetuse’’ daven mit großer Ausfuͤhrlichkeit und citirt 
die Anfänge und den Schluß jeder Gantiga ober ‚jedes Desire 
und einige längere Bruchftüde. Während ber ſpaniſchen Unab⸗ 
haͤngigkeitskriege verſchwand das koſtbare Manuſcript. Man 
glaubte, daß es ganz verloren ſei, bis man endlich durch den 
Katalog der unermeßlichen Bibliothek des bekannten Richard 
Deber (Th. 9, Nr. 952) erfuhr, daß es in bie Dände dieſes 
fonberbaren Bibtiomanen gelommen war. Als diefe veichhaltige 
Dibliothek verfteigert ward, kaufte die franzöfliche Regierung 
biefe koſtbare Handſchrift, die jegt nun auf der großen Biblios 
thet zu Paris aufbewahrt wird. Wie wichtig biefe Sammlung 
für die Geſchichte der Altern fpanifchen Poefie ift, Tann man 
befonders aus der längern Notiz fehen, welche tbr die beiden 


verbienftuolen Tiberfeper der MBonterwel'figen kiteraturgeſchichse 
Spaniens (Madrid 1 gewismet Yalyn. Cie Führen bie Bier 
men wen 63 Zrobaboreö an, ih itmen das Werk nur aus 
den Auszügen, die Robrigueg de Caſtro gibt, befannt war. Der 
Herausgeber beffeiben, F. Michel, der durch feine gediegenen 
Arbeiten über die ältere Geſchichte Frand chs befannt ift, bat 
fi daher durch biefes neue Werk ein großes ft um bie 
ättere fpanifche Literatur erworben. 6. 


Notiz. 

Negerfllaven eine Einrichtung ber Natur. 

Was Newman in feiner „History of insaots’” bie merk⸗ 
würbigfle Thatſache in ber Geſchichte der Ameifen nennt, koͤnnte 
den Bertheidigern des Sklavenhaltens zum Beweife dienen, daß 
ſolches — eine Einrichtung der Natur iſt. „Die merkwürbigfte 
Thatſach⸗ *a ber Geſchichte der Ameifen”, fagt Newman, ‚iM 
die einer ndern Gattung eigene Gewohnheit, Die Arbeites 
einer andern Gattung wegzufangen und zu zwingen, für ihre 
Gemeinde zu arbeiten, fie mithin complet ale Sklaven zu bes 
handeln. Die wegfangenden Amelfen find, laut meiner bishes 
rigen Beobachtungen, roth oder biaßfarbig, die Sklaven hinges 
gen glei den mishandelten Eingeborenen Afrikas kohlſchwarz. 
Die Zeit des Sklavenfanges dauert ungefähr sehn Wochen und 
beginnt nie, bevor die männlichen und weiblichen Ameifen nahe 
daran find, aus ihrem Yuppenzuflande zu treten, woburd bie 
graufamen Räuber die Kortpflanzung des Geſchlechts nicht bins 
dern. Auch ſcheint dies die Abficht des Inſtinets, denn wären 
die Sklavenameiſen Lediglich für die Sklaverei gefchaffen, zu 
welcher fie beflimmt fcheinen, fo müßte das yon felbft aufhören, 
bafern ihre Neſter angegriffen würden, ehe die beflügelten My⸗ 
sioden abgezogen oder im Begriff fichen abzuziehen, um die 
Pflicht der Kortpflanzung aufs neue zu erfüllen. Sobald die 
rothen Ameifen fih auf einen Raubzug begeben wollen, ſchicken 
fie Spähet aus, die Gegend zu erkunden, wo ein Regerftamm 
lagert, und fobald bie Späher das entbedt, ehren fie zurüd 
und erflatten Bericht. Bald nachher rüdt das Heer der rothen 
Ameifen aus, an der Spitee ein Vortrapp, der beftändig wech⸗ 
fett. Die ihn bilden, laufen nur ein wentg voraus, machen 
dann Halt, laffen das Hauptcorps vorüber und ſchließen fig 
der Nachhut an. Andere treten an ihre Stelle. Der Bortrapp 
beſteht hoͤchſtens aus acht oder zehn Ameifen. Sind fie in ber 
Naͤhe der Regercolonie angelommen, zerftreuen fie fi, rennen 
durch Gras und Gefträudy und jagen umher, als wären fie fi 
zwar ber Nähe des Begenftandes bewußt, den fie ſuchen, wüßs 
ten aber noch nicht genau, wo ihn zu finden. Haben fie end⸗ 
lich die Riederlaſſung entdedt, eilen bie vorderſten flürmifch 
zum Angriff. Die wachehaltenden Neger widerfegen fih; man 
kämpft und nicht felten werden die Angreifer getödtet. Schnell 
erreicht die Kriegsbotfchaft das Innere des Neſtes; zu Tauſen⸗ 





‘den ftürgen die Neger hervor; die rothen Ameifen Sammeln ſich, 


wüthenb entdrennt ber Kampf; doch ſtets endigt er mit ber 
Niederlage der Neger, die fih in die innerften Räume ihrer 
Wohnung flüchten. Nun erfolgt die Plünderung. Mit ihren 
Präftigen Kinnbadin zerreißen die rothen Ameiſen die Wände 
des ſchwarzen Ameifenhügels und werfen fidh in das Herz der 
Gitadelle. Wenige Minuten und jeder Räuber kommt zuruͤck, 
beladen mit der Puppe eines ſchwarzen Arbeiters, bie er tvog 
der Wachſamkeit und Stärke ihrer Düter erobert. Die leben⸗ 
bige Beute mit fi nehmend, ziehen die rothen Amelfen im 
volllommener Ordnung nad) ihren Neftern, wo allem Anſcheine 
nad die Puppen gleich ihren eigenen behandelt werden und Die 
Arbeiter, fobalb fie fi entwidelt, der Gemeinde mit größtem 
Fleiße und muthmaßlicher Gutwilligkeit dienen. Sie beffern 
das Reft aus, Höhlen SBänge, fammeln Rabrung, füttern die 
Larven, tragen die Puppen in die Sonne und verrichten Alles 
und Jedes, was die Wohlfahrt der Kolonie erheifcht, betragen 
fi mit einem Worte ganz fo, als erfüllten fie ihre urfprängs 
liche Beſtimmung.“ 3. 


Derantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockhaus. — Druck und Berlag von J. A. Brockhaus in Leipzig. 


— — Te — — — ——— — — , EINE (nn 


Blaͤtter 


für 


literarifde Unterhaltung. 








itter. Zwei Theile. 
( Beſchius aus Nr. 17.) 

Erkenntniſſe der Sinne und bes Verftandes (S. 210) 
umterfcheiden ſich dadurch, daß jene nur für Cinzelnes 
gelten , diefe aber aligemeine Bebeutang haben. Die 
Wahrheit kann nicht vergehen (S. 221), ebenfo wenig 
wie das Sein und das Wefen, weil es ja kein Gegen: 
theil diefer Dinge gibt, in welches fie untergehen Einn: 
tm. Alle vergänglihen ſinnlichen Erſcheinungen bilden, 
in Eins zufammengefüßt, die Welt; Gott hingegen ift 
der Inbegriff aller ewigen Wahrheiten. Gott ift die 
Wahrheit (&. 222): wenn wie fie erfennen wollen, 
müflen wir uns von den trfigerifhen Erfcheinungen bes 
Sinnlichen und der Welt abwenden zu den untrüglichen 
Kennzeichen, in welchen das Urtheil der Wahrheit Liegt, 
zu der Wahrheit, welche man durch den Verſtand und 
den innern Geift erkannt, welche immer diefelbe bietbt 
und in feinem trligerffchen Bilde erblickt wird. 

Die Subflanz der Seele kann kein Körper fein, weil 
fie fi fonft unmittelbar als einen Körper erkannt haben 
würde. Wäre fie körperlih (S. 228), fo müßte fie es 
wien, ba ihr nichts gegenmwärtiger ift als fie ſelbſt, und 
Ihre Erkenntniß der Art bes Körperlihen, zu welcher fie 
gehörte, müßte eine unmittelbare fein, eine Erkenntniß 
duch Anſchauung, fomwie fie von ihrem Leben und Den: 
fen, von ihrem Wollen und Erkennen eine unmittelbare 
Anfhauung hat. Ste iſt weder als ein Theil Gottes 
(5. 236), noch als ein Ausfluß deſſelben zu betrachten, 
weit fie ſonſt weder das Böfe in fi aufnehmen, noch 
im Guten eine weitere Ausbildung erfahren könnte. Gott 
iſt nicht über dem Sein und bee Bernunft (S. 238), 
fendern er iſt das hoͤchſte Sein und die volltommene 
Vernunft. Gott kann die Vernunft in uns nicht haf: 
"a (S. 253), welche er uns gegeben bat zum .VBorzuge 
ver den umnvernünftigen Thieren, die Vernunft, ohne 
welche wir auch nicht glauben könnten. Der Glaube 
gehört zu den Grundlagen ber Wiſſenſchaft; wer nicht 
glaubt, wird nicht erkennen. Es gibt Vieles, was wir 
nur glauben, ohne es zu wiſſen (S. 255); aber nichts, 
was wir wäßten, ohne es zu glauben. Selbſt für das 
Dafein dee Körpermelt müflen wir den Glauben in An: 
fprudy nehmen; die Erkenntniß der allgemeinen, ewigen 


Sefchichte der &eiftlihen Philoſophie von. ein rich 


flärkte Wie. 





Wahrheiten iſt uns beimeltem ficherer als die Erkennt: 
niß des Körperlichen. | 

Die Liebe ift nichts Anderes (S. 263) als der ver: 
Erſt durch die Liebe wird der Glaube 
thätig; dee Glaube ohne Werke ift tobt. Die Liebe muß 
nothwendig der Erfenntniß vorausgehen; denn um Gott 
zu erkennen, müflen wir es verdienen. Seine Erkennt 
niß kann nur ald Belohnung unſers Strebene oder um: 
ſerer Liebe eintreten. 

Bir Binnen Gott (&. 268), den hoͤchſten Gegen⸗ 
fland unſers Denkens, nicht dur einen andern Gedans 
ten ausdrüden. Mit größerer Wahrheit denken wir Gott, 
als wir über ihn ſprechen; mit größerer Wahrheit iſt er, 
ale wir ihn denken. Um Gott zu denken (S. 272), 
müffen wie uns vom Zeitlihen reinigen; fein Begriff 
kann in feiner der Kategorien ausgedrhdt werden. Zwi⸗ 
[hen ihm und der Welt (S. 276), dem Schöpfer und 
dem Gefchöpfe bleibt ein wefentlicher Unterſchied; und 
das Fefthalten an der Freiheit ift die ficherfle Schugwehr 
gegen den Pantheismus. Die Welt IfE gefchaffen aus 
Nichts; denn außer Gott war nichts, aus welchem fie 
hätte gebilber werden können, und wäre fie aus bem 
Weſen Gottes gemacht, fo würde fie Bott gleich fein und 
ein unveränderliches Welen haben. Die Schöpfung ber 
Welt (S. 311) tft das größte Wunder. Es gibt Beinen 
Raum außer der Welt, und ebenfo Beine Zeit außer ihr. 
Selbſt die Materie, als der niedrigſte Grad des Daſeins 
betrachtet (S. 314), muß als etwas Gutes angefehen 
werben, benn fie ift dee Form wenigſtens fähig. Die 
Eörperliche Natur iſt nicht blos des Böfen wegen und 
nah dem Falle der Geifter entflanden; fie gehört vlel⸗ 
mehr zur Schönhelt der Welt und dient zum Guten. 
Das Böfe oder das Übel bezeichnet nur die Beraubung 
(S. 315) des Guten. Das Unvernünftige ift weſent⸗ 
ich nur ein Mittel, das Bernünftige dagegen der Zweck 
dee Welt (S. 325); auch die niedeigfte Seele muͤſſen 
wir höher flellen als den höchften Körper. 

Gott wollte feinen vernünftigen Sefchöpfen nicht bie 
Macht zu fündigen rauben, damit offenbar würde (S. 340), 
wie viel Übel ihr Stolz und mie viel Gutes feine Gnade 
bewirken inne. Pelagius fuchte die Unterfuchung über 
die Mickfichkeit des Guten und Böfen fern zu halten - 
von ber Frage nad) dem Grunde diefes Gegenfages in 


70 


Sott. Er unterfcheidet dreierlei (S 341): das Können, | 
das Wollen und das Sein der Menfhen. Das Können, 

d. h. da6 Vermögen, gut oder böfe zu fein, hat ort 
gegeben; bie beiden andern Punkte aber, da6 Wollen des 
Guten oder des Böfen und das Gut- oder Boͤſeſein, 


kommen jebe Kraft abfpricht, fich des Boͤſen zu entledigen. 
Sie glaubt die Gerechtigkeit Gottes durch eine unbegreif: 
lihe Gnadenwahl zu ehren, und fieht in diefer nur eis 
nen und theilwelfen zweiten Schöpfung einen Erſatz für 
! die erfte einſt größere, reinere und fchönere Schöpfung. 


fieht er nur als eine Sache des Menſchen an. Auguſti⸗ 
nus hält diefe Anficht für oberflächlich und die Wirkſam⸗ 
feit Gottes irrig befchräntend. Auch das Wollen der 
Geſchoͤpfe bewirkt Sort in ihnen, möge es durch Äußere 
Einwirkungen veranlaßt werden, oder ſich durch ihre in: 
nere Thaͤtigkeit vollziehen. Doc hängt vom Willen Alles 
ab, mas unfer ift (S. 347), unfer Werth und unfer Un 
werth, unfer Verdienft und unfere Verdammung. Unfere 
Freiheit im Guten läuft indeg nur darauf hinaus, daß 
wir Gott und unterwerfen. Das Böfe kann fih nur 
am Sein finden und alfo am Guten, denn alles Sein 
als folches ift gut. Ein hoͤchſtes Boͤſes kann es nicht 
geben, denn «6 würde die Beraubung alles Seins fein. 
Der böfe Wille gebt von Gott nicht aus, weil er nichts 
il. Gott weiß die Sünde zwar vorher (SG. 354), aber 
er beftimmt fie nicht vorher. Da der Menfch durch feine 
Sünde (S. 362) ein Sur aufgab, welches ewig hätte 
fein Eönnen, fo wurde er dadurch aud einer ewigen 
Strafe würdig; die menfchliche Natur und die menfchliche 
Geſchichte iſt feitdem durchaus umgeändert. Die Sünde 
hat die Ordnung ber Welt verkehrt; fie iſt nicht eine 
Sache nur der Einzelnen, fondern des Ganzen. In 
diefe geftörte Ordnung tritt jeder Geborene ein, und es 
bedarf daher nicht erſt einer befondern fündigen That, 
um bie einzelne Seele in das Verderben zu flürzen, fon: 
den von Natur und in ihrer Wurzel gehört fie der ge⸗ 
flörten Denfchennatur und dem Berberben an. Sie find 
- alle eine verderbte Maſſe, eine (S. 370) Maffe des Ko: 
the8 und der Sünde geworden. Am wenigfien (S. 379) 
darf den Ungläubigen ein gutes Werk zugeftanden werden. 

Aus Barmperzigkeit hat Gott fih eines Theils 
der Menſchen erbarmt und aus diefee Maffe ausgewählt, 
um an ihnen feine Gnade zu erweifen. Der Menſch bat 
hierbei kein Verdienſt und feine guten Dandlungen ges 
ben dieſer Gnade nicht vorher (S. 380), vielmehr macht 
Gott die Menfchen gut, damit fie gute Werke thun, und 
feine Gnade ift unwiderſtehlich. Niemand ift der gött: 
lihen Gnade würdig; denn wäre dies der Fall, fo würde 
Gott fie fhuldig fein, und wäre er fie fchuldig, fo wäre 
fie keine Gnade. Nice für Alle (S. 391) ift Chriftus 
geftorben, niche Alle bat Gott retten wollen; denn fonft 
würden fie Alle gerstter fein: ja, die Wenigſten bat er 
retten wollen, denn die meiften Menfchen find dem Ber: 
derben anheimgefallen. 

Diefe ſchroffe Anficht des Auguftinus verdammt alle 
Heiden (forie die meiften Chriften), ſtellt das Wefen ber 
menſchlichen Freiheit in ben Hintergrund, leugnet eine 
ducchgreifende Erziehung und eine allgemeine Erloͤſung 
dere Menfchen,, betrachtet das Boͤſe ale bloße Verneinung 
und läßt den, von Gott rein erfchaffenen Adam durch 
die Schuld der Erbfünde die ganze Schöpfung Gottes zu 
Grunde richten, während fie ihm und allen feinen Nach⸗ 


Trotz bdiefer und anderer Schattenfeiten war bie Lehre 
des Auguftinus damals die folgerechtefte und tieffinnigfte. 
Statt weiterer Ausbildung zeigt fich indeß ſeitdem in ber 
morgenländifhen wie In ber abendländifchen Kirche ein 
immer zunehmender Verfall, von welchem der Verf. im 
fiebenten Buche handelt. Am Schluffe des fechsten und 
fiebenten Buches finden wir hoͤchſt Ichrreiche, aber keines 
Auszugs fühlge Betrachtungen des Verf. über Augufinus 
und die patriftifche Philoſophie überhaupt. Im Mittelalter 
wird die philofophifhe Entwidelung, aus ſchon angebeuteten 
Gründen, mannichfaltiger, umfafiender, dauerhafter; body 
brachte auch fie die Dinge zu einem vollftändigen Ab⸗ 
fchluffe. Anſtatt hierdurch (mie in Hellas und zur Zeit 
der Patriftiker) zu ermatten, bewegt ſich feitdem der le⸗ 
bendige Strom ber Gedanken (alle Hemmungen überwins 
bend) durch die Jahrhunderte vorwärts, und fowie der 
Berf. zeigt, daß die Mängel der patriftifchen Philoſophie 
nicht unbedingt vom Übel waren, fondern auch fördernd 
wirkten, fo fann man Sleiches von den fpätern Jrrthuͤ⸗ 
mern, gläubig und verftändig zugleich, behaupten. Aud 
die neueſte Kritik des hriftlichen Lehrſyſtems, welhe man 
wol eine nothwendige, unvermeidlihe Skepſis nennen 
koͤnnte, wird nicht mit einer bloßen Verneinung enden; 
fie wird vielmehr die Schladen nur ausbrennen, damit 
das echte Metall ſich von neuem doppelt glänzend bewähre. 

Vorftehende Eurze Auszüge aus dem trefflichen, lehrrei⸗ 
hen Werke des Verf. genügen in keiner Weife, den teis 
hen Inhalt irgend darzulegen; fie follen nur darauf aufs 
merffam madhen und zum Leſen deſſelben auffodern. 
Ebenſo gehen unfere eingeftreuten, befcheidenen Bemerkun⸗ 
gen nicht darauf aus, einen Meifter zu hofmeiftern, dem 
wir feit Jahren befreundet find und zu deſſen dankbaren 
Schülern wir uns zählen. $. von Raumer. 





Über Wolff's „Allgemeine Gefchichte des Romans“, *) 
Ih will in voraus geftehen, daß ich das Buch nicht gele⸗ 
fen habe; da mich aber die verebrliche Kedaction b. BI. drängt, 
meine lang verzögerte Anzeige endlich zu bewerkſtelligen, ſo kann 
ih nit umhin, es zu recenfiren, obne es gelefen zu haben. 
Wenn ich darin ein Verſehen begebe, fo wird es hoffentlich da⸗ 
durch ausgeglichen, daß ich es offen befenne; Jedermann zue 
Warnung, daß er meiner Recenſion mit Behutfamteit folge. 
Ich babe es nicht etwa um deswillen nicht gelefen, weil es mir nicht 
zufagte, oder ich dem Autor nicht bie Gabe, über die Sache zu 
ſprechen und mid, zu feffeln, zutraute, fondern weil das 6941 eng⸗ 
gebrudte Seiten ftarke Buch keines ift, das man in einigen Ta⸗ 
gen, ja nicht einmal in einigen Wochen — wenigftens mir gebt 
bie Gabe dafür ab — durchlieſt, fo durchlieſt, um es beurtbeis 
len zu Sönnen. Ich habe es nicht gelefen, weil mir die Zeit 
dazu feblte und weil nad dem Gindrud, den bag Blätter 
darin bervorbrachte, ed mie werth ſchien, daß ich es läfe. Ich 


*) Allgemeine Geſchichte des Romans, von beffen Uxrfprung 
bi8 zur neueften 3eit. Bon O. &. B. Wolff. Iena, Maufe_ 
1841. 8. 3 Thir. 


a 


babe fo viel darin geblättert, nachgeſchlagen und bineingelefen, 
daß ich mir gerraute, eine lesdare Recenfion darüber zu ſchrei⸗ 
ben, und der Leſer follte nicht merken, daß ich es nicht geiefen. 


Uber der Brad der Achtung, den mir der Fleiß des Verf. und 


Das, mas id; daria gelefen, einflößte, macht es mir zur Pflicht, 
wenn fie nicht ſchon vorher da war, mid) der Lockung zu ent: 
beiten. Ich könnte, um ganz gewiffenhaft zu handeln, mein 
Schreiben baräber auffhieben, bis ich nad) meiner Überzeugung 
im Stande wäre, darüber zu urtheilen, was auch aufridhtig 
meine Abſicht war; ich weiß aber nicht, wie lange ber Aufſchub 
dauesn würde, und glaube damit weder dem Autor, noch dem 
Berleger, nody der Rebaction d Bi. einen Dienft zu thun. 
Andy die gewichtigern Erſcheinungen auf dem Markt unferer Eis 
teratur werben von dem reißenden Zageöftrome fo ſchnell weiter 
getrieben, daß es Seitens ber Kritit nur exfle Bürgers und 
Rettungspflicht tft, darauf aufmertfam zu maden. Bür bie 
eigenttiche Kritik ift erſt Tpäter Beit. 

Was wäre auch die Kritik eines ſolchen Werkes! Ich meine 
bie gewiſſenhafte, gründlich würbigende. Man wirft ſchon dem 
Berf. biefer „Allgemeinen Geſchichte des Romans’ feibft vor, 
das er über Bücher ſpreche, die er nie gelefen habe. Ich weiß 
durchaus nicht, inwieweit biefe Anklaͤger Recht haben; aber 
die Präfumtion ſpricht dafür. Gin wahrer Polyhiftor müßte 
das fein, der alle Romane, die guten und fchlechten, vom Ans 
beginn, wo man Romane ſchrieb, von den milefiichen Erzaͤhlun⸗ 
gen, von den Griechen und Römern, durch die Koliantenromane 
des verlöfchenden Mittelalters bis zu allen Probucten der Spas 
nier, Engländer, Deutſchen gründlich gelefen und flubirt hätte! 
Imwiefern dies nothwendige Bedingung fei, um bie Gefchichte 
des Romans zu fchrriben, laſſe id dbahingeftellt. Aber wenn 
nur Der das Wer? zu beurtheilen ein Hecht hätte, der ſeibſt dies 
fer Bedingung genügte, fo möchte es dem Verf. leicht fein, jes 
den feiner Recenfenten aus dem Sattel zu heben. Unb wer bie 
Romane von X bis 3 kennte und fühlte ſich gebrungen, eine 
grünblicdge Kritit über das Buch zu fchreiben , würde feine Kris 
tie nicht wieder ein Buch werden, dickieibiger als das Driginal? 
Der gluͤcklichſte Fall für einen Autor, wenn Kritik ein Gluͤck, 
iſt, wenn fein Gegenftand auch einen andern Schriftſteller 
iebhafı beſchaͤftigt hat, und biefer fidy veranlaßt findet, bie Ars 
keit des Grftern mit feinen eigenen gewonnenen Anſichten ver: 
geichend durchzugeben. Auf diefem Wege entflanden bie beften 
Kitifen, deren wir uns In Deutfchland rühmen, z. B. bie bes 
Uhmte Solger’fche über A. WB. v. Schiegel's Dramaturgie. 
Ih fe tadein oder oben, es find Würbigungen der Bade. Gine 
er Manie der Kritit bat viel Belftvolles hervorgebracht, 
aber wenig gerecht Würbigendes, bie der Parteien. Mit fefter, 
srausgefaßter Meinung laͤßt fich fehr leicht und trefflich über 
Ves fchreiben, was in unfern Kram taugt und nichts ja, es 

fogar grünblich recenfiren, auch wenn man nur ober: 
Michtich gelefen hat. Dee fubjective Standpunkt bes Schrei⸗ 
iſt eine nad) allen Regein der Strategie fortificiste Feſtung, 
der er nach Luſt feuern kann, wenn auch die Kugeln nicht 
Ziel treffen. Auch eine ſolche Kritit Hat ihre Vorzuͤge. 
Bir für einen Scharfrichter das Gtubium der Halsmuskeln 
wichtiger iſt als bie ganze Anatomie, braudht man nur bie 
Sqwãchen des Gegenſtandes zu ſtudiren, und die Kritik ſtellt, 
wenn auch etwas Cinfeitiges, doch etwas Wahres auf. Der fo 
Kritiärte lernt und das Publicum auch. Da aber das Gegen: 
gift fehtt — Berleger und Freunde pflegen e8 zwar zu beforgen, 
aber nicht immer geſchickt —, fo würde es nur in fıltenen Faͤl⸗ 
ien fein, wo ſich der Autor nicht lieber aller Kritik befchiede 
und zufrieben wäre mit einer trodenen Relation, die das Publi⸗ 
cam wenigſtens auf den Inhalt feines Werkas aufmerkſam macht. 

Diefen kennen zu lernen, bat der Verf. ein überfichtliches 
Berzeichniß voraufgefhidt, für das Lefer und Krititer ihm 

ich dankbar fein müflen. Nachdem er im erften Abſchnitt 
gemeine Betrachtungen über das Weſen und den Begriff bes 
Iemans und die Pänftliche und natürliche Gintheilung bdeflelben, 
Ieie über die Erzaͤhlung und Novelle gegeben, liefert er im 


zweiten einen überblick der Geſchichte des Romans ſeit den aͤl⸗ 
teften Zeiten bis zum Schluffe des 17. Jahrhunderts. Welt zus 
süß führt der Berf. den Lefer, und mander Romanenfreund 
wird erflaunen, wenn ihm die Bücher Hiob und Muth als bie 
erften Romane der Welt vorgeführt werden. Gegen die Zus 
ziehung des Buches Efther, welches der Verf. auch dahin rech⸗ 
uen will, möchte ich protefliren. Cine Familie zu bilden bes 
ginnt der Roman erft bei und mit ben fpätern Griechen, und 
zwar erſt im 4. Jahrhundert unferer Zeitrehnung. Gin dhrifts 
licher Biſchof einer der erſten Romanfchreiber, und ein vors 
treffiiher, und ein Roman mit fo wunberbaren Begebenheiten, 
daß unfere neue Srfindungskraft mit ihren Motiven dagegen 
matt erfcheint! Nachdem des Longus berühmter Hirtenroman 
erzählt und befprochen ift, führt er uns zu den Römern, den 
fpdtern natürli, wo der Roman dad üppig: frivole und fervile 
Kleid anlegen mußte, in welchem es der Poeſie allein verftattet 
war, in den Kaiferpaläften zu erfcheinen. Darauf tritt eine 
lange Paufe ein. Die Völkerwanderung war ber Ausbildung 
bes Romans nicht günflig. Er verlangt, trog ber weiten Meer: 
und Landreifen, welche die Helden des griechifchen Biſchofs und 
ternabmen, einen bequemen Sitz am häuslidhen Herde. Die 
Famitlie ift, trog der Altern Poftreiferoinane der Engländer uns 
Deutſchen, fein Grund unb Boden. Erſt nach den geiftlich  romans 
tiſchen Epopden tauchen die normannifchen und bretonifchen Ros 
mane auf, die uns auf ein ganz anderes Feld der chriſtlich⸗ 
myſtiſchen NRitterpoefie führen. Nach Jahrhunderten, mo biefe 
Doefie allein berrichte, betraten die Amadis-Romane mit bem bes 
rühmten Amadis von Gallien zuerft ben neuern, breitern pros 
faifhen Boden. Weit ift ihre Verbreitung. Ked und munter 
fpringen bazwifchen die Novellen der Statiener und Spanier 
wie kuͤhne Parteigänger, Verwirrung anrichtend, unter ben Troß 
dee ſchwerfaͤlligen Armeezuͤge. Die fpanifchen allerliebften 
Schelmenromane erweden auch in Frankreich ein neues Genre 
bes komiſchen Romans, ber aber an Feinheit, Keckheit und 
Wärme jenen muthwilligen Schöpfungen durchaus nicht gleiche 
tommt. Da erfteht eine markige Heidengeftalt, fo im Scherz 
ats im Ernſt in Spanien, Gervantes, und in Frankreich ber 
noch unerſchoͤpfte, dunkele, wunberbar FEräftige, mächtig bie 
Thorheit geißeinde Rabelais. Darauf wieder eine füße Schaͤfer⸗ 
periode in Spanien, auch ber Engländer Sidney fchreibt feine 
„Arcadia. Während die Scubery unter Ludwig XIV. mit ihren 
Romanen entzüdt, fpufen in Deutfchland die Bagabundenromane, 
wilde im entfeglichften Zuſtande unfers Waterlandes, dem Dreis 
Bigjährigen Kriege, ihre efelhafte Nahrung im Aas auf den 
Heerftraßen, im Brandgeruch der bertoüffeten Dörfer zogen. 
Wir Deutfche Eönnen nicht ſehr ftolz auf unfere Anfänge fein, 
und body waren bie erften Nachklaͤnge der Anfänge die Lohen⸗ 
ſtein ſchen, „Arminius“, bie „Aftatifche Banife” noch trübfeliger 
als die im „Irrgarten dir Liebe umtaumelnden Gavaliere” und ber 
buch die Wahrheit der Schilderungen des Elends und der Vers 
worfenheit ausgezeichnete „„Simpliciffimus”. Da im Vaterlanbe 
nichts Troͤſtliches zu baben ſchien, begab man ſich auf Reifen 
und fuchte auf ber „Infel Felſenburg“ die in ber Heimat getruͤbte 
Häusiichkeit und die Ruhe des Familienlebens. 


Der dritte Abfchnitt befpricht die Familienromane bis zum 
18. Jahrhundert. Da erfcheinen in Formen, die zum Theit 
noch heute gelten, Le Sage, Richardſon, Marivaur, Prevoft, 
Fielding, Smollet, Sterne; in Deutſchland Gellert, Duſch, Gere 
mes. Ob Hr. Wolff wirklich die neunbändige „Sophiens Reife 
von Memel nad) Danzig” burchgelefen hat? Ich nahm in meis 
ner Jugend mebrmald Anfäges ed gelang nicht. Wohin find die 
Romanheroen ihrer Zeit: Schummel, Wegel und der fruchtbare, 
gefeierte 3. G. Müller! Die fentimentale Periode brach ein, 
veranlaßt mit durch Den, der fie am wenigften veranlaflen 
wollte, Goethe. Selige Zeit, wo Siegwart's Thraͤnen alle 
Baͤche in Deutfchland falzig machten ! 

Der vierte Abfchnitt ift den übrigen Gattungen des Ros 
mans im 18. Jahrhundert gewidmet. Welches bunte Gemiſch! 
Walpole's „Schloß von Otranto”, die Rabeliffe (herrliche Zeit, wo 


ih fie verſchlang!), Warmontel, Blorien, Wieland, Klinger, 
Heinfe, Hippel, Jean Paul. Benedikte Raubert und die brei- 
ten, bebaglichen, humpentoͤnenden, burgvertießfchauertichen , ket⸗ 
tenraffenden Ritter: und Räuberromane. Da Spieß, Benko⸗ 
wis, Gramer, Vulpius, Große, Baczko, Meißner, Feßler und 
— Zſchokke, der merkwürdige Mann, ber in bie Gegenwart bins 
eintebt und ſich nicht übertebt bat. 

Der Roman in den vier erften Decennien des 19. Jahr⸗ 
Hunberts bildet in vier Abtheilungen den Schuß. Es iſt ein 
langer Schluß 263 Seiten. Und doch wer kann in biefem 
Naume nur Alles berühren! Da erfcheinen im erften Decennium 


72 


Damals galt Menzel's Urtheil, ber fo ziemlich Ihm alle Poeſte 
abfprah und ihn zu einem breiten, geſchickten SBerfificator 
machte! Das fchrieb feine junge Schule nad, man las es in 
allen Zagessiättern. Daß ein Lebendiger fidy erheben, regene⸗ 
riren kann, follte cin wohlmwollender unb beſonnener Literar: 
hiſtoriker ſtets im Auge bebalten. Als folchen müffen wir Hrn. 
Wolff nah biefem Buche erkennen und überlaffen ihm deshalb 
bie Frage zu beantworten, ob er alle neuern Romanenfcreiber 
mit dieſer Beruͤckfichtigung gewürbigt hat. Gollte nun Gchreis 
ber dieſes ſeibſt unter den fo Beurthellten fein und in fich bie 
Regung fühlen, daß des Autors Zotalurtheil manchen Mobifle 


aur Franzoſen, die Producte und die Antagoniften der Nebolus 1 Cattonen unterliege, fo fol ihn das doch nicht abhalten, a 


tion, die Stael, Benjamin Conftant (wenig bedeutend auf bie: 
fen Gebiete), die Genlis und Cbateaubriand. Die deutfche vos 
mantifhe Schule ift, etwas willkuͤrlich, was bie Beitabtheilung 
betrifft, in das zweite Decennium eingepfercht, die Tied, Schle⸗ 
gel, Novalis, Arnim, Brentano, be la Motte Fouqué, Hoff: 
mann, auch Kichendorff, allerdings ein Legter Sproß biefer 
Säule. Seine Wirkſamkeit gehört indeffen doch einer fpätern 
Periode an. Die dritte Abtheilung beſchaͤftigt fi mit den hiſto⸗ 
rifchen Romanen der neueften Zeit. Wer zählt die Völker, nennt 
die Namen! Und alle fcharen ſich noch heute um ihren Schöpfer 
Walter Scott; nicht der größte Dichter feiner Zeit, aber der 
gluͤcklichſte Bergmann, der Schäge, unerfchöpflide, aus dem 
Heiligthum des Wolkslebens ans Licht förderte und für lange 
Zeiten den richtigen Weg wies, wie fie zu gewinnen, wie am 
gedeihlichſten auszubeuten fein: Gr war der Zauberer, der, 
wider Abfiht unb Willen, die Bedeutung bed Volkslebens auch 
im Romane uns evident vors Auge führte. Der edle Tory bat 
für alle Zeiten bie Hofpoeſie aus dem Felde gefchlagen. Endlich, 
in das vierte Decennium mit Recht verfegt, erhalten wir eine 
überſicht der Bamilien» und Tendenzromane der neueften Zeit. 
Was wirb das fünfte Decennium bringen? Wirb der bürgers 
lich ſociale Roman oder der Hiftorifche vormwalten? Mir fcheint 
28 ein gutes Zeichen, daß die Theilnahme zwifchen beiden 
ſchwankt. Die Politit darf das Pamilienintereffe nicht vers 
drängen, aber das Familienintereffe ift fortan dürftig ohne An: 
ang an die böhern Intereſſen des Bürgers, ohne feine Ans 
knuͤpfungspunkte an das Staates und Volfsieben. 

Hr. Wolff hat in diefer Arbeit ein Werk geliefert, welches, 
abgefehen vom Urtheil über fein Urtheil, ald Gompendium von 
großem Verdienſte bleibt. In den Altern Perioden wird ſchwer⸗ 
lih etwas Bedeutendes übergangen fein; auch in der neuern 
Literatur finden ſich fo ziemlich alle Namen von Ruf (ganzem, 
balbem und Viertel: Ruf) erwähnt. Daß unter den biftorifchen 
Romanſchreibern Rellſtab nicht genannt ift, ift wol: nur ein 
Austaffungsfehler, da weit minder bedeutende als der Verf. von 
„A812 aufgeführt und charakterifirt find. Diefe Charakteriftit 
ift, fo weit ich fie gelefen, treffend. Auf Anfhauungen, die 
Revolutionen in der Kritik hervorbringen, ift es nicht abgefehen. 
um deshalb wäre es eine falfche Anfoderung, immer Neues zu 
erwarten. Er hat mit Umfidt, was Andere und er ſelbſt ges 
fagt, zufammengetragen und dem Zweck gemäß verfchmolgen. 
Das Ganze ift überfichtlih, die Verbindungen find mit Geſchick 
gemadt. Daß im uUrtheil jeher Lefer ſich wiederfinden folle, ift 
ebenfalls eine unmödgliche Aufgabe. Die beurtheilten Eebendigen 
werben ebenfo wenig überall befriedigt fein Es geben Kloskeln 
über diefen und jenen Autor durch alle Literaturgeitungen unb 
biographifche Artikel, die von A bis 3 nachgefchrieben werben, 
von denen aber der Autor, wenn er ein ehrenhafter ift, in der 
Stille an die Zukunft appellirt. Die Kritil der Zeitgenoflen 
laͤßt ſich nicht ändern; bei Aufnahme folcher Refumds, bie dies 
fem den urfprünglidhen Genius, jenem das Talent ber Form: 
gebung abfprechen, follte aber ber Verf. eines Compendiums 
befonders vorfichtig fen, fo lange es ſich von Lebenden banbelt. 
Wenn biefes Werl vor zehn Jahren erſchienen wäre und Br. 
Wolff Hätte alle Banalphrafen über Smmermann aufgenommen, 
wie würde diefer Dichter in feiner Literaturgefchichte erfcheinen ! 


Verantwortlicher Derauögeber: Heiurich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. X. Brodhaus in Leipzig 


ertennen, daß er im Ganzen mit Umficht und sine ira et s 
urtdeile. Das Buch läßt ſich trefflich ieſen. Gin Wunſch ent 
fand bei mir, wie, wenn es möglich gewefen wäre, aus ben ber 
Lefewelt unzugänglihen Romanen ber frühern Zeit einzelne 
Städe ale Stylproben mitgutheilen? 3. B. aus den erften Ro⸗ 
manen bed Longus, des Petronius, aus „Amadis von Gallien‘, 
dem im „Irrgarten ber Liebe umtaumelnden Gavaliere” u. f. w. 
Wenn das Buch dadurch noch dickleibiger geworden wäre, fo 
wäre es zugleich lehrreicher geworben und bebielte für alle 
Folgezeit einen Werth auch als Lehrbuch. Aus dem einen 
Bande hätten ſich freilich dann zwei Bände entwideln müfs 
.fen, was bei ber Größe ber Aufgabe indeffen wol zu recht⸗ 
fertigen war. 10. 





Literarifhe Notizen aus Kranfreid. 

Es ift dem Dichter verliehen, laͤngſt abgeſchiedene hiſtoriſche 
Geftalten aus dem Schooſe der Vergeſſenheit heraufzuziehen 
und fie der Gegenwart näher zu bringen, als es der Hiſtoriker 
vermag. So ſcheint Lenau durch feinen ‚„Bavonarola’ im 
Deutſchland das Intereſſe für biefen freien Geiſt wieder ange 
regt zu haben. Wenigſtens find feit diefer trefflichen Dichtung 
glei mebre hiſtoriſche Werke erfchienen, bie das Leben diefes 
großen Mannes behandeln und bie zum Theil wenigſtens durch 
bas Gedicht Lenau's veranlaßt zu fein fcheinen. Wir ers 
tauben uns bier baher auf ein franzoͤſiſches Werk aufmerffam 
zu madıen , das eben die Preffe verlaflen bat und das eine 
ziemlich umfaflende Biographie Savonarola’s gibt. Es führt 
den Zitel: „Histoire de Fra Hieronimo Savonarola”, von P. 
3. Sarle. Der Berf. hat, nachdem er vor einiger Zeit eine Schrift 
über das Dogma ber „Hoͤlle“ Dante’6 („Traité suriedogme de 
P’Enfer‘‘) herausgegeben hatte, eine Reife nach Italien gemacht, 
um die biftorifhen Quellen zu einer Geſchichte Savonarola’& 
an Ort und Gtelle zu fludiren. Borliegendes Werk ift eine 
Frucht dieſer Reiſe, und man muß dem Verf. deſſelben fuͤr ſeine 
intereſſanten Unterſuchungen Dank wiſſen. Beſonders lobens⸗ 
werth iſt, daß der Abbe Carle weder in das uͤbertriebene Lob 
eined Pic de la Mirandola, der aus Savonarola einen Deiligen 
macht, noch in ben bittern Spott eines Scarponio, ber ihn in 
ben Koth zieht, eingeſtimmt hat. Sein Werk ift in einem ge 
mäßigten Zone abgefaßt. Es beginnt mit einer Ginleitung, bie 
einen Überblid über bie Hauptereigniffe der Kirche und des Pon⸗ 
tificats insbefonbere gibt. Einzelne Partien, z. B. bie Zeich⸗ 
nung Savonarola's, als er in Florenz feine gluͤhenden prophe⸗ 
tifchen Predigten hielt, find dem Verf. befonders gelungen. 


‚ Unter ben herrlichen Romanzen Rüdert’s iſt bie von der Heiz 
ligen Dttilie eine der lieblihften. Das Leben biefer Deitigen, 
die erſt erblindet, dann aber bucd Gottes Gnade dad Augens 
licht wiedergewinnt, bat ben Stoff zu einem Kleinen Wertdhen 
geliefert, das in einem etwas uͤberſchwaͤnglichen Tone gehalten, 
aber im Ganzen recht lesbar ift. Es führt den Titel: „Histoire 
de Sainte Odile, patronne de l’Alsace’, von em Baron 
Marie Theodor bs uffiere. Der Name des Verf. iſt Duxcch 
eine Geſchichte der Belehrung vom Abb Ratisbonne der fatho- 
lifchen Welt bereits befannt. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Donnerdtag, 





Wir Deutfchen haben einen befondern Namen für 
eine gewiffe Art von Schriften, der andern Nationen, 
„8. den Engländern und Franzoſen, unbefannt if. Er 
it nidt einmal deutfhen Urfprungs, hat ſich aber all: 
mältg bei uns eingebürgert. Wir meinen bie fogenann- 
ten publiciſtiſchen Schriften. Der Kreis von literarifchen 
Erzeugnifſen, den dieſer Mame in fich begreift, ift uͤbri⸗ 
gene bald ein ſehr meiter, bald ein fehr enger; der Bes 
geiff iſt ſeht ſchwankend und willkürlich und hat nament: 


lich tm Laufe der Zeiten manche Mobdificationen und Er: 


weiterungen erfahren. Im vorigen Jahrhundert fiel eigent: 
Lich nur das Staatsrecht in den Begriff der Publiciſtik; 
ein Public war ein Schriftfleller, der Unterfuchungen 
über beutfches Staatsrecht anftellte cder über deutſches 
Staatsredht ſchrieb, wie Böhmer, Puͤtter, Häberlin u. f. w. 
Allmaͤlig erweiterte fich jedoch der Kreis der hineinſchla⸗ 
genden Gegenſtaͤnde, und in dieſem Augenblide pflegt 
man fo ziemlich Alles unter den Begriff Publiciſtik zu 
mbriciren, was im näherer oder entfernterer Beziehung 
pur Geftaltung unfer6 gefammten äffentlichen Lebens ftcht, 
wit Ausnahme der eigentlichen pofitiven Fachwiſſenſchaf⸗ 
ta und der fhönen Künfte Alle literarifchen Erſchei⸗ 
amgen, welche einzelne Fragen der Gegenwart in Be: 
Hung auf Recht, Staat, Kirche, Schule, Sitte u. f. w. 
handeln, welche namentlich außer dem rein wiffenfchaft: 


: Ehen, theoretifchen Zwecke auch noch eine praßtifche Xen: 


benj haben, fei es nun, daß fie direct auf Einfährung 
einer neuen Inſtitution oder nur Indirect duch Anregung 
bes oͤffentlichen Seiſtes darauf gerichtet find, heißen jet 
yablichftifche Schriften, und ein Publiciſt will ein Jeder 
fin, der irgend eine Brofchhre oder irgend einen längern 
Zitumgdartifel über eine der taufend obſchwebenden Fra: 
ya geſchrieben, welche die Gegenwart in Beziehung auf 
woher ſittlich⸗ pofitäfches Leben zu beantworten bat. Wir 
ſind indefien der Meinung, daß wir trog dieſer Unzahl 
son Competenten dennoch an wirklichen und tüchtigen 
Publiciſten Höchft arm find. 
in der That mehr, als nothdürftig verfländig uͤber 





2) Die Aufgabe des Abvocatenftandes in conftitutionnellen 
Eimten. Bon K. Steinader. Braunſchweig, Vieweg und 
Ka. 1841. Br. 8. 25 Nor. 


Zu einem folhen gehört | 





19. Januar 1843. 


ö— c — —— —— — — —— 





irgend einen oͤffentlichen Gegenſtand ein paar Saͤtze zu⸗ 
ſammenzuſtellen oder mit der Schlafmütze auf dem Kopfe 
und der Pfeife im Munde ein Buch träge und gemaͤch⸗ 
ih zufammenzutragen. Der wahre Publiciſt, dee bie 
öffentliche Meinung feines Volks befruchtet und reinigt, 
der fein Volk duch Die fiegende Auseinanderlegung und 
Darftellung feiner. Anfhawungeweife und Überzeugung auf 
eine höhere fittliche Stufe erhebt, von deſſen Schrift an 
eine wirkliche Bereicherung des Nationaigeiftes, eine nee, 
hoͤhere Enswidelungsphafe des Volksbewußtſeins bafirt, 
der muß vor allem ein Menſch ſein, der von dem Strahle 
des Genius berührt und entzuͤndet iſt, der den Gegen⸗ 
ſtand, über den er ſchreibt, mit feinem Herzblute genährt 
und deſſen Dichten und Trachten, befien Leben in feinem 
Objecte aufgeht. Nicht eine tobte, begeifflich-logifche Dar: 
legung, nicht eine bloße hiſtoriſche Aufjählung and An⸗ 
einanderreihung reiht dazu hin, fondern ber Begriff und 
das Factum follen erfl in einer fchönen, großartigen Pers 
föntichkeit Fleiſch und Blut gewinnen, fie follen erſt in 
einer kraͤftigen und fittlihen -Perfönlicpkeit zu neuem, 
wirklichem Leben beraufbefchworen, gleichfam wiedergeboren 
werden, wenn fie nicht Das bleiben follen, was fie bis 
dahin waren, todt, irrelevant, nicht vorhanden für bie 
Begenmwait. Werfen wir nun einen Blick in unfere fos 
genanmte publiciſtiſche Literatur und fehen uns nah Nas 
men um, in benen ſich diefe beiden Momente, Kenntniß 
ber Sache und harmoniſche Geftaltung derfeiben in einem 
großartigen fittlichen Charakter eng durchdringen und mit⸗ 
einander zufammenfallen, fo müflen wir befennen, daß 
wir deren nur wenige erbliden können. Wenn biefes 
auch im der Natur der menfchlihen Dinge liegt, indem 
bas wahrhaft Bedeutende, Fruchtbare und Große ſich 
überall nur felten findet und es zw viel verlangt wäre, 
wenn wir mehr große Reformatoren und Politiker wie 
große Dichter und Kumſtler haben wollten, fo iſt es doch 
eine bedenkliche Erfcheinung, dag man eben auf diefem 
Felde noch nicht einmal die richtige Anſicht von den Er: 
fobernifjen gewonnen zu haben [deint, die dazu gehören, 


am etwas Zlchtiges zu leiften. Und doch gilt auch Bier 


ber Sag, und zwar ganz befonders, daß ſchlechte Leiftun: 
gen ſchlimmer find wie gar feine. Jeder junge Mann, 
ber einige allgemeine Edge über Staat oder Kirche aus 
feinen Deften ſich eingelernt hat, glaubt fich jege berufen, 


-74 


diefe wohlfeile Weisheit als Kriterlum an das Beſtehende 
zu legen, defien organifdye Gliederug und reale Nothwen⸗ 
digkeit in vieler Beziehung er ebenfo wenig zu durchſchauen 
verfteht, als er im Stande ift, eine Abänderung, wie welt 
fie bei den gegebenen Zufländen bes Lebens möglich und 
‚ausführbdar, anzwgeben. Worzugsmeife aber find es die 
fogenannten Sunghegelianer, welche in ihrem Schulhoch⸗ 
muthe und ihrer einſeitigen, unredlich geiſtloſen Begriffs⸗ 
conſtruirung und Begriffsſpielerei weiter nichts bewirken 
als Verwirrung der Debatte, Verruͤckung der Frage, Ab⸗ 
ſtumpfung eines lebendigen, ethiſchen Bewußtſeins und 
Laͤhmung jeglicher Thatkraft. Der Kampf, der auf ver⸗ 
ſchiedenen Gebieten des ethiſchen Lebens der Gegenwart 
mit einer moraliſchen Nothwendigkeit ſich entſponnen hat, 
kann ſchwerlich dadurch gewinnen, wenn Leute fih hin⸗ 
einmifchen, denen Natur und Erziehung nun einmal jegs 
liches Organ verfagt hat, um concretes Leben zu erfaſſen. 
Wenn dieſen vermoͤge ihrer geiſtigen Armuth die ſoge⸗ 
nannte abſtracte Speculation genuͤgt und Bergnügen 
macht, fo follen fie wenigftens auf diefem Gebiete blei⸗ 
ben und ſich nicht in Regionen wagen, wo ein friſchet 
Lebensodem weht und wo außer dem formalen Verſtande, 
der freilich auch unentbehrlich iſt, noch eine Fuͤlle anderer 
Eigenſchafter, geſunde Sinne, Phantaſie, Liebe, Natur⸗ 
und Menſchenkenntniß erfoderlich ſind. 

Der bloße Gedanke auf dem Felde der Moral, der 
Politik, des ſocialen Lebens u. ſ. w. iſt nur ein bedeu⸗ 
tungsloſer Einfall, wenn er nicht in einem tuͤchtigen 
Charakter verarbeitet wird. Erſt dadurch wird er zu ei⸗ 
ner moraliſchen, publiciſtiſchen Macht. Der bloße Ge⸗ 
danke iſt ein Samenkorn, wie deren Millionen alljaͤhrlich 
in der Natur verloren gehen. Nur wenn es auf frucht⸗ 
baren Boden faͤllt und dort Wurzeln und Zweige treibt, 
wenn er zu einem maͤchtigen Baume erwaͤchſt, kann man 
ſich daran erfreuen. Legen wir dieſe Anfoderungen als Map: 
ftab an unfere Publiciften, einerfeite zeitgemäße, richtige Ge⸗ 
. danken, zeitgemäße Gegenftände, andererfeits Lebendigwerbung 
und Wiedergebärung bderfelben in einer bedeutenden Perſoͤn⸗ 
lichkeit, wo fich die moralifche Bedeutung für den ganzen 
Makrokosmus mikrokosmiſch in einer befondern Seele wis 
derfpfegelt und das organifche Leben einer publiciftifgen 
Wahrheit in einem einzelnen Charakter dem übrigen Volke 
erſt als Beiſpiel und Bild vor Augen tritt, fo müuffen 
wir befennen, daß Deutfchland nur menige Publiciften 
befigt. Die Namen find leicht genannt und aufgezählt. 
Zuerſt Zuftus Möfer in feinen „Patciotifchen Phantaften”, 
wiewol die Stimmung und der Ton in bdenfelben fchon 
unſerer Zeit nicht mehr genügt. Sie find local, behag: 
lich, confervativ, ironiſch, nicht allgemein, reformatoriſch, 
zuͤrnend und begeiftert. Die Idee einer völligen Umge⸗ 
ftaftung und Wiedergeburt all unferer politifchen Ber: 
hältniffe, die lebhafte Überzeugung von der ganzlichen 
Verfaultheit unſerer Inſtitutionen, von der Unſittlichkeit 
unſers gefammten oͤffentlichen Lebens tritt noch nicht le⸗ 
bendig hervor, wiewol fie fhon im Keime darin enthal: 
ten iſt. Eine folhe in ſich einige, feſte und zufriedene 
politifche Stimmung, wie fie in Juſtus Möfer uns noch 


anweht, wäre ſchon zehn Jahre fpäter eine moraliſche 
Unmoͤglichkeit getwefen, vielleicht werden wir nach voll: 
brachtem Kampfe, nach voliendeter Reorganifirung unſers 
Öffentlichen Lebens Leichter und beffer mit dem Grundtone 
bed herrlichen Mannes ſympathifiren koͤnnen. 

Schloͤzer kann unſerer Anſicht nach [hen Weniger 
hierher gezählt werden, er iſt zu flach, roh und geiſtlos, 
als daß er auf die tiefern Individualitaͤten im Volke viel 
eingewirkt haben koͤnnte, und nur dieſe Wirkung iſt 
doch eine bleibende, fruchtbringende, wahrhaft volksthuͤm⸗ 
liche. Seinem Muthe, ſowie ſeiner fuͤr die damaligen 
Zeiten leichten und klaren Behandlungsweiſe laſſen wir 
übrigens Gerechtigkeit widerfahren. 

Der eigentliche Heros unferer Publiciſtik iſt unſtteitig 
Fichte, natuͤrlich nicht in Beziehung auf feine rein fpecu= 
lativen Arbeiten, fondern auf diejenigen feiner Werke, die 
an das moralifhe Bewußtfein aller feiner Zeitgenoffen ge: 
richtet find. Und auch er iſt immer nur eher ein wer: 
dender, als fon ein fertiger und vollendeter Publiciſt. 
Er hatte fih erft durch das ganze Miſere der Scholaftik 
und des Schulgezaͤnks durchzuarbeiten, wie e6 damals im 
Bildungsgange eines deutſchen Profeffors begründet war, 
ehe er zu dem vollen Bewußtfein feines Berufs als Er— 
weder und Leiter des Öffentlichen Lebens in Deutfchland 
gelangte. Und als er mit der ganzen Kraft feines Rie⸗ 
ſencharakters ſich diefem Berufe gänzlich Hingeben wollte, 
als er mit der ganzen Kraft feiner Liebe das ganze Vote 
in feine Arme fchließen, als er die Arena bes öffentlichen 
Lebens, ein Kämpfer, wie e6 wenige gegeben hat, befre- 
ten wollte, raubte ihn uns der Tod. Einen entfcheiden- 
den mehr directen Einfluß auf einzelne concrete Zeitfra⸗ 
gen bei Geftaltung unſers politifchen Lebens zu äußern, 
war ihm daher nicht vergoͤnnt, aber er wird noch lange 
als ein Mufter und als ein Inbegriff der weſentlichſten 
Eigenfhaften uns vor Augen ſchweben, bie zu einens 
deutſchen Publiciſten gehören. 

Die Adam Muͤller, Johannes Muͤller, Gentz, Kotzebue, 
Schlegel, die Schmalz u. ſ. w. übergehen wir hier natürlich 
thells mit Mitleiden, theils mit Verachtung. Dagegen 
verdienen Arndt und Niebuhr unfere Verehrung unb 
publiciffifhe Anerkennung, wennfhon die Zeitverhättniffe, 
die gefeffelte Preſſe und bei Legterm noch Hypochondtie und 
fpecielle gelehrte Forſchung fieverhindert haben, Das zu leiften, 
was fie vermöge ihrer Einficht und ihres Charakters haͤtten 
teiften können. Auch Goͤrtes ift zu nennen, mwiewol er 
immer mehr Lärm machte und. für den Augenblid er= 
bigte, als nachhaltig erwärmte und bleibende, unzerſts c 
bare Eindrüde in dem Nationalbemußtfein zuruͤckgelaſſen 
bat. In neueſter Zeit treten uns noch Boͤrne, Jakob 
Grimm, Dahlmann und der Frieſe Uwe Lornſen entgegen. 

| Zrog feiner leidenſchaftlichen Einſeitigkeit, feines Nangeis 
an hiſtoriſchen und politiihen Kenneniffen, feiner Leiche- 
gläubigkeit und feiner gar zu ſpringenden, unzufammert= 
hängenden Darſtellungeweiſe verdient Börne gewiß. Dem 
Namen eines Publiciften und eines fehr einflußreichern 
Pubticiften. Er war der Mothfchrei, der fich der gpreg- 

| ten Bruſt des deuiſchen Volks endlich entrang, und Man 





75 


degreift Teiche, wie damals er ebenfo und nit anders 
fingen konnte. Nicht die einzelnen Wahrheiten, welche 


hat Ah in unferm Volle mit einem Male eine allge: 
meine publiciſtiſche Thaͤtigkeit entwickelt und wenn wir 


Boͤrne fagte, geben ihm feine große Bedentung — er | bis jetzt auch uͤberall nur erſt Keime ſtatt reiſer Früchte 


hat wol mehr Jeriges als Wahres behauptet — ſondern 
der Ton der Wahrheit, den er zuerſt ruͤckſichtslos und 
ſicher wieder anſtimmte, ſtempelt ihn zum wahren Publi⸗ 
chen. Boͤrne mar es, der in einer ſtlaviſchen Zeit, two 
auch die befjern Männer fidy nicht mehr voll umd ganz 
aussufprechen wagten, wo Hofpubliciſten und boctrinaires 
Profeſſocrenthum das oͤffentliche Bewußtſein des deutſchen 
Volks faſt in Schlaf geredet oder an ſich ſelbſt irre ge: 
macht hatten, zuerft wieder ein BBeifpiel freier Sprache 
and unabhängiger Denkweiſe aufſtellte und mit der Sicherheit 
eines ethiſchen Genies feiner moralifchen Entrüftung freien 
Lauf lief. Sein Gegner Gervinus firebt vergeblich, ihn 
in diefer natürlichen, rein aus dem Bewußtſein gefchöpf: 
ten Sprache zu erreichen; bei dem ehrlichften Willen und 
bei unendlich größerer Einſicht in Einzelheiten kann er 
fi doch von Pedanterie nicht losmachen, und vor laus 
ter todter Gelehrſamkeit kann die volle Seele des Indi⸗ 
vidunme, kann ein tüchtiger, einheitlicher Charakter nicht 
immer fiegreih zum Durchbruche kommen. Die Anfos 
derungen, welche Gervinus an den Publiciſten der Ges 
genwert madıt, find die richtigen und wahren; nur ges 
nügt er felbft diefen Anfoderungen nicht, woran früherer 
Büdungsgang, frühere Lebensarmuch Schuld fein mögen. 

Die beiden Meinen Schriften Jakob Greimm’s und 
Dahlmann’s über die handverfche Angelegenheit find 
ꝓubliciſtiſche Meiſterſtucke, in denen der perfönlihe Cha: 
rakter über dem Dbjecte nicht verfchwindet. Erſterer wird 


jedoch ſchwerlich wieder auf diefes Feld zuruͤckkehren, wo: 
bin er nur durch den Drang der Umflände für den Aus 
genblick gefchleudert wurde, und ob Letzterer aus den Schids 
falen der legten Jahre geläutert und gekraͤftigt, in fels 


am publiciflifchen Berufe beftärkt, oder ob er gebrochen, 
für die Publiciſtik verloren, zum gewöhnlichen deutſchen 
deifeſſor herabſinken wird, das wird bie Zeit gar bald 
hen. Es iſt nicht zu verkennen, daß die Welt über 
Dehlmann mandye Gewalt oder manche Verfuchung we: 
aigſtens ausübt, und ſelbſt feine übrigens vortceffliche Bros 
[(Züre iſt nicht frei von manchem Hinterhaͤltigen. 

Die großartigfte Erfcyeinung auf dem Zelde der Publi⸗ 
ciſtik in neueſter Zeit ift unftreitig der Frieſe Uwe Lorn⸗ 
im. Ein ſittlicher Riefe, fchließe er ſich würdig unfern 
größten Charakteren, einem Luther, Stein, Fichte u. ſ. w. 
an. Alle diefe Dinner haben einen gewiffen Typus 
miteinander gemein; es ift die flarke, urfprüngliche Seele, 
die fi) mit Nothwendigkeit auf ein großes, weſentliches 
Ziel richtet; es ift das edelfte, unerſchütterlichſte Walten, 
wie es aus edelſtem Gemüthe und richtigem Verſtande 
ensfpringt. Uwe Lornfen bat fi) in feinem Werke über 
Die Unionsverfaffung Dänemarks und Schleswig. Holfteins 
en Deatmal gelegt, deflen Anfhauung nicht bios den 
Deutſchen nördlich der Elbe, fondern auch den Suͤddeut⸗ 
(den in feiner firtlichen Größe und Schönheit zugute 
kaumen wird. 

Seit dem Tode des vorigen Könige von Preußen 


erbliden, und daneben gar vieles Unkraut, fo ift doch 
nicht zu verkennen, daß der Fruͤhling eines neuen, öffent: 
lichen Lebens gekommen iſt und daB fich auf dem Felde 
der Literatur nach dieſer Seite hin ein allgemeines Re- 
gen und Weben, ein Spriefen und Wachen zeigt, was 
uns endlih auch zu allgemeinern Hoffnungen berechtigt. 
Manche jüngere publiciflifhe Scheiftfteler, wie z. 3. 
Nauwerck, laffen Ausgezeichnete erwarten, zu den tuͤch⸗ 
tigften gehört aber unſtreitig der Verf. dieſes Werks, der 
Advocat Steinader in Holzminden. Eben Das, was 
wir als erſtes Erfoderniß eines jeden Publicifien aufſtell⸗ 
ten, jene völlige Congruenz der Wiſſenſchaft und der Ges 


| finnung, jenes Ineinanderverwachſenſein des fittlichen 


Menden und des Schriftftellers findet ſich bei ihm in 
vollfommenfter Weife. Hier ift keine leere Begriffsdeduc⸗ 
tion, feine todte Gelehrſamkeit, fondern ein frifches, fitt: 
liches Leben weht und an und Eräftigt unfer Bewußtſein 
und bereichert unfere Überzeugung. 

Einen vollftändigen Auszug aus dem Werke zu ge: 
ben, erlaubt theil® der Raum nicht, theils ift dee Inhalt 
defielben fo gedrängt und gedankenreich, daß fih kaum 
etwas Unmefentlidyeres ausfcheiden laͤßt. Wir wollen da⸗ 
her nur Eurz einige Punkte beſprechen. 

Zuerſt fucht der Verf. die Unentbehrlichkeit des Abvo⸗ 
catenftandes zu beweifen und namentlich manche Vorur⸗ 
theile gegen benfelben zu widerlegen. Diefer Anfang iſt 
unflreitig der ſchwaͤchſte, etwas langweilige Theil ber 
Schrift. Man merkt dabei, daß der Verf. felbft prakti⸗ 
ſcher Advocat ift und daß auch er von dem Unweſen 
leiſe influenzirt iſt, vermöge deffen unfere Advocaten in 
Ihren Parteifchriften und Entgegnungen ſich verpflichtet 
glauben, auf jeden Einwand des Gegners, fei er auch 
noch fo Leer und unfinnig, ſich weitläufig einzulafien. 
Übrigens gebt es faft allen unfern publiciftifchen Schrif⸗ 
ten fo, daß fie erft mehre Seiten hindurch etwas falba: 
dern, bis fie in den Kern ber Sache eindringen und fe: 
bensvoll zu arbeiten anfangen. Nur ſehr Wenige ver: 
ftehen «8, gleich von vornherein mitten in den Gegenfland 
bineinzufpringen. In dieſer Kunft find uns Franzoſen 
und Engländer noch weit überlegen. Gobald aber der 
Verf. auf die Mängel des heutigen Advocatenflandes 
übergebt, fommt er fchon mehr en verve; feine Schilde⸗ 
sungen werden fiharf und lebendig. 

Leider muß man befennen, daß eine große Menge Abvocas 
ten burch den materielliten Gigennug, durch Feilheit der Gefins 
nung, durch widerliche Rabulifteret, durch bersitwillige und em⸗ 
pörenbe Dienftfertigkeit gegen alle ungerechte, wie gerechte Zus 
muthungen, durdy ekelhafte Kriecherei und Speichellederei gegen 
Hoͤherſtehende, ſowie durch brutale Infotenz gegen Solche, von 
welden nichts zu erwarten ift, ihren erhabenen Beruf auf eine 
abſcheuliche Weife entehren; leider ift es eine Thatſache, daS in 
feinem Stande (? — auch nicht bei der Geiftlichkeit?) ber buͤr⸗ 
gerlichen Gefellfchaft ſich fo viele niedrige, gemeine Gefinnung, 
o viel Sefühllofigkeit gegen die Leiden der Menfchheit, fo viel 
moralifche Unzuvertäffigkeit und ſchmudiger Egoismus findet, ale 
in dem der Advocaten. 


26 


Sodann kommt Gteinader zu den Urſachen biefe 
Verfalls. Die Regierungsmarime, bie 
in den legten Saprbunberten faft hiſtoriſch geworden iſt, nad 
welcher Freiheit des Willens überhaupt nur als ein Reſervat 
der Staatögewalt betrachtet, den Staatsangehörigen aber von 
diefer ein in die kleinſten Detalls gebender hiſtoriſcher Schut 
verlieben. wirb, und nad) weicher die Staatsgewalt ſich für bes 
rechtigt Hält, die ihr untergebenen Individuen um ihres eigenen 
Beften willen in der Freiheit der Entfchließung und ber Ber: 
fügung über ihr Eigenthum zu befchränten, — 
unter dieſer empörenden, unchriftlihen Marime bat das 
Verhättmig der Advocaren und ihre moralifher Zuftand 
vor Allem gelitten. 

Menn man das Erziehen und Regieren durch bloßes 
Berbieten und Strafen bei Individuen und Völkern Uber: 
haupt nur in den Bufländen der Kindheit und Roheit 
uläffig finden kann, dagegen alled eblere und gebildetere 

ufammenleben der Menfchen ficher auf freie Leiftungen, 
auf freien Beruf und geiftigen Zrieb begelinder tft, Dinge, 
die durch den Stod und dergleihen Strafen nicht befoͤr⸗ 
dert, fondern im eigentlichften Sinne abgetödtet werden, 
fo ift es freilich völlig unbegreiflih, wie man auf einen 
Stand je diefe Mafregeln hat ausdehnen können, deſſen 
ganze Thätigkeit alten auf freier Geiſtigkeit und innerer 
Anfttengung beruht. Was würde man dazu fagen, wenn 
man den Dichter bei namhafter Geldſtrafe beföhle, im 
einer beflimmten Zeit ein gutes Gedicht zu machen? Was 
würde man dazu fagen, wenn die WBortrefflichkeit eis 
ner Predigt nach der Menge der Zeilen und Buchſta⸗ 
den abgemeffen werben follte? In der Xhat, die Anwen: 
bung von Scharffinn und Beredtfamkeit, die Anwendung 
von Studium und Fleiß bei Abfaffung der Rechtsſchrif⸗ 
ten läßt fi) ebenfo wenig mit Gewalt erzwingen, wie 
Rechtsſinn, Umficht, Dienfchenliebe u. f. w., und ohne biefe 
Eigenfhaften ift Eeim guter Advocat denkbar. Ehre und 
Freiheit find die beiden einzigen Bebingungen, unter Des 
nen fie ſich entfalten Einnen, und nimmt man biefe und 
fest an deren Stelle Drohung, Knechtfchaft und Unehre, 
fo braucht man ſich nicht über die nothwendige Kolge der 
Depravation zu wundern. Dadurch aber, daß die Staats: 
gewalt vorzugsweife den Abvocaten als Beutelfchneiber und 
Betruͤger überwachen zu muͤſſen glaubte, hat fie nicht nur 
die edlern und freien Beſtrebungen unterdrüdt, fondern 
fie hat ihn recht eigentlih zum Kampfe mit dem Ge: 
fege und zuc Umgehung defjelben inftigirt, fodaß eben jene 
Beutelfchneiderei u. ſ. w. erſt recht hervorgerufen find. 
So wiederholt fi auch hier das Geſetz in der moralis 
ſchen Weltordnung, daß falfhe Mittel eben das Gegens 
theil von Dem erzeugen, was fie hervorbringen wollen. 
Steinader zeigt auf fchlagende Weife, wie 3. B. durch 
das Ausfchliefen der Advocaten von gerichtlichen Verbands 
Nlungen bei Bagatellfachen, bei Ablöfungen und Gemeinde: 
theilungen u. f. w. diefe nun eben die heimlichen Zuflüfterer 
und Rathgeber werben, die nun jeder Controle enthoben find. 
Er zeigt, wie jene Überwachung der Advocaten, vermöge 
ber ihre Leiftungen nach Zeile und Buchſtaben berechnet 
werden, eben zu unendliher Weitläufigkeit, Oberflächlich: 


keit u. ſ. w. verführt hat. Er zeigt ferner, wie in Preus | b 
Berantwortliher Deraubgebir: Heinrich Broddaus — Druck und Verlag von F. X. Brodbaus in geipzig. | 


Sen, einem Staate, wo ber Adrocat noch unchrenvoller 
geſtellt iſt als in andern Ländern, eben bie Verpflichtung 
der Juſtizcommiſſaire, über ihre ‚vertraulichen Verhandtuns 
gen und mit ben Glienten Protokolle aufzunehmen und 
felbe ben Richtern zur Einfihe zu geſtatten, dieſe zur 
abfichtlichen Verfaͤlſchung derfelben zwingt. Er weiſt 
nach, wie die Abhängigkeit des Advocaten vom Nichter, 
zumal vom Unterrichter, denſelben nothwendig kriechend 
und ſervil machen muß u. ſ. w. Um das ganze Elend 
unſers deutſchen Advscatenwelens in einem Bilde recht 
sufammsengefoßt zu fehen und um zugleich bie Gruͤnde 
und Motive deutlich zu erkennen, weshalb es fo gewors 
den fei und fo werden mußte, nehme man das Buch 
ſelbſt zut Hand. Wir wollen bier nur noch kur Stein 
acker's Vorſchlaͤge zur Abhilfe andeuten. 

Diefe beziehen. ſich faft ſaͤmmtlich auf Hebung bes 
Öffentlichen Bewußtſeins und des Rechtsfinnes im Volke 
überhaupt. Steinader bat volllommen recht, wenn er 
ben Advocaten nicht als ifolirte Erſcheinung betrachtet, 
ſondern feinen ſittlichen Zuſtand mit dem ſittlichen Zus 
ſtande des ganzen Volks in Zuſammenhang fegt. Auch 
bei jedem andern Stande ließen ſich die moraliſchen 
Krankheiten nachweiſen, bie ſich duch das Syſtem der 
Unfteiheit entwickelt haben. Jeder Stand, alſo auch der 
des Advocaten, ſteht mit dem ganzen Volke in engſter 
Wechſelwirkung. Was ben Zuſtand des einen hebt, hebt 
ben des andern. Ohne Rechtsſinn im Volke Erin Rechts: 
finn beim Advocaten und fo umgekehrt. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Br ee a 

or kurzem ift beim frangäfifchen Miniſterium bes Unter: 
richts ein ausführlicher Bericht des bekannten Reifenden Ziffter, 
der auf Koften dev franzöflfchen Regierung Kieinafien bereift, 
eingelaufen. Wie es fcheint, darf man ſich von biefer wiffene 
ſchaftlichen Expedition, die beſonders die Tempelruinen zu 
Magneſia zu beruͤckſichtigen hat, bedeutende ardyäoloaifhe Ente 
deckungen verfprechen. Der gegenwärtige Minifter des öffentlichen 
Unterrichts wendet feit einiger Seit den wiffenfhaftiihen 
Entdetungsreifen eine befondere Aufmerkſamkeit zu. Er if 
beſonders glüdtik in der Wahl der Gelehrten, denen er foldhe 
umfaffende Unterſuchungen aufträgt. So verdient die Sendung 
eines jungen Drientaliften, Charles d'Ochoa, der in biefen Zas 
gen von Paris abreift, befondere Billigung. Derfelbe begibt 
fih nad) Gentrafafien und wird namentich die nordweftllih von 
Hindoſtan gelegenen Länder burchforfchen. 


Dr. von Avezac, Mitglied der Geographiſchen Geſellfcha 

zu Paris, hat dem frangdfifchen Miniſter des Kriegs eine ee 

intereffante Abhandlung überreicht, in der er das Syftem der ſo⸗ 

genannten Römerftraßen Im alten Numidien und Nauritanien 

auseinanderfegt. Er nimmt dabei befonders Rüdfiht auf das 
Verhaͤltniß derſelben zur gegenwaͤrtigen Beſetzung dieſer Gegen 
den. Dieſe wichtigen Straßen werden, ſo weit man bie jest 
ihre Spuren bat auffinden koͤnnen, in drei verſchiedene Arten 
eingetheilt. Zur erſten gehören eine ununterbrochene Linie, bie 
am Meere entlang läuft, und mehre directe Verbindungen Ger= 
ſchiedener Seeftädte. Das zweite Syſtem ift eine Straße, Die 
ſich parallel mit der zuerft erwähnten giebt, bie fi) aber aa 
Dften zu in verfchiedene Beitentinien verzweigt. Die dritte Axt 
bilden bie verfchiebenen kleinern Straßen, welche bie beiden 
groben Hauptwege untereinander an verfchiebenen Stellen Ber: 
inden. 








Blätter 


für 


Sreitag, 


—— KR. 20. —— 


literarifhe Unterhaltung. 


20. Sanuar 1843. 





Die Aufgabe des Advocatenftandee. 
Beſchluß aus Nr. 19.) 
Steinacker's Vorſchlaͤge find folgende: 1) Einfuͤh⸗ 
rung neuer buͤrgerlicher und peinlicher Geſetzbuͤcher, mo «6 
daran fehlt. 
Sch das Recht wieder populair werden, foll ein Eräftiges 
efühl, weldyes andere Völker, namentlich das englifche, 
fo ſehr auspeichnet und hoch hebt, bei uns wieder einkehren, fo 
wirb Jeber zugeben, daß das bei dem jehigen Stande unferer 
Zurtäpruden, und der Gigentbümtidhleit ihrer Quellen eine 
reine Unmdglihtett ik. Freilich würde es abgeſchmackt fein zu 
fodern, daß alle Staattangehoͤrigen eine vollftändige, bis in bie 
kleinſten Ginzeifeiten beingende und genugende Kechtskenntniß 
haben müßten, und zu glauben, daß fidy ein ſolcher Zuſtand ber 
allgemeinen jrriſtiſchen Bilbung durch neue Rechtsbuͤcher erreis 
dien liche, was natürlich nur bei einer dem robeflen Culturzu⸗ 
ande entſprechenden Einfachheit (und auch da nicht; die größere 
Sinfachbeit wird durch die mangelhafte Bildung, durch die Nichts 
entwidelung ber Kechtsſeele wieber aufgehoben. Das Recht der 
Diaheiter oder der Kaffern iſt für diefe gewiß noch fobiflinifcher 
und ſchwankender wie das unferige für uns) des Rechtsſyſtems 
ber bei einer allfeitigen gründtich wiſſenſchaftlichen Erlernung 
deſſelben möglich wäre; dahin aber fann und wirb man das 
decch gelangen, daß wir ein Recht erhalten, welches ber Auss 
we unferer wahren felbfigefühlten Bebürfniffe iſt; ein Recht, 
wies in feiner andern Sprache redet als in der vaterlaͤndi⸗ 
‚, defien Quellen auch den Laien menigftens zugänglich find 
mb deſſen Entſcheidungen das Volk nicht ale Drakelfprüche bes 
kodten muß, deren siffenfchaftlidde Nothwenbigkeit ihm ebenſo 
vis begreiflich iſt als die infpiriende Kraft des Dpferrauds 


L 
Ref. geſteht, daß dieſes faft die einzige Anficht Im 
ik, die er nicht als feine eigene Überzeugung un: 
tfhreiben kann. Steinacker deutet ſelbſt an, daß wir 
fon ſolche neue bürgerliche und peinliche Geſetzbuͤcher 
in verſchiedenen deutſchen Staaten haben, wie er verlangt. 
Vehlan, entfprechen diefe denn feinen Foderungen? Ha: 


"be fie die Wirkungen hervorgebracht, die er ihnen zu: 


Maris? I z. B. durch das Preußiſche Landrecht das Recht 
beim Velke populairer geworden? Iſt es wirklich das Pro: 
duct der eigenthuͤmlichen Anſichten und der wahren, ſelbſt⸗ 
gefaͤhlten Beduͤrfniſſe des preußiſchen Dolls? Schwerlich 
wird er das im Ernſte behaupten koͤnnen. Wenn wir 
au damit übereinflimmen, daß wir nach einem folchen 
Sefepbuche, wie es ber Berf. wuͤnſcht, ale nach einem 
ihten Ziefe zu fireben haben, wenn wir auch der Übers 
jengung find, daß dieſes Ziel zu erreichen fei, fo glauben 


wir doch nicht, daß ein ſolches Geſetzbuch fo ohne Wels 
teres zu machen fei, felbft dann nicht, wenn die beften 
juriftifchen Kräfte zu diefer Arbeit fich vereinigten. Soll 
das Geſetzbuch wirklich Ausdruck unferer Sinnesweife und 
unferer wahren, feibfigefühlten Beduͤrfniſſe fein, fo muͤſſen 
diefe ſich erſt in einem Öffentlichen und freien Leben ents 
widelt und Mar berausgeflellt haben. In unferm jetzi⸗ 
gen Zuſtande fpredhen wir allerdings unferm Wolfe mit 
dem Juftizminifter von Savigny den Beruf zu einer alls 
gemeinen, erfchöpfenden Geſetzgebung ab; aber wir weis 
hen darin von der Anſicht dieſes gelehrten Herrn aufs 
entfchiedenfte ab, daß wir nice wie er diefen Beruf volls . 
fländig und abfolut Ieugnen. Wir halten den Beruf 
unferee Zelt zur gänzlihen Umgeftaltung unferer Geſetze 
für ganz unzweifelhaft und glauben, daß ein Innerfles, 
unabweisliches, gefeugeberifche® Streben eben der Grunds 
charakter derſelben if. Freilich aber muß biefes Streben 
mit der Entwickelung unſers ganzen Öffentlichen und fos 
cialen Lebens Hand in Hand geben; die einzelnen Ma» 
terlalien zu dem Llnftigen Geſetzbuche muͤſſen fich durch 
unfere nächfte Geſchichte erſt berausftellen, das Lebendige 
muß fi erft von dem Todten erkennbar ſcheiden, ehe 
wir es zufammenftellen und ordnen können. Es iſt auf: 
fallend, daß Steinacker, der fonft den engen Zuſammen⸗ 
bang unſers Rechtszuſtandes mit unferm ganzen oͤffent⸗ 
lichen Leben zugeftcht und der ausdruͤcklich 5. B. das oͤf⸗ 
fentlihe Berfahren ohne freie Preffe und diefe wieder 
ohne Repräfentativregierung für unmöglich erklärt, wie 
er eben die Bildung eines allgemeinen Geſetzbuches nicht 
auch von allgemeiner Öffentlichkeit in jeder Beziehung, 
von einer völligen Smancipation des Volklebens von dem 
Spfteme der Heimlichkeit, Unfreibeit und Bevormundung 
abhängig macht. Könnten wir fhon ein genügendes Geſetz⸗ 
buch erzeugen, fo wären wie ſchon frei und Alles, was 
wir noch zu erftreben haben, wäre ſchon ba. 

2) Noch viel wichtiger aber für die Sicherſtellung bes 
Rechtezuftandes und dabei von unmittelbar entfcheidenberm Ein⸗ 
fluffe auf die Stellung bes Advocaten iſt die Ginführung einer 
dffentiihen und mündlichen Rechtspflege. 

Auf eine flegreihe und ganz evidente Meile zeigt 
Steinader bier, wie eben Öffentlichkeit und Muͤndlichkeit 
die erſte, nothwendige Bedingung fei, um den in Geiſt⸗ 
loſigkeit, Erſchlaffung und moralifchen Tod verſunkenen 


[4 


Stand der: Advocaten aufs neue zu beleben, zu neuer 
moralifcher Anftrengung, zur Entwidelung von Eifer und 
Geift anzureigen. Den Vorwurf, dag mlndlihes Verfah⸗ 
ren Oberflächlichkeit der Debatte und des Richterſpruchs 
befdedere, wendet er auf’ das heutige heimliche Verfahren 
in den Acten aufs gluͤcklichſte zurüd. Es if in ber 
That unbegreiflich, wie man nicht einfehen kann, daß bei 
einer Öffentlichen Controle des ganzen Volks, bei Trieb⸗ 
federn, die alle eblern Neigungen des Menfchen in Ans» 
fpruch nehmen,. Ruhm, Hochachtung feinee Mitbürger, 
Furcht vor allgemeiner Schande u. f. w., fih nicht alle 
Mechtsträfte, die nur überhaupt in den Individuen des 
Advocaten⸗ und Richterſtandes Liegen, aufs voliftändigfte 
entwideln müffen. Unbegreifli iſt es, wie man glau⸗ 
ben tahn, daB Parteien und Volk fih auf die Länge 
dur unmiffende Schwäger und Phraſenmacher an ber 
Male herumführen laffen würden. Dagegen läßt ſich 
ohne Unbilligkeit behaupten, dab der Sünden ber Nach⸗ 
laͤſſigkeit, der Unwiſſenheit, der Chikane und Lüge, welche 
adjährlih in den Acten begraben werben, unzählige find. 
Es laͤßt ſich ohne Unbilligkeit behaupten, daß die meiſten 
unferer Advocaten und Richter moralifh und wiffenfhaft: 
lich an dem heimlichen fchriftlichen Verfahren zu Grunde 
geben, und baß ſelbſt die Ausgezeichnetern unser ihnen 
nie die Stufe der Ausbildung und Vollendung erreichen, 
auf welche fie durch die Triebkraft der Öffentlichkeit gehoben 
werden würden. An den Berryer und Hennequin, den 
Brougham und D’Connell wird es une fo lange feb: 
ien, als wir unfer Gerichtsverfahren nicht auf eine na⸗ 
tuͤrlichere, dem moralifchen Weſen der Menſchen ange: 
meffenere Weiſe einrichten. Sowie jede Pflanze ohne 
Liche verfünmert, fo muß jede Öffentliche Einrichtung, 
bie außer Contact gefegt wird mit der öffentlichen Mei: 
aung, auf die Länge verkruͤppeln und vergehen. Das iſt 
ein fo unzweifelhaftes, göttliches Geſetz, als Überhaupt 
nur irgend eines von und Menfchen etkannt werden 
kann. Aber freilich, unfere Machthaber, die ſtets Reli» 
gion im Munde führen, find zu verbildet, ihr Blick iſt 
durch Hochmuth zu fehr getrübt, als daß fie in Demuth 
den einfachen Willen Gottes erkennen koͤnnten. 
Steinader ift übrigens der Anficht, daß fo lange für 
Einführung des Öffentlichen Serichtöverfahrene Beine Aus: 
Acht vorhanden, als bis uͤberhaupt das conftitutionnelle 
Spftem in Deutfchland volllommen zum Durchbruche ge: 
kommen und eine Wahrheit geworden fe. Allerdings 
find Öffentliches Gerichtsverfahren, freie Preffe und auf: 
richtige Mepräfentativeegierung organifche Glieder eines 
Spftems, die fich gegenfeitig bedingen und welche — bei 
heutigen Culturzuſtaͤnden — nicht ohne einander beftchen 
Zönnn. Dennoch flimmen mir mit Steinader nicht 
ganz überein, wenn er als einziges Mittel zur Erlangung 
des öffentlichen Verfahrens feinen Amtsbrüdern die Er⸗ 
singung einer wahren Gonftitution bezeihnet. Man kann 
gewiß ebenfo gut die Sache umdrehen und Einführung 
des öffentlichen Verfahrens als Borläufer conflitutionnel: 
ler Berfaffungen betrachten. Ein vollendetes, gänzlich 
ausgebildetes Syſtem [pringt überhaupt nicht mit einem 


‚lität u. ſ. w. gebunden. 
heimliche Gerichtsverfahren reichen unſere Kraͤfte vielleicht 


28 


Male in die Wicktichkele hinein; noch weniger laͤßt ſich 
annehmen, daß unfere Machthaber mit einem Dale uns 
damit beſchenken werden. Was ber eigentlich fogenannte 
logiſche Bang fei, ob wir erſt freie Preffe, oder erſt Ver⸗ 
faffung u. f. w. haben müßten, iſt eine ziemlich muͤßige 
Unterſuchung. Das Leben bindet ſich nicht an biefe Res 
geln, die der Menſch in feiner Kurzſichtigkeit fo gern auf: 
ſtellt. In feinem Schaffen nimmt «6 fi allerlei Frei⸗ 
beiten, bald fängt es von oben an, bald in der Mitte, 
bald unten. Uns bleibt nichts Anderes übrig, ale es 
anfmerkfam zu beachten und jeden Keim, jeden Moment 
zu benugen, mo wir Öelegenheit haben zu Handeln. Wenn 
wir überhaupt wiffen, daß das Eine das Andere bedingt 
und daß aus dem Einen das Andere fi entwideln muß, 
fo dürfen wir nicht eigenfinnig unfern felbft ausgedachten 
Operationsplan verfolgen, fondern müffen und dem Plane 
anfchließen, den uns Leben und Geſchichte zeigen. Ganz 
gewiß ift ein der Idee genügendes Öffentliches Verfahren 
heutzutage ohne freie Preffe und ohne conflitutionnelle Ver⸗ 
faffungen nicht denkbar. Ebenſo wenig aber auch eine 
wirklich lebendige Verfaffung ohne oͤffentliches Verfahren. 
Wenn wir uns daher nicht In einem unfruchtbaren Cir⸗ 
kel herumdrehen und ewig warten wollen, bis alle unfere 
logiſchen Borausfegungen in Erfüllung geben, fo bleibt 
nichts übrig als auf irgend einem Punkte der Peripherie 
vorläufig Pofto zu faffen, und fei er auch noch klein und 
unbedeutend, uns hier feftzuftellen und von dort aus an 
Vollendung des ganzen Kreifes zu arbeiten. Diefen. 
Punkt können wir uns aber nicht wählen, fondern ber 
Moment führt ihn uns zu. Wenn wir Steinader recht - 
verflanden haben, fo würde er 3. B. vielleicht die Des 
mühungen der würtembergifchen und ſaͤchſiſchen Kammer 
um Einführung des öffentlichen Verfahrens als unzwed: 
mäßig betrachten und dagegen mehr allgemeine auf Die 
Berfaffung Deutſchlands Bezug habende Fragen zur Ent- 
fheldung zu beingen wünfhen. Wir halten biefe Anficht 
für irrig; und iſt es einerlei, auf welche Weiſe zuerft 
Brefche in die feindliche Feſtung gefchoffen wird oder wo 
man Sturmleitern anfegt; uns iſt der nächfte, gelegenfle 
Puntt der liebfie. Manche Operation wäre vieleicht ent⸗ 
fheidend , aber man iſt an feine Truppen, an Loca⸗ 
Für einen Feldzug gegen das 


eben bin; für einen Feldzug, der den Feind aus allen 
feinen Pofitionen mit einem Male herauswürfe und ihn 
gänzlich zernichtete, möchten wir derweilen noch zu ſchwach 
fein. | 8. von Florencourt. 





Beitrag zur Charakteriſtik Karls V. 

Der Charakter Karl's V., des Fürften, welcher an der 
Drenje des Mittelaiters und ber modernen Weit ſteht und, auf 
die höchften Gipfel des Lebens geftelt, am meiften allen Stroͤ⸗ 
mungen bes beranbrechenden Morgens ausgefegt war, ohne daß 
er in feiner Stellung allen Folge leiften konnte, bes Fuͤrften, 
auf welchem die Augen ciner alteh und einer neuen Welt beob⸗ 
achtend zuhten, ohne daß er der einen ober der andern zu ge: 
nügen vermochte, hat von jeher bei den Hiſtorikern für ein 
Problem gegolten und zu mandem Zwieſpalt der Meinungen 


Gier einen Beitrag zur Sharafterifit Karl’s V. 


70 


Beranlafſung gegeben. Bekannt find unter ben Neuern tie 
Urtheite Raumer's und Ranke's über ihn, des Grftern in bem 
erften Bande feiner „Geſchichte Europas feit dem Gnde des 16. 
Jahrhunderts“, des Zweiten im erſten Bande der „Zürften und 
Sdiker von Suͤdeuropa im 16. und 17. Jahrhundert”, bride zus 
gleich bezeichnend für die gefammte Auffaffungs : und Darflellungs: 
weile diefer Gefchichtfchreiber. *) Raumer ftellt bie Ausfagen von 
Zeitgenoffen nebeneinander und überläßt es bem Lefer, biefe in 
Übereinflimmung zu bringen und in Einem Bilde zu ver 
theilen; ante fucht mit feiner kundigen Hand bie einzel 
nen überlieferten Züge in einem feinen Portrait zu dereinigen, 
freilich nicht immer mit Entfchiebenheit der Farben. Wei ben 
Urtheilen der ZBeitgenoffen über den Kaifer müffen wir haupt⸗ 
ſaͤchtich den Geſichtspunkt innehatten, wie biefelben durch ihre 
verſchiedene Nationalität dieſem gegenüberflanden. Für uns 
Deutſche müffen natürlich die Urtheile gleichzeitiger beutfcher 
Schriftſteller am bedeutendften erfcheinen. Ranke gewinnt aus 
diefen das Refultat: „Was hatte er, um ben Deutfchen zu ge: 
fallen? Seine Natur war nicht fähig, ſich zu jener treuherzi⸗ 
gen Offenheit zu entwideln, welche unfere Nation an ausgezeich⸗ 
neten und hochgeſtellten Menſchen zu allererft anerkennt, Liebt 
und verehrt.” Edenſo: „Während die Italiener feine Einfach⸗ 
heit preifen, wenn er unter einem glänzenden und reichgekleide⸗ 
ten Gefolge felber in einem unſcheinbaren Mantel in ihre Städte 
einritt, fanden die Deutfhen auch an foldhen Dingen etwas 
auszfegen u. |. w.“ 
Hauptfähli in Beziehung auf dieſe Zußerungen laſſe An; 
gen, 
welchem Har wird, daß ihnen wenigflens feine unbedingte 
Wahrheit zuzuſchreiben if, und daß es allerdings auch Deutfche 
gab, welchen bie Berabtaffung und Freundlichkeit ihres maͤchti⸗ 
gen Kaifers ans Herz ging und ein Gefuͤhl ber Ruͤhrung ber: 
vorrief, weldyen die Einfachheit, ſogar Armiichkeit feiner Klei⸗ 
. dung wol auffiel, aber fie durchaus nicht zu haͤmiſchen Bemer⸗ 
Pungen veranlafte. Es ift dies eine Stelle der handfchriftiichen 


Shronif von Schwäbifch: Hall, welche ber Pfarrer Johannes 


Herold hinterlaffen bat und welche häufig wegen bes in Georgii 
„uffenhe imifchen Nebenftunden” (S. 149 — 174) abgedruckten 
Bruchftuͤcks, den Bauerntrieg, hauptſaͤchtich in Franken und 
Schwaben, betreffend, citirt wird. Auf S. 276— 281 bes 
Erempltars, welches tem Ref. vorliegt und eine durch den 
Schulmeiſter Matthaͤus Juͤngling im 3. 1623 gemachte Abs 
ſchrift iſt, wird über den „Kaiſerlichen Ginritt” in Hall bes 
tet. Karl V. hatte naͤmlich am Anfang des Januars 1541 
Belgien verlaffen (am 24. Februar 1540 war er, nad dem 
mertwärbigen Befudye bei König Franz in Paris, in dem uns 
rufigen Gent angelommen) und begab fi nach Regensburg, 
webin Granvella am 15. Januar, nach erhaltenen Briefen 
vom Kaifer, die der Religion megen zu Worms verfammelten 
Abgeordneten der deutfchen Fürften geladen hatte. Kari kam 
auf feiner Reife dur Metz, durch Speier und berührte von 
da auf ber Weiterreife u. a. denn au Ball. Auch nach Ruͤrn⸗ 
berg gelangte er auf ber fernern Fahrt, wo er bisher noch nie⸗ 
meld efen war, und wurde, wie Sieidan erwähnt, in ber 
alt Uch⸗ prächtigen Stadt mit dem größten Gepränge aufı 


genommen. ”*) 
unmittelbare Bedeutung hat der bier mitzutheilende Bericht 


“, Ref. wi hiermit keineswegs dad Urtheil unterſchreiben, 
weieh in den „Deutſchen Jahrbüchern“ (1A, Mai, Ne. 10 — 110) 
äber Ve Auffoffung und Darftelung ber genannten Hiſtoriker ein 
Ungenanater in bem Auffase „Die berliner Hiſtoriker“ fällt, Die 
Sarbe der Partei ſchlaͤgt in demſelben ſtark vor; doch bat es auch, 
Bei aller Hochachtung für jene beiden Männer ſei's gefagt, an wah⸗ 
zen und treffenden Bemerkungen keineswegs Mangel. 

») Bjelden. de stata rel. et reipubl. (Argent. 1561, ©. 281.) 
Der Kaiſer kam nach vollbrachter Reiſe einige Zeit vor den Fuͤrſten 
ser deren Abgeſandten in Hegendburg an und erwartete dieſe, deren 


Rehrzahl im März eintraf, 


von dem Ginritt Kara V. in Hall allerdings nicht. An fols 
Gen Beſchreibungen der Empfangsfeierlichfeiten hoher Haͤupter 
baben unfere Archive, gedruckt und handſchriftlich, haufig fogar 
in Berfe gebracht, Überfluß; auch in den Ghronifen am Sch! 
des Mittelalters und fpäterbin, vornehmlich in ben Staͤdtechro⸗ 
niten, nehmen jene eine bedeutende Stelle ein. Ja, wir befigen 
fogar, wie befannt, eigene, prächtig ausgeſtattete Bücher, welche 
einzig ſolche und aͤhnliche Feſtlichkeiten *) zum Gegenftande ha⸗ 
ben. Unſere Befchreibung .von dem kaiferlichen Eintritt in Hall 
nimmt ihr Intereffe allein von der Individualität des Kaifers, 
und ba unſtreitig einige für dieſe bezeichnende Züge aus dem 
naid« breiten Gerede ſtaͤdtiſcher Gitelkeit hervortreten, fo möge 
fie immerhin in getreuer Abſchrift bier folgen. 

„Anno Dani 1541: am 11. tag des Hornungs, welcher 
war ber Freytag dor der verbobtenen Zeit ( Faften), iſt Kayßer 
Garll der Fuͤnnfft, ein geborner Ertzhertzog auß Öfterreih, Kb 
nig Inn Hyſpania, zu Hall eingeritten mit 400 Pferbten, einem 
felgamen geſindt; findt die vonn Hall mit 49 Pferbten entgegen 
geritten, dennen hat man ſchwartze muͤtlen (prov. Jacken, Burze 
Koͤcke) gemadt, ann dem einen ermel gelb vnd rodt ſeyden 
eingenaͤhet. mit dieſen pferdten iſt Conradt Buͤſchler, Alter 
Stadtmeiſter, Mardtern Wurtelman, Stadtſchreiber, Chryſtoph 
Daß, gang Schwartz, als die Laid tragen, geritten, Kap: 
Mayt: Zugefallen,, dieweil fie Laydt vmb ir gemahl trugen. **) 
Dißen Dreyen find Philipps Buͤſchler vnnd Eßel Sprenger, 
vnnd Jedem ein Schienbub, alß Hauptleudten mit ſchoͤnnen 
derbuͤſchen woll heraußgeſtrichen, nachgeritten. Diße alle find 
gen Weſternach zu dem Lanndhauß geritten, zu der euͤßern 
wehren; alſo find die Drey, der Städtmeifter, Stadtſchreiber 
vnnd Ghriftoph Haß vonn denn pferbten geftiegen, zu dem Drid⸗ 
tenmabı ſich genaiget, ba hat Kay. May. ſtyll gehalten, bat 
der Stadtfchreiber fein Mayt. Lateinnifch empfangen, vnnd denn 
ſchluͤßel zu dem Lanndthurm vbergeben, mit Anzaigung wie 
dieße Lanndſchafft mit grund vnnd boden fein fey, auch geböbten 
zu uerordnen, wo fie reidten follen. nachdem aber die vonn 
Dal Kay. Mayt. empfangen, teungen die vonn Hohenlohe fort 
(drangen vor — in Streit und Ciferſucht mit ‚Hall begriffen ), 
dann fie Kay. Mayt. audy begieibten; darauf Kay Mayt. ver 
ordnet, das Die vonn Hall allernechft vor Ime fein geritten, 
biß gen Hal zu bem Gelbingen thor. vor bemfelben ift geftan: 
ben Michael Schletz, Städtmeifter, mit anndern bes Ratbs, bat 
Kay. Mayt. Zeutih empfangen. Darnach haben zwen Alte 
männer des Güßern Raths Kay. Mayt. die Schlüßel vderant⸗ 
worbtet zu der Stadt, bat Kay. Mayt. dem Städtmeifter die 
Haund gebodten, vnnd bie Schlüßel wibergeben. als bald ſich 
vier gefunden, darzu verorbnet, Inn Mardtern Schauben 
( Marder: Schauben — Schaube: Mantel, Überwurf; — franz. 
jupe), Zwen des Innern, vnnd Zwen des Euͤßern Raths, ba; 
ben ein fchwargen Damaftin Himmel gehabt, darann ein guͤl⸗ 
bener Abler gemahlet, denn vber ben Kayßer geworffen; darun⸗ 
ber fein Kay. Mayt. eingeritten. ***) viel Zromedter, bie doch 





) as ſich der Glanz ber Höfe unter Ludwig XIV. auf das 
hoͤchſte Heigerte, mußte aud darauf gefonnen werden, für fie eine . 
bitorifhe Literatur zu gründen; und Feſte find belanntlich bie Tha⸗ 
ten und Greigniffe der Höfe. 

») Iſabella, Tochter bed Königs Emanuel von Portugal, dem 
Kaifer vorm. 1596, fi. Mai 1530, Sleidau, ©. Mi Die Trauer 
des Kaiſers dauerte demnach lange. 

»ee) Gin beſonders feierliher Gmpfang war u. a. dem Kaiſer 
am 15. Juni 1890 zu Augsburg bei feinem Binzuge zum Reichttag 
geworben. Die Kurfürften kamen ihm vor ber Stadt zu Fuß ents 
gegen u. f. wm. Auch bier ein Thronhimmel m. dergi. m. Secken- 
derf. comment. de Luthoran., EI, 108; vergl. au Raumer, 1, 486. 
Bemertendwertd iſt, daB bei dieſem Einzuge fi ſchon protefians 
tifde Stimmen regten, indens nämlid die Kurfürflen nicht wollten, 
daß der päpftlihe Legat, Garbinal Gampeggio, neben dem Kaifer 
zeite, wie er es beim Ginzuge in Dünen gethan. Andere Darts 
naͤckigkeit in Äußerlichleiten bei Raumer a. a. D. 


nit geblaßen , ſindt vorher geritten, vnnd fein Herolbt denn 
en Adler vnnd ſchwert vor her gefäbent. Kay. dent. iſt 
dar ſchlecht in einem fihmargen Mod vnnd Fuͤlthuet geritten, 
fein Seyden noch gold, außgenommen das güldin Lamblein (gol⸗ 
dene Vließ), ann Im gebabt. mann bat bie Drey großen 
oden gelidten; es findt aber die SO mann in voller Stüflung 
ehr woll gebugt vnnder bem Thor geftanden. Kay. Mayt. ift 
An Hermans Buͤſchlers Hauß eingeritten, alba ober nacht ge 
‚, da bat mann Ihme etlich gölbten mit heut vnnd Kars 
ofen *) für das Lofamendt getragen, zwen wägen mit habern, 
ein wagen mit wein darfür geführt, vonnb Kay. Mapt. ann 
dem Fenſter liegent bat folches feiber gefehen. ferner hat ein 
@. Rath Kay. Mayt. ein gant güldene Schnuͤren **) voller 
gold verehret, darauf fein Mapt. ſich erbobten, er woll Ihnen 
ein gnaͤdiger Herr fein, vnnd fie follen ſich alles gutö zu Ihme 
verfehen. ***) Des anndern tags bat Kan. Moyt. denn Staͤdt⸗ 
meifter beſchickt onnb befoblen, follen vmb Ayıff Shr uff 
denn Platz khommen, vnnd Ihme wegen bes Reiche hulden vnnd 
ſchweren. Da beforgt fi ein gemeine Stadt, mann wurde 
Ihnen ber Religion balber etwas ein Aydt zumuthen. Dann 
Kay. Mayt. hatte kuͤrtzlich zuuor Inn feinen Erb Länndern 
ein bäfftiges Godict (Edict) wider die Guangelifchen vnnd Eur 
theriſchen, Zwingliſchen vnnd wibertauffer lagen aufgehen, vnnd 
Ihre Buͤcher, in truck außgangen, zu uerbrennen beſohlen +), 
auch alle fo dißer Gecten einer annhang (en) vnnd nit wibers 
suffen wollten, zu Todten. bat doch Bott ber Herr, der bed 
Königs berg in feiner handt hat, gnad geben, bas Deren ſachen 
nie gedacht, wiewoll etlich Babiſten gen Hall geloffen, mit fros 
loden, vermeint, Johanni Brengen, dem Pfarr Derren, onnd 
anndern bie Köpff abfchlagen zu fehen. als nun ein E. Rath 
mit fampt ber gangen Burgerſchafft off denn Piag khommen, 
bat man Zwey fenfter in des Buͤſchlers hauß in der Stuben 
außgebebt, ann weichem einen Kay. Mayt., am annbdern ber 
Teutſche Sangler, der Herr vonn Nabiß ++) geftanden. alß aber 


>) Bielleicht Gülten oder Gilten, Iribut oder Gteuer in Ras 
turalien, weile die Reichtſtadt dem Kalfer als Reichſoberhaupt 
nah altem Herkommen zu entrichten ſchuldig warf Wachter's 
Glossarium (Lipe. 1737): gild giban, kalsaragiid etc. 

*, Wahrſcheinlich Becher oder eln aͤhnliches Gefäß von dem 
mittelhochdeutfchen sohower, scheuer, welches diefe Bedeutung hat, zus 
fammenhängend mit sehuren, bebeden , firmen. 

se=) Der Rath zu Dal ſchien zu wiffen, wie er fi den Kalfer vers 
pflicht en konnte, der, wie Rante fagt, „nicht eben immerfort Geid Hatte. 

+) Bergi. Raum a. a D. ©. 288, 498. 

++) Iobann Naves Johannes Navius bei Sleidan) aud Eurems 
burg hatte die Stelle des Kanzler Held eingenommen. weldyen ber 
Kanzler NR. Granvella verdrängte und vom ODof entfernte (Slei⸗ 
dan, 208), angeblih feiner großen Deftigkeit wegen. — SBleidan, 
210: „Brat id temperis Vesoutione Granvelleuus, quod est in Se- 
quanis oppidum, unde geuns et originem duccbet, quamgue disten- 
tus occupatiouibus ad diem adesso mom posset (Wormaciae), scrip- 
tie literis Mogunatisum rellguosgue principes colloquio designates, 
altera die Novembris Joaunem Navium Lucemburgium praemittit, 
qui meram ezeuset et desiderium ipels Jenist. Portquam enim, 
nata simultate, sicut ante disimas, Matblam Heldam eliserat, 
kuno, velut magin obsequentem suls meribus, ascivit In ejusgne 
locum substituis ete.“ Naves hatte fi hier alſo vermutblih, von 
Worms abgereift, In Speler oder einem andern naden Orte dem 
Kaifer angefhloffen und fegte mit diefem ben Bug zum Reichstage 
nah Regensburg fort. Er flarb im I. 15475 Georg Seld, Iotus, 
wurde an feiner Gtatt Vicekanzler. Sleidan 335. Granvella db. 
®. überlebte ibn um drei Sabre und flarb 1850, nachdem er totes 
nuno annos viginti sammum digaitztis loeum innegehabt Hatte und 
solus fere ooneillorum Caeuaris et arcanae mentis conscias geweſen 
war. Bein Sohn Antonio (geb. 1517), Biſchof von Arrad, dem 
Kaifer ſehr vertraut und in Abmwefenbeit feined Vaters ſchon früher 
prooiforif® mit der Leitung der oberfien Reichdangelegenheiten be: 
auftragt,, folgte ibm im Amte und führte fein Werk weiter. 


dem, fo das (ter) feniter eins außhub, zu ſchwer wollte wer⸗ 
den, bat Kay. Mapt. felber mit der einen hannd angrieffen, 
damit das fenfler Ime nit empflelle. Diße Demuth bat menigs 


lich wohlgefallen. Der Aydt, fo ein E. Rath vnnd ganke ge . 


mein dem Kayßer getdan ift dißer: wir hulden vnnd fchweren 
euch, dem aller Durchleuchtigſten, Großmechtigſten Kürften onnd 
Herren, Garolo Vnnſerm aller Gnaͤdigſten vnnd Reichs Herren 
getrew vnnd gehorfam zu fein, Ew. Kay. Mayt. vnnd des Hey⸗ 
ligen Roͤmiſchen Reiche Frommen zum beften zu werben, auch 
ſchaden zu bewahren, vnnd alles bad zuthun, das getrewe vnnd 
gehorfame vnnderthannen Ihren Rechten Herren, alß Rönifchen 
Kayßer, onnd dem Roͤmiſchen Keich ſchuldig vnnd pflichtig zu 
thun ſein, getrewlich ohnne alle geuerde (Gefaͤhrde), alſo heiff 
VBVnnß Bott. — Alß aber dißer Aydt verleßen, bat ſich ber 
Stadtſchreiber vonn wegen des RAaths vnnd gantzer Stadt bes 
willigt (hat im Namen des Rathe und der Stadt eingewilligt), 
denn zu thun; alſo haben fie geſchworen. nach gethannen Aydt 
iſt Kay. Mayt. vonn ſtund an vfgeſeßen, hat vor dem hauß 
dem Staͤdtmeiſter vnnd etlichen des Raths die Handt gebodten, 
vnnd vff Creyltzheim zugeritten.“ 19. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Ein junger Orientatift, Namens Eduard Biot, hat vor 
furgem ein Wert herausgegeben, das für das Stubium ber chi⸗ 
nefifhen Geſchichte und Geographie eine wahre Berei⸗ 
derung iſt. Es ift dies ein „Dictionnaire des villes et arron- 
dissements de l’empire chinois, indiquant les latitudes et longi- 
tudes de tous les chefs-lieux, leurs noms anciens et modernes 
et les &poques auxquelles ces noms ont varie’. Was befonbers 
diefed Werk, das aus den beften Quellen zufammengetragen iſt, 
ſehr ſchwierig machte, war die große Verwirrung ber Drthos 
grapbie, die in den Werfen, welche über China handeln, zu 
herrſchen pflegt. Der Berf. hat deshalb fehr wohl gethan, eine 
vergleihende liberficht ber verſchiedenen Arten, wie die Europder 
die chineſiſchen Laute wiedergeben, feiner Schrift hinzuzufügen. 
Gr fegt zuerft die portugieſiſche Methode auseinander, bie vom 
den erften Miffionnairen angenommen war, und entwidelt bann 
die franzöfifchen und engliſchen Orthographien, die von neuern 
Sinologen der Altern Manier vorgezogen werden. Diefe Über« 
fidyt, die vom befannten Sprachſorſcher Stanislaus Julien 
durchgearbeitet ift, Tann für einen wichtigen Beitrag zur chine⸗ 
ſiſchen Grammatik gelten. Befondern Werth verleiht biefem ins 
texeffanten Werke eine ſehr vollftändige Karte von China. Cie 
ift nad ben im Rachlaß des berühmten Drientaliften Klaproth 
gefundenen Entwuͤrfen gearbeitet, und Biot hat Alles nachge⸗ 
tragen, was nad) dem Tode diefed Gelehrten entbedt iſt. 


Polit Hat eines feiner umfaflenden Werke „Die Gtaatks. 
wiſſenſchaften im Lichte unferer Beit’‘ betitelt. Nach Analogie diefes 
Titels Fönnte man einen guten Theil ber von fatholifchen Hiſto⸗ 
rikern herausgegebenen hiftorifchen Schriften als Geſchichts⸗ 
werte im Licht (oder eigentlich ber Finſterniß) des Mitteialters 
bezeichnen. So baben wir kuͤrzlich eine Geſchichte Frankreiche, 
die noch dazu für das größere Publicum berechnet iſt, von einem 
gewiſſen A. Gabouarb erhalten („Histoire de France depuis 
l-s origines gauloises”, 3 Bde.). Diefes Merk hat ſich, obs 
glei erſt feit kurzem veröffentlicht, ein fo großes Anfehen 
erworben, daß bavon bereits eine zweite Auflage vorbereitet 
wird. Auf jeder Seite, und befonders in dem Theile, ber 
ber mittelatterlichen Geſchichte gewidmet ift, ſpricht ſich der 
Gedanke aus, daß bie Monardie von den geifttichen Ober⸗ 
bäuptern der Kirche eingefegt ifl. Ein erzlathotifches Jour⸗ 
nal fagt von biefer neuen Geſchichte, baß „fie zum erften Male 
der Kirche und ber Geiftlichleit den Ruhm wieder zu erwerben 
fucht, den eine unmiffende und ungläubige Philofophie ihnen 
ftreitig gemacht hat“. 2. 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brodhbaud. — Drud und Berlag von E. X. Brodbaus in Leipzig. 


En — — 


Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Sonnabend, 


21. Sanuar 1843, 





Deutſche Städte und deutfhe Männer. Nebſt Be: 
trabtungen über Kunft, Reben und Wiffenfchaft. 
Reifeffizzen aus den Sahren 1837 — 40. Bon 
Ludwig v. Iagemann. Zwei Bände. Leipzig, 
Binder. 1842. Gr. 12. 3 Thlr. 22% Nor. 

Diefe Reiſeſkizzen können, obgleich keineswegs neue, 
vielmehr ſchon vielfach beiprochene und erörterte Themata 
enthaltend, dennoch mit Recht als eine angenehrae und unters 
haftende Lecture anempfohlen werden. Der Verf. beginnt 
diefelden mit einer „Phyſiognomik deutſcher Hauptſtaͤdte“ 
und ftellt Berlin, Wien und Münden vergleichend zu: 
fammen, oder vielmehr einander gegenüber. Die befon: 
dere, diefe Dauptflädte voneinander unterfcheidende Eigen 
thümlichkeit fegt nun der Verf. darin, daß in Berlin 
der hoͤchſte Genug in einem „guten Witz“, in Wien in 
einem „guten Walzer” und in Münden in „gutem 

Bier’ beftehe. Obgleich mol hierin der in den genann⸗ 

ten Duuptflüdten im Algemeinen vorherrſchende Volksgeiſt 

zu fhroff und ſcharf in eine ſchlagendere und eben deshalb 
mehr fchillernde als wuhre Spige zufammengedrängt iſt, 
fo ift doch allerdings unverkennbar eine gewiſſe Wahrheit 
darin ausgefprodhen, die fi) dem unbefangenen und auf: 
metiamen Beobachter unabweislich aufdringen muß und 
wird. Ein angeboren:s Talent zum Wis kann dem Ber: 
Iinee durchaus nicht abgefprochen werden, allein indem 
fih damit, wenigftens bei der großen Menge, kein grund: 
lied und gediegenes Unterrichtetfein verbindet, das allein 
den Wig zu einem gebhaltvollen, wahren Witze machen 
koͤnnte, artet jenes Talent nur allzu oft und allzu gewöhn: 
ih in jene feichte und leere Wigmacherei aus, die unfer 

Bırf. mit Recht tudelt und die, verbunden mit einer 

ziemlich großen Selbfigefälligkeit und Eingenommenheit 

von ihrer Stadt und allem derfelben Angehörigen, den 

Berliner zu jenem oft großfprecherifchen und abfprechenden 
Zen und Benehmen verleitet, durch Das ſich der Fremde 
im erſten Augenblid unangenehm berührt fühlen muß. 

Es bedarf erſt eines längern und genauern Bekanntwer⸗ 

dens mit dem Berliner, um fid zu uͤberzeugen, daß «8 

mit feinen Witeleien im Grunde nicht fo bofe gemeint 

fei, und daß jene Schattenfeiten im Volkscharakter der 

Berliner beimeitem von den Richtfeiten in demfelben über: 

wogen werden. Muß Berlin der Kalferftade und ihren 

Bewohnern in vieler Beziehung in jenem Geiſte der Hei⸗ 


terkeit und anfpruchlofen Gutmuͤthigkeit den Vorrang eine 
räumen, fo wird Wien umgekehrt Berlin den Vorcang in 
der geifligen Regſamkeit und Rührigkeit zugefichen müffen. 

Wis endlich die Münchner betrifft, fo kann das übers 
mäßige und zum Theil unmäßige Biertrinken, das für fie 
cin Lebensbeduͤrfniß geworden üft, unmöglich ſonderlich fürs 
derlih weder für. die Ausbilbung eines feinen Gefühle 
noch für die Entwidelung bes geiftigen Lebens im Volke 
fein, und wir’ möchten daher nach den von uns gemachten 
Wahrnehmungen von den Münchnern gar fehr bezweifeln, 
daß fie duch die mit Verfchwendung treibhausartig em 
porgetrichene Kunſtbluͤte zu einer „gewiffen Verfeinerung 
bed Gefuͤhls heraufgetrieben“ worden fein follten, ‚wie der 
Verf. meint. Mir können überhaupt auf die bloße Kunfl- 
bildung feinen fo großen Werth legen, ald er es thut; 
denn die Kunſt, die nur Glanz und Schimmer, nicht aber 
Weſen und Wahrheit ift, kann einem Volke und einer 
Zeit wol cine dußerliche Scheincultur, aber Eeine wahrhaft 
innere Bildung geben. Die alten Hellenen flanden 5. 2. 
unftreitig auf dem hoͤchſten Standpunkte der aͤſthetiſchen 
Bildung, den nur irgend ein Volk erreichen kann und 
den ſchwetlich irgend eines jemals wieder erreichen wird; 
wie ftand es aber mit feiner innern und wahren, das ift 
mit feiner religiös: fittkichen Bildung? Es war in diefer 
Beziehung gerade vermöge feiner hohen Kunftbildung und 
in Folge bderfelben bekanntlich das allerverderbtefte Volk, 
das die . Gefchichte Eennt. Wir Binnen alfo dem Berf. 
unmöglich Recht geben, baß auf den finnlichen Menſchen 
nur durch ein ſinnliches Princip, wie es die Kunft, ihrer 
Natur nah, doch nur iſt, gewirkt werden fönne; nur 
durch die flile Macht eines geiftigen Principe, wie es in 
Religion und Wiſſenſchaft gegeben ift, kann die finnliche 
Natur im Menfchen mit Vortheil bekämpft und mit Er: 
folg überwältigt werden, und einzig und allein, wenn fie 
auf diefem foliden Unterbau beruht, wird die Kunft eine 
woohlthätige Culturwirkung auf Völker und Menfchen aus- 
üben können, abgefchen davon aber einem Flimmerglanze 
gleichen, der bie innere ſittliche Verderbniß und Faͤulniß 
nur um fo gefährlicher verbirgt, je mehr er die Augen Über 
Das verbiender, was noththut. 

Die zweite Skizze, die ums der Verf. gibt, handelt 
bon den wiener Theatern, und bies find wir völlig mit. 
ihm einverflanden, daß der bier. und in Münden porheer⸗ 


ſende Geſchmack für die italieniſche Dper, ber das Wahre, 
Bute und Echte gänzlich verbrängt und den Sinn und 
die Empfänglichkeit dafür im Publicum erſtickt hat, vom 
Über if. Beilaͤufig übrigens Lönnen wie ihm verfichern, 
daß der Berliner ebenfo gen Eis ißt wie dee Wiener, 
und fid) keineswegs, wie er meint, blo6 „mit kuͤnſtlichen 
Eisbergen begnügt, auf denen man mit leerem Magen 
den kühlen Drang abrutfcht”. Ebenfo hat er in der an: 
geblih zu Berlin vorhandenen Ruffomanie offenbar ein 
Geſpenſt gefeben, und es wäre gar nicht nöthig ges 
weſen, den Berlinern dad Timeo Danaos et Jona fe- 
sentes warnend zuzurufen, denn man :mwei in Berlin fo 
gut wie in der ganzen preußifchen Monarchie, mas man 
von diefer Seite aus zu erwarten Hat. Mir können 
übrigens den Widerfpruh nicht reimen, in den ber 
Berf. mit fi felber in diefee Beziehung geräth, indem 
ee an einer andern Stelle bemerkt, wie man ſich in 
Deutfchland einen ganz falfchen Begriff von den Geſin⸗ 
nungen der Berliner gegen bie Ruffen made, wie er 
fetbft von mehren angefehenen Perfonen zu hören Gele: 
genheit gehabt habe, wie man einen tiefen Schauer gegen 
die Zärtlichkeit diefer Nachbarn habe. Es gewinnt ſonach 
ven Anfchein, als habe unfer Verf. feine erfte Bemerkung 
wach irgend einer flüchtigen und oberflädhlihen Wahrneh⸗ 
mung gemacht und fei erft fpäter zu der wahren Einſicht 
und Erkenntniß in diefer Beziehung gelangt. Wir Hätten 
Daher gewuͤnſcht, einem offensar fo flüchtigen und ſichtlich In 
der Eile bingeworfenen Urtheile in dem fonft fo guten 
Buche nicht degegnet zu fein. Er führt uns aud zu einem 
Feuerwerk bei Treptow, wo er die Gelegenheit wahrnimmt, 
die fchon einmal gemachten allgemeinen Bemerkungen über 
den Volkscharakter der Berliner weiter auszuführen. Im 
Ganzen läßt fi die Richtigkeit und Treue der von ihm 
gemachten Beobachtungen nicht vertennen, wiewol er ein 
wenig mit allzu ftarten Sarben aufgetragen bat und es 
in der Wirklichkeit beimeitem nicht fo arg iſt, als er 
es macht. 

Statt jedoch nun auch dem Verf. auf „die Kirchweihe 
in der Brigittinau” zu folgen, wo wir ihm ohnehin in 
feinen Bemerkungen und Betrachtungen über das wiener 
Volksleben weder voiberfprechen noch beiftimmen koͤnnten, 
. weit wie nicht dort waren, ziehen wir es vor, ihm lieber 
gleich zum deutfchen Univerfitätsiefen zu folgen. Zuerft 
führt er uns die Öftreichifchhen Studenten vor, deren Aus: 
fehen und Auftreten, nach feiner Schilderung zu urtheifen, 
allerdings ein fehr profaifche® fein mag. Es iſt freilich 
eine die geiftige Bewegung verfümmernde Kinfeitigkeit, 
wenn, wie berichtet wird, der Aufenthalt auf der Akade⸗ 


mie in ſtreich „nichts als eine ſchulmaͤßige Vorbereitung 


zur Praxis“ iſt, der er die auf preußifchen Univerfitäten 
berefhende Richtung, „überall philofophifche LKehrbegriffe 
auf die Fachſtudien einwirken zu Laffen”, als das entge: 
gengefegte Extrem gegenhberftellt. Wir werden weiter uns 
ven Gelegenheit haben, uns über biefen Punkt ausführli: 
dyer außzufprechen, wenn wir nur noch zuvor bemerkt haben, 
daß uns Das, was der Verf. bei „Münden und bie 
Untverftät” entfchulbigend für den kraͤnkelnden und fiechen 


Zuſtand ber dortigen Untverfität mit Bezugnahme auf bie 
bekannte ſpruͤchwoͤrtiiche Redensart, „Niemand kann zweien 
Herten zugleich dienen”, beibringen zu müffen geglaubt bat, 
naͤmlich, daß der König deshalb nicht den nümlicgen Fleiß 
und die naͤmlichen Summen auf die Cultur der Wilfen- 
haften wie auf die Cultur der Künfte habe wenden koͤn⸗ 
nen, weil die Aufgabe, die er ſich im Gebiete der bildens 
den Kunſt geflelit habe, eine unermeßliche, alle feine Kräfte 
und Mittel faſt ausfhlieglih in Anſpruch nehmende fei, 
nicht ganz einleudyten will; vielmehr halten wir es für 
eine Dauptrüdjiht, die eine jede Regierung zu nehmen 
hat, zuerft und vor allem die geiſtig⸗ſittliche Bildung mit⸗ 
tels forgfältiger Pflege der Wiffenfhaft im Volke feftzu: 
flellen, ehe fie an den Flitterglanz der Künfte denkt, aus 
den ein Volk keinen Nahrungsftoff für Geift und Herz 
ziehen kann. Was nun endlich die „berliner Univerfitäe” 
betrifft, fo hat fie alle Urfache, unſerm Verf. für die hohe 
Meinung Dank zu wiffen, die er von ihr gefaßt hat. 
Allein fo hoch aud immerhin unfere eigene Meinung von 
der hohen wiffenfhaftlihen Bedeutſamkeit diefer Lehran⸗ 
ftate tft, fo müffen wie doch geftehen, daß ung der Berf. 
nit bios ein wenig, fondern fogar ein wenig ſtark uͤber⸗ 
trieben zu haben fdeint, wenn er meint, der junge Dann 
lerne bier außer Dectetiren, Katechifiren, Meceptiren auch 
die Kunft zu leben, und erhalte zugleich die Anleitung, 
die Fortſchritte der Civiliſation und Aſthetik zu beobadıten 
und fi ein eigenes Urtheil zu begründen. Wenn es 
nun unmittelbar darauf beißt, daß ein einjähriger Auf: 
enthalt zur Aneignung aller dieſer außerordentlichen Reful: 
tate hinreiche, ein längeres Verweilen, ein tiefered Eingehen 
aber teicht zu weit, nämlich zum „Opperberlinigmus“, zur 
„Witzflunkerei, Abfprecherei und Rodomontade“ führen könne, 
fo find wir in der That zweifelhaft, ob wir dies für Ernſt, 
oder nur vielmehr für Scherz, ober wol für ungehenere 
Itonie halten follen. Denn wir halten es für unmöglich, 
daß der Verf., der ſich fonft als ein denkender Beobachter 
zeigt, im Ernſte geglaubt haben follte, daß ein Juͤngling 
in dem fo kurzen Zeitraum eines Jahrs Decretiren, Ka: 
techeſiren, Receptiren und audy noch obemein die fo ſchwere 
Kunſt zu leben fernen, ferner nicht nur die Kortfchritte 
der Civiifation und AÄſthetik beobachten, fondern auch ſich 
fogar ein eigenes Urtheit ſollte begrinden koͤnnen. Das müßte 
ein wahres Wunderkind fein. Wir an unferm Theile 
Können dem Verf. verfihern, daß es 5. B. der beiweitem 
kleinſte Theil der die Rechte Gtubirenden nach dreijähri: 
gem Univerfitdtöftudium kaum fo weit gebraht hat, ein 
teldliches Protokoll aufzunehmen; aber ein Decret abzu:= 
faffen möchte vielleicht fein einziger der jungen Maͤnner im 
Stunde fein. Edenſo verhätt es fi, und zwar in einem 
noch viel größern Umfange, mit den ©tudiofen der Theo⸗ 
logie, wo ed geniß auch nur fehr wenige auf der Unis 
verfität fo weit gebracht haben dürften, um mit Erfolg 
katechiſiren zu können ; daß endlich das Recptiren, was 
bie Studirenden der Medicin auf der Univerſitaͤt allerdings 
leicht und bald erlernen mögen, wie wie zugeben wollen, 
nicht die Dauptfadye für den Arzt ift, fondern daß rich 
tige Erkenntniß und Behandiung der mannichfachen Krank 


hitsformen den Arzt ausmachen, die ſich jedach nicht auf 
der Univesfität, ſandern nur durd langjährige, ſorgſame 
Beobachtungen und Erfahrungen am Krankenbette, alfe 
nicht theoretifch, fondern nur praktiſch erlernen Laffen, das 
mit wird hoffentlich der Berf. einverſtanden fein. Die 
große Kiuft, die bier, wie auch in allen andern Bezie⸗ 
bangen, zwiſchen dem allzu theoretifchen Univerſitaͤtsſtudium 
wmd den immer üͤberwiegender werdenden praktiſchen Bes 
dürfniſſen und Anfoderungen der Zeit immer demerkbater 
dervottritt, iſt jedenfalls ein ſehr großer Übelſtand, ber 
fhwerlich durch den Vortheil des „Hinaufziehens aller 
Studirenden in die Sphäre echter Humanitaͤt und übers 
haupt in die böhern und edlern Gedankenkreiſe“ ganz 
aufgeroogen werden kann. Denn ivenn es auch unflreitig 
einzelne flarfe und unabhängig gefinnte Geifter geben 
mag, die fih von jedem Wiſſenszwang umd von jedem 
Sormalismus frei zu halten wiſſen und bie dann beim 
Eintritt in die Praxis den Realverhältniffen „die gehörige 
Aufmerkfamtelt widmen und fie von dem philofophifchen 
Elemente nicht weiter duschdringen laſſen, als ed dem 
Bedürfniffe der Zeit und der mittlern oder niedern Ötände 
entfprehen kann“, fo dürfte doch deren Zahl immer nur 
im Verhaͤltniß zur großen Mehrzahl, bei denen entweder 
der wiſſenſchaftliche Geiſt und Sinn unter dem Gewichte 
des praktiſch nothwendigen Formalismus erliegen wird, 
oder die ſich aus gaͤnzlichem Mangel an praktiſcher Vor⸗ 


dildung zum Gefchäftsdienft gar nicht im Geſchaͤftsleben 


zurechtfinden können, fehr gering und von einem Hinauf⸗ 
ziehen aller Studirenden in die Sphäre echter Humanität 
kann vollends wol nur im Scherze die Mede fein. Daß 
die berliner Studenten keinen Werth auf auffallende und 
abflechende Kleider ſetzen, hat nicht ſowol feinen Grund 
derin, Daß die meilten jungen Leute in gefellige Kreife 
eingeführt find — vielmehr find gerade im Gegentheile vers 


haͤttnißmaͤßig nur fehr wenige in gefelligen Kreifen aufge 


nommen —, als es vielmehr einfach die ganz natürliche und 
nothwendige Folge von dem Leben in einer großen Haupt: 
fladt ift, wo überhaupt kein einzelner Stand fo leicht im 
irgend einer Beziehung den Tonangeber fpielen kann, ohne 
fi lächerlich zu machen. Ebenſo können ſich wol nur 
die wenigſten den täglichen Beſuch des Theaters geſtat⸗ 
tm, und mas endlich die angebliche ſolide Kunftbildung 
betrifft, die ſich die berliner Studirenden durch ten fleißigen 
Beſuch des Mufeums leicht erwerben koͤnnen, fo dürfte dies 
fee eben nicht weder an und für fi) noch beziehungsweiſe 
von fonderlicher Erheblichkeit fein: an und für fich nicht, 
weil wir überhaupt nur einen bebingtn Werth auf die 
KAuftvildung fegen umd diefelde im unfern Augen nur 
von untergeordnneter Bedeutung im Verhaͤltniß zu der durch 
Die Wiſſenſchaft zu vermittelnden geiftig > fittlichen Bildung 
iſt; besiehungsmeife nicht, weil das berliner Dufeum mehr 
für Kunfttenner von Fach, ale auf Bildung des Kunfl: 
geſchmacks berechnet ifl. 

Durch ein fehr gefächtee Glas, vielleicht bei Regen: 
wetter, oder weil er eben an die „hoben Potentaten des 
Siteraturreiche ” dachte, bat umfer Verf. Prag betrachtet, 
das ihm gar nicht gefallen hat, während wir uns gerade 





63 


im Gegentheil — und wir glauben nicht zu irren, wenn wir 
behaupten, die große Mehrzahl unferer Lefer, die dort was 
ren, mit und — von biefer Stadt durch Die ihr. jo entſchie⸗ 
den im Ganzen wie im Eingelnen aufgeprägte Alterthuͤm⸗ 
lichkeit, dergeftalt, dag fie als eine fleinerne Perfonification 
einer großen und bedeutiamen gefchichtlihen Vorzeit und 
Vergangenheit .erfcheint, ungemein angezogen gefühlt ha⸗ 
ben. Wir können dem Berf. verjichern, daß wir ung fo 
wenig wie er durch Städte angefprochen gefühlt haben, 
deren ganze Derrlichkeit in „Schlöffern, Kirchen und Häus 
fern” beiteht. Aber das ift auch eben nicht die wahre 
Hertlichkeit und Schönheit, die Prag in unfeen Augen 
vor vielen andern Städten voraus hat, fondern diefe be: 
fteht für uns wefentlich, wie gefagt, in jener Weife von 
Alterthümlichkeit, die fo rein und entfchieden über dieſe 
Stade ausgegoffen ift wie fonft nicht leicht über irgend 
eine andere. Aus eben diefem Grunde bat ung Verona 
mehr als das prächtige Mailand, und Nürnberg mehr 
als die prächtige Kaiferftadt an der Newa gefüllen. Wir 
wollen jedody über diefen Punkt, der ein Gegenftand ins 
dividuell verſchiedener Auffaffungen und Anftchten fein kann, 
nicht reiten; aber wir geftehen nicht begreifen zu koͤnnen, 
wie man fo ohne weiteres behaupten kann, daß die Kir: 
hen Prags „ohne Ausnahme unfhön, einige fogar häßs 
lich“ find, Iſt denn etwa der Verf. nicht in der St.⸗ 
Nikolaikirche geweſen, die unter jedem Geſichtspunkte ſchoͤn 
genannt zu werden verdient, indem fich darin eine groß⸗ 
artige Pracht mit edler Einfachheit verbindet und in der 
fid) außerdem mehre fehr ausgezeichnete Gemaͤlde befinden ? 
Auch die Teinkirche die Kreuzherren⸗ und St.⸗ Emaus⸗ 
kirche ſind ſehenswerth. Den Vorrang vor allen andern 
Kichen Prags verdient aber freilich die praͤchtige St.⸗ 
Veitskirche, die mit Erlaubniß des Verfaſſers, der in 
ſeiner Mislaune „nur manche Theile, die auf einen gerei⸗ 
nigten Geſchmack ſchließen laſſen“, gelten laſſen will, unter 
den vielen ſchoͤnen Kirchen, deren Ref. eine große Zahl zu ſehen 
Gelegenheit gehabt bat, einen der erften Plaͤtze einnimmt. 
Man lernt aber aus diefem Beifpiele, wie es nicht min: 
der mislih um bie Berichterftattungen ber Reiſebeſchreiber 
als um die Berichterflattungen von Augenzeugen von ge: 
ſchichtlichen Ereigniſſen und Worgängen beftellt iſt, und 
wie wenig man ihnen Glauben beimeflen dann. 
(Die Bortfegung folgt.) 


Ein großer Schriftfteller des 16. Jahrhunderts. 
Oeuvres de Honaventure Desperriers. Paris 1842, 

Ref., der in der Gefchichte ber franzöftichen Literatur ziem⸗ 
ich zu Haus zu fein glaubte, war nicht wenig erftaunt, ale er 
in zwei der beten. franzoͤſiſchen Revuen' B. Deiperriers, den er 
kaum dem Namen nad) Eannte, für einen ber größten Geiſter 
bes 16. Jahrhunderts und für einen Schriftiteller erfidrt fah, 
der es mit Rabelaid und Marot aufnehmen könnte. Der Kris 
titer, ber biefen laͤngſt verfigollenen Schriftſteller aus feiner 
Dunkelheit beruorgog und mit einem Mate auf die Linie der 
erften Dichter Frankreichts fiellte, war Eein anderer als der ge 
lehrte Gb. Nodier, vor beffen Urtheil wir uns ſchon beu⸗ 
gen muͤſſen. So dauerte es denn auch nicht lange, bis ber 
wieder entdedite und wieder aufgefundene Scyriftftellee neu auf: 
gelegt ward, Wir find jegt im Stande, näher zu prüfen, ob 





— 


das Urtheil Nodier's wirklich ohne weiteres zu unterſchreiben 
iſt. Wir glauben nach Durchſicht bes mäßigen Baͤndchens. das 
wie vor uns liegen haben, daß es ſich nicht eben ber Mühe 
lohnte, bie vergeffenen Schriften Deſperriers aus dem Staube 
der Bibliotheken hervorzuholen. Sein „Cymbalum mundi’ ift 
das berühmtefte feiner Werke. Nachdem es faft zwei Jahrhun⸗ 
derte hindurch ganztih vergeffen war, erfdyienen mit einem 
Mate 1711, 1732, 1738 und 17592 Schlag auf Schlag neue 
Ausgaben bavon. Es verbankte fein großes Aufſehen befonders 
dem limftande, daß es von mehrfachen Verboten getroffen warb. 
Man wollte in diefem räthfeihaften Werke einen kühnen Angriff 
auf den chriftlichen Glauben fehen, und Defperriers galt des⸗ 


- Halb tange Zeit hindurch für einen Vorläufer Voltalres, bis 


6 dieſer feibft endlich auf feinen wahren: Werth zurüdführte, 
indem er es für eine platte Rahabmung bes Lucian erklärte. 
Die Balladen, Spifteln und Lieder, tie wir in den Werten Deiper: 
xiers’ noch finden, find von feiner großen Bedeutung. Auch 
feine Bearbeitung von Terenz' „Andria“ ift im Ganzen ſchwach, 
obgleich fie ſich ſicher mit den erbärmlichen Überfegungen dieſes 
GStuͤckke son Mad. Dacier und dem Abbe la Monnier meflen 
fann. Ch. Nodier, der, wie wir gefagt haben, zuerft wieder bie 
Stimme zu Gunften Defperrierd’ erhoben hat, legt ein befonbes 
res Gewicht auf feine „Discours non plus melancoliques que 
divers”. Er bewundert barin „eine ebenfo geiftreiche als lie: 
benswürbige Gelehrſamkeit, in der ſich das Wiſſen eines Hein⸗ 
rich Stephanus mit dem attifchen Salze eines Rabelais ver: 
mählt”. Was uns bei diefem Gtüde am meiften angezogen 
bat, ift der derbe, naive und Eräftige Zon, ber in biefen „„Dis- 
cours’’ herrſcht, der fich inbeflen bei vielen Schriftftellern bes 
16, Jahrhunderts findet. Der Bibliophite Zacob hat diefe neue 
Ausgabe mit einer Biographie Defperrier®’ und mit werthoolfen 
Roten ausgeſtattet. 6. 


Mancherlei. 

Theodor Mundt's „Kunſt der deutſchen Profa’’ (Berlin 
1837) iſt im Ganzen gut geſchrieben, nur ſtoͤren die übermäßig 
ohne Roth gebraudten Fremdwörter, deren Sinmifchung zum 
Kachläfiigen und Bettelhaften des beutichen Vortrags gehört, 
der nichts auf Sauberkeit Hält, Miederholt macht ſich folgen: 
des -Ausländifche breit: Latiniſiren, mechanifiren, ſtolziren (S. 94); 
Paraphraficen, Effeet, Bituation (@. 120); harmoniren, 
Nuance (©, 128); Perfpective, Interpret, Dietion (©. 130); 
Productivität des Stils, poetifiren (©. 132): prägnant, pis 
fant, pointirt (S. 133); Prätenfion (S. 141); contempla- 
tio, Normen (S. 144); Typus der Galtue (S. 151); fixi⸗ 
ren (©. 168); Gruppitung (&. 189); compificen (©. 175); 
charatteriſiren, Gorruption, Inarediengen (8. 10): Debut 
(S. 202); identificiren (©. 209); interrfiant (©. 245); des 
moralifirt (S. 263); obligate Redensatten (©. 277); for: 
mel, raifonniren, Detail (S. 282); Bizarrerien (S. 239); 
hypergenial, Partien, ercentrifh (&. 208); Moment (S. 3172); 
Antipathie, induftriös, Een, (©. 314); Ditettiren (&. 327); 
Miffion der Genius (©. 332); Nature (&. 343); corrigiren, 
zepräfenticen (&. 376) u. |. w. Welch ein Fremdwald! Nicht 
mühfam aufgefucht, fondern allenthalben zu finden, mit Übers 
gehung des Zutaͤſſigern. Es heißt S. 276: „Die Sprach⸗ 
mengerei (Anfang bes 18. Jahrhunderts) führte der deutſchen 
Sprache zwar manche neue und prägnente Wortgebilbe zu, 
deren fie ſich noch heute nicht entfchlagen Bann, aber das Ver⸗ 
beeben, welches namentlich bie Franzoͤſitung unfers Idioms ans 
richtete, ift größer anzuſchlagen ale bie Bereicherung, bie ihm 





dabei widerfuhr.” Den Beleg zu biefer Bemerkung gibt bie 


Bemerkung feibft. Wir leſen freilich bei: Belegenheit der Deutſch⸗ 
oefinnten Benofienfchaft des Philipp von Zefen in Hamdurg: 
fie fei gerathen „in das entgegengefehte Extrem ber Pebanterie‘’, 
babe den Grund gelegt „zu jenem "abenteuerlichen Purismus 
in Deutſchland, der den ganzen Bildangsgang unferer Sprache 


verkennt und Gefpenfler fieht bei Worten, beren Verbot bas 
Deutiche feiner eigenthümlichſten Aneignungsfählgkeit und Aus⸗ 
breitung berauben würde”, und gewiß iſt Übertreibung der 
Reinlichfeit möglich. Allein vorab thäte dentſchen Schriftftellern 
Gefpenfierfurdgt noth; denn ohne Zwang konnte Mundt ein 
Heer feiner eingefhwärzten Übercheiner adwehren, deren Laute 
wie Zehlgriffe bei dem Vortrage eined Zonftüds Mingen. Bes 
quemer ift allerdings für den Spieler das VBergreifen und für 
den Gchriftftellee das Ergreifen des Erſten Beten. Hüte fidy 
body der Deutſche gupörderk vor der unfeligen Motte der Iren 
und Anderm; dann mag Giniges, 3. B. das ſchwer zu vers 
meidende Intereffe entſchuldigt werden, welches für feine Allges 
meinheit nur in Sinnbefonderheit vaterländifche Vertreter finder 
(Bine, Bortheit, Theilnahme, Anziehendes); merke body ein 
deutfiher Lefer oder Hörer, dab man ihm zu Ehren fih aus 
dem beftäubten Morgenkleide in ein gut gebürftetes Feſtkleid 
geworfen. Biel iſt dafür zu lernen von 3. H. Voß, deſſen 
Schwerfäligkeit der Leichtfaͤlligkeit des Jungen Deutſchlands 
nicht zufagt, ber aber echtes Deutſch ſchrieb, wie Wenige. 
Schade, daß Goethe, dem bie Leute lieber gleichen möchten, 
mit vornehmem Behagen alleriei auslündifehes Geſindel bei fidh 
bulbete und gleich Höfen und Diplomaten fremde Schelme 
mandmal lieber in Gefellfchaft zog als einheimifhe Ehren⸗ 
männer. Der wadere Kolbe (,‚Über den Wortreichthum der 
deutſchen und frangöfifhen Sprache”, 2 Bde., 1806) iſt lei 
bee vergeffen. 


Die Deutfchen gleiden darin den Zuden, daß fie ihren phi⸗ 
loſophiſchen Meffias erwarten, und aud, wie vor der 
3erflörung Ierufalems, den Ginen verlaflen, wenn der Andere 
auftritt, ja fie halten überhaupt von keiner Philofophie etwas, wenn 
diefe nicht Anfpruch macht, die einzige und lehte, bie Erfüllung 
aller Lehren und Weiffagungen, alfo meffianifh, zu fein. Mit 
chriſtlichen Gedanken flimmt dies nicht zufammen, denn laut 
ihnen iſt der Meſſias ſchon dagemefen; mit heidniſchen Gedan⸗ 
Ten ſtimmt es ebenſo wenig, denn fie haben keinen Meſſias er⸗ 
wartet. Sol man eine juͤdiſch⸗zaͤhe Feſtigkeit der Erwartung 
Stärke oder Schwäche nennen? Sie ift Beides; denn Helden 
verfolgen flandhaft ihre Anfihten, und Weiter wie Kinder lafs 
fen fi nicht ausreden, was fie fidy in den Kopf gefest. Nun 
erfcheinen von Zeit zu Zeit Menfchen, die defonders ausgerüſtet 
find, den Meffias: Srmartungen zu entfprechen. Nur ungewöhns 
lie Gaben machen ſolches möglih, und fie mesden auch von 
Chriften und Beiden anerkannt. Wollte man letztern dagegen 
zumuthen, Juden der Philoſophie zu fein, fo dürften fie mit 
Recht entgegnen: „Wir konnen nicht werden, was wir nicht 
find, nämtic vom Stamm Abraham’s; ein Jude wird geboren, 
le durch Schule ober Leben herangebildet oder onge» 
weiht. 





Literariſche Anzeige. 
Von F. A. Brockhaus in Leipzig ist zu beziehen: 


Inscriptiones Graecae Ineditae. 


Collegit editque 
Zaudovricus Hossius. 
Faseioulus. U. Insunt lapides insularum Andri, Ji, 
Teni, Syri, Amorgi, Myconi, Pari, Astyralaeae, Nisyri, 
Teli, Coi, Calymnae, Leri, Patmi, Sami, Lesbi, Therae, 
Anaphac et Peparethi. 


4 maj. Geh, 2 Thlr. 
Das erste Heft (Inscriptiones Arcadicae, Laconicae, Ar- 


givae, Corinthiae, Megaricae, Phocicae) erschien 1834 und 
kostet 1 Thir. 10 Ngr. 








Berantwortliber Herausgeber: Heinrich Brodhaud — Drug und Verlag von 5. 3, Brodbauß in Leipzig. 


v 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonntag, 





Deutfche Städte und deutſche Männer. Von Ludwig 
v. Jagemann. 
(Bortfegung aus Nr. 21.) 

„Libuſſa und bie Emancipation der Frauen” gibt dem 
Berf. Beranlaffung, ſich zu Gunſten der in neueſten Zei: 
ten vielbefprechenen Smancipation der Frauen auszuſpre⸗ 
den. Wir an unferm Theile können uns jedoch in bie: 
fer Beziehung nicht von der vielleicht altmodiſchen Vor⸗ 
fteflung losmachen, daß da6 Weib dadurch den fchönften 
umd beften Theil feiner Weiblichkeit, da6, was ganz vers 
zugsid) den Meiz derſelben ausmacht, verlieren würde: 
deun einleuchtend kann es nur eins von beiden fein, ent: 
weder Mann oder Weib. Iſt es Mann, fo hört «6 noth: 
wendig auf Weib zu fein, und will es feine wahre und 
böchite Beftimmung erfüllen, d. i. Weib und Mutter 
fein, fo kann es unmoͤglich an männlichen Befchäften, 
Berufen und Arbeiten Theil nehmen, ohne fich ſelbſt auf: 
zubeben. Die Geſchichte berichtet uns allerdings von 
Frauen mit männlichen Geifte auf dem Throne, fie be: 
richtet und ferner von folchen, Die fi im Gebiete der 
Wiſſenfchaft und Kunft wännli ausgezeichnet haben ; 
aber fie berichtet uns auch, daß biefe männlichen Weiber 
keineswegs ihrem Geſchlechte zur befondern Zierbe gereicht 
baden, und keine Antwort Napoleon's ift wol fchlagender 
und toeffender als die, die er der berühmten Stau von 
Stael auf die Frage gab, welche er für die beruͤhmteſte Frau 
balte: „Madame, diejenige, die die meiſten Kinder hat.” 

Wir geben zu dem zweiten Abfchnitt der Reiſe⸗ 
ftizgen : „Reifegloffen uber, wo Einiges zu bemerken 
fein wird, obme jedoch dem Verf. nach Salzburg, Hallein 
und Stuttgart zu folgen. As überfikffig erſcheint uns 
zmächft die Vertheidigungsrede der Saͤchſiſchen Schreeiz : 
fe bedarf deſſen nicht, wenn man nur von der ganz un: 
yallenden, die Vorftellung davon vermwisrenden umd zum 
Vergleich mit der Schweiz gleichſam heransfodernden Be: 
nennung Saͤchſiſche Schweiz abſtrahiren und fih an el: 
ner einfach fieblihen und anmuthigen Natur genügen 
loffen will, ohne von derfelben vorausjufegen ober zu er: 
warten, was nur die erhaben großartige Natur der Schwei: 
zeralpenwelt gewähren und darbieten fann. Was bei dies 
fem Antaß über die reifenden Engländer bemerkt wird, wie 
und warum fie einem andern ehrlichen Menſchen das Rei- 
fen verleiden können, darin kann Ref. nach feinen eigenen 


in diefee Beziehung vielfach und oft gemachten Erfahrun⸗ 
gen nur übereinflimmen ; andererfeits aber iſt indeß auch 
wahr, daß der Engländer, aufgetbaut, ein’ weit zuverlaͤſſi⸗ 
gerer Meifegefährte iſt als der allerdings als Gefellfchafter 
liebenswürbigere, aber auch leichtfertigere Franzoſe. Das 
gegen möäflen wir unfern Verf. wieder einigermaßen des 
Abfprechens zeihen da, wo er ſich bei der „Donaufahrt 
und dem Traunſte“ über den ruſſiſchen Volkscharakter 
und die Ruſſen ausfpriht. Er meint nämlih aus dem 
Umftande, daß einige auf dem Dampffchiffe befindliche 
Ruffen mit großer Begierde die Belegenheir, die ihnen 
von Seiten einer Franzoͤſiſch parlirenden Wienerin zum 
Sprechen des Franzöfifchen dargeboten worden fei, ergrifs 
fen und benußt hätten, und überhaupt daraus, daß Die 
Ruſſen ihren größten Ehrgeiz darin zu ſetzen pflegten, beſ⸗ 
fee Franzoͤfiſch als Kuſſiſch zu fprehen, mit Fug und 
Recht folgern zu dürfen, daß dies zu beweiſen fcheine, 
„wenn es überhaupt des Beweiſes bedbürfe, daß die Rufſen 
feine Nution (warum nicht lieber Volk), fondern ein halt⸗ 
loſer Stamm feien, der fih an einen andern Stamm, 
den er für flärker und fruchtreicher halte, anlehnen muͤſſe, 
um nur feine kuͤmmerliche Eriftenz zu friften”. Darum 
hätten fie von jeher Verlangen nach benachbarten, befjer 
cheitifirten Ländern gehabt und «6 befriedigt, während im 
Innern fo Alles im Rohen .und Argen liege, daß Jahr⸗ 
hunderte des redlichſten Fleißes nothwendig wären, um 
fürs erſte nur den tiefeingeroutzeften Charakter der Bars 
barei zu verwiſchen. „Wer weiß”, ſchließt der Berf. 
feine Gasilinarifche Rede wider die Ruflen, „ob fie denn 
nicht aller Nationalitaͤt verluflig gingen, da man Feine 
Garantie babe, daß fi ein anderer Charakter an bie 
Stelle jener bekannten Verſchlagenheit, Gierigkelt und 
Nahahmungsfucht fegen liche, ohne duch eine Voͤl⸗ 
ferwanderung yanz neue Geſchlechter dahin zu verpflanzen.“ 
Hier möhten wir nun fragen: ob er denn in Rußland 
geweſen iR? ob er die Ruſſen und die ruffifchen Zus 
ftände aus eigener Erfahrung ımd Beobachtung kennen 
gelernt hat? Iſt dies nicht der Fall, wie wir nach dem 


| abfprehenden Tone glauben mäflen, fo tann ihm eins 
competentes Urtheil über Rußland und die Ruffen gar 


nicht zugeflanden werden, und es iſt mol jedenfalls hoͤchſt 
anmaßlich, daß der Verf. nach einer fo vereinzelten Wahr⸗ 
nehmung und Beobachtung über ein ganzes, großes Bolt 


urtheilen, demfelben alle Volksthuͤmlichkeit abfprechen und 
es geradezu nur für einen haltlofen Stamm erklären voill. 
Mef. fit längere Sahre In Rußland gewefen und ann 
ihm daher aus eigener Erfahrung und Beobachtung der 
Ruifen verfichern, daß fie allerdings eine fo beſtimmt und 
entſchleden ausgeprägte Volksthuͤmlichkeit haben, wie nur 
irgend ein Volk fie haben kann, und daher im vollften 
Sinne des Wortes ein Voll genannt werden können. In 
dem Volkscharakter der Ruſſen mifchen fich bedeutende 
Lichtfeiten mit bedeutenden Scyattenfeiten. Der gemeine 
Ruſſe ift allerdings noch ein roher Naturmenfch, aus dem 
. viel gemacht werden kann, weil er überaus anftellig und 
gelehrig iſt, und die Verderbniß, die fih in den focialen 
Zuftänden des ungebeuern Reichs unverkennbar eingeniftet 
und bereitd tiefe Wurzeln darin gefchlagen hat, tft weit 
mehr und weit allgemeiner in den höhern und obern als 
in den untern und niedern Schichten ber bürgerlichen Ges 
feufhaft und des Volks verbreitet. Wir find keineswegs 
Freunde ber Ruflen, aber der Deutfche follte, duͤnkt ung, 
vor allem und. überall -ded „suum cuique” eingedenk fein 
und bfeiben, und nicht fo obenhin nad) vereinzelten Wahr: 
nehmungen und Beobachtungen aburtheilen. Denn mit 
demfelben Rechte, mit dem unfer Berf. aus dem Franzoͤ⸗ 
ſiſchſprechen der Ruſſen fih für befugt haͤlt, den Ruſſen 
alle Volksthuͤmlichkeit abzufprechen, würden ja auch bie 
Ruſſen ihrerfeits aus dem Franzoͤſiſchparliren ber guten 
Mienerin folgen Eönnen, daß wir Deutſche kein Bolt, 
fondern nur ein haltloſer Stamm feien. Iſt es freilich 
unferm Verf. nur um den Effect zu thun, auf den er, 
wie wir bald fehen werden, einen fo großen Werth fest, 
fo find freilich dergleichen glängende und fchimmernde 
Schlagurtheile die geeigneten Mittel dazu; allein dem den: 
enden Beobachter muß die Wahrheit mehr gelten als das 
Effect machen. 

Der zroeite Band des vorliegenden Werks beginnt miteiner 
Charakteriſtik deutfcher Männer. Wir übergehen, was der 
Verf. über Goethe, Friedrich Wilhelm IV., Ziel, Savigny, 
Hitzig, Zeune, Seldelmann, Leffing, Kaulbach, Hildebrand 
bemerkt, da wir durchaus damit einverftanden find. Die 
Frage jedoch, mit der er den Artikel „Franz Lachner“ bes 
ginnt, nämlid: warum die Componiften in unferer Zeit 
immer feltener, die Birtuofen dagegen immer baufiger 
werden? wird uns zu einigen Bemerkungen Anlaß geben. 
Hr. v. Jagemann glaubt naͤmlich den Grund von bdiefer 
allerdings auffallenden Erfcheinung nit ſowol darin fu: 
hen zu müffen, daß unfere Zeit keine geniale, fondern 
nur eine Zeit der Speculation und des Talents fei, indem 
er an eine rudgängige Bewegung der Zeit nicht glaubt, 
als vielmehr darin, daß Genies immer nur fporadifch vor: 
kommen, und der günftigen Gelegenheit bedürfen, um ber: 
vorzutreten, die ihnen In unferer Zeit fehlen möge. Zu: 
vörderft müffen wir bemerten, daß auch wir nicht an ei: 
nen eigentlichen Stillſtand der Menſchheit im Vorwärts: 
fchreiten, wol aber an jeweilige Seiten: und Rüdfchritte 


derfelden auf diefee Bahn glauben, da dergleichen geſchicht⸗ 


lich zu deutlih und unverfennbar vorliegen, ale daß fie 
geleugnet werden koͤnnten, die aber in letzter Inſtanz nach 


den für ein fterblihes Auge unüberfehbaren göttlichen 
Meltregierungsplan dennoch zur Förderung des wahren 
Fortfchrirts dienen muͤſſen. Was nun aber ferner die in 
Mede fiehende Erſcheinung insbefondere betrifft, die uns 
zu dieſer Betrachtung Weranleffung gegeben hat, fo ſu⸗ 
hen und fegen wir den Grund davon hauptſaͤchlich in dem 
immer überwiegender werdenden materialiftifchen Zeitgeifte. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Pierre Leroux Über das Weſen des Menfchen. 

De l’humanite, de son principe et de son avenir, oü se 
trouve exposde la vraie definition de la religion, et oü 
l’on explique le sens, la suite et l’enchatnement du Mussisme 
et du Christianisme, par Pierre Lerouz. Erſter und zweiter 
Band. Paris 1840. 

Bereits früher ift das deutfche Publicum in d. Bit. auf 
Pierre Lerour ale „den Reflaurator der franzoͤſiſchen Philoſo⸗ 
phie und ben fpeculatioften Geift, welcher feit Malebranche in 
Frankreich Icbt”, aufmerkſam gemacht. Wenn man diefem guͤn⸗ 
fligen Urtheile beiftimmt, fo wird man freilich nur den tiefern 
Standpunkt der franzöfifchen Ppilofophie, in der fi nur bie 
begabtern Geiſter zum Speculativen erheben konnten, vor Aus 
gen haben; immer aber ift Pierre Leroux eine fo fehr bemer- 
kenswertbe Erſcheinung, daß wir nochmals verfuchen möchten, 
ihm die Aufmerkſamkeit des leider zu viel mit den werthlofern 
Producten ber franzöfifchen Eiteratur beſchaͤftigten deutfchen Pu⸗ 
blicums zuzumenben 

In Frankreich Hatte im vorigen Jahrhundert der Senſua⸗ 
lismus feiner Auftöfung in Waterialidmus und Atheismus nicht 
entgenen Eönnen. War biefes Extrem glei Keine bleibende 
RKichtung, fo ift ed doc bis jegt noch zu Peiner tücdhtigen Rege: 
neration der Phitofophie gelommen. Die Branzofen wollen auch 
bier ernten, wo fie nicht gefäet Haben, und find darauf aus, 
ohne eine folide philoſophiſche Grundlage zu errichten, die Phi— 
loſophie fogleich praktiſch zu machen und die übrigen fpeciellen 
Willenfhaften damit zu befruchten. Weit ihnen dabei denn 
nicht viel weniger fehlt als die Pbilofophie felbft, fo Eommen 
fie in den Syſtemen bed Genfualitmus, des Spiritualismus, 
der katholiſirenden Philoſophie und der &ocialphilofophie über 
bie Sphäre bes reflectirenden Verſtandes nicht hinaus, zielen 
nach Refultaten bin, die ihnen bie Empfindung als Biel vorge: 
ſteckt hat, und bringen es hoͤchſtens zu geiſtreichem Raifonnircen 
und beſtechenden Ginfällen und Hypotheſen. Bedenkt man nun, 
wie leicht die franzoͤſiſche Nationalität durch das dort ſehr wohl⸗ 
feile Blendwerk von Esprit und Phraſenpracht zu verleiten ift, 
fo wird man es erklaͤrlich finden, baß bloßes Geſchwaͤt für Phi⸗ 
tofophie paffirt und daß ſeibſt die Glanzpunkte der philofophis 
ſchen Literatur in Kranfreid nur einen relativen Werth haben, 
und eine Prüfung vom Standpunkte der deutſchen Wiſſenſchaft 
aus nicht ausbalten. Won biefem. Stanbpunkte aus erkennt 
man, daß bie Frangofen, um aus biefer unbefangenen Weife des 
Denfens erlöft zu werben, vor allen Dingen die Kant'ſche Phi⸗ 
loſophie als Entwickelungsſtufe durchmachen müßten. Diefe 
müßte zeigen, wie bie Verſtandesbeſtimmungen der Endlichkeit 
angehören, und wie bie aus ihnen bervorgebende Erkenntniß 
nicht, die Wahrheit ift, fie müßte fo zum eigentlich Speculativen 
ben Übergang bilden. Die niedere Sphäre des Verſtandes ift 
den Franzoſen indeß zu bequem, und die Verfuche, ihnen die 
deutſche Philoſophie zugänglich zu madyen, Naben wenig Nutzen 
geſtiftet. Sie unternahmen es vielmehr, über diefe Phitofophie 
zu raiſonniren und zu deraifonicen, zu verwerfen und zu bill: 
gen, je nachdem das Erfaßte ihren dazu mitgebrachten Borftels 
lungen wiberfpridt ober zufagt. Ienes Verlangen aber, die 
Philofophie von vorn herein praftifch zu machen, hat die focias 
(en Theorien veranlaßt, welche ein fo bedeutendes Element in 
ver franzoͤſiſchen Philoſophie bilden und benen mindeſtens das 








8° 


Gesdienft gebührt, dab fie in ihren kritiſchen Theilen auf ein 
Grtennen der Gebrechen der Gegenwart führten. Diele Gebre⸗ 
den treten endlich in dem Drange nad) materiellen Gütern, ber 
die neuere Zeit deherrſcht, offen vor die Augen Aller hin, und 
eben diefer Drang reagirte gegen die Philofophie, indem er dem 
ruhig refignicenden Fleiße, der aufopfernden uneigennügigen Ars 
keit ein Ende machte. Jeder will fo ſchnell ale möglich die 
Fruͤchte feiner geiſtigen Zhätigleit genießen und macht dieſe das 
der den materiellen Intereffen dienſtbar, welche ein ernfled und 
sehlicdes Streben gar nicht oder erſt fpät belohnen. Die Maͤch⸗ 
tigen ſcheuen ſich ferner nicht, auch im Gebiete bes Geiſtes zu 
unterbrücter: oder zu befördern, was ihren Intereflen entgegen 
ober foͤrderlich ift, und in biefer Hinficht ift es leider conventios 
nel, nady Gatfernung des Preßzwangs und offener Gewalt in 
den-als fich ganz von felbft veritebend angewandten künftlicyen 
Kitten und Schieifwegen keine treulofe Verlegung des einmal 
anerfannten Principe und keine moraliide Schänblichleit zu 
finden, fondern nur die Schriftfteller und Gelehrten, welche ſich 
alſo corrumpiren laffen, einer geiftigen Proftitution zu bezuͤch⸗ 
tigen. Unter foldyen Umftänden Eonnte das ſchmaͤhliche Flickwerk 
des Gtletticismus zur herrfchenden Richtung werden. Der Ek⸗ 
Lekticiömus, der jede bittere Gonfequenz vermeidet, war bie ein: 
zige Exrhre, die gang gefahrlos ſchien und fi zum Bundesge⸗ 
noffen des Doctrinairismus eignete. Das Princip beider iſt 
dafjelbe ; man will bie Extreme vermitteln und bie rechte Mitte 
finden, obgleich die Wahrheit nicht mitten zwiſchen den verſchie⸗ 
denen Anfichten, fondern an dem Biele Liegt, dem fie alle zus 
fireben. So bringt man es denn nach außen zu einer Berfein: 
dung mit allen Parteien, nach innen aber zu einer Gorrumpis 
zung ds eigenen Charakters, indem man durd die Befugniß, 
die Wahrheit aufzugeben, wo fie Gefühlen und Intereſſen wis 
derſpricht, und fi das der Vorſtellung Zufagende zufammenzus 
tefen, nichts Anderes als natürliche Schlaffheit und Geſinnungs⸗ 
loftgfeit zum böchften Princip macht. Bei diefem Zuftande der 
Pbilofophie verdienen die Wenigen, welche mit Feſtigkeit und 
Gruft an dem Werke des Geiſtes arbeiten, gewiß auch bie Auf⸗ 
merffamleit Deutfdylande, und von diefen Wenigen nimmt Pierre 
Lerour diefe Aufmerkſamkeit um fo mehr in Anfprud, als ſich 
in feinen Schriften nit nur ein tücdhtiger Charakter, ſondern 
auch ein unter allen Umfländen beachtenwerthes philoſophiſches 
Zalent offenbart. Pierre Leroux ift durdy die Lehren St.⸗Si⸗ 
mon's gebildet, bat ſich inbeß fpäter von den Gt. : Simoniften 
lotgefagt. Als Mitredacteur der „Revue encyclopedique’' hat 
er in dieſer jest eingegangenen Zeitſchrift eine Reihe fehr bes 
merkenswerther Artikel über Religion, Phitofophie und Ge⸗ 
ſchichts philoſophie niedergelegt und in fpätern Arbeiten für bie 
von ihm mit Reybaud zufammen rebigirte „Kincyclopedie nou- 
velle’’ feine pbilofophifdye Anſicht näher ausgeführt. Eine ſei⸗ 
ner bedeutendſten Arbeiten ift die bekannte gegen Goufin und 
Jeuffroy gerichtete „Refutarion de l’eclectisme “ *), wodurch 
diefe Unphiloſophie einen ſchwerlich zu überwindenden Stoß be- 
tommen bat. ine feiner legten größern Arbeiten iſt die jett 
zur Berichterflattung vorliegende ; fie betrifft das Weſen des 
Menſchen, feinen Zuſammenhang mit der Menſchheit und fein 
jetiges und kuͤnftiges Leben im Schoofe der Menfchheit. 

Iſt der Gang der Geſchichte eine Entwickelung bed Geiſtes 
wm Bewußtſein und zur Individualität, fo find dieſe Fragen, 
deren Loͤſung dem Wenfchen fein und der Menſchheit geiftigee 
Veſen offenbart, die hoͤchſten und wichtigften. Der Menfch 
muß dieſes, muß feinen Werth kennen, denn nur in biefer Gr: 
kenutaiß kann bie geiftige Freiheit beftehen ; über die Rothwen⸗ 
digkeit diefer Erkenntniß aber gibt uns die Tradition in den 
kehren Plato's, Epikur's, Zeno's und bes Ghriftenthums vom 
böchften Sute fo bündigen Auffchtuß, daß wir weder in einen 
fladhen Eudämonismus zurüdfallen, noch im gewöhnlichen Sinne 
fragen werben, welcher Nugen davon zu boffen ſei. Erkennen 
wir bier, daß unfer Lehm nicht blos in uns, fondern auch in 


*) Bergi. Re. ME — 15 d. Bi. f. 1800. 


unfern Mitmenfchen ift, daß wir, gleichwie die Körper auf ber 


Erde zufammen und durch die Anziehungskraft der Erde vers 


bunden zu der Sonne, fo in geifligır Verbindung und Wermits 


tetung mit dee Menfcbheit zu Gott bingezogen werden, fo fte: 


ben wir vor dem Probleme von bem Welen des Menfchen und 
des Bandes, welches ibn mit der Menfchheit zuſammenſchließt. 
Leroug erörtert in ben erflen fünf Büchern feine Lehre vom 
Menfchen, von feiner Beftimmung, feinem Rechte, der wechfels 
feitigen Solidarität aller Menfchen unb dem dauernden Reben 
des Einzelnen im Scyoofe ber Menſchheit, und liefert im ſechs⸗ 
ten Buck eine Darftellung ber Zradition über diefe ragen. 
Zunaͤchſt definirt Lerour den Menfchen. Als abſtractes Ginzels 
weſen hat ihn die Pſychologie zu definiren, und diefe zeigt in 
ihm — wobei die abflracten Gegenfäge von Geiſt und Körper 
loszulaſſen find — eine untrennbare Verbindung von Sinnen: 
anſchauung, Empfindung unb Grfenntniß (sensation, senti- 


ment, connaissance), Als concretes Weſen, als GBegenftand 


der Ethik und Politik iſt aber der Menfch nicht blos, wie bie 
Alten fagten, ein (uov zolrıxo», fondern der Menſch, die Ges 
feufhaft und die Menſchheit iſt perfectibel; ihr Weſen beruht 
auf der in neuerer Zeit gur Klarheit gebrachten Perfectibilitäts- 
lehre. Das Leben eines jeden Einzelnen ift aber an einen fort: 
dauernden Verkehr mit feinen Mitmenſchen und den Außendin⸗ 
gen geknuͤpft, und in dieſer Hinſicht entfpredhen ben drei Seiten 
feines Weſens (sensation, sentiment, connaissance) bad @ls 
genthum, die Bamitie und der Staatsverband, durdy welche je: 
ner jener fortdauernde Verkehr unterhalten wird. Diefe drei 
Sphären müffen dem Menſchen offen fichen: das übel in der 
Weit liegt in dem Zwange und ber Bedruͤckung, die man in dies 
fen Spbären übt, und in ber dadurch herbeigeführten kaſtenmaͤ⸗ 
Big geſchloſſenen Kamilie, im Kaftenflaate, und durch dad Ka: 
fteneigentyum wird der Menf zum Sklaven berabgemwürbigt. 
Man übt aber foldhen Zwang, weil man das Princip der Ein⸗ 
beit bed Menſchengeſchlechts nicht anerkennt. Das Reben bes 
Einzelnen iſt fubjectiv und objectiv. Das objective Liben be⸗ 
zieht auf die Mitmenfchen und die Natur. Jeder Meni als 
Object trägt alfo einen Theil eines andern, ber Subject ift, in 
ſich. So wirft die Vervolllommnung des Ginen auf ben Ans 
dern und es tritt eine wechfelfeitige Solidarität ein, deren Auf⸗ 
bebung durch Ifolirungen zu Leiden und Unterjochungen führt, 
die fowol dem Bebrüdten als dem Bedrüder fchaden. Deshalb 
ift die Lehre des Chriftentyums von ber Liebe auf bie fubftan: 
tiele Ginheit des Menſchengeſchlechts gegründet: in dem Raͤch⸗ 
ften, auf den ſich mein objectives Leben bezieht, Liebe ich mid 
feibft, einen Theil meines Lebens. Leroux weißt nach, wie die 
Vorſchrift, Bott Über Alles, feinen Nächften wie fich felbft zu 
lieben, nur in der unaufgelöften Verbindung der Liebe zu Gott, 
zu dem Nächften und zu ſich ſelbſt ihre Erfuͤllung findet. Die 
alleinige und unmittelbare Richtung ber Liebe gegen Gott ift 
nicht moͤglich, der Verſuch dazu führt zur Schwärmerei. Die 
aus jener Borſchrift Lo&geriffene und firirte chriſtliche Nächten: 
liebe ift mehr Sommiferation ale Liebe; es iſt bei ihr von kei⸗ 
ner andern Gleichheit als der gemeinfamen Nichtigkeit aller 
Sreaturen vor Gott die Rebe, und man darf ſich nicht wun⸗ 
dern, wenn die Armen und Bebrädten eine fo unvollftändige 
und erniebrigende Liebe verſchmaͤhen. Die abftract feftgehaltene 
Selbſtliebe aber iſt platter Egoismus. So muß benn ber Ges 
genfag des Einzelnen gegen Gott und Mitmenſchen aufgegeben 
und dies chriſtliche Princip — welches von den Menſchen ſo 
lange irrig verſtanden iſt — F der Erkenntniß der Einheit 
und Solidaritaͤt des Menſchengeſchlechts in Gott entfaltet wer⸗ 
den. Alsdann wird es der Miſſion der Kirche, welche bis jetzt 
vergebens verſucht bat, jene Gegenſaͤtze zu vereinigen, nicht mehr 
bedürfen und bie jegt ihr ats ein Anderes gegenüberftebende 
weltliche Geſellſchaft wird felbft im Beſitze des religiöfen Prins 
cip& fein, welches bisher von ber Kirche bewahrt werben follte. 

Ruͤckſichtlich des Verhaͤltniſſes des Ginzeinen zur Menfd: 
heit und feines gegenwärtigen und zufünftigen Lebens im Schoofe 
derfelben geht Lerour davon aus, daß bie Trennung eines Iens 


vom Dieffeits, einer künftigen Melt, eines Himmels von ber 
rd ein falfdyer und verderblicher Dunlimus iſt. Disfe Tren⸗ 
nang führt zum Egoismus; zu dem bes_abergiäubigen From⸗ 
men, ber an nichts als an fein eigenes Geelenbeil denkt, und 
zu dem des Atheiften, ber nichts Näheres tennt als das gegen, 
wärtige Erben. Das Zenfeite, das über allem Erſchaffenen Lie 
ade Unendliche und Unficktbare ift der Himmel, iſt Gott ſelbſt. 
jeſes Unendliche manifeftirt ſich aber in Zeit und Raum, und 
fo exiſtirt für den Verſtand der Himmel doppelt, fofeen ex iſt 
und fofern er ſich manifeflirt. Das Unfichtbare wird ſichtbar, 
ohne aufzuhdren unſichtbar zu fein, das Unendliche endlich, ohne 
anfzubören unendlich zw fein. @o eriflirt nicht ein concrete6 
Diefleitd und ein jenfeitiges Geifterreich, aus dem unertennbare 
Bäden In jenes binabreicyen, fondern das unendliche ift doppelt: 
ein abfoluter ewiger alles Geſchaffene umfaflender Himmel und 
ein relativer progreffiver Himmel, die Wanifeftation des erſtern 
in Zeit und Raum. Bisher haben bie Menfchen Beides vers 
wechfelt und das Leben nach dem Tode in das Abfolute und 
Gwige, in eine volftändige Bifien Gottes, in ein Sintauchen 
in das .Unendliche geſegt. Daher eine töbtenbe Furcht, oder eine 
unfinnige Sxflafe, oder die vernichtende Negation bes Atheids 
mus. Allein ſchon unfer gegenwärtiges Leben entbehrt dieſes 
Himmels nicht; als geſchaffene Weſen, als Manifeſtationen des 
Unendlichen, find wie mit dieſem ſchon jest auf diefelbe Weife 
verbunden, auf welche wir e6 nad) unferm Tode fein werben. 
Der Unterfchieb liegt nur im Grabe unferer Intelligenz. unferer 
Liebe und unferer Thaͤtigkeit. Nach diefer Abweiſung des ab: 
fieaeten Senfeitigen kommt Lerour auf-bie Frage von der indi⸗ 
visuellen Kortdauer. Hier haben nur bie hervorragendſten Geis 
fier, denen es gelang bie abflracten Gegenſaͤtze des Ginzelnen 
und Allgemeinen zu verbinden, zur Wahrheit gelangen koͤnnen; 
die Meiften blieben im Zweifel defangen, oder warfen ſich dem 
Glauben in die Arme, fobald der Zweifel unerträglich warb. 
Ee paßte, was GBaffendi fagte, daß man das Vorurtheil hegte, 
die einzelnen Seelen als Theile der Weltfeele zu betrachten, bie 
in Körpern wie in Gefäßen eingefchloffen wären umd bei dem 
Zerbrechen der Gefäße in die Weltſeele zurüdfließen müßten. 
Gs ift aus din Schriften von Richter, Weiße und G@öfchet ber 
Tannt, wie ſehr noch die Gegenwart in diefen Zweifeln befangen 
il. Die Loͤfung Liegt allein in der Dialektik ber Gegenfäge des 
Einzelnen und des Allgemeinen. Wir find, alſo werden tie 
fein. Wir find nur durch unfere Theitnahme am unendlichen 
Sein, an jener abſtracten, über Vergehen und Entſtehen erha⸗ 
benen Subſtanz, wir exiſtiren als ein ewiges Veſen unter ei⸗ 
ner actuellen Form oder Manifeſtation. Nur dieſe Manifeſta⸗ 
tion faͤllt als vergaͤnglich unter Zeit und Raum. Nachdem bier: 
auf der Begriff der Menfchheit, humanit, aufgeſtellt und nadh: 
gewielen if, daß bie Menſchheit nicht als mwefentofes ‚Abftractum 
aus einer Moffe zufällig in Raum und Zeit nebeneinander exi⸗ 
ſtirender Einzeiweſen, fonbern als ein comcreted Wirtliche, das 
fi in jedem Einzelnen offenbart und fubjectiv und ‚objectiv als 
fein Ich und Nichtich in wechfelader Durchbringung in ihm vor» 
handen ift, betrachtet werden muß, crgibt fi), daß der Einzelne 
nicht als ein bei ber Dauer ber Gattung Geibfttofes und Unbe⸗ 
rechtigtes gelten Tann, daB das Allgemeine vielmehr nur durch 
dis Berechtigung des Gingelnen Wahrheit und Griftenz bat. 
Der Mittelpunkt diefer Verbindung iſt Gott, der in jebem Eins 
zeinen die Menfchdeit ſieht und jeden Einzeinen mit dem Cha: 
rakter der Menfchheit gefchaffen bat. Diefe Berbindung tritt 
aber der Vorftelung von der Verfegung ber Geftorbenen in eine 
dee Menfchheit fremde Sphaͤre entgegen. Leroux nimmt allo 
(weicher Gedanke bei uns ja auch von Leſſing wicher angeregt 
it) eine Fortdauer des Einzeinen in der Menfchbeit, ein Wie⸗ 
dergeborenwerben gerade auf dieſer Erde an, widerlegt die Eins 
würfe, die man dagegen aus dem Mangel eines Grinnerung an 
ein früberes Leben gemacht hat, und weiſt nad, daß, wenn 
man nicht mit Locke jeden Neugeborenen für eine tabula rasa 
erfiären und ein Hervorgehen aus dem Nichts annehmen will, 


man entweder jene Perpetuitaͤt ber Einzelnen im Gchoofe ber 
Gattung, ober eine ganz plans und grenzenlofe Seclenwande⸗ 
rung ſtatuiren muß. 

(Des Beibluß folgt.) 


Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Die Geſchichte der Todtentaͤnze iſt noch lange nicht ab⸗ 
chloſſen. Sie erhält einen neuen Beitrag, der von hoher 
en teit iſt, in folgender Mbbandlung: „Kxpliestien de la 
danuse des morts de la Chaise- Dien, e insdite du 
ISino sidche”, von Achtue Bubinat (Paris 1842). Des gelehrte 
Berf., des fih durch mehre ausgezeidinete Merle, neuerdings 
namenttich durch feine „Armeria real’ und feine „„Aneiennes 
tapisseries histori6es" aid Archaͤolog rühmlichft befannt ger 
bat, das allegoriſche Gemaͤlde, das in ber 
Auvergne aufgefunden ift, nicht nur auf eine genhgende Weiſe, 
fondern er fügt feinem Werke nody einige einieltende Bemerkun⸗ 
gen hinzu, weiche auf die Geſchichte der Macaber ober Todten⸗ 
tänze ein neues Licht werfen. Das befannte Werk von Gabr. 
Peignot: „Recherches sur les danses des morts et sur l'ori- 
gine des cartes à jouer” (Paris 1826), wirb dadurch mwefent- 
ich vervollſtaͤndigt. Wir bemerken bier gleich noch, dab Hip⸗ 
polyte Fortoui, Profefloe der neuern Literaturen zu Zoulonfe, 
der durd fein Werk „L’art en Allemagne” belannt iſt, gang 
türztih den berähmten Todtentanz von Holbein in gridhmads 
voller Lithographie, mit einer biftorifchen Ginleitung verſehen, 
herausgegeben hat. Diefe Lithograpbie zeichnet fidy vor dem Abe 
drudt in den „Oeuvres de Jean Holbein‘‘ (Bafel 1780) von 
Mechel befonders durch die größere Wohifeilheit aus. 


Bon allen Kirchen Frankreichs iſt Beine einzige fo häufig 
beichrieben und abgebildet worden als bie biftorifch unb artiſtiſch 
mertwürbige Abtei zu St. Denis. Wir wollen hier nicht alle 
Geſchichtewerke, welche biefe Kirche betreffen, aufzählen und er⸗ 
wähnen die glänzende Schilderung, die Shateaubriand von ihr 
entwirft, nur im Morbeigeben. Gegenwärtig erhalten wir eine 
recht brauchbare Geſchichte derfeiben in ber „Notice historique 
et chtonologique sur l’abbaye de St.-Denis’, von Mad. Rehar 
rivels Durodder. Die Berf., Vorfteherin der Novizen im Mai- 
son royale zu ©t.+ Denis, hat ihren @egenftand einfach unb 
obne großen Aufwand von Gelehrſamkeit, aber in einem recht 
würdigen Zone bebanbeit. Es wäre wünfchenswerth, daß bie 
Geſchichte und Beſchreibung aller Interefianten Kirchen, ari des 
nen Frankreich fo reich if, in einem Werke zufammengeftellt 
wücde. Daflelbe dürfte etwa ein Seitenftäd zu dem befannten 
Werke von Leon Gozlan über die Schiöffer und Burgen Frank⸗ 
reiche bilden. Wenn wir nicht irren, bat der Vicomte be 
Walfh vör einiger Zeit den Plan gehabt, ein ſoiches Werk her⸗ 
auszugeben; wir wiffen aber nicht, ob er wirklich die Hand 
daran gelegt bat, ihn zu verwirflihen. Fuͤr die Kirchen von 
Paris tft in dem befondere artiftifch ſehr beachtenewerthen Werke: 
„Les öglises de Paris’ (Rithographien von Pragonard), von 
dem Fr die Teste Lieferung erfchlenen ift, der Anfang 
gemadht. 





— 


Wir haben in dieſen Blättern vor einiger Zeit eines Werke 
dene über den Handel von Marfeille gedacht, das aus der 
Beder von Jules Julliany herruͤhrte. Es war dies eine bloße 
Skizze, bie in dem umfaffenden Werke: „Essai sur le com- 
merce de Marseille”, von J. Zulliany, von dem vor kurzem 


- die beiden erften Bänte erfchienen find, ihre weitere Ausführung 


erhalten bat. Diefe ſchaͤtzbare Monographie wirb mit bem drit⸗ 
ten Bande, der binnen kurzem erjcheinen foll, abgefchloffen 
fein. Wir beeilen uns darauf aufmerlfam zu machen, weil 
diefes Werk einen wichtigen Beitrag zur allgemeinen Geſchichte 
des Handels liefert, die bis jegt noch Feine genügende Behand⸗ 
lung gefunden bat. 2. 


Berantwortiicher Herausgebers Heinrih Brodhaud — Drud und Berlag von $. 4. Brodhaus in Leipzig 


Blätter 


fir 


literariſche Unterhaltung. 





v. Sagemann. 
(Befluh aub Nr. 28.) 

Ohne uns nun weiter bei Mendelsiohn : Bartholdy 
und Boiſſerée aufzuhalten, deren Werth und Verdienſt 
wie volllommen anerkennen, geben wir ſogleich zu dem 
vierten und inhaltvollſten Abſchnitt über: „Vorbilder und 


Leiftungen der modernen Kunſt.“ Es Liege nicht in 
umferer Abſicht, dem Verf. in feinen Afthetifchen Kritiken 
isber die verfchiedenen Maler, Heroen und Schulen, deren 
Eigenthuͤmlichkeit und Leiſtungen zu folgen: es iſt dies 
teils zu oft beſprochen worden, theil® würde es uns zu 
weit über die uns geſteckten Grenzen hinausfuͤhren. Wir 
wollen und müflen uns bier nur darauf befchränfen, feine 
speoretifgen Seundfäge, die uns eines Elaren und richtigen 
Begriffs von der Aufgabe ber ſchoͤnen Künfte und von 
ben Bedingungen, an die deren Löfung geknüpft iſt, gaͤnz⸗ 
lich zu ermangeln fcheinen, einigermaßen näher zu beleuchs 
un; es wird fi dann leicht nachweiſen laſſen, daß und 
worin er geirrt hat. Den dem Gase ausgehend, daß dfe 
Wirkung der Kunft Beine foftermarifche, Logifch s confequente, 
fonderen eine unmittelbare und ohne Überzengungsgrände 
bewegende fei, deren Einfluß und Aufnahme fi nie im 
voraus beſtimmen Laffe, fondern deren Kraft und Gewalt 
lediglich durch den Erfolg dewaͤhrt werde, folgert er hier: 
aus, daß die Bemühungen „der Theoretiker, eine Klimar 
der Kunftwirkungen aufzufuchen, nach der alle erfcheinende 
Kunftwerke ſich zu ciaffifichen und ihr Urtheil zu gemärs 
tigen haben“, vergeblich feten. Was die Kunſtwirkungen 
betrifft, fo will er Verftand und Vernunft dabei gänzlich 
ausgefhloffen wiffen und nur das Gefuͤhlsvermoͤgen (Be: 
müth, Herz) zulaſſen. Dies zugeflanden, koͤnne man über 
Vie ſeltſamen Zufaͤlligkeiten einer Kunftwirkung nicht wei⸗ 
tee mehr flaunen, denn das Derz nehme Seine Überzeu⸗ 
gung an; es laffe fid weder durch hochtoͤnende Richtige 
Zeit wech, durch einſchmeichelnde Großartigkeit imponiren, 
fchroeige vielmehr, fo lange es nicht von felbft überfprus 
Dele, denn «8 fei Herr feiner felbit und kenne kein Gebot 
ats fich felbft. Von diefen Grundvorausfegungen weiter 
gehend und unbekuͤmmert auf ihnen fortbauend, findet 
nun unfer Verf., daß es ſich natürli ganz von feldft 
verftehe, einmal daß die Wirkung eines Kunſtwerks, da 
De Kunft ihre Richtung hauptfächlih auf das Gefühls⸗ 


der wirklichen Aufnahme, die es erhalte, feine Werthbe⸗ 
ſtimmung finde. Lehre der Erfolg, daß wenig oder gar 
kein Gefuͤhl im Publicum dabei erwacht fei, fo fei ber 
Beweis geliefert, daß der Kumſtler ein Verblendeter, ein 
Verierter fei und daß ihm echter Beruf mangele. Der 
Werth eines Kunſtwerks richte ſich nicht nach der Über 
einftimmung, in der es mit gewiffen willkuͤrlich aufgeſtell⸗ 
ten Regeln ſtehe, ſondern lediglich nach dem Erfolg, nach 
der Wirkung, die e6 auf kunſtempfaͤngliche Herzen made. 
Die Frage: Worauf iſt die Kunft im Allgemeinen ge: 
richtet? beantwortet der Verf. dahin, dag Bildung und 
Veredlung des menſchlichen Geſchlechts Zweck derfeiben fet. 
Ferner darauf: ob denn die Menge, auf die gewirkt wird, 
oder gewirkt werden ſolle, ein Urtheil uͤber Kuͤnſtler und 
ihre Werke habe, erfahren wir, daß man zwiſchen dem 
niedern Volke und der hoͤhern, gebildeten Claſſe unterſchei⸗ 
den muͤſſe, finden: es zwar auch Zweck der Kunſt, und 
zwar ein ſehr dankenswerther ſei, auf das niedere Volk 
einzuwirken, in der Regel aber doch die Abſicht vorliege, 
den hoͤhern, gebildetern Theil zu ergoͤzen und den Kunſt⸗ 
geſchmack der Einſichtsvollern zu behertſchen; es laſſe ſich 
gar nicht bezweifeln, daß ein Publicum vorhanden ſei, 
das competent Über Kuͤnſtler und ihre Werke urtheilen 
koͤnne. Nachdem nun unſer Verf. ſeinem Herzen wider 
„die ſogenannten Kunſtkenner und Kunſtphiloſophen, die 
ſich ein ausſchließliches Urtheil über dieſe Gegenſtaͤnde vin⸗ 
diciren, die in ihrer abſonderlichen Erleuchtung nicht mehr 
und nicht weniger glauben, als daß die Kunſt ganz allein 
für fie auf der Welt ſei“, Luft gemacht hat, iſt er nun 
zu der gluͤcktichen Entdeckung gelangt, daß das Merk ber 
Kunſtkritik ein „aͤußerſt einfaches” fei. Denn Jeder, meint 
unfer fchnelfertigee Verf., der die rohe Schale abgeftreift 
babe und feinerer Gefühle fähig ſei, pflege ein Kunſt⸗ 
product, deſſen erfter Eindrud ihm anziehend erfcheine, 
mit Aufmerkſamkeit anzuhsren und anzufehen, und, wenn 
er den ganzen Inhalt in feine Seele aufgenommen, fich 
zu prüfen, in weiche WBerfaffung fein Gemüth dadurdy ge: 
bracht worden ſei; die Wirkung werde fih dann im Al: 
gemeinen al& eine dreifache erweifen: nämlich als angenehm, 
oder umangenehm, ober gleichgültig, und hiernach fei das 


. 
u) 3 


Kunſtwerk gerichtet, indem dem unangenehmen Eindruck 


ein fchlechtes, dem angenehmen ein gutes und dem gleich⸗ 
gültigen ein mittelmäßige® Kunſtwerk correfpondire. Dieſe 
Abftraction, im Geiſte aller Gebildeten vorgenommen, bilde 
von ſelbſt ein gewiſſts, Yerrfchendes Urtheil, das allerdings 
feine Nuancen habe, aber doch im Ganzen Über Die Qua⸗ 
lit&t eines Kunſtwerks enticheide, und dieſes herrſchende 
Urtheit fet die eigentliche Werthbeflimmung der der öffent: 
lichen Anfhauung übergebenen Kunſtwerke. Die Kunſt 
fei, wenn fie ihre wahre Aufgabe erkenne, auf Bildung 
und Ergoͤtzung des menſchlichen Geſchlechts gerichtet; ſehe 
ſich diefes num nicht wohithaͤtig angeregt, bleibe es ftumpf 
und kalt dabei, ſo ſei obiger Zweck verfehlt. Das Urtheil 
eines großen Publicums koͤnne freilich ſelten binnen Jahr 
und Tag als abgeſchloſſen hetrachtet werden, und Man⸗ 
ches, was anfangs mit Begeiſterung aufgenommen wor⸗ 
den ſei, werde oft in dee Folge verworfen, und umgekehtt. 
Man müffe nur die Reife des Urtheils abwarten, aber 
jedes wahre Kunſtwerk habe nody im Laufe der Zeit feine 
Mirdigung gefunden und feinem echten Kuͤnſtler braudye 
bange zu werden, daß ihm, wenn aud nit die Mit⸗ 
weit, fo doc) gewiß die Nachwelt das gebührende Lob zu 
Theil Laffen werde. 

Das ift nun die Kunftcheorie unſers Verf., die ihm 
allerdings Außsrft wenig Mühe geloftet haben mag. Allein 
auf die Gefahr hin, von ihm auch für einen „fogenannten 
Kunftphitofophen erklärt zu werden, der da glaubt, die 
Kunft fei einzig und allein für ihn da”, müffen wir doch 
offen geitehen, daß uns nicht leicht eine größere und voll: 
ftändigere Begriffsperwirrung vorgekommen iſt als eben 
die in feiner Kunfktheorie vorliegende. Was zuvoͤrderſt 
feine Behauptung betrifft, daß die Wirkung der Kunfl 
feine ſyſtematiſche, Togifch sconfequente, fondern eine un: 
mitselbore , ohne Überzeugungsgrände bewegende fei, fo 
überträgt er damit offenbar, was nothwendig integrirend 
mit dem Wefen und der Aufgabe der Kunft und in ders 
felben begründet, was eben die eigenthümliche und beſon⸗ 
dere Form der Kunft ift, durch die‘fie ſich weſentlich von 
der wiffenfchaftlichen Form unterfcheider, auf die Wirkung, 
weiche die Kunſt bezwedt, und. verwirrt ſo von vornherein 
zwei ganz verfchiedene Geſichtspunkte miteinander. Denn 
Zwe und Aufgabe der Kunft ift keineswegs, wie unfer 
Verf. meint, Bildung und Veredlung, oder, nad einer 
andern Stelle, Bildung und Ergoͤtzung des menſchlichen 
Geſchlechts, ſo unmittelbar; fondern ihr unmittelbar wah⸗ 
zer Zweck ift, Die Idee des Vollkommenen und Schönen 
unmittelbar im menfclichen Geifte zur Anfhauung und 
zum Bemwußtfein zu bringen. Was alfo die Wiſſenſchaft, 
die diefelbe Aufgabe und denfelben Zweck hat, durch Zer⸗ 
fegung, Erörterung und Zergliederung der menſchlichen Gr: 
kenntniffe und Begriffe, alfo analytiſch, zu bewirken 
und zu erreichen bezweckt, das bezwedt die Kunfl unmit⸗ 
tslbar und mit einem Schlage, alfo ſynthetiſch, zu be 
merfftelligen, und in bdiefer ihr eigenthuͤmlichen ſyntheti⸗ 
ſchen Form iſt ihre charakteriftifger Unterfchied von ber 
Wiſſenſchaft, ihrer Form nah, gegeben, und ſonach ift 
der, Unterfchied zroifchen Wiſſenſchaft und Kunſt weſentlich 


nuc ein formaler. Berner koͤnnen wir unmögli dem Ges 
fühlsvermögen und dem Erfolge einen fo wichtigen Einfluf 
und einen fo hohen Werth binfichtlich der Entfcheidung über 
den Werth von Kunſtwerken und Kunftleiftungen einräu- 
men, wie unfer Verſ. es thut. Denn gerggichde derſelbe 
ganz Recht hat, daß bes Werth eine Kunftwertd ſich 
nicht „mach der Übereinftimmung deffelben mit gewiffen 
willtürlichen Regeln richten koͤnne“, weil willkuͤrliche Me: 
geln überhaupt gar Feine Regeln find, indem «6 der Bes 
griff der Regel ſchon an und für fi nothwendig mit 
fi bringt und in fich ſchließt, daß fie eine jede Willkuͤr⸗ 
üchkeit ſchlechthin von ſich ausfchließende Nothwendigkeit 
iſt: fo kann ſich doch auch der Werth eines ſolchen 
Kunſtwerks nicht nad einem fo zufälligen, bezüglichen 
und unfiherg Kriterium beibmmen, wie 26 der Grfelg 
oder die Wirkung ift, Die es auf kunſtempfaͤngliche Herzen, 
auf ein gebildetes Publieum madt, fondern muß noth= 
wendig in ihm ſelbſt, oder vielmehr in feiner Übereiuſtim⸗ 
mung mit der Idee des Vollkommenen und Schömen he= 
suben. Ob und inwieweit ein Kunſtwerk mit der Idee deck 
Volllommenen und Schönen übersinftimmt, alfe ob und 
inwieweit ſich Ddiefe Idee in ihm gleichfam verkörpert fin⸗ 
det, darnadı allein und nicht nady dem Erfolg, ober nach 
der Wirkung, die es auf funfiempfängliche Herzen macht, 
mug und wird fi der Werth eines Kunſtwerks beſtim⸗ 
men laſſen. So gewiß fih aus der Natur der Idee des 
fittliih Guten und Vollkommenen mit unbedingter Rothe 
wendigleit die Koderung an jeden Menſchen barausfbells 
und machen läßt, das fistlih Gute unter allem Um— 
fländen und Bedingungen zu wollen und zu thum, 
und fo gewiß «6 darum keineswegs immer in Der 
Wirklichkeit gefhieht, ebenfo gemiß ſtellt ſich aus. der 
Idee des Volllommenen und Schönen, beren Anſchau⸗ 
lichmachung Zweck und Aufgabe atfer ſchoͤnen Kunft uͤber⸗ 
baupt iſt und mit der fie nothwendig Kbereinflinuuum 
muß, mit unbedingter Nothwendigkeit die Anfodermg, 
gleihfam der äfthetifhe Imperativ an Sjedermänsigkich 
heraus, daß er ein ideegemaͤßes und eben deshalb ſchoͤnes 
Kunſtwerk auch ſchoͤn finden ſollte, ohne daß dies jgdes⸗ 
mal in der Wirklichkeit beachtet wuͤrde. Endlich koͤnnen wir 
uns nicht damit einverſtanden erklären, daß nur Herz und 
Gemüth, Vernunft und Verſtand Dagegen gar nicht ais come 
petente Nichter über Kunftleiflungen und Kunſtwerke zu⸗ 
gelaffen werben follen; vielmehr fegt gevade umgekehrt die 
Würdigung des Schönen, fowie bie von großen und hoͤ⸗ 
bern Kunſtleiſtungen und Kunſtwerken Erkenutuiß, Ein⸗ 
ſicht und Urtheil weit mehr als nur das bloße allgemeine 
und unbeftimmte Gefühl voraus. Oder wird uns der Verf. 
fügen wollen, daß z. B. über Dante's, Gaͤttliche Komödie”, 
Zorquato Taſſo's „Befreites Jeruſalem“, Arioſt's NRaſen⸗ 
den Roland““, das Niebelungenlied, ferner über die Werke 
eines Calderon, Goethe, Shakſpeare, Schiller, eines Ra⸗ 
fael, Michel Angelo Buonaroti, Gluck, Mozart, Beethoven, 
Händel, Sebaſtian Bach nur das Gefühl allein und in. 


letzter Inſtanz und nicht auch Einficht, Erkenntniß und 


Urtheil als competent⸗ Richter zugelaſſen werden ſollen? 
Vielmeht muͤſſen dieſe nothwendig hinzukommen, fpfern 





fie ern Meche nach ih mufgeſaßt amd: erfünnt 
werden follen. 2, 





Pierre Leroux über dad Weſen des Menfchen. 
Befäiet 0b Rr. 22.) 


Wir haben in biefem dürren Yrtracte dem keſer leider 


Kine Borkkellung von der geiſtvolen Verfolgung der angefnüpf: 


un Gebaufenfüsen, von dem vollen Gewichte der Iperuiativen 


Xsgumentation und ber beichten Wärme der Darſtellung geben 
Kanen, worurch fi) unfer Schriftfielter auszeichnet. Ebenſo 
menig wird es möglich fein, den reichen Inhait des letzten dis 
ſteciſchen Abſchmites — deffen Vollendung von der Fortfegung 
des Merle zu erwarten iR — einigermaßen erſchoͤpfend darzu⸗ 
nen. Lerour weift hier die meht oder minder entwickelten 
Keime feiner Ideen in ber Tradition nah. Gr ſieht in ber 
der Phitoſophie mi 
er Wen, die in 


abſeinte Rädkehre und Vernichtung des Einzelnen in Gott, an 
eis Paradies und eine Hölle, oder an eine Metempfochofe durch 
die Thier⸗ und Pflangenweit einmifchen, jene Grundidee hat den 
Menſchen nicht gefehlt und iſt nur durch den Mangel des Glau⸗ 
bend an den Korrichritt und bie Perfectibitität verbunfelt wor⸗ 
den. Leroug weiſt diefes in einer geiftvollen Analyfe ber Pta⸗ 
toniſchen und VPythagoraͤlſchen Philoſophie nach und wendet fidh 
Yan zu den Moſaiſchea Lehren und ihrem Zuſammenhange mit 
dem Gheiftentyume. Wie Moſaiſche Lehre Tennt eine Unfterbs 
tigkeit. Leſſing Hat in feiner Schrift „Über die Erziehung des 
Men ſchengeſchlechts⸗ gewiß auf das Sinnreichfte erfäutert, daß 
fer das Menſchengeſchlecht eben Dasjenige fet, was 

für die Einzelnen, daß fie dem jedesmaligen Bit 
bJungsgrads der Menſchen entfprede und bie höhere Wahrheit 
nie ausfchtöffe, fonbern in Vorbereitung, Anfpielung und ins 
gerzeia darauf hindeute. Dieſes beflimmt ben allerdings nur 
seiativen Verch bee Dösfatfchen Lehre. Berour gcht auf Beffing’s 
genau von ihm anadsfirte Anſicht ein; er eriäutert die Moſai⸗ 
fen Myythen durch die Nachweiſung, daß die Erzvaͤter von 
Wam His Noch nur ſymboliſche Perfonen und Phafen in der 
Enutwidelung des Menſchengeſchiechts find, und weiß auf hoͤchſt 
funreiche Weiſe darnadı die Lebenddauer der Erzoäter im Eins 
% den dya em Mythen des Berofid ale Abtbeiluns 
der enklifchen Periode von 3600 Jahren zu erklaͤren. 
nt im feinen Mythen das Dogma von der Einheit des 
it der Menfchheit beſtimmt angebeniet und bie Idee 
uer des Binzelnen In der Menfchheit darin vor: 

‚ fobaß mindeftens die fatfche Idee des abftrarten Sens 
befkimmt- abgebalten wir. der folgenden Zeit findet 

dann bei den Sabucaͤtrn Materialiomus und Fein Unfterbs 
Udjleitöglaubes; bei den Gilden, die das Dogma von ber Ein⸗ 
keit erfaßt hatten, ber Glaube an den Übergang in ein einge: 
Metes Paradies und eine Hölle; bei den Pharifdern neben ſeib⸗ 
fohtiger Kaſtenmaͤßigkeit der Glaube an eine Wiedergeburt in 
der RNeuſchheit. en Anſichten fanden in dem 
Blauen an eine Auferftehung, eine nach dem bevorftehenben 
Ablaufe einer beflimmten Periode erfolgende Zerftörung ber 
Welt und den Beginn einer neuen Ara — welchen Glauben 
Lerour bib zu feinen erfien Spuren und durch alle feine Modi: 
ficationen verfolgt — einen Vereinigungspunkt. Durch bie 
Spattumg zwiſchen dem Ginyfinen und dem abfltacten Allge⸗ 
n, dur den Bruch mit der Wirklichkeit wird dieſer 
Staube zu unendliher Sehnſucht, die im Chriſtenthume Befrie⸗ 
digung finden foflte 
auf eime ſociale und politiſche und auf eine pſychiſche und mo⸗ 


8 


TH 


a 


B 


Diefe v 


zalifhe Palingenefie, und die Miſchung biefer brei Formen gibt 


. Dan boffte auf eine kosmiſche und phnfifche, |: - 


den rikiihen Goauuftiein ſenen wrmderbar hierweißerden Bha- 
meter, bee die Matianen an Das Edrteithum zu feffein vers 
mochte: Gurifiens ſerbſt iſt aus der Bette dee Eier; feine Ans 
haͤnger zeigen gleihfals noch Gpuren des Geltmglaubens.' 
Matthäus iR ein dekehrier Saducaͤer, Markus ein Eile, Eu 
kas ein Pharifder and Johannes iſt burg die grichhiiche, da⸗ 
mais durch ben Piatentsmus reptäfentirte Philbſophie Kebiibet. 
Dechalb tritt ia Matthäus bie koſmiſche Salingeneſte umd ein 
revolutionnaires Element, im Lukas, ber, obgleich 

doch durch Paulus’ Sina bie Irabitionen ber Pharifäer rer 
präfentirt, die politifche Berjängung durdy Saͤnberung des Pries 
ſterthums, lebhaft hervor, mährend die pfychiſche und pſychold⸗ 
gifche Regeneration, bie tm Markus angebeutet und im Johan⸗ 
nes auögebitdet ift, fehtt. Der ſyriſche Urtert des Matthäus, 
den, nad) ber Nachricht von Papias beim Eufebius, Jeder aus⸗ 
tegte fo gut er konnte, ift nach 2erour gerade das primitive 
hebräifhe Evangelium, weiches ſich nad) andern Nachrichten in 
den Händen der IudensChriften befunden hat. Der Panonffche 
Matthäus ift das treueſte Bild diefes primitinen iums, 
und die übrigen Evangelien find Bearbeitungen, bie, im Gans 
zen an den Zhatfachen feſthaltend, doch nach jenem Ausfprudhe 
nom Papias bie Idern der MWerfaffer einmifchen. i 
Rechtfertigung dieſer Anfidyt durch Belegſtellen wird nun bie 
Grundanficht bes Ehriſtenthums über Gott, der wahre chriſtliche 
Pantbeismns, hie Anſicht Gheifti über feine Gottetnatur. dem 
Logos, die Liebe und die Einheit bes Deenfchengefchiechts und 
Gottes dargelegt. Das Böfe iſt ber Bruch diefer Ginheit, bes 
ven Herfell das Problem der Denker bis auf Chriſtus war. 
So ſchließt ſich das Chriſtenthum an bie Mofaifche Lehre. Hier 
iſt der Menſch bie Ertenntaiſß aus ber Einheit wit Gott 
ausgetreten und das Moſaiſche Geſetzbuch iſt ihm ats Zuchtruthe 
gegeben. Im Chriſtentham tritt die Verſoͤhnung durch das 
wiedergegebene Bewußtſein ber Einheit, durch die Erkenntni 

wieder ein. Das Gottesreich aber, das Chriſtus verſpricht, tft 
nicht das ſchilechttzin umendblicdhe Jenſeits, es ift vielmehr nur bie 
einige Manifeftation biefes Unendlichen, die concrete Wirklichkeit, 
in welcher Gott . 

Mon wird aus bdiefer kurzen Analyſe entnehmen, bap 8er 
wur in ben wichtigſten Punkten zu ben Mefultaten der deut⸗ 
fen Yhilofephie gelangt. Diefe Übereinfiimmung gewährt ſei⸗ 
nem Werte ein beſonderes Intereffe, da er bie beutſche Philoſo⸗ 
phie mur hoͤchſt mangelhaft beant uud: dieſes namenttich durch 
feine Anfuͤhrungen ber Hegel'ſchen Philoſophie — über melde 
ee durch Reſumes und Extraete verwirrt fein mag — bekundet. 
Wir ſchließen daher mit dem Wunſche, daß das deutſche Publi⸗ 
cum unſern Schriftſteller, ber es verbient bekannter und bes 
ruͤhmter zu fein ats bie in Deutſchland vielgenannten Araͤger 
der modernen frauzoͤſifchen Philoſophie, durch feine Aufmerkſam⸗ 
keit auf ihn ehren, daß aber Leroux durch genauere Kenatniß 
der von ibm no ungeahnten Schaͤte der deutſchen Philoſophie 


ſelbſt reichlich belohnt und in den Stand gefent werden möge, 


gang im Geile feiner Lehre die Schranken der nationalen Abs 
ſchließung der Philoſophie zu uͤberwinden. 4. 
Literariſche Noetizen aus England. 

Seltſam genug iſt Richard Savage ziemiich zu gleicher 
Zeit in Deutſchland auf den Bretern und in England in einem 
„Romance of real life’ erſchienen, deſſen Verfaſſer Charlet White: 
beab (3 Bbe., London 1842). Der Roman aus dem wirklichen 
Leben wird in Form einer Autoblographie gegeben und dieſe endigt 
mit folgenden Worten an den Lefer: „Sollte Der, in beffen 
Hände gegenwärtige Blaͤtter fallen, ein tugendhafter Menſch 
md für Andere die Weranlaffung zur Tugend fein, ein guter 
Bater guter Kinder, der gute Batte einer guten Brau, und er 
mid; verurtheifen wollen, fo rufe ich ihm die Zeilen gu: 

No mother’s care 

Shaded my infant innoeenee with ptayer; 
No father’s guardian hand my youth mainiained, 
Call’d forıh my virtues, or from vioe zestrained.’’ 


Eine vartreffliche Sutfegulbige und Schwaͤchen 
eines Rennes, von ehe 3 Johnſon ſagt: „Beboren mit bem 
ethte uf Gore unb 
nate vom Parlamente iBegitimict, von feinee Mutter verieugn 
zur Armuth verdammt und binausgeftoßen auf den Dcean be 
Lebens, im Rriehfande zu verſinken oder au ben Felſen gu zer 
\ mettern.“ MWBhitehend Hat feine Aufgabe mit Eifer und Ser 
ck geloͤſt, ohne von den durch Johnſon conflatirten Eehender: 
—*8* weſentlich abzuweichen. 


A popular bistory of British India”, von Gooke Taylor 
(London 1842), ift ein böchft empfehlenswerthes Werk. Es ift wirt; 
lid) populair geſchrieben, geht nicht auf Details ein, veranſchaulicht 
aber bie Art und Weife, wie die Engländer ‚Herren von Indien ges 
worden fin und was fie für Indien und Indien für fie gethan. 
Das Buch iſt mit einem Worte ein Harer, 
zug aus vielen bunfeln und weitfchweifigen Werken und ein neuer 
Beweis für bie vortreffliche Darftellungsgabe des Verfaſſers. 


Bibliographie. 


Auerbach, B., Der geblibete Bürger. Buch für 
denkenden Mitteiſtand. — Bietefelb. 16. 11%, Pe 
Ball, ©. 3., Jeruſalem wie es war unb wie es tft, oder 
feine Geſchichte und fein jegiger Zuſtand. Nebſt einem Grund: 

eis von Ierufalem. Elberfeld, Daffel. 8. 10 Re. - 
Bernoulli, C., Reuere Ergebniſſe für die Bevoͤlkerungs⸗ 
ſtatiſtik. Zugleich als Radtrag Km Pandbug) ber Populatio⸗ 
— —e aut Dane ungehaltene Vorleſun⸗ 
1. Heft: Inlaͤndiſche Zuſtaͤnde. Braunsberg. 8. 5 Rgr. 
Bibliot bei für moberne Politik und Staatswiſſenſchaft. Ders 
audgegeben von K. Riedei. Ites Heft. — Auch u. d. T.: 
Immanuel Sieyes' Theorie der Wolfövertretung in der conftitus 
tionellen Monarchie. a ie. potitifchen Schriften bargeftellt. 


Darmftadt, eat. 
D., Das wahre Geburtsjahr Christi, oder 





gen. 


Block, 
wir sollten ise3 anstatt 1843 schreiben. Nebst einem An- 
hange, enthaltend die Berechnung der Mondfinsterniss am 
16. Octbr. im J. 16 vor Chr. nebst einer tabellarischen 
Übersicht der —— kallippischen Cykel vom Jahr 738 
ei zu 30 Ner. &1 der Stadt Rom. Berlin, Verlagshandiung. 

Breier, . Die Gutachten über Bruno Bauer. Ein 
Zeichen der Zeit. Dibenburg, Schutze. Br. 8. 5 Nor 

Brunner, ©., Wiener⸗Reuſtadt in Bezug auf Seihichte, 
Bopogtaphn, Kunft und Altertgum bargeftelt. Mit Federzeich⸗ 

Wien, Mayer u. Comp. Gr. 8. 1 Thirx. 

Che rbuliez, Mad. T., Anette Gervais. Yamitionger 
mälbe, frei nad) dem ran öfffdyen. Bearbeitet von J. S. 
Hamburg, Herold. Ki. 1, Nor 

Ghmel, J., Gefhickte Kaifer aetrichs IV. und feines 
Sohnes Marimilian I ?ter Band. Geſchichte Kaiſer Fried⸗ 
Fa N gi König (1440 — 1459). Damburg, F. Perthes. 

2.58. k. 

Dannenberg, ©. W., Synchroniſtik der Schreckens⸗ 
tage Hamburgs vom 5. bis 8. Mai 1842 und deren Folgen. 
Hamburg,“ Herold. Br. 8. 1 Thir. 10 Nor. 

Enigegnung auf die Schrift: Die Reform m Königlich 
Saͤchſiſchen. Criminalproceſſes unter Berädfihtigung der Fra⸗ 
gen über Öffentlichkeit und Muͤndlichkeit des Etzafoerfabrens, 
ae Verlage» Somptoir. Gr. 12. 10 Rer. 

— der Kaiſerlich Ruſſi ſchen Armee von Polen in den 
Jadrh 1813 und 1814. Bon einem Augenzeugen beſchrieben. 
Nebſt authentichen gaellagen. Hamburg, Bofmann u. Campe. 
Gr. 8. 1Thlr. 1 J 
——— \ ebiähke, 
2 Thlr. ) Nor 


Hte Auflage. Gtuttgart, 
Cotta. 16. 


überfichtlicher Auss | 


"Comp. 8. 


Gabler, ©. A., Die Hagai'sche Phinnghie. - 
su ihrer richtigen Beurtheilung ad Wärdigung. 1. 
Das Absolute und die L der Grundfrage aller Philo- 
sophle bei H im Unterschiede von der Fassung anderer 
Philosepben. Berlin, A. Duncker. Gr.8. 1 Täler. 7%, Ner. 
‚yalznius ‚Cine u für feine Freunde. Ber⸗ 


eme er. . », Verfahren uns Erktuntuiß 

Bremifchen ie in Unt ſachen wiber bem 
Sapitain des Bremiſchen Schiffe u at Giuarb um 

Conſ. wegen —— Nach den Acten dargeſtellt. Fe 


Bu AU usfü Ventil 
anfemann, ber die X des 
Fifendapn » Gpfkems.. in, —* Ma Br 


bbel — Ein z8 
— 

sınro N t 
—22 Deurfätanh In Gore, Ken ae 


gr. 

Hitzig, F., Über Johannes Marcus und seina Scheif- 
‚ oder: Welcher Johannes hat die Offenbarung verfasst ? 
Eine Abhandlung in 3 in 3 püchern. Zürich, Orell, Wüssli u. 

r. 
Jahrbuch fär 185 Herausgegeben von H,C. Sche- 
macher, mit von Bessel, Hanstein, Leh- 
mann, Mädler und Olbers. Stuttgart, Cotta. 8. 2 Thir. 
Kalisch, M., Herr J. 3. Sachs vor den Richterstahl 

1% öffentlichen Meinung gefordert. Berlin, Ochmigke. Gr. 8. 

gr- 

taing, ©., Reifen in Schweden und Norwegen. Rad 
dem Gnglifchen bearbeitet, mit Zufägen uab Kaunerfungen von 
B. A. Einbau. Uſter Theil. — Auch u Reiſe in 
wed a 1 tithograppirten —** Dre Ar⸗ 


Moll, K. B., die gegenwärtige Notb der ebangeliſchen 
Kirche Preußens , deren Urſachen und bie Mittel zu ibeer Abs 
hülfe beleuchtet. Paſewalk, Köhler. Gr. 8. — IV Ror. 

Moshammer, I. A., Die Donaureiſe von Wien bis 
Peſth. Eine Darſtellun * auf dieſer Route befindlichen Merk⸗ 
wuͤrdigkeiten in hiſtoriſcher, topographiſcher und — * 
ziehung, nebſt einer Beſchreibung des Sehenswertheſten in 
Staͤdten Ofen und Peſth. Mit Panorama in Bopiperfpertioe. 
Wien, Roprmann. 8. 3 Tolr. WM 

codemus, &., Wien in — *— komiſchen Spiegel⸗ 
bildern. Cine Sammlung unterhaltender Gen je ms bier 
figen Volksleben. Ifte Lieferung: Die Safehing. » Dinflags » Res 
doute. Wien, Zauer u. Sohn. Gr. 13. 71, Near. 

Rau, D., Gedichte. Stuttgart, Frandy. 8. 2 Thir. 

Reaction und Adel. Gine Mahnung. Nebſt einem An= 
bange aus dem Bagebude ei eines Ropatiften. Berlin, Verlage: 


buchhandlung. Gr Nor. 
Rudolphi, 3., 1842, das venbengnifole Jahr. Gin 
Boldmer. Gr. Nor. 


Gebenfruß: Leipzig, 
Smidt, H itonet Bilder. —8 und Skizzen. 


Berlin, —E 8. 1 Thlr. 


Stand und Schickſal. Ein Zeitbilb aus dem Tagebuche 
eines Lieutenants. Königsberg, Theile. 8. I Thir. 

Steinmann, F. Schhwarze Blätter. NMictheilungen 
uͤber ‚Berbreden, Strafgericht und Strafgerichteverfahren ber 
Vorzeit. 1. Theil. 1. Lief. Weſel, Bagel. Gr. 8, 20 Nor. 

Stengel, Branzista v., Wildhbanne Gin biſtoriſcher 
Roman aus dem 15. —— Theile. Mannheim, 
Bensheimer. Gr. 16, 2 Tdbir. 73N4 Rgr. 

Werner, H., Drei Tage im Haufe Guſtad Werner's des 
Reife s Prebigers. Gin Beitrag zur Verftändigung über ibn. 
Um, eig. Gr. 8. 10 Nor. 

Wex, C., Herr Professur Ewald in Tübia en als Pu- 
nier gewürdigt. Schwerin, Stiller. Gr. 8. , Ner. 


Verantwortlicher Herausgeber: DHeinrih Brockkhaus. — BDrud und Werlag von J. A. Broddaud in 5 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienftag, 


— Kr 24. — 


24, Zanuar 1843. 





Politifche Literatur der Gegenwart in Deutfchland. 
Grfter Artikel. 


Die Redaction d. BL. bat den Unterzeihneten veran⸗ 
taßt, eine regelmäßige Überſicht alles Deffen zu liefern, 
was auf dem Felde der politifchen Literatur jetzt in 
Deutſchland erſcheint. Dffenbar bildet die Politik in 
Diefem Augenblide den wichtigſten Beſtandtheil unfers 
geifligen Nationallebens. In bemfelden Maße, als Kunft 
und Poefie aufgehört haben unfere Seele zu erfüllen, in 
demſelben Maße har die Politi im weiteflen Sinne des 
Ports die allgemeine Thätigkeit und Theilnahme in Ans 
ſpruch genommen. Auch läßt fi) mie Beflimmtheit vor: 
Derfagen, daß dieſe auefchließliche Richtung lange Zeit 
Bindurch eine bleibende fein wird und daß wir uns erfl 
in den erften Anfangsfladien einer ebenfo tiefen als 
dauernden focialen und politifhen Bewegung befinden. 
In dieſer Beziehung erfcheint das Unternehmen jedes 
literarifchen Blattes, den politiihen Erſcheinungen einen 
Kehenden Artikel zu wibmen, gewiß vollkommen angemef: 
fen und zeitgemäß. Eine andere Frage ift die, ob die 
Reaction in der Perfon des Berichterflatters den geeig⸗ 
neten Dann gefunden bat? Wenn man einen idealen 
Mofitab, beſtehend aus der Summe aller derjenigen Ei: 
genfchaften und: Kenntniffe, die zu einer vollfländig ges 
nügenden und erfhöpfenden Beſprechung eines fo großen 
und unendlichen Gegenſtandes gehören, an denfelben le: 
gen wollte, fo würde freilich kein guͤnſtiges Urtheil über 
Die Wahl gefällt werden können. Wenn aber ehrlicher 
Witte, Hingebung an den Segenfland und Unabhängigkeit 
von äußern Rüdfihten derſelben zur Entfchuldigung bie: 
wen fönnen, fo glaubt der Berichterflatter diefe für fich 
in Anfpruch nehmen zu dürfen. 

Das legte preußtiche Senfurebict ftellt an jede publis 
eiſtiſche Nußerung eine Anfoderung, weiche e6 mit „Wohl: 
meinenheit“ benennt. Allerdings fol all unferm Thun 
und alfo andy unſerer fchriftftelerifchen Thaͤtigkeit eine 
gute und keine böfe Abficht zu Grunde liegen; mit Dies 
fer moraliſchen Anfoderung bes preußifchen Genfuredicte 
fimmen mie völlig überein. Aber nimmermehr können 
wir irgend einem Menſchen, gefchweige dem Genfor, bie 
moraliſche Berechtigung zuerkennen, daß er mit einem 
bloßen Federſtriche über unfere Motive, Aber unfern Cha⸗ 


rakter, über unfere Herzenslauterkeit den Stab breche. 
Welcher Menfh darf fi anmaßen, auf ſolche Weife die 
Herzen und Nieren zu prüfen! Wer darf uns fo ohne 
Meiteres guten Willen und Ehre abfprechen, uns geradezu 
erklären, daß wir das Schlimmfte feien, was es gibt, daß 
vote böswillig fein? Frühere Genfuredicte flellten einen 
mehr aͤußern Mapftab über die Zutäffigkeit des Impti⸗ 
matur auf; fie wollten nah Nuͤtzlichkeit und Schaͤd⸗ 
lichkeit, nach conventionnellen Anftandegefegen u. f. w. 
entfcheiden. So flach dieſer Geſichtspunkt auch war, fo 
unmöglich und druͤckend er in der Ausführung wurde — 
denn wer will darüber enticheiden, was im großen Raͤ⸗ 
derwerke des Nationallebens ſchaͤdlich oder nüslich eins 
greift? — fo war eine. folhe Beflimmung für den 
Schriftſteller doch nicht direct beleidigend und entehrend. 
Wenn der Genfor fitih, fo war der Schriftfteller nur 
ein Irrender, der Genfor ein Weiſer, ber zufolge einer 
gefenlichen Fiction die Schädlichkeit und Unangemeffenheit 
eines Gedankens oder eines Ausdrucks richtiger auffaffen 
und tiefer verfolgen £onnte wie fein Urheber. Nach jetzi⸗ 
gem Senfuredicte in Preußen ift der Genfor aber ein 
Herzenskündiger, der Schriftfteller dagegen, dem etwas 
geftrihen wird, ein Boͤſewicht, ein Menfch, ber gleich 
dem Teufel felbft das Boͤſe um bes Böfen willen thut 
und der abfichtlih auf Unheil ausgeht. 

Vielleicht it aber das „wohlmeinend“ nur ein falfcher 
Ausdruck; es fol fi vielleicht nicht auf die tiefften Ges 
finnungsmotive, fondern nur auf den Ausdrud beziehen. 
Man wollte damit vielleicht nur die Anfoberung ftellen, 
daß der Schriftfteller eine geriffe Milde, eine gewiſſe guts 
müthige Humanität in alle feine Hußerungen legen follte. 
Aber auch mit dieſer Anfoberung können wir uns nicht 
einverfianden erklären. Die Kolge eines ſolchen Befehls, 
weicher eine gewiſſe conventionnelle dußere Ausdrucksform 
erbeifche, iſt Beine andere, als daß fich ein ebenfo marklo⸗ 
fer als heuchlerifcher Stil bilder, der eines freien und 
edeln Charakters ebenfo unwuͤrdig ift, als er eben Das, 
was er erzeugen will, wirkliches Wohlmeinen, durchaus 
ertödtet. Wir kennen ja diefen Stil, dee fich leider wäh: 
tend des Genfurzwangs der legten 20 Jahre unter uns 
Deutfchen zu unferee Schande und zum Spott der Aus⸗ 
länder ausgebildet bat, der unfere Sprache befchmust, 
unfere Wahrhaftigkeit bis ins Herz angefreffen hat. Wir 


84 


[4 ‚ 
Eennen biefe fügen, fchmweifwebelnden Phrofen, die man 
gezwungenerweiſe vorausfhidt, wenn man irgend eine 
oppofitionnelle Behauptung wagen will. Wir Eennen bie: 
fen binterliftigen Stil, der unter Blumen plöglich einen 
Stich verfegt, diefe unwürdigen Manipulationen, wodurch 
man die Pille zu vergolden fucht, diefe zitternde Darſtel⸗ 
lung, die feinen Vorderſatz heraudzuflottern wagt, den fie 
im Nachfage nicht wieder paralnfirte oder aufhoͤbe. Wir 
kennen diefe ganze ſklaviſche, [hmählihe Manier zur Ge: 
nüge, wir haben fie berzlih fatt und wir werden uns 
in dieſen Artikeln nicht zu bderfelben herablaffen. Die 
Sprache, die in letzter Zeit häufig und begeiſternd vom 
Throne herab an unfer Ohr ſchlug, fie hat einen andern 
Klang; ganz gewiß ift fie mohlmeinend, aus dem edel: 
fien, liebevoliſten, von reinfter Begeifterung überfchwellen» 
den Herzen entfpeungen, aber fie fagt gerade heraus, 
was fie will, fie tadelt offen und unverhohlen, fie erklärt 
ſich feft und entfchieden gegen Das, was fie für unrecht 
ober ſchaͤdlich Hält. Und diefe Sprache follen wir Alle 
führen, Alle ohne Ausnahme. Bu diefer Sprache bat 
Jeder ohne Ausnahme ein gleiches Recht, und es bieße 
den pharifäifchen Hochmuth, die Unchriſtlichkeit, die Blas⸗ 
phemie auf die böchfte Spige treiben, wenn man nur 
den Beamten oder den Königen das Recht, nad) befter 
Überzeugung und Gewiffen zu ceden, vindiciten wollte. 
Man fchließe aus diefen Worten nicht, daB wir zu 
jener foftematifchen, enragirten Oppofition gehören, die 
vermöge ihrer Herzensarmuth und eiteln Rechthaberei 
weiter nichts kann als verneinen. Nichts iſt wohlfeller 
als mittels einer dialektiſchen Spielerei nachzuweiſen, daß 
bei beftehenden Zufländen die Logifche Confequenz irgend 
eines abftracten, willkürlich gewählten Standpunktes noch 
nicht erfülte if. Ich Eenne nichts Geiſtloſeres und Troſt⸗ 
loſeres als jenes Gefchlecht, welches vermöge eines un: 
gluͤcklichen Triebes dazu verdammt iſt, alles Gute, Schöne 
und Heilige mit feiner fogenannten Dialektik zu zerfegen 
und zu zerfreffen, ſodaß zuletzt nichts übrig bleibe als 
das todte, oͤde Nichts. In ihrem eingebilbeten Berufe, 
wie ein Wuͤrgengel durch die Welt zu ziehen und Alles, 
was nicht mit Ihrer logiſchen Conſequenzmacherei über: 
einftimmt, zu zerſtoͤren, freſſen fie, wie jener Raubritter 
im Käfig, die Welt und ſich felbft Glied vor Glied auf, 
bis fie zuletzt ihren eigenen, diafektifchen Magen verfpei: 
fen. Der allerunbedeutendfte und armfeligfte Patron hat 
zulegt fo viel Verſtand mit auf die Welt gebracht, um 
die logiſche Elle am jede Lebenserfcheinung zu legen ; aber 
um von vornherein gu wiflen, daß diefe allein nicht aus: 


eeicht zur Erfaffung und Durchdringung des Lebens, dazu - 


gehört eine reichere und edlere Naturbegabung. Es ift 
nicht ihr ausgezeichneter Verſtand, was biefe Herren 
zu übermüthigen, langweiligen Raiſonneurs madt — 
wiewol fie fi einen ſolchen vindiciten und ſehr flolz 
darauf fein mögen — fondern ihr einfeitiger er: 
ftand, ihre gänzlicher Mangel an Gemuͤth, Phantafie, an 
Geiſt und Liebe. So lange die Welt fieht, glaube ich 
nicht, daß fich je ſolche totale Armuth an gefunder Les 
bensoffenbarung gezeigt hat, wie bei diefen jungen Leuten, 


die ſich als Reprafentanten einer abfoluten Wiſſenſchaft 
betrachten und ausfchreien. Unfaͤhig, auch nur den Les 
bensorganismus des kleinſten Dorfes, des geringfien Haus: 
halts zu begreifen, völlig blind für alles Lebendige, Dr: 
ganifhe, Geſtaltvolle, führen fie body Über Alles und 
Jedes, über Staat und Kirche, über Kunft und Poeſie, 
über Recht und Religion u. f. w. das große Wort. Die 
Armen find indeſſen mehr zu bedauern als zu verbam: 
men; fie find die nothwendigen Producte einer falfchen 
Regierungsmarime, bie alle gefunde, felbfländige Leben 
unterdrüdte, und einer falfchen, verderblihen Erziehungs: 
methode, welche, flatt einen reihen Samen von offener 
Empfänglichkeit und Liebefähigkeit auszuftreuen, den gan: 
zen Menſchen deprimirte und zerfiötte, um nur einige 
Kopfnerven anzureisen und auszubilden. Auch läßt ſich 
das baldige Ende diefer allerdings unangenehmen und 
widerlihen Richtung vorherfehen. Sie werden fi zw: 
legt müde Eritifiren und zanken, und wenn fie dann 
immer mehr inne werden, baß ihr eigener Zuſtand, ihr 
eigened Bewußtſein bei diefem geifttödtenden Handwerke 
immer Öber und feerer wird, fo werden fie zuletzt, Die 
Unzulänglicykeit des bioßen Verſtandes einfebend und an 
demfelben verzweifelnd, fi) Eopfüber in eine bodenlofe 
Mpftit flürzen; denn zu krankhafter Einfeitigkeit, zu ab: 
foluter Unfähigkeit eines harmoniſchen Lebensbewußtſeins 
find einmal ſolche Ungluͤckliche beſtimmt. 

Unſere Oppoſition wird eine andere ſein. Alles Un⸗ 
wahre, Unedle, Knechtiſche, alles Gemeine und Rohe wird 
fie freilich ruͤckſichtlos verwerfen, aber fie wird ſich dage⸗ 
gen auch bemühen, die edle Geſinnung, den guten Wils 
len, das redliche Streben auch dann anzuerkennen, wenn 
das Reſultat und das Ziel auch nicht mit unferer liber: 
jeugung übereinftimmt. Jeder Menſch hat feinen befon- 
dern Standpuntt, von dem aus er Welt und Gegenwart 
betradytet; jeder Menſch bat feine beftimmte hiſtoriſche 
Entwidelung, durch die feine gegenwärtige Überzeugung 
bedingt wird. Alle diefe unzähligen Individualitaͤten und 
Sactoren, die alle eine gewiſſe Berechtigung auf Leben 
und Eriftenz haben und aus deren Geſammtſumme erfl 
die Zeit.oder — wie man es nennt — ber Zeitgeift bes 
fteht, möglichit gerecht zu würdigen, die Bedingungen 
jeder individuellen Nothwendigkeit aufzufuchen und anzu⸗ 
erkennen, ohne darum unfere eigene Perfönlichkeit, unfere 

berzeugung aufzugeben, das foll unfer Streben fein. 
Es iſt zur Mode geworben, nad obenhin immer und 
überall Oppofition zu machen, nach untenhin jede noch fo 
verwerfliche Lebensdußerung durchſchluͤpfen zu laffen ober 
gar derſelben zu fchmeicheln. So leicht ſich dieſes eins 
feitige Streben für Recht und Wahrheit, welches unbes 
mußt zum linrechte und zur Unwahrheit wird, auch aus 
der unglüdlichen Geſchichte Deutfchlands in den legten 
25 Jahren erklaͤren läßt, To natürli uns ein folches 
einfeitiges Mistrauen, eine folche empfindliche Gereiztheit 
gegen die Regierungen auch erfcheint,, fo wollen wir uns 
doch davon frei zu erhalten ſuchen. Im Gegentheile 
werden wir mit doppelter und dreifacher Freude Alles be: 
grüßen, was uns Gutes von irgend einer Regierung, von 





durch alle Herzen. 


irgend einem Kürften wird, feſt überzeugt, daß Alles, 
was von dort kommt, ungleich wirkſamer ins Leben ein: 
greife, ungleich fchneller ſich ordnet, ungleih raſchere und 
reifere Fruͤchte trägt, als was erſt in Haß und Streit, 
in Kampf und Erbitterung abgerungen und abgedrun: 
gen werden muß. Der Deutſche verfleht es am wenig: 
Ben von allen Völkern, das Neue raſch zu organifiren, 
das Möglihe und Weſentliche aus dem chaotifchen Ge: 
wirre unzähliger Dleinungen zur Inflitution zu erheben, 
in die Wirklichkeit einzuführen. Wenn irgend Jemand, 
fo iſt er vermöge feiner Individualität für eine erbliche, 
ununterbrochene monarchifche Gewalt gebunden, an regel: 
mäßige, unveränberte Behörden, die Das Bedürfnig zur 
That führen. Auch verfennen wir nicht, daß der Geift 
der Regierungen mit wenigen Ausnahmen ein anderer 
geworden ift im beften Sinne des Worte. Geiſtige Reg: 
famkeit, tiefes Pflichtgefüht, hohe DBegeifterung haben ih: 
m Sig auf mehr als einem Throne aufgefchlagen, und 
dieſes mit tiefſter Dankbarkeit anzuerkennen, diefes mit 
innigfter Herzlichkeit zu begrüßen, dieſes überall laut an 
den Tag zu legen, halten wir nicht nur für feine niedrige 
Schmeichelei, fondern für eine heilige Pflicht, für eine 
patriorifche Zugend. Solche Eigenſchaften auf dem Throne 
ſich zu erhalten, ift nicht fo leicht, als Mancher glaubt, 
und mancher Liberale aus dem Mittelſtande würde ſchwer⸗ 
Gh zu feinen Ideen von Recht und Freiheit gelangt 
fein, wenn er in jenen höhern Regionen geboren und er 
zogen wäre. 

Seit zwei Zaheen hat fih Vieles in Deutſchland 
verändert, nicht ſowol aͤußerlich als innerlich. Nach lan⸗ 
gem Winterſchlafe fühlen wir das Wehen ber Frühlings: 
Iuft, die und zu neuem Leben eriveden will. Ueberall 
keimt es und fproßt es, ein unnennbarer Drang pulfirt 
Der Sommer mit feinen Fruͤchten 
wirb fi an diefes Fruͤhlingsleben anſchließen. Wenn 
wie aber aufrichtig den Moment ins Auge fallen wollen, 
von dem an diefe neue fhönere Zeit, die fo Unendliches 
verſpricht, datiet, fo müffen wir den Tod des verftorbe: 
an Königs von Preußen, den Megierungsantritt des 
jegigen als den Zeitpunkt anerkennen, von dem an dieſes 
neue „Es werde” über Deutſchland erfcholl. Friedrich 
Wilheim IN. gehört nit mehr ber Gegenwart, er ge: 
hört der Gedichte an und ein kurzes Urtheil über Ihn 
möge ale Abſchluß einer vergangenen Periode in diefen 
einfeitenden Worten uns noch vergoͤnnt fein. 

Es ift oft gefagt worden und es iſt wahr, daß 
Friedrich Wilhelm II. alle Tugenben befaß, die zur 
Durchführung einer einfachen, bürgerlichen Eriftenz erfo⸗ 
derlich find. Die Eigenfchaften, welche den guten, ruhi⸗ 
gen Bürger im feledlicher Zeit machen, Thaͤtigkeit, Pflicht: 
treue, Ordnung und Sparfamteit, Anhaͤnglichkeit an feine 
Familie, Redlichkeit und kirchliche Froͤmmigkeit ſptechen 
ſich zu ſcharf in ſeinem Charakter aus, als daß auch der 
eniſchiedenſte Gegner ſie nicht anerkennen muͤßte. Trotz 
dieſer durchaus achtungswerthen Eigenſchaften war ſeine 
Regierung weder fuͤr Preußen noch fuͤr Deutſchland eine 
glüdlicge, Wer wollte leugnen, daß Bedeutendes, Großes 


unter ihr geſchah, daß eben unter ihr das Fundament 
zu der Pünftign Geſchichte Deutfchlands und Preußens 
gelegt wurde? Aber alled Diefes geſchah nicht durch ihn, 
fondern txroß ihn, es wurde ind Merk gefegt durch den 
Geiſt der Zeit, duch eine Menge der edelften, genialften 
Männer, welche ein günftiges Geſchick unter feiner Regie: 
rung verfammelte und ohne fein Zuthun durch die Ge⸗ 
walt der Umflände in die Mitte eines ausgebreiteten 
Wirkungskreiſes Hineindrängte. Allee Große, was in 
Preußen geſchah, knuͤpft fih an andere Namen als an 
den Friedrich Wilhelm's. Städteverfaffung und Befreiung 
des Grund und Bodens, neues Wehrſyſtem, Freiheits: 
kriege, wiſſenſchaftliche und patriotifche Charakterentwicke⸗ 
lung des Volks, Selbfigefühl und Gemeinſinn u. ſ. w., 
alles Das entfland faft wider feinen Willen. Überall 
aber, wo biefe große, welthiftorifche Entwidelung auf Hin⸗ 
derniffe fließ, wo die Thätigkeit großer Männer paralpfirt 
wurde, wo das Gegebene wieder befchnitten und genom: 
men, wo die Bewegung aufgehalten wurde, wo Klein: 
muth, Engherzigkeit, Undeutfchheit die Politit Preußens 
bezeichnet, da tritt uns bie Perföntichkeit des verftorbenen 
Königs von Preußen als wefentlichfte Urfache mit entge: 
gen. Nice aus böfem Willen, nicht aus niedriger Selbft- 
fuht — Gott bewahrel Friedrich Wilhelm frebte mit 
Angſtlichkeit nad Erfüllung feiner Pflicht, mit einer - 
Ängſtlichkeit, deren Leiden wol wenige Menſchen fo ge: 
koſtet haben wie er, und die nur Im fpdtern Alter 
Außerlich zu einer ſcheinbar trogigen, entfchiedenen Abge: 
fchloffenheit überging. Aber das hoͤchſte Unglüd, was 
Gott über den einzelnen Menſchen verhängen kann, ift, 
wenn er ihn an einen Plat ftellt, den er nicht ausfüllen 
kann, wenn er Pflichten auf ihn legt, die ihn erdrüden 
und denen er fi doch nicht entäußern kann. Dann wer: 
den fetbit feine Tugenden zu Fehlern und jede gute Ab⸗ 
fiht ſchlaͤgt in ihr Gegentheil um. Friedrich Wilhelm 
war ein Mann des Friedens, ſeine Friedensliebe war 
durchaus wahr und aufrichtig; und eben dieſe Friedens⸗ 
liebe war doch die Urſache jener antinationalen Politik 
Preußens, welche es von Deutſchland trennte, welche Oft 
reih 1805 bei dem gerechteften Kriege im Stiche ließ, 
welche zum Raube Hanovers, zum Treubruche an Eng: 
land verleitete und welche endlich doch zur Schlacht bei 
Sena, zu einem Kriege führte, den man vermeiden 
wollte und der das Reich an ben Rand bes Verderbens 
brachte. 
(Der Beſchluß folgt.) 





William Howitt über Deutfchland. 


William Howitt gab heraus: „The rural and domestic 
life of Germany, with characteristic sketches of its cities 
and acenery.“ Wenn man engliihen Kritikern glauben foll, fo 
ift das Buch ein wenig oberflächlich, aber angenehm gefchrieben. 
Einer berfelben fagt: „“nfofern diefes Buch die Refultate der 
Erfahrungen enthält, weiche Hr. Howitt während feines Aufs 
enthalte in Heidelberg machte, ift es angenehm und willkom⸗ 
mens aber die Skizzen, die er von den in einer „general tour” 
befuchten Städten entwirft, find flüchtig und etwas gewöhnlich. 


Das innere Herz fo weit verfchiebener Hauptftäbte, wie Berlin, 
Bien, Münden, Dresden, läßt fi nicht im Durchfluge er⸗ 
ründen und Howitt iſt nur zu fehr geneigt, feine ſchnellen 
—*8 als allgemeine Wahrheiten aufzutiſchen. Auch koͤnnen 
wir dem Leſer nicht empfehlen, feinen Urtheilen über Kunft 

Skizzen über Literatur und oͤffentliche 


oder feinen flüchtigen 
Meinung zu viel Stauden zu ſchenken. Seine Kenntniß der 
als er une im 19. Gapitet 


Autoren kann fo groß nicht fein, 
auben machen will, wenn er in feiner Lifte der deutfchen 
hriftftellerinnen der Prinzeſſin Amalie von Sachſen, deren Stüde 

nicht bios von einem bis zum andern Ende des Landes gefpielt 

werden, fondern auch in das Engtifche überfegt, ja auf der ers 
dufioften Bühne Guropas, ber des Theätre francais aufge: 
führt worden find, keine Erwähnung thut. 

Diefe Vorbehalte ausgenommen, tft ed ein gefundes und amufans 
tes Buch, um deffentmwillen der Verf. uns erlauben wird, jenen ven 
ihm aboptirten, verfrüppelten Baſtard: „The student life oſ Ger- 
many“, mit Freuden zu vergeffen. Zugleich ift es reichlich mit 
Jiluſtrationen nad Sargents Zeichnungen verſehen, von denen 
mebre treu und geiſtvoll find. Sntereffant befchrieben ift ein 
Befuh Howitt's bei Danneder, ferner bei Schwab, ben er ein 
volltommenes Probemufter von „der gute Swaben” (sic) nennt, 
endlich ein Beſuch dei Uhland. „Schwab, fagt er, „ſchien ſehr 
erfreut zu fein, als ich ihm erzählte, daß id in dem Buche 
„ibe student life of Germany’ eins oder zwei feine Stu⸗ 
dentenlieder, namentlich fein „Des Burfchen Abſchied“ uͤberſetzte; 
Schwab habe dies mit großer Genugthuung ſeiner Gattin er⸗ 
zaͤhit und, auf dieſe hinweiſend, gefagt: ‚Da iſt das Liebchen 
aus dem Liebe‘ (There is the „Liebchen‘’ of the song).” 
Uhland, fagt ex, habe wie bie Stadt und ihre Bewohner ein 
etwas altoäterifches Ausfehen. „Nie kat er einen weiten Abs 
fiecher von der Heimat gemacht. Ein wigiger Bewohner der 
Stadt fagte von ihm, daß er wie eine Nachtigall fei, die man 
hören, aber nicht fehen müffe. Doch das ift zu batt. Die 
Sclichtpeit feiner aͤußern Grfcheinung und bie ängfttiche Uns 
ruhe in feinen Manieren vergift man gern über die Waͤrme 
der verftändigen Unterhaltung. Er wohnt in einem Daufe auf 
der Hügelfeite mit der Ausficht nach ber Nedarbrüde, wenn 
man fi nach Ulm wendet. Droben liegen fein hübfcher Gar: 
ten und Weinberg, und man bat von ba aus eine vollftändige 
Anficht der fernen ſchwaͤbiſchen Alpen, welche in ihren mannich: 
faltigen Linien eine der reichften, fchönften, Ichhafteften Land: 
fhaften in diefem anmuthigen Schwabenlande bilden. Seine 
Sattin, eine anmuthige Dame mit leuchtenden Augen, trat aus 
dem Garten berein mit ihrem Arbeiteforbe, worin eine eng: 
lifche Ausgabe von Milton's Verlorenem Paradieſe fidy befand, 
in welcher fie foeben gelefen. Sie Icheint an Geſellſchaften ges 
wöhnt und ſehr gut beleſen und intelligent zu fein. Kinder 
baben fie nicht, aber wol einen muntern Knaben als Pflege: 
find adoptirt. Uhland fcheint bier in der That ein gluͤckiches 
und unabhängiges Leben zu führen; gluͤcklich durch feine Liesene« 
waͤrdige, gefühlvolle Gattin, welde feinen Genius hoͤchlichſt bes 
wundert, glüdtich, fo recht mitten in feiner Peimat zu leben, 
an welder er, wie alle Schwaben, aufs innigfte hängt, wäh: 
rend er ſich eines großen und geficherten Rufs dur ganz 
Deutfchland erfreut.” Intereffant ift auch die Parallele, welche 
Howitt zwifchen der Rhein: und Donaureife zieht: „Ss füut 
mir ſchwer, zu fagen, welche die ſchoͤnere oder intereffantere iſt. 
Beide große Ströme baben cine gewiffe Ahnlichkeit und doc) 
wieder ihre großen Verſchiedenbeiten. Sie haben beide ihre 
Waldungen, ihre Berge, ihre Schloͤſſer, ihre Weinberge und 
Sagın; aber der Rhein ift bewohnter und anmuthiger, die Dos 
nau einfamer und feierliher. Man’ hat nicht jene großen 
und voltreichen Städte länge den Ufern ber Donau, noch Tafs 
fetbe Banbelstreiben auf dem Gtrome; nicht dieſelbe Menge 
wohlgepflegter Weingaͤrten, nicht dieſelbe fortgeſetzte Reihe von 
Zellen und Klippen, fo weit wenigſtens ich die Donau bereifte, 


von Linz nach Wien nämlich; aber man hat prädhtigere Wal⸗ 
dungen, eine wilbere und feierlidhere Scenerie, mit Gewäffern 
und Wieſen von dem ſanfteſten und angenehmſten Charakter ge⸗ 
miſcht. Die Donau war nicht wie der Rhein durch ganze Zeit⸗ 
alter die große Heerſtraße des Handels, obgleich fie oft ber Ort 
blutiger Schlachten und Heerzuͤge war. Ihre Städte find Hein, 
wenige, voneinander weit entfernt. Der Rhein gewährt einen 
froͤhlichern und bluͤhendern Anblick. Auf der Donau hat man 
die Einſamkeit, einen Anſtrich von Vernachlaͤſſigung, einen 
ernflhaften, brütenden Geiſt, reicher dem Genius der Vergans 
genbeit anzugehören fheint, unbetretene Walbungen, ftille Berg⸗ 
teute, rauhe, feubaliftifche Herren (!), weiche den Eber und 
den Huf in den wilden Thaͤlern und tiefen Forſten jagen. 
Alte verwitterte Thuͤrme fpenden euch einen grimmigen Gruß 
von den ausgezackten Felſen herab, an denen ihr vorüberfegeltz 
und Blicke in entfernte Thaͤler und tiefe Waldungen laffen euch 
fühlen, daß ihr euch in einer weit wildern und ungebändigtern 
Region befindet als in dev des Rheins. Gampbell in feinen oft 
citirten ®Berfen „On leaving a scene of Bavaria’ bat in den 
Worten: 

Yes I have loved thy wild abode, 

Unknown, uuploughed, untrodden shore, ete. 
den Geift der Donau trefflich gezeichnet. Aber Campbell ha 
den Charakter der Donau nicht fo lebendig —— als 
Motte Fouqué in ber „Undine“ u. f. w.“ Auch ein Beſuch in 
Herrnhut und ein Beſteigen des Brockens bei ſtuͤrmiſchem Wet⸗ 
ter ſind noch vorzugswriſe zu erwaͤhnen. 13. 





Literariſche Anzeige. 


Bi F. MÆ. Srockhaus in Leipzig iſt erſchi 
und durch alle Buchhandlungen zu behieben: sn ſchienen 
J. F. Herbart’s 
kleidere philosophische Schriften und Abhandlungen, 
nebst dessen wissenschaftlichem Nachlasse. 
Herausgegeben von @desstauv Hartenstein. 
Erster und zweiter Band. 
Gr. 8 6 Thlr. 15 Negr. 
Der erste Band, welcher zugleich eine ausführliche Kiniei- 
tung des Herausgebers über H.'s Leben und Schrifien ent- 
bält, kostet 3 Tihir., der zweite 3 Thir. 15 Ngr. Ein 
dritter Band, welcher diese Sammlung beschliessen wird 
erscheint in diesem Jahre. ’ 


Meber die Hebung des kirchlichen Lebens. 
in der proteſtantiſchen Kirche. 
Eine kirchenrechtliche und praftifhe Erörterung 
von &. Julius. 
Gr. 8 Geh, 1 Thlr. 15 Ngr. 


Andeutungen über den ursprünglichen Religionsunter- 
schied der röinischen Patricier und Plebejer. Von 
D. Pellegrino. Gr. 8. 20 Ngr. 


Das Unmoralifche der Todedſtrafe. 
Bon Dr. Nlichael Petöcz. 
Nachtrag zu deffen „Anſicht der Welt“. 
&r. 8 Geh. 18 Ugr. 


Des Verfaſſers „EAuſicht der Welt“, an welche dieſe ins 
tereſſante Schrift ſich anſchließt, erſchien 1839 und koſtet 3 Thlr. 





Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Druck und Verlag von F. A. Brockhaus In Leipzis. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Mittwod, 





EG rfter Artikel. 
(Bortfegung aus Nr, 2.) 

Friedrich Wilhelm war ein Mann, der geſetzliche Orb: 
aung aufrichtig wollte, und dennoch artete unter feiner 
Regierung das lebendige, organifche Geſetz in einen bloßen 
mechaniſchen todten Buchſtabendienſt, in eine aͤußere Bes 
auffichtigung und hierarchifche Beamtencontrole aus, wo: 
durch das Recht keineswegs immer gefichert wurde, fon: 
dern Willkür und Nepotismus einen weiten Raum für 
ihre verderbliche Thätigkeit fanden. Er war ein Mann, 
der religidfe Freiheit und Toleranz liebte, und dennoch 
zählt feine Regierung mehr als ein DBelfpiel, wo er, eben 
um die Toleranz zu fördern, diefelbe hintanfegte und bie 
esligidfe Freiheit feiner Unterthanen gefährdete. Friedrich 
Wilhelm war durd und durch redlich und ein abfichtlis 
her Wortbruch von feiner Seite war eine moralifche Un: 
möglichkeit, und dennoh hat nicht leicht eine Regie: 
zung fo viel Deoppelzüngigkeit, fo viel Wortdreherei ſich 
zu Schulden kommen laſſen ale die feinige, und das 
Vertrauen der Unterthanen auf die Berfprechungen der: 
ſelben ift felten fo tief verlegt und angefochten worden. 
Wiſſenſchaft, Jugenderziehung wollte er befördern und 
trog aller Anfliengungen bat er beide gefährdet und ihre 
natürliche Entwidelung gehemmt. Und fo ließe fidy ohne 
Schwierigkeit noch ferner nachweiſen, wie alle guten 
Eigenfhaften, aller guter Wille des verfiorbenen Königs 
faft nur dazu gedient haben, das Gegentheil von Dem zu 
erzeugen, mas beabfichtigt wurde. 

Doch laſſen wir diefe fchmerzliche Kritik. Hat fein 
Bolt unter der falfhen Stellung Friedrich Withelm’s II. 
gelitten, fo iſt er nicht minder unglüdlic, gemwefen. Das 
diſtere Bewußtſein einer Aufgabe, der er nicht gewachſen 
war, druͤckte ſchwer auf fein Lebensbewußtfein und machte 
fein Loos zu keinem beneldenswerthen. „Mein Leben in 
Unruhe”, fo beginnt fein Teſtament — ja, fein Leben 
war in Unrube, in tieffter Gewiffensunruhe, mie das Le⸗ 
ben Alter, deren Aufgabe nicht in Darmonie mit ihren 
Kräften flieht. Fuͤrſt und Volt waren unglüdlich zu glei: 
cher Zeit, aber dem letztern muß nachgerühmt werden, 
dag es fein Unglüd mit einer Pierdt, mit einer Geduld 
getragen, wie die Gefchichte felten ein ähnliches Beiſpiel 
zeigt. Kein lautes Murren, kein Ungehorfam. Man 


wußte, daß der Fürft es wohl meinte, man wußte, daß er 

unglüdlid war, und mit dir edefften Theilnahme, bie 

den ſchoͤnſten Lohn verdient, fuchte man das eigene Leis 

den zu verbergen, um den Kummer des Fürften nicht zu 

vermehren. Und als Friedrich Wilhelm III. ftarb, folgte 

an pie allgemeine Trauer aller feiner Unterthanen ins 
rab. 

Über neben bdiefer Trauer that das preußifche, das 
deutſche Volk den erften, tiefen, freien Athemzug feit lan⸗ 
ger, langer Zeit. Das Lebensbewußtfein war in den 
legten Jahren immer bumpfer, immer hoffnungsloſer ges 
worben an ſich felber, an feiner Zeit, an feiner Beflim- 
mung; man batte auf Freiheit, auf höheres menſchliches 
Gluͤck verzichtet. Unzählige gebrochene Herzen, erſtarrte Ge 
möüther, verborbene Charaktere, erftarrte, in ihrer Ent: 
widelung gehemmte Beſtrebungen, verfehlte Beilimmungen 
bildeten damals die Bevölkerung unfers Waterlandes. Nicht 
Einer, der nicht mehr ober weniger bewußt gehemmt ge: 
wefen wäre, ber nicht Schaden genommen an feiner Seele. 
Das Gefühl ber Unfreiheit, der verfehlten Bellimmung 
lag Laftend auf der Seele des Knaben und des Greiſes. 
Sa, es war eine ſchwere, eine verzmeifelte, hoffnungs⸗ 
tofe Zelt. 

Und es iſt Alles anders geworden. Es frühlingt 
wieder in jeder Bruft; längft zu Grabe getragene Wünfche 
erroachen wieder, erflarrte Hoffnungskeime brechen wieder 
hervor an Gottes Lebensluftl. Die Menſchen fchauen fi 
wieder an, freier, frifcher, das gebuͤckte Daupt bebt fich 
wieder, man fieht fih ins Auge, man fühlt fih. Alles, 
Alles fieht anders aus. Ks find nicht mehr biefelben 
Menſchen, die und auf der Straße begegnen; man gebt 
eafcher, fröhlicher, der Morgenfchein der Hoffnung liegt 
auf alten Antligen, ftrablt aus allen Bliden; es ift, als 
wenn jeden Augenblid ein unendlicher Subel aus allge: 
meiner Bruft hervorbrechen wollte. Selbft der mit einem 
Zuße im Grabe Stehende fühlt eine neue, zweite Jugend 
über fich ergoffen und wirft einen legten, innigen Blick 
nah dem hereinbrehenden Morgenrothe der Freiheit. 

Und wen verdanten wir diefe wunderbare Umwandlung, 
diefe gänzliche Umſtimmung unfers Lebensgefühle? Wer tft 
es, der dieſes neue, Werde’ uͤber Deutfchland ausgefprochen ? 
Laßt uns aufrichtig, Laßt uns dankbar fein, laßt es ung laut 
und unummunden anerfennen: Es iſt bie edle, freie, 


geiftweiche und großherzige Perfönlichkeit Friedrich Wil⸗ 


helm's IV. Er, der au feinen Theil, und nicht dem | 


Heinften, von dem bittern Kelche getrunken bat, den wir 
Alle Eoften mußten, er bat mit der fihern Bewußtheit 
des Genins das Schöpfungswort außgefprochen, das Dies 
fe8 unausfprechlihe Leben in Deutſchland wiedererweckt 
bat. Laßt uns nicht engherzig fein, laßt uns nicht aus 
kleinlicher Beſorgniß, daß man uns für Schmeichler hal: 
ten möge, zu ungerechten, misgeftimmten Krittlern wer- 
den. Fine freie Seele zeige fih am ſchoͤnſten und un: 
verkennbarften darin, daß fie rüdfichtloß8 anerkennen und 
bewundern kann. Wer nicht offen feine Bewunderung 
auszufprechen wagt, verräth durch feine Ängſtlichkeit, daß 
er der Schmeichelei fähig if. Was uns ſelbſt anbetrifft, 
bie wie bei allen unfern Sünden nie einem Menfchen 
gefchmeichelt haben und auch, fo Bott will, nie ſchmei⸗ 
cheln werden, wir glauben nur der Wahrheit die Ehre 


zu geben und eine freudige Pflicht der Dankbarkeit zu 


erfüllen, wenn wir den Nachfolger Friedrich MWithelm’s II. 
ald das punctum saliens anerkennen, aus welchem ber 
junge Baum deutfcher Freiheit zu kaum geahneter Größe 
und Schönheit zu erwachfen im Begriffe iſt. Und, laßt 
es Euch fagen, mer einer warmen, liebevollen Anerfen: 
nung nicht fähig iſt, der iſt auch weder fähig noch be: 
rechtigt zur offenen Darlegung einer entfchiedenen, mora⸗ 
liſchen Entruͤſtung. 

Es iſt nicht eine einzelne Handlung, ein einzelnes 
Geſetz Friedrich Wilhelm's IV., was dieſe unermeßlichen 
Reſultate bereits herbeigeführt bat. Mehr als einzelne 
Sefege und Thaten wirkt der Zauber einer freien Per: 
föntichkeit, eines fchönen, fihern Willens. Das ift der 
Srundton, auf den das künftige, ganze Leben baſirt iſt 
und der mit einem Male bie allgemeine Verſtimmung 
wieder aufhebt, der die große Zuge menſchlicher Thaͤtig⸗ 


keit auf einmal toleder in Takt und Harmonie bringt. | 


Friedrich Wilhelm IV. war der Concertmeifter, der durch 


fein richtiges moralifhes Ohr und feinen richtigen moras | 


liſchen Takt mit einem Male wieder Einheit und Luft 
in das desorganifirte Occhefter brachte. Einzelne zeitges 
mäße Geſetze find gut und nothwendig, und feine Zeit 
bedurfte deren zahlreichere, In den Organismuß tief eins 
greifendere, al& bie jegige. Aber erſt muß der rechte Geiſt, 
die rechte Stimmung da fein, aus denen diefe Geſetze 
fih entmwideln follen, und diefer rechte Geiſt ift mit wun⸗ 
derbarer Meeifterfchaft und in fchneilfter Kürze vom Throne 
herab Diefes Mal hervorgerufen. Das Syſtem, in wel: 
chem umpgeftaltet und gefchaffen werden foll, ift proclamirt; 
nicht in einzelnen todten Begriffen, die zu endlofem tod⸗ 
ten Schulgezänt führen, fondern in der offenen Erfchel: 
nung einer freien, geiftreihen und lautern Weltanficht, 


incarnirt in einer bedeutenden, mächtigen Perſoͤnlichkeit, 


bie allerdings von Ihrer Außern Stellung unenblih un: 
terflügt wird. 
dem Felde praßtifhen Wirkens mächtiger und fruchtbrin: 


gender iſt als alle abfiracte Doctrin, das freitich fehen 


unſere philofophifchen Dialektiker und Buchftabenklauber 
nicht ein, oder wollen es nicht einfehen, fehon aus dem 


Daß eine ſolche concrete Perföntichkeit auf | 





einfachen Grunde, weil eine foldhe Anerkenntniß ein To⸗ 
desurtheil fir ihr eigenes winziges Ich fein wuͤrde. 

Es find außer ber dialektiſch⸗-kritiſch verneinendem 
Richtung, welche ſich des größern Theils unferer wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Jugend bemaͤchtigt hat, noch amdere Urſachen 
vorhanden, welche einer offenen und argloſen Empfaͤng⸗ 
lichkeit für die wahrhaft koͤniglichen Eigenfchaften bes 
jegigen Inhabers des preußifchen Thrones im Wege fies 
ben. Zuerſt jener rohe, neidifche Sansculotiismus, jene 
bösartige Pöbelhaftigkeit, bie von vornherein einen Wis 
berwillen hat, das Höhere und Edlere anzuerkennen, und 
um fo mebr, als es von einer böhern aͤußern Stellung 
im Leben ausgeht. Während diefe niedrigfte moraliſche 
Claſſe jeden hohlen Schreier aus ihrer Mitte, deſſen 
ſchmuzige Motive noch fo offen daliegen, mit grinfender 
Schabenfreude Beifall zujauchzt, femme fie ſich mit allem 
Kräften dagegen, das wahrhaft Gebildete und Überlegene 
zu würdigen. Diefe rohe Verworfenheit, diefes Dema⸗ 
gogenthbum in feiner häßlichften Geſtalt, welches fi durch 
Alles verlegt fühle, was der eigenen Gemeinheit nicht 
gleicht, welches innere und aͤußere Dohelt für ein Ber 
brechen an der Gleichheit erklärt, findet ſich freitich bei 
uns Deutfchen fo gut wie bei andern Völkern, aber im 
Ganzen ift die Zahl dieſer Schreiber Vanſen und Gens 
forten doch bei uns geringe. Im Allgemeinen find wie 
Deutſchen doc ein dankbares und zum Enthuſiasmus 
für jede fittliche Wohlthat geneigtes Voll, Weit zahlreicher 
ift die Claſſe, der fih ein tiefes Misteauen gegen Al 
les bemächtige hat, was von Sürften und von ihren Bes 
amten ausgeht. Und dieſes Mistrauen bat im Allges 
meinen einen nur zu guten Grund. Seit 100 Jahren 
und länger ift das Bolt auf bie felbflflichtigfte Weiſe 
von der Beamtenwelt und aud von ber Mehrzahl ber 
beutfchen Fürften zu eigennüsigen Zwecken ausgebeuter. 
Thatfächlich wurde es nur als Mittel zum Zweck, als 
Mittel zur Derbeifhaffung aller Lebensgenuͤſſe für die 
herrfchende Kafte behandelt. An ſchoͤnen, chriſtlichen und 
gemeinfinnigen Worten bat es babei einer heuchlerifcher 
Diplomatie und pfiffigen Regierungspolitik nie gefeble. 
Stndli und empörend IfE die Art und Weiſe, wie man 
in zahliofen Öffentlichen Erlaſſen mit den edelſten Ideen 
Gaukelei und Blendwerk trieb, und wie man, um augens 
blickliche eigennügige Zwede zu erreichen, das Volk mit 
heuchlerifchem Phrafenreichthume uͤberſchuͤttete. Selbſt als 
nah dem heldenmüthigften Freiheitstampfe die Morgens 
röche eines ſittlichern Verhaͤltniſſes zwiſchen Reyierenden 
und Regierten hereinzubrechen fchlen, wußte gemeine Bez 
amtenlift und engherziger Kaſtenhochmuth alle augenblick⸗ 
lichen guten und aufrichtigen Vorfäge, alle im Angefichte 
Sottes und der Völker bündig und heilig. ausgefprochee 
nen Berfprechungen wieder zu drehen und zu deuteln, und 
die ſchoͤnen Namen von Vaterland und Religion, vom 
gefegmäßiger Freiheit, Thron und Altar mußten im em⸗ 
poͤrendſten Misbrauch dazu dienen, das Boll su übers 
Iiften und zu betrügen. Was Wunder affo, daß fi bie 
Anfihe vom Vater auf den Sohn vererbt hat, daß fie 
fi) tief eingeprägt hat in bie Derzen bee Mehrzahl des 


* 


Berts, daß die Mächtigen diefer Erbe nur nach ſelbſt⸗ 
ſichtigen Zwecken handeln und daß man immer da fet, 
ihnen ald Ambos zu dienen. Was Wunder, daß fie 
au hinter den offenfien, ehrlichſten Morten jest noch 
Immer irgend eine ſchlimme arriere-pensde wittern. Nur 
die Wenigſten haben ihren Blick fo frei und offen erhal 
ten, daß fie bei dem gerechteflen Mistrauen doch noch 
v6 Wahre vom Unmahren unterfcheiden können und 
daß jedes aus voller Bruſt gefprochene Wort noch im: 
mer Imeeigenen Derzen harmoniſch widerklingt. Es iſt 
eine Thatfache, gegen die man ſich nicht verblenden barf, 
daß das Vertrauen ſchwer erſchuͤttert, daß es vergiftet iſt, 
md daß in dieſem Augenblicke die Fuͤrſten wegen der 
Sünden ihrer Väter zu leiden haben. Und wenn man 
aub an ihren guten Willen glaubt, wenn man aud 
nicht fo fuperfein, wie Manche, Alles nur für die feinfte 
Berehnung, für ein abermaliges neues Schaufpielertseien 
hätt, fo ſchenkt man doch der Beharrlichkeit und der Kraft, 
die guten Vorſaͤtze duch die gefchloffene widerſtrebende 
Phalanz einer felbflfüchtigen, berefhfüchtigen Beamten: 
kaite fiegreich durchzukaͤmpfen, Sein Vertrauen. 

Dies Bertrauen kann erſt alimälig wiederkehren, 
und wenn eben die Throne auf das Bertrauen ber Uns 
terthanen gegrlmdet find, mas ja Niemand beftreitet, fo 
glauben wir in dem jegigen Könige von Preußen dem 
wabrhaften Wiedecherfieler des fogenannten monarchiſchen 
Princips zu erbliden. Es war allerdings wenn aud) 
nicht äußerlich, doch innerlich erſchuͤttert. Hier tritt uns 
aber nicht nur ein über allen Zweifel erhabener Wille, 
fondern auch die auf ſelbſtaͤndigſter, durchgebildeteſter 
Lebensanfiht ruhende Kraft zur Ausführung entge: 
gen, und ber befle Beweis von biefer Kraft möchte bie 
morafifche Regeneration fein, die ſich ſchon jegt in der 
Beamtenclaffe zeigt. Wer dort noch nicht ganz erſtarrt 
und verknoͤchert ift, der nimmt ſich ein fittliches Beiſpiel 
om der Perföntichkeit des Könige und fucht ſich darnach 
umgubilden, und in die übrigen ift wenigftens ein ſtarker 
Schrecken gefahren, fie wiſſen nicht, wie fie ſich gebaren 
follen, und mit ihrer hochmüthigen Sicherheit und herrſch⸗ 
füchtigen Thatkraft iſt es vorbei. 

Es koͤnnte nach dieſem ſcheinen, als wenn wir im 
Verlaufe dieſer Artikel uns zu der Rolle eines Apologe⸗ 
ten und eines enthuſiaſtiſchen Panegyrikers der preußiſchen 
Regierungsmaßregeln hinneigen würden. Allein auch in 
dieſer Muthmaßung würde man ſich irren. Unſere Abs 
dt von vornherein if weder ſyſtematiſche Dppofition 
no foftematifche Megierungsapologetit. Ob wir und zu 
dem einen oder zu dem andern mehr hinneigen werben, 
das wird freilich auf die Maßnahmen ber preußifchen Re: 
sierung felbft anlommen. Im Allgemeinen aber glauben 
wir doch ſchon vorherfagen zu Tönnen, daß unfere Artikel 
groͤßtentheils einen oppofitionnellen Charakter tragen wer: 
den. Wir werben freilich Beine utopifchen Wünfche gel: 
tend machen, wir werben das bei gegebenen Zufländen und 
Individuen Moͤgliche und Erreihbare im Auge haben, 
wir werden uns in bie großen Schwierigkeiten einer orga= 
niſchen Veränderung hineinzubenken ſuchen und nie ver: 


geffen, daß das Volllommene ber Feind des Guten iſt. 
Dennoch aber fehen wir fhon vorher, daß unfere fittliche 
und politifhe Anſicht in vielen einzelnen Punkten mit 
dem jegigen Spfleme, wie es fi in vielen Öffentlichen 
Manifeftationen deutlich genug gezeigt hat, nicht übers 
einftimmen Tann. Wir glauben und über unfere Wohl⸗ 
meinenheit und über unfere Anertennungsfähtgkeit in dem 
Vorbergehenden in fo weit legitimirt zu haben, als das 
in einem Purzen einleitenden Artikel gefchehen kann. Wenn 
wir dennoch eine oppofitionnelle Haltung im voraus uns 
dindiciren, fo bedarf das noch einiger erläuternder Worte, 
(Der Beſchluß folgt. ) 





Neue Schriften über China. 
1, Narrative of the late expedition to China, with sketches 
of the manners and customs of that singular country. By 
J. Elliot Bingham. Zwei Bände. London 1842. 


2. Two years in China Narrative of the Chinese Expedi- 
tion, till April 1842. By D. M’Pherson. London 1842. 


Der zwiſchen England und China fo unerwartet fehnell ges 
ſchloſſene Friede kann das Intereſſe an dem geführten Kriege 
und folglich auch an den zwei obengenannten, ihn befprechenden 
Werken nicht mindern. Im Gegentheile, wenn der Sturm vors 
über, ſpricht es fi) am bequemften von Urfahe und Folgen. 
Dazu kommt bie Verfchiedenheit der Stellungen beiber Berfaffer. 
Beide haben an dem Beldzuge Theil genommen, aber Bingham 
als Marineoffizier, M’Pherfon als Arzt. Abweichende Anfidyten 
tönnen nicht verwundern. Um fo glaubhafter, wo fie übereins 
flimmen. Seinen Hauptzwed, die Kricgsereigniffe zu ſchildern, 
verfolgt Bingham auf die eigenthümliche Weife, daß er balb ers 
zählt, was er felbft. gefehen und wo er mitgefochten, bald aus 
den Tagebüchern und Gefpräcden feiner Kameraden und aus 
den von den Befehlehabern erftatteten Berichten das Nöthige zus 
fammenftellt. Das Ganze bietet daher ein ziemlich vollftändige® 
Bild des Kriegszugs und hinreichende Bründe, daß nicht die 
Engländer ihn muthwillig begonnen, ſondern die Chineſen durch 
Inſolenz, Grauſamkeit und Raubſucht ihn berbeigenöthigt haben. 
Ihr Menfchenverluft verdient deshalb um nichts weniger Bes 
dauern ; aber die fich immer wieberholenden Beweiſe ihrer Vers 
rätheret und Dintertift fpannen bie Sympathie einigermaßen ab. 
Nebenzwed war die Schilderung „der Sitten und Gewohnhei⸗ 
ten biefes feltfamen Landes”. Es find leichte, eingelegte Skiz⸗ 
zen, die, ohne viel Raum einzunehmen, den Kriegsberidhten eine 
willlommene Abwechfelung geben. Auch die Opiumfrage wirb 
befprochen. Der Verf. ift weit entfernt, das Opiumrauchen zu 
vertheidigen; er räumt ein, daß, zumal im Übermaß genoffen, 
es den Geift und Körper entnerot. Nur verfihert er, daß es 
nicht diefe Ruͤckſicht fei, aus welcher die chinefifche Regierung fo 
viel Lärm gemadt. Ob ihre Untertbanen Opium rauchen oder 
nicht, fagt er, gilt der Regierung völlig gleih. Was ihr jedoch 
keineswegs gleichgültig ift, das find die Maſſen Syceeſilber, die 
dafür aus dem ande und meift den Engtändern zugute geben. 
Er berechnet, daß die Engländer den Chineſen jährlich für etwa 
drei Millionen Pf. St. Thee und andere Waaren abs und das 
gegen für mehr als fünf Millionen Opium und andere Waaren 
verfaufen, der Saldo daher fehr zu Gunften Englands fteht 
und mit Silber ausgeglichen wird. „Das ift ed, was die Regie⸗ 
rung trinkt und weshalb fie dem Handelsverkehr mit England 
von Zeit zu Zeit alle erdenkbare Schwierigkeiten in ben Weg 
gelegt hat.” 

M'Pherſon befpricht ebenfalld den Genuß des Opiums und 
— hört! Hört! — der Arzt vertheibigt iin. Seine Beweis 
führung ähnelt einem regelrechten Schluſſe. „Opium‘‘, ſagt er, 
„wird in Thina allgemein geraucht. Das ift unleugbare That: 


face. Nicht zu Teugnen ift aber auch, daß bie Ghinefen in ber 
Mehrzahi muskelkraͤftige, athletiſche Menſchen und bie niebern 
Botksctaffen geiſtig mehr entwickelt und beſſer unterrichtet ſind 
als in England. Der Schlußſatz ergibt fi) von feibfl.” Dem: 
nächft bemerkt er, daß die Shinefen in vielen Krankheiten das 
Opium als Heilmittel gebrauchen, und zögert mit feinem pro- 
batum est um fo weniger, weil neuerlih aud in Bengal 
Dpium als Surrogat für China mit dem glüdlichfien Erfoige 
angewandt worden ſel. Das läßt für die fragliche Behauptung 
fich eher hören als der dafuͤr beigebrachte Umftand, daß zu ber 
Zeit, wo unter ber indor britifhen Befagung auf Hongkong ſehr 
bösartige Fieber geherrſcht, die Chineſen verhaͤltnißmaͤßig davon 
frei geblieben. Der Berf. mißt dad dem Opiumrauden bei. 
Sollte denn die Gewöhnung des Klimas daran nicht ihr glaubs 
bafteres Theil haben? M’Pberfon war Arzt bei ben Landtrup⸗ 
pen. Auf dieſe befchräntt ſich, was er von militairiſchen Ope⸗ 
rationen erwaͤhnt, und dadurch ergänzt fein Buch das des See⸗ 
offiziers Bingham. Vielleicht iſt der Stil des Arztes der le⸗ 
bendigere, feine Darſtellung mehr pittoresk. As Beleg vers 
weife ich auf feine Erzählung von den Vorfaͤlſen bei Kanton. 
Die Anftalten zum Sturme find getroffen, die Kanonen gerich 
tet, die Raketen bereit. Orbnung, Kraft und Vertrauen charak⸗ 
teriſiren die Englaͤnder. Auf den Waͤllen der Feinde und in 
den Straßen Kantons herrſcht Zumuit, Gilfertigkeit und Ber: 
wirrung. Die Thore der Stadt Öffnen fi, ein bichter Mens 
fchenftrom dringt hervor und verliert fi) in den nahen Hainen 
und Dörfern. Alles Das läßt der Verf. den Leſer ſehen; er 
Sreitet eine militairifche Randfchaft vor ihm aus und felbit der 
Laie wird nicht umbin können, fie aufmerkfam zu betrachten. 
Politifh wichtig find bie eingeftreuten Beweiſe vom Eintracht 
zwiſchen den engliſchen und ben Hindu— Soldaten. Wird dieſer 
Geiſt genaͤhrt — wer will England Indien nehmen? Hiermit 
iſt jedoch das Wichtigſte des Buche nicht ausgehoben. Das 
bürfte in dem eigentlich geographifchen Theile brftehen, ber über 
Vieles neuen Aufſchluß gibt. So über Hongfong, über Tſchu⸗ 
fan, über Amoy. Laut des Verf. Angabe iſt die Inſel Hong⸗ 
kong ungefähr acht englifche Meiten lang und in ihrer größten 
Breite brittehatb Meilen, Die fie vom Feſtlande ſcheidende Meers 
enge ift es an einigen Stellen nur eine, an andern fünf bie 
ſechs Meiten. Die den Hafen bildende Bucht ſoll für die Schiff⸗ 
fahrt unübertrefflich fein. Nicht genug, daß fie Raum für wine 
ungeheuere Menge Schiffe hat, iſt fie auch fo tief, daß ein Li⸗ 
nienſchiff von 74 Kanonen bis auf bie Länge eines Kabeltaus 
vom Ufer ankern kann, und gewährt außerdem gegen Stürme 
beffern Schuß als irgend ein anderer Hafen Shinas. Das Ins 
nere der Inſel befigt zwei weſentliche Dinge, unerfchöpftichen, 
feibft im heißeften Sommer aushaltendin Überfluß an koͤſtlichem 
Trinkwaſſer und einen unermeßlichen Reichthum an Granit, ber 
zu Waarenhäufern und Werften ganz bequem das Ihönfte Mas 
teriat liefert. Alſo ift es weder den Englaͤndern zu verdenken, 
daß fie diefes vortheilhafte Piägchen ſich für ıhren Handel aus⸗ 
geſucht, noch den Franzoſen, daß fie eine Anwandlung von Par⸗ 
ticipationsappetit verſpuͤrt haben. 

Auch auf den Hafen von Amoy, der noch beſonders durch 
feine centrale Lage ſich empfiehlt, lenkt der Verf. bie Aufmirk⸗ 
ſamkeit ber Handelswelt, und daß die chineſiſchen Weiber dort 
haͤufig, wie der Verf. in ſichere Erfahrung gebracht haben will, 
ihre weiblichen Kinder ausfegen oder ertraͤnken, mag bie euros 
paiſche Phitanthropie fid) einen Wink fein laffen. Ningpo wird 
als eine fehöne Stadt mit feften Mauern gefchildert, ungefähr 
zwei Drittel fo groß wie Kanton, in einer Gegend, die einem 
forgfam gepflegten Garten gleiht. Die Zahl der Einwohner 
fol ſich auf 600,000 belaufen. Wie bereits erwähnt und über 
haupt aus den Zeitungen befannt, graffirten unter der englifchen 
Befagung von Hongkong und ebenfo unter der von Tſchuſan 
fehr verheerende epidemifche Krankheiten. Das mußte natürlid 
den Wunſch nad) dem Befige diefir Infeln beträchtlich mäßigen. 
Allein M'Pherſon verfihert, das Klima beider Juſeln fei volls 


fommen 
ſchlechte Verpflegung geweſen. Während der heißeften Zahress 
zeit, bei einem Wärmegrabe, ber felbft in Indien felten vors 
tomme, hätten die Soldaten in feuchten, von Reisfeldern ums 
gebenen Rieberungen unter Zelten lagern unb oft mit ben ſchlech⸗ 
teften Lebensmitteln fiy begangen müflen. Das würbe die Krank» 
beiten erklaͤren. Vieles nicht minder Intereffante und Wiſſens⸗ 
werthe leſe man im Buche ſelbſt nach. 14. 





Literarifhe Notizen aus Sranfreid. 


Neuere hiftorifche Forſchungen haben, wenn wir nicht irren, 
gruͤndlich nachgewieſen, daß das Liebesverhättniß zwifchen dem 
Dichter Taſſo und der Prinzeffin Eleonore von Gfte, das Stoff 
zu unzähligen poetifcyen Schöpfungen gegeben bat, gar nidyt 
ftattgefunden habe. Wie dem auch immer fei, diefe Liebe ift 
fozufagen ein poetifches Factum geworben und bie Dichter 
laffen dieſen Gegenftand fo L.ihten Kaufes nicht fahren. 
Sicher werden wir aller biftorifchen Kritif zum Trotz nach wie 
vor fentimentale Zaffos und huldvolle Eteonoren in Menge er: 
hatten. So haben wir gleich einen recht ledbaren Roman von 
Mad. Gottis zu erwähren, der den Titel führt: „Le Tasse et 
la .princesse Kleonore d’Este’’ (2 Bde., Paris 1842), Mad. 
Gottis Hat fi ſchon früher dur den Roman „Francois I, et 
Mad, de Chateaubriant * vortheifhaft befannt gemadt. In 
ihrem neueften Romane ift Zaffo vielleicht gar zu fehr ein blos 
Ber verliebter Schwärmer. Aber wenn auch der Hauptheld nur 
ungenügend ausgefallen ift, fo wird man durch mandye andere 
Partien hinlaͤnglich entſchaͤbdigt Da wir einmal von einer 
franzöfifhen Behandlung biefes Stoffes reden, fo wollen wir hier 
gleich noch ein paar bramatifche Gedichte erwähnen, die demfel« 
ben Gegenftande gewidmet find, obgleich ſich keines berfeiben 
auf der Bühne erhalten hat. Im 3. 1803 ward ein Drama 
in Berfen aufgeführt, das von einem gewiffen Cicile herrührte, 
der 1793 cine „Genevieve de Brabant’ geſchrieben hatte. 
3m 3. 1821 gab bie große Oper ein Städ, das ben nänılicyen 
(Gegenftand behandelte. Der Text war von Guvelier und be 
Mun und die Muſik von Garcia. Im 3. 1826 endlich fam 
ein „Taſſo“ von ler. Duval zur Aufführung. 


Seitdem Sean Jacques Rouffeau im „Emile‘' die wichtige Frage 
der männlichen Erziehung, wenn audy nicht gelöft, do in An⸗ 
regung gebracht hat, ift neben manchem GSchiefen und Hattlofen 
doch auch viet Gebeihliches über die Erziehung und Bildung 
des Weibes gefchrieben worden. Namentlich hat die frans 
zöfifche Literatur einen wahren Schag folder Werke aufzumeis 
fen, welche diefen wichtigen Theil der Pädagogik, der im Alter: 
tbum faft ganz unbelannt war, weil die weibliche Hälfte des 
Menſchengeſchlechts für nichts galt, ausführlich beleuchten. Be⸗ 
fonders ftrahlen unter den Schriftftellern, die ſich dieſem Gegen⸗ 
ftande gewidmet haben, brei Fraum: Mad. Sauſſure-Necker, 
Mad. Guizot und Mad. Remufat. Die Zahl der Damen, bie 
gegenwärtig ihre Beber der Belehrung und Unterhaltung ber 
weiblichen Zugend geweiht haben, if in Frankreich fehr groß. 
Beſondere Erwähnung verdienen unter ihnen bie fleißige Ders 
ausgeberin der „Gazette de la jeunesse”, Gugenie Foa, bie 
beiden Dichterinnen Desborbes : Balmore und Amable Taſtu, 
die nah G. Sand gewiß bie poefiereichfte unter den weiblichen 
Autoren ift, und Mile. Ulliac-Tremabeure. Leptere hat nament⸗ 
lich vor kurzem eine „‚Bibliotheque de la jeune fille““ heraus« 
negeben, bie uns ſehr empfehlenswerth zu fein feheint. Die 
weiblichen Federhelden find Längft eine Zielfcheibe unendlicher 
Wise, aber wenn fie, flatt antifociale Romane und vers 
zweifelnde Gedichte zu fehreiben, ſich mit fo ernften, fo heilis 
gen Gegenftänden, wie die Erziehung der weiblichen Jugend, 
befaffen, fo wird gewiß fein Menſch an bie Lächerlichkeit eines 
bas- bleu benten, 2. 


Verantwortlicher Derauögebers Heinrih Brodhausd. — Drud und Verlag von F. A. Broddaus in Leipzig. 


efunb und bie Urfache jener Krankheiten Lediglich bie - 


Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung, 





Donnerstag, 





Politifche Literatur der Gegenwart in Deutfchland. 
Erſter Artikel. 
(Seſchluß aus Nr. 35.) 

Der jegige preußifhe Monarch verbindet mit feinem 
Berufe gewiß den erhabenften,, den ibealften Begriff, der 
ſich denken läßt. Alles, was die Gefchichte der Menfch: 
heit in den verfehiedenften Perioden je Schönes und 
Großes producirt hat, das fammelt er als einzelne Blu⸗ 
men in einen Kranz und drüdt ſich diefen Kranz als 
Krone aufs Haupt. Griechenthum und Germanenthum, 
Mittelalter und Neuzeit, Recht, Freiheit, Kunſt, Poefte, 
Wiſſenſchaft — Altes will er pflegen, Alles fol unter 
feiner fegnenden Hand gedeihen. Allen Ständen ſowie 
dem gefammten Volke will er die freifte Beſtrebung goͤn⸗ 
nen und in feiner Perſon fol fi alles Wahre und 
Wuͤrdige concentriren; das letzte Richteramt in allen Sa: 
chen des menſchlichen Lebens nimme er für fih in An: 
fpruch ; er will auf Alles hören, Alles erwägen, Alles 
prüfen und das Beſte will er behalten und mit dem 
Siegel der koͤniglichen Majeſtaͤt bekräftigen. Ob biefe 
Idee einer erhabenen Phantafle mögfih, ob irgend 
ein Eterblicher diefer nur duch feine eigene Einſicht 
und fein eigenes - Gewiſſen beichränften Aufgabe ge: 
wachſen, gebört nicht hierher. Wir werden fpäter bei 
den Derfaffungsdebatten noch häufig Gelegenheit ha: 
ben, auf diefe Idee näher einzugehen und fie zu prä: 
fm. So viel aber ift gewiß, daß bei diefer Stellung 
des Königs man bei jeder flaatlihen Unterfuhung noth: 
wendigerweife immer zuießt auf die Überzeugungen des 
Königs ſelbſt zuruͤckgehen muß. Der König ift die ein: 
zig freie, entfcheidende Potenz, und alle Schlüffe, die man 
auf Gegenwart und Zukunft macht, können fih nur fin 
lester Inſtanz auf die Sndividualitat deffelben gründen. 
Die Perföntichkeit des Königs wird dadurch mit Moth: 
wendigkeit im jebe Srage ber Gegenwart, in jede publicifti- 
ſche Debatte hineingezogen. Hierin liegt gewiß, abgefehen 
von ben fonfligen Übelſtaͤnden, für den deutſchen Publis 
ciſſen der Gegenwart eine große, faſt unuͤberſteigliche 
Schwierigkeit. Dem feinften Takte möchte hier es kaum 
möglich fein, den Freimuth des Staatsbuͤrgers und des 
Kritikers mit den nothwendigen conventionnellen Ruͤckſich⸗ 
ten zu vereinigen. Doch ift diefe unendlich ſchwierige 
Aufgabe dem deutfchen Publiciften im diefem Augenblide 


einmal von der Gegenwart geftelt und man muß fie, 
wohl oder übel, zu Iöfen fuchen. Dee englihe Conftitus 
tionaliemus, dem wir auch aus andern Gründen anhäne 
gen, macht ed dem Schriftfteller in diefer Beziehung leich⸗ 
ter. Übrigens fcheint der jegige Monarch eine ſolche Kri⸗ 
tie feiner Perſoͤnlichkeit und feiner Anfichten nicht zu 
ſcheuen; offen und frei, in fcharfen, beflimmten Umtiffen 
ſpricht er feine Überzeugungen aus und fodert dadurch 
felbft die Kritik heraus; denn ſchwerlich ift es fein Wille, 
daß er allein der Sprechende, wir allein die Zuhörenden fein, 
daß wir jedes Wort als ein infpirietes betrachten follen, 
wenn er fchon die Gonfequenzen, die aus der Vermen⸗ 
gung des geiflreichen Individuums und moralifcher Per: 
fon als König fidy ergeben werden, im Seuer der Bes 
geifterung ſich nicht immer ganz Mar gemacht haben 
wird. Wohlen mir demnach unfere künftige publiciſtiſche 
Stellung zur preußifchen Regierung fhon im voraus 
muthmaßlih andeuten, fo find wir gezwungen einige 
Worte Über das Verhältnig unferer Individualität zu der 
des jegigen Monarchen zu fagen. 

Leffing laͤßt feinen Prinzen fagen, daß die Könige 
keine Freunde hätten. Das ift fhlimm, aber «6 If 
ebenfo ſchlimm, daß fie Leine offene Gegner, keine Feinde 
haben. Wenn wir andern Menfhen unfern Entwides 
lungsgang betrachten, fo finden wir, daß eine Unzahl 
von Menfhen bewußt und unbewuft an der Bildung 
unfers Charakters und unferer ideen thätig waren und 
tn Einem fort daran arbeiteten. Nicht nur die Freunde 
förderten uns, auch Die Gleihgültigen, auch die Miss 
wollenden und Beindfeligen. in jeder gute und geiſt⸗ 
reihe Menfh, und zumal der Deutfche, tritt mit aus⸗ 
(hweifenden Phantafien, Illuſtonen, mit fogenannten 
Idealen in fein Juͤnglingsalter. Weiche Erfahrungen 
gehören dazu, um bdiefe Ideale mit dem Realen, mit 
der Wirklichkeit, mit den gegebenen Zufländen erft in 
Einklang zu bringen, was muß man nicht erft erleben, 
ehe dieſer Zwiefpalt ausgefühnt wird. Wie viel Verben: 
nung, Gleichguͤltigkeit, Ungerechtigkeit, Bosheit muß erft 
über und ergehen, ehe wir erſt das rechte Verhaͤltniß uns 
ferer Überzeugung zu der der übrigen Mitlebenden ermit: 
teln. In dieſer nothwendigen Lebensfchule find offenbar 
unfere Feinde unfere beiten Lehrer; wenn unfere Steunde 
bie ideale Seite unfers Lebens aufrecht erhalten und da: 


für forgen, daß fie nicht ganz umkippt, fo iſt es eben bie 
übrige Were mit ihrem Misverftändnig und ihrer Feind⸗ 
feligkeit, die unfern uͤbermuͤthigen Idealismus, den wir 
irrig für Überzeugung halten, die Wage halten und dafür 
forgen, daß ee ſich mit der reellen Seite des Lebens aus: 
gleiht und eins wird. Wiewol nun jeder Menfch die: 
fen Proceß durchmachen muß, fo ift er doch ein ſchmerz⸗ 
licher, der ſich freilich belohnt, Indem er und von uner- 
quidiicher Exrhigung, von nebelbafter Illuſion zur gefun- 
den Wahrheit, zur richtigen Mifhung von Freiheit und 
Nothwendigkeit — damit philofophiiche Ausdrüde auch 
nicht fehlen — befördert. Diefen Reinigungsproceß, dies 
ſes Fegefener bier auf Erden kann der Prinz oder Kürft 
nicht in fo volllommenem Grade durchmachen, wie wir 
andern Menſchenkinder, und in dieſer Beziehung iſt unfere 
ſittliche Stellung von Haus aus eine glüdlichere, 

Hier ift der pfochologifhe Punkt, von dem aus wir 
‚unfere nothwendige Oppofition vorherverfündigen. Wir 
glauben nicht zu irren, wenn wir den jebigen Standpunft 
des preußifhen Monarchen als einen vorzugsweile ideas 
len bezeichnen und wenn mir ihm jene® Segefeuer vorhers 
verfündigen, was die Meiften uns fhon mehr oder weni: 
ger beitanden haben. Eine weniger reiche Natur wuͤrde 
ſich durch ſolchen Proceß in fpätern Jahren fehr bald vers 
flimmt fühlen; fie würbe ſehr bald gereizt, ſelbſtwillig, 
‚vielleicht menfchenfeindlich und despotifch werden. Wer aber, 
wie unſer Monarch, mit jener ewigen Jugend ausgeftattet 
ift, mit jener Elaſticitaͤt, die aus überfließendem Herzen, 
aus raftlofer Phantafie und fcharfem Verſtande ſtammt, 
für den ift nicht zu fürchten und er wird als Sieger 
aus einem Kampfe hervorgehen, den das Leben ihm für 
fpätere Fahre aufgefpart hatte. Der edle Alerander von 
Rußland ging unter, als feine Illuſionen überall mit der 
Wirklichkeit, und zwar mit einer fehr traurigen, troftlofen 
Wirklichkeit zufammenftießen. Der geiftreichere, frifchere, 
reicher gebildete Wilhelm IV,, der unter einem beſſern 
Volke lebt, wird nicht untergehen. 

Mir Eönnen unfern Differenzpunfe noch auf anbdete 
Weife andeutn. ine Gegend von oben herab gefchaut 
gewährt einen andern Anblic als von unten hinauf. Er: 
blickt der Obenſtehende auh Manches, was wir, die wir 
von unten binauffhauen, nicht fehen, fo entgeht jenem 
doch auch wiederum Vieles, was uns in der Nähe vors 
Auge tritt. So ift es unvermeidlih, daß jeder andere 
Lebensftandpunft auch verfchiedene Anfichten über die Dinge 
und Zuftände der Gegenwart nothwendig involvirt, und 
fhon daraus folgt unabweislich eine Oppofition im Ein: 
zelnen, wenn man auc über die allgemeinjten und lebten 
Lebensoffenbarungen einig iſt. Daraus folgt aber eben 
auch, daß der erclufivefte und hoͤchſte Standpunkt eben 
am meilten Oppofition ercegen wird und muß. 

Unwillfürlih ift es gelommen, daß wir uns in diefem 
einleitenden Artikel faft nur mit Preußen befchäftige ha: 
ben. Es geht uns aber nicht allein fo, daß wir, ohne zu 
wollen, mit innerer Nothwendigkeit dort hingezogen werben. 
Selbſt Diejenigen, die ſich gegen eine fogenannte preußi⸗ 
ſche Hegemonie .fperren und mit alen Kräften dagegen 


eifern, befchäftigen fih im diefem Augenblide mit weiter 
nichts als Preußen und ihre Blicke find fortwährend da⸗ 
bin gebannt. Sie führen dadurch, ohne es zu wollen und 
zu wiffen, den Beweis, daß jene foyenannte Degen onie, 
jene Präponderanz Preußens für die deutſchen Angelegens 
heiten doch einmal thatfächli vorhanden if. Und fo ift 
es audh. In Preußen wird die entfcheidende Schlacht 
geihlagen; die Kämpfe in den übrigen Bundesſtaaten 
find Plänfeleien und Seitengefechte und eine zwanzigiäh: 
tige Erfahrung hat genugfam gezeigt, Daß ein entfcheiden: 
des Mefultat duch folche accidentiche Nebenpartien des 
großen Krieges nicht errungen werden kann. Wir verfens 
nen übrigens nicht die große Wichtigkeit der verfchiedenen 
Stellungen in ben nicht preußiſchen Bundesflaaten, wir 
ehren die Delden, die mit bemunderungswürdiger Auss 
dauer und Zapferkeit dort ihr Leben an einen Kampf ges 
fegt haben, der ihnen bis jegt nur ſchlechten Lohn außer 
dem innern des Bewußtſeins gebracht bat, wir erfennen 
an, daß ohne diefe partiellen Kämpfe weder Preußen noch 
Deutfchland fo weit wäre, als es ift, und wir werden das 
ber auch jede wichtige Frage, die in dem dortigen klei⸗ 
nern Kreiſe obſchwebt, zu berücfichtigen fuchen. Auf 
ſolche Weile werden wir uns bemühen, auch unfer Scherfs 
kein zur Löfung der großen, echabenen Aufgabe der Ges 
genmart beizutragen, um nad Kräften den Zoll abzutra= 
gen, den jeder Mitlebende feinem Waterlande und feiner 
Zeit ſchuldig iſt. F. von Florencourt. 


ö—ñ— — — — — — —— —— 


Die Kunſt der dramatiſchen Darſtellung. In ihrem or⸗ 
ganiſchen Zuſammenhange wiſſenſchaftlich entwickelt von 
Theodor Roͤtſcher. Berlin, Thome. 1841. Gr. 8. 
2 Thlr. 10 Ngr. 


Der Verf. des vorliegenden Werkes hat ſich um ſo groͤße⸗ 
res Verdienſt erworben, je einſamer der Verſuch daſteht, die 
Kunft der dramatiſchen Darficlung zur abgeſchloſſenen und in 
ben fpeculativen Principe wurzelnden Wiffenfhaft zu erheben. 
Bisher waren es einzelne, hochbegabte Künfkiernaturen, welche, 
auf reiche Kunfterlebniffe geftügt, ihre unmittelbaren Grfahrums 
gen und äftpetifchen Anſchauungen über Schaufpieltunft in vor⸗ 
trefflichen, aber zerſtreuten Bemerkungen nieberlegten; allein ein 
dur die Wiffenfchaft felbft in allen Theilen vermitteltes Spftem 
bat es bis jegt noch nicht gegeben, noch ift von der Seite bes 
deutſchen Geiſtes der Verſuch dazu gemacht worden. In einer 
Zeit aber, wo bie Kunſt ber dramatiſchen Darſtellung überhaupt 
darniederliegt, wo alle jene Elemente fehlen, auf welche bin 
aud die unmittelbare Production ein reiches und blühendes Res 
ben zu fehaffen vermag, wo fih alle Kunft, alle Wiffenfchaft, 
alles Leben aus der Welt des Gedankens und des Begriffes neu 
geftalten muß, ift gerade für die Kunſt ber dramatifdhen Darz 
ftelung , in Ruͤckſicht des Kuͤnſtlers und des Kunſtrichters wie 
des Yublicums, eine fol begriffsmäßige und ſyſtematiſche 
Durchdringung der Schauſpielkunſt von außerordentiicher Bes 
deutung, vielleicht von nicht geringer Wirkſamkeit. 

In welcher Weife hat nun aber Theodor Rötfcher feine 
Aufgabe geloͤſt! Wir möchten behaupten, daß noch felten ein 
neuer Weg in ber Wiſſenſchaft mit fo gebiegenen Borbereis 
tungen und mit dieſer freien Derrfchaft über ben Gegenftand ſei 
betreten worden. Der Verf. fußt in der praktifchen Grfenntnig 
diefer fpeciellen Kunft ebenfo ficher als in dem theoretifchen Bes 
griffe derſelben. Die Erfahrungen berühmter Fünfter und 
Kunſtkenner, befonbers die ausgegeichneten Bemerkungen und 


1686 


Kıdandlungen Gortie's und Zied’3, eine Fuͤlle eigener Kunſt⸗ 
anfhauungen und Sunfterichniffe, eine weite Übung der Kunfts 
tritit, das Berſtaͤndniß des Dramas und gruͤndliche in den bie 
Insäbung der Schauſpieikunſt bedingenden anthropologifchen 
Viſſenſchaften liefern den Grund und Boden, auf weichem er 
feine Arbeit beginnt. Allein es würbe immer eine fragmentas 
rijche, mit ſubjectivem Meinen und Belieben behaftete Arbeit, 
ein reiner Act äußerer Zufälligkeit geblieben fein, wenn es ber 
Berf. nicht verftanden hätte, allen diefen Ginzelnheiten durch 
fine theoretifche Bildung, durch die Principien und bie Mes 
thode der pbilofophifhen Wiſſenſchaft ein nothwendiges und 
wganiidyes Leben zu geben. 

Der erfte Theil des Werkes befchäftigt ſich mit der allge⸗ 
meinen Begriffsentwidelung der Kunſt. Die Poefie als diejenige 
der Künfte, die ſich des unfinntichften und geiftigften Stoffes, 
des Wortes, bedient, iſt eben darum auch die geiftigite, die alle 
menfchlichen Zuftände und Verhaͤltnifſe barftellen Tann, welche 
die Kunft überhaupt zur Erſcheinung zu bringen vermag: fie ift 
die hoͤchſte aller Kunſſe; die reichfte und legte Frucht der Poefie 
und mithin die Spige aller Kunft ift aber dad Drama, denn 
es fept die Enrit und das Epos voraus, hat beide als feine 
Elemente organisch in ſich aufgenommen und tritt erſt dann 
als vollendete Kunftform auf, wenn Staates und Bölferieben 
eine hoͤchſte Entwidelungsftufe erreicht haben. Indem fich fers 
mr in der dramatifchen Poefie die fittliche Idee durch das Or⸗ 
gan freier Individualitäten vor uns entfaltet, durch die ſich 
eine Welt von Charalteren, im Empfinden, Denken und Wols 
ien ſich gegenfeitig bedingend und entwidelnd, vor unfern Xugen 
geflattet,, weift fie ſelbſt auf ihre legte Verwirktihung, auf die 
dramatifche Darftedung hin. Wie alſo das Material dir Mus 
fit der Ton ift, fo ift in ber Verwirklichung und Verſinn⸗ 
hung des Dramas der Menſch feibft das Material, welches 
durch Ton, Geberde, Haltung, Phyſiognomie, die Geſtalten 
der freien Phantaſie zur Ausfuͤhrung bringen muß. Aus die⸗ 
ſem Verhaͤltniſſe des dramatiſchen Darftellers, des Schauſpielers 
zum Drama ſeibſt, entwiceln ſich dem Verf. wahr und frei alle 
Beziehungen, in welchen der Künftter zu feiner Kunft und mit 
diefer zu dem genießenden und anfchauenden Publicum ſteht. 

Zuerft: der Schauſpieler macht feine befondere, zufällige 
Indibidualitaͤt zum Jnſtrumente für die Kunft, indem er bie 
ſelbe zur Darftellung ber aus ber freien Phantafie erzeugten 
Seftalten verwendet; bie von der Natur gegebene Perſoͤnlichkeit 
ſoll mithin geformt, gebildet und zur Verſinnlichung des Dichter⸗ 
gebiines fähig gemacht werden. Es iſt darum für den darſtet⸗ 
ienden Kuͤnſtier .ein abfolutes Erfoderniß, daß er ſich über das 
natürtiche Talent und den Kunſtdilettantismus erhebe und fid 
zuoörberft im größten Umfange die technifchen Fertigkeiten für 
die Ausübung der Kunft erwerbe. ferner widerlegen fich aus 
diefem WBerhältniffe des Kuͤnſtlers zum Drama und zur Poeſte 
alle die Borurtheile, welche gewoͤhnlich uͤber den Schauſpieler 
und feine Kunſt bereichen. Unter dieſe Vorurtheile rechnet der 
Verf. vorzüglich die verbreitete Anficht, daß der Schauſpieler, 
indem er feine eigene Perföntichkeit für die Darſtellung einer 
andern, fremden aufgibt, ſich ſelbſt verlegt und feine fitttiche 
Würde opfert, während es doch ein unendlicher Zweck iſt, der 
Vieles Opfer hier fodert und zu ubfoluter Sittlichkeit weiht. 

Bon biefen und aͤhnlichen becherfpielenden Erläuterungen 

gelangt der Berf. erſt zu eigentlicher Entwidelung ber Princis 
pien, weiche für die Kunft ſeibſt aus dem Begriffe derfeiben her: 
vorgchen. Alle Kunft ift eine Durddringung des Allgemeinen 
und Inbividuellen; der Künftier muß das Erſtere zum Ausdruck 
des Individrellen fortführen und das Letztere zur Offenbarung 
des Allgemeinen erheben. Nur kraft dieſes Geſtaltungsproceſ⸗ 
ſes ift die Kunft lebendig und ergreifend, denn durch ihn ift fie 
in jedem Augenblicke ideal und charakteriftifh, bedeutfam und 
eigenthuͤmlich. Indem aber jede Kunft biefe Gegenfäge ihrem 
Veen gemäß zur Erſcheinung bringt, nehmen fie auch in jeber 
einen beflimmten Charakter und eine eigenthümliche Farbe an. 
In der Schaufpiellunft, die auf Berfinnlichung des Dramas 


ausgeht, treten fie zunaͤchſt in der Koderung auf, fowol bie 
Schönpeit wie die Wabrheit gleihmäßig zu ihrem Rechte kom⸗ 
men zu laffen: die Schönheit und die Wahrheit müffen fie 
hier durchdringen. Wenn daher der dramatiſche Darfteller in 
der Berfinnligung der dramatifchen Inbivibuatitäten der Ideas 
lität, das ift dem Gefege dee Schönheit unterworfen ift, einem 
Sefehe, das er mit der Sculptur und ber Materei theilt, fo 
it es auch auf der andern Seite feine Aufgabe, daß er bem 
menſchlichen Charakter in der ganzen Beweglichkeit feines Wer⸗ 
bene, in der ganzen Zülle feines Denkens und Wollens ents 
huͤllt. Nur durch eine folche klare und wirkliche Verfinntichung 
allee Strömungen bes menfchlicyen Handelns und Empfinbens, 
durch eine ſolche Xuseinanderlegumg der Seelenaffecte und Ger 
muͤthslagen zeigt fich uns die nothiwendige Wahrheit der Dars 
flellung, an welcher der Zufchauer alle Leiden und Freuden des 
menſchlichen Dafeind zu durchleben vermag. Wollte ſich der 
dramatifche Rünftter blos dem Geſetze der Schönheit untermwers 
fen, indem er einzig und allein die Idealitaͤt der Farm erftrebt, 
fo würde er mit der Naturwahrheit alles menfchlich« natürliche 
Intereſſe zum Opfer bringen, denn bie Sdeatität der Form ift, 
wenn fie nicht ein volles individuelles Dafein offenbart, kalt 
und ohne Wirkung auf das Gemuͤth. Nur bie ruhende und in 
ſich gefchloffene Piaftit, welche ihren Stoff auf das Gewicht 
eines einzigen Moments zurüdführt und meit entfernt ift, 
eine finntiche Illuſion bervorbringen zu wollen, bat allerdings 
auf bie ZIdeatität der Korm das ganze Gewicht zu legen. Treffs 
lich entwidelt der Verf. auch bie andere Einfeitigkeit, das ruͤck⸗ 
fihtslofe Streben nah Naturwahrheit. Die bramatifche Dars 
ftellung, wenn fie das Moment der Idealitaͤt nicht in ſich 
trägt, ſinkt zur bloßen Naturwahrheit herunter und der Zus 
fhauer iſt damit aus dem Gebiete der Kunft heraus an die Zus 
fälligfeit, Zrivialität und Unmittelbarkeit des Lebens gewielen. 
Allein kein freies Werk der Kunft foll die reine Illuſion eines 
Raturwertes, die Copie der endlichen Wirklichkeit fein, ſondern 
bie Kunft foll Wefen offenbaren, die nicht der Natur, fondern 
den Gefegen des freien Geiftes unterworfen find. Kür den Aus 
genblick ſcheint dies Freilich gerade bei der dramatifchen Darftels 
lung andere und der Verf. gibt fich alle Mühe, diefen Zweifel 
feinen Eefern zu benebmen. Die dramatifche Darftellung, meint 
man, führt ja bie Geſtalten der freien Phantafie in das finns 
liche Leben ein und infofern muß fie auch die ganze Fülle des 
finntigen Lebens über uns ausbreiten und bie hoͤchſte Natur⸗ 
wahrheit in jedem Augenblide zur Erſcheinung bringen. Allein 
bie Geftaiten des Dramas find im Schoofe der freien Phan⸗ 
tafie für die freie Phantafie empfangen und fie dürfen auch bei 
bee Darftellung biefen ibren Kunſtcharakter nicht verleugnen sz 
der Leib, den ihnen dev Schaufpieler gibt, muß bei allee Illu⸗ 
fion immer noch ˖das Werk des freien Geiftes und nicht der Nas 
tur zuruͤckſtrahlen. Sehr treffend fagt darum Goethe, daß man 
das „wahr Scheinen” von dem „Schein des Wahren“ in ber 
Kunft — unterſcheiden muͤſſe. Das Letttere iſt allein das Ziel 
er Kunſt. 


Aus dieſem abſoluten Geſetze der dramatiſchen Darſtellung 
daß ſich die Idealitaͤt und die Naturwahrheit durchdringen 
muͤſſe, ergibt ſich dem Verf. au die Stellung und die Auf 
gabe des darftellenden Künftters zu dem verfchiedenen dramati⸗ 
fhen Charakteren. Sie ift eine dreifache. Bat der Schauſpie⸗ 
ter einen Charakter vor ſich, in welchem fich die Idealitaͤt und 
die individuelle Lebendigkeit volllommen durchdringen, fo ift feine 
Aufgabe, den Intentionen des Dichters in ihrem ganzen Ums 
fange nachzukommen, und diefe Geftalt, wie fie empfangen 
worden, fchöpferifh im Geifte wieberzugebären. Der Schau- 
fpieler, der hier den Dichter nicht überfchreiten Fann, fonbern 
buch die Verſinnlichung die fertige Geftalt des Dichters völlig 
been muß, bat feine Aufgabe vollkommen gelöft, wenn er 
dies in der That vermag. So wenig nun aber hier ber Künfts 
ler ſcheinbar zur Verwirklichung des dichterifchen Wildes beizu⸗ 
tragen hat, fo fodert doch gerade biefe Aufgabe die genialfte, 
bie fchöpferifchfle Ichätigkeit des Schauſpielers, denn derſelbe 


108 


aß, um hinter dem Dichter nicht zuruͤckzubleiben, fich zu gleis 
Be’ oöhe * dichteriſchen Anſchauung, zu gleicher Durchdrin⸗ 
g und Verſoͤhnung bes Idealen und Realen, bes allgemels 
wen und individuellen Lebens, emporfhmingen und dieſe Ver⸗ 
föhnung in feiner Darftellung auch ausführen. Wie fehr der 
Verf. recht bat, bemeift ganz bie Erfahrung. Die Darfteller 
fotcher ganzen Menſchen, fother Mikrokosmen, die das Allge⸗ 
meine und das Befondere in ſich tragen, find aͤußerſt felten. 
Die Shakſpeare'ſchen Menſchen finden barum nur wenig ev 
fhöpfende und glüctidye Darfteller, weil allein eine wahre, ges 
nievolle Künfkternatur die unendlihe Bülle diefer ibealen und 
doch auch fo natärlihen Geftalten verwirklichen und verkörpern 
ann, weil feine Stimmung, fein Verſtand allein hinreicht, 
dieſe großen Geſtalten nachzuſchaffen, ſondern weil bie volle 
bichterifche Tiefe noͤthig iſt, mit welcher das Genie einft biefe 
itde empfangen bat. 
we Ganz — ſteht aber der Schauſpieler zu den dichteri⸗ 
ſchen Charakteren, in wilden das ideale Clement überwiegt 
und die individuelle Lebendigkeit zum Allgemeinen, zum Gedan⸗ 
ten, in keinem Verhaͤltniſſe ſteht. Die meiſten unſerer neuern 
Dichter leiden an dieſer Ohnmacht, concrete Geftalten zu ſchaf⸗ 
fen, weil die uͤberwiegende Richtung der Zeit auf die Reflerion 
und den Gedanken den Reichthum bes Individuellen verwiſcht. 
Beiſpielsweiſe fuͤhrt der Verf. unter den claſſiſchen Figuren Na⸗ 
than, den Marquis Poſa, Max Piccolomini, Thekla, uͤber⸗ 
haupt die Schiller'ſchen Charaktere an. In diefen Figuren 
waltet das Pathos des Gedankens und das Element der abs 
firacten Idealitaͤt. Zu ihrer Darſtellung bürfte daher ‚Ton 
ehetorifher Schwung und ſcharfe Verftandsbildung ausreichend 
feinen, denn der Schaufpieler erreicht feine Aufgabe ſchon in» 
fofern, als er der Schöpferkraft bes Dichterd nachgekommen 
ift. Allein der Scaufpieler, um bie größte Wirkung feiner 
Kunft zu erzielen, muß fogar bier den Dichter zu ergänzen fus 
den, indem er in feiner Daritellung auf die Naturwahrheit 
und individuelle Lebendigkeit des Dichters hinneigt. Der Verf. 
ſtellt demzufolge fuͤr den Schauſpieler das Sefeg auf: Se 
mehr ein Charakter nach der Seite der Allgemeinheit und Idea⸗ 
tität bin gravitirt, deſto mehr hat ihn auch der Darſteller nad 
der Seite der Naturwaprheit hin gravitiren zu laffen, befto 
eifriger muß ex bedacht fein, ihn zu einem individuellen ‚Men: 
fhen zu geflaiten. Der Schauſpieler unferer Zeit und ‚unferer 
Nation überficht aber, geblendet von bem augenblicklichen 
Triumphe, den ihm das Pathos des Gedankens und der Em⸗ 
pfindung ſo leicht zufuͤhrt, gar oft dieſe goldene Regel, waͤhrend 


er ſich gerade vor dem uns eigenen Streben nach abſtracter 


allgemeinerung aus allen Kräften hüten ſollte. 

Ber Das umgefehrte Berhältniß des Schaufpielers zum dichtes 
rifhen Charakter tritt ein, wenn in ben dichteriſchen Figuren 
die Iheatität und das Allgemeine zu fehr zurudteitt, ober wol 
gar vernichtet iſt. Hierher gehören die meiften Geftalten ber 
Schroͤder'ſchen, Iffland'ſchen und die beflern Figuren Kotzebue'⸗ 
ſcher Dramen, denen Naturwahrheit und ein eigenes Leben nicht 
abzufprechen, bie aber durch ihren geringen idealen Gehalt ſich 
über die Alltaͤglichkeit und die endliche Zufalligkeit nicht erheben: 
ſie geben das bloße Conterfei des gewoͤhnlichen Lebens, und bie 
idealen Geftalten Goethe's und Schiller's ‚traten disfen Natur: 
copien mit Recht und Kraft entgegen. Ein wahrer Schauſpie⸗ 
let muß dieſe Copien fo viel als möglich nad) ber ibralen Seite 
bin fleigeen und fie in bie Welt des freien Geiftes zu beben 
fuchen, ohne in den Fehler zu fallen, eine Miögeftaltung zu 
erſchaffen, die weder das Element der Wirklichkeit nody ber 
Geiſtigkeit in fi trägt. Große, befonders zur Darftellung 
ebler Perfönlichkeiten reich begabte Schaufpieler haben biele Fo⸗ 
derung auch bethätigt und der Verf. führt bier Schröder an, 
der auch dem Charakter des gewöhnlichen Lebens eine tiefere, 
ibealere Seite abzugewinnen wußte und die Phantafte ber Dich⸗ 
ter in dieſer Hiaſicht weit zuruͤckließ. Auch Eckhof ſoll dieſe 
Faͤhig eit bes Idealiſirens buͤrgerlicher und dem gewoͤhnlichen 


Leben verwandterer Charaktere im hoͤchſten Grade beſeſſen ha⸗ 
ben, wenn er auch damit nach einer andern Seite, naͤmlich ges 
gen das hohle Yathos der altfranzoͤſiſchen Schule, reagirte. 

Kachdem der Verf. unfern Schauſpielern ganz beſonders 
die Übung und Prüfung ihres Talents am den concreten Ges 
ftalten des bürgerlichen Lebens empfohlen hat; nachbem er fers 
ner, auf das Moment der Sbealität gegründet, das in Deutſch⸗ 
land gewöhnliche Worurtheil widerlegt bat, als muͤſſe ber 
Schauſpieler, ehe er an bie Darftellung eines Charakters gebt, 
feinen Geburtsſchein befragen, gebt er gu ber GEntwidelung bes 
Verhaͤltniſſes über, in weldyem der barftellende Kuͤnſtler zuerfk 
zum Yublicum, dann zur Kritik ficht. Die Kunft ber drama⸗ 
tifhen Darftelung iſt ohne ein empfangendes und genießendes 
Yublicum nicht zu denken. Allein ber echte Kuͤnſtler ſteht als 
eine prioiligirte Natur, die durch unabmeisbare, fpecifilche 
Macht zur Production getrieben wird, über dem Yublicum: bie 
Geftalten, die er aus dem Innerſten feines Geiftes herauf ents 
läßt, find neue Dffenbarungen, welche ber Gegenwart neue 
Seiten und Gtufen des Geiftee und Lebens entfalten. Der 
echte darftellende Künftter ift darum Bildner und Erzieher des 
Geiftes feiner Zeit. Zerner: der bramatifche Darfteller ift nach 
dem Wefen feiner Kunft ganz an dic Gegenwart gewiefen: fie 
ift fein Clement, feine Göttin; was fie ihm nicht gewährt, 
kann ibm kein tröftender Hinblick auf eine fpätere Zeit erfegen. 
Es beißt darum die Natur der dbramatifchen Darftellung vers 
fennen, wenn man dem Schaufpieler verargt, das ungeheuerfte 
Gewicht auf die durch fein Spiel erzeugten Wirkungen zu legen, 
denn fie allein find die Thermometer für das Maß feiner Kräfte, 
das Unterpfand für feinen Beruf, ber einzige Erfas für bie 
feinem Werke verweigerte Dauer. Indem aber gerade ber 
Schaufpieler feine Perföntichkeit zu dem Werfzeuge feiner Kunft 
macht und nicht wie andere Künftler diefe Perſoͤnlichkeit hinter 
fein Wert zurüdzieht, fo trifft ihn nothwendig jede Rüdwirs 
tung feiner Leiftung unmittelbar und berührt ihn in feiner 
ganzen Individualität: dies ift ein anderer Grund, warım ihn 
die Iheilnahme bed Publicums mehr als jeben andern Kuͤnſtler 
berühren und befümmern muß. Der Verf. nimmt hierbei Ge⸗ 
legenbeit, von den Abmwegen zu fpredyen, auf weiche Kuͤnſtler 
und Publicum in Rüdficht diefer eigenthümtichen Stellung nicht 
feiten gerathen. 

(Die Kortfegung folgt.) 





Notiz. 


Am 6. Nov. 1842 ftarb zu Hackney Dr. Allen. im neun: 
undzwanzigſten Jahre feines Alters. Beine Werke find, im 
Verhättniß gu feinem kurzen Leben, fehr zahlreich. Einundzwan⸗ 
zig Jahre alt, gab er bereits fein Wert „Au etymological 
analysis of latin verbs’ heraus, welches unter den in England 
erſchienenen Werfen ähnlichen Inhalte als dasjenige betrachtet 
wird, worin die Principien ber Iateinifhen Sprache am voll: 
ftändigften entwidelt find. Allen war 1814 geboren, Sohn bes 
John Allen, welcher fi durch eine Überfegung von Galvin’s 
„Inſtitutionen“ und durch feine „History of modern, Judaism‘’ 
befannt machte. Allen der Sohn war audy einer der gründlichften 
Kenner der engliſchen Sprache und ihrer Geſchichte. Er hatte 
für ein ausgebehntes Werk über biefen Gegenftand reichhaltige 
Materialien gefammelt und ſich die legten zwei oder drei Jahre 
feines Lebens mit bem Studium des Angelfählifchen, des Daͤni⸗ 
fhen, Schwediſchen, Setändifhen und anderer teutonifchen Spra= 
hen befchäftigt. Leider fürchtet man, daß keins feiner hinter⸗ 
laſſenen Werke zu einer Korm gediehen fet, welche es für bie 
Veröffentlichung geſchickt machte. Die englifchen Iournale heben 
mit befonderm Accente hervor, daß auch mehre beutfche Philos 
logen fein obengenanntes Werl mit Anerkennung genannt haͤt⸗ 
ten und daß cr von der Univerfität zu Leipzig mil dem Doctoxs 
diplom beehrt worben fei. 18, 


Serantwortliher Herausgeber: Heinrig Brodhausd — Drud und Verlag von F. U. Wrodhaus In Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Zreitag, 


— Nr. 27. 


27. Januar 1843. 





Heinrich 3ſchokke. 

Eine Seibſtſchau. Bon Heinrich Z3ſchokke. Zwei Theile. 
Zweite Ausgabe. Mit dem Bildniß des Verfaſſers. Aarau, 
Sauerlaͤnder. 1842, Lex.S. 3 Thir. MD Nor. 

Unter den eben nicht zahlreichen Büchern deutſcher Li: 
teratur, welche nicht bloß für eine ausgefuchte Nahrung 
des Geiftes, fondern auch für ein treffliches Heilmittel ges 
gen Franke Zuftände des Gemüths gelten können, verdient 
die vorliegende „Selbſtſchau“ eines volllommen gefunden 
deutfchen Geiftes einen hervorragenden Platz. Es iſt nicht 
wohl möglich, diefe Bogen zu durchlefen, ohne zu höherer 

Erkenntniß unferer eigenen menſchlichen Verhaͤltniſſe, un: 

ſerer Schwähen und unferer Stärke angeleitet zu werben, 

ohne klarer zu fehen in Welt und MWeltregierung, ohne 
über Glauben und Erkenntniß, über Menfchenwerth und 

Macht des Willens, über VBölkerfreiheit und Recht bes 

Individuums, über Gewalt der Idee und Zwang der 

Materie, über Erziehung des Menſchengeſchlechts und letz⸗ 

ten Zweck des Befchehenen zu Haren Anfichten gelangt 

zu fein. Zugleich bietet hierbei dies Buch fo viel Genuß 
in der Lecture, eine fo reine Freude an dem wabrhaftigen 

Menfchengeift, der uns darin abgebildet wird, eine fo herr: 

liche, kunſtloſe, poetifche Form feſſelnder Erzählung, daß 

es in dieſer Beziehung wenige Nebenbuhler und vielleicht 
kaum an „Wahrheit und Dichtung“ einen Beſieger hat, 
und daß wir mit Stolz und Wonne auf den firebenden, 
ringenden, fiegenden und gläubigen, immer aber edeln und 
geiftig hervorragenden Geiſt bliden, der uns bier ein Bild 
feiner menfchlihen Irrfahrten treu und ſchmucklos auf: 
role. Niemand kann died Buch voll irdifcher Dffenba: 
rungen ohne offenbaren Gewinn Iefen; aber, o moͤch⸗ 
ten doch die jungen, die verirrten, doch achtbaren Geifter, 
weide an Rhein und Spree auf ber dormenvollen und 
zielloſen Pilgerfchaft nach dem Abfoluten begriffen find, in 

Philoſophie und Kirche, oder die an der Seine, dem Ba: 

terlande obgewandt und zuͤrnend, der deutſchen Schwachs 

beit Huldigmd, in irdiſchen Dingen die unmoͤglichen Fo: 
derungen des Gedankens höher achten als die mögliche 

Wirklichkeit, moͤchten doch biefe und alle Diejenigen, wel: 

he vergeffen haben, daß ſich in den Dingen ber Welt 

Geiſt und Materie mifchen und durchdringen, daß das 

Abfolute daher das Abfolut » Unfindbare ift, daß der 

Staat nicht von Gebankenwefen, fondern von Menfchen 


gebildet und die Philoropbie eine einfeitige wird, die mehr 
als eine menfchliche Philofophie fein will — möchten doch 
alle Diejenigen mit einem Morte, die den alten Spruch 
vergeffen haben, daß alle Wahrheit überhaupt eine ſchwe⸗ 
bende fei und daß die alerlegte Confequenz bed Gedan⸗ 
tens ſtets in eine Unwahrheit umfchlägt, dies Buch Iefen, 
dag in großen Zügen die Lehre von der bedingten Wahr: 
heit und von den Grenzen aller menfchlichen Weisheit ent: 
haͤlt und praftifch darlegt! 

Zu welcher Harmonie diefe Ideen in dem Geifte des 
Verf. der „Stunden der Andacht” gelangt feien, iſt an 
und für fi gewiß Gegenſtand, wir möchten fagen, neu⸗ 
gieriger Forſchung für jeden Gebildeten. Dies natürliche 
Intereſſe aber fleigert fi noch unendlih, wenn wir ers 
fahren, welchen bewegten Lebensgefchiden, welchen reichen 
Prüfungen und Erfahrungen, welchen ernften, ja furcht⸗ 
baren Zweifelskaͤmpfen diefer Mann unterworfen gemefen 
ift, in welchem doch endlich Alles zu fo volllommenen Abs 
ſchluß in Liebe und Zuverficht, zu fo reiner Harmonie in 
Wiſſen und Glauben, diefen angeblich unverföhnlichen 
Erdfeinden, gebich. Der Schag, welcher für Jeden von 
uns in diefem Buche verborgen ruht, wird gehoben, wenn 
wir uns recht von dem Gedanken durchdringen, daß jede 
ausſchließliche Denkrichtung eine falfche fei, daß, ſowie +6 
auf Erden keinen luftleeren Raum gibt, es wol eine uns 
endlihe Annäherung an die Wahrheit, aber feinen Ges 
danken gibt, der nicht ein Minimum von Srethum in fich 


faßt; daß daher nicht der Menſchengeiſt, fondern die Nas 


tur das Al und Eins ift und das höchfte Geſetz gibt. 
In diefem Kern treffen alle die mannichfaltigen Dffenba> 
rungen zufammen, welche diefe Schrift nicht blos mit fies 
gender Überzeugungskraft, fondern auch in der anziehends 
ften, geiftreichften und geſchmackvollſten Geſtalt offen legt. 
Es iſt ein Buch, gefättigt voll von Lebensweishelt, gleich 
zugemwendet ber Würde des Dienfchengeiftes, wie feiner Bes 
fchränkung und feiner Schwachheit. 

Eine erfahrungsreiche und mannichfaltig bildende Ju⸗ 
gend bereitete in dem Verf. jene Geiflesrihtung vor, In 
der ſich jeder Widerfpruch auflöft und jeder Begenfag vers 
mittelt. Erſt wenn man diefe Sugendgefchichte kennt, ver- 
ſteht man, warum ber Autor der „Stunden der Andacht” 
dem dußern Kirhenthum ein inneres entgegenfegen, warum 
er den „„Abällino” und den „Alamontade“ fchreiben mas 


106 


rum er in allen politifchen und religiöfen Richtungen ein 
Gegner des Ausfchließlihen und in ber Philoſophie der 
Arzt jener Heimlichkranken werden mußte, die, durch bie 
Etepfis entnerut, das ganze Geheimniß der Natur, wie 
offen es auch daliegt, nicht mehr zu fragen vermochten, 

Heinrich Zſchokke wurde am 22. März 1770 zu 
Magdeburg in einer bemittelten Bürgerfamilie geboren, 
fruͤh feinee Mutter, im neunten Jahre. feines Waters be: 
raubt, erzjiehungslos fernen Verwandten übergeben, Die 
feine Bildung theil6 dem Zufall uͤberließen, theils buch 
lieblofe Behandlung den der Liebe bedürftigen Knaben fruͤh 
auf fich ſelbſt zuruͤckwieſen. Erſt im zwölften Jahre er: 
wachte der Knabe in ſich felbft; um die Erlaubniß zu er: 
halten, frei feinen Belüften nachgehen zu koͤnnen, that er 
fich im Latein hervor; der erſte Wiſſenstrieb führte. zu 
bunter, wahlloſer Lecture, diefe zu den erſten Zweifeln, 
welche der Eategorifche Imperativ bald nicht mehr zu zäh: 
men vermochte. So entiprang die Individualitaͤt. Den 
vierzehnjährigen Knaben warfen fromme Schwärmerei und 
Unglaube fon wild umher; die Ruhe und ber Genuß 
flohen; dafuͤr war er von jegt an abwechſelnd Myſtiker 
und Freigeiſt, Politiker, Alchimiſt und Poet in allen Sat: 
tungen. Ein Chaos von Ungewißheiten umnebelte den 
Kopf des jungen Primanerd bergeflalt, daß es ihn nicht 
mehr an ſeiner Stelle litt und daß ein geringfuͤgiger Um⸗ 
ſtand den lichthellen Gedanken: „Flucht in die weite Welt, 
da dich doch Niemand liebt“, in der Seele des Knaben 
zur Herrſchaft brachte. Wir ſehen ihn vor der Landkarte 
von Europa ſtehen und ſich fragen: Wohin nun? 

Die Schweiz, mein altes Lieblingsland, mit ihren Alpen 
und Geen lächelte mich idyMifh an. Aber ein langer Weg 
führte dahin. Ich muflerte Baiern, damals das Paradies bes 
Moͤnchthums. Bor meiner Phantafte fland ein praͤchtiges Be⸗ 
nedictinerkioſter iin Schatten uralter Ulmen und Einden . . bie 
fhmermäthige Stile hoher Bogengänge, Kreuggänge und Zellen, 
der weite Bücherfaal, ſchwer von Schriftfhägen — Alles rief 
mic dahin. Freilich ber Eintritt in die heiligen Mauern führte 

‚zum Übertritt in eine andere Kirche — body was lag dem Un: 
gläubigen am Umändern eines Glaubenskleldes? — Aber — ic 
Tannte Niemand jenfeit der Donau. Inbem meine Augen ſu⸗ 
end umherirrten, fanden fie nordwaͤrts Medienhurg und haf⸗ 
teten an der Nefidenz Schwerin. Da lebte einer meiner 
Mitfchäler, Namens Wacemann. Gr war Hoffhaufpieler. 
Das entichieb. 

Und fo trabt der fiebzehnjährige Juͤngling durch den 
MWintermorgen hin in die weite Welt, gefheucht von dem 
Gedanken, daß Ihn Niemand liebe, und doch gluͤcklich wie 
der entflatterte Singvogel. Mit feiner Hedgira beginnt 
eine neue Welt für ihn, die der Erfahrung. Von Wade: 
mann fchnöde zuruͤckgewleſen, in dem Haus des Hofbuch⸗ 

druckers Bärenfprung liebreidy aufgenommen, vom einmal 
gekoſteten Wandertrieb wieder ergriffen, folgt er der Thea⸗ 

teettuppe von WBurghelm = Schlaberndorff nach Prenzlau 
als Theaterdichter. Diefe Eurze Epoche führte in Wirk: 
fichkeit an dem jungen Geiſt vorüber, was wir Andern aus 

„Wilhelm Meiſter“ kennen. 

Die zweijährige Irrfahrt hatte unfern Freund mit dem 
eöfttichen Schag des leichten Muthes bereichert; der alte 

Querkopf war gefällig und gefellig geworden, fogar felbft 


ein wenig Egoiſt. Er foderte fein Erbtheil vom Vormund 
Stodengießer und bezog die Univerfität Frankfurt a. d. O. 
Die alte Qual der Zweifel begann aufs neue: diesmal 
aber mit dem feſten Entſchluß, ihnen, fühn und keck die 
Stirn zu bieten, und fie zu enden fo oder fo. Der ge 
hemmte Wiſſensdurſt uͤberroͤmte nun ale Daͤmme; Alles 
wurde ergriffen, Theologie, Weltgeſchichte, Philoſophie, blos 
um Waffen zu finden gegen den innern Feind. Umſonſt! 
Im Schiffbruch alles Wiſſens, Meinens und Glaubens 
klammert ſich ber Scheiternde zulezt an das Nothbret, 
das der Weiſe von Koͤnigsberg eben auswarf. Berends, 


um Hulfe angerufen, rieth nichts Philoſophiſches mehr zu 


treiben; doc, in den andern Disciplinen gings nicht bef- 
fer; der junge Forſcher konnte eben nicht an Worte glau= 
ben. Er kam auf die eriten Verszeilen des „Fauſt“ zu: 
ruͤck, beneidete jeden Wanderburfhen und — flüchtete 
endlich vor fich felbft in die Heimat. In Magdeburg ver: 
föhnte ihn ein fchmeichelhafter Empfang mit fih ſelbſt — 
Altes kam dem jungen Candidaten mohlwollend entgegen ; 
er betrat fogar die Kanzel mit Erfolg und mit dem Bei⸗ 
fa Ribbecks und Mellin's. Es fehlte wenig, fo ward 
der arme Zmeiflee — Paſtor an der St. : Katharinenkirche. 
Der Schimmer des örtlichen hatte ihn nicht verlaffen 
und er verfichert uns, daß er bie Kanzel jedesmal from: 
men und feierlichen Ernſtes voll betreten Eonnte. Er war 
eben Gefühlsmenfh. Ein Beſuch von Barby heilte fogar 
von Schwärmerei; er blieb ein Weltkind und die Zeit 
ganz anderer Götter kam und uͤbte auch ihre Gewalt. 

Dod ich Liebte — fagt er — melftens, wie ich lebte, im 
Kiebern der Einbildungskraft; mandymal aus Neugier, biswei⸗ 
ien aus Bebürfniß, das Herz zu beichäftigen, oft eine Abwes 
fende, Entfernte, deren Wieberlehr fofort allen Zauber zerſtoͤrte. 
Ich war ein Narr, aber einer, ber das feltene Gluͤck hatte, daß 
bie Abgöttinnen feiner zwanziger Jahre die Freundinnen feines 
Alters waren. . 

Hierauf nun folgten drei Sabre ald Doctor legens 
in Frankfurt, die wenig änderten oder befierten. Die 
Extreme walteten nach mie vor: Wüfte und Paradies, 
Enthuftasmus und Haß ohne Maß. Wöllner, dem der 
junge Mann den herkoͤmmlichen Befuch verweigert hatte, 
flug die erbetene Profeffur ab, die alte Wanderluft er: 
wachte — und, „nad dem alten Grab der Gräber, nach 
Rom” rief auf einmal Alles in dem jungen Geiſte. Im 
Zickzack ginge durch Deutfchland ; der in Prenzlau und 
Eandeberg entflandene „Abällino” Iärmte damals auf den 
deutfchen Bretetn. Der Berf. verachtete ihn und er 
machte — eine große Erfahrung! Literarifche Celebritaͤt 
ward ihm veraͤchtlich, als er fah, wer fie ertheilte und 
wofür. Allerlei Dunkles bellte fi doch nun auf. In 
einem mächtigen, ergreifenden Bilde rollen fi nun, in 
der Schweiz angefommen, die contraftifchen Zuſtaͤnde die⸗ 
fe6 Landes vor und auf. Der Freiheit Gegnungen, der 
Freiheit Sreuel, der Kirche Wohlthaten, der Kirche Ty⸗ 
rannei, bie geiftige Unfreiheit der Demokratie, die Suͤnden 
ariftofratifcher Gewalt, Alle dies ſtellt fih auf wenigen, 
nicht genug zu preifenden Blättern (S. 65 — 75) ergrei: 
fend dar. Ein Lichrftrahl fälle fhon Hier in das Alte 
Dunkel; vr fängt an zu ahnen, daß nichts für fi, fein 


vr. z7 an IE 3. 


/ 


% 
LE 4 


27, 


we 0... ..., 
AF A 


BRM Mr: MM: 


“u mu 
Sub tum Me 


4 





‘ 


107 


einzelner Theil der Natur, tool aber die ganze Nature das 

Abſolute darſtelle. An diefer Idee baute ſich fpäter auf, 

was Zſchokke ald feine Phitofophie in Anſpruch nimmt. 

Auf der einen Seite überrafcht, auf der andern enttäufcht 

durch Das, was er fah, führt eine zufällige Bekanntſchaft 

mit Dlsner den Verf. nah Paris. Es war zur Zeit der 

Verſchwoͤrung von Babeuf 1795. Ekel vor dem reiben 

dee Deroen der Freiheit verjagt ihn von dort; erft in Bern 

fand feine Seele wieder Ruhe. (Es muß ein Irrthum 
| fein, wenn er damals Graf Schlaberndorf als einen Sch: 
| ziger gefannt haben will, da wir ihn felbft als einen fol- 
den 1814 gekannt haben.) Kuͤnſtler, Maler oder Dorf: 
fhulmeifter, das waren damals die zweifelhaften Lebens⸗ 
ziele; nad Rom aber war der Blid gerichtet. Ein ver: 
ſpaͤteter Koffer warf diefen Lebensplan um, wie in Mag: 
deburg eine erſtarrte Fledermaus ale Schickſalsgoͤttin ein- 
trat. Salis und Neſemann menden die Augen des jun: 
gen Wanderers auf das verödete Seminar von Reichenau, 
daſſelbe, in welchem kurz zuvor der Herzog von Chartres 
(Ludwig Philipp) ale Monf. Chabos Zuflucht gefunden 
hatte. Tſcharner, der fi in dieſem Beſitz nicht behaupten 
fonnte, übertrug ihn an Zſchokke, der für ein Drittel 
ded Gewinnfies und 800 Gulden Gehalt die Wiederher: 
ſtellung der einft blühenden Anftalt übernahm. Gin Jahr 
voll feliger Strebensluſt und gefegneten Erfolges folgte. 
Der Pilger hat fein Mekka erreicht, wunderfreundlich blickt 
ihn das Leben unter dem neuen raftlofen Wirken, unter 
sefpannter und erfolgreicher Thaͤtigkeit an. Er glaubt das 
Gluͤck an feinen Herd gefeffelt zu baten. Die Anſtalt 
blüht raſch empor, die Jugend fammelt fih um ihn, 
theure Freunde, Tſcharner, U. Reding, Salis lehren ihn 
den Reiz des Lebens kennen — da bricht der Sturm ber 
Revolution herein und vermeht das ganze Kartenhaus 
von Gluͤck. 


(Die Sortfegung folgt. ) 





Die Kunft der dramatiſchen Darftelung Bon Theodor 
Roͤtſcher. 

(bortſegung aus Nr. 236.) 
Heutzutage, wo ed in Feiner Kunftthätigkeit ein naives 
Schaffen und Genießen mehr gibt, weil ber Begenfag von Em: 
und Denken alle Lebensfphären durchdringt, muß ber 
Kunſt bie Kritik auf dem Fuße folgen. Die abfolute Bebingung 
der Kritik ift aber die Erkenntniß der Geſetze des Gegenftandes, 
auf ten fie ſich richtet. Ohne die Wiffenfchaft ift darum bie 
Kritik nicht möglich, indem fie allein erſt die Einſicht in ben 
Droanismus bes Objects eröffnet: das zufällige Empfinden und 
Seflectiren wirb durch diefelbe aufgehoben. Der Kunſtrichter 
mus daher nicht nur ein allgemeines Bewußtſein über die Nas 
ur ver Kunft haben, fonbern er muß auch das Gebiet und bie 
Arkitektonil der befonbern Kunft im ganzen Umfange kennen. 
Diemit hat unfer Verf. den Stab über jene gewöhnliche Thea⸗ 
teckriũt gebrochen, bie ohne Wiffenfhaft, nicht felten ohne un⸗ 
mittelbare Begabung, in einem eigers gefchaffenen Iargon bie 
Eeiflungen der dramatiſchen Künftler beſpricht und bie ben 
Rünfier und bas Publicum unendlich deprarirt. Der Künfkler 
ſel aber an dem wahren, durch bie Wiffenfhaft und eine 
Hantafiereiche Anfchauung gebildeten Kritifer das natürliche 
Gerzectiv, den parteilofen Richter haben, ber eine befondere 
Saſtſtufe nad) Dem, was bie concrete Ibee und das Beduͤrf⸗ 
2 der Zeit fodert, beustgellt: der dem nach Naturnothwen⸗ 





digkeit ſchaffenden Künftter und dem unmittelbar genießenden 
Yublicum das Bemußtfein in feiner ganzen Klarhrit über die 
Probuction eröffnet. 


Hierauf entwidelt ber Verf die fubjectiven Bedingungen, 
welche der Schaufpieler zur Ausübung feiner Kunft hinzubrin⸗ 
gen muß. Alle Kunſt beruht auf der freien Phantafie. Diefe 
Kraft, den vernünftigen Inhalt in der Form des Bildes anzu: 
hauen und in dieſer Geſtalt gegenſtaͤnduch zu machen, tft, wie 
bei jeder Kunftthätigkeit, auch die negative Bedingung zur dras 
matifhen Darftellung. Freilich muß aud) Hier das Talent hins 
zulommen, nach weichem fi die Phantaſie des Individuums 
gerabe in biefer fpecififchen Weiſe productiv anlündigt. Das 
Zalent bes barflellenden Künftlers wird fi) darum befonders in 
jenem unabweisbaren Zriebe verraten, theild von ihm wahrs 
genommene Zuftände und Perföntichkeiten , theild Geſtalten ber 
freien Phantaſie mittels feiner eigenen Perſoͤnlichkeit wiederzu⸗ 
geben. Je größer ſich die Selbfiverleugnung der eigenen Per: 
ſoͤnlichkeit dabei zeigt, je prägnanter bie Züge find, welche les 
benbig aufgefaßt und bargıflellt werden, deſto ficherer darf auf 
eine Begabung geichloffen werden. Indeffen Bildung, Tempe⸗ 
rament unb natürlider Nachahmungstrieb täufchen gerade hier 
ſehr felten und das Zalent erweift fi nur zu oft ohne Nadhs 
halt. Weiter: indem in der Gchaufpiellunft das menfchlicdye 
Individuum felbft zum Material ber Darftellung ber Idee ge 
macht wird und diefe Individualität der nothwendige Stoff tft, 
an weichem fich die Idee offenbart, fo muß auch die finntiche 
Erſcheinung der Perfönlichkeit fchon ihre Bedingungen zur dra⸗ 
matifchen Darftellung an fi tragen. Für die finnliche Geſtalt 
treten mithin fürs erfte zwei allgemeine Gefichtspunfte heraus, 
zuerft: der Körper muß die Möglichkeit barbieten, zum Zeichen 
ber Seele geformt und zum Träger ber geiftigen Perſoͤnlichkei⸗ 
ten erhoben zu werden; zweitens: die Geſichtsbildung muß dem 
geiftigen Ausdrucke nicht wiberfireben. Hoͤchſtens das Feld ber 
phantaftifgen Komik wird das einzige Gebiet fein, worin auch 
mangelhafte Körperlichleit bei großer anderweitiger Begabung 
fi bewegen Tann. Daß bier ber Verf. den Körper und die 
Phyſiognomie ald Raturbeftimmtheit und nicht als das Reſul⸗ 
tat gemeiner Leidenfchaften und eines rohen Sinnes im Auge 
bat, ift nicht erft zu erwähnen. Das zweite allgemeine Mo⸗ 
ment ber Naturfeite des barftellenden Künftlers iſt bie natur« 


| liche Beſchaffenheit des Tones. Bier find ebenfalld zwei große 


Dinberniffe, welche das Individuum oft mit aller Beſtimmtheit 
von der Bühne zuruͤckweiſen, denn ber Xon, als ber unmittels 
bare Zräger des Geiſtes, tritt als eine noch viel gebieterifchere 
Schranke auf denn die übrige Körpertichleit. Wie es eine ges 
meine, unverbeſſerliche Gefichtsformation gibt, die fih zum 
Ausbrude bed Idealen nicht eignet, fo kann zupörberft auch dem 
Zone von Natur ein gemeiner Accent aufgedrädt fein, ber ihn 
zum Ausbrude bes Geiſtigen unfähig macht. in ſolch gemeis 
ner, gleichſam aus bem rohen und ſinnlichen Stoffe des Men⸗ 
ſchen gebildeter Ton fegt die Bedeutſamkeit des Inhalts herab 
unb erregt in bem Hörer den Widerſpruch zwifchen Inhalt und 
Form. Der Manglofe Zon tft Hingegen kein abfolutes Hinderniß; 
er kann oft durch die Beifligkeit ded Accents zum Ausdrucke bes 
Idealen überwunden werden. Die zweite Schranke des Zone, 
als natürliche Baſis der barftellenden Kunft, tft ein ausgeprägs 
ter Dialekt, er widerſtrebt ebenfalls ber Idealitaͤt. Hierin 
möchten wir jedoch dem Verf. nicht ganz recht geben, denn nicht 
immer gründet fiy bei dem Ginzelnen die Eigenthuͤmlichkeit bes 
Dialekts auf bie natürliche Gonftruction der Sprachorgane und 
eine anhaltende, confequente und methodifche Übung Kann felbft 
natürliche Fehler und GSpecialitäten für die Wahrnehmung gänge 
8 verloͤſchen. Der Dialekt iſt für die darſtellende Kunſt frei⸗ 
lich unzulaͤſſig. Der kuͤnſtleriſche Ausdruck des Geiſtigallgemei⸗ 
nen wird auch immer in der allgemeinen Sphaͤre der Na⸗ 
tionalitaͤt aͤußern muͤſſen, damit er den Charakter der Allge⸗ 
meinheit nicht verliere, waͤhrend der beſondere Ausdruck 
einer Landſchaft, der hinter dem Ausdrucke der Allgemeinheit 
zutuͤckgeblieben, uns nur das geiſtige Weſen der Nation und 


4 


* 


108 


das nationale Dichterwerk in einer particulairen, vom Boden 
der Allgemeinheit loegeloſten Weile offenbart. Es entſteht fo 
ein peinlicher Zwieſpalt zwiſchen Form und Gehalt. Gin mit 
unverbefferlichem Dialekte bebaftetes Individuum wird baber 
böchftene nur den befchräntten Kreis eines Localkomikers für 
ich haben. 
na —* Verf. gebt jetzt auf die Entwickelungsſtufen des dra⸗ 
matiſchen Kuͤnſtlers ſelbſt ein. Dieſer Gegenſtand iſt nach un⸗ 
ſerm Beduͤnken der Brennpunkt fuͤr die Wuͤrdigung der Kunſt 
und des Kuͤnſtlers, und unſerm Verf. gebuͤhrt die Ehre, ihn 
uerſt zuſammenhaͤngend und nach den Geſetzen des Geiſtes 
berhaupt entwickelt zu haben. Mit dem Vorzuge eines natuͤr⸗ 
lich wohlgeſtalteten Körpers, einer edeln Geſichtsbitdung, einer 
wohlklingenden, dialektfreien Stimme ſteht das begabte Indi⸗ 
viduum an der Schwelle der Kunſt. Aber alle dieſe Factoren 
werben erſt zu wirklichen Kräften, wenn fie durch das ſpeci⸗ 
fiſche Talent, durch den Genius des Kuͤnſtlers zur lebendigen 
Thaͤtigkeit benugt und organifirt werden; exft in biefem Pros 
ceffe nimmt ber Genius vollftändigen Beſitz von den ihm durch 
die Natur ertheilten Gaben. Diefer Genius erſcheint zunächft 
ebenfalls als der natürliche Kunftgeift, der feinen Entwidelungs: 
proceß zu durchlaufen hat, um ſich zu dem wirklichen und re: 
ierenden Geifte der Kunft zu machen. Cs ift bie Sache der 
iffenfchaft, diefen Entwidelungsproceß des bramatifchen Kuͤnſt⸗ 
lers in feinen Momenten zu begreifen, obfdyon es gleichgültig 
it, 96 das Individuum den Proceß in ber That in diefer Ge: 
chiebenheit durchgemacht hat, oder überhaupt durchgeht. Der 
erite Standpunkt ift nad diefen Kategorien der Standpunkt 
der unmittelbaren Empfindung für den Kuͤnſtler. Der Darts 
ſteller wird zuerſt von ber Empfindung berührt; die Empfin⸗ 
dung in ihm ergreift das Verwandte und gibt ſich bemfelben 
mit Stut und Snnigfeit bin. Es ift alfo die Iyrifche Stim⸗ 
mung, aus welcher heraus hier der Kuͤnſtler bie bichterifchen 
Seftaiten zu verwirktichen fucht. Auf diefer Stufe erſcheint ihm 
das darzuftellende Leben als fein eigenes Leben, als ein von 
ihm uhzertrennbares Wefen, das er in diefer gefteigerten Stim⸗ 
mung von ſich entläßt. Allein, da hier die Geftalt des Dich: 
ters ganz in bas Gefühl bes Darſtellers übergegangen und von 
ihm als das feine empfunden wird, kann er nur ein Werk der 
Natur, nit ein Werk der Kunft geben. Das Wert wird wol 
ein lebendiges Bild fein, aber e8 wird ber Idealitaͤt, ber Schoͤn⸗ 
beit entbehren, denn es find bie unmittelbaren Affecte der Nas 
tuc. Der Darfteller Tann uns darum nicht Über das peinliche 
Bewußtfein emporbeben, daß ſich aud hier die Natur einmal 
völlig entfeffeln und den Gefegen ber idealen Welt völlig Bohn 
fprechen werde. Ferner: da fich der darftellenbe Künftter auf 
diefer Stufe nur mittels feiner fubjectiven Empfindung in der 
Rolle zurecht findet, fo wird er auch nur den Meinen Kreis von 
Sherakteren beſchreiben, in welchem er feine Iyrifche Stimmung 
vollfommen gegenftändlih anſchaut: die Ereigniffe ber Liebe, der 
idealen Freundſchaft, der republitanifchen Begeiſterung, Alles, 
was eine Zünglingsphantafte bevölkert, wird der Darfteller auf 
diefer Stufe wiedergeben können. Man fieht daraus, wie e6 
um ben wefentlichften Punkt in der Schaufpiellunft, um bie 
Sharakterdarftellung auf diefem Standpunkte übel ſteht. Die 
Empfindung concentrirt den Darfteller nur auf Momente, fie 
bat darum nicht bie Gewalt, von einem feſten Centrum aus jenc 
mannichfaltigen Lebensäußerungen hervorgehen zu laffen, in 
welchen ſich jeder reihe Charakter auseinanderlegt: wir entbeh⸗ 
zen der beftimmten Leiber und Geftalten, wenn wir audy bier 
die abftracten idealen menſchlichen Gmpfindungen anſchauen 
tönnen. Darum beginnt die Schranke diefer Kunftftufe da, wo 
die Schranke der Declamation ifl. Es ergibt fi darum aus 
allem Diefen folgendes Kriterium: Je einfacher und zugleich der 
Inrifhen Empfindung unferer idealen Ratur vermandter das 
Pathos einer dramatiſchen Geftatt iſt, deſto eher muß biefer 
Standpunkt eine Wirkung hervorbringen; je individueller und 
reicher aber ein dramatifdier Charakter, je entfernter fein Pa⸗ 


thos der unmittelbaren Empfindung des Darftellers ift, je wer 
niger er fein eigene® Ich darin anſchaut, befto unzulaͤnglicher, 
deſto ohnmaͤchtiger tft diefe Stufe für bie dramatiſche Darftels 
lung. Indem die weibliche Individualität überhaupt dem Ems 
pfinden näber fteht und bie Lyrik in jeder Beziehung weit mebe 
ihre Heimat ift, fo reicht auch bei der bramatifchen Künflierin 
die Fülle lyriſcher Begeifterung, von einer edeln und reizenden 
Perföntichleit getragen, weit eher aus als bei männlichen Cha⸗ 
zalteren und männlichen Künfttern. Wie aber aud bei ber 
Künftterin nicht immer biefer unmittelbare Standpunkt zu ge⸗ 
nügen vermag, wo höhere, concretere Geftalten der Gegenftanb 
ber Darftellung find, zeigt der Verf. treffliih an dem Charak⸗ 
ter der Shakſpeare'ſchen Julia auf. Das letzte Refultat, wels 
ches aus dem Verharren auf diefem Standpunkte hervorgeht, 
ift traurig. Wenn fi) nämlich bie unmittelbare Empfindung 
durch die Zeit abgeflumpft bat, oder das Individuum über 
haupt der Periode entwachlen ift, in welcher feine natürliche 
Srregtpeit und lyriſche Kraft durch wahlverwandte Affecte des 
Dichters in Bewegung gefept wird, fo fint, bei bem Mangel 
einer hoͤhern Eünftterifchen Bildung, der unmittelbare Schauſpie⸗ 
lee zu dem leblofen, empfindungss und charafterleeren Mecha⸗ 
nismus herab. Das Schickſal diefer Künftter ift dann das 
Schidfal bes Routiniers. Die Routine aber ift die dürftigfte 
und, wenn fie fich bei ihrer Außerlichen Bewandtheit und Anftels 
Iungsfähigkeit für Genialitdt ausgibt, bie abfcheutichfte aller 


Kunftftufen. 
(Der Beſdluß folgt.) 





Literarifhe Notizen aus England. 


Bom Berf. des „Jack Shepparil“, unfittiichen, und „Old 
St.-Paul’s‘', zweideutigen Andenkens, von William Harrifon 
Ainsworth iſt wieder eine dreibändige Novelle erfchienen „The 
miser’s daughter‘ (London 1842). Ainsworth ift in England 
populair. Weshalb? — Charakterzeichnung fümmert ihn wenig, 
Seine Perfonen find meift ſehr mangelhafte Geſchoͤpfe. Aber durch 
geſchickte Anordnung der Sreigniffe, durch die Wechfelfälle bes 
Gluͤcks, welche feine Perfonen treffen, durch bie Gefahren, die 
ihnen drohen, durch die unerwartete Weife ihrer Rettung, durch 
ihre Leiden und ihren endlichen Triumph weiß er die Aufmerk⸗ 
famteit fo zu fefleln, daß man dad Mangelhafte an feinen Perz 
fonen überfiegt und fie für Menfchen von wirktichem Fleiſch und 
Bein hält. Darin mag das Geheimniß von Ainsworth's Pos 
pularität liegen. Man kann gegen feine Figuren nicht gleich: 
gültig fiin. Mögen fie fi) noch fo unangenehm machen, mit 
bee menſchlichen Natur ſich in Widerſpruch ftellen und gegen 
die Bundamentalgefege der Moral auf das ſchmaͤhlichſte vers 
ftoßen — thut nichts. Immer hängt ihnen fo echt Menfchliches 
an und läßt der Verf. fie fo viel mehr Übel erdulden als be- 
geben, baß man gar nicht umhin kann, fie zu bemitleiben. Unb 
das ift ed, warum Ainsworth's Novellen ſich ber Volksſittlichkeit 
To gefährlich erwielen haben, baß, wenn es dem Betergefchrei der 
Preffe nachgegangen wäre, er mit den JO oder 40, bie fein 
„Jack Sheppard“ verführt hat, eingefperrt vder transportirt 
und mit Gourvoifier gehenkt worben fein würbe. on allebem 
madıt „The miser’s daughter’ feine Ausnahme. 


Es hat neulich Jemand in ber augäburger „Allgemeinen 
Zeitung” geäußert, in Gngland leſe kein Menſch ben erften 
Band einer dreibaͤndigen Novelle. Wäre das ebenfo wahr als 
es vermuthli nicht wahr iſt, fo würden bie Lefer bed „The 
Nabob at home, or, the return to England” (London 1842) 
ſchlecht wegkommen. Bier befriedigt der erſte Band von An 
fang bis zulegt, beim zweiten gähnt man, und tieft man ben 
dritten, fo meint man einen ungehörigen Appenbir zu lefen. 
Die Geſchichte iſt beenbigt, che die Geſchichte des Helden, bes 
Oberſten Roß, anbebt. Der erfte Band zeichnet fidh unter Anderm 
durch eine gediegene Schitberung bes Lebens in Indien aus, 3. 


Berantwortlier Geraubgeber: DHeinrid Brodhaud. — Drud und Berlag von J. A. Brodbaus in Leipzig. 


Sonnabend, 


Heinrich 3ſchokke. 
(Bertfegung aus Nr. 27.) 

Str Diejenigen, welche da wähnen, daß logiſche Con: 
feauenz und DVernunftgemäßheit den Staatseinrichtungen 
alien hinreichend feien, den Gehorſam gegen bie Gefepe, 
das Gluͤck der Völker zu verbürgen — für Diejenigen, 
weldhe in ihren Berechnungen die thierifche Natur des 
Menſchen — feine Leidenſchaften ganz aus dem Auge ver: 
Beeren, find die folgenden Abſchnitte an Belehrung reich. 
Der Berf. fetbft, bei Erzählung der Greuel jener Revolu⸗ 
tion, tie jest in der Schweiz ausbrach, der Menſchen⸗ 
freund, der Idealiſt, der gemüthvolle Schwaͤrmer Zſchokke 
feibft, wird nun an feinen eigenen Theorien oft irre ges 
madht und weiß fi nicht anderd zu helfen, als daß er 
alle Schuld auf die civilifirte Barbarei unferer Zelt, die 
für ibn noch in den Anfängen allee Humanitaͤt fleht, 
fhieben- muß. Das Belenntniß iſt folgenreih. Stehen 
wir wirklich in den Anfängen der Humantitaͤt — nun fo 
ii es wol zur Unzeit, Ideale der Menfchheit verwirklichen 
zu wollen; der Halbwilde wird nicht mit Roſenketten ge: 
feffelt! Aber der Verf. ift im Irrthum; was er bie civi- 
üſirte Barbarei unferer Zeit nennt, ift die Menſchennatur 
aller Zeiten, die der Unterwerfung an einen fremden 
Willen, an eine erfannte höhere Intelligenz aufer ihm, 
zu Peiner Zeit, im Staate wie in der Religion entbehren 
kann. Selbſibeſtimmung mürde nur dann genügen, wenn 
der Menſch ein reines Vernunftweſen waͤre; da er das 
nicht if, fo muß dad Beftimmende außer ihm Liegen. 
Wir meinen, dad fei eben das unzmeifelhafte Fundament 
alier Herrſchaft und zugleich aller Freiheit, Deren ber 
Menſch nur theilhaftig wird, indem er fi durch die Din: 
«bung an einen reinen Willen und eine höhere Intelli⸗ 
genz vor fi ſelbſt — feinen Leiderifchaften und ber fub: 
jectiven Befchräntung feinee Natur — befreit. 

Au der Zeit, als unfer Freund durch die Wuth eis 
ner Umflürzerrotte aus feinem ftillen und felbftgefchaffenen 
Paradiele zu Reichenau aufgetrieben und wie ein Raub⸗ 
thlee gejagt, wie ein Geaͤchteter verfolgt vourde, blos weil 
man ihn mit feinen Freunden Tſcharner und Salis für 
ariftofratifch gefinnt hielt, zu jener Zeit war er von dieſer 
Wahrheit noch nicht durchdrungen — er glaubte noch an 
eine vernunftgemäße Selbfibeftimmung der Maffen. Run 
ergriff ihn der Revolutionsſtrudel, hob ihn, der noch vor 


| dernden Thespis⸗Juͤngern von Prenzlau. 


Blätter‘ 


für 


literarifhe Unterhaltung 








kurzem ganz in. feinem Lehrberuf verfenkt lebte, zu den 
Höhenpuntten der Macht, zum Statthalterthum, zu wich⸗ 
tigen biplomatifchen Stellungen empor, fchleuderte ihn 
wieder zu den Gedchteten, Gehegten, Verfolgten herab, 
bob ihn auf Wogen der Volksgunſt wieder empor, ein 
Spielball des Gluͤcks, und ohne daß er felbft kaum zu fas 
gen vermochte, role Died Alles geſchah. Diefe fünf Fahre 
(1798 — 1803) waren für ihn die wahre Lebenshoch⸗ 
fehule, und — zwar treu fich ſelbſt — doch mit fehr ges 
täuterten Anfichten von ber Zuverläffigkeit der ſich ſelbſt 
überlaffenen Menfchennatur, ging er aus ihr hervor. Zus 
gleich war aller religidfe und philoſophiſche Zweifelskampf 
geendet und hatte einem harmoniſchen Sebanfen Platz ger 
macht, den mir bald näher kennen Lernen werden und in 
dem von nun an fein ganzes Dafeln wurzelte. 

Des Verfolgten Zufluht war ein Holfloß, daß von 
Reichenau den Rheinftrom hinabſchwamm; in Ragag trifft 
ee auf feine Mitverfolgten: Tſcharner, Meyer, Roſcher 
u. 4. Es war ein Leben, ungefähr wie mit den wan⸗ 
Aarau war der 
Sig der improvificten helvetiſchen Republik: bie kleine 
Stadt wimmelte von Staatsbeamten, Generalen, Geſand⸗ 
ten, Deputationen. Alle Stimmen ber flüchtigen Grau⸗ 
blndtner fielen auf Tſcharner und den Verfaffer, als Ger 
fandte bei ber neuen Regierung. Da diefe für Graus- 
bündten nichts zu thun woagten, verlor Tſcharner ben 
Muth, zog ſich zuruͤck und überließ dem unerfahrenen 
jungen Lehrbefliſſenen allein das Feld. So ward Zſchokke 
Diplomat, Staatemann und fofort zeigte ſich feine glüdks 
liche, feine im Praktiſchen ſchnellkraͤftige und erfindungs⸗ 
reihe Geiſtesanlage bei ſchwierigſter Aufgabe. Es hans 
beite fi darum, Vergeſſenheit und Aufnahme in die Re 
pubtit für Sraubündten zu erlangen, waͤhrend man im 
Lande felbft die Franzoſen befriegte und die Farben ber 
Republik verfpottete. Wer jemals in einer ähnlichen Ver⸗ 
mittelung thätig war, kann leicht die Sorgen, die Ängſte, 
die Noth unfers Freundes ermeffen. Dennoch fiegte feine 
Nednergabe, er empfing bie Ehre des Bruderkuſſes im 
Vollziehungsrath. Hier eine Probe von der Darftellung 
bes Sufaffere 

lebte nun in einer gro le, beffen Le L ein 
böberer @eift, als ber —ã— enmabın Fl ae ge 
ſchaffene Staatsverfaffung, mit gänzticher Unkunde bes Landes 
entworfen, dann mit blutiger Gewalt eingeführt, follte Voͤlker⸗ 


110 


⸗ 


en verſchmelzen, bie taum bem Kamen nad) bekannt 
ro en nicht Belgien, nicht Bitte, nicht —E 
nicht Geiſtesbildung, nicht buͤrgerliches Beduͤrfniß gemein hatten. 
Bertuftig des gewohnten Alten, unkundig des Neuen, trieben fie 
nun ängftlih unter Trümmern früherer Ginrichtungen umher, 
wie Ameifen, deren Wohnung ein unbarmperziger Fuß zerſtoͤrt 
hat. Eine Suͤndflut neuer Belege uͤberſchwemmte dad Land und 
mehrte die Verwirrung. Das Volk, irre in Zweck und Mitteln, 
ſuchte Rettung in eigener Kraft und blieb am Ende body nur 
Cpielball ergrimmter Parteien. Hier prebigten fanatifche Frei⸗ 
heitsfchreier Abfchaffung der Auflagen, Bütergleichpeit, Schul 
benvernichtung, Patriotenentfhäbigung ; dort fanatifcye Priefter 
Religionsgefahr, Glaubenskrieg. Dier zettelten rachbürftige Pas 
trizier Verſchwoͤrungen und Empörungen an, bort fehrien Ber 
bannte Tod und Verderben über ehemalige Obrigkeiten. Waͤh⸗ 
rend bie dandleute von Baſel Vertheilung der Staatskaſſen for 
derten, ſtraͤubten ſich die von Bern gegen die Einfuͤhrung der 
neuen Steuern, die von Glarus gegen den gregorianiſchen Ka⸗ 
lender, andere gegen ben Bürgereid. Raſtlos durchſtrichen fran⸗ 
zoͤſiſche Schlachthaufen das Land, Aufftaͤnde zu verhuͤten, oder 
mit Flamme und Schwert zu kämpfen. Unterwald, für die Res 
ligion in Waffen, ward mit Leihen und Brandflätten bedeckt. 
Die Regierung von Yarau, troß fie umgebenden Gepränges, ſtand 
ohnmaͤchtig da und abhängig von Frankreichs Gebieterſchaft. 

Der ſchaͤtfſte Seher war blind für die Entwirrung. 
Gezwungen, Weltmann zu fein, ward ber Verf. tauglicher für 
die Welt; er ließ dem inmwendigen Menfchen nur die Mofle 
bes Zuſchauers und that fo viel Noͤthiges ale möglich. 
Dier knuͤpfte fih auch die Verbindung mit Peſtalozzi, 
Uſteri, Müller, Rengger und Laharpe, ein Troſt bei fo 
großer politiſcher Hoffnungsloſigkeit. Eine Reihe oͤffent⸗ 
ficher Ämter nahm den Berf. nun in Anſpruch; zuerft 
gefellte er fi) dem Minifter des Innern, Stapfer, zu, 
als Vorſtand des Bureau de P’esprit pablique; bier ent: 
fland der fo berühmt gewordene „Schweizerbote“ zunächft 
als ein Mittel, der unglaublich vernachläffigten politiſchen 
Erziehung des Schweizervolks nachzuhelfen. Hierauf im 3. 
1799 die Ernennung zum Regierungsſtatthalter in Unter 
walden. In dieſer neuen Laufbahn zeigt fih, wenn wir 
feiner Erzählung folgen, umfer Freund ale ein Bann von 
entfchiedenem Berwaltungstatert, gerecht, hülfsfertig, zu 
vechter Zeit kraͤftig, unnachgiebig, entfchloffen. Sein Geijt 
nahm eine neue Geflalt an, er fah die Welt im Lichte 
der Mirktichkeit. 

Kann ich auch nicht ganz froh fein — ſchrieb er an den 
ehrwürbigen Reſemann — fo halten Sie mich darum nicht für 
ungluͤcklich. Gin frifches, jugendhelles Gemüth, innig — eins 
mit Gott, gibt ſich bald zufrieden — und will ich ermatten, fo 
wird mir erquidender Umgang mit Berefinger und Peſtalozzi. 

So ſaß er denn bald am Schreibtifh, bald zu Pferde, 
mufterte Zruppen oder hörte Berichte bei offenen Thuͤren, 
und bildete fih, Mohlwollen im Herzen, in Menſchen⸗ 
kenntniß und Geifledgegenwart wachiend, zu sinem Staates 
mann, bei dem er freilich, wie er fagt, nur ein negatives 
Verdienſt anerkennen könne So felbftäudig war der ches 
malige Zweifler nun fchon geworden, daß er fih im Aus 
guft 1799 ſelbſt als Proconful in den Canton Schwyz ent: 
fendete, wo die entfeglichfle Noth ſchnelle Hülfe erheifchte, 
Der tühne Schritt ward von ber Regierung genehmigt 
und erwarb ihm Ehre aus unfayliden Mühen, bie er 
anziehend darſtellt. Indeß — tägliches Schaffen, Ein: 


flürzen und Wiederaufrichten, Auſtreben und Ringen mi: 
beten Ihn nicht ab. 

Leben — [dreist er — iſt Wirken und das m 
lichſte Wirken bi fetigfte Leben. a a 
ein gutes Gewiſſen, guter Muth geben unerfchöpftiche Kraft. 

Das Wert der Wiederherſtellung war zlemlich vorge 
ruͤckt; da erfheinen Suwarow's Scharen und flürzten 
Alles in das alte Chaos zurid. Verwuͤſteriſche Schlacht⸗ 
tage”, fo fagt er, „verwehen alle Sorgfalt des Staats: 
mannee.” Von neuem wird Rettung geſchafft, fogar nas 
tionalwirthſchaftliche Plane merden angebahnt und der 
flücdtige Freund X. Reding (nachheriges Haupt der Mes 
publik) in Sicherheit geborgen. Im Schhling 1800 ſchien 
eine befjere Zeit zu erwachen, die Ordnung war herges 
ſtellt und befeſtigt. Zſchokke will ſich von den Regierungs⸗ 
aͤmtern zuruͤckziehen; feine Anſichten über Dis, was der 
Schweiz noth thue, waren feſt und damals von Reding, 
mit dem nachher fo großer Zwieſpalt erwachte, getheilt. 
Da erfolgte die Ernennung zum Regierungscommiſſar im 
Wallis und mit widerſtrebendem Willen wird das neue 
Amt endlih angenommen. Wir übergehen die Erzählung 
der Außerlihen Thatſachen aus diefer neuen Laufbahn, 
wie anziehend auch die Kämpfe mit der franzoͤſiſchen Mi— 
litairgewalt, die Noth und die Geſchicke der Landfchaft, 
die Factionen im italienifchen Stil, die Verhaͤltniſſe mit 
dem trefflichen Moncey, die Vergötterungen und Verketze⸗ 
rungen, die der Machthaber erfuhr, auch gefchildert find; 
wir übergeben fie, um für die Thatſachen feiner inner 
Lebensgeſchichte etwas mehr Raum übrig zu behalten. Es 
war ein herculiſcher Kampf voll raſtloſeſter Thaͤtigkeit, 
nur ſelten durch gemuͤthliche Stimmungen erquickt. Die 
Lecture des Gibbon und ein Brief des alten Lehrers der 
Philoſophie, Steinbart in Frankfurt, gab ſolche. Wie war 
der Leſer aber in fuͤnf Jahren verwandelt! Jene Wiſſen⸗ 
ſchaft, die er damals für das Ein und Alles der Weit 
gehalten, wie trat fie jegt in Schatten? Wie feltfam bee 
rührte ihn des alten Lehrers Frage: „Was halten Sie von 
Fichte?“ indem er fich Lächelnd geftehen mußte, den Mann 
faum zu fennen! Und mehr — es wandelte ihn kaum 
ein Gelüft an, ihn kennen zu lernen; fo gewaltig faßt 
uns die Wirklichkeit des Lebens, haben wir ihr einmal ein 
Recht eingeräumt. Mitten unter Befchäftigungen, von 
denen vieler Menfhen Wohl und Wehe abhing, erfhienen 
Anfihten als etwas fehr Unerhebliches. Viel wichtiger 
erfchienen dagegen Marimen der praktifhen Thätigkeit, wie 
fie ſich jegt bei dem jungen Staatsmann feflfegten, wie. 
folgende (S. 193): Ä 

m Urtbeil der Welt Liegt eine gewiffe Wahrheit, wie i 

Urtheil des Gewiſſens. —8* Ichet, m — wir un folten, ie 
nes, wie wir es vollbringen müffen. Wer ohne alle Kuͤckſicht 
nur einzig der innern Überzeugung folgt, laͤuft Gefahr, mit 
edelm Willen Verberbliches zu thun; wer dagegen feine andere 
Richtſchnur kennt als der Welt Urtheil, töbtet feinen innern 
Brieden, um Spielball bes Zufall zu bleiben. Während er bier. 
fen mit Klugheit zu meiftern meint, meiftert er ihn; den Eiflis 


gen überliftet das Schickſal, ee verliert den Gewi " 
eigenes Selbſt dazu. en un und fein 


Aus ſolchen Maximen erwuchs eine große Toleranz 
gegen Parteimeinungen und dieſe konunte ſich ſofort praf 


m 


tiſch webtchätig Außern, als Iſchokke zur Beſchwichtigung 
des Parteikampfes in Baſel ats Regierungsſtatthalter ab⸗ 
geſendet wurde. 

Ich befand wich — ſagt er — bei dieſen Maximen ganz 
wohl und bewahrte meinen Gleichmuth mit ihnen. Tugendheld 
war ich nicht, aber id war auch von Feiner Leibenfchaft uns 


teejodht. (Der Beſchluß folgt.) 





Die Kunft der dramatiſchen Darfiellung. Von Theodor 
Roͤtſcher. 
(Beſchius aus Nr. 9. 

Der zweite Standpunkt des dramatiſchen Kuͤnſtlers iſt der 
Standpunkt der Reflexion. Derſeibe beginnt mit einem ſchein⸗ 
baren Verluſte der Empfindung, indem er ſich von ihrer Herr⸗ 
ſchaft befreit. Wenn der Schauſpieler früher nur ein geſteiger⸗ 
tes Ich auf die Bühne brachte, fo ſcheidet er ſich jest im Ge: 
fühle der Unzulänglichfeit biefed Standpunftes von dem darzu⸗ 
ftellenden Gegenflande. Gr will ſich felbft zum Traͤger eines 
von ibm verſchiedenen Ganzen machen. Infofern erft bier ber 
Schauſpieler feine Perſoͤnlichkeit zum Inſtrumente ber idealen 
Menſchendarſtellung macht, betritt er auch erſt das eigentliche 
Gebiet ber Kunſt. Auf diefem Standpunkte kann daher auch 
erft eine gründliche Arbeit der Technik flattfinden und dem 
Künftter feibft als Beduͤrfniß erſcheinen, er wirb ſich jetzt zu 
den beiden Gebieten der darftellenden Kunft, zur Rhetorik und 
zar Mimik wenden. Die Durchbildung biefer beiden Geiten, 
wodurch die Herrſchaft über den ganzen Umfang des Materials 
der darfielenden Kunft gewonnen wird, macht das Wefen ber 


eigenttichen Schule aus, denn durch fie wird der Stoff, mittels ! 


weiches fidy die dramatiſche Darftellung offenbart, aus feiner ers 
fen, natürlichen Geſtait herausgearbeitet und zur Offenbarung 
ber Kunft fähig gemacht. Allein da die rhetorifche und mimifche 
— immer nur die negative Bedingung fuͤr das Werden 
einer kuͤnſtleriſchen Darftellung fein kann, indem hiermit der 
Schaufpieler erſt die Raturſeite feiner Kunſt in feine Gewalt 
befonimt,, fo ift mit dieſer techniſchen Bildung bie Aufgabe des 
Känftters noch nicht geiöft. Die Aufgabe iſt die Verwirklichung 
der dichteriſchen Indivibualität, des Charakters: auf deffen 
Durchdringung kommt es an, fie iſt bas Reſultat biefer ganzen 
Bermittelung. Indem nun aber ber Schaufpieler auf biefer 
weiten Stufe den Charakter durchbringen und in das Bewußt⸗ 
Ein heben will, geht er dabei wel von der richtigen Vorauss 

g aus, daß nur der Geiſt ein Ganzes heruorbringen 
könne, ee will ein Kunſtwerk und kein Naturwerk mehr fchafs 
fen. Der Künftler zeige ſich alfo bier auf dem Boden bes 
Geiſtes. Aber indem er das Princip des Gedankens für bie 
Xusäbung feiner Kunſt erfaßt und mittels biefes Principe in das 
Detail eined Charakters einbringt, benfelben zeriegt und das 
Einzelne in das Bewußtfein erhebt, fragt es fich immer noch, 
ob er eine Teste Stufe erfleigen wird, ob er mit feinem Ges 
nius alle diefe einzelnen, durch das Denken vermittelten Theile 
sufammenfaffen und als ein lebendiges, von ber Aeflerion und 
Empfindung zugleich getragenes Werfen entlaffen kann. Vermag 
der Künftter" dies nicht, verharrt er auch in der Darftellung 
bei ver Zertheilung und Analyſe des Charakters, ertennt man 
in ven Zeilen die Abficht feiner Arbeit, fo befindet fich der: 
felbe auf der zweiten Stufe, auf der Stufe der Reflexion: ans 
Ratt aus der freien Phantafle ein Ganzes zu ſchaffen, in wel⸗ 
dem fi der Gedanke und die Empfindung durchdringt, bleibt 
er in der Sphäre ber Neflerion fledten. So fehr auch zu wüns 
fen, daß unfere Schaufpieler dem Zuftande der Unmittelbarkeit 
entfagen und auf diefe zweite Stufe treten möchten, weil «8 
bier dem Gchaufpieler um feine Kunft Ernſt wird, kann fie 
doch, wie gar nicht erſt zu bemweifen, einen reinen Kunſtgenuß 
nicht gewähren. Es iſt der noch nicht uͤberwundene Dualismus 
von Reflerion und Gegenfland, von Bemußtfein und Unmittels 


barkeit, von Kunft und Ratur, der bier tn die Anſchauung tre⸗ 


ten muß und ber, anftatt eines ganzen lebenbigen Kunftiorriet, 
alle Fugen und Riffe fehen läßt, aus weichen bie Arbeit urs 
ſpruͤnglich zufammengefegt ifl. 

Der dritte und hoͤchſte Standpunkt bes dramatifchen Kuͤnſt⸗ 
lerd wird alfo der fein, auf welchem ſich die Empfindung und 
bie Reflerion, bie erſte und die zweite Stufe, lebendig durch⸗ 
bringen, auf weichem der Künftler aus ber Vertiefung in bie 
Reflerion und ihre auseinanderlegende Arbeit, nach dem ſchein⸗ 
baren Beriufte der Begeifterung, auf die Höhe einer neuen bes 
wußtvollen und fchöpferifchen Begeifterung tritt. Dies ift bie 
Stufe, auf der wir die Kunft zur Natur zurüdgefehrt und mit 
ber Unmittelbarfeit der Gmpfindung verföhnt erbliden. Der 
Scaufpieler gibt hier ein zu vollftändiger Organifation gebiehe: 
nes Ganze, das in feiner Erſcheinung allenthalben den Puls⸗ 
ſchlag des Lebens durchfühlen laͤßt, das uns bie einfache, aber 
allgegenmwärtige Seele offenbart. Gleich weit entfernt von ber 
nur iyriſchen Empfindung, die einen concreten Charakter nicht 
auseinanderzulegen vermag, wie gleich weit von einer fühlbaren 
Abſichtlichkeit in der fcharffinnigen Durchführung eines Charak- 
ters, breitet bier der darftellende Kuͤnſtler auf diefem höchften 
Standpunkte die volle Wahrheit und Schönheit zugleih vor 
und aus. Das Geheimniß diefer Stufe, woburd fie fich als 
die höhere Einheit der beiden andern ausmweift, ruht auf dem 
wunderbaren Widerfpiele, den barzuftellenden Charakter edenfos 
wol ats cin Object zu behandeln, als zugleich ex fetbft zu fein, 
zugleich zu empfinden und nicht zu empfinden, ber Begeifterung 
hinge geben und doch beſonnen zu ſein. 

ieſer hoͤchſte und nur durch die ſpecifiſche Begabung zu 
erreichende Standpunkt der dramatiſchen Darſtellung bietet ſei⸗ 
ner Natur nach zwei verſchiedene Geſtaltungen dar. Der Kuͤnſt⸗ 
ler kann ſich naͤmlich entweder von der intuitiven Anſchauung 
bes Ganzen aus zum Beſondetn zurechtfinden, ober er führt 
den durch bie Reflerion ibm bewußt gewordenen Reichthum ber 
Geftalt in die Einheit der Anfchauung zurüd. Das Gemein⸗ 
fame beider Richtungen iſt immer die fpecififche Fähigkeit, den 
angefhauten Charakter ats ein befonderes, in fich zufammens 
bängendes Leben frei aus fich zu entlaffen: nur bie Art ber 
kuͤnſtleriſchen Thaͤtigkeit bebingt einen Unterfchied in der Rich: 
tung. Die mit vorwaltender Intuition begabten Künftler has 
ben den ganzen Reichthum der Lebensäußerungen eines Charak⸗ 
ters auf einen Schtag vor der Seele; der ganze vollftändige 
Drganismus entfaltet ſich ihnen wie durch einen Naturproceß. 
Indem ihnen die Ausführung bed Angefhauten durch jenes 
wunderbare Vermoͤgen gelingt, nad) weldem ber Darfteller 
gleihfam einen zweiten vollitändigen Menſchen in fich trägt, 
der fich durch alle Phafen ber Darftellung unverwifcht zeigt und 
entfaltet, fo fchaffen diefe Künftier, bi8 auf einen Brad bin, 
bewußtlos. Bor Allen dürfen fie fig auch gerade der Inſpira⸗ 
tion überlaffen, weil die innere Anfchauung des Charakters, bie 
eigene Illuſton, fo mächtig in ihnen wirkt, daß fie bas Ders 
vortreten ihres individuellen Menſchen nicht zu befürchten has 
ben: freitich tft dabei auch die Bedingung eine vollfommene 
Herrfchaft über bedeutende Naturmittel. Indem bei dem Kuͤnſt⸗ 
Ver diefer Richtung Tine perſoͤnliche Wahlverwandtfchaft zu dem 


Kreife feiner Charaktere befonders vorherrichen muß, fo wird es 


au in der Natur der Richtung liegen, daß bier der Kreis der 
Rollen in der Regel ein beiweitem beſchraͤnkterer fei als bei 
den Künfttern, die durch das Medium ber Neflerion zur Gin 
beit der Gharakteranfchauung gelangen. Die daͤmoniſchen Na⸗ 
turen im weiteflen Umfange, befonders die an das Phantaftifche 
ftreifenden bumoriftifchen Figuren werden vorzugsweife in bicfe 
Art des fünftterifchen Geftaltens fallen. Daher gehören in die: 
fe8 Gebiet Geftalten wie Karl und Fran; Moor, Fauſt, Lady 
Macbeth, Kleopatra, Medea und mandje Riguren bis Shak⸗ 
ſpeare ſchen Humors, wie Falſtaff, Perolles und feine Narren ꝛt. 
Unter den großen Schaufpietern unferer Nation weift bier ber 
Verf. entfhieden Zled und Ludwig Devrient eine Stelle an. 
Fleck, vielleicht der von Natur begabtefie Künftier nach ben 


112 


meilterhaften Schilderungen Zied’s, buch feine ganze Organi⸗ 
fation dem Ungebeuern, übermenſchlichen zugewandt unb alles 
Menfchiiche in eine höhere Region erhebend, erſcheint uns als 
der eigentliche Prototyp diefer bezeichneten Richtung. Die weib⸗ 
lichen Künftter, wenn fie auf der höchften Stufe flehen, treten, 
da fie der Infpiration überhaupt verwandter find ale ber Re 
flexion, faft immer in ber bier entwidelten Form auf. Ihre 
Darftellungen find größtentheild das Probuct jener unmittelbar 
das Ganze faffenden Anſchauung, bie nicht mit Bewußtfein in 
Fi Belonderheiten ded Charakters und feine pfychologifdhen Zu: 
ammenhänge eindringt. Durch bie freie Herrſchaft über ihre 
Mittel, welche immer ein Refultat der Arbeit und bed Kampfes 
ift, wagen fie ſich mit Sicherheit in das Reich des weiblichen 
&mpfindens, ja felbft in das Neid bämonifcher Leidenfdyaften 
und fragen ihnen die innerflen Gebeimniffe ab. Diefe Baſis, 
fagt der Verf., haben bie gewaltigften Wirkungen der Beth: 
mann, ber Sophie Schröber, ‚der Grelinger, der Schröders 
Devrient, der Mars, der Rachel. 

Wie indeffen diefe genievolle Richtung durchaus nicht mit 
dem Stanbpunfte des unmittelbaren Smpfindens, der Lyrik, zu 
verwechſeln ift, fo ift die zweite Richtung, in welcher der Dice 
tee durch bie Reflesion zur Ginheit der Anfchauung gelangt, 
nicht mit ber zweiten Stufe, dem Standpunkte ber Neflerion 
überhaupt, zu verwechſeln. Die Künftter, welde biefe Ridy: 
tung vertreten, find durch ihre Natur befonders darauf anges 
wielen, in ben ganzen Reichthum einer dbramatifchen Geftult 
einzutreten und fi alle innern Zufammenhänge, Übergänge 
und Wermittelungen berfelben zum Bewußtſein zu bringen. 
Waͤhrend fie dies thun und fi in biefer Arbeit alled bewußt: 
tofen Schaffens entäußern, nehmen fie — und bies gilt als Kris 
terium ihrer echten Künftierfchaft — bed das ganze Detail in 
bie unmittelbare Anfchauung zuräd und entlaffen es als ein 
organifches, lebendiges und empfundenes Ganze. Vermoͤchten 
fie diefes Anſchauen nit, fo würden fie mit der Reflerion al 
lein, und wäre fie bie fcharffinnigfte, nimmermehr die volle 
Wirkung eines Kunftwerkes hervorbringen, denn dieſes An: 
fhauen und Zurüdnehmen in bie Unmittelbarkeit iſt über alle 
Reflexion erhaben. Unter den deutfchen Schauſpielern ift aber 
diefe Richtung am .entfchiebenflen von Iffland vertreten; von 
den Künfttern der Gegenwart ift Seydelmann ihr Repräfentant. 
Wo bie Vermögenbeiten beider Richtungen dieſer britten Stufe 
zu ihrem vollen Gewichte kommen, ba ift die Idee der dramas 
tifhen Darftellungstunft abfolut verwirfticht. Wenn bie Genia⸗ 
lität der unmittelbaren Anfchauung fo weit reicht ats bie Kraft 
der Reflerion, wenn bie legtere nur die Entfaltung des Cha⸗ 
rakters übernimmt, während bie erſtere den Charakter im: 
mer wieder zufammenfaßt und in bie Unmittelbarkeit zuruͤck⸗ 
verſetzt, wenn fih auch im höchften Zeuer des Affects und der 
Leidenfchaft immer noch ber befonnene Geiſt und das Bewußt⸗ 
fein manffeftirt, ohne daß die Geſtalt von ihrer Wahrheit ein: 
büßt, dann ift die böchfte, Alles umfaflende Stufe der kuͤnſtleri⸗ 
fen Charakterbarftellung vorhanden, die felbft die härteften 
Gegenfäge ber menſchlichen Natur überwunden zeigt. Nach ben 
Schilderungen, welche uns aufbewahrt find, möchte bie abfolute 
Ausgleihung am vollfiändigften bei Garrick und Schröder vor⸗ 
handen geweſen fein. In Letzterm, fagt der Verf., iſt vielleicht 
der Gegenſatz von Unmittelbarfeit und Reflerion am gründlich 
ften und tiefften verſohnt geweſen. Der Kreis der von ihm 
dargeftellten Charaktere war daher auch wol der umfaſſendſte, 
indem er die Pole bes. unerfchöpftichen Humors Faiſtaff's und 
der tragifchen Zertruͤmmerung Lear's mit gleicher Kraft um: 
Tpannt hat. 

Unfer Verf. gelangt nach biefer auögezeichneten Entwides 
lung des kuͤnſtleriſchen Schaffens auf die Begriffsentwidelung 
von Driginalität und? Manier. Die dramatifchen Kuͤnſtler, 
welche auf ber dritten Stufe ftehen und flets aus ihrer eigenen 
Anfgauung geſtalten, müffen ſtets originell fein, indem fie im⸗ 
‚mer einen Charakter von einem gewiſſen wahren und ſelbſtaͤndigen 


Lebenspunfte aus faffen und gliebern. Daher wird auch jeber 
wahrhaft große und begabte Kuͤnſtler gewiffe Seiten feines Ges 
genflandes in ein neues Licht fegen und Beziehungen entbeden, 
welche allen Andern entgangen, ober bei benfelben weniger 
zur Lebendigkeit gebiehen find. Von biefer nothwendigen und 
wahren Originalität, die an dem objectiven Gebilde hervortritt, 
unterſcheidet ſich jedoch jene rein individuelle Eigenthuͤmlichkeit, 
die mit dem Objecte in keiner Beziehung ſteht, ſondern eine 
Zufaͤlligkeit der Perſoͤnlichkeit des Individuums if. Und dies 
iſt die Manier. Dieſelbe iſt zwar ein Eigenthum des Indivi⸗ 
duums, aber —A der Wahrheit und Objectivitaͤt durch⸗ 
drungen und geſaͤttigt zu ſein; ſie zieht ſich als die Beſonder⸗ 
heit des Kuͤnſtlers durch alle ſeine Darſtellungen hindurch und 
iſt gleichſam der harte Punkt, der vom organiſchen Leben nicht 
bat erweicht und flüffig gemadt werben können. Der Verf. 
zeigt an der Darſtellungsweiſe Eßlair's auf, wie fehr die Mas 
nier felbft einem fo begabten Künfkter flörend in ben Weg treten 
und verhindern Tann, das Hoͤchſte in ber Kunft zu leiften. 

‚, Piermit iſt bei unferm Berf. die Entwidelung ber Prin⸗ 
cipien, auf welche fich die Kunft ber dramatifhen Darftels 
lung flügt, beſchloſſen. Diefe Principten gehen fo fireng und 
folgerichtig, mit folder Nothwendigkeit aus dem Begriffe der 
Kunft hervor, baß ſich bie Kritik dabei nicht anders als pofitio 
und anertennend verhalten kann. Aus dem Begriffe der Kunft 
ergibt fidy auch mit eben diefee Nothwendigkeit die übrige Glie⸗ 
derung des Werkes. Da die bramatifche Darftellung ihre con⸗ 
crete Aufgabe nur mittels des Materiais der Perfönlichkeit Iöfen 
kann, fo muß die Wiſſenſchaft über dieſes Gebiet auch diefes 
Material nad) allen Theilen behandeln und aus dem natürlichen 
in das kuͤnſtleriſche Bewußtſein heben, Die Organe aber, wo⸗ 
mit ber Schaufpieler geftaltet, find Zon und Geberbe: und fo 
zerlegt fi der zweite große Abfchnitt unfere Werkes in die 
beiden Momente: Bilbung bed Tones bis zur kuͤnſtleriſchen 
Virtuofität des mündlichen Vortrags; Bildung des Körpers 
zum Organe ber Seele bis zur kuͤnſtleriſchen Verwirklichung der 
Seelenzuftände. Während aber Ton und Grberde bie beiden 
Pfeiler des. ganzen Tünftteriihen Gebäudes find, haben fie ihre 
höhere Einheit und ihr abfolutes Ziel erft In der Sharafterbar: 
ftellung. Die Gharakterbarftellung, das Reſultat aller biefer 
Beſtrebungen, in weldhem ſich bie Recitation und bie Edrperliche 
Berebtfamkeit erſt zu einem ſchoͤnen organifdyen Leben durchs 
dringen, iſt darum der dritte und legte Abfchnitt bes vorliegens 
den Werkes. 

Je reicher nun ber Berf. alle biefe praltifchen Seiten ber 
dramatiſchen Kunſt ausgeſtattet und entfaltet hat, je mehr er 
von ben Principien und wiflenfcaftticher Erkenntniß aus in den 
concreten Stoff eindringt, um fo weniger koͤnnen wic hier eine 
fernere Analyfe dieſes reihen Details vornehmen. Wir vermeir 
fen darüber unfere Lefer an das vortrefftiche Buch ſeibſt. Was 
aber die formelle Bildung betrifft, in welcher ſich alle dieſe 
vielverfchlungenen Grörterungen bewegen, fo zeigt fich darin 
ebenfowol die Begabung wie bie Dieciplin, mit welcher die . 
fihere Hand des Verf. diefe ſproͤden und widerftrebenden Stoffe 
zu organifiren und barzuftellen wußte. Er befigt die vollkom⸗ 
menfte Herrſchaft über feinen Gegenftand. Die Sprache ift das 
bei klar, einfach und von hoͤchſter Anfchaulichkeit. 

Zum Schluſſe müffen wir noch die Überzeugung ausſprechen, 
baf der Berf. mit feiner Arbeit gewiß dazu beitragen wird, 
die Kunft der dramatiſchen Darftellung ihrem Ungefähr zu ents 
heben und der Willfür des Einzelnen und jenem graffen Dilet⸗ 
tantismus ber Künftter und Kunftrichter zu feuern. Freilich 
liegt bei und gegenwärtig die dramatiſche Kunft aus fo tiefen 
und mannidhfalfigen Urfachen darnieder, daß ber Geift des Ein⸗ 
zelnen wol kaum allgemeine plögliche Schritte zu verantaffen 
vermag; aber ber Einzelne wird deshalb, wie unter Berf., im⸗ 
mer das ſchoͤne Verdienſt befigen, daß er das Streben des Gins 
en erwedt und die Hoffnung für eine beſſere Zukunft ange: 
reg . 22. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodbaub. — Brud und Berlag von F. U. Brockhaus tn Leipzig. 





e 


000 Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


i 





Sonntag, 


29. Januar 1843, 





Heinrich 3ſchokke. 
¶( Beſchlus aus Nr, B.) 

Als die Ordnung hergeſtellt war, verlangte unſer 
Freund nach dem Privatleben zuruck. Alle jene einfluß⸗ 
reichen Ehrenaͤmter waren, nach republikaniſcher Weiſe, 
ohne Sold verwaltet worden (erſt viel ſpaͤter erfolgte eine 
Abfindung dafür); A. Reding war erſter Landamman der 
Schweiz geworden. Zſchokke ging nad fieben ſchweren 
Sahren, den Freund wiederzuſehen. Laͤchelnd über die 
große Pofle der Verwandlungen, umarmte ihn der ehe: 
malige Fluͤchtling vom Bodenfee, nun ein Sklav ber Um: 
Hände und der Geſchaͤfte. Zwiſchen ihnen mar . wenig 
Werftändnig mehr und Zſchokke ſchlug bie Bitte, dem 
Staatschef zur Seite zu bleiben, daher entichieden ab. 
Nun ward der unabhängige Dann fogar ein Gegenftand 
des Verdachts und policeiliher Obhut. Hierdurch belei⸗ 
digt, von der Tagespolitik nicht mehr angezogen, ganz an⸗ 
dern Dingen ſchon wieder zugewendet, verließ er Bern. 
Das Geiſtesleben gewann, bei erwachtem Gemüthsfrieden, 
von neuem die Oberhand. Ludwig Wieland, der Sohn 
des Dichters, Heinrich v. Kleiſt, junge Männer des rein: 
fin Seelenadels vol, riefen zut Poefle zuruͤck. Unter ih⸗ 
ren Spielereien, bei gänzlicher Rosgebundenheit von Poli: 
tie, von Pfliht und Amt trat nun auch ber ernftere Ge: 
danke wieder in fein Recht ein. Der Verf. mufterte fich 
ſelbſt. Welche Verwandlung aber entbedte er da. Zwar 
der alte Widerſpruch jener Ideale mit dem Xreiben der 
Wirklichkeit mar noch nicht völlig gelöft, aber er beunrus 
bigte nicht mehr. Der Abgrund von ehemals fehlen nie 
geweſen zu fein als in der Phantafi. Der Gott, an 
defien Namen fih flets der Gedanke knuͤpfte: Wenn er 
Mi diefer Sort war nicht mehr ein fchüchterner, dem Ge: 
würh unentbehrlicher Glaube — er war — Gewißheit. 
Er war nicht der Moſaiſche Gott mit menſchlichen Leiden: 
Schaften, nicht der des Katehismus mit imenfchlich erfun: 
denen Geheimniſſen, er war nicht die von-den Philofophen 
gedadjte Natur aller Dinge, auc) nicht die aus dem Dr: 


ganismus des Geiſtes hervorgetriebene Idee bes Abfoluten. 


Nein! das uferloſe Weltall feibft erſchien als der ſicht⸗ 
bare Schleier Gottes, als ſeine Offenbarung. 
und darf ich das Geringe mit dem Hoͤchſten vergleichen — 
ſagt er — er erſchien mir im Verhaͤltniß zum Weltall wie der 
Menfchengeift zu feinem befeeiten unb belebten Menſchenleib, 


ben er, ohne er felbft zu fein, in allen Theilen durchherrſcht 
und belebt. In ber Ratur aber waltet, wie im Geifte, das - 
Unendlidde und Unbebingte, als @epräge bes Goͤttlichen für 
Beide. Die ſinnlich wahrnehmbare Welt aber iſt das Sich ges 
gen uns Xußern ber göttlichen Idee; nicht fie feltift, fondern 
ihr Andersfein in uns; daher nicht mehr ein Unbebingtes, 
fondern eine Enblichkeit wanbdelbarer Dinge. &o find unfere 
Gedanken nur Äußerungen bes fo bedingten Geiftes, nicht er 
fetbft, und das unbedingt Wahre, Deilige und Schöne, das in 
ihm waltet, tritt nicht als Abfolutes in bie Welt der Außen: 
dinge, fondern bag unbebingt Wahre zerfplittert in bearenzte 
Wahrheiten, bas Heilige wird nur zur Tugend und das Schöne 
zu einzelnen Schönheiten. Dem Unbebingten aber ringt ber 
Menfcengeift nach und dies ift feines Dafeins Aufgabe. 

Dies ift die Philofophie, in welcher Zſchokke von nun 
an wurzelt, die ihn befeligt hat, die ihm einen ſchwerer⸗ 
rungenen Geelenftiedben gab. Da. fie auch wol andern 
Heimlichkranken nügen kann, da fie endlih Kern und Sin: 
halt ded zweiten Theils der „Selbftfchau” bildet, der nur 
ihre Erweiterung und ihre praktiſche Ausbildung darftellt, 
fo haben wir geglaubt, fie fchon hier in ihren Grundzuͤ⸗ 
gen voranflellen zu müffen, als wir an den Zeitpunkt ib: 
rer Entftehung angelommen waren. Der Verf. hatte nım 
Gottesgewißheit in fih erbaut und blickte faft mit Bes 
dauern auf feine frühern Zuftände zurüd. . Und wahrlich 
— mir meinen, er hatte Recht, in diefen Gedanken feinen 
Abſchluß zu finden, die allen Anfoderungen des Geiftes 
genügen müffen, wenn er nicht die Abſicht hat, fich felbft 
durch Denkfehler irre zu machen | 

Ein Traum gab den Anlaß zum „Alamontade“, jener 
befannten in faſt alle Sprachen Überfegten Erzählung, Mn 
der fich die neugefundenen Überzeugungen unſers Freun⸗ 
des fo rein und ſchoͤn ausſprachen. | 

: Nach alle Diefem koͤnnen wir, unfer Bild vollendend, 
über die Mannesjahre und das Alter des Selbſtbeſchauers 
raſcher bahingehen. Sein erfler Wunſch ward ihm zus 
naͤchſt erfüllt. In einem Concert zu Aarau erblidt er 
Die, die er eine Blüte aus Eden nennt, die künftige Mut: 
ter feiner Kinder, Eie war die Tochter des Pfarrers zu 
Kichberg. Unterdeffen brach ein neuer Sturm los, die 
Schweiz ging’ noch eine ihrer politifchen Werwandfungen 
durh; A. Reding ſaß als Staatsgefangener in Aarau, 
die Helvetiſche Republik verſchwand, die mediatifirte Schweiz 
trat ins Leben. Zſchokke bewohnte indeß das Schloß Bis 
berſtein und ward hier buch die Ernennung zum Mit: 
glied des Oberforſt⸗ und Bergamts überrafcht, ein Ges 





114 


ſchaͤfts zweig, in dem ex dem Lande große Dienfle erwiefen 
bat. Die Begleitung der Frau von Stael lehnte er ab, 
auf Bonftetten, ber Ihn dazu vorgefchlagen, etwas piquirt; 
eine Pyrenaͤenreiſe fcheiterte an der Brautfahrt, da bie 
nahe Berührung von einem Blitzſtrahl — mit welcher 
Zſchokke mehrmals in feinem Leben Bekanntſchaft machte 
— bie Erklaͤrung des jungen Paares befchleunigte. 

Sm Roman — fagt er — ift das Sichfuchen und Finden 
der Liebenden Würze und Kern, in ber Wirktichleit aber eine 
glüdtiche Ehe ber Tchönfte Roman. 

Ohne ber Geſelligkeit zu entfagen, entfagte Zſchokke der 
Dotitit und der Gomvenienz und bildete ſich einen dicht 
gefchloffenen Lebenskreis in Biberſtein und im eigenen 
Haufe zu Aarau, der heiterften Lebensthätigkeit hingegeben 
und Weiffagungen findend in dem erften Lächeln, im er⸗ 
ſten Wort feiner Kinder. 

Der Großtheil der Menfchen — fagt ee — iſt noch nicht 
menfchlich genugs ex betet noch falſche Götter in Zhiergeftalt an. 

Das alte Gefchäft der Volkslehrerſchaft trat nun wies 
ber in den Vordergrund; der „Schweizerbote“ begann 1804 
bei Sauerländer neu zu erfcheinen, 
einfach, bildlich, in des bilbungsarmen Volks Denkart einlaͤßlich, 
Thorheiten verfpottendb, Worurtheile untergrabend, freifinnig, 
obne Herold einer Partei zu fein. 

Ein wunderbarer Erfolg begleitete das Unternehmen; 
doch in diefem ward er noch von einem andern Unter 
-.nehmen übertroffen, da8 den Namen des Selbſtbeſchauers, 
der es lange Zeit verfchmeigen mußte, in nod viel gro: 
ßere Kreife verbreiten und auf ihn noch viel mehr Sor⸗ 
gen berabziehen follte. Wie fprehen von den „Stunden 
der Andacht”, jenem Balſam für fo viele wunde Derzen, 
jener echt chriſtlichen, echt humaniſtiſchen Schrift, deren 
Autorfchaft, fo lange in Zweifel, erft durch diefe „Selbſt⸗ 
ſchau“, in nothwendiger Folge eines Zufalls, ihren zahlrei⸗ 
hen Verehrern fund geworden ifl. Der Verf. berichtet: 

Mit meinen Jugendzweifein war ih nun fertigs allein 
noch immer erregte mir der Anblick des fogenannten Pofltiven 
in der Religion, bei aller Ehrfurcht dafür, eine Art fchmerzli- 
den Mitieids mit den Menſchenkindern. Es ſchien mie nur der 
umgeworfene Schleier des Goͤttlichen zu fein. Gottaͤhnlichkeit 
aber trat als fein Kern hervor. Warum nun erhebt ſich Nies 
mand, um für uns, was Taufenden wohlthätig fein würde, zu 
wirken; warum ertönt feine Stimme für Das, was der Sache 
Kern if? Und warum wagft bu es felbft nicht? In diefen Ges 
danken faß ich eines Abends im 3. 1807 allein in meinem Ars 
beitscabinet; ich wog bie Schwere der Aufgabe. Den wider⸗ 
fpenftigen Argwohn getrennter Kirchen nicht aufwiegeln, das 
Vorurtbeil des großen Daufens, den Amtsftolz der Geiſtlichkeit 
zart berühren, ein Inbifferentift fein und es befennen — es er: 
fehlen allzu ſchwer. Ich aber biidte auf Chriftus, ich entſchloß 
mich zu dem Verſuch. Am folgenden Tage erfuhr Freund Res 
migius Sauerländer meinen Plan. Gr hat mein Geheimniß 
als Mann von Wort bewahrt. So erſchien mit Anfang 1808 
von Woche zu Woche ein. Blatt von den „Stunden der Ans 
dacht zur Beförderung wahren Chriftentyums und häuslicher 
Gottesverehrung”. 

Mas dies Buch gewirkt hat, voelcher Streit länger 
als 30 Jahre über feinen Verf. gewaltet bat (Weſſen⸗ 
berg, Schwarz, Keller find wechfelsweile genannt worden), 
wie man es verkegert bat, alles Dies ift befannt. Jetzt nennt 
fit Zſchokke als alleiniger Verf. diefes Werks, da das Ge: 
heimniß, durch einen Brief an einen fterbenden Freund in 


länger zu bewahren war. 


Magdeburg, ber In fremde Hände kam, verrathen, nidhe 
iefem Werke widmete unfee 
Freund eine Reihe von Jahren hindurch feine fchönften 
Morgenflunden. Der Tag gehörte einer vielfeitigen Thaͤ⸗ 
tigkeit an. Die Gefellfhaft fl vaserländifhe Cultur, 
der bürgerliche Lehrverein, eine Loge felbft waren Zſchokke's 
Stiftungen, während das Staatsamt zu vielen Reifen 
Anlaß gab. Die Reflaurationszeit begann; Zſchokke er⸗ 
ſchien fie als eine gigantifche Tragödie, die ihn, mit feiner 
„Bairiſchen Geſchichte“ ſchon befchäftigt, wenig anfocht. 
Er fand das Erhebende daran heraus und hielt ſich an 
diefem, indeß feine Freunde vom Rüdfall in alte Staates 
fünden ergriffen wurden. Eine eigene Ville, die Blumen⸗ 
balde, ward erbaut und bald von einer zahlreihen Kinders 
familie bevölkert. 

Den Schluß der „Selbſtſchau“ bilden Schilderun⸗ 
gen häuslicher Freuden, Eigenthuͤmlichkeiten des Seldſt⸗ 
beſchauers, unter welchen feine Gabe des Second sight, 
wenn fie nicht zum Theil auf Selbfitäufchung bes 
ruht, hoͤchſt merkwürdig fein würde, Zeichnungen berühms 
tee Beſucher, Flüchtlinge und Gelehrten, und endlich drei 
Relfen nad) Baiern, die mit Montgelas in anziebende Bes 
ruͤhrung bringen. Ein tiefer Schmerz kam über Zſchokke, 
als fein Sreund Voitel in Spanien, blos um der Bes 
kauntſchaft willen mit Heinrich Zſchokke, dem Revolution⸗ 
nair, gu zehnjaͤhriger Kettenſtrafe verurtheilt ward. Doch 
ſeine Befreiung war ſeiner Freundſchaft Werk. Mit dem 
Aufſatz „Lebensſabbat“ ſchließt die koͤſtliche Selbſtbiogra⸗ 
phie. Der Verf. konnte es kaum glauben, ein betagter 
Mann zu ſein, denn der reine Lebensgenuß begann ja 
nun erſt! Zwoͤlf Soͤhne und eine Tochter bildeten mit 
der heitern Nanny den Kreis des Blumenhaldners, in 
den die Politik nicht mehr eindrang. Der Greis aber 
feiert ſelige Sabbattage, im Licht einer beruhigenden Hel⸗ 
ligkeit der Seele. Noch einmal indeß riß ein neuer 
Sturm, der fromme Aufruhr der Schweiz, den Greis in 
eine amtliche Sphäre; er war einer der Kloſtercommiſſaite 
und bringe über diefe wichtige Angelegenheit feines zwei⸗ 
ten Vaterlandes fehr viel MWiffensmwerthes bei. Doch der 
Sturm ging ſchnell vorüber und die „Selbſtſchau“ endet 
mit dem abfchließenden Gedanken: „Ich Eennte Höheres, 
Humanitaͤt — Menſchenthum — Bruderliebe 1” 

Mir follten nun den zweiten Theil einer nähern Ans 
fiht unterwerfen. Doc dies Geſchaͤft wird kurz zu er 
ledigen fein. Nah der Selbſtſchau, enthält dieſer 
Theil eine Bott: und Weltfhau. Iſchokke ift kein 
Phitofoph In dem Heutigen Wortfinnez er iſt ein Denkens 
der, der feine individuelle Befriedigung fucht und findet, 
Er lehrt nicht, er belehrt über ſich. Es wäre daher 
ganz falſch, wollten wir der Art von philofophifhem Ge⸗ 
baͤude, welches bdiefer zweite Theil enthält, einen kritiſchen 
Maßſtab anlegen, es als Spitem, als eine neue Philos 
fophie betrachten. Es ift nur eine Sammlung lehrreis 
cher Gedanken, aus geiſtteichem, aber individuelle Stand⸗ 
punft. Den Kern diefec Philofophie aber kennen wir be= 
reits, wir mollen ihn in anderer Form noch einmal in 
wenige Zeilen zufammenzufaffen ſuchen. Wir follen uns 


115 


dei Zweifels nicht ſchaͤmen; im Zweifel zeigt ſich bie Ho⸗ 
beit, die Würde des Menfchengeiftes, feine eigenthuͤmliche 
Natur, denn nur er kann zweifeln. Das gedanklich ge⸗ 
wordene Geſetzthum des Geiſtes it die Bernunft des Men⸗ 
ſchengeiſtes. Es iſt zu negiren, daß die Vernunft das 
Adſolntgoͤttliche zu erfaflen vermöge, 3. B. das Schoͤ⸗ 
pfangewert. Die Schöpfung ift das Andersſein Gottes 
vor dem Menfchengeifte; von dem wirklichen Dafein ha⸗ 
ben wir eine Kenntniß; wir Pennen und erkennen nur 
die Kußerung der Dinge gegen uns, gegen Die menſchliche 
Vernunft, das menfchlihe Gedankengefep, oder das Ins 
ſich und Für ſich beftehen der Dinge iſt uns verſchloſſen; 
wir erkennen nur das Weſende (Sachliche), Wirkendes und 
Bewirktes, nicht das Wie der Wirkung. 

Dies iſt der gedrängte Inhalt des erſten Abſchnitts: 
„Sreenntniß”. Im zweiten: „Natur und Welt”, iſt der leis 
tende Gedanke diefer. Der Menſch iſt nicht das Ich⸗All; 
das AU beficht außer ihm und ift nicht fein Werk, mie 
der jüngfte Hegelianiemus träumt. Es ift eine Wirkung, 
für weidye das Geſetz nicht in ihm liegt, fonft wäre der 
Menſch die Welt. Sie ift in ihm gedanklich, außer ihm 
aber erfcheinend. Sein Geiſt aber ift dem Geifte der Nas 
tur gleichartig. Alles Wirken ift ein Auseinandergehen 
des Gleichen zum Gleichartigen. Im Abfchnitt „Stoff: 
gebilde“ ift. der Spannungskreis aller Kraft betrachtet, die 
Urkräfte in ihrer Polarität, Zeit, Raum, felbft Licht und 
Waͤrme mit ihren Gegenfägen. Der fünfte Abfchnitt be: 
teachtet das Seeliſche in den Lebensgebilden; der ſechste 
den Geift, als felbitändig in der Nature und über 
ihe, mit Wollen im MWiflen, woher das Gefeg der 
Freiheit und Nothwendigkeit (Pflicht, Gewiſſen, Heilig: 
keit, Tugendbegriffe) herfließen. Der von fich felbit ab: 
truͤnnige Menfchengeift ift der Quell des Boͤſen. Nas 
turlohn und NMaturftrafen. Der fiebente Abfchnitt 
das Gemüch, Einheit von Seele und Geift, Wille 
und Erkenntniß, völlige Freiheit, hoͤchſtes Gut des 
Menſchen. Parallelismus von Natur und Geiſt, die 
nicht ausſchließlich jeder für fih, fondern im ihrer weſen⸗ 
den Durchdringung das AU und Eins, das Hoͤchſte bil: 
den. Daher auh Schluß auf die Unvergänglichleit des 
Gelftes in feinem entlörperten Zufland. Ahnung der 
Geiſteszukunft im Bewußtſein der Subjectivität, Im 
achten Abſchnitt der Gottgedanke, als eine Ungewißheit, 
Schickſal als Weltorduung zu faflen. Chriftus, der Der: 
mittler des göttlichen Urgedankens für das Menſchenge⸗ 
Schlecht (einer geriffen Zeitperiode?), Gott, das Hoͤchſte 
und Legte; nicht Unterfcheiddares, fondern Alles iſt goͤtt⸗ 
ic und gotterfüllt, weil Gottes. 

Wir muͤſſen den Lefer bitten, an bdiefer fragmentaris 
fchen \überficht des Inhalts diefes zweiten Theils ſich hier 
genügen zu laſſen, da der Raum gebricht, tiefer darin ein= 
zugehen. Borausgefhidt wurde, daß wir diefe Lehre kaum 
für ein Lehrgebäude halten, kaum als ein philofophifcyes 
Spflem bezeichnen möchten. Der Verf. beweift nicht, er 
gide fich ſelbſt nur Mechenfchaft von feinen Gedanten. 
Aber wir muͤſſen hinzufügen, daß wir nicht einfehen, wes⸗ 
halb eim gebildeter Geift ſich am dieſer Lehre nicht follte 


genügen laſſen innen, da nichts in ihr mit dem Ders 
nunftgefeg in Widerſpruch tritt. Gluͤcktich vielmehr Der, 
dem der bier gefundene Abſchluß genügt und der mic 
Zſchokke in der Harmonie von Mille und Erkenntniß das 
hoͤchſte Gut des Menfhen, feines Berufs Biel und letz⸗ 
tm Zweck entbedt; denn von dem Verf. der „Stunden 
der Andacht” war ja nicht zu erwarten, daß er allen Ca⸗ 
pricen des in neuen pbilofophifchen Formeln fich verfus 
chenden Menfchengeiftes Befriedigung geben, wol aber, daß 
ee dem Nachdenken zu einem vor der dee zu vechtfertis 
genden Abſchluß verhelfen würde. Er thut dies redlich 
und treulid. 

Wir müffen, nicht ohne Furcht, unfere Lefer mit Uns 
vollfländigem unterhalten zu haben, von dieſem trefflichen 
Werke eines in ſich beglüdten, erfahrungsreichen, ftrebfa= 
men und völlig gefunden Geiſtes hiermit Abfchied neh: 
men; in dem Wunſch und in der Hoffnung, durch die 
vorftehende Anzeige zur Verbreitung und zur Würdigung 
einer Schrift, die unfere Zeit ehrt, etwas beigetragen und 
einigen unferer Lefer das Berlangen nach näherer Bekannt: 
fhaft mit einem der empfehlensmwürdigften Bücher unferer 
Periode nahe gelegt zu haben. W. von Lüdemann. 





Taſchenbuch für vaterlaͤndiſche Geſchichte. Herausgegeben 
von Joſeph Freiherrn von Hormayr. XXXII. Jahr⸗ 
gang ber geſammten und XIV. der neuen Folge. 1843. 
Berlin, Reimer. Gr. 12. 2 Thle. 15 Nor. 


Dan kann die hiſtoriſchen Taſchenbuͤcher des Derrn von 
Hormayr nicht zur Hand nehmen, ohne von aufrichtiger «Hoch» 
achtung für die Maffe feiner Kenntniffe, den Reichthum feis 
ner urtundlichen Sammlungen und den Adel feiner vaterländis 
fen Gefinnung ergriffen zu werben. Wahrlich, es würbe für 
Deutſchland ein großer Vortheil fein, wenn viele deiner Ränder 
ſich ſolcher Hiſtoriographen zu rähmen hätten wie Öftreich und 
Baiern feines Hormayr und bie Mark Brandenburg ihres Preuß. 
Die belobten Geſinnungen finden wir ganz befonders in ben beis 
den Lebensbildern öftreichifcher Krlegsmänner, des Marquis von 
Shafteler und de Freiherrn von Veyder⸗Maalberg. Chafteler, 
ein genialer, löwentühner Mann, hat in ben Kriegen bes Erz⸗ 
baufes ſtreich von 1788— 1815 mit Auszeichnung gefochten 
in Ungarn, Italien, Tirol und Deutſchland, er ward oft und 
ſchwer verwundet, aber ſchnell war er immer wieber im Felde 
und ſtets da, wo es am gefährlichften und hisigften herging. 
Für das Ausland iſt fein Name in dem tiroler Kriege bes 
%. 109 am häufigften genannt worden, wo ihn Napoleon uns 
ter dem 6. Mai in die Acht erklärte als einen angeblichen oͤſt⸗ 
reihifhen General, ale NRäuberanführer und als Urheber ber 
an ben Kriegögefangenen verübten Morbthaten, eine Maßregel, 
durch die Chaſteler's Gemäth tief gekränkt wurde. Bin Iahr 
darauf Außerte Marfchau Berthier in Wien mit großer Non 
chalance: „Chaſteler könne bie Achtserfiärung dem Kaifer uns 
möglich übel nehmen. Diefer babe allzu ſehr auf die damals 
abgefchnittenen und gefangenen Truppen gerechnet — die tiro⸗ 
lee Infurrection fei ein gar zu gefährliches Beifpiel geweſen 
und habe noch überdies gleich mit einem fo glänzenden Bei⸗ 
fpiele debutirt. Wären die Schlachten von Landshut und Res 
gensburg nicht fo fchnell erfolgt, dieſes Beilpiel und dieſe 

mme würbe vielleicht ganz Deutſchland ergriffen haben.“ 
er @eneralmajor Veyder war eine reine, edle Natur, Faltbiüs 
tig, tapfer und hoͤchſt menſchenfreundlich, er verlangte nicht 
fowot nad einer Selbſtaͤndigkeit der dußern Stellung, fonbern 
bie Poften des Vertrauens waren ihm die Liebften. Je feltener 


116 


nun ſolche Maͤnner in mititairifchen Verhaͤltniſſen find, wo nur 
zu oft ber erfte befte Lieutenant ober Hauptmann feinen Bene: 
ral meifteen möchte, um fo dankenswerther ift die hier gegebene 
Schiderung von Chafteler’s Freund und Abdjutanten. Neben 
diefen Eriegerifchen Lebensbildern ift der Bericht über bie Gruͤn⸗ 
dung bes maͤhriſch⸗ ſchleſſiſchen Franzens⸗ Mufeum in Brünn 
von den Grafen Salm⸗Reifferſcheid und Mittrowski ein fchöner 
Beweis von der hochherzigen, patriotifhen Gefinnung bes hoͤhern 
öftreichifchen Adels. 

Unter den übrigen, längern Auffägen nennen wir vorzugs⸗ 
weife die Echilderungen ber großen Ungarnſchlacht auf dem augs⸗ 
burger Lechfeide am 10. Auguft 995, und der Schlacht an dem 
Schellenderge am 2. Juli 1704, ferner die fehr reichhaltigen 
Beiträge zur Geſchichte des deutſchen Municipalweſens und bie 
gleichzeitigen Lieder über ben ſchmalkaldiſchen Krieg Die fort: 
gefegte Rubrik: „Sitten und Gebräuche, Luxus und Fefte, Krieg 
und Zrieden”, wirh biefem Taſchenbuche durch große Abwechſe⸗ 
(ung des Inhalts immer Lefer aus allen Ständen erhalten, 
wenngleich die Unterrichteten Manches als überflüffig ober ihnen 
fon bekannt anfehben werden. Dabin würden etwa die „Bes 
ſchreibung ber Lrichenfefte gu der Väter Zeiten” (Nr. 1), „Der 
Tanzbaͤr“ (Mr. 6) „Die Bärte” (Mr. 7), „Die Kindlein in 
der Thür” (Nr. 9), „Die Schaufpieler des 16. Jahrhunderts‘ 
(Nr. 15), „Die blutige Kirchenentweihung” (Nr. 29) und 
einige andere Auffäge zu zählen fein. Die größere Anzahl aber 
enthalten wiffens- und beachtenswerthe Notizen, wie Nr. 11, 
Leichenmahl bes Herzogs Albert’s IV. aus Baiern, wo außer 
den Kürften, fürftiichen Abgefandten, Räthen, ihrem Gefinde, 
den eingelabenen Damen und „wer von felbft kommen iſt“ aus 
fürfttiicher Küche und Keller tägıich 2500 Drenfchen gefpeifet und 
1809 Pferde gefüttert wurden. Das war im 3. 1509. Fer⸗ 
ner ift der auf ein Folioblatt gebrudte und zum Behuf bee * 
meinen Mannes ausgegebene muͤnchner Kalender vom J. 1501 
in mehrfacher Hinſicht intereſſant (Nr. 12), und aus der Spe⸗ 
cification der Kerien ber kurfuͤrſtlichen Hofkammer in Muͤnchen 
unter Karl Albrecht (Rr. 17) zu erfehen, daß diefelben 68 Tage 
betrugen wegen herrſchaftlicher Geburts⸗ und Ramenstage, ans 
derer Gallatage und hoher Kirchenfefte: rechnet man nun noch 


die Sonntage und bie damaligen Zeiertage ber katholiſchen 


Kirche Hinzu fo ergibt fih die Zahl von 164 Feiertagen. Um 
nur noch Einiges anzuführen, fo zeigt uns der Herausgeber 
in Ar. 27 einen argen Beweis von der Verworfenheit eines 
Chorherrn zu Preifingen, „wie es in ber zweiten Hälfte des 
171. Zahrhunderts nicht wenige gab”, der fogar nad feinem 
Tode an einer Stelle wollte begraben fein, wo die fehönen 
Weiber vorübergehen, benen er unter das Fuͤrtuch unb unterm 
Rod hinauf ſchauen önnte, und aus Rr. 39 erfehen wir, daß 
noch im 3. 1637 zu Bremen ein Menſch, der den entwichenen 
Falſchmuͤnzern behülflid gewefen war, am Markte vor dem 
Bathbaufe in einem großen Keffet lebendig in Öl gefotten wors 
n ift. 

Die poetifche Zugabe befteht in Karl Wilh. Vogt's acht 
Liedern von Hohenſchwangau aus ber Geſchichte der Hohenſtau⸗ 
fen, die artiftifche in den -vier Portraits Hofer's, Speckbacher's, 
Chaſteler's und Veyder's. Das Directorium ber vorzüglichften 
vom Derausgeber entdedten und herausgegebenen Urkunden und 
Quellen ift auch in bem vorliegenden Jahrgange fortgefegt 
worden. . 


Literarifhe Notizen aus Holland. 


In Leyden ift kürzlich der 13. Theil des von Kiß und Ro⸗ 
Yaards herausgegebenen „Archief voor kerkelyke ge- 
schiedenis” erfchienen, worin Manches enthalten ift, was aud) 
für Deutfchland ein nicht geringes Intereffe gewährt. Ref. will bier 
Aur bie Notiz mittheilen, dab (&. 311— 328) von Herrn Royaarbs 


benswandel ift volllommen !*‘ 


ein intereffanter Beitrag zur Geſchichte ber Legende vom Ewigen 
Suben gegeben worben iſt, in welchem au ein biplomatifch 
genauer Abbrud (mit Facſimile des Holzſchnitts) einer zu 
Augsburg im 3. 1619 erfchienenen, hoͤchſt feitenen, fo viel ef. 
weiß, bis jest unbelannten Flugſchrift enthalten ift, welche ben 
Zitel führt: „Wahrhaftige Gontrafactur, Aller Geſtalt unnd 
Maſſen zufehen, diefe Bilbnuß, von einem Juden von Serufas 
lem, Ahasverus genant, welcher fürgiebt, wie bas er bei ber 
Greugigung Jeſu Chriſti geweſen, und bißher von Gott beim 
Eeben erbalten worden. Erſtlich gebrudt zu Augspurg im 
Jahr 1619.” Diefe Flugſchrift ift ein brieflicher, vom Il. März 
1619 aus Refel -datirter Wericht bes Chryſoſtomus Duduldäuß 
Weſtphalus, worin eine Menge von Nachrichten mitgetheilt 
wird, wann, wie und wo nad glaubhaften Berichten der Ewige 
Jude gefeben worden ift unb wie er ausgefehen habe. Auch fine 


‚bet fih &. 310 eine von Hrn. 3. Hoffmann zu Leyden aus 


dem Japaniſchen überfeste Legende: „Die Verſuchung des 
Buddha’‘, welche Ref. hier in treuer Übertragung mitzutheilen 
fi nicht enthalten ann; 

„As Bubbha (geboren 1027 vor Chr.) in Hindoſtan feine 
Lehre verkündigte, befchioffen zwei himmliſche Geifter, feinen 
Lebenswandel auf die Probe zu fielen. Sie verwandelten ſich, 
der eine in einen Ballen, der anbere in eine Zaube, und vom 
Balken verfolgt flog bie Zaube in Buddha's Schoos. Buddha 
erbarmte fich berfelben und ſprach zu dem Fallen: „Ich prebige 
einen Gott der Huͤlfe und tödte fein lebendiges Geſchoͤpf; ſchone 
diefee Taube!“ Ä u 

„Und der Kalle ſprach: ‚Diefe Taube iſt meine Speife für 
heute. Laffe ich ihr das Leben, fo muß ich felbft vor Hunger 
ſterben; fpricht denn baflelbe Gebot nicht zu meinen Bunften ?* 

u, Woblan denn‘, verfegte Buddha, ‚ich will meine Küße 
abbauen und fie bir zum Butter geben.‘ 

„Der Kalle Tprah: ‚Die Fuͤße wiegen nicht fo ſchwer für 
meinen Gefhmad, als die Taube.‘ '' 

„„So nimm aud meine Hände; ich muß die Taube ers 

iten.* “u " 
„Auch diefe find mir zu leicht. Ich verlange die Taube. 
Aber wenn bu dich felbft mir ganz gift, dann will ich ihres 


Lebens fehonen.“ ’’ 


<a gi ‚So fei es! Nimm mid ganz und ſchone das Leben ber 

u e.* ” . 

pn, Genug‘, erwiberte ber Kalle tief gerührt, ‚Bubdha’s es 
Und ploͤtzlich zeigten ſich der 

Kalle und bie Zaube in ihrer wahren Geftalt, und bie beiden 

Geifter nahmen ihn mit unendlicher Liebe in ihre Mitte.” 


Gleich nad dem Tode Giesbert Koen’s (1767) fchrieb ber 
Profeffor Hermann Gannegieter zu Braneler ein Programm 
aus Auftrag der, Univerfität, um I dem feierlichen Leichenbegaͤng⸗ 
niſſe einzuladen. Schwerlich moͤchte ein Gegenſtuͤck zu dieſem 
Programme zu finden ſein. Neben dem aufrichtigſten Bedauern 
über den Tod des Hingeſchiedenen machte er darin ber nach⸗ 
gelaſſenen Witwe ſolche Complimente, daß ſie fuͤr eine foͤrm⸗ 
liche Liebeserklärung um fo mehr gelten können, als Cannegie⸗ 
ter dieſelbe in der hat nicht gar lange nachher heimführte. 
Habet, heißt es, quod a natalibus sibi splendorem conciliet ; 
suavissimis praeterea et niveis moribus, ipsis quasi Chari- 
tum manibus formata, singulari modestia, fide, gubernan- 
dae domus prudentia, omnibusque animi dotibus conspicua 
effulget: nec minus formae pulchritudine eximia, bella, et 
sane quam venusta, sexus sui ornamentum ingens ezistit, 
Herr Prorector W. H. D. Guringar zu Leyden hat dieſes 
mufterhaft flitifirte Programm im vierten Bande der „Sym- 
bolae litterariae, a publicis gymnasiorum doctoribus socie- 
tate coniunctis editae’’ wiederabbruden laffen und babei zur 
Bekanntmachung bes Briefwechſels Koen’s, der fehr wichtig fein 
fol, aufgefobert. . 





Berantwortlier Deraudgeber: Deinrib Brockhaus. — Druck und Verlag von J. A. Brochaus in Leipzig. 





Blätter 


für ' 


literariſche Unterhaltung. 





Montag, 


ee Kr. 30. — 


30. Sanuar 1843, 





Der neue Pitaval. Cine Sammlung der intereffantes 
Aien Sriminalgefhichten aller Länder aus älterer und 
neuerer Zeit. Derausgegeben von 9. E. Hitzig und 
B. Häring (WB. Aleris). Zweiter Theil. Leipzig, 
Drodhaus. 1843. Gr. 12. 23 Zhlr.*) 


Im Borworte ſpricht fich der erfigenannte der Herren 
Herausgeber zuerſt darüber aus, daB man nicht glauben 
dürfe, er allein habe die juriflifhe Seite zu vertreten und 
der zweite Herausgeber flünde nur ale Novellift da; Dr. 
Dr. Häring wird dem Publicum ebenfalls als Juriſt darge⸗ 
ſtellt Weiter verwahrt fi Dr. Häring gegen die, wegen 
Mittheilung des Fualdes'ſchen Proceſſes von einigen Seiten 
unterlegte Tendenz, dadurch die Geſchworenengerichte im All⸗ 
gemeinen haben angreifen zu wollen, und liefert einen 
Nachtrag aus einem, bei Beacheitung des Falles Überfehenen 
Auflage des Landgerichtöpräfidensei von Dppen (in Mic: 
termiaier [hen Archiv) einige ſpaͤtere Auslagen der Zeu⸗ 
gen, wodurch der Juſtizmord von neuem befldtige wird, 
Endlich folgen noch vom Dr. Löwenitein, dem Verf. der 
„Damafcia‘, eingefandt, die Gutachten zweier beruͤhmten 
Theologen, eines protellantifchen, de6 Dr, v. Meyer, und 
eines Batholifchen, des Dr. Molitor, über die vieibeſprochen⸗ 
juͤdiſche Blutfrage. Beide bezeugen, in talmudiſchen und 
kabbaliſtiſchen Schriften nicht die mindefte Spur für folche 
Befyuldigung gefunden zu haben. Es ift zu beklagen, 
daß nach in unferer Zeit blinder Paerteihaß ſolche Beſchul⸗ 
digungen bringen konnte, denn werm auch in Zeiten fin 
fern Aberglaubens und Haſſes folhe Greuel vorgefallen 
fein foliten, fo wäre es doch «benfo unfinnig, die Urfachen 
in jübifchen Religionslehren fuchen zu wollen, als «6 uns 
finnig fein würde, wenn man wegen gleicher in Zeiten 
denkeln Hexenweſens von Chriſten geübter Verbrechen 
6 Chriſtenthum anklagen wollte. **) 

Der erſte mitgetheilte Rechtefell, der berühmte Fonk⸗ 
Hamacher'ſche, gehört auch zu denen, ber deren Pros 


*) Sa Re. 230 dv. Dt. f. 3842 berichteten wie über den 
schen Zeil dieſer Sammlung. D. Re. 
””) Gs iſt eine traurige Wahrheit, au der man durch ges 
name Gtudium der H ührt wird, daß alle 
überhaupf nicht unmöglichen Berbrechen, deren man bie Seren 
beihutbigte,, in einzeinm Faͤllen als wirklich begangen ſich 


dauert (27. April bis 9. $uni 1823). 


cedur fich gelehrte Juriſten mit Heftigkeit ausgeſpro⸗ 


| Gen und dies zum Theil zu Angriffen auf das Ges 


ſchworeneninſtitut im Allgerneinen benugt haben. Doch bes 
fieht ein umendlicher Unterſchied zwifchen diefem und dem 
Fualdes ſchen Procefie, und zwar ganz zum Vorthell bes _ 
deutfhen. Die Beſorgniß eines Juſtizmords hat nicht 
flatt, da Die koͤnigliche Gnade dazwiſchengetreten, wegen 
Überellung des Proceſſes kann bei fiebenjährigte Dauer 
beffelben (von 1817 — 23) audy nicht geklagt werden; bie 
Affifen über Fonk zu Trier hatten fieben Wochen ges 
Ein Irrthum ber 
Geſchworenen und ein falfches Verfahren erfcheint keines⸗ 
wegs als ermiefen. Die Fonk freifpredhende Cabinetsordre 
vom 28, Juli 1823 verwarf zwar die dem Verfahren zw 
Grunde liegenden Data, doch verfuhr man auch hier nicht 
mit Conſequenz. Wenn in der Cabinetsordre als Motive 
dee Freiſprechung angegeben werden: 1) daß der Thatbe⸗ 
ftand von Coͤnen's Ermordung nicht unzweifelhaft feftftehe, 
3) der Widerruf Hamacher's viel glaubhafter ſei ats feine 
feühern Ausfagen und daß 3) Fonk's alibi bewielen, fo 
mußte man, da ja Hamacher auf eine ihn felbft fo gras 
virende falfhe Ausfage gewiß nur duch Möthigung ges 
kommen fein konnte, eine Sriminalunterfuchung gegen bie 
betheiligeen Beamten wegen nicht nur formwidrigen, fon= 
dern auch pflichtwidrigen und getoiffenlofen Verfahren 
fider erwarten. Font’ Hauptvertheidiger, Dr. Biſchoff 
in Dresden, hatte auch in feiner Schrift den Generals 
advocaten v. Sandt aufs härtefte angegelffen. Eine ſolche 
Unterfuchhung fand aber nicht flat. Endlidy haben wir bei 
dem deutſchen Proceffe auch nicht ben traurigen Ans 
btick, daß durch Parteileidenfchaft das Urtheil des Volks 
adſichtlich misleitet worden. Wenn gegen Fonk am Drte 
feines Aufenthalts unguͤnſtiges Vorurtheil fi zeigt, fo 
berubte dies nur auf feiner Perföntichkeit, und daß biefe 
dazu Anlaß gegeben Haben müffe, wird dadurch begrüns 
bet, daß es Fonk bei feiner Reife in Norddeutſchland niche 
beffer ging; feine fruͤhern eifrigften Vertheidiger fanden fich 
zum Theil durch feine Perföntichkeie hoͤchſt widrig berührt. 
Wenn auf der einen Seite es unbegreiflich bleibt, daß ein 
Dann wie Hamadyer durdy alle möglichen Intriguen zu 
einer Ihm felbft fo nachtheiligen Ausfage hat gebracht wer⸗ 
den koͤnnen, fo erfchelnt auf der andern Seite nach deſſen 
Angaben kein Motiv zur That bei Font. Denn wenn 


Coͤnen noch am ſpaͤten Abend, ohne Wiſſen Schroͤder's, 
Fonk beſuchte, ſo mußte wol zwiſchen ihnen eine Einigung 
ſtattgefunden haben, ſomit für Fonk kein Grund zur 
Rache oder Furcht mehr vorliegen; überdem erkannte ja 
das Handelstribunat im Proceffe zwifchen Fonk und 
Schröder Erſterm ein bedeutendes Guthaben zu. So ift 
Dunkelheit nad) allen Seiten und, da feitdem alle bie 
hauptſaͤchlich betheiligten Perfonen geflorben find, auch 
wol Peine Ausſicht, daß fie je aufgehellt werde. Mad) der 
bier gegebenen fo lichtvollen als unpartelifhen Darflellung 
wird jeder Unbefangene wol des Herausgebers Meinung 
theilen, ‘daß, wie unrichtig Hamacher's Ausfage auch im 
Einzelnen, im Ganzen doch ihre Wahrheit zum Grunde 
liege und Hamacher und Fonk an Gönen’s Tede fhul- 
dig felen. | 

Nun folgen vier Bergiftungsgefhichten (S. 103— 359). 
Zueft „Die Marquife von Brinvilliee”, 1676, deren 
Name fprühmörtlid warb für ſolches Verbrechen. Das 
Ganze gibt ein fprehendes Bild ihrer Zeit bis zur Art 
ihrer Verhaftung, mit dem gräßlichen Zreiben der Voiſin 
und dem auch wieder entfeglichen Werfahren ber Chambre 
ardeute. Da aber des gefammten Stoffes au die Nos 
velliſtik ſich vielfältig bemächtigt bat, fo fcheint ein Mei: 
teres überflüffig. 

Die folgende Erzählung von der Geheimräthin Urfis 
nus in Berlin 1803, obwol uns in jeder Hinficht näher 
liegend, iſt beiweitem nicht fo bekannt und ausgezeichnet 
durch pfychologifches Intereffee Die Geheimräthin Urfi: 
nus, eine Scau, ausgezeichnet durch Börperliche und geiflige 
Vorzüge, hatte ſich frühzeitig mit einem Manne verbun: 


den, der bedeutend Älter und kraͤnklich ihr nie Liebe einges- 


flöße haben konnte und dem fie nur in Ruͤckſicht auf 
äußere Stelung die Hand gegeben hatte. Was aber die 
jugendlich blühende Frau auch entbehren mochte, hielt fie 
doch ihren Ruf unbefcholten, nur daß fie der Damals noch 
nachklingenden Werther: Siegwart: Periode gemäß ein ro: 
mantifches Herzensbündniß fuchte, wozu ja fchon ihe Mas 
me Lotte fie aufzufodern ſchien. Der Gatte hatte fo we: 
nig dagegen, daß er einmal bie Gefälligkeit fo weit trieb, 
in einem von der Gattin aufgefegten Briefe, unter fei: 
nem Namen, ben erbalteten ober, wie es fcheint, nie fehr 
heißen Verehrer zur Ruͤckkehr aufzufodern! Die Offent: 
lichkeit, mit der die Geheimräthin bei des Geliebten Krank: 
beit, in feiner Pflege bis zum Tode, ihre Gefühle zeigte, 
fheint für das Unfchuldige dieſes Verkehrs zu fprechen. 
Noch liebte es die Geheimräthin ihre Zartheit zu zeigen 
duch fingirte Krankheiten, in Folge deffen, noch während 
ihres Proceſſes, ein komiſches Intermezzo mit dem be: 
rlhmten Heim veranlaßt ward. Übrigens febte fie mit 
ihrem Gatten 21 Sahre in ruhig > freundlichem Verhaͤlt⸗ 
niſſe. As Witwe noch eine flattlihe Frau, von anfehn, 
lichem Vermögen, mochte fie hoffen, eine ihren Wünfchen 
gemäße zweite Ehe fchließen zu koͤnnen, und wegen ihrer 

erhaͤltniſſe ſowol als perföntichen Eigenfchaften geachtet, 


glänzte fie in dem erften Kreifen ber Gefellfhaft. Um fo | 


größer war die Beſtuͤrzung, als fie während einer Geſell⸗ 
ſchaft, die fie bei ſich gab, plögtich als Giftmiſcherin verhaftet 


18 7 - © 


ward. Ihr Bedienter hatte ſie angeklagt, ihm ſchon mehr⸗ 


mals Gift gegeben zu haben; einige von der Geheimraͤthin 


erhaltene Pflaumen, die er, ſchon mistrauiſch, nicht ges 
noffen hatte, zeigten Arfenit. Da es befannt ward, daß 
fie fi) mehrmals Arſenik zu verfchaffen gewußt, auch ein 
ſolches Verbrechen kaum alleinſtehend gedacht werden kannte, 
fo ward die Ausgrabung der Leichen ihres Gatten unb 
einer von ihr in der Todeskrankheit gepflegten Tante ans 
geordnet. Die feit mehren Jahren beerdigten Leichen zeige 
ten allerdings verbächtige Symptome, beſonders daß keine 
Faͤulniß, fondern nur eine Vertrocknung eingetreten war. 
Bei dem bamaligen Stande der Chemie konnte jedoch 
kein Gift nachgewieſen werden. Dafür, daß ihr Gatte 
nicht an Gift geftorben, ward das Zeugniß der drei be: 
ruͤhmten Ärzte, die ihn behandelt, als entfeheidend ange 
nommen; bei der Zante jeboh, wo nicht fo berühmte 
Arzte zugegen geweſen, auch fich noch mehr verdaͤchtige 
Anzeichen fanden, ſchien ſo viel Wahrſcheinlichkeit des Ver⸗ 
brechens, um eine außerordentliche Strafe verhaͤngen zu 
koͤnnen. Jetzt in der Zeit der Schmach und Noth warf 
die Geheimraͤthin die angenommene Schwaͤche von ſich 
und zeigte im ihrer Vertheidigung eine ausgezeichnete Gei— 
ſteskraft. Das Syſtem kleinlichen, fruchtloſen Leugnens 
verſchmaͤhend, bekennt fie ſofort die Vergiftung des Ber 
dienten, leugnete aber die andern Beſchuldigungen, behaup⸗ 
tete, den Arſenik ſich verſchafft zu haben, im Überdruß 
am Leben ſich ſelbſt den Tod zu geben; an dem Bedien⸗ 
ten habe fie blos Verſuche uͤber die Wirkungen des Gifts 
anſtellen wollen. In der zweiten, von ihr ſelbſt trefflich 
abgefaßten Vertheidigungsſchrift gibt ſie zu, daß dies kein 
vernuͤnftiges Motiv zu ſolcher Handlung geweſen, ſagt 
aber, ihr ganzer Gemuͤthszuſtand ſei ein ſolcher geweſen, 
daß man Vernuͤnftiges nicht ſuchen duͤrfe. Das Gericht 
wollte als Motiv angeben, daß ſie gegen ihren Bedienten 
uͤber ihre Heirathsplane geſprochen und nun, da dieſer in 
Unfrieden von ihr habe abziehen wollen, deſſen Klaͤtſche⸗ 
reien gefürchtet habe. Da der Bediente nach ungefaͤhr ei⸗ 
nem Jahre vollkommen twieberhergeftelt war, ward bie Ge: 
heimräthin zu lebenslänglicher Gefängnißftrafe verurtheilt. 
Sie duldete diefelbe gegen 30 Jahre in der Feſtung Glatz; 
in den legten drei Jahren bis zu ihrem Tode (1836) war 
ihe vergönnt in der Stadt zu wohnen. Diefe lange Zeit 
hindurch hatte die Geheimraͤthin unwandelbar diefelbe Hal⸗ 
tung behauptet, als ſchuldlos von Morde, und erwarb fich 
durch wuͤrdiges Benehmen und große Wohlthaͤtigkeit Ach⸗ 
tung und Zuneigung. In ihrem Teſtamente waren be— 
deutende Summen für fromme Stiftungen beflimmt. 
Auch ihre Geſellſchafterin, die fie 26 Jahre lang nicht 
verlaffen hatte, fo haben täufchen zu koͤnnen, zeigt eine 
wahrhaft bemundernswerthe Selbftbeherefhung und Cha⸗ 
rakterkraft. Die noch während ihres Proceſſes erfchienes 
nen „DBelenntniffe einer Siftmifcherin, von ibe felbft ges 
ſchrieben“, find ein von Friedrich Buchholz nach den Ge⸗ 
rüchten verfaßter Roman. 


(Der Beſchluß folgt.) 


— — 





119 


Genridtte Hanke. 


Der ebuch. Bon Henriette Danke. Kortfekun 
— Braut Tagbuch“.“ Hanever, Hahn. 12 
&. 12. 2 Thir. 15 Rgr. 


Denriette Hanke ift ſchon feit Johren eine beliebte Schrift: 
kelrin und die Kritil bet fo vielfach Gelegenheit gefunden, 
Sch aber Geift und Weſen berfelben gusgufprechen, daß gegen⸗ 
wärtig kaum mehr als fchlidhte Anzeige irgend eines neuen 
Werks nöthig ſcheint, vorzüglih, da die Werke dirfer Frau 
zirgenb befonders auffällige Revolutionen im Geifle, ber Ge: 
fnaung , ber Form zeigen. Faſt unwandelbar gibt uns jedes 
zeue Merk biefelbe würdige Matrone, die mit dem Harften 
Gerlenauge, dem reinften Gemüth alle Kormen biefes Lebens 
auffaßt und darſtellt, gefhmüdt mit den Blüten tüchtiger Be: 
Iefenheit und eines fo treuen Gebächtniffes, dab wir fie darum 
beneiden möchten. Der Moslem, der ben Koran ſich in dem 
Maße angerignet hat, daß er jeden Punkt beflelben ohne bas 
geringfie Verweilen nachweiſen Tann, erfreut fi) des Ghrens 
namens ‚„‚„Hafis’. Ginen ähnliden Namen Tann Henriette 
Hanke in Anfprud nehmen, denn wahrfcheinlich gibt es unter 
den Frauen der Gegenwart, die rückſichtlich bes Bülbungsflans 
des mit ihr eine Vergleichung zulaſſen, kaum ine, ber bie 
Bibel in ihrem ganzen Umfange fo geläufig wäre und neben 
berfeiben noch einen ſchwer zu überfehenden Reichthum von fchö> 
men 6 a und guten weltlichen Liedern als Gigentbum ans 
ſprechen könnte. Die häufige Benutzung paflender Bibel: und 
Liederfiellen,, verbunden mit ber Wahrnehmung , daß die Verf. 
dann und wann uns einen Blick in das Herrnbuterleben thun 
läßt, Haben denn auch die Anficht von einer pietiſtiſchen Rich⸗ 
tung hervorgerufen, weicher bie Verf. huldige. Will man bar: 
unter jene ſeelenkigelade Froͤmmelei verflanden wiflen, mit 

mweber der Welt noch dem Himmel gedient fein Tann, 

fe ik man in Unrecht. Cine Frau, welche die Erfcheinungen 
Diefer Welt, ſelbſt bie wiberwärtigften,, mit einer Klarheit und 
Haube auffapt, wie man fie gemdhntid nur dem Wanne beimeflen 
will; die ferner die Erſcheinungen nicht felten mit einer Staunen 
erregenden Derbheit barzuftellen vermag; die den Werth und 
Gehalt des Lebens ſicher und richtig abzufchägen weiß — eine 
ſolche rau wird fich nie fo weit Serabwürbdigen, Zeit und 
it verderbende Froͤmmelei zu predigen. Wol aber dringt 

fie ſtets mit dem wärmften Eifer, dem gewinnendften Ernſt auf 
das Eine, was noththut: weine Befinnung, wahren Charakter, 
wurzelnb in ungeſchminkter Gottinnigkeit. Daß biefe, dem Ver⸗ 
kehrten, Falſchen, Berdberbten, Schlechten gegenüber, am Ende 
fitts den Sieg bavontragen, iſt nicht etwa ein päbagogifcher 
Runftgeiff; es ift vielmehr in ber Erfahrung begründet, denn 
an alien Beiſpielen, die man vom lintergange der Tugend aufs 
fielen möchte, läßt ſich immer noch eine Untugend nachweiſen, 
wäre es auch nur die, daß die liebe Tugend die Hände gar zu 
lamentabel ringt über ihr unverfchulbetes Unglüd. Ref. iſt der 
Überzeugung, daß wir die edle Henriette Hanke gewähren laſ⸗ 
fen müßten. Iſt fie Hier und da wirklich etwas gu fentimental, 
zu weichlich, zu pretibs, fo gleicht fle das anderer Orten felber 
fon wieber aus durch eine Kraft, bie wir Saum bei ihr er⸗ 
warten follten und uns manchmal wirklich überrafcht. Darum 
darten wir aber auch nicht fürchten, daß die Freundinnen ihrer 
Werte verborben oder verſchroben werden. Sind fie wirklich 

echte Kreundinnen, da find es ſicher auch cchte Mädchen und 

Frautn; wollen fie dagegen nur einfeitig Icfen, um etwa mit 

einer Novelle die mäßige Zeit angenehm zu verbsingen, oder 
dei pafjenber Gelegenheit mit ihres Belanutfchaft ber allbelanns 
ten Schriftſtellerin gu kokettiren, da iſt weber mit Henriette 
Hauke noch mit irgend einer Andern oder einem Andern zu helfen. 
enttich tft bie Werf. von „Der Frau Tagebuch”, weis 

u Hef. fi — uwendet, mit dieſem einverſtanden, 
daß er in dem Sefagten hre Rovellen und Romans weniger 
von der formellen Geite betrachtet, vielmehr zunächſt ihren 
Geiſt angedeutet dat. Aug das „Togebuch“, und biefes vor⸗ 


zuzeweiſe, basf nur rũcſichtuch feines Geiſtes, feinen Idee, ben 
fpr werden, indem das Hiſtoriſche, die Handlung, von 
der Verf. felber kaum mehr als angedeutet, und überhaupt 
eben nur dazu benupt if, das innere Leben und Leiden ber 
liebenswärbigen Helene auf allen Gtufen zur Anfhauung zu 
bringen. Die Lefer kennen „Der Braut Tagebuch”, fie kennen 
daher auch bie Tochter des Propfies van Ätft, Helene, in deren 
Bildungsgang ber Water nur mit, man möchte fagen, apho⸗ 
riſtiſcher Genialität eingriff, die Mutter mehr durch Beifpiel 
als Wort. Bot fih nun aud ber lieblichen Braut Gelegenheit 
genug, das Leben außer den Gigenthümlichkeiten des Predigers 
hauſes und felbft in den höhern Ständen kennen zu lernen, 
fo bleibt fie doch immer eine einfache Prebigerstochter, die aus 
dem ſtillhaäuslichen Kreife des Gewohnten, aus ihrem mehr ins 
nexlidden Eeben, als Frau von Fall nun auch die Reize wie bie 
Hohlheit der Repräfentation kennen lernen und üben fol. Da 


gibt ed denn mande Verftöße, manches Misverftändniß, taus 


fend Dinge, denen ber Geſchäftsmann, und noch dazu der 
Mann von Welt, mögtichft Leicht und ſchnell aus dem Wege 
geht, denn er will nicht geftöet fein im Kreife feiner Gewohn⸗ 
beit. &o entfernen ſich denn zwei trefiliche Menfchen täglich 
mehr: ber Mann fucht das Verlorene außer dem Haufe, bie 
Grau bleibt mit ihrem Schmerz allein. Sie finden endlich fi 
wieder, weil der Mann, betrogen von bem leidhtfinnigen Ges 
genflande feiner Verirrung, plöglich den Abgrund zu feinen Fü- 
fen gewahrt, und der fchöne Moment ber Wiedervereinigung 
ſelbſt iſt noch Zeuge weiblicher Refignation. Alle die vielfachen 
Zuftände, durch welche die verfhiedenen Perfonen des Buchs 
bindurchgeßen , find mit einer fo buftigen Bartheit behandelt, 
daß diefes Buch vielleicht weniger Freunde findet als bie meiften 
übrigen Werke der Berf.; benn im Allgemeinen will der Eefer 
bie Dandlung, die Begebenheiten, als berben Wanderſtab in 
der Dand fühlen, mit dem er die märchenhaften Wege des 
geiſtigen Lebens betritt. &leichwol werden edie Frauen — und 
deren gibt es viele — dieſes Werk ale Handbuch der Eebenss 
und Herzensphiloſophie werth Halten, und daß fie nicht irre ges 
leitet werden, läßt fi wol verbürgen. Ref. findet nur eine 
Seite im Werke weniger zur Anfhauung gebracht, eine Seite 
freilich, die von dem weiblichen Auge nicht mit derfelben fichern 
Klarheit und Schärfe durchdrungen und dargeftellt werden Tann 
als das Leben der verwandten Bruft: bas if dee Schmerz in 
ber Bruft des edeln Mannes, der ihn auf allen Irrwegen bes 
gleitet, ſogar waͤchſt, je weiter ex fich verliert. Das wußte 
auch Helene, und darum konnte fie im fchönen Augenblid des 
Wiederfindens zum Gemahl fagen: „Ich die böfe? D Hein⸗ 
ri, wenn du gut bit, dann tft Alles gut.” 


Ref, nimmt damit Abfchleb von biefem Tagebuche; nur hat er 
ſich noch über den Grund zu erklären, der ihn Länger bei der Werf. 
überhaupt als bei dem Zagebuche verweilen Heß. Es ift ein anderer 
als die befannte Wahrnehmung, daß das weite Feld ber foges 
nannten Unterhaltungslecture gegenwärtig zum großen Theil in 
Brauenhände Übergegangen ifl. In Frankreich, ſelbſt in Eng: 
land bethätigten fih Frauen fdhon Tange in biefem Zweige der 
Literatur: in Deutſchland Lafen wie früher wol Gedichte von 
Bruuen, der Roman, die Erzählung bagegen wedten ext fpäs 
ter ihre Ihätigkeit, die nun aber, je mehr die männliche Weber 
andern Beftrebungen folgt, ſtets Lebenbiger bervortritt, die denn 
au in Schweden recht Kar erwacht ifl. Ref. meint daher, es 
fet eben an ber Zeit, einmal einen charakterificenden Überblick 
von biefer Thaͤtigkeit, wie fie zunächft In Deutfchland ſich kund 
gibt, aufzuflellen, wobei denn freilich bie Bezüge vom Auslande 
berüber ebenfalls nachzumelfen wären , da die Ginflüffe deffels 
ben, namentlich die überrheinifchen,, immer noch fihtbar genug 
find. Ref. will nicht den giemtich abgenusten Terminus ges 
brauchen, daß mit einer folchen Überſicht eine Lüde in der Li⸗ 
teraturgeſchichte gefällt werbe:- doch fpricht er es als wirkliches 
Beduͤrfniß an, der bisherigen Zerfplitterung in der Kritik ber 
Damenliteratur durch eine foldye Arbeit mehr Grund und Bo⸗ 
den zu geben, und fließt mit dem Wunſche, daß biefer Ars 


120 


lt die cagtige Band eines Wohlvertraueten deſchieden fein 
der. m. 





- PBiterarifhe Notizen aus Frankreich. 

Es if erfreulich für uns Deutſche, zu ſehen, daß die große 
Menge ber franzoͤſiſchen Gelehrten unfern wiffenſchaftlichen Be⸗ 
Airebumgen eine immer regere Aufmerkfamkeit zuwendet. Der 

iffenfchafttiche Kongreß gu Strasburg hat in jüngfter Zeit wer 
Ent dazu beigetragen, bie Augen Frankreicht auf bie deutiche 

iffenfhaft zu lenken. Roch vor wenigen Jahrzehnden nahm 
die Mehrzadl der franzdftfchen Gelehrten von den wiffenſchaft⸗ 
lichen *eiftungen Deutfihlande wenig ober gar keine Retiz. 
Dann fingen endlich die franzöftfchen Philologen an, vor ben 
beutfchen Gelehrten, die daffeibe Wiſſensgebiet bebauten, Achtung 
zu befommen. Gegenwärtig aber fehen wir nicht nur einen 

roßen Theil unferer wiſſenſchaftlichen Werke (3. B. Niebuhr, 

ander, Ranke, Boigt ꝛc.) überfegt, fonbern es laͤßt verfol: 
gen, wie deutſche Biffenfhaft in Brantreich einen im: 
mer größern Spielraum gewinnt. &o haben wir faft jebes 
Mat, wo wir den Berbanhlungen ber Akademie ber politiſchen 
und moralifchen Wiffenichaften beigemohnt haben, irgend einen 
Bortrag gehört, der. auf Deutfchland Bezug hatte. Wir weis 
ien aus der großen Menge derſelben nur zwei erwähnen, bie 
uns wirklich beachtungswerth gefchienen haben. Der eine war 
eine Abhandlung „Sur les marques de fabrique en Allemagne 
‘dans les rapports avec l’organisation industrielle” von Mor 
lowski. Moloweli, wie ber Name fagt, ein Pole von Geburt, 
ift eine der Hauptzierden bed Conservstoire des arts et mé- 
tiers, das unter der arbeitenden Gtaffe einen Schatz von nüßs 
lichen Kenntniffen verbreitet. Er kennt Deutſchland aus eige⸗ 
nee Anfchauung und hat erft vor kurzem im „Biecle‘, zu befs 
fen fleißigften Mitarbeitern er gehört, einen intereffanten We: 
richt über den Stand bes deutſchen Eiſenbahnweſens gegeben. 
Ein anderer Bortrag, den wir kuͤrzlich in ber naͤmlichen Abs 
tbeilung des Inſtituts gehört haben und ber auf die beutfche 
Rechtslehre Bezug bat, * ein „Memoire sur les syst&mes hy- 
pothecaires de l’Allemagne‘”. Diefe Abhandlung bildet einen 
Abfchnitt aus einem umfallenden Werke über die hypothekariſche 
Sefehgebung, das Hr. von Hauthuille, Profeffor an ber Rechts: 
facustät zu Air, binnen kurzem herausgeben wird. Wir find 
nicht im Stande, ben eigentlichen wiſſenſchaftlichen Werth zu 
beurtheilen, aber es hat uns gefchtenen, als habe ber Verf. 
die deutfhen Quellen mit Pteiß und Scharffinn flubirt. 


‚on ben wisfprubelnden „Petites miseres de la vie hu- 
meine’, von Oid Nid und Grandville, die wie in d. WI. zu 
wisberbolten Malen erwähnt haben, ift das legte Heft erſchie⸗ 
nen. Das Werk: tft mit demfelben Geifte zu Ende geführt, den 
non gieih in ben erſten Lieferungen bemunbert hat. Wir ers 
fahren jegt von unfern gelehrten Kritikern, die alle Büchertitel 
an ben Fingern herzuzählen wilfen, baß ber Ausdruck „Pe- 


tites mistres de la vie humane” eigentlich einem englifcden | 


Werke entiehnt - iſt. Daſſelbe erſchien am Ende des vorigen 
Jahrhunderto und heißt: „The miseries of human life by 
Thimothy Testy and Samuel Sensitive.” Walter Gcott 
macht von hiefem geiftreichen Werkchen, das neun Auflagen ers 
tehte, im „Edinburgh review” (1806, Det.) ein großes Lob. 
Wransuich fo der Titel des franzoͤſiſchen Werks mit dem bes 
engsten Khnlichkeit bat, fo if doc bie Yorm und die ganze 
Unsfährung in beiden gänzlich verſchieden. Das englilche Werk 
i8 in zwölf Dialoge getheüt. Wie wir hören, ift bereits eine 
deutliche Übertragung des Buchs von Olb Nie und Grandville 
erfhienen. Wenn die Arbeit - bes überſetzers einigermaßen 
frommen fol, fo muß « das Werk einer aänzlidgen Umarbei⸗ 
wng unterwerfen. Dos Driginat ik namlich fo voller Anfpies 
ungen, die nur in Paris verftanden werben können, und «6 if 
Aber heupt fo ganz im franzöftichen Geifte geſchrieben, daß man 


in 
ee a  aktung Mmerlig einen 


Nur ſolche Werke find wahrhaft praktiſch, bie ſtatt Ales 


‚mit einem Wale über den Haufen zu werfen, —54 die 
iteniffe be⸗ 


Mängel unferer gegenwärtigen gefellſchaftlichen Verhaͤ 
leuchten und bann erfi an eine aimdlige Abhaͤlfe berfeiben den⸗ 
* Die enge or nn, = namentlich in 
kreich un ng o m n fſcheint gegens 
wärtig wenigftens theoretifch erfhöpft. Die Acalemie fren- 
case bat baber fehr wohlgethan, abs fie vor einiger Seit in 
bee Preisaufgabe: Du progres social au prefit des classes 
populaires non indigentes”‘, ben Blick der forialen Reformatos 
ren auf die Gebrechen beöfenigen Theils vom Bolke lenkte, ber 
vom Grtrage feiner Haͤndeardeit lebt, obme gerade am Noth⸗ 
wendigften Mangel zu leiden. Der Preis ward einem gewilfen 
Lafarelle, einem ehemaligen Magifirat zu Rimes, gegeben. 
Derfeibe ſcheint dadurch noch mehr ermuntert zu fein, biefen 
wichtigen Punkt der Politik näher ins Auge zu faffen und er⸗ 
fhöpfender zu behandeln. Go erhalten wir von Rafarelle, der 
ſeitdem Mitglied der Deputirtenkammer geivorben iſt, eine ums 
foffendere Abhandlung, welche die Frucht reifen Nachdenkens 
und forgfältiger Studien zu fein ſcheint und die ih von den 
ſchwindeinden Hefosmatiensplanen, die cbenfo ſchnell vergeffen 
ats geſchmiedet werben, ſehr vortheilbaft unterſcheidet Ste 
fühet den Zitel: „Plan d’une röorganisation disciplinaire des 
classes industrielles en WPrance,” 


Seit einem halben Sahrhundert hat ber franzoͤſiſche Kies 
rus aufgehört, einen Staat im Staate zu bilden. Die Revolution 
zerſchlug das mächtige Gebaͤude der Hierarchie und die Reſtau⸗ 
ration verſuchte vergeblich feine Trümmer wieder zufammenzus 
fügen. Geitbem bie Kirche mit den übrigen potitifchen Inftitwe 
tionen immer mebr verfchmotzen iſt, bat die Abminiſtration des 
Klerus in Frankreich natürlich weſentliche Umgeflaltungen zu er» 
leiden gehabt. Die Referipte, Seſeze und Gebraͤuche, die bier 
auf Bezug haben, find zum Theil fehr verwidelt und es iſt 
babe PN ee , daß ein aerbienter —— 

ut v, fi t unterzogen bat, alle hierher 

Geſetze überfichttich jufamm uftellen. Sein ‚‚Traite een 
ministration da culte catholique en France” (Paris 1842) 
ift mehr als eine bloße Compilation. Es iſt ein getreues With 
vom franzoͤſiſchen Kirchenweſen und bat in biefer Beziehung 
eine große Bedeutung. Wir haben feit kurzem ein ganze Seide 
von mehr oder weniger wichtigen Werten erwähnt, die ale den 
Katholicismus und fein Verhaͤltniß zur Gegenwart betreffen. 
Wir wollen hier gleich noch auf eine Schrift aufinerffam mes 
chen, die von den Biäubigen ſehr empfohlen wird. Es if dies: 
„Da catholicisme dans les societ6s modernes considerd dans 
nes rapports avec les besoins du 19%öme sidcle”, vom AbhE 
Haymonb, 


Wir haben in d. WI. zu ruisberholten Malen auf die Wiege 
aufmerkſam gemacht, welche bie Specialgeſchichte ber 
franzoſiſchen Provinzen, aus ber allein eine gute 
allgemeine Geſchichte Frankreichs hervorgehen Tann, ſich gm 
erfreuen anfängt. Wir duͤrfen deshalb ein ſehr umfaffendes Ber 
ſchichtewerk, von bem bereits dee fünfte Band eufchienen iſt, 
nicht ganz unerwähnt laffen. Es behandelt Die Geſchichte vom 
Bangueboe und führt ben Zitel: „Histelre gendrale du Lan- 
guedoc com sur les auteurs et les titres originaux et 
enrichie de divers monuments par dom Vic et dom Valssete, 
religieuz bénédietins de St. - Maur, continuse par M. Du- 
meyel’. Das ganze Werk ift auf zehn Baͤnde berechnet: aber 
es ift eins von den fchwerfälligen Bauͤchern, die nur langfam 
fortrudern, und feine Vollendung fteht nech im. weiten Weihe. 
Dan findet in ihm einen wehren liberfiuk von geichtten Dosue 
maenten, die nicht immer genügend neraxbeitet find. .% 


Berantwortlicher Hrraubgeber: Seinrich Brockhaus. — Drud und Brriag von BE U. Brochaus in Letpzig. 


Blätter 


für 


literarifbhe Unterhaltung. 





+ 


Dienftag, 


BER Kr. 31. ö—ñ— 


31. Januar 1843. 





Der neue Pitaval. Herausgegeben von J. E. Hitzig 
und ®. Häring. 
(Beſchluß aus Nr. 8.) 

Semein in jeder Art ift die folgende, aus Feuerbach's 
pſochologiſch meiſterhafter Darftelung bekannte Zwanziger 
aus Nürnberg, 1811. Won früh an Ausfchmweifungen und 
Verbrechen ergeben, war fie immer tiefer geſunken. Alt, 
haͤßlich, zum Dienftbotenflande herabgelommen, hatte ſich 
ihrer die tieffte Bitterkeit gegen die Menſchen bemaͤchtigt, 
als ein heifender Freund erfchien ihre nun das Gift. Es 
ward angewandt, wo «8 eine, wenn auch noch fo chimairi⸗ 
ſche Hoffnung galt, es diente ihr, auch die kleinſte Krän- 
tung wenigfiens mit Krankheit zu rächen, endlich auch 
wol bios als erfreuliche Spiel. Sie blieb ohne die min: 
defte Beſſerung bis zur fo ſchwer verdienten Todesſtrafe, 
noch in den letzten Augenbliden in boshafter Anklage ei: 
nes Unſchuldigen beharrend. 

Noch gräßlicher erfcheint die bremer Giftmiſcherin Ge: 
fina Gottfried, geb. Timm, 1831, als die von frühefter 
Jugend vollendetfte Deuchlerin. Bel Talent und äußern 
Annehmlichkeiten der Liebling ihrer Ältern, beftiehlt fie in 
frühefter Jugend ſchon dieſelben, bald auch Fremde, fort: 
während dabei für das Muſter eines guten Kindes gel- 
tend. Wie zeige ſich bei ihr eine Spur von Gemüth unb 
Sefüht, nur aus Habſucht hat fie dem erſten Manne bie 
Hand gegeben. Diefer, ein allerdings duch Ausſchweifun⸗ 
gm an Leib und Seele zerrütteter Menſch, fällt als ihr 
erſtes Dpfer; dann folgen ihre, fie fo zärtlich liebenden 
tern, weil fie fürchtet, diefe könnten vieleicht der neuen 
Heirath mit dem Liebhaber, den fie ſchon bei ihres Mans 
ned Leben gehabt, zuwider fein; dann, als dieſer zaudert, 
ihre drei Kinder, in denen fie die Hinderniffe zu fehen 
glaubt, endlich aber der Verlobte felbft, als er zurücktreten 
zu wollen fiheint; noch auf dem Todbette läßt er ſich mit 
ihre trauen. So ging es eine Reihe von uhren fort. 
Obwol das Leichentuch nicht ganz noch gehoben, find 15 
Giftmorde bekannt, ebenfo viel andere Vergiftungen. Ein 
Ihr Vermögen überfteigender Lurus und eine große Wohl: 
thätigkeit, durch die fie zu glänzen flrebte, hatten ihre Fi⸗ 
nanzen aufs aͤußerſte zerrüttet, deshalb neuer Mord, um 
zu erben, oder nur einen Zahlungsaufſchub dadurch zu er: 
halten, endlich um dabei Gelegenheit zu finden, einige Tha⸗ 
ler zu fehlen. So vergiftete fle Ihre ehemalige vieljährige 


Magd, die mit höchfter Liebe und Treue ihr angehangen 
um fih 50 Thaler zuzueignen; eine Jugendfreundin, die 
bei immer drüdenderer Geldnoth ihr einen Louisdor gelies 
ben, um dieſen zu behalten und zugleich den Beinen Spar: 
pfennig, den dieſelbe zum Begraͤbniß ihres fchon achtzigjaͤh⸗ 
rigen Vaters gefammelt, zu ſtehlen. Und nicht nur jedes 
kleinlichen Zanks wegen ward gemordet, das Giftgeben 
ward der Gottfried nun zu einem Triebe, dem ſie folgte 
auch ohne weitere Urſachen. Und bei allen dieſen Greueln 
lebte die Gottfried als fromm und mohlthätig geachtet, 
und wegen ihres immer heitern und angenehmen Wefens 
beitebt und in Gefellfchaften geſucht. Als mit ihrer Ver⸗ 
baftung all ihre geiftiges und Lörperliches Weſen als Trug 
offenbar mard, da brach zwar ihre Heuchelfraft zufammen, 
aber von Beſſerung und Gemuͤthsruͤhrung zeigt fich keine 
Spur; die Gewiſſensbiſſe zeigten fidy als wilde Wahnbil: 
der, von außen kommend, wenn fie die Gemorbeten oder 
deren Angehörige vor fih zu fehen glaubte. Erſt nad 
faſt dreijährigem Proceſſe kam das Todesurtheil. Dies zehn: 
fach zu begründen, hätte es nicht fo langer Zeit beburft, 
aber eben deshalb wurde der Proceß langfamer betrieben, 
um die6 grauenvolle Phänomen zu ſtudiren; ob nicht die 
Verbrecherin dabei zumellen in eine ihr nicht geziemende 
Stellung gelommen, bleibe uneroͤrtert. Es ſteht zwar als 
lerdings feft, daß nicht von Anfang ein dunkler Trieb die 
Gottfried zu ihren Derbrechen getrieben, ſondern biefer 
erjt entſtand, ats fe viele verübt; wenn aber der Volks⸗ 
wahn ſchon Gefina's Mutter den böfen Blick zufchrieb 
und dieſe felbft als eine von frühefter Jugend dämonifchen 
Gewalten Geweihte anfah, fo ift dabei das fittliche Ge: 
fühl nicht zu verkennen, das fo unerhörte Greuel, ald für 
die gewöhnliche Menfhennatur unmöglich, abyumeifen 
ſuchte. Die ausführliche Lebensgefchichte der Gottfrieb 
gab ihre Defenfor Dr. Voget. Zu romantifcher Darftels 
(ung benugte fie A. Bronikowski für bie eriten beiden 
Bände feiner „Beate, aus einer alten Chronik ohne Tis 
tefblatt”. . 

„Der Wirthfchaftsfchreibee Tarnow“, 1795. Diefer 
Criminalfall (aus Klein entnommen) entfpricht eigentlich 
der Tendenz des vorliegenden Buche nicht recht, weil er 
fein romantiſches oder pfpchologifches, Tondern nur ein jus 
riſtiſches Intereſſe darbietet. Ein Amtmann (Skonomie⸗ 
infpector) in Oftpreußen misbraucht die in Abweſenheit 


x 


122 


ber Herrſchaft ihm zuftehende despotifche Gewalt zu grau: 
famer Behandlung feiner Untergebenen und wird deshalb 
von feinem Wirthfhaftsfchreiber erſchlagen. Der Schrei: 
ber Tarnow hatte außer des Amtmanns Härte noch be: 
fondern Grund zur Klage, da berfelbe ſich faſt mit Ges 
zoalt den Genuß von Tarnow's Braut verfhafft hatte. 
Am Tage vor dem Morde hatte der Amtmann ben Wirth: 
fhaftsichreiber aufs ſchmaͤhlichſte koͤrperlich mishandelt 
und gedroht, ihn aus dem Dienfle zu bringen und fein 
ganzes Leben lang zu verfolgen. Im der Nacht überzeugt 
ſich Tarnow, daß feine Braut eben wieder in ded Amts 
manns Kammer gewefen ſei. Nach ſolchen Vorgängen 
iſt ein Wuthanfall doch ſehr natuͤrlich. Ebenſo wenig 
Schwierigkeit bot die Unterſuchung. Tarnow hatte den 
Erſchlagenen zwar noch aufgehaͤngt, um den Schein des 
Selbſtmordes zu geben, die Wunden des Amtmanns mach⸗ 
ten aber die Taͤuſchung unmoͤglich; auch hatte noch in 
derſelben Naht Tarnow bie That dem mit hm in einer 
Kammer fchlafenden Jaͤger bekannt und um Beiltand bei 
Reinigung feinee mit Blut befudelten Kleidung gebeten. 
Der Zäger zeigte ed fofort an, Tarnow geftand fomweit Als 
les ganz einfach; nun aber ein juriftifches Bedenken. Nach 
dem Dbductiondberichte nämlidy waren die dem Amtmann 
auf den Kopf gegebenen Schläge nicht tödtlich gemefen, 
fondeen der Tod erft durch das Hängen erfolgt, dies aber 


ſei nicht in der Abſicht zu tödten gefchehen, Tondern nur 


zur Bemäntelung der That, demnach) es einmal am Boll: 
bringen, das andere Mal an der Abficht fehle. Sei «6 
aus diefer Ruͤckſicht, oder mehr in Beruͤckſichtigung der 
mildernden Umſtaͤnde, durch vorhergegangene ſchwere Rei: 
zungen (eine zweite Ausfage Tarnow's, wo er den Amt: 
mann wachend angeteoffen und den Mord als in Noth: 
wehr angefehen haben wollte, hatte wol keinen Glauben 
gefunden), ſprachen die nähern Behörden nur auf Feſtungs⸗ 
ſtrafe, die Kreisiuftizcommiffion zu Salfeld auf ſechsjaͤh⸗ 
vige, die oftpreußifche Regierung auf zehnjährige, Die Cri⸗ 
minaldeputation des Kammergerichts zu Berlin erkannte 
die Todesftrafe, jedocy den erwähnten Umſtand fo weit als 
Miderung betrachtend, daß fie aufs Schwert erkannte, 
nicht aufs Rad, und berief fih im Entſcheide auf die 
Stelle des Criminalcoder, wo es heißt: „Wenn Jemand 
einem Andern, mit dem Vorſatze zu tödten, eine Verlegung 
beigefügt hat, die zwar nicht abſolut toͤdtlich, aber in der 
Kolge durch einen Zufall tödtlid wird, foll er mit dem 
Schwerte hingerichtet werden‘, und „der Thäter der den 
zu vettenden Verwundeten ohne Hülfe liegen ließ, wenn 
er die daraus entitehende Gefahr vorausfehen mußte, foll 
als Todfchläger mit dem Schwerte beftraft werden.” Ob 
Dies Urtheit in Ausführung gelommen, ift nicht bekannt. 
Der gleihe Fall finder ſich in der folgenden Erzaͤh⸗ 
lung: „Die Mörderin einer Here.” Hierbei ift aber auch 
ein culturhiftorifches Intereſſe. Denn die Zeit des Vor: 
falls ift 1819, der Ort im Königreihe Preußen , bei 
Stargard, dod unter caffubifch = polnifher Bevölkerung. 
Eine noch junge Frau im Dorfe fleht im Rufe, eine 
Here zu fein, zwei junge Mädchen laſſen ſich ohne eine 


augenblickliche Reizung von Seiten der angeblidhen Hexe 


durch deren Schwiegermutter und eine andere Frau ganz 
leicht zu dem Morde bereden und vollführen ihn mit der 
größten Kaltblütigkeit. Eines’ Feiertage früh überfallen fie 
die Mizewska im Stalle, erdroffeln fie und hängen fie, 
den Schein des Selbfimordes zu geben, im Stalle auf. 
Auch hier zweifelten die Ärzte, ob der Tod nicht erſt durh 
das Hängen herbeigeführt worden. Das Kammergeridht 
machte aber diesmal keine Unterfchiede geltend, fondern be= 
zeichnete dad Aufhängen als eine Kortfegung der Ddolofen, 
gegen das Leben der Mizewska gerichteten Unternehmung 
und erkannte deshalb die Todesftrafe für beide Mörderin= 
nen, bie jedoch auf fünfundzwanzigiährige Zuchthausftrafe 
gemildert wurde, weil das Gericht bie Zurechnungsfähigfeie 
durch den Glauben an die Herenqualität der Gemordeten 
für beſchraͤnkt hielt. Mehre Jahre vorher hatte ſchon der 
Gerichtsbote des Octs von Oſſolwski (doch wel nicht ohne 
Wiſſen der Herrſchaft?) mit der Mizewska die Waſſer— 
probe vorgenommen, wo ſie jedoch durch Unterſinken ihre 
Unſchuld bewaͤhrt hatte. 

„Die beiden Nürnbergerinnen“, 1787. Ein furdt: 
bares Lebensbild! Kin junges Mädchen, durch ruͤckſichtsloſe 
Anwendung gefetlicher Beſtimmungen ins tieffte Elend ge: 
ftoßen, gibt ſich falfhlih als Kindesmörberin an, cine 
gleich nothleidende Freundin als mitfhuldig, um fih und 
diefe fo der Schmady und dem Hungertode zu entziehen. 
Trotz des Widerrufs auf dem Schaffot, fol die Eine hin- 
gerichtet worden fein, während deſſen die Andere auf dem 
Schaffot geſtorben. Wir theilen die Zweifel des Heraus: 
gebers an der Nichtigkeit der einzelnen Angaben Diefer 
den „Causes celebres Etrangeres” entiehnten Geſchichte. 
Bon Nürnberg Tann man doch ein fo formlofes Verfah- 
ren nicht erwarten, bei einer der kleinen Reiheftädte in 
Schwaben wäre es möglich; dort herrfchte noch in jener 
Zeit eine uns maͤrchenhaft erſcheinende Verfinfterung, wir 
erinnern an die Hinrichtung eined Zauberers zu Buchloe 
1766.*) Hoffentlich werden von Nürnberg Berichtigun: 
gen diefer Erzählung kommen, 

Die legte Geſchichte „Die Marquife de Gange” nad 
Pitaval, 1667, ift wieder ein romantiſches Schauerge: 
mälde aus Ludwig's XIV. glorreiher Zeit. Die Marquife, 
eine buch) außerordentlihe Schönheit wie durch Herzens: 
güte ausgezeichnete Frau, wird von ihren beiden Schwaͤ⸗ 
gern auf das grauenvolifte ermordet, deren Haß fie duch 
Abmeifung ihrer flrafbaren Anträge erregt hatte. Die 
Mörder, zum Rade verurtheilt, waren durch die Flucht der 
Strafe entgangen. 

Schließlich fprechen wir den Wunfdy aus, daß bei der 
Fortfegung der Sammlung vorzüglich ditere Fälle Auf: 
nahme finden möchten, . 


*) Ein Zigeuner war in Haft in Buchloe und follte eben, 
ba ibm aud die Folter Leine befondern Vergehen hatte ers 
preſſen Eönnen, entlaffen werben, als ber Gtadtrichter am 
Rachmittage nach der Tortur auf einem Spaziergange eine 
Bigeunerfamilie traf, deren drei Eleine Kinder in ber Erde 
gruben. Als nun am felbigen Abend ein fchweres Gewitter ent: 
fiand, der Blit dabei in das Gefängniß bes Zigeuners eins 
flug, diente dies zum Beweis, daß zu feiner Befreiung von 


123 


Nouvelles heures de repos d’un ouvrier par TAcodore 
Lebreten. Paris 1842. 


Der Selbſtmord eines jungen Buchdruckergeſellen, der fich 
un Ash gas, weil ee fidy in ben. Hoffnungen, bie er auf einen 
afes literarifchen Verſuch geftellt hatte, getäufcht ſah, iſt vor 
anigen Monaten in der parifer Zagespreile Stoff zu mannich⸗ 
feden GSrörterungen geworden. Die radicalen Blätter geben 
eiche Hülle, die in unfern großen Manufacturftädten nicht fo gar 
feiten vorfommen, geradezu unfern verfhebenen focialen Verhaͤlt⸗ 
ofen ſchuld. Der geiftreihe Lerminier bat e8 in ber „Revue 
des deux mondes‘’ übernommen, bie arbeitende Glaffe darauf 
aufmerffam zu machen, welche Gefahr darin liegt, wenn ber 
Arbeiter, ftatt fein Tagewerk zu vollenden, ſich unberufen mit 
der Literatur und Politik befaffen wit. Dagegen bat nun bie 
„Revue independante’ ein fautes Geſchrei erboben. Befonders 
bat G. Sand in einem „Dialogue sur la po6sie ouvriöre” bie 
Anmafungen der Gonfervativen, welche das Volk von jeder 
freiern Geiftesentwidelung abhalten möchten, ckzuweiſen vers 
faht. Seitdem bat nun bie Zeitfchrift, welche das Organ bier 
fer geiftoollen Schriftftellerin tft, uns mit einer wahren Flut 
von Poeſien, deren Verf. der Claſſe der Arbeiter angehören, 
überfiwemmt. Aber flatt die Anſicht Lerminier's, der behaup⸗ 
tete, daß der größte Theit der fogenannten Duprierpoefte ziem: 
lich null fei, ſiegreich zu widerlegen, wird diefelbe vielmehr durch 
dieſe zahlreichen Reimproben nur noch mehr beftärtt. Was faft 
allen diefen Reimereien durchaus fehlt, ift die Originalität. 
Ban follte glauben, daß biefe fogenannten „Raturbichter‘’ we: 
nigftens einen frifhen, ungekünftelten Ton anfchlagen würden 
und man würde ihnen dann gern einen Mangel in ber Form 
und eine Unbeholfenheit im Auédruck nachſehen. Aber dem iſt 
nit fo. Sie fpreizen fi faft alle in einer jämmerlihen Nach⸗ 
ahmung Bieter Hugo’s, oder flimmen in den weinerlicdyen Ton 

LZamartine's ein. Seitener noch ahmen fie Beranger nach, obs 
gleich man glauben ſollte, daß die Richtung dieſes ausgezeichne⸗ 
ten Chanſonnier ihrer Sphäre viel näher liege. Unter ben 
wenigen, bie eine wahrhaft poetiſche Organifation haben, und 
deren Erzeugniſſe nicht ohne wirklich poetiſchen Gehalt find, ver: 
dient befonders der Dichter, deffen Rame an der Spige dieſes 
Auffages fleht, genannt zu werben. Seine Poeſien find ihm 
wirktich aus voller Bruft geftrömt und es ift ihm bei ber Ber: 
öffenttihung feiner erftien Sammlung, die jeßt bereits ein gro⸗ 
fes Publicum gefunden bat, nicht um Wefriedigung bed Ehr⸗ 
geizes zu thun gewefen. Die Verhättniffe, in die ber Zufall 
oder bie Vorſehung ihn geworfen hatte, haben feinen poetiſchen 
Drang nit nieberhatten können. Theodor Lebreton ift ein 
wahres Kind bes Bolks und hat alles Elend ber Entbehrung 
unb muͤhevoller Arbeit kennen gelernt. Schon in einem Alter 
von fieben Sahren mußte das arme Kind fih feinen Unterhalt 
erwerben und in der verpefteten Atmofphäre einer überfüllten 
Fabrik zwölf Stunden des Tags arbeiten. Aber ein unwider⸗ 
fehlicher Drang trieb ihn zur Wiſſenſchaft. Jede freie Stunde 
verwandte er auf feine Selbftbilbung, und als er, von mehren 
wohlmollenden Goͤnnern unterflügt, zum erften Mate mit einem 
Baͤndchen Gebtchte hervortrat, fühlten die Perfonen, die ihm 
die Mittel verfhafft hatten fih zu bilden, daß ihre Wohlthat 
nicht an einen Unmürbigen weggeworfen war. So arbeitete er 
5 allmälig aus feiner befchränften Lage hervor und hat jett 
an der berühmten Leber’fchen Bibliothek, die für die Stadtbi⸗ 
bliothet zu Rouen angefauft ift, einen müßigen Poften. Die 
neue Sammlung , die er voriges Jahr herausgegeben bat, 
iſt eine Frucht ber größern Muße, die diefer Pla ihm jest 
laͤßt. Man ftebt, baf es ihm um die Poefte Ernft ift, und man 
lernt im ihm einen Geift Tennen, der fidh in bie großen Schoͤ⸗ 


feinen Genofien das Wetter gemacht worden. Es warb ein 
neues Verfahren gegen ihn eingeleitet und er nach ſechs Wochen, 


ale ber Zauberei mitfchulbig, hingerichtet; die Ausfage bes 


Stabtrichters if} eine wahrhafte Mertwürbigkeit. 


pfungen Gottes verfentt und fich über den Sammer bed Lebens 
erhebt. Seine Mufe bat nichts Spielendes oder Taͤndelndes. 
In faſt allen feinen Liedern herrfcht ein frommer Ernſt und 
eine milde Melancholie, bie vielleicht zum Theil eine Folge ſei⸗ 
ner frühern gedrüdten Lage ifl. Ergreifend ift er, wo er ben 
Jammer ſchildert, ben er in feiner Jugend zu erdulden gehabt 
bat. Und leider muß man geftehen, daß die Klage, bie er über 
bas Elend ber arbeitenden Glaffen erhebt, nur zu wahr, IR. 





Notizen. 


„Self-devotion, or the history of Catherine Randolph” 
(3 Bde., London 1842) dürfte ſchon deshalb intereffiren, weit die 
Berfaflerin, Katherine Sampbeit, eine junge, fchöne Schot⸗ 
tin, diefelbe, von welcher die Literatur das vielgerühmte „The 
oniy daughter’ befigt, in den Tod ſchlafen gegangen iſt, ehe 
jenes ihr legte Werk unter die Preffe kam. Daher nennt der 
Zitel den Verfaſſer des „„Subaltern’ einen Herrn Gleig als Her: 
außgeber. Doc erſchoͤpft ſich damit nicht das Intereffe der No⸗ 
delle. Die Dichterin gehörte zu der guten Schule der Außen, 
ber Serrier und ber Brunton. Weil der Inhalt ihrer Erzaͤh⸗ 
lung dem einfachen häuslichen Leben entlehnt ift, findet er in 
ber Erfahrung jebed Lefers einen Widerflang, und der Knoten 
ift gefchict und forgfältig geknuͤpft und gefchürzt. 


Burns’ Shwefer. 
Der unter biefer Bezeichnung in Nr. 266 d. Bi. f. 1843 
gedachte, vom „Scottish journal’ ergangene Ruf zu Geldhuͤl⸗ 
fen für Burns’ nothleidende Schwefter ift nicht ohne Erfolg ges 
blieben. Laut der von demfelben Journal veröffentlidden Sub⸗ 
feriptionslifte beläuft fi die Sammlung auf etwas über 330 
Pf. St. Dazu bat Königin Victoria 90 Pf., das Übrige in 
England London und Liverpool, in Schottland Edinburg, Glas: 
gow und Anrfhire, und — Ehre den Schotten — Balifar in 
Nova Scotia (dies 35 Pf.) beigetragen. Der Herausgeber ber 
merkt, daß die gefammelte Summe vollkommen hinreiche, der 
alten Frau her comfort for life zu fihern. Alſo brauchen bie 
deutſchen Verehrer von Burns’ Liedern fich nicht zu beileuren. 





Bibliographie. 


Bechſtein, L., Philidor. Erzählung aus dem Reben eines 
Lanbgeifttichen. Gotha, Berlags: Comptoir. 8. 1Thlr. 15 Nter. 

Bibliothet der neueften und beften Romane ber englifchen 
Literatur, 117.— 119. Band, enthaltend Chamier's fämmtliche 
Werke, 13.— 15. Band: Leidenfhaft und Grundfag. 3 Theile. 
Braunfchweig, Bieweg u. Sohn. Gr. 16. 1 Thlr. 

— — 120. —122. Band, enthaltend Wilfon’s fämmt: 
liche Werte 4.— 6. Band: Der Müde Kreusfaprt. 3 Theile. 
Braunfchweig, Vieweg u. Sohn. Br. 16. 1Thlr. 

Binsbam, 3. E., Der Krieg mit China von feinem 
Sutftehen bis zum gegenwärtigen Augenblide. Nebft Schilde⸗ 
zungen ber Bitten und Gebräuche diefes merkwürdigen, bisher 
faſt noch unbelannten Landes. Nach dem Engliſchen von ®. 8. 
8. Petri. 2 Theile. Mit Umrißkarte der Küfte von Chino. 
Braunfchweig, Weftermann. 12. 3 Thlr. 

Bornemann sen, W, Gedichte in plattdeutfcher Mund⸗ 
art. te, von neuem gefichtete und vermehrte Ausgabe letzter 
Hand, mit humoriſtiſchen Federzeichnungen von T. Hofemann. 
Berlin, Gropius. Gr. 8. 1 Thir. 22%, Nor. 

Brandes, M., Gedichte. Manheim. Gr. 8. 15 Ner. 

Braun von Braunthal, Morgen, Tag und Nacht aus 
dem Leben eines Dichters, 2te vermehrte Auflage. Dresden, 
Sitig. Gr. 12 Nor. 

Byron, Manfred, ein dramatiſches Gedicht, Äberfegt von 
D. ©. Seemann. Berlin, Weide. Gr. 12. 10 Nar. 


124 


Shownig, 3., Paolo, eine venezianiſche Liebe. Aus ber 
neuern Zeit. Leipzig, Peter. Ki. 8. 1 pie. 

Szaylomwmskis ausgewählte Romane. Ater Band. Der 
Kofadengetman. — bearbeitet von 3 9. Jordan. I1fies 
Bändchen. Leipzig, Binder. or. 

Szilsty, ©. St., Fauſt. Ein dramatifches Gedicht. Halle, 
Heynemann. 8. Nar. 

Eberhard, F., Über die Benennung ber Deenfchenfohn, 
welche fi Jeſus im Neuen Teftamente beilegt. Ein Verſuch 
ger Erklärung derfeiben. Neubrandenburg, Brünslow. Gr. 8. 

N Kur. 
‘ Hundert Babetn, nah Afop und Lafontaine frei übers 
00 Bildern nad Grandville. Berlin, Weidle. 


Fir menich, 3. M., Germaniens Vötkerfiimmen. Samms 
lung der deutſchen Mundarten in Dichtungen, Sagen, Mährs 

„Volksliedern ꝛc. Iſte Lieferung. Berlin, Gchlefinger. 
— ſchmal 4. 15 Ngr. 

Die Frauenſchule. Ein Roman von dem Verfaſſer von „Die 
einzige Tochter”. Aus dem Engliſchen von W. A. Neumann. 
3 Theile. Braunſchweig, Leibrod. 8. 4 Thlr. 

Kriccius, K., Geſchichte des Krieges in den Jahren 1813 
und 1814. Mit befonderer Rüdfiht auf Oftpreußen und das 
Koͤnigsbergſche Landwehrbataillon. After Theil, bis nad ber 
Schlacht von Leipzig. Mit 5 Plänen auf einem Blatte. Als 
tenburg, Pierer. &r. 8. 3 Thlr. 

Fürft, J. Zur Würdigung eines Kuͤnſtlerausſpruchs über 
drei Gemaͤlde der Berliner Ausſtellung. Nebſt einem Aufruf 
zue GSmancipation. Berlin, Jonas. Gr. 8. 5 Nor. 

Gersdorf, Wilhelmine v., Frikler: Robert. Erzaͤh⸗ 


lung. Leipzig, Drobifh. 8. 22%, Nor. 

Grün, %., Gedichte. Ate vermehrte Auflage. Leipzig, 
Weibmann. Gr. 12. 2 Zhlr. 

Gruppe, D. F., Lehrfreiheit und Preßunfug, als Forts 
ſetzung der Schrift: Bruno Bauer und die afabemifche Lehrfreis 
heit. Berlin, Beſſer. Gr. 8. 15 Nor. 

Haufchild, E. F., Der Dom zu Coͤln. Gedicht in drei 
Hymnen, aus bewegter Bruft gefungen und jedem echten Deut: 
ſchen gewibmet. — Dresden, Priftewig bei Broßenhayn, Hermes 
dorf hinter Pirna, und Schweizermühle im Bielaergrunde bei 
Königstein im April, Mai, Juny und Juli 1842. Dresden. 
Gr. 4. Thir. und Thlr. 

Herzog, J. J., Das Leben Johannes Öfolampads und 
die Reformation der Kirche AT Bafel. 2 Bde. Bafel, Schweig⸗ 
baufer. Gr. 8. 2 Ihr. 22%. hir. 

Hölderlin, F., Gedichte. (Nebft Rebensumfländen bes 
Dichters und Bildniß) Stuttgart, Gotta. 16. 1Thlr. 20 Nor. 

Iſt die Suspenfion des Oberlehrers Witt zu Königsberg 
rechtlich begründet? Won einem ryeiniſchen Juriften. Xeipzig, 
Ginhorn. Gr. Ler.:8. TY, Nor. 

Kamptz, d., Altenmäßige Darftellung der Preugifchen Ge⸗ 
fegrevifion. Berlin, Dümmler. Gr. 1 Zhir. 10 Nor. 

Rebensbilder aus der weftlichen Hemifphäre. Vom Verfaffer 
des Legitimen, bes Virey, des Cajuͤtenbuchs von Süden und 
Norden. Ifter bis Iter Theil. — Auch u. d. T.: George Ho⸗ 
ward's Esq. Brautfahrt. — Ralph Doughby's Esq. Braut: 
fahrt. — Pflangerteben. Ifter Theil. 2te durchgefebene Aufs 
lage. Stuttgart, Megler. 8. Preis für 9 Theile 9%, Thir. 

Libuſſa. Jahrbuch für 1843. Herausgegeben von P. X. 
Kiar. ?ter Jahrgang. Nebft JStahlſtich und 3 tithographirs 
ten Anfihten. Prag, Salve. 16. 1 Zhir. 20 Nr. 

edbenftein, 9. v., Duräftug durch Italien. Reiſeſkiz⸗ 
Gotha, Verlags-Comptoir. 16. 1 Thlr. 

Lucas, C., Der Bettler von Amſterdam und die Söhne 
Acabemiat. Zwei Novellen. Berlin, Rubach. 8. 1 hir. 22”, Nor. 

Markulf der Eifenarm mit dem Rieſenſchwerte, oder der 

Zodtentang um Mitternaht im Schloſſe Engelhaus bei Karls 


zen. 


bad. Nach einer engliſchen und böhmtichen Volksſage bearbeitet 
von A. Seid, genannt 2. Dellaroſa. Mit 1 Stahl⸗ 
ſtiche. Wien, Bauer u. Dirnboͤck. 8. 25 Near. 

Moll, 8. B., Die gegenwärtige Roth der evangelifchen 
Kirche Preußens, deren Urſachen und die Mittel zu ihrer Ab⸗ 
huͤlfe. Paſewalk, Koͤhler. Gr. 8. 1, Thir. 

Neudecker, ©. G., Die chriſtliche Kirchengeſchichte der 
neueſten Zeit vom Prof. Dr. Riffel, oder das neueſte Schmaͤh⸗ 
libell auf Luther und die proteſtantiſche Kirche, wiſſenſchaftlich 
beleuchtet und widerlegt. Abgedruckt aus der Allgemeinen Kir⸗ 
chenzeitung. Darmſtadt, Lesle. 8. 22%, Rar. 

Rüdert, F., Saul und David, ein Drama ber heiligen 
Geſchichte. Erlangen, Heyder. Sr. 12. 1 Thlr. 15 Ror. 

Satori, 3., Katharina Howard, ober das Altarblatt im 
Kenfington. Eine hiſtoriſche Erzählung, 2 Theile. Danzig, 
Gerhard. 8. 3 Thlr. 15 Nor. 

Schadow, W., Ueber den Einfluss des Christenthums 
auf die bildende Kunst. Vorlesung gehalten am 30. Sept. 
1842 vor der General - Versammlung des Congres scientifi- 
que zu Strassburg. Düsseldorf, Buddeus. Gr. 8, 5 Ngr. 


et er, L., Rigilien. Guben, Berger. 8. 1 Zhir. 
Br. . 
j Sase H., Sſtreich im Sommer 1842. uͤlm, Gtettin. 
. er. 

sh irde, 3. ©. W., vermifchte Eleinere Schriften. UIſtes 
deft io eemifänte £ebensbefchreibungen. Chur, Grubenmann. 
. gr. 


Schulze, S. F., Überficht der Geſchichte des Großherzog: 
tbums Baden. Gotha, Glaͤſer. Gr. 12. 15 Nor. 

Shakſpere's, W., Schaufpiele, überfegt unb erläutert 
von A. Keller und M. Rapp. 1.— 5. Stüd. Gtuttgart, 
Metler. Gr. 16. A Stüd 6%, Nor. 

Gievers, 3. H., Kinder der Zeit. Gedichte. 
Frommann. Gr. 12. 15 Nor. 

Birt, €. H., Dr. Paul ber, der Schüler, Freund und 
Amtögenofle der Reformatoren. Sin Beitrag zur Gefchichte des 
Reformationszeitaltere. Mit XLIX Originalurfunden. Heidel⸗ 
berg, Winter. Gr. 8. 1Thir. 15 Nor. 

Spieß, A., Gedanken über die Einorbnung bes Turn: 
weſens in das Ganze der Vollserziehung. Bafel, Schweighau⸗ 
fr. &. 8. 71 Rgr. 

Spiphen. Rovellenkränge, herausgegeben von K. Riedel, 
Leipzig, Schred. Ki. 8. 1Thir. 

Das denkwürbige Ungluͤckks⸗Jahr 1842, eine forgfältige 
Darftellung aller in biefem Jahre vorgefommenen Denkwuͤrdig⸗ 
keiten und Ungluͤcksfaͤlle, nebft ſchließlich beigefügter Beſprechung 
über alle Verhaͤltniſſe. Nebſt Plan von Hamburg und Abbil 
dung der abgebrannten Gebäude. Leipzig, Pönide u. Sohn. 
Gr. 8. 20 Nor. 


Vechelde, ©. F. v., Aus bem Zagebuche des Generals 
Fr. 2. v. Wachholtz. Zur Geſchichte der früheren Zuftände der 
preußifchen Armee und befondere bed Kelbzuge des Herzogs 
Friedrich Wilhelm von WBraunfchweig : Deld im Sabre 1800. 
Braunſchweig, Vieweg u. Sohn. Gr. 8. 2 Thir. 

Vogel, E. F., Beiträge zur Geſchichte der Zunft: und 
Innungsverfaffung beim beutfchen Handwerksſtande. Iftes Deft: 
Hiſtoriſche Erläuterungen über den Urfprung und Kortgang bes 
Bunftwefens bei den Bäders Innungen in Deutfchland überhaupt 
und gi der Gtabt Leipzig insbefonbere. Leipzig, Gore. 8. 

gr. 

Zwinglis, H., Praktiſche Schriften. Zeitgemäße Aus⸗ 
wahl. Aus dem Altdeutſchen und Lateinifchen ins &chriftbeuts 
ſche überfest und mit ben nothwendigen pefhiähttichen Erlaͤute⸗ 
rungen verſehen von R Shriftoffel. Ites bis dtes und Ötes 
Bändchen. Züri, Meyer u. Zeller. Gr. 12. Preis für 6 
Bändchen 17%, hir. 


Jena, 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockkhaus. — Drud und Verlag von F. U. Brockhaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifbhe Unterhaltung. 





Rittwod, 





3: ur R a ab: ri Pr t. 
Bon dieſer Zeitſchrift erſcheint außer den Beilagen täglich eine Nummer und iſt ber Preis für den Jahrgang 


12 Zhlr. 


Alle Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Beſtellung darauf an; ebenfo alle Poftämter, 


die fih an die koͤnigl. fächlifche Zeitungserpebition in Leipzig oder das Fönigl. preußifche Grengpoftamt in 
Halle wenden. Die Verfendung findet in Wochenlieferungen und in Monatöheften ftatt. 





Über das Staatslexikon von KRotted 
und Welcker. 


Die „Blätter für literariſche Unterhaltung“ nehmen 

in der Megel auf encyklopaͤdiſche Werke Leine Rüdficht. 
Das „Staatslexikon“ fteht indeß in zu mannidhfadh eins 
greifenden Beziehungen zur Gegenwart, behauptet eine zu 
eigenthümliche Stellung felbft in der Zagsliteratur, ent: 
hält zu viele Artikel von Wichtigkeit für Wiſſenſchaft 

und Leben, als daß nit bei ihm eine Ausnahme ge⸗ 
macht werden dürfte, ja müßte. Es if in großen Krei⸗ 
fen mit Vorliebe aufgenommen, in einem großen Xheile 
Deutfchlands, hauptſaͤchlich aus äußern — die Anfichten, 
welche es vertritt, wenigftens theilmeife von vornherein 
techtfertigenden — Gründen wenig bekannt gemorden. 
Nicht felten üÜberficht die Blindheit der Vorliebe feine 
Schwächen und ebenfo oft wird es verfannt, gering: 
ſchaͤzig beurtheilt in der Blindheit der Unkunde. Unbe: 
dinge gelobt von den Anhängern des oberflächlichen und 
leidenſchaftlichen Liberalismus, dem Alles recht iſt, was 
irgendwie feinen Anſichten oder Worurtheilen engegen: 
kommt, und ebenfo unbedingt getadelt von den offenen 
oder heimlichen Gegnern jeder freiheitlihen Entmidelung, 
bat es Freunde, die ihm nicht zu neiden find, Feinde, Die 
für feinen Werth zeugen. Es vertritt eine der vornehm: 
ften politifhen Richtungen der Gegenwart, feine Heraus⸗ 
aber waren von Anbeginn feines Erſcheinens und fchon 

vor demfelben in al ihrem Thun Gegenſtaͤnde eifrigfter 

Anfeindung wie Belobung, fodaß natürlicherweife die Lei: 

denfhaft um fo mehr in das Urtheil auch über biefe 

ihre wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen und deren Ergebniffe 

und Erfolge ſich einmifchte. Indem es gilt, ihr und ih⸗ 
ver politiſchen Meinungsfreunde umfangreiches Werk zu 
befprechen, wird ed vor Allem darauf ankommen, folche 
Standpunkte zu gewinnen, bie es dem Lefer fo Leicht 
als möglich machen, fich felbft ein eigenes freies Urtheil, 
unabhängig von dem des Berichtenden, zu bilden, fo ent: 


ſchieden er das feinige auch ausfprechen, fo entfchieben er 
etwa felbft feine Überzeugung hinſichtlich der Fragen durch⸗ 
ſcheinen oder hervortreten laffen mag, um beren Erörterung 
der Inhalt des in Rede ſtehenden Werks fich dreht. 

Es iſt vollkommen richtig, gerecht und wahr foll ber 
Berichtende, Urtheilende, der politifche Schriftfteller fein, 
nicht parteiifh: das aber foll man nicht fodern, daß er 
auch parteienlos fei bei Tagsfragen, politifchen zumal. 
Die Zeit der überhochverfländigen Beurtheiler und Wil: 
fenfhaftsmänner ift vorüber, die ſich damit brüfteten, vole 
die Phrafe lautete, den Standpunkt über den Parteien 
zu nehmen, die fich Eurzfichtig wie felbftgefällig einbildeten 
es zu können, während fie blos außer den Parteien biies 
ben, zu rechter Kenntniß von feiner berfelben, zur Faͤhig⸗ 
keit nicht gelangten, die eine ober andere zu würdigen — 
und die, ohne baß fie es merkten und wollten, felbft 
eine, die der mitten in Leben Erſtatrten bildeten, ober 
vielmehr duch ihre nebulofe quafizolympifhe Theilnahm⸗ 
loſigkeit und Gleichguͤltigkeit eine der thätigen und ener⸗ 
gifchen verftärkten, die andere laͤhmten. Ihre Phrafe, the 
ganzes Reden und Gebahren ift auch oft nur Grimaſſe, 
Heuchelei, Fuchsrede und Fuchsmiene. Sie wollen bie 
Zahl Derjenigen möglichft verringern, die zum Nachdenken 
über das Öffentliche Wefen erwachen, anfangen, eine Mei: 
nung zu haben und zu fireben, der Überzeugung, für 
welche fie fidy entfchleden, Eingang zu verfchaffen, was 
im Grunde fon ebenfo viel ift als auf die freifinnige 
Seite treten. Im Übrigen fel ausdruͤcklich bemerkt, daß 
e6 allerdings cu ein unechted, unedles, verwerfliches 
Parteinchmen, das der vom fchlechten Parteigeifte Bes 
berrfchten gibt, die nady ber Reinheit ihrer Zwecke, ſowie 
der Mittel, diefelden zu erreichen, nicht fragen und dem 
Gegner weder Wahrheit noch Gerechtigkeit fchuldig zu 
fein glauben. Bon Solchen und deren Treiben iſt jedoch 
hiee überall nicht die Rede. Unſere Überfiugen aber — 
find fie ehrlih, fo fehen fie den Wald vor Bäumen nicht, 
fehen nicht, daß fie ſelbſt am Schlepptau einer Partei — ber 


126 


1) 


freiheitfeindlihen — gefuͤhrt werben, der Richtung und 
den Zwecken bderfelben ſich dienſtbar machen, indem fie, 
den Wuͤnſchen der eben genannten Partei gemäß, entwe⸗ 
der überhaupt nichts Beſtimmtes wollen und auch An: 
dere zu biefer Unvernunft und Schwäche vermögen, oder 
aber — hierdurch zugleih unmittelbar einer freilich fehr 
flüffigen Partei fih anſchließend — vom einen Gegenfape 
Dies, vom andern Das adoptiren und fo ihren Standpunft 
bei der Mitte nehmen, die als bie rechte Brüde gelten 
kann, ein wahres beutfches, Givilifation und Despotie in 
fi Yereinigendes Reich ber Mitte zu uns herüberzufüh: 
ten, das dur den Glanz der Berfeinerung des Lebens 
und Wiffens über den Sieden und die Faͤulniß der Dienft: 
barkeit, Unehre und innern Schwäche deſſelben, dusch den 
Schein ber Freiheit über deren Mangel täufcht. 

Man hat aber die Augen aufgethban; bie Zeit iſt 
vorüber, wo bie Bürger im Staat, die Bürger In der 
Gelehrten: Republik etwas galten, mit Hutabnehmen bes 
grüßt wurden, die mit verfchränkten Armen ſich hinſtel⸗ 
ien, zu fchauen, wie die Andern des Tages Laſt und Dige 
tragen, und den Arbeitenden und Kämpfenden mit weiſer 
Miene zurufen, den Singer an der Naſe nachrechnen, 
wie. felbige fi rühren, die Laft tragen müßten, ohne 


außer Faſſung zu kommen, welche Fehler fie in der Hitze 


begangen. Jedes Kind weiß ed nachgerade, daß Die 
Troͤpfe gar nichts davon verftehen können, well man es 
nur durch Mitmachen lernt, daß fie Tediglih im Wege 
fliehen und heimzumeifen find, glei dem mäßigen faulen 
Haufen, ber beim Feuerloͤſchen Maulaffen feil hat, Eluge 
Anweifungen gibt, .. Betrachtungen anftellt, weifen Tadel 
ausfpricht, die Thaͤtigen hindert und den Dieben das 
Handwerk erleichtert. Die wahren Gründe, weshalb viele 
unferer gelehrten Deren fo hoch in.die Lüfte fleigen, daß 
fie nur noch ſehr undeutlich fehen, was bier unten bei 
uns vorgeht, find theils im deutfchen Zopfe, theils und 
vielleicht ganz befonders in ber. Furcht zu fuhen. Wer 
eine felbftändige Anficht gewinnen und ausſprechen will, 
zumal im heftigen Streit der Anfichten, muß freien 
Geiſtes, muß mit Ruhe überlegen und wägen. Allein 
ber Geiſt ift kein freier, der Furcht, : Bedenklichkeiten, 
Rüdfihten auf fih einwirken läßt. Die echte, zum 
Pruͤfen und Urtheilgewinnen nöthige Ruhe {ft nicht die 
der Gleichguͤltigkeit, die nicht erfährt, wie es Andern zu 
Muth, vote es hHergeht im Gewühl, ſondern bie des 
Ernftes, ber ſich in die Dinge vertieft, der Wärme, die 
Luft daran hat, der männlihen Wahrheitsliebe, die mit 
dem Bewußtſein und der Kraft einhergeht, das Mechte, 
Probehaltige zu ſuchen, die Flecken felbft an der eigenen 
Sache, weil fie ihre fehaden, nicht zu ſchonen, mit falfcher 
Kunft, Lift, Lüge Niemanden zu Liebe, Niemanden zu 
£eide zu reden, reden zu wollen. Aus mohl überlegten 
Gründen fol man einer Sache, einer Meinung anhän: 
gen. Iſt es der Fall, fo vertraut man ber Güte, Ge: 
rechtigkeit, Wahrheit derfelden, und iſt man meiter weder 
Thor noch Kind, fo fieht man ihren Schwächen offen 
ins Auge und leugnet fie nicht. Wer nicht fo Partei 
genommen, beffen Urtheil, deffen Meinung und Rebe 


’ 


"und ruͤhmt fih ihrer mit Recht. 


bat und kann überhaupt keinen Werth haben; wer aber 
fo Partei genommen, deſſen Urtheil iſt allerdings nicht 
untruͤglich, nicht Gebot, aber gerade geeignet, zur Wahr: 
heitserfenntniß zu führen. 

Wir veden mit Denen nicht weiter, die ben Heraus: 
gebern und ihrem Werke das Parteinehmen an fich felbft 
zum Vorwurfe machen möchten und außer echtem Wahr: 
beitsfinne und Streben nor den Ergebniſſen audy bei 
diefen keine Entfhiedenheit dulden wollen, jeme fogenannte 
objective Ruhe, jene Haltung über den Parteien und 
Parteilämpfen fodern, die bier an dem Faden bins und 
herſchwankender Discuffion nur zu refultatlofen Ergebnif: 
fen, zu einer in. allen möglihen Karben fpielenden und 
keine haltenden Sammlung von allerwelts politifchen Bei: 
trägen geführt haben, wobei in jedem Kalle ein Opus 
berausgelommen fein würde, dergleihen da® ‚„Staatsleri- 
kon“ eben nicht fein wollte, ein Opus, das in den Kreis 
fen, für die ed beflimmt war, entweder nicht gelefen 
wäre, oder nicht hätte wirken koͤnnen, was «6 gerade 
wirken follte. Das „Staatslexikon“, die Herabwuͤrdigung 
der Staatswiffenfhaft zur Parteiſache verfhmähend, ift 
beſtimmt, die wiſſenſchaftlich begründete pofitifche Anſicht 
einer Partei zu vertreten, und behandelt in diefem Sinne 
allerdings feinen ganzen Stoff und zwar mit Bewußt⸗ 
fein parteinehmend, bringt nur folche Artikel, welche im 
Wefentlihen die politifhe Richtung der Herausgeber ein: 
halten, oder aber, deren Verf. dem Syſteme der conftitu: 
tionnellen Monarchie zugethan find. Das ift gerade eine 
feiner wefentlichften Eigenthuͤmlichkeiten und in diefer Ei: 
genthümlichkeit ein Vorzug. Die Partei, von welcher es 
ausgeht, hat entichiedene Anfidhten und Tendenzen. Da: 
duch wird diefer Vorzug ein noch größerer. 

Doch mir müflen, um feinen Charakter und feine 
Bedeutung genauer zu erkennen, die Perfönlichleit der 
Herausgeber, ihre politiihe Anfhauung, Plan und Be⸗ 
flimmung des Werks und was darauf bezüglich fein mag, 


‚näher ins Auge fallen. Was das Erſtere betrifft, fo 


würde die Anwendung der Regel: non quis, sed quid! 
bier ein Fehler fein. 

Deutfhland verdankt feiner Wiſſenſchaft und deren 
Nepräfentanten und Foͤrderern unleugbar Großes, freut : 
Allein es läuft auch 
gerade bei diefem Punkte viel leerer Dünkel mit unter; 
gerade bier Keen wir uns nur zu ſehr durch das Me— 
dium von Suufionen bei der Nafe führen. Nur zu 


‚lange fhon, feit den Zeiten des Verfalls und Sinkens 


der deutfchen Freiheit und Einheit und der damit ver⸗ 
bundenen Verlümmerung des Nationalgefühls und Na⸗ 


‚tionalfolges, wendeten fih nur zu viele Wiffenfchafte- 
- männer vom Leben hinweg, wurden kalt und gleichgültig 


gegen die nationalen Intereſſen und in Folge davon auch 
unbelannt mit denfelben. Dies Ungefchid, diefe Verir⸗ 
ung des deutſchen Ernſtes, Tiefſinns und Wahrheite: 
finns hieß dann: die Sachen rein wiſſenſchaftlich behan⸗ 
dein, allein die MWillenfhaft vor Augen haben — Die 
dann bald in eine oft feichte Gruͤndlichkeit, bald in Grü: 
belei ausartete, ein Abftractum wurde, womit dem gemei⸗ 


127 


un Weſen nichts gedient, das ihm oft fhablid war. 
Aber die Eitelkeit der Gelehrten that fich nicht wenig 
darauf zugurte, fie ließen ſich bei dieſer ſchwachen Seite faſſen, 
ſich nur zu oft direct gegen die nationalen Intereffen ge: 
brauchen. Natuͤrlich muß jede Macht, weiche ein fremdes 
oder eigenes Wolf gegen die Intereſſen defjelben beherrfchen 
wit, danach tradyten, den Nationalgeiſt fich unterwärfig 
zu machen. Mod mehr als von andern Voͤlkern gilt 
id von dem fo eminent zum Denken binneigenden 
Deutſchen, und die hoͤchſte Potenz bes Denkens iſt bie 
Bifimfchaft. So tft es denn das Intereffe folder Macht, 
daß die letztere dem Leben entfremdet werde, die auf das 
öffentliche Leben bezüglichen ragen entweder feitwärts 
iegen läßt oder fo behandelt, daß der Volksſinn dadurch 
verwirrt oder doch micht aufgeklärt, wo möglidy von ihnen 
hinweggelenkt wird. Boufländig erreicht die hertſchbegie⸗ 
tige Macht ihren Zweck, wenn fie erwirft, daß Die Doctrin 
in den Punkten, woran ihr gelegen, in ihrem Sinne 
ſich ausſpricht und fo das Volk gewinnt. Um dieſen 
Zweck zu erreichen, ſchmeichelt fie nicht felten den Gelehr⸗ 
ten, beruft, fördert, belebt fie, läßt ihnen Freiheit und 
Seibſtaͤndigkeit der Beiftesbewegung auf den Gebieten, 
wo dir freie Geiſtesbewegung ihr unnachtheilig zu fein 
f&eint, und zumal auf der Bahn, in melde fie zum eiges 
nen Nutzen hinelnlenkt, auf welcher fie ihnen wenigftend 
gern forthilft. Dann wird fie von den Repräfentanten 
der Wiffenfhaft gepriefen, fie liegen ihr zu Süßen, fie 
rühmen fie gar als Bönnerin der Wiffenfchaft, als Schüge: 
rin der Geiftesfreiheit, verzeihen ihr und lehren ihr alle 
Sanden verzeihen, die an fid) geeignet genug wären, bie 
Augen über fie und ihre Zwecke zu Öffnen. Daher ber 
häufige dienende Sinn und die Dienftbarkeit der deut⸗ 
ſchen Gelehrten, dies die Gefahr, die ſchlechte Seite un: 
ſerer Wiſſenſchaft, die nad der Reihe allen Feinden un 
feree Nationatintereffen zum Werkzeuge fich bergegeben 
dat. Sie diente der Hierarchie zur Stüge, fie gab fi 
ber, die deutſchen Rechtsideen und Anftitutionen zu vers 
wirren, zu untergraßen, bie undeutfchen Vorſtellungen 
von unwmfchräntter Fuͤrſtenmacht einzuführen, zu befeſti⸗ 
gm. Das Papſtthum fland ben deutſchen Intereſſen 
entgegen, machte jede Beſſerung unmoͤglich — deutſche 
Gelehrte haͤtten gar zu gern die Reformation verhindert, 
ſtelten ſich auf des Papſtthums Seite: denn welch ein 
Fitderer der Wiſſenſchaft war doch Leo X.! Deutfche Ges 
ſehrte priefen Ludwig XIV., leifteten feinen Planen gegen 
Deutſchland — meiſthin freilih, ohne etwas von benfel: 
ben zu merken — Vorſchub, denn wie ruhmwuͤrdig ver: 
ſammelte er Dichter und Schriftftellee um fi ber! 
Deutſche Gelehrte priefen Napoleon, erleichterten dadurch 
feine Invaſionen, befeftigten dadurch die Fremdherrſchaft 
mit ihrem Elende und ihrer Schande. : 

Wollt Ihr der DBeifpiele noch mehre, noch ausführs 
lihern Nachweis? Der Raum fehlt bier dazu. Aber 
freilich wäre es leider nöthig genug, daß diefe Schatten: 
feite mehr und mehr beleuchtet würde. Wir kennen un: 
fere Geſchichte noch gar wenig, haben fie vergeffen, haben 
erſt Bruchſtucke der echten, fie iſt durch und durch ver: 


faͤlſcht, muͤhſam wird das Erz der Wahrheit erſt wieder 
hervorgegraben, und wie lange wird es noch waͤhren, ehe 
ſo manche falſche, der Wahrheitserkenntniß entgegenſte⸗ 
hende Vorſtellung aus den Koͤpfen wieder entfernt iſt. 
Auch das iſt zum großen Theile die Schuld der deutſchen 
Gelehrten, jener Richtung der Wiſſenſchaft, auf melde 
fie häufig am meiſten ſtolz find. 

Das „Staatslexikon“ ift num aber aus ber entgegens 
gefegten Richtung hervorgegangen, welche die Wiſſenſchaft 
mit dem Leben in Verbindung zu fegen, im Wolle wirt: 
fam, den nationalen Intereffen förderlich zu machen trachtet, 
vorzugsreife die Staatswiſſenſchaft und was mit berfelben 
zufammenhängt. Leicht erflärt ſich hieraus die Ungunft, 
mit melcher es Seitens der zunftmäßigen und der bdienft: 
baren Gelehrten aufgenommen wurde, eine Ungunft, die 
fi) indeß weniger durch offene Angriffe ald durch vor= 
nehmes Ignoriren und bdergleihen kundgegeben hat. Zum 
großen Theile war es eben nur die Verkehrtheit, der 
Duͤnkel der Schulweifen, ber ſich ausfprah, wenn mies 
betiebig bemerkt wurde, ein folches Dereinziehen der Wil: 
fenfhaft in die Ragsfragen fei doch unwiſſenſchaftlich, 
wenn man [pötteln hörte über bie flaatögelehrten Bürger 
und Bauern, die das ‚„Staatsleriton’ bilde, oder wenn 
verlautete, man hätte body eine tiefere Begründung, eine 
vielfeitigere Behandiung gewuͤnſcht. Die praktifhe und 
beſtimmte Richtung des Werks und ber Derausgeber er: 
regte Verdruß. Die Lestern hätten etwas wollen und ge: 
ben follen, was fie gerade nicht wollten und geben wollten. 
Damit ja die politifche Weisheit und ſtaatswiſſenſchaft⸗ 
liche Bildung — fo viel deren in der Gelehrtenwelt vor: 
handen — monopolifirt biiebe, damit ja feine faßliche 
entfchiedene Anficht und Geſinnung in beflimmten größern, 
Kreifen fich feſtſehe, hätte man lieber ein Buch, nicht für : 
den Mittelftand, fondern für die Gelehrten, oder doch 
mindeftens eine Encyklopaͤdie gehabt, in welcher alle moͤg⸗ 
lichen Anfihten und Richtungen vertreten geweſen waͤren. 
Doc genug von diefen Anfprühen und zur Würdigung 
bes aus ihnen bervorgehenden Tadels. 

(Die Bortfegung folgt.) 


Biographia britannica literaria. 


Ein intereffantes Werk ift die von Thomas Wright herausge⸗ 
gebene „Biographia britannica literaria; or biography of literary 
characters of Great Britain and Ireland, arranged in chrono- 
logical order (Anglo - Saxon period)”. Die Biographien darin 
find leider etwas mager und troden ausgefallen, namentlich 
find die des Beda, Dunftan und Johannes Ecota mangelhaft, 
doch finden fi auch in diefem Theile des Werkes manche bans 
Eenswerthe Angaben. Wir theilen bier einen Diaiog zwiſchen 
Alcuin und feinem Zoͤglinge Pipin mit, aus St.⸗Preſt's 
„Bssays on tbe middie ages“ entnommen: 

. Was ift der Simmel? 

Eine bewegte Sphäre, eine unermeßlihe Wölbung. 
Was iſt Licht? 

Der Erleuchter aller Dinge. 

Was ift der Zag? 

Eine Auffoderung zur Arbeit. 

Was ift dic Sonne? 
Der Glanz des Univerfums, die Schönheit des Fir: 


RSRERERE 


128 


maments, die Bierbe der Ratur, bie Blorie te) Himmels, ber 
Vertheiler der Stunden. 

P. Was ift die Erde? 

% Die Mutter alles Werdens, die Ernaͤhrerin alles Bes 
ftebenden, der Fruchtſpeicher des Lebens, der Abgrund, welcher 
Alles verfäplingen muß. | 

. Was ift die Ser? 

A. Die Straße bes Beherzten, die Grenze der Erbe, bie 
für die Fluͤſſe beſtimmte Heimat, die Quelle des Regens. 

P. Was ift der Winter? 

4. Das Eril des Sommers. 

P. Was ift Lenz? 

A. Der Maler der Erbe. 

Y. Was tft Sommer? 

A. Die Kraft, welde bie Felder bekleidet und bie 
Fruͤchte reift. J 

P. Was iſt Herbſt? 

A. Der Kornboden des Jahres. 

P. Was iſt das Jahr? 

A. Der vierſpaͤnnige Wagen ber Welt. 

Sntereffanter als die Biographien find die literarhiftorifchen 
Skizzen. Hören wir, was der Verf. über die Sagen und (Epos 
pden der Angelfahhfen fagt: „Die Sagen ber Angelfachfen neh: 
men biftorify benfelben Play wie bie Iliade oder Ohyſſee ein. 
Ihre Gegenftände waren entweber ausſchließlich mythologiſchen 
Charakters, oder geichichtliche Thatſachen, weiche in ihrer Ubers 
lieferung von Zeitalter zu Zeitalter eine mythiſche Form annah⸗ 
men. Beomwulf z. B. ift wahrſcheinlich nicht viel mehr als eine 
fabelhafte Perſon, ein zweiten Hercules, welcher Ungeheuer von 
jeglicher Art vertilgt. Keine ſeibſtiſchen ober ſchwachen Gefühle 
kommen jemald mit feinem biberben Deroismus in Kampf. 
Muth, Freigebigkeit und Treue find feine Zugenden. Der 
Feige, der Knider, der Berräther werden, wo auch ihrer Ers 
wähnung geſchieht, mit den ftärkften Zeichen des Abſcheus ges 
brandmarft. Das ſchwaͤchere Befchleht nimmt zwar kaum an 
einer Handlung Theil, wird aber ‚mit ber dußerften Zartheit 
und Ehrfurcht behandelt. Die Verwidelung des Gedichts ift 
ebenfo einfady als kuͤhn. Unter den andern Sagen hat die von 
Finn die gegenfeitigen Beleidigungen zweier feindlichen Stämme 
zum Gegenftanbe, wie die gegenfeitigen Radyethaten, welche fo 
lange wiederholt werden, bie ber eine Stamm befiegt und des 
andern Stammes Knecht geworben. Hier und ba treten die 
Zrauen thätiger und Eräftiger hervor. So behandelt die Sage 
vom Offa die Verinählung eines Könige mit einer Waldnymphe 
und ben Haß, melden feine Mutter auf biefe warf, eine Sage, 
weiche ſich in den Balladen des 13. Jahrhunderts häufig. wies 
derbolt.” Der Verf. weift bei diefer Gelegenheit aud) auf das 
Gedicht der Nibelungen bin, worin zwei Koͤnigsfrauen eine fo 
bervortretende Roll fpielen. Diefe Dichtungen blieben auch 
fpäter nicht ohne Ginfluß; einige berfelben gingen in die Ge: 
ſchichte über, andere wurben mit Localtrabitionen vermifcht, 
noch andere arteten zu Kindermärdyen aus. „Als die Sachen”, 
fährt der Verf. fort, „fih immer mehr mit den Britanniern 
verfchmolgen und identificirten, wurben bie Erinnerungen an 
ihre Heimat immer weniger lebhaft, die bamit verbundenen 

ieferungen immer unbeflimmter; fie fingen an, den Sinn 
vieler alten Legenden zu vergeſſen, obgleich biefelben noch woͤrt⸗ 
Kid vom Water auf den Sohn übergingen. In Zeiten wie 
diejenigen, von mweldyen wir fprechen, ja mehr ober weniger zu 
allen Zeiten, verbindet der Volkegeiſt fletd die Traditionen mit 
irgend einem Gegenftande, weldyer immer vor Augen liegt, und 
fo wurden bie alten Sagen an neue Drte verlegt. Ein befons 
derer Stamm, welcher eine alte Legende mit fidy gebracht hatte, 
deren wirkliche Scene an ben Küften der Dftfee ſich befand, bes 
trachtete diefelbe, nachdem er einige Beit in England ſich nieder: 
gelaffen, als eine Sage, bie einzig und allein mit dem gegens 
wärtig von ihm bewohnten Orte in Verbindung flänbe, und voll: 
endete den Irrthum, indem er ben Namen feines Gtammess 


« 


beiden irgend einem Gegenftande in ber Nachbarſchaft als 
Stempel aufvrüdte. Go entflanden foldge Namen wie Urimesby 
in Eincoinfhire, Wade's Gaftte im Norben, welche ihre Ramen 
von Havelof’s vermeintlidden Pflegeſohn, biefes von einem Hei⸗ 
ben der Sachſen oder des Nordens empfingen, deren Legrude 
gegenwärtig verloren zu fein feheint, obgleich fie noch bis vor 
etwas mehr als zwei Jahrhunderten befannt war. &o wurde 
auch dic Legende von Weland nad Berkſhire verpflangt. Auf 
biefelbe Weife vermengte man die Ongeln ober Angeln, welche 
früher im Schleswigfchen faßen,, allmälig mit den Oftangeln in 
England, und fo wurde bie Sage vom Könige Offa, einem ber 
alten Angel: Bürften ober = Helden, durch den Geſchichtſchreiber 
Matthias Paris, in das Leben eines Offa, Königs der Angeln 
auf unferer Infel, umgebilbet. Durch einen aͤhnlichen Proceß 
feinen die neuen Sagen von Havelok, vom König Atia, weiche 
noch im Anglo: Rormännifchen und Lateinifchen vorhanden, aber 
in keinerlei Form edirt find, und vielleicht alle andern anglo- 
normännifchen Sagen entftanden zu fein, weiche ben Cyklus bil 
den, den man gewoͤhnlich in bie Periode der vaͤniſchen Inva⸗ 
fion verlegt.’ Gpäter, bemerkt der Verf. wurden diefe Sagen 
dadurch noch mehr verzerrt, daß man fie zu Kindererzählungen 
umgeftaltetes fo ſcheint ihm ber berühmte Jack der Ricfentödter, 
der in den Ammenmärden cine bedeutende Rolle fpielt und ein 
ſehr populairer Held ift, nichts Anderes als der große Gott 
Thor zu fein. 13. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Wir machen den franzöfifchen Reifenben, namentlich denen, 
bie uns befudyen, gewoͤhnlich den Borwurf, daß fie zu leicht: 
fertig find, un) doc laſſen unfere Weltfahrtler und ⸗Spazier⸗ 
gänger, was Geidhtigkeit und Fluͤchtigkeit betrifft, gewiß nody 
die federfertigen I. Ianin und Aler. Dumas hinter fidy, der, 
wie eö im „Charivari” heißt, jest von den Reimpressions des 
impressions de voyage lebt. So oft ein Franzoſe feine Wer 
tradhtungen über Deutfchland zum beften gibt, fo flöbern wir 
forgfättig auf, wo er einen Irrthum begangen bat, und reiben 
uns dann vergnügt die Hände. Gegenwärtig erhalten wir nun 
ein Werk, in dem unfere fdharffinnigen Krititer gewiß audy 
manche Flecken und Mängel nachweiſen werben, dem man aber 
den Bormurf der Leichtfertigkeit nicht wird machen fönnen. Es 
führt den Zitel: „L’Allemagne agricole, industrielle et poli- 
tique”. Der Verf. diefer intereffanten Schrift, Emil Jacques 
min, kennt Deutfchland aus eigener Anſchauung. Er bat es in 
den Jahren 1840— 42 bereift, und der „Moniteur universel‘* 
ſowie einige andere franzdfifche Journale haben zur Zeit einige 
Proben aus feinen Reifeeindrüden mitgetheilt, die nicht ohne 
Intereſſe waren. Wie der Titel fchon andeutet, wendet Jac⸗ 
quemin den Punkten, die dem flüchtig Neilenden gerade am 
leichteſten entgeken, namentlich den landwirthfdgaftlichen und ine 
duftriclien Fragen, bie für die Gegenwart eine fo hohe Bedeu⸗ 
tung haben, eine befondere Aufmerkfamkeit zu. Ramentlidh 
finden wie in feinem Werke ein fehr gluͤckliches Bild von den 
Bortichritten, welche die Agricultur in Deutfchland gemadht bat. 
Außerdem verdienen die Bemerkungen, die der Verf. über die 
Sommunicationswege, namentli über die Eifenbahnen und Ka⸗ 
näte macht, befondere Beachtung. 


Unter den zahlreichen franzoͤſiſchen Werken, die wir über 
die neuere Gerichte Frankreiche in d. Bi. erwähnt haben, ift 
uns die „Histoire de la revolution, du consulat, de l’empire, 
de la restauration et de la dynastie de juillet jusqu’en 1841 
von Vivien, ganz entgangen. Wir nehmen baher jest, wo der 
vierte und legte Band davon erfcheint, die Gelegenheit wahr, 
auf diefes empfehlenswerthe Wert aufmerffan zu machen. Vivien, 
der Deputicter ift und ſich durch eine Bearbeitung von W. Scott 
befannt gemacht hat, folgt ber Einie eines gemäßigten side: 


ralismus. 


Verantwortliger Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Berlag von 8. X. Brodhaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung, 





Donnerdtag, 


2. Bebruar 1843. 





.. 


über das Staatdlerifon von KRotted 
und Belder. 
(Bortfegung aud Pr. 22.) 


Die literarifche Thaͤtigkeit Rotteck's und Welderd — 
befondere die des Erſtern — war von Anfang eim lite: 
ratiſches Wirken für die nationalen Intereſſen, die gros 
fen Bedürfniſſe der Zeit, abhold dem vorgeblich ibealen 
Streben, das jede Wiſſenſchaft nur um ihrer. felbit willen 
treibt, auf die politifche Entwidelung des Volks gerich⸗ 
tet — eine große Sünde in den Augen unferer Weifen 


' ‚und darüber. Beide wurben aud praktiſch thätig für 


jene Entwidelung als Volksvertreter, und festen auch 
als folche ihre Perföntichkeit, ihre aͤußere Stellung für 
ihre Ideen ein: eine Hingebung, ein. Verdienſt, welchem 
Diejenigen freilih keinen Geſchmack abzugewinnen ver: 
mögen, welche die Willenfchaft fo treiben, daß fie nim⸗ 
mer in einen Conflict gerathen, durch welchen fie veran⸗ 
laßt oder genöthigt werden möchten, ihre Haut zu Markt 
zu tragen. Motte und Welder thaten, was nit Jes 
dermann gegeben ift, und welche Irrthuͤmer, welche Mis⸗ 
griffe man ihnen — gerade wie Politikern, Autoren und 
Staatemännern entgegengefegter Richtungen — mit Recht 
mag vormwerfen Eönnen: rein fteht ihre Wille, Streben, 
Charakter da; ihre Perföntichkeiten wurden ſtarke Bürg: 
fhaften für das „Staatslexikon“, als fie daffelbe nady Ihrer 
Amtsentfegung begannen, zum Dienſt des gemeinen Me: 
ſens nach ihrer Idee, anderweite literarifhe Plane, Lieb: 
Imgeplanne, zuruͤckſtellend, allerdings nicht vorzugsweife 
oder gar lediglich im Intereſſe der Wiffenfchaft, fondern 
im Intereffe des Lebens, der nichtſtudirten Volksabgeord⸗ 
neten, Waͤhler u. f. w. und — aud der fiudirten Der: 
ten, die fo oft in den Fragen des öffentlichen Rechts 
feinetwegd fonderlih zu Daufe find. Die Geſchichte ber 
Entficyung des ‚‚Staatsleriton’’ gehört zu den wefentlichen 
Zügen feines Charakterbildes. Die Gerechtigkeit fodert, 
daß er beim Sefammturtheile nicht uͤberſehen werde. 

As auf eine weitere Serechtigkeitsfoderung mag an 
dieſer Stelle fogleidy darauf Hingewiefen werben, daß 
man nicht aufer Acht lafjen dürfe, daß das Werk zur 
It der Blüte der Meactionsperiode des vorigen Jahr: 
zehnde entfland, gemwilfermaßen als ihr angehörend be: 
teachtet werden muß. Kin Wiederabbruc der bisher er: 


fchienenen Bande, mie er vor einiger Zeit angefangen 


iſt, genügte daher auch fhon aus diefem Grunde freilich 


nicht, ein Theil des Inhalts hätte ſchon eben deshalb 
ber Umarbeitung bedurft. Sodann iſt hier nicht zu vers 
gefen, daß das Opus ganz und gar dem, beiläufig, ſehr 
ehrenwerthen MWiderftande gegen jene Reaction eignet und 
alfo nur unter vielfach ungünfligen dußern Verhältniffen, 
unter großen Dinderniffen begonnen und fortgeführt wer⸗ 
den konnte. Mer Eennt fie nicht? Die Bücher und bie 
Zeitblätter werden freilich nicht beffer durch fie. Sie ber 
deden aber auch die Mängel, verbieten die Mäkelei an 
den Mängeln, die ihre Folge find. Es gibt Umſtaͤnde, 
unter welchen ſchon viel Liebe zu einer Sache und große 
Selbſtverleugnung bazu gehört, flatt Balt, furchtſam oder 
grollend zu ſchweigen, mit einem Buche hervorzutreten 
im vollen und gerechten Bewußtſein, e6 befier, weit befs 
fer maden zu können. Cine andere Frage ift die, ob 
es gerecht und klug war, jene Hinderniſſe zu bereiten. 
Wie müffen jedoch bie politifche Anſchauung, bei des 
ven Walten das Merk begonnen wurde, noch etwas ges 
nauer ind Auge fafien. Das darüber zu Bemerkende 
baben wir aus dem von Rotteck verfaßten Vorworte zu 
entnehmen. Rotteck's Anfichten find im Allgemeinen bes 
kannt genug. Es kommt bier nur in Betracht, wie er 
1834 über die Lage der dffentlihen Dinge dachte. Es 
war eine Zeit der Misverſtaͤndniſſe — wer wäre jegt 
nicht längft zu dieſer Erkenntniß gekommen? — die Zeit 
einer Reaction, bie fi) dafür ausgab, gegen eine auf Ums 
flurz finnende Partei gerichtet zu fein, jedenfalls aber Die 
freiheitliche Gefinnung mittraf, die auf geſetz⸗ und verfaſ⸗ 
fungemäßigem Wege nach einem mäßigen Ziele, dem Rechts⸗ 
ſtaate, der conftitutionnellen Monarchie, hinftrebte. Rotteck 
ſchaute die Dinge düfteren Blickes an. Er rechnete wenig auf 
die erwa zu hoffende Abfpannung der Federn, welche die Uns 
terdrüdungstendenz fo ſtark wirken ließen. Auf eine Ent> 
widelung, wie fie fpäterhin eingetreten, mochte er Beine 
Hoffnung fegen. In Preußen war noch fein XThrons 
wechfel eingetreten, in Franktreich fein Kriegelärm gemacht. 
Man konnte noch nicht an die Bedeutung, die Kolgen 
des Zollverbands denken, wie fie jegt vor Augen liegen. 
Niemand ahnte den Umſchwung, den wir feit ein paar 
Jahren erlebt haben, der doch nicht gering iſt, ob er auch 
überfchägt wird. In der Republit und dem Abfoluties 


J 


190 


mus, ber Unterdrüdung und Umwaͤlzung ſah er gleich 
großes Verberben. Es ſchien ihm, die unermeßlihe Mehr: 
zahl der Liberalen — die biöher treu am Spfleme der 
conftitutionnellen Monarchie gehangen, in ihr die fchönfte 
und zugleich gefahrlofefte Verwirklichung bes Ideals eines 
Wechtsſtaats erblicdt und den Sieg jenes Syſtems auch 
nad) oft erfahrenen bittern Taͤuſchungen und Fehlfchlagun: 
gen gehofft — habe jegt entweder bie Hoffnung aufge: 
geben oder fei nahe daran es zu thun, und zwar fo, daß 
der Streit, welcher früher blos um mehr oder weniger 
echte Darftellung der Repräfentativverfaffung unter mons 
archiſchem Haupte, blos um Fortſchritt oder Stillſtand 
geführt worden, nunmehr ein Wertilgungslampf zu wer⸗ 
den drohe, ein Kampf auf Leben und Tod zmifchen Thron 
und Sreiheit, Abfolutismus und Republik, Sultanismus 
und Demagegie. 

Bor fo troftlofer Ausficht, fo fchrediiicher Alternative, 
meinte er, müffe jeder Wohldenkende, jeder Freund des 
Baterlandes und der Menſchheit erfchredien, jeder fich 
aufgefodert fühlen, fo weit feine Kräfte reichten, dem Un: 
heil entgegenzutreten. Die ficherften Beſchwoͤrungsmittel 
des nahenden Sturms, die Mittel zur Derftellung bes 
innern Friedens fand er in der moͤglichſten Verdeutlichung 
des Mechts durch freie Diseuffion und in der möglichft 
Haren Anfhauung der wirklihen Weltlage.. Die Wohl 
gefiunten und Belonnenen auf beiden Selten würden 
doch annähernd darüber fich verfländigen Binnen, fie wuͤr⸗ 
den den Ausfchlag geben, fobald es geſchehen. Dort, auf 
jener Seite, könne die Reaction, der Abfolutismus, body 
nicht als ein Gutes an fich begehrt werden; bier auf 
dieſer muͤſſe man die Errichtung der Republik theils für 
unmoͤglich, theils wenigftens für hoͤchſt gefahrvoll und 
nur auf dem Wege eines gemwaltfamen Umflurzes gedenk⸗ 
bar, mithin vom Standpunkt des Rechts oder der Ge 
ſetzlichkeit als verwerflich erkennen (mas freilich auch von 
gewiffen Angriffen auf die conflitutionnellen Berfoffungen 
gilt). Auf abfolutiftifchere Seite könne man am leichte: 
fien durch die That beurfunden, mas man wolle, was 
von bort zu hoffen — durch Nechtsanerfennung und 
Gewährung, zumal durch Geflattung des freien Worte 
und der Öffentlichkeit, was bie Aufrichtigkeit der guten 
Sefinnung beweifen würde. Die Mohlgefinnten unter 
den Liberalen aber möchten entgegenfommend, unverhohlen 
und Mar ausfprechen, was fie verlangten, wuͤnſchten, fos 
derten, folche Foderung befchränken auf Dasjenige, was 
im Recht begruͤndet fei und ohne Rechts- und Volke: 
verachtung nicht verweigert werden könne. Durch Auf: 
ſtellung ſolcher Foderungen möchten fie ein politifches 
Glaubensbekenntniß verfünden oder ein Panier auffteden, 
um welches alle Gemäßigten und Leidenfchaftlofen unter 
ihnen fich fammeln könnten, und welches dann al& ver: 
derblich, als Thronumſturz, Ummälzung drohend zu er: 
klaͤren, um durch vorgegebene Furcht vor ſolchen Greueln 
die Reactionsmaßregeln zu rechtfertigen, nur noch die lei⸗ 
denſchaftlich und unheilbar Verblendeten der Reactions⸗ 
partei ferner den Muth haben wuͤrden. 

Aus dieſer Anſicht ging nun der Plan des „Staats: 


lexikon“ hervor, aus ihr ergeben fich feine Hauptzwecke 
von ſelbſt. Es folte die Grundfaͤtze, Richtungen und 
Intereſſen der conjlitutionnellen Monarchie, als der nach 
den Ergebniffen der Theorie und den vaterländifhen Ver⸗ 
hältniffen volkommenften Form des aatölebens, oder 
aber die billigen Friedensbedingungen zwiichen den beiden 
Lagern aufftellen und ohne Ruͤckhalt ausfpredyen, was 
bie mit dem Ramen der liberalen oder conftitutionnelfen 
bezeichnete, der dominicenden Richtung für ultraliberal, 
demagogifh, revolutionnair, und wie die Stichworte fonft 
hießen, geltende Partei eigentlich, wolle, wände, anfpreche, 
fodere. Sein zweiter Hauptzwed follte beftehen in mög- 
tichfler Verbreitung ober Allgemeinmachung Plarer, gefuns 
der, politifher Anfihten und Richtungen unter allen 
Claffen der Geſellſchaft, indem in Zeiten großer und tief 
gehender politifcher Parteiung nichts heilfamer fein koͤnne 


als die praktiſche Geltung des weifen Solonifchen Geſetzes, 


welches bei einheimifchen Entzweiungen jedem Bürger dfe 
Neutralität verbot, nichts wuͤnſchenswerther und nöthiger, 
als daß die Bürger zur Maren Erfenntnif von Dem ge- 
führt würden, was noth thue und wirklich in Frage ſtehe. 

Hieraus ergibt fih von felbft die eigentliche, dem 
„Staatsteriton‘’*beftimmte Stellung, feine Bedeutung in 
der Literatur, Der populaiten gehört und follte es ange- 
hören, der zum unmittelbaren Wirken auf das Volk in 
der politifhen Sphäre beftimmen. Das Organ einer 
politifhen Partei follte e& fein, von welcher es in ber 
Anſicht begonnen wurde, vor Allem fei daran gelegen, 
def die Ideen gepflanzt, gepflegt, verbreitet würden; im 
dem DBertrauen, daß jede Idee den Naturtrieb ihrer Ver 
wirklichung in ſich trage, daß die Idee des Mepräfentativ: 
ſtaats je nad der Geflalt der Zeit, den beutfchen Ber: 
haͤltniſſen, die Wahrheit enthalte und daher fiegen, zum 
vaterländifchen Beſten fiegen werde. Man könnte fagen, 
e8 war angelegt, dev große Katechismus ber deutſchen po= 
litiſchen Reformation des 19. Jahrhunderts zu werden, 
die in den conftitutionnellen Verfaſſungen bereits bin: 
dDucchgedrungen war, und erwägt man, daß Ddiefer Kate: 
hismus der Drganifation einer Gemeinde folgte, einer 
bereits vorhandenen, organifirten Gemeinde beftimmt war, 
mit andern Worten, daß das conflitutionnelle Syſtem des 
„Staatsleriton‘’ beim Beſtehen conftitutionneller Staats⸗ 
formen gerade die Theorie der Praris, Philoſophie des 
pofitiven Rechts iſt, fo wundert man ſich mit Recht über 
die unſagliche Gedankentofigkeit, die in dem Geſchrei, dem 


Geſchwaͤtze, dem widerfinnigen Zabel, den Einer dem 


Andern nachſpricht, ſich fundgibt, die Conſtitutionnellen, 
die füddeutfhen Staatstheoretiker fühen es darauf ab, 
die Abflractionen eines pubticiftifchen Syſtems in die 
Welt einzuführen, erblidten alles Heil allein in gewiffen 
individuellen Vorftelungen und Formen, während fie eben 
von der Anerkennung thatfählih und rechtlich beftehen: 
der Yorm und von dem Beſtreben ausgehen, Diefelbe 
durch den ihre angemeffenen eigenthümlidyen — den con: 
ftitutionnelien — Gelft lebendig zu machen. 

Gerade dies war die Aufgabe des „Staatslexikon“. 
Ein folhes Wert war überhaupt noch nicht dagewefen. 


Es kam einem fühlbaren Beduͤrfniſſe um fo mehr ent: 
ggen, mußte um fo bedeutfamer erſcheinen, da die Zei: 
tungen zum Schweigen verurtbeilt wurden und über: 
haupt bie Tendenz waltete, bie Werbreitung ber Ideen 
des politiſchen Fortſchritts, des conſtitutionnellen Geiſtes 
zu verhindern. Es war die außer der Gewalt befindliche 
Partei, die hier umd in einem Momente ihr Danier 
wipflanzte, wo fie von allen Seiten eingeengt, von fo 
Bieten geſchmaͤht, verdächtigt, wo fo manches Mittel in 
Wirkfamkeit gefept wurde, ihre Wollen und Streben in 
ein falſches Licht zu ſtellen, ihre Loſungsworte zu verdre: 
ben, zu misbeuten, wo fie von hundert und wieder. hun: 
dert bisherige Anhängern verlaffen zu werden, dem Er⸗ 
liegen nahe ſchien. Man wird nicht in Abtede ſtellen 
Sonnen, daß die Gründung eines ſolchen Werks in einem 
folhen Momente niht wenig Muth, Überzeugungsfiger: 
heit, Vertrauen in die Wahrheit und Güte ber Idee und 
der Sache, die verfochten werden follte, vorausgefegt babe. 
Es war eine Zeit, in welcher bie Philifterhaftigkelt, an 
der die Nation gekränkelt, in welcher ihr Gemeinweſen 
zu Grunde gegangen war, neue zahlreiche Vertreter fand, 
in welcher Paffiviedt für die erſte Bürgerpflicht erklärt, 
fo manches Mittel angewendet wurde, bie Maſſe der 
Nation in die politifhe Nichtigkeit zurücdzumwerfen, ein 
ausgebüdetes Einſchuchterungsſpoſtem regierte — und das 
„Staatölsgiten” wollte den Bürgern die Schlafmügen von 
den Ohren ziehen, fie fo recht ausdruͤcklich vom Leiſten 
befen und zu Dingen heranziehen, die doch der Beam: 
tenfchaft und des Policei allein zuſtehen ſollten. Als die 
nationalen und conflitutionnellen Ideen fo gut wie ges 
ächtet waren, begann es diefelben heftweife und gründlich 
unter die Leute zu bringen — heftweiſe, denn bie Zei: 
tungen verflummten im beften Falle über alle deutfche 
und freiheitlihe Dinge; gründlich ober vielmehr für den 
Zweck eigentlich zu gründlich, gelehrt und ausführlich. 
(Die Sortfekung folgt.) 





Beiträge zur Statifit der Öftreichifhen Monarchie. 

Seitdem von der oͤſtreichiſchen Staatsverwaltung weſentliche 
Erleichterungen in Beiſchaffung der Materialien zur genauen und 
veräßlicer: Behandlung der Statiſtik ber Öftreichifgen Staaten 
grwährt worden find, haben Männer von Fach und anerkannter 
TFuͤchtigkeit diefes feit Liechtenſtern faft veroͤdete Wiffenfchaftöge- 
Diet wieder betreten und pflegen es feither mit ſichtiichem Erfolg. 
Bon einigen bedeutenden Leiftungen haben befonders Dr. Siegfried 
Becher's Bevoͤlkerungs⸗ und Induſtrieſtatiſtik der oͤſtreichiſchen 
Meonacchie in Deutſchland Ruf und Geltung gewonnen. Aber 
een weit bie Angaben beiber Werte häufig als Grundlage für 
andere Forfchungen und als Ausgangspunfte zu verſchiedenarti⸗ 
gen Kombinationen benugt werben, heiſcht es das Intereſſe Des 
zer, weiche diefer fhänbaren Arbeiten ſich bedienen, daß fie auf 
die Abkandtung im YT. und 88. Bande ber wiener „Jahrbuͤcher 
der Riteratur‘‘ aufmertfam gemacht werden, welche, obgleich in 
der uneigentlichen Form einer Recenfion ber Becher'ſchen „Beavoͤl⸗ 
kerungsſtatiſtik“ gegeben, dieſen Segenſtand von vornherein neu 
und ferbftändig auffaßt. Verfaſſer dieſer Abhandlung iſt Hr. 
Karl von Graffen, und das Werhältniß, in weichem beide Lei⸗ 
fungen zueinander ftehen, if das der Grweiterung, Ergänzung 
und Berichtigung des Becher'ſchen Werks durch Sraffen’s Ar: 
keit. Als bauptfächliches Moment des Unterſchiede tritt bers 


181 


vor, baß Becher's Arbeit nur einen dreijaͤhrigen Zeitabſchnitt 
umfaßt, während Braffen’s Forſchungen ſich dr den Pr 
von 1819— 37 erfireden. Hier alfo find Maffen mit Maffen 
verglichen; der Mafftab iſt bedeutend größer und die Refultate 
mußten es folglich auch fein. ine Abweichung in der Form 
ber Behandiung beftcht zunoͤchſt zwifchen beiden Arbeiten darin, 
daß Becher die Größe der WBevöllerung zu Quadratmeilen ing 
Berhaͤltniß ftellt, während Graffen in einer Überſichtstabelle ber 
Provinzen das Vergleihungsmaß nach der probuctiven Boden⸗ 
fläche angenommen bat. Jener zieht ferner Ungarn und Sie⸗ 
benbürgen in ben Bereich feiner Unterfuchung, was ſehr zu bil: 
ligen wäre, wenn bie Danptangaben, worauf ber comparative 


. Theil der Behandlung fich flügt, nur einige Verlaͤßlichkeit böten. 


Diefer laͤßt beide Länder weg. Diefe beiden Beltanbtheit 
öftreichifchen Monarchie werben jedenfalls fo * von —* | 
fhen Arbeiten auögefchieden bleiben müflen, bis einft eine, durch 
die ungarifchen Reichsſtande eingeleitete, Volkszählung ftattfindet 
und Ungarn glich Dftreih ein ftatiftifches Inſtitut erhätt. 
Durch die Aufnahme der Militairgrenze hat dagegen Becher 
eine bei Graffen fich findende Lüde ausgefüllt, die dieſer aus 
Abgang von amtlichen Daren, wie er felbft jest, offen taffen 
mußte. Er behandelt daher 123, Becher aber 15 Provinzen oder 
begiehungsweife 14, mit einer die Debuctionen verbürgenden 
Sicherheit. Für die aus der Vergleihung entfpringenden Res 
faltate wird Graffen's Arbeit dadurch gewinnvoller, daß er mehr 
und ſehr geiſtreich rechnet, während Becher blos bie amtlichen 
en jufarımenftelit und in ben Nachmweifungen den Maß: 
ab von I un annimmt, wogegen Gra 

und 100,000 gebraudst. ers vaflen ben von 100 


Gegen Becher findet Sraffen, bag im Ganzen in 
Hauptfiädten der Provinzen mehr Ehen geſchloſſen —* 
auf dem Lande, was ſich auf ein Verhaͤltniß von 1 Ehe auf 
116 Stadt: und von 1 Ehe auf 124,2 Landbewohner, nad 
der mittlern Bevoͤlkerung von 1830 —40 ergibt; auch findet 
Letzterer als Regel, daß die beutfchen und gemifcht=deutfchen 
Provinzen bie wenigften Ehen haben. In Hinſicht auf bie 
Fruchtbarkeit der Shen nähern fi beide infoweit, als Be: 
her auf 100 Mädchen 106 Knaben, Graffen nach der Berech⸗ 
nung von 1830— 40, 106,4 Knaben ermittelt. Diefer berech⸗ 
net das Verhältniß der ehelichen zu den unebelichen Kindern 
nad ber mittiern Bevoͤlkerung von 1819 — 40 und gewinnt 
ungefähr baffelbe Refultat, welches Becher blos nach der Angabe 
eines einzigen Jahres, naͤmlich von 1837, aufſtellt. In Bbh⸗ 
men findet Graffen durch Vergleichung, nach einem fünfjährigen 
Durchſchnitte, daß ‚bei den deutſchen Bewohnern daſeibſt faſt 
noch einmal ſo viele uneheliche Kinder als bei den ſlawiſchen er⸗ 
zeugt werden, und ferner als Regel, daß von den bei ihm an⸗ 
gefuͤhrten ſechs Laͤndern, wo ſpaͤt geheirathet wird, immer fuͤnf 
reich an unehelichen Kindern find; blos Tirol macht eine Auss 
nahme. Diefes abermals in ber Vergleichung hinſichtlich der 
außerehelichen Kinder in ben Gebirgständern ald Ausnahme ſich 
bewährende Land mweggelaffen, zeigt fi, daß Steiermark in ber 
Menge unehelicher Geburten alle andern übertrifft. Gräg und 
Wien zufammen verglichen, ergibt ſich, daß dort ven 1832—35, 
ein Giebentel aller Kinder im Gebärhaufe, in Wien nur ein 
Sechzehntel geboren wurden. Zugleich ſtellt ſich als Gefeg ber: 
aus, daß die Dichtheit der Bevölkerung keinen Einfluß auf die 
unehelichen Geburten übt. Gleichfalls ſtellt ſich auch aus Graf 
fen s Gatcul das bekannte Geſetz für Oſtreich heraus, daß bie 
meiſten Geburten nicht dort vorkommen, wo die Ehen am frucht⸗ 
barſten ſind, ſondern wo deren am meiſten und wo zugleich die 
juͤngſten Ehen geſchloſſen werden. Beſonders bemerkt zu wer⸗ 
den verdient, daß die Abnahme der unehelichen Geburten, ebenſo 

ut wie bei den ehelichen, während der Cholerapericde von 
830 — 32 im Vergleiche zu den Jahren 1327— 29 ftattfant. 
Rach dem Vorbilde der ſaͤchſiſchen Tabellen gibt Graffen die 
Geburten auch nach Monaten, Sachſen und Öftreih dabei in 
Parallele ſtellend. Wichtig iſt die Berechnung und Compara⸗ 
tion uͤber die Todtgeborenen und uͤber die Sterblichkeit der 


188 


htter in den Öftreihiichen Gebaͤranftalten, für lettere flellt 


fih im Buchfänitte ‚33 Yrocmt, im wiener Gebärhaufe aber 
6 ent bar. 
ee onders aufmertfam müffen wir bie Pfleger der Gtatis 
fit auf den Abfchnitt über bie Mortalitätöverhältniffe machen, 
da zwilchen beiden Genannten biesfalld bedeutende Abweichungen 
Hattfinden und Graffen's Ergänzung und Berichtigung in die⸗ 
fen Punkte gute Dienfte thut. Als Regel zeigt ſich nach feiner 
Forſchung, daß in jenen Provinzen, wo ber Bollsunterrit am 
ansgebreitetften if, bie meiften Selbſtmorde vorfallen, und daß 
dagegen bort bie mwenigften ſich finden, wo die Anzahl der Geift: 
tichleit am größten if. Diefe Wahrnehmun hängt mit einer 
andern nicht minder wichtigen zufammen. Es ergibt fi naͤm⸗ 
lich aus der Wergleihung, daß in allen oſtreichiſchen Provinzen, 
wo der Schulbeſuch ſchwach und der Volksunterricht noch wenig 
fortgeſchritten it, zwar wenige Gelbftimorbe, bagegen Diele 
Morde und Zodtfläge vorfommen, während dieſe bei den Laͤn⸗ 
dern mit gutem Schulbeſuch fehr felten find. Zirol madıt in 
Beziehung auf ben Selbſtmord abermals eine merkwürdige Aus⸗ 
nahme. Hier zeigt fig der frequentefte Schulbeſuch (von 100 
ſchulfaͤhigen Kindern bejuchten von 1830 — 37 die Schul: 99,4) 
und der mindeſte Selbſtmord (auf 100,000 Einwohner im 2. 
183037: 1,61), dagegen finden ſich aber auch die größte An: 
zahl Geiſtliche daſelbſt (auf 100,000: 92,7). Wir nehmen nit 
den geringften Anſtand, zu behaupten, daß, wenn der Volksun⸗ 
terriht minder formell und dagegen im böhern Grade bie gei⸗ 
ftige Seite der Menfchen erfaffend wäre, bie obige Erſcheinung 
des Selbſtmordes bei der häufigften Schulfrequeng verſchwinden 
und in dem Maße, als der Unterricht beffer und volllommener 
werben, auf ein Minimum hinauslaufen würbe. 
Schaͤhbar find bei Becher die Angaben über bie @in= und 
Auswanderungen und über die verfchiedenen Kategorien und Bes 
ſchaͤftigungen der Bevoͤlkerung von 1834— 371. Gr und Grafs 
gehen in Betreff legterer nicht weiter als 1837, was bei 
3 ſeither geſchehenen Aufſchwung der Induſtrie gegenwaͤrtig 
zu bedeutenden Differenzen führen wurde. Den Schluß feiner 
Unterfuhung macht Graffen mit ber Beigabe einer allgemeinen 
Überfichtstabelle über die Bevölterungsverbältniffe der durchforſch⸗ 
ten 12 Provinzen der doſtreichiſchen Monarchie. In 62 Rubri⸗ 
ten kommen alle darauf bezuͤglichen Kragen zur Erledigung. 
Diefer Hauptausweis Läßt in keiner Beziehung etwas zu wüns 
ſchen übrig. 
Die zweite Abhandlung des Hrn. Graffen, bei ber wir es 
mit ihm allein zu thun haben, gewährt einen fehr willlommenen 
Beitrag zur Criminalſtatiſtik. Sie hanbelt bloß von den Ber: 
brechen und erſtreckt ſich wie bie frühere nur auf 12 Prodin⸗ 
zen, doch findet ſich auch ein befonderer Abfchnitt Über Ungarn 
beigegeben, weil dem Ref. dafür amtliche Angaben zu Gebote 
ſtanden. Wir bedauern, darin die Angaben ‚über die durd) das 
Standrecht zum Tode Gebradhten zu vermiffen. Wären auch 
dieſe den Angaben über die Verurtheilten zum Tode im ordent⸗ 
lichen Geridhtsverfahren beigegeben, fo würbe fi, ungeachtet 
der häufigen WBegnadigungen, eine ungleidy größere Zahl von 
Hingerichteten in Ungarn herausſtellen, als Graffen angeben 
gonnte. Er bezweifelt aber felbft noch die Richtigkeit ber amt: 
lichen Angabe über bei der Curia angebrachten Morbfälle, wor: 
aus fi} ergibt, wie fehr wir mit Ungarn in aller Bezichung 
im Dunkeln find. Über Siebenbürgen laͤßt ſich vollends gar 
nichts fagen. In den obengebadıten 12 Provinzen finden ſich 
von 1822— 40 605 Todesurtheile gefprochen. Davon mwurben 
405, alfo zwei Drittel burch Begnabigung aufgehoben. In die: 
fec Periode zeigt ſich, daß die Zodesurtheile überhaupt unb 
fchneller zunehmen als bie Bevölkerung. Die italienifche und 
deutfche Bevölkerung bat die meiften, bie flawifhe, Dalmatien 
ausgenommen, bie geringfte Zahl von Verbrechen. In Dalma⸗ 
tien uͤbertrifft das Verhaͤltniß der Inculpirten zur Bevoͤlkerung 
(1 Inquiſit auf 649 Einwohner) ſelbſt das von Gorfica, wo 
1833 doch erft auf 1396 Einwohner 1 Angeklagter kam. Ein 


anberer Grfabrungsiag der Forſchung ift, daß bei den Deutfcdhen 
bie wenigflen, bei ben Slawen und Stalienern bie meiften Loss 
fprechungen vorkommen, dann finden ſich ferner bei der ſlawi⸗ 
fen und deutſchen Vevoͤlkerung bie leichtern, bei den Stalimern 
die ſchwerſten Strafen angewandt. In Hinſicht auf die Pro» 
vingen erſcheint Kärnten als diejenige, wo bie geringfte Anzahl 
von Verbrechen vortommt, body ift eine Zunahme bemerkbar, 
auch macht dies Land eine Ausnahme bei der Wahrnehmung, 
dag in den oͤſtreichiſchen Ländern, wo bie meifte Zunahme bed . 
Schulbeſuchs flattgefunden hat, eine Abnahme der Verbrechen 
eintrat. Bei Dalmatien ergaben fi) von 1829—37 45 Pros 
cent Abnahme der Verbrechen; in Galizien nur 43, obgleich es 
weiter als jenes Sand vorgefchritten ift. 

Sin anderer Abfchnitt der Graffen’fchen Abhandlung ent⸗ 
hält die ſchweren SPoliceiübertretungen, benen eine intrreflante 
Ausführlichkeit gewidmet if. Es ift wohl begeichnend für ben 
Charakter des oͤſtreichiſchen Volle, daß der Hochverrath von 
1831 — 40 fi wie 1 zu 1,5 und die Theilnahme an geheimen 
Geſellſchaften im nämlichen Zeitraume, alſo nad) zehnjährigem 
Durdfchnitte zu 3 berausftellt, oder daß in letzterer Beziehung 
auf 100,000 @inwohner 0,01 tommt. 

Wenn es fidy nad) diefen Proben der Graffen’fchen Leiftu 
um Beflimmung ihres Gehalts im Ganzen handelt, fo laͤßt fü 
der Wahrheit gemäß davon fagen: es wird überall das Stre⸗ 
ben eines klaren durchgebildeten Geiftes fihtbar, die Exfcheinuns 
gen, die in ben Zahfenverhältniffen verborgen liegen, durch mans 
nichfache Operationen einer ſcharfen Urtheilskraft hervorzuheben 
und in ein ſolches Verhältniß gueinander zu bringen, baß fich 
das Gefeg, worauf fie beruhen, als deren unmittelbarer Ausfluß 
zutegt bem reflectirenden Geifte barftellt. Das iſt nun freilidy 
bie Aufgabe eines jeden Statiftiters, allein nicht alle töfen fie 
in dem Grade, wie es hier gefchehen if. Aus den Debuctionen 
des Hra. von Graffen ergeben ſich für dic politifche Geſetge⸗ 
bung und Abminiftration unmittelbar Normen des Verfahrens, 
und darauf kommt es bei der Behandlung biefer Wiffenfchaft 
eben an. " Matthias Kod., 





Literariſche Anzeige. 


Durch alle Buchhandlungen ift von F. SE. Brockhaus 
in Leipzig zu bejiehen: ' 
Anciennetäts-fiste 
des Dfficier-Corps der Königl. Preuß. Armee 
für das FJahr 1842. 
Entmworfen nad) den 
Ranglisten und Mlilitair - Wochenblättern 
von dem Oberlieutenant a. D. Mans feldt. 
®r. 8. Geh. 2 Thlr. 


Das Kriegerthum. 


Von einem Invaliden. 
2 Erster heil: 
Wahl und Büdung böherer Truppenführer. 
8. Geb. 1 Thlr. 5 Negr. 


Sechsundzwanzig Friedensiahre. 
„Bum Werke, das wie ernſt bereiten, 
Gehört ich wol ein ernſtes Abort.“ 


Gr. 8. Geh. 12 Nor. 


Werantwortliher Herausgeber: Heinrib Brodhaud — Drad und Merlag von F. U. Brodhbaus in Leipzig. 


j 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


Zreitag, 


3. Februar 1843. 





über das Staatslexikon von Kotted 
und Welder. 
(Sortfekung aus Nr. 33.) 


Die Repräfentativideen und - Inflitutionen, wie ſehr 
fie eingeengt wurben, der Erdruͤckung nahe ſchienen, bil: 


deten noch immer den großen Streitpunkt. Offenbar 
maren fie durchgebifdeter, wußte man fie mit mehr Ge: 
fhit und Gewandtheit anzugreifen in den conftitution: 
nellen Ländern, wo man ſich anhaltender und eifriger 
mit ihnen befchäftigt, Erfahrungen gefammelt hatte. Fehlte 
es auch hier der Auffafftung und Handhabung nicht an 


-aßer Cinfeitigkeit und Befangenheit, wie viel größer war 


erfi die Unkunde, die Verworrenheit ber Begriffe auf der 
andern Seite! So wurde denn der Streit mit — hier 
größerer, dort geringerer — jedenfalls mit ſehr unzutraͤg⸗ 
licher Nichtkenntniß oder doch Unklarheit geführt, und da 
war es nun in der That von nicht geringer Bedeutung, 
vor dem größern Publicum den Streitpunft in ein hei: 
les Licht zu fegen. 

Nicht unwefentlich Hat das ‚‚Staatsleriton”, das ſich 
diefe Aufgabe ftellte, wo es Eingang fand, zu ihrer Loͤ⸗ 
fang beigetragen und fih dadurch ein nicht geringes Der: 
dienft ermorben. Laͤßt es fich freilich bei einem fo um: 
fangreichen Werke und an welchen fo viele Verf. Theil 
haben, von vornherein nicht anders erwarten, als baß 
darin auch manches Verfehlte und Irrthuͤmliche mit un: 
terläuft, fo überwog doch das Brauchbare und — nach 
dem conflitutionnellien Standpunft — Wahre und Rich: 
tige beimeitem. Dit dem Übrigen mag die Rüdficht 
verföhnen, daß das Ganze die Theilnahme an ben Fra⸗ 
gen des öffentlihen Weſens wirklich unterhielt, nationale 
wand freiheitliche Sefinnung ftärkte umd verbreitete. Doc 
bietauf müffen wir noch einmal zuruͤckkommen. An die: 
fer Stelle mag nur noch auf eine unumftößliche That: 
ſache hingewiefen werden, welche gerade neuerdings erſt 
recht ins Licht getreten. Der Strom der Meinung wen; 
det ſich im preußiichen Staate wieder mehr und mehr 
nach dem Repräfentivfofieme hin, preußifche Schriftfteller 
bemächtigen fich tieber mehr und mehr der conflitution- 
nelen Ideen. Aber troß aller ihrer fonfligen hochge⸗ 
ruͤhmten Wiflenfchaft und Intelligenz, und fo vornehm 
fie theilweife — bewußt oder unbewußt im Dienfte der 


Ideen und Tendenzen bes Policei: und Beamtenſtaats, 
des Stabilismus, der Reaction — auf den füddentfchen 
Liberalismus herabfahen oder noch fehen: fie haben allers 
dings eine und die andere Schwaͤche an ihm entbedt, 
zeigen jedod, deutlich, daß fie ihn wenig, oft fo gut wie 
gar nicht kennen und ebenfo oft gründlich misverſtehen; 
gerade fie ergehen fih in Abdftractionen, in Unreifheiten, 
Unbeholfenheiten, Haftlofigkeiten, die man in ben Ländern 
conflitutionneller Ideen und Sinflitutionen laͤngſt durch⸗ 
gemacht, tummeln fi mit einem Worte auf einer Stufe 
herum, über welche der ſuͤddeutſche Liberalismus felbft der 
erften Hälfte des vorigen Jahrzehnds laͤngſt hinaus war. 
Wie viel Beweife einer furchtſamen, ſchwankenden, eng» 
bräftigen politifhen Gefinnung, die nichts weniger als 
Achtung und Vertrauen zu erweden geeignet ift, wie viel 
bandgreiflich falfche, unklare, halbwahre, ſchwankende, vers 
Schrte Befchuldigungen, Vorftellungen, Behauptungen und 
Vorfchläge in den von ihnen ausgehenden Schriften und 
Zeitungsartikeln würden geradehin unmöglich fein, wenn 
fie doch nur mit fo viel Ernft und Tuͤchtigkeit als die 
füddeutfchen Conftitutionnellen das Staatsrecht ftubirt und 
behandelt hätten, nur fo viel von ber conflitutionnellen 
Theorie, Praris, bisherigen Erfahrung wuͤßten — ale im 
„Staatslexikon“ ſteht, das jedenfalls nicht wenig beigetras 
gen, wo ihm Eingang geftattet voucde, jene Aufklärung 
und Sicherheit in den beutfchen Staats: und Geſchichts⸗ 
fragen und deren fchriftftellerifcher Behandlung zu fürs 
dern, die man neuerdings im Norden fo ſchmerzlich vers 
mißte, als jene größere Freiheit der Exdrterung einge: 
treten war, welche großentheils fo fchhlerhaft auftrat und 
doch — zum neuen Zeichen einer weit zurüdgebliebenen 
politifchen Bildung — wie ein Wunder angeftaunt wurbe. 
Je höher man daher in betreffender Beziehung Kunde 
und Geſchick bei dem Bürger, dem Schriftſteller anfchkägt, 
befto mehr wird man jede — ob auch zur Zeit ihres 
Eintretens noch fo natürliche und entfchuldbare — Maß: 
regel beklagen, die das eigene Fleiſch am meiſten verwun⸗ 
dete. Mag immerhin zugeſtanden werden, daß man da, 
wo man das „Staatslexikon“ nicht leſen durfte, Manches 
beffee mußte und weiß — man hätte dort auch Manches 
daraus fernen koͤnnen, und kann noch immer Manches 
baraus lernen. Diefes aber fol und kann man ohne 
eigenen Schaden und ohne fi) vor dem übrigen Deutfche 


land, wie es oft genug gefchieht, Lädyerlih und immer 
lächerlicher zu mächen, nicht zuruͤckweiſen, und was man 
irrig weiß, kann wenigſtens nicht ſchaͤdlich fein, nicht ver: 
führen, even weil man beſſer weiß. 


ine weitere Bemerkung reich fich ergeben, wenn wir 


noch: einmal auf den Plan, die Hauptzmede bes ‚Staats: 
lexikon“ zuruͤckblicken. Wenn von den herrſchenden Ideen 
der Periode der Verheißungen und Erwartungen ſo we⸗ 
nig zur Ausführung gelangte, fo geſtehen wir es nur, 
daß die Schuld weientlih an der Unreife und: der gerin⸗ 
gen Verbreitung der politifhen Bildung lag, bie freilich 
bätte gefördert, nicht zuruͤckgehalten werden follen. Was 
man wünfchte und wollte, fchwebte den Meiſten wie ein 
Mebelgebilde vor ben Augen; man mußte es nicht in bes 
flimmten Umriſſen plaſtiſch hervortretender Seftalt zu 
faffen. Im Einzelnen fehlte «6 oben wie unten nicht an 
guten brauchbaren Ideen, auch mol nicht fo fehr, als 
man lange annahm und behauptete, am guten Willen: 
für das Ganze und Große aber wußte Niemand Rath, 
und ducchweg waren die liberalen Anfichten fo verworren, 
fo unpraktiſch, daß wir jegt wol und mit Recht felbft 
darkber lächeln. Nur in ſehr engen Kreifen waren deut: 
liche conftitutionnelle Anfichten verbreitet, und wie wier 
und weit fuhren die Ideen aus: und durchelnander! Das 
her aber bezeichnet nun auch das „Staateleriton” nad) 
Plan unb Danptzweden, Ausführung und Erfolg einen 
nicht gering anzufchlagenden Kortfchritt, indem es docu⸗ 
mentirte, wie die Anfichten fich abgeklaͤrt, wie es den bes 
barclichen Conftitutionneflen gelungen war, die freifinnige 
Nichtung in ein feſtes wiſſenſchaftlich begruͤndetes Syſtem 
zu bringen, wie man nun liberalerſeits deutlich wußte 
und ſagen konnte, was man wollte, ein Panier aufzu⸗ 
pflanzen im Stande war, mit der Hoffnung, einen ges 
ſchloſſenen Haufen der Gleichgeſinnten bei demſelben zu 
fammeln — wie fehr der Kreis fi erweitert, in weichem 
conftitutionnelle Vorkenntniß und Empfaͤnglichkeit genug 
erwartet werden konnte, um die Aufnahme eines ſolchen 
und zwar mehrbaͤndigen Werks ihm zumuthen, voraus: 


fegen zu dürfen. Waren in und unmittelbar nach den 


VBefreiungslriegen bie liberalen Ideen zwar die herefchens 
den, bie Geſinnungen, Wünfche, Anſichten aber zu con: 
fus, zu fhemenhaft, zu unmeinig geweſen, als daß man 
überall eine beftimmte, die angemeflene Form für fie 
hätte finden, aus dem Innerlichen entfprechende taugliche 
Suftitutionen hätte fchaffen können, fo hatte fih nun 
1834, als fo Biele abtruͤnnig, Gegner, müde, irre gewor⸗ 
den waren, eine conftitutionnelle Partei mit feſten Geſichts⸗ 
pantten, Principien und Erfahrungen gebildet — und 
daraus ließ fi viel eher etwas machen. So erfcheint 
the Organ, das „Staatslexikon“, und deffen Dervortreten 
als ein. Document über das Zukunfthaben des conftitus 
tionnellen Syſtems, bildet jedenfalls in der Gefchichte des 
lestern einen bedeutfamen Abfchnitt, und wenn die große 
Verſchiedenheit feiner einzelnen Beſtandtheile, nicht bloe 
in Beziehung auf den Werth, fondern auch auf die 
Geiſtesrichtung, die gefchichtlichen und politifchen Anſich⸗ 
ten der Verf. derſelben, einerfeits nicht unerhebliche Be⸗ 


denken erregt, als eine Schwaͤche beffelben erſcheint, fo 
wirkte body anbererfeits eben das Zufammentreten Meh⸗ 
ver, da6 Sammeln von vielen, früherhin vereinzelt wir: 
Eenden publiciflifchen Thaͤtigkeiten, indem die Perfönlichs 
keiten und Richtengen ſich näßerten, entfcheibend auf die 
conſtitutionnelle Fortbildung. 

Es entſtehen hier jedoch ſogleich noch mehre Fragen. 
Dos „Staatsteriton‘‘ ſollte, als Organ der Partei der 
Conſtitutionnellen, die Gemuͤther für die Idee des Me: 
präfentatioftaate mehr und mehr gewinnen, die Bürger 
für denfelben bilden, feine Errichtung fördern, wo «6 daran 
noch fehlte, an feiner Grundlage mit bauen helfen; es 
bildet duch Das, was es anſtrebt und geleiſtet, einen be: 
deutfamen Abſchnitt in der Gefchichte des conftitutionnel= 
Im Syſtems. Darüber ſprachen wir uns oben aus, und 
es waͤre nunmehr bavon zu reden, tie das in Mebe fte 
bende Werk feinen Stoff behandie, wie es näher um bie 
Ausführung des Plans fiehe? Allein es drängen ſich 
zuvor noch Fragen auf, deren Erörterung nicht umgan⸗ 
gen werden kann. Oder wie könnte man — und noch 
dazu gerade im jegigen Moment — namentlich über bie 
Sage hinmweggehen: ift denn auch das Spitem ber Par- 
tel, die hier ihre Fahne aufpflanzt, iſt der Nepräfentativs 
flaat, den das fraglihe Werk emporbeingen fol, dem 
Rechte und den Zufländen der Nation angemeſſen? Iſt 
die conflitutionnele Monarchie mit verantwortlichen Mi⸗ 
niftern, Volkswahlen und Kammern, Steuerbewilligungs⸗ 
recht und Gefeggebungsinitiative der Stände, Öffentliche 
keit und Preßfreiheit, Schwurgerichten und ſelbſtaͤndigen 
ftädeifchen, Ländlichen, provinciellen, kirchlichen Gemeinden, 
Senoffenfhaften, Sorporationen — iſt die conftitutionnelle 
Monarchie und ihre Ausbildung, wie das „Staatslexikon“ 
fie befchreibt ‘und fodert, das erreichbare Ziel, wonach die 
Nation fireben follte, worin fie auf ber Seite des Gtaats= 
lebens Genüge finden würde, wenn fie es erreichte? Von 
ber Beantwortung dieſer Frage hänge die Würdigung 
bes Werks nicht allein, aber doch zum großen Theile ab. 
Wir müffen nun freilich fon aus Ruͤckſicht auf den 
uns bier geflatteten befchränkten Raum die Mechtfere 
tigung feiner Sache dem „Staatslexikon“ bauptfädlich 
felbft zumwelfen. Einige Andestungen biürfen jedoch nicht 
fehlen. 

Die conftitutionnelle Theorie iſt noch nicht vollendet 
zum Schluſſe gelommen; fie ift — und zwar gerade auch 
in dem fraglichen encyklopädifhen Werke eben erft in le: 
bendiger Fortbildung begriffen. Auch ihre entfchtedenften 
Anhänger geben fie nicht für etwas Fertiges ohne Män- 
gel aus. Doc auch infofern preißgegeben und nur auf: 
gefaßt nach ihren feſtſtehenden Lehrfägen, ihren weſent⸗ 
lien Ergebniffen: wie misgünftig, wie vornehm wird 
fie und werden ihre Anhänger noch immer angefeben 
und behandelt, und zwar nicht blos von abfolutifli« 
[her ober ariftofratifh = reactionnairer Seite her. Wir 
hören das Mepräfentativfpftem bald — gleich der deut: 
ſchen Inſtitution dee Schwurgerichte — undeutſch, fran- 
zoͤfiſch, bald unpraktiſch oder an ſich ſelbſt verderblich nen⸗ 
nen, bald als etwas Umngenügendes, etwas Vorüͤberge⸗ 


gergenes, vom dem nit mehr bie Rebe fein koͤme, bes 
ziheen. Die Gonflitutionnellen — unter Baun unb 
Acht ſtehen fie freilich wicht mehr, aber als eine verlorene 
Hartri ſollen fie: erfcheinen, ohne Wurzel in der Nation, 
ohne Jutereſſe für dieſelbe, weil die wahren National⸗ 
interefien verfäumend, ja benachtbeitigend, bie Form über 
die Sache erhebend. Wir möchten uns nicht gern Bril⸗ 
im auflegen laſſen, wollen bie Partei und ihre Sache 
dach etwas genaner darauf anfehen, wie es fich mit ih: 
um Geiſt und - Wollen und Herkonmen, ihrer wahren 
Bedeutung, ihrer Stellung in ber Gegenwart eigentlich 


kt. 

Das Staatäwefen Lubwig’s XIV. hatte Deutſchland 
erobert. Patrioten und Publiciiten — wir wollen unter 
fo vielen. nur an die Namen Moſer und Möfer, Schtö- 
ze u. f. w. erinnern — durchſchauten das Verderben, 
beuctheitten es ſcharf, ſahen die Folgen kommen, wielen 
darauf Hin, riefen dee Nation ihre Geſchichte ind Ger 
dachtniß zuruͤck, bildeten Begriffe aus, weiche theild aus 
der Philofophie, dem erwachten kritiſchen Verſtande fomol 
der Deutſchen als namentlih auch der Franzoſen und 
Engländer, theils aus dem aͤltern deſſern deutfchen Staats: 
weien und Volksthume, oder auch aus fremden, vorzüg> 
lich den fortgebitder altgermanifchen englifchen Inſtitutio⸗ 
wen hergenommen, die Grundlage ber heutigen conflitu: 
tionnellen Theorie wurden. In unb vor der Indafions⸗ 
yeit tamen bie bekannten — wohlzumerfen bie materiellen 
Juaterefien keineswegs verfchonenden, fondern vielmehr fo 
empfindlich wie möglich ſchaͤbigenden — Unglüdsfälle über 
die Deutſchen, in Kolge davon, daß fie ihre Verfaſſung 
hatten in Verfall gerathen, den Nationalfinn, die Natio: 
nalkroft hatten entfhwinden laſſen. Im Unglüd er: 
wachte ein befferer, der patriotifche Geiſt wieder, die Ur: 
fachen bes Verderbens wurden nunmehr allgemeiner und 
deutlicher erkannt. Geiſtig fortgefchritten und fittlich ges 
Eräftige, erhob fich die Nation in jenem Geiſte wider die 
Unterdräder und fäuberte da6 Land von ihnen in dem 
— bier ale Verheißung, dort als Erwartung fich geftals 
tenden — Gedanken, das Reich Tolle in erneuerter Ge: 
falt hergeftellt werden, die Nation nunmehr wiederum zu 
der Einheit und Freiheit gelangen, weiche Ziel und Zweck 
der Vereinigung der germanifchen Stämme zum Nationals 
und Reichsverbande geweſen, auf deren Wahrung in ans 
gemeffenenn Verhaͤltniß dem Zeugnis der Gefchichte zu: 
folge Bitbung und Gluͤck, Macht und Ehre der Deut: 
(hm beruht, mit deren Verluſte dies Alles zu Grunde 
gegangen, worin endlih-die Bürgfchaften enthalten gegen 
de Wiederkehr des Erlebten — Innere Zerrüttungen, Un: 
tetjochung, Demoralifation, geiftige und materielle Bank⸗ 
bruͤchigteit. Der franzöfifche moderne Policeis und Will⸗ 
ir: Staat, der die nationalen Snflitutionen mehr und 
mehr verdrängt, die Bureaukratie, die den Bürger mit 
einem Nichtigkeitegefuͤhle erfuͤllt, das Leine Buͤrgerkraft 
und Tugend aufkommen läßt, das geheime Staatsweſen, 
das ſich eingefchlihen, das Kaftens und Privilegienwefen, 
worin uefprünglich gute Einrichtungen ausgeartet waren, 
Me Ohnmacht und Verworrenheit bed Rechtszuſtandes, 


die untewuhrfige, fermbldudifcge, unbentfche Geſtäanung — 
ale diefe Quellen ber Verkommenheit follten zugeworfen 
werben, zu welchem Zwede eben die eigenthuͤmlichen Ideen 
und Inſtitutionen des aͤltern unverfälfchten beutfchen 
Staates wieder zu beleben waren, das gemeine Weſen 
Öffentlich, werden, das Volk duch erneuerte, wahre Ver: 
teetung zur Selbſtaͤndigkeit gelangen mußte. Biel und 
Aufgabe beftanden darin, den Rechtszuſtand je nach der 
Mechtsidee, dem deutichen Volkscharakter, dem dermatigeri 


Bedurfniß und Bildungszuftande, den vorhandenen Verhaͤlt⸗ 


niffen neu zu ordnen und zu fichern. Dit Einem Worte: bie 
Nation ſollte im Staate wieder mitwifien, mitteden und mit⸗ 
handeln. Darlber waren Alle einig in ber Begeiſterungs⸗, 
der Befreiungs:, der Erneuerungszeit. Nach den Ergeb: 
niffen des wiener Congreſſes war an Erneuerung des 
Reichs und der Einheit deffelben durch eine ſtarke Gen- 
tralgerwalt nicht mehr zu denken. Es handelte fi nur 
noch darum, die Freiheit der Nation neben der der Haͤup⸗ 
ter verfaffungemäßig zu ordnen, zu befefligen und zu: 
gleich die moͤglichſte Einheit, Einheit in einem andern 
Sinne, wie die Bundesverfaffung fie zuließ, zu begruͤn⸗ 
ben, mozu der Mittel und Wege noch manche vorlagen, 
wo nice in der Erridtung eines Meichegerichts, Repraͤ⸗ 
fentation des Volks am Bundestage, doch in Handels: 
einigung, Einigung über das Heerweſen u. f. w., zumal 
in Einigung über beſtimmte conflitutive Grundfäge, nach 
welchen das ermäßigte Ziel zu erſtreben ſei: eine Rechtes 
ordnung und in ihren Normen ein mitwiffendes, mitreden» 
bes, mithandelndes Volk in jedem Bundeslande. 

Auch zu einer folchen Einigung kam es nicht, vielmehr 
traten bald neue Zrennungen hervor; auch folche Prin⸗ 
cipien — von einem gefoderten fehr allgemeinen, nicht 
überall beachteten Minimum conflitutionnellee Nechte abs 
gefehen — wurden nicht aufgeftellt, und nun verfuchte . 
man jenes Biel bier fo, dort anders zu erreichen, es ents 
ftand Streit über die Ausführung der Idee; hier und 
da, in mehr als einem Moment, ließ man die Idee felbft 
fallen, ſtellte ein anderes Ziel auf, im Grunde ein mt: 
gegengefegtee. Eine Zeit lang hatte es den Anfchein, als 
ſolle Deutfchland ein Conglomerat despotiſch regierter 
Staaten werden, in beren aͤußern Verband und innere 
Drganifation aus dem ehevorigen verborbenen Reidyswe: 
fen nur manches in den modernen Policei⸗ und Beam: 
tenftaat Paflende aufgenommen bliebe oder würde, und 
eine Reihe von Erſcheinungen beutete auf das Wieder: 
erwachen der alten National: und Reichsmaͤngel und ⸗Ge⸗ 
bredhen in neuen Geftalten, fammt den bereit hervortre⸗ 
tenden und unfeligen Solgen bin. Der Gegenfag biieb nicht 
aus. Einmal bildete fih fogar wieder eine Stimmung, 
tauchten ſchwache Verſuche auf zu Gunften der Freiheits⸗ 
und Einheitsherfiellung in der Errichtung einer Republtik 
oder aber eines republitanifchen Kaiſerthums. Im Her: 
zen blieben weitaus die Meiften, oͤffentlich doch nicht We: 
nige, der Überzeugung treu, das Recht und Bebhcfnif 
der Nation erfodere mindeftens die Erreihung des ermaͤ⸗ 
ßigten Ziels eines mitthätigen Volks innerhalb eines je: 
den ber gefonderten ofen Theile des Bundesverbandes, 


136 


an welchen Punkt dann natuͤrlich und nothivendig das 
Hinftreben nach ber noch möglichen Einheit fi ans 

loß. 
" Dies Ziel nun mollten Einige durd das Medium 
der Repräfentativverfaffung erreichen, während Andere bie 
ſtaͤndiſche Vertretung für genügend ober für geeigneter 
hielten. Sie dachten babei gleihfall an eine wahre 
Volksvertretung, ein mitthätiges Volk, Leine unbillige 
Bevorzugung irgend eines Standes oder irgend weicher 
Intereſſen. Sie hielten nur dafür, daß die Derwirklis 
hung um fo meiter hinter ber Idee zuruͤckbliebe, je mehr 
fie mit Formen, analog denen ber franzöfifchen Inſtitu⸗ 
tionen, verfucht werde. Aber freilich haben fie bei allem 
Zabel der fremden und der deutſchen SRepräfentativ: 
. verfaffungen und des an biefelben ſich anlehnenden, ob- 
wol, wegen ihrer Mängel, bei ihnen nicht flchen bleiben: 
den Spitems der conftitutionnellen Monarchie weder eine 
der Idee ebenfo nahe kommende DVerfaffung zur Exfchei: 
nung zu bringen, noch eine in Betracht kommende Theo: 
rie aus ber Idee zu entwiden und aufzuftellen ver: 
mocht, was auch fehr natürlih war. Denn — ein gro: 
ßes Geheimniß, Hört! — die Verſchiedenheit zwifchen bem 
wohl und ehrlich verftandenen ftändifhen und dem Re⸗ 
präfentativfpfteme ift — gar nicht vorhanden. Die das 
flänbdifche begehrten, hatten nur eine Ausführung dee ges 
meinfamen Idee im Sinne, in weldye die Conſtitution⸗ 
nellen am Ende recht gern einwilligen würden und jeden= 
falls ohne Inconfequenz einwilligen tönnten, fobald bie 
ehrlichen Freunde der ftändifchen Vertretung nur klar und 
confequent fein wollten. Die ehrlichen! denn es gab auch 
Andere, die bei dem ftändifchen Spfleme, das fie foderten 
oder auszubilden verfuchten, nichts mehr und nichts mins 
der als entweder das verlappte alte Reichsweſen, das 
corrumpirte, allenfalld ein wenig modern zugeftugte und 
natürlich einigermaßen abgefüßte, ihnen im roſigen Kichte 
erfcheinende alte Reiches oder Verfaffungswelen, fo weit 
feine Herſtellung noch möglich, oder Lediglich den ganz 
unmefentlid temperirten Policei⸗ und Beamtenflaat im 
Sinne hatten. Mit andern Worten, fie wollten ober 
wollen entweder etwas fdhlechtsdeutfches ober etwas un: 
deutſches, entweder vorzugsmweife Vertretung und damit 


ungerechte Erhebung gewiſſer Stände, Claſſen oder In⸗ 


tereffen, und alfo Verachtung des Volks, der Rechtsidee 
und feine Nation, Bein gemeines Recht, keinen Gemein: 
finn — die Ausartung ber altdeutfchen Inſtitutionen mit 
deren Folgen — oder das Zremdländifhe, das aus der 
Monarchie Ludwig's XIV. Herübergefommene , in jebem 
Falle etwas den Ideen der Periode der: Selbfterfenntniß, 
der beſſern Einficht, der guten Vorfäge; der Ermannung, 
ber Mationalerhebung und beginnenden Erneuerung mehr 
oder minder Entgegengeſetztes. Den: Abfolutismus wollte 
und will Niemand — wenigftiens nicht offen. Regierungss 
beſchraͤnkungen wollte man audy da, wo man bie fländi: 
ſche Vertretung in Theorie und Praris vorzog. Allein 
man wollte fie. principlos, nad dem Gefühle, nach indi: 


viduellem Ermeflen, unb mußte daher nothwendig ſchwan⸗ 
ten; was man fchuf, entbehrte, trot allen Berufungen 
auf die Hiftorifche Grundlage, die gerade da geſucht wurde, 
wo fein feſter und rechter Grund war, ber innern Gründe 
bes Beſtehens, von allen Seiten fah man ſich fchließlich 
in Verlegenheit. Wie fehen die Freunde diefer Richtung 
rath⸗ und haltlos in einem verwafchenen, ohnmächtigen, 
nur bie Unruhe unterhaltenden Juſtemilieu fich bewegen, 
in einem unfeligen Dämmen und Schwanken, während 
vor Allem Klarheit und Sicherheit des Blicks und Ziele 
noththut, insbefondere dann, wenn man den Anſpruch 
de6 Vortritts, des Vorangehens erhebt. 

Wohl oder übel muß eingeftanden werden, die Con: 
 *utionnellen find aHein die Gonfequenten geweſen, fie 
allein haben es zur Durchbildung, zue Klarheit gebracht, 
zu einem allgemein⸗verſtaͤndlichen Lofungsworte, zu einem 
beflimmten Wiſſen, was fie wollen, einer ſcharfen Aus: 
prägung und wiſſenſchaftlich abgerundeten Darftellung ib: 
ver Ideen; einer Darftellung, wie fie nun eben im 
„Staatsleriton” hervorteitt. 

(Die Bortfegung folgt.) 





Literarifhe Notizen aus Frankreid. 


Wenn einmal ein Roman oder ein Schaufpiel in Krank: 
rei) en vogue ift, fo wird man gleich bei jedem Schritte daran 
erinnert. Richt nur daß alle Welt bavon redet, fondern Stoffe, 
Schiffe u. ſ. w. werden gleih mit dem Namen der Haupthei: 
den getauft. Man follte meinen, daß das SIntereffe, weiches 
die Menge an ben bervorragenden Erfcheinungen der Literatur 
nimmt, in Frankreich viel größer als bei uns fei. So fehen 
wir drei ober vier Schiffe, die nach ben Hauptfiguren des neues 
ſten Romans von Arlincourt benannt find. Geitbem „Mathilde‘ 
von Sue fo großes Auffehen erregt, haben wir gleich brei oder 
vier neue Mobeläden gezählt, die diefen Namen auf ihr Schild 
gelegt haben. Der neuefte Roman beffelben Gchriftftellers 
(‚‚Les mysteres de Paris‘) macht des pitanten Gaunerjargons 
wegen, in dem ed zum Theil gefchrieben ift, viel von ſich reden. 
Sogleich erfcheinen Romanzen von der „Goualeuse” (lisez: 
chanteuse), bie eine Hauptrolle barin fpielt, und bie Bezeich⸗ 
nung „les mysteres de Paris” {ft ſchon ſpruͤchwoͤrtlich gewor⸗ 
ben. Diefer außerordentliche Erfolg, den wir ficher nicht dem 
poetifhen Werthe dieſes Romans zufchreiben koͤnnen, fobert nas 
türlih die Garicatur heraus, &o finden wir denn auch bereits 
in bem geiftreihen „Musde Philippon“ einige Nummern mit 
koͤſtlichen Zerrbiidern und pifanten Witzen unter dem Zitel: 
„Paris devoilö ou les mysteres sus”. Aud „Mathilde hat 
Stoff zu unzähligen Wigen gegeben. &o wird namentlich im 
Theätre du palais royal eine febr gute Parodie von dieſem 
Stüde, dad ganz Paris in Bewegung gefest hat, zum großen 
Subel der Menge aufgeführt. 


Es erſcheinen gegenwärtig von zwei wichtigen politifchen 
Werken der englifchen Literatur, die beide Längft berühmt find, ſehr 
werthoolle franzdfifhe Bearbeitungen. Es ift dies erſtens 
ber Verſuch über das Princip der Bevölkerung von Malthus, 
das von Prevoft überfegt ift, und dann bie Unterfuchungen über 
den Grund und die Urfachen bes Nationalreihthums von Adam 
Smith. Die Bearbeitung des legtern Werkes, die von dem bes 
kannten Nationaldlonomen Blanqui herrührt, wird befonbers 
um der Einleitung willen, in ber Bianqui das Leben und die 
Werke Smith’s befpricht, recht intereffant werben. 2. 


Verantwortlicher Derausgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brodhauß in Leipzig. 








IfOE Unterhaltung, 


3) 
































Sonwabend, 












bebürfnifje und Intereffen über dem Streit geifliger Ges 
‚genfäge, dem Wühlen und Kämpfen um Principien. , 

, Aber wie vergeblich hat fi das Mepräfentativfgften 
erwiefen, wie bitter getäufcht — wo find feine Fruͤchte — 
Uns daͤucht, wir hören diefe Einwärfe, den Refrain vie 
lee Stimmen, naddem wir darauf hingewieſen, tie. die 
Sage der Conſtitutionnellen — deren umfaffendftes liter 
rariſches Organ das „Staatslerikon”” — wie das Repraͤſen⸗ 
tativfpftem nichts Anderes fei als das deutſche Spftem, 
das deutſche Staatewefen, der Inbegriff der durchgebil⸗ 
detſten politiſchen Ideen unſerer, beſten Periode ſeit drei 
Jahrhunderten. Wir haben zur’ Antwort drei’ Fragen, 
Watrum lenkt man, und zwat gerade ‚zu einer Zeit, 
ie die Nation einmal tieder ernftlih erinnerte, fih In 
Verfaſſung zu feben, wo es Mlarer hervorgetzeten, was 
noth — in einer Zeit eines neuen Auffhwungs' und 
welche durch diefen und in ihm der der Selbfterfenntniß, 
der nationalen Gefinnung, der guten Vorfäge und hoff» 
nungsreichen Anfänge aͤhnlich iſt — watum lenkt man, 
ſodald die Bahn des Fortſchritts wieder geöffnet erfcheint, 
| Wieder ein zum conflitutionnellen Syſtem, oder body zu 
Gedanken, Planen, Vorbereitungen, Geftaltungen, Sa 
tutionen, die daſſelbe nothwendig nach ſich ziehen, und 
dies auch „wollen oder gar Feinen 

Preffe, Aſſociationen, ffentlichkei 

find eben weiter nichts ald Reime, ! 

teile des Reptaͤſentativſtaats, ber 

. den Beamtenftaate ſich bilder. M 

‚Exeife der Gonflitutionnellen überhauı 

‚Insbefondere,, mancher, Itrthum 1 

vorhandene politifche Weicheit en 

andete und ‚befjere Begründung w 

"im Ganzen genommen iſt er es miı 

‚ten. ausgeführten, angerogmdeten coı 

'ju welchem man zurüdkehrt, an x 

ahl hleßt, mag , «6, "eingeftanden: 

rum? Offendär weit man nicht 

iöften® nicht geltend zu madhen x 

ilbet Mligern Rath geben, zu koͤnn 

eitee vorgedrungen zu fein, U. z 
„Sodahn,, wie hätte denn daa’ Kepräfenthtipfpften, in 
ecffen ‚ Anfängen.” und "gelihmt a, Teinen weſ ·ntlchſten 
Ledbensotganen, Da; “ fen Fönnen, was ydes Eyſtem 


rs —8 Pe ll 
Über das Staatslerikon von Rotted 
2 nn amd Melden: . 

- (Wortfgleng ou Reit: 

Und wer find fie nun, diefp Gonflitutionnelten? Welche 
Parteiftellung nehmen fle ein? Die den Ideen und Ger 
finnungen ber Periode des Selbfterkenntniß, Nationalerhe; 
dung und beginnenden Erneuerung Zreugebliebenen find fie, 
bie jene Ideen am Elarfien und umfaſſendſten durcbildeten, 
bie wit großer Arbeit und Behartlichkeit, auch nicht ohne 
"einiges Gluͤck und jedenfalls yicht unbewähre, nah dem 

Zieie jener Periode hinfkrebten, daß die gefammte Nation 
als das Biel ihres Wollens proclqmirt, da fie zum legten, 
Male vollommen einig geweſen. Ihte Partei umfaßt, 
‚ einen bedeutenden, wo nicht den größten Theil der geſin⸗ 
"nungsfeften, aber theoretifch .fortgelgrittenen Patrioten 
..jener Zeit; die conſtitutionnelle Throrie iſt die gereiftefte 
unter den Entwidelungen der Jdern vom Jahre 1813, 
und. das conftitutionnelle Syſtem, fo gefaßt, daß es alle 
Fractianen der wahrhaft, conftitutionned Gefinnten, auch 
die Anhänger des ſtaͤndiſchen Soſtems, das nad dem 
‚Crgebniffe eines mithandelnben Volks hinſtrebt, in ſich 
foließt, it allein der wohlverffandenen hiſtotiſchen Ent- 
mwidelung und dem Redite gemäß. Das feudal. ſtaͤndiſche 
Weſen, das ausgelebte Staͤndethum, wie es in des legten 
Periode des Reicht und Reichsverfalls beftand, iſt eben; 
von der Geſchichte für sadt erklärt. Die, Erperimente, die, 
wir erlebt, es zu reſtautiren, haben zu allem Überftüß, 
die Vollgültigkeit diefer. Todesetklaͤrung dargethan. Weder 
die Repuͤblik noch der Abſolutismus kann ohne Rec 
verletzung, Gewalt und Zerxüttung in Dentfhlanb e 
geführt werden; ed tiege „ber Natur der Verhaͤltni 
aac auf der. Hand, die Verſuche im Cinzelnen, melde: 
gemahıt worden, fügen das Zeugniß dei Erfahrung hinzu. 
Auch, das hat ſich als unheilſam erwieſen, daß sin Theil‘ 
„ber Bundesſtaaten dem „Repräfentatiofpfenge, ein anderecı 
„dem fländifhen, den geheimen Beamtenſtaat nur timpepis 
‚senden huldigte, wodei keins zux .sechten "Gntwidefühg 
und Sicherheit KA fon! Hemmungen und Rı 
„bungen unvermeidlich waren „und die Folgen nit ai 
bleiben fonnten, will Jagen die alten Saiben, Mistrauen, 
Spaltungen, Tinkehifihei,. Rafhiofpfeit, Shioäce, 
Berpaglaffigung det Oyingendffen und, wictigften Nätiena, 


















12120 177 
nur in feiner Vollendung leiſten kann? Man koͤnnte fas, | durch jene und dieſen Getaͤuſchten, ihnen Nachfprechen- 
gen: es hat bei uns nicht getäufcht und konnte nicht täufchen;- |; den; weiter das überfiuge Juſtemillen, das nicht weiß, 
weil wie es in —* noch I aK — a. a 40 und F darin einig iſt, alles Klare und 
einmal bie n wir g gehabt. qꝛ ntfchiedene en, endlich der el 

e Mugel Ber | eich —* re arid- Ausdaßik, * de ) PY —* kn 

agmentẽ Und wir die m 


9wrfaffung ef zu *einkm biögen e fehlte. Win koͤnnun Bier reif a 





Muidfachen 
nöchige Geiſt, ohne welchen auch die vollſtaͤndigſte Korm | und mefentlihen Erfolge nur hindenten, durch weiche füch 
ein Todtes und Richtiges bleibe — wie hätte er unter | das Mepräfentatiofpftem namentlich de, und nicht felten 
Atpdrücden vegfam bleiben, erflarken koͤnnen? Diefes aber | fogar glänzend bewährte, wo es noch am reinflen durch⸗ 
gehört nicht zum conflitutionnelien Syſteme, rührte nicht | geführt war, das ſtaͤndiſche am wenigften mitherrſchie 
ver: den Sonfitutiorfkellim her. Getäufcht find undigäge 
und überfpannte, find vernünftige und gerechte Erwar⸗ 


“ungen. ern ; 
i sie e deshalb erhoben, als eben bie Conſtitutionnellen? | \ - 
Getduſcht hat die Erwartung, daß im Ganfen und Gros | die Vefeitigung fo manches Misbrauchs im Staatahaue 
„sen ein Über ang zur conflitutionnellen Staatsform mit | halte gelungen, wie fid) Regierang: und Volk ſehr wohl 
“allen ihren Bedingungen bevorſtehe. Wie das Wepräfen | bei ihm befanden,:wie es Schhigefaht in Bürger gewedt, 
tativſyſtem im Einzelnen eirigeführe worden — als Stügl: | jenes Vertrauen geföcbert, das meuerdings ſich einmal 
werk, oft als etwas noch viel Merthloferes, Schlimmes | wieder in feiner'Uinentbehrlichkelt zeigte; vie es zur Klar: 
“res — nach der, Behandlung, den Schickſalen, die es drz | heit In den Finanzen geholfen und manche Wilke abge: 
fuhr, konnte es, Stein für Brot, nicht, gelten für foldyes, | werdet u. ſ. w. Die Gefährdungen dr Rechtsidee, die 
ſich nicht zeigen, was es vermöge. Das hat 26 ander | öffentichern Rechtskraͤnkungen, die wir zu beklagen haben: 
waͤrts gethan, in Frankreich und Belgien (man mag’ far | nicht von den reifen der conſtitutionnellen Ideen find 
‚gen was man will, verfennen wie man till), und foeit, | fie ausgegangen. Diefe freilich waren nicht üͤderall ſtark 
"freilich .röeit mehr in England, in Norwegen, an weldyes | genug gegen fle, wie v6 Bis jetzt ſcheinen toill. Doch 
‚Zand in dieſer Beziehung viel zu wenig gedacht wied, | wir’ werden fehen. Und jedenfalls ift fo viel gewiß, die 
wie an Frankreich zu viel, wo die conflitutionnelie Staats: | Sonftitutionnelien und wicht die Freunde des Adfolutie: 
“Form nothtvendig fi ariders geftalten, aufgefaßt. werden: | mus, nicht Provinzialftände haben fi) des Rechts ange: 
‚und wirken mußte und muß als bei Nationen germani: | nommen, die Sache deffelben deftärkt, Durchdrungenſein 
Achen Namens und nit franzoͤſiſcher Geſchichte und Act. | von National: und Gemeinſinn, von der Erkruntniß ge: 
Schaut bei dem Norweger ein deutliches Bild feiner Kraft, | zeigt, dag kein Theil. leiden ober verlegt werben kann 
feines Segens; "bei ung konnte es nicht Präftig noch na= | und darf, ohme daß Alle fihmerzlich mitenpfinden. Die 
türlih wirken in feiner Verkruͤppelung, in feiner Miöge: | bedeutfame und fehe werthvolle Wirkſamkeit des Conſti⸗ 
flott, in Heinen neben, großen Staatsprincipien, unter eis | tutionalismus beftand darin, baß er den potitifihen Rechts⸗ 
ner Gefeggebung wie die des Bundes, und in einer he! | und Freipeitsfinn unterhielt, In meitere Kreife Ibdertrug, 
druͤckten engathmigen, Zeit. nn aufklaͤrte, den öffentlichen Geiſt raſcher entweidelte, durch 
—Wie doch fo leicht vorüber:, ja kaum vorlbergegans | conftitutionnele Arbeiten und Übungen flır alle Deutfche 
"serie, fich erſt noch auflöfende, ſelbſtdurchlebte Perloden | conflitutionnelle Erfahrungen [ommeite, ‘ohne viel Dank 
"und Zuflände vergeffen werden” Die Verbündung, Bie | für die Arbeit und Muͤhe und Treue, nicht‘ ohne beim 
Principien der europdiſchen Mächte, der Continentalmächte | Lehrgeldzahlen weldlich gehudelt zu werden, doch unver: 
wenigſtens, ein paar Jahre nad) den Befreiungskriegen — droſſen. Der Theorie und der Praris bes Repräfentattv: 
man kann mit Recht Tagen, die’ conflitutionnelle Richrung' | ſyſtems iſt es zum bedeutendften Thelle zu danken, daß 
. mit ihren Ideen hätte eine entfchiedenere und zugleich: | ein, wenn nicht volftändig conftitutlonnell gebildetes boch 
ſtaͤrkere Feindſchaft In’ ihrer Jugend nicht finder koͤnnen. | Vorbereitetes Volt und conflimtionnelle Führer erzogen, 
„Eine fo umfaſſende, geſchloſſene, feſtverbundene Allianz vorhanden find; daß wie in bie jegige reifere und beſſere 
"mit einem fo bewüßten Ziele, fo zahfreihen und ſtatken | Entwicdelungsperiobe eintreten fonnten. ° i 
Jntereſſen, ſo Heftige Leidenſchaft und doch To kaltblüti⸗ Es gehört zu den menſchlichen Schwaͤchen oder rs 
‚ger feiner Politik, fo umfaffenden Mitteln und fo berei: | thuͤmern, von jeder höheren Stufe auf die niebere, ſbeben 
"ten Waffen, trat ſelbſt dee Reformation des 16. Jahr: | verlaffene mic einigem Übermuch, mit Geriäufchdgung 
hunderts und ihren Ideen nicht entgegen. Und dennoch, | heruntetzublitten, zu vergeffen, mis man ihr verdankt.’ Es 
"Haben. bie politiſch⸗-reformiſtiſchen Ideen des 19. Jahr⸗ gehoͤrt zu den Künften "und Kiffen bee Miderfacher des 
hunderts in ihren Verkoͤrperungen, den Sonffitutioitin; Fortſchritts, die echten und unechten, loͤbllchen und un: 
der Heinern Staaten, ſelbſt als erſte Anfänge, ſchwache loͤblichen, wohl: und falſchverſtandenen Ideen und Beſtre⸗ 
Verſuche, weſentlich und wohlthaͤtig gewirkt und keines⸗ bungen deſſelben zu verwechſeln und die einen mit den 
wegs abfolut getaͤuſcht, was nur behaupten: erſtlich die | andern derdaͤchtig u machen. Es fehlte dem‘ Liberalis⸗ 
KReaction und der Republitanismug, die ihnen natuͤrlich / mus des vergangenen Jahrzehnds nicht" an falſchen Pro: 
keine Gerechtigkeit widerfahren laſſen koͤnnen; fodann Die I pheten noch Freunden, nicht an" Irrthuͤmern und Irewe⸗ 





vlg 
1 


1 


gm. & verfos Hd. nicht lilten fi (re. Dillomatin, | jezige voranſtellt Blicken mim ben Spiegel bed’ coh- 


ı bitmeilen im -uummetiemnde 


Tendenzen, MDie lehtern vera | Hitutlonnellen Ideenkrefſes hinein, wie ihr‘ das , Staacs⸗ 


zeihen - wie: seßdit, um fe weriger, da 66 am ‚einbeiiglichen | "Terikon” vorhaͤlt, fo'trete ums‘ alle die Motive vor Au: 


KAhie and Wartimg hide Yahlte, zir’weldee and das, 
;geade von deutſch Vaterlaͤndiſchem Sinne dutchdrungene 


.„Staassieriten‘” fein gutes Theil hingugethan: hat. Min⸗ 
-der führen miegt der Berisimf, trten: Declamation, ſo! 


nachcheilẽg fre Au gewirkt hat. : Daß wir jedoch in We: 
treff des Sinnes der fegterm nicht misverflanden wer⸗ 
‚sent Wir verwahren uns ausdrücklich, als wollten wie 
darunter, -wie-.0& wol geſchehen:; iſt, ale und jede Er⸗ 
fümtung der. Princip⸗ und Formfragen’ begeeifen So 
ange die Gegenfäge beſtehen, muß det Ptintipienſtreit 
natürlich fortgefegt werden. Es iſt sine Verlockung, des 
un pecfide, Abſicht deutlich genug, daß man Zeit umd, 
raͤſer nicht im Zank um Grundfaͤtze, Verfaſſungspam⸗ 
graphen oder Sontrodetfen vergeben, : ſondern bie wah⸗ 
‘ten, die materfeflen Intereffen bedenken möge. Die 
Docttin darf nimmer vernachläffige werden. Die Princlp: 
‚and Formfragen bangen aufs engſte ‚mit den materiellen 
Jatereſſen zufammen, in denen die Einheit nicht von 
Dauer fein kann, wer jene nicht geibfl werden, tvenn 
es gelingen follte, fie zu befeitigen. Auch die Maſſin 
ſehen es nachgerade ein, ‚wie unfehlbar ungünflige Car: 
ſcheidungen in abfirasten ſigategrundgeſetzlichen ‚Dingen 
an die perſoͤnliche Freiheit und Würde, den häussichen 
rtden, die Moral, den Weldbentel gehen. Es wird 
"Hahgesade auch dem Bürger und Bauer klar, daß wir 
zu befricdigenden Zufländen, insbefondere eben zu Wohl: 
ſtand und Sicherheit des Erworbenen, ohme politiſche Frei⸗ 
heit wicht gelangen koͤnnen. Und jene Einficht, ein all: 
gemeineres und lebendigeres Streben nach der letztern und 
den Inſtitutionen, welche fie herbeizuführen, zu beſeſtigen 
geeignet, ‚eine größare- Theilnahme am Staate und das 
Bersußtfein ihrer Nothwendigkeit, eine größere Regſamkrit 
us Narionatgefühts, ein alt ered nad) 
Einigung in politifcher wie commmerciellet - Weziehung : 
dieſes Ahes charakirrifiit eben die vorgeſchrittene Ent: 
widelungeperiode, in welcher wir uns jetzt befinden, und: 
au der Arbeit ihrer HDerbeiführung haben die Conſtitu⸗ 
tionnetlen, hat auch das „Staatalerikan“ feinen Theil ge⸗ 
cudimen. Jene wollten eine fange Zeit von dee Cinheit 





gen, auf welchen die gegenwaͤrlige Bewegung det politi⸗ 


ſthen Ideen rufe. Mas jetzt laut und offen deklagt und 


geradelt, gefodert und angeftrebe wird‘ — "die Senfur, die 
Hehmtichkeie "öffentlicher Dinge,” die poltdiihen und bie 
Handbelsſperren, Dffentlichleit und Muͤndtechkelt des Rechts, 
volksthuͤmliches Heerweſen, Einigung, Einheit, engſte Ver: 
bruͤderung aller Deutſchen u. ſ. w., das Alles würde 
"dort frei und offen eroͤrtert, als der Tadel und die Fo⸗ 
derung noch beſchwerlich und gefährli war. Und wie 
nun. die Gönftitutionnellen im Einzelnen irren, geiret da: 
‚ben mögen, es tritt mit jedem Tage klarer bervor, dag 
"fie aus dem Herzen der Nation geredet, daß ihre Grund: 
"ideen nur künſtlich zuruͤckgedtaͤngt, doch aber die here: 
ſchenden waren, in jedem Falle die Derrfchaft einnehmen. 
Ihre Foderungen find es, im welche der dußerfte Oſten, 
Welten und Norden einſtimmt; kaum mird nocd eine 
Stimme zur Vertheidtgung Deffen "laut, was lets Ge⸗ 
genftand ihrer Angriffe war, die noͤch vor nicht zu Lan: 
ger Zeit’ fo’ heftig geſcholten, fo hochſahrend behandelt 
wurden. Das conftitufionnelle Syſtem hat daher fo ge: 
wiß nicht getäufcht, als feine Ideen im Siegslaufe begrif: 
fen find; und’ aud das ift eine fehr pofitive Wirkſam⸗ 
“keit, fo gering man fonft feine handgreffliche anzuſchla⸗ 
gen geneigt fein may. Aber es hat auch negativ Mefent: 
lich gewirkt, worauf wir bei der dritten Frage zutuckkom⸗ 
men wetden. 

‚Hat fi denn das, dem conſtitutionnellen Principe 
"entgegenftehende abfolutifilfihe oder ſtaͤndiſch-abſolutiſtiſche 
witffamer, wöohlthätiger, oder nicht vielmehr, trotz aller 
ihm zur Selte ſtehenden Macht, Eraftlofee umd ebenfo 
unheilſamer ertdieſen? Es hat nur wertig dauernde Schoͤ⸗ 
pfungen hervorzubringen, die Volksmeinung und Liebe 
fidy nicht zu gewinnen vermocht, feine Ergebniffe, gerade 
bie am eifrigften geſuchten, find vergangen Hder im Vor: 
übergehen, es hat fih dem Ganzen nachtheilig und un: 
haltbar gezeigt, es tt und wird — ob auch nur halb 
feetwiitg, od auch nur Speer vor Schritt — aufgege: 
ber und verlaſſen. Es iſt Hier der Dee wicht, feine 
GSuͤnden, feine uͤbeln Wirkungen auf: die welenttichften 


nationaken Intereſſen zu erörtern ober herzuzaͤhlen; "genug, 
daß Jedermann fie kennt und beklagt, daß wir noch 
lange daran zu thun haben werden, ſie zu — zu 
siigen, daß es uns ſchwer genug wird, im. Kampfe mit 
"ven SAnderniffen, die es im den Weg geworfen, nad 
dem Ziele vorzufchreiten, von welchem ds ablenkte, und 
das ſeit einiger Zeit wiederum, wie in der Edoche der 
Nationalerhebung der Punkt ift, nad welchem die Na⸗ 
-tion, und zwar unten theilwelfer Billigung, theilweiſem 
VBorgange der Haͤupter hinſtrebt, zum Zeichen, daß die 
herrfchenden been jener Epoche voll Recht und Wahr⸗ 
beit, die der Menctionsperiode Srrlichter waren. Sene 
aber find eben die conflitutionuellen, und wären fie nicht 


'und Freiheit zu den’ materiellen Intereſſen, neuern Im⸗ 
pulſen zufolge will man derzeit von den letztern zu den 
tern. Weide Wege find, obwol nicht zu jeder Zeit 
ieh Schr, prakticabel, fie fchliefen einander nicht ame, 
Token beide binngt, koͤnnen beide einfeltig denudt mer: 
den. Doch das Biel iſt ſtets daſſelbe. Den Conſtitu⸗ 
tionaellen bleibt das Verdienſt, eine Arbeit, welche jeden⸗ 
falls vorgenommen werden mußte, anzegriffen, Manches 
aufs Heine ober- doch der Eutſcheidung naͤher gebracht, 
buch, ihre fleigige anhaltende Eroͤrterung der Ptincip⸗ und 
Sormfeagen auf die Erreichung des Ziels tüchtig vorbe: 
deitet, Jum Erleichtern der gegenwärtigen Entwidelung 
weſentlich beigetragen ma haben, die auf Das zuruͤckgeht, 
was bie theoretifhe Periode in den Wordergeund:ftelite, | geweſen, Kicht muthvoll und geffießticchtig vertreten wor⸗ 
worüber. dem Einzelne freilich zu fehe-vergaßen, was die J dem, wie -fehr wäre dans — dies iſt 08, worauf wit zus 


=. m —— — 










‚240 


shltommen. wollten — zu fürchten geweſen, daß bie ganze 
Kraft und alfe unheilvollen Elemente des anticonftitutionnels 
Im Princivs fich entwidelt, daß bie materiellen Gefammtin- 
tereſſen mehr und mehr verſaͤumt, die Beifter mehr und mehe 
gelähmt, bie Nation immer willenlofer und unkraͤftiger, der 
Gedanken an Vaterland und. Freiheit immer mehr entwöhnt,. 
die Sefinnungen,. die Politit immer fremdlaͤndiſcher, den 
Seinden willlommense geworden, mit einem Worte, daß 
die Zuffände und Schickſale eingetreten wären, die dem 
edein Motte ſtets, brohenden Geſpenſtern gleich, vor ber 
Seele fanden, feine. Anfihten und fein Leben trübten. 
Dee fo ſchwer angefchuldigte und. angefeindete,. fo ängft: 
lich gefürchtete, fo mistrauiſch uͤberwachte freiheitliche Ge⸗ 
genfag hätte nur fehlen follen! Aber er ift der Damm 
ewefen, an welchem die Macht des entgegenftehenden 
Drincips endlich brechen mußte, bad alle Prämiffen in. 
fi enthielt, Deutſchland unter die Nachbarn oder Eu⸗ 
sopa unter das Slawenthum zu bringen, wogegen eben 
nur beutfche 'conflitutionnelle Freiheit zu ſchuͤtzen vermag, 
in welches wiederum allein die nöthige Einheit. geboren 
werden kann. Sein Verdienſt ift 68 zum großen helle, 
daß der National: und Unabhängigkeitafinn fi erhielt, 
fo ftar und planmäßig auf feine Unterdrädung hinge⸗ 
wirft wurde, daß und fofern die Nation fähig blieb, den 
Fortſchritt wieder zu beginnen, fobald die. äußern Um: 
flände fi wieder günftiger dafür geftalteten. Aus ber 
Mitte ber conftitutionnellen Ideen und Inftitutionen her: 
aus wurde doch ſtets die DVerbiendung, die UÜbermacht 
gewarnt, erinnert an das Recht und die Kraft der, Na⸗ 
tion, dieſe wach erhalten, belehrt, ermuthigt und geftärkt. 
War die confitutionnelle Oppofition äußerlich. faſt ganz 
unterlegen,. fann man fagen, fie habe für die Verwirkli⸗ 
chung ber Ideen deutſcher Einheit und, Freiheit poſitiv 
und dirget. nur wenig gewirkt: fie hat fi dem gepanzer: 
‚ten Sewalthaufen der Einheits⸗ und Freiheitsgegner kraͤf⸗ 
tig entgegengeftemmt, die feindliche Schlachtorbnung durch⸗ 
brochen, den Schlachtplan vereitelt, der Entwickelung zu 
Recht und Freiheit sing Gaffe gemacht. od 
, (Dex. Beſchlus folgs.) 


- 





Der größte neuere Dichter Hindoſtans. 

Wir wollen bier diesvortgetreuc Überfehung eines in In⸗ 
dien ſehr verbreiteten Ghaſele geben, welche als eine Probe hin⸗ 
doſtaniſcher Poeſie, von der nur felten. ein. Blaͤttchen nach 
Europa verfhlagen wird, gelten kann. Sie ift voller Anmuth 
‘and poetifchen Dufts, unb jede ihrer Zeilen laͤßt eine mnftifche 
Bedeutung durchblicken. Ste wird von allen ‚jungen MRufe: 
männern Judiens gefungen und findet fich in der mächtigen ı 
Gammlung ber -ghazal, cacida, mesnovi, tardjiband, mou- 
cammat, roubhay fard, ober, wie wir fagen mwürben, ber Oben, ' 
Elegien, Gedichte, Cantaten, Satiren, Vierzeiten und Diſtichen 
des fruchtbaren Dichters Djourat. Die einzigen Angaben, die 
"wir über das Leben dieſes Mannes, ber für den größten Dich⸗ 
ter Dindoftans gilt, finden, fiat diejenigen, bie dee befanate: 
Drientalift Garcin be Taſſy in feiner Bibliothek ber hindoſtaniſchen 
Schriftſteller aus der „Tazkira”, einen großen” perifeh-sindöfta: 
nifhen Biographie, im Auszuge mittheitt. Aus benfelben geht. 
herdor, daß er, mie Miltsn und Homer, bAAd: war. Wein 
eigentticher Mamen war Yabnas Dan Ealasder Dakhich. „und 


:obee poeetiſcher Beiname 


Mouhabbat⸗Khan als fein Wohlthaͤter und Maͤcen 
Alte feine Gedichte athmen bie reinſte Poeſie und 


"meine Augen, bie von : 
‚Bade, dann dem 


-auf ihrer Lippe, unfere 
.Antlie nah dem ihren! 


krennt bin, fo find wir uns'doch beide nah, 


‚Aunzeitung im exſten Sahraga 


fein Vater Hieß Safiz⸗ Man. Diourat war fein „Takhalas” 
und bedentet fo viel al6 Kuͤhnheit. 
Wie: es fcheint, If dirſet zroße Dichter een Ende Des vorigen 
—— — —*738 Nat ap aueuſt Batenn 
rd Hi a ber. zu ap, auf, 109 pr bie Unter⸗ 
ftuͤzung mehrer indiſchen — —— Habab- 
—F 
in-dem 
myſtiſchen Geiſte verfaßt, dee die meberne werſiſche ·Literacur 
Gpnratterifiet. Gin Theii berfelen iA ia hinboftanifcken, ein 
anberer in perſiſcher Sprache seichrichen,, und eft wechſein ſo⸗ 
ar in cinem Gedichte hindoſtaniſche mit perfifchen Werfen ab. 
er bekannte engliſche DOrientatift Kalconer, der zuerſt Gen 
Text des tleblichen Gedichts, das wir mittheilen, berausiyegeäen 
bat, ließ es fh von einem jungen Intiet bickiren. . kit 
eine ber duftigſten Blüten moberner- indiſcher Poeſie und Lautet 

folgendermaßen: . en 
„Ich treibe mich ohne dich in der tiefſten Cinfamfeit um⸗ 
her; ich irre don Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt: Allein 
und fern von dir burchlaufe ich die Straßen wie rin Bergseis 

felter und poce an jehen Palaſt an, ma aid zu ſuchen. 
Wie foll ich biefes Herz aus den Banden der Sklaverei, 
in denen es ſchmachtet, iosreißen, ba jede Locke, jede Flechte 

und jedes deiner Haare für es eine Feſſei iſt. . 

IH vergieße in meinem Sammer reichlidge Thraͤnen, und 
. Farin —— gleichen 7 dem 
Wi ann dere und andlich dem 

großen Dczan, ’ ”% nd andlich h 


O feligee Geſchick, wenn ih eine Nacht an ihrer Seite 
zubringen koͤnnte! Meine Hand in ihrer Hand und meine Rippe 
Bergen aneinander poxhenb und wien 


Ich irre umber .und fuche fie und bin eine Beute innen 
Sturmes. Ich eile von Terraffe zu Terraffe, von Tkür zu 
Thuͤr; ich durcheile alle Straßen und alle Theile der Stadt. 

Ih trage in meinem Derzen ben Wegenftand, nach bin 
ich ſchmachte, und obgleich ich Yon ihm dem I Ag er 
unjere Haͤnd e. ums 
ſchlingen ſich und unſere Stirnen lehnen ſich aneinander. 

D, Djourat, wirf beine Augen auf das Blumenbeet und 
ſied, mie der Glanz deines Lirbesgegenftandes in jeder Dolde, 
jeder Btüte, jeder Knoſpe widerſtrahit und Ach im wonniglichem 
Dufte offenbart.” s . oe 


Literari fche Notiz aus Schweden, 
Nahbrm die „„Bvonska Literaturtidning‘s, welche zu Upſala 
erſchien und fid durch einen echt wiffenfchaftlichen Geift außzeichnete, 
aufgehört haf, Eommt jegt eine neue ſchwebiſche Kiteratuts 
zeitung in ber Üniverfitätöftabt Bund Heraus, "weiche auch 
die Aufmetkſamkeit des Auslandes verdient. : Diefelbe wirb ven 


‚ven: jüngeren akademiſchen Lehrern ber Univerfirdt rebigirt und 


herausgegeben und jede Woche erfcheint davon ein Blatt. In 


‚dem bis jest erfchtenenen Jahrgange herrſcht An ernfter, ſinni⸗ 


ger und gruͤndlicher Geiſt und Ton; ‘man ſcheint darin mehr 


Werth darauf zu legen, die Kraͤfte, die man wirklich bat,” angu⸗ 


wenden, als ſich einen glänzenden unb' blendenden Schem ‚von 


‚Reicitbum zu geben, den: wan nicht beſiht; man Jicht ‚gs. nor, 


pnit beſcheidener Mäßigung nach einer fortfcgreitenden Entwides 
lung zu fireben, als glei) von vornherein zu gewaltige Anläufe 
und Anftrengungen zu malen, auf welche bald nMpiend der 
Ermattung und Erfchopfung zu folgen ;pfiegem. Die Waßt der 
Mrtifel und ber Wistesien, weiche biefe neue ſchwadjlcht diteras 
? Jahn ‚zum Gegenſtand tiner Eritifce 

Bebandlung oder für wiſſenſchaftliche Studien und hiſtorifche 
Darftellungen gemächt hat, iſt gtücti und bietet’eim nicht ger 
ringes Intereffe bar.: Vieſelbe gibt Inbbefondere kihth belehren⸗ 
dan Überblich über den gegenwaͤrtigen Buftand: ‚bed ſchwediſchen 
Bhteratun, . ; as 16. 


= 
+ f ” ’ er ! 4 


Verantworklicher Heraukgebev: Deintih Brafbaud. + Drü@ und Wedtah von . uvy suB. in Beipale.. tr . 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 





über das Staatöleriton von Rotted | und umferer Geſchichte, dem beutfchen Volksleben Liegt 


und Belder. 
(Beihluß aus Nr. 3.) 

Die Würdigung eines jeden Buchs ift weſentlich und 
zunaͤchſt abhängig von der Würdigung feiner Grundideen, 
der Sache, der es gewidmet if. Wir haben uns deswe⸗ 
gen bei den bisherigen Eroͤrterungen fo lange aufgehalten. 
Indeß erübrigt nur noch die Trage, wie das „Staates 
lexikon“ feine Sache, das conflitutionnelle Syſtem, bes 
bandie? Ein raſcher Überbli® muß dabei um fo mehr ges 
nügen, da wie ohnehin bei einem folden Werke in 
das Einzelne nicht würden eingehen können, 

Vor Allem, wie fleht e8 um die Einheit der Behand: 
tung bei einer fo großen Anzahl von Mitwirkenden, bei 
der bekannten nicht unerheblichen Principverfchiedenheit 
ſchon ber beiden Herausgeber? Beide find darin einig, 
daß fie die Vernunft als oberſte Quelle des Rechts be: 
trachten, nicht fo jedoch, daß der individuellen Ber: 
nunfe ber Anſpruch gebühre, ſich nach außen geltend zu 
machen, vielmehr fo, daß das pofitive Mecht erft dadurch 
entfiche, daB das Vernunftreht Außerlih und factiſch 
anerfannt werde. Hier aber ſcheiden ſich die Principien. 
Rotteck will bei Begründung des pofitiven Rechts ledig⸗ 
ih‘ das Bernunftreht vor Augen haben, das der alle: 
nige Mafftab dabei fein fol: nur dafür fei zu forgen, 
daß das Bernunftrecht die Anerkennung der Öffentlichen 
Meinung erhalte. So poftulirt er die Repraͤſentativ⸗ 
verfaffung aus dem vernunftrechlichen Sage, daß Jeder ges 
fragt werden müffe, wenn er zahlen folle, gleichviel ob 
wir fie gehabt haben oder nicht: iſt fie Rechtsfoderung, 
fo muß fie uns merbden. 

Darin nun, baß fie Rechtsfoderung fei und uns wer: 
den müffe, ſtimmt Welder ganz mit ihm überein, ge: 
langt indeß zu demfelben Ergebniffe auf einem ganz ver: 
ſchiedenen Wege. Wir müflen, fo ift fein Ibeengang, in 
unferm Volksleben felbft nachſehen, die Srundideen def: 
felben und feine Geftaltungen auffuhen. In jedem 
Volksleben iſt auch eine Volksvernunft. Wie erhalten 
dann die vornehmften Mechteideen, die das Volk durch 
fein Leben bereits anerkannt hat und die nach der Rechts⸗ 
idee zu entwideln find, welche für ſich allein zur Reform 
nicht qusreicht, aber allerdings zu Hülfe zu nehmen ift. 
Die Nationalgeſchichte iſt demnach vernünftig fortzubilden, 


bie politifche und blrgerlihe Freiheit zum Grunde, bie 
eben hergeftellt, erneuert, neu organifirt werden muß, 
wenn vie sicht fortfahren wollen, wider unfere eigene 
Gerichte, unfer eigenthuͤmliches Volksleben zu fündigen. 
So finder Welder die Mepräfentattvverfaffung im germas 
nifhen Volksthume als Recht, indem er nicht dabei fies 
ben bleiben will, die Gegenwart aus der Vergangenheit 
zu begreifen, fondern die Foderung ftellt, daß bie leiten⸗ 
ben Ideen des Volkslebens nach der Rechteidee entwickelt 
werben. 


Hiernach beſtimmt ſich das Verhaͤltniß der Stand: 
punkte ſowol Rotteck's als Welcker's zur hiſtoriſchen Rechts⸗ 
ſchule, die das Beſtehende idealiſiren wollte, blos durch 
den Nachweis ſeiner geſchichtlichen Entſtehung den Be⸗ 
weis feiner UÜbereinſtimmung mit der Mechtsiber, feine 
Rechtmaͤßigkeit, dewieſen zu haben glaubte, die gefchicht⸗ 
liche Erklaͤrung und Rechtfertigung mit einer an und 
für ſich gültigen Rechtfertigung, die Entwickelung aus 
biftorifhen Gründen mit der Entwidelung aus dem Bes 
griffe vermechfelte. Ste ftand lange der freiheitlichen 
Richtung nicht wenig im Wege. Die Hallerfche wußte 
fie mit Gewandtheit und Erfolg zu ihren Zmeden zu 
benugen. Rotteck auf feinem vernunftrechtfihen Stands 


‚punkte fland ihr fchroff gegenuber; fie deckte manche 


Schwähe deffelben auf und von ihm aus war nidt 
blos feine Vermittlung möglich, fonbern ihr auch ſchwer 
beizufommen. Hatte die hiftorifche Schule nun aber den 
Anſtoß zu einer tiefeen Gefchichtforfhung gegeben, fo 
führte dies doch endlich zu ganz andern Eegebniffen, als 
die von ihr gefundenen waren. Sie wurde auf ihrem 
eigenen Boden gefchlagen und zwar durch die von Welcker 
verfolgte Richtung. Ihre Beguͤnſtiger aus widerfreiheit⸗ 
lichen Abſichten fahen die Spige der von ihnen ermähl: 
ten Waffe gegen fich felbft gekehrt; fie mußten erfahren, 
dag den Reftaurations = oder Reactionstendenzen nichts 
ungünftiger, dem Freiheitsſtreben nichts guͤnſtiger fein 
könne als eben die tiefere geſchichtliche Erforſchung des 
deutfchen Volkslebens, fobatb biefelbe mit wahrhafter Tiefe 
und Gruͤndlichkeit ſowie mit unabhängig männlichen 
Sinne — fagen wir kurz, im Moͤſer'ſchen Geiſte — bes 
trieben wurde, von welchem ein guter Theil auf Welcker 
übergegangen iſt, wie feine Artikel im ‚‚Staatsleriton”: 


142 


Deutfches Recht, Deutiche Staatsgeſchichte, Allod u. ſ. w. 
bezeugen. Die biftorifche Rechtsſchule, die eigentlich nur 
einen beflimmten Dogmatismus lehrte, den fie auf ges 
ſchichtlichem Wege gefunden hatte und für die eigentliche 
Aufgabe der Wiſſenſchaft erklaͤrte, ift ale Partei ver: 
freunden, ſchweigt, verleugnet ihre Gtundfäge oder gibt 
ihnen eine Wendung, durch melche fie den freifinnigen 
Freunden des Geſchichtsprincips, des philofophifch = hiſtori⸗ 
fchen Liberalidmus das Feld räumt. Namentlich bat 
fih Savigny neuerdings in der Vorrede zu feinem „Sys 
fteme des heutigen römifchen Rechts“ angelegentlih ba= 
gegen verwahrt, er und bie hiſtoriſche Schule wolle und 
babe die Gegenwart, ihre Selbftändigkeit verkennend, un: 
tee die Herefchaft der Vergangenheit beugen, die aus ber 
Vergangenheit hervorgegangene Rechtsbildung als ein Hoͤch⸗ 
fies, welchem die unveränbderte Herrfchaft über Vergan⸗ 
genheit und Zukunft erhalten werden müffe, aufitellen, 
don Werth anderer Thätigkeiten und Richtungen vernei: 
nen ober vermindern wollen, wogegen es nur gegolten 
babe, wie er behauptet, die eine Zeit lang verfäumte hiſto⸗ 
riſche Seite in ihr natuͤrliches Recht wieder einzufegen: 
worin aud allerdings, wie fich ergeben, die Miffion der 
biftorifchen Schule beftanden, nur daß fig jegt ſelbſt erſt 
zu ihrem eigenen rechten Verſtaͤndniß geführt worden if. 
So Lange fie indeß ſich felbft mehr oder minder nicht 
verftand, mußte fie ſchon deshalb nothwendig misverflan: 
ben werden — wenn fie misverilanden ift. 

Bei einem encyklopaͤdiſchen Werke iſt Divergenz der 
Richtungen und Xhätigkeiten wol nicht leicht ganz zu 
vermeiden. Beim „Staatslexikon“ erfcheint fie nun freilich 
fat zu bedeutend. Wir haben gefehen, welch eine we: 
fentliche Principverfchiedenheie ſchon zwiſchen den Deraus: 
gebern obmaltet, und es iſt nicht zu verfennen, daß bie 
Wege der übrigen Mitarbeiter nicht minder weit ausein: 
ander geben. Wir erblicken jedoch Beinen wefentlichen 
Nachtheil und manchen nicht unerheblichen Vortheil darin. 
Die verfchiedenen in Thätigkeit kommenden Richtungen 
verneinen einander nicht, ergänzen ſich vielmehr gegen: 
ſeitig. Die Mitarbeitenden ftimmen jedenfalls in dem, 
der vernünftigen und freiheitlihen Reform nothwenbigen, 
die Ehre und Bedeutung der Wiſſenſchaft, die Freiheit 
bes Gedankens mwahrenden Grundfage zufammen, daß die 
Entwidelung ber Gegenwart nicht der Befchichte, d. h. dem 
Zufall überlaffen werben dürfe, fondern daß die Philofophie 
berufen fei, neue politifche Grundſaͤtze ine Leben einzuführen. 
Ihre Wege gehen weit auseinander, führen aber im Wefent: 
lichen zu demfelben Ziele. Vor Allem wird die gleiche Ges 
finnung, bie gleiche Liebe der Sreiheit, des Rechts und Ba: 
terland® der fefte Kitt fo verfchiedener Geiftesrichtungen. 

Ein ſolches Vereinigen und Zuſammenwirken fließt 
außerdem eine wichtige Lehre in ſich. Wir Deutſchen 
bringen es im Politifhen zu nichts Nechtem, bleiben trog 
dem Reichthum unferer Kräfte, trotz allen unfern An: 
ſtrengungen verhältnigmäßig viel zu weit hinter unfern 
Seen, unferer beffern Erkenntniß, unſerm Wünfchen 
und Wollen zurüd, großentheils weil wir uns in wiſſen⸗ 
ſchaftlichem Eigenfinn und misverfiandenem Wahrheite: 


eifer auf unfern theoretifhen Standpunkten zu fehr ab: 
[ließen und abfondern, ja nicht felten das gleiche Ziel 
von Meinungsgegnern verkennen und fobann die, genau 
befehen, Gleichſtrebenden lebhafter und bitterer bekaͤmpfen 
als felbft die Gegner, denen wir dadurch in die Bände 
arbeiten. Hier entfchieden Freunde ber Freiheit, der Re⸗ 
form, und dort andere. Jene fuchen ihr Streben fo, 
diefe fo zu begründen. Sollten fie nicht die engfte Ver: 
einigung ſuchen in ber zukunftfchwangen Gegenwart? 
Sind die Aufgaben der legtern ſchon gelöft, der Loͤſung 
nur fon nahe? Bei mancher Verſchiedenheit fehlt «6 
doch nicht an vollfommen gleichen Zielpunften, und wäre 
das nicht, fo iſt Eein Zweifel darüber, wer und was ent: 
gegenjteht, zu befämpfen ift. Aber Vertennung und Ans 
feindung untereinander ohne Ende, die blindefte, bitterfte. 
Warum? Sie gehören verfchiedenen wiffenfchaftlichen Ric: 
tungen, philofophifchen Schulen an. Der gemeinfeindliche 
Gegenſatz gedeiht Dabei vortrefflich, die Widerfacher haben 
leichtes Spiel. 

In das Einzelne einzugehen, mußte, wie ſchon gefagt, 
bei einem Werke wie das ‚Staatsleriton’ unthunlich er: 
fheinen. Es kam und nur darauf an, einige allgemeine 
Geſichtspunkte aufzuftellen, geeignet, da6 Ganze und feine 
Tendenz zu charakterifiren. Es wird nicht verfannt wer: 
den koͤnnen, daß es bei der Medaction ohne Misgriffe 
niht abgegangen ifl. Unter ben Artikeln find mandhe, 
die als zu ſchwach oder zu lang oder als planwidrig, 
wenn aud an fidy nicht ohne Verdienſt, zu gelehrt oder 
zu unwiſſenſchaftlich nicht hätten aufgenommen werden 
follen, anderer Bedenken zu gefhmeigen Doh it auf 
ber andern Seite in Anfchlag zu bringen, daß das zu 
feinem eigenen Nachtheil zu böndereich gewordene Werk 
mit dem Maßſtabe nicht zu meſſen it, den man in der 
Regel und mit Recht an eine Encpklopädie legt. Faͤnde 
man in ihm ſtets, was man fucht und zu fuchen berech⸗ 
tige fiheint und enthielte es nichts Entbehrliches und 
gern Entbehrtes, fo würde dies allerdings ein Vorzug 
fein, der ihm entfleht, indem es, als conflitutionneller 
Hausſchatz betrachtet, ſowol zu viel ald wenig enthält. 
Alein die Daupttendenz war, anzuregen, den politifchen 
und nationalen Sinn wach zu erhalten und zu nähren, 
conſtitutionnelle Gefinnung und Bildung in einem Maß 
und in einer Weife zu verbreiten, tie es Bücher über 
einzelne Staatswiſſenſchaften und bie periodifche Preſſe 
entweder nicht thaten oder konnten. Anzuerkennen ift, 
daß das „Staatslexikon“ einen großen Reichthum von Arz 
tikeln des entfchiedenften praktiſchen und wifjenfchaftlichen 
Werts enthält, die treue ehrenwerthe Geſinnung eines 
aufrichtigen, auf fittlidy = religiöfer Grundlage ruhenden 
Liberalismus, im welcher ed begründet, die Beharrlichkeit, 
womit es fortgeführt worden, feine mannichfache erheblid;e 
wie heilſame Wirkſamdeit. Leider ftarb der eine der Heraus: 
geber darlıber hin. Es war das legte Werk, dem Karl von 
Rotted feine ganze Geiſteskraft und Liebe gewidmet — und 
Rotteck war ein ehrenwerther Mann! 

K. Jürgens. 


U U) 


143 


Romanenlileratur. 
1. Die Fluͤchtiinge. Novelle von Georg Lau. Hamburg, 
Meisner. 1841. Gr 12. 23 Thlr. 

Diefe Rovelle von Lau ift ein paſſendes Gegenſſtuͤck zu den 
„Pietiften‘‘ von Rau. Zieht Rau gegen ben Pietismus zu Felde, 
fo eifert Sau gegen die Freigeiſtigkeit; wid Jener nur von Ber: 
nunft etwas wiffen, fucht Diefer alles ‚Beil im pofitiven Glau⸗ 
ben. Irogdem bilden fie keine contradictorifchen Gegenſaͤte zus 
einander. Iener gehört nicht auf die aͤußerſte Linke, Dieler 
nicht auf die äußerfte Rechte, fondern fie fißen Beide dem Gen: 
tum ziemlich nahe, und es bedürfte nur eines geringen Nähers 
züdens von beiden Seiten, fo würde ber Eine wie der Andere 
recht gut. als ein Gremplar der aurea mediocritas gelten können. 
Jener 1äßt neben dem Denken body auch einige Religion geiten, 
und Diefer ift liberal genug, neben ber Religion auch einiges 
Denten zu flatuiren. Rur über das Miſchungsverhaͤltniß find 
fe no auseinander; fie combiniren Weide noch unverhältnißs 
mäßig, und ba ift ber Grund, warum die Mirtur des Ginen 
wie des Andern nur Wenigen munden wird. 

Was die vortiegende Novelle betrifft, fo läuft ihre Tendenz 
befonders barauf hinaus, zu zeigen, dad alle Kreibeit, alles 
Willen, alle Genialitaͤt nicht ausreicht, unferm Gemüthe Ruhe, 
unferm Streben Kraft, unferm Leben einen innern Halt zu ges 
ben, daS diefe Potenzen, undurchdrungen vom Glauben, lodge: 
riſſen vom Shriftenthum, nur zu innerm 3erwürfniß und äußerm 
Untergang führen, und daß die Religion allein es if, die uns 
nicht fallen laäͤßt, von der wir Grfüllung unferer Wuͤnſche, Aus⸗ 
gleihung des innern Zwielpalts, mit einem Worte dußeres und 
inneres Deit zu erwarten haben. Um biefen Gap zu bemweifen, 
führt uns ber Berf. mehre Perfonen vor, von benen einige 
ſchon von vorm herein daran glauben, andere erft nach und 
nah zum Glauben gelangen, und wieder andere bis an ihr 

Ende ungläubig bleiben, und richtet es natürlich fo ein, daß 
die Erſten ſogleich, bie Zweiten allmälig, bie Dritten aber nies 
nıald das Bid bes Lebens und das Ziel ihrer Wünfche errei⸗ 
den. Wenn Dr. Eau im Stande gewefen waͤre, diefer Ent⸗ 
mwidelung den Stempel der Nothwendigkeit und Unerlaͤßlichkeit 
aufzsubrüden, To möchte fein Beweis als eine demonstratio ad 
hominem für den bünbigften und fdhlagendflen von der Welt 
geiten Eönnen; ich bin aber überzeugt, daß Dr. Rau feinerfeits 
im Stande fein würde, eine Geſchichte zu erfinden, die gerade 
den umgekehrten Bergang bat und die mindeftens ebenfo übers 
zeugend iſt als diefe. Vermoͤchte auch unfer Verf. zu bemeifen, 
daß geniale und Liberale Leute von der und der Beichaffenheit, 
mie er fie gerade geſchildert bat, nothwendig gerabe dem und 
dem Schickſal verfallen müflen: fo wird er doch nich barthun 
innen, warum folche Leute gerabe von der und ber Beſchaffen⸗ 
Kit fein müffen. Ref. kann verfichern, daß er Perfonen genug 
kennt, bie in Bezug auf Das, was der Verf. Froͤmmigkeit und 
GShriftiichkeit nennt, mit feinem Reinhard und dem noch unbe: 
fehrten Adolf ganz auf einer Linie fteben, die aber daneben 
durchaus tüchtige und ehrenmwerthe, der Wiflenfchaft ober der 
Kunſt, dem Staat und der Familie Eräftig dienende Maͤnner 
fad und fig ats ſolche ber vollkommenſten Seelenruhe und des 
beiten Lebensglüds erfreuen. Es wäre in ber That auch trau⸗ 
ta, wenn Leute, die dem Cuitus des Genius huldigen, oder 
be den Weg der freien. Wilfenfchaft gehen, ſaͤmmtlich Greatu: 
sen fein müßten, deren Handeln und Wanbeln ben Einen an 
den Gatgen, den Andern nad Botanydai, den Dritten nad 
Newgate, den Vierten nad Beblam unb den Fuͤnften auf 
ein fauliges Strohlager bringt, wo er bei lebenbigem Leibe vers 
weſen muß. &o urtheilen aber dieſe Brommen par excellence. 
Mit der größten Kaltbluͤtigkeit dictiren fie Denen, bie nicht in 
iken Kram paflen, bie in ber Vernunft und dem fchaffenden, 
geflaltenden Genius ferbft die göttliche Macht, an die der Menſch 
gebunden ift, erkennen, Lafter und Verbrechen auf den Hals, 
die ihn dieffeit an den Galgen und jenfeit in das böllifche Feuer 
bringen. Wer fein Engel nad: ihrem Sinne ift, muß noths 
wendig ein Teufel fein. Kunft, Wiflenfchaft, Thaͤtigkeit, Freund: 


ſchaft, Liebe — Alles das ift keinen Schuß Pulver werth, wenn 
es ſich nicht unter jene Frömmigkeit dudt, bie allein a in 
iſt, ber Tugend den Abeldbrief, der Sünde aber den Ablaßbrief 
zu ertheilen. Würden hierbei Slaͤubigkeit und Froͤmmigkeit in 
einem böbern Sinne gefaßt, würbe darunter ein Aufgeben des 
Individuums in der Univerfalidee verftandeg, fo wollten wir 
gern in dieſe Anficht der Dinge einflimmen ; fo aber ift eben 
nur das träge Feſthalten gm Pofitiven und Gegebenen, das 
bequeme Bergictteiften auf eigenes Forſchen und Denken, das 
gedantenlofe Schwören in verba magistri damit gemeint. Mir 
glauben wol, daß es diefen Maägiftern darum zu thun ift, diefe 
Meinung wieder in Gurs zu bringen, zweifeln aber ſehr, daß 
ed ihnen gelingen wird, wenn fie es nicht fchlauer anfangen 
als diefer Georg Lau. Denn abgefehen davon, daß er es nicht 
verflanden, feiner Combination das Gepräge der Nothwendigkeit 
zu geben, hat er auch die Thorheit begangen, ſeine unfrommen 
Perſonen als die intereſſanteſten, die frommen aber ala die 
—SS — erſcheinen zu laſſen. Zwar hat er es fi, wie 
es ſcheint, fauer genug werden Laffen, die ſchoͤnſten Phrafen der 
Kanzelberebtfamteit abzufcuern, und mag fich bei der Darfket: 
lung der Ungläubigkeit weit mehr haben geben laſſen; allein 
ber Effect entipriät feinen Bemühungen niht. Gs bat ſich 
bier an der Froͤmmigkeit bewährt, was einmal in d. BL. der 
geiffreiche Dr. Mifes über die Tugend ausſprach, daß fie naͤm⸗ 
lich, noch fo ſtattlich mit [hönen Worten und Redensarten auf: 
gepugt, nicht halb fo zeizend und amufant fei, als das zerlumpt 
und halb nadt einhergehenbe Lafter. Auch bie Froͤmmigkeit hat 
ihre echt poetiſche Geite, aber der Verf. hat diefelbe nicht here 
auszufehren gewußt. Weihe Wirkung darf er ih alfo von 
feinem Buche verfprehen, wenn der Glaube, ben er darin pres 
big, als eig Par — des Genius aber, den 
er mpft, ergoͤtzlich und unterhaltend? Mei { 1 
das Publicum denkt? ß ex nicht, wie 
„Lieber will ih ſchlechter werben 
DE Als mid ennupiren!” 
ift fein Wahlſpruch und vom Standpunkte ber Unterhaltungs 
lecture wenigſtens hat es nicht Unrecht. Darum rathen wir 
dem Berf., fein barflellendes Talent, das ihm nicht abzuſpre⸗ 
den iſt, lieber andern Intereſſen zuzuwenden und ſich zu prüs 
fen, ob er nicht im innerſten Herzen ſelbſt jener Partei, die er 
betämpft, näher ſteht als derjenigen, die er in Schug nimmt. 
Das CEhriſtenthum bedarf weder ſolchen Schutzes, noch kann 
ihm berfeibe im Nothfall irgendwie nügen. 
2, Die vier Schweſtern. Nach dem Franzoͤſiſchen bed Frederic 
Soutie von Er. Brindmeyer. Drei Bände” Braun 
ſchweig, ©. C. E. Meyer sen. 1841. Gr. 8. 3 Thlr. 
‚Der deutſche Mann mag keinen Franjen leiden, doch ihre 
Weine trinkt er gern‘, und wie er ihre Weine gern trinkt, fo 
ißt er gern ihre Gourmanbdifen, fo pugt er fich gern mit ibren . 
Moben, fo tauft er gern ihre Quincaillerien, fo lacht er gern 
über ihre Garicaturen, fo ſieht er gern ihre Luſtſpiele, fo hört 
er gern ihre Opern, fo lieſt er gern ihre Romane. Und was 
ift es, was ihn in allen diefen Dingen anzieht? In allen Din: 
gen bad Cine, das ihm ſelber fehlt: der Geiſt ber Leichtfertig⸗ 
feit, ber Stempel der Muͤheloſigkeit. Da findet ſich nirgenb 
bie Schweißfpur ber Arbeit, nirgend die angekränkelte Biaffe 
bee Überlegung. Wie das Werk auch fei — es ſteht fir unb 
fertig vor und ba; es duftet noch in der Krifche des Cbengewor: - 
denfeing und erinnert doch nicht an die Procedur des Werdens, 
menigftens nur an bie Luſt des Zeugens, nicht an die Plackerei 
bed Gebaͤrens; es ladet uns ein, es frifchweg, wie es entftans 
den, zu verbrauchen und zu genießen. Das reist ung, bas 
macht und Appetit, unb um fo mehr, weil wir e& bei uns felber 
nicht haben können. Unſere Meine find ſchwerer, unfere Spei- 
fen find nährender, unfere Spielereien find finniger, unfere Bil: 
ber berechneter, unſere Opern gränblicher, unfere Romane durch⸗ 
dachter, aber an Allem klebt mehr oder weniger der Schmu 
ber Werkflätte und der Schulſtaub der Studien, und wir fan 
nen babei zu keinem rechten Gonntagsgefühl, zu Feiner echten 





144 


rienlaune gelangen. Darum holen wir uns fo gern unfere 
iffe und Genüffe von brüben her, nicht alfo, weil wir 

fie für beffer halten, fondern weit es ſich, wie fie ſelbſt leichter 
fertig geworben find, auch leichter mit ihnen fertig werden läßt. 
Ganz von berfelben franzöfifchen Leichtfertigkeit find auch 
diefe „Bier Schweftern”. Gin beutfcher Krititer, wenn er es 
gründlich nehmen wollte, hätte baran fo viel abzuflugen und 
auszupugen, daß wenig von ihnen in ihrer jegigen Geſtalt 
übeig bleiben würde. Er fönnte fragen: Wo ftedt eigentlich 
der Kern und Mittelpunkt des Buche. Stedt er, wie wir nad 
dem Anfang glauben müffen, in Brn. Felix Mortand, dem guts 
muͤthigen cindor? Dem widerſpricht der Fortgang. Oder 
liegt er, wie der Fortgang andeutet, in Georginen? Dem ſind 
die folgenden Partien entgegen. Oder liegt er, wie dieſe anzu⸗ 
nehmen zwingen, in dem traurigen Schickſal der drei andern 


Schweſtern? Dagegen ſtreitet das Ende. Wo alſo liegt ers 


In den vier Schweſtern zufammengenommen? Wahrſcheinlich: 
denn dafür ſpricht der Titel. Aber wo ſteckt die Einheit in die 
fer Vierbeit? Wo der Cirkel in diefem Quadrat? Wo das 
Band in diefer Quadrupelallianz? Liegt es in einer gewiſſen 
Nothwendigkeit der Zufammenftellung? Liegt ed in einer Com⸗ 
bination feinee Beziehungen? Ober liegt es blos in dem gleich 
traurigen Schickſat, das fie durchzumachen haben, weil ihr 
Stiefvater ein Schurke if? Und was endlich ift das Facit der 
ganzen Geſchichte? Was bie Moral! Was das Haec fabula 
docet? Gtedt es in dem Sage: daß Schurkerei zu nichts 
Butem führt? daß ein gutmüthiger Ginfattspinfel weiter 
tommt als eine raffinirte Ganaille? daß ehrlich am laͤngſten 
währt? Alles dies find Fragen, mit denen cin deutſcher Kritis 
fer, wenn er es gründlich nehmen wollte, dem Roman zu Leibe 
geben fönnte. Aber Eann er ed denn gründfich nehmen wollen? 
Gr freut fih, daß er einmal den Grund und Boden unter ben 
Beinen los ift; das luftige, windige Element ift ihm gerade 
recht; er laͤßt fi) mit Luft tragen, wohin ber Wind Luft bat, 
und kuͤmmert ſich nicht darum, menn er bie Gegenden, über 
die er binfchwebt, zu feinem geographiſchen Syſtem zufammens 
ftellen fann. Darum wollen wir alle Bragezeihen, bie Frede⸗ 
ric Soulie doch ſchwerlich beantworten würbe, bei Seite Laffen, 
den deutfchen Novelliften aber vertrauen, baß fie vielleicht nicht 
übel thäten, ihre zeitherige Frachtſchiffahrt, wenn nicht in eine 
Luft:, doch wenigftens in eine Dampfſchiffahrt zu verwanbeln. 
Dunn ftünde zu hoffen, baß Ihnen die Dubevant, bie Bal- 
zac, die Sue, die Soulie u. |. w. nicht länger bie fetteften 
Kunden vor dem Munde mwegfchnappen würden. 26. 





Miblingraphie. 


Audiatur et altera pars! Eine freie Stimme über 
den preußtfchen Shefcheidungs : Geſetz⸗ Entwurf. Leipzig, Koͤh⸗ 
Ir. 8. r. 


Bayerte, G., Johann Huß unb das Concilium zu Kofts 
nie, veranlaßt durch Leſſing's Bild auf ber bieejährigen Kunft: 
ausftellung. Düffeldorf, Rofhäs u. Somp. Gr. 12. 7Y, Nor. 

Beiträge zur Gefchichte des Jahrs 1813. Von einem hör 
bern Officier der Preußifchen Armee. After Bd. Ifte Hälfte, 
Potsdam, Riegel. Gr. Ler.:8. 1 Thlr. 10 Nor. 

Bilder ımd Sagen aus ber Schweiz. Bon Ieremias 
Gotkthelf. Uſtes Bochn.: Geld und Geiſt oder die VWerföhnung. — 
Der Druide. Sotothurn, Ient u. Gaßmann. 8. 18%, Nor. 

Bode, W. 3. 8, Beitrag zu der Geſchichte der Feudal⸗ 
fände im Herzogthum Braunfchweig und ihres Werhättniffes zu 
dem Xürften und dem Nolte, veranlaßt durch bie Schrift bes 
Herrn von Grone: „Geſchichte der corporativen Berfaflung bes 
Braunfcgweigifchen Ritterftandes 2c.” Braunfchweig, Vieweg 
u. Sohn. Gr. 8. 15 Nor. 

Dieterih, ©. 8., Briefe über die 20fte Verſammlung 


deutſcher Naturforſcher und Ärzte zu Mainz, wie über feine 


— Kuͤckfahrt. Landshut, v. Vogel. Gr. 8. 1Thlr. 
1 Rgr. 

Dyreßler, Auch ein Wort über Beneke's Seelenlehre und 
ihre Einfuͤhrung in bie Schulletzrer⸗Seminaries. Bautzen, Reis 
dei. 8. 10 War. 


Droz, J., Geſchichte ber Regierung Ludwig's XVI., in 
ben Jahren, da bie franzöfiidye Revolution verhätet oder geleie 
tet werden konnte. 2ter Theil. Aus dem Franzoͤſiſchen. Zena, 
Euden. ®r. 8. 1 Thir. 18%, Nor. 

Des heiligen Franciscus von Assisi Lieder. 
Deutsch und italienisch. Frankfurt a. M., Andreä. Lex. B. 

2 

Heffe, 8. 9., Die preußifche Preßgefegebuna, ihre Vers 
gangenpeit und Zukunft. Berlin, Schröder. Gr. 8. 1Thir. 

gt. 

- Höfler, ©., Betrachtungen über bie Urfachen, weiche im 
Läufe des 16, und 17. Jahrhunderts den Verfall des an 
Handels herbeiführten. Münden, Franz. Gr. 8. 10 Rar. 

‚ Krabbe, D., Bemerkungen über die Stellung ber Apo⸗ 
tögetit zur Heiligen Schrift. Entgegnung auf bie Schrift des 
Deren Lic. Wiggerd: „Kirchlicher ober rein bibliſcher Super⸗ 
naturalismus ?“ Hamburg, Meißner. Gr. 8. 15 Rar. 

Kuffner's, G., ergählende Schriften, bramatifche und ly⸗ 
riſche Dichtungen. Ausgabe lester Band. Zter und Iter Bo. Wien, 
Klang. 16. Für zehn Bände 5 Thir. 

Meynert, D., Rordlichter. Erzaͤhlungen, Novellen und 
Zantafieftüde. 4ter — Gter Theil. Peſth, Dartleben. Gr. 16. 
1 Thlr. B/. Ngr. 

Montan, F., Der Paria. Berlin, Springer. 8. 10 Rgr. 

.Reujahrsgabe an edle Herzen. (Gedichte.) Zum Beten 
eines armen Blinden, Karl Melchior Mook in Erfurt. Erfurt, 
Dtto. 12. Nor. 

Pangkofer, I. A., Walballe.. Mit einem Stahlſtiche. 
Regensburg, Yuftet. Ler.:8. 10 Nor. bifiche 

Pressfragen J.: Über den Gesetzentwurf des Hrn. 
Dr. Schellwitz in Nr. 11— 14 der Allgemeinen Press = Zei- 
tung 1842, die Sicherstellung des literarisch - artistischen 
Eigenthums betreffend. Leipzig, Weber. Gr. 8. 7Y, Ner. 

—— II.: Kritische Beleuchtung des königl. sächs. Ge- 
setzentwurfs, den Schutze der Rechte an literarischen Er- 
Taugpissen und Werken der Kunst betreffend. Ebend. Gr. 8. 

er. 

‚ Reden Seiner Majeftät des Königs Friedrich Wilhelm’3 IV. 
feit feinee Thronbeſteigung. Gefammelt und mit einem Bors 
worte, ſowie mit hiſtoriſchen Ginteltungen berieben von 3. Kil⸗ 
liſch. Berlin, Springer. Gr. 8. 10 Nor. 

‚ Reden und Trinkiprüde Seiner regierenden Majeftät Friedrich 
— IV. Könige von Preußen. Berlin, Babe. Lex.⸗8. 
2 NEE. 

Sachs, J. J.. Nachtrag zur Würdigung der zeitheri- 
gen literarischen Umtriebe gegen mich. Berlin, Liebmann 
u. Comp. Gr. 8. 7, Ngr. 

Vorpahl, K. L., Das Chriſtenthum nad feinem blei⸗ 
benben Inhalt und feiner veränderlien Borm mit freiem 
Geiſte betrachtet und für den gefunden Verſtand bargefteitt. 
Sranffurt a. d. D., Barneder u. Comp. Gr. 8, 27%, Ner. 

Was iſt's mit den Togenannten Altiutberanern? Erftes 
Sendfchreiben an einen Freund. Won Chriſtianus. Mas 
rienwerber, Baumann, Gr. 8. 6Y, Ner. 

Weikert's, I. W., ſaͤmmtliche Gedichte in Nürnberger 
Mundart und in bochdeutfcher Sprache. Mit Anmerkungen 
und einem Wörterbuche. After Bo. Coburg, Sinner. 8. 20 Rear. 

Wenden, ©, Das Haus Overſtotz zur Kheingaſſe, ges 
nannt Tempelhaus. Hiſtoriſche Skizze und Beſchreibung feiner 
rap Ausſchmuͤckung. Köin, Du Mont: Schauderg. Br. 12. 

2 Agr. 


Berantwortlicher Herausgeber: HReinrich Brodhaus — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 





Blatter 


‘ 
—3 
’ R | 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Montag, 


— Kr. 37. —ñi 


6. Februar 1848. 


ee PPp 


ina. Eine Herzensgeſchichte von H. Koenig. 
ipzig, Brockhaus. 1842. Gr. 12. 1 Thir. 
6 Ngr. 

Es ift mie felten eine Dichtung vorgefommen, bie 
durh und durd von einem fo charakteriſtiſchen Geifte, 
von einem fo eigenthümlih uns anmehenden Hauche 
durchdrungen waͤre, wie dieſe Herzensgeſchichte. In den 
letzten Wochen des Spaͤtherbſtes, nachdem bereits Schnee 
und Froſt als die Worboten des Winters ſich eingefunden 
und ans Wald und Feld die letzten Spuren des Grün: 
nend und Bluͤhens hinweggeraͤumt haben, pflegen ſich 
nicht felten wieder einige Tage einzuftellen, die fo lau und 
warm, fo duftig und hoffnungsſchwanger find,- daß es 
ſcheint, als hätte die Natur Luft, fih um den eigentlichen 
Winter, um den gefürchteten Tod berumzufchlekhen und 
unmittelbar in einen neuen Frühling, in 'emen dieffelt des 
Grabes erwachenden Auferfiehungsmorgen bineinzufpringen. 
In folhen Tagen regen fi dann wirklich wieder Die 
Keime, die ſchon erftorden fchienen, ein junges Grün 
fproßt hervor, ſelbſt einige Blumen mifchen fi) darunter 
und fchießen in üppigen Ranken empor, Würmer und 
Inſekten, die ſich fhon zum Winterſchlaf zurechtgelegt, 
kommen wieder aus ihren Schlupfwinkeln hervor, und 
ſelbſt der Menſch laͤßt ſich in einen Ftuühlingstraum wies 
gen, in dem er ſich nicht zum klaren Bewußtſein bringen 
mag, daß Alles blos ein illuſoriſches Epiet, die kindiſche 
Laune eines zum Tode reifen Greiſes iſt. Darum gibt 
er ſich diefem Scheinfruͤhling hin mit einer Inbrunſt, mit 
einer an Taumel grenzenden Hoffnung, mit der er felbft 
den wahren nicht begrüht, und ſchluͤrft den betäubenden 
Dem mit einem Dusfte,. mit eines Unerfättlichkeit, ale 
hoffe er eine ewige Jugend damit vinzufaugen. Aber 
mitten in diefem Raufche komme doch die dunkle Ahnung 
über ihn, daß Alles nur ein zu Ende führendes Nachſpiel, 
kein Hoffnung erweckendes Vorſpiel, ein Icgter Abſchieds⸗ 
gruß, kein fröhliches Willkommen iſt. Darum miſcht ſich 
mitten in jene Freude eine tiefe Wehmuth, eine ſchwere 
Melancholie, die tiefer ins Herz fchneidet als der reine 
Schmerz, weit fie auch alle Süßigkeit der trugeriſchen Luft 
in ihre eigene Herbigkeit hineinzuziehen weiß. Das frifche 
Srim erfheint nun als ein frefjender Gruͤnſpan, die bluͤ⸗ 
bende Mofe als die gilihende Wange eines Schwindſuͤchti⸗ 
gen, der Mare, biaue Himmel als das verklaͤrte Auge eines 


Sterhenden, die laue, warme Luft als die ſchwuͤle Ats 


mofphäre einer Krankenſtube. Altes ift Illuſion, alles 
Decoration; wir erwarten alle Augenblide, daß der Vor⸗ 
bang fällt, und, wenn er gefullen, tröftet uns nichts, al6 


daß wir einer zwar minder reigenden,. aber wahren und 


ungeſchminkten Wirklichkeit wiedergegeben find. 
Ganz diefelbe Empfindungsweife, die in ſolchen Fruͤh⸗ 
lingstagen des Spätherbftes über uns kommt, weht und 
aus diefer Herzensgefhichte an. Won Seite zu Seite bes 
gleitet und. das, Gefühl einer winterlichen Schwuͤle wit 


dem ganzen Gefolge aller feinse wohl: und mwehthuenden 


Eindrüde. Die gange Novelle ift eine . tiefergreifende. Ele⸗ 
gie, bie nichts Anderes darftellt ale die Poeſie des Ab⸗ 
ſterbens, als das geifterhafte Auffladern einer. verlöfchens 
den Flamme. Wahrhaft bewundernswuͤrdig iſt die Kunft, 
mit welcher der. Dichter dieſen Ton zu treffen und feſtzu⸗ 
halten gewußt hat, Jede Situation, :jede Perfönlichkelt, 
jede Scenerie traͤgt zu diefem Gefammteffect bei; der Ernſt 
wie ber Scherz wirkt dasauf hin; Stoff und Geftaltung, 
Stu und, Ausdruck find darauf angelegt. Wer bie Mos 
velle von dieſer Seite anſieht, wird in ihre ein Kunſtwerk 
erkennen. von einer ‚Einheit und Feinheit der. Anlage, wie 
wie jegt nur felten eines finden. Wer biefen Gefichtes 
punkt nicht gewinnt, wird ſich ſchwer hincinzufinden vers 
mögen. Der Doppeleffect, der .von ihe ausgeht — bie 
Warme, in der die Kälte ftedt, die Hoffnung, aus ber 
die Verzweiflung blidt, das Verlangen, in dem ſich bie 
Refignation verbirgt — wird ihn verwirren; er wird ſich 
bald angezogen, bald abgeſtoßen fühlen und wird ber Die 
tung leicht den Vorwurf maden, daß fie den Charakter 
der Zerriffenheit trage. Und doch verbient fie diefen Vor⸗ 
warf nicht — wenigftens nicht als Kunſtwerk. Die Jer⸗ 
eiffenheie iſt nur Object, der Dichter aber bat fi daruͤber 
erhoben, hat fie bewältigt und die entfprechendfte Form 
dafür gefunden. Er bar den Dualismus zur Einheit 
vermittelt, ſodaß die Gegenfüge nicht blos neben, fondern 
ineinander ſich darftellen. 1 
Was den Stoff, die Geſchichte ſelbſt bettifft, fo iſt 
dieſe ſehr einfach. Der Verf. haͤlt ſich durchaus an das ˖ 
ſociale Leben, wie es iſt, und flicht in keiner Weiſe eine 
fremdartige, abenteuerliche Romantik hinein. Die Dar⸗ 
ſtellung des Innern, ber Seelenzuftände iſt ihm das We⸗ 
ſentliche. Hier offenbart er, wie wir an ihm gewohnt 


146 


find, einen tiefen Blick und die Gewanbtheit einer feinen 
Zeichnung. Er begnüge fih nicht, uns bios die flarken 
Gontouren zu zeigen, fondern deckt uns auch die verborge: 
nen Lineamente auf; er läßt und neben dem Nothwendi⸗ 
gen auch das Zufällige fehen und weiß es als einflußreic 
and bedeutungsvoll darzuftellen. Oft geht ec darin freis 
ih zu weit. Er legt nicht felten auf Mebenzüge ein zu 
großes Gewicht und hebt dadurch die Proportionalität des 
Eindruds auf. Dies drückt fi unter Anderm in der ihm 
unverfennbar inwohnenden Beforgnif aus, daß dem Lefer 
Dies oder Das entgehen könnte, zufolge welcher er Mans 
ches gefperrt druden Taßt, was, wenn auch an und für 
ſich Ihön, doch für das Ganze nicht wichtig genug ill. 
Unter den einzelnen Charakteren ift jedenfalls die des 
Doctor Auguſtin die bedgutendfle und interefjantefte 
und nähft ihm Regina. Auguftin ift der Traͤger der 
ganzen dee. Er ift es, an dem ſich die Poeſie des Abs 
fterbend bewährt, und Regina ift nuc die menſchliche Seele, 
die durch diefe Poefie mit fortgeriffen wird. Darum fcheint 
uns der Titel nicht ganz paffend gewählt, fowie wir es 
auch unpaflend finden, daß der Verf. feinen Delden zu 
Anfang der Novelle einen Aprilmenfhen nennt. Der 
Streit des Winters und Fruͤhlings als der Grundtypus 
von Auguftin’® Charakter iſt zwar auch dem April eigens 
thuͤmlich, und dies mag den Verf. veranlaßt haben, 
ihn unter diefem Bilde einzuführen. Aber der April lei: 
tet in den Mai, in den Sommer, in das Leben über, er 
entwidelt fih pofitiv, indeß Auguſtin durch jenen Kampf 
binduch dem Winter, dem Tode entgegeneilt. In allem 
Übrigen iſt er trefflich gezeichnet: das tiefergreifende Wild 
eines jungen Mannes, den eine wild durchlebte Fruͤhju⸗ 
gend für das Grab reif gemacht hat, der aber in einem 
edein, ernſten Wirken für das Leben, in einer teinern, 
pſychiſchen Liebe noch einmal aufzublühen, dem Leben wies 
dergervonnen zu werden fcheint und dem endlich doch der 
Wurm, den er aus der Vergangenheit mitgenommen, da6 
Herz zernagt. Er fühle dies mitten im Süd der Liebe, 
Er erklaͤrt ſich fetbft für eine fhauderhafte Diffonanz und, 
fein Haupt in Regina's Schoos legend, ruft er aus: 

Bier laß mi ausklingen! die Liche ift ja der Accord, ber 
alle Misflänge auflöfl, und felbft bie auseinanderweidhenden 
Siemente des Verweſenden zu neuer jugendiiher Schöpfung 

et. | 
Und etwas weiter fpricht vr: 

Vergib, Herz Regina, daß ich dich fo betrübe! Ich bin 
beute fo koͤrperlich matt; es ift wahrfcheinlid Gewitter in ber 
Luft, dann werb’ ih immer fimpel. Wüßtefl du, wie krauk 
ih bin! Du bemerkt blos meine fo raſch mechlelnde Stimmung ; 
allein das liegt eben barin, baß ich von zwei verfchiebenen Ats 
mofphären bewegt werde, im Übergang aus einer in bie andere 
Exiſtenz. ich’, ich umfaſſe dich, ich hatte alle Echönheit, allen 
Heiz der Liebe im Arm; doch nur in meiner Phantafte gaufeln 
die Freuden ber Liebe; meine Gefühle und Gedanken ſchwaͤrmen 
ins Üüberfinnliche. &o babe ich hier ausgelebt; die Wurzeln bed 
finnlichen, für die Welt fruchtbaren Dafeins trodnen mitten im 
&ppigften Boden der Liebe ein. Ach! indem ich dich fo an meis 
ner Bruft halte, Tann ich wol fagen, daß ich mit bluͤhendem 
Fleiſch und Biut Himmelfahrt feiere. 

Richt minder ergreifend iſt die Perſoͤnlichkeit Regina's. 
Daß fie, die fic) dem winterlichen Frühling bingibt, gerade 


eine Juͤdin iſt, erfcheint zwar nicht durchaus nothwendig 
und hinlänglidy motiviet, erhöht aber jedenfalls das elegis 
ſche Intereffe für fie und gibt Gelegenheit zu manden 
Beziehungen und Betrachtungen, die dem Roman zur 
befondern Zierde gereihen. Wie wahr find ihre Empfin: 
dungen am Himmelfahrtstage! 

Wie gern — heißt es — hätte fie einen gläubigen Antheil 
am heutigen Pefltage genommen! Sie gedachte ihrer fehönen 
jübifchen Zefte, Oftern und Pfingften, Zisri, des Lauberhuͤtten⸗ 
feftes und der Tempelweihe. Allein es fehlte denſelben der 
taufendfache Wiberball in einer mitgläubigen Bevölkerung; ibr 
füßer Duft fiel meift in den Werkeltag ber Chriſten, ihre hei⸗ 
lige Beier warb vom achtungslofen Lärm bes Lebens verſchlun⸗ 
gen. Ah! und fo geht es mit unferm Lieben wie mit unferm 
Beten! feufzte fie. Was wäre der Frühling, wenn nur dba und 
bort zwifchen biätteriofen Bäumen und faatlofen Feldern ein 
Straud) , eine Staude blähten! Aber fieh nur! Liber und über 
gruͤnt und blüht es, alle Vögel fingen, alle Menſchen ſchmuͤcken 
Pd und über der dunkeln Synagoge ſchlagen alle Glocken zu⸗ 
ammıen. 

Einen gleich tief gefühlten Schmerz empfindet fie, ale 
ihr reiner Wohlthätigkeitsfinn mit Argwohn und Mies: 
trauen belohnt wird. Zwar ſpricht Auguflin, indem er 
fagt, daß jede Wohlthat ein Heiland fei und ſich eine 
Dornenkrone gefallen laſſen müfle, einen, wie es ſcheint, 
teöftenden Gedanken aus; aber auch biefer Troſt berührt 
fie ſchmerzlich: denn es ift ja das Bild aus ihrer unglück⸗ 
lichen und ſchuldvollen Geſchichte genommen. So fühle 
fie, wie nicht blos die bornirte und bäßliche Gefinnung, 
fondern auch das Wahre und Schöne fie häufig verletze 
und fie daran erinnere, daß fie Fremdling fei in dem 
Lande, in dem es neu und eigenthämlich erwachſen if. 
(Dee Beſchluß folgt.) 





Narrative of various journeys in Balochistan, Affgha- 
nistan, and the Panjab; including .a residence in 
those countries from 1826 to 1838. By Charles 
Masson. Drei Bände. London 1842, 


‚ Aus ber Vorrede des Buches iſt nicht zu erfehen, in welcher 
Eigenſchaft der Verfaſſer die drei genannten Laͤnder, Afghaniſtan, 
Balochiſtan und Panjab, bereift und Jahre lang daſelbft verweilt 
bat. Aber Ref. erinnert ſich aus ben engliſchen Zeitungen, daß 
der Berfaffer, nachdem er mehre Jahre — dem Zitel zufolge 
feit 1826 — in Afghaniſtan und Perfien als Privatmann gı: 
reiſt war, in Kabul — Maffon fchreibt Kabal — bie Stelle 
eines großbritaniicdgen Agenten bekleidete und als folcher mit dem 
fpäter angefommenen berühmten Reifenden Burnes in unanges 
nehme Berbältniffe gerieth. Nambafte Veranlaffung dazu ſoüte 
bie, ihrer Zeit viel befprocdhene Ankunft des angeblichen ruffi- 
fen Agenten Witkewiſch gegeben haben, bes angeblihen um 
deswillen, weil das ruſſiſche Cabinet, fo viel Ref. weiß, wenig: 
ſtens öffentlich ihn nicht anerfannt hat. Won den eingetretenen 
Irrungen fagt Maflon allerdings nichts; doch laſſen fie fih aus 
Dem herausiefen, was er fagt. Er erzählt, Witkewitſch fei 
ohne hinreichende Mittel und mit fatfchen Papieren nah Kabul 
gekommen, das Wolk fei mistrauifch gegen ibn gemwefen und 
ſelbſt Doſt Mohammed habe Argwohn gehegt. Er, Maffon, habe 
den Patron ſchnell durchſchaut und bdeffen Vollmacht für das 
Fabrikat einiger, im perfifhen Lager vor Herat befindlichen 
Ruffen erktärt. Burnes bingegen babe die Papiere für edit 
gehalten, habe audy den Khan zu diefem Glauben berebet, babe 
dadurch den Abenteurer in den Augen ber Afgbhanen zu einer 
wichtigen Perfon gemacht und damit den ungluͤcklichen Afghanen⸗ 


247 


fisg augefehürt. Weib nachher verließ Maſſen Kabul, Uehete 
sch Britifdye Indien zuruͤck und verräth durch die Bitterleit, mit 
weicher er Burnes überall angreift — gibt ee boch fogae zu verfteben, 
Burnes fei aus Jurcht von den Ruſſen übergeihnappt — ſowie 
durch die balsflarzige Weile, in weicher er deffen Angaben wiber: 
fpeiht, daS Burnes ihn in Kabul ausgebiffen. ef. möchte 
deher zu einigem Miötraum gegen des Verfaſſers begägtidhe 
Behauptungen um fo mehr ratben, je deutlicher manche berfel- 
ken den Stempel des Widerfprudgögeiftes und der Webertreibung 
an fi tragen Burnes fiebt in den Afghanen eine Ration, 
deren geiftige Entwickelung zu bebeutenden Refultaten führen 
werde. Alſo erflärt Maflon bie Afghanen für ein Boll in ans 
archiſchem Zuſtande, weiches kaum den Namen einer Natien ver: 
diene und weder befonders wüntich, noch ſchaͤdlich werben koͤnne. 
Barnes nennt Doſt Mohammed einen guten Regenten. Maſſon 
findet nur einen einzigen hervorſtechenden Charakterzug an ihm, 
nämlich Unzuverlaͤſſigkeit. Deshalb fei cr zwar bisweilen gut, 
ober ebenfo oft ſchlecht gewefen, gut ober ſchlecht je nach feinem 
. Später vergißt fih Maſſon. Er fagt, ehe Doft 
: Mebammeb Herrſcher geworden, habe er jebem Lafler gefröhnt; 
fobatd sr ben Thron beftiegen,, habe er ein enthaltfames, wirt: 
ih muflerhaftes Leben geführt; er habe nie bie Wohlthat einer 
Stichung genoffen, gleichwol als Kürft alle den Mohammeda⸗ 
nern ugdngtiche Bildung ſich angeeignet; außer in Angelegens 
beiten der Politik fei er gerecht gewefen, frei von hochfahrendem 
und despotifhen Benehmen, gegen Jedermann herablafiend, 
und Kabul babe unter feiner Herrſchaft eine gewifle Blüte er⸗ 
langt. Gleich vergeklich iſt Maffon hinſichtlich des anarchiſchen 
Zuftandes der Afghanen. Er ſagt, der Handel über Afghani⸗ 
ſten fei ftets bebeutend, bei geringen Zöllen fo gut wie frei und 
teiner Sidrung ausgelegt gewefen. Reimt ſich das mit Anarchie? 
Indem aber der Verf. gegen Burnes fchrieb, mußte er 
gegen den von ihm influirten Lord Auckland, und indem gegen 
Leptern, zugleich gegen die vom Huber verbrängten Whigs fchreis 
ben. Und das hat er bei Beſprechung des Afghanenkrieges ehrs 
lid ober unehrlich getban. Unter ben Dauptgründen gu dies 
fem Kriege wurden befanntii die Gröffnung des Indus für 
die Schiffahrt und der daraus erwadfende Handel genannt. 
Atfo verfihert Maffon, nur feichtes Wafler, nichts Anderes habe 
ven Indus geſchloſſen, aber die Dampfſchiffahrt darauf fei aus⸗ 
ſchließlich zu Eriegerifchen Zwecken benugt worden. &o unglaubs 
lich das, daß es wol eine Uebertreibung beißen darf. Mag ins 
deſſen Meffon’s Wort, fo oft es ſich mit Burnes befchäftigt, ober 
in die Politik hinuͤbergreift, nicht vorfichtig genug benuht werben 
koͤnnen, — volles auen verdient es gewiß in den Stellen, 
wo er Perfonen und Zuſtaͤnde des gemeinen Öftlichen Lebens bes 
ſpricht. Wenige Reilende haben ſich darum fo bemüht wie ber 
Berfaffer,, wenige würben baffelbe beffer zu fchilbern verftehen. 
Davon ein Paar der Pürzeften Proben. 

Zuerſt das Portrait eines Beinen indiſchen Fuͤrſten, deſſen Grund⸗ 
güge auf alle paffen. „Der Rawab Shir Mohammed Khan iſt unge⸗ 
führe B Jahre alt. Döogleich er feine Abhängigkeit von den Sikhs 
fehr unangenehm empfinden fol, hat doch der Aerger ihn nicht 
gehindert, fo corpulent zu werben, wie es einem Nawab eignet 
und gebuͤhrt, noch hindert er ihn an einer Menge Eindifcher Bes 
Wisungen . ....- Er befoidet Geiger, Ringer, Bären: und 
Menhuͤter und laͤßt oft Heine Pferde in feinem Blumengarten 

ſith datbalgen. Schuͤttelt dann eins das andere tuͤchtig beim 
Date, klatſcht er in die Hände und ruft: Wah! Wah! Das 
Gefolge thut ein Gieiches; die Zimmer fallen vom Haͤndegeklatſch 
und dem Rufe: Wah! Wah! und es ift merkwuͤrdig, wie fehr 
bie Katzbalgerei Alle zu amuficen ſcheint. Gr Lebt bie Jagd 
und ift ein geſchiekter Bogenſchuͤge. Au bildet er fi auf 
feine Kraft etwas ein und fol wirklich einem Stier die Hörner 
wm Kopfe wegdrechen können. Ron ſolchen Schwächen abge⸗ 
fehen, ift er ein freundlicher, gutmüthiger Menſch, der feiner 
Matter große Aufmerkſamkeit erweiſt.“ Fürften dieſer Art 
ſtehlen, fo viet fie koͤnnen, und ihre Unterthanen thun es ihnen 
nach. Maffon ging häufig allein und traf eines Tages auf 


zwei junge Buefdien. ‚Ber jüngere wollte fortiaufen ; ber ättere 
biett ihn und erwartete mid. Ich konnte beide nicht: recht 
verftehen, fah aber, baß der jüngere fidy ver meiner Houtfarde 
fuͤrchtete. Er ſchien mich für einen Teufel zu halten und wollte 
fih mir ſchlechterdings nicht nähern, wie oft auch ber andere 
ihm fagte, ich fei nur ein Menſch, vor dem ſich Niemand zu 

brauche. Dann bat er mich, meinen Arm auszuftreden, 
und weil ich glaubte, ex wolle dadurch feinen Kameraden bes 
ruhigen, that ich's. Da padte er- mein Handgelenk und drehte 
es fo Eräftig um, baß ich, Feines Widerſtandes fähig, zu Boden 
flörzte. Nun rief er feinen Gefährten, mit ihm das Buͤndel 
zu. untesfuchen, das ich auf bem Rüden trug. : Aber kein Zu: 
xeben half; ben ſchreckte die Furcht. Inzwiſchen würgte ber 
andere mein Handgelenk immer mehr, bis ich aufbrüllte, ich 
fei des Nawab's Nukar, fein Diener. Da ließ er mid fofort 
los und erlaubte mir aufjufteben. Als ich fah, daß die Er- 
wähnung des Rawab Gindrud auf ibn madhte, mwünfchte ich 
ihm alle Berwünfchungen an den Hals, worauf er, nad; feinen 
Kameelen zeigend, mich fragte, ob ich Milch trinken wolle. Ich 
hingegen fragte, ob er ein piala, ein Befäß babe, und als er 
mir zu verſtehen gab, daß er mir in die Bände melken wolle, 
lehnte ich das höflichft ab, denn ich hätte dabei eine Gtellung 
annehmen müflen, die ihn verleiten Eonnte, fie zu feinem Bor: 
theil zu benugen. 

Über Kanbahar berichtet ber Verf. Zolgendes: „Die 
Stadt Kandahar ift in einem Umkreiſe von brei (englis 
fhen) Meilen mit Lehmmauern umgeben , die nad jeder 
Seite bin, wie ich glaube, 17 Thuͤrme haben, bie Eds 
thärme nicht gerechnet. Unter Aufficht des verftorbenen Giebar 
Chir Dit Khan wurde rings eine Schanze aufgeworfen, bie 
trefftiih gelegen iſt, da fie von feiner Anhöhe beherrfcht wird. 
Sie bat fünf Thore, von denen das nad der GSitadelle führende 
faft immer verfchloffen bleibt. Die Gitabelle befindet ſich im 
norbwefltichen Theile der Stadt und fol Shahzada Kamran 
zum Grbauer haben, einfimals Beherrſcher von Stadt und Land. 
Die vorzägtichften Bazars find weit und geräumig und hatten 
urſpruͤnglich zu beiden Seiten Baumgänge und Kanaͤle. Die 
find ‘aber fhlecht erhalten. Keine Stadt kann reichlicher mit 
Waffer verfeben fein. In gewaltigen Leitungen kommt es aus 
dem Wluffe Arghaſſan und tft dann dergeſtalt vertheilt, daß es 
durch jeden ‚Hof fließt. Auch gibt e& eine Menge Quellen, deren 
Waller zum Trinken vorgezogen wird. Won dem Flaͤchenraume 
innerhalb der Mauern nehmen verfallene und verlaffene Haͤuſer, 
weittäufige Höfe, Gärten und Stallungen einen fo betraͤchtlichen 
Theil ein, daß es wahrſcheinlich niche über 00 bewohnte Häufer 
gibt — eine Schägung, nad) welcher bie Volkszahl fi auf 25 
— 30,000 belaufen würde. Deffenungeachtet gilt bie Stadt für 
den tahkt, die Metropole der Durants. Die Mofcheen und 
andern Öffentiichen Gchäude find durchaus nicht ſchoͤn, haupt⸗ 
fähtih wegen Mangels an Waterial: dies ein Umſtand, ber 
dem dauerhaften Bau ber Stadt überhaupt nachtheilig geweſen 
ift, denn die Käufer find faft alle aus ungebrannten Ziegein ers 
sichtet und mit Kuppeln bedeckt, indem es an Feuerung fehlt, 
Ziegel gu brennen, und an Holz, fläche Dächer zu legen. — 
Die Wohnungen der Eirbars, obfchon groß und hinreichend be: 
quem, entbehren architektoniſchen Geſchmack. Ihre Hauptzierden 
find die Eünfttih aus Holz gefchnigten Balcons ber bala khanas 
oder obern Zimmer. Die arg ober Sitadelle, weil aus gebrann⸗ 
ten Steinen gebaut, hat ein vortbeilhaftes Aeußere und der Eins 
gang fat etwas Impoſantes. Im Innern aber ſtehen die Pa⸗ 
Läfte der frühern Könige mit ibren gemalten Zimmerreihen leer, 
obere werben von den Dienflleuten der jegigen bewohnt. Die 
Herrſcher ſelbſt ſcheinen fie abfichtlich zu meiden. — Die Bazars 
find mit guten und wohlfeilen Lebensmitteln und mit einer Ueber⸗ 
fülle treffticher Fruͤchte verſehen. Kabut ift berühmt wegen der 
Duantität, Kandahar mögen ber Qualität feines Obſtes. Doch 
fand ich es fo billig, daß ein maund, mehre englifche Pfunde 
Weintrauben, nur einen Pais Eofleten, und Belgen, Pflaumen, 
Apritofen, Pfirſiche, Birnen, Melonen und Mandeln faft ebenfo 


x 


.148 


wenig. Die Granatäpfel von Kandahar finden vieleicht nir⸗ 
gend ihres Gleichen und genießen daher in jenen Ländern mit 
Necht einen großen Ruf. Fleiſch, jedoch fehr gutes, mag nicht 
fo wohlfeil fein wie in Kabul; dagegen find das allgemein 
genoflene Roghan und Brot wohlfeiler; nicht minder Quark und 
Eier. Bon letztern koſteten 10 oder 12 Stud einen Yais. 
Zum Schuß ein ergögliches Pröbchen, welcher Behandlung uns 
beſchuͤgte Reifende am Indus ſich zu gewaͤrtigen haben. Maffon 
verließ Kandahar zu Fuß und traf eine Heerde Kameele, deren 
Inhaber Nachtquartier gemacht hatten. „Ich fand ungefähr 120 
im Halbkreis aufgefchlagene Zelte und quervor zwei mit Gteinen 
umfchloffene Räume, die als Masjits dienten. Da es um bie 
Zeit des Abenbgebeted war, näherte ich mich einem berfeiben, 
grüßte mit dem üblichen salam alikam und wurbe erfucht, mid) 
zu fegen. Nach beendigtem Gebete fagte ein anflänbig gekleide⸗ 
ter Dann zu mir; Doudi kouri dil ter razi, was foviel heißt 
als: wenn du Brot eflen wilft, komme hierher. Ich nahm 


die Einladung an und folgte in fein Zelt, das nach der Landes⸗ 


fitte gut meublirt war, und vor dem Cingange waren brei 
leidliche Pferde angepflodt. Das Ganze hatte einen Anſtrich 
von Wohlhabenheit, ich moͤchte fagen, von verhältnißmäßigem 
Reichthum. Beſonderes Brot wurde für mich gekocht, mir 
Wafler gebradyt, vorm Gffen die Hände zu waſchen, und id 
dann aufgefobert, mir es wohl ſchmecken zu laffen — to eat 
heartily. Ich fühlte mich gang heimiſch und that dem Mahle 
um fo mehr fein Recht, da ich den ganzen Tag gefaftet, als 
ein anderer Wann eintrat .und fich neben mich fehte. Kaum 
war ich mit Effen fertig, fo zog mir ber neue Ankoͤmmling einen 
etwas berben Badenftreih. Darüber begnügte ich mich zu laͤ⸗ 
ein, meinend, es folle ein Spaß fein, wenn auch ein ſehr 
grober. Diefe Wilden verftehen indeffen wenig von Dem, was 
ſich ſchickt, und da ich außerdem Einer gegen Viele war, rieth 
Thon gemeine Klugheit, die Sache pafliven zu laffen. Hierauf 
bat er mid um mein Oberlleidv. Das fchlug ich entichieden ab, 


aber immer noch meinend, der Dann wolle Spaß maden. 


Aber ich empfand zu meinem Schaden, daß der Mann nicht 
fpaßte, denn mit Gewalt nahm er mir nidht blos dag Ober⸗ 
Heid, fondern auch meine Kopfbedeckung, ließ mir mi? einem 
Worte nichtd als meine perjamas und meine Schube. Zwiſchen⸗ 
durch applicirte er mir als Zugabe zwei ober brei Obrfeigen 
und eine ungezählte Menge perfifche Schimpfworte, feinen ganzen 
perfifchen Sprachſchatz. Letzteres that er aus Hohn über meine 
Unfenntniß des Paſhto, das ich ſchlechterdings fprechen folte. 
. Während biefer Vorgänge reiste und trieb mein ehrenwerther 
Wirth und Eigner des Zeltes den Plünderer unausgefegt an, 
und nahm einige Pais in Empfang, bie fi in einer Zafche 
meines Oberkleides vorfanden. Die Kleider behielt der andere 
Boͤſewicht und führte mich hierauf in fein Zelt, das viel Meiner 
und armfeliger., Gr bieß mid beim Feuer nirberfegen und 
wärmen, breitete jodann auf dem Boben neben das Feuer ciz 
nige Belle, die mein Bett fein follten, unb fagte, ich möchte 
mid ausruhen, warnte mich jedoch, wenn ich recht verflanben, 
nicht etwa einen Verſuch zur Flucht zu machen, indem die Bunde 
mid; ſicherlich packen würden. Alſo ftredte ich mich auf mein 
©orgenlager und bedachte meine miferable Situation, mein Zroft 
nur der, daß mein gütiger Freund nicht die Abſicht zu haben 
fchien, mich meiner perjamas zu berauben, in deren Bund ic) 
mein weniged Geld eingenäht, und daß ich den folgenden Tag 
eine kafıla erreichen könne, vorausgeſetzt, daß man mich bes 
Morgens fort ließ und ich Gelegenheit fände, meine Garberobe 
zu eompletiren. Blieb deffenungeachtet meine Lage immer noch 
bebauerlid genug, fo machte doch ber ermübende Tagesmarſch, 
meine von Natur ſtarke Eonftitution und die Gegenwart bes 
Feuers, daß ich bald einfchlief. Auch fchlief ich die ganze Nacht 
ungeftört fort bis an ben Morgen, wo mein Wirth mich mit 
einem Yußtritte weckte und mich einen Kafe ober Ungläubigen 
ſchalt, weit id nicht zum Gebet auffiche, das er allerdings fos 
fort in den Kleidern wiederholte, die er mir ben Abend vorher 
genommen. Jett wurde ich in das Zeit meiner erfien Bekoͤſti⸗ 


eführt, wo ich mehte Maͤnner beifammentraf, Wie 
Inge t mich mit Gtöden und Gtriden bebienten und zur 
Abwechfelung mit Steinen warfen. Ich zweifsite nicht, daß es 
auf meinen Tod abgefehen fei, fammelte meinen Duth und bes 
ſchloß, mein Schidfal mit Feſtigkeit zu erwarten, kein Beiden 
von Schwäche ober Niedergefcglagenheit zu geben. — — Giner 
von den Kameeltreibern fagte mir, ich möchte ein Kameel ber 
fteigen; aber ich Eonnte keines fangen. — — So marfdirten 
wir vier oder fünf Koß. Dann wurde Halt gemacht und mie 
gefagt, ih würde Abende nah Robat kommen. Run wollte 
ich meine Reiſe für mich fortiegen, erfuhr aber leider neue Pluͤn⸗ 
derung. Meine Kleidung unb mein @elb wurden mir genoms 
men, ich rein ausgeſchaͤlt. In Tauſch für meine Perjamas er; 
hielt ich ein zerriffenee Paar, die kaum die Knie bedeckten. Nur 
meine Schube blieben mir, entweber weil fie für die allfeitigen 
Füße zu Elein oder zu groß waren. Ih gab mein Geld und 
meine Kleidung nicht gutwillig noch friebfertig hin; einer son 


ben Böfewichtern zog fogar fein Schwert. Aber bie andern 
verhinderten Gewaltthaͤtigkeit. Ich befchwor fie ale Männer 
und Mufeimänner. Darüber lachten fie.” Mit Mühe ges 


langte Maffon zu einer Kafila oder Reifegefellfchaft unb fdyleppte 
fi) bei derfelben fort, bis er zu frifchen Reifemitteln kam. - 14. 





Riterarifhe Notizen aus Franfreid. 


Seitdem Mesmer in Kranfrei zum erflen Male die oͤf⸗ 
fentlihe Aufmerkſamkeit auf die merfwärbigen Erſcheinungen 
des Megnetismus und bes bamit in Verbindung flehenden Som⸗ 
nambulismus gelenkt hat, ift diefer Gegenftand von unzähligen 
Schriftftelern behandelt ‚worden. Trotzdem aber fteben wir 
eigentiih no) immer auf demfelden Punkte. Die Glaͤubigen 
erklären ſich bereit, für die Wahrheit ihrer Lehre zu flerben, 
während die Antifomnambutiften fie mit Spott und Hohn aus 
dem Felbe fchlagen zu können glauben. Die Geſchichte des 
Somnambulismus findet jegt zum erften Male in Aubin 
Gauthier einen würdigen Bearbeiter. Wenn aud fein Werk: 
„Histoire du somnambulisme chez tous les peuples’’ (2 Bbe., 
Paris 1842) noch weit entfernt ift, ben Gegenftand ganz zu 
erihöpfen,, fo ift e6 doch immerhin ein beachtenswerther An⸗ 
fang. Der Verf. begreift unter dem Namen Somnambulitmus 
alle jene außerordentiichen Zuftände, die wir mit dem Namen 
Beleffengeit, Infpiration, Hellſehen u. f. m. bezeichnen. Gr 
redet in feinem Werke von der Traumdeuterei und den Orakein 
der Alten, von den Ahnungen, ben Gibyllen und Dämenen 
und umfaßt alfo alles Das, was wir Idioſomnambutismus und 
Rhabdomantie zu nennen pflegen, 


Man bat bekannt! von dem berühmten Werke Segur's 
über ben feanzöfifchen Feldzug bes 3. A812 gefogt, daß es 
das befte franzöfithe Epos frei. Dafür behaupten aber auch bie 
Gegner Segur’s, daß er ſich nicht immer an die pofitive Wahrheit 
hatte, fondern zumeilen in das Gebiet der Poeſie hinüberfchweife. 
Namentiih bat Gourgaud in feinem „Examen critique“ 
ſich bemügt, die zahlreigen Irrthümer und Verſehen aufzuiefen, 
die Segur ſich in feinem glänzend gefchrichenen Werke Hat zu 
Schulden kommen laffen. Nachdem Trouvé in feiner „Analyse 
critique de l’histoire de Nanol&on et de ia grande arm6e ea 
1812 par Ségur“ (Paris 1825) unparteiiſch nadhgewiefen hat, 
inwiefern die Vorwürfe, bie man Segur gemacht hat, gegräns 
bet find, kommt gegenwärtig der Baron Dennide, der unter 
Napoleon einen hohen militairifchen Poften befleibet bat, unb 
unterwirft diefe Frage einer neuen Unterfuhung. Sein Werk 
führt den Zitel: „Iineraire de l’empereur Napoldon pendant 
la campagne de 1312” (Paris 1842). Daffelte kann 
zwar, auch abgefehen von dem Segur’fhen Buche, ein beden⸗ 
tendes SImterefle in Auſpruch nehmen, aber es hat als berich⸗ 
tigender Beitrag zur „Histoire de Napoleon“ eine befondere 
Bebeutung. 2. 





VBerantwortlicher Serauſsgeber: Keinrich Brockhaus. — Drud und Berlag von BE. A. Brockhaus in Leipzig. 


x 


- — — — — — — — — — — 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienflag, 





Regina. Eine Herzensgefchichte. von H. Koenig. 
(Beihiuß aus Nr. 3.) 


Auch über eine unſerer intereffanteften Tagesfragen 
finder ſich eine Reflerion, die Mittheilung verdient, 

Daß der Einzelne — fagt Auguftin, ala von dem Zuftanbe 
der Juden die Rede ift — nicht um bürgerlicher Freiheit willen 
oder gar aus Citelkeit und Ehrgeiz für feine Perlon zum Chris 
ſtenthume übergehen will, finde ich rechtſchaffen gedacht. Es if 
ein altes Unrecht und eine ſich immer erneuernde Schmach, dem 
ia unſern Staaten eingewachſenen Judenthum die politiſchen 
Rechte ganz oder theilweiſe zu verſagen Albernheit, euch für 
aſiatiſche Fremdlinge zu erklaͤren, da unſere germaniſchen Vor⸗ 
fahren aus noch tieferm Aſien, nur früher als ibr, in dieſe Laͤnder 
gezogen find. Und was die Berfaflung des fogenannten chriſt⸗ 
üchen Staats angeht, fo kann und fou ſich jeder Staat derge⸗ 
kalt einrichtrn, daß ein Glaubensbekenntniß, das ja ohnehin 
aufwärtö nach dem Himmel gebt, feinen Weg niemals durch 
den Bürger: und Unterthaneneid zu nehmen brauche. Dagegen 
fonmt es mir wunderlich vor, wenn ber einzelne Israelit ſich 
aus dußern Urſachen von feinen Glaubensgenoſſen nicht Losfagen 
will, während er innerlich ihr Glaubensgenoſſe gar nicht mehr 
ft. Wie Viele kenne ich, die nach Weltanficht, nach Geſinnung, 
ja nad gefellfchaftlicher Bildung keine Juden mehr find. Sa, wen 
der Mefalemus mit feinen Satzungen und Gebräuden noch 
eine innerlide Beruhigung und Überzeugung gibt, für den ift 
er noch lebendig und man muß feine ehrliche Religiofität ach⸗ 
ten. Ihr aber, die ihre nicht mebr glaubt, nicht mehr betet, 
nicht mehr fafter, euch nicht mehr ins gefeglich gemiſchte Leinen 
und Wollen kleidet und nicht mehr waſcht, wie die Andern, 
warum macht ihr's zum Ehrenpunfte, Juden zu feinen und zu 
heißen? Um bad Judenthum erhalten zu beifen? Warum foll es 
denn weiter erhalten werden als es wirklich lebt? Etwa zum 
bloßen Trog? D dann pflanzt es wieder in den fleinigen Boden 
riss, an die feuchten Geſtade des Zodten Meeres. Richtet 
dort ben Tempel wieder auf, nöthigenfalld mit gewaffneten 
pänden, wie nad ber babylonifchen Gefangenſchaft eure Väter 
thaten; ruft ben Hohenprieſter auf unb beftet ihm den glaͤn⸗ 

Schild mit den Ramen ber zwölf Stämme an die Bruft. 

tein Rothſchitd da? Hier aber liegt die Palme des Juden⸗ 
tum, von einem weltgefchichtlichen Orkan entwurzelt und nad) 
Europa geſchleudert, in einem fremden Culturklima da; fie grüs 
nelt noch für einzelne Gläubige von eingefchloffenem Leben; fie 
vrrwittert iangſam, denn fie iſt ein Kerngewaͤchs ber Urzeit. 
Die Pilze aber, die auf ihr wachlen, die Geldpilge wurgeln nur 
in ihrer angefautten Rinde, aber fie nähren ſich aus unferer 
Atmofphäre. Aufiöfung ift die Beflimmung au des Mofais: 
mus. Sie würde rafdyer gehen, läge ber entwurzelte Stamm 
ia freier Atmoſphaͤre. Und Aufidſung iſt ein beitiges Werk, ift 
daB Sinathmen des Schöpfers zu neuem Ausathmen. ben ihr 
geblibeten , geiffigzunbefchnittenen Juden feib die flüchtigen Par⸗ 
Auftöfung , bie vor andern in langfamer Entwicke⸗ 

nach abberufen werden. Warum folgt ihr nicht 


7. Bebruar 1843. 





bem Zuge ber geifligen Atmofphäre, fonbern wollt, innerlich abs 
geſchieden, bem Abfterbenden noch dußerlich anhangen? Vielleicht 
it es Frevel, jedenfalls ift keine Wahrheit darin! 

Es ſcheint uns, ale habe der Verf. hiermit auf den 
eigentlichen Punkt, der noththut, hingedeutet. Diefer lau: 
tet — wenn auch ein wenig zwifchen den Zeilen zu les 
fen — gegenfeitiges Entgegentommen! Wozu das Ges 
frei nach einer Emancipation der Juden? der Juden 
insbefondere? Warum nicht überhaupt nach einer Bes 
fteiung von den Feſſeln einer fogenannten Staatereligion? 
Warum tritt Überhaupt der Menfh in einen gefelligen 
Verband? Einmal, weil er die mannichfachen Vortheile 
genießen wi, die aus einem gefelligen, ſtaatlichen Zuſam⸗ 
menfeben von felbft entfpringen; fodann, um in Gemein⸗ 
[haft kraͤftiger und erfolgreicher einem der Menfchheit wuͤr⸗ 
digen Ziele entgegenftreben zu können. Iſt ein folcher 
Derband nothivendig durch einen gemeinfamen Glauben 
bedingt? Der Glaube gerade iſt etwas Rrinindividuelles, 
Subjectives. Zum Glauben bedarf ich keines Anden, 
der für mic; mitglaubt, und kein Anderer bedarf meiner, 
daß ich für ihn mitglaube. Daher wird der Glaube aus 
genblidiih zum Zankapfel, fobald man ſich über ihn ver» 
einigen will; daher wird ein Streit über den Glauben 
nie ausgeſtritten, daher gibt es, genau genommen, fo viel 
verfchiedene Gonfeffionen als Menfchen exiſtiren, daher ift 
nichts verßehrter als gerade die Religion zum Princip einer 
Gemeinſchaft machen zu wollen. Kräftigfle Mitwirkung 
zur Erreichung des Staatszweckes — das ift die einzige 
vernünftige Bedingung, die der Staat feinem Staatsbuͤr⸗ 
ger flellen kann; nur ein politifches Glaubensbekenntniß 
kann er fodern, und iſt dieſes feiner Idee entfprechend, fo 
muß er ihm alle Rechte und Vortheile gewähren, die er 
zu gewähren bat. Iſt dieſer Standpunkt erft erreicht, 
dann bedarf es keiner befondern Fudenemaneipation. Die 
Juden werden von feldft aufhören, unnatürlicherweife nody 
eine Corporation. für fih zu bilden, da fie zum großen 
Theil längft fhon mit einer großen Maſſe der Ehriften - 
eined Glaubens find. Nur die Nothwendigkeit, Ehriſten 
werben zu müflen, wenn fie nicht Juden bieiben wollen, 
hält fie beim Judenthum zurüd, Trotzbem daß fie von 
dee chriftlich = germanifchen Lebensanficht , die fie mit der 
Zeit eingefogen und bie als ein hiſtoriſches Erzeugniß ſehr 
wohl ohne den Glauben an die chriftlichen Dogmen bes 
ſtehen kann, fo tief durchdrungen find mie wir, verleugs 


⸗ 


150 


nen fie diefelbe und fuchen ebenſo hartnaͤckig den abgeflors 
benen Moſaismus feflzuhalten, wie der chriftliche Staat 
fi darauf firfet, dem Chriftenthum, nicht nur feinem 
Geiſte, fondern auch dem Buchſtaben nad, feine politl: 
Vorrechte zu. bewahren. 

on einer Maren Einſicht in das Wefen des Juden⸗ 
thums zeugt außer der Charakteriftit Regina’ auch bie 
ihred Bruders Julius. Beide haben ſich, tie es jegt fo 
häufig vorkommt, über die Beſchraͤnktheit und Enghetzig⸗ 
keit jüdifchen Glaubens und juͤdiſcher Lebensweiſe erhoben. 
Gefchah dies bei Regina in Folge einer hoͤhern Sittlich⸗ 
keit und Gefuͤhlsbildung, ſo lag bei Julius mehr eine 
Verſtandes⸗ und Kunſtoildung zum Grunde. Nur jens 
vermochte natuͤrlich zur chriſtlichen Kirche uͤberzuleiten; dieſe 
konnte hoͤchſtens den Wunſch erwecken, die chriſtlichen 
Vortheile zu erringen — ſich mit einer chriſtlichen Saͤn⸗ 
gerin verbinden zu bürfen. Sowie dieſes Vehikel im 
Werthe ſinkt, finkt auch das Chriftenchum felber mit, 
und Julius fchließe ſich nur um fo enger, wenn auch 
niche an feinen alten Glauben, doch an feine alte Ges 
meinde an. Flacher, aber der Micklichleit entfprechend 
it die Zeichnung der ebenerwähnten Sängerin Fanny, 
die bei der Kataſtrophe eine ſehr wichtige Wolle fpielt; 
faft zu gemein ift ihre Mutter dargeficht. Ce mögen 
fih im Leben genug Originale dazu finden — aber ein 
Daguerreothp iſt noch kein Kunſtproduct: es fehlt der poe: 
tiſche Umguß im Geiſte des Kuͤnſtlets. Die uͤbrigen 
Perſonen find mehe oder weniger nur fkizzenhaft hinge⸗ 
Reit; fie find die fhwächern Elemente des Buche. Sie 
erwecken kein gleihmäßiges Intereſſe; der Verf. läßt fie hier 
und da ganz aus den Händen fallen. Eine Ausnahme 
davon macht die arme Mutter mit ihren fünf Kindern, 
von denen fie keines miſſen will, um e6 bei einer reichen 
Scau erziehen zu laffen. Die ihr gewidmete Scene iſt 
eine der [höniten und mwohlthuendften Partien des Buchs — 
ein Gentebild der echteften, kernigſten Geſundheit und 
Natuͤrlichkeit, det Krankhaftigkeit und Geifterhaftigkeit Au⸗ 
guſtin's gegenuͤber — der echte Fruͤhling neben dem Schein⸗ 
frühling. Dieſe Scene iſt für den Effect des Ganzen 
von auferordentlihem Werthe. Sie iſt Zeugniß dafür, 
baß der Verf. in feinem Objecte nidyt untergegangen iſt, 
und forgt dafür, daß auch der Lefer nicht in bie frank: 
hafte Empfindungsweife mit fortgerifjen wird, fo tief ihm 
auch ein Blick in den poetifchyen Sonde derfelben eröffnet wird. 
Zugleich erweckt fie die Hoffnung, daß wir unter ben 
„Deutfhen Novellen”, deren wir einem allgemeinen Zitel 
nach noch mehre vom Berf. über „Deutfches Leben "u 
erwarten haben, auch mante finden werden, die unfere 
Zuftände aud von einer rein = erfreulichen und markigen 
Seite zu erfaffen willen. Richard Morning. 





Leben und Wiſſenſchaft in ihren Elementen und Gefegen. 
Von Kari Friedrich Anton Schmidt Würz 
burg, Stahel. 1842. 4. 1 Thle. 22" Nor. 

Necht viel wirb in dieſem Werke beſprochen; was läge 
auch nicht. im Kreife beö Lebens und ber Wiſſenſchaft? GSo fins 
den dann in vier Abſchnitten Philoſophie, Anthropologie und 


Mebicin, Religion und Theologie, Politik unb Zurisprubenz 
ihre Stelle. Die barin Herrfchenden Gelege, als Wasftäbe für 
die Entwickelung der Gegenftände, follen auf ein Grundgeſet, 
auf eine Einheit bes Geſetzes, gueäctgefägrt werben. 

dierfür bieten fi dem Verf. Zablenverhättniffe, die auf 
alle Formen des Seing paflen unb ichnend für alle mögs 
lichen generellen und fpecislien GEntwidelungen ber Dinge in 
Anwendung zu bringen find, was uns an 3. 3. Wagner’3 
„Mathematifche Philofophie” erinnerte, beren auch &. Il mit 
Eckartshauſen's „Zahleniehre ber Natur‘ gebacht if. Rur daß 
flatt Wagner's Vierzahl bier die Zehnzahl zum &chematifiren 
des Lebens und der Wiffenfchaft gebraudyt wird, mit zugleich 
beigefügten Warnung, Bablen und Figuren feien nicht Gelegge: 
ber der Dinge und wiſſenſchaftlichen Debuctionen, fonbern abe 
ſtrahirt aus dem Inhalt der Dinge des Alls nach ben unend⸗ 
Itdyen Erſcheinungsformen, und alfo nur eine formale Con⸗ 
firuetion ber unenbliden Reihe der Individuen zum gemeinfas 
men Ginheitöpunkte, weshalb fie Leinen Inhalt geben, die Wil: 
fenfhaft nicht an fih fördern, fondern durch die Wiſſenſchaft 
ſelbſt gefördert find, als formeller Ihell der Wiſſenſchaften in 
enblicher Befchränkung, während der materielle Theil der Wiſ⸗ 
ſenſchaften in unendlicher Reihe unbeſchraͤnkt fi) verzweigt. 
ine Sinwendung macht fig der Verf. fetbft: „das Schema⸗ 
tifiven fei ein Verlieren in die Form, ein Rormales, was feinen 
wiffenfchaftiichen Inhalt gibt, ein gefuchte® willkürliches Geſtal⸗ 
ten und Gingwängen der Unenblichkeit in endliche befchräntte 
Bormen’, und dies ift volllommen richtig, es wäre daher ver- 
kehrt, wenn man Entwürfe von Schematen — was wol zum 
heil geſchehen — als eine Conſtruction wiſſenſchaftlicher Ein- 
fiht betrachten wollte, ba fie doch nur eine Ueberficht gewähren. 
Der Berf. liefert nun eine Menge von Gchematen über Philo- 
fophie, Anthropologie und Medicin, Religion und Theologie, 
Politik und Jurisprudenz. In allen herrfcht die dekabiſche Kor: 
mel: 1. Einheit; 2. 3. Entwidelung, Gegenfad; 4— 7. In: 
neres, Außeres, Hohes, Niedriges; 8. 9, 10. Wefen, Korm, 
Erin. Als Beilpiel diene ein Schema aus der Sprachlehre für 
Wortbezeihnung und Interpunction: 1. Wort, Punctum; 2. 3. 
WBurzelmörter, Stammwoͤrter; Komma, Fragezeihin; 4—T. 
Ableitung, Jufammenfegung, Bedeutung, Definition, Semikolon, 
Kolon, Arsrufungszeichen, Gedankenſtrich; 8. 9. 10, Verſchie⸗ 
denheit der Wortbedeutung, Ähnlichkeit ber Wortbedeutungen, 
Wortverbindung; Anfuͤhrungszeichen, Theilungszeichen, Paren= 
theſis. Und ein anderes Beiſpiel aus der Anthropologie und 
Medicin: 1. Seelenkrankheiten; 2. 3. Geiſteskrankbeiten. Ge— 
muͤthskrankheiten; 4—7. Wahnſinn, Irrſinn oder Berruͤcktheit, 
Tiefſinn, Unſinn ober Narrheit; 8. 9. 10. Biddſinn, theilweife 
und zeitweiſe Seelenſtoͤrungen aus acuten phnfilchen Krankheis 
ten, gleiche fecundaire Serlenftörungen aus phyfiſchen Gebrechen, 
organiſchen Krankheiten, Krankheitszufaͤllen und Krankheitsaue- 
gaͤngen. Der Berf. bringt in daſſeibe Zahlenſchema bie Bitten 
des Vater Unfer und die Zehn Gebote, laͤßt auch unter bie 
Hauptabtheilungen Ddreigliedrige Unterabtheilungen ſich ſtellen, 
z. B. unter Wahnſinn Aufhebung der idealen Anſchauung, auf: 
gehobene Phantaſiefreiheit, Aufhebung aller Intelligenz, unter 
Blödfinn Dummheit, Stumpffinn, Kretinismus u. f. w. Zu: 
glei) Toll fi in der formalen Ausprägung ber Zahlenreihe unb 
ber materialen Auspraͤgung ber Begriffsreihe für jene dekadiſche 
Gefegformel eine dreifache Gradation finden: a) primitive Bes 
ſtehens⸗ ober Grundformen Nr. 1— 3; b) fecundaire Entwicke⸗ 
lungsformen Nr. 4—T; c) Vollendungsformen Nr. S—1O. 
Ref. aber gefteht, er habe biefe Gradation in den Schematen 
nicht entbeden fönnen und nur in einigen derfelben etwa ent: 
fernten Anklang bavon gefunden. 


Dem fei nun wie ihm wolle, fo entpält ber die Schemate 
begleitende Text viel Ginleuchtendes und Beherzigungswertbes. 
Unter nderm betrachtet der Verf. den Menſchen ais noifdyen 
dem Endlichen und Unendlichen, dem Irdiſchen und Dimmlis 
ſchen ftehend und erblickt in dem jegt herrichenden Zeitgeifte ei- 
nerfeits eine Durcharbeitung zum Standpunkte des teligiöfen 


24 


Sehens, andererſeitẽ ber: materiellen m „Rur if es bes 
träbend, gerade im Höchſten dus Men manchen ruͤckſchrei⸗ 
imben Bewe zu begegnen. Waͤhrend bie ſchon früher 


gungen 

neben dem Monotheiämus entwidelten und feinbli Richtuns 

des Atheismus und Pantbeismus bie Wifienfchaften weit 

die Retigion erhoben, wird nun auch bie Religion nicht 
sur über alle Wiffenichaften, fondern auch im Gegenſat mit 
nieſen gefegt und leptere werben als ihr feindlich angefehen, und 
zwar in der roeıtverbreiteten Partei der Pietiften und Myſtiker, 
weiche ſich in jene fruͤhern Perioden der Religion verfegt fehen 
möchten, wo ein contemplatives Leben im Hochgefuͤhle der Got⸗ 
kendbe und in Wonne der Meitſchoͤpfung das Gemuͤth bes 
Denſchen erfuͤllte. Wei diefen Menſchen fleigert fich zwar das 
innere Seelenleben, aber die eigentliche geiſtige freie Thatkraft 
sach außen wird haͤufig geſchwaͤcht oder krankdaft verändert 
und es tritt mit der Ruͤckkehr in ſich oft verderbliche Selbſtge⸗ 
nmigſamkeit ober ſogar Fanatismus ein.’ 

Der Verf. iſt Arzt und betrachtet ben Verſuch einer neuen 
Bahn der Pfychologie als eigentlihen Gentralpuntt feiner vor⸗ 
liegenden Schrift. Man nimmt an, fagt er, der Menſch bes 
ſtehe aus Geiſt, Gerie und Leib, Geiſt habe nur der Menſch, 
Grete und Leib auch das Thier. Die Seele verbindet ben 
Geiſt mit dem Leibe, der Seele Traͤger ift bie Neroenkraft, 
das Nervenfluidum, dia Lebenskraft überhaupt, ober Seele iſt 
am Ende identifh mit Lebenskraft. Different find die Zu: 
eilungen und Begriffbeflimmungen der einzelnen dem Geifte 
und der Seele angehörigen Zactoren Vernunft, Verſtand, Ge⸗ 
müth, Wile u. f. w., und fonderbar ift oft die Stellung, in 
weiche diefe drei Wegriffe und Dinge zueinander gefegt werben. 
Der Seit, Ichet man, if unſterduich und ewig, der Leib ſterb⸗ 
Rh und vergänglich; wie es mit der Seele geht, darüber ift 
man meiftens uneinig, und da auch Thiere nad Ginigen eine 
Seele Haben, fo weiß man nicht recht, was mit diefer wird. 
Da man einerfeits die Seele als gefteigerte Lebenskraft nimmt, 
fo kaͤmpfen an ihr die Materialiften an, laffen den Geift nur 
Ausflüffe von ihr fein, während die Pantheiften einen unmittels 
baren Ausfluß des göttlidyen Weltgeiftes in ine erfennen und 
Seele in allem Leben finden. Die beliebte Trias — im Sinne 
der Theologie die Trinitaͤt — ſoll in der Annahme von Geiſt, 
Seele und Leib einen Anklang ober eine Gorrefpondenz in der 
Schöpfung bes Menſchen mit der göttlichen Dreieinigkeit finden. 
Der Verf. ſtellt dagegen die Lehre fe: der Menſch befteht aus 
zwei Hauptgrundbeftanbtheilen, Seele und Organismus; Geele 
umfaßt die ganze Lebensfphäre des Geiſtes und Gemuͤthe, Or⸗ 
gantamus ben ganzen materiellen Lebenskreis indbivibueller Ge⸗ 
faltung. Das Thier hat keine Seele, iſt aber gleich dem Men⸗ 
ſchen ein Organismus, letzteres ift ein felbftändig belebtes indivi⸗ 
buelied Weſen, beftehend aus materiellen Stoffen, und aus Kräfs 
tn, weiche in diefen Stoffen wirken. Das feelifche Leben bes 
Venſchen muß von unmittelbar goͤttlichem Uriprunge und von 
böberer Würde als die irdiſche Grfcheinungsmwett fein. Auch 
der Menſch ift nicht die vollendetite Schöpfung ber Geifterwelt, 
fontern exfcheint ats Übergang vom natürlichen, materiellen Les 
ben zum überfinntichen, himmliſchen und geiftigen, als eine Ber: 
Einigung von zwei Raturen, davon die eine in einer ganzen 
Welenreite und Stufenleiter ſich entwidelt und zur Vervoll⸗ 
kemnung herangebildet hat, während deren andere zum erften 
Mae ſich kund gibt. 

Die einfachften Erklaͤrungen find mol die beflen und fos 
nach eine Dyas des Dienfchenbeftandes einer Trias vorzuziehen, 
indeffen fieht man, mas Andere der Seele beilegen, gewährt bes 
Berf dem felbfkändig belebten Organismus, und was über bies 
fem dem Geiſte zufällt, ift nad ihm der Seele eigen. Die 
menſchliche Seele entfaitet fi nun in die Polarität von Geift 
und Semüth, des Geiſtes untergeordnete Syſteme find Bernunft 
und Verftand, des Gemüths höhere Gefuͤhlswelt und Sinnen⸗ 
gefähte. Die Vernunft entfaltet fi) als Quelle ber Ideen, der 
Phantafie, der Intelligenz, der Verſtand als Quelle des Erken⸗ 
nens, des Vorſtellens, des Denkens, die höhere Gefuͤhlswelt als 


Duelle der Neligiofität, der Liebe, ber Mahrheit, bie Sinnenge⸗ 
fühle haben die Gtufen der Empfindung, des Crgriffenfeins, des 
Begehrens. Die Vereinigung aller Geelenvermögen im Seelen 
leden, ſowol in der geiftigen als gemuͤthlichen Sphäre erſcheint 
als eine nach dem Geſet ber Trias conftruirte $erausbilbung 
der Srundformen Bewußtlein, Wille und That. As Probes 
flein der Wahrheit diefer Anſichten nennt der Verf. das thieri⸗ 
ſche Leben, weichen in höherer Ordnung mit dem Menſchen ge⸗ 
meinfame Functionen zukommen, und die pſychiſchen Krant⸗ 
heiten, wovon keine Spur bei den Thieren vorkommt. (ac 
Gcheitlin’6 „Shierfeeientunde” find Spuren davon vorhanden.) 
Inzwiſchen wirb wol feine pſychologifche Anficht irgend einer 
Art das Gemeinſame und Unterſchiedene des thierifchen und 
menſchlichen Lebens verkennen und für deren Auffaſſung und 
Erklärung gewiſſe Gegenbegriffe wählen, fobaß eine beſtimmte 
Bertbeilung ter Grundträfte und Vermögen allein dadurd) feine 
ausſchließliche Richtigkeit gewinnt, wenn fie gleich neben andern 
au befichen vermag. In der Pfychologie will eigenttich der 
Menſch hinter ſich ſelbſt kommen, welches fireng genommen uns 
moͤglich var ei na fer nur br und findet und hierfuͤr 
— wie g © alle Dinge ber Welt — zu gewi s 
ausfehungen gendthige wich. su griffen Soc 

Was der Mebicin im Verhäitniß zu ben andern Wiſſen⸗ 
ſchaften noth thut, leſen wir S. 135: „Philoſophie ſollte ee 
Sinheit in das ärztliche Willen bringen, als Geiſt der Natur: 


wiſſenſchaft Einheit in Entwickelung der Geſetze des organifchen 


Lebens, in der Pſychologie Einheit in den Geſetzen des t 
lebens; fie follte verhindern, daß einfeitige Sofme aa es 
polanftrebende Neuerungen auftauchen und bie Köpfe verbienden, 
bie Theologie follte ber Medicin freundlich zur Geite gehen, aber 
ohne theologiſche Sekten und Parteien, Myſticismus und Piee 
tismus, Sqhwaͤrmerei und Gcheinheltigleit, fowie andererfeits 
Materialtsmus und Atheidmus, Frivolität und Immoralitaͤt als 
Erbfeinde der Ärzte und ihrer Wiffenfchaft angefehen werben 
ſollten. Auch in ſtaatsrechtlicher und ſtaatsgeſellfchaftlicher Ber 
ziehung wuͤrdige die Medicin richtig ihre Stellung, verbinde 
praktiſchen Takt mit wahrer Theorie, es ſchwinde in ihr das 
unſelige Streben einſeitige Hirngeſpinſte ins Leben zaubern zu 
wollen, oder geheime Agentien und Raturkräfte zu leugnen, flatt 
deſſen werbe ruhig geprüft und geforfcht, dann erſt mitgetheilt 
und geurtheilt.” Als Beiſpiel gibt der Verf. feine burch prakti⸗ 
ſche Beobachtung und Pruͤfung gewonnene Anſicht uͤber den thie⸗ 
riſchen Magnetismus, worin wir ihm hier nicht folgen koͤnnen. 
Mit befonderer Ausführlichkeit und Eingehen in die einzel: 
nen Verbättniffe wich das Medicinalweſen in den dnropäif 
©taaten befprochen, und trog dem Vielen, was gegen fonft ba⸗ 
rin gefchehen fein mag, werden Mangel nachgewieſen und pia 
desideria daran geknuͤpft. Gin eigener Anhang enthält intereſ⸗ 
fante ärztliche Gutachten, ‚ befonders in Bezug auf pfodhifche 
Verhaͤltniſſe. Auch über die jept Häufige Minderung des Seh⸗ 
Pa wre jangen —— werben F Urſachen nachgewie⸗ 
n und Vorſchlaͤge zur etwaigen Verbeſſerung und S 
des Geſichtoſinns gemacht. s qearfons 
Selbſt über Religion und Theologie urtheilt der Nichttheo⸗ 
loge und erkenat gang die Wichtigkeit des Gegenflandes. Die 
dyeifttiche Religion iſt ihm Weltreligion, aber fie befeeit nicht 
in ihrer Reinpeit, nad ihrem Umfange und ihrer Klarheit un⸗ 
fer Geſchlecht. Dies beweiſen die Kämpfe der chriſtlichen Par⸗ 
teien, die menſchlichen Zufäge und Pormeln, die geringe Aus« 
breitung ber chrifttichen Kirche auf Erden, die Differenzen in 
Kustegung der heiligen Schrift, der chrifttichen Dogmen und ver 
ligisfen Lebensanfichten. Rein auf dem Gtanbpunfie der Wil: 
fenfchaft will der Verf. fi) auf bie -Begenfäge von Kathoticie 
mus und Proteftantismus einlaffen und eine mögliche Vereini⸗ 
gung nadyveifen. in fchönes, aber gefährliches Unternehmen, 


denn gerabe die Wiſſenſchaft mit ihren Anfpräden fcheint Spate 


tungen zu vermehren. Wol kann gefagt werben: „Der Prote⸗ 
ſtantismus entſpreche mehr der Neligionsaufnahme durch Ber: 
ftand und Vernunft, der Kathoticismus einer @efühlsaufregung, 


durch beibes werbe fecunbats die Andacht und geiflige Erhebung 
erzeugt, ſchneller durch letzteres, bleibender buch ———— al⸗ 
iein damit iſt wenig gewonnen, ber Begenfag betrifft sine 
g durch Autorität und durch eigene it. Der Verf. 

—* fagt richtig: „Die Abficht des Ehriſtenthums ſei, nicht 
oͤlos eine Kirche bes unbedingten Glaubens, ſondern eine ſelb⸗ 
ſtaͤndige Erfaſſung der Kirche und ber Glaubentwahrheit nach 
dem allgemeinen Wiſſenſchaftsgeſege zu ſchaffen“; allein chen 
dadurch wirb eine mannidhfaltige individuelle Geſtaltung herbeis 
geführt. So können dann folgende Kirchenunionsvorſchlaͤge 
(©. 236 fg.) ſchwerlich zum Ziele fähren, naͤmlich: Errichtung 
eines der Zeit und den Vebärfniffen der Menſchen angemeffenen 

einſchaftlichen Lehrgebäubes durch eine vereinte Kirchenvers 
ammiung; Gottesdienit mit Meffe und Predigt, Abendmahl in 
beiteriei Geftalt; gebührende Würde der Tradition neben ber 
heiligen Schrift; Geſtattung ber Priefterehe; einige Kıöfter ohne 
die bisherigen, oft unheilſchweren Gelübbe ; icher Glaube/ 
aber auch chriſtlicher Wandel; Taufe und Abendmahl als Haupt⸗ 
ſacramente, denen ſich die andern als nicht ſchriftwidrig anſchlie⸗ 
ben; Verehrung der Maria, ald Mutter Ehriſti, durch ein 
BDauptfefi u. f. w. Wenn auch mande dieſer Vorſchlaͤge aut 
führbar wären und Frieden bringen Tönnten, wie mag dev Verf. 
es von Goncilien erwarten, bie body jeder Einigung bie Sanc⸗ 
tion ertheilen müßten, und warum ift des Papftes und ber roͤ⸗ 
miſchen Hierarchie nicht gebarht, die vor allem übrigen in 
Frage kommen? Fuͤrwahr, die chriftliche Theologie und bie 
Theologen find vertannt ! 
Im neuern Gtaatsleben hält der Verf. eine unbedingte 
Preßfreiheit noch nicht an ber Zeit, weil noch die allgemeine 
Intelligenz mangelt, weil oft das ‚Höhere profanirt und in ben 
Staub gezogen wird, weit nicht Wahrheit und Hecht, nicht das 
Bute um des Guten willen ſtets veröffentlicht werben, fondern 
dfters Wis und Laune, Haß und Feindſchaft, Privatinterefie 
und Fanatismus freien Spielraum geminnen und darum Gen: 
fur und Preßgefeg der Preßfreiheit als Huͤlfsmaͤchte (1) zur 
Seite ſtehen. Alfo — es bleibe damit, wie es ift, wir baben, 
was wir brauchen ! 

Gin ſchoͤnes Äußere empfiehlt das Wert. Auf dem Um⸗ 
ſchlage ift in ber Mitte abgebildet das Auge Botted im Dreis 
ed, Strahlen ausipendend, ein Sinnbild des Centralpunkts als 
les ibeellen und reellen Seins, Menſchen, Engel, Weltkörper, 
umber; dann bie Religion als betende junge weiblidhe Kigur; 
die Jurisprudenz mit Schwert als Ältere; bie Medicin im Bilde 
des Äskulapy die Kunft im Bilde des Apollo u. f. w. Der 
Stich ift gelungen und kann die Breunde emblematifcher Vers 
zierungen erfreuen, 5. 


Literariſche Notiz. | 
. Wir haben ber „Galerie des contemporains illus:res par 
un homme de rien” bei verſchiedenen Gelegenheiten im Vorbei⸗ 
geben erwähnt. Gegenwärtig find fo ziemlich ſechs Bände (das 
Banze ift auf zehn berechnet) erſchienen, und wir wollen des 
halb auf dieſes geiftvolle Werk aufs neue aufmerkfam machen. 
Das „Journal des debats” fagte vor einiger Zeit mit Recht, 





daß dieſe Galerie mehr- als ein bios vorübergehendes Interefle | 


babe. In der That erhalten wir in biefem Werte nit nur 
eine große Waffe fehr intereffanten Materiats über unfere gro⸗ 
en Beitgenoflen und namentlich über die franzoͤſiſchen Notabilis 
täten, ſondern bafleibe ift zum Theil fo gelungen verarbeitet, 
daß einzelne der kleinen Biographien für wahre Cabinetſtuͤckchen 
gelten Eönnen. &o heben wir aus dem erften Bande namens 
lich Thiers, Berryer, aus dem zweiten: Cormenin, Balzac u. a. 
hervor. In dem legten Bande werden von ben fremden Gchrifts 
flelleen namentlih X. W. v. Schlegel und X. v. Humboldt bes 
fprochen. M. be Lomenil — bie iſt, wie es heißt, ber Name 
des Verf. — ift mebr als ein homme de rien, er ift ein Dann 
von Geiſt und vielem Talent. Gein Stil ift pikant, ohne gar 
zu viel mit Antithefen gu fpielen. 2. 


Biblisgraphie. 


Ahat, W., Humoreslen. Goesfelb, Rice. 8. 1 Thlr. 


Fliegende Blätter für ragen bes Tages. 1. Die Che: 
De aefragr. Von Puchta. Berlin, Belle. Gr. 8. 
r 


a . 
Boz's ſaͤmmtliche Werke Adfter Theil: Leben und Abenteuer 


Martin Cbuzzlewit's. Aus dem Engliſchen von E. A. Mo: 


riarty. Mit 40 Stahlſtichen nach Driginatzeichnungen von 
hin lftes Heft. —— hen 16. 5 5 
Capefigue, M. Geſchichte der hundert Tage. Ifte Liefe⸗ 
zung. Mit 1 Stahiſtich. Freiburg, Herder. Gr. 8. 10 Nor. 
Doerk, E. M., Beitrag zur Vermittelung ber Meinuns 
gen 10 Sr Preußiſche E reform. Gisleben, Reichardt. 


Fiedler, F., Beographie und Geſchichte von Altgriechen⸗ 
land und feinen Colonien. Leipzig, Hinrichs. Sr. 8. 2 Thir. 

Frick, Ida, Durch Nacht zum Licht. Roman in vier 
Büchern. 2 Bände. Leipzig, Bode. 8. 3 Thir. 

Fryxell, A., Leben Guſtav's IE. Adolf's, Könige von 
Schweden. Aus bem Schwediſchen nach der ten Auflage uͤber⸗ 
fegt und mit den nöthigen Anmerkungen verfehen von 3. Hom⸗ 
berg. ?ter Theil. Leipzig, Hinrichs. Gr. 8. 1 Thir. 

Graͤf, G., Scherz und Ernſt, oder Charakterzeichnungen. 
Meiningen, Keyßner. Gr. 12. MW Nor. 

Harkort, F., Bemerkungen über die preußiſche Volke⸗ 
ſchule und ihre Lehrer. Hagen. Gr. 8. 12 Nor. 

Herbert, @., Der Griminglproceß des Jochim Hinrich 
Ramde, aus Halſtenbeck bei Altona, wegen angeſchuidigten 
Mordes, naͤchſten Verfuchs zu einem andern Morbe und Morbs 
brandes, in allen Inftanzen zum! Tode verurtheilt und zum 
Richtplat geführt, deffen Hinrichtung aber dennoch, wegen Zwei⸗ 
feld an der Schuld und dem gefunden Verſtand des Inquifiten 
einem wenige Minuten vor ber Grecution anlangenden koͤnigi. 
Befehle zufolge, nicht flattfand; nach den Griminalacten und 
authentifhen Berichten mit Beziehung auf die Theorie bes Ber 
weisverfahrens und Gelchwornens Gerichts und bie Vertheibigunges 
fchriften der Herren Adv. Guͤlich und Dr. jur. P. v. Kobbe 
beleuchtet. Altona, Bellbutt. 8. 20 Nor. 

Sallet, F. v., Geſammelte Gedichte. Breslau, A. Schulz. 
16. 1 Zhlr. | 
Schartan's, H., Leben und Lehre. Gin Lebensbitb aus 
der ſchwediſchen Kirche. Leipzig, Micelfen. Gr. 12. 10 Nor, 

"Stimmen berühmter Chriften :über ben Damascener Bluts 
proceh. Als Anlage zu der Schrift „Damascia” von 8. 6. 
Loewenftein. Frankfurt a. M , Hermann. 8. 10 Nar. 

Zrojano, M. bi, Die Bermählungsfeier des Herzogs 
Wilbelm des Fünften von Bayern 'mit Renata, der Tochter bes 
Herzogs Kranz bes Erſten von Lothringen, zu München im 
Sabre 1508, In italienifcher Sprache befchrieben. Frei übers 
Ki von Gr. Wuͤrthmann. Münden, Fleiſchmann. Gr. 8. 

. 08. 

Vechelde, C. 8. v., Aus bem Tagebuche bes Generals 
Fr. 2. v. Wachholtz. Zur Geſchichte der frühern Zuftände ber 
preußifhen Armee und beſondere des Feldzugs des Derzoge 
Friedrich Wilhelm von Braunſchweig⸗Oels im Jahre 1800. 
Braunfhweig, Vieweg und Sopn. 8. 2 Thir. 

Welp, J., Die Patrimonial: Gerichtsbarkeit. Bruchſtuͤck 
aus 1” Memoiren eines ſchleſiſchen Bauern. Leipzig, Hunger. 

. 2 Xgr. 

Willibald, 3%. K., Die Zigeuner im Tilin: Walbe. 
VBolks⸗ und Criminalgeſchichte aus der letzten Hälfte des vorigen 
Jahrhunderts. Wien, Stoͤckhotzer v. Hirſchfeld. 8. MW Star. 

Wuttfe, D., Jahrbuch der beutfchen Univerfitäten. I. 
Winterhalbjiahr 1842—43. Leipzig, Weidmann. 8. 235 Nor. 


“ Berantwortlicher Herauögeber: Heinrich Broddaus. — Drud und Verlag von F. U. Brodhans in Leipzig. 
———— — — — —— 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Mittwoch, 





Davis über China. 

LaChine. Par J. F. Davis; traduit de l’anglais par A. Pi- 
chard, revu et augments d’un appendice par Basin aine. 
Zwei Bände. Paris 1841. 

Dies Werk iſt ein Beweis von dem Geiſte hiftoris 
ſcher, ethnographiſcher und geographifcher Forſchung, der 
unfere Zeit harakterifirt und mit den pbilofophiichen und 
politiſchen Strebungen unferer Tage in engfler Berbin: 
dung ſteht. Denn in der That iſt das Studium ber 
Geſchichte, der Zander: und Völkerkunde gegenwärtig ein 
philoſophiſches oder politifche® und wird philoſophiſcher 
oder politiſcher Zwecke wegen unternommen. Die naive 
Neugierde, welche blos wiſſen moͤchte, wie es ehedem und 
anderswo geweſen und ausgeſehen, blos um es zu wiſſen, 
dieſe Neugierde duͤrfte man nur noch auf den Schulbaͤn⸗ 
ken finden. Unintereſſirt ſtudiren Wenige Geſchichte, Laͤn⸗ 
der⸗ und Voͤlkerkunde. Die Einen gehen von politiſchen 
Geſichtspunkten aus; bei Andern liegt der Gedanke, zu 
einer Philoſophie der Geſchichte und Menſchheit zu kom⸗ 
men, im Hintergrunde. 

Griechiſche, roͤmiſche, franzoͤſiſche, engliſche, ſpaniſche, 
italieniſche, kurz abendlaͤndiſche Geſchichte, Ethnographie und 
Geographie ſind in unſerer Zeit Gegenſtand der allgemei⸗ 
nen Bildung geworden; die Sprachen dieſer Länder find 
allen Gelehrten bekannt und es fehlt in feiner Literatur 
an Merken über die Gefchichte, Ethnographie und Geo⸗ 
graphie dieſer Länder, die auch Denen zugänglich find, 
welche Beine fremde Sprachen gelernt haben. Der Orient 
it aus Gründen, die in der Natur der Sache liegen, 
bis jetzt der allgemeinen Bildung fremd geblieben und 
wird ihre andy wol noch lange, wenn nicht immer, fremd 
beiten ; vor der Dand läßt fi ſchon darum nicht wohl 
von einer hiſtoriſchen, ethnographiſchen und geographifchen 
Literature über den Orient [prechen, weil die orientalifhen 
Studim noch eine Art indiſches Weltei find, noch nicht 
eine in fi organiſirte Disciplin, wie bie claſſiſche Phi⸗ 
lologie. Was bis jest in Frankreich für die Kenntniß 
des Orients geſchrieben worden, das ift vorherrfchend Lin- 
guiftifcher Natur; das Gefchichtliche, Ethnographiſche und 
fonftige Sachliche läuft nur in Anmerkungen, Ercurfen, 
Commentaren fo mit bei. Die Leitungen der franzoͤſi⸗ 
fden Orientaliſten, wie Sitvefire de Sach, Abel Remus 
far, Anquetil du Person, Chezy, Eugene Burnouf, 


Langles, Cauffin de Perceval, Garcin de Taſſy, Klap: 
roth, Champollion⸗Figeac, Duatremere de Quincy u. A. 
haben allerdings die Kenntniß des Orients in ſprachlicher 
und auch in anderer Beziehung bedeutend gefördert; aber 
diefe Leiſtungen intereffiren ausfchlieflih Gelehrte von 
Sach, und es hat in Verhaͤltniſſen, die zu befannt find, 
um noch befonderd hervorgehoben zu werden, feinen 
Grund, daß bie Riteratur der Engländer über den Orient 
seicher ift an Beiträgen zur Kenntniß der focialen Cul⸗ 
tur dortiger Länder und Voͤlker, welche für gebildete Les 
fer intereffane find. Ein folher Beitrag iſt das bier 
angezeigte Werk über China. 

Es eriftirt nicht Teiche ein Land, über das Europa 
lange Jahrhunderte hindurch unvolftändigere, unmahrere 
Borflellungen und crtravagantere Ideen gehabt hat, als 
über das „himmliſche Reich”. Durchaus nicht aus 
Mangel an Nachrichten über diefes merkwürdige Land, 
noch aus dem Grunde, weit unüberfteigliche Dindernifie 
jederzeit den wißbegierigen Europdern den Zutritt auf 
chineſiſchen Boden verwehrt und dadurch zu fabelhaften, 
rein aus der Luft gegriffenen Erzählungen und Beſchrei⸗ 
bungen DVeranlaffung gegeben hätten. Es gab eine Zeit, 
wo die Fremden frei und ungehindert im Innern von 
China herumreifen und es in allen Richtungen und Bes 
ziehungen duchhforfhen durften. Wenn dieſe Erlaubniß 
gegenwärtig aufgehoben ift, wenn die Bewohner bee 
„Mittelblume der Welt’ (db. h. Chinas) alle andern 
Nationen und infonderheit die abendländifchen als ver: 
ächtlihe Barbaren behandeln, fo ift daran die unerfätt: 
liche Habgier, die ſchmaͤhliche Sewinnfucht und Graufam: 
keit Schuld, wodurch ſich Spanien in Suͤdamerika einen 
fo verabfheuten und verabfheuungswürdigen Namen. ges 
macht. Mie mehr Gluͤck und Erfolg’ als Merico und 
Peru fegte Ghina ben fremden Eimdringlingen einen 
Damm entgegen, indem es feine Grenzen zufchloß und 
fid) gegen das Ausland ummanerte. 

Zu der Zeit, wo Handel und Verkehr aller Art im 
Innern des „himmliſchen Reichs“ den Fremden freigeges 
ben war), wurden in China Handels: und Entdeckungs⸗ 
reifen vom hoͤchſten ntereffe vorgenommen. Den Ara 
ben, bie vor der Eroberung ber mongolifhen Tataren 
ſich vorzugsweiſe als Handelsleute zur See dahin begas 
ben, verdanken wir bie erfte etwas genaue, ausführliche 


154 


Beichreibung Chinas, feiner Sitten, Einrichtungen und 
Gewohnheiten. Ihre weitläufigen, ausgedehnten Erobe⸗ 
rungen brachten fie mit den Grenzen dieſes entlegenen 
Reihe in Berührung, und die Wißbegierde reizte einige 
von ihnen, im Lauf des 8. und 9. Jahrhunderts Diele 
unbelannten Gegenden zu bereifen, die fie nachher be: 
ſchrieben. 
Titel ‚‚Anciennes relations de deux voyageurs maho- 
metans’’ (1718) beforgten Überfegung haben die Fran⸗ 
zofen ein intereflantes Gemälde zweier Reifen, die in 
den Jahren 850 und 877 von zwei Arabern gemacht 
worden. Diefe Reiſebeſchreibungen des 9. Jahrhunderts 
enthalten um fo merfmwürdigere Einzelheiten, als fie Die 
Chineſen ſchildern, mie wir fie heutzutage Eennen, ob: 
fhon feitbem an taufend Jahre verfloffen find. Einen 
andern Seifebericht, den wichtigften von allen, die über 
das Innere von China gefchrieben worden, findet man 
in ben berühmten Reifen des Marco Pole im 13. Jahr: 
hundert unferer Zeitrechnung. Aber alle dieſe Huͤlfs⸗ 
mittel und Nachweifungen waren vor der Hand für Die 
abendländifhe Bildung verloren. In großer Unwiſſen⸗ 
heit über die Beichaffenheit, den Umfang, die foclale Cul⸗ 
tur und die Gefchichte Chinas, ſchenkte Europa den Be: 
richten dee kuͤhnen Neifenden keinen Glauben und gab 
lieber ihre Beſchreibungen für Lügen und die Reifenden 
ſelbſt für kecke Betrüger aus. 

Im J. 1254 oder 1255 machten zwei venetianiſche 
Edle, Nikolaus und Matthaͤus Polo, die Reiſe nach Kon⸗ 
ſtantinopel. Wie ihre Handelsgeſchaͤfte in dieſer Stadt 
beendigt waren, hoͤrten ſie mancherlei reden von einem 
weitlaͤufigen Reich, welches die Tataren an der Wolga 
geſtiftet. Sie befchloſſen, daſſelbe zu beſehen, und mach⸗ 
ten ſich in dieſer Abſicht auf den Weg, nachdem ſie zu⸗ 
vor bedeutende Vortaͤthe von Pretioſen und Edelſteinen 
angekauft. Sie verweilten zuerft bei bem Zatarenhäupt: 
ling Barkah, Enkel des berühmten Dicingte-Khan, bei dem 
fie die gaftfreundfchaftlichite Aufnahme fanden. Nach 
einjährigem Aufenthalt nahmen fie Abfchied von ihrem 
Wirth und gelangten endlich nach China, mährend ber 
Regierung des mongolifyen Croberers Khonbilai : Khan. 
An dem Hofe diefed Fürften wurden fie ungemein gut 
aufgenommen und bei ihrer Abreife nach Europa [ud man 
fie dringend ein, doch ja wiederzukommen. 

30 Sabre fpäter, 1274, begaben fi) unfere Reifen: 
den in der That nah China zurkd, mit Briefen vom 
Dapfte Gregor X. und in Begleitung des jungen Marco 
Dolo, Sohn von Nikolaus Polo, und wurden von dem 
Khan ebenfo huldreih aufgenemmen als das erfte Mat. 
Nach kurzem Verweilen wurde ber junge Marco Polo 
wegen feiner Anftelligkeit und guten Aufführung der Lieb: 
ling des Khan, der ihm an feinem Hofe eine bedeutende 
Anftellung gab und die wichtigſten Sendungen in allen 
Theilen feines Reichs anvertcaute. Auf diefen amtlichen 
Reifen fammelte er ohne Zweifel die zahlreichen Materia⸗ 
lien, die er bei feiner Ruͤckkehr nach Europa zur Ders 
ausgabe feines Werks benugte. Nah Verlauf von 17 
Fahren ertheilte ihm der Khan, nicht ohne vieles Bes 


Un einer dltern von Menaudet unter dem. 


denken, die Erlaubnig zur Rüdkreife nach Stalien, wo er, 
nad) einer Abmefenheit von 24 Jahren, mit allen feinen 
Schägen und Reichtbümern 1295 ankam. Er Eonnte 
ſich beinahe nicht mehr in feinee Mutterfprache aus- 
drüden und erft nad) vielen Umfländen erkannten ihn 
feine Verwandte wieder, die in feiner Abwefenheit ohne 
weiteres von feinem väterlihen Palaſt Befig genommen 
hatten. Dan kann nichts Anziehenderes, nichts Pittoreske⸗ 
res leſen als die Schilderung feines Aufenthalts und 
feiner Ritterzͤge im himmliſchen Reich, die er während 
feiner Gefangenfhaft zu Genua entworfen. Er hatte 
von einem unermeßlihen Lande und Volke, von unge⸗ 
beuerm Nationalreihthbum und koloſſalen Hülfsmitteln 
zu berichten, und er that es mit Maivetät und Cinfady- 
beit, ohne Wortſchwall und Weitfchweifigkeit; aber die 
Angaben, die er Über den Umfang und Nationalreich⸗ 
thum des chinefifhen Reichs bekannt machte, erfchienen 
feinen Zeitgenoffen bergeftalt übertrieben und unglaublich, 
daß feine Meifebelhreibung mistrauifh aufgenommen, er 
felbit ſcherzweiſe Messer Marco -Miglione und fein Haus 
Il corte del Miglioni genannt wurde. Zum Gluͤck ha⸗ 
ben fpätere Zeiten das Andenken Marco Polo's geraͤcht 
und den innern Werth forwie die Zuverläffigkeit feiner 
Erzählungen wieder ins Licht geftellt. 

Es ging mit der Befchreibung Chinas im 13. Jahr: 
hundert wie mit vielen dltern Enzählungen von dem ur: 
alten Glanz Perfiens und von den Wundern Ägyptens; 
es erging den Berichten Marco Polo's tie den Erzäbs 
ungen Herodot's und den Geſchichten nordifcher Schrift: 
ſteller, z. B. des Saro Grammaticus, die fo lange für 
Maͤrchen und Erfindungen galten, bis fie durch die Me: 
fultate der in neuerer Zeit angeftellten Forſchungen beftd- 
tigt wurden. Jetzt wird die Reifebefhreibung des Marco 
Polo allgemein bewundert, und fein Werk, das 1496 
zum erftien Mat in Venedig gedruckt erſchien, ift ſeitdem 
im Deutfhen von Peregein, im Englifchen von William 
Marsden, und 1518 im Stalienifchen von Placido Zurfa 
zu Venedig wieberaufgelegt worden. Zwei andere Ans: 
gaben davon kamen zu Rom und Florenz heraus. Gut 
zu conflaticen iſt, wie ſehr die Berichte der arabifchen 
Reifenden des 9. mit denen des 13. Jahrhunderts und 
wie beide Werke mit Dem übereinflimmen, was die neuer: 
dings im Innern von China zugelaffenen Reifenden uns 
von der Statiſtik dieſes koloſſalen Reichs melden. 

Erſt gegen das Ende des 16. Jahrhunderts wurde 
China der europälfhen Wiſſenſchaft durch einige fpanifche 
und portugiefifche Geiſtliche, wie Mendoza, Guzman, 
Maldonado, Martin Martini, Semado, Magellan zus 
gänglih gemacht, die fih in dem fernen Lande als 
Miffionnaire anfiedelten und intereffante Kunde mittheit: 
ten über Chinas Sitten, politifye, religiöfe und ins 
duftrielle Verhaͤltniſſe. Die erite von dieſen Neifebefchreis 
bungen, bie des Pater Mendoza erfhien 1585 unter 
dem Xitel ‚Historia del gran regno de la China”. 
Ungleich wichtiger war die Überfegung der arabiſchen Rei: 
febefhreibungen von E. Renaudet, wovon wir ſchon ges 
fpeochen haben. Im 17. und 18. Jahrhundert trugen 


155 


bie Arbeiten der franzöfißchen, als Miffionnaire in China 
angefiedelten Jeſuiten nicht wenig dazu bei, Das erweckte 
Intereſſe an China zu fleigern. Der Pater Le Gomte 
hatte wadere Machfolger, die Pater Antoine Gaabil, Ci: 
bot und Ampot, welche fhägbare Materialien zuſammen⸗ 
brachten: „Mémoires concernant l’'histoire, les sciences, 
les arts, les moeurs, les usages etc. des Chinois. Par les 
missionnaires de Pekin“ (Parts I7T76— 1814, 16 Bde., 4.). 
keider waren bie Jeſniten etwas leichtgläubig und man kann 
fi) nur da auf ihre Nachrichten ganz verlaffen, wo fie ale 
Augen» und Ohrenzengen fprechen. Joſeph⸗Anne⸗Marie 
de Mohriac de Mailla (1669—1745) gab eine nach einem 
chineſiſchen Original gearbeitete „Histoire generale de la 
Chine, ou Annales de cet empire, publi€ par Grosier et Le 
RBoux des Hauteraye” (Paris 1777—85, 13 Bde., 4., mit 
Attas in Folio), die zwar ganz unkritiſch, aber eben da⸗ 
durch, weil fie die Meinungen der Chinefen reproducirt, 
von ganz befonderm Werthe if. Außer dem chineſiſchen 
Driginale ftügte ſich dieſe Geſchichte befonderd auf das 
50 Sabre früher erfchienene große Werk Duhalde's über 
Chinas, eine gelehrte Sompilation, die alle Hauptpunfte 
der Geſchichte, Philofophie, Gefeggebung und Literatur 
bei den Chinefen oberflächlih berührte und die obenge: 
nannten Herausgeber anregte, ein gründlichere® und all: 
gemein interefjantere® Bud, über China zu fchreiben, 

Ungefähr daſſelbe Motiv hat vorliegendes Werk ver: 
anlaft. 

Der Berf. — heißt es in ber Vorrede — bat ſich bemüht, 
abgefürzte, aber genaue Documente und Nachweiſungen in zus 
gleich einfacher und Mar faßlichtr Form barzubieten. Die We: 
nigen, die über irgend einen Punkt der chinefiichen Geſchichte 
nähere Auskunft wuͤnſchen, finden dieſelbe in den zahlreichen 
Werken ber Ginologen. 

Zu dieſem Behuf hat der Verf. einen merkwürdigen 

bibliographifchen Nachtrag angehängt, mit einem voliftändi: 
gen Berzeichniß der zu verſchiedenen Zeiten und in verfchiedenen 
Sprachen über China erfchtenenen Hauptwerke. eine Bes: 
ſchreibung Chinas unterfcheidet ſich durchaus von der des Abbe 
Groſier, der, mie ſchon bemerkt, bei feiner Arbeit das Werk des 
Pater Dubalde zum Grunde legte. Dr. Davis beruft ſich auf 
die Autorität diefes berühmten Compilators zur feftern Be: 
gruͤndung einer Anfiht. Mehre englifhe Werke, wie der 
authentifche Bericht des Lords Macartney, von Staun⸗ 
ton, und „„China’ von Burrow, fodann 'eigene Anfharuns 
gm und an Ort und Stelle gefammelte Bemerkungen 
und Erfahrungen bilden die Grundlage feines ebenfo ge: 
haltteichen ale unterhultenden Werks, welches keineswegs 
eine Compilation zu nennen, da man nicht wohl anneh: 
men kann, Daß ein Mann wie Hr. Davis, der fehr be: 
deutende philofogifche Arbeiten unternommen und zu Ende 
geführt, verfaumt haben follte, zu den chineſiſchen Origi⸗ 
nalen gu geeifen und die Thatſachen darin nachzufehen, bes 
vor er über irgend einen flreitigen Punkt fi ausſpricht 
oder über den Werth zwei entgegengefegter Anfichten ent: 
ſcheidet. 

Hr. Davbis war lange Ptaͤſident der Oſtindiſchen Dan: 
delsgeſelſchaft in China und die an feinem Namen haf—⸗ 
tmde Berühmtheit und Bedeutung hat die englifche Schag: 


meiſterei zu Kanton in ein glänzendes Licht geftellt. Sein 
Werk, wie er es ſelbſt in der Einleitimg fagt, ift nach 
Bemerkungen und Anſchauungen verfaßt, die er wähs 
rend eines Jängern Aufenthalts in China gefammelt hat. 
Zwanzig in biefem Lande verliebte Jahre haben den 
Anfihten des Hrn. Davis über China und die Chines 
fen begreiflicherweife eine eigenthuͤmliche Reife und Gedie⸗ 
genheit verleihen müffen, und biefe beiden Eigenfchaften 
hyarafterificen ganz ausnehmend dieſes Lebendige Gemälde, 
voll der intereffanteften Detaild über alles auf ältere und 
neuere chineſiſche Geſchichte Bezuͤgliche, über das politifche, 
fociate, religioͤſe Syſtem der Chinefen, über die Bevoͤlke⸗ 
ung, die Abjtammung der verfchiedenen Racen und ihre 
Nachkommenſchaft; über den Handel und Gewerbs 
fleiß, über den Landbau und Probuctenverichleiß, über 
die Wiſſenſchaften und Künfte, über die Literatur und 
Schauſpielkunſt des „himmlifhen Reihe”. Mit dem 
Reichthum und Ürerflug von Materialien und Hülfemit: 
tein, die Hrn. Davis zu Gebote flanden, hätte diefer ge 
wiß ein viel weitläufigeres, bändereichered und gelchrteres 
Werk zu Stande bringen Eönnen; ob «8 ihm aber, bei 
foldyen weiter geſteckten Anſpruͤchen, gelungen wäre, eine 
fo freimüthige und Elare Auseinanderfegung chinefifcher Zu: 
flände zu geben, möchten wir bezweifeln. Indem er ſcharf 
gezeichnete Beftimmtheit an. die Stelle loſe umgrenzter AU: 
gemeinheit fegt und anftatt Conjecturen Beweiſe vorbringt, 
berichtigt er die Schiefheiten Derer, bie vorellig über 
China abgeurtelt und eine feſte Meinung über diefes Land 
gewonnen; feine Darftellung, frei von Schulfüchferei, ift 
für gebildete Lefer von allen Glaffen, für Gelehrte wie für 
bloße Neugierige berechnet, zugleich gemeinnügig und vor 
ftrenger Kritik probehaltig. 

Wir möchten dieſes günffige Urtheil über das Merk 
bes Hrn. Davis gern mit Beweisftellen belegen, aber die 
bloße Hernennung von den Überfchriften der einzelnen Ca: 
pitel würde fchon zu viel Raum wegnehmen, und mic 
machen Lieber beſonders aufmerkſam auf die Capitel, welche 
eine Überfiht über die alte Geſchichte Chinas geben, die 
geoße chineſiſche Mauer und die drei Städte Peking, Nan⸗ 
king und Kanton beichreiben, welche der Verf. aus eigener 
und häufiger Anfhauung kennt; auf die Abfchnitte über - 
SGefeggebung und Griminalrechtz über den Nationalſtolz 
der Chinefen und ihre Verachtung fremder Nationen; uͤber 
den Urfprung und die SKörperverfaffung der Chinefen; über 
die öffentlichen Feierlichkeiten und Volksbeluſtigungen; über 
die Heicathsgebraͤuche und häuslichen Sitten; über Die 
Policei und Berwaltung; Uber das ftehende Heer und die 
feltfamen Grundfüge der Militairgeſetze. Folgende Be⸗ 
flimmungen find Auszüge aus einer Verordnung, die ein 
Vicekoͤnig nach dem fihlechten Benehmen der Truppen von 
Kanton in einem Gefecht gegen die unabhängigen Hoc: 
länder erließ: : 

Mer flicht, Fol geköpft werben. — Wer zittert ober feinem 
Nebenmann ins Ohr flüftert, wenn der Feind beranrüdt, fol 
des Todes fterben. — Wird ein Mandarin gefangen oder vers 
wundet, fo follen bie gemeinen Soldaten Alcs aufbieten, ihn zu 
befreien ; unterlaffen fie es, diefe Worfchrift zu befolgen, fo fol 
len fie enthauptet werden. — Der Golbat, ber einen Feind nach 


156 


tapferer Gegenwehr töbtet, folk eine Auszeichnung erhalten; wer 
aber fein eigenes Verdienſt übertreibt ober fi bie Thaten Ans 
derer anmaßt, foll mit bem Ochwerte vom Leben zum Tode be: 
fördert werben. — Wer die Trommel rühren hört und nicht 
vorwärts gebt ober wer den Bong hört und nicht zum Rüde 
marſch ſchlaͤgt, Toll gleiche Strafe erleiden. — Strenge Beobs 
achtung ber Kriegsgrfege ift das einzige Mittel, Memmen zu 
Helben zu machen. 

Die Stichhaltigkeit diefer Vorſchriften zur Erreichung 
ſolcher Zwecke dürfte in Zweifel zu ziehen fein; denn ums» 
geachtet ihrer Armee von 900,000 Mann gelingt es den 
Ghinefen felten, etwas Nachdruͤckliches und Energifa,es 
anders ale mit Lift auszurichten. Vergeſſen wir uͤbri⸗ 
gens nicht zu bemerken, daß Friegerifcher Eifer und Erobe⸗ 
rungsluſt für ſchlechte Eigenfchaften eines chinefifchen Sol⸗ 
duten gelten. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifhe Notizen aus Daͤnemark. 


Bon ganz befonderm Intereffe für jeden Freund wahrer 
und echter conftitutionneller Freiheit und ihrer Bürgfchaften ift 
foigende Schrift: „Orla Lehmann’s Forfdarftate, holdt for Hoeie⸗ 
fteret i den mod ham anlaate Generalfisfal-Action” (Drla Leh⸗ 
mann's Bertheidigungsrede, gehalten vor dem Hoͤchſten Ges 
zit ıc., Kopenhagen 1842). Diefe Vertheidigungsrede zeichnet 
fih durch die größte Klarheit und Kraft des Gedankens und 
der Darftellung und die größte Ruhe und Mäßigung aus. Der 
Verf. derfelben gehört, wie bekannt, zu ben ausgezeichnetften 
Männern in Dänemarl, welche für conftitutionnelle Freiheit mit 
feftem , uneigennügigem und aufopferndem Muthe kaͤmpfen. 
Davon hat er auch dur die erwähnte Rede einen neuen Bes 
weis gegeben. Sie hat daher ben ungetheilten Beifall aller 
Freiſinnigen im Lande erhalten. Die eigentlidye VBertheidigung 
beginnt Lehmann mit der Erklärung, daß feine Reife nach der 
Inſel Falſter ein Werk des Zufalld und daß er ganz unvorbes 
reitet war auf ben Vortrag, den er am Tage nach feiner Ans 
kunft dahin aus dem Stegreife hielt, um die da verfammelte 
Menge, welche größtentheils aus Bauern beftand, von dem Bes 
türfniß einer Gonftitutionsveränderung in Dänemark zu* übers 
zeugen. Seine Rede machte auf die Zuhörer einen tiefen Ein- 
drud. Lehmann fing bei der Gelegenheit damit an, ben Chris 
fiopp Rasmuffen darum zu loben, weil er darnach firebe, eine 
eigene, auf Gründe gebaute Überzeugung zu haben; darin, fagte 
der Redner, beftehe die wahre Gelbftänbigfeit, und wenn ed ihm 
gelänge einen ſolchen Mann zu überzeugen, fo wollte er dies 
für einen größern Gewinn halten, al6 wenn er hunderte Andere 
dahin bringen Eönnte, zu Dem, was er fagte, leichtfertig Ja zu 
fagen. Darauf fucdhte er ben verfammelten Bauern darzuthun, 
dab es ein Irrthum fei, wenn man glaube, der Bauernitand 
habe der Souverainetät der Könige etwas zu verdanken; er bes 
hauptet hingegen, daß der Drud, weicher unter der Altern 
Adelsherrſchaft auf diefem Stande laftete, noch härter unter ber 
Souverainetät wurde, daß von allen bänifchen Souverainen 
Friedrich VI. der einzige gewefen fei, der Verdienſte um den 
Bauernftand gehabt habe, daß aber fogar Das, was kurz nach 
Antritt diefes Monarchen zur Regierung für den Bauer ge 
ſchah, nicht von ihm, fondern von Männern wie Bernftorff, 
KReventiow, Schimmelmann, Golbjoernfen und im Grunbe vom 
Geifte der Zeit ausging. Wegen diefee und ähnlicher Außeruns 
gen in feiner Rede auf Kalfter wurde am 19. Ian. 1842 gegen 
Lehmann fiscalifher Proceß erhoben. Zeugen wurden abge: 
hört, um fernere Beweife vom Inhalt ber Rede, als bie in dem 
gedruckten Bericht enthalten waren, zu fuchen. Lehmann ent: 
widelte barauf die dreifache Schwierigkeit, durch Ausfagen von 


Heft 


Zeugen den wahren Inhalt eines ausführlichen Vortrags mit 
Gewißheit zu erfahren, indem man er et fos 
wol in ber Zeugen Auffaffung der Rede, als in deren Erinnes 
zung an diefelbe, endlich bei beren Wiedergebung derfeiben, 
bei der Abhörung und bei der MWiebergebung ihrer Auslagen 
im Protocoll viele Mieverftändniffe einlaufen Fönnten. In feis 
ner Rede vor dem Volke auf Falfter hatte Lehmann bargethan, 
daß Dänemarks gegenwärtige Staateverfaffung nicht geeignet 
fei, den Rechtszuſtand des Volks zu fidhern oder deſſen Berebes 
lung zu befördern; barum wurde er angeHagt, vor das hoͤchſte 
Gericht geftellt und als Einer, der Haß und Unzufriedenheit mit 
ber Berfaffung zu verbreiten gefucht hat, verurtheilt. 


Lobende Erwähnung verdient: „Niels Mims underjorbiſta 
Reife af &. Holberg. Dperfat af N. V. Dorph. hd b6 
ftorifche og Lliterariffe Oplysninger, of E. E. Werlauff ” 
(Kopenhagen 1841). Diefe neuefte Überfegung des befannten 
wigigen, geiftreichen nnd fatirifhen Werks von Holberg ift von 
der Gefellichaft zur Befoͤrderung ber daͤniſchen Eiteratur heraue⸗ 
gegeben. Die erſte Ausgabe des Driginal® von „Nicolai Kii- 
mü Iter subterraneum‘ erſchien 1741, die Icgte 1766. übere 
fegungen bat dad Werk viele erlebt. (Eine der beften ift bie 
von dem Dichter Baggefen, welche 1789 herausfam. Der Prof. 
Dorph hat eine Art Mittelftraße zwifchen Holberg und Bagge 
fen eingefdylagen, indem er etwas treuer wie diefer überfegt, ohne 
ſich jedoch genau an den Text zu balten. 16. 





Literarifche Anzeige. 
Nachftehende, in meinem Verlage erfchie 
durch alle Buchhandlungen zu erhalten ſchienene Werke find 


Der Führer in das 


Reich der Wissenschaften nnd Künste, 

Nach dem Book of science 
von S. Spor ſchil und SB. Sartmenn, 
Drei Bände in 14 Fieferungen. 
Mit 375 Chbildungen. 
8.8 Geb. 6 Thlr. 
(Sammtliche Kieferungen Mud unter beſondern Ziteln and 
einzeln zu haben.) 





Vollständiges Taschenbuch 


der Münz-, Maass- und Gewichtsverhältnisse, der 
Staatspapiere, des Wechsel- und Bankwesens und der 
Usanzen aller Länder und Handelsplätze, Nach den 
Bedürfnissen der Gegenwart bearbeitet von 
Christian und Friedrich Noback. 
bis viertes Heft. (Aachen— 


Gr. 12. Preis eines Heftes 15. Ngr. 


Lehrbuch 


Der Waarenkunde. 
Herausgegeben von Karl Nobel, 

Erſtes und zweites Heft. Gr. 8. Jedes Hefe 15 Nor. 

‚Diefes foftematifh geordnete Lehrbuch erfcheint in 8 — 10 


Reipzig, im Bebruar 1843, 
F. %. Brockhaus. 


Verantwortlicher Heraudgeber: Deinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerstag, 





Davis über Ehina. 
(Beſchluß aus Nr. 9.) 

Mir verweifen ferner auf die Capitel, weldye die drei 
Religionsfpftem: oder Philofopheme der Chinefen abhan: 
dein, nämlih: Yu, die Lehre des Confucius, der faft zus 
gleich mit Herodot lebte und bem Pope in feinem „Ruh: 
mestempel“ einen hohen Plag eingerdumt hat: 

Superior and alone Confucius stood 
Who taught that useful science to be good. 

Fo, oder dee Buddhismus; die Sekte des Buddha, 
deften fünf Hauptgebote an die Priefter lauten: 

Du ſollſt feine lebendigen Geſchoͤpfe toͤdten; bu ſollſt nicht 
fteßlen; du ſollſt nicht heirathen; du follft nicht Lügen; du ſollſt 
feinen Bein trinken. 

Die merkwürdige Ähnlichkeit zwifchen den Religionsge⸗ 
breaudyen der Buddhupriefter in China und der Tatarei 
und dem Ritual der roͤmiſch-katholiſchen Geiſtlichen hat 
die italieniſchen Miſſionnaire und die franzöfifhen Jeſui⸗ 
ten nicht wenig übertafht. Endlih Tao, oder die Sekte 
der Rationaliften. Der befondere Abfchnitt, den ber Verf. 
dieſer Religion gewidmet hat, iſt reich an interefjanten 
Details über die Anhänger des Tao, die „Vernunftdocto⸗ 
ren” heißen und in Schwarzkuͤnſtler und Alchymiften aus: 
geartee find, und enthält ein Bruchſtuͤck von einem ge: 
ihihtlihen Roman und namentlich eine huͤbſche Erzaͤh⸗ 
lung über Tſchouang⸗Tſeu, Schüler des Tao. Diefe 
Erzählung, die vom Pater Entrecolled ins Franzöfifche 
überfegt worden, iſt eine Art Satire auf die Frauen 
und imebefondere auf die Ehe und verdient um fo mehr 
Beachtung, inſofern Voltaire daraus reihe Materialien 
ju feinem „Zadig‘ gefchöpft hat. 

Ganz befonderd ermähnen wir noch die Capitel über 
Ginefifche Sprache und Literatur. Die Philologen finden 
darin eine Elare und präcife Zufammenftellung der Prins 
cipin und des gruphifhen und phonetifhen Syſtems, 
welche die eine beflimmen, und eine treue, ungeſchmuͤckte 
Schilderung von dem Charakter und der Richtung, welche 
die andere auszeichnen. Die Erläuterungen des Hrn. Da: 
vis Über die chinefifhen Buchſtaben, über Wortwurzeln, 
über Die Elemente einer philoſophiſchen Glaffificirung, über 
die Verhaͤltniſſe der Schrift: und Volksſprache, über den 
Bau der Redensarten fheinen fehr beachtenswerth, infofern 
fie allgemein verbreitete Anfichten umftürzen und nadwei: 


9. Februar 1843, 





fen, daB die anyeblihen Schwierigkeiten der chinefifchen 
Buchſtaben, bie von ihrer großen Mannichfaltigkeit und 
Verſchiedenheit herrühren follen, von ber Unwiſſenheit viel 
fach übertrieben und falfch angegeben worden find. 

Wurzeln oder Urgeichen (mas man nad) einer Art von Anas 
logie das chinefifhe Alphabet nennen koͤnnte) — fagt der Berf. — 
gibt ed nur 214, weiche Anzahl, bei einiger Sichtung, noch gus 
ſammenſchrumpfen würde. Behaupten zu wollen, es gebe im 
Chinefifchen fo viele Zaufend Buchftaben (man ſchlug fonft ihre 
Zahl auf 80,000 an!), wäre ebenfo, ald wenn man behauptete, 
e8 gebe fo und fo viel Zaufend Wörter im englifchen Wörter 
budy von Johnſon; man LEraucht fie in der That ebenfo wenig 
alle auswendig zu willen, als man das ganze Johnſon'ſche 
Lexikon auswendig lernen muß, um Engliſch zu können. Pre⸗ 
mare bemerkt fehr richtig, daß Jeder, der vier= ober fünftaufend 
Budjftaben ober Wörter im Ghineflfchen auswendig wiffe, fügs 
lich chineſiſch leſen und ſchreiben könne. 

Wie es in China zwei Gulturformen gibt, eine wirk⸗ 
liche Bildung, wie fie das Leben ertheilt, und eine kuͤnſt⸗ 
lich angelernte, die duch Unterricht und Erziehung, durch 
swangsmäßiges Studium der King, der alten Claſſiker 
und Nationaldentmäler, durch die kleinlichſte Verfolgung 
des Geremonield und der 3000 vorgefchriebenen Her⸗ 
koͤmmlichkelten fortgepflanzt wird, fo exiſtiren in dieſem 
wunderlichen Lande auch zwei Literaturen, eine alte und 
eine neue Literatur, und ſelbſt die Sprache repraͤſentirt 
duch ihre Ausdrucksweiſen und die Mannichfaltigkeit der 
Stile alle Epochen dieſer beiden Gulturflufen, wie es ber 
gelehrte Drientalift Bazin in dem beigefügten Ans 
bange fehr richtig bervorhebt. Die Gelehrten und Gebils 
deten in China fchreiben in kon-wen (in altem Stil), 
wie die Gelehrten und Gebildeten im Mittelalter Latein 
ſchrieben; die Vulgairſprache heißt konan -hoa und wird 
gebraucht für die ans Volk gerichteten Untermeifungen 
und Belehrungen, die laut vorgelefen werden follen, für 
Märchen, Erzählungen, Lieder, Briefe, ebenfo mie der ſuͤd⸗ 
franzöfiihe Romanzo und bie Provinzialdialekte für leichte 
Dichtungen und Erfindungen angewandt wurden. Diefe 
Analogie ift ſehr merkwürdig; nur merkt man im Mittels 
alter neben der Wiſſenſchaft griechiſchen oder roͤmiſchen 
Urfprungs beftändig den directen, fortbewegenden und mäd: 
tigen Einfluß einer neuen Waeltreligion, die alle Inſtitu⸗ 
tionen unaufhoͤrlich ummandelt und umbildet, mährend 
der friſche Lebens drang, durch den die focialen Ummwandluns 
gen und Umbildungen vor ſich gehen, in China ganz aus⸗ 


158 


geftorben und ausgebörrt zu fein ſcheint. Alles verfteinest 
und verengert fich im Geifte alter religiöfer und politifcher 
Einrichtungen und innerhalb ein für allemal feftgeftellter 
Schranken, die fein Genius’ durchbrechen barf. 


Solten wir dem Verf. diefer Belchreibung von China 
nen Vorwurf machen, fo waͤre es der, daß er feine phis 
loſophiſchen Erläuterungen etwas zu kurz gefaßt und zu 
ſehr befchnitten hat. So finnreich fich dieſelden anlaffen, 
fo ſehr ift e& zu bedauern, daß der Verf. mit Nachwei⸗ 
fungen über einen fo neuen und fo intereffanten Gegen⸗ 
ſtand, den nicht Ale in der Grammatik Remufar’s oder 
in dem Werke des Pater Premarle nachfehen koͤnnen, 
fparfam geweſen if. Das zulegt erwähnte, erft vor eini- 
gen Sahren herausgelommene Merk gilt übrigens für die 
befte Anleitung zum Studium der chinefifhen Sprache 
und Literatur, 

Eine von ben merfwürdigften Gigenheiten des Charakters 
der Chineſen ift ihre Anhängtidhkeit an die Wiffenfhaften. Sie 
haben mehre Staatsummwälzungen, mehre Bürgerfriege erlebt; 
zweimal find fie von Fremden unterjocht worden; aber die Ber: 
ehrung, welche Regierung und Volk vor dem Namen und ben 
Einrichtungen des Sonfucius behalten, hat alle Krifen und Re: 
volutionen überdbauert. In allen Sheilen des Reichs beftehen 
Schulen und Gymnaſien für ben Volksunterricht, und wer ſich 
zum Gtaatsbienft meldet, muß ein Gramen in der Glaubens: 
Ichre des Gonfucius beftehen, ehe er ftaatsbienftfähig wird. 

Unter diefen Umftänden darf es nicht auffallen, wenn 
die Anzahl der Studirenden und Literaten in China be: 
deutend größer ift als in jedem andern Lande Die 
Claſſe der Literaten bildet den erften ber vier Stände, 
worin die chinefifche Gefellfchaft gegliedert ift; die Stände 
der Landbauer, der Gemerbtreibenden und Kaufleute kom: 
men erſt nachher. 

Diefe fo hochverehtte Lehre des Confucius fucht ber 
menſchlichen Natur den urfpränglichen Glanz und die ur: 
ſpruͤngliche Schönheit wiederzugeben, die fie vom Schöpfer 
erhalten und die durch die Nacht der Unwiffenhelt und 
laſterhafte Anſteckung verbunkelt worden. Zu diefem Ende 
gebot Confucius, dem Heren des Himmels zu geboren, 
ihn zu ehren und zu füchten, feinen Naͤchſten wie ſich 
ſelbſt zu Lieben, feine Triebe und Leidenfchaften zu behetr⸗ 
fhen und feine Einfälle nie zur Richtſchnur feine Hans 
deins zu nehmen, fondern fie der Vernunft zu unterwer⸗ 
fen, dieſer in allen Sachen Gehör zu geben und nichte 
zu thun, nichts zu fagen, ja nichts zu denken, was nicht 
mit ihe übereinftimme und fi vor ihr nicht verantwor: 
ten laſſe. Es ift Sitte in China, bei einfallendem Neu: 
und Vollmond dem Volke und den Sotdaten jeder Pros 
vinz gewiſſe moralifhe Erbauungsbücher vorzulefen, welche 
Sitte auch bei Bekanntmachung von Gefegen beobachtet 
wird; denn es gilt in China für ausgemadt, daß man 
die libertretung der Gefege am beiten verhindere, wenn 
man fie allgemein bekannt werden laffe. 

Unter ihren Erbauungs: und Belehrungsfchriften be: 
figen die Chinefen verfchiedene Sammlungen von abgerif: 
fenen Sägen, Marimen, Sprüchmörtern und Aphorismen, 
für die fie außerordentlich eingenommen find. Sie fhrei: 
ben die einzelnen Säge und Sprüche in zierfihen Buch: 


% 


ftaben anf Taͤfelchen, bie fie wie koſtbare Schmuckſachen 
in ihren Tempeln und Wobnungen aufhängen. Es gibt 
ein Werk in einem Bande, „Ming-Sin-Pao-Kien” (Koft: 
barer Spiegel zur Aufbellung des Geiſtes) betitelc, eine 
Art Zugendfpiegel mit Auszügen aus verfchledenen Büs 
hern und ein nüglihes Compendium fir Studirende. 
Diefe Lieblingemarimen und Sprüchwoͤrter, von benen 
Hr. Davis 95 an der Zahl im Auszuge mittheilt, find 
ſehr charakteriftifh für das Vorl, Einige davon mögen 
bier ihre Stelle finden: 


‚ Der kluge Mann weiß fi nad) den Umftänden zu richten, 
wie das Waller nach der Geftatt bes Gefäßes, worin es ent= 
haften ift. — Gin leerer Geiſt fteht allen Ginflüfterungen offen, 
wie «in hohler Berg jeden Schall zurüdwirft. — Läßt man bie 


" Wurzeln, fo wächft das Gras immer wieder (Andeutung, dab alle 


Angebörigen eines Verraͤthers ausgerottet werben muͤſſen). — 
Die Qual des Neides iſt ein Sandkorn im Auge. — Die Goͤt⸗ 
ter können Demjenigen nicht beiftehen, der alle (Belegenheiter 
vorbeifchtüpfen läßt. — „Waſſer auf ben Rüden einer Ente gie= 
en”, beißt fo viel als unnuͤtze Rathfchläge ertheilen. Man fagt : 
„eine Kage gewinnen und eine Kuh verlieren”, um das Refultat 
vom Proceſſiren auszubrüden"— Cine Frau hat kein Verbre⸗ 
hen zu verantworten; ihr Mann trägt die Verantwortlich⸗ 
keit. — Wenn die Gefege nicht ſelbſt das Faiferlihde Haus im 
ihren Bereich ziehen, fo werden fie keine Achtung finden. — Ein 
wahres Genie bleibt immer naiv und einfach wie ein Kind, — 
Ber Stiefel anhat, kennt Niemand, der Schuhe trägt (Stiefel 
gehören zum großen amtlichen Galacoftum). — Die Rebe be& 
Mannes iſt wie ein Pfeil, fie fliegt gerade aufs Ziel; bie Rebe 
eines Weibes gleicht einem zerbrochenen Faͤcher — Von einer 
Gattin verlangt man Tugend, von einer Maitreſſe Schoͤnheit. — 
Der Fiſch bewohnt die Tiefe des Waſſers und der Adler die 
Raͤume des Himmels. So hoch ſich dieſer auch ſchwingen mag, 
man kann ihn erreichen mit dem Pfeil und den andern mit der 
Harpune, wie tief unten er auch iſt; aber das menſchliche Herz 
kann man ſelbſt in der Entfernung von einem Fuß nicht er: 
gründen. — Bon Natur find alle Menfchen gleich, aber die Er: 
ziehung macht fie ungleich. 

Diefer franzöfifhen Ausgabe ift ein intereffanter An- 
bang von Hrn. Bazin beigefügt mit Nachweifungen über 
die Fortſchritte der chinefifhen Philologie in Frankreich, 
weiche hauptfächlic die Arbeiten und Vorträge des Pros 
feſſors Stanislas Julien bewirkt haben, und mit außerles 
fenen Bruchſtuͤcken aus der chineſiſchen Literatur: 1) „Ge⸗ 
fpräche des Philoſophen Mencius”‘, überfegt von Den. Ebme 
d'Halberg; 2) „Dir Beſuch des Hausgottes zu Vu-Kong“, 
eine Legende der Sekte des Tao-See, von Hm. St. Ju: 
lien; 3) „Ein Erbe in hohem Alter‘, chineſiſches Luft: 
fpiel, von Hın. 3. 5. Davis; 4) „Der Geizige“, chineſi⸗ 
ſches Luftfpiel, von Hrn. St. Julien; 5) „Die vollendete 
Kammerzofe“, Luſtſpiel in Proſa und in Verſen, von Hrn. 
Bazin; 6) „Die Rache des Teon⸗Nyo“, chineſiſches 
Drama, von Hrn. Bazin. 

Diefer Appendix und dieſe Analekten, Auszüge aus 
Driginalwerfen von großer philologifcher und literarifcher 
Wichtigkeit, bilden cine natürlihe Ergänzung und eine 
willtommene Zugabe zum Hauptwerk. Nur ift zu bes 
dauern, daß Hr. Bazin nicht mehr von feinen Analekten 
mitgetheilt; doch vielleicht Hinderte ihn daran die lbers 
fegung der beſten Stuͤcke des chineſiſchen Theaters, womit 
diefer gelehrte Orientaliſt gerade beſchaͤftigt ift, eine große 





159 


und verdiemflliche Unternehmung, deren glüdliche Durch: 
führung wir won Herzen wünfden. 37, 





Reminifconzen. Goethes Mutter; nebft Briefen und Auf: 
gihnungen zur Charakteriftit anderer merkwürbiger 
Männer und Frauen, Herausgegeben von Dorom. 
Leipzig, Hinrichs. 1842, Gr. 8. I Thlr. 20 Ngr. 


Herr Dorow fährt fort die Zeitgenofien mit Briefen unb 
Dentfchriften aus feinem Vorrathe, deflen Reichhaltigkeit man 
wit Recht bewundern muß, zu beichenken, hat jedoch nicht überall 
dieſelbe Anerkennung gefusden, weil man ibm die Befugniß zu 
folhen Beröffentiichungen abflreiten wollte. Ohne jest nun bas 
Für und Wider nodymals durchzuſprechen, glauben wir, baß 
folge Briefe oder Aufzeichnungen, durch die Lebende nicht unan- 
genehm berührt oder durch Erinnerungen aus früherer Zeit in 
peinigende Verlegenheiten verfeht werden, wol dem Drude übers 
geben werden £önnen, infofern fie in einer oder der andern Be: 
yubung wirftich intereffant find, oder wichtige pfychologiſche Auf⸗ 
tärungen verfprehen. Hrn. Dorow's Sammlungen enthalten 
nun Bieles von beider Art, obgleich wir nicht behaupten wollen, 
daß jeder Brief oder jebe Aufzeihnung in ben von ihm berauss 
gegebenen fünf Bänden in diefe Kategorien gehöre. Noch nuͤtzli⸗ 
der aber würde nach unferm Dafürhaiten, ja hiſtoriſch wichtiger 
die Herausgabe der Briefe berühmter Männer und Frauen ge: 
worden fein, wenn Hr. Dorow außer ben im Ganzen nur kurzen 
Einteitungen nody häufiger einzeine Anmerkungen und Auffchtüffe 
über Perlonen und Sachen unter den Zert gefeht hätte. Denn 
man kann fihon recht gut in den deutfchen literarifchen Zuſtaͤn⸗ 


den feit vierzig Jahren bewanbert fein und wird doch Manches | 


in den Briefen nicht vollftändig verfteben, bei der größern :Ans 
zabl von £efern kann aber dies nicht einmal vorausgefegt werben, 
und doch war ed augenfcheiniich des Derausgebers Bemühen, nicht 
blos der augentlidiichen Unterhaltung und ber Neugier zu dienen, 
fondern auch nachhaltige Beiträge zur Kenntniß unferer merk: 
würdigften Literaturepodgen zu liefern. 

In dem vorliegenden Werke halten wir die Briefe der alten 
Frau Rath Goethe und die Oelsner's für die wichtigften Gaben, 
Die Srftere. bat eine fo große Bedeutung durch ihres Sohnes 
und durch Bettina’ Erzählungen, ſowie durch ihre hier und da 
zerſtreuten Briefe gewonnen, daß neue Aufſchluͤſſe über bie merk: 
würdige Frau nidht anders als fehr willkommen fein koͤnnen, fie 
waren es namentlich dem Referenten, der mit ihrer Hülfe eine 
bereite vollendete Schilderung noch zu vervollftändigen im Stande 
geweſen ift und alles Died im Zuſammenhange bald oͤffentlich 
belannt zu machen gebenkt. Die Briefe ſelbſt find nun an ben 
Schauſpieler Karl Wilh. Ferd. Unzeimann und an bie Enkel 
der Frau Rath; gefchricben, einer an die Herzogin Amalie von 
Beimar, alle aus den Jahren 1788 — 93. Unzelmann, über 
deſſen Lebensumftände Hr. Dorow feine Lefer leicht hätte aug 
Klingemann’s „Deutſchem Theateralmanache“ für 1921 beiehren 
kdanen, war als Mitglied der frankfurter Bühne ein befonderer 
dichling der bis an ihr Ende theaterluſtigen Frau Goethe ge: 
weſen und Hatte „in ihrer Wohnftube manch Flaͤſchchen Tyran⸗ 
nenblut genoffen und einen fihern Hafen gefunden, wenn bie 
Bine tobten und das Schiffiein von den Wellen um und um 
getrieben wurde”. Sie war an feine Gefelifchaft fo gewöhnt, 
daß fie.ihn nach feinem Abgange von ber frankfurter Bühne, der 
eine Folge feines hitzigen, ehrgeizigen Charaktere war, auf das 
ſchmerzlichſte vermißte und e& zugleich fehr unangenehm empfand, 
daß er Schutden binterlaffen hatte. Über alles Dies fchreibt fie 
im eine Reihe der originellften Briefe, in denen fie ſich gang 
ruͤkhaltslos Außert, bald voll Liebe und Wehmuth, bald voll Zorn 
und Berdruß, ja mir möchten fagen, fafl im Tone einer ver: 
Iäffenen G@elichten, wenn nidjt die Sabre der Frau Rath und 
ihre fonftige achtbare Perfönlichleit verböten, an fo etwas zu 
denten. Aber die Sprache hat in folgen Stellen eine wirklich 


‚und Unzelmann gibt ihr nun 


Loͤbliches zu melden, oder ihr Herz in A 


wunderbare Ähnlichkeit mit der in Goethe's frähern Dramen, 
namentlid in der „Stella. Alles ift natürlich, frei, ohne Io ifche 
Ordnung bingefchrieben, fehr ungebunden (man fieht, die tiefe 
find durchaus vertraulicher Art), mitunter auch in ziemlich 
berben Ausbrüden, bis auf bie fehlerhafte Drthographie, die Hr. 
Dorow mit Recht unverändert gelaffen bat. Wir wollen einige 
Stellen anführen. Unter dem 29. April 1788 klagt die Briefe 
fpreiberin über das „‚aufgeklärte Beitalter,. wo alle Leiden 
und Sreuben, alles Gefühl von Schmerz und Luft in Spfteme 
gezwaͤngt find”, und fährt dann fort: „Ihnen kann ich fagen, 
daß mir Ihr Weggehen leid, fehr leid gethan bat, daß mein 
Stedenpferb total ruinict if, dag mir beim Eſſen die Zeit un- 
aus ſprechlich lang wird, mit einem Worte, daß mein Maͤhrchen 
im Brunnen liegt und wol ſchwerlich wieder herausgezogen 
werden wird. Auch ſag Ihnen unverholen, daß ich öfters bitter: 
böfe auf Sie bin daß Ihr Ehrgeiz, Ihre falfcye Chimaͤre Sie 
von bier weggetrichen haben, da man jet ganz das Gegentheil 
von Allem fieht, was Sie als Grund angegeben haben.” Unter 
bem 16. März [788 tefen wir: „O täufchen Sie mich nicht wieder ! 
D blafen Sie nicht den tobten Zunfen wieder an — überlaffen 
Sie mi lieber meinem Gram, ber eine ſolche Höhe erftiegen 
bat, wo ſchwerlich was drüber geht. Bei einem Gewitter vers 
kuͤndigt doch der Donner bie Annäherung des Butzes — aber bier 
mar Big und Schlag ſo eins, daß mich's ewig wundern wird, 
daß mic; meine Lebensgeiſter nicht den Äugenblick alle verließen. 
Die Dual, die ich jegt leide, iſt unausfpredlih. Da begegnen 
mir auf allen Eden -von dem verwünfchten Volk und machen jede 
Rüderinnerung neu, reißen durch ihren Vaſiliskenblick jede Bunde 
auf, ſuchen und fpähen, ob in meinem Auge Zraurigfeit wahrs 
zunehmen ift, ‚um vielleit daran ein Gaudium zu haben. Und 
wenn ich an die Meffe denke, auf die ich mich fonft fo Eindifch 
freute, wie das Großmaul die St. mit Schadenfreude auf mid 
blicken wird — und ich mich in dem Punkte ſo wenig verſtellen 
kann, ſo weiß ich nicht was ich thun oder laſſen ſoll. Aber 
das weiß ich — das Otterngezuͤcht ſoll aus meinem Hauſe ver⸗ 
bannt fein, kein Tropfen Tyrannenblut ſoll über ihre Zunge 
kommen, kurz allen Schabernack, den ich ihnen anthun fann, 
2. —— ehun, zallonnixen wit ih, Bürger’s Frau 
nips fol ein Kin en mid fein — beun Luft 1 
haben, ſonſt erſticke — a ſt muß ich 
Neben dieſen perſoͤnlichen an Ben ber Grau Rath 
bie frankfurter Bühne reichen 
Stoff zu Mittheilungen über Dinge vor und hinten den Fran 
tiffen und allerhand Details aus der Theaterwirthſchaft. Freilich 
erflärt fie, daß es nach Unzelmann’s Abgange „mit ihrem Thea⸗ 
terſchuß ganz vorüber fei” und daß es ihr ganz gleich gälte, ob 
fie den „Don Garlos” oder ben „Hanswurſt im Schlafrocke“ fpiels 
ten, aber fie kann doch nicht unterlaffen, von den einzelnen 
Schaufpielern, Wännern und Frauen, fowie von den Aufführungen 
; rger unb Verdruß aus: 
zuſchuͤtten. Leider find viele diefer Dinge heutigen Lefern ganz 
unverftändlich, feldft wenn fih Hr. Dorow die Mühe gegeben 
hätte, ‚aus alten Theaternachrichten ung zu berichten, wer 
das oft angeführte „Organ“ gewefen fei, oder bie Schau: 
fpielee Site, Stegmann, Chiky und bie Frau Arbauer, über 
un Wangel „an Waden und Hintergeſtell“ die Frau Rath 
pottet. 
Bon einer andern liebenswuͤrdigen Seite erblicken wir bie 
Großmutter in den Briefen an ihre Eleinen Enkel, vol Zaͤrtlich⸗ 
keit und Hingebung zu ihren Spielen und Freuden, voll guter 
‚Lehren und voll Dank für bie Gasen ber. Liebe, mit welchen fie 
bei feftlichen Gelegenheiten durch fie erfreut worden ift — alleg 
erwünfchte Beiträge zur Charafteriftif diefer für jedes rein Menſch⸗ 
liche ſo empfaͤnglichen Frau. Ihr Todesjahr bat- Dr. Dorow auf 
faͤlſchlich angegeben: fie ſtarb nicht 1805, ſondern in der Nacht 
vom 12. auf den 13. September 1808. 
Die von Delsner an Kieſewetter und Varnhagen von Enſe 
aus Paris in den Jahren 1823 und 1824 gerichteten Briefe 
geben ein ſehr lebhaftes Bild der damaligen franzöftfchen Zu⸗ 


160 


fände. Über Feldherren und Staatemänner bes Napoleon'ſchen 
Kaiſerreiches, über Ney, Hulin, Lacépede, Talleyrand, Sambas 
ceres, Rovigo, Dalberg finden wir koͤſtiiche Notizen, freilich 
alle von der Schattenſeite, aber von großer Wahrheit, wenn 


er gegen ben Ariftofratismus biefer Dame, bie ihren Stand 

über alle andere Stände fleilt und durch Gaudy's Werk ‚Aus 

dem Tagebuche ‚eines wanbernden Schneidergefellen“ hoͤchlich 

empört ie Iharfem Wige zu Zelde zieht. Der Refrain 
Verſes ift: \ 


man fich die fonftigen Thaten bdiefer Leute vergegenwärtigt. Go |. jedes 


heißt es von Rey, daß man bei feinem unbeichönigten übertritte 
zu Bonaparte in ihm den gemeinen Dienftboten erkennt, ber, 
fobald er bie Stimme feines alten Herrn hört, unmilltürlid den 
Hut 'abzieht; von Laceptde wird an mehren Zügen bar» 
gethan, daß bie Natur nichts Kriechenderes hervorgebracht habe 
als diefen Belchreiber der Reptiles und oberflaͤchlichen Viel⸗ 
wiſſer; aus Gavary's Leben kommen bie erbaulichfien Pos 
liceigefcgichten vor, und man wird nicht ohne Lachen leſen 
tönnen, wie Gambaceres noch cuf feinem Todtenbette bie 
Priefter dupirt bat. Aus der Neflaurationdzeit wird über 
Billele, Chateaubriand, den fpanifhen Krieg, das Regis 
ment der Priefterpartei, die Reduction der Renten und Ahnliches 
aus guter Quelle Vieles mitgetheilt, aud der „kleine“ Thiers 
fommt bier vor, „ein blutjunger Menſch, aber von ungemeis 
nem Geift, der ein trefflichese Buch über die jüngfte Gemaͤl⸗ 
deausftellung geſchrieben hat. Nicht minder intereffant er: 
ſcheint aus der Feder eines in Paris anfäffigen Deutſchen bie 
Beurtpeilung preußifcher Zuftände und feine große Verehrung 
für Goethe, fowie die geiftreichen Literarifchen Winke und Ans 
deutungen den Briefen Delöner’3 eine fo angenehme Mannichfal⸗ 
tigkeit geben, daß man ihrer mehre mitgetheilt zu fehen wuͤn⸗ 
fen muß. Es ift auch dazu Hoffnung vorhanden, und gewiß 
bat nicht leicht einer unter den neuern Diplomaten Menfchen 
und Sachen mit ſolcher Klarheit und Sicherheit darzuftellen vers 
ftanden ale eben Delsner. 

In den Briefen Achim von Arnim's tritt uns ein liebens⸗ 
würdiges Gemüth entgegen und manche intereffante Notiz aus 
dem literarifchen und focialen Leben in Berlin während ber 
Sabre 1809 und 1810; in den Briefen Fr. von Baader's 
fpricht namenttich feine religiöfe Offenheit an; in Ludw. Robert's 
Briefen Icfen wir eine begeifterte Charafteriftit der Paſta; das 
Uebrige lieft ſich ganz gut, ohne daß die Briefe gerade befondere 
Vorzüge hätten. So find auch Felir Papencordt’s zwei Briefe 
aus Gicitien und Stalien den Empfängern unftreitig lieb ges 
wefen, dem .größern Yublicum und der Reifeluft unferer Zeit 
werden fie gerabe nichts Neues bieten. Fuͤr Sreunde bes deut⸗ 
ſchen Theaters find fünf Briefe der großen Künftlerin, Friederike 
Bethmann, nebft einem Entwurfe ihres Zeftaments von Werth, 
die fie in ihr inneres Hauswefen einführen und ohne allen Rüd: 
halt mit Beziehung auf allerhand Zheaterneuigfeiten gefchrieben 
find. Eine größere Anzahl Briefe von Ed. Gans an Karl 
Witte Keigen und einen trefflihen Juͤngling in der herzlichften 
Sreundfchaft und in faft leidenſchaftlichen Ergüffen, die fogar 
in Eiferfucht übergehen können, und geben zugleich ein anfchaue 
liches Bild ber juriftifchen Studien, mit welchen ſich die Freunde 
damals befchäftigten. Eine danfenswerthe Zugabe für das Ver⸗ 
ftändniß dieſer Briefe, wie wir fie bereitd oben im Allgemeinen 
als nothwendig bezeichnet haben, ift der Auffag des Profeffor 
Witte in Halle über feinen Jugendfreund. 

Die gefchichtlichen Aufzeichnungen und Denkfchriften enthals 
ten fein fo ausgezeichnetes Actenſtuͤck als die Denffchriften Adam 
Müller’ und die über das Zauenzien’fhe Corps im dritten 
Bande der frühern Dorom’fhen Sammlung waren. Ein Brief 
des Herzogs Friedrich Auguft von Braunſchweig⸗kuͤneburg trägt 
dem Könige Friedrich II. einen mit dem General Ramin -gcs 
babten Streit vor, und aus ben Papieren Hippel's wird bas 
Fragment eines Gefpräches Elifa’s von der Recke mit Bippel über 
das Woͤllner'ſche Religionsedict und über verfchiebene Auswuͤchſe 
der Freimauerei bier veröffentlicht; zweitens, eine Borftellung 
deffelben an den DOberpräfidenten von Schrötter über bie bürger- 
tiche Verbefferung ber Juden, vom 21. October 1791. Crgög: 
ich ift am Schluſſe ein zum erften Male gebrudtes Gedicht 
von Franz von Gaudy an die Gräfin Ida Hahns Hahn, worin 


Dean in bem Punkt, entſchulbigen Sie mic, 
Da ben’ ich bürgerlich, fehr bürgerlich. 
9. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Auch in Frankreich greift bie Wuth, die Papierförbe ber 
großen GSchriftfteller nach ihrem Tode auszuframen und ihre 
„gefammelten Werke” hunderts und aberhundertmal herauszus 
geben, immer weiter um fi. Fievée gehört zu den verſchoile⸗ 
nen Autoren, deſſen Werke man jegt, man weiß eigentlich nicht 
recht warum, aus der Vergeffenheit wieder hervorzieht. (.‚Deuvres 
de Fievee avec une notice biographique par J. Janin’, Pa⸗ 
ris 1842.) Fievée bat ats Journaliſt während der Kaiferzeit 
und der Rejlauration einen großen Einfluß gehabt; aber fo 
ausgezeichnet namentlich einige feiner Keuflletons waren, fo ars 
beitete er doch eigentlih nur für den Augenblick und fein ein: 
siges feiner Werke hat ihn uͤberlebt. Nachdem Bertin d. 3. 
aus feiner Verbannung, die er fich feiner ronatiftifchen Geſin⸗ 
nung wegen zugezogen hatte, nad) Paris zurüdgelehrt war, 
fudyte Rapoleon den Einfluß beffelben auf bas ‚Journal des 
debats’' zu bredien. Er nöthigte das Journal, feinen Titel 
in „Journal de V’Empire’’ zu verwandeln und zwang ihm 
Fievee, auf den er zählen gu koͤnnen glaubte, mit einem Gehalte 
von 40,000 Fr. auf. Unter Fievée's Peitung ward das Biatt 
faft ganz officiell. Indeſſen ließ fich ber Redacteur zuweilen in 

chlummer wiegen, und fo Eam es, daß er fich eines Tages 
einen Artikel aus dem vopatiftifchen Zournate „Mercure de 
France”, der von Shateaubriand herrührte, in fein Blatt eins 
ſchmuggeln ließ. Dies flürzte ihn und Napoleon ſetzte Etienne, 
fpätern Mitarbeiter am „Constitutionnel”, ®erf. mehrer geiſt⸗ 
reihen Operetten und jegigen Akademiker, an bie Spitze bes 
„Journal de !’Empire”. 


Die große Menge ber biftorifchen Werke, bie in Frankreich 
erſcheinen beruhen weniger, als es bei unſern deutſchen Werken 
gleichen Inhalts der Fall zu ſein pflegt, auf tiefen, gelehrten 
Forſchungen, oder ſie tragen wenigſtens dieſelben weniger zur 
Schau. Indeſſen erſcheint von Zeit zu Zeit doch auch bei un- 
fern leichtſinnigen Rachbarn eins von den ſchwerpfuͤndigen Buͤ⸗ 
dern, das uns an bie ehrwärdigen Quartanten alten Schiags 
erinnert, wo auf jeder Seite der Zert in einem ungeheuern Ro: 
tenſchwall unterzugehen pflegte. Zu ben hiſtoriſchen Werken, in 
denen das gelehrte Material gar zu wenig verarbeitet und ges 
boten wird, gehören bie „„Recherches sur l’histoire de France”, 
vom Grafen Antonin de Eadeveze, vom benen zwei Bände ers 
fhienen find. Diefetben betreffen die Unruhen, die bri der 
Zhronbefteigung Ludwig's XI. ftattfanden. 


Wir haben vor kurzem wieder einen jungen hoffnungsvol⸗ 
len Gelehrten zu Grabe gebracht, an dem die Wiffenfchaft 
einen herben Veriuſt erlitten hat. Alphunfe Pepin war Verf. 
der „Deux ans de règne“ und mehrer anderer politifch = relis 
giöfer Werke, von denen wir eins („L’etat actuel du catholi- 
cisme en France”) in diefen Blättern näher beiprochen haben. 
Sein Beitrag zur Geſchichte ber erſten Regierungsjahre der Zulie 
monarchie bat befonders um der wichtigen Documente willen, 
die in berfelben mitgetgeilt werben und die bem Berf. von gu: 
ter Quelle zugefommen zu fein fcheinen, einen hiftorifchen 
Werth. Antony Deschamps, Bruder bes berühmten Emil 
Deshamps und felber als Dichter bekannt, deſſen Porfien 
feit einiger Zeit eine immer myſtiſchere Färbung annehmen, 
fpra am Sarge einige ergreifende Worte. 2, 


Berantwortliher Herautgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und erlag von F. U Brockhaus im Beipsig. 


Blatter 


für 


literarifde 


Unterhbalfung. 





Sreitag, 


H. Luden und 3. Droz über die franzöfifche 
Kevolution. 

Geſchichte ber Regierung Ludwig's XVL, in den Jabren, ba bie 
franzöfifye Revolution verhütet ober geleitet werben Eonnte, 
ven Joſeph Droz. Aus dem Rranzöftfchen. Vorrede 
von Deinrich Eupen. Jena, Ruben. 1843, Er. 8. 1 Zhlr. 
18%, Nor. 

Mir haben hier einen doppelten Gegenſtand zu befpre: 
hen, einmal das ausgezeichnete Werk von Droz felbfl, 
welches und hier in einer fehr guten Überfegung geboten 
wird; fodann die Vorrede, weiche ber Water des Über: 
fegers, der Profeflor der Gefchichte in Jena, Heinrich Lus 
den, dem Werke vorausfhidt. Diefe Borrede eines klug⸗ 
‚beobadytenden und erfihsenen Mannes befchäftigt fich mes 
niger mit dem Werke felbft, als fie vielmehr Gelegenheit 
nimmt, von der franzöfiihen Revolution auf unfere deuts 
ſchen Zuſtaͤnde überzugehen und Uber die wichtigſten po: 
litiſchen Fragen unferer Gegenwart und jüngften Vergan⸗ 
genbeit ein Glaubensbekenntniß, ein kritiſches Urtheil abs 
zugeben. Es gefchieht dieſes freilich auf imdirecte Weiſe; 
es find ſcheinbdar allgemein gehaltene Meflerionen über die 
Revolutionen überhaupt und über die franzöfifche Revolu⸗ 
tion insbefondere; die Beziehung, melche der Verf. diefen 
feinen Bettachtungen aber auf die legtverfloffenen 25 Sabre 
unſers WBaterlandes gibt, find fo dentlih und unverfenns 
bar, fo abfichtlich, daß Uber die directe Tendenz derſelben 
fein Zweifel obwalsen Bann. 

Es gab eine Zeit, wo Luden zu den befannteften pos 
litiſchen Wortfuͤhrern ded Tages gehörte und ein Stern 
erſter Größe am Dorizonte unferer eben fich bildenden pos 
litiſchen Tagespreſſe werden zu wollen ſchien. Es war 
diefed die erfte Zeit nach den Befreiungsfriegen, wo ber 
„bildete Theil des Dolls in Deutfchland den neuen, 
im Werden begriffenen pofitifhen Verhaͤleniſſen unſers 
Vaterlandes ſich mit großer Theilnahme hingad und mit 
Lebhaftigkeit das verheißene Recht am öffentlichen Leben 
ausüben zu wollen fchien. Luden entwidelte damals in 
ſeiner „Nemeſis“ neben einer entfchieden Liberalen Tendenz 
ebenfo viel Gewandtheit unnZPeichtigleit der Debatte, als 
Wis, Schärfe des Berflandes und theoretifche Bewandert⸗ 
beit in einzelnen allgemeinen Srundfragen der Zeit. Bor: 
zugsweiſe war «8 die Conftitutionsfrage, wie die der freien 
Drefie, welche damals von ihm, mie von liberalen 
Journaliſtik überhaupt, mit großer Lebhaftigkeit behandelt 


.41. — 


10. Februar 1843. 








wurde. Als einzelne Ertravaganzen der fludirenden Jugend 
und befonder& die ſchwaͤrmeriſch⸗ wahnſinnige That Sand’s 
den nur zu willkommenen Vorwand bergaben, um bie 
Preſſe zu befchränken, das Streben nad) Repräfentation 
und lebendigem Antheile des Volle am Staatsleben zu 
unterdrüden, ald Verfolgung mannichfacher Art das Loss 
Derer wurde, die nody ferner die Sache einer ausgedehns 
tern bürgerlichen s politifchen Freiheit zu verfechten wagten, 
zog ſich Luden noch zur rechten Zeit zuruͤck, um nicht das 
Schickſal Oken's und Anderer zu theilen, fowie denn übers 
haupt eine nüchterne, alt= berechnende Weltbeobachtung, 
eine farkaftifhe Richtung gegen jeglihen Enthuſiasmus, 
er fei wahr oder falſch, und eine entfchiedene Abneigung 
gegen jedes Märtyrerthbum zu den fehr entfchieben hervor: 
tretenden Kennzeichen feines Charakters gehört. 
Diejenigen, die feine Vorlefungen nicht gehört haben 
und von feinen fchriftftelferifchen Arbeiten weiter nichts 
kennen als feine „Geſchichte der Deutfchen” und etwa feine 
vier „Borlefungen über das Studium der beutfchen Ger 
ſchichte“ werden diefe Charakterzüge freilich nicht gefunden 
haben. Uber diefe wiſſen vielleicht nicht, baß eben bie er: 
wähnten Werke in einem ganz fremden, gewiflermaßen 
angelernten Geifte gefchrieben find. Gegen Ende des vor 
rigen Sahrhunderts und in ben erſten Jahren des jekigen 
lebte nämlich ein Mann, der, außer feinem Einfluſſe auf 
die Wiflenfchaft, einen ungleich größern noch auf die ethis 
fhe Semütherichtung feiner Zeitgenoffen ausübte. Diefer 
Mann, den wir bier meinen, war Fichte. Seine tiefe 
ſittlich⸗ patriotiſche Begeiſterung muß zumal für Diejenis 
gen, denen es vergönnt war, feine Stimme zu- hören, feis 
nen Vortraͤgen zu laufchen, von unmiderftehlicher Allge⸗ 
walt gewelen fein. Am evibenteften zeigt ſich dieſes Phaͤ⸗ 
nomen dadurch, daß er ſelbſt folhe Naturen in feine 
Kreife und Anfchauungsweile mit fi forteiß, die urs 
ſpruͤnglich vermöge ihrer Individualität im entfchieben« 
ften Gegenfage zu ihm. ftanden. Wenn biefe auch nicht 
zu einer wirklichen innerften Verwandtſchaft zu ihm um⸗ 
gebildet werben konnten, wenn er auch Feine Schüler im 
Seifte und in dee Wahrheit an ihnen gewann, fo hemmte 
et fie doch vorläufig an ber Kortentwidelung ihrer eigens 
thlimlichen Getitesanlage und zwang fie ſowol feine An⸗ 
fihten als feine Redeweiſe wenigſtens aͤußerlich fich zu ei⸗ 
gen zu machen. Daß aus ſolchem Einflufſe ziemlich un⸗ 
wahre, carikirte Verbildungen hervorgehen mußten, iſt 


leicht einzufehen und Fichte kann fich Hier mit jedem gro> 
Gen,  begeifterten Mann tröflen, der immer eine Anzahl 
unmwahrer Schwärmer in feinem Gefolge gehabt hat. Zu 
diefen fichtifirenden Garicaturen gehört unter Andern der 
bekannte Jahn und auch Luden. Richt ber wirkliche Luden, 
wie er in feiner „Nemeſis“, in feiner „Politik“, in feinen 
mündlihen Borträgen tiber franzöfifche Revolution u. |. w., 
in feinem Wirken ald Mitglied der weimarifhen Kammer 
und des akademiſchen Senats ſich zeigt, nicht der kalt: 
verftändige, iconifche, behagliche Luden, fondern der Luden, 
welcher Verf. der „Geſchichte dee Deutſchen“ ift, Die jetzt 
ſchon wer weiß zu dem wie vielten Bande herangewachlen. 

Fichte hegte bekanntlich eine tiefe, heilige Verehrung 
vor dem Germanenthume; er nannte die Deutfchen das 
urfprünglichfte Volt, in dem alle Keime des Großen und 
Welterlöfenden von Anfang her eingefenkt feien. Diefen 
Sag nun occupirte Luden für feine deutſche Geſchichte 
und fuchte nad diefem Thema diefelbe auszuführen. Wie 
viel falſcher Pathos, wie viel komiſch⸗geſchmackloſe Begei⸗ 
flerungsanftellerei babei zum Vorſchein gekommen, ift bes 
Bannt. Es ift in der That eine auffallend heitere Er: 
fcheinung, wie eben der Mann, der vermöge feiner fühl: 
ironifchen Betrachtungsweiſe des menfhlihen Thuns und 
Treibens der entfchiedenfte Feind aller Illuſion und Phra⸗ 
ſenmacherei ſelbſt bis zur Negation manches Wahren und 
Wirklichen war, eben beſtaͤndig in einer ganz offen dalie⸗ 
genden JIlluſion ſich abmühen mußte. Groͤßere Gegenſaͤtze, 
wie der wirkliche Luden und Luden, der Verfaſſer der „Deut⸗ 
ſchen Geſchichte“, find nicht denkbar; Luden, der ganz mo: 
derne, woigig=politifche Journaliſt und ber biderbe Vereh⸗ 
ter der alten Urgermanen bilden einen Dualismus, wie er 
unvermittelter und naiver ſchwerlich bei einem andern neuern 
Schriftſteller angetroffen werden möchte. 

Luden hatte ſich bereits von dem Fichte'ſchen Einfluſſe 
emancipirt und in der „Memefis” feine eigene Bahn 
mit Sicherheit eingefchlagen, als jene Unterdrüdungen ihm 
bemmend in den Weg traten. Da er auf feine Weiſe 
aun nicht mehr duch die Melt kommen konnte — was 
ee mit ficherer Weltkenntniß fchneller als Andere erkannte —, 
fo brach er ohne mweitered ab und holte fchnell aus 
der Rumpellammer feiner Jugendillufionen ben ganzen 
Fichte ſchen Apparat hervor, um ungeftört und unbeunruhigt 
in diefer fremden Manier fchriftftelleen zu können. Wie 
taufend Andere, fo kann auch Luden alfo über die Hem⸗ 
mung Magen, die der Entwidelung feiner fittlihen Indi⸗ 
vidualitaͤt durch die Machthaber einer juͤngſt vergangenen 
Epoche geworden iſt; freilich hat er weniger darunter ge: 
litten wie Andere, indem fein eigentliches ſittliches We: 
fen fih doch ſchon ziemlich feſtgeſtellt hatte und nur nicht 
fcheiftftellerifch zur Thaͤtigkeit kommen konnte. 

Wir verkennen übrigens keineswegs Luden's bedeuten: 
des Talent und bedauern nur, daß es in feiner eigen⸗ 
thümlichen Sphäre, der politifchen Journaliſtik, fo wenig 
zue Anwendung gekommen iſt. Auch den Regierungen bat 
6 feinen Vortheil geftiftet, daß fie befonnene und kennt⸗ 
nißreiche Maͤnner von der Tagespreffe mit Gewalt zurüds 
gedrängt haben. Unſere Öffentlichen Zuftände ſowie die pes 


litiſche Discuffion würden ficher bereitd viel feftere Geſtalt 
und Farere, würdigere Haltung gewonnen haben, während 
man fich jest von überflugen, unteifen Junghegelianern 
die Ohren voll reden laffen muß und felbit die wohlmei⸗ 
nenditen, Überalften Abſichten einzelner Regietkungen wegen 
des ungebildeten Zuftandes unferer Preſſe eine genuͤgende 
Würdigung erfahren. Der Mangel tenntmißceicher und 
geſchickter Fournaliften wird von unfern Gouvernements, 
namentlid) von dem preußifchen, gewiß fchon in dieſem 
Augenblide ſchmerzlich empfunden. So beftraft ſich jedes 
Unrecht und fällt über Eur; oder lang in feinen Folgen 
auf den Urheber zurüͤck. 

Auch als akademifcher Lehrer bat Luden große Vers 
dienfte; feine Vorträge über neuefte Geſchichte find klar 
und verftändig, menn ihnen fhon zuweilen eine höhere 
Auffaffung und eine würdige Korm mangelt. Vom Mit: 
telalter, von Allem, was einen romantifchen Anftcih bat, 
muß er ſich freilicy entfernt halten. Das Berftändnig des 
Poetifhen mangelt ebenfo fehr, wie die Würdigung na⸗ 
tioneller Zuftände, die nicht auf den modernen Staat 
und auf moderne Qultur fi zucüdführen Laffen. 

In diefer Vorrede zu dem Werke von Droz bricht 
nun Luben wieder fein zwanzigiähriges Schweigen und 
teitt als politifher Pamphletiſt auf. Er mittert mit 
feiner feinen Spürkraft nichts Unheimliches mehr in der 
politiſchen Atmofphäre, das ihn bedenklich machen koͤnnte, 
fiy zu Außen. Der alte Löwe bat feine natürliche 
Stimme wiedergefunden, und in der That fie klingt et: 
was voller und eindringlicher wie das wuͤſte und matte 
Geplaͤrr unferer neueften Journaliſten. 

Ein deutſcher Recenfent hatte bei Beurtheilung des 
vorliegenden Werks gedußert, daB Droz von dem Irrthume 
ausgegangen fei, als ob die Revolution überhaupt verhüs 
tet oder geleitet babe werden Sinnen. Hier nun bemerkt 
Luden zuerft, daß er Das, was Irrthum genannt werde, 
ebenfall8 immer für wahr gehalten habe. Und in der 
That weiß man nit, wie man über den - confufen, 
myſtiſchen Unfinn, der in folder nur zu oft laut gewor- 
denen Anficht, die wahrfcheinlich tief philoſophiſch fein fol, 
liegt, ſich genugſam verwundern fol. Eine ſolche Behaup⸗ 
tung widerſpricht dem einfachſten Geſetze von Urſache und 
Wirkung und gibt dem gefunden Menſchenverſtande die 
empfindlichfie Ohrfeige. Wenn ich fleißig bin, lerne ich 
etwas, wenn ich faul bin, bleibe ich unwiſſend; wenn id 
verſchwende, werde ich arm, bin ich fparfam, behalte ich 
mein Geld; mache ich Fehler in einer Schachpartie, fo 
verliere ich, macht mein Gegner Fehler, fo verliert er. Zu 
glauben, daß ich audy bei ganz verfcyiedener Handlungs: 
weile unwiſſend, arm, geſchlagen hätte werden müffen, 
iſt eine abfurde Widerfinnigkeit, die keine MWiderlegung 
verdient. Dieſelbe Wechſelwirkung zwifchen Urſache und 
Wirkung, die in dem Leben. des Einzelnen flattfindet, ift 
auch Gefeh, wie in der ganzen Matur, fo im Leben ber 
Völker, denn diefe beftehen wiederum nur aus Einzelnen. 
Welcher nur Halbverfländige wird leugnen, daß 3. B. bei 
mehr Feſtigkeit Ludwig's XVI. die ganze Revolution einen 
andern Gang angenommen baben würde? Wer Eann die 


3093 


verfhiedenen Refultate, die fi) ergeben haben würden, be: 
whnen, wenn Dex weiſe, mannhafte Zurgot nit aus dem 
Minifterium gefchieden wäre? Wer berechnen, wie fidy bie 
Dinge geftattet haben würden, wenn flatt Calonne's ein 
fparfamer und weniger leichtfinniger Sinanzminifter er: 
nannt wäre? Wer vorherfagen, was erfolgt wäre, wenn 
fort Marie Antoinette's eine andere Prinzeffin Königin 
von Frankreich geworden wäre? Und diefe Thatfachen wie 
unzaͤhlige andere beruhten doch auf Entſchlüſſen, die bei 
onderer und ceiferer Überlegung nicht hätten gefaßt zu mer: 
den brauchen. Freilih, wenn man dann weiter talfonnirt 
und behauptet, Daß eben Ludwig XVI. vermöge feiner Wer: 
hilmiffe, vermöge jenes nexus reram, welcher die Weltres 
sierung bildet, ſchwankend, unfchlüffig habe fein müffen, 
daß Choiſeul vermöge jenes nexus rerum eine Öftreichifche 
Prinzeffin babe wählen müflen, daß Ludwig XVI. ver: 
möge jened nexus rerum ebenfo disponict gewelen, daß er 
Galonne habe ernennen müffen u. f.w. — dann freilich 
fHlägt die Frage in eine metaphufifhe von der Willens: 
freiheit de6 Menſchen über und loͤſt ſich in eine Forſchung 
nach dem legten Grunde alles Seins auf. Die Beant: 
wortung dieſer Frage mag aber ausfallen, wie fie will, 
immer wird dod der Sag feſtſtehen, daß umfichtiges, 
pflichtgetreues, auf Erkenntniß ygeftügtes kraftvolles Hans 
dein auch im politifhen Leben andere Folgen zuwege 
bringt wie Schwäche, Unwiffenheit und Leichtſinn. Dem: 
nah muß dr Menfh annehmen, daß die moralifchen 
Fehler und Leiden, die wir in der Gefchichte der Menfch: 
beit erbliden, ſich bei höherer Intelligenz und reinerm 
Wollen allerdings hätten vermeiden laflen und fomit auch 
die franzoͤſiſche Staatsumbildung, die wir vorzugsweife die 
Revolution nennen, keineswegs unter jeder Bedingung in 
Begleitung fo zahllofer Frevel und grenzenlofer Verwirtung 
fi) habe entwideln muͤſſen. Nur ein abſtruſes Dickthun 
mit ſcheinbar tieflinnigen Philofophemen, wovon unfere 
heutige Literatur wimmelt, kann folche widerfinnige Äuße⸗ 
tungen ohne Erröthen and Tageslicht fördern, Äußerungen, 
die, wenn fie gegrimdet wären, alled Studium der Ge: 
ſchichte ſowie überhaupt jedes fittliche Streben als Thor⸗ 
hit hinſtellen und gaͤnzlich überflüffig machen wuͤrden. 
(Die Vortfehung folgt.) 


Samilienleben in den Vereinigten Staaten. 
Boſton, im Dctober 1882. 
Man Hört fo oft von der hohen Verehrung ber Amerikaner 
wgen das weibliche Geſchlecht, td glaube aber, man hat bavon 
in Surepa eine ganz falfche Borftellung und fieht eine ‚Herr: 
Ghkt in der Gitte, wo, bei Lichte betrachtet, mehr eine Ver⸗ 
kehrweit ftattfindet. Die Republit gibt den Frauen in Allem 
Hg Rechte mit den Männern, nur mit dem geringen Unter: 
ied, daß die Frau ſich nicht in bie politifde Verwaltung bes 
Eandes direct mifchen darf, dagegen aber im Schutze der Mäns 
ner ficht. Die biftorifche Geftaltung bes Lebens ergibt, daß bie 
auen in ber Beit, wo die Indianer noch mordenb umbers 
ichen und weder Alter noch Geſchlecht fchonten, fich nicht aus 
fen Käufern, die man oft befeftigte, wagen burften, um an 
ven Arbeiten ber Männer in Feld und Wald Theil zu nehmen. 
Die Letztern dagegen verließen die Wohnungen nicht ohne ihre 
geladenen Gewehre. Gelbft ihre Gotteshaͤuſer betraten fie mit 
der Buͤchſe fchußfertig unter dem Arme. In bewaffneten Grup 


en begleiteten fie Srauen und Kinder zu biefen unb andern 

erfammiungsorten. Daneben waren in den erften Zeiten der 
Colonien, befonders im Süden, bie Frauen fehr felten und man 
bezahlte fo hohe Preife (oft mehre Hundert Pfund Tabad!) 
für eine Frau, wie jegt bie Anftebler in Reufeetand zu thun 
pflegen. Es kam gar nicht darauf an, welchem Stande und 
Gewerbe die Frau in Europa angehört und nadygegangen ; bier 
war fie fogleich Gebieterin des Haufes, hatte Skiaven zur Wer 
dienung, war bie Puppe des Mannes, ber fie, ats fein koſt⸗ 
barftes Eigenthum nad den Sttaven, gleichfam auf den Haͤn⸗ 
den trug und mit Gefahr feines Lebens gegen jeden Feind 
fügte und behauptete. 

Es konnte unter biefen Berbältniffen nicht feblen, daß 
fetbft ade Feld: und MWirtbfchaftsarbeiten nur von den Män- 
neen und Knechten oder Sklaven verrichtet werden konnten. 
Ja, ed war eine Graufamleit, ſchwache Weiber Sefchäften aus: 
zufegen, bie fie auf der andern Seite der Grauſamkeit der Wil- 
den preisgaben, und die Bitte bilbete ſich ganz unmwillfürlich, durch 
weiche die Frau für die Ehre des Haufes, zum Vergnügen des 
Mannes und fomit hoͤchſtens zur Sorge für die Kinder bes 
flimmt wurde. 

Dies ift die Seſchichte des Hausfriedens der ameritanifchen 
Cotonien. Die Frauen fpielen die Ladies. Alle Moben, aller 
Prunk wirb auf die Frau gehäuft, keine arbeitet im Feide, keine 
beforgt das Bieh. Der Mann zündet früh das Feuer an und 
bie Frau tot, wenn ed warm im immer geworben, bas 
Krühftül, während der Mann draußen bie Saͤue füttert und 
die Kühe melkt. Auf dem Felde plagt fi nur der Mann. In 
ben beffern Zeiten beforgte indeflen die Krau den Webſtuhl und 
machte felbft alle Kleider; dies hat aber ganz aufgehört. 
Während der Dann in Lumpen geht, figt die Lady meift daheim 
Im ſeidenen Kieide im Schaukelſtuhl und befchäftigt fidh, wie es 
ihr beliebt. Sie bat eine Köchin, ein Stubenmaͤdchen, ein 
Kindermaͤdchen und einen Bebienten, wenn bie Verhaͤltniſſe ftädtifch 
oder rei find. Dann genießt der Ehemann etwas von ber 
Bebienungs im Übrigen fragt fie felten viel nach feinem Ver⸗ 
dienft und Einkommen ; fie difponirt über Alles, was im Haufe 
gefchafft werben muß, verwendet ihre Zeit auf Lecture — ſoge⸗ 
nanntes Gtubiren — und andern Zeitvertreib, macht täglich 
eine Anzahl Beſuche bei ihren Wachbarinnen und Freundin⸗ 
nen und empfängt deren eine Anzahl, legt bei Tiſche das Ber 
müfe vor, theilt beim Rrühftüd und Thee (Ahendeflen) bie 
Getränke aus, indem fie vor einem großen Theebret figt, ſchoͤn 
gepugt, ruhig, leidenſchaftelos und aufmerffam auf jede geleerte 
Taſſe. Daher tft in Amerika bie Frage der Schenkerin an ben 
Trinker: „Do. you want another (ober second) cup‘, pro: 
verbial; denn ba fie Jedem nachzaͤhlen, wie viele Taffen er trinkt, 
fo tft die Frage natürlich. Die Engländer verfpotten diefe Frage 
als impolite. Übrigens feheint es, nach dieſer Frage zu ſchlie⸗ 
fen, nicht Bitte zu fein, mehr ats zwei Taſſen zu trinken; 
die Frau würde fonft fragen müffen: „do you want a third 
cup?” und biefe gefeigerte Impoliteſſe in der Aufmerkſamkeit 

part man ihr aus Etikette. Aber bies beildufig. Aus dem 
Sanzen gebt hervor, daß fi ber Mann bier nicht der Arbeit 
(amt und fchämen darf; wol aber thut bies bie Frau. Dies 
gebt herab bis in die Handwerkeclaffe. Die Lady und Töchter 
eines Scuhfliders, nicht einmal Schuhmachers, fiebt man in 
Seide und feinen Muslinen bei Tiſche und beim Thee; ber 
Mann kommt in der zerlumpteften Kleidung Abends aus ber 
Berkftatt, melkt erft die Kühe, waͤſcht ſich dann und ſetzt ſich 
unten an ben Tiſch, die Ehefrau obenan. Diefe Sitte ifk in 
allen Haushaltungen, reichen und armen. Die männlichen Kin: 
der und Gäfte figen bei dem Water, die weiblichen an der obern 
Hälfte bei der Frau. Dies flört die Heiterkeit ber Tafel fehr. 
Dan treibt Alles Halb flumm und fehr gemeffen, figt nur kurze 
Zeit zu ſolchen Zwecken zufammen und bat überhaupt fein ge: 
mäthtiches Familienleben. Jede Tochter hat ihr befonderes Zim⸗ 
mer, wenn es irgend möglich iſt; ebenfo gibt man in rei 
Bamttien auch jedem Sohne fein Appartement. Die Zamitle 
wird auf biefe Weiſe voneinander gehalten. Im Parlour nur 


164 


teifft man ſich; man befucht ſich ohne Erlaubniß ſelbſt nicht auf 
den Privatzimmern, bie zugleich Schlafzimmer find. Ge ift 
völlig unſchicklich, in das Schlafzimmer einer Dame einzutreten, 
ſeibſt wenn es anftänbigft garnirt ifl. Krante Damen, wenn 
nicht todtkrank, empfangen ten Arzt böchft felten in ihrem 

lafzimmer, fie kommen ſchoͤnſtens gepugt ins Parlour, oder 
laſſen fagen: „Sie befänden fich Heute nicht fo wohl, den Arzt 
jegt empfangen zu koͤnnen!“ Man bat wenige Ausnahmen von 
diefer fleifen und verkehrten Manier. Die Männer fühlen das 
Lächerliche diefer Sitte, können aber felten etwas ändern. Die 
Sitte ift, wie überall, das Departement der Krauen, felbft die 
verfehrtefte! Hat die Frau nicht Luft, einen Saft oder Befucher 
zu empfangen, fo läßt fie fagen: „Mrs. N. N. is e ed.“ 
und damit iſt der Beſuch abgemacht. Man kann ſich denken, 
daß bei ſolchen Rechten der Frau im Hauſe Erziehung, Unter⸗ 
richt, Einrichtung, Vergnuͤgungen u. ſ. w. weſentlich von ihr abs 
haͤngen. Zank und Streit iſt deshalb genug, aber er wird 
moͤglichſt geheim gehalten. Es gehört zur größten Untugend, 
teidenfchaftlicyg oder vielmehr laut in ber Leidenfchaft zu fein. 
Daher fcheint der Yankee kalt und thut ſich etwas darauf zu 
gute, die Form feiner Leibenfchaftlichkeit in ber Gewalt zu ha: 
ben. In ben Gtäbten füllen bie rauen ihre leere Zeit mit 
Befuchen in den Gewölben der Kaufleute und mit Kaufen aus; 
fie bezahlen nichts und am Ende bes Jahres [hit man bie 
Rechnungen in das Gomptoir, bie oft dem Deren Gemahl an 
den Rand des Verderbens bringen. 

Die Frauen betreiben nebenher Alles, was die Männer 
nicht ausfcließlih in das Feld der Politik gezogen haben. Die 
Zemperance s Gefellfchaften, die Abolitioniften s @efellfchaften, die 
Kirchengefellfaften u. f. w. werben befonders von den Frauen ge: 
halten und geftügt. Dabei findet man eine Leidenſchaftlichkeit 
für den Zweck, einen Ehrgeiz, einen Eifer und eine Zeitvers 
ſchwendung, die uns in Erſtaunen fegt. 

Es ift unter diefen Umftänden ſicher natuͤrlich, daß in den 
ärmern Farmersfamilien ein Segen an Töchtern eben kein Ges 
gen ift. Die wenigften gehen in Dienjte; bie mehrſten ftrömen 
in die Kabrifpläge, hier verdienen fie, je nad Fleiß und Ge: 
ſchicklichkeit, in drei bie vier Jahren ebenfo viele Hundert Dols 
lars und mehr, ruiniren ihre Gefundheit in ben ftinkenden, 
wenn auch fonft veintichen, aber heißen Saͤlen, Heirathen und 
flerden häufig an der Schwindſucht nach dem erſten Wochenbett. 
Hier retten fie mindeſtens den Schein der Inbependenz, obgleich 
es ein Spottname geworben iſt: Manufactory - girl; wenigſtens 
wird hier ſorglich für die Sittlichkeit gewacht und in Lowell 
3. 8., wo 8000 Mädchen zufammen find, hat man feit 20 Jade 
ren faum einen KaU von Unehre gehört. 

Es gehört hier viel dazu, eine Frau aus ben höhern 
Staͤnden ohne Vermögen zu nehmen. Jeder fürchtet fidy davor, 
der fich nicht zutraut, fo viel erwerben zu fönnen, um ftandess 
gemäß zu leben. Daher find viele Hageftolzen und alte Jungfern 
hier, befonders in Neuengland. 

Die Deutſchen haben in der Union die Schande, ihre Frauen 
und Töchter roh und graufam zu behandeln, weil fie biefelben 
an den Kelbarbeiten Theil nehmen und den Stall beforgen lafs 
fen. Es ift jedoch mehr und mehr den Yankees aufgefallen, 
daß die beutfchen Barmer auf biefem Wege ſehr wohlhabend 
werben. Dagegen ift gewiß, baß bie beutichen Farmer-Familien 
in allen Staaten der Union weniger gebildet find. Liegt ed an 
der gemeinfchaftlichen Arbeit? Oder liegt es in ber germanifchen 
Bauernnatur? Gewiß ift, daß bie Yankee» Bamilien angenehmer 
find, da bie Frauen meift Politur haben und ihre Literatur 
tennen; allein es leidet auch Leinen Zweifel, daß bie deutichen 
armer bei ihrem geößern Wohlſtande Daffelbe erreichen wers 
den, wenn fie erſt die deutfche Sprache in ihren Schulen culs 
tioiren und ſich mit deutfcher Kunft und Literatur beffer ber 
kannt machen. Es ift unglaublich, wie ſchwer es ift, die deuts 
ſchen Soloniften hier in das englilche Leben hinuͤberzuziehen, und 
eben deshalb follten bie beffern unter ihnen mehr Bedacht neh⸗ 
men, das wahre Medium der Cultur für fie, bie beutfche 


Berantwortiliger Herauſsgeber Hetartch Brokhaus. — 


Sprache, beſſer zu cultiviren. Hin und wieder beginnt man in 
ennſylvanien, beſonders aber im Weſten, naͤmlich in Indiana, 
Kinois, Miſſuri; hier ſcheint deutſches Leben ſich ſelbſtaͤndig 

und ernſtlich au entwideln, und auch die Fraven haben dort 

den Anftrich unferer deutfchen gebildeten Hausfrauen, find ge⸗ 
muͤthlich und dabei fleißig. 

Eine befondere Seite des amerikaniſchen Feeminini generis 
darf man nicht unerwähnt Laffen. Es befteht in ber ganzen 
Welt eine große Mannichfaltigkeit der Begriffe des Schönen, 
Gittfamen, Suten und Boͤſen. Warum follte man diefem Lande 
nicht dergleichen gönnen. Bon England her flammt jenes Er⸗ 
röthen und Erzuͤrnen über etwas Unfittfames. Dies ift echt 
deutſch und wahrlich, es ift ein gutes Zeichen, wenn es und 
wo es in einer Nation noch zu treffen iſt. Die Srangofen has 
ben eine befondere Affectation der Sittfamkeit, indem fie natürs 
liche Dinge völlig natürlich betrachten. Man muß fih an 
Stesne’3 „Sentimental journey‘’ erinnern und an fein Erftaunen 
über bad „rien que pisser’” und bergl., um ben Gegenfag zu 
begreifen. Bier in Amerika hält man in Gegenwart ber Frauen 
mehr als natürlich auf Vermeidung alles Deflen, was an Ra: 
türtichleiten erinnert, und eine ameritanifhe Dame, ja jedes 
Landmaͤdchen wird darüber, wenn dergleichen vorkoͤmmt und 
vorkommen muß, nicht nur entſetzlich verlegen und roth, ſondern 
ſogar erboßt und wirft Dem, der es nicht vermied, Roheit vor. 
Dies geht aber weiter: der Bruder, der Bräutigam, der Freund ıc. 
kann bewußtlos in der Kieberhige und am Tode liegen umb 
bälftos fein, es ift gewiß nicht leicht, eine amerikaniſche Damt 
zu bewegen fein Zimmer allein (wie Penelope: «lA oux olos) 
zu befuchen unb ihm Beiftand zu leiſten. Dec Anftand geht 
bier über die Bumanität und man iff oft im Zweifel, 0b je: 
ner in ber That fi in dem weiblichen Bufen rege. Es ift 
roh, dergleichen zuzumuthen und zu verlangen. Ausnahmen 
finden ftatt, wir reden bier von der Sitte. Es iſt dies nicht 
fo unter den Deutſchen in Amerika, fo lange fie nicht englifirt 
find. Ein $reund von mir gab in Philadelphia ein Lefebuch 
beraus zum Unterriht im Deutfhen. Das Buch wur vortreffs 
lich, allein e8 begann mit Leſſing's ſchoͤner Fabel: „Der Hengſt 
und dic Fliege‘, die Interlinearüberfegung hieß: „The stallion 
and the fly’. Won dee ganzen Auflage wurden drei Exem⸗ 
plare verkauft. Irgend cine Beziehung auf das Geſchlecht if 
ein unverzeihliches Verbrechen und die Damen find es, die dicfe 
Verbrechen befonders bemerken, ja feldft bie jungen halbreifen 
Dinger auf den Schulbaͤnken flören oft Zank zwiſchen Lehrern 
und Altern an, weil fie Beziehungen in dem Vorgetragenen 
fanden, an bie der Lehrer nicht dachte und benfen Eonnte. Ich 
erzählte einft einer Dame in Philadelphia im Vertrauen, daf 
ih bie Ausficht habe, bald meine Familie vermehrt zu fehen. 
„Wie kommen Gie dazu, mir bies zu fagen!” Ich glaubte, 
daß die Wendung, die unfer Gefpräd genommen bette, diefe 
Mittheilung völlig rechtfertige. Sie fah mich von oben bis 
unten an, erbolte fidy aber nad) einigen Augenblicken durch die 
Reflerion: „Nour german manners are pretty strange to us, 
but I really think there is something good in them.” Id 
bat um Verzeihung, vergeffen zu baden, baß ich eine amerika⸗ 
nifche Freundin vor mir habe, und verſprach ihr, fie nie wies 
ber mit Dem zu bebelligen, was meinem Herzen fo nahe liege. 
„Nein”, fuhr fie auf, „Sie haben recht, wir haben unrecht; 
unfere Sitte ift albern.“ So können ſelbſt die Beſſern nice 
aus der Gewohnheit und Sitte heraus, felbft wenn fie fühlen 
und erfennen, baß dieſe Sitte unnatürlich, nichts weniger als 
unſchuidig und fittfam fei. Mir fcheint es, als müffe man dies 
Alles auf Rechnung der Stellung ber Frauen in ber Geſellſchaft 
bringen. Sie wollen erimirt, aͤtheriſch, geiftig — ich weiß 
nicht wie — betrachtet und behandelt fein; der Schmuz des 
Lebens ſoll ſelbſt in der unfchuldigften Korm nicht an fie kom⸗ 
men; allein es fehlt an dem fein gebilbeten. Urtheil, was dahin 
gehöre, was nicht, und darüber gieft man das Kind mit dem 
Bade aus und wird geziert und unnatürlich. " 

(Die Zortfegung folgt.) 


Diu@ uns Mixing von 3. U Broddaus in.Seipzig. 


Blätter 


für 


literarifbhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 


11. Februar 1843. 





(Bortfegung aus Fir. Al.) 

Alsdann ſetzt Luden mit einer gefhidten Wendung 
einige icrige Vorurtheile, welche noch hier und da über 
die Entſtehung der franzofiichen Revolution namentlich in 
höhern Kreifen herrſchen, mit unfern gegenwaͤttigen Zus 
Händen in Deutihland in Verbindung und deutet den 
nachtheiligen Einfluß an, den fie auf die Entwidelung 
unfers politiihen Lebens in jüngfter Zeit geäußert haben 
und woch Außen. Dahin gehört zuerft die Anficht, daß 
die franzöfifche Revolution Folge einer Berfchwörung ge: 
wefen jei, eine Anfide, die er mit Recht ebenfo unmahr 
wie verderblich nennt. 

Schon der bloße Gedanke — fast er —, daß es in die 
Hand einer Eleinen Anzahl von Menſchen gelegt fei, gleichviel 
von welcher Gefinnung befcelt, von weichen Abfichten beftimmt, 
welchen Zweck im Auge, den Gang der Sntwidelung aller uns 
ferer Berhältniffe zu unterbredgen, die Orbnung, in welder wir 
leben, zu zerftören, ja Alles, was bie Vergangenheit erzeugt bat, 
umzuwerfen, ift eine Abgeſchmacktheit. Wie? während wir Alle, 
ein ganzes Volk, finnen unb forgen, entbehren und entfagen, 
frauern und weinen, arbeiten, ringen und ftreben, genichen und 
und freuen, follte es der Leidenſchaft, den Ränfen Einzelner, ef: 
ner Anzahl von Hundert oder Zaufend, möglich fein, durch ges 
heimes Wirken und Wühlen den Anter abzuldfen, an weichem 
das Schiff unfers Lebens hängt, um baflelbe dem Wind und 
den Kogen preiszugeben? möglich fein, den Boden zu durch⸗ 
brechen, auf welchem wir ftehen, auf welchem die ganze unends 
lich reiche Erbſchaft der vergangenen Jahrhunderte ruht, auf 
welchen wir unfese eigenen Entwürfe und das Schickſal unferer 
Kinder für die Zukunft gebaut haben, um uns Alle dem Zu: 
fal in die Arme zu werfen? Iſt denn feine waltende Gottheit 
im Reben, kein Geiſt, Leine Vernunft, fein Verſtand in den 
Menſchen? Wenn Jemand, wo Dreizehn zu Zifche figen, ängfts 
\h den Vierzehnten herzuruft, um durch Diefen von Ienen das 
Sqhickſal abzuwenden, fo mag man mol den unfcduldigen Aber: 
landen mit einem Lächeln dulden: Behauptungen, bie das 
Schickſal der Völker und Reiche von ben Wuͤnſchen, Entwürfen, 
der Kuͤhnheit, der Frechheit eines oder einiger Menſchen abhäns 
gig madyen, find ſchlechthin zu verwerfen und müßten mit ben 
bärteften Namen bezeichnet werben, wenn es nicht billig wäre, 
jeden Menſchen nur nad) dem Maße feiner Einſichten, feines 
eigenen Berftandes zu richten. Sie gehen aus einem großen, 
ungtädtidhen Irrthum hervor. 

Man fieht, der alte Luden bat ed noch nicht verlemmt, 
Scharfe fatirifche Pfeile unter dem Schilde allgemein ge: 
haltener Bemerkungen auf die Megierenden abzudrüden, 


denn dieſen, Irrenden, die mit ben härteflen Namen bes 
zeichnet werden müßten”, wer waren fie? unb iſt ihre 
Zahl unter uns fo Bein, ihre Stellung in der Geſellſchaft 
fo unbedeutend green? Mer find jene „ Menſchen, die 
nur nach dem Maße ihrer Einſichten, ihres eigenen Der: 
flandes gerichtet werben muͤſſn“? Aber auch das Vers 
derbliche eines folchen Irrthums fest Luden fcharf und 
treffend auseinander: 

Wenn fi) eine folche Anficht bei den Regierenden feftfegt: 
was kann, was muß bie Kolge fein? Wie auch die geſellſchaft⸗ 
lichen Berbältniffe geordnet fein mögen: es wird immer Mens 
fhen geben, die eine Veränderung für wuͤnſchenswerth, für nös 
thig halten, nit aus Luft an Neuerungen, fonbern weil die bes 
ftehenden Einrichtungen unmägli allen gleichmäßig genügen 
fönnen, weil ein Jeder das Allgemeine nur nad) ben Grfcheis 
nungen, welchen er nahe fteht, aufzufaflen pflegt, nur nach dem 
Maße feines Verſtandes zu beurtheilen vermag. Sebhafte Gets 
fter drüden ihre Unzufriedenheit \ebhaft aus; ungebildete Mens 
[hen Legen ihre Wünfche in roher Weife dar: die Regierungen, 
ihre Behörden und Agenten werben aufmerffam. Die Vor⸗ 
gänge wiederholen fich: fie werben bedenliid. An andern Or⸗ 
ten, von andern Perfonen Daflelbe. Jener wirb in Geſellſchaft 
mit Diefem bemerkt: man wird aͤngſtlich. Aus augenblidlichen, 
vielleicht gebankentofen XAußerungen wird eine Gefinnung gefols 
gert, Nahes und Entferntes aneinander gerücdt: eine Verbin⸗ 
dung ift unverkennbar, eine Verſchwoͤrung wahrſcheinlich. Da 
es auch an Verdaͤchtigungen und Angebereien nie fehlt, wo fie 
nicht zurüdgewiefen werben, fo find Vorkehrungen nöthig, um 
bie renolutionnairen Umtriebe zu vereitein, zu verfolgen, zu bes 
ftrafen, um dem Unglüd einer Revolution zuvorzukommen ıc. 

Ein großes Übel aber ift, daß auf ſoiche Weife das Leben 
in feiner Entwidelung aufgehalten, der öffentliche Geiſt belaͤ⸗ 
ftigt, Argwohn an die Stelle des Vertrauens geſetzt, anftatt ber 
Treue Furcht, Unmuth und Bohnlachen erzeugt wird 

Aber eben dur jene ungiädfelige Verſchwoͤrungsrie⸗ 
cherei und die fie beyleitenden Maßregeln entfiehen am 
erften wirkliche Verſchwoͤrungen. Man halte nur Jemand 
erſt für ſchlecht und zeige ihm dieſes auf verlegende Weiſe 
— es iſt das ficherfte Mittel, ihn fchlecht zu machen. 
Man zeige dem Wolke erſt Furcht und unwürdiges Mis⸗ 
trauen und e8 worden in Einzelnen Gedanken und Plane 
hervorgerufen werden, auf die fie fonft nicht gekommen 
wären. 

Die Beſorgniß der Regierungen vor Verſchwoͤrungen bes 
weift ja aufs klarſte, wie ſchwach fie ſelbſt, wie ſtark die Ver⸗ 
ſchwoͤrer, wie ungewiß ber beftehende Zuftand der Dinge I Auf 
ſolche Weife durch die Regierung ſelbſt provocirt, flürzt man 
fih in das Unglüd, zieht Andere hinein, beftärkt die Regierun⸗ 


166 


gen in ihrer Anſicht, in ihrem Mistrauen und bringt eine heil⸗ 
Lofe Wechfelwirfung Kervor, zwiſchen welcher die fchönften Ge⸗ 
fühle in der menfchlidhen Bruſt zerrieben und die Voͤlker in eis 
nen Zuftand verfegt werden, der jedes Falles der Entwickelung 
des Geiſtes große Hinderniſſe entgegenflellt. j 


a. Alles, was Luden über diefen Gegenſtand fügt, iſt ges 


wiß richtig und wahr. Nur wäre zu wuͤnſchen geweſen, 
daß er feine Stimme früher gegen jenes leidige Verdaͤch⸗ 
tigungs= und pollceitiche Überwacdhungsfpftem, gegen jene 
Verihwörungsriecherei erhoben hätte, welches wie ein Alp 
ein Vierteljahrhundert hindurch auf ber Bruft des Volks 
gelegen hat, den Einzelnen wie die Gefammtheit in ihrer 
Entwidelung gehemmt und unberehhenbare Leiden über 
Deutfchland hHerbeigeführe hat. Damals, als jenes Spy: 
ftem in feiner vollen Blüte fland, damals hätten Luden 
und andere Männer ihre Stimmer erheben und predigen 
und warnen follen. Auch bei der ftrengiten Genfur war 
dazu noch immer die Möglichkeit gegeben. Jetzt kommt 
man mit diefen Debuctionen wenigftens in Bezug auf 
ihre praßtifche Anwendung für den Augenblid zu fpät. 
Der jegige König von Preußen hat bereits den fchweren 
Bann gelöft, unter dem wir ein Leben voll Angft und 
Mistrauen mehr dahinträumten und vegeticten, al® wirt: 
lich lebten. Ein einzelner Mann voll Hochgefühl, voll 
Liebe und Vertrauens, bat uns wie mit einem Zauber: 
ſchlage blos durch offene Darlegung feiner eigenen groß- 
artigen und freien Gefinnung zu einem neuen Leben voll 
Hochgefuͤhls, voll Liebe und Vertrauens wiedererwedt, nad) 
dem ſich Deutfchland ſtets gefehnt hat, deſſen es ſtets 
würdig war und nie mehr als eben in jenem Zeittaume, 
da man es fo unverantwortlich behandelte umd fich fo 
Heinlih an ihm verſuͤndigte. Truͤgen nicht die Zeichen der 
Zeit, fo werden jene Zuftände, wie Luden fie fihildert und 
geißele, nicht wiederkehren. Dennoch mag eine rügende 
Rüderinnerung immer noch an der Zeit fein, wennſchon 
ein unmittelbares Ankämpfen gegen den Drud, als er nod) 
vorhanden war, als noch ungleich ehrenvoller und Des alls 
gemeinen Dankes würdiger hätte anerkannt werden muͤſſen. 
Eine fharfe Kritik des Juͤngſterlebten und Juͤngſterlitte⸗ 
nen kann in der That nicht fehaden. Wir Deutfchen 
find ein gar vergehliches Voll. Kaum find die Wunden, 
die Napoleon uns gefchlagen, einigermaßen vernarbt, fo 
find fie auch vergefien und aus erbitterten Feinden wer: 
den wir feine Bewunderer. Kaum dürfen wir etwas 
freier aufatmen, unfere Meinung offener ausiprechen, 
kaum find unfere Söhne uns aus den Kerkern wicberge: 
geben und ihre Wange hat bie kranke Kerkerfarbe in etz 
was abgeftreift, fo haben wir all das vergangene erlittene 
Untecht vergefien. Wäre. diefes Vergeſſen im jener chriſt⸗ 
lichen Liebe begrünbet, in jenem chriſtlichen Verzeihen, der 
hoͤchſten Spite der Humanität, wahrlich, roit würden mit 
inniger Anerkennung diefen Zug in unferm gegenwärtigen 
Nationalcharakter begrüßen. Aber wir fürchten nur zu 
ſehr, daß jenes Vergeſſen in einer gewiſſen Stumpfheit 
begruͤndet iſt, welcher es für die edelften Güter ber Menſch⸗ 
beit, alfo auch für deren Beeinträchtigung, noch an einer 
lebhaften Empfängfichkeit mangelt, in einer gewiſſen mo» 
raliſchen Schlaffheit, welche der ftärkften dußern Incita⸗ 


mente bedarf, um Überhaupt Antheil zu nehmen, und ſo⸗ 
gleich wieder in ſich zufammenfinkt, fobald diefe zu wir⸗ 
ten nachlaffen. Wenigſtens glauben wir den Deutfchen 
nicht Unrecht zu thun, wenn wir ihnen ein ebenfo ſchnel⸗ 
les Vergeſſen der empfangenen Wohlthaten vindiciren mie 
erlittener Beleidigung und Werfolgung. Darum glauben 
wir nicht an jene lautere Quelle chriftlihen Verzeihens, 
wenn wir die ganze Sunme des Erduldeten jegt auf ein= 
mal mit einem Mantel gleichgültigen Stillſchweigens ver⸗ 
huͤllt ſehen; und darum halten wir folche Erinnerungen, 
welche vergangenes Unrecht mwieber im Gebächtniffe auf: 
frifht, deffer Stachel etwas tiefer in die Gemüther ein: 
drüdt, für durchaus nuͤtzlich und nothwendig. Nicht um 
Rache zu nehmen wegen erlittenen Unrecht, fondern um 
unfer Rechtsgefuͤhl daran zu Tchärfen, ift eine Kritik umd 
Auseinanderlegung jened Syſtems, was uns in dem leg: 
ten Vierteljahrhundert jedes Bewußtſein freier und chrift: 
licher Staatsbürger zu rauben beabfidhtigte, fo überaus 
wuͤnſchenswerth. Bevor wir die Engherzigkeit und Ver⸗ 
werflichkeit jenes Syſtems nicht vollſtaͤndig empfinden und 
duchhfchauen, fo lange find wir auch nicht fähig, mit vol: 
ler Dankbarkeit die wunderbaren Veränderungen anzuer: 
Eennen, die eine einzige großherzige Perfönlicykeit in dem 
ganzen Seelenleben nicht nur des preußifchen Staats, 
fondern dee ganzen deutfhen Vaterlandes in kuͤrzeſter Frift 
hervorgerufen hat. Mer jenes Spftem nicht verwirft und 
verurtheilt, der kann das jegige nicht wahrhaft lieben und 
verehrten. Beide find fchneidende Gegenfäge, die ſich völ- 
lig einander ausfhließen, und mwenn die fromme Pietät 
eines Sohnes diefes auch ſelbſt nicht ausfpricht, fo iſt es 
dennoch unmöglich, daß er ſich dieſes Vechaͤltniſſes nicht 
bewußt wäre. Luden fähet fodann fort: 


Aber aud eine andere Meinung iſt, wenngleich ehrenwerth, 
doch nicht minder ungluͤcklich und fall: die Meinung, daß die 
franzöfifche Revolution durch eine gewifle Anzahl von Schrifts 
Relleen herbeigeführt fei, die in Frankreich Philofophen genannt 
werben. — — 

Diefe Meinung iſt, wie fie eben genannt worden, allerdings 
ebrenwerth, weit fie bie Macht des Seiſtes anerkennt, das 
Wort für mehr als einen Schall achtet. Sie geht weit. Rede 
und Schrift follen die Stärke haben, bie größte Gewalt zu bre- 
den oder zu vernichten und alle Kräfte eines ganzen Volks zu 
Kampf, Sieg und GSroberung zu vereinigen. Das fcheint für 
das Geiftige im Leben, für eine Herrſchaft des Gottes im 
Menſchen über das Thier im Menfchen von einer Achtung zu 
zeugen, bie Achtung verdient. 

Dennoch ift fie unglüdfelig, diefe Meinung. Wenn fie fi 
ber Gewaltigen diefer Erbe, wenn fie fi ber Regierungen bes 
mächtigt, ift es fo natürlich als nothwenbig, daß fie entgegen- 
zuwirken fuchen, um fich felbft und ben Zuſtand der Dinge zu 
erhalten, in weichem fie find, was fie find, zu defien Erhaltung 
fie ſich verpflichtet fühlen. Iſt die franzoͤſiſche Revolution durch 
Rede und Schrift bewirkt worden, fo könnten ja auch überall 
durch Rede und Schrift Revolutionen bewirkt werden. Um bie 
ſes Unglüd abzuwenden, ift nothwendig, Rebe und Schrift unter 
Auffiht zu flellen. Belche Maßregein man aber ergreifen 
mag, jede wirkt nadhtheilig auf das Leben, gleich nachtheilig für 
die NRegierenden wie für bie Regierten. Wie die Pflanze zum 
frögtichen Gedeihen der Luft und bes Lichtes bebarf, fo bedarf 
der Geiſt zu gedeihlicher Entwickelung der Freiheit in Rede und 
Schrift. Wird ihm diefe Freiheit geraubt ober verkuͤmmert, fo 
verbumpft ober verkruͤppelt er, wird bitter ober treibt feine 


167 


Kroft in allerlei Auswüchlen, bie das Leben hemmen ober ver: 
demmen. Horcherei, Aufpafferei, Späherei, Berbzehungen, Ber 
doͤchtigungen, Berbote und Gtrafen können nicht ausbieiben; 
thörichte Leidenſchaften werden in ber @efellfchaft aufgeregt, vor 
weichen Freudigkeit, Gemeinfinn, Baterlandeliebe, viele Zugens 
den zurüchweidgen. 

Bir haben foldhe Zeiten erlebt — — 

In ber neuern Zeit ift bie Genfur hier und dort verſchwun⸗ 
kn; in unferm WBaterlande ift fie faft überall fehr milb gewors 
den: die neuefte Literanur gibt ſchlagende Beweiſe in Menge. 
&o lange aber die Meinung feftgebalten wird, daß dur 
ESchriftſteller die Verhaͤltniſſe des Lebens verändert, zerriſſen 
werden Tonnen, fo lange wird auch der Grundſatz feitftehen, 
daß man die Scheiftiteller unter Xuffiht halten und ibre Schrife 
tea von dem Gifte reinigen müfle, das die Gefellfchaft verber: 
ben, alle Bande derfelben zerfrefien und fie in die Gewalt fres 
veihafter Menſchen werfen könnte; und fo lange diefer Grunds 
fat gilt, ift mir der Milde der Geſetze (neuefles preußifches Cen⸗ 
furebict) wenig gewonnen. Die Regierungen mögen Vorſchrif⸗ 
ten geben, die jedem befonnenen Manne genügen: woher aber 
nehmen fie Genforen, welche die Borfchriften zu ihrer und der 
Schriftſteller Zufriedenheit auszuführen vermödhten ? 

Aber Mitde oder Strenge: Alles iſt vergeblich. Die Mögs 
lichkeit, des Geiſtes Satwidelung zu hemmen, ihn gegen bie Ge⸗ 
fege feines Weſens zu leiten, zu verfrüppeln, zu verbumpfen, ift 
feit 400 Jahren unter der Drudpreffe vernichtet. 

Gegen diefe legte Behauptung Luden’s, die noch dazu 
einer feühern oben angeführten Außerung entſchieden wi: 
derfpricht, erlauben wir uns doch einige Bemerkungen zu 
machen. Mären die Maßregeln, die man gegen die Frei⸗ 
beit der Preffe nimmt, ſo ganz irrelevant, fo ganz ohne 

Einfluß, fo ift in der That nicht abzufehen, weshalb man 
fo fehr dagegen declamitt und weshalb alle freifinnigen 
Männer fie ald verderblich ſchildern. Geht der Geiſt den⸗ 
noch feinen nothwendigen Gang, unbelümmert um alle 
Demmungm und Hinderniffe, fo iſt die Stage über Gen: 
fur oder Preßfreiheit in der That eine ganz müßige. Eine 
folhe Behauptung ift aber in der That ebenfo woiderfinnig 
old die frühere, daß Revolutionen fidy nicht abwenden lies 
fen. Glaube Luden vielleicht, daß der Preßzwang, weicher 
kit 25 Jahren über Deutfchland verhängt war, fo ganz 
ohne Einfluß auf die Entwidelung unfers Charaktere, 
unferer Verhältniffe gemefen fei? Er möge nur ſich ſelbſt 
fragen, ob fein Leben, feine Thätigkeit nicht ganz anders 
ausgefallen fein würden, wenn nicht ſolche Maßregein ſtoͤ⸗ 
tend in feine Selbftbeflimmung, in den freien Gebrauch 
finer Kräfte eingegriffen hätten? Und wie mit dem Eins 
einen, fo mit der Gefammtheit. Nein, ber öffentliche 
Geiſt iſt nicht unabhängig von den gefeglihen Möglich: 
titen, in denen er ſich dußern darf. Es läßt ſich unend: 
fe viel durch ſolche widernatürlihe Hemmungen in dem 

Griketteben eines ganzen Volks verderben, gleichwie eine 
fehlerhafte, ſtlaviſche Erziehung die reichite geiftige Anlage 
eines Kindes wenn nicht ganz zerflören, doch verdrehen und 
verderben Tann. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Samilienleben in den Vereinigten Staaten. 
(Bortfesung aus Nr. 41.) 

Es ift nichte Tanaweiliger in der Welt als eine Damen: 

geſellſchaft; Hochmuth, Gitelkeit,- Käite und Stumpfheit, ober 

taßenartige Wefkialität find hier in der Gulmination. Run denke 


man fih, daß hier fogar gemiſchte Geſellſchaften ſich gewoͤhnlich 
:epariren, wenn man nicht tanzt. Es beginnt in diefer ziehung 
etwas beſſer zu werben, ſeit viele Familien in Frankreich und 
Deutfhland gelebt und das Gemüthliche unferer Geſellſchaft 
(ich meine nicht der Geſellſchaften — Gott bewahre mich, fo 
etwas zu fagen!!) baben Eennen lernen. Kommen aber junge 
mit jungen Damen zufammen, fo findet ein ewiges 
Courmachen und ein Stutzerweſen ſtatt, welches wir wenigſin⸗ 
in Deutſchland unter die Gattung des Ekelhaften bringen; ſuͤß⸗ 
lich, uͤberſchwaͤnglich zart, anbetend, kriechend und mithin — 
unwahr. Der gelaͤuterte Geſchmack vieler Damen beginnt be⸗ 
reits, dieſe Verehrung ebenfalls ekelhaft und laͤcherlich zu finden. 
Es ift aud kein Zweifel, daß fi) in wenigen Jahren bereite 
Bieles geändert hat und ebenfo, daß ſich noch Vieles ändern werde. 
Das ausſchließende Privilegium der Damen ift die Beſchaͤf⸗ 
tigung mit der Literatur. Die Maͤnner haben keine Zeit dazu, 
ober doch verhältnißmäßig wenig. Selbft auf dem Lande lefen 
die Grauen verhältnißmäßig viel und mehr als die Männer, bie 
ſich mit den Zeitungen begnügen. In den amerilantfchen No⸗ 
vellen und Romanen tritt eine unbegrenzte Verehrung und Gr: 
hebung ber Brauen hervor und dies dient wieder ald Specula« 
tion in biefer Literatur, und um ben Frauen eine fefte Einbils 
bung von ihrer hohen Stellung im Vergleich zu den Männern 
su geben. In der Ihat iſt der feinere Theit der Geſellſchaft 
bie Grauen, fon weil der Mann hart arbeitet; allein bie 
Stellung it im Hauſe auch fo, daß in der Reget Alles nad 
bem Willen der Frau gebt. Im Ganzen begegnet man den 
Brauen mit Achtung und gewiß vor» und ruͤckſichtsvoller als in 
ber Regel bei uns. Jede Unart gegen eine Brau ober ein Mäds 
chen iſt ein Berbrechen, felbf (und mit echt!) ein unfreiwils 
liger Kuß, im Balle bie Gekuͤßte nicht Gründe in und außer 
fich tpdet, verzeihen. 
ine Dame geht z. B. in Neuyork nicht leicht, ſelbſt oft 
nicht am Tage, ohne weibliche oder maͤnnliche —E hi 
nigſtens ift es gute Bitte „nicht allein” zu geben, wie Pene- 
lope, wenn fie unter bie Freier trat. Verdbeirathete Brauen er⸗ 
lauben ſich dergleichen ohne Tadel, nicht aber Mädchen. Daber 
it es gar nichts gefagt, wenn man rühmt, baß bier auf den 
Straßen Abends eine Dame unbeldftigt und ungefährbet gehen 
könne. Es geht eben keine Abends ohne Bebedung und die es 
thut, iſt fo wenig gedeckt als wo anders in der Welt. 
Die Ruͤckſicht auf die Frauen erſtreckt ſich fo weit, daß fels 
ten ein Dienftmäbchen in einen Kaufladen oder gar zu Markte 
eht. Nur die Deutſchen thun dies; die englifchen Familien 
enden ben Ghemann, ober Sohn, oder ben servant-man. 
Diefe Iegtern thun alle Geſchaͤfte im Stalle und werben meift 
dazu —* man Sie —* f 
abet muß man aber nicht vergeflen, daß ſich die Frauen 
hier fähig halten, alle Künfte fo hoch treiben zu mn wie 
die Männer in Europa. Oft habe id die Unverfhämtheit ge: 
habt, an der Möglichkeit zu zweifeln. Diefe Beharrlichkeit, 
biefe Gruͤndlichkeit, diefe Verwendung von Körperkraft — ift fie 
der Frau mögtih, felbit wenn wir alles Andere gleichftellen? 
Wenn ich fage, wir haben Leinen weiblichen Mozart, keinen 
weiblichen Shakſpeare, Goethe x, feinen weiblichen Thorwaldſen, 
genug, keine Frau, bie das Hoͤchſte in der Kunſt erreicht Hätte, 
fo fagen fie: wäre es nicht moͤglich, daß in den veränderten 
Verhaͤltniſſen Amerikas bie Srauen diefes Hoͤchſte erreichen? Ant« 
wortet man: daß die Natur amerikanifchen Lebens bis daher 
ſehr oberflaͤchlich in Kunft und Wiſſenſchaft geweſen, daß fdywers 
lich diefe europdifche Gruͤndlichkeit je obwaiten werde und baß 
eben nur durch bie europaͤiſchen Männer das Brünbtiche geleiftet 
werbe, fo ſchilt man auf den Zwang europäifchen Lebens und 
erwartet Alles von der Freiheit, von dem Gelbfitrieb, der Liebe 
ber Frauen zur höchften Ausbilbung. Gewiß ift fo viel, daß, 
fo weit das Leben in Amerika englifchen Urfprungs ift, bie 
Männer gar keine Miene machen, ſich der ſchoͤnen Künfte zu ' 
bemächtigens auch haben fie dazu keine Zeit. Ihre Phantafie 


dat eine vorherrſchende Richtung zum Abftracten, zur Xrith- 


168 


metik; die Dlaterialität und Speculation reißt Alles bin und ers 
ſlafft für Höhere Anflvengungen. Nur Brauen treiben bier Muſik ꝛc. 

Gewiß iſt, daß die amerikaniſchen jungen Frauen ſchoͤne 
Augen haben und ſchoͤn find, wenn nicht im Allgemeinen bie 
Neigung zur Magerkeit zu vorherrfchend wäre. Es fällt Jedem 
auf, der ſich mit der amerifanifchen erotifhen Poeſie bekannt 
macht, dab bie mannichfadhen Bilder der europdifcden Poeſie, 
weiche von den vollen Buſen bergenommen find, bier ganz 
fehlen. Man erhebt ſich hoͤchſtens zum Bild ber Knospe. 


Wie mich anftändige Matronen beiehrt haben, iſt es allges 


meine Gitte, daß die fettern jungen Damen ftch flach ſchnuͤ⸗ 
zen, da es nicht zur amerikaniſchen Schönheit und Sittſamkeit 
gehört, einen vollen Buſen zu haben, für welchen die Poefie 
fein anftändiges Wild hat. Die Reize ber Jugend gehen zeitig 
verloren und mit dem neunzehnten bis zwanzigften Jahre gibt 
es wenig blühende Mädchen und noch weniger blühende Muͤt⸗ 
ter. Eine Frau von 30 Jahren ift hier meiftens wirklich alt. 
Wenn fie nicht zu gebieten hätte und ſich als Gebieterin des 
Hauſes betrachten dürfte, fo hätte fie in ber That wenig Mits 
tel, ihre Stellung zu behaupten, und mäßte Gott danken, daß 
die Monogamie Landesgefeg ift Ä 
Zm Allgemeinen herrſcht tel Grazie in ber Bewegung und 
im Benehmen der amerilanifchen jungen Damen; nur tanzen 


darf man fie nicht fehen, ebenfo wenig die jungen Herren. Nir⸗ 


gend in ber galanten Welt wird ungraziöfer getanzt und deſſen⸗ 
ungeachtet zieht man bie Contretaͤnze den Walzern vor. Ich 
babe lange nach einer Urfache dafür gefpäht, bin aber nicht 
im Stande gewefen, eine zu entbeden. Fanny Elsler wurde 
von den Männern hier allgemein bewundert, die Damen ſpra⸗ 
hen mit Geringfchäsung von ihr. In der That ift von biefer 
gemuͤthlichen Grazie, wie fie Fanny Eisler repräfentict, nichts 
zu finden. Es ift Alles Bewußtfein, Selbitbewußtfein, Stolz, 
ja, id kann nicht anders fagen, es ift rein ariſtokratiſche Grazie. 
Es kann nicht fehlen, daß die Stellung der Frauen im hieſigen 
Leben fie vorzugsweiſe ariſtokratiſch macht. Man findet dieſes 
Element durchaus in den tonangebenden Frauen. Bei allen 
Tugenden betrachten ſie ihren Ariſtokratismus ebenfalls als eine 
Tugend. Sie compenſiren einerſeits die politiſchen Rechte der 
Maͤnner, andererſeits findet ſich ganz von ſelbſt die Richtung 
bazu, mo es Verrichtungen im. Paushatt gibt, deren zwar 
nicht der Mann, wol aber die Frau fi zu fehämen haben 
würde. Auf eine gemwilfe Art aber gibt die Frau den Ton für 
Gonfervatismus an, ein Princip, weldjes zeither nur ſehr ne: 
gativ und weiblich dem amerikaniſchen Leben beigemifcht war. 
Vielleicht aber hat fich der „weiße Dann” in ber Behandlung 
feiner Frauen auch nur von dem „rothen Mann“ unterfcheiden 
wollen, ber befanntlich, wie einft der alte Germane, alle Laften 
des Lebens den Frauen aufbürdete und fich deſſen Luft vorbehielt. 
Der Gegenſatz iſt fehr nahe liegend, und wenn der Anblid einer 
Squaw den Gindrud der Niebergebrüctheit auf den Beſchauer 
macht, fo gibt der Anblid einer ameritanifcyen weißen Dame 
den vollen Maren Ausdruck amerilanifchsrepublitanifher Dolls 
freipeitz; dad Weib blickt Hier ſtets „gay“, nie inbifferent, 
wie bei uns. Und bies ift das Ergebniß des Lebens, daß man 
die Freiheit fühlt, daß fie fi in jedem Zuge, in jeder Bewer 
gung ausdrädt. Es ift Feine Brage, daß, mern fie in ber 
Seele wohnt, der Körper durch fie verebeit wird. Man befins 
det ſich daher in der Geſellſchaft amerikaniſcher Frauen fehr 
wohl, wird leicht und angenehm angeregt und hat es ſtets 
Dank, wenn man ſich einigermaßen mitzutheiten weiß. Die 
uUngezogenheit unferer Ariſtokraten, Den vorlaut, abgeihmadt 
und langweilig zu nennen, ber ſich gern mittheilt, weil er et 
was Gutes und felbft Beſſeres mitzutheilen hat und meil er 
das moquante Geſchwaͤt und die Yusklatfcyereien nicht aufkom⸗ 
men laſſen mag, ift mir hier nicht vorgelommen. Dagegen ift 
man bier noch nicht in die Schule unferer „geiftreichen” Damen 
gegangen, die nicht body genug, nicht transfcendental genug, nicht 
poetifch genug traktirt werben "können. Gott! was ſteht man 
in biefen Gliquen in Deutfchland aus! Diefe Übercultur bes 


Geiſtes, diefe Ausgeburt der Bangemweile begreift eine hiefige 
Dame nit, felbft wenn fie eiftftetlern 1 —* = 
nicht, fo find bie amerilanifchen wie die englifchen Schrift: 
ftellerinnen ben beutfchen und franzoͤſiſchen weit vorzuzichen s 
fie find natürlicher. Wir haben keine Sedgwick und Feine Eliza 
Gabat:Zollen in ber neuern deutfchen Literaturs lauter ver» 
beinte, verlaubte, verguglomte, vergöthelte und daher ver⸗ 
ſchrobene Frauen ſchreiben in Deutſchland. Der edle und na= 
türtiche Mann wird ewig nidht begreifen, wie die große Maffe 
der Soethe'fchen rauen ihm, bem großen Goethe genügen konn⸗ 
ten. Man muß feine linnaturen mit Ican Paul'ſchen Raturen 
vergleichen, um ſich biefes Gefuͤhls bewußt zu werden. Wenn 
die Zugend nicht ebenfo natürlich als die Schönheit ift, räume 
ich den Goethianern gleich das Feld. Ich verlange Feine vers 
fuchte Tugend; ich liebe fie vor der Verſuchung und deshalb iſt 
im amerifanifhen Eeben, felbft in den oben getadelten Zügen 
von misverftandener Sittſamkeit etwas, was den Verſucher fern 
hätt. Das freie, ſtolze amerikanifche Weib ift tugendhaft; dies 
tft ein anerkannter, großer Grundzug. Es ift zu verfuchen und 
kann fallen, aber wozu den Schlamm bed Lebens aufwuͤhlen 
unb Bi me ws den beſchmuzen, bie doch gewiß ebenfo 
gu eihben im Menſchen⸗ wie im Blumengart 
—*5*— werden. garten, wenn Pe 

Uns Deutſchen Tann vieleicht eine amerikanifche Lady als 
Hausfrau eine unverdauliche Frucht ſein; dennoch müffen wir 
geſtehen, daß dieſe naͤmlichen Frauen bei einer etwas beſſern, 
gruͤndlichern Erziehung bei ihrer edeln, freien Natur ausgezeich⸗ 
net in der ganzen Welt ſein wuͤrden. Wir ſcheuen aber beſon⸗ 
ders die Überlegenheit und Unabhaͤngigkeit der Frauen, und des⸗ 
halb mögen wir ben amerifanifhen nicht dic liebenswuͤrdige 
Seite abgewinnen. 

(Die Sortfegung folgt.) 


Notiz. 
. Ein bifhödfliher Bers. 

Ein deutfcher Biſchof erließ vor ein paar Jahren an bie 
Pfarrer feines Kirchenſprengels das jährliche Kaftenausfchreiben, 
feltfamerweife, in lateinifhen Diftihen. Indem ee barin auf 
den Beitgeift eifert, fagt er. unter andern von dieſem: 

. Et sparcos avidus lambit meretricis hiatus. 

Sin ins Deutfche unüberfegbarer Vers! Wenigſtens würde keiner 
aus dem Jungen Deutfchland, gegen welches jener „Kirchenfürft” 
auch zumeilen eifert, ſich entblöben, den Vers deutſch zu geben. 
ung Weltlihen kommen ſolche Gituationen, wie hier Lateinifch 
eine gemalt wird, nicht leicht vor: dennoch dürfen wir zuge: 
ſtehen, baß ber Vers des geiftlichen Herrn fehr anſchaulich ift, 
alfo poetifchen Gehalt hat. Aber ganz genial ift der Vers das 
ducch, daß er ſelbſt mit feiner wilbpretfcharfen Fleiſchlichkeit 
he —— wor Ihre Kom welcher er vorföümmt: denn 
at nicht audy die Poeſie ihre inenz, die Muſe ei i 

Faſtenordnung zu beobachten? rufe ein serie 








giterarifche Anzeige. 


Bon F. &. Brockhaus in Leipzig i 
Buchhandlungen zu beziehen: pzig iſt durch alle 


Das Burggrafthum Meißen. 


Ein historisch-publicistischer Beitrag 


fächfifchen Territorial icht 
Hr on archivalifchen zeige ich 


Dr. Traugott Märker. 


Mebft einem Urknunbenbuche. 
&r. 8. Geh. 3 The. 


Berantwortliher Herausgebers Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. X. Brochaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 


. 12. Februar 1843, 





6. Luden und I. Droz über die franzöfifche 
Revolution. 
(Beſchluß aus Nr. 2.) 
Dffenbar gehen wir jegt der Einführung einer freien 


Preſſe in Deutfchland entgegen. Die Perfönlichkeit des 
jegigen Königs von Preußen, der das Volt fo hoch nimmt 
in feinen Öffenttihen Anfprachen, der fo durchaus offen 
und vertrauensvoll feine tiefften Überzeugungen und Her: 
zenswuͤnſche vor demfelben ausfpricht — eine folche Pers 
föntichkeit ift ein entfchiedener Widerfpruch gegen Genfur 
und Praͤventivgedankenpolicei. Solche offene, vertrauene- 
volle Anſprache heiſcht nothmendig ein Verhaͤltniß von 
GSegenſeitigkeit; wem ih mich fo ruͤckſichtslos mit voller 
Seele hingebe, deffen Zunge bin ich nicht gemeint zu fef- 
fein. Nein, fo tief wir von der unbedingteften Wahrhaf: 
tigkeit jenes Mannes durchdrungen find, der fich zu ſei⸗ 
nem Volke mit ſolcher Herzensficherheit in ein bis jetzt 
nie dageweſenes, edel: geiftreiches Verhaͤltniß geſtellt hat, 
fo feft find wir überzeugt, daß die fortdauernde Genfur 
von nun an eine moralifche Unmsdalichleit in Preußen, 
and alfo auch in Deutfhland, geworden. So gut wie 
es mathematifche Conſequenzen gibt, fo gibt es auch mos 
ralifche, Die in einem Charakter liegen, nur daß letztere 
ih nicht für Jedermann deduckren Laffen. 

Aber der Einführung einer freien Preffe flellen fi 
jetzt allerdinge bedeutende Schwierigkeiten entgegen, von 
denen wie nur zwei anführen wollen. Seit 25 Jahren 
M der Beamtengeiſt, der natlrliche Feind aller freien Er» 
kterung Über Staatsangelegenheiten, geriffermaßen all: 
mädtig gemorden. Auch der entſchiedenſte und geiftreichfte 
Wille vermag eine fo eng gefchloffene Phalanx, wie bie 
wohleingefchulte Beamtenmafle in Preußen bildet, nur 
ſchwer zu durchbrechen. Buchſtabendienſt, militairiſches 
GSubordinationsverhaͤltniß, ſodaß die uͤbrigen Unterthanen ale 
die Gemeinen, die keinen Willen, ſondern nur ſchweigend 
zu gehorchen haben, die untern Beamten gleichſam als die 
Unteroffiziere, die wieder weiter nichts zu thun haben, als 
den Ordtes ihrer Oberoffiziere, der hoͤhern Staatsbeamten, 
zu patiren, ein Mechanismus, der das freie Wort, die 
ferie Thaͤtigkeit, die freie Liebe nicht mit in feine Berech⸗ 
mung aufgenommen bat und diefed Alles als das fünfte 
Rad am Wagen betrachtet, das find freilich Elemente, die 
ſich mit einer freien Prefie nicht wohl organic vereint: 


gen laſſen. Wer längere Jahre in bdiefer Tretmuͤhle von 
actenmäßigen Berichterftatten und Befehlen gearbeitet hat, 
der verliert allmälig jeden Begriff von einem Staatsleben, 
mas nicht allein durch mechaniſch controlirte Angeftellte 
geführt wird, fondern an dem fich jeder gebildetere Patriot 
nach Maßgabe feiner Kraft aus freier Wahl betheiligt. 
Auch der freifinnigfte, geiftreichfte Beamte unterliegt häufig 
den Einfluffe, den der gewohnte Geſchaͤftsgang nach und 
nad auf feine Auffaffung ' des politifchen Lebens ausübt. 
Mit Widerrillen betrachtet er das Einmifchen von Leu: 
ten in abdminiftrative und gejeßgeberifche Angelegenheiten, 
die nicht eigentlich dazu eraminirt, controlirt und befolder 
find. Je mehr Werth er auf die fpeciellen Formen des 
Geſchaͤftsganges legt und diefe immer mehr als das Me: 
fentlichfte betrachtet, um fo geringer tarirt er jene allge⸗ 
meinen Wuͤnſche und Anfoderungen, welche einen bedeu⸗ 
tenden Inhalt der freien Preffe ausmahen. Das Mits 
fprehen Anderer in Angelegenheiten, die er einmal für 
feine ihm eigenthuͤmlich und ausſchließlich angehörige Ge⸗ 
fhäftsdomaine hält, betrachtet er als einen Eingriff in 
feine Rechte. Je mehr er fi von Morgen bis Abend ats 
mühen muß, um bie immermehr anwachfenden Gefchäfte 
zu befeitigen, deſto verlegender iſt ihm ein oft oberflaͤch⸗ 
liches und einfeitiged Raiſonnement. Jede Veränderung, 
worauf die Preſſe dringt, ftellt nene Muͤhſal, neue Ars 
beit in Ausſicht, waͤhrend er froh iſt, daß er mit feiner 
Thaͤtigkeit endlih in ein erträgliches Geis gekommen iſt. 
Er, der nur Strenge gegen den Untergebenen, Gehorfam 
gegen den bern Eennt, fühlt ſich genict einer Macht ges 
genüber, der fich weder ſtricte befehlen noch fricte gehor⸗ 
hen läßt. Er hat genug an der Controle feiner Borges 
fegten ; eine Controle der Öffentlichen Meinung, die außer 
dem noch fich geltend machen will, ift ihm natürlich zus 
wider. Dazu kommt, daß ihm, der an einfache Anords 
nungen gewöhnt tft, das vicle Hinz und Herreden ber 
Preffe verwirrt, daß er einen für die Öffentlichkeit paſſen⸗ 
den Stil in feinen Actenfchreibereien längft verlernt bat 
und alfo einem Schriftſteller ſich nicht gewachfen fühlt, 
den er nach feiner angewöhnten Lebensanſchauung als eis 
nen Untergeordneten betrahten muß. Das Alles macht 
ed natürlich, daß die überall verzweigte, bie jegt allmaͤch⸗ 
tige Beamtenclaſſe ſchon infkinctartig gegen die Einfühs 
rung einer freien Preſſe hinwirkt ohme daß man eben 


170: 


Boͤswilligkeit und bewußte, unlantere Abſicht ihr unterzus 
fchieben brauchte. Ihre ganze Entwidelungs : und Bils 
dungsgefchichte verträgt ſich einmal nicht mit jenem freiern, 
fhönern Volksleben, was der ethifhen Phantafie ihres 
Königs unſtreitig vorſchwebt. Sie find eben die sten, Die 
feinen Geift verſtehen; was nicht in Form won buchfläb: 
lichen Anordnungen und ftricten Bellimmungen auftritt, 
geht Über ihren Horizont. Daher kommt es aber aud, 
daß jeder Mittelweg, jede nur theilweife Befreiung der 
Preffe, jedes allmälige Kortichreiten nad) dem Biele einer 
volftändigen Freiheit gänzlich unmöglich, ift. Die Beam 
tenclaffe, welche mit der Ausführung diefer mildern Maß: 
regeln beauftragt ift, wird ſtets in ruͤckgaͤngiger Weiſe zu 
wirken fuhen. Sie wird fich flets an die etwaigen Mes 
ftrictionen und Clauſeln halten, die auch das mildefte Gen: 
furgefeg enthalten muß. Diefe erfcheinen ihr ale das We⸗ 
fentliche, dem fie die größtmögliche Ausdehnung zu geben 
bemüht fein wird, und auf diefe Welfe wird man nie 
vom Flecke kommen. Da einmal das ausführende Per: 
fonal vermöge feiner hiftorifhen Entwidelung nicht in die 
Tendenz eines allmäligen Übergangs zur vollfländigen 
Proffreiheit eingehen kann, fo bleibt nichts übrig, als dem 
umgekehrten Weg einzufchlagen,, die Preffe mit einem 
Echlage der Adminiftration zu entrüden, das alte Syſtem 
gänzlih über den Haufen zu werfen und hinterher je 
nach den fich ergebenden Beduͤrfniſſen und Erfahrungen 
gefengeberifch gegen die fich ergebenden Misbraͤuche Vor⸗ 
fehrungen zu treffen. 

Ein zweiter Umftond, ber die Einführung der freien 
Preſſe zu bedrohen fcheint, liegt in dem gegenwärtigen 
Zuftande der Journaliſtik. Es iſt ein häufig ausgeſpro⸗ 
hener Sag, an deſſen Wahrheit wir auch feſtiglich glaus 
ben, daß die Irrthuͤmer der Preffe durch diefe felbft wi⸗ 
derlegt werden müßten und einzig und allein gründlich be 
fliegt werden koͤnnten. Blicken wir aber auf den Zuſtand 
unſerer Journaliſtik, wie es feit zwei Jahren, feit den er: 
fin Genfurerleichterungen in Preußen und Deutſchland, 
ſich bis jegt Eumd gegeben hat, fo fcheint die Wahrheit 
dieſes Sapes ſich nicht zu beftätigen. Eigennutz, Unteif: 
beit, ja entfchiedene Boͤswilligkeit fcheinen ſich vorzugsmeife 
der Tagespreſſe bemächtigt zu haben. Die Auffüge, in 
denen fich ein umſichtiges, dankbares Anerkennen des Bes 
ftebenden in Staat und Kirche, alle des unendlich viel 
Schönen, Sittlihen und Gebildeten, was wir bereitd ers 
seicht haben, neben warmen, wohlerwogenen Vorſchlaͤgen 
zur Abhuͤlfe wirklicher Mängel, neben tief ſittlichem Drange 
nach höherer, gemeinfamer Entwidelung ausfprechen, moͤch⸗ 
ten bis jegt noch zu zählen fein. Wie leicht Eönnte es 
tommen, daß ein hoher Sinn, ein gebildeter Geſchmack 
fi) mit Ekel von diefen öffentlichen Ausflüflen des Nas 
tionallebens abwendete, die fo wenig feinem Vertrauen ent⸗ 
fprocyen haben und einen fo ſchlimmen Beweis von der 
fittlihen und polttifchen Unwuͤrdigkeit des Volks abzulegen 
fcheinen. Alle die zahllofen Roheiten, Taktloſigkeiten, Uns 
fütslichleiten dee neueften Tagespreſſe, fie haben bi6 jetzt 
wenig genuͤgenden Widerfpruch, wenig fiegesiche Widerles 
gung gefunden. Es gehört in des That mehr als eine 


augenblidtihe Laune, mehr als ein oberflächlicyes Erperis 
mentiten dazu, um nicht fo unerfreulihen, momentanem 
Refultaten gegenüber irre zu werden und einen Verſuch 
aufzugeben, der. glei anfangs fo ſchlechte Früchte getta⸗ 
gen hat. 

Mir find jeboch der feſten Überzeugung, daß die Preße 
erleichterungen, deren wir und jest als erſten Schritt zw 
volllommener Freiheit zu erfreuen haben, tiefer begruͤndet 
find als in einem vorübergehenden Einfalle. Wir find 
überzeugt, dab fie aus tieffter fittlicher Nothwendigkeit eis 
ned erhabenen Charaktere ftammen, der, felbft frei, nur 
in einem freien Verhaͤltniſſe mit feinem Volke Genuͤge 
und Defriebigung finden kann. Auch laſſen ſich Diefe um« 
volltommenen erſten Verſuche in dem Gebrauche größerer 
Sreiheit gar leicht erkiären. Auch in diefer Beziehung 
find die legten 25 Jahre der Sklaverei — in Beziehung 
auf die Preſſe kann man fie wol fo nennen, ohne zu 
viel zu fagen — nicht ohne nachtheilige Einwirkungen 
auf das gegenwaͤrtige Geſchlecht geweſen. Jede Anlage 
will Übung, wenn fie ausgebildet werden fol. Die Ans 
lage zur Öffentlichkeit unferer politifchen Verhaͤltniſſe fehlt 
unferm Volke in jegiger Zeit gewiß nicht; im Gegentheile 
die Anlage bat ſich zum leidenfchaftlich = bitten Drange 
gefteigert. Aber die Übung — woher follte fie uns im 
legten Bierteljahrhundert gekommen fein? Auch bie Preffe 
des Engländer hat ihre bewunderungswürdige Haltung, 
diefe ausgezeichnete Vereinigung vom derbiten Freimuth 
mit Gruͤndlichkeit, Mäfigung und Ehrfurcht vor dem 
Heiligen und Sittlichnothwendigen nicht in zwei Jahren 
erlangt, Die beften Männer hatten fih feit Jahren bei 
und von des Preffe abgewandt, weil fie ihre geiflige Thaͤ⸗ 
tigkeit, die Frucht ihrer Anſtrengungen und heißeflen Her 
zenswünfche nicht dem willkuͤrlichen Gutduͤnken eined Gens 
ford preisgeben mochten, der Wohlerwogenes, Scharfdurche 
dachtes, Geriffenhaftgeprüftes mit einem bloßen Feder⸗ 
ſtriche zerflören konnte. Die politiichen Journale und 
Zeitungen waren der Zummelplag für ein handwerksmaͤ⸗ 
ßiges, gewiſſen- und gefinnungslofes Gefindel geworden, 
welches aus Mangel an jeglicher Überzeugung - fich jedem 
Drude zu fehmiegen mußte. Die Oppofition, ein noth⸗ 
wendige® Lebenselement im Meiche der Geifler, war gaͤnz⸗ 
lich unterdrückt. Ein foldyer Zuſtand erzeugt bei dem Uns 
terdruͤckten entweder Gleichguͤltigkeit oder Bitterkeit. Kein 
Wunder, daß dieſe Bitterkeit und dieſes Mistrauen ſich 
zuerſt Luft macht, ſobald es Freiheit bekommt, ſich zu aͤu⸗ 
ern. Das Beduürfniß nach Oppoſition iſt ſeit Jahren 
beim Volke ſo lebhaft geworden, daß man im erſten Au⸗ 
genblicke jede auch noch fo unbegruͤndete mit Intereſſe 
aufnimmt. Vorlaͤufig bekuͤmmert man ſich um den In⸗ 
halt der Oppoſition noch gar nicht, man will nur Oppo⸗ 
fition und weiter nichts, und je fchärfer der oppofitionnelle 
Charakter fi) ausfpricht, deito willkommener ift er. Die 
Oppofition ift etwas fo Seltenes, etwas fo Geſuchtes ges 
worden, daß man fie a tout prix mit Sreuben aufnimmt, 
um einem langvechaltenen moralifcyen Beduͤrfniſſe Genuͤge 
zu thun. Die Herzen der Menſchen find noch verbitteet 
und man kann nicht leuguen — dieſe Verbitterung if 


11 


nstürlih. Auch hier zeigt fich wieder die Wahrheit, daß 
in an fich richfiger und moraliſcher Zrieb durch lanye 
Unterdrückung zu leidenfchaftlicyer, unmoraliſcher Einfeitig: 
keit gefieigert void. Auch iſt zu bedenken, daB die Preſſe 
oh nicht frei iſt, noch niche geſetzlich frei, und daß ber 
Zuftand der Ungewißheit und Beſorgniß über das emdliche 
Sqchickſal dieſer tiefften Herzensangelegenheit von ganz Deutſch⸗ 
(and uns noch nicht zum befonnenen, wohlerroogenen und 
freubigen Gebrauche eines wirklichen Rechtes kommen läßt. 

Sind diefe beiden Feinde, der Widerwille des Beam⸗ 
imftandes im Allgemeinen und die momentane Unwuͤrdig⸗ 
fit der Preſſe erſt überwunden, dann halten wir den 
Proceh der Prebfreipeit in Deutfchland für gewonnen und 
ihr Loos für immer gefihert. Offenbar ift jegt ein Eris 
tiſcher Augenblick, deſſen gluͤcklichem Ausfalle wir jedoch mit 
vollkommenem Vertrauen entgegenſehen. 

Wir haben uns bei der Vorrede laͤnger aufgehalten, 
old «6 ums bei dem Buche felbit vergoͤnnt fein wird. 
Der caffifche Werth deſſelben iſt bereits Jängft anerkannt 
und wir freuen uns, daB eine fehe gute Überfegung «6 
auch auf deutſchem Boden einbürgert. So viele geiſtreiche 
Werke über den unmittelbaren Hergang der franzoͤſiſchen 
Revolution auch erfchienen find, fo fehlte doch eigentlich 
der Schluͤſſel zum Verſtaͤndniß derfelben, eine klare, gruͤnd⸗ 
fihe und voliftändige Darlegung derjenigen vechtlichen, 
finanziellen, ſittlichen, wligiöfen und literariſchen Zuſtaͤnde 
des frangöfifchen Volks, wie fie fid) von Ludwig XIV. an 
bis zur Berufung der Reichsſtaͤnde entwidelt hatten. 
Diefe wichtige Partie der Geſchichte, auf welcher die ganze 
franzoͤſiſche Revolution ruht, ift überall mit auffallender 
Kürze und Dberflächlicleit behandelt. Die Phänomene 
der Revolution find mit einem Male da, ohne daß man 
eine deutliche Einſicht in ihre Entſtehung befommt. Deo 
hat das Studium feines Lebens an dieſen unendlid) wich⸗ 
tigen Theil dee Geſchichte gewendet und hat ein Wert 
geliefert, wie nur wenige ähnliche über andere Epochen ber 
Geſchichte exiſtiren. Ref. erinnert fih nicht, in langer Zeit 
ein Buch gelefen zu haben, was fo viel Nahrung feinem 
Geiſte zugeflcher hat. Iſt man mit Leſen des Buchs fertig, 
fo fühlt man fidy reicher und eine bedeutende Lüde ausgefüllt. 

Was Droz von faft allen franzoͤſiſchen Geſchichtſchrei⸗ 
dern unterſcheidet, iſt die durchaus gegenſtaͤndliche Behand: 
tung feines Stoffe. Keine Spur von jenen fogenannten 
geifireichen Meflerionen, die fo wohlfeil find und womit 
die Werke eines Michelet, Guizot u. U. leider fo übers 
haben find; keine Spur von jenen auf bie Spike getries 
benen Pointen, uͤberladenen Schilderungen, nad) einer Lieb: 
linzeidee conftruirten Gruppirung und Behandlung ber 
Thatſachen, worin man jest leider das Ziel und Muſter 
wahrer Seichichtichreibung zu fehen liebt. Gaͤnzliche Hin⸗ 
gebung an den Gegenſtand, ein voͤlliges Dergefien feines 
eigenen Ichs — das ift der feltene, kuͤnſtleriſche Vorzug 
des Verf. und eden in dieſem Vergeſſen eines ſelbſtiſchen 
Iqhs tritt die tiefſittliche Perſoͤnlichkeit deſſelben mit ihrer 
mitden, wahren Anſchauungsweiſe menſchlicher Verhaͤltniſſe 
und menſchlichen Lebens nur deſto vollſtaͤndiger hervor. 
Man bekommt eine wahre Verehrung für den Mann, der 


es fo trefflich verſteht, im Buche dev Geſchichte zu lefem, 
und ung felbſt einen fo heilen Blick in dieſelbe verftattet. 
Zeichnet fih das Werk vor andern franzöfifhen Werken 
durch Aufgeben jenes eiteln Flitterſtaats von Eſprit aus, 
womit ſie ſo gern kokettiren, ſo hat es den Vorzug vor 
deutſcher Geſchichtſchreibung, daß es ihm an jeglicher 
Breite, Pedanterie und unnüger Gelehtſamkeit ebenfalls 
fehlt. Man kann mol fagen, daß kein überflüffiger Sag 
in dem ganzen Buche ift. Bei tieffter Gelehrſamkeit doc 
keine Spur von dem laͤſtigen Apparate, den unfere deuts 
[hen Gelehrten fo gern mit fih zu .fchleppen und zur 
Schau zu tragen lieben. Es ift das Buch eines 
Weltweifen, in deſſen Perfönlichkeit die gluͤcklichſte Mi⸗ 
[hung zweier ausgezeichneter Nationalitäten ſich durchs 
dringt. Wie wiffen es nicht, vermuthen aber, daß Droz 
ein Elſaſſer oder Lothringer fei. *) f 
3. von Florencourt, 





Samilienleben in den Vereinigten Staaten. 
(Bortfegung aus Nr. 42.) 

Wer ein Volk kennen lernen will, um zu feben, wohin 
fein Öffentiiches Leben gehen werbe, muß das Privatleben und 
die Erziehung vor Allem ftubiren. Die politifchen Inftitutionen 
mögen von ben herrlichſten Grundfägen, den idealſten Anfchauuns 
gen und ber vortrefflichſten Tugend Zeugniß geben; alles Dies 
ift Schaufpiel und Blendwerk, wenn die häuslichen Grundfäge 
und Zugenden eines Volks nit damit im Ginktang ftehen. 
In der Union aber hat man zweierlei Wenfchen und zweierlet 
Zugend zu unterfcheiden. Die ſuͤdlichen Menfchen find, wie alle 
Suͤdlaͤnder, leidenſchaftlich, wollüftig, unkeuſch und treulos. 
Dieſes Urtheil iſt hart und eben darum iſt es vielleicht nicht 
wahr. Man ſollte ſagen, es ſind mehr Menſchen unter ihnen 
als in den noͤrdlichen Staaten, bei denen alle dieſe Untugenden 
grell hervortreten und mit der Sklavenhaltung Hand in Hand 
gehen. Menſchen, die andere Menſchen als ihr Eigenthum be⸗ 
trachten, koͤnnen nur im Widerſpruche mit ihrer beſſern Natur 
gedacht werden. Sie muͤſſen ſich Vieles erlauben, was weder 
Sitte, noch Zucht, noch Religion, noch Ehre billigen moͤgen. 
Unſer Feudaladel hat in ſeiner Bluͤtezeit ebenſo ſchauderhaft ſich 
an der weißen Haut verſuͤndigt, als die Pflanzer ſich an der 
ſchwarzen Haut verſuͤndigen, und Beide haben ſich an ſich ſelbſt 
nicht minder vergangen, als Jeder thut, der offenbare, natuͤr⸗ 
liche —— mit Fuͤßen tritt Damit ſoll indeſſen nicht 
geſagt fein, daß die Stände und Staaten, bie gerade ſolchen 
Misverhättniffen ihre Eriftenz nicht verdanken, ohne alle grobe 
Verfündigungen gegen Sitte, Zucht und Recht befländen. Der 
Handelsgeiſt ber nörbliden Staaten der Union ift jedenfalls 
nicht minder gewiffenlos als die Sklaverei im üben. 

Allein mir wollen bier nicht von befannten Verhaͤltniſſen 
reden. Die furchtbare Gewiſſenloſigkeit der Nation gegen ihre 
eingegangenen Werbindlichkeiten ift eine moratifche Schandfeite, 
die man fich teog Sklaverei und Dandelsgeift gar nicht erklären 
fann, wenn man nicht in das Privatleben ſchaut. 

Die Erziehung der Jugend ift es vor Allem, was fich als 
Prüfftein darbietet. Dan bat gebört, baß es Princip ber ames 
titanifchen Erziehung fei, den Kindern nicht bie Freiheit des 
Willens zu nehmen. Man zwinge fie nicht zu irgend einer 
Meinung; man verwerfe das Syſtem ber Strenge u. ſ. w. Dies 
mag gut gedacht fein, allein bie Ausführung iſt nicht minder 
klaͤglich als die Ausführung aller negativen Principien. 

Treten wir an bie Wiege eines jungen Republikaners. Sel⸗ 
ten hat man eins Wehfrau; in den arbeitenden Claſſen thut 


*) Droz ift in Befancon am 31. Oct. 1773 geboren. 
I Deo in Hang ">. Ked. 


172 


der Vater, ober die naͤchſte Verwandte, ober Rachbarin biefelben 
Dienfte. Wobihabendere laffen ben Arzt fommen. Die Frauen, 
welche bisweilen in ben Gtäbten als femal physicians das 
Geſchaͤft der Hebammen verrichten, verdienen felten Vertrauen. 
Gewoͤhnlich befchäftigen fie fih auch mit Darreicken von Arz⸗ 
neien. Caſtoroͤl ift in ben erſten Stunden nach der Geburt for 
wol der Mutter gegeben als auch — wer glaubt ed? — bem 
Kinde beigebracht. Dies gefchiebt auch von Arzten und ift all 
gemeiner Brauch. Das Kind wird alsbald in ein langes wolles 
nes Gewand, das es auf die nadte Haut befommt, gefleibet; 
Über diefes zieht man ein noch längeres von Kattun. Das wol⸗ 
Iene Unterkleid ift ſehr oft bie einzige Windel, weldde ein Kind 
erhält; es trocknet ja fo ſchoͤn Alles von der Haut ab. Man 
wechfelt täglich, wenn man genug hat. Beſſerer Wohlſtand hat 
ebenfalls Windeln für Kinder, wie Servietten beim Effen ; Ars 
mere gebrauchen für beide Zwecke ein handkerchief (Schnupf⸗ 
tu), ober irgend ein Stüd baummwollenes Zeuch, z. B. ein 
altes Kieid u. f. w. Man waͤſcht bie Kinder bald kalt, bald 
warm, wie es eben bie Anficht der Wutter ift, denn von biefer 
allein hängt dergleichen ab. Sobald das Kind getragen wirb, 
in den erften Wochen des Lebens, läßt man es figen, und es tft 
ſchrecklich ahzufeben, wie bie Hälschen der armen, oft Franken Kin» 
der, ohne Stüge, das Köpfchen hin⸗ und herfallen laſſen. Gewidelt 
wird nicht; man bebarf auch Feiner Betten ober anderer waͤrmen⸗ 
der Bedeckungen; das wollene lange Roͤckchen erfegt Alles. 

&o geht es durch das erfte Jahr hindurch, bis das Kind lau⸗ 
fen kann. Es gehört zu den größten Vater: und Mutterfreus 
den, das Kind fo lange an der Mutterbruft zu laflen wie 
moͤglich; felten unter einem Jahr, meift 15— 18 Monate und 
länger wird geftilt. Die fo ſehr reisbar gemachten Mütter 
bieten nun beim Entwöhnen Alles auf, dem Kinde bas Leben 
zu verfüßen. In den ärmern Glaffen iſt es der Molaſſes (Sys 
sup), in ben reichern Familien diefer und jede erdenkliche Art 
bes elendeflen, mit allen Arten von Gewürzen und reigenden 
Subſtanzen angemachten Zuckerwerks, meiſt in Stengeln Kans 
dis oder runden Lozengeskuͤchelchen, beide bunt gefaͤrbt. Das 
liebe Kind verlangt nun den ganzen Tag Brot und Molaf: 
fes und bat einen Wiberwillen gegen herzhaftere und weniger 
fäuernde Speifen. Gewoͤhnlich leiden bie lieben Kinder bald an 
Magenſchwaͤche und nun können fie natürlid Fleiſch und Ges 
müfe nicht vertragen. Das Brot, welches man bier mit Pot: 
afche zum Aufgehen bringt, muß lebigtich aus weißem Weizen: 
meh gebaden fein. Braut man ja Brot aus Roggen und 
Sndian = Korn: (türkifcher Weizen) Mehl, fo muß Molaffes 
daran gemifcht fein; ja kein gefäuertes Brot, das ift ein Greuel! 
Sobalb Zanten, Großmutter u. f. w. ausgehen, bringen fie 
den Kindern etwas Zuderwert mit, Gandis oder Lozenges. 
Werden die Kinder Atter, fu erhalten ſie täglich einige Cents, 
um fich ſelbſt dergleichen kaufen zu Fönnen, was fie dann rebs 
lich mit allem Gelde thun. Selten ißt dagegen ein Knabe ober 
Mädchen dapeim bei Tiſche ordentlich. an fieht daher fehr 
viele bleihe und ungefunde Kinder und ebenfo viele, deren Aus 
‚gen eine nafchige Lüfternheit und Lift verrathen. Denn die mei: 
ften Kinder wiffen ſich aus der Mutter oder der Tante Boͤrſe täglich 
etwas Gelb zu verfhaffen, was man für unfdulbige Klugheit 
der Kinder hält. Genau weiß jebes Kind bie Zucker- und Mo: 
Laffesvorräthe. Mutter bädt bann auch Meine Kuchen, an 
‚welche fie bald Ingwer, bald Muskatnuß, oft beides und ans 
bere Gewuͤrze miſcht. Jeden Tag kommt dergleichen auf ben 
Tiſch, damit doch die Kinder etwas genießen. Das Gewürz 
reizt den Appetit und iſt gefund! Nach und nach Eann ein 
‚junger Amerifaner nichts effen, was nicht füß und pilant, ober 
Scharf und fauer (pickled) iſt. Jede Woche werben dann auch 
Dies, Blätterteigkuchen mit Obſt für die ganze Woche gebacken 
und täglich welcher gegefien. Sie fehlen auf keinem amerifanis 
ſchen Tifche, find felten fehr bdelicat, aber gewiß nie ohne Mus: 
katnuß (nutmeg) und bergleihen Gewürze, fett und als nafle 
Kuchen jedenfalls nicht Leicht verdauih. Dazu trinft man 
zweimal, oft dreimal des Tages Thee oder Kaffee. Das Fleiſch 


wird nicht im Überfiuß genoffen, aber meift Halb gar, geröftet 
und gewürzt. Wan ift ſchwerlich Hier ſo ˖ viel Fleiſch als im 
Deutfihland im Durdfänitt. 

So gewöhnt und gewedt tritt das Anäblein in die Wett, 
der Genuß iſt ihm das Hoͤchſte. If er einer reichen Familte 
Sohn, fo wirb er in ber Regel Dandy, doch nur fo fern ex 
in ber Stadt lebt. Gin (oldes Geſchoͤpf kann man fi als 
den Abſchaum aller eleganten Ekelhaftigkeit, Faulheit und 
Lafterbaftigkeit nicht erfolgreich genug darſtellen. Es find keine 
activen Leidenfchaften, bie ihn bewegen, es find negative Paſ⸗ 
fionen. Francis Grund, noch beffer aber ber unbelannte Berf. 
der „Amerilanifchen Genrebilber” in feiner „„Dugaldine’‘, haben 
diefe fuͤrchterliche Sorte von Zaugenichtfen befchrieben, die feine 
Nation der Erde weiter aufzumelfen bat in biefem Stil ats 
die Indianer, unter benen nad ben intereflanten „Rambies‘‘ 
ber Mrs. Jameſon ganz aͤhnliche Figuren auftreten. Sie 
find beider Nationen gang würdig. Palffivität und Negativität 
ift ein hoͤchſt hervorſtechender Zug amerilanifcher weißer unb 
rother Daut. 

Die weniger reichen Familien, oder die verfländigern, ers 
ichen ihre Söhne zu einem Gefchäft, bisweilen auch zu Lawyers, 

inisters, Physicians. Nur in Reuenglandb hält man zu bies 
fen Geſchaͤften eine Schulbildung für noͤthig. Gewoͤhnlich lernt 
man bei einem Arzt, Abvocaten ober Pfarrer, was man braucht, 
und wird dann durch bie ſelbſtgebildeten Zünfte, z. B. Synode zc., 
zue Ausübung der erlernten Kunft gelaffen. Nur die Ärzte 
müffen promoviren und ein Examen machen; doch ift auch hier 
kein Staatszwang; wen bad Publicum Vertrauen ſchenkt, ber 
kann eben ausüben, was er will. Diefe Kreibeit ift gewiß in 
vieler Beziehung ebenfo gut als gefährlich; wenigſtens ſchuͤtzt 
bad Sramen in der alten Welt das Publicum nicht vor Gtäm: 
pern in allen Bädern. Die praßtifche Gelehrſamkeit fteht im 
Buche des Lebens unb der Erfahrung, nicht in Buͤchern; doch 
ift es gewiß nöthig, daß ein Praktiker cinen geübten Verſtand 
babe, und das gibt in Guropa, und bier wieder, befonders in 
Deutfchland, die Schule. 

Das Knäblein geht nun raſch durch ein Geſchaͤft; in zwei, 
drei Jahren wachfen ihm die Fluͤgel; er fängt an zu fpeculiren, 
seht nach dem Yankee sAusbrude „a head’, wird oft fchnell 


„rei, fragt aber auch nicht darnach, ob er banfrott wird. 


Wie wäre es fonft möglich, daß unter 17,000,000 Einwohnern 
durch das neue Bankrottgefes 5000 Bankrotteur mit circa 
50 Mill. Sapital von ber Verbindlichkeit, zu zablen, hätten be- 


. freit werben koͤnnen! Und wie hoͤchſt ehrlos ift die große Maſſe 


biefer Bankrotte! 
(Der Beſclus folgt.) 





Literarifhe Notiz. 


In ber „Histoire des institutions merovingiennes et du 
gouvernement des Merovingiens‘‘, von Lehutron, erhalten wir 
ein Werk, das neben ber bekannten Schrift von Aug. Thierry 
(„Recits merovingiens") mit Nugen gebraudgt werden Tann. 
Lehutron gibt nicht nur eine gute überſicht über ben Gang ber 
Sreignifle, fonbern dringt wirklich in ben Geiſt ber Zeit, die er 
behandelt, tief ein. Der Berf. unterfucht zuerft bie politifchen 
Berhältniffe der Römer mit den germanifchen Völkern. Radhs 
bem er biefe Gefchichte in allgemeinen Zügen gezeichnet hat, 
faßt er die Franken näher ind Auge. Gr behandelt ben Urs 
fprung biefes Volks und verfolgt dann die Geſchichte der Kriege 
diefee Stammes gegen bas alterſchwache Kaiferreih. Beſonders 
beachtenswerth ift der Abfchnitt, welcher ben Sturz Roms bebanbelt, 
das erft die Welt erobert, um zu berrfchen, dann feine Grobe 
rungen immer weiter ausbehnt, um fich zu erhalten, damm alle 
Mühe hat, aufrecht zu bleiben, und endlidh in Trümmer fint. 
Die eigentliche Geſchichte beginnt ber Verf. mit ber Anftedelung 
der Franken in Gallien. Gein Werk empfiehlt ſich durch eine 
gute, lebendige Darftellung. 2. 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brodbaus in Leipzig. 


Blätter 


literariſche 


Montag, 


— Nr 44 — 


für 


Unterhaltung. 


13. Sebruar 1843. 





Politiſche Gefchichte Deutſchlands unter der Regierung 
der Kaifer Heinih V. und Lothar I. Bon 
Eduard Gervais. Leipzig, Brodhaus. 1841— 
42. Gr. 8. 4 Zhlr. 15 Nor. 


Daß der Charakter der hifkorifhen Stubim und bie 
aus denfelben abgeleiteren Urtheile über Ereigniffe, Men: 
(hen und Zuſtaͤnde von der allgemeinen Geiftesrichtung 
der Zeit abhängig find, das unterliegt keinem Zweifel. 
Wir brauden zu dieſem Zwede unſere Blide nicht erſt 
nah Frankreich oder England zu richten, wo men aller: 
dings gewiſſe Zeitfragen und politifche Beſtrebungen auf 
den Gang wiffenfhaftlicher Thätigkeit und auf den Ehe: 
rakter ihrer Erzeugniſſe fehr ſtark einwirken zu fehen ges 
wohnt it — der Hauptfache nach hat dies feinen Grund 
-in der Publicitaͤt diefer Staaten und in der Einheit ih: 
rer fcharf ausgeprägten Nationalität — ; auch unfer deut⸗ 
ſches Vaterland läßt eine Beweisfuͤhrung für die obige 
Behauptung zu. Wir müffen jedoch auf die Lebens: 
"quelle zuruͤckgehen, aus welcher der Geiſt des neuern 
Deutfchlande hberhaupt feine Bildungselemente zu ziehen 
beflimmt geweſen if. Die Reformation, die aus einer 
kirchlichen Reaction gegen bie Hierarchie und deren Dogs 
men, nach ihrem Durdgange durch die potitifchen Phafen, 
zu einer allgemeinen Geiflesregeneration fich erweitert 
hat, führte, von feindfefigee Stimmung geleitet und nad) 
and nach bis zur Erbitterung gereizt, ſchon frühzeitig 
einen beinahe vökfgen Bruch mit dem Mittelalter herbei. 
Die Jugend der geiftigen Freiheit fah in dem zu Ende 
gegangenen Mittelalter nur Finſterniß, Knechtſchaft und Bar: 
barenthum, eine Erfcheinung, an weicher Die Unwifſenheit 
zugleich einen nit unbedeutenden Anthell hatte. Die 
desporifche Gebietetin, die Kirche, ber man fidy foeben 
entzegen hatte, galt für bie Mepräfentantin bes ganzen 
Mittelalters; und indem man fie verwarf und nicht ohne 
Leidenſchaftlichkeit behandelte, traf gleihe Misachtung das 
Geſammtleben jener Zeiten. Die biftortfchen Studien, 
ſoweit fie NRegfamkeit zeigten, wurden vorzugeweife auf 
die Bekaͤmpfung der alten Kirche verwendet; und felbft 
die Biographien einzelner Zeitgenoffen halten lediglich den 
dogmatiſch⸗ Pirchlichen Standpunkt fell. Wenn nun aber 
auch einige deutfchgefinnte Diänner, wie Geltes, Peutin: 
ger, Martin Frecht, Melanchthon ſich mit der Deraus: 


gabe deutfcher Geſchichtsquellen bereite beſchaͤftigten, ja, 


der Kaiſer Marimilion I. fogar den Gedanken an eine 
Mationalgefchichte bei ſich herumtrug: fo blieben biefe doch 
ohne allgemeine Beachtung oder anregenden Einfluß. 
Übrigens dienten dergleichen Sammlungen mehr zum Ers 
fag damals beinahe gänzlid) mangelnder Geſchichtslehr⸗ 
bisher als zur Anregung gefchichtliher Forſchungen und 
gelehrter Aufklaͤtung über die deutſche Vorzeit. Zwar 
ſah die zweite Haͤlfte des 16. und der Anfang des 17. 
Jahrhunderts einige Quellenſammlungen oder Ausgaben 
alter Chroniften ans Licht treten, aber die kirchlichen 
Wirren und der geifterftarrende Despotisums der Theo⸗ 
logie ließen keine weſentlichen Fortfchritte zu, und was im 
Ausſicht geſtellt war, unterblieb natuͤrlich burch die geiftige 
und materielle Lähmung, welche der Dreißigjährige Krieg 
für den deutfchen Staatskoͤrper zur Folge hatte. Ohne 
den Eintritt dieſer jammervollen Zeit würde mehr als 
ein Canifius und Hortleder in der hiſtoriſchen Literatur 
des beginnenden 17. Jahrhunderts anzutreffen fein. Allein 
bie Surchtbarkeit eines Kampfes, defien Beflimmung es 
war, die legten Eebensfäden, die aus dem Mittelalter ins 
deutſche Volk herüberreichten, gewaltfam zu zerreißen, er: 
ftidte jeden Gedanken an eine ernfle und fruchtbringenbe 
Beſchaͤftigung mit der Wergangenheit. Doc, behielten 
einige Männer noch Muth und Befonnenheit genug, um 
die merkwärdigen Ereigniffe ihrer Zeit zu beobachten, nieder⸗ 
zuſchreiben und der Nachwelt zu uͤberliefern. Denn 
kaum naͤherte ſich das große Drama ſeinem Ende, als 
die Anfänge von Klevenhuͤller's Annales Ferdinandei“ 
und von Abelin’® ‚‚Theatrum Europaeum’ erſchtenen; 
auch Bogisſlav von Chemnig und Leonardus Pappus 
ſchrieben gleichzeitig über daſſelbe hiſtoriſche Thema. Erſt 
nach dem Weſtfaͤliſchen Frieden wurden die Deutſchen all⸗ 
maͤlig auf ausgebreitetere Gefchichtöftudien gelenkt: theils 
gaben die politiſchen Fragen, weiche die Verhandlungen 
über den Frieden und die Ausführung deſſelben anregten, 
Veranlaffung dazu, theils ließ die eingetretene Waffen⸗ 
ruhe die Muſe der Sefchichte im Laufe der zweiten Hälfte 
des 17. Jahrhunderts wieder zus Befinnung kommen. 
Doch fchrieb erſt 1795 Pütter einen, Geiſt des Weſtfaͤli⸗ 
ſchen Friedens“ und Woltmann gar erſt 1808 eine 
gute Geſchichte deſſelben, nachdem allerdings Tobias Pfan⸗ 
ner mit feiner „Historia pacis Westpbalicae” 1697 und 
Meieen mit dem Werke „Meftfälifche Friedendunter⸗ 
handiungen” 1734 bereitd vorangegangen waren. 


194 . 


Allein bie politifchen Fragen und Exeigniffe bewegen ſich 
feit der Beendigung jener dreißigiährigen Katafttophe immer 
mehr und mehr nur auf meltlichem Grund und Boden, die 
kirchlichen Intereſſen treten zuruͤck. Deutfchland wird 
abtr immer häufiger durch ‚auswärtige Mächte und ver: 
möge der pofitifchen Richtung einiger deutſchen Fuͤrſten 
dee Schauplag kriegeriſcher Begebenheiten, die Theilnahme 
an ben Öffentlichen Ereigniffen und Zufländen waͤchſt mit 
der allgemeinen Volksbildung; es regt fich ein gemifler 
Sinn für Publicttät feibft bis zu dem an Wohlhaben⸗ 
heit gewinnenden Buͤrgerſtande herab, während der. Par: 
ticularismus ber deutſchen Staaten und Reichsſtaͤnde 
immer bedenklicher uͤberhand nimmt; doch faͤngt bereits 
Brandenburg an politiſch und geiſtig eine Rolle zu ſpie⸗ 
len: die hifterifchen Arbeiten verfchiedener Art vervielfäl: 
tigen fi nambaft feit dem Anfange des 18. Jahrhun⸗ 
derts. Aber die biftoriichen Studien find im Geiſte der 
Zeit aus den Händen der Theologen mehr in die der 
Juriſten und einzelner Staatsmänner übergegangen; nur 
Lelbnig war Philofopb. Daher die vielen auf das frü: 
here und fpAtere Mittelalter ſich begiehenden Rechts: und 
Geſetzſammlungen, welche die biftorifche Literatur jener 
Zeit aufzumeilen bat. Die Verbindung mit dem Mittel: 
alter hatte man wieder angelnüpft, ohne indeß in ihm 
etwas Größeres als eine reiche Fundgrube gelehrter For: 
dungen anzuerkennen. Der Sammierfleif war aber 
größer als die Schärfe der Kritik, wie denn Überhaupt 
dee Mangel an Kritik die Wiſſenſchaft jenes. Zeitalters 
druͤckt. Es fehlte nody an bem befondern Stande gelehr: 
ter Hiſtoriker; erft die zweite Hälfte bes 18. Jahrhun⸗ 
derts fchuf eine eigentliche hiſtoriſche Wiſſenſchaft: Fran: 
zofen und Engländer dienten zum Muſter. Indeß ſchon 
Mason hatte mit feinem Werke „Commentarii de rebus 
Imperii Romano - Germanici” (3 Bde., 4., Leipzig 1748) 
einen ſehr ruͤhmlichen Verſuch gemacht, der allerdings 
ziemlich lange unnachgeahmt und nod, länger unerreicht 
blieb, zu zeigen, wie etwa eine deutfche Gefchichte nach 
Quellen gefchrieben werden muͤſſe. Und noch jest lieſt 
man das Werk diefes Mannes nicht ohne Vergnügen — 
wir haben uns noch juͤngſt daffelbe bereitet —, wäre es 
auch nur der leichten und gefälligen, bier und da wirk⸗ 
tich claffifchen Zatinität wegen, die ihn vor feinen Zeit 
genoffen auszeichnet. Allein ber Particulariömus, ber 
politifh fo unheilvoll für Deutſchland war, hatte, wie in 
mancher andern geiftigen Beziehung, aud gute Folgen 
für feine Geſchichtſchreibung. Moͤſer's„Osnabruͤckiſche 
Geſchichte und Muͤller's „Schweizergeſchichte“ gaben ber 
Eeforſchung deutſcher Geſchichten und der hiſteriſchen 
Kunſt Überhaupt ſowol ruͤckſichtlich der Quellenbenugung 
als der Darſtellung einen Anſtoß, deſſen Kraft nie wie⸗ 
der zu wirken aufhoͤrte. Die hiſtoriſche Literatur der 
Dentſchen hatte duch dieſe beiden Werke Originale 
erhalten, welche unſere Hiſtoriker von der Nachah⸗ 
mung ber Ausländer ablenkten. Daß dem geiſtvol⸗ 
len Spittler auch ein bedeutender Antheil an diefem 
BVerbienfte gebührt, wird Niemand in Abrede flellen, der 
feine Speciaigefhihten von Würtemberg und Danover 


genauer kennt. Sa, felbft bie franzoͤſiſche Herrſchaft 
brachte bie deutfhe Geſchichtsmuſe nicht völlig zum 
Schweigen unb mehr als ein biftorifches Werk aus diefer 
Periode hat fig bis jegt noch in Ehren zu halten gewußt. 

Aber wahrhaft reformatorifdy und befebend wirkte 
auf deutſche Geſchichtſchteibung die polltifche Stimmung, 
in welcher ſich unfer Volk unmittelbar nad) dem Befreiungs= 
friege fand: die Erinnerung an die gemeinfchaftlich uͤberſtan⸗ 
bene Gefahr erzeugte das Gefühl der Einheit; der Deutfcye 
hatte wieder ein gemeinfames Vaterland. Der Wunſch 
einer deutſchen Nationalgeſchichte ſprach fich jetzt aus 
und das Beduͤrfniß einer allgemeinen, aber kritiſch revi⸗ 
dirten Quellenfammlung ward immer fühlbarr. Men= 
zei, Pfiſter und Luden fuchten dem Erftern zu genügen, 
und Perg ging mit Präftiger und meifterhafter Hand 
(1826), von tuͤchtigen Mitarbeitern unterftüst, an die 
Befriedigung bes Letztern. Diefe biftorifchen Studien 
mußten nothwendig mehr als je wiederum auf das Mit: 
telalter führen, um fo mehr, ba fih in unfem Vater: 
ande eine politifche Goterie gebildet hatte, die im deut: 
(hen Volksleben diefer Zeit ein überfchwenglihes Maß 
von Kraft und Gluͤckſeligkeit zu finden vermeinte. Die 
Beſonnenheit behielt aber die Oberhand und dieſe fand 
Solgendes: das Mittelalter fah viele ausgezeichnete Män- 
ner; find fie bereits alle nach Verdienſt gewürdigt? Keil: 
neswegs. Das Mittelalter hat ſich eine Literatur ber 
Philoſophie, der Poefie, der kirchlichen, ja fogar der po- 
litiſchen Polemik gefchaffen; haben wir bereits eine auch 
nur mittelmäßige Kenntniß von dieſen wiſſenſchaftlichen 
Erfheinungen? Durchaus nit. Die zweite Hälfte des 
Mittelalters entwidelte in feinem Städtewefen eine ſolche 
Kraft und Originalität, daß ſchon ein flüchtiger Blick in 
diefe Verhaͤltniſſe Staunen zu erregen im Stande ift; 
find wir bereit6 buch Urkundenfammlungen und or: 
ſchungen in benfelben mit unferer Kenntniß fo weit ge: 
diehen, wenn auch Sartorius mit feiner „Geſchichte ber 
Hanſa“ vorausgegangen ift, daß wir ein vollguͤltiges und 
gerechte Urtheil über jene Verhaͤltniſſe abzugeben uns 
für befugt und befähigt erachten dürfen? Mit nichten. 
Das Mittelalter, reicher an Ideen und Gefühlen als 
an Gedanken, vermochte eine Baukunſt ins Leben zu 
rufen, deren Denkmäler wahrhaft demüthigend auf une 
wirken, wenn wir die Schöpfungen einer Zeit betrachten, 
wo wir uns felbft verachteten und mit bem Flitterprunk 
bes ausländifhen Geſchmacks liebäugelten; find wir fchon 
in den Geift und in die Ideen eines Zeitalters völlig 
eingedrungen, das die herrlichen Dome erbaute und fie 
trog three Schwere wie beflügelt zum Himmel empor: 
fteigen ließ? Wahrhaftig nicht. in Zeitalter aber, das 
folde Aufgaben und tagen an den benfenden Hiſtoriker 
fiellen darf, kann unmöglich feinem innern Gehalt nach ein 
barbarifches fein. Und man wird gewiß etwas mehr als 
blos ein ſchoͤnes Bild in den Worten Friedrich v. Schle⸗ 
gel's finden müflen: „War das Mittelalter eine Nacht, fo 
war e® eine fternhele Naht. 

(Der Beikluß folgt.) . 


Samilienleben in ben Vereinigten Staaten. 
(Eeſchluß aus Nr. 48.) 


Kehren wir zur Erziehung zuruͤck, fo fehen wir, daß Alles 
auf Ehrgeiz und Rivalität begründet wird. In den Schulen 
verwirft man die Strafen, die man in Deutfchland und Eng: 
land verhängt; allein man knoͤcht durch Erweckung des Ehr⸗ 
geizes aufs Außerfte — Schüler und Zitern. Jedes Mittel ift 
dabei gebraucht und jedes gilt für gut: Medaillen, Preisvers 
tbeilung, Öffentliche Sramen, öffentliche Belobungen und Zabel. 
Au die häusliche Erziehung geht diefen Weg. Der Amerikas 
ner lobt feine Kinder gern in ihr Geficht hinein und ſtellt fie 
as Beifpiel auf. Er vertritt fie felbft gegen Lehrer und Er⸗ 
jeher außer bem Haufe und die natürliche Kolge ift, daß dieſe 
jeben Altern weismacden, daß ihre Kinder die vorzüglichften in 
Aufführung, Antagen und Fortfchritten in der ganzen Schule 
find. Lehrer, die rechtfchaffen und felofländig genug find, einen 
befiern Weg einzufchtagen, haben oft fchwere Prüfungen zu be 
ſtehen und verlieren häufig allen bisher genoffenen Gredit. 

Alle diefe Vorgänge find fo allgemein, daß fich mit vieler 
Beſtimmtheit fagen läßt, fie feien charakteriſtiſch. Daneben ift 
fetbft in den neuenglifyen Staaten das Unterrichtömelen, wenn 
auch ein wirkliches Volksſchulenſyſtem beftcht, noch weit hinter 
dem Unterrichtswefen in Deutſchland zurück. Man hat durch: 
aus feinen andern Weg als den, beftimmte Zectionen aus ges 
wiffen Lehrbuͤchern mit ben unter den Lehrſaͤten ſtehenden Fra⸗ 
gen und Antworten auswendig lernen zu laffen. Gin Ent: 
wideln, eine Erwedung zum Selbſtdenken dürfte man vergeblich 
in diefen Schuten ſuchen. Selbſt die beffern höhern Lehranſtal⸗ 
ten leiden an diefer Unvollkommenheit. 

Die phyſiſche Erziehung, von welcher wir oben den alis 
mentarifdgen Theil beruͤhrten, hat aber noch andere Gedrechen. 
Statt die Haut zu verweichlichen in einem Klima, wo felten drei 
Tage lang biefelbe Temperatur berrfcht, wo im hohen Sommer 
das Fahrenheit'ſche Thermometer (bier allgemein im Gebraudy, 
wie in Deutfdland das Reaumur’fdye) von 100 Grad auf 50 
in wenigen Stunden herabfällt, follte man vernünftigerweife 
Alles aufbieten, die Haut zu Eräftigen, um diefen Wechfeln 
trogen zu Zönnen. Statt deffen hüllt man von Jugend auf die 
Kinder in Flanell; Kleine Kinder fiebt man felbft im Sommer 
felten ohne eine ſehr warme, tief über die Obren gehende Kopf⸗ 
bedeckung und lange Mäntel auf bem Arm der Kindermaͤdchen. 
Jede Luft Hält man von ihnen ab und meift müffen fie ſich in 
der Stube aufhalten. Alles ift darauf berechnet, die Kinder zu 
verweichlichen. Zwar flieht man viele im Sommer und Winter 
fielen, ſobald fie größer geworden find; der natürliche Thaͤtig⸗ 
feitstrieb verlangt Opielraum; allein ebenfo viele und mehr 
fieht man, die bereite tm fiebenten Jahre gemachte Maͤnnerchen 
fnd, und befonders verftehen fich die weiblichen Kinder fruͤhzei⸗ 
fig auf Putz und Zoilette. Sie find noch mehr auf die Stube 
gewiefen und fehen bier frühzeitig die Thorheiten ben Erwachſe⸗ 
nen ab. Bei dem Borrechte, welches die Frauen und Töchter 
in einer Zamilie genießen, haben fie auf jede Rachſicht zu rech⸗ 
nen, und Alles vereinigt fidh, fie zu verzaͤrteln und zu verweich⸗ 
\ihen. Die wichtige Entwidelung des Muskelſyſtems fehlt hier 
vollig und befonders diefem Mangel darf man das frühe Ver: 
bläben der Mädchen und fchnelle Altern der Frauen zufchreiben. 

Sine Menge haͤuslicher Einrichtungen und Gewohnheiten fleuern 
zur Ungefundheit bei. Man liebt die Kamine in den Stuben, 
bon deren Feuer die vordere Körperfeite geröftet wird, während 
die Kintere durch den Zug, die die Kamine im Zimmer bewir- 
ten, ertältet voird. Died mit fehr leichter, moderner Kleidung 
und jenem Mangel an Muskelenergie erzeugt Rheumatismus 
und trägt ficherlich fehr viel zu der fehr verbreiteten phthiſiſchen 
Dispofition der Frauen bei. Das Tabackkauen⸗ und «Rauchen, 
welches ſchon die Knaben beginnen, nebft dem Zucker⸗ und Mo⸗ 
Inffeseflen, den Gewürgen und teizenden GSpeifen, dem Ühee: 
und Kaffeetrinlen u. f. w. aller Alter und Gefchiechter, erzeugt 
eine andere bier allgemeine Krankheit, die man Dyspepſie nennt, 


175 


jedoch meiſt eine Berfiimmung ber Nerven bes Wagens und 
Epigaſtriums iſt. 

Moͤgen dieſe Zuͤge grell ſein, gewiß iſt, daß eine große 
Anjafl tüchtiger Altern und befonders liebevoller Mütter bie 
Drängel amerikaniſcher phyſiſcher und ſittlicher Erziehung erfens 
nen und fich ſehr nach etwas Beſſern fehnen. Die Schwierig: 
feit ift und bleibt, es berbeisufchaffen. Der Amerikaner bat 
feine Richtung zur Gründiichleit; er kann es nicht aushalten, 
fletig und ficher auf lange Jahre hinaus ein Biel zu verfolgen. 
Als muß raſch geftaltet, rafch errungen werben. Schnell muß 
Alles zu Gelbe gemacht und das Kapital in Umlauf geſetzt wer⸗ 
* ai laͤßt Leine Wielfeitigkeit zus es bedingt die Ein⸗ 
eitigkeit. 

Überlegt man dieſes Alles wohl, fo ſteht es kaum zu er- 
warten, daß die Sittiidhfeit der Nation im Glieichgewichte bleis 
ben könne Dan fühlt — bie Beſſern fühlen ale — daß bie 
Breiheit ohne wahre Ehre und Sittiichkeit nicht erhalten were 
ben Eönne, und erflaunen wird der Deutfche mehr und mehr, 
wenn er hört, baß gerade aus biefem Grunde täglich mehr bie 
Achtung und Richtung gegen deutſche Literatur und beutfches 
Leben ſich vermehrt. Zwar hält man bie rechte Anerkennung mit 
verzeihlichem Stolze zurüd, fo viel es fi thun läßt, allein 
man birgt fidy auch nicht, daß, ohne das Beſſere des deutfchen 
Lebens in ſich aufzunehmen, das Beffere bier nicht fortgedeihen 
tönne. Biele aber fprechen es auch klar aus, daß die Nation 
ihrem fitttichen Verderben entgegeneile, wenn fie die Baſen 
der Zugenderziefung, auf welchen man bisher fortging, fefthalte. 
Eine weichlie Nation kann keine fittliche fein. 

Sieht man aber, was gerade die Geldleute in Amerika für 
Schande über die Nation gebracht haben, und weiß, daß fie 
befonders auf den Baſen erzogen worden find, beren Charakter 
bier angedeutet werben fellte, fo begreift man leicht, wie bie 
fogenannte Partei der Whigs fich die Macht nicht erhalten kann. 
Der Demokratiömus bat immer näher zur Wahrheit, ſelbſt 
wenn er fidh von ihr verirrt hat, als der amerilanifche Whig⸗ 

ismus; denn bdiefer ift ein geldariftofratifcher Egoismus. Set 
egreift es fidh, daB eine Mehrheit mit ausfchließtichen Prins 
cipien eine große Menge ſehr gemäßigter Männer einfließen 
müffe, bie am Ende fi ſelbſt doch nicht fo Lieb haben, um 
bad Ganze darımter leiden zu laffen. Die gegenwärtigen Wah⸗ 
ien bethätigen dies, die Whigs verlieren aller Orten, in allen 
Staaten die Mehrheit wieder; eine Menge Whigs flimmen gar 
nit, weit fie die übertriebenen Anfprüche ihrer Partei nicht 
theilen. Henry Clay, der große Staatsmann, verliert als 
Haupt ber Ultrawpigs täglich mehr Grund, und wenn nicht be 
fondere Wechſelfaͤlle eintreten, fo bat er Leine Ausficht, fein 
tängft erfehntes Biel, den Präfidentenftuhl, zu erreichen. 
Noch möchte man hinzufügen, daß die Maffen des Wolke, 
je mehr weftlid von ber Küfte, eine derbere, gefünbere, kraͤf⸗ 
tigere Race find. Allein der gemeinfame Typus amerikanifchen 
Lebens gebt von ben öftlihen Staaten aus und mehr und mehr 
bringt er mit der Entwidelung der natürlichen Reichthuͤmer 
daffeibe Refuttat — Verweichlichung. Man will bemerkt haben, 
daß der Deutfche, ſelbſt in den oͤſtiichen Staaten, fich ſtets et⸗ 
was von diefer Richtung fern gehalten habe, und füchtige Ken⸗ 
ner der Nation haben — wenn auch ohne Beifall zu finden — 
beftimmt ausgefprochen, baß einft von ber deutſchen Bevölkerung 
das Heil der Nation abhängen werde. Die Deutfchen haben 
meift eine ftabile, conferostive, rubige demokratiſche Haltung. 
Zu bebauern ift, daß fie, wie z. B. in Pennfolvanten und im 
Neuyorkſtaat, weit in der Gultur zurüdbleiben und nur auf 
Berbeflerung ihrer fchönen Grundftücde denken; doch auch dies 
wird feine Zeit haben, fo gut wie im Altenburgifchen und in 
andern deutſchen Bauen, wo reiche freie Baucen leben. 

Die ganze Ration ift wohlhabend, ja fie fhwelgt im über⸗ 
fiuß. Geringe Steuern, hohe Arheitsiöhne, Arbeit genug, reiche 
Kaufleute, Gelb genug an ben Küften; im Innern üppige 
Ernten und im Ganzen hohe Preife für die Erzeugniffe, die 
ohne große Müße dem ergiebigen Boden entfprießen, Wohlfeil: 


136 


heit bed GSrund und Bodens im Anlauf, fobaß er leicht um 
500 — 1000 Procent innerhalb zehn Jahren an the 
waͤchſt, unerſchoͤpfliche natürliche Keichthuͤmer und Hülfsquellen, 
Handei aller Art und leichte Ruͤhrigkeit druͤcken bem Volke einen 
Sharakter auf, den man als Deutſcher ſchwer faflen Tann. 
@s ift Alles leichte Bewegung, raſcher Gedanke, raſche That. 
eift und Faulheit fehlen nicht, NReligiöfe Wigoterie bier und 
bodenlofe Immoralität ober Gewiſſenloſigkeit dort zu zeigen, 
verfteht der Amerikaner vortrefflich. Ich will nicht ‚Tagen, daß 
eine Nationalverabredung dieſe Gewiſſenloſigkeit fügte; allein 
die Bigotetie wird von ihr geſchuͤgt, und es hat noch keine 
Ration in der Geſchichte figurirt, weiche bigot und tugendhaft 
gleich geweſen wäre. Wie der Sklavenhalter fireng auf bie 
—* des Sonntags haͤlt und den Prieſter zum Heiligen 
beſtellt, ſobald er ihn zum Prieſter erwaͤhlt hat; wie er dann 
wieder ſeine eigenen, mit Sklavinnen erzeugten Kinder zur 
Sklaverei erniedrigt, aus Gewinnſucht und weil es in der Bibel 
ſo ſteht; wie er Geſchwiſter und Verwandte verkauft; wie er 
den erſten Gefühlen chriſtlicher Humanitaͤt Hohn ſpricht: fo hat 
die ganze Nation einen Zug, die politifcye Kreipeit und die Ges 
wiffensfreibeit mit Rechtlofigkeit und Gewiſſensleerheit zu ver: 
mengen. Nur wahre, weit verbreitete Intelligenz fann einft 
daraus erloͤſen. Das Unglüd hier aber ift, daß der Amerika: 
ner feine Nation für die erleuchtetfte der (Erde Hält, und baf 
er feine ſchoͤnen potitifchen und rechtlichen Inftitutionen, welche 
die Vaͤter ihm überlieferten, mit der Selbſtgefaͤlligkeit betrach⸗ 
tet, als babe er fie erfunden, während fie doch, bei Lichte ber 
trachtet, nichts als ein Abglany und Fortgang europäifchen Le: 
bens find. Oft fälle mir dabei ein, wie ähnlich biefer Hoch⸗ 
muth dem fpanifchen ift. Die Leerheit biefiger Erziehung führt 
dahin, daß Jeder einige. veligidfe oder politiſche Principien ſich 
aneignet, nach benen er ſich einer ber unzähligen Kirchen, oder 
feiner, oder einer neuen Sekte ebenfo anſchließt, wie einer po: 
Ktifchen Partei. Nichts iſt verdaut, nichts im Zufammenhange 
mit der Moral oder chriftiichen Religion erwogen. Gelbft die 
Bibel reicht nicht zu, wenn der Yankee fein Ehriftenthum dos 
cirt; gegen ihn iſt Chriſtus ein fimpler religiöfer Schwärmer, 
denn er hatte, glaubt er — mie Goethe! — nicht das Princip 
politifcher Zreiheit. In Amerika ift das Chriſtenthum eigentlich 
erſt verwirkticht, ober es ift etwas daraus geworben! 
Diefen Unfinn will ich ebenfo binwerfen, wie er mir in 
den Maffen entgegentritt. Es gibt fehr gebildete Menſchen bier, 
fie find aber doch noch mehr Ausnahmen als bei uns. Wenn 
in jedem Dorfe bei uns wenigftens ein Mann, oft zwei find, 
die etwas Tuͤchtiges gelernt haben, wenn Schule und Kirche 
bei uns Hand in Hand gehen und nur das Recht fich kalt iſo⸗ 
lirend gegen fie ſtellen ſcheint, weil es nicht frei ift und 
weil mit feiner Sürfe keine perſoͤnliche Kreiheit eriftirt, fo be: 
herrſcht hier die perföntiche Freiheit Kirche, Schule und Recht 
und das Leben flellt uns bei der Leichtigkeit des Willens eine 
ſehr wandelbare, in ewiger Sermentation begriffene, aber auch 
in jeder Zermentation geftörte Maſſe dar, bie, fo lange fie nicht 
an ber Feſtigkeit Europas fich den Kopf einftößt, eben überall 
ſprudelt und fiedet, ohne etwas ‚Rechtes auszukochen. Die Ele: 
mente aber find dennoch Eräftig. Wenn man inmitten diefer 
Gaͤhrung einen Mann wie Daniel Webfter ſich erbeben und feis 
ner ganzen Nation die Wahrheit fagen, feiner mächtigen Partei, 
der jetzt herrſchenden Wpigpartei, deren Fuͤhrer er war, unter 
die Augen treten fiebt und fagen hört, daß nur uneigennügige 
Baterlandsliebe, nicht Parteiintexreffe ibn leite, daß er jedem 
Manne von: jeber Partei mit denfelben Geſinnungen die Hand 
zeichen werbe, daß die. Einficht in bie Vortheile bes Ganzen 
die Folge großen Nachdenkens und Iebenslänglidher Stubien 
fein — wenn, fage ih, ein fo Eräftiger kuͤhner Dann an 
feinen Bufen und an ben ber Nation Tchlägt und Alles ſich 
ruhig umgeftaltet und zur Vernunft und Gewiffenhaftigkeit zus 
ruͤczukehren trachtet, dann kann man bie Bildungsmittel ber 
Nation wieder nicht nach dem gemeinen deutſchen Maßſtab bes 


rechnen. les hier lebt und webt in ber Öffentlichkeit 
gibt dem Ganzen Leben, raſchen Umſchwung und ſtete 
gung. Man trachtet fo zu leben und zu handeln, daß man 
bie Öffenttichkeit. nicht zu ſcheuen hat, und eben biefe Öffents 
lichkeit ift wieber Richterin über Gefinnungen und Thaten. Dies 
bat einen magiſchen eig, und wer bier einige Jahre gelebt 
bat, wird deutſches politifches und amtliches Leben ebenfo klein⸗ 
tich, geheimnißpoll und unheimlich finden, ald er es auf ber ans 
bern Seite reich an Wiffen und Sitte findet. Gin Deutſcher, 
den ich kuͤrzlich in Neuyork traf und der 17 Jahre in der Union 
lebt, aber eine flete Sehnſucht nach der Heimat hat, reifte mie 
einem anſehnlichen Vermögen feit zehn Jahren dreimal nach 
Deutfchland, um bort zu teben, allein es war ihm unmoͤglich, 
zu bleiben. Als ich ibn fragte, warum, antwortete er mir: 
„Wenn id brüben die geheime Öffenttichkeit und öffentliche Ber 
beimnißthuerei fo eine Weite mit anfehe, wird mir immer ganz 
zo und ich bin nicht eher wieder rubig, bis ich bier bin. 
Ich Liebe Deutfchland und deutſche Menſchen, aber ih liebe 
nicht die Formen, in denen fie leben; fie find fo unnatürlid, 
und ich fühle immer, als 0b ich darin etwas (Entehrendes fände, 
wenn man ben freien Menſchen fo wie ein ungeratbenes Kind 
oder einen Spigbuben behandelt und bewacht.“ Dies ift gewiß 
nicht ganz unrichtig gefühlt und Maffen beutfcher Sinwanderer 
treibt diefes Gefühl aus ihrer Heimat, wie Jedermann weiß. 
Betrachtet man dagegen das gemüthliche gefellige Leben, fo 
möchte dies in feinem Lande der Welt fo ſchoͤn fein als in 
Deutſchland, und bier vieleicht am mwenigften ſchoͤn. Auch dies 
trägt bier dazu bei, die fittlichen Standpunkte zu verrüden. 
Man hat nur politifche und religiöfe Gefellichaften und Zuſam⸗ 
mentünfte; dieſe finden in Maſſe flatt. Die übrigen gefells 
ſchaftlichen Beruͤhrungen find ceremonids, kurz und kalt, oft 
wortarm. Darin liegt der Jammer für die Deutfchen, bie mit⸗ 
ten unter Amerikanern ſich anfiebeln. Daber ziehen fich ftets 
mehr und mehr deutfche Anſiedler dahin, wo fie fich phyſiſch 
wohlbefinden, und wir feben, daB an foldhen Stellen und oft 
in ganzen Counties, 3. B. in Ohio 2c., fih ein gang neues, 
dem amerikanifchsenglifchen fremdes Leben geftaltet. Mehr und 
mehr fcheint dies der Gharafter bes Weften zu werden. Die 
Deutfchen ziehen jest alle dahin und ehe 100 Jahre vergehen, 
werben fie ibn ebenfo befigen wie bie Irländer den Norden ber 
Union. Jedem beutfchen Einwanderer ift zu rathen, dem Zuge 
nah Weften zu folgen, fofern nicht ganz befondere Intereſſen 
ihn im Dften halten. Aber im Oflen wird er felten wohlhabend 
und frei; das englifch:amerifanifche Leben überwältigt bier Al⸗ 
les und er zählt nur ale Null neben dem Gnglifch » Amerikaner, 
der obenein in feiner nationalen Überlegenheit ibn gering adhtef. 
R. Weſſelhoͤft. 


.Sie 
Bewe⸗ 





Literariſche Notiz. 

Die „Histoire critique de la revolution Cartesieune” 
von Brancisque Bouiller (Paris 1842) if die erſte größere 
Arbeit eines jungen Philofophen, ber zu großen Erwartungen 
berechtigt. Er hat feine intereffante Schrift in vier Abtheitun: 
gen gebracht. Die erfte erſtreckt fi in Form einer Ginleitung 
über die hauptfädlicden Phitofophen, die nach der Wiederbele⸗ 
bung der Wiſſenſchaften auftreten. Das zweite Gapitel gibt 
einen Abriß des Carteſianiſchen Syſtems. Diefer üÜberbtick iſt 
ſehr lichtvoll und finngetreu. In dem britten Gapitel entwirft 
ber Verf. eine Geſchichte der Kehren bes Gartefius. Dies ift 
bie gelungenfte Partie feines Werkes. WBouiller verfolgt jede 
einzelne Lehre bes großen Philofophen und weift nach, weldye 
Umgeflaltung diefeiben in den Syſtemen fpäterer Denker zu erleis 
den gehabt haben. Den Schluß des Werkes bildet eine Wuͤr⸗ 
digung der Gartefianifchen Phtiofophie im Allgemeinen. Diefer 
Theil läßt vielleiht noch am meiften zu wuͤnſchen übrig und 
tönnte von mehr als einem Punkte aus angefochten werden. 





Berantwortuicher Derauögeber: Heinrig Brodhaus — Drmi und Beriag von E. U. Brodbaus in Leipzig. 





| Blätter 


für 


Titerarifhe Unterhaltung. 


Dienftag, 


— Nr. 45. — 


14. Februar 1843. 





Politiſche Gefchichte Deutfchlands unter der Regierung Befonnenpeit und Ruhe abgegeben. Mit einem Worte: 
der Kaifer Heinrich V. und Lothar ill. Von Eduard | diefe Monographie iſt der gegenwärtigen Geſchichtskunſt 


Zwei heile. 
(Beihluß aus Nr. 4.) 

So ging denn die deutſche Geſchichtsmuſe, von einem fri: 
ſchen Stationalgefühle belebt, rüftig ans Werk, um die ge- 
fhichtlichen Fundgruben des Mittelalters zu erweitern und zu 
vertiefen, da6 Aufgefunbene zu verarbeiten und der Nation 
zur Beurtheilung, ja auch zur Mehr und Warnung vorzu: 
legen. Theil trat eine ziemliche Anzahl einzelner Hiſtoriker 
mit Kraft und Geſchick in ihren Dienft, theils bildeten 
fi eine Menge von Vereinen, bie ihre Kräfte mit mehr 
oder minderm Erfolg ihre weihten. Man kam aber na: 
tuͤrlich bald zu der Überzeugung, daß man fich in die 
Bearbeitung des hiſtoriſchen Materials, das unter den 
Händen wuchs, theilen müffe. Und fo wendeten denn 
einzelne Gefchichtsforfcher ihre Thaͤtigkeit der glänzendften 
KRaiferzeit zu; Raumer gab zuerft (1823) mit feinen 
„Hohenſtaufen“ ein ſchoͤnes Beifpiel, und Stenzel folgte 
ihm (1327) mit feiner „Geſchichte Deutfchlands unter 
den feäntifchen Kaifern” ruͤhmlichſt nad. Und an diefes 
Wert reihe ſich die vorliegende „Politiſche Gefchichte 
Deutſchlands“ an. 

Die erfle Frage, deren Beantwortung uns unter den 
obwaltenden Umftänben obliegen muß, ift die: in welchem 
Verhaͤltniſſe ſteht das neue Werk zu dem aͤltern? Hören 
wir den Verf. des Erſtern in der Vorrtede: 

Bot Stenzel's treffiiches Werk für meine Arbeit cine treff: 
liche Grundlage, fo geftattete e8 mir auch Vieles ganz zu über: 
achen und auf das unumftößlich Begruͤndete und nicht leicht 
beffee Darzuftellende in den Anmerkungen zu verweilen. Wo id) 
feine Anſicht nicht theilte, habe ich freimüthig die meinige ent: 
gegengeftellt und aus ben Quellen, die mir das Wahre ober 
Vahrſcheinlichere barthaten, nachgewieſen. 

Wie können die Angabe dieſes Verhaͤltniſſes beider 
Werte als völlig richtig bezeichnen; zugleich dürfen wir 
aber auch Lobend hinzufügen, daß ber Verf. nicht nur 
felbftändig in den Quellen geforfht, fondern fih auch 
mit den Leiftungen befannt gemacht und fie gut benußt 
habe, die nach Gtenzel ans Licht getreten find. Die 
Darſtellung ſelbſt verräth im Folge deſſen ebenfo wol 
Gruͤndlichkeit als Vollſtaͤndigkeit; das Ganze ift über: 
ſichtlich und zweckmaͤßig in ſieben Abſchnitte vertheilt; die 
Sprache iſt einfach, edel und klar; die Urtheile ſind mit 


Gervais. 


der Deutſchen würdig. Nur in einer Beziehung tritt 
ein Unterfchleb zwifhen Stenzel's und Gervais’ Werken 
deutlich und leicht erkennbar hervor, ein Unterfchied, deſ⸗ 
fen Grund weniger in der Verfchiebenheit der Individua⸗ 


fitäten als vielmehr in den charakteriftifchen Zufländen 


ber Zeit und deren Einfluß auf die Gemüther gefucht 
werden muß, fodaß auch bdiefer Fall als ein Beweis für 
unfere oben ausgefprochene Behauptung anyefehen werben 
darf, wie die hiftorifhen Studien, deren Darftellungen 
und Uctheile von den Zeitzufländen influenzict werden. 
Stenzel, jugendlicher Augenzeuge ber großen Bewegungen 
und Hoffnungen, welche bie Befreiuungskriege in der 
deutfchen Nation erregten, im räftigften Mannesalter 
fiebend, als die Taͤuſchung einen beinahe vollftändigen 
Sieg über die Hoffnung davongetragen hatte, fehrieb 
innerlih noch von jugendlichen Eindrüden beroegt, aber 
Außerlih von einer männlihen Refignation geleitet, fein 
Werk in einer lebendigen, raftvollen, ſcharf urtheilenden 
Sprache, gepaart mit einer gewilfen Sehnfucht nach dem 
Anblide deutſcher Herrlichkeit, wie fie fein tonnte und 
vielleicht einftene war. Gervais' Sprache dagegen mit 
ihren Urtheilen ift ruhig und ohne Zeitbeziehungen, ihm 
bat die Zeit kein Bild vom Mittelalter in das Herz 
bineingefämpft: er läßt, unbefümmert um feine Perfön> 
lichkeit, die Geſchichte reden und bie hiftorifhe Überzeu⸗ 
yung das Urtheil fällen. Stenzel's Wert wirb auch der 
wiftenfchaftlihe Juͤngling gern leſen, Gervais' Mono⸗ 
graphie nur der gereiftere Mann aus gelehrtem Intereſſe. 

Wie könnten bier abbrechen, da es unfere Aufgabe 
nicht fein darf, urkundliche Gelchrfamkeit mit fpeciellen 
Beziehungen zur Sprache zu bringen. Allein die abwei⸗ 
chenden Urtheile Stenzel’s und Gervais’ über Gregor VII. 
erhalten für uns, und gewiß auch für unfere Lefer, ein 
neues Intereſſe duch die foeben erfchienene Schrift 
„Das Zeitalter Hildebrand's“ von Caflander (Darmftadt 
1842), Bekanntlich ſchrieben ſchon die Zeitgenoſſen pro 
und contra uͤber Gregor's Syſtem und feinen perſoͤnli⸗ 
chen Charakter, und der gleichzeitige Cardinal Damianl 
ſpricht zwar etwas berb, aber immer treffend, das Urtheil 
beider Parteien Über denfelben aus, indem er ihn einen 
„göttlichen Satan” nennt. Wenn nun die Mehrzahl 





178 


roͤmiſch⸗-katholiſcher Schriftſteller, befonders bie Jeſuiten, 
ſeine Vertheidigung fuͤhrten, ſo erklaͤrt ſich dies allerdings 
ſehr leicht; daß aber proteſtantiſche Hiſtoriker in ihren 
Urtheilen abweichen, ja theilweiſe ſich geradezu entgegen⸗ 
geſetzt ſind, das muß beim erſten Anblicke hoͤchſt auffaͤllig 
gefunden werden, um fo mehr, da gerade die geiſtreich⸗ 
ſten unter ihnen auf Gregor's Seite getreten find. Voigt 
fuchte in feiner albefannten Biographie dieſes Papftes 
das Urtheil über ihn durch eine auf die Quellen geftügte 
Erörterung zu fihern; allein er iſt nahe daran gewefen, 
nur einen Panegyrikus feines kirchlichen Helden zu ſchrei⸗ 
ben, und felbft eifrige Anhänger Roms haben das Werk 
dieſes proteftantifchen Biographen als Beweis anführen 
zu dürfen geglaubt, daß Gregor von feinen eigenen Glau⸗ 
bensgenofjen verleumdet oder doc, menigftens nicht nad) 
Gebühr von Allen gewürdigt worden fei. Stengel, ob: 
fhon aus gleichen Quellen mit Voigt ſchoͤpfend, Tpricht 
dennod ein Verbammungsurtheil über Gregor VIL aus 
mit den Worten: „Gregor war einer von den feltenen 
Männern, beren, zum Süd für die Menfchheit, nicht je: 
des Fahrhundere Einen bervorbringt, nicht jedes bedarf. 
Ehrgeiz und Herrſchſucht waren die Haupttriebfedern feiner 
Handlungen, feiner Worte, feiner Gedanken.’ Gegen 
dieſes Urtheil erklaͤrt fi wiederum unfer Verf. „Sten: 
zei‘, fagt er, „dat Gregor zu einfeitig beurtheilt — Io: 
hannes Voigt's Gregor verdient immer noch die Aner: 
tennung aller Religionsparteien vom moralifhen wie vom 
politifhen Standpunkt.“ Und der erfte Abfchnitt des 
vorliegenden Buchs, ber lebiglich über den Inveſtiturſtreit 
handelt, fucht Gregot's Plan und Abſichten zu vechtfer- 
tigen und Heinrich's IV. Politit und Stellung als ver: 
fehle zu erweifen. Es wird dabei von dem eigenthümli: 
chen Geiſte jener Zeit überhaupt und von dem Stand: 
punkte bes Papfles insbefondere ausgegangen. Ein fol: 
her Geſichtspunkt iſt aber weder neu, noch ſchließt er 
eine ſolche Allgemeinheit in fih, daß von ihm aus das 
ganze Spftem und die fittlihe Haltung Hildebrand's 
vollkommen und nach Gebühr gemwürbigt werben Eönnte. 
Übrigens hat ſchon Paulus in feinen Anmertungen zur 
„Kirchengeſchichte“ von Spittler den Beweis geliefert, 
welche DBerfchiedenheit der WBetrachtungeweifen für bie 
Thaten und den Charakter jenes allerdings merkwürdigen 
Mannes möglich ſei. Allein die auffallende Erfcheinung, 
die wir oben fchon angedeutet haben, daß Gregor pro: 
teftantifcherfeits fo viele Apologeten fand oder wenigſtens 
Hiſtoriker, die mie möglihftem Eifer und großer Gelehr⸗ 
ſamkeit das Parteigepräge von den Urtheilen über ihn 
abzuiöfen bemüht waren, erklaͤrt fi gewiß am natür: 
lichſten durch die Zeitzuflände, unter welchen jene Maͤn⸗ 
ner fchrieben, und durch die Kinflüffe, die von diefer 
Seite ber auf ihre Anfichten und Ausſpruͤche einwirkten. 
Schiözer, Pütter und Spittler Iebten in einer Periode 
Deutſchlands, die kirchliche Ruhe, religiöfen Indifferentis⸗ 
mus und das Entfiehen einer fchärfern biftorifchen Kritik 
ſah. Johannes v. Müller, Voigt und Luden fchrieben 
unter ben Eindruͤcken großer Bewegungen, merkwürbiger 
Ereigniffe und der Thaten ausgezeichneter Maͤnner; eine 


gewiſſe Sympathie für Gregor's Zeitalter und Wirken, 
um ihrer Merkwürbigkeit willen, erzeugte fi in den 
Geiſtern dieſer Geſchichtſchreiber. Seitdem aber der Ro: 
manismus fein Haupt wieder zu erheben angefangen hat 
und die Proseflanten von neuem zur Abwehr. des von 
den Ultranıentanen lauter als je gepriefenen Hildebran⸗ 
dismus die Feder zu ergreifen genöthigt gewefen find, ift 
der Schöpfer biefes Syſtems in ein minder guͤnſtiges 
Licht geſetzt worden. Und wenn unſer Verf. in dieſer 
Beziehung eine Ausnahme macht, ſo liegt der Grund 
darin, daß derſelbe, wie wir ſchon oben bemerkten, ber 
Gegenwart Seinen Einfluß geflattet, wenn er über bie 
Vergangenheit urtheilt. Übrigens find Schriften, die dem 
Intereſſen der Parteien ihre Entftehung verdanken, zu 
allen Zeiten Irrlichter auf dem Gebiete der Wahrheit 
geweien. Darum darf unter den obmaltenden Umfländen 
das Erfcheinen des oben gedachten Bude von Caffander 
ein recht gluͤckliches genannt werden, und es wird daffelbe 
vermoͤge feiner Gediegenheit die verdiente Aufmerkſamkeit 
erregen und gerechte Anerkennung finden. Zur tichtigen 
Würdigung Deflen, mad Servais über Gregor gefchrie: 
ben bat, ift es namentlich geeignet. 


Noch ehe der Abdrud Deffen, was mir foeben über 
den erften Theil biefes Werks berichtet haben, erfolgte, 
erſchien bereit6 der zweite. Wir wollen deshalb ſogleich 
auch über diefen Theil, der, was wir im voraus zu be: 
merfen zwedmäßig finden, dem erflern in Sprache und 
äußerer Eintihtung völlig gleich if, in möglichfier Kürze 
unfern Leſern Rechenſchaft ablegen. Der Berf. hat mit 
großer Ausführlichkeit und mit umfaffender Quelienbe: 
nugung, bie felbft für die fpecieliften Verhaͤltniſſe und 
Begebenheiten die erfoderlihen Autoritäten zu Lage zu 
fördern weiß, die Regierungsgrundfäge und den Charak⸗ 
ter Lothar's III. fowie die damaligen Zuflände des Reiche 
bargeftelft und in ein helles Licht zu fegen geftrebt. Das 
Sanze darf nicht nur als eine rühmlicye aus felbfländi: 
ger Forſchung bervorgegangene Ausfuͤllung der Lüde in 
unferer Geſchichtskenntniß von jenem Theile des Mittel: ' 
alterd angefehen werden, fondern auch zugleich als eine 
Apologie des Kaifers Lothar. Man kann diefelbe, wenn 
nicht direct, fo doch indirect auf das Endurtheil, welches 
Pfiſter in feiner „Geſchichte der Deutfchen‘ über jenen 
Bürften ausgefprohen und damit die fo ziemlidy allge: 
mein verbreitete Meinung ber Hiftoriter, namentlih Lu⸗ 
den's und Raumer's, getroffen bat, beziehen. „Der 
fächfifhe Fuͤrſt“, fage Pfiſter, „der früher als Herzog 
nicht unrühmlidy an der Spige der Fürflen gegen bie 
Ubermacht des fraͤnkiſchen Kaiferhaufes geflanden, ließ fich 
im Beflg der Krone auf unmwürdige Art von den Bifche: 
fen leiten und bewies nur in der Abneigung gegen das 
mit dem feinigen wetteifernde Haus ber Ghibellinen Be: 
fändigkeit.” Dagegen urtheilt nun unfer Verf. auf fol: 
gende Weife: 

‚ Deutſchland vertor in Lothar einen Water des Waterlande, 
wie die gleichzeitigen Schriftſteller ihn nennen, denn nicht nur 
mit Kraft hatte er den geſunkenen Thron hergeftellt, auch burdy 
feine Wilde und Berzenögäte ein Band zwifchen Herrſcher und 


Bett geknuͤpft, was unter den fizeng, willlürlich, oft beapotifch 
verfahrenden fränfifchen Kaifern niemals woͤglich geweſen war. 
um nicht als König in die Willlür zu verfallen, der er als 
Herzog gewehrt, follte nicht an das Schwert, nicht an bie Ges 
wait die Bollziehung feines Willens, die Geltendmachung feines 
Handelns gefnüpft. fein, fondern der Vermittelung durd das 
Bort des Herrſchers, durch das Anfehen der Majeſtaͤt, durch 
feine eigene Perfönlichkeit gab er überall ben Vorzug und brauchte 
mr die zu Gebote ſtehende Macht, wo Trot, Anmaßung, Zuͤ⸗ 
geltofigleit ober gar Frevel nicht anders gehemmt und gezächtigt 
werben fonnten. In einem Zeitalter, wo alle Eeibenfchaften 
ungeflum bexvorbradgen, wo bie geſetzlichen Schranken niederge- 
riſſen ober ſchwach geftügt waren, wo ein kaum beendeter Kampf 
zwiſchen Kirche und Reich bie Berfaflung untergraben, ben Thron 
in Schwanken gebracht, die Majeftät des Kaifers zum Schatten 
berabgefegt hatte, war es eine fehwierige Aufgabe: die Macht 
ber Bernunft, bie Berweiſung auf das Recht, die Rothiwendigs 
fit des Kriedens und bie Heiligkeit der Majeſtaͤt als wirkſame 
Hebel der Herrſchaft über alle ihnen widerfirebende Kräfte zu 
gebrauchen. Gieichwol gelang es Lothar, auf bdiefem einzig 
heiibringenden Wege Deutſchland vom gänzlichen Verfall zu er: 
retten und es zu einer kaum zu hoffenden Größe zu erheben. 
Es erfcheint nach den zwölf Jahren feiner Regierung wie um: 
gewandelt, unb Eothar’s zweite Heerfahrt in Italien zeigt die 
wilbaufgeregten @lemente, die bisher ſich zu vernichten drohten, 
unter feiner Leitung fo wirffam gegen einen dußern Feind vers 
eint, daB auch das gemeinfchaftliche Bandeln, das Beifammen: 
fein der nach entgegengefegtem Ziele rebenden, vor kurzem noch 
einander Bernichtung drohenden Gewalten ben glüdtidhen Erfolg 
nicht aufbeben. Auf dem Wege, den er gebahnt, durfte, was 
er noch unvollendet gelaflen, fein Rachfolger errungen und die 
Krone des Reiche zu ber Bedeutung, die fie unter Karl dem 
Großen und Otto I. gehabt, zurüdgebracht haben. Doc war 
es nicht Leiche einem Andern möglich , mit dem Papfte in Ge: 
meinfdyaft ein Unternehmen gluͤcklich tucdhguführen ‚ welches 

und Kaiſer beinahe auf jedem Schritt in neuen Ziwiefpalt 
zu flürzen drohte. Der feſte Grundfag: mit ber Kirche nie 
brechen zu wollen, und auch: dem eigenen Anfehen nichts zu 
vergeben, beräbrten fich hier wie auf der ſcharfen Schneide des 
Meilers ‚und doch wurde Beides, wie jeber Uinbefangene erken⸗ 
nen wirb, nicht verlegt. Der fefte, edle unb fromme Charakter 
des Mannes erſcheint uns hier in feinem vollen Lichte und ver: 
bient fein Berfahren dem Papfte gegenüber nicht Nabel, fondern 
das hoͤchſte Lob. 

Wenn der Berf. Veranlaffung nimmt zugleich bie 
Froͤmmigkeit des Kaifers im Geiſte feiner Zeit zu ſchil⸗ 
dern, fo gab ihm eine Urkunde des Kiofters Monte 
Caſſino Veranlafſung und eine beglaubigte Auctoricät. 
Die hierher gehörige Stelle jener Urkunde ift merkwürdig 


genug, um das Intereſſe der Lefer zu erweden: 

Nam et ipse testis sum (Petrus Diaconus), in expedi- 
Üene constitutus summo diluculo missam pro defunctis, de- 
kinc pro exercitu, tertiam postremo diei missam audiebat. 
Demum viduis et orphanis cum Augusta pedes lavans terge- 
bar crinibus et osculabatur, cibumque illis ac putum large 
dstribuens guaestiones et oppressiones ecclesiarum prius re- 
levans ultimo in loco imperii ponebat. Quamdin vero in 
Cassineusi claustro remoratus est, ita omnes officinas mo- 
Rasterii ac si Abbas vel Decanus circuibat scire cupiens quo- 
modo quisgue sub Beati Benedicti magisterlo viveret, facto- 
we mane orans monasterii ecciesias nudis pedibus circuibat. 

haec agens nunquam a consortio Episcopuram et Abba- 
tum arellebatur et cum sapientibus sermocinatio ejus, Erat 

fecto coecorum baculus, esurientium cibus, miserorum spes, 
Ihgentium consolatio atyue Ita in singulis eminebat virtutibus, 
u omnes te haberet. Sacerdotes honorabat ut patres, 
psuperes fovebat ut filios, viduas ut matres. Erat orationibus 
pervigil lacrimasque creberrimas contriti cordis Deo afferebat, 


Unfer Verf. hat nun die Wahrheit ſeinls Urtheils 
über den Kaiſer nicht blos durch Combinationen, die auf 
die Chroniſten der Zeit und auf andere glaubwuͤrdige 
Urkunden geflügt find, zu erhaͤrten geſucht, ſondern iſt 
auch bemuͤht geweſen ſie noch ſpeciell dadurch zu ſichern, 
daß er ſich ſelbſt auf Albert von Stade und Otto von 
Freiſingen beruft, die in dem Lobe des Kaiſers bei deſſen 
Tode übereinflimmen. Der Letztere erklaͤrt in ber That 
bei dieſer Gelegenheit, was bei feiner ſonſtigen Parteilich⸗ 
keit für die Hohenftaufen’fhen Verwandten allerdings be: 
achtenswerth erfheint, Lothar würde, falls ihm ein län: 
geres Leben zu Theil geworden wäre, dem Reiche feinen 
frübern Glanz wieder verfhafft haben. Wir glauben 
deshalb, unfer Verf. wuͤrde feiner Apologie Lothar's und 
der Wiffenfchaft einen recht wefentlichen Dienft er: 
wiefen haben, wenn er eine auf unbefangene Kritik ge: 
gründete Merthbeftimmung der Quellen, namentlid des 
fächfifchen Annaliften und bes ſchon genannten Otto von 
Freiſingen, vieleicht in ber Form einer Einleitung, ſchon 
jegt feinem Werbe beigegeben hätte, ftatt diefelbe, wie er 
verſpricht, an einem andern Orte erfcheinen zu laffen. 
Wir dürfen dies um fo mehr bedauern, da der Verf. bei 
der Bekanntſchaft mit feinen Quellen unftreitig etwas 
Vorzügliches zu leiften im Stande ift; denn bie hier und 
da im Werke zerfireut Liegenden Andeutungen reichen 
nit aus und gewähren felbft dann, wenn man fie muͤ⸗ 
hevoll zuſammenſucht, nicht das zu wünfchende und erfo⸗ 
derlihe Refultat. Raum und Zweck d. BI. erlauben uns 
nit auf Einzelnes und weitläufige Erörterung deſſelben 
einzugeben; nur fo viel wollen wir bemerken, daß der 
Verf. Widerſpruch erfahren und dem Vorwurfe einer ge: 
wiſſen Parteilichkeit für Lothar befondere, den Hohenftau: 
fen gegenüber, wie insbefondere der fiebente und legte 
Abſchnitt feines Werks an den Tag legt, fowie auch der 
Anfhuldigung, hier und da bie Umflände und die Poli: 
tie bes Kaifere etwas zu kuͤnſtlich gedeutet zu baben, 
nicht ganz entgehen wird. Das kann und darf aber den 
Unparteiifhen nicht hindern, des Verf. „Politiſche Ge: 
ſchichte Deutſchlands“ für eine ruͤhmenswerthe Bereiche: 
rung unferer Befchichtöliteratur zu erklären und den 
Wunſch auszufprechen, daß derſelbe bald auf einem dhn: 
lichen wiffenfchaftlichen Gebiete wieder erfcheinen möge. 

Karl Zimmer. 





Literarifdhe Notiz. 


Der Graf Iaubert, ber befonders durch feine oft et: 
was unparlamentarifch«derbe Sprache in der Deputirtenfam:ner 
befannt ift, bat vor einigen Zahren eine wiffenfchaftliche Reiſe 
nad dem Orient unternommen. Gr bat bereit vor einiger 
Zeit in ber „Revuo des deux mondes”, wenn wir nicht irren, 
einige Bruchſtuͤcke aus feinem Reiſetagebuche veröffentlicht. Ge⸗ 
genwaͤrtig gibt er eine neue Frucht feiner Reiſe in Kleinaſien, 
bei der er namentiich bie Botanik berüdfichtigt hat, heraus. Es 
find dies die ſchaͤzbaren „Illustrationes plantarum orientalium”, 
durch die das Pflanzenſyſtem um mehre intereffante Nummern 
bereichert wird. Beachtenswerth ift, wie auch in Frankreich 
bie Pflanzenkunde, bie scientia amabilis, wie fie Liebhaber 
heißen, an mehren ber bebeutendften Staatemänner eifrige Ber: 
ebrer hat. Wir brauchen nur den befannten Deieflert gu er: 


waͤhnen, ber ſich durch feine botaniſchen Werke einen Namen in 
der vwiflenfchaftliden Welt gemacht hat. Der Graf Jaubert, 
von dem wir neulich auch ein Werk über den Dialekt von Berri 
angeführt haben, gibt zu gleicher Zeit mit feinen „Tlustratio- 
nes’ die nachgelaffenen Papiere eines jungen Gelehrten heraus, 
die hohes Intereſſe haben. Es find dies die „Relations de 
voyage en Orient par Aucher- Cloy“. 2. 


Bibliographie. 

Amtticher Bericht uͤber die ſecheͤte Verſammlung deutſcher 
Sands und Forſtwirihe zu Stuttgart vom 21. bie 28. Sept. 
1842. Stuttgart, Megler. Lex.⸗8. 3 Thlr. 25 Ngr. 

Ausgewäplte Bibliothek der Glaffiker des Auslandes. Mit 
biographifchsliterarifchen Einleitungen. 17ter Band: Voltaire s 
Denriade. Aus dem Franzoͤſiſchen im Versmaße des Originals 
uͤberſett von J. Schröder. Leipzig, Brodhaus. Gr. 12. 1Thlr. 

Derſelben 18ter Band: Schauſpiele von König Buflav III. 
von Schweden. Aus dem Schwedifchen überfegt von K. Eichel. 
Leipzig, Brockhaus. Gr. 12. 1 Thir. 6 Nor. 

Bibliothel der neueften und beften Romane der englifchen 
Literatur. 123ſter bis 1250ſter Band: Boz's ſaͤmmtliche Werte 
Z5ſter bis 3Tfter Band. (Amerika.) Braunſchweig, Vieweg 
und Sohn Kl. 8. 1 hir. 

Bledow, 8, Die zwifchen dem Berliner und Pofener 
Klub durch Correſpondenz gefpielten Schach » Partien, mit Ans 
merkungen und Varianten, nebft einer Sammlung von 50 ans 
bern. Gorrefponbenz Partien. Berlin, Veit und Comp. Gr. 8. 

gr. 





Ds 


Boden, X., Beiträge zur Beurtheilung der neueften Lite⸗ 
ratur. Mainz, Zaber. 8. 22%, Nor. 
Boffert, G., Das Wanderbüdjlein nad) Nordamerika, 
oder Echilderung der Auswanderung nad Nordamerika. “Ber: 
faßt nach ungebsudten Briefen ausgewanderter Würtemberger. 
Rotweil, Herder. 12. 7%, Nur. ' 

Buſch, 8. F., Habakuk Schmauch, der brandenburgifche 
Raͤuberhauptmann, ober: Der Höllenfhlund im Rauling am 
Plaueſchen See. Eine ſchauderhafte Raͤubergeſchichte. Nordhau: 
fen, Zürfl. 8. 1 Thlr. 15 Ngr. 

Stralfunder Ghronifen, herausgegeben von E. H. Zober. 
2er Theil: Die Stralſunder Memorialbuͤcher Joachim Eindes 
mann’s und Gerhard Dannemann’s (1531 — 1611). Zum ers 
ften Mat aus den Bandfchriften herausgegeben und mit Einleis 
tung, Inhaltaverzeichniß, Bemerkungen und Worterklärungen 
begleitet von ©. 9. Zober. Gtratiumd, Löffler. Gr. 8. 

Thlr. 

Cramer, F., Geſchichte der Erziehung und bes Unter 
richts in den Niederlanden waͤhrend des Mittelalters, mit Zu⸗ 
ruͤckfuͤhrung auf bie allgemeinen literariſchen und paͤdagogiſchen 
Berhäteniffe jener Zeit. Stralſund, Löffler. Gr. 8. 1 Thir. 

R 


er. 
Damaſchka, W. F., Der Baldeigene, Hiſtoriſche Er⸗ 
zaͤhlung. Wien, Tauer und Sohn. Gr. 12. 24 Ngr. 
Fontanes, T., Geſchichte des preußiſchen Staates in 
chrondiogiſchen Tabellen. Schweidnitz, Heege. 16. 10 Ngr. 
Körfter, K., Gedichte. Herausgegeben von 2. Zied. 
Zwei Theile. Mit bem Biloniffe des Dichters. Leipzig, Brock⸗ 
haus. Gr. 12. 3 Thlr. 
Friedländer, J.. Die Münzen des Johanmniter- 
Ordens auf Rhodus. 1309 — 1522, Mit 2 Kupfertafeln. 
Berlin, Trautwein und Comp. Gr. 8, 1 Thlr, 
Herzog Karl und bie Revolution in Braunſchweig. Gin 
Beitrag zur Geſchichte des Jahres 1830. Aus den Papieren 
eines verftorbenen Staatsmannes. Jena, Frommann. Gr. 8. 
Zhlr. 
Heſekiel, G., Der Kampf der Kirchen. Berlin, Athe⸗ 
ndum. Gr. 8. 15 Nor. 
Loewenthal, R., Phnfiologie bes freien Willen. Glo⸗ 
gau, Prausnig. Er. 4. 1 Thir. 7 Nor. 


Mappes, I. M., Feſtreden, gehalten im naturgeſchicht⸗ 
lihen Dufeum zu Frankfurt a. M., umd als ein Beitrag zur 
Beier der fünfund;wanzigjäbrigen Stiftung ber Senckenbergiſchen 
naturforfdyenden Geſellſchaft, am 22. Nov. 1842 Herausgegeben. 
Frankfurt a. M., Sauerländer. Sr. 8. 30 Rer. 

Mohl, H., Dr. Just. Liebig’s Verhältnisse zur Pflan- 
zenphysiologie. Tübingen, Fuss. Gr. 8. 11, Ner. 

w 2 J o AL $., germifchte en, Perantgegeben von 
« 4. Paſſow. i raphirten eln. Leipzi 
Brockhaus. Gr. 8. 2 Thir. rap ' pris, 

Philippſon, G., Die Judenfrage von Bruno Bauer, 
näher beleuchtet. Deſſau, Fritſche und Sohn. Gr. 8. 5 Ngr. 

Prescott, W. H., Geſchichte der Regierung Ferdinand's 
und Iſabella's ber Katholiſchen von Spanien. Aus dem 
gngtifchen überfegt. Zwei Theile. Leipzig, Brockhaus. Gr. 8. 

r. 


Raumer, K. v., Beitraͤge zur bibliſchen Geographie. 
Nebft einem Hoͤhendurchſchnitte. Beiträge zu des Verfaſſers 
„Palaͤſtina.“ Leipzig, Brodhaus. Gr. 8. 15 Nr. 

Reiff, 3. 5-, Uber einige wichtige Punkte in der Philos 
fophie. Eine Differtation. Qübingen, Fues. Gr. 8. 30 Ner. 

ter, 8. W., Beitbilder aus der hengſtenbergiſch⸗ 
evangeliſchen Kirdyenzeitungsgemeinde, nad dem Leben gezeiche 
net. Quedlinburg, Baſſe. Gr. 8. 12%, Nor. 

Robmann, 3. &., Der allgemeine Bettag. Cine Grs 

Stralfund, Löffler. 


hablung, Aus dem Dänifchen überfegt. 
6. 3%, Nor. 

Romberg, 3.9. F., Die Stimmen ber Wahrheit aus 
dem göttlichen Werte über Friedrich Wilhelm MI., König von 
Preußen. In einer Auswahl von Gebächtmißprebigten auf bes 
Hocjfeligen Könige Majeftät aus verfchiebenen Provinzen des 
Preußiſchen Staates. Mit Bewilligung der Verfaſſer gefams 
melt und herausgegeben. Zwei “heile. Berlin, Mittler. 
&r. 8 5 Thir. 

Schleſier, ©, Erinnerungen an Wilhelm von Hum⸗ 
boldt. After Theil in zwei Hälften. Gtuttgart, Köhler. Gr. 8. 
2 Thlr. 79, Rgr. 

Schmidt, 2. E. W., Das preußiſche Familienrecht, nach 
bem allgemeinen Landrechte, mit Ruͤckſicht auf das gemeine und 
beutfche Recht, dogmatifchsEritifch bargeftellt. Leipzig, Brock⸗ 
haus. Gr. 8. 3 Thir. 

Shöning, 8. W. v., Geſchichte des Könige. Preuß. 
fünften Hufaren » Regiments, mit befonderer Rüdfidht auf Geb⸗ 
hard Lebredht von Bluͤcher, den chemaligen Chef biefes Regie 
ments. Rebſt einer Einleitung über Preußiſche Huſaren im 
Allgemeinen. Mit den Bildniſſen son Belling und Bluͤcher und 
mit einem Facſimile des Letztern. Berlin, Lüberis. Gr. 8. 
2 Thlr. 15 Nor. 

Schulg, K., Wuͤnſche eined Preußen beim Beginn bes 
Jahres 1843. Berlin, Athenäum. 8. 23, Ner. 

hal, 8. v., Die verführten Opfer, Romantifche Sage 
der Vorzeit. Norbhaufen, Fuͤrſt. 8. 221, Nor. 

— — Link und Klunk, ober bie blutigen Rachopfer im 
Kloſter Marieburghaufen. Hiſtoriſch⸗ romantilches Gemälde ans 
dem Mittelalter. Mit 1 Abbildung. Nordhauſen, Kürft. 
26'/, Nor. 

Sheologie einer deutſchen Grau. Iena, Bran. 8. 7%, Nor. 

Vogelleim, F., genannt 8. 8. Kranke, Gegen Ders 
wegh. Mit 2 Muſikbeilagen. Berlin, Hayn. 16. 15 R 

Die Wiederkehr. Cine Novelle. Derausgegeben von bem 
Einſiedler bei St. Johannes Drei Theile. Leipzig, Brock⸗ 
haus. Gr. 12. 6 hir. 15 Near. 

Wildenhahn, ©. A., Leben und Sterben. Mittheiluns 
gen aus dem Zagebuche eines Geiftlihen. Zwei Bände. Reips 
zig, Gebhardt und Reisland. 8. 22%, Nor. 

‚Woeniger, %. J., Das Sacralſyſtem und das Provos 
cationsverfahren ber Römer. Zwei Beiträge zur Kunde des rös 
mifchen Staats s und Rechtslebens. Leipzig, Brodhaus. Gr. 8. 
1 Zhir. 24 Nor. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinzih Brodhaud — Drud und Verlag von F. U. Brochaus in Leipzig 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Mittwod, 


2. Feuerbach's Anfichten über das Chriftenthum. 
Dos Weſen des Chriftentfums. Bon Ludwig Keuerbad. 
Kipzig, D. Wigand. 1841. Er. 8. 2 Thlr. 10 Nor. 

As das Merk von Strauß erfhien: „Die chriflliche 
Slaubensiehre in ihrer gefchirhtlichen Entwidelung und ih: 
tem Kampfe mit der modernen Wiſſenſchaft“ *), da meinte 
man, nun fei der Theologie das Ärgſte gefchehen und fie 
müfle entweder unter biefem Schlage erliegen, oder, wenn 
dies nicht gefchehe, fo fei damit auch ihre Unzerftörbarkeit 
und die Ohnmacht der Epeculation im Kampfe mit ihr 
erwiefen.. Strauß felbft fcheint etwas Ahnliches gedacht 
zu haben, darauf deuten wenigſtens die Worte in feiner 
Borrede, worin er feiner Schrift die Aufgabe ftellt, „die 
Bilanz aller bisherigen Verluſte und Gewinnſte der Theo⸗ 
logie zu ziehen”, d. h. mit der Xheologie abzufchließen. 
Und in der Zhat, welcher Standpunft kann wol den my: 
thiſchen überbieten? welche Reagentien gibt e8, um ben 
Inhalt der chriſtlichen Glaubenslehre nody mehr zu ver: 
fluͤchtigen, als dies durch das Scheidewaſſer der Strauß’ 
fhen Dialektik gefhehen ift? Da kommt aber doch L. 
Seuerbady und beginnt das dialektifhe Spiel mit den Re⸗ 
ligionsdogmen von neuem, indem er auscuft: Die Theo⸗ 
logie ift Anthropologie. 

Sind wir nun durdy diefen Ausfpruch über den Strauß’: 
hen Standpunkt der Kritik hinausgeführt? ober welche 
Stelung nimmt Feuerbah zu Strauß ein? Dies ift eine 
Frage, welde fih uns unwillkuͤrlich aufdringt, da wir 
gewohnt find, die mythiſche Auffaffung des chriſtlichen 
Dogmas als das feste Stadium der fpeculativen Theo⸗ 
logie, als bie vollendete Aufhebung des pofitiven Glau⸗ 
bensinhaltd in dem philofophifhen Denken zu betrachten 
und deshalb an ihr alle übrigen Erfcheinungen diefes dia: 
lekttiſchen Auflöfungsprocefjed zu mefien. Feuerbach felbft 
dat fi über dieſes fein Verhaͤltniß zu Strauß nicht auss 
drücklich ausgefprochen, überhaupt auf die moderne Theo: 
logie weit weniger Rüdfiht genommen als auf bie ls 
tere, beſonders die patriftifche, aus einem Grunde, ben 
wir foglih werden kennen lernen; mir werden daher diefe 
fehlende Unterſuchung nadyzuholen und die Stellung beiber 
Denker zueinander und zur Wiſſenſchaft zu ermitteln verfu: 
hen, denn es ſcheint uns nothwendig, daß in unferer Zeit, 

*) Hierüber ift von Dr. J. W. H anne in drei Artikeln in Nr. 11 — 25, 
N und 353 — 351 d. Bi. f. 1842 berichtet worben. D. Red. 


— — — — 


15. Februar 1843. 


die alles Beſtehende in den Fluß ihres dialektiſchen Gedanken⸗ 
proceſſes hineinzieht, auch jede neue Form, unter welchet die 
Kritik ſelbſt auftritt, ſich dieſer Kette der Entwickelungen 
einordne und ihren Antheil an der kritiſchen Arbeit des 
ſpeculativen Geiſtes mit klarem Bewußtſein uͤbernehme. 

Wir wollen verſuchen, dieſe vergleichende Beurtheilung 
des Feuerbach'ſchen Werks zunaͤchſt durch eine Analyſe der 
einzelnen Theile deſſelben vorzubereiten, ſodann aber in ei⸗ 
nem allgemeinen Hinblicke auf ſein Endreſultat und ſeine 
Methode zu entwickeln. 

Schon im Vorwort ſucht der Verf. ſich eine ſelb⸗ 
ſtaͤndige, von allen beſtehenden Richtungen in der Theo⸗ 
logie, zumal aber der ſpeculativen, ſcharf geſchiedene Stel⸗ 
lung zu ſichern. 

Vorliegendes Wert — ſagt er daſelbſt — enthält die Ele⸗ 
mente wohlgemerkt! nur die und zwar kritiſchen Elemente zu 
einer Philoſophie der pofitiven Religion oder Dffenbarung, aber 
natürlih, wie ſich im voraus erwarten läßt, einer Religiones 
philofophic weder in dem Eindifch: phantaftifchen Sinne unferer 
chriſtlichen Mythologie, die fidy jedes Ammenmaͤrchen der Hiſto⸗ 
rie als Thatſache aufbinden laͤßt, noch in dem ypebantifchen 
Sinne unferer Tpeculativen Religionsphilofophie, weldye, wie weis 
land die Scholaftit, den Articulus fidei ohne weiteres als eine 
logiſch metaphyſiſche Wahrheit demonftrirt. 

Die Tpeculative Religionsphilofophie opfert die Religion ber 
Philoſophie, die chriftiiche Mythologie die Philofophie der Re: 
ligion aufs; jene macht bie Religion zu einem Spielball der ſpe⸗ 
eulativen Willkoͤr, diefe bie Vernunft zum Spielball eines phan⸗ 
taftifchen religidfen Materialismus; jene laͤßt ber Religion nur 
fagen, was ri ſelbſt gedacht und weit beffer fagt, biefe laͤßt die 
Religion anftatt der Vernunft reden; jene, unfähig aus fick 
herauszulommen, macht die Bilder der Religion zu ihren eiges 
a e, biefe, unfähig, zu fich zu kommen, die Bilder 
su Saden. 

Bier in dieſer Schrift nun werben bie Bilder der Religion 
weder zu Gedanken — wenigſtens nicht in dem Sinne der fpes 
culativen Religionsphilofophte — noch zu Sachen gemacht, fons 
dern ald Bilder betrachtet — d. h. die Theologie wird weder 
als eine myſtiſche Pragmatoiogie, wie von ber dhriftiichen My⸗ 
thologie, nody als Ontologie, wie von der Tpeculativen Religions⸗ 
philofophie, fondern ale pſychiſche Pathologie behandelt. 

Daß der Verf. biefe feine Zeugniffe aus dem Archiv Längft 
vergangener Jahrhunderte herbolt, das hat feine guten Gründe. 
Aud das Chriftentyum hat feine ciaffifchen Zeiten gehabt — 
und nur das Wahre, das Große, das Claſſiſche if würr 
dig, gedacht zu werben; das Unclaffiiche gebört vor bas 
Borum ber Komik oder Satire. Um baber das Chriſtenthum 
als ein denkwuͤrdiges Dbject firiren zu können, mußte der Verf. 
von bem feigen, charaktertoſen, comfortabeln, belletriftifchen, Eos 
fetten, epituräifchen Chriftenthum der mobernen Welt abſtra⸗ 


hiren, zeruͤckverſeten in Seiten, wo bie Braut Chriſti noch 
eine teufche, unbefledte Jungfrau war, wo fie noch nicht in 
bie Dornentrone ihres himmliſchen Bräutigams die Rofen und 
Morten der heidniſchen Benus einflocht, um über den Anblick 
des heibnifchen Gottes nicht in Ohnmacht zu verſinken; wo fie 
zwar arm war an irdiſchen Schägen, aber uͤberteich und übers 
guͤcklich im Genufle ber Gebeimniffe einer uͤbernatuͤrlichen Liebe. 
Obgleich aber „die unendliche Kreiheit und Perſoͤnlichkeit“ 
der modernen Welt fich alfo ber chriftlichen Religion und Theo⸗ 
logie bemeiftert hat, baß der Unterfchied zwiſchen dem producis 
renden heiligen Geiſt der göttlichen Dffenbarung und dem con» 
fumirenden menſchlichen Geift Iängft aufgehoben, ber einft übers 
natürliche und übermenfchliche Inhalt des Chriſtenthums Längft 
völlig naturalifirt und anthropomorphifirt ift: fo fpuft doch im⸗ 
mer noch unferer Zeit und Theologie, in Folge ihrer unentſchiede⸗ 
nen Balbheit und Gharafterlofigkeit, das uͤbermenſchliche und 
übernatärliche Wefen des alten Ehriſtenthums wenigftens als 
ein Geſpenſt im Kopfe. Allein es wäre eine Aufgabe ohne 
alles phitofophifche Intereſſe geweſen, wenn der Verf. den Be: 
weis, daß dieſes moderne Geſpenſt nur eine Illufion, eine Selbſt⸗ 
täufchung des Menſchen ift, zum Biele feiner Arbeit ſich gefeet 
hätte. Gefpenfter find Schatten ber Vergangenheit; nothwendig 
führen fie uns auf bie Frage zurüd: was war einft das Ge: 
fpenft, als es noch ein Weſen von Fleiſch und Blut war? 
Nach diefen Anführungen können wir une [den einen 
ziemlich deutlichen Begriff von bes Verf. philofophifchem 
oder kritiſchem Standpunkte mahen. Die alte orthodore 
Theologie, fagt er, betrachtet die chriftlihen Religionsvors 
flelungen als abfolute Wahrheiten, als Ausflüſſe eines 
wirklich, real erifticenden, felbfländigen, dem Menfchen 
und der Melt gegenüberfichenden Weſens, mit einem 
Worte, als Dffenbarungen eines perfönlichen Gottes. Die 
moderne, Tpeculative Theologie hebt jenen Unterfchied zwi⸗ 
fen der Quelle der religiöfen Vorftellungen und dem 
Drgane, durdy weldes diefelbe aufgefaßt werden, d. h. 
zwifchen dem göttlichen und dem menfhlichen Geiſte, 
auf, fie erklaͤrt jene Vorſtellungen für Wahrheiten, d. h. 
für nothwendige Denkacte des menfchlihen Bewußt⸗ 
ſeins; fie haͤlt alfo deren Inhalt feft und Ändert nur bie 
Form. Dder, um das von Feuerbach angezogene ſtaats⸗ 
wirtbfchaftlihe Bild weiter durchzuführen, bie moderne 
Theologie bringt die Waare, welche man früher, in ben 
Zeiten der orthodoxen Theologie, von auswärts, aus ei: 
nem Jenſeit einführte, als inländifche, felbftproducirte 
‚WBaare.auf den Markt; aber es ift doch immer diefelbe 
Waare, derfelbe Stoff, und die Waarenpolicel, Kritik, wels 
he zu wachen bat, daß nichts auf den Markt komme, 
was für den confumirenden menſchlichen Geiſt ungefund, 
unverdaulich, betäubend fein koͤnnte, muß dieſe Waare 
ebenfo gut confiscien, mag fie nun aus dem Inlande 
oder dem Auslande kommen. Wenn alfo 5. B. die fpecu: 
lativen Theologen (mie etwa Marheineke oder Hegel felbft) 
das Trinitaͤtsdogma zwar ald Dogma, d. h. als unmit: 
telbare, geoffenbarte MWahrheit, Eritifch aufheben, nichts: 
deſtoweniger aber deffen inhalt, d. h. die Vorſtellung eis 
ner Dreibeit von Perfonen oder Momenten in Gott, als 
einen fpeculativ untadelhaften, aus dem Denkproceſſe un: 
feed Bewußtſeins fih mit Nothwendigkeit ergebenden Ge: 
danken gelten laſſen, fo ift dies, nach Feuerbach, eine 
Halbheit, eine Selbfttäufhung der modernen Theologie, 
welcher noch „das uͤbermenſchliche und übernatürlihe We⸗ 


fen bes alten Chriſtenthums als ein Geſpenſt im 
Kopfe ſpukt“. 

„ Und welde Auffaffung ber religiöfen Dogmen febt 
Feuerbach an die Stelle der orthodoren und der modern 
fpeeulativen? Die pfychologifche odee anthropolos 
gifche, welche in den cheiftlihen Dogmen weder das Re⸗ 
fultat einer uͤbernatuͤrlichen Offenbarung, noch bie Wir- 
tung eine zwar natürlichen, aber nothwendigen Denkpto⸗ 
ceſſes des menſchlichen Geiſtes anerkennt, fondern darin 
nichts Anderes ſieht ald Krankheiten der menfchlichen 
Einditdungskraft, abnorme Bildungen dieſes geifligen Or⸗ 
gans, voelche, wie wir dies bei fo vielen abnormen Bil⸗ 
dungen in der Natur beobachten, den täufchenden Schein 
einer außerordentlihen Kraft: und Lebensfülle an fih tra: 
gen, aber doch die wahre Gefundheit des Organismus un 
tergraben,, feine freie Bewegung und Entmidelung hem⸗ 
men. Der Zweck des Verf. iſt daher, wie er dies eben: 
falls in dem Vorwort ausfpricht, 

in therapeutifcher ober praftifcher Befoͤrderung ber pneu⸗ 
matifchen Waſſerheilkunde, Belehrung über den Gebraudy des 
falten Waffers der natürlichen Vernunft. 

Auch gleicht ded Verf. Verfahren in der That dem 
eines für feine Wiſſenſchaft und Kunft begeifterten Arztes. 
Wie man bei Ärzten häufig die Bemerkung macht, daß 
fie den krankhaften Bildungsproceh der Natur mit einem 
geroiffen Enthuſiasmus verfolgen und fih Kber ein firos 
gendes Geſchwuͤr, über eine weitverzweigte Geſchwulſt, 
über eine neuentdeckte Afterbildung im menſchlichen Körper 
foft andachtig freuen koͤnnen, ohne Zweifel in der Vor⸗ 
ausficht der neuen Triumphe, weiche ihre Kunft über diefe 
Abnormitäten der Natur davontragen wird: fo bemerken 
wir au an unferm Verf. eine Art wifienfchaftlicher Er: 
tafe, womit er die Krankheitögefchichte des menfchlidgen 
Geiſtes durchläuft, jede Abirrung deſſelben bis in ihr fein: 
fies Gefaͤſer zergliedernd verfolgt, und während feiner ganz 
zen Beſchaͤftigung mit einem Stoffe, von dem man glau⸗ 


.ben foltte, er müßte ihm, nach feiner Anficht davon, wei: 


berwärtig, abfloßend fein, eine ſolche Hingebung an den⸗ 
feiben, eine ſolche Erregtheit, faſt möchten vwoir fagen An: 
dacht, zeigt, daß wir une diefe Exrfcheinung nur durch die 
oben angegebene Analogie begreiflih zu machen vermögen. 
Daraus erklärt fi aber audy die Wahl des Stoffe beim 
Berf., feine Vorliebe für Behandlung der chriftlichen Dog⸗ 
men in ihrer urfprüngliden Faſſung und Deutung, fein 
MWiderwille gegen das moderne Chriſtenthum, weldyes zu 
analyſiten er fih nicht entfchließen kann. Auch der Arzt 
behandelt Lieber hitzige als fchleichende Krankheiten, und 
befonders der Waſſerheilkuͤnſtler, welcher den kranken Kör= 
per dadurch heilt und reinigt, daß er die gebundene und 
niebergedrüdte Naturheilkraft zu einer energifhen Reaction 
zwingt, hofft nicht eher auf eine gründliche Genefung, als 
bis er den Krankheicsfloff, der vorher dur den ganzen 
Drganismus verftedt hin und wieder fhlih, in flarken, 
offenen Ausbrüchen zu Tage kommen ſieht. 

Die Betrachtungen des Verf. zerfallen in zwei Haupt: 
abſchnitte. In dem erſten Abſchnitte ftellt er die Religion 
dar in ihrer „Übereinftimmung mit dem Wefen ded Men- 


4 


183 . 


ſchen“, in dem andern biefelte in Ihrem „Widerfpruche 
mit dem Weſen des Menfchen”. Beiden Abfchnitten vor: 
an gebt eine einleitende Unterfuhung über „das Ze 
{im des Menfhen im Allgemeinen”, und „das Weſen der 
Religion im Allgemeinen”. Kaffen wir ben Inhalt diefer 
Einleitung in wenigen Worten zufammen : 

Die Religion, fügt Feuerbach, beruht auf dem Bes 
wugrfein des Menſchen; Bewußtſein aber iſt blos da, wo 
einem Weſen feine Gattung, feine Weſenheit Gegen⸗ 
fand iſt. Die Schranke ded Weſens iſt zugleich die 
Schranke des Bewußtſeins; wenn daher die Religion 
Bewußtſein des Unendlichen iſt, fo beißt dies nichts An⸗ 
deres als: fie iſt das Bewußtſein des Menſchen von ſei⸗ 
um unendlihen Weſen. Das Weſen des Menſchen 
beſteht im Denken, Wollen und Lieben. Das Bewußt: 
kin verlangt num aber zu feiner Berhätigung einen Ge 
genſtand, den es denken wolle, liebe. Diefer Gegenfland 
tinn kein anderer fein, als wiederum das Weſen des 
Menſchen feibft; das Bewußefein ift weſentlich Selbſtbe⸗ 
wußtfein, dem Menfchen wird, in feinem Bemwußtfein, fein 
eigenes Weſen gegenftändiih. Wir können Nichts denken, 
ohne uns des Denkens feldft und unferer, des denkenden 
Weſens, bewußt zu fein; Nichts wollen, ohne unfer Weſen 
in der Kraft des Wollens zu bethätigen; Nichts Lieben, 
ohne das Gefüͤhl der Liebe, als cines uns Beherrfchenden, 
zu haben. Wir können alfo gar Nichts fegen, Nichts 
fühien, Nichte wollen, Nichts denken, ohne uns zugleich 
und zuerft zu fegen; mir Bönnen alfo auch kein Unend⸗ 
liches fegen, ohne unfer Bewußtfein felbft zum unendli⸗ 
den Bewußtſein zu erweitern und das zu Segende als 
defjen eigenes, integrirendes Wefen darin einzufchließen. 

Alles daher — fagt der Berf. — was im Sinn der hyper⸗ 
phnftfchen, transfcendenten Speculation und Religion nur bie 
Bedeutung bes Secundairen, des Subjectiven, bes Mit: 
tels, bes Organs hat, das bat im Sinne der Wahrheit die 
Bedeutung des Primitiven, bed Weſens, des Gegenfltan: 
des ſelbſt. Iſt z. B. das Gefühl das weſentliche Drgan 
der Religion, fo drüdt das Wefen Gottes nichts Anderes 
aus, als das Wefen des Gefuͤhls. Das Gefühl iſt das 
Drgan des Böttlichen, Heißt: das Gefühl ift das Nobelfte, 
Trefflichfte, d. h. Böttlihe im Menſchen. (@. 13.) 

Das Gefüht ift daher allerdings atheiftifih im Sinne bes 
ortheboren Glaubens, als welcher die Religion an einen aͤu⸗ 
fern, Gegenftand Enüpft. Das Gefühl leugnit einen gegen» 
finbtiden Gott — es if Ti feibft Gott. Auf dem 
Gtrandpumfte des Befühls iſt nur die Negation bes Gefuͤhls 
Ve Rıgation Gottes. 

Das Gefühl iſt deine innigfte und doch zugleich eine von 
dit unterfchiedene, unabhängige Macht; es ift in bir, über dir; 
et iſt ſelbſt ſchon das Dbjective in dir, dein eigenftes Weſen, 
Kb dich als und wie ein anderes Weſen ergreift — kurz, 
bein Gott; wie willft bu alfo von biefem objectiven Weſen 
in die noch ein anderes objectivcs Wefen unterfcheiden? wie 
über bein Gefühl hinaus ? 

Ebenſo ift es aber audy mit dem Denken, dem Handeln, 
kurz, mit jeder Faͤhigkeit oder Thaͤtigkeit unſers Weſens, 
welche man als das wefentlidhe Organ eines Gegenſtandes 
kflimmt. Was ſubjeetiv die Bedeutung bes Weſens bat, 
das hat ebenbamit auch objectiv die MWebeutung bed Weſens. 
Die Menſch kann nun einmal nidht über fein wahres We⸗ 
fen dinaus. Wohl mag er ſich vermittels ber Phantafie Ins 
dididnen anderer, angeblich höherer Art vorftellen, aber von feis 


nee Gattung, feinem Veſen kann er nimmerinehr abſtrahiren; 
bie Meiensbeflimmungen, die vofitiven, legten Präbicate, bie 
er biefen andern Individuen gibt, find immer aus feinem eis 
genen Weſen gefchöpfte Beflimmiungen — Beflimmungen, in 
denen er in Wahrheit nur fich ſelbſt abbildet und vergegen- 
ſtaͤndiicht. (&. 16.) 

Dies alfo ſpeciell auf den hoͤchſten Gegenftand der 
Religion, auf Gott, angewandt, können wir fagen: Das 
Bemwußtfein Gottes iſt das Selbſtbewußtſein des Men: 
[hen , die Erkenntniß Gottes die Geibftertenntniß des 
Menfhen. Was dem Menſchen Gott ift, das ift fein 
Geiſt, und was des Menſchen Geift, feine Seele, fein 
Herz, das ift ihm Gott; Bott iſt das ausgefprochene 
Selbit des Menſchen. 

Wenn aber die Religion — faͤhrt der Verf. fort — das 
Bewußtſein Gottes als das Selbſtbewußtſein des Menſchen be⸗ 
zeichnet wird, ſo iſt dies nicht ſo zu verſtehen, als waͤre der re⸗ 
ligioſe Menſch ſich direct bewußt, daß fein Bewußtſein von Gott 
das Selbftbewußtfein feines Wefens ift, benn der Mangel biefes 
Bewußtſeins begründet eben die differentia specifica der Reli⸗ 
gion. Um dieſen Misverftand zu befeitigen, ift es befler zu fa- 
gen: die Religion ift die erfte und zwar inbirecte Selbſt⸗ 
erlenntnif des Menſchen. Die Religion geht daher überall 
der Philofophie voran, wie in der Geſchichte dev Menfchheit, fo 
aud in der GBefchichte des Einzelnen. Der Menſch verlegt fein 
Befen zuerſt außer ſich, che er es in fich findet. Das eigene 
Weſen ift ihm zuerſt als ein anderes Wefen Gegenftand. Der 
geſchichtliche Fortgang in den Religionen befteht deswegen barin, 
daß Das, was der frühbern Religion für etwas Objectives galt, 
als etwas &ubjectives, d. h. was als Gott angefihaut und 
angebetet wurde, jest als etwas Menſchliches erkannt wird, 
Die frühere Religion ift der fpätere Goͤendienſt: der Menſch 
bat fein eigenes Weſen angebstet. Der Menſch bat fich ver 
objectivirt, aber den Gegenftand nicht als fein Wefen erkannt ; 
die fpätere Religion thut diefen Schritt. Jeder Fortfchritt in 
der Religion ift daher eine tiefere Selbſterkenntniß. Aber jede 
beftimmte Religion, die ihre Altern Schweſtern als Goͤtzendiene⸗ 


zinnen bezeichnet, nimmt ſich ſelbſt — und zwar nothwendig, 


fonft wäre fie nicht mehr Religion — von dem Schickſal, dem 
allgemeinen Wefen der Religion aus; fie ſchiebt nur auf die 
andern HReligionen, was doch — wenn anders Schul — die 
Schuld der Religion überhaupt if. Weit fie einen andern 
Gegenftand, einen andern Inhalt bat, weil fie über den In» 
halt der frühern fidh erhoben, wähnt fie fich erhaben über bie 
nothwenbigen und ewigen Gefege, bie das Wefen der Religion 
conftituiren, waͤhnt fie, daß ihr Gegenitand, ihr Inhalt ein 
übermenfchlicher fei. Aber dafür durchſchaut das ihr felbft ver: 
borgene Weſen der Religion der Denker, dem die Religion Ge⸗ 
genftand ift, was ſich ſelbſt die Religion nicht fein kann. 
Und unfere Aufgabe ift es eben, nadhzumeifen, daß der Gegen: 
fag des Goͤttlichen und Menſchlichen ein durchaus illuſoriſcher, 
daß folglich auch der Gegenſtand und Inhalt der dhriftlichen 
Religion ein durchaus menfdlicher iſt. (S. 18.) 

In Bezug auf die Prädicate des göttlichen We: 
fen® wird dies dann auch gemeinlich zugeflanden, nicht 
aber in Bezug auf das Subject ſeldſt oder auf die Epis 
ftenz Gottes; d. h. man gibt zwar zu, daß alle die Be⸗ 
flimmungen, durdy melde wir uns Gott denken, als z. B. 
gut, weile, gerecht u. f. w., menſchlich feien, aber man 
leugnet, daß durch dieſe Prüdicate das Wefen Gotteo 
erfhöpft werde, man hält daran fefl, daß jenfeit unferer 
Vorſtellung oder unſers Bewußtſeins von Gott diefer 
Sort an [ich exiſtire als ein wahrhaft und wirklich Ab⸗ 
folutes, dem Menfchen Gegenüberftehendes. Aber, entgeg: 
ner Feuerbach, wie kann man Jenes zugeben und Diefee 





, 19 


leugnen? „Sind deine Präbicate Anthropomorphiömen‘ 
fagt er (S. 35), „ſo iſt auch das Subject derfelben ein 
Anthropomorphismus.” Du glaubft an die kiebe als eine 
göttliche Eigenfchaft, weil du ſelbſt liebſt, und du glaubſt, 


daß Gott eriftirt, Subject ift, weil du felbft erifticht, ſelbſt 


Subject biſt. Daß wir in dem Begriffe Gottes leichter 
die Prädicate als die Eriftenz für etwas nur auf Gort 
Übertragenes, für etwas Menſchliches halten, kommt ba: 
ber, daß in unſerm Weſen ebenfalls die Exiſtenz das 
Erfte, das Nothwendige, die Prübicate nur dad Secun⸗ 
daire, Äußerliche, Wechfelnde find. Aber fo wenig mir 
gleichwol umfere Eriftenz als die menſchliche erfaſſen 
koͤnnen ohne die beſtimmten Praͤdicate des Denkens, des 
Wollens, der Guͤte u. ſ. w., fo iſt auch in Gott die Eri- 
ſtenz gebunden an die Praͤdicate; nicht die Exiſtenz iſt 
es, was den Begriff des chriſtlichen Gottes conſtituirt — 
fonft würde jedes goͤttliche Weſen, ein Supiter, ein Jehova, 
an deffen Stelle treten innen —, fondern die Prädicate 
der Weisheit, dee Liebe u. f. w., durch welche das Chri: 
ſtenthum feinen Gott von den Göttern anderer Religionen 
unterfcheidet ; und daher iſt auch nicht Derjenige Atheift, 
welcher die gegenfländliche Eriftenz Gottes feugnet, fon: 
dern nur Derjenige, welcher nicht die Kraft und den 
Werth der göttlichen Eigenſchaften, der Liebe, Weisheit, 
Gerechtigkeit u. f. w., anerkennt und bethätigt. 
(Die Fortfegung folgt.) 





Literarifhe Notizen aus Franfreid. 

Die „Revue independante”, die vom Monat December 
an, ftatt in Monatsheften, alle vierzehn Tage erfcheint und 
dadurch beſonders als politifches Blatt mehr Einfluß erhält, 
bringt in einer ber legten Nummern einen Auffag aus ber Fe: 
dee P. Ler oux's. Cr ift gegen Goufin und Damiron gerich: 
tet. Lereux wirft diefen beiden ruͤhmlichſt bekannten Philos 
fophen eine grobe Verfälfchung ver nachgelaflenen Papiere von 
Souffeey in den hHärteften Ausbrüden vor. Das Factum felbft 
laͤßt ſich ſchwer wegleugnen. Lerour ſtuͤtzt ſich auf die vorhans 
benen Manufcripte und hat bie Beweife in ben Händen. So 
handelt es ſich eigentlih nur darum, wem bie Falfification zur 
Loft fat. Die Sache iſt folgende. Wir haben, als wir den Tod 
des geiftoollen Philoſophen Theodor Jouffroy erwähnten, bereits 
gefagt, daß ſich in feinem Nachlaſſe noch mandyerlei Papiere 
finden müßten, bie wol werth feien, veröffentlicht zu werben. 
Dies war in ber That der Fall und Couſin, der ehemalige 
Lehrer und fpätere Gollege des Verſtorbenen, ſchickte ſich wirk⸗ 
ih an, die aufgefundenen Manufcripte zum Drud zu beför- 
dern. Indeffen konnte oder wollte Goufin das Geichäft der 
Keviſion nicht felbft übernehmen. Er übergab bahes die Pas 
piere feinem Freunde Damiron, der die Herausgabe beforgen 
folte. Damiron fand nun bei näherer Durchſicht mehre Stels 
len, die gegen Goufin gerichtet waren und durch bie ſich der- 
felbe hätte verlegt fühlen koͤnnen. Statt nun biefe Gtellen, 
wenn er es für nöthig hielt, nur im Ausdruc zu mildern oder 
ganz einfach zu ſtreichen, wurde ber Zert fo herumgedreht und 
verfaͤlſcht, daB flatt tes Tadels ein Lob für Goufin daraus 
ward. So ward Y ®. aus ber imprudence de M. Cousin: 
la pradence de Cousin u. f. w. überhaupt erlaubte ſich 
Damiron die fonberbarften Veränderungen, über deren Zweck 
man ſich eigentlich nicht immer Rechenſchaft ablegen fann. So 
verwandelte er „la divinit&e du christianisme‘ in „lautorite 
du christianisme‘’ u. ſ. w. Diefe letzte Verfaͤlſchung veranlaßte 


namentlich bie religiäfen Blaͤtter, wie den, Vnivers“, ein lautes 
Geſchrei zu erheben, während die Veränderungen, welche Goufin bes 
treffen, befonders von ben liberalen Iournalen lebhaft beſprochen 
werben. Den Freunden bes Skandals ift mit biefer Gefchichte 
überhaupt trefflich gedient. Go erfahren wir unter Anderm, daß 
Goufin zur Zeit der Reſtauration in vertrauten Gefellfhaften 
te bie Jakobinermuͤze auffeste und mit Barthe, unb wie die 
übrigen ehemaligen Gorbonari heißen, die jest zum alleinfeligs 
machenden Glauben bes Juftemitieu befehrt find, den wüthends 
ften Republikaner fpieltee Er foll feinen Vertrauten bei vers 
ſchloſſenen Thuͤren betheuert haben, daß die Grundfäge eines 
Marat bie einzig wahren Lehren feien u. f. w. Wie es damals 
mit ber Rechtgläubigkeit des großen Philoſophen ſtand, kann 
man aud der ebenfo leidhtfertigen als in der Form ungezienienden 
Antwort feben, die Couſin auf die Frage gab, wie lange der 
Katholicismus fich nody würde halten können. Wie es heißt, 
antwortete cz hierauf nämlich: „qu'il pourrait avoir encore 
trois cents ans de vie dans le ventre”. Vergeblich haben 
Coufin und Damiron bie Schuld von fi) abzuwaͤlzen und Le⸗ 
roux's Behauptungen zu entkräften gefucht. 


Arfine Houffaye ift ein junger talentvoller Dichter, ber 
ſich durdy einen geſchmackvoll geſchriebenen Roman und durch eine 
Sammlung von Gebidhten („Les sentiers perdus”, 2. Autg,, 
1842) befannt gemacht bat. Seit einiger Zeit hat die „Revue 
de Paris’ von ihm höchft geiftreiche Skizzen befannter und un⸗ 
befannter Dichter, Künftler und MWeltleute des vorigen Jahre 
bunberts gebracht, bie gegenwärtig in einem befondern Werke 
gefammelt erſcheinen. Daffelbe führt den Zitel: „Le dix- 
huitieme siecle. Poetes, peintres, musiciens.” (Bang vors 
trefflich ſind namentlich die kleinen Biographien, bie zum Theil 
an das Gebiet der Kunftnovelle ftreifen und die irgend einen 
mebr ober weniger befannten Maler aus der franzoͤſiſchen Schule 
zum Gegenftande haben. So heben wir befonbers die Gharafs 
teriftiten der verfchiedenen Vanloo, die ganz meifterhaft find, 
hervor. Houſſaye zeigt in bdenfelben ein wahres Kuͤnſtlergefuͤbl 
und außerordentlih viel Stüd in ber Darftellung. Sehr ins 
tereffant find auch die Skizzen ſolcher Schriftfteller, deren Werke 
jegt laͤngſt verfchoflen find, obgleich fie zu ihrer Zeit Auffehen 
erregten, und beren Leben irgend eine merkwuͤrdige Seite bietet. 
So bemerken wir die Gharafteriftif des Engländer Dahlee, 
ber im borigen Jahrhundert mehre ganz leidliche franzoͤfiſche 
Operntexte ſchrieb und ber feines bizarren Weſens wegen bes 
fannt war. 2, 





Literariſche Anzeige. 
Neueſtes und vollftändigftes 


Fremdwörterbuch, 


zur Erklaͤrung aller aus fremden Sprachen entlehnten 

Wörter und Ausdrüde, welhe in den Künften und 

Wiffenfhaften, im Handel und Verkehr vorkommen, nebfl 

einem Anhange von Eigennamen, mit Bezeihnung ber 
Ausfprache bearbeitet von 


Dr. 3. $. Kaltschmidt. 
In 10 Heften zu 8 Nor. 
Leipzig, bei F. A. Brockhaus. 
Dieſes Werk zeichnet fid vor allen bi ; 
bädern dur ————ùY — typogen. 


e Einri i 
—æ ine chtung und ungemeine Biliigfeit gleid 








Berantwortlider HSerausgeber: Keinrich Brodbaud. — Drud und Berlag von E. A. Brodhaus in Eeipzig. 


Blätter | 


für 


liferarifhe Unterhaltung. 





Donnerdtag, 





16. Kebruar 1843, 





(Hortfegung aus Nr. #6.) 


Diefe Anfiht, daß alle religiöfen Vorftellungen, 
d. h. alle Boritellungen oder Bilder von einem außer: 
oder uüͤbermenſchlichen, transfcendenten Wefen und einer 
eben folhen Welt, Nichte feien als objectivirte oder 
bypoftafirte Äußerungen unfers eigenen Gefühle, un: 
ferer eigenen Denk⸗ und Thatkraft, diefe Anfiht führt 
nun der Berf. durch alle einzelne Dogmen hindurch, und 
fucht fo deren rein anthropologifhen oder anthropomor⸗ 
phiflifhen Charakter nachzumeifen. 

Das allgemeinfte diefer Dogmen ift das Dogma von 
dem Sein und Wefen Gottes überhaupt. Wie ftellt ſich 
dieſes göttliche Werfen und Dafein unter dem Geſichts⸗ 
punfte des Berf., dem anthropologifchen, dar? Feuerbach 
deutet ed ſchon in der Überſchrift diefes Abſchnitts an; er 
betrachtet Sort „als das Gefeg oder ald das Mefen des 
Berftandes”. Gott ift nichts Anderes als „das objective 
Weſen des Verſtandes“; das göttliche Welen ift „das Be: 
wußtfein des Verflandes von feiner eigenen Vollkommenheit“. 
In der religiöfen Vorftellung von Gott liegt Zweierlei: eins 
mal die Idee eined Zwieſpalts zwifchen dem Menſchen und 
einem andern, höhern Weſen; zweitens aber auch die Idee 
einer Beziehung ded Menfchen zu diefem Weſen. Wäre nun 
aber Bott etwas fihlechthin Anderes als der Menſch, fo 
koͤnnte weder jener Zwiefpalt nody diefe Beziehung zwifchen 
Beiden eintreten; Gott und Menfh wären, um uns eine6 
in ber Geometrie gebräuchlichen Ausdrucks zu bedienen, 
zwei incommenfurable Größen. Vetlegen wir dagegen Die 
beiden Sactoren dieſes Gegenfages (ber allein das Weſent⸗ 
liche, Thatſaͤchliche in jener religioͤſen Vorſtellung iſt) in 
dafſelbe Bewußtſein, fo haben wir Beides, ſowol Zwie⸗ 
ſpalt als Beziehung, in ganz folgerechter und ganz be⸗ 
greiflicher Weiſe. In unſerm Bewußtſein findet ein Zwie⸗ 
jpalt ſtatt zwiſchen dem reinen, kalten, ſtarren Ver⸗ 
ſtande mit feinem abſtracten Geſetze moraliſcher Voll⸗ 
Sommenheit und Mangelloſigkeit, als der allgemeinen, uns 
perföntichen, uͤbermenſchlichen Kraft im Menſchen, dem ei: 
gentlihen Gattungsvermögen, und dem Derzen, 


dem Vermögen des individuellen, mit feinen befondern, 


perſoͤnlichen Intereffen, Neigungen und Angelegenheiten. 
Diefe Seite des Verhältniffes zwiſchen den beiden extre⸗ 


men Bewußtfeinsrichtungen im Menfchen, dem abſtrac⸗ 
ten Verſtande und dem individuellen Gefühle, 
wird repräfentirt durch das religidfe Dogma von Gott als 
einem metaphyſiſchen Wefen, deffen abſtracte Vollkommen⸗ 
heit den Menfchen in feiner Nichtigkeit erdruͤkt. Aber 
In unſerm Bewußtſein gleicht ſich auch jener Gegenfag 
aus buch die Beziehung der Eptreme aufeinander; das 
Medium zwilhen Verftand und Gefühl tft die Liebe, 
und dieſe Liebe, biefe Verſoͤhnung zwifhen dem Abs 
ſtracten, Übermenſchlichen, Urfperföntichen im Menfchen, 
und feiner Individualität, dem eigentlih Menfchlichen, 
Perfönlichen, dieſes pfychologifche oder anthropolo: 
sifhe Factum finder fi gleichfalls in der Religion in 
eine gegenfländliche Vorſtellung überfegt, naͤmlich in das 
Dogma von der „Incarnation”. Über dies Dogma 
fügt Feuerbach : 

Wenn der menfchgeworbene Gott in ber Incarnation als 
das Erſte gefest wird, fo erfcheint freilich die Menſchwerdung 
Gottes ald ein unerwartetes, frappicendes, wunderbares, ges 
heimnißvolfes Ereigniß. Allein dee menſchgewordene Gott 
ift nur die Erſcheinung des gottgemworbenen Menſchen, 
was freilich im Rüden bes religidfen Bewußtſeins liegt. Der 


Menſch war ſchon in Gott, war fihon Bott felbſt, ehe Bott 
Menſch wurde. (©. 49.) 


Das heißt mit andern Worten: fowie die Vorftellung 
Gottes als eines außermenfchlichen, befondern We: 
fens eine bloße Hypoſtaſe oder Perfonification unferer abs 
firacten Verftandesrihtung ift, fo hat das Bild einer 
Menſchwerdung Gottes keine andere Bedeutung als dieſe, 
daß der Menfh, welcher durch feinen Verſtand, fein ab: 
ſtractes Denken ſich über die eigentlichen, beftimmten 
menſchlichen Verhaͤltniſſe erhebt, ſich denfelben gleichſam 
entftemdet, durch feine Herzensregungen, durch feine Liebe 
wieder zur Theilnahme an dieſen Verhaͤltniſſen, zum Mit⸗ 
gefühl für andere Menſchen, deren Intereſſen und Leiden, 
zur Verföhnung mit ſich felbft, d. h. mit feinen indivi— 
duellen Gefühlen und Beduͤrfniſſen zuruͤckkehrt. 

„Bott liebt den Menſchen“, ift ein Drientalismus, welcher auf 
Deutſch heißt: „Das Hoͤchſte ift bie Liebe des Menſchen.“ (S. 60) 

Dieſelbe Ruͤckuͤberſetzung aus der religioͤſen Denk⸗ und. 
Sprechweiſe in die natürliche, menſchliche, laͤßt uns auch 
den wahren Sinn des dritten Dogmas verſtehen, des 
Dogmas von dem „leidenden Bott”. „Gott leidet“, heißt, 
nad) Feuerbach, „das Leiden ift göttlich.” Das Geheims 
niß des Leidenden Gottes ift das Geheimniß der Empfins 


dung, ober beffer, ber Empfindfamkeit. Dem empfind⸗ 
famen, einwaͤris gekehrten, weltfcheuen, auf ſich concentrir⸗ 
ten Herzen, d. i. dem Gemüche, entſpricht ebenſo ſehr 
zas Leiden, als dem kraͤftigen, ſelbſtthaͤtigen Menſchen 
daſſelbe zuwider if. Wie daher die Griechen und Roͤmer 
ihre Thatkraft in ihren Göttern perfonificisten, fo die 
Chriften ihre Empfindſamkeit in ihrem leldenden Gott 
oder Gottmenſchen. 

Die Anſchauung eines leidenden Gottes war bie hoͤchſte Selbſt⸗ 
bejahung, die hoͤchſte Wolluft des teidenden Herzens. (©. 67.) 

Die „Trinitaͤt“ ift der Ausdeud der vollen Totalitaͤt 
des Menfchen, der innigen Verbindung zwifhen Verſtand 
und Herz, und zugleich der Gemeinſchaft des Lebens mit 
andern Menfchen. Der abftract dentende Menſch iſt ein: 
fam, ohne rechtes Selbftbewußtfein, ja ohne rechte Mick: 
lichkeit, erft der Liebende und geliebte, der fich mittheilende 
und Mittheilungen empfangende Menſch hat ben vollen 
Gehalt des Lebens, das wahre Bewußtſein von fi und 
von den Andern, welche Daffelbe find mie er. Dies Bes 
wußtfeinsfactum allein und nichts Weiteres fpricht 
das „Geheimniß der Zrinität” und das Dogma vom 
„gogos”, dem „göttlichen Worte”, aus. Daß nun fer: 
nee diefer Logos noch ganz befonders ald ein gegenfländ- 
liches, bildliches Weſen vorgeftellt wird, iſt abermals nur 
aus dem Beduͤrfniß der Phantafle, des bilderfchaffenden 
Vermögens im Menſchen zu erklären. 

Der Sohn ift das befriedigte Beduͤrfniß der Bilderfchau, 
das vergegenftändlidhte Wefen ber Bilderthaͤtigkeit, als einer ab⸗ 
foluten, göttlichen Thätigkeit. (S. 89). 

Das „SGeheimniß des Losmogonifhen Principe in 
Gott” beruht darauf, daB zwifhen das unfinnliche 
Mefen Gottes und das finnlihe Wefen der Wert 
ein Mittelwefen teitt, das göttlihe Princip des 
Endlihen, bie zweite Perfon in Gott, die mit Gott 
ſelbſt ideneifh und doch auch nicht mehr der abftract 
unenblihe Gott ifl. Dies in die Sprache der anthropos 
logiſchen Denkweiſe überfegt, heißt: Zwiſchen die Ab: 
firaction und die Sinnlichkeit muß ein Drittes, die 
Einbildungstraft oder Phantafie treten. Nun 
wird aber ferner jener Übergang von Gott zur Melt durch 
den Logos bargeftellt als ein Sichfelbfterfennen und Sic: 
felöftunterfcheiden Gottes. Welchem menfhlihen Bewußt: 
feinsfactum entfpricht diefe religiöfe Worftelung ? 

Der Identitaͤt — belehrt uns Feuerbach — zwifchen dem 
Selbſtbewußtſein des Menfchen und feinem Bewußtfein von eis 
nem Anderen, welches mit ibm identiſch, und von wie» 
der einem Anbern, weldes nit mit ihm identiſch iſt. 
Und das zweite, das wefensgleidhe Andere ift nothwendig 
das Mittelglied, der Terminus medius zmwifchen dem Erſten und 
Deitten. Der Gedanke eines Andern überhaupt, eines we: 
fentlih Andern entſteht mir crft durch den Gedanken eines 
{im Wefen mir gleihen Andern. (&. W.) 

Diefe Anficht, welche fehr an die Darftelungen in 
Fichte's „Wiſſenſchaftslehre“ und nod mehr in deſſen 
„Beſtimmung des Menfchen” erinnert, führt der Verf. 
weiter aus. . 

Das Bewußtfein der Welt — heißt es weiter — iſt das 
Beroußtfein meiner Befchränttheit; wüßte ich Nichts von einer 
Weit, fo wüßte ih Nichts von Schranken. Aber das Bewußts 
fein meiner Beſchraͤnktheit fteht im Widerfpruch mit dem Triebe 


meiner Selbſtheit nach Unbeſchraͤnktheit. Ich Tann alfo von ber 
Seldftpeit, fie abfolur gedacht (Bott ift bas abfolute Selbſt) 
nit unmittelbar zu ihrem Gegentheil übergehen, ich muß 
diefen Widerſpruch einleiten, vorbereiten, mäßigen durch das Be⸗ 
wußtfein eines Weſens, welches zwar auch ein anderes ift und 
infofern mir die Anfchauung meiner Beſchraͤnktheit gibt, aber 
fo, daß es zugleich mein Weſen bejaht, mein Weſen mir ver- 
gegenftänblicht. Das Bewußtfein der Welt ift ein demüthigen- 
des Bewußtfein — die Schöpfung war ein „Act der Demuth” 
— aber der erfte Stein bes Anftoßes, an dem ſich der Stotz 
der Ichheit bricht, ift das Du, der Alter Ego. Erſt flählt das 
Ich feinen Bli in dem Auge eines Du, ehe es die Anfhauung 


‚eines Weſens erträgt, welches ihm nicht fein eigenes Bild zu- 


ruͤckſtrahlt. Der andere Menſch ifl das Wand zwiſchen mir 
und der Welt. Ich bin und fühle mich abhängig von der Weit, 
weil ich zuerft von andern Menſchen mich abhängig fühle. Be⸗ 
dürfte ich nicht des Menfchen, fo bedärfte ich audy. nicht der 
Weit. Sch verföhne, ich befrrunde mich mit der Welt nur durch 
den andern Menſchen. Ohne den Andern wäre bie Welt für 
mich nicht nur tobt und leer, ſondern auch finn= und verſtand⸗ 
108. Nur an bem Andern wird der Menſch fi Elar und ſelbſt⸗ 
bewußt; Aber erft, wenn ich mir ferbft klar, wirb mir die Welt 
Mar. Gin abfotut für ſich allein eriftirender Menſch würde fidy 
ſelbſtlos und unterſchiedslos in dem Dceane der Natur verlieren; 
er würde weder fi als Menfhen noch die Natur als Natur 
erfaffen. Dex erfte Gegenftand bes Menfchen ift der Menſch. 
Der Sinn für die Natur, der uns erſt das Bewußtſein der 
Welt als Welt erfchlieht, ift ein ſpaͤteres Erzeugniß; benn er 
— erſt durch den Act der Abſonderung des Menſchen 
von ſich. 

Das Bewußtſein der Welt iſt alſo fuͤr das Ich vermittelt 
durch das Bewußtſein des Du. So iſt der Menſchder Gott 
des Menſchen. Daß er iſt, verdankt cr der Natur, daß 
er Menſch iſt, dem Menfchen. 


Derſelbe Geſichtspunkt endlich kehrt wieder S. 139, 


wo der Verf. von der Schoͤpfung der Welt handelt. 
Die Schoͤpfung der Welt — ſagt er — druͤckt Nichts aus 


als die Subjectivitaͤt, welche ſich durch Bewußtſein, daß die 


Welt erſchaffen, ein Product des Willens, d. h. eine ſelbſtloſe, 
machtloſe, nichtige Exiſtenz iſt, die Gewißheit der eigenen Rea⸗ 
lität und Unendlichkeit gibt. Du vernichteſt alſo ſubjectiv bie 
Welt; du denkſt dir Bott allein für fi, d. b. die 
ſchlechthin unbefhräntte Subjectivität, die Sudjec⸗ 
tivität, die ſich ſelbſt allein genießt, die nie der 
Welt bedarf, bie nichts weiß von den ſchmerzlichen 

Banden ber Materie. Im innerflen Grunde deiner Seele 

willſt du, daß Eeine Welt fei; denn wo Wett ift, da it Ma⸗ 

terie, und wo Materie, da iſt Drud und Stoß, Raum und 

Zeit, Schranke und Nothwendigkeit. Gleichwol ift aber body 

eine Welt, eine Materie. Wie kommſt bu aus der Klemme 
dieſes Widerſpruchs hinaus? Wie fchldaft du dir die Welt 
aus dem Sinne, daß fie dich nicht flört in bem Wonnegefüht 
der unbefchränften GBubjectioittät? Nur dadurch, daß du die 
Welt ferbft zu einem Willensproduct machſt, daß du ihr 
eine wilitürliche, ftetö zwifchen Sein und Richtfein ſchwe⸗ 
bende, ſtets ihres Vernichtung gewaͤrtige Exiſtenz gibſt. Aller⸗ 
dings laͤßt ſich die Weit, ober bie Materie — denn beide laſſen 
ſich nicht trennen — nicht aus dem Creationsacte erklaͤren; 
aber es iſt gaͤnzlicher Misverſtand, ſolche Foderung an die Grea- 
tion zu ſtellen, denn es liegt dieſer der Gedanke zu Grunde: es 
ſoll keine Welt, feine Materie fein; und es wird daher auch 
täglich ihrem Ende entgegengchartt. Die Welt in ihrer Wahr⸗ 
heit exiſtirt bier gar nicht; fie ift nur ale der Drud, die 
Schranke der Subjectirität Gegenftandb; wie follte die Welt in 
ihrer Wahrheit und Wirklichkeit aus einem Princip, das Die 
Welt negirt, ſich deduciren, begründen Laffen ? 


Mir übergehen die beiden folgenden Gapitel, wovon 
da® eine die Schelling :Böhme’fche dee „einer Natur in 


.. 5 #4 2 
—17 


nam Üm ..- VE u ae Mi.» -- 


u as 
a 1% 
u, e— 


Ehe re, 


II? u 


— 
en ⸗ 


187 


Sort”, das andere „bie Bedeutung ber Greation im Ju⸗ 
denthume“ beſpricht — weil beide Gegenſtaͤnde nicht un: 
mittelbar mit dem chriftfichen Dogma in Verbindung fte: 
Yan — und wenden uns zu den Abfchnitten, welche von 
‚der Allmacht des Gebete”, „dem Geheimniß des Blau: 
vend” und „dem Geheimniß des Wunders“ Handeln. 
Des Gebet kann, vom Standpunkte des Verf. auß, 
natilich Peine andere als fubjective Kraft und Beben: 
tung haben. 

Die Allmacht — fagt er — an bie fi der Menſch im 
Gebete wendet, ift in Wahrheit nichts Anderes ald bie Alls 
naht des Herzens, bed Gefuͤbls, welches alle Verſtandes⸗ 
ihranfen durchbricht, alle Grenzen der Ratur überflügelt, wel⸗ 
ed will, daß nichts Anders fei als Gefühl, Nichts fei, was 
dem Herzen wiberfpriht. Der Glaube an die Allmacht ift ber 
Staude an die Irrealitaͤt der Außenwelt, der Dbjectivität, ber 
Slaube an die abfolute Realität des Gemuͤths. (S. 162.) 

Das Gebet fegt den Glauben voraus, der Glaube 
das Wunder. Was fubjectiv der Glaube, das iſt ob⸗ 
jectiv das Wunder; Glaube und Wunder find abfo: 
Int ungertrennlidy. „Der Glaube aber ift nichts An: 
deres ais die Zuverſicht zur Realitaͤt des Subjectiven im 
Gegenſatz zu den Schranken, d. i. Geſetzen der Natur und 
Vernunft, d. h. der natürlichen Vernunft“ (S. 163). 
„Dee Giande entfeſſelt die Wuͤnſche der Eubjectivität 
von den Banden der natuͤrlichen Vernunft. Er geneh⸗ 
migt, was Natur und Vernunft verſagen; er macht den 
Menſchen darum felig, denn er befriedigt feine fubiec- 
tioften Wuͤnſche (S. 164). „Das Wunder iſt ein rea⸗ 
lifieter fupranaturatiftifher Wunſch — fonft 
Kits“ (5.166). „Die Macht des Wunders iſt da⸗ 
ber nichts Anderes ald die Macht der Einbildbungs: 
kraft“ (S. 168). Einbildungskraft und Gemüth find 
die beiden Quellen des Wunderglaubens; das Gemuͤth 
wünfcht, was in dem natürlichen Laufe der Dinge ent⸗ 
weder gar nicht, oder doch nicht auf dieſe Weiſe eintreten 
würde (4. B. Wiedererweckung eines Todten, oder ploͤtz⸗ 
lie Heilung eine® Kranken); die Einbildungskraft realis 
fit diefen Wunſch, d. h. fie ſtellt fich deſſen Reatifirung 
als vollendete, gefchichtliche Thatſache vor. Auf diefem 
Mahotogifhen Wege — der Selbſttaͤuſchung, ber 
Bifion — glaubt der Verf. alle Wunder des Ehriften: 
tems erfläcen zu koͤnnen, und felbft das gilt ihm für 
binen fichhaltigen Einwand gegen dieſe Annahme, daß 
me Wunder im Angefichte ganzer Verſammlungen ge: 
ſochen find oder gefchehen fein follen. Denn, entgegnet 
dx Verfaſſer: 










Reiser war bei ſich, Alle erfüllt von überfhwänglichen, fu: 
Vesteriifiichen Borftellungen, Empfindungen; Ale befeelte 
bei Slaube, diefeibe Hoffnung, diefelde Phantafie. em 
foüte 4 ober unbefannt fein, daß es auch gemeinfchaftliche 
Zrdzme, erinfpafttiche ober gleichartige Viſionen gibt, zumal 
bei gemäthühen, in und auf fidy befchränften, enge zuſammen⸗ 
heltenden Yakinipuen ? (©. 175.) 

Unter diefe Erklaͤrung fällt auch das Geheimniß „ber 
Inferfiehung und der übernatürlichen Geburt Chriſti“. 
‚Die Auferſiehung Chrifti ift der realifirte Wunfd 
bi Nenſchen nach unmittelbarer Gewißheit von 
Kia perföntihen Fort dauer nah dem Tode, Die 


perſoͤnliche Unſterblichkeit als eine finnliche, unbezweifelbare 
Tharfache.” Auch die Idee der „übernatürlihen Geburt“ 
Chrifti warb erſt aus einem „praktiſchen Beduͤrfniß“ ein 
fpeculatived Dogma. Der fubjective, nur im Gemuͤthe 
und in der Phantafie lebende Menſch bat eine Scheu 
oder Scham vor der Natur oder wenigſtens vor geriffen 
natürlichen Dingen und Procefjen, wozu ganz befonders 
dee Act der natürlichen Zeugung und Geburt des Men: 
fchen gehört. Er fucht über diefe ihm widerliche Vorſtel⸗ 
lung duch ein Wunder hinwegzukommen — er läßt bie 
Jungfrau zur Mutter werden, unbefledt durch die phofls 
fche Geſchlechtsvereinigung. Im Katholicismus, weldyer 
uͤberhaupt den weſentlichen Charakter des Chriſtenthums 
ſtrenger feſthaͤt, behielt daher auch das Dogma von der 
unbefleckten Jungfrauſchaft eine praktiſche Bedeutung; 
die Eheloſigkeit, das Geluͤbde der Keuſchheit galt als 
hoͤchſte Tugend. Der Proteſtantismus, welcher im Prak⸗ 
tiſchen das menſchliche Intereſſe an die Stelle des reli⸗ 
gioͤſen ſetzte, hielt nur die theoretiſche Seite jenes Dog⸗ 
mas feſt; er hob die Moral der Eheloſigkeit auf und 
ließ doch die Idee der nichtphyſiſchen Erzeugung 
Chriſti beſtehen. 

Wie aber alle die einzelnen Wunder, welche an Chriſto 
und duch ihn geſchehen, Nichts find als realiſirte Her: 
zenswünfche des Menfhen, duch die Einbildungskeaft zu 
wirklichen Thatſachen erhoben, fo ift Chriftus ſelbſt, der 
perfönlichgerordene, erfcheinende Gott, der Erloͤſer, 
nur ber realifite Wunſch des Gemuͤths, frei zu fein von den 
Geſetzen der Moral, d. h. von den Bedingungen, an welche 
bie Tugend auf dem natürlichen Wege gebunden ift, ber 
realifirte Wunſch, von den moralifchen übein augenblicklich, un- 
mittelbar mit einem Zauberſchlage, d. h. auf abfolut fubiective, 
gemüthliche Weife ertöft werden. Der höchfte Selbſtgenuß 
ber Subjectivität, die hoͤchſte Sciöftgewißheit des Menſchen über: 
haupt ift, daß Bott für ihn handelt, für ihn leidet, für 
ihn fi opfert. (©. 187.) 

Dies iſt auch das Unterfcheidende der chriſtlichen Me: 
ligion, gegenüber allen andern Religionen, daß in bem 
Ehriſtenthume die Phantafie nur im Dienfte de Gemüths 
arbeitet, daß alle dogmatifhen Vorſtellungen in unmittel- 
barer Beziehung auf die Befriedigung eines praftifchen 
Bedürfniffes des Derzens ſtehen, während in den orienta- 
liſchen Religionen die Phantaſie in vagen Bildern umber: 
fchroeift, die nuc fie felbft, nicht aber das Gefühl, den. 
Drang des Herzens befriedigen. 

Aus dieſem Geſichtspunkte betrachtet, gewinnen nun 
auch mande Snftiturionen der Kirche, die wir ſonſt wol 
gewohnt find, als bloße Erzeugniſſe der politifhen Klug: 
beit anzufehen, eine tiefere, eine wirklich chriftliche Bedeu: 
tung; fo 3. B. das Moͤnchthum und ber freie GCoͤlibat. 
In beiden naͤmlich ſpricht fi das Beſtreben aus, die 
„uͤberweltliche, von der Materie befreite, von dem Gat⸗ 
tungsleben und der Geſchlechtsdifferenz abgefonderte Sub- 
jectivitaͤt“, deren höchfter Mepräfentant Bote iſt, auch in 
dem irdifchen Leben abbildlich darzuſtellen. 

Ihren Gipfelpunkt aber erreicht diefe Abftraction von 
dem Endlichen, diefe Miedscherftellung dee reinen, freien, 
in fih vollkommenen Subiectivität erft in dem „Glauben 


188" 


ein himmliſches Leben”, an eine „perfönliche Unſterb⸗ 
u nn Menfch als ein befondere® Weſen, ale 
Sort, ſich gegenüberfegt, das ſtellt er fi nun auch mod) 
als einen Zuftand feines eigenen Weſens vor, aber als ei: 
nen zutünftigen. Der Menfch denkt ſich ale unvergäng> 
lich, ewig fich gleichbleibend — als abfolut. Aber diefe 
Idee des ewigen Seins ift nicht die unbeflimmte Vor⸗ 
ſiellung eines Seins, Exiſtirens überhaupt, fondern bie 
ganz beflimmte einer qualitativen Seinsweiſe; fie ift nicht 
ein Product des abftrahirenden Verſtandes, fondern ein 
Product des wuͤnſchenden, fehnenden, hoffenden Herzens. 
Mit einem Worte, was wir uns unter dem künftigen Leben 
denken, ift nichts Anderes als unfer gegenmwärtiges Gemuͤths⸗ 
Ieben, nur ohne die Schranken und Störungen, von mels 
chen daffelbe jest, in feinen Beziehungen zur Welt, ums» 
geben if. „Der Glaube an das Jenfeit iſt der Glaube an 
die Sreiheit dee Subjectivität von ben Schranken ber Natur.” 

So kehrt der Kreid der religiöfen Vorftellungen in ſei⸗ 
nen Anfangspuntt zurüd. Mit Gott hob er an, d. h. 
mit dem Glauben an das abftracte Wefen des Menſchen, 
mit dem Gattungsbegriffe; mit dem Glauben an Unfterb: 
lichkeit ſchließt er fih ab, d. h. mit der Vorftellung bes 
abftracten Diefjeit, des abfoluten Weſens des Menfchen, 
aber nicht mehr als bloßen Gattungsweſens, ‚fondern als 
beftimmter Individualität, als concreter Perfönlichkeit. Von 
ſich geht der Menfch im der Religion aus, zu fi kehrt 
er zuruͤck; die Religion ift ber „ernſte Monolog der Sefbft: 
beftimmung, in twelhen der Menſch den zerfireuenden 
Dialog des Lebens überfegt”. | 

So ftellt fi uns die Religion dar, aus dem anthro: 
pologifchen Gefihtspuntte, als ein einfaches pſychologiſches 
Factum betrachtet. So ift fie etwas dem Menſchen Na: 
türliches, „mit feinem Weſen Übereinftimmendes”, . denn 
fie ift der Complex feiner pathologifchen Regungen, Ge⸗ 
fuͤhle und Neigungen. Aber ſo iſt ſie nicht, von ihrem 
eigenen Standpunkte aus angeſehen, fo erfaßt fie nicht 
fich ſelbſt. Weit entfernt, ſich als einen bloßen Ausdrud 
der praftifhen Bedürfniffe des Menfchen zu be: 
teachten, will fie eine felbftändige, duch) fidy geltende, Das 
Leben und das praktifhe Verhalten der Menfchen tegelnbe 
Lehre fein. Hier aber beginnt ihre Selbfltäufhung, hier 
wird fie Sophiftit und tritt in Widerſpruch und 
Kampf mit dem menſchlichen Bewußtſein. Dies nachzu⸗ 
weifen, ift die Zendenz des zweiten Hauptabſchnitts der 
Feuerbach'ſchen Schrift, den wir nur mit kurzen Worten 
berühren, da er eigentlich Nichts als die Gonfequengen 


des erſten enthält. 
(Die Fortſetzung folgt.) 





Literarifche Notizen aus Franfreid. 
„Jeröme Paturot a la recherche d’une position sociale.” 
Der National’ brachte vor einiger Seit eine kleine Novelle 
unter obigem Zitel, bie eine wahre Meifterhand verrietb. Seit 
langer Zeit hatten wir nicht fo etwas Geiſtreiches und Wigiges 
gelefen. Gegenwärtig ift fie nun, mit Zufägen verfehen, in 
einem abgefonderten Bändchen abgebrudt, und wir wollen bie 


Gelegenheit nicht vorüberge laſſen, auf dieſes vortrefftidye 
Bei aufmerffam zu maden. Der anonyme Berf. bält ber 
Gegenwart einen untrüglichen Spiegel vor. Wir ſehen in dem⸗ 
felben die Unruhe, die Gpeculationewuth, die Eucht zu glänzen, 
kurz alle Fehler und Läcerlichkeiten unferer Zeit. Der Stil iſt 
wahrhaft vollendet, einfchneibendb, pikant und dabei body gang 
natürlich und ungezwungen. Jerome Paturot, ber Held biefer 
Erzählung, glaubte, als die romantifche Wutb (die Sturm⸗ 
und Drangperiode in Frankreich) ſich der franzoͤſiſchen Jugend 
bemädhtigt hatte, Stoff zu einem großen Dichter in fi zu has 
ben. Er ließ ein paar Bände Gedichte bruden und fab feine 
Schlaͤfe ſchon von Lorbern triefen. Leider aber beſchraͤnkte fich 
ber ganze Erfolg feiner Poeſien auf das verdaͤchtige Lob einiger 
Freunde. Das Yublicum ſprach kein Wort davon und ber Dich 
ter konnte fein einziges Exemplar abfegen. Vergebene räth ihm 
ein alter Onkel, der einer einträgliden Strumpf: und Mügen- 
handlung vorfteht, auf den Umgang ber Muſen zu verzichten 
und fein Gefchäft und feinen Reichtkum mit ihm zu theilen. 
Zeröme ſchaudert vor biefer Idee zurüd. Gin Gtrumpfhandel, 
weiche Philiſterei! Indeffen fängt er doch an einzufehen, daß 
die Versſchmiederei ihren Mann nicht ernährt, und er befchließt 
nun, fi andere Hülfsquellen zu Öffnen. Won nun an treibt 
er fid in allen Garrieren herum, wird Redacteur eines Zours 
nals, läßt ſich in Handelsfpeculation, in induftrielle Schwinde⸗ 
leien ein, fällt dabei in die Hände von fchamlofen Betrügern, 
macht Schulden, die er nicht wieder bezahlen kann, und be 
fchließt endlich, dieſes zweckloſen Zreibens überdrüffig, fich feibk 
den Tod zu geben. Aber feine getreue Geliebte, die alle Pha⸗ 
fen feines Glanzes und Elends mit durchgemacht hat, fegt ben 
alten Onkel, den GStrumpfhändler, davon in Kenntniß, und 
derfelbe eilt nun herbei, rettet den romanbaften Neffen, der bes 
reits vom: Kohlendampfe betäubt ift und der ſchon in einem 
ſchwaͤrmeriſchen Gedichte von der undankbaren Welt, von der er 
nicht verflanden ift, Abfchieb genommen hat. Die alte gute 
Seele bezapit alle Schulden Zeröme's, läßt ihn an dem Bande 
Theil nehmen und tritt endlich das ganze Geſchaͤft an ihn, ber 
von feinen überfpannten Ideen zurüdgelommen ift, ab. Dies 
ift das dürre Skelett diejer kleinen Novelle, deren vorzuͤglicher 
Werth in der ſprudelnden Fülle einzelner Züge beſteht. Ein 
Gorrefpondent ber „Augsburger Zeitung” behauptete, daß Bal⸗ 
zac der Verf. diefer geiftreihen Erzählung fei, die in Paris 
viel Auffehen erregt bat. Dem ift aber ficher nicht fo. 

ein ungeübtes Auge erkennt, daß dies nicht Balzac’s Stil if. 
Wenn fie wirklich von biefem fruchtbaren Romanſchreiber her» 
rührte, fo müßte man glauben, baß er fi zum Theil feibft 
perfiflivt habe. Wie ich Höre, ſoll fie vielmehr aus der Feder 
eines jungen Mannes berrühren, ber ſich durch mehre wiſſen⸗ 
ſchaftliche Werke auf dem Gebiete der Phyſik unb Chemie einen 
Namen gemacht hat. Der „National hat unter demfelben 
Zeichen (***) einen andern kleinen fatirifchen Auffag gebradgt, 
der an Wis bem „‚Jerdme Paturot’’ nicht nachſteht. Derſeibe 
führt den Zitel: „Contre les Oranges de Monaco.” UGs if 
dies eine Perfiflage auf die bekannte „Reunion Fulchiron“, 
weiche bie belgiſche Handelsunion in den Bann gethan hat. 


Wir haben vor einiger Zeit ein gebiegenes franzöfifches Werk 
von Nicolas Stepbanopoli über die jungen Rationalitäs 
ten bes Morgenlandes erwähnt. Der Verf. beffelben, der Grieche 
von Geburt iſt und der früher bei der franzoͤſiſchen Geſandtſchaft 
in Konftantinopel angeflelt war, bat foeben ein anderes Werl 
erſcheinen laflen, in dem er das Wefen der altgriedhifchen Eos 
lonien behandelt. Es führt ben Titel: „Genie des colonies 
grecques, spartiates et des peuples indigenes de la Corae.“ 
Wir ftellen damit einen geiftreichen Artifel zufammen, ben bie 
„Bevue des deux mondes“ vor längerer Zeit von Charles Dis 
bier, der durch feine „Une annde en Espagne” und feine 
„Campagne de Rom’ befannt ift, über die Anfiedelung ber 
Albanefer in Italien brachte. 2. 


Verantwortlicher Deraudgeber: Deinrih Broddaus. — Drud und Verlag von 3. X. Brodhaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


- 


literarifhe Unterhaltung. 





Freitag, 


De 3 Beuerbady 8 Anfichten über das Chriftenthum. 


(Bortfegung aus Nr. 47.) 

Die Religion, fagt der Verf. betrachtet allerdings ben 
Menſchen ale ein praktiſches Weſen, ihren eigenen Zweck 
als einen lediglich praktiſchen — Die Heiligung und Bes 
feligunlg des Menfchen —, aber fie macht diefe praßtifche 
Deitdorduung abhängig von dem Glauben an ihre theo: 
wtifhen Ausſpruͤche. Während die vernünftige, philoſo⸗ 
nbifche Wetracktung des Menſchen, die wahre Anthropolo⸗ 
gie, jene praktiſchen und pathologifchen Kußerungen feines 
Weſens abhängig macht von der Erfenntniß der allge: 
meinen Geſetze frines Bewußtſeins und der Natur, fodert 
die Theologie von dem Menfchen, dab er als Geſetz des 
Handelns antrkemne, mas fie als ſolches aufitellt, duß er 
den beitimmten Inhalt des. pofitiven Glaubens, ohne 
Kritik, annehme, daß er von der Vollziehung gemiffer 
vorgefhriebenen Andachtsformen und Sacramente 
frin Heil erwarte u. f. w. Die Religion vernichtet alfo 
die Theorie, die Denffreiheit, indem fie, -zur Be⸗ 
glaubigung ihrer Lehren, an da6 Gemuͤth, an den Glüuͤck⸗ 
fetigfeitstrieb appelliet, indem fie an Diefelben Fluch und 
Segen, Verdammung und Seligkeit knuͤpft. Ste vernich⸗ 
tet Die Moral, indem fie dieſelbe zu einem Seeundalren 
und die Giutigkeit der mroralifchen Gebote von der libers 
einſtimmung derſelben mit ihren Dogmen abhängig macht, 
fie iſt, durch ihren Blausen, ber ſtets ein beſtimmter, ein 


Sonderglaube if, ausfchliefend, fanatifch gegen Ans- 


dersbenkende und fest fi dadurch ſelbſt in Widerſpruch 
mit dem böchften Geſetze des Herzens, der Liebe, welche 
fi Aber alle Menſchen ausbreitet. 


Die „Schlußanwendung“ des Berf. (S. 369) lau⸗ 


tet nun: 

In dem entwidelten Widerſpruch zwiſchen Glaube und 
Eiebe haben mir ben praktiſchen hanbareifiicken Nöthigungss 
grund, über das Chriſtenthum, über das eigenthuͤmliche 
Weſen der Religion überhaupt uns zu erheben. Wir haben be: 
wiefen, daß der Inhalt und Gegenftand ber Religion ein 
durchaus menſchlicher iſt, und zwar menfchlicher in dem bops 
peiten Sinne dieſes Worte, in weichem es ebenſo wol etwas 
Pofitives als Negatives beteutet, daß die Religion nicht nur 


die Mächte des menfchlichen Wefens, ſondern ſelbſt auch bie. 


Schwachheiten, die fubjectioften Wünfche des menfchlichen Her; 
zens, wie z. B. in den Wundern unbedingt bejaht — bewiefen, 
dag auch die gättiiche Weisheit menfhlihe Weis: 
drit, dab das Geheimmiß der Theologie bie Anttisopologie, bes 


17. Februar 1843. 





abfoluten Geifted ber fogenannte endliche fubjective Geiſt ift. 
Aber die Religion bat nicht das Beroußtfein von ber Menſch⸗ 
lichkett ihres Inhalts; fie fest ſich vielmehr dem Menſchlichen 


entgegen, oder wenigſtens fie geſteht nicht ein, baß ihr 
Inhalt menfchlicher if. Der nothwendige —E der Fi 
ſchichte iſt daher dieſes offene Bekenntniß und @inges. 
ftändniß, dag das Bewußtſein Gottes nichts Anderes ift als 
das Bewußtſein ber Gattung, daß ber Menih fi nur über 
die Schranken feiner Individualität erheben kann und foll, aber 
nicht über bie Gefege, die pofitiven Weſensbeſtimmun— 
gen feiner Gattung, daß ber Menfch kein anderes Weſen 
als abſolutes Weſen denken, ahnen, vorſtellen, fuͤhlen, glauben, 
wollen, lieben und verehren kann, als das Weſen der menſch⸗ 
lichen Natur. *) 

Unſer Berpättniß zur Religion ift daher kein nur nega⸗ 
tives, ſondern ein kritiſches; wir ſcheiden nur das Wahre 
vom Falſchen — obgleich allerdings die von der Falſchheit aus⸗ 
geſchiedene Wahrheit immer eine neue, von ber alten wefents 
ih unterf chiedene Wahrheit if. Die Religion iſt das 
erfte Selbftbewußtfein des Menfchen. Heilig find bie Religionen, 
eben weil fie die Übertieferungen bes erlen Bewußtfein⸗ find. 
Aber was der Religion das Erſte ift, Bott, das iſt an fich, ber 
Wahrheit nad) das Zweite, denn es ift nur das fich gegenftänb: 
liche Wefen des Menfchen, und waB ihr bas Zweite if, ber 
Menſch, das muß daher als daß Erfte efedt und ausge⸗ 
ſprochen werben. Die Liebe zum Menfchen darf Feine abges 
leitete fein; fie muß zur urfprünglidien werben. Dann allein 
wird bie Liede eine wahre, heilige, zuverläffige Macht. Hinter 
bfe religlöfe Liebe kann fi, wie bewiefen, auch der Daß ficher 
verbergen. Iſt das Wefen des Menfchen bas hoͤchſte Wefen 
bes Menfchen, ‚fo muß auch praftifh das höchfte und erfte 
Seſee die kiebe des Menſchen zum Menfchen fein. 
Homo homini Deus est — dies iſt ber oberfle prattifihe 
Grundfag — dies der Wendepunkt ber Weltgefhichte. Die. 
Berhättniffe des Kindes zu den Ältern, bes Gatten zum Gat⸗ 
ten, des Druders zum Bruber, bes Freundes zum Freunde, 
überhaupt des Menſchen zum Menfchen, kurz, die moralis 
Then Verxhaͤltniſſe find per se wahrhaft retigibfe Ber— 
bältniffe. Das Leben ifk überhaupt in- feinen wefentlis 
hen, ſubſtanziellen Berhättniffen durchaus goͤttlicher 
Natur. Beine religioſe Weihe empfängt es nicht erft durch 
ben Gegen des Prieſters. Die Religion will durch ihre an ſich 
aͤußerliche Buthat einen Segenſtand heiligen; fie ſpricht dadurch 
ſich allein. als bie heilige Macht aus; fie kennt außer ſich 


) Mit Einſchluß ber Natur, denn wie der Menſch zum 
Wefen ber Natur — bie gilt gegen den gemeinen Materlalids 
mus — fo gehört auch die Natur zum Wefen bes Menfhen — 
dies gilt gegen den fabiectiven Ipealiömnd, der au dab 
Seheimniß unferer „abſoluten⸗ Philoſophle, wenigſtens in Beytes . 
bung auf die Natur if. Nur dur die Verbindung des Dienfihen 
mit der Natur können wir den fupranaturaliftifgen Egoiömud des 
Chriftentgum® äberiwinden. u Ze 


100 | 


aux trbifche, ungoͤttliche Werbättniffes darum eben tritt fie hin⸗ 
zu, um fie erft gu heiligen, zu weihen. 

Aber die Ehe — natürlich ale freise Bund der Liebe — 
if durch fich felbſt, durch die Natur der Verbindung, bie 
bier gefchloffen wird, beilig. Nur die Ehe ift eine retigidfe, 
die eine wahre it, die dem Wefen der Ehe, der Liebe ent: 
forit. Und fo iſt es mit allm fittlichen Werhältniffen. Sie 
And nur da moralifdhe, fie werden nur ba mit fittlichem 
Sinne gepflogen, wo fie durch fi ſelbſt als religiöfe 
‚ gelten. Wahrhafte Freundſchaft ift nur da, wo bie Grenzen 
der Freundſchaft mit religiöfer Gewiſſenhaftigkeit bewahrt wer⸗ 
den, mit berfelben Sewiffenpaftigkeit, mit weicher der Gläubige 
die Dignität feines Gottes wahrt. Heilig iſt und fei Dir bie 
Freundſchaft, heilig das Eigenthum, heilig die Ehe, heilig das 
Wohl jedes Menfchen, aber heilig an und für fi ſelbſt. 

Im Ghriftentbum werden die moraliſchen Gefege als Ge: 
bote Gottes gefaßt; es wird die Moralität felbft zum Kriterium 
der Religiofität gemacht; aber bie Ethik hat dennoch unterge⸗ 
orbnete Bedeutung, hat nicht für fich felbft die Bedeutung ber 
Religion, Diefe fällt nur in den Glauben. Über ber Morali: 
taͤt ſchwebt Bott als ein vom Menſchen unterſchiedenes Wefen, 
dem das Beſte angehört, während dem Menſchen nur der Ab⸗ 
fall zukommt. Alle Gefinnungen, die bem Leben, dem Men: 
ſchen zugewendet werben follen, alle feine beften Kräfte vergeus 
det der Menſch an das bebürfnißlofe Wefen. Die wirklicye Ur: 
ſache wird zum ſelbſtloſen Mittel, eine nur vorgeftellte imagis 
naire Urfache zur wahren, wirklichen Urſache. Der Menſch 
dankt Gott für die Wohlthaten, die ihm der Andere ſelbſt 
mit Opfern bargebradit. Der Dank, den er feinem Wohls 
thäter ausfpricht, ift nur ein fcheinbarer, er gilt nicht ihm, ſon⸗ 
dern Gott. Gr tft dankbar gegen Gott, aber undantbar gegen 
den Menſchen. Go geht bie fittlihe Gefinnung in ber Reli 
gion unter! 

- Wenn mir in Beiten, wo bie Religion heilig war; die Che, 
das Gigenthum, die Staatögefege refpectirt finden, fo hat bies 
nicht in der Religion feinen Grund, fondern in dem urfprüng- 
ich, natürlich ſittlichen und rechtlichen Bewußtfein, dem bie 
rechtlichen Berhältniffe ats ſolche für heilig gelten. Wern 
das Recht nicht durch ſich ſelbſt Heilig ift, dem wird es nun 
und nimmermehr dur die Religion heilig. Das Gigenthum 
tft nicht dadurch Heilig geworden, daß es als ein göttlidhes Ins 
ſtitut vorgeftelt wurbe, ſondern weil es durch fi felbft, für 
ſich ſelbſt für heilig galt, wurde es als ein göttliches Inftitut 
betrachtet. Die Liebe ift nicht dadurch heilig, daß fie ein Praͤ⸗ 
dicat Bortes, fonbern fie ift ein Prädicat Gottes, weil fie durch 
und für fich ſelbſt göttlich if. . 

Nach dieſer allgemeinen Überſicht über die Reſultate 
des Feuerbach'ſchen Werks kehren wir zu der Aufgabe zu⸗ 
ti, die wir uns im Eingange unſerer Betrachtungen ge: 
ſtelt haben, naͤmlich: den kritiſchen Standpunkt Feuer: 
bach's mit dem Strauß’fchen zu vergleihen, um zu er: 
tennen, ob barin ein Fortfcheitt, eine neue Phaſe dee phi⸗ 
loſophiſchen Kritik enthalten ſei, oder nicht. 

Feuerbach erklärt die Religion für etwas rein Menſch⸗ 
ches, für den Ausdruck oder Reflex der Empfindungen 
und Wuͤnſche des Menfchen, die hriftliche Religion aber 
insbefondere für das Product der innigften Verſchmelzung 
der Einbildungskraft mit dem Gemüthe. Strauß be: 
trachtet das Chriftentyum als die Darftelung einer Idee, 
weiche der menfchliche Geift in feiner fortfchreitenden Ents 
widelung mit einer gewiſſen innern Nothwendigkeit gebildet 
und welche man nur irerhümlicherweife in einer außer: 


lichen geſchichtlichen Thatſache hypoſtaſirt habe. 


Diefe beiden Anſichten enthalten ebenſo viel Üüberein⸗ 


ſtimmendes als Entgegengeſetztes. Übereinſtimmendes denn 


beide ſetzen bie religloͤſen Vorſtellungen zu einem bloßen 
Producte des menfchlihen Bewußtſeins herab, entkleiden 
fie alfo der abfoluten Geltung, die fie als geoffens 
barte Wahrheiten beanfpruhen. Entgegengeſetztes, 
denn nah Strauß iſt die Entſtehnng ſolcher Vorſtchun— 
gen etwas Nothwendiges , in dem ganzem Entwickelungs⸗ 
gange des menfhlichen Geiftes Begruͤndetes, darum auch 
immer einer gewiffen Zeit, einer gewiſſen Bildungsftufe 
dee Menfchheit Gemeinfames und zugleich Eigenthuͤmliches, 
fie von andern Stufen Unterfcheidendes ; bei Feuerbady 
hingegen find Die veligiöfen Vorftelungen Nichte als pa= 
thologifhe Zuftände des menſchlichen Bewußtſeins, 
daher ebenfo oft „die Bejahung der Schwachheiten als der 
Mächte des menfchlichen Herzens”, ebenfo oft unnatuͤrlich, 
verkünftelt, krankhaft, als natürlich) und gefund, zwat audy 
in gewiſſem Grade allgemein, infofern naͤmlich, als bie 
Anlage zu ſolchen pathologiihen Empfindungen, zur ges 
möthlihen Andacht, zum Wunderglauben u. ſ. w. in jedem 
Menfhen liegt, aber Doch nicht nach gleich objectiven 
Geſeten und in fo beflimmtem Progrefie fich entwidelfd wie 
die Strauß'ſchen „Erſcheinungsfotmen der abfoluten Idee“. 
Zwar nimmt auch Feuerbach wel einen Fortgang an von 
der jüdilhen Religion, als der Apotheofe des Egoismus, 
zu der chriftlichen, als der Religion der allgemeinen Sub⸗ 
jectivität, der Liebe, allein dagegen fcheint er wieder das 
Griechenthum, wegen feiner objectiven, mehr auf die Na: 
tur als auf das abſtract Ideale gerichteten Denkweiſe, 
höher zu itellen als die chriftliche Weltanfchauung; über 
haupt aber iſt ihm bie Religion nicht ſowol Product ei⸗ 
ner gemeinfamen Zeitrichtung, einer Mechfelwirkung vieler 
Individunlitäten unter dem Ginfluffe einer heflimmten 
Natienalitaͤt oder Localität, als vielmehr Sache der rein 
fubiectiven Gefühlsſtimmung, des augenblidlichen Bebürf: 
niffes oder Eindruds, unter defien Macht der Einzelne 
handelt. Naͤher koͤnnen wir daher den angegebenen Un- 
terichied auch fo bezeichnen: Feuerbach zieht vorzugsweiſe 
die praktifchen Wirkungen des Chriſtenthums, Strauß 
deſſen [peculntiven oder bogmatifchen Charakter in 
Betracht; Feuerbach geht Darauf aus, die religioͤſen Bor: 
ſchriften in Gebote der mutärlihen Moral umzumanbein 
und an die Stelle des Glaubens, d. h. der Beziehung 
bes Menichen zu einem ihm fremden, transfcendenten Mes 
fen, zu Gott, die Liebe, d. h. die Bezichung des Mens 
[hen zum Menfhen, als einem ihm gleichartigen Weſen 
zu ſetzen; Steauß dagegen ſucht den dogmatiſchen Inhalt 
des Ehriſtenthums in phllofophifche Begriffe zu uͤberſetzen; 
jener tritt alſo eigentlich aus dem Kreiſe der religioͤſen 
Speculation gänzlich heraus; dieſer will diefen Kreis 
nuc erweitert und Alles darin aufgenommen wiſſen, was 
dad freie Denken als gleichfalls wahr und berechtigt er⸗ 
funden hat. Die Strauß’fhen Anfichten find mehr für 
eine geſchichtsphiloſophiſche Weltanſchauung im Ganım 
und Großen berechnet, der es darauf ankommt, jeder that: 
fühlih gegebenen Erſcheinung ihre Stelle im Spfteme aus 
zuweiſen, und in dem Mirktichen, Hiftorifchen das Ver: 
nünftige, die Idee wiederzufinden; Feuerbach bat nur bie 
Gegenwart und das Individuum ins Auge; er will der 





191 


einzeinen Thatkraft Raum ſchaffen, er will das beffimmte ı Italiener, Franzoſen und Engländer vergleicht, 


ſittiiche Berhältnig, die beflimmte menſchliche Herzenste⸗ 
gung zur Geltung bringen, unbefümmert damım, wie ſich 
diefeibe - an das Gegebene, Hiftorifche anfnäpfen laſſe und 
ob nicht durch diefe Auflöfung einer biöher als wahr an- 
erkannten und geſchichtlich beglaubigten Denkform eine Lüde 
in der Entwidelungsreihe des menſchlichen Geiſtes entfiche. 
Das Endrefultat bei Beiden if eine aͤſthetiſch⸗ſitt⸗ 
liche Lebensanfhauung, an der Stelle der religiöfen, d. h. 
eine ſolche, welche die Handlungsweiſe des Menfchen nur 
nah den natürlihen Geſetzen feines Bewußtſeins, nicht 
nah den Vorſchriften und Eingebungen einer äußern Aus 
teritaͤt regelt; allein bei Strauß find dieſe „natuͤrlichen 
Geſetze“ mehr aus einer umfaffenden Betrachtung .aller 
menſchlichen Verhaͤltniſſe, aller voͤlker⸗ und culturgefchicht: 
tihen Zuftände, bei Feuerbah mehr aus einem flarfen 
Kcaftgefühl und einem ercegten Gemuüͤthe gefchöpft; darum 
dort ſoſtematiſcher, harmoniſcher, aber von weniger direc⸗ 
tem Einfluß aufs Leben, auf die Gegenwart; hier mehr 
zur That draͤngend, praͤgnanter. Beide find poetiſche Na- 
turen, aber Strauß ift mehr objectiv und plaſtiſch; er hat 
Etwas von der Goethe'ſchen Schwebekraft in fih, welche 
mit den Widerfprüchen des Lebens und des Denkens fpielt 
und mit ruhigem Behagen Kber der gährenden Muffe wal: 
tet; in Feuerbach dagegen offenbart ſich der drängende Un: 
geftüm der jungen Literatur, welche alle Verhältniffe dem 
Gelege ihrer Subjectivität unterwerfen möchte. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Geſchichte der Ie von Heinrich kuden. Zweite 
—* en 1843. Gr. 8. 2 Thir. *) 


Wer das deutfche Bolk, feine Bildung und bie Entwicke⸗ 
lungsphafen beobachtet hat, wird mit Dahlmann zu ber wohl: 
begründeten Überzeugung gelangt fein, daß politiſche Kenntniſſe 
und Auffiärung felbft in den beffern Kreiſen der Geſellſchaft 
noch eine Mangelhaftigleit verrathen, die aus mehr als einem 
Stunde wahrhaft befiagenswerth genannt werden muß und und 
ebenfo wenig zum Heile als zur Ehre gereihen fann. Die 
Stände diefer Erſcheinung bei einem Wolfe, das ſich mit Recht 
fo vieler andern geiftigen Eigenſchaften rühmen barf, find gleich. 
wol nicht ſchwer aufsufinden: fie Liegen hauptfädhlid in unfern 


Gtaatsformen und in dem durch fie bedingten Staatsleben; in. 


unferer Erziehungsmethode, in den politiſchen Erfahrungen, die 
unfer Batrrland vorzüglich früber gemacht hat. Da die zuerfi 
genannten Werhättniffe die politifche Bildung und Erziehung 
niht begänftigen und nie begünftigt haben, und die lettern ein 
gaviffes Mistrauen gegen die Wiffenfchaft der Politik zu erzeus 
gen geeignet geweſen find — Bücher hat in feiner derben 
Gprache mehr Wahrheit gefagt, ald Manche glaubten und Ans 
dere giauben Laffen wollten —: fo mußte unwiſſenheit in der⸗ 
ſelden, ja ſogar eine gewiſſe Verachtung, die ſich in den Ge⸗ 
müthern gegen fie fortſehte, die nothwendige Folge ‚bavon fein. 
Die Namen Richelieu, Mazarin, Olivarez, Albssoni, ‚Budings 
kam find fo fehr mit ber Vorftellung von Politik bei Denen, 
dir einige Geſchichtskenntniſſe zu haben glauben, verwacden, daß 
man ipr etwas Edleres kaum zutraut und fie Baia aus Uns 
finde in einer Beſchraͤnktheit auffaßt, die fie ſeldſt nicht aners 
kennt. Mer übrigens unfere politifche Eiteratur mit der ber 


*) Bergl. einen Bericht über ben erſten Band in Nr. 32 
b. fu | D. Ret. 





ID 


‚gehen den Völkern nur gar zu leicht fofort ans Leben. 


Gefinnung, verſteht ſich, 


wird leicht die 
Beobachtung zu machen im Stande fein, wie jugendlichen Alters 
ſie ſei. Im Berhältniß zu unferer übrigen Selehrfamteit. und 
Gelehrtenzahl barf der Kreis von Männern zur Zeit nur Bein 
genennt werben, bie den großen Umfang, die Bedeutſamkeit und 
das hohe Intereſſe der politifhen Wiſſenſchaft erkannt haben 
ober ihre Felder bearbeiten. Wie aber umgekehrt Der einem 
einäugigen Wanne gleicht, der Gefchichte ohne Politik ftubirt, fo 
tann ber Politiker Leinen Schritt mit Sicherheit thun ober ber 
Gefahr entgehen, auf einen unterhöhlten Boden ſich zu fleilen, 
wenn er nicht tuͤchtige Gefchichtstenntniffe fih einzufammein be- 
muͤht geweſen ift; 1eeren Kannegießereien, tauben Raifonne: 
ments und andern Nictigkeiten der Art, wie man fie im ge- 
wöhnlichen Leben und in ber publiciftifhen Weit fo oft zu be: 
obachten Gelegenheit bat, ift im entgegengefeäten Falle Thuͤr 
und Thor geöffnet. Won bdiefer Ueberzeugung muß eben fowol 
Derjenige durchdrungen fein, der fich mit der Politik feines Va⸗ 
terlandes beſchaͤftigt, als Der, welcher den vielfach verfchlungenen 
Kreifen der Weltpolitit feine Ihätigkeit und Aufmerkſamkeit zu 
widmen gedenkt. übrigens darf man allerdings nicht unberuͤck⸗ 
ſichtigt laſſen, daß das Wort Politik auch um feiner Vieldeu- 
tigleit willen, bie ibm in der neuern Zeit eigen geworben, bem 
Untuntigen einiges Mistrauen einzuflößen geeignet ift: es tritt 
ihm überall entgegen, aber aalartig, ohne es faffen zu £önnen, 
entſchluͤpft es feinen Händen eben deshalb, weil die wiſſenſchaft⸗ 
liche Kunde fehit. Es bedeutet aber das Wort Politik, welches wie 
feine Wiſſenſchaft ſelbſt griechiſchen Urſprungs iſt, zunaͤchſt die 
Wiſſenſchaft vom Staate: Piato und fein ſcharfſinniger Beur⸗ 
theiler Ariſtoteles find die Schöpfer und Repraͤfentanten derfelben 
im Alterthum; theoretiſch find die Roͤmer ganz ihre Schuͤler, 
ohne irgend etwas Weſentliches hinzugefügt zu haben. Godann 
bezeichnet man bamit den Inbegriff von Grundfägen, nach denen 
die Staaten ihre gegenfeitigen aͤußern Berbältniffe zu orbnen 
und zu flellen ſuchen, und bie Diplomatie ift die Sophiſtik ober 
Caſuiſtik diefer Grundfäge. Ferner bat man unter Politik die 
jenigen Grunbfäge zu verftehen, welchen die Staaten bei ber 
Leitung ihrer innern Angelegenheiten folgen zu müffen glauben, 
woraus dann die engfte Bedeutung bes Wortes, die leitenden 
Principien, welche an der Spitze der einzelnen Staatsorganis- 
men ftehen, hervorgeht. Daher 4. B. griculturpolitit, Fi⸗ 
nanzpolitit u. f. w. Grwägt man nun biefen Umfang und In⸗ 
batt der politifchen Wiffenfchaft, fo wird man nothwendig zu der 
Überzeugung gelangen muͤſſen, daß Bragen und Intereffen mit 
ipe in Verbindung ftehen, die für Menfchheit, Völker und Staa— 
ten nicht nur Höchft bebeutfam find, fondern auch Kenntniffe und 
ſelbſt Geſinnungen in Anſpruch nehmen, die in ber That nicht 
alltägliche genannt werben können. Es gebt aber auch daraus 
bervor, daß biefe Wilfenfchaft noch weniger als ibre übrigen 
Schweitern unreine Hände und leere Köpfe vertragen fann: ihr 
Misbrauch, ihre Misverftändniffe und Unaufgellärtheit in ihr 
Allein 
für Jeden, mag er nun als Gelehrter fi ihr borzugemeife wid⸗ 
men oder auch nur als Laie eine allgemeine Anfiht von ihr ges 
winnen wollen, wie es jeder Staatsbürger follte, ber su ben 
Gebüdeten gezaͤhlt fein will, find Geſchichtekenntniſſe ‚um mit 
Horaz zu reden, das principium et fons. | 
Willkommen muß uns daher jedes Werf fein, bas auf eine 
zweckmaͤßige und eindringliche Weiſe Geſchichtskenntniſſe in den⸗ 
jenigen Kreiſen zu verbreiten ſucht, in denen zugleich politiſche 
Aufklaͤrung eben ſowol eine Ehre als ein einflußreicher Vortheil 
iſt. Wir freuen und. deshalb über bie ſobaldige Portfegung eines 
Seſchichtswerkes, das, wie wir fchon beim Erſcheinen bes erften 
Bandes in biefen Wlättern urtbeilen zu müffen geglaubt haben, 
einen ehrenvollen Plag in der Reihe folder Geſchichtsbuͤcher eins 
nimmt, bie unter den gebildeten Ständen unfers WBaterlandes 
hiſtoriſche Kenntniffe verbreiten und den Sinn für diefelben mög: 
lichſt beieben und befärbern wollen. Und daß in biefer NWeries 
bung der wiſſenſchaftlichen Thaͤtigkeit fowie ber patriotif 
nit auf Koften der Wahrheit und 


198 


der Würde ber Geſchichte, mie man hieß leider an einigen ſonſt 
würdigen —5* neuerdings hat wahrnehmen koͤnnen, noch 
sin weites und ſchoͤnes Feld offen ſtehe, wiſſen Alle, die nicht 
nur mit unferer biftorifchen Literatur vertraut find, fondern auch 
die gebildeten Stände und bie Wahl ihrer Lecture zu beobachten 
Gelegenheit haben. Namentlich zeigt fi in legterer Beziehung 
noch eine Takt⸗ und Gefchmadtofigkeit und eine Unkunde, bie 
nicht felten in Erftaunen fegt. Indeß tröftet man fih, wenn 
man bedenkt, wie es früher war. Fortſchritte find doch ſchon 
umverfennbar, und wenn fo ruͤſtig fortgearbeitet wird, wie es 
jest geſchieht, fo kann die Wirkung davon nicht außen bieiben, und 
ſchon in ber nächften Zukunft ift Erfreulicheres In Ausficht geftellt. 

Der vorliegende zweite Band ift ganz in dem Geiſte und 
in der Art gehalten, wie wir den erften charakteriſirt haben 
und wie man den biftorifchsfchriftftelleriihen Charakter bes bes 
zühmten Verf. allgemein kennt. eine Anfichten über bie Ges 
fchichte überhaupt, ſowie über die Deutſchlands insbeſondere 
ſtehen einmal feſt und ſind auch in dieſem Werke mit feiner 
albefannten Darſtellungsweiſe ſcharf ausgepraͤgt. Wir haben 
einige Stellen in dem gegenwaͤrtigen Bande gefunden, die wahr⸗ 
haft ſchoͤn genannt werden koͤnnen. Auch wird derſelbe darum 
für den Leſerkreis, zu dem der Verf. ſpricht, von etwas größe: 
rer Anziehungskraft als der erfle fein, weil bie beutfchen Zus 
ftände bereits in dieſer Epoche entwidelter und klarer hervor⸗ 
treten und fich fchon namentlich ſtaatliche Bilbungselemente zei⸗ 
gen, bie für einen denfenden und mit einer gewiffen wiſſenſchaft⸗ 
lichen Erziehung ausgeſtatteten Leſer nothwendig don Intereſſe 
fein muͤfſen. Dazu kommt, daß das Ganze eine Zeit umfaßt, 
— von den Karolingern bis zum Ausfterben bed ſaͤchſiſchen Kai- 
ferhaufes von 752—1025 —, die theild durch bie meteorähntiche 
Erſcheinung Karl's des Großen, theils durd einen Kampf um 
Cein ober Nichtfein des beutfchen Reiches hoͤchſt merkwürdig 
geroorden ift: das deutfche Volk entwickelt eine Spanntraft, die 
geradezu einzig in der Geſchichte genannt werben darf. Ror: 
mannen, Slawen und Magyaren und ber böfe Dämon der in: 
nern Zwietracht beftrebten ſich bald abwechſelnd bald vereint 
das beutfche Volk zu verderben. Aber die Wuth der Erftern 
wird cbenfo gluͤcküch überwunden als die marfangreifende Boͤs⸗ 
artigkeit bes lestern foft wunderbar überftanden. Am Ende 
der Regierungszeit Otto's I. ftcht das deutfche Volk allen feinen 
Beinden imponirend da; es ift entſchieden, daß Deutſchland wäh: 
zend des Mittelalterd zum Centralpunkt aller europaͤiſchen Macht 
beſtimmt ſei. Ob deshalb unſer Verf. jenen Kaiſer ganz gerecht 
beurtheilt habe, zumal wenn man die Kirchengeſchichte mit zu 
Rathe zieht, das moͤchten wir faſt bezweifein; doch iſt er ge⸗ 
rechter als Schmidt in feiner „Geſchichte der Deutſchen“. Wir 
haben hier feinen Raum, um weiter über die Sache zu rich⸗ 
ten, boch verweifen wir unfere Lefer, damit bad audiatur et 
altera pars ihnen dem Verf. gegenüber moͤglich werbe, auf fols 
gende Edriften: Boigtel, „Geſchichte des deutfchen Reichs unter 
Dtto bem Großen” (Halle 102); Bebfe, „Das Leben und dig 
Zeiten Otto’& des Großen’’ (Dresden 1829) und Ranke's „Jabrs 
bücher Les deutſchen Reiche” (1. Bd. 2. Abthl., Berlin 1838). 

Mit befonderer Vorliebe und Ausführlichkeit hat unfer Verf. 
Karl's des Großen Zeit, Thaten und Charakter dargeſtellt. Und mit 
Net. Denn die Biographien dieſes höchft merkwürdigen Kai: 
fers von Hegewiſch (1791) und von Dippold (1810), an und für 
fich nicht ausgezeichnet, find bei dem jegigen Stande der Wiſſen⸗ 
ſchaft vollends nicht mehr ausreichend. Die Reviſion und Er» 
weiterung bes Kreiſes ber Duellenfchriften durch Perg’s ‚, Monu- 
menta Germanfae historica ”, bie Werfe Einhardt’s durch Teulot 
in Paris (1841), die Forſchungen und Darſtellungen, bie z. B. 
Böhmer, Loreng, Ellendorf über einzelne Berhältniffe jenes 
Kaifers und feiner Zeit geliefert haben, machen jegt gang an⸗ 
dere Anſpruͤche an Den, der dieſes hiſtoriſche Thema bearbeiten 
und mit ſeiner Arbeit vor dem Forum der Kritik erſcheinen will. 
Die Aufgabe iſt in der That nicht leicht und ihre Schwierig⸗ 
keit ſcheint wirklich die Urfache zu fein, warum fle biß jegt 
noch feine Loͤſung erfahren, hat: Diefe mar allerdings in’ Aus: 


ſicht gefiellt von einem Manne, ben Fleiß, Kenntnifle mb 
Sharan dazu befähigten, von bem jüngern Ideler in Berlin. 
Er verfprach diefe Aufgabe zu Idfen in feinem „2eben und Wan⸗ 
del Farrs bed. @roßen, beſchrieben von Einhard* (2 Bde., Berlin 
1839). Doch der im vorigen Jahre erfolgte Xob bed überaus. 
fleißigen jungen Mannes hat jene Ausficht vernichtet. Unſer 
Verf. Tpricht in dem Abfchnitte, der „Karl’s Wollen und Stre⸗ 
ben” überfchrieben ift, viel Wahres und Treffendes, und wird 
um fo größeres Intereffe exzegen, wenn man ed mit ben Urs 
theilen vergleicht, die Gibbon, Joh. v. Muͤtler, Schioffer, Mans 
nert und Becker ausgefprochen haben. Bemerkenswerth ericheint 
ed, daß Joh. v. Müller, wir möchten fagen mit einer gewiffen 
Abneigung über den großen Kaifer uxtheilt und ihm überhaupt 
nicht diejenige Aufmerkſamkeit ſchenkt, die er doch mit vollem 
Rechte verdient. Es gab allerbings in Deutfchland eine Zeit — 
nad NRapoleon’s tur; —, wo man über jeben Groberer ben 
Stab zu brechen gewohnt war. Auch Karl ber Große mußte diefe 
Misftimmung der Deutichen erfahren; fie dat jedoch Längft wies 
berum bes Gerechtigkeit und Wahrheit das Feld geräumt. 
Sollten wir am Schluſſe unferer Bemerkungen mit ber 
Hoffnung auf eine baldige Fortfesung bed begonnenen Werkes 
noch einen Wunſch verbinden,. fo wäre es folgender. Der Geiſt 
eines Volles, ber Gharakter einer Zeit offenbart fih am ans 
ſchaulichſten und lebenbigften durch feine Eulturzuftände überhaupt, 
insbefondere aber durch feine Literatur. Man kennt ein Volk, eine 
Zeit nur zur Hälfte und deshalb einfeitig, wenn man nur fein 
politifges Leben und Thun kennen gelernt bat. Das Mit: 
telaiter bat ebenfalls feine eigenthümlishen Büpungsmerktmate, 
ſelbſt feine eigenthämtiche Literatur. An Arbeiten darüber 
fehlt es bereits nicht mehr, fo viel au noch zu thun fein 
mag; allein bie Kenntniß davon ift nicht fehr weit verbreitet 
und ihre Wangelhaftigkeit zum Theil Urſache von falfdyen Ur: 
theilen und Borftellungen über das Mittelalter. Der Verf. bärfte 
nun unfers Erachtens feinem Werke einen um fo größern Werth 
und mit bemfelben eine um fo größere Verbreitung verfchaffen, 
wenn ihm an paflendın Stellen und in geeigneter Weiſe Bemer- 
kungen über Gultur und Literatur einverleibt würben. Auch ger 
wänne dadurch bad Ganze an Manmnichfaltigkeit, eine Gigen⸗ 
Ihaft, die. dem Iefenden Pubkieum, für weiches ber Verf. fein 
Werk beſtimmt hat, fi) zu empfehlen pflegt. 
Karl Bimmer. 





Literarifhe Notiz. 

Man pflegt wol zu fagen, baß bie forcirten unb unmoras. 
liſchen Romane in Frankreich die große Menge, die keine an⸗ 
dere geiftige Nahrung bat, verderben müflen. Woher kommt 
es aber, daß gerade diefe große Menge in Krankrei mehr 
als bef uns fi an der foliden, Eräftigen Koſt biftorifcher Werte 
labt? Oder wie will man fonft den gang ungewöhnlich ftarfen 
Abfag erklaͤren, den in Frankreich ſelbſt ernfte gefchichttiche Schriften, 
fogar ſolche, die einen gelehrten Anflug haben, finden? Gin 
ſchlagendes Beifpiel dafür find die Werke von Auguftin 

hierry, von denen foeben eine Befammtausgabe angekündigt 


‚wird. Seine Schriften gehören gewiß nicht zu ben leichtfertigen 


Fabrikarbeiten, die man flüchtig burchblättert, fondern fie find 
im Gegentheit für feanzöfifche Werke fogar ſchon etwas ſchwer⸗ 
falfg, und doch gibt es nicht ein einziges berfelben, das nicht 
mehre Auflagen eriebt hätte. So ift feine Gefchichte der Er: 
oberung Englands durch die Normannen bei der achten Aus⸗ 
gabe angelangt; von feinen „Lettres sur l’histoire de France” 
ift die fiebente und von feinen „Dix ans d’&tudes historiques” 
die vierte Auflage erfchienen, ja fogar feine Récits des temps 
merovingiens’’, bie noch gar nicht lange erſchienen find, haben 
fon einen neuen Abdruck nöthig gemacht. Iſt dies ein Aufell, 
oder muß man nicht daraus fließen, daß bie große Menge. in 
Frankreich außer ber Lecture des ‚‚Siecle” und dem Stu: 
diu Kira de Kock's und Balzac's noch andere geiftige Beduͤrf⸗ 
niffe bat? . 


Verantwortliher Herausgeber: Heinrich Brodhaud — Drud und Verlag von F. X. Breodbaus in Leipzig. 


Bla 


tter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonnabend, 





Auch in der Methode iſt dieſer Gegenſat der beiden 
Denker bemerkbar. Strauß ſagt: „Die Geſchichte vinee 
Dogmas iſt deſſen Kıitl‘, und in dieſem Sinne ſtellt 
er die ganze chriſtliche Dogmatik als einen großen Proceß 
wer Entwickelung, Fortbildung, Umgeſtaltung und Aufloͤ⸗ 
fang der chriſtlichen Dogmen bar, ſelten fein ſubjectives 
Urtheil einmiſchend, meiftene nur refumivend, anbeutend, 
mit faft vornehmer Unparteilihfeit und Indifferenz. 
Feuerbach dagegen erblickt in der religiöfen Denkweiſe eine 
eigenthuͤmliche Ridytung des menfchlihen Geiſtes, eine 
NRichtung, welche fich zu der natbrlichen wie «in volllom: 
mener Gegenſatz verhält, der keiner Vermittelung fühlg iſt, 
fondern eine dirrcte Aufhebung, eine Durchſchneidung mit 
den Alexanderſchwerte der Eritifchen Vernunft fobert. Dee: 
‘halb wendet fih Feuetbach, mit Übergehung aller ſoge⸗ 
nannten vermittelnden oder fpeculativen Richtungen der 
Theologie, geradezu an die urfprünglihe Form des chrifbe 
lichen Haubens, an die gemürhtiiche Auffafjung der 
Degmen, und ſucht dieſe gefliffenefich in ihrer ganzen 
Strenge und Einfachheit berzuftellen, um der Gegenwart 
puurufen: „Sieh', was dein Glaube ift! Eine Schwach 
heit deines Derzens, nichts Weiteres. If du glaͤubig 
fin, fo darffi' du nicht denken, und willſt du denen, fo 
mußt du vor Allen ertennen, daß bein Glaube auf kei⸗ 
mer objectiven GBrundinge, fordern tediglih auf einem 


tronfhaften, verbildeten Zuſtande deines Bewußtſeins be: . 


ht.” Deshalb geht auch Feuerbach diwert auf fein Biel 
(06, naͤmlich auf die Auflöfung der chriſtlichen Dogmen, 
auf die Zerſtoͤrung der „Illuſion“, welche fi) die Menſch⸗ 
Seit faſt zwei Sahrtaufende fang gemacht hatz Strauß da: 
gm finder felw dialektiſches Geluͤſt Schon durch bie Ar: 
beit der Kriete und der geſchichtlichen Entwidelung befrie: 
digt und ruͤckt fid das Mefultat dieſes Denkproceſſes ab- 
fichlich in immer weitere Ferne binnus, um ſich nicht 
den Reiz des dialektiſchen Spiels zu verkürzen, und um 
uhr zu einer Entſcheidung gedrängt zu werben, welche er 
vermeiden zu wollen ſcheint. Aus eben dem Grunde iſt 
bei Strauß das Detall, das feine Gräber und Gefafer der 
Beten, die Verkettung und Schattirung der Begriffe, 
‚it einer wahrhaft claſſiſchen Vollendung umd Durchſich⸗ 
tigkeit behandelt, jede Wahrheit und jeder JIrrthum dach 


ale Stadien ihrer Entſtehung und Kortbitbung hindurch⸗ 
geführt und die Verzweigung der religiöfen dee duch 
alte Kreife des geifligen Lebens der Menfchheit mit uns 
nachahmlicher Meifterfchaft geſchildert, während Feuerbach, 
nur das praktiſche Reſultat im Auge, dieſen Luxus der 
biftorifhen Entwickelung und der plaſtiſchen Darſtellung 
verſchmaͤht und gern den naͤchſten Weg und die treffend⸗ 
ſten Mittel des Erfolgs waͤhlt. | 

Es mwärde uns zu weit führen, wollten wir biefen 
Vergleich zwifchen dem Verf, des vorliegenden Werks und 
dem Berf. des „Lebens Jeſu“ und der „Chriftiichen GOlau⸗ 
benslehre“ auch durch die einzelnen Reſultate ihrer Eritke 
ſchen Arbeiten hindurch verfolgen. Wir ziehen es beshalb 
vor, noch einen Blil auf das Endrefultat des Feuerbach'⸗ 
fhen Buche zu werfen und uns die Frage zu fielen: 
Mas haben wir daducch eigentlid gewonnen? nad wel⸗ 
er Seite hin finden wir und weitergeführt, gefördert? 

„Die Religion, fammt allen ihren theoretifchen Lehren 
und allen ihren praktifchen VBorfchriften, iſt Nichts als ein . 
Product unfers Bewußtfeine und ſteht deshalb auch ganz 
und gar unter den Gefegen dieſes Bewußtſeins, unter den 
Gefegen der natürliden Vernunft”; dies ſcheint uns in 
wenigen Worten das nadte Reſultat der Feuerbach'ſchen 
Keitit zu fein. Diefes Reſultat ift nicht neu; ſchon ber 
alte Rationalismus enthielt es in fih. Kant erklärte amt: 
deücklich die praßtifche Vernunft, das Sittengefeg für das 
Kriterium aller Religionswahrheiten, und die ſaͤmmtlichen 
Rationaliften flinmen darin überein, den Inhalt ber Of: 
fenbarung nur inſoweit anzuerkennen, als derſelbe durch die 
Ausſpruͤche der menſchlichen Vernunft beſtaͤtigt und be⸗ 
glaubigt wird. Hierdurch war aber, der Sache nach, bie 
Religion [don zu etwas Menſchlichem, die Theologie zur 
Anthropologie gemacht und bie kalte Waſſercur mit dem 
menſchlichen Geiſte begonnen. Die mythiſche Theologie 
vollendete dieſe Aufloͤſung des Goͤttlichen in ein Menſch⸗ 
liches, indem ſie das Chriſtenthum fuͤr eine bloße zeitliche 
Form oder Phaſe des allgemeinen weltgeſchichtlichen Prin⸗ 
cips, des Princips des unendlichen Foreſchritts der Menſch⸗ 
heit erklaͤrte. Auch auf dem mpthifhenm Standpunkte 
iſt die Anthropologie die hoͤchſte Richterin uͤber bie Theo⸗ 
logie; wahr, bleibend, unvergänglich find nur diejeni⸗ 
gen Religionsvorſtelungen, weiche dem allgemeinen Bes 
‚geiffe entſprochen, ben die Philsſophie von dem Weſen 


%a e —8 
⁊ 


und ber Beſtimmung des Menſchen und der Menſchheit 
aufſtellt. 

Bis hierher koͤnnen wir alſo in der neuen, von Feuer⸗ 
bach aufgeſtellten Lehre noch keinen Fortſchritt uͤber die 
ſchon vorhandenen theologiſchen Standpunkte hinaus ent 
decken. Wie die Rationaliſten das Abfölute für eine Pers 
fonification des dem Menfchen eingeborenen Moral: 
geſetzes anfehen, ‚die mythiſche Theologen für die Perfont: 
fication einer der, eines Denkacts des menfclichen Geis 
ſtes in feiner Allgemeinheit und Freiheit: fo erklärt 
Feuerbach die Worftellungen von Gott und göttlichen 
Dingen für objectivirte Gedanken, Empfindungen, Wün- 
ſche und Ginbildungen des Menſchen. Nicht. alfo in ber 
allgemeinen Borausfegung felbft, nämlich, daß der Inhalt 
der Religion ein menſchlich er fel, kann der Unterfchied 
zwiſchen Feuerbach und feinen Vorgaͤngern liegen, fordern 
in der befondern Art der Anwendung und Durchführung 
diefer Anſicht, in der beſtimmten Deutung der Idee des 
Menfhlichen. Und in der That laͤßt dieſe Idee eine 
mannichfache Auslegung zu, well fie einen umendlichen 
Kreis von Zuftänden, Verhaͤltniſſen und Entwidelungs: 
flufen umſpannt. Menſchlich iſt die ideale Richtung auf 
ein abfiractes Sittengefeg, menſchlich das Beduͤrfniß un: 
endlichen Kortfchritts in politifchen, ſocialen, materiellen 
BVBerbefferungen aller Art, menſchlich endlich ift auch bie 
yatbologifche Empfindung, die Einbildung, die ſich Traͤume 
und Bilder ſchafft, die Gemuͤthlichkeit, welche in Hoffnun⸗ 
gen einer feligen Zukunft und in andachtsvollen Anſchau⸗ 
ungen eines hoͤhern, überfinnlichen Seins der Dinge 
ſchwelgt. Und wenn wir, wie Died Feuerbach felbft chut, 
Dasienige, was wir für das wahre Weſen des Menfchen, 
für das echt Menſchliche halten, zugleich ale sin Goͤttliches, 
als das einzige Göttliche ausfprechen, fo erhalten wir wies 
der innerhalb des menſchlichen Bewußtſeins ein Jenſeits 
und ein Dieſſeits, ein Abfolutes und eine Negation diefee 
Abfoluten, denn wer 5. B. die ſinnllche Natürlichkeit 
als das Weſen und die Grenze des Menfchlichen anficht, 
dem fällt nothwendig die Idee eines übderfinnlichen, idea: 
len Gittengefeges außerhalb des menſchlichen Weſens, 
und er muß daffelbe entiweder leugnen oder als ein be: 
fondered felbiländiges Weſen hypoſtaſiren. Nicht auf den 
Namen kommt ed an, fondern auf die Sache; nit auf 
den tbeoretifhen Begriff, fondern auf die praßtifche Wir 
tung, und da ift «6 einerlei, ob ich mir als Princip meines 
fittlichen Verhaltens ein Moralgefeg denke oder den Willen 
eined Geſetzgebers, vorausgefegt, daß ich dieſem Willen ge: 
rade diefelden Beſtimmungen beilege wie jenem Geſctze. 

Wenn alfo Feuerbach nachzuweiſen verfucht, daß das 
Chriſtenthum etwas rein: Menſchliches, das Product einer 
befondern Richtung des menſchlichen Bewußtſeins fei, fo 
iſt diefe Beweisführung — wie fehr wir auch ihre Schärfe 
und Gewandtheit zu bewundern une gedrungen fühlen — 
doch in ihren praktiſchen Folgen für die Gewinnung einer 
felbftändigen Lebensanfiht fo Lange noch unzureichend, bis 
Feuerbach und über die innere. pipcholoyifche Wahrheit 
ober Unwahrheit jener Richtung genuͤgendere Aufſchluͤſſe 


gegeben, bie er gezeigt haben wird, was er nun eigentlich. 


494° 


an die Stelle jener chriſtüchen Vorſtellungen und Bor 
fcheiften zu ſetzen gedenke. Die Religion iſt zu keiner 
Zelt etwas Anderes geweſen, als die Außere Darſtelung 
und Fixirung eines allgemein gefühlten Zeitbebärfniffes, 
eines inzern Dranges des Menſchen: biefe Wahrhelt ha⸗ 


‚ben alle freien Richtungen In der Theologie ſchon kängft 


anerkannt und ausgefprochen, wenn auch jede auf ihre 
Weile; und felbft die orthodoren Theologen können dies 
zugeben, denn was hülfe «8 ihnen, eine Öffenbarung zu 
behaupten, wenn fie nicht im Menſchen eine. Empfäng= 
lichkeit für diefe Offenbarung, d. h. eine Richtung anf den 


ſelben Punkt hin annehmen wollten, welcher durch die ges 


offendaste Lehre ausdruͤcklich als der wahse bezeichnet ſein 
fol. Der Streit alfo um das formale Princip unferer 
Zebensanfichten und unferer Handlungen iſt von bios dogs 
matifhem oder wiſſenſchaftlichem Intereſſe, aber ohne 
praktifche Folgen ; Ddiefe knuͤpfen fich vielmehr lediglich am 
die Stage nach dem Inhalte diefer Kebensanfidgten, nach 
der Richtung dieſer Dandlungen. Nicht darauf kommt 
es an, ob ic das Leiden darum für etwas Goͤttliches 
halte, weil ich an einen leidenden Gott glaube, ſondern 
darauf, ob ich es überhaupt fr etwas Goͤttliches für eis 
was dem Wefen und der Beſtimmung des Menſchen Ene 
fprechendes halte. Und ebenfo hamdelt es fich bei ber 
Kritik der chrifttichen Lehre im Allgemeinen nicht ſewoi 
darum, ob wir diefe Lehre noch gegenwärtig unter derfels 
ben Form des Staubens auffaflen, wie dies frühere Jahr⸗ 
hunderte gethan (mas kaum möglich), als vielmehr danım, 
ch wie fie noch ihrem ganzen praktiſchen Ju⸗ 
halte nach für wahr und- für geeignet halten, der menſch⸗ 
lien Geſellſchaft zum leitenden Principe zu dienen. Wenn 
daher Feuerbach die Gemuͤthlichkeit und Innerlichkelt der 
chriſtlichen Lebensanfhauung, bie dadurch berbeigefühegte 
Abkehr des Menſchen von der Außerlichen Matur und fos 
gar von feiner eigenen finnlichen Exiſtenz, als eine- ſolche 
Richtung des menſchlichen Geiſtes betrachtet, welcher nur 
ein fehr bedingter und eingeichräntter Einfluß auf dem 
Menſchen und die menfchliche Gefellfchaft eingeräumt wer⸗ 
den dürfe, wenn er dagegen andere Principien der fittlls 
hen und focialen Ordnung aufführt, bie er für natur⸗ 
gemäßer und heilfamer hält: fo trifft diefe Erklärung den 
Punkt, worauf es ankommt, weit ſchaͤrfer, als all feine 
dogmarifhen und kritiſchen Unterfuchungen. Aber bier 
eben vermiffen wir bie Beſtimmtheit einer eonſequent 
burchgefühsten und klar ausgefprochenen Anficht über das 
pofitive Princip des ſittlichen und des ſocialen Leben der 
Menſchen; bier, fürchten wir, überläße uns Feuerbach ber 
Willlür der „freien Subjectivicät”, weiche in llebenswur⸗ 
diger Genialitaͤt nur nad aͤſthetiſcher Vollendung und 
Verherelihung des Individuums, nad) poetiſcher Erbend- 
und Genußfülle trachtet. „Das Leben in feinen weſent⸗ 
lichen, fubltantiellen Verhaͤltniſſen iſt durchaus göttlächer 
Natur”, fagt Feuerbach (S. 371), d. b: es hat feinen 
Werth, feine Weihe, feine Geltung durch fich, durch fein 
natürliches Princip, nit erſt durch die Anerkennung Sei⸗ 


tens der Religion. Wir flimmen dem Werf.: hierin 


aber. wir wuͤnſchten, ex.:hütte. und diefe „mefentlicen, ſub 


eu — 





MB 


Buusieliemn: Werbälteife des Schıns!' genauer kezrihmet, er 
Witte die Befage fefbgeftellt, mach denen fi das Beben felb⸗ 
bewegt und entwickrit; erſt dann würsen wir dm 


Stande fein, Über Werth oder Unwerth der Endrefültate 
feiner Kritik ein enticheidendes Urthell abzugeben. Was 


er uns im diefer Hinſicht gibt, iſt zu fragmentarikh, um 
uns daraus eine beſtimmte Anfchauung feinee Anfichten 
zu bilden, fo 3. B. feine Auferungen ter: die „Ehe, als 
freier Bund der Liebe”, Liber die „rechtlichen Verhaͤltnifſe“, 
uber den Gegenſatz des „praktiſchen Anfhauung”, welche 
ihn eine „ſechuzige, nicht im ſich befriedigte“ iſt, und der 
„tbeoretifchen”, siner freudenvollen ſeligen, in fich befries 
digten Anfchauung” u. ſ. w. Wir wollen daher auch nicht 
wereilig aus dieſen vereinzelten Außerungen auf des Verf. 
Lebens anſichten fchließen, weil wir ihm dadurch Unrecht 
chun Bönnten, fondern abwarten, bis er die vollſtaͤndige 
Dürfielung ſeiner Philoſophie geben wird, vom welcher 
dad gegenmoärtige Werk, mie er in der Worrede fagt, „nur 
die Elemente“ enthalten ſoll. Aber deingend bitten muͤſſen 
wir den Verf. um feiner und. um der Sache willen, die 


er verfheibige, mit Diefer vollitändigen Darlegung feiner | 


ilofoph Anſichten, d. h. feiner poſit iven Anfichten 
m ——* des Lebens und der Geſellſchaft nach 


nachrelichen, menfchlihen Gefegen, nicht zu lange zu: 


radzubalten, da bis zu ihrem Erſcheinen fein philofophi: 
ſches Wirken, als ein nur ſehr umvollſtaͤndiges, als ein 
Gos negatives und in dieſer Negation nicht einmal origi⸗ 
nelles, dafleht. *) 32. 


‘ 





Barthel. Eine arabifhe Erzählung von William Bed; 
ford. Aus dem Engliihen von Otto Mobnike 
keipzig, Cnobloch. 1842. 8. 1 Thir. 15 Nor. 


- Diele Erzaͤhlung wurde, wie und die Vorrede des Ueberſe⸗ 
ers berichtet, ſchon vor Länger als einem Jahrhunderte gefchries 


son und erfreut ſich in England und Frankreich des Ruhmes 


ter Giaffieität, befonders fcheint fie Lord Byron ſehr hochgehal⸗ 
ten zu haben, da er bei mehren Belegenbeiten ihrer rühmenb ges 
alt. So fagt ex in einer Anmerkung zum ‚‚Slaour”: „Was 


Goessetheit der Zeichnung, Schönheit der Beichreibung und Baus 


ber der Imagination betrifft, To uͤberſtrahlt, Vathek alle euros 
ptiſchen Rachabmungen und trägt folge Spuren ber Origina⸗ 
Kıkt, daß Diejenigen, weiche das Morgenland befucdhten, Mühe 
heben werden, biefed Buch für eine bioße Nachbilbung zu hal» 
ten. 86 morgenlänbifche Gryählung muß fogar ‚Raflelas‘ ihm 
weihens. das ‚hal ber Gtüdfeligkeit‘ verftattet feinen Wer: 


gleich weit ber ‚Dale bes Eblis‘.“ Und in ber neunten Note zur 


Ercherung von Korluth” äußert er ſich in Beziehung auf 
dam aus „Batbel” enticehnten Gedanken alfo : „Ich habe gehoͤrt, 
WR Diejenigen, deren Beifall mir etwas werth ift, den Gedan⸗ 
ta vewunbeun, welchen ich in den folgenden fünf Zeilen ausge: 
Schalt habe. Diefes freut mich; jene Ider aber iſt nicht originell, 
wenigens nicht ri mir, und findet ſich weit fchöner ausgeführt 
fh der engliſchen ÜUberſegung von ‚Wathel‘,. ©. 182 184; 


— einem Verke, auf weiches ich mich fchon früher bezog und 


das ich mie wieder leſen kann, ohne mich von ermeunssten Ge⸗ 
n bed Dantes durchdrungen zu ſehen.“ Gin gleiches Lob 
bet Byron diefem Maͤrchen nach an andern Drten, "up 


7" 9) Madbene jett die Kufkhtemvon Birenb uab euerbach ham 
weicht: find, wiss: nöchkend eis, nuöfhäriuhe Mittheilung Aber VBruqo 
Beire erfolgen. D. Reb. 


Ba: th, ." ı a 





vrh hen. 


- — 2 ⸗ —XEEC zone ... 





alter Gicatt ip einem Auflage bes „Quarteriy review“ foB ihm 
eine nicht geringere Anerkennung gitdmmen laffen. j 


Trot dieſen bedeutenden Autoritäten Tann ich dem Werke 


] Eeinen ſehr hoben äftyetifchen Werth beilegen und ihm am me: 


nigften, das Prädicat der Claſſicitaͤt zugeſtehen. Wenn ber Ueber: 
fegee vorzugsweiſe daran rühmt, daß es mehr als irgend eine 
andere Dichtung des Abenbiandes, auch in dem kleinſten Zuge, 
den. Offen in feiner bunten und glühenden Farbenpracht, gleiche 
fam im Spiegelbilbe erkennen laſſe, ſo muß dies zwar zugeftan- 
den werden, denn allerdings fühlt man fich bei Leſung bderfelben 
gänzlich in eine fern liegende Welt gerät. Aber damit iſt nur 
ein beſchraͤnktes, ja zweibeutiges Lob gefprocken: denn eben der 
Umftand, daß wir uns in eine durchaus fremde Sphäre verfegt 
fühlen, daß wir in ber uns aufgefchloffenen Melt nicht wirklich 
heimifch werden, ift ein Beweis, daß ber Verfaffer troß aller 
Treue und Gergfalt in der Nachahmung ber orientalifchen An⸗ 
ſchauungs⸗ und Darftellungsweife es nicht verftanden hat, ben 
aufgenommenen Stoff mit Leichtigkeit und Natürlichkeit wieder 
aus ſich zu entfalten. Der @indrud bieibt daher weit binter 
ben wirklich orientalifhen Dichtungen zurüd. Diefe bringen 
zum Dergen, weit fie dem Herzen entquollen find; „Vathek“ aber 
macht nur den Eindruck eines gelchrten Werks, an dem man 
die Kunft der Rachahmung zu bewundern hat. Bei jenen fühlt 
man fü) wie am Tiſche eines orientalifchen Gaftfreundes, der 
uns die Fremde zur Deimat zu machen weiß; bei diefem duͤnkt 
man fih im Park eines reichen Lords, den fi dieſer koͤſtlich 
im orientalifhen Geſchmacke hat einrichten Laffen. Wie es bei 
allen Rachbildungen zu gefchehen pflegt, To leidet auch „Vathek“ 
an Meberladung, da ber Dichter es nicht verflanden hat, auch 
das allgemein Menſchliche, das Generelle bineinzuvermeben, 
fondern nur aͤngſtlich darauf bedacht geweſen if, einen fpeciell- 
orientalifchen Zug unmittelbar auf den andern „feisen Ir laſſen. 
Angenommen aber auch, bie morgenlaͤndiſche Faͤrbung der 
Dichtung ſtelle ſich nicht als eine kuͤnſtliche, ſondern als eine 


| natürliche dar, jo würde damit über ben Werth der Dichtung 
| ats foldyer noch ‚nichts entfdhieden fein, da bekanntlich die echt 


orientalifden Dichter ebenfo viel Talent haben, etwas Schlechtes 
und Mittelmaͤßiges zu probuciren als bie Dichter des Abends 
landes. Es fragt fig alſo erft: entfpriht die Dichtung auch 
als ſolche den allgemeinen und befondern äfhetifchen Anfoderuns 
gen? Macht fie im Ganzen einen wohltbuenden, fei es rein bes 
friedigenden, oder ergöglichen oder ergreifenden Eindruck? Liegt 
ihr eine neue, ober überhaupt eine der poetifhen Darftellung 
würdige Idee zum Grunde? Iſt diefe Idee in Eunftgemäßer 
Ginpeit und Mannicfaltigkeit ausgeführt ?_ Yinbet fich ein Reich: 
thum von Anſchauungen, Perfönlichkeiten, Situationen, Bildern 
und einzeinen Gedanken? Iſt das Ganze in einer fchönen, dem 
Stoffe angemeſſenen Sprache vorgetragen? u. f. w. ragen, 
die ih in Bezug auf „Vathek“ nur zum heil günftig bes 
antworten laffen. 

Was zunäcft ben allgemeinen Eindruck betrifft, fo ift dieſer 
in feiner Hinſicht wohlthuend. ein befriedigend ober ergöglich 
ift er nicht, weil der Dichter nur vorübergehend rein » fhöne und 
omifhe Momente bietet und von Anfang an durch gräßtiche 
Gituationen hindurd auf ein graͤßliches, in der Hölle felbft ſpie⸗ 
iendes Ende hinarbeitet. Aber trog biefer tragifchen Tenbenz 
fühlen wir uns auch nicht fenderlich ergriffen — einmal weil 
bie Perſonen, die den tragifchen Untergang erleiden, nicht im 
Stande geweſen find, unfere tiefere Theilnahme zu erweden, 
fodann, weil der Weg zur Hölle ein gar zu directer und darum 
das Biel ein von vorn herein klar vor Augen liegendes ift, und end⸗ 
lich, weil die Schüderungen ber höllifchen Dualen überhaupt einers 
ſeits fchon zu verbraucht, andererfeits zu transfcendent und unfern 
andern Borflellungen wiberfprechend find, als daß fie auf Phan: 
taffe oder Gemuͤth einen tiefern Eindruck zu machen vermöchten. 

Ro geſchwaͤcht wird die Wirkung des Ganzen dadurch, 
daß ihm eine fchon oft bebandelte und in ber ihr hier gegebenen 
Baffung obenefn nur halb wahre Ihre zum Grunde gelegt if. 


Wir finden dieſe klar ausgibrüdt in den. Morten am Ehluffe 


J I.ıaloı 


- an - 


"ru tie in te 


196 


des Maͤrchens, welche lauten: „Dieſes wird did Strafe jener 


blinden Wißbegierde fein, welche die Schranken uͤberſchreitet, 


die der Schöpfer menſchuchem Wiſſen vorgeſteckt hat. Diefes 
wird enblih bie traurige Wereitiung jener Plane eines raſtloſen 
Ehrgeizes Derer fein, die nach einer geheimnißvollen Macht ſtre⸗ 
ben, welche Geiſtern reinerer Art vorbehalten iſt, und in ihrem 
thörichten Stolge nicht erfennen wollen, baß das 2008 der Diem: 
ſchen auf der Erde tft, im Staube und in Unmwiffenheit zu wan⸗ 
dein.” Wäre diefe Idee eine voͤllig wahre, fo ſtuͤnde es in ber 
That traurig um ben Menſchen und er thäte in der That am 
beften, all feine rationalen Kräfte an den Nagel zu hängen 
und ſich in die erfte beſte Muckergefellfchaft aufnehmen zu taffen- 
Eine ſolche Anſicht Ichrt aber weder das Chriſtenthum noch 
der Mobammebanismus und ift alſo auch nicht einmal vom reli⸗ 
aidfen Standpunkte aus anzunehmen. In einer fchrantenlofen 
Wißbegierde felbft Liegt an und für ſich noch gar feine Schuld, 


ja fie entfpringt durchaus folgerecht aus dem allgemeinen Bes | 


fireben, Gott aͤhnlich zu werden, welches jebe ber Vernunft nicht 
ſchnurſtracks zumiderlaufende Religion vorfcreibt. Schuldig wird 
die Wißbegierde erft, wenn fie verkehrte Mittel ergreift, d. h. 
wenn fie zu demjenigen Geifte, in dem fie ihr Dafein hat, nicht 
das Vertrauen begt, daß er aus eigener Kraft heraus das ihm 
vorfchwebende Ziel eines vollkommenen Wiffens erregen könne, 
fondern, an der Gottäpntichkeit des menfchlichen Geiſtes verzwei⸗ 
feind, fi) dämonifchen Mächten ergibt und von ihnen zu em: 
pfangen hofft, was fie durch eigene Kraft zu erftreben, zu träg 
oder zu zagbaft ifl. Nun wirb zwar der Khalif Vathek als zu 
fothen falſchen Mitten greifend bargeftelt, aber der Dichter 
verfaumt es, hierauf das gehörige Gericht zu legen und ers 
tennt offenbar die Schuld nicht bloß in ihnen, fondern vielmehr 
in ber Unendlichkeit des Strebens felöft. 

Mehr als die Idee ſelbſt befriedigt ‘die Geſtaltung ber Idee, 
obfchon auch hier Mandyes zu wuͤnſchen übrig bleibt. Nament: 
licht hätte wol die Ausartung ber Wißbegierde Vathek's einer 
Motivirung beburft und nit von vornherein als beftehend an: 
genommen werden müffen; auch verträgt es fich ſchlecht mit ber 
Goͤttlichkei Mohammed’s, wenn er ihn von Anfang an in feinem 
frevelbaften Beginnen unterftügt. Gelungener ift die Darftef 
ung des Fortſchritts und bei aller Willfürlichkeit, welche bie 
maͤrchenhafte Einfleidung mit ſich führt, dem innern Gedanken: 
gange entfprechend. Nur die Reife nad Iſtakhar fcheint mir 
durch die Beſchwoͤrungen im Thurme nicht hinlaͤnglich motivirt, 
weil dieſe Beſchwoͤrungen ſelbſt in keinem nothwendigen Zuſam⸗ 
menhange mit dem Borangehenden ſtehen. 

Gehen wir zur Betrachtung des Einzelnen über, fo finden 
wie in der That manche wahrhaft" Teefftiihe Partien, und biefe 
find es jedenfalls gewefen, welche die obengenannten Dichter zu 
ihrem Lobe veranlaßt haben. Im komiſchen Genre find vor: 
zugeweife zwei Scenen zu erwähnen: naͤmlich die, in welcher 
Vathek den Giaour mit Zußtritten verfolgt ımb ben gefamms 


ten Hofftaat und das ganze Volk zu einer gleichen Handlungs⸗⸗ 


weife mit fortreißt, und jene, in welcher Nouronihar, bie fchöne 
Tochter Fakreddin's, und Vathek's Sultaninnen mit dem Ber: 
föhnittenen Bababalouf ihr tolles Spiel treiben. Au 
den fi) manche echt humoriſtiſche Züge, welche namentlich zur 
Milderung des Gräßlichen ihre guten Dienfte leiſten. Ebenſo 
glüdtich bewegt ſich der Dichter in ber Darftelung des Liebli⸗ 
den und Reizenden. In der Schilderung des Berges ber vier 
Bäche, bei der Beichreibung des Knabenfeſtes und vor Allem 
Dei der Zeichnung ber ſchoͤnen Rouronibar und des kindlichen 
Quichenrouz entfaltet er eine Üppigkeit und Lebendigkeit der 


Phantafle, die an einem abendiändifhen Dichter wahrhaft zu 


bewundern if. Minder dagegen können wir uns mit feiner 
Zeichnung des Graͤßlichen und Schrecklichen befreunden. Hier 
artet feine Imagination ſehr Häufig ins Ungeſchlachte aus und 


macht entweber einen widerlicgen ober Tächerlichen Gindrud. 


Sowol Vathek felbft erfcheint oft als zur Caricatur ausgezerrt, 


ald auch feine Mutter Karathis und fein daͤmoniſcher Verfuͤhrer, 


der Blaonr. Das ſich die orientaliſche Yhantafie in Ertravagan⸗ 





ch fonft fin: : 








diefer Art t, Yı; aan cs wii: 
—ã— — — men 
Enz, 






Sagen werben. Bon wirkfamem und adıt guoßertigem G 
dagegen iſt die Gchüberung Iftakhar’s und ber Halle be 
we das unterirdifche Feuer lodertz wo die Zallemane zu fchauen 
find, welche die Welt regieren, wo die präadamitifihen Sultane Ihres 
men und wo audy Bathek feinen Play erhält. Hätte ſich nicht 
He Phantaſſe der Deichter wie. ber Maler von elten Zeiten ber 
in Scälderungen der unterweitlidken , hoͤlliſchen Räume erfchöpft 
und wuͤrden wir von unferm Dichter zum erften Mate in biefe 
Halle eingeführt, fo würbe, wie ſchon oben angebeutet, ber Effect 
jedenfalls ein nody weit mächtigeres fein und badurd bie Une 
ziehungstraft bes Ganzen bedeutend erhoͤhet werben. «hen, 
fürchten wir, dürfte die Aufnahme der Dichtung trot ihrer eins 
seinen Schönheiten nicht, die Iebendigfte fein und der Ueberſetzer 
wenigſtens von Beiten des Publicums nicht denjenigen Dan? 
ernten, ber ihm für das Verdienſt, ein wenn audy nicht claffi⸗ 
ſches, body immer beadhtenswerthes Werk der Vergeſſenheit ent- 
riffen zu haben, und für die Sorgfalt, mit welcher er es im die 
Mutterfpxache übertragen, in vollem Maße gebührt. . . 26. 








Notizen. 


Zeit⸗Gebdanken. 
Virtus post nummos! Iſt nicht dieſe Trias von Werten 
in den Epiſtein bes roͤmiſchen Dichters Horaz in gewiſſer Hin⸗ 
ſicht die Parole unſerer, vorzügsweiſe nur auf Geid und auf 
äußere Geltung, nur auf Sinnengenuß, nur auf dußern Wors 
theil und dußere Macht bedachten, nur materieHe Intereſſen 
einfeitig, auf Koften des fittlich=geiftigen Lebens verfoßgendem, 
nur von dem einen Gebanten ber materiellen Exiſten; beberzfde 
ten Bett. Gilt die Virtue, gilt ſittlich⸗geiſtige Volllommenpeit, 
im Großen und Seinen, Das, was fie fol? Laſſen ſich die 
Lenker der Staaten und Völker, Iaffen fih die Einzelnen, wern 
auch nicht ausſchließlich, doch minbeflens vorzugsmeife von dem 
Streben nad) dicfer ſittlich⸗ geiftigen Vollkommenheit, welche ber 
Bielpunft der Menfchgeit fein fol, laſſen fie ſich non moratifcgen 
Tendenzen allenthalben leiten? gilt nicht vielmehr ber Cudaͤmo⸗ 
niemus in unferm Gtaatöleben mehr als Tugend, Moral, 
Vernunft? Beherrſcht nicht der Gedanke ber materiellen Exi⸗ 
ſtenz ale Gemüther? ift ums nicht fo Manches, was uns nur 
Mittel zum Zwecke fein follte, felöft Iweck? und hauptfaͤchlliche 
Zweck? Die Virtus, im wahren Einne des Worte, füllte uw 
ferm Streben Zielpunkt und Zweck fein und uns Ale um fe 
freudiger und inniger erfaffen und um fo mufbider ausführen 
beifen; aber der induflrielle Egoismus vergiftet Alles und bie 
Virtus iſt Höchftens felbftfüchtiges Mittel zu einem andern Zuoecke, 
ber mit dem äußern Bortheile, mit der materiellen Eriſtenz iden⸗ 
tiſch iſt; während Das, was nur Mittel zu gutem mb em 
laubtem Zwecke fein follte, von unferer Zeit zum Zwecke ferbt 

erhoben wird. Virtus post nanımos ! , 

Mein Streben ift auf Gelb gericht; 
Nach Tugend frag’ ich weiter nicht. 


Es ift der hoͤchſte Iwed der Phitofopbie, den aber zugleich 
die Erzicehung jedes einzelnen Menſchen im Auge haben us, 
es bahin zu bringen, daB Jeder von ferien Gtüden thue, was 
er durch das Befen zu thım gezwungen iſt. Auch unfere Zeit, 
und fie vornebmiih, muß biefen Zweck in Staat und Kirche, 
wie in ber Schule, und für bad Gtantsleben, für bas —32* 
der Geſammtheit, zu erreichen ſich bemuͤhen. Dieſes praktifi 
Wirken ber Philoſophie iſt allein erſprießlich und ſegensreich, 
ſolche Philoſophie iſt die wahre Weltweiſsheit. Wir Neuere 
duͤnken ms in vielen Dingen weiſer zu fein al& die alten Grie⸗ 
den und Römer; unb bach. war es ein griechiſcher Philefopb, 
Xenokrates, der, als er gefragt warb, was feine Schüler ler» 
nen folten, erwiderte: Des von freien Stäcken zu tun, was 
Fe dirrch das Seſetz zu thun gezwungen ſeien (Cic.de republ. 4 ». 


VBerantwortlicher Herausgebers Heinrich Brokhaus. — Drud und Berlag von F. U. Broddaus in Leipzig 


» 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 





- Thomas Thyrnau. Bon der Verfafferin von Godwie 


Saftle und St.⸗Roche. Drei Theile. Bredlau, 

Mar und Comp. 1843. 8. 6 Zhlr. 25 Ngr. 

Die frübern Romane diefer Verf. lehrten und mit 
geipannter Erwartung dem neuen Product entgegenfehen. 
Sie nimmt unftreitig den erften Rang unter den deut: 


ſchen Gchriftftellerinnen ber Gegenwart ein, und wenn 


es auch bei dem hiftorifhen Hintergrund ihren Ro⸗ 
manen oft an richtiger Gefchichtsauffaffung fehlte, wenn 
audy in „Godwie Caſtle“ und „St.⸗Roche“ ihr die Des 
tailkenntnig ausging, To wußte fie doch ihre Lefer unmiders 
ſtehlich hinzureißen; ihre Werke waren gefühlt und ges 
dacht und mußten deshalb wie alles menfhlid Wahre 
mächtig auf die menſchlichen Gemüther wirken. 

Diefer letztere Roman: „Thomas Thyrnau“, ſteht aud) 
nun den fruͤhern an Vorzügen nicht nach, während er die 
oben gerügten Mängel und Schwächen derſelben viel we: 
niger beflst. Bel „Thomas Thyrnau“ iſt Deutfchland der 
Schauplatz; die biftorifhen Studien waren alfo leichter, 
reichere Quellen ftanden zu Gebote und große Misgriffe 
waren beinahe unmöglih. Der Heid des Romanintereſſes 
ift Graf von Lay: Wratisfaw, wie er fid) zu Ehren feiner 
böhmifchen Befigungen nannte. Wir finden ihn in Wien, 
wo er, der junge fechsundzwanzigiährige Mann, die feche: 
unddreißigiährige Fuͤrſtin Morani liebt und um ihre Hand 
wirbt. Die nicht mehr junge und nicht fchöne Frau ſtraͤubt 
fi) gegen diefe Verbindung, im ußtſein dee Ungleich: 
beit der Jahre, obgleich ihre Herz dem jungen Freund 
ſchon laͤngſt angehört. Ihe ruͤckſichtsloſer, verſchwenderi⸗ 
ſcher Vater hat ſie ohne Vermoͤgen in einem ſchoͤnen Pa⸗ 
laſt zurückgelaſſen, und das Darben in der Pracht, das 
ſtille Entfagen im. vornehmen Stand, das fi Trennen 
von luxutioͤſen Gewohnheiten der echt religlöfen und erge⸗ 
denen Prinzeſſin if Außerft ergreifend, fowie auch ihdr 
Kampf gegen die Liebe zum jungen Bewerber. Gie dentt 
nur an ihn und an fein durch eine Ältere kraͤnkliche Frau 
gefährdetes Gluͤck, an ihr eigenes denkt fie nicht. Lacy 
bat die edle Seele erkannt und liebt fie wahr und innig; 

er bietet ihr ein freie® Herz und ein ſchoͤnes Vermoͤgen. 
Aber ein geheimnißvoller Brief feines Geſchaͤftsmannes 
und Bormunds, Thomas Thyrnau, kündigt ihm an, daß 
er, um in dem Befis feiner Stammgüter zu bleiben, des 
Vormunds Enkelin heirathen muͤſſe. Dieſe Bedingung 


vermag ihn indeß nicht von der Verlobung mit der ge: 
liebten Prinzeffin abzuhalten; erft als er an ihre gebunden 
ift, reift er nach feinen Gütern zur Zeftamentseröffnung 
und fieht des Vormunds ſchoͤne Enkelin Magda. Ex hatte 
fte fon einmal gefehen, ohne fie zu Eennen, und ißre 
Schönheit, fowie ihr ganzes Weſen läßt ihn bald empfins 
den, daß fein Gefühl für die Prinzeffin Morani nicht 
Liebe ſei. Auch auf Magda hat er einen tiefen Eindrud 
hervorgebracht. Aber er erklärt dem Vormund fein Ders 
haͤltniß zur Zürftin, er fühle ſich gebunden durch die Ehre, 


obgleich der priefterlihe Segen noch nicht gefprochen iſt. 


Warum dad Teſtament des Oheims den Beſitz feiner Güter 


an Magda’s Hand gebettet, erfährt er nicht. Sie felbft dringt ' 


darauf, daß das geheimnißvolle Pergament verbrannt werde; 
der edle Thyrnau willigt ein und Lacy reift ab, um ſich 
mit der Fuͤrſtin Morani trauen zu laflen. Aber er liebt 
Magda und fie liebt ihn, und obgleich er nie der hochge⸗ 
ehrten, Liebenswerthen Gattin den geringften Grund que 
Klage yibt, fo fühle fie doch, daß fie ihm nicht das Gluͤck 
zu geben vermag, defjen fein Herz bedarf. Ihr Beneh⸗ 
men gegen Magda und gegen den Gatten, das flete Nie: 
derkaͤmpfen aller egoiflifhen Wünfche, das Selbſtverleug⸗ 
nen dieſer edein Frau Läßt fie als einen der Lichtpunfte 
ded Romans hervortreten, worauf der Blick des Lefers 
immer mit Intereſſe verweil. Das Verhältnig der dltern 
Frau zu dem jungen Mann wird, obgleih alle Gruͤnde 
gegen folche Ehen angegeben werben, obgleich felbft Dias 
via Thereſia dagegen eifert und Die frivole Prinzeffin 
Therefe ihre Anfichten darüber ausſpricht, doch nie lächers 
lich und trägt immer den Stempel der Heiligkeit. Magda 
nun, welche die eigentliche Heldin des Romans iſt, als 
kaum der Kindheit entwachlenes Mädchen auftritt und 
ein Wunder von Liebenswäcdigkeit fein fol, gleicht zu 
ſehr einer phantaftifchen Erfindung, iſt zu wenig natuͤr⸗ 
ih, um da6 ganze Intereſſe zu gewinnen. Sie ift ein 
MWefen, wie Bettina das Kind aus den Briefen eines 
Kindes hervorgeht, halb naiv, wild, ſcheu, kuͤhn, ſchuͤch⸗ 
teen, oft übermannt vom Gefühl, oft tief denkend und 
pbilofophirend, ſtark und beflimmt im Charakter und füß 
träumerifh; man kann fich nicht mit ihr einleben, wenn» 
gleich man fie als eine poetifche Erſcheinung nicht vers 
miffen möchte. Ihte große Menge von Werehrern, vom 
erſten, dem Grafen Lach, bis zu Engo, dem Knaben, 


198 


worunter auch ein Gretin und ein Verruͤckter — nebſt 
noch einigen Halbverruͤckten fih befinden, ziehen durch 


‚ ihre Huldigungen den Roman oft in unangenehme Länge 


und Breite und bilden die ſchwaͤchſten Stellen des Werke. 
Da am Ende die liebenswärdige Gemahlin des Grafen 
Lacy ſtirbt, nebft dam Kinde, dem fie das Leben gegeben, 
ſteht Lach's Verbindung mit Magda nichts mehr im 
Meg — und man fcheidet von Gluͤcklichen. Obgleich 
nun alle Hauptfiguren der Liebesintereffen fehr edel gehal⸗ 
ten find, obgleidy die einzelnen Scenen, die verfchledenen 
Charakterzüge, Schilderungen und Gefühlsworte immer 
des Lefers Antheil erregen, feine Aufmerkſamkeit feſſeln, fo 
iſt doch diefer Theil des Buchs beiweitem nicht der inter: 
effantefle und bedeutendfte, und der hiftorifhe Hintergrund 
ift mit einer Farbenpracht, einem Feuer, einem folchen 
Patristismus ausgeführt, daß man ſich der Beobachtung 
der einzelnen Details defjelben nicht fo ſchnell entziehen 
darf. Die hiſtoriſchen Geſtalten und Begebenheiten find 
die Hauptfiguren des Romans, zu deren Entwidelung 
nur die andern Figuren berufen find. 

Vor allen ragt Maria Therefia hervor; die Schrift: 
ſtellerin iſt ganz ihre Unterthanin geworden, um fie ges 
treu fchildern zu koͤnnen, fie hat fih förmlich mit ihren 


- Bildern eingelebt und fie dadurch perfönli kennen ges 


lernt. Sie bat öftreichifche Zuftände ſtudirt, um die Derr: 
fcherin zu beurtheilen;, deshalb legt fie auch der Kaiferin 
orte in den Mund, die nicht überrafchen, fie läßt fie 
bandelnd und fprechend auftreten, in Privartverhaͤltnifſe 
eingreifen, und man glaubt ihr gern. Sie ‚kannte Maria 
Thereſia's Größe, aber auch ihre Schwächen; ihr tugend: 
baftes Einmifchen in Privatverhältniffe wird hier nicht 
entftellt der Nachwelt überliefert, dagegen die Froͤmmigkeit 
und das Wohlwollen gegen Arme und Geringe gehörig 
bervorgeboben; auch ihre kräftige Sprache mit dem fo 
harakteriftifchen „So wahr mir Gott helfe!” ward nicht 
vergeffen. Die freundliche Herablaſſung der Kaiferin beim 


Beſuch der Klofterfrauen des Urfulinerkloftere, der von. 


denfelben jährlih überreichte Käfe, welcher fo huldreich 
aufgenommen wird, nebft der Engelsmummerei — Alles 
trägt dazu bei, die Katferin zu charakterifiren und ihr des 
Leſers Liebe zu ermeden. Ihre große Abneigung gegen 


die Marguife von Pompabour fpricht fi) auf ihr eigens 


thuͤmliche Weife aus, als Kaunig fie zu dem Buͤndniß 
mit Frankreich überreden will, während feine kluge Ma: 
chination, bie Katferin zu einem einleitenden Schritt zu 
bringen, leicht durchſchaut wird. Die Schilderung der 
Drinzeffin Therefe von dem Wirken der geiftreichen Mais 


treffe muß bier einen Play finden. 


Sc wußte in ganz Paris Leinen ſchicklichern Play als hins 


- ter ihrem Armſtuhl. Was war. das für ein Vergnuͤgen, folche 


Mosgen mit ihr zu burchleben! was da Alles vorkam. — Die 
alte Amme, bie in ſchwarze Serge gekleidet, an ihrem Gtabe 
bie Höhlen des Unglüdis und der ande durchſtreifte und je: 
den Morgen ben teeren feidenen Beutel wiederbradjte, ben fie 


- gefällt mit fi nahm. Diefe Berathung, ob nicht noch andere 
Duͤlfe als Geld nöthig wäre? unb der Policeilieutenant, ber 
.bann fein Avifo befam ober Berichte machte — und dann ber 


ſchleichende Abbe Bernis, der ſich feine Inftructionen holte und 


den fie taufendmat mit glänzenderm Geiſte überflügelte, um ihm. 


die Maßregeln zu entreißen, bie eigentiih nur zu feinem Vor⸗ 


tbeil ergriffen werben follten. Dann ber Tiebenswärbigfte Sterb- 
liche in Geſtalt eines Pavians, ich meine Voltaire, der mit ſei⸗ 
nem uniderfen Geift, mit feinen göttlichen Poefien und dem nie 
verfiegenden Quell ewig neuen frifchen Wiges in ganz Krank 
reih nur in ihr das noͤthige Verſtaͤndniß findet und ftets eine 
Lifte in der Taſche hat, weiche neuen Wergänftigungen für Kunſt 
und Wiſſenſchaft dur fie das Leben geben fol. Glaubt man 
fie von dem Eifer ermübet, womit fie ſich allen dieſen Intereſ⸗ 
fen Hingibt, dann tritt fie in einen Saal — ba liegen Stoffe 
und Erfindungen vor ihr ausgebreitet, und Berichte machend, 
ſtehen Fabrikanten, Mechaniker und Handwerker aller Art um 
fie Her; fie laͤßt fich belehren unb prüft und unterfcheidet, unb 
gibt Urteile, die oft ben Gewandteſten überrafhen. Und wenn 
fie den Troß entläßt, fo verbreiten fi vor dieſem Heinen Saate, 
wie von den Knaͤueln bes Webers, die Fäden weit hinaus, und 
neue Kraft — neue Thaͤtigkeit erwacht. 

Die Liebensrwürdige und kokette Prinzeflin Iherefe 3. 
bietet den willlommenen Gontraft zu der edein Maria 
Therefia; die franzäfifchen und die deutfchen Naturen find 
in den beiden rauen ſich entgegengeflelit; die Srivolität 
des parifer Hofs und das ernfle Streben, das ſchwerfaͤllige 
Etikettenwelen des Wiener. Der Humor und ewig fprur 
deinde Witz der jungen, fhönen Prinzeffin ift [ehr unters 
baltend, und man freut fih, unter dem dichten Gewebe 
ihree Koketterie und Frivolitaͤt — unter dem Schleier von 
Eitelkeit, Gefallfucht, Intriguenluſt, ein Derz zu finden, 
ein über ihre Alleinſtehen, über ihre geiftige Verwahrlo⸗ 
fung biutendes Herz, Man freut ſich, als fie die Gattin 
des jungen Fuͤrſten S. wird, und hegt die Überzeugung, 
daß fie deffen wiedergefundenen Kindern, Hedwig und 
Egon, eine gute Mutter fein werde. Wir fehen fie ſeldſt 
noch am Schluß des dritten Theils als Mutter zweier 
eigenen Kinder wieder. 


Thomas Thyrnau, der Abvocat, fleht nun wie ein 
mächtiger Vermittler des romantifchen und hiſtoriſchen 
Intereſſes, wie eine Rieſenbruͤcke, welche zwei verfchiedene 
Länder zuſammen verbindet, vor des Leſers Serle. Ihm, 
dem Großvater der lieblihen Magda, dem Freund des 


verftorbenen Lach, dem großen Juriſten, vor allem aber 


dem edein, aufgellärten, in jeder Hinficht geiftig emanci> 
pirten DMenfchen, ihm, dem von allen Seiten Anerfennusg 
zu Theil wird, kann auch der Lefer die feine nicht verfagen. 

Der Weſtfaͤliſche Friede war nur ein Damm geweſen, 
hinter dem das veranlaßte Elend zum Bewußtſein aller 
Völker kam. Mit der Schlacht am Weißenberg war Boͤh⸗ 
mens Lage entfchieden, und Ferdinand III. Hatte die Wills 
tür, zu flcafen und die katholiſche Kicche geltend zu ma: 
hen, behulten; duch ihn wurden alfe volksthuͤmlichen 
Rechte verlegt. Das Schickſal der Dörfer und Städte 
war graßlih; 16 Meilen um Prag flag Alles wäfte, denn 
der dritte Theil von Boͤhmen hatte in Flammen geftan: 
den. Aber in der Bruſt des alten Czechenſtammes lebte 
noch etwas, was ed vor ganzlicher Entartung fehügte, ein 
tiefe® nationales Beduͤrfniß, eine feurige Anhänglichkeit 
an feine Geſetze, eine Sehnſucht nach feiner fouverafnen 
Freiheit. Dieſes tiefbegrüundete, duch das gehäufte Elend 
nur gefleigerte Gefühl für eine den volksthuͤmlichen Be: 
bürfniffen gemäße Handhabung der Regierung blieb ihnen 
aber unerfültt. Dadurch entflammte allgemeiner Unwille ; 
dee Befriedigte zog fih die Verachtung feiner Landsleute 


199 


ju, und bie Regierung verfhmähte kein Mittel, um ben 
Semeinfinn zu bannen und die Demoralifation zu vollen: 
den. So entftand Aufftand und Verſchwoͤrung überall 
und Niemand wollte dem tiefoerlegten Zuftand abbelfen, 
die Gewalthaber wollten ihn nur unterdrüden, und ſchau⸗ 
derhaft gemisbtaucht erhob fih das Panler des Glaubens, 
um die Greuelthaten des Haſſes und der Ungerechtigkeit 
ju deden, Die alle um des Zweckes willen gerechtfertigt 
werden mußten. 

Nur ein Meiner Kern ſich bewährender Männer war 
in dem verbreiteten Elend fich felbft getreu geblieben und 
hatten in ihren Herzen das alte vollsthlimliche Leben be: 
wahrt, unter deſſen weiſen Borfchriften Böhmen einft 
Deutſchland in geiſtiger Cultur fo fehr überflügelte. Ste 
jogen durch das Land und fuchten zu fammeln, was ber 
Zerſtoͤrung entging. Ein beiliger Haß hatte ſich in ihren 
Bufen gebildet und auf den raudenden Trümmern ihres 
Vaterlands hatten fie fih die Hände yereicht und fich ge: 
tobt, alle ihre Kräfte anzumenden, um den entweihten Bo: 
den feinen Kindern wieder zuzuführen, das erflorbene Le: 
ben dee Wiſſenſchaft und Kunſt, des Gewerbfleißes und 
des Ackerbaues wieder hervorzurufen, zu fügen und zu 
vertreten, mit allen Kräften, felbft mit Widerfland gegen 
die herrſchende Regierung, die kein Derz zu ihm herüber: 
gebracht und ihm ſtets nur ein fremder Zuchtmeifter ge: 
blieben war, der das Land ausfaugte. Unter diefe Edel: 


. ten der Nation gehörte Wenzel Eufebius Lobkowitz So: 


feph Erbgraf von Lach⸗Wratislaw und Kaspar Thyrnau — 
der Vater unfers Helden. Diefe Männer ließen fein Mit: 
tel unverſucht, Oſtteich auf die wahren Bedürfniffe des un: 
terjochten Landes aufmerffam zu machen; fie hofften durch 
Nachgiebigkeit die Ruhe und Einigkeit und Bewahrung 
des geleifteten Unterthaneneides im Lande zu erhalten. Al: 
les blieb indeß umfonft. So kam es denn, daß man 
endlich zu der traurigen Gewißheit, von Oſtreich nie verflan: 
den und vertreten zu werden, gelangte; die Beherrſcher 
ſelbſt erweckten das alte Recht der Souverainetaͤtsmacht 
in der Boͤhmen Bruſt, ſie wollten den Koͤnig, der ſie vor 
Untecdruͤckung ſchuͤre, ſelbſt waͤhlen, ihn auf den Thron 
ihrer alten Rechte ſetzen. Langſam arbeiteten ſie darauf 
hin — ſie ſuchten auf die Jugend zu wirken, auf die 
Veredlung des Volks, fie befoͤrderten Kuͤnſte, Gewerdfleiß 
und Ackerbau, fie holten von dem bluͤhenden Frankreich 
den Samen herüber, dm fie auf die Alche ihres Water: 
lande ſtreuten, und als diefer aufging, wollten fie aud) 
ven Bärtner von borther holen. Thomas Thyrnau trat 
in die Sußtapfen feines Vaters; der Sohn des Grafen 
Lach war fein Freund umd Geführte; beide wirkten ver: 
ent, wie bie Väter gewirkt Haben; fie knuͤpften die Uns 
Serhandtungen mit Sranfreih an; fie fließen auf Hinder⸗ 
niffe im eigenen Land, oft hemmten fie ſelbſt ihre Thaͤ⸗ 
tigkeit, wenn ein Herrſcherwechſel fie zu der Doffnung be: 
rechtigte, auf rechtmäßige Weiſe die gewünfchten und er: 
febnten Privilegien zu erlangen; oft getäufcht, ſchritten fie 
wieder zu ihren geheimnißvollen Unterhandlungen, und erfl 
old Maria Therefia den Thron beftieg, erkannten diefe 
Männer, baß mit ihe die erfehnte Hülfe ihnen gu Theil 
werde, und fchwuren willig, ihe mit Gut und Biut um: 


terthan zu fein. Was Marla Therefia felbft, als Frucht 
der Zeit erkennend, mit ficheree Band vom Baum der 
Erkenntniß brach, das konnte nicht mehr Simbe und 
Hochverrath genannt werden. Thomas Thyrnau lebte, 
nachdem alle Unterhandlungen mit Frankreich abgebrochen 
waren, auf feinen Gütern in Böhmen; er hatte, um des 
Sreundes Lacy Sohn, welcher in dem hochverrätherifchen 
Treiben gegen feinen und des Waters Willen zu weit ge: 
gangen war, zu reiten, einen geoßen Theil feines Vermoͤ⸗ 
gens zur Erhaltung der Lach's Erbguͤter gegeben, was 
duch die eheliche Verbindung Magda's und des jungen 
Lacp wieder ausgeglichen werden follte. Da die Berans 
laſſung dieſes Vertrags ein Geheimniß bleiben mußte, 
mar auch bie Bedingung geheim gehalten worden. Thyr— 
nau war ſchon längft der befte und treuefte Unterthan 
Maria Thereſia's, als er des Hochverraths angeklagt und 
vor Gericht gefodert wurde. Seine Bertheidigungsrebe, 
worin er die oben angegebenen Verhältnifie auseinander: 
fege, iſt meifterhaft. 

D, hüten wir uns des Wortes Hochverratb, wenn wir bem 
leidenvollen Kampfe eines eben Volks zufehen, dad von bem 
zue Gegenwehr getrieben wird, der es bewahren follte. Gern 
bleibt das Bolt im flilen, treuen Kreiſe und baut mit Fleiß, 
wozu ber Geiſt e6 treibt, und wahrt ein bankbares Herz bem 
Herrſcher, ber es in feinem Treiben fchügt, und vergilt es, bes 
zeit, zu deſſen Wohl das ftill Erworbene zu benugen. Nur wer 
das Bud ber Geſchichte zuſchlaͤgt und feinen Inhalt leugnet, 
wirb fagen dürfen, vom Bolt ginge der Kampf aus und es ſei 
gefinnungslos und obne Treue, leicht diefer ober jener Fremd⸗ 
macht zugewandt, die ihm den verfagten Vortheil böte. Es 
laͤßt im Gegentheil mit vollem Bewußtſein bie Unbill gefcheben, 
bie vom alten, angeflammten Herrſcher ihm gefchieht, es feucht 
in feinen Leiden bin, es gibt die wohlerworbene Babe, es bietet 
fih und feine Kinder ohne Murren zum Schutze dar — unb 
ob es gleich der Roth kein Ende ficht, win es doch bie Huͤlfe 
nur don Dem, der ihm die Noth gelaffen. Volksaufruhr iſt 
bad Gericht der Fuͤrſten; er bat feine Urfache ba, wohin zulegt 
die lang erhaltene Strafe zurädfällts er ift ber Pfeil, ber abs 
geſchoſſen von der Scheibe zuruͤckprallt und den Schuͤtzen tödtet. 

In der Zeit liegt eine GSelbfthülfe, gegen die noch fein 
Despotiömus die Schranken gefunden bat, und ber Widerſtand 
gegen ihre Zwecke wird ihr oft das Mittel zur Förderung. 

Die ernfle Frage: wann und unter weichen Umfän- 
ben es dem edeln Patrioten zu verzeihen ift, wenn er zu 
Empörung [chreitet, wird hier auf fehr würdige Weiſe er 
oͤrtert; es iſt eine Sache, deren Recht oder Unrecht fonft 
nur der Ausgang entfcheldetz hier wird es durch die uns 
eigennügige Abficht der Betheiligten, durch den unbefcholtes 
nen Charakter der Empörer geadelt; und obgleich man 


Thomas Thyrnau nicht weniger geachtet hätte, wenn fein 


Streben zum Ausbruch gelommen wäre, fo fühlt man 
doch innige Freude, ald er folgendermaßen in feiner Mede 
fortfährt: 

D, wer geihmachtet hat vor dem Ideal einer Herrſcher⸗ 
aröße, bie das Leben nicht zur Wahrheit machen will; wer mit 
Schmerz und Wiberfixeben ſich in anderer, von ihm feibft faft 
angefeindeter Richtung nach dem Schutz umſah, ben er fo gern 
allein von diefer wirkfamften, höcften Stelle empfangen hätte, 
wer nach diefem Kampf plögtich eribſt wird durch das Wahr: 
werben bed erfebnten Traumes, der wird mich verfichen, wenn 
ih fage: daß, als Maria Thereſia die Zuͤgel ergriff, wir uns 
alle wiedergeboren fühlten! Ein Jeder durfte fi in ſeiner Kraft 
beiennuen Alles, was ibn getrieben, b ungen, was ex ent⸗ 
widett, wonach er mit Inbrunft fich geichnts er fand jest feis 


DM 


nen 1 ‚denn das göttlicke Gefühl der Vaterlandeliebe erweckt 
und fördert die edeiften Kräfte des Menſchen, und wenn es zus 
fammenfällt mit der heiligen Liebe zu einem großen Herrſcher, 
der feine Zeit verſteht, dann ift bies Gefühl der Triumph ber 
Dtenfchheit, dann feben wir ein Volk die Rieſenſchritte thun, 
die ed an die Spitze der Nationen führen, und einen Gieger 
aus ihm werden, unter deffen Panier die Edeln aller Länder 
fi fammeln mödten, um ber Zreipeit theilhaftig zu werben, 
die kein Widerſtand mehr ifl. | 

Maria Thereſia war unfichtbarer Zeuge der prächtigen 
Bertheidigungsrede, und die Art, wie fie diefelbe aufgenom⸗ 
men, ift ihrer gang würdig; es wäre ihrer noch würdiger 
geweien, wenn fie dem edeln Thyrnau keine Strafe zuer- 
kannt und die Verbannung auf den Karlflein weggelafjen 
hätte, um fo mehr, da der Karlſtein eine leicht entbehrliche 
Epifode in dem fonft fo werthvollen Werke bietet. Dort 
wird in dem Grafen Bodinbrad eine Caricatur des an 
alten Zormen Haftens dargeftellt, wie überhaupt alle der: 
tigen Ereigniffe und Begebenheiten wenig anfpredgen, weil 
“fie, gar zu weit von der Natur entfernt, vom bisherigen 
Zon des Werks abweichen. Thyrnau teitt dabei ganz 
in den Hintergrund und Magda flößt mit ihren Wun⸗ 
berlichkeiten zu andern noch wunderlichern Menfchen. Ale 
der Ritter Matthias von Thurn verrüdt wird, wundert 
man ſich nur, daß er der Einzige ift, dem diefes Unglüd 
geſchieht. Eine fehr widerwaͤrtige Figur bildet der Fuͤrſt 
von S., fowol in feiner Liebe zur Prinzeſſin Thereſe, als 
in feinem Haß zu dem Sohn. Wir lernen ihn zuerft 
kennen, als er zu naͤchtlicher Stunde der Prinzelfin The: 
reſe einen Beſuch macht und von ihr zurldgeftoßen wird. 
An feinem fpätern Handeln weiß er das Intereſſe des 
Leſers noch weniger anzuziehen; er iſt das böfe Princip 
des Buchs. Er, der die Trennung Boͤhmens von Oft: 
reich herbeiführen wollte, um ſelbſt deffen Beherefher zu 
werden, war es, der, ald er diefen feinen Plan gefcheitert 


fah, den Thomas Thyrnau als Verraͤther angab. Den 


Unterfchied des edeln, aus Liebe zu feinem Vaterland 
und zu feinem Volk Revoltirenden gegen den nur im 
eigenen Intereſſe, nur um eigene Machterhoͤhung willen 
ſich von dem eingefegten Herrſchern und Geſetzen Emanci: 
pirenden flieht man in Thomas Thyrnau und dem Für: 
ſten S. dargeftellt, und man fühlt, wie baffelbe flrafbare 
Wollen geheiligt oder gemein werden kann, und warum 
oft ein Verbrechen, welches die Mitwelt beftrafen muß, 
vor der Nachwelt, der es bie Weltgeſchichte zuträgt, ein 
mildered Urtheil findet. Seine VBosheit und Schlechtig: 
Reit hat zahlreiche Verwirrungen herbeigeführt; er hat die 
Gemahlin feines Sohnes vergiftet und ihren Kindern nad) 
dem Leben getrachtet. ine alte Waͤrterin rettete fie, und 
diefe Kinder, Hedivig und. Egon, geben zwar Anlaß zu 
duͤbſchen Vildern und Epifoden, tragen aber zur Überla> 


dung bed Buchs bei und der Faden wird unnöthigerweife 


verfchlungen. Überhaupt verfteht die Verf. es nicht, die 
derbeigefüheten Effecte zu benugen; fie läßt ſich die beften 
Momente entgehen, um Großes zu bewirken, und macht 
vie Weſens aus Nebenumſtaͤnden. Einen unangenehmen 
Eindrud macht das fromme Sterben des ſchurkiſchen Fürs 
fin S. dem Magda wie eine Art religiöfer Iwangemelfter 


zur Seite ſteht und ihn beten lehet, indem fie ihm befichle 
die Hände zu falten und ihn gleihfam zur Reue zwingt. 

Der dritte Theil bringt überhaupt viel Stoͤrendes; 
inniges Mitleid aber erregt dee arme, gemishandelte, 
Magda fo treu ergebene Gretin Bezo. Einmal hält ihn 
die Fauſt eines Boͤſewichts auf dem Gipfel eines Baumes, 
an dem Kragen in der Luft fchmwebend, um ihn am Ende 
herunterfallen zu laſſen; fpäter, als Fuͤrſt S. Magda 
entführen läßt, wird er blutig gefchlagen. Seine Kiebe zu 
Magda hat indeß etwas Mührendes, da er immer zur 
rechten Zeit kommt, wenn fie feiner bedarf. Groß von Ans 
fang bis zu Ende bleibt indeß Thomas Thyrnau; er if 
fi felbft immer treu. As Maria Iherefia für alle feine 
Verdienfle um Böhmen ihm eine Belohnung ertheilen 
will, Titel ohne Anftellung und mit Gehalt, Adel oder 


‚einen Orden, lehnt er die Gnade der Kaiferin ab, indem 


er ihr bemerkbar macht, daß eine Belohnung dem einft 
Mevoltirenden dem rohen Daufen als ein Cingeftändniß 
mangelhafter Zuflände gelten Eönne, womit man ficy nicht 
begnügen würde, die Vergangenheit zu bezeichnen, fondern 
jeden unbequemen Zuſtand der Gegenwart, den die Kai⸗ 
ferin bei den beabfichtigten Veränderungen im Großen, im 
Einzelnen erzeugen werde, und daß eine Entfchädigung ber 


Selbſthuͤlfe darin liegen Eönnte, da die ganz befondern Um: 


ftände, welche die Kaiſerin zu ihrer Nachſicht bewogen, 
nie von der Menge verftanden würden | und daher ihe 
vorenthalten bleiben müßten. Das hierauf ergangene Schrei: 


ben der Kaiferin iſt auch charakteriſtiſch. 


Ihr feid ein Ehrenmann, mein getreuer Thomas Thyrnau, 
fo wahr mir Gott beife, und wenn ich Euch aud einen Gra⸗ 
fentitel gegeben hätte, er wäre Euch zum überfiuß geweſen. 
Biele Unterthanen werde ich haben, bie nie revoltirt haben, und wer⸗ 
den nicht von fo treuer Gefinnung fein, ihre Kaiferin zu war⸗ 
nen, wenn biefe ihnen eine Gunſt ergeigen will, follle auch der 
allgemeine Schaden ihnen baraus erfichtlich fein. 

Bei dem vielen Äberwiegenden Guten befigt dieſes 
Werk viele Schwaͤchen und namentlich fühlt man fid) ver 
anlaßt zu münfhen, daß die drei Theile auf zwei er 
mäßigt würden, damit das Ganze ein Meifterwerk ge: 
nannt werden könnte. *) 12. 





Literarifhe Notiz. 

Viennet ift, obgleich zwei ober drei Dramen von ihm fo 
zu fagen ausgepfiffen find, doch ein ganz vortcefflicher Schrift« 
fteler. Seine Fabeln namentlich ficheen ihm einen unvergäng> 
lien Namen. Ein Theil berfelben, befonders diejenigen, durch 
die ex die oft fo langweiligen Sigungen der Akademie francais 
etwas unterhaltender zu machen pflegt,. waren bereits in ver 
fchiebenen Sammlungen abgedrudt; aber bisher konnte man 
doch feinen gangen poetifchen Reichtum nicht überfchauen. Wir 
freuen uns beshalb, eine Gefammtausgabe, die foerben unter 
dem Titel: „Fables de Viennet un des quarante de l’Aca- 
demie française“, erſcheint, hier ankündigen zu Eönnen. Viennet 
bat, ohne in Nachahmung und Reminifcenzen zu fallen, oft 
einen Anklang an den unvergleichlichen Lafontaine ; in der Res 
gel aber iſt er ganz originell. 2. 


») In einer ber naͤchſten Lieferungen d. BI. theilen wir eine 
von einem andern Standpunkt aufgefaßte Kritik ber Romane ber 
Berfaſſerin von „Godwie Gaflie”, „St. Rede” und „Thomas Thor⸗ 
au‘ mit. D. Web. 


Berantwertlier Herausgeber: Heinzig Brodhaud. — Drud dmb Berlag von F. X. Brodpaus in Reipgig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





I. Journal of an exploring tour beyond the Rocky moun- 
tains ete. performed in the years 1835—37 by Samuel 
Parker. Reuyort 1838. 

2. Notice sur les Indiens de l’Amerique du Nord etc., par 
A. Vail. Paris 1840. 


Die Ausföhnung der furchtbaren Schuld, melde in 
den letzten Jahrhunderten die europäifhen Entdeder und 
Eroberer fremder MWelttheile fi aufluden, ſcheint unferer 
Zeit aufgefpart zu fein. Anflatt der Einzelnen, die in gut: 
meinender, aber einfeitiger Frömmigkeit ehedem fid) opferten, 
ohne ihren Zweck der Belehrung roher Völker zu erreichen, 
teeten jet Gefellfchaften auf, welche mit dee redfichiten Ab: 
ſicht ruhige Überlegung und vollfiändige Kenntniß von Län: 
dern und Menſchen verbinden und über außerordentliche 
Mittel zu gebieten haben. Zwiſchen den Verfuchen kleiner 
Bereine der Bergangenheit, die von den Regierungen nicht 
unterflügt, oft fegar mit geheimem Miefallen betrachtet 
murden, und zmifchen den großartigen Unternehmen unfes 
tee Tage, um aller Orten und ſelbſt in Afrika, dem ver: 
fhloffenften aller. Welttheile, der Givilifation Eingang zu 
verfhaffen, iſt kaum Bergleihung möylih. Die letzte 


britiſche Erpedition nah dem Niger verunglüdte zwar 


trog ihrer großartigen Ausrüftung, hatte aber keinen 
geringern Zweck als den Sklavenhandel, den eigentlis 
hen Grund der aftikanifchen Barbarei, an feiner Wur⸗ 
zel anzugreifen, nachdem aile Aufmerkſamkeit von außen, 
Aufopferung vieler und fehr werthvollee Leben und 
ein Aufwand von mehren Willionen auf dem zeither 
befolgten Wege zu feinem Reſultat geführt, vielmehr, 
wie oft behauptet worden, das Übel noch vergrößert 
baten. Es galt nicht allein, ber cheiftlichen Reli⸗ 
gion dort Aufnahme zu verfchaffen, fondern ihr zuerfi 
einen Boden zu bereiten, auf welchem fie hinreichend fefte 
Wurzel faſſen kann, um gewöhnlichen Stürmen erfolgreich 
za widerſtehen. Eröffnung eines vortheilhaften Handels 
und die den Eingeborenen gebotene Gelegenheit, nach den 
Colonim Weſtindiens als gemiethete und freie Arbeiter 
ausuwandern, wird, wie man hofft, die innere Nothwen⸗ 
digkeit des Sklavenhandels in beiden Welten aufheben, 
während den Däuptlingen in Beſteuerung ihrer Unterthas 
nen und dee fremden Kaufleute, überhaupt in Einführung 
einee Art von Staatöverwaltung eine weit mehr ergiebige 
Quelle der Bereicherung: nachgewwiefen werden Toll, als fie 


im ſehr erfchwerten Verkaufe von Dienfchen finden Eönnen. 
Sind diefe materiellen Intereſſen geordnet, fo glaubt man 
die Hinderniffe befeitige zu haben, welche bisher ale uns 
überwindliche dem Chriſtenthume in Afrika entgegenftans 
den, und von feiner Einführung ruhig die Vollendung des 
Werks erwarten zu dürfen. Zwar find gegen diefen groß: 
artigen Plan bereit6 manche und nicht ganz ungegruͤndete 
Einmwürfe gemacht worden, allein er beruht auf Erfahrungen, 
die man während vieler Sabre gefammelt, zum Theil mit 
dem Leben der waderfien Männer bezahlt hat. Für feine 
Ausführung interefficen ſich nicht nur Privatgefellfchaften, 
fondern auch eine mächtige Regierung und ein energifches 
Volk. Liegt die Civiliſation Afrikas nicht überhaupt jens 
feit aller Möglichkeit, fo wird fie auch durch dergleichen 
Beſtrebungen, unferer Zeit gefördert werden müffen. 


In der neuen Welt bat fi die Aufmerkfamkeit der 
böhern Claſſen ebenfalls auf die Ureinwohner gerichtet, 
Man ſucht die Übel gut zu machen, die überall auf die 
Indianer hereingebrochen find, wo Weiße Einfluß übten. 
Mag es nun auch mehr als wahrfcheinlich fein, daß diefe 
Hülfe zu fpät komme, und daß der rothe Menſchenſtamm, 
fei es nach unbelannten Maturgefegen oder aus zufälligen 
Urſachen feinem Untergange entgegeneile, fo bleibt es im⸗ 
mer eine bezeichnende und troͤſtliche Erfcheinung der Ges 
genwart, daß man nicht nur im Norden, fondern auch im 
uncivilifietern Süden Amerikas jene Kataftrophe aufzu⸗ 
halten bemüht it. Die Verhaͤltniſſe find aber den afri⸗ 
kaniſchen in allen Hinſichten völlig unaͤhnlich. Man hat 
es nicht mit einem Stamme zu thun von unerfchöpfticher 
Fruchtbarkeit, ber trog der Vernichtung großer Menfchens 
zahlen fidy nicht nur erhält, fondern fogar zunimmt, dem 
furchtbarſten Drude und den Entbehrungen einen leichten 
Sinn entgegenfegt und, ohne Gedaͤchtniß für Erlittenes, 
im finntihen Genuffe Erſatz der vergangenen Übel findet, 
dem Neuen bold und keineswegs geneigt ift, feine Exiſtenz 
als abgefchloifene anzufehen, fondern Hoffnungen zu naͤh⸗ 
ven vermag und auf Plane eingeht. Bon biefen charaks 
teriftifhen Zugen des Negers befigt der amerifunifche Urs . 
menfdy Beinen, während in der von ihm vorzugsweiſe ers 
wählten Lebensart des Jaͤgers und Fiſchers ein die Volks⸗ 
vermehrung befchräntendes und die Sittigung fehr erſchwe⸗ 
rendes Verhaͤltniß begründet liegt. Es ergibt fich daher 


' von felbfl, dag die dem Belten der Indier geltenden Der 


face vor Allem bie Erhaltung des Stammes felbft bes 


zwecken müffen, die jedoch in ben meiften Fällen ohne 
Beränderung der gewohnten Weile und ohne Einführung 
einer ganz neuen Betriebſamkeit nicht zu erreichen fein 
wird. Erfahrung hat bewiefen, daß Ergreifung des Acker⸗ 
Baus und Errichtung feſter Wohnfige allein die Eingebo: 
tenen der Ränder: retten Bönne, die zwifchen den Weſtgren⸗ 
zen der Vereinigten Staaten und dem großen Dcean fid) 
erfireden. Zurüdgetrieben von den Weißen, gerathen 
Stämme aneinander, die fidy fonft fremd waren, und der 
immer Eargere Ertrag der Jagd zwingt fie zur eiferfücd 
tigen Überwachung ihrer Meviere, deren Verletzung, troß 
aller Einmifhung ber zum Friedenſtiften berufenen gen: 
ten der Weißen, zu blutigen Fehden führt. Die Büffel: 
heerden find verſchwunden, bie einft die unabfehbaren Prai⸗ 
rien bedediten und ganze Voͤlkerſchaften ernährten, und in 
vielen Gegenden find auch jene nüglichen Thiere faft aus: 
gerottet, für deren Pelze der Indianer Mehl, Waffen und 
Schießbedarf, Kleidung und manche Beine Gegenftände 
eintaufchte, die ihm zwar zum Leben nicht entfchieden noth: 
wendig, aber durch Gemöhnung unentbehrlih geworden 
find. Diefe Verminderung oder Abfchneidung der Exhal: 
tungsmittel kann nicht ohne die traurigften Folgen blei: 
ben. Wird beiden nicht vorgebeugt, fo fteht zu fürchten, 
dag in hundert Fahren nur in den entlegenflen und uns 
freundiichften Winkeln Nordamerikas noch ſchwache Reſte 
der Urbevölkerung übrig fein werden. In welchem Ber: 
bältniffe und mit welcher zunehmenden Beſchleunigung bie 
Ureinwohner nad) Welten gedrängt worden find, zwar 
mehr durch Mahrungsmangel als durch Verträge oder un: 
gluͤckliche Kriege, würde fih am erſten aus einer Karte er: 
geben, welche die Grenzveraͤnderungen der nordamerika⸗ 
niſchen Colonien und die aus ihnen entſtandenen Verei⸗ 
nigten Staaten ſeit 1750 darſtellte.“) Zu jener Zeit be: 
gann an der Weſtgrenze Pennfplvaniens, 300 englifche 
Meilen von Philadelphia, das Indianerland, und noch vor 
50 Jahren war der größte Theil des blühenden Ohio⸗ 
ſtaats in den Händen der Ureinwohner, bie ſeitdem bis 
in die Nähe des Felfengebirgd getrieben worden find 
und wahrfcheintich in nicht fehr fernen Zeiten, trog aller 
Sefege und Verträge, noch weiter zu ziehen genöthigt fein 
werden. Die Indianer mehren ihr Unglück, indem fie Durch 
Beibehaltung ihres unfteten Lebens ihren Gegnern Die 
Waffen in die Hand geben. Die nad den fetten Lände: 
teien des fernen Weitens luͤſternen und felbft vom Wan: 
dergeifte getriebenen fogenannten Vorläufer der Stoilifation, 
dv. h. die an den dußerften Grenzen ſich anfiedeinden Aus: 
wanderer der Öfttichen Staaten, behaupten geradezu, daß 
die Anfprüche der jagdtreibenden Indianer auf das Land von 
einer einziehenden weißen Bevölkerung nicht geachtet wer 
den koͤnnen, die In einem Menfchenatter die Wildniß zu 
einer blühenden Provinz umfchaffen, Städte erbauen, Land: 
firaßen anlegen und mitteld der Dampflraft die Nach⸗ 
theite großer Entlegenheit meutralificn wird. Diefelben 
Sefinnungen hegen felbft folhe Männer, welchen einige 

) Gine folde Karte, die zwar einen weit größern Seitraum 


” (16-1800) umfaßt, aber zur ronologiſchen Verfolgung zu wenig 
Ginzeindeiten enthält, findet fi dem Werke von Vail angehängt. 


‘’ 


äußerlihe Achtung für Recht nothwendig duͤnkt und das 
Urtheil Europas nicht ganz gleichgültig ifl. Der ganze 
Unterfchied zwiſchen beiden Parteien liegt nur im Aus: 
deude. Daffelbe Gebiet, welches bie eine, theils auf 
das Recht des Stärkern geſtuͤtzt, theils weil fie über: 
zeugt iſt, e8 beffer benugen zu Binnen, in Anſpruch nimmt, 
das fieht die andere als die Erbfchaft eines geiftes: und 
alterfhivachen Geſchlechts an, und meint mit gutem Gemif: 
fen ſich diefe zueignen zu dürfen, nachdem fie auf erträgliche 
Weife für das Unterfommen der wenigen Überlebenden ge: 
forgt hat. Merkwürdig iſt es zu fehen, wie man ſich in 
amtlichen Actenflüden und in Öffentlich getroffenen Bor: 
Eehrungen bemüht, diefe Anfichten unter dem Echeine der 
Gerechtigkeit und Menſchlichkeit zu verbergen, und wie Die 
zahlreichen amerikaniſchen Schriftftellee fi abmühen und 
minden, um ein Verfahren, welches von Staatsklugheit 
oder Nothwendigkeit geboten fein mag, aber nie gerecht ges 
nannt werden fann, im beſten Lichte darzuftellen, oder 
duch eine Reihe von Zrugfchlüffen zum einzig möglichen, 
dem Indianer und Meißen gleich vortheilhaften zu ſtem⸗ 
pen. Der Amerikaner Vail ſchaͤmt fi) offenbar de6 Ver: 
fahrens feiner Landsleute gegen die Indianer und der Conni⸗ 
venz oder Schwäche der Regierung an der aͤußerſten Grenze, 
allein er hütet fidy die Wahrheit zu enthüllen und offen 
einzugeftehen, daß es Begehrlichkeit und keineswegs menſch⸗ 
liche Theilnahme mar, welche die Verſetzung aller im Often 
der Grenze lebenden Indianer nad dem weftlichen Lande be= 
trieb. Gewoͤhnlich wird vorgegeben, daß man feft über: 
zeugt ſei, es werde nach gefchehener Verpflanzung jener 
Volksſtaͤmme alle und iede Veranlaffung zum Streite mit 
ihnen wegfallen und die Stellung der Weißen gegen fie 
zur fchönen, beilbringenden und echthriftlichen ſich geſtal⸗ 
ten, indem man dann erſt dem Zwecke, fie zu civilifiten, 
ihnen im Aderbaue und Induſtrie fichere Quellen des Un: 
terhalts zu eröffnen, volle Aufmerkſamkeit ſchenken könne. 
Man fieht fi nad Lefung diefer fhönen Phrafen zur 
Stage veranlaßt, ob das alle Verträge verletzende Vordrin⸗ 
gen der Weißen nah dem Innern, und zwar in das den 
Indianern zugeſicherte Gebiet, ein Beweis diefer gemäßigten 
und vorforglichen Sefinnungen fei, oder ob man die Macht⸗ 
lofigkeit der Regierung gegenüber der Grenzbevoͤllerung, 
ihre Unfähigkeit, die Unbilde zu rügen, lieber vorausfegen 
ſolle als ihre Ungemeigtheit zum Einſchreiten? Die außer 
dem Gefeg lebenden und felbft mit der ungezügelten De- 
mofratie der Staaten noch nicht zufriedenen Daufen von 
Trappers, Sauatters und wie bie unenglifhen Namen 
fonft noch heißen mögen, die Jäger, Bootsleute und im 
Weiten der Grenze herumziehenden Krämer mögen zwar 
eine ſchwer zu regierenbe Claſſe bilden und find nicht nur 
den Helden der Ganz: und Halbromane Cooper's und 
W. Irving's nicht ähnlich, fondern mehr oder minder ver: 
wilderte, zu großen Verbrechen fühige Weſen; allein fie 
würden zu befchränten fein, wäre dieſes die ernſte Abſicht 
dee Behörden. Wenn diefe auch die Hand nicht bieten 
zur Begehung des Unrechts, es nöthigenfalls fogar zu ver 
bindern fuchen, fo. teicht ihre Macht doch wenig über bie 
äußerfte Poſtenlinie der Grenze, und ihre Pfichterfütlung 


203 


iſt felten fehr eifrig, da fie Hinfichelich der Indianer die An: 
fihten der Bewohner der meftlihen Staaten theilen. 
Männer wie Gouverneur Caß, der lange Jahre in Mis 


chigan lebte und al3 Agent in den Angelegenheiten der In⸗ 


dianer fich durch feine Gerechtigkeit, Vorſorge und Redlich⸗ 
keit einen unumſchraͤnkten Einfluß über die Ureinwohner 
und die Achtung aller ehrenmwerther Bürger in den oͤſtli⸗ 
bern Staaten erwarb, find an den Grenzen ber nordame⸗ 
tifenifhen Union ziemlich felten. Die meijten ſtimmen 
mit Vail, der auch im Staatsdienfte fand und auf krum⸗ 
men Wegen, in vielfacher, aber unhaltbarer Beweisfuͤhrung 
mdlich zu dem Ausfpruche kommt, daß der Indianer nicht 
gelhaffen fei, um den von feinen Ahnen ererbten Boden 
gehörig zu benugen und auf ihm in fefter, den Nachbarn 
erſprießlicher Wereinigung zu leben. Zu welden fernern 
Schluͤſſen ein egoiftifches Volk, auf ſolche Grundlagen ge: 
fügt, ſich berechtigt glauben werde, dedarf nicht der Aus: 
einanderfegung. 

Da diefe Anfichten nicht allein unter der rohen Menge 
an der äußerften Grenze, fondern auch in den höhern Krei: 
fen der Regierung, im Senat und Congreß non Vielen 
gebegt werden, die aber zu klug find, ſich ohne Ruͤckhalt 
auszufprecyen, fo würde das Schlimmite für die Zukunft 
der Ureinwohner zu befürchten fein, hätte fi nicht in den 
ältern Staaten der Union eine mächtige Gegenpartei ge: 
dildet. In den puritanifchen, aber ſtreng fittlihen Maſſa⸗ 
chuſſets und Connecticut verfiht man mit großer Wärme 
gewiſſe, auf die Behandlung der Indianer bezügliche Grund: 
füge, weile man im fernen Miffuri oder Arkanfas ent: 
weder belädyelt, oder mit unverkennbarer Bitterkeit angreift, 
weil ihre Anwendung den Ureinwohnern zu einer gewiflen 
Givififation und Unabhängigkeit verhelfen würde, die fich 
keineswegs mir dem Wortheile und den Abjichten eines 
anfehnlihen Theils der weißen Bevölkerung verträgt. Im 
fehe verjüngten Maßſtabe zeigt fi) daher zwifchen dem 
Nordoften und dem Weften der Union wegen der Indianer 
diefelbe Spannung, welche in weit mehr bebrohlicher Ges 
flat zwifchen dem Norden und Süden, feit Jahren, wes 
gen der SHavenfrage befteht und leicht einmal „dem größ: 
ten Experiment in der Menfchengeichichte”, wie die Ame⸗ 
rikaner ihre Regierungsform und Vereinigung nennen, ein 
Ende machen kann. Der Kampf, in melden bie für 
oder wider die Ureinwohner 'gefinnten Parteien ji eins 
gelafien haben, iſt nicht von gleich großer Wichtigkeit. 
Die Frage berührt am Ende nur den Vortheil einer 
nicht ſehr bedeutenden Bevölkerung und kann alfo ſchon 
rum nicht zu einer allgemeinen und in ihren Folgen 
beumkiihen werden, weil die Maffe der Nordumes 
titaner auf Theorien wenig gibt und allein dann ihre 
Kälte und Theilnahmiofigkeit ablegt, um fi zu Parteien 
zu bilden, die allerdings gewaltige Bewegungen erzeugen 
koͤnnen, wean irgend ein großes Ereigniß ober eine Öffent: 
liche Maßregel allgemeine faufmännifche Intereſſen bedroht. 
Wer in dem flill, aber thätig geführten Streite an der 
Jadianergtrenze endlich, den Sieg davontragen werde, ob ben 
philanthropiſchen Vereinen in Boſton, Neuyork u. f. w. ges 


lingen wird, die Ureinvoohner vor voriterer Verdrängung und.. 


Auseottung zu fhügen und fie zu cieilificen, ‚ober. ob bie 
weißen infledler, ihrem biöher befolgten Werfahren treu, 
ohne zur offenen Gewaltſamkeit zu fchreiten, ihre Herefchaft 
immer weiter ausdehnen und hierdurch der rothen Men⸗ 
fhenrace ihre Urtheil fprechen werben, biefe Fragen find 
nicht ſchwer zu beantworten. Der Seibſtſucht der Einzel: 
nen kann eine Regierung wol Schranken fegen, allein fie 
wird, auch bei redlihem Willen, nichts gegen eine ganze 
Bevölkerung vermögen, die, mit befonderer Thatkraft aus⸗ 
gerüftet, rafllos auf dem Wege zur bürgerlichen Verbeſſe⸗ 
rung und zum vielerfehnten Reichtum vorwärts eilt und 
ebenfo wenig durch einfachere Natuchinderniffe ſich aufhal⸗ 
ten laffen will, als durch moralifche Bedenklichkeiten, bie 
überhaupt im vorliegenden Falle, wo die Entfcheidung dem 
Wenigften zweifelhaft dünkt, von einer Wirkſamkeit fein 
£önnen. 

Wie unfiher auch der Erfolg fcheinen mag, fo laffen 
doch die großen Miffionsgefenfchuften, weiche ihren Sig in 
Bofton und Neuyork haben, ſich nicht abhalten die Civis 
liſation der weftlichen Indianerftännme zu verfuchen. ie be: 
gegnen manchen großen Hinderniſſen, unter welchen bie 
Abneigung der unter den Indlanern verftreut lebenden Weis 
Ben gegen die Miffionnaire nicht das geringfte if. Die 
Jäger und Handelsleute des aͤußerſten Weſten erblicken 
in den Verſuchen der Miſſionnaire nur Beſchraͤnkung des 
eigenen Einfluſſes auf die Indianer und fürchten nicht ohne 
Grund Verminderung ihres gemwinnbringenden Vertriebs 


von einer beabfichtigten und durchgreifenden Veränderung 


in ber Xebensart der Eingeborenen. Außerdem kommt 
noch hinzu, daB jener ziemlich zahlreichen Menſchenclaſſe der 
Zwang ber Givilifation und einer geordneten Regierung 
im hoͤchſten Grad zumider ift, und daß fie, in der Abficht, 
vollfommen unabhängig zu fein, ſich einem wilden wan⸗ 
dernden Leben unterzogen und zum Scauplage deſſelben 
ein fernes, gleichſam herrenlofes Land gewählt bat. Sie 
will dem erftern nicht entfagen und muß Daher das 
legtere zu behaupten fuchen. Dan rechnet, daB zwiſchen 
den Grenzen und dem ‚großen Ocean an 9000 Männer, 
Ameritaner, Engländer, franzöfifhe Sanadier und Ruſſen 
mit Jagd und Handel auf eigene Rechnung oder im 
Dienfle der großen Compagnien befchäftigt find, von mel: 


chen alljährlich ein Drittheil umlommt und duch Rektu⸗ 


ten erfegt werden muß. Won Denjenigen, welche längere 
Zeit mit Süd alle Gefahren und Strapagen ihres trau⸗ 
tigen Berufs überwinden, kehren hoͤchſt Wenige in die 
cioilifirten Gegenden zuruͤck; denn theils fühlen fie fich 
dazu unfähig geworden duch langes Waldleben, theile 
wollen fie es ohne ein Vermoͤgen nicht unternehmen, defs 
fen Bildung aber den Meiften nicht gelingt, weil Lieder: 
lichkeit und Spielwuth bei gelegentlihen Zuſammenkuͤnften 
ihrem mühfam errungenen Gewinne bald andere Beſitzer 
ſchafft. Einem fo open und fo zahlreichen Haufen gegen: 
über müfjen die Miſſionnaire und felbft die Difiziere der 
Grenzpoften einen ſchwierigen Stand haben und zufrieden 


“fein, wenn ihre Bemühungen für Rettung der Indianer 


nicht ganz erfolglos bleiben. Der demoralifirende Einfluß 
jener weißen Dalbwilden auf die Ureinwohner iſt außer: 


204 


ordentlich groß und muß natürlich denjenigen der Miſ⸗ 
fionnnire weit übertceffen, melde, flatt den angeſtammten 
Daß zwifchen den Voͤlkerſchaften anzufachen, zum Frieden 
mahnen und, flatt die Ausfchweifungen zu befördern, Ord⸗ 
nung und Mäßigkeit zur erſten Pfliht erheben. Nach 
Erwägung folder Umjtände kann die geringe Ausbreitung, 
welche Religion und Sitte bisher unter den wefllichen 
Indianern erlangt haben, nicht in Verwunderung fegen, je: 
doch verliert durch fie die Stage, inwiefern und ob über: 
haupt jenen Nachtheilen abzuhelfen fei, nichts an ihrer 
Wichtigkeit. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Notizen. 


Es ift vielleicht nicht unintereffant zu vernehmen, wie ſich 
das amtliche römifhe Blatt, ba8 „Diario di Roma’‘, über ein 
deutfches Wert aͤußert, bas ohne Widerrebe zu ben bedeutend: 
ſten literarifhen Erſcheinungen unferer Zeit gerechnet werden 
barf, „Das Leben Jeſu“ von D. F. Strauß. Es ge 
fchieht dies bei Gelegenheit der Anzeige einer religiöfen Zeitfchrift. 
Eine Überfegung wäre hier nicht am Orte. 

Si è pubblicato il fascicolo 23 (marzo e aprile 1839) 
degli Annali delle scienze religiose, compilato dal sig. 
Abbate Antonio de Luca. 

Da principio al summentovato quaderno un importan- 
tissimo articolo, destinato a confutare le bestemmie profe- 
rite dal Dott. Strauss nel suo infame libro Vita di Gesü trat- 
tata oriticamente. Egli & qualche tempo che dalle tipo- 

rafıe di Germania non € uscita alla luce opera incredula 

a paragonarsi a quella di Strauss: non giä perche costui 
arrechi contro la divinita di Gesü Cristo argomenti nuovi e 
non gia confutati, ma perche con fina malizia seppe rico- 
prire i suoi cavilli con discnssioni filologiche, con un fasti- 
dioso raflronso di passi de’ varj libri componenti l’antico e 
il nuovo testamento e con sofisticherie risguardanti il va- 
lore di vocaboli ebraici e di altre lingue orientali; e perö 
ben pochi lettori potranno da se stessi scoprire dove si stia 
riposta l'insidia. Oltre a ciò il protestantesimo oramai con- 
vertitosi in un pretto deismo razionale avea preparato le 
menti in Germania ad imbeversi di aifatte scandalose dottrine. 
Indi è venuto che i numerosi increduli e i libertini comin- 
ciarono a levare a cielo questo libro del loro impudente 
antesignano. Indi & avvenuto altresı che più di venti scrit- 
tori si sono accinti a farne la confutazione e sinanche un 
potentato della Germania settentrionale ha creduto dover 
proporre un vistoso premio a chi piü vigorosamente ribat- 
tesse le obbiezioni di Strauss, I lettori italiani potranno ora 
giudicare quanta parte abbiano avuto l’impostura e il ciar- 
latanismo nel dare a questo libro un’ importanza che non 
ha in se stesso: ed i sinceri fedeli avranno ben motivo di 
consolarsi al vedere, che i nemici del Cristianesimo sempre 
adoperano le stesse armi giä rintuzzate da lungo tempo ed 
in tante differenti guise. 

Le obbiezioni addotte- da Strauss e confutate in questo 
primo articolo risguardano la storia dell’ annunsiaszione e 
del nascimento di S. Giovanni Battista, le apparenti con- 
tradizioni delle due genealogie di Gesü riferite da S. Matteo 
e da 8. Luca, l’annunziazione e il concepimento del nostro 
redentore, la condotta tenuta da Giuseppe, e la visita fatta 
da Maria ad Elisabetta. In altri susseguenti articoli si 
dark contesza degli altri dubbj proposti dal medesimo 
autore. 

La presente confutazione si deve ad un ignoto scrittore 
inglese, peritissimo nella filologia orientale che inserilla in 


un giornale ecelesiastico del suo paese e da quella liogua 
fu voltata in italiano dell’ abb. Ant. de J.uca. 


Der Freiherr Joſeph von Lafberg, früher in Eppies 
haufen, jegt in Meersburg wohnend, hat die Freunde mittelalterti- 
der Literatur ſchon öfter mit auf eigene Koften gedruckten und nicht 
in den Handel gegebenen Büchern, Abdruͤcke verfchiebener altyeuts 
fher Gedichte enthaltend, erfreut. Die legte Gabe diefer Art 
kam auf St.» Johannis vor. Jahres, welcher, wie ber Heraus: 
geber in der Vorrede fagt, „für mic eine teure hochzeit if; 
weil ich am morgen biefes tages, vor fechsundfünfzig iaren im 
Kaifer Zriderich des Rotbarts kapelle, auf ber von im wiebers 
erbauten burg Trifels, von einem edlen Kriegemann zu Ritter 
gefchlagen wurde.” Der Zitel bes Hefts lautet: „Gin fchön alt 
Lieb von Grave Frey von Zolre, dem Dttinger, und der Belage 
rung don Hohen Zolren, nebft nody etlichen andern Liedern, Aiſo 
zum erften mal, guten Freunden zu Luft und Lieb, in Drud 
ausgegeben durch den alten Meifter Sepp, auf der alten Meeres 
burg. Gedruft in biefem iar.” Außer den auf dem Zitel 
nambaft gemachten Stüden bilden den Inhalt noch: ein bis 
jegt ungedrucktes Gedicht von bem Ritter und dem Pfaffen aus 
einer muͤnchener Handſchrift, zwei ficitifche Lieder von Kaifer 
Friedrich II. und von König Enzio, nad) einem Drude aus Pas 
lermo, endlich ein Stüd aus einem höcft feltfamen altfranzöfis 
fhen Gedicht vom Leben und Gterben Marid. Die wichtigfe 
ber frühern Publicationen bes biedern ritterlichen Frriherrn if 
fein „‚Liederfaal” in vise Wänden, beren lester ben befunnten 
Abdruck des Niebelungenliebs enthält. 7. 





Literarifhe Anzeige. 


BSonftänbig ift jegt bei mir erfchienen und durch all 
Buchhandlungen * erhalten: ch rch alle 


Dos Shierreild 


geordnet nach feiner Organiſation. 


As Grundlage der Naturgefchichte der Thiere und 
Einleitung in die vergleihende Anatomie. 
Bom 
Baron von Cuvier 


Nach der zweiten, vermehrten Ausgabe überfegt und durch 
Zufäge erweitert von 


8 ©. Voigt, 


Geheimer Hofrath und Profeſſor. 
Sechs Bände Gr. 8. 1831 — 43. 18 Thir. 


Der erſte Band dieſes ausgezeichneten Werkes enthaäͤlt du 
gethiere und Vogel (1831, 4 Thir.); ber zweite Reptilien umd 
Fiſche (1832, 2 Ahu. 10 Ngr.); der dritte Mollucken (1834, 
2 Thlr. 20 Ror.); der vierte Änneliden, Gruftaceen, Arechni⸗ 
den und ungeflügelte Infetten (1836, 2 Thlr. 10 NRegr.); ber 
fünfte die eigentlichen Infetten (1839, 3 Thir. 10 Rar.) un 
der fechete Band bie Boophyten nebſt einem vollſtaͤndigen Res 
gifter der eitirten Schriftſteiler (043, 3 Thir. 10 Ror.). 


Eeipzig, im Februar 1843, 
J. A. Brockhauso 


Verantwortlicher Herausgeber: Heiarich Brock haus. — Drock und Berlag von F. U, Brockdaus in geipsig,. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienflag, 





Parker und Bail über die Indianer Nordamerikas. 
tSeſchtuß aus Rr. 51.) 


Um über diefe Punkte volftändige Aufflärung zu er: 
halten, beauftragten Die Vorfteher der ameritanifchen Ge: 
ſellſhaft fiir ausmärtige Miffionen im 3. 1835 den Pre: 
diger von Ithaka im Staate Neupord, Hrn. Parker, zu 
einer Reife nah dem Weſten. Wir verdanken diefem, von 
vieler Umfihr zeugenden Verfahren einen nicht uninterefs 
fanten Bericht über ein Land und eine Bevölkerung, bie 
feit Lewis und Clatk nur einmal von wiffenfchaftlichen 
Männern, bei Gelegenheit der Expedition des Major Long, 
beſucht, ſonſt aber nur von Kaufleuten befchrieben worden 
find, die fi mit Pelzhandel befchäftigten und daher Vie: 
les unter einem eigenthümlichen, aber nicht immer richtigen 
Geſichtspunkte anfahen. Die Nachrichten, welche Irving 
in feiner „Astoria”’ zufammenftelite, gefallen durch Einklei⸗ 
dung und Sprache, allein fle tragen zu häufig einen ro: 
manhaften Anftrih und find als Erzählung perfönlicher 


Abenteuer im Ganzen wenig lehrreich. Parker entſprach 


dem in ihn gefegten Vertrauen und befaß die nothwen: 
digen Befähigungen zur Ausführung feines Auftrags. 
Frömmigkeit und guter Wille konnten allein nicht zurei⸗ 
hen, vielmehr war ein gewiſſer Takt und Vorſicht erfo: 
dverlih, um als Einzelner und obenein ald Deputirter ei: 
ner Miffiondgefelligaft den weiten Weg ungehindert zu: 
rückzulegen. Won beiden gab ber Reiſende uͤberzeugende 
Beweiſe; von den erftern dadurch, daß er als Familien- 
vater und in angenehmen Berhältniffen lebender Mann 
fi einer beſchwerlichen Wanderung burd) ein entlegenes 
wildes Kand unterzog, von den letztern, indem er mit ſei⸗ 
nen toben weißen Meifegefährten nicht nur auf gutem 
Fuß blieb, fondern fie fogar vermochte feinen Ermahnun⸗ 
gen zuuhören. rei von den gewöhnlichen amerikaniſchen 
Borurtheilen über die Indianer, unternahm er die Prüfung 
diefed ungluͤcklichen Menſchenſtammes und gelangte über 
ihn zu einee Überzeugung, dfe von der herkoͤmmlich duͤſtern 
vielfach abroricht und zu Hoffnungen berechtigt. Im mei: 
ten Zelde der Naturwiſſenſchaften ſcheint Parker eben nicht 
m Haufe gewefen zu fein, als er bie Meife antrat, indeſ⸗ 
fen waren naturbiftorifche Korfehungen nicht feine Pflicht. 
Erfreulich ift es aber, daß er nicht allein Renntniffe der 
Geologie befaß, einer in den Vereinigten Staaten befannt: 





21. Februar 1843. 


nn — 





ih mit allgemeiner Vorliebe gepflegten Wiffenfchaft, fons 
dern auch mit Unbefangenheit ſich über gewifle Thatfachen und 
daher gefolgerte Theorien ausfpricht, die durchaus mit. der 
Mofaifhen Schöpfungsgefchichte nicht in Einklang zu brin⸗ 
gen find. Dan weiß, zu welchen Bedenklichkeiten umd zu 
weichen Kämpfen diefe Miderfprüche ber Naturbeobachtung 
gegen den Kirchenglauben in England Beranlaffung geges 
ben haben, wo freilich allein diefe Leidenfchaftliche Eroͤrte⸗ 
rung folder Fragen möglid if. Englifhe Miffionnaire 
find in der Regel weit entfernt, das Urtheil tüchtiger, vor 
ihnen dagemefener Naturforfcher über ferne Länder zu uns 
terfchreiben, wenn es nicht völlig orthodbor lautet. Es 
mag genügen al® einzelnes aber hervorragendes Beiſpiel 
den Übrigens hoͤchſt achtbaren und gebildeten Williams an⸗ 
zuführen, der vor einigen Jahren auf einer der Süd» 
feeinfeln ermordet wurde, viel Gutes gefliftet in feinen 
Werke über die Miffionen Polynefiens, die Länder: und 
Völkerkunde fehr bereichert hat, allein unlesbar wird, fo: 
bald er über Geologie, die ihm ein Traumgewebe duͤnkt, 
und über die dem Unglauben verfallenen Geologen zu 
fprechen unternimmt. Daß im Driginale von Par 
ker's Meife gelegentlich fromme Exgiefungen vorlommen, 
darf nicht als ein Flecken angefehen werden, denn fie 
beruhen niht auf Heuchelei und verdienen ald Aus: 
druck perfönticyer Überzeugung und innerften Gefühle 
mindeftend Achtung. Der deutſche mit englifhen und 
ameritanifchen Leiftungen volftändig vertraute Lefer wird 
übrigens duch ſolche Stellen fih nicht irren Laffen, 
indem fie auch in den gebiegenfien Werken ber meiften 
Maturforfcher und Reifenden jener Völker vorkommen und 
als Zeichen eines volkathuͤmlichen religiöfen Bewußtſeins 
aud in den Ländern geehrt werden follten, wo die öffent 
liche Darlegung defjeiben, wenigftens in folder Form, una 
gewöhnlicher iſt. 

Der befuchtefte und daher aud ven Parker einges 
fhlagene Weg, um nad dem Felfengebirge zu gelangen, 
ift die große Waſſerſtraße des Ohio und Miſſuri. Mit 
mäßiger Geſchwindigkeit reifend, erreichte Purfer am 21. 
Aprit 1835 die Heine an der weltlichen Grenze der Vers 
einigten Staaten gelegene Landſtadt Liberty und ſetzte vom 
hier aus am 15. Mai feinen Weg zu Lande als Mit 
glied einer jener großen Karavanen fort, bie zwar lang⸗ 
ſam ihr Biel erreichen, indeſſen dafür gegen Anfälle ber 


Indianer Sicherheit gewaͤhren. In Bellevue, einer Agentur 
der ameritanifchen Pelzhandel⸗Geſellſchaft am Miffuri, blieb 
die Geſellſchaft drei Wochen liegen, um fib zum Über: 
gange über die Gebirge vorzubereiten, deren Fuß man aber 
nit früher als am 7. Aug. erreichte. Aus dem Schoofe 
der. unabfehlichen Prairim, die Irving mit vieltm Talent 
gefchildert, Hal aber neuerdings wiſſenſchaftlicher unter: 
fucht hat, erhebt ſich raſch das Felfengebirge, deſſen glüd: 
lic gewählter Name die Beſchaffenheit wohl ausdrückt, 
denn Maffen von Felfen liegen, baumlos und häufig fogar 
pflanzenlos, aufgethürmt übereinander bis in die Region 
der Wolken. Der Pfad erreicht bald eine anfehnlidhe Hohe, 
denn felbft im Auguſt fitten die Meifenden von Froft und 
Schne. Am Greenriver, einem Zweige des Colorado, ha: 
ben die Karavanen in einem freundlichen, aber tulten Wie: 
fenthate ihren Sammelplaß errichtet, wo die von Dften 
herbeigezogenen, gegen die Producte civilificter Länder, Pelze 
von den Meifegefellfchaften eintaufchen, welche aus den 
Jaͤgern des Gebirges und den Leuten der noch weiter 
weftlich angelegten Agenturen beſtehen und zu beilimm: 
ten Zeiten fih einfinden. Indianer von den Nationen der 
Flatheads und Nez⸗percés nahmen an der Verfammlung 
Theil; in ihrer Geſellſchaft fegte Parker die Reiſe allein 
fort, nachdem ein Haufen von 50 berittenen Jägern ihn 
nad) einigen Zagen verlaffen hatte, um in den Gebirgen 
feinem Berufe nachzugehen. Beſchwerden und Entbehrun: 
gen mehrten ſich im weitern, aber fehr langſamen Vordrin: 
gen, indeſſen entfchädigte theils die Großartigkeit der Land⸗ 
fchaft, theils die Freundlichkeit und Vorſorge ber Indianer, 
die nicht nur Bereitwiltigkeit gegen Belehrung, fondern auch 
Saffungsvermögen verriethen. Am 6. Oct., alfo nach ei: 
ner mehr als ſechsmonatlichen Wanderung erreichte Parker 
das Fort Wale. Walla am Golumbiafluffe, eine der 
Hudfonsbai ss Gefellfhaft gehörende Miederlaffung, verließ er 
fhon am nädften Tage wieder, um in einem von 
Eingeborenen geruderten Kahne auf dem Strome nad) ber 
Küfte zu gelangen. Eine Fahrt von zehn Tagen auf dem 
von ſehr malerifchen Ufern und Bafattfelfen eingefchloffenen 
Strome, den aber einige fehr gefährliche Faͤlle unterbres 
hen, brachte den Reiſenden endlich nad) dem Kort Van⸗ 
couver, der größten Miederlaffung der Meißen in biefer 
Gegend und einem im VBerhältniffe bedeutenden Handels: 
play. Won bier ift das Geftade des großen Oceans nur 
nod 20 geographifche Meilen entfernt, und Schiffe, die 
aus England ober den Vereinigten Staaten um Gap Horn 
herum gefegelt find, geben nad einer halben Weltumfcif: 
fung den Strom bis Fort Vancouver hinauf und bilden 
durch ihre feltene Erfheinung merkwürdige Abfchnitte in 
dem monotonen Leben der’ dort angefiedelten 100 Meißen. 
Weit Hinter allen Erwartungen bleibt aber Aftoria zu: 
ru. Zwei unbedeutende Blodhäufer bezeichnen allein den 
Ort, wo eine unternehmende Geſellſchaft glaubte ein weft: 
liches Neuyork und den größten Handelsplatz am noͤrdli⸗ 
hen ſtillen Ocean begründet zu haben. Aus Irving's 
Werk iſt das Schickſal diefer Niederlafjung bekannt, die 
früher oder fpäter zu einem Kriege zwifhen England und 
den Vereinigten Staaten Beranlaffung geben wird. Beiden 


find die Länder im Weſten der Felfenberge und am Go: 
Iumbia von Wichtigkeit, und beide bringen Argumente vor, 
um ihr Befigrecht zu bemeifen. England begründet dieſes 
auf Priorität der darch englifche Schiffe gemachten Ent» 
dedung und Beſitzergreifung des Landes um die Mündung 
des Columbia; die Vereinigten Staaten aber behaupten, daß 
eine duch Zractate im Oſten der Gebirge fefigefegte, dem 
neunundvierzigften Breitegrade folgende Grenzlinie bis an 
den großen Ocean gelten müfle, und machen daher auf 
den bedeutendfien Theil des ftreitigen Landes, als zum Ge⸗ 
biete der Union gehörig, ihren Anfpruh. Bisher find 
diefe Fragen nur gelegentlich erörtert worden und haben 
hoͤchſtens Schlaͤgereien zwiſchen den Leuten der deiriſchen 
und amerikaniſchen Handelsgeſellſchaften veranlaßt, deren 
Intereſſen ſich dort haͤufig kreuzen; indeſſen wird die Loͤ⸗ 
fung der Zweifel auf ernſtere, wahrſcheinlich ſehr gewalt: 
ſame Weiſe geſucht werden, ſobald die amerikaniſche Be⸗ 
voͤlkerung ſich bis zum Felſengebirge ausgedehnt haben 
und ſich zu feiner Überſteigung anſchicken wird. Entfernt 
von den nach Oſten abfließenden Gewaͤſſern, mird fie vor 
Altern die Derefhaft über den Columbia zu erringen ſtre⸗ 
ben müffen, da ohne diefelbe ihre Colonien von dem Wer: 
Eehre mit der übrigen Melt ahgefchnitten fein würden 
und hoͤchſtens auf paſſives Fortbeſtehen, niemals aber auf 
rafche Vergrößerung und Wichtigkeit rechnen dürften. Ein 
ſolches Verhaͤltniß kann jedoch nur Spaniern zufagen, die 
bekanntlich im nördlihen Merice, in Californten, im ſuͤd⸗ 
lichſten Venezuela, in Moros, Tarija und ähnlicyen- abge⸗ 
ſchiedenen Provinzen feit 1 — 300 Jahren fortvegetiren 
und unbefümmert um die übrige Welt und ihre Kort: 
fhritte nie am Vergrößerung ihres Gebiets und ihrer 
Macht durch Benugung natürlicher Hülfsquellen und Aus- 
fendung gemwerbfleißiger Golonien gedacht haben. Dem 
niemals raftenden Volke Nordameritad vermag allein die 
Natur Grenzen zu fegen, denn feine Verbreitungsluſt und 
fein Dandelsgeift weichen vor gewöhnlichen Hinderniſſen 
nicht zurüd und würden, wie die einflweilen befeitigte Frage 
der Grenzen nad Norben bemweift, nur zögernd diplomati= 
fhe Argumente als vollgültig anetkennen und ſich den- 
felden geduldig unterwerfen. Daß die Indianer die eigent- 
lichen Herren des Landes im Welten der Vereinigten Staa 
tengrenze find (ein von Parker hervorgehobener, aber von 
Vail möglihft umgangener Sag), wird weder die Colo: 
niften vom Miffuri noch die Regierung in Waſhington 
dereinft abhalten, Verſuche gegen die Engländer am Go: 
lumbia zu unternehmen und im Falle des Erfolge ohne 
Weiteres das neue Territorium als gute Beute fich zuzu⸗ 
eignen. Für die rothen Ureinwohner wäre ein ſolches Er: 
eigniß wahrſcheinlich von uͤbeln Folgen, indem fie von der 
Hudfonbai= Gefefhaft, die von Canada bis zum Dregon 
herrſcht und einen märhtigen Einfluß ausübt, mit viel 
mehr Menſchlichkeit und Vorſorge behandelt werben, als 
fie von den Amerifanern je erfahren haben oder erwarten 
dürfen. Die Niederlaffung zu Fort. Vancouver, wo Par: 
fer überwinterte, befindet fih im einem fehr blühenden Zu: 
ftande und bemelft, daß das Dregongebiet zur Anlegung 
von Golonien fehr geeignet ſei. Man bat dort feit eini: 


207 


gen Fahren der Landwirthſchaft wiel Aufmerkſamkeit ge: 
wibmer und erzeugt bereitd meit mehr Feldfrüchte, ats die 
Bevölkerung allein verbrauchen kann. Das Klima iſt un⸗ 
gleich milder und beſtaͤndiger als in den unter gleicher 
Breite am atlantifhen Meere gelegenen Provinzen Mord: 
amerikas. Der Frühling tritt im März ſchon ein und 
seht nach wenigen Wochen in Sommer über, Parker 
nahm daher am 14. April 13836 vom Hort Vancouver 
und den gaflfreien Beansteten der Compagnie Abſchied und 
folgte feinem frichern Wege bis weit in ‚die Gebirge. Cr 
kehrte dann nach dem weſtlichen Geftade in einer verfchie: 
denen Richtung zurüd, um einen andern Theil des Terri⸗ 
toriums kennen zu lernen und über die Geneigtheit der 
Indianer, Miffionnaire bei fi aufzunehmen, Nachrichten 
einzuziehen. Da eine Landreije nad) den Vereinigten Staus 
tm wenigfiens ſechs Monate gekoſtet haben würde und 
für ihre Mühen kein Erſatz auf dem ſchon beteetenen 
Wege zu hoffen war, fo fhiffte Parker am 21. Juni 
fi in einem ameritanifhen Kauffahrer nach den Sand: 
widhinfeln ein, die er am 14. Juli erreichte und ges 
gen alle Vorausfegung, wegen Mangel einer directen Ge: 
legenheit nach den Vereinigten Staaten, bis zum Decem: 
ber bewohnen mußte. Endlich fand fih eine folde und 
nach ungewöhnlidy langer Fahrt, Berührung von Dtaheiti 
und Umfegelung des Cap Horn fah Parker im Mai 1837 
fein Vaterland wieder, 

Als Mefultat der neueften, von zwei Männern ſehr 
unähnlihen Berufs unter fehr verfchiedenen Geſichtspunk⸗ 
ten unternommenen Prüfung ftellt ſich heraus, daß den 
Indianern keineswegs Culturfaͤhigkeit abzufprechen ift und 
daß aus ihnen ein nuͤtzliches Votk gebildet werden könnte, 
daß aber ihrem Untergange nur ein redlich gemeintes und 
entfchloffenes Einfcreiten der Regierungen der Welpen vor: 
beugen koͤnne. Die Sefammtzahl der auf dem Gebiete 
Engiands und der Vereinigten Staaten lebenden. Indianer 
wird von Vail zu 345,000 Seelen angegeben; zwei Deit 
teile diefer Bevölkerung leben unter der Botmaͤßigkeit der 
Vereinigten Staaten oder doch in einem Lande, welches 
jene Republik beanſprucht und auf herkoͤmmliche Weiſe 
nah und mach duch Kauf oder Tauſch an ſich zu brin⸗ 
gen vorhat. Im Dflen des Miffuri find wenige, viels 
lricht kaum 20,000 Indianer Übrig, feit an det vertrags⸗ 
mäßigen Werfegung der Ureinwohner nach Weſten ernft: 
lich gearbeitet worden it. Man glaubt, daß die mehr aus: 
getriebenen als freiveillig ausgewanderten Stämme leicht 
30,000 waffenfähige Maͤnner flellen können. Sollten 
diefe fi mic den bi6 zum Felsgebirge verfireuten Voͤlkern 
vereinigen, fo wärde. eine gefährtiche Streitmacht von 
60,000 abgehärteten und fehr erfahrenen Kriegern fich bil: 
den, welchen die ganz offenen und -wehrlofen Provinzen 
des Weſtens nirgend widerftehen könnten. Es würde in 
einem ſolchen Falle die furthtbarfte Vergeltung gelbt wer: 
den, und die Bevoͤlkerung der Grenzfinaten Das büßen, 
was ihre Vorfahren gegem die Indianer ſchon in der Zeit 
derſchuldeten, wo die Grenze der Golonim kaum die Alle 


ghanies erreichte. Zum Güde der Weißen wird ‚eine 
ſolche Verginigung ‚des Tliinwohnge: ducch angeerbsen Haß 


des einen Stammes gegen ben andern und den Mangel 
eined gemeinihaftlihen Dauptes verhindert. Daß Indianer. 
an Furchtbarkeit noch nichts verloren haben und der an 
Menſchen und Mitten reihen Union ebenfo unbefiegbar 
fein £önnen als ben erften Coleniften von PVirginien, be: 
weift der legte langjährige Krieg mit den Seminolen in Oft: ' 
florida, defjen die Amerifaner als eined unausloͤſchlichen 


Schandfleckes ihrer Geſchichte fi) flets zu ſchaͤmen haben 


werden, nicht weil ihre vielgerühmten Truppen von eine 
Handvoll Halbwilder häufig Niederlagen erlitten haben, 
fondern weit felbtt von dem Kriegsminiſterium die uns 
menſchlichſten und verufenften Mittel gebillige worden 
find, wenn fie zum Siege zu führen verſprachen. Diefer 
Widerſtand eines vereinzelten Stammes wird endlich doch 
befeitigt werden, denn Die Regierung und dus Volk der 
füdlihen und weſtlichen Staaten find feft entfchloffen, die 
Austreibung der Indianer durchzuſetzen, und merden weder 
Menfhen: noch Geldopfer ſcheuen, um ihre Abſicht zu 
erreichen. Die Nothwendigkeit der Verfegung der Urein⸗ 
wohner erfennen die beiden oben erwähnten Parteien, je: 
doch aus fehr verfchiedenen Berweggründen. Die eine vers 
langt die fetten Ländereien der noch zurüdgebliebenen 
Stämme und will der Induftrie und Ausbreitung der 
Weigen ein ununterbrodenes Feld geöffnet wiſſen; die ans 
bere billigt die Erilirung der Ureinwohner und ihre Ver: 
fammlung in einem befondern Bezirke, weil fie auf diefe 
Weife am Seichteften geſchuͤtzt, erhalten und civiliſirt wer⸗ 
den Finnen. Die Unantaftbarkeit diefer Bezirke wird von 
der einen Partei zu Gunften der Indianer verlangt, von der 
andern, die duch Vail als vepräfentict angefehen werden 
kann, nur bedingungemeife zugeftanden, weil fie den Nach: 
kommen die Hände nicht binden will, falls diefe einſt ge: 
gen die Völker der Prairies daffelbe Verfahren angemefjen 
finden follten, weldes man feit zehn ober mehr Jahren 
gegen die Creeks, Choctaws, Chickaſaws, Seminolen und 
andere Stämme anwendet. Daß aber die Indianer ferner 
wegfhmelzen müffen, wenn Chriftentyum und Civiliſation 
auf fie ihren Einfluß nicht ausdehnen, gibt in den Vereinig⸗ 
ten Staaten felbft die Partei zu, welcher im Herzm an 
der Erhaltung der rothen Menſchenrace nichts Liegt: und 
ihre Eriftenz am lieben in das Gebiet gefchichtlicher Ers 
innerung verwieſen ſaͤhe. Sowol Vail ale Parker find 
der Anficht, daß die erſte und ſchwerſte Aufgabe darin be- 
ftehen wird,. den Indianern Geſchmack an den Bequemlich⸗ 
keiten des civilifietern Lebens beizubringen und fie auf 
praftifhen Wege zu überzeugen, daß ein ackerbauendes 
Volk nie einer ebenfo großen Noth ausgelegt fein koͤnne 
als die berumftreifende Jaͤgerhorde. Gewoͤhnung iſt am 
erwachfenen Halbwilden viel zu mächtig, als daß von ihm 
Ummandelung erwartet werden dürfte. Man ſchlaͤgt da: 
her vor, die jungen Leute in Schulen der Regierung auf: 
zumziehen und erſt am Schluffe diefee Vorbereitung nach 
den Ländereien zu bringen, die ihrem Stamme zur feften 
Anfiedelung überwiefen find, Da, die Zahl der Pelzthiere 
aus natürlichen Gründen immer mehr abnimmt, die 
Fruchtbarkeit des Bodens, die Vortheile des Feldbaus und 


Handels alljaͤhrlich groͤßere Zahlen von Weißen nach dem 


MB. 


außerſten Welten zieht, fo wird in Eurzer Zeit den Urein⸗ 
wohnern alle Gelegenheit zur Fortfegung ihres getwohnten 
Lebens abgefchnitten fein. Vielleicht ertiegt die Mehrzahl 
noch vor Eintritt diefer Periode jenen Epidemien, deren 
fegte in einem Jahre (1838) nur In der Nähe der Vers 
einigten Staaten über 30,000 hinrichtete, und entgeht fo 
dem ungleich furchtbarern Schidfale, ohne ſelbſt im Be⸗ 
fie einer abwehrenden und fichernden Givilifation zu fein, 
von einem übermächtigen fremden Menfchenftamme um: 
fchloffen und erdruͤckt zu werden. 36, 





Literarifhe Notiz. 


Es gab eine Zeit, wo alle Welt unbekannte Briefe Roufs 
ſeau's wollte aufgefunden haben. Man würde einen ganzen 
Band mit biefer untergefchobenen Correſpondenz von Jean 
Jacques bilden. Später warb ein Berfud gemacht, falfıke 
Briefe von Voltaire in Umlauf zu bringen; aber ber Patriarch 
von Ferney hatte einen fo eigenthümlich pilanten Briefflil, der 
fit) unmöglidy vollkommen nachahmen lief. Jetzt wird nun vers 
fucht, einen Heinen Roman unter dem Namen Boltaire’s in das 
Yublicum zu ſchmuggeln. Die „Revue de Paris” bringt naͤm⸗ 
lich in einer ihrer legten Nummern eine Novelle unter dem Zis 
tel: „„L’arbre de science‘ (Voltaire würbe gefagt haben L’arbre 
de la science), bie fie getroſt dem unerreihbaren Verf. ber 
Contes und Petits romans zufchreibt. Aber auch bier dürfte 
die Stilprobe gleich den literarifchen Betrug unwiderleglich bes 
weifen. Zwar wird in einer Ginleitung zu biefem kleinen Ro⸗ 
mane, ber, wie es heißt, nach einem von der Marquife ODuchaͤ⸗ 
telet eigenhändig abgefchriebenen Manuferipte abgedrudt wird, 
erzählt, auf welche Art das Eleine Werk in bie Hände bes 
Herausgebers gekommen ift. Schwerlich wird indeffen ein Leſer 
leichtglaͤubig genug fein, dies für baare nge zu nehmen. 
Befonders find und die berühmten Männer, bie als Bürgen für 
die Echtheit des Romans angeführt werben, fehe verbäctig, 
weil fie uns ebenfo unbefannt find, als der celebre savant de 
Leipzig, Mr. Sandrart, ber bad Manufcript einem belgifchen 
Gelehrten abgetreten haben fol. Wenn man nun ben Roman 
ſelber näher ins Auge faßt, fo erdennt man auf ben erften Bid, 
daß er nicht ans ver glänzenden Beber Voltaire's herruͤhren 
fann. Die Erfindung ift arm und dürftig, der Stil aber — 
diefes unträgliche Kennzeihen der Autorfhaft — ift geziert, 
hart und mit der unnachahmlichen Leichtigkeit und Grazie Bol: 
taire's nicht im entfernteften gu vergleichen. 2. 





Bibliographie. 


Adhemar, J., Die Mevofutionen bes Meeres. Aus dem 
Franzoͤſiſchen überlegt. Mit 2 Tafeln Abbildungen. „Leipzig, 
Peter. Gr. 8. 15 Rgr. ' 

Eine Analogie, drei Parallelen und ein Wunſch. Ober: 


Eine befcheidene und freundliche Bitte ber evangeliſch⸗ preußiſchen 


Landeskirche an den Preußiſchen Staat; eine Abhandlung von 
einem Freunde beider. Leipzig, Lauffer. 8. 10 Nor. 
Barthold, 3. W., Geſchichte von Rügen und Pommern. 
ter Theil: Bom Tode Barnim’s I. (1278) bis zum Auftreten 
der Hohenzollern in der Mark Beandenburg (1418). Hamburg, 


Perihes. Ge. 8. 2 Ahlr. 10 Ner. 
Bauer, B., Die Judenfrage. Braunſchweig, Otto. 
&. 8. 8 Ror. 


Beder, 8. F., Ausführliche deutſche Grammatik, als 
Gommentar der Säulgrammarit- An zwei Bänden. 2te neu 
bearbeitete Ausgabe. After Band. Frankfurt a. M., Kettems 
beil..: Gr. 8. Subſco⸗Preis beide Bände 4 Thlr. 





—— von Dr. Gugenheim's Oratio I, in Catili- 
nam: „Preußiſch: Baieriſch⸗Kirchliches der Gegenwart.“ Hits 
genslurg, Manz. Gr. 8. 5 Nor. 

Ebriſtoterpe. Win Taſchenbuch für cheifkliche Lofer auf das 
Jahr 1843. Alter Jahrgang. Geraußgegehen in Berbindung. 
mit mehren Anbern von 4. Knapp. Zitellupfer. Oei⸗ 
belberg, Winter. 16. 1 Zhir. 15 Nor. 

Franzoͤſiſche Claſſiker. Reue, correcte und wohlfeilſte Aus⸗ 
gabe. Deutſch und mit Anmerkungen begleitet von A. Elliſ⸗ 
fen. After Zheil: Montesquien, dee Geit der Geſetze. Ifter 
Theil. Leipzig, O. Wigand. 16. A Nor. 

Desnovpers, k., merkwuͤrdige Abenteuer des Gentad Ha⸗ 
ſelbaum. Deutſch von 2. Fuͤrſtedler. Mit 102 Holzſchnit⸗ 
ten von P. Lauters. Zwei Baͤndchen. Wien, Tauer und 
Sohn. 12. 1 Thir. 6 Nor. 

Deutſchlands patriotiſche Weihnacht. Feſtgeſchenk für das 
Fra Bolt, in fieben Baben. Stuttgart, Wachenborf. Gr. 8, 

ag ce. 

Feuchters leben, ©. v., Zur Diaͤtetik ber Seele. Ste 
verbefferte und bedeutend vermehrte Auflage. Wien, Gerold. 
12. 20 Rear. | 

Hottinger, I. J., Huldreich Zwingli und feine Zeit, 
dem Volke dargeftellt. Mit Hiftorifchen Abbildungen, gezeichnet 
en Degi. Zuͤrich, Orell, Küßli und Comp. Gr. 16. 


x. 
Ledebur, L. v.. Nordthüringen und die Hermundu- 
rer oder Thüringer. Zwei Vorträge, gehalten: der erste 
den 14. Sept. 1842 in dem Verein für Märkische Geschichte, 
und der zweite am 8. Octbr. 1842 in der geographi- 
schen Gesellschaft za Berlin. Berlin, Oehmigke. Gr. 8. 
gr. 

Liebe, F., Entwurf einer Wechfelorbnung für das Ders 
zogthum Braunfhweig fammt Motiven. Mit dem Borflande 
des Kaufmanndrereins zu Braunfchweig berathen. Braunfchweig, 
G. &. E. Meyer sen. Gr. 8. 1 hir. 

- Materialien zur Regierungsgefdjichte Friedrich Wilhelm's IV. 
vom 7. Juni 1840 bi zum 18. October 1842. Königsberg, 
Voigt. Gr. 8. 15 Rear. 

Muͤhlboͤk, R., Diego Cantarino, der Falſchmuͤnzer, oder: 
Das Beinhaus von Arieta. Cine romantifhe Gefchichte aus 
dem Gebirge Sierra de San Adrian in Spanien, nad Quellen 
hiſtoriſcher Sreigniffe der newern Zeit. Wien, Tauer und Sohn, 
Gr. 12. 4 Nor. ' 

Nachtviolen. Eine Rovellentranz vom Chevalier &t.- 
Henri. Leipzig, Peter 8. 1 Thir. 7%, Nor. 

Palästina und die südlich angrenzenden Länder. Ta 
buch einer Reise im J. 1838 in Bezug auf die biblische 
Geographie unternommen von E Robinson und E SuritA. 
Nach den Originalpapieren mit historischen Erläuterungen 
herausgegeben von E. Robinson. Mit neuen Karten und 
Plänen in 5 Blättern. 3ter Band. 2te Abtheilung. Halle, 
Buchhandlung des Waisenhauses, Gr. 8, Der ganze Band 
4 Tbir.; das nun vollständige Werk 10 Thir. 20 Ner. 


Samumter, %., Die Unſterblichkeit unferer Perfon, wil: 
fenfchaftlich beleuchtet. Liegnitz, Gerſchel. Er. 5. 15 Kar. 

SansMarte, Groß: Polens Nationalfagen, Märchen 
und Legenden und Localfagen bes Qroßherzogthums Pofen. tes 
und Ites Heft. Bromberg, Levit 8. 20 War. 

Tſchampel, C., Gedichte in ſchieſſcher Gebirgsmunbart. 
Vier Hefte. Schweibnig, Heege. 8. 25 Nor. 

Vehſe, ©. E., Die Weltgefchickte aus dem, Standpunfte 
der Gultur und ber nationalen Charakteriſtik. AL Worlefungen 
im Winterhatbjahr 1841/42 ku Dresben gehalten. Zwei Bänbe, 
Dresden, Walther. Gr. 8. Shle.. 

Inlaͤndiſche Zuftände. Ites Heft. Konigeberg, Graͤfe unb 
Usyr. Ge. 8. .15 Kor u 





Blätter 


für 


liferarijde Unterhaltung. 








Mittwoch, 


Charakter und Stellung der franzoͤſiſchen Litera⸗ 
tur ſeit 1830. 


Die Gegenwart kraͤnkelt in Frankreich an dem lei⸗ 
digſiten Mechanismus, einer Krankheit, die wie das ganze 
Mimtlicye Leben, fo befonders bie Literatur ergriffen hat 
und um fö gefährlicher tft, je künfllicher fie den Schein 
der Gefundheit affectirt. Nirgend ein inneres, fFrifches, 
kräftiges, ſich organifch entwickelndes Leben, überall ein 
bloßed Streben nach aͤußerm, formellem Glanze, Effeet 
und Schimmer; nirgend ein geniales Schaffen aus dem 
tiefften Leben heraus, uͤberall ein bloßes Künfteln und 
wunderlidyes Spielen mit Worten und Klängen, ein be: 
fländiges Jagen nah Stil, Manier, Originalitaͤt, ein 
wirklich raſtloſes Bemuͤhen, den verwefenden Leib der Mi: 
teratur mit den Blumen aller Zonen und Zelten auszu⸗ 
ſchmuͤcken, aber nirgend ein befebender, begelfternder Hauch 
des Meiſters. Wer fi an der Oberflaͤche haft und fo: 
zufagen blos die Atmofphäre der Gegenwart ins Auge 
foßt, der mag vielleicht an der umendlihen Regſamkeit 
der Geiſter und Meisbardeit der Gemüther, an der uner: 
fhöpftichen Fuͤle ephemerer Ideen und Entwürfe, an dem 
raſchen Wechfel immer neuer Erfcheinungen, an den rafl: 
tofen Beftrebungen, zu reformiren und zu reflauricen, zu 
organifiren und zu reorganifiren, an der unermübdeten 
Thaͤtigkeit, alte Syſteme zu zerſtoͤren und neue zu bauen, 
die neuen zu verwerfen und mit alten Trümmern aus: 
zuffiden, an der unendlichen Fruchtbarkeit der Preſſe und 
an vielen andern Symptomen die allgemeinen Lineamente 
einee btühenden Literaturperiode zu erkennen glauben. Es 
wimmelt von Journalen mit den verfchiedenften Forma⸗ 
im und Xendenzen; Zeitfehriften zu allen möglichen 
Zwecken beſtehen in Menge; Biugbiätter fliegen gleich 
Heuſchreckenſchwaͤrmen umher; die Bücher mehren fidh 
mit ebenſo wunderbarer Fruchtbarkeit ale die Brote und 
Fiſche des Evangeliums; die Theaterzettel zeigen jeden 
Abend neue Dramın und Luflfpiele an und die Deuder- 
preffen gebären aͤchzend und ftöhnend in unabtäffigen 
Wehen Proſa und Berfe, Philofophie umd Poefie. Lite⸗ 
raten von Profeffion zähle man zu Tauſenden, Ditettan: 
ten, die ſich in Sachen der Litaatur ein Urtheil zutrauen, 
zu Hunderttaufenden, Leſer zu Millionen. Waͤchſt die 
Zahl der Ausoren tünftishin im demſelden Maße fort wie 


22. Februar 1843. 


— nn nn 


in den legten 20 Fahren, fo wird die laͤbliche Schrift: 
flellerfchaft ihr Dandiwert in Zänfte und Gilden gliedern 
mäffen; wie hätten alsdann die Gilde der Publiciſten, 
bie Gilde der Romanſchreiber mit den Mebengilben der 
Novelliſten, Zouriften und Feuflletoniften, die Gilde ber 
lyriſchen Poeten, die Gitde der Tragoͤdien⸗ und Komoͤdien⸗, 
Dramen: und Melodramendichter mit der widptigen Un: 
terabtheilung der Vaudevilliſten u. f. w. Lestere find in 
unfern Tagen zu Paris gewiß zahlreicher als die parifer 
Manrermeifter: und Zimmermannszunft zur Zeit Ludwig's 
des Deiligen, und ich bebauere vecht fehr, das von Dep: 
ping neuerdings herausgegebene Zunftbuch des Etienne 
Boileau nicht bei der Hand zu haben, um über jene® 
Factum beftimmte Auskunft geben zu koͤmen. Die 
Nothwendigkeit und Wichtigkeit des Genoftenfchaftlichen 
fängt an, ſich wieder geltend zu machen in unferer Zeit, 
welche demfelben viel zu übereilt einen allgemeinen Krieg 
erklaͤrt hatte. Die Schriftfleller, als die Luternenträger 
des Fahrhunderts, zünden biflig andern Leuten «in Licht 
an; und diefem Berufe getren, haben die parifer Litera⸗ 
ten vor zwei Jahren ihre Generafftaaten oder wenigſtens 
ihre gefhloffene Bürgerfhaft conftituiet und dadurch Kuͤnſt⸗ 
ler, Handwerker, Gelehrte, Geiſttiche, Dörfer, Städte, 
Landſchaften, kurz alle Staatsorgane indirect aufgefodert, 
ihrerfeits auc in Vereine zufammenzutreten, nm gegen 
die feihte, mechaniſche Anficht zu protefliren, ein Staat 
beſtehe Lediglich aus einer hoͤchſten, centralifirten Regie⸗ 
eung, und dann aus lauter Einzelheiten, welche man, 
zufammenabddirt, Wok zu nenmen beliebe. Es iſt wahr: 
ſcheinlich, daB die parifer Literaten bewußtlos in die Sphäre 
dieſer Ideen eingetreten find; es ift fogar ausgemacht ge 
wiß, daß ihren perfönliden Motiven Höchft eigennägige 
Abfichten zu Grunde gelegen haben, indem, unter dem 
angeblichen Vorwande, den Eingriffen in das Literarifche 
Eigenthumsrecht unfterblicher Genies (die zweifelschne das 
Alphabet erfunden) zu fleuern, «6 eigentlih nur darauf 
abgefehen war, die armen Departementalzeitungen zu 
brandfchagen und aus einer Heimen Novelle, aus «einem 
artigen Feuilleton wo moͤglich hundertfaches Honorar ber: 
auszuſchlagen. Das ‚Babel‘, meiches dieſe Kiteratene 
gefelifchaft zu bauen beabfichtigte und das, mie der Pro: 
fpeetus ſich unverſchaͤmt naiv ausdrädte, „ta confusion 
des genres et des noms, rdunis sous V’influence morale 


— 

22 
qui caracterise notre Epoque” abgeben ſollte, iſt nit 
zu Stande gefommen. Gottes Finger hat diefes Monu⸗ 
ment Lliterarifcher Selbflvergötterung, gigantifcher Eitelkelt 
und tbörichter Verblendung umgeftoßen, nod ehe ber 
Grund dazu feſtgalegt war, Die kritiſche und moralifdge 
Gerechtigkeit fodert ums‘ indeß das Gellänpnig ab, daß 
dfe jet in Frankreich herefchende Sprachverwirrung nicht 
erft in Folge dieſes hirnverbrannten Unternehmens entitan- 
den ift, fondern ſchon von früher datirt, aus der Zeit der 
großen Revolution, wo man Deputister und Redner war, 
ohne Iefen und fchreiben zu können, in die Grammatik 
alfo nothwendig bdiefelbe Anarchie kommen mußte, welche 
im Stoate herrſchte. 

Die Generalftaaten der parifer Literatur verfammeln 
fh in der Richelieuſtraße bei dem Speifewirch Lemarde⸗ 
dep und berathen ſich in der Megel bei oder nach einem 
tühtigen Mahle, wie unfere biedern Vorfahren, die alten 
Germanen; nur find fie nicht, wie diefe, von Wein ober 
Bier trımlen, wol aber von Ehrgeiz, Geldgier und Ruhm: 
ſucht. Die Theaterdichter bilden ſchon lange eine ge: 
fehloffene Geſellſchaft, die gerade jegt das Gymnase dra- 
matique in Bann und Acht erflärt hat, weil die Direc⸗ 
tion von der jedesmaligen Sinnahme nicht die verlangten 
Meocente abgeben will. Die Naturaliften und Orientas 
Uften, die Geographen und Statifliker, die Archäologen und 
Phrenologen, die Aſtronomen und Mathematiter, alle ha: 
den bier. ihre Geſellſchaften und Vereine; und alle dieſe 
Facta zufammengenommen (der dien Rauchwolken, ‚bie 
der Dpferdampf der ſchmeicheleiſtreuenden Kameradſchaft 
und eingebildeter Selbſtgenuͤgſamkeit verbreitet, nicht zu 
gedenken) jimd in die Augen fpringende Phänomene eines 
energiſchen literariſchen Drangs und Betriebs. Aber all 
dies Jagen, Treiben, Schreien und Stürmen beurkundet 


..218 


bei allee MWerfchiedenheit der Strebungen dod nur Die, 


«ine und allgemeine Übergengung, daß die Literatur im 
Argen liege, daß es beffer werden muͤſſe. Die jetzige 
literatiſche Sturm: und Drangperiode iſt nichts als das 
oͤmmerliche Umfichgreifen und Anſchwellen einer poetiſch⸗ 
ꝓelitiſch⸗philoſophiſchen Production, die keine einzige ſtarke 
Mfahlwurzel ſenkrecht hinab in die Zeit ſenkt, ſondern nur 
horizontale Ausläufer an.der Oberfläche um ſich ber ver 
breitet ; die truͤbe Gaͤhrung eines wild ſchaͤumenden Mofleg, 
von dem fein guter, Elarer Wein zu hoffen; die traurige 
Sprießkraft einer kuͤnſtlich hervorgerufenen Vegetation, die 
in den Helm ſchießt, flatt in den Kern zu gehen; die 
betlagenſswerthe Fruchtbarkeit eines Ackers, auf dem Diſteln 
and Doͤrner und Sumpfpflanzen aller Gattung herum⸗ 
wuchern, wo das Geſchlecht der Pilze, die bei jeder Be: 
sührung in eine ſtinkende Jauche zerfliegen, ſich breit 
macht und allerlei Giftgewaͤchſe blühen und fich gar luſtig 
sefamen, mo die Gemelnheit vor allem wuchernd ihre 
Kryptogamiſten aufteeibt und die Keime alles Beſſern, 
206 fih nur mit Mühe friftet, durch das geile Unkraut 
arſtickt und miedergehalten werden. Man ziehe aus der 
Metallwaſſe der franzoͤſiſchen Literatur unferer Zuge die 
$dyädlichen, gemeinen umd unedeln Subflanzen, mit denen 
fie veorfegt iſt; man fireiche aus dem goldenen Buch der 


Le — — — — 


| 


lebenden Literatur: NRobili die Namen aller Notabilitäten 
der Seichtigkeit, Leerheit, Flachheit, Armſeligkeit, Poͤbel⸗ 
haftigkeit und nuͤchternen Gemuͤthlofigkeit, die ſich un⸗ 
verſchaͤmter⸗ und ungerechterweiſe eingedraͤngt und einge⸗ 
ſchwaͤrzt haben; und man ſehe, wie viel koriuthiſcheg E 
wie vieh makelloſet Adel uͤbrigbleibt. Wie werden ba 
inne werden, daß der vielgeprieſene Reichthum der neue⸗ 
ſten franzoͤſiſchen Literatur nur in bezahlten oder freiwil⸗ 
ligen Zeitungelügen, in dem vielſtimmigen Coteriengeſchrei 
und dem aufgeblaſenen Hochmuth Derer ſeinen Grund 
bat, die ſich befcheiden für die koſtbatſten Edelſteine des 
Sefchmeldes ausgeben. 
Eine Zeit, die bios eine Unmaffe mehr oder weniger 
geiftreicher Literaturproducte, eine Unzahl Eleinerer oder 
größerer Kiteraturtalente aufzumwelfen hat, iſt Eeine glaͤn⸗ 
zende Fiteraturepoche, fondern weit eher eine unheilbtin⸗ 
gende, gefahrdrohende Zeit fie die "Piteratur, die, von der 
Seichtigkeit und Unwiſſenheit, oder. van der Gewiſſen⸗ 
loſigkeit und. Unredlichkeit angebaut, verdirbt und wer- 
kommt. Bei anhaltendem Verfall wird fie immer ſcha⸗ 
ler umd trivialer; die guten Traditionen ‚werden Kinder: 
fpott und der gute Geſchmack ſtirbt ab, bis man am 
Ende in einen Zuſtand allgemeines Erſchlaffung uud 
Laͤhmung fühlt, der fchlimmer ift als has erſte einſylbige 
Kalten ber Kindheit und die farmloſe Roheit der barbari- 
fen Kraftperiode, wo die ganze Maſſe des wilden Blu: 
tes, das in fpdterer Geſittung und Sittfamkeit fi all⸗ 
mälig befänftigt, noch mit vollem Ungeflüm tobt. Die 
schen Anfänge literariſcher Barbarei ‚gleichen jener Abend: 
eöthe, welche oftmals, nach ftärmildgen Tagen eintritt und; 
obwol nach einer langen und dunkeln Nacht, Dach end⸗ 
lich einen beiten Literaturmorgen verſpricht; denn indem 
ſie dem tiefſten Verfall einer alten untergehenden Bil⸗ 
dung angehören, ſchließen fie doch zugleich den Anbeginm, 
Urſprung und erſten Lebensfeim einer neu auftauchenden 
Swturftufe in ſich, während in den fagenaunen Serben 
einer völlig ausgabiideten Civilifatien die Barbarei unter 
bem Firniß der Cultur, die &efe innere Faͤuiniß unter 
einem übertundten Xußern wie ein Krebs immer weiter 
um ſich frißt, das organifche Leben auf große Streden 
in ſcharfem Braud entzunder und ‚die Nacktfeite der Ge⸗ 
ſellſchaft lichterloh erhellt. Es war eine Zeit, da drehte 
das ganze menſchliche Geſchlacht in einen Zuſtand com: 
pletter Corruption und Beſtialitaͤt zu verſinken, hätte da⸗ 
mals nicht von den Bergen des Nordens in die verpeſte⸗ 
ten Sümpfe des Südens ein frifher Wind geweht, hätte 
nicht die Volkerwanderung den großen Giftpfuhl, das ro: 
miſche Weltreich, tief im Schutte begraben und das Chri⸗ 
ſtenthum ‚ein neues Lebens dazlıber gefäet. Es war Dies 
die Zeit des in die aͤrgſte Faͤulniß Übergegangenen Deiben- 
thums, als es in Rom von Posten, Autoren, Rebnern, 
Schoͤngeiſtern, Geſchichtſchreibern, Rabuliften und Seo: 
phiſten wiramelte und Überfluß an Geiſtreichigkeit und 
Übermeth, aber Mangel an Geil und Muth vochan⸗ 
den. WIE. - ‘ 
. Man kann allerdings die Frage aufwerfen, ob die 
übertriebene Ansegung und Steigerung geifliger Kräfte 


au 
and Fähigkeiten aber ber —— Befall einer Die‘, ſich unnermeiblid von der Vulkanitaͤt der Zeit, im der fie 


inteertuelte Matigkeit ins Unenbliche fleigernden und 
aufs ungölgutefte ſtacheinden Bildung den Untergang 
der Geſellſchaft Herbeiführe. Weide Zuflände, duͤnkt mic, 
hängen enge zufammen und, ohne fich gerade fchlechthin 
zu bedingen, agiren und reagiren fie befländig aufeinan: 
ber amd reichen fih gegemfeitig Die Dände- zum -gemeinfa- 
mm Werk der Zerſtoͤrung, abwechſelnd Urſache und Mit: 
fang; bdergeflalt, daß eine morfche, angeſteckte Welt: und 
— 22 voll Löcher und Riſſe, voll Eiterbeulen 

‚ ohne ſtuͤtzende Grundiagen und sufammen: 
Fer Bänder, nothmendig einen Überfluß an ſchlechten 
Autoren erzeugt, gleichwie der verberbliche Einfluß diefer 
bie wackelige Befchaffenheit des focialen Gebäudes nur 
vermehrt, den Reiz ber böfen, giftigen Säfte im Staats: 
törper beſtaͤndig erhält und die Gefellfchaft zu einem un: 
ebtäffigen Suchen nach Heilkräutern und Stichmitteln 
noͤthigt, welches man gerne für ein gefundes Ringen 
nah Recht, Licht und Freiheit ausgehen möchte, während 
+4 doch nur Bad Kratzen und Jucken eines Kranken ift, 
der die biutigen Wunden und Geichwire, ſtatt fie zu 
heilen, immer von neuem aufreißt. 

Es fol damit keineswegs gefagt fein, daß Frankreich 
auf dem Wege iſt, in eine große Peflgrube umgewandelt 
zu werben, wie das roͤmiſche Weltreich in den legten 
Zeiten feiner tiefften Verſunkenheit (anderthatbtaufendiäh: 
tige Wirkungen des Chriſtenthums laſſen ſich gluͤcklicher⸗ 
weiſe nicht durch anderthalbhundertjaͤhrige Wirkungen einer 
ſolchen Auftlaͤrung vernichten); aber es iſt unausblelblich, 
aaß der ſociale Zuſtand Frankreichs mit der Zeit nicht 
Hhoͤchſt bedenklich, ja vielleicht verzweifelte wied,, wenn die 
Dinge lange fo bleiben, wie fie find, wenn nicht eine ges 
maltige Erſchuͤtterung, eine durchdringende Lebensbewe- 
gung die Geiſter rettend, reinigend und erhebend ergreift. 
Wir meinen damit nicht etwa eine neue politifche Revo: 
Iution, die da® Übel nur noch verfhlimmern würde. Es 
Uegt freilich in vielen Dingen und Worten eine Zauberei, 
die Erſtaunliches leiſtet; aber man muß bedeuten, daß 
jede Zauberei und die Verblendung und Begeiſterung, 
die fie zur Folge hat, nur eine Zeit lang dauern und vor: 
halten Eönnen. Ein Wahnfinn, ein heißes Fieber koͤn⸗ 
am einem ſchwachen Weibe, einem entneroten reife auf 
Augenblide, ja wol auf Tage Riefenkräfte und Munter: 
teit der Jugend wiedergeben; aber wenn dad Braufende 
diefed Zuſtandes niederfinkt, fo folgt defto größere Er: 
Mefreng und Ermattung. ine ſolche Krankheit für 
Aa Bert Mi ine Revelution, eines der ſchlimmſten Sie 
ber, weni Die gährenden Elemente der Sintellectualwelt 
und Staaten fallen koͤnnen. Unxvernimftig haben gar 
viele Leute alte Begriffe verwirren und vermifchen gelernt 
du Diefer verwirsten und aus den Angeln geriffenen Zeit. 
Die Iranzofen haben in unfern Tagen von einer plögli- 
Gen Regeneration der Dichtkunſt, des Theaters und aller 
Künfte und Wiffenfhaften nicht allein gehofft, ſondern 
gefprochen, als ſei fie ſchon da. Wie thöricht! Große 
Thaten kann eine Remiutin thun, große Werte hervors 
- bringen kann fie nicht; all ihr poetifches Schaffen nimmt 


ich bewegt, etwas zur Folie, das Titerarifchen Werken 
fern bleiben fol. Das liegt in der Natur der Sa, 
welche Die Sprache weiſe bezeichnet. Die That iſt das 
leicht gemachte und ebenſo leicht und ſchnell geberene 
Kind des sufammenmirtenden Zufalls, den Einer oder 
Mehre mit ihrer Kraft ergreifen und zum Gehaͤrrn 
awingent. Aber nie bat der Zufall, nie hat der ‚pläpliche 
— Entſchluß ein Werk geboten. Die That entſteht 
im Tohben und Strudeln, wie im ſtillen und gleichen 
Bortfchreiten der Stunden, das Merk will die Rabe und 
Gleichmuͤthigkeit der Beratung und Beſchauung, es 
will die flille Zeit, die langfam, aber herrlich noltendet, 
was «ine Emigkeit hoffen fell. Auch ſchaue man nur 
ein bien zueüd und fage uns dann, wie es ficht. 
Was hat Frankreich für die Literatur Großes geliefect 
feit der legten Revolution, die nicht bios eine rein poli⸗ 
tifhe, fondern ebenfo fehr eine .äfthetifhe war? Freilich 
bat nicht Jeder Much und Zeit, in die unermeßlihe 
Kloake der parifer Preſſe Hinabzufleigen und wie Dante, 
beim Herauflommen aus dem Döllenpfuhl, zu verbinden, 
er Graͤßliches und Schauberhaftes gefehen In diefen 
—** Abgruͤnden, aus denen verſchiedenartige Spra⸗ 
hen erſchallen, demuͤthige Worte, ſchmerzvolle Seufjer, 
bald dauernde, bald matte Stimmen und langanhalten⸗ 
des Haͤnder⸗etiatſch 
Diverse lingue, orribile favelle, 
Parole di delore, accenti d’ira 
Voci alte e fioche st auon di man con elle. 
Literariſcher Zwecke wegen fifden wir nun ſchon feit 
Jahren in dem ſchrankenloſen Ocean der biefigen foge: 
nannten leichten Literatur, die dem Kritiker, der fie wiegt, 
oft fo erſtaunlich ſchwer duͤnkt, und durchſchneiden mit ges 
fpigtem Kiele die falzige Flut der bürgerlichen Ruͤhrſtuͤcke, 
der Dramen, Vaudevilles, Romane, Novellen, Euäb- 
lungen und Feuilletond, und nie baben wir bie jetzt ei⸗ 
nen wunderbaren Fiſchzug getban und in unferm Netze 
unter Seetang, Seeflernen und verfaulten Truͤmmetn 
eine rothglängende Korallenſtaude aufgezogen oder eine 
blinkende Mufchel, deren Kleinod im Perimusterglang 
ſtrahlend zuruͤckgeblieben wäre. Die Aulitevolution : hat 
viele talentoolle Männer der Literatur entfremdet umd 
dem Staatsdienſte oder der Journaliſtik zugefuͤhzrt (Gui⸗ 
zot, Couſin, Thiers, Mignet u. ſ. w), und jedenfalls 
laͤßt ſich nicht verkennen, daß das redliche Streben nach 
Gediegenem, welches bis zur Ernennung des Miniſteriums 
Polignac die beffern Autoren der juͤngern Schule und 
Generation charakterificte, feit den legten Jahren im All⸗ 
gemeinen bedeutend abgenommen bat. An producirenden 
Kräften und Zalenten fehlt e8 zwar keineswegs, aber die 
meiften arbeiten nur für die Stimmungen des Tages 
und leiften auf bauernde Wirkungen Verzicht. Alles eilt, 
ſtuͤrzt, tobt, ſchreit und ſchreibt durcheinander und drängt 
nach diefer oder jener Richtung bin, ohne daß irgend et: 
was Beſtimmtes oder Bleibendes erreicht oder nur er: 
ſtrebt wird. Beranger iſt verſtummt, Victor Hugo er 
fhöpft, Lamartine in Politik verſtrickt, Alfred de Vigny 


212 


mit feinee Muſe entzweit, Varbler unlyrifch gefkimmt 
und das heilige Bataillon des Romanticismus geſprengt 
and, wie es ſcheint, poetiſch aufgerieben; denn Alfted be 
Muſſet und die beiden Deschamps laſſen nichts von ſich 
hören und Sainte⸗Beude fingt nur noch von Zeit zu Zeit 
ein proſaiſches De profundis fir die verſtorbene Poeſie. 
Auch die talentvoliften der dichtenden Frauen, die Damen 
Desbordes: Walmore, Amable Zaftu, Emile de Sirardin 
(Sophie Say) Haben der Lyrik entfagt und den Damen 
Louife Collet und Marie Garpentier das Feld geräumt, 
die indeß aber keine Fruͤhlingslerchen, geſchweige denn 
Nachtigallen find. In den Provinzen, namentlidy im 
fhdlihen Frankreich, dem Baterlande der Troubadours, 
fingen zwar noch wunderliche Kaͤuze, wie der Daar: und 
Bartktaͤusler Jasmin in Agen und der Bädermeifter 
Kran Reboul zu Nismes, aber fie fingen in der Wüfle; 
fetbßt in der Hauptſtadt erklingt die Poeſie noch aus vie: 
lien Kehlen, aber der poetifhe Nachwuchs ift mehr duch 
Zahl als Güte bemerkenswerth. Die franzöfifche Sprache, 
durch den Sieg des Romanticismus von den claffiichen 
Schnürftiefein befreit, hat ihre Eigenfchaften für profai: 
ſche und poetiſche Darftellungen fo vollkommen entwidelt, 
dag nichts weniger als außerordentliche Talent dazu ge: 
hört, um ſich mit Gemwandtheit darin zu bewegen und 
mandyes Hübfchverfifichkte zu Markt zu bringen. Je 
teichter es ift, Verſe zu machen, defto größer wird die 
Anzahl der Dichter, und da fih nur wenige über bie 
Mittelmäpigkeit erheben, fo ift die Folge, daß das durch 
große Mufter vermähnte Publicum aus Wibermwillen ge: 
gen den Singfang, mit bem man feine Ohren langweilt, 
gegen Poeſie Überhaupt gleichgültig wird. ine veiche 
Ernte lyriſcher Gaben wird jährlich eingefahren; nichts 
fehlt beim Feſte, weder die Sollation, noch das Streichel: 
bier, id) meine das marktfchreierifche Anpreifen und Auf: 
tifhen auf der legten Seite der großen Journale und 
das laute Suchhbelfchreien der Kameradfchaften und Gote: 
rien; aber faum ift das Jahr herum, fo ift der poetifche 
Erntekranz, mit Taxus, Buhsbaum, Blumen, Rauſch⸗ 
gold, Baͤndern und vergoldeten Äpfeln bunt geſchmückt, 
von der Dede der Hausflur heruntergenommen und durd) 
einen neuen, „gemacht in diefem Jahr“, erfebt. Der 
Ruhm der neuen Sänger ift verflungen, der Strahlen: 
ganz der neuen Geftirne am Dichterhimmel erlofchen 
und, Sternſchnuppen gleich, finten die über das Nichts 
der Welt Iamentirenden Poeten in ihr eigenes Nichte 


zurück. 
(Die Fortſetzung folgt.) 





Nordamerifanifhe Miscellen. 


(Auszüge aus ben öffentligen Blättern der MWereinigten Staaten 
vom Jahre 1842.) . 

Am 4. März endigte ber amerikaniſche Dichter Macdonald 
Starke fein Beben im Irrenhauſe zu Neuyork. Gr batte fi 
Lord Byron zu feinem Mufter genommen und ahmte ihn nicht 
nur in feinen Gedichten und in feiner Tracht nach, fondern auch 
darin, daB er eine Gattin nahm, dieſelbe übel behandelte und 
ſich von ihr trennte. Er gerieth fpäterhin in große Dürftigkeit; 


alein feine Frau unterſtuͤhte ihn, fo gut fle konnte, von ihrem 
geringen Verdienſte. Die legten Jahre feined Echens genoß ex 
ein kleines Jahrgehalt, das ihm aus umbelannter Quelle zufleß, 
und man verſchaffte ihm, da er zuletzt mehr als halb wahnfin- 
nig geworden, einen Plag im Irrenhauſe. Aus mandıen feiner 
Gedichte leuchtet ein herrlicher Geift hervor. 


Am 21. März ging in Philadelphia Hr. Gondy Raquet, 
Präftdent der Atlantifchen Verficherungsgefellfchaft und der Hans 
beiäfammer, sm allgemeinen Bebauern mit Tode ab. Gr war 
von franzöfifcher Abkunft, hatte im letzten Kriege als Oberft 
bei den Miligen gebient, war fpäter Mitglied ber Gefepgebung 
in Pennſylvanien und gab eine Zeit dang die Philadelptie⸗ 
Zeitung heraus. Er war ausgezeichnet gut in der Wiffenfchaft 
der Nationalöfonomie bewandert und vertheibigte die allg 
Dandelöfreiheit mit großer Einfiht und vielen gebiegenen Schrifs 
ten. In diefem achtungswerthen Gelehrten verliert das Land 
zugleich einen thätigen und nüglichen Bürger. 





‚ Am 10. Mai fand in Long» Island, Neuyork gegenüber, 
ein großes Wettrennen zwiſchen dem berühmten Hengſte Bofton 
und ber in Neus Jerſey erzogenen Stute Faſhirn ftatt. Bon 
jeder Geite waren 20,000 Dollars gewettet und der Eigenthäs 
mer bed leßtgenannten Pferdes trug ben Gewinn baven. Die 
Stute lief beim erfien Rennen 4 englifche Meiten in 7 Minuten 
und 33 Gecunden, beim zweiten, eine halbe Stunde nad 
her, in 7 Minuten und 49 Secunden. Beim erften Rennen 
blieb der Hengſt Bofton etwa SO Narbe zuruͤck, beim zweiten 
aber nur eine Pferdetänge. Die Nebenmwetten auf beide Pferbe 
haben ſich auf mehre Hunderttauſend Dollars belaufen. Es wa⸗ 
ven wenigftens 4000 Zuſchauer zugegen. - 


Die Naturmerkwürbigkeiten, welche bei der von ber Regier 
rung der Bereinigten Staaten veranftalteten Entbetungt: 
Erpebdition in der Suͤdſer eingefammelt wurden, find bereitö in 
Wafhington gelandet. Es befinden fi) darunter viele feltene 
Pflanzen, über 100 Arten in Zöpfen und Kuͤbein, nebft eins 
großen Menge von Wurzeln, Knollen, Zwiebeln und Samen 
verfchiebener Pflanzenarten. Im Ganzen foll die Crpebition 
über 10,000 Etüd Merkwürdigkeiten aus dem Zhier:, Pflan: 
zen= und Mineralreicye eingefammelt haben. 


‚ Dad Monument zum Andenfen der Schlacht von Bunkerhill 
bei Boſton erridtet, Bunkferpill: Monument genannt, dat 
nunmehr eine Höhe von M Fuß erreicht. Am 17. Zunt, dem 
Sahrestage jener Schlacht, wurden oben auf diefem Wonumente 
einige Kanonen abgefeuert. 33. 








giterarifche Anzeige. 


In meinem Verlage erschien und ist durch alle Bach- 
handlungen zu beziehen : 


3. F. Herbarts 
kleinere pbilosophische Schriften und Albhand- 
langen, nebst dessen wissenachaftlichem Nachlasse, 
Herausgegeben von Gustav Hartenstein. 
Erster und zweiter Bam. 
Gr. 8 _ 6 Thlr. 15 Neger. 
Der erste Band, zugleich eine ausführliche Einleitung 
des Herausgebers über Herbart’s Leben und Schriften egt- 


haltend, kostet 3 Thlr , der zweite 3 Thir. 15 Ngr. Ein 
dritter Band wird diese Sammlung beschliessen, und im Laufe 


d. J. erscheinen. 


Leipzig, im Februar 1883. 
EF A. Brockhaus. 


Verantwortlicher Gerausgeber: Heinrich Brodbaud. — Drud und Verlag von F. %. Broghaus in Reipzig. 


‘ 











Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Donnerstag, 





Charakter ımd Stellung der franzäfifchen Literatur 
feit 1830. 
(Bortfegung aus Nr. 58.) 

Das Theater und die damit verbundene dramatifche 
Literatur macht zwar infofern eine Ausnahme, als die 
Schaubuͤhne in Frankreich und befonder6 in dem ſchauluſti⸗ 
gm Paris ein Mittelpunkt des allgemeinen Intereſſes 
iſt; allein ben Theatern fehlt e8 an Dichtern, die neue, 
würdige Stüde lieferten. Die allgemeine Klage über 
den Verfall der dramatifchen Dichtkunſt rührt weniger 
von der Zheilnahmfofigkeit und dem Mangel an Em: 
pfänglichkeit bei dem Publicum, als vielmehr davon her, 
daß die meiſten ihm gebotenen Stüde keines Längern Le: 
bens werth find ale eines ephemeren Bühnentebens, und 
daß fie nach einem kurzen Herumflattern auf den Bre⸗ 
tern die Dergeffenheit, welche fie finden, auch wirklich 
verdienen. Es iſt daher natürlih, daB das unbefriedigte 
aͤſthetiſche Intereſſe fi) durch die Movitätenfucht ſchadlos 
zu halten fucht, und da, da die Empfindung feine Nah: 
rung findet, die Einne wenigſtens unterhalten fein wol- 
fen. Die daraus hervorgebende Schauluſt verfchafft der 
auf Augen: und Ohrenweide berechneten Oper unb 
dem modernen, auf Zerreißung und Peinigung des Mer: 
venfofteme, blos auf Hervorbringung Förperlicher Ein: 
druͤcke abzwedenden Drama einen Sieg über das alte 
franzoͤſiſche Trauer⸗ und Luftfptel, und diefe werden fid 
um fo weniger von ihrer Unterdrüdung erholen koͤnnen, 
je weniger entſchiedene und den Geſchmack beflimmende 
Meiſterwerke zu erwarten find. Wenigſtens geben Dela: 
vigne mit feinem poetifchen Eklekticismus und Scribe 
mit feiner aufgemärmten Marivaudage keine Hoffnung 
auf etwas Tiefeinſchneidendes in diefen Faͤchern. Dela: 
vigne ſteht in einer Art ſchlechter Mitte zwiſchen dem 
Saſſicismus und Romanticismus und iſt der Dichter 
der honetten Bürgersleute, der Philifter, die Frauen, 
Schweſtern und berengleichen ins Theater begleiten und 
Stuͤcke beflarfchen, die mit Sentenzen, Moralen und 
Geiftreihigkeiten des philofophifchen Liberalismus ausge⸗ 
ſpickt find, 3. B. daß die Menſchen eigentlich doch alle 
gleich und die Könige doch auch Menſchen find, daß die 
ſpaniſche Inquifition dod im Grunde eine fchlechte Er: 
findung und die aligemeine Toleranz eine fchöne Sache 
iſt. Scribe iſt der Liebling der Gerd: und Börfenteute, 





der Banquiers, bie, wenn fie ſtark dinirt haben, ein be: 
quemes, ihnen angenehmes Amufement genießen möchten 
und diefes in ben Scribe'ſchen Stuͤcken aufgetragen fin: 
den, ba die Philofophie dieſer Stüde: „Der Reiche ift 
Hug und tugendhaft, weil er reih iſt, Armuth aber iſt 
Dummpelt und Untugend, weit fie Armuth iſt“, das 
Zellgewebe jener Boͤrſenpilze recht behaglich erfchüttern 
muß. Die dramatifhen Probuctionen von Hm. und 
Mad. Ancelot, von Bayard, Metesville, Carmouche, Des: 
noyers, Varner, Dumerfan, Germain Delavigne, Merfe, 
9. Dupin, FZavter, Théaulon, Etienne Arago, Pirded 
court, Van ber Burch, Lepoitevin be Saint:Alme, Paul 
de Kod, Francis Cornu, Maztres e tutti quanti Pönnen 
nicht wol ernfihaft als Werke der Poeſie betrachtet wer⸗ 
den; diefe ganze Glaffe bramatifcher Fabrikanten ſchreibt 
für halbgebildete Barbaren, für ein Publicum, das, un: 
ter dem Geſichtspunkte der Nationaloͤkonomie aufgefaßt, 
möglicherweife zu den hoͤhern Ständen gehört, welches 
man aber im Reiche dee Poefie nur zu den unterften 
Volksclaſſen rechnen kann. 


Die dramatifche Poeſie in Frankreich iſt zwar neuer: 
dinge, wie ihre Schweftern in England und Deutfchland, 
auch um eine Form reicher geworden, um das recitirende 
Drama; doch ftelle dieſes größere Foderungen an den 
Dichter, als Victor Hugo und Alerander Dumas zu be: 
feiedigen vermögen. Elend, Mord, Blutfhande, Gift, 
Niederträchtigkeit und Skandal aller Art kommt in Ihren 
Stüden vor, aber an wahrhaft Tragifchen fehlt es gänz: 
ih, zumellen auch am Dramatifhen. Der Eine fegt 
das Häßliche und Kfelhafte, der Andere das Genfuelle 
und Beftialifche auf den Thron der Schönheit und beide 
rechtfertigen die Seldftgefältigkeie ihrer Thorheit durch ver: 
Behrte Bezugnahme auf Shalfpeare, den vollftändigen 
Gegenfüßter diefer Richtungen und Irrthuͤmer. Während 
Shaffpeare in den furchtbarſten feiner Charaktere, in den 
graufigften feiner Helden überall einen pfochologifch erklaͤ⸗ 
enden Faden, fowie den Punkt nachweiſt, wo der Verbre: 
her noh am Menfclichen fefthält und zum Goͤttlichen, 
verföhnt und begnadigt, zurüdtehren kann, fegen V. Hugo 
und Alter. Dumas ihr Bergnügen darin, das fatanifche 
und vulkanifche Element in den Vordergrund zu drängen 
und unter ihrem angeblich poetifhen Mikroſtop aufzu- 
ſchwellen, bis Natur und Kunft, Tugend und Schönhelt, 





214 


Menſchliches und Goͤttliches von ber ekelhafteſten Frate 
ganz verdeckt und zu Grunde gerichtet und ein abſtractes 
Unding und Ungeheuer zu Stande gebracht if, welches 
uns nur durch das Spuk: und Befpenfterhafte erfchreden, 
nie durch Natur und Wirklichkeit erfreuen kann, weil es 
mit Natur und Wirklichkeit nichts zu fhaffen hat, In 
Franktelch müffen andere Dichter kommen ald V. Hugo 
‘und Aler. Dumas, um den Gegenfag von Racine und 
Shakſpeare erfolgreich aufzuheben. Was den dramati: 
ſchen Dichternachwuchs feit ber Julicevolution betrifft, fo 
ſteht derſelbe kaum auf der Schwelle literariſcher Inter⸗ 
eſſen. Einige von dieſen Autoren, bie, wie Felix Pyat, 
Hippolpte Auger, Dennery, Dinaug, E. Bourgeois u. A., 
vorzüglich für die groͤßern Boulevardstheater ſchreiben, de⸗ 
folgen im Gegenſatz zu Scribe und Comp, ein angeblich 
demokrqtiſches Syſtem: in ihren Melodramen iſt immer 
der Arme, der Dandwerker, der Tagelöhner, der gemeine 
Soldat, ’bomme du penple mit einem Wort, der Deld 
der Moral und thut die größten Dinge; die Reihen und 
Vornehmen, die Banquiere, die Wechſelmaͤkler, die Oberſten 
find immer Gauner, Betrüger, Halunfen, die von Rechts: 
wegen im Zuchthauſe figen follten. Andere Dramatiker, 
wie Bouchardy, Adolf Dumas, Paul Kouder, Rouge 
mont u. A., behandeln die Dichtkunſt wie ein Metier und 
fgchen durch Darflelung einer außerfien, geäßlichen, hoff: 
nungéloſen, entfeglichen oder Lüfternen Wirklichkeit heftige, 
peinliche oder ſinnliche Wirkungen zu erregen umd ben 
Schaupoͤbel anzuloden. Um ſich davon zu überzeugen, daß 
wie nicht Schwarz auf Schwarz häufen, braucht man 
bier nur bei einbrechender Nacht einen Gang über die 
Doulenards zu machen und naczufehen, von welden 
dramatifchen Beſtandtheilen die dortigen Theater von 
ſechs Uhr Abends bis Mitternacht leben: hier von ekel⸗ 
haften, abfcheulichen Geſchichten und lautbruͤllenden, heif- 
hungrigen Leidenfchaften, deren Unthaten bindfaden: 
artige Nerven erfchättern koͤnnen; dort von jämmerlichen 
Kührfpielen, voll weinerlicher Schlechtigkeit und laͤcherli⸗ 
cher Empfindelei, die thränenreiche Zuhörer finden; mei: 
terhin von einfchläfernden, moralifhen Vaudevilles, von 
zosigen Bouffonnerfen und Poffenreifereien, von unanflän- 
digen Farcen und Paraden, in denen Moral, Zugend, 
Ehre, Sewiffen fo ſchandbar verhöhnt werden, daß man 
nicht weiß, mad man mehr anftaunen foll, ob die fürdy: 
terlihe Dummheit und Blindheit der dramatifhen Gen: 
fur, die ſolchen hoͤlliſchen Unfug paffiren, oder die un: 
glaublihe Bornirtheit und Blafirtheit des großen Publi: 
ums, das fich ſolche Küchenftüde der Hölle vorfegen läßt 
und fie als einfache Hausmannskoſt verzehrt, ober bie 
Unredlichkeit und Schamlofigkeit der Autoren, die gegen 
ihre beſſere Überzeugung fo wüſtes, albernes Zeug der 
öffentlichen Betrachtung auftifhen, obgleich wir gern glau: 
ben, daß viele franzöfiihe Dramaturgen In ihrer eige: 
nen ethiſchen Bildung eben nicht viel höher ſtehen ale 
die Lumpe und Böfewichte, die fie fchildern. 

Bei der durch fp viele fchlechte Verſe erzeugten Ab⸗ 
neigung gegen Verſe überhaupt iſt «6 natürlich, daß ſich 
die Poeſie in das Gewand der Profa geworfen hat, und 


daß Novellen und Romane die Pieblingsgattung der ſchoͤ⸗ 
nen Literatus geworden find. Aber auch auf dieſem 
Gebiete hat der franzöfifche Geiſt wenig Erquickliches ges 


leiſtet. Allerdings fpreise fih der Roman gewaltig und 


ſchlaͤgt folz fein Rad, weil man ihm gefagt hat, tr ſ 
das literariſche Kleinod des 19. Jahrhunderts, das mas 
berne Epos (Goethe nennt ihn. eine fubjective Epopse). 


Auch fhimmern in diefem bunten, umfangsreihen Rade 


bier und da einige prächtige Federn; ale andern aber 


. verfhwimmen in einem trüben, ſchmuzig grauen Ton. 


Mit feinen gefhminkten Leidenſchaften und abfchüffigen 
Situationen, mit feinem bombaftifhen Wortfchwall und 
progigen Wefen, mit feigen ſataniſchen Elementen und 
gottesläfterlichen Ziraden, mit feinen abgefhmadten Pa: 
roblen von Goethe's, Warther“ und laͤcherlichen Capich 
von Hoffmann's „Elixiren des Teufels“ iſt der moderne fran⸗ 
zoͤſiſche Foman im Grunde weniger unmoraliſch als wider⸗ 
lich und roh, eine traurige Ausgeburt uͤberreizter, mitun⸗ 
ter an Wahnſinn ſtreifendex Phantaſie, welche Menſchli⸗ 
ches und Goͤttliches zur Fratze verzerrt und die heiligſte 
Möoſtik des Herzens, die nie über die Lippen ſchallen 
foflte, entweiht und öffenslih ausruft; eine ſchwarze 
Naht des Irrwahns und Unglaubene, der Troſtloſigkeit 
und Verzweiflung, in bie fein Lichtſtrahl aus einer bo: 
gm Welt hinabgedrungen, feine Kunde von dem Reiche 

ottes, von Verföhnung und Erloͤſung aus den Feſſeln 
bed Todes und der Sünde hinabgekommen. Auch vers 
welkt fchon heute, was geftern erſt aufging; die. Romane 
find wie Treibhausgewaͤchſe, welche am Morgen Knospen 
treiben, den Mittag bluͤhen und am Abend Fruͤchte tra⸗ 
gen, die man vor dem Schlafengehen noch verzehrt. Die 
talentvollſten von den Romanſchreibern bringen es zu 
einer Beruͤhmtheit von 10, wenn es hoch kommt, 15 Jah⸗ 
ren, um alsdann vergeffen und von andern verdrängt zu 
werden, die ebenſo fchnell ben Plas räumen muͤſſen. 
Balzac, noch unlängft der gelefenfte und gefelertefte Ro; 
mandichter, ſteht ſchon bis über die Knie im Meer ber 
Vergeſſenheit, deren düftere, kalte Wogen mit jedem Zage 
fteigen und fleigen und in ihrer dunkeln, ſchwarzen Tiefe 
die blaſſen Zagserinnerungen begraben. „Uns heht die 
Welle, verſchlingt die Welle und mir verſinken“, innen 
mit Goethe die franzöfifhen Romanfchreiber der Gegen⸗ 
wart fagen. Michel Maffon, Hinpolyte Bruder, Pat 
Lacroix y. A. find von des Bühne der, Novelliſtik abge: 
treten, welche alsbald von Emile Souveſtre, Frederic 
Soulie, Alphonſe Karr, Llon Gazlan, Elie de Berthe, 
Charles de Bernard eingenommen morhen, die ihrerſeits 
wieder Hrn. Eugene Sue gewichen find. Eugene Sue 
iff jegt dee Held des Tags, der Liebliggautor ber. hoͤhern 
und niedern Lefewelt. Seine „Mathilde”, ein Roman 
in fehs Bänden, bat binnen kurzer Zeig ficben Auflagen 
erlebt, nachdem er zuexit ſtuͤckweiſe als Feuilleton der „Presse 


publicirt, mehre Monate hindurch das ganze Lejepublis 


cum des heutigen Frankreichs in athempfofer Spannung 
gehalten und ſeitdem, als Melobrama. vom der, abfurbeften 
und abſcheulichſten Sorte appretirt, im Saal der Porte 
Saint: Martin jeden Abend convulfivifge Rührung her⸗ 


- — 


s1& 


verbringt. In dieſem Augenblick verfdrlinge bie Lefegier 
Die ‚, Mysteres de Paris” üeffelben Berf. und mehr ale 
eine zarte kLilienhand zerreißt jest Morgens mit haſtigen 
Rofenfingern da6 Kreuzband des „Journal des debats”, 
am machaufehen, ob enblich im Feuilleton die Fortſetzung 
des unendlichen Romans angekommen, deſſen erfler Theil 
einen Herzwinkel mit neuen Bekannten bevoͤlkerte, gegen 
weiche alle wirkliche Perfonen als jämmerlihe Schwaͤch⸗ 
linge exfcheinen, und die fhöne Leferin in die geheimſten, 
aber pikanteſten Schlupfwinkel des Laflers und Berbre⸗ 
Gens einführte, die ber Anſtand in natura zu befuchen 
verbietet, die man aber doch gern im effigie als nieder: 
ländifches Genrebild in Höllen-Breughel’fcher oder Rubens’: 
fer Manier ausgeführt ſieht. Im der legten Zeit ſchil⸗ 
dert Euer nicht mehr das Schiffe » und Serleben, fon: 
dern das Salons: und Landieben, und verlegt feine 
Sefchichten nicht mehr in Fregatten oder Negerſchiffe, in 
Kajüten oder Schiffsraͤume, fondern ind Bagno oder in 
die vornehme Geſellſchaft, in ein Bordell oder im eine 
futeliche Familie; doch bat Sue auch in der Auswahl ber 
Stoffe gewechlelt, fo ift doch feine Worliebe für das 
GSräßliche unverändert geblieben und feine Sittenromane 
find, wie feine Seeromane, reiche Repertorien von Schands 
thaten und Niederträchtigkeiten, wahre Muſterſammlungen 
des Schrecküchen und Abfcheulihen. Seine Böfewichter 
erhalten indeß von der franzöfifchen Akademie keinen 
Monthyon’fhen Zugendpreis mehr, wie der Meger im 
„Atar-Gull”, und feine Ehrenmänner, die fidy ihr ganzes 
Leben lang ernfihaft um das Gute bemüht, werden am 
Ende nit mehr unglädlih, von Zweifeln zerriffen und 
beinahe XAtheiften, wie der Gardinal in der „Vigie de 
Koat-Ven’, während in eben diefem Roman ein grunds 
ſchlechter, ruchloſer Menſch freudig und des Himmels 
verficgert flieht; ſondern Die großen Canaillen erleiden jeht, 
wenn ihr Sündenregifter voll iſt, duch eigene Schuld 
den ſchreckllchen Tod Lebendig Begrabener, wie der Mu: 
latte in der „Mathilde’, indem der Verf. den Grundge⸗ 
danken feiner frühern Romane: daß das Lafler bier auf 
Erden nothwendig und ungeftraft über die Tugend trium⸗ 
phirt, dahin modificirt hat, daß die Schlechtigfeit fo Lange 
unbedingt gluͤcklich iſt in ihren fchmählichen Umtrieben 
gegen die Ehrlichkeit, bis fie fi in ihre eigenen Fall: 
ſtrid· verrennt. Man ſieht, Sue hat nicht ſowol feine 
peffimiſtiſche Anſicht vom Weltlauf aufgegeben und mit 
einer optimiflifchen vertaufcht, fondern bios die Moral 
des Reineke Fuchs und, Robert Macaire gegen die Moral 
det Pere Matthleu und des Bonshbomme Jacques ums 
gewtchſelt und wol am beften daran gethan; denn Leute, 
dfe zu ihren poetifchen Probuctionen, worin fie unfittliche 
Stoffe behandeln, keine ausgebildete philofophifche Welt⸗ 
anfdpasiung mitbringen, bie fie über die Unſittlichkeit er: 
hebt, — foiche Leute fellen fih an den Katechismus 
halten. 


(Die Bortfekung folgt.) 


Aſthetik der Tontunf. Von Ferdinand Hand. Zwe 
* Jena, Hochhauſen. 1837 — 41. Br. 8. 
r. 


Unter allen ſchoͤnen Kuͤnſten iſt keine fo abhängig von ihres 
Fortbildung in ben Yahrhunderten, ven ben KRunftmitteln, von 
dem befondern Geſchmack der Voͤlker und Individuen, darum 
auch feine fo modern, als die Muſik. Dichtkunſt wird mit ber 
Gprade geboren und zeigt fchon in ihrer Wiege hohe Bollen⸗ 
bung, Architeltur und das Ebenmaß herrſcht in Aegypten und 
Griechenland wie heute in Europa über Wohnräume oder Tem⸗ 
pel, Gculptur über Marmor oder Holz, Malerei über die Dars 
ſtellung dur Rarben, freitih auch Tonkunſt über Toͤne; 
allen außer der Menſchenſtimme bat die mannichfache Grfins 
dung von Inftrumenten allen Gebrauch und alle Wirkung dev. 
feiben verändert, und durch die Ginführung der fogenannten 
fhwebenden Temperatur in den Zonverhältniffen ift die ge 
fammte neue Kunft ber alten unaͤhnlich und befigt einen früher 
gaͤnzlich unbelannten Reichtum von Kunftmittein. Daher denn 
die Erfcheinung, daß, ungeachtet allgemeiner Empfaͤnglichkeit 
für Toͤne unb deren lyriſche Verbindung, ber volle Eindruck 
mufttatifcher Kunſtwerke unſerer Zeit nur bei Wenigen voraus⸗ 
zufegen ift, unb biefer fich gleichſam in eine Xriftofratie der 
Kenner oder Berfländigen zurüdgezogen bat, deſſen bie größere 
Zahl der Hörer entweder gar nicht ober nur in fehr unvolle 
kommener Weile theilbaft wird. Zwar will eine Kennerfchaft 
fih in alten ſchoͤnen Künften geltend machen, allein was bier 
gemeint iſt, vergegenmwärtigt fidy jeder vielleiht am beften, wenn 
er den Ball fegt, ein alter Grieche aus der Zeit des Periktes, 
der einft von damaliger Muſik entzuͤckt geweſen, erflände aus 
feinem Grabe und hörte eine Symphonie von Beethoven, oder 
ein Oratorium von Sebaſtian Bach — würde fein Ohr Sefals 
lien daran finden? Ja, kaͤme er ind Goncert des Claviervirtuo⸗ 
fen Lißt, — man weiß kaum, wie ihm wäre! 

Darum unterliegt die Aſthetik der Tonkunſt größern Schwie- 
rigkeiten ats jede andere. Unſer Verf. verbirgt fidy dieſes nicht, 
fuhrt den Brund darin, der Gegenftand liege nicht im Gebiet 
des Verſtandes und der Begriffe, fondern der Gefühle, melches 
wahr ift und für jede Kunft giltz vielmehr aber entfpringt bier 
die eigenthuͤmliche Schwierigkeit baraus, daß man ohne Bers 
ftand und Begriffe gar nicht zum Gefühle gelangen kann, und 
jene doch wiederum nicht dieſes felbft find, welches für fie vor⸗ 
ausgefegt werten muß. Darum verlicren ſich bie Reben über 
Muſik noch mehr wie bei andern Künften ins unbeftimmte Als 
gemeine, in leere Formeln phantaſtiſcher Sprache, woran nur 
Wenige ſich erbauen. „Nirgend finden wir mehr ungruͤndliches 
Geſchwaͤtz und prunfenden Wortfram als in Sachen der muſi⸗ 
katifchen Kunſt.“ Auch wird, wie der Verf. richtig anmerkt, 
das Urtheil erfchwert durch das Voruͤberſchwebende der Werte 
des Tonkuͤnſtlers; es wird fehon, die Wirkung des Ganzen feſt⸗ 
zubalten, ein befonbers geuͤbtes Gedaͤchtniß erfodert, welches bei 
Gegenftänden des Auges durch wiederholte Betrachtung eine wills 
fommene Unterftügung findet. Rechter Berftand und rechte finn« 
tiche Auffaffung zu gewinnen, hätt in unferer mobernen Muſik 
gleich ſchwer. 

Wenn deswegen — laut der Vorrede — Naͤgeli behauptet, 
„in Sachen der muſikaliſchen Kunſt fei dem Ditettanten zu fpre- 
chen kaum vergönnbar”, fo Hat er zum heit Recht; er meint 
namlich den Berftand und bie Begriffe, weldye der finntichen 
Auffaffung für ihre Möglichkeit vorausgehen, die Ariſtokratie 
der Kennerfchaft und das fichere Gedaͤchtniß. Allein diefe ſich 
zu erwerben, ift auch dem Kunftfreunbe nicht unmoͤglich, ohne 
daß er Virtuoſe oder Gomponift zu fein braucht, ja letztere wer, 
ben oft durch einfeitige Vertiefungen ihres Beſtrebens einfeitige 
und ein Kunftfreund überfchaut freier das gefammte Kunftges 
biet. Gibt alfo der Verf. fein Werk als „Product der wärms 
flen und reinften Liche für die Kunft”, fo foll ihm biefes in 
unferer Meinung nit fehaden, und er hat feinen Beruf zu 
ſprechen durch Berftändniß und muſikaliſche Empfaͤnglichkeit hin⸗ 


216 


reichend dargele zt. Nur Tann Ref. nicht einſtimmen: „unfere 
iteratur habe noch keine Aſthetik der Tonkunſt aufzuweifen‘‘; 
denn drei Jahre vor Grfcheinung des zweiten Theils vorliegen⸗ 
den Werks hatte Dr. Schilling eine „Aſthetik der Tonkunſt“ 
herausgegeben *) und darin fehr gute Dinge vorgelragen. In: 
qwifchen {ft ber erfte Theil ein Jahr früher erſchienen. 

urſpruͤnglich waren Poefle und Muſik miteinander verbun⸗ 
den und letztere hat erſt ſpaͤter eine ſelbſtaͤndige Entwickelung 
begonnen. So wird fie denn bie geiſtige Schöpfung eines ei⸗ 
genthuͤmlichen Kunſtwerks möglich und auf Schoͤnheit und aͤſthe⸗ 
tifchen Eindruck Anſpruch machen. Will Nägeli die Muſik ein 
blobes Tonſpiel, eine bloße geregelte Verbindung von Toͤnen 
und Tonreihen ohne Charakter nennen, ſo bezeichnet er mehr 
die Art und Weiſe mancher neuern Compoſitionen als die Kunſt 
ſelbſt, welche gleich ihren Schweſtern Stil und Charakter befigt. 
Dder haͤtten Haͤndel, Mozart, Haydn charakterloſe Werke ge⸗ 
liefert? Es mag ſchwerer fallen als in der Poeſie und ohne der 
zen Terthülfe fich die Werfchiedenheiten des Charakters zu vers 
deutlichen, aber fie find vorhanden, und man muß fich wundern, 
wenn ein Kenner, ein Muſik⸗Ariſtokrat, ſolches teugnet. 

Bor Zonmalerei warnt der Verf. mit Recht und beichräntt 
fie auf einen engen Kreis, wogegen die Klarheit immer eine 
Zugend bleibt. Sie fteht allerdings in Beziehung zur Auffaf- 
fungsfähigkeit bes Hörers, und Manchem bleibt dunkel, was 
den Andern be tft. Beethoven ging bierin bis gur Grenze 
und über biefelbe hinaus, feine lehten Werke find verworren; 
eine fichere Theorie hierüber zu geben, hätt vielleicht fo ſchwer, 
als für den reinen Sag, für welchen die frühern Vorfchriften 
in neuerer Zeit nicht mehr gelten und wol zu dem Grundfag 
führen: „in des Muſik fei Ales erlaubt”. Wäre dies, fo würbe 
alte Afthetifche Beurtheilung unmoͤglich. Ebenſo ift es mit dem 
Reichthum ber Mittel, weiche der Zonfeger aufwendet, woburd 
Viele ihre Dürftigkeit verbeden, und ein Kritiker fagte: bei 
Meyerbeer's Opern, Glavierwerten von Herz und Ghopin werbe 
duch Übermaß an Gombinationen dem Hörer frank und weh 
zu Muthe. Freilich nannte ein Anderer Chopin’s Werke: „un: 
tee Blumen eingefentte Kanonen, welche die Weltherrfcher zu 
fürchten hätten!‘ Beethoven — mit Ausnahme der legten Zeit 
— gilt dem Verf. mit Recht als Mufter, body Hat er manche 
Nachahmer verführt. 

Töne müffen ſich nicht in Lärm verlieren, Rhythmus foll 
foßtich bleiben, obmwol Gottfried Weber letztern eine nicht wefent: 
lihe Eigenſchaft der Muſik nannte, womit nur das Einförmige 
deflelben im Gegenfa& bes Freien gemeint fein aan. Ungebil⸗ 
dete Völker geftalten ihre roben Melodien nach burchpreifenden 
Berhättniffen des Takts, vorzüglich in der Begleitung; bei forts 
fireitender Bildung wird der Takt freier, der fich in neuerer 
Mufit am reichften durchgeführt findet. 

Als unmittelbare Darftellung des Gemuͤthslebens ift Muſik 
entftanden und fortgefest, fie verlangt zubörberft Melodie. Diele 
ergreift für fich und wirb durch Harmonie unterftügt, und NA: 
geti behauptet unangemeffen: je weiter ſich die Inftrumentab 
muſik in ihren freien Sprüngen, Verkuͤrzungen und Berlänges 
rungen von ber Singbarkeit entferne, defto vollkommener werbe 
fie. Ale Harmonie wirkt durch Conſonanz und Diſſonanz, letz⸗ 
tere firebt der erftern entgegen. Der Verf. unterfcheidet eine 
formale, dharafteriftifche, ideale Schönheit, gibt auch eine Cha⸗ 
rafteriftil ber Tonarten, gegen deren nähere Feftftellung Ref. 
ſchon bei Beſprechung des Schilling'ſchen Werks aus Gründen 
ber neuern gleichfchiwebenden Zemperatur Einwendungen ges 
macht; gegen falſches Tempo bes Vortrags fichert oft faum das 
Maͤlzel'ſche Metronom. Am entichiedenfien wird das charalte- 
riſtiſch Schöne in der Melodie hervortreten. Mit dem Ideal⸗ 
f&hönen erreicht das Kunſtwerk feine Vollendung, der Berf. 
nennt hierfür den „Don Juan’ von Mozart, und vor Allem ben 
Repräfentanten biefer Stufe, ben unvergleichlichen Beethoven. 


») Vergl. Nr. 27 und 28 d. BL. f. 1840. D. Red. 


Begreifiih kann, wie in andern Käuflen, au -für bie 
Mufit das Anmutbige, Schabene, Traurige, Breubige, Komiſche 
u. f. w. unterfchieben werben, und der Verf. widmet diefen Ars 
ten bes Schönen befondere Abfchnitte. Zwei Dauptzweige bils 
den Inſtrumental⸗ und Vocalmuſik, wenn man nit mit Hegel 
die erftere leer und unverftänbig nennen will. Dock Philoſo⸗ 
phen find felten gute Richter über muſikaliſche Kunft. Mit 
Erfindung der Inftrumente war die Kunſt eingeleitet, wie ums 
gekehrt die Entwidelung der Kunft Verbefferung und Berviel- 
fältigung ber Inftrumente herbeiführt. Ob Inſtrumentalmuſik 
uerft nur Begleiterin des Geſanges geweſen, ober der Dirt auf 
beiner Floͤte au ohne Belang gefriett, laͤßt fich nicht geſchicht⸗ 
lich feftftelen. Erſt ats im 17. Zaprhundert die Inſtrumente 
vervollfommnet waren und Eunftfertige Spieler auftraten, ftellten 
fi unter eigenem Ramen gewifle Arten von Compofitionen bers 
aus, wie Fuge, Praͤludium, Phantafle, Capriccio, Etude, Duvers 
ture, Sonate, Soncert, Symphonie u, f. w., deren Gigenheiten 
der Verf. feftzuftellen fucht, obmwol in ben Benennungen unb 
ben Grenzen jeber Art flets manches Willtürliche bleiben wirb. 
So 3. 8. ift Concert urſpruͤnglich jede Vereinigung mehrer 
Stimmen und ift allmälig zu einer Form für Darlegung der 
Birtuoſitaͤt auf einzelnen Inftrumenten geworben, wobei Bebeut: 
fames und minder Bebeutfames in Bezug auf mufilalifchen Ein⸗ 
druc feine Stelle findet, aber doch eine gewiſſe GSinheit des 
Ganzen ftattfinden fol. In ber Symphonie ift Beethoven viels 
leicht der Größte und Kühnfte, der Verf. lobt an ihm Spealis 
tät, Romantik, Univerfalität mit Individualität, leugnet aber 
nicht die Überlabung und Unklarheit feiner teten Werke. „Ob 
wir eine Zeit erwarten fönnen, im weldger das Publicum biefe 
legten Probucte des großen Geiftce in ihrem wunderbaren Bau 
ohne Einbildung verflehen, aneignen und genießen werde, läßt 
fih darum nicht behaupten, weil, fo lange Künftier fchaffen, 
biefen ein Gebiet der Schönheit angemiefen bleibt und Schoͤn⸗ 
beit obne anſchauliche Klarheit nicht exiſtirt.“ 

Vocalmuſik hatte in alter und neuer Zeit zur Grunbiage 
ben individuellen Gefang des Volksliedes und Kat fi für bie 
Kirche und außerhalb berfelben fortgebitbet zu Ehdren, Recita⸗ 
tiven, Fugen, Chordien, Motetten, Meffen, Arien, Gantaten, 
Oratorien, Opern u. f. w., mo nun über alle biefe Formen viel 
verhandelt werden kann und ber Berf. mit Kenntniß und Ge 
ſchmack das Ginzelne in nähere Erwägung ziebt. Kirchliche 
Muſik fol billig das Einfache, allgemein Verftändliche fefthalten, 
die Oper, als reichte Beftaltung des weltlih Epifchen und Ly⸗ 
rifhen, welde auf einen Höhepunkt des Kunfthetriebs gerichtet 
ift, verftattet die mannichfaltigfte Behandlung und Aneignung, 
ſodaß über Leine Gattung muſikaliſcher Werke mehr gefchrieben 
worben als über die Oper, bie faft ein Schooskind ber ncuern 
Zeit genannt werben mag und Sängern wie Sängerinnen gol⸗ 
dene Früchte getragen hat. 

Wer fi über feine muſikaliſchen Genüffe verftändigen und 
von bem Gebiet der neueren Muſik einen überblick gewinnen 
will, ber nehme vorliegende „Aſthetik der Tonkunſt zur Dand 
und er wird zur Beſtaͤtigung, Berichtigung und Erweiterung 
feiner Urtheife reihen Stoff finden. 5. 


Literariſche Notiz. 


Es iſt gewiß eine merkwuͤrdige Erſcheinung, daß zwei 
junge Dichter in franzoͤſiſcher Sprache zu gleicher Zeit auftre⸗ 
ten, deren beider Heimat das ferne Amerika iſt. Dieſe beiden 
Zugvoͤgel, die ſich nach Frankreich verſchlagen haben, ſind A. 
Mercier und Adrien Rouquette. Die Poeſien des Erſtern, 
die ben Titel „La rose de Smyrne“ und „L'ermite de Niagara’' 
führen, haben einen poetiſchen Schwung und find zum Theil 
in der Form nicht unglüdlid. Die „Savanes, po6sies ameri- 
caines’’ von Rouquette dagegen find im Ganzen weniger ori: 
ginel und athmen eine flilere Froͤmmigkeit, die inbeffen nicht 
ohne poetifhen Hauch ifl. 2. 





Berantwortlicher Herausgeber: OSerarich Broddaus — Drud und Verlag von FJ. A. Bradbauß ia Leipzig 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Freitag, 


— R55. — 


24. Februar 1843. 


Charakter und Stellung der franzöfifchen Literatur 
feit 1830. 


( Kortfegung, aus Nr. 4.) 


Übrigens iſt Engine Sue nad) wie vor ein dflhetis 
ſcher Terroriſt, ein Meifter in Erfindungen von Unthaten 
amd Unmenfchen, wobei er natürlich oft in die Caricatur 
füte. Die Hauptfiguren feiner ‚Mathilde‘ haben in kei: 
mer Zeit, in keinem Lande exiſtiren koͤnnen; fie gehören 
unferm Planeten nicht an. Echt menfchlih tft allein 
Die alte Fran Secherin, und meifterhaft naturgetren iſt 
die koͤſtliche Schilderung bes Caft Leboeuf in der Einlei⸗ 
zung und die Charakteriſtik der Originale, die dort vers 
tehren. Die andern Charaktere find durchgängig verzeich⸗ 
met und verzerrt.” Mademolfelle de Maran, Mathildene 


Tante, ift die eingefleifhte Boshelt in abstracto, die mit 


saffinirtefter Tuͤcke zwei junge, unfchuldige Mädchen ſpyſte⸗ 
miatifch verdirbt und ungluͤcklich macht und ihre Nichte 
an einen ruinirten Spieler und Wüftling verkuppelt, der 
falſche Wechſel fabricirt bat und feine Frau auf jede 
Weiſe ins Elend bringt. Doc, trog ber ſataniſch angeleg: 
ten und bucchgeführten Erziehung ift Mathilde ein zu tugends 
wineer Engel geblieben, als daß die ſchmuzige Umgebung 
ihres Ehetenfels und Haustyrannen fie befleden könnte; 
au möchte man zum Bellen der Lefer wuͤnſchen, daß 
der Autor die aͤtheriſche Greatur etwas zarter behandeln 
und fie nicht wie einen galvanifirten Froſch vor unfern 
Augen zuden und zappeln ließe. Lugarto iſt ein perfonis 
fichtter Teufel, ein foftematifcher Boͤſewicht, ein wahrer 

er Miglione mit einem jährlichen Einkommen von 
fünf Mittionen Franes Rente, die «6 ihm möglid ma: 
den, eine geheime Privarpolicei zu halten, deren Spione 
fh in das Innere vornehmer Famtlien fehlen, um Vers 
mungen and Skandale zu erforfchen, deren Mitwiſſenſchaft 
Ihrem reigen Goͤnner einen allgemein und ungemein ges 
fürdtetn Namen macht; außerdem ein gewaltiger Maul: 
Neid, eine fo feige Diemme und ein fo gerlffenlofer, un: 
delicater Schurke, daß er auch noch mit einigen entſprun⸗ 
semen Galeerenſtraͤflingen und Gurgelabfchneibern in Ber: 
Bindung fteht, um fich in vorfommenden Faͤllen laͤſtiger 
Begner zu entiedigen. Mathilde wird, nah faum ver: 
lebten Flitterwochen, von diefem Geier bedroht, der: über 
ihrem Haupte feine drehenden Kreiſe zieht. Das Raub⸗ 


thier liebt ſie nicht; aber es will ſeine Beute beſitzen, 
weil fie widerſteht, und da bie Überredungskuͤnſte und 
Galanterien diefes Millionnairs bei der jungen Frau nichts 
ausrichten, gebraucht er endlich ein Einfhlchterungsmittel 
gegen Gontran, Mathildens Gatten, deffen falfche Wech⸗ 
fol er in Dänden hat und der fi in feiner Ehrlofigkeit 
dazu verfieht, durch ein eigenhändiges, zärtliches Schrei⸗ 
ben feine Frau in’ einen Hinterhalt zu Soden. Dabei 
fäüt eine Nothzucht⸗ und Prangerfcene vor, von folcher 
Raffiniecheit und marternden Peinlichkeit, daß alle ans 
dern Schilderungen bdiefer Art dagegen lahm und zahm 
erfheinen. Kurz und gut, wir fehen uns auf die Folter 
gefpannt. So groß aber ift das Talent Sue's, fo Eräfs 
tig und anfchaulid feine Darftelung, fo mannhaft feine 
Spradye, daß man nolens volens weiter leſen muß und 
im Grunde keine Zeit bat, Athem zu fchöpfen. Wer 
die erften ſechs Seiten gelrfen, muß dem Autor bis ans 
Ende folgen, wenn er auch das Buch zulegt mit einem 
fücchterlichen Kopfweh zumacht. Denn der Eindruck beim 
Lefen Sue'ſcher Romane ift, wie beim Schen Dumas’: 
[her Dramen, blos koͤrperlich; die Nerven Leiden, wie 
empfinden Angft und Bellemmung, gerade als fähen wir 
einen Menfhen im Kampf mit einer wilden Beſtie, bie 
ihm ihre Tagen und Zähne ins Fleiſch einſchlaͤgt. Ge: 
wiß aber ift es nicht der Zweck und die Beftimmung ber 
Dichtkunſt, den Kefer oder Hörer durch bie alleinige Ders 
vorrufung zerreißender und peinigender Gefühle zu ver⸗ 
letzen. Mit je erflaunlicherer Kraft, mit je energifcherer 
Virtuoſitaͤt aber hier die empärenditen Momente, bie ver: 
ruchteften Machinationen dargeftellt und gefchildert find, 
deſto peinliher ft der Eindruck. Selbſt ſchriftſtellernde 
Damen haben ſich in dieſes galvaniſche Genre geworfen 
und verleugnen in ihren Novellen⸗ und Romancompoſt⸗ 
tionen alten Takt, alien Schönbeitfinn, alles Liebensrohrs 
dige und Herzengewinnende, wodurch das andere Ger 
ſchlecht ſich ſo ſchoͤn auszeichnet. Das Zarte und Feine 
des geſelligen Lebens und Verkehrs, die holden Züge der 
Galanterie, die füße Verlegenheit, Verſchaͤmtheit und Schels 
merei der Liebe und Unſchuld, kurz Alles, worin der weib⸗ 
liche Charakter ſich am anmuthigſten und Heblichften dars 
ſtellt, ſucht man in diefen Romanen vergebens und manch⸗ 
mal ift kaum zu begreifen, wie ein einziges Mädchen: 
ober Frauengehirn fo viel Schrecklichkeiten und Abfcheus 





#18 


lichkeiten bat ausfinnen koͤnnen. Die Graͤfinnen Choiſeul⸗ 
Gouffier und Choiſeul⸗Meuſe haben einen Berg Ritter⸗, 
Räuber: und Geſpenſterromane à la Spieß und Gramer 
verfaßt, und die Damen Bugenie Foa, Sophie Pannier, 
Heartenfe Allart, Fora Triton, mie bie Demoiſelles Cle⸗ 
mentine Dame, Sophie Mazure u. A. sine große An: 
zahl Schmuz: und Skandalgeſchichten gefchrieben, von 
denen die Grazien und felbft die Schambaftigkeit fich 
zuͤrnend abwenden. 

Bei fo verkehrten, ercentrifhen Richtungen follte 
ertyarten, daß wenigſtens die Kritit auf dem ſchlecht be 
ftellten Felde der fchönen Literatur Gelegenheit zum Maͤhen 

und bei dem allgemeinen Ben 


Schläge der Belletriftit ein vortheilhafteres Bewirthſchaf⸗ 


tangefpftem anriethe; aber der kritiſche Acker ſelbſt iſt 
mit Quecken uͤberwachſen und verwildert; auch die Kritik 
hat ſich den aͤſthetiſchen Geluͤſten der Menge preisgegeben 
und den materiellen Goͤtzen des Tags verſchrieben. An⸗ 
ſtatt die Literatur am Rande des Abgrunds einzuhalten, 
gibt fie ihr den legten Stoß, ber fie vollends hinunter⸗ 


ſtuͤrzt, und weiß nur hämifch zu mwigeln und zu fpötteln 


oder wie verzuͤckt zu deeiamiren und zu phantafiren über 
irgend ein Buch oder Thema, weldes das Glück ober 
Ungluͤck Hat in ihre Hände zu fallen. Ich fage Glück 
oder Ungluͤck, denn das hängt vom Zufall und einigen 
andern Umfländen ab. Wan darf einer franzoͤſiſchen 
Beitung oder Zeitfchrift unter keiner Bedingung zumus 
then, daß fie die Elucubrationen von Freunden und 
SHeichgefinnten tadeln und bie Probuctionen der Gegner 
loben läßt. Religion, Wiſſenſchaft und Kunft, und mas 
fonft die hoͤchſten Segenftände des Menfchen find, muͤſſen 
hier im Lichte der Politit und der Parteiungen betrach⸗ 
tet werben; infoweit find alfo der frauzoͤſiſchen Kritik die 
Hände gebunden. Der Kritiler der Presse’ iſt gends 
thigt, Den. de Lamartine herauszuſtreichen und Sen. 
de Gormenin ſchlecht zu machen; der Recenſent des 
„ National” hat gerade die entgegengefegte Drdre; kurz, 
jedem Ariſtarchen iſt feine Rolle angewiefen und vorge: 
fchrieben durch die politifche Karbe des Blattes, an dem 
es mitarbeitet. Dann legt auch bie Literarifehe Kamerad⸗ 
ſchaft Ruͤckſichten auf, wie denn ein zu rechter Zeit an- 
gebrachtes Geſchenk des Autors ober Verlegers auch feine 
Wirkung nicht verfehlt. Dee Zufall regiert in den freilich 
ziemlich feltenen Fällen, wo die Kritik freie Hand bat. 
De Zufall im vollen Sinne bes Worts; denn feine 
menschliche Vernunft kann vorausbeflimmen, was die 
Kritik in dieſen Fällen loben oder tadeln wird; wäre eine 
gewiſſe Regelmäßigkeit, wie fie die Wahrſcheinlichkeitsrech⸗ 
ung ſelbſt im Lottoſpiel entdeckt bat, darin wahrzuneh: 
men, fo würde ich denken, der franzöfifche Kritiker zähte 
Lob oder Zabel an ben Knöpfen ab, oder richte fich 
na dem Wetter. Ohne aͤſthetiſche Theorie, ohne fefle, 
ſtachhaltige Brundfüge, ſchwankt fie, von dem leiſeſten 
Winde jeder Ider und Doctrin bewegt, unflät. hin und 
her, haͤtſcheit, ſtreichelt, fchmeichelt, keift, kraht umd beißt, 
Allesß tuck⸗ und ſtoßweiſe, wie fie der Rappel ankommt. 
Die beiden Pole der franzoͤſiſchen Kunſt⸗ und. Theater⸗ 


mon | 


kritit find Jules Janin und Theophile Gautier, ein 
Equilibriſt und ein Grotesktaͤnzer, die das frivofe Publi⸗ 
cum durch ihre Künfte und Sprünge ergögen und auf 
dem Gebiete der Literatur dieſelbe Rolle fpielen, die Taͤn⸗ 
zer und Taͤnzerinnen in dee dramatiſchen Kunſt verſehes, 
und dafuͤr Beide das rothe Bändchen im Knopfloch tra⸗ 
gen. Ihre hanswurſtigen Paraden fcheinen alle ernfl: 
baften Kritiker verfcheucht zu haben: Fauriel, Ampere, 
Magnin, kritiſche Talente erften Rangs, laſſen ſeit Jah⸗ 
ren nichts mehr drucken. Andere tuͤchtige Koͤpfe find 
durch den Staatsdienſt der Kritik entzogen warden und 
haben leider nach dem bekannten franzoͤſiſthen Ariom ge: 
handelt: ia litterature mine & tout, & la condition de 
la quitter. Villemain ift ins Minifterium gelangt, Ler⸗ 
weinier Requetenmeißler; Vitet, Saint⸗Marc⸗Girardin uub 
Michel Chevalier figen im Staatsrath; Merimee, Nifard 
und 3. Barthilemy Saint: Hilaire find bei den verfchie: 
denen Minifterien angeftelltz Philarkte Chasles, Edgar 
Quinet, X. Marmier, Hippolyte Fortoul zu Univerſitaͤts⸗ 
profeſſoren, Loeve⸗Veimars und A. Gueroult zu Conſulu 
im Drient ernannt werden. Die Majoritaͤt der franzoͤſi⸗ 
hen Autoren macht die Schriftfiellerei zu einem Mittel 
für politifhe Zwecke und beteachtet fie als eine Taktik, 
busch die man die Uneigennuͤtzigkeit zur Kupplerin der 
Habſucht flempelt, zum allgemeinen Beten für fein eige⸗ 
nes Beſte forget, zum Wohle des Staats und mit Selbſt⸗ 
aufopferung fih an die eiuflußseichfien und ecgiebigfien 
Plaͤtze drängte und in der Preffe feine Zalente im ſchoͤn⸗ 
fien Lichte oder in der furchtbarften Haltung zeigt, um 
die Regierung zu einem kraͤftigen Verſuch auf diefeiben 
anzufeuern und wie Duvergier de Hauranne ſarkaſtiſch 
fagt, zum ‚Gebrauch umbelaunter und unmiberflehlicher 
Argumente” aufjumuntern, »ie den Schriftſteller auf 
einmal von dem Irrthum feiner bisher gepeedigten Au⸗ 
fihten überzeugen und den liberalen, radicalen, tepublilas 
nifchen, faint=fimoniftifchen Saulus über Nacht in einen 
gouvernemensalen, conſervativen, monarchiſchen, katholi⸗ 
ſchen Paulus verwandeln, der verflucht was «er angebetet, 
anbetet was er verflucht bat. Die ploͤtzlichen, cyniſch 
vor ſich gegangenen oder ſyſtematiſch vorbereiteten, allmds 
ligen Sinnesäuderungen (mie fie das in der Apoſtafir⸗ 
kunſt gründlicyer als Jemand erfahmne „Journal des de- 


| bats’’ lobt und liebt) vieler frangbfifchen Schriftſteller ſeit 


1830 find weltbekannt. Litereten und Publicifien aber 

Parteien wechfeln ihre Rebensanfichten, wie Libertins ihre 

Geliebten, oder vielmehr, wie Specukanten, die ſich ver: 

beirathen, aber ein eintraͤgliches Geſchaͤft aus ihrer Hei⸗ 

rath machen wollen. Auf das Mädchen oder die dee 

kommt es wicht an; die Frage iſt: was bringt fie mir? 
Des Beſchluß folgt.) . 





Die peoteftantifche Kirche 
ade X * tet Hallmann Fa ie Mir en — 
achen auungen en rift: unſtbeſtrebungen der 
Gegenwart" (Berlin I Befecabinnt. ‚1842, Sr. & 
15 Ror.), aud feine Ideen über den Bau proteſtantiſcher 
Kichhen. Er wibmet ihnen einen eigenen Adſchnitt, und nach⸗ 
dem fo viel für and wider bie tution des Gdiner Doms, 


219 


an die veifumumenfiz Rinde and der MBekte bes mwittelattertichen 
Ratbekicisuus, geſprochen werben, ift e6 allerdings am der Zeit, 
sch einen Protefianten und einen Künftter über das Beduͤrfniß 
der Proteflanten nad) einem zeitgemäßen GBotteshaufe für ihren 
Quitas, und wie bie Kunft die Aufgabe aufzufafien hätte, an: 

Der Künfller hat carte blanche, Der Proteflantismus, 
obgleich; ex inne geworden, daß fein nach Licht und Erkenntniß 
ringender Sottesbienft in „der Puritaner dumpfen Predigtſtuben“ 
fine Befriedigung findet, Hat doch noch kein jo feibftändiges 
und unabhängiges Sehäufe gefunden, als es bie proteftantifche 
Kirche, khrem Geiſte nah, fein will. Man behalf ſich in den 
serigen Jahrhunderten mit ben verlaffenen katholiſch⸗ gothifchen 
Acchen, aus benen man Alles zum Aweck nicht Dienende ent 
ſernte, wodurch fie aber ein leeres Anfehen erhielten. Die Ber: 
fuche, neue, hellere Getteshaͤuſer zu bauen, fielen kleinlich aus, 
ser man abmte in letzter Zeit die Baſiliken nad, bie ebenfo 
wenig dem Geiſte des Proteflantismus entfprechen und in denen 
Nie Gemeinden, noch mit traditioneller Chrfurcht vor ber bäftern 
Würde der gothiſchen Dome, ſich nicht behaglich fühlten. Hrn. 
Sallmann’s Wahilſpruch if: ‚Wagen wir es wir ſelbſt zu 
fein.” Er kämpfte mit aller Begeifterung ber Jugendfrifche ges 
gesen die, feiner Anficht nach, unglüdtichfte Richtung der Kunft, 
gegen das Rachaͤffen der Bergangenheit, eine Richtung, die 
dahin geführt Hat, die Kunſtwerke nur für einen ſehr Pleinen 
Theil der Welt verfiänblid zu machen. Um fie zu wuͤrdigen, 
find wir geswungen, und aus der Zeit herauszureißen, während 
doch Die Kunft bie in jeder menſchlichen Bruft ruhenden Gefühle 
ersegen, erhöhen und bie Gegenwart idealiſiren, aber nicht igno⸗ 
riren folle. Dies ift bie Tendenz feiner Schrift im Allgemeinen s 
fie hat ſchon Kämpfe angeregt und wird beren noch mehr ans 
regen. Im Speciellen aber hält er den Augenblid, wo in Ber: 
Un, wer Hauptſtadt des größten proteftantifchen deutfchen Staats, 
ein neuer proteftantifcher Dom en fen, worin er 
ein weltbiftorifdyes Ereigniß erblickt, für den geeigneten, um 
fidy über bie Seundfäse zu verftändigen, wie ein eigenthämlicher 


"Stil, den Bebürfnifien und dem Geifte des Proteftantismus 


entfpredjend, für feine Kirchen zu fördern wäre. Hr. Dallmann 
iſt ausuͤbender Kuͤnſtier und feine Entwürfe zum berliner 
Dom flanden in der letzten berliner Kunftausftellung zur Ans 
fchauung für das Yublicum aus. Dieſer Theil feiner Schrift 
foßßte ein erklaͤrendes Begleitungsfchreiben fein. Als erſte Bes 
dingung fodert er, daß der proteftantifche Dom, analog ber 
Yeterstirche in Rom, eine, feiner hoben Bedeutung entfprechendbe 
Würde und zweckmaͤßige Größe und Pracht entwidele. Es gilt 
nicht Gffect machen wollen durch betrügerifch berbeigefährte Its 
Iufionen, aber ein Gotteshaus muß eine Wirkung, d. h. eine 
erhebende und verebeinde Gtimmung hervorrufen. Der gute 
Protekant will zwar durch nichts ſinnlich beftochen fein; aber 
jeder Menſch wird flets ber dußern Anregung bebürfen und 
intern Einbehden unterworfen fein. Darin liegt der Netz bes 
Lebens. Es iſt nur Die Aufgabe ber Vernunft, die Stimmuns 
gen zurückzuhalten, daß fie uns nicht binreißen. Auch die pros 
teftantifche Architektur darf nicht durch Toͤdtung aller Reize zur 
geiſtigen Blaſirtheit führen. Wer, außer ben Nachkommen der 
Yuritaner, wird ihm darin nicht beiflimmen! Der Verf. meint, 
daß der theimahmloſe Welch unferer Kirchen mit davon her⸗ 
rihre, daß unfere Gotteshäufer eine zu wenig feierliche Stim⸗ 

mung zu ermeden im Stande wären. Da unfere Andacht nur 

zu ſehr won der Perföntichkeit des Predigers abhänge, die nicht 

immer die Andacht befördere, feheint ihm die Ausſchmuͤckung 

ein Gaupterfoberniß bei proteftantifchen Kichen. Mit feinem 
Biel einverſtanden, voollen wir die Richtigkeit diefes Motivs uns 
berädfichtigt laſſen. Da unfer gewoͤhnlicher Gottesbienft, außer 
der kiturgie, in der Predigt befteht, fo ift das Haupterfoderniß 
heim Ban einer Kirde, daß man den Prediger fieht und hört. 
Ufo erſte Webingung: die Vereinigung ber größtmöglichen 
Menſchen anf moͤglichſt keinem Raume. ine runde, 

oder polygonale Jurm, welche anfcheinend diefem Bebuͤrfniffe 
am beften entſpraͤche, hat ſich in akuſtiſcher Hinficht als mangels 


daft, Ja unbraudsbar triwiefen. Sallmann flieht ſich zurädaewies 
fen auf die Baftlitenform, von der er aber nichts Anderes beides 
Halten will als das laͤngliche Biere; denn bie impofanten . 
Saͤulenſtelungen der alten Baſtiiken zeriegten fle zugleich fm 
mehre Schiffe, ex will fie daher auf ſchmalere Galerien und 
Gmporbähnen rebuciren mit moͤglichſt dünnen Säulen, welche 
die Ausficht nicht behindern. So kommt er darauf, daß ein 
Länglicyes Viereck mit Gmporbühnen zu beiden Selten, biefe in 
Eiſen conftruirt, die Gonftructien aber durch das ganze Innere 
durchgeführt die für Sehen und Hören zweckmaͤßigſte Architek⸗ 
tur unferer Kirchen fei. Der Einwurf, daß eine Eifenconfirucs 
tion ein zu leichtes und mwindiges Anfehen habe und der Wuͤrde 
entbehre, die man in einer Kirche verlangt, ift Leicht zu befeitte 
gen. Eiſen ift das Bauptmateriat unſers Jahrhunderts gewor⸗ 
den; man hat es nicht allein techniſch, ſondern auch kuͤnfileriſch 
zu behandeln gelernt. Wenn burdy den ganzen Bau eine gleiche 
mäßige Vertheilung bed Raumes und der Laft erfenntlich ge 
macht wird, fo fühlen wir die Statik unfers Gefuͤhls befrice 
digt. Überdies kann bie Durchbrechung der Wände durch biete 
Benfter, nad) denen wir jeßt verlangen, und auch deren Bers 
fproffung felbft, durdy analogifche Formen ber eifernen Saͤulen⸗ 
conftruction für Geficht und Gefühl zu Hülfe kommen. 

Außer diefem Kiechenfhiff, zum gewöhnlichen Gottesbienft 
beftimmt, wo. ber Andaͤchtige nichts bebarf als einer ftillen 
Sammlung, um mit Aufmerkſamkeit der Predigt zu folgen, ' 
atfo außer diefem ſchlechtweg Heiligen, bedürfen wir noch eines 
Atlerheitigften. Sum Abendmahl zu geben, bedarf der Kirchens 
gänger einer erhöhten Stimmung. Für eine ſolche Andacht, 
die freilich hauptfächti aus dem Innern hervorgehen muß, 
fcheint dem Verf. die Form der Kirche, bie zur vorbereitenden 
Beier genügte, nicht mehr hinzureichen. Er trennt biefen Raum 
don dem des gewöhnlichen Gottesvienftes und bringt baber ben 
Altar aus dem Schiffe fort in eine abgefonderte Rotunde, welche 
unter einer niedrigeren Kuppel die eine fchmale Seite des Kite 
dgengebäubes nach außen ſchiießt. Aber zwiſchen beiden Räumen, 
der Altarrotunde und dem Prebigthaufe, legt er eine weite, fie 
verbindende Halle an, die oben in eine mächtige Kuppel fich 
woͤlbt. Diefe Halle foll als Baptifterium dienen, indem in ih⸗ 
ver Mitte der Zaufbrunnen aufgefteilt if. Doch ſieht man 
durch die ganze Länge der Kirche den Altar, wodurch das Im⸗ 
pofante bes Innern der Kirche bedeutend erhöht wir. eine 
Deutung diefer Anordnung iſt: Nachdem wir im Predigtraume 
Gottes Beiftand für unfer irdiſches Dafein (Gegenwart) herab⸗ 
gefleht, nahen wir und dem Heiligthume, um der hödhften 
Troͤſtung ber Religion, in der Vergebung der Sünden, — 
Ehriſtus, theilhaft zu werden; wir werben ihrer theilhaft dur 
bie Beier feines Gedaͤchtniſſes. Die paſſendſte Vorbereitung 
bazu ift bie Grinnerung an die Vergangenheit, an die Taufe, 
unfern Eintritt ins Chriſtenthum. Wir erinnern ung aber zur 
gleich an die göttliche Gnade, wie fie fich in feinen ausermwä h= 
ten Werkzeugen, in ausgezeichneten, um bie Menfchheit vers 
bienten Vorfahren beurkunbete. Deshalb wirb diefe Berbindungs⸗ 
halle dem Bebächtniß erbabener Zodten gewidmet und ihre Sta⸗ 
tuen und Bildniſſe fchmüden die Nifchen und Wände. Durch 
die drei verfchtedenen und doch ineinander greifenden Räume 
wird zugleich die Dreieinigkeit unfers Lebens fombotifch angebeus 
tet. Wir finden Alles angeregt, worin unfer Leben wurzeit, 
denn wie leben fo gut in der Gegenwart als in ber Vergan⸗ 
genheit und in ber Zukunft, aber biefe drei verfchiedenen Gais 
ten unferer Seele flimmen zu einem einzigen Zone zufammen, 
wir leben nur in und durch Bott. Was vom Gultus des Ger 
nius gerebet worden, vinbicirt Hallmann ale Aufgabe der pros 
teftantifchen Kirche. Durch bie Bildniſſe verdienter Maͤnner 
gerbannen wir die töbtende Leere, wir geben der Kirche eine 
neue Bedeutung, eine neue Anziehungskraft für die Pietät der 
Lebendigen und friſchen zugleih im @eifte die alte Bedeutung 
der Kirchen wieder auf, als man bie Zodten in ihnen begrub. 

Geine weitern Vorſchlaͤge zur Ausſchmuͤckung im Detail 
übergehen wir als mehr willlüsid. Im Allgemeinen weiſt 


Umann barauf bin, daß bie ganze Anorbnung im Grunde 
nommen nur Das ifl, was ſich bei mehren Kichen alter Zeit 
. von feibft berausgeftellt hat, nämlich: daß die Kanzel fich ges 

wöhnlidh im vorbern Theile, bem eigentlichen Schiffe der Kir 
befindet, der Altar feine Stelle hinten im Chor ber Kirche bes 
hatten hat, und daß unfere mittlere Halle nichts weiter ift als 
die Kuppel, die auf ber Kreuzung bes Haupt» und Rebenarmes 
der Kirchen faft immer ihre Stelle hat. Nur den Prebigtraum 
fchließt fein Plan mehr ab, um die Stimme des Redenden befs 
fer zu vernehmen. Was ben Stil des Baues betrifft, fo laſ⸗ 
fen das Material des Landes, dad Klima und bie durch die Ems 
porbühnen ficy ergebenden mehren Horizontallinien übereinanber 
ben byzantiniſchen oder Rundbogenſtil als den paßlichſten und 
swedtmäßigften erſcheinen. Er will damit nit die Nachahmung 
der plumpen Formen byacntinifcher Zeit, fondern verſteht unter 
Rundbogenſtil das vollkommene Durchdringen und Berfchmelzen 
des Gewölbe und Bogens mit der horizontalen und verticaien 
inte. Gin Problem, weldes in der gothiſchen Architekur, ins 
ſofern man den Spigbogen mit ins Syſtem zieht, eine boͤchſt 
volllommene , wenn auch einfeitige Loͤſung gefunden, indem die 
fer Stit eigentlich nur die Verbindung ber verticalen Richtung 
mit dem Gewölbe darftelle. Den Rundbogen mit der Horizon⸗ 
tale zu verbinden, war das oft uͤberraſchend geglüdte Streben 
befonders in Florenz und der Lombardei. An uns fei es, einen 
Schritt weiter zu geben. Indem wir einem naturgemäßen 
Principe folgten, würben wir, die Bürger unferer Zeit, unwills 
fürlich in einer Ausdrucks weiſe uns mittheilen, welche ber Ge⸗ 

enwart verfländlich ift und ihr angehört. Das übrige ber 

Sorift bezicht fi auf die Eocalität am berliner Schloß und 
Plag, wo der gegenwärtige Dom bem neuen Piag machen fol. 
Weiche Kritik die Theologen barüber fällen, muß abgewar: 

tet werben. Die Orthodoxen und Pietiften dürften den Eultus 
des Genius nit in das Gotteshaus aufnehmen wollen; Einis 
gen wird der Schmuck zu bunt, Andern jede Neuerung gefähr- 
ih duͤnken. Der Staat fragt nad) den Koſten. Dod das 
wäre bier vielleicht NRebenfache. Der den Bau ausführen ließe, 
fragte nur fich felbft. ift das mein Gefchmad oder nicht? Die 
Architekten endlich, denen Dr. Hallmann offen den Fehdehandſchuh 
binwirft, werden aud jeder ben eigenen Geſchmack befragen 
und wenn er mit bem Projecte nicht flimmt, gegen Den nicht 
ſchonend fein, ber fie nicht fchont. Schon erhoben ſich man⸗ 
nichfache Stimmen bagegen. Was die Einzelnheiten der kriti⸗ 
fen Ausitellungen betrifft, fo ift Hr. Hallmann ber Mann, 
der ſich und feine Plane vertpeidigen wird. Auch hoffen wir 
von ihm, daß er, friſch und kühn im Schaffen, gegründeten 
Einwendungen nicht unzugänglich bleibt. Er Hält ſich hoffent⸗ 
lich für feinen fertigen, fondern für einen Dann bes Werdens. 
So bürfte er, der freie Künftter, auch ohne feindfelige Kritik, 
durch den Proceß der eigenen freien Fortbildung zur liberzeus 
gung kommen, daß fein Plan einer großen bureaufratifchen 
Staatdcaferne, in derfelben Schrift ausgeführt, in deren Mits 
ten, wie die Spinne in ihrem (Gewebe, das Staatsoberhaupt 
am grünen Tiſche figt, um durch Glasfenfter alle in der Peris 
pherie um ihn hangenden Dikafterien zu durchſchauen, und wenn 
er Elingelt den Juftigminifter, den Finanzminiſter, den auswärs 
tigen und den innern zu errufen — er dürfte, fagen wir, ſelbſt 
ſich ügerzeugen, daß ein folder Plan wol für ein großes Staata⸗ 
Sefängnid, aber nimmermehr für einen germanifden Staat mit 
freier Lebensthätigkeit fi eignet und dem wahren Leben wie 
der wahren Kunft gleich widerſtrebt. Beiweitem reicher an 
ſchoͤnen Gedanken und Anſchauungen ift jenes Kirchenproject, 
und wenn ed auch nicht zu Stande kommt, bat es doch, wie 
überhaupt die Schrift, dad Verbienft, eine Anregung und Auf: 
zegung in ber Kunſtwelt hervorgebracht zu haben, bie ihr noth 
that, um fie mit der Bewegung der Zeit au niveau zu bringen. 
Ob der Stil feines Doms wirklich ben Spruch rechtfertigt: 
Wagen wir wir felbft zu fein, ob nicht vielmehr bie Anklaͤnge 
aus Byzanz, Venedig, Moslau und Griedyeniand nody hier und 


da fo umvermifcht bavans herverblicken, wie bie 
dungen und fcharfen Spitzen in ben Umfaflungslinien und 
Zhurmfpigen fi) dem Auge nicht ganz wohltyätig verbinden 
wollen, übertaffen wir Anbern zu entfcheiben. Aber bedenklicher 
erfcheint uns bie Frage: ob gerade jetzt bie proteftantifche Kirche 
fo unabhängig und felbflänbig geworden, daß fie ein Gehaͤufe 
bictatorify verlangt, welches formell ihren Geift ausbekte? 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Soufin hat fich feit einiger Zeit mit einer Durchſicht unb 
Vergleichung ber Danuferipte von Pascal’ „Pensses’ befaßt. 
Gleich bei einem flüchtigen Blicke war es ihm aufgefallen, wie 
fehr die Manufcripte des großen Denkers von dem Gebrudten 
abwichen. Die verfchiebenen Lesarten, bie fich auf biefe Axt 
ergaben, waren zum Theil ſehr wichtig und betrafen nicht bloß 
den Stil, der von ben Derausgebern oft ſchaͤndlich verunftattet 
war, fondern der Sinn felbft Hatte nicht felten unter diefen 
Veränderungen gelitten. Namentii waren beim Abdrucke 
viele Stellen, wo fi der Groll Pascal's gegen alles Phitofo- 
phiren oft ungeflüm Luft macht, bedeutend gemildert. Goufin 
bat fi der mübfeligen Arbeit mit vielem Fleiß unterzogen. 
Einen Zheil ber Ergebniffe derfelben hatte er bereits im ‚Jour- 
nal des savants’ veröffentlicht; die ganze Arbeit aber, bie ex 
bereit6 dem Inftitute vorgelegt bat, wird binnen kurzem 
im Drud erfcheinen. Die Ginleitung, die Goufin dazu ge 
fhrieben hat, wird ein großes Interefie bieten. Der 
Philoſoph, ber neuerdings, befonders vom religiöfen Standpunkte 
aus, fehr lebhafte Angriffe zu erdulden gehabt Bat, wird im 
berfelben, wie es heißt, gegen feine Rechtgläubigfeit proteftiren 
und zu gleicher Zeit die Vorwürfe zu entlräften fuchen, bie in 
neuerer Zeit nady dem Vorgange Pascal's und Lamennais’ gegen 
alle Philoſophie erhoben find. 


Unter den zahlreichen franzoͤſiſchen Überfegungen, bie 
alle Zage von den Meiſterwerken des Auslandes erfcheinen, verbie 
nen die „Chefs-d’oeuvre du theätre espagnol”, von Damak 
Dinard, befonders heroorgehoben zu werben. Diefe Bearbeitung 
ift zum Theil ſehr gelungen. Sie fiheint nach bem befannten 
„Lesoro” von Eug. be Dcyoa angefertigt zu fein; indeſſen 
fügt ſich der Verf. in feiner intereffanten Ginleitung meiftens 
auf eigene, fehr umfaflende Studien der fpanifchen Literatur. 
Außerdem führen wir bier gleich eine fehr Ihägbare Bearbeitung 
der Briefe bes Lords Chefterfielb von Amabde Rende in zwei Baͤn⸗ 
ben an, bie ebenfalld wegen ber ſehr intereffanten Cinleitung 
empfohlen zu werben verdient. Diefelbe war bereitd vor ber 
Veroͤffentlichung der beiden Bände in der „Revue de Paris“ 
abgedbrudt und hatte ſchnell bie Öffentliche Anerkennung gefun« 
den. ende, der ſich durch mehre geiftreiche Auffäge in derſel⸗ 
ben Zeitfehrift befannt gemacht bat, entwieft in diefer Einleitung 
ein fehr belebtes Bild vom Schreiber biefer Briefe. Er ſchil⸗ 
dert zu gleicher Zeit das Jahrhundert, in dem berfelbe Lebte, 
und beleuchtet namentlich die geſellſchaftlichen Werhättniffe von 
England und Frankreich. Die Uberfegung felbft ift ganz fo, 
wie es dieſe geiftvolle und glänzend gefchriebene Ginlsitung er⸗ 
warten läßt. 


Bon ber befannten „Biographie universelle”, bie ia 
ihrer Art einzig bafteht, wird gegenwärtig eine neue Ausgabe Dorbes 
reitet. In derfeiben werben hoffentlich die Artikel, die fich in den 
Supplementbänden befinden, an Drt und Gtelle eingefchaltet 
werden. Das Werk wird dadurch weſentlich gewinnen. Außer⸗ 
bem follen einzelne Partien neu gearbeitet und verbollfiändigt 
werden. Wünichenswerth wäre ed, wenn die gar zu legiti⸗ 
miftifche Farbe, die namentlich bei allen auf die franzöftfche ter 
— bezuͤglichen Artikein hervortritt, etwas verwiſcht so 
den koͤnnte. . 


Berantwortiiger Herausgeber: Ler.rim Brodbausd. — Drud und Berlag von 8. U. Brochaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 


25. Februar 1843. 





Charakter und Stellung der franzöfifchen Literatur 
feit 1830. 


(Belbluf aus Nr. 58.) 


Es gibt allerdings franzöfifche Autoren, auf die das Bes 
fagte feine Anwendung findet und bie, wie H. Garnot, 
9. Lerour, 3. Reynaud, V. Confiderant, fogar eine mo: 
raliſche Kraft umd liberzeugätreue haben, weiche in jedem 
Sale Achtung einflößt ; aber im Ganzen und Großen iſt Leider 
nur zu wahr, dag Wiſſenſchaft, Literatur und Kunft in 
Frankreich meiftene bios auf Erwerb ausgehen, dab fie 
hier aus den Höhen der Philoſophie ober der hiſtoriſchen 
Weltanſicht Hinabfleigen, um fih an ein Tagsintereſſe zu 
verkaufen, und daß fie dert, aus dem Pfuhl der Gemein: 
heit auffieigen», fabritmäfig getrieben werden und man 
Bäder wie Schuhe und Hüte macht, die oft weniger 
werth find als die Fabrikate eines befcheidenen Schufters 
oder Hutmachers. Dieſer Misbrauch ift eine Folge der 
mit der zunehmenden Gleichheit eingeriffenen Gemeinheit, 
die in Franukreich unter den jehigen Verhaͤltniſſen mehr 
iu Haufe iſt als anderswo, und verhaͤltnißmaͤßig noch 
nirgend weniger als bei den deutfchen SSdeologen unb 
Phantaften, die wegen ihrer unpraktifchen Speculationen 
md Zräumereien in Frankreich berüchtige, ſpruͤchwoͤrt⸗ 
lich und verfpottet find. Trotz aller Corruption hat das 
gelehrte Deutſchland noch jene adelige Sefinnung bewahrt, 
die etwas denkt, ſchreibt, thut, nicht um des Erwerbs 
oder zeitlichen Vortheils wegen, fondern aus Wahrheits⸗ 
rang, aus incontinentia opinionum et verborum, aus 
Saprice oder meinetwegen aus Narrenfreiheit, und es wäre 
eine Verleumdung, wenn man zweifeln wollte, ob dieſe 
geniale Unabhängigkeit in unferer Literatur noch obwalte. 
Die franzöfifche Literatur iſt dagegen faft ganz in ge 
wöhnlie Tags» und Lebensintereffen aufgegangen und, 
anftatt ihre Freiheit und Unabhängigkeit zu bewahren, in 
Krechtſchaft und Unterwärfigkeit gerathen; von hoͤhern 
Jntereſſen losgerifien und mit Bott zerfallen, feöhnt fie 
as feile Magd der Welt, der Mode, der Eitelkeit und 
dem Luxus. In einem Lande, wo die Autoren mit nai⸗ 
ver Frechheit nicht nur untereinander, fondern auch dem 
Publicam fagen: „lalitterature est une question d’argent”, 
und wo der größere Theil der Gelehrten diefe profund 
realiſtiſche und utilitariſche Anfiht in Bezug auf die 


Wiffenfhaft theilt und -praktifiet, indem die Majoritdt 


der Univerfitäts: nd Gpmmnafialprofefforen die Wiſſen⸗ 
[haft entweder zu einem Mittel für politifches Avance: 
ment macht, oder einfach als milch: und brosgebende Kuh, 
als eine Derfergung betrachtet: — in einem foldhen Lande 
ift es nicht zu verwundern, wie das Publicum den Dich: 
ter mit jedem andern industriel qui exploite un metier 
auf gleihe Stufe und einen Band Gedichte, ein Drama 
oder einen Roman mit jeder andern Waare in gleiche 
Kategorie ſtellt, umd wie die Öffentliche Meinung daſelbſt 
nach eigenem Geftändniß in der Wiffenfhaft und Kunft 
nur einzelne der vielen Zweige. der Induſtrie fieht und 
gar keine Ahnung daven hat, daß ein Geſchichts⸗ oder 
Maturforfcher, ein Dichter oder ein Philofoph, ein Ma- 
lee oder ein Bildhauer vieleiht aus andern Anteicben 
fein „Geſchaͤft“ streiten kann als ein Muͤtzen⸗ oder 
Strumpffabrilant das ſeinige. Dadurch bat die Litera⸗ 
tue in Paris an mercantilifcher Wichtigkeit ungemein 
gewonnen, aber an focialer Bedeutung fehr. viel verloren. 
Für den Schriftfieller, der mie Xalent- Savoir faire ver⸗ 
einigt, kann hier zw Sande das Literarifche Gewerbe eine 
Duelle der Wohlhabenheit, ja felbft des. Reichthums wer⸗ 
den: Coxneille war ein armer Teufel, einen feiner Lande: 
leute, der ihn befuchte, nahm er mit fi zu einem Schu: 
fer, bei dem er fich die zerriffenen Stiefeln fliden Lieb; 
heutzutage halten ſich Die winzigſten Vaudevilledichter 
Grooms und Garroffen, Scribe hat Höteld und Luft: 
fdiöffer; der fublime Maler der römifhen Größe war 
dürftig: und groß im Leben, wie die Helden, die er ſchil⸗ 
derte, die heutigen Romanfchreiber find uͤppig und ſchwel⸗ 
geriſch wie ihre Werke und die Marquis des ancien 
regime. Wie ungeheuer die Deren audy honorirt werden 
(Balzac erhält vom „‚Siecle” für jedes Feuilleton 200, 
Freéderie Soulid von dem „Journal des débats“ 300 
und Eugene Sue fogae 500 France), aud die größte 
Einnahme reiht für eine oft finnlofe Verſchwendung 
nicht aus. Dat doch 4. Dumas auf feine verunglüdte 
Tragödie ‚‚Caligula ” eine goldene Dentmünze fchlagen 
laffen (ein wahrer Caligula » Einfall!) und in der Bluͤ⸗ 
tenperiode feiner Dramen Feſte gegeben, die ihm auf 
49 — 50,000 Francs zu fiehen kamen, und von Balzac 
ift befannt, daß er neben feiner eigentlihen Wohnung 
lange ein verborgenes Stübchen in einem engtlegenen Vier: 


282 | 


tel von Paris miethen mußte, wo ibn Niemand finden 
tonnte, wenn er Ruhe haben und arbeiten wollte. Seine 
drängenden Gläubiger, fcheint es, haben ihn am Ende 
doh gefunden und fein Landhaus in Ville d’Aoray, 
die famöfen Jardins, verfteigern laſſen, fodaß dem be: 
ruͤhmten Romanſchreiber nichts weiter übrig geblieben 
fein foll als ein Gut bei Berch, das nicht unter feinem, 
fondern unter dem Namen einer Freundin im Hypothe⸗ 
kenbuch eingetragen ift und circa 20,000 Franes ein: 
bringt. Nicht bloß die Momanfchreiber unter den Mode: 
ſchriftſtellern, ſelbſt Kritiker und Überfeger bereichern ſich. 
Dem Lodve-Veimars haben feine Übertragungen von Hoff: 
mann, van der Velde, Zſchokke, Spindler u. A. einen 
Seneralconfulpoften, wenn ich nicht irre, in Bagdad ein» 
getragen, und Difauconpret bewohnt in der Chauffee 
d’Antin einen gar zierlihen Pavillon mit gothifhen Seſ⸗ 
fein, türlifhen Teppichen und chinefifhem Porcellan, wel⸗ 
hen ihm Walter Scott, Byron, Cooper und die andern 
englifhen Schriftfteller, bie er überfegt oder traveflirt, 
ausmenblict haben. Bei Jules Janin berrfcht ein orien: 
talifcher oder richtiger ein regentfchaftlicher Kurus; da 
duften die feltenften Blumen, da funkeln die reichflen 
Meubles, da glänzen in buntem Gemifch die wunderlich⸗ 
ſten Kunſtſachen, und inmitten diefer Derrlichkeiten ruht 
der Recenfent auf der Gaufeufe, gibt den Autoren, 
Künftlern und Buchhändlern Audienz und antwortet den 
Supplicanten, die einen Arikel für ihre Werk oder Bild 
von ihm haben wollen: ‚‚C’est trois cents francs, au 
juste.“ Directoren von Revuen umlagern ihn; jedem 
wirft er ein Blatt hin, jedes nach dem Geſchmack der Lefer 
des Journals, wofür es gefchrieben. Wollt Ihr Wein, 
Janin ſchenkt Wein; ift der Rum beliebt, Janin gibt 
Eud Rum; ſeid Ihr zur Waſſercur verdammt, Janin 
ſervirt Euch Waſſer und das kalt oder warm, nah Be: 
lieben und Bedürfniß, zu feften, aber hohen Preiſen, 
ſtreng nach der Taxe und dem Preisverzeichniß; ein Pro: 
fpectus ift am theuerften. Ich tadle Janin um fo wes 
niger, da er fih auf dieſe Weife ein jährlihes Einkom⸗ 
men von 40,000 Francs erfchreibe. Seinen Ruhm 
fördert ec dadurch freilich nicht; aber was liegt daran, 
ob die Seifenblafe ein bischen länger oder ein bischen 
fürzer fhimmert? Sie zerplagt am Ende doch, und wenn 
man es beim Lichte betrachtet, fo hat Janin doch kein anderes 
Talent, als feinem Publicum ein wenig Roſſini'ſche Muſik 
aufzufpielen.. Ich finde es ganz in der Ordnung, daß 
Hr. Scribe mit feinen Komödien und Vaudevilles jähr: 
lich fo viel verdient als Hr. Humann mit feinen Trade 
und Pantalons, nämlihd 100,000 Francs; denn, wie 
Hr. Humann, ift Hr. Scribe ein großer Schneidermei: 
fier, der eine ganze Heerde Gefellen hat, denen er ihre 
Arbeit zufchneidee und der für die vornehmften Kunden 
zuweilen auch ganz allein einen Rod made. Wie billig 
hat der Meifter den größten Berdienft. 

In den höhern geſellſchaftlichen Kreifen macht das 
Auftreten diefer opulenten und eleganten Autoren bier 
nur nod wenig Effect und Ändert wenig an der Rich: 
tung des allgemeinen Geſpraͤchs; kaum, daß eine Banquiers⸗ 


frau den Kopf herumdreht, wenn ber Bebiente den Na⸗ 
men eines berühmten Dichters in den Salon ruft. Als 
die Literaten noch arm waren und in Iuftigen Dahftüb- 
hen lebten, machten ihnen Könige den Hof und Vor— 
nehme die Aufwartung; anftatt nad Ruhm und Aus⸗ 
zeichnung zu laufen, liefen Ruhm und Auszeichnung 
ihnen nad. Seitdem fie aber aus ihren Bodenlammern 
in die Beletage binabgezogen find und felbft glänzende 
Soirden geben, haben die Kürften fi mit ihnen über 
worfen und find die Meichen ihnen oram geworden; ans 
flatt, wie der alte Geburtsadel, fih in eigener Perfon 

zu einer titerarifchen Gelebrität hinzubemuͤhen und bdiefelbe 

mündlich infländigit zu bitten, einen Cirkel mit ihrer 

geiftreihen Gegenwart zu verfchönern, ſchickt der neue 

Geldadel den gleichzeitigen beruͤhmten Autoren feine bes 

teeßten Lakaien mit lithographirten Einladungsbillets, 

worauf zu leſen, daß Herr und Frau N. N. die Ehre 

haben werden, Herrn P. P. an dem und dem Abend 

zu empfangen. 

In den Salons hat die Literatur der Politik weichen 
müffen. Bor Einführung der repräfentativen Regierungs: 
form fand es anders: ba waren bie Literatoren nit 
blos Unterhaltungsfchriftfteller, da war die Oppofition in 
der Kiteratur. Rouffeau, der nichts mit dem vornehmen 
Volke zu thun haben wollte und ſich auch mit der gan: 
zen Philofophenclique bald überwarf, hatte zwar in ben 
Salons wenige Anhänger; aber Boltaire, Diderot, Grimm, 
Saint: Lambert, Naignon (Diderot's Affe), d'Alembert, 
Helvetius, Holbach wurden enthuflaftifdy fetirt und als 
die Mohlthäter der Menfchheit angefehen. Seit der Auf: 
hebung des Jefuitenordens fegten es die Philofophen durch, 
ihre Geiftesgenofien an die Spige der Schulen zu brin⸗ 
gen, und feit 1760 gelang es d'Alembert, daß kein Menſch 
mehr im die Akademie gewählt wurde, der nicht für einen 
wadern Freigeiſt paffiren konnte. Kurz, alle Welt wurde 
„Pbilofoph”. Mit welchem Eifer man die philofophifche 
Auftlärung betrieb, davon gibt Voltaire's und d'Alem⸗ 
bert's Correſpondenz Zeuyniß, indem bdiefelbe berichtet: es 
hätten über 1000 Federn und 100,000 Stimmen gleidhe 
zeitig in ganz Europa gegen die Misbräuche und Vor: 
urtheile gefämpft, 60 Bände wären allein in zwei Jah—⸗ 
ven in Holland gegen den chriftlihen Aberglauben und 
Wahnwitz gedrudt worden, alle Leute von Bedeutung 
dachten wie die Philofophen und das Licht dränge ſchon 
ins Bolt; von Genf bie Bern fände man keinen Chri⸗ 
fien mehr, in England lebten faft nur noch Socinianer, 
in Schweden triumphire unter dem Schug des Königs 
und der Königin die Vernunft Uber die Geiſtlichkeit, und 
von Baden bis Moskau fei kein Buch mehr in den 
Händen der Jugend als die Schriften der Philofophen ; 
namentlih werde man in ganz Deutfchland vergeblich 
einen Fürften fuchen, der nicht den neuen Grundfägen 
huldige u. f. w. Dean fiehe, die EncyHopädiften regten 
damals alle die Leidenfchaften auf, die heutzutage nur 
im Sturmwinde mwogen, der von ber Rednerbuͤhne her: 
abbrauſet. Wenn Guizot oder Thiers in der Sammer 
eine entfcheidende parlamentarifhe Schlacht gewinnen, fo 


Bud Abends ihre Receptionen wahre Dvationen, und men 
muß den Franzofen Gerechtigkeit widerfahren lafien, «6 
geſchieht dann nicht fowol, um den Hof zu maden, daß 
fie Weihrauch zu den Füßen der Excellenzen brennen; 
intellectuelle uperiorität in einem Staatsmann oder 
Redner erkennt im Durchfchnite die Marion willig an 
und huldigt ihr ohne Nebenabſicht, während fie fonft 
nicht leicht etwas thut, wobei fie keinen Nugen bat ober 
hofft. Und weicher Jubel im Kaubourg Saint⸗Germain, 
wenn Berryer mit frifch gebrochenen Palmen gekrönt ers 
ſcheint! Die fhönften Augen fenden ihm die feurigften 
Blicke zu und die alten Marquiſen umarmen den berebd: 
ten Roturier. Wir wollen damit nicht fagen, daß der 
Iterarifhe Ruhm ganz verfannt werde; es iſt für viele 
Cirkel eine große Auszeichnung, wenn die Dame des 
Haufes fagen kann: „Nous aurons ce soir M. de La- 
martine”’, ober: „Voici M. Victor Hugo qui entre.” 
Lamartine iſt in dieſer Dinficht der glücklichſte unter al: 
ten Literaten; er hat eine Menge Mittel, feinen Ruf 
wieder anzublafen, wenn er merkt, daß er etwas erkaltet 
und im Verglimmen iſt; geht es mit der Profa nicht, 
fo wird ein Gedicht in die Welt gefchide, und find die 
Berfe vergeffen, fo kommt eine Rede in der Kammer 
oder in einer Provinzialalademie zu Hülfe. In der ge: 
feßgebenden Berfammlung des Palais Bourbon zeigt er 
ſich ſtets ſehr fanfe und milde, herablaffend und po: 
pulair; zu Hauſe aber und in ber großen Welt fpielt 
Lamartine den grand Seigneur und den erften Philoſo⸗ 
phen feiner Zeit; doch laͤßt Niemand fein Eis im Löffel 
fehmelgen, um feinen Orakelſpruͤchen zu laufchen. 27, 





Romanenliteratur. 


li. Der Karthäufer. Aus dem Ungarifchen des Joſeph Brei 
bern von Eötvds. Deutih von Hermann Klein. 
Zwei Bände. Peſth, Heckenaſt. 1842. 8. 3 Thlr. 15 Rgr. 

Auf einer Reife in der Dauphiné befucht der Werf. das 
Kartpäuferkiofter in der grande Chartreuse, wo eben ein juns 
ger Mann in Begleltung eines Ältern Freundes angelangt ift, 
um in den Orden zu treten. &päter kommt der Verf. in Brief 
wechfel mit diefem Ältera und dadurch in Beſttz der Papiere, 
weiche die innere und aͤußere Geſchichte des jungen Mannes ent» 
hatten. Diefe Introduction ift fehr gewoͤhnlich und Eonnte übers 
haupt fuͤglich ganz wegfallen, da fie doch eigentlich zum Wer» 
ſtaͤndniß des Ganzen nichts beiträgt und überhaupt nichts be: 
weil. Davon abgefehen aber, begrüßen wir das Bud als eine 
werthvolle Erſcheinung und wollen, wie das bei den Recenſen⸗ 
ten hergebracht zu fein pflegt, daſſelbe ſogleich in ein angemel» 
fenes Fach, nämlich in das der didaktiſchen Romane, regiſtri⸗ 

m, Es gibt kaum ein Verbältniß der Lebensthätigfeit, wor: 
über der junge Karthäufer ſich nicht ausfpräde, aus welchem 
er nie Stoff zoͤge zur Begründung feines Abſchieds von der 

Welt, wnd insbefondere find es die hoͤhern Kreife der Gefell: 

ſchaft, von denen er felber ein Zweig, die er in ihrer nanzen 

Nacktheit darftellt. Bon der Freundſchaft hintergangen, von der 

kiebe betrogen, von der Berleumdung gegeißelt, flärzt er fich in 

die Gemeinheit des Lebens, zieht ein junges, liebenswürdiges 

Maͤdchen, Berti, aus ihrem flillen, reinen Himmel — denn «6 
t eine Wette von 1000 Napoleonsbor — in den Orgienpfuhl 

einer Genoffen, und eben bier ſchreckt er empor mit einem 

Blick auf die ganze Richtigkeit feines Dafeind. Er erkennt, er 

babe das ewige Geſetz der Natur übertreten: „Die nicht lieben, 


werben nicht gluͤcktich fein"; er erkennt: „daß wir den kleinen 

Kreis, worin wir Heil und Gegen verbreiten fönnen, mit gan⸗ 

see Geele lieben, daß, indem wir für bie Wohlthaten einer gans 

sen Melt verpflichtet find, wir die Wenigen, ‚die uns nahe ſtehen 
und außer welchen wir keinem Andern unfere Schuld abtragen 
koͤnnen, ganz begiüden mäflen”; er erkennt: „daß ex nichts 

Gutes gewollt, nichts Gutes getban, daß er ein feiger Selbſt⸗ 

ling war.” Das Alles ift freilich kein Brund, Karthäufer zu 

werben, allein wir wollen darüber mit dem Verf. nicht rechten, 
wir wollen dem Freunde bes Unglüdiichen feinen Vorwurf dars 
aus machen, daß ed ihm nicht gelang, den jungen Verirrten 
auf den Weg einer thätigen Buße zu führen, denn er ift krank 
an Leib und Seele und ſcheidet in friner flillen Klaufe ruhiger 
vom Leben als draußen, wo ber Gedanke an feine Unfähigkeit, 
irgend Etwas zu fein und zu thun, ihm vielleicht zu einer 
neuen Folter geworden wäre. Glanzpunkte des Buche find die 
Geſchichte Julien's und Betti's; fodann die Naturanfdhauung, 
die ſelbſt das Kleinfte, Zaufenden Entſchluͤpfende ſymboliſch vers 
geiftigt; endlich bie veine ſchlichte Großartigkeit der Gefinnung, 
welche durchweg zu Zage gelegt if. Die Charakteriſtik iſt wahr 
und tritt vorzüglich in den beiden Mädchen, in Julien's Water, 
in Dufen und einem alten, in Grund und Boden verborbenen 

Marquis hervor. Auffallend tritt der Deutfche uns entgegen. 

Er ift ‚mit Allem fertig in der Welt und darum zu voher 

Gleichguͤltigkeit erſtarrt, ſelbſt im wuͤſten Gelag. Er ſpielt 

gluͤcklich, Jeden ohne Unterſchied plündernd, und nicht ein Baar 

breit tritt er über die Grenze feiner Gleichguͤttigkeit, wenn ber 

Seplünderte ſich eine Kugel durch den Kopf jagt. Es gibt als 

lerdings dergleichen GSreaturen auch unter den Deutfchen; allein 

bier iſt es befonder6 hervorgeboben, daß ber Menfch ein Deuts 

F ſei, ohne daß wir erfahren, warum er nun eben das ſein 

muͤſſe. 

2. Albrecht Beyling und feine Zeitgenoſſen. Original-hiſtoriſch⸗ 
romantiſche Schilderung aus dem Kriege der Honcken und 
Kabliauen von H. E. Dreffelhbuts. Aus dem Hollaͤndiſchen 
von J. D. von Bétaz. Drei Theile. Lemgo, Meyer. 
1842. Gr. 12. 3 Thir. 

Was bie deutſchen Überfeger uns bisher von der neuen hol⸗ 
laͤndiſchen Romantik zugeführt haben, feibft einen van den Hage, 
tonnten wir füglich entbehren. Aber es ift geradezu eine Beleis 
bigung des deutfchen Publicums, wenn man feinen Glauben 
am norbhäufer Fabrikat zu erfhüttern verfudht, wie es durch 
diefen „Albrecht Beyling“ offenbar geſchehen ift. Der Berf. ift 
todt und feheint nach einigen im Buche vorkommenden Katechis⸗ 
musphbrafen ein recht guter Menſch geweſen zu fein: das ift 
aber viel zu wenig für einen Romanfchriftftellee, der, troß feis 
ner biftorifhen Aufgabe, aus der Geſchichte wol fo viel wiſſen 
fonnte, daß, da die Beitgenofien feines Romans dem 14. Jahr⸗ 
bundert angebören, es einem bderfeiben nicht geftattet werden 
durfte, von Eoyola zu reden, welcher befanntlidy erft ein gute 
gezähttes Jahrhundert fpäter geboren wurde. Den Lauf der 
Handlung nachzuweiſen, halten wir bier für völlfg unndthig; von 
irgend einer Begruͤndung berfelben, oder Deſſen, was bei an⸗ 
dern Romanen Charakter der Perfonen genannt wird, fann hier 
keine Rede fein. Wer Neigung bat, eine Probe zu feben, leſe 
8. 140 im erſten Theile die Echilderung Albrecht Beyling’s.: 
Ref. bat fi ſchon länger bei dem Buche aufgehalten. als es 
verdient; wie ed aber nicht oft und dringend genug wiederholt‘ 
werden fann, daß wir dor unfern eigenen Thuͤren ſchon genug. 
zu kehren haben, alfo bes fremden Unraths nicht bedürfen, fo- 
muß Ref. auch noch einer täglich wiederkehrenden Phrafe geden⸗ 
ken, die auch der Herr Überfeger im Vorworte aufiwärmt, der 
nämlich: das Buch koͤnne unbedenklich Jedem in die Hand ger 
geben werden. Nach taufendfältigen Grfahrungen bat ſich dem 
Ref. die Überzeugung herausgeftellt, daß dieſe Phrafe neunhuns 
bertneunundneunzigmal ale eine Warnung für den Lefer betrach⸗ 
tet werben müffe, und bier ift fie von neuem auf das büns: 
digfte beftätigt. Ein Bud ohne irgend eine tuͤchtige Geſinnung, 
ohne allen Charakter, in einer Tertianerſprache gefchricben. 


22. 


und in .einer überſezung gegeben, bie jeher rechtlichen Kumbe 
deu deutſchen Sorache entbehrt, taugt für Keinen, unb wenn 
es auch nicht gerabegu bie Moral vergiftet, fo wird fie bod 
auch nicht geläutert, und bas if oft ſchlimmer als eine Ber 
siftung | 


3. Emerentia. Sin Roman aus bem mobernen Leben von 
Mad. Ancelot. Aus dem Franzoͤſiſchen von DO. von Bir; 
8 ned. Zwei Theile. Leipzig, Beyer. 1842. 8. 2 Thlr. 


Ror. 

Emerentia ift die zarte Feucht einer Relgung, wie fie, raſch 
entfianden und ſchnell vorübergehend, ſich oft fm jenem Streife 
findet, ber fich vorgugsweife „die WBelt”’ gu betiteln pflegt. 
Sie wird von einer Freundin dee Mutter erzogen, und Autos 
nin, ein junger Mann mit vielen Anfpräden und wenigen Auss 
fiehten, ift der Gedanke ihres Herzens. Antonin will nach Pas 
ris, er will wirken, fleigen, die Welt verbeſſern, fchreibt ein 
Bud, erfhheint in vielen Salons, kommt in Berhältniffe, die 
ihm Gmerentia entfremben und diefe endlich zu dem Entſchluß 
dee Sntfagung führen. Sie unterliegt den Qualen ihres ſchoͤ⸗ 
nen Herzens und flirbt in ben Armen Deffen, der doch nie auf: 
gehört hat, fie zu lieben. Das Buch predigt die alte Wahrs 
beit, daß wahres Glück nur da gefunden werde, wo ber Menſch 
ſich in den möglichft einfachften Verhältniſſen mit reinem ents 
fchiedenen Sinne zu erhalten weiß. Doc wird diefe Wahrheit, 
wie mannichfady die Gituationen auch find, welche fie begrüns 
den follen, nicht eben anfchaulih gemadt. Es verfhmimmt 
Altes, es ift verblafen, es fehlt an irgend einer wahrbaften 
Tdatigkeit, welche uns bei dee Ball: und Satlonfaulienzerei 
feſthalten könnte. Vorzuͤglich iſt der erſte Theil Leer, der faft 
nichts gibt als Anflalten zur Reife nach Paris; nur gegen das 
Ende deffelben werben wir durch eine Epifode gefeflelt, die wir 
für das Beſte im ganzen Bude Halten. GE ift die einfache, 
tiefergreifende Lebens: und Leidensgefchichte der Frau von Ba: 
lincourt, Smerentia’s Pflegemutter, die wol eben deshalb fo 
unmittelbar anſpricht, weil die Verf. aus ihrem eigenen eben 
berausfpricht. Der zweite Theil iſt lebendiger, doch zunaͤchſt 
nur durch die mitteld der politifchen Dialoge berbeigefährten 
Gegenfäge. Im Bangen Eonnten wir das Buch entbehren ; da 
es aber einmal überfegt und fehr gut Überfegt ift, fo wird ber 
Leſer eben Leinen Grund finden, feine Bekanntſchaft mit dem: 
felben zu bereuen. 24. 





Literarifhe Notizen. 


Eine auf dem Gebiete der Philofophie ermähnenswerthe Er: 
fyeinung find bie „Fragments philosophiquen“, von dem Mar⸗ 
quis Guſtave de Cavour. (Zurin 1841). Stalien hatte bis 
auf die neuefte Zeit lange nur wenig Antheil an der Bewegung 
der Ideen genommen. Es ſchien mit ben Lorbern zufrieben, 
die es auf dem Felde der ſchoͤnen Künfte, der Geſchichte, der 
Philoſophie der Geſchichte und der Staatswirthſchaft gefams 
melt hatte, und bekuͤmmerte ſich faſt gar nicht um die hoͤhere 
Phitoſophie. Man hätte fagen ſollen, die Speculationen dieſer 
hoben Wiſſenſchaft wären dem Geifte feiner Einwohner zumiber. 
Aber wenn fo geurtheilt worden ift, fo proteflirt es jett dage⸗ 
gen. Gatuppi im Süden, Rosmini im Norden dieſer Halb⸗ 
‚infel verbreiten da ein Licht, wovon vorher nur ſchwache Strah⸗ 
len in ihre Atmofphäre eingedrungen waren. Zu ben Ramen 
ber Philofophen, welche ſich als Schüler cher Nebenbuhler die 
fer Männer auszeichnen, bat nun Guftave Cavour den feinigen 
hinzugefügt. Schon durch feine Opfer für das allgemeine Wohl 
ebrenvoll befannt, erwirbt er ſich durch feine phitofophifchen 
Fragmente ein neues Recht auf die allgemeine Achtung. Der 
Zitel feines Buches kündigt zwar nur Bruchſtuͤcke an, aber 
diefes Wort will bien nicht fagen, daß es feinem Werke an 
Einheit fehlt. Nah Dem, was uns ber Birf. in ber Vorrede 
fagt, find dieſe getrennten Stüde nadyeinander und unter ber 


eines Gedankens geſchrieben und als helle eines 


Herrſchaft 
pꝓhiloſophiſchen Syſtems zu betrachten. Die Idee, an bie ſich 


dieſe Fragmente ſchließen, iſt nichts Geringeres als die große 
Aufgabe der Philoſophie ſelbſt, der Urſprung und die Legitimi⸗ 
rung der menſchtichen Glaubenkuͤberzeugungen. Nach einigen 
vortäufigen WBemerfungen über ben Z3weck und bie Wichtigkeit; 
fowie über den Gang und den allgemeinen Charakter der. phiſo⸗ 
phiſchen Wiffenfchaften, orbnet der Verf. feine Gedanken unter 
vier Hauptpunkte, weiche das Werk in ebenfo viele Theile 
trennt: 1. Gefchichte ber neuern Philofophie, 2. Skizze der 
metaphyſiſchen kLehre des Abbate Rosmini, 3. Verſuch über die 
Natur des ſittlichen Principe und 4. Betrachtungen über bie 
Philoſophie des Chriftenthums. Der erſte Theil enthätt eine 
kurze, von Eritifhen Bemerkungen begleitete Darlegung ber 
Kundamentalgrundfäge von Gartefius, Rode, ber ſchottiſchen 
Säule, Kant und dem frangöfifchen Eklekticismus. Der zweite 
Theil enthält, wie ſchon bemerkt,. die Phitofophie Rosmini’s, 
die rein ſpiritualiſtiſch iſt und angeborene Ideen, namentlich bie 
Idee des Seins, als folde annimmt. Im dritten, vom Mos 
ralprincip handelnden Theile flellt Cavour die Behauptung 
auf, daß es einen wefentlidhen Unterfchieb zwiſchen den moralis 
fen Grunbfägen und den fpeculativen Ideen, zwifchen der 
Liebe des Guten ober dem fittlichen Geiſt und der Erkenntniß 
bes Guten oder der fittlihen Idee gebe. Erkenntniß und Liebe, 
Theorie und Praxis, Verſtand und Wille, fagt er, feien nicht 
identifche Dinge; die Erfahrung lehre, daß es Menſchen gibt, 
die über Recht und Pflicht ganz vortrefflich fpredyen, aber nicht 
darnach handen. Doch iſt der Unterfchieb Feinesivegs ein abfos 
luter, wie Gavour anzunehmen feheint. Dem widerfpridgt bas 
Sewiffen. Es gibt demnach keinen wefentlidyen Unterfchieb zwis 
fhen der Erkenntniß des Guten und dem Begriff der Sittiich⸗ 
keit und ber Liebe des Guten oder dem fittlihen Geiſt. Im 
dem heile feines Werts, welcher von ber Metaphyſik tes Abs 
bate Rosmini bandelt, erfennt der Verf. die Vernunft im Mens 
fhen als hoͤchſtes Princip an. Im Verſuch über das Morals 
princip läßt er den Urfprung des Unterfchieds vom Guten und 
Böfen hinauffteigen bis zu dieſer reinen Vernunft, die er aners 
kannt hat; aber er leugnet das Dafein einer eigentlich fogenann« 
ten morxalifhen Vernunft und fest an ihre Stelle die fpeciale 
Dazwiſchenkunft der Gottheit ober eine Offenbarung. Gr folgt 
bemnady in biefen beiden Theiten feines Werks. zwei entgegens 
gefegten Richtungen: zuvoͤrderſt ſtellt er die Rechte der menſch⸗ 
lichen Bernunft feft und nachher beſchraͤnkt er dieſelben hinficht- 
lich der Moral. Im vierten Theile feines Werks, wo er von 
ber Philofophie des Chriſtenthums handelt, hätte er einer der 
beiden angegebenen Richtungen folgen können. Wäre er der 
zweiten gefolgt, fo wäre er ganz in das theologifche Syſtem 
eingetreten. Dies hat er aber weislich vermichen. Er beflimmt 
ganz genau die Befugniffe der Vernunft und bes Glaubens. 
Er trennt ſich unverhohlen vom theologifchen Syſtem; benn das 
Princip diefes Syſtems ift, daß. der Glaube den Vorzug bed 
logiſchen Eherfeins vor der Vernunft bat und mithin gang uns 
abhängig von ihr ift, woraus bervorgeht, daß das Ungerrimte 
einer Lehre, .die fih mit dem Charakter einer Offenbarung dar: 
bietet, Tein Beweagrund fei, die Wahrheit berfeiben in Zweifel 
zu ziehen. Der Verf. laͤßt uns hoffen, daß feine philoſophiſchen 
Bruchſtuͤcke nur der Vorläufer eines wichtigen Wertes find. 16. 





Das Gefaͤngnißweſen ift gerade in neuefter Zeit in unzaͤh⸗ 
ligen Schriften beſprochen worben. Gine gute Überficht ber ver: 
ſchiedenen Syſteme, die in Beuug auf diefe Frage aufgeftellt 
find, gibt die „Ethnographie des prisons”, von Marquet: 
Baffelet. Die eigene Anfidht bes Bert. diefer Schrift anbetref: 
fend, fo verwirft er das Philabelphi'ſche Syftem als barbarifch, 
das Auburn'ſche als inconfequent und unlogiſch und bringt ein 
modificirtes Ifoltrungsipftem in Anregung, ben er den Ramen 
des franzöftfchen gibt. 2. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heintich Brokhaus. — Drud und Berlag von F. A. Brodhauß in;Betnsig. 


Blatter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Sonntag, 





’ 3weiter Artikel.) 

1. Der Dom zu Köln. Bon 3. Benedey. Buchdruckerei und 
Berlagsbandiung in Belle⸗Vue bei Konftanz. 1842. Ler.:8. 
17% Nor. 

Der Verf. obiger Broſchüre ift nicht unbekannt in 
Deutſchland. Er lebt als deutfcher Fluͤchtling in Paris 
und war wahrſcheinlich in frühere revolutionnaire Umtriebe 
verwickelt. Trotz feiner Entfernung aus Deutichland hat 
er fi doch immer als warmer Freund feines Daterlandes 
gezeigt. In der „Phalange”’ vertritt er mit Entſchiedenheit 
die deutichen Intereſſen und den beutfchen Charakter; es 
iſt nicht zu verfennen, daß er die Deutſchen für ein tie: 
feres und edleres Volk hält ale die Franzofen, und daß 
er uns eine erhabenere Rolle in der MWeltgefchichte an: 
weiſt als jenen. Warum er trogdem nicht nach Deutfch: 
land zuruͤckkehrt, warum er von der Amneſtie, die der 
jegtge König von Preußen bei feinem Regierungsantritte 
erlaffen, keinen Gebrauch gemacht hat (Venedey ift preu⸗ 
fifher Unterthan, ein geborener Kölner), wiffen wir une 
nicht zu erklären. 

Es iſt gewiß fehr vitterlich, in einem fremden Lande 
ald unverzagter Kämpe für fein Volt Langen zu brechen, 
noch dazu, wenn man fo allein fleht umd der Gegner 
unzählige find; aber, aufrichtig gefagt, kommt uns eine 
ſolche Stellung doch etwas zu hyperromantiſch, etwas un: 
natürlich vor, und wir bezmelfeln, ob felbft die tüchtigfte 
Individualitaͤt im folder Lage vol Widerſpruchs und 
Unwahrheit gedeihen koͤnne; ihr mangelt zu fehr alle ges 
funde Realität, alle naturgemäße Lebensbedingung. Wene: 
dey würde in Deutfchland willtommen fein und mit Liebe 
wd Theilnahme aufgenommen werden. Mehr mie die 
meiften feiner Unglüdsgenofien Bat er die Reinheit feiner 
Motie und bie Feſtigkeit eines ehrenwerthen Charakters 
bewiefen. Wenn auch feine politifchen Anfichten mit den 
wirktichen Zuftänden in Deutfchland in Widerſtreit find, 
fo leben wir doch Gottlob feit kurzem in einer Zeit, wo 
man fie tolerirt und ihnen felbft, fobald fie nur auf ech: 
ter Geſinnung und lauterer Überzeugung beruhen, wie 
bier ohne Zweifel es der Fall iſt, Achtung und perfänliche 
Anerkennung nicht verſagt. Wir fürchten faft, daß phan⸗ 


°) Bol. den erſten Art. in Nr. M-26 d. BI. D. Red. 





taſtiſche und fuperfeine Scrupel, vielleicht ein forcirter 
Repubtitanismus damals von der Annahme jener Am⸗ 
neftie zuruͤckkgehalten haben. Wir können uns irren, aber, 
wie gefagt, wir wiffen uns diefen beutfchen Patriotiömus, 
diefe Sehnſucht nad) ber Heimat, die abfichtlih in der 


Fremde weilt, nicht anders zu erfldren. 

Venedey iR für den Dombau in Köln. Er fiebe 
darin das Symbol der deutſchen Einheit; er glaubt in 
der gemeinſchaftlichen Vollendung dieſes Baus den Ans 
fang eines Reiches ber Gerechtigkeit, der Gleichheit u. f. w. 
in Deutſchland zu erbliden. Die Grundzüge diefes Reis 
ches der Gleichheit und Gerechtigkeit führt er num in bie: 
fee Schrift aus; er entwirft in allgemeinen Umriſſen eine 
Gonftitution für den deutfchen Bund. Wir gefleben nun 
gern, daß wir mit dem Ideale, was er und hier vorzeich⸗ 
net, im Wefentlichen übereinflimmen, daß wir es für Leine 
leere Iſlufion halten, fondern für begrümbdet in Anlage 
und Gefchichte unfers Wolle. Was aber der Eöiner Dom: 
bau mit diefer deutfchen Grundverfaſſung zu thun hat, 
das, aufrichtig gefagt, haben wir wiederum nicht begreis 
fen innen. Alten Refpect für den koͤner Dom; es iſt 
gewiß ein fhönes gothifches Gebäude, vielleicht das ſchoͤnſte, 
was wir haben, und — vielleiht — madht es in feiner 
Vollendung einen noch erhabenern Eindruck wie jegt als 
Zorfo. Aber wir mögen den Dom betrachten von allen 
Seiten, von Hinten und vorn, ein Bild oder auch nur 
ein Symbol eines organiſch gegliederten, auf Freiheit und 
Recht rubenden bdeutfchen Bundesſtaats vermögen wir 
nicht darin zu erbliden. Auch glauben wir nicht, daß 
der Kuͤnſtler, der ihn ſchuf, an einen ſolchen Bundesſtaat 
dabei gedacht hat; das politifche Element war dem großen 
Manne gewiß ebenfo fremd, wie dem Rafael von Urbine, 
als er feine Madonna malte. Der koͤlner Dom ift ein 
Product religidfer Kunſt und nichts weiter. ine irbifche, 
modern politifche Beziehung lag der gotbifchen, religioͤſen 
Baukunſt gänzlich fern, und fie ihr unterfchieben wollen, 
ift eine Geſchmackloſigkeit und eine Unwahrheit zugleich. 
Es ift Profanation. 

Ebenfo wenig find wir im Stande einzufehen, wie 
bee Ausbau des koͤlner Doms der erfle Schritt zur Voll: 
endung des politifchsidenien Staategebäubes fein fol, ale 
welchen ihn ber Verf. betrachtet und uns anempfteblt. 
Die Geldausgabe, die wir dazu leiſten folen — denn 


3. 
darauf reducist ſich doch unfere Zheilnahme am Ausbau, 
wenn wir etwa nicht ſelbſt Steine zutragen wollen — 
fteht in gar keinem Bezuge zu dem Streben nah einer 
allgemein rechtlichen, politifhen Drganifation, welche ber 
Derf. wunſcht. : Weit eher koͤnnte man behaupten, daß 
fie uns von dieſer durch die Zeit gebotenm Thaͤtigkeit 
nue abzöge und daß wir die Millionen, welche der Dom: 
bau koſtet, in diefer Rüdficht nutzlos verfchwendeten, bie 
wir allerdings nuͤtlich zur Umgeftaltung und zur Wieder: 
geburt unfers politifchen Lebens anwenden koͤnnten. Was 
würde man dazu fagen, wenn wir bei einem Kriege, ſtatt 
Pulver zu kaufen, Soldaten zu werben, in bie Schlacht 
zu ziehen u. ſ. w., lieber eine prachtvolle Ausgabe der 
Minnelleder Walther's von der Vogelweide veranſtalteten 
und dadurch unſere Provinzen zu vertheidigen glaubten? 
Han würde in der That den Zuſammenhang des Zwecks 
mit dem Mittel nicht einzufehen vermögen, und. wenn 
des. Wahnfinn oder die Narrheit als der Widerſpruch 
von Zweck und Mittel definiert wird, wie es hier und da 
geſchehen, fo müßte man uns für wahnfinnig und när: 
eifch halten. Und — allen Refpect für Hrn. Venedey's 
ſonftigen gefunden Verſtand — feine Berficherung, daß 
wir die deutiche Einheit, die deutſche Freiheit, bie deutſche 
Bteichheit, die. deutſche Volkskammer beim Bundestage 
u. f. w. erlangen würden, fobald wir nur erſt das Geld 
zum Dombau aufgebracht hätten, ſcheint uns allerdings 
in einer thoaͤrichten Schrulle, im einer fisen Idee be: 
gründet zu fein. 

Aber Dr. Venedey iſt nicht der Einzige, der mit dem 
Dombau fo unerklaͤrliche Sachen verbinde. Es find 
noch andere Stimmen laut geworden, bie unſerm geſun⸗ 
ben Menſchenverſtande aͤhnliche Unbegreiflichkeiten zumu⸗ 
chen, und wenn wir dieſe für die Stimme der Nation 
biekten, was mir jebach nicht thun, fo bielten wir vers 
(äufig einige Hunderttauſend Irrenaͤrzte für noshwendiger 
als alle Andere. 

Die deutfche Einheit fpielt in diefen Stimmen eine 
Hauptrolle. Und in gewiſſer Beziehung haben fie auch 
recht; wenn ganz Deutſchland einig iſt, für den Dombau 
Geld berzugeben, fo iſt deutſche Einheit in Bezug auf 
das Geldhergeben für den Domban vorhanden. Kine 
andere Einheit if damit freilich noch nicht gewonnen. 
Wenn es überhaupt blos auf gemeinfchaftlihes Geldher⸗ 
geben ankommt, ſo koͤnnte man aber ebenſo gut einen 
andern Zweck demſelben unterlegen. Man koͤnnte z. B. 
einige Millionen zuſammenſchießen, um in ber Mitte 
Deutfchlande oder in fonft einem Lande ein großes Loch 
in die Exde graben zu laffen, oder man koͤnnte dieſe 
Millionen aufbringen, um die koͤſtlichſte Perle aufzukau⸗ 
fen und fie, wie die Kleopatra, in einem Becher Wein 
austrinken; alsdann wäre die deutſche Einheit ruͤckſichtlich 
des Lochgrabens oder des Perlenkaufs errungen. Man 
Sönnte auch nur, um es einfacher zu haben, zu einer be: 
flimmten Stunde an einem beflimmten Tage feinen Bei: 
trag in irgend einen Brunnen werfen, und je mehr Leute 
ihe Geld in den Brunnen mürfen, defto einheitlicher waͤ⸗ 
con die Deutfchen in Beziehung auf das Geldwerfen in 


den Brunnen. Ja, es ift eine Leichte Sache um bie 
Bellung der deutfhen Einheit nnd fie laͤßt fi auf un- 
endlich mannichfache Weile ausdenten. 

Sreitih, wer die Einheit Deutfchlands nicht in bie 
eine oder die andere willliiclihe Ginzeiheit fest, mes ei 
gemeinfames Fuͤhlen, Deihken und Handeln in ler we 
fentlichen innern und dußern Beziehungen und einen pos 
itifhen Organismus will, wodurd dieſes gemeinfame 
Weſen immer und zu jeder Zeit leicht und ungehemmt 
fih geltend machen kann, der kann nur mit Betrhbniß, 
mit bitterm Lächeln ſolch phantaftifchen Goͤtzendienſt mit 
dem bloßen Scheine, mit dem bloßen leeren Worte bes 
trachten. Da treten fie zufammen, bilden einen Dom: 
bauverein, zahlen monatlich oder jährlich ihre Abgabe und 


' halten fi dann in zuftiedener Selbſtgefaͤlligkeit fr deut⸗ 


[he Patrioten, die ein Erkleckliches gethan haben für die 
beutfche Einheit. Einer großen und zeitgemäßen Idee 
praktiſch nachzuleben, ihr alle Pulsſchlaͤge feines Daſeins 
zu widmen, verſteht kein Volk weniger als das deutſche. 
Sich aber mit dem bloßen Scheine begnügen, ſich mit 
den äußern Flittern eines inholtreichen Gedankens heraus⸗ 
zupußgen und fi) darüber Gomplimente zu machen, das 
haben fie trefflich gelernt. Es gibt Kein ſelbſtgefaͤlligeres 
Volk als die Deutfchen in ihrer hohlen, faulen Phan⸗ 
tafterei, aber darum kommen fie auch zu nichts. 

Ein anderer Grund, den man für den Ausbau des 
Domss angeführt hat, Elingt ebenfalls patriotifch, ift aber 
ebenfo irrig. Während die Franzoſen Paris befefligen, 
follen wir unfern Dom am linken Rhein wohlgemuth unb 
fiher hinbauen. Das zeige von Selbfivertrauen und be- 
weife jenen, daß mic uns nicht fuͤrchten. Fuͤr ſolche 
Großfprecherei aber möchte ich keinen Schilling hergeben. 

Der Dom hat einen andern, einen böhern und hei⸗ 
ligern Sinn als ſolch weltliches Renommiren. Die Kunft 
it der Kunſt wegen da; wer fie zu fremden Zwecken 
missbraucht, der verkennt ihe Weſen, der entweiht fie. 
Man eifert doch fo ſehr gegen die politifche Poefie, gegen 
Zendengdichtungen ; man will, daß die Poeſie nicht zu 
einer Magd irdifcher Beſtrebungen gemisbraucht werde. 
Und dieſer Stolz, der in gewiſſer Ruͤckſicht wahr if, wird 
eben don jener Seite in Erinnerung gebracht, von der 
die lauteften Stimmen für den Dombau ertönen. Wer 
aber den koͤlner Dombau unterftügt, um eine Renom: 
mage, um eine politifhe Demonftrotion gegm unfere 
Nachbarn auszuführen, ber begeht eine ungleich größere 
Sünde gegen den heiligen Geiſt der Kunft und Poefle, 
ale alle unfere Tendenz⸗ and Nüslichkeitsdichter je began⸗ 
gen haben. 

Aber ale Symbol der neuerwachten Einigkeit zwifchen 
Katholiken und Proteſtanten darf doch der vollendete PöL- 
ner Dom wol gelten? Sa, märe diefe Einigkeit nur erſt 
vorhanden! Das augenblidfiche Misverftändniß ift durch 
die Weisheit des jegigen Könige von Preußen vorläufig 
gehoben und bei keiner Angelegenheit hat ſich bie Sicher? 
heit feines fittlichen Genius wol entf&hiebenet gezeigt als 
bei feiner großartigen, einfachen Handlungsweife in diefer 
Sache. Er har den Steeit, der auf mwahshaft frivofe, 


moerantigitliche Weile von proteflantifcher Setre hervor⸗ 
gernfen war, auf wunderbare Art zu befchwichrigen ges 
wußt.. Aber damit find die beiden Kirchen noch nicht zu 
einer verſchmoizen; die religidfen Lebensanfichsen geben in 
birfens Augenblicke im Innen weiter auseinander denn 
je, wenn auch augenblicklich der aͤußere Friede herge⸗ 
is if. Wie das Kunſtwerk ausfehen müfle, was zu 
abauen iſt, wenn erft ſaͤmmtliche chrifiliche Anfichten ſich 
ia Eins verſchmolzen haben, das läßt ſich noch nicht im 
im dunkeln Schooſe der Zukunft und jedenfalls wird fie 
ne andere Geflalt tragen als die eines Domes aus 
Km 13. Jahrhundert. 

Ich habe nichts gegen den koͤlner Dombau, wenn er 
and reinem Rumflinterefie erfleht. Aber alle andere frem⸗ 
den Motive find mie zuwider, weil fie auf. einer Lüge 
beruhen. Betrachtet man aber bie Beiſteuernden, fo 
möchte ar unter Hunderten kaum Einen finden, ber 
ans reinem Kunſtfinne feine Gabe bringt; der nur bes 
Domes wegen am Dome hilft. Die ganze Begeifterung 
iR eine künftliche, gemachte; die Hälfte der Gebenden be: 
fieht aus hohlen Phantaften, die Hälfte aus Leuten, die 
fü höhern Orts emapfehlen wollen. 

Ich glaube überhaupt nicht, daß unfere Zeit für rein 
Ehnfllerifhe Zwecke geeignet iſt; fie hat näherliegende, 
dringendere moralifde Beduͤrfniſſe. IH bin kein Veraͤch⸗ 
tee der Kunſt, aber wenn ich Geld übrig habe, fo halte 
ich mich in meinem Gewiſſen fir verpflichtet, «8 auf ans 
dere Weile anzuwenden. Überall, wo wir binfehen, er: 
biiden wir Hunger und Noth; Gefängniffe, Schulen u. ſ. w. 
liegen nod im Argen; phufifche und moralifhe Bedürf⸗ 
niffe unferer Mitmenfchen freien um Hülfe, wer mag 
bei fo dringend gednsenen Pädten au epikuraͤiſche Kunſt⸗ 
genuͤſſe denken? 

Was mich am erftien noch für Beförderung des koͤl⸗ 
ner Dombaus beftimmmen könnte, das wäre eine Pflicht 
der Dankbarkeit. Der König von Preußen hat tiefge: 
fühlte Worte bei der Grundfleinlegung gefprochen; die 
Sache ift ihm ans Herz gewachſen. Eine Vereitelung 
frines Bunfches muß fchmerzhaft fein. Aber ficher will ex 
nicht die Lüge befördern und nur in Borausfegung rei: 
me Motive bei den Beiftenernden kann er die Wolken 
vang des Dome wuͤnſchen. Nur als wahre National: 
angelegenheit, nicht als Nationalluͤge intereffirt ihn das 
Berl. Früher oder fpäter würde die [höne Illuſion auf 
Yen, usb die Schmerzen, die Damit verbunden find, 
wär fich über kurz oder lang doc, einſtellen. Erſpa⸗ 
ren innen mie fie ihm nicht; beffer alfo jegt gleich, als 
ſpaͤter, wo dann Kräfte und Zeit und Hoffnungen nutz⸗ 
los verſchnendet fein werden. 

2. Der Poten Zukunft. Von dem Grafın A. Gurowski. 
u von. Hermann, Leipzig, Hunger. 1843. Gr. 8. 
gr. 

So erfreulich und wohlthuend im Allgemeinen det 
politifche Zuftand Europas ift, wenn wir ihn mit dem 
des vorigen Jahrhunderts ober auch nur mit den Zeiten 
vor zehn Fahren vergleichen, und fo ſchoͤne Hoffnungen 


vorheralinen; die Form deſſelben ruht noch 


er für die Zukunft gewähre, fo iſt doch noch «in dunkler 
Fleck da, der ſich noch immer nicht aufhellen will. Po⸗ 
ten iſt bie tiefe moraliſche Wunde in dem politiſchen Be⸗ 
wußtſein Europas, die noch immer nicht verharſchen win 
und deren Anbtid immer von neuem das Bewußtſein deu 
Sünde in und aufrege und uns zu feinem rubigen Ges 
wifien konnen läßt. Das Schickſal Polens und bil Art 
und Wille, wie man mit dieſem ungfüdfellgen Lande ver- 
fahren, ſteht in fo fchrelendem, furchtbarem Midverhaͤtt⸗ 
niffe mit umferer jegigen Bildung, mit dem feinem Ge. 
techtigleitsgefühle, mit dem groͤßern Edelmuthe und dev 
leboendigern chriftlichen Liebe, die jezt — Gott ſei Dant — 
fi inmmer mehr Bahn gebrochen haben in der heutigen 
Politik und immer mehr die moralifde Grundlage unſes 
ser Staatsweisheit bilden, daß es der Nachwelt ein Raͤth⸗ 
fet fein wird, wie jener Greuel neben fo vieler ehren 
und tiefen Humanität babe befteben können. Sa, wol 
ein merkwuͤrdiges, trauriges Raͤthſet! Die ganze gebildete 
Welt empört fi gegen den Sklavenhandel, es werden 
bie ungeheuerflen Opfer gebracht, um diefen Frevel, deffen 
bloßen Anblick unfer fittliches Gefühl niche länger ers 
tragen kann, für immer abzufchaffen, man bewacht 
bie entfernteflen Meere und dAußerfien Pole, um biefe 
Suͤnde gegen das heutige Bewußtſein zu unterbrücden, 
und dicht neben und, mitten unter den beften und culti= 
virteften Voͤlkern Europas ſelbſt, geſchehen KWerbrechen, 
exiſtirt eine Summe namenloſen Ungluͤcks, gegen die je⸗ 
ner Sklavenhandel in ber That nur leicht und unbeden⸗ 
tend erfcheint. Denn daß die Leiden eines fenfibeln , ſei⸗ 
ner höhern Guͤter, feiner Anſpruͤche auf Freiheit und hoͤ⸗ 
heres menfchlichese Dafein fi) bewußten Volks unendlidy 
tiefer und ſchmerzlicher find als das Schidfal des ſtum⸗ 
pfen Negers, der in dieſem Augenblide vermöge feiner 
niedrigen Gulturflufe, die er einnimmt, immer auf bie 
eine oder die andere Weiſe der Sklaverei naturgemäß vers 
fallen ift, der fidy fetbft Bein Gewiſſen daraus macht, 
Menfhen zu rauben und zu verkaufen und daher auch, 
wenn ihn felbft diefes Schickſal trifft, nur einen in der 
Natur der Dinge begründeten Wechlelfal des Glücks 
darin erbiiden kann, in gar feinen Vergleich zu flellen 
find, das braucht dem unverdorbenen, durch Gewohnheit 
nicht abgeflumpften Gefühle nicht erſt deutlich gemacht 
zu werden. Die foflematifche Ausrottung eines ganzen 


Volksſtammes durch Unterdrüdung jeder eigentbinmtichen 


geifligen Regung und Thaͤtigkeit, die Verweiſung nach 
Sibirien, Unterftedung der zarten Jugend unter die ruffl: 
(hen Elemente u. f. mw. empört ebenfo, wie die Mittel 
der Lift, der Zreulofigkeit und des Verraths, fowie der 
Gewalt des Stärkern, wodurd man Polen getheilt und 
erobert hat. Mag man fagen, was man will, gegen die - 
Sähigkeit der Polen, ſich ſelbſt zu regieren und aus eige: 
ner inneren Kraft ihre Staatsverhaͤltniſſe fortzubilden, die 
Mittel, die man gegen fie gebraucht hat umd noch ges 
braucht, find und bleiben ein Schandfled in der Geſchichte 
des 15. und vor Allem des 19. Jahrhunderts, und es 
ift eine elende Heuchelei, wenn man fih anſtellt, als 
wenn man aus philanthropifhen Motiven, zum Veſten 





ber Dalen ſelbſt, gegen fie verfahren wäre. Mittel und 
Zwecke waren gleich unrein und ſelbſtſuͤchtig. Wahrlich 
ein ſchoͤnes Gluͤck, was die Polen in dieſem Augenblide 
unter ruſſiſcher Dereihaft oder in der Werbannung ges 
nießen. Der verworrenſte Zufland Polens unter feiner 
ariſtokratiſchen Wielregierung war noch immer ein Paras 
dies im Vergleiche mit feinem heutigen Geſchicke. 

In der That, des Hinblick auf Polen iſt wol geeig: 
net, uns mit Gram und Menſchenfeindlichkeit zu erfuͤl⸗ 
len; er koͤnnte uns leicht zu tiefem Mistrauen verleiten 
und überreden, daß es mit der geruͤhmten heutigen Hu⸗ 
manität immer noch nicht weit bee und daß die auf 
allen Zungen figende Chriſtlichkeit den Herzen noch ziem⸗ 
lich fremd und nur eine Lüge fei. Der chriftliche Glaube 
muß fich in chriftlichen Thaten bewähren, fonft iſt er nur 
ein tönendes Erz, ein hohler Schall. Bisthuͤmer in es 
eufalem, Dombaue, Ehegefege und Sonntagsfeier mögen 
gute Dinge fein, und wir ehren das Bemühen, bie chriſt⸗ 
liche Weltordnung auf ſolche Weife zu fördern, aber wir 
fegen voraus, daß dabei das graffe Sefpenft Polens nicht 
den Blicken entfchwinder, fondern daß es ſich mit uns zu 
Bette lege und wieder mit uns aufſteht, und bag unfer 
Sinnen und Trachten dahin geht, jene Sünde zu füh: 
nen, jenen Gewiſſensbiß zu heilen, jene heißen, brennen: 
den Thraͤnen zu trocknen, in jene gebrochenen Herzen 
wieder nad Kräften Balfam zu teäufeln. 


(Die Fortfegung folgt. ) 





Literarifhe Notizen aus England. 


Thomas Miller und fein „Godfrey Malvern, or 
the life of an author“. 

Ich weiß nicht, ob bereits eine oder bie andere von Tho⸗ 
mas Miller's in England fehr beliebten Schriften einen beutfchen 
Überfeger gefunden hat. Zür unmoͤglich halte ich es aber, et⸗ 
was von Thomas Miller zu lefen, ohne von der Driginalität 
feiner Gedanken, von fsiner ſcharfen Auffaffung und von feinem 
fernigen Stile frappirt zu werben. Mit conventionellen Din: 
gen befaßt er ſich nicht, alte Ideen ftaffirt er nicht mit neuen 
Phraſen aus und von der Oberfläche des gefelligen Verkehrs 
fhöpft er auch nicht. Er ſieht mit eigenen Augen, hört mit 
eigenen Ohren und denkt für fich, flürzt kopfüber in bie Tiefen 
bes Lebens und fördert mit verwegener Band bald Bold, bald 
Schmuz zu Zage; er bringt, was er findet. Sein neueftes 
Werk ift das obengenannte und ‚„Godfrey Nalvern‘ die Lebenss 
geſchichte eines GSchriftftellers, eines jungen Mannes, der auf 
dem Feide ber Literatur feinen Lebensbedarf ernten will. Das 
Bud muß überfegt werden, ſchon zur Warnung. Die Policei 
oder fonft ein philanthropifches Inftitut muß es überfegen, drucken 
und gratis vertheilen laflen. Gottfried's Vorſprechen bei einem 
Verlagsbuchhaͤndler in Paternoster-row könnte ebenfo gut in 
Gtuttaart, fein Mittagseffen im Cathedral - Coffee - House un: 
weit St.⸗Paul's ebenfo gut in Berlin und fein Beſuch eines 
Sournalrebacteurs in London ebenfo gut in Leipzig flattgefuns 
den baben. Jeder junge Menſch, der das Leben eines Literaten 
von NRofenduft umweht glaubt, follte das leſen, eventuell par 
force zum Leſen gebracht werben. Es iſt ein trauriges, melans 
choliſches Thema, worüber ſich viel Schmerzliches und Seufzers 
volles fagen laͤßt. Thomas Miller nennt die Schriftftelleret 
„eine See, deren Ufer flets mit taufend Schiffbrüchen bebedit 
find, und wo bie fie Befahrenden, wenn fie zufällig nicht er: 


teinlen, am Geftabe verhungern, bean nicht Giner von Hun⸗ 
dert macht eine gluͤckliche Fahrt. Wer die Richtigkeit dieſes 
weit hergeholten Gleichniſſes bezweifelt, werde Mitglied des Lites 
rorifchen Unterftiigungsvereins, biefes Meinen Leuchtthurms auf 
ber finftern ee der Literatur, und cr wird fchnell genug aus⸗ 
zufen: Wehe, es if nur zu wahre! Er wird dort mandges treff⸗ 
liche Schiff erbliden, befien Namen und Gigner er fennt, unb 
viele ihm unbelannte Rachen, die dem Leuchtthurme zugerubert 
find, als es auf der dunkeln, brandenden See keine andere Men⸗ 
ſchenhuͤtfe für fie gab.” Alles das iſt wahr, fo fuͤrchterlich 
wahr, wie Wahrheit e6 immer fein kamm, und deshalb muß 
das Buch überfept und gratis vertheilt werben. Nebenbei ent= 
haͤlt es gute Ionboner Scenen und als Gontraft wohlgerathene 
laͤndliche Schildereien. Rur wenn der Verf. ins fafbionable Le⸗ 
ben taucht, greift er bisweilen fehl. Seine Beobachtungsgabe 
verläßt ihn allerdings auch hier nicht. Um jedoch die Thor⸗ 
heiten des hoben Flugs nachdrüͤcklich durchzuhechein, muß man 
die Gitten und Gebraͤuche bes hohen Flugs genau kennen. Und 
das ſcheint bei Thomas Miller nicht der Kal zu fein. Daber 
kann bie Soirde der Lady Smileall unüberfegt bleiben. Die 
Umeiffe find aͤhnlich, aber die feinen Züge mangeln, die daß 
Laͤcherliche pilant machen. 


Die erfie Büherauction in Gagland, 
von welcher fi Nachricht vorfindet, war der Berfauf von’ 
Dr. Seaman's Bibtiothel, die im 3. 1676 unter ven Hammer 
fam. Die dem Kataloge vorgefehte „Address’ (autet folgender: 
maßen: „Lefer! Es ift bier in England nidt gebräuchlich, 
Bücher im Wege der Verfleigerung zu verfaufen, oder an Den, 
der das Meifte dafür gibt. Da es jeboch in andern Rändern 
zum Beften der Käufer wie ber Verkäufer gethan wirb, fo ift 
uns eingefallen ( zu Kufmunterung der Gelehrfamteit), den Ber: 
fauf gegenwärtiger Bücher in ſothaner Art und Weiſe befannt 
zu machen.” = 





Literarifche Anzeige. 
Das 6eschlochtsieben des Welbes 


in physiologischer,, pathologischer und therapeutischer 
Hinsicht 
dargestellt von 


Dr. Dietr. Wilh. Heinr. Busch. 
Erster bis vierter Band. Gr. 8. 15 Thir. 25 Ngr. 


Erster Band: Physiologie und allgemeine Pathologie des weib- 
lichen Geschlechtslebens. 1839. 3 Tihir. 85 Ner. 
Band: Actiologie, Diageostik, Therapie, Diätetik 
und Kosmetik, sowie auch. speeielle Pathologie und Therapie 
der weiblichen Geschlochtskrankheiten, getreunt von der Schwan- 
geruchaft, der Geburt und dem Wochenbette, 184. 3 Thir. 
Dritter Band: Von den Geschlechtskrankheiten des Weibes 
und deren Behandieng. Speciclie Pathelegie und Therapie der 
Krankheiten der weiblieken Geburtsorgene. 191. 2 Thir. 
Vierter Band: Von den Geschlechiskrankheiten des Weibes 
und deren Behandlung. Specielle Pathologie und Therapie der 
Krankheiten der weiblichen Geburtsorgane. Von des Kreakbelten 
der Geschlechtsverrichtangen des Weiber. 13. 5 Thir. 


Das o Werk wird aus fünf Bänden bestehen und 
der Band im nächsten Jahre erscheinen. 
wird ein Atlas der nothwendigsten Abbildungen zur bes- 
sern Verständniss des Vergetragenen folgen. 
Leipzig, im Februar 1843, 
F. A. Brockhaus. 





Berantwortliher Deraudgeber: Deirtih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. X. Brockhaus in Reipzip- 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Artikel. 
Nr. 33.) 


3weiter 
(Bortfegung aus 
Wie das Schickſal Polms fi enden fol, if derweile 
noch ein Raͤthſel, deſſen Löfung im Schoofe der naͤchſten 
Deemnien ruht. &o- weit der kurzſichtige Menſch den 
thnftigen Gang ber Gefchichte vorherfehen oder vielmehr 
vermuchen kann — denn das Leben in feiner unendlichen 
Aumacht finder hundert Mittel und Wege, die kein Ber: 
land des Verfländigen vorherberechnen kann —, laffen ſich 
drei Möglichkeiten annehmen. Zwei diefer Moͤglichkeiten 
haben bereits ihre Anhänger umd Apoftel gefunden in 
ber Nagssliteratur, auf die britte iſt unftreitig ſchon der 
Blick manches Staatemannes gerichtet, wenn fie auch 
nagh nicht Öffentlich debattirt wird. 

Die erſte iſt die Herſtellung des gefammten alten pol: 
nilden Reiche, wenigſtens in feinen wefentlichften Theilen. 
Auf fie richtet fich der Blick der meiſten Polen ſelbſt, 
zumal des Kerns der polnifchen Bevölkerung, die in Frank⸗ 
reich und England als Verbannte leben... Diefe Derftel: 
lang ift nicht wohl denkbar ahne eine allgemeine Revolu: 
tion in Europa, obne eine gewaltfame Erſchuͤtterung und 
einen gänzlihen Umflurz der beſtehenden Verhaͤltnifſe. 
' Ein polniſches Königreich ohne die abgeriffenen Provins 
jen, die jetzt Oflrei und Preußen befige, zumal ohne die 
leztern, durch welches es die nothwendige Verbindung mit 
ben Meere erbielte, ohne die kein größeres, ſelbſtaͤndiges 
Volksleben heutzutage gedeihen kann, iſt nicht wohl moͤg⸗ 
ih. Mag fein, daß mandye Polen nur an das Naͤchſte 
denken und ihre feindlichen Abfichten vorläufig nur gegen 
igeen Hauptfeind, gegen Rußland, richten — fobald fie 
die zuffifhen Provinzen erlangt hätten, würden fie mit 
nochwenbiger Gonfequenz ihre Blicke auf Galizien, auf 
Danzig und Pofen richten und die jegt noch fchlafenden 
Wirſche würden erwachen; auc wäre es in biefem Aus 
genblide wenigſtens nicht unwahrfcheintich, daß dieſe Wuͤn⸗ 
fche bei ihren ehemaligen Landsleuten, die jest oͤſtreichi⸗ 
fe und preußifche Untertbanen find, lebhaften Anklang 
fänden. Ein allgemeiner Kreuzzug Europas gegen Ruß: 
land für die Wiederherftellung des polniſchen Reiches, 
an dem aud Preußen und Öſtreich Antheil nähmen, läßt 
ih daher nur denken, wenn bie Gabinete biefer beiden 
Staaten den grofmüthigen Entfchluß gefaßt hätten, ihre 
yolnifchen Erwerbungen wieder herauszugeben. in fol: 


und ohne innerſte Störung des ganzen Staatsorganis: 
mus nicht mehr aufgeben kann. Darin iſt auch vor- 
zugsweiſe der Schlüffel zu der Politik zu fuchen, welche 
diefe beiden Staaten im 3. 1830 — 31 bei ber legten 
polnifhen Revolution beobachtet haben. Namentlich ift 
von dem menfchlichen, wohlwollenden Charafıer des ver: 
ſtorbenen Könige von Preußen wol zu präfumiren, daf 
er die Leiden Polens in ihrer ganzen Größe empfunden 
babe und gern eine Pflicht der Menſchlichkeit erfuͤllt 
hätte, wenn bie Pflicht gegen den eigenen Staat nicht 
damit in Collifion geftanden. Auch Öftreich würde eine 
Verringerung ber ruffifchen, immer bedrohlicher anwachſen⸗ 
den Größe ficher damals nicht ungern gefehen haben, 
wenn nur in dem Mittel nicht ebenfalls Gefahren für 
bie eigene Macht gelegen hätten. ‚Das eben ift der 
Fluch der böfen That, daß fie fortzeugend Boͤſes muß 
gebähren.” Durch die Sünden der Vorfahren war 
Preußen wie Öftreih in eine Politik gegen Polen hin: 
eingebannt, die fih nur mit biutendem Herzen erfüllen 
lief. Ein allgemeines revolutionnaires , demokratiſches 
Chaos, ein furdtbarer, finnverwireender, republikanifcher 
Zaumel, in welchem mit den jegigen Regierungen auch 
vieleicht die Staaten von Preußen und 'Vſtreich ver: 
ſchwaͤnden, kann daher confequenterweife nur der Wunſch 
aller der Polen fein, die noch immer an die restitutio 
in integrum ihres früheren Reichs denken. 

Wir innen uns diefe Anfiht bei ben Polen wohl 
erklären, wir können fie entfchuldigen und find weit ent 
fernt, den erfien Stein auf fie zu werfen. Wer fo duch 
Selbſtſfucht gelitten bat, wie fie, muß zuletzt ſelbſt 
leidvenfchaftlih und felbftflchtig werden. Wäre ich als 
Pole geboren und hätte den Sturz meines Vaterlande 
überlebt, wäre ich nicht in einer Schlacht ſchon früher 
gefallen ober an gebrochenem Herzen geitorden, ich glaube, 
ich wide ebenfalls an MWiedereroberung meines alten 
vollen Rechts denken und jedes Mittel würde mir dazu 
echt fein. Segen wir uns an die Stelle eines Polen, 
fo koͤnnen wir uns jene glühende, finftere Leidenfchaft, 
die nur einem einzigen Gedanken Raum gibt und bie 
an dem enblihen Siege des weißen Ablers, an bem 
Siege der Sache, flir die das Herzblut der Edelſten feit 


einem Jahrhunderte gefloffen, wie an einer firem Idee 


hängt, gar wohl erklären, wir Binnen fie verfichen und. 


mitempfinden. 

Es ift daher ganz natürlich, wenn überall, wo revo⸗ 
lutiennaite Kämpfe oder nur Regungen zeigen, wir 
die Soͤhne Polens "darin verwickelt finden. Jedes Unter: 
nehmen zum Umſturz der beftehenden Ordnung ber Dinge 
muß an ihnen Freunde und Beförderer finden. Sie fra: 
gen dabei nicht, ob folches Beginnen zum Heile des Volks 
diene, in welchem «8 vor fih geht. Was kümmert fie 
diefe Ruͤckſicht! Sie kämpfen für Polen, nicht für Frank⸗ 
reich, für Spanien, für Deutſchland, nicht für Tſcherkeſ⸗ 
fin, Stalien oder Griechenland. Sie haben immer nur 
Polen im Auge und wenn fie fi des Verderbens, mel: 
ches ber das eine oder das amdere Volk auf ſolche Weiſe 
kommen ann, auch nicht Har bewußt find, 'wenn fie fidh 
auch leicht überreden, baß ihre Wuͤnſche mit dem Wohle 
der Menſchheit zufammenfallen, fo find fie von einer 
gewiffenhaften Prüfung, von einer zarten und aͤngſtlichen 
Rüdficht für ihre augendlicklichen Bundesgenoffen doch ſicher 
weit entfernt. Jedem Unrubeftifter leihen fie freudig ib: 
ven Arm und jede alimälige Entwickelung zur gefegmäßigen 
Freiheit, jede Sonfolidation irgend einer Verfaſſung, und 
fei fie noch fo fteiſinnig, ift für fie ein Ungläd. Sie 
wollen nicht die Freiheit, fie wollen bie Revolution. 

So natürlich wir diefen Standpunkt finden und fo 
wenig wie geneigt find, jene Unglüdlichen, die man 
mit Gewalt zu Feinden alles Beſtehenden gemacht hat, 
zu verbammen, fo ‚halten wir ihn dennoch für einen un: 
moraliſchen und falfchen. Abgefehen daven, daß die Rea⸗ 
Hficung eines fo ungeheuern, gräßlichen Zweckes Gottlob 
eine Unmöglichkeit iſt und daB in folcher Siſyphusarbeit 
fich die edeiften Kräfte und die herrlichſten Naturen zer- 
flöten müffen und moratif zu Grunde geben, iſt ein 
Streben, welches alle Völker nur als Mittel und nicht 
ats Selbſtzwecke behandelt, ethifh durchaus zu verdam⸗ 
men. Es ift ein eitler Traum, auf den rauchenden 
Truͤmmern aller: europaͤiſchen Verfaſſungen ein neues 
Polen aufzubauen, und wäre feine Erfüllung dennoch 
möglich, fo wäre fie um dieſen Preis zu theuer erfauft 
und die Nemeſis würde ſicher nicht zögern, ein ſchweres 
Gericht uͤber die freweihaften Unternehmer forool, wie über 
die Sache, für die fie gefündigt, ergehen zu laflen. Auf 
fo unmoralifchen Grundlagen baut man kein moralifches 
Aunftiwerk, wie es der heutige Staat if, mehr auf. 

Eine ganz entgegengefehte Anficht fpricht der Verf. 
obiger, Broſchuͤre aus. Derfelbe hatte an ber legten pol: 
niſchen Revolution Theil genommen und längere Jahre 
in der Verbannung gelebt, bis ihm der kaiſerliche Wille 
die ſtrafloſe Ruͤckkehr ins Vaterland geflattete; unter weis 
en fonftigen Bedingungen ihm dieſe Erfaubniß gewor⸗ 
den, ift uns unbelannt. Graf Gurowoki hat die Träume 
für eine gänzliche Wiederherftellung der alten Unabhängig: 
keit Polens aufgegeben und deren Eitelkeit erkannt. Voͤl⸗ 
fer flerben, ſagt er, gleich Individuen. Polen ift ats 
Bolksindividualität geſtorben und kann nicht wieder zum 
Leben erſtehen. Die Sache iſt abgemacht und man muß 
ſich in das Unvermeidlihe als in den Beſchluß eines 


"den, keinen ' 


dieſe rrale Grundtage. Wenn die einzeinen 


hoͤhern Willens ergeben. Mit lebhaften und nur zu wahs 
ven Farben fchildert er das Werzweifelte einer Exiſtenz, 
die fih nur an unbeflimmte Doffnungen, an Illufionen 
anklammert, für welche die Gegenwart keinen rdalen Bes 
irkungskreis darbletet. Der Menſch ſol 
auf gegebene Zuſtaͤnde ſeine Plane und Hoffnungen, ſeine 
Thaͤtigkeit gründen; ohne ſolche Bafis muß er fich im 
thatlofer Traͤumerei moralich aufreiben und zerflören. Als 
les, was die menfchlihen Kräfte wohlthaͤtig anregt umb 
befihäftigt, kann nur in einem Staate gedeihen. Wifſ⸗ 
fenfhaft, Induftrie, Poeſie u. f. w. find unmöglich ohne 
Daten — ais Bet 
eriftiren fie nicht mehr — daher noch ihre Einzelindividuati: 
täten retten wollen, toenn auch dieſe nicht täglich zutuͤck⸗ 
fhreiten und ihrem Untergange entgegengshen follen, fo 
muͤſſen fie fi aufrihtig den Beſtrebungen irgend eines 
Staats anfchliegen, müflen in einem Staate einen Spiel: 
raum für ihre Kräfte zu ‘gewinnen fudyen, und biefer 
einzig moͤgliche Staat iſt — Rußland. 

Es folgt alddann ein 'langer Paneghtikus auf den 
suffifhen Kaiferſtaat. Graf Gurowoki gibt fi Viele 
Mühe, denſelben als ein von den humanſten und ebels 
ften Richtungen belebtes Ganzes zu ſchildern. Da, er 
gibt nicht undentlich zu verfichen, daß bie eigentliche Auf⸗ 
gabe unfers Jahrhunderts durch Rußland gelöft werben 
würde, daß dieſer Staat allein die wahre Sittlichkeit, die 
wirkliche, gerechte Ordnung "der Dinge beadfiihtige und 
von der Vorſehung beftimmt ſei, dieſe über die Welt 
autzubreiten, waͤhrend die Zuſtaͤnde ber ‚andern Voͤlker 
Europas durchnus verderbt Tem. Namentlich ſei es 
Rußlands große Aufgabe, die Welt von dem verderblichen 
republikanifchen Schwindel und von jener unhaltba⸗ 
ren, ſchaͤndlichen Baſtardemanſe, der Sucht nad Comſti⸗ 
tutionen zu erloͤſen und «Is von Gott geſandter Bet: 
tumgsengel zu erfcheinen. Das einzig richtige Streben 
fol heutzutage, der greßen Mafle 'gedhern Wohlſtand zu 
verfchaffen, und Rußland allein gebrauche bis jest Die 
echten Mittel für diefen wohlthaͤtigen Zweck. Die Po⸗ 
len foliten daher fi) um tuffifpe Staatsamter be⸗ 
werben und auf die menſchenfteundlichen und humauen 
Plane diefer weiſen Regierung eingehen. Nur auf ſolche 
Weiſe Lönnten fie fid) der Welt wer nuͤtzlich machen und 
nebenbei felbft gluͤcklich werden. 

Der ehrenwerthe Berf. ift offenbar von einem Gr: 
treme ins andere verfallen. Wenn wir ihm gerne auge: 
ben, daß ein bloßes melancholiſches Zehren an frühern 
Erinnerungen ober ein ohnmaͤchtiges Sonſpitiren gegen 
die gefammte biftorifch gegebene und gewordene Wirklich 
feit Europas weder die phufifchen tod "moraltfchen Be⸗ 
dingungen eines tüchtigen, zeitgemäßen Menſchenlebens in 
fih trägt, fo folge Daraus noch nicht, daß man mit gaͤnz⸗ 
licher Aufgebung aller frühern Erinnerungen und Über⸗ 
zeugungen, mit gaͤnzlicher Verzichtung auf ‘eigenen Cha: 
rakter ſich kopfuͤber in ruſſiſche Arme ſtuͤrzen muß. Frei⸗ 
lich, wer in Rußland die ſtaatliche Perſonification alles 
Hohen und Zeitgemaͤßen erblidt, wer Rußland nis ben 
Engel betrachtet, ber eigens zur Rettung des verlorenen 
Menfchengefchlechts von der Vorſehung gefandt iſt, dem 


231 


beide alledige Bein anderes Pflichtgebot, als Hingabe 
4 toat prix an diefen Eherubim, ber jedoch kein flam: 
mendes Schwert, fondern ein weniger poetiſches Inſtru⸗ 
ment in ber Hand hält. 

Ein fo piöglidyer Umſchwung ber lbitzengung von 
«mem Erxtreme zu andern möchte aber nicht jedem Polen 
möglich fein. Das Talent, ale Maßregeln, Handlungen 
und Plane mit einem Dale für human, rechtlich, mora⸗ 
liſch und religis zu halten, die man Zeit feines Lebens 
für roh, untechtli und irrellgtös gehalten bat, tft nicht 
Fedem, gleich dem Grafen Gurowski gegeben. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Deutfhbe Gagen. 
1. Die Boilsfagen von Pommern und Rügen. Gefammelt von 
%. D. 2 Temme. Bitlin, Ricotei. 1840. Gr. 8. 
1 Ahlr. 20 Nur. 
2 Sagen, Maͤrchen und Eegenden Nieberfarhfens. Sefammelt 
von Herm. Harrys. Erſte und zweite Abtheilung: Der 
e Gele, Schuize. 1840. Sr. 12. 25 Nor. 
Der treue Fleiß, welchen die Phitologen der Erforfchung 
imferer alten Literatur und unferm Alterthum überhaupt zus 
wenden, iſt vielleicht um fo anerfennungswäürbdiger, je uneigen⸗ 
nägiger und aufopfernder er daſteht. Wer fi den ctaffifchen 
Studien bingibt, hat body, wenn man andy davon abſehen will, 
dab er fein Wiſſen in Schule und Akademie praktiſch anwenden 
mb verwertben kann, zugleich das Bewußtſein und den Vorzug, 
feinen Fleiß und feine Fähigkeiten an etwas allgemein Geltendes 
und Hergebrachtes zu fegen, an Etwas, bas die Grundlage aud) 
der modernfien Givitifation ausmacht. Er darf, wenn feine 
Leiftungen ſich nur etwas über das Gewoͤhnliche erheben, nicht 
sur auf ein beutfches, fondern auf ein europälfches Publicum 
reinen. Gine neue finnreiche Hypotheſe Über eine duukle Stelle 
in biefem ober jenem claffifhen Autor, über einen zerbrödelten 
Aſchenkrug, über die Figuͤrchen eines etruskifchen Spiegel, einer 
Zaffe oder Patere findet ihre Publicum, ihre Freunde und Gegner 
fowol an der neuen Univerfität zu Athen als an ber alten zu 
Paris, in Peteröburg und Oxford, am Sımb und Arno. Und 
Männer wie der ımvergeßliche Otfried Müller Eonnten eine Be: 
ſchichte Der griechifchen Literatur fräyer in englifcher Nebertra: 
gımg ale im deutſchen Originale erfcheinen lafien. Die Traͤger 
der orientatifden Philologie find faft noch gimfliger geftellt. 
Sie bedürfen faft gar keines Publicums in Deutfchland und 
werden tm Austande leichter befannt und geſchaͤtt als in der 
Srimat. Aber weldye Ausfichten koͤnnen einen deutfchen Philos 
legen, der ſich lieber an dem Alterthum feines eigenen Volks 
a3 an dem eines fremden erwärmt, welche können den locken. 
Rarm dab man bier und ba einem Profeflor beutfchen Alters 
thums gleichſam zum Gtaate ein beſcheidenes Plaͤtzchen an der 
Univerfität, eine bärftige Guftobenftelle einrdumt. Kaum daß 
cin fgüchterner Sonrector an einem Gymnaſium etwas hiftorifche 
Scammatif, etwas Eiteratur mir Citaten aus den Quellen in 
feiner Stoffe vorzutragen ſich unterfängt. Kaum baß einige Ge: 
Idee in England und in Skandinavien ein Werk der beutfchen 
Diietegie fludiren. Und daneben die Zeit, fo mobern und uns 
butidfam, daß fie das reinfte wiſſenſchaftliche WBeftreben, wenn 
es fi) ihr und ihren nivellirenden Tendenzen nicht eng anfchließt, 
für verfappte Zendenz, zum Mittelalter, zur Hierarchie, zum 
Abfolutismus Sinzufähren, anfieht und ſich feindfelig bageg 
ſtemmt. Wenn die Runde und das Studium des beutfchen AI: 
terthums, fotcdher Umſtaͤnde und Hinderniſſe ungeachtet, dennoch) 
einen ſo friſchen und lebendigen Aufſchwung genommen, wie 
man vor jwanzig Jahren kaum zu hoffen wagte; wenn bie 
Alten Dichter und Dichtungen immer vollftändiger ans Licht 
treten und das muntere Rauſchen biefer fo lange Zeit verfchüt: 
teten Quellen immer lebhafter und Tauter wird; wenn ber 
Sprache, dem Blauben, der Gitte, dem Rechte und allen biefen 


— 


vielfältigen Verzweigungen ter innern Gefchichte unſers Alters 
thdums dıe forgfamfte und glücklichſte Pflege angebeiht: fo Hegt 
das weniger an der Empfänglichleit des zerfplitterten und vers. 
bärteten Publieums, als vielmebe an der muthigen Ausdauer 
und dem wahrhaft patriotiſchen Sinn ber Gelehrten, bie vom 
der Berdienſtlichkeit ihrer Beftrebungen in befcheidenem Sinn 
zu tief durchdrungen find, um die Wärme bei der Verfolgung ihrer 
Studien durd äußere Erfolge bedingen zu Laffen. 


Wer fi vor dem Geiſte diefer Studien wie vor einem 
Kevenant entſetzt, und zitternb der Meinung ift, er folle zum 
Proſelyten gemacht werben, ber laſſe ſich die Worte zu Herzen 
geben, die um fo unverdächtiger find, ba fie zu einer Zeit aus⸗ 
gefprochen wurden, als noch Niemand nöthig hatte, fich gegen 
den Vorwurf der Proſelytenmacherei zu vertheidigen: „Eine Ge⸗ 
finnung, welche den Geiſt des Altertbume auch unter uns wir 
kend wieder erblicken möchte, kann nicht getadelt werben. Wir 
erkennen eine über alles leuchtende Gewalt der Gegenwart, welcher 
die Vorzeit dienen fol. Wer diefe Beziehung auf das Keben 
teugnen wollte, der nähme die Belehrungen der Geſchichte hin⸗ 
weg und fegte die alten Gedichte wie cine unzugängliche Infel 
aufs Meer, wo die Sonne umfonft ihr Licht audbreitete und die 
Bögel ungehört fängen.” (Grimm, Einleitung zu ben „Altdeutfähen 
Wäldern”) Wenn man bie dargebotenen Leiſtungen felbft auch 
außer den Anfchlage Laffen wollte, fo hätte fchon der Geift biefer 
Stelle vor dem Vorwurfe behüren follen, als fit das Studium 
bes beutfchen Altertbums in Buchflabenweisheit ausgeartet. Es 
tft wahr, diefe Buchflabenweisheit kommt in der beutfchen Phis 
lologie vor, und man kann felbft zugeben, daß durch fie aud 
ein Zuwachs foldyer Weisheit in bie claſſiſchen Studien gefom: 
men; allein geleugnet werben muß es, baß biefe Selchrfamteit, 
die ſich um ß oder fi, um die Bedeutung von wan oder dgl, 
dreht, jemals fo zur Hauptſache erhoben worden fei, wie e6 
oft im Bereich der claffiichen Stubien gefchehen. Sie hat immer 
nur den befcheibenen Charakter eines Mittels zum Zweck anges 
ſprochen und ift immer nur einer von den vielen Pfeilern ges 
weien, welche die Brüde vom Ufer der völligen Ungerwißheit 
* dem ber völligen Sicherheit flügen. Wahr iſt es auch, dieſe 

tudien haben vom Anbeginn an immer das Kleine, Geringe, 
Scheinloſe nicht außer Acht gelaſſen; aber es geſchah nicht aus 
Luft an dieſen Kleinigkeiten allein, ſondern im Glauben, daß 
man das Ganze nur durch den Beſitz aller Einzelnheiten ſich 
aneignen, daß, um das große muſiviſche Gemaͤlde wiederher⸗ 
zuſtellen, zuvor alle einzeine Stifte und Stiftchen geſammeit 
fein muͤſſen. Jakob Grimm hat es ſich unter feine Verdienſte 
angerechnet, bie Eleinen ſcheinbar werthlofen Dinge, wie Volks: 
trabitionen, oder bie veradhteten, wie Rechtegebräuche und Bauern» 
rechte, hervorgezogen und in ihre @telle gerät zu haben. Gr 
ift getadelt worden, baß er die Kinde rmaͤrchen gefammelt habe. 
Aber auch in diefen bis zu den Kindern hinabgefunfenen und 
dort in ewiger Jugend fortiebenden Mythen ſteckt eingeſtaͤndiger⸗ 
maßen ein Reft des Altertbums Deutfchlands, und gerade ein 
Neft, deſſen man fonft nirgend habhaft werden Eonnte. Und 
wäre denn wirklich richtig, was Gervinus fagt, daß dieſe Ueber⸗ 
bieibfel, an deren vollerer Geſtalt ſich einft Beldenflämme erwärmt 
haben, jest für die Kinder ſeibſt zu fchlecht und ſchwaͤchlich feien, 
fo wäre auch der zweite Schritt nicht zu gewagt, das ganze 
Alterthum als etwas Feffeindes zu verbannen. In der That 
wird es freitich nie dahin kommen, fo Tange die ernſte Forſchung 
überhaupt nicht verbannt wird, und jegt iſt dazu weniger Aus⸗ 
ſicht ats jemals. Vielmehr finden wir, daß ſich den Begruͤndern 
der deutfchen Philologie eine Menge von Gelehrten, wenn auch 
nit alle gteihmäßig begabt find, mitforfchend anfchließt, deren 
Beitreben mehr oder minder fireng darauf gerichtet ift, unfer 
Altertyum in einem von den Worurtheilen, Srrthümern und 
Entftelungen fpäterer Jahrhunderte befreiten Bilde zu verans 
ſchaulichen Ihrem fleißigen Streben ift es denn auch gelungen, 
den Beweis zu führen, daß in unferm Alterthume, dem Zeitalter 
vor Karl dem Großen mehr noch ale in dem eigentlichen Mits 
tetalter,, eine ſchoͤne, reiche, biegfame Sprache geredet wurde; 
daß ſtarke, gefunde, fromme Bitten herrfchten, bie fo maͤchtig 


waren.wie fpäter kaum das gefchriebene Geſetz; daß ein kindlich 
heiterer Glaube an Gott, Bötter und göttliche Weſen bie deutfchen 
Stämme und die Familien wie den Einzelnen befeelte ; daß bie alte 
Zeit wol rauh und derb, nicht aber roh und verberbt gewefen. 

Der muͤhevolle und bornige Weg zum Erweis dieſer kur 
zen, aber lohnenden Reſultate ift durch eine Menge dee aus: 
gebehnteften lUnterfudungen und der gelehrteften Werte be: 
zeichnet. Den gelehrten Fuͤhrern ift faft unbewußt, ja faft 
wider Willen eine Anzahl von Dilettanten gefolgt, weldye ihrem 
Bergnügen nachzugehen glaubten und babei nicht felten eine 
Menge der brauchbarſten Materialien herbeitrugen, von beren 
Verwendung ihnen wol menig fund geworden. So wandert 
denn eine Fleine Legio von kleinen Zouriften Jahr aus Jahr ein 
durch Berg und Thal, freut fi in Thüringen über den friſchen 
Kiang einer uralten ewig jungen Sage, bordt dem berben 
Schiffer an den Rorblüften, wenn er den unverfieglichen Schatz 
feiner Wunderkunde gutgelaunt aufſchließt, oder laͤßt ſich in Schle⸗ 
ſien und wo es ſonſt fein mag, eine funkelnageineue hoͤchſt nuͤch⸗ 
terne Hiſtorie für eine ururalte hoͤchſt poetiſche Sage aufheften, 
traͤgt das Gehoͤrte gut oder uͤbel in ein topographiſches Werk, 
in einen Fuͤbrer fuͤr Harzreiſende, einen Reiſebegleiter durch die 
Saͤchſiſche Schweiz, oder laͤßt es als Sammlung von Sagen aus 
diefem und dem Laͤndchen von Stapel laufen. In ſolchen Wer⸗ 
ken ſteckt nicht fetten viel Gemachtes und Zufammengeträumtes, 
das von dem bedrudten Papier zumeilen in den lebendigen Volks⸗ 
mund übergeht und dann, troß feines innern Wahrbeitömangels, 
initunter, eben weil es im Diunde bes Volkes lebe, als echt 
und urfprünglich behauptet und vertheibigt wird. Soiche unter: 
geſchobene Städte in ihren Bloͤßen darzuftellen, ift gewiß fo ver: 
dienfttich als 'nothwendig; allein in den Widerlegungsperfuchen, 
wie gefcheben tft, fo weit zu gehen, daß man megen ber Uns 
echtheit eines Mythus alle übrigen als unecht erklärt, ift weder 
wiffenfchaftiih, noch gewiſſenhaft. Der Wilfenfhaft und ber 
Vernunft, die in derfelben regiert, kommt es zu, bie probehal⸗ 
tigen Körner von bee windigen Spreu zu ſcheiden, wie jene bi: 
plomatiſche Werke fie in Wermifhung bieten. Die Berfafler 
derfelben wuͤrden fich vieleicht gar fehr verwundern, wenn bie 
eine oder die andere ihrer Sagen, an denen fie fi wie Kinder 
an bunten Steinen, unbefannt“mit ihrem edjten Werthe, harm⸗ 
108 ergögten, über Jahr und Tag plöglic mitten in einem 
grundgelehrten Werke über deutſches Recht oder deutſche Mytho⸗ 
logie und vielleicht gar als nicht unwichtige Stuͤhe einer Hypo⸗ 
theſe von Bedeutung wieder gefunden würde. So fördern die 
armen Knappen ein Erz zu Tage, aus dem ihr Zürft fpäter 
vielleicht einen goldenen Stirnreif trägt. Dies unbewußte Dienen 
zu einem unbelannten Zweck hat etwas Rührendes , unb wir 
möchten um ®ieles nicht, daß fich dies ftille ‚felbftbegnügte 
Schaffen durch ein fpigiges Wort irren ließe. Wie thätig wer⸗ 
den in ganz Deutfchland.die Sagen gefammelt! Faſt kein Winter, 
der nicht in einem Buche oder Buͤchelchen ausgebeutet wäre, 
Eeine Provinz, die nicht ihr Gontingent geliefert hätte! Mir 
önnen nicht alle aufzählen, bie feit der eilenaher Sammlung 
erfchienen find, weder die verdienſtlichen noch die verdienſtloſen. 
Es find auch nur Wenige auf eine fo reichhaltige Ader geſtoßen 
wie Reuſch in feinen Sagen des Samlandes oder Börner in 
den Sagen aus dem Drlagau ; dagegen haben aber auch nur We: 
nige eine fo geſchmackloſe Faſſung gewählt wie der zulegt Genannte. 

Wir haben es hier fpeciel nur mit den beiden im Ein: 
gange genannten Sammlungen der Herren Temme und Dar: 
cy8 zu thun. Weide kommen aus Norbbeutfchland, aus Ges 
bieten, bie vom Meere befpült werben, beide geben die Gage 
einfach und ſchmucklos wieder, beide fchöpfen aus muͤndlicher 
und fchriftlicher Quelle, beide haben ihren Sammlungen Ein⸗ 
teitungen vorausgeſchickt, bie fi mit dem Weſen ber Sage be: 
fhäftigen. Nach Temme ift Volksſage Alles, was ſich das Wolf 
aus feinem eigenen Leben erzählt, und beſchraͤnkend wird hinzu⸗ 
gefuͤgt, daß ſich das Vol nur Das erzähle, was ihm bedeutungs⸗ 
voll ſei. Derlange man von der Sage, fir folle immer nur 
sounberbaren Inhalt haben, fo behaupte man dadurch zugleich, 


bas Bolt Halte nur bas Wunder für bebeutungsuol und Habe 
nur für dieſes Empfaͤnglichkeit. Auf diefe Worausfegung und 
bie Kichtigkeit der angegebenen Erklärung kommend, hat ſich 
dee Sammler verleiten laffen, unter feine Sagen eine Menge 
von Anekdoten, Volkswitzen und etymologifchen ‚Diengefpinnfken 
aufzunehmen, die etwa ben dritten Theil bes Bandes füllen, aber 
niemal® auf den Namen ber Sage Anſpruch machen können. 
Es ift richtig, die Sage braucht nicht immer wunderbaren In: 
halts zu fein, aber fie fann auch nie dem feften Boden ber 
Birklichkeit angehören; fo wenig eine Reimchronik ein Gedicht, 
ebenfo wenig iſt eine hiftorifche Auekdote eine Gage. Wollte 
man nur Das ald Gage gelten laflen, was das Bolt ſich aut 
feinem Leben erzählt, fo würde man einen großen Theil der 
Deldenfage, bie no im Wolke lebt, von dem fagenhaften Be 
reich ausfcheiden müffen und dürfte neben der fpärlichen Stamm: 
fage nur ein befchränftes Quantum von Orts: und Familien⸗ 
fagen gelten laffen. Nähere ſchon trifft bie Behauptung zun 
Ziel, daß die Sage im Wolfe bleibend fein müffe, wenngleich 
auch diefe Behauptung dadurch einen Theil ihres Gewichte ver: 
liert, daß manche Sagen im Volke ausgeſtorben find und nur 
noch in Buͤchern aufbewahrt werben. 

Anders finden wir es bei Harrys. Der Ginteitung zufolge 
will die Forſchung, zu welcher Sage und Märchen den Aula 
bieten, nicht mehr, wie früher verfucht worden, einen biſtori⸗ 
ſchen Anhaitspunft für das Einzelne auffpüren, fondern fie hat 
den Weg eingefchlagen, der das Wunder der Gefammthelt der 
Sagen zu enträtbfeln und auf die Zuftände hinzuführen geeignet 
ift, aus benen fie alle, wenn auch nidyt alle gleich unverfälſcht 
und unverfümmert hervorgegangen find. Was biefen überbleib⸗ 
fein des Altertbums zum Grunde liege, fei eben das Xiterthum 
felbft, der alte Glaube, das alte Recht, bie alte Sitte, und nit 
blo® das chriſtliche Alterthum des deutſchen Wolke, fondern ver: 
zugsweife und ber Regel nach ‚die heibnifche Vorzeit. Das if 
der Punkt, wo der Nagel getroffen wird. Nicht das eigentliche 
Wunder ift das Erbensprincip der Sage, fondern das Alterthum, 
bie heidniſche Vorzeit. Dadurch ift aleih aud ber 
Geſichtspunkt hinſichtlich derjenigen Sagen feſtgeſtellt, welche 
ſich an Begebenheiten der neuen und neueſten Tage heiten. 
Nicht der fpecielle Kal ift das Wichtige an Sagen diefer Art, 
fondern ber geiftige Äther, in dem fie ſchwimmen, das heidniſche 
Dogma, das hier zur Anwendung gebracht worden. „Ver bei 
Glaubens der Heiden am meiften bedurft hatte”, heißt es ine 
zug auf die Haupterzeuger und vorgüglichften Bewabrer der 
Mythen, „und nit im Stande war, Fr immer gleichmäßig auf 
der Höhe der hrifttichen Weltauffaffung zu erhalten, gleidwel 
aber täglich das Bebürfniß fühlte, höhere Mächte um fi wi 
über ſich zu wiffen, der mußte diefen Glauben am zäpeften feſ⸗ 
halten. Es ift bies der Eindtiche Theil des Volkes, fei er e 
in Eörperlichem Bezuge, die Jugend, ober im geifligen, der ge⸗ 
meine Mann.” Was er empfangen, vererbte er, und man bt: 
nugte die Überrefte beidnifcher Dogmen, um ſich durch Anwts 
dung derfelben mit Erfcheinungen abzufinden, die das taͤgliche 
Leben vorführte und die zu erfiären der fchlichte einfache Gin 
nicht ausreicht. So erklärt fi bie Kortbildung, das Umge 
flatten und Schaffen ber Sage, zugleih aber auch bie geheim 
nißvolle Scheu , welche beim Wolfe gefunden wird , wenn es bi 
Enthällung feiner Sagen und abergläubigen Sprüche gelten fol 
Mit feltfam tächelnder Miene lehnt der Bauer die zugemuthelt 
Erzaͤhlung ab. „Es ift doch Alles nicht wahr!“ fagt der Mund, 
bem Fremden gleihfam das Wort von der Lippe lauſchend 
während das Herz nur um fo feſter von ber völligen Wahrkeil 
überzeugt iſt. Diefe tiefe Scheu, der Bildung gegenüber lacher⸗ 
lich zu werben, treffen alle Sammler, und viele find mit OD. 
Temme in bemfelben Falle gewefen, nichts erbeutet zu haben, 
wo gewiß viel zu erbeuten war. Denn welche Gchäge bereir 
cher Sagen noch unter dem Landvolke ftedten, beweifen die vorhin 
genannten Börner’fhen Sagen aus dem Drlagau und bie darin 
mitgetbeilten Berhta : Sagen. 

(Der Beſchlus folgt.) 


Berantwortlider Derausgeder: DHeinrıh Brodbaud — Drud und Verlag von F. X. Brodbaus ın Leipiig. 


Blätter 


für | 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienſtag, 








[— 


Politiſche Literature der Gegenwart in Deutfchland. 
Bweiter Artikel. 
(Befälaf ans Nr. 68.) 

Bir wollen bier nit weiter dieſes Thema verfolgen 
und dern begeifterten Panegyrikus, den der Graf Gurowski 
auf Rußland anflimmt, feine motivirte Anklage Punkt 
für Punkte entgegenſetzen. Mur das Eine wollen wir be: 
merken — und der Hr. Verf. möge es und als eine That⸗ 
fache glauben — , daß man fehr wohl das Unmorafifche und 
das Wergebliche eines Glaubens und Wirkens für das 
alte Polen einfehen kann, ohne deshalb vermöge feines 
fittligen Gefühle und der gewonnenen tiefften Lebens; 
hberzeugungen irgend im Stande zu fein, als actives 
Mitgtied der ruffifchen Polltik zu arbeiten oder auch nur 
in Rußland duldend zu Leben. Es gibt eine gewiſſe 
fittliche Bildung — ber jegt ruſſiſche Graf mag fie eine 
falſche nennen -—, der es unmöglich iſt, mit dem ruſſi⸗ 
fen Spfteme zu fompatbifiren, und auch unter den Po⸗ 
ten wird diefer Bildungsgtad gewiß häufig genug ange: 
troffen. Es gibt gewiß unendlich viele Polen, die das 
Leiden Des Unterdrüctfeins tief fühlen, deshalb bdaffelbe 
aber dennoch keineswegs mit dem Gluͤcke bes Unterdruͤckens 
vertaufchen koͤrmen. Es gibt deren genug, die Die ganze 
Hoffnungblofigkeit ihrer Lage ebenfo lebhaft empfinden, 
a6 der Graf Gurowski fie ausmalt, und denen doch 
yermöge ihrer moralifhen Gonflitution ein Leben nnd 
Wirken in Rußland eine abſolute Unmoͤglichkeit if. Es 
gibt gar Bine, denen «6 z. B. eine Unmöglichkeit waͤre, 
einem polniſchen Deferteur oder Confpirateur felbft die 
Knuse geben zu laffen, oder aud nur ruhige Zuſchauer 
eines ſolchen Scaufpiels zu fein, wenn fie ſelbſt auch 
ne ſolche Eonfplratton nicht biligen. Herrn Grafen 
Gurowsti freilich wird das im Bewußefein der goͤttlichen 
Sendang Rußlands nicht ſchwer fallen. 

Der ehrwuͤrdige Kosciuszko hatte auch feine Befreiungs⸗ 
Hans für Polen laͤngſt aufgegeben; er lebte ſtill und 

it in der re an einen Eintritt in rufſiſchen 
natsdienſt, an eine Foͤrderung Deffen, was er während 
ſeines ganzen Lebens verabfcheut und bekaͤmpft hatte, bat 
er wos ſchwerlich je gedacht, und ſchwerlich würde ihn, 
wenn er noch lebte, die geiſtreiche Schrift des Grafen 
Surowoti dazu bh. : — 
Die Geſchicke der Menfchen Yoröte der Voͤlker find 






bienieden fehr verfchieden ; der eine fit beſtimmt zu fiegen, 
der andere zu unterliegen; ber eine zu handeln, der an: 


dere zu dulden und zu tragen. Wuͤrdig und dei ukb 


feiner ſelbſt getreu kann man aber bei jedem Schidfate 
bleiben. Es gibt auch eine moratifche Größe, die in der 


Reſignation befteht und die lieber entbehrt ats fich ſekbſt 
verunehtt. Keine Lage Mi fo ſchlimm, dab man in Um 
vecht willigen und wider Wortes Gebote thun müfle. Unb 
wenn fomit den Polen auch jegliche Zufunft, jeglicher An: 
ſpruch auf die Guͤter, die das Leben heiter und freuben: 
reich machen, jegliche Hoffnung auf gemeinnägige, ange: 
meſſene Thaͤtigkeit abfolut unmöglich waͤre, fo wurden fie 
in der Ertragung dieſes Loofes fi) doch noch würdiger 
geigen koͤnnen ais im Übergehen zu einer Sache, deren 
Zwecke weder noch Mittel mit ihrem Bewußtfeln harmo- 
nirte, felbſt wenn fie mit mehr als chrfflficher Liebe dad 
Vergangene gänzlich vergeffen wollten. Edel im Unglück 
iſt beſſer ats unedel im Glücke. 

So ganz ohne Hoffnung iſt die Sache ber Polen 
übrigen nicht. Das ‘alte, reine Polen iſt verloren für 
Imme. Es ſcheint fat, ats 0b fein einziger fläroficher 
Stamm die Fähtgkeit einer rein nationalen Entwickelung 
in Einklang mit cheiftlicher, moderner Cultur befeſſen 
babe, und als ob eine Regeneratton dur Amalgamation 
mit einem andern begabtern umd gebfidetern Volksthume 
bie fe&te Rettung und Verföhnung für alle fein moͤchte. 
Rußland kann man nithe als Ausnahme anführen, denn 
abgefehen davon, daß die zeitherige Entwidelung diefes 
Reiches tm inne wahrer Chriſtlichkeit, wahrer Freiheit 
und mahrer Bildung noch mehr als problemartfch fetk 
möchte, kann man die dortige Ausbildung auf keine Weiſe 
eine nationale, eine flawifche oder ruffifche nennen. Peter 
der Große hat die organifdhen Keime einer nationalen 
Entwidelung auf lange Zeit, wenn nicht für immer, abs 
getödtet und an deren Stelle einzelne Treibhaus⸗ 
pflanzen der bamaligen europaͤiſchen dußern Cultut ges 
feet. Was fi) in Rußland noch Mationales erhalten 
bet, das iſt nur der zähe Überreſt eines alten Lebens, 
gegen den jener ausländifche Regierungsmechanismus fett 
anderthalg Jahrhunderten ankaͤmpft. Won einer wirkli⸗ 
Gen Entfaltung der ſlawiſchen Nationalität kann umter 


| Rußland ſeit Peter dem Großen am allerwenigſten bie 


Rede fein; im Gegentheit kann man Rußland ale den 


fehheften, wenn auch verfehlten Verſuch betrachten, bie 
flawifche Nationalität durch die Gulturergebniffe vorge: 
ſchrittener Völker zu befruchten, während Polen im Ge: 
_ gentheile den vergeblihen Verſuch darſtellt, die flawifche 

Nationalität vein aus ſich felb zu entwideln. Der 
Panſlawismus unter ruſſiſchem Gcepter iſt daher eine 
ee, mit der ſich die edlern und gebildetern Individuen 
der verfchiedenen flamifhen Stämme unmoͤglich befreun⸗ 
den innen; das Slawenthum foll veredelt, nicht erniedrigt 
werden. Die blos Außerliche Vereinigung aller ehemali⸗ 
gen Stawen unter einem Scepter iſt wahrlid noch kein 
Sortfcheitt und Feine Erlöfung, wenn nicht zugleich ein 
inneres 2ebensprincip, ein tieferer Seelengehalt und eine 
den moralifchen Anfoderungen der Beſſern entſprechende 
Grundlage gewonnen iſt. 

Und bier fcheint allerdings das heutige Deutfchland 
den Polen Das zu bieten, was fie von Rußiand ver: 
geben erwarten; die Vortheile einer wahren Cultur und 
einer reinern, fittlichern Lebensanficht in Verein mit moͤg⸗ 
tichfter Beruͤckſichtigung und Schonung ihrer Nationalität. 
Bei welchem Syſteme die Polen am beiten fahren, bei 
dem preußifchen und oͤſtreichiſchen, oder bei dem ruſſi⸗ 
ſchen, das liegt ſchon jegt ziemlich Bar zu Tage. Be: 
fonder® aber eröffnet fih für die Polen feit dem Regie: 
rungsantritte des jetzigen Königs von Preußen eine nod) 
freundlichere Zukunft, der in biefer Angelegenheit ebenfo 
wie in der Larholifhen Sache ſich als durchaus weile, 
groß und frei gezeigt hat. Das frühere preußifche Syſtem 
ging mehr auf ein gewaltfames Germaniſiren der Polen 
aus als auf eine Bereicherung der flawifchen Nationalis 
tät durch deutſche Bildung auf möglichfl freie Weife, und 
diefe legtere Maxime ift jedenfalls ehrenvoller für die Po: 
len und in ihren allmäligen Wirkungen nachhaltiger wie 
die frühere. In diefem Augenblide flehen ſich übrigens 
die beiden Spfteme, durch welche man Polen zu cultivis 
zen fucht, das ruſſiſche und das preußifche, ziemlich 
ſchnurſtracks entgegen, und es iſt faft nicht denkbar, daß 
zwei fo verfchiedene Principe nicht über kurz oder lang 
in fehr ernſthafte Colliſion gerathen follten. Dasienige, 
dem es zuerft gelingt, die Polen glüdlich, frei und gebils 
det zu machen, verdient jedenfalls nicht allein moraliſch 
den Vorzug, fondern es verdient auch, es iſt verpflichtet, 
über ganz Polen zu herrſchen. ‚Dann, Site”, wie Mar⸗ 
quis Poſa fügt, „if es Ihre Pflihe, ganz Polen zu 
erobern. ° F. von Florencourt. 





Deutfhe Sagen. 
(Beſchluß aus Nr. 58.) 

Gehen wir in das Einzelne ein. Temme bat feine Sagen, 

mit Ausnahme einiger Städe, die ihm während des Drucks zu⸗ 
gen, forgfam nad; der Verwandtſchaft des Inhalts georbnet. 
bmen wir Alles ald Sage an, was im Buche enthalten ifl, 
fo ftehen die gefchichtlichen des Volkes und Landes voran. Unter 
diefen, meiftens nach der Chronologie aufgeftellten,, find die auf 
bie Bekehrungsgeſchichte Pommerns und Ruͤgens bezüglichen 
wieber befonders gruppirt. Dann folgen die. Sagen aus eins 
zelnen Geſchlechtern des Landes, darauf diejenigen, welche bad 
zeligiöfe Leben ber Proving betreffen, unter benen, namentlich 


aus ber NReformetionszeit viele mälfige, unfagenhafte Geſchicht⸗ 
chen vortommen. Ron den Localfagen, deren Anzahl überwiegt, 
möäflen wir entſchieden die armfeligen Etymologien von Eigen⸗ 
namen des Städte, Dörfer u. ſ. w. misbilligen. Wer hält bad 
für eine Sage, wenn ber Name Demmins bavon berfommen 
ſoll, daß einige Prinzsffinnen in Bezug auf ein neu exhautes 
Schloß gefagt: Dat hus ist din und min, woraus Dinmik, 
und ſodann Demmin geworben fti! (Ar. 181.) Oder: Ein Fürk 
von der Infel Wollin babe die Bewohner Ufeboms bekriegt, 
ihnen dann Frieden angeboten und, als fie ledtern abgelehnt, 
ausgerufen: D fo dumm! bavon habe denn die Infel den Ramen 
Dfobumm, nachgehenbs Ufebom erhalten) Unb ſolche Ofodummer 
Geſchichten nimmt fogar die Pommerſche Geſellſchaft für Ge⸗ 
fhichte in ihre Acten auf! (8. 171.) Solche Etgmologien er⸗ 
zaͤhlt fih das Wolf allerdings und es werben wenige Dexter 
in Deutfchland fein, die nicht Aehnliches aufzuweiſen hätten, 
aber werben Albernheiten dadurch zur Sage, daß man fie fage 
und fagen hört? Schön find die Traditionen über derſunkene 
Derter, die Sagen, die fi an See, Steine und Berge knuͤpfen, 
die Riefen, Zwerge, Unterirdifche, Zauberer und bergleichen 
Gegenftande haben. Wir könnten hier der Wiſſenſchaft der 
mologie einen Dienſt teiften, indem wir das bier aus Pommern 
zufammengebracdhte Material nach Faͤchern orbneten; allein wir 
befgränfen uns | eine 3ufammenftelung Deffen, mas über 
bie Unterirbifchen gefammelt iſt, und verweifen zur Vergleichung 
auf die treffliche Einleitung, weiche die Gebräder Grimm ibren 
„Zrifchen Eifenmärchen” (Leipzig 1826) vorgefegt haben. Aus 
den Sagen bes Hrnu. Harrys fügen wir das hierher Gehörende 
in Ktammern bei. 

Man nennt dieſe Eifen (ahd. alp, frang. aube, angelf. Alf, 
nordifch Alfr) gewöhniid Zwerge, Nr. 216, 221 (I, 5 und oft), 
Unterirdifche, 218, 219, oder Uellertens, 317. Sie führen unter 
ſich feltfame Namen, wie Doppeltürt, 216 (Holzrährlein, Bonner 
führtein, I, 5), melde ben Menfdyen unbelannt find. Trifft es 
fi aber, daß die Menichen biefe forgfam geheim gehaltenen 
Namen erfahren, fo verfchwinden die Zwerge und Iaffen ſich 
nicht wieder blicten, 216. (1, 5. Doch hat man den Namen de3 
barzifhen Zwergkoͤnigs Gauͤbich erfahren, ohne daß der Awerg 
ſich zurüdgezogen, Il, 28) Es gibt verichiedene Arten vom 
Zwergen, man kennt Männer und Weiber, Kinder und alte 
Leute. Auf Rügen gibt es weiße, braune und ſchwarze, 221. 
Die meiften Eänder, bie fie einft bewohnten, find fpäter von 
ihnen verlaflen ; fie wandern gewoͤhntich des Nachts aus und immer 
über Wlüffe von Abend nad) Morgen (über eine Brüde gegen 
Dften, II, 30, bei Offenfen über bie Aller, , 8). In Pommern 
baben fie bei Iarmen an der Peene ihren Weg genommen, 216. 
Seitdem fieht man nichts mebt von ihnen. Sie find Elein und 
nicht ſchoͤn, 216 (ungeftaltet I, 5), den Menfchen erfcheinen fie 
häufig als Froͤſche und häßliches Ungeziefer, 216, 219, mitunter 
auch als Fleine blanke Würmer, 324. (Die harziſchen find kleine 


| Männlein mit eiögrauen WBärten, einige jung, anbere alt und 


rauh von Haar wie ein Bär, mit ihnen leben kleine Frauen, II, 
21.) Sie Beiden ſich in Kittel, 219, die fie mit filbernen Guͤr⸗ 
tein, 225, und filbernen Spängtein zufammenhalten, 223, tragen 
eine Muͤtchen, 221 (Hüte I, 8. Nebellappen I, 5), auf benen 
ein filbernes Gloͤckchen küngt, 223. An den Bäßen haben fig 
gläferne Schuhe, 222. Ipre Mohnung liegt unter ber Erbe, 
gewöhnlich wohnen fie in Bergen, 221 (I, 5. 6), body 

unter den Behaufungen der Menſchen, 20. Man fleigt 
ihnen 
Die Gingänge find nicht felten in den Haͤuſern bes 
Menſchen und dann an ſchmuzigen unveinen Orten, wie untse 
dem Soffenftein und ber Zranktonne, 216, ober im Kubfial, 220. 
Ihre Gemaͤcher find überaus geräumig und. prächtig, (11, 21 
mit Gold und Gilber und edeln Steinen verziert, 21 
Sie reden und verflchen die Sprache der Menfdyen. Bon ih⸗ 
zen Nahrungsmitteln wird nur feines Brot, 217 (Exbe 
beeren und Himbeeren, II, 21), erwähnt. Sie teben in arce 
pen Geſellſchaften, tanzen, ſpielen und ſchmauſen, 217, 


langen Zreppen, 216, 219 (ober auf Leitern it, 30) 
nieder. 





- 


wor Mer eber Tichen 2 MuRt, 317; DH (IN, 21), u 


4, eu) find fe 
machen eiferne Pflüge, die ein Hund zieben fann, 724, ver: 
leipen den Menſchen übernatürliche —— wie die Kunſt, 


1 
* 


ter deren Beruͤhrung "das Vieh fruͤher feift wird und reichere 


voller Zug und Schalk⸗ 
en ni ie El 
Menfdyen. ol : in der Regel find fie i en Hugen 
nfichtsar (I, 8; II, 30), doch vermögen fie menſchliche Ges 
kalt anzunehmen und ericyeinen bald als reifende Kaufleute, 
323, bald wie alte Mütterhen, 223. Xu wenn man 
fie in ihrer Berwanblung als Ungeziefer anfaßt, legen fie 
die angenommene Hülle ab und erſcheinen in ihrer wahren Ge⸗ 

‚ 224. Außerdem werten fie fihtbar, wenn man ihnen 
die Rebellappe abſchlaͤgt (I, 5), oder wenn einer von ihnen 
einen Menfchen feine Zwergmuͤte auflegt (I, 8). Die weißen 
und braunen, d. i. die gutgefinnten Zwerge helfen den Den: 
ſchen, 216, und gehen ihnen bei ihrer Arbeit an bie Dand, 
218. Sie koͤnnen aber nicht vertragen, daß man fich ges 
gen fie dankbar erweift; denn wenn man ihnen eine Gabe für 
ihre Beihuͤlfe verabreicht, fo nehmen fie dieſelbe jwar an, aber 
fagen: „Du haft mich nun abgelohnt, nun iſt es mir ber 
Arbeit aus!” und kommen dann nidht wieder, 218. (Vergl. 
die von Franz Baader mitgetheilte Sage: „Das Seemänntein“, 
aus der Gegend von Rippoibsau in Mone’s Anzeiger”, 1837, 
175, wo das Gesmänniein auch den Rod annimmt, aber 
fagt: „Wenn man ausbezahlt wird, muß man gehen; ich komme 
ven morgen an nicht mehr zu euch.“) Sie ftehen außerbem in 
mannichfa Berkehr mit den Menſchen. Sie verleihen an 
dieſelben ihre Hausgeraͤth, wie meſſingene und kupferne Keſſel, 
eherne Köpfe, zinnene Schuͤſſeln und Zeller, Tiſch⸗ und Küchen: 
geſchirr (TI, 3), fie leihen den menfchlichen Rachbarn fogar 
segetmäßig eine Braupfanne (I, 6). Man fendet ein Kind 
ober einen Dienftboten an den Eingang ihrer Höhlen und laͤßt 
um die gewünfchten Gegenflände bitten (I, 6); bald hernach 
(5, 30) ober am andern Morgen (I, 6) fteht das Seraͤth 
vor dem Berge. Nach dem Gebraudye ftellen die Menfchen es 
wärber dahin, wo fie es gefunden, und fegen ein Krüglein Bier 
oder ein wenig Gpeife dabei (I, 6, II, MM). Wenn fie 
tann von böfen Buben (I, 9) beieibigt werden, fo nebs 
men fie Rade an den Menſchen, ſchläpfen in die Keller, 
teinten dort bas Bier aus u. ſ. w. (I, 6). Gie felbft leihen 


Cie dürfen nicht zu jeder Seit auf der Erde crfcheinen, 222, 
223. (König PATER kommt alle hundert Jahre nur einmal 
auf die Dberweit, 11, 1.) Mitunter bringen fie in die Keller 
der Menſchen unb hatten dort nächtiicke Tanzfeſte; von Mens 


ſchen uͤberracht, verfänoinden fie al&bald, aber ohne Born und 
dur ein Geſchenk noch ihre Dankbarkeit ausdruͤckend. Itdiſches 
Kerzenticht Tonnen fie wicht leiden, 217. Großes Gefallen 
haben fie an Hübfchen Kindern der Menſchen, die fie beshalb 
bäufig aus der Wiege flehlen und durch Wechſelkinder erſehen, 
216. (U, 3) Wenn aber das Kraut Drant in der 
Wiege Liegt, fo haben fie keine Gewalt über den Säugling, 
ebenjo, wenn bie Mutter ihr Kind anfaßt (I, 6). Die ge- 
ſtohlenen Kinder nehmen fie mit ſich und halten fie in Dienfl- 
barkeit. Aue SO Jahre müffen fie Alles herausgeben, was fie 
geraubt haben, und diefe SO Jahre haben keinen andern Gin- 
find auf die Geraubten als 20 auf ber Erde vertebte, MI. 
Es kommt auch vor, daß ſich ein Unterirdiſcher in ein huͤbſches 
Mädchen verliebt und fie zur Ehe fobert, 216. (I, 5. Eine 
ähnliche. Mythe wie die bei Temme aus Breifswalb und bei 
Harrys aus der Umgegend von Böttingen erzählten Sagen kommt 
ats Märchen in den „KRindermärchen” der Brüder Grimm vor: 
vierte Ausgabe, 1, ©. 333, doch mit dem Unterfchiede, daß 
hier ber Zwerg nicht ein Mäbchen heirathen, fondern ein erft- 
geborenes Kind haben will. Gr verfchwinder wie bei Temme 
und Harrys als die Mutter feinen Namen: „Rumpeiftitzchen”, 
ausfprit.) Die Wenfchen werden diefer Gefchöpfe auf man— 
eriei Weile babbaft. Wenn ein Zwerg fidy an einen beiligen 
Gegenftand, ein Kreuz, ober fonft ein Geweihtes zu nahe hin 
wagt, fo bleibt er daran haften und kann ergriffen werden, 
224. Wenn man zu einer Gtelle im Wald hinſchleicht, 
wo die Zwerge um Mitternacht ihre Taͤnze halten, und dann 
eine Hand voll Hagel nach ihnen auswirft und dabei ruft: „Im 
Ramen Gottes, Satan, weiche won mir!’ fo müffen die Zwerge 
das von ihren Sachen im Stich laffen, was man auch nur mit 
einem Kom getroffen bat, 225. Naͤchſt dem Verluft ihrer 
Müge feibft, oder ihrer Schuhe, Haben bie Zwerge Feinen fchlim: 
mern Bertuft als den des Glödeins, fo fie an der Muͤte tras 
gen, und des Gpängleins an ihrem Gürtel. &ie können nach 
ſolchem WBertufte nicht eher ſchlafen, als bis fie das Berlorene 
wieder berbeigefchafft haben, 223, und namentlich muͤffen 
fie nach dem Veriuſte eines Schuhe den Fuß fo lange blos tras 
gen, bis fie den Schub wieder erlangt haben, 222. Dem 
irdiſchen Beſitzer eines foldhen Stuͤcks muß der unterirdifche 
Eigenthuͤmer dienſtbart fein und mancher Menſch hat auf diefe 
Deiſe Schon fein Gluͤck gemacht (vergl. E. M. Arndt, „Märs 
den und Jugenderinnerungen”, S. 157 — 229). Denn Derie: 
nige, dem es giäckt, ein ſolches Cigenthum der Zwerge in feine 
Gewalt zu befommen, verſteht feinen Vortheil gut genug, um 
daſſelbe nur gegen ein annehmliches Verſprechen herauszugeben, 
und was die Unterichifchen einmal verſprochen haben, das müf: 
fen fie unverbruͤchtich halten, felbft die im Übrigen fo bötartigen 
Tdwargen Zwerge, 224. Cie übervortheilen die Menfden 
zuweilen in Liftigee Weife (I, 8), geben ihnen bagegen aber 
auch ungemeflen Gaben und fegen 3. B. Feine Gelbmünzen 
fhüffelmeis vor ihre Höhlen (I, 9). Die ſchwarzen Zwerge 
find den Wenfchen feindſelig gefinnt, 225, wenngleich in 
den vorliegenden Zrabitionen hierzu wenig Belege vorfommen. 
Überhaupt ift der dogmatifche Kreis des deutſchen Alterthums in 
Bezug auf biefe Zwerge durch die vorliegenden Gagen weder 
voll noch rein repräfentiet. Es gibt namentlich in ben Gegen⸗ 
den Riederſachſens noch eine Reihe von Smergfagen, die bis in 
bie neueften Zeiten berabreichen und den zähen Blauben des 
Volke an eine allgemeine Durchgeiſtung der Natur offenbaren. 
In den Sagen, bie Hr. Harrys gefammelt, kommt (1, 47) 
die Tradition vor, daß zu gewiſſen Zeiten ein wilder Stier aus 
seinem in ber Haide gelegenen Sumpfloche bervorfteige und fich 
mit den Küben ber Deerde begatte, auch daß er fi) mit dem 
Stier der irdifchen Heerde meffe und ihm an Kräften uͤberlegen 
fi. Das ift gewiß eine fo deutliche Erwähnung des Gifftiers,. 
wie fie Deutfdjland nur immer bieten mag. Wollten wir bie 
Traditionen über Zwerge ober Etfen zufammenftellen, die in den 
neuerdings herausgelommenen Sammelmerfen enthaiten find, fo 
würden wir ein Buch fchreiben muͤſſen; es war une bier nur 


darum zu than, an einem Meifpiele aus zwei Büchern nachzu⸗ 
seien, wie reich und voll bie Ader ſtroͤme 
Geben wir jest noch mit einigen Worten auf Die beiben 
Hefte nieberfähftfcger Sagen ein. Das Material ik hier kaum 
ym vierten Theile verbffentlicht und eine Menge ber Tchönften 
Sagen ift noch zuruͤck. Won der fo ergiebigen Yürftenfage, van 
ben ſchoͤnen faͤchſiſchen Stammfagen, von den Rorbfeefagen fin: 
den wir noch nichts, und es wäre zu wuͤnſchen, daß die aͤußern 
Sinberniffe, die ber Fortfezung bes Werks unguͤnſtig geweſen, 
Sönnten gehoben werben. Gin wahrer unb koͤſtiicher Fund find 
die oberharziſchen Sagen von denen man hisher wenig wußte. 
Der eigenthuͤmliche keſchlag der oberbarziichen WBergieute, 
die wie auf einer unbelannten Infel auf ihrem Berge und in 
gm Bergftädten leben, von allen Ummwohnenden durch Sprache, 
itte und fetbft durch Körperbau merklich geichieben, verleugnet 
ſich aud hier in den Sagen nicht. Des merfwärbigen Zwerg: 
koͤnige Guͤbich ift ſchon vorhin gedacht worben; eine gleich merk⸗ 
wuͤrdige Erſcheinung ift der Bergmänd (II, 2), ber wieder 
mit bem fübernen Mann (II, 4) zufammenhängt und vielleicht 
auf die Enträthfelung des noch unerliärten und in den Sagen 
nicht vorkommenden wilden Mannes führt. Diefe auf den braun» 
ſchweig⸗ lüneburgifchen Münzen des 16. und 17. Jahrhunderts 
vielfad allein und in Verbindung mit antern Figuren vorkom⸗ 
mende Geftalt fcheint dem Bergbau eigenthuͤmlich anzugehören ; 
um fo feitfamer ift es, daß die Zrabition nichts barüser zu bes 
sichten bat. Unter bie Sagen bes zweiten Heftes iſt aus Beh: 
rens' „Curioſem Harzıwald” ein Quibproquo gerathen. Nicht vom 
Radelöpr beim Kiofer Zlfeld (IL, 37) geht die Gage, daß ein 
Rieſe diefen Zelfen aus dem Schuh geworfen, fondern von einem 
im Thale höher hinauf Legenden freien Steinblod. Die uͤbri⸗ 
gen Notigen hinſichtlich des Durchkriechens biefes Nadeloͤhrs haͤt⸗ 
ten, der Vollſtaͤndigkeit ohne Schaden, ausgefchieben werden 
dürfen; fie find nichts als Hirngeſpinnſte der nahe gelegenen 
Fabrik fchauerlicher Ritterromene und nehmen fi) in bem ſchoͤ⸗ 
nen Krange blühender Sagen, bie in biefem zweiten ‚Hefte ents 
halten find, wie eine gemachte Blume unter natürlidhen aus. 
Werfen wir einen vergleichenden Blick auf beide Sammlun⸗ 
gen, fo gebührt Nr. 1 das Lob fleißigen Sammelns und ziem: 
licher Vollſtaͤndigkeit. Wir entfinnen uns indeß einiger Sagen 
über pommerfche Prinzeffinnen, bie fo merkwürdig als berb und 
zur Bezeichnung bes alten Haſſes gegen bie Slawen nicht uns 
wichtig find, in der Sammlung aber nicht gefunden werden. 


Auch einige Sagen, bie Ferrand im 3. 1834 im „Freimuͤthi⸗ 


Er publicirte, find überfeben worden Außerdem hat ber 
ammler, wie ſchon bemerft, nicht überall bie gehörige Kritik 
angewendet und fick namentlich durch ben infipiben Micraͤlius 
verleiten laſſen, Manches aus Büchern aufzunehmen, was nicht 
eufgenonmen werben mußte. ‚Din und wieder tft der Stil nicht 
in Weife, wie er fih für den Vortrag ber Sage ſchickt. 
Die unzeitigen Zweifel, die in dem häufig wiederkehrenden ſoll 
liegen (3. B. 234, 235: Es folt auf folgende Weiſe 
entftanden fein), darf ein Gagenerzähler nicht bilden laſſen. 
Wir wiffen ja ohnebies, daß er nicht an bie Wahrheit feiner 
Erzaͤhlung glaubt, aber er foll fo ſprechen, als glaube er daran. 
Dr. Zemme hat feinen Stoff gut und zweckmaͤßig geordnet, 
wenn man die Anorbnung mit dem allgemeinen Maßftabe mißt, 
da er aber feltfamermeife ſich ſtreng innerhalb der heutigen 
Grenzen Pommerne hält, fo bätte er feine Stoffe folgerecht 
auch nach den einzelnen Bezirken und darin wieder nach den 
einpelnen Hrtern aufftellen müffen. Die Sammlung enthält 
199 aus gedrucdten Quellen entnommene, 11 aus dem Volks⸗ 
munde erweiterte und 73 münblid überlieferte Stüde. Die 
Sammlung unter Nr. 2 gibt von 95 Nummern 62 aus muͤnd⸗ 
her Zradition und 33 zum Theil nach mündlidyer, zum Theil 
nad gedruckter Mittheilung. Die Quellen haben beide Samm: 
ler angegeben. Hrn. Harrye' Buch iſt extenfiv und auch inten⸗ 
fo, weit unvollftändig, hinter dem bes Hrn. Temme; dagegen 
verräth es aber einen ficherern Takt und genauere Kenutniß des 
Standpunkte der Sagenlitsratur. Es gift den Stoff ziemlich 


ungeorbuet und verfpricht, dieſem übelſtande ſpuͤter burih zwec 
mäßige Segifier abzubetſen. Der Stil iſt der rechte mb wahre, 
beiebt genug, um zu feſſeln, und ſorgſam Alles vernwibend, was 
bie Illuſton beeintraͤchtigt. Beide Werke haben wom Stamd⸗ 
punfte der Miffenfchaft wie bed Bergugens ein nicht unbeben⸗ 
tendes Intereſſe. K. Wbpeke. 


Wiblisgraphte. 
Difteti, M, iheriſcher Bilderka 
en Gr ne Du du 





1843 . 7% Nor 
Belt, P., Offenes Troſt⸗ und Vercheid ſchreiben an 
RK. J. W. Wander, nach veſung zweier ae mn Bros 


fhüre: Die Bott 18 Ota * D. Bimat. 
Ihre, | a —* fanıie a ateanſtait. Leipzig, D. Wiganb 


Grothuß, D. Freih., Lyriſche Gedicht. Ate new georbs 
nete und vermehrte Ausgabe. Berlin, Logier. 8. I hir. 

Heiberg, Das Prineip der Nichtintervention in feiner 
Beziehung auf bie innere und dufew Orgumifation des Gtaats. 
gine publiciſtiſche Grörterung. Leipzig, D. Wigand. Gr. B. 

gr. 

Hengſtenberg, ©. W., Commentar über bie Pſalmen. 
Ifter Band. Berlin, OQehmigke. Gr. 8. 1 Thir. PM Nor. 

Herbart's, J. F., kleinere philosephische Schriften und 
Abhandlungen nebst dessen wissenschaftlichem Nachlasse. 
Herausgegeben von €. Hartenstein. 2ter Band. Leipeig, 
Brockhaus. Gr. 8. 3 Thlr. 15 Ner. 

&. Herweab und bie litenerifche Zeitung. 4, D. 
Wigand. Er. 8. 8 Nor. deipzis 

Hoͤpfner, L., Der Rachdruck iſt nicht rechtewidrig. Eine 
wiſſenſchaftliche Eroͤrterung, begleitet von einigen Bemerkungen 
zu dem beigefügten, den verfammelten Staͤnden bed Koͤnigrricht 
Sadıfen am 21. Nov. 1842 vorgelegten Gefegentwurfe, ben 
Schu der echte an literariſchen Grgeugniffen und Werfen wer 
Kunſt betreffend. Grimma, Berlagss@omptoir. Ger. 8. 20 Wer. 

Keck, F., Daß Leben und Wirken Albrecht's V. bes Groß⸗ 
mütbigen, Herzogs von Baiern. Münden, Palm. 8. 7, Rer. 

Lütkemüller, 1. P. W., Allgemeinheit der Kirche 
und deutsche Landeskirche, Bechtfertigung über diese 
Punkte gegen eine gewisse Theolegie in der Berliner erem- 
gelischen Kirchenzeitung. Leipzig, C. H. Reclam sen. 
Gr. 8. 10 Neger. 

ODelckers, Th., Populaive Geſchichte bes beutichen Bauern: 
frieged im Jahre 1525. Mit I Abbildung. Leipzig, Sebe 
Reichenbach. 8, 15 Rear. 

Raumer, 3%. v., Rebe zur Gedaͤchtnißfeier König Frich⸗ 
rich's 1II., gehalten am 26. Januar 1843 in der ?nigeich 
preußifchen Akademie der Wiffenfchaften. Leipzig, Brodpams. 
Gr. 12. 6 Rgr. 

ReihiinsMeldegg, K.UX v., Die Autolatrie ober Seibſt⸗ 
anbetung, ein Geheimniß ber Jungs Hegel’fchen Philsfophie. 
——ã ⸗ —— — — 37 eines offenen Fe 

reibens an Herrn 8. Feuerbach. Pforzheim, Dennig, Yind 
und Gomp. Gr. 8. — 2 ” * J 
’ engen! Graf an —— Bortrag. _ über: 
egt von 3. v. Orosz. Preßburg, Ba. Br. 8. Nor. 

— Übersetzt 


f — ber ungari Akademie.. 
und mit Anmerkungen begleitet ven Sincerus. Leipzi 
Köhler. Gr. 8. 15 Ner. | PS 


Thaten Bitterlide Goͤt von Berlichingen's mit ber eifer 
nen Hand. Reuerlich aus den verglicdhenen Handſchriften gezo— 
gen und lesbar gemacht von M. Geffert. Pferzheim, Den- 
nig, Kind und Comp. 8. 1 Thlr. 

Binet, &. über bie Freiheit des religiöfen Gultus. Eine 
getrönte Preisfchrift. Aus dem Franzoͤſiſchen von Bolkmann. 
Eeipzig, Barth. Br. 8. 1 Ihr. TI, Nor. 

Wiggers, I., Der. Gegenfag bes kirchlichen und des rein: 
biblifchen Supernaturalismus. Gin oeites Wort sum Schut 
bes erften. Leipzig, Rein. Ge. 8. I1Y, Near. 


Verantwortlider Deraudgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Mittwod, 


A Nr. 60. — 


1. März 1843. 





Zur Nachricht. 
Bon diefer Zeitfchrift erfcheint außer den Beilagen täglich eine Nummer und ift der Preid für den Jahrgang 
12 Thlr. Ale Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Beftellung darauf an; ebenfo alle Poftänter, 
die fih an die koͤnigl. fächlifche Zeitungserpebition in Leipzig ober bad koͤnigl. preußifche Grenzpoflamt in 
Halle wenden. Die Verſendung findet in Wochenlieferungen und in Monatöheften ftatt. 





Der göttinger Dichterbund. Zur Gefchichte der deut⸗ 
ſchen Literatur. Von R. €. Prutz. Leipzig, OD. 
Wigand. 1841. Gr. 8. 2 Thlr. 


As der zuerſt 1765 in Paris erfhienene „Almanac 


‚des Muses“‘, von dem die gefammte Literatur der Mus 


ſenalmanache iſt eröffnet worden, in Deutfchland ſowol ale 
in Frankreich großen Beifall gefunden hatte, hielt fih in 
Göttingen der 1744 zu Meldorf in Schleswig geborene 
Heinrich Chriſtian Boie auf, bei dort fludirenden jungen 
Eingländern die Stelle eines akademiſchen Hofmeiſters de: 
kleidend und Literarifchen Beichäftigungen obliegend , die, 
einer „befcheidenen belleteiltifchen Neigung” entſproſſen, fid) 
beſonders liberfegungen ausländifcher ſchoͤner Literatur zu: 
wendeten, die auf der reich ausgeftatteten Bibliothek der 
Univerfität in größtem Umfange zugänglid war. 


Gr war eine jener bilettantenhaften Naturen, wie Zeiten 
einer großen Entwidelung, einer lebendigen und allverbreiteten 
Production in Literatur und Kunft fie bervorgubringen pflegen, 
dabei aber von norbdeutfcher Kritit und nüchterner Beſonnen⸗ 
heit, zugleich von ber feften, gebiegenen Züchtigkeit des Charak⸗ 
ters, weiche den Söhnen feines Deimatlandes gleihfam angebo: 
ren wird. Auf fein eigenes poetifches Talent, das er in feltes 
nen und Heinen, weniger aus dem Innern quillenben, als von 
außen, beſonders durch eine ausgebreitete Lecture fremder Eites 
raturen, angeregten Verſuchen übte, legte er nur einen mäßigen 
Werth; mit Gifer dagegen pflegte er ſchriftſtelleriſche Sekannt⸗ 
ſhaften, fuchte jüngere und bedeutendere Talente neidlos, in 
(höner Yreude an ihrem Gedeihen, an fid) heranzuziehen, führte 
vemgemäß einen ausgebreiteten literariſchen Briefwechſel und 
hatte, al ein praktiſcher und erprobter Mann, auch mit Bud): 
händlern allerhand Verbindungen, burch weiche er wieder jenen 
jüngern $reunden nuͤtzlich zu werben fidh bemühte. Dabei hatte 
feine frühe Bekanntſchaft mit den fremden Literaturen feinen 
GSeſchmack nicht nur gebildet und gefhärft, ſondern demfelben 
auch eine Art’von Univerfalität gegeben, bie fi gern und wils 
lig auch abweichende Richtungen gefallen ließ und aus jeder ber 
Schulen und Parteien, in welde der beutiche Parnaß berrits 
zerfiel, das Gute und Eobenswürbige zu Genuß und Grmunte: 
rung mit Liebevollem Fleiß hervorſuchte. Unter feinen Verbin⸗ 
dungen war bie mit Gotter, der zu berfelben Zeit feine Studien 


gleichfalls in Göttingen begonnen hatte, die frühefte und zus 
naͤchſt feuchtbarfte. 

Gorter, ſchon im ätterlichen Hauſe in einer feinen und zier⸗ 
lihen Umgebung aufgewachſen und der diplomatifchen Laufbahn 
beftimmt, hatte fich, bei einem leichten und anmuthigen Zalent, 
das ihn befonders ſprachlich fehr begünftigte, an ben franzoͤſi⸗ 
fen Geſchmack angefchloffen und fon im erften Juͤnglings⸗ 
alter einige Gedichte veröffentlicht, bie trog ihrer Fcangöfifejen 
Stätte und trotz der Daphnen unb Grazien, die darin mitfpies 
lien, doch nicht ohne gemüthliche Betheiligung find. Vielmehr, 
wie auch die Sonfequeng beweift, mit welcher er während feiner 
ganzen fchriftftellerifchen Laufbahn diefer gemäßigten Nachah⸗ 
mung ber Franzoſen treu geblieben ift, deren leichtes, gefelliges 
Genre in ben Epitres und ähnlichen Possies fugitives er ſich 
zum Wufter genommen, batte Gotter's Talent gerade in biefer 
Korm, die für ihn eine lebendige wurbe, feinen richtigen Aus⸗ 
druck gefunden, um fo mehr, als er ihr durch feinen Hang zu 
batbphilofophifchen, halbmoraliſchen Reflerionen und eine gewiſſe 
gemuͤthliche Salbung einen Inhalt gab, welcher durch fie den 
Deutſchen feiner Zeit nur um fo angenehmer wurde. Diefes 
Mufter nun wirkte auch auf den Geſchmack und die Kritik feis 
nes Freundes Boie, der vermöge feines feinen Formenſinnes ſich 
einigermaßen ber franzöfifchen Eleganz zuwendete und auch nach 
feiner ganzen nuͤchternen Denkweiſe mit der ſeraphiſchen und 
barbifchen Überfhwängtichkeit,, wie fie damals no im Gange 
war, nicht wohl einverflanden fein konnte. Gr verfucdhte ſich 
daher felbft in der franzoͤſirenden Epiftel noch zu einer Zeit, da 
er bereits eine fehr gründliche Kenntniß der englifchen Literatur 
befaß und Shakfpeare mit Wegeifterung und Kenntniß genoß; 
auch lichte er Gleim's und Jacobi's Dichtungen und war ein 
lebhafter Yreund von Wieland's Muſe. Klopſtock freilich biieb 
ihm feiner Oben wegen body immer der erfte, „vielleicht‘‘, fagt 
er, „ber einzige Dichter; nur ftörte diefe Bewunderung, da fie 
bei ihm aus wohlerwogenen Gründen hervorging und eine Die: 
euffion nicht ablehnte, weder feine Empfaͤnglichkeit noch feine 
Gerechtigkeit gegen andere und entgegengefegte Richtungen. Rach 
auswärts gingen feine Verbindungen nach Halberſtadt und Er⸗ 
furt, befonders aber nad) Braunſchweig, wo er mit Zerufalem, 
Lefling, Gärtner, Zacharid, Ebert u. A. befannt und befreundet 
war, unb fobann nad) Berlin, wohin er, wie e8 ſcheint, im 
3. 1770 feloft eine Reife gemacht und dabei mit ben literaris 
fen Rotabilitäten Berlins, vor Allen mit Ramler Freundſchaft 
geſchloſſen, auch Juͤngern, wie er das liebte, ſich angenähert 
hatte. So war er auch mit Knebel bekannt geworden, der da⸗ 





mals, unter Ramler's Patronat Aftyetifivenb und Verſe mar 


hend, als Dffisier in Potsdam fand und beffen Verbindung 


mit Bole uns hauptfächlich wegen der, für die Geſchichte uns 
ferer Literatur hoͤchſt Tchägenswerthen Briefe bes Lestern von 
Wichtigkeit if. (&. 193 — 197.) 

Boie und Gotter bildeten den von Kaͤſtner mit Sreunds 
lichkeit unterftästen Plan aus, nad Mufter des franzofi: 
[chen einen deutfhen Muſenalmanach zu begründen, und 
fo erfchien der erfte deutihe Mufenalmanah für das 
Jahr 1770 duch eine göttinger Medaction und in Bots 
tingen verlegt. 

Auf die Vorrebe folgt erft ein gewöhnlicher Kalender mit 
Wetter: und andern uͤblichen Notizen und einer Reihe ſchlechter 
Bignetten, dann erft folgen bie Gedichte. Das Format ift uns 
emein winzig, ber Umfang fehr gering, ſodaß dagegen unfere 
jesigen Muſenalmanache, namentlich die jüngften, fchon ziemlich 
dicleibige Quartanten find. Das jest übliche Format bat zus 
erſt der Schiller'ſche Almanach angenommen. 

Der eigentlich literariſche Inhalt beſtand nach dem 
Vorbilde des „Almanac des Muses“ zum großen Theil 
nicht in neuen hier zum erſten Male abgedruckten Poe⸗ 
ſien, ſondern auch in neueſten bereits veroͤffentlichten, den 
Herausgebern als chreſtomathiſche Blumenleſe des nochmali⸗ 
gen Abdrucks werth ſcheinender Gedichte. Nun wur in 
dem nämlihen Jahre au in Leipzig ein „Almanach der 
deutfchen Muſen“ erfchienen, ein nach der Schilderung ©. 
204—205 „auf Klatfchkritit, Persönlichkeiten und Stan: 
dal, beſonders aber auf eigenes und guter Freunde Lob bes 
rechnetes Unternehmen”, deſſen von -Kloß’ Leipziger und 
erfurter Freunden gebildete Redaction fich jede Art haͤmi⸗ 
fche Ausfälle gegen den göttinger Rival zum angelegent: 
lichen Gefchäfte machte. Diefe Angriffe und der Umftand, 
daß ſchon 1769 Gotter Göttingen wieder verließ und Boie 
nunmehr die Redaction allein zu übernehmen hatte, ver: 
anlafte diefen, ‚neue poetifche Verbindungen zu ſuchen und 
die alten zu befefligen, um fo endlich eine gefchloffene li⸗ 
terariſche Macht bilden zu können, die im Stande wäre, 
der Leipziger den ſchwankenden Sieg zu entreißen”. Es 
konnte nicht fehlen, ihm als dem Medacteur eines Unter: 
nehmens, das ganz eigentlih dazu gemacht war, noch uns 
genannte jugendlihe Zulente dem Yublicum bekannt zu 
machen, mußten ſich vor allen diefe, zunaͤchſt die in Göttins 
gen ſich aufhaltenden anſchließen. So bildete ſich zwifchen 
Bote ein Verhaͤltniß mit Bürger, welcher 1768 nad) 
Goͤttingen gelommen war, um dort Jurisprudenz zu flus 
diren, „toelche damals, bei der Menge gutshertlicher und 
ſtaͤdtiſcher Gerichtsbeamten und ber Leichtigkeit, mit Zeit 
und Gunſt In eine folhe Stelle hineinzufchlüpfen, in der: 
felben Art das angeblihe Studium aler Derer gewefen 
zu fein ſcheint, die eigentlich gar ein Studium trieben, 
fondern, wie e6 damals hieß, al& hommes de lettres le⸗ 
ben wollten, wie ed heutzutage die Philofophie geworden 
it”. Buͤrger's bald darauf nicht allzu weit von Göttingen 
erfolgte Anftellung unterbrach dies Verhaͤltniß nicht, wel: 
ches Boie auch zwei Freunde Bürger’s, den feit 1769 


in Göttingen Theologie fludirenden Hölty und I. M. 


Miller zuführte. 
Bürger begann bamals benfelben Übergang, welchen in bies 
fee Zeit unfere gefammte Literatur machte, den Übergang zum 


Driginalen, Usmittelbaren und Volkathuͤmlichen, und ein reg⸗ 


fames und fructbares Treiben berrfchte in bem engen Kreife. 
Boie war ber Fuͤhrer zur englifchen Riteratur, wie Miller zu 
den Dinnefingern, Bürger regte zum Spaniſchen an und Döltn 
tbeilte das Italieniſche mit; bin und wieder gab auch wol ein 
Selegenpritögedicht, deſſen WBeftellung durch Boie's Hände ging, 
Veranlaflu-ıg zu heiterm Scherz und freundlichen Gelagen. 

Di Boie nit öffentlih als Redacteur des Alma⸗ 
nachs genannt war und das Publicum Käftner dafür 
bielt, fo geſchah es, daß 1771 ein junger Mann aus dem 
Medtenburgifchen, Johann Heintih Voß, an Lestern eis 
nige Gedichte einfendete, die Boie um fo mehr entfpras 
Ken, als fie in ernften Oden beflanden, welche Gattung 
nod nicht in dem Almanadye repraͤſentirt zu fehen, Bole 
unangenehm war. Diefer und Käftner erwarben dem jun 
gen Dichter auch Heyne's Gunft, mit dem Voß fpäter: 
bin in das bekannte heftige Zerwürfniß Über den Domer 
gerathen follte, nachdem fein Sinn ſich ſchon frühzeitig 
in Göttingen Heyne abgewendet hatte. Die Protection 
diefer Männer machte ed dem mittellofen Voß, der, nach⸗ 
dem ec die lateiniſche Schule in Neubrandenburg verlaffen, 
feinen Unterhalt leidig genug ald Dauslehrer eines Jun: 
kers auf dem Lande verdienen mußte, möglich, zu Oſtern 
1772 die göttinger Akademie zu beziehen. An Geller 
und Hagedorn, vor allen aber an Ramler, hatte er fich 
bereite in deutfcher Porfie geübt und unter Bermittelung 
eines ihm befreundeten Predigers, H. Th. 3. Bruͤckner, 
des Verfaſſers von nicht weniger als 17 verfchollenen 
Zrauerfpielen, fih mit Shakſpeare befannt gemacht, 
„dem“, wie Hr. Prutz fügt, „bebeutendflen Fermente jener 
Zeit, welchem wir bei Allen und aud bei Denjenigen be: 
gegnen, deren fpätere Entwidelung diefe jugendliche Be— 
kanntſchaft, ja die laute und ungeſtuͤme Begeifterung für 
Shakſpeate kaum mehr ahnen und erkennen läßt“, welde 
Worte man felbft auf Voß anwenden möchte, obfchen 
derfelbe in fpätern Jahren offenbar der Meinung tar, 
als ÜÜderfeger des Shakfpeare das Höchſte Leiften können. 
Man höre, wie Voß kurze Zeit nach feiner Ankunft in 
Goͤttingen ſich über den neuen Kreis, in dem er eingetzes 
ten war, in einem Briefe an Bruͤckner ausfpridt. 


Wie gluͤcklich waͤre ich, wenn Sie mit unter der Geſell⸗ 
ſchaft waͤren, die mir ſo manche angenehme Stunde ſchenkt! 
Ih muß fie Ihnen doch hernennen: Hoͤlty, ein ſehr maieriſcher 
Dichter; beide Millers, Vettern des Dr. Miller und — Minne 
fänger ; Wehrs, mehr Beurtheiler als Dichter; Ewald, ein feu⸗ 
riges Genie, das ſich aber zu feinem Unglüd von dem windigen 
Riedel hat verführen laſſen, ungefeilte Oben berauszugeben ; 
Gramer, ein Sohn bes berühmten Cramer, von dem Sie bie 
Dde auf ben Tod Bernſtorf's kennen, ein Kopf, ber ungemein 
viel verſpricht; Esmarch, ein bloßer Ditettant, der aber bie XL 
ten fehr vertraut kennt und der mit mir jegt, für den Unten 
sicht im Franzoͤſiſchen, den Pindar lieſt, und Seebach, den Gie 
in ®ielen haben Tennen lernen. Noch tinen glüdlichen Kopf 
hätt" ich bald vergeffen Ihnen bekannt zu machen. Er heißt 
Hahn, aus dem Zweibruͤckiſchen gebürtig. Einige Gedichte, bie 
ihn uns befannt machten, waren freilich voller ausſchweifender 
Verzuckungen; aber fie verriethen Genie. Ginige Zeit nachher 
machte er das vortreffliche Stud an Miller... Es ift wahres, 
kein nachgemachtes Klopſtock'ſches Feuer darin. Er ift ein Weind 
alt | uer, die unſer deutſches Vaterland mit ihren Sitten 
ver en. 


Das Hahn'ſche Gediht an Mißer, „das erſte Mani: 
feft der jungen göttinger Richtung”, lautet fo: 

Rod log, im Biederflamme Teut's, 
Kein Höfting mit geſalbtem Haar 
Dem Feinde Freundfchaft vor. 

Roch ſchloß ein Wort voll Ernſt, und laut 
@in Handſchlag drauf dee Herzen Bund, 
und ewig war der Bund! 

Da kam er uͤbern Rhein, ber Knecht 
Des Bourbon, ftetö ber Liebe Schwur 
Im Mund’, im Herzen Fluch. 

Da! Weflgelispel war ihm Treu’, 
Und Gib, und Glauben, und den Dolch 
Berfünbete fein Kuß. 

Geſchreckt verfchließt Thuiskon's Sohn 
Run tief in fi fein Herz, und laufcht, 
Und wägt erſt jedes Wort; 

Und vieler Jahre Reih' (und doch 
Wie felten! do vom Mistraun wie 
Sntheitigt !) Enüpft das Band; 
Gin tünnes, weitgelnäpftes Band ! 
droht ein Sturm, noch ift er Hauch, 
nd, fiehe! n zerfliegt's. 
und Rear Ar Take tenn ich Dich, 
Doch kenn ih Dich; feh’ Deinen Bid, 
Und hört ich nicht Dein Lied? 

Dein Herz ift deutfch, und deutſch mein ‚Herz ! 
Es liebt Di! Will ed ganz! Berflucht, 
Bas Franzenfitte lehrt! 

Und jedem Folger Fluch! Hier ift 
Mein Wort! Hier meine Band! Schlag ein; 
Und ewig fei der Bund! 

Jener göttingifche Kreis junger, Poeſie liebender und 
unter Boie's Leitung ausübender Männer befchtänkte feine 
Gemeinſamkeit zunächft auf möchentlihe Verhandlungen, 
in welchen eines jeden Producte vorgezeigt, beurtheilt und 
von Boie verbeffert wurden. Der Almanach, durch wels 
hen das Ergebniß dieſer Beſtrebungen auf das deutſche 
Publicum einzuwirken beſtimmt war, legte die Idee ſehr 
nahe, denſelben zum Organ einer literariſchen Macht zu 
erheben, und daß dieſe ſich bald, gerade ſo wie geſchehen, 
geſtaltere, dazu gab den erſten Anſtoß der ebenfalls ſeit 
Oſtern 1772 in Goͤttingen ſtudirende Cramer, Sohn des 
bekannten Freundes und Verehrers Klopſtock's, der die 
unbegrenzte Verehrung fuͤr dieſen mit den erſten Jugend⸗ 
eindrucken eingeſogen hatte und ſchon hierdurch angeregt 
war, jene „abſtract liberale, freiheitathmende, deutſchthuͤ⸗ 
melnde Richtung zu ergreifen, in welcher damals Klopſtock 
ſelbſt durch feine Oden und Bardiete ſich thaͤtig zeigte”. 
Wurde Cramer dieſer Richtung durch Klopſtock zugetrieben, 
fo war fie es, die Dahn zu Klopſtock tried. ©. 226 fa. 


heißt es: 


Hahn war vom Rhein ber gebürtigs es rollte in ihm ein | 


Zropfen jenes feurigen ſuͤddeutſchen Blutes, das wenige Jahre 
fpäter in den Stürmern und Drängern aufſchaͤumte; feine Ge: 
dichte, Voß' Briefe üser ihn und das Ende, das er nahm, 
namlich ein fruͤhzeitiger Tod in Schwermuth und Menſchenhaß, 
bezeichnen ihn ald einen Juͤngling von ungemein empfindlichen, 
aufgeregtem und bis zum Außerflen reizbarem Gemüth. Dazu 
wuchs er in der Nahbarfchaft Frankreichs aufs das franzoͤſi⸗ 
ſche Weſen, damals überhaupt im Miscrebit in Deutſchland, 
brängte ſich dicht in feine Nähe, und je näher es ihm tam, je 
dichter es die bürgerlichen und gefelligen Verhaͤltniſſe feiner Geis 


mat wie mit einem Res umfpaun, je gefährlicher es hier für 
Deutfchland zu werben drohte, je fchroffer mußte ber Wider: 
ſtand fein, welchen Hahn ihm entgegenfegte, je nachbrüdticher 
mußte er ſich fühlen als Deutfcher, je lauter und leidenſchaft⸗ 
licher feinen Haß gegen bie zudringlichen Nachbarn ausfprechen. 
In biefer Stimmung mußte er benn nothwendig auf Klopftodhs 
urdeutfche Bardenpoeſie gerathen und alfo bier mit Gramer zus 
fammentreffen. Beide nun fanden in Miller und Hölty zwei 
weiche und leichtbeflimmbare Gemüther s Voß dagegen, wenn 
fein, wir möchten fagen, dorifches Blut einmal euer gefangen 
(und mie leicht mußte dies bei ihm gerade jet fein, wo er aus 
der Einſamkeit und Beſchraͤnkung Ländlicher Umgebung mit eis 
nem Male in das wetteifernde Treiben eines lebendig erregten, 
literarifchen Kreifes getreten war und von fo viel neuen und 
ergretfenden Eindrüden gleichfam überflutet wurbe), mar nach⸗ 
haltig in feiner Glut und bildete, was Cramer und Habn leicht 
und ungeftüm binmwarfen, vermöge bes formalen Sinnes, der 
ibm auch bierin eigen, und eines gewiffen gildbemäßigen Ins 
ftinets, ben er fon auf der Schule zu Neubrandenburg bes 
währt hatte, zu einer feften Form in Geſez und Bund. ans 
ben alfo Cramer und Hahn an Hölty und Miller keinen Wis 
beritand, fo ward Voß fogar ihr ausführendes Werkzeug, ja fie 
wurden ſelbſt überhott und verdrängt durch ihn, bem weder fie 
noch ein Anderer in biefem Kreife an regelndem Talent, an der 
Gabe, zu ordnen und zu gliedern, gleich kam, weshalb, als der 
eigentliche Bund zu Stande gelommen war, wir bie formale 
Herrſchaft deſſelben hauptfächtih in Voß’ Händen fehen. reis 
lich ſcheint der Zufall felbft dies gewollt zu haben; denn hören 
wir, was Voß von der Gründung und erften Einrichtung bes 
Bundes erzählt. „Ach, den 12. Scpt.”, fchreibt er an Bruͤckner 
1772, „da hätten Gie hier fein follen! Die beiden Miller, 
Hahn, Hoͤlty, Wehrs und ich gingen noch des Abends nad) eis 
nem nahegelegenen Dorfe. Der Abınd mar außerordentlich hei⸗ 
ter und der Mond vol, Wir üÜberließen uns ganz den Em⸗ 
pfindungen ber fhönen Natur. Wir aßen in einer Bauernhätte 
Milch und begaben uns darauf ins freie Feld. Bier fanden 
wir einen kleinen Eichengrund und fogleich fiel uns Allen ein, 
den Bund ber Freundſchaft unter diefen heiligen Bäumen zu 
ſchwoͤren. Wir umkraͤnzten die Hüte mit Gichenlaub, legten 
fte unter den Baum, faßten uns Alle bei den Händen, tanzten 
fo um ben eingefhloffenen Stamm herum, riefen dern Mond 
und die Sterne zu Zeugen unſers Bundes an und verfpracdhen 
uns ıine ewige Freundfchaft. Dann verbündeten wir uns, bie 
größte Aufrichtigkeit in unfern Urtheilen gegeneinander zu beobs 
achten und zu bdiefem Endzwecke die fchon gewöhnliche Vers 
fammlung noch genauer und feierliher zu balten. Ich ward 
durchs 2008 zum Ülteften erwählt. Jeder fol Gedichte auf bie: 
fen Abend maden und ihn jährlich begehen.” 

In diefer vertraulichen Schilderung haben wir denn bie 
Grundelemiente des Bundes vollftändig beifammen: den Freund⸗ 
fhaftsenthufiasmus, die abftracte Breibeitstiebe und das Barden⸗ 
weſen (mober der Hut und die Eiche) und als Rahmen gleich: 
fam bes Ganzen die Kieift’fche NRaturfchwärmerei, die in fentis 
mentatem Aufſchwung ſchon bier, wie ein Vorbote des Sieg: 
wart, den Mond zum Zeugen anruft. SKeines diefer Glemente 
ift originell, keines in biefer Gemeinſchaft urfprünglich entflans 
ben oder ihr allein angebörig; es find fremde Anregungen, bie 
bier in ihrer Miſchung aufgenommen und als Ganzes in eine 
Form gebradyt werden. Aber eben durch diefe Firirung und 
durch das Gewicht dieſes gefchloffenen Kreifes wird dieſe Mis 
fung ein eigener und felbftändiger Theil der Zeitflimmung, ber 
als folder * auch nach außen hin offenbart und ſogar den 
Verſuch macht, andere Richtungen zu unterdruͤcken und die Herr⸗ 
fhaft der Literatur an fi zu reißen. Zwar ber Anfang und 
diefe eigentliche Stiftung bes göttinger Bundes trägt noch ben« 
felben privaten und unerheblichen Charakter, wie bie frübern, 
dlos einer gegenfeitigen Kririt und Ausbildung beflimmten Zus 
fammentünfte, und ed wäre durch diefen Schwur unter ber 
Eiche für die dichtende Gefellfchaft wenig verändert ober gar ges 


wonnen gewefen, wenn nicht eben bas Bewußtſein dieſes engen 
Zufammenhalts bad Gelbftgefüht und die Thaͤtigkeit jedes Eins 
(nen erhöht und bie Elemente, die Im Innern bes Kreifes 
dylummerten, herausgetrieben hätte, indem nothwenbig eine Op⸗ 
pofition gegen alle Diejenigen ſich erzeugte, weiche dem Bunde 
nicht angehörten oder mit denen er in Neigungen und Abnei⸗ 
gungen, in Wollen und Wirken nicht einverflanden war. Denn 
man hatte eine Form gewählt, ohne eigentlich klar zu fein über 
den Inhalt; je energifcher man biefen nun entwidelte, je ſchrof⸗ 
fer man ihn herausftellte, je mehr ſchien biefe Form gerechtfer: 
tigt zu werben unb je werthvoller wurde auch fies ja, je mehr 
man binterdrein Ernſt legte in dad Spiel, je mehr konnte man 
fi wol felbft überreden, daß es niemals ein Spiel gewefen. 

Voriaͤufig feste man die Zufammentünfte in alter Weiſe 
fort: „Alle Sonnabend um 4 Uhr Eommen wir bei einem zus 
fammen. Kiopftod’s Oden und Ramler's Igrifche Gedichte und 
ein in ſchwarz vergoldetes Leder gebundenes Buch liegen auf 
dem Tiſch. Sobald wir alle da find, lieſt einer eine Dde aus 
Kiopftot oder Ramler ber und man urtheilt alsbann über bie 
Schönheiten und Wendungen berfelben und über die Declama- 
tion bes Leferd. Dann wird Kaffee getrunfen und dabei, was 
man die Woche etwa gemacht, bergelefen und darüber geſpro⸗ 

n. Dann nimmt ed einer, dem es aufgetragen wird, mit 
nach Haufe und fhreibt eine Kritik barüber, die des andern 
Sonnabends vorgelefen wird. Das chige fchwarze Buch heißt 
das Bundesbuch und foll eine Sammlung von ben Gedich⸗ 
ten unfer® Bundes werben, die einftwellen durchgehends gebile 
ligt find.’ 

Sn diefee gemuͤthlichen Unbefangenheit indeffen, nur feine 
eigenen naͤchſten Zwecke treibend, mag der Bund nur wenige 
Wochen geblieben fein; denn in demfelben Briefe, in welchem 
Voß die eben mitgetheilte Schilderung macht, erzählt er von eis 
ner andern Zuſammenkunft, in weldyer bie aufgeregte Stim⸗ 
mung auch nad) außen hin erplodirte und zuerft die Loſungs⸗ 
worte vernehmen ließ, welche bie Göttinger fobann zum Feldge⸗ 
Schrei der Literatur überhaupt zu machen fuchten. ,‚, Einige 
Tage vor feiner Abreife nöthigte Ewald den ganzen biefigen 
Parnaß, auch Bürger von Gelinhaufen, zum Abſchiedsſchmauſe. 
Das war nun eine Dihtergefellfhaft und wir zechten audy alle 
wie Anafreon und Flaccus; Boie, unfer Werbomar, oben im 
sehnfuble, und zu beiden Seiten ber Tafel, mit Cichenlaub bes 
Eränzt, die Bardenſchuͤler. Gefundheiten wurden auch getruns 
ten, erſtlich Klopſtock's! Boie nahm das Glas, fland auf und 
rief: Ktopftod! Jeder folgte ihm, nannte den großen Namen 
und nad einem heiligen Stillſchweigen trant er. Run Rams 
ler's! Nicht voll fo feierlich, Leſſing's, Bleim’s, Geßner's, Ger⸗ 
ſtenberg's, Urs, Weißes u %. Jemand nannte Wieland, 
mich beucht Bürger war's. Dan ſtand mit vollen Glaͤſern auf, 
und — Es fterbe der Sittenverdberber Wieland ! es flerbe Vol— 
taire!“ u. f. w. 

Boie, der nach Hußerungen in einem feiner Briefe an Kne⸗ 
bei, die Werdomarwürde für einen bloßen Schery betrachtete, 
wurde von ben jungen Dichtern,, bie es ſehr ernft bamit meins 
ten, fortgeriffen und ſchon damals wurde der Grund zu ber 
Trennung zmwifchen ihm unb feinem alten Freunde Gotter ge: 
legt, bucch deffen zufälligen Befuh man fidy anfänglich fehr ges 
ehrt gefühlt hatte, der aber jest, nachdem ber Bund unter der 
Eiche zufammengetreten und ein entſchiedener Inhalt für bens 
felben gewonnen war, als franzöftrender Dichter, als ein Vers 
ehrer und Genoffe Wieland's über bie Achſel angefchen wurde. 


(Die Bortfegung folgt.) 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Die Akademie der Infchriften erhielt nady dem Tode Abel 
Remufat's und St.⸗Martin's vom Minifter des Unterridts 
den Auftrag, die nachgelaflenen Werke diefer beiben berühmten 
DOrientaliften zum Drude zu befördern. Wir erhalten gegen: 


L 


wästig auf dieſe Art ein fehr wichtiges Werk aus dem Nachlaſſe 
von St.» Martin. Es ift dies eine Bearbeitung ber intereffanten 
Seſchichte Armeniens von Johannes Katholikos. 
Dieſes Werk ſteht in Armenien in großem Anſehen und iſt auch in 
ber That für bie Geſchichte dieſes Landes von hoher Bedeutung. 
Der Überfegung ſelbſt, bei der Et.» Martin auf nicht geringe 
Schwierigkeiten fließ, ift eine fhägenswerthe Ginteitung beiger 
fügt, bie von Hrn. Lajard herräprt. Diefelbe enthält Pas Les 
ben des Ichannes, fo weit es fih aus den ſpaͤrlichen Quellen 
zufammenftellen laͤßt. Alles, was wir von ihm mit Beſtimmt⸗ 


>beit wiſſen, beſchraͤnkt fich eigentli darauf, daß er 925 in 


einem bohen Alter farb. Katholikos hat fein Werk in 187 Ca⸗ 
pitel eingetheilt. Die erften find fehr kurz, aber fie nehmen an 
Ausbehnung und an Werth zu, je mehr fidh der Verf. in ſei⸗ 
ner Erzählung den Greigniffen nähert, bie er felber erlebt hat. 
Das Werk fchließt mit dem 3. 923 oder 924 unferer Zeitrechnung. 


Rad dem Tode Mohammed's entſtanden verfchiedene Rechts= 
ſchulen, welche die Gefege, bie der Prophet gegeben hatte, auf 
verfchiedene Art auslegten. Diejenige, bie in Äfrika das liber= 
gewicht erhielt, war die Schule von Mateki, die von Malek⸗ 
ben⸗Anes gefliftet ward. Diefer Rechtsiehrer lebte und flarb 
zu Medinah (95 — 179 der Hebfchra), wo er fein ganzes Les 
ben hindurch lehrte. Malek ſtuͤtte ſich bei feiner Gefegerfiärung 
auf die Lehren, die ihm von den Cabycen uͤberkommen waren, 
weiche wiederum ihrerſeits mit den Aſhhabs oder den Gefuͤhlen 
Mohammed's in Verbindung geſtanden hatten. Auf dieſe Art 
bewies er die Vortrefflichkeit ſeiner Lehre. Wir haben vor kur⸗ 
zem uͤber dieſe Rechtslehren, beſonders inſofern ſie ſich auf die 
criminelle Gefeggebung beziehen, ein recht intereſſantes Buch ers 
halten. Daſſelbe führt den Zitet: „Etudes sur la loi musul- 
mane (Rete de Malek): legislation eriminelle”, von M. 8. 
Vincent. Diefe Schrift ift namentlich für die franzoͤſiſche Bes 
fitung in Afrita von großem Intereffe. Vincent hat ſich nicht 
beanügt, die bloße Überfegung eines Sapiteld aus dem Recale 
oder der Eleinen Abhanblung' des gelehrten Gey-raouan zu ges 
ben, das auf bie criminelle Geſetzgebung Bezug bat, fondern er 
bietet in feinen Einleitungen und in den beigefügten Anmerkun— 
£ungen und Zufägen ſehr intereffante Aufſchluͤſſe über die Rechte: 
verhältniffe der Wufelmänner. 2. 











Literarifhe Anzeige. 
Geſchichte der Regierung 
Serdinand’s und Isabella’s 


der Katholifhen von Spanien. 
Bon 
William GH. Prescott. 
Aus dem Sngliiden überfekt. 


. Zwei Theiie. 
Gr. 8. Geh. 6 The. 


Leipzig, bei F. 4. Brodhaus, 


Der ungetheilte Beifall, welchen diefe® ausgezeichnete Ger 
ſchichtswerk bei ſeinem Erſcheinen in England * den Ber: 
einigten Staaten gefunden, berechtigt zu der Erwartung, daß 


demſelben auch in Deutſchland eine ſeiner Wichtigkeit und der 


gebiegenen Überfegung entfprechende Aufnahme zu heil mer 


den wirb. 


Verantwortliher Derausgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von 3. X. Broddaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Donnerdtag, 


2. Mär; 1843, 








Der göttinger Dichterbund. Zur Gefchichte der deut: 


fohen Literatur. Bon R. E. P 
(Bortfegung aus Nr. 60.) 

Mir haben in dem Vorigen geſucht, fo viel als mög: 
li mit des Hrn. Prus eigenen Worten, die Darftellung 
der Verhaͤltniſſe wiederzugeben, welche zunadyft den foges 
nansten Dichterbund entfliehen machten. Treten nun bier 
Boie und deffen Abfiht, nad Vorbild des franzoͤſiſchen 
einen deutfchen Muſenalmanach zu fliften, und die Um⸗ 
fände, unter welchen zu Erreichung jener Abficht jugend: 
lihe Individuen, deren Namen zum Theil berühmt in 
der Literatuc geworden, zum mindeften aber nicht unbe: 
kannt geblieben find, fit Boie anfchloffen, uns als bie 
Momente entgegen, welche den Dichterbund entftehen lie 
Sen, fo verſteht es ſich doch von felbft, daß jene Verhaͤlt⸗ 
niffe nur Außerlichkeiten waren, welche keineswegs ausrei: 
chen, eine pragmatifche Einfi ht darüber zu gemähren, wie 
denn nun die Zendenz ded Dichterbundes diejenige gemor- 
den fei, welche, fich als unbegrenzte Verehrung für Klop: 
ftod, den Dichter, und als ſturm⸗ und drangvolles Deutfchz 
tum manifeflitend, bedeutenden Anklang in dem deutfchen 
Volke fand und fomit einen wichtigen Punkt in der vater: 
Iändifchen Gulturgefchichte bildete. Denken wir uns z. B. 
Maturen wie die der Koryphaͤen der Schlegel : Tied’fchen 
Schule, als Schule feit mehren Decennien verfchollen, 
hingegen als hiſtoriſche Periode unendlich wichtig und von 
bleibenden Folgen, zu irgend einer andern gegebenen Zeit 
eines gegebenen literarifch gebildeten Volks in Verhaͤltniſſe 
geftelft, die unter ihnen perfönliche Berührungen eintreten 
ließen, aßemal würde eine Bereinigung zu literarifchen 
Zwecken umausbleiblidy gemwefen, die wefentlihe Tendeny 
aber nur aus dem gefammten frühern Gulturzuftande 
erttärlich fein. So nun de6 göttingifhen Dichterbunbes 
weientliche Tendenz ald merkwiürdiges Glied an die Ver: 
tettung des frühern Culturzuſtandes der Deutfchen anzu: 
reihen, ift die Aufgabe des erſten mit S. 184 fchließen: 
den Buchs, auf das hier näher einzugehen wir uns aus 
Gründen enthalten müffen, welche ein ſprechendes Argu⸗ 
ment für die Bedeutfamkeit des Wirkens find. Es ift 
namlich die Bildung eines jeden modernen Volks etwas 
unendlich Complicirtes, das gegenfeitige Aufeinanderwirken 
gerfchiedener Nationalitäten hier ein ganz anderes als bei 
den berühmten Völkern des Alterthums, deren Entmwide: 
lung aus einer im ungleich größerer Selbſtaͤndigkeit be: 


uß. 


Dagegen führt eines 


wahrten Nationalität hervorging. 
jeden modernen Volks Gulturzuftand auf den des röml« 
fhen, noch weiter auf den des griechifhen und auf bie 
mannichfachen biftorifhen Momente zurüd, wodurch in 
[pätern Zeiten die Auffaffung der alten Literaturen vers 


ſchiedentlich mobiftciet wurde. Das allercomplicirtefte ift 
dies complicirte Verhältnig bei den Deutfchen, deren Unis 
verfalitit fo geneigt und geſchickt ift, das Eigenthümtichfte 
fremder Nationalität in fi aufzunehmen und in vielen 
Hinſichten fo zur Unnationalität wird, daß ſich der Deuts 
fhe 3. B. nie eines nationellen Theaters hat ruͤhmen 
£önnen. Hierzu kommt der veligiöfe Zuftand, der in dem 
proteftantifhen Deutfchland, von äußerer kirchlicher Feſti⸗ 
gung befreit oder derfelben entbehrend, jederzeit ein beweg⸗ 
ter, duch den Contact mit dem Batholifchen Deutſchland 
nur noch mechfelvollerer war, nicht zu gedenken, daß bie 
politifhe Trennung, die in frühern Zeiten nur in anderer 
Form als in der neueften obmaltetete, auch flr das intels 
lectuelle Sein des Deutfchen eine ganz eigenthümliche Vers 
widelung von Urfahen und Wirkungen erzeugen mußte. 
Iſt es nun Hm. Prug gelungen in den Raum bes er: 
fin Buchs von Zeiten vor der Meformation an pragmar 
tiſch Mar und unter vollftändiger Angabe der erfoderlichen 
literarifchen Nachweiſungen darzulegen, was nad feiner 
Überzeugung für den göttinger Dichterbund ‚bedingend ge⸗ 
weſen iſt, ſo leuchtet von ſelbſt ein, daß ein referirender 
Auszug den Zweck verfehlen und an der Leiſtung des 
Hen. Prug ſich wahrhaft verfündigen würde. 

Die beiden erften Abfchnitte: „Das 18. Sahrhundert 
und die Aufklärung”, „Begriff und Weſen der Aufklaͤ⸗ 
rung‘, beſtimmt diefen von den verfchiedenen Fractionen 
der deutfchen Literatur zum Theil im allerentgegengefeßte: 
ften Sinne aufgefaßten und nach einfeitigen Anfichten miss 
verftandenen Begriff auf eine jene MWiderfprüche loͤſende 
Weiſe feflzuftellen, dünkten Ref. ein wahres Epecimen 
philoſophiſcher Geſchichtsbetrachtung. Was Hr. Prug 
Über bie Reformation ſagt, möchte Ref. nicht durchaus 
unterfhreiben. Die dem Individuum durdy die Meformas 
tion gewordene Freiheit der veligiöfen Überzeugung iſt wol 
unbeftreitbar nur eine im Laufe der Zeit ausgebildete Folge 
der Reformation, eine Folge des Bedürfniffes nach jener 
Freiheit, als in welchem letztern Sinne Hr. Prug, wie 
Ref. es fcheint, die Reformation aufgefaßt hat. Auch in 
Dem, was über humaniftifche Bildung und über die Be⸗ 


212 


deutung unb ben Werth bes Stublums ber alten Spra⸗ 
che gefagt tft, würde, voäre dazu hier der Raum gegeben, 
Ref. fi) zu anderer Anficht bekennen. 

Demnach das einleitende erfte Buch übergehend, be: 
eichten wir über den Inhalt des zweiten, mit Trennung 
bes Bundes fchließenden Buchs. Was dieſer am eifrig> 
ften ſuchte, Klopſtock perföntich bei feinen Intereſſen und 
Unternehmungen betheiligt zu fehen, follte durch die beiden 
Grafen Stolberg erreicht werden, die im Herbſte 1772 Die 
göttinger Univerfität bezogen. Vortrefflich und im Allge⸗ 
meinen auf die Stellung eingehend, die fchon damals der 
Adel in Folge veränderter Umftände eingenommen hatte, 
ift die Darftellung, wie das gräflihe Bruͤderpaar, trog 
ariftoßratifcher Befangenheit, fih dem Bunde anfchließen, 
jedoch fpäterhin Freiheitsſchwaͤrmerei in Freiheitehaß, die 
Bewunderung des Alterthums in Verklagen und Verdaͤch⸗ 
tigen deffelben, Seindfchaft gegen den Papft in Katholicis⸗ 
mus umfchlagen konnte. Den Brüdern war der Ruf 
vorbergegangen, daß fie Poeten wären, Griechiſch verftän= 
den (Voß bemerkt in einem Briefe, mit Hülfe des Woͤr⸗ 
terbuchs verfiehe der altere Graf 300 Verfe in der „Iliade“ 
und ebenfo viel der jüngere in der „Odyſſee“) und Klop⸗ 
ſtock's perfönlihen Umgang genoflen hätten. Bald nad) 
ihrem Erſcheinen in Göttingen ſchrieb Voß: „Beide Gra- 
fen haben um Aufnahme in den Bund gebeten und näd: 
ftens ſoll es feierlich gefchehen. Und dann erfährt es 
Klopſtock.“ Später berichtet er von fich, dem jüngern 
Stolberg, Friedrich Leopold, und Hahn: 

Wir Drei gingen bis Mitternacht in meiner Stube ohne 
Licht herum und fprachen von Deutfchland, Kiopftod, Freiheit, 
großen Thaten und von Rache gegen Wieland, der das Gefühl 
der Unſchuld nidt achtet. Es ftand eben ein Gewitter am 
Himmel und. Blitz und Donner machten unfer ohnedies fchon 
heftiges Geſpraͤch fo wüthend und zugleich fo feierlich ernfthaft, 
daß wir in dem Augendlid ich weiß nicht welcher großen 
Handlung fähig geweſen wären. 

Diefes, man möchte wol fagen, Stchberferfermäßigges 
berden, dem Deutfh und Michtdeutfch die Kategorien der 
ſittlichen wie der aͤſthetiſchen Würdigung waren, das Klop: 
flo® als den größten aller Dichter pries und Wieland ale 
Verraͤther ſchmaͤhte, erreichte den Culminationspunft in ber 
Klopſtocksfeie. Die Grafen übernahmen es diefen, ber 
nun (Voß Worte) „urtheilen follte, wer Genie habe 
und nicht”, eine Schilderung von dem Bunde zu machen 
und ihm das Bundesbuch mit den Gedichten der Mitglies 
der zu überreichen. Den gerade mit Herausgabe der „Ges 
lehrtenrepublik befchäftigten Klopſtock erfreute es hoͤchlich, 
zu Ausführung jener Traͤume Schritte gethan zu ſehen, 
er ſchickte durch die Grafen jedem der Bundesglieder einen 
Kuß und wies ſeinen Buchhaͤndler an, die Bogen ſeiner 
letzten Geſaͤnge des „Meſſias“ ihnen gleich nach dem 
Drucke zuzuſenden. „Der Deutſcheſte“, fo beſtimmte man, 
„ſollte ſie zuerſt leſen, ſah aber auch voraus, daß es da 
Streit geben wuͤrde.“ Waͤhrend das uͤbrige Deutſchland 
den Schluß des „Meſſias“, der um ein Menſchenalter 
ſpaͤter als der Anfang erſchien, ziemlich lau hinnahm und 
die unmaͤßige Affection fuͤr Klopſtock bei dem Dichterbunde 
ſelbſt nicht durch den „Meſſias“ angeregt war, ſteiften 


doch die Göttinger ſich nunmehr darauf, dieſe letzten Ge: 
fünge hoͤchlich zu präconifiren. „Als ein Prophet wurbe 
Klopftod gepriefen und daß kein Engel Gottes die Seelen 
mehr als er duschbobren könne.” Nun höre man, was 
Voß über die bevorftehende Klopſtocksfeier, „‚gleichfam dem 
Wartburgsfefte der göttinger Freunde“, ſchreibt (S. 247): 


Den 2. Juli it Ktopftod 49 Jahre alt. Diefen Tag 
feiern die Danoveraner fonft nicht, weil die Marienfefte abges 


ſchafft find. Aber ber Bund wird ihn mit der größten Feier: 


tichkeit begeben. Ich laſſe mir ein neu Kleib machen, das ich 
nicht eher anziehen will bis auf biefen Tag. . 


Dann der Bericht über die Feier ſelbſt: 


Gleich nah Mittag kamen wir auf Hahn's Stube, bie bie 
größte iſt (e6 regnete den Tag), zufammen. Cine lange Tafel 
war gededt und mit Blumen gefhmädt. Oben fland ein Lehn⸗ 
ſtubl tedig für Klopſtock, mit Rofen und Levkoyen beftreut, und 
auf ihm Klopſtock's faͤmmtliche Werke. Unter dem Stuhle lag 
Wieland's „Idris“ zerriffen. Iept las Cramer aus ben Triumph⸗ 
gefängen und Hahn etliche fih auf Deutſchland bezichende Oben 
von Klopſtock vor, und barauf tranken wir Kaffees die Fidi⸗ 
bus waren aus Wieland’ Schriften gemacht. Boie, der nicht 
raucht, mußte doch auch einen anzünden und auf ben zerriffenen 
„Idris“ ftampfen. Hernach tranfen wir in Rheinwein Kiopftods 
Gefundbeit, Futher’s Andenken, Dermann’s Andenken, des Bun: 
bes Gefundheit, dann Ebert's, Goethe's (von dem foeben der 
„Goͤtz“ erfhienen war), Herder's u. A. Kiopftod’e Ode „Dee 
Rheinwein‘ ward vorgelefen und noch einige andere. Run wer 
das Gefpräd warm. Wir fpracdhen von Freiheit, die Hüte auf 
dem Kopf, von Deutfchland, von Zugendgefang, und du Eannfl 
benten wie. Denn aßen wir, punfchten und zuletzt verbrann- 
ten wir Wieland's „Idris” und Bildniß. 


Die Ergöglichkeit diefes aller feiner Nalvetaͤt und gu: 
ten Intention ungeachtet ſich feltfam übernehmenden Trei⸗ 
bens ift zu groß, als daß wir und enthalten Eönnten, die 
hoͤchſt charakteriſtiſche Anmerkung 2, &, 249 — 250 bier 
vollftändig mitzutheilen : 


Hermann war ausfchließlich ber fire Punkt, bei dem bie 
Sympathie der Göttinger flehen blieb; auf das Mittelalter unb 
deſſen Nittertichleit, wie man aus der Theilnahme der Stok 
berge und ber fpätern Entwidetung berfelben vermuthen mödhte, 
erſtreckte fie ſich keineswegs, vielmehr haften fie bad Mitteial⸗ 
ter, als eine Zeit des Aberglaubens, der Kirchenherrfchaft unb 
weltlicher Tyrannei. Schon gegen Karl ben Großen richteten 
fie Strafs und Zorngefänge, weil ihm „die Eicher der Barden 
Atmofen geworben waren’ (nämiih er foll im Teſtament bes 
fohlen haben, feine Sammtiung Barbengefänge zum Beſten ber 
Armen zu verlaufen) und weil 

— — der Sttavenktette Geraſſel — 
Der Franke (Fluch dir, o Moͤnch, der ihn 
Den Broßen pries!) um unfern Naden 
Schlang, als mit triefendem Stahl der Waͤthrich 
In unfte Deimat flürzte, die Druiden vor 
Der Irmenfäule würget” und Wittelind 
Statt Woban! feinen Wurmſtichbildern 
Rüde der Opfer und Gold zu weihn zwang. 
Verderben brütend lauerte ſchon bazumal 
Noms Goͤtzenprieſter! Ha, der Bezivinger kroch { 
Zu feinem Stuhl und ſchenkt', o Hermann! 
Deinen Cherudter den MWelttyrannen. 


So Boß in der Dbe an Stolberg. Wan fieht, dieſes Deutfe 
thum war ein ſehr provinzielleds und mehr niederſaͤchſiſch als 
wirklich deutfh. Aber in diefer Art hatten fie es bereits von 
Klopſtock geerbt, namentliih auch den Daß gegen Karl den 
Großen: fiebe die Dde „‚Kaifer Beinrih” in ben faͤmmtlchen 
Werken I, ©. 175: 


DIR be, der Erſte niet ber Eroberer 
Am leichewollen Strom? und der Dichter Breund? 
Ba, du biR Karl! Verſchwind', o Schatten, 
Beier und mordend zu Ghrifien machte. 

Klopſtock Hatte eine Schilderung des Feſtes verlangt 
und b4ld gingen weit über Göttingen hinaus die aben: 
teuerlichften Gerüchte über die Freunde an der Leine und 
ihre Ifterarifchen Femgerichte. Nunmehr die Gelehrten 
republit in das Werk zu fegen und den Bund Uber den 
ganzen deutſchen Parnaß ausdehnen zu können, war Klops 
kod’s Uberzeugung. 

Unter der UÜberſchrift „Bürger und die Romanzen: 
yoefie”: folgt S. 252 — 273 ein hoͤchſt intereffanter Ab: 
fhnitt. Bürger, deſſen unbefangene Natur nicht zu dem 
goͤttinger Dichtertbum flimmte, das, abſichtlich und ge: 
waltfam fih In Deutſchthuͤmelei und Bardenweſen hinein 
iebend, ſiolz auf Klopſtock'ſche Schwerverſtaͤndlichkeit war, 
zählte nicht unter den Mitgliedern des Bundes, trug aber 
ungemein viel dazu bei, denfelben in den Augen des Pu: 
bicums zu heben. Nicht nur war e6 bekannt, daß Buͤr⸗ 
ger mit den wirklichen Bundesmitgliedern in freundfdyaft: 
lichen Berhätmiffen fiand, fondern es erſchien auch feine 
„Kenore”, das Gedicht, welches ſich der Bauer, andaͤchtig 
wie in:der Kirche, von dem Küfter in der Schenke vorle: 
fen tieß und Gorthe in dem feingebildeten Kreiſe feiner 
Zili votlas, zuerft in dem göttingifhen Mufenalmanadıe 
und if, wie Hr. Prug fagt, die wichtigfte Gabe geblieben, 
weiche jenes Inſtitut der deutichen Literatur dargebracht 
bat. Vortrefflich findet man bier dargeftellt, von welchen 
Misverftändniffen man, Gleim an der Spige, bei Auf: 
faffung des Begriffs dee Romanze und der Ballade, wie 
man im damaligen Sinne ſagen darf, der Romanze oder 
der Ballade ausgegangen war. 

Sn: dem Abſchnitte „Riterarifhe Leiftungen des Bun⸗ 
des, feine Stellung zum Publicum und zur Kritit wird 
über den Inhalt der Almanache für 1773 und 1774 bes 
richtet. . Hier ein ausfuͤhrliches, durch bie Angabe der Ab: 
weihungen de6 dort befindlichen ältern Textes von dem 
fpätern ſehr intereffantes Verzeichniß Deffen, was Gcethe 
unter den Chiffen ED. und HD. in den Almanady ge: 
tiefere Sat, nachdem von dem Eindrucke, den ber „Goͤtz“ 
in Deutfhland hervorgebradht hatte, Boie war beflimmt 
worden, Goethe's Bekanntſchaft und Theilnahme zu fu: 
hen. Auch ohne Goethe's Namen wurden jene Gedichte 
«is die Producte eines originellen und bevorzugten Geiſtes 
erkannt. Indem Hr. Prug von dem immenſen Abfag des 
Almanachs berichtet, von dem allein 700 Eremplare nad) 
Damburg gingen und dee Derleger 3000 im Gewiſſen, 
5000 moͤglicherweiſe abzufegen rechnete, ſodaß die Redae⸗ 
tion ihre Einnahme fuͤr ſicherer als alle Profeſſionen und 
manche Ämter betrachten konnte, während die Exiſtenz 
unſerer ‚heutigen Muſenalmanache mehr von der Gewohn⸗ 
beit und dem Mitleid erbettelt, als in einem lebendigen 
Bedürfniffe des Publicums begründet ift, fagt er Folgen⸗ 
des (S. 277): 

Es iſt dies eines von den vielen Zeichen für die veränderte 


Stellung und Bedeutung, weldye die Poeſie im Leben ber deut: 
[hen Nation gewonnen hat. Aber wir find weit entfernt, hier 


Denjenigen beizuflimmen, welche mit Klagen unb Anklagen eine 
Zeit zurüdfehnen, wo unfer ganzes Daſein aufzugehen ſchien in 
der Kunft, und wo wir kein anderes volksthuͤmliches Leben, kein 
anderes gemeinfames Intereſſe hatten, ober doch Feines andern 
und bewußt waren als detjenigen, welches in und an den Ent⸗ 
wirelungen unferer Literatur fich offenbarte. Wir hatten keine 
Geſchichte, nur Literatur, keine Thaten, nur Gebichte. Das Ges 
fühl, daß dies anders werden muß und baher anders werden 
wird, tft felt langem verbreitet und eben jcht Lebendiger denn 
je. Wenn nun in der gegenwärtigen Krifis die Sehnſucht nach 
Dem, was in ber Hiftorie ung mangelt, mitunter auch Das ge⸗ 
ringfhägt, was in ber Poefte unfer edles und unvergänglides 
Beſigthum tft, fo bat das in der That nicht viel zu bebeuten: 
die Poeſte wird audy uns bleiben, was fie immer und überall 
gewefen, die idcelle Geſchichte nämlich unſers Volks; aber wir 
werben nun eine thatfächlicye dazu befommen, wir werden Verſe 
machen und Schlachten ſchlagen und das Eine nicht aufgeben 
gegen das Andere. Möchten diefe veränderte Geltung der Kunft, 
das Net diefer Anderung und die Zukunft, die ſich daraus 
entwickeln muß, body namentlidy unfere jungen Dichter erwägen, 
die es jest fo oft verfiimmt und nieberbeugt, daß ihre reblichs 
ften Bemühungeu, fogar ihre glüdtlichften Erfolge dennody nie: 
mals an jene Erfolge reihen, weiche die Dichter unferer- frühes 
ven Zeit, zum Theil fogar mit viel kleinern Mitteln, dennoch 
gehabt Haben; ia, möchten fie, ſtatt Entmuthigung und Übere 
druß, hierin vielmehr die Mahnung finden, mit Ber; und Hand, 
mit Lied und That ſich diefer neuen Zukunft zu weihn, welche 
noch einmal, fo Gott will, Leier und Schwert vereinigt zei⸗ 
gen wird. 

Wird diefe Hoffnung allgemein in dem deutfchen Molke 
lebendig, dann wird auch ihre Erfüllung kein frommer 
Wunfd, bleiben. 

Die „Allgemeine deutfche Bibliothek“, ſelbſt Wieland's, 
des von den Göttingern fo ſchwer Verlesten, „Deutfcher Mer: 
cur‘ fprechen mit Anerlenntniß von dem Inſtitute. Se 
allgemeiner (vgl. „Verhaͤltniß des Bundes zu Göttingen“, 
©. 283 — 238) dus theilnehmende Anerkenntniß war, das 
dem Bunde und deſſen Leiftungen in Deutfhland wurde, 
um fo gereizter flellte im Allgemeinen man fi ihm in 
Böttingen entgegen. „Das reale, das hiftorifche Element 


der göttinger Univerfität erblidte in allem Idealen und 


Daher wie in der Phitofophie fo auch in der Poefie nur 
eine Thorheit, einen Lupus Üübermüthiger und unpraktifcher 
Menſchen, wenn nit noch Werderblicheres. ” 

Alberne Märchen von einer Bardengefellfchaft, die mit 
ihren Schülern, an die Hunderte flark, auf die benachbars 
ten Berge auszöge, in Thierhäute vermummt um Mitter: 


nacht opfere, Wodan und Klopſtock anrufe, Bildniffe ver: 


brenne und feinen Wein, aber gewaltig viel Bier tränke, 
fanden folden Glauben, daß Denina in „La Prusse lit- 
teraire sous Frederic Il” Ahnlidyes als unbezweifelte That⸗ 


fache berichtete. 
(Der Beſchuß folgt.) 





Ein neuer Roman von Cooper. 


The Jack o’ Lantern (le feu follet) os the Privater. By 
J. Fenimore Cooper. Drei Bände. London 1843. 

Fenimore Gooper verdient unftreitig einen Plag in der vors 
derften Reihe jest lebender Novelliften; ich möchte ihn ziemlich 
hoch an den Flügel ftellen, in der Compagnie der Seenovelliften 
zum Slügelmann felbft maden. Er bat bem Leben in den Wäls 
dern und auf bem Deere die poetiſche Seite abgelaufcht, hat fie 
voll begriffen und verfteht bie Kunft, fie zu zeichnen. Die 


mA 


Wälder und dad Meer hat er mit feinen Gchöpfungen benöls 
tert, und ohne in der Literatur ein Prophet fein zu wollen, 
halte ich es nicht für unwahrſcheinlich, daß feine & Öpfungen 
die Wälder überdauern, da, wo biefe gegrünt, Staͤdte ſich er⸗ 
heben und die Bewohner Cooper's Novellen lefen werben. Bes 
fäße Amerita auch ihn allen, man könnte nicht behaupten, 
Amerika habe keine Kiteratur. Cooper's Schriften find an ſich 
eine Literatur, ich brauche die Titel nicht zu nennen. Aber 
aufrichtig geftanden, ift es mir immer vorgelommen, als habe 
weber die beutfche noch die englifche Kritik ihm fein volles 
Recht gegönnt. Ich will die möglichen urſachen hier nicht aufs 
ſuchen; fann fein, es findet ſich dazu eine geeignetere Ge⸗ 
legenheit. Jetzt nur ein paar Zeilen uͤber ſein juͤngftes Werk. 
Es ſchmaͤlert feinen Ruhm nicht. Mer Gooper’s fammttiche 
Schriften gelefen bat, wird allerdings Verwandtes finden. 
Das liegt in der Natım des Stoffes, kann folglich nicht 
anders fein. Das Meer ift überall Mer, Schiffe blei⸗ 
ben Schiffe, Seefahrer Seefahrer. Seemännifde Abenteuer 
auf dem mittelländifhen Meere müffen vielfache Ähnlichkeit has 
ben mit den feemännifchen Abenteuern auf dem atlantifchen 
Dcean, und Stürme und Windftillen, Sonnenauf= und Son⸗ 
nenuntergaͤnge ſind uͤber die ganze Welt ziemlich dieſelben. Iſt 
aber auch der Stoff nicht neu, weil er nicht neu ſein kann, 
iſt es doch die Behandlung. Der Verf. hat ihn ſo geſchickt be⸗ 
nust und fo Hug gruppirt, daß er wie etwas Neues ausſieht. 
Sden das war ein gluͤcklicher Gedanke, daß er bie Have, fon, 
nige See zwiſchen ber noͤrdlichen Spike von Elba und dem 
Sof von Salerno zum Schaupiage wählte. Minder gluͤcklich 
dauchte mir anfangs die Wahl bed Helden. Der iſt Capitain 
eines franzöfifhen Kapers, und ben größern Theil bes erften 
Bandes hindurch konnte ich die Beſorgniß nicht los werden, 
daß das in London verlegte und auf engliſche Kaͤufer berech⸗ 
nete Buch in England Anſtoß geben würde. Selbſt ber zarte, 
fanfte, ſchoͤne Charakter der Ghita Garaccioli konnte mir bie 
Beforgnip nicht nehmen. Damit will ich nicht die Engländer 
einer einfältigen eindfeligkeit gegen Frankreich befchuldigen. 
Aber der Verf. ſchien mir ein heimliches Worurtheil gegen Eng: 
land zu verrathen, und wie fehr das au in Paris und Berlin, 
in Wafhington oder Petersburg gefallen mag, ben Engländern 
koͤnnte es felbft bei mehr Freifinnigkeit und weniger National: 
ftolg ſchwerlich behagen. Nach und nad) ſchwand meine Beſorg⸗ 
niß. Cooper laͤßt den braven Inſulanern Gerechtigkeit wider⸗ 
fahren, um fo ehrenvoller für fie, falls er es gegen feinen 
Willen gethan. Dem Helden, Raoul Ivard, verleiht er eine 
Menge guter Eigenfchaften und vereinigt in ihm nad) Vorfchrift 
das Hauptintereffe der Erzählung, doch gewährt er auch dem 
Gapitain Euff und den Männern Clin, Griffin und Windefter 
einen fo unabweisbaren Anſpruch auf die Achtung und Bewun⸗ 
derung bes Lefers, daß die Engländer auf bie bem Helden ver: 
ftatteten Borzäge nicht eiferfüchtig fein und ihre Freunde in 
Paris und Berlin, in Petersburg und Wafhington fi) immer 
noch die Haͤnde reiben koͤnnen. Obwol bie erwähnte Ghita 
Cariccioli ein mit überlegung entworfener und gluͤcklich durch⸗ 
gefuͤhrter Charakter iſt, reicht ſie doch zu Cooper's Maͤnnern 
nicht hinan. Die Lebensverhaͤltniſſe des Verf. haben ihn gehin⸗ 
dert, das weibliche Gemuͤth zu durchſchauen ‚bie weibliche Or⸗ 
ganiſation zu zergliedern — und wie ſchwer iſt überhaupt Bei⸗ 
des! Ghita und ihr Geliebter differiren im Punkte der Reli⸗ 
gion. Ivard, gehorſam ber Sitte feiner Zeit und feines Lan⸗ 
des, ift ein Ungläubiger. Er glaubt nicht an Gott, weil feines 
Dafürhaltens feine gelehrten und fpecutativen Lanbeleute bie 
Gefege der Natur vollftändig ergründet haben, und er in beflen 
Kolge nicht begreifen kann, wozu das Univerfum eines Schöpfers 
bebürfe, dafern der menſchliche Geift die Brundfäge zu ents 
decken vermöge, nach welchen es fiy bewegt. Das war damals 
in Frankreich herefchender Glaube, ift e8 zum heil wol noch. 
Shita opponirt in echt weiblicher Weife, nicht durch Vernunft⸗ 
fchtüffe, fondern durch Liebe und Gebet, und wenn dic Beleb: 


zung bes Geliebten ihr nicht gelingt — beun Cooper hat das 
weislich unentfchieben gelaflen —, b fiheitert fie nur an ber 
Klippe feiner ungerftörbaren Gitelleit. Die Scene auf dem fels 
figen Giland, wo der verwunbete Ivard, ben Bid zu den 
Sternen gerichtet, ruhig und fchweigend bie Seele aushaucht, 
wird auf keinen Lefer den Einbrud verfehlen. Biellsiht ſtoͤrt 
ber frivole Muthwille des jungen Mannes ein oder zweimal 
die Harmonie bed Gemaͤldes. Das lag jedoch im Plane bes 
Verf. und Läßt fich zechtfertigen. Auch werben vielleicht fupers 
kluge Menfchen Coopern tabeln, weil er feine Heldin nicht mit 
größerer Überrebungskraft ausgeftattet, ihr nicht einen höhern 
Gedankenkreis angewieſen. Er Hätte e8 auf Koften der Wahr⸗ 
heit und der Wahrſcheinlichkeit thun müflen, denn Ghita ift 
das unerzogene Kind des ſuͤdlichen Italiens. Am Stil und an 
ber Darftellung wird vermuthlih Niemand mdäleln. Sie find 
ftets ihrem Gegenftande angemeflen, ob es eine Schüberung, 
eine Erzählung, eine Debatte gelte. 14. 


Literarifhe Notizen aus Franfreid. 


Die franzöfifche Literatur ift reich an vortrefflichen Kinder: 
fhriften. Wir haben, um nur der Schriftfteller des vorigen 
Sahrhunderts zu gedenken, Perrault, Berquin und Mab. Eer 
prince de Beaumont, die durch ihre trefflichen „Magazins’‘ bes 
kannt ift. Unter den neuern Werken diefer Art, deren Ruf ber 
reits feftfteht, verdienen ‚‚Les aventures de Jean Paul Chop- 
part“ des bekannten Waubevilliften und Romanſchreibers Louis 
Desnoyerd befonderd hervorgehoben zu werben. Das Werk ers 
ſchien zuerft vor 10— 12 Jahren in einem ber Jugendwelt 
gewidmeten Journale. Die gewandbte Darftellung unb ber 
natürlidge Humor, der fi auf allen Seiten ausſprach, erwarb 
diefer Schrift fo viel Beifall, daß faft jedes Jahr eine neue 
Auflage davon gebracht hat. Gegenwärtig erhalten wir num 
eine fogenannte illuftrirte Ausgabe. Die Mater Gerard⸗Seguin 
und Frederic Goupil haben Alles aufgeboten, um die aͤußere 
Ausftattung des Werks feines innern Gehalts würdig zu mar 
hen. Es ift dies eine von ben Jugendfchriften, an denen ſich 
auch das reifere Alter ergögen kann. 


„Le capitaine Lambert’ ift der Titel des neueften Romans 
von Charles Rabou. Gr ift aanz in berielben Manier 
gefchrieben wie die frübern Romane diefes fruchtbaren Schrifte 
ftellerd. Seine Geftalten find ganz naturgetreu. Es fehlt ben 
gut gefchriebenen Romanen weder an Erfindung noch an einzels 
nen gluͤcklichen Schilberungen, wol aber an einem wahren poes 
tiſchen Hauche. Dieſelbe hausbadene Wirklichkeit machte ſich 
auch ſchon in den fruͤhern Romanen Rabou's breit, z. B. 
in feiner ‚‚Louison d’Arquien” und feinem „Paurre de 
Montlhery”. Das befte Wert, das aus feiner Feder gefloffen ift, 
find die humoriftifcden ‚‚Tribulations et agonies posthumes de 
Fabricius”. Rabou ift auch als KXournalift befannt. Er war 
eine Zeit lang Rebacteur einer Revue, arbeitet jest am minifies 
tiellen „Measager“ und ift der Ziheaterkritifer des „Globe“. 


Die vortreffliche Reifebefreibung vom Schweizer Dubois 
de Montpereur („Voyage autour du Caucase‘), deren erfter 
Band namentlid ber originellen Behauptung wegen, daß die 
Irrfahrten des Odyſſeus im ſchwarzen Meere flattgefunden haͤt⸗ 
ten, felbft im größern Publicum viel Auffehen erregt hat, ifl 
gegenwärtig bis zum fünften Bande gebieben. Es ift dies eine 
von den feltenen Werten, in denen fich Gelehrſamkeit und all: 
gemeineres Intereffe die Band reihen. Es ftroßt von ben ges 
tehrteften Beobachtungen und bietet doch felbft für Diejenigen, 
die weniger heil nehmen an rein wiffenfchaftiichen Kragen, 
eine intereffante Lecture. Wir hoffen, daß bie beutfche Übers 
fegung diefes Werks, von der der Anfang bereits erfchienen ift, 
dem Werke auch in Deutfchland die Anerkennung verfchaffen 
möge, die es in Frankreich gefunden hat. 2. 


Berantwortlicher Herausgeber: Deinrih Brodhaus. — Drud und Verlag von F. 4. Brodhaus in Leipzig. 


Blätter 
für 


fiterarifhe Unterhaltung. 





Freitag, 





Der göttinger Dichterbund. 
ſchen Literatur. Bon R. E. Prut. 
(Beſchluß aud Ar. 61.) 

Von des Bundes und Goͤttingens im Allgemeinen ge⸗ 
genfeisig unerfreulichen Verhaͤltniſſen wendet Hr. Prutz in 
dem Abfchnitte „‚Eiterarifche und perfönlihe Beziehungen‘ 
fih zu den Berhättniffen, In welchen der Bund nad) au: 
en fand. Bier müſſen wir uns eine genauere Relation 
verfagen; denn es ſteht dieſer Abſchnitt in weſentlichem 
Zuſammenhange mit den dem Entſtehen des Bundes zu: 
naͤchſt vorhergehenden, im erſten Buche geſchilderten Zu⸗ 
ſtaͤnden der deutſchen Literatur. Nur Folgendes heben wir 
hervor: Herder haste fich jederzeit den göttingifchen Dichtern 
theilnehmend und wohlwollend erwiefen und in Goethe, 
ben Verf. des „Goͤtz“, meinten fie einen gleichgefinnten 
Genoffen zu erkennen, der, wie fie es wollten, allen Res 
gen der Kunftrichter und Theoretiker in das Auge gefchlas 
gen habe. Trefflich iſt S. 302— 303 der zwiefache Ge⸗ 
fihtsyantt angedeutet, von dem aus betrachtet Goethe's 
fruͤheſte Werke und infonderheit der „Goͤtz“ einerfeits das 
Product ihrer Zeit, andererfeits als die felbfländigen Ans 
fänge einer ganz neuen kuͤnſtleriſchen Thaͤtigkeit erſcheinen. 

Bon ber edeln Unterwerfung unter das Geſetz der Schoͤn⸗ 
keit, von Form und Grafie war im „Goͤt“ noch wenig zu 
fpüren, und fo geſchah s#, baß bie Iugenb auch in biefem 
Stuͤcke, wie Gotthe feibft ſagt, ein Panter fab, unter deſſen 


Berfchritt Alles, was in ihr Wildes und lingefchlachtes Iebte, ich 


wol Raum machen bürfte, und gerade bie beflen Köpfe, in de⸗ 
nen ſchon vorlaͤuſig etwas Ahnlidies ſpulte, wurden bavon 


bingeriffen. 

Da Klopſtock und Wieland ganz eigentlich bie beiden 
Pete waren, zwiſchen denen die Göttinger fidh bewegten, 
jener der anzicehende, dieſer der abfloßende, fo wird unter 
der Auffchrift „Klopſtock und Wieland” die Betrachtung 
beider Dichter, wie fie ſich gefhichtlich entwickelt, welche 
Stufen unferer Bübung, welche Gegenſaͤtze ihrer Zeit fie 
zus Dorkellung gebracht haben, in der Kürze eingeſchaltet. 
Die GSoͤtunger feibft Armen nun kamn Wieland fo tief 
geſtellt Haben, als benfelben hier * Prutz ſtellt. Er be⸗ 
hauptet, was jene in den Angriffen auf Wieland vorge⸗ 
ſchoben, Franzoſenthum und Unfittlickbeit, waͤnen sur Au⸗ 

der eigentliche Gegenſad ſei der zwiſchen einer 
Poefie mit Pathos, mit kebendigem Gubjert, und einer 
b108 formellen Poeſie, welche das Subject nidge fühle, von 





m nn be nn nn nn 


3. Mär; 1843. 





der das Herz des Posten felbft nichts wiſſe und bewegt 
werde. Dabei wird bemerkt, daß in diefem Punkte bie 
Romantik der Schlegel u. f. w. eigentlich mit Wieland 
in Verwandtſchaft und Übereinſtimmung fei, da jene Ro⸗ 
mantie es ale Poefle der Poeſie gepriefen haͤtte, das ganze 
Geſchaͤft der poetifchen Production fronifirend zu treiben. 
Dies fei die Gefchichte von dem Hunde, der fein eigenes 
Bild anbelle, oder auch von dem Bafilisten, den fein Ans 
blick toͤdte. Liegt es nun ſchon völlig außer der Tendenz 
unfers Berichte, polemifirend gegen Hrn. Prug aufzutres 
ten, fo werfen wir doch hier folgende Frage auf: Kann 
der „Oberon“, der fih einer Aufnahme in Deutfchlanb 
erfreut hat, wie nur wenig andere Probucte der deutſchen 
Literatur, wol fo durchaus nur Dasjenige fein, was De 
Prug eine formelle Poefie nennt? Wäre der „Oberon“, 
hätte Wieland die Form dee Stange behandelt wie 3. B. 
Regis den Bojardo, nicht die dem Deutfchen zuſagendſte 
Umbilbung des Arioſto'ſchen Epos? Welchen Plag weiſt 
Hr. Prug dem Bojardo und Arioſto an, wenn er jene 
Anfiht won ironifirender Poeſie will confequent durchfuͤh⸗ 
ren? Sollte nicht jedee Art Urtheil über die Schlegel je: 
denfalls in refpectvollern Ausdrüden vorgetragen werden? 
Um nur bei A. W. von Schlegel ſtehen zu bleiben, hat 
nicht bderfelbe, mag man aud berechtigt fein ihn einen 
beutfch=alerandrinifchen Poeten zu nennen, in den zwei 
Bänden feiner Gedichte Herrliches geleifter, das überall 
Anerkenntniß finden wird, wo em gebildeter Kunſtſinn ge⸗ 
funden wird. | 

Wir wenden uns zur Berichterflattung zuruck. In 
dem Abſchnitte Kiopſtock's Projecte mit dem Bunde” wid 
dargelegt, wie Klopſtock, verſtimmt und gereizt durch den 
Vorzug, welcher Wieland in Deutfchland vor ihm zuer⸗ 
kannt wurde, und durch die verfehlte Wirkung, die das 
Erſcheinen der „Gelehrtentepublik“ hervorbrachte, dem Ver⸗ 
bindeten fi inniger anſchloß und, auf dieſe geſtuͤtzt, allen 
widerſtrebenden Elementen zum Zioß, ſeine Gelehrtenre⸗ 
publik in Realität zu ſtellen beabſichtigte. Daß feine Hoff⸗ 
nungen nicht getäufcht blieben, weil etwa. ber Bund «6 an 
fih fehlen ließ, beweilt, was Voß im März 1774 an 
Brückner ſchrieb: nn Ä 

Komm her, mein iehfler Bunbesbsuber, und umarme mid! 
Bote hat einen Vrief von Klopftock an den Dund mitgebracht. 
Hier if die Mhfiheift. . Der 'gehfte Dichter, Dee eefle- Deutfche 





y , » we, 
% B 2 u . 346 ‚ ‘ 
R| ⸗ * * 


von denen, bie leben, ber froͤmmſte Mann, will Antheil haben 
an bem Bunde der Juͤnglinge. Alsdann will er Gerftenberg, 
Schönborn, Goethe und einige Andere, die deutfch find, eintaden 
und mit vereinten Kräften wollen wir den Strom des Lafters 


und der Sklaverei aufzuhalten ſuchen. Zwoͤtf follen den inner 
einen Sohn an, ber um nach 
Mehr wiſſen wir 


Bimd m Sir nimmt 

deinem Ze Folgt; Tonfk wählen die Eife. 
ſelbſt noch nit. Gerftenberg wundert fi, wie Deutfchland 
nah Göttingen gekommen ift. Die Grafen fohreiben, daß er 
viel von uns erwartet. Schande über uns, wenn wir feine Er: 
wartung nidt erfüllen. Aber Gott wirb uns helfen! Denn 
Breiheit und Tugend iſt unfere Loſung. Ohne Einwklligung des 
Bundes darf künftig Niemand etwas druden laffen. Kigpftod 
fetbft will ſich dieſem Geſez unterwerfen. " A 

Bor der Meife nach Hamburg Oftern 1774, Voß 
erſtem perfönlihen Zufammentreffen mit Klopſtock, ſchreibt 
er (©. 328): | 

O Klopſtock, edler, aroßer, urbeutfcher Mann! In feche 
Wochen hab’ ich bein Anffig gefehen und, Heil mir! Dich um: 
armen. bürfen! Damm ruht bein. Segen auf mir. 

Und dann bricht er in die vwoilden Worte aus: 

Dann wirb das Gebein der Satandopfer erbeben und 
Deutſchland von neuem Deutfchland, eine Wohnung ber Red: 
lichen fein. 

Der Hohmuth kam (vgl. den Abfchnitt „Trennung 
des Bundes”) ganz eigentlih, wie Hr. Prutz fügt, vor 
dem Falle, und in dem Übermaße der Begeifterung hatte 
man nicht berechnet, es müffe gefchehen, was 1774 ge: 
ſchah, und der Verein, von Berufs: und dufern Verhälts 
niffen getrieben, von Göttingen aus nad allen Dimmels: 
gegenden zerftreut werden, fo aber die unausbleibliche End: 


fhaft erreichen. ı 

Das dritte Buch verfolgt‘ die literariſch⸗ Hiftorifchen 
Beziehungen ber zerfireuten Mitglieder nach Auflöfung 
bes Bundes. Hoͤchſt anzichend und bedeutend ift, was 
bier über Hölty, Bürger, Voß und die Stolberg gefagt 
wird, deren Namen Deutfchland in feifcherm Andenken 
bewahrte als die ber Übrigen. 

Mir fchließen hier, indem wir wiederholen, was Hr. 
Prug felbit, recapitulirend, Über die Grundanfichten feines 
Werks (S. 404) fagt: 

Wir haben gefehen, wie von der Reformation. ber bie Ver: 
nichtung des Gonventionnellen und ‚die Lebendige MBetheiligung 
bed Subjects am Inhalte der Kunſt, am Schönen, bie Wafgabe 
unſerer Poeſie wird; wie der goͤttinger Dichterbund in dieſer 
Entwickelung den abſtracten Klopſtock ſchen Standpunkt zu fixi⸗ 
ren und in der Literatur zur Herrſchaft zu bringen ſucht; wie 
aber dieſe Bemuͤhungen ſich ſchon in ihrem erſten Anfang als 
nichtig exrweiſen und wie die Dichter des goͤttinger Bundes, 
flatt die Welle der Gntwidelung aufzuhalten, vielmehr ſelbſt er⸗ 
griffen werden von ihr, ja wie ſie zum groͤßten Theil in dieſem 
Strudel untergehen. Was ihnen verſagt iſt, hat inzwiſchen 
Soethe erreicht, die Ausſoͤhnung des individuellen, perfoͤnlichen 
Inhalts mit dem Inhalte der Kunft, die ‚Darftellung und Bots 
iendung des poetiſchen, des ſchoͤnen Subjects. E iſt der Ab⸗ 
Ichluß dieſer geſammten Entwickelung, der mild herrſchende, ſe⸗ 
lige Zeus, der aus dem Titanenkampfe der ſiebziger Jahre ſich 
in ſelbſtgenuͤgfamer, majeſtaͤtiſcher Sicherheit erhebt. 34. 





7 Sprachveränderungen 
Außer der Mode, welche, gemeinigtidy von Frankreich aus: 
gehend, ſich faft über bie ‚ganze civittfirte Melt verbreitet, gibt 
- gb eine Menge. weit. heflerer. Gebraͤuche, die wir Drutſchen von 
diefem Rachtariande annehmen follten. Dahin ‚gehören aber ge⸗ 


zihr, dem Kör 
ſchreiten Begriffen ſteht vop irgend wen der B 
zuzurufen fei: 


geweſen, diefelbe, Zeit und Umſtaͤnden 


wiß nicht die feltfamen Schranken, in benen noch vor wenigen 
Sahrzehnden die franzöfifche Sprache durch die Akademie zu 
Paris feftgehalten wurde. Als 0b bie Sprache allein dem fteten 
Wechſel aller irdiſchen Erſcheinungen zu entziehen wäre, als ob 
des Geiſtes, während biefer im xten‘ Forſ⸗ 
I mit Erfolg 
is bierhek_umb nicht weiter! Erſt eine ziem⸗ 
liche Zeit nach der im J. 1789 ausgebrochenen Revolution hoͤrte 
das Woͤrterbuch der franzoͤſiſchen Akademie auf, eine nicht zu 
beſtreitende Wahrheit, ein unantaſtbares Richtmaß zu ſein. Als 
während der revolutionnairen Kriſis der neue Zeitfirom Frankreich 
mit neuen Worten, zum Theil ſo unerhoͤrt, wie die meiſten der 
neuen Greigniffe, uͤderflutete, verſchanzte ſich die. fra fiiche 
Akademie zwar um fo balsflarriger in ihr Wörterbuh, am 
Ende wurde fie aber doch durch die von allen Selten auf fie 
sufliegenden Bomben zur Sapitulation mit den fogenannten Ber: 
unreinigeen ber franzöfifchen Sprache genöthigt. Jeder voruͤber⸗ 
gehende Auftand gebat, neben den dem Sprachſchatze für im⸗ 
mer erbeuteten Worten, auch ſolche, bie mit Sen epbemeren 
Sreigniffen, aus denen fie entfprangen, wieber fpurlog dahin 
farben. So erging es natürlich 3. B. dem Worte Zan- 
terniser, ald man das fofortige Grareifen und Aufhaͤngen 
jebes Verdaͤchtigen, wenn auch vieleicht noch nicht als ein am 
ges Werk der Finſterniß betrachtete, doch die Raternen wenig⸗ 
ſtens der ihnen zugemutheten neuen Nebenfunction, den Galgen 
vorzuftellen, wieder entbunden hatte. Andere zu ihrer Zeit im 
Übermaße angetvcndete neue Wörter verſchwanden plöglich wies 
ber gang aus der Schriftſprache, ehe noch deren eigentliche Be⸗ 
beufung im Auslande recht Elar ‚geworden war. Noch erinnere 
ih mich aus einer fpätern Zeit, den erften Jahren bes Juli⸗ 
throns, des Spottnamens Bousingot, welher hauptſaͤchlich 
in den ſatiriſchen pariſer Blaͤttern, wie dem „Figaro”, vorkam. 
Daß er im Allgemeinen einen ſogenannten Republikaner der 
J. 1831 und 1832 bezeichnen folite, war gewiß über die urs 
ſpruͤngliche Bedeutung des Wortes aber gab weder das Wor⸗ 
terbucy ber franzoͤſiſchen Akademie noch eins von benen, bie 
feiner Autorität jedes von ihm nicht anerkannte Wort zum 
Opfer brachten, noch auch ein minder ferupulöfes, das mir zur 
Hand war, das bekannte Laveaur’fche, einige Auskunft. Ende 
lich fand id in ber ſechſten Auflage des Oupplements 
Woͤrterbuche der Akademie, vom 3. 1836, daß ein Hut der 
Schiffleute (marins) fo genannt werde. Dabei fieht noch bes 
merkt: „Par extension se dit de celui, qui s’affublant de ce 
chapeau, prötend faire connaftre, qu’il est r6publicain et 
fait parade de son costume bizarre: on appelle aussi Bou- 
singots cette surte de röpublicains. II est ironique.” Das 
im. 3. 18542 au Paris erfihicnene „Complöment du Diction- 
neire de l’Acad&mie francaise’”” behandelt das Boufingotwefen 
ſchon als eine bereits aus ber Reihe der Dinge geftriddene Er⸗ 
fgeinung ; indem es bei dem Worte Bousingot bemerkt: „U a' eat 
dit de quelques hommes, qui se distingusient par la bizar- 
rerie de leur costume et l’exageration de leurs opiniens de- 
mocratiques, ” 

Genug, au in Frankreich ift man neuerlich von. jenem 
unnatürlichen Sprachrigorismus ziemlich zurücdgelommen. 

Zum Glüd hat uns Deutfche ber laͤcherliche Stolz, daß 
unſere Sprache eine Vollkommenheit, die durchaus nichts zu 
wuͤnſchen übrig laſſe, befiße, nie angewandelt, um fie mit dhn« 
lichen Feſſetn wie die franzöfifche Akademie bie ihrige zu bes 
laſten. Wir fiad vielmehr, ungeachtet der etwanigen. Mider⸗ 
ſpruͤche der Pedanterie mancher Eprahforfher, immer bedacht 

ß, fortzubiübden. . Je, 
wir gehen vielleicht auf der entgegengefegten Seite zu weit, ins 
dem wir theils faft alien franzoͤſtſchen Wörtern in unferer Schrift 
das geſtatten, theils neue deutſche Wörter, Gone 
fiructionen und Redensarten: kilden, bie ſich weder bei einem 
gefunden Sinne für Wopllaut noch bei irgend einer. fonfligem 


« competenten geltigen Behoͤrde verantworten laſſen. Was bie 


franzoͤſiſchen Wörter in ber deutſchen Gprache betrifft, To find 


« 


ben Wörterbirchern der lehtern ſehr viele davon nicht mehr vor⸗ 
zuenthalten. Es geht aber deren Anwendung in der Schrift 
neuerlich wieder zuweilen bis zur Lacherlichkeit. Wie feit kurzem 
noch immer manche Berbeutfäher auslaͤndiſcher Rovelfen, zumal 
wenn bie Urfpradde zu ben minder befannten und verbreiteten 
gehört, vielleicht um ihre Gelehrſamkeit mehr außer Zweifel zu 
feten, bie gewöhnlichen Wörter, wie Water und Butter, Tiſch 
und Stuhl und aͤhnliche, in der Urſprache ihrer Überfegung 
einverleiben und ben deuffchen Namen in Noten unter bem 
Texte nadhbringen, fo glauben auch manche andere Gchriftftels 
ler ihrer Profa rinen größern Schmud durch Aufnahme der ge: 
mwöhntichften fremden Wörter flatt der mit ihnen völlig übereins 
flimmenden beutfdyen zu verfihaffen. So genoß 3. B. untängft 
das abgeſchmackte, Halb franzoͤſiſche, Halb deutſche Baſtardwort 
Bornirtheit kurze Zeit des laͤcherlichen Triumphs, einen Ehren: 
ptas in ber deutſchen Schrift zu erhalten, da doch unſer echt 
deurfches Wort Beſchraͤnktheit fich gewiß in diefer weit ans 
ftändiger ausnimmt. Bon dem Worte Blafirtheit, obgleich an 
Ktanyg und Weſen mit bemfelben nahe verwandt und gerade 
wie jenes aus einem franzoͤſiſchen und einem deutſchen Stüde 
unnatürtich zufammengefchraubt, laͤßt ſich die Einbürgerung in 
die deutſche Sprache fchon eher entſchuldigen, weil dad Wort 
btafirt durch unfer ſtumpf oder irgend ein anderes deutfches al: 
terdings kaum erfchöpfend auszubrüden fein möchte. 

Brit entfernt, einen grillenhaften Sprachpurismus vers 
theidigen zu wollen, finde ich, daß dergleichen Ausländereien in 
der bdeutfchen Schrift doch viel deſſer thunlichſt zu vermeiden 
fin würden. Gin Anderes ift es, wenn das ausländifhe Wort, 
worauf e3 ankommt, durch fein deutfches vollſtaͤndig und ange: 
meſſen wiedergegeben werden Eann. Sogar in Fällen, wo, vers 
möge der Gigenthümlihkeit des Inhalts der Schrift, ein und 
daſſelbe deutſche Wort oft wiederholt werben muß, halte ich es 
für beffer, ein befanntes, feinen Sinn ausbrüdendes, auslänbi; 
ſches mit zu gebrauchen, als in die Fehler ber Eintoͤnigkeit oder 
des Misklangs zu verfallen. Obſchon bie Bemühungen der 
Sprachpuriſten und namentlich. des um das beutfche Idiom in 
vrelfacher Hinſicht hochverdienten Campe für die Bilbung neuer 
angemeffener deuticher Wörter lange nicht von fo umfalfenden 
Kolgen gemwefen find, als fie folches vermutheten, fo verdienen 
doch audy die wenigen ber hierin von ihnen gefchehenen Vor⸗ 
ſchlage, welche fich allgemeiner Billigung erfreuten, unfern aufs 
richtigften Dant. Schon darum, weil feitden andere Schrift 
fteller, mehr als je zuvor, zu Verſuchen gleicher Art ſich eben: 
falls bewogen fühlten nnd bie beutfche Sprache fo nach und 
nach mit recht vielen Wörtern und Ausbrüden wirklich bereis 
dyert worden, wenngleich nur bei wenigen die Namen Derer ſich 
in unferm Andenken erhielten, denen wir ihre Einfuͤhung ſchur⸗ 
dig find. Beſonders bat unter Andern Goethe uns ein wahrs 
haft werthoolles Geſchenk mit manchen Wörtern gemacht, die 
er theils feibſt zufammenfrste, theils, als ganz verfchollen, un: 
ferer Schriftfprache reclamirte. Dürfte auch vielleicht das unter 
die erfiern mit gehörende Wort Wohlhaͤbigkeit, obſchon neuer⸗ 
lich hier und da von andern Schriftftellern ebenfalls gebraucht, 
fh nur wenig Beifall erworben haben, fo hat fi) doch Goethe 
deffen deſto mehr mit Zurüdberufung bed geraume Zeit ganz 
wie verbannt gewelenen Wortes Gem uͤth erworben. Bald dars 
auf wurde freilid mit dem wicbergewonnenen Semüth in man: 
dem achtungswerthen literariſchen Producte wahrer Unfug ge: 
trieben. Unter Anderm gab es einen befonders ausgezeichneten 
Homan, in bem ed, gemeiniglih alliirt mit dem Beiworte zart, 
beinahe auf jedem Biatte fi zur Schau ftellte. Seitdem iſt 
das Semüth, als Paradepferd, Längit vergeſſen, während das 
wadere Bort fein wohldegründetes Recht auf die beutiche Lite⸗ 
ratur fortwährend bebauptet. Das aus Goethe's Feder eben: 
falls zuerit wieber bervorgegangene, durch kein anderes urfprünge 
fich deutſches vollfländig zu erfeßende Wort Naturell, ift nicht 
weniger ein hoͤchſt willlommenes Geſchenk von ihm, dem glaͤn⸗ 
’ Geftien unferee geſammten Literatur... a 
Er gibt aber auch wine yiemiihe Zaht mitunter zur Gantz⸗ 


243 


barkeit gelangter Wörter, deren Geltungsfäpigkeit wol in Zwei⸗ 
fet gezogen werden bärfte. Ais ein fotches betrachte ich das 
Wort entmenfcht, wie es vor kurzem erft in einem wichtigen 
deutſchen Werke von anerkanntem Verdienſte gebraucht worden 
it. Es flel mir um fo mehr auf, da es darin mit dem Sub⸗ 
ſtantiv Scheugtichkeit verbunden erfcheint. Was Fann man ſich 
wol unter einer „entmenfchten Scheußlichkeit“ denken? war 
meine erſte Frage, da doch ſchwerlich einer Scheußlichkeit ber 
Charakter des MRenſchlichen beizulegen iſt, deſſen fie hier als 
beraubt dargeſtellt wird. Die zweite Frage ſchloß ſich unmittel⸗ 
bar daran: Welche Bedeutung kann das Adjectiv entmenfcht 
uͤberhaupt haben? 

Vielleicht iſt Klopſtock, in einer Obe zum Preiſe be deut⸗ 
fhen Kaifers Jofeph's II., Derjenige, der den Ausdrud bei 
und in Aufnahme bradite. Die Stelle lautet: 

Wen faßt bed Mitleids Schauer nicht, wenn er firdt, 

Wie unfer Poͤbel Canaans Volk entmenſcht. 
Das Wort heißt in dieſer Beziehung offenbar fo viel als un⸗ 
menſchlich behandelt und ift daher einem fo hochbegabten Dich⸗ 
ter für ben eigenen Gebrauch wol zu verftatten. Ob aber auch 
im Allgemeinen feine Aufnahme in die Schriftfpradhe, in der 
es feitdem, bald unter diefer, bald unter jener Bedeutung er: 
fheint, zu dulden fein ſollte? 


Das Berbum entmenſchen kommt bereits in dem zwifchen 
den 3. 1818— 21 entftandenen Heinfius’fchen „Woͤrterbuch der 
beutfchen Sprache” vor und heißt diefem nach: der menſchlichen 
Geftalt, oder des menfctichen Gefühle, oder der menſchlichen 
Würbe berauben. Nah Kaltſchmidt's „Geſammtwoͤrterbuch“, 
welches im 3. 1834 erſchien, ift es den Wörtern verwildern, 
vertbieren, brutalifiven gleich geltend. 

Zugleich erinnerte ih mich anderer neuerlich mehr ober 
minder gebrauchter Wörter, wie Enechten und aͤhnlicher. Das 
Zeitwort knechten ift vermuthlich erſt nach Erſcheinung von 
Deinfius’ „Woͤrterbuch“ aufgelommen, wenigftens habe ich es in 
biefem nicht gefunden. In das Kaltſchmidt'ſche „Woͤrterbuch“ 
bingegen ift foldye8 neben dem andern, vielleicht noch apogry⸗ 
phiſchern Verbum knechteln, mit der Bedeutung: riechen, 
hoͤfeln, dienen, übergegangen. Wirb aber fihon der Sinn bes 
Worte entmenfhen etwas zweifelhaft, fo if der vom Verbum 
knechteln vollends unklar, da es neuerlich häufig in einer, der 
ihm von Kaltfchmidt beigemeffenen Bedeutung ganz entgegen: 
gefegten angewendet worden, und fo viel ale knechtiſch behan⸗ 
dein, zum Knecht herabwürdigen, ausbrüden fol. Eine Menge 
ähnlicher neuer Wörter von gleich ſchwankender Bedeutung und 
darunter auch ſolche, denen aller gerechte Anfprudy auf Eriften;z 
abgeht, werben der Aufmerkſamkeit unferer Sprachforfcher ge 
wiß nicht entſchluͤpft fein. 

Dies Alles nun machte den Wunſch recht Tebenbig in mir, 
baß Icätere dielen Gegenſtand, nebft mandyen andern die beutfche 
Sprache angebendben Dingen, einer befondern Würdigung uns 
terwerfen möchten. Iſt die deutfhe Sprache feit dem letzten 
Decennium des 18. Jahrhunderts vorzüglich mit durch unfere 
Goethe und Schiller zu dem Höhepunkte gelangt, auf dem ihr 
in ihren volltommenften Erſcheinungen die To häufig gemis⸗ 
brauchte Benennung Claſſicitaͤt nicht mehr flreitig gemacht wer: 
den kann, fo muß uns chen letztere am meiften auffodern, Al⸗ 
led zu Erhaltung und weitern Vervollkommnung berfelben beis 
zutragen. Wermöge ber erfreulichen Regſamkeit dieſer Zeit, 
auch in Wiffenfhaft und Kunft, hat ſich in unferer fo bildungs⸗ 


fähigen Sprache mande Weränderung nah und nad, zum 


Theil gan, von ungefähr, eingeftellt. 
wahrhafte Verbefferungen anerkannt, andere dagegen nicht da⸗ 


Mehre bavon find ale 


für, noch andere gar von vielen für ganz unzulaͤſſig geachtet 
worden. ine recht genaue Reviflon ber geſammten ſprachlichen 
Veränderungen und ein darüber zu veroͤffentlichendes Gutachten, 
welche davon beizubehalten und welche zu verwerfen fein möchs 
ten, wo möglid von einem Vereine bazu Befahigter, koͤnnte 


. deshalb gewiß ein fo nüsliches als in jeder Hinſicht dankbares 
Unteneimen werden. 


. - 





Was zunaͤchſt den bei Ku 
Ichaffener Wörter überhaupt zur 
angeht, fo dußert darüber der franzoͤſiſche Sprachgelehrte Boiſte, 
veflen überhaupt reichhaltige® „Dictionnaire universel de la 
laague frangaise‘' im J. 1 
Meinung, daß jedes durch die Preffe in Umlauf gefegte Wort 
ein Eigentbum der Sprache geworben fei. Auch fagt in dieſer 
Beziehung das berühmte Mitglied der franzoͤſiſchen Akademie, 
Sharles Nobier, in feiner Vorrede zu der durch ihn beſorgten 
achten Auflage deſſelben Woͤrterbuche: er babe von beflen uns 
glaubiicher Überfrucdtung (superfetation) nichts weggenommen, 
ald was aller Autorität ermangele. Dabei findet er ſich zu fols 
gendem Gutackten veranlaßt: 

Jedes Wort ift aufnehmbar: 1. wenn es nothwendig, 
3. wenn es gut zufammengefegt, d. h. etymologiſch begründet 
ift und fein Bau eine Form hat, die es fo viel ald möglich) 
den ihm in logifcher Ordnung verwandten Wörtern annäbert, 
3, wenn es auf bie Autorität eines anerkannt guten Schrift 
ſtellers fich zu fügen vermag (lorsqu’il est appuyé de la sig- 
nature d’un homme, qui a l’autorit& necessaire pour €crire). 

Die beiden erften Eigenfhaften würden wol auch im Deuts 
ſchen den aufzunchnienden neuen Wörtern zur Bedingung zu 
machen fein. Dagegen laͤßt ſich bie dritte als ein nachtheiliger 
überfluß betrachten. Abgeſehen davon, daß bei vielen neuen 
und als gut anerkannten Wörtern die richtige Erörterung, wie 
fie in. die Sprache gefommen, überaus ſchwierig ift, will aud) 
in diefer Hinficht die Autorität felbft des berühmteften Schrift 
ftellerö wenig oder nichts bedeuten. Denn was hat dad Erfin- 
den und Geftatten brauchbarer Wörter mit der Kunft, gut zu 
Schreiben, gemein? Erweift ſich aber das Wort, von ber Sprach⸗ 
kunde auf die Wage gelegt, ald vollwichtig, fo gewährt ihm dies 
die befte Eegitimation für fein Dafein und es bedarf einer ans 
dern Autorität gar nicht weiter. Aus diefem Grunde muß es 
wirklich befremden, wenn Dr. Nobier beiennt, daß behufs ber 
nothwendigen Befchränfung des offenbaren Wortüberfluffes in 
Boifte’8 Dictionnaire” der Mangel an aller perfönlichen Autori⸗ 
tät allein zum Maßſtab genommen worden. 

Deſto einleuchtender fcheint dagegen, was Lorenz Diefen: 
bach vor kurzem in ben „Jahrbuͤchern für wiffenfchaftiiche 
Kritik“, 1842, Nr. 100, bei der Anzeige von Buche’ 
Buche zur Geſchichte und Beurtheilung der Fremdwoͤrter im 
Deutfchen Außerte. Jeder Einzelne, fagt er, der dinreichende 
Kenntniß und Handhabung der Mutterfpradye und zugleih eine 
befondere Einfiht in den Gang ber 3eitintereffen befigt, hat 
das Recht, eine Einwirkung auf die Sprache zu verſuchen. 
WVenn aber aud bie Wägung und Beurtheilung aller Ver⸗ 

fuche in Schöpfung neuer deutfcher Wörter eine Hauptaufgabe 
bei dem vorgefchlagenen Unternehmen wäre, fo dürfte fid daf: 
felbe doch keineswegs einzig darauf befchränfen. Vielmehr würs 
den viele andere in das Gebiet der Sorachkunde einſchlagende 
Gegenftände, wie ganze Redensarten, GConftructionen und fon: 
flige neuerdings erft vorkommende Eigenthuͤmlichkeiten ebenfalls 
in Betrachtung kommen müffen. &o 5. B. wurde vor noch nicht 
allzu langer Zeit zwifchen dem Worte Ahnen und Ahnden 
durchaus fein Unterfchied gemacht, ja, man leitete das myſte⸗ 


ridfe geiftige Worgefüpl von etwas Zufünftigen, das damals fo | 


gut Ahndung geſchrieben wurde, als die Ahndung, welche Strafe 
bebeutet, von Ahnd ab, einem obfoleten Worte, das fo viel wie 
Geift gebeißen, noch immer ald Aan und Ande in Daͤnemark 
und Schweden vorhanden iſt, und wollte ihm daher fein d durch⸗ 
aus nicht entziehen laſſen. Goethe (und wenn ich nicht irre 
auch Schiller) hat den feitbem in Gang gekommenen unterſchirb 
zwiſchen Ahnen und Ahnden ebenfalls nicht anerkannt, fondern 
immer für beide, dem Sinne nad} ganz verfchiedene Wörter 
das d beibehalten. Auf ähnliche Ark ift das im hoͤhern Stile 
ſtatt Athem gebrauchte Wort Odem, vormals nicht, wie jene®, 
mit einem m, wie es neuerlich faft überall vorfommt, fondern 


mit dem n gefcjrieben worden. Der wadere Dichter und 


me und Berwerfung aeuge⸗Gyorachforſcher Johenn Gelenk Mei —— — 
and zu nehmenden Waßftab. | pen für Genauigkeit im Metrum und Reim, gebraudite es 
wie vormals in einem, ich glaube, „Mailied“ uͤberſchriebenen 


841 die zehnte Auflage erlebte, die 


Verf. zu einem ber 
reichs gemacht haben. 





lieblichen Gedichte. Gr reimt barinı. 
Alles taumelt, mir verfiegt der Oden, 
Unter meinem Buße brennt der Baden. 

Eine befondere Grwägung bürfte- unter nod vielem, Dies 
lem Anbern wol auch bie neuerlich in ber beutichen Eiteratur 
immer mehr zur Herrſchaft gelangte Bewohnpeit, die Eigen 
namen nicht zu flectisen, verbienen. Rach der Meinung bed 
Verf. dieſes Auffages kann ber beutiche Schriftfieller das Fiec⸗ 
tisen ber Namen faum umgehen, will er nicht bäufig in Steifs 
beit und Unverftänblichleit verfallen. Es ſcheinen auch desha 
in der neueſten Zeit ſogar einige der juͤngſten Schriftſteller 
entweder vom Nichtflectiren der Namen ganz zuruͤckgekommen 


zu fein, ober fie haben daſſelbe wenigſtens an Stellen, wo es 


zur unklarheit geführt hätte, vermieden. Letzteres würde bar: 
auf hinweifen, daß, um nicht der Inconſequenz fi ſchuldig zu 
machen, es doch wol am rathſamſten ſein möchte, den Namen, 
wie vormals, die gewöhnlichen Beugungen zuzugeftehen. Sole 
ches haben auch noch Goethe und Schiller nicht unterlaffen. 
Im vollen Gefühle der aͤußerſten Unvollftändigkeit und 
Schwaͤche dieſes Auffages wiederholt dev Verf. am Schiuſſe noch⸗ 
daß er einzig bie zufällige Frucht des Augenblicks iſt und. nichts 
ale wohlgemeinte Winke zu einem Unternehmen enthalten follte, 
deſſen Nutzen für unſere Sprache wol keinem Zweifel un⸗ 
terliegt, wenn daſſelbe mit deutſcher Umſicht und Gruͤndlichkeit 
zu Stande gebracht wird. Außer einer Menge hier gar nicht 
beruͤhrter, anderer Dinge, die dahin gehoͤren, wuͤrden in dem 
vorgeſchlagenen kritiſchen Werke auch die gewagten Verſuche 
aͤlterer Sprachkundiger in neuern Schoͤpfungen, wie z. B. Cam⸗ 
pe's und Wolke's, auf Beruͤckſichtigung Anſpruch haben und 
ihnen vielleicht noch manches dankenswerthe Kleinod fuͤr unſern 
Sprachſchatz abzugewinnen ſei. 35. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


‚ Bi „Revue de Paris” hat eine Reihe Feiner, mehr oder we⸗ 
niger intereffanter Novellen von Andre Delrieu gebradt, 
die alle einen fentimentalen Anflug hatten. Gie ſpielten faft alle 
in Deutfchland und zwar meiltens im füdlihen Theile deſſelben. 
Der Verf. feheint diefen Schauplag feiner Erzählungen aus 
eigener Anſchauung zu kennen. Der „Siecle” hat auch in ber 
That, wenn wir nicht irsen, eine Reihe von Reifeberichten aus 
Deutfchland gegeben, die aus bexjelben Feder gefloffen waren. 
Gegenwärtig erhalten wir nun von Delrieu ein größeres Werk: 
„Vie d’artiste. Souvenirs d’Allemagne‘‘, das ganz denfelben 
Charakter bat, wie bie eben erwähnten Novellen ber „Revue 
de Paris’. Deutſchland iſt in dieſem Bande ganz fo mond⸗ 
ſcheinſuͤchtig, liebeſchmachtend, blauaͤugig, wie es ſchon unzaͤh⸗ 
lge Dial Don franzoͤſiſchen Romanfchreibern dargeftellt il. Im 
Übrigen ift das gut gefchriebene Werk nicht ohne Jntereſſe. 
Beſonders anerlennungswerth ift bie Liebe, mit der der Verf. 
an unferm Waterlande zu hängen fcheint. 


Emil Souveftre ift au in Deutſchtand, namentt 
durch feine Romane und Dramen, von benen ein guter Theil Pd 
auf unfern Bühnen zur Aufführung gefommen tft, befannt. In 
neuefter Zeit hat ſich diefer fruchtbare Schriftfteller auch mit 
politiſchen Gegenftänden befaßt und namentlid) in der „Revue 
de Paris’ einige Intereffante Auffäge über die franzöfifchen Go— 


lonien gefchrieben.‘ Sein neueftes Wert iſt ein Roman („Le 


mät de cocagne”), den man gewiß nicht verfehlen wirb ins 
Deutfche zu überfegen, um fo mehr, da er ed und wirklich zu 
verbienen ſcheint. Es zeigt fi in demſelben eben bie glüd: 
liche Erfindungskraft und die Reife der Darftelung die dem 
geachtetſten deuern Romandichter Scanfı 


Verantwortlier Heraudgeber: Leinsi Benhantk.. — Mind. unk Beriag von 9. KDretbanan Seipıia * | 


Blatter 


- für 


literariſche unterhaltang. 





Sonnabend, 





Stunden —* Andacht. Von Ludwig gHäfe elf. 
on Theile. Gießen, Heyer Vater. 1841. Gr. 8. 


Von einem ber großen flädtifchen Feuerherde, die das 
vergangene Jahr gefhürt hat, in fein entferntes einfames 
MWalddorf zuruͤckkehren, beffen Mohnungen, unter ſchuͤtzende 
Baͤume zerſtreut, eben in diefer Zerſtreutheit die beite Af: 
—— gegen eine totale Zerſtoͤrung durch die Flanmme 

onnen haben — in die Stille der Waldheimat die 
Erinnerung an all die Zerſtoͤung und Verwuͤſtung, des 
Koftbaren wie des Werthlofen, ‚deren Zeuge. man geweſen 
if, mit zurldinchmen — es mag dies ‘wol eigene Con⸗ 
traſte geben, und in die ſorgloſe Sicherheit des natuͤrlichen 
Waldbewohners manche Betrachtung und Erwägung ein⸗ 
führen, an die wol außerdem ſchwerlich würde gedacht 
worden ſein. Schroffer und ſchreiender indeß duͤrfte der 
bier ſich offenbarende Gegenſatz gewiß nicht fein. als jener, 
dee unvermeidlich da ſich herausſtellen muß, wo ein ein 
facher, laͤndliche Wann, im Glauben feinet chriſtlichen 
Väter anferzogen, über bie Brandflätten hat wandeln 
müfien, die auf dem Gebiete der vornehmen Theologie 
und der philoſophiſchen Chriſtlichkeit in der legten Zeit Im 
ſchauerlicher Ausdehnung entilanden find, und nun noch 
voll des Schreckens in der Befremdung, bie durch ſolchen 
Anblick der Zeritörung in feiner Seele gemacht werden 
mußte, in den heitern und ducchfichtigen, wenn auch in 
einen Eleinen Horizont gewiefenen Kreis feines einfachen 
und durch vieljährigen Befisftand ficher gewordenen Glau⸗ 
bens fich zuruͤkwendet. Es muB ganz natürlich eine bis⸗ 
ber nicht gelannte Unruhe über ihn kommen und be 
Riufte, ruhigſte Genuß feines alten Beſitzthums kann 
fortan nicht ſtattfinden, ehne daß da und dort beforgliche 
Anmerkungen ſich ihm aufdrängen und Seitenblide auf das 
mit Scheeden und Entfegen Gefchaute fallen. Ja, wenn 
eg au mit dem Gedanken ſich teöflet, daß die meiften 
ber serfkönten Palaͤſte und. in Schutt zerfallenen Prunk⸗ 
gebäude in kurzem wieder aufgebaut fein und nur wenige 
entbehrtiche, zufammengebrochene Dallen als Ruinen bie 
erfien Jahrzehnde Überdauern werden, fo. ſchwindelt ihm 
Doch bei dem Gedanken an bis werruchte Dand, die augen: 
ſcheinlich die meiften dieſer großartigen Brände gefchürt 
hat, fortwährend; er finnt, wie er feine Hütte vor ber 


Gefahr der Zerſtoͤrung, die in ihrer allgemeinen Zufällige 


nf 


keit ihm eben jest zu dem voliften Bewußtfein gekommen 
iſt, noch beſſer als bisher ſchuͤtzen koͤnne; und der vollſte 
Genuß feines Eigenthums wird für ihn wenigſtens eigene 
thuͤmlich gefaͤrbt und gewuͤrzt durch die fortgehende Mah⸗ 
nung an die Truͤmmer, die er geſchaut hat und in die 
er das Himmeldach uͤber ſeinem Haupte nur mit unend⸗ 
licher Wehmuth wuͤrde zuſammenbrechen ſehen. Es iſt 
natürlich, ja wir koͤnnen wohl fagen: unvermeidlich, daß 
der Gläubige jegt, wenn er auch noch fo fern von dem 
eigentlichen Flammenherde ift, da er bie gewaltige Feuers 
wolfe immer im Auge hat, felbft mitten in feinen ruhige 
ften Erbauungsflunden der ungeheuern Zerftörung gedenke, 
ihre Schrecken ſich vergegenwaͤrtige und ſo ſeinem eigen⸗ 
ſten Glausbensleben fortgehend etwas Abwehrendes und 
Ablehnendes gegen die Glaubensverwuͤſtung der Zeit als 
ſpecifiſchen Beigeſchmack zumiſche. 

Wir glauben mit dieſen wenigen Worten den richti⸗ 
gen Standpunkt für die ‚Stunden chriftliher Andacht“, 
die wir unſern Lefeen näher zu bringen gedenfen, minde⸗ 
ſtens der Form nach "gefunden zu haben und von ihm 
aus ihre Eigenthuͤmlichkeit am beflen entwideln und ex 
Hören zu können. Bon einem al$ redlich, entichieben 
und geiſtvoll anerkannten Verf., dem teefflihen Huͤffell, 
dem das Verdienſt bleibt, in das erſtarrte proteftantifche 
Predigerthum ein neues, frifches Leben gebracht zu haben, 
wird zunaͤchſt der chriftlichen Erbauung eine ſeht umfangs 
veiche Babe geboten, zugleich aber zieht ſich um alle ein⸗ 
zelne Theile dieſer Gabe ein ziemlich breites Band des 
Apofogetifchen, das zum Öftern in das Gebiet des Pole 
mifchen fogar übergreift, und ihr Verf. erinnert infofern 
an die Baufeute unter SJerufalems Trümmern, von wel: 
hen «8 beißt: „Mit einer Hand thaten fie die Arbeit und 
mit der andern hielten fie die Waffen.” Wir haben in 
der jüngften Zeit mehr als eine Erbauungsfchrift, die den 
Namen von ber fo verfchieden beurtbeilten apauer Schwe⸗ 
ſter borgte, erhalten und in die Reihe derfeiben tritt auch 
bie vorliegende ein; fie flellt fi) aber daneben die Auf: 
gabe, theils den Aufbau chriftlichen Glaubens und Lebens, 
ben fie beabfichtigt, Ins Bauen jelbft, zugleich vor den 
Slammen, die jegt von fo vielen Selten her alle Gebäude 
folder Art mit völliger Berftörung bedrohen, zu ſchuͤtzen, 
theil6 in einem gewiß echt chriftlichen Mitgefühl ihrer 
Trauer über die Verwuſtungen, bie ber Brand der Zeit 


5 


ſchon über fo manche, Stadt auf dem Berge“ heraufge— 


führe hat, Worte zu geben. Bu drohend erleuchtet If} 


dem Verf. ber ganze Horizont des chriſtlichen Seins in 


der Gegenwart von ber Brandfadel, die in den Speichern. 


und” Baennehrien der Yauptlapripiäge der Kirche 
ihre üngcheuern Verbüfbangen anzorichtet hat und anzu⸗ 
richten fortfaͤhrt, als daß er in irgend einem Moment ſei⸗ 
ner ſeelſorgeriſchen Thaͤtigkeit davon ganz hinwegſehen koͤnnte, 
und fo beſtrebt er ſich zwar, Chriſtliches zu ſchaffen und 
zu bauen, aber zugleich möchte er auch gern Das, was 
er ſchafft und baut, vor der zerflörenden Gewalt des freis 
gewordenen Elements moͤglichſt verwahren, und in noth: 

| Ideenaffociation kann er ‚darum wicht anders 
als in ſchmerzlich klagender Weife über die Schreden ber 
Berwuͤſtung, die in der Nachbarſchaft fich kund geben, wieder: 
holt ſich ausfprechen. Um diefe Form feiner Schrift mit 
Sicherheit durchzuführen, umfaßt er ziemlich vollftändig — 
den Maßſtab feflgehatten, den er für Ausführtichleit und 
Ausdehnung einmal angenommen hat — das Ganze des 
ehriftfichen Glaubens und Lebens, ſodaß namentlih auch 
von Dem, was zu dem Außenwerk und zur Einleitung 
gehört, nichte Weſentliches übergangen iſt, ohne doch eine 
fo logiſch geglfederte Ordnung, wie fie in einem Hand⸗ 
buche der Dogmatik etwa befolgt wird, feftzuhalten; und 
in 84 längern ober kuͤrzern Abfchnitten, im melden uͤbri⸗ 
gend bald der afcetifche, bald der apologetiſch⸗ polemifche 
Standpunkt der uͤberwiegende ift, wovon AL dem erſten 
und 43 dem zweiten heile angehören, ift in leichter, ges 
fälliger, nur felten die rechte Wuͤrde verleugnender (5. B. 
Th.2, 8.407 „eine unglaubfiche Lahmheit“ 7) Darftellung 
fir einen großen Kreis chriſtlicher Lefer ein Vorrath geifts 
licher Nahrung anfgefpeichert, den wir mit vollem Recht 
zum Gebrauch empfehlen können. Wirklich entfpricht auch 
diefer Form die Entftehung diefes Buchs auf fehr finn: 
weiche Weiſe, indem wir aus der Vorrede des erſten Theils 
erfahren, daß die Veranlaſſung einer neuen Auflage bes 
fchon im J. 1876 unter dem Titel „Des Lebens Weihe” 
erfchienenen Erbauungsbuchs unfers Verf. mit dem Vorſatze 
deffelben, über Gegenflände der cheiftlichen Glaubens: und 
Sittenlehte in mehr apologetifcher Weiſe fich öffenttich aus: 
qjuſprechen, zuſammentraf und ihn beflimmte, eine Vers 
einigung diefee beiden Tendenzen zu verfuchen, woraus 
das vorfiegende neue Werk mit wenigen Bogen des Altern 
Buche entflanden ift. 

Wir finden, wie wir auch die Sache auffaffen moͤ⸗ 
gen, die erwaͤhlte Zorm jedenfalls binlänglic gerechtfertigt 
und, wir fegen hinzu, auch in einem hohen Grade zeit: 
gemäß; bamit iſt jedoch mod nicht die Trage nach dem 
Inhalte, dee in folder Form gereicht wird, beantroortet, 
und iſt überall die Frucht wichtiger ale die Schafe, in 
weicher man fie uns bietet, fo möge man uns nit nut 
erlauben, diefem ruͤckſtaͤndigen Theile unferer Anzeige noch 
eine befondere Aufmerkſamkeit zuzuwenden, fondern auch 
es nachfehen, wenn mie die dabei gebotene Gelegenheit 
wicht unbenugt vorbeitaflen mögen, um das Allgemeine 
und in den Brennpunkt der Gegenwart fo auffallend Ge⸗ 
ſtellte, wie es eben von hieraus ums ganz vorzuͤglich nahe 


wo: 


s J’ 


tritt, einer, wenn auch nicht flüchtigen, boch Eurzen unb 
edrängten, Mufterung zu unterwerfen. Wir werben der 
ürze halber es unterlaffen, in das Beſondere des In⸗ 
halts einzugehen, una uns mit einigen allgemeinen Aus— 
und Aufſteilungen beügie. nt 
Unfern Verf. has allirdings ber geibaltige Feitbrand 
im Reiche der Theologie noch nicht fo berührt, daß feine 
eigene Hütte von ihm ſchon verzehrt worden wäre, und fie 
ift ihm zu lieb und werth, als daß er jemals daran den⸗ 
ten koͤnnte, die Brandfackel daran legen zu laſſen ober 
gar felbft zu legen. Aber wie fieht er nun von feinem 
Standpunkte aus die großartige Feuersbrunſt an, Die ge: 
ftenthume ausgebrochen ift und ſchon mehr als einem 
Palaſt in Schutt und Aſche gelegt hat? Mit andern 
Morten: Wie urtheile er uber bie negicende und aufloͤ⸗ 
fende Macht der theologifhen Gegenwart, die mit einer 
wahren Titanengewalt das Chriſtenthum anfangs nur 
dusch Sprengung einiger im Verborgenen angelegten Mi⸗ 
nen aus einigen Pofltionen verdrängt bat, zuletzt aber, 
durch eine offene Breſche eingedrungen in die eigentliche 
Feſtung, es nun in feinem Mittelpunfte zu uͤberwaͤltigen 
bemüht iſt? Oder — wenn es uns nicht zweifelhaft &fk, 
wie unfer Verf. über ein ſoiches Beginnen urtheilt, und 
daß er es nur für ein unheilvolles und frevelhaftes ers 
Hören könne — womit fucht er denn fein Urtheil zu bes 
gründen und hofft ihm bei Denen, die ihn hören, Gel⸗ 
tung zu verfchaffen? Hier nun fehen wir ihn allerbings 
auf einem GStandpımlte, der uns über fein Wohlmeinen 
und fein redliches Wollen Leinen Zweifel übrig laͤßt, auf 
dem wir ihm aber bei der Gewalt, die ihm gegenüberficht, 
unmöglich einen gürifligen Erfolg von feinen Anfttengums 
gen verſprechen koͤnnen, ja den wir infofern als ganz ver⸗ 
fehlt bezeichnen‘ muͤſſen, inwiefern von ihm aus die Würfe 
geſchoſſe in einer Richtung gefchleubert werden, die dem 
Stande, welchen die Yeinde eingenommen haben, geradezu 
entgegengefegt iſt. j 
Unfer Verf. geht von der alten, laͤngſt abgenmgtem, 
immer wieder vorgeficchten und dich am Ende -völig 
trügerifhen Borausfegung aus, „daB Unbekanntſchaft mit 
der chriftlichen Wahrheit das Grunduͤbel unferer Zeit im 
religioͤſet Hinſicht ſei“ (Vorr. S. v), und fie iſt der im⸗ 
mer wiederkehrende Refrain, der bald beſtimmt ausgeſpro⸗ 
chen, bald durch das Streben des Verf. und die Att und 
Weiſe, wie er feine Aufgabe zu loͤſen verſucht, angedeutet, 
faſt in jedem der einzelnen 84 Aufſaͤtze irgendwo aufkaucht 
und durchblickt. Dan kennt die Wibel und ihre Ger 
ſchichte nicht; man iſt nur oberflaͤchlich von den göttlichen, 
befonders von den chriſtlichen Dingen unterrichtet. Dark 
muß gelehrt, aufgektärt, die Unbefanntfchaft mit Bibel und 
Blbelgeſchichte in Bekanntſchaft verwandelt werden. Dars 
auf ſicht unfer Verf. die fogenannten gedildeten Elaffen 
der Geſellſchaft an; gibt ſich der ſanguiniſchen Hoffnung 
bin, wenn man ihnen nur erſt wieder fagen wollte, was 
ihnen bisher unbefannt geblieben fei, fo würden fie bald 
und ohne Derzug alle in ben. Schdos ded Chriſtenthums 
zurückkehren; macht audj wirklich alle moͤgliche Anſtren⸗ 


— — — —— 


gung, um bie Angelegenfjeit zu folcher Entfcheibung zu 
bringen; und iſt dennoch nad) unſerer Anſicht damit vom 
Unfonge bis zu Ende in unleugbarem Irrthume befangen. 

feibft nennen bie Gegner, denen unfer Berf. fo 
gern das Recht zur Erifienz ſtreitig möchte, die 
Wiffenden, und es wird ihnen ſchwerlich nachgemwiefen 
werden Eönnen, daß fie das ohne Grund thun, fomwie das 
bi6 zum Ekel wiederholte Gerede von halber oder falſcher 
Aufklärung genau genommen fi felbft In einem folcyen 
Grade. widerfpricht, daß es ber Mühe einer ernftlichen 
Widerlegung gar nicht werth if. Wo Aufklärung if, 
da muß aud Licht fein und Licht kann überall, wo «6 
erfcheint, um der Finſterniß zu wehren, infofern es dies 
teiftet, nur mit Freuden begrüßt werden; in der Dümme: 
rung aber ijt nicht das in der Steigerung begriffene Licht, 
fondern die weichende, allein immer noͤch nicht genug über» 
wältigte Finſterniß das feindliche Element; fie ſelbſt jedoch, 
die Dämmerung, der unentbehrlihe Durchgang, deſſen 
Überwindung den Fortſchritt bedingt. Es iſt unverkenn⸗ 
bate Selbſttaͤuſchung, wenn man bei Unglaͤubigen und 


Indifferenten Unbekanntſchaft, oder, um es naͤher zu bes 


grenzen, gtoͤßere Unbekanntſchaft mit chriſtlichen Dingen 
vorausſetzt, als dieſe im den ſogenannten glaͤubigen Zeiten 
bei der großen Maſſe vorausgeſetzt werden mußte. Findet 
in diefee Beziehung zwiſchen „Seht“ und „Vormals“ ein 
Unterſchied flatt, fo kann er nur darin gefucht werden, 
daß eben dem Willen von den göttlichen und chriftiichen 
Dingen noch ein weit größeres Muß andern, gar vielfäls 
tig geflalteten Wiſſens in der neuen Zeit zum Bewußt: 
fein unferer Lebensgenoffen gebracht worden iſt, von tel: 
dem man frühechin Leine Ahnung hatte; dabei es aber 
sicht zu vermeiden war, daß die getheilte, mitunter vool 
eigentlich uͤberſchuͤttete Kraft die einzelnen Gegenftände ih: 
red Wiſſens, und unter ihnen namentlich die des chrifts 
Eden Wiſſens, weldye letztern in vergangenen Zeiten bei 
Vielen die ganze ungerheilte, bei Allen wenigftens bie 
überwiegende Fuͤlle des geiſtigen Lichts auf ſich concenttirt 
hatten, nur mit intenfiv geſchwaͤchtem, wenigftene fehr vers 
aßgemeinertem Lichte befeuchten konnte. Wir geben zu, 
daß dadurch das Interefie am chriſtlichen Willen in un: 
ſerer Zeit geſchwaͤcht werden mußte, wenn wir auch dar⸗ 
auf kein ſonderliches Gewicht legen, daß Neuheit und 
Materialitaͤt des hinzugekommenen Wiſſens einen Reiz 
um dieſes legen mochte, vor welchem jenes andere gewiſ⸗ 
ſermaßen in Schatten zurüdtreten mußte. Aber daraus 
können wir unmöglich folgern laſſen, daß die Maffe des 
deiftlichen Wiſſens ſelbſt bei unfern Zeitgenoffen verringert 
worden fei; denn einmal liegt es in der Natur der Suche, 
Daß das den Tag bringende Licht, fo lange es noch im 
Auffeigen zu feinem Zenith begriffen ift, feinen der Ges 
genflände, die es bei feinem erſten Strahle berifftte, im 
Fortſchreiten ganz ünerleuchtet zurüdlaffen könne; ja, es 
it vielmehr nothwendig, daß, wie auch einzelne diefer Ges 
genflände durch andere von der unmittelbaren Beruͤhrung 
des himmilfchen. Strahles gefchleden werden mögen, ihnen 
ſaͤmmtlich frib die Thellnahme an dem im feiner allge⸗ 
meinen Verbeitung ygefteigerten Morgenlichte nicht entzo⸗ 


si 


gen werden kann. Aaf dee andern Seite Ifk es chenfo 
gewiß: wenn bie reale Seite bes chriſtlich-dibliſchen Wiſ⸗ 
ſens in unfern Schuien nicht mehr in ber Ausdehnung 
gepflegt und amgefülit wird, wie dies vormals gefchab, wo 
Geſchichte und Buchſtabe, in das Gedaͤchtniß niebergelegt, 
das ganze fragfiche Wiſſen vorzugsmeife begrenzte, fo Bat 
dagegen das kritiſche und reflecticende Element der religioͤ⸗ 
fen Auffaffung in unfern Tagen eine Ausdehnung und 
Aufnahme in da6 Bemußtfein gefunden, die der Gegen⸗ 
wart vor dee Vergangenheit das emtfchiedenfte üüdergewicht 
juwendet; und fomit muß wenigftens jede Differenz zwi: 
[den „Iegt‘ und „Vormals“, die auf das Weſen ſelbſt 
ſich bezieht, als vollſtaͤndig ausgeglichen angefehen werden. 
Wir können getroft den Verſuch einer Parallele zwiſchen 
einem Ariſtokraten der Gegenwart und einem chriſtlich de: 
voten Ritter des Mittelalters gefchehen Laffen, und Jener 
wird im Wiffen um die transfcendentale Welt von Diefem, 
ob ber Letztere auch ſelbſt in einem heiligen Kriege das 
Kreuz getragen haben folite, und wie groß in allem Üdri⸗ 
gen die Differenz zroifchen beiden fein mag, gewiß niche 
befiegt werden; und daß die Strauß, Feuerbach, Bruno 
Bauer, Ruge u. X. mit dem Detail des Hiftorifchen und 
Eicchlichen Chriſtenthums vertraut genug find, zugleich aber 
jemer allerdings zweideutigen, allein auf dem (Sebiete des 
Wiſſens unbedingt nothivendigen dialektiſchen Kunft in 
nicht gemeiner Weiſe ſich bemächtige haben, davon legen 
ihre Schriften, ſowie die factifhen Zugeftändniffe ihrer 
Gegner Zeugniß ab. 
(Der Beſchluß felgt.) 





RKomanenliteratur. 
1. Graf Promnig. Der Letzte des Haufes. Gin Familienſtuͤck 
von Leopold Schefer. Kottbus, Meyer. 1842. 8, 
1 Zhlr. 5 Nor. 

Graf Erdmann von Promnig ift von feinem Water nach 
Yaris geſchickt, um „Welt“ zu lernen, und da ift er denn auch 
fo fleißig, daß er faft zum Geripp wird, auch in einem Duell 
einen koͤniglichen Seitenſchoͤßting töbtet. Er kommt in bie Bas 
ſtille, ſoll Yingerichtet werden und wird nur mit Roth unb 
Mühe gerettet. Gein Vater hatte ihm einen pietiftifchen Hof⸗ 
meifter mitgegeben und bie Predigten biefes troſtloſen Menſchen 
trafen fo ungittih mit Erdmann's Ausſchweifungen zufams 
men, daß bicfer in bem Wahne, er habe die Suͤuden bes ges 
tödteten Prinzen auf fick genommen, blöbfinnig wich. &o 
kommt er nach Sorau zuräd; fein Biöbfinn mildert ſich zu et⸗ 
was Eindifchem Weſen, das ihn nicht abdaͤlt, eine Garolath ya 
beiratben. Die Ehe ift ungluͤcktich und wird durch die Ver⸗ 
wandten der Gräfin getrennt. Graf Erdmann tritt feine ganze 
@rafenderriihkeit gegen eine Gompetenz an feine Familie ab 
und will nun eine Buͤrgerliche beicathen. Die Familie weiß 
das zu hintertreiben und Eromann verſchwindet aus Goran. 
Nach Zabren kommt ein Bricf aus Kehl nach Herrnhut, wel⸗ 
her Nachricht vom Leben und Tode Erdmann's gibt. 

Wer mit dem Leben gegen die Mitte des vorigen Jahr: 
bunderts bin vertraut ifl; wer das zwifchen Ritters und Kraut> 
junkerthum ſchwankende Dafein des deutſchen Adels Eennt, befs 
fen Hoͤchſtes eine Reife nad dem frivolen parifer Dofe war; 
wen ferner das Pietiſten- und Herenbuterwefen nicht fremd 
blieb — der kann, zwiſchen den Zeilen leſend, ſich an mandyen 
Schüderungen diefes Bucht erfreuen, vorzuͤglich wenn er babei 
noch Word's „Seſchichte von Goran” und einige andere histo- 


rien zur Hand nimmt. Darin aber werben alle Leſer überein 
kommen, daß E. Schefer, wie mandyes Gute wir audy von ihm 
haben, audy hier, wie ſchon oft, durch gefärbte® Bias gefehen 
bat. Ob er Gedicht oder Geſchichte gibt, bas tft ihm ſelbſt 
nicht Bar; ebenſo wenig, was bie ganze Dauftellumg eigentlich 

fol. Er weiß allerbings recht gut, daß es nicht 
allein um ben factifchen Untergang. ber Promnige handle, aber 
das Walten der Remefis ift jo tief in Wollenbilder vermebt, 
daß jenes Wild, welches die Gräfin Reuß mit dem Briefe aus 
Kehl empfängt, das Räthfel nur noch mehr verwidelt. Es iſt 
daher recht gut von ihr, daß fie das Wild ins Feuer wirft und 
bald darauf flirbt. Ob außerdem die Sorauer etwa geborene 
Redner find, weiß Ref. nicht: jedenfalls aber erſcheinen die uns 
abfehbaren Vorträge der Dienftleute und anderer Yerfonen, nas 
mentlich des Schlotkehrers Züftel, fehr ermuͤdend, wie manches 
Drollige fie auch geben. Das Herenhutertbum ift in einer 
Weife benugt, vie belächelnde Abneigung erweckt; Graf Zinzen⸗ 
dorf geht nur einmal von weitem an uns vorüber, um dem 
Grafen Erdmann ein paar Worte zu fagen. Allerdings hat 
das Weſen der WBrüdergemeine feine ſchwachen Seiten, das 
geht uns hier aber nicht an, weil dieſes Wefen unzulänglich bes 
nust wird. Gbenfo gebt ed mit ter Pietifterei. 2%. Gchefer 
feat bei feinen Lefern Alles voraus, was er felbft genau weiß. 
Dann aber bebürfen wir ber Darftellung überhaupt nit, und 
e8 wäre ſchon genug, wenn etwa dem Kiebhaber der @efchichte 
ganz ſchlicht chronikartig die Facta mitgetheitt wuͤrden. 


2. Nebert. Gin geiftlicder Roman von Adolf Fuchs. Zwei 
Bände. Roſtock, Leopotd. 1842. 8. 1 Thir. 26%, Ngr. 

Robert fieht feinen Water, der biöher Rector war, vom 
©uperintendenten als Prediger einführen und ba malt er ſich 
das Leben eines foldden, namentlich eines Landpredigers, fo 
biühend aus, wie wir das häufig finden. Mit feiner Confir⸗ 
mation verliebt er fih auch in Maria; dann bezieht er die 
Akademie, weiß fich nicht zurecht zu finden zwiſchen Rationaliss 
mus und Supranaturalismus, burfchenichaftelt ein wenig, hat 
auf ber Zerienreife nad) der Heimat beinahe ein Duell mit einem 
Offizier, der fich glücticherweife noch zu rechter Zeit als Das 
ria's leibliher Bruder darſtellt. Dann fteigt er Nachts ins 

nfter feiner Lieben, wird vom Stiefvater' überrafcht, und da 
in jedem guten Romane ein Zyrann nicht fehlen darf, fo ift 
diefer Stiefvater ein abſcheulicher Menſch, während die beiben 
jungen Leute fo unfchuldig find wie bie Engel im Himmel. 
Maria fol nun einen Krämer beirathen und biefer ift natürlich 
eine Caricatur. Sie will ihn nicht und der Gtiefvater, der an 
ihrem etwanigen Vermögen fo viel Recht hat wie ber Kaifer 
von Ehina, der nie ein Wort laut werben ließ, daß fie feine 
Erbin fein folle, der Unmenfch droht mit Enterbung. Um das 
Ungluͤck vol zu machen, wirb dem ebeln Robert bei einer Pres 
digerwahl ein Anderer vorgezogen, ber, wie fidy von felbft vers 
ſteht, nichts tougt. Robert nimmt eine Informatorfielle an 
und ehebrucht aus Verzweiflung ein wenig mit ber Dame vom 
Daufe, bleibt aber immer ein vortrefflicher Menſch. Darum 
flirbt denn auch endlich der tyrannifche Stiefvater; Robert wird 
fein Nachfolger, beirathet die alte Maria, will, weil er nichts 
nugen Tann, nach Amerifa auswanbern, es gebt aber nicht, 
weit jener Krämer mit dem NBermögen der body nicht enterbten 
Maria burcdhgegangen iſt. So lebt er denn fo hin; es kommen 
viele Kinder und aus Notb muß Robert Bücher fchreiben. 
Das iſt ein geiſtlicher Roman ! 
3. Ebbe und Flut. Wilder von Adolf Goͤrling. Danos 

ver, Helwing. 1842. 8, 1Thir. 10 Nor. 

Es ift das erfte Buch des Verf., welches er ſich als Stufe 
fpielend unter die Füße geworfen, um höher zu klimmen. Der 
Lefer foll nicht nach tiefverborgenem Sinn ſuchen in biefen Luft: 
geftatten, die ber Verf. leicht aus dem Ärmel gebtafen hat. 
Das fagt die Vorrebe: Was gebt baber dem Publicum bas 
ganze. Buch eigentiih an? Indeffen ift diefe, aus dem Armel 


geblaſene tige Stufe Tempel des Stuhms einmal 
da, und fehen wir Halte an, fo zerfällt fie in vier Abs 


theilungen: Novellen, Grzählungen, Aquarelle und ein Maͤr⸗ 

Unter den erſtern gibt „Junker Ehriftian” einige recht 
gute Situationen; unter ben Erzaͤhlungen bietet „Des Abenteuer 
an ber Lolge” - Bufagende. Im Allgemeinen leidet Alles 
durch das fichtbare Beſtreben, etwas Bedeutendes fein, ſich wich⸗ 
tig maden zu wollen, was fogar auch im Haſchen nach Fremb⸗ 
wörtern, bie häufig genug ungluͤcklich angebracht find, ſichtbar 
wird. Wirklich Erlebtes gibt das Buch nicht, fondern Gemach⸗ 
tes, „aus dem Armel Gchlafenes”, darum ift au das WRärr 
den „Der Purpurmantel‘ als ganz verunglüdt anjufpsedhen. 





Miscellen. 


Wie es chemals auf den deutſchen Reichſtagen zugegangen, 
davon geben nachſtehende ſchriftliche Zeugniſſe Kunde: In ber 
Epistola Lutheri ad Wencesl. Liuk d. d. 28. Aug. 1526 
heißt es: „Spirae comitia sunt more solito Germanis comitia 
celebrandi: potatur et luditur, praeterea nihil” Yon bem 
zu Begensburg 1541 gehaltenen Reichſtage fagte der proteftens 
tiſcherſeits anweſende Martin Bucerus, Profeflor der Theologie 
zu Heidelberg und naher zu Strasburg (geft. 1551): „Wenn 
man auf Reidhetage komme, fo feien das Aberköfttiche Prachtis 
ren und Banketiren, das Zufaufen u. f. w. die größten Ges 
— —F Bei zum ae ebunn ker (Bortieber’3 Hand⸗ 
ungen un riften zu Ber ung ber Religion zu Regens⸗ 
burg 1541”, 8b. 1, €. 31T) i 


Sn der „L. 8. pr. D. ad L. Aquiliam” (9, 2) i 
lich beſtimmt: „daß ein Arzt, weicher ein Heilmittel PN 
gewendet bat, mit ber Kiage aus dem Aquilifchen Geſete ber 
langt werben fann.” Mögen ſich alfo diejenigen Ärzte in Acht 
nehmen, welche unleſerlich fehreiben und dadurch Berantaffung 
geben, daß ihre Recepte von dem Apothefer, wenn diefer nicht 
mit der erfoderlichen Borficht verfährt, misverftanden und tobts 
bringenb werben. Gin Beifpiel hiervon gu Gnade des 17. Yabrı 
hunderts ergäpit 3. G. Becmann in ber „Anhalt. Biftorie”, P. VIEL, 
Cap. I, 9. 9. Dem kranken fuͤrſtlich Anhaltiſchen Kanzler Pauı 
von Berge verordnete ber eine ſehr unleferlihe Hand fchreibende 


.Arzt Apium (Eppich); der Apotheker las bafür Oplum (Mohn 


faft), bereitete daraus, ohne weitere Auskunft zu erbol ie 
Arznel und fo bem Kranfen den Zob. ſt zu erbolen, die 


Von unſern Vorfahren wurden oft ganz ſeltſame Gewohn⸗ 
heitsrechte eingefuͤhrt. So erzaͤhlt Martin Beier in dem — 
tat von den zehn des heiligen roͤmiſchen Reiche Kreifen” ( Beips 
sig 1707), zit. 5, ©&. 330: Zu Erfurt fei es Serfommens, 
daß Niemand, ber den Namen „Petrus‘' führt, in den Rath 

ewählt werden könne. Dergleichen Befonderheiten, deren Uxs 
prung größtentheils in Dunkel gehüllt iſt, gibt es noch mehre, 
wovon die Abhandtungen Johann Eichel's „De pravis et irra- 
tionalibus consuetudinibus“ (1665). und Georg Adam Stru⸗ 
vius’ „Deo consuetudinibus rationalibus et irrationalibus’‘. (1067) 
nachgeiehen werben können. . 


Ein adeliges Fräulein war, weil fie an einem fürftti 
Hofe ald Kammerfräulein angeftellt war, längere Si —* 
dauſe abweſend. Als fie. zuruͤckgekehrt, klagte fie gegen ihre 
Bruͤder, die fie in ihrer Abweienpeit in einem Re 
verlegt Haben follten, und verlangte Wiebereinfefung in den Dos 
tigen Stand aus dem Grunde, weil fie „reipublicae caussa” 
abwefend gewefen fei. Die Gegner fpotteten äber ben anges 
führten Rechtsgrund ; aber die beimftäbter Tutiftenfacultät ſprach 
717) in Gunſten der Kiägerin, „weil ein Rammerfzäutein tm 
fürfttichen Dienſten fleht, folglich ihre Abweſenheu pro absentia. 
laudabili zu adıten fei”. 3 


Verontwortlicher Derauögeber:s Heinrich Brodhaus. — Drud und Berlag von BE. U. Broddaus in £eipsig 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Stunden riftlicher Andacht. Von Ludwig Hüffell. 
Zwei Theile. 
(Beſchius aus Nr. 68.) 

Wir glauben nad alle Diefem die Praͤmiſſe unfers 
Berf., von weldyer aus er feine apologetifhen Streitkräfte 
dirigiert, als völlig verfehlt bezeichnen zu müffen, und bür: 
fen uns eben darum auch gar nicht wundern, wenn feine 
noch fo wohlgemeinten Angriffe fein Biel erreichen, da fie 
theils ein ſolches in der Wirklichkeit nicht haben, theils, 
wenn man ihnen auch da6 eingebildete zugejlehen wollte, 
nimmermehr von Erfolg fein koͤnnten, indem fie ſtets hin⸗ 
ter der Wirklichkeit, die ja Aber die von ihm eingebildete 
Grenze ſchon Längft hinaus ift, zu kurz fallen muͤſſen. Wirklich 
ift eben darum auch die Waffenführung unſers Verf. von 
der Art, daß fie auch keinen einzigen der Gegner zu uͤber⸗ 
winden, d. h, eines Beſſern zu beiehren und zu widerle⸗ 
gen geeignet fein kann. Was von ihm zur Beweisfüh: 
rung, Erlaͤuterung und Rechtfertigung des chriſtlichen Wiſ⸗ 
fens im Einzelnen nicht ohne Ernſt und Umſicht herbei: 
gebracht wird, das ift Jenen ſchon längft gefagt worden 
und gar wohl bekannt, fie aber haben «8 ebenfo von fi 
gereiefen und einmal für allemal bei ſich abgethan. Es 
thut uns leid, in diefer Beziehung fagen zu müflen, daß 
durch die vorliegende Schrift die Sache feldft auch nicht 
um eimen Schritt weiter gefördert, ihrer Entſcheidung nd: 
bee gebracht worden iſt; und noch leider thut es ums, 
zugleich binzufegen zu müffen, daß im Einzelnen fogar die 
Phalanr unfers Bert. fo ſchwach und unhaltbar, fo wenig 


- in ber rechten Ziefe und Gedrängtheit aufgeftellt erfcheint, 


daß die Befehdeten die gegebenen Bloͤßen nicht überfehen 
und das Übermüthige Gefühl, in weichem fie über ſolches 
ſchon Längft hinaus und viel beffer unterrichtet find, nicht 
zuruͤckhalten werden. Wir Pönnten für das Letztere fehr 
ybhlreiche Nachweifungen geben, begnügen uns jedoch zu 
unferre Rechtfertigung nur auf einige vorzüglich entfcheis 
dende Punkte zu deuten, namentlih: Th. 1: IV. „Das 
Biel” (S. 35 fg.); V. „Geiſt und Wer” (S. 42 fg.); 
YH. „Die Lebenslooſe“ (S. 61 fg.); IX. „Die Suͤndhaftig⸗ 
keit des menfchlichen Herzens“ (S. 75-90); XVII, „Die 
Allmacht Gottes in der Natur‘ (S. 174 fg.). Th. 2: V. 
„Der evangeliſche Gottesdienſt“ (S. 50); XVIII. „Die 
Entſcheidung“ (S. 197); XXI. „Von der wahren und 
fittlichen Beſſerung“ (S. 247); XXIV. „Bekenntniſſe eines 


5. Maͤrz 1843. 


chriſtlichen Gemuͤths“ (S. 283); XXX. „Bon ber Vereh⸗ 
rung Chriſti“ (S. 360). Wir brechen nicht Über die ganzen 
biee angeführten Aufläge den Stab. Bielmehr kommt 


in jedem einzelnes Zrefflihe vor. Aber wir meinen, in 
ihnen auch zugleih nur zu entſchieden Spuren von Ein: 
feitigeit und Befangenheit in der Auffaffung bemerkt zu 
haben, die den Standpunkt, welchen der Verf. eingenoms 
men bat, unmoͤglich rechtfertigen können. 

Mit Recht fragen bier unfere Lefer, wenn nun der 
von unferm Verf. unternommene Streifzug gegen die Ti⸗ 
tanen der Gegenwart, bie den chriftlihen Dimmel fo gern 
firmen möchten, jedenfalls ein verfehlter ift und die antis 
chriſtliche Richtung unſerer Tage gewiß nicht in gefleigers 
tee Unbelanntfchaft mit den chrifllichen Dingen gefucht 
werden darf, um fie etwa auf diefem Gebiete mit Erfolg 
angreifen zu koͤnnen: wie möchte denn fonft wol biefer 
merhvürdige Proteus gefaßt werden müffen, um zur rech⸗ 
ten Selbſterkenntniß gebracht zu werden? und wenn von 
Kampf gegen jene empörenden und auflöfenden theologi- 
ſchen Jakobiner unferer Zeit die Trage fein foll, wo ift 
wol die Adilledferfe an ihnen beſſer aufzufinden, als es 
in unferm vorliegenden Buche und in hundert andern, die 
dee Tag bringt, zur Beit gefchehen ift — um es ihnen 
echt fühlbar machen zu innen, daß fie auch fterbliche 
find? Wir weigern die Antwort auf diefe Frage nicht, 
wenn auch jene bier in der That nur eine kurze, Pate: 
gorifche, in ganz allgemeinen Umriffen angebeutete fein 
kann. Den Freien, wie fie ſich fo gern nennen, wollen 
wir auch frei gegenübertreten. Das follen fie uns nun 
doch wol nicht wehren dürfen. 

Es muß aber fogleih an die Spige unferer Einvede 
bie uralte und immer überfehene Behauptung geftellt wers 
den, daß ed mit dem Wiflen, daß es mit aller Philofos 
phie nichts ift, wenn das Willen, wenn die Philofophie 
ſich als das Eins und Alles, als das Selbfigenugfame, 
in dem Alles, was da ift, aufgehen müffe, gelten machen 
will, fowie es mit dem Glauben nichts ift, wenn er über 
Allem fidy erheben und in ſeiner Iſolirtheit nicht nur Die 
Berge verfegen, fondern die Berge ſelbſt fchaffen will, um 
fie alödann verfegen zu können. Das Leben in feiner 
Ganzheit und Einheit, in welcher es die beiden Leuen, 
die nah dem Entgegengefegten ihre Richtung genommen 
haben, an das Joch feine Wagens gefeſſelt halt und fie 


W 


nun zwingt, den letztern in ewiger Regſamkeit und Be⸗ 
wegung feinen ſichern Sphaͤrengang zu führen — das Leben 
allein ift das Sein, wefenhaft, wirklich, erfüllt und erfuͤl⸗ 
ind. Wie nur irgend alfo das Leben in dieſer feiner 
barmosifchen Entreidelang geflört und gehemmt erfcheint, 
fo ift auch dee Grund davon einzig und allein in einer 
krankhaften Belchaffenheit des Lebens felbft zu fuchen und 
darum jede Zeitrichtung, die, weil deftruirend und ſchlecht⸗ 
bin auflöfend, zu ihrer Befämpfung auffodert, nur ale 
firtliche That zu betrachten und zu richten. Mit Mi: 
derfegung und Belehrung und Berichtigung ift in ſolchem 
Sale nichts zu erreichen, fondern der That kann nur 
"durch die That ſelbſt begegnet werden, und die Krankheit 
bes Lebens fodert therapentifche Behandlung, die zum Theil 
und zwar in der Pegel zum größen Theil die Ratur 
felbſt übernimmt, zum Theil aber auch von den Ätzten 
und Pflegen des Lebens erwartet werden muß. Es iſt 
unleugbar großes kosmiſches Geſetz, daß die oben genann: 
ten beiden das Leben bedingenden Factoren, ihrer elemens 
tarifhen Natur folgend und kraft derfelben nad freier 
Selbſtaͤndigkeit in titaniſchem Trotze ringend, von Zeit zu 
Zeit aus dem Grunde, in welchen fie gebunden ruhen 
und in folder Ruhe das heilige Feuer naͤhren und hüten, 
fi erheben und jeder fuͤr ſich die Alleinherrſchaft uͤber das 
Leben in Anſpruch nehmen, wodurd das letztere aus dem 
Bein ‚mehr und mehr in die Sphäre des bloßen Scheine 
hinausgedrängt wird und, wenn das möglid wäre, zuletzt 
gänzlich) im Nichtſein untergehen würde. Solche Selbſt⸗ 
erhebungen, die an fih nur ethiſch gefhägt werden koͤn⸗ 
nen und infofeen in die Kategorie der Sünde: gehören, 
find aber zugleich kritiſche Phaſen, bie vorübergehen und 
den Horizont des Lebens, wenn fie endlich erfüllt find, 
theil® gereinigt, theils zu höherer Intenfität, die dann die 
Signatur dee neuen Periode fein wird, gefteigert haben. 
Um ihrer ethiſchen Natur willen jedoch fodern fie, außer 
der Eräftigen und zulegt allerdings entfcheidenden Reaction, 
welche ihnen die Natur entgegenftellt, auch noch die forgs 
fättigfte Uberwachung und moͤglichſte Bekaͤmpfung von 
Seiten der unbefangen gebliebenen Zeitgenofien — in ber 
Regel freilich nur erſt, nachdem fie bie gemaltfamiten Stas 
dien durchlaufen und die biutigften Kämpfe beraufgeführt 
haben, zu dem rechten Maße und zu ihrem Dienite am 
Altar des Lebens zuruͤckkehrend. 

Wir fcheuen uns hiernach nicht, gegen die Philofophie 
unferer Zeit die allerdings ſchwere Anklage zu erheben, 
daß ihr Anftreben gegen das Leben und ihr Ringen nad) 
der Herrfchaft ein Attentat genannt und als foldyes beur: 
theilt werden müffe,. mithin ihr gegenÄber nur davon die 
Mede fein koͤnne, theils einen Erfolg ihres Strebens mög: 
lichſt zu vereiteln, cheils fie felbft wieder in die ihr gebüb: 
renden Schranken zurüdzuweilm. Sie, bie in ihrer Uns 
terordnung unter das Leben die ſchoͤne Beſtimmung hatte, 
dem Glauben, der dem Leben ben Stoff und die Nah: 
‘rung zuführt, die rechte Durchfichtigkelt und dadurch die 
Fähigkeit, feine Gaben zur Affimiliung mit dem Leben 
geſchickt und geeignet zu machen, zu verleihen, war nicht 
ohne Grund und Verfuchung in jenen Zeiten, in welchen 


dee Glaube in unfeliger Erſtarrung die ſchweſterliche Hülfe 
der Miffenfchaft zu verſchmaͤhen ſich beigehen ließ, erregt 
worden, und brady nun in wilder Zügellofigkeit hervor, 
um mit dem übsmädtig gewordenen Glauben um 
felbftändige Alleinherrſchaft, Die freilich diefem fo wenig 
als jener zulam, zu kämpfen. Ihre verbrecheriſche Selbſt⸗ 
echebung führte fie zu nicht minder blutigen Thaten, als 
jene waren, bie ſchon vor ihr der Glaube als Hierarchie 
in Inquifition und Kreuzsügen gegen Ketzer verübt hatte. 
3a, in den Zeiten des Franzöfifchen Terrorismus hat fie 
fhon Blur in Strömen vergoffen und fomit ihre daͤmo⸗ 
nifhe Natur, die, wo fie aus ihrer natürlichen Sphäre 
heraustritt, zum Ausbeuche kommt, in ſchroffem Lichte ge: 
offenbaret, ſowie fie, fpäter zwar etwas niedergehalten, 
neuerdings jedoch wieder recht ungefcheut ihr Haupt auf: 
gerichtet und wenigitens den Pofaunenruf zur Erneuerung 
jener Greuel erhoben hat, von dem wir erwarten müffen, 
welchen Erfolg er haben werde. In ihren esften, wie es 
feinen mußte, noch ganz unfchuldigen Spielm vor mehr 
als einem Sahrhundert, mit welchen fie aus ihrer natur: 
gemäßen Stellung zuerft freveind ſich losgeriffen hatte, 
zeigte fih ſchon, wenn auch einer oberflädyiichen Bemer⸗ 
tung kaum wahrnehmbar, ihre fittliche Richtung zum Ne: 
giren und Auflöien alles Defjen, was nicht aus ihr war, 
und in ihrem Fortſchreiten auf der Betretenen abweichen⸗ 
ben Bahn wurden ihre Meigungen und Spmpathim im⸗ 
mer entfchledener, ſowie fie felbft allmaͤlig zu einer Macht 
erjtarkte, der ed nicht an Geſchick und Kraft fehlte, ihrem 
Scheinleben vorübergehende Geltung zu verfhaffen. Mit 
alledem bat ihre Offenbarung in foldy himmelerſtuͤrmender 
Gewalt und erderfhätternder Aufregung allerdings dem 
ecftarrten Leben denfelben Dienft getban, "weichen Winter⸗ 
flürme und Regengüffe der dußern Natur erzeigen, und 
iſt Bedingung theils der MWiederherftelung des tieferkrank⸗ 
ten, theils des Übergangs zu nur fchönerm Frühling für 
daffelde, dem wir mit Vertrauen entgegenharren, geworden. 
Immer aber ift ihre Erſcheinung, um nad) der Welthert⸗ 
ſchaft ihre Hand auszuftreden, mehr ober weniger durch 
jene Dichtungen vom Umgehen nad) unentfündigter Geifter 
zu erläutern, denen aud bie Stunde geſetzt ift, die fie 
nicht uͤberſchreiten dürfen, und es muß, wenn das Maß 
der Schuld erfüllt ift, auch die Sühne erfolgen, weiche die 
Ubermuͤthiggewordene in des Lebens Haus: und Familienge⸗ 
meinſchaft zurudführt. 

Wir koͤnnen diefe Gedanken, wie wir ſchon vorbin 
andeuteten, nur als Funken hinaus in den bewegten Kampf 
der Zeit fprühen laſſen, da wir zu folder Epifode bios 
gelegentlihe Weranlaffung durch die Anzeige der Huͤffell'⸗ 
ſchen Erbauungsfchrift erhalten haben. Indeß eine Ant: 
wort find fie gewiß auf die Frage, die wir oben umfern 
Lefern in den Mund gelegt haben, und eine Antwort, die 
den Barometerfiand unferer Zeit unter einen neuen, mic 
meinen: beherzigungsmwerthen Gefichtepunft fell. Jeden⸗ 
falls haben wir fhc uns wenigſtens dafit unfer Urtheil 
über das Unzulänglihe jener Verſuche, duch Belehrung 
und Vemeisführung die Unyläubigen der Zelt zum Glau⸗ 
ben zuruͤckzufuͤhren, gecechtfertigt, und wo «6 fih um 


— — 





Thaten handelt, da, wir wiedechefen «es, kann auch nur 
durch Thaten, aber nicht durch Worte, entgegnet toerden. 
38, 





Die deutſchen Golonien in Piemont. Ihr Land, ihre 
Mundart und Herkunft. Ein Beitrag zur Geſchichte 
dee Alpen von Albert Schott. Gtuttgart, Cotta. 
1842. Gr. 8. 2 The. 


Das vorliegende Bud iſt für ben Freund und Liebhaber 
ethnographiſch⸗ hiſtoriſcher Unterfuchungen von vielem Intereſſe. 
Diefes Intereſſe kann jedoch, feiner Natur nad), immer nur ein 
bedingte fein; und wenn ihm eine zu große und unbebingte 
Wichtigkeit beigelegt wird, fo verirrt «8 ſich leicht in das Ge⸗ 
biet der wiſſenſchaftlichen Liebhabereien, die ſich an einzelne auf: 
fallende Grfcheinungen und Thatſachen hängt unb ihnen eine 
Bedeutung beilegt, die fie eigentlih nicht haben. Zu diefer Wer 
merfung gibt uns auch das vorliegende Bud, Anlaß. Deutfche 
Bewohner mitten in einem romaniſchen Wölfergebiet, wie eben 
jene beutfchen Golonien in Piemont, und namentlich am 
Zuße der Montes Rofa, find allertings eine auffallende Gr: 
ſcheiaung, die zum Nachdenken, Korfchen und Unterfuchen veran⸗ 
Ioffen muß und zu mancherlei Schiüffen und Bolgerungen bes 
sechtigen Tann. Gegen die Bezeichnung „deutfcye Colonien“ 
möchten wir jedoch erinnern, daß unter „Colonien“ immer 
bauptſaͤchlich nur foldye Anſiedelungen und Niederlaffungen von 
Boͤtkerſtaͤmmen in fremden Voͤlkerbereichen verftanden worden 
find, mit denen die auständifchen Anſiedler einen beitimmten, 
namentlich meift einen mercantilifhen Zwed verbanden. So die 
griehifhen Kolonien in Kieinafien (Großgriechenland), ferner 
bie phönizifchen Golonien im füdlichen Frankreich. Fremde Ans 
fiebelungen aber, bie nicht ſowol von Seiten der Anfiebler, wir 
moͤchten faſt fagen, in bewußten und abfichtlidhen, als viel 
mehr nur in unbemußten und allgemeinen Anläffen ihren Grund 
gebabt haben mögen, wie dies auch nach unferm Berfaffer bei 
den bdeutichen Golonien in Piemont offenbar der Ball gemefen 
ift, möchten allgemeiner und richtiger wol nur als Anfiedler 
und Ginwanbderer überhaupt, nicht eigentlich als Coloniften zu 
bezeichnen fein. Es iſt immer gut, dergleichen Unterſchiede auch 
im Hiſtoriſchen mit einiger Schärfe auseinanderzubalten, um 
feine Bermengung und fein Durcdheinanderwerfen ganz verfchies 
dener hiſtoriſcher Gefichtöpunfte, nach denen dergleichen Erſchei⸗ 
nungen aufzufaffen und zu beurtheilen find, herbeizuführen. 

Wären jene deutfchen Eolonien in Piemont wirklich im engern 
und eigentiihen Sinn GSolonien der Xlemannen, fo müßte ſich 
igre Entſtehung und Veranlaſſung biftorifh Leichter nachweifen 
laffen, als nun, da fie, um mit dem Verf. zu reben, nur 
zurückgelaffene Mufcheln aus der großen Voͤtkerflut find, die feit 
dem 4. und 5. Jahrhundert nad Stalien ſtroͤmte, ober auch 
wol fpätere Einwanderer aus dem benachbarten Wallid. Die 
große Bebirgöfcheide der Alpen bildete hierbei gleichſam die nas 

iche Klippe, an ber die Wölkerfluten fich zerfchellten,, ſehten, 
fonderten und ineinander zerfloffen. 

Intereffant und beiehrend find die Bemerkungen bes Verf. 
in ver Einleitung, „Die Borfeage”, über die Grenzſcheide zwi⸗ 
fen dem deutſchen und italieniihen Sprachgebiet, indem ale 
diefe Stenzfcheide der Kamm der Alpenkette bezeichnet wird, und 
zwar fo, baß alle von der Saone aus nordwärts ftrömende 
Fiüffe von ihren Quellen an deutfche, alle ſuͤdwaͤrts firömende 
dagegen romaniſch (itatienifch und franzoͤſiſch) vernehmen: allein 
diefe Regel hebt fich unter der Menge von Ausnahmen, bie fich 
bier finden, auf. NRatürlih, eben well an ſolchen die Grenz 
ſcheide zwifchen verfchiebenen Ländergebieten und Voͤlkerſtaͤmmen 
bitbenden Alpenketten bie anmwohnenden Voͤlkerſtaͤmme nad den 
verschiedenen Richtungen unb Strahlen, oder Thälern, in bie fie 
"austaufen, theils ineinander fließen, theils auseinander treten, 
ohne daß ſich immer dic Regel und das Geſetz, die diefer Er⸗ 


ſcheinung zum Geunbe ‚ in dee Natur und Mibung ber 
Alpen unb Xipenthäter — e— ließe. Der Verf. gebt nun 
weiter, bie verichiebenen Alpenthäter, in die ſich die Alpen nach 
verſchiedenen Geiten verlaufen, muſternd in dieſer Beziehung 
durch, um das hior obwaltende Verhaͤltniß zwiſchen deutſchem 
und romaniſchem Möller: und Sprachgebiet, namentlich in ben 
penainiſch⸗ lepentiſchen Alpen naͤher feflzuftellen, wobei bie Un 
regelmäßigleit in der Sprachvertheilung bald unerwartet da, wo 
man eher das Gegentheil hätte vermuthen follen, ein lbergriff 
des Romaniſchen, oder umgeketzrt ein übergriff des Deutſchen, 
allerdings als merkwuͤrdig und auffallend erſcheinen muß. Haupts 
ſaͤchlich iſt es ihm jedoch um die um den Monte⸗Roſa liegenden 
acht deutſchen Gemeinden zu thun, denen vor allen feine Unters 
fudyung gilt, da fie in diefem übrigens mefentlich romanifchen 
Bölfers und Spradygebiet als eine feltfame Unregelmäßigteit ex: 


einen. 

Diefe deutfhen Gemeinden bezeichnet unfer Verf. mit Bes 
zugnahme auf ben alten Ramen des Monte-Rofa (BSilnius) 
burch „Büvier”, ben er felbft als etwas gemagt —8 
Er gibt uns einen Bericht von feiner Entdeckungsreife, die 
ex von Zürih aus eigens zur Erforfhung der Süvicr unters . 
nommen bat. 

‚Se iſt dies ein einfaches, natürliches, höchft anfprechendeg, 
gemütblidyes und mit Liebe verfaßtes Bild von der großartig er: 
babenen Natur biefer Aipenweit, von den Ortſchaften, beren 
eigenthbümticher Bauart und pittoreslem Charakter, von den 
Bewohnern, und man begleitet den. Verf. auf diefer Wa 
mit Bergnügen, um fo mehr, da er uns überall belehrende 
WBinfe über bie Bormation diefer Berge und über den Einfluß 
biefer Formation auf die hiſtoriſche Geftaltung ber voͤlkerheitlichen 
Berhaͤltniſſe — ebenfalls ein grwagter Ausdrud, für den wir um 
Entfdyuldigung bitten — gibt. in großes Gewicht legt unfer 
Berf. auf die Berichtigung einer geſchichtlichen Thatſache, die 
an und für fiy nur von einem bebingten und (ocalen Intereſſe 
iſt, ihm, dem Schweizer aber von dem bhoͤchſten Sutereffe fein 
muß. Wir meinen naͤmlich die Frage: Wem kommt das Ber: 
bienft zu, den Monte: Mofa zuerſt ‚beftiegen zu haben? Bon 
welcher Wichtigkeit eine ſolche Begebenpeit den Bewohnern eines 
Berglandes if, zeigt fich unter Anderm auch daran, daß nad) 
jegt in Ehamouny bie erfte Befleigung bed Montblanc durch 
Sauffure wie ein weltgeſchichtiich wichtiges Greigniß befprochen 
und im Berner Oberland ebenfo bie exfte Beſteigung der Zungs 
frau als eines der denkwürbigften Greignifle bezeichnet wird, 
wobei ed auch an einer fleptifdhen Partei nicht fehlt, die barts 
nädig noch immer die Möglichkeit bavon beftreitet. Unfern Verf. 
leitet jedoch außer dieſem localen und rein ſchweizeriſchen In⸗ 
tereſſe noch ein ſchoͤneres und allgemein menfchlicheres, dieſe Shre 
für Johann Rikolaus Vincent im Weiter Gaſtel, und Zofeph 
Zumftein im Weiler Noverfch zu vindiciren, fofern es ibm ndms 
li) bauptfächlid darum zu thun ifl, bad suum cuique zu Buns 
ften biefer beiden Männer geltend zu machen. Dieler Geſianung 
gebührt eine ehrende Anerkenntniß um fo mebr, je häufiger fie 
in hiftorifchen, wiſſenſchaftlichen und menſchlichen Dingen übers 
haupt vermißt wird. 

Die bier nahe liegende Brage: auf welchem Wege die Gil 
vier borthin gekommen fein mögen, veranlaßt den Verf. zu 
einer fehr ind Detail gehenden Unterfuchung der verfchiebenen 
aus Alemannien nad) den romaniſchen Ländern führenden Päffe; 
wir glauben uns hinſichtlich derſeiben barauf beſchraͤnken zu 
müffen, fie den Breunten foldyer Unterfuchungen und den Kennern 
jener Päffe zu empfehlen. Gine Bemerkung, zu ber uns bes 
Verf. Unterfuchung über den Urfprung des Namens ‚Simplon‘ 
Anlaß gibt, können wir jedoch nit umhin, zu machen. Wir 
find naͤmlich mit dem Verf. völlig barin einverflanden, baß bie 
unter den Anwohnern des Simpion berrichende Gage ober viels 
mehr deren Glaube, der den Urfprung de Namens @impion, 
Sempione, Sampione, mit einem angeblichen Übergang des 
Scipio — wie fi übrigens von ſelbſt verfteht, nicht bes Scipio 
Africanus, fondern des Scipio Nafica, der, von Ballien ber: 


. 


Sommend, über bie Alpen ging, um im Rucken bed fisgreichen 
Hannibal eine Diverfion der gefchlagenen roͤmiſchen Heere 
zu verfuchen — über dieſen Paß in Berbindung dringt, aller hiſto⸗ 
Aſchen Begründung gaͤnzlich ermangelt, find aber dennoch zweifel⸗ 
-baft, ob dieſer Berg feinen Ramen von dem Dorfe Simpeln, 
Simpelen (daher auch wei Gimpler genannt) ober vielmehr 
diefes feinen Namen von dem Berge entiehnt hat. ebenfalls 
aber ſcheint uns’ des Verf. Vergleich, daß ed den Wallifern 
oder den Bewohnern des Walle b’Xofta ſchwerlich jemals einge 
fallen fein würbe, den St. s Bernhard mit Bezug auf Napoleon's 
Übergang „BonapartesrBerg ’’ zu nennen, ganz unpaffend, indem 
fi in unferer abfolut hiſtoriſchen Zeit dergteichen Umtaufungen 
ſoicher alt beflehenden Orts⸗ und Bergebenennungen allerbinge 
willfürlich weder einführen laffen, nod behaupten wuürben, was 
jedoch in jener faft fagenhaften uralten Zeit, ber ber angebliche 
Übergang Scipio's auf biefem Punkte angehört, wol gedenkbar 
wärt. 

Befonders intereffant und lehrreich find aber bes Verf. Be: 
tefütungen und Bemerkungen über diejenigen Momente, an benen 
fich ganz vorzüglich die charakteriſtiſchen Unterſchiede der in den 
Alpen vorfommenden beiden Haupt: Bölferflämme, des germas 
nifch » burgundifchen und des romanifch = alemannifchen , oder ber 
romanifirten Germanen, bemerkbar machen: nämlich was bie 
Eigenthuͤmlichkeit in der aͤußern Erſcheinung ber Menſchen 
(Statur, Haar und Geſichtsfarbe), in ihrer Tracht, in ber Baus 
art ihrer Häufer, vor allem aber in ber Sprache betrifft. In 
dieſer Beziehung bildet bie über bie Höhe des Simplon, St.⸗ 
Bernhard, Brenner laufende Linie gleichſam eine natürliche Bil: 
Zerfcheide, und wenn wir von Brieg nach Domo b’Oflola gehen, 
wird und von Simpeln aus an ben kleinen, ſchwaͤrzlich braunen 
Figuren, den fteinernen Häufern, ben ſchlanken Thuͤrmen und 
3em Vorherrſchen eines kaum verftändlichen italieniſchen Patois 
bald kiar werden, daß wir in ein italienifches Borland getreten 
find, was fi) denn auch an der üppigen und reihen Vegetation 
und an ber mildern Luft bemerkbar macht. Umgekehrt Laffen 
ung, wenn wir unfern Weg nach Brieg nehmen, die ſtattlichen 
Geftalten mit dem blonden Haare und ber hellen Geſichtsfarbe, 
die mit Giebeln verfehenen hölzernen Bäufer, die fpigen Kirch⸗ 
thuͤrme und die kaute der Mutterſprache nicht bezweifeln, daß 
wir nunmehr in Deutſchiand eingetreten find. Auch in der 
Tracht tritt diefer Unterſchied merktih hervor, indem nach ber 
italienifchen Geite ſich in der Voikstracht Zerlumptheit, verbuns 
den 'mit einem Streben nach materifchem Gffect, zeigt, wogegen 
auf der deutfihen Seite diefelbe vorberrfchend den Stempel der 
Füchtigfeit und Gediegenheit an fich trägt... Diefelbe Erſchei⸗ 
nung und Verſchiedenheit zeigt fi, wenn man ben Brenner: 
Paß entweder nach der beutfchen oder nach ber. italienifchen 
Geite überfteigt. Es würde uns zu weit führen, wenn wir ben 
Berf. in feinen fprachlichen Unterfuchungen folgen wollten, unb 
wir müffen uns begnügen darauf aufmerkfam zu machen. 
Wir empfehlen das Buch mit voller Überzeugung als ein 

intereffantes und nach mehren Seiten bin fehr Ietrseiches, 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Der durch feine phrenologifchen Werke befannte Hipp. Com⸗ 
bes hat in einer Rebe, bie er zu Toulouſe, wo er als Profeffor 
der Mebicin angeftellt ift, gehalten, feine Anfichten über die Umge⸗ 
flaltung und Erweiterung ber gerichtlichen Medicin ausge⸗ 
ſprochen. Dieſer intereſſante Vortrag iſt jezt im Drud erſchienen. 
Er führt den Titel „De la médecine politique” (Paris 1842), 
Combes verfteht unter der Medecine politique eine neue Wiſ⸗ 
fenſchaft, von der die Médecine legale und die Hygiene publique 
nur einzelne Iheite bilden würden. Gr fagt, baß man unter 
der erſtern gewöhnlich die Wiffenfchaft verftehe, die fich damit 


A 


abgibt, bei verwidelten gerichtlichen Lnterfuchungen auf bie 
rechte Spur zu führen und in wichtigen Faͤllen ben Richter bei 
feinee Entſcheidung über fchuldig oder unfduldig zu leiten, 
während e8 der Hygiene publique zukomme, über die Rabe 
sungsmittel, die Wohnungen und alle bie einzelnen Umftänbe 


zu waden, die auf ben Öffenttihen Gefunbheitszuftand einen 
nachtheiligen Einfluß ausüben koͤnnen. 


Combes glaubt nun, 
da6 diefe beiden Wiffenfchaften, die jetzt noch in der Hegel ge⸗ 
trennt werben, vielmehr in ein einziges Syſtem verichmolzen 
werben müflen, damit ihe gemeinfanies Gebiet dem Politiker 
defto Leichter zugänglich werde. Er bezeicdynet nun in feinem 
intereffanten Vortrage bie Grenzen und bie Abtheilungen ber 
neuen Wiffenfchaft, die fi aus diefer Verſchmelzung ergibt. 
Wir empfehlen biefe Brofchüre, die gewiß auch in Deutſchland 
ben Medicinern und Staatsmaͤnnern Stoff zu Betrachtungen 
geben Tann. 


Die politiſchen Iournale haben bereits einige Auszüge aus 
dem dritten Bande von Blanc's beacdhtenswerther „Histoire de 
dix ana’ gebracht, der binnen kurzem bie Preffe verlaffen wird. 
Diefes Wert bat gleih von vorn herein cin fo großes Inter⸗ 
efle erregt, daß vom erften Bande einige Wochen nady feinem 
Erfcheinen ſchon eine neue Auflage nöthig geworden if. Wie 
es fcheint, wird ber Verf. feines Stoffe immer mädjtiger, je 
mehr er fi in benfelben hineinarbeitet. Beim zweiten Bande 
ſchon war ein Kortfchritt fihtbar, und die einzelnen Bruchftüde, 
die wir aus der Kortfegung gelefen haben, find zum ‘heit 
wahrhaft vollendet. Beſonders ift der Verf. fehr gluͤcklich im 
dee Portraitirung ber hervorragenden Zeitgenoffien. So machen 
wir in dem dritten Bande namentlich auf die Eharakteriftif von 
Caſimir Perier ‚aufmerffam. Auch Thiers tft mit Gluͤck und 
nad) ter Natur gezeichnet. Das Werk ift reih an einzelnen 
Zügen, die zum Theil noch unbekannt waren und bie der Verf. 
aus vertrauten Mittheilungen gefhöpft hat. Wie es fcheint, 
wird Blanc, um ein vollftändiges Bild des neuern Frankreichs 
zu geben, am Ende bes Werks aud einen Blid auf den Gang 
der geiftigen Entwidelung, alfo auf die Geſchichte der Künfte 
und Wiflenfchaften in Frankreich werfen. Wir fchließen dies 
aus einer Stelle des dritten Bandes, fin der er bei Gelegenheit 
des Zodes George Euvier’s fagt, daß er das Syſtem des großen 
Naturforfchere am Ende des Werks auseinanderzufegen fidy vors 
bebalte. Seine Schrift kann dadurch nur gewinnen; denn Blanc _ 
fheint uns ganz der Mann, felbft in die verwidelten Fragen 
Pa Wiffenfchaft einzubringen und fie einfach und Mar darzur 

ellen. 





Literarifhe Anzeige. 
Durch alle Buchhandlungen ift von mir zu beziehen : 


Rede 
zur Gedaͤchtnißfeier 
König Friedrichs IE, 
gehalten am 26. Januar 1843 in der koͤnigl. preuf. 


Akademie der Wifienfchaften 
von 


Friedrich von Raumer. 


Gr. 12. Sch. 6 Nor. 
Eeipzig, im Mär; 1843. 


3. A. Beodhaus, 


Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von 3. U, Brodhaud in Leipzig. 








Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





6. März 1843. 





Die Dichtungen der Frederike Bremer. 


Es ift noch nicht lange her, feit der Name biefer 
(hwedifchen Schriftftellerin zuerft unter uns genannt ward, 
und ſchon find mehre lieblihe Gewaͤchſe aus ihrem Blu: 
mengarten auf deutfhen Boden verpflanzt worden. Mit 
freigebiger Hand hat fie ihre Gaben gefpendet und fie ill 
im Ependen und Mittheilen nicht aͤrmer geworden. Bor 
und liegen zehn Bändchen der im Verlag von F. A. Brod: 
haus erfchienenen Überjegungen, von denen die Hälfte 
ſchon in ber. dritten Auflage erfhien, alle in Ausflattung, 
und Gemand dem finnigen Inhalt entfprechend. 

„Die Nachbarn“ (23 Thle.), „Die Töchter des Preis 
fidenten‘‘, „Nina“ (2 Ihle.), „Das Haus, oder Fami⸗ 
Kienforgen und Familienfreuden“ (3 Thle.), „Die Familie 
H.“, „Kleinere Erzählungen‘ und „Streit und Friede, 
Scenen in Norwegen”, fo lauten die Titel. Und fie alle 
find unter der gemeinſamen Überſchrift „Skizzen aus dem 
Altagsleben” miteinander verbunden, zugleich in ihrer Ans 
ſpruchsloſigkeit, obwol nit in der Tiefe und Fülle ihres 
Gehalts bezeichnet. 

Das fhöne, freilich oft allzu üppig wuchernde Talent 
Des deutſchen Geiſtes, das Fremde ſich finnig anzueignen, 
bat bier eine erfreulihe Ausbeute gewonnen, und es iſt 
mr zu loben, daß es fi dem ftamınvermandten Norden 
einmal zugewender bat, der auch lebenswarme Blüten und 
friſche Fruͤchte trägt. - Hatte der treffliche Tegner ſchon ſei⸗ 
men fchöngeiftigen Lundsleuten unter und einen günftigen 
Eingang gebahnt, fo hat Frederike Bremer ihnen noch all» 
gemeiner die Stätte bereitet, wie denn feit ihrem Erſchei⸗ 
men in unferer Mitte mehre ſchwediſche Romane ins 
Deuiſche übertmgen und freundlich begrüßt wurden. 

Es iſt nicht mehr noth, die Berechtigung der Frauen 
zur Schriftſtellerei zu vertheidigen ; fie hat fih ſchon felbft 
gereihtfertigt, obmol nicht geleugnet werden may, daß zu 
ſoſcher öffentlichen Wirkſamkeit nur wenige berufen find, 
«is Ausnahmen von der Regel. Belchränten fie ſich zu: 
wel auf den Kreis, in welchem Frederike Bremer fi bes 
wegt, ber in feiner Beſchraͤnkung doc umfangreid genug 
und nichte weniger ale arm iſt, fo wird auch ein firen: 
ger Richter der Befähigung und Befugniß ihres Ges 
ſchechts gegen ihre darſtellende Produetivität Kaum etwas 
Erhebliches einzuwenden vermoͤgen. Wer hoͤrt nicht gern 


eine geiſtreiche und gebildete Frau erzählen, Selbſterlebtes 
oder Erdichtetes? Warum follte ihre Eunftgewandte Hand 
nicht niederfchreiden dürfen, was wir fo gern mit Auf: 
mertfamteit und Theilnahme aus lieblichem Munde ver: 
nehmen? Wo der Beruf, das Schöngedachte ſchoͤn zu ſa⸗ 
gen, die freien Dichtungen des Geiftes und Herzens auch 
anfhaulid zu geſtalten, fo entfdhieden, fo mannichfach be: 
währt fft, wie bei unferee geift: und gemüthreichen Schwe⸗ 
din, da wäre es gar überflüffige Mühe, ihn zu bevoriwor: 
ten oder umftändlih zu demonftriren. 

Können aber „Skizzen aus dem Alttagsleken” uns 
ein Gewinn fein? Gott nicht die Dichtung uns über das 
Attäglicye erheben, in höhere Regionen verfegen? Sie ent 
ſpricht dieſer Foderung auch, wenn fie das Alttugsleben 
veredelt, verſchoͤnt, verklaͤtt, als einen Gegenſtand geiſtbe⸗ 
lebender Anſchauung zum Bewußtſein bringt. Wie die 
Poeſie nicht blos das Hohe verherilicht, ſondern auch das 
Niedere erhebt, ſo vermag ſie nicht minder dem Alltaͤg⸗ 
lichen einen Zauber mitzutheilen, der mächtig anzieht, eine 
Bedeutung, die nicht felten tiefer und reicher iſt als der 
Schein des Außerordentlichen. 

Sine gluͤckliche Schriftftellerin ift nicht immer auch 
eine treffliche, wie hinriederum eine treffliche nicht Immer 
eine glüädfiche, d. h. gecngefehene, allgemein anerkannte iſt. 
Der Beifall Vieler entfcheidet noch nicht über den wahren 
Werth eines Werks. Wo aber die öffentlihe Meinung 
zweier Nationen zu Gunſten afler Reiftungen eines ans 
ſpruchslos geftaltenden Geiſtes ſich ausfpricht, da darf man 
wol einen tiefern Grund fo aligemeiner Anerkennung vor: 
ausſetzen. 

Was iſt es nun, das den Schriften der Frederike Bre⸗ 
mer eine ſo allgemeine und wohlyerdiente Anerkennung 
auch unter uns bereitet hat? Gewiß nicht blos der Reiz 
ded Neuen und des Fremden. Denn Neues und Frem⸗ 
des mird uns alljährlih und faſt alltaͤglich in ſolcher Fuͤlle 
dargeboten, daB es befonder6 reich ausgeſtattet und eigen⸗ 


thuͤmlich geftaftet fein muß, wenn es nicht nur Eingang: 


finden, fllchtiges Lob gewinnen, fondern auch den einhelkts 
gen und dauerhaften Beifall aller Beſſern, der Klardens 
kenden und Reinempfindenden ſich erwerben fol. Solcher 
Beifall ward der liebenswuͤrdigen Schwedin zu Theil, viels 
leicht zundchfl um dee Anſpruchsloſigkeit willen, mit der 
fie aufteat. Da tft keine Spur von der Peätenfion, daß 


fie etwas Unerhörted, Ungemeines, Außerordentliches Leifte, 
daß fie fih einen Namen machen, mit dem Lorber der 
Dichtkunſt fih ſchmuͤcken wolle. Sie will nicht als Künft: 
lerin, nur als Dilettantin gelten und gibt fich, einfach, 
wie fie iſt, als eine harmiofe Pilgerin, die aus dem Schatze 
ihres hellen Verſtandes und geläuterten Herzens ihre Be: 
obachtungen und Erfahrungen den jüngern Schweſtern mit: 
theilt, was nicht blos zu anmuthiger Untechaftung, fondern 
auch zur Belehrung, Warnung, Ermunterung dient. Der 
befcheidene Titel „Skizuen aus dem Alltagsleben” iſt von 
ihrer Seite ‚gewiß ernftlih gemeint, obwol fie ohne Zwei: 
fet fühlen mag, daß nichts weniger als blos Alltaͤgliches 
ihrer Feder entftrömt. In jedem Kal ift die Auffchrift 
„Skizzen“ allzu befcheiden und darum unwahr; denn was 
biec dargeboten wird, das find nicht blos Entwürfe, 
Grundriſſe, Handzeihnungen, fondern vollftändige, zum 
Theil ſehr reihausgejtattete, oft mit nieoerländifcher Ges 
nauigkeit ausgeführte Gemälde, die auch in den vorliegens 
den Copien (dem treuen Überfegungen) das friſche Golorit 
der Driginale bewahrt haben, 

Solche Anſpruchsloſigkeit ift felten zu finden bei mins 
derbegabten Schriftſtellerd; je weniger ſolche find und lei⸗ 
fien, deſto weniger werden fie ihrer Schwachheit jich be: 
wußt, deſto mehr Prätenfionin meinen fie machen zu duͤr⸗ 
fen; es erweckt daher immer ſchon ein günftiges Vorur⸗ 
theil jür ein eben erft hervortretendes Zalent und beflen 
Leiftungsfähigkeit, wenn es ſich felbft nice uͤberſchaͤtzt. 
Doch kann dauerhafter Beifall nur wirklichem Zulent, nur 
foldyen Vorzügen zu Theil werden, welche in ber geläuter: 
ten Öffentlihen Meinung die Probe beleben und aud) 
dern Kenner ſich bewähren. Wenigſtens wird in den Kreis 
fen der Wahrhaftgebildeten nur, wer wirklich Gedirgenes 
leiſtet, ſolche Theilnahme finden, wie Srederite Bremer fie 
gefunden bat. Sie befige eine ungemein glüdlide, ges 
wandte, fichere, anziehende Daritellungsgabe; dieſe ift ihr 
ohne Zweifel von Natur eigen, recht angeboren, aber durch 
Studium und Übung weiter entwidelt und erfreulich aus⸗ 
gebildet. Man merkt nirgend das Studium als ſolches, 
wol aber genieht man die Seucht; mirgend ein Ringen 
mit der Sprache, mit dem Ausdrud; jene ſchließt fich 
leicht unmittelbar dem Gedanken on, dieſer tritt ebenfo 
leicht und ſicher bervor; nirgend erwas Geſuchtes, Cr: 
kuͤnſteltes, überall anmuthige Einfachheit. Der Stoff ift fo 
klar verarbeitet und geflaltet, daß die Form ungeſucht fid) 
darbietet und in der entfprechendften Weile. 

Der Reiz der anmuthigen Darftellung aber wird ers 
hoͤht durch den Reichthum und bie Gediegenheit des In⸗ 
halts. Es ſind Bilder aus dem Leben, treffend, anſchau⸗ 
lich, wohlgewaͤhlt, anziehend, mit ſinnigem Hintergrunde 
und angemeſſener Beleuchtung, in Zeichnung, Anordnung 
und Färbung gleihtüchtig angelegt nnd ausgeführt, Bel 
unvertennbarer Berwandtfchaft der Sujets, an denen «ine 
Samilienähnlichkeit bald wahrgenommen wird, findet ſich 
doch eine große Mannichfaltigleit der Situationen und der 
Charaktere. Die Erfindung trägt zwar nicht das Geprüge 
einer feurigen oder uͤppigen Phantafie, iſt aber weder arm, 
noch einförmig und entbehtt nirgend den Reiz der Neu⸗ 


a U am m e e e e e 


beit und Eigenthuͤmlichkeit. In jedem neuen Bändchen 
teeten neue Perfonen auf, Die, wenn wir fie auch zum 
Theil ſchon einmal gefeben und gehoͤrt zu haben meinen, 
doch, in anderm Gewande und unter andern Umgebungen, 
dder von einer andern Seite fi darſtellend cine nicht 
alltägliche Individualität behaupten. 

In der Charakterzeihnung bat die Verf. eine unge 
meine Virtuoſitaͤt ſich angeeignet. Nicht nur die Daupts 
perfonen, auch mehre Mebenperfonen find ſcharf und trem 
gezeichnete Portraits, die nicht nur den Schein deö Les 
bene, fondern felbftändiges Leben haben; fie fiehen, gehen, 
eeden, handeln vor unfern Augen und wie fuchen in un- 
ferer Erinnerung die Driginale auf, deren Gonterfei Die 
gewandte Künftlerin uns vor Augen flellte; es duͤnkt ung, 
als wären Jene irgendwo im Leben uns begignet. Doch 
treten keineswegs nur alltägliche Geſtalten auf, die Jeder⸗ 
mann ſchon kennt; auch ſolche Lefer, die viel in der Welt 
gelebt und viele Menfchen gekannt haben, machen bier neue 
und intereffante Bekanntſchaften, deren Bild fie gern feſi⸗ 
bitten. Wie überalf den Portraits das Zeichen der Treue, 
der Wahrheit aufgedruͤckt iſt, fo find einige mit ausge: 
zeihneter Energie aufgefaßt und dargeſtellt. Selten hat 
der Griffel in einer meiblihen Hand cinen fo ſcharfaus⸗ 
geprägten, gewaltigen Charakter gezeichnet und ausgeführe 
wie ma chere mere und neben ihr Bruno in den „Nach⸗ 
barn”. An diefe reiben fih Frau Altıid in „Streit und 
Friede“, die Blinde in der „Familie H.“, Nina und Edla 
in „Nina“, Petrda in „Das Haus” — Alte wirkliche Ori⸗ 
ginale, an denen es auch unter den münnlichen Portraits 
nicht fehlt. 

Ebenſo fehr ein vielbewegtes Leben mie eine ſcharfe 
Beobachtungsgabe fheinen die Verf. mit fo reicher Exrfats 
rung ausgeftattet zu haben, daß fie dadurch vorzüglich ges 
eignet ward, in der Sphäre, in der fie jegt frei und ſicher 
fi bewegt, als Schriftftellerin aufzutreten. Um fo mehe 
haben gewiß viele ihrer aufmerkiamften Lefer gewünfcht, 
über ihre eigene Laufbahn und ihren Bildungsgang etwas 
Befriedigendes zu erfahren; fie werden es Hrn. Brockhaus 
Dan? wiſſen, duß er die geiftreihe Schwedin zu einer fol 
hen Mittheilung auffoberte und ihre Antwort als Bears 
rede zu den „Nachbarn“ abdruden ließ. Freilich irfriebis 
gend ift diefe Gabe nicht, am meniygften für Die, weldye 
der Verf. am wärmften zugethan find, und wie fie mit 
ihrem Geifte ſich befreunderen, gern aud Kunde haben 
möchten von den Scidfslen und Umgebungen, in welchen 
fie Das geworden iſt, was unter uns fo willige unb ebs 
ende Anerkennung finde, Wir erhalten bier wirklich nur 
eine Skizze, die mehr verbirgt ale enthuͤut, aber au fo 
fehr dankenewerth ift, und ihrem weſentlichen Inhalte 
nad den Lefern d. Bl. nicht vorenthalten werden foll. 

Auf einem finnlaͤndiſchen Landgute, unfern ven Abo 
geboren, ward Frederike Bremer ſchon in ihren erfien Lebende 
jahren nadı Schweden verfeht, wo ihr Bater als Butsbefiger 
ſich ankaufte. Das einfache Leben der Familie verfloß gleich- 
mäßig vom Fruͤhling bis zum Herbſt auf dem Lande, vom 
Herbſt zum Frühling in der Hauptſtadt, bier und dert im 
behaglicen Umgebungen, unter Gelchäften, gemeinſamer 


Lecture, die ſich deſonders auch deutſchen Meiſterwerken zu: 
wendet, und kuͤnſtteriſchen Übungen. Die Tochter des 
Hauſes benutzten die ſich darbietenden Bildungsmittel, jede 
nach ihrer Eigenthumlichkeit, und malten ſich ihre Zukunft 
mit allem Zauber einer lebhaft ungesegten Phantaſie. Es 
mag als charakteriſtiſch erwähnt werden, daß unſere Dich⸗ 
terin ſich im Geift flets als Kriegeheldin fah. 

Eine trübe Wicklichkeit, ein tiefer, berber Schmerz, 
deffen Urfprung wir, in Betracht der zurudhultenden An: 
Deutungen, nur ahnen können, zog als eine ſchwere, finfhece 
Wolke der das Leben der Jungfrau bin; fie kämpfte 
wol manches Jahr einen heißen Kampf, uber fie ging 
ſiegreich, frei und ſtark aus demfelben hervor. „Die Ju: 
gendtäufchungen find erlofcyen, die Jugendzeit iſt vorüber!” 
Über eine neue Jugend, Licht und Freiheit find in der 
durchläuternden Seele erflanden, und mit rüftiger Kraft 
geht fie an das Tagewerk, das fie als ihren Beruf er: 
kannt bat. Sir begann früh, ſchon im erften jungfraͤu⸗ 
lien Alter zu fchreiden, aber fie degann erſt ſpaͤt drucken 
zu laffen. „Ich fchrieb im Drange jugendlicher, unruhi⸗ 
ger Gefühle; ich fehrieb, um zu ſchreiven. Später ergriff 
ich die Jeder aus einem andern Beweggrunde;“ aus wel: 
dem? bar fie verſchwiegen. An der Grenze ihres Lebens: 
berbfies freue fie ſich noch derfeiben heitern Umgebungen, 
in denin fie feit ihren erflen Fruͤhlingstagen heimiſch ge: 
wefen und des Beſitzes einer geliebten Mutter und Schwe⸗ 
fer. Für ihre Zukunft hegt fie keinen andern Wunſch 
als den, die Arbeiten, die fie fidy vorgenommen, vollenden 
zu fonnen, zu denen ihre biherigen Schriften „den An⸗ 
fang bilden”. Wir dürfen alfo nody manche reife und 
reihe Gabe von ihr erwarten, wenn ihre Geſundheit Eräf: 
tig und ihr Herz fo friſch bleibe, wie es bisher ſich 
bewaͤhrt 


e. 

Dieſe Andeutungen aus dem Leben der Dichterin ge⸗ 
ben Aufſchluß über die eigenthuͤmliche Zeichnung und Kür: 
bung mehrer weiblichen Geftalten in ihren Romanen; cine 
bochherzige Reſignation, eine heitere und freie Weltun: 
ſchauung, eine Priftige Erhebung über widerwärtige Ver⸗ 
hältniffe, die Freude am Stillteben des traulichen Fami⸗ 
lienkreifes, verbunden mit lebhaften Intereffe für alles 
Edle und Schöne, das über deifen Grenzen hinausliegt — 
diefe Liebenswürdigen Eigenſchaften, die fie felbft auszeich⸗ 
men, haben ſich gerade in den Charakteren ausgeprägt, bie 
von ihr mit befonderm Wohlgefallen und Fleiß dargeſtellt 
worden find. Was aber folhe Eigenfchaften am tiefſten 
begelindet, was ihr felbft ebenfo ſehr die wohlwollende 
Theilnahme an den Leiden und Freuden der Menfchheit 
und das tiefere Verſtaͤndniß der Menſchennatur, mie die 
ruhige, würdige Haltung in ihren Darſtellungen mittheilt, 
das iſt die tiefe und warme Meligiofität, die wie ein lau: 
teree Del ihr inneres Leben erfrifchend und erheiternd 
durchſtroͤmt und in alien Werken ihres Geiſtes herzge⸗ 
winnend ſich abfpiegelt. 

Ihre Religioſitaͤt iſt zwar mehr männlicher als weib: 
licher Art, mehr verſtaͤndig als gemuͤthlich, aber doch wahr, 
innig, beiebend. bre merkwürdige Schrift „Morgen: 
wichen”’, die in zwei deutfihen Überfegungen vor uns liegt 


und in d. 56. bersitö beſprochen ward, iſt weniger als 
ihre Romane geeisnes, Die Art ihres Glaubenslebens ans 
ſchaulich zu machen. Dort bat fie ſich fo ganz auf den 
Neflerionsilandpunft geſtellt, fo weit hinaus über ihr glaͤu⸗ 
biges Bewußtſein theoretifirt und fpecwlirt, To wunderlich 
zwilchen Kopf und Herz capitwlict, daß fie fall am Glau⸗ 
ben Schiffbruch gelitten zu haben ſcheint, während ihre 
andern Schriften begeugen, daß fie gläubiger, auch kirch⸗ 
lidger und vom chriſtlichen Geiſte tiefer durchdrungen ift, 
als ihre niche unbefangene Theorie vermuthen läßt, Wie 
wollen nicht leugnen, daß auch in den „Morgenwachen“, 
die wir noch lieber „Morgendämmerungen” nennen, vie 
fie in der elberfelder Überfegung bezeichner find, „ein fübs 
lendes, gläubiges, fehnendes, ahnungsvolles Gemüth” nicht 
minder als ein fcharfes Denkvermögen, das wol auch in 
die Tiefen und Untiefen theologifdyer Controverje ſich bins 
einmagen mag, bervorteitt; in ihren Romanen aber er: 
fcheine der Kampf fon ſiegreich durchgekaͤmpft, den jie 
ſich ſelbſt erweckte, da fie mit redlichem und in der That 
frommem Eifer, aber mit unzureihenden Waffen in theo⸗ 
logifhe Streitigkeiten einzugreifen verſuchte. Doch bleibe 
auch diefer Verſuch ein ſehr achtbares Denkmal ihres reis 
hen Geiſtes und innigen Gemüthe, und die liebenswärs 
dige Wärme und Begeifterung, mit der fie die ewige Wahr⸗ 
heit gegen die Poſtulate und Opinionen ciner deſtructiven 
Weltweis heit vertheidigt, beweift, daß fie nicht minder tief 
empfindet als denkt, und daß das Gemuͤth fein unveräus 
Berliches Recht geltend macht auch da, wo fie in abflracten 
Berflandesoperationen daſſelbe zu beeinträchtigen fcheint. 
Ihr gläubiges Bewußtſein iſt vielleicht noch nicht zu dee 
Klarheit und Lebensfülle hinducchgedrungen, wie wir dafs 
felbe unter andern bei der reichbegeiftigten Eingländerin Miß 
Grace Kennedy bewundern; aber fie weiß, an welchen fie 
glaubt, und bar in ihm den lebendigen Mittelpunkt alles 
religiöfen Lebens gefunden. Die Weihe eines gläubigen 
Gemürhs verbreitet fi denn auch uber alle Blüten ihrer 
Dichtung; in allen ihren Schriften ift das Geiſteswehen 
einer höhern Welt wahrzunehmen, und das iſt es aud, 
was in ihnen empfänglichen Gemüthern fo wohlthut und 
fo maͤchtig anzieht. 

Shre Frömmigkeit bat ihre die Augen aufgethan für 
die Wunder Gottes in der Natur, wie im Menfchenieben 
und fie zur Priefterin im Heitigchum der fichtbaren Schoͤ⸗ 
pfung geweiht. Sie vernimmt und verfteht die geheime 
nigoolle und doch fo offenbare Sprache der Berge und 
Thäler, der Quellen und Slüffe, der Pflanzen und Steine; 
das Saͤuſeln der Blätter, da6 Rauſchen der Wellen, das 
Zirpen des einfamen Heimchens und das Lied der Lerche 
tönt wider in ihrer Bruft. Ihre Naturfchilderungen find 
fo lebendig, anfhaulih, wahr, daß wir uns heimiſch fuͤh⸗ 
len in der Gegend, die fie ald den Schauplag der erzähle 
ten Begebenheiten uns vor Augen ſtellt; es find Lands 
ſchaftsgemaͤlde, die durch bie anziehende Staffage ihre volle 
Bedeutung gewinnen. Auch menn fie in eine uns fremde, 
dem fernen Norden angehörige Scenerie uns verfege, ges 
währt die Lebendigkeit und Klarheit der Durftellung uns 
ein fo treues Bild, daß wir leicht und fchnell uns oriens 








tiven koͤnnen. Und doch verliere fie fich nie und nirgend 
in eine Naturvergoͤtterung, fondern weiſt kraͤftig hin auf 
die unſichtbare Hand, die Alles fo weislich geordnet und 
deren Guͤte der Erdkreis votl ift, auf den einigen Geiſt, 
in weichem wir leben, weben und find. Sie erfmnt umd 
preift und liebt Gott in feinen herrlichen Werten; fie hul⸗ 
digt diefen mit Andacht und Indranſt und ergebe fich in 
then und verkehrt mit ihnen, wie in Lieber befreundeter 
Heimat; aber vote fie mit beilem Auge Ihn ſieht in feis 
ner fihtbaren Schöpfung, fo har fie mit leiſerm Ohr audy 
feine Stimme, das Vaterwort vernommen und in diefem 
um fo inniger fich mit ihm befreundet. 

Darum ift ihr aud das zarte Geheimniß einer übers 
irdiſchen Liebe nicht fremd geblieben. Die irdiſche, die, 
wenn auc ein Himmelskind, doch aus den Banden der 
Leiblichkeit noch nicht erloͤſt ift, bat, das bezeugen ihre 
Dichtungen, das deuten felbit ihre eigenen Winke über 
den Gang ihres Geiſtes an, ihre füße Gewalt auch über 
ihr Derz geltend gemacht, aber fie bat diefelbe vergeiftigt 
und verflärt in hochherziger Reſignation, in berzinnigem 
Glauben, in freier Erhebung zu den lichten Höhen, von 
dannen der Friede kommt. „Der am Kreuz‘ iſt ihre 
Liebe und in feiner Liebe ifl ihre das Derz groß und weit 
geworden für die Menfchheit, deren Bruder er gemorden. 
Aus den Schranken unbefriedigter Sehufucht, ſelbſtſuͤchti⸗ 
ger Neigung und unfreier Dingebung entfefielt, neigt fie 
fih um fo inniger und £räftiger zu Der Liebe, die nicht 
das Ihre fucht, ſich nicht erbittern läßt, noch ſich unge⸗ 
berdig ſtellt, die Alles glaubt, Alles hofft, Alles duldet. 
Ein tiefes, warmes, wahres Mitgefuͤhl mit fremden Lei⸗ 
den und Freuden, ein klares Verſtaͤndniß des Jammers 
der ſeufzenden Menſchheit, ein heiliger Drang, mitzuwir⸗ 
ken, daß die Erloͤſten Chriſti ihrer Erloͤſung ſich dewußt, 
freier, beſſer, befriedigter, glücklicher werden mögen, prägt in 
allen ihren Schriften unverfennbar fi aus und erhöht das 
Intereſſe, welches Die anmuthige Unterhaltung gewährt. 

(Die Wortfegung folgt. ) 





Collection des documents inédits relatifs 
a lhistoire de France. 


Wir haben bei verfchledenen Gelegenheiten auf bie freigebis 
gen Unterftügungen aufmerkſam gemadjt, durch weiche die frans 
zöfifche Regierung großartige wiſſenſchaftliche Unternehmungen, 
weiche die Kräfte Einzelner überfteigen, befördert. Won allen 
Miniftern, die feit der Julirrvolution die Leitung der Staats⸗ 
geihäfte in den Händen gehabt haben, hat ſich unflreitig Guis 
zot das größte Verdienſt durdy eine folche Belebung und Ermun⸗ 
terung wiſſenſchaftlicher Arbeiten erworben. Er war es, ber, 
ats er on der Spitze bes Miniſteriums des Unterrichts flanb, 
den großartigen Plan faßte, alle Handſchriften und Documente, 
die auf die Geſchichte grantreiäs einiges Licht werfen Eönnen, 
aus dem Schoofe der Vergeſſenheit hervorzuziehen und zu vers 
Öffentlichen. Wir haben zu wieberbolten Malen einzelne Bände 
diefer großartigen Sammlung citirt, welche ben Zitel „Collec- 
tion des documents inediis relatifs à l’histoire de France, 
publide sous les auspices du ministere de l’instruction” 
führt. Seitdem wir indeffen zum legten Male davon geredet 
baben, ift wieder eine beträdliche Anzahl von Bänden erfchies 
nen. Wir wollen beshalb, um dem deutſchen Yublicum einen 


Begriff von dieſem greßartigen Werke zu gebm, dieſelben im 

aller Kürge aufzählen: 1, „Les quatre livres des rois, tra- 

duits en francais du I2me ziecle.’”” Es ift dich das aͤlteſte franz 
zoͤſſſche Sprachdenkmal und daher far die Linguiſtik von der 
hoͤchflen Bedeutung. Der Herausgeder dieſes wichtigen Manus 
ſcripts, Le Roux be Eincy, bat eine fehr gelehrte Ginteitung 
hinzugefügt. 3. Der zweite Theil der „Olime‘‘, herausgegeben vom 
Bicomte Beugnot, der ſich bereits durch die Herausgabe der 
„Assises de Jerusalem’’ ein bedeutendes Verdienſt um die Ge⸗ 
fhicgte erworben hat. Die G@inteitung zu diefem neuen Werke 
ift von hohem Werthe. Mir erhalten darin einen bündigen, 
aber erfhöpfenden Überbiit über das. gauge Gerichtöwefen, wie 
es in Frankreich während des 13, Jahrhunderts im Gange war, 
Außerdem bat der Graf Beugnot diefem Theile noch einen bes 
achtungswerthen Appendiz hinzugefügt, der ein bisher unbekann⸗ 
tes, fogenannte® „Coutume” von Gt » Dizier enthält. Es if 
dies einer der wichtigſten Beiträge zur Rechtägefchichte des Mit⸗ 
telalters. 3. Der dritte Theil der „Papiers d’stat du cardinel 
de Grauvella‘, her aue ge geben von Weiß. Dieſer Band umfaßt 
die Zahre 1543 — 53 und wirft auf die Geſchichte der Kriege 
Karl's V. gegen Frankreich und die Unterhandiungen von Erefpy 
fowie auf den Bund von Schmalkalden ein bedeutendes Richt. 
Es befinden fi) darunter biplometifche Documente vom hoͤchſten 
Wertbe. Der Herausgeber dieſes Bandes, Dr. Weiß, Bidlio⸗ 
thekar zu Befancon, einer der geiftreichften Bibliographen Krank: 
reiche, hat ſich bereits durch mehre umfaffende Werke ein gro: 
Bes Werdienft um die franzöfifhe Geſchichte erworben Bon 
feinen Artikeln für bie große ‚‚Biegraphie universelle fagt 
fein Freund Charles Nodier in feinen „Melanges Lires d’une 
peüite bibliotheque’‘, daß fie allein den ganzen Reft bes Werks 
aufmiegen, und die feine „Biographie” (in 6 Bänden), die er 
alleın herausgegeben hat, gehört zu den trefflichſten Arbeiten 
biefer Art. 4, Der dritte und vierte Band der „Negociations 
relatives a la succession d’Kspagne”, die ber berühmte Hiſto⸗ 
riker Mignet berausgibt. Ginen Theil der geiftvollen Einlei⸗ 
tung bat bereitö die „Revue des deux mondes” mitgetheilt. 
Diefe beiden Bänte umfaffen die ihn wichtigen Jahre der Res 
gierung Ludwig's XIV. von 1668— 78. Der dritte Theil 
enthält bie Untechandlungen, durch die der große König die Als 
lianz, die von Holland, England und Schweden gegen Frank⸗ 
reich gebilbet war, zu fprengen ſuchte. Der vierte Tuer ums 
faßt die Invaſion in Holland, den Sturz und den Tod der 
beiden Brüder de Witt und den Krieg, ber mit dem frie: 
ten zu Nimwegen endete. 5. Der vierte Band ber „Chro- 
nique du religieux de 8St.-Denis avec traduction’, von 
DM. %. Beilaguet. Diefer Theil enthält die Erzaͤhlung der 
Greigniffe, welche nach der Ermordung bes Herzogs von Ors 
teans duch Johann ohne Furcht flattfanden, und geht bis auf 
den Tod Heinrich's IV. von England. Die naͤchſten Baͤnde diefes 
großartigen Werks, das eine wahre Yundgrube für die franzds 
ſiſche Geſchichte buidet, werden wieber einige wichtige Arbeiten 
bringen. Wir heben bavon hervor: ben fünften Band ber 
„Memvires militaires relalifs à la succession d’Espagne 
sous Louis XTV’‘, der vom Generatlieutenant Pelet beforgt 
wird; ben dritten Band ber wichtigen „Chronique des dacs 
de Normandie‘, deren Herausgabe der verdiente Francieque ir 
el übernommen hats ben zweiten Theil der intereffanten „Me- 
langes historiques’ von Ghampollion = Kigeac, und ben zweiten 
Band beö „Proces des Templiers‘‘, den der berühmte Diftori= 
fer Michelet herausgibt. Wir werden in einiger Zeit auf dieſe 
umfaffende Sammlung zuruͤckkommen. Bei diefer Gelegenheit 
wollen wir gleich noch erwähnen, daß von der großen „Col- 
lection des Memoires relatifs a l’bisteire de Franoe, depuis 
la fondation de la monarchie frangaise jusqu’au l3me siecle”, 
die gleichfalls von Guizot begründet iſt, die beiden legten Bände 
vor kurzem erfchienen find. Der erftere enthätt eine fehr inter⸗ 
effante „Introduetion”! und der andere eine brauchbare „Table 
generale des matidses”, 2, 


We artwortliher Herauſsgeber: Heinrih Brodhaus — Drud und Beriag von 8. X. brouneus ın Seipzig. 


Blätter 


für 


literarijde Unterhaltung. 





Dienftag, 


ee Nr. 66. u 


7. März; 1843. 





Die Dichtungen der Frederike Bremer. 
(Kortfegung aud Nr. 66.) 

So hat Frederike Bremer auch in ihrem Öffentlichen 
Wirken als Scheiftftellerin nirgend die zarte Weiblichkeit 
verleugnet, deren Mangel durch die geiftreichfte Virtuoſitaͤt 
nicht erfegt werden konnte. Mit männlicher Kraft vereinigt fie 
weibliche Milde und Lautereit und geht ihrem Geſchlecht, 
defien Läuterung, Deredelung, Kräftigung ihr die liebſte 
Angelegenheit ift, als ein erhebendes und ermunterndes 
Vorbild voran. Ihr Wirken tft aud auf eine Emanci⸗ 
pation der Frauen gerichtet, auf die vollſtaͤndigſte, wahrfte, 
nothwendigſte, nämlich auf bie fittliche; es iſt nicht fo ſehr 
der Eigenfinn, die Ungerechtigkeit, die Thrannei der Män: 
ner, das Soc, welches zu zerbrechen fie mitwirken möchte, 
als vielmehr der Eigenfinn, die Befangenpeit, die Eitelkelt 
und XThorheit des eigenen Herzens, die Tyrannei der Vor: 
urtheile, des Wahns, ererbter Irrthuͤmer, herrſchender Un: 
arten. Sie möchte ihr Gefchleht zum Bewußtfein feiner 
urfprünglihen und unveräußerfihen Würde, aus ber druͤ⸗ 
ckendſten und ſchmaͤhlichſten Sklaverei zu wahrer Freiheit 
und unzerſtoͤrbarem Serlenfrieden erheben, die nur in aufs 
tichtiger Demuth, in herzinniger Froͤmmigkeit, in Eräftis 
gem Ringen nad den beften Gaben, in heiliger Treue 
unter allen Verhaͤltniſſen und Umftänden gemonnen wer: 
den. Sie belehrt, warnt, ermuntert, weniger duch) zu: 
dringliches, ſchwerfaͤlliges Moralificen, als durch Thatſa⸗ 
chen, durch Bilder aus dem Leben, durch die Mannichfal⸗ 
tigkeit der Geſtalten, die ſie in mehr oder minder ſchwe⸗ 
rem Conflict mit der Welt vor Augen ſtellt. Die Wahr⸗ 
heit und Treue in den Charakteren, die ſie mit feſter und 
gewandter Hand zeichnet, macht ihre Schriften um ſo 
mehr zu einer Schule fuͤr Frauen. Wie ſie in Allem 
Maß zu halten ſich geuͤbt hat, fo hütet fie ſich auch vor 
Übertreibungen in der Licht: und Schattenfeite; ſcheint es 
etwa, als ob in manchen, fcharfausgeprägten, etwas ſchroff 
hervorteetenden Geflalten die Farben zu flark aufgetragen 
feien, fo find diefe doch keineswegs bloße Phantafiegedilde, 
fondern wenn auch feltene und ſeltſame, doch wirkliche Er⸗ 
ſcheinungen im Leben. Sie hat ſich eben nicht verſucht 
uͤhlt, wie andere Schriftſtellerinnen, Teufel in Mens 
ſchengeſtalt fleißig abzubilden, mehr gute Engel, dieſe aber 
zeinmenfchlih, und wer darin Übertreibung, Phantafterei 
fände, dem waͤre das Ideal echten Menſchenadels, weibli⸗ 


her Zugend fo wenig in der Seele aufgegangen, mie im 
Leben begegnet. Sie hat manche wunderliche, barocke Ge: 
flaiten mit befonderm Fleiß und wohlgelungen gezeichnet, 
aber audy fo reizende, liebenswuͤrdige, menfchlich vollendete, 
daß der Lefer, und wol noch mehr die empfängliche Lefes 
rin ſich an ihnen nicht nur freut, fondern auch ergögt 
und erbaut, ſich erweckt und ermuntert fühlte. Unter ihs 
ven Frauencharakteren find einige, bei deren feelenvollem 
Anfhauen wol mancher Süngling und Mann im Herzen 
ſpricht: „Wen Gott lieb hat, dem gibt er folh ein Weib”, 
und mande Jungfrau und Frau: „So mödt’ ich fein!” 
Und diefen Wunfh zum Streben und Ringen zu beles 
ben, eine heilige Begeifterung für Das, was allein wahr 
und ſchoͤn ift im Leben, zu erwecken, das ift das fchöne 
und gewiß mit reihem Erfolg gekrönte Bemühen ber 
Dichterin, die in der bewundernswürbigen Fähfgkeit, fo 
ausermählt herrliche Menfchen in treffendfter Anfchaulich- 
keit darzuftellen, nicht nur ein beneidenswerthed Talent, 
fondern auch ihren eignen Seelenadel bewährt hat. 

Um fo angelegentlicher find die Schriften der Frederike 
Bremer befonder6 dem weiblichen Geſchlecht zu empfehlen; 
fie bereiten aud) Männern reichen Genuß und bleibenden 
Gewinn, aber Krauen werden fie die ergiebigfte Fund: 
geube fein. Mütter koͤnnen ihren heranwachſenden Toͤch⸗ 
teen mit diefen Schriften ein Geſchenk barbieten, deſſen 
Werth nicht dem Wechſel der Mode unterworfen ift, fons 
dern audy nad) langem Gebrauch noch ebenfo wohl feinen 
Reiz wie feinen vollen Gehalt behält. Nicht nur find 
diefe Dichtungen, wie ſich von felbft verfteht, unanftößig, 
rein, ſittlichſchoͤn, fondern auch fo befonnen gehalten und, 
obwol nichts weniger als dürrprofaifh, doc fo gar nicht 
phantaftifch, vielmehr recht praktiſch tüdhtig, daß man fie 
unbedenklich einer gebildeten Jungfrau in die Dände ges 
ben kann. Sie werden in jedem Fall fi fruchtbarer und 
heilſamer erweifen als fo viele Romane, Novellen, Erzaͤh⸗ 
lungen, romantiſche Gedichte, mit denen, als mit der los 
ſeſten Koft, die weibliche Jugend jest häufig gelättigt wird. 
Das Schöne und das Nuͤtzliche ift in den „Skizzen aus 
dem Alltagsleben” nicht nur anmuthig gemifcht, fondern 
auch recht innig verwebt und Eins in dem Andern auf: 
gegangen ; das Gutgedachte, Sinnigerfundene ift aud 
ſchoͤn geſagt und das Schöngeftaltete hat auch einen ges 
diegenen Gehalt. Auch da, wo die Geſchichte mit längern 


%2 


Reflerionen, theoretifdgen Erörterungen und Wechfelgefprä: 
hen durchwebt ift, werden wenigſtens tiefere, empfaͤngliche 
Gemuͤther nirgend fi gelangweilt fühlen. 

Wir haben an bdiefen Dichtungen des Lichts fo viel 
anerkannt, daß die Wahrheit und Treue unfers Zeugnil: 
Jes in Zweifel geftelt werden moͤchte, wenn wie nicht auch 
des Schattens ein binreichendes Muß binzufügten. Der 
Schatten fehlt auch nicht; er fpringt aber nicht foyleich in 
die Augen; man muß erft fuchen, um ihn zu finden, und 
in ſolcher Maße, daß er das Licht beträchtlih dämpfen 
fönnte, entdedt man ihn doch nicht. . Zugeftehen müſſen 


wie einige weibliche Geſchwaͤtzigkeit, die zwar nicht läflig 


noch zudringlich, dm wenigſten unfreundlich, vielmehr über: 
au wohlwollend, aber doc bisweilen etwas zu breit und 
langathmig iſt. So gern wir das ſchoͤne Talent und das 
glüdliche Bemühen anerkennen, in einem oder zwei Baͤnd⸗ 
chen einen Stoff kuͤnſtleriſch darzuftellen und abzufchließen, 
‚aus welhem ſchriftſtelleriſche Fabrikanten einen drei- oder 
vierbändigen Roman, oder audy mehr als einen‘, heraus: 
gearbeitet hätten: fo möchten wir doch bier und da mehr 
Geſchichte, mehr Handlung, mehr Ausführung flüchtig an: 
gedeuteter Situationen, und dafür weniger umfländliche, 
weitausgreifende Betrachtungen herbeiwuͤnſchen. Wir ha: 
ben eine heimliche Freude, eine unfchuldige Schadenfreude, 
darüber. empfunden, daß auch eine fo geiſtreiche Frau ef: 
ner bisweilen recht liebenswürdigen, häufiger unbequemen 
Unart ihres Geſchlechts einen kleinen Tribut entrichten 
mußte. Man hört fie aber gern, überall, auch da to 
fie etwas mehr fpriht als eben zur Suche nothwendig 
ſcheint; es ift nicht ein fraubafiges Geklaͤtſch, fondern die 
überfließende, aber nicht fo ganz überflüffige Rede eines 
wobhlmwollenden Herzens. Wo fie einmal in die Breite 
baut, da baut fie immer zugleih in die Höhe, und fie 
verfügt über fo reiche Vorräthe, daß man aud da, wo 
fie des Guten foft zuviel chut, fie kaum der Verſchwen⸗ 
dung anklagen mag. „ 
Biel feltener und mit viel fparfamerer Hand hat fie 
des Schlimmen zuviel gethan, nämlich in einigen Cha: 
zaßterzeichnungen. Die Gräfin Auguſte in den „Toͤchtern 
des Präfidenten” ift bei aller leiblihen Schöne und Lie: 
benswürdigkelt eine fo abftoßende Geftatt, daß mir ihr 
Bild für unwahr halten möchten, obwol fonft. gerade Die 
treffende Wahrheit ein anerkannter Vorzug der Charakter: 
gemälde der Verf. it. Eine fo leidenfchaftlihe und vers 
zweifelte Liebe, wie die der Gräfin, ift zwar greulicher 
Verirrungen fähig, und ein intriguantes Gemüth kann in 
ſeinen Machinationen fich fo verblenden und eine ſolche Fer⸗ 
tigkeit erlangen, daß es Recht und Unrecht, Wahrheit und 
Lüge kaum noch zu unterfcheiden vermag; aber «8 wird ung 
doch fchwer, zu glauben, daß diefe Augufte, die wir uns noch 
nicht als ganz verteufelt denken koͤnnen, fähig ſei, fo fata: 
rifh das Gluͤck ihrer herrlichen Schweſter zu zerftören, wos 
bei der Graf Alarich, der ſich fo unbegreiflich dupiren läßt, 
aud gar zu befangen erfcheint. Es verftehe ſich, daß mir 
dee Dichterin nicht anfinnen, fie folle lauter heilige Engel 
malen, obmwol Ihr dies am beften gelingt; aber mo an el: 
nem Charakter, zumal einem weiblichen, für den fie une 


zu intereffiren mußte, ein fo finfterer Schatten bervortritt, 
da moͤchten wir diefen pfychologifch tiefer motivirt ſehen. 
So ift auch die Blinde in der „Samilie 9. eine jwar 
fehe originelle, aber fo verzerrte Geſtalt, daß wir fie lieber 
für verzeichnet ats nach dem Leben, d. h. wahr dargeſtellt 
halten. möchten. Es ift nicht blos jene feltfame Verir⸗ 
tung der Gefchlechtsliebe, die, wenn widernatuͤrlich und 
duch die Blutsvermandefchaft verdammt, doch in der räthe 
felhaften Dienfhenbruft nicht unmöglich fein mag, es ift 
die ganze Stellung und Haltung, das Reden und Thun 
diefer Unglüdlihen, was uns den Wunſch abnöthigt, dee 
zarte Pinfel der Meifterin möchte die Farben zu dieſem 
Bilde, das wir unmöglich für ein wohlgetroffenes Portenit 
halten önnen, etwas weniger greil aufgetragen haben. 
Wenn wir aus der großen Zahl der Charakterbilder, 
welche in diefen Schriften uns vorübergeführt werden und 
unfere lebhafte Theilnahme erweden, nur diefe zwei ber: 
ausheben, um fie al& verzeichnet nach unferer‘ fubjectiven 
Anſicht zu ruͤgen, fo mag dies ebenfo fehr die Unfangens 
heit, mit der wir die ſchoͤnen Gaben der Dichterin wuüͤrdi⸗ 
gen, als die gerechte Anerkennung ihrer ungemeinen Bir: - 
tuofität in der Charafterzeihnung beglaubigen. Am wes 
nigften fol es ein Tadel fein, wenn wie hinzufügen, daß 
wie in diefen Zeichnungen überall eine weiblihe Band, 
eine ebenfo kräftige wie zarte, wahrgenommen haben. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Deutfche Erfahrungen über den Einfluß der Gefangens 
| [haft auf den Geiſt. 

Der Sitel ber untengenannten*) Beinen, aber gehaltvoflen 
Schrift eines Arztes und Gefaͤngniß⸗Vorſtehers zeigt ihren Aweck. 
Sie ift um fo wichtiger, weil ihr Verfaffer Vorſieher der eingis 
gen vollfländigen Strafanftalt Deutſchlands nad) auburnfcher 
Weiſe mit blos naͤchtlicher Vereinzelung ift (die ſaͤchſtſche Strafe 
anftalt in Watbheim hat nur einen auburnfchen Ylügel), welche 
bis zur Sröffnung des preußiſchen Strafhaufes in Halle, tm 
Mai 1842, bei uns befand. Ich meine das feit vier Jahren 
eröffnete badiſche Weiberſtrafhaus in Bruchſal, das bis auf bem 
unausmweichlihen Übelftand, daß es aus einem aͤltern Kioflers 
gebäude umgebaut und beshalb nicht wohl für feine jegigen 3wecke 
geeignet ift, gut eingerichtet und verwaltet genannt werben darf. 
Hoͤchſt beachtenswerth aber ift für Deutſchland gesebe biele 
Stimme aus dem einzigen in beffen Umfange nady einer bir 
beiden amerikaniſchen Strafmeifen, blos naͤchtlicher (auburn⸗ 
ſcher) oder ununterbrochener (pennfolvanifcher) Bereinzelung, ein⸗ 

erichteten Strafhaufe; insbeſondere wenn diefelbe,' wie es bei 
r. Diez der Pal ift, durch Studien und burch eine fuihexe 
ärztliche Laufbahn zur Urtheitsabgabe in ber Angelegengeit dos 
Einfluffes der Gefangenſchaftsart auf bie griftige und leibliche 
Gefundpeit des Menſchen als ganz befonders befähigt betrachtet 
werben muß. | ' 

Bei der in ihrer Art unter und einzigen Stellung bes Gen. 
Diez, wie bei ben in feiner Perfon vereinigten „Daupterfoders 
nifjen eines vollgültigen, auf Erfahrung rupenden Uctheils her 
bie Vorzuͤge und Nachtheile auburnfcher Sefangenfchaft in Deutſch⸗ 
land fege ih aus deſſen Schrift nachſtehende drei Stellen ber, 
bie mir von befonderer Wichtigkeit und größter Verbreitung 
werth ſcheinen. Diefe betreffen theils das Verhaͤltniß bes Uns 


*) Über bie Vorzüge der einfamen Ginferlerung als Mittel 
zur Befferung ber Verbreiger in ben Strafanftalten von @. A. Diez. 
Karlöruhe, Bielefeld. 18W. Gr. 8. 18%, Neger. 


203 


terrichet zur Berbrechens⸗Haͤufigkeit, theils bas ber Gefängnißs 
Auffeher und Beamten zu den Gefangenen bei ununterbrochen 
vereingeinder Ginfperrung, unb endlich die bei biefer angeblich 
ftattfindende größere Schwäche der Geiſteskraͤfte. 

Über das unter ber Bevoͤlkerung flattfindende vielbefprochene 
Berpättntß zwifhen Unterriht und Verbrechen 
aͤußert fidy der Verfaſſer wie folgt: „Der Umftand, daß bie 
meiften Berdrecher in den gewöhnlichen Schulfenntniffen Tchlecht 
oder gar nicht unterrichtet find, hat die Meinung veranlaßt, 
daß mangelhafte Kenntniffe diefer Art mit unter die Urfachen 
des Verbrechens gerechnet werben müffen ; allein diefe Meinung 
ft irrig. Uniffenheit und mangelnde Fertigkeit im keſen, 
Schreiben und Rechnen führt an fich ebenfo wenig zum Vers 
brechen , als ber Befig diefer Kenntniffe und Fertigkeiten bavor 
ſchützt. Nur infofern, ale Mangel an ben Elementarkennt⸗ 
niffen die Mittel zum ehrlichen Broterwerb verringert und bie 
Armuth unterhält und begünftigt, kann er unter bie mittelbaren 
Urſachen bes Verbrechens gezählt werben; in ben allermeiſten 
Fällen aber ift die Unwiffenbeit der Verbrecher nicht Urfache 
ihrer Verbrechen, fondern nur gleichzeitige Wirkung einer ges 
meinſchaftlichen Urfache, nämlich der Armuth und der vernachs 
laſſigten Erziehung. Der armen Gtaffe der Bevoͤlkerung ſtehen 
für den Unterricht ihrer Kinder nicht fo viele und gute Mittel 
zu Gebote wie den Bemittelten, deshalb werden ſie auch in ber 
Regel nicht fo gut unterrichtet fein wie die Kinher jener. Wenn 
fie aber dann ſpaͤter zu Verbrechern werben, fo ift dies nicht 
darum, weil fie weniger unterrichtet, fondern weit fie arm find, 
Ja die Armuth immer die maͤchtigſte Verfucherin zum Verbre⸗ 
chen bleiben wird.‘ 

Über dag Wehfelverhältniß der penufylvanis 
Then Befängnib:Beamten und ber Gefangenen fagt 
Br. Dig: „Ein weiterer wichtiger Vorzug bes pennipivanifchen 
Softems beftehbt in der größern Unabhängigkeit von ben pers 

ſoͤnlichen Gigenfchaften der Aufſeher. Bei der zweckmaͤßigſten 
Anordnung bes Baus und der größten Thaͤtigkeit von Seiten 
ber Beamten können biefe doch nicht überall felber gegenwärfig 
fein, Alles ſelber fehen und hören. In fehr vielen Källen find 
dieſe alſo von dem Zeugniffe der Auffeher abhängig. Bei dem 
auburnfchen Softeme find Vergehungen gegen die Disciplin viel 
leichter möglich und fallen alſo viel häufiger vor, und dadurch 
fritt dann auch der Fall viel häufiger ein, daß Bene auf bie 
bloße Angabe eines Auffehers hin eine Strafe ausſprechen müflen. 
Es wurde aber ſchon oben die fehr fatale Lage des Vorſtandes 
angegeben, wenn er ber Wahrheitsliebe und Unparteilichleit eines 
Auffehers nicht volllommen und unbedingt vertrauen kann und 
der Straͤfling das ihm angefchuldigte Vergeben leugnet. Bei 
der pennſylvaniſchen Dieciptin, wo bem Gträfiinge die meiften 
Disciplinarvergehen durch die einfame Ginfperrung völlig uns 
möglich gemacht werben, kann biefer Fall nur hoͤchſt ſeiten vor: 
fommen. Auch kommen bier Straͤfling und "Auffeher weit wer 
aiger miteinander in Berührung, es können ſich weit weniger 
Sreundfchaften oder Feindfchaften, Verbindlichkeiten oder Abnets 
gungen zwifchen denſeiben ergeben, und man kann alfo auch 
weit ficherer eine leidenſchaftloſe Unparteitichkeit und Wahrhaf⸗ 
tigkeit in den Anzeigen ber Auffcher vorausfegen. Wer mit 
der Leitung einer Strafanftalt aus eigener Erfahrung vertraut 
R, muß diefen Vortheil ſehr hoch anfchlagen. Man denke fidh 
einen Xuffeber, ber.fchon durch feine Erziehung, bie Stufe der 

ag, auf der er ſteht, und feinen Charakter im Allgemeinen 
Beine genkgende Buͤrgſchaft für fıine ſtrenge Unparteilichkeit ge⸗ 
währt, una ber auch noch das eine oder das andere Mal durch 
beſtimmte Thatſachen Grund zum Verdachte von Parteitichkeit 
gegeben hat, groß genug, um ihm nimmer unbedingt vertrauen, 
ber nicht groß und beflimmt genug, um ihn darauf hin ent: 
laffen zu können. Diefem gegenüber einen Gträfling, weldyer 
bisher ſich gut aufgeführt hatte, eines Wergehens von Jenem 
besüchtigt, das er aber entfchleden ableugnet. Wem fell nun 
der Borftand Glauben beimeffen? Zunaͤchſt dem verpflichteten 
Auffeher, und der Straͤfling muß alfo, ungeachtet feines Leugnens 


bes angeſchuldigten Vergebene, für feautbig erbannt und bafkr 
beftraft werben. War er nun aber wirklich ‚unfchurbig, war bie 
Anzeige des Aufſehers unwahr, aus Leivenfchaft und Gehaͤſſtg⸗ 
keit hervorgegangen, fo wird biefes nicht nur auf den Beſtraf⸗ 
ten felber, fondern auch auf bie ganze Abtheilung, welche davon - 
Kunde erhält, einen hoͤchſt verderblichen, das ganze Beſſerungs⸗ 
eſchaͤft wefenttich beeinträchtigenden Einfluß ausüben. Wollte 
agegen der Borfland dem Sträftinge mehr glauben ale dem 
Auffeher, fo wäre jedenfalls dadurch der Auffeher auf eine Weiſe 
compromittist, weldde ihn zur fernern Dienflführung volltome 
men untauglich machte; und da Anftellung und Entiaſſung der 
Aufſeher nicht überall in die Bände der Vorſtaͤnde der Strafan⸗ 
ftatten gelegt find, höhere Behörden aber, weldye mit dem Des 
tait der Sache unmoͤglich hinreichend vertraut find, darin noch 


feinen Grund zur Gntlaffimg finden, der Vorſtand felber auch, 


fo lange die Sache no im Zweifel und er felber nicht volls 


kommen überzeugt ift, daß das Unrecht auf Seiten bed Auf: 


febers, die Wahrheit auf jener bes Sträftinge war, fich zur 
GEntlaffung Jenes nicht berechtigt fühlen wird : fo wird auf biefe 
Weife der Anftalt ein undrauchbar gewordenes Werkzeug aufge 
bürdef. Hatte ber Auffeber dabei die Wahrheit geſprochen, der 
Sträfiing aber durch die Beflimmtheit und Frechheit feines Leug⸗ 
nen® ſich einer wohlverdienten Strafe entzogen, fo wird dadurch 
der Zweck des Leugnens erreicht Und ber betreffende Straͤfling 
ſowol als Andere, zu deren Kunde bei der Unmöglichkeit, die Com⸗ 
municationen zu verhüten, das Ereigniß ſchneil gelangen wird, 
zur Wiederholung aufgemuntert. ’ 


„Auch eine weitere genauere Unterfuchung wird die Sache 
nit ändern. Gewoͤhnlich können keine andern Zeugen vernom⸗ 
men werden als Sträflinge ber gleichen Abtheitung. Das Zeug: 
niß von Leuten dieſes Schlages ift aber ſchon an ſich fehr vers 
daͤchtig, ſodaß ein mit peinlicher Strafe Belegter faft überall 
vor Gericht nicht mehr als Zeuge angenommen wird ; überdies 
werden fie in der Strafanftalt durch Gleichheit ihrer Lage und 
Sntereffen untereinander und gegen bie Aufſeher vereinigt, oft 
auch noch dur Haß oder Liebe oder felbft Furcht beſtimmt, 
falſches Beugniß zu geben. Abgefehen davon alfo, daß fchon 
dadurch, daß gegen feine Ausfage das Zeugniß von Sträflingen 
nur angenommen und angehört wird, das Anfehen eines Aufs 
ſehers compromittirt , fein ferneres Wirken gelähmt wird, fa 
wird dabci auch fonft nichts gewonnen. Lauten die Ausfagen 
der Zeugen, wie es nicht felten der Fall ift, untereinander wider: 
fprechend, fo iſt die Sache wieder wie zuvor: lauten fie zu 


-Gunften der Sträftinge, fo muß dann ber WBorftand auch zu 


Gunften derfelben entſcheiden, vielleicht ohne daß fich feine eis 
gene Überzeugung ficherer ats vorher feftgeftele hat, und alle 
die oben angegebenen Nadıtheile für die fernere Brauchbarkeit 
des Auffehers können nicht mehr vermieden werden. Es kann 
alfo nur in den feltenen Fällen das Zeugniß von anbern 
Sträftingen zugelaflen werden, wo man im voraus über 
zeugt iſt, daß es zu Gunften bes Auffehere ausfallen wird. Wo 
aber biefe Ueberzeugung fchon beftehbt und alfo fein Zweifel an 
ber Staubwürdigteit des Auffehers obwaltet, kann auch das Aufs 
zufen von Zeugen zu weiter nichts führen, ale zu Daß und 
Feindſchaft zwiſchen dem Angektagten und den Zeugen. Es 
fann alfo für den Vorſtand einer Strafanftatt, fo lange er nicht 
durchaus zuverläffige Auffeher befigt — und wo find dieſe zu 
finden? — bie Gefahr, manchmal einen unfchuldig Angeklagten 
zu beftrafen oder einen wirklich Schulbigen ungeftraft zu laffen 
und durch Eines wie das Andere hoͤchſt verderblich auf den Bang 
der pönitentiairen Erziehung ber Sträflinge einzuwirken, nur 
daburch verringert oder beinahe völlig aufgehoben werden, daß 
durch einfame infperrnng derfelben die Vergehen gegen die 
Disciplin betraͤchtlich erfchwert und faft ganz unmöglich ges 
macht werben. Es ift dies ein Gegenftand von Außerfter Wich⸗ 
tigkeit für die pönitentinive Gryiehung, weicher bisher die ibm 
gebührende Würbigung noch nicht gefunden bat.’ 

„Auch für die ſichere Verwahrung ber Gträfünge tft bei 
einfamer Ginfperrung beffer geforgt. Wo 20—I0 Gträfe 


tinae in einem gemeinſchaftlichen Arbeitsſagl vereinigt find und 
de Sommunication durch Worte und Zeichen unter ihnen nicht 
verbindert werden kann, koͤnnen Nachrichten von außen ber 
durch neu eingelieferte Straͤflinge eingebracht und ebenfo durch 
abgehende foldye nach außen befördert und fo Berabrebungen 
zur Flucht und Beipäife dazu getroffen werden. Ebenſo tönnen 
die im gleichen Arbeitsſaale verwahrten Gträflinge untereinander 
feber complottiren und Aufftände zu gemaltfamem Durchſetzen 
iſſer Abſichten oder der Flucht verabreden. Cine Anzahl von 
ra 30 Gträftingen, bewaffnet mit ihren Arbeitsgeraͤthen und 
andern ihnen leicht zugaͤnglichen Gegenſtaͤnden, bildet ſchon eine 
bedeutende Macht, ber man in der Anſtalt im Augenblicke wenig 
entgegenzufegen hat, ba der größte Theil ber Auffeher noth⸗ 
wendig dazu verwendet werben muß, bie andern Abteilungen 
im 3aume zu halten und ihren Anſchluß an bie Aufruͤhreriſchen 
zu verhüten, die alfo, wenn das Gefaͤngniß nicht beſonders 
feft it und fie etwa noch von außen unterflügt wird, leicht 
einen gewaltfamen Ausbruh aus der Anftalt, jedenfalld aber 
bedeutende und gefährliche Unordnungen in derſelben bewerfftellis 
gen kann.“ e 
„Je mehr einem Werbrecher durch bie Einrichtung der 
Strafanftalt die Möglichkeit übrig getaffen iſt, gegen bie Dies 
ciplin zu fehlen, je ftärfer die Verſuchungen bazu find, deſto 
öfter wird er auch wirklich fehlen und defto öfter alſo geſtraft 
werden muͤſſen. Im auburnſchen Syſteme iſt durch die Moͤs⸗ 
uchteit der Communicationen, das Zuſammenſein ber Straͤflinge 
untereinander und mit den Auffehern außerordentlich zahlreiche 
Veranlaffung zu Wittheilungen untereinander duch) Worte, 
Winfe und Blicke, Streit miteinander, Gommunicationen nad) 
außen, Unart und Ungehorfam gegen die Auffeber, Meutereien 
und Somplotten und dergleichen gegeben, weiche alle beim penns 
foivanifchen Syſteme wegfallen. Alſo wird ein dem erſtern Sy⸗ 
ſteme unterworfener Straͤfling auch im Allgemeinen weit öfter 
beftraft werden müffen, und diefe Nothwendigkeit bes häufigen 
Strafens ift wieder eine Schattenfeite des auburnſchen Syſtems. 
Der den Bänden der Gerechtigkeit Berfallene ergibt ſich ſelten 
mit Reſignation und Unterwuͤrfigkeit in die über ihn verhängte 
Strafe, er fieht fi mehr für einen Befiegten als einen Be⸗ 
firaften an und erfiärt die über ihn verhängte Strafe für un 
gerecht oder zu hart. Die Anerkennung, daß er für fein Ber: 
gehen wohlverdiente Gtrafe leide, erfolgt gewoͤhnlich erſt ſpaͤt 
und ift ein ziemlich ſicheres Zeichen eintretender Beſſerung. 
Noch weit mehr aber ift biefes in Beziehung auf die in ber 
Strafanftalt wegen Disciplinaroergehen verhängten Strafen ber 
Kal. Hier ftellt ſich die Übergeugung, daß die Strafe ger 
recht und wohlverdient gewefen fei, noch viel feltener, vielmehr 
gewöhnlich ein Gefühl der Grbitterung und bes Haſſes gegen 
die Disciplin der Anftalt und bie diefelbe handhabenden Beamten 
ein, das oft ziemlich lange anhält und ber beabſichtigten Beſſe⸗ 
zung nur ſehr hinderlich fein kann. Auch mit der geprieſenen 
Milde des auburnſchen Syſtems ſtimmt dieſe Nothwendigkeit 
haͤufiger Strafen keineswegs uͤberein, vielmehr wird bei einem 
etwas ungehorſamen, dem Sprechen ſehr ergebenen, oder mit 
einem heftigen ungeflümen Temperamente begabten Straͤflinge 
durch die zahlreich eintretenden Disciplinarftrafer bie Strafe 
leicht härter ausfallen als durch einen ebenfo langen einfamen 
Xrreft ohne weitere Strafe. Ebenſo verliert auch die Arbeit 
der Sträflinge durch häufige Disciplinarftrafen; es kann wäh: 
rend Dunkelarrefi und aͤhnlichen Strafen der Beſtrafte nicht 
arbeiten und dadurch geht nicht nur der Grtrag der Arbeit 
verloren, fondern, was wichtiger ift, es fann auch bie Gewoͤh⸗ 
nung der Gteäflinge an die Arbeit bei der oftmaligen Unterbre⸗ 
dung berfelben ſich nicht gehörig befeftigen. 

Endlich am ausführtichften erklaͤrt ſich der Verfaſſer über 
den Einfluß pennfplvanifber Gefangenfhaft auf 
die Seiftesträfte der Eingefperrten, deren Schaͤdlich⸗ 
keit er aus ärztlichen Gründen mit tiefer pfychologifcher Gin 
ſicht in Abrede flellt, worüber ih bier nur die einzige, Er⸗ 


Iebtes berichtende nachſtehende Stelle herfegen kann, mit welcher 
bie Anzeige diefer wichtigen Schrift denn auch ſchließen mag: 
„Sm Weiberhaufe zu Bruchfal, welches nady dem auburns 
fhen Syſteme dirigiet wird, wo aber wegen Unzwedmäßigkeit 
bes Bauplanes, geringer Anzahl der Auffeherinnen und andern 
Dinberniffen bie Regel des Stillſchweigens nur fehr unvollkom⸗ 
men gehandhabt werben kann, wo alfo Das, mas man im pennfyls 
vaniſchen Syſtem als Urſache der Seelenftörungen anklagen will, 
in noch viel geringerm Grade ale in Auburn befteht, kamen in= 
nerhalb der legten 18 Donate unter 80 Gntlaffenen fünf Bälle 
von Seelenſtoͤrung vor, von welchen drei in die Landesirrenan⸗ 
ftatt in Heidelberg, eine, eine Ausländerin, in ihre Heimat 
verbracht wurben, und eine vor ihrer bereits eingeleiteten Transs 
ferirung in bie Irrenanftalt geftorben iſt. Diefes Berhältnig 
von 6,25 Procent der Sntlaffenen ift alfo noch ungünftiger als 
jenes von Sherry: Hill bei Philadelphia, welches nur 9,12 Pro⸗ 
cent beträgt. Es ift diefe verhältnigmäßig fehr große Zahl von 
Seren allerdings nicht der Disciplin der Anftatt, fonbern faft 
nur dem Zufall zuzufchreiben; allein aus bem gleichen Grunde 
kann auch das angeblich völlige Fehlen von Geifteskranfen in 
Auburn nicht ber Disciplin, fondern nur ebenfalld dem Zus 
falle zugefchrieben werden. Ein neuer Beweis. daß auch die 
Zahlen, und befonbers kleine, aus einem zeitlich oder räumlich 
beſchraͤnkten Kreife von Beobachtern hervorgegangene sahlen, 
nicht überall zuverläffige Refultate gewähren. ’' 39. 


Literarifhe Notiz. 

Ein um bie Geſchichte der Philofophie verdienſtvolles Werk 
ft Francisque Bouillier’s „Histoire et critique de 
la revolution cartesienne‘ (Paris 1842). Die genannte, 
vom Inſtitut gekroͤnte Preisfchrift wurbe durch eine von ber 
Alabemie der moralifchen und politifchen Wiffenfchaften zu Paris 
geftellte, fo lautende Aufgabe veranlaßt: „I. Den Zuftand ber 
Philoſophie vor Descartes darzuthun. 2. Den Charakter der 
philofophifchen Umwaͤlzung, deren Urheber Descartes iſt, zu bes 
flimmen; die Methode, die Grundfäge und das ganze Syſtem 
biefes Philofophen in allen Theilen der menfchlihen Wiffens 
fhaften darzulegen. 3. Die Gonfequenzen und Entwidelungen 
feiner Philoſophie nicht allein bei feinen anerfannten Schülern, 
wie Regis, NRobault, Delaforge u. ſ. w., fondern auch bei 
Männern von Genie, bie er erwedte, wie Spinoga, Male 
brandye, Lode, Bayle und Leibnig, aufzufudden. 4. Insbeſon⸗ 
dere den Einfluß des Gartefianifchen Syſtems auf die Syſteme 
Spinoza'd und Malebranche's zu fchägen. 9. Die Rolle und 
bie Stelle, welche Leibnig in ber GCartefianifden Bewegung 
fpielte und einnahm, zu beflimmen. 6. Den innern Werth der 
von Descartes bewirkten Ummälzung in der Philofophie, bes 
trachtet im Zuſammenhange ihrer Grundfäge und Folgen, und 
in ber Reihenfolge ber großen Wänner, welche fie umfaßt, von 
feiner Abhandlung über die Methode im 3. 1637 an bis zum 
Anfang bes 18. Jahrhunderts und zu dem Tode Leibnig' zu 
ſchaͤzen. 7. Zu unterfuhen, melden Theil von Irrthum ber 
Gartefianismus in fi fließt, und vor Allem, welchen Theil 
von Wahrheit er der Nachwelt vermacht bat.” Dem Profeſ⸗ 
for Boullier gelang es, bie Aufgabe auf eine der genanns 
ten Alademie gendgende Weife zu loͤſen. Der Berf. thut um 
ter Anderm dar, daß die Gartefianifche Umwälzung in der 
Philoſophie drei Zeiträume umfaßt, und daß, wenn man fie im 
ihrem Zuſammenhange verftehen will, es nothwendig ift, ihre 
Antecedenzien, ihren Urheber und ihre Kolgen genau zu kennen. 
Shure Antecedenzien find die Scholaſtik und die Arbeiten ber 
Männer der Wiedergeburt der Wiflenfchaften, eines Campa⸗ 
nella, Marſilius Kicinus, Banini, Giordano Bruno, Samus 
und Anderer, ihre Folgen: Denkfreibeit, mebre bedeutende pie 
tofophifcge Eyfteme und bi6 zu einem gewiffen Grade die ganze 
neuere Philoſophie. Man bedenke nur, welchen Einfluß Spi⸗ 
noza auf die deutſchen Philofophen Fichte, Schelling und He⸗ 
gel u. f. w. ausgeübt bat. 16, 


Berantwortlier Herausgeber: Yeinzih Brokhaus. — Drud und Berlag von J. A. Brodhaus in Leipzig. 





Blätter 


f,är 


literariſche Unterhaltung. 





Rittwod, 





Die Dichtungen der Frederife Bremer. 
¶ Deſchluß aus Nr. 9.) 

Wir duͤrfen hier nicht tiefer auf die einzelnen Bre⸗ 
mer'ſchen Schriften eingehen, die denn auch in d. Bl. be: 
zeit beiprochen und nach Verdienſt ausgezeichnet worden 
find; am wenigften fühlen wir uns verfucht, fie je nad) 
dem Grade der Theilnahme und des Beifalls, die fie uns 
abgemonnen, oder der Befriedigung, die fie gewährten, in 
eine Rangordnung zu fielen, die von andern Leſern und 
Beurtheilern mit gleihem Rechte vielleicht umgekehrt wer: 
den könnte, wie denn in gebildeten Kreifen die verfchiedenften 
Meinungen darüber laut geworden find. Der Kritit mag das 
Recht Über: umd unterzuordnen, den Werth von Geiſtes⸗ 
werten höher und niedriger anzufchlagen, nicht beftritten wer: 
den; mer ftil und rein genießen will, fragt nicht darnach. 

So laſſen wie die einen freundlichen Bücher nur 
noch flüchtig vorüberziehen, in der Folge, wie fie ung be: 
tannt geworden. „Die Töchter des Präfidenten‘, ein Ge: 
mälde aus der höhern Geſellſchaft, lenkte wol zuerft die 
Aufmerkfamteit der Deutfchen auf die reichbegabte Schwes 
Fin, und obmwol fie die Erwartungen, die fie damit erregte, 
durch Peine ihrer nachfolgenden Schriften täufchte, fo hat 
Diefe finnige Dichtung doch das Vorrecht der erften Liebe. 
Zür die meiften Geſtalten, die hier unſerm Blick begegnen, 
wegt fich und bleibt eine fo lebhafte Theilnahme, daß wir 
uns freuten, fie in „Nina“ wieberzufinden. Nina, bie 
jüngfte Tochter des Präfidenten, ift nicht blos leiblich, 
fondern in hohem Grade auch geiftig ihrer Schwefter Ade: 

"faide verwandt, ſowie Graf Ludolf dem Grafen Alarich; 
es gewaͤhrt aber einen befondern Reiz und eigenthümlichen 
Genuß, die felbftändige Entwidelung und Lebensäußerung 
fo verwandter Seelen zu beobachten. Fräulein Greta und 
Kara find in diefem Bilde fehr bedeutende Nebenfiguren, 
von denen die Aufmerffamleit unwiderſtehlich angezogen 
wird, ohne von den Dauptgeftalten zu ſehr abgezogen zu 
werden. S$n beiden Schriften ift Edla von da an, als fie 
zu einem geifteöfreien Leben erwachte, ein ausgezeichneter 
Gegenftand der waͤrmſten Theilnahme, überall wo ihr an: 
fpruchsiofes Wirken hervortritt. Der gute alte Präfldent, 
der ſpaͤt noch der Thorheit, die Gräfin N. zu ehelichen, 
Ah ſchuldig macht, erfcheint liebenswürdiger, feit er die 
Vortrefflichkeit Edla's, der verkannten Tochter, anerkennt 
umd würdigt. Hervey's bedeutſame Geſtalt feſſelt beharr⸗ 


8. März 1843. 


lich unfere Theilnahme, wir möchten ihn mit Nina vet: 
einigt fehen; aber mit fiherm Takt und mit poetifcher 
Innigkeit hat die Dichterin die Liebenden getrennt. Doc) 
werden wir damit keineswegs verföhnt durch Nina’s Ver: 
ehbelihung mit dem Grafen Zudolf, der ein ehrenwerther 
Mann iſt, aber gerade im Verhaͤltniß zu Nina nichts 
weniger als liebenswärdig erfcheint. Und geſtehen wir 
uns, eine Ehe, welde die Hand ſchließt ohne das Herz, 
ja mit widerftcebendem Herzen, ift eine Entheiligung der 
göttlichen Ordnung; es thut uns meh, es verlegt ein ges 
fundes Gefühl, wenn die edle Nina, mit ganzer Seele 
dem tebenden Geliebten beftändig angehörend, doch den Leib 
einem andern Manne hingibt. Das Iechafte Verlangen 
der ſterbenden Edla, fie mit Ludolf vereinigte zu fehen, iſt 
gut motivirt, erfcheint gerechtfertigt; Die feierliche Zulage, 
weiche die tieferfchütterte Jungfrau der fcheidenden Schwe⸗ 
ffer gegeben, enthält eine Verpflichtung, eine Nöthigung, 
von der wir fie nicht losfprechen möchten; wir bewundern 
fie in dem fchweren Opfer, welches fie in großberziger 
Entfagung ohne Wanken darbringt; die ganze Situation 
ift mit Meifterhand dargeftellt, aber fie läßt einen dum: 
pfen Nachklang zurüd. 

„Streit und Friede oder einige Scenen in Norwe⸗ 
gen’ verfegt uns in großartige Maturfcenen des Nordlan⸗ 
de6 und in einen Bleinen Kreis ausgezeichneter Menfchen; 
es iſt viel Idylliſches und doch auch Hochromantiſches in 
diefem reizenden Bilde. Dagegen braufi der Sturm ge: 
waltiger Leidenfchaft in den „Nachbarn“ an uns vorüber. 
Es war ein gluͤcklicher Gedanke, die mandherlei Phaſen 
dieſes Sturms dur die anziehende Erzählung der beitern 
und gemäüthlihen Frau Werner vermitteln zu laffen und 
ihnen felbft das Stillieben und den Frieden der Familie 
Dahl, befonders der lieblihen Serena gegenüiberzuftellen. 
Diefe „ Nachbarn” find in Gompefition, Zeichnung und 
Faͤrbung mol das vollenderfte Wert der Verf., die hier — 
um eine etwas verbrauchte, aber in dieſem Falle gang 
wahre Rebensart ung zu erlauben — ſich felbft übertrof: 
fen bat. Es ift viel Handlung, viel Leben darin und 
ein Zufammentreffen mehrer ausgezeichneter und hoͤchſt an: 
ziehender Charaktere, unter denen auch Fräulein Hausgie⸗ 
bei ihren Pla würdig behauptet. 

„Das Haus oder Kamtlienforgen und Kamilienfreu: 
den’ ift ein einfach ſchoͤnes und tebliches Familiengemaͤlde, 


das weniger durch den Reichthum an Thatſachen und Be⸗ 
gebenheiten, als durch die tedenden und handelnden Per: 
fonen die lebhaftefte Theilnahme einflößt. Neben den all: 
täglichern Geſtalten, zu denen’ der verftändige und wackere 
Haushere felbft gehört, treten der Aſſeſſor Jeremias Mun⸗ 
ter, Frau Gunilla, Sara, Petren, Eva, Babriele in ins 
tereffanter Eigenthuͤmlichkeit hervor und beleben das ganze 
Gemälde in reicher Fülle. Die DVerehelihung der liebens: 
würdigen Eva mit dem baroden Affeffor Munter ift mol 
ein wunderlicher Einfall, mit dem man nidjt ohne einige 
Mühe ſich verfländigen kann; doch ergibt man ſich endlich) 
barein aus Wohlwollen gegen den alten Deren, der unter 
der rauhen und ſchroffen Schale einen tüdytigen Kern ver: 
birgt. „Die Familie H.“ beſchließt den Reigen diefer Dich⸗ 
tungen, nidyt unmwürdig, aber, nach unſerm Dafüchalten, 
nicht gerade ausgezeichnet, abgefehen von der Blinden, ift 
diefe Skizze aͤrmer an ausgezeichneten Charakteren als Die 
übrigen, aber fie zieht die Aufmerkſamkeit an und hält fie 
feft bis ans Ende. 

Merfen wir noch einen Blick auf das Bändchen 
„Kleinere Erzählungen“, das auch unter dem gemeinfamen 
Titel „Skizzen aus dem Alltagsleben“ begriffen if. Nach 
“einem kurz einleitenden „Billet an das Publicum” finden 
wir 1) „Arel und Anna, oder Briefwechſel zwiſchen zwei 
Stockwerken“, eine heitere Liebesgefchichte, nur etwas zu 
fang ausgefponnen, was fonft der Fehler der Werf. nicht 
if. 2) „Hoffnungen“, die kleine freundliche Geſchichte eis 
nes armen Candidaten, der in Hunger, Durft und Kälte 
durch einen unerſchoͤpflichen Schag von Hoffnungen fich 
auftecht erhält und dieſe aufs Überrafchendfte und befrie: 
digendfte erfuͤlt ſieht. 3) „Die Zwillinge”, eine feelenvolke 
Todtenfeier, den Blick zu Gräbern lenkend und über Tod 
und Grab hinaus. 4) „Die Einſame“, das kurze, aber 
inhaltreiche Tagebuch einer einfamen Dulderin, bie das 
ſtille, Niemand vertraute Geheimniß ihres Herzens nieder: 
zufchreiben ſich gedrungen fühlte und Frieden fand im 
Glauben und im Tode. 5) „Die Troͤſterin“, eine zarte 
Dichtung, in welcher die heilende Kraft frommer Schwe⸗ 
fterliebe dem an Leib und Seele krankenden Bruder fi 
bewährt. 6) „Ein Brief über Soupers”, ein Scherz, 
launige Zugabe zu den vorangegangmen ernten Tableaux. 
Diefe Erzählungen find am wenigften auf bloße Unterhals 
tung berechnet, fie geben viel zu denken und öffnen Blicke 
in die Ziefen der Menfchenbruft. 

Und fo fcheiden wir von der liebenswuͤrdigen Schwe⸗ 
din in der Hoffnung baldigen Wiederſehens. Wir fuͤrch⸗ 
ten nicht, daß der glänzende Beifall, der bei mehr als ei: 
nem Volke ihr entgegengekommen, fie zu einer erfchöpfen: 
den DVielfchreiberei verleiten werde; fie kann aus ihrem rei⸗ 
hen Schatz noch manche ſchoͤne Gabe ſpenden, und fie 
wird die weibliche Kunſt ſparſamen, aber nicht enghetzigen 
Haushalts gewiß auch als Schriftſtellerin zu uͤben nicht 
verſaͤumen, und nicht vergeſſen, daß man auch mit der 
koͤſtichſten Speiſe die Gaͤſte leicht uͤberſaͤttigen kann. Das 
„Maͤdchen aus der Fremde“ wird doch, wenn fie wieder: 
kehrt, immer willlommen fein. 5. A. Koethe. 





Jahrbuch der deutſchen Untverfitäten von Heinrich 
Wuttke. I. Sommerhalbjahr 1842. II. Winter: 
halbjahr 1842— 43. Leipzig, Weidmann. 1842. 8. 
1 Thlr. 20 Nr. 


Die beutfchen Untverfitäten find feit Jahrhunderten der Stotz 
und bie Ehre des Vaterlandes geweſen und haben, was nur bis 
fer Wille und Unverfland leugnen kann , den bebeutendften Ein⸗ 
fluß auf deutfche Wiſſenſchaft und auf deutfches Leben ausgehbt. 
Das baben Thibaut, Savigny, Niemeyer, Jak. Grimm, Leo 
und viele andere angefehene Männer gründlich auseinander 
geſetzt, es bat es aber auch der Dann anerkannt, von dem der 
deutſchen Nationalität die größte Gefahr drohte, der Kaifer 
Napoleon. Man wird fi) erinnern, was er mit dem Namen 
der Ideologen fagen wollte, man weiß, aus welchem Verdachte 
ee im 3. 1806 die Univerfität Halle aufhob, unter weldhe 
frenge Policei er bie Univerfttäten im Königreihe Weftfalen 
ftellte und mit welchen Zorne er die Bewegungen auf den preus 
Bifhen Univerfitäten im I. 1813 vernabm. Bon jener Zeit 
ſpricht Rucdyefint in ſeiner „Geſchichte des Rheinbundes'’: „Era in 
questo tempore cresciuta oltra modo l’avversione dell’ im- 
peratore a tutti gli studiosi della scienza speculativa dentro 
e fuosi deli’ imperio francese, Non credendo che l'ideologf 
ponessero tra le leggi di natura, ia necessita del suo de- 
spotismo tenerali per nemici e perturbatori della publica 
quiete.” ’ 

Iſt nun alfo die Bebeutung der deutfchen Univerfitäten von 
Rreund und Feind anerkannt, fo ziemt es auch den deutfchen 
Gelehrten, fi dies Kleinob zu bewahren und bem deutſchen 
Volle fi nicht durch unberufene Gchreiee und duͤnkelhafte 
Egoiften gegen die Univerfitäten einnehmen zu laffın. Denn es 
wird jest nicht felten der Vorwurf gehört, daß die Univerfitäten 
ihre Zeit nicht verftänden, daß fie durch Theorien bie Zünglinge 
ber Praris entfremdeten, indem fie bei veralteten Ginrichtungen 
bebarrten, und baß fie nicht thätig genug in das Volksleben 
eingriffen. Das ift aber zugleich eine Anklage gegen bie Wiſſen⸗ 
fhaft und rührt meift von Solchen her, die idre Würbe nicht 
begriffen haben. Die Wiffenfchaft darf ſich allerdings (mie es 
einzelnen Univerfitäten mit Recht vorgeworfen wird) nicht vors 
nehm abfchließen, oder verachtungsvoll auf einzelne Zweige 
menfchlicher Thaͤtigkeit herabſehen, aber fie fann andy mit ihren 
Gütern nicht den Markt beziehen wie der Kaufmann, ber feine 
Warren zur Melle bringt. Um fo willlommener ift daher ges 
rabe jest eine jebe, Gelegenheit, welche die Univerfitäten da vers 
theidigt, wo fie in ihrem guten Rechte find und gleichfam einem 
Sprechſaal zum Austaufche der Meinungen eröffnet. 

Ein ſolches Unternehmen hat der durch biftorifche Forſchun⸗ 
gen und Schriften ruͤhmlich bekannte Hr. Wuttke in den vors 
liegenden beiden Bänden begonnen. In der frifch und lebenbig 
gefchriebenen Einleitung zeigt berfelbe zuerft, wie dedeutend die 
Stellung der Univerfitäten fei, und widerlegt mit gerechter Ent⸗ 
räftung die neuen, bittern Angriffe in den „Sächfifchen Vater⸗ 
lanbeblättern” vom 22. Febr. 1342; dann entwidelt er, wie 
feit 1709, wo ber Leipziger Buchdrucker J. M. Burgmann 
eine „Fama academica” herausgab, fi die Annalen, Jahr⸗ 
buͤcher, Adreßfatender der Uniterfitäten verbreiteten, bis bie 
„Deutſchen Jahrbuͤcher“ feit 1838 anfingen, die deutſchen Unts 
verfitäten in den Kreis ihrer Beſprechungen zu ziehen. „Se 
loͤblich“, Togt Hr. Wuttle mit edler Offenheit, „das Beitreben if, 
den eigenthümlichen Geift, wie er auf jeder Univerfität herriche, 
moͤglichſt ſcharf zu zeichnen, fo fehr ift oftmals die Art der 
Ausführung zu tabeln. Wie die meiften ‚Degelianer mit Ges 
ſchichte wenig vertraut und faſt ganz ohne Das, was ber große 
Niebuhr biftorifche Phantaſie nannte, fo vermögen ſich bie Her⸗ 
ausgeber jener ‚Jahrbücher‘ nur felten in die Vergangenheit zu⸗ 
rüczuverfegen und aus deren Zuftänden das Geworbene fi zu 
ertiären. Den Maßſtab der Gegenwart legen fie ftatt deß an 
Alles, ihren Maßſtab, der fie ſehr häufig zu ungerechtem Spruche 
verleitet. Bon Bielen wollten fie nur bie Gchattenfeite betrach⸗ 


ten. Wer nicht in unmittelbauen Werug zur Philoſophie fich 
gefegt bat, oder wer den Bortfchritt im Staatsleben nicht offen 
unterſtuͤht, der mag einer berben Kritit im voraus verficyert 
fin Gehe viele wadere Männer haben fie ſchwer verletzt, 
aber fie erwarben ſich doch das nicht geringe Berbienft, ein 
fdwieriges Unternehmen eröffnet und fo Manches treffend ans 
Licht gezogen zu haben.” In biefem Sinne hat fih ber Heraus: 
geber im zweiten Bande über die befannte Schmählchrift gegen 
Göttingen ausgeſprochen und das viele Gute jener Univerfität, 
die in ‚Deine und Boͤrne zuerft ihre Feinde fand, willig aner⸗ 
kannt, auch bie leichtfertige Unredlichkeit anderer Journale und 
Zeitfchriften gegen die Univerfitäten verbientermaßen gerügt. 
Breiter erktärt der Herauägeber, baß fein Plan ein boppelter 
ſei, einmal bie Wuͤrde der Univerfitäten bei jeder Gelegenheit 
verfechten, ſodann eine moͤglichſt vollftändige Kunde von der 
Defehaffenpeit einer jeden Univerfität, auf der im deutfcher Zunge 
gelehrt wird, zu geben. 
Was zuvoͤrderſt den zweiten Punkt anbetrifft, fo hat ber 
Herausgeber danach geftrebt, bie ftatiftifhen Nachrichten in 
moͤglichſter Wolftändigkeit zu geben und man muß ibm bicrin 
die vollfte Anerkennung wiberfahren laſſen, um fo mehr, ba 
aus dem erften Bande zu erfehen ift (S. 40), wie wenige Bes 
ruͤckſichtigung feine Gefuche bei den betheiligten Profefforen und 
Decanen gefunden haben. Denn eine foldye Art literarifcher 
Gefaͤlligkeit ik wahrlich nicht die glaͤnzendſte Seite unferer 
deutſchen Profeſſoren, da ſie nur zu oft Das als Handlanger⸗ 
arbeit und ein Geſchaͤft unter ihrer Wuͤrde anſehen, was (wie 
im vorliegenden Falle) doch nur den Glanz ihrer Anſtalten be⸗ 
fördern fol. Hr. Wuttke konnte alſo die Lectionskataloge vom 
%. 1842 meiftens nur aus den gebrudten Quellen mittheilen. 
Beſſer unterftägt ſah er fich bei der Aufzählung ber Univerfis 
tätsereigniffe, die unter ben einzelnen Univerfitäten in alphabe⸗ 
tifcher Folge aufgefährt find und nichts Beachtungswerthes 
Abergangen haben, fobaß wir hier eine vollftänbige, ſehr inter- 
effante und oft mit den fubjectiven Urtheilen bes berausgebers 
belegte Schilderung aller deutfchen Univerfitäten finden, wie fie 
noch in feinem aͤhnlichen Buche den Leſern geboten worden iſt. 
um den Reichthum biefer Mittheilungen zu dyarakterifiren, nen» 
nen wir nur eine Anzahl hervorfteidender Kacta, als die Eroͤff⸗ 
nung gemeinfaßticher Vorträge auf verfchiedenen deutſchen Unis 
verfitdten, Schelling's Vorträge in Berlin, die Angelegenheiten 
Bruno Bauer's und Hoffmann's von Kallersleben, den Bund 
des biftorifchen Chriſtus in Berlin, die Anmefenheit des Mi: 
niſters Sichhorn in Breslau, den Beſoldungsetat der Unis 
verfität Breslau und die GCharakteriftit des Gtubenten: 
lebens bafelbft, die Verhandlungen wegen des Doctortiteis im 
Königreiche Sachſen, den Antrag bes hadifchen Abgeordne⸗ 
tn Gander wegen Aufbebung ber Univerfität Ba die 
Nachrichten über königäberger Univerfitätsereigniffe und über 
Studentenunzuhen in Jena und Bern, endlich die Srörterungen 
über den bei ber Univerfität Dalle bie zu Schmelzer's ode, 
am 2. Oct. v. Je, beſtehenden often eines Directors der Unis 
verfität und über den Mangel an Gentralifation auf der Uni: 
verfität Leipzig. Auch die im Laufe des I. 1842 verfdiebenen 
Gelehrten, als Marheineke, Savigny, de Wette, Neanber, 
Dabimann, Hoffmann von Kallerieben und Roͤhr, von größern 
Gtubentenvereinen erwiefenen Shrenbegeigungen finden fich hier 
forgfättig unb genau (dies gie befonbers von dem dabei gehal: 
tenen Reven) befchrieben. überhaupt find uns fehr felten Un 
richtigkeiten vorgekommen, nur bie Stelle über Geheimerath 
Pernice in Halle (T, 225) bedarf einer Berichtigung. Denn 
es bat derſelbe zu feiner Zeit einen Ruf. ale Minifter nad) 
Inhalts Köthen annehmen wollen, fondern die Wahrheit ift, daß 
ber Herzog von Anhalt: Köthen dem verdienten Staatsrechtös 
iehrer, namentlich in den Angelegenheiten feines Fürftenthums 
Die, eine große Anerkennung beweift und bie praftifchen Kennt: 
nifje deffeiben fehr oft benust, woraus ſich denn leicht ein fals 
ſches Geruͤcht bilden konnte. Auch paßt die Vergieichung mit 
Dabelow durchaus nicht, weil Dabelom ben „Glam eines Mi⸗ 


267 


nifteriums” im I. 1809 alterbings der Profeffur in Halle vors 
zog (im „Jahrduche“ ſteht gerade das Gegentheil) und vom Ka⸗ 
theder in Halle weg an die Spige der Töthenfchen Verwaltung 
geftellt wurde. Nah der Aufiöfung der dortigen Serpättuife 
tam er 1817 nach Halle zurüd und hielt einige Zeit lang ſehr 
befuchte Borlefungen ats Privatbocent, bis er den Ruf nad 
Dorpat anzunehmen ſich bewogen fand. 

Was nun die andere Abſicht des Hrn. Wuttke betrifft, die 
Würde der Univerfitäten auf alle Weife zu vertreten, fo ift dies 
von ihm auf doppelte Weife ausgeführt worden, einmal durch 
Beurtheilungen aller auf die Univerfitäten bezuͤglichen Schriften, 
dann durch felbftändige Auffäge von ihm felbft und von Andern. 
Aus der erflen Rubrik Heben wir namentlich die Anzeige von 
WBiner’s Rectoratsrede am 7. Nov. 1841 (im erſten Bande), 
von mehren Schriften Scheidler's und die von Fürft verfaßte Be⸗ 
urtheilung der Geiger’fhen Schrift über eine juͤdiſch⸗theologiſche 
Bacultät (diefe im zweiten Bande) hervor. Kür die andere 
Rubrik iſt der zweite Band reichlicher ausgeftattet als der erfte 
mo die Schrift des Kandidaten C. H. Koch ‚Über akademiſche 
Freiheit” nicht einer Befprehung von faft SO Seiten bedurfte, 
um den Sag des Hrn. Wuttke zu bemeifen, daß Koch 1. ein 
fchlechtee Denker, 2. ein ſchlechter Theolog, 3. cin ſchlechter 
Chriſt, 4. ein ſchlechter Publiciſt fei. Aber der Aufſat über die 
Univerfität Königsberg von X. B. wird mit Intereffe von Vie⸗ 
ien gelefen werben, ba er die Sache gebrängter behanbelt, al® 
es in Roſenkranz's „Skizzen aus Koͤnigsberg“ gefdjeben ift und 
Manches ausfpridht, was ber Lönigsberger Profeffor nicht gut 
fagen konnte. Daffelbe gilt von dem Auflage über das Docs 
torat, Viele wird aud die Abhandlung über römifches Recht. 
als Grundlage der juriftifden Bildung anſprechen, obgleich 
fi Ref. zu den antirdömifchen Anficgten Scheidler's nicht ber 
fennt, denn „man fühlt die Abfiht unb man ift verfiimmt”. 
Scheidler hat einige wichtige Punkte aus ber heutigen Gtubirs 
weife in feiner befannten Weiſe erörtert, namentlidy das Utilts 
tätsprincip angegriffen und die „Brot⸗ und Butterfludenten‘‘ . 
bart gefcholten. Dr. Wuttle ſtimmt in einer Nachſchrift damit 
überein, ſah fich aber doch genöthigt — und wir meinen mit 
allem Rechte — einige Gegenbemerfungen über Scheidler's Ans 
fit von der afademifchen Borbereitung auf den &taatsdienft 
zu machen. Gbenfo hat er fi) am Schluſſe des Auffages von 
8. Heine: „Schelling in Berlin‘ (Bd. 2), ausdrädticdy gegen 
bie Meinung verwahrt, ats billige er des Verf., eines begels 
fterten Schellingianers , Ausfälle gegen achtbare Männer. Noch 
möchten wir aus Bd. 1 den Auflag Albrecht's über Dahlmann 
hervorheben und, der hiftorifhen Merkwuͤrdigkeit wegen, bie 
von Doffmann von Fallersieben mitgetbeilten Etudentenlieber 
aus dem 17. Zabrhundert; denn poetifchen Werth haben fie 
ganz und gar nicht. Das von drei berliner Stubiofen unter 
den Auſpicien deſſelben Hoffmann im zweiten Bande des Jahr⸗ 
buchs angekündigte „Allgemeine beutfche Stubentenliederbuch” 
wird hoffentlich beffere Lieder enthatten als blos von Bier und 
Taback, von Garcfjiren der Jungfern, vom Cinfriedgen ins 
Sarcer und ähnlichen Dingen, die wir in jenen Gedichten leſen. 

Wenn wir ſchluͤßlich noch darauf aufmerkfam machen, daß 
der Preis für zwei Bände, deren jeder nahe an 400 Seiten 
enthält, außerordentlich gering geftellt ift, fo glauben wir auch 
bierdurcch die Verbreitung des „Jahrbuch“ auf unfern Univerfitäe 
ten bevorwortst zu haben. Es wäre in ber That fehr zu ber 
bauern, wenn die bedenklichen Außerungen bed Herausgebers an 
einzelnen Stellen durch Mangel an Theilnahme auf den Univerfie 
täten zu einer traurigen Wahrheit werden fönnten. 9. 





Nordamerikaniſche Miscellen. 
(Auszuͤge aus ben oͤffentlichen Blaͤttern der Vereinigten Staaten 
vom Jahre 1842.) 
Der „New-Buryport Herald’ theilt eine ergreifende Er⸗ 
zählung mit, die ihm vom Baumeiſter Rogers berichtet worden, 


als dieſer einen der großen, ſchweren fleinernen Pfeller, ber 
für den Bau ber Boͤrſe in Boſton beflimmt war, vor kurzem 
von Quincy nach diefer letztern Stadt transporticen ließ. Die 
©teinmaffe wog BU Tonnen (120,000 Pfund) und wurde von 
70 Ochſen gezogen. Gegen Abend kam man an die den Weg 
nah Bofton durchkreuzende Eiſenbahn, die Äberfchritten werden 
mußte. Da die Thore derfelben geſchloſſen waren, weit und 
breit aus der Kerne nicht das geringfie Geraͤuſch hörbar war 
und man glaubte, baß die Bahn zur Nachtzeit nicht befahren 
werbe, fo befchtoß Hr. Rogers, den Stein ſogieich binüberfahren 
u laſſen. Allein als ber Wagen mit dem Ochſenzug bis zue 
itte der Eifenbahnftraße gekommen war, hörte man plöglid 
und unvermuthet den braufenden Laͤrm einer entfernten Loco⸗ 
motive, die fi näherte. Es war bereits dunkel und man 
tonrte deren Fuͤhrer fein Zeichen geben. Zurüdzulehren war 
nicht möglih und fo blieb nichts übrig, als alle erbenkliche 
Kraft anzuwenden, um ben Stein noch vollends hinüber zu 
bringen, bevor die Locomotive heranfam. Wan trieb die Bugs 
ochfen auf alle mögliche Weife an, aber durch den zu plöglichen 
and fchnellen Rud, der durch bie aufs Außerfte angeftrengten 
‚Kräfte fämmtlicher Ochſen verurfacht wurbe, brach zum Ungläd 
"Die Kette, an ber biefelden zogen. Run flieg die Noth aufs 
hoͤchſte. Es war kein Augenblid Zeit zu verlieren und baber 
nicht daran zu denken, bie zerbrocdyenen Theile derfelben wieder 
zu verbinden und es war unter foldhen Umſtaͤnden nichts Anderes 
zu thun als diejenigen Ochſen, die noch durch einen Theil der 
Kette ai den Wagen gefpannt waren, bis zur größten An⸗ 
firengung ihrer Kräfte anzutreiben. Der Wagen mit der fchwer 
zen Laft wurde zwar in feiner Bewegung vorwärts gebracht, 
aber langfam und mittlerweile hörte man ſchon beutlich daß 
Pfeifen und Schnaufen der in ber Dunkelheit mit ber Schnellig- 
feit von 20 englifhen Meilen per Stunde heraneilenden Loco: 
motive, ohne daß dic Perfonen, welche fih in den Eifenbabns 
wagen befanden, die mindeſte Ahnung von ihrer Gefahr hatten. 
Da machten die Ochfentreiber einen letzten entfcheidenden Ver: 
fu, die Zugthiere anzutreiben, bie Steinmaſſe bewegte fich 
und bie Locomotive mit ihrem Wagenzuge braufte mit Windes: 
ſchnelle gerabe vorbei, als das legte Gnde bes Steins jenfeite 
der Bahn war. Da ſtand nun der Baumeifter, ber den Trans 
port leitete, Bott dankend, und bie Dchfentreiber, den Schweiß 
von der Stirn fi wifchend, athmeten wieder freier, als wären 
ſie ſelbſt einer großen Gefahr entgangen. 





Der Gouverneur bes noch nicht zum Staate erhobenen Ge: 
biets von Witconfin, Hr. Doly, gibt in feiner Botſchaft an 
die dortige Regislatur an, daß im 3. 1841 in dieſem an Me: 
tallen fo reichen Zerritorium mehr ats 20 Mil. Pfund Biei 
probucirt und in bemfelben Zeitraume dafelbft oͤffentliche 
Zänbereien für die Summe von 384,286 Dollars verfauft wor: 
den find. Deutfche Bergleute find dort fehr gefucht. 


Aus dem Berichte bes Schagmeifters bes Staats Maſſachu⸗ 
ſetts eraibt fih, daß im verfloffenen Jahre 1841 tie Summe 
von 404,312 Dollars eingenommen und die Summe von 
399,928 verausgabt worden find, ſodaß am Ende des Jahres 
noch 4384 Dollars in der Staatslafle waren. Mit dem Baus: 
halte diefes Staats, fowie aller übrigen in Neuengland, ſteht 
es vortrefflich. 


Die Miliz des Staats Maine belduft fich jest auf 
45,353 Mann und beftebt aus 1683 Mann Gavalerie, 2217 
Mann Artillerie, 34,322 Mann Infanterie, 4841 Mann leichte 
Infanterie und 2174 Scharffchuͤtzen. 


Am Gebiete Wisconfin erſchienen bereits 9 wöchentliche Zei: 
tungen im Drud und im Gebiete Jowa ebenfo viele. 33. 


Bibliographie. 


Daguerrestupen bes häuslichen und ehelichen Lebens. Von 
E. Sauren set zu Gard Ehre. NReuftadt a. d. D., Wagner. 
8 1 Zhle. 3%, Nor. 

Kriediänder, A., Die Lehre von ber unvordenklichen Zeit. 
After Theil: Dogmengefchichte und roͤmiſches Recht. Marburg, 
Elwert. Gr. 8. 15 Nor. 

GShillany, 8. W., Die Menſchenopfer ber alten Hebraͤer. 
ade Unterfuchung. Nürnberg, Scrag Gr. 8. 

c. . 

Gileſebrecht, L., Wendiſche Geſchichten aus dei Jahren 
780 — 1182. 2ter Theil. Berlin, Amelang'ſche Sortiments⸗ 
buchhandiung. Gr. 8. Thlr. 

Grone, A. ©. E. v., Geſchichte der corporativen Verfaſ⸗ 
fung des braunſchweigiſchen Ritterſtandes nebſt Vorſchlaͤgen zu 
ihrer Reorganiſation. Ein Hiftorifch = ftaatsrechtlicher Verſuch, 
bearbeitet zugleich ats Beitrag zur Kenntniß des deutfchen Cor⸗ 
porationd » und Gemeinbewefens und infonderheit des beutfchen 
Lan ftänbifegen Verfafſſungsrechts. Banover, Bahn. Gr. 8. 

r 


gr. 

Hahn, K.A., Übungen zur mittelbochdeutschen Gram- 
matik. Mit Anmerkungen und einem Glossarium, Eraok- 
furt a. M., Brönner. Ss 1 Thir, 

Hermann, H., Handbuch der Geſchichte bed Herzogehumes 
Kärnten in Bereinigung mit den oͤſterreichiſchen Fuͤrſtenthuͤmern. 
Iftes Heft: Geſchichte Kärntens von ter Vereinigung mit den 
öfterreichifchen Fuͤrſtenthuͤmern bis zu ihrer Theilung. Klagen: 
furt, Leon. Gr. 8. 10 Nor. | 

Der Krieg in China, nach geſchichtlichen Mittheilungen ber 
britiſchen Offiziere M'Pherſon, Elliot:Binghbam u. X., 
von C. Richard. Aachen, Mayer. Gr. 8. 2 Thlr. 


Neumann, I W., Gedichte der Land : Stände Yes 
Markgrafthums Niederlaufig und bıren Verfaſſung. Ifte Ab: 
theilung. Lübben, Windier. Gr. 8. 1 Thtr. 


Rinne, K. F., Innere Geſchichte der Entwickelung ber 
beutfchen Nationalliteratur. Ein methodiſches Handbuch für den 
Vortrag und zum Selbſtſtudium. 2ter Theil. Leipzig, Har⸗ 
tung. Gr. 8. 2 Zhir. 7, Nor. 

Ruef, 3., Ein huͤpſch vnd luſtig Spyl vorzytẽ gehalten 
zu dry in dem toblicyen Ort der Eydgnoſchafft, von dem from: 
men vnd erften Eydgnoffen Wilhelm Zellen jrem Landtmann. 
Yetz nuͤwlich gebeffert, corrigiert, gemacht vnn gefpielt am nuͤ⸗ 
wen Jarstag von einer Loblichen vnn junge burgerfchafft zu Zuͤ⸗ 
ri, im Jar ale man zahlt MDXLV. Herausgegeben und mit 
einer Vorrede und einem Wörterbuche verfehen von F. Mayer. 
Pforzheim, Denning, Find und Comp. 8, 1Thlrxr. 


Schrader, &., Germanifche Mythologie. Mit einer kur 
gen Abhandlung Über bie fonftigen deutſchen Alterthümer. Vor⸗ 
nehmlich Deutung ber Mythologie. Berlin, Schroeder. Gr. 8. 
1 Zhte. 15 Ngr. 

Seyffarth, G., Die Grundsätze der Mythologie und 
der alten Religionsgeschichte sowie der hierogiyphischen 
Systeme de Sacy’s, Palin’s, Young’s, Spohn’s, Champollion’s, 
Janelli's und des Verfassers. Eine berichtigende Beilage zu 
der Schrift des Herrn Dr. Movers: Untersuchungen über 
die Religion der Phönizier und zu dessen Antikritik. Leip- 
zig, Barth. Gr. 8. 2 Thlr. 

Sophocles Antigone, in Musik gesetzt von KFeliz 
Mendelsohn- Bartholdy. Nach Donner’s Übersetzung. Vor- 
gedruckt ist eine neue Übersetzung von A. Boeckh. Leip- 
zig, Kistner. Gr. Imp. 4 4 Thir. 15 Ngr. 

Tholud, &., Uberfegung und Auslegung der Pſalmen 
für Geiſtliche und Laien ber chriſtlichen Kirche. Halle, Anton. 
&. 8. 3 Thlr. 

Das Zurnen und bie beutfche Volßserziehbung. Ein Ent: 
wurf. Frankfurt a. M., Brönner. Gr. 8. 7%, Nor. 


Verantwortiiher Herausgeber: Heinrih Brokhaus. — Drud und Berlag von %. A. Brockhaus in Leipzig. 


nn —— u 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerdtag, 


9. Mär; 1843, 





8. 6 Tolr. 

Hätte W. Alexis das Bergwerk, das er als Dich 
ter in der Mark Brandenburg befigt, auf Actien 
gründen wollen, er würde wenig Gläubige gefunden has 
ben. Denn wer fucht das Gold der Porfie im Sande? 
Er. aber hat muthig eingefchlagen, fid tapfer durchge⸗ 
arbeitet und träge nun den Lohn, daß er, von Jahr zu 
Jahr ſich tiefer hineinwuͤhlend, immer reihere Schäge zu 
Tage fördert. Wer darf nun noch über Ergiebigkeit und 
Unergiebigkeit reden, wenn eine märlifche Haide Daffelbe 
bietet, was das ſchottiſche Hochland? Wer na einem 
: fernen, unbekannten Eldorado ausziehen, wenn felbft die 

brandenburgifhen Hütten fi in Gold kleiden koͤnnen? 
Wer nah Wuͤnſchelruthen ſuchen, wenn fie von jeder 
Kiefer zu pfladen find? Da eben liegt e6. An den Ru: 
then fehlt e8 nicht, „aber nur in ber fühlenden Hand regt 
fi) das magiſche Reis!” Gold an allen Eden und Enden, 
aber nur Wenige haben den Stein der Welfen, durd) 
den es herausbefchworen, nur Wenige den Spaten des 
Fleißes, ducch den es zu Zage gegraben wird. Die Fabel 
von Schat im Garten ift alt; aber es mag fie Keiner hoͤ⸗ 
em. Man möchte ed gediegen auf der Straße lefen, und will 
fi) «6 da auf der Stelle nicht finden, fo ift freilich kein 
anderer Rath, ald in der Fremde fein Heil zu verfuchen. 
Gluͤcktich, wer «6 da findet! Aber Viele find, die auch dort 
den Wald vor lauter Bäumen nicht fehen und wiebers 
fommen mit leeren Taſchen, wie fie ausgezogen. Da 
macht's W. Alexis gefcheitr. Er bieibe im Lande 
und naͤhrt fich redlich. Er greift zu, wo er ift, und was 
er bat, das hält er fehl. Ex ſchiert fi nicht um Wenig 
uud Biel; verficht er doch die Kunft, aus Wenigem Viel 
zu machen. Mühe koſtet es — aber die fchent er nicht; 
und weil e8 ihm Spaß macht, iſt es für ihn keine Mühe 
mehr. Es ift ein echter Brandenburger, ein treues Abs 
bild der Geſchlechter, die er fchildert. Wie haben auch 
dieſe mit der Mark Brandenburg ringen müfien, ehe fie 
Das ward, was fie jest iſt! 

Der Bere, der Himmel und Erde geſchaffen — fo beißt es 
gu Anfang des Buchs felbft —, hat den Sonnenſchein verfchies 
den auögetheilt über die Länder; aber dorthin, wo bie beutiche 
Zunge ausgeht und die ſlawiſche anfängt, fiel die Spende feines 
Sonnenlichte Färgiich aus. GE hatte. nicht Macht, bie Sümpfe 


aus zutrocknen, die das Meer zuruͤckließ, noch zu durchgluͤhen 
die dichten, ſtarren Waͤlder, noch zu waͤrmen den Boden, daß 
er die Geſchlechter der Menſchen freiwillig ernaͤhre, welche der 
Strom ber Voͤlker dahin verſchlug. Dieſen Geſchlechtern ſelbſt 
bat ber Herr die Aufgabe geſtellt, daß fie mit ber Natur rim 
gen. Sie follen ben Boden im Kampf mit den Etürmen und 
Gewäflern felber fid machen, der warmen Sonne einen Teppich 
ausbreiten, drauf fie mit Luft weilen, und ein Land ſich fchaffen, 
bas ihnen lieb wäre und den andern ein froher Anblid. 


Das war, wie der Verf. weiter erzählt, eine harte 
Aufgabe, aber die Märker haben fih ihr nicht entzogen. 
Wie haben fie diefelbe, nach den Überreften zu fchließen, 
nicht fchon unter den Askaniern gelöft! 


‚ , In dem flawifchen Lande, wo fie zwifchen Moor und Geen, 
in den Bruͤchen und dem Sande nur wendiſche Blodhäufer und 
Lehmbütten gefunden, bauten fie reihe und ſchoͤne Kıöiter, Dome 
mit gewaltigen Thuͤrmen von Granitquabern und gebranntem 
Maucrftein; Kunftwerfe, fo erhaben, ſchoͤn und gebiegen, wir 
fhauen fie mit Neid und mit Betrübniß an. Noch heute trogen 
fie der Witterung, kaum ihre Spuren verratbend. Da erwuch⸗ 
fen mädtige Staͤdte, mit deutſchen Sreiheiten und deutſchem 
Gewerbfleiß, deren Dandel weit über Land bis über bie Deere 
ging. Die Fluͤſſe flarrten von Wimpeln reichbeladener Kähne, 
die Straßen von Wagen und Karren mit Kaufmannsgütern. 
Die Wälder wurden gelichtet, die Moorbruͤche getrocknet und 
die Soloniften aus Friesland, Flandern, Holland und vom Rheine, 
bie fie ins Land gezogen, verwandelten die Sandhaiden in Gärs 
ten. Die nadten Höhenzüge ſchuf der Fleiß in liebliche Wein 
berge, und ihrer gab es fo viele in ben Marten, daß ihr Name, 
ber allein von ihnen blieb, heut als ein neckender Spott Tlinge. 
Und mit ihrer Ihätigkeit wuchs der Aslanier Macht. Nördlich 
erſtreckte fi) ihr Reich über Pomerellen bi Danzig und an bie 
Ufer der Oſtſee, ſuͤdlich umfaßte es die Laufig und war ein ges 
fürcdhteter und geachteter Nachbar bem Boͤhmerreiche. Auch über 
die Eibe hin reichte ihr Beſigthum, gen Mitternacht die Alb 
mark umfaffend, gen Mittag mandje reiche Graffchaft in ben 
ſaͤchſiſchen Gauen. Und wie ſie auf ihr Recht feſt hielten im Lande 
und mit ſtarker Hand, eintraͤchtig untereinander, ſich wahrten 
in Freuden gegen manniglich ihres Guts, ſo galt ihre Stimme 
und toͤnte klangvoll im deutſchen Lande. Die Askanier hielten 
an dem Haufe der Hohenſtaufenz fie kuͤmmerten nicht bie 
Blige, welche Rom gegen fie ſchleuderte. Wis zum Ausgange 
bes Heldengeſchlechts hielten ſie unwandelbar in deutſcher Treue 
an ihm, und auf den Truͤmmern des Welfenreichs, das ſie mit 
geftärzt, erhob ſich ihre Macht. Da war die Markt Brandene 
burg das mächtigfte Land im deutſchen Reiche, feine Grenzburg 
und fein Schitd nah Mitternaht und Morgen. In allen 
fchwierigen Faͤllen fchaute man auf feine Bürften, und die Wag⸗ 
ſchale fanf, in die ihre Markgrafen ihre adelig Wort thaten. 
Die Nachbarlande fügten füch, gezwungen oder freiwillig, ihrer 
Kraft. Die Mecklenburger ſcheuten fih und bie Pommern 


wagten es nicht, bas Lehnsband ebgußreifen, das Brantenburgs 
n in guter Zeit um ihren Kaden geſchiungen. Und wie 
berrlich waren, an Tapferkeit, Muth und Weisheit bie erften 
und ebelften unter den germanifchen Edeln und Kürften, fo über: 
hoben fie ſich deſſen doch nicht in Stolz und Gitelfeit. Nicht 
Stahl und Waffen allein, noch Mauern und Burgen waren ihr 
Stolz, vielmehr bluͤheten ſchon Wiſſenſchaft und Kunft an ihren 
glänzenden Höfen; und bie im Zurnier und in der Schlacht 
Kraͤnze und Preis errungen, bünfte das höherer Ruhm, im 
Wettftreit füßer Meinnelieder um ben Preis edler Sangeskunft 


zu werben! 

So biieb es freilich micht immer. Es folgten öbe, 
traurige Zeiten. So oft riß der Sturm das Auferbaute 
nieder und es mußte von neuem angefangen merden. Aber 
dad Gefchlecht der Brandenburger ließ ſich dadurch nicht 
irre machen. Wie e8 mit der Armuth des Bodens und 
den Elementen getämpft, fo kämpfte es auch mit den 
Misgefhiden, und ed kämpfte und troßte, arbeitete und 
fpintifirte fo lange, bis es fi endlich den Standpunft 
errungen, auf dem wir es heutzutage erbliden. Und 
auch der genügt ihm noch nicht und kann ihm nod 
niht genügen. Darum läßt es auch jegt nicht vom 
Kampfe ab und wird nicht eher ruhen, bis es alle Wi: 
derſtaͤnde bezwungen. Gerade folhe zaͤhe Natur ſteckt 
auch in W. Alexis. So arm und unerſprießlich das 
Land dem Bebauer erſchien, ſo unergiebig und kahl ſtellt 
es ſich auch dem Beſchauer dar, ſo trocken und proſaiſch 
erſcheint auch ſeine Geſchichte. W. Alexis hat ſich da⸗ 
durch nicht zurücfchreden laſſen. Wie an einem Ge⸗ 
mälde, für deſſen Anfhauung noch Keiner hat einen 
Standpunkt gewinnen können, hat er daran fo lange ge: 
ruͤckt und gefchoben, bis es nun im Lichte der Poefie 
und Romantik vor uns liegt wie kaum ein anderes 
deutfches Land. Wenigſtens möchte Eeines gefunden wer: 
den, das innerhalb ber Literatur des hiftorifchen Romans 
in einer Reihe fo lebensvoller und mit fo viel Kunſtge⸗ 
ſchick ausgeführte Bilder geſchildert wäre. Die flachen 
Haiden, die wuͤſten Sandſtrecken, die monotonen Fichten: 
waͤlder, die dharakterlofen Städte, die elenden Dörfer, die 
Suͤmpfe und Moore — kurz, alle die Ingredienzien, aus 
denen die Langeweile gebraut zu werden pflegt und denen 
uns felbft Heutzutage die Locomotive nicht raſch genug zu 
entführen vermag, bat er, ohne ihnen ein Sandkoͤrnchen 
von ihrer Eigenthümlichkeit zu nehmen, ohne ihnen einen 
poetifchen Bettlermantel umzuhängen, fo zu zeichnen und 
auszumalen gewußt, daß Gegenflände eines echt dfthetifchen 
Genuffes daraus geworden find. Daffelbe gilt von den 
hiſtoriſchen Perföntichkeiten. Auch deren Spröpdigkeit hat 
.er zu bemädytigen gewußt und den Beweis geliefert, daß 
nicht blos den idealen Geftalten griechiſcher Goͤtter, fon: 
den auch den ungefchlachten Leibern beutfcher Rolande und 
Chriftophe das Gepräge der Schönheit aufzudrüden ifl. 

Unter folchen Umfländen iſt es in der That nicht un: 
paſſend gemwefen, ihn den Walter Scott der Mark Bran: 
benburg zu nennen; ja, er hat diefer, wenn nicht einen 
größern, doch mindeſtens einen weit fchwierigern Dienft 
geleiſtet als Scott feinem Altengland und Schottland. 
‚Sreitich darf uns dieſer Name — movor ſchon der Be: 
eichterftatter über „Der Roland von Berlin” warnt — 


nicht verführen, ihn für einen Nachahmer diefes Dichters 
zu halten: denn, abgefehen von feinem ‚Waladmor” und 
„Schloß Avalon’, in denen bie Nahahmung nichts ale 
ein myſtificirendes Kunftfläd if, etwa in demfelben Sinne 
ausgeführt mie Hauff’s ‚Mann im Monde‘, tragen bie 
biftorifhen Romane unfers Dichters, namentlich die, mit 
denen wir es hier zu thun baben, ein durchaus felbflän- 
diges und eigenthuͤmliches Gepräge und W. Aleris felbft 
ift feiner ganzen Weltanfhauung, feiner Dent: und Dar- 
ftelungsweife nad ein von Walter Scott durch und durch 
verfchiedener Geiſt, mie nicht leichte ein anderer Dichter, 
der mit ibm auf gleichen Felde arbeitet. Walter Scott 
iſt duchaus naiv, W. Aleris fentimental; Jener objectiv, 
Diefer fubjectiv; Jener epifh, Diefer lyriſch. Jener iſt 
aus der guten alten, Diefer aus der böfen neuen Zeit: 
daher Jener zufrieden, Diefer malcontent; jener gemüth: 
ih, Diefer geiftreich, Jener nichte weiter wollend, als ein 
treued Bild der Zeit zu geben, die er eben fchildert, Dies 
fer daneben noch dahin firebend, dieſes Bild zu einem 
Spiegelbilde der SJegtzeit zu machen und Dies und Das 
bineinzumeben, was ihm eine allgemeinere, tiefer in das 
Leben der Gegenwart eingreifende Bedeutung gibt. WB. 
Aleris iſt durch und durch ein Kind feiner Zeit — und 
fhon das macht es ihm unmöglich, in der Welfe Walter 
Scott’ zu dichten und darzuftellen. : Walter Scott ver: 
ſenkt fi in die Vergangenheit aus reiner Luft daran; 
W. Aleris nur, um fi wenigftens voruͤbergend von der 
Gegenwart loszumachen. Aber es yelingt ihm dies nicht. 
Es geht ihm wie Lorh’6 Weibe, er kann es nicht Lafjem, 
fih nad ihr umzufehen, und wenn er fie wie Sodom 
und Gomorrha in Flammen erblidt, erſtarrt er wie fie 
zuc Salzſaͤule, d. h. er bleibt, flatt im Gange der Ex: 
zaͤhlung vüftig vorwärts zu fchreiten, in ironiſchen, oft 
fcharf gefalgenen Reflerionen fteden. 

Auch in dem vorliegenden Romane fehlt «6 au ſol⸗ 
hen Singerzeigen und Beziehungen .nicht, und fo tief ſich 
der Berf. in die Zeit, die er fhildert, eingelebt, fo treu 
er fie wiedergibt: der Roman trägt dennoch eine durch⸗ 
aus moderne, fubjective Färbung; man fühlt überall dem 
Dichter mit feiner Lebensanficht heraus und merkt, dag 
es ihm bei feiner Erzählung nicht blos um ihrer ſelbſt 
willen zu thun ift, fondern faft mehr noch um einige 
Winke und Andeutungen, die er gelegentlid mit der 
trodenen Miene eines Erzählers barf einfließen Laffen. 
So findet ſich im fiebenten Eapitel des dritten Bandes fol: 
gende Stelle: 

Der beutfche Adler hat zwei Köpfe. Der eine fol fchauen 
gen Morgen, der anbere gen Abend, und einer foll den andern 
wad halten. Denn vom Morgen und Abend droht der beutfchen 
Nation Gefahr! Aber bie beiden Köpfe wachten nicht immer 
zugleich, oder ein fchlauer Vogel fang dem Adler ein trügerifch 
Lied, daß er beibe Köpfe nur nad einer Seite wandte, und 
darüber ift ihm viel Leids gefcheben. Sie haben ihn links unb 
rechts gezupft und ihm feine beften Federn geraubt. Da gin⸗ 
gen Linke im Elſaß, in Lothringen und Burgund ihm koftbare 
Städte verloren, daß er fih die Augen blind weinen könnte vor 
Schmerz. Go verloren, baß man ihre deutfchen Namen vergaß, 
und der größte Thurm, ber gen Himmel ragte ald Wahrzeichen 
deutſcher Kunft und Ernſtes, ward ein Franzos. Und nicht 


271 


minber herrliche Städte verſchlangen bie Sarmaten reits, wo 
deutfcher Handel und Kunftfleiß blühte und ſtolze Buͤrgerkraft. 
Und was noch an ihnen deutſch ift in Zucht und Sitte, daran 
wuͤhlen und bohren ſie, bis es zerfallen ſein wird und vergeſſen. 
Das geſchah unvermerkt; ber deutſche Adler ſchlief. Andere 
wollen wiſſen, er hat darum zwei Köpfe, daß die Deutſchen im⸗ 
mer zwieträchtig waren, zwieträchtig um ihre Rechte und Frei⸗ 
heiteh; und einer wollte links, ber andere rechte. Darüber 
iſt es gefommen, baß fie nicht vonvärts konnten, fondern 
fie blieben zurüc Hinter ihren Rachbarn, und bie ſchwaͤcher wa: 
ten von Kraft und Ernft, wurden ihnen überlegen. Noch Andere 
meinen , ber Doppeladler bebeute die Gegenkaiſer, wo zwei um 
die Krone flritten, und jeder meinte, er fei im guten Recht; 
dad waren fchlimme Zeiten im Reich, und doch nicht bie ſchlimm⸗ 
fen. 230 offener Kampf ift unter den Beften, ba ftaͤhlt ſich 


He Kraft; aber fie wird untergraben, wo fir nicht heraus darf 


und aufzehrt in beimlichem Bohren, im tauern, Anblafen 
und —— Reben. Der deutſche Adler iſt noch jetzo dop⸗ 
peikdpfig, und das iſt nicht das Schlimmſte. Gott aber gebe, daß 
er einen Leib behalte, und ein Herz, und nun, da wir's wiflen, 
was Leib und ward davon, daß ber eine nidte und nur ber ans 
dere wachte, gebe der Bere im Himmel, fage ich, daß er mit 
beiven Köpfen fortan ausfchaue, nad) ‚Abend und Morgen. — 
Bei ich euch brandenburgifche Gefchichten erzähle, was kuͤm⸗ 
mere mich, rufen wol Ginige, der beutfche Adier? Den follte 
ich fliegen laſſen und im Lande bleiben. Ich ann es nid. 
Denn Brandenburg war nur ein Glied, ein theures Glied, meine 
ich, und wills Bott foU es bleiben ded großen deutfchen Körpers. 
Und was den zerreißt, zerreißt es mit, und was ihn erhebt, er: 
bebt es mit. Ich erzähle euch brandenburgiiche Geſchichten aus 
alter Zeit, aber ich meine, es find deutfche Geſchichten. Denn 
was Brandenburg litt, das Litt bad beutfche Reich auch. Cs 
griff fein Herz an und zehrte das innerfte Biut. 


Noch in demfelben Gapitel läßt der Verf. Kaifer 
Kari IV. zu Werfoneg, feinem Kanzler, fagen: 


Du bift ein Stawe und weißt das nidht. Der Deutfche 
liebt Ordnung, und fo fie aufgefchrieben fieht und unterfiegelt, 
meint er, man kann nicht baran rütteln. Das find kluge Fürs 
fien, fo zu Papier bringen, was zwifchen ihnen feftfiehen fol 
und ihren Völkern. Die Völker glauben daran; aber wer bie 
Macht bat, kann die Schrift doch deuten, als ihm gefällt. Dieſe 
Bulle, fage ich dir, if golden, und wann fie ber Reichstag ans 
genommen, fol ein golden Siegel darunter bangen für alle Zeit, 
die kommt. 

An einer andern Stelle fpricht Bardeleben, ein alter 


Märker von Schrot und Korn, zu Ludwig dem Römer 
lgendermaßen: 

rg Mit eiſerner Hand, gnaͤdigſter Herr, zwingft du die Märs 
fer nimmer. Du magft mit Sturmleitern ihre Mauern er⸗ 
obern; ſo du nicht ihr Herz gewonnen, biſt du nicht ihr Herr. 
Gerechtigkeit iſt gut, die iſt der Grundpfeiler eines Hauſes; 
aber iſt nichts anders bein, bleibts ein unwohnlich Haus. 
Man wirb nicht heimifch und fehnt fih hinaus. Die Branden 
vurger find Leiche gewonnen, fo Giner es verfteht. Er muß ihr 
Bater fein, aber Einer, der nicht immer ftraft, und Alles will 
beſſer wiffen, und keinen andern Sinn duldet als feinen. Muß 
dieweilen auch mit ihnen fpielen, nachſehen ihren Schwächen, 
ſeis auch einmat, mit ſich fpielen laſſen; es find gute Kinder, 
fie gehen nicht übers Maß. 

Und zum alten Woldemar, nachdem feine Macht be: 
reits gebrochen, Tpricht ein alter Thuͤrmer: 

Haͤttet Ihr nur immer gehört, was die Eeute Tprachen. 
Richt Alles muß man hören, bean es wird viel Dummes ges 
fprochen. Aber was iſt's mir einem Fuͤrſten, der fein Ohr vers 
fhließt, und nicht hört, was fein Bolt wuͤnſcht und benft. 
Der ift das ein Fuͤrſt, der_blind iſt, und nichts fieht, als was 
er ſich einbitdet, daß er es fieht. 


Aus biefen Proben, bie fi mit Leichtigkeit verviel⸗ 
fältigen ließen, ift auf das deutlichfte zu erkennen, daß 
wir in „Der falfhe Woldemar‘ keinen rein hiſtoriſchen 
Roman vor uns haben. Die Flut der Politik, die jegt 
die ganze Literatur uͤberſchwemmt, ſodaß bie einzelnen 
Disciplinen nur noch wie Inſeln daraus auftauchen, 
hat au ihn, wenn nicht verfchlungen, doch dermaßen 
mit ihrem MWafferfpiegel überzogen, daß wir Alles darin 
doppelt fehen, einmal feiner hiſtoriſchen Erſcheinung, das 
andere Mal feinem politifchen Widerfcheine nah. Daß 
ein ſolches Deranziehen politifher Intereſſen pikant und 
zeitgemaͤß ei, ift außer Zweifel; ob es fich aber auch 
vom dfthetifhen Standpunkte aus techtfertigen laſſe, ift 
eine andere Frage. Manches läßt ſich dagegen fagen. 
Die Anfhauung der Vergangenheit, zumal einer folchen, 
bie in nebelhafter Ferne vor uns liegt, fegt, wenn fie une 
irgend fefte, beflimmte Bilder gewähren fol, einen fichern, 
unverwandten Blick voraus. Wie aber iſt diefer mög: 
lich, wenn bie Gegenwart neben uns ſteht und uns ohne 
Unterlaß am Ärmel zupft, daß wir da6 Auge ihr zu: 
menden? Und noch dazu eine Gegenwart mit fo klapper⸗ 
[hlangenartigem Blide wie die unferige? Eine Gegen: 
wart, Die fo leicht Keinen wieder zur Ruhe kommen läßt, 
der ihr einmal ind Antlig gefhaut? — Und dennoch if 
eine Mifhung des Hiftorifhen und politiſchen, des epl⸗ 
[hen und Iprifhen Elements zur innigen und wahrhaften 
Einheit möglich, fobald nur der Verf. ein höheres, allge: 
meineres Intereffe anzuregen verſteht, ein Interefie, das zu 
allen Zeiten gilt und in dem fich nothwendig aud bie 
Intereſſen der Vergangenheit und Gegenwart verfchmels 
sen müffen. Dat der Verf. diefes verflanden? Hat er 
fih von der rein⸗hiſtoriſchen Darſtellung nicht blos ent⸗ 
fernt, fondern aud Über diefelbe erhoben? Hat er 
feinem Romane einen Odem einzuhauchen gewußt, der 
uns nicht blos wie Moderduft aus alten untergegangenen 
Beiten, noch auch blos wie ein Sturmmwind der Gegen⸗ 
wart anweht, fondern Lebensluft, ewig frifh und ewig 
erfrifhend? Wir dürfen diefe Frage mit Ja beantworten. 
So gründlih und forgfältig der Verf. die Zeit, in wel⸗ 
her fein Roman fpielt, ftudirt hat, fo genau er befannt 
it mit allen Perfönlichkeiten, die ſich irgendwie in ihe 
bervorgetban, und mit dem Charakter des Volks im Alle 
gemeinen, fo genau er Beſcheid weiß über der damaligen 
Geſchlechter Öffentliches und Familienleben, über ihre Sitten 
und Gewohnheiten, über ihre Rechte und Privilegien, über 
ihre Schidfale und Handlungen, über ihre Art zu ben: 
ten und zu reden, und fo fehr er es fich angelegen fein 
läßt, in einer Menge von böchft gelungenen Schilderun⸗ 
gen und Charakterzügen ein treues Portrait jener Zeit 
zu entwerfen, fo bleibe ex doch bei diefer hiſtoriſchen Mas 
lerei nicht ſtehen, fondern legt dem Allem eine tiefere, 
allgemeingültige und hier nur in befonderm Stoffe ſich 
verfinnlichende Idee unter, die das Ganze trägt und zus 
fammenhält und ihm das Gepraͤge eines hoͤhern Afthetis 
(hen Kunſtwerks aufdruͤckt. Dieſe Idee iſt keine andere 
als die, welche ſich, ſo oder ſo modificirt, durch alle Tra⸗ 
goͤdien hindurzieht, naͤmlich die tragiſche Wahrheit: daß 








272 


alle individuelle Größe vor der Macht bes Abfoluten 
nichts iſt, und nothmendig in fi zerfallen und unterge⸗ 
hen muß, fobald fie ſich über ſich felbft erhebt und den ihr 
angewiefenen Standpunkt im Verhaͤltniß zum Abfoluten 


aus dem Auge verliert. 
(Der Veſchluß folgt.) 





Neuere franzöfifche Literatur. 


1. Nouveau recueil de contes, dits, fabliaux et autres 
pieces in&dites des I3me, l4me et I5me si&cles, publ, par 
A. Judinal. Zwei Bände. Paris 1839—42. 

Obgleich bereits verfchiedene Sammlungen ber fogenannten 
feanzöfifhen Fabliaur vorhanden find, fo war doch eine ganz 
beträchtliche Anzahl diefer einfachen: Erzählungen noch nicht zus 
fammengeftellt, bie theils einen rein poetifhen Werth haben, 
theild auch für die Geſchichte nicht gang ohne Intereſſe find. 
Gegen 1750 gab zuerft ein fleißiger Philolog, Namens Barbas 
zan, in brei Bänden eine Auswahl biefer kleinen Dichtungen, 
an denen unfere Voraͤltern fo großes Gefallen fanden. Legrand 
d'Auſſy überarbeitete diefeiben und verwifchte daburch zum Theil 
bie naive Sprache, die ihnen einen fo eigenthämlicdhen Rei; ver: 
leiht. Der fharffinnige Sprachforſcher Jubinal, dem die Ge⸗ 
ſchichte der altfranzoͤſiſchen Literatur verfchiedene ſehr gediegene 
Arbeiten verdankt, bat fih nun bie Mühe gegeben, alle Dich: 
tungen biefer Art, die bisher ben Derausgebern entgangen oder 
in einzelnen feltenen Werken zerftreut find, zufammenzuftellen. 
Die beiden Bände, die er bamit gefüllt hat, bilden eine reiche 
Nachleſe zu den vorhandenen Sammlungen. Wir finden bar: 
unter mandyen tollen Schwank, manche heitere Poefie, und bie 
Kenntnig der Sitten ber damaligen Zeit geht babei nicht leer 
aus. Obgleich der größte Theil biefer Kabliaur unmittelbar 
aus dem Volksleben gegriffen ift, fo finden wir doch überall, 
wie auch in den gleichzeitigen deutfchen Poefien, ein Streben, 
die Geſchichte der neuern Völker an die bes Alterthbums anzu⸗ 
tnüpfen. &o finden wir 4. B. eine Sage, welche den Namen 
Abion auf folgende originelle Art erzählt: „Es gab einmal 
einen König und eine Königin in Griechenland, die 30 Zächter 
hatten. Die aͤlteſte berfelben hieß Albine. Alle dieſe jungen 
Mädchen verheiratbeten ſich; aber das eheliche Leben behagte 
ihnen nicht lange und fie faßten den Entſchluß, ihre Männer 
zu erwürgen. Die Verſchwoͤrung ward indeſſen entdeckt und 
man warf die Schuldigen auf ein Schiff, das man ohne Maft 
und Steuer dem Spiel der Wellen überließ. Der Wind trieb 
es von ungefähr an eine ferne, unbekannte Küfte. Albine war 
die erſte, die auf das Land fprang und ihm den Namen Albion 
belegte.” 

2. Soixante ans du Theätre francais par un amateur nd en 
1769. Paris 1842. 

Diefer „Riebhaber”‘, der uns bier einige Epifoben aus feis 
nen Denkwürbigfeiten gibt, ift, wie der Titel fagt, im 3. 1769, 
alfo in ber beften Gefellfhaft geboren; denn es war im naͤm⸗ 
lichen Jahre, als Bonaparte, W. Scott, Gunter und mehre 
andere große Männer das Licht der Welt erblidten. Was has 
ben nicht Die gefehen und gehört, die zu jener Zeit geboren find! 


Sie waren 20 Jahre alt, als der furditbare Sturm losbrach, 


der nach mehr als funfzigjäbrigem Wuͤthen noch nicht ganz 
ausgetobt hat. Was für großartige Greigniffe haben fie nicht 
fi) vollenden, welche Schar gigantifcher Männer vorübesfchreis 
ten feben! Der Verf. dieſes Kleinen Baͤndchens — ber, wie 
une von guter Band verfihert wird, einer ber berühmteften 
Rechtögelehrten von Paris ift — erzäplt uns nichts von dem 
großen politifhen Drama, befien Zuſchauer er geweſen ift und 
in dem er vielleicht ſelbſt mit eine Rolle gefpielt hat. Er führt 
uns flatt der Scaufpieier ber Geſchichte die Beiden und Koͤ⸗ 
nige der Goutiffen vorüber. Die Reihe berfelben ift lang. Mehre 
Generationen ſchreiten an uns vorüber. Diefe Kleine Schrift if 


eine böchft intereffante Lecture. Wir finden in derfelben fehr ges 
Iungene Portraits der beften Schaufpieler der franzöfifgen Bühne 
und geiftoolle Bemerkungen über das Theater im Allgemeinen. 
Der Theaterfreund wirb ſich daran ergößen, aber der Schau⸗ 
fpieler kann daraus mannichfadye Belehrung ſchoͤpfen. So kann 
e6 als ein Anhang zu ber reichen „Collection des me&moires 
sur V’art dramatique’’ betrachtet werben, bei deren Beſpre⸗ 
Hung Varnhagen von Enfe fehr bedauert, daß wir in unferer 
Literatur fo wenig ähntihe Werke befigen. 6. 





Literarifche Anzeige. 


Allgemeine Encyklopäbdie 
der Wiffenfchaften und Künfte, 


in alphabetifcher Kolge von genannten Schriftftellern 
bearbeitet. und herausgegeben von 


J. & Erſch und J. ©. Gruber. 
Mit Aupfern und Karten. 


Der Praͤnumerationspreis beträgt für jeden Theu 
in der Ausgabe auf Druckp. 3 Thlr. 25 Ngr., auf Belinp. 
5 Thlr., auf ertrafeinem Velinpapier im größten Quartformat 
mit breitern Stegen (Prachteremplare) 15 Thlr. 


Erſte Section (A—G). Herausgegeben von 3. G. Gru⸗ 
ber. IbGſter und 37ſter Theil. 

Zweite Seetion (HN). Herausgegeben von A. G. Hoff: 
mann. Aſter und 2lſter Theil. 

Dritte Section (O—Z). Herausgegeben von M. H. E. Meier. 
16ter und 1Tter Theil. 





Diefe im Jahre 1842 neu erfchlenenen ſechs Theile 
enthalten unter Anderm nachſtehende wichtige Artikel: 


Erſte Section: Epos und Erigena von Gruber; Equites 
von Baehr; Equus von Streubel; Erasmus von Rotterdam von 
Erhard; Erde (als Weltkoͤrper, mit 3 Tafeln Abbildungen) von 
Käntz; Erinacens von Burmeister; Erkenntniss und Erklärung 
von Scheidler; Erlöser und Erlösung von Franke; Ermiand 
von Stramberg; Ernstfeuer unb "Eroberung von Hoyer; 
Eros von Richter; Erskine von Stramlery; Erz- und Erb- 
ämter von Wachter; Erziehung von Rosenbaum. 

3meite Section: Inverness von Fischer; Investitar 
von Danz; Jo von Schincke; Jodocus von Wachter ; Jodsauer- 
stofi von Duflos; Jogi von Benfey; Joachim (Regenten dieſes 
Ramend); Johann (Regenten, Grafen und Prinzen); Johane 
von Leyden von Röse; Johanna (Pürftinnen); Johanna die 
Päpstin von Külb. 

Dritte Section: Pennsylvanien von Keber; Pentaue- 
ter von Göppert; Perceval und Percy von Stramberg; Per- 
soides und Perdix von Streubel; Perdikkas von Meier; Per- 
gamenisches Reich von Meier; Perikles und Persephone von 
Eckermann; Periodicität von Piper; Perm von Petri; Perorti 
von Hoffmann; Perrault von Krause; Persepolis von Lassem; 
Perser von Flathe, Lassen, Fischer unb Flüyel. 








Bei dem nbaufe des oder 
einen — Knahi eimgeinee Alters Zelle 
—2 5 Die Binigfen er ‚are, ger 

Reipsig, im März 1843, 

S. A. Brockhaus. 





Berantwortlicher Geransgeber: Heinrich Broddaus. — Drud und Werlag von B. U. Broddaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Freitag, 


— Nr. 69, 





10. Maͤrz 1843. 





Der falſche Woldemar: Roman von W. Alexis. 
Drei Bände. 
(Beſchluß aus Nr. ©.) | 

Der concrete Träger dieſes Gedankens ift die Haupt: 
figue des Romans, der falfhe Woldemar feibfl. Der 
Berf. hat in ihr eine echt: tragifhe und darum nicht 
blos hiftorifch, fondern auch aͤſthetiſch intereffante Perfön- 
lichkeit hingeftellt und es zugleich verflanden, ihren allge: 
meinstragifchen Typus auf eine neue und eigenthuͤmliche, 
ja pikante Weife zu geflalten. Echt⸗tragiſch iſt der fal: 
She Woldemar, weil er mit feiner Feinheit und Klugheit, 
mit feinem richtigen Takt, mit feiner ihm mie angeborenen 
Mürde und Maieflät, mit dee Gewalt feiner Mede, mit 
feiner klaren Erfaffung der Zeitverhältniffe, mit der Weisheit 
und Gerechtigkeit feiner Maßregeln und Dandlungen, mit 
der Sicherheit in allen feinen Schritten, kurz mit allen 
feinen außerorbentlihen Eigenfchaften einerfeits als wahrhaft 
groß und bemunderungsmürdig dafteht, und andererfeite 
doch nicht groß genug ift, in der Beurtheilung und Meffung 
feiner felbft das richtige Maß zu halten, und in Folge 
dieſer Selbflüberfhägung von einer höhern Macht ge: 
3wungen wird, von der errungenen Höhe wieder herab: 
zufteigen. Eigenthümlich und pifant aber iſt diefer tra: 
gifche Zug feines Charakters, weil die Selbftüberfchägung, 
die ihn ſtuͤrzt, anfangs gerade Mäfigung und Demuth, 
eine DVerleugnung der individuellen Größe, eine Dinge: 
an die Gottheit zu fein ſcheint. Nachdem er nam: 

lich durch das Geſchick, mit dem er alle Umftände zu 
nugen und felbft Diejenigen, welche Ihn als Puppe zu 
gebrauchen dachten, ſich dienftbar zu machen verfteht, fos 
wie befonder6 durch die Gewährung Deflen, was ber ar: 
men Mark Brandenburg noththat und monad das Bol 
verlangte, mit dem markgraͤflichen Titel auch bie mark⸗ 
geäflihe Macht erlangt hatte, beginnt er plöglich ſelbſt 
vor der Größe Deſſen, was er errungen, zu flaunen und 
fann «6 ficy nicht anders als aus Übermenfclichen, gött: 
lichen Kräften heraus erlären. Mit göttergebener Froͤm⸗ 
migfeit verzichtet er demgemäß auf den Ruhm, aus elge: 
nem Antriebe und mit eigenen Kräften gehandelt zu ha: 
ben, er gibt in Allem Sort die Ehre, und fo fcheint es 
gerade, als fei er weit entfernt von jeder Gelbftüberhe: 
bung, bie einem tragifchen Ende zuführen könne. Und 
doch ift, wie es der Verf. überrafchend zu menden ver: 


- 


fleht, gerade dieſe fcheinbare Demuth fein Stolz, diefe 
Selbflverleugnung fein Hochmuth. Er fieht in fi nun⸗ 
mehr das Werkzeug, das die Gottheit ausdrüdlic ſich 
zum Ruͤſtzeug auserfehen hat; er glaubt fich direct vom 
Oben gefandt und ausgerüftet mit Kräften, vor denen alte 
irdifchen weichen, ja felbft die Gefege der Natur fich beu⸗ 
gen müffen; er erkennt in fich einen Sefalbten des Herrn, 
dem felbft die Engel und himmliſchen Heerſcharen ihre 
Dienfte zu leiſten haben. Diefer demüthige Hochmuth, 
diefer fromme Gößendienft, den das Ich mit fich felbft 
treibt, — und ber leider noch heutzutage öfter gefunden 
wird, als man glauben follte — biefer iſt es, der ihn, 
im eigentlihen und uneigentlihen Sinne des Worts, 
aufs Eis führe, das unter ihm zufammenbricht und ihn 
verfinden läßt, zwar nicht dergeflalt, daß er mit Leib und 
Leben zu Grunde geht, fo jedoch, daß er zuruͤckkehren 
muß in die Stille und Vergeſſenheit, wo er Zeit has, 
feinem Irtthum nachzudenken. 

Unter der großen Maſſe der uͤbrigen Figuren, von 
denen die meiſten der Geſchichte entlehnt ſind, befinden 
ſich noch viele ausgezeichnete. Vor Allem muß bie Cha⸗ 
rakteriſtik Katl's IV., des bairiſchen Ludwig und ber 
Graͤfin von Nordheim hervorgehoben werden. Im Gans 
zen jeboch bleibe der Roman in diefer Beziehung ein mes 
nig hinter den früheren Werken des Verf. zurud. Waͤh⸗ 
rend wir im „Cabanis“, fowie in den Zeitnovellen ded Verf, 
dem „Hauſe Düfterweg” und namentlih den ‚Zwölf 


Mächten‘ gerade den außerordentlihen Reichthum an 


mannidyfaltigen und verfchiedenartigen Charafteren bes 
wundern müffen, leiden die hier gebotenen an einer ge: 
wiffen Eintönigkeit und entbehren der beflimmtern, un: 
terſcheidenden Umriffe und einer ſehr eigenthumlichen Fürs 
bung. Sie verfhwimmen gleihfam im Nebel, der über 
die ganze Zeit ausgebreitet iſt. Beſonders gilt dies von 
den brandenburgifhen Rittern und Bürgern, den Bar: 
beleben, den Grote, ben Luͤddeke, den Tile Warden- 
berg, den Betkin Oſten, den Betke Botel, den Ude 
tenhagen, den Kokeritz, den Itzenplitz und wie fie 
fonft noch heißen mögen, die zwar an fi ganz berbe 
und bandfefte, auch originelle und intereffante Perſoͤnlich⸗ 
keiten find, fich aber untereinander doch gar zu ähnlich 
fehen und nicht eng genug in bie eigentliche Verwicke⸗ 
lung und Entwidelung verflochten find. Auch Heinrich 


und Adelheid, welche das romantiſche Element der Liebe 
zu verteeten haben, heben ſich nicht individuell genug 

aus der großen Maſſe heraus und find überhaupt etwas 
dürftig und gewoͤhnlich ausgefallen. Wahrſcheinlich find 
fie abdfichtlih nad dem Muſter der Wotksbücher fo ein: 
fach zugefchnitten und es mag fi) Mondes dafür fagen 
hoffen; dem gefteigerten Geſchmacke unferer Zeit jedoch 
dürfte der Werf. nicht damit genügt haben. Weit höher 
fieht der Roman rüdfichtfi der Zeichnung von Scenen 
und Situationen. Hier entfaltet der Verf. die ganze 
Gewandtbeit feiner Feder, und einige wenige ausgenom⸗ 


men, die zu allgemein find und nicht lebendig genug in 


den Sortfchritt des. Ganzen eingreifen, find fänmmtliche 
nicht blos fpannend und ergreifend, fondern auch reich 
an innern Schönheiten und pfochologifchen Feinheiten und 
tragen in ſich eine ebenmäßige Gliederung und Abrun- 
bung. 
gen und Schauerlichen vortrefflich gelungen; des Heitern 
und Freundlichen ift daneben faſt zu wenig vorhanden. 
Was endlich die Außere Darſtellung betrifft, fo ift 
diefe, wie aus den oben mitgetheilten Proben hervorgeht, 
durchaus chronikartig gehalten, deren Eigenthuͤmlichkeit 
außer der ungewöhnlichen Anwendung einzelner Wörter, 
3. B. „als“ für „wie“', befonders in dem Übergehen aus 
dem Verhaͤltniß der Hypotaxis in da6 der Paratarle be: 
ſteht. W. Aleris ift ſchon beim „Roland von Berlin” 
deshalb angegriffen, und es zeugt von feiner zähen Aus⸗ 
dauer, auf die wir ſchon oben hingedeutet, daß er den: 
noch nicht davon abgelaffen hat. Vieles fpricht allerdings 
dafür, namentlich die Naivetät des Ausdruds, die in un: 
feem modernen Stil durchaus nicht in gleihem Maße 
zu erreichen iſt; aber das bleibt immer dagegen zu erin⸗ 
nern, daß damit der moderne Geift, der trogdem das 
Ganze durchweht, doch nicht zugededt werden kann, und 
daß mithin eine Diffonanz zwifhen Iunerm und Außerm 
entſteht, faft wie fie uns aus neuerbauten alten Burgen 
anzuflingen pflegt. Überhaupt behält eine Korm, die keine 
urfprüngfiche, fondern blos angeeignete tft, immer etwa6 
Demmendes und Feſſelndes und der producirende Geiſt 
kann fih in ihr niche mit volllommener Freiheit bewe⸗ 
gen. Wir find daher überzeugt, daß diefer Umſtand be: 
ſonders dazu beigetragen hat, daß dem Verf. die Zeich⸗ 
nung der Ziguren, deren ec fonft in fo hohem Grade 
Meifter iſt, diesmal weniger gelungen ift, und daß fi 


überhaupt weniger einzelne Züge und Gedanken finden, 


die den Charakter einer leicht und unmittelbar fihaffenden 
Gentalität tragen. Iſt dies zu beklagen, fo muß dagegen 
andererfeitd auch anerfannt werbn, dad damit zugleidy 
die genialen Auswücfe, an denen feine frähern Pro: 
ductionen bier und ba kranken, weggefallen find und daß 
hberhaupt dieſer Roman eine durchgreifende Einheit in 
Zuſchnitt und Färbung befigt, wie noch feiner feiner fruͤhern. 
So ift es denn der Poeſie des Verf. au in diefer Be: 
Hebung ergangen wie der Mark Brandendurg, von ber er 
am Schluffe ‘des Werks fügt, daß es ihr mit jedem neum 
Jahrhunderte immer beffer geworden ſei. Gebe der Herr, 


fügt er als legte Worte hinzu, daß es immer beffer wird! 


Beſonders iſt ihm die Darſtellung des Graufl: . 


Na 


und ſo moͤge denn auch unſere Anzeige mit dieſem frommen 
Wunſche geſchloſſen ſein. Richard Morning. 





Lebenslauf eines florentinifhen Kaufmanns 
tim 16. Jahrhundert. 

Unter den Reifenden, weiche Oftindien in ben erften Jahr⸗ 
zehnden befuchten, nadbem Basco de Gama ben Seeweg nad 
deffen Küften zurückgelegt hatte, verdient der Klorentiner Gio— 
vanni ba Empoli eine ehrenvolle Stelle. Dreimal fegelte er, 
oftwärts gewandt, um das Worgebirge der guten Hoffnung, wel: 
yes den alten Namen des Gabo tormentofo mit dem tröfttichern 
vertaufchen mußte, den es noch heutzutage führt; von ber drit- 
ten Reife kehrte er nicht wieder in die Heimat zurüd. Relationen 
über feine beiden erſten Fahrten, von 1503 und 1500, finden 
fi) in den florentiner Bibliotheken. Gin Fragment der erften 
berfelben, die Giovanni für den Sonfaloniere Pier Eoberini ent⸗ 
warf, theilte Ramufio in feiner großen Sammlung von Reiſe⸗ 
berichten mit; vollftändig werben fie nächftens, von Anmerfun: 
gen und Documenten begleitet, in Florenz erfcheinen und biefem 
jung geftorbenen Kaufmann und Geefahrer den Plag anweifen, 
der ihm neben feinen Landsleuten Frescobaldi, Sitgoli, Bespucci, 
Saffetti, Buonfignori, Strozzi u. X. gebührt. Unter den alten 
Schriften, die fi auf Giovanni da Empoli beziehen, ift eine 
Skizze feines vielfach thätigen Lebens, welche einige Jahre nach 
feinem Zobe von Girolamo da Empoli, feinem Vatersbruder, 
aufgefegt ward *), ebenfo intereffant wegen der lebendigen Ans 
fhauung, die fie uns vom Lebensgange der Handelsleute jener 
Zeit gibt, wie fie durch den in feiner Einfachheit liebevollen Ton, - 
in dem fie gefchrichen, für fi einnimmt. So möge fie benn, 
mit einigen Abkürzungen, bier eine Stelle finden. 40. 


Es iſt eine alte Sitte, die Handlungen Derer gu beieben, 
welche in Ehren und Tugend gelebt haben. Dieſe Sitte kann 
nur eine treffliche genannt werden, weil ſonſt viele prciſwuͤrdige 
Thaten in Vergeſſenheit gerathen und wir folglich gegen das 
Andenken vieler wackerer Männer hoͤchſt ungeredit fein wuͤrden; 
anderntheils auch weit bie Nachwelt großen Vortheil barams 
sieht, indem fie angetrieben wirb, das Beiſpiel nachzuahmen, 
welches ehrenwerthe Vorfahren ihr gegeben. Aus diefem Srunbe 
babe ich beſchloſſen, das Leben des Giovanni da Empoli, eines 
florentiner Bürgers und meines Neffen, zu befchreiben: benm 
biefer Biovanni war zu feiner Zeit fehr berühmt, well er befs 
nahe alle Laͤnder der Welt bexeift hatte, namentlich Indien, 
weiches vor etwa SU Jahren durch den König von Portugal 
entdeckt worden. Nach diefem Lande unternahm Giovanni zwei 
Reifen, von welder er nach feiner Ruͤckkehr feinem Water Lio⸗ 
nardo genaue Nachricht ertheilte, aus weichen Nachrichten ſpaͤter 
ein Buͤchlein gemacht worden ift, worin fidh von Kunde 
findet, von ben Häfen, Ländern, Gtäbten und Voͤllerſchaften 
Behräuchen und Geſetzen, Maßen und Gewichten; melde Maar 
yon, Specerelen, Gewürze man bort findet und woher fie kom⸗ 
men, wo man die Perten fiſcht, wo die Rubine, Diamanten und 
anders Edelſteine vortommen, und wo bie Bold: und Bilber: 


ben find: Alles getreu uab baft d 
7 AR Loge, Bovon teicht ——— mg. —8* 


chlein zur Hand nimmt. Was nun gegenwaͤrtige Lebenshe⸗ 
reibung betrifft, fo moͤchte Mancher dafür halten, fie wäre 
beffer von einem gelehrten und berebten Dumme verfaßt worben, 


*) Tiefe „Vita di Glevenni da Empoli da che naogue a che 
mori scritta da Girolamo da Empoli suo zio” wurde nab einem 
Autographon in der Maglicbechi’fhen Bibliothek zu Plorenz witge- 
theilt von 8. 2. Poltdori In dem livorneſer Taſchenduche ‚La: «tale 
del pensiore” fir 1842. In Moreni’d „Bibliogmfa steries - rapin- 
nata della ‘Toscana’, Bb. 1, iſt bie Handſchriit aufgeführt; in Cinell ies 
unebirter „‚Storia degli serittorj fiorentini’’ finden fi) ded Biovanni ba 
Empoli Reifeberichte verzeichnet. Die Deraudgabe biefer legtern wird 
durch die Herren G. ©. Gameftrini und Polibort- geſchehen. - 





275 


weicher fie durch ſchoͤne Worte und Deiſpiele Hätte aucſchmuͤcken 
tönnen. Auf der andern Seite aber bedachte ich, daß eine 
ſchlichte wahrhafte Darftellung, wie id; fie mit bem geringen 
Berftande, den Bott mir gegeben, tiefern konnte, dem Zwecke 
vielmehr entfpräce, der Wahrheit naͤmlich die Shure zu geben. 
Wie dem aber auch fein möge, fo Kann ich nicht umhin, einige 
Scham zu empfinden, weil idy etwas unternommen, wozu meine 
Fähigkeiten mic; wenig berechtigten, und ich wuͤrde es unters 
toffen haben, ftünde eine ſolche Arbeit einem Verwandten nicht 
deſſer an als einem Fremden, und empfände ich nicht eine innige 
Liebe zu Giovanni und Dankbarkeit wegen des ehrenvollen Na⸗ 
mens, den er uns hinterlaffen hat. — 

Giovanni da Empoli alfo kam zur Welt am 27. Det. 1483 
mb von feiner Geburt Eonnte man wie von ber des Taͤufers 
fagen : „Multi in natiritate sua gaudebant et congratula- 
bantur vicini et cognati ejus.” Denn er war ber erfie Sohn 
feiner Altern und ward nady fechs Töchtern geboren: denket 
drum, wie groß die Freude war! Bei ber Taufe warb ihm 
nad; feinem Großvater der Name Giovanni beigelegt. Diefem 
wurbe er gleich, weil er ein guter Kaufmann geweſen war: 
denn zu feiner Zeit war Giovanni mein Bater zugleich mit feis 
nem Bruder Jacopo Theilnehmet an einer großen Gpecerei: 
handlung des Giovanni Baroncini in Galimara*), zu den 
Schluͤſſein, welche Stadt und Gegend verforgte. Der Knabe 
war von Körper wohlgebaut, nicht: zu ſtark noch mager, nidjt 
groß noch Hein, er fah gut aus, war von fanguinifdgem Tem⸗ 
perament, nicht aͤrgerlich noch heftig, fondern vielmehr beiter 
und gefügig, raſch im Lernen, fobaß er im Alter von fieben 
Jahren den Pfatter mit Leichtigkeit las und mit 13—14 Jah 
zen recht gut Latein verftand. Zu jener Zeit waren als Lehrer 
in unferer Stadt Girolamo det Maeftro, Prieſter Guasparre 
von Mafla und Luca aus Florenz felbft, alle gute Meifter ber 
Grammatit, überdied Francesco von Urbino und ein anderer 
Ramens Suerrino, bie ſaͤmmtlich fehr gefigickt waren. Zu allen 
diefen ging Gioranni in die Schule, fodaß er große Fortſchritte 
machte. Audy lernte er etwas Griechiſch und hätte er mit dem 
Stubiren fortgefabren, fo würde er ein Gelehrter geworden fein. 
Der Vater gab fi große Mühe mit ihm und ließ ihn zu 
Hauſe wiederhoien, mas er in ber Schule gelernt hatte, ſodaß 
im zum Gpieien wenig Zeit blieb. Ja, man kann fagen, er 
fei nie Kind gewefen: denn aud beim Spielen beging ex nie 
kindiſche Streihe. Im Schreiben und Rechnen unterwies ihn 
der Bater felbft, und um ihn nie müßig zu laffen und ihm 
Kenntnif von göttlichen Dingen und der heiligen Gchrift beizu⸗ 
bringen, hatte der Water ihm ein Buͤchlein gemacht, in welchem 
viel aufgeſchrieben ftand aus der Bibel, aus den Pfalmen näms 
lich, den Parabein Galomon’s, dem Eccleſiaſtes, aus ben Evan: 
gelien und den Briefen des heiligen Paulus, nebft vielen ſchoͤ⸗ 
nen Spruͤchen von St.⸗Auguſtin und St.⸗Ambroſius. In die: 
fem Buͤchtein ließ er ihn fludiren, damit er bekannt würde mit 
ven göttlichen Dingen und Freude basan finden möchte. 

An Feſttagen ging Giovanni immer in die MWrüberfihaft 
Johann des Goangeliften. In jener Zeit pflegten, gemäß ben 
Auffoberungen und Grmunterungen bes Paterd Bra Girolamo 
won Ferrara **), welcher gegen die unebrbaren Handlungen und 





*) ine in der Geſchichte des florentiner Handels wohlbekannte, 
mit Mogazinen, Kaufläden u. f. w. gefüllte Straße, nit fern vom 
jegigen Mercato nuovo. 

*) Savonarola. Gr bielt feine erſten (Baften =) Predigten in 
Slorenz 18. Die Beit feined größten Ginfluffes auf das Bolt was 
sen die Jahre 185 — HM. Die Feuerprobe, welcher der im Xerte 
erwähnte Angriff auf dad Dominicanertiofter folgte, ſollte am 8. 
April IB fattfinden ; Ira Girolamo's Todeſtag war ber 83. Mai. 
Die Umgäge durch Stadt und Land, unter Sefängen und Autoddafe 
von Bildern, BWüsern und Lurudgegenfländen find belannt. Prin⸗ 
zioalle della Stufe, der unter ben damaligen Kührern ber Jugend 
sortommt, war nachmals einer ber eifrigen Mebicei’fhen Partei: 


gängsı (Yallsäten). 


Lafer, vie in ber Stadt begangen wurden, namentiich aber ges 
gen Spiel und Läfterungen predigte, bie Kinder, namentlich bie 
zu ben Brüderfchaften gehörenden, fich zu verfammeln und Ans 
führer und Näthe zu wählen, mit benen fie durch die Stadt 
zogen, um ben Spielen und dem gottesläfterifchen Treiben eis 
Ende zu machen. Zum Anführer der Brüberfchaft bes Evan⸗ 
geliften wurde ein Sohn Meffer Luigi's bella Stufa gemacht, 
Namens Prinzivalle, und Giovanni wurde fein Rath und legte 
Ehre damit ein. Sie zogen, wie gefagt, durch die Stadt, W 

fel und Spielkarten wegnehmend; gleicherweife machten fie es 
auch mit den Liebesgefdhichten und ausgelaffenen Novellen, mel 
he alle ins Feuer geworfen wurden. Und wenn fie auf den 
Straßen irgend einer aufgepußten rau begegneten, deren Kick 
bung den Anfoberungen der Sittſamkeit nicht entſprach, fo bes 
gräßten fie diefeibe mit fpöttifcher Höflichkeit und fagten: @bte 
rau, bedentet, daß Ihr fterben und allen Pomp und Putz ver: 
laffen müßt und alle biefe irdifche Eitelkeit. So kam es denn, 


daß mandye, wenn audy ungern, aus Scham dem Luxus ent: 


fogte. Auch unehrbare Maͤnner befliffen fidy eines beflern Wans 
beit, aus Furcht, aufgefunden und mit den Fingern gewiefen au 
werden. Im Lande herum zogen ähnliche Gefellfchaften, zum 
Theil mit gutem Erfolge, fobaß die Sachen erwuͤnſchten Fort⸗ 
gang hatten und die Jugend oft in San: Marco zuſammenkam, 
Rath zu pflegen. Nachmals traf es ſich, daß an dem Tage, mo 
bas tumultuirende Bolt San» Marco flürmte und Fra Girolamo 
nebft Bra Domenico und Fra Silveſtro gefangen genommen ward, 
Giovanni fi im Kloſter befand und, da es nicht möglich war 
baffelbe zu verlaffen, den ganzen Verlauf des Kampfes mit an« 
ſah. So blieb er denn die ganze Naht Uber in dem Bibtie 
thekſaale und betete mit den Robigen, worauf er am folgenben 
Morgen unverlegt nad) dem Vaterhauſe zurüdtehren Tonnte. 
Rachdem, durd Fra Girolamo’8 Unterliegen, das Licht erlofchen . 
war, das uns erleuchtet, blieben wir in bee Finfterniß: wer Gu⸗ 
tes that, ward verfolgt und das Gute unterlag. Alles Dies 
habe ich erzählt, um zu zeigen, wie er aufwuchs und in welchem 
Geifte und weichen Handlungen feine Jugend verfloß. 

Nah jenen Vorgängen nahm fein Water ihn in das Wed 
felgeichäft, welches er damals am Ganto alla Paglia betrieb. 
Dort begann er alle Arten von Silber: und Goldmünzen ken⸗ 
nen zu lernen, und ihren Werth und Gehalt; auch erwarb er 
fi einige Kenntniß von Juwelen und lernte Bud halten, for 
daß er bald in jenem Geſchaͤfte fehr erfahren ward. Darüber 
kam das große Jubeljahr 1500. Zahlreiche Reifende begannen 
durch die Stadt Florenz zu ziehen, Ungarn, Slamänder, Deut: 
fche, Franzoſen, Spanier, Portugiefen und andere Nationen, und 
Giovanni hatte viel mic ihnen zu thun, wechfelte Bold: und 
Sitbermüngen, lernte af Deutſch und Ungariſch zählen und be⸗ 
biett auch fonft viel von ihren Sprachen. Das bischen Latein, 
welches ex verftand, kam ihm dabei trefflich zuſtatten. &o vers 
ftrih das ganze Jahr unter anhaltender Beichäftigung. Cs 
war große Nachfrage nach Kreugern und Gulden, denn viele 
Fremde, namentlidy die Deutfchen, wollten ſolche einwechſeln, fos 
daB Giovanni auf den Gedanken fam, nach Siena zu gehen 
und diefe Münzforten aus den dortigen Banken zu bolen, wo 
es deren viele gab, ſodaß er mit großem Vorrathe nach Florenz 
zuruͤckkehrte. Es traf ſich nachmats, daß Martino Scarfi, ein 
edler und wackerer florentiner Bürger, der ein Handlungshaus 
zu Brügge in Flandern ) hatte, wo Giovangualberto Buona- 

°) Brügge und Lyon waren don Alteröher bie beiden größten 
Dandelöpläge, wo die florentiner Kaufleute und Wechsler Magazine 
und Gomptoire hielten. Daß in der Erzählung genannte Haus ber 
Nafi in Eyon war ein fehr angefehened: Macchiavell erwähnt diefer 
Randöleute wiederholt in feinen franzäfifhen Geſandtſchaftsbdepeſchen. 
Die ualterotti und Prescobalbi waren alte florentintfche Familien, 
von denen letztere, die fhon im 18 Jahrhundert eine nit umwichs 
tige Rolle fpielten (in den bürgerlihen Unruben der Dante’fden 
Epode), noch eriftiren. Die Affetati find wahrſcheinlich eins wit 
den Affeitati von Gremona. 


236 


grazii fein @enoffe wor, einen jungen Mann zus Beforgung 
der Sefchäfte dahin zu fenden vorhatte. Da er nun von @ios 
vanni fo viel Mühmtiches hörte, fragte ex ihn, ob er dahin ge: 
hen wollte, worauf Jener zur Antwort gab: er fei es zufrieben, 
fofern fein Water einwillige. Da ber Bater die Zuftimmung 
ab, nahm Martino ihn an. Dieſer befaß eine gewiffe Zahl 
chöner Perlen und werthvoller Edeiſteine, welche ex gut zu vers 
Saufen wünfchte. Mithin fandte er den Giovanni nach Berrara, 
wo berfelbe fich feines Auftrags entledigte, einen guten ‚Handel 
machte und bei feiner Ruͤckkehr zu Martino's Zufriedenheit Kech⸗ 
nung ablegte. Ledttterer hatte unterdeſſen nach Flandern ſeinem 
Gefſchaͤftsgenoſſen gemeldet, er werde ben Giovanni ſenden: Gio⸗ 
vangualberto antwortete, er hätte Lieber geſehen, wenn jein Bru 
der Vittorio gelommen wäre, und Martino, als ein wackerer 
ann, wollte beide befriedigen und das einmal gegebene Wort 
nicht zuruͤcknehmen. Obſchon nun Giovanni lieber allein gegangen 
wäre, fo dachte er doch, daß es ihm in Flandern in diefem oder 
einem andern Handelshauſe an Mitteln zum Fortkommen nicht 
fehlen werde; ex brachte feine Sachen in Ordnung, kaufte ſich 
ein Pferd und Kleidung, und mit ſo viel Geld, als zur Reiſe 
noͤthig, machten bie beiden jungen Leute ſich auf den Weg. Vor 
der Abreife nahm er Abſchied von Allen im „Haufe, befonbers 
von feinem Water und Oheim, und da er demüthig um ben Se⸗ 
gen bat, ertheilte ihm dev Water denfelben mit großer Zaͤrtlich⸗ 
teit und unter vielen Thränen, und das Büchlein ihm _gebend, 
worin jene ſchoͤnen Dinge aus der heiligen Schrift gefchrieben 
ftanden, empfahl er ihm barin zu fludiren und in allen feinen 
Sandiungen Gott vor Augen zu haben. Manches Schoͤne noch 
hatte der Vater jenem Buͤchlein hinzugefuͤgt. So reiſte er, im 
Namen Gottes, am 14. Mär; 1501, in einem Alter von 18 
Jahren und 5 Monaten. in 
In Lyon angelommen, kehrten bie beiden Zünglinge bei uns 
fern Landsleuten, ben Naft, ein, wo ihnen große Ehre erzeigt 
warb; dann fegten fie ihre Reife fort, kamen gluͤcklich an und 
wurden gut aufgenommen. Giovanni blieb nun in jenem Ge⸗ 
ſchaͤft gegen neun Monate, Alles ausführend, was ihm aufgetrar 
gen warb, zur Zufriedenheit feiner Vorgefegten. Die Landesſprache 
lernte er fo gut, daß er ſelbſt Alle, welche längere Zeit dort ges 
wefen, hinter ſich ließ. Da geſchah «6, daß bie Gualterotti unb 
Frescobaldi einen jungen Mann zur Betreibung ihrer Geſchaͤfte 
nach Calicut in Indien ſenden wollten. Diele junge Blorentiner 
von guter Familie bewarben fih um biefe Stelle, Giovanni 
aber warb gewählt unter vortheilhaften Bedingungen. Sie feb: 
ten ſodann eine Schrift auf über Alles, was ihm zu thun obs 
liegen follte auf dieſer Reife, und es ward aus gemacht, daß 
ihm fuͤr ſeine Bemuͤhungen der fuͤnfte Theil des Gewinns an: 
heimfallen werde. In dieſen Auftraͤgen verließ er alſo Bruͤgge 
am 27. Dec. 1502 und verfügte ſich nach Liſſabon in Portugal, 
wo er bei dem ehrenwerthen Deren Giovan Francesco degli Af⸗ 
fetati, einem reichen Kaufmann, einkehrte. In deſſen Hauſe 
war ein junger Florentiner, Namens Luca Giraldi, welcher für 
die Gualterotti Gefchäfte machte und dem Giovanni eine ‚gute 
Aufnahme verſchaffte. So wurde ihm denn ein Platz auf einem 
von vier Schiffen zugefuͤhrt, welche Girolamo Sernigi, unſer 
kandsmann und angeſehener Handelsherr, für den König (Ems 
manuel) von Portugal außrüftete. Am 6. April 1508 fegelte 
biefe Flotte von Liſſabon ab, und Giovanni befand fih auf dem 
Schiffe des Alfonfo D’Albuquerque, welcher der oberfte Befehls: 
baber der Erpebition war. Weiche Namen bie Fahrzeuge hats 
ten und wie groß ihr Tonnengehalt war, erinnere id) mid nicht 
mehr. Die Reife war glüdlih und der Zwe wurde erreicht, 
fodaß Giovanni am 16. Gept. 1504 von feiner erſten Fahrt 
nad Calicut mit Ehren und Vortheil in Liffabon wieder eins 
traf. Won dort begab er ſich nach Flandern zu feinen Han⸗ 
delöberren, bie ihn mit großer Freude cmpfingen und benen er 
berichtete, was Alles er auf biefer Reife für fie ins Wert ges 
fest. Ihre Zufriedengeit war um fo größer, als Giovanni ihs 
nen genaue Rechnung ablegte und bedeutenden Gewinn nachwies. 
Am 22. Oct. 1506 kam er nun nad) Florenz. 


Er brachte 


Briefe an den erlaudkten Piero Soberini*), bes Bolkes lebens⸗ 
länglichen Gonfaloniere, ber ihn fehr gern fah, als er ſich zu 
ihm verfügte, fie zu überreichen. Nachdem fie über Vieles ges 
fprocdyen, fagte ihm der Gonfaloniere, e8 möge ihm gefallen am 
nächften Tage zurüdzulehren, um mit mehr Ruhe manches bes 
reben zu können. Ais nun Tags barauf Giovanni fich bei ihm 
einfand, traf er ihn in dem Eleinen Saal, in welchen er Audienz 
zu geben pflegte, und bei ihm viele der vornehmften Bürger, bie 
ee hatte rufen laflen, damit fie aus Giovanni's Munde Kunde 
von jenen Laͤndern erhalten follten. Als nun der Jüngling eins 
trat und feine Reverenz und Begrüßungen machte, fragte ihn 
Meffer Piero nad jenen Gegenden. Ob wol Giovanni burdy 
die Gegenwart fo vieler angefehenen Perfonen in Verlegenheit 
gefegt ward? Keineswegs, fondern itehend vor dem Gonfaloniere 
begann er zu erzählen von der Beit an, wo er Liſſabon verlaflen 
hatte, und was ihm während ber ganzen Reife begegnet bis zus 
feiner Ruͤckkehr. So berichtete er denn einfach und in-der Ord⸗ 
nung und nannte Hafen nad Hafen, Land nad Land, und 
weiche Voͤlkerſchaften, Gefene, Sitten er gefunden; weiche die 
Waaren feien, die Gewichte, Maße und Münzen; wo der Pfef- 
fer, der Zimmt, die Wuͤrznelken und Anderes wachfen, wo mar 
die Perlen fifcht und Diamante und Rubine findet; nebft vielen 
andern fchönen Dingen, fobaß es den Anmwefenden wunderbar 
vorfam, dies Alles in einem Zuge erzaͤhlen zu hören. Denket, 
ed gingen zwei Stunden darüber hin! Als er nun fertig war 
und fich gebührend verabfchiedete, machte der Gonfaloniere ihm 
viele Anerbietungen und fagte, es würde ihm ſehr lieb fein, alle® 
dies fchriftiich zu befigen. Giovanni verſprach es und brachte 
ihm ſpaͤter die Schrift 5 überdies fchenkte er der Wabonna Ars 
gentina, Meffer Piero’s Hausfrau, ein ſchoͤnes Stuͤck feiner 
Leinwand, bas er aus Indien mitgebracht hatte. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Literarifhe Notizen. 


Der Neapolitaner Congiamila fchrieb eine „Embryologia 
sacra”, in ber cin Theil der Medicin mit der Religion in Be⸗ 
ziehung gebradyt wird. Gegenwärtig erhalten wir ein Werk, 
das den Zufammenhang biefer beiven Wiffenfchaften noch weiter 
durchführt. Es hat den Zitel: „Essai sur la theologie mo- 
rale consider6e dans ses rapports avec la physiologie et la 
medicine‘, von P. 3%. C. de Breyme. Der Verf. ift Doctor 
der Medicin und zugleih Mitglied des Zrappiftenorbene. Gr 
tbeitt fein Werk in vier Abtheilungen. Die erſte umfaßt die 
Zemperamente, die zweite Ales, was fi auf das fechste Ger 
bot bezieht, die dritte die Embryologie und in der vierten wer: 
den mehre intereffante Partien, 3. B. der Magnetismus, bic 
Monomanien u. f. w., bebanbelt. 


Alerandre de Lavergne ift durch mehre geiſtreiche Beie 
träge zu ber „Revue de Paris’ und zu andern periodifchen Blättern, 
fowie durch verfchiedene Romane bekannt. Sein neuefted Werk 
ift der hiftorifhe Roman ‚La duchesse de Mazarin’. Las 
vergne bat die Gefchichte der Nichte des großen Staatsmannes, 
der berühmten Dortenfe de Mancini, deren Leben fo fonderbar, 
fo abenteuerlih und romantifch war, mit Gluͤck bebanbelt. 


Der Ingenieur d'Olincourt wird binnen kurzem ein Werf 
herausgeben, das ein hohes Intereſſe ſowol in hiftorifcher als 
in artiftifchee Beziehung haben wird. Eſs ift dies eine Auswahl 
ber bervorragendften Bauwerke Frankreichs. Er wird babei 
nit nur bie Öffentlichen Gebäude, ſondern auch Privathäufer 
und Monumente berüdfidhtigen, infofern fie vom architektonis 
[den oder vom gefchichtlihen Standpunkte aus ein Interefie 
teten. . 


») Pier Soderini bekleibete von 1508 — 12 bie oberfie Magi⸗ 
e in der Republik. Argentina, feine Gemahlin, war aus 
ten Haufe der Malafpina. 


firat 
dem berüt 


Berantwortlier Herausgeber: Leinrig Brodbaud — Drud und Berlag von J. A. Brodbaus in Leipzig. 


t 


Blätter 


literariſche 


für 


Unterhaltung. 





Sonnabend, 





Dritter Artikel.” 

Petition an die hohe zweite Kammer ber ſaͤchſiſchen Staͤndever⸗ 
fammiung um Oerbeifuͤhrung eines erträglichen Rechtszuſtan⸗ 
des in Sachen der Preſſe. As Manufcript für die Mitglies 

der ber hohen Staͤndeverſammlung gedrudt. Leipzig, gedrudt 
bei Breitkopf und Haͤrtel. 

Unter den zahlreichen Erſcheinungen auf dem Felde 
der politifchen Literatur greifen mir obige Schrift gleich 
heraus, weil ihre praktifche Tendenz nur fo lange bauert, 
als die Kammern in Sachſen noch verfammelt find, und 
wir daher eilen müffen, wenn wir mit unferer Beſpre⸗ 
hung nicht zu fpät kommen wollen. Die Schrift iſt 
nicht im Buchhandel erfchienen, fondern nur als Manu: 
feript gedruct; wir glauben uns aber zu ihrer Beſpre⸗ 
dung um fo mehr berechtigt, als wir weniger auf ihren 
befondern Inhalt und ihre fpecielle Faſſung eingehen wer: 
ben, als vielmehr einige allgemeine Betrachtungen über 
den gegenwärtigen Zuftand ber Preffe daran knuͤpfen 
wollen, wozu fie und nur befondere Gelegenheit gibt. 
Die Petition iſt übrigens von einer Anzahl Leipziger Liz 
teraten unterzeichnet, von Schriftftellern von Profeſſion, 
weiche allerdings noch näher und unmittelbarer bei die⸗ 
fee Frage betheiligt find ale das uͤbrige fächfifhe und 
deutfche Publicum, wiewol in ihren mittelbaren Folgen 
zufetst jeder Ditlebende bis zum Säugling und ärmften 
Tagelähner von der günftigern oder ungünftigern Loͤſung 
diefer tief eingreifenden Angelegenheit berührt wird. 

Wir wollen vorweg bemerken, baß die Petition gut 
gefchrieben ift, daß fie namentlich mit lebhaften Farben 
Me unendlihen und unerträglichen Nachtheile Tchilbert, 
welche bie Genfur auf den Charakter und auf bie Thaͤ⸗ 
tigkeit des Schriftftellers ausübt. Indeſſen geht fie nicht 
auf völlige Abſchaffung der Cenſur aus, fondern fie vers 
langt nur: a) Preffreiheit für die Beſprechung Innerer 
(ſaͤchſiſcher) Angelegenheiten. b) Aufhebung ber Cenſur 
für alle Schriften über 20 Bogen. c) Aufhebung ber 
Nachcenſur (eine dem Königreihe Sachſen eigenthuͤmliche 
Erfindung und Inſtitution). d) Aufhebung der „Con: 
ceſſionen auf Widerruf” für Zeitungen und. Zageblätter. 
e) Ein dem $. 35 der fächfifhen Berfaffungsurkunde 


9 Bal den erſten und zweiten Art. in Mr. 24—26 und 
Rr. 57-59 d. Bl. D. Red. 


entfprechendes Prefgefes. f) Handhabung diefes zu pro« 
mulgitenden Geſetzes durch die Juſtizbehoͤrde. 
Die Erfüllung dieſer Foderungen glauben die Petenten 


in die Machtvollkommenheit der Staatsregierung Sad. 


fen& geftellt, indem fie biefelben vermöge ihrer fouverais 
nen Stellung zum deutfchen Bunde und nad ben Bun- 
des: und Landeögefegen gewähren koͤnne; fie berufen fich 
dabei auf die karlsbader Befchlüffe vom 20. Sept. 1819 
und nehmen das in benfelben vorgefchriebene, eben ange: 
führte, Minimum in Anfprud. 


Was ift denn aber das Minimum von Preffreihelt, 


welches die Bundesgeſetzgebung geflattet? Kennen bie 
Herren Bittſteller überhaupt die Bundesgeſetzgebung? 
Wiffen fie Überhaupt, was vor dem Bunde vecht iſt, 
und was nidht? 


Die Bundesgefesgebung ift Peine öffentliche. Außer ' 


denjenigen Bellimmungen , bie fie in frühern Zeiten oͤf⸗ 
fentlich erlaffen bat, koͤnnen noch eine Menge anderer 
eriftiren, von denen ſich unfere Philofophen und Literaten 
nichts träumen laffen. Gefege, die früher gegeben find, 
tönnen laͤngſt in heimlicher Verabredung wieder zurück 
genommen fein, ohne daß das beutfche Volt etwas da⸗ 
von erfahren hat. Der Bund iſt durchaus omnipotent; 
ale Erfoderniffe, die man fonft an die Sültigkeit ande⸗ 
ver Geſetze macht, 3. B. die Promulgation bderfelben, fal⸗ 
len bei feinen Entfchlüffen weg; außer den Protokollen, 
die von Zeit zu Zeit gedruckt werden, find ficher noch 
genug Geſetze, oder Belieben, oder diplomatiſche Verab⸗ 
redungen vorhanden, gleihviel, wie man es nennen will, 
bie jeglicher Eontrole und Interpretation der beutfchen 
Unterthanen entzogen find. Sich auf die Bundesgefeg- 
gebung berufen, heißt fi auf etwas berufen, was man 
nicht Eennt. Die fächfiihe Regierung wird unftreitig ihre 
Obliegenheit gegen den Bund beffer kennen als die Herren 
Bittfleller, und fie kann nur mit mitleidigem Lächeln 
eine Appellation an eine höchfte Inſtanz betrachten, durch 
deren Willen fie eben mahrfcheinlich die beiten Waffen 
gegen ihre unbelcheidenen Dränger in den Händen hat, 
wennfchon diefe Waffen nur für die Eingeweihten ſicht⸗ 
bar find. Es ift in der That nichts Komifcheres und 
ich möchte fagen Lächerlicheres, als eben diejenige Macht 
als Bundesgenoffin aufzurufen, von beren Feindſeligkeit 
man mit Beſtimmtheit nad) allen Erfahrungen von vorn⸗ 


.g W 


x 


herein mit Evidenz überzeugt fein kann und von ber 


eben alle Beeinträchtigungen und Bebrängniffe ausgegans. 


gen find. Freilich, wenn man nur bie Öffentlich bekannt 
‚gemachten Erlaſſe der Bundesverſammlung flr bundes⸗ 
chris haͤlt — dann freilich haͤtten die Bittſteller recht. 
Bam haben fie aber nod viel zu wenig gefodere. Nach 
der Öffentlichen Bundesgeſetzgebung find jene Proviforien, 
wodurch die Preffe beſchraͤnkt wurde, ſaͤmmtlich längft 
erlofchen, und jedem Staate flände es demnach frei, bis 
jene vor 27 Zahren verfprochene allgemeine deutfche Preß⸗ 
gefeggebung zu Stande gekommen ift, ſich vorläufig feine 
eigene zu geben, ohne alle weitere Befchränkungen, als bie in 
eigener ung Auf die karlsbader 
Beichlüffe fich zu berufen, iſt aber allemaf eine Thorheit. 
Entweder fie find heimlich nicht erneuert und noch ver: 
mehrt und bereichert worden; alsdann find fie von felbft 
erloſchen und haben keine Guͤltigkeit mehr; oder aber, fie 
find durch fpätere heimliche diplomatiſche Wereinbarung 
wiederum erneuert und mit zeitgemäßen Zuſatzartikeln be: 
veichert, wie diefe® nach der befolgten Praxis ganz unwi⸗ 
berieglich vor Augen liegt; alsdann ficht man nur in 
Blaue hinein gegen einen unbelannten $eind und hat 
das allerunglinftigfte Terrain erwaͤhlt. 

Auch die badifche Preßgefeßgebung von 1832 ging 
nicht über die Larlsbader Beſchluͤſſe hinaus; dennoch 
mußte fie zurückgenommen werben, eben aus bundesge⸗ 
ſetzlichen Ruͤckſichten, welche der Minifler Winter freilich 
nicht näher entwickelte, die er aber dennoch handgreiflich 
genug andeutete. Auch fpäter hat die badifhe Kammer 
genugſam ſich auf Bundesbeſchluͤſſe berufen, wenn fie 
Erleichterung der Preffe beantragte. Auf alle fcharffinnis 
gen Deductionen Welcker's und feiner Freunde hat man 
aber ſtets nur mit einem ziemlich verächtlichen Lächeln 
geantwortet, was ungefähr fo viel fagen wollte: Schwatzt 
nur fo viel wie Ihr wollt über Dinge, die Ihr nicht 
Eennt; wir wifien am beten, was wir bundesgemäß ges 
gwungen find zu thun. 

Wozu fol man damit hinter dem Berge halten, da 
es doch offen am Tage liege? Ein eigentliches Bundes: 
vecht gibt es nicht mehr, oder doch nur In den wenigſten 
nichtpolitifchen Faͤllen; die frühern Anfäge zur Bildung 
‚eines ſolchen find meiſtens laͤngſt antiquire und haben 
größtentheile einem diplomatiſchen Belieben der Maͤchti⸗ 
gern, was nöthigenfalls durch die ultima ratio regum 
unterjlügt werden Lönnte, Pla gemacht Wenn mir 
überhaupt fortfchreiten, wenn wir beffer und ebier werden 
wollen, was ja alle Parteien und Meinungsnuancen 
ohne Ausnahme beabfichtigen, fo ift vor allen Dingen 
nöthig, daß wir uns beftreben ber Wahrheit die Ehre zu 
geben und die vielen conventionnellen Zügen, die ſich in 
unfere Öffentliche Sprache, fowie in unfer öffentliches 
Recht eingefchlichen haben, zu verbannen und zu ent: 
ſchleiern. Die conventionnelle Fiction eines auf Urkunden 
gegründeten politifchen Bundesrechts iſt eine folche Lüge; 
von oben herab wie von unten herauf beruft man ſich 
auf ein folches, und doch wiſſen beide Theile recht gut, 
dag e6 nur ein Phantom, nur ein bequemes Aushänge: 


ſchild für ihre Wuͤnſche und Abfichten if. Daß bie er- 


ſten ſchriftlichen Anfäge unfers Bundesrechts ſchon jest 


in der Prarxis beſeitigt find vor der Wirklichkeit und dem 
Beduͤrfniſſe nicht Stich gehalten haben, halten wir jedoch 
keineswegs für ein Unglüd. Die Grumdiagen, auf weiche 
e6 gebaut war, waren zu morſch, zu wenig auf bie wirk⸗ 
lichen Zuſtaͤnde bafirt, und der Zeit des wiener Con⸗ 
greſſes mangelte es allerdings an dem Berufe für eine 
allgemeine politifche Gefepgebung Deutfchlande. 

Laffen mir atfo die Frage, was in Sachen der Preffe 
recht und bundesgemäß fei, vorläufig einmal ganz fallen. 
Nehmen wir an, daß ein eigentliches Bundesrecht in Dies 
fer Beziehung gar nicht eriflire, oder, wenn man lieber 
will, doch wenigſtens fo controverd und zweideutig ſei, 
daß höhere politiihe Ruͤckſichten jedenfalls bei Entfcheiz 
dung Diefer Frage in den einzelnen Staaten den Aus 
flag geben muͤſſen. Und fo werfen wir denn dreift und 
unbedenklich die Frage auf: Kann- und darf Sacıfen für 
fi allein zur völligen Befreiung der Preffe und zur 
Aufhebung der Genfur fchreiten ? 

Bor Allem kommt «6 dabei auf die Anficht an, die 
man überhaupt von der Preffreiheit hat. Es gibt noch 
immer eine ‘Partei, ein gewiſſes halb vermodertes Ref 
duum früherer engherziger und befchränfter Betrachtungs⸗ 
weife ber menſchlichen Natur, weiche die Preßfreiheit übers 
haupt für ein Unglüd, für gottlos und für die Wucjzel 
alles Übels hält, was in der neuen Zeit in die Wett 
gelommen iſt. Diefe Partei, die freilich mit jedem Tage. 
Keiner wird und die fih allmälig felbft ſchaͤmt, ganz 
offen Ihre Meinung auszufprechen, hält die jegige liberale 
Aufregung im Allgemeinen und ben Ruf nad, Preffreis 
beit im Beſondern nur für vorübergehend; fie betrachtet 
die ganze Bewegung als einen unbegreiflichen Schwindel, 
als eine augenblidliche higige Krankheit, als einen abnors 
men Fieberwahnſinn, deſſen Ginflüfterungen man auf 
feine Weiſe nachgeben dürfe. Sie hofft, daß ſich diefes 
fogenannte Geſchrei ſehr bald legen würde, fobald nur 
das Blut erſt ruhiger geworden fei, und wenn fie auch 
eben keine Aderlaͤſſe gegen dieſen entzundlicken Zuſtand 
anwenden will, weil eine ſolche entſcheidende Cur uͤber 
ihre Kraͤfte geht, fo ſucht fie doch durch mildert nieder⸗ 
ſchlagende Mittel entgegenzuwirken und wartet auf den 
Zeitpunkt, wo nach einer krankhaften Aufregung die im 
Laufe der Natur begründete Erſchlaffung eintreten wird, 
Wenn die fächfifche Regierung zu diefer Anficht ſich bes 
kennte, fo würde fie gewiß ebenfo thoͤricht als gewiſſenlo« 
handeln, wenn fie zur. Decbeiführung der Preßfreiheit 
freiwillig auch nur den geringſten Schritt thaͤte und 
nicht im Gegentheile alle ihr zu Gebote ſtehenden Mit⸗ 
tel anwendete, um biefelbe zurüdzubalten und zuruͤckzu⸗ 
Tarnuben. ’ 

ber die fächfiiche Regierung bekennt ſich nicht 
dieſer Anſicht. Das beweift ihr Werfahren —* 
Jahren im allgemeinen, das beweiſen die einzelnen Äußes 
rungen der Männer, welche an ihrer Spitze ſtehen. 
Keine einzige unter allen deutſchen Megierungen bat feit 
zwölf Jahren fo aufrichtig, fo confequent und ohne allen 





Shdfepritt dem Principe der D in alien- ihren 
Handlungen gehulbigt als eben bie fäthfifhe, und hat 
dadurch alle frühen confitutionnelen Staaten in Ent: 
wickelung eines öffentlichen Gemeingeiſtes in kuͤrzeſter Zeit 
überholt. Diefe Thatſache erkeunt jeder Sachſe, erkennt 
jeder Deutſche mit aufrichtigem Dante an. Die Ent: 
wickelung Sachſens feit zwölf Jahren iſt eine für deut⸗ 
ſche Berhättniffe wahrhaft wunderbare, und wenn bie ge- 
genwärtigen politifchen Zuflände irgend eines Landes dem 
deutfchen Patrioten einen freundlichen und wohlthuenden 
Anblick gewähren, fo ift es eben dieſes Meine Königreich, 
das vor zwölf Jahren hinter den meiften deutichen Staa: 
ten zuchdfland und mehr wie alle, außer Oſtreich, in 
früheren verjähren Formen erflarrt und verknoͤchert war. 
Ohne die durchaus aufrichtige Liebe der Staatsregierung 
zum Principe der Öffentlichkeit wäre das fächfifhe Bolt 
aber nimmermehr fo weit gelommen. Wenn irgend eine 
Staatöregierung mit ungetrlübtem Bewußtſein auf ihr 
Wirken zuruͤckſehen kann, wenn irgend eine ſich entſchie⸗ 
dener, fegnungsvoller Mefultate rühmen darf, fo iſt es 
die ſaͤchſiſche. Maͤnner, die fo confequent trotz mancher 
Aufehtungen die Bahn eines Öffentlichen Staatslebens 
verfolgt haben und die nie irce geworden find, werden 
fi gewiß auch dieſes Principe bewußt fein und haben 
es ficher zum oberfien Grundfage Ihres politifhen Stau: 
bensbekenntniſſes erhoben. Und die Preßfreiheit, iſt fie 
etwas Anderes, ald eben das auf alle Gegenſtaͤnde des 
politifchen Lebens ausgedehnte Princip der Öffentlichkeit? 
Für uns wenigfiens ift e8 daher keinem Zweifel unter: 
werfen, daß die fächfifhe Staatsregierung den Ruf der 
Zeit nach Preßfreiheit ald wohlbegründet, als nothwendi⸗ 
ges und bleibendes politifches Beduͤrfniß im Herzen voll: 
kommen anerkennt, und daß fie felbft Beinen Augenblid 
on ihrem endlihen Durchbruche und Siege in Deutſch⸗ 
land zweifelt. 
(Die Fortfegung folgt.) 





Lebenslauf eines florentinifhen Kaufmanns 
im 16. Jahrhundert, 
¶Beſchlud aus Nr. 8.) 

Giovanni verweilte in Florenz ungefäyr drei Monate, und 
wurbe dafelbft von vielen wadern Sünglingen und gelehrten 
Männern aufgefucht, welche alle den Wunfch hegten, Reuigkel⸗ 
ten aus den Rändern, wo er gewefen, zu vernehmen. Unter dies 
fen wazen Sattanzio Zedalbi*) und Domenico 'Buoninfegni, 
weiche die Weltfarte wie die Seekarten und des Piolemäus 
Redgrichten vom Drient fehr gut kannten, und fie verglichen 
Bicles und ſuchten viele Häfen und Städte auf, welche Bios 
venni nannte, und freuten fich deſſen fehr. So war er auch 
vielen Freunden PN —— zu Willen und neigt ne im» 
mer gutgelaunt, ſoda e gut von ihm redeten. erauf, am 
14 Son, 1508, zeifte er von Florenz ab, um nach Brügge zu 
ruͤckzukehren. Bis Bologna hegleitete ihn Sarlo ba Terranuova, 
ein Weber, der damals uns gegenüber wohnte, unb in Bologna 
angelangt, fanden fie Papft Iulius, der dort eingetroffen war, 


Lattanzio Tebaldi, ein florentinifer Staatömann und Ge: 
Iehrter, war um 1358 geboren. Er war ein warmer Verehrer bed 
Boccaccio und ließ in deſſen Wohnort Gertalbo in der Kiche S.⸗ 
Jatopo, wo der Verf. des „Detamezon” begraben liegt, "feine Mar: 
morbuͤſte mit einer Jaſchrift aufftellen. 


um bis Faemden aus Italien zu verjagen, wie er auch 9. 
Hier blieb Giovanni mehre Tage und fand verließen — 
fiſche Edelleute, welche von ihm vernommen hatten; und, wie 
Gazio ſpaͤter berichtete, Jeder wollte ihn in feiner Wohnung ha⸗ 
ben, um ihn von Indien erzählen zu bösen, obgleich Giobanni 
vorgezogen hätte, im Gaſthofe zu bleiben, ſtatt Anbern zur Laft 
zu fein. Als er von Bologna abreifte, gaben mehre feiner dor⸗ 
tigen Freunde ihm eine Strecke weit das Geleite. Bei feiner 
Ankunft in Enon Tehrte er von neuem bei ben Rafi ein, wo alle 
die Kaufleute, die ihn fchon dem Stamen nach fanntın, ihm 
große Auszeichnung zu Theil werden liegen. Nach einigen Raft- 
tagen feste er fodann mit feinem Diener feine Reife fort. In 
Brügge trat er wiederum in das Geſchaͤft der Gualterotti ein 
biele Buch und beſuchte die Meſſen, bis ihm ein neuer Auftrag 
bes naͤmlichen Oauſes ward, nach Indien zuruͤckzukehren, über. 
2000 Willien weiter als das erſtemal, nach einem Lande, weiches 
man Malakka nannte. Jene Handelsherren flatteten ihn aufs 
befte aus und machten mit ihm bie nämlichen Bebingungen 
wie bei feiner erſten Reife. Darauf reife er zur See ab und 
kam in die ſpaniſchen Gewäfler, welche febr gefährlich find, nas 
mentlich in ungünftiger Jahreszeit. Das Fahrzeug hatte von 
Stürmen viel zu leiden, befonders von einem, ber lange anpielt 
und fo heftig war, daß Alle ſich verloren glaubten. Sie beteten 
und machten viele Geluͤbde, vor allen befahlen fie ſich dem hei⸗ 
ligen Nikolaus von Bari, Eanct Ermo**) und noch einem an- 
bern Heiligen: und da der Sturm anhielt, erfchieren oben am 
Maſtkorb drei heile Lichter, welche nach ber Meinung der Schife 
fer bie Beiber biefer drei ‚Heiligen find, und als fie biefe Lichter 
fahen, faßten Alle Buch. Allmälig iegte ſich das Unwetter und 
bie Lichter verſchwanden. In Liffabon angelangt, wohnte er 
wieder im Daufe der Affetati. Der König, nachdem er bie Ex⸗ 
pebition nad) Malakka befchloffen, ließ vier Schiffe dazu aus⸗ 
vüften, beren Befehl er dem Diego da Basconcellos anvertraute. 
Den Theilnehmenden wurden vortheilbafte Bebingungen ger 
macht, ba man noch nicht nach jenem Lande gefegelt und «6 
folglich ein neues war; unter Anderm erftärte der König Schiffe 
und Eeute für frei von ber Gerichtöbarkeit des Generalcapitaing, 
ber die portugiefiihen Befigungen in Indien regiert. Am 16, 
März 1509 fand die Abfahrt aus dem Hafen von Liſſabon ſtatt; 
Siovanni ging als Factor feiner Handelsberren und mit ibas 
Lionardo Rardi. Wie es ihm auf diefer Reife erging, brauche 
ih nicht zu erzähten, da er felbft in dem Büchlein, das von feis 
nen beiden Fahrten handelt, Nachricht bavon gegeben bat. Am 
72. Aug. 1912 tam er wieder in Liſſabon an, mit großem 
Beichtfum und großen Ehren. Gr machte bie Ruͤckreiſe auf 
bem Gchiffe Sant’ Antonio, deffen Gapitain er war, wobei ex 
mit großen Schwierigkeiten zu kaͤmpfen hatte, weil es ein ſchon 
altes Fahrzeug war. Zwei andere mit Waaren beladene Schiffe 
hatte er im Jahre zuvor unter der Obhut des Rarbi abgefandt, 
weiche gluͤcklich in den Hafen liefen. Er ſeibſt blieb zulett, um 
nichts unbelorgt zurüdzulaflen, und nachdem ex in Liſſabon ein- 
getroffen, ließ er bie ganze Sabung, namentlich die Specereien 
und den Pfeffer, in einen vom Koͤnige dazu beſtimmten Palaſt 
ſchaffen, wie er nach den Bedingungen verpflichtet war. Als er 
ſich nun anſchickte, den Gualterotti Rechenſchaft abzulegen und 
ihnen die Güter zu überantworten, wie feine Pflicht war, Fam 
ihm ein Antrag vom Könige von Portugal, nad der Infel 
Sumatra ***) zu gehen, um bort während vier bie fünf Jahren 
die Verwaltung feiner Befigungen zu führen. Giovanni konnte 
ſich diefem nicht entziehen, denn die Wuͤnſche der großen Derren 
find Befehle: fo nahm er denn einen BVorfchlag an, der ihm 

Es war bie berühmte Ligue von Gambrai, auf bie hier 
Dingebeutet wird. 

v., Ermo wirb für eine Abkürzung von Erasmo genommen. 
Die Iodcaner fagen gewöhnlih Sant! Elmo, womit unfee Name 
des Eimöfeuerd ſtimmt. In Neapel ruft das Gaſtel ©. : Eime 
diefen Namen ind Gedähtntf zuruͤck, 

*.) rsfama da Empoli hält Sumatra für Taprobana (Geylon). 


außer vieler re großen Gewinn verhieß. Da er nun, dieſer 
neuen: Reife wegen, feinen Handeisherren keine vollſtaͤndige Rech⸗ 
nung ablegen konnte, fo übergab ex ſaͤmmtliche Geſchaͤfte dem 
Mefler Blovan Francesco Affetati, mit dem Auftrage, ben 
Guaiterotti nicht nur ihr Gigenthum zu überantworten, fonbern 
auch Alles, was ihm felbft als Theilnehmer am der Unternehmung 
am, nebft vielen Edelſteinen und feltenen Dingen, bie er aus 
dien mitgebracht hatte. Dabei ertheilte er dem Affetati aus⸗ 
gebehnte Vollmacht, in allen Geſchaͤften flatt feiner zu handeln 
und ihn gu vertreten. . 
Nachdem Giovanni dem Könige feine Bereitwilligkeit, als 
fein Gouverneur und Factor nach genannter Infel zu gehen, 
£undgegeben, fchloß er, als ein vorfichtiger Mann, mit dem Kd⸗ 
nige einen Vertrag, worin Alles, was er zu thun haben, ſowie 
das Verhaͤltniß, in weldyem er ftehen follte, genau angegeben war. 
Zugleich bebung er ſich aus, daß er nach Gutbünfen drei von 
den Schiffen, die ter König in den indiſchen Meeren für feinen 
Dienft hätt, nehmen und mit ihnen nad) dem Lande der Chis 
nefen fahren fönnte, um bort Handel zu treiben. Es traf fid 
zu jener 3eit, daß Paopft Leo X. einen unferer Landsleute, den 
ebrwürdigen Herrn Antonio Pueci*) als feinen Nuntius nad 
Portugal fanbte, welchen Bra Benedetto da Fojano, aus dem 
Prebigerorben, begleitete. Mit dieſen ſchloß Giovanni Freund⸗ 
haft und ſchenkte dem Nuntius einen ſchoͤnen Ring, und ba 
bei ihm einer feiner Verwandten fidy befand, Benebetto Pucci, 
weicher ſehnlich wuͤnſchte die Reife nach Indien mitmachen zu 
innen, fo war Giovanni damit zufrieden. Auch ein gewiffer 
Aeffandro Galli aus dem Gafentino, welcher vernommen hatte, 
daß Siovanni eine neue Reife zu unternehmen bente, machte 
ſich mit guten Empfehlungen auf den Weg zu ihm und wurde 
von ihm als Diener angenommen. Vor der Abreiſe machte 
Giovanni feinen legten Willen, den er durch Notar und Zeugen 
befräftigen und fodann verfiegeln ließ. In diefem Zeftament 
gab er genau an, was er befaß, und wo und bei wem es ſich 
befand, und weldye Foderungen er hatte; ſodann vertheilte er 
feinen Beſitz unter Vater und Bruͤdern. Fra Benedetto brachte 
dies Zeftament nach Florenz mit und übergab es meinem Bru: 
der Lionardo. Unterdeffen zeifte Giovanni am 9. April 1515 
von Lifſabon ab und langte, nach einer bald günftigen, bald 
ſchlimmen Fahrt, in Indien an, wo er, wenn ich mic recht 
erinnere, bis Malalla ging. Als er nun den bortigen Kartoren 
berichtete, was er zu thun gefommen und wie er im Auftrage 
des Königs nach Sumatra ſich begebe, dafelbft fein Gouverneur 
und Factor zu fein, misfiel dies ihnen und fie fagten, es ſcheine 
ihnen nicht wohlgethan eine Kactorei auf Sumatra zu errichten, 
weil fie der auf Malakka Schaden zufügen würde. Ob fie dies 
aus Neid fagten, oder ob es in Wahrheit fo war, weiß id 
nicht. Giovanni aber glaubte bes Königs Befehlen nachkommen 
zu müffen, feste feine Fahrt fort und kam gluͤcktich ans Ziel. 
Nachdem er ans Land geftiegen und bie koͤniglichen Mandate 
vorgezeigt, begann er mit den Angefeheniten der dortigen Leute 
die Sache zu betreiben. Nach achttaͤgigem Unterhandein betraf 
ihn ein Ungluͤck: auf feinem Schiffe kam Feuer aus und es vers 
brannte ohne Rettung. Dies und andere Umflände veranlaßten 





*) Antonio Pucci, aus einer vornehmen florentiner Bamilie, 
murbe 1531 Garbinal (von Santi Quattro) und farb 1544. Nach 
der Erfiirmung Roms burch bad Heer bed Gonnetable entging er 
mit genauer Notd dem Tode, indem bie Landsknechte ihn nebſt Ans 
dern auf dem Campo di Fiore auftnäpfen wollten. (Drei Garbindle 
Putci, aus der Beit Leo’8 X. — Giemend’ VIL, alle drei Garbinals 
priefier von Santi Quattro Goronati, liegen im Ghor von Gta.: 
Maria fopra Minerva in Rom begraben.) Bra Benedetto da Bos 
jano (aus einem Staͤdtchen im Chlanathal) fpielte als einflußreider 
Veollöredner und Verfechter ber republitanifhen Urundfäge Savona⸗ 
zola’8 eine nicht unwidtige Rolle während der Belagerung von 
Vorenz⸗ 1899 — 3. Nach der Gapitulation ſchleppte man ihn nad 
Kom, wo er in den Kerlern ber Engelöburg verbuhgert fein fol. 


ihn, auf feinen Plan 8 verzichten: er ging auf bie Brände 
der Factoren von Malakka ein, um fo mehr ale das Land, wel: 
es fehr fumpfig war, ihm ungefund und die Einwohner von der 
Art ſchienen, daß fie fi durch Verträge nicht leicht binden 
taffen würden. Go kehrte er nach Malakka zurüd und, der 
töniglichen Vollmacht fich bebienend, nahm er drei der dort vor 
Anker liegenden Schiffe, um nah China zu fegeln, einem weit⸗ 
entfernten Lande, über welches der große Khan von Kathai res 
giert, welcher, nad) der Ausfage der von bort kommenden Kauf: 
teute, ſich für ben mädhtigften Herrſcher der Welt hält. Das 
Land grenzt an bie Zatareis die Bewohner geben ſich für 
Sreunde der Ghriften aus, find weiße Menſchen wie wir, tras 
gen Kleider mit Pelzkragen wie bie Deutfchen, wohnen in um: 
mauerten Ortfchaften und Häufern, die aus Ziegeln aufgeführt 
find. Ein Theil des Landes ift fehr kalt. Mit Specereien und 
Waaren jeder Gattung wird dort lebhafter Handel getrieben. 

Am 10. Juli 1517 kam Giovannt am Bord des Schiffes 
Spera im Hafen Sindſchi an. In diefem Hafen brach eine 
Krankheit, der Duchfall, mit dußerfter Heftigkeit auf ben 
Schiffen aus, fodaß in Eurzer Zeit gegen 70 Perfonen flarben. 
und e6 gefiel dem Herrn, daß auch unfer Giovanni ein Opfer der 
Krankheit ward, mit ihm die beiden Florentiner, die ihn begieis 
teten, unb zwei von ben drei Schreibern., Er flarb als guter 
Ehrift, nah dem Empfang aller Sacramente und bei vollem Ber: 
ftande. Vor feinem Tode bekräftigte er noch durch ein zweites 
Zeftament das, weldyes er in Liffabon aufgelegt, und feßte fein 
Berhältniß zum Könige und was er biefem fchuldete und zu 
empfangen hatte, Elar auseinander. Nachdem er verfchieden, 
wurde feine Babe veräußert, und als die Schiffe nady Portugal 
zurüdlehrten, wurde ber Erloͤs dort niedergelegt, zur Werfügung 
der Angehörigen. Auch feine fämmtlichen Papiere wurden nad 
eiffabon zurüdgebracht. Gegenwärtiges habe ih, Girolamo da 
Empoli, zu ſchreiben beendigt am 1. Aug. 1530, im vollenbes 
ten vierundfiebzigften Jahre. Zu Chr und Preis des allmaͤch⸗ 
tigen Gottes. 





Literarifhe Notizen aus England. 


Der Aufenthalt der Königin von England in Edhottfand 
bat zu mehren Werten Veranlaffung gegeben, unter denen wol 
folgendes das intereffantefte ift: „Queen Victoria in Scotland; 
being an historical account of her Majesty’s recent visit to 
Edinburgh and ıhe Highlands; illustrated with the picte- 
resque scenery and pageantries of the royal tour.” Wit 
Bezug auf diefen Beſuch gab auch die Verf. von ‚Modern ac- 
complishments‘‘, „Modern society”, „Hill and valley’ u. f. w., 
Katharine Sinclair, heraus: „Scotch courtiers and the court”, 
wovon der „„Caledonian Mercury” im uͤberſchwaͤnglichſten Stile 
des Lobes jagt: „Unfere profaifihe Feder ift ganz und gar uns 
fähig, den unfteten und phantafiereichen Flügen der Verf. Ber 
rechtigkeit anzuthun, und kann hoͤchſtens einen unvolllommenen 
Abriß der Hauptpunkte des Gedichts geben. Die Anmerkun⸗ 
gen und Sluftrationen, wollen wir hinzufügen, find nicht der 
am wenigften originale Beſtandtheil diefer glänzenden Broſchuͤre.“ 


— 
Militairiihen Inhalts find folgende zwei intereffante Schrif⸗ 
ten: „Narrative of the campaigns in Scinde and Affgha- 
nistan, in a series of letters from the late colonel Dennie, 
side de- camp to the Queen etc., with introduction, notes, 
and an appendix containing colonel Dennie’s correspondence 
with the commander - in- chief of the army of the Indus and 
the gavernor - general of India‘ (mit einer Karte); ‚‚Blistory 
of the war in France and Belgium in 1815, from the testi- 
mony of eye-witnesses, and other sources, exclusive and 
authentic. By captain William Siborne, assistant military 
secretary to the lieutenant - general commanding in Ireland, 
constructor of the Waterloo model’ (2 Bbe., mit Karten 
und Plänen). 18. 


Berantwortlicher Herauſsgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Werlag von FJ. 3. Brodbeus in geipsie 





. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 


12. Mär; 1843, 





Dritter Artikel. 
(Bortfegung aus Wr. 70.) 

Die Sachen ſtehen demnach im jegigen Augenblide 
fo: Die fächfifhe Staatsregierung glaubt an bie Preß⸗ 
freiheit, an die moraliſche Vortrefflichkeit und politiſche 
Nothwendigkeit dieſer Maßregel. Das ſaͤchſiſche Volk iſt 
in ſeiner Entwickelung des oͤffentlichen Staatslebens jetzt 
dahin gelangt, daß es die Feſſel der Cenſur jeden Tag 
tiefee und fchmerzlichee in feinem moralifchen Bewußtſein 
empfindet und daß eine laͤngere Verweigerung geſetzlicher 
Preßfreiheit bei feinem jetzigen ſittlich⸗politiſchen Zuſtande 
ihm als die drückendſte Despotie erſcheint. Ein Bundes: 
recht ſteht ferner der Befriedigung dieſes fittlichen Be: 
därfniffes nicht direct entgegen, wie wir oben angedeutet 
haben. Und dennody weigert ſich die fächfifche Regierung, 
die Cenſur aufzuheben und ihrer eigenen beften Liber: 
zeugung fowie der Überzeugung ihres Volks nachzuleben. 

Welcher mögliche Grund läßt fi als Erklärung fo 
auffallender und betrübender Erfheinung annehmen? Wir 
glauben die Wahrheit zu treffen, wenn wir offen aus 
fpeehen: Es find biplomatifhe Rüdfichten, melde 
die fächfiiche Staatsregierung von der Verwirklichung ih: 
see eigenen Überzeugung abhalten. Es gibt allerdings 
Staatsmänner, welche mit dem Worte „biplomatifche 
Kückſichten“ Allee gefagt zu haben glauben, welche in 
diplomatiſchen Ruͤckſichten einen Entfhuldigungsgrund 
für jede Unterlaffunge s ober Begehungsfünde finden 
und denen da6 Wort „‚diplomatifhe Ruͤckſichten“ eine 
letzte, heilige, inappellable Inſtanz, ein myſtiſches noli 
me tangere, eine wunüberwindlihe Verſchanzung iſt, 
hinter die fie fich ſtets ungefaͤhrdet zurückziehen können. 
Diefe Staatsmänner, die vor einem misbilligenden Worte, 
geiyeochen in höhern diplomatifchen Cirkeln, die vor einem 
alten Empfange, vor einer augenblidlichen Verſtimmung, 
vor einer bingeworfenen Drohung mehr erzittern wie vor 
ber Erſcheinung des leibhaftigen Teufels, die ihr Gewiſ⸗ 
fen und ihre Überzeugung nicht in eigener Bruſt ſitzen 
haben, fondern beides ſich aus jenen Cirkeln holen, welche 
den politifhen Zuftand der Gegenwart nicht in ben Bes 
dhrfaifien der Völker, fondern in den Neigungen und 
Abneigungen einiger befleenten Herren esbliden, biefe 
Staatsmaͤnner find nicht die wahren Staatsmänner, und 


zu dieſen Staatsmaͤnnern gehören die fächfiihen Staats: 
männer nit. Wenn die fäcfifchen Minifter ihrem Wolke 
die Befriedigung eines Bebürfniffes verweigern, welches 
ihnen in Zeit und Gultur volfiändig begründee erfcheint, 
fo muß eine reelle Furcht vor reellen Nachteilen fie das 
von abhalten. Unterfuhen wir daher, ob fie nicht den- 
noch vielleicht irren, und auf welcher Seite bleibendere 
und reellere Nachtheile liegen, auf der Verweigerung eines 
zeitgemäßen Fortſchritts oder auf Nichtachtung jener diplo⸗ 
matifhen Rüdfichten. 

Die diplomatifhen Rüdfichten beziehen ſich auf die 
Verhältniffe des Volks nach außen, auf fein Verhaͤltniß 
zu andern Staaten und Völkern, für Sachſen in biefem 
Falle beſonders auf fein Verhältniß zu den übrigen Stan: 
ten des deutfhen Bundes. Im Allgemeinen wollen wir 
nicht leugnen, daß der größte Gewinn, den ein Volt durch 
ein wichtiges, zeitgemäßes Gefeg erhalten kann, durch 
äußere Nachtheile, dadurch, daß es in feindfelige Verhaͤlt⸗ 
niſſe mit den übrigen Bundesftaaten geräth, fodaß felbft 
feine äußere Sicherheit, feine Eriftenz bedroht werden 
Eönnte, unter gewiſſen Umfländen völlig aufgewogen mer: 
ben dürfte, und daß es raͤthlich fein möchte, eine nody 
fo heilbringende innere Maßregel vorläufig aufzuſchieben 
und zu unterlaffen, wenn man vorausfiehbt, daß man 
dadurch in aͤußere Gonflicte geriethe, deren Folgen wahr: 
ſcheinlicherweiſe die ganze Eriftenz des Staats beeinträch: 
tigten. Iſt aber diefe Alternative bei der Preßfrage für 
Sachſen wirklich vorhanden? Welches find die unglüdli: 
hen Solgen, welche die ifolirte Ertheilung der Preßfrel: 
heit für dieſes Land nach fich ziehen Eönnte? 


Die erſte Möglichkeit wäre ein Krieg der übrigen 
beutfhen Bunbesftaaten gegen Sachen, um «8 zu zwin⸗ 
gen, feine Preßfreiheit wieder zu fuspendicen. Ein fols 
her Krieg in Sachen ber Preßfreiheit ift in Deutſch⸗ 
land aber eine moralifhe Unmöglichkeit. Selbſt der ab: 
folutiftifchfte Minifter, der die Preßfreiheit verabfcheut 
wie ben leibhaftigen Gott fei bei uns, würde in dieſem 
Augenblide einen ſolchen leidenſchaftlichen, unmöglich aus⸗ 
führbaren Entſchluß nicht zu fallen wagen. Wenn bei 
einem folhen Kriege irgend ein Land gefährdet wäre, fo 
wäre e6 wahrlich nicht Sachfen, fondern eben das Land, 
welches dieſen Krieg begoͤnne. Ein Krieg muß heutzus 
tage — fo weit find wir Gottlob gekommen — gerecht 





282 


und volksthuͤmlich ſein. Einen Krieg zu führen zur Uns 
terdruͤckkung eines Gutes, welches bem Kerne des deutſchen 
Volks. durchaus ald wünfhenswerth, als nothwendig, ale 
heitigfte Gewiſſensſache exfcheint, wäre eine baare Unmöy: 
lichkeit.” In einem ſolchen gar nicht denkbaren Falle 


wäre der kleinſte Staat, der die Öffentliche Meinung von: 


ganz Deutfchland und bie allgemeinfte Begeiſterung für 
fi) hätte, unbedingt der mächtigere und die Ohnmacht 
dee Gegner würde fih auf das eclatantefte herausftellen. 
Blutvergießen zur Unterdrüdung der Preßfreiheit und zur 
Unterdruͤckung eines fouverainen (sit venta verbo) Staats, 
weil ee feinen Unterthanen Preßfreiheit geſchenkt, ift ein 
fo ertrauaganter Gedanke, daß die bloße Annahme feiner 
Möglichkeit ſchon eine Art Wahnfinn vorausfegt. Ein 
Krieg mit den Waffen in der Hand gegen die Preffret: 
heit ift eine ebenfo große Unmdglichkeit wie ein Krieg 
gegen das Chriſtenthum ober gegen eine der großen Con⸗ 
feffionen deffelden. Wir wollen baher auch weiter Beine 
Worte verlieren, um die gänzliche Unbegründetheit einer 
ſolchen Zurcht auseinanderzufegen und nur unfere Über: 
zeugung ausfprechen, daß diefe biplomatifhe Furcht bei 
den fächfifchen Miniſtern ficher nicht vorhanden iſt. 
Außer dem directen Kriege mit Pulver und Kanonen 
gibt es aber noch eine andere Art von Unterdrüdung, 
einen indirecten Krieg, den man in unfern Tagen leider 
dann und wann angewendet hat und ber bei einer ge: 
wiffen Claſſe von Diplomaten nicht unbeliebt zu fein 
feine. Es iſt diefes der Krieg, den man dem Nah: 
sungsflande des Landes macht, ein Krieg duch allerlei 
Chikanen, durch Zölle, die man um das feindliche Land 
legt, ein Blockade⸗ und Aushungerungskrieg. Unſer chriſt⸗ 
licher Staat ft noch fehr reich und erfinderifh an un: 
chriſtlichen Mitteln und die Marime: der Zwed heilige 
das Mittel, ift in unferer praktiſchen Politik noch fehr 
vorherrfchend. Man will den chriftlichen Staat von Sei: 
ten der Unterthanen, die höhere Politit und ihre Agenten 
find aber an bie Vorfchriften des Chriftenthums nicht 
gebunden. Um Sachſen für feine Preßfreiheit zu beſtra⸗ 
fen, um es zur Defperation zu bringen und feinen eige: 
nen Willen zu brechen, koͤnnte man alfo vieleicht ben 
Zollverein mit ihm aufheben, Eönnte es mit einer un: 
‚ burchdeinglichen Sperre von Mauthbeamten umziehen, 
wodurch jeder Austauſch von Producten unmöglich ge: 
macht würde; man koͤnnte ferner feine Unterthanen in 
den Übrigen deutfchen Staaten rechtlos machen, ihnen 
Das Meifen dorthin verbieten u. f. w. Aber auch diefe 
durchgreifenden Maßregeln find ebenfo unmöglich wie ein 
Disectee Krieg. Abgefehen von der Humanität ber übrl: 
gen deutfchen Regierungen, bie folhe Maßregeln nicht 
‚mehr mit ihrem Gewiſſen vereinbar finden wärden, duͤrf⸗ 
ten fie an der Öffentlichen Meinung ebenfo ſicher fcheitern 
und gänzlich unausführbar fein. Die Wunden, die man 
Sachfen auf folche Weife fchlüge, fchlüge man mehr oder 
weniger auch fich ſelbſt und feinen Unterthanen, und biefe 
würden fchwerlich damit übereinflimmen, daß man Ihren 
Wohlſtand ruinire, um die Preßfreiheit Sachfens zu un: 
terdruͤcken. Im Gegentheil würbe ſich ein ſolches Fame 


mergefchrei erheben, daß man ebenfo wenig bie gehörige 
Zahl eifenfefter Zollbeamten zur Ausführung einer folden 
Maßregel finden würde, als es ſchwer geweien fein würde, 
ein ſchlagluſtiges Heer zur Eroberung Sachſens zuſam⸗ 
menzutreiben. Auch einen folchen Gedanken würde daher 
fein einziger bdeutfcher Staatsmann nue momentan aufs 
greifen, und die diplomatifche Furcht vor dergleichen Maß- 
regeln ift den ſaͤchſiſchen Miniſtern gewiß ebenfo fern. 
Es bleibt. fonah nur noch ein britter dipfomatifcher 
Abhaltungsgrund übrig, und wir vermuthen faft, daß 
diefee ein wirklicher ift und fi nur zu fehr geltend 
madt. Durch einen foldyen eigenmächtigen Schritt Sach⸗ 
ſens, wie‘ die Einführung der Preßfreiheit ohne Einver: 
ftändniß der Übrigen deutfchen Regierungen wäre, würde 
alerdingd das freundliche Verhaͤltniß der fachfifhen Mi⸗ 
nifter mit einem großen Theile der übrigen beutfchen 
Diplomatie für den Augenblick fehr geflört werden. Gar 
manche Empfindlichkeit würde ſich in dem diplomatifchen 
Geſchaͤftsgange geltend machen, manches ilaatsmännifche 
gute Einverſtaͤndniß wuͤrde unterbrochen werden, manche 
diplomatiſche Verhandlung in andern Fragen würde fürs 
erfte erfchwert werden. Mir leugnen nicht, Daß biefes 
ſchmerzliche Folgen für einzelne ſaͤchſiſche Staatsmänner 
wären, und mir fchlagen ein foldhes Opfer, was fie ih: 
vem Vaterlande brachten, nicht fo gering an, wie viel⸗ 
leicht manche unferer jüngern Patrioten es thun würden, 
Allein es fragt fi), ob fowol die untergeordneten Nach⸗ 
theife, die daraus für den diplomatifchen Verkehr Sarke 
fens für den Augenblid entflünden, fowie die einzelmen 
perfönlichen Unannehmlichkeiten für bie fächfifden Dipto⸗ 
maten irgend in Betracht kämen gegen die durchgreifens 
den und fegensreichen Ergebniffe einer fo wichtigen Erobes 
rung, als es bie Preßfreiheit für Sachfen wäre, und biefe 
Trage glauben wir unbedingt mit nein beantworten zum 
dürfen. Ihr gutes Bewußtſein muß bie fähfifchen Mi⸗ 
nifter für augenblickliche Kälte in den bdiplomatifdyen Ger: 
Eeln entfhädigen; der Segen des Volke, das Zujauchgen 
von ganz Deutfchland und das erhebende Gefühl, ſeine 
von der Weltgefchichte auf die Schultern gelegte Aufgabe 
großartig und männlich erfüllt zu haben, wiegt ſchwerer 
in der Wagfchale als einige aufgeopferte Freundſchaften 
and ein augenblickliches Alleinſtehen. Die fächfifchen Staats: 
männer werden von ber ſchlecht unterrichteten Diptomatie 
an bie beffer zu unterrichtende Diplomatie appelliren kaͤn⸗ 
nen; da fie die Zufunft auf ihrer Seite haben, fo wird 
fih auch der diplomatifche Riß heilen laſſen ımd eine 
fpätere Diplomatie wird in vielleicht fehr kurzer Zeit dem 
Schritte Sachſens Gerechtigkeit widerfahren laffen. Die 
Diplomatie bat jetzt keine Zeit, lange nachzuttagen; auch 
bei ihr iſt die Gewalt der Dinge flärker als einige ſub⸗ 
jeetive Antipathien; fie muß die Dinge nehmen, wie fie 
find, und findet fich zulegt wohl ober übel ebenſo Leiche 
in einen fchon gefchehenen Schritt, als fie ſchwer dahin 
zu beingen ift, ihre Einwilligung vorher zu ertheilen. 
Da wie einmal nad möglihen Einwandsgründen 
fuchen, die: den Miniſtern Sacfens zur Seite ſtaͤnden 
bei längerer Borenthaltung der laut und allgemein ge: 


a) 


wöünfchten Preßfreiheit, ſo wollen wir unfere Phantafie 
anftrengen, um moͤglich noch andere aufzufinden, denn es 
it natuͤrlich nicht unfere Abficht, irgend einer Trage aus 
dem Mege zu gehen. Wir wollen vielmehr jeder Schwie: 
rigkeit ehrlich ind Angeſicht bilden und die thörichte An: 
nahme einer Überrumpelung durch einfeitige Darftelung 
ift uns fen. So fällt uns ein, wie man einwerfen 
fönnte, daß die Einheit Deutfchlands gefährdet würde, 
wenn bie einzelnen Staaten in fo wichtiger Angelegenheit 
ohne Einflimmung dir übrigen handelten, und daß eben 
diefee Einheit wegen die Finzelüberzeugung zum Opfer 
gebracht werden müßte. 

Die Einheit Deutſchlands ift wol überhaupt mehr in 
ber Anlage vorhanden, als daß. fie bereits vollftändig und 
lebendig entwidelt wäre. Kein Menſch lebt in Deutſch⸗ 
land, das fagen wir ohne Ruhmredigkeit, dem diefe leben: 
dige, tief organifhe Einheit Deutſchlands heiliger, dem 
fie ein theuerer Hetzenswunſch, eine fehnfüchtigere Hoff⸗ 
nung wäre, als ber Verf. dieſes Aufſatzes. Jeder Schritt, 
der zur Entfaltung und Entwickelung dieſer Einheit führt, 
hat unfere tieffte Sympathie. Aber wir find der Anficht, 
daß bei der jegigen unentwidelten und verwortenen Lage 
dee Dinge und Zuftande in Deutfdjland, bei den fo ver: 
fchledenartigen lberzeugungen . und Anſprüchen einzelner 
Regierungen untereinander ſowie ihren Völkern gegenüber 
ein völlig einftimmiges Handeln für ben Augenblid nicht wohl 
möglich ift, und daß, wenn man darauf warten wollte, 
ein abfoluter Stillſtand eintreten koͤnnte, der bei der draͤn⸗ 
genden Bewegung der Beifter auf der andern Seite zu: 
letzt nur zu einer noch größern Uneinigleit führen müßte. 
Wir fegen aud die Einheit Deutfchlands, wie fie jegt 
beſteht, keineswegs allein in die lofen und leicht zerreißbaren 
Bande, welche die Diplomaten der einzelnen Länder heim⸗ 
ih um fich gefchlungen haben, ſondern wir fegen fie in 
die gemeinfchaftlichen Lebensbedingungen, in gemeinfchaft: 
tichen Charakter, gemeinfchaftlihe Sprache, gemeinfcaft: 
Eiche Gefchicyte und Bildungsſtufe der deutfchen Voͤlker, 
fowie vor Allem in die gemefnfchaftlich = politifchen Be⸗ 
dürfniſſe derfelben. Sind wir einmal überzeugt, daß ic: 
gend eine Maßregel entfchiedenes politifchee Beduͤrfniß für 
ganz Deutfchland iſt, fo ‚glauben wir auch, daß diejenige 
Regierung, welche zuerſt diefe Maßregel in ihrem Lande ein: 
führt, im Sinne der wahren deutſchen Einheit Handelt, felbft 
auf Koſten einer augenblidlihen diplomatifchen Uneinigkeit. 

Die Preßfreiheit it uns nun eine ſolche Maßregel; 
fa, wir fehen gar nicht ab, wie ohne dieſe eine wire: 
tige, einheitliche, organifche Durchdringung ber verfchiede: 
nm Volksindividualitaͤten Deutſchlands je ſich geflalten 
inne. Sie ift uns bie erfte conditio sine qua non 
ber Einheit, was bier weiter auszuführen der Raum nicht 
geflattet und einem befondern fpätern Artikel vorbehalten 
fin mag. Die Regierung, welche alfo folhe Maß—⸗ 
regeln nimmt, baß die erſte Grunbbedingung deutfcher 
Einheit, freier Austaufh der Gedanken, fo ſchnell wie 
moͤgtich in ganz Deutſchland erfüllt wird, verfündige ſich 
wahrtich nicht an diefer Einheit, ſondern wird ihr Wohl⸗ 
thaͤter und Befoͤrderer. 


Und gewiß, ſobald Sachſfen Preßfreiheit pre , 
Hi diefe Frage auch für das übrige Deutfhland — Oft: 
reich ausgenommen, was wir hier. tote auch fpäter ganz 
außer Betracht‘ Laffen werden — buchaus und vollflän- 
big entſchieden. Bei dem jepigen allgemeinen Drange 
nad Preßfreiheit bedarf e6 nur eines einzigen Staats, 
der fie vermirklicht, und die übrigen müffen nachfolgen. 
Side Sachfen feinen Unterthanen Preßfreiheit, fo befchentt 
es ganz Deutfchland damit. Bei folchen durch die Zeit 
zur Überreife gebrachten Bedürfniffen bedarf es nur des 
leifeften Anſtoßes und bie Frucht fällt: vom Baum. 
Wenn bie Sonne von 1843 die ſſaͤchſiſche Preßfreihelt 
befeint, fo beleuchtet die Sonne von 1844 aud die 
preußifche und bairiſche. Abgeſehen alfo von dem allge: 
meinen Einfluffe der Prefreiheic auf die Einheit Deutſch⸗ 
lands, würde auch in Sachen der Preffe ſelbſt allein 
und für fi eine fchnellere und durchgreifendere Einheit 
in den Maßregeln der verfhiedenen Staaten entftehen, 
wenn Sachſen hier einmal den Alerander fpielte und: den 
gordifhen Knoten, auf deſſen diplomatiſche Loͤſung wir 
nody lange warten könnten, mit einem f£ühnen Streiche 
zerhiebe. Ein Schritt, der fo ſchnell zur Einheit im 
Wefentlihen in biefer Beziehung führte, würde ſchwerlich 
ein Angriff auf die Einheit genannt werden Bönnen. 

Bis jegt haben wir nur der Einwendungen gedacht, 
die man gegen Ertheilung der Preßfreibeit für Sachfen 
machen Eönnte. Jetzt noch einige Gründe, die für die 
Sreigebung derfeiben in biefem Augenblide fprehen. Wir 
enthalten uns dabei jeder allgemeinen Apologie der Preß⸗ 
freiheit überhaupt und fegen voraus, daß Negierung und 
Stände beide im Allgemeinen mit dem Sage einverſtan⸗ 
den feien: daß Preßfreiheit ein gutes und zeitgemäßes 
Ding ſei. | | 

Unfer erfter Grund iſt der jegige Zuſtand der Preffe 
in Deut[hland. Die Petition bezeichnet Ihn als einen 
unerträglichen und fie bat Recht, wiewol nicht in dem 
Sinne, wie fie es meint. Sie fpriht nämlih von Ruͤck⸗ 
fhritten in Handhabung der Genfur, die namentlich die 
fähfifhe Regierung fih habe zu Schulden kommen laf: 
fen. Entweder irrt fie hierin oder fie fagt eine abficht: 
liche Unwahrbeit. In Preußen ift allerdings ein ungleich 
größerer Fortſchritt in Beziehung auf Liberale Genfur ges 
macht mie in Sadfen. Das kommt aber daher, weil 
Sachſen fhon früher ein nachfichtigeres Genfurfpftem bes . 
obachtete wie Preußen, und daß alſo bort der Sprung 
niht fo groß und in bie Augen fallend fein konnte wie 
bier. Um mid eines analogifchen Vergleich gu bedienen, 
fo herrfchte in Preußen unter der Regierung des verſtor⸗ 
benen Könige ein voͤlliges Prohibitivfpftem, was politifche 
Riteraturerzeugniffe anbetraf, in Sachſen dagegen nur ein 
gewiſſes Schutzſyſtem gegen fogenannte gefährliche oder 
misliebige Artikel. Preußen ift von bem Prohibitivſyſteme 
zum Schutzſyſteme übergegangen — ein ungeheuerer Schritt 
von den unberehenbarften Folgen —, Sachſen ift bei ſei⸗ 
nem Schutzſyſteme geblieben, aber man würde fehe unge: 
recht fein, wenn man nit anerfennen wollte, baß auch 
biefe® im gegenwärtigen Augenblicke ungleich milder und 


liberaler geworden, als es vor einigen Jahren war. Man 
Iefe nur die Zeitungen und andere Zeitfchriften, die heute 
in Sachſen erfcheinen, und vergleiche ihre Sprache und 
ihren Inhalt mit Dem, was fie vor drei Jahren bringen 
durften, und man wird den Fortſchritt in milderer Hand⸗ 
habung dee Genfur anerkennen müffen. Aber die Anfo: 
derungen des Publicums und dee Schriftfteller find in 
noch fläckerer Progreffion gewachſen wie die Exleichteruns 
gen der Cenfur, und daher kommt «6, daß man dieſe 
Feſſel noch druͤckender fühlt, daß fie noch unerträglicher 


ift wie damals. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Romanenliteratur. 


1. Georginen. Novellen, Rovelletten und Humoresken von D. 
E. R. Belani. Zwei Theile. Leipzig, Zaubert. 1842. 

2. Die Gelpieien der Prinyeffin. Novelle von Penferof 

. Die Gefpielen der Prinzeffin. Novelle von Penferofo. 
Zwei Bände, Leipzig, Wienbrad. 1842. 8. 3 Thir. 

3. Der Proceß. Gefchichtlicher Roman von Wilbelmine 
Lorenz. Drei Theile. Leipzig, Wiendrad. 1842. 8, 
3 Thlir. 

4 Sub und Herz. Roman von Julian Ehownit. Zwei 
Bände. Leipzig, Wienbrack. 1842. 8. 2 Thlr. 15 Ngr. 

5. Epheublätter. Geſchichtliche Erzaͤhlungen, Novellen, Sagen, 
Märchen, Arabesten und Humoresken von Karl Gerber. 
Zwei Bändchen. Marburg, Eiwert. 1841. Gr. 12. 1Thir. 
10 Rear. 

6, Die Ruine Schnallenftein. Novelle von Auguft Maria 
Franz. Habelſchwerdt. 1841. ) 

7. Das Bulgarenmaͤdchen. Erzählung aus dem 13. Jahrhun⸗ 
dert, mit vier Bildern. Der Ward bei Straßburg, Novelle. 
Bon Fr. K. Nowak. Prag, Mayregg. 1841. 12. 
12%, Nor. 

Im äfthetifchen Gebiet übt ber Staat eine unverantworts 
liche Toleranz. Das Unfitttiche verbietet er, das Irreligioſe 
verpönt er; das Unfchöne aber, ja felbft das Pofitiv « Häpliche 
laͤßt er fiy breit machen, wo und wie e8 Luft hat, und nimmt 
zu demfelben eine fo indifferente Stellung ein, als ftehe es wirt: 
lich zu ihm in keinerlei Beziehung. Schlimm genug, daß er 
ſich die unſchoͤnen Probuctionen von der Natur muß gefallen 
laffen — warum aud von der Kunſt? Die Kunft ift ‚nur 
da, um etwas Schönes zu produciren; fobald fie alfo Häßtiches 
bervorbringt, wird fie zum Unding, zum Widerſpruch in ſich, 
und jeder Widerſpruch in ſich iſt Etwas, was der Staat nicht 
als eiwas Poſitives darf gelten laſſen. Er darf es nicht gelten 
laſſen, einmal, weit ſich fein pofitiver Charakter nicht mit einer 
reinen Negation, feine auf Harmonie gegründete Natur nicht 
mit einer abfoluten Disharmonie verträgts fodann, weil fein 
letzter Zweck vernünftigerweife nur ber fein kann, die Menſch⸗ 
heit auf den möglich» hoͤchſten Standpunkt der Humanität zu ir⸗ 
beben, und weit ein folder Standpunkt ohne Pflege des Edeln 
und Schönen gar nicht gedacht werden kann. Will ſich alfo 
der Staat nicht felbft im Wege ftehen, fo muß er nothwendig 
au auf die Entfaltung der Kunft und ganz befonders der 
Poeſte und fogenannten ſchoͤnen Literatur fein Augenmerk rich⸗ 
ten und biefelbe fo ie leiten fuchen, daß fie ſich nit am Schoͤ⸗ 
nen, ſtatt es zu foͤrdern, auf das gewiſſenloſeſte verſuͤndige. 
Er uͤberlaͤßt ſie aber in dieſer Beziehung ganz ſich ſelbſt, und 
ſo darf mit jeder Meſſe ungehindert und ungeſtraft der litera⸗ 
riſche Markt mit einer Flut von belletriſtiſchen Machwerken 
aberſchwemmt werben, mit deren Recht, unangefochten zu exiſti⸗ 


RE 


ven, es in ber That nicht beffer beftellt if, als mit bem ber 
Motten, Raupen, Wanzen u. f. w., von benen Goethe fagt: 
„Laßt fie nur Alle, fo frißt Einer den Anderen auf.” Ob aber 
der Staat in feinem hoͤhern Bewußtfein ebenfo nachſichtig fein 
darf wie bie Natur in ihrer Naivetät, fragt fih. Sol er auch 
nirgend von vorn herein hemmen und ber freien individuellen 
Entfaltung mit Gewaltmitteln entgegentreten, fo fol er doch 
leiten, und dies kann er in biefer Sphäre nur dadurch, wenn 
er das wirklich Schöne dermaßen fördert und ehrt, das Un⸗ 
ſchoͤne aber in ſolchem Grabe verachtet und nöthigenfalls ſtraft, 
daß damit dem Unfchönen das Gleichgewicht geraubt, dem Schoͤ⸗ 
nen aber auf biefe Weile von feibft das Übergewicht gege⸗ 
ben wird. 

Wenn Ref. geftcht, daß ihm die Nothwendigkeit eines 
Eingriffe von Seiten des Staats in die Pertbildung ber Liter 
ratur befonders bei Lefung obengenannter B fühlbar ger 
worden ift, fo hat er damit bereit fein Urtheil über fie abges 
geben. Sie gehören fämmtlih in die Kategorie berjenigen 
Schriften, weldye beffer ungefchrieben geblieben wären, weiche 
dadurch, daß fie unnügerweife eine Maſſe von Zeit: und 
Getdkräften für fih ufurpiren, daß fie den beffern Werken 
theils die Bahn verengern, theils fie ganz unter ihrer Flut bes 
graben, daß fie die Poefie zu einem Handwerke erniedrigen, 
daß fie ben Gefchmad verderben, überfpannte ober gemeine, jes 
denfalld ober falfche und verſchrobene Lebensanficdhten unter bas 
Publicum bringen, kurz nach allen Seiten hin ein feines, lang⸗ 
fam tödtendes Gift außftreuen, einen unberedyenbaren Schaden 
ftiften und deshalb durchaus auf die Toleranz, bie der Staat 
gegen fie ausübt, keinen Anfprudy zu machen haben. Wer dies 
Urtheil zu bart finden follte, mag fich ſeibſt davon überzeugen. 
Bei Nr. I wird er es unbegreiflidh finden, daß ein Mann wie 
Belani, der offenbar nicht ohne alles Zalent ift, zu einer fols 
hen Bodenloſigkeit von Riebrigkeit und Gemeinheit berabfinten 
kann, als es in mehren biefer „Georginen“ geſchieht; in Nr. 2 
wird er eine ſolche Cumulation von Fadheit und totaler Inhalts: 
tofigkeit antreffen, daß er von jest an an einem leeren Raume 
nicht mehr zweifeln wird; Nr. 3.wird ihn in die Zeiten der 
ordinairften Nitterromane zurückverfegen; Nr. 4 wird ihm als 
Mufter eines modernen Sansculottismus erfcheinen; Nr. 5 
wird ihm mit feinem gefchraubten, abgequälten Humor ganz 
ungenießbar werden; Nr. 6 und 7 wird er von vorn herein, 
wenn cr nur zwei Beilen, ja nur ben Zitel gelefen, bei Seite 
werfen. Sind auch diefe Werke nicht alle gleich verwerftidy, fo 
kommt es bo auf etwas mehr ober weniger Verſuͤndi⸗ 
gung hier nicht an. Ihre Verf. haben ſaͤmmtlich den hoͤhern 
Zwed ber Poefie aus dem Auge verloren, alle ihre Producte 
tragen den Stempel von Kabrilarbeiten — und darum haben 
wir geglaubt, fie hier ebenfo fabritmäßig abfertigen zu müffen. 


Literarifhe Notiz. 


Wie weit fi das Bebürfniß nach Publiciſtik verbreitet 
und immer mehr anwaͤchſt, dafür ift ein fehlagender Beweis, 
daß fogar bei den fonft fo gleichgäitigen Indern Journale ents 
fieben und ihren Kortgang haben können. Zu Bombay allein 
erfcheinen vier Zournale in der Guguraliſprache für die Parfis, 
zwei in mahrattifchem Dialckte für bie Hindus und zwei in bins 
doftanifhem Dialekte vorzugsweile für die Wufelmänner. Bon 
den Iestern heißt das eine „Akhbar Daftar Jazira-d& Bombay 
(etwa: Neuigkeitöbote der Infel von Bombay), das andere 
„Taza Bahar” (Der neue Krühling). Sie find lithographirt 
und erſcheinen einmal in der Woche in Kieinfolioheften zu zwei 
oder drei Bogen; eigentlich politifche Artitet enthalten fie aller- 
bingt nicht, aber eine um fo größere Menge von localen Reuige 
tten. . 





Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. U. Brodpausd in Leipzig. 





Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Montag, 


— Ir 72, —— 


13. März 1843. 





Politifche Literatur der Gegenwart in Deutfchland. 
Dritter Artikel. 
(Beſchluß aus Nr. 71.) 

Noch auffallender gibt ſich dieſe Erfcheinung in Preu: 
fen kund. Bis zum Tode des  verftochenen Königs 
berrfchte dort die Ruhe des Kichhofs, man war in la 
Trappe, es gab gar keine politifche Literatur. Wie mit 


einem Zauberfchlage haben der feeifinnige Wille des jetzi⸗ 


gen Könige und das ernſtlich gemeinte milbere Genfur: 
edict eine Maſſe von potitifhen Blättern und Pamphles 
tem hervorgerufen, beren oppofitionneller Ton in fo auf: 
fallendem Gegenſatze mit der frübern lammfrommen Arie: 
cherei ſteht, daß ein Auslander Preußen gar nicht wieder: 
ertennen würde. Diefe wunderbare Veränderung, welche 
fetbft die Lühnften Wünfche des fanguinifchflen Oppoſi⸗ 
tionsmannes übertreffen, hat bie preußifche Preſſe dennoch 
keineswegs zufrieden geftellt, ihre Klagen merden trogbem 
immer lauter und dringender, und jegt erſt, da bie Feſ⸗ 
fein etwas weniger ftraff angezogen find, fcheint man ih: 
ren Drud recht ſchmerzlich und lebhaft zu empfinden. 
Man nenne das nicht Undankbarkeit. Es gibt gewiß 
fehe viele umdankbare Leute unter dem fchreibenden und 
leſenden Publicum, aber in diefem Kalle, was die Preſſe 


anbetrifft, läßt fich die Sache natürlicher und milder er⸗ 


klaͤren. So lange ein „Prindp, eine Idee mit Gewalt 
niedergehalten wird, ſodaß gar Feine freie Lebensregung 
übrig bleibt, fo Lange tft fie ſich ihrer ſelbſt kaum bewußt, 
fie wagt weder an ihre Hoffnungen nod an ihre noth⸗ 
wendigen Gonfequenzen zu glauben. Im Tode ruhen alle 
Wuͤnſche, erft mit dem Leben erwachen fie. Voͤllig nies 
derhalten mit äußerer Gewalt laͤßt ſich allerdings auf eis 
nige Zeit ein moralifches Beduͤrfniß; es ſchlaͤft alsdann, 
es träumt nur und wächft felbft in biefem Traumzuſtande, 
aber dieſes Wachfen iſt äußerlich nicht erfennbar und ihm 
ſelbſt unbewußt. Wird aber dann die Grabesdecke abge: 
nommen, ſtroͤmt ploͤtzlich frifche Lebensiuft dem Schlum⸗ 
mernden ins Antlis, fo erfieht mit einem Male ein uns 
gefchlachtes Riefenkind, das während feines Schlafes Kräfte, 
aber keine Bildung befommen hat, die nur aus vernünfs 
tiger Übung der Kräfte erwachfen kann. Das iſt ein 
ud, der Sklaverei, daß die Folgen berfelben felten auf: 
die fchuldigen Urheber, fondern auf die wohlmeinenden 
Machfolger zuruͤckfallen. So lange, wie ich lebe, wird es 


wol noch fo fortgehen, fagte Ludwig XV., aber wie wird 
ſich mein Nachfolger aus der Klemme ziehen? 

Und in der That, der Zufland abfoluter Knechtfchaft 
ift erträglicher, als der Zuſtand einer halben, von ber 
Willkür abhängenden Freiheit. Wenn ich die Wahl habe, 
ob ich unter lauter Stummen auch zum Stillfchweigen 
verurtheilt fein fol, oder ob ich Tieber in geiftveicher lebens 
diger Gefeltfchaft über die wichtigften Gegenſtaͤnde freilich 
mitfprechen darf, mir aber jeden Augenblid gefallen Laflen 
muß, daß man mir in die Rede fält, daß man mir dem 
Munt verbietet, wenn ich eben meinen beften Beitcag zur 
Gonverfation geben will, fo ziehe ich das erftere vor. Dort 
tefignire ich mich, ein für allemal, und ich komme durch 
meine Umgebungen tmeiter in keine Verfuchung; ich fühle 
mic im Allgemeinen wol niebergedrüdt, ungluͤcklich, aber 
es ift diefes ein einziges dDumpfes Unglüdsgefühl, was die 
Gewohnheit allmälig abftumpft, freilih auf Koften meis 
nes beften Lebensgefühle. Aber unerträglich ift die Lage, 
die mic, jeden Augenblid zu einer lebendigen Lebensäußer 
rung anregt, mic dazu aufmuntert, auf alle möglidye 
MWeife anſtachelt und mid dann immer wieder ploͤtzlich 
und undermuthet in mein Nichts, in das Bewußtfein 
meiner Abhängigkeit zuruͤckwirft. Ein. ſolches Verhaͤltniß, 
wie das letztere, ift eine immer erneute Qual; jede Mis 
nute ein Dolchſtich. Immer von neuem regt «6 Hoffe 
nungen an und immer von neuem täufcht es fie; es vers 
weift mich zur Ruhe und fodert mich alsbald wieder zur 
Thaͤtigkeit auf. Es erweckt Durft und ſtillt ihn nicht, 
die Liebe zieht ein in das Herz, um nur verhöhnt umd 
gemishandele zu werden. 

Und biefes ift der Zuftand der jegigen Preſſe; unmoͤg⸗ 
(ih, daß fie fiy dabei beruhigen fann. Vor drei Jahren 
gab es noch unzählige Menſchen, die ein dumpfes Leben 
dahinvegeticten und des Beduͤrfniſſes einer freien Theil⸗ 
nahme am Gemeinwefen und an der geiftigen Bewegung 
der Zeit fih noch nicht bewußt waren. Man hat biefes 
Beduͤrfniß gewedt und man wundere ſich daher nicht, daß 
es nun vollftändig befriedigt- werden will. Bei dee Prefie 
gibt es nur zwei mögliche Zuflände, gänzliche Unterdrüs 
ung oder volle Freiheit. Halbe Freiheit und halbe Knecht: 
(Haft ift ein Zuftand, bei dem man nicht ſtehen bleiben 


kann; die Preffe iſt fich ihres Rechts auf freies Daſein 
bewußt, und glaubt wir, fie wird nicht eher zuhen, nicht 








286 


eber aus einer immer fleigenden Aufregung herauskommen, 
Bis fie diefe Freiheit erlangt hat. 

Auch fühlt man die Notwendigkeit der endlichen Be: 
frelung der Preffe; ſelbſt die preußifche Regierung erkennt 
fe an, aber man will einen allmäligen Übergang von ber 
Eenſur zur Preßfreiheit. Dan will die Preffe nicht mit 
einem Dale freigeben, fondern will es den Cenforen über: 
koffen, fie nach und nad zu emancipiven. Es iſt dieſes 
die alfergefährlichite, verderblichſte Theorie, die es gibt, und 
wenn man fie nicht bald aufgibt, fo läßt fi das fhlimmite 
Unheil mit Gewißheit vorherfagen. Es heißt dieſes mit 
andern Worten nichts Anderes ald: man will die Prefje 
arſt dann frei geben, bis man fie total verbittert, vergällt, 
vergiftet und verderbt hat. So lange die Preſſe nicht 
vollftändig geficherte Freiheit hat, fo lange iſt fie erbitterte 
Gegnerin der Regierung. Da gilt kein Unterfchied ber 
Parteien; die disparateften Elemente verbinden fih, um 
vereint Chorus gegen die Regierung zu machen; Principe, 
bie ſich auf Tod und Leben ihrer Natur nady entgegen: 
Bänden, laſſen ihre Fehde vorerft ruhen und wenden ſich 
mit gemeinfchaftlicher Kraft gegen den gemeinfamen Seind, 
gegen die Genfur und deren Quelle, die Megierung. Der 
ſtolze Atiſtokrat und der rohſte Sansculotte, der ſtreng⸗ 
glaͤubige Chriſt und der frivole Atheiſt, alle Meinungs⸗ 
nuancen von der aͤußerſten Rechten bis zur aͤußerſten Lin⸗ 
ken machen den gemeinſamen Krieg gegen die Reglerun⸗ 
gen. Die Regierungen haben bei unfreier Preſſe keine 
andern Freunde und Bundesgenoſſen als ihre bezahlten 
Beamten, und diefe find unbrauhbarz fie nugen nicht, 
fondern fie ſchaden, mit ihren matten, feelenlofen Entgeg⸗ 
mungen gießen fie nur DI ins Feuer. Unparteilichkeit, 
Wohlwollen, Anerlennung erwarte man nicht von der 
Preſſe, bis man ihre Recht vouftändig anerkannt und ges 
Fichert; erſt dann wird die Preffe aufhören Partei zu fein; 
arſt dann werden fich die verfchiedenen Anfichten fondern 
und in naturgemäßen Kampf miteinander treten; erſt dann 
kann die Regierung auf Bundesgenoffen in der Preſſe 
rechnen. Das Beilpiel von Dahlmann zeigt von neuem, 
wie unmöglich es ift, felbftändige und geachtete Regierungss 
feyeiftftellee von dee Preſſe zu gewinnen, fo lange da6 Le: 
ben der Preffe felbft noch bedroht iſt. Kür olle Schrift: 
flellee ohne Ausnahme iſt dieſes die erſte und naͤchſtlie⸗ 
gende Lebensfrage, und fie find zur Oppofltion gezwungen, 
fo lange diefe nicht zu ihren Gunften entfchieden ifl. Fuͤr 
alle wohlmeinenden Pubtliciften wahrlich ein qualvoller, 
ängftticher Zuftand. Wir fehen die Exbitterung Tag für 
Tag fteigen, hohle Raifonneurs, ertranagante Jakobiner, 
Minde Zerflörer, die auf Zerftörung jeglichen geſellſchaft⸗ 
lichen Zuſtandes ausgehen, gepeitfcht von einem oͤden, keine 
moralifche Grundlage des Beſtehenden anertennenden Les 
bensbewußtſein, freche, jede fremde liberzeugung, jede hiſto⸗ 
sifche Errungenfchaft verhöhnende Geſellen gewinnen tägs 
ich mehr Boden; Haß und Mistrauen greifen um ſich 
und verdrängen jede tlchtige, gewiflenhafte Arbeit zu alls 
möligen , in den Bedingungen des Moments gegebenen 
möglichen Werbefferungen, und der Kern der Nation, uns 
Ahlige Maͤnner, die eine Überfülle von Kraft in fich fühs 


Im, um dieſes Geſindel, biefen gewiſſen⸗ und liebeloſen 
Abfhaum der Gefellfhaft zu zerfchmettern,, fobald -man 
ihnen nur freie Kampfbahn und ehrlihe Waffen geftattete, 
fie alle müffen zufehen, muͤſſen das Unheil bereinbrechen 


ſehen, ohne heifen zu können, denn fie find an Händen 


und Füßen gefeffel. Denn das ift das Schlimme: für 
die Rechtlichen und Gewiſſenhaften, für die wahrhaft 
freien Männer ift die Cenſur noch immer eine Seffel, 
während fie e8 für jenes Geſindel ſchon lange nicht mehr 
ift. Mögen die wahrhaft frei und patriotifch gefinnten 
Männer auch noch fo viele Gefahren in ungewifier Kerne 
beranfommen fehen, die naͤchſte, gewiſſe Gefahr, die nächfte 
Beeinträchtigung ift immer die Cenfur; fo Lange biefe be 
fteht, fehlt es ihnen an feifcher, fFröhlicher Kampfesluſt; 
erft müffen jie ſich feibft frei wiſſen, ehe fie der wahren 
Freiheit ihren Arm leihen, ehe fie freien Muthes in den 
Kampf ziehen können. Wenn man aud) gelegentlidy ge: 
gen Revolutionsprediger à la... . eine misbillis 
gende Außerung fallen läßt, nenn man auch feine Ent: 
rüftung über folch verderbliches Treiben bier und da dus 
Bert, man kann wol den Fehdehandſchuh hinwerfen, aber 
ducchfechten kann man den Kampf nicht, ehe nicht die 
Schranken eines ehrlichen Turniers eröffnet find, 

Die Gefchichte lehrt auf hundert WBlättern, daß man 
durch halbe Maßregeln ſich keine Freunde gewinnt, feine 
Feinde aber vermehrt. Sie ehrt auf hundert Blaͤttern, 
daß verfpätete Gonceffionen fo gut find wie gar feine. 
Iſt ein Zeitbebürfnig einmal über die Gebühr zurüdiges 
halten und niebergedrüdkt, fo gibt ed nur ein Mittel, um 
die fhlimmen Folgen eines folchen Fehlers moͤglicherweiſe 
wieder ins Gleiche zu bringen. Diefes Mittel heiße: 
volitändige, ſchleunige, ehrliche Befriedigung deſſelben. 
Man darf aud nicht das Geringſte davon abmarkten und 
abfeilſchen, nicht das Mindeſte verclaufulicen; die oͤffene⸗ 
liche Meinung betrachtet in ihrer vorausellenden Phanta⸗ 
fie doch das Nothwendige ſchon einmal als wirkliche Er⸗ 
rungenfchaft; fobald man ihr diefes nicht Alles gewaͤhrt, 
fo fühlt fie nuc Das, was man ihr noch verweigert bat; 
für das Gegebene, und fet ed noch fo viel, hat fie feinen 
Dank. Sie Eammert fi mit Gebitterung an das letzte 
Fehlende, und fei es noch fo gering, und für das Er⸗ 
theitte hat fie keinen Sinn, keine Empfindung, denn es 
genuͤgt nicht. Ein. allmäliger Übergang von ber Genfur 
zue Preßfreiheit wäre möglich geweilen, wenn man damit 
vor 50 Fahren angefangen hätte und wenn die Zeiten 
eine folche ruhige, mit der politifchen Bildung Schritt hal⸗ 
tende Entwidelung verflattet hätten. Nach den legten 25 
Sahren aber, in denen man die Sehne zu fcharf angezo⸗ 
gen, reicht Beine menfchliche Kraft mehr hin, fie alimälig 
abzufpannen; man muß fie fchnell fahren laſſen, wenn 
man ſich nicht die Finger zerfchmettern will. 

Ich weiß nicht, ob ich mid täufche, aber der Zuſtand 
der Preffe, wie er in dem legten Jahre angefangen hat 
fi auszubilden, kommt mie fehr, ſehr bedrohlich vor. 
Neben einer Unzahl von feindlichen Stimmen, bie gar 
keine Grundlage des Beſtehenden anestennen, auf bee weis 
tee fortgebaut werden koͤnnte, ſondern denen man ihren 


287 


Ingrimm und ihre Abfiht, überall tabula rasa zu ma: 
den, nur zu deutlich anhört, mur wenige Männer, bie 
eine aufrichtige, lopale Dppofition machen. Die mel: 
fien dagegen ſchweigen und erwarten die Dinge, die da 
tommen follen. Das große Publicum fieht mit ſchlecht⸗ 
verhehlter Schadenfreude den Verlegenheiten zu, welche den 
Regierungen erwachſen, und je wüthiger und boshafter ſich 
die neuen Blätter geberden, je unausführbarere und zahl: 
Iofe Koderungen fie mit einem Male an die Regierungen 
ſtellen, je chaotiſcher Aues durcheinander fchreit und je vers 
wirrter die Discuffion wird, defto mehr kitzelt es ſich. 
In Sachſen flieht es in diefer Beziehung allerdings noch 
beffer wie in Preußen, und die dortige politifche Local: 
preffe zeige noch mehr den Charakter vernünftiger Reform 
wie in Preußen — Folge des in den legten 12 Jahren 
eingefchlagenen Spftems. Aber wenn die übrige beutfche 
Preffe zu einer tollen Mänade oder zu einer binterlifligen 
Schlange wird, fo muß auch die fächfifche mehr oder we: 
niger davon influenzirt werden, und wenn in letztet In⸗ 
ſtanz die geſetzliche Ordnung in Deutſchland und die ru⸗ 
hig organiſche Fortbildung des politiſchen Lebens auf dem 
Spiele ſteht, fo iſt Sachſen als integrirender Theil Deutſch⸗ 
lands doch auch jedenfalls ſehr betheiligt. Es waͤre daher 
wol an der Zeit, wenn die ſaͤchſiſche Regierung augenblick⸗ 
lich den Weg einſchluͤge, der allein zum Heile führt, denn 
nur der Augenblick ift unfer und wer weiß, ob nicht Ges 
fahr vorhanden ift beim Verzuge. Die füchfifhe Regie: 
sung wuͤrde ſich unferer Anficht nach gar wohl verdient 
machen, nicht blos um Sachſen und das übrige deutiche 
Dort, fondern auch felbft um die jegigen deurfchen Regie: 
rungen, wenn fie biefelden durch ifolirte Ertheilung der 
Preßfreiheit für Sachſen ſelbſt wider ihren Willen zu 
ähnlichen Maßtegeln nöthigte und dadurch den einzig 
wirffamen Hebel zur Bildung einer wahrhaft patriotifchen 
und vernünftigen Mationalpreffe In Thaͤtigkeit ſetzte. 

Es gibt aber noch ſpecielle Gründe, welche die fächfi: 
ſche Regierung dringend auffodern,: nicht in das Syſtem 
der allmäligen Emancipation der Preffe — wenn man 
fo etwas anderd Spftem nennen kann —, wie es Preu: 
fen ausgefprochen hat, einzugehen. Es find Motive ges 
nug vorhanden, welche berfelben ein ſelbſtaͤndiges Dandeln 
zur Pflicht machen. 

Die Frage, ob die Einheit Deutſchlands bei verfchiebenen 
Staaten beftehen kann, wird die Zukunft entfcheiden. Es 
gibe eine Partei, welche einzig und allein Heil für Deutſch⸗ 
land. erblickt, daß Preußen allmälig die Elsinern deutſchen 
Staaten, vorerft Die mitteldeutfhen und norddeutfchen fich 
einverleibt. Wenn fi auch vorjegt daruͤber noch nicht 
mit Gewißheit urtheilen läßt, ob diefe Anſicht die richtige 
ift, fo bet fie doch mandye Grhnde für fih. ine an: 
dere Dartei hält die Einheit Deutſchlands gar wohl ver: 
eindar mit dem Beſtahen verſchiedener Staaten. Sie 
glaubt, daß fich ein öffentliches Mechtöverhältniß und ein 
Organismus ausbilden laͤßt, der den Meinen Staaten un: 
befchadet der einheitlichen Kraftentwidelung und des ra 
fchen, Handeins von. Deutſchland doch ihre Selbſtaͤndigkeit 
ſichert. Sie verabſcheut die Centraliſation Deutſchlands 


J 


in einen Staat mit einem einzigen Fuͤrſten und wuͤrde 
eine abermalige Mediatiſirung ebenſo fuͤr ein politiſches 
Ungluͤck als für eine ſchreiende, den Rechtsbegriffen un⸗ 
ſeter Zeit zuwiderlaufende Gewaltthat halten. Auch wir 
neigen uns zu dieſer Anſicht vor jetzt noch hin und mei⸗ 
nen, daß wenigſtens der Verſuch zu einer politiſchen Aus⸗ 
bildung Deutſchlands in dieſem Sime noch auf keine 
Weiſe aufgegeben werden darf. Jedenfalls koͤnnen wir 
vorausſetzen, daß die Staatsregierungen der kleinern Staa⸗ 
ten Deutſchlands, und beſonders die ſaͤchſiſche, an der 
Durchfuͤhrung ihrer Souverainetaͤtsrechte noch nicht ver⸗ 
zweifelt haben, ſondern entſchieden dieſem Syſteme zuge⸗ 
than ſind. Sonſt freilich haͤtten ſie ganz Recht, wenn 
ſie ſchon jetzt alles ſelbſtaͤndige Handeln bei wichtigern 
Fragen von allgemeinen Folgen aufgaͤben und ſich dabei 
nach dem Willen Preußens richteten. Wollen ſie aber 
eine wirkliche, keine blos nominelle Selbſtaͤndigkeit ſich zu 
erhalten ſuchen, ſo iſt das erſte Erfoderniß, daß ſie auch 
ſelbſtaͤndig nach ihrer Überzeugung handeln. Keine größere 
Gefahr Eönnen fie ihrer Unabhängigkeit bereiten, als wenn 
fie der Welt und mamentlicdy ihren Unterthanen thatfäch- 
li den Beweis liefern, daß fie diefe Unabhängigkeit nicht 
zu behaupten wiſſen. Wenn alle wicdhtigern und größern 
Maßregeln flets von der Einwilligung Preußens abhängig 
gemacht werden, wenn jedes Zeitbedürfnig erſt Befriedi⸗ 
gung finden kann, fobald diefer größere Staat vorangeht 
oder die Erlaubniß ertheilt, dann ift man im Wefentlichen 
(don Preußen unterworfen und die Unterthanen find nicht 
fo blind, daß fie das nicht bald erkennen follten. Als: 
dann ift es auch nur ein Schritt noch von dem Wunſche, 
lieber ſelbſtaͤndige, mitfprechende Unterthanen Preußens zu 
fein, als Untergebene einer Regierung, welche keine freie 
Mitwirkung gewähren kann, meil fie felbft nicht frei iſt. 
Selbſt in den Kammern wird allmälig diefe Überzeugung 
Platz greifen, fabald fie fih von ihrer Ohnmacht, von der 
Fruchtloſigkeit ihrer Beftrebungen und Vergeblichkeit ihrer 
Wuͤnſche überzeugen. Wir haben fchon hier und da leiſe 
anbeutende ‚Stimmen bdiefer Art aus Sachſen vernommen 
und wir fürdten, daß eine unterwürfige Politik in der 
entfhiedeniten, dringendften Zagesangelegenheit, wie e6 die 
Proßfreiheit zumal fur Sachſen iſt, diefe Stimmen fehr 
vermehren und verftärken wird. Wenn die fächfifchen Mi⸗ 
nifter auf die dringende Mahnung des ganzen Landes im 
Grunde eine andere Antroort geben können — und eine 
andere flihhaltige wird ſich nicht auffinden laffen — ale 
die: „wir möchten wol, aber wir dürfen nicht, weil es 
Preußen noch nicht will”, fo bringen fie dem Epfteme 
verfchiedener felbftändiger Staaten in Deutfchland eine 
(were Wunde bei, und werden fie die Zahl ber Anhaͤn⸗ 
ger eines preußifhen Staats, der mit Deutfchland iden⸗ 
tifch fei, gar fehr vermehren. Wir ſprechen unfere volle 
Überzeugung aus, wenn wir behaupten, daß die fächfifchn 
Minifter bei der Preßfrage jegt einen enticheidenden Schlag 
für die Unabhängigkeit ber kleinern Staaten ausführen 
koͤnnen, einen Schlag, der auf lange Jahre bin fortwics 
ten und biefer Sache fürs erſte den Steg verfchnffen 
taun. Der geoße Staatsmann ergreift die Gelegenheit 


288 


beim Schopfe, denn er weiß, daß — einmal den teten | 


Augenblid verfaumt — fie zum zweiten Male fo leicht 
nicht wiederfommen wird. Durch Mangel an Entſchloſ⸗ 
fenheit und Thatkraft unterliegt auch das beſte Syſtem 
und der eine Ruͤckzug zieht in der Regel die folgenden 
mit Nothwendigkeit nach fih. Möchten die ſaͤchſiſchen 
Minifter die unendliche Verantwortlichkeit, bie auf ihnen 
in diefer Frage ruht, ſowol gegen Ihren König, als gegen 
ihr Land und dad ganze Übrige Deutfchland, wohl begreis 
fen, und mögen fie wohl bedenken, daß man aud) durch 


Unterlaſſung, nicht blos durch Begehung, ſich ſchwer ver⸗ 


ndigen koͤnne. Der kleine ſaͤchſiſche Staat hat in Die: 
———— eine welthiſtoriſche Stellung; eine Stel⸗ 
fung, die den großen, genialen Mann mit unendlicher 
Thatkraft, erhebendem Bewußtſein und entfchledenfter Si: 
cherheit erfüllen muß, den mittelmäßigen und gewöhnt: 
chen Kopf aber freilich eingenommen, ſchwindlicht und bes 
en macht. 
fang Politik, ſich von Preußen ans Schlepptau 
nehmen zu laſſen, iſt fuͤr die ſaͤchſiſche Staatsregierung eine 
unendlich gefaͤhrliche. Sie wird und muß den Verluſt 
einer ehrlich und wohlverdienten Popularität nach fich zie⸗ 
hen und Preußen wird alsdann früher oder . fpäter ber 
Erbe diefer Popularität werden. Es follte uns unendlid 
teid thun, nicht blos der Sache, fondern auch der Per: 
fonen wegen. Wir lieben diefe Männer, die fo wohlwol⸗ 
lend, freifinnig und klug feit zwoͤlf Jahren gehandelt und 
in dieſem Zeitraume ſo Erſtaunliches geleiſtet haben. Wir 
goͤnnen ihnen von ganzem Herzen, daß ihr Ruhm ihnen 
dis ans Ende ihrer Tage treu bleiben moͤge und daß fie 
einſt einen Platz einnehmen in der deutſchen Geſchichte. 
Es wuͤrde uns ſchmerzen, wenn Die, ſo ſich bis jegt ih: 
zer Zeit gewachfen gezeigt, auch bei veränderten Umftänden 
und veränderten Anfoderungen ſich nicht bewaͤhren follten. 
Bis jest war das Paufiren, das laissez aller, das ge: 
räufchlofe, ftille Fortfchreiten ohne heftige Colliſion an der 
Zeit; allein wir zweifeln, ob es fuͤr immer ausreichen 
werde und ob der entſcheidende Schritt uͤber den Rubi⸗ 
con nicht endlich gethan werden muͤſſe. 
| F. von Florencourt. 


ö—— — —— — —————— 


Fellows' lyciſche Bild werke. 


Die zu XRanthus in Lycien von Fellows entdeckten und für 
das Britifche Mufeum beflimmten Antiten find in unverfehrtem 
Zuſtande in London eingetroffen, müffen aber, aus Mangel an 
Raum, noch eine Zeit dem Publicum verfchloffen bleiben. Ob⸗ 
gleich aus einer frübern Zeit herrührend, find fie doch zum 
Theil mit den aͤginetiſchen Bildwerken dem Stile nad) verwandt 
und natürlich mit den von Lord Eigin gefammelten Kunftwer: 
gen nicht zu vergleichen, wennſchon vielen derfelben auch Kunſt⸗ 
werth nicht abzuſprechen iſt. Ihe Hauptwerth beſteht jedoch 
darin, daß fie au den fruͤheſten Proben ber griechifchen Bildnerei 

ehdren, weiche bis auf ung gelommen find. Das ältefte unter 
nen iſt das Grabmal mit Basreliefs, die Darpyen barftellend, 
wie fie die Töchter des Pandarus hinwegführen. Es ift in 
Fellows' Werte über Eycien abgebildet und rührt wahrſcheinlich 
aus der Zeit vor Cyrus her. Unabhängig von dem mytholo⸗ 


giſchen Intereſſe ber barauf abgebildeten Figuren, ift es wichtig 
ats ein Beiſpiel bes arabifchen Kunftftils, der in Stalien mit 
dem Namen des pelasgifchen bezeichnet wird, indem die Drapes 
rien wie naffe Kleider ben Körpern anliegen. Die Augen has 
ben einen nichtsfagenden Bid, die Befichter find ohne Ausbrud 
und das Daar hängt wie Maccaronifäben herab. In der Ans 


‚orbnung des Haars und der Bärte, wie anderer Beiwerke, 


fpricht ſich ein perfifcher Charakter aus, welcher biefem Denk⸗ 
mal in Bezug auf Gefchichte und Urfprung der Kunft einen 
großen Werth ertheilt. Es befinden fih noch in der Samm⸗ 
lung ſechs ober acht Frieſe oder Bruchftüde von Frieſen in Res 
lief, von großer Mannichfaitigleit der @egenftände, indem fie 
alte Gebräuche, Kleidungen u. |. w. darftellen. Giner berfelben 
bringt die Belagerung einer befeftigten Stabt zur Anfchauung, 
weldge mit ihren Thuͤrmen und Binnen abconterfeit ift, mit ib 
rer Mannfchaft, die fi) nach einem Ausgange drängt, um, mit 
Steinen bewaffnet, den Feind anzugreifen, während im Hinter⸗ 
grunde bie zufhauenden Weiber und Toͤchter der Bürger er⸗ 
feinen. Unterdeß erklimmen bie Keinde, gebedt durch ihre 
breiten Schilde, die Mauer auf Leitern. Die Kämpfenden find 
mit großer Kraft dargeftellt. Auf einem andern Fries ift eine 
Löwenjagd abgebildet. Berner fiebt man auf einem Basrelief 
einen Kampf und auf einer Abtbeilung deſſelben, bei ber Weiße 
des Marmors außerordentlich wohl erhalten, einen: mit großer 
Wahrheit des Ausdruds bargeftellten vermunbeten Krieger, ber 
fi) auf den Arm eines Weibes lehnt, welches ihn vom Schlacht: 
felde führt. Cine Anzahl Gefangene, deren Bände auf den 
Rüden gebunden find und bie in ihrem Coſtum unb Gefichtes 
ausdrud einigen ber perfepolitanifchen Bildwerke gleigen, were 
den auf einem anbern Frieſe vor einen König geführt, der un⸗ 
ter einer Umbrella fist. Auf den Fragmenten eines großen 
Frieſes find Reiterfämpfe dargeftellt. Die Reiter figen auf ih: 
ven Pferden in anderer Weife als die des Parthenon, bie Fer⸗ 
fen nady unten, die Schenkel nad) vorn, mit einiger Kenntniß 
der Reitkunft, womit bie Reiter des Phidias unbelannt gemefen 
zu fein fcheinen. Außerdem befinden fi in biefer Sammlung 
noch verfchiedene Statuen, ohne Köpfe und verftümmelt,, aber 
durch ſchoͤne Theile, durch eine leichte und anmuthig fließende 
complicirte Gewandung ausgezeichnet. Hier und ba erblidt man 
noch Spuren von Karbe, ſodaß die Frage ber polychromatifchen 
Ausfhmüdung bierdurh ein neues Licht gewinnt. Man fuͤrch⸗ 
tet, daß diefe Spuren in dem feudhten englifchen Klima bafd 
verfhwinden werben. heile von metallenen Klammern find 
auch noch bemerkbar. Alles in Allem, die Fellows'ſchen Bildwerke 
find eine fo wichtige Vereiherung, wie fie feit vielen Sahren- 
fein anderes europdifches Mufeum erworben hat. ' 13. 





Literarifche Anzeige. 


Neu erscheint bei mir und kann durch alle Buchhand- 
lungen bezogen werden: . 


' Handbuch on 
der Kinderkrankheiten. 


Nach Mittheilungen bewährter Ärzie' 
herausgegeben von Ä 


Dr. A. Schnitzer wd Dr. B. Wolf: 
Erster Band. 
Gr. 8. 2 Tulr. 12 Ner. 


Leipzig, im März 1843. Ä 
: FF. A. Brockhans. 


Verantwortlicher Gerauögeber: Heinrich Brodhaus — Drud und Verlag von J. X. Brodhaus In Beipsig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienflag, — Nr. 73. — 


14. März 1843. 





Das Saunerwefen in Deutfchland. 


Die juͤdiſchen Gauner in Deutfchland, ihre Taktik, ihre Eigen⸗ 
thämtichkeiten und ihre Sprache, nebft ausführlichen Nach⸗ 
zichten über die in Deutſchland und an deffen Grenzen ſich 
aufhastenden berüdtigften juͤdiſchen Gauner. Nach Criminal⸗ 

_ acten und ſonſtigen zuverlaͤſſigen Quellen bearbeitet von X. 
$. Thiele. Erfter Band. Zweite Auflage. Berlin, Bro: 
pius. 1841. Gr. 8. 1Thir. 15 Nar. 

Der Verf. definirt die Gauner ats Leute, welche Rau: 
bereien, Diebftaht und Betrug mehr oder weniger als ein 
eigentliche® Gewerbe treiben, dabei nach beflimmten Regeln 
verführen, gewiſſe feltfiehende Principien befolgen, Die, 
wenn fie der Juſtiz in die Hände füllen, methodiſch im 
peinlihen Verhoͤr auftreten, ihre eigene Sprache reden, 
inter fi zum Zwecke der Ausführung ihrer Verbrechen 
in wechſelſeitiger Verbindung ſtehen unb fo, mit einem 
Worte, eine befondere, allen bürgerlichen Intereſſen feind⸗ 
liche Geſellſchaft im Staate bilden. 

Diefe für die Sittengefchichte der civilifisten Nationen 
wichtige Menfchenclaffe bewegt fi) mit einſchmeichelnder 
Gewandtheit unter der harmloſen Menge der „ MWittfchen”’*); 
nirgend verlegen fie duch das abfloßende und tohe Be: 
nehmen gemeiner Diebe und Räuber; zur brutalen Ge 
walt ſchreiten fie hoͤchſt felten und nur die Intelligenz 
tragt in ihren ſcharffinnigen Unternehmungen ben Gieg 
davon. Diefe abnormen Lebenserfcheinungen haben, ſchon 
wegen ihrer allgemeinen Wirkſamkeit, nicht blos für Cri⸗ 
minal: und Policeibeamte Bedeutung; fie ftehen vielmehr 
unter den mannichfachften Umftänden in einer leider nur 
zu nahen Beziehung zum ganzen Publicum, vorzuͤglich zu 
dem mit Geld, Pretiofen, Uhren u. dergl. verfehenen Theile 
deſſelben. Manche unferer Leſer werden aus eigener Er: 
fahrung im Stande fein, die Richtigkeit diefer Behauptung 
zu betätigen, und wuͤrden gewiß nicht unzufrieden gewefen 
fein, wenn fie fi) vor ſolchen Erfahrungen mitteld einer 
genauen Kenntniß der Gauperkniffe hätten in Acht neh⸗ 
men fonnen; aber es iſt ſchwer, einen Feind, den man 
nicht kennt, zu befämpfen oder zu vermeiden. Das Gau: 
nervoͤlkchen iſt wirklich zw intereffant, eine nähere Beleuch⸗ 


*) Wittſch Heißt in der Diebsſprache ehrlich, eigentlich bımım ; 
im Gegenfsk davon nennen ſich die Bauner felbfk Chefſe oder Kos 
chemer, d. b. Geſcheite. 


tung ſeines verſchmitzten Treibens erſcheint fuͤr Jedermann 
zu nuͤtzlich, als daß wir nicht auf Verzeihung hoffen duͤrf⸗ 
ten, wenn wir bie im obigen Zitel angemeldete zweideus 
tige Geſellſchaft in unfern honetten Kreis einführen, um 
ihre Bekanntſchaft in effigie zu machen. 

Der Verf, hatte bei einer in Berlin geführten Unters. 
fuhung gegen eine Gaunerbande, bei welcher 520 Perfos 
nen implicirten, vermöge feiner amtlichen Stellung mitzus 
wirden. Die Inculpaten waren größtentheil6 juͤdiſchen 
Glaubens und deshalb hat der Verf. Veranlaſſung genom⸗ 
men, fih in feiner Darfiellung auf die jüdifchen Gauner- 
zu beſchraͤnken; er will damit aber keineswegs in Abrede 
fielen, daß wir nicht auch unter den Chriften zahlreiche 
und ausgezeichnete Praktiker in der Diebskunſt haben. 
Eine excluſive Bezüuchtigung des Judenthums kann alfe 
von vornherein dem Verf. nicht zur Laft gelegt werden, 
obwol dies aus übel angebrachter Empfindlichkeit und in 
Verkennung der dem Buche zum Grunde liegenden guten 
Abfichten bier und da gefchehen if. Bei einer fo ums 
faffenden Unterſuchung und feinen perfönlihen Beruͤhrun⸗ 
gen mit fo vielen Sauneen konnte es dem Verf. nicht an 
reihem Stoffe zu feinem Werke fehlen, melden er denn 
auch mit Fleiß und Geſchick bearbeitet hat. 

Der erfte Band bringt: 1) eine Einleitung über das 
Gaunerweſen; 2) die gefchichtliche Darftelung der Unter⸗ 
fuhung wider Mofes Lewin Loͤwenthal und Genoſſen; 
3) Gaunertaftit und Reſultate daraus; 4) einen Euren 
Lebensabriß des Inquifiten Joſeph Adolf Roſenthal; 5) 
die Befchreibung der vorzüglichern in der Unterfuchung wis 
der Löwenthal und Genoffen «ingeflandenen und fonft. er⸗ 
mittelten Verbrechen; 5) die juͤdiſche Gauner- oder Koche⸗ 
merſprache; 6) einen Anhang, das hebräifche Zählen ber 
treffen). 

Die. Sauner unferer Zeit find feine heimatlofen Mens 
fen; fie haben beflimmte Wohndrter und mitunter fogar 
Srundbefig. Die Zahl der in Deutfchland Ichenden Gaus, 
ner fchlägt der Verf. auf ungefähr 10,000 on. Die Gaue. 
nerfafte in Deutſchland unterfcheidet fich, ſowol ihrer kirch⸗ 
lich sreligiöfen als ihren Diebesfagungen nah, in zwei 
Hauptabtheilungen, nämlih in chriſtliche und juͤdiſche 
Gauner. Zwar geringer an Zahl, find bie jüdifchen den: 
noch die gefährlichen, fomwol was ihre großes Schlauheit 
und Verſchmitztheit, als ihre größere Geſchicklichkeit bei 


Ausfuͤhrung ihrer Verbrechen anbetrifft. Sie unterfcheiben 
fih ferner faft ſchroff von ihren chriftlichen Betriebsge⸗ 
noffen durch den befondern Idiotismus ihrer Geſellſchafts⸗ 
ſprache. Vorzuͤglich Polen war und ift noch heute das 
Land, weiches als die Wiege und der Herd des juͤdiſchen 
Diebsgeſindels batradgtet werden muß, und noch zur Stunde 
werden die Öftlichen Provinzen des preußifhen Staats von 
jenem Lande ber durch jüdifche Spipbuben beftündig in 
Gontribution gefegt. In Preußen find das Herzogthum 
Magdeburg mit der Altmark auf der einen, das Groß: 
herzogthum Pofen auf. der andern Seite diejenigen Pro: 
vinzen, wo die meilten und gefaͤhrlichſten, oft ſchon feit 
eimer langen Reihe von Jahren berüchtigten Gauner do: 
micilieen. In ihren Wohnörtern erfcheinen fie gewoͤhnlich 
als ehrliche Leute; den größten Theil des Jahres bringen 
fie aber auf Reifen zu und jeder ihrer Ausflüge ift ein 
Raubzug. Wenn Übrigens die Guuner chriftlicher Abkunft 
in gar vielerlei Geſtalten, 3. B. als Scherenfäyleifer, Kefs 
ſelflicker, Drgelfpieler, Olitaͤtenkraͤmer u. f. w., im Lande 
umberzieben, fo tritt der jüdifhe Gauner und Vagabund 
faſt immer nur in der einzigen eines Handelsmanns auf. 
Die geringe Anzahl jüdifeher Diebe, die noch ohme Hei: 
mat fich in der Welt umpertreibt, führt auch nicht, wie 
die chriftlihen Stroihe und Landſtreicher, die: Hemmniſſe 
ihrer Lebenscarriere: Weiber und Kinder, mit fich; fondern 
dDiefe haben vielmehr bei vertrauten Leuten oder Kochemern, 
an geriffen Orten, wo es mit der Policei nicht beſonders 
flreng genommen wird, ihre Niederlagen, tie fie ed nen: 
nen, und werben dort von Zeit zu Zeit von ihren fans 
bern Familienhaͤuptern beſucht. Welt mehr als die chriſt⸗ 
lichen Gauner ftehen die jüdifchen auch unter ſich in Ber: 
bindung, und ift gleich dieſe Verbindung keine eigentlich 
geregelte, fo iſt es doch eine Union, die aus gemeinfamen 
gefelifchaftlihen Prineipfen entſpringt. Wo „cheſſe“ Juden 
fih treffen, und hätten fie ſich früher In ihrem Leben nie 
gefehen, da werden fie Chamern (Kameraden) und flehlen 
zufammen. Die engere Verbindung der jüdifchen Guuner 
folgt auch fchon aus dem Umſtande, daß fie nur aus: 
ſchließlich unter fih heirathen. Die Fälle vom Gegentheil 
find aͤußerſt fparfam, weil die Ehelihung einer Wittfchen 
(Shrlichen) in jeder Beziehung eine Mesalliance fuͤr den 
Gauner iſt. Unglaublich ift es übrigens, welcher Knaͤul 
von Verwandtſchaften dieſe gegenſeitigen Heirathen zuſam⸗ 
mengerollt haben; durch eine Stammtafel getraut ſich der 
Verf. nachzuweiſen, daß wenigſtens einige Hundert der jetzt 
lebenden beruͤchtigtſten Gauner eine einzige Familie aus⸗ 
machen. Sie ſtehen untereinander in Briefwechſel, kheilen 
fich die ermittelten Gelegenheiten zu Diebftählen mit und ver: 
üben diefe gemeinfchaftlih. Die Meflen zu Leipzig, Frank⸗ 
furt a. d. D., Frankfurt a. M. und Braunſchweig find, fo 
thatträftig auch die Policei an diefen Orten ift, namentlich 
in Leipzig, die Centralpunkte ihres verbrecherifchen Trei⸗ 
bene. Dort finden fie fih zufammen, machen den Meß: 
verkehr unficher, taufchen Plane für die Zukunft aus und 
ſchließen Semeinfhaften zu fernen Diebsunternehmungen. 
Mehr oder minder find auch alle größere Märkte ihre 
Gammelpläge. Nichts zu geftehen, gerathen fie der Juſtiz 


in die Haͤnde, das iſt vor allen Dingen die Hauptregel 
ihrer Lebenspraxis, an ber fie mit unbeugfamer Hartnaͤckig⸗ 
keit feſthalten. Unübertroffen darin ſteht der jüdifche Gau: 


‚ner da, und nichts iſt zu vergleichen mit der Gewandtheit 


und Verſchmitztheit, womit ee fich aus einer Unterſuchung 
berauszulügen verfteht. 

Die Hauptanftifter und thaͤtigſten Befoͤrderer der Diebs⸗ 
unternehmungen, welche zu der erwaͤhnten großen Unter⸗ 
ſuchung Anlaß gaben, waren Bigilanten, d. h. Individuen, 
welche das Vertrauen der Behoͤrde genoſſen und die, im 
ſchneidendſten Gegenſatze zu ihrem fruͤhern Leben, Dieje⸗ 
nigen ſcheinbar zu verfolgen ſtrebten, welche die Gefaͤhrten 
ihrer vormaligen verbrecheriſchen Laufbahn, die 
ihrer vorzeitigen Übelthaten waren. Einer dieſer Diebs⸗ 
faͤnger, Roſenthal, ſpielt in der Unterſuchung eine wichtige 
Rolle; als Vigilant war er mit einer in Bezug auf ſeine 
policeiliche Thaͤtigkeit, zu feiner beſtaͤndigen Legitimation 
bei den Behoͤrden, ihm ertheiiten offenen Ordre verſehen, 
welche begreiflicherweiſe nicht wenig dazu beitrug, ihn und 
ſeine jedesmaligen Complicen jedesmal außer Verdacht zu 
ſtellen. In ſeiner Eigenſchaft als Vigilant ſtiftete alſo 
Roſenthal den doppelten Schaden, daß er die mit ihm 
verbundenen Diebe nicht nur nicht verrieth, ſondern auch 
mit fange glüdlihem Erfolge die Nachforſchungen der Per 
licei irreleitete. Hieraus erklärt es fi, daß im 3. 1830 
von einer und derfelben Gaunerbande 38 bedeutende Dieb: 
ftähle in Berlin (namentlid) an oͤffentlichen Kaſſen und 
bei verfhiedenen Buchhandlungen) verlibt werden konnten, 
ohne daß es den eifrigften Beſtrebungen der Behörden ge— 
(ingen wollte, die Zhäter zu entdecken. Cndli gu An- 
fang des Jahres 1831 kam man einem Mitgliede jener 
Bande, Namens Lömwenthal auf die Spur; die bei dem⸗ 
felben veranſtaltete Hausſuchung lieferte überrafchende Bes 
weismittel und man brachte den Gauner zur Haft. Die 
gegen Loͤwenthal fprechenden Indicien waren zu flarf, als 
daß ihn, felbft wenn er an dem von allen gewerbsmaͤßigen 
Dieben adoptirten Principe des Nichtgeſtehens feſthielt, micht 
ein hoher Grad von auferordentlicher Strafe treffen mußte. 
Dies mochte Löwenthal in dee Muße feiner Daft reiftich 
überlegt haben. In einer vertraulichen Unterredung, bie 
er fih am Tage nach feiner Verhaftung beim Inquiren⸗ 
ten erbat, erklärte er, daß zwar allerdings in Berlin, eben: 
fo wie in einigen Provinzen des preußifchen Staats, eine 
Diebsbande eriftire, die unter fi eine Clique ausmache; 
ec werde jedoch darüber nicht nur feine Auskunft geben, 
fondern auch nody weniger fügen, wiefern er felbfl dabel 
betheittge fei, wenn ihm nicht zuvor das Werfprechen der 
Begnadigung ertheilt würde. Schon vier Tage nach die 
fer Erklaͤrung erging eine koͤnigliche Cabinetsordre, derzu⸗ 
folge dem Lömenthal die Stehfe aller derjenigen Diebffähte, 
welche er biäher veruͤbt, oder an deren Berübung er Theil 
genommen babe, erlaffen werden follte, wenn er, durch ein 
vollftändige® Bekenntniß feiner Vergehen, feine Mitſchul⸗ 
digen dergeftalt bezeihne, daß wenigftens auf eine außer⸗ 
ordentliche Strafe, gegen biefelben erkannt werden Eönne. 
Nun begann eine Reihe von Ecoͤffnungen; aber trotz bez 
verſprochenen Begnadigung behielt Loͤwenthal doch noch 


— — —— 


Sieles im Hinterhalt und erſt die ſpuͤtern freien Geſtaͤnd⸗ 
niſſe eines andern Gauners, Namens Wohlauer, brachten 
Licht uͤber den ganzen Complerx unzähliger Diebsſtuͤcke; 
hierdurch befam die Unterfuhnng einen grenzenlofen Um: 
fang. Mehr ale 500 Perſonen waren des Diebflahls, 
der Dieböhehlerei oder des Meineides für den Nachweis 
des alibi der Diebe bezuͤchtigt, deren Verhaftung alfo größs 
tentheils Erfoderniß. Sie wohnten in faft allen Provin⸗ 
zum des preußifchen Staats, vornehmlid, aber in dem Groß: 
herzogihum Polen, und dort wieder vorzugsweiſe in dem 
GSeabtchen Betſche. Eine Reihe beklagenswerther Erfah⸗ 
rungen aber hatte bewieſen, mie fehe gerade im Großher⸗ 
zogthum Pofen eine allgemeine Unſicherheit von allen Si: 
sen eingebürgert war. Gerade in denjenigen Ortſchaften, 
me die meiften und gefährlichiten Verbrecher nifteten, wo 
alſo Deren Werhuftungen, die nothmendigen Beſchlagnah⸗ 
men u. f. m. die meifte policelliche Energie erfoderten, fah 
ed am übelften mit der obrigkeitlichen Gewalt aus und 
waren die Localbehoͤrden am unzuverlaͤſſigſten. Als ein 
Beifpiel zu Dem, was hier Über den Stand ber bürgerli: 
chen Debnung und odrigkeitlichen Gewalt gefage ift, wird 
folgendes, in Betſche vorgefallene Stückchen dienen. Der 
berüschtigte, gleichfalls zu verhaftende Dieb Nathan Jakob 
Stahl wur, nach der Verſicherung des betſcher Bürgers 
meifters, am Abend vorher, wegen Widerſetzlichkeit gegen 
Die Gendarmerie, zum Arreft gebracht worden, wo er fidh 
alfo noch befinden mußte. Da nun das Arrefllocal feine 
genlgende Sicherheit gewährte, ſo flellten bie Commiſ⸗ 
farien davor eine befondere Wache auf. Als man ins 
deſſen die Wohnung bes Stahl infpleirte, fand man ihn 
dort, zum großen Erflaunen des Bürgermeifters, gemäc: 
Lich im Bette liegend. 

Die Sefinchmung der Gauner mußte mit größter Um: 
ficht erfolgen; die Nacht vom 20. zum 21. Januar war 
dazu auderfehen, um alle Berhaftungen im Großherzog: 
thum ofen gleichzeitig ausführen zu laffen, weil am 
Abend vorher der jüdifche Sabbath begonnen hatte und 
um jene Zeit gerade DBollmond mar, beive Thatſachen 
aber, der Erfahrung gemäß, mit vieler Gewißheit voraus: 
fegen ließen, daß die jüdilchen Verbrecher, welche bekannt: 
ih am Sabbath nach ihrem Rituale wicht reifen dürfen 
und überhaupt nur in dunfeln, weder duch Mondfchein 
noch durch Schnee erheliten Nächten auf Diebſtahl aus: 
ziehen, in ihren Wohnungen angetroffen werden würden. 
Ein gleichzeitiges Einfchreiten gegen alle in jemer Provinz 
zu verbaftenden Perfonen war aber dringend erfoderlich, 
weil frühere Unterfuchumgen, ſowie längft dekannle Erfah⸗ 

eungsfäge die Lehre Tieferten, daß verſchmitzte, insbefondere 
juͤdiſche Verbrecher, fobald fie eine Verhaftung vermutben, 
ihee Wohnocter oder Schlupfwinkel verlafien, unter An: 
mahme falſcher Namen im der Welt umberfiteifen und ſich 
fo der Unterfuchung und: Strafe entziehen. Die Maß—⸗ 
regeln waren fo gut getroffen, daß In der erwähnten Nacht 
die Gefanugennehmung aller im Großherzogtum, nament: 
lich im Betſche, Roftarszeroo, Radwig, Schermeiſel, Graͤtz, 
Storchneſt u. ſ. m. wohnhaften bezlichtigten Verbrecher ſehr 
sract erfoigte. Es gewährte im Monat Januar und Feb⸗ 


rar einen eigenen Anbkick tägihh bie Transpotte yener 
berüchtigten, oft ergrauten Übelthäter duch bie Straßen 
Berlins kommen zu fehen, die, auf einen Bauernwagen 
angefchloffen, mit finfterm Trotze in ben verdaͤchtigen baͤr⸗ 
tigen Gefichtern, ifeem Werhängnifie entgegeufuhren. Die 
bei den Hausfuchungen in Beſchlag genommenen Gelder 
beliefen ſich auf 32,000 Thaler; aber auch die Unterfu- 
chungskoſten waren bis zu Anfang des Jahres 1834 be: 
reise auf 21,000 Thaler angewachſen. Jedech ſtand dies 
in keinem Vergleich mit den heilfamen Felgen, welche 
durch die Aufhebung der geführlichften jüdifhen Diebe aus 
dem Großherzogthume Pofen und dem Regierungsbezirk 
Frankfurt bewirkt wurde. Es äußerten ſich diefe Folgen 
ſchon recht deutlich in der zunaͤchſt folgenden Reminiſcere 
meffe zu Frankfurt a. d. O., denn e6 wurde während ber: 
felben nicht ein einziger gewaltfamer Diebflahl verübt, ob⸗ 
gleich fonft fült immer 12 —14 dergleichen zur Cognition 
der dortigen Policeibebörde gelangt waren. 
(Die Bortfegung folgt.) 





Mythologiſche Sorfhungen und Sammlungen, von Wolf: 
gang Menzel, Erſtes Bändchen. Stuttgart, Cotta. 
1842. ®. 8. 2 Thir. 10 Nor. 


Die Mythologie der Voͤtker iſt verfchiebener Behandlung 
fähig und verftattet mannichfache Sombinationen über Ent: 
ftehung, Verwandtſchaft, innere Bedeutung, an denen hiſtoriſche 
Forſchung und Wis vielleicht einen unerſchoͤpflichen Gegenftand 
finden. Unfer Berf. widmet feine Sammlungen zunddft ben 
Freunden der Porfie und Kunft, denen fördernd und erfreutich 
fein kann, zu willen, wie derſeibe Gegenſtand oder biefelbe Idee 
fi) in den verfchiedenften Vorftellungsmeifen abgefpiegelt habe, 
wozu dann Poefle und Kunſt felber ihre Bereicherung brachten 
und aus dem Mannichfattigen eine gewilfe Einheit hervorſchim⸗ 
mert, die das Afthetifche Intereffe an den Werfen ber Phans 
tafte erhöht. Haben Andere das Religiöfe, Phitofoppifche, Hi⸗ 
ftorifhe mebr ins Auge gefaßt, fo wirb doch die Auffaffunge-. 
weiſe des Verf. friedlich und anfpruchlos baneben beftehen und 
dem Lefer außer dem Reiz der mythologifchen Wilder auch eine 
willtommene Überficht derfelben gemätren. 

Woher der Menfh? wie ift er entflanden? welches tar 
feine Beflimmung unb die feines Geſchlechts? Diefe ragen ha⸗ 
ben von jeher die menſchlichen Gedanken befchäftigt und Specu: 
Iationen wie Erzählungen veranlaßt. Alle Hauptvoͤlker im Often 
Aftens theilen den Gedanken: die Menſchen würben nicht zum 
erften Mal auf diefee Erde geboren, fondern hätten ſchon lange 
vorher als Geiſter exiſtirt; nach den Indiern ats böfe Geifter, 
die zur Buße den irdifchen Leib bewohnen müffen; nach den. 
Perfern als gure Geiſter, die freimillig in ben irdiſchen Leib 
eingehen, um das Boͤſe zu bekämpfen. Zugteich aber fehließen 
fi) daran die Sagen von ber Sünde bes Geſchlechts und einer 
als Strafe deffeiben vertitgenden Flut. Beſſer foll e® nun wer: 
den auf irgend eine Weiſe. in ficitifcher) Dichter erzähle: 
„Gott und der Zeufel fpielten Schady miteinander. Bott vers 
or feine Königin, bie bei Seite gervorfen wurbe und auf bie 
Erde fiel — die Eva. Aber Gott gewann wieder und machte 
ſich nach der Epielregel eine neue Adnigin, indem er mit einem 
Bauer ins Schach rüdte — die Madonna.” Das Paradies des 


Moſes und die Art feines Berluftes find befannt, mehr ober 
weniger beziehen ſich darauf die Lehren der Manichaͤer, Gnoſti⸗ 


ter, bed Talmud. Merkwüuürdig ift, daß auf ben Inſeln des 
Stillen Dceans und im dußerften Norden Amerikas die Borſtel⸗ 
lung einer verbotenen Frucht angetroffen wird, obne daß man 
weiß, auf weiche Weile fie dahin gelommen. Der Griechen, 








Römer, ber Edda und ber Afrikaner gebenkt unfer Verf. und 
auch einiger mobernen Philofopheme, die von ber biblifchen Vor⸗ 
flelung eines urfprünglichen Menfchenpaars abwichen und darin 


mit Regern und amerifanifchen Wilden zufammentreffen. Gin: 


neuerer Naturforſcher hält Adam und Eva für ein Regerpaar, 
dae Paradies fei in Afrika gewefen, und durch 
fi die weißen Stämme, durdy die Hottentotten bie Mongolen, 
Malaien und Amerifaner abgegmweigt. Andere ſprachen von 
präadamitifchen Zeitaltern, von einem Urfchleim, woraus Alles 
entftand, wie Phönizler von ihrem Mot. 

(ine eigene Reihe des Mythologiſchen bilbet Gros. Vie⸗ 
les, fagt der Verf., ift tiefen Sinnes, Vieles, vielleicht das 
Meifte, nur Spielerei, aber es liegt ein Reiz in den Spielen. 
Nah altgriechiſcher Theogonie ift Eros der aͤlteſte unter den 
griechiſchen Göttern und auch ber legte; im ber fpätern Vorſtel⸗ 
lung ift er ein ideales Kind, auch reifender Juͤngling, geflügelt, 
mit Bade, Pfeil und Bogen. Br gewährt mannichfachen Stoff 
zu Ausſchmuͤckung und wir erhalten von dem Verf. eine artige 
Blumenlefe derfeiben von dltern und neuern Dicdhtern. Die Er: 
zählung des Apulejus von Amor und Pſyche wird nicht übers 
gangen und ihr Sinn dahin ausgelegt: „Durch Liebe wird die 
menfchliche Seele zwar gepeinigt und gemartert, aber auch ges 
(äutert und würdig der Unſterblichkeit.“ Eros wirb zufammen: 
geftellt mit der Lyra (Poefic), dem Apollo, den Wufen, er ift 
Weltbeherrfcher, beftegt alle Götter, reitet auf einem Löwen, 
überwindet die Centauren, Bacchus erſcheint oft in feiner Ges 
feufhaft. Auch der indifche Liebesgott Kama trägt fehr viele 
Namen , bie fein Wefen näher bezeichnen und den Beweis lies 
fern, daß er dem griechiſchen Eros febr ähnlich war. Er reitet 
auf einem bunten Papagai, oder auf einem Fiſch und Loͤwen, 
ft Sohn des Wifchnu, ale bes erhaltenden Principe, oder auch 
Sohn der Maja, ber fhönen Taͤuſchung. 

Vorliegendes Bändchen befchließen eine Monographie ber Bicne 
und. die Mythe des Regenbogens. Weber die kuͤnſtliche Lebens⸗ 
weile des kleinen Infekt und ihr Nugen für ben Menfchen, 
noch die ſchoͤne Naturerfcheinung blieben den Völkern fremd und 
unbeachtet. Bei den Brischen ift die Biene der gebärenden Nas 
turkraft heilig, in Indien ftebt fie mit bem männlichen Son⸗ 
nenprincip der Zeugung in Verbindung, wie wieder bei den 
Griechen mit dem Sonnengott, mit Stier und Kuh ald Sinn» 
bilder der Zeugungskraft; fie erinnert an das goldene Zeitalter, 
in welhen Milch und Honig flog. Sie ift auch Sinnbild der 
Wiedergeburt, der Honig erhält Bebeutung einer Seclenreinis 
gung und erfcheint ala Gabe der Weisheit und Dichtkunft. In 
ihrer Dfonomie und Arbeitvertheilung fpiegelt ſich ein wohl⸗ 
georbneter Staat, gegenfeitige Anhaͤnglichkeit und Körderung, 
bei den Indiern if die Biene ein Attribut des Liebesgottes 
Kama. Auf dem Mantel Napoleon’8 bedeuteten Bienen das 
Einfammeln, wie fchon früher im Wappen ber habgierigen Fa⸗ 
milie Barberini, und Papft Urban VIII., der aus diefer Fa⸗ 
mitie flammte, baute die Kirche della sapienza in Rom nad) 
einem Grunbriß in Bienenform. 

Der Regenbogen ift in Indien Bogen bed Regengottes 


Sandra, in China Stüge des Himmelsgewoͤibes. In Peru iſt 


ihm ein bunter Tempel geweiht, bei den Karaiben befteht aus 
ibm das Diadem bed Meergottes, bei ben Eſthen bie Sichel 
des Donnergottes, bei ben Lithauern der bunte Gürtel dir Goͤt⸗ 
tin Laima. Die Deutſchen machten daraus eine Brüde zwiſchen 
Himmel und Erde, die Griechen eine Götterbotin Iris, befon: 
ders ber Juno als Luftgöttin zugetheilt. Nach bibliſchen Bor: 
ftelungen ift der Regenbogen ein Bunbdeszeichen, in der katholi⸗ 
fhen Kirche sin Sinnbild der Dreieinigkeit, auch der Jungfrau 
Maria. Pater Abraham a Santa Klara fagt in feinem „Judas 
der Erzſchelm“ vom Prunk der damaligen Höfe: „Die Eiberey 
der Lakaien und Bedienten hat faft allerlei Karben, wie ein Res 
genbogens es kann wol fein, daß es nafles Wetter bebeutet in 
den Augen der Unterthanen.” 

Gewiß wird ber Verf. aus feinen übrigen mythologifchen 


bie Kaffern hätten: 


Gommiungen ned; mandges Anziehende und Belehrende wi 
teilen haben und durch die willlommene Gruppirung beffelden 
den Dank feiner Lefer verdienen. 5. 





Bauclufe und Petrarca. 
Carpentras, 13.-Kebr. 16m. . 


Geſtern befuchte ich die Fontaine von Bauclufe. Durch 
Petrarca erhieit ſie bekanntlich die Weihe der Unfterblichkeit. 
Mein Führer dahin war der neunundſiebzigjaͤhrige Olivier» Wis 
talie, der in dieſem Augenblicke biftorifche Forſchungen von hoͤch⸗ 
ſtem Intereſſe über die echte Laura dem Publicum übergibt. *) 
Gine kühne Felfenfpige bietet fihöne Schloßruinen dar; hoch 
ſucht man im Schloſſe gewiß mit Unrecht Petrarca’s Wohnung. 
Diefe war vielmehr auf, dem Felſenabhange ein wenig unter 
dem Scloffe, wo jest ein einfaches Wauerhäuschen ſteht. Im 
Keller deffelben bat man vor kurzem ein Stüd Piafond mit 
verfteinexten Muſchelgebilben gefunden, worin man Reliquien 
von Petrarca’d Wohnung erbliden wi. Ich durfte etwas von 
diefem Eoftbaren Schatze zu mir fleden. Hierauf fliegen wir 
auf einem zum Theil unter Felſen hintaufenden Stege in bes 
Dichters Liebtingsgarten hinab. Seine Veilchen ftehen ſchon in 
voller Pracht. Ein Lorberbaum prangt in ſeiner Mitte, ge⸗ 
pflanzt über den Wurzein beffeiben Lorberbaums, den Petzarca's 
Dand gepflegt und oft — wie er felbft erzählt — gegen bie 
feindlichen Wogen der Sorgue vertheidigt hat. über dem Beil: 
henbeete, das unter einem hoch hinaufragenden, mit Lorber 
durchwachſenen Belfen rubt, riefelt ein klares Bächlein; es fälle 
in bie vor dem Garten lautbraufenden Wogen ber Borgue. 
Bon Petrarca’s Wohnung aus über dem Thale drüben wohnte, 
wie man in Bauclufe jagt, Madame Laura. Am längften ver⸗ 
weilte ich bei ber Grotte mit dem Quellwaffer, wo Petrarca 
einft feine Laura im Babe überrafchte. Übrigens bin ich ganz 
der Überzeugung, daß Dlivier Recht hat, wenn er ber Ratıra vom 
Gabe und der Laura von Avignon ben Ruhm der Liebe Pe 
trarcas flreitig macht und ihn der ſchoͤnen Vaucluſerin um bie 
Schlaͤfe flicht. Es wundert mich, daß die beruͤhmte Note von 
Petrarca's Hand im Ambroflanifchen Virgil bis jegt fo vielen 
Slauben hat finden Eönnen. Ich halte fie für ganz unecht 
Nachſtehendes Sonett hat Petrarca an Vaucluſe gerichtet, viels 
Leicht nem legten a in * reizende Thal. Es 
verdankt Diivier feine erſte Veroͤffentlichung aus cinem s 
feript des Louis de Peruffis von 1564: 3 Manu 

Nacquer qui, quelli accesi e gran B08piri, 
Ch’en si suavi accenti risonaro ! 
Che con Sorga e Dureuza a paro a paro 
Vivranno fin chil eiel ja terra girl, 


Lupra divisa par ch’aucora rpirf 
Non so ehe delos in questo aer ohiaro 
Per rimembrenze di quel spirto raro 
Che per lei visee in si dolci martiri, 

Felici coli, aventurose rive, 
Gradita valle eh'en si varle tempi 
Udieti in suon delle zue voce vive, 


Pria fia che came nebbia fl sol mi stempre 
Ch’a questi laoghi come à cose dire . 
lo non m’inelini ad’kenorarli sempre. ° 
41. 


”) L’illustre Chätelaine des envirous de "Vauche,. la Laure 
de Pötrarqus. Dissertation et examen critique des diverses, opi- 
ulone des derivains qui se sont oosupes de cette belle Laure que 
le divin poöte toscan a immortalisdce , et dont lui seul nous m 
foarni quelques donndes pour som inidressaute biographie. Par 
Hyacinthe d’Olivier - Vitalis, Bibliothdenire de Carpentras, Corse- 
apondant da Ministere de l’isstraction puhlique pour les travemı 
historiguns. Paris 1842. 


-  Berantwortlicher Herausgeber: Heinrio Brodbaus — Drud und Merlag von $. X. Brodypaus in Beipgig. 


Blätter 


für 


[4 


literarifhe Unterhaltung. 








Rittwod, 





Das Saunermwefen in Deutfchlanb. 
(Bertfefung and Nr. 78.) 


Daß ein großer Theil dieſer angefchuldigten Gauner 
zum Geftändniß gebracht wurde, bezeichnet der Verf. mit 
Recht als eine der größten Merkwürdigkeiten in den An: 
nalen der Griminaljuſtiz. Wer da weiß, mit welcher flols 
ſchen Hactnaͤckigkelt, mit welcher Gewandtheit und welcher 
Erfindungsgabe im Leugnen der Gauner in den peinlichen 
Verhoͤren aufzutreten verſteht und immer auftritt, der wird 
das Unerhoͤrte eines ſolchen Ergebniſſes zu wuͤrdigen wiſſen. 
Das Mittel zu jenen Erfolgen war zunaͤchſt ein fehr ein: 
faches, nämlich die Gonfrontation. Sowie ein Verbrecher 
mitteld Transports von außerhalb in Berlin ankam, wurde 
er nicht erfi ins Gefaͤngniß, fondern fofort zum Verhoͤre 
geführt. Hier wurde er zuvoͤrderſt in aller Güte damit 
befannt gemacht, daß er in eine fehr weitläufige Sache 
vermwidelt fei und einen mehrjährigen Unterfuchungsarreft 
zu beftehen haben werde, deſſen Erleichterung und kuͤnftige 
Anrehnung auf die Strafe nur duch ein freimüthiges 
Geftändniß zu erwirken fei. Leugnete er dann, mie es 
freilich immer gefhah, fo wurden ihm bie gefländigen 
Complicen, einer nah dem andern ind Geſicht geftellt. 
‚ Diefe hielten ihm keine Specialia vor, fie erzählten ihm 
bins, daß fie Alles geftanden hätten, daß Leugnen nichts 
mehr helfen könnte, und Dies reichte meiftentheils aus, 
den Verbrecher bekennen zu machen. Nur die Deinder: 
zahl war es, deren Halsflarrigkeit, Frechheit und Ders 
ſchmitztheit diefen pſychiſchen Impreffionen nicht erlag. 

Man hätte fie ſehen möüflen, jene vielberüchtigten, wol oft 
fhon vor Gericht geftandenen, aber noch niemals gefländig ges 
wefenen @auner, deren graues Baar für eine lange Reihe von 
Verbrechen zeugte; man hätte fie fehen müffen, wie fie daſtan⸗ 
Yan, oft mit fchlotteenden Knien, mit klappernden Zähnen, uns 
ter der Schwere ihres fo unerwartet über fie hereinbrechenben 
Geſchicks faft zufammenfintend, und man würbe gezweifelt har 
ben, ob dies biefelben Übeithäter felen, deren gefegveriegende 
Kähndeit fo lange das Eigenthum ber Begüterten bedroht, des 
sen foftematifche Schtaubeit alle Maßnehmungen ber Behörben 
figeitern- gemacht, fie. aus ben wmeiften peinlichen Unterfuchungen 
fttraflos hatte hervorgehen laflen. Als nun vollends der Geſtaͤu⸗ 
digen immer mehr mwurben, als man dem Mater den Sohn, 
dem Bruder den Bruder ins Geficht ftellen, als man Jedem, 
von vornherein, bie Überzeugung verſchaffen Eonnte, daß er, trog 
feines Leugnens, boch zus Gtrafe überführt fei, da hielt es 
teum noch ſchwer, von hen nem eingellefezten Incutpaten Be⸗ 








15. Mär; 1843. 


Eenntniffe zu erlangen, die ſich denn nicht etwa auf einzelne, 
fonbern immer reich auf eine ganze Maffe von Verbrechen ex: 
firedte. Gine foͤrmliche Geftändnifwuth war unter dieſen Gau⸗ 
nern eingeriſſen, weil jeber glaubte, nur durch ein recht offenes 
Bekenntniß fein Loos mildern zu können. Immer neuerbingä 
tießen fie fi) aus dem Gefaͤngniß zum Verhoͤr melden und zeig⸗ 
ten freiwillig Delicte an, die fonft wahrfcheintid nie zur Kennt⸗ 
niß der Gerichte gekommen wären, und bauten fo mit eigener 
Hand immer höher das Gebäude ihrer Strafbarteit. 


Dieſe Stitprobe wird darthun, mit welcher Lebendig⸗ 


keit der Verf. feinen Gegenftand zu behandeln weiß. 


Weniger ergibige Refultate als bei den Dieben hatte 
die Unterfuhung in Bezug auf die Dieböhehler, auf die 
MWiederherbeifhaffung geftohlenen Gutes und die Entfchä: 
digung der Beraubten. Der Grund hiervon, ſowie ber 
Erfheinung, daB die Diebe trog ihrer bedeutenden 
und zahlreichen Diebflähle durchweg arm find, während 
nur die Hehler ſich bereicherten, bat der Derf. fehr gut 
auseinandergefegt.. Als eine betrübende Thatſache iſt hier 
noch hervorzuheben, daß eine Menge Chriften fich von dies 
fen jüdifhen Gaunern zum falſchen Zeugniß haben beftes 
Ken laffen, um das alibi der legtern dazuthun. Bei der 
bier in Rede flehenden Unterfuhung waren 28 ſolcher fal⸗ 
ſcher Alibizeugen complicirt, worunter ſich nur ein einzi⸗ 
ger Jude befand ! 

Um einen Begriff von der Weitfchichtigkeit der Unter: 
fuchung zu geben, bemerkt der Verf., daß fie ſich auf ei: 
nen Zeitraum von 20 Fahren zurüderfiredit, daß über 800 
Verbrechen im Laufe derfelben zur Sprache gekommen find, 
wovon jeboh aus Sründen nur 549 näher erörtert wur⸗ 
den, unter welchen 43 aus verfchiedenen Delicten, 506 
aber aus Raub und gemwaltfamen, ober fonft beträchtlichen 
Diebitählen beftanden, wodurch 46 Öffentliche Kaffen und 
460 SPrivatperfonen, ſoweit fi der Betrag hat feſtſtellen 
laffen, um mehr als 210,000 Thaler beftohlen worden 


find. Die Acten beftehen im Ganzen aus 2050 Bänden. 


Daß diefer Riefenproceß in außerordentlich vielen Bes 
jiehungen lehrreich fein mußte, iſt einleuchtend; die hier⸗ 
aus gewonnene Kenntniß der Gaunertaktik theilt der Verf. 
in einem befondern Abfchnitt mit: 

Gaunertaktik. Das Verfahren dee Diebe kennen 
zu lernen, wie ed aus jener großen Unterfuchung ſich er⸗ 
geben Hat, iſt niche nur in ſicherheitspoliceilicher Hinſicht, 
ſondern für Sehen, der etwas zu verlieren hat und fich: 


4 \ 


gegen biebifche Gefährdungen ſchuͤtzen will, von weſentli⸗ 
chem Intereſſe. Wir haben es dabei mit einem ziemlich 
ausgebildeten Organismus zu thun. Da dem Einzelnen 
die Veruͤbung ven Diebftählen, befonders in gewerbsmaͤ⸗ 
ßiger Ausdehnung, fchwierig und oft unmoͤglich geweſen 
wäre, fo entflanden Beine Verbindungen zum Zwecke ges 
meinfchaftlicher Ausführung diebiſcher Unternehmungen. 
Eine folhe Verbindung, in ber jüdifhen Diebsfprache 
Chämwre oder Chamruffe genannt, umfaßt aus der Zahl 
"der an einem Drte oder doch in der Nähe beilammen 
wohnenden jüdifchen Diebe, vier bis fünf, höchftens ſechs 
Derfonen. (In dem Städtchen Betſche, von welchem be: 
reits die Mede war, beftanden nach aetenmäßigen Nachtich⸗ 
ten etwa im J. 1804 vier bis fünf ſolcher Chawruffen, 
welche jedoch in der fpätern Zeit, bei der beftändigen Zu: 


nahme der diebifchen Bevölkerung, bis auf die Zahl von 


zehn anwuchſen.) Jede diefer Diebsgeſellſchaften hatte ei 
nen beftimmten Anführer, in der Diebsfprahe Bohnherr 
oder Balmaffematten (Bal: Herr, Maffematten: Dieb: 
ftahl) genannt. Seine Wahl hing von der Größe feiner 
Geſchicklichkeit im Einbrehen, im Öffnen von Schloͤſſern 
u. f. m. ab. Wer diefe Eigenfhaften durch längern Be: 
trieb des Diebshandwerks erlangt hatte, ward von den 
übrigen Chawruffe- Mitgliedern als ihr Bohnherr betrachtet. 
Als folher befaß er einen eifernen Fonds zur Bezahlung 


der Zehrungskoften und fonftigen Auslagen auf der Reife 


nach dem Drte des Diebftahls; er flellte bei Veruͤbung 
deffelben die, zur Sicherung nöthigen Wachen (Schmie: 
ren in der Diebsfprache) aus; ihm mußten bei allem bie: 
fen die übrigen Chamruffe- Mitglieder gehorchen. Kein zu 
diefen Affociationen gehörender Gauner fliehit, ohne mit 
der Örtlichleit de8 auszuführenden Diebflahld genau be: 
anne zu fein, weil er, wie dies bei gelegentlichen Dieb: 
ſtaͤhlen fo häufig gefchicht, der Gefahr der Ertappung fonft 
zu leicht blosgeſtellt if. Es exiſtiren beflimmte Baldo⸗ 
wer (d. h. Auskundſchafter), welche den Charoruffen die 
Diebftahlsgelegenheiten nachweiſen und dafür einen An» 
theil am geftohlenen Gute erhalten. Jede Chawruſſe bes 
faß ihr gemeinfchaftlihes Schraͤnkzeug (das zum Ein: 
brechen erfoderliche Werkzeug), ihre Klamoniff (Nad: 
fchlüffel) und ihe Fuhrwerk. Schon duch den Baldower 
wiffen die Diebe immer, wann ber zu Beſtehlende, in ber 
Diebsfprache der Freier genannt, nicht zu Haufe if. 
Sie lauern ihm auch wol auf, bis er weggeht. Einer 
der Chamern fchleiht ihm alsdann nad, beobachtet Ihn 
genau und fegt, wenn Sener zurückkehren follte, feine Ge: 
noffen fchleunigft davon in Kenntniß. Werden die Diebe 
geftört, fo rufen fie fih das Wort Lampen! zu und 
jeder ergreift, fo gut er kann, die Flucht. 

Außer diefen, von Chawruffen ausgeführten gewaltfa: 
men Diebftählen find noch folgende Arten zu unterfchei: 
den: 1) Die Schottenfeller. Sie cultiviren den Dieb: 
ſtahl auf Meffen und Märkten oder auch fonfl in den 
Kaufmannsiäden. Ihr Gewerbe beiteht in Entwendung 
von Schnittwaaren. Gewöhnlich find dabei mindeflens 
zwei Perfonen thätig. Der eine (dee Srikener) läßt 
fi) von dem Kaufmann Waaren zur Anficht vorlegen. 


Daran mäfelt und tabelt er, und um ihn zu befciebigen, 
langt der Kaufmann immer neue Stüde herunter, bis 
der Ladentifh voll wird. So oft der Kaufmann den 
Rüden wendet, fliehlt der andere (dee Schautenpider) 
von den vorgelegten oder fonf zur Dand liegenden Waa⸗ 


 senftäden, indem er davon, fo viel.er fortbringen oder ers 


langen kann, in feine Fuhre (große Diebstafche) ſteckt. 
Keine Art des Gaunergewerbes wird von einer fo großen 
Anzahl Individuen in folhem Umfange getrieben ald das 
Schottenfellen. Daß mindeftens 5000 Gauner fih da⸗ 
mit befchäftigen, glaubt ber Verf. als gewiß annehmen 
zu koͤnnen. 

2) Die Zorfdruder, auch Cheilefzicher ober 
Seifenfieder genannt, treiben ben Taſchendiebſtahl auf 
Meffen und Märkten, im Theater, bei Volksfeſten und 
wo fonft ein Zufammenflug von Menfchen ftattfindet. 
Gewoͤhnlich find ihrer mehre. Pferdemärkte find ihre vor: 
nehmften Sammelpläge, weil die Käufer da in der Megel 
das meifte Geld bei fi führen. Sobald einer einen 
„Freier“ baldowert bat, gibt er feinen Chamern einen 
Zink (Zeichen), um Vertuſſ zu machen, d. h. um 
Gedraͤnge zu veranlaſſen. Waͤhrend dieſes Gedraͤnges 
wird der Geldbeutel oder die Uhr dem Gedraͤngten auf 
ſehr behende Weiſe aus der Taſche gezogen. (Hierher ge⸗ 
hört ein intereſſantes Manoeuvre, welches vor einiger Zeit 
am Wohnorte des Nef. ausgeführt wurde und wahrſchein⸗ 
li auch anderweit ſchon vorgelommen if. Man könnte 
e6 „das Niederreiten” nennen. Ein Qutsbefiger mit etwa 
70 Thalern Papiergeld in der Zafche, fchaut fih auf dem 
Viehmarkt um; ein Weiter jagt gerade auf ihn los, der 
Gutsbeſitzer will flüchten, fällt dabei einem ihm zu Hülfe 
ellenden, den Meiter abmwehrenden Manne in die Arme 
und ift im nächften Augenblide geborgen. Indem er fich 
nun fortbewegen will und inflinctmäßig nach der Bruft: 
tafche greift, ift das kurz vorher moch dageweſene Porte⸗ 
feuille mit dem Gelde weg; auch der freundliche Beſchuͤtzer 
war mittlerweile in fcheinbar eifriger Verfolgung des un: 
befonnenen Reiters im Gewuͤhl verfchtwunden.) " 
3) Die Chalfen oder Chilfer (Wechsler). Die die⸗ 
biſche Manier der Chalfer beſteht darin, daß ſie von ei⸗ 
ner, beim Geldumwechſelungsgeſchaͤft ihnen vorgewieſenen 
Summe, vor den Augen Desjenigen, den fie beſtehlen 
wollen, oft einen ſehr beträchtlihen Theil auf fo geſchickte 
Weife entwenden, daß der Beſtohlene von dem ihm zuge: 
fügten Verluſt meiftens gar keine Ahnung hat. Die ge 
woͤhnliche Art und Weiſe ihres Verfahrens ift folgende: 
Der Chalfen geht zu einem Geldwechsler oder auch zu 
dem eriten beiten Kaufmann, von bem er wol denkt, daß 
er Goldſtuͤcke vorräthig hat, und bittet mit artigen Wor: 
ten, indem er fih für einen Fremden ausgibt, ihm ein 
Goldſtuͤck, in der Regel einen Doppellouisder, deſſen er 
bedürfe , gegen Gourant auszuwechſein. Er ii — ein 
nothiwendiges Erfoderniß! — anftändig, wol gar fein ge 
Beider, und der Kaufmann, obwol das Geldwechſeln viels 
leicht zu feinem eigentlichen Geſchaͤft nicht gehört, träge 
boch Bedenken, das befcheidene Verlangen des Fremben 
abzuſchlagen. Er holt nun aus ſeiner Kaſſe ein einzelnes 


La) 
® 


GSoenme, um es dent Fremben u geben. Dieler ober, 
nachdem er es beſehen, bittet fehr hoͤflich, ihm ein anderes 
Goldſtuͤck etwa eins mit gezacktem Rande, einen Braun: 
ſchweiger u. f. w. zu geben, und der Kaufmann langt ale: 
dann, der Regel nach, feine Goldkaſſe hervor, um darin 
nach dem verlangten Stüde zu fuden. Dies ift es, was 
dere Chalfen gern wimnfchte und was er durch feinen Eins 
ward Hinfichttich des Gepräges u. f. w., eigentlich herbei: 
führen wollte. Er drängt fi nun an den zu Beſtehlen⸗ 
den beran, thut fo, als ob er plöglich in der Goldſchwinge, 
die Jener in bee Dand hält, ein ſolches Goldſtuͤck wahr: 
naͤhme, wie es von ihm bezeichnet worden, und fährt, 
feinbar um den Kaufmann darauf aufmerffam zu ma: 
hen, mit dem ausgeftredten Zeigefinger der rechten Hand 
in die Kaffe. Dabei hält er aber den Daumen und Die 
andern drei Finger der rechten Hand dergefialt zufammen: 
geniffen, daß die letztern unter dem Zeigefinger eine Höhs 
lung bilder. Indem er nun die Hand flach auf die Kaffe 
legt, weiß er durch eine aͤußerſt fchnelle, dem Unkundigen 
gar nicht bemerkbare Bewegung des Daumens wol bis 
u 10 Doppellouisdor in bie hohle Hand zu klemmen, 
die er dann fchnell wieder zuruͤckzieht. Scheinbar fodann 
nach der Uhr fehend, oder Courantgeld zum Umfegen her: 
vorholend, weiß er diefe Gelegenheit zu benugen, um die 
geſtohlenen Goldſtuͤcke in feine Taſche zu bringen. 
(Der Beſchiuß folgt.) 





Engliſche Tafhenbücer für 1843. 

Nicht alle, obſchon der einftmaligen Flut eine ſtarke Ebbe 
gefolgt ift, fondern nur fechs der bemertenswertheften. 

l. Friendship’s Offering. 

Berbientermaßen zuerft ats eins der aͤlteſten, ber beften und 
am frübeften erfchienenen. Keith Ritchie ift Herausgeber und 
bekanntlich ein Literarifcher Koch für jedes Menfchen Geſchmack, der 
zugleich bas Vorſchneiden folcher buchhaͤndieriſchen Braten vers 
ficht. Das Zitelkupfer zeigt das Gluͤck der Königin Victoria im 
häuslichen Kreiſe, die Kinder in ihren Armen, der Gemahl, 
„nee allezeit Tiebevolle Prinz Albert”, an ihrer Seite. Das 
Kupfer ift vortrefflidh, der Anblick rührend und der Herausgeber 
dankt Miß Camilla Zontmin für die beigegebenen Zeilen. 
Für Nnittelverfe erfcheint der Dank zu artig. Das Gedicht 
„Die gebrochene Kette” Habe ich nicht gelefens es fing im vos 
tigen Jahrgange an und enbigt in biefem. „Fortſegung folgt” 
in den belletriſtiſchen Sournalen, iſt übel genug, eine Fort⸗ 
fetung in einem Taſchenbuche eine Unverſchaͤmtheit. Die Verſe 

den Tod ber L. E. 2. reden zum Bergen. Sie Flingen 
wie die Klage ber Felicia Hemans über ben vorfchnellen Tod 
der Schweſter⸗Dichterin. Beide ruhen nun im Grabe. Sämmts 
lie Kupfer find Thon, und welche Erzählung ich nicht tadle, 
die Iobe ich. Ich table keine. 

2. Book of beauty. 

Serausgeberin Lady Bleffington, die Rinon de l'Enclos 
der engtiichen Literatur. Voran wieder die Königin, ihre zwei 
Kinder und ihr Schooshund, von ber Race, die in England 
König Karl's Hunde beißt. Die beigegebenen Verſe find beffer. 
Die Königin Mutter ficht wirklich cus — nur fi kaum aͤhn⸗ 
lich — ats ob fie ba fige 

Watching the smiles upon each infant check, 
Where budding hopes thro’ budding roses upeak. 

Die „Epifode im wirklichen Leben‘, von Sir Edward Lyt⸗ 
ton Buiwer, beginnt mit „theurgiſcher Philoſophie“ und hört 
mit Simmel und Höfe auf. Iſt mir ganz grautich dabei ges 


' worden. Die ſchoͤne Pringes Eſterhazy wird von ber Heraus 
A en ice ehrtich. Die ® 

r, fie me nicht e . Ä 
Beibes iſt, vom Wanne geliebt zu werben. Darauf mag — 


Wenn: eine Frau ber andern ſchmeicheit, 


Meinung fußen. „Inez de Caſtro ift eine gut ae 
Sryählung von Lord William Lennox. —— iR 
fon beiweitem beffer behandelt worben; aber ih babe von 
bem edeln Lord nie Beſſeres gelefen, was freilich immer noch 
ein mäßiges Lob iſt. „Dichter fterben im Herbfl’”, von Miftreß 
Wiiſon — einfältiger Schnack, die Dichter flerben in jeber Jah⸗ 
auejeit Songreve flarb im Januar, Byron und Beaumont im 
M Ih Shalfprare und Dtway im April, Southern und Dry⸗ 
den im Mai, Addiſon und Akenſide im Juni, Rouſſeau im Suli, 
Milton im November, Rowe im December, der Dichter anderer 
Volker zu gefchmeigen. Ich baffe Affectation und „Dichter fters 
ben im Herbfl‘ ift eine eingemadte. Benjamin d’Zfraeli bat 
einen Beitrag geliefert: „Der mittelländifche Ocean’. Da 
fchreibt er: „Corſica entfendete am Schluſſe des legten Jahr: 
hunderts ein Wollen, bas bie Welt beſiegte.“ Alſo Napoleon 
war ein Wollen und hat die Weit befiegt, mit Ausnahme von 
Afien, Afrika, Amerika, in Europa Rußland und mebren un: 
bedeutenden Infeln, worunter England. Zu den Hyperbeln fügt 
v’Ifraeli ein paar Spaͤßchen. Seiner Berfiherung zufolge leiden 
Italien, Griecheniand und einige andere Länder an Bi bungen, 
denn er fagt wörtli: „the mediterranean region is infested 
with a wind’, was auf deutſch und englifch fo viel beißt als: 
die mittelländlifche Region wird von einem Winde geplagt, unb 
fpäter „ertennt” der Schalt in biefem Winde „an old acquain- 
tance” — einen alten Bekannten. Lady Bieffington follte ber - 
gleichen nicht nachſehen. Won Walter Savage Landor — ein 
guter Name — findet ſich ein fingirtes Geſpraͤch zwiſchen Mi⸗ 
el Angelo und Vittoria, etwas zu lang, unſtreitig zu lang 
für ein Taſchenbuch, übrigens reich an Gedanken und Bildern. 
Bon Marryat ‚ein Geſchichtchen: „Dankbarkeit,” Dankbarkeit 
gegen Marryat für früher Gefchriebenes legt der Kricik Schwei⸗ 
gen auf. Summa Summarum, wen nad lieblichen Frauen⸗ 
geſichtern luͤſtert, der beſchaue das „Buch der Schonheit⸗ und 
mit ben literariſchen Gaben kanu ein beſcheidener deſer auch zu- 
frieden ſein. 
3. English pearls, 


Ich rathe keinem entzünbbaren Manne — Juͤnglingen 

gar nicht — bie „Engliſchen Perien” anzufehen. —* —2 
nigin, die wieder voran, — „Thou music of a nation’s voice” 
Elinge mindeſtens — Ließ es ſich allenfalls wagen. Aber Raby 
Srey Eggerton, Lady Seymour, Lady Louife Day, 
Miß Gore, Miß Wilmot, obdgleid keine von ihnen Hof⸗ 
dame ift, nöthigen mir Byron's Worte ab: 

We gaze and turn away 

Daszied and drank with beauty, 


Die Herauögeber Zilt und Bogue follten alt Berführer in 
Anklageſtand gefegt werden. Dody könnten fie ſich mit ns meift 
niederfchlagenben Pulvern entfdutbigen, die fie für die aufregen: 
den Portraits beforgt und in gereimte Portionen gepackt baden. 
Sins nehme ich indeffen vorzugsweife und unbedingt aus. Ges 
in die Beigabe zu Mi Wilmot, überfchrieben : 

Love's aspirings. 
The flower thou lev’st — the flower thoa lov'tt — 
Ob! would I were that blessed flower, 
To be with thee wherc'er thon rov'st, 
Thine own young breast my beanteous bower; 
To feel thy warm lips, voft and uweet, 
Breathe foediy o'er my erimson bloom; 
’T were blies to die, if ihus to meet 
So kind a death — so fair a tomb. 
The flower thoa lov’st — oh, 't were isdeed 
A fate of unalloyed delight, 
Thus on thy beauty's breath to feed, 
And gentiy fade in thy ler'd sight. 


N 


ı Ber ch! when arerg leet was gpme 
That ones thine syes with lighs enuld Ai, 

eit I would Unger on, 

lost in frageanco sound ihes stil ! 


4, Theo Koepsake, 
ebenfalls aus den Händen genannter Rinon de U’&nclos. Won 
ven zodif, zum größeren Theil ausgezeichneten Kupfern iſt das 
exfte ein Portrait ber Herzogin von Nemours, deſſen Original 
von Roß im Beſitz der Königin Victoria, der Stidy von Char⸗ 
les Heath, dem Herausgeber. An der letter- press, bem beiles 
treiftifchen Theile, haben 35 Perfonen mitgewirkt, manche aber, 
trot fidhtbar ſchwerer Muͤhe, leichte Waare geliefert. unter 
* befferm Gedichten ift das kürzefte, von Miß Ellen Power, 
Igendes: 


In pi 
And 


Thoughts on death. 
We ksow there is a better werid, 
Where God alone doth reigu; 
Where sin and sorrow cannot come, 
Nor aught to give us pain. 
But by the friends who loved us here, 
Shall we be loved in koaven? 
Or have they to the angels, 
The love they bore us, given? 
And when | join them upon high, 
Will they look cold oa me? 
Ah! no, for ’t is a world of bliss, 
There surely love must be. 


—. 


9%. Theo American in Paris, 

Died für das laufende Jahr der verwandelte Titel von 
Heath's rühmtidhft bekannten „Picturesque annual”, und das 
Bud) eine Überfegung aus dem Kranzöftichen des Jules Janin, 
der es aus dem englifchen Manufcripte eines Amerikaners übers 
feat Hat. Warum alfo nicht lieber das englifche Original? Die 
Einleitung beantwortet diefe Frage volllommen genügend damit, 
daB es nicht zu erlangen gemwifen fei. Auch gut, ſchon weit die 
Aüdüberfebung gut. Es find 35 Kapitel de omnibus rebus et 
quibusdam aliis, vorurtheilsfreie Schtiberungen alles Deſſen, 
was der Herr Amerikaner in Paris gefehen hat, bortige Freu⸗ 
den und Leiden, Reize und Flecken, Tugenden und Laſter, mebs 
res Neue und das Alte in neuem Gewande. Dazu 18, theils 
von Heath felbft, theils unter feiner Aufficgt ausgeführte Stiche 
nah Zei nungen von Eugene Lami. Ich werde verflanden, 
wenn ich die Stiche englifche nenne. 


6. Schloss’s English Bijou-Almanarc, 

achter Jahrgang, zuerft son der unglüdtihen E. E. L., dann 
von der ungluͤcklichen Miftreß Norton, jest von der hoffentlich 
giädtichen Miß Mitford rebigirt. Die fehr guten Kupfer 

igen ben Prinzen von Wales, die Herzogin von Orleans, 

elaibe Kemble (that was, die geweiene), Samuel Rogers 
(von welchem bie Zeitungen neulich eine verbrießliche Grinnes 
zung erzählten) den König von Preußen (of course, Friedrich 
Wiühelm IV.) und den König ber Zauberer, Drn. Döbs 
er, dem die Welt eben diefe Döbler’fche Zauberei, den Bijous 
Almanad), verbantt. Da derfelbe, idy meine ben Almanach, bie 
Größe eines mäßigen Daumennagels hat, fo begreift fi, war: 
um die Kupfer fehr Elein find. Der Druck desgleichen. Doch 
ſchadet das nicht. Für ſchwache Augen wird ein Bergrößerungss 
lad zugegeben. Und wie rein und Bar und mufterhaft ift der 
Drud, Schloß iſt freitich ein Deuticher, aber feine Arbeiter 
find Engländer — ich hätte geglaubt, ed müßten Eilliputaner 
fein — unb biefe Engländer ein fürs allemal Zaufendfafas. Jeder 
loyale Sachſe follte ein Exemplar kaufen, denn der zarte Eins 
band ift weiß und grün mit Gold. Und jeder Liebende follte 
feinee Geliebten ein Exemplar verehren, denn es fledt fammt 
dem Vergrößerungdglafe in einer berzförmigen Kapfel von vor 
them Maroquin, mit weißem Sammet und Atlas gefüttert. 


auf rt en Si und it uf — 


hat um dieſes Nichts ſich nicht ein zweites Wat bentäpt. i 
4 





- Literarifhe Notiz - 
iu. Bi. ⸗ 


Wr daben ſchon a widderholten Malen 
wäpet, daß die Gpreialgeihichte und die Ardpdorngie 
ſich in den Provinzen Frankreichs einer immer regern Theilnahme 
erfreut. Leider dringen häufig die Bemühungen ber vereingelten 
Gelehrten, die in der Stille arbeiten, fern vom Gentrum des franzoͤ⸗ 
fifden Lebens, nicht einmal bis zur Hauptſtadt und finten nur- 
im engern Kreife ihres Wohnſiges Anerkennung. Es ift bei- 
balb erfreulich, wenn biefe ein 


Balenciennes vorſchwebte, als er feine „Archives historiques 
ord de la France et du Midi de la Bei- 
ique, par Leroy et Artkur Dinaur, de :a Socists royale 
es antiquaires de France’ (Valenciennes) ftiftete. Wir haben 
die vierte Lieferung des dritten Bandes vor uns liegen. Gie 
enthält neben einigen wenigen Bemerkungen, die vielleicht nur 
ein Eocalintexefle haben, mehre ganz trefflidhe Aufſaͤze. Dahin 
gehört Leroy’s Beiprechung eines unbefannten Merle der Biblie⸗ 
thek zu Valenciennes, das ten Titel führt „Chroniques de 
Flandre et d’Artois’ und das theils in Profa, theils in Ber 
fen gefchrieben iſt. Diefes fhänbare Manufcript gehört dem 
16. Jahrhundert an (zwiſchen 1574 und 1580). Leienswerth 
ift ferner die „Notice sur le chätenu de Selles à Cambrai”, 
von Fidele Delcroir. Der Urfprung dieſes Schloſſes wird bis 
zur Römerzeit binaufgefübrt. Sehe intereffant ift die „Bio- 
graphie du celebre sculpteur Baly’, von Arthur Dinaur. 
Derfelbe war geboren zu Balenciennes am 20. Zuni 1717 und 
warb, nachdem er mehre unzweifethafte Proben feines Talente 
gegeben und ſich 18 Jahre in Dänemark aufgehalten, Profeflor 
der Gculptur zu Paris, in den Adelſtand erhoben und becorirt. 
Er ftarb dafelbft 1776. Wir machen endlich noch auf den Auf⸗ 
fat von 9. Piers „Sur l’Abbaye de Marguette- lez- Lille‘ 
aufmerkfam. Diefe Abtei ward 1226 von der bekannten Jo— 
banna von Konftantinopel geftiftet. 2. 





Arags’s Bildnisse. 
An Ary Scheffer. 

Den Adlerblick hebſt du zum Firmamente, 

Die Stirn gedankenſchwer zum Dom der Sterne, 
Auf daß dein Geiſt, dies Welten» Prisma, lerne 
Das Wort der Sphinr im Kampf ber Elemente, 

Was feindlich in der Urkraft Schoos fich trennte, 
Was liebend fich vereint zum Sonnenferne, 
Das waltende Gefeg in Äther Ferne, 

Vom Niedergang bis hin zum Oriente. 

Steig, Sonnen: Parfe, nit von deinen Höhen, 
Hinab zum dumpfen, qualmumwoͤlkten Thale, 
Wo um ihr golbned Kalb Abtrlnn’ge tanzen. 

Dein Moſes⸗Antlitz glänzt umfonft vom Strahle; 
Sie hören nicht auf des Propheten Flehen, 

Sie wollen nicht bie Sonnenkeime pflanzen. 
Koreff. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrig Brodbaus. — Drud und Berloa von F. X. Brodbans in Leipzig. 


Blätter 


‘ 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


Donnerdtag, 





( Beſchluß aus Wr. 78.) 


4) Die Kittenſchieber, auh Scheinfpringer 
und Kegler genannt. Ihre Taktik ergibt ſich ſchon aus 
ihrem Namen. Kitt heiße das Haus, ſchieben aber heißt 
ſchleichen, die Überfegung alfo Hausſchleicher. Ihre Diebs 
ftähle verüben. fie in den Morgenilunden, indem fie an 
die Thür des erſten beiten Zimmers klopfen. Erfolgt kein 
Eintafiuf, fo oͤffnen fie die etwa unverfchlofiene Thür, 
zufen einen „Buten Morgen!’ herein und treten, Com: 
plimente madend, vor, wenn fie feine Antwort erhal: 
ten. Haben fie fih auf diefe Weile verſichert, daß 
Niemand im Zimmer anwefend ift, .fo nehmen fie, was 
fie gerade fortbeingen koͤnnen, meiſtens aber Geld und 
Pretiofen. 

5) Die Stipper. Sie exerciren den Diebſtahl gewoͤhn⸗ 
ih in Kaufmannslaͤden mit eines Ruthe von duͤnnem 
Fifchbein, welche mit Vogelleim befchmiert iſt und ben 
Namen Stippruthe führt. In der Regel find dabei zwei 
Derfonen thaͤtig. Während der eine auf irgend welche 
Art die Aufmerkfamteit des Käufers zu befchäftigen ſucht, 
am liebften fo, daß er aus dem Laden auf eine Zeit lang 
entfernt wird, ſteckt der andere die Stippruthe durch das 
in der obern Platte des Ladentifches gewöhnliche Loch in 
die Kaffe, druͤckt fie krumm und zieht fie wieder zurück, 
worauf die ganze Ruthe voller Geldſtuͤcke hängt. 

6) Die Goleſchaͤchter. Gole heißt Kutfche ober 
Wagen; ſchaͤchten aber ſchneiden oder fchlachten. Das 
Gewerbe diefer Art Diebe befteht darin, von Reiſe⸗ oder 
Frachtwagen Koffer oder Waarenballen abzufchneiden. Wird 
der Koffer von einer Reiſekutſche wirklich abgeichnitten, fo 
beißt dies ein Krachenfetzen. 

7) Das fogenannte Stradehalten, welches verwandt 
mit dem Goleſchaͤchten if. Der Diebſtahl iſt auf die 
Ballen der Frachtwagen gerichtet und wird meifl von 
mehren Gaunern gemeinfchaftli vollzogen. 

8) Die Tchillesgänger. Mit Tchilles oder Chil⸗ 
les bezeichnet der Gauner die Abendflunde oder die Daͤm⸗ 
merung. Es gehören hierher alfo Diebe allerlei Art, wel: 
he in diefer Tageszeit auf Diebftahl ausgehen. Ein fol: 
her Diebſtahl heißt Tchilles in Mokum, wenn er in ber 
Stadt, und Thies auf dem Schud, wenn er auf einem 





Markte verubt wird. 
irgend eine Welfe in der Abendſtunde fehlen. 

9) Die Nepper. Es find dies Betrüger, welche ins⸗ 
befondere die Landleute prellen, indem fie unechte Waare 
für echte, 3. B. Zombad für Gold, Neufilber für echtes 


ausgeben. In der Megel wird ein folcher Betrug von 
zwei Perfonen verubt, welche fich fchon vorher, entweder 
ſelbſt oder durch die dritte Hund, überzeugt haben, daß der 
zu Betrugende Geld befigt. Der eine, elegant gekleidet 
und einen fremdartigen Dialekt affectirend, tritt ale ein 
Stanzofe, Staliener oder fonft als ein Fremder auf. Er 
erzähle, dag ihm, auf einer Reife zu feinen Verwandten 
begriffen, das Geld ausgegangen fei. Dabei zeigt er its 
gend eine werthloſe Sache, etwa eine tombadne Uhr, ein 
unechtes Geſchmeide u. dgl.; er aͤußert, baß ihm dies ein 
unveräußerliche® Kleinod, ein Andenken von einer verftors 
benen theuern Perfon fei, und fragt, ob ihm nicht. Je⸗ 
mand nachgewiefen werden könne, bei dem er bie Koſtbar⸗ 
keit auf kurze Zeit gegen gute Zinfen verfegen koͤnne. Er 
verlangt z. B. 250 Thaler darauf und verfpricht bei der 
Eintöfung 300 Thaler oder wol noch mehr zurkdzuzahlen. 
Waͤhrend defien kommt fein Genoffe hinzu in Geſtalt eis 
nes Schacherjuden, mit einem Bündel auf dem Rüden, 
und erkundigt fih, ob man nichts zu handeln habe. Er 
erblidt das Geſchmeide, ſtellt ſich erftaunt über den gro⸗ 
ben Werth deſſelben, bietet ſogleich 100 Thaler dafuͤr 
und ſteigert ſein Gebot wol auf das Doppelte und Drei⸗ 
fache. Dee Fremde aber weiſt ihn veraͤchtlich ab, erklärt, 
bag ihm der Ehmud um feine Summe feil fei, und wie⸗ 
derholt fein Geſuch, ihm einen Pfandleiher nachzumeifen. 
Durch das übermäßige Gebot ded Juden verlodt, gebt 
dann ber Unerfahrene gemöhnlih in die Kalle. Er Leiht 
dens Fremden die verlangte Summe, empfängt dagegen das 
angebliche Kleinod, das zur größern Sicherheit wol noch 
auf Verlangen des Fremden in eine Schachtel verfiegelt 
wird, verfpricht, daſſelbe gut aufzubewahren — und If 
geprellt. 

10) Die Chamiſſehaͤndler oder Enne:votenne 
macher, welche fi damit abgeben, Pretiofen zu ſtehlen. 
Sie fügen vor, für den Augenblick nit Geld genug 
zur Berichtigung des Kaufpreiſes zu haben, geben. eine 
Kleinigkeit darauf und verfprechen, in einigen Tagen wie⸗ 
derzulommen,. Zu ihrer Sicherheit verlangen fie, daß die 





' 
208 


getaufte Sache In eine Schachtel gefiegelt werde, wiſſen 
diefe aber dabei gegen eine andere, die fie zu dem Ende 
in Bereitfchaft haben, mit großer Gewandtheit zu vertau⸗ 
chen. Bemerkenswerth bleibt noch: 

11) Das Pleiteshandeln. Wenn nämlih bie 
Diebe keine Gelegenheit haben, ober Pinderniffe finden, 
heimlich oder gewaltfam in das zu beflehlende Local zu 
dringen, fo ſucht einer von ihnen bei dem Inhaber des Kos 
cals ſich einzuquartiren, indem er um ein Nachtlager oder 
fonft um Aufnahme bittet. Gewöhnlich gefchieht dies bei 
Krügern, Gaftwirthen oder Bauern. Der Einquartirte 
ift fodann, durch die Aufriegelung der Thür oder fonft auf 


eine Art feinen Genoſſen behälfiih, in die Wohnung zu 


gelangen, und geht mit ihnen heimlich davon, wenn ber 
Diebftaht ausgeführt if. Hat Der, welcher ſich einquar: 
tirt, Gelegenheit, feinen Wirth zu beftehlen, ohne daß ber: 
felbe e8 bemerkt, fo verläßt er ihn nicht heimlich, fondern 
mit feinem Wiffen. Dies wird alsdann „eine Challt 
handeln” genannt. 

Dies ift der Modus, nach welchem bie zu Berlin in 
Folge jener großen Unterſuchung verurtheilten Gauner bie 
Öffentliche Sicherheit gefährdeten. Diefe Auswüchfe ber 
menfchlihen Geſellſchaft find wichtig genug, um Notiz 
von ihnen zu nehmen und wir wollen uns gluͤcklich ſchaͤ⸗ 
Gen, daß es hier nur par distance gefhieht. Zu diefem 
Behufe glaubten wir keinen beffern Anhalt finden zu koͤn⸗ 
nen als die Thiele’fche Schrift. Im zweiten Bande, der 
noh zu erwarten ſteht, verſpricht der Verf. Nachrichten 
über das Leben der in erwähnte Unterfuhung implicirten 
Gauner zu geben. Nicht nur den Criminaliften,, fon: 
dern den Pſychologen überhaupt werden fie gewiß will: 
tommen fein. 

Über da6 dem erflen Bande beigegebene Leriton der 
jüdifhen Gaunerſprache können wir hier nicht ins Ein: 
zeine gehen; die glinflige Stellung des Verf. und die Be: 
nugung ber ihm hierbei von woiffenfchaftlich gebildeten 
Gaunern gegebenen Aufklärungen haben ihn in den Stand 
gefegt, ein fehr brauchbares Mörterbuh zu liefern und 
die Angaben früherer Werke ähnlicher Art gründlich zu 
berichtigen. . 28, 





Daguerreotypen. Aufgenommen mährend einer Reife in 
den Drient in den Jahren 1840 und 1841, von F. 
W. Hacklaͤnder. Zwei Bände. Stuttgart, Krabbe. 
1842. Gt. 8. 5 Thlr. 


Der junge Hadtänder hatte, wie fein Freund Freiligrath, 
bie Gomtoirfeder weggelegt und verfuchte mit andern Federn, 
von Barmen und Elberfeld aus, in höhere Reviere zu gelangen. 
Wenn er felbft mehr bie Profa, wie Freiligrath den Vers er- 
griff, fo fügte es ſich auch feltfam, daß er in profaifcher Wirk: 
lichkeit jene Regionen erreichte, die Freiligrath fo gern mit poe= 
tifcher Phantaſie auffuchte, den Orient, die Wüfte, das Lanb 
der Palmen, der Giraffen und wenigftens ber Schakale, wenn 
er gerabe keinen Löwen begegnete. Hacklaͤnder war auf gut 
GSiuͤck ausgezogen. Er verfuchte es mit bem Theater, er hatte 
Gabe für Muſik und Belang, Neigung zu poetifcher Probuction, 
aber zu viel Unruhe und Unbefland für Alles. Seine Begabung 
war eher vietfeitig als tief zu nennen. Er batte mit feinen 


‚Sommen ifl. Dazwiſchen blickt bier und 


„Bilbern aus dem Golbatenieben im Beieben‘ einen Heinen Ras 
men und viel Wohlwollen fchnell gewonnen und kam in biefem 
unruhigen Treiben und mit den Brüplingsausichlägen feines Zar 
ients im Fruͤhling 1840 nady Stuttgart. Er hörte da von eis 
nem Baron v. Zaubenheim, der eine Reife nach bem Drient 
vorhabe, folgte feinem Verlangen und ber Aufmunterung einiger 
Breunde, bie es vermittelten, baß ber Baron ihn zu zwei ans 
dern Mitreifenden, einem Arzt und einem Maler, als britten 
Reifegefährten aufnahm. Mit Anfang October traten fie bie 
Reife an, auf der Donau bis Giorgewo und zu Pferd bis Kon— 
ftantinopel, von da durch ben Acchipel und Kleinaſien bis Das 
maskus und Palmyra u. f. w. 

Die Beſchreibung diefer Reife liegt bier vor uns. Auf 
dem Umfchlage des Buchs wird fie als bie Reife des Barons d. 
Taubenheim angebeutet. Diefe Andeutung fehlt auf dem Zitel 
des Buchs, und mit Recht: denn fie ift nur eine Auskunft, eine 
Abfindung zwifchen bem Wunfche des Verleger, dem Vortheile 
des jungen Autors und ber Güte des Barons. Go wenig man 
auch zu Büchertiteln fremdfprachliche Worte Lieben mag, fo ber 
zeichnet boch Dadländer Das, was er eben als feine Reifemit- 
tHeitungen bietet, fehr bezeichnend mit dem Worte Daguerreos 
typen. Es ift ein treuer und leichter Abdrud oder Anhaudh 
von Erſcheinungen unb Grlebniffen auf weißem Papier. Was 
mehr in der Tiefe des Gegenflandes, im Schatten der Erſchei⸗ 
nung, im Hintergrund der Zeit lag oder durch die That eines 
unterrichteten und forſchenden Geiſtes gewonnen werden mußte, 
hat fi) nur flüchtig abgedruckt ober iſt ganzlich ausgeblieben. 
Der junge Mann hängt mit gefunden, frohen Sinnen am Le 
ben und deſſen Erſcheinungen; Studien über Zeiten und Völker 
hat ex nicht gemacht, Geſchichte und Naturwiſſenſchaften gehoͤr⸗ 
ten nicht zu den Vorbereitungen auf feine, vom Himmei ihm 
deſcherte Reiſe; für geiitreiche Beobachtungen, Reflexionen, Som: 
binationen ift er zu jung und zu unruhig. Hat er ja, wie wir 
hören, kaum Geduld genug, zu fchreiben, und bictirt lieber, ber 
funge Mann! Wie ließe fid) ihm da zumuthen, daß ee nach der 
Reile felbft, die eine Strapaze war, aus der Mittheilung bers 
felben eine Arbeit hätte machen follen? Sonſt hätte ex freilich 
feinen tebendigen Anfchauungen nach gemachter Reife unb vor 
deren Beſchreibung und Herausgabe durch Studien und ade 
forfhungen noch einen bedeutenden Gehalt einverleiben Zönnen. 
Run merkt man freilich die ungeduldige Mittheilung fogar fei: 
nem ungleicyen Stil an, ber gar oft vernadhläffigter und vers 
worrener ift, als man es billigen Tann. Wie viel hätte das fo 
flüchtig Mitgetheilte bier und ba durch Anmuth und Geſchmack 
in der Darſtellung, wie er ſolche doch in feinen „Bier Rönigen‘ 
und „Boldatenbildern” fo anziehend bewiefen bat, noch gewin⸗ 
nen koͤnnen! Aber was ſind das fuͤr heilloſe Perioben wie 
I, 339: „Endlich nach einigen ſehr unruhigen Tagen, in denen 
ſich unſer politiſcher Horizont noch ſchwaͤrzer umzogen hatte, 
mit einem unangenehmen Gewitter drohend, als die ſchon lange 
verbreiteten Gerüchte: Ibrahim babe einen Zug gegen Beirut 
beſchloſſen, und würde an einem fdhönen Morgen aus ben Ber: 
gen hervorbrechen und die Stadt überrumpeln, faft zur Gewiß⸗ 
beit wurden, indem täglid Scharen von Bergbewoͤhnern we 
Stadt kamen, von denen einige fihon ben Wortras der Aguptier 
wollten gefeben haben, klaͤrte er ſich über Nacht faſt ganz auf, 
benn unfer liebenswürbiger Freund, der zuffifche Conſul, dr. 
vb. B. ließ und eines Morgens fagen, foeben erhalte er einen 
Neitenden aus Damaskus, der ihm bie erfreuliche Nachricht 
bringe: Ibrahim Paſcha habe mit ber ganzen Armee die Stadt 
berlaffen Pa fi gegen Serufalem unb das tobte Meer gezo- 
gen’ u. f. w. 

Mit fo holprigen, zerſtuͤckten Perioben läßt es uns der Reis 
fende entgelten, baß er felbft fo unebene, zerfahrene Wege ger 

bort eine burfchilofe 
Spaßbaftigkeit durch, die uns mit Redensarten bewirthet ale 
3. B. „mit einem foliden Regen regalirt werden”, „‚bem füßen 
Reis zu Leibe geben” u. dgl. Daß bei folcher Bernachläffigung 
bes Ausbrude und ber Satzbildung im Gingelnen noch weniger 


Achtſamkeit und Weiß auf ſchoͤne Gruppirung, auf forgfältige 
Bertbeilung von Licht und Schatten in der Gefammtdarfiellung 
verwendet worden ift, Läßt fiy denken. Alles liegt fo flrad und 
eben ba, wie es eriebt worden if; nur daß ber Erzaͤhler oft 
das Unmwichtige behaglich durchwandelt, das Inhaltreidhe aber 
im Galopp burdreitet. Ja, wo der Reichthum, bie Bebeutfams 
keit ber Gegenflände des Erzaͤhlers Geduld und Muth überwäl 
tigen, ba beruft er fich wol auf andere Heifende, die Dies und 
Jenes bereits umfländiich erzählt hätten, flatt daß er den vor: 
gefundenen Reichthum, den verftedten Inhalt einer Keiſeſtation 
mit der guten Gabe ber Anſchauung und Darfiellung, die ihm 
fonft nicht fehlt, ausgepadt und dargelegt hätte. Dafür erhals 
ten wir an andern Orten wieder Sleinigleiten, unbebeutenbe 
Begebenheiten, die von keinem andern Reifenden wären aufges 
nommen worden; z. B. daß der Erzähler des Abends noch am 
Meere fpazieren gegangen und Steinchen aufgelefen, fein Be: 
gleiter aber die Flinte getragen und einen Vogel geſchoſſen habe. 
Solche, auch ganz folgeniofe, unbedeutende Erlebniſſe behalten 
fuͤr Den, der ſie in der Fremde erfuhr, fuͤr immer den ſuͤßen 
Genuß der Erinnerung; aber dieſer Genuß geht nicht mit in die 
gedruckte Erzaͤhlung uͤber, die fuͤr den Leſer erſt ein bedeutſames 
£eben werden fol. Gin Anderes war ed in ben anmuthigen 
Schilderungen des Soldatenlebens im Frieden mit lauter Kleinen 
Begebniflen: bort galt ed eben ein freundliches Stillieben, in 
welchem jeder Meine Zug ſich zu einem humoriftifhen Ganzen 
verwebte. Und wie reigend hatte bort auch der Verf. das kleine 
Material ſprachlich bewältigt! Hier in einer großen, fremden 
Welt verliert fi der Erzähler da, wo man tiefe Betradhtuns 
gen, zufammenfaffende Bemerkungen erwartet, manchmal in bie 
atten Phantaſien feiner „Vier Könige”, z. B. wenn er nad) 
dem libergang über den Libanon im Kapuzinerklofter zu Das 
mastus flundentang über das Geländer hinab in den Hof nach 
dem großen Drangenbaum und einem lebendigen Bogel Strauß 
blickt, um zu träumen, der Drangenbaum fei wol eine verzau⸗ 
berte Pringeffin und der Vogel ein verwanbelter Verliebter, ber 
fie bewache. Binter dem Libanon, follte man denken, lägen 
andere Räthfel und Traͤume! 

Dod find uns auch die einzelnen Bemerkungen, bie Hack⸗ 
länder wirklich eingeflochten hat, nicht entgangen. So fagt er, 
wenn auch nicht neu, doch wahr und huͤbſch beim Anblick Jeru⸗ 
falems: „Wer den Orient nody nicht mit eigenem Auge gefehen, 
kann unmöglich ſich einen Begriff diefer großen Ruhe machen, 
die ſich dort in des Menfchen Seele niederſenkt. Da ſchweigt 
alle jene Saft, die uns hier im Abenblande bewegt; ba vers 
ſtummt das wirre Treiben, das uns umjagt in unfern Landen; 
da ift nichts von jener Zerftreuung, in welcher bie geifligen 
Kräfte des Abenbländers wie fcheue Voͤgel auseinanderflattern. 
Da flüchtet die Seete ſich in ihr Innerftes, umfaßt, umarmt 
fi) fetbft und genießt, verſunken in das eigene Weſen, die Ruhe 
Gottes. Geh bin und fiehe! ifk die befte Antwort auf die Frage, 
warum das Morgeniand die Wiege aller Religionen ifl.‘ Auch 
Eommen zwifchen vernadjläffigten Partien der Erzählung wieber 
ſehr fchön gefchriebene Stellen vor, wie jene, wo er von ben 
Paumen fpridt: „Cs ift etwas Eigenes um die Palme; weld 
zeizende Borftellung wedt in Abendländern das Wort Palme 
und vollends Palmenwald! Wie aͤrmlich erfcheinen uns dagegen 
wafere Wälder, wo nur der plumpe Eichbaum waͤchſt und die 
orte Buche und bie ſchwarze traurige Tanne! Aber es geht 
uns mit der Palme, mie mit fo vielen Dingen, die und bie 
Kerne und die Unerreichbarkeit im Zauberlichte zeigt, das unfere 
Phantafie, einem Brennfpiegei gleich, in ftärkern Strahlen zu⸗ 
ruckzuwerfen ſtets bereit if. Wir lefen, wie ſchon bie Alt 
Bölker, die Juden namentlich, Palmblätter ftreuten und damit 
ben Weg der Könige und großen Maͤnner heiligten. Welcher 
Marchenkranz flattert für uns um die Krone ber Palme! An 
welchem Quell, wo Abballah ober Said rubten, ober wie bie 
Helden alle heißen, fand nicht eine Palme! Mir kam biefer 
Baum früher immer vor wie das fichtbare Zeichen einer neuen, 
geheimnißreihen Welt, eines glänzenden Zauberkreiſes; fein An: 


blick darchzuckte mein Strg, tie wenn mich in ber Duver 
einer großen Oper die immer längern Paukenwirbel, die on 
benden Wehlaute der Hörner auf etwas XAußergewöhnliches vor: 
bereiten. Es war in ber. Radıt, ale wir auf ber Rhede von 
Rhodus anlangten, und ich im hellſten Mondlicht, das wir feit 
lange gefehen, einen Palmbaum über bie grauen Mauern biis 
den fah. Da fland ich lange im Anblid des ſchlanken Drien- 
taten verſunken, und die Phantaften, weiche, mit diefem Baume 
verfnäpft, in einem Winkel meines Derzens fchlummerten, rant⸗ 
ten nad) allen Seiten wild und üppig empor; gewiß ſehr na⸗ 
tärlih, denn wir lagen ja vor Rhobus. Aber als ich fpäter 
viele Taufend dieſer Bäume gefeben und, unter ihnen liegend, 
bie Sonne, bie durch ihre fpigen Blätter dringt, ſchwer empfand, 
fliegen unfere deutſchen Eichen» und WBuchenwälder ſehr in mei— 
nee Achtung. Wo bie Palmen noch fo dicht fleben, gewähren 
fie feine Kühle und bieten dem Auge keine Abmwechfelung , feine 
Rusneen ber Farbe, immer nur ein einfaches dunkles Gruͤn.“ 

Hier fiehen wir nun am Wendepunkte zu Dem, was an 
dem Bude zu rühmen iſt. In ber eben mitgeteilten Stelle 
fpricht fidy bie fhöne Heimatliebe aus, der wir ter in ber Er⸗ 
zählung begegnen; während es einem jungen Wanne fo nahe 
lag, ben Weitgereiſten zu fpielen und das Fremde auf Koften 
des Heimiſchen geltend zu machen. Aber auch der Inhalt des 
Bude! Gine Reife nach Konftantinopei über Kleinaſien und 
den Libanon nach Jeruſalem und durd bie Wüfle nach Kairo 
und Alerandrien, Towie von ba durch das Mittelmeer über 
Malta, Sicilien und durch Italien zurüd, bietet natürlich bes 
Neuen, Intereffanten, Erftaunlihen genug, daß es, von einem 
jungen Manne mit feifhen Sinnen, unbefangener Seele und 
gluͤcklicher Phantafle, wenn immerhin auch nur baguerreotgpifcy 
aufgefaßt, dem Lefer doch bie intereffanteften Anfchauungen, die 
anziehendfle Unterhaltung darbietet. Da hierin das Hauptvers 
bienft des Wuchs beſteht und der Kreis der Lefer, für die es 
geſchrieben if, damit’ zugleidy bezeichnet wird, fo enthalten wir 
uns in das Sinzelne einzugeben, das Iebenswahr und warm bar: 
geboten, auch friſchweg genoffen fein will. Wir flellen darum 
auch keinen Vergleich mit andern, aus jenen Gegenden gemach⸗ 
ten Mittheilungen,, z. B. bes Prof. Schubert an, ba es, wie 
gefagt, unfer Hacklaͤnder nicht auf neue Refultate, fondern auf 
unterhaltende Erzählung feiner Reife angelegt hat. Nur Einis 
ges des Anziehendften fei uns erlaubt, als Das anzudeuten, was 
fi) ber Leſer zu verfprechen bat. 


Zwei Gebirgsübergänge, über den Balkan und über ben 
Libanon, find jeder an fi, und beide im Vergleiche mitrinans 
der, intereflant, und mit gutem Landſchaftspinſel hingeworfen. 
Konftantinopel und das Meer bieten einen ſchoͤnen Reichthum 
von Anfhauungen, bei welchem ſich Hadtänder felbft von dem 
Werte des gelchrten Hammer „Konftantinopel und ber Bobs 
porus"' fcheint geleitet haben zu laffen. Sehr fpannendb wirb 
fi der Lefer in die türkifchen Bäder eingeführt finden, mo es 
fo viel feltfam und befremdlich Neues für ihn gibt. Leferinnen 
wird das tuͤrkiſche Familienleben anziehen. Sie werben über 
den Zuſtand ber türkifchen rauen und deren Verhältniß zu ben 
Sflavinnen des Mannes Manches erfahren, was fie ſich anders 
gedacht haben, wenn ihnen audy der Koranſpruch, der die Zürs 
ten mild gegen die Schwächen der Frauen ſtimmt, nicht gerabe 
tröftend erſcheinen follte. „Ihr Maͤnner“, heißt es nämlich in 
der mohammedaniſchen Bibel, „ſollt bedenken, daß bas Weib 
aus der Ridbe, alfo aus rinem frummen Bein gefchaffen if. 
Deshalb, ihr Glaͤubigen, babt Geduld mit den Weibern; benn 
wenn ihr cin frummes Bein gerabe biegen wollt, fo bricht es.” 
Diefen Bade: und Familiengemaͤlden gegenüber ftellt ſich ein 
widerwärtiger Anblid in ben türkifchen Opiumeflern dar. Den 
Mittelpunkt Lebendiger und fpannender Mittheilung gewährt 
aber die Erzählung vom Schiffbruche bed Dampfboots Geris 
Pervas, dem auch ein befonberer Abfchnitt des Wuchs gewidmet 
iſt. Ron der trüben, bänglichen Abfahrt aus Skutari unter 
Wellenſchlag und wilder Muſik der miteingefchifften türkifchen 
Truppen bis zur feohen Aufnahme der Schiffbruͤchigen auf das 





Hälfı icte Dampflchiff Lubovieo entwickelt ſich das bes 
—— Ereigniß anſchaulich in feinen Singer 
Jeiten, des wachfenden Rordweſtes, der immer ungeflämern Wo⸗ 
gen, des krachenden Schiffe, der buscheinandergeworfenen Meub⸗ 
ies und Koffer, der zerfchmetternden Lampe, ber Dunkelheit und 
fihegenden Wellen, ber Ohnmacht ber Dampfmafihine, ber 
noft und Unruhe umter den auf bem Werbe unter Schnee⸗ 
finem zufammengepferchten Geolbaten, ber aͤchzenden Planken, 
Hfeifenden Taue zu ben über das Verdeck Pr ‚Sprig 
wellen und den zwiſchen Belfen mit dem iffe ſpielenden 
Gturmmwogen ; dann bie neuen Auftritte der Rettung mittels eis 
nes nach dem Ufer gefpannten Taus, wobei das Lädyerliche und 
ntfegtiche einander bie Hand reihen, und dann die allmälig 
Berubigende Ginquartisung ber Geretteten im Dorf Armudkoi, 
Ades ſpannt fi) und verläuft wahrhaft dramatiſch. Wie ganz 
anders fpielen fich dagegen die langweiligen Gebräuche einer ars 
menifchen Hochzeit in Damaskus abs wie ganz anders fchlaflos 
(ind die Nächte auf der Fahrt von Beirut nach Ierufatem ! 
Ben diefen heiligen Orten, von ben Abenteuern am Tobten 
Meere kommen wir mit dem großen Heereszuge Ibrahim Pas 
fdja’s durch die Wüfte. Gin kleines Bild aus der Wüfte fei 
hier noch probeweile gegeben: „Ich konnte nicht fchlafen (vor 
dem heilen Gebell der Schakale, die um unfer Lager ihre 
Abenbmahlzeit hielten), nabm meinen Mantel und Saͤbel unb 
trat vor das Belt. Da lag bas Lager ruhig vor mir und der 
mitleidige Schlaf hatte faft alle die armen Menfchen mit feis 
nem wohlthätigen Schleier bebedit. An den Feuern umber faßen 
einzelne Geftaiten, das Gewehr auf ben Knien, und fchauten 
ftieren Auges in die Flammen. Doc nur gegen. bie Mitte bes 
Lagers waren Feuer angemacht, an den Außern Enden, wo bie 
Ärmern ruhten, war es finfler und flil; da fchien fich nichts 
zu regen, und noch weiter hinaus wurde es noch ruhiger, denn 
da fing das Reich der Todten an. Dicht vor unferer Zeltthuͤre 
war eine Gruppe, bei der ich lange finnend verweilte. Unſere 
Kameeltreiber hatten ihre Thiere fi) um das ‚große Beuer las 
m laffen, und bie guten Geſchoͤpfe ruhten wieberläuend im 
Feeife; ein eigener Anblid: die Flamme beftrahlte die Köpfe 
der Thiere und ihre großen glänzenden Xugen, mit denen fie 
wie nachdenkend in das Feuer faben. Zu ihren Vorberfüßen, 
deren einer, um fie zu feheln, mit einem Gtrid in bie Höhe 
gebunden wird, lagen ihre Herren, und ber, welcher das Feuer 
unterhalten batte, lehnte fih an ben Hals feines Thiers. 
n größerem Kreis um unfere Zelte lagen bie Reiter, die bem 
Zuge folgten, aͤgyptiſche Offiziere, Bebuinen und Araber, mit 
dem Kopf auf dem Sattel, das Gewehr zur Seite, ben Mantel 
über ſich gezogen. Ich ſetzte mich ans Keuer zu den Kameelen, 
und während ich dem Treiber bie Flamme unterhalten half, 
horchte ich in die Wüfte, wo fich zwiſchen dem Gebell ber 
— zuweilen der heiſere Schrei eines Raubvogels verneh⸗ 
men ließ.“ | 
Die Rückkehr aus Ägppten durch das Mittelmeer und Ita⸗ 
lien bringt uns ben befannten Regionen und ber Heimat bes 
Neifenden immer näher. Wo dem Erzähler bie bedeutenden 
Gegenftänbe ausgehen, unterhält er uns von ven angefauften 
arabifchen Pferden, die er geleitet, von dem Bedienten Friedrich 
und andern Kleinen Vorfällen der Reife, die am Ende in Stutt⸗ 
gart verſiecht. Cine Abhandlung über arabifche Pferde bes Ba⸗ 
zons von Zaubenheim ſowie des Dr. Gaftle unterſuchung über 
Hacklaͤnder's Schaͤbel haben wir überfchlagen. l. 





Bibliographie. 


Anekdota zur neueften beutfchen Phitofophie und Publiciſtik 
von B. Bauer, 8. Feuerbach, F. Köppen, 8. Naus 
wert, %. Ruge unb einigen Ungenannten. Herausgegeben 
von A. Ruge 2 Bände. Zürich, Literarifches Comptoir. 
®r. 8. 3 Thlr. 


. sie 
eigene A heit. toiz. 1 
Gr. 8. Pre 11, Rer. * 
Fliegende Blaͤtter fuͤr Fragen des Tags. II. Partrinchene 
ber. Regierung. Berlin, Beſſer. Er. B. 5 Ans 
Blumenpagen’s, ®W., fämmtlide Schriften. 
verbefferte Auflage. Ifter Band. Mit 9 Stahiſtichen. —* 
gart ieh vage uni Bern nr. 19. 32%, Nor. 
enfur > nge. Zwoͤl telfeber. Ich, 
rariſches Comptoir. &. 8. 1 * Se Zerich, Eite 
Groquis aus Ungarn. Leipzig, D. Wigand. 8. 1 The 
Die Brage: Wohin? In Bezug auf die Landftänbifchen 
Berhättniffe der preußifchen Monarchie, vom Gefichtspunkte 
praftifcher Ausführung betrachtet. Berlin, Dümmier. Gr. 8, 


gt. 

Doert, © M., Die berathenden Staats» Iufkitute in 
Preußen und die Öffentlihe Meinung, nebft einigen andern 
praftifchen Zeitfragen. Eisleben, Reidyarbt. 8. 15 Nor. 

‚ Deeigehn. Ein Eyclus von Novellen in 3 Bänden. Leip⸗ 
zig, Herbig. Gr. 8. 3 Thir. | 
(üreiden f G @., Fi Bam unferer Fee Senb⸗ 

en an Georg Herwegh. nigo in d. N. i 
und Strieſe. Gr. 8. 2. Nor. " berg Bindoit 

Fitzau, H Gedichte. Soldin, Siebert. 1842. 8, 1Thir. 

Haupt, K. A. F., Religion, oder Gott, Tugend um 
Unſterblichkeit. Zweite durchaus verbeſſerte und ſehr vermehrte 
Auflage. Leipzig, Frohderger. @r. 8. 227, Nor. 

König, ©. B., Die neuefte Zeit in der evanaeli 
Kirche des ꝓreußiſchen Staats. Ein praktiſcher Verſuch. en 
ſchweig ge unb Sohn. Gr. 8. 10 Nor. 

eutiche Lieber aus ber Schweiz Züri, Kiterari 
Somptoir. Ki. 8. 1Thlr. Hweiz, Zurich, Literariſchet 


Bauer, B., Die gute Sache ber Freiheit und 
ggenhe ad, eiterariſches Comp 


Ludwig, F., Wartburgſtimmen. Dicht 
Bohne. 8. 17%, Nor. a" ichtungen. Kaſſe 
Muͤller, J., Das Verhaͤltniß der dogmatiſchen Theologie 


zu ben antireligidſen Richtungen ber gegenwärtigen Zeit. @i 
bogmatifige Vorleſung. Breslau, Dr und om Pi 
5 Nor. 

Nork, F., Etymologiſch⸗-ſymboliſch⸗mythologiſches R 
Voͤrterbuch zum Handgebrauche fuͤr foren hen 
und bildende Kuͤnſtler. Iftee Band. Iſte Lieferung. (Aar— 
Azor.) Gtuttgart, Caſt. Gr. Eer.s8, 27%, Nor. 

Pfau, &., Gedichte. Heilbronn, Claß. 8. 25 Nor. 

Quandt, I. ©. v., Nippes von einer Reife nad Schwe⸗ 
ben Su 1 Kupfertafel. Le pzig, Hirſchfeld. Er. 8. 1 Zpir. 


- Rosenkranz, K., Über Schelling und Hegel. Ei 
Sendschreiben an P. Leroux. Königsberg, Gebr Bone 
ger. Gr. 8. 17%, Neger. 


Scherer, J., Georg Herwegh. Literarifche und politiſche 
10 Rgr. 


Blatter Per ggeeher Gr. 8. 
ophocles. Deutfh von Broͤmel und Sigismund. 
Ausgabe in Schillerformat. Iftes Heft. urt, Expediti 
der Thüringer Chronik. 2%, Near. r we ' rpedition 
tuve, Das induſtrielle Eigenthum und die N 
Eiderfeid, Betr. ®r: 8. 1X Ir. d ie Rachbilbung. 
Taſchenbibuother claſſiſcher Romane des Auslandes. Ster 
sr —* Band: Breite aus Mile Belt in eine andere, von H. 
elding. Aus dem Englifhen von' H. Döring. 
Maufe- Gr. 16. 10 —* s v ‚ing. Fene, 
aldbrühl, W. von, Slawische Balalaika. i 
sig, Hirschfeld. Gr. &. 1 hr. 15 Ne. 0 wein 
ildner Edler von Maithstein, J., U 
Verfassung. —* O. ee Gr. 8. 24 Ner. er 
e Wirkſamkeit der fländifchen Ausſchuß⸗ Berfammiung 
des Jahres 1842. Preußens Provinzialftänden gewidmet. 
nigeberg, Voigt. Gr. 8. 10 Nar. auf gewidmet. br 


Berantiwertiider Drraußgebers Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von F. X. Brodhauß in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifdhe Unterhaltung. 





Freitag, 





I. Godwie⸗Caſtie. Aus ben Papieren ber Herzogin von Rots 
tingham. 


2 St.⸗Roche, von der Berf. von „Bobswie s Gaftle”. 
& Thomas Thornau. Bon der Verf. von „Godwie⸗ Caſtle⸗ 
und &t.:Roce”. 

Die vorliegenden Romane haben Auffehen gemakht, 
Das iſt eine Thatſache; fie haben fich einen weiten Lefers 
Brei erworben. Gleich die Erſcheinung des erften derfels 
ben hatte diefen Erfolg und man wurbe in den fo- 
genannten gebildeten Gefellfchaften unerträglich mitleidig 
angeſehen, wenn man eingeſtehen mußte, „Godwie-Caſtle 
nicht geleſen zu haben, und darum in die unermüdlich 
wiederheiten Berfigerungen der Bewunderung, des Ent 
yadens nit einſtimmen konnte. Diefes Zactum eines 
geoßen Erfolgs iſt unleugbar, aber ebenfo unleugbar ift 
dies, daß dieſer Erfolg noch Fein Urtheil, geſchweige eine 
Beurtheilung iſt. Diefer Erfolg, diefer große Anklang, 
den die Romane gefunden haben, hat fich vielmehr felbft 
der Beurtheilung zu unterwerfen: und wir haben es von 
vornherein nicht Debl, daß unfere eingehende Beurthei⸗ 
Ing, zu der wir uns durch einige aligemeinere Bemer⸗ 
tungen den Weg bahnen wollen, ebenſo fehr bie Bildung 
und Beftunung des Publicums betreffen wird, weiches in 
Diefen Romanen das poetifhe unb ideale Abbild feiner 
Belt, feines Lebens und Glaubens unb feiner weſent⸗ 
lichen Intereſſen erblidt. Denn diefe Bedeutung hat ber 
Beifall, den die Romane gefunden haben, unzweifelhaft. 
Sie find ein Abbild, nicht ber ganzen Bildung unferer 
Zeit — wie wäre dies bei ihrer Zerrifienheit möglich? — 
wol aber einer weit verbreiteten Richtung berfeiben. Daß 
wir einen fo allgemeinen Geſichtspunkt aufitellen, daß 
wie den drei Romanen eine fo große Bedeutung beimefs 
fen, fie mit den wefentlihen Bewegungen und Kragen 
unferee Zeit in Zuſammenhang zu bringen, bedarf für 
Denjenigen feines weitern Auswelfes, ber ben Bang ber 
neueften deutfchen Literatur verfolgt hat. Die Zeit ber 
Unfchuld, bes aparten, von den praktiihen Fragen ber 
Zeit, bee „rauhen Wirklichkeit” unberührten Lebens iſt 
für unfere Literatur längft vorüber: wenn man es nit 
müßte, fo könnte man e8 an dem Gejammer Derienigen 
bemerken, die noch immer bemüht find, bee Poeſie wes 
nigſtens ein iſolirtes Aſyl, eine glückſelige Infel zu retten. 


Wenn nun Alles, was bie Preffe verläßt, dieſe 
Mufterung zu paffiren bat, biefe Unterfuchung auf Ge: 
finnung, auf Beziehung zu den Fragen ber Zeit, fogar 
die unfchuldigen lyriſchen Gedichte, fo hat dies bei Ro⸗ 
manen nod feine befondere Berechtigung. 

Der Roman ift ein Surrogat des Epos; allerdings 
ein Surrogat, etwa wie die Gichorie ein Surcogat bes 
Kaffers. Das Epos ift ein Product eines großen Volks: 
lebens, großer nationaler Kämpfe, deren Erinnerung und 
Erfolge in dem Herzen des epifchen Dichters und feiner 
Zeitgenoffen ein noch immer friſches und gegenmwärtiges 
Leben haben. Das Epos erfobert ein inniges, lebendiges, 
freles Verhaͤltniß des Einzelnen zu feinem Volle und zu 
deffen gemeinfamen Intereffen. Der Roman dagegem 
iſt das Probuet einer Zeit ber politifhen Verkommenheit, 
wo an die Stelle des Staats die Geſellſchaft, an bie 
Stelle der großen gemeinfamen Zwecke die Beinen Zwecke 
des. Privatlebens, der particulairen Neigungen, des befons 
bern Standes u, f. w. getreten find. Diefen Lehrfag aus 
ber Literachiftorie brauchen wir mol nicht weitiäufig zu 
beweifen: bie Alten hatten keine Romane, bis während 
der Zertruͤmmerung ihres großen politilchen Lebens etwas 
dem modernen Romane wenigftens Ähnliches entſtand; 
dagegen hat ber moderne Roman feine Blütezeit gehabt 
gerade in den Zeiten unferer tiefften politifchen Verſun⸗ 
kenheit. (Eine weitere Auselnanderfegung vom Zufams 
menhange der Bedichtgattungen mit der Hiſtorie gehört 
nicht hierher.) 

Wie nun ber Roman in ber Zeit ber politifchen Ver⸗ 
kommenheit feine Eutſtehung bat, fo bat er auch daran 
feinen Inhalt: denn bie abgefchmadten Verfuche, antike 
Charaktere und Zuftände in das Gewand de Romans 
zu Beiden, laſſen wie billig außer Acht. Das Privat 
leben mit feinen Leiden und Freuden, feiner Noch umd 
feiner Seligkeit ift der Inhalt dee Romane: denn au 
bie fogenannten hiftorifhen Romane nehmen ja bekannt: 
ih den Menſchen nicht als hiftorifchen, fondern vom 
Seiten feiner Beinen eigenthuͤmlichen Verhaͤltniſſe, Bes 
firebungen und Leidenfchaften, die etwa fo ungluͤcklich 
find, mit den Anfoberungen ber biltorifhen Verhaͤltniſſe 
in Conflict zu gerathen. Schon biefer zerriſſene, in taus 
fenb Heine Kreiſe zerfpaltene Inhalt, mit den taufend, 
aller Poeſie entfremdeten Beziehungen, laͤßt eine objective 


Haltung, ein Vergeſſen des Autors, feiner felbft und fels 
nee Welt: und Lebensanfhauungen gar nicht zu; und 
den fubjectiven Verhalten, ber beftändigen Reflerion auf 
beimifche und gegenwärtige Zuſtaͤnde und Sagen ift fo: 
bann durch die profaifche Darftellung vollends aller mög: 
liche Vorfchub geleiftet. 

Daher kommt es, daß wir, die mir fonft ſchon ge: 
neigt find, bei allen Literaturwerten nad Gefinnung, 
nah der moralifch = religiöfen und politifhen Lebens: 
anfhauung zu fragen, bie Verfahren vorzugsweile bei 
Romanen beobachten. Die Romane, nämlich die bedeu: 
tendben Romane, find vorzugsweife Bilder ihrer Zeit; und 
wo die Zeit, wie die unfere, in viele Richtungen gefpals 
ten ift, Bilder eben dieſer Richtungen. Won diefem Ge: 
ſichtspunkte, den wir hiermit in der Kürze gerechtfertigt 
haben, toollen wir bie vorliegenden Romane betrachten. 
Unfere Aufgabe ift daher biefe, daß wir fie einzeln nad) 
ihrem Inhalte, ihren Charakteren und deren Beziehun⸗ 
gen ins Auge faflen, fodann das ihnen Gemeinfame, 
ihre Subftanz, ihre fittliche Welt nach den einzelnen Ele: 
menten betrachten, 

Godwie-Caſtle. Der Roman beginnt mit ber 
17 Seiten langen Befchreibung der Lage und Bauart 
des Schloffes Godwie-Caſtle: das heißt allerdings nicht 
in mediam rem rapere, Died gefchieht auch dann noch 
nicht gleich; denn es folgt zundchft Einiges aus dem Le 
ben einiger Ahnen der Bewohner des Schloſſes, ber 
Grafen Desberp: das heißt faft ab ovo anfangen. End⸗ 
lich tritt Einer auf, beffen Verhaͤltniſſe und Weſen ziem⸗ 
lich umftändlich befchrieben werden, aber er flirbt und 
hinterläße zwei Söhne, Robert, Herzog von Nottingham, 
und Archimbald, Graf von Glandfort. Weide find in: 
time Freunde ber beiden Prinzen Heinrich und "Karl, ber 
. Söhne Jakob's J. Robert ift nad der Beſtimmung der 
beiberfeitigen Ältern mit der reichen und ſchoͤnen Gräfin 
Briſtol verlobt, um die fich zu gleicher Zeit ber Liebling 
bes Könige, der übermüthige und rohe Herzog von 
Buckingham aufs eiftigfte bewirbt. Robert von Derbery 
(fein Vater lebt no) verliebt ſich beim erſten Anblick 
in die Schweſter bes Herzogs von Budingham; aber ale 
er barüber feinem Sreunde, dem Prinzen Karl, Geftänd: 
niffe machen wit, verfchließe ihm dieſer mit den Aus» 
drüden der beftigften Aufregung den Mund und vertraut 
ihm bald barauf ein Geheimnig, was wir indiseret ge: 
nug find, dem Lefer wider den Willen der Berf. zu of 
fenbaren, bag er (der Prinz) mit der Gräfin Buckingham 
vermaͤhlt iſt. Prinz Heinrich flirbt, Karl ift Prinz von 
Male. Mobert von Derbery heirathet gleich darauf bie 
Graͤfin Briſtol und erhält einen Befuh vom Prinzen 
in Godwie-⸗Caſtle, als er ſchon Water von drei Kinbern, 
zwei Söhnen und einer Tochter, iſt. Aber im Hinter: 
geunde droht der Schwur der Rache des Herzogs von 
Budingdam. „Diele Erwähnung von Familienverhält: 
niſſen“ ſchickt die Frau Verf. voraus und überfpringt 
dann eine Meihe von Jahren. 

Bei Wiederaufnahme der Erzählung iſt ber Herzog 
von Nottingham todt. Die Trauer: und Begraͤbniß⸗ 


feierlichkeiten werden mit Feierlichkeit und Pathos erzähle 
und am Ende hat fid die Verf. noch nicht genug darin 
gethan, fondern macht noch eine lange Nuganmwendung, 
wie es überhaupt fo gut fei, alte Formen beftehen zu 
laffen. Die beiden Söhne des Verſtorbenen und ber 
Bruder deſſelben und ber Großoheim, Graf Salisbury, reifen 
in wichtigen Angelegenheiten nach London, theil6 ber Lehns⸗ 
buldigung wegen, theild wegen der Nachricht vom Könige, daß 
fein Sohn die Bewerbung um eine franzdfifche Prinzeſſin 
aufgegeben und mit dem Herzoge von Budingham nach 
Spanien gereilt fei, um in eigener Perfon um eine fpas 
nifhe Prinzeffin zu werben. Das umduͤſtert den’ politi 
fhen Horigont. (Derrliche Zeiten, wo die Kriegsgefdyichten 
von Liebesgefchichten abhingen! ) 

Mährend der Abweſenheit der Männer (wenn «8 er: 


laubt ift, fo ſtatt „Herren“ zu fagen) treiben die Da⸗ 


men im Schloſſe ihr Spiel. Zunaͤchſt wird eine junge 
Dame aus ihrem Verſtecke hervorgesogen, mit der bie 
Herzogin am Tage der Beilegungsfeiertichleit auf die 
abenteuerlichfte Weiſe Bekanntſchaft gemacht Hat. Sie 
findet ſie naͤmlich im Garten liegend, blutend und ſchein⸗ 
bar todt. Noch ehe fie durch die Bemühungen von einem 
halben Dugend dienftbarer Geiſter männlichen und weib⸗ 
lichen Geſchlechts (die von der Verf. aber viel beſtimmter 
harakterifirt und doch nicht unterfchleden werben, benn 
fie find ſich alle darin vollkommen gleich, daß fie eine 
wahre Leidenfchaft haben, zu dienen) — noch che alfe 
die junge Lady zum Bewußtſein gebracht wird, um ihre 


Geſchichte zu erzählen, entdedt die Herzogin am mehren 


unzweifelhaften Anzeichen, daß biefelbe in nahen Verhaͤlt⸗ 
niſſen mit ihrem verflorbenen Gemahle gelebt hat und 
eine Tochter der Gräfin Buckingham if. Daraus zieht 
fie gleich den Schluß, daß fie auch des verflorbenen Der 
5096 Tochter fei; aber fie thut darin ihrem feligen Manne 


Unrecht. Jedoch aud die junge Lady hat (tie freilich. 


eigentlich alle Perfonen des Romans) falfche Begriffe vom 
ihrer Herkunft. Sie tft — was ber Lefer erft am Ende 
des Buche zum Lohne für feine allerdings faſt unmenſch⸗ 
liche Geduld erfahren fol — die Tochter der Gedfin. 
Buckingham und des Prinzen Karl, oder — weil ber 


"alte Jakob unterdeß geftorben iſt — des Koͤnige. Che 


fie aber dies erfährt, fol fie ganz andere Dinge erfahren. 
Sie ift den räuberifhen Fäuften ihres Oheims, bes Gra⸗ 
fen Budingham, entgangen und fehnt fi nah dem 
Schutze eines andern Oheims, ber aber in Wahrheit 
ihr Water, der Prinz iſt. Einſtweilen bleibt fie in 
Godwie⸗-Caſtle. Das Erfte tft, daß ſich der junge Her⸗ 
309 felbft in fie verliebt, aber das gebt vorüber; es wird 
ihm von feinem Bruder Rihmond zu rechter Zeit beige: 
bracht, daß er für die Reinheit des alten Geſchlechts zu. 
forgen babe. Die Herzogin, an deren -Derzen ſchon der 
Kummer Über die getheilte Liebe ihres Gemahls nagt, 
verliert auch dabei ganz ihre Selbſtbeherrſchung, was eigent= 
lich ihre einzige Tugend iſt. Aber hernach verliebt ſich der 
kalte, flolze Richmond felbft in die junge Lady auf ben 
erften Blick und diefe Flamme ift nicht wieber zu daͤmpfen. 
Die Lady gehe ſtillſchweigend darauf ein und gibt z. B. 


einem unatälttichen, hoͤchſt lkebenswuͤrdigen Korb ben Korb. 
Die Liebe Lord Richmond's wird auf die härtefte Probe 
geftelt. Lord Membroke, ein ausgemadter Wuͤſtling, 
kommt im Auftrage des Herzogs von Buckingham, der 
von feiner Nichte erfahren und befchloffen hat, fie auf 
jede Weife in feine Gewalt zu befommen. Lord Mem: 
brofe bringt es endlih dahin, daß die Lady feiner Ver⸗ 
fiherung, fie zu ihrem Oheim zu bringen, Glauben 
ſchenkt: ein unechter Brief gibe den Ausſchlag. Sie geht 
mit Membrofe davon. Lord Richmond fest ihr nad) 
und muß aus dem Munde feiner Geliebten hören , daß 
fe mit dem Wäüflting freiwillig gebt. Membroke laͤßt 
ih, wie damals alle Welt, von den Jeſuiten bes 
trugen. Dieſe bringen das arme Maͤdchen in ihre 
Gemalt, fperren daſſelbe in ein feiles Schloß, wo fie 
durch die Mishandiungen einer wahnfinnigen Frau und 
die Bemühungen eines Paters katholiſch gemacht werden 
fol, um dann als Mittel zur Bearbeitung ihres Vaters 
zu dienen. Sie iſt mehrmals beinahe todt, wird aber 
endlich durch die raftlofen Anflrengungen des Lord Rich: 
mond unter ben größten Gefahren befreit. Nun ifl 
Alles zum Schluffe, d. h. zur Heirath fertig. Der Wis 
derwille ber flolzen Herzogin wird endlich dadurch völlig 
gebrochen, daß Lady Maria für fie beinahe den Hals 
bricht. Da erfcheint der König, flellt das noch immer 
nameniofe junge Mädchen vor als Lady Marla Stuart. 
Er heirathet felber Henriette von Frankreich, Richmond 
Lady Maria und Lancy, der junge Jäger, der bei ber 
Befreiung Maria’ tapfer geholfen, feine Margarith. 
Der Roman hieße offenbar pafjender: „Die Rettung aus 
taufend Noͤthen, oder die dreifache Hochzeit.” de Epi: 
foden von Budingham’s Liebesgefhichten, von Briſtol's 
Sal und Begnadigung u. dergl. haben wir übergangen. 
Dee Roman ift von Begebenheiten und Perfonen offen: 
dar überfüllt; eine Überficht des ganzen Hergangs iſt gar 
nicht möglich. 
(Die Fortſetzung folgt.) 


Manuel du libraire et de l'amateur de livres par 
J. C. Brunet. DBierte Ausgabe. Erſte bis dritte Liefe⸗ 
sung. A—G. Paris 1842. 


Diefe vierte Ausgabe bes befannten „„Manuel‘' von Brunet 
iſt bereits feit geraumer Beit angekündigt. Mehre Jahre lang 
ſchon haben fie alle Bibliographen mit Ungebuld erwartet und 
fie wird ſicher eben benfelben Beifall wie die Ausgabe von 1820 
finden, die kurze Zeit nach ihrem Erſcheinen vergriffen wur, os 
dep fpäter vollftändige Exemplare mit 80 — 1 D Branch bes 
zahlt wurden, während ber urfpringliche Labenpreis nur 24 Fr. 
betrug. Brunet if anerkannt als einer der größten Bibliogra⸗ 
pben Guxopas, und dad Merk, deffen neue Bearbeitung wir bier 
beſprechen wollen, wird ein unvergeßliches Denkmal feines Fiei⸗ 
Ges, feiner Kenntniffe und feines praktiſchen Blickes bleiben. 
Gr bat feiner Wiſſenſchaft unermeßliche Dienfte geleiftet und 
fein ‚‚Manuel‘ gilt mit Recht für das veichhaltigfte und brauch⸗ 
barfte Repertorium der Bibliographie, diefee Wiffenfchaft, die 
von Zage zu Tage anfhwillt wie ein, Strom, ber immer neue 
Gewäfler in fi) aufnimmt. Es boten fi bei biefer Arbeit 
Schwierigkeiten manderlei Art bar. Aber Brunet bat fie mit 
einem feitenen Gluͤck befeitigt. Die wahre Scylla und Charyb⸗ 


bis, an denen bie Werf. aͤhnlicher Werke zu fcheitern pflegen, 
ift eine zu große Ausführlichleit und auf der andern Geite zu 
große Kürze und Duͤrftigkeit. Es darf nichts Wichtiges aus: 
gelaffen, dafür aber auch nichts Unnöthiges und lberfiäffiges 
beigebracht werben; aber was für eine fichere Hand gehört dazu, 
um bier fletd das fichere Maß zu treffen! Man muß fidy felbft 
mit berartigen Arbeiten befaßt haben, um ihre Schwierigkeit 
beurtheilen zu können. Brunet war ganz der Mann dazu, um 
ein ſolches Werk, das einen wahrhaft Derculifchen Fleiß erfos 
dert, zu übernehmen und zu Stande zu bringen. Zwanzig Sabre 
bat er unaufhoͤrlich daran gearbeitet, bevor er damit hervor: 
getreten ift, und feitbem bat er noch ununterbrochen daran ger 
feitt, hinzugethan und verbeffert, ſodaß die neuefte Ausgabe faft 
ale ein neues Werk zu betrachten if. Man würde fich irren, 
wenn man diefes Bud für eine trocdtene Aufzählung von Ziteln 
und Jahreszahlen, für ein Geburtsregifter aller Löfchpapierenen 
Geiftesfinder halten wollte. Es wird darin noch eine reiche 
Eefe intereffanter und beiehrender Nachrichten und bibtiographi- 
fer Sonberbarfeiten geboten, an denen Jeder, der nur ein 
wenig vom Dämon ber Bibliomanie heimgefucht wird, fich er- 
aögen kann. Indem wir diefe erften Hefte des neuen „Manuel 
du libraire“ durchblättern, wird es und wie wir uns wohl 
fühlen in ben geräumigen Säten einer großen Bibliothek, zu 
Muthe wie dem Botaniker, wenn er ein reichhaltiges Herba⸗ 
rium durchſieht. Wir möchten alles Merfwürdige, das uns 
aufgeftoßen ift, ausheben, und wahrlich die Leſe wuͤrde nicht 
dürftig ausfallen! So finden wir die Befchreibung eines feltenen 
englifchen Werks, das von einem gewiſſen John Dee (1659) 
verfaßt ift und in dem ein Wörterbuch der Sprache mitgetheilt 
wird, die Adam im Parabiefe redete. Brunet erwähnt ferner 
eines Dichters, ber zur Zeit Richelieu's lebte und der bie ſon⸗ 
derbare Brille hatte, feine Verſe mit verkehrten Lettern drucken 
zu laffen, ſodaß man fie, um fie geläufig zu lefen, gegen einen 
Spiegel halten mußte. Der Laie wird beim Durchblättern dies 


fes bibliographifchen Werks über die hoben Preife flaunen, bie’ 
zu denen manchmal ‚ganz unſcheinbare Bücher auf ben großen _ 


erfteigerungen in die Höhe getrieben find, wenn fich einge: 
fleifhte Bibliomanen um bie Wette überboten. Wir erwähnen 
bes berühmten „Decameron“ von 1471, ber im 3. 1812 zu 
London mit 52,000 Fr. bezahlt, aber acht Jahre darauf für 
33,000 Sr. wieder verkauft ift, nur im Worbeigehen, und heben 
ein paar weniger befannte Notizen Über unfinnige Bücherpreife 
hervor. Ein „Don Quichote” von 1605 ward auf der Auction 
ber Stanley'ſchen Bibliothek mit 1060 Fr. bezahlt, und ber 
Gatull von 1472 ging 1791 bis zu 2000 Er. in die Höhe. 
Wie fehr aber diefe WBücherpreife dem Spiel des Zufalld und 
dem Wechfel unterworfen find, und wie fehr fie oft fleigen und 
fallen, ohne daß man einen Grund von der Weränderung an: 
führen könnte, beweift, daß auf einer der berühmteften Bücher: 
verfteigerungen ein „Don Quichote” auf Zelinpapier, von dem 
jedes Exemplar 3000 Fr. gefoftet bat, für 400 Fr. losgeſchla⸗ 
gen ift. Bücher, die vor ZU Jahren von ben Bibliomanen mit 


rafenden Preifen bezahlt wurben , wandern jeät ganz unbeachtet 


in die Bude des Antiqguars, während andere wiederum, nach 
denen früber kein Menf gefragt bat, mit Gold aufgeroogen 
werden. . 





Nordamerilanifhe Miscellen. 


(Aubzüge aus ben öffentlihen Blättern ber MWereinigten Staaten 
vom Suhre 1842.) 


Die in Amerifa gemachte neue Gntbedung, aus den Sten⸗ 
geln des Mais (Indian corn ) cinen guten Zuder in beträdht: 
lien Quantitäten gewinnen zu Eönnen, bat ſich beftätigt. Das 
Verfahren ift folgendes: Der Mais wird in zwei Fuß vonein- 
ander entfernten Reiben gepflanzt und fo, daß die Pflanzen in 
den Reihen brei Zoll voneinander fleben, dann wird der Ader 
wie gewöhnlich bearbeitet, jedoch mit dem Unterfchiete, daß 


— 


man im Anfang Auguſt alle j Gamentotben, noch ehe 
fie blühen, forgfältig abbricht, weihe Operation durdgaus noth⸗ 
wendig if. Im Geptember werben die Stengel an der Erbe 
abgrfenitten, die Blätter abgeftreift und man fehreitet ſofort 
zur Auspreffung des Gafts, welches zwiſchen eifernen Walzen 

ſchieht. Zu dem gewonnenen Safte wird Kalkwaſſer in dem 
Berhäitniß hinzugefügt, daß auf jede Gallone Saft ein Esloͤffel 
voll Kalkwaſſer kommt, und nachdem bie Miſchung eine Stunde 
geftanden, wird fie in Keſſel gefüllt, in welchen man fie bis 
zur Syrupedicke eintocht, wobei man ben obenauf kommenden 
Schaum beftändig abnimmt und von der Fluͤſſigkeit entfernt. 
Wenn diefe bis auf ein Sechstel ihrer Waffe eingelocht iſt, wird 
fie in Abkuͤhlgefaͤße gefüllt und die Kryſtalliſation abgewartet. 
Der Zucker wird bierauf von dem Syrup getrennt und kann 
weiter raffinirt werden. Ein Ader mit Mais, auf die angeger 
bene Weife bepflanzt, fol 1000 Pfund Rohzuder geben. 


Der große Volkérath der Cherokeſen bat befchloffen und 
ein Geſetz erlaffen, daß alle geiftige Getränke, weiche kuͤnftig 
auf bem Gebiete der Nation gefunden werben, auf die Erde 
ausgefchättet werben, follen. Das Rafter ber Trunkenheit iſt 
nämlich als der Hauptgrund erfannt worden, weshalb die Ras 
tion ber Cherokeſen, ungeachtet fie fidy manche Früchte der Ci⸗ 
pilifation angeeignet, bisher im Wohlſtande zurüdgeblicben iſt. 
Ehedem gaben Biele unter den Cherokeſen Alles, was fie beſa⸗ 
gen, ber, um fid nur beraufchen zu koͤnnen; allein bie jetzige 
Generation, von ber Viele Iefen und fchreiben gelernt haben, 
firebt fi von den Feſſeln biefes Lafters zu befreien, und darum 
ift dieſes, von der cherofefiihen Rotionalverfammlung felbfi 
ausgegangene, neue Geſetz eine erfreuliche Erfcheinung. Die 
Sherofefen hatten auf ihrem Gebiete im Weſten fchon 1836 
- einige Branntweinbrennereien angelegt, die nunmehr wol wers 
den eingeben müffen. Übrigens hat die Regierung ber Ber: 
einigten Staaten ftetö verboten gehabt, ben Indianern geiflige 
beraufchende Getraͤnke ‚gusufäheen and an den Drten, wo Mili⸗ 
tair fteht, ift diefes Verbot auch fireng aufrecht erhalten wors 
den; aber bie Grenze des Gebiets der Indianerftämme ift fo 
ausgedehnt und fo fparfam mit Militair befeht, daß eine Con⸗ 
trole unmöglich war. 


Suders Molaffes wird jest in vielen Theilen der Union, 
wo biefee Stoff fehr wohlfeil zu haben ift, als Kutter für 
Kühe und Pferde benugt und als ganz vorzuͤglich zu diefem 
Zweck gerühmt. Das Vieh, berichtet man, gewöhnt ſich fehr 
leiht an den Geſchmack und da biefer Stoff viele Nahrungss 
theile enthält, fo wird er in manchen Fällen dem Getreide und 
Heu für die Viehfütterung vorgezogen. Die Erfahrung hat in 
Amerika gelehrt, daß bie Hunde auf den Zuderplantagen, welche 
fih oft ganz allein von Molaſſes ernähren, ſtets fehr fett find 
und auch den Negern, weiche viel von diefem Rahrungsftoff ge: 
nießen, fehlt e8 nicht an Wohlbeleibtheit. In Pennfyivanien 
und andern nörblidy gelegenen Staaten der Union würde freilich 
diefer Stoff als Viehfutter zu theuer zu ſtehen fommen, aber 
in den füdlidhen Staaten und vornehmlich auf ben dortigen 
Zuderplantagen felbft wird die Benutzung beffelben vortheilhaft 
fein, zumal da in ben Gegenden, wo viele foldye Plantagen 
find, gemeiniglih an Viehfutter bebeutender Mangel ifl. In 
Euifiana hat man bisher viel Heu, Dafer und Gerfte aus bem 
Norden bezogen und es hat ben Pflanzern viel Gelb gekoftet, 
das Futter zur Unterhaltung von Milchkuͤhen und Reitpferben 
anzufchaffen. 


Die „Lexington gazette” im Staate Kentucky meldet, 
daß neulih ein Mann Ramens Gtoffelbaer auf feiner Reiſe 
nah Illinois dort durchpaffirte, welcher bereits in feinem buns 
dertundneunten Jahre ſteht. Er war am Hudſonsfluſſe 1734 
en und zeugte Id Kinder, von denen das jüngfte 36 Jahr 
alt ift. 








Br. €. Zalmabge medt im „Louisville Advertiser” be 
kannt, daß fich in der Nähe von York in Ed: Caroline, am 
Gatamwbafluffe, ein Sylomorsbaum befindet, der an der dickſten 
Stelle T6 Fuß 4 Zoll im Umfange mißt und beffen Aushoͤhlung 
im Innern 18 Juß im Durchmeſſer hat. 33 





giterarifce Anzeige. 





Neue medicinische Schritten. 


Nachstehende im Jahre 1842 bei mir erschienene Werke 
sind durch alle Buchhandlungen zu beziehen : 


Analekten für Frauenkrankheiten, 
oder Sammiung der vorzüglichsten Abhandlungen, Mo- 
nographien u. s. w. über die Krankheiten des Weibes 
und über die Zustände der Schwangerschaft und des 
Wochenbettes. Erster bis dritter Band in 12 Heften. 

Gr. 8. Jedes Heft 20 Negr. 


Das tieschlechtsieben des Welbes 


in pbysiologischer, pathologischer und therapeutischer 
Hinsicht dargestellt von 
Dr. Dielr. Wilh. Heinr. Busch. 


Erster bis vierter Band. 
Gr.8. Auffeinem Druck-Velinpap. 183943. 15 Thlr. 25 Ngr. 


Die Lehre von der Ansteckung. 
Mit besonderer Beziehung auf die sanitätspoliceiliche 
Seite derselben von Dr. E. A. L. Hübener. 
Gr. 8. 3 Thlr. 


Beiträge zur wissenschaftlichen Heilkunde 
von Dr. C. F. W. Richter. 
Gr. 8, Geh. 1 Thlr. 8 Negr. 


Denkwürdigkeiten 
aus der medicinischen und chirurgischen Praxis. 
Von Dr. Georg Friedrich lost. 


Erster Band. 
Gr. 8, Geb. 1 Thlr. 21 Ngr. 
Früher erschien von dem Verfasser bei mir: 

Encyklopädie der medicinischen und chirurgischen 

7 weite Auflage. Zwei Bände. Gr. 8. 10 Thir. 
— nupplemenc zur ersten Auflage. Gr.8. 2 Thir. 15 Ner. 
Ausführliche Rnoyklopädie der Staatsarzueikunde Zwei 

Bände und ein Supplementband. Gr. 8. 11 Thir. 20 Ner. 
Versuch ‚einer kritischen Bearbei der Geschichte 

Scharlachfebers. Zwei Bände. 3 'Thlr. 
Über Liebe und Ehe in sittlicher, naturgeschichtlicher und 

diä her Hinsicht. Dritte Auflage. Gr.8. I Tblr. 


der Medicin insbesendere. Gr. 8. 
Leipzig, im Märs 1843, 
F. A. Brockhaus. 


1 Thir. 25 Ner. 


Verantwortlier Herausgeber: KSeinrich Brockdaus. — Drud und Berlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 


f 


t 


ur 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, — Sr 71. — 





(Fortfegung aud Nr. 76.) 


St.-Roche. Um die natürlich fehe allgemeinen und 
darım ziemlich unbeflimmten Mittheilungen über Inhalt 
und Verlauf der einzelnen Romane nicht zu verwirten, 
enthalten wir uns fuͤrs erſte aller Beziehungen derſelben 
aufeinander. Darum laffen wir jegt „Sodwie-Gaftle’’ ganz 
bei Seite und fprehen nur von „St. Rode”. Der Ro: 
man gewährt unfireitig einen beſſern Eindrud als einer 
der beiden andern; er enthält ohne Widerrede bie meiften 
Spuren von Zalent in Charakteriftit und pſychologiſcher 
Motivirung. Man lieſt wenigftens die beiden erften heile 
mit einer gewiflen Spannung, mit lebhaften Intereſſe 
an dem Gange der Begebenheiten. Das rührt einfach 
daher, weil der Roman feinem melentlichen Theile nad) 
eime gewiſſe Einheit, eine das Einzelne bebersfchende Idee 
bat, und veeil die Fehler im Mangel des Zufammenhans 
ges mit diefee Idee beſtehen und darum wenigſtens übers 
fehen umd gezählt werden Binnen. Diefe Idee und bie 
damit zuſammenhaͤngenden, oder, wenn man will, nicht 
zufammenhängenden Sehler werden fich bei dee Erpofition 
des Berlaufs ergeben. 

Der Roman beginnt mit der Glückſeligkeit eines 
jungen Ehepaars, alfo eigentlich mit dem Ende «eines 


rechten Romans. Der Marquis und die Marquiſe d'An⸗ 


vie find diefe Gluͤcklichen; hoffentlich für unfere vorneh⸗ 
men Leſer vornehm genug. Als Widerſpruch und Std: 
zung der Gluͤckſeligkeit tritt gleich anfangs der Bruder 
des Marquis, Leonce, mit einer unglüdlichen geheimniß⸗ 
vollen Liebe zu den Beiden hinzu und alle Drei befchlies 
Sen die Abreife von Paris, von den glänzenden Hoffeften 
Zudwig’s XV. nach dem Schloſſe Ardeife, in der Nähe von 
St.⸗-Roche, zur Tante Aranziska, Gräfin d'Aubaine. 
Der Marquis will endlich bie ihm von feinem Oheim, 
den alten, in tiefer Schwermuth verftorbenen Grafen 
Crech, zugefallene Befisung St.: Roche Ibernehmen, wies 
wei mit Ängfilichleit, weil möglicherweife ein näherer 
Erbe bderfeiben noch lebt. Vor ihrer Ankunft bat bie 
alte unverheirathete ſchwermuͤthige Gräfin ſchon einen an» 
dern Beſuch auf Lebenszeit befommen, das Vermaͤchtniß 
einer Sugendfeeundin aus England, Miß Eimerice Eton. 
Gleich den erflen Abend verräch diefelbe eine leidenfchaftliche 
Liebe, der aber die alte Gräfin nicht recht auf bie Spur fom: 


men kann. Elmerice hat bei ihren Streifereien durch bie 
wilden Umgebungen des Schloffes ein hoͤchſt abenteuers 
liches Zufammentreffen mit ihrem Liebhaber, der natür: 
lidy Eein anderer als Leonce ift. Dadurch und burch den 
drohenden Beſuch läßt fie fih beflimmen, einftweilen 
einen andern Zufluchtsort zu befuchen, das große Pacht⸗ 
gut einer andern Jugendfreundin ihrer Mutter, der Dad. - 
Albans. Hier findee fie freilich nicht die Zartheit und 
Seinheit der vornehmen Bildung, fondern recht eigentlich, 
Roheit, was nad ber Darfiellung unferer Frau Verf. 
mit den Beſchaͤftigungen des bürgerlichen Lebens nothwen⸗ 
dig zufammenhängt. Es geht fo weit, bag Eimerice bei 
Gelegenheit eines Zufammenfeins mit Heren Albans zu 
ganz andern Zwecken von Mad. Albans des Ehebruchs 
befyuldigt wird. Man verföhnt fi bald wieder und 
das unglüdliche, heimatloſe Mädchen ergreift begierig bie 
Gelegenheit, mit Mad. Albans zu deren kranker Mutter 
zu reifen, zur alten geheimnißvollen, menfchenfcheuen 
Miftreß Gray, der Bewohnerin eines ihr ausfchließlich 
gehörigen Theils des Schloffes St. Roche. In den Ge: 
mächern berfelben verſchwinden beide recht eigentlich, waͤh⸗ 
vend in die übrigen Theile bed Schloffes bie gluͤcklichen 
Perfonen des Stückes gluͤcklich eingezogen find. Ihre 
Sefpräche drehen fih um die hHiftorifchen Erinnerungen 
ded alten Schloſſes und haften zulegt auf dem legten 
Befiger deffelben, dem Grafen Grecy. 


Hiermit beginnt der zweite Theil des Romans, das 
Leben des Grafen Leonin Grecy, deſſen Erzählung für- 
den Marquis d’Anville die Frau Verf. in eigener Pers 
fon übernimmt. 

Dee junge Graf Grecy iſt ber einzige Sohn bed als 
ten Marſchalls Crech⸗Gabanne und der Fuͤrſtin Soubife. 
Der Marſchall liebt feinen Beruf nicht und fegt gegen 
feine Gemahlin, nur dies eine Mat fiegreich, duch, daß 
der junge Graf, flatt für das Militair, für eine hohe 
Stellung bei Hofe beftimmt wird. Leonin hat ein weis 


ches, träumerifches Gemuͤth und wird von feiner herrſch⸗ 


ſuͤchtigen Mutter in beftändiger Abhängigkeit erhalten. 
Er geht auf Reifen, zuletzt nach England an ben Hof 
Karls U, Die letzten Donate vor feiner Majorennität, 
bie ihn ohne weiteres in den Bells von St. Moche vers 
fest, fol er auf Verlangen feiner Mutter auf bem 
Schloſſe des Grafen Gerſey in Schottland verleben. Die 











unzarten Frauen bes Schloffes ziehen benfelben nicht an, 
ebenfo wenig das wilde Jagdleben der Herren; er ſucht 
die Einſamkeit. Auf einem ſolchen Streifzuge trifft er 
auf zwei Frauen, bie von einem Über verfolge werben. 
Er rettet nicht, fonbern wird buch ihre Befonnenheit 
gerettet und verliebt fich doc. Fennimor, die Tochter 
des Pfarrers Lefter, ift die eine, Miſtreß Gray, ihre Freun⸗ 
din und Dienerin, die andere. Leonin folgt ihnen in 
die Abtei und wird von dem wahren, patriarchaliſchen, 
tiefinnigen Naturleben des ehrwuͤrdigen Alten und feiner 

engelreinen Tochter gänzlich gefangen genommen. Er geht 
und kehrt mit immer wachfender Liebe wieder. Er ver: 
gißt die Anfprüche der vornehmen Welt, „fein Herz fehnt 
fi, fi) hinzugeben‘. Die durch eigene Angelegenheiten 
befchäftigten Schloßbewohner merten nichts; Leiter und 
Sennimor Eennen die vornehme Welt nicht; diefe kennt 
nur die Welt des Alten Teftaments, und zwar auch biefe 
nur von ihrer guten Seite. Der Graf Crecy läßt ſich 
Sennimor in Gegenwart der Miftreß Gray und ihre® 
Mannes in allee Form vom alten Lefler antrauen. Der 
* Marquis de Souvre, der Böfewicht bed Stuͤcks und aus 
Neid Zeind des jungen Grafen, iſt von ber Gräfin Erecy 
auf Kundſchaft geſchickt und zufällig heimlicher Zeuge der 
Feierlichkeit. An ihm fpürt der junge Graf zuerſt wie: 
der ben Ealten Hauch der vornehmen Welt, ſodann am 
Grafen Gerfey, der die Fennimor und ihre Liebe aufs 
profanfte entweiht. Der alte Lefter flicht, ohne auch nur 
den Anfang des folgenden Jammers erlebt zu haben. Der 
junge Graf reift mit feiner frommen, ahbnungslofen Ge: 
mahlin und Miſtreß Gray, die aus Liebe zu ihr Mann 
und Kind verläßt, nah St.⸗Roche, wo er ein hohes, 
aber ein kutzes Gluͤck genieße. Ein Brief ruft ihn zu 
feinem kranken Vater. Go weit der erfte Theil. 

Nun beginnt der Zwielpalt, den wir die leitende Idee 
des Stuͤcks genannt haben, der Zwieſpalt zwifchen den 
Anfprüchen der vornehmen Welt und ber Natur, der 
Mahrheit, der Treue, der Tugend. Das muß man fas 
gen, bie Verf. hat ein bedeutendes Talent bewielen, den 
Stanz, die Bedeutung, bie ganze Scheingröße der vor: 
nehmen Welt ins befte Licht zu ſtellen, und bie Nieber: 
lage Leonin's iſt trefflich motivirt. Wir müflen «6 uns 
verfagen, zu verfolgen, wie bie vornehme Weit mit allen 
ihren Maͤchten durch Vater, Mutter, Schweſter, durch 
glaͤnzende Feſte, durch eine Stellung bei Hofe, durch 
perſoͤnliche Bekanntſchaft mit Koͤnig (Kudwig XIV.) und 
Koͤnigin und endlich durch eine vornehme, reiche und 
liebenswuͤrdige, ihm von Vater und Mutter beſtimmte 
Braut auf Leonin einſtuͤrmt. Sein Gewiſſen ſchlaͤft all: 
maͤlig ein, er iſt nahe daran, Fennimor zu vergeſſen — 
als er durch einen Maler, der fie in St.: Roche gemalt 
bat, empfindlich genug an fie erinnert wird: er erfährt, 
daß Fennimor guter Hoffnung if. Er reißt ſich von als 
len Feffeln 108 und flürze nach St.:Rodye. Aber er hat 
zu viel vom Gifte eingefogen, und mährend feines Be⸗ 
ſuchs bei Sennimor, der Mutter feines Kindes, wird 
feine Verlobung mit Fräulein von Lesdigueres bei Hofe 
erklärt. Er entfremder fih von Fennimor und verfällt 


dee Sünde Der Marquis de Souvréè behauptet ben 
Pag, den er feige verläßt, und verfhafft ibm nicht das 
Document der Entfagung Fennimor's, fondern die Nach⸗ 
eicht von ihrem vermeinten Tode. Leonin vermählt ſich 
mit Fräulein von Lesdigneres: auch fie wird Mutter eines 
Knaben. Leonin wagt nicht mehr in fein Inneres zu 
bliden, er wird aber von Zeit zu Zeit durch die Qualen 
des Gewifjens im Genuffe des Glanzes und Glücks ge: 
ftört. Da bekommt er plöglich den Tag vor der Taufe 
feines Kindes die Nachricht, daß Fennimor noch lebt und 
ihn zu fehen verlangt. Er flürzt nach St. Rode: Ken: 
nimor flirbe, mit ihm und der Welt verföhnt, in feinen 
Armen, ohne feine Verbrechen erfahren zu haben. Leonin 
wird in einigen Tagen zum Greiſe. 

Hier follte die Gefchichte offenbar abbrechen, nad 
Ausübung der fogenannten poetifchen Gerechtigkeit, ben 
man ſieht nicht, wo der ungluͤckliche Verbrecher, ber dem 
nichtigen Glanze, der falfchen Größe des vornehmen Les 
bens fo ungeheure Opfer gebracht hat, feine Ruhe und 
Sefligkeit wiederfinden fol, und bie langausgedehnten 
Qualen eines böfen Gewiffens find fein Object poetifchee 
Darftelung. Die Frau Verf. wählt dies Lebtere und 
martert den unglüdlichen Leonin buch ein langes Leber. 
Es tritt zu dem bekannten ein ganz meuer Kreis von 
Perfonen und deren Schickſale: das zuletzt aufs hoͤchſte 
gefpannte Intereffe des Lefers wird natürlich abgefpannt, 
und um e6 von Zeit zu Zeit wieder zu reizen, greift bie 
Frau Verf. zum Schauderhaften. Die beiden Soͤhne 
Leonin’s, der einige Fahre in den Krieg geht, wachſen, 
ohne ihr Verhältnis zu kennen, miteinander in der in 
nigften Freundſchaft auf. Ste verlieben ſich beide in die 
uns ſchon befannte Gräfin Franziska und geben dem 
Lefer das langweilige Schaufpiel eines Streites der Groß: 
muth. In St: MRoce, wo fie der Entdeckung ihres 
Verhättniffes fhon nahe find, erſchießt Reginald, ber 
Sohn Fennimor’s, feinen Bruder — man denke! — 
im Traume. Darauf folgt ein langer Proceß, wo vor 
den Augen des Lefer6 ermittele werden foll, was er Als 
les längft weiß. Durch die Dazwiſchenkunſt des Königs 
wird das Gericht entfchieben, die Marfchallin und ber 
Marquis de Souvre erfahren ihr gebührendes Schickſal, 
Reginald wird begnadigt, verſchwindet ſpurlos — und 
wird vom Marquis d'Anville, als der nähere Erbe von 
St.: Rode, vergeblich gefucht. 

Damit find wir durch die kuͤrzeſten Wendungen zur 
Eingangsgefchichte zurüd; das fchon laͤngſt abgefpannıte 
Intereſſe "des Lefers wird ee een! in Anfpruch ges 
nommen. Wir muthen unferANfefern weiter nichts zu, 
als daß fie ſich geduldig noch fagen laflen, dag Eimerice 
von Miftreß Gray, die mit Ihrer Erinnerung an Fen⸗ 
nimor eine Art Cultus treibt, erfährt, daß fie Fenni⸗ 
mor's Enkelin, Reginald's Zochter und fomit rechtmaͤ⸗ 
Bige Beſitzerin von St.⸗Roche if. Sie wird am Ende 
die gluͤckliche Gemahlin des glädlichen Leonce d'Anville; 
und damit an Gluͤckſeligkeit ein Mangel ift, wird noch 
ein anderes junges Paar zugleich mit ihnen getraut. 

Wenn die Frau Verf. nicht Hätte duch die Maſſe 





des Sioffs und durch Bäufungn von Begebenheiten 
wirken wollen, wenn fie bier das Talent der Frauen ans 
gewandt harte, Haus zu halten, und wenn, was das 
Weſentlichſte iſt, der Conflict zwiſchen der vornehmen 
Welt und der Humanität vom rechten Geſichtspunkte ge: 
faßt und dargeftellt wäre, fo wäre „St.⸗Roche“ ein vor: 
teefflicher Roman. Er wäre aber auch ihr einziger; denn 
bas eine Talent, was die Frau Verf. befikt, wäre mit 
dam einen erfchöpft, nämlich die Darftellung bes tiefen 
Widerſpruchs zwifchen der vornehmen Welt und der ein: 
fahen, wahren und fchönen Humanität. In „Thomas 
Thyrnau“, wo fie, wie das allerdings die Prätenfion ber 
vornehmen Welt ift, beides zu vereinigen gefucht bat, 
werden wir Allee — lächerlich finden. 

Thomas Thyrnau. Nachdem wir uns in ber 
Erpofition des Inhalts ber beiden erſten Romane mög: 
lich kurz gefaßt haben, dürfen wir wol bei biefem legten 
länger verweilen, erſtens aus Rüdfiht auf unfere keſer. 
Der Roman iſt ganz neu vom J. 1843, und unſere Leſer, die 
wir ſchwerlich meiſt in der ariſtokratiſchen Welt zu ſuchen ha⸗ 
ben, find wenigſtens zum Theil noch nicht mit ihm bekannt. 
Vielleicht verleiden wir dieſen durch unſere eingehende ſach⸗ 
liche Expoſition das Verlangen und das Beduͤrfniß einer 
weitern Bekanntſchaft und verſchaffen ihnen dadurch eine 
große Erſparniß an gutem Humor und an Zeit, denn 
auf nicht weniger als 1429 Seiten iſt das fadeſte und 
geiſtioſeſte Tableau ausgebreitet. Aber auch der Roman 
fetbft verdiene eine genauere Behandlung, nicht weil er 
der befte, fondern weil er der ſchlechteſte iſt; ex ift aber 
der ſchlechteſte, weil er das treueſte Abbild der vornehmen 
Belt ift, alle Elemente derfelben zufammenfaßt und fo 
den Kreis ariftokratifher Romane hoffentlich befchließt. 
Am Ende läßt die Verf. die Kalferin (Maria Thereſia) 
fagen: „Das war ein Mann! wir werden den Zweiten 
nicht erleben!” Die Verf. wird Wort halten, fie wird 
eine Majeftät nicht Lügen firafen; wir werden alfo auch 
feinen vierten Roman von ihr erleben. Sollte ihr dens 
noch ihre Fruchtbarkeit Beine Ruhe laſſen (man wird cn 
dem Bilde einer fruchtbaren Schriftftellerin keinen Anftoß 
nehmen), fo ift unfere Welt unterdeſſen fortgerudt und 
eine ernſte Kritik hat davon keine weitere Notiz zu nehmen. 

Der Roman nimmt feinen Anfang in einem Zimmer 
der Kaiferin Maria Therefia im 3. 1757. Die Kaiferin 
iſt allein; ihr Ausfehen, ihre Zollette wird ins einzelnfte 
beſchrieben. Diefe Manier der Verf., worin fie fih ganz 
hauptſaͤchlich als Verfaffer in zu erfennen gibt, geht durch das 
ganze Buch; fie führe micht leicht eine ihrer Perfonen 
ein, obne aufs genauefte zu befihreiben, wie fie angezo: 
gen find und wie fie ausſehen. Ganz natürlich; denn 
in der vornehmen Melt beflimmg fi) das Anfehen nad) 
dem Ausfehen und nicht nach dem Einfehen. Uns wer: 
den unfere Lefer diefe Kammerbdieners oder vefp. Kammer: 
frauendienfte ein für allemal erlaffen; fie mögen ſich die 
Perfonen ans und aus⸗ und umgezogen denken, wie ib: 
gen beliebt. Die Kaiferin ift mit der Lecture eines Ac⸗ 
tenſtuͤcks befchäftigt, welches Über die Werbefferung der 
Zuftande der böhmifhen Bauern handele. Das ver: 


ſpricht etwas. Aber täufche dich nicht, Lieber Lefer! biefe 
Stelle fpiele im ganzen Buche eine traurige Rolle, es 
wird nichts verbeflert, es bleibe holter Alles beim Alten. 
Dee Miniſter Kaunitz teitt ein und praͤludirt feine Rolle, 
die er durch das ganze Stück fpielt: Intriguen anzu⸗ 
nüpfen und zu Löfen, Verlegenheiten zu befeitigen, Staate- 
gelder zu privaten Zwecken zu verfchaffen (wenn audy nur 


zum Schein) u. f. w. Diefer Minifter ift ein wahres 


Pamphlet auf das Minifterium; und dabei wird er Im: 
mer herrlich, groß u. f. w. genannt. In Mahrbeit ift 
er der kriechendſte Schuft von der Welt und damit ha⸗ 
ben wie ihn ein= für allemal abgetban. Er hat audy 
gleih zu Anfang voeiter nichts zu thun, als der Kaiferin 
den Namen des jungen Verf. jenes Actenſtuͤcks zu nen⸗ 
nen, den Namen des achtundzwanzigiährigen, ſchoͤnen 
und geiftreichen Grafen Lay. Die Kaiferin will ihn für 
ben Gtaatsbienft gewinnen, aber Kaunig erklärt, daß 
das gewiſſer rärhfeihafter Verhältniffe wegen nicht zu ers 
warten ſtehe, und fpielt zulegt an auf ein Liebesver⸗ 
haͤltniß des jungen Grafen mit der beinahe vierzigjaͤhri⸗ 
gen armen, braungelben, langen, magern und großnaft: 
gen Fürftin Morani. Damit ift denn das Thema er: 
reiht, das nun durch alle Variationen hindurchgeht, aber 
nur in Mol, denn fie Eriegen ſich Aue; nur für einige 
abgefhmadte arme Teufel reichen die Srauenzimmer nicht 
aus. Eine fo mollige widerliche Liebe tft noch nicht da= 
geweſen. Dank der Verf., fie gibt uns mit bem Gifte 
gleich, das Vomitiv. Es muß erſt zum Erbrechen kommen, 
dann kommt ed auch zum Bruch und endlich zum Durchbruch. 

Natürlich iſt die Kaiferin begierig, den fonderbaren 
jungen Grafen tennen zu lernen. Wir halten es gar 
nicht für gemein, wenn unfere Lefer diefe Begierde mit 
dee Kaiferin gemein haben, und ihnen darf das Glüd 
diefee Bekanntſchaft noch eher zu Theil werden als ber 
Kaiferin, feldfl. Der junge Graf naͤmlich offenbart fein 
Inneres und feine Außern fonderbaren Verhättniffe feinem 
jungen Freunde, dem Baron von Pölten, dem abge: 
fchmadteften Herrchen von der Welt. Er it, damit doch 
ein Unterfchted zwiſchen ihm und dem immer ernften, ja 
feierlihen Grafen beiteht, als ſtets heiter, luſtig und 
witzig befchrieben; aber fein Wis, d. h. freilich der Witz 
der Frau Verf., hinkt auf beiden Beinen. Was hat nun 
der geheimnißvolle und darum liebenswuͤrdige Graf dem 
leichtfüßigen und darum fchuftigen Baron zu offenbaren? 
Erftens daß ihm feine großen Güter von feinem Vor⸗ 
munde, Thomas Thyrnau, einem berühmten Advocaten 
und Freunde feines verfiorbenen Oheims, nur unter der 
Bedingung übergeben werden follen, daß er deffen (Thyr⸗ 
nau’s) Enkelin heirathet; fo foll ed durch ein nod ge: 
heimnißvoll bieibendes Zeftament befagten Oheims feflge: 
ftelie fein. Zweitens, daß er in die alte Fuͤrſtin Morani 
aus bioßer Achtung verliebt if. Woher diefe Achtung ? 
weil fie empfindfam ift, weil fie ihrem alten liederlichen 
und betrügerifhen *) Vater bis zu feinem fel. Ende ein 

) Es heißt ven ibm ©. 41: „Neben dieſen Cchattenfeiten 
(der Betrügeret und Voͤllerei) beſaß cr äußerſt 'iebenswuͤrdige 
Eigenſchaften.“ 


glängendes Leben zu erhalten und bie Maſſe feiner Schul⸗ 
den zu verbergen gewußt hat; und weil fie nun hinter⸗ 
drein noch fo bürgerlich ehrlich ift, diefe Schulden durch 
den Verkauf der meiften ererbten Luxusſachen zu tilgen. 
Der Graf ift durd die Spuren ihrer Entbehrungen aufs 
tieffte gerührt, und bei ber Nachricht, daß fie ihren Koch 
entlaffen hat, bricht ihm fait das Herz. 

Die Zürftin will fih den Bewerbungen des Grafen 
dadurch entziehen, daß fie in ein Kloſter gebt; aber fon: 
derbar! ein Mönch redet ihr dieſen Entſchluß aus, der 
liebenswürdige Jeſuit Georg Prey. Er überzeugt fie, 
daß fie mit der Leidenfchaft im Herzen nicht für das 
Kloſter paffe. Die Zürftin gibt nad; die Verlobung 
wird gefeiert. Vorher aber hat der Graf eine Audienz 
bei der Kaiferin. Die volle Begeifterung eines Unter: 
thanen ſchwellte fein Herz. In diefer unterthänigen Be: 


geifterung — die Verf. wird un nicht anlagen, daß wir: 


ihre Worte verdrehen, denn Die Begeifterung eines Un: 


terthanen muß nothmwendigermeife untertbänig fein — hat | 


der Graf gelegentlich bie Kühnheit, der Kaiferin ine Se: 
fiht zu erklaͤten — etwa, daß «8 Ihe mit ber Unter: 
ſtützung feiner beabſichtigten Befreiung ber boͤhmiſchen 
Bauern nicht rechter Ernſt iſt? o nein! — daß ſie keinen 
Anſpruch hat auf ein einziges Gefuͤhl der Erde (sic). 
Die Kaiferin ift durch biefe Dreiſtigkeit fehr überrafcht, 
denn fie fühlt, daß fie nicht abfolut wäre, wenn fie nicht 
alle Gefühle hätte. Sie fragt darum: an welches? Der 
Graf antwortet in einer Rede, die wörtlich abgebrudt zu 
werden verdient; denn einige unjerer Leſer haben vielleicht 
Urſache, fie fi zu Herzen zu nehmen. 

An das der Untertbanen «Liebe! an das fehönfte, reinſte 
Gefuͤhl der menfchlihen Bruſt! 
die gewöhnliche Nahrung ber Erwiderung zu bedürfen — ein 
Gefühl, das leer ift von jedem Egoismus, das nichts will und 
nöthig hat, als das Süd, zu lieben; das ben erhabenen Ge⸗ 
genftand, deffen Stimme vielleicht nie an das Obr Deſſen brang, 
der es nähert, und ihn dennoch mit berjelben Wärme burchbringt, 
die ihn Leben, Gut und Blut freudig darbringen läßt für die 
Erhaltung beffelben. Dies Gefühl, beffen böchfte Reinpeit ich 
ald den Triumph der menfchlichen Befähigung erkenne — dies 
Gefuͤhl ift es, weshalb 
Euern Majeftäten zu beneiden wage, wenn ich auch zugleich 
abne, daß — dies Gefühl einflößen zu können, vielleicht meis 
nem ſtolz empfundenen Vorrecht die Wage hält! 

(Die Fortfegung folgt.) 


gr — 6⸗ 6 — 


Literariſche Notizen aus Frankreich. 


unter dem Titel: „De l’aristocratie anglaise, de la 
d&mocratie americaine et de la liberalit& des institutions 
francaises‘ gab Ch. Farcy ein Wert heraus, welches von 
den franzöfffchen minifteriellen Journalen das Werk eines guten 
Bürgers genannt und feines „trefflichen Geiftes” wegen mit 
Lobfprüchen überhäuft wird. Sehr natürlih, da der Verf. in 
feinem Buche zu beweifen unternimmt, daB es kindiſch und 
falfch ſei, zu glauben, in Amerifa oder England blüge bie 
wahre Sreiheit und Frankreich nehme unter ben conflitutionneilen 
Nationen etwa nur ben dritten Rang ein; daß vielmehr ber pos 
litiſche und geſellſchaftliche, der geiftige und fitttiche ‚Zuftand 
Frankreichs ein unenblidy befftrer fei als ber Nordamerikas und 


Eine Liebe, welche lebt, ohne 


id mid in dieſem Augenblide vor. 


Englands; daß Iestere beiden Länder gar nichts hätten, was 

ein Franzoſe ihnen beneiden Eönnte, und baß den Franzofen, 

um groß und gluͤcklich, um das erſte Voll der Welt ;u fein, 

nichts weiter fehle als das Bewußtſein, daß fie in einer bewuns 

dernswerthen Lage ſich befinden, um bie Allee zu werden. 

Was kann ein nzofe nicht beweilen, wenn es darauf ans 
tommt, fein Bold als das erſte, glüdtichfte und größte hinzu⸗ 
ftellen! Beweiſen uns doch die franzöfifchen Kriegsgeihichtfchrei: 
ber, daß bie Werbiindeten nur, nachdem fie Niederlage auf Ries 
derlage erlitten, in Paris einrüdten, fobaß es faft darauf hinaus⸗ 
tommt, aid feien fie vorwärts nach Frankreich und Paris ges 
flohen! Gelten ihnen doch Schlachten wie bie bei Großbreren, 
bei Kulm, an ber Katzbach, bei Dennewig für nicht mehr als 
bloße Vorpoftenfcharmügel, während bie für bie Berbündeten 
ftegreihen Schlachten auf franzöfifchem Boden, wie die von 
Brienne ober Laon, in ihren Kriegsgeſchichten gaͤnzlich fehlen 
oder in fiegreiche Treffen verwandelt werden; wie fönnte auch 
ein Sranzofe zugeben, daß er auf eigenem Grund und Boden 
gefhlagen worden fet? In gleichem Geiſte und mit gleicher 
Kuhmredigkeit iſt auch Farcy's Werk geſchrieben. Doch ent⸗ 
hält es manche intereſſante Bemerkungen und ſtatiſtiſche Anga⸗ 
ben. Es ſei eben kein Ungluͤck für Frankreich, ſagt der 
Verf., daß es in feinem „Almanach royal’ feinen Herzog 
von Nortyumberland figuriren ſehe, der ein jährliches in: 
kommen von fünf Millionen Francs hätte, feinen Herzog 
von Buccleugh mit jährlich ebenfalls fünf Millionen, einen 
Marquis von Hertford mit drei Millionen, keinen Lord Francis 
Egerton mit drittehalb Millionen, Beinen Marquis von Weſt⸗ 

minfter mit neun Millionen, Eeinen Herzog von Eleveland mit 

fünf Millionen, feinen Lord Portland mit zehn Millionen, keinen 

Sir John Loyds mit 6,220,000 Krancs, Beinen Derzog von Devon⸗ 

fhire mit drittehalb Millionen u. f.w. Alle biefe Ichten nur von 

den Abgaben der Armen und dem Bungee ber Proletarier. 

Auch die Morat erfcheint Barcy, ber bie Habeas⸗Corpusacte 

das willtürlichfte Gefeg nennt, welches nur zu Gunften der Bor: 

nehmen unb Reichen gegeben fei, in England viel übler beftellt ' 
ats in Frankreich. Die criminelle Statiftil ergibt nämtich fol⸗ 

gende Zahlen. In England war bie Zahl der im 3. 1834 

Angeliagten 22,451, im 3.1837 23,612, im 3.1840 27,187, 

Vermehrung 20: 100. In Frankreich mit einer um bie Hälfte 

zablreihern Bevoͤlkerung zählte man 7223 wegen Verbrechen 

Angektagte im 3. 1835, im 3.1839 7858, Vermehrung 9: 100, 

Unterfchied zu Ungunften Englands 21: 100, 


Bon E. Pecqueur find drei Werke auf einmal crfdjienen : 
„De la paix, de son principe et de sa realisation”, ein von 
der Gefellfchaft der chriſtlichen Moral 1842 gekröntes Werk; 
„Des armees dans leurs rapports avec Pindustrie, ia morale 
et la liberte, ou des devoirs civiques des militaires”, 
berfelben Gefelfchaft in demfelben Jahre gekrönt; und Théaric 
nouvelle d’economie sociale et politique, ou &tudes sur l’or- 
ganisation des societ&s’‘, eine Schrift, welche zu intereffanten 


-Bergleichungen mit M. Chevalier’8 „Cours d’economie poli- 


tique” auffodert. Es tft merkwürdig, wie theoretifch jest Frank⸗ 
reich zu Werke geht, während es body den Deutſchen ihren 
Mangel an Praris und ihren UÜberfluß an theoretifchen Hirs⸗ 
gefpinnften vorwirft. Daher ‚dic vielen hohlen Declamationen 
in ber Deputirtenfammer und im SSchriftwefen! Die vielen 
Scerficin der armen Witwe, tes franzöftihen Socialismus, 
haben noch immer fein nugbares Gapital ergeben. Wir ers 
wähnen bierbei, daß von hen „Mémoires inddits du wmarschal 
de Vauban sur l’ö&conomie politique‘’ foeben der zweite Band 
erfchienen if. Der unermüdlide Krämer in und mit italieni: 
{hen Anekdoten und Antiquitäten, der Verf. der „Curiosites 
et anecdotes italiennes”, „L’Italie comfortable‘‘, ‚‚Voyages 
en Italie” u. ſ. w., Valery, gab heraus: „La science de la vie, 
ou principes de conduite religieuse, morale et politigue, 
extraits et traduits d’auteurs italiens.“ 18. 


Berantwortlicer Herausgeber: Heinrih Brokhaus. — Drud und Verlag von B. 4. Brodbaus ia Leipzig. 


nn 5% 


Blätter 


‚für 


literariſche Unterhaltung. 





‚Sonntag, 





Ariftotratifhe Romane. 
(Yortfegung aus Nr. 77.) 

Wir Haben nicht gerongt, bdiefe tiefen Gedanken — 
wie verwahren uns ausdruͤcklich dagegen, hier „tief“ im 
der Bedeutung von ‚niedrig‘ zu nehmen — zu unters 
brechen, wenngleich wir fühlten, daß die Sprache für die 
an die Rhetorik der unterthänigen Begeifterung nicht ges 
mwöhnten Ohren einiges Unverfiändlihe haben könnte. 
Mir fahren auch jetzt erft fort, nachdem wir unfern Le⸗ 
fern eine Pauſe gegoͤnnt haben, um die Thränen ihrer 
unterthänigen Rührung Uber die unterthänige Liebe zu 
teodnen. Die alte Fuͤrſtin alfo verlobt fih mit dem 
jungen Grafen. Dabei wird, wie gewöhnlich, gegeſſen 
und getrunfen, von den alten beftäubten Reſten aus 
dem Keller des hochfeligen Kürften, für welche die arme, 
arme Fürftin die Mefter bat bezahlen müflen. Nach 
Tiſche amufirt man fih im Garten, und da kommen 
auf einem Kahne drei fingende Kinder — ein Mädchen 
von etwa 14 Fahren, ein etwas jüngerer Knabe und 
noch ein Meines Mädchen, Magda, Egon und Hedwiga — 
zur alten Fürſtin zu Beſuch. Ale drei ‚find natlrlich 
wunderſchoͤn, und ſchon darum unmöglich die Kinder ber 
armen Teufel — iſt's nicht ein fchöner Ausdrud „armer 
Teufel?“ — von Kofterhofbemohnern, wo fie logiren. 
Magda erfchridt beim Anbii des Grafen Lay — fie 
bet nämlich feinen ihm ganz ähnlichen Oheim noch ges 
kannt; — Lacy auch. Kurz, hier geht die liebe Roth 
der Liebesnoth an. Und damit fidy unfere Leſer gleich 
fie diefe Liebeögefchichte intereffiren und über die reizende 
Magda und ihre Gefpielen, Egon und Hedwiga, nicht 
Kınge in Ungewißheit bleiben — man bleibt es freilich auch 
im Romane nicht lange, die gute Frau Verf. bildet es fi) 
blos ein — Magda iſt die betreffende Enkelin Thomas 
Thyrnau's und Egon und Hedwiga find Kinder. des 
Erbpringen von S. und einer Tochter des Thyrnau, 
einer Tante Magda’s. Der Erbprinz hält feine Kinder 
für todt, flir ermordet durch feinen eigenen leiblichen 
Vater, der einen tiefen Daß gegen ihn heat, weil er ihn 
für einen Baſtard hält. Unterdefien leben die armen 
Shrftenlinder in der drüdendften Armuth bei ihrer alten 
Pflegemutter Mora. Sie efien Wafferfappen — man 
bente! — und firttern eine Ziege. Das iſt für die ar: 
men Kinder offenbar fehr traurig, ‘aber für unfere Frau 


19. März 1843. 





Verf. ſehr gut, denn fie hat dadurch Gelegenheit, unends 


lich liebliche idylliſche Erzählungen vom Leben ber Ziege 
und von ihrem tragiihen Ende einzuflechten. Aber wir 
fegen uns über alle diefe Seligkeit und dies Miſere weg, 
machen einen Sprung und find auf einmal in bem fos 
genannten Dohlenneft, dem Aufenthalte des Haupthelben 
des Stuͤcks, wohin auch Magda ſchon vorausgeeilt iſt, 
nachdem fie vorher noch ein aͤußerſt rührendes Zufammens 
treffen mit dem Grafen Lacy am Klofterbrunnen erlebt 
bat. Die Bekanntſchaft der Peinzeffin Thereſe, einer 
Muhme der Kalferin, machen wir aber vorher. Ihre 
vom der Verf. viele Seiten lang ausgefponnene Gefchichte 
iſt kurz biefe: Sie ift in ihrer fruͤheſten Jugend mit 
dem Erbprinzen von S. verlobt und fchon für bie Zus 
kunft grümdlich verliebt. Als fie darauf figen gelaſſen 
wird, legt fie fih, um in der Volksſprache zu reden, auf 
bie liedetliche Seite, wozu fie natürlich, am Hofe der 
Pompadour, wo fie ihre Jugend verlebt, Gelegenheit ges 
nug bat. In Wien fegt fie dies Unwefen fort und hat 
fogar nädtlihe Zuſammenkuͤnfte mit dem alten Erzboͤſe⸗ 
wichte, dem Bürften von S. Trotz alledem iſt fie uns 
endlich liebenswuͤrdig, reißt fih aus allen DVerlegenheiten 
beraus umd heirachet endlich, um bier ihre Geſchichte 
gleich) zu befchließen, ben Erbprinzen von S. Deſſen⸗ 
ungeachtet iſt die Prinzeſſin die wahrſte und darum ins 
tereffantefle Figur des ganzen Romans. 

Wir waren, wie oben gemeldet, im Dohlenneſt. 
Das Dohlenneſt ift, wie jebes Famllienneſt, ein Reſt 
der Gluͤckſeligkeit. Die Bewohner eſſen und trinken, teis 
ten und gehen fpagieren und kümmern fih um: nichts 
in der Welt, ald um den Genuß ihres eigenen Lieben Les 
bene. Sie find aber gerade darum nach der Darftellung 
unferer Verf. groß und bedeutend und wahre Mufter für 
jeden guten Unterthanen. Der alte Thyrnau hat aber 
in feiner Tugend mit Lay, dem Oheime unfers Heiden, 
feinem intimften Freunde, ben unfinnigen Plan gehabt, 
Böhmen durch eine Verfſchwoͤrung am einen frangöfifchen 
Prinzen zu bringen. Spaͤterhin, beſonders beim Aufs 
vs des herrlichen Geſtirns der Maria Tiherefia haben 
e den Plan aufgegeben. - Aber die Verwickelungen, im 
bie ſich noch der Sohn bes alten -Lacyg — ber, beilaͤufig 
gefagt ; recht eigentlich vor Liebe ſtirbt — eingelaffen hat, 
haben den alten Laey um den größten Theil feines Ders 


810 


moͤgens gebracht. Thyrnau hat ihm das Belle davon, 
die Herifchaft Tein, wozu das Dohlenneft gehört, abge: 
kauft; aber um der alten Familie Lacy-Wratislav (fo 
beißt der junge Graf von feiner Ältermutter) das Beſitz⸗ 
thum zu bewahren, haben die beiden‘ alten Herren den 
duppleriſchen teſtamentariſchen Vertrag geſchloſſen: der 
junge Graf und Magda ſollen ſich heirathen, und wer 
von beiden den andern verſchmaͤht, ſoll der Erbſchaft 
verluftig gehen. 

So ſtehen die Sachen. Da erfcheint im Dohlen⸗ 
nefte der alte Fürft von S., der, eben weil er der ei 
zige Böfewiht im ganzen Buche iſt, duch und buch 
böfe, fo zu fügen auswendig und inwendig ſchwatz iſt, 
ein wahrer Fuͤrſt dieſer Welt. Was er eigentlich will, 
wird nicht ganz klar; er zankt ſich mit Thyenau, der an 
die alte Verſchwoͤrung nicht mehr anbeißen will, ſieht 
Magda, bildet fih ein, fie fei auch feine Enkelin und 
nimmt fi vor, fie zu verderben. Die Abenteuer des 
albernen Baron Pölten, der nad Tein kommt, ſich für 
den jungen Grafen ausgibt, um benfelben durch feine 
Schlauheit aus allen Nöthen zu reißen, übergehen wir 
billig mit Stiffchweigen. Nur das Eine koͤnnen wir 
unmöglih unerwaͤhnt laffen, naͤmlich daß er fich über 
einen See hinter, alfo beiläufig auf eine Diflance von 
einigen Hundert Schritten in Magda verliebt. Im Aus 
genblicde der Entſcheidung, wie nämlich das verhängniß: 
volle Teſtament eröffnet werden fol, erſcheint der Graf 
Lacy ſelbſt. Alles geräch in die ungeheuerfte Aufregung, 
Magda, die auch hinzugeeilt ift, bricht zufammen. Die 
Scene, die im Romane die armen Lefer einige Selten 
lang befländig außer Athem hätt, ift kurz diefe: Thyrnau 
fraͤgt in Magda's Gegenwart den Grafen, ob er ſeine 
Enkelin zur Frau nehmen wolle. Der Graf bekennt ſeine 
Verlobung mit der alten Fuͤrſtin Morani. Das iſt num 
ſehr ſchlimm; beide kann er doch nice heirathen. Nun 
iſt eigentlich feine herrliche Herefhaft verloren. Aber 
Magda wendet die Sache anders, fie richtet fih auf und 
ſchwoͤrt „zu Gott dem Aumaͤchtigen einen heiligen Eid, 
Lacy nie anzugehören.” Bel diefen Worten fährt dem 
armen Lefer ein Schreck in die Glieder. Nun iſt es vor⸗ 
bei, ſeufzt er, und doch iſt er erſt in der Mitte des 
zweiten Theils. Aber es iſt Schade um dieſen ſchoͤnen 
Schreck, der Einem ſo recht Mark und Bein erſchuͤttert; 
denn ſie heirathet ihn zuguterletzt doch, und der liebe 
Gott wird nicht einmal um Verzeihung gebeten. 

Weil von Schreck die Rede iſt, ſo faͤllt uns ein, 
unſere Leſer koͤnnten bei der Erwaͤhnung, daß wie erſt 
in der Mitte des zweiten Theils ſind, auch einen Schreck 
bekommen haben. Aber Geduld, wir wollen uns kuͤrzor 
faffen. Die ganze zweite Hälfte bes zweiten Theils 
fuͤlit ein Proceß aus, durch ben unfere ganze ſchoͤne Ge: 
ſchichte fo gut wie gar nicht procedirt. Thyrnau iſt vom 
Boͤſewicht, dem Fuͤrſten von S., des Hochverraths an: 
geklagt. Aber — dafuͤr ift er Advocat — er redet fi 
beraus und Magda fällt der Kaiferin zu Süßen und be: 
tet fie recht eigentlich an. Thyrnau wird auf fünf Jahre 
auf die Feſtung Kariſtein gewielen, auf ein wunderſchoͤn 


-wie beſeſſen. 


gelegenes altes Schloß, wohin ſonſt nur Heiner Vergehun⸗ 
gen wegen Prinzen gemwiefen find, etwa wenn fie aus 
Verfehen oder in Übereilung einen Kammerbiener oder 
dergleichen erflochen hatten. Magda begleitet ihn und er: 
lebt mit ihm umd den guten Leſern auf dem beinahe ans 
derthalb Hundert erſten Seiten des britten Theile die 
fondecbarften Abenteuer, blos weil der Courrier, der ihre 
Anmeldung an den Gouverneur der Seftung bringen folite, 
unterwegs einen Unfall gehabt bat. Auf der Feſtung be: 
ginnt das luſtigſte Leben. Die Offiziere der Befasung, 
die alle, einen jungen Sürften Trautſohn ausgenommen, 
einem alten Herkommen gemäß, das Gelübde der Keuſch⸗ 
beit abgelsgt haben, find Sprößlinge altadliger Geſchlech⸗ 
ter, und trog ihres Adelſtolzes verlieben fich faft alle in 
die bürgerliche Magda. Die Belagung iſt auf einmal 
Die Liebe fpielt duch alle Zonarten, vom 
Grafen Thurn, der Magda wie eine Heilige anbetet, bis 
zum Grafen Pafterau, der fie gelegentlich — man verjeihe 
das unzüchtige Wort — nothzüdtigen will. Der Graf 
Paſterau wird für feine Eleine übertriebene Galanterie ein 
Weilden von der guten Geſellſchaft ausgefchlofien. 

Die längfle Epifode ift die bis zum Ekel abgefchmadkte 
und widerliche Liebe des jungen Trautſohn; und doch er: 
klaͤrt gerade er ſich gelegentlich gegen Magda über einen 
weientlihen Geſichtspunkt der Liebe, nämlih Kinder zu 
zeugen. Als Magda endlih an Lacyh verheitathet iſt, 
jammert er zwar nod viel, bittet fie aber zuguterlegt, 
ihm eine Stau zu verfchaffen. Diefe verfuppelt ihm ihre 
Coufine Hedwiga, und von ber wird am Ende berichtet, 


‚daß fie fehr fruchtbar gemwefen fei. Wir haben ſchon gefagt am 


Ende: nun ja, wir find gleih am Ende. Die Befuche auf 
bem Karlftein von Seiten des Grafen Lacy und feiner Srau, 
des Erbprinzen und ber Prinzeffin Thereſe, die ſich bier 
verloben, und all das damit verknüpfte Amufement über: 
gehen wir. In Prag ſtirbt endlich in Folge der Belage⸗ 
sung und einer ſchweren Niederkunft die Gräfin Lacp. 
Der Graf geht zu feiner Zerſtreuung ein Jahr mit in 
den Krieg und heirathet endlih Magda. Nur Thyr⸗ 
nau, bem alle feine Kuppeleien gelungen find, und ber 
demnach die großen Zwede feines Lebens erreiche bat, 
flirbt. Magda dagegen, die fehon bundertmal in Ohn⸗ 
macht gefallen ift und hundertmal todtenbleih, d. b. ins 
terejfant ausgefehben hat, wird ſtark und befommt vice 
Kinder. 

So wären wir am Ende, freilih mit Auslaffung 
vieler Abenteuer und mit Übergehung vieler, von der 
Verf. als bedeutend dargeſtellter Perfonen. Wir baben 
aber da6 Gefühl, unfern Lefern unmöglich eine Längere 
Geduld zumuthen zu können; wis wollen ihnen vielmebe 
zu Belohnung für die bisherige eine Kleine Gefchichte aus 
unferm Leben erzählen, die uns bei Gelegenheit des un: 
endlich lang ausgedehnten Sterbens der frommen Graͤfin 
Lacy eingefalien iſt. Ref. war einmal fo ungluͤcklich, 
Theilnehmer einer pietiftifhen Abendandacht zu fein. 
Der Vortrag war eine Krankengefchichte, das mindeſtens 
vierzehn Tage anhaltende Abſterben eines frommen Chriften, 
der zwifchen den Schauen des Todes und feiner Sünden 


811 


und dem Vertrauen auf die Gnade Gottes befiäubig bin 
und ber ſchwankt. Mein Nachbar flöhnte bei jeder neuen 
Wendung tief auf und feufste: Ach! wenn er doch erſt 
tobt wäre! (Er drücke fih wol auch flärker aus, was 
fh zu der beabfichtigten Erbauung gar nicht paßte und 
was ich nicht nachfogen mag.) Am Schluffe rief er faft 
laut zum Schreden der erbauten Gefellfhaft: Gott fei 
Dank, daß er todt if! So geht es den Lefern unfers 
Romans beim Tode der frommen Gräfin Lacy und am 
Ende beim Ende des ganzen Romane. 

Bas ift dies nun für eine Welt, derem Zuͤge die 
Frau Verf. vor unfern Augen in diefen Romanen aus: 
breitet? aus welchen Elementen ift fie zufammengefegt? 
was ift ihr fieelicheer Boden, ihre Subflanz? Darüber 
bleibe uns noch übrig, einige Bemerkungen hinzuzufügen. 
Der fittliche Boden der Romane ift, wie dies von einer 
Frau gar nicht anders zu erwarten fleht: 

Die Familie. Wer wäre der Barbar, die Tiefe 
und den Reichthum und die fittliche Serrlichkeit des Fa⸗ 
milienleben6 zu verkennen! wer wüßte nicht, daß «6 ge: 
zade in Deurfchland zur fchönften Blüte gediehen ift! 
Kein Wunder; denn felt geraumer Zeit haben wir tel: 
ter nichts zu thun gehabt, und alle fittlihen und edein 
geiftigen Kräfte find ihm zugefirömt. Das Familienleben 
in feiner Blüte ift das Product des Proteflantismus, iſt 
der proteftantifhe Himmel (Luther felbft flüchtete bei Zei⸗ 
ten hinein), neben dem der eigentlich fogenannte Dim: 
mel theoretifch zwar lange unangetaftet, aber praktiſch 
verödet blieb: denn, man täufhe fih nit! was der 
Menſch mit allen Kräften feiner Seele erſtrebt und liebt, 
wofür er arbeitet und worin er zugleich den Genuß feiner 
Arbeit findet, das ift fein Himmel, fein Paradies. Das 
war und iſt noch in Deutfchland die Samilie, und der 
Staat ift nur der Engel mit dem Schwerte, ber dies 
Paradies behüter, aber auch bisweilen verwuͤſtet. Die 
Familie, die fich gegen das große Ganze, den Staat, 
gleichgültig verhält, ift die Subſtanz, der Boden des 
deutichen Lebens, daher das vielfach varliste Thema un: 
ſerer Dichter, von dem idealiftifh aufgepugten Spieß: 
bürgertbume Sein Paul's bis zur ſchoͤnen, feinen umd 
hohen Bildung der Goethe'ſchen Poefie. Und mo das 
Samilienieben feine engen Kreife öffnete, da muͤndete es 
meift nicht in den ihm zunaͤchſt liegenden größern Kreis 
des Volkslebens, fondern gleich in ben weiteſten und 
größten des Rosmepolitismus. Wir können unfern Did: 
ern daraus Leinen Vorwurf machen; fie bildeten Die 
Wett ab, wie fie fie fanden. Wir können auch unferer 
Sau Verf. daraus keinen Vorwurf machen, denn unfer 
Ruhm und Stolz, unfer Eins und Altes iſt noch immer 
die Reinheit und tiefe Innigkeit des Familienlebens, und 
fie ift eine Frau. Aber das fie die ſchoͤnen Vers 
bältniffe, die ceihen Bezüge der Liebe, des 
Bertrauens und bes fittlihen Einfluffes vers 
renkt und verfchoben, daß fie die ganze [höne 
Natur des Zamilienlebens in Unnatur ver: 
wandelt bat und diefe Unnatur befhänigt, 
das machen wir Ihe zum Vorwurf. Die Etikette, 


die Conventenz, die Vornehmheit, bie Manier Aberzieht 
ale Wahrheit und reine Humanitaͤt mit einem kleiſteri⸗ 
gen Firniß. 

(Der Beihluß folgt.) 





Leben des großherzoglich oldenburgiſchen Generalmajore 
W. ©. 5. Wardenburg. Herausgegeben von einem 
Bruder des Verftorbenen. Didendurg, Schulze. 1342. 
Gr. 3. 1 Thlr. 10 Ngr. 


Die Zahl ber deutfchen Krieger, welche feit dem Anfange 
der franzöftfchen Revolution an den verfchiedenen Kämpfen in 
Stalien, Sranfreih, Deutfchland, Rußland, Polen und in ben 
Niederlanden Theil genommen haben und in ben Kriegen von 
1813-— 15 bereits im kräftigen Mannesalter ftanden, wird im⸗ 
mer Eleiner und mit ihnen ſchwinden viele Erinnerungen an eine 
wechfelvolle Vergangenheit und an Begebenheiten, wie fie ſich 
nicht leicht in einen Zeitraum von 20 Jahren zufammengedrängt 
haben. Unter die Zahl diefer verdienten Kriegsmaͤnner gehört 
auch der olbenburgifche General nBarbenburg ı der am 29. Mai 
1833 verfiorben ift und in Briefen, Tagebuͤchern und militatris 
hen Ausarbeitungen einen reihen Stoff zu einer Biographie 
binteriaffen hat, deren Beroͤffentlichung das Werk feines Bru⸗ 
berö, des Superintendenten Wardenburg, geworden ift. 


Der General Wardenburg trat zuerfi (1797) in das oldens 
burgiſche Militaircorps, wars dort Faͤhnrich, entſchloß fich aber 
fon nad zwei Jahren in ruſſiſche Dienite zu gehen und bei 
ber Armee unter Suwarow, bie damals in Stalien fland, feine 
erfien Sporen zu verbienen. Er ward bei guten Empfehlungen 
von dem Eriegerifchen Sonderling wohl aufgenommen und file 
dert ihn recht anſchaulich in leinenen Beinkleidern, zereiffenen 
Strümpfen, ungepugten Gtiefein, ohne Rod und Halstuch im 
bloßen Hemde, oder, wie er in Mailand einzieht, auf einem 
Kofadenpferde, mit einem abgenugten deutſchen Sattel und 
einer Schabrade mit feibenen Franzen, mit Kleinen Gtiefeln, 
über weiche die Strümpfe herabbingen, mit kurzen Beinkleibern, 
deren Knoͤpfe nie zugemacht waren, mit einem Hemde ohne 
Kraufe und mit einem offenen Halsfragen und in der Hand 
ben Kantſchuh, um das Pferd unaufhoͤrlich anzutreiben. Da 
fi aber Warbenburg’s feite Anftelung verzögerte, fo zog er 
ed vor, mit guter Empfehlung von Suwarow in bie oͤſtreichiſche 
Armee einzutreten, und erzählt manche Gingelnbeiten aus den 
Feidzuͤgen derſelben bis zur Schlacht bei Marengo. Wenn ber 
Derausgeber ed befrembend findet, daß fein Bruder nur gang 
kurz; von diefer Schacht ſpricht, fo ſcheint uns gerade hierin 
ein Beweis für die richtige Auffaffung und feltene Befcheibenheit 
des jungen Offiziers zu liegen. Denn wie vermag ein Lieutes 
nant ben Gang einer bedeutenden Schlacht zu verfolgen, ober 
gar von feinem befchräntten Standpunkte aus bie Anorbnungen 
bes Oberfeidherrn zu kritiſiren? 

Der langweilige Garnifondienft in Wöhmen und bie Un: 
möglichkeit, es bei der damaligen Käuflichkeit der Offizierftellen 
weiter zu bringen, ließen ihn im Frübjahre 1805 den öftreichis 
ſchen Dienft verlaffen und wieder nach Rußland gehen, wo er 
bei den verwandtſchaftlichen Verbindungen des olbenburgifchen 
Daufes mit der kaiſerlichen Familie ein raſcheres Avancement 
zu finden hoffte. Als ruſſiſcher Secondelieutenant machte er bie 
Feldzüge von 1805 und 1806 mit, und wie befcheiden auch 
Wardenburg ift, fo erfieht man doch Kinlänglih, daß er fich 
durch Tapferkeit und Wohlverhalten auszeichnete, namentlich in 
der Schlacht bei Eylau, deren Schilderung zu ben intereflan- 
teften Partien des Buche gehört. Nah dem Tilſiter Frieden 
z09 fein Regiment nady Finnland und feine Mittheilungen über 
biefen Krieg, der ihm Orden und Ehre bradte, find um fo 
wichtiger, je mehr die Gefchichte diefes Kriege vor den uͤbrigen 
großen Weltbegebenbeiten jener Zeit zurüdgetreten ifl. In ber 








818 


ſchwediſchen Befangenfchaft ward er freundlich und zuvorkom⸗ 
mendb behandelt. Nach bem Frieden ernannte ihn Prinz Geor 
von Oldenburg zu feinem Adjutanten und von diefer Zeit an i 
Wardenburg im Vertrauen angefehener Perfonen und feine Mit: 
theitungen gewinnen an Intereffe und Wichtigkeit. Dies gilt 
unaͤchſt von der Geſchichte des ruſſiſch-franzoͤſiſchen Kriegs im 
. 1813, wo Wardenburg die Schlacht bei Smolense und 
Borodbino als Augenzeuge klar und gut beſchrieben und bei aller 
Anerkennung der ruffifchen Tapferkeit auch die Bradheit ber 
feanzdfifchen Truppen nicht verkannt hat. Barclai de Zolli 
(wir wiffen nicht, aus welchem Grunde immer Barklei gedrudt 
ift) erfcheint hier in ſehr gutem Lichte dagegen tritt die In: 
fuborbination und der Gigenfinn des Kofadenhetman Platow 
rell hervor, der einen ihm von Wardenburg überbrachten 
fchrifttichen Befehl des Obergenerals ftundenlang in ber Taſche 
behielt, den Abdjutanten ganz ruhig warten ließ und dann 
boch that, was ihm heliebte. Einen Belbheren wie Napo⸗ 
leon gegenüber zu haben und noch dazu Ungehorfam bei feinen 
Nntergebenen zu finden, mußte Barclai de Tolli's Lage weſent⸗ 
ic erſchweren und erklärt manche Raͤthſel in feiner Kriegs 
hrung. 
' Den Brand von Moskau erklaͤrt Wardenburg unbebents 
ich für die abſichtiiche und vorbedachte Anftiftung des Gou⸗ 
verneure Roftopfchin und führt in feinen Erzählungen bie ges 
wichtigften Gründe dafür an, unter andern den, baß er zwei 
Tage nad) der Übergabe Moskaus aus dem eigenen Munde 
Rofiopſchin's ſolche Äußerungen gehört habe, die feine Freude 
über dad wohlgelungene Wert unzweifelhaft zu erkennen gaben. 
Wir befigen jegt bekanntlich in Varnhagen von Enſe's „Denk: 
würbigfeiten” (IV, 167 fg.) die genauefte Erzählung ber moßs 
kauer Borgänge aus Roſtopſchin's eigenem Munde. 
Nach der Vertreibung der Branzofen aus Rußland Löfte ber 

Tod des Prinzen Georg von Dibenburg am 27. Dec. 1812 
das Verhältnig, im welchen Wardenburg zu biefem gütigen 
Färften geftanden hatte, und er übernahm auf Veranlaflung bes 
damals nady Rußland geflüchteten regierenden Herzogs von Dls 
denburg die‘ Errichtung und Führung eines Bataillons der 
rufifhsdeutichen Legion. Als Chef beflelben nahm er an dem 
Feidzuge des Generald Wallmoben an der Niederelbe, dann 
in Holftein und zulezt an ben Gefechten vor Hamburg Antheil, 
befand ſich während des Winters 1814 mit einer Million an 
den Kaifer Alexander im zuffifhen Hauptquartiere beichäftigt 
und verließ, nachdem die Legion in handverfchen Sold getreten 
war, aber in ruſſiſchen Dienſten verblieb, das ruſſiſche Heer, 
um wieder in bie Dienfte feines Landesherrn überzugehen und 
als Oberſt das oldenburgifche Militair zu organifiren. Schon 
am 8. Mai 1815 verließ baffelbe Oldenburg, um ſich ben gegen 
Rapoleon ziehenden Truppen angufchließen. Das Regiment bil: 
dete einen Theil des aus. deutihen Bundestruppen zufammens 
gefegten Corps und wurde zur Ginfchließung und Berennung 
der Feſtungen Mezieres und Montmeby verwendet. Hier ber 
merkte Wardenburg bald, daß der preußiſche Senerat von Hake, 
der Commandeur bes Corps, bie Oldenburger nugloß zur Er⸗ 
ürmung der genannten Feilungen verwenden wollte, ba bie 
bergabe derfelben nach den Vorgängen in Paris doch bald er: 
folgen mußte. Deshalb erfiärte er ſich energifch dagegen und 
betheuerte, daß er nur in dem Falle eines gemefjenen ſchrift⸗ 
lichen Befehls zugeben werde, daß fein Regiment an biefer Ex⸗ 
pebition Theil nehme, indem er für die gewiffenhafte Verwens 
dung feiner Untergebenen feinem Landesherrn verantwortlich fei 
und daß für alle unnüs gebrachte Opfer die Verantwortung 
auf ben Befehlöhaber fallen würbe. Obgleich Hake bierin eine 
Art von Infuborbination fah, To gab er dennoch nad und hat 
auch fpäter, als. das Regiment aus Frankreich abzog, daflelbe 
auf fehr ehrenvolle Weife entlaffen. Ebenſo urtheilte Bücher, 
der dem Regimente zwei Geſchuͤtze fchenfte, fich gegen Warden⸗ 
burg perföntich fehr freundlich bewies und bem Regimente mehre 


Decorationen zur Werthellung überfendbete. Am 8. Der. tra⸗ 
fen die Didenburger wieder in ihrer Vaterſtadt ein. 

“Die legten Seiten Tchildern das Leben des Generals Wars 
benburg im Frieden. Gr erfcheint fehr tüchtig, ehrenwerth, 
vol Sinn für wiflenfchaftliche Beſchaͤftigung, Für die Geſchichte 
und Alterthämer feines Landes. In ben ietzten Jahren feines 
Lebens trat an bie Stelle früherer Unruhe und Thaͤtigkeit eine 
etwas philifteöfe Lebensgemohnheit, wie fie ſich wol bei alten 
Offizieren, die viel erlebt haben und koͤrperlich zu leiben ans 
fangen, einzuftellen pflest. Bein Tod erregte eine herzliche 
Theilnahme im ganzen Lande Oldenburg. 10. 





Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Die belletriſtiſche Literatur, die vor einiger Zeit in 
rankreich zu ſtocken ſchien, hat in letzter Zeit wieder einen neuen 
chwung bekommen. Es erſchienen: „Le chäteau des Atri- 

des“, von Jules Lacroix, in der gewohnten barbariſchen Mas 
nier des Verf.; bie Geſchichte geht in einem alten Schloffe der 
Provence vor und bewegt ſich in dunkeln geheimnißvollen Kas 
taftsophen, welche wie cin Fluch, wie ein — natürlich verzerr⸗ 
tes — antikes Fatum auf der Familie laſten; daher der Titel 
des Romans. „Le capitaine Lambert”, von Charles Aubou, 
Verf. der Romane „‚Louison d’Arquien” und „le pauvre de 
Montihery‘, von — Erfindung, aber trefflicher Ausfühz 
rung , befonders durdy den Elaren Stil bemerkenswerth. „La 
vie d’artiste”, von X. Delrieu, ein Buch, „welches“, wie ein 
franzoͤſiſches Journal bemerkt, „das erfte Werk ber zeitgendffis 
fchen Eiteratur iſt, das gründlich und in origineller Einkieidung 
jenes romantiſche und myfteridfe Baiern behandelt, wohin bie 
Zouriften noch nicht ihre Schritte richten‘; dies Baiern iſt alſo 
vermuthlich eine ganz neue Entdeckung bes Herrn Delrieu und 
wird wahrſcheinlich erſt jegt in bie geographifchen Handwoͤrter⸗ 
bücher der Branzofen eingetragen und auf ihren geographifchen 
Karten verzeichnet werben! Auch die übermäßig fleißigen und 
productiven Soulid und Balzac gaben zwei neue Romane bers 
aus, Iener ‚‚Le bananier’’ und Diefer ‚Les deux fröres’’, 
Ferner erihien von M. Glara Brunne „Ange do Spola’‘, von 
Arthur Ponroy „Le sac de Zahara”, von Charles be Lame 
bertie „Maina ou une jeune Malabre’; von bem Berf. von 
„Mes loisirs”, Hippolyt ®ioleau, ‚‚Nouveaux loisirs postiques’’ ; 
von %. Dugrivel „Pensses diverses‘, ‚Syloino et Anina’’ und 
„Des bords de la Saone à la baie San Salvador, ou pro- 
menade sentimentale en France et au Breail”; von dem 
Verf. des „Eecolier de Cluny’ und de „Chevalier de Saint- 
Georges‘, Roger be Beauvoir, „Les trois Rohan“, ein Roman, 
ber befonders deshalb den Frauen empfohlen wirb, weil barin 
bie Frau von Soubiſe eine Hauptrolle ſpielt; endlich von der 
Gräfin d’Afh „Le comte de Sombreuil‘, 


„, Die fiebente und zwei ‚folgende Lieferungen der „Grande 
ville“ bringen eine Arbeit von Balzac unter bem Zitel „La 
presse parisienne”, mit zahlreichen Illuſtrationen. Die ſechste 
enthätt „Diplomates et ambassades”, vom Grafen de Billedor: 
Nach Beendigung der Balzac’ichen Arbeit erfcheinen: „Filles, 
lorettes et courtisannes”, von X. Dumas, und ‚La chambre 
des deputes‘‘, von F. Scutik. 


Mannichfaches Intereffe verfprechen die „Campagnes de 
Mile. 'I’hörese Figueur, aujourdhei Mme, Ve, Sutter, ex- 
dragon aux ISe et Ye segiments, de 1793 a 1813”. Der Verf. 
bee Schrift „Sic Richard Arkwright,” Here Saints Germain: 
Leduc, hat dic Thatſachen, bie ibm von ber Dame in die 
Seber bictirt wurden, redigirt, georbnet und ſtiliſtiſch verars 
eitet. 18, 





Berantwortliher Deraußgeber: Heinzrih Brokhaus. — Druck und Werlag von F. 4. Brockhaus in Leipzig. 





— — — _. 








Blätter 


für - 


literarifhe Unterhaltung 





20. Mär; 1843. 





Ariftofratifhe Romane. 
(MWeihind aus Nr. m.) 

Gleich im erſten Xhelle von „Godwie⸗Caſtle“ iſt 
für unſer hartes, aber — gewiß! — unbefangenes Urs 
theil eine frappante Beweisſtelle. Da heißt es S. 84: 

Die Ehrfurcht vor dem Willen bee Kitern war um fo hei⸗ 
Uger in ihm geblieben, da er ihnen nie durch bie Details ber 
Erziehmg fo nahe gerüdt war, ihre menfchtidhen Schwächen 
Tennen zu lernen. 

Die Detalls der Erziehung find die ganze Erziehung; 
denn von einer Erziehung en gros haben wir feinen Bes 
griff. Alſo man hat Achtung und Ehrfurcht am meiften 
vor Dem, den man am wenigften kennt, der fih am 
wenigſten hingibt, der die toeitefte Kluft der Gonvenienz, 
der vornehmen Manier zwifchen fich und den Andern zu 
befeftigen toeiß. Wir wüßten nicht, daß dies etwas An⸗ 
beres wäre, als eine Beleidigung, eine Berunglimpfung 
der fittlichen Natur des Menſchen, der Humanität. Wenn 
ed in der vornehmen Welt fo bergeht, fo darf es wel 


dargeſtellt, aber nicht befhhönigt werden, fo iſt das fitt⸗ 


liche Urtheil durch die Darftellung eines wahren Familien⸗ 
febend zu coreigiren. Aber die Unnatur, die Deuchelel 
der Sonvenienz verdiebt alle Verhaͤltniſſe: Kinder "und 
Ültern und alle Hausgenoffen fpielen gegeneinander Ber: 
fiel. Dan geht nie offen heraus, man mißt fein Ver: 
trauen mit ber fälteflen Berechnung, man vergißt nie bie 
Unterfihiebe des Ranges. Und bdiefer Dienft der Conve⸗ 
nienz, dieſe gequaͤlte Selbſtbeherrſchung wird die Frau 
Berf. durch den ganzen „Godwie⸗Caſtle“ hindurch nicht 
muͤde zu verherrlichen. Aber auch in den beiden andern 
Romanen fpielt dieſes Unmelen eine Rolle; und da wird 
auch beftimmter das eheliche Leben felber, alfo der eigent: 
liche Mittelpunkt des Samilienlebens , in den Kreis der 
Sonvenienz und ſteifen Haltung gezogen. Sm „Godwie⸗ 
Saftte” ift eine folche vornehme Ehe ohne Hingebung und 
Bertraum nur im Hintergrunde und In ihren’ Kolgen zu 
feben; in „St.⸗Roche“ (am Hofe Ludwig's XIV.) und in 
„Thomas Thyenau” tritt fie uns in mehren Erempfaren 
lebendig und frech unter die Augen, mit der Prätenfion 
auf hoͤchſte Anerkennung. Und doch drängt ſich Alles 
nah der Ehe, dem Mittelpunkte des Kamilienlebens, 
d. h. hier des Lebens Überhaupt. Die Kamilie iſt der 
Dimmel; in den Himmel kommt man nicht ohne Reli: 


glon; die Religion, die zum Himmel des Familienlebens, 
der Che fuͤhrt, ift: 


Die Liebe. Die Lebe ift fchon feit lange Religion 
der Welt, und zwar nicht die chriftliche Liebe, die Liebe 
vom Himmel um Gottes und des Glaubens willen, bie 
Liebe, die wider bie Melt, wider Fleiſch und Blut kaͤmpft: 
o nein! Diefe abftracte biutlofe Liebe hat erreicht, mas fie 
wollte, fie ift in der Welt nie heimifc geworden; fie bat 
wider die menſchliche Natur, wider Fleifh And Blut, und 
Fleiſch und Blut hat wider fie gefämpft, und der Sieg 
war, nicht zweifelhaft. „Naturam expellas furca, tamen 
asque redibit.” Die Menfchen find endlich ehrlich gegen 
fi felbft geworden, fie haben fich ihrer Natur nicht mehr 
sefhämt, fie haben fie im Widerſpruch wider die Kirche 
und ihren Glauben zum Inhalte ihres Belenntniffes, 
ihrer Begeiſterung gemacht: die Geſchlechtsliebe iſt das 
tauſendfach varlirte Thema unferer Poeten geworben, und 
damit — man muß nur den Muth haben, e6 zu ge: 
fiehen — unfere Religion. Wir binnen den Poeten 
daraus feinen Vorwurf maden; fie find immer nur bie 
Propheten der Begeifterung, bes hoͤchſten Lebens, der Re⸗ 
ligion ihrer Belt. Die Zeit dieſer Liebesbegeifterung iſt 
ihrem Ende nahe; denn fchon hat nicht nur ein Philo⸗ 
ſoph (Hegel) diefe Liebe in feiner kalten, berzlofen Ma: 
nier eine „Gaprice’ genannt; ein Poet hat erklärt, 
daB er fie Laufen laſſe. Wir brauchen uns nicht dem 
Vorwurfe des Vandalismus auszufegen, indem wir bie 
Tempel dieſer Liebe zu ſtuürzen ſuchen; fie brechen von 
felber. Eine wahrere, höhere Liebe (denn ohne Liebe 
kein Leben), eine anbaltendere, würdigere und tiefere 
Begeifterung wird aus der vorlbergehenden Poeſie des 
Haſſes bervorgehen und ihre Tempel errichten und ihre 
Herrlichkeit Über die Melt verbreiten. Aber das iſt der 
gegenwärtige Kampf; die Frauen haben keinen Beruf, 
voranzugehen; wir wollten der Verf. die Nachklaͤnge der 
Liebesbegeifterung gern zu gute halten, fo fehr wir auch 
überzeugt find, daß der ganze Reichthum, ben biefe Welt 
zu entfalten fähig iſt, erfhöpfe und mol mehr als er: 
ſchoͤpft iſt. Aber das machen wir ihe zum Vorwurfe, 
daß fie alle Nature und Wahrheit der Liche 
in Unnatur und mwiderlihe Manier verkehrt 
bat. Die Liebe ift bei ihr in allen unzähligen Fällen 
nichts Anderes, als was man eigentlich. immer Verliebtheit 


2. Bl 


nennen folte. Ihe Anfang erſtens iſt immer plöglic, 


immer unmittelbare Wirkung des erſten Anblids, alfo 
des ſchoͤnen Außern: die verfchiedenft gebildeten und ge: 
finnten Menſchen fegen fih mit einem Male gegenfeitig 
in Slammen. Da beißt es denn wol: „feine Stunde 
war gekommen“; „er (oder fie) follte die hoͤchſte Seynung 
des Lebens erfahren”, und mit foldhen ernften, religiöfen 
Wendungen foll der zufälligen, oberflächlichen Empfindung 
eine Weihe gegeben werden, die fie nicht hat und auch 
nicht bewaͤhrt. So iſt in „Godwie-Caſtle“ der junge 
Herzog von Nottingham in die Lady Maria verliebt; 
aber die Vorſtellung feiner Verwandten, daß er für die 
Reinerhaltung feines Geſchlechts zu forgen habe, Löft 
diefe Liebe (Verliebtheit) auf mie in einem chemifchen 
Proceß; fie verliert fih, man weiß nicht wo, er heirathet 
eine Andere. Im „Thomas Thyrnau“ geht dieſes Liebes⸗ 
undweſen ind aͤußerſte: die Prinzeffin Thereſe verliebt fich 


als Kind in den ihre beflimmten Bräutigam, wird dann 


die ausgemachtefte Kokette und heirathet ihn endlich doch. 
Der Graf Lacp verliebt fih in Magda, heirathet aber 
bie alte Zürftin Morani und wohnt dann beftändig mit 
beiden in einem Haufe Wie ift das möglich? weil bei: 
des eine Lüge ift, fowol feine Ehe wie feine Liebe. Keine 
Wahrheit, kein Leben, Fein Ernſt iſt in diefer Liebe; man 
gibt fih mit ihr ab, blos weil man weiter nichts zu 
thun bat, man zieht fie an und aus wie ein Kleid. Die 
Frau Verf. follte doch das Weſen der Liebe, wenn fie 
„dieſen hoͤchſten Segen des Lebens” nicht erfahren bat, 
aus Goethes „Wahlverwandtſchaften“ ftudiren, die, neben 
Anderm, das fchönfte Compendium der Pathologie der 
Liebe find. 

Wir wollen dies Gapitel von der eiteln, gefchraubten, 
‚faft: und kraftloſen Liebe nicht weiter verfolgen: die Frau 
Verf. bat felber das Gefühl, daß fie diefe matte, von 
der Gonvenienz und dem mwilltüclichften Belieben abhän- 
gige Leidenfchaft nicht zum höchften Pathos, zur Religion 
machen dürfe. Ihre Menfchen werden von nichts bis 
ins tieffte ergriffen; fie haben nie den Muth, etwas 
ganz und wahr zu fein; fie veriichen ſich darauf, zweien 
Herren zu dienen. Darum greift in die diefjeitige Welt, 
in den Schauplag menfchlicher Zuftände und Leidenfchaf: 
ten die jenfeitige Welt fort und fort ein, alfo die Melt 
der. eigentlich fogenannten 

Religion. Das Weſen der Religion war und ift 
in unfern Tagen der Gegenſtand der tiefiinnigften Die: 
euffionen. Wir haben hier nicht die Veranlaſſung, dar: 
auf einzugehen, ausgenommen vom äfthetifhen Geſichts⸗ 
puntte. Und von dem aus dürfen wir e6 doch wol ale 
ein jest allgemein gültiges Ariom betrachten, daß die re: 
ligioͤſe Weltanfhauung kein pafjender Gegenfland poeti: 
ſcher Darftellung iſt. Der Fortſchritt unferer neuen Lite: 
ratur ift vielmehr der Fortſchritt der Befreiung von der 
religiöfen Weltanficht bie zur freien, reinen Humanität. 
„Den Menſchen intereffiet nur der Menſch.“ In unfern 
- Romanen tritt das menfhliche Wefen nicht rein für fich 
heraus, fondern mit einem Übermenſchlichen, Übernatür: 
lichen in Rapport. Aber auch biefe Abhängigkeit von 


Gott, diefe Religion iſt nicht wahr, iſt kein tiefer 
Ernſt. Daſſelbe Spiel, das die Perfonen mit ſich trei: 
ben, treiben fie mit Gott. Ihr eigenes krankes Weſen 
tragen fie auf Gott über, um «6 von ihm fchöner und 
geheilige zurückzunehmen, fie geben beflänbig vor, Gott 
zu gehorchen, und gehorchen in Wahrheit den Launen 
ihres Franken Herzens; Gott felber iſt nichts als ber 
Theilnehmer und Vollſtrecker ihrer „heiligen“ und „tiefen“ 
Gefühle und Wuͤnſche. Das Gefeg der Welt iſt der 
Eigenfinn ihres Herzens. Darum ſteht man auch mit 
Gott auf dem vertrauteften Fuße, man fpricht mit ibm 
wie mit fi ſelbſt, als wäre ex ebenfo ſchmachtend, fe 
empfindfam, fo verliebt. Feder fpriche mit ihm und von 
ihm in feiner Weife, z. B. der Commandant der Feſtung 
Karlſtein: „Gott und Galbes (ein Offizier) werden die 
Feſte fchügen.” Klinge das nicht wie ber Satz aus dee 
Lebensbefhreibung eins gewifien Sandidaten: Durch bie 
Gnade Gottes und Eines Hohen Minifterli fei er fo 
gtühlih ıc. Die Religion der Perfonen unferer Ro: 
mane bat auch nicht die Spuc einer fittlichen Energie 
Sie leben ihren eigenfinnigen Neigungen, bem ſchweige⸗ 
riſchen Lebensgenuffe, den hochmuͤthigen Prätenfionen 
ihred Standes nur deſto ungefcheuter. Wahrlich! vom 
diefem dußerften Misbraudy des Chriſtenthums zur Be: 
fhönigung privilegieter Schwelgerei, althergebrachter Un: 
gerechtigkeit und des erceffiuften Hochmuths haben fich die 
erſten Chriften nichts träumen laffen. 

Diefe Menſchen haben natürlich nichts zu thun, fie 
baden keine ernften Lebenszwede, keinen Beruf. Sie 
führen auf der Unterlage der „arbeitenden Claſſen, der 
„rohen Menge’ ein olympifches Leben. Die „rohe Menge” 
halten fie aus dem Kreife diefes Lebens gebannt, ohne 
irgendwie ein fittliches Verhaͤltniß zu ihnen zu haben. 


Ihre Belhäftigung ift das Vergnügen, Jagden, Spas - 


zierfahrten, glänzende Feſte ıc. Die Mahnungen des 


Gewiſſens werden beſchwichtigt a) durch einen objectivem 


Grund: die hohe Stellung fei göttlihe Ordnung und man 
müffe fie durd)-angemefjenen Glanz zu bewahren fuchen; 
b) duch einen fubjectiven Grund, durch das ſchoͤne Ber 
wußtfein eines fchönen Innern. Der Zweck und die 
Frucht dieſes Lebens find keine Thaten, fondern Empfin⸗ 
bungen; das allgemeine Element des Lebens if: 

Die Empfindſamkeit. Diefe Krankpeit, von 
der wir feit und durch Goethe's „Werther“ befreit zu fein 
hoffen durften, bat feit der Zeit freilich noch immer im 
Deutfhland graffirtz aber in einer fo widerlihen Form, 
wie fie namentlih in „Thomas Thyrnau“ herefcht, ift 
fie fonft wol nirgend aufgeteeten. Da find alle Perfos 
nen davon angeftedt, ba gehen bie wuͤſteſten, gehaltlo⸗ 
feften Empfindungen ohne allen pfochologifhen Zuſam⸗ 
menhang durcheinander. Männer und Weiber, alle Uns 
terſchiede des Alters und Geſchlechts verfhwimmen in 
diefem nebulofen Elemente, und Magda, die dur und 
durch weiter nichts als Empfindung ift, ift die Königin 
in diefem Reihe. Wir wollen hierbei die Verf. nicht 
ber weiblichen Eitelkeit änklagen, aber lachen muß ein 
Menſch von gefundem Sinne bei ale Dem, wovon die 





315 


Leute im Roman als von etwas ‚„Brößen” und „Hei⸗ 
ligem“ und „Tiefem“ ewig bis zu Thraͤnen gerührt find. 
Man iſt immer verwundert, wie fie die fadeſten Phrafen 
der Empfindfamkeit felber ohne Laden über die Lippen 
bringen. Laflen wir das! dem Gefunden und Genefen: 
den ift e6 genug; den ſchwer Kranken heilen wir nicht auf 
einmal durch fo derbe Mittel. Nur Eins erwähnen mir 
noch ganz kurz: die ewig wiederkehrende Schwärmerei über 
die Schönhelt der Natur. Dier bürfen wir den Bor: 
wurf der Härte und Barbarei, mit dem uns empfind: 
fame 2efer und Leſerinnen ficherlich überfchürtet haben, auf 
drei Autoritäten wälgen, die gewiß auch für den empfindfam: 
fien ein Gewicht haben: Eeffing, Schiller und Ger; 
vinus. Gervinus in feiner „Sefcbichte der deutfchen 
Dichtung” (IV, 331) führt die Worte von Schiller an, 
mit denen biefer Leffing vertheidigt: „Unſer Gefühl für 
die Natur gleicht der Empfindung des Kraͤnken für die 
Geſundheit. Es ift nicht Naturmäßigkeit, was uns fo 
ſchwaͤrmeriſch zu ihr binzieht, fondern die Naturwidrig- 
Leit unferer Zuftände und Sitten, weil die Natur bei 
uns verfhwunden ift, und weil wir fie nur außerhalb 
des Menfchen in der unbefeelten Natur wiederfinden. 
Wer hiernach ſelbſt die menſchliche Natur in ſolcher Rein: 
beit herſtellt wie Leſſing“ u. ſ. w. Bei unſerer Verf. iſt es 
noch ſchlimmer; da iſt die Natur ſelber unnatärlih und 
krank; fie accommodirt fih den eigenfinnigften Launen 
der kranken Menfchen. 

Wir find zu Ende. Die zwei Seiten lange Samm: 
lung einzelner Belegſtellen wollen wir unfern Lefern zu 
Liebe unterdrüden: auf die wenigen gefunden Stüde 
(etwa in „St.-Roche““) des kranken Ganzen hinzudeuten, 
ift dei ihrer Kleinheit nicht von Belang. 

Wir überlafen dem Publicum, das in dieſer Welt 
der Unnatur, des falfchen Scheine, der abgefchmadten 
Convenienz, der Lüge, der widerlichften Verzerrung aller 
Act feine Ideale, feine weſentlichen Intereſſen abgebildet 
findet, von ſich felber zu denen, was ihm beliebt. Was 
wir von ihm denten, kann nad dem Bisherigen nicht 
zweifelhaft fein. Einer gewiffen Claffe von gutmüthligen 
Lefern wollen wir, um nad fo manchen Härten einen 
guten Eindrud zu binterlaffen, zulegt noch einen Ge: 
fallen thun, wir wollen ihnen erklären, wie fie dazu 
gefommen find, an den „ariſtokratiſchen“ Romanen Ge: 
fhmad zu finden. Weil fie vor der vornehmen Welt 
noch immer einen enormen Mefpect haben, weil es ihnen 
fhmeichelt, Hinter feldenen Vorhaͤngen an marmornen 
Tiſchen zu figen und mit den Grafen und Gräfinnen, 
den erlauchtigen und durchlauchtigen Herren und Damen, 
von denen fie im Leben durch eine fo weite Kluft gefchies 
den find, im Romane fo vertraulich nahe beifammen zu 
fein, Burz, weil fie gute deutſche Naturen find und nicht 
in der wirklichen Welt, fondern in einer Welt voller Ein: 
bildungen leben. Wenn fie aber jetzt diefe ariſtokratiſchen 
Romane nit mit einem fittlichen Unwillen bei Seite 
werfen, thun wir ihnen feinen Gefallen mehr, fordern 
kehren ihnen den Rüden. 42. 


— | u m — 


Kohl über die Ruffen und die „Sunday 
Times’ über Kohl. 


Bei Anzeige des zweiten Bandes von Kohl's ‚Russia and 
the Russiass in 1842’ Außern die londoner „Sunday Times" 
Golgendes: „Der erſte Band diefes Werks bat beim Publicum 
eine fo günftige Aufnahme gefunden, daß wir fie audy für vors 
liegenden erwarten dürfen Br. Kohl ift ein feharfer Beobachter 
und beſchreibt, was er gefehen, mit glüdlicher Geldufigkeit. 
Inzwiſchen iſt nicht zu feugnen, daß an feinem von den Ruſſen 
entworfenen Gemälde die Phantafie ihr bedeutendes Theil bat. 
Dos folgt Thon aus der wenigen libereinftimmung mit allem 
Übrigen. Seine Abficht ift, die Phantafle Leſers anzuregen, 
gleihwiel ob auf Koften dee Wahrheit. Geshalb ift er Epis 
grammatiter, Philoſoph und Poflenreißer, juft wie es paßt. 
Bisweilen Tpeculirt er ſehr ernſthaft über einen Pilau, dann 
über die angeborene Gewohnpeit mancher Menfchen, einen Zwier 
back ober ſonſt etwas Hartes zu beißen, nicht um einer der 
mehren Motiven des Kauens willen, fondern aus inftinctartigem 
Impuls der Kinnbaden, die das mechanifche Bebürfniß haben, 
etwas zu zermalmen, und dann unternimmt er, die Zukunft 
der Reiche zu entfchleiern, wobei er, wenn auch dunkel, body 
bedeutſam, die künftige Unterjohung von ganz Europa burdy 
die Auffen ſchattirt. Schon deshalb denkt natürlich Dr. Kobt 
fehr gering von Denen, welche einen fchnellen Zerfall der rufe 
ſiſchen Größe prophezeien. Er bemerkt — und ohne Zweifel 
wahr —, daß viel Seltfames fidy zutragen dürfte, ehe es auf 
dem Grabe diefes Niefen ruhig würde. Wenn indeffen Politis 
fer ſpeculiren, pflegen fie das Ereigniß als bevorftehend anzu⸗ 
nehmen, das nicht die Moͤglichkeit allein, ſondern vielmehr bie 
Wahrfcheinlichkeit für ſich Hat. Möglich ift es alfo zwar, daß 
das ruffifche Reich tange befteben, feft zufammengenietet wer⸗ 
den und bie civitifirte Welt erobern wird, Wahrfcheintich ift es 
jedoch, daß von alle dem das Gegentheil gefchieht. Denn find 
die Ruffen fo wankelmuͤthig, oberflächlich und Leidenichaftlos, 
wie Hr. Kohl fie durchgebends darftellt, fo koͤnnen fie ſchwerlich 
unter irgend einem Verhaͤltniſſe eine fange Reihe von Jahren 
hindurch dem Menfchengefchledhte furchtbar werden. Ein von 
der Natur zum Herrſcher über feine Nachbarn beflimmtes Bolt 
hat ſolches Gepraͤge nie gezeigt.: Nehmen wir z. B. bie Roͤ⸗ 
mer, deren Macht unter allen zum Erobern berufenen Rationen 
bie ausgebreitetfte und bauerndfte war, fo erbliden wir in ih⸗ 
nen ein entfchiedenes, beharrliches, enthufiasmirtes Geflecht, 
das wol gelegentlich von Fremden entiehnte, nie aber mit bums 
men Erſtaunen zu ihnen auffchaute gleich ben Ruſſen, bie laut 
Hrn. Kohl's Angabe jede andere Nation über ſich ſtellen und 
folglich jeden über fie errungenen Vortheil für ben unverbienten 
Erfolg eines nichtswuͤrdigen Poͤbelhaufens halten müffen; worin 
fie allerdings der Wahrheit ziemlich nahe fommen. Mithin ers 
langen entweder die Ruffen die Triumphe nicht, bie Hr. Kohl 
ihnen auffpart, oder fie find das Volk nicht, das er befchreibt. 
Indeffen widmet Hr. Kohl berartigen Betrachtungen nur einen 
Heinen Theil feines Werts. Er ftrebt nach Popularität, und 
Ratt daher auf politifche Unterſuchungen einzugeben, fammelt 
und ordnet er Thatfachen, die Andern dabei behäuflich fein koͤn⸗ 
nen. Wo er von Rußlands Handel und Zabrifen fpricht, er: 
zaͤhlt er Mehres, was nicht umhin kann, dem englifchen keſer 
gu gefallen, denn es erinnert ihn an bie faft allgemein aner= 
annte Wahrheit, daß England an der Spise der Civiliſation 
ſteht. Deshalb iſt Hr. Kohl nicht etwa parteiiſch für unfer 
Land — beileibe nicht! —, ex ift fo eiferfüchtig auf unfern Ruf, wie 
das jest im Charakter dir Gontinentalbewohner zu liegen fcheint. 
ebenfalls haben die Ruſſen nicht blos in den höhern und nüßs 
lichern Künften, ſondern auch in der, ob zwar befcheidenen, doc 
wichtigſten Kunft der Kinderpflege die Entdetung gemacht, daß, 
wenn fie etwas Geſcheites lernen und vorwärtälommen wols 
ten, fie bei den Englaͤndern in die Schule gehen müflen. Eng⸗ 
liſche Kinderwärterinnen find in Petersburg , was bie ſpar⸗ 
tanifchen Kinderwärterinnen bei den Alten waren, und hoffent» 








816 


Uch werben unfere Landemaͤnninen einen Vorzug zu behaupten 
wiſſen, ber ihnen mehr Ehre bringt, als was ſonſt Ihnen nach» 
geruͤhmt werben koͤnnte. Moͤgen andere Frauen in der Litera⸗ 
tur, in den ſchoͤnen Kuͤnſten und durch bie Grazie der Joilette 
glänzen — ben Menſchen in feiner Kindheit zu hüten, ihn mit 
anermübeter Zärtlichkeit zu pflegen und dadurch ben Grund zu 
jegen zu feinee Stärke und feinem Wohlbefinden in fpätern 
Jahren, darin thut kein Weib es bee Engländerin zuvor. Zu 
Kuaben und Sünglingen aufgervachfen, kommt der junge ruffiſche 
el in andere, minder tächtige und würbige Bände, in bie 
Hände deutſcher Sophiſten und franzoͤſiſcher Fechtmeiſter, von 
denen fie Laut Hrn. Kohl ausnehmend viel lernen. Deſſenunge⸗ 
adhtet gebt feine Meinung dahin, daß die Deutſchen es im Gr» 
ziehungswefen am Wweiteſten gebracht. Gr ſpricht mit Stolz von 
den beutfchen Univerſitaͤten und denkt offenbar veraͤchtlich von 
den unferigen. Dabei Hätte ee nur eine Kleinigkeit nicht ganz 
überfeben follen, die naͤmlich, daß, während bie Deutfchen mit 
allen ihren paͤdagogiſchen Inftitutionen in einem niedrigen, knech⸗ 
tifchen Zuſtande bielben, die Englaͤnder für ſich ben hoͤchſten, in 
der alten Welt bekannten Grad von Freiheit gewonnen haben 
und in jeder Kunft und jedem Mittel der Givitifation alle ans 
dern Nationen Europas unermeßtich überragen. Auf bie Ruf: 
fen zurüdzulommen, die und zu diefen Betrachtungen veranlaßt, 
fo exfcheinen fie viel begieriger, fih zu amuftren als ſich zu in= 
fruiren, viel geneigter, ihre angeerbten, groben unb lafterhaf: 
ten Gewohnheiten zu bewahren ald bie Bilbung und Tugenden 
anderer Länder nachzuahmen. Die durch das ganze Reich in 
den Dampfbädern fortherrfchenden Gebräuche haben im Laufe 
von 80 Jahren an ihrer empörenden Unſchicklichkeit nichts vers 
Ioren. Wie ein NReifender von 1760 fie befchrieben, fo beftehen 
fie no, nur daß fie in Petersburg und unter ben beflern 
Staffen abgefhafft worden find. Summiren wir nun den Chas 
zalter der Ruffen aus den von unferm Reiſenden gegebenen Des 
teild zufammen, fo refultiet ein umwiffendes, faules, grobes, 
unfittliches, unehrliches und unintellectuelles Volk, das nach ben 
£ändereien feiner Nachbarn aus demfelben Grunde fehnfüchtiges 
Berlangen trägt, aus weldhem ein Wolf die Zannen= und 
Birkenwaͤlder in der Nähe von Petersburg verläßt, um in ben 
Straßen, Särten und Paläften dieſer kuͤnſtlichen und oͤden Stabt 
auf Raub auszugehen. Zu vegargen ift ihnen das unter foldyen 
Umftänden freitich nicht; fie folgen ihrem Raturtriebe. Wo fie 
find, fühlen fie ſich Höchft elend, wenigftens fo oft fie über ihre 
Lage nachbenken, und Süd können fie fi) blos unter ber war: 
men Sonne des Südens träumen. Aber auch uns und andern 
europäifchen Nationen ift es möglicyerweife nicht zu verargen, 
daß wir diefe Bären in ihren Höhlen fefthalten, und wenn fie 
fi gelüften laffen, über ihre Grenzen zu fpazieren, ihnen bie 
Zagen ftumpfen ober abfägen wollen. Es ift jedoch gut, zu er: 
fahren, was im Gehirn diefer Dpperborder vorgeht, ſowol um 
uns an ihren Ginfällen zu belufligen, als um und vorzubereis 
ten, fie unfchädlich zu maden. Schließlich müflen wir noch bes 
merken, daß Hr. Kohl ohne Frage zu dem bdeutichen Troß ge: 
hört, der nach Rußland wandert in der verzeihlichen Abſicht, 
fig die leeren Taſchen zu füllen — wie im Alterthume feile 
Griechen nad Suſa in Ekbatana wanderten — und nad ber 
Ruͤckkehr ind Vaterland ihre Beginnen dadurch zu rechtfertigen 
fuchen, daß fie Andere zu einem gleichen verloden. Auch fcheint 
es, daß felbft innerhalb ihrer vier Wände fie fortdauernd unterin 
Sinfluffe des ruffifhen Gabinets bleiben. Graf Neffelrode hat 
einen langen Geldbeutel, der mit einer Offnung immer nad 
Deutichtand hinhängt. Daher bie Lobeserhebungen bes Bars 
und feines Reiche, die dort unaufhörlih die Preſſe ver: 
laſſen.“ 14. 





Miscellen. 


Wer fpielt (alen ladit), verfündigt fich, nach der Meinung 
der ditern Zuriften, gegen alle zehn Gebote, wie denn bie di: 


. tanonifchen Gefege den Geiſtlichen das Spiel verboten. 


teen Chriſten das Spiel fie eine Gefinbung bes Teuſels achats - 
tan —* weshalb, da in der Taufe ben Werken des Teufels 
abgejagt werde, auch bierunter das Spiel begriffen fei._ Eine Aus⸗ 
nahme will Berlich zur Peſtzeit geftaften, in welcher bas Spielen ers 
laubt fei zur Vertreibung ber Melandyoiie und weit zur Zeit der Peſt 
Krieg beſtehe zwiſchen Gott und dem Menſchen, in welchem alle 
Geſetze und Bechtöbeflimmungen aufhoͤrten wirkſam zu ſein. 
Insbeſondere haben die roͤmiſchen, dann die aͤltern und — 
ar⸗ 
unter will Thomaſius auch das Schachſpiel begriffen wiſſen, 
weil daſſelbe viel Nachdenken und Zeit fodert, wodurch ber 
Geiſt mehr ermuͤdet als aufgeheitert uad der Derlietende im⸗ 
mer in eine üble Stimmung verſezt werde. Schilter, weicher 
berfelben Meinung ift, zumal dba das Spiel mit hölzernen Reis 
tern, welches das —2 Geſetz ſpeciell verbietet, von einigen 
Auslegern für das Schachſpiel gehalten wird, führt einen Brief 
des Gardinals Petrus Damiani (gef. 1072) an, eines firengen 
Genfors der Sitten der Geifttichen, In weichem im Weſentlichen 
oefagt wird: „Es habe ihm, dem Briefſteller, einen Stich ins 
Herz gegeben, als er gehört, daß der Biſchof, bei weichem er 
ein Abfleigequarticr genommen, Schach gefpielt, ja nur bem 
Schachfpiel zugefehen habe. Er habe deshalb den Scyuidigen 


| zur Rede gefegt, welder ſich bamit zu vertheidigen gefucht, 


Schach fei kein Glädsfpiel, baber nicht verboten. Dagegen habe 
er, ber Cardinal, erwibert: Spiel fei Spiel, daher, wenn das 
Spielen überhaupt den Geiſtlichen verboten fei, fei es auch das 
Schachſpiel. Dabei habe ſich der Schuldige beruhigt und ver: 
ſprochen, nicht mehr zu fündigen, zugleich aber auch um Auf⸗ 
eriegung einer Buße gebeten. Soglieich habe er demfeiben bes 


fohlen, dreimal ben Pfalter andaͤchtig zu burhgehen unb zwölf 


Armen die Füße zu wachen, auch für beren &rquidung zu 


ſorgen mittel Verwendung von zwölf Goldflüden darauf. Wer 


euft Hat, kann die Gründe für diefe Art der Bußauflegung a. 
a. O. nadhlefen. Heutzutage möchte wol auf das Gpietverbot 
in diefer Ausdehnung fo wenig Rädficht genommen werben als 
auf das in Gratian’s Decret enthaltene Gebot: nicht über drei: 
mal bei Zifche den Becher zu faffen. 


Gemäß ber L. 17. 5. 5. D. de praescript. verb. (19, 5) 
fol eine Wette, wenn ihr Gegenftand ein unanftändiger war, 
ungültig fein. Die Frage aber: Welcher Gegenfland einer 
Wette für ununftändig zu halten fei? Hat bie Altern Ju—⸗ 
riften oft zu feltfamen Meinungen verleitet. So will Schil⸗ 
ter unter die die Ehrbarkeit verlebkenden Wetten auch die 
gegähtt willen: Gin Bramarbas mettete in einer Geſell⸗ 
haft, daß aus ſolcher Keiner ſich unterflehen werde, ihm eine 
Obrfeige zu geben. Sogleich fragte einer der Anwefenden: 
„Db es ihm Ernſt fei damit?” Auf erfolgte bejahende Antwort 
verfegte nun nach den Worten: „Die Wette gilt!” der Frager 
dem Bramarbas eine kuͤchtige Maulſchelle und verlangte von 
demſelben den Wettpreid. Wer wollte nicht, der Moral unbe- 
ſchadet, den ſachfaͤlligen Bramarbas austachen ? 


Bei ber Zufammenkunft des Papfles Seo X. und bes Ko⸗ 
nige Franz I. von Frankreich in Bologna (1515) warnte der 
Ceremonienmeiſter den Papft, wenn er vor ben Augen bes un- 
ter dem Zenfter verfammelten Volks mit dem Könige reden 
würde, nicht an die Muͤtze zu greifen: eine Höflichkeit, die, 
wie es feheint, Alerander VL. unvorfidytigerweife gegen Karl VII. 
beobachtet hatte, ats fie miteinander ſprachen. Denn der geiſt⸗ 
liche Polonius behauptete, es ſchicke fich nicht für den Statt: 
halter Chrifti einem weltlichen Herrſcher, wenn er auch ber 
Kaifer felbft wäre, Ehrerbietung zu bemweifen. 


Ein zur Zeit König Ludwig's XIV. von Frankreich als 
Autorität geltender diplomatifcher Schriftftellee ſchließt eine Ab⸗ 
handlung über die Vorrechte, bie einem fremden Botfchafter zus 
ftehen, mit den Worten: „Mais, des qu’an Ambassadeur est 
mort, il rentre aussitöt dans la vie privee.’ 37. 


Verantwortliher Herausgeber: Heinrich Brodhaud. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 


- 
. 


Blät ter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Dienftag, 


21. März 1843, 





Gefchichte des großen beutfchen Kriegs vom Tode 
Guſtav Adolf’s ab. Bon 5. W. Barthold. Er: 
fer Shell. Stuttgart, Lieſching. 1841. Gr. 8. 

2 Thlr 


Das vorliegende Merk über den Dreißigjährigen Krieg 
ift beſonders wegen zweier Punkte beachtenswerth. Ein: 
mal nämlich, weil es einen Zeitraum jenes Krieges aus: 
führlichee beſchreibt, welder bisher faſt gar nicht oder 
body nur obenhin bargeftellt wurde, und zweitens wegen 
dee Richtung und der Geſinnung, die ſich darin aus⸗ 
fpricht. Was den erfien Punkt betrifft, fo ift bekannt, 
daß fait alte Werke über den Dreißigjährigen Krieg diefen 
zwar bis zum Tode Guſtav Adolf's mit Intereſſe und 
Ausführlichkeit behandelt haben, wie wir denn erſt neuer: 
dings von Öfeörer mit einer fehr guten Gefchichte dieſes 
Mannes beſchenkt worden find; aber Die folgende Zeit 
hielten fie weniger der Beachtung werth. Der Grund 
davon mag wol darin liegen, daß die erite Hälfte des 
Krieges mehr poetifche Selten hat, welche ihm insbefons 
dere Schikier abzugewinnen verftand, während der zweiten 
Hälfte fowol hervorſtechende, bie Begebenheiten beherr⸗ 
ſchende Charaktere, ald auch großartige Dandlungen man: 
gen; über dem Gewühl der Schlachten, der Verbinduns 
gen, der Trennungen, ber Unterhandlungen feheint der 
Faden völlig verloren zu gehen, ber fi durch ben Krieg 
binducchzieht und der fich in der erſten Hälfte ſehr leicht 
fowol an den Begebenheiten als auch an den auftreten: 
den Männern erkennen läßt. So wenig aber der zweite 
Zeitraum des Dreißigjährigen Krieges politiſches Intereſſe 
haben mag, fo wichtig ift er in hifkorifcher Beziehung. 
Denn er fchließt eine Epoche ab und beginnt eine neue, 
diejenige, auf deren Baſis das gegenwärtige Geſchlecht 
ſteht. Insbeſondere für uns Deutfche bat die legte Zeit 
des Dreißigjährigen Krieges die größte hiſtoriſche Wichtig: 
feit. Denn unfer ganzer gegenmärtiger öffentlicher Zus 
Rand und alles Unzureichende, Mangelhafte, ja Jaͤmmer⸗ 
liche, was in bemfelben auf keine Weiſe zu verfennen iſt, 
datirt ſich gewiſſermaßen aus ihm her. Man kann ſagen, 
dag wir ohne ihn nicht das Elſaß u. ſ. w. verloren, daß 
wir ohne ihn im 183. Jahrhundert Beine fo erbärmliche 
Role gefpielt hätten, daB ohne ihn das deutfche Meich 
ſich nicht aufgelöft, daß ohne ihn der Bundestag nicht 
in Frankfurt ſaͤße. Mit einem Worte: das ganze Schid: 


fal Deutfchlands in neueſter Zeit ift aus feinem Schoofe 


entfprungen. Wie dankbar müffen mir daher dem Verf. 
fein, welcher biefen wichtigen Zeitraum unferer Geſchichte, 
der eine fo bedeutungsvolle, wenn auch nicht gerade er⸗ 
freutihe Zukunft in feinem Schoofe trug, ausführlicher 
darſtellt! Was Len zweiten Punkt, die Richtung, betrifft, 
fo können wir auch diefer unfere Anerfennung nicht ver: 
fagen. Der Verf. ſteht nämlich, obgleich ſelbſt Proteftant, 
keineswegs auf dem bornirten Standpunft des proteflans 
tifhen Dogma, von welchem aus bisher meiftentheil6 der 
Dreißigjährige Krieg ſowol wie auch der Religionskrieg 
unter Karl V. Ddargefiellt wurbe, und wodurch beide In 
einem falfchen Lichte erfchienen find. Denn wenn man 
nur ein bischen die Brille des orthodor proteftantifchen 
Kichenglaubens von den Augen gehoben hat, muß man 
fehen, welche heillofe Verwirrung die proteftantifhen Pfaf: 
fen gleich nach der Reformation In unferm Baterlande 
angerichtet haben, wie fie mit bie größte Schuld tragen 
an unferer Zerriffenheit, an der Schwächung ber kaiſer⸗ 
lihen Macht, an dem Verfhwinden des Patriotiemus, 
bes Sinnes für die öffentlichen politifchen Verhaͤltniſſe 
und überhaupt jeder Tugend ‚ durch welche eine Nas 
tion ſich als eine kraͤftige, tuͤchtige, ehrenwerthe behauptet. 
Denn fie hatten für nichts weiter Sinn als für ihr 
Dogma, das fie, je dummer und abgefhmadter «6 war, 
nur deſto ruͤckſi chtoͤloſer vertheidigten. WBaterlandsliebe 
war ihnen ein glaͤnzendes heidniſches Laſter: ſie kannten 
nur das himmliſche Vaterland, dem ſie das irdiſche zum 
Opfer brachten. Politiſche Freiheit war ihnen nichts, 
außer da, wo durch den Mangel derſelben ihr Dogma 
gefährdet war. Die Wohlfahrt des Volks im Allgemei⸗ 
nen lag ihnen nicht am Herzen, da fie glaubten, die Erde 
habe ohnedies nichts weiter als ein Jammerthal zu fein, 
und je mehr man bier leide, befto beffer habe man «6 
dort. Auf diefem bornirten Standpunkt fteht alfo der 
Verf. nie: ex iſt darüber hinaus, zu glauben, einmal, 
daß bei Denjenigen, welche bie öffentlichen Verhättniffe 
leiteten, religioͤſe Tendenzen die Hauptmotive ihrer Hand: 
lungen geweſen fein, und zweitens daß dieſe religioͤs⸗ 
proteſtantiſchen Tendenzen es in der That verdient haͤtten, 
daß man das Reich daruͤber zu Grunde gehen ließ. Viel⸗ 
mehr ſteht er auf dem deutſch patriotiſchen Standpunkte, 
und zwar auf einem, welcher alle Achtung verdient. Es 


318 


iſt nicht jener Patriotismus, ber ſich heutzutage beſonders 
breit macht und der in nichts weiter beftebt, al in dem 
Anpreifen des fürfttiihen Abſolutismus — als ob biefer 
deutſch wäre! — auch nicht jener, welcher in ber deut: 
fhen Zerriffenheit, im Gegenfage zur franzoͤſiſchen Gen: 
tralifation, etwas außerordentlich Wohlthaͤtiges erblidt; 
fondern es iſt jener deutfche Patrlotismus, welcher allein 
diefen Namen verdient, welder mit Schmerz den Uxter: 
gang der Freiheit, der Ehre, der Einheit unfers Vater: 
landes betrachtet und nur von der Miederherftellung die: 
fer Güter das Heil Deutfhlands erwartet. 

Demnad werben die Ausländer, Orenflierna und bie 
Schweden, Ridyelieu und die Scanzofen, welche der pro: 
teftantifchen Partei in Deutfhland zu Hülfe kamen, kei: 
neswegs mit vortheilhaften Farben gefchildert, ſondern 
ihr Erfcheinen und ihre angebliche Hülfe wird als Haupt: 
urfache von der unfaglidhen Zerrüttung unſers Vaterlands, 
von den furhtbaren Folgen eines langwierigen Krieges 
angegeben, der uns um unfere fhönften Errungenfchaf: 
ten, um die Frucht eines langen thatenreichen Lebens ge: 
bracht hat. Es wird der Stolz und die Rändergier Oxen⸗ 
ſtierna's und der Schweden hervorgehoben, fodann die 
trügerifhe Politik Richelieu's und feiner Gefandten ges 
ſchildert, welche durch ihre fchlauen Unterhandlungen, ohne 
nur die Arme zu rühren, nur duch Gold und Titel die 
proteftantifchen deutſchen Fuͤrſten dahin brachten, daß fie 
ihnen die wichtigften Pläge an der Rheingrenze überließen 
und ſich ihnen felber in die Arme warfen. Es wird be: 
ſonders dargeftellt, wie es diefen Mächten gleih von Anz 
fang an nur darum zu thun war, fih mit deutfchen 
Ländern zu bereichern, wie fie eben deshalb alle Verſuche 
zum Frieden vereitelten, welche mehr al& einmal zwifchen 
den zwei entgegengefegten Meligionsparteien gemacht wor: 
den find. Sa, in der gerechten Entrüflung über die Aus: 
länder, welche uns ruinict haben, geht der Verf. fo weit, 
daß er manchmal ungerecht wird und fogar die Talente 
berfelben und ihre Handlungen verkleinert; wie er denn 
3. B. von Guſtav Adolf und Oxenſtierna viel zu wenig 
anerfennend fpricht, ja jede Gelegenheit ergreift, um fie 
zu böhnen. Und fo werden auch die Sranzofen felten 
anders als mit herunterfegenden Ausdrüden angeführt. 
Das hätte ber Verf. nicht thun follen. Diefe Parteilich⸗ 
Seit flieht dem Hiſtoriker ſchlecht an, und ebenfo fchlecht 
uns Deutſchen, wenn wir einen gewiffen Nationalegois: 
mus heucheln, den wie eigentlich doch nicht haben. Denn 
e6 gehört ja zu unferer Eigenthuͤmlichkeit, daß wir das 
Große und wirklich Bedeutende als Soldyes ancıkennen, 
auch wenn wir in nationaler Beziehung darunter leiden 
oder vielmehr gelitten haben. Diefe unfere Eigenſchaft 
ift gewiß etwas fehr Schönes und fihert und im geſamm⸗ 
ten Europa immerhin eine univerfelle Bedeutung. Das 
Dumme und Verwerfliche ift nur, wenn jene Anerfen: 
nung zur Unzeit gefchieht; 3. B. die Bramarbafaden 
gegen Napoleon und die Sranzofen, bie wir heutzutage 
in den Bierkneipen und aus fonftigen fihen Winkeln 
gehört haben, hätten zu der Zeit erfchallen follen, ale wir 
wirklich unter der eifernen Ruthe des Eroberers ſchmach⸗ 


teten. Wir wiſſen aber, wie wenig im Ganzen bamals 
gegen die Ausländer gefagt wurde. Männer, die kuͤhn 
genug waren, ihren Haß und ihre Überzeugung ausju: 
fpreyen und für diefelbe zu wirken — Ref. ift ftolz dar: 
auf, unter diefe Wenigen feinen Vater rechnen zu koͤn⸗ 
nen —, wurden von der deutfchen Nation und ihren Fürs 
ſten nit unterflägt, ja ſchmaͤhlich verlaffen. Als nun 
der Löme gebändigt war, welß man mohl, wie alle Keh⸗ 
len ſich Luft machten, wie man den Mann, vor dem 
man noch kurz vorher gezittert, wie vor dem leibhaftigen 
Zeufel, auf alle Weiſe verunglimpfte und felbft fein Ge⸗ 
nie berunterfegte. Sa, nun nahm man es fi heraus, 
Diejenigen für Verraͤther des Vaterlands zu halten, welde 
in das allgemeine Schimpfen nicht einflimmten, und erft 
neuerdings iſt an Schloſſer's Beurtheilung Napoleon’s 
das getadelt worden, daß er den Dann unparteiifch, frei 
von Nationalhaß aufgefaßt hat, während man Ihn ge: 
rade deshalb hätte ruͤhmen müflen; denn in den Zeiten 
der höchften Gefahr und der nationalen Schmach war 
Schloffer auf das heftigfte gegen Napoleon. Wie gefagt 
alfo, wir müffen bei der Anerkennung Fremder nur ben 
rechten Zeitpunkt treffen. Und fo kommt es mic, ich ges 
fiehe es, unpaffend vor, bei ber Darftelung vergangener 
Zeiten gegen die Ausländer das patriotifhe Gefühl fo 
weit vorwalten zu lafjen, daß man ungerecht gegen fie wird 
und fie ungebührlih herabſetzt. Es follte uns. genug 
fein, zu zeigen, daß unfere Landsleute fo dumm oder 
fo ſchlecht geweſen find, um fi von ihnen übertölpeln 
zu laffen. Ja, wir würden fogar dem Patriotismus ei- 
nen ſchlechten Dienft erweifen, wenn wir Die, von denen 
fih unfere Landsleute haben beruͤcken Laffen, fo gar niedrig 
fielen. In Bezug auf die Gegenwart insbefondere halte 
ih es für weit verdienftliher, anftatt gegen Schweden 
und Sranzofen, die uns heutzutage doch nichts mehr ſcha⸗ 
den, einen biftorifhen Grimm zu erzeugen, auf einen 
andern Feind binzumwelfen, der unfere Zukunft gefährlicher 
als «6 jemals gefchah bedroht und ſchon allerhand Kuͤnſte, 
Drden, Zabatieren, Ringe, Titel, mitunter auch Schriften 
aufgewender bat, um den Sinn für unfere Freiheit und 
Nationalität zu untergeaben. Daß wir die Gefahr, Die 
und von daher droht, nicht glauben wollen, oder daß wir 
leicht darüber wegſehen, beweift, wie wenig wie durch 
Erfahrung Elug werden Finnen. Wir werden uns nicht 
eher überzeugen, als bis wir mit der Nafe darauf füllen. 
Dann ift es freilich zu fpät. 

Wenn wie nun audh in biefem Punkte mit dem 
Verf. nicht ganz übereinftimmen, fo thun mir es doc, in 
der Art und Weile, wie er die deutfchen Fürſten den 
Fremden gegenüber barftellt. Die deutfchen proteftauti: 
[hen Fuͤrſten erfcheinen wirklich als diejenigen, welche an 
alem Unglüd, an allee Verwirrung und Zerftüdelung 
Schuld waren. Denn mären fie nicht fo vaterlandsver: 
raͤtheriſch geweſen, fo hätten die Ausländer gar feinen 
Boden gehabt, auf dem fie fußen Eonnten. Die Kürften 
hatten aber damals ſchon im Sinne, das Reich aufzuloͤ⸗ 
fen und fih aus den Truͤmmern deſſelben zu bereichern. 
Dies aber glaubten fie nur mit Hülfe der Fremden ex: 


5 en 125 — 


seichen zw innen, welche biefelbe Tendenz hatten, und 
fo machte denn der Landgraf Wilhelm von Heffen in 
der That ſchon den Vorſchlag zu einem Rheinbunde un: 
tee dem Schutze Frankreichs. Es ift wirklich empoͤrend, 
zu leſen, wie die Fuͤrſten die oftmaligen Vorſchlaͤge des 
Kaiſers zum Frieden zurldhwiefen und dadurch das ganze 
Vaterland in neue unſagliche Verwirrung ſtuͤrzten — 
nicht etwa aus religioͤſen Motiven, ſondern weil ſie durch 
Ftrankreich neue Länder oder eine lumpige Summe Gel: 
des zu erhalten. hofften, für die fie in deffen Sold traten. 
Es iſt jaͤmmerlich zu fefen, wie die „fouverainen” Für: 
fien um ein paar Zaufend Gulden Jahrgelder von Frank⸗ 
zeich bettelten und dafür feine Marſchaͤlle wurden, ſchmach⸗ 
voll, wie fie, duch Richelieu beflochen, ſich von Schweden 
abbringen ließen, das ihnen kein Geld bieten konnte, um 
ſich Frankreich in die Arme zu werfen, während doch bei 
diefer Macht das religiöfe Element, das eine Verbindung 
mit Schweden noch entſchuldigt hätte, gänzlich wegfiel: denn 
Richelien machte bei allen Tractaten zur Bedingung die 
Aufrechthaltung der katholiſchen Religion. Es ift ſchmaͤh⸗ 
fih zu fehen, wie fie buhlen mit rein entgegengefegten 
Parteien, denn fie verkaufen fih ber, von welcher fie am 
meiften. Vortheil erwarten, wie denn der Hetzog Georg 
von Lüneburg einmal mit Schweden, dann mit Scan: 
reich, dann mit dem Kaifer ſich verbindet. Nur einige 
wenige Fürften machen eine rühmlihe Ausnahme, befon: 
ders der Kurfürft von Sachſen und der von Brandenburg, 
jener aus wahrhaft patriotiſchem Gefühle die Fremden 
haffend, weshalb er-auch mit dem Kaiſer nad) der nörds 
linger Schlacht Frieden fchließt, diefer mehr, weil er durch 
Schweden die Erbſchaft Pommerns zu verlieren fuͤrchtete. 
Dann zeigt ſich auch eine vaterländifchere Geſinnung in 
den Reichsſtaͤdten, welche von jeher am meiſten an ber 
Einheit des Reihe und an der kaiſerlichen Macht feſtge⸗ 
halten haben und fon im dem Reformationskriege, theils 
weiſe wenigftens, wie 5. ®. Nürnberg, die Diane gegen 
Kaifer und Reid durchſchaut hatten, welche bie Fuͤrſten 
auf der Grundlage der proteſtantiſchen Ideen aufzubauen 
frebten. 

In Bezug auf die Fürften alfo gibt ber Verf. wenig 
Erfreuliches, was beſonders Denen unangenehm ſein wird, 
weiche in neueſter Zeit die deutſchen Fürſten als das 
non plus ultra von Regentenweißheit, Süte, Wohlwollen, 
Patriotismus, ja ald die Mittelpuntte des Nationalwils 
iens, im benen fid) alles Vortreffliche der Nation vereinigt 
Gabe, hinzuſtellen fi bemühen. Wenn nun ber Verf., 

iber bie Erdaͤrmlichkeit der antiskaiferlihen Partei ent: 
tuftet, ernſtlich Partei fir den Kaiſer nimmt, der doch 
immer noch das Reih und feine Einheit vertrat, fo iſt 
das ſehr natürlih. Indeſſen iſt doch nicht zu verkennen, 
daß der Verf. auch hierin zu weit geht. Wir geben zu, 
dog ſich die proteftantifhen Fuͤrſten ungemein viel haben 
zu Schulden kommen laffen, und nicht blos im Dreißig⸗ 
jäyrigen Kriege, fondern, wie gefagt, gleich in den eriten 
Zeiten der Reformation, wo fie die politifhen Vortheile, 
weiche ihnen biefe gewährte, alfobald erfannten und fpd: 
ter zum Verdruß Lucher's und Melanchthon's, die fich 


von ihnen hatten berüden laffen, faft nur allein hervor⸗ 
hoben. Wir geben zu, daß fie das Mistrauen gegen ben 
Kaifer, wie Melanchthon's Briefe deutlih genug bewei⸗ 
fen, mit den Haaren herbeigezogen und jeden Heinen Ans 
(aß benugten, um eine Empörung gegen den Kaifer bar: 
aus zu rechtfertigen. Wir geben zu, daß beſonders im 
Dreißigjährigen Kriege die Religion die Nebenfache bei ib: 
nen war und neue politifhe Vortheile auf Koften bes 
Reichs und des Kaifers die Hauptſache. Allein das Haus 
Öftreih, welches den Kaiferthron eingenommen, hat doch 
auch feinen guten Theil Schuld an dem ganzen Ungluͤck, 
das fpäter Über Deutfchland hereingebrochen. Das Haus 
Oſtreich hat eigentlich den Anfang zu unſerm Ruin gelegt, 
einmal wegen feines Princips, die Kaiſerwuͤrde zu be: 
nugen zur Vergrößerung der Hausmacht, alfo diefe zum 
Zweck, jene zum Mittel zu machen, zweitens, weil e6, an: 
ſtatt ſich kuͤhn der gewaltigen reformatoriſchen Ideen zu 
bemaͤchtigen, denſelben ſchroff entgegengetreten iſt. Wir 
ſprechen hier nicht von dem proteſtantiſchen Dogma und 
von der proteſtantiſchen Kirche — beide haͤtten in der 
abſtruſen Form, in welcher ſie ſpaͤter erſchienen, es wahr⸗ 
haftig nicht verdient, daß man ſich ihnen in die Arme 
geworfen oder ihnen zur Weltherrſchaft verholfen haͤtte —, 
ſondern wir ſprechen von jenen Ideen, welche die neuere 
Zeit charakterificen, von denen noch die Gegenwart ergrif: 
fen ift, ‚Infofern fie politiiche und geiftige Freiheit verlangt. 
Denn jene reformatorifhen Ideen, weit entfernt, blos 
religiöfer oder dogmatifcher Natur zu fein, hatten eine 
durchaus univerfelle Bedeutung und verlangten naments 
lich auch die Herſtellung eines tüchtigen Kaiſerthums und 
einer wahrhaften deutfhen Einheit. Hätten nun bie 
Habeburger jene Ideen verftanden, hätten fie fi an ihre 
Spige geftellt,. fo hätten wir jegt nicht nur eine politifche, 
fondern auch eine kirchliche Einheit und Deutfchland 
flünde flolz und erhaben den andern Reichen gegenüber. 
Allein das Haus Oſtreich verftand jene Ideen nicht: an: 
ſtatt Vortheil daraus zu ziehen, ſtellte es ſich ihnen ge⸗ 
genuͤber, trat ſogar an die Spitze der entgegengeſetzten 
Partei und verdarb dadurch Alles. Denn nun bemaͤch⸗ 
tigten ſich ihrer die kluͤgern deutſchen Fürſten, trieben fie 
in eine einſeitige Richtung, die ihnen gerade recht war, 
und benutzten daſſelbe Element, welches fruͤher fuͤr die 
Einheit des Reichs und die erhoͤhete Macht des Kaiſers 
war, gerade fuͤr das Gegentheil. Und wie viel haͤtte 
Oſtreich noch in ſpaͤtern Zeiten thun koͤnnen, wenn es 
nicht ſo bigot geweſen waͤre, wenn es die Aufgabe ver⸗ 
ſtanden haͤtte, welche ein deutſcher Kaiſer zu loͤſen hatte! 
Wie aber konnte man Zutrauen zu einem Hauſe faſſen, 
welches mit dem Papſte, dem Erzfeinde deutſcher Unab⸗ 
haͤngigkeit, in der genaueſten Verbindung ſtand? welches 
in ſeinen eigenen Laͤndern gegen die armen andersglaͤubi⸗ 
gen Unterthanen die größten Grauſamkeiten verübte und, 
einmal im Vortheil den deutſchen Fürften gegenüber, dies 
fen nur zur Bedrückung benußte, keineswegs zur Herſtel⸗ 
fung ber Freiheit und eines geficherten Rechtszuſtandes? 
Ich geftehe, ih kann mir des Verf. Anfiche nicht über: 
einftimmen, welde er in der Vorrede außfpricht, daß er 


320 


nämlich in jenen Zeiten unbedingt mit Feder und Degen 
für den Kaifer gekaͤmpft haben würde. Ich würde mein 
Volt — bedauert haben, welches, fo rei an Kräften, 
in den höhern Regionen, von denen body einmal bie öf: 
fentlichen Angelegenheiten ausgehen, feinen wahrhaft na⸗ 
tionalen Mittelpunkt fand, an den es ſich anlehnen, an 
dem es erſtarken Eonnte, daß es feinen Hürften fand, 
welcher feine Beduͤrfniſſe erfannt und ſich felber vergef: 
fend über dem ſchoͤnen Beruf, ale Eleinlichen Intereſſen 
bei Seite ſetzend, mit Herz und Hand um den ſtolzeſten Lohn, 
um das Gluͤck und die Ehre der deutſchen Nation ‚ges 
kaͤmpft hätte; ic) würde, fage ich, mein Volk darum. be: 
dauert baden — ein Roos, welches es wol immer thei- 
fen wird, fo fange es nicht ſich felbft und feiner eigenen 
Kraft vertraut. 

Die Richtung alfo, um auf den Verf. zurüdzubom: 
men, im welcher fein Buch gefchrieben ift, ift im Allge⸗ 
meinen nur zu loben. Nur Schade, daß man dies nicht 
‚von ber Ausführung ſagen kann! Es ift deshalb Schade, 
weil das: Buch eben wegen feiner Richtung zur Beleh⸗ 
rung eines groͤßern Publicums geeignet waͤre. Denn 
gegenwaͤrtig wird von einer Partei ſo viel von hiſtoriſcher 
Fatwickelung geſprochen, es wird mit fo viel Selbſtgefuͤhl 
auf die alten vergangenen Zeiten hingewieſen, wo Alles 
in ſo ſchoͤner herzlicher Einfalt, Eintracht und Tugend 
geweſen waͤre, daß es gar nichts ſchaden kann, wenn 
mitunter auch reiner Wein eingeſchenkt wird. Auch 
ſcheint der Verf. das Buch wirklich fuͤr ein groͤßeres 
Publicum eingerichtet zu haben. Das beweiſen die ver⸗ 
haͤltnißig wenigen Citate, ferner das Nichteingehen in 
ſpecielle kritiſche Unterſuchungen, endlich die Sprache und die 
Darſtellung uͤberhaupt. 
zu unſerer obigen Behauptung. 

(Der Beſchluß folgt.) 


———— — — — — — —— — — BU 


Frauen von Frauen geſchildert. 

1. Historical memoirs of the queens of France, by Mrs. For- 
bes Bust. Zwei Bände. London 1842. 

2. The literary ladies of England from the commencement 
of the last century to the present time, by Mrs. Eliwood. 
Zwei Bände. London 1841. 

Wir ftellen diefe zwei Werfe hier zufammen, weit fie beibe 


aus weiblicher Feder fließen und zugleich auch beide der Charak⸗ 


teriftit und Lebensbeſchreibung berühmter Frauen gewidmet find. 
Sie find beide eine Art Triumph für den Stand der bas - bleu 
und e8 wird auch namentlich das zweite befonders ein weibliches 
Yubticum finden. Es beginnt mit ber berühmten Lady Maria 
Mortlen Montague, bie der Stolz der ſchriftſtelleriſchen Damen: 
und fchließt mit Miß Emma Roberts. Die Verf, 
die durch ihr „An overland journey to India‘ bekannt ift, 
hätte ihr Wert werthooller und unterhaltender machen koͤnnen, 
wenn fie ſich weniger in ben engen (Srenzen einer bürftigen 
Biographie gehalten hätte. Zwar verfucht fie wol bier und da 
sine Afbetifce Würdigung der Geiftesfinder dieſer bas - bleu, 
aber biefelbe ift meiſtens nur flüchtig und ohne Wert. Die 
Darftellung ift im Ganzen anziehend. Das erflgenannte Werk, 
in dem die Denkwürbigleiten der Königinnen von Frankreich er: 
zählt werden, ift offenbar durch ein anderes ähnliches Werk, 
das ben engliſchen Königinnen gewidmet iſt und das ziemliches 


weit ift, 


Gerade diefe ift aber ber Gtund 


Gluͤck gemacht hat, hervorgerufen. Die Gompilation ift etwas 
dürftig ausgefallen und bie Verf. fcheint fig weder was hiſto⸗ 
riſche Forſchung noch Darftellung betrifft über die Mittelmäßig« 
keit zu erheben. Bei biefer Gelegenheit wollen wir gleich auf 
ein franzöfifches Wert aufmerffam machen, das gleichfalls eine 
Galerie berühmter Weiber enthält, das aber in jeder Beziehung 
bedeutend über den beiden erwähnten englifchen Werfen fteht. 
Es führt den Titel: „Les femmes celebres de la revolution 
francaise”, von M. Lairtullier (2 Bde). 6. 





Literarifhe Anzeige. 
Ausgewählte Bibliothek. 


Glaftifer des cuslandes. 


Mit biographiſch-literariſchen Einleitungen. 


Neu erſchien hiervon: 
XVII. voltaire (François Marie Arouet de), Die 
euriade. Aus dem Franz. im Versmaße des Origi⸗ 
nals überfegt von F. Schröder. Gr. 12. Geh. 1 Zhie. 
xVIN. Gustav IH. (König von Schweden), Schau⸗ 
fpiele. Aus dem Schwediſchen überfegt von Karl 
Fidel. Gr. 12. Geh. 1 Thle. 6 Nor. 


Die frühern Bände biefer Sammlung enthalten: 


IL II. Sremer (Freerite), Die Nachbarn. Aus dem 
Schwebifchen. Mit einer Vorrede der Verfaflerin-. Dritte 
Auflage. Zwei Theile. 20 Nor. 

II. Gomes (ZJoão Baptifta), Ignez de Gaftrn. 
Zrauerfpiel in fünf XAufzügen. Nach der fiebenten verbeflers 
ten Auflage der portugiefiichen Urſchrift überfegt von Ar. 
Wittich. Mit gefchichtiiger Ginleitung und einer verglei- 
chenden Kritit der verfchiedenen IgnezsZragödien. W Ngr. 

IV. Dante Hlighieri, Das neue Reben. Aus 
dem Stat. überfest und erläutert von K. Foͤrſter. WRNar. 

V. Bremer (Frederike), Die Töchter bes afts 
Denten, Erzählung einer Bouvernante. Dritte Aufl. LONgr. 


| VI. VII. Bremer (Frederike), Mina, Zweite Auf: 


lage. Zwei Theile. 20 Nor. 

VII, IX. Bremer (Frederike) Das Haus, aber Fa⸗ 
mitienforgen und Familienfreuben. Dritte Aufs 
lage. Zwei Theile. 20 Ror. 

X. Bremer (Kreberile), Die Familie G. 10 Rar. 

xl Prevoſt H’Eziles (Antoine Francois), Seſchichte 
Des Manon Rescaut und bes Chevalier Bes 
Grieug. Aus bem Franz. überf. von Ed. v. Bülow. Wir. 

x. XII. Dante Nlighieri's Iyrife Gebichte. 
Aus dem SItalienifchen überfegt und erftärt von K. &. Kan⸗ 
negießer und K. Witte. Zweite, vermehrte und vers 
beflerte Auflage. Zwei Zheile. 2 Thlr. 12 Rar. | 

XIV. Zaffoni (Ateflandro), Der geraubte Eimer, 
Aus dem Stalienifchen überfegt von P. L. Krig. Mit einer 
die in dem Gedichte vorkommenden geographifdgen Örtlichkei⸗ 
ten barftellenden Karte. 1 Thlr. 9 Nor. 

x Bremer (Frederike), Kleinere Erzählungen. 

gr. 

XVI. Bremer (Frederike), Streit und Friebe, oder 
einige Sceenen in Norwegen. Zweite Aufl. 10 Nor. 
Eeipzig, im März 1843. 


$ ® A. Brockhaus. 





Berantwortliger Geraußgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brochaus in Leipzig. 
ee na EEE 





> Blätter 


für. 


literarifhe Unterhaltung. 


Mittwoch, 


232. Mär; 1843. 





Geſchichte bed großen beutfchen Krieg vom Xobe 
Guſtav Adolf’ ab, Bon F. W. Bartholb. Er; 
flex Theil. 


(Beihluß aus Nr. 86.) 


Man merkt es dem Verf. an, wie fehr er fi Mühe 
gibt um bie ſogenannte hiſtoriſche Kunſt, um «ine auf 
hohem Kothurn einbergehbende Darfielung. Eben bieles 
Beftreben aber und ber damit unzertrennliche Schwulſt 
der Rede macht das Bud umgeniehbar und langweilig. 
Wann gelingt es bock einmal, den deutfchen Gelehrten, 
Hiſtorikern insbefondere, das falſche Streben nach einer 
angeblichen hiſtoriſchen Kunſt zu benehmen? Nicht ale 
woliten wir die hiſtoriſche Kunft und eine angenehme 
Darftelung überhaupt nicht. Gott bewahre! Vielmehr 
halten wir fie für erſprießlich und in gewiſſer Beziehung 
fogar für nothwendig. Wir eifern nur gegen die falfche, 
gegen das Haſchen nad einer Schreibart, welche nicht 
aus dem Raturell des Verf. entfpringt und deshalb ti: 
dernatuͤrlich wird, Beſchraͤnke doch Jeder die hifkorifche 
Kunfl darauf, daß er genau überlege, wie ber: eigentliche 
Zufammenhang der Begebenpeiten iſt, laſſe er fie bei der 
Schilderung fo aufeinander folgen, wie fie einander be: 
dingt, aufeinander eingewirkt haben, und ftelle er jede 
Thatſache an den rechten Det; was aber bie Diction be: 
teiffe, fo fchreibe Feder, um mich einer populniten Re⸗ 
densart zu bedienen, wie ihm der Schnabel gewachſen 
iſt. Nicht alle haben gleiches Talent in der Darſtellung: 
die Einen, von ber Natur Begünftigten, werden leichter, 
gewanbter, anmuthiger ſchreiben; die Andern aber, welche 
weniger Zalent bierfüe befiken, werben viel genießbarer 
fein, wenn fie einfach und natürlich fchreiben, ſowie «6 
ihnen in die Feder kommt, als wenn fie ſich zu einer 
gewifien Höhe hinauffchrauben, bie fie doch nicht erreichen. 
Unfer Berf. hat noch jenen hocdytrabenden, erhaben fein 
foilenden Stit, wie er durch Johannes Müller und Andere 
in unfere Literatur gekommen ift, jene deutfchthlimelnde 
Diction, melde durch ungewöhnlihe Wendungen und 
Ausdruͤcke der Darſtellung den Anſtrich ernſter Würde ges 
ben ſoll, jene Vorliebe für veraltete Formen, welche bem 
Stil ein deutſches volksthuͤmliches Gepraͤge verleihen fol: 
Sen, während dieſe Unnatur doch gar nicht deutſch iſt 
und ans wenigſten jenen. Zeiten angehörig, wo man durch 


und durch natärlih war und ſchrieb. Dabei hat nun 
ber Verf. jene langen fchleppenden Perioden — und dieſe 
gehören wirklich unferer ehemaligen Sprache an — , bei 
denen mon am Ende derfelben vergefien hat, was im 
Anfange gefagt worden ift, unb die wegen der Menge 
von Einſchiebſeln und Zwiſchenſaͤtzen zu ihrem voͤlligen 
Verſtaͤndniß in ber That einer Zergliederung bedürfen. 

Aus diefer Schreibart des Verf. entfpringen aber 
mehre Nachtheile. Einmal geht bie Deutlichkeit verloren: 
über dem Schwulft der Rede weiß man bei manden 
Stellen wirklich nicht, was der Verf. eigentlich babe ſa⸗ 
gen wollen. Sodann wird die Darftellung eintönig und 
ermädend. Da if keine Abwechfelung ber Diction; feh 
e6, dag Schlachten befchrieben werden. oder Ruͤckzuͤge, 
bipfomatifche Verhandlungen oder Eharakterfhilderungen: 
immerfort berfeibe hochtrabende Stil. Nichts aber ermuͤ⸗ 
bet fo ſehr als biefer, wenn er nicht mitunter duch 
leichtere Epifoden unterbrochen wird. Endli aber ne 
behrt das Buch der Anſchaulichkeit im Ganzen, welches 
aus dem foeben gerügten Fehler gleichfalls entſpringt: 
bean da bes Verf. bei Allem ben gleichen Sell anwendet, 
teite das Bedeutende, wirklich Epochemachende vor dem 
Unbedeutenden und Ummefentlichen nicht ſtark genug bar 
aus, und trog der Abtheilung in Gapitel findet der Lefer 
doch keine Muhepunkte, on denen er fiille halten und. 
das Geleſene recapitulicen koͤnnte. Diefer Sebler in bes. 
Darftelung klebt aber dem meiſten unferer hiſtoriſchen 
Bücher an. In der Megel geben fie alle Thatſachen, 
bedeutende und unbedeutende, um gleiche Münze den Le⸗ 
fern in den Kauf und überlaffen bann diefen das Ge⸗ 
fhäft, den Weisen von der Spreu zu fondern. Im ber 
Beichreibung eines kürzeren Zeitraums, wo man ohnebie® 
viel mehr Einzelnheiten befommt, thut es aber. befons 
ders noth, einen Unterſchied auch in der Darftellung 
zu machen und nicht Altes in Bauſch und Bogen bias 
zugeben. 

Dies hätten wir alfo an dem Buche anszufegen, was 
bie Darſtellung betrifft; aber es bar auch noch einige 
andere Mängel, bie wir nit übergehen zu dürfen glau⸗ 
ben. Der Verf. bat im Ganzen doch zu wenig Reelles 
gegeben, im Verhaͤltniß zu dem Umfang des Bude. Es 
ift. meiſtens Sriegögefchichte und biplomatifche Verhand⸗ 
lungen, und biefs beiden gezogen. aus bereit6 gebrudten. 


" [4 


€ 322 


Quellen oder Bearbeitungen. Neue Quellen hat er nicht 
benugt, was ee doch gekonnt hätte. Denn es liegen ge: 
wiß in allen nur etwas bedeutenden Achiven noch Mas 
terialien von Wichtigkeit, wie wir denn von Stuttgart 
beſtimmt willen, daß auf ber dortigen Bibllothek fi in: 
terefiante Manufcripte über ben Dreißigiaͤhrigen Krieg be: 
finden. Doch wollen wir dem Verf. daraus Eeinen Vor⸗ 
wurf machen; denn wie wiflen aus Erfahrung, wie ſchwer 
es tft, wenn man nice ganz befondere Connexionen hat, 
den Zutritt zu den Archiven zu befommen. Die Kriege: 
geſchichten aber, weiche den größten Shell des Buchs aus⸗ 
machen, bat ex nicht gerade fo gefchildert, daß fie fehr an: 
ziehend feien. Einige wenige Stellen ausgenommen, wie 
z. B. die Schlacht von Nördlingen oder den Einfall des 
kaiſerlichen Heers in Frankreich, und überhaupt die Stel: 
len, welche Johann von Werth betreffen, für welchen ber 
Verf. eine befondere Vorliebe hat, und mit Recht, find 
fie in der Regel langweilig und es teitt gerade bei den 
Krtegsgefähtchten fehr unangenehm Das hervor, was mir 
von der Darftellung des Verf. überhaupt fagten, daß das 
Mefentliche, Bedeutende von dem Unwefentlichen nicht 
gehörig unterfchieben wird: Wir flimmen überhaupt in 
Bezug auf die weitläufige Befchreibung von Kriegen in 
allgemeinen Gefchichtsbüchern der Anficht bei, die ſchon fo oft 
ausgefprochen ward, daß man nämlich damit fehr fparfam 
fein ſollte. Sollen fie wirklich Intereſſe Haben, fo müffen die 
Kriegsgeſchichten entweber in flrategifcher Beziehung darge⸗ 
ſtellt, oder es müffen diejenigen Punkte hervorgehoben wer: 
den, welche den. Geiſt und Charakter der Zeit am beiten zu 
ſchildern vermögen. Von jener kann aber bei dem Verf. keine 
Mede fein, da er nicht felber Militair iſt, und was das 
Zweite betrifft, fo hat er Hier nicht die gehörige Auswahl 
getroffen. Er gibt in der Regel eine gang trodene Auf: 
zaͤhlung der einzelnen militairifhen Bewegungen, ohne 
das individuell Anziehende oder die Zeit Charakterifirende 
hervorzuheben und, wie gefagt, nur einzelne, wie die oben 
erwähnten Stellen, maden hiervon eine Ausnahme. 
Sodann hätte der Berf. in Sitte und Weife unter den 
Einflüffen des Kriegs, in die Stimmung des Volks, in 
die Öffentliche Meinung, in die Verhaͤltniſſe der einzelnen 
Länder, der Fürftenhöfe u. f. w. näher eingehen follen; 
hierdurch hätte er uns ein weit anſchaulicheres Bild der 
vormaligen Zeit geliefert als durch die unintereffante Auf: 
zählung der einzelnen Kriegsbegebenheiten. Zu dem Enbe 
Hätte er die Menge von Flugfchriften benugen koͤnnen, 
weiche damals erfchienen find und in denen man allezeit 
die Stimmung und den Geiſt der Zeit am beften er: 
kennt; fobann die Literatur überhaupt, infofern fie Ein- 
fluß auf die Öffentlichen Zuflände geuͤbt oder ein Meful: 
tat berfelben iſt. Das iſt aber nicht gefchehen. Bon 
Flugſchriften erwähnt ber Verf. gar keine; die Literatur 
berührt er nur an einer Stelle und zwar blos andeutend; 
bei einzelnen Perfonen kommt bann wie zufällig vor, 
was fie für Werke geſchrieben. Vom Simpliciſſimus 
fagt er, daß er die damaligen Zuflände ganz genau ſchil⸗ 
dere; das genügt aber nicht: das hätte der Werf.. thun 
ſellen. Kurz, ein Geſammtbild vom ganzen damaligen 


J 


Leben, das uns doch ſo intereſſant waͤre, bekommen wir 
vom Verf. nicht; er begnuͤgt ſich blos, anzudeuten ober 
ein mageres Gerippe der Begebenheiten zu liefen, wäh: 
rend wir doch gerne Fleiſch und Blut dazu hätten. 
Vielleicht Hilft jedoch der Verf. difen Mängeln im zwei⸗ 
ten Theile ab, was wir ihm fehr ans Herz legen. 
Sollen wir nun zum Schluffe unfer Urtheil über das 
befprochene Buch in ein Refultat zufammenfaflen,, fo geht 
diefes dahin. Der Verf. bat offenbar eine fehr ehren: 
werthe freie Gefinnung an ben Tag gelegt, die wir um 
fo mehr anerkennen müffen, als ſich gegenmäctg nicht 
gar viele Hiftoriker finden, welche ſich dadurch auszeich⸗ 
nen. Was neue Thatfachen betrifft, die uns ber Verf. 
mittheilt, fo müflen wir ihm wegen der Notizen dankbar 
fein, bie er uns über die beutfchen proteſtantiſchen Fuͤr⸗ 
ften und ihr Verhaͤltniß zu dem fremden Mächten gibt, 
welches wir uns nicht entfinnen, in diefem Zuſammen⸗ 
bange und in bdiefer Ausführung irgendwo anders gelefen 
zu haben. Allein die Darftellung des Verf. ift mislun: 
gen, manlerict, geſchtaubt und daher für kein größeres 
Publicum paffend; fodann befommen wir fein vollkom⸗ 
menes Bild von dem gefammten Zuftande der beutfchen 
Nation, indem der Verf. doch nur auf ber Oberflaͤche 
bleibe, ohne In das innere Leben des Volks näher einzu 
gehen. Wir glauben jedoch nicht, baß der Verf. die ges 
rügten Mängel im zweiten heile nicht verbeffern 
tönnte, und fo nehmen wir von ihm mit der Hoff: 
nung Abfchieb, daß wir ihm naͤchſtens gerüfteter und 
gemwappneter wieder begegnen, und daß er uns biefe 
mohlmeinenden Ausftellungen an feinem Buche nicht mis⸗ 
deuten möge. 43, 





Das „Foreign quarterly review‘ über deutfche Schrift: 
fteller und deren Werke, befonberd Klopflod, Schiller 
Gutzkow und Gräfin Hahn: Hahn. 

Ref. Hält dafür, daß bie Urtheile bes Auslandes über un⸗ 
fere deutfche Heimat und Literatur jetzt um fo größere Wichtige 
keit erlangt baben, je wiberfprechender wir uns felbft beurthei⸗ 
Ien, je unklarer, trog aller philoſophiſchen Entwicklungen, wie 
über uns felbft find, je mehr rauchhaltige Phrafen wir in unfern 
literarifden Dampffeffeln bereiten. Seibſt das einfeitigfte Ur: 
theil eines Ausiänders hat eben von .diefer einen Seite ber oft 
mehr Wichtigkeit als die vielfeitigflen Urtheile eines Landsmannes 
Häufiger und ausfuͤhrlicher als je befehäftigen ſich bie engliſchen 
Journale mit deutfchen Landes s, Eiteraturs nnd Kunſtzuſtaͤnden, 
unter ihnen vorzüglich ba® „Foreign quarterly review‘, weis 
ches befonders Deutfchland zu feinem Hauptaugenmerk gewählt 
bat, Frankreich flüchtig berührt und die übrigen Literaturen Eu- 
ropas faft nur notizenwelfe befpricht. Reich an kritiſchen Skizzen 
über die deutfche Literatur ift befonbers das Januarheft biefes 
Journals. Wir floßen zuvörberft auf einen ausführlidden Be⸗ 
richt über Hoffmeifter's Werk über Schiller. In ber Einleitung 
zu dieſem Auffage ſcheint uns folgende Bemerkung erwähnene: 
werth: „Sin breiter Rand, weite Spatien zwiſchen ben Zeilen 
find die Hülfsmittel, deren ſich der britiſche Schriftfteller de⸗ 
bient, wenn er: feine gewohnten drei Bände ausfpinnen will; 
aber nicht fo der beutfche, wenn er feine fünf ober ſecht far 
briciren will: ſchmal ift fein Rand und eng aneinander gerüdt . 
feine Zeilen. Gr 1dft feine Aufgabe dadurch, daß er bie e 


feines Stofft verdickt, und nicht dadurch, daß er ihre Dichtig 


323 


verbännt 5; und wenn et auch fein Publicum immer und immer 
wieder mit demfelben Gedanken bewirthet, fo ift er in jedem 
Jalle infofeen gewiffenhaft, daB er fürs Geld genug Lefeftoff 
bietet *_ Seltſam findet ber Kritifer natürti Hoffmeiſter's Ans 
fit, daß Schiller fih dm Wallenflein einen Charakter wie 
Goethe vorgeftellt Habe. „Der Leſer“, zuft er aus, „welcher 
hierbei ſtugt, kann nur wenig don ben Gubtilitäten der deut: 
ſchen Kritik wiffen. Doch felbft bis hierher wollen wir Dr. 
Hoffmeifter gern folgen; aber wenn er auseinanberzufegen be: 
ginnt, warum Schiller’ Hellefpont:Ballade „Hero und Leander” 
flott Leander und Hero genannt wird, fo Eönnen wir nicht um: 
hin auszurufen: Halt, genug!‘ Mit aller Ehrfurcht vor biefer 
Parallele zwiſchen Goethe und Wallenftein, fo gibt es wirklich 
einen Vergleichspunkt, welchen der Autor nicht intendirt haben 
Tann, und ber doch der bemerfenswerthefte if. Der Kummer, 
weihen Wallenftein bei dem Verlufte des Mar ausbrädt, ent: 
fprigt To genau als möglich demjenigen, weldyen @oethe bei 
Schiller's Tode kundgab.“ Mit welcher Anerkennung der Brite 
von Schiller ſpricht, laͤßt ſich am beften aus folgender Stelle 
erfennen: „Es war 6 Uhr Abends, am 9. Mai 1805, und im 
4. Sabre feines Alters, als der Autor der ‚Räuber‘ und bes 
Wilheim Tell‘, der ‚Freigeifterei aus Leidenfhaft‘ und bes 
Liedes ‚Bon ber Glode* — der Schüler der franzoͤſiſchen Phi⸗ 
Lofoppen und ber Profelygt Kant's — ber Dramatiler von vos 
befter Reatität und hoͤchſter Idealitaͤt — der Bürger ber fran- 
zöfifhen Republik und ber Geadelte des deutſchen Kaiſerreichs 


— der Mann, welder in Ungnade aus einem unbedeutenden 


Gtaate floh und allein das dauernde Idol des gefammten gros 
fen beutichen Volks wurde — in einem Worte, Friedrich Schil⸗ 
ler eine Leiche war. Das Leben bes Mannes war ein kurzes, 
aber das Leben eines Rieſen geweien. Seine Irrthuͤmer waren 
groß und feine Wahrheiten erhaben, und bie Geſchichte der is 
teratur Tann faum ein majeftätifcheres Denkmal aufmweifen als 
ben Ramen Friedrih Schiller!” 

Eine ziemlich bittere Kritik folgt über Gutzkow's „Briefe 
aus Paris”, obgleich fie im Einzelnen anerkannt, auch pilante 
Auszüge daraus gegeben werben. In der Ginleitung zu bem 
betreffenden Auflage heißt es, daß ber Referent, nad ben Bes 


griffen, die er fi aus frühern Zeugniſſen bes deutfchen Geiſtes 


gebildet, zwei Eigenſchaften bei dem Deutſchen am wenigften zu 
finden vermuthet hätte, naͤmlich unflete Lebhaftigfeit und Im: 
pertinenz, und boch finde man biefe nirgend flärker entwidelt 


als in den Schriften der neuen deutfchen Reifenden, Kritiker 


und polemiſchen Schriftſteller; Fuͤrſt Puͤckler⸗Muskau fei eine 
Derfonification von Beiden, aber er ſei auch eine doppelte Aus⸗ 
nahme, einmal als Zürft und Zollfopf, dann als Preuße; denn 
die Spreeluft erzeuge, wie es beißt, ein gewifles dem übrigen 
Deutfchland unbelfanntes und fremdes Gelbftbewußtfein. Doch 
man auch Beides unter ben ehrbaren Bürgern von Ham⸗ 
burg, obgleich Heine bie Schärfe feines Witzes in der parifer 
Luft empfangen habe und franzöfirt fei; aber hier fei ein an⸗ 
derer Damburger, Gutzkow — ber Engländer weiß wahrfcein: 
lich nicht, daß Sutzkow ebenfalld ein Kind der Spree und daß 
Deine’s Wit urfprüngli unter den berliner Linden fpaziergn 
gegangen ift und bas zaͤrtlichſte Berhältnig mit den Spreenym⸗ 
vHen gehabt hat — kurz, Hr. Gutzkow, ber Hamburger, ift lebs 
baft, amutproiitig wie ein Kinb und impertinent; fo meint we: 
nigftens unfer Brite. So tabelnewerth es exfcheine, fährt er 
fort, dab Bupkow alle Geheimgefpräde, alle Unterhaltungen 
sınnter bier Augen keck ausplaubere, fo fei es body wol nicht 
edit, bied eine Impertinenz zu nennen, benn Gutzkow fei mit 
au feinem Wige fimpel wie ein Kind, und er erzähle alles Ges 
und. Sefehene fo unſchuldig und natürlich, als ob ſich das 
fo von felbft verftände. Mit Recht tadelt der Brite die vers 
Echrte Art, wie Gutkow den König Ludwig Philipp auffaßt ; 
aber viefe falſche Auffoffung entfpringt nicht aus GSimplicitaͤt, 
onderu aus der an Gutkow bekannten Sucht, durch eine ber 
Anſicht Aller wiberſtrebende 
derch rine pikante Vendung zu überrafdhen und ben Ru 


Auffaſſung Intereſſe zu erregen, 


ber Ungewöhntichkeit zu gewinnen. „kudwig Philipp”, ruft ber 
Engländer aus, „indiscret! Ludwig Philipp feine Sefuͤhle ver: 
ratben! Gott beife dem fimpein Deutſchen!“ Indeß ik es 
Ehre für Gutzkow genug, fein parifer Tagebuch in einem eng⸗ 
liſchen Journale ſo weitläufig befprochen zu fehen, eine Ehre, 
die freitich manchem Andern auch widerfährt, der fie ſich ſchwer⸗ 


lich träumen ließ. 


So etwa bald darauf die Gräfin Ida Hahn= Dahn, deren 
„Reiſebriefe“ beurtheilt und excerpirt werden. Die Verf., wirb 
gefagt, fei dem deutſchen Publicum durch einige dußerft nette‘ 
Erzählungen und Gedichte befannt; auch ihr Augenübel und ihr 
befannter Zwift mit Dieffenbady werben erwähnt. Varnhagen 
von Enfe, heißt es weiter, babe fie eine „„trogige” Schriftſtelle⸗ 
rin genannt; im ſcherzenden Sinne fei dies wahr; eigentlich 
muͤſſe man fit aber „insolent” nennen, denn „saucy”' Mn bier ' 
kaum ſtark genugs babsi fchleudere fie ihre Gedanken auf dag 
Papier, wie fie ihr gerade einfielen, ohne um die Conſequenzen 
verlegen zu fein, und fo lägen ſich ihre Anfichten oft im Wider: 
fprucge und in den Haaren. Der Lebendigkeit ihrer Auffaffung 
und ihrer Schilderungen wird jedoch viel Lob gefpendet, ja 
manche Befchreibung bewundernswerth genannt, au, ‚wie fi 
bei einem Englänter von ſelbſt verfleht, gewiffenhaft jede Stelle 
ausgezogen, in welcher bie Verf. ihren Franzoſenhaß, ihre Be: 
wunberung für den Nationalcharakter der Engländer in ihrer 
„trogigen‘‘ Manier ausfpriht. Was bie Verf. über Paris fagt, 
findet die ſchaͤrffte Rüge, ja unfer Brite wird fogar haͤmiſch, 
wenn er fagt: es fei natürlich, daß man bei einer Augenkrank⸗ 
heit das Licht ſcheue; und er fchließt feine Anzeige mit folgen: 
ben Worten: „Was bie öffentlichen Inftitutionen in Frankreich 
betrifft, fo misfallen ihr alle; die Männer verabfcheut und ver⸗ 
achtet fie und in Betreff ihres eigenen Geſchlechts — es reicht 
bin zu fagen, daß fie die franzöfifchen Weiber befdyüldigt: en- 
nuyee, usée, blasce und gang und gar unerträglich zu fein.” 

Bon ſchwererm Gewicht und Inhalt ift eine ziemlich gründe 
liche, ziemlich tadelnde Abhandlung über Klopſtock, wobei die 
„Srgänzungen durch Biographie, Briefwechfel und verſchiedene 
Beiträge”, von Hermann Schmidlin (Stuttgart 1839—4l), zum 
Stunde gelegt find. Der britiſche Kritifer ſtellt Klopſtock, mit. 
faft abſichtlicher Verkennung der dichteriſchen Elemente in ihm 
— warum wagte er au mit Milton um bie Palme des relis 
giöfen Epos zu ringen? — nur als bombaftifchen Schönrebner 
dar, eine Anficht, für die er in Deutfchland felbft jegt viele Ans 
haͤnger haben möchte. Wie aber Klopſtock tros feiner dichteri⸗ 
fen Natur voller Bombaft war, fo war er doch, trotz feines 
Bombaftes, immer noch Dichter, nicht blos Verfificator und Pre⸗ 
biger. In ber Einleitung heißt ed: „Wenn felbft das nüchs 
terne, verfländige, praktiſch gefinnte britifiye Bolt — Mr. Ali: 
fon erzählt und davon in feiner Geſchichte — in periobifchen An: 
fällen bes heftigſten Wahnfinns war, wie viel mehr unfere ra⸗ 
fetenartigen und bimmelflürmenden Brüber jenſeit des Rheins! 
Sie find oder waren vor einem halben Jahrhundert wahnfinnig 
über Klopfiod. Dann kam die Goethomanie ober ter artiſti⸗ 
ſche Wahnfinn; die Schlegelmanie oder der romantifche Wahn⸗ 
finn; die Kogebusmanie oder der Theaterwahnfinn; bie Teuto⸗ 
manie (welche Rapoleon bervorrief) oder der Baterlanbewahns 
finn: alle ſehr naͤrriſch und echt deutſch in ihrer Erſcheinung, 
aber nicht ohne viele Vernunft in ihrem Urfprunge unb vielen 
Adel in ihrer Natur.” Der Berichterftatter überfegt auch ge: - 
lungen einige Oden, zuerft eine religiöfe, die er ſchwuͤlſtig findet, 
und weicher er als Mufter religiöfer Hymnenpoeſie den 104. 
Palm, das 39. Kapitel des Buches Hiob, Thomſon's Dymne 
an die Jahreszeiten, Goethe's Introductionshymne zum Yaufl, 
Addifon’s Hymne, Heber's wohlbefannte Mifflonshymne u. f. w. 
gegenüberfielt. Dann überfegt er noch Klopitod’s Ode „Der 
Sögling der Griechen” und ſtellt ihr eine Überfegung von bes 
Horaz Ode an Melpomene gegenüber. Da finbet er Horaz ge 
drängt, Klopflod wortreich, Jenen klar, Diefen dunkel, Jenen ein: 
fach, Diefen verwideltz ber Römer iſt ihm ein gereifter Mann 
vol geregelten und lauterer Anfchauung, der Deutfdge ein Juͤng⸗ 


King von ſchoͤner, aber etwas weiblicher unb übertriebener Em⸗ 
- pfindung. Gin Element in Klopſtock uͤberſieht aber der Write 


any, das politifhe Clement, weldes in Klopſtock's fpätern 
den um fo anerfennenswerther bervortritt, je weniger die deut⸗ 
fhen Poeten von damals die politiſche Poefie im eigentlichen 
und firengern Sinne — fie wurde erſt durch Kıopftod angeregt 
und gefchaffen — anbauten. Diefe politifchen Oden eipeen ge: 
zade zu Kiopftod’s merkwuͤrdigſten und beachtenswertheſten Poe⸗ 
fin. Der Brite bemerkt, es fei damals für einen Dann von 
gewöhnlichen Verhättniffen wie Klopſtock ein Leichtes geweſen, 
unter einem Volke von Pigmden für einen Rieſen zu gelten; 
aber Kiopſtock war wirklich ein Rieſe, ber in ungewöhnlichen 
Verhältniffen über feine Zeitgenoffen binaugragt. Das Bater: 
fonds» und Freiheitsgefuͤhl wurde in einer Höchft nüchternen Zeit erſt 
durch ihn gefchaffen, und in je pomphaftere Formen und Worte 
fich feine Ideen zu Heiden liebten, deſto mehr wirkten fie gegen: 
über einer Poefie von meift fader Form und gebankenlofer Reis 
merei. Gedichte, wie „Wir und Sie”, worin Klopftod eine für 
die Deutſchen günftige Parallele zwiſchen ben Deutſchen und 
Beiten zieht, mögen unferm Englaͤnder freilich wenig behagt 
und eine Abneigung gegen Klopftod überhaupt eingeflößt haben. 
Dies aber gibt er zu, daß Klopſtock der deutſchen Sprache breis 
tere Kanäle geöffnet, eine männliche Bewegung gegeben unb 
überhaupt Dienfte geleiftet habe, welche jeder wahrhafte Deut: 
ſche mit dem tiefften Danke anerfennen müffes er habe der deut⸗ 
fhen Mufe den trippeinden franzoͤſiſchen Taͤnzerſchritt abge: 
wöhnt und fie zu jenem feften männliden Gange vorbereitet, 
mit welchem fie unter Goethes, Schiller's, Wieland's Leitung 
aufgetreten fei. Ohne die Menzel: Brille kann jedod ein britis 
ſcher Kritiker die deutfche Literatur nicht betrachten. Was Wolf: 
gang Menzel, biefer „„most competent judge“, diefe ‚„„masculine 
voice of recent’ German criticism‘ über Klopſtock fagt, wird 
gewiffenhaft ausgezogen; mit diefer „high-toned” Kritik, mit 
diefer vernünftigen Lobrede, fest er hinzu, möge fi) der Name 
Klopſtock gefchägtermaßen vom 18. zum 19. Jahrhundert. und 
son da in die fernere Zukunft hinüberleben. 
Unter den Seinen Krititen werden Lewitſchnigg's Gedichte 
angezeigt. Es beweiſt fi) bier, wie ungeſchickt es ift, als ein 
ziemlich namenlofer Poet fein Portrait dem Büchlein mitzuge: 
ben. Das Portrait Lewitſchnigg's, Tagt der Nef., habe in 
ihm ein gutes Vorurtheil erweckt; der Autor erfcheine ale ein 
ungewöhnlich hübfcher Burfche, „es läge eine anzichende Wild» 
heit in feinem dicken moustache, ein kecker Geiſt in feinen gros 
Sen Augen; ba müffe, habe ex nun geglaubt, wenn aud) etwas 
Rohes, doch Kräftiges und Geiſtvolles dahinterſtecken; aber weit 
gefehlt! Er habe gebuldig die Seiten bin unb ber gewendet, 
aber feine Empfindungen feien nicht angeregt, feine Eindildungs⸗ 
kraft nicht erhoben, feine Phantafie nicht angenehm beichäftigt 
worben. Der Berf. babe, mie es fcheine, Nikolaus Lenau zum 
Mufter genommen; Lenau fei ein edler Dichter, doch von ber 
Art, daß er feine Nachahmer leicht in Verlegenheitsklemmen 
führen könne. Befonderd und mit Recht wirb die Sucht, aus 
allen Eden und Winkeln Bilder und Gleichniffe, auch bie un 
paffendften, aufzujagen, gerügt, eine Sucht, bie man überhaupt 
an ben oͤſtreichiſchen Poeten nicht oft und flart genug tadeln 
kann. Noch kommt eine ganze Rotte von 34 beutfchen Roma: 
nen zur Begutachtung, unter denen mandje unbedeutende, welche 
wir dem Geſichtskreiſe der britifhen Kritik entrüdt glaubten, 
da felbft bie deutſche ihr Auge vor ihnen erroͤthend nieberfchlägt. 
Doch find darunter einige, von denen es ung freut, fie in Eng: 
land wenigftens ducch Recenflonen eingeführt zu fehen. Eichen: 


dorff's treffiiche Novelle „Aus dem Leben eines gr 


in welcher fich, wie im kindiſchen Spiele, oft ein tiefer Ernſt 
verbirgt, wirb nur mit wenigen Worten abgefertigt. Eichen⸗ 
dorff, Heißt es, fei Lange Zeit ein thätiger Beiſteuerer zu ber leich⸗ 
ten Riteratur Deutſchlands geweſen, feine Werke, ob in Verſen 
oder Profa, zeigten immer denfelben gutlaunigen, leicht hinſchwe⸗ 
benden Charakter, wodurch fie fi dem Wohlmollen und ber 


Machficht mäßiger und unkeltifdger deſer empfaͤhlen. Der Baron 
— und in biefem Punkte flimmen wir mit dem Berichterftatter 
vollflommen überein — entbehre der Kraft und noch mancher 
andern Eigenſchaften, aber ex befite eine gewiffe Grazie und 
humoriſtiſche Schelmerei, die ſich nirgend vortheilhafter ausnehme 
als in feinen kleinern Gedichten. Der „Taugenichté“ fei hübfch 
erzählt, aber nur ein Wiederabdruck, der weiter nichts Reue 
babe als die niedlichen Illuſtrationen von GSchrödter. Sterns 
berg's „Miſſionnair““ wird weiblich gelobt; überhaupt gefteht 
ihm ber Berichterftatter guten Geſchmack, reiche Erfindungstraft 
und in den Dialogen Geiſt und gluͤckliche Einfälle zu. Stern⸗ 
berg, beißt es weiter, if beſonders in feinen kuͤrzern Erzaͤhlun⸗ 
gen gluͤcklich; wenn er verfucht hat, feinen Gegenfland in mehre 
Bände auszudehnen, ift er felten in gleichem Maße gluͤcklich ger 
wein. Wangenheim's „Kerkermeiſter“ wird verbientermaßen 
abgefertigt, als ein erbaulidyes Gebräue von Blut, Mord, Räus 
berei, Incefi, Verrath, Verführung, Wahnfinn, Blasphemie und 
Bombafle Schiffs Novelle „Linden — früher „Die Ohr⸗ 
feige’ — wie der Berichterftatter fagt, „ein Ding, weiches 
nigt mehr Erfolg hatte, als es verdiente”, gibt dem Beri 

erftatter Gelegenheit, das Verfahren bes Berlegers, in deſſen 
Dände bie Novelle übergegangen war, ber fie umtaufte und als 
neues Werk vertrieb, Tharf zu rügen. Gr Inüpft daran eine 


‚Rüge über ein ziemlich adäquates Verfahren. eines andern Ver⸗ 


legers, betxeffs des Lewald'ſchen Buchs über Seydelmann. Diefe 
Notiz fcheint der Brite aus dem „Repertorium” gefchöpft zu has 
ben, worin wir, fie faft mit denfelben Worten gelefen gu haben 
uns erinnern. Überhaupt glauben wir, daß die Uxrtheile bes 
englifchen Berichterſtatters nicht überall Originale find; fie neh⸗ 
men ſich wie Auszüge aus deutfchen Recenſionen aus; doch 

ven fie von Belefenheit, allgemeiner Kenntniß ber deutſchen Si. 
letriftit und großer Aufmerkſamkeit auf die intereffantern Des 
tails. Herloßſohn's „Wanderbuch“ wird eine hinlänglicy lebens 
dige Erzählung genannt, weldye einige gute Schilderungen mo⸗ 
berner Sitten enthalte. Bon Willlomm, deffen „Grenzer, Nar⸗ 
ren und Eootfen” zur Anzeige kommen, heißt es: „er fei, und 
zwar verbientermaßen, ein Lieblingsfchriftfteller und beſonders 
gluͤcklich, wenn eine milde Landfchaft den Hintergrund feiner 
Gemälde bilde”. Die Schriften der Ida Frick, heißt es weiter, 
erheben ſich nicht über das Gewoͤhnliche, doch müffe man mit 
ihrem ſichtbaren Wunfche, ihr eigenes Gefchlecht durch ein ver 
beffertes Etziehungsfrftem zu vervollfommnen, hympathiſtren; in 
ihren „Erzſtufen“ fei jebody wenig, was zum toben oder Ber⸗ 
urtheilen auffobere. In Laube's „Bandomire“ findet er einen 
herrlichen Gegenſtand gut behandelt; die Erzählung erfcheint 
ihm vol glüdlicher Situationen und das Intereffe bis zum 
Schluſſe bewundernsmwerth gefpannt. Der Berichterſtatter vers 

breitet fi) außerdem noch über Laube's frühere literariſche Car⸗ 
riere und fagt, daß er bie Ehre gehabt habe, eingefperet wor: 

den zu fein, daß feine frühern Vergehungen vergeffen feien und 

daß er jest als einer der beiten Erzähler des Tages, nicht aber 
als politiicher Demagoge, Ruf habe. Die Verf. des Romans 
„Das Schloß Goczyn“ wird eine der beften Gchriftftellerinnen 
Deutfchtands genannt, was fie in gewiffem Sinne fein mag, 
wenn man bie ariftofratifche Glaͤtte und Zierlichleit dee Bou⸗ 
dboienovelliftit dem gefunden prallen Leben, die gluͤcklich benugten 
Refultate einer gewählten Lecture und Gonverfation ber trotzi⸗ 
nen Befonderheit eines felbftändig aus ſich herausfchaffenben 
Geiſtes vorziehen will. Der Theetiſch heckt fo manches Hübfche 
aus, nur feine Driginale. Im Übrigen vermiffen wir in biefen 
kurzen Eritifchen Skizzen bes „Foreign quarterly review’ den 

echt englifchen Geift, ber, fo einfeitig und eigenfinnig er auch 

zuweilen erfcheinen mag, bie größern Kritifen autzeichnet. Dies 

fer Umſtand führt uns auf die Vermuthung — die wir in 

beß nur ganz leife ausfprechen wollen — baß jene kürzern Kris 

tiken in Deutfchland nach deutfchen Recenfionen oder theilweifer 

Lecture verfaßt und von geſchickter Hand in das Englifche über: 
fest find. 13. 


Verantwortlicher Deraudgeber: Heinrich Brockhaus. — Deus und Verlag von F. I. Brodbeus in Seipatg. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


Donnerdtag, 


— Nr. 82. ö— 


23. Maͤrz 1843. 





Die dermalige Kriſe der Philoſophie in Deutſchland. 
Eine Stimme aus Frankreich. 
L Hegel. 

Als vor einer Reihe von Jahren die „Revue des 

deux mondes” in Paris gegründet wurde, bätte wol 
Miemand geglaubt, daß bie deutiche Speculation das In⸗ 
tereſſe unferer wefllihen Nachbarn fo lebhaft zu erregen, 
ihren Geiſt fo zu durddringen und die Gelenke ihrer 
widerſtrebenden Sprache fo zu elektrifiren vermöchte, daß 
der neue Jahrgang diefer auf bie Theilnahme nicht etwa 
nur der Gelehrten, fondern der Gebildeten der Nation 
überhaupt beregneten Monatsfchrift fich mit einem nicht 
bos rhetoriſch und wigelnd herumflankicenden, ſondern 
Mar und redlich geſchriebenen Auflage, der die obige liber- 
ſcheift trägt und in zwei gleiche Hälften über Hegel's 
Syſtem und Schelling's neuefle Lehre zerfaͤllt , eroͤff⸗ 
men wuͤrde. 
Der Dann vom Fache wird in Deutfchland freilich 
nichts Neues daraus lernen; vielleicht aber ergögt ihn, 
wicht weniger als den Dilettanten, bie Faͤhigkeit des Fran⸗ 
zeſen, feinen Landeleuten von ben Auftänden unferer 
Philoſophie genaue und befonnene Rechenſchaft zu geben, 
während ber Laie hier eine Überſicht erlangt, zu deren 
Zeichnung fih für ihn noch kein deurfcher Philofoph her⸗ 
abgelaffen hat. So dürfte es fich Immerhin dee Muͤhe ver: 
Iohnen, die Hauptgedanken biefes Auffages für deutſche 
2efer, die jenes in Deutichland nicht nach Beitungsfte: 
quenz gelefene Journal gar nicht oder nicht fo bald zur 
Hand belommen, bier auszuzichen und einige Proben 
der Darſtellung zu geben. 

Der Berf. (er zeichnet mit einem bisher nicht oder 
wenig gekannten Namen A. Lebre) geht von Schelling’s 
Auf nah Berlin aus und nimmt davon Veranlaſſung, 
Die neue Dhafe zu fehildern, in welche Deutfhlande Ge: 
ſchichte (die der Wiſſenſchaft iſt zemeint) in diefer jüngften 
Zeit eingetreten iſt. Noch geſtern, fagt er, ahnte man 
Die Groͤße der Strecke nicht, die man fidh vom Chriſten⸗ 
ehem entfernt hatte; heute bat die Werblendung ein 
Ende. Die Schlafwandlerin, die auf ihrem Irrwege 
nach dem Abgrund mar, iſt aufgewacht. Von Stunde 
an fucht fie zu fliehen; will dem Zuge widerfichen, ber 
fie hinabdraͤngt. Deutſchland proteſtirt gegen feinen Zwei⸗ 


fel, ohne ihn verbannen zu koͤnnen; ſein Herz iſt voll 

Glaubens, aber der Geiſt voll des unerſaͤttlichen Skepti⸗ 
cismus. Dieſes Volk von Denkern und Gelehrten bat 
ein koloſſales Werk der Kritik unternommen. Ein feler⸗ 
licher Kampf mit allen Stüden des alten Glaubens hat 
begonnen. 

Jetzt wird ein Rüdblid auf Schelling’6 dlteres Sy: 
ſtem geworfen. Fichte hatte Deutfchland für einen Aus 
genblick unter das Joch feines Benius gebeugt, aber fein 
Spftem war zu ausfchließlich und zu parador, als daß es 
fih bätte halten koͤnnen. Unfere Inſtincte find unzer⸗ 
ſtoͤrbarer als die Spisfindigkeiten eines Weltweifen ; Fichte 
aber that ihnen fchreiende Gewalt an. Er hat dem Idea⸗ 
lismus eine heroiſche Groͤße, eine firenge Majefldt ver: 
lieben; die Sinne verfhmähend, zerfiörte feine Dialektik 
die glänzende Illuſion, die man Natur nennt, und ließ 
im verödeten Weltall nur einen tühnen Denker, einfas 
men König und höchften Herrn ber Leere, flolzen Meifter 
feines eigenen Ichs, übrig. Aber im Gebiete bes Gedanken 
ift das Gleichgewicht fo unentbehrlih wie im Meiche der 
Natur. Schelling redytfertigte nun aufs neue unfern Blau: 
ben an die Außenwelt. Das Ich blieb die einzige Sub» 
fanz im Idealismus; aber dies fubfkantielle Ich iſt nicht, 
wie Fichte es mollte (?), das fubjecttve Sch, dies oder 
jenes beflimmte Ich; es muß Alles in Allem enthalten, 
es Tann nur das abfolute Ich fein, das alle möglichen 
Eriftenzen einſchließt. So geht der Idealiſsmus, auf bie 
Außerfle Grenze geführt, über fich felbft hinaus und führe 
in den Pantheismus hinein. Natur und Geift hören auf, 
eins dem andern fremd und Gegenfäge zu fein. Sie 
werden nur zu zweierlei Eriftenzweifen des unendlichen 
Ichs, welches das AU befeelt und fidy in ihm .offenbart, 
in der Natur als Object, im Geiſt als Subject, in bei⸗ 
den immer identifh, immer Daffelde. In der Natur er 
fheint das abfolute Sein nicht mit Bewußtfein verbuns 
den, es bleibt aber nichtsdeſtoweniger die ewige Vernunft. 
Alles, von ben Zahlen der Mechanit bes Himmels und 
der Geometrie ber Kryſtalle an bie zur Drganifation ber 
Pflanze und des Thieres trägt die Spuren der Intelli⸗ 
genz und iſt nichts Anderes al6 eine Plaſtik der görtlichen 
Ideen. Aber wahrhaft Vernunft iſt die Vernunft doch 
nur, wenn fie das Bewußtfein ihrer ſelbſt hat. So liege 
denn in ihrem Weſen eine Noͤthlgung, aus dem Zuflande 





ww 


der Verdunkelung, in welcher fie fich in ber Geſtalt der 
Natur befindet, berauszutreten. So erhebt fie ſich von 
Weich zu Reich, fi immer mehr vergeiftigend, bis fie mit 
ihrer edein Klarheit aus dem Menſchen widerleuchtet und 
in ihm zum Selbfibewußtfein kommt. 

Diefes Syſtem befziedigte die entgegengeſetzteſtan Bes 
dürfniffe, den gefunden Menfchenveritand wie die Ver⸗ 
nunft; die Begeifterung dafür war allgemein und ging 
bald in Trunkenheit über. Nun murde die Analogie 
mehr befragt als die Vernunftwahrheit; ein abenteuerli: 
cher, ungeregelter Myſticismus ſchob fih der MWiffenfchaft 
unter; man verfiel in «in ſeltſames Chaos. CEundlich 
wurde das Beduͤrfniß, zu einer firengen Methode zurüd- 
zukehren, vege; und Hegel uͤbernahm dies Geſchaͤft, ohne 
anfänglich ein neues Syſtem aufſtellen zu wollen, fon: 
dern nur in bee Abſicht, der Lehre des Meiſters eine 
fefteue Form zu geben. 

Seine Logik, fagt ber Werichterftatter, begründet vor 
Allem feinen Ruben. Sie ift gleich bewunbernsmwirbig 
durch Eigenthuͤmlichkeit wie durch Tiefe, nie mar bie 
Bastheit (delicatesse) in der Analyfe, Die Feinheit im Un: 
terfcheiden, die dialektifche Kraft (vigeur) zu folder Voll⸗ 
tommenheit gedicehen. Es ift ein gewaltiger, ſtarkwuͤchſi⸗ 
ger Beift, der zuerſt, ohne Schwindel, von Abſtractionen 
za Abfkinctionen, bie ſchmalen Gipfel zu erfleigen ver: 
mochte, von welchen ber Blick fi hinabſenkt in oͤde 
Bor. Es bedurfte einer entbehrungsfähigen, andauern⸗ 
den Kraft, um in biefer Entaͤußerung aller finnlichen 


Anſchanungen leben zu können; fein Thun erſchreckt wie 
ne unbarmherzige Kaſtelung; der Berfland, der Hegel 


‚ m feine Logik folge, wird vom Geiſt in die Wuͤſte ge 
führt; er muß Allem entfagen, was Geſtalt und Umriß has, 


Allem, was won der äußeren Welt kommt, Allem, was nicht 


abgezogen und allgemein if. 


Hegel wußte wohl, daß es nicht genügt, die nothwen: 


digen Idem aufzuzaͤhlen, wie Kant gethan; er wollte im 
der Wiſſernſchaft nicht diefen empiriſchen Proceß befolgen, 
wollte unfeee Begriffe ſtreng nach den Foderungen des 
Gedankens ableiten. Aber womit hier beginnen? Offen 


Sar mit dem abſtracheſten Begriffe, mit dem, den alle 


andern vorausfagen, den man nicht willküͤrlich feken kann 


oder auch nicht, umd ohne den jeder Bedankte unmägi 
wäre. Dieſe legte Abſtraction aber, der allgemeinfie Ge: 


Dante, der unvermmibliche Begriff — es iſt ber bes Seine. 
fiber alle beſtimmten Exiſtenzen kann fich der Zweifel ex 
ſtrecken; das Sein an ſich kann er nicht lsugmen, wenn 
se nicht fich ſelbſt leugnen will. Aber dieſer Urbegriff, 
der mach allen möglichen Negationen uͤbrigbleibt, iſt das 


abſolut unbefimmte Sen. Nun gibt es aber nichts ab: 


font Unbeflimmtes. Folglich iſt das reine Sein dia 
Nichte. Der erſte Begriff, dem wir erringen, verwandelt 
6 in fein Gegentheil, ſohald wir ihn von jedem andren 
Heliten; er enthaͤlt die Nöchigung, fegleich binkbeyu: 
hen zum entgegengefegten Begriff. Das weine Sein läßt 
Eh für ih allein und ahne das Nichts nit deuten: 
Dan Nechts laͤßt ſich wur begreifen durchs Bein, und 
dech — dieſe halben unzertrennlichen Vegriffe, hie ainer 





den andern hervorsufen, fie widerſprechen ſich. Der Belt 
ann daher bei dieſem GBegenfage nicht flille fichen. Er 
kann fie nicht zufammendenten, und fol es doch thun: 
fo iſt er gezwungen einen böhern Begriff zu fuchen, der 
fie verfögnt. Diefer Begriff ift ie Spntheſe von Nichs 
und von Sen — das Werden. Was wie, das if zu 
gleich und iſt nicht, es hat gleichen Antheil am Nichts 
und am Sein. Diefe Syntheſe verbirgt ihrerfeite in fich 
einen Gegenſatz, der den Geiſt noͤthigt höher emporzuflels 
gen, bis geſtachelt, durch unaufhoͤrlich ſich neu erzeugende 
Entgegenfegungen, der Gedanke allgemady vom aͤrmſten 
Begriffe, durch ale Mitteibegriffe, fortfchreitet zum reich⸗ 
ften, der fie alle in ſich faßt und vereinigt, zum Abfolu= 
ten, in welchem allein er feine Rube findet. 
ſt ihm die Vernunft nicht ein Aggregat vom 
Begriffen, ſondern ein wunderbarer Organismus; der 
Gedanke circulirt unaufbörli in ihr. Kant hatte bie 
Anatomie ber Vernunft unternommen, Hegel bat ihre 
Phyſiologie geſchrieben; Kant hatte die Lifte der Begriffe 
verfaßt; Degel hat ihe Soſtem gegeben. 
In dieſem Syſtem findet fich eine Entbedung, was 


| eine Seltenheit in einem Syſteme iſt. Hegel's kLogik 


wird ſich dem menſchlichen Geil als Wahrheit aufbrin- 
gen und bie Runde durch die Welt marken, fo oft 
ec fi im Einzelnen getäufcht haben mag. Die Säge 
des Widerfpruche und der Identitaͤt find die beiden Prim 
cipien der alten Logik. Ihre Wahrheit iſt unbeflzeicher, 
aber ihre Guͤltigkeit erſtreckt fih nur auf bie Erfahrung 
und die Sinnenwelt. Das Peincip des Widerfpruche 
ſetzt contradictoriſche Beſtimmungen voraus, zwiſchen mei 
chen man gezwungen If zu wählen, man muß bie eine 
annehmen, die andere verwerfen. Aber zwei Beſtimmum 
gen, die fi ausſchließen, find mochwendig alle beide end⸗ 
lich, denn Seine begreift Alles in fih, der Gas des Wh 
derſpruchs gebt alfo nicht über das Gebiet des Endllichen 
hinaus. Run genügt aber das Endliche ſich nicht ſelbſt 
ed vermag nicht anders ſich zu faflen, und ſomit zu be 
greifen, al6 durchs Unendlihe. Die Wiſſenſchaft bes Ua 
endlichen. aber iſt die Metaphyfit. Der Sat des Wer 
fpruchs, dba ee aufs Unendliche keine Anwendung findet, 
kann bier nie guͤltig fein. Er verändert die Natur ber 
Begriffe, fobald er auf fie angewendet wird. Er fett fie 
contradictoriſch woraus, d. h. abſolut unvereinbar, umb 
pe find pri an contraire Beſtimmungen. Meit 
entfernt, ſich auszuſchließen, poſtullren fie ſich gegenfi 

(ils exigent mutnellement). Es iſt dergeſtalt Kunde 
lich, ‚einen Begriff zu ifolieen, daß, wenn man es wen 
fücht, en ſich ſogleich in jenes Gegentheil verwandett, vom 
welchem man ibn trennen wollte. Man ifolire das Ums 
endliche nom Endlichen, fo ſchließt alddann das Unendüche 
das Endliche wicht mehr in fihz das Endliche bleibt aus 
herhalb daſſelben; within iſt das Unendliche nicht mehe 
Aues, ed wmieb beſchraͤukt, es wird enbtich Images 
kehrt, iſolire man das Endliche vom Unendlichen, ſo wu 
ſich das Eudliche aus ſich ſelbſt begreifen laſſen; es 
muß ſach alſe genuͤgen; was ſich aber genuͤgt, iſt unde 

Gudliche zum Unendblichen. 





diogt: fefert wie das 


r 


VEbenſo werke, wie dee Satz des Vibdecſpruchte, ſindet 
der Gap der Sdentitit eine Anwendung auf dem Boden 
der Metaphyſik. Hier iſt er nicht mehr wahr; dem auf 
dem Gebiete der Vernunft und nah ihrem Grundgeſetz 
keitet fi das Gegencheil aus dem Gegentheil ab und 
wit mehr das Gieiche aus dem Bleiben. Das Gegen⸗ 
tbeil oder der Gegenfatz (contrerium) ift eine Mittelbe⸗ 
ſtimmung zwifchen Identität und Widerſpruch (contra- 
dietorium); «6 entzieht fi den beiden Axiomen der alten 
Logik und iſt ihrer Jurisdiction nicht unterworfen. 

Das Refaltat von alle diefem ift bedeutend. Die 
auf die alte Logik bafitten Philofophien tragen die Prin: 
dipien, die nur auf die Wiſſenſchaft des Endlichen paflen, 
über auf die Wiffenfchaft des Unendlihen. Dielen Grund» 
irrchum ıheilen fir alle miteinander: fie alle operizen mit 
der Analyfe und dem Syllogismus; aber die Analyſe loͤſt 
die Objecte auf, ifolirt die Beflimmungen, die fie unter: 
ſcheidet; der Spllogiemus leitet Gleiches aus Gleihem ab. 
Die Metaphyſik fchlägt die entgegengefegte Bahn ein, mit 
tels der Dialektik, welche, die Analyfe umkehrend, die 
Begriffe zu einer Kette windet, fie unterſcheidet, ohne fie 
zu trennen, und, den Sollogismus gleichfalls umkehrend, 
das Gegentheil aus dem Gegentheil ableitet. So ift He: 
get dee Entdecker des Logik des Unendlichen. 

UÜbrigens war er erclufiv wie alle Meformatoren. Die 
neue Logik wurde für ihn Allee. Er fah in ihr nicht 
blos die ewigen Formen, in welden fidy der Gedanke des 
Seins bewegt; er ſah darin das Sein felbft und verwech⸗ 
fette fo den Gedanken mit Bett. Die Phänomenologie 
bifdet den Eingang zu feinem Syſtem; fie ift der Weg, 
der zu diefem Grundirrthume führt, Die Logik, fagt er, 
die allein fich über alle Widerfprüche erhebt, gibt auch 
allein das Unendliche, das Sein, die Wahrheit — Gott. 
Gott, fofern er unendlich iſt, kann, nach Hegel, nicht pers 
föntich fein: diefe beiden Ideen (Begriffe) ſchließen fich 
aus; denn jede Perföntichkeit unterfcheider ſich von allen 
andern, und eben dadurch wird fie beſtimmt, begrengt, end» 
lich. Hier erhebt‘ fich eine doppelte Schwierigkeit. Das 
Unbeflinmmte, auf der einen Seite, eriftirt nicht; Gott, auf 
der andern Seite, ift die abfolute Vernunft, und die Ber: 
nunft ift nur in Wahrheit Vernunft, wenn fie Selbftbe- 
wußtfein bat. Dies Gelbfibewußtfein aber fept Pers 
fönligkeit voraus. Wie loͤſen fich dieſe Widerfprüche? 
Mur dann, wenn Gott fich verwirkticht, nicht in einer uns 
endlichen Form — benn das iſt ein Widerfinn —, fon: 
dern in der unmblichen Mannichfaltigkeit endkicher Kormen ; 
nicht in einer einzigen Perföntichkeit, fondern in einer ums 
santerbeochenen Hintereinanderfolge unzähfiger Perfonen: mit 
einem Worte — wenn fih Gott verwirkiicht in ber Nas 
iur und in der Menſchheit, und fi nur im ihnen vers 
wirflicht, und in nichts Anderm fein Sein Hat. 

So if die Entwidelung der Welt für Degel nichts 
Anderes als die Eutwidelung der abfoluten Vernunft ſeldſt. 
Micht im dem einzelnen Menfchen, ſendern in ber Menſch⸗ 
heit, nicht in einem Individunm, fondern in des Gattung 
effenbart fich die göttliche Vernunft als abfolute. Die 
Einzelweſen, nothwendig beſchraͤnkt, Finnen Bott nicht vers 


mwinflidken, und doch kaun er nur durch fie verwirklicht 
werden; daher verſchwinden fie nach einem Augenblicke 
von Dauer; der Tod fit für fie die Vernichtung. Die 
Menfchheit iſt's allein, die alle diefe Zerſtoͤrungen überlebt. 

Die abfolute Vernunft offenbart fi) in der dreifachen 
Geſtait dee Kunſt, der Religion und der Phitofophie. 
Dies find die drei großen Epochen in der Geſchichte Got⸗ 
tet. Das Abfolute offenbart fih in der Kunft, dur 
die Schönheit, in fichtbarer Geſtalt. Aber die abſolute 
Vernunft iſt Geiſt; die finnliche Offenbarung genuͤgt Ihr 
nicht. In der Religion erſcheint Gott als Geiſt; aber 
es iſt nicht die abfolute Vernunft, die fich felbft erkennt; 
es ift ein Menſch, ein fubjectiver Gedanke, der diefe Ver: 
nunft betrachtet und ſich von ihr unterfcheider; «8 ift im: 
mer noch nicht Gott, der fich ſelbſt ale Gott erkennt. 
Noch ein Schritt zum Ziel iſt zu thun; und gethan wird 
er in der Philoſophie. Im Geifte des Philoſophen, der 
ſich über alles Subjective bis zur abfoluten Vernunft ers 
bebt und fie mittels ihrer felbft denkt, gelangt diefe Ver: 
nunft (mit einem andern Worte Gott) zu ihrem Selbſt⸗ 
bewußtfein und ſchaut ſich endlich von Angefiht zu Ans 
gefiht. So ift die Phitofophie die hoͤchſte Verwirklichung 
Gottes, fein wahrer Advent in die Welt. Der Menſch⸗ 
beit bleibt nun nichts mehr übrig, als fi von der Kell: 
Yen zu emancipiren, fi nad der Philofophie zuzuſchnei⸗ 
den, alle Beifter Ihe zu unterwerfen, auf daß Gott immer 
mehr und mehr widerfirable aus den Klarheiten der In⸗ 
telligenz, ſich umgeftalte von Licht zu Licht und die ur: 
ſpruͤnglichen Dunkelheiten, die ihn noch umhüllen, immer 
mehr zerſtreue. 

(Der Beſchluß folgt.) 


Ein Tagebuch. Bon Therefe, Berfafferin der Briefe 
aus dem Eüden. Braunſchweig, Vieweg und Sohn. 
1842, 8, 1 Xhle. 15 Nor. “ 


„Wird eine Zeit der Vollendung kommen, wo der Kampf 
in der Welt verklungen ift und Gott fi ohne Schleier, im 
Stange feiner Sonnen zeigen wird?... Fortſchritt ber Menſch⸗ 
beit ? Als 0b nicht von Adam's Zeiten an immer berfelbe Kampf 
obgemwaltet, immer biefelben Schmerzensſeufzer die menſchliche 
Bruſt zerriffen hätten, als wenn nicht fort unb fort bdiefelben 
Leidenfchaften wütheten, daſſelbe aͤngſtliche Suchen nach bem 
Unfihtbaren vorherrfchend geweſen ware! Thorheit, Weisheit, 
Lüge und Wahrheit, göttliche Liebe und himmelfchreiender Un⸗ 
glaube haben ſich wie ein Wirbelwind begegnet und haben im⸗ 
mer daflelbe Refultat geliefert: Unterwerfung unter ben höchften 
Willen, oder Zerftörung des menſchlichen Gehirns. Wo wie 
das Unendliche im Geſchoͤpfe fuchen, ba verräthb uns bas Ge⸗ 
fhöpf; wo wir irdiſche Güter ben himmliſchen vorziehen, ba 
greift das Feuer um ſich und zerflört die Güter.’ 

Diefe herausgegriffene Stelle aus dem obengenannten Werke 
ſchmeckt nad einer Tendenz und ſcheint eine männliche Feder 
zu verrathen. So ſchlimm ift es mit dem Berausgreifen von 
Stellen aus Büchern! Wir würden uns in Beidem täufcen. 
So viel Männtiches in der Anfchauung, in ber Sprache, in ber 
Selbſtbeſcheidung, in der Zuruͤckhaltung von Dem, was eine 
weiblide — deutfche Feder felten vermeidet, den Grodffen ber 
Empfindung, fo viel Objectivität im Urtheil ift, To tft es doch 
eine Frau, bie Schreibt, aber mit einem männlich ausgebildeten 
Berſtande und, mehr noch als das, mit der auch bei Männern 


nidgt immer vorhandenen Kraft, ihr Befäpt, ihre Whantafle, 
ihre Ideenfluͤge zu sügeln und ba abzubrechen, wo Andere erfl 
angefangen ätten. Es fehlt uns Manches in biefem Tagebuche, 
was wir von einer Schriftflellerin hätten erwarten Können, aber 
es ift auch Vieles da, was uns überrafcht: Kenntniffe, große 
Belefenheit, Beweglichkeit und die Kunſt, uns im Irrthum zu 
erhatten, mit wem wir es zu thun haben in Mentor tritt 
zu Anfang auf. Einem ſolchen würbigen ältern Manne mag 
ein weibliches Welen, das ſich ihm mit Bewunderung bingibt, 
viel verbanfen. Aber dann fchreibt fie noch, und wenn bei bem 
Verbältnig keine Liebe gedacht werben Tann, fo it es Bewuß⸗ 
derung, Verehrungs ber Dann ift dann ihr Heiliger, ihre Aus 
torität, an beffen Ausſpruͤchen nur zu zweifeln zum Verbrechen 
wird. Hier aber Eehrt bie Schriftftellerin bald zur Selbſtaͤndig⸗ 
keit zuruͤck. Gigene Gefühle, eigene Anfichten treten heraus, es 
find eigene Beobachtungen; eine uns räthfelhafte Bildungsſchule 
eines weiblichen Gemuͤths, ein Weib, das ſich vielleicht Hätte 
emancipiren mögen, die Vorſtudien find da, aber der gluͤckliche 
Moment ift gelommen, wo fie wieder in bie Schranken ber 
Weiblichkeit zuruͤckkehrte, mit allen Erfahrungen und Studien, auf 
gem Wege gemacht, die nicht mehr vergeffen werden können. 


Der mitgetheilte Sag Tpricht deutlich eine Tendenz aus; aber 
iſt e& die des Buchs? Das ift ſchwer zu beantworten, weil es 
ſchwer ift, den Sinn beffelben aus der Moſaikarbeit herauszu⸗ 
lefen. Diefe gerade verräth bie weibliche Feder. Nicht daß li⸗ 
terarifche Arbeiten von Frauen immer Mofail bleiben müßten ; 
im Gegentheil, wo fie als Dichterinnen aus ber ihnen zugaͤng⸗ 
lihen Gemuͤthswelt auftreten, wo fie das ewige und ihnen fo 
‚natürliche Schema von Eiebe und Gntfagung behandeln, wird 
ihre Arbeit oft ein ſtroͤmender Fluß, deffen Mächtigleit uns mit 
fortreißt und vergeffen läßt, daß die Uferpartien ſchwach find 
und er felbft oft in unmalerifche Breite ſich verliert. Aber wo 
eine Frau biefe ihr natuͤrlichſte Aufgabe verläßt und über 
Welt, Menſchen, Zeitthemata raifonnirend auftritt, da barf man 
feinen rothen Faden, einen Wurf bes Genius erwarten, der, 
zum Lorberbaum werdend, von Anfang bi6 Ende den urfprüng» 
lichen Gedanken fefthalte und im Kleinen und Großen verkör: 
pere. Das iſt eine Aufgabe, die bei fo geftellten Bedingungen 
auch oft dem Schriftfteller ſchwer wird. 

Ein Tagebuch nennt die Verf. ihr Bud. Es mag aus ei: 
nem Tagebuche entfprungen fein, aber aus einem Tagebuche, 
deffen Blätter und ihr Inhalt der Beſitzerin nicht genügten. 
Es dehnt ſich aus, es macht Coolutionen nad allen Seiten. 
Zwar nicht in die Winkel und Schlüfte, die nur ein maͤnn⸗ 
licher Ruß, nach ber geltenden Sitte und ungeftraft, betreten 
darf, aber doch auch in folche Regionen, wo nur vorzugsmeife 
Männer mit Sicherheit auftreten. Lebensereigniffe, Charaktere 
werben mit ficherer Feder geſchildert; es reizt bie Schriftftelle: 
rin, aud viele der großen Beitfragen zu befpredyen, immer ge: 
ſchieht e8 mit Geſchick. Wenn fie vielleicht fühlt, für ihr Ges 
f&gtecht zu weit gegangen zu fein, wird ihre Takt fie fchnell den 
Rücdweg finden laffen. Sie hat weber bie Schicklichkeit noch 


die Anmuth dabei eingebüßt; zarte en werden bazmwifchen ges 


fponnen, wo etwa ein Gefühl durch ein zu ſcharfes Auftreten 
fi) verletzt fühlen könnte. So zeigt fi auch die Weiblichkeit 
in bee Verehrung der Natur: „D der fchönen Beit, da’ noch 
die ganze Natur göttlich, menſchlich war, dba ihr noch der Menſch 
das Opfer feiner Verehrung darbrachte unb ihm aus jeber 
Quelle, aus jedem Baume Empfindung und Liebe entgegenlds 
chelte! Zest gehft du einfam zu der Verlaffenen bin und trauerſt 
um fies aber wenn bein Sinn fromm unb zart an ihr Herz 
fi wirft und fig ihre Hingeben möchte mit vollem Vertrauen, 
dann kehrt ihre Jugend und ihre Schönheit wieder.“ 


Frauen fehen ſchaͤrfer die Eleinen Gebrechen, die Schwach⸗ 
peiten des Individuums, dennoch find fie zur Satire nicht ges 
oren. Auch die Satire will urfprüngliche Dichterkraft, bie ges 


falten kann. Bine Satire, bie nur negiet, ik blos eine halbe. 
Die Berf. führt uns einen mobernen Theeabend vor. Welche 
reiche Studien der Schwachheiten unferer focialen Bildung wer: 
den bier aufgeführt, weiche fein eindringenbe pſychologiſche We: 
obachtungskraft; aber es find nur aneinander gereihte Perlen, 
die Bilder und Geſtalten verwachſen nicht ineinander, gefdyweige 
denn, daß fie aus einer Wurzel, einer ſchoͤnferiſchen Anfchauung 
entftanden wären. Wir freuen uns ber einzelnen meifterbaften 
Portraits, ber Gruppen in ben Winkeln, dort einer Figur im 
Fauteuil, bort zweier Gonverfirenden auf dem Ganape. Aber 
es ift der Verf. nicht gelungen, uns eine Xotalanfdyauung ber 
Salons, die fie in ihren Einzelheiten befchreibt, zu liefern. Ge 
ift aud) der Dialog. Es find Neben, wie ber Cinzelne an eis 
nem foldgen Theeabend, mutatis mutandis, fie en haben 
kann; aber die vielen wirklichen Reben bilden no fein wirk 
liches Gefpräh. Auch fie find anelnander gereibt; wenn ber 
Eine abgeſprochen hat, fängt ber Andere an. Darunter viel 
Seiftreiches,, viel ſcharf eindringende Bemerkungen, ein buntes 
Tableau ber Anfhauungen unferer Gefellfchaftsbilbung über bie 
Modeliteratur. Wen hört man lieber über die berühmten Da⸗ 
menfchriftftellerinnen urtheiten, eine Gräfin Hahn⸗Hahn, eine Ver: 
fafferin des „Godwie-Caſtle““, eine Frebderike Bremer, als wie: 
ber eine geiftreiche Dame, wenn fie audy ihre varlicten Anſchau⸗ 
ungen verfchiedenen Wännern in ben Mund legt? 

Wenn nody ein Zweifel über das Geflecht der Verf. obs 
walten tönnte, fo wird er zum bündigften durd die eingeflreuten 
Novellen befeitigt, oder vielmehr fie find nicht eingeftreut, The⸗ 
reſens „Tagebuch“ Läuft in Rovellen aus. Das Weib findet 
fi) wieder in ihrer eigenen Sphäre zurecht und wohl. In dem 
Auspug, in bee Malerei der Decorationen und ber Stimmungen 
ift die Dame unverfennbar. Aber zugleih wirb bie Tendenz, 
weile, fo lange das Buch nur ein Tagebuch war, nur im 
Schein von Irrlichtern umherſpukte, deutlicher. Es iſt das ge 
wöhnliche Eiebes und GSntfagungsthema, mögen Ginige fagen. 
Nein, es ift mehr. Es ift in eine höhere Zeitfphäre überfegt. 
Es find nicht bloße in Schwärmerei und Gefühleweichheit ver: 
fhwimmende Geſtalten, die fich mit Zihränen in das Unvermeibs 
liche fügen und dem Sammer einen Mantel von Edelmuth 
umbängen. Es find Frauen, bie aus ihrer natürlidden Sphäre 
binausgingen, die, nur in minber klaren Kämpfen, ben großen 
Kampf Aller mitrangen, und bie Keffeln, die uns Alle druͤcken, 
fprengen wollten, aber für ihre beißen, dunkeln Sefühle und 
Wallungen flatt der Wahrheit einen Schein fanden und kalte 
Derzen, Hohn, Spott, Blafirtheit ftatt verwandten Sturm unb 
Drang und darüber verbiuten, ober überwinden. Die Verf. 
predigt nicht, und das ift gut, fie lehrt, indem fie bier lebendige 
Geftalten und Verhaͤltniſſe vorführt, und das ift noch beſſer. 
Sie glaubt an die wahre Liebe unb ihre Entfagenden entfagen 
mit Bemußtfein. 

Mit Vergnügen hören wir, daß Thereſens „Zagebuh” ſich 
7 Publicum ſchon viele Freunde und Freundinnen erworben 

t. 


Literariſche Notiz. 


Eine Deputation dee Geographiſchen Geſellſchaft, 
an ihrer Spitze ber Handelsminifler, wurde zu ber Ehre zugelaſſen, 
dem Könige der Franzoſen bie beiden legten Bände ihres „Recueil 
de me&moires’' zu überreichen, wovon ber eine mehre Borabas 
larien afrifanifcher Sprachen, Berichte von Reifenden aus dem 
Mittelatter und von ben Herren Gaquebert, Montbret und 
b’Avezac angeftellte Unterfuchungen, ber andere Edriſis Erd⸗ 
befchreibung in ber Überfegung des ‚Deren Jaubert enthält. Der 
König druͤckte der Deputation bie Theilnahme, welche er an den 
Arbeiten der Geſellſchaft und den Portfchritten der geographi⸗ 
Then Wiffenfchaften naͤhme, aufs lebhafteſte aus. 18. 


Verantwortlicher ‚Herausgeber ı Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. 4. Brodhaus in Leipzig. 


Blätter — 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Zreitag, — N. 83 — 24. Mir; 1843. 


Die dermalige Kriſe der Philofophie in Deutſchland. 
L Degen. 

(Beſchluß aus Rx. 82) 

Dieſer unperfönliche Bott, der fih nur im Weltgan⸗ 
zen verwirklicht, belagert heutzutage den Gedanken Deutſch⸗ 
lands. Betrachten wir ihm näher, um Ihn beffer fennen 
zu lernen — fährt der Verf. fort — und beſſer zu ber 
greifen, waß zu ſeiner Zuruͤckweiſung auffodert. 

Der Pantheismus verweigert Gott die Perſoͤnlichkeit, 
um in ihm die Unendlichkeit zu retten. Was gewinnt er 
dabei? Gott kann alsdann ſich nur in der Endlichkeit 
verwirklichen, aber dieſe reicht zu jener Verwirklichung 
nicht aus Mag das Unendliche das Endliche noch fo 
fehr vervielfälttgen, e6 immer vollkommener hervorbringen, 
das Endliche bleibt datum doch nicht weniger unfaͤhig, 
Jenes zu enthalten, das Weltall wird ber Idee Gottes 
doch nie adäquat fein: dee Widerfpruch iſt unldsbar. Die 
Mannichfaltigkeit der endlichen Dinge iſt nie wahrhaft 
unendilh; alle Häufung und Vergrößerung ber Begriffe 
führt nur zum Unbeflimmten, aber nicht zum Unendlichen. 
Bett ale unendlih ift alfo nie verwirklicht. So opfert 
der Pantheismus die Perföntichkeit Gottes vergebens; er 
koͤſt die Schwierigkeit nicht und fchafft taufend andere, Die 
alle aus dem eben gerügten Widerſpruch entfpringen. 
Wenn Gott nur in der Welt zur Eriftenz kommt, 
fo wird ferner alles Übel der Welt zu tragiſchen Aben⸗ 
teuern des göttlihen Lebens. Der ganze Kampf des 
menfchlichen Lebens, Schmerz, Furcht, getäufchte Hoffnung 
und zulest der Tod iſt niche nur unfer Geſchick, fondern 
Gottes: denn Gott ſetzt frin Leben aus allen unfern Le, 
Yenstäufen zufammen und vereinigt in dem feinigen alle 
unfere Leiden. Das Seufzen der Creatur ift nichts Ande⸗ 
es als Sottes Stimme Es iſt wahr, dad Chriſtenthum 
predigt auch einen leidenden Gott; aber feine Leiden tom: 
men von unferm freien Kalle und nicht von. ihm felber; 
er kennt fie nur durch Mitleiden, und «6 gelingt ihm, ih⸗ 
nen ein Ziel zu fegen. Im Panthefsmus aber haben 
Diefe Leiden Gott zum Urheber, und noch dazu ohne 
Zweck; eingekerkert in die Endlichkeit, wird er nie den 
Traum der Unendlichkeit, ber ihn peinigt, verwirklichen. 
Pie wird Hegel's Bott den Durſt nach fi ſelber loͤſchen. 
Nicht das Weltall wird geabelt, [ordern Sort wird degradimt. 





Das Soſtem fcheine uns mit Gott zu beraufchen, 
ihn an alte Dinge zu verſchwenden; in Wahrheit aber 
verbergen ihn die Dinge ebenfo wol, als fie ihn offenba= 
ven; fie find nicht fein Antlis, fondern feine Maske. Die 
Welt it leer von ibm felber und nur voll von feinen 
Phantomen. | 
Und was fprechen wir überhaupt von Gott. Er ifl 
nicht in dieſem Syſtem, fein Sein ift nur ein Werben. 
Allem Werden aber muß eine Permanenz au Grunde lies 
gen. Unter dem Mannichfaltigen, Worubergehenden muß 
ein Unbeweglihes, ein Ewiges ruhen. Das Endliche 
faun dies nicht fein, das wechfeft in unaufhoͤrlich; das 
Unendlihe im Endlihen auch nicht, das iſt in unauf 
hoͤrlicher Umgefialtung begriffen. So ift das Einzige, 
was fubfiflire, ohne fih zu verandern, das Unendliche 
als ſolches. Dies aber ik im Spitem keine Wirklichs 
£eit, es iſt eine leere Abfteaction, ein Nichte. Dies if 
ba6 ‚traurige Geheimnif, das. wir endlich entdeden. Dies 
die Trauer, die die Melt unter all ihren glänzenden 
Außenfeiten zu verbergen fi abmüht. Aus dem Nichts 
geht Alles hervor, in den Abgrund des Nichts ſtuͤrzt Al: 
les; feine fheußlihe Nacht huͤllt Alles ein. Dies ganze 
Syſtem, in all feinem priefterlihen Schmud, mit aller 
Salbung feiner Worte ift, beim Lichte befehen, nichts ale 
ein Atheismus vol Emphafe. 

Die fittlihen Sonfequenzen biefes Syſtems find leicht 
zu sichen. Gott, wenn er überhaupt etwas wäre, waͤre 
aur ein umerbittlihes Verhaͤngniß, graufam vor Allem 
gegen ſich felber. Bei bdiefem Fatalismus kann es feine 
Freiheit mehr geben, fein Gutes und kein Böfes; mit 
der Apotheofe der Menfchheit find alle Leidenfchaften ale 
göttliche Kräfte geheiligt. 

Nach diefer Darftellung drüdt der Verf. (und bieram, 
außer dem Idiom, faft allein erkennt man den Sranzofen) 
feine Verwunderung nicht darüber aus, daß den Deut: 
ſchen fein unperfönlicher und abfiracter Genius, feine Zaͤrt⸗ 
tichkeit gegen die Natur, fein Inſtinct fürs Unendliche 
diefee Weltanfhauung zugetrieben, daß „in den Wäldern 
Schwabens und bes Harzes, wie in ben Dainen Indiens, 
mehr ale ein Schwärmer fich in die geheime Nacht vers 
tieft hat, feinen Bott zu ſuchen“; fondern darüber, baf 
das Syſtem fogar „einen Einfall nah Frankreich“ ges 
macht, und es werben berfelben Weltanfiht die humani⸗ 


er 0. 5 


taicen Träume Beranger’s, der Kall der keuſchen Mufe 
Lamartine's, und die „Lelia“ der George Sand Schuld 
gegeben. 

Dann fährt der Verf. im loͤblichen Zone nüchterner 
Betrachtung wieder fort: Wenn ein Ircchum dem Aus—⸗ 
dund dee Gelſter foffele.und ſich unter die Maſſe derbreis 
tet, fo verbirgt er ficherlich irgend eine große Mahrbeit, 
. deren Zeit gefommen iſt. Wir können hinfort unmoͤglich 
mehr an einen Gott glauben, der gettennt von ber Welt 
und durch fie dornirt iſt, wir können in der Geſqichte 
nicht mehr eine pur menſchliche Begebenheit, dem Eigen⸗ 
finn indivfduellerr Willendanſtoͤße preisgegeben, ohne Geſetz 
mb Bermumft, erblicken. Wir koͤnnen mit einem Wort 
dem endlichen Gotte und der gottentbehrenden Welt des 
Deismus nicht mehr Raum geben. Die Menſchheit hat 
es begriffen, daß fie goͤtttichen Ueſprungs iſt; daß Gott 
tebt und ſich in ihr offenbaren will. Zu gleicher Beit, als 
6 Altes dem nämfichen Ziele zuftcebte, zeigt und der ort: 
ſchritt dee MWiffenfchaften überall in der Natur Leben und 
Vernunft; das heißt abermals Gott. Nun iſt es vorbei 
mit dem Deismus; wir haben binfort daß tiefe Bewußt⸗ 
fein der Immanenz Gottes. Nun war aber bie Idee des 
perſoͤnlichen Gottes bisher immer mit Deismus vermengt. 
Es mar alſo natuͤrlich, daß man im erſten Cifer der 
Reaction nichts mehr von Ihm wiſſen wollte, daß mar ſich in 
die entgegengefehte Übertreibung warf. Aber wir können 
in ihe ums nicht beruhigen; wir ſuchen einen perfönlidyen, 
von der Welt ſich unterfcpeidenden Gort, wie ber des 
Deismus; aber er foll zugleich univerfell und Immanent 
fein wie der des Pantheismus. Diefe Umgeſtaltung der 
Keen von Bott, der Welt und ihrem Verhaͤltniſſe zus 
einander regt alle Kragen der Wiffenfhaft auf: fie iſt die 
Kriſe, weiche den Geiſt in Europa heutzutage bewegt und 
beunruhigt. 

Was noch weiter in dem Aufſatze folgt, iſt der Dar⸗ 
ſtellung des orthodoxen UÜberwurfs geroidmet, den ſich die 
Hegel'ſche Philoſophie als Theologie umwarf, und den 
ihr Strauß, deſſen Redlichkeit deswegen gelobt wird, ab⸗ 
gezogen hat; ferner verbreitet ſich dieſe erſte Abtheilung 
über dieſen Theologen ſelbſt, dann Über die „Halliſchen“ und 
„Deutfchen Jahrbücher”, und ſchließt mit einer Schilderung 
von Bruno Bauer und Feuerbach. Damit glaubt r die 
Entwickelung ber Hegel’fchen Schule gezeichnet zu haben. 

„Der Meifter hielt durch feine Vorſicht den gelehrten 
Jerthum in Schranken. Strauß leugnete Chriftus, Him⸗ 
mei und Unfterblichkeit. Die „Deutſchen Jahrbuͤcher“ ſtri⸗ 
chen den Namen Bott aus, der nach alle dem nur ein 
laͤſtiger Überflug ſchien. Auf jedem Schritte dieſes trau⸗ 
rigen Weges begegnen wir einer neun Ruine; am Ende 
iſt uns nichts uͤbriggeblieben als eden das Nichte. Diefe 
Kritik iſt nicht die meinige; die Geſchichte ſelbſt hat «6 
äbernommen, das Urtheil zu fällen.‘ *) 44, 





2) Ein 


zweiter Artikel über Schelling folgt im nächften 
Monat. , D. Red. 


Unterbaltungsliteratur. 


1. Zu fpät. Eine Skizze aus der gegenwärtigen Zeit. Aus 
dem Hollaͤndiſchen. Berlin, Worin. sa. Gr. 8. 1 Zir. 
Es findet ſich in biefem Buche nicht die bunte Mannich⸗ 
faitigkeit Spindter’s, wicht die markirte Zeichnung wie bei Bin 
menbagen, nit das ausgefponnene Raifonnement wie bei Tiech 
nicht das Echömpeitöbetait wie bei Elauren, micht bie lieben 
würbige Redfeligkeit wie bei Lafontaine — und doch iſt die Ges 
ſchichte gut erzählt und das Ganze intereffant gehalten, Alles 
einfach, natuͤrlich, kunſtlos. Dan finder hier die gewoͤhnlichen 
Motive der Novelle, sin Ball, eine Unpaͤßlichkeit, eine Babes 
reife, ein Spaziergang, ein Feldzug und eine Schlacht im Pins 
tergrunde; aber aus biefen gemöhnlicdyen Greigniffen iſt ein 
fo teicht vermebtes Ganze geworden, daß wir uns wirklich ges 
fefjeit fühlen. Wenn die Verf. in bem Vorworte fagt, fie 
wolle gern der Frauen Würde heller ins Licht fegen, fo ift ihr 
das wirklich gelungen. In einge Seit, wo bie Mobefchriftfte 
fih’8 zum Aufgabe machen, die vaffinictefte Bosheit und Gr 
lichkeit zu glorificiven, wo die Millften und tiefften Myſterien in 
Erzählungen profanirt und ſchamlos der Hülle beraubt werben, 
wo das leichtfertige Raifonnement Über die hoͤchſten und heilt 
ken Intereſſen des Lebens für pilant gilt und mobern heißt — 
da ift es wirklich ebenfo erfreuend als wohlthuend, ein Buch zu 
finden, welches an diefer falfchen Größe und an biefem falfchen 
Ruhme nit im entfernteften Theil hat. Wollte man hieraus 


ofolgern, die Verf. fei mit dem Leben und unferer Gegenwart 


wenig belannt, fo wird man vom Gegentheil überzeugt, wenn 
man die Perfon des Militairarztes, eines Mannes nad) moder⸗ 
nem Schnitt, genauer betrachtet; des meint zum Exempel, bie 
Treue der Frau fei ein Opfer, das ale ihre Liebens wuͤrdigkeit 
vernichtet, ſodaß fie dann einem gefangenen Vogel gleiche, der 
dad Singen verlemt und, um fidy beißend, befländig gegen den 
Käfig fliegt. Die Verf. bat wirklich die verichiebenften Chancen 
bes menſchlichen Lebens und Derzens durchdacht und durchlebe 
und weiß ihre Gedanken in eine recht fließende Form zu gießen. 
&o fagt fie einmal ebenfo wahr als ſchoͤn, ber Schmerz muͤſſe 
wol ein Bamitienzug des menſchlichen Geſchiechts fein, denn 
Viele, bie ſich zuvor nie ale Brüder oder Schweſtern erfennen 
wollten, umarmen ſich im Leibe. So fagt fie ein» 
mal von ber Freude, daß viele Menſchen foberten, bie Zreube 
folle auf fie nieberregnen wie ein Strom; die irdifche Gtüds 
feligkeit fliege aber nur tropfenweife und darum genießen Bidle 
nichts, weit fie Alles genießen wollen. 218 echte Menſchenken⸗ 
nerin fpricht fie über die Manier mancher Maͤnner, ben Frauen 
burch Unterwerfung gefallen zu wollen; die hochfahrendſte Frau — 
und dem ift gewiß fo — koͤnno nur dem Manne ihre wahre 
Liebe fchenken, der vermögend wäre, ihren troßigen Geiſt, m 
Vernunft freiih, feinem noch feftern Willen gu umterwirfen. 
Wie volllommen recht hat die Verf., wenn fie von der Eitel⸗ 
teit fagt: „Wer weiß nicht, wie weit fi der Ginfluß biefer 
Grundſchwaͤche verſteckt; fie verkleidet fih in alle Geflalten, 
mifcht ſich in alle Gedanken, drängt ſich in jede Handlung; 
aber ihre Art tft verſchieden in beiden Gefchlechtern 
Grad tauſendfach. Mer fie ganz zu überwinden vermoͤchte, ber 
wäre der wahrhaft Weife, der wahrhaft Gute, der. wahrhaft 
omme.“. 
u Somit glaubt Ref. hinlaͤnglich bewieſen zu haben, daB dies 
Buch nad Form und Inhalt ein durchaus vortrefflidges fet. 
Solche Producte möge man immer aus ber Fremde holen, wenn 
die Heimat mfähig iſt, fie hervorgubringen. Gomwie man wei 
von manchen Stomanen fügt: ia märe ne le donnera gas & ie 
fille, fo darf man von diefem Buche mit vollem Rechte fagen: 
La mere le donnera à la fille. 


2, Memoiren eines Edelmanns. Bon 8. Schubar. Zwei 
Theile. Berlin, Heymann. 1843, /Gr. 12. 2Ahir. 10 Rgr. 
Sn Nr. 362 d. Bl. f. 1842 Fündigte Ref. ein Buch von dem⸗ 
felben Verf. an, nämtich „Memoiren eines Berurtheilten”', welches 
satfernt an „Les dermiens joars Yun sendmand" von Mister 


Ingo: erinnert. Daß vorliegende Werkchen beweiſt, daß ber 
Bırf. im Fortſchritt begriffen iſt. Er hat wirklich Geſchick, mit 
ein paar Bihgen und ichen Eharaktere und Gitustionen zu 
zeichnen, und feine Arbeit hat den Vorzug großer Leichtigkeit; 
iadeß im zweiten Theile feheint dieſe Leichtigkeit zur tigkeit 
zu werden, fo loder wird das Gewebe und die Verbindung. 
Ob diefen Memoiren eine bürgerliche Perſoͤnlichkeit zur Folie 
dient, oder ob der Verf. nur dieſe Form waͤhlte, können wir 
nicht entfcheiden; aber ein tiefer pſychologiſcher Halt ift in dem 
Ganzen nichts es ift mehr Einzeines aneinander gereiht, denn 
daß Eins aus dem Anden entwidelt wäre. Die Geſchichte 
fpielt geoßentbeils in England und bie Form erinnert an bie 
Manier englifher Autoren, obwol dem Werkchen durchaus bie 
pꝓſychologiſche Ziefe und das Gemuͤth Bulwer’s fehlt. Vielleicht 
wird der Verf. in feinem naͤchſten, Schon angekündigten Buche 
weniger das Aufiere des Lebens als bas Innere zum Gegen: 
Jande feiner Darftellung machen, das heißt, er wird vielleicht 
mehr Leben als Begebenheiten geben. Damit würde ex zugleich 
aus ber Sphäre ber bloßen Unterhaltungsſchriftſtellerei heraus: 
treten. . 
3. Der nme Abrecht Dürer, ober Leben, Thaten und Aben: 
- teuer eimes Künftters. Komiſche Biographie von Irenaeus 
Zubieute. Manheim, Schwan und Big. 1842. 8, 


Nr. 

Dee Verf. bat fi, wie ex felbft angibt, im komiſchen Ro: 
man, oder vielmehr ir der komiſchen Biographie, verſucht. Es 
bericht wirklich sine zroße Unklarheit und Verwirrung der Bes 
griffe von { und humoriſtiſchem Roman und von Sa⸗ 
tire. Der Cutminationspunkt des Komifchen Liegt jedenfalls im 
geiftreihen Scherz; das Komiſche bringt die verfeblte Idee in 


heiterer Form zur Anſchauung, ohne Hinweiſung auf ober ohne | 
über das Verfehten. Daher kommt es, daß der nies | 


Kenerion 
dere Sinn ſich nur am Scherz freut; der höhere ahnet bie tie⸗ 
fere Bedeutung. Dad Kennzeihen des Humoriftiichen ift, daß 
das tiefe Gefühl über bie nicht erreichte Idee darin hervortritt, 
freilich nicht als reiner Schmerz, fondern als ein gemifchtes 
Gefühl, als ſchmerzliches Lächeln eigentlich. So find Dean 
Paul's Romane humoriftifche, gleichwie die Sterne's; in beiden 
finden komiſche Figuren und komiſche Situationen. Das 
eigentlid]‘ Humoriftifche liegt von ber Satire weit abs aber das 
Komiſche fixeift an die Satire, ober wird als Satire hingenom⸗ 
men, fobald das Perfonal fi in Zeitideen bewegt, Beitinterefs 
fen zu den feinigen macht, mit einem Worte der Gegenwart 
angehört; Tieck's phantaſtiſche Maͤrchen find atfo keine Satiren. 
Zn diefer Rädfiht iſt die vorliegende Biographie keineswegs 
ein komiſches, fonbern ein zein fatirifches Wert. Die Komil 
würde eine reichere Erfindung fodern; die Komik verlangt fere 
ner eine leichtere Bewegung, eine mannichfaltigere Gruppirung, 
eine ſchaͤrfere Individnaliſirung, eine geiftretchere Sprache, einen 
fets fertigen Wit; das find aber Erfoperniffe, die in einem 
Individuum felten zu einer fo fihönen Vereinigung zuſammen⸗ 
fimmen, daß ein wirklich gebiegenes Wert zu Tage Tommt. 
Der Berf. Bed vortiegenden bat einen Anlauf zwe Gatire ge 
nommen. Gatirifche Werke ſcheinen mic vor allen jeht zeit 
gemäß zu fein. Es liegt wirklich ein reinigendes Efement barin 
u ein erfriſchendes Den, der bie Stagnation in ben ver; 
ſchledenen Partien des Leben umſichgreifen fiebt. Wenn bat 
ein Deeanimm ſolch eine Legion von Menſchen geſehen, die ſich 
für große Dichter — politifche Lieberbichter, dramatiſche Dich⸗ 
ser, was weiß ich fonft Alles —, für große Redner, ‚Beiden, 
Patrioten, Künftler und dergleichen hielten, ohne weder bas 
Mine ober Dad Andere gu fein. Mas fol man anfangen mit 
dem fich breit machenden Kunſtenthufiasmus, mit dem Hohl⸗ 
reifen in ben Stänbelammern, mit dem ſelbſt fabricitten Ruhm 
Ser fogenannten großen Männer, mit der Donquiroterie ber 
großen Theologen, Gtraußianer, Degelianer unb wie man fie 
zennen fol — uifficlle est satiram non seribere, das heißt: 
Das Gatirenfchreiben laſſe wer's kann, fagt Goras. Das vor⸗ 
Vegende Beine Buch kommt mir por wie bie Gchrift eines 





und Sohn. 18. 8 Nor. 


Mannes aus dem Publicum, welcher ſich wehrt gegen alt bie 
falſche Groͤßte, bie mon ihm auffchwaten will, ber lange ftig 
dazu war, der aber endlich einmal Iosfchlägt. * 

Der Berf. war in Gefahr, die Zeichnung der Hauptperſon 
bes Malers Adrcht Dürer, fo zu outriren, daß es ein Inbis 
viduum fürs Rarrenhaus, nicht aber für die menfchliche Geſen⸗ 
ſchaft geworben wäre; aber je weiter die Begebenheiten verlaus 
fen, um befto wahrer tritt Duͤrer's Perfönlichleit heraus. Eine 
ſehr gelungene Figur iſt namentlich ber Dichter, ber, wenn er 
in epiſcher Stimmung ift, in Hexametern, wenn er in ibpifb 
fher Stimmung ift, in Jamben ſpricht und keinen Tag Ruhe 


hat, bis eig Gedicht zur Weit befoͤrdert if, wie ein gute® Huhn 


tögiih ein Gi legt. Die Proben diefer Dichtkunſt müßten wol 
etwas pifanter fein. Cine andere gut gezeichnete Figur iſt bar 
Bürgermeifter von Stinkewit, welcher zum ſtaͤndiſchen Depus 
tirten exwaͤhlt wird und fi mit Hülfe eines Redacteurs und 
eines Malers in öffentlichen Blättern felbft verherrlicht; die 
Apoftrophen an den Deputirten, der noch über O'Connell geſetzt 
wird, find recht ergöglich. Als vorzuͤglich gelungen bezeichnen 
wir die Gcenen aus der Stänbenerfammlung, wo über die Am 
lage von Gifenbahnen bebattirt wird; wir vermuthen, daß der 
Berfaffer an diefer Stelle Portraits gibt. Hieran reiht fi die 
Berufung des Profeſſors Großvogel ( Strauß) zum Pfarramte, 
eines Mannes, ber, wie ber Verf. fagt, durch fein Buch das 
morſche Band ber chriſtlichen Kirche erſchuͤttert hat und wid, 
daß die Welt an ber Milch ber Vernunft fi groß und frei 
fauge, dee die Dummheit für die einzige Günbe bie zur 
Verdammniß führt erkidrt, der flatt der Bibel feine Dogmarif 
einführt und fagt, man möge ſich nur ſchnell ein Cremplar 
kaufen, da der Buchhändler melbe, die Auflage fange ſchon an 
vergriffen zu werden. Daß der Berf. der Gegenwart wie ein 
Tebendiger angehört, fieht man, wenn er fagt: „„Da leb' Einer 
einmal in dem Himmel der Kunft, wenn bie Flamme aus ber 
Sorgenbölle der Erde labernd heraufſchlaͤgt. Auch zur Bidte 
der Kunſt gehört ein goldenes Zeitalter, wenigftens ein filbernes.‘ 
Dber ein ander Mal fagt er: „Deutfchland iſt der Bater, der feir 
nen Kindern, und zwar ben vorzüglichften, flatt des Brotes 
einen Stein bietet, und auch ben erſt, wenn- fie tobt find. 
Nun fie dahin find, kümmert ſich alle Welt um fie und thut, 
als wolle fie den Segen und ben Ruhmesglanz besahlen, der 
ſich von jenen über Alle bin ergoß. Statt des Brotes einen 
Gtein, das ift die Loſung, und darauf thut man ſich noch viel 
zu gut.“ 29. 





Bibliographie. 


Ainsworth, WB. H., Die Tochter des Geizigen. Gin 
Roman. Aus dem Englifchen überfegt von E. Sufemibi, Drii 
Bände. Leipzig, Kollmann. Gr. 16. 2 Thir. 71% Rgr. 

Anderfen, 9. C., Gines Dichters Bazar. Aus dem 
Dänifden von W. C. Ehriſtiani. Zwei Bände. Leipzig, 
Kumme. 8. 2 hir. 

Beiträge zur Geſchichte des Jahres 2813. Mon einem 


hoͤhern Offizier der preußifchen Armee. Ifter. Band. Be Hälfte. 
T 


Potsdam, Riegel. Ler.s8. 1 Shir. 10 Nor. 

Berliog, H., Die Kunft der Inftrumentirung. Aus dem 
Franzoͤſiſchen uͤberſegt von J. A. Eeibred. Leipzig, Breit⸗ 
kopf und Haͤrtel. Gr. 8. -15 Ser. 

BülowsGummerow, Preußen, feine Verfaffung, feine 


Werwaltung, fein Berhdimiß zu Deutſchland. Ber Theil. 
Jena, Frommann. Gr. 8. 1 hir. 15 War. 
Calinich, E. X. E., ein Wort zu dem Drehler'⸗ 


fen Worte über Beneke's Geeteniepre, mit einem Anhange. 
Dureben, Arnold. Er. 8. 58 Ngr. ’ 

Dramatifche ee des Auslanded. In gewaͤhlten 
Überfegungen. Ttes Bändchen: Moratin's ſaͤmmtliche dramatifche 
Berke. Aus dem Spaniſchen übertragen von A Schuma⸗ 
her. Uſtes Bändchen. (Die new Komödie) Win, Laute 


553 \ 


weig, Bierweg 


euer un Dabin! Bemtfäeten an ben dem Dagier 
ce \ p 6: ne D . gr. 

X Richter Ele Befchworner? ober: Geſchwornengerichte 
mit Muͤndlichkeit, Öffentlichkeit und Anktage. In Briefen von 
8% van? und ©. D. von Buttel. Dibenburg, Schulze. 


Die Frage von ber Kniebeugung ber Proteftanten von ber 
religidſen und flaatsredhtiichen Seite erwogen. Sendſchreiben 
3 einen Landtags⸗ Abgeordneten I. II. Münden, Palm. Gr. 8. 
| r. 
rnas, J., Liebe und Rache. in Novellenkranz. 
Leipzig, Kollmann. 8. 1Thlr. 15 Nor. 

Shrenberg, H., Texas und feine evolution. Leipzig, 
D. Wigand. Br. 8. 1 Thir. 15 Rgr. 

Engländer, H., Andachtsklaͤnge für Israels Söhne und 
Toͤchter. Wien. 8. Ay, Nor. \ 

Gelbblumen. Gine Sammlung chriftlicher Lieber. Ham⸗ 
burg, Pertbeds Beffer und Mauke. 8. 20 Nor. 

Flygare⸗Carlé n, Emilie, Der Kämmerer Laßmann 
als Junggefell und Ehemann. Aus bem Schwediſchen. Zwei 
Theile. Berlin, Morin. 2 Thlr. 10 Rgr. 

Gedenkbuch der am 14. October 1842 begangenen Saͤcu⸗ 
tarfelee der Reformation Helmſtedts. Helmſtedt, Fleckeiſen. 
&. 8. 22% Nor. 

Die wahrbaftige Geſchichte vom deutſchen Michel und ſei⸗ 
nen Schweflern. Nach bisher unbekannten Quellen bearbeitet 
und burd 6 Wilder von M. Diſteli erläutert. Zuͤrich, Kite: 
zarifches Comptoir. Gr. 8. 15 Nor. 

Ghdrres, G., Der härnen Siegfried und fein Kampf mit 
dem Drachen, eine altdeutfche Gage. Nebft einem Anhange 
über den Werft des germanifchen Heidenthbums und die Bebeus 
tung feiner Heldenſage für die Geſchichte. Mit 16 Original⸗ 
compofttionen von W. Kautbad. Scaffpaufen, Hurter. 4. 
1 Zhie. 15 Nor. 

— — Dos Weihnachtskripplein und Prinz Schreimund 
und Prinzeffin Sgweiggiua. Ein CEhriſttagbuͤchlein. Schaff⸗ 
hauſen, Hurter. Gr. 16. 10 Nor. 


Hagen, K., ragen der Zeit, vom hiſtoriſchen Stand» 
zuntk betrachtet. Iſter Band. Stuttgart, Brandt. 1 Thlr. 
A Rgr. 


Haltaus, R., Allgemeine Geſchichte vom Anfang hiftoris 
fher Kenntniß bis auf unfere Zeit. Fuͤr höhere Lehranftalten 
und Geſchichtsfreunde bearbeitet. Ater Band. Gefchicgte der 
neuern Beit. Reipzig, Feſt. Gr. 8. 1 Ihr. 10 Nor. 

Die hundertjährige Zubelfeier der Brübergemeinde zu Nisky 
den 8. und 9. Auguft 1842. Nisky. 8. 7%, Nor. 

Kind, F., Der Freiſchuͤt. Volksoper in drei Aufzuͤgen. 
Ausgabe lepter Hand mit Aug. Apel's Schattenriffe, 37 Dris 
ginaikriefen und einem Yacfimile von &. M. von Weber, einer 
biograpbifchen Novelle, Gedichten und andern Beilagen. Leip⸗ 
gig, Goͤſchen. Gr. 8. 1 hir. 

Kod, H. de, Bertha's Liebe. Aus dem Frauzoͤſiſchen 
von D. von Birkeneck. 2 Bände. Leipzig, Literariſches 
Mufum 8. 1 Thir. 15 Near. | 


Kuhn, &., Wärkiiche Sagen und Maͤrchen, nebfl einem - 


Anbange von Gebraͤuchen und Aberglauben. Berlin, Reimer. 
®r. 8. 1 hir. 22%, Nor. 

Lauvergue, H,, Die letzten Standen und der Tod 
in allen Classen der Gesellschaft, aus den Gesiehtspunkten 
der Humanität, der Physiologie und der Religion betrach- 


zwiſchen bem Beamten, dem 


tet. Prei nach dem Französischen b#arbeitet, 3 Bände. 
Leipzig, EB. Fleischer. 8. 3 Tur. 15 Ngr. 

Liebotdt, B. A., Hamburg von feinem Urſprunge bis 
zum Jahre 1843. Gin Gedenkbuch. Rebſt Pan von Dane 
durg mit Angabe der Branpfkätte und 16 Standanflchten. 
berg, Winter. Gr. 4. 1 Zhle. 

Mery, Heva. Indiſche Erzählung. Ins Deutfche über 
Ieet von Emitie Wille Leipzig, Kolmann. 8. 1 Zhlr. 


gr 

Milde, A., Die St.⸗Paulus⸗Kirche in om. Gin Aädı 
blick aus ler ———— precu net 8. TY, Rar. 

un unftl. Ste Au .  Yamburg, 
Hoffmann und Gampe. 8. 1 Zhlr. * 

Pfaff, K., Verſuch einer Seſchichte des gelchrten Unten 
richtsweſens in Wuͤrtemberg in ditern Zeiten. Um, Wagner. 
1842. Gr. 8. 15 . 

Navenflein, A, Die Turnkunſt in ihrer fitttichen Ride 
tung, als Befoͤrderin edler -Sefinnungen und vaterländifcger Zu« 
genden. Grwachfenen Zurnern 'ais ein freundlicher Wegweiſer 
zu ihrer Selbſtveredlung, Behörden, Scyulmännern und Freun⸗ 
ben ber Zurnkunft aber als ein Beitrag zur Würbigung der 
moraliſchen Bebeutung biefes Bilbungsmittel® gewidmet. Frank 
furt a. M., Jäger. 1842. 16. 3%, oo. 

Zwei Reden über die Erhebung der niebern Volkeclaſſen 
Frei nad ben Vorträgen bed Hrn. Channing, gehalten im 
Jahr 1840 in ber Halle des Arbeitervereins zu Foſton in Horde 
amerita. Zürich, Literarifches Somptoir. Gr. 8, 9%, Near. 

Politiſches Rundgemälde, oder Beine Ghronil des Jahres 
1842. Für Lefer aus allen Stänben, welche auf die GEreigniffe 
ber Zeit achten. Leipzig, Feſt. Gr. 12. 121, Nor. 

Sand, G., Horaz. Aus dem Pranzöftichen von W. ®. 
Weiche. Zwei Theile. Leipzig, Kollmann. 8. 3 Chir. 7, 

ab Beieg. Cine Sikeriflr drjäfuung incl Kjele, Biete 
u eg. ine Hiftorifche lun wei 
Kollmann. 8. 2 Thlr. 15 a i 

Schelling's Dffenbarungsphilofophie und bie von ihen bes 
kaͤmpfte Religionsphilofophie Hegel’s und ber Junghegelianer. 
Drei Briefe. Berlin, Springer. Gr. 8. 7%, Rar. 

Selbſtbiographie des HufarensÖberften von .... pP ober: 
meine militairifche Laufbahn im Dienfte Friedrich's Sinzis 
gen. Aus deflen Hinterlaffenen Papieren berausgegeben. Zwei 
Theile. Leipzig, Kollmann. 8. 2 TIhlr. 15 Nor. 

Stöber, A., Gefchichte der ſchoͤnen Literatur der Deut 
fen. Ein Abriß zum Gebraud in Gymnaſien und hohen Bär 
gerſchulen. Strasburg, Schuler. Er. 8. 1Thir. 

Über einen Haupttheil des Gefaͤngnißweſens, aus Prinet: 
FL G. von Rennenlampff. Oldenburg, Grhuige. 

. , Agr. 

Über Vermögen und Cicherheit des Beſiges. Gelpraͤche 
eiheren und bem Kaufmann. 
Stuttgart, Cotta. Gr. 8. 2 Ihlr. 7% Rgr. 
Hamburgisches Urkundenbuch. Herausgegeben vom Job. 
Mart. Lappenberg. \ster Band. Mit einer Karte und au- 
dern Lithographien. Hamburg, Pertbes-Besser und Mauke 
1842. Gr. 4. 17 Thlr. 

Volkhardt, © H., Das Friedensſchwert Poetifdge 
Novelle in zehn Gefängen. Bamberg, Schmidt. 8. 1 Xhlr. 

Balſh, Graf T., Vierzehn Tage in Rom, oder Graf 
de la Ferronnays und M. X. Ratisbonne. Aus dem Brand 
ſchen überfept und mit einem Vorworte verfehen von E. Vogt. 
Tuͤbingen, Laupp. 8. 12%, Nor. 

Beil, A., Sittengemätde aus bem elſaͤßiſchen Volksleben 
Ropellen. Stuttgart, Franckh. 8. 2 Thlr. 

Werners, F. &., dramatifche Merle. Iftes bis AMtes 
Bändchen: Bünf Brautwerber um eine Braut. Luſtlpiel iq 
5 Acten. Warasdin 1842. Gr. 16. 1Thlr. 

Binter, Amalte, Memoiren einer Unvermaͤhlten. Leip⸗ 
zig, Kolmann. 8. 1 Zbhte. 7, Nore 


Berantwertliger Herausgeber: Heinrih Broddaus. — Drud und Berlag von $. X. Brockhaus in Eripzig. 


— — - — — — — — 





Blätter 


® für 


literarifbhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 


25. Mär; 1843. 





Über Phrenologie. 


Grundzüge der Phrenologie oder Anleitung zum Studium biefer 
Wiſſenſchaft. Dargeftellt in fünf Vorleſungen von R. R. 
Roel, Esq. Zwei Abtheilungen. Nebfl zehn Steindruck⸗ 
tafeln. Dresden, Arnold. 1841 —42. &r.8. 2 Ihr. 15 Nor. 


Wunderbar find oft die Schidfale mancher Menfchen: 
werte und Ideen! Gteih dem Samen mandyer Pflanzen 
fhlafen fie oft Jahrhunderte, ohne ihre Keimkraft zu 
verlieren, bis der günftige Augenbiid naht, der ihr laten⸗ 
te6 Leben wieder ins Dafein ruft. Freilich darf es am 
Leben felbft nicht fehlen, denn was todtgeboren ift oder 
bei der Geburt den Keim des Todes in fi trägt, kann 


auch beim waͤrmſten Sonnenſtrahl nicht mehr erwachen. 


Lange hatte gegen Ende des vorigen Jahrhunderts 
der geniale Gall die Idee ſeiner Schaͤdellehre mit ſich 
herumgetragen, lange menſchliche und thieriſche Gehirne 


zergliedert, Vergleichungen angeſtellt, Schaͤdel geſammelt, 


mit einem Worte, ſich in den Beſitz einer hinreichenden 
Summe von Erfahrungen geſetzt, bis er es wagte, mit 
feinem neuen Spfleme vor das größere Publicum zu tre⸗ 
tn. Sa, indem er e6 that, beapfichtigte er dabei noch 
Die. größere Vervollkommnung befjelben, indem er zugleich 
Betig fortfammelte und die Grundfäge feines Syſtems 
wifienfchaftlich gebildeten Männern felbft zus Prüfung 
vor Augen legte; benn er begann fein Werk nicht mit 
fehriftlicher Veröffentlichung, fondern er bereifte die groͤßern 
Städte Europas, hielt Öffentliche Vortraͤge, beſprach fein 
Thema mit Männern vom Fache und entzog fich keines: 
wegs den Zweifeln und Einmwürfen, die ihm von diefen 
gemacht wurden. Eine folche muͤndliche Verbreitung wis 
fenfchaftlicher Segenflände von Drt zu Ort war damals 
eine ganz neue Erfindung, und obwol die Neuheit der 
Sache wol viel zum Gelingen beitragen mochte, fo würde 
ſich dech Gall bald in feinen Erwartungen getäufcht ge: 
ſehen haben, hätte ihr niche etwas Wahres zum Grunde 
gelegen. Das ganze Gebäude ber Schädellehre, wenn 
man ihm den wiſſenſchaftlichen Boden nimmt, bietet dem 
Hohn und der Satire fo viele ſchwache Selten dar, daß 
man den neuen Schäbelpropheten gewiß bald mit Zigeu: 
mern und Chiromanten in eine Claſſe gefegt und verlacht 
haben würde, hätte man in feiner Lehre nicht den tuͤch⸗ 
tigen Keim erkannt. Statt Verhöhnung wurde ihm allent⸗ 
halbben die ausgezeichneifie Aufnahme zu Theil. Man 


achtete in ihm den wiffenfchaftlich = gebildeten , geiſtreichen 
Mann, insbefondere den guten Anatomen und ſcharfſichti⸗ 
gen Naturforfher und hielt es keineswegs unter feiner 
Würde, feiner neuen Lehre die regſte Theilnahme zuzus 
wenden. Zwar fehlte e6 damals, wie jest, bei dem Auf: 
tauchen einer neuen Erſcheinung aud nicht an dem mitz 
laufenden Troß ſolcher Menfchen, die fich der Sache ale 
ein gerade zur Mode gehörendes Spielwerk bemädhtigten, 
an jungen Herrchen, die fi als Kenner und Birtuofen 
in Beraftung der Köpfe ausgaben, an Frauen und Maͤd⸗ 
hen, die fi gerne die Köpfe betaften ließen oder zum 
Schein einen nah Gall bezifferten Schädel in ihrem Zim⸗ 
mer aufitelten; für ſolche Herabwuͤrdigung zum Spiel: 
were wurde aber Gall wieder hinreichend entſchaͤdigt durch 
den Beifall ausgezeichneter Ärzte und Naturforſcher, un: 
ter denen namentlih Reit, Dufeland, v. Walther, Bi: 
(hoff u, U. ihre Theilnahme an ber neuen Lehre öffent: 
lich ausfprachen. 

Indeſſen war man in Deutfchland im Allgemeinen noch 
weit davon entfernt, die Wahrheit des Gall'ſchen Syſtems 
allenthalden anzuerkennen, vielmehr erhoben fi) dagegen 
mancherlei Einwendungen vom anatomifchen, phyfiologifchen, 
philoſophiſchen, moralifhen Standpunkte und der Stims 
men dagegen waren vielleicht mehr als dafür. Wie jest, fo 
wurde auch ſchon damals den Gegnern vorgeworfen, daß 
einem Spfteme, das feine Baſis in der Erfahrung habe, 
rein theoretifche Einmwürfe und Gegengründe nichts ans 
haben könnten und daß man, um Gall zu beftteiten, ſich 
mit Ihm auf gleihen Boden begeben und Natur und 
Beobachtung zu Hülfe nehmen müfje, eine Foderung, 
weicher freilih nur Wenige genügen konnten und mochs 
ten; denn wie ſchwer es iſt, bier zu einer nur einigers 
maßen genügenden Kenntniß zu gelangen und ſich dazu 
die Mittel und die Gelegenheit zu verfchaffen, läßt ſich 
leicht ermeſſen. Die meilten Gegner befchränkten ſich 
Daher darauf, dent Syſteme entweder nur theoretifche 
Gründe entgegenzufegen oder aus ihrer beſchraͤnkten Er⸗ 
fahrung nur einzelne damit in Widerſpruch ftehende Fälle 
und Erſcheinungen aufjuflellen, die für ſich allein das 
Ganze niche umzuſtuͤrzen vermochten und deren Beweis⸗ 
kraft man ſchon dadurch Leiche entkräften konnte, daß 
man zugab, das Syſtem habe allerdings im Einzelnen 
noch Lüden, über die Eyiftenz mancher Organe am Schaͤ⸗ 


" 334 
. 


dei walteten namentlich noch Zweifel ob u. f. w., damit 
fei aber feine Wahrheit. im Allgemeinen noch keinesſswegs 
gefaͤhrdet. | 

So fand ungefähr die Sache, als Gall fein Vater: 


fand für Immer verließ und, nachden er Frankreich und 


England in Begleitung feines Schülers Spurzheim durch⸗ 
reift und in beiden Ländern fait noch größere Theilnahme 
für feine Lehre erregt hatte als in Deutfchland, fid in 
Paris niederließ. War ed, daß ihn feine Aufnahme in 
den vorzuͤglichſten Städten Deutſchlands nicht befriebigte, 
oder wollte ec erſt ſich einer größern Anzahl von Stim: 
men für oder gegen feine Lehre bei verfchiebenen Natio⸗ 
nen verfihen — er fchien bis jegt von alten Einen: 
dungen, die ihm in Deutfchland dagegen gemadt worden 
waren, feine Notiz genommen zu haben, ja, er fchrieb 
von nun an keine Zeile mehr in deutfcher Sprache. Erſt 
in Ftankreich fing er an, die gegen fein Syſtem gemach⸗ 
ten Einmwürfe möglihft zu entkraͤften, es felbft aber in 
einem größeren. Werke vouftändig darzuftellen. Hatte er 
aber früher feine Landsleute ignorirt, fo ignorirten dieſe 
nun ihn; denn obwol jenes Werk ind Deutfche Üübertra: 
gen worden mar, fo blieb doch, mit Ausnahme von we⸗ 
nigen Anatomen und Phufiologen, das größere Publicum, 
das ſich früher fo lebhaft für die Sache intereffirt hatte, 
fehe kalt dabei. Alles Reden, Schreiben und Streiten 
darüber hatte ein Ende, die alten Anbeter und Anbete: 
einnen hatten fich verlaufen, die bezifferten Köpfe wander⸗ 
ten in die Zrödlerboutiqguen und ihre Formen als Dün: 
ger auf die Felder, die ſchoͤnſten Köpfe zum Studium 
und zur Betätigung der Organeniehre gingen unbefehen 
und unbetaftet vorüber und die mit dem Mord: oder 
Diebsorgane Begabten konnten ſich ungefheut wieder 
in den erflen Gefelfchaften fehen Iaflen, ohne daß nur 
ein Bli auf fie gefallen wäre; ja, felbft die Maͤnner 
vom Fache, die fih früher als eifrige Anhänger und 
Vertheidiger der Sache aufgervorfen hatten, fprahen — 
auch nicht ein ſtummes Wort mehr darüber. Und fo 
blieb die Sache in Vergeffenheit bis auf den heutigen Tag. 

Ein günftigeres Geſtirn ſchien über die neue Lehre 
in $tanfreich und England zu walten, wozu ohne Zwei⸗ 
fel die perfönliche Gegenwart Gall’d und Epurzheim’s und 
ihre länger fortgefegten mündlichen Vorträge nicht wenig 
beitragen mochten. Zwar fing aucd da der allgemeine 
Enthuſiasmus, mit dem fie anfangs aufgenommen worden 
war, allmälig zu erkalten an und das Spiel, was damit 
in Salons und kleinern Familiencirkeln getrieben worden 
mar, erreichte, wie dies gewoͤhnlich zu geſchehen pflegt, 
wenn fich die faſhionable Welt eines vwiffenfchafttichen Ge: 
genftandes zur Kurzweil bemächtigt, bald fein Ende; das 
gegen aber hielten im beiden Ländern einzelne Naturfor⸗ 
fer, Ärzte u. A. an der Sache feſt und fuchten fie auch 
nad) Gall's und Spurzheim’s Tode noch weiter fortzubil: 
ben. Sowol in Paris ale in London find ihr Viele noch 
mit großer Anhänglichleit zugetban, und befonders iſt «6 
bie an fegterm Drte fich bildende Phrenologiſche Gefells 
ſchaft, die fie nicht allein vor einem frühen Untergang 
bewahrt, ſondern auch Ihe Anfehen im Allgemeinen febr 


bekräftigt bat. Ein, guter Kern muß in der Sache lies 
gen, fonft würde fie weder ihren Begründer fo lange 
überlebt, noch ein Aſyl in Rändern gefunden haben, wo 
die Raturforfcher gewohnt find, mit prüfendem Blide 
das Wahre yon dena Falſchen zu unterfiheiden und gegen 


deutſche Beifteserzeugniffe cher zu viel als zu wenig mid 


traͤuiſch zu fein. 

Nahdem nun Gall's Schädellehre in Deutfchland 
ihe Bürgerrecht faft verloren gehabt hatte und unter bie 
abgethbanen. Dinge verwiefen worden war, wurde ihre 
Wiedergeburt zuerſt wieder von einem engliſchen Arzte, 
Namens GCombe eingeleitet, der im verfloffenen Sommer 
darkber Bortefungen in Heidelberg hielt, die, Öffentlichen 
Blättern zufolge, nicht allein von angefehenen Ärzten 
und Naturforfchern diefer Univerfitätöflade beſucht, ſon⸗ 
den auh mit Beifall aufgenommen wurden. Ein 
gleicher Beifall wurde den Borlefungen zu Theil, bie 
Hr. Noel zu Anfang dieſes Jahres zu Prag über ben: 
felben Gegenftand hielt und bier unter obigem Titel 
veröffentlicht. Ob auch er ber britifchen Nation ans 
gehört oder ein Deutfcher ift, wiffen wir nice. Wie 
müffen das Erſtere aus dem Zuſatz: Esq. Hinter ſei⸗ 
nem Namen ſchließen, und doch iſt er mit unſerer Sprache 
und unſern Zuſtaͤnden ſo vertraut, daß er fuͤglich auch 
als Deutſcher gelten koͤnnte. Iſt er das Erſtere, ſo iſt 
es jedenfalls eine ſeltene Erſcheinung, daß Englaͤnder eine 
Sache, die urſpruͤnglich deutſcher Abkunft, in ihrem Bas 
terlande ſaſt undankbar vernachlaͤffigt und in Vergeſſen⸗ 
heit gekommen iſt, wleder bei uns einführen und zu Ehe 
ven bringen müflen. Wir würden uns dieſer Erſchei⸗ 
nung zu fchämen haben, wenn fie nicht zum Theil iu 
ber Schwierigkeit, die mit dem Studium und der Korts 
bildung der Gall'ſchen Lehre verbunden ift, zum Theil 
aber auch darin, begränder wäre, daß bdeutfche Raturfors 
ſcher ihre Unzulänglichkeit und ihre ſchwachen Seiten fehs 
her und beffer erfannt und fich daher nie zu einer Über⸗ 
ſchaͤtzung derfelben, wie fie ihr von einigen Franzofen umb 
Engländern zu Theil geworden, haben hinreißen laffem. 
Deshalb ſteht es aud noch fehe in Frage, ob es jenen 
Männern des Auslandes gelingen werde, für fie bei dem 
wiffenfhaftlihen Theil des deutfchen Publicums die Aufs 
merkſamkeit und Theilnahme wieder zu gewinnen, bie ihr 
in früheren Zeiten geſchenkt worden if. 

(Die Bortfegung folgt.) 


Forfhungen und Erläuterungen über Hauptpunkte ber 
Geſchichte bes Siebenjährigen Krieges. Nach archivall⸗ 
[hen Quellen von P. F. Stuhr. Zwei Thelle. 
Hamburg, Perthes. 1842. Sr. 8. 4 Thlr. LO Ngr. 

Man denke fidy einmal die ehrenfeften Geſchichtſchreiber 

Deutfchlands aus dem vorigen Jahrhunderte, ‚einen Adhenwall, 

Zoze, Buͤſch, M. I. Schmidt, Batterer, Dohm, wie fie mit ſtu⸗ 

ler Sehnſucht vor den vergitterten Archivfchränten ſtanden, vie 

unter fieben Siegeln verſchloſſenen Schaͤtze gar zu gern geöffnst 
hätten und es als ein hohes Gluͤck betrachteten, wenn bem Eis 
nen ober dem Anbern eine einzelne Urkunde Au Benuguntg ges 
flattet ward. Wie ganz anders ift es jeht. Denn in fremden 
tote in dentſchen Laͤndern find die Archive den Forſchern geoͤffact 


— — — ·— — — — 


— — — — 


und die jetzigen Hiſtoriker, fin Sqhloſſer, Stengel, Raumer, Voigt, 
Preuß, Ranle, Pert, Wait u. A. haben Reues und Wichtiges 
im großen Überfluffe entdeckt, manche falfche Anficht berichtigt 
und alte Irrthümer zerſtͤrt. Daher bringt es jetzt in Deutfch- 
fand faft mehr Ruhm, eine undekannte Thatſache durch die Ar: 
beit einiger Tage an das Piche zu ziehen, ats ein burch jahres 
tanges Studium gevonnenes Refultat bekannt zu machen, wenn 
alle darauf verwandte Mühe ſich nur auf Gedrucktes gründet, 
gleihwie gewiffe Philologen nur ben codex meus wollen gelten 
Ioffen. Aber mit Recht fagte Ranke, dem in ſolchen Dingen 
eine befandere Stimme gebührt (.‚Diftorifdys politifcye Zeitfchrift”, 
H, 666), daß, fo Löblih auch das Beſtreben unferer Zeit fei, 
unbelannten Stoff berbeizufhaffen und neue Actenftüde aufzu⸗ 
fuchen, doc) damit gar nicht zu Ende zu kommen ſei, wenn 
nicht der ſammelnden Ihätigkeit auch cine ausfondernde, der ans 
nehmenden eine verwerfende zur Geite ſtehe. 

Eine fotche umfangreiche Sammlung aus noch unbenugten 
Quellen liegt jet vor und. Br. Stube ift in Paris gemefen 
And hat durch die Güte und Freifinnigkeit des Generals Pelet 
und der Vorſteher des Reichsarchivs ſowie der Bibliothek auf 
dern Arfenale eine beträchtliche Anzahl von Handſchriften zur 
Geſchichte des Siebenjährigen Kriegs einfeben können, auch durdy 
Mignet aus dem Archive des Miniſteriums der auswärtigen An: 
gelegenheiten, jedoch nidyt ohne fichtbares Widerfireben, Manches 
von bedeutender Wichtigkeit mitgetheilt erhalten. Fruͤher (im 
J. 1834) hatte ſchon Schloffer die parifer Archive benugt und 
wichtige Entdeckungen aus denfelben in paffender Weife in den 
beiden Bänden feiner „Geſchichte des 18. Jahrhunderts” an pafs 
fenden Stellen angeführt. Aus dem faſt unüberfehlichen Reich: 
thume an Stoff, deffen völlige Ausbeutung nah Hrn. Stuhr's 
Berfiherung die Arbeit mehrer Jahre erfobert hätte, hat ber: 
fetbe vorzugsweile aus den Handfchriften im Reichsarchive den 
diplomatifhen Briefwechfel benugt, den Bonnac, franzoͤſiſcher 
Sefandter in Haag, von 1752 — 63 mit Rouillée und ben frans 
zöfifchen Gefandten Stainville In Rom, de la Touche in Bers 
lin, Ogier In Kopenhagen und Broglie in Dresben geführt hat; 
ferner aus den Ardiven de8 Kriegsminifteriums die Berichte 
des Grafen Montazet aus dem Öftreichifchen, bie der Oberflen 
Bietinghoff und Mesnager aus dem ruffifhen Dauptquartiere ; 
endlich aus den Archiven des Minifteriums ber auswärtigen Ans 
gelegenheiten die Berichte des Grafen Broglie, außerdem noch 
andere, bie bier nicht alle namhaft gemacht werden koͤnnen. 
Diefe Berichte, Privatfchreiben und militairifchen Correfpondens 
zen hat nun Hr. Stuhr nit in eine Gefchichte des Siebenjäh: 
tigen Kriege mit Herbeiziehung des Thon anderweitig Bekann⸗ 
ten verarbeiten wollm. ine ſolche Gefchichte jet Thon zu 
Tdyreiben, hält er unmoͤglich. Dazu würde die ungehemmte Bes 
nugung preußifcher, ruſſiſcher und anderer Archive nothwendig 
fein, ferner die Privatcorrefpondenzen fürftticher Perfonen, mie 
fie fihy in Weimar, Gotha, Stuttgart, Deflau, Bernburg, in 
München, wohin aus Anſpach und Baireuth ein» Theil ber 
markgraͤflichen Archive geſchafft ift, und in Koblenz und Düffel: 
dorf aus den Archiven der Kurfürften von Trier, Koͤtn und von 
ber Pfalz finden werden: 

Hrn. Stuhr's Streben ift alfo dahin gegangen, Das, 
was in den Quellen gefunden war, auch der Form nadh, infos 
weit dies eine-gewiffe au beobachtende Kürze erlaubte, To aͤhn⸗ 
lich wie möglich wiederzugeben, bamit die urkundliche Farbe fo 
viel ats möglich erhalten werde. Bein Buch zerfällt hiernach 
in 33 Rubriken, bie meiſtens von der Veranlaffung zum Kriege, 
von der Geſtchichte der franzöfifchen, oͤſtreichiſchen und zuffifchen 
Armeen in den verſchiedenen Jahren des Kriege und von ben 
VBerbättniffen der Reichsfürften und der Reichsarmee handeln. 
In den Anmerkungen und in Iängern Beilagen find Dr 
Auszüge in der Originalſprache mit großer Genauigkeit in Na 
weifung der Actenftüde aus dem Archive des Kriegsminiſteriums 
(Mignet verweigerte biefe Erlaubniß) abgebrudt worben, um 
das Bedeutendere für bie Kritik noch Eräftiger zu erhärten. 
Keuere Schriften Aber die Seit des Gichenjährigen Kriegs find 


2 
—4 


hier und da angefuͤhrt worden, am meiſten bie von ben Offizier 
ren des preußifchen Generalſtabes bearbeitete Geſchichte, Schioſ⸗ 
fer wird öfters widerlegt, fonft ift aber manches Bekannte durch 
die franzöfifchen Berichte in ein helleres Kicht geftellt oder we⸗ 
nigſtens ficherer bewährt worden. 

Des Rruen und Unbelannten ift unftreitig bier ein reich⸗ 
liher Vorrath geboten worden, wofür Br. Stuhr Dank unb 
An.ctennung verdient. Wenn wir nun hinzufegen, daß wir 
trogdem fein Buch nicht ohne einige Ermübung durchgelefen has 
ben, fo liegt dies audy mit in den troftiofen Dingen, von denen 
biefe Berichte handeln. Denn Eigennut, Langfamkıit, Eifer⸗ 
fucht, Halbheit der Gefinnung und Mangel an gegenfeitigem 
Zutrauen veranlaffen die thätigen Männer zu den bitterften 
Kiagen in den eleganteften franzöfiigen Formen und man ers 
quickt ſich ordentlich an der gutbeutfchen Sefinnung der fo oft 
gefhmähten Keichsarmee, deren Offiziere und Gemeine nur mit 
Widerwillen die Waffen gegen Friedrich II. trugen. übrigent 
find es vier Punkte, die für unfern Zweck eine nähere Befpres 
Hung verdienen (der Gefchichtforfcher wirb natürlich alle einzel 
nen Urkunden genau beachten müllen), erftens bie Veranlaffung 
zum Kriege, zweitens bie franzoͤſiſche Diplomatie und Kriegfühs 
rung, drittens die fchlaffe Verbindung der Ruſſen und Öftreie 
cher und viertens die Nachrichten über die Reichgarmee und über 
die Reichs fuͤrſten während des Siebenjährigen Kriegs. 

Was den erften Punkt anbelangt, fo gilt derfelbe einer 
Widerlegung der von Hertzberg nach deine H. Tode aufges 
ftelten Behauptung, baß für den König im Jahre 1756 teine 


Nothwendigkeit zum Beginnen des Kriegs durch feinen Einfall 


in Sachſen obgewaltet babe. Mit Recht und Gluͤck hat Br. 
Stuhr nachgewiefen, daß der König fi wirklich in der Noth⸗ 
wenbigfeit befunden habe, und dies zwar aus den Anfihten und 
Urtheilen der Diplomaten damaliger Zeit, wie fie fich in ver« 
trautichem Briefwechſel ausſprechen. Die Hauptfäge feiner Bes 
weisführung find etwa folgende. Im 3. 1755 bereitete ſich 
eine völlige Umänberung im europäifchen &taatenfofteme vor, 
die Höfe ſchwankten und wankten überall in ihren Neigungen, 
zwifchen England und Frankreich Eonnte die frühere Freundſchaft 
nicht mehr beftehen, beide Mächte fuchten die Freundſchaft Frie⸗ 
drich’6 II. Die Ausfdhnung zwifchen Frankreich und Oftreich ab: 
nete man 1755 noch nicht, nur Gerüchte gingen um, an allen 
Höfen fanden biplomatifche Bewegungen ftatt, als fchon offener 
Seetrieg zwiſchen England und Frankreich war. Zwiſchen Eng: 
land und Preußen war am 16. San. 1756 ber Vertrag zu 
Weſtminſter abgefchloffen, um bie deutichen Grenzen gegen das 
Sindringen fremder und feindlicher Truppen zu fihern, body 
boffte man preußifchers wie franzöftfcherfeit® noch immer auf 
Erhaltung bes guten Bernehmens. Unterdeß hatte aber Kaus 
nie die Annäherung zwiſchen Frankreich und ſtreich bewirkt, 
die dem König Ludwig XV. perfönlich behagte, weniger feinen 
Diplomaten, durch Öftreih war das engere Verhältnig mit 
Rußland vermittelt, wo ber weltminfterfche Vertrag Iehe mis⸗ 
fiel. Auf die Nachricht vom Aöfchiuffe des verſailler Tractate 
rüftete Friedbrih; feine Antwort an den Grafen Valori ift bee 
kannt, daß, da von allen Seiten Ruͤſtungen gemacht würden, 
es ber Kiugheit gemäß fei, auf feiner Hut zu fein, um nicht 
überrafcht zu werden. &o warb Friedrich zum Einmarſche in 
Sachſen durch feine Gegner gezwungen. Wan hat gefagt, er 
fei im Irrthume befangen gewelen. Run ift allerdings au 
nicht in den neneften Zeiten ein Beweis für die Behauptung eis 
ner 1756 zwifchen Rußland und Öſtreich gefchloffenen überein⸗ 
funft zum Angriffe Preußens aufgefteltt worden, auch beruht 
die Anficht franzöftifher Diplomaten, Friedrich habe ſich durch 
England täufchen und zum Kriege bewegen laffen, auf keinem 
beftinnmten 3eugniffe, wogegen fogar, wenn man auch annimmt, 
daß das damalige engtifche Miniftertum einen Gontinentalkrieg 
wünfchen mußte, eine fichere Nachricht die Abrarhung des engs 
liſchen Cabinets nachweiſt — es bleibt alfo bie Vermuthung, 
daß Kaunitz es geweſen ſei, der auf irgend einem Wege Frie⸗ 
drich II. die falſche Nachricht von dem bevorſtehenden oͤſtrei⸗ 


chiſch⸗ ruſſiſchen Angriffe Habe zukommen laffen, um ihn aufzu⸗ 


bringen und zu unuͤberlegten Schritten zu reizen, immer bie- 


wabrfcheintichfie. WBeltlundig war aber, dab Kaunik in feinem 
verftochten Gigenfinn einen andern Plan verfolgte al& den des 
Sturzes der preußifhen Macht; in der diplomatiſchen Welt 
gingen bie fonderbarfien Gerüchte um, durch bie Friedrich bes 
wegt und aufgeregt werden mußte; wahrſcheinlich ift, daß Kau⸗ 
nie aud an bie Erneuerung der Madı ber Eatholifchen Kirche 
dachte, wie denn ber Krieg in den oͤſtreichiſchen Staaten auch 
von religidfer Seite aufgefaßt wurde, man jedoch es nicht war 
en burfte, bies öffenttich auszufprechen, weil bie proteftantis 
fen Reichsſtaͤnde und Rußland zu fehonen waren. Die Politik 
Großbritanniens hatte dagegen ſchon laͤngſt religiöfe Momente 
weit Öffentlicher in Bewegung gefest, fein Beftreben, Frankreich 
durch einen Land» und Seekrieg zugleich zu ſchwaͤchen und das 
Verhaͤltniß Preußens zu ſtreich in ten Verhaͤltniſſen zur Zus 
Zunft und Vergangenheit, „die fih in zwei Dauptrichtungen 
mannichfaltig burcheinander verfhlingend ſich gegenfeitig entzuͤn⸗ 
det hatten”, waren dir Urfachen bes @iebenjährigen Kriegs. Der 
@inmarfh der Preußen in Sachſen fleigerte die Erbitterun 
an ben Höfen zu Wien, Petersburg und Verſailles, namentlich 
an bem erſtern Orte. 

Die franzoͤſiſche Diplomatie und Kriegführung in biefer 
Zeit zeigt ganz befonbers bie obengenannten Eigenf&aften, man 
Tann bie Dentfchriften und Armeebefehle nidye ohne Berdruß 
und Langıweile lefen und wird ſich nur daran erfreuen, daß fie 
der glänzenden Thatkraft Friedrich's II. um fo beffer zur Folie 
dienen. Gleich im Anfange des Siebenjährigen Kriegs wuͤnſcht 
der Öftreichifhe Hof, daB Marſchall Ridyelieu gegen bie Elbe 
und gegen Magdeburg vorgeben fol, Belle Isle, ber in Ber: 
failed die Krlegsoperationen leitet, iſt damit einverftanden, aber 
Richelieu bewegt ſich nur fehr langſam, fchließt ſtatt raſchen 
Vorrüdens einen Neutralitaͤtsvertrag mit dem Herzoge von 
Cumberland und unterhandelt mit Mecklenburg, Heſſen und 
Braunfchweig. Ein ander Mat wird er angemwiefen, die Winter: 
quartiere bis Halberſtadt auszudehnen, er thut es aber nicht 
und läßt fig in die befannte Gorrefpondenz mit Friedrich II. 
ein, verfpricht feine Vermittelung zu Unterhandlungen mit ſei⸗ 
nem Hofe, verhält fi) durchaus unthätig und ftatt den ihm 
offenen Weg in die Marken und nad Berlin einzufdlagen, be: 
grün! er fih Gontributionen einzutreiben und immer neue 

chwierigkeiten zu erheben, bie ihn am Vorrüden und im fols 
genden Sabre an ber Unterftügung Soubiſe's hindern. Ja, er 
fließt am 17. Oct. 1757 eigenmädtig eine Gonvention mit 
dem Herzoge Ferdinand von Braunſchweig zu deſſen Vortheile, 
der man in Verſailles zwar die Genehmigung verfagt, jedoch 
ohne Zeichen bes Misfallens, ohne Bemerkung über die militai⸗ 
riſchen Gründe zur Rechtfertigung berfelben, fondern blos da die 
Politik es verböte, die Genehmigung zu ertheilen. Man weiß 
in der That nit, ob man mehr die Balbheit des verfailler 
Hofes oder die ſchmaͤhliche Kührung Richelieu's verdammen fol, 
gegen deflen Benehmen feine eigenen Offiziere fo laut wurden, 
daß Ludwig XV. ihnen verbot, Denkſchriften gegen den Herzog 
einzureichen, weil er allein zu befeblen habe. Nicht anders ging 
ed bei Soubiſe's Heere zu. Die Geſchichte feines Deerzuges in 
den Monaten vor der Schlacht bei Roßbach und nach derfslben 
iſt nichts als ein planlofes Hin⸗ und Herziehen, wo ſeine In: 
fructionen dahin lauten, nichts auf das Spiel zu fegen, nicht 
offenfiv zu verfahren, für bie Verpflegung zu forgen und gute 
Winterquartiere zu beziehen. Bei einer ſolchen Berantaflung 
konnte fogar Stainville, ber franzoͤſiſche Geſandte in Wien, an 
Soubiſe fehreiben, daß, wenn er überhaupt glaube, ben vom 
Kriegsminifter Yaulmy an ihm gelangten Befehlen geborchen 
i muͤſſen, ex doch mit der größtmöglichen Behutſamkeit vers 
ahren ſolle; auch möge er Sorge tragen, daß ber Glanz ber 
Politik des franzöfiichen Hofes nicht befleckt werbe, und zugleich 
dafür, daß alle uld auf den Prinzen von Sadıfen : Hilbburg: 
haufen falle. &o muß er denn biefe auch für den Verluſt der 


Squot bei Roßbah tragen, feine ungeböabigte Pike ſoll das 
Ungiäd herbeigeführt haben, wobei aber doch bie franzöfifchen 
Generale, deren Berichte in der Beilage mitgetheilt werben, fo 
gerecht find, die Raſchheit der Bewegungen bei der preußifchen 
Infanterie und die Kunſt in Wanoeupriren anzuerkennen, ihre 
Gavalerie dagegen beloben und meinen, baß fie es mit ber preu⸗ 
Bifchen wol aufnehmen würde, wenn fie ihr nur an Zahl gleich 
wäre. Aber aus biefen Berichten, bie überhaupt von Jutereſſe 
füe bie Anfichten und Urtheile der frangöfifchen Sberoffigiere 
find, geht auch hervor, daß zwiſchen den Beneralen und Gols 
daten Uneinigkeit herrfchte und daß weder die Infanterie ber 
Sranpofen noch ber Reicharmee Luft hatte, ſich mit den Preußen 
zu ſchlagen. Nicht anders wie im Heere Soubife's war es auch 
bei dem Deere unter Clermont's, Gontabes’ und Broglie's Yühs 
rung in den Jahren 1758— 60, benen Hr. Stuhr befonbere 
Abſchnitte im gjweiten Theile gewidmet hat, aus denen wir nas 
mentlih bie Nachrichten über die Schlacht bei Minden unb bie 
darauf folgenden Operationen hervorheben wollen. Derſelbe 
Mangel an Einheit, an confequenter Verfolgung ſtrategiſcher 
Zwecke, biefeibe ſcheinbare Abhängigkeit von Verfailles, wo Belle 
Isle doch noch aufrichtig genug ift, zu gefteben, er koͤnne von 
dort aus nicht Alles beurthrilen, und biefelbe Gigenmädhtigleit 
der Feldherren, die freilich auch durch die ſich oft wiberfprechenis 
den Befehle bes Kriegsminifters und bie aus bem Gabinet ber 
beigeführt werden mußte. Denn bald follen die Keldherren 
Schlachten liefern und die Ehre des franzoͤſiſchen Namens aufs 
recht erhalten (und doch zeigt ſich nirgend Verdruß über die 
Kiederlagen bei Roßbach und Krefeld), bald follen fie auf gufe 
Winterquartiere Bedacht nehmen und die Leute ſchonen; dadurch 
und durch die Unzufriedenheit und Zuträgerei wurden im Deere 
felbft Mishelligkeiten zwifdyen den Beneraten und dem Minifter 
erzeugt. „Malheureusement pour les affaires du roi”, fchreibt 
einmal Broglie, ein tüchtiger Mann, unter dem 4. Zuni 1760, 
‚Al y a dans les armdes plus de fausses plumees que de fran- 
ches €Epees.” Endlich tritt überall nur zu deutlich hervor, wie 
wenig aufrichtig es der frangöfifche Hof und fein Minifterium 

mit ben verbündeten Mächten meinte. Daß dem ganzen Kriege 

für Öftrei gegen Preupen die damalige Befinnung des Wolke 

widerfprady und daß der Kriegsminifter nach der Schlacht bei 

Zorndorf geftchen Tonnte, die Hälfte der parifer Bevoͤlkerung ſei 
für Friedrich IT. begeiftert, daß ferner der militairifche Geift 
der Nation fich gegen die Art und Weife, wie der Krieg ges 
führt wurde, empoͤren mußte, hätte allerdings für bie Regic- 
rung ein Zingerzeig fein können, aber ba biefelde nun einmal 
beim Kriege behärrte, fo mußte fie ihn in gutem Cinverftänds 
niffe mit den Werbändeten führen. Was foll man jedoch — 
um nur —e— — ſagen, wenn Montazet, der frans 
zoͤſiſche Militairgefandte, und Choifeut, der Botſchafter in Wien, 
fortwährend angewiefen werden, Oftreih von feinen Planen 
auf die Eroberung von Schleſien abzuziehen und zu verhindern, 
daß diefe Macht dafelbfl: feften Fuß faſſe. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifhe Notiz. 

Neuigkeiten ber englifchen Literatur: „The modern history and 
condition of Egypt; its climate, diseases, and capabilities; com- 
prising the proceedings of Mabommed Ali Pascha, from 18% 
to 1842, with illustrations of scripture, history, the fulfil- 
ment of prophecy, and the progress of civilization in the 
East, by W. Holt Yates”, zwei ſtarke Bände, mit zapl- 
reihen Illuſtrationen; „Narrative of a yacht voyage ia 
the Mediterranean, during the years 1840—41, by a Lady’, 
zwei Bände, mit zahlreichen Stichen; „Journey from Heraut 
to Khiva, Moscow, and St. Petersburgh, during the late 
russian Invasion of Khiva: with some account of the court 
of Khiva and the kingdom of Khaurism, by James Abbof, 
captain bengal artillery’’, zwei Bände, mit einer Karte. 18. 


Berantwortliher Deraudgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von J. 4. Brodbaus in Leipzig 


on. - 


I | Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 


Über Phrenologie. 
(Bortfegung aus Nr. 9 ) 

Was Noel's Schrift beerifft, fo hat fie das Verdienft, 
daß fie un® genau dem Standpunkt bezeichnet, den Gall's 
Lehre jegt nach manden Überarbeitungen und Verbeſſe⸗ 
rungen, wie fie folche befonder® durdy Spurzheim, Gombe, 
Bimont, Brouffai® u. X. erfahren, einnimmt; daß fie 
Alles, was zum Studium bderfelben erfoderlich ift, zweck⸗ 
mäßig zufammenftellt und, obwol mit großer Wärme fuͤr 
die Sache gefchrieben, doch auch mande Mängel und 
Unvoltltommenheiten derfelben nicht verſchweigt. So ge 
ſteht der Berf. gleich am Eingange der erften Vorleſung 
zu, daß zwar die Hauptgrundfäge des Gall'ſchen Syſtems 


wahr, aber einige Einzelheiten nicht richtig oder doch noch 


nicht bintänglidy durch die Erfahrung erwieſen feien. 

Als Grundlehren der Phrenoloyie werden folgende auf: 
geführt: 1) Das Gehirn ift das Drgan des Geiſtes, «6 
iſt bei jeder Äußerung geiftiger Thaͤtigkeit betheiligt, Die: 
felbe mag fich auf die Denkkraͤfte oder auf das Gefühl bezie: 
ben. 2) Das Gehlen wirkt nicht als ein einziges Organ, 
fondern ale eine Mehrheit von Organen, deren jedes zur Ber: 
mittelung eines individuellen geiftigen Vermoͤgens dient. 
3) Der Grad der Energie, mit welcher ein Vermoͤgen des 
Geiftes wirkt, oder die Kraft deſſelben fleht unter übrigens 
gleichen Umftänden in Verhaͤltniß zur Größe feines Organs. 
4) Durch forgfältige Beobachtung einer großen Anzahl von 
Fällen, in welchen ein befonderer Theil des Gehirns alle ans 
dere Theile deffelden verhältnißmäßig an Größe übertrifft, 
und durch Ermittelung der in demfelben Individuum in 
vorzuglihem Grade vorhandenen geiftigen Anlagen erhalten 
wie den Schläffel. zur Entdedung der Function eines jes 
den Organs des Gehirns, und es ift nur eine fehr zahl: 
reiche vorfichtige Wiederholung folder Beobachtungen noth: 
wendig, um jede Befürchtung von Irrthuͤmern bei der 
Annahme von Schlußfolgen, die daraus entfliehen, zu vers 
meiden. Eine fünfte Grundlehre, daß naͤmlich da6 Wachs: 
thum der Schädelnochen dem der Gehirnorgane parallel 
gebe, hat hier der Verf., mir wiffen nicht aus welchem 
Grunde, Übergangen, denn, obmwol diefes Punktes fpäter 
gedacht wird, fo gehoͤrt ex doch weſentlich hiecher, da, ohne 
daß er zuvor erwieſen ift, an eine Entdedung der Ges 
hirnorgane duch aͤußere Merkmale nicht zu denken fein 
würbe. 


EEE Kr. 85, — 


erheben laſſen. 


26. Maͤrz 1843. 


Fe —— [ͥ —— 


Der erſtere dieſer Saͤtze iſt durch phyſiologiſche For⸗ 
ſchungen ſo feſt begründet und allgemein angenommen, 
daß ſich dagegen wenigſtens keine triftigen Einwendungen 
Dagegen iſt der Satz, daß das Gehirn 
als eine Mehrheit von Organen wirke, deren jedes zur 
Vermittelung eines individuellen geiſtigen Vermoͤgens dient, 
noch manchen Zweifeln unterworfen, die durch die Beweiſe 
des Verf. keineswegs alle beſeitigt werden koͤnnen. Es 
iſt noch gar nicht erwieſen, daß jene Vermögen der Seele 
für fich beftehende find und nicht vielmehr nur Arten der 
Wirkung einer und derfelben Kraft. Überhaupt kann das 
Seelenleben nicht aus materiellen Veränderungen des Gehirns 
erklärt werden, ebenfo wenig als die Lebenskraft, welche den 
Blutumlauf regiert, aus dem mechanifchen Bau des Herzens 
und der Gefäße, obgleich wir zugeben müffen, daß bie Intes 
grität des Gehirns zum normalen Vonftattengehen ber intel 
fectuellen Berrichtungen erfoderlich ift. Wollten wir aber auch 
zugeben, daß befondere Richtungen der Seelenkraͤfte In befons 
dern Richtungen des Gehirns wirken, was allerdings nicht ganz 
abzuleugnen ift, fo find wir doch noch weit davon entfernt, 
die Stellen im Gehirne bezeichnen zu Bönnen, nach welchen 
fie erfolgen. Die Gall'ſchen Drgane find immer nur am 
Schädel, nie im Gehirne felbft nachgewieſen worden. und 
laſſen fih da nicht nachweiſen. Verſchiedene Thierarten, 
die mit verſchiedenen Kraͤften, Eigenſchaften, Neigungen 
u. ſ. w. begabt ſind, zeigen durchaus keine Verſchleden⸗ 
heiten in den Hirntheilen; ebenſo wenig Thiere derſelben 
Art; ja, ſelbſt bei Menſchen von verſchiedenen Geiſtesga⸗ 
ben und Neigungen hat, unſers Wiſſens, kein Anatom 
bis jetzt ſolche Verſchiedenheiten entdeckt, es ſei denn in 
der Groͤße und Maſſe des Gehirns oder in der Zahl ſei⸗ 
ner Windungen, und ſelbſt wo letzteres der Fall war, lie⸗ 
fen ſich keine Schluͤſſe auf das Daſein oder Fehlen ges 
wiſſer geiſtigen Kraͤfte und Gemuͤthseigenſchaften ziehen. 
Haͤtte ferner jedes beſondere geiſtige Vermoͤgen, jede Nei⸗ 
gung ihre beſondere Provinz im Gehien, fo würde mit 
Verlegung oder Zerilörung der Iegtern auch die erftere 
verloren gehen müflen, was aber durch die Erfahrung kei⸗ 
neswegs beflätist wird. Sowol die höhern als die nies 
dern intellectuellen Fähigkeiten, Denken, Borftellen, Phan⸗ 
tafte, Erinnern u. f. w., koͤnnen an jeder Stelle der Ges 
birmoberfläche durch Verletzung beeinträchtigt werden. Man 
bat aud) oft genug gefehen, daß die verfchledenen helle 





der Hemifphären die Thaͤtigkeit der andern bei den intels 
lectuellen Functionen unterftügen innen. Ebenſo wenig 
bat man bei Menfchen, bei denen die Entfernung zerſtoͤr⸗ 
ter Partien der Oberfläche des Gehirns durch Kunft nö: 
thig war, eine Anderung in den moralifhen und intellecs 
suellen Eigenfchaften wahrgenommen. 

Alſo nachgewiefen innen die Organe im Gehirn 
fetbft niht werden, man fchließt fie nur aus der Form 
des Schädel, in das jenes Organ eingefchloffen if. Man 
fegt hierbei voraus, daß ſich die Form der Knochen nad 
den Formen des Gehirns richte. Aber geht man auch 
nit darin zu weit? Immerhin mag man annehmen, 
daß die Knochen keine flarren, ſtabilen Gebilde, fondern, 
wie andere Drgane, in fteter Umbildung begriffen find, 
aber ihre Zerfegung und Erneuerung kann ja Gefegen fol: 
gen, die ganz unabhängig von denen find, welche die Ent⸗ 
widelung des Gehirns bedingen, abgefehen davon, daß 
auch die am Schädel liegenden Muskeln, wie dies fo häufig 
an andern Stellen des Körpers der Fall iſt, auf die Bils 
dung der unter ihnen Liegenden Knochen von einigem, 
wenn auch nur geringem Einfluß find. 

Menden wir uns nun zur fpeciellen Bezeichnung. der 
befondern Organe am Schädel, fo fällt auch bier das 
Schwanfende und Unbeflimmte ſattſam in das Auge. 
Manches ift Hier feit Gall von den neuern Phrenologen 
abgeändert und hinzugeſetzt worden, ohne daß jebody da: 
durch die ganze Lehre wefentlich gefördert oder felter be: 
gruͤndet worden wäre. So wurde früher das Gehirn in 
drei Regionen abgetheilt, nämlih 1) in die Organe, bie 
auf der mittleren Baſis und ben feitlihen bintern Theilen 
des Gehirns Liegen, mit Einſchluß des ganzen Cerebellum, 
weiche fämmtlich die Äußerung der Vermögen oder Triebe 
bedingen, die zur Erhaltung des Individuums und des 
Geſchlechts nothwendig find, 2) in die Organe, die auf dem 
mittlern und vordern Scheiteltheile liegen und den moraliſch⸗ 
religidfen Vermögen oder Empfindungen angehören, und 
3) in die Organe im vorderen Lappen des großen Gehirns, 
welche die intellectuellen oder Verſtandeskraͤfte dußern. Da: 
gegen zieht der Verf. es vor, folgende fünf Abtheilungen 
zu unterfcheiden: Die erfie enchält die Drgane, bie zur Er: 
haltung des Individuums nothwendig find, die der Menſch 
mit den meiften Thieren gemein hat und deren Sunctios 
nen man bie niedrigen, egoiftifchen im eigentlihen Sinne 
nennen kann. Sie find, fo viel bis jegt entdedt ift: Le⸗ 
benserhaltungstrieb, Nahrungstrieb, Zerſtoͤrungstrieb, Vers 
heimlichungs = und Bekaͤmpfungstrieb. Ihr Sig iſt in 
den Windungen der Bafis und der mittlern Seitenlappen 
des großen Gehirns, ſodaß nur Die vier legten Orgune an 
den Köpfen lebender Menſchen leicht erkennbar find. Sind 
diefe ſehr ſtark entwidelt, fo verurfachen fie einen großen 
Durchmeſſer bed Kopfes von einem Ohre zu andern und 
eine im Verhaͤltniſſe zu dem übrigen Theilen des Kopfes 
geoße Wölbung rings um bie Ohren, mitunter aber auch) 
eine tiefe Lage der aͤußern Obröffnungen, ſodaß dieſel⸗ 
ben tief unter einer horizontal: vom Auge nach dem Hin: 
verkopfe gezogenen Linie zu liegen fommen. Die zweite 
Abtheilung beſteht aus den Organen, die zur. Erhaltung 


bes Geſchlechts gehören, bem Sortpflanzungstriebe im 
Keinen Gehirn, dem Triebe der Kinderliebe, dem der An: 
bänglichkeit und, wie Combe meint, auch der Einheit. 
Diefe Drgane kommen auch bei vielen Xhieren vor und 
baben ihren Gig in den, von dem Hiaterhaupchein und 
den hinteriten unteren Theilen der Scheitelbeine bedeck⸗ 
ten Dienwindungen. Die britte Abtheilung umſchließt die 
Drgane des höheren Egoismus, jener Seelenkraͤfte, welche 
auf die Stellung des Individuums in feinem geſellſchaft⸗ 
lien Leben Beziehung haben. Spurzheim und Gombe 
nennen fie die Empfindungen, bie der Menfh mit den 
niedern Thieren gemein hat, als Selbſtachtung, Beifalls: 
liebe und Vorſicht. Die beiden erften Drgane nehmen 
den hintern obern Winkel der Scheitelbeine ein; das letz⸗ 
tere Liegt auf der Seite mehr vorwärts, fodaß bie Ver⸗ 
knoͤcherungspunkte der Scheitelbeine (Tubera parietalia) 
auf dem obern Rande beffelben fleben. Die vierte Ab: 
theilung enthält die böhern moralifhen Organe, derem 
Functionen fid) auf das Wohl unſerer Mitmenſchen und 
Nebengeſchoͤpfe, fowie auf unfere Verhättniffe zu dem all: 
mächtigen Urheber unfers Daſeins und auf unfer Eünftis 
ges Leben beziehen. Sie find geößtentheild nur dem Men: 
[hen eigen und ähnlihe MWindungen wie biefe auf dem 
oberften Theile des menfchlichen Hirns kommen bei feinem 
Thiere vor. Dazu gehören Feſtigkeit, Gewiſſen, Vereh⸗ 
rung, Hoffnung, Wunder, Wohlwollen und Nachahmung; 
letzteres Drgan, fowie das des Gewiflens, find aber noch 
zweifelhaft. Diefe Organe nehmen den ganzen Scheitel 
ein, von den obern Grenzen der Beifallsliebe und Selbſt⸗ 
achtung bis an bie intellectuellen Vermögen in der Sticn. 
Sind fie fehr ſtark entwidelt, fo wird im Kopfe wicht 
allein ein rechtes Verhältniß zwifchen der Höhe und Breite 
fein, fondern der Scheitel ſteht auch hoch umd breit über 
die Verknoͤcherungspunkte der Scheitel: und Stirnbeine 
(Tubera frontalia und parietalia) hinaus. Die fünfte 
Abtheilung befteht in den intellectuellen oder Verſtandes⸗ 
organen, welche vielleicht wieder eine dreifache Abtheilung 
unter fich zulafien, als 1) die Erkenntnißvermoͤgen, 2) bie 
böhern Denk⸗ oder Verſtandeskraͤfte (Urtheilskraft, Ver: 
nunft) und 3) die Organe, die den Sinn für Mechanik 
und bildende Kunft, für das Schöne und Poetiſche aus⸗ 
machen (Baufinn, Idealitaͤt). Diefe nehmen den gan: 
zen vordern Lappen des Gehirns ein, mit Ausnahme jenes 
oberen, foeben befchriebenen Theild, als den Sig von Wohl: 
wollen und Wunder und vielleiht auch den von Nachah⸗ 
mungsevermögen, und zwar fo, daß die Erkenntnißvermoͤ⸗ 
gen (perceptiven Fähigkeiten) den untern Theil, die hoͤhern 
Denktvermögen den obern und bie Organe für Mechanik 
und bildende Kunft und für Poefie die feitlichen bintern 
Theile dieſes Lappens einnehmen. Die hierher gehören: 
den Organe find: Gegenftandfinn, Formenfinn (nach Gau 
Perfonenfinn), Groͤßenſinn, Gewichtſinn, Farbenſinn, Ort⸗ 
ſinn (nach Gall Raumſinn), Zahlenſinn, Thatſachenſinn, 
Zeitſinn, Tonſinn, Sprachſinn, Vergleichungsvermoͤgen 
(nach Gall vergleichender Scharfſinn), Schlußvermoͤgen 


nach Gall met Zi . 
a — 


39 


Focſchungen und Erlaͤuterungen über Hauptpunkte ber 
Geſchichte des Siebenjährigen Krieges. Nach archivali⸗ 
ſchen Quellen von P. F. Stuhr. Zwei Theile. 

(Beſchluß aus Sir. 8) 


As den dritten Punkt bezeichneten wir den Mangel an 
Ginheit und Selbſtaͤndigkeit in ber. Kriegführung ber Öflreicher 
mad Ruflen. In beideriei Beziehung macht ſich hier wieder 
feanzöfifcher Einfluß bemerklich. In Wien griff Montazet in 
die Sntwerfung der Operationsplane mit ein, verbanbelte bald 
mit der Kaiferin, bald mit Kaunig, bald mit dem Feldmarſchall 
Daun und brachte, wie jeber Unbefangene eingefichen wird, Als 
led in Verwirrung. Es ift nicht möglich, dies ohne großen 
Überbruß zu leſen. Einen loͤblichern Zwe hatte feine Thaͤtig⸗ 
keit im Felde, wo er die Unentſchloſſenen anzuregen und rafchere 
Mafregein Hervorzurufen fuchte, aber die bitterften Klagen ers 
hebt, daß er entweber gar nit zum Kriegsrathe zugezogen 
würbe, ober daß Daun gerade das Gegentheil von Dem thäte, 
was er vorfhlug, fo nah dem Giege bei Hochkirch, 
worau ihm in Hinſicht des Entwurfs des Schlachtplans als 
der Ausführung defleiben das meifte Verdienſt gebührt, was 
Daun felbft anerkannt hat. Auf der andern Seite begreift es 
12 volllommen, weshalb ein fremder Offizier, ber nicht immer 
fi in feinen Schranken hielt, im oͤſtreichiſchen Hauptquartiere 
nur ungern gefehen war und feine Gegenwart nicht dazu beis 
tragen £onnte, die Mishelligkeiten zwiſchen Daun und bem Prin⸗ 
yon Karl von Lothringen, fpäter zwifdyen Daun, London unb 
daſcy zu befeitigen. „Que vonlez vous, que je fasse?’ fagt 
ber Prinz zu Montazet bei einer ſolchen Gelegenheit. ‚Vous 
voyez bien, que le Mardchal (Daun) ne veut rien faire, et 
moi je ne veux rien prendre sur moi.” Diefe Mishelligkeit ift 
dem dflreidifhen Heere fortwährend nachtheilig gewefen und 
der ganze Zufland beffeiben, ſowie die Unfähigkeit der meiften 
Generale, vor allen bie große Langfamleit ber Befehle vom Hofe 
kriegsrathe und die Animofität deffeiben gegen Kaunig wirkte 
immer der Ergreifung Eräftigerer Maßregeln entgegen. Es ift 
dies um fo mehr hervorzuheben, je tüchliger ber größte Theil 
der Zruppen war und je größer bie Ruhe und Billigkeit iſt, 
mit welcher oͤſtreichiſche militairifche Schriftſteller, wie Schels 
und Thielen (die Hr. Stuhr nicht benutzt hat), von ihren Geg⸗ 
nern ſprechen. Der Schlacht bei Kollin wohnte Montazet nicht 
bei, es finden ſich aber daruͤber in dem Berichte des Generals 
Champeaurx merkwuͤrdige KAußerungen, die bei aller Eitelkeit, 
mit welcher er ſeine Perſoͤnlichkeit zur Schau traͤgt, helleres 
Licht über die Geſchichte der Schlacht verbreiten. Ramentlich 
bemertt Hr. Stuhr, daß der Grund davon, daß bie Öftreicher 
eine Eräftige Verfolgung unterließen,, nicht in ihrer zögernben 
Bedächtigkeit gelegen habe, fondern in ihrer völligen Auflöfung, 
fodaß, wenn bie Preußen fi nur noch eine ganz kurze Zeit 
hätten behaupten koͤnnen, oder wenn Bieten gegen den Außerften 
rechten Fluͤgel der oͤſtreichiſchen Reiterei raſch vorgebrocdhen wäre, 

iedrich II. einen glänzenden Sieg erfochten haben würbe. 
Über die Schlacht bei Leuthen find in einer Beilage zum erften 
Theile aus den Briefen des franzöfifhen Oberſten Warainville 
an ben Rriegsminifter Paulmy eine Reihe von Stellen mitges 
theält, die von Weift und militairifchem Urtheil zeugen. 

Hinſichtlich des ruffifchen Antheild an den Reldzügen bes 
Siebenjährigen Kriegs hat es Hr. Stuhr für angemeffen erachtet, 
aus den ihm vorliegenden Gefandtfchaftspapieren das Dunkel 
zu belenchten, in weiches bie ruſſiſche Politif vor und glei 
nach dem Anfange bes Kriegs ſich gehüllt hatte. Aus biefer 
nüglichen Ginleitung gebt hervor, daß weber Kaunis, noch ber 
franzoͤſiſche Hof, noch der englifhe den Ruſſen fo recht trauten, 
doch aber um fhre Freundfchaft buhlten, und daß am peteräburs 
er Hofe ſelbſt zwiſchen dem jungen und dem alten Hofe, zwi⸗ 
—* Woronzof und Beſtuchef ein Syſtem der Intrigue und ger 
genfeitigen Auflausrung beftand. Manches Bekannte tritt bier 
im ein befieres Licht, wenuſchon Vieles dunkel bleiben mußte, 
da bie Diplomatie nur gar zu oft felhft im Dunkeln tappte. 


Aber ber perfönlihen Feindſchaft bes Kaiſerin Eüſabeth gegen 
Friedrich, wird nirgend gebadt. Zwiſchen Rußlands und Frank: 
reichs neuer Freundſchaft fand Polen in der Mitte, dem Lud⸗ 
wig XV. ftets befondere perfönliche Theilnahme gefchentt hatte 
und wo Rußland jet feiten Fuß faflen wollte. Darin waren 
Alle einig, die zur ruffifchen Verwaltung gehörten, fodaß bie pa: 
triotifche Partei in Polen, da fie fi von Frankreich verlaffen 
glaubte, den Schut Friedrich's IT. anzurufen im Begriff war, 
und das Geruͤcht ging, es habe ber Markgraf von Baireuth 
Eatholifch werben wollen, um durch Friedrich's II. Einfluß die 
polniſche Koͤnigskrone zu erlangen. Der frangöfifche Gefandte 
in Peteröburg, de U’Hopital, ſollte alfo die polnischen Angelegen: 
beiten wohl beobachten, im übrigen das befte Vertrauen zu 
Frankreichs Redlichkeit zu erwecken ſuchen, das Buͤndniß ſelbſt 
aber mit Rußland ward in Verſailles nur als eine Folge ber 
Verbindung mit Öftreih angefehen. und benugt, um Rußland 
von England getrennt zu halten. Mit der franzöfifchen Red⸗ 
lichkeit war ed aber ebenfo wenig. Ernft als mit der ruffifchen 
Kriegführung, denn die franzoͤſiſche Politit bemühte ſich z. B. 
1760 aus allen Kräften, die Vereinigung ber Ruſſen und Öft: 
reicher zu bindern, bie Ruſſen aber zeigten fhon unter Aprarin 
eine erfünftelte Langſamkeit im Vorruͤcken, ebenfo wie unter 
Fermor und Soltifoff; auch hier wurde viel berathen und ges 
fchrieben, wobei das preußifche Land durch eine echt türkifche 
Verwüftung am meiften lit, aber wenig gethban. Die Generale 
der Ruffen freuten fich bekanntlich gar nicht einmal ihres Siege 
bei Kunnersdorf, zogen fich vielmehr wicber zurüd, verlangten 
von ben Oftreichern, fie follten nun auch das Ihrige thun, und 
lebten mit ihnen meiftens in Spannung ober in nur erheuchel: 
ter Eintracht, Alles aber nicht aus eigenem Willen, fondern in 
Gemäßheit ber ihnen aus Petersburg gewordenen Inftructionen. 
Das geht deutlich aus der Correſpondenz des Oberften Mesna« 
ger, des franzoͤſiſchen Militairgeſandten, ber im ruffifchen Haupt: 
quartiere ein größeres Anfehen hatte als andere Fremde, mit 
dem Grafen Choiſeul in Wien hervor. Mednager war ebenfo 
eifrig ald Montazet, aber er fah bald ein, daß fein Rath nicht 
gehört wurde, daß die kriegeriſchen Bewegungen der Ruſſen 
nichts wären als Wärfche, durch die fie ihre eigenen Leute auf: 
rieben, wenn fie auch noch fo Elein wären, und daß fie nus 
Borwände fuchten, um nichts zu thun und um Andere zu täus 
fen, weshalb es auch ganz abgeihmadt fein würde, wenn 
man auf fie Poffnungen bauen wollte, oder meinen, daß es ib: 
nen 3. B. 1761 Ernſt gewefen fei, Schlefien zu erobern. Es 
it wahrlih eine bittere Iconie auf die Allianzen, wenn wir 
lefen, wie Feldmarſchall Butturlin in dem genannten Jahre eis 
nen Eaiferlichen Befehl erhält, den Krieg mit der größten Leb⸗ 
baftigkeit zu führen, unmittelbar darauf aber belobt wird, bie 
Zruppen fo geſchont zu haben, und bie Anweifung empfängt, für 
bie Zukunft ganz nad feinem Gutduͤnken zu handeln. Durch 
diefe und Ähnliche Auffchlüffe aus Mesnager's Depefchen ift na: 
mentlich die Theilnahme Rußlande an dem Kriege fehr aufge: 
Elärt worden, das zwar ohne unmittelbaren Rändergewinn vom 
Schauplatze bes Kriegs zurüdgetreten ift, aber in Folge beffet: 
ben nicht nur den Vortheil eines bedeutenden Machtgewinns in 
Polen davongetragen hat, fondern auch ben einer weit innigern 
und lebendigern MBerfchlingung feiner gefchichtlichen Verhältniffe 
in die ber wefteuropäifchen Völker, als es früher dev Fall ge: 
weien war. 

Als den vierten Punkt von Wichtigkeit bezeichneten wir die 
Nachrichten über die beutfchen Reichsfuͤrſten und ihre Armee, 
Hr. Stuhr verdient für diefe Aufichläffe, die er in brei vers 
fehiebenen Abhandlungen zufammengefaßt hat, befondern Dank 
aller Leſer, denen ed um eine vorurtheitöfreie Würdigung der 
beutfchen Suftände im Siebenjährigen Kriege zu thun iſt, zugleich 
enthalten fie eine Ehrenrettung der deutlichen Zürften über ihr 
Betragen gegen Friedrich II. und eine andere Schilderung bes 
Geiſtes in der Reichsarmee, die man gewohnt ift, als eine 
ſchwerfaͤllige Maſſe ohne Keift und Leben, als einen Gegenſtand 
des Spottes, zu bezeichnen wie dies ja Friedrich II. ſelbſt mehr 


. 


als einmal gethan hat, aber eigenttid mit Unredht. Denn zu⸗ 
erft herrſchte in der Reichsarmer für ihn immer bie günftigfte 
Stimmung. Es hatten diefe nicht blos die ſchwaͤbiſchen Kreis: 
truppen unb bie proteftantifche Bendtferung der zwiſchen dem 
Main, der obern Donau und bem Rheine befegenen Känber, 
fondeen auch die Kathotiten waren nicht unbedingt und nur 
theitweife dem Haufe OÖſtreich ergeben, in Koin, Baiern und 
Pfalz verhehlten weder die Fürften noch bie Einwohner ihre 
Anhängtichkeit an den König von Preußen. Mehre von ihnen, 
die fich Außertich hatten an Öſtreich anfchließen müffen, wie bie 
fächlifchen Oerzoͤge, Baiern und Würtemberg, flanden mit Frie⸗ 
drich II. in lebhafter geheimer Unterhandlung; in allen Reiches 
ftädten, befonders in benen am Main und an ber Donau, hatte 
er bedeutende Verbindungen und auf bie öffentliche Meinung in 
Suͤddeutſchland wirkten namentlich bie beiden erlanger Zeituns 
gen, an denen die Marfgräfin von Baireutb, Friedrich's II. geift: 
reiche Schwefter, großen Antheil hatte. War nun biefe Theil⸗ 
nahme auch mitunter ſchwaͤcher, wie z. 3. in Franken und in 
Suͤddeutſchiand 1759, fo war fie doch eigentlich nur aus dem 
Gefühle der Sicherheit vor einem preußifchen Ginfalle und 
der daraus hervorgehenden Ranbesverheerung entftanden ; bie ins 
nige Theilnahme an dem Glüd oder Ungluͤck des preußifchen 
Helden in feinen Schlachten blieb unverändert diefelbe. Am laus 
teften fprach fie fih in der Abneigung aller Reichefürften und 
der gefammten Bevölkerung gegen Frankreich aus. Die Briefe 
und Depefchen ber franzöfifchen Mititairgefandten in Deutſch⸗ 
land, Ryhiner, Boisgelin, Marainville, beftätigen dies auf das 
einteuchtendfte. überall floßen fie auf Schwierigkeiten, um Hülfe 
zu erhalten, die Zruppenaushebungen geben langfam und ſchlaͤfrig 
von ftatten, es traten bedeutende Spannungen mit den größern 
Keichöfürften, wie mit dem Dergoge von Würtemberg ein, dem 
Graf Broglie fogar unter dem 13. Dec. 1759 zu fchreiben fich 
vermaß: „es werde dem Könige von Frankreich nicht an Mit: 
tein fehten, den Herzog feine Unzufriedenheit fühlen zu laſſen“. 
Und diefer Herzog war ein ebenfo eifriger Anhänger des franz: 
zöfifch = Öftreichifchen Buͤndniſſes, als feine Unterthanen daſſeibe 
haften. Trotz folder Drohungen unb ohne Furcht vor ben ar: 

en Erpreſſungen, durch melde die Franzoſen die deutfchen 

eichskreiſe mishandelten, ward bie Stimmung für fie nicht ges 
beffert, ja ed fam zu gewaltfamen Auftritten, wie mit den Wür- 
tembergern in den Jahren 1758— 59 namentlidy bei der Be: 
fegung von Würgburg, und mit den Pfälgern 1748, deren Ge⸗ 
neral Iſſelbach fi; geradezu weigerte, auf bie Zruppen bes 
Herzogs Ferdinand zu fchießen und den Kranzofen Düffeldorf 
einzuräumen. Am meiften aber flieg der Unmille, als es immer 
deutlicher bervortrat, daß Ludwig KV. fi eine Partei im Reiche 
bilden wollte, als er verfuchte am Maine ſich feftzufegen, die 
Stadt Nürnberg zu einem Werbeplage auserfah unb den Ans 
trag machte, Frankfurt durch franzoͤſiſche Truppen befegen zu 
laflen. Gegen ſolche Anmafungen riefen die Reichsfürften den 
Kaifer ganz öffentlich zu Dülfe und wenn nun bie franzöflfchen 
Geſandten fig wieder über die oͤſtreichiſchen Miniſter beſchwer⸗ 
ten, die Haß gegen fie in Deutfchland verbreiteten, fo ergibt 
fih von neuem, an welchen lockern Fäden dieſe Allianz hing. 
Die Reichstruppen endlih fochten nur fehr ungern mit den 
Srangofen, mie es Ludwig XV. unklug genug verlangt hatte, 
obmwol von den deutſchen Generalen mehr als einmal erklaͤrt 
wurde, daß zwei Drittbeile davonlaufen würden, wenn fie den 
Preußen gegenübergeftellt würden. Da nun preußifche Werber 
in Regensburg, Baireuth und andern Städten fortwährend thaͤ⸗ 
tig waren, da ganze Gompagnien mit ihren Offizieren und mit 
fliegenden Bahnen zu ben Preußen übergingen und alle nur uns 
gern fochten, fo laͤßt fich leicht begreifen, daß kein NReichsfeldherr 
mit einer foldyen Armee etwas ausrichten konnte, ja- felbft bie 
Bäufigen Klagen über Zuchtiofigkeit und Plünderungstuft laffen 
fih aus dem Mangel an Beſchaͤftigung der Soldaten und aus 
ihrer Abneigung gegen das Kriegehandwerk erklären. Darnach 
muß namentlih ein Bericht Ryhiner's nach der Schlacht bei 


Eehrbuch der allgemeinen Geographie. 


Moßbad; gewardigt werben und die Welduibigung der wärtem: 
bergifdden Zruppen, daß durch ihren Berrath allein bie Schlacht 
bet Leuthen verloren gegangen ſei. Als nun 1759 Gerbelloni 
bem Herzog von Zweibrüden an die Seite geftellt wurde, fo 
wollte man ſich bei der Reichtarmee einen zu fcharffinnigen und 
täftigen Aufſeher nicht gefallen laſſen, und @erbelloni, ein wie 
tuͤchtiger Militaie er auch war (er erfcheint hier in einem weit 
beffern Lichte als bei Schloffer in feiner „Befchichte des 18. 
Sahrhunderts‘’, IL, 412), Eonnte er doch nichts ausrichten. 

Da das Stuhr'ſche Buch ein wichtiger Beitrag zur Ges 
ſchichte Friedrich'e tft, fo dürften auch die von feinen franzöfte 
fen Gegnern über ihn gefällten Urtheile ganz intereffant fein. 
Im Allgemeinen zeigen fie von großer Achtung, Vault lobt feine 
geſchickten und ben Umftänden gemäß entworfenen Plane, Mas 
rainville bewundert die Schnelligkeit der Bewegungen bei ber 
preußifchen Infanterie und bie Erhöhung ihrer Wirkſamkeit 
durdy beigegebenes Geſchuͤzg, Broglie preift feine Taktik und 
Raſchheit, Choiſeul behauptet, die Macht des Königs von Preu⸗ 
Ben beftände nicht in feinen Feſtungen und Laͤndern, fonbern im 
feiner Perfon, in feiner Armee, in feinem Geifte, feine Haupt⸗ 
quellen fände er in feiner Thaͤtigkeit und Geſchicklichkeit. Dafs 
felbe beftätigt Montazet, bes Königs Seele belebe Alles, auch 
in dem Augenblide großer Verluſte, er koͤnne Fehler begeben, 
aber er wifle fie aus gu verbeffern; weniger günftig urtheilt er 
über Briedrich im December 1759: „Le roi de Prusse est un 
homme fait pour se detruire lui-meme. C'est une t&te 
bouillante, plein de moyens violents, qui d’ailleurs n’&coute 
personne par le me&pris souverain qu’il a pour tous ceax 
qui ont je bonheur de l’approcher. C’est ce m&me senti- 
ment dont il nous honore qui lui a fait et lui fera entre- 
prendre des choses au-dessus de ses forces et par oü na- 
turellement il doit &crouler.” Weit richtiger ift beffelben 
Montazet Wort über die Kaiferin Maria Therefia, bie er Ir 
plus grande et la plus meilleure des Reines nennt. 9 





Literariſche Anzeige. 


Schriften von Karl von Raumer. 


und dur ale Bucbantungen zu eat: in aes erſciciea 
Beiträge zur 


— — — 


Nebst einem Höhendurchschnitte. 


Beilage zu des Verfaſſers „Beldftine‘. 
Sr. 8. Geh. 15 Nor. 


Bon dem Verfaſſer erfchien fruͤher ebendafelbft: 
Balsftina. Zweite verm. Auflage. Mit einem Plane 
von Serufalem, einer Karte der Umgegend von Sichem 
und dem Srundriffe der Kirche des heiligen Grabes. 
Gt. 8. 1833; 1 Thlr. 20 Nygr. 
Der Zug der Zeraeliten aus KTgypten nad Es 
naau. Beilage zu des Verfaſſers ‚‚Paldfina”. Mit 
I Karte. Gr. 8, 1837. 15 Nor. 
Die Karte von Paldflina einzeln 8 Ngr. 
Zweite 
Auflage. Mit 6 Kupfern. Gr. 8. 1835. 1 Thlr. 15 Ngr. 


Befgreibung der Erdoberfläche. Eine Vorfchule der 


Erdkunde. Dritte verb. Auflage. &r.8. 1838, 5 Ngr. 


Berantwortliher Herausgeber: Leinrib Brodhbaud. — Drud und Berlag von 8. 4. Brodhaus in Leipzig. 


N 


Blätter 


fir | 


literariſche Unterhaltung. 


Montag, 





¶Beſchiuz aus Nr. 8.) 

UÜber viele diefer Organe find die Phrenologen felbfl 
nicht einig, ja, der Eine deutet diefes fo, der Andere an: 
dert. So 3 B. bat Gall kein Organ an der Stelle, 
wo nah dem Verf. daB des Einheitstriebes feinen Sig 
hat. Der Berf. fand da, wo e6 groß erfchien, Anhaͤng⸗ 
lichkeitsaͤußerungen irgend einer Art umter verfchiebenen 
Modificationen; Spurzheim bezeichnet die Stelle ald den 
Gig des Heimatstriebes. Das Drgan der Liebe zum Les 
ben wird für ſehr wahrſcheinlich, keineswegs aber für ers 
wiefen gehalten... Was Spurzheim Verheimlichungstrieb, 
das nennt der Verf. Verftellungsfähigkeit oder Lit, Gall 
Kiugheit, Li, Schlauheit. Vimont cheilt dem Theil des 
Gehirns, den Gall ausfclieflih als den Sig des Baus 
ſinns betrachtet, in zwei Organe, von benen er den untern 
Theil das Drgan des Baufinns, den obern aber das des 
sens du beau dans les arts nennt. Gall erfannte ver: 
fhiedene Arten des Gewiſſens als aus verfchiedenen Com: 
binationen der andern einzelnen Vermögen, dee Intelligenz 
und Bildung beroorgebend und bielt jene hoͤhere, edlere, 
jartere, fi auf das Wohl Anderer beziehende Potenz der 
Gewiſſenhaftigkeit für das Reſultat eines ſtark entwidels 
ten Wohlwollens; Spursheim und Andere machen ein eiges 
nes Drgan daraus. Gall betrachtete die Hoffnung ale 
eine Thaͤtigkeitsaͤußerung jedes Grundvermoͤgens, Spurz: 
beim, Combe, Bimont und der Verf. ftempeln es zu einem 
eigenen Organe. Gall und mit ihm Gombe nehmen ein 
Drgan der Nahahmung an, was der Verf. geradehin 
verwirft. Den Dirntheil, weldyer von den jegigen Phre: 
nologen als der Sig des Gegenſtandsſinns und jenes Or: 
gans, welches fie Thatſachenſinn nennen, angenommen 
wird, betrachtete Gall ald ein einziges Dryan und nannte 
es Sachſinn, Erziehungs: oder Vervollkommnungsfaͤhigkeit. 
Doch wir glauben an dieſen Beiſpielen genug zu haben, 
um damit zu zeigen, wie ſchwankend und. willkuͤrlich es 
noch auf dieſem Gebiete der neuen Schäbellehre ſtehe. Wir 
glauben dabei nicht nöthig zu haben, daran zu erinnern, 
wie mebre diefer Organe nit einmal pſychologiſch ale 
befondere Seelen: oder Gefuͤhlsvermoͤgen feftftehen, viel 
weniger daß man ihnen eine eigenthuͤmliche Stelle im 
Gehirn anweifen könnte. Schon Napoleons Scharfblick 


-mtging dies nicht, indem er gegen Las Cafes aͤußerte: 


Ball fchreibt gewiflen Hervorragungen Neigungen und Ker⸗ 
brechen zu, die nicht in der Natur vorhanden find, die nur aus 
der Gefellfchaft, aus der Eonvention hervorgehen. Was würde 
aus dem Organe bes Diebſtahls werben, wenn es Tein Gigens 


tum, aus dem Drgane ber Zrinkfucht (das übrigens von Gall 
nicht angenommen wird), wenn Feine geiftigen Getränte, aus 
dem Ehrgeiz, wenn es feine Gefellfchaft gäbe? 

Sucht man nun vollends dieſe verfchiedenen Organe 
am Schädel ſelbſt auf, fo gebt da Alles bunt durchein⸗ 
ander. Beſonders drängen fie fih um das Auge herum 
dicht zufammen, und wenn uns ein Phrenolog die dahin⸗ 
ter liegenden Hirntheile als befondere Organe aufzeigen 
follte, fo möchte das ein ſchweres Stuͤck Arbeit fein, denn 
offenbar gehört hier eine Gehirnwindung mehren Organen 
an. Dazwiſchen ebenfo befchaffene‘ Theile bilden an ans 
dern Stellen nur Organlüden. Auf der obern Fläche 
des Gehirns, wo eine Hirnwindung ausfieht wie die ans 
dere und doch die verfchiedenartigften Seelenvermögen ih» 
ven Gig haben follen, kaum noch ein Plägchen mehr für 
ein Organ; im Innern des Gehirns und auf der unfern 
Sinnen unzugänglichen Baſis dagegen kein einziges! wozu 
mag ber Schöpfer diefe Theile beſtimmt haben? Im 
ganzen thierifhen Haushalt finder ſich kein Beiſpiel von 
ſolcher Verſchwendung von der einen Seite mit foldyer 
Verlümmerung der Organe von der andern gepaart. 
Daß aus der Größe eines Organs nicht immer ein ſiche⸗ 
ver Schluß auf die ihm entfprechende Geiftesfähigkeit ger 
zogen werden Pönne, wird von ben Phrenologen einge: 
räumt. Es treten bier Bedingungen ein, die den Einfluß 
der Größe mobificiren Bönnen. Dies find namentlich die 
Temperamente, die Sefundheit und die Übung. Die er⸗ 
een find noch obendarein mannichfachen Modificationen 
ausgefegt durch ‚den Einfluß des Klimas, der Lebensweife, 
dee Nahrung u. f. w. Noch einflußreicher find die vers 
ſchiedenen Krankheiten. So z. B. find Leber: und Uns 
terleibskranke in der Regel zur Melancholie, Lungenkranke 
dagegen zur Heiterfeit und Hoffnung geneigt. Die Eins 
wirkung krankhafter Zuftände ift alfo hier mächtiger als die 
Oryanifation des Gehirns und gibt den Ausſchlag, wenn 
die von den Organen bergenommene Diagnofe nicht zus 
trifft. Im Widerfpruch damit müffen nun aber die krank⸗ 
haft gebildeten Köpfe der Bloͤdſinnigen und Irren wieder 
zur Beftdtigung ber Lehre dienen. 

Der ſchwierigſte Punkt aber liegt, nad) des Verf. eiges 
nem Geftändniß, in dem @infiuß der Übung, mworunter 


derſelbe jene Art von Erziehung verſteht, welche der Menſch 
entweder durch die abfichtlichen edeln Bemühungen feiner 
Naͤchſten erhält, oder welcher er durch den oft guten, body 
öfter fchädlichen Einfluß der dußern Verhaͤltniſſe des Le: 
bens unwillkuͤtlich unterworfen iſt. 

Wir finden — beißt es S. 16 — cine bebeufende Zahl 
von Menſchen, bei denen mehre Organe fehr gleichmäßig ent: 
widelt find, und mo auch bie übereinflimmenben geifligen ers 
mögen einen fo gleichen Brad von Energie befigen, daß es nicht 
leicht wirb, einige beſonders vorberrfchend zu bezeichnen. Dieſes 
find die Kölle, wo ber Einfluß von Erziehung und allen andern 
außern Umftänden am bebeutendften wirkt, unb wo die Faͤhig⸗ 
feiten, die von außen am meiften in Thaͤtigkeit gelegt werben, 

9 des Charakters für eine kaͤrzere oder laͤngere 
Zeit beflimmen. 


Mie ſchwankend erfcheint hier das ganze phrenologi: 
fche Gebäude, wie unklar die Entwidelung diefes, offens 
bar wichtigften Punktes! Alfo nur bei Menſchen, bei des 
nen mehre Organe fehr gleichmäßig entwidelt find, wirkt 
die Erziehung ein? Das wird der Verf. nicht behaupten 
wollen. Oder kann man bei ihnen nur die dur Erzie⸗ 
bung am meiften in Thaͤtigkeit gefegten nicht aͤußerlich er: 
kennen? Wie verhält es ſich nun aber bei Andern, bei des 
nen Organe vorhanden find, die duch Erziehung nicht in 
Thätigkeit verfegt worden find, oder umgekehrt? Kann 
die Erziehung eine Erhöhung am Kopfe hervorbringen 
ober nicht? kann fie tro& aller entgegenwirkenden Organe 
am Schädel die Hauptrichtung des Charakters beflimmen, 
oder nicht? Uns bedünkt, hier fpielten die Phrenologen 
etwas tafchenfpieleemäßig mit uns. Sind Organe da, 
die mit dem Charakter fpmpathifiten, fo haben es die Dr: 
gane gethan; find keine da, fo tritt jener Fall der gleich: 
mäßigen Entwidelung mehrer Organe ein und die Er: 
ziehung uͤbernimmt das Riſico des Gewinns und Ber: 
luſtes. Bei allen folchen Erceptionen ijt aber die neue 
Lehre denfelben Taͤuſchungen unterworfen mie unfere ge: 
wöhnlihe Haus: Phpfiognomit, der zufolge wir nicht felten 
hinter dem Geſichte eines martialifchen Eifenfeeffers ein 
lammfrommes Herz und binter dem einer frommen Dul⸗ 
derin einen zänkifhen Drachen finden. 

As eine bloße Spielerei müfjen wir es betrachten, 
wenn Gall und mehre feiner Anhänger gewiffe Stellungen 
und Geberden mit der Lage mancher Organe in Verbin: 
dung bringen wollen. So 3. B. behauptet Gall, daß er 
bei der Thätigkeit des Bauſinns eine Neigung, den Kopf 
etwas vorwärts und feitwärts zu halten und bins umd 
herzubervegen, und bei Tonſetzern, während fie mit mufi: 
kaliſchen Arbeiten befchäftigt waren, eine gewiſſe Neigung, 
den Kopf und felbft die Augen fchräg nad) oben zu rich: 
ten, beobachtet habe. Kine ſtarke Aufregung der Kinder: 
oder Jugendliebe fol eine Neigung erzeugen, den Kopf 
rudwärts zu ſenken. Wo mag fich denn ber Kopf hin⸗ 
drehen, wenn alle drei Organe vorhanden find? Dergleis 
hen aus der Luft gegriffene Säge find wahrlich nicht ges 
eignet, dem phrenologiſchen Spfteme als wiſſenſchaftliche 
Stügen zu dienen! 

Biel haben die Phrenologen gethan, um uns zu be: 
weiſen, daß es befondere geiftige Vermögen, Neigungen 


u. f. mw. gibt, buch bie ſich einzelne Menſchen von an: 
dern unterfcheiden; auch die Worlefungen des Verf. find 
ſehr reich an ſolchen Beweiſen. Da findet fich das 
Organ der Idealitaͤt an den Köpfen Juͤnger's, Blumauer's, 
Klopſtock's, Schiller's und Anderer, das bes Tonfinng 
an den Köpfen Mozart's, Michael Hayda’s, Paers, Duß 
ſeck's, Marcheſi's u. A., das des Zahlenfinns an den 
Buͤſten und Portraits von Euklides, Archimedes, Galilei, 
Euler, Kepler, Leibnitz, Newton u. A. Allein alle diefe 
ex post gemachten Diagnofen können natürlid, den Zweif—⸗ 
ler nicht zuſriedenſtellen. Man kann dagegen mit Recht 
einwenden, daß man nur bat finden wollen, mas man 
fhon im voraus gemußt hat. Die eigentliche Probe des 
Rechenexempels fehlt. Sie befteht darin, daß der Phre⸗ 
nolog an dem Kepfe eines ihm vorher günzlidy unbekann⸗ 
ten Menſchen zeige, mit welchen geiftigen und gemüthläs 
hen Eigenfchaften er begabt fei und an welchen es ihm 
fehle. An folchen Beifpielen ift aber die Gefchichte der 
Phrenologie fehr arm. Auch in Noel's Borlefungen finder 
fih nur eins; es heißt namlihd ©. 212: 

Combe erzählt unter andern Beifpielen von George Bibber, 
der fhon im fiebenten Jahre und ohne Unterricht genoffen zu 
baben, ein außerorbentliches Talent für dad Kopfrechnen zeigte. 
Sombe ift felbft Zeuge gewefen, wie er mit 11 Jahren die cam 
plicirteften ragen der Algebra noch geſchwinder beantwortete, 
als die gefchickteften Rechner im Stande waren, fie nur nieder: 
zufchreiben. Als er zuerſt nach Edinburg kam, führte ihn em 
Herr mit noch zwei andern Knaben von beinahe deinfelben Auer 
zu Sombe und frug ihn, ob er Bidder nach feinem Kopfe erfens 
nen tönnte. Combe unterſuchte die Knaben ber Reihe nach. 
Der erfte, behauptete er, könne unmöglich Bidder fein, indem 
das Drgan des Zahlenfinns bei ihm dußerft gering ſei Der 
zweite aber, fagte er, möchte wol bedeutende Faͤtigkeiten für 
die Arithmetik befigen, während ber britte Widder ſelbſt fein 
muͤſſe. Hierauf verficherte der Herr, daß das Urtheil Com⸗ 
be's in Allem ganz richtig ſei. Der erſte war fein eigener Sohn, 
bei dem aller Unterricht in ber Rechenkunſt vergebene war; ber 
zweite war als ber geſchickteſte in der Arithmetik aus einer 
großen Schule gewählt, und ber dritte war Bidder. 


Solche Beiſpiele find fchlagend und wenn fi aud 
nur alle Jahre ein ähnliches aufweifen ließe, fo wollten 
wir gerne ein Dugend Fehlgriffe mit in den Kauf neh: 
men und das Princip der Phrenologie für gerettet erklaͤ⸗ 
ren. Eben deshalb möchten wir aber auch den Anhaͤn⸗ 
gern bdiefer Lehre vorzugsmeife diefe Methode der Unter: 
fuhung empfehlen, fie würde am ficyerften zum Ziele fuͤh⸗ 
ven und zu einem entfcheidenden Reſultate gelangen laſſen, 
was an dee Suche Wahres if. Ein Tagebuch eines ehr: 
lichen Phrenologen, in folhem Sinne geführt, mit dem 
aufrichtigen Geftändniffe, wo er den Nagel auf den Kopf 
getroffen und wo er geirrt, waͤte uns mehr werth ale 
ein ganzes Bud, voll mühfamer Unterfuhungen, wie 
viel es befondere Talente, Fähigkeiten, Neigungen u. f. w. 
gibt, wie fi Diefer und Jener durch eines oder das an: 
dere außgezeichnet u. ſ. w. 

Menn wir nun aber au das ganze Gebäude ber 
Gall'ſchen Schädellehre, ald auf unfiherm, ſchwankendem 
Grunde gebäut, haben bezeichnen muͤſſen, fo find wir doch 
weit davon entfernt, es ganz zu verwerfen ober, wie 30: 


u 2 _ 


banned Milier, ohne Weterves! don dem Forum wiſſen⸗ 
ſchaftlicher Unterſuchengen auspufchtäßen. Schon bie täg- 
liche Erfahrung, daS ter Schädel eines gefcheiten Menſchen 
ein anderes, eblered Gepraͤge zeigt als der eines dummen, 
brödfinnigen, führt darauf, daß an ber Sache etwas Wah⸗ 
ses iſt und die Verlegung der edein Drgane an den Vor⸗ 
der⸗, die der thierifchen Triebe an den Hinterkopf ſcheint 
mehr als eine bios willkuͤrtich aufgeſteüte Antithefe zu fein. 
Gerne wollen wir auch zugeben, daß die Erfahrungen Ein- 
zetner, die ihr ganzes Leben dem Studium diefer Wiffen: 
[haft und der Erforſchung und Vergleihung vieler menſch⸗ 
lihen und thierifchen Köpfe gewidmet haben, über die 
Eriften; einzelner Organe einen Gerd von Überzeugung 

bren mögen, der dem Unerfahrenen und blos nach 
mündlichen oder ſchriftlichen Relationen Urtheilenden nicht 
zu Theil werden kann. Der Geograph, der ein Land 
ſelbſt bereift, belommt ohne Zweifel einen ganz andern 
Begiiff davon als zuvor, da er es blos aus Büchern 
und Karten kannte. Vor allem aber ift zu wuͤnſchen, 
daß Männer, welchen vermöge ihres wiſſenſchaftlichen Be: 
rufs Gelegenheit zur Unterfuhung und Vergleichung menſch⸗ 
licher und thierifcher Gehirne und Schädel geboten: iſt, 
dieſe nicht vworübergehen laffen und den Befund ihrer Be⸗ 
obachtungen dem größern Publicum mittheilen mögen. 
Pur fo würde fi allmälig ein richtiges Urtheil über die 
Sache gewinnen laffen. Nur für Männer in diefem 
Sinne eigum. ſich Vorleſungen wie vorliegende, denn wir 
glauben weder, daß die Stufe wiſſenſchaftlicher Erkennt: 
niß, wie fie das größere und namentlich nichtaͤrztliche 
Publicum einnimmt, es dazu befühigt, darüber in anatos 
miſcher, pbpfiologifcher, pfochologifcher und anderer Be: 
ziehung ein genügendes Urtheil zu fällen, nocd daß eine 
Unterweifung, wie fie in diefen Vorlefungen gegeben wird, 
es in den Stand fegt, darauf weiter fortzubauen und ſich 
zu Phrenologen beranzubilden. Daß die Sache aber wies 
der zu einer Spielerei für muͤßige Stunden berabgewürs 
digt werde, wie fie es ſchon einmal geweſen, daflr möge 
uns der Himmel behüten! Eie bietet fo viel Stoff zur 
Unterhaltung, es laſſen fih damit fo viele anziehende 
Hiſtoͤrchen und Bemerkungen verbinden und einem gemiſch⸗ 
ten Auditorium läßt ſich fo leicht etwas von der Epiftenz 
diefer und jener Organe an Schädeln und Buͤſten vorfas 
gen und ſich davon überzeugen, daß dem Allen fo fei, 
daß wir keineswegs an dem Beifall zweifeln wollen, den 
fich Noel's und Anderer Vorlefungen aud in Deutſch⸗ 
land erworben haben mögen; aber als eine Bürgfchaft 
für die Wahrheit der neuen Lehre kann ein foldyer Bei⸗ 
fall nicht gelten. Männer vom Face werden dazu wol 
den Kopf ſchuͤtteln und wir glauben kaum, daß fich dar: 
aunter deren finden werden, Die, wie vormals, bei Gall's 
perfönticher Erſcheinung, feinem Spfteme, in feiner jegigen 
neuen Beftalt, ihre Zuflimmung estheilen und als feine 
Vortheidiger auftreten werden. . 
8 Hohnbaum. 





Chowanna, oder ein Syſtem der nationalen Paͤdagogik 
ats Wiffenfchaft der Erziehung, des Wiffens und ber 
Aufflärung, mit einem Worte der Ausbildung unferer 
Tugend von Broniflam Ferd. Trentomsti. Zwei 
Bände. Polen, Neue Buchhandiung. 1842. 8, 
6 Thir. 

Eine in ber polniſchen Literatur hoͤchſt wichtige Erſcheinung. 

Dee Verf., in der deutſchen philoſophiſchen Literatur durch feine 

„Grundiage der univerfallen (sic) Phitofophie” und bie „Bere 

ſtudien zur Wiſſenſchaft der Ratur, oder Übergang von Gott 

zur Schöpfung nad ben Brunbfägen der univerfallen Phitoſo⸗ 
phie“ befannt, mußte von feinen Landeleuten öfters ben Vor⸗ 
wurf hören, baß er feine fchriftftellerifche Thaͤtigkeit der an ſich 
fo reihen deutfchen Literatur zuwende und die Literatur feiner 
Ration, weldye deren body noch mehr bebärfe, ganz vernachlaͤſ⸗ 
fige. So bat er denn nun angefangen, fein Syſtem national 
duschzuarbeiten. Die erſte Frucht diefer Thaͤtigkeit iſt das vor: 
liegende Werl. Der Berf. fagt in ber Vorrede ausdruͤckiich, 
fein Wert ſei Feine beutfche Philofophie, ſondern, eine polnis 
ſche Pbilofophie, aus einem polnifhen Kopfe, aus einer polni⸗ 
ſchen Bruft geichöpft und unterſcheide ſich ganz und gar don 
ber beutfchen‘’; er verfickert, „daß fie nicht einzig nach bew 
Idee jagt, was man zum Theil mit Recht ein leeres Phantom 
nenne; noch nad) ber todten Realität, die man mit bem Mefs 
fer auf dem Zifche viertheile, fondern vielmehr nach der Wirte 
lichkeit und nach dem Leben, und fei daher Praktik und Theorie 
zugleich‘. Die tbeoretifche Philoſophie tft nun aber in der pole 
niſchen Sprache fehr wenig bearbeitet worden, ed war daher 
vor Allem nothwendig, eine Romenclatur zu fchaffen ; der Werf. 
bat ſich daher „bemüht, für feine aus dem polnifchen Geiſte ges 
zeugte Philoſophie, fo viel wie moͤglich echt polniſche und mit 
dem Geifte der Mutterfprache uͤbereinſtimmende technifche Aus⸗ 
brüde auszufinnen“. Und fo gibt er denn S. x — Lix eine 
Uberficht ber neuen und dem gewoͤhnlichen (db. i. jedem bed Pole 
nifhen wohlkundigen) Menſchen unzugänglicden Begriffe und 
technifchen Bezeichnungen, fegt auch zugleich überall die deut: 
ſchen Bezeichnungen hinzu, einmal, wie ex fagt, um die Sache 
leichter zu erfiären, dann auch, um dem eier einen Schluͤſſel 
zum Berftändniß feiner (d. i. des Verf.) und anderer beutfchen: 
pbilofopbifchen Gchriften zu geben. Uns duͤnkt das nicht eine 
zweckmaͤßige Weile, den Polen eine Nationatphilofopdie (und 
darauf beruft fich der Verf. überall) ober wenigftens eine philo⸗ 
ſophiſche Sprache zu verfchaffen. Man flieht, der Verf. philos 
fophirt deutſch und gibt das Gedachte mit polnifchen Ausbrüden 
wieder. Dies iſt und bleibt eine Überfegung, wenn ber Verf. 
auch das beutfch Gedachte nie deutich mehr nicberfchreibt. Nein, 
polniſch muß er denken, polniſch phitofophiren, polniſch discu⸗ 
tiren, ohne an Das zu denken, was er im Deutfchen gelefem 
ober feinen Zuhörern vorgetragen hat; polniſch muß der Fleinfte 

Anfang der Jose fein und polnifch das Refultat feiner Borfchuns 

gen. Um den Ausdruck foll er ſich dabei nicht kümmern, ber- 

sibe fi von fetbft, wenn man ben Geiſt ver Sprache verfteht. 


"Aber auch nur foldhe Ausdruͤcke werben echt national fein, die 


wird man verſtehen, unb wenn anfangs nicht allemal klar, fo 
doch ihre Grundbedeutung fühlen und fo das Wahre vom Fal⸗ 
fen zu unterfcyeiden lernen, ohne daß man fih an Wortkliau⸗ 


berei und Wortgeklingel halten müßte, wobel der Sinn lange 


"verloren gebt. Und davon ſcheint und dev Verf. noch weit ent» 


ferat; wie zweifeln, ob viele feiner „technifchen Ausbrüde” im 
Polniſchen das Buͤrgerrecht erlangen werden, fürdıten vielmehr, 
bie meiften werben von dem geraden Ginne, ber in ber Litera⸗ 
tur gegenwärtig herrſcht, wieber abgeftoßen werden. Wie ganp 
anders flehen in biefer Hinſicht die boͤhmiſchen Echriften Kla⸗ 
cel's da. Auch bier iſt deutſche Philofophie, wenn man will; 
denn ber Verf. jat die Werke der deutfchen Beifter gelefen, wis 
man aus jeder fiept. Aber er bat fie nicht allein geleſen, 
fonbern auch verbaut, und nicht bios verbaut, fonbern in fein 
eigen Bıeifch und Blut verwandelt. Und als foldyes gibt er es 


feinen Landelenten wieder, in ihrer Sorache, klar und rein, tief 
durchdacht unb allgemein veufländlih, ohne daß z möthig 
bat, feine technifchen Ausdrücke befonders zu erklären, deren na⸗ 
türlich nicht wenig neue vorfommen, bie fich aber im Berfolge 
der Unterfuchung fo von felbft ergeben, daß man fleht, es gibt 


‚keine andere Bezeichnung für den Gedanken als dieſe. 


Das vorliegende Buch nun ift nicht eine Pädagogik in den 


irengen Grenzen biefer Wiffenfchaft, fondern fie ſchweift auch 
öfter in die verwandten Gebiete der Antkropologie und Pſycho⸗ 
logie hinüber, Weit entfernt, ein Mangel zu fein, ift dies viel» 
mehr ein Vorzug des Buches, weit dadurch in das Ganze mehr 
KRundung und Vollſtaͤndigkeit unb, bei dem jehigen Standpunkte 
der polnifchen Wilfenfchaft, eine viel größere Brauchbarkeit ger 
Sommen iſt. Der Verf. theilt feinen Gtoff in drei Haupt⸗ 
theile ein, Nepiodik, Didaktik und (vaͤdagogiſche) Epik. Diele 
etwas fonderbare Benennungsweife gebt durch bad ganze Buch 
bindurch. Go zerfällt die Nepiodik (die Lehre von der Erziehung 
des Kindes) in drei Theile: die Realität, die Idealitaͤt und bie 
Wirktichleit des Zoͤglings, der ebenfalls aus Leib, Seele und 
ber Schheit beftebt. Wie verfolgen biefe @intheilungsweile 
nicht weiters; fie ift an fig nur eine Nebenfache neben bem 
Grundterte des Buches: ber Berf. hat fidy in fein Syftem nun 
einmat fo bineingedacht, daß er einen Schritt ohne feine Bel 
fein thun kann. Jeder einzelne Paragraph beginnt mit einer 
antbropolögifchen, pſychologiſchen oder metaphpfifchen Unterfus 
Kung, welche die Begründung ber Meinung für bie folgenden 
in das Praktiſche .einichlagenden Abfchnitte enthält. Die Sprache 
in dieſem erften Xfchnitte eines Paragraphen iſt ſtets ber 
Würde der Sache angemeffen , fireng und bündig. Wenn aber 
der Verf. burch die trodtenen Discuffionen feinen Lefer anzuwi⸗ 
dern vermeint, wenn er dann plöglich abbricht und eine Apos 
ſtrophe an benfelben über den gegenwärtigen Zuſtand ber Wiſ⸗ 
fenfchaft in der vaterlänbifchen Literatur und über das Unger 
wohnte einer ſolchen Lecture beginnt, dann wirb feine Diction 
lebendig und feine Schilderung ſtrahlt in den mannichfaltigften 
Yarben. Ebenſo find die nicht ſtrengwiſſenſchaftlichen Abfchnitte 
der einzelnen Paragraphen gehalten; ber Verf. bemüht ſich nach 
Kräften, audy dem nur für das Belletriftifche noch zugänglichen 
Geifte feine Lehren ſchmackhaft zu machen, um fo auf feine vers 
wöhnten Landsleute nad) Möglichkeit zu wirken; ja, er gibt den⸗ 
felben fogar den Rath, fie möchten, wenn ihnen der philoſophi⸗ 
ſche Theil zu langweilig wird, denfelben überfchlagen und fich 
nur an bie ins Leben eingreifenden Partien halten. Gine folche 
Dffenpeit it uns noch nicht vorgefommen, und wir find ber 
. Meinung, der Berf. habe auch kein Hecht zu derfeiben gehabt, 
da unfer Vertrauen zu den ernflern Gefinnungen ber polniſchen 
Ration ein viel größeres ift als das bes Polen felbfl. übri⸗ 
gend geben wir gern zu, baß durch diefe Einrichtung ſich man- 
der Einzelne eher dürfte beiwogen finden,, bad Werk bes Verf 
zu feiner Ausbildung und zum Gebrauche im Leben zu verwens 
den, als wenn er die pbilofophifchen Difputationen bes Verf. 
mit verfchludten müßte. Denn ber Verf. fcheint uns fehr rich 
tig geabnt zu haben, daß feine praktiſchen Belehrungen viel 
mehr Nugen zu fliften geeignet fein dürften ats feine Philoſo⸗ 
pbierereien. Wir müflen ibm, was diefes anbelangt, den vollften 
Beifall fchenten; denn auf jeder Seite feines Buches zeigt füch 
die innigſte Bekanntſchaft mit den größten Meiftern im Gr: 
ziehungsfache, befonders mit den deutfchen, von benen er Ries 
meyer, Schwarz, Poͤlit und Peſtalozzi felbft als feine Haupt⸗ 
lehrer angibt. Und bierin beftcht der eigentliche Werth des 
Buches; für diefes muß ihm die polnifche Nation ewig Dans 
wiflen. Gbenfo wenig wollen wir bas Berbienftliche feiner Bes 
mühungen um eine polniſche philoſophiſche Sprache verdunkeln; 
er wollte hierin Bahn brechen und bat das Geinige nach Kräfs 
ten getban. Mögen Andere fommen unb es beffer madyen! 
Aber bald. 4. 


Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Es if jest etwa 15 Jahre ber, als man das Roman⸗ 
feuitteton erfand. Seit ber Zeit hat es ſich ſeibſt im ben polls 
tifyen Zagesblättern immer breiter gemacht, ſodaß e 
wärtig nicht einmal die größern Journalt unterlaffen d . 
neben dem gewöhnlichen Inhalte noch eine unterhaltende Zugabe 
ju liefern. Ja, einige derfelben, 3. B. das „Siöcle”, verbanz 

ihre große Verbreitung fafl nur ber unterhaltenden Mans 
nichfaftigkeit ihres Zeuilleton. Aber das Publicum, bas, wie 
Nüdert fagt, gutes und fchlechte® Kraut verſchlingt und „im 
Freſſen gar nicht waͤhleriſch iſt wie die Biegen”, begnügt ſich 
nicht mit den leichten Romanen, die ihm jeden Morgen in fei= 
nem Journale aufgetifdyt werben, und fo entftehen alle Tage 
neue Sournale und Sammlungen, bie ausfdgließlich der Unter» 
haltung gewibmet find. Unter den mehr ober minder umfangreichen 
Novellenfammlungen, bie uns die parifer Preſſe in jüngs . 
fler Zeit gebradyt bat, verdienen bie zwei Bände, die unter dem 
feltfamen Xitel „La coupe amere’' erfchienen find, befonders her⸗ 
vorgehoben zu werden. Die nambafteften Feuilletoniſten, wie 
Sheopbile Bautier, I. Janin, Ed. Durliac, der befonders in 
der „Revue de Paris” fchreibt, Arfene Donffaye u. A., haben 
dazu beigefteuert, und es finden fi in dem bunten Rovellen- 
kranze, der uns bier geboten wird, sinige Blüten, die wirklich 
nicht ohne poetifchen Duft find. Cine aͤhnliche Auswahl von 
Eleinen Romanen und Novellen ward vor kurzem von dem eben 
erwähnten Douffaye und I. Sandeau berausgegeben. Gie heißt 
„Mad. de Vandeuil”. Dem Zitel nad follte man glauben, 
daß der Roman „Mad. de Vandenil” eine gemeinichaftlicye Ara 
beit der beiden genannten Romandichter fei. Dem ift aber nicht. 
fo. Die Novelle, die auf dem Zitel angeführt wird, rübrt von 
Houſſaye her und bitbet nur einen kleinen Theil des inhaltreicher 
Bandes, in dem bie beiden beliebten Gchriftfieller mehre ihrer 
Dichtungen, die zum größten Theile ſchon in verfchiebenen Zeit⸗ 
ſchriften erfchienen find, zufammengeftellt haben. Won Houffape, 
deffen „Dix-huiti&me sidcle’ wir bereits in biefen Blättern ers 
mwähnt haben, finden wir außer der angeführten „Mad. de 
Vandeuil” noch einen gar anmuthigen „Roman sur les bords 
du Lignon“. Jutes Sandeau hat zu diefer Sammlung drei 
feine Novellen geliefert, von denen wir befonders den „Duc de 
Penthievre” hervorheben. Es zeigt ſich in diefem Eleinen Bilde 
ganz diefelbe Zurtheit und Eleganz in der Darftellung, bie wir 
erſt fürstih in feinem ‚‚Docteur Herbeau” bewundert haben. 
Sandeau ift bekanntlih durch fein ehemaliges Freundichaftes 
verhältniß zur Mad. Dubevant und befonders durch den Um— 
ftand, daß diefe geiftreiche Eichriftftellerin die erfle Sylbe feines 
Namen zu ihrem Pfeubonym gewählt kat, zuerſt bekannt ge⸗ 
worden. 


„Tra-los-montes” (Jenſeit der Berge) ift der Titel des 
neueften Werke, das der fruchtbare Feuilletonift der „Presse”, 
Zheophile Kautier, erfdyeinen laͤßt. Es betrifft nicht etwa, 
wie man aus dem Titel vermuthen könnte, ben Theil von Portugel, 
der den Namen Tra-los- montes führt, fondern liefert Reife 
Iilberungen aus Spanien, von denen ein Theil bereits in ber 
„Revue de Paris‘ erjdienen ift. Unter den bereits abgebrucdk 
ten 'Auffägen hat man befonders diejenigen bemerkt, in denen 
Gautier die reichen Kunſtſchaͤte der verfchiebenen Städte Spa⸗ 
niens, fowie die Dentmale der Vergangenheit dieſes intereffans 
ten Landes ſchildert. Gautier ift in der Kunftgefchichte ſehr bes 
wandert und feine Feder befonders gluͤcklich in pittoresfen 
Schilderungen. Sein Gtil, der im Ganzen ſchmiegſam und 
nur zuweilen mit alten Ausbrüden gar zu überlaben unb gar 
zu ſchnoͤrkelhaft it, kommt ihm babei trefflich zu flatten. überaif 
haben wir in ber reichen Galerie, die der Verf. in feinem zwei 
—* Buche eroͤffnet, eine wahrhaft poetiſche Xatohung 
gefunden. 





Berantwortlicher Derauögeber: Heinrich Brodhaud — Drud und Berlag von BE. 4. Brodbeus in Erirsig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienftag, 


28. März 1843, 





Sriedrih von Gengß. 
Memoires et lettres inedits du chevalier de Gentz publies 

e Gustave Schlesier. Stuttgart, Hallberger. 1841. Gr. 8. 

—** 15 Rgr. 

Trotz mannichfacher Bemuͤhungen, den verſtorbenen 
öftreichifchen Diplomaten Gentz mit einer Strahlenglorie 
von allen moͤglichen edeln und patriotiſchen Eigenſchaften 
zu umgeben, bat ein ſicherer moraliſcher Takt der heutigen 
Deutfhen dennoch den Stab über ihn gebrochen. Diefe 
Berfuche haben nur dazu gedient, jeinen Charakter ſchaͤr⸗ 
fer zu anatomiren, und wenn ohme biefelben das öffent: 
liche Urtheil vielleicht in einer gewiſſen unbeflimmten 
Schwede ſich gehalten haben würde, fo ift es duch jene 
aufdringlichen Anpreifungen eben gezwungen worden, über 
diefen Gegenftand mit fich ſelbſt ins Reine zu kommen. 
So wiederholt fih auch bier die Erfahrung, die wir täg- 
lich in der moralifhen Welt beobachten Eönnen, nämlich 
die, daß das Unwahre in feiner Blindheit und verderbli⸗ 
chen Thaͤtigkeit eben felbft zu feinem Sturze am meiften 
beiträge. Über Gens eriftirt in diefem Augenblicke keine 
Gontroverfe mehr in der Öffentlihen Meinung. Man er: 
tennt feine großen Talente an; man bewundert feine dia: 
lektiſche Leichtigkeit und die große Gewandtheit, womit er 
fi) nicht nur in die Gedanken, fondern auch in die Em: 
pfindungen derjenigen Partei zu verfegen wußte, ber 
er ſich anzufchließen für zweckmaͤßig find, man erſtaunt 
über die Kühnbeit, womit er fih ohne allen dußern Vor: 
ſchub eine Stellung unter den Mächtigen diefer Erde zu 
ereingen mußte. Man ift darüber einig, daß eben das 
erſtaunenswuͤrdige Talent, jedes beliebige Spftem bis 
zu einem gewiſſen Grade ſich anzueignen, ja für den Au: 
genblick für fich felbft zur ſubjectiven Wahrheit zu erhe⸗ 
ben, ihn zu einem Parteiſchriftſteller machte, wie vielleicht 
die weine Ehrlichkeit und der wirkliche Fanatismus eben 
in diefen Regionen nie hervorgebradht Haben würden. Aber 
man hat fid) audy überzeugt, daß Gentz eben das Gegen: 
theil alles Deffen war, was man unter dem Namen von 
Charakter, Sefinnung, Gemeinfinn, Patriotismus, Recht: 
lichkeit und Wahrheit begreift — Alles Eigenfchaften, die 
unferer Zeit noth thun, nach deren bleibendem Beſitze wir 
ringen und deren Erwerbung nur dadurch beeinträchtigt 
werden fann, wenn man und einen Dann als Muſter und 
Inbegriff derfeiben hinftellt, während er doch nur ihr Affe war. 


» 


Es find befonders drei Champione aufgetreten, die für 
den verflorbenen Ritter Geng eine Lanze eingelegt haben: 
ein gewefener Diplomat, ein noch in Activität befindlicher 
Diplomat und ein junger Mann, der gern Diplomat wer⸗ 
den möchte und ſich den Namen Gens zum Eintritt in 
diefe Garriere ‚al Mittel und Mufter bedient. 

Der gewefene Diplomat ift Varnhagen von Enfe, 
befannt als Verfaſſer mancher Lebensbefchreibung und 
als Gatte der geiftreichen, bei aller momentanen Excen⸗ 
trichtät und Übertreibung dennoch unendlich edeln und 
wahren Rahel Eevin. Was Varnhagen dazu bewogen, 
einen Kampf zu beginnen, der fo fehe zu feinem Nach: 
theile ausgefallen und der eben Anlaß gab, neben dem 
Charakter des Delinguenten vor ber öffentlichen Meinung 
aucd die Individualität des Defenfors etwas fchärfer ins 
Auge zu faffen, laͤßt ſich nicht mit Beſtimmtheit fagen. 
Mas ung anbetrifft, fo ſcheint uns der Grund in einem 
falfchen Calcul zu liegen, denn daß Varnhagen aus reiner 
Liebe zu feinem verftorbenen Freunde Geng, unbekuͤmmert 
um den Erfolg für ihn, zum Ritter und allenfalls zum 
Märtyrer werden wollen, fcheint uns nicht wahrſcheinlich. 

Varnhagen's ethifche Lebensanficht, wie fie jich in allen 
feinen Schriften auefpricht, ift offenbar eine fehr Außerliche, 
wir möchten fügen conventionnelle. „Erlaubt ift, was ges 
fällt”, fagt Taſſo. Warnhagen fagt oder denkt vielmehr: 
„Gut it, was fih Geltung verfchafft, was reuffirt. ” 
Diefe Anſicht ift dee Schlüffel, der uns das Berftändniß 
des Literarlichen Charakters diefes Mannes eröffnet. Rich⸗ 
tig verftanden, ift Liefer Grundfag fogar wahr; denn Allee, 
was eine bleibende Wirkung in der moraliihen Welt 
außert, muß allertings irgend einen Keim des Guten und 
Mahren in fih tragen. Mur muß man dabei freilich 
das augenblidliche dAußerlihe Gelingen nicht mit dem 
nachhaltigen Siege der Idee verwechſeln; auch muß man 
zu unterfcheiden wiſſen, wo eigentlich der fruchtbare Same 
bei einer hiſtoriſchen Erfcheinung zu fuchen ift, und muß 
das Weſentliche und Wahre von dem Unmwefentlihen und 
Unwahren feharf trennen. Dazu aber ift erfoderlich, daß 
man felbft ein natürliches, urfprüngliches Kriterium für 
das Gute und Wahre in der Bruſt trägt, wodurd man 
bei allen wechſelnden Geftalten und mannichfaltigen dußer: 
lichen Einkleidungen des Lebens ein leiſes Ohr, einen 
fihern Inſtinct für das Bute erhält. Diefe Wünfchele 


‚816 


euthe, welche zudt und fich meldet, fobald fie auf morali⸗ 
ſches Gold ftöße, welche ‚bei taubem Geſteine dagegen unbe 
weglich bleibt, mangelt Varnhagen gänzlih. Die innere 
Stimme. fehlt und fo ift ed Leiche zu erklären, wie er ſich 
jene ganz dußerlihe Werthmeſſung, die auf totaler Geſin⸗ 
nungsloſigkeit beruht, zu eigen gemacht hat. Robespierre 
und Napoleon, Zingendorf und St.: Martin, Rahel und 
Goethe, Metternich und Sartouche, Alles, was nur je einen 
augenblicklichen Erfolg gehabt, weiß er mit bewunderungs⸗ 
würdiger Unparteilichkeit nebeneinanderzuftellen. Daß aber 
Manches, was für den Augenblid glänzt, was veuffirt zu 
Haben fheint, fon den Keim des Verderbens in fich 
ttaͤgt, daß Manches, was in diefem Augenblide wegen der 
Schlechtigkeit und Kurzſichtigkeit der Zeitgenoffen noch 
nicht erfannt und unterdrüdt wicd, bald auf dem Gip: 
fel des Ruhms ſtehen wird, das entgeht feinen Blicken, 
aben weil er den moraliſchen Kern einer Sache nicht zu 
verſtehen weiß. Ehe der aͤußere Erfolg nicht vorhanden, 
ciiſtirt die Sache für Varnhagen nicht. Dieſet moraliſche 
Indifferentismus hat ihn ſchon zu vielen Fehlſchüſſen ver: 
leitet und es liegt auf der Hand, daß ein folder Mann 
am allerwenigſten geeignet ift, über jüngfte Vergangenheit 
und Gegenwart fi) zu dußern. Ganz entfernte Zeiträume, 
die ſchon in einer feften aͤußern Plaſtik daftchen, Eönnte 
er noch eher allenfalls befchreiden, aber da, wo noch mehr 
innerlich Werdendes wie Außerlih Gewordenes ift, muß 
er freilich in der Irre herumtappen. Aber audy bei frü⸗ 
bern Perioden kann er es doch nie zu einer felbfländigen 
Reproduction der Geſchichte bringen, fondern hoͤchſtens 
fchafft er ein todtes Daguerreotppbild. 

Zu jenen Sehlfchüffen, die weit vom Ziele abgingen, 
gehört denn auch feine Apologie und Wiedererweckung 
Gens. Gens hatte für einen Patrioten gegolten und 
als folcher Ruhm erworben, er hatte fpäter für einen fei⸗ 
nen, gemandten Diplomaten gegolten und als folder ebens 
fals Ruhm erworben; ein Mann, der auf foldye doppelte 
und faft entgegengefegte Weile reuffirt hatte, mußte Varn⸗ 
hagen vor Allem merfwürdig und der Beachtung werth 
erfcheinen. Außerdem wollte er vielleicht ſich durch diefe 
Anpreifung eines fruͤhern Koryphaͤen wieder in Erinnerung 
bei der Diplomatie bringen, denn aus mandyen feiner 
Schriften, 3. B. aus der fehr gerühmten, aber. durchaus 
geiftlofen Skizze des wiener Congrefjes leuchtet eine 
ſchmerzliche Empfindlichkeit über verfehlte diplomatiſche 
Garriere forwie der noch immer nicht aufgegebene Wunſch 
hervor, diefelbe noch einmal wieder zu betreten. Zu feiner 
größern Sicherheit gereichte ihm noch das Urtheil Rahel's über 
Gens. Varnhagen hatte gefehen, wie ſehr Rahel von 
allen geiftteihen Männern anerkannt wurde, und fo bes 
gnügte er fich nicht damit, fie ebenfalls anzuerkennen, was 
nach feiner Formel, fih Urtheile zu bilden, ganz folgerecht 
geweſen wäre, fondern er occupirte auch manche ihrer Ur: 
theile und Anfichten als die feinigen. Daraus entſtand 
denn freilich ein ziemlich auffallendes Quodlibet, denn 
Rahel's Eigenthümlichkeit war ed eben, daß fie immer in 


die innerften Motive der Menfchen und Ideen einzudrin: 


gen ftrebte und ſich wenig oder gar nicht um das augen: 


blickliche conventionnelle Urtheil der Gegenwart kümmerte. 
Ihre Anfichten und die ihres Gatten waren ihrer Natur nach 
völlig antipodifh und es macht daher eine, wahrhaft ko: 
mifhe Wirkung, wenn aus dem glatten, moraliihen Sn: 
bifferentismus der Varnhagen'ſchen Redeweiſe ploͤhlich ‚eine 
leidenſchaftliche, excentriſche Idee diffonivend hervorſpringt. 
Solche Geiſtesfunken ſind aber weiter nichts als Plagiate, 
die Varnhagen an der Converſation ſeiner Frau begangen 
und die er, gaͤnzlich unvermittelt und ungeſchickt combinirt, 
in feinen Text eingefchattet bat. Rahel num nahm auch 
den hoͤchſten Antheil an Geng, ja fie liebte ihn. Was 
fie aber an ibm liebte, das war nicht der Diplomat Geng, 
nicht der rechtliche Charakter Gens, nicht der Mann der 
Idee Geng — alles Diefes verachtete fie, obgleich es ihrer 
Liebe keinen Eintrag that —, fondern es war ganz etwas 
Anderes. Es war Geng ber fröhliche Genußmenſch, Geng 
das fentimentale, leicht erregbare Kind, Gens der Zutrau: 
liche, der, wenn er fie auch hundert Male verrathen, fich 
vertrauenevoll ihre näherte, wenn es ihm ſchlecht gina, 
wenn er fi verflimmt fühlte, um Troſt bei ihr zu fas 
hen; denn tröften war bekanntlich Rahel's liebſte Beſchaͤf⸗ 
tigung und edelfte Leidenſchaft. Dieſes Verhältnig Ra: 
hel's zu Gens har nun Varnhagen auch falfc verſtan⸗ 
ben; er mußte e6 ebenfalls nicht zu motiviren. Rahel 
lobte Gentz, folglich lobt Varnhagen ihn auch, aber uns 
glüdticherweife wirft ſich Varnhagen zum Lobredner dee 
Diplomaten, Politikers und Lohnfchriftftellers Gentz auf, 
an deſſen Lob Rahel nie gedacht, wenn fie auch mit bem 
Mantel der Liebe ihn bededit hatte. 

- Der zweite Advocat Gens ift der noch in Activitaät 
befindliche Öftreihifche Diplomat Prokeſch von Oſten. Herr 
von Profefch meint, es fei blos Neid, wenn fih ein Ge⸗ 
fhrei gegen eng erhöbe. Derfelbe fei ein rechtlicher Mann 
gewefen. Die Begriffe von Rechilichkeit find aber ver: 
ſchieden und richten ſich nah der ethifhen Bildung der 
Völker und Zeiten. So kann ed kommen, daß wir Nord⸗ 
deutfchen etwas für unrechtlich halten, was nad, der la⸗ 
xern Moral anderer Völker als ganz in der Ordnung er: 
ſcheint. Wir find in diefer Beziehung auch billig umd bes 
urtheilen die Individualitaͤten nad ihrem Standpunkte 
und ihrer Nationalfitte. So z. B. würden wir auch ge: 
gen den Deren vom Oſten durchaus toferant fein und 
ibm Manches nachſehen, was wir 3. B. an einem preus 
Bifhen Staatsmann tadeln würden. Hätte man uns 
Geng blos als Öftreichifchen Diplomaten, als den Gabi: 
net6fecretair des Fuͤrſten Metternich gerühmt und als ſol⸗ 
chen unfere Anerkennung verlangt, fo würde ſich ſchwer⸗ 
lid) eine Proteftation in Deutfchland erhoben haben. Aber 
man verlangte unfere Anerfennung Gens’ ald deutfchen 
Patrioten, als beutfhen Muſtercharakters, als Ideal eines 
deutſchen Staatsmannes; dagegen mußten wir Einiges 
erinnern. Von unſerm norddeutſchen, vielleicht etwas zu 
rigoriftifhen Standpunkt aus erfcheint es uns z. B. als 
pure Unrechtlichleit, wenn Geng einen Finanzplan gegen 
baue Bezahlung verräth; es erfcheint uns ale Unrecht: 
lichkeit, wenn er für eine Audienz, die er einem Banquier 
bei dem Fürften Metterternich verſchafft, fich eine erkleck⸗ 





347 


fiche Summe bezahlen läßt u. ſ. w. Dabei wollen wir 
gern zugeben, daß Gentz in Oſtreich immer noch für einen 
vechtlichen Mann gegoltin hat; auch loben wir Hrn. Pro: 
eich v. Orten, daß er ſich feines Freundes und Goͤnners 
annimmt. Gens mar gewiß ein harmanter Mann, ein 
charmanter Sefellfchafter, ein geiftreicher und fuͤr die dortigen 
Gegenden erflaunlich geiltreiher Mann; er hat gewiß Hrn. 
v. Prokeſch vie Wohlwollen bewieſen. Kein Wunder, 
daß er in dem Andenken deffelben eine der erften Stellen 
einnimmt. 

Der dritte Apologet Gentz', den mir einen angehen: 
den Diplomaten genannt haben und der ed wenigſtens 
in feiner eigenen Hoffnung zu fein fcheint, iſt nun eben 
der Herausgeber vorliegender noch ungedrudter Schriften 
des verftorbenen Ritters der Legitimitaͤt. Hr. Guſtav Schle⸗ 
fier hat wie Geng mit einigen Verſuchen im Sinne des 
Liberalismus feine fchriftftellerifche Laufbahn begonnen. 
Ebenfo wie Gens verlor er aber bald das Vertrauen zu 
diefer Sache und er hielt es für zweckmaͤßiger, ſich der an: 
dern Seite zuzuwenden. Die Botſchaft hatte er gehört, 
aber ihm fehlte der Glaube. Inſofern alfo, als ihm ber 
Glaube an diefe Idee verfagt war, that er recht, ſich von 
ihr abzumenden. Und wenn er auch vielleicht ebenfo we⸗ 
nig Glauben an das entgegenftehende Princip hatte, fo 
ſchien fein Drang, ſich auf irgend eine Meife geltend zu 
machen und fih einen Poften auf diefer Erde zu errin⸗ 
gen, von dort eher Befriedigung erwarten zu dürfen. Er 
warf fich zum Apologeten Geng’ auf und glaubte das 
durch vielleicht am beften den Beweis zu führen, daß er mol 
aͤthnliche Dienfle, wie Gens leiften könne. Aber zwiſchen 
Gens und Schleſier ift denn doc noch ein ungeheurer 
Unterfchted. Theils war es eine andere Zeit, in der Geng 
mit fiherm Kalte feine Laufbahn begann, und was da: 
mals reuffirte, gelingt darum noc nicht jest. Sodann 
aber war Gens wirklich ein Genie; er befaß die feinften 
Fuüͤhifaͤden für das Schickliche und Paffende, für die Sym⸗ 
pathien Derer, denen er ſich verbindlid und nothwendig 
machen wollte, und neben diefem genialen Inſtincte eine 
Kuͤhnheit, einen Unternehmungsgeift, weldye ihn zu den 
gluͤcklichſten Würfen führte. Eine Rolle, wie Geng fie 
gefpieft, läßt fi nicht nachahmen. Eine Schule auf 
Seng zu gründen, iſt Lächerlih, und Geng ſelbſt bat 
gewiß nicht daran gedacht, eine folche zu fliften. Es ift 
fhon eine eigene Sache, in Dingen ber reinen Wiſſen⸗ 
ſchaft eine eigentliche Schule zu bilden; der Lebendige Ge: 
danke des Meifters geht in der Megel bei den Schülern 
verloren und artet in todten, pebantifhen Dogmatismus 
aus, wie wir das leider taͤgliy in Deutfchland erleben. 
Aber das Leben felbft, das praftifhe, in den Moment 
‚eingreifende, die fichere, unzählige Motive blitzſchnell ad⸗ 
wägende und ſich herausfühlende That, die göttliche Schlau: 
beit u. f. w., das laͤßt fih nun vollends nicht ſtlaviſch 
nachahmen und auswendig lernen. Und wenn irgend 
Semand, fo war Gens ein Mann foldy praftifhen mehr 
unberoußten wie bewußten Lebens. Es iſt nicht zu leug⸗ 
nen daß Hr. Schlefier fi viel Mühe gegeben und viel Fleiß 
‚angewandt bat, um ein zroeiter Gentz zu werden: 


Die 


äußern Bedingungen hat er fich gewiſſenhaft angeefgnet; 
fo 3. B. bat er auch paffabel franzoͤſiſch ſchreiben gelernt. 
Vorliegende Sammlung franzöfifcher Auffäge hat er mit 
einer franzöfifhen Vorrede verfehen. Da diefe Sammlung 
aber für Deutfchland beſtimmt ift, wie er ausdruͤcklich in 
ber Vorrede bemerkt, und zwar, damit wir ein Beiſpiel 
daran nehmen, wie franzoͤſiſcher Übermuch zurüczumelfen 
fei, fo laͤßt fidy Bein anderer Grund auffinden, weshalb er 
die Vorrede franzöfifch gefchrieben, als der, daß er damit 
ih aud in diefer Beziehung feine diplomatifche Befaͤhi⸗ 
gung habe legitimiren wollen. Freilich, ein Franzoͤſiſch, 
wie Gentz es ſchrieb, ſchreibt Hr. Schlefier doch nicht, 
wenn wir auch keine Grammatikalien und Germanismen 
darin entdeckt haben. 

Wenden wir uns jegt zu dem Inhalte diefer Samm⸗ 
lung. Der erfte Auffag ift cine Denffchrift, welche Gentz 
am 6. Juni 1804 dem öftreichifchen Premierminifter Gra: 
fen Cobentzl übergab. Sie handelt von der Nothmwendig- 
keit, den kaiſerlichen Zitel Napoleon's nicht anzuerkennen. 
Die darin geführte Sprache ift die eines wüthenden, en: 
ragirten Legitimiſten. Geng wußte fehr wohl, mit welchen 
Menfchen er e8 zu thun hatte und welche Grundfäge er 
an ben Tag legen müͤſſe, um Ihr Vertrauen zu gewinnen. 


"Wir ziehen auf gut Glück einige Redensarten aus. 


Jener Menſch, welcher nur groß iſt durch die Kleinheit 
Derer, welche er unterjocht hat, er hat es gewagt, ſeine Hand 
nach dem Diademe auszuſtrecken, er hat es gewagt, ſich einen 
erhabenen und geheiligten Titel beizulegen, an den bis jetzt alle 
Ideen von Größe und Majeſtäͤt, von angeſtammter und legiti⸗ 
mer Macht, von politifcher und ſocialer Erhabenheit fich nüpf- 
ten. Gr bat ſich ſelbſt eingebitvet, feine auf die offenbarfte ufurs 
pation gegründete Macht mit Hüsfe biefes neuen Titels, der bas 
Heiligſte ſchaͤndet, in feiner Familie vererben zu koͤnnen, eine 
Samilie, die, abgefeben von ber flanbatdfen Dunkelheit ihres Urs 
fprunges, aus Mitgliedern befteht, die anerfanntermaßen zu 


-den unmoratifcgften und vermworfenften Bewohnern dieſer Erbe 


gehören. 

Wenn die Souveraine fi den Titel Bonaparte's gefallen 
laſſen, fo ift bie majeftätifche Seite im Buche des BVoͤlkerrechts 
klaͤglich zerriſſen, mit Fuͤßen getreten und zu &taub verwefetz 
dev magifhe Glanz, der die höchfte Gewalt umgibt, ift für 
immer zerflört; die Revolution ift anerfannt und beinahe ge 
heiligt; alle Unternehmungen jeglicher Verbrecher, die früh oder 
fpdt ben Umſturz der Staaten bezwecken, find im voraus ge 
fördert; ihr Triumph ift bereits proclamirt. Und nichts wird 
nun fürber ben erften beften Brigand, der mit einigen Talenten 
begabt ift, abhalten, den exften Souverain Europas keck ins 
Geſicht zu lachen und mit jener unglaublichen Unverfchämtheit, 
welche in der blutigen Tragoͤdie umferer Tage ſich kund gibt, 
ihm zuzurufen: In zehn Jahren fige ich auf deinem Plage. 

Und wende man nicht ein, daß eben Bonaparte jenes ſcheuß⸗ 
liche Princip ber Volksſouverainetaͤt gebändigt und beflegt babe. 
Ja, hätte ex fi an der Spige feiner Armee, durch das Recht 
des Scywertes und bes GStärkern zum Kaifer ausrufen laffen 
unb bie bemagogifchen Safchenfpielerfünfte veramtet! Aber flatt 
deſſen hat er ausdruͤcklich darauf beftanden, durch bie Stimme 
der Advocaten, Schreiber, Rebner, aller Derer, bie noch von 
ber ſchlechteſten Race der erften Revolutionnatre übrig waren, 
auf den Thron erhoben zu werden u. f. w. 


Wie gefagt, Geng kannte feine Leute; er wußte, daß 
eben das Gute, was Napoleon that, von ihnen gehaßt 
wurde, weil fie darin eine mögliche Dauer des neuen Zus 
ftande6 erblickten. Es ift bekannt, daß Marat und Mo: 


bespierre von jenen Leuten lange nicht fo gehaßt wurden 
wie die Lafayette und Monnier. Bor den Schandtha⸗ 
ten und Gewaltthaten fürdhtete man fih nicht, wol aber 
vor der Weisheit und dem Edelmuthe; die Übertreibungen 
fab man gern, nicht aber die Mäpigung. Den Eroberer 
Napoleon hätte man wol anerkannt, den Kaifer Napoleon 
duch die Wahl Napoleon's verabfcheute man. Gentz 
wußte, daß er diefe niederträchtigen Grundfäge offen aus: 
ſprechen durfte, ohne dabei etwas zu riskiren; umgekehrt 
wurde er erſt daduch der Mann nach ihrem Herzen. 

Die geniale Unverfhämtheit von Gens geht aber noch 
weiter und wird wahrhaft bemunderungsmwürdig. Er be: 
gnügt fih nicht mit den erteavaganteften Tiraden gegen 
die franzöfiiche Revolution, fondern er erlaubt ſich fogar 
den Königen und Miniftern in feinem heiligen Eifer eine 
Strafpredige zu halten. Ihr felbft feid ebenfalls ſchuldig, 
ruft er ihnen zu, nie und nimmer hättet She unterhan⸗ 
dein, nie unter Euch uneinig werden, nie an etwas An: 
deres denken müffen, als die Revolution mit dem Schwerte 
zu vertilgen. Hr. Schlefier will darin eine edle Freimuͤ⸗ 
thigkeit erblidden; mir fehen darin nur eine geniale Bes 
rechnung. Solche Vorwürfe, die unter der Maske des 
Tadels den innerften Gedanken und Wünfchen ſchmeicheln, 
Elingen füß und verlegen nicht. 

(Der Beſchluß folgt.) 


Bord Francis Egerton’s „Mediterranean 
8 


etches”. 


Bon dem burdh feine fafhionabeln Eigenfchaften befannten 
Lord Francis Egerton erſchien ein anziehendes Buch unter dem 
Zitel ‚‚Sketches on the coasts of ıhe Mediterranean‘', aus 
Berfen und Profa gemifht. Gin Gedicht „The pilgrimage”, 
in der neungeiligen Stanze gefchrieben, könnte der Form wegen, 
in der es gehalten ift, der Localität wegen, auf der es ſpielt, 
glauben machen, Lord Egerton wolle in diefem Gedichte mit 
Byron’3 „Childe Harold’ rivalifiren; aber die contemplative 
Natur Egerton’s ift der leidenfchaftlichen Natur Byron's ganz 
entgegengefegt. Egerton’s Berfe find gut; aber an eine Eoncurs 
ren; zwilchen einem Dichter wie Byron unb einem befchaulidyen 
verfificirenden Zouriften wie Lord Egerton ift hier gar nicht zu 
denken; auch bat Egerton ſelbſt ohne Zweifel nicht daran ges 
dat. Die Roten zu biefem Gedichte find fchägbarer als das 
Gedicht felbft. Intereffant z. B. ift die Schilderung folgender 
Scene: „Richts konnte angenehmer oder erfrifchender fein ale 
diefe Stätte; aber in der Nacht fand eine Veränderung flatt, 
welche unfern Traum zerftörte. Verſchiedene Erſcheinungen am 
Himmel hatten einen plöglidden Umfchlag des ungewöhnlich heir 
Ben Wetters verkündigt. Als wir uns eben zur Ruhe begaben, 
kam ein Wirbelwind ploͤtzlich aus der Schlucht mit folcher ‚Def: 
tigkeit, daß «8 augenſcheinlich war, unfer Zelt würbe ihm nicht 
lange Widerftand leiften Lönnen. Dies geſchah fo unvermuthet, 
daß Lady F. kaum zu entfhlüpfen Zeit hatte und ihr Mädchen 
unter dem Sturze eine Zeit lang begraben wurde. Deögleichen 
wurbe auch eins unferer Kleinen Zelte niedergeſtuͤrmt und Dr. 
G., der darin fchlief, litt nachher viel von der Kälte, ba er fo 
plöglih einer Temperatur von einigen ſechszig Grab weniger 
ale zu Fiberias ausgefegt war. Gluͤcklicherweiſe begleiteten nur 
wenige Regentropfen biefes Phänomen Lady F. fand Zuflucht 


gefchleubert und ferner unbrauchbar war. Nach einer mähfamen 
Zagereife war diefe Unterbrecjung ber Ruhe keineswegs erquids 
lich. Dieſer ungeflüme Eindrang der Gebirgöluft in das vers 
bünnte Medium unten bauerte etwa brei Biertelflunden und 
fegte dann in einen fühlen aber gemäßigten Wind um. Die 
Dorfbewohner zeigten eine freundliche und thätige Baftfreunbs 
Thaft. Wir mußten jest über einen der hoͤchſten Gipfel des 
Libanon, welcher gerabe Über uns emporſtieg. Hier fam uns 
bie gewiffe Nachricht von einer ausgedehnten Infurrection zu, 
auch hörten wir, daß die Landſchaft, welche wir ſoeben verlafs 
fen hatten, Rashya, und felbft Hasbya fi in offener Empös 
rung befanden. Am meiften beunruhigte mich der Gedanke, daß 
uns unfere Maulefeltreiber verlaffen würden, um zu ihren as 
milien nad Rashya zurüdzußebren,, und doch machten fie eine 
Miene, welche auf eine folche Abſicht gedeutet hätte. In einem 
malerifchen Zickzack fliegen wir den Gipfel hinauf, unter einie 
gem Regen und Nebel, in geringerer Zeit, als id bem Ans 
heine nad) erwartet hatte. Wir hatten nur eine Beine Strecke 
Schnee zu überfchreitenz; und obgleich der piögliche Übergang zu 
einem ſolchen Klima gefährlich war, erfreute ich mich doch des 
feudgten Windes, welcher wie ein Hauch aus Schottland kam 
und mich zwang, mid) in den Mantel meines Marſchlandes gu. 
wideln, ats ob ich dort auf der Jagd wäre. Wir fließen auf 
einen oder zwei bewaffnete reitende Boten und Alles, was wir 
erfahren konnten, beftätigte die Erzählungen von der Infurrece 
tion. Dennoch fand in den Dörfern, durch welche wir famen, 
feine ungewöhnliche Bewegung flatt. Die Anficgten, welche wir 
von den die Gegend beherrſchenden Punkten hatten, waren 
wahrhaft praͤchtig; bie Schluchten find tief und mit ſchoͤnem 
Gehoͤlz bekleidet; aber nie ſah ich im Libanon eine Gcenerie, 
welche mit den Scenerien eucopäifcher Gebirge einen Vergleich 
aushalten konnte.” 13. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Bon P. Armanbi, früher Xrtilleriehauptmana, erſchien: 
„Histoire militaire des el&phans, depuis les temps les plus 
recul&s jusqu’a l’introduction des armes à feu’; von Daniel 
Ramen „Manuel de l’histeire generale de l’architecture chez 
tous les peuples et particulierement de l’architecture en 
France au moyen -äge”, wovon ber erfte Band das Altertbum, 
ber zweite das Dittelalter umfaßt, beide mit zahlreichen Holz⸗ 
ſchnitten ausgeftattet; „„L’anti- Nostradamus, almanach histo- 
rique et amusant pour 1843, contenant la refutation com- 
plete des calculs de l’almanach prophetique‘’; „Le Mexique, 
souvenirs d’un voyageur’’, von Ifidor Loͤwenſtein, Verf. der 
Reiſeſchriften „Les Etats- Unis et la. Havane”; „Origine 
commune de la litterature et de la legislation chez tons les 
peuples, demontree par l’examen comparatif des ızonumens. 
litt£raires des He&breux, des Hindous, des Chinois, des Ma- 
hometans etc.”, von N. 9. Eellier Dufayel; „Theorie de la 
science sociale”, von Rey; „Traité de paix perpetuelle‘‘, 
von Marchand, und von einem ancngmen Verf. ein „Essai 
sur la formation du dogmae catholique”, eine frommgläubige, 
doch nach Unabhängigkeit der Anfichten ftrebende Schrift, welche 
man einer Dame von hoher Difkinction zufchreibt. 

Da wir Deutfchen, obgleich doch fo überfegungsluftig , fels 
ten mit Erzeugniſſen ber ruſſiſchen Preffe befannt gemacht 
werden, fühlen wir uns um fo mehr veranlaßt, auf zwei Über 
fegungen aus dem Ruffiihen hinzuweiſen, bie in franzoͤſiſcher 
Sprade erſchienen find: „Sept anndes en Chine, nouvelles 
observations sur cet empire, l’archipel indo-chinois, les 
Philippines et tles Sandwich”, movon eine neue Auflage 





erfienen ift, und „Ivan Nikitenko, le conteur russe, fables,. 


in einem Haufe des Dorfes; der Verluft an Gepäd befchränkte | historiettes et legendes”. Gmanuel Saligin ift der franzoͤ⸗ 
fih am Morgen auf eine alte Müge, welche drei Felder weit ' fifche Bearbeiter beider Werke. 18. 


Verantwortlicher Herausgeber; Heinrih Brodbaus. — Druck und Verlag von F. A. Broddans in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





29. März; 1843. 





Friedrich von Geng. 
¶Beſchluß aus Nr. 87, 


Zulegt treibt Gentz feinen legitimiftifhen Rigorismus 
auf den hoͤchſten Punkt. 


Nicht nur — fagt ee — wäre eine Anerfennung Rapoleon’s. 


unpolitiſch, gefahrdrohend für Euch Könige — fie ift noch mehr, 
fie ift eine ewig verwerfliche Handlung. Die Autorität auch. des 
alterunbefchränfteften Souverains bat ihre Grenzen; es gibt eis 
nen böchften Richter, dem er dereinft Rechenſchaft abzulegen hat 
über feine Handlungen ; es gibt ein allgemeines Gewiſſen ber 
gefammten Mnfchheit, weiches, obgleich häufig wie bei ben eins 
zeinen Individuen für den Augenblick erftidt und zum Schwei⸗ 
gen gebracht, dennoch über kurz oder lang wieber zu feiner ers 
habenen Beftimmung zurüdfehrt und Rache nimmt an ben Über: 
tretern der ewigen Srundfäge. Kein Souverain hat bas Hecht, 
Die fortwährende Vertreibung einer Rönigefamilie zu unterzeich⸗ 
nen, deren Zitel kraft Erbrecht ebenfo unzerſtoͤrbar iſt wie 
der eigene. Kein Souverain hat dad Recht, eine vermegene 
Ufurpation anzuerkennen, die fi) nicht einmal mit dem Scheine 
Der Legitimität zu bekleiden ſucht, fondern mit drobenber, unver: 
fchleierter Stine allen Grundfeſten der focialen Orbnung Hohn 
ſpricht. Kein Souverain hat das Recht, mit dem Verbrechen 
zu unterhandeln, in Gemeinſchaft zu treten mit einer Revolution, 
die alle göttlihen und menfchlichen Gefege mit Fuͤßen getreten 
hat, und fi indirect zu ihrem Mitfyutdigen berzugeben, indem 
er in dffentiichen Bekanntmachungen den Zitel Deffen erlaubt, 
dem diefe Hevolufion zulegt ein blutiges Scepter übertragen bat, 
eined Menſchen, ber es vorzog, die Unorbnung zu confolidiren 
und beren vergiftete Fruͤchte kommenden Gefchlechtern zu verers 
ben, ftatt die legitime Ordnung wieberherzuftellen, als die Vor⸗ 
fehung bie Macht dazu in feine Hände gelegt hatte. Unbegreifs 
lich iſt es, wie Kürften, deren Loyalität, Kechtlichkeit und Pies 
tät in allen Welttheilen befannt und bewundert ift, den Gedan⸗ 
ten ertragen können, ihren eigenen hoben Namen mit einer 
fdyimpfiigen Gapitulation zu verbinden, welche fie durchaus 
compromittiet mit ihren Pflichten gegen bie Gottheit — dieſer 
en Quelle der Gerechtigkeit — mit ihrer eigenen Würde — 
diefem Heiligen, Ihnen anvertrauten Pfande, von ber fie nicht 
den Meinften Theil ſich vergeben dürfen — mit dem Interefle 
ihrer Unterthanen — welches ſtets dem vorübergehenden und 
zweifelhaften Interefle des Augenblicks vorzuziehen ift — und 
endlich mit der Öffentlichen Moral und mit der Nachwelt. Hätte 
ich das Ungläd, Souverain oder Minifter während einer foldyen 
Kriſe zu fein, ich glaube, ich würbe weniger erſchrecken vor bem 
Gedanken, meine Krone niederzulegen, meine Stelle aufzugeben, 
als eine fo furchtbare Verantwortlichkeit zu übernehmen. 


Durch ſolche leidenfchaftlihe und klug angebrachte 
Declamationen wußte Geng vorerſt fidy bei den damaligen 


Männern, welche felbft in hoͤchſtem Grade leidenſchaftlich 
maren, rüdfichtlich feiner legitimen Gefinnung zu legitimis 
ven. In Form einer Strafpredigt fchmeichelte er ihren 
innerften Herzenswuͤnſchen und wußte ſich auf die feinite 
Weiſe ihre Vertrauen zu erwerben. Aber mit der bloßen 
Sefinnung war jenen Derren nicht gedient; der legitime 
Fanatismus in feiner Satonifchen Strenge war ihnen une 
bequem, fobald es fi um Werkzeuge handelte, um ihre 
Plane auszuführen. Jeder Kanatismus ift immer jefuls 
tif) ; der bis auf die aͤußerſte Spitze getriebene Grundſatz 
tät fih im Leben nicht durchführen und muß daher in 
der Praris „in majorem dei gloriam“ fdyon zu Concefs 
fionen und zur Falſchheit feine Zuflucht nehmen. Es if 
eine intereffante pſychologiſche Erſcheinung, daß eben das 
Gewiſſen des Fanatikers durch ſolche Duplicität ſich keines: 
wegs befchwert fühlt, und daß er In feiner Selbſttaͤuſchung 
die eigene Unwahrheit nie bemertt. Wollte Gens alfo 
feine Carriere machen, fo mußte er auch nad) Darlegung 
feiner legitimen Gefinnung fidy als einen jefuitifchen Prak⸗ 
tifer zeigen, denn fonft hätte man ihn wol zu den Gut⸗ 
gefinnten gezählt, aber nicht brauchbar befunden. Der 

bergang, den er nun vom rigoriftifchen Strafprediger 
zum lijligen Diplomaten macht, ift freilich unendlich plump, 
aber dennoch richtig berechnet; denn der Fanatiker, der ges 
gen fich felbft blind iſt, iſt es auch gegen Alles, was feis 
nen Wünfchen und feiner Reidenfchaft entipricht. 

Auf die Frage: „Was follen wir denn nun thun?“ 
die ſich Gentz aufwirft, antwortet er folgendermaßen: 

Auf diefe Interpellation Laffen ſich zwei Antworten geben: 
die erſte ift bie, die ich im Sinne eines Richters ertheilen würde, 
ber, über jegliche menſchliche Schwäche erhaben, nur nach den 
ewigen Gefegen bed Wahren entfchiede; biefe würde lauten: 
„Ihe müßt den Krieg wählen!’ 

Diefes wäre die peremptorifche Antwort, die mir von meis 
nen Grundfägen, von meinen Gefühlen, von meinem Gewiſſen 
bictirt würde. Anders aber verhält es ſich mit ber Antwort, 
bie ich einem Souverain ertheilen würbe, der mich bei fo ſchlim⸗ 
men Umftänden mit feiner Anfrage beehren würde; bann wuͤrde 
ich dieſelbe allerdings nach den pofitiven Zuftänden, nach ber 
Wirktichkeit einrichten, denn im Leben, in der Wirklichleit kann 
Pr immer nad Gewiffen, nach idealen Grunbfägen ver: 
abren. 

Nachdem Gens alfo zuvor erklärt hat, daß kein Sou⸗ 
verain das Recht habe, der Öffentlichen Moral und der Les 
gitimität etwas zu vergeben, läßt er nun mit fich handeln 


in Bezug auf die Umſtaͤnde. Er raͤth zur Lüge, zur 
Heuchelei, zu nichtigen Vorwaͤnden, um bie Unterhand: 
lung einftweilen in die Länge zu ziehen, zu Zweideutig⸗ 
‚ keiten u. f. w. Wenn mährend deſſen nicht ein gün: 
fliger Umſtand einträte, der die Welttage veränderte, muͤſſe 
mar zuletzt fich fügen. Auf diefe Weile hatte er Zweier: 
fei erreicht: erftens hatte er ſich als begeifterter Anhänger 
von untadelhafter Gefinnung gezeigt, zweitens als pfiffiger 
Menſch; er hatte bemiefen, daß er in beiden Rüdfichten 
zu brauchen fei, daß man in diefer doppelten Eigenfchaft 
auf ihn zählen könne, und eben folcher Maͤnner bedurfte 
man, die in der Theorie unerfhütterlih an der Heiligkeit 
der Majefldt hingen und die in der Prazis vor keinem 
Mittel zuruͤckbebten. Hatte er ſich früher nur ale ges 
wandten Parteiſchriftſteller documentitt, fo hatte er durch 
dieſes Memoire ſich als anftelliger Diplomat erwieſen 
und von da an bdatirt fein Eintritt in die diplomatifche 
Carriere. 

Wir uͤbergehen die fünf folgenden Aufſaͤtze, welche dieſe 
Sammlung enthaͤlt, weil ſie weniger intereſſant und doch 
in demſelben Geiſte erkuͤnſtelter declamatoriſcher Begeiſte⸗ 
sung und diplomatiſcher Perfidie geſchrieben find. Sie ent: 
halten: 1) Den Entwurf einer Proteftation Ludwig's XVIII. 
gegen den Ealferlichen Titel Napoleon’s. 2) Bemerkungen 
über einen Artikel im „Moniteur” vom 14. Aug. 1804, 
3) Ein an den Grafen Cobengl gerichtetes Memoire über 
die Einverleibung Genuas, vom 15. Juli 1805. 4) Noch 
ein Memotre, an Denfelben gerichtet, es befchäftige ſich mit 
der franzoͤſiſchen Preſſe und ſucht nachzuweiſen, dag Na: 
poleon auf voͤlkerrechtswidrige Weiſe das übrige Europa 
durch die Preſſe bekriege. 5) Ein Brief an den König 
von Schweden, vom 25. Juni 1805. Alle diefe Auf 
fäge find In dem befannten, an altem Feuer gewärmten 
Tone Gentz' gefchrieden. Da er nebenbei das Recht 
häufig auf feiner Seite Hatte, fo kann es nicht fehlen, 
daß auch viele richtige Grundfäge und Anfichten mit uns 
verlaufen, aber ein eigentlicher Charakter, eine ehrliche 
Überzeugung blickt nirgend durch und an den auffallendften 
MWiderfprüchen ift kein Mangel. 

Ungleich interefjanter ift der fiebente Auffag, der aus 
kritifchen Bemerkungen befteht, welche Gentz Über bie Un: 
terhandlung zwifchen Frankreich und England 1806 an: 
fett. Diefe Bemerkungen waren wahrfcheinlich ebenfalls 
für den oͤſtreichiſchen Minifter des Auswärtigen beflimmt. 
England hatte befanntlid unter Pitt das Interventions: 
princip bis zum aͤußerſten Exceſſe getrieben, trotzdem aber 
dadurch nur die Kräfte Frankreichs vergrößert, die Willens: 
ſchwaͤche und das falfhe Spftem der andern Gontinentals 
mächte vermehrt und England felbft in eine Schuldenlaſt 
geſtuͤrzt, an der es nody jegt krank liege. Nicht auf dieſe 
Weiſe, nicht durch englifhe Subfidien und fremde Gabi: 
netschlfichten konnte Napoleon geftürzt werden; erſt als 
die Kürften an die Voͤlker appellirten, als Volkskraft ge: 
gen Volkskraft aufitand, wurde der gerechten Sache der 
Sieg und Frankreich in feine natürlichen Schranken durch 
natürliche, moralifche Kräfte zuruͤckgewieſen. For war von 
jeher der entfchiedenfte Gegner eines Syſtems gewefen, 


welches ſich in die innern Verhaͤltniſſe eines Volks unbe: 
fugterweife mengt, oder welches die Beziehungen zweier 
Nachbarvoͤlker Eurzfichtigermweife durch Dazwiſchenkunft eis 
ner dritten, nicht direct betheiligten Macht zu regeln 
glaubt. Man kann zugeben, daß Kor im Eifer feines 
Kampfes gegen das falfhe Syſtem Pitt's einzelne Per: 
ſoͤnlichkeiten in der franzöfifchen Revolution und namente 
lid) den Charakter Bonaparte's vielleicht mit zu günftigen 
Augen anfah; im Wefentlihen aber hatte er recht und 
fein Syſtem der Nichtintervention wird ſich immermehr 
ale das Spftem der Gerechtigkeit und der gefunden Mo: 
ral in der Politit Bahn brechen. Daß Gens mit einem 
Spfteme nicht zufrieden fein konnte, welches die allgemeine 
Verbrüderung der Ariftofraten, den allgemeinen Kreuzzug 
bed Ancien regime gegen Frankreich, von dem er lebte 
und auf den er feine geiftige und phyſiſche Griftenz ge: 
gründet hatte, aufzulöfen drohte, mit einem Spfteme, das 
Beine Subfidien mehr zahlte und was aller heimlichen Ca⸗ 
binetspolitit fowie den Belohnungen für die derfeiben ges 
leifteten Dienfte das Garaus zu machen fchien, nicht zu: 
frieden war, iſt erflärlih. Auch wußte er wohl, daß naͤchſt 
Bonaparte felbit For der verhaftefte Mann in Europa 
war bei dem gunzen Ancien regime und bei feinen Goͤn⸗ 
nern insbefondere. Man braucht fich daher über die 
firenge Kritik, worin er or jede flaatsmännifhe Befaͤhi⸗ 
gung abfpriht und an jedem feiner Worte aufs klein⸗ 
lichfte mäßelt, weiter nicht zu voundern. Wir wollen hier 
nur einer Außerung erwähnen, die fowol für den morali: 
fhen Werth Geny’ charakteriſtiſch iſt, als fie auch zeige, 
was er feinen Gönnern bieten durfte, ohne Gewiſſens⸗ 
ſtrupel bei ihnen zu befürchten. Ein franzöfifger Emigré 
bat For den Antrag gemadt, Napoleon zu ermorden; 
unter Pitt waren dergleihen Dfferten fchon öfter geſchehen 
und nicht zuruͤckgewieſen. Fox Dagegen verwarf mit Ab⸗ 
fheu einen folhen Plan und bielt ſich auch verpflichtet, 
Napoleon von dem ihn bedrohenden Attentate in Kennt: 
niß zu feßen. 
fahfte Moral fowie dur die Lehren des Chriſtenthums 
begründet war — denn wenn For ſchwieg, fo war er Mit: 
ſchuldiger —, ſucht nun Geng lächerlich zu machen. Kor 
ſchreibt an Napoleon, daß feine Beftürzung bei einem fol: 
hen Antrage fehr groß gewefen fe. Was dußert Gens 
nun darüber ? 

War denn ber Worfchlag dieſes Mannes fo neu, fo uner: 
hört? Der Gedanke, ſich Bonaparte’s zu entledigen, ift denn 
boy ſchon Früher von mandyen Individuen gefaßt. Georges, 
Pichegru und fo viele Andere, die von ben adhtbarften Männern 
Englands unterftügt und von den Edelſten der Mitiebenden bes 
weint wurben, find wahrlich nicht weniger und nicht mehr fchulbig 
gewefen wie eben ber Mann, ber den Brief von For veranlaßt 
bat. Wenn ein fo ganz gewöhnlicher Plan Hrn. Bor ſchon fo 
außer fich brachte, fo müflen freilich Diejenigen ebenfalls gewal⸗ 
tige Verbrecher gewefen fein, deren Wuͤnſche für das Gelingen 
bes Unternehmens von Picdhegru gen Himmel fliegen. 

Die Beantwortung ber Frage, ob es ein BVerbrechen fei, 
einen Menſchen wie Bonaparte zu töbten, hängt lediglich von 
ber ab, ob feine Macht eine Iegitime fei ober nicht. Wer ihn 
für einen rechtmäßigen Souverain hält, wird fie freilich mit Ja 
beantworten mäflen; anders wirb Der baräber urtheilen, der in 
ihm nur einen Ufurpator erblidt u. f. w. 


Diefe Handlungsweiſe, die durch die ein. 


\ 


351 


Unfer edler Gens macht fih bier nicht nur über den 
gerechten Abfcheu eines edein Mannes, Mitfchuldiger an 
einem Meuchelmorde zu fein, luſtig, fondern er ftellt aud) 
Hart und unummwunden die Lehre auf, daß der Meuchelmord 
erlaubt fel, ſobald er zu Bunften und nicht gegen die Sn: 
terefien feiner fogenannten legitimen Gewalt gerichtet fei. 
Sicher war dieſes Manufeript nicht für Die Öffentlichkeit 
beflimmt, fondern nur für Staatemänner, die fih auf 
gleicher Höhe mit dieſer jefuitifhen Moral befanden. 
Gens hatte viel zu viel Takt, um der Öffentlichkeit ſolche 
Behauptungen zu bieten; aber er wußte, was er feinen 
Gönnern bieten durfte. Dennoch hat Hr. Schlefise einen 
diplomatiſchen Verſtoß begangen, daß er foldye Acten: 
ftüde, die nur für die Eingemweihten beſtimmt waren, zur 
Publication bringt. Schwerlich wird folche blinde Dienft: 
befliffenheit feiner künftigen diplomatifhen Carriere foͤrder⸗ 
lich fein. 

Das intereffantefte und vwichtigfte Stud diefer Samm⸗ 
fung iſt nun unitreitig aber jenes „Tagebuch“, was Gens 
im preußifhen Hauptquartiere die legten Tage vor der 
Schlacht bei Jena geführt hat und wovon eine etwas 
luͤckenhafte Überfegung bereits früher durch Hrn. Guftav 
Schleſier veroͤffenticht worden iſt. Da Gens bei biefer 
Gelegenheit durchaus feine aͤußern Rüdfichten zuruͤckhiel⸗ 
ten, die Wahrheit in ihren fdhärfften Umriſſen zu zeich: 
nen, indem er als Berichterftatter für ben öftreichifchen 
Dof keine Urfacye hatte, das bis dahin befolgte Syſtem 
Preußens und die betheiligten Perfonen zu fchonen, fo 
vertaufcht er bier die Rolle des Hiſtorikers mit feiner ge: 
wöhntichen des fophiftifchen Advocaten und Parteiſchmeich⸗ 
feed. _ Wenn die Wahrheit mit feinen Abfichten überein: 
fimmte, fo verftand Niemand befier als eben Geng, fie 
aufs vollftändigfte auszubeuten, und eben hier zeigt fich 
fein ebenfo großes als feltenes Zalent, daß er nämlich 
mit bdemfelden Erfolge je nach den Umſtaͤnden ehrlicher 
Mann wie das Gegentheil fein konnte. Seine Apologeten 
verſtehen meiflens nur letzteres, den frifchen und beredten 
Ten der Wahrheit wiffen fie nicht anzuftimmen, fondern 
fie verderben den fchönften Stoff durch ſchielende, jeſuiti⸗ 
ſche Auffaſſung. Gens konnte aud einfach fein und die 
Dinge für ſich reden laffen, ein Talent, was man in den 
diplomatifchen Regionen vom alten Schlage faft nie fin: 
det und wodurch er feine große Überlegenheit uͤber die zur 
gänzlichen Unnatur verjcheobene damalige Diplomatie am 
beften bewährte. Obgleich ohne Wahrheit und Gewiſſen 
im Handeln, bediente fi) Gentz doch ſchon diefer Mittel 
als Bundesgenofien. Heutzutage aber, wo aud) der Zweck 
der Diplomatie die Herausfindung und Realiſirung des 
Wahren ift, würde ein Geng nicht mehr an ber Zeit fein. 
Er war eine Übergangsftufe, ein mixtum compositum von 
Gutem und Schlechtem, wobei gegen das Ende das Letz⸗ 
tere gänzlich uͤberwog. 

F. v. Florencourt. 





Der Waſſermann. Ein Volksmaͤrchen aus dem 12. Jahr⸗ 
hundett. Wien, Doll. 1842. 8. 25 Mer. 


„Lauter bruͤllte der Donner, fürdterlich erzitterte der Burg: 
faal, helle Lichte bienbeten die Augen Aller und fanft erſchoil 
eine ehrwürbige Stimme: Gewaͤhrt fei deine Bitte, wenn er 
fo verbleibt, wie du ihm zu thun lehrteſt — bu felbft aber 
bandte ferner fo weife — fei gut, und Gegen auch über dich 
und dein ganzes Voik; vertüigt fei von nun an ber Daß gegen 
bie Menfchheit — vertilgt fei ber Ruf eurer böfen Regenten. 
Verziehen fei dir, verziehen beinem Volle. Rudo! Rudo] bein 
Gebieter zuft; dein Voik fleht; ſenke dich hinab und genieße 
alda in Ruhe die Freuden, bie dem Edeln und Guten mit 
Recht gebühren. Angenehm ertönte Harmonie, immer fanfter, 
immer ſchwaͤcher; Roſenduft erfüllte den Burgfaal — leife ec 
sitterte dev Boden — Dank! Dank! riefen alle Bewohner ber 
Sewaͤſſer — und noch aus der fernen Ziefe ertönte zum letzten 
Male: Gegen über Alle! aus Rubo’s fanften, ehrwürbigem 
Munde.” 

Rubo iſt nämlich Herrſcher im Neiche der Waffergeifter, 
Inhaber des berühmten Walfiichmantels, Beſiger des Dreizads 
und anderer Dinge. 

Mit archaͤologiſchen Blicken verfolgte Ref. dieſes für ibn 
ſehr merkwürdige Buch; denn fobald er nur hineingeblättert, 
um wie viel mehr, nachdem er die 184 Geiten durchflogen hatte, 
war es ihm klar, daß dies Bein naturgemäßes Product der Ger 
genwart fei. Ideen, Perfonen, Yhantafle, Sprade, auch das 
Bild und bie Vignetten auf bem Titel gehörten einer (ängft 
babingefchwundenen Zeit an. Gr konnte alfo glauben, baß, 
wie es wol zuweilen gefchiebt, auf ein altes Buch ein neuer 
Zitel geklebt worben; aber das Papier ift nicht vergelbt, bie 
Schrift neu und fcharf, die Druckerſchwaͤrze noch friſch und fet: 
tig. Alles untruͤgliche Zeichen, daß Sag und Papier neu find. 
Möglich freilich, daß man einen alten Text neu abgefeht hätte, - 
um feiner Zrefflichkeit willen, aber auch dagegen laͤßt fich aus 
innern Gründen Mancherlei einwenden: es tft nicht die volle 
Kraftfpradhe ber Cramer'⸗ und Schienkert’fchen Ritterzeit; die 
eigentlichen Kernausbrüäde fehlen. Wie ein altes Gefchmeide er: 
ſcheint das Werk, aus dem man die Steine, bie zu ungefchliffen 
für unfere Gefchliffenpeit waren, ausgebrochen hat; es ift nun 
nur noch das rohe Geſtell mit etwas vom Rebenfhmude da. 
Genug, aud hier waltete keine Taͤuſchung ob. Gewiſſe unvers 
kennbare, feine Züge verratben dem Kenner, daß er es mit 
einem Werke mobernen Geiſtes, trot der grotesfen Auffaffung 
und ber befannten alten Ritterfchablone zu thun habe, 

Wie ift das möglih? Andere mögen barauf antworten. 
Wien hatte einft das Verdienſt, daß feine Volksdichter die un: 
genießbaren Ritterromane beamatifch verarbeiteten und mit vie⸗ 
len tomifchen Zuthaten für die Leopoldſtaͤdter Bühne mundgeredht 
machten. Dort klirrten bie eifernen Ritter, Happerten die Muͤl⸗ 
ler von der Teufelsmuͤhle und erfchienen und verwandelten ſich 
die Donaumweibchen noch fort und fort, nachdem fie aus der Eis 
teratur längft verſchwunden waren. Run ift für die Kaiferflabt - 
auch diefe goldene Zeit vorüber; ift das Beduͤrfniß nach ber Ur⸗ 
küche wieder rege geworden? Geltfam, weldge Ritterrnmane 
dort wieber für das VBoik gefihrieben werden können, wo bie 
Grillparzer, Anaftafius Grün, Lenau u. X. für bie aͤſthetiſche 
Etite Zöne anfchlugen, bie in ganz Deutichland widerklangen. 
Die Meblataloge bringen uns ganze Werzeichniffe ſolcher Ro: 
mane, wie fie ber Verleger des obengenannten noch beildufig auf 
dem Dedel anlündigt, als: „Mathilde von Rapperſchwyl, 
ober das Rachegeſpenſt, eine Geiftergefdhichte aus den Zeiten 
Kaifer Otto des Großen’; oder „Otfried von Tannenberg, oder 
der Fluch der Verführung, eine Sage aus den Zeiten Friedrich's 
von Hohenſtaufen“; ober „Die Wunder ber Zodtengruft‘, ober 
„Der Luftgeifi. Wie werben bdiefe Romane gearbeitet? Auf 
Beſtellung, oder auf gut Gluͤck? Die. Frage verdiente eine 
ernfthafte Beantwortung, wie benn überhaupt das Thema ein 
ernſtes ift, die Strömungen der Bildung, wie fie dort durch 


352 


Gebirge ſich brechen und dort im Bande verfidern, und wie es 
möglich ift, daß man mit bem abgeftanbenen Waſſer, das ſich 
irgendwo geſtaut hat, noch in gewiſſen Kreiſen den Hurſt ſtil⸗ 
ien und die Gärten netzen konnte. Ref. wiederholt, daß ihm 
das Buch ſehr merfwärdig war, fonft im Gpeciellen hat er 
nichts darüber zu fagen. 10. 


en 


Literarifhe Confuſion. 

Ein ergögliches Weifpiei von Gonfufion liefert ein Arti⸗ 
Kl, den wir eben in ber „Biblioteca Italiana’ (1842), ®b. V, 
Heft XIII, ©. 33 fg., lefen, in weichem „Il viaggio in Italia 
di Teodoro Hell sulle orme di Dante, per la prima volta 
pubblicato in Italiano con note’ (Xrevifo 1841) von einem 
Hrn. ©. Venanzio angezeigt wird, Daß „Mein Weg in Dan: 
te’8 Kußtapfen” nach 3. 3. Ampere, deſſen Schrift zuerft in 
der ‚Revue des deux mondes’’ erfäien, bearbeitet fei, bat Dr. 
Ib. Heu auf dem Zitel feiner (Dresden und Reipzig 1840) er 
ſchienenen Überfegung ſelbſt angegeben, aber der italieniſche Über: 


feger, ein Er. Scolari, muß es entweder nicht gelefen, oder. 


nicht verftanden, oder für eine inte gehalten haben, genug, er 
bat das franzöfliche Buch aus ber deutfchen überfegung ins Itas 
lienifche überfegt und den deutfchen Überfeger für den Verf. ges 
halten. Das erhellt aus einer in dem Artikel angeführten 
Etelle, in welcher Hr. Scolari von feinen Anmerkungen fagt: 
„che qui tengono luogo soltanto del discorso che stırada 
facciendo avrei fatto io medesimo con Teodoro Hell.” Der 
Ref. in der „Biblioteca italiana’ theilt diefen Glauben, fpürt 
aber feiner; er merkt, daß Th. Hell ein angenommener Name 


fei, und fo Kann ihm benn bei einem in Dresden erfchienenen 


deutfchen Buche über Dante nichts ficherer feinen, ale daß bie: 
fer Pfeudonymus Niemand anders fei, als ber ſaͤchſiſche Prinz, 
deffen Verdienſte um das Studium des Dante befannt genug 
find. Wie es fich gebührt, vefpectirt er das neue Sncognito, in 
das ſich Philalethes gehällt, beſcheidentlich, kann es fih aber 
doch nicht verfagen, dem Eefer feine ſchlaue Entdeckung merken 
zu laſſen, und —* daher von Hrn. Th. Hell mit einer Hoͤf⸗ 
lichkeit, die auserleſen iſt, bie aber ſelbſt einem kaiſerlich chi⸗ 
neſiſchen Mandarin gegenüber etikettewidrig fein wuͤrde und die 
wir auch gegen einen koͤnislich ſaͤchſiſchen Hofrath, ſo verehrungs⸗ 
würdig er fei, für übertrieben Halten. &o ſagt er gleich zu 
Anfang: „Questo lavoro di eccelso personaggio che usciva 
alla luce nello scorso anno a Dresda col pseudonimo di Teo- 
doro Hell”; dann „con questi nobili intendimenti il signor 
Teodoro Hell imprese a peregrinare con Dante”; fo bezeich- 
net er ibn ats l’illustre autore, Pinctito autore, Benennungen, 
die in Deutſchland ſchwerlich Iemand für Hrn. Th. Dell pafe 
fend finden wird; und fo ſchließt er auch mit einer Empbafe, 
die feinem Zwecke, den Lefer den hohen Rang, den der Pfeus 
donymus einnimmt, errathen zu laffen, angemeffen iſt: „Per tal 
modo tre preclari ingegni, quello cui placque nascondere 
Palto suo nome sotlo il modesto nome di Teodoro Hell‘, lo 
Scolarj ed il Polanzani (ein Treviſaner, der in einem Anbange 
Dante’s Beziehungen zu Treviſo erläutert hat) concorsero con 
gpeste opere a fornire la Divina commedia di un nuovo ge- 
nere di commento che tuttavia si desiderava; e giovarono 
cosı eminentemente alla letteratura italiana che dello studio 
di quel poema immortale tanta luce e tanto decoro ritrag- 
gono”. Dieſes pausbädige Lob, mag es auch wenigftens bei 
Ampere’s oberflächlicher Arbeit nicht ganz angebracht fein, hat 
für einen deutſchen Lefer, der feit Voͤttiger's Dinfchelden gar 
nicht mebr an Dergleichen in der deutſchen Kritik gewöhnt ift, 
etwas Rührendes; wir zweifeln nicht, daß es Hrn. Iheodor Dell, 
zumal nach mancheriei Eritifchen Grobpeiten, die ihm feine 
Arbeiten im Rache des Überfegens noch über den baaren Lohn 
eingebracht haben, recht wie Honigſeim munden werde; nur mag 
ee ſich, follte er noch einmal nad Oberitalien kommen, vor 


Ghrenpforten und weißgelieibeten Iungfsauen in Acht nehmen. 
Biebhabdern ber DantesPiteratur wollen wir übrigens noch bemers 
ten, daß die Noten des Hrn. Scolari „tutte molto pregevoli” 
find „o per contenere alcuna rara notizia od alcuna inge- 
gnosa riflessione”, forvie, daß außer bem bereits erwähnten Ans 


bange ſich noch zwei finden, in deren einem Hr. Gcolari eve 


weift, daß Allighieri mit doppeltem I und nicht anders geſchrie⸗ 
ben werben müfle; der andere enthaͤlt „un sunto di cronologia 
Scaligera dal 1050 al 1381”. 48. 





Literarifche Anzeige. 
Neue forst- und landwirthschaftliche Schriften 


aus dem Verlage von 


F. A. Brockhaus in Leipzig. 


FBorititatiftit 
der Deutschen Bundesstaaten. 
Ein Ergebniß. forfllicher Reifen 
von Kari Brievrid Baur. 
Zwei Theile. Gr. 8. 3 Thlr. 


Landwirthschaftliche Dorkzeitung. 
Herauögegeben unter Mitwirkung einer Gefellfchaft 
praftifcher Land⸗, Hauss und Forftwirthe von ©, v. 
Dfoffenzath mb W. Hana Dit einem Bei- 
att: &emeinnütjiges Unterhaltungsblatt fir 
Stayt und fand. ng ſũr 
4. Der Jahrgang 20 Nygr. 
Hiervon erfcheint auch für 1843 wöchentlich 1 Bogen. An⸗ 









Fündigungen darin ‚werden mit 2 Nor. für den Raum ' 
‚ einer gefpaltenen Zeile berechnet, beſondere EAnzeigen ze. 


gegen eine Vergütung ven ?/,. Thlr. für das Zaufend beigelegt. 


Ratuvrgeſchichte 
für Candwirthe, Gärtner und Technicker. 
Herausgegeben von William Löbe. 


Mit 20 lithographirten und illuminirten Tafeln. 
. Gr. 8 2 Thle. 
(SM and) im 5 Heften a 12 ar. gu begichen.) 


eetaben Schmalz (Friedrich), 

hrungen im Gebiete der Laudwirth⸗ 

ſchaft gefammelt. Siebenter Tell. Gr. = 
1 The. 21 Nor. 

Der 1. bis 6. Zell der „Erfapenugen“ (1814 — 24) 
Bolten im herabgeſetzten Preife auftatt 6 Zur. 18 Agr. 
uur 3 Ahlr. das ganze Werk daher 4 Thlr. 21 Mer. 

Ale ein befonderer Abdruck aus dem 7. Theile ift erfchienen: 
Snleitung zur Kenutuiß und Anwendung 

eines neuen Ackerbauſyſtems. Auf Theorie 

‚und Erfahrung begründet. Gr. 8. Geh. 15 Near. 
* u erfchien noch bei mir von dem Berfaller: 

er einer Hnleitung zum Bonitiren 

und Gleffifieieen des —R 8. 1824. 

gt. 


Verantwortlicher Gerautgeter: Heinrich Brockhausſs. — Druck und Verlag von %. A. Brochaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literarifbhe Unterhaltung. 





Donnerstag, 





Die Sefammtausgabe deutfcher Claſſiker im Verlag 
der 3. G. Eotta’fchen Buchhandlung. 


Wir lefen in den Öffentlichen Bldttern, daß die Cotta’: 
fche Buchhandlung mit den Erben Herder's wegen einer 
neuen Sefammtausgabe der Werke diefes großen Schrift: 
ftellers in Unterhandlung getreten ift und, wenn wir nicht 
irren, dieſelbe auch ſchon abgefchloffen hat. Dem deut: 
ſchen Publicum war diefe Nachricht gewiß ſehr willkom⸗ 
men, und bie zahleeihen Freunde und Bewunderer Der: 
der's erwarten mit Sehnſucht eine nähere Ankündigung 
der preoiectirten neuen Ausgabe, fowie fie wünfchen, daß 
diefelbe baldigſt begonnen und mit der möglichflen Schnel: 
ligleit beendigt werden möchte. Und ein ſolcher Wunſch 
if in ber That fehr begründer; denn die bisherigen Edi: 
tionen ber Herder’fchen Schriften find ohne Übertreibung 
beinahe ganz unbrauchbar, weshalb ſchon feit vielen Jah⸗ 
ren und von den verfchiedenften Seiten auf bie Roth: 
wendigkeit einer befjern und zwedmäßigern aufmerffam 
gemacht wurde. Schon die äußere Ausflattung ber fruͤ⸗ 
bern Ausgaben — felbft die größere in Octav nicht aus: 
genommen, welche Übrigens nicht einmal mehr voliftän: 
dig im Buchhandel zu haben iſt — muß den Wunſch 
nach einer fchönern erweden, da jene in diefer Beziehung 
auch den befcheidenften Anfoderungen nicht genügen; denn 
Drud, Papier, Kormat, mit einem Wort die ganze typo: 
graphifche Erſcheinung darf geradezu häßlich genannt wer: 
den. Mit der innern Beſchaffenheit jener Ausgaben ficht 
es aber um nichts befler; fie find vielmehr entſchieden 
unter aller Kritik. Zunaͤchſt ift die Vertheilung bes Stoffe 
in drei Dauptabtheilungen (I. Zur fehönen Literatur und 
Kunft; II. Zur Philoſophie und Geſchichte; IH. Zur Re: 
ision und Theologie) an und für fi ſchon nicht gerade 
zweckmaͤßig; fie ift aber um fo weniger zw vechtfertigen, 
als die einzelnen Schriften oft ganz willkuͤrlich diefer ober 
jener Abtheilung zugemwielen find. So finden wir die 
Schrift: „Vom Geiſt der ebrälfchen Poefle”, ferner 
„Salomon's Lieder der Liebe, nebft 44 alten Minnelie: 
dern und einem Anbang über die ebräifche Elegie“ in 
dev Abtheilung Zur Religion und Theologie; in ber 
nämtlichen Abtheilung fteht die „‚Aitefte Urkunde des Men⸗ 
ſchengeſchlechts“. Was haben aber dieſe Schriften alle 
mit der Religiom oder mit der Theologie gemein, als daß 


fie fi auf das Alte Zeftament beziehen? Und bat nicht 
Herder vielmehr dem Hohenlied die demfelben vor feiner 
Zeit beigelegte religiöfe Bebeutung geradezu abgefprochen ? 
Offenbar hätten daher die zwei zuesft genannten Werke 
in die Abtheilung Zur ſchoͤnen Literatur, das lebte in bie 
Zur Geſchichte eingereiht werden follen. Wir glauben 
zwar nicht, daß eine rein chronologiſche Anordnung zweck⸗ 
mäßig fei, weil fie die höhere innere Ordnung flört, ja 
unmoͤglich macht, weshalb wir es denn für weit geeigne: 
tec-halten, bie einzelnen Werke oder Schriften eines Schrift⸗ 
ſtellers zundchft nach ihrem Inhalte oder ihrer Korm ans 
einanderzureihen; aber immerhin muß die Anordnung 
nach einem feften und zugleich ausführbaren Plane flattfin> 
den und dieſer dann auch fireng befolgt werden, wovon bei 
ben bisherigen Gefammtausgaben ber Herder'ſchen Schrifs 
ten weder das Eine noch das Andere flattgefunden hat. 
Wenn fi Übrigens die Mangelhaftigkeit der Anorbs 
nung auf Das befchränkte, was wir foeben gerügt haben, 
fo ließe es fih, wenn auch nicht entfchuldigen, doch we⸗ 
nigſtens ertragen; man könnte fi) mit einer ſelbſtverfer⸗ 
tigten Überfiht — denn die bisherigen Ausgaben liefern 
feine folhe — wol beheifen; allein bie Unordnung greift 
fo fehr ins Einzelne ein, daß man auch mit einem foLs 
hen Auskunftsmittel nicht weit kommen würde, man 
müßte fi) denn entfchließen, fo umfaſſende Regifter zu 
maden, daß man mit ihnen einen ziemlich diden Band 
füllen könnte. Nur einige VBeifpiele zum Beweiſe. In 
den beiden Ausgaben von Herder finden wir freilich zwei 
Bände, welche Gedichte enthalten. Aber erſtens find diefe 
ohne allen Plan, mit der größten Willkuͤr durcheinander 
geworfen, fodaß es kaum möglich iſt, eines herauszufinden, 
man müßte benn die ganzen langen Berzeichniffe durchs 
lefen, welche den beiden Bänden vorangeſchickt ſind. Auf 
feinen Fall kann der in ber Vorrede vom Derausgeber 
(3. ©. Müller) angebdeutete Plan der Anorbnung befries 
digen, noch ift er hinlaͤnglich feft durchgeführt. Zweitens 
enthält die Sammlung nicht einmal alle Gebichte Hers 
der's. Abgefehen davon, daß ber Herausgeber viele Ges 
dichte weggelaſſen bat, welche ihm der Aufnahme nice 
würdig ſchienen — wir können aber des fonft ehrenwer⸗ 
tben Müller Urtheil in Sachen der Poeſie unmöglich 
als maßgebend erkennen und annehmen —, fo. hat. er 
auch alle diejenigen Gedichte nicht in die Sammlung 


854 


eingereiht, welche fi) in ben übrigen Schriften zerſtreut 
vorfinden; und biefes iſt eine nicht unbedeutende Anzahl, 
wie fie audy zu den fhönften und eigenthümlichften bee 
genialen Mannes gehören.: Zwar ift der Sammlung ein 
Verzeichniß diefer zulegt erwähnten, in andern Werken zer: 
ftreut vortommenden Poefien angehängt; das Ift aber offens 
bar nicht hinreichend, und dann ſteht diefes Verzeichniß 
nur in der größern Dctavausgabe, nicht aber audy in ber 
kleinern Tafchenedition, obgleich das aus ber größern ab: 
edruckte Vorwort ebenfalls eine folche Überficht verfpricht. 
beipens werden die zwei Bände der Octavausgabe, welche 
die Gedichte enthalten, auch abgefondert verkauft; fomit 
werden alle Perfonen getäufcht, weiche fih im Vertrauen 
auf den Titel diefe Bände anfchaffen; denn fie glauben, 
bie ſaͤmmtlichen Poefien zu erhalten, während ihnen doch 
Set einer nicht Meinen Anzahl nur ein leeres Derzeichniß 
gegeben wird. Und fie muͤſſen ſich entweder mit ber un: 
velfländigen Sammlung begnügen, oder die Übrigen 43 
Bände der Gefammtausgabe aukaufen, die Übrigens, ‚wie 
ſchon gefagt, nicht einmal mehr vollfländig zu haben find. 
Über auch für die Beſitzer der fämmtlichen Werke ift die 
erwähnte Einrichtung zum allerwenigften fehr flörend und 
ungwedmäßig, weil fie immer alle 45 oder 60 Bände zur 
Hand haben und bald diefen, bald jenen Band aufſchla⸗ 
gen, beppelte Regiſter durchgehen müflen, fobald fie irgend 
ein in andern Schriften vorkommendes Gedicht Lefen wols 
en. Freilich würde, um diefem argen Übelftande abzu⸗ 
beifen, ein doppelter Abdruck dee betreffenden Gedichte 
nöthig fein, weil man fie natürlih auch an ihrer ur 
fprunglihen Stelle bewahren müßte, wo fie zum Ders 
ſtaͤndniß des Übrigen durchaus unentbehrlich find; aber 
bat man bei Goethe 3. B. oft genug einzelne Bebichte 
zwei⸗ und dreimal ohne alle Nothwendigkeit abgedrudt, 
tann man wel auch bei Herder Einzelnes doppelt ab: 
drucken, zumal es fidh bei demfelben vollkommen rechtfer⸗ 
tigen laͤßt. Was übrigens jenes der Dctanausgabe bei: 
gegebene Verzeichniß der zerſtreuten Gedichte betrifft, fo 
ft dieſes noch dazu hoͤchſt ungenügend und fehlerhaft; 
es führe nicht alle in den einzelnen Schriften vorkom⸗ 
menden Gedichte an, nimmt aber dagegen foldye auf, bie 
von andern Dichtern berrähren, 3. B. einige von Knebel. 

Es ließe ſich über bie bisherigen Ausgaben der Her: 
der'ſchen Werke noch Manches fagen, es ließe ſich noch 
mancher Fehler nachweiſen, da auch die Behandlung der 
peoſaiſchen Werke keinesivegs den Anfoderungen einer ges 
funden Kritik entſpricht; doch iſt ſchon das oben Geſagte 
dinreichend, um den Ausfprudy zu begründen, daß eine 
neue Ausgabe hoͤchſt wuͤnſchenswerth, fo ganz unerlaßlich 
fi, und daß eine ſolche einem allgemeinen und gewiß 
tiefgefühlten Beduͤrfniſſe abheifen wird. 

Aber eine andere Frage ift «6, ob wir wol große 
Urſache Haben, uns auf bie zu erwartende neue Edition 
zu freuen, ober eb wir nicht vielmehr Grund haben zu 
befhechten, es möchte auch diefe hinter den billigften Er⸗ 
Wertungen zuruͤckbleiben. In Einet Beziehung freilich 
haben wir ohne Zweifel Beſſeres zu erwarten; es wird 
Ach die mie Ausgabe von der früheren durch eine ſchoͤ⸗ 


nere Ausßattung auszeichnen; wir werben endlich einmal 


ſtatt des brauen und ſchmuzigen Papiers ein anftändiges 


weißes, flatt des Heinen, ineinanderfließeden Drudes einen 
reinen deutlichen echalten; mit einem Worte, es werben 


"die unſterblichen Werke. des großen Herder etwa mit 


Ausnahme des Formats — denn ich zweifle nicht, daß 
auch bier das geſchmackloſe breite Kormat, das man mit 
dem Namen Schiller-Format zu beehren pflegt, wieder zu 
Tage gefördert wird — zum erſten Male in einer des 
großen Mannes whrdigen Geftalt ericheinen. Ob aber 
aud die Anordnung, ob die Eritifche Behandlung erfreus 
lich fein, ob fie den nöthigen Anfoderungen entfprechen 
wird, die man am fie zu machen berechtigt iſt, daran — 
wir geftehen «6 unummunden — zweifeln wir ſehr, und 
leider feben wir Urſache genug dazu; denn wir find «6 
eben nicht von der Verlägshandlung gewohnt, daß fie bei 
ihren Editionen deutſcher Claſſiker auf ſolches Ruͤckſicht 
nimmt. Denn wenden wir einen Blick auf die verſchie⸗ 
denen Geſammtausgaben oder die Auswahlen, welche in 
der jüngften Zelt von der Cotta'ſchen Buchhandlung be: 
kannt gemacht worden find, fo finden wir unter der gros 
Ben Anzahl kaum Eine, mit welcher man von Selten 
ber Kritik zufrieden fein könnte; es laſſen vielmehr alle 
viel, ſehr viel zu mwünfchen uͤbrig. Wir wollen nicht von 
den Goethe'ſchen Werken reden, benn bei diefen waren, 
fo viel uns bekannt iſt, der Werlagshandlung die Hände 
gebunden. Die vor Goethe's Tode erfchienene Ausgabe 
feiner fämmtlihen Werke beforgee der Dichter ſelbſt; Die 
fpdter erſchienene war (nad) Goethe's letztwilliger Verfuͤ⸗ 
gung) dem Hofrath Riemer und — wenn wir nicht irren — 
Edermann: anvertraut. So viel Sehnde wir daher auch 
haben mögen, biefe legte ‚ Schiller: Ausgabe‘ der Borthe’fchen 
Werte im Ganzen wie im Einzelnen zu misbilligen, mit 
Wahl und Anordnung unzufrieden: zu fein; fo ift dabei 
bie Verlagshandlung von jedem Vorwurf freigufprechen, 
weiche hoͤchſtens das geſchmackloſe Format zu veramtmors 
ten bat. Bei andern: Schriftftellern dagegen fällt die 
Schuld ber Mangelhaftigkeit ganz und alein auf fie, 
und es ift ihr die Leichtfinnige Behaudlung unferer ge: 
feierteften Schriftfiellee um fo weniger zu verzeihen, als 
fie bekanntlich mir ihnen und durch fie beträchtliche Sum» 
men gewonnen hat, fodaß fie fhon aus Dankbarkeit dies 
ſelben beſſer pflegen follte. Dann iſt «6 aber mit bee 
bloßen äußern Schönheit und anftändigen typographifcken 
Austattung noch lange nicht gethan. 

Wir dürfen eine fo tiefeingeeifende Anklage nicht bios 
binwerfen, ohne fie näher zu begründen. Freilich koͤnnen 
wie bierbei nicht Alles berkhren, nicht alle Fehler nad; 
weißen, nicht alle Mängel aufdecken, die man ben Gotta’: 
ſchen Ausgaben deutſcher Clafſiker mir echt vorwerfen 
kann; jedoch werden ſchon die einzelnen Angaben, die der 
Raum mitzutheilen erlaubt, vollkommen hinreichen, die 
unwiderlegliche Wahrheit unſerer Behauptung datzuthun. 

Wir beginnen mit Schiller. Schon bie in den letz⸗ 
ten Jahren zuerſt von Ed. Boas, dann, von diefem ans 
geregt, von der Cotta'ſchen Buchhandlung ſelbſt durch dem 
walten Hoffmeiſter herausgegebenen Nachttaͤge zu Schu⸗ 


ler's fämmttichen Werken beurkunden hinlaͤnglich, daß fi 
die Verlagshandlung bis auf die neueſte Zeit um die 
Werke unſers großen Dichters, denen ſie doch einen 
bedeutenden Theil ihres Glanzes zu verdanken hat, nicht 
eben ſehr befümmerte, wenigſtens nicht auf die gebuͤhrende 
Welle. Sie ließ die frühere Ausgabe von Zeit zu Zeit, 
fo oft eine Edition erfhöpft mar, wieder abdruden, 
ohne für die nöthige Vervollfiändigung geziemende Sorge 
zu tragen, die ganze Belorgung des Druds wahrſcheinlich 
ven Vorſtehern ihrer Officin überlaffend, welche In ihrem 
VWirkungskreiſe ganz vortreffliche und ſchaͤtzenswerthe Maͤn⸗ 
ner fein mögen, die ſich aber für rein Literarifche Arbei⸗ 
ten ebenfo wenig eignen als Literatoren oder Gelehrte für 
tmpegraphifche oder faufmännifhe. So wurde denn auf 
Die kritiſche Reinigung und Zeftfiellung des Textes nicht 
die mindeſte Sorgfalt gewendet — ja felbft die Ausgabe 
in Einem Bande und die neuefte in zwölf Bänden haben 
dafür nicht das Nöthige geleifier —; es haben ſich daher 
nach und nach die Argerlichften Drudfebler eingefchlichen, 
welche nicht feiten ben urfprünglichen Gedanken bes Dich⸗ 
ters vollfländig verunftalten. Wir wollen deren nur el: 
nige anführen, und zwar ſolche, auf welche ſchon früher 
aufmerffam gemacht wurde, well gerade dadurch recht 
deutlich wird, daß die Beſorger — wir dürfen wol nicht 
fagen Herausgeber — der Schiller'ſchen Werke alte Drud: 
feßker ohne Überlegung wieder abdrudten und felten oder 
nie zur Quelle, d. h. den erſten Ausgaben oder Druden 
zurücigingen. 

In der letzten Strophe des achten Räthfels (‚Unter 
allen Schlangen iſt Eine‘ u. f. w.) beißt es in allen 
Ausgaben: 

Und dieſes Ungeheuer 

Hat zweimal nur gedroht — u. |. w. 
Bott: „Hat zweimal nie gedroht”, was allein einen Sinn 
site. — Wilhelm Tell ſagt im Schauſpiel gleichen Na⸗ 
mens (Act 3, Scene 1) von ®efler: 

Er aber Tonnte keinen andern Laut 

Aus feinem Munde geben — Mit ber Hand nur 

WBinkt’ er mir fehweigend, meines Wegs zu gehn ꝛc. 
es muß heißen: „Er aber konnte keinen armen Laut 
aus feinem Munde geben”, weiche Lesart außerfb bezeich⸗ 
nenb , während die andere geradezu Unfinn fl. — In 
„Maria Stuart” (Het 2, Scene 4) hatte die erſte Aus 


D Königin! Dein Herz bat Gott gerührt, 

Gehorche diefer himmliſchen Bewegung ! 

Schwer büßte fie fürwahr die ſchwere Schuld, 

und 3eit iſt's, daß bie Harte Prüfung enbe 

Reich’ ihr die Hand, ber tieföefallenen, 

Wie eines Engels Tichterfcheinung feige 

In ihres Kerkers Grabesnacht hinab. 
Dee durchſchoſſene Vers fehle in den meiften, fo auch in 
den neueſten Ausgaben. — In demfelden Trauerſpiel 
(Act 3, Scene 5) fagt die Königin Elifaberh zu Mortimer: 

ps zeigtet einen —— und feitne 


Eurer r Sun 
Mer ſchon fo früh der Taͤuſchung ſchwere Kunſt 
Ausübre, der iſt wuͤrdig vos der Zeit, 
Und er vertärt fi feine Puhfungäfahze u. f. w. 


— — — — — — — — — — — — 


Es wied jedem aufmerffamen Leſer das ‚würdig‘ ges 
wiß ſeltſam vorkommen; auch hat Schiller nicht ſo, ſon⸗ 
been „muͤndig“ geſchrieben. 

Wir koͤnnten dergleichen ſinnſtoͤrende, den Dichter ver⸗ 
unſtaltende Druckfehler, die ſich von Ausgabe zu Ausgabe 
forterben und die beinahe mit jeder neuen vermehrt wer: 
ben, noch eine große Zahl anführen; allein es reichen, 
wie gefagt, fchon diefe wenigen bin, um zu beweifen, in 
weichem abſcheulichen Zuftand fi ber Text eines unferer 
größten Dichter befindet; und es wäre wol Zeit, daß bie 
Verlagshandlung ſich endlih einmal entfhlöffe, für die 


kritiſche Wiederherſtellung 'defjelben in feiner urfpränglichen 


Geſtalt und Reinheit das Ihrige zu thun. 

Durch die verdienftlihen Bemähungen Lachmann's 
ann den neuen Ausgaben ber Leffing’fhen Schriften 
(denn auch dieſe find befanntlih Eigenthum ber Cotta’: 
fhen Buchhandlung geworden) ber nämliche Vorwurf 
der Incorrectheit, oder vielmehr der unverantwortlichften 
Bernadyläffigung nicht gemacht werden; aber fie koͤnnen 
trogdem auf vollfländige Biligung Leinen Anſpruch ma⸗ 
hen, fhon darum nicht, weil fie die von Lachmann ges 
wählte Anordnung zum Theil wenigftens befolgen, bie 
uns keineswegs zweckmaͤßig und rathſam fcheint, weil in 
ihr der Grundfag ber chronologifhen Meihrfolge auf der 
einen Seite bis zum Extrem befolgt wird — wie denn 
z. B. die Geſpraͤche zwilhen Ernſt und Falt nicht uns 
mittelbar aufeinander kommen — auf der andern Seite 
die hronologifehe Anordnung dadurch wieder unterbrochen 
ift, daß bie poetifhen Werke von den andern gefchieden 
und befonders zufammengeftellt find. Es ift gewiß Je⸗ 
dem, der den Leſſing nicht blos hier und da lefen, fon: 
dern auch benugen will, bie von Lachmann befolgte An: 
ordnung hoͤchſt unangenehm, weil fie durch die merkwuͤr⸗ 
dige Berfegung und theifmweife Berftüdelung der einzelnen 
Schriften und bei dem gänzlihen Mangel an einem um: 
foffenden und brauchbaren Regifter das Auffinden unges 
mein erfchmwert. Freilich ift dieſe Unannehmlichkeit bei 
den neueften Cotta'ſchen Ausgaben weniger fühlbar, weil 
fie weit weniger enthalten als die Lachmann'ſche, aber 
fie ift doch noch bedeutend genug. Was diefe aber ins⸗ 
befondere betrifft, fo wird man ſich zunaͤchſt darüber 
verroundern, daß die Sedezausgabe in zehn Bänden nicht 
Alles enthält, was In die einbändige aufgenommen wors 
den ift, da doch beide offenbar für ein und das naͤmliche 
Publicum beflimme find und beide überdies glei viel 
Eoften. Dies ift eine Willkür, die fih auf keine Weiſe 
erklären, noch viel weniger entſchuldigen laͤßt. Das Pu: 
blicum bat das vollſte Recht, ſich darlıber zu beklagen, 
da alle diejenigen Perfonen, welche es vorzögen, fich die 
bequemere Handausgabe anzufhaffen, eine Reihe von 
Arbeiten bes großen Mannes weniger erhalten, als wenn 
fie die größere ankauften. Sie müflen daher entweder 
auf die Schriften Verzicht elften, welche in die Ausgabe 
in Einem Bande aufgenommen find, oder fie muͤſſen dieſe 
faufen, die ihnen wegen des großen nicht leicht handlichen 


ts unangene . 
Sormats unangenchmiſ 


Le regne animal distribud d’apr&s son organisation par 
G. Cuvier. Nouvelle &dition. Paris 1843. 


Cuvier war ein burchaus foftematifcher Geiſt. Bei allen 
feinen umfaffenden Studien firebte er nach gewiflen Grundprin⸗ 
cipien, die er in ihrer größten Ginfachheit aufzuſtellen ſuchte. 
Bei feinem unſchaͤtbaren Werke über das Thierreich zeigte ſich 
namentlich fein lichtvollee Blick und die Gonfequenz, mit ber er 
feine Anficgten durchzuführen wußte. Er bradite, fo zu fagen, 
Licht in das Ghaos, das bis auf ihn in der weitichichtigen 
Zoologie geberrfhht hatte. Daubenton und Camper hatten zwar 
ſchon einzelne Partien durch geiftvolle Unterfuchungen aufzuklaͤ⸗ 
ren geſucht, und Pallas namentlich batte einzelne philoſophiſche 
Anſichten aufgeſtelit, die noch nicht gehörig gewwürbigt find; aber 
im Allgemeinen blieb noch unendlich viel zu thun übrig. Die 
einzige allgemeine Aufzählung der bekannten Thiergattungen und 
Arten war das bekannte „Syſtem“ von Rinne; aber auf den er: 
ften Blick mußte man ſehen, daß der unfterbiiche Raturforfcher 
in dem zoologifchen Theile ſich nicht auf biefelbe Höhe erhob 
wie in feinen Werfen über die Botanit. Außerdem war ſeit 
Sinne das Material unendiidy angefdywollen, unzählige neue Ar⸗ 
ten waren entdeckt, die im „Syſtem“ nody nicht in Reihe und 
Glied geordnet waren. Namentlich waren die anatomifchen Vers 
hältniffe der einzelnen Thiergattung noch nicht in ihrer ganzen 
Wichtigkeit gewürdigt. So handelte es ſich denn nicht nur 
darum, Licht und Ordnung in das weite Thierreich zu bringen, 
fondern es war eine doppelte Arbeit vorzunehmen, nämlid das 
Studium der vergleichenden Anatomie und das ber eigentlichen 
Zoologie, indem fich diefe beiden Wiffenfchaften gegenfeitig ers 
gänzen mußten. Dan weiß, mit welchem Gtüd ſich Cuvier 
biefer rieſigen Arbeit unterzog und wie er gewiſſermaßen Im 
Vorbeigehen noch eine Wiſſenſchaft ſchuf, d’e man bis auf ihn 
kaum geahnt hatte. Wir meinen bie Kunde ber Thierverſtei⸗ 
nerungen, die ihrerfeits wieder Licht auf einzelne Partien der 
Geologie geworfen bat. Wir haben nit nöthig, auf fein großes 
Werk über das Thierreich bier näher einzugehen. Es ift in 
den Bänden aller Derer, die fi) mit dem Studium der Zoolo⸗ 
gie abgeben, und hat in Deutfchland namentlidy an Voigt einen 
würdigen Bearbeiter gefunden. Wir erwähnen vieles Werkes 
nur, um auf eine neue Ausgabe aufmerkſam zu maden, bie 
davon gegenmärtig vorbereitet wird. Cuvier fegte einen hoben 
Werth auf gute Kupfer, d. h. auf ſolche Abbildungen, die von 
Leuten von Fach angefertigt waren, und er bedauerte häufig, 
daß der größte Theil feiner eigenen Werke biefer wichtigen Er⸗ 
Läuterungen entbehren mußte. Er felbft verwandte wol feine 
Mußeftunden dazu, einzeine Zeichnungen zu entwerfen, und ging 
befonder® mit dem Plane um, einen ſehr umfaffenden Atlas zu 
feiner vergleichenden Anatomie auszuarbeiten. Leider ift dieſes 
Project nicht zur Ausführung gelommen. Man kann es deshalb 
eine gluͤckliche Idee nennen, daß die vorzüglichften Echrer bes 
Jardin des plantes zufammengetreten find, um zu der neuen 
Ausgabe des „„Regne animal” von Cuvier erläuternde Abbildungen 
zu liefern. Die Namen der Gelehrten, die ſich diefer Arbeit 
unterzogen baben, Tönnen als eine Bürgfchaft dafür gelten, daß 
fie etwas Ausgezeichnetes zu Stande bringen werden. Wir er: 
mwähnen nur Audoin, Orbigny, Milne⸗-Edwards und Balenı 
ciennes. . 





Literarifche Notizen aus Franfreid. 


Bir haben in d. BL. bereits eine Sammlung von Briefen 
erwähnt, bie von der Königin von Navarra an ihren Bru⸗ 
der, Kranz I. von Frankreich, gerichtet waren und bie für die Ge⸗ 
fgichte ihrer Zeit ein bobe& Intereffe bieten. Der Derausgeber 
derfelben, F. Genin,, der ſich neuerdings namentlidy durch feine 
geiftreichen Srititen im „National” und ber „Revue inde- 
pendante”' befannt gemacht bat, läßt gegenwärtig eine Fort⸗ 


fegung erfcheinen. Diefelbe flieht weder an Umfang noch an Ins 
tereffe hinter der erfien Sammlung zuruͤck. Genin hatte ſchon 
früher angelünbigt, daß ſich noch eine andere Gorrefponbeng 
finden muͤſſe. Indeffen war es ihm unmöglich, berfelben habs 
baft zu werden. Allee Nachforſchungen ungeachtet war fie auf 
ber parifer Bibliothek nicht zu finden. Gegenwärtig ftellt ſich 
nun heraus, daß Ghampollion s Kigeac das Manuſcript abſicht⸗ 
lich verftedt gehalten zu haben fcheint, wahrſcheinlich weil er 
fi die WVeröffentiihung der unbefannten Briefe vorbehalten 
hatte. Endlich ift es indeflen dem fleißigen und gelchrten 
Derausgeber der erſten Sammlung gelungen, ſich bas- Original 
zu verfhaffen, und er läßt es nun, mit wichtigen Ginlcitungen 
und Erklaͤrungen begleitet, im Drud erfcheinen. Wir wollen von 
den zahlreichen Bemerkungen, die uns beim Durchblaͤttern bier 
Correſpondenz aufgeftoßen find, nur eine hier mittheilen. In 
den Briefen, die Benin in der erften Sammlung hat abbruden 
laffen, namentlich in denen aus dem 3. 1521, finden wir an 
verſchiedenen Stellen, daß die Königin Margaretha nicht ohne 
Sympathie für die Sache ber Reformation, bie immer mehr Ans 
klang fand, war. In ber gegenwärtigen Sammlung ihrer Briefe, 
bie, einen einzigen ausgenommen, alle aus einer ſpaͤtern Epoche 
batiren, finden wir mebre Stellen, in denen fie ihre Ans 
bängtichkeit an die roͤmiſche Kirche ausdruͤcklich an den Bag 
lest. Benin erkiärt diefen Widerſpruch dadurch, daß er fagt, 
Margarethe habe anfangs dem Unternehmen Luther's ihren Weis 
fall gegeben, weil fie glaubte, derſelbe werde bei der Abhülfe 
einzelner Misbraͤuche ber Kirche ftehen bleiben; aber fie habe 
fi) vom Reformator abgewandt, fobald fie ſich überzeugte, daß 
er “ dabei nicht bewenden ließ, fonbern fi gan, vom Papfie 
losſagte. 


In Deutſchland finden die neueſten Erſcheinungen der ruſ⸗ 
ſiſchen Literatur ſchon ſeit geraumer Zeit die gebührende 
Beachtung. Seit kurzem faͤngt man aber an, die hauptſaͤchlich⸗ 
ſten Werke, die in Rußland herauskommen, auch in Frankreich 
einzuführen. So haben wir in ber neueſten Zeit eine gange 
Reihe von franzöfifgen Übertragungen aus dem Ruſſiſchen ers 
halten. Namentlich bat ſich der in Paris anfäffige Fürft Em. 
de Galizin durch die Bearbeitung intereffanter Werke feines 
Vaterlandes hervorgetban. Wir haben von ihm insbefonbere 
die Überfegung eines gebaltvollen Reiſewerket über Shina von 
Dobel zu erwähnen. Hieran fchlicht fich feine Bearbeitung rafs 
fifcher Novellen und Geſchichten, die unter dem Zitel „Le con- 
teur russe” erihienen ift. Leider muß in bdiefer Sammlung 
nicht felten das ftofftiche Intereffe für bie etwas vernachlaͤſſigte 
Borm entſchaͤdigen. Dit ungleich größerer Gewandtheit find bie 
Bearbeitungen Bleiner ruffifher Romane abgefaßt, die Paul be 
Zulvecourt unter dem fonderbaren Zitel „Yataghan” vor kun 
zem herausgegeben hat. Diefer fruchtbare junge Schriftfteller 
bat fi ſchon früher durch eine baͤndereiche Reihe eigener Ros 
mane befannt gemacht, deren Scenen der Dichter meittene nad 
Rußland verlegt hat. Man fieht aus feinen Werten, daß der 
Verf. mit der ruffifchen Nation und ber Geſchichte derſelden ger 
nau befannt ift, 


Augufte Barbier, ber kurze Zeit nach der Zulirevolution 
durch feine energifhen Satiren fchnell berühmt geworden war, 
bat, nachdem er feine erfte poetifche Glut verfprüht zu haben 
fien, lange geruht. Inbeffen fängt er jegt feit einiger Zeit 
wieder an, eine neue Fruchtbarkeit zu zeigen. Es ift kaum 
ſechs Monate her, als er die reihe Sammlung feiner ‚„Chants 
politiques et religieux’’ hat erfcheinen laffen, und ſchon befins 
det fih, wie es heißt, eine neue Auswahl Gedichte von. 
ihm unter ber Preſſe. Diefelben werden ben Titel „Rimes 
heroiyques’ führen und follen, wie verfichert wird, cine neue 
Phafe in der Entwickelung des reichbegabten Dichters an den 
Zag legen. 2. 





Verantwortlicher Herauögeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von $. 4. Brodbaus in Leipzige. 





Blätter 


fir 


literariſche Unterhaltung. 


Fr 





Freitag, 





der 3. G. Cotta ſchen Buchhandlung. 
(Beſchluß aus Nr. 60.) 

Doch iſt dies nicht das Einzige, was ſich gegen die 
beiden erwaͤhnten Editionen erinnern laͤßt. Wenn wir 
naͤmlich zwar einerſeits der Verlagshandlung Dank wif: 
fen, daß fie Ausgaben der Leſſing'ſchen Schriften ver: 
anftaltet bat, welde für das größere Publicum beflimmt 
“find, fo möüffen. wir andererfeits fogleich bemerken, daß fie 
ihren Zweck nur hoͤchſt unvolllemmen erreicht hat. Leffing 
bat zwar — mit Ausnahme feiner poetifhen Werke und 
etwa einiger andern kleinern Schriften — nicht für ein 
großes Publikum, ſondern nur für ein fehr befchränttes, 
nur für das gelehrte gefchrieben; und Goethe hatte da: 
ber volllommen xecht, als er zu Edermann fagte, es dürfe 
das Berdienft, die größere Cultur unter die mittlern Stände 
‚. verbreitet zu haben, weniger Lelfing zugefchrieben werden 
als Herder und Wieland. Aber was zu Leſſing's Zeiten 
den mittlern ober nicht gelehrten Ständen und Claſſen 
des deutfchen Volks unzugänglid war, das iſt es jest 
wicht mehr, gerade in Kolge des wohlthätigen und allge: 
weinen Einfluffes jener oben genannten beiden Männer 
und einiger andern. Die Ideen, welche in Leſſing's wif: 
fenfchaftlihen und artiftifyen Schriften niedergelegt find, 
Ideen, die zu feiner Zeit nur von Wenigen erfaßt wer: 
den mochten, liegen in unfern Tagen nicht mehr außer 
dem Bereiche eines größern Publicums. Es tft daher, 
ich wiederhole es, die gute Abſicht der Verlagshandlung 
mit Dank anzuerkennen, welche duch wohlteile Ausgaben, 
ans denen die rein gefehrten, und namentlich die theolo: 
giſchen Schriften ausgefchieden wurden, für größere Ver: 
breitung der großartigen Werke eines unferer vorzüglich: 
ſten Schriftfteller chätig fein und fo für geiftige Hebung 
unfers Volks in ihrem Wirkungskreiſe das Ihrige beitra: 
gen weilte. Aber fie bat, wie wir fogleich darthun wol: 
fen, ihre loͤbliche Abficht kaum halb erreicht, weil fie Das 
zu thun verabfäumt hat, was vor Allem nöthig geweſen 
wäre. Leſſing bat viele feiner gefeiertften und einfluß: 
reichſten Schriften, wie gefagt, nur für ein gelehrtes Pu: 
bicum gefchrieben, 3.8. den „Laokoon“, die Abhandlungen 
über die Fabel, über das Epigramm und andere mehr. 
Deshalb hat er in denfelben ben ganzen gelehrten Appa⸗ 
rat beibehalten, den er ficherlich beifeite geſetzt, ober viel: 


mehr allgemein. brauchbar und verfiändfich gemacht hätte, 
wenn dieſe Schriften für ein nichtgelehrtes Publicum 
beflimmt gewefen wären. Da aber in unfen Tagen 
alle diefe Schriften in ihren Ideen auch einer großen 
Anzahl von folhen Perfonen verftändlich find, welche eine 
nicht eben gelehrte Bildung befigen und insbefondere we⸗ 
der ber Iuteinifchen noch der griehifchen Sprache maͤch⸗ 
tig find? — ich erinnere nur an bie zahlreichen Kuͤnſtler, 
Kaufleute‘, Fabrikanten und Andere mehr, deren Stand: 
punkt heutzutage ein weit höherer und umfaſſenderer ift 
als vor 100, ja auch nur vor 50 Jahren —, fo hätte 
billigerweife eine für das größere Publicum beflimmte 
Auswahl Leffing’fhe Schriften auf alle biefe Perfonen 
geziemende Ruͤckſicht nehmen und den gelehrten Apparat ber: 
felben, die häufigen Citate aus griechiſchen und lateinis 
fhen Gtaffitern, aus franzöfifchen, italienifchen und engli⸗ 
fhyen Büchern, wenn auch nicht entfernen, doch wenig⸗ 
ſtens durch genaue und gute Überfegungen allen Lefern 
zugängli machen follen. So lange dies nicht gefchieht, 
fol man fi nicht rühmen, eine für alle Gebildeten bes 
ſtimmte und zweckmaͤßige Ausgabe veranflaltet, noch we⸗ 
niger fih um die größere DBerbreitung diefer herrlichen 
Meifterwerke unferer Sprache Verdienſte erworben zu haben. 


Es würde eine nähere Betrachtung ber neueſten Aus: 
gaben von Kiopflod’s und Wieland's fämmtlihen Werken 
denfelben ebenfalls nicht gerabe ſehr vortheilhaft fein, 
ſchon deshalb, weil in ihnen fein Fortſchritt zu bemerken 
ift; da jedoch deren Mängel im Ganzen weniger auffallend 
und ftörend find, fo wollen wir fie für jetzt mit Stillſchwai⸗ 
gen übergehen und ebenfo wenig die incorrecte und uns 
vollftändige Edition der Piaten’fhen Schriften erwähnen, 
da von diefen, wie wir vernehmen, eine neue verbeflerte 
Auflage vorbereitet find. Wir wollen unfere Bemerkungen 
mit einigen Worten über bie jüngfle Ausgabe der „Aus⸗ 
gewählten Werke Klinger's“ befchliegen. Diefelbe ſtuͤtzt 
fi, wie die Ankündigung uns anpreift, auf die legte vom 
dem Dichter felbft veranftaltete und beforgte Ausgabe, 
Hierbei entftcht aber zunachft die Frage, ob das Urtheil 
eines Schriftftellers in Bezug auf feine eigenen Werke 
felbfE maßgebend fein kann? Wenn auch ein folche® Urs 
theil ohne Zweifel fuͤr gewichtig erachtet werben und ber 
iteraturhiftoriler oder ber Herausgeber ber Werke des 
betreffenden Schriftſtelers daſſelbe vor Allem berückfichti⸗ 


⁊ 


gen muß, ſo kann und darf es doch nicht abſoluthin 
und ohne alle weitere Prüfung angenommen werden. 
Erzählt uns ja in dieſer Beziehung die Gefchichte genug 
von argen Selbſttaͤuſchungen fogar der größten Dichter, 
wie denn 3. B. Petrarca fein in latelmifcher Sprache ge: 
fehriebenes Epos ‚‚Afrite’’ weit höher ſchaͤtzte als feine in 
der lingua volgare gedichteten Sonette und Ganzonen, 
Bocaccio fi) feines Decamerone“ beinahe fhämte, wäh: 
tend er auf feine lateinifchen Schriften, welche feit lan: 


ger Zeit in Vergeſſenheit gerathen find, nicht wenig ſtolz 


war. Auch bei unfern deutſchen Claſſikern begegnen wir 
ähnlichen Taͤuſchungen. So hat Kavater feine in Com: 
pofition und Sprache gleich mislungenen ‚Schweizeriieber” 
feinen andern weit tlchtigern Poefien vorgezogen; fo hat 
Dlaten oft genug zu verftehen gegeben, daß er vorzugs⸗ 
weife von feinen dramatifchen Schriften bleibenden Nach⸗ 
ruhm und Unfterblichleit erwarte, Indem er diefe höher 
achtete als feine unbezweifelt genialern lyriſchen Gedichte. 
Hat nicht fogar Schiller ‚öfters an feinem dramatifchen 
Talente gezweifelt, dagegen aber in feinen jlngern Jah⸗ 
ven fich eingebildet, daß er zum Schaufpieler geboren fei, 
während er doch nach allen Übereinflimmenden Berichten 
feiner Sreunde und Bekannten nicht einmal mittelmäßig 
gut vorlefen Eonnte? Und eine ſolche Selbſttaͤuſchung ift 
auh, zum Theil wenigſtens, bei Klinger vorhanden. 
Zwar iſt nicht zu leugnen, daß feine fpätern Dramen, 
diejenigen alfo, die er in die von ihm veranflaltete Samm: 
lung feiner Werke aufgenommen hat, den frühern an Klar 
beit und Sicherheit, überhaupt an größerer Eünftlerifcher 
Reife überlegen find; aber auf der andern Seite tritt 
gerade in biefen fein eigenthuͤmliches Talent, feine ftür: 
mifche, rüdfichtlofe Kraft, feine fchneidende Welt: und 
Lebensanficht entfchiedener hervor, wie auch nicht zu Über: 
fehen ift, daß fie fih im Ganzen viel freier, lebendiger und 
ſelbſtaͤndiger bewegen als die fpdtern, wenn dieſe auch 
gebaltener fein mögen; daß in jenen Plan und Entwicke⸗ 
lung der dramatifchen Handlung großartiger und origi: 
neller erfaßt und durchgeführt, daß die Erfindung man: 
nichfaltiger, ich moͤchte fagen, koloſſaler, daß endli die 
Sprahe glühender und farbenreicher ift als in Diefen. 
&o find insbefondere feine Luftfpiele durchgehende bemer: 


kenswerth, gegen meldye Gervinus gewiß ungerecht ift, 


wenn er ihnen (mit alleiniger Ausnahme der „Spieler“) 
alles poetifche Intereſſe abfpriht. Unfere Literatur tft 
befanntlid an guten Luſtſpielen fo arm, daß die Klinger’: 
fhen, aud wenn fie von der Höhe eines vollendeten 
Kunſtwerks noch weiter entfernt flünden, immerhin noch 
als bedeutende Erfcheinungen angefehen werden müßten. 
Übrigens find die von Klinger ſelbſt und fomit auch in 
die neue Ausgabe feiner Werke nit aufgenommenen 
Dramen für die Geſchichte der neuern deutſchen Literas 
tur von ber entfchledenfien und eingreifendflen Bedeutung : 
es fpiegelt fich in ihnen das damalige Ringen nad 
freierer Bewegung in Kunft und Leben am volllommen- 
ften ab; durch fie wird man feicht und ficher, wie durch 
Teine andere Erſcheinung, in das Verſtaͤndniß jener ewig 
dentwürdigen Periode unſerer Literaturgefchichte eingeführt, 


. Drang”) ihren bezeichnenden Namen erhielt. 


welche fogar von einem Drama Klinger's (,, tum unb 

8 ik 
wirklich auffallend, . daß diefe Thatſache in der Ankuͤndi⸗ 
gung der „Ausgewaͤhlten Werke” angeführt und auf fie 
gebührendes Gewicht gelegt, in der Ausgabe ſelbſt aber 
keine Notiz; davon genommen, das erwähnte Drama nicht 
mitgetheilt wird. Man fieht daraus (was übrigens aus 
den frühern Bemerkungen über bie andern Editionen un: 
ferer vortrefflichften Meifter ſchon deutlich genug erhellt), 
daß die Ausgaben der verſchiedenen beutfchen Claſſiker, 
welche in der Cotta'ſchen Verlagshandlung erfcienen find, 
von biefer ohne Zuziehung eine® mit deutfcher Literatur 
und Literargefdyichte hinlaͤnglich vertrauten Gelehrten ver: 
anftaltet und herausgegeben mwurben. 

Möchte doch — mit dieſem Wunſche fhließen wir — 
die zu erwartende Geſammtausgabe ber Herder'ſchen Schrif: 
ten nicht das naͤmliche Roos treffen, möchte fi die Ver: 
lagshandlung bewogen finden, derſelben biejenige Sotg⸗ 
falt zuzumenden, melde Engländer und Franzoſen ſchon 
feit lange ihren Glaffitern widmen | 41. 


Romanenliteratur. 


1. Waldmuͤller's Röschen. Eine Criminalgeſchichte nach einer 
wirklichen WBegebenheit neuefter Beit. Von 3. X. Baͤch⸗ 
mann. Wien, Stoͤckholzer von Hirſchfeld. 1842. 8, 
22%, Nor. 

Diefe Geſchichte kann wol bazu dienen, eine müßige Stunde 
auszufüllen. Won bebeutendem Intereffe ift diefelbe jedoch unter 
feinem Gefichtspunfte, vielmehr eine von den gewöhnlichen Gris 
minalgef&ichten, weber an und für ſich, noch in pſychologiſcher 
Hinficht, noch endlih durch bie Darftellung irgendwie anziefenb _ 
oder merkwuͤrdig. Denn fie dreht fi im Ganzen barum, bag 
ein bübifcher Iägerburfche, nachdem er mit feine Bewerbung 
um die Band bes ſchoͤnen und tugendhaften Waldmuͤller's Ros⸗ 
hen von dem Bater berfeiben, ber feine Tochter durchaus an 
einen Muͤller verbeirathen will, abgemwiefen worden ift, den Gatten 
von ſchoͤn Roͤschen, einen Müller und zugleich Sohn eines Ju⸗ 
gendfreundes ihres Vaters, in den fie ſich gleich beim erften 
Anblick ſterblich verliebt hat, aus Rachbegierde meuchelmoͤrderiſch 
erſchießt, jedoch anfaͤnglich jeden Verdacht gluͤcklich von ſich ab⸗ 
zulenken weiß. Aber als gereifter Boͤſewicht auf der einmal ber 
tretenen Bahn des Laflers nicht ſtill flebend, verführt er ein 
anderes unſchuldiges Mädchen, die dadurch zur Selbſtmoͤrderin 
wird, verliert dadurch feinen guten Dienft, weit fein Ans 
theil an der That der unglüdlichen Selbfimdrbderin zur Kennt: 
niß feines Herrn, eines Mannes von ftrengen Grundfägen, 
gelangt, kommt unter eine Bande von Wilbfhüsen und Schmugge 
tern unb wird deren Hauptmann. Gin zufälliges Zuſammentref⸗ 
fen mit der in Schöngeit erblühten Tochter der Waldmüllerin, 
ber er die Schulb an feinem Looſe beimißt, erregt Racheplane 
in ihm, und er befchtießt, fie mit feiner Bande zu überfallen, 
zu ermorben und die Tochter zu fi; in feine Raubhöhle zu neb: 
men. Bei Ausführung dieſer ruchloſen That ereilt ihn jedech 
die Remeſis. Die Mutter des ungluͤcklichen, durch ihn zur 
Selbftmörderin geworbenen Mädchens fommt nämlich zur Waid⸗ 
müllerin und bittet fie, einiges Getreide für fie mahlen zu laf⸗ 
fen, was biefe gewährt und zu dem Ende den Mühlfnappen 
die Weifung ertbeilt, no in der Nacht zu mablen. Ein 

uͤhlknappe, von einem fonberbaren Traum in der Nacht aus 
ven Schlummer geſchreckt, fegt die Muͤhlraͤder in Bewegung: 
in bemfelben Xugenblide bricht ber Frevier mit feinen Raub 
gefellen in die Mühle und wird von den Mühlrädern nebft eini⸗ 
gen berfeiben ergriffen und zerfchmettert, während die übrigen 





von den Muͤhlknappen gefangen genommen unb ben Gerichten 
ausgeliefert werben. Diefe Verkettung ift allerdings auffallend 
genug, und wir find baher geneigt, fie für eine poetifche Ziction 
unfers Verf. zu halten, mit bem wir übrigens deshalb nicht 
weiter rechten wollen. Wer, wie gefagt, nit mehr begehrt, 
als ein müßiges Stuͤndchen auszufüllen, dem fann und wirb 
auch diefes Geſchichtchen genügen. 
9, Riebesnovellen von Albert Grügmann. Erſtes und zwei⸗ 
tes Bändchen. Nordhauſen, Schmidt, 1841. 
Die ſehr verbrauchte Fabel der erften Novelle: „Die Herzen‘, 
daß naͤmlich ein reicher junger Freiherr von Eckſtein aus roman: 
tifcger Grille ſich in einen bresiauer Studenten verkappt, durch ein 
Bewitter zu einem Biedermann von Foͤrſter, einem Geitenftäd 
zu dem wohlehrwürbdigen Pfarrer zu Grünau, geführte wird, 
dort einen wahren Engel von Schönheit und Tugend in deſſen 
Tochter Kathinta kennen lernt, fi bis zum Eterben in fie 
verliebt, die neue Luiſe, die fich natürlich ſogleich wieder in 
ibn vertiebt, heirathen will — ließ uns auf einen Schuß a la 
Lafontaine, auf eine Heirath des Paͤrchens mit aller Zuverſicht 
hoffen. Aber fiche, da ſtellt fi unfer Verf., dem wir eine To 
große und in der That unnoͤthige Grauſamkeit gar nidjt einmal 
zugetraut hätten, dazwiſchen und macht uns einen Strich durch 
die Redmung, indem der Adelsſtolz der Altern bes jungen Frei⸗ 
eren zu ber Kippe wird, an dem das Gluͤckeſchiff des Paͤr⸗ 
cqhens ſcheitern muß; und er laͤßt, ein unerbittlicher Rhadaman⸗ 
tus, bie beiden armen, jungen, vertiebten Herzen am gebroche⸗ 
nen Herzen fterben. Recht fo! Aber graufam und unverants 
wortiich bieibt es immer von unferm Berf. ‚Hätte derfelbe uͤbri⸗ 
gens feinen wahren Vortheil verftanden, fo würbe er bie 
beiven Engel miteinander verheirathet und noch ein puar Kins 
n um ihre Knie haben fpielen laffen, was ihm daun Stoff 
zu einer pädagogifchen Novelle gegeben haben würde. Auch in 
der zweiten, überaus merkwuͤrdigen Liebesnovelle: „Die Lufl- 
fahrt auf dem Kyffhaͤuſer“, erweift fih der Verf. von einer 
ſehr graufamen Seite, die er am Schluß vergeblih zu ent: 
ſchuldigen ſucht. in ſchlechter Spaßvogel von Bader, ber den 
Geift Kaifer Friedrich's des Rothbart vorſtellt, jagt eine ben 
Kyffhaͤuſer befuchende Gefellfhaft in die Flut. Gin junger, 
bübfcher Hufarenoffizier ift gluͤcklicherweiſe zur Hand, rettet ein 
junges, hübfches Mädchen und fapert fie dem Bräutigam, einem 
ehrſamen Phitifter von Ladendiener, vor der Nafe weg. Das 
finden wir ganz in der Ordnung! Dasß unfer Berf. den ver 
suchten Bater am Schtiage fterben läßt, ift brav von ihm. 
Aber wie will er e8 verantworten, daß er auch die Mutter am 
Schlage fterben, den ehrlichen Burfchen von ci-devanı Bräu- 
tigam ben Hals brechen laͤßt. Die arme Adelheid heirathst 
zwar ihren Budberg, macht ſich aber Gewiſſensſcrupel und ſtirbt 
in der Bluͤte ihrer Lebens. O, Sie grauſamer Herr Verf.! 
Laffen Gie ſich erbitten und fein Sie ein ander Mal minder 
graufam. In ‚Daß und Liebe”, womit das zweite Bändchen 
Geginnt, hat der Verf. feiner Vorliebe für dad Grauſame und 
Entfegliche Baum und Gebiß angelegt, und ein fadgrober Amt: 
mann erfhießt zum Gluͤck nicht den edeln, empfindfamen und 
verliebten Referendar Bötticher, ſondern fchießt fi ihn zum 
Schwiegerſohne. Aber woher biefe ungeheure Wuth bei dem 
ehrlichen Amtmann ? Ein zu theuer erftandener Schreiblecretair 
und das boshafte Auslachen des Stadtſchreibers Boͤtticher muß: 
ten wol ein fo ehrliches Menfchentind von Amtmann in Wuth 
bringen: hat es doch auch uns zu einem mitleibigen Achſelzucken 
Aber die ganze Mägliche Befchichte gebracht. In der legten Ro⸗ 
velle: ‚Bater und Sohn”, laͤßt ber Verf. feinem natürliden 
Btatdurft freien Lauf. Sin herzlofer Vater tapert dem vers 
tiebten Sohne ben Engel weg, in beffen Armen er fid eine 
SEeligkeit träumte. Was natuͤrlicher, als daß er ſich todtſchießt 
etwa!? Bewahre, das wäre zu alitaͤglich geweſen. Gr fängt 
auf einem Balle muthwillig Händel an und wird von Rechte: 
wegen in-dem an ben’ Haaren berbeigegogenen Duelle erfchoflen. 
Ratürtih ſtirbt nun auch die Stiefmutter und ci-devant Ge⸗ 
fiebte des VErſchoſſenen aus Bram und Schmerz hinterbrein. Der 


8 W Wer. | 


Verf. hätte lieber aus dieſem trägiichen off ein Trauerſpiel 
fabriciren folen. Viel mehr Mühe wuͤrde es ihm ſicherlich nicht 
gekoſtet haben, und wäre es auch kein Zrauerfpiel geworben, 
fo wäre es doch unftreitig ein recht trauriges Spiel geworben, 
wie dies eine recht traurige Geſchichte ift, um deren Autorſchaft 
wir ven Berf. nicht beneiben. 


3. Die Sefchwifter, ober: Handwerk hat einen gülbenen War 
den. Erzählung von Charlotte von Blümer. Leipzig, 
Binder. 1841. 8. 24 Nar. 

Die einfah und anſpruchlos gehaltene Ginleitung biejer 
Erzählung, die, wie ſchon der Titel es anbeutet, ein Commen⸗ 
tar zu dem Gprüchwort „Handwerk bat einen güldenen Bo⸗ 
den“ ift, tieß uns anfänglich gar nicht bie faft bis ans Aben⸗ 
teuerfiche ftreifenden mannichfachen Verwickelungen, in bie einige 
ber bierin auftretenden Perfonen verflochten werben, vermuthen. 
Unftreitig bat die Verf. dadurch bie etwas verwaſchene, ihrer 
Erzaͤhlung zum Grunde liegende Moral recht anfchaulich und 
fhmadhaft zu machen geglaubt, taß fie von den drei Ges 
fhmwiftern bie eine (Mariane) an einen Ausbund von einem 
ebein und gebildeten Buchbinder verheirathet und dadurch ein 
files, haͤusliches, durch nichts getrübtes Stück finden läßt; bie 
anbere (Julie), zur Anfchaulihmachung des Begenfages, zwar 
mit einem hoͤchſt edeln Eremplar von Kreiherrn verbindet und 
dadurch gleichfalls Höchft gluͤckliche Jahre an deſſen Seite genie⸗ 
Sen laͤßt: aber, aber mit des Schickſals Maͤchten iſt fein ewiger 
Bund zu flechten. Unfer edler Freiherr wird in Ungorn bei 
Gelegenheit eines Aufftanbes ber Bauern von ben Stebellen,, ob» 
gleich ein Menfchenfreund und ihr Woplthäter, tödtlich verwun⸗ 
det und flirbt, und bie edle treue Gattin fircht, wie fi von 
felbſt verſteht, mit ihm! Hätte fie einen Buchbinder geheirathet, 
fo wäre ihr dies traurige Loos crfpart worden! Am fchlimms 
ften aber gebt e8 dem Dritten in dem geſchwiſterlichen Klee 
blatte (Wilhelm). Er will auch hoch hinaus und wird Affefe 
for; aber weil er ſich einer armen Verführten einem vornehmen 
Boͤſewichte gegenüber edelmüthig annimmt, verdirbt er es mit 
dem Präfidenten und muß feinen Abfchied nehmen. Nun gebt 
er nach Ungarn, wird Soldat, fogar Offizier, und finbet ale 
fotcher Gelegenheit, zwar nicht der trojanifchen, aber doch einer 
ungarifhen Helene, der Gattin bes furchtbaren Rebellenhaͤupt⸗ 
lings in dem oben erwähnten Aufftande; bie größten und ebels 
mütbigften Dienfte, mit Xufopferung und Hintanſetzung feiner 
Dienftpflicht zu erweifen, wird barüber caffirt und aus öſtreich 
verwiefen, und kehrt, mit fih und ber Welt zerfallen, zu feis 
nem Schwager, bem edeln Buchbinder, zurüd, wo er unermwars 
tet feine ungarifcye Helene mit ihrem holden Knaben antrifft. 
Er faßt fih nun kurz, bindet eine grüne Schürze um, wird 
ein Buchbinder, heirathet feine Helene und fo kann er: denn 
recht eigentlich fagen: Ende gut, Alles gut! 


4. Biftorifch: romantifcge Erzählungen aus ber Vorzeit Boͤh⸗ 
mend. Bon Heinrich Mirani. Erſter Band. — %. u. 
d. T.: Der blinde König. Der Schleier: Hauptzug. Wien, 
Stoͤckholzer von Hirfhfild. 1842. 8. 1 Ihr. 

Diefe beidin Erzählungen, an die Zeiten Vulpius', Rad. 
und Gramer’s erinnernd, gehören in die Kategorie ber Wach⸗ 
ftubenlecture und find fo ziemlidy nach dem Recepte verfaßt, daß, 
wo wir uns nicht irren, Schlegel für dergleihen Erzaͤhlungen 
verfchrieben hat. Die erfte fpielt über und die legte unter der 
Erde, und es fehlt an beiden nicht in einem bunten Wechfel 
von Gcenen, an edeln Kaͤmpen, an minniglichen Fräuteing, 
Schlachten, Entführungen, Rettungen aus Waflerös und Feuers⸗ 
noͤthen, erftürmten Burgen u. dergl fehönen und erbaulichen Gas 
den mehr; nur die boshaften WBurgpfaffen baben wir vers 
mißt. Wenn unfere Verleger dergleichen leichte und loſe Waare 
in Verlag nehmen und auf den Markt bringen, fo wird freilich 
der geſunkene und traurig verfallene Zuſtand unferer Litera 
erklaͤrlich und begreifiih. Möge und unfer guter Genius 
Zukunft vor der Bekanntſchaft aͤhnlicher Misgeburten in Gna⸗ 
ben bewahren | 21. 





Bibliographie. 


Beltange, H., Die Soldaten ber franzöfifchen Republik 
unb des Kaiferreiche. Ifte Lieferung mit vier iUluminirten Blaͤt⸗ 
tern. Leipzig, Weber. 2er. «8. r. | 

Blumroeder, A. von, Teutſchlande Wergangehheit, Ges 

art und Zukunft; Blätter der Crinnerung, veranlaft durch 
den taufendjährigen Beftand des teutfchen Reichs im Jahre 1843, 

ewibmet allen patriotifhen Freunden des Lichts und des ger 
Zlichen Fortſchrittes. Sonbershaufen, Eupel. Gr. 8. 15 Nor. 

Böttger, G., Getbfemane. Paffionsprebigten im Jahre 
1849. Rebft einem Anhange zeiigiöfer Gedichte zur häuslichen 
Erbauung. Dresden, Arnoid. Gr. 8. 20 

Sasper, 3. 2., Über die wahrfeinliche Lebensdauer des 
Menſchen. Eine am 238. Sanuar 1843 im wiſſenſchaftlichen 
Vereine gehaltene Vorleſung. Berlin, Duͤmmler. 8. '1Y, Nor. 

Shateaubriand, F. A. v., Atala und bie Abenteuer 
des Benten der Abenceragen. Überfegt von 9. Elsner. Mit 
77 ah St. Ballen, Scheitlin und Zollikofer. Gr. 8. 

r. 

‘Die Denunciation der Schrift: „Die Unfähigkeit des 
Hrn. Prof. Seyffarch in Leipzig, wissenschaflliche Werke 
über das Alterthum zu lesen, zu verstehen und zu würdi- 
gen, erwiesen an seiner Recension meiner Schrift: Unter- 


suchungen über die Religion der Phönizier, in Gersdorf’s | 


Repertorium Band XXIX, Heft 3, von F. €. Movers.“ 
Eine aktenmässige Darlegung. Breslau, Hirt. Gr.8. 10 Ngr. 

Dröfete, Abfchiebsgruß an Alle, welchen Er amtlich ans 
gehörte: Magdeburg, Heinrichshofen. 4. 37/, Nor. 

Berne, A., Betrachtungen über die Nothwendigkeit und 
Möglichkeit einer preußifchen Oſtbahn und beren Kolgen in nas 
tionals dkonomiſcher und politifcher Hinficht. Königsberg, Theile. 
Sr. 8. 7% Near. 

Frauenlob, A., Die lieblihften Sagen und Bilder aus 
gäpheutfätand, namentlich Schwaben. Ulm, Seit. Gr. 12. 


gr. 

Bay, Sophie, Maria Louife von Orleans, Nichte Lud⸗ 
wig’s XIV. Ins Deutfche übertragen von Emilie Wille. 
Zwei Theile. Leipzig, Kollmann. 8. 2 Ihir. 22, Nor. 

Geld! Poffe mit Sefang in drei Acten. Nach bem Engliſchen 
Bulwer’s frei bearbeitet von F. Kaifer. Wien, Pichler. 1842. 
8 121, Nor. 

Giech, C. Graf von, Anfihten über Staates und df: 
fentliches Leben. Nürnberg, 3. Eampe. Gr. 8. 1 Thir. 15 Nor. 
Gieſebrecht, L., Wendifche Geſchichte aus den Jahren 
1183. Ster Band. Berlin, Amelang. Gr. 8. 2 Thir. 

gr 
Gottfhall, R., Uri von Hutten. Gin Drama in 
fünf Aufzügen. Königsberg, Theile. 8. 1 Thir. 

Holbein, F. v., Der Doppelgänger. Luſtſpiel in vier 
Aufzuͤgen, nady X. v. Schaden's Erzählung frei für bie Bühne 
bearbeitet. Wien, Wallishauſſer. Gr. 8. 22%, Nor. 


Konftittstionelle Jahrbücher, herausgegeben von K. Weil. 


2343. Ifter Band. Gtuttgart, Krabbe. Gr. 8. 1 Thir. 
Rer. 

Kordan, W., Irdiſche Phantaften. Königsberg, Theile. 
&. 8. 232% Nor. 

Kahlert, A. 3., Grinnerungen an Italien, befonders 
an Rom. Aus dem Reifetagebuche beffelben. Breslau, Aber: 


holz. Gr. 8. 1 Ihlr. 20 Kor. 
Karlotta, Phantaficblber. Hamburg, Perthes : Beffer 
Ir. 
1 Thlr. 


und Mauke. Gr. 8. h 
Kinkel, G., Gebdichte. 
J Klefeker, F., Die Politik des deutſchen Zollvereins in 
Bezug auf Schiffahrt, Handel und Fiſcherei, und die Hanſe⸗ 
ſtaͤdte. — Mit dem Umſchlagtitel: Deutſcher Zollverein III. Ham⸗ 
burg, Perthes-Beſſer und Mauke. Gr. 8. 12%, Ngr. 


Stuttgart, Cotta. 8. 


Kuhn, O., Das Veſen ber deutſchen Abminiſtrativ 
nebſt einer Analyſe verſchiedener deutſcher Adminiſtrativjuſtiz⸗ 
Entſcheidungen. Eine ſtaatsphiloſophiſche und publiciſtiſche Ab⸗ 
hanblung. Dresden, Arnold. Gr. 8. 12/, Rear. 

Liedertnedt, 3. F., Abelatde, ober Religion und Liebe, 
Sondershauſen, Cupel. Gr. 12. 1 Thir. 

Maͤrcker, F. A., Zur Wiederherſtellung der Kunſt der 
Berebfamteit ats philoſophiſche Wiſſenſchaft. ECialeitung zu den 
Bortefungen über des Ariftoteles Rhetorik. Berlin, Duͤmmler. 


gr 

Marbeinele, 9., Zur Kritik der Schelling ſchen Offen» 
barungsphilofopbie. Schluß ber öffentlichen Worlefungen über 
die Bedeutung ber Hegel'ſchen Philoſophie in der dhriftlichen 
Iheologie. Berlin, Enslin. Gr. 8. 11Y, Rer. 

Neftroy, 3., Der Talitman. Poſſe mit Geſang in drei 
&cten. Mit einem allegorifh illuminirten Bilde. Wien, Wal⸗ 
tishaufer. 8. 20 Near. 

Die Öffentlichkeit und Muͤndlichkeit unfers Entwurfs einer 
Strafproceßordnung. Den Mitgliedern beider würtensbergifchen 
Kammern zugerignet. Stuttgart, Ref. Gr. 8. 3°/, Near. 
Paris wie es wirklich iſt, das heißt: wie e& lebt, Licht, 
ist, trinkt, ſchwelgt, darbt, hanbelt, fpielt, intriguirt,, cabalis 
firt, wacht, ſchlaͤft, träumt, bantafirt, philoſophirt, Lieft, 
ſchreibt, dichtet, muſicirt, lacht, weint, promenirt, reitet, 
fährt , klatſcht, ſchwatt, Schulden macht, betrügt, fliehit, raubt 
politiſtrt, kannegießert, emeutirt, revoltirt, rebellirt u. f. w. 
Iſtes Oeft Jacobus Simplex ober ber deutſche Volontair zu 
Paris. Mit einem colorirten Titelkupfer. Leipzig, Jackowit. 
Kl. 8. 10 Nor. 

Reichenbach, M., Wehmutter und Todtengräber. Grnfe 
und humoriſtiſche Bilder in Novellenform. Zwei Bände. Leip⸗ 
zig, Kollmann. 8. 1 hir. 22%, Nor. 

Ritter, Nähere Prüfung des preußiſchen Chefcheibungss 
rechts und der befannt gewordenen Entwuͤrfe eines neuen Ehe⸗ 
ſcheidungsgeſetes. Cottbus, Weyer. 8. 1 Thir. 10 Nor. 

Roſenkranz, K., Über den Begriff der politifchen Partei. 
Rebe zum 18. Januar 1843, dem Krönungsfefte Preußens. 
Behalten in ber koͤniglich deutſchen Geſellſchaft. Königsberg, 
Theile. Gr. 8. 10 Nor. 

‚„.„ Saint:Pierre, 8. de, Paul und Birginie und bie in⸗ 
difche Hütte. Überfegt von H. Elsner. Mit einem Stahl⸗ 
fi. St.⸗Gallen, Sceitlin und Zollitofer. Br. 8. IIV. Nor. 

‚,SYeidier, 8. O., Nochmalige Grörterung ber Frage: 
Hieb oder Stoß? ine hobegetifche Vorleſung. Jena, From⸗ 
mann. 8. Y, Ihlr. 

Deutfches Staatsarchiv. Ater Band. Herausgegeben vom 
Begierungerath Buddeus. Jena, Frommann. @r. 1 Zhle. 

r 


gr. 
Eine Zotalfinfterniß ber Eraategeitung, beobadhtet au ber 
NRecenfion der Rebe bes Dr. Rupp: „Uber ben chriſtlichen 
sk Vom 3. Sanuar 1843. Königsberg, Theile. Gr. 8. 
a BT. 

Zrattinnid, 2, Die Schule der blühenden Ratur, ober 
aͤſthetiſch⸗ philofophifche Unterhaltungen für Gartenfreunde, Spas 
ziergänger auf dem Sande, au für Sittenlehrer, Erzieher und 
alle Verehrer der Natur, der Zugend, bes Schönen, Cvein 
und Guten. Wien, Wallishaufferr. Gr. 8. 15 Rgr. 

Über Eheſchließung, Eheſcheidung und Wiederverheirathung. 
Den Königlich preupifchen Provinzial - Bandflänben zu einer mög» 
Lichen Beruͤckſichtigung gewidmet. Gangerhaufen, Robland. 


„ Nor. , 
Über Poftreform. Won G. ©....t. Berlin, , 
10 Re fi erlin, Hermes 


‚ ._ Better, 8.8., Die evangelifche Kirche und ihr Vekennt⸗ 
is Ein theologiſches Bedenken. Berlin, Reimer. Ge. 8. 


or. 
Zeitfignale. Lieder eines Publiciften. Königsberg, Theile. 
8 20 Nor 


Berantwortlicher Derausgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus in Eetpgig. 


Blätter 


für 


literarifche Unterhaltung. 





Sonnabend, 





ur Nachricht. 
Von dieſer Zeitſchrift erſcheint außer den Beilagen taͤglich eine Nummer und iſt der Preis fuͤr den Jahrgang 
12 Thlr. Alle Buchhandlungen in und außer Deutſchland nehmen Beſtellung darauf an; ebenſo alle Poſtaͤmter, 


die fih am die koͤnigl ſaͤchſiſche Zeitungserpebition in Leipzig oder das 


Önigl. preußifche Grenzpoſtamt in 


Halle wenden. Die Verfendung findet in PBochenlieferungen und in Monatheften flatt. 





Politifche Literatur der Gegenwart in Deutfchland. 
Bierter Artikel.9 
Deutſchlands politiſche Zeitungen. Zuͤrich, Literariſches Comptoir. 
1342. 8, 6%, Nor. 


+ 8 

Seit dem Erſcheinen diefer Heinen Brofchüre hat ſich 
Mandyes in dem deutfchen Zeltungswefen vetändert, fodaß 
ſelbſt, wenn die Charakteriſtik der damaligen Zeitungen 
eine richtige wäre, biefelbe doch jegt nicht mehr paſſen 
würde. Zu biefen DBeränderungen gehören befonders bie 
Verbote und Unterdrüdungen einzelner Blätter. Die 
„Leipziger Allgemeine Zeitung” ift in Preußen verboten, 
die „Deutſchen Jahrbuͤcher“, die unferer Anſicht nad) weit 
mebr eine direct politifche als eine allgemein mifienfchaft: 
Hdge Tendenz verfolgten und daher auch hierher gerechnet 
werden mäflen, dürfen überhaupt nicht mehr erfcheinen 
und die „MRheinifche Zeitung” foll vom April an auf: 
hören. Außerdem fcheint es, al6 wenn auch manche an⸗ 
dere Blätter von: Selten der Regierungen bedroht wären 
und wir vielleicht bald noch mehr Verbote erleben müßten. 
Wenn die Regierungen confequent find, wenn fie dem 
Grundfage ferner folgen, der jenen Verboten zu Grunde 
(ag, daß fie nämlich jedes Organ durch policeilichen Macht: 
ſyruch unterdrüden wollen, welches ihnen nad ihrer 
fnbjectiven Meinung unmoralifch, von irrigen Principien 
ausgehend oder auch nur unbequem erfcheint, fo werden 
freilich die Verbote nicht aufhören. Wir geftehen aufrich⸗ 
fig, daß uns diefe Anficht ber Regierungen. nicht nur 
falfdy und ungeitgemäß erfcheint, ſondern daß fie uns auch 
mit tiefem Schmerze erfüllt und unfere Hoffnungen für 
eine freie und naturgemäße Entwidelung der öffentlichen 
Meinung, auf der doch das yanze Beil Deutfchlands be: 
ruhe, gar ſehr niedergefchlagen hat. Und mir glauben, 
daß dieſes Gefühl des Schmerzes und der MNiebergefchla: 
genheit ein allgemeines ift, daß es von ber größten Mehr: 


*) Den dritten Artikel theilten wir in Nr. 70— 72 mit. 
D. Red. 


zahl der beffern, intelligentern und ftimmfähigen Männer 
in Deutſchland getheilt wird. 

Die „Leipziger Allgemeine Zeitung” war bis jegt nach 
ſehr ſchwankenden und von außen her genommenen Rüds 
fichten redigirt. ine durchgebildete und charakterfefte po: 
litiſche Weltanfihe der Gegenwart, dieſe erfte und noths 
wendigfte ‚Bedingung jeder Zeitung, die irgend Anfpruch 
auf Werth mahen will, hatte ſich bis jege in bderfelben 
noch nicht geltend gemacht. Seit ihrem Erfcheinen hat 
fie im Einzelnen mehr erperimentirt, als einen allgemeis 
nen, nach allen Seiten hin harmoniſch gegliederten Chas 
tafter an ben Tag gelegt. Dabei war ein gewiſſes Has 
[hen nach falfher Popularität nicht zu verkennen, womit 
denn eine zweite Ruͤckſicht, keinen Anlaß zu Anftoß bei 
den Regierungen zu geben, oft im bdirecteften Wider 
fpruche fand. Diefes Erperimentiren ift oft kein gluͤckli⸗ 
ches geweſen. Zuerſt vergriff fie ſich total_darin, daß fie 
ſich zum Organe der preußifchen Regierung in der Streis 
tigkeit mit der Latholifhen Kicche machte. Sie glaubte 
auf diefe Weife vielleicht Gunft bei den Behörden und 
Gunſt bei der großen Maſſe am beften vereinigen zu 
innen. Wir glauben aber, daß fie auch hierbei fchlecht 
berathen geweſen iſt und ihren Zweck nicht erreicht hat. 
Die Anfihten der Regierungen wechſeln heutzutage oft 
ſehr fchnell und was heute angenehm iſt, wird morgen fehr 
unangenehm. Bei ber Latholifhen Sache hat man das 
erfahren. Auf die Gunſt der großen Mafle muß man 
ebenfo wenig fpeculicen, denn dieſe ift ebenfo veränderlich. 
Das Urtheil wahrhaft gebilderer, charaktervoller und echt 
liberalee Männer macht auch auf die Laͤnge das aͤußere 
Schidfat der Zeitungen und ſichert allein einen bleibenden 
und wachſenden Abſatz. Zuletzt geben ſolche Männer, und 
wenn ihrer auch noch fo wenige find, doc, in allen Caſi⸗ 
nos, in den Öffentlichen Localen u. f. w. den Ausfchlag 
und die Menge fügt fid ihrem Rathe. Wahrheit in ber 
Auffaffung der Zeitverhältniffe, wuͤrdiges und taktvolles 


tiſchen Werhättutffe träumt. Es fol damit keineswegs 
in Abrede geftellt fein, daß nicht eine Menge wohlmeinen⸗ 


Auftreten, Liebe und Eifer für das Öffentliche Wohl, Frei⸗ 
muth und fefter Charakter, dieſe Eigenfchaften find es, 
weiche mit Sicherheit einer Zeitung Adtung verfchaffen 
und es unmöglich machen, daß fie ignoriert werden kann. 
Durch ihe Parteinehmen für die Megierungsmaßregeln ge: 
gen die katholiſche Kirche bat fich die „Leipziger Allgemeine 
Zeitung” aber biefe Achtung keineswegs erworben und hat 
fi daneben noch im Süden von Deutfhland, in Baiern 
und ſtreich, direct geſchadet. Ebenſo wenig hat ihr ihre 
Haltung gegen Hamover Mugen gebracht. Anfangs beutete 
fie diefen aͤußerſt dankbaren Stoff im Sinne der Oppofis 
tion aus, gewiß mit vollem Rechte, wenn wir aud hier 
eine taftvolle und auf einer feflen, burchgebildeten Anficht 
beruhende Haltung zuweilen vermißten; bei dem eintreten 


den Verbote von Seiten Hanoverd aber ſchlug fie um 


und ſchwieg gänzlich, wenn fie nicht gar der Regierungs: 
politit dann und wann ihre Zeilen öffnete. Wir verken⸗ 
nen nicht die unfichere und rechtlofe Stellung, welche 
eine Zeitung heutzutage gegen unfere Policeibehörden bat. 
Sn .einem Augenblide kann bie Frucht jahrelanger An» 
ftrengung durch den Machtſpruch irgend einer Behörde 
vernichtet werden, und die Stiftung einer neuen Zeitung 
ift aus diefem Grunde eine fehr precaire Speculation, bei 
der Eigenthum und Eriftenz in Gefahr ſchweben. Diefe 
MWechfelfälle, welche aus folcher Rechtlofigkeit und verderb: 
lichen Praxis hervorgehen, muͤſſen jedoch vorher ſchon in 
Rechnung gebracht fein und man muß fih auf fie vor: 
bereitet haben, wenn man ſich mit einem fo bebenklichen 
Unternehmen befaßt. Seine Grundfäge und Überzeugun⸗ 
gen nach ben Drohungen und den Strafen irgend eines 
Miniftere zu wechfeln, der für den Augenblick zufälligerweife 
das Heft in den Händen hat, ift allemal vom Stand: 
punkte der einfachften Moral aus nicht zu billigen und 
muß das Intereſſe und dns Vertrauen bes Publicums zu 
einer Redaction ſchmaͤlern. Kann man nicht mehr mit 
Ehren beftehen, fo muß man abtreten. Einen augenblids 
lichen aͤußern Berluft darf man nicht auf Koften der 
Überzeugung und Wahrhaftigkeit abwenden wollen. Be: 
nigftens kann die Kritik Beine fonftigen Rüdfichten aner: 
kennen und eine Redaction kann ſich nicht über dieſelbe 
beſchweren, wenn die noch dazu oft irrigen Berechnungen 
einer momentanen Pfiffigkeit vor ihr feine Geltung haben. *) 

Die Vorwürfe, welche der „Rheinifhen Zeitung‘ ges 
macht morden und die man als Motive ihrer Auf: 
bebung angeführt hat, find unſers Erachtens nod weit 
begründeter als die Befchuldigungen gegen die „ Leipziger 
Altgemeine Zeitung”. Man kam es fih nicht ver: 
hehlen, daß die Tendenz ber „Rheiniſchen Zeitung” nicht 
auf eine Verbefferung des Beſtehenden gerichtet war, 
fondern daß fie von einem gänzlichen Umſturze aller poli⸗ 


9 So ſchmerzlich wir auch in mander Beziehung durch ben 
Zabel berührt werden, den ber Derfaffer biefed Artileld über die 
„Leipziger Allgemeine Beitung’ auszuſprechen fidy veranladt fand, fo 
haben wir doch kein Wort bed Tadels mwegzulaflen ober zu mildern 
und erlaubt. Dagegen mußten wir aus nahe liegenden Gründen 
unterbrüden, was von bier an in Beziehung auf bie legten Schick⸗ 
{ale der Beitung zum Lobe derfelben gefagt wurde, D. Red. 


% 


der, auf das Maß ber gegebenen Zuftände eingehenber 
Mitarbeiter umd Correſpondenten an derfelben Aucheil ges 
nommen hätten, allein wer es verfteht die eigentliche An- 
ſicht und Beltrebung der Mebaction zwiſchen den Zeilen 
berauszulefen, der wird mit unſerer Behauptung übereins 
fimmen. Es gibt überhaupt in Deutfchland noch feine 
Beitung, welche in allen ihren Artikeln eine gleichmäßige, 


"übereinftimmende Überzeugung und Auffaffung darftelite. 


Auch die „Rheinifche Zeitung” war eine Verſammlung 
ber verfchlebenartigften politiſchen Glaubensbekenntniſſe, die 
nur das Einzige vorldufig miteinander gemein hatten, daß 
fie zur Oppofition gehörten. Wer einen etwas fcharfen 
oppofitionnellen Artikel veröffentlichen wollte, hatte weiter 
keine Wahl, fondern mußte ſich damit an die „Rheiniſche 
Beitung” wenden, wenn er mit ihrer im Hintergrunde 
lauernden beftructiven Tendenz auch keineswegs harmonirte. 
Jenet Fanatismus für die franzoͤſiſche Revolution, der zuwei⸗ 
fen tn ihren Bellen laut wurde, charakterificte allerdings die 
politiſche Anficht der eigentlichen Leiter jener Zeitung. Sie hats 
ten fich wie viele junge Leute in die franzöfifche Revolution 
hineingelefen und glaubten und hofften, daß bei der noth⸗ 
wendigen politifhen Wiedergeburt Deutfchlands ganz der⸗ 
felbe Proceß durchgemacht werden würde wie in Frank: 
veih, nur daß bei uns kein Napoleon, keine Reflauration, 
fein Louis Philipp zu erwarten wäre, fondern Daß wir 
und auf der Höhe der Republik behaupten würden. Die 
Wuͤnſche für Preffreiheit, für Conſtitution, für Öffentlich: 
keit des gerichtlichen Verfahrens u. ſ. w., welche die Mehr⸗ 
zahl der Beſſern in Deutſchland laut werden ließen und 
mit leidenſchaftlicher Waͤrme als moraliſche Nothwendigkeiten, 
als Gewiſſensbeduͤrfniſſe verfochten, betrachteten fie daher nur 
als die unbewußten erſten Hebel der Revolution, die man 
vorläufig wirken Lafjen muͤſſe und nicht ſtoͤren dürfe. Die 
Dahlmann, die Schon, die Weider und Motte waren 
in ihren Augen die deutſchen Ballly, Lafıyette, Mou⸗ 
nier und? Malouet, die zuletzt von ben Rädern bes 
Wagens felbft zermalmt werden würden, dem “ie zuerfl den 
Berg beruntergeftoßen hatten. Wenn man in frühern Jahren 
nicht ähnliche Erfahrungen an fich felbft gemacht hätte, fo 
würde ein fo thörichter und unſittlicher Begriff von ber 
Gegenwart Deutſchlands kaum zu verſtehen fein. Thoͤ⸗ 
richt iſt er, weil er auf dee ungeheuerften Verkennung 
unferer Zuftände beruht. Der wahnfinnige Taumel der. 
feanzöfifhen Revolution konnte nur einmal die Menſch⸗ 
heit überrafhen, und aud nur in Frankreich. Übrigens 
kann man zur Entfhuldigung der jungen Leute anführen, 
baß felbft alte Staatsmaͤnner eine ähnliche Parallele zwis 
ſchen dem damaligen Frankteich und dem jetzigen Dencſch⸗ 
land zu ziehen feinen, nur daß ihnen dieſelbe natüriich 
als greuliches Succhtgefpenft, jenen als Ziel ihrer kuͤhnſten 
Wuͤnſche vorſchwebt. Unbegreiflich unfittlih aber find 
ſolche Hoffnungen, weil in der That die Geſchichte kein 
aͤhnliches Beiſpiel von ſolcher Entartung ſittlicher Ideen zu 
der graſſeſten Unſittlichkeit aufzuweiſen bat. NRobespierre 
mit all den Namen, die ſich an ihn knuͤpfen, iſt die groß⸗ 


attigſt⸗ widerlichſte Ironie auf bie von ihm ſelbſt promulgir⸗ 
ten Ideen. Wer fih an foldhen Procsfjen erbauen Ta 
und ſogar eine Wiederholung .derfeiben herbeiſehnt, iſt 
allerdings in einer traurigen Verireung befangen. Freilich 
ift wildes Parteitreiben die bequemfte Weife, um eine Art 
äußere Rolle in ber Geſchichte zu fpielen. Dazu fühlt 
ſich zulegt jeder lebhafte, ehrgeijige junge Mann befähigt, 
deffen ſittliche Phantaſie noch an Peine innerlichere, fittli⸗ 
dere und chriſtliche Wirkfamkeit binaufragt. Um bie 
ganze äußere und innere Errungenfchaft ber Gegenwart 
im tiefften Derzen zu fühlen und fie mit frommen Danke 
anzuerkennen, um unſern jegigen Beſitzſtand in jeglicher 
Beziehung mit Ehrfurcht zu betrachten und heilig zu 
halten, dazu gehört allerdings eine veifere innere und 
äußere Lebenserfahrung, als junge übermüthige Leute, die 
vor dem erften Drange des erwachenden Geiſtes und von 
dem heißen Durfte nah Thaten und nach ſchneller Gel: 
tendmachung ihrer Perfönlichkeit geftachelt werden, bereite 
erroorben haben können. 

Was kommt aber nun bei den Berboten ſolcher Or⸗ 
gane heraus, die allerdings eine falſche Tendenz verfolgen? 
Verbeffert man dadurch die Anfihten? Heilt man bie 
Krankheit? Solche augenblickliche Palliatiomittel find doch 
gar zu irrationnell und ſchmecken zu fehr nach jener obers 
flaͤchlichen Praxis, die nur an den allernaͤchſten Woment 
denkt und nur aus der Dand in den Mund lebt. Dan 
ſtopft ein Loch und fieht nicht ein, daß fih die Materie 
mothwendig einen andern Weg bahnen muß. Irrthum 
und Boswilligkeit laſſen fich wahrlich nicht verbieten, dazu 
ft auch die Dmnipotens unſerer Miniſter noch zu ohn⸗ 
maͤchtig, wol aber laſſen ſie ſich heilen und durch Erkennt⸗ 
niß und Liebe paralyfiren. Die Preſſe iſt allerdings nach 
jedesmaliger Unterdruͤckung immer boͤewilliger und unzu⸗ 
friedener geworden; im J. 1819 waren ihre Äußerungen 
noch unendlich conſervativer als 1831, und 1843 iſt ſie 
noch galliger, negativer, verbitterter wie 1831. Stopft 
marı ihr wieder auf einige Jahte den Mund, fo werden 
wie ſehen, was für sin Ungethuͤm alsbann zum Vorſchein 
fonsmt, wenn man fie wieder frei laflen muß, wozu man 
ih über kurz oder lang doch gezwungen fehen wird. 

Eine Bevormundung ber Preſſe, wie fie jet bei un 
Rettfindet, mag nöthig fen in Zeiten bürgerlicher Unru: 
ben, bei einer leidenfchaftlich aufgeregten Volksmaſſe, bie 
noch auf einem niedern Grade der Cultur ſteht. Für 
Deutfchland im J. 1843 paßt fie nicht mehr. Oder fürchtet 
man etwa Emeuten, Aufftände, hervorgerufen durch ges 
wandte Demagogen, die bie Feder zu führen willen? Nun 
wahrlich, wer dergleichen: bei uns Deutfchen: fürchtet, ber 
mag ebenſo gut fürchten, daß der Himmel einflürzen 
werde. Der beforge man eine allgemeine Verderbniß der 
Grundfüge und der Anfichten bed Volks durch bie Preſſe 
und haͤlt wman fich in feinem Gewiffen verpflichtet, diefen 
bruͤllenden Löwen, der herumſchleicht, um Leute zu fühen, 
st noch zu feſſein? Nun wohl, wenn man von diefer 


. Anfiche ausgeht, fo ſei man confequent und führe eine ruf: 
Ride Regierung bei uns ein, aber man verzichte dann aud) 
für immer auf die ſchoͤnen Phrafen „Öffentlichkeit und 


. 
D * 
.. 
.. 
. 


heit”. Iſt das beutiche Volk heute noch nicht mündig, 


T um ſich felbflänbige und eichtige Uberzengungen durch of: 
‘fenen Austauſch der Ideen bilden zu koͤnnen, ſo wird es 


nie faͤhig dazu ſein. 
(Die KBortſetung folgt.) 





Goldenes Haar. 


Man braucht nicht eben Paarkräusfer zu fein, um zu wife 
fen, daß golbenes Haar jegt zu den größten menſchlichen Eel: 
tenbeiten gehört. Bielleicht deshalb ſchweigen unfere neuern 
Dichter davon, und wäre die Urſache getroffen, fo Könnte fie ein 
Zeichen fein, daß allen Anklagen unferer Zeit zum Trotz fogar 
in der Poefte das Streben nad) Wahrheit um fidy greift. Die 
alten griechiſchen und roͤmiſchen Dichter waren erſeſſen, ihre 
Helden und Heldinnen mit goldenen Haarflechten zu fchmüden. 
Gab es etwa damals goldene Haar in Überfiuß? Beftimmt 
nit. Wäre es unter jedem Rachthaͤubchen und unter jeder 
Bipfelmüge zu finden gewefen, hätten es die Sänger nicht in 
Flechten um bie ſchoͤnen Schlaͤfen gelegt und in Ringeln unter 
ben Helmen bervorquellen laflen, rein davon abgefehen, baß an 
ſehr wenigen hiſtoriſchen Perfonen golbenes Haar erivähnt wird. 
Die vollendetfte Zierde biefer Art befaß Lucrezia Borgia, bie 
fuͤrchterliche Tochter Papft Alexander's VI., die beruͤhmteſie 
Schönheit ihrer, ber bramatifirte Schauder unferer Zeit. Ein 
Theil ihre Daars bat fih gegen Vernichtung in bie Ambroflas 
niſche Bibliothek zu Mailand gerettet — gegen Vernichtung, 
nicht gegen Beftchlung, bean wie in ber Raritätenfammlung 
beö befannten englifchen Schriftſtellert Leigh Hunt ein, aller 
binge nur Gin Haar baven ſich vorfinbet, fo kann, was dieſes 
babin gebracht, ſich Öfterer wiederholt haben. Gin: wilber Ges 
felle hat es für die Sammlung feines Yreunbes entwendet und 
es ihm mit bem auf ben Umſchiag gefchriebenen Motto gegeben : 
„And beauty draws us with a single hair.” Der Teufel eben« 
alld. Menn es aber je ein goldenes Haar gab, fo ift es das. 

& iſt nicht roth, nicht geib, nicht braun; nein, es {ft golden, 
und denkt man es ſich verhunderttaufendfackt, kann man bie 


überrafchende Wunderherrlichkeit ſich einigermaßen vorftellen. - 


Lucrezia, ſchoͤn in jedem Boll, muß ausgefehen haben wie eine 
Lichterfcheinung auf einem Gemälde, wie ein Gonnenengel. 
Savage Landor — pfeudonym Wat Splvan — fühlte in 
Fer u burc den Inbiid bes Haarſtraͤhns 
o begeifiert, daß er im Fremdenbuche feinem Ram ⸗ 
ten beifchrieb:® u bie Zei 

Borgie,, thou onos wert almost too august 

And high for aderstion — now thou’rt dust! 

Al that remains of theo ihese plaits enfold — 

Calmı hair meaudering with pellueid gold. 

Sin Seitenkäd zur Borgia, in puncto des Haars, bürfte 
eine Schottin gewefen fein, die Tochter Bannatyne’s von Gates 
boufe, ‚Namens Martha, fpäter Gemahlin des Lord Comer: 
ville, unter der folchen Reizen gefährlichen Regierung des zmeis 
ten Karl. Lord Gomerville hat ein Bacheichen gefchrieben : 
„Memorie of ıhe Somerrills‘”‘, das in England fehe rar iſt, 
in Deutfchland vielleicht gar nicht eriftict. Gr beſchreibt darin 
bie Perlöntichkeit feinee Gemahlin in aufregenden Details, von 
denen Bolgendes die Shwädhfte Probe (es if altengliih) — 
„Ther was nothing boor soe litle proportione with the rest 
of her body as her hand and foot, both being extremely 
litle, but well shapen, whyte, and full of flesh; her skin 
was smoothe clear, but what was covered, not soe 
whyte as I have seen severall of ber .complexione that was 
purely sanguinean,”” Das mar nennt er reines Gold, „bat 
which darkened as she grew in age”. 

Gleich den griedhifchen und römifigen Dichtern haben bie 
alten engliſchen gethan, den Lieblingsgebilden ihrer Phantafle 
goldene Locken verliehen. So Ghaucee bei Schilderung bes 
Mädchens, das ihm im Traume das Gerz raubte: 


For evory kair upen her head, 
The soeth to say it was not Ted; 
Nor yellow, nor yet brown It n'as, 
Metheught most like to gold it was. 


&o Collin in feiner vielbewunderten Perfonificieung ber Hoffnung: 
And Hope, enchaated, smiled, and wared her golden hair. 


&o fein ungelannter Beitgenoffe, Verf. ber gefeierten Ballade 
„Gil Morris‘, in ber lieblichen Befchreibung feines weibifchen 
Iben : 
” His hair was like tho threeds of gold 
Drawneo frae Minorva’s loome; 
His lips like roses drappieg dew, 
His breath was a’ perfume. 


WBieder auf bie hiſtoriſche Wirklichkeit zuruͤckkommend, 
komme ich wieder nach Italien, zu Beatrice Genci, deren thraͤ⸗ 
nenreiche Geſchichte Perch Vyſſhe Shelley zum Stoff einer 
Tragoͤdie gewählt. Wunderbar ſchoͤn, hatte Beatrice auch gol⸗ 
denes Haar. Ein ihr Schickſal erzaͤhlendes Manuſcript, wel⸗ 
ches Shelley ſeiner Dichtung untergelegt, ſagt in dieſer Hin⸗ 
ſicht: „Ihr Haar war wie Goldfaͤden; und weil es ſehr lang 
war, pflegte fie es aufzuſtecken; ließ fie es aber fliegen, ſetzte 
der wogende Glanz Jeden in Erſtaunen.“ Daß auch ein deut⸗ 
fches Dichter feine Agnes, bie des Vaters Stolz und Freude, 
mit goldenen Locken geſchmuͤckt, habe ich nicht erwähnen mögen. 
Jeder Deutfche weiß das. 14. 





giterarifhe Notizen aus Frankreich. 


In allen großen Städten gibt es ſonderbare Perföntichkeis 
ten, die von Groß und Klein gekannt find und die dem Frem⸗ 
den, als zu ben Merkwürdigkeiten der Stadt gehörig, gewieſen 
werden. Paris hatte bis vor einigen Monaten eine ſoiche Erſchei⸗ 
nung in ShobracsDuclos, ben jebed Kind mit dem Binger 
zeigen Eonnte. Zu jeber Stunde bes Tages ſah man ihn in 
einem zerlumpten, ſchmuzigen Aufzuge mit haftiger Eile in ben 
gefhmücten Balerien des Palais royal hin und herlaufen. Je⸗ 
dermann kannte ihn, und man erzählte ſich den Grund biefer 
täglichen Wanderungen, in denen er bad Beifpiel des rigen 
Auden nachahmen zu wollen ſchien, auf hunberterlei Weiſe. 
Wie es hieß, gehörte er einer vornehmen Familie an und war 
es ihm nicht bei feiner Wiege gefungen worden, baß er in feinem 
Alter im SBettlergewanbe umherziehen werde. Man fagte, er 
babe fich zu biefer cyniſchen Lebensweifle, bie einem Diogenes 
zur Ehre gereicht haben würbe, felber verdammt, um feinen 
Sönnern, auf deren Dankbarkeit ex Anſpruch zu baden behaup- 
tete, zur ewigen Schande herumzuwandeln. Ramentlid warb 
unter denfelben Peyronnet citiet, mit dem er in früher Jugend 
genau befannt geweſen fein fol Kaum war Ghobrat » Duclos 
geftorben, fo fielen die Tagesblaͤtter wie gierige Haben über 
ben Leichnam ber. Alle Gerüchte, bie über ihn in Umlauf 
waren, wurden ausgebeutet.und Jedermann wußte vom „Nar⸗ 
zen des Palais royal”, dem man bei feinen Lebzeiten gern 
aus bem Wege gegangen war, eine andere Geſchichte aufzus 
tifchen. Die muſikaliſchen Blätter, welche bie politifchen Jour⸗ 
nate an unerfchöpflidyen Lügen weit hinter ſich Laffen, wußten, 
daß Ghobracs Duclos ein verkanntes muſikaliſches Genie fei. 
Man erzäblte, er babe eine Oper, in ber tiefe Kenner ber 
Kunft, deren Namen aber nicht angeführt waren, unendliche 
Schönheiten entdeckt hätten, zur Aufführung bringen wollen. 
Nachdem alle feine Verſuche gefceitert feien, habe er ben Muth, 

ch durch feine Gompofitionen befannt zu machen, verloren 
und feit diefer Zeit datire fein nomabifches Ecben, in bem er 
fon zwanzig Jahre lang vegetirte. Alles war geradezu aus 
der Luft gegriffen. Das Leben ChobracsDuclos’ war eine von 
den verunglücten Eriftenzen, bie jede große Stadt aufzumeifen 
bat. Indeſſen hatten die Zournale doch die öffentliche Aufmerk⸗ 


famteit auf biefen Menſchen, hinter dem man nichts 5 
woͤhnliches oder gar Geniales zu ſuchen hat, —— — 
von den Schriftſtellern, dic jeden Augenblick bereit find, ihre 
Bedern zu fpigen, haben fidy dadurch veranlaßt gefehen, bie 
verſchledenen Geruͤchte, bie man fi) von ihm erzählte, nad} feie 
nem Tode zu einem Buche zu verarbeiten. Daflelbe bat vor 
kurzem u. db. 3 „Memoires de Chodrac-Duclos’ die Preffe 
verlaffen und wird die Reugierigen ein paar Tage beſchaͤftigen. 
Die Verf. beffetben,, Jacques Aragd, ber Bruder bes Aſtrono⸗ 
men, und ©. Gouin, denen wir ſchon eine lesbare Biographie 
vom Herzoge von Orleans verbanten, haben ſich, wie geſagt, 
begnuͤgt, den vorgefundenen Stoff —— — Benn es 
in ben Ankuͤndigungen heißt, daß ihnen unbekannte Papiere ya 
Gebote geftanden hätten, fo iſt dies gang einfach eine Mpftificas 
tion. Der Graf von Peyronnet, gegen ben in ben zwei ers 
fhienenen Bänden manche Anfchuidigungen erhoben wurben, 
brauchte ſich deshalb wahrlich gar die Muͤhe nicht zu geben, 
die Unwahrheit der ihn betreffenden Stellen zu ertiaren. Zus 
beifen hat er es doch für nöthig erachtet und die „France hat 
vor ‚einiger Zeit einen Brief aus der Feder des Exminiſters 
ee ee in —* * daß an alle den Ge 
ruͤchten, Die über fein ehemaliges Verhältniß gu Chodra 

im Umlaufe feien, fein wahres ort mir zu Chodrac⸗Ducloe 


Wir haben in d. Bl. vor einiger Zeit einer i 

waͤhnt in der die neuen Richtungen der ——— 
gerodtebigt wurden. Dieſelbe führte den Zitel „Histoire critique 

u rationalisme en Allemagne’ unb rührte von einem talents 
vollen jungen Schriftfteller, Amand Saintes, ber, ber fi 
ſchon durch einige gediegene philofophifche Arbeiten ruͤhmlich bes 
fannt gemacht hat. Seitdem tft nody ein anderes philoſophiſches 
Wert. aus bderfelben Feder erfchienen. Es betrifft die Lehre Spi⸗ 
noga’& und fcheint befondere Beachtung zu verdienen. Der Zis 
tet iſt: „Histoire de la vie et des ouvrages de Spinosa, 
fondateur de l’ox&g&se et de la philosophie moderne” (Pas 

3. 





ris 1843). 





Literariſche Anzeige. 
Neu erſchien bei mir und iſt in allen Buchhandlungen zu 


erhalten: 
Gedichte 


' von 
Karl Jörter, 


Herausgegeben von 
Ludwig Tieck. 
Iwei Theile. 

Mit dem Bildniſſe des Vichters. 
Gr. 12, Geh. 3 Thlr. 








* In meinem Verlage erſchienen fruͤher: 
zancesch Petrarca’s ſammtliche Canzonen, 
Sonette, Ballaten und Telumbhe, „Überfett und 
mit erläuternden Anmerkungen begleitet von K. Körfter. 
weite, verbeflerte Auflage. Er. 8. 1833, Brüder 2 Thlr. 


Nor. egt 2 Thle. 5 Rear. 


Dante Hlighbieri, Das neue Beben. Aus bem Stal. 


überf. und erläutert von X. Börfter. Gr. 12. 184. Mer. 
Eeipzig, im Aprit 1843. 


$. A. Srockhaus. 


Vetantwortlicher Herausgeber: Deinrih Broddaus — Drud und Werlag von F. 4. Brodhaus in Eetipsig. 


Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Sonntag, 


— Nr 32, — 


2. April 1843. 





Politifche Literatur der Gegenwart in Deutfchland. 
Bierter Artikel. 
(Sortfegung aus Nr. 91.) 

.Unſere Minifter foliten fi) einen Mann zum Mufter 
nehmen, den die „Preußiſche Staatszeitung“ freilich lange 
genug verunglimpft hat, der nichtsdefloweniger aber die 
Bewunderung feiner Zeitgenofjen verdient. Wir mei: 
nen den fpanifchen Espartero. Dort in jenem Lande lie: 
fen Tidy ganz andere und gewichtigere Gründe für Genfur 
und Verbote anführen, aber der Mann glaubt an die 
innere Macht, an den Sieg einer gefegmäßigen Freiheit 
und verfhmäht es auf dem Wege der Bevormundung bes 
freien Wortes bderfelben einen fcheinbaren augenblicklichen 
Vortheil zu verfhaffen. Mitten unter mwüthendem Par: 
teigefchrei glaubt. er an die Sache ber Öffentlihen Ver: 
nunft, die entweder fiegen foll oder mit der er fallen will, 
Das iſt der rechte Weg, um ein Volt mündig zu machen, 
nicht jene gewaltfane Unterdrüdung misliebiger Stimmen, 
durch weiche das Übel nur verlängert und verfchlimmert 
wird. Ich möchte einen deutfhen Minifter an der Stelle 
Espartero’8 fehen und wie weit berfelde mit feinen mohl: 
feilen SPolicelmaßregein kommen würde. Und zwifchen 
Spanien und Deutfhland ift doc noch ein Meiner Uns 
terfchied. Freilich zu einem folhen Bertrauen auf fein 
Spftem gehört der fefle Glaube an die eigene gute Sache, 
gehört vor allem ein geniales, auf richtige Worausfegun: 
gen gegründetes, den ganzen Zuſtand bed gegenwärtigen 
Bedürfniffes nah allen Seiten hin umfaffendes Spflem, 
nicht blos einige LKieblingsideen u. dgl. Zu einem folchen 
feifenfeften Standpunkte gehört ein genialer Mann, der 
die Urfachen der Erfcheinungen in der Ziefe erblidt, das 
Streben des Volksgeiſtes verfieht und niht an einzelnen 
Erſcheinungen auf der Oberfläche herumlaborirt und daran 
bin: und herflidt. 

Es ift ein ziemlich abgedrofchener Sag, daß bie Preffe 
ihre Heilmittel in ſich felbit habe. Aber der Sag ift 
wahr. Glaubt mir, das Unvernünftige und Unfittliche, 
was in der Xendenz der „NRheinifchen Zeitung”, der 
„Deutfhen Jahrbücher” u.f. w. liegen mochte, das hätten 
wir auch ohne die Verbote erkannt, und auch ohne Verbote 
wären wie des böfen Feindes fhon Here geworden. Oder 
vielmehr nur ohne Verbote, nur duch unſcre eigene 
geiftige Anſtrengung, durch unfer eigenes Gewiſſen konn: 


ten wir den böfen Zeind beſiegen. SFreilih muß man 
uns dazu Zeit laffen und muß nicht gleich im erften hal⸗ 
ben Jahre ungeduldig und empfindlich werden. Eben daB 
die „Rheinifche Zeitung” und die „Deutſchen Zahrbücher” 
eine fo außerordentlic fhnelle Verbreitung gefunden haben, 
daß fie von dem großen Publicum gerwiffermaßen ver 
[hlungen wurden, mag zum Beweiſe dienen, wie wenig 
Unterdrüdung der Preffe zur Erziehung eines gefunden 
politifhen Sinnes taugt. Hülfe ſolch negatives Regieren 
heutzutage irgend etwas, fo müßten die letzten 25 Jahre 
gewiß die günfligften efultate gehabt haben. Statt 
deſſen aber haben fie gerade das Gegentheil gewirkt. Fuͤr 
den Augenblid greift Jeder nur nach den entichiedenften 
und unzweideutigften Oppofitionsorganen, um ſich für die 
lange Entbehrung ſchadlos zu halten. Nicht die Lehren 
und Anfichten, welche jene Organe zum Beſten geben, 
find es eigentlih, weshalb man fie fo werth hält, ſon⸗ 
dern es ift der ungewohnte Ton des Freimuthes, die Ruͤck⸗ 
fichtslofigkeit, mit der der Überzeugung gehuldigt wird, 
was ſolches Intereſſe erregte. Es bewährt ſich hier das 
alte ewige Gefeg der Natur und des Geiſtes, daß ein 
Ertrem das andere hervorruft, und daß ein zu lange un: 
terdruͤcktes Beduͤrfniß feine Befriedigung im erſten Augen: 
bite in Übertreibungen und ohne Maß und Schranken 
fein Ziel fucht. fiber diefe fatale Übergangsperiode wird 
man nie wegkommen, es wird immer erft bei fo unnatürs 
lihen Antecedentien ein Hinz und Herwogen zwifchen den 
Ertremen flattfinden, bis der vernünftige Gebrauch der 
Freiheit erlernt wird und der Strom der gefunden Volke: 
meinung ruhig in feinem Bette dahinflutet. Wenn aber 
irgendwo ein folcyer Übergang nur kurz, ungefährlich und 
mit geringen Unbequemlichfeiten verbunden fein wird, fo 
ift e8 eben heutzutage in Deutfchland. Dat man fid 
nur erft an dem neuen Zone etwas gefättigt, iſt die 
Spradye der Kühnheit und bes Sreimuthes nur erft etwas 
Erlaubte und Gewohntes geworden, fo wird man aud 
ſehr bald zu fondern anfangen und den echten Muth von 
der Stechheit, die nothwendigen Unfoderungen der Gegen: 
wart von den willfürlichen und unwahren Sagungen einer 
ercentrifhen Fugend oder böswilligee Schreier zu unter: 
fcheiden wiffen. Gemäßigte Organe eines auf das „Maß 
der gegebenen Zuſtaͤnde“ eingehenden Fortſchritts würden 
fhon in diefem Jahre entftanden fein, eben nothwendig 


hervorgerufen duch das blinde, maß = und gewiſſenloſe 
Sichüderſtuͤrzen jener Blätter; das Beduͤrfniß darnach 
wurde ſchon lebhaft gefühlt und die beſten Kräfte des 
Volkes würden ſich ihnen gewidmet haben. Eine nothwen⸗ 
dige Reaction der wahren Öffentlichen Meinung würde ſich 
gegen bie „Rheiniſche Zeitung” und „Deutſchen Jahrbücher” 
gebildet und diefe gezwungen haben, entweder auf dem betrete: 
nen Wege umzukehren oder ſich völlig in der Öffentlichen Mei: 
nung durch immer frevelhaftere Confequenzen hinzurichten. 
Die günftige Gegenwirkung aus den eigenen moraliſchen 
Kräften des Volks heraus hat man aber durch jenes po: 
ficeiliche Eingreifen wieder auf längere Zeit unmoͤglich ges 
macht. Statt die Keifis zu befördern, hat man fie un: 
terdruͤckt und fo ftedt die Krankheit noch immer Im Innern 
und verdirbt mehr und mehr den gefunden Organismus. 
Am allererften laͤßt ſich noch das Verbot der „„Deutichen 
Sahrdlicher” von Seiten der ſaͤchſiſchen Regierung rechts: 
fertigen oder wenigftens auf eine einigermaßen genügende 
Weife erklären. Die faͤchſiſche Regierung beguͤnſtigt offen: 
bar eine freiere Preffe und es iſt nicht unwahrſcheinlich, 
daß fie, wenn fie von außen her völig ungehindert wäre, 
alte jene unzeitgemäßen Beſchraͤnkungen ganz fallen Iteße. 
Im Aligemeinen fteht fie mit der Preſſe auf einem guten 
Suße, was ihr ald hohes Berdienſt anzurechnen iſt. Der 
unendliche Kortfrhritt Suchfens datirt fi offenbar von 
dem ehrlichen Geifte ber Öffentlichkeit, von dem bie Re: 
Hierung feit zroölf Jahren ausgegangen iſt, und biefe Of: 
fentlichkeit ift ohne freie Preffe nicht moͤglich. Die ſaͤchſi⸗ 
ſche Regierung weiß fehr wohl, daß fie ohne Hülfe der 
Preſſe, ohne freie Selbfithätigkeit des Volks nicht zu fo 
wunderbaren Refultaten im Staatsleben gelangt fein wuͤrde 
und daf eine immer vollftändigere Entwickelung auf dies 
fem Wege in ber ganzen Anlage des Syſtems begründet 
fi. Wenn fie daher ein Blatt, welches im Auslande 
das meifte Ärgerniß gab und ihr gewiß unendlich vie 
Mequifitionen und Verwickelungen zumege gebracht bat, 
und noch dazu ein Blatt, deſſen Tendenz fie im Allge⸗ 
meinen für durchaus verderblih und für die Entwidelung 
des eigenen Staatslebens wenigftene fehr entbehrlich hielt, 
deshalb aufopferte, um durch diefe Concefjion ſich Ruhe 
und Nachſicht für die ganze Übrige Peeffe zu erfaufen, 
fo laͤßt fi) das wenigftens, wenn auch nicht nach ber Idee, 
doch nach dem Drange ber wirklichen Umflände rechtferti⸗ 
gen. Wir glauben nicht, daß die „Deutfhen Jahrbücher” 
verboten find, um die Preffe überhaupt zu beſchraͤnken, 
fondern um dem ganzen übrigen Theil derſelben durch 
dieſes Opfer einen freiern Spielraum zu gewähren. Es wäre 
freilich wünfchenswerther geweſen, wenn bie „Deutfden 
Jahrbuͤcher“ Gelegenheit gehabt hätten, ihren Feldzug gegen 
den thatlofen Liberalismus, ben fie im diesjährigen Jahres: 
programm ankuͤndigten, wirklich zu beginnen. Das ganze Pu: 
blicum bätte dann Gelegenheit gehabt, die Thaten kennen zu 
lernen, welche die „„Deutfchen Jahrbücher” von ihm verlangs 
ten, und es würde fich unzweifelhaft die Demagogifch = praßtis 
ſche Tendenz , die fie hinter dialektiſchen Taſchenſpielereien, 
unter einem fehr dünnen Gewande fogenannter Wiffen: 
ſchaftlichkeit verftechten, auch dem biödeften Auge dargelegt 


haben. Duck das Verbot bat man offenbar ihren eige⸗ 
nen Gelbflvernichtungsproceh, an dem fie mit einer wirt: 
ih wahnfinnigen Haft arbeiteten, leider verhindert. Statt 
deffen hat bie ſaͤchſiſche Regierung durch jenes Verbot Ruge 
und feinen Theilnehmern eine Art Maͤrtyrerkrone aufgeſetzt, 
deren Schimmer wieder auf einige Jahre hinreichen wird, 
um die Augen ber moraliſch Kurzſichtigen zu bienden. 

Es wäre zu wünfhen, wenn es der preußifchen Mes 
gierung zuweilen gefallen wollte, ihre Blicke auf das Meine 
Sachſen zu werfen. Man kann au von einem Pleinern 
Bande zuweilen eiwas lernen. In Sachſen ift der König 
fo allgemein verehrt wie vielleicht in keinem übrigen 
Theile der Erde; in Sachſen werden bie Minifter allge⸗ 
mein anerfannt und gefegnet, troß mancher Oppoſition 
im Einzelnen; in Sachſen ſchreitet die Geſetzgebung Schritt 
für Schritt auf die angemeffenfte Weife fort, und von 
einer Speenconfufion, von einer Rathlofigkeit, einem Hin⸗ 
und Derfchreien der verfchiedenartigften Anfichten, wie in 
jenem größern Sande, weiß mm dort nichts. Dabei bat 
eine Rechtlichkeit, eine Pflichttreue, eine Gefchäftsthätigkeit 
bei dem Beamtenſtande Play gegriffen, die man vor zwöff 
Fahren für ganz unmöglich gehalten haben würde. Und 
bat Sachſen, um zu dieſer allgemeinen Staatsblüte zu 
gelangen, etwa die Preffe unterdbrüdt? Gerade im Gegen: 
theile hat es diefelbe aufgemuntert und begümftigt, fo weit 
eine gewiſſe ängflliche Rüdfichtnahme auf aͤußere Verhaͤlt⸗ 
nilfe es nur irgend erlaubte, und namentlih in innen 
Angelegenheiten bat die NRegterung im Bewußtſein ihres 
richtigen, zeitgemäßen Syſtems derfelben fehr große Freihei⸗ 
ten gewährt. Und ber ganze jegige blühende Zuſtand 
Sachſens er iſt mahrlid nicht trog der freien Preſſe, 
fondern ducch dieſelbe mit herbeigeführt. Ob ohne diefe 
ein fo fhönes Vertrauen zwiſchen FZürft, Mintftern und 
Volt, ein fo reges, fruchtbringendes Wachſen in allen 
Zweigen des Staatslebens möglich geweſen? darüber frage 
man bie ſaͤchſiſchen Staatsmänner felbfl. Wenn ihnen 
die Preffe auch kein bequemes Muheliffen geweſen ift, fo 
werden fie deren Nutzen doch ficher zugeben und anerfen: 
nen. Man wirft den DBertheidigern der Preßfreiheit im⸗ 
mer vor, dab fie mehr nah unausführbaren Theorien wie 
nach der praßtifchen Möglichkeit urtheilten. Wir glauben 
aber umgekehrt, daß eben die Gegner von ganz falfchen 
und unausführbaren, aus den Zufländen früherer Jahr⸗ 
hunderte noch dazu einfeitig abflcahirten Theorien ausge⸗ 
ben, und daß fie Beine intuitive, praftifche Bermandefchaft 
zu den moralifhen und politifhen Bedürfnifien der Ges 
genwart haben. Wenigſtens ijt das Beiſpiel des Heinen 
Sachſens fo naheliegend, fo evident, daß die praßtifchen 
Männer es doc nicht ignoriren folten. Dan tönnte 
allenfalls einwenden, daß das Pleine Sachſen ſchon polirifch 
reifer fet wie das große Preußen, und daher auch eine 
freiere Preffe vertragen koͤnne. Wir find allerdings mit 
dem eriten Theile dieſer Behauptung völlig einverſtanden; 
wie halten das ſaͤchſiſche Volk in diefem Augenblide für 
politiſch klarer, ſich feines Zieles und feines Bedürfnifſes 
bewußter, für durchgebildeter als das preußifche. Aber 
diefe höhere politifhe Bildung bat es einzig und allein 


TEN 


feiner Berfaffung und feiner freien Pkeffe zu verbanten; 
1830 ftand die Partie anders und Sachfen konnte fich 
feines Vorſprungs wahrlich nicht rühmen. Die geiflige 
Befähigung iſt in Preußen ganz gewiß biefelbe oder viel: 
mehr eine höhere, aber man gebt ihr nicht die einzig mög: 
Hohe Gelegenheit, fi) auszubilden. Es mag Jemand noch 
fo viel Anlagen haben, immer muß er bad, erſt ins Waſ⸗ 
fer aehen, wenn er ſchwimmen lernen will. 

ildrigens würde auch Sachſen ſich genöthigt gefehen 
haben, feine Preſſe gänzlich zu unterdruͤcken, wenn deſſen 
Berfaffung und Regierung nicht im Wefentlichen den An: 
foderungen der Zeit und des Volksbeduͤrfniſſes entfprochen 
hätte. Und darin liegt dee Punkt, meshalb Preußen bei 
feinem jegigen Syſteme durchaus gezwungen war, bie freie 
Discuffion zu hemmen und weshalb es auch ferner ges 
nöthigt fein wird, wenn nicht eine völlige Umgeflaltung 
eintritt, die Preſſe mehr und mehr zu befchränten und fie 
allmälig zum Schweigen zu bringen. Sagen wir ed nur 
gerade heraus, was ſich doch jegt unzweifelhaft herausge⸗ 
Kelle hat. Preßfreiheit und abfolute Monarchie find bei 
heutigen Culturzuſtaͤnden Dinge, bie gänzlich unverträg- 
tich miteinander find. Wenn in bie Manifeflationen der 
freien Preſſe eine gewiffe Ordnung kommen fol, wenn 
nicht alle Wünfche wild und ungeregelt durcheinandertoben 
ſollen, fodaß eine völlig babylonifhe Sprachverwirrung 
entfieht — der Anfang war dazu fchon gemacht —, fo 
muß daſſelbe Wort, welches über die Gefehgebung lieſt 
und ſchreibt, auch feinen freien und oͤffentlichen Antheil 
an der Sefeggebung haben. Alsdann wird es ſich im ſei⸗ 
ner politifhen Tagesliteratur ſchon zu befchränten willen; 
es mird ſelbſt einfehen, daß es nicht Alles auf einmal 
ausführen kann, und daß ein Nady und Nach, ein fchritts 
weites Kortfchreitn von einem Nothwendigen zum andern 
allein zur erfprießtichen Tätigkeit führt. Die Tagesfra⸗ 
gen werden ſich vereinfachen; flatt alle möglichen Ideen 
and Wünfce pele-mele an den Tag zu bringen und ba: 
durch alle Discuffion zu verwircen, wird man fich darauf 
beichränten, die nächfle Trage des Moments, wie fie den 
Kammern vorliegt, nach allen Seiten hin gründlich zu er: 
örtern. Ohne Repräfentativverfaffung wird die Preffe nie 
Maß und Ziel halten, nie auf das Mögliche, für den 
Augenblick Gegebene gründlich und wohlmwollend eingehen 
koͤnnen. 

Die Sachen in Preußen ſtehen jetzt fo: Man flieht 
allgemein ein, daß eine Veränderung eintreten muß und 
daß es nicht fo bleiben Bann. Das willkuͤrliche Schwans 
ten zwiſchen Erlauben und Verbieten gereicht weder dem 
Staate zur Ehre noch zum Heile; ein confequentes Sys 
ſtem muß angenommen werden. Und bier hat man nur die 
Wahl zwiſchen zwei Möglichkeiten. Entweder man kehrt 
zur abfoluten Regierungsweiſe des verflorbenen Könige 
zuruͤck, verbietet jede Öffentliche Discuffion über alle ſtaat⸗ 
kichen Gegenſtaͤnde vom Dienfte des Nachtwaͤchters an 
bis zus den Functionen des Minifters, denn das Kleinſte 
ſteht mit Brößten im Zufammenhange und die Discuffion 
fleigt immer vom den unbedeutendften Anlaͤſſen zu ben 
wichtigften und legten Grundfragen herauf; oder man geht 


aufrichtig und voRflänbig zu dem conſtitutionaellen Ey 
ſteme über, was Preßfreiheit und Öffentlichkeit aller Stauts- 
angelegenheiten ſowol vertragen kann als auch vorausfegt. 
Das iſt die Akternative, ein Drittes iſt nicht moͤglich. Je 
früher man zu diefer Einficht gelangt, befto beffer wird es 
fein, und deſto geringer und gefahrlofer werben bie Schwie⸗ 
tigkeiten fein, die immer mit einer Reorganifation vers 
bunden find. 

Wir wolken nun noch furz die Urtheile der Pleinen 
Schrift über die jegigen Zeitungen mit. einigen Bemerkun⸗ 
gen begleiten. Zuerſt kommt die „Elberfelder Zeitung” an 
die Reihe. Ihr Standpuntt wird mol nicht mit Unrecht 
„der Standpunkt der Schmeichelei, der Speculation auf 
einen Orden oder auf eine Stelle im weiland Berichti⸗ 
gungsbureau” genannt. Der Redacteur, Herr Martin 
Runkel, hat fi ſchon feit Jahren zum unbedingten Lob: 
preifer jeglicher MRegierungsmaßregel aufgeworfen, ohne daf 
es ihm gelungen zu fein fcheint, viel Dauk dafür zu ern: 
ten. Und in der That bat die preußifche Megierung fehr 
recht, wenn fie ſolche geiftlofe, unberufene und zudringliche 
Advocaten, deren Motive fo offen auf der Hand liegen, 
gänzlich ignorirt. Hier heißt es offenbar: „Gott bewahre 
mid) vor meinen Freunden”; an jedem Gegenftande, den 
die unreine Hand der „‚Eiberfelder Zeitung” zu vertheidigen 
fucht, bleibt immer etwas Schmuz hängen. Wir gehören 
nicht zu den Gegnern der Juden; im Segentheile fchäßen 
wir fie im mancher Beziehung höher als uns felhft und 
zählen uns zu den unbedingteften, ja leidenfchaftlichiten 
Anhängern ihrer völligen Emancipation, auf welchen Ge⸗ 
genftand wir naͤchſtens meitläufiger zurüdtommen werden. 
Deshalb mag uns die Bemerkung hier nicht übel gedeus 
tet werden, daß eine fo zudringliche, plumpe Gunſtbuhlerei 
faſt nur bei einem Manne möglich fein kann, der jenem 
gedrüchten Volksſtamme entfproffen iſt. An eigennügigen, 
überzeugungslofen Schmeichlern, die um jeden Preis fich 
dem Dienite der Mächtigen verlaufen moͤchten, fehlt es 
wahrlich auch nicht bei ung chtiſtlichen Germanen ; aber etwas 
verftedter und taktwoller weiß man die Sache doch ein: 
zukleiden; man weiß doch eine gewiſſe Würde, eine ge: 
wiffe Überzeugung mit einiger Wahrfcheinlichkeit zu affec⸗ 
tiven umd der geöbfte Schacher fpricht ſich doch nicht fo 
in jedem Worte und in jeder Geberde aus. Auf Beloh⸗ 
nungen, wie unfere Brofhüre meirtt, bat Herr Martin 
Runkel ſicher nicht zu rechnen; hoͤchſtens ftopft man ihm 
den Mund, damit er nur endlich ſchweigt unb feinen 
Schuͤtzling nicht länger in der öffentlihen Meinung blamitt. 

Dem „Journal de Francfort” und dem „Deutſchen 
Courrier“ Hält der Verf. ebenfalis keine Lobrede. Erſteres, 
jest von Dr. F. Beurmann rebdigirt, ſoll wahrfcheinlichers 
weife im ruffiffchen Solde ſtehen, der „Deutſche Sourrier” 
bezöge dagegen feine Zuſchuͤſſe von der franzöfifhen Res 
gierung. Wir wagen nicht zu widerfprechen und ents 
haften uns jeglihen Commentars folher Nichtswuͤrdig⸗ 
kit — wenn die Sache wahr fein folte — als 
durchaus überflüſſig. Hierauf kemmen die Hofzeitun: 
gen an die Reihe und werden etwas verfpottet. Alsdann 
wird der „Damburger unparteitfhe Correſpondent“ durch⸗ 


S 


gehechelt, der von bem leiblichen und geifligen Bruder des 
Medacteurs der „Elberfelder Zeitung‘ geleitet wird. Un⸗ 
feree Anficht nach ebenfalls mit vollem Rechte, aber ent» 
ſchieden verwerflih finden wir es, daß ber Name Schels 
fing’® dabei ins Spiel gezogen wird, weil der „Correſpon⸗ 
dent” einen lobenden Artikel über ihn mitgeteilt hat. 
Man kann als Oppoſitionsmann ebenfo gemein und twis 
derlich fein wie als ferviler Lobpreiſer; das möge der Dr. 
Verf. nicht vergeffen. Auch die „Keipziger Allgemeine Zei: 
tung” weich ſtark mitgenommen, die liberalern Correfpondenzen 
aus Berlin werden aber gelobt, in welches Lob wir nicht [o un: 
bedingt einflimmen möchten. Doch der Verf. hat einmal einen 
fehr einfachen Maßſtab, den er überall anlegt; Oppoſition⸗ 
machen und freie Richtung find bei ihm ſynonym und je 
ärger oppofitionnell, defto vortrefflicher findet er e6. Auf diefe 
Weife macht er fi) die Kritik wenigftens ziemlich leicht. 

Sodann kommt die „Preußifche Staatszeitung‘ an die 
Reihe und ihe wird Geiſtloſigkeit fowie ein uͤbertriebenes Ge: 
wichtlegen auf unbedeutende pofitive Daten zur Laſt ge: 
tegt, wobei denn die ftatiftifchen Nefumes und Ratfonne: 
ments von Hoffmann einen Seitenhieb befommen. Daß 
die preußifchen Beamten ein zu ausſchließliches Gewicht 
auf das actenmäßig Gonftatirte legen und nicht einfeben, 
wie unzählige VBedürfniffe und Verhältniffe nie aus den 
Acten zu erkennen find, ift freilich wahr. Sie verlernen 
immer mehr im Buche de6 Lebens zu lefen und Wahr: 
heiten daraus zu erfennen, ja für fie eriftirt diefes Bud) 
gar nie und man kann ſich daher aud) nit auf daf: 
felbe als Beweis ihnen gegenüber berufen. Für fie exiſtirt 
nur die Verordnung, der Bericht u. f. w., Alles, was 
man ſchwarz auf weiß nad Haufe tragen kann. Dage: 
gen muß man aud) zugeben, daß eine Staatszeitung ve: 
gen ihres halbofficiellen Charakters mit größerer Zuruͤck⸗ 
haltung redigirt werden muß, daß in ihrem Munde wegen 
daraus zu ziehender praktiſcher Conſequenzen Manches uns 
ſchicklich iſt, was für ein Privat: oder ein Parteiblatt 
paßt, daß ſie fich nicht im geiltreichen Hypotheſen, in 
philoſophiſch⸗ individuellen Unterfuchungen u. |. w. ergehen 
darf, daß fie mehr wie andere Blätter ſich vor dem klein⸗ 
fin Dementi zu hüten hat. Eine Staatözeitung, Die 
wohl von einem minifterielen Organe zu unterſcheiden ift, 
wird immer rein poſitiv fein müffen, wie 3. B. aud der 
„Moniteur” in Frankreich. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifhe Notizen aus England. 


Die Beologen haben zu verfchtedenen Seiten die überbleibſel 
verfchiebener Ihiergattungen ausgegraben, bie nicht mehr auf 
der Erbe leben, und es ift ihnen gelungen, ihren Wohnort zu 
beftimmen und ihre Kormen und Charaktere zu entdecken. Es 
ließe fich vielleicht Togar im voraus berechnen, binnen weldyem 
Zeitraum bie Rothen Indianer in Norbamerika fo verſchwun⸗ 
den fein werben wie das Mammuth oder ber Ichthyofaurus, 
md wo man von ihnen weiter nichts als einige Proben von 
ihren Handarbeiten in unfern Mufeen und einige Grabhügel auf 
ihren verlaffenen Jagdfeldern noch finden wird. Wer ſich aber 
fr diefen Menſchenſtamm intereffirt, wirb George Cattin's 
erk: „Letters and notes on the manners, customs, and 


conditign of the Werth- American Indians” (2 Wbe., mit 
400 Abbildungen), gern lefen. Der Verf., ein Maler aus 
Philadelphia, befuchte fie und hielt ſich zehn Jahre Tang 
aus freier Wahl unter ihnen auf. Ihr jetziger Zuftand, ihr 
Charakter, ihre Lebensweife, ihre Sitten und Gebräuche find in 
biefem Bude von ihm gefdilbert. Als bie Europder zu 
ibnen kamen, waren bie Rothen ſechszehn Millionen Geelen 
ſtark; jegt zählen fie kaum zwei Millionen. In dem Grabe 
find fie von den Weißen ausgerottet und vertilgt worden. Von 
den. noch übrigen gehören beinahe zwei Drittbeile zu den Grenze 
bewohnern, welche in beftändigem Verkehr mit den Weißen find 
und ſich daher nicht länger in Ihrem natürlichen Zuflande, fons- 
dern in einem weit ſchlimmern befinden; fie haben die Laſter 
der Ieatern angenommen, find durch Wöllerei und Krankheiten 
geſchwaͤcht, ihres Rationalftolge beraubt und von ihren chemas 
ligen Jagbrevieren vertrieben. Die ferner Wohnenden baben 
ihren urfprüngliden Charakter reiner erhalten. 


— — — 





Die neue Ausgabe der Werke von Thomas Moore, unter 
dem Zitel: „The poetical works of Thomas Moore, col- 
lected by himself’’ (10 Bde., London 1842), ift pradhtvoll 
und mit einleitenden Erzählungen und Notizen, biographiſchen 
und kritiſchen Erörterungen und Bemerkungen reichlich verfehen, 
woburd fie an Werth und Intereffe gewinnt. Damit nimmt 
jebocy der berühmte Dichter von dem Publicum noch nicht Abe 
ſchied, fondern verfpricht ihm noch manches Neue nachzutiefern, 
was nur der weitern Ausführung. und ber legten Feile bebarf. 
Aud erfreut ſich Thomas Moore noch ber jugendlicdyen Friſche 
und Kraft beö Geiftes, welche ihn befähigt, des Zrefflichen 
mehr zu liefern. 


Im vorigen Sabre erfhien in Rondon: „The life of 
Augustus Keppel, Admiral of the White, and First Lord 
of the Admirality in 1782 — 83”, von Thomas Steppe 
(2 Bdbe.). Schon lange find bie Lebensbefchreibungen der 
ausgezeichneten englifhen Scehelden Anfon, Dome, Gt. : Bin 
cent, Relſon, Rodney und Saumarez in ben Bänden des 
Publicums; es ift daher ein Wunder, baß bie Biographie 
Keppel’s, der ein Gefährte ber brei Erftern und auch von Hawke, 
Saunders und Duncan war, nicht früher herausgekommen iſt. 
Endlich Hat jegt ein Verwandter bes Abmirals, weicher der Aufs 
gabe völlig gewachſen war und welcher fowol zu privaten als 
officielen Documenten Zutritt hatte, die Lüde auf eine ruͤhm 
liche Weife gefüllt. Keppel zeichnete ſich durdy bie ebeiften Gar 
ben bes Geiftes und bes Gemuͤthes aus: er war feines Faches, 
ald Scomann, Eunbig, tapfer, großgefinnt, edel, wohlwollenk, 
offen und bieber. In feinen politifchen Anfichten war er frei 
finnig wie feine Berwandten und Freunde — ein Rodingham, 
Shelburne, Richmond, Kor und viele Andere ber Whigpartet. 
An den Giegen von Hawke, Anfon und Pocode hatte er gro 
Ben Antheil. Mit einem Worte, ee war ein Mann, ber feis 
nem Vaterlande und der Menfchheit Ehre machte. 


Unter ber Preſſe befindet fig: „Churchmen and church 
literature of England; as exhibited in the lives and wri- 
tings of eminent divines, from the period of the reformation; 
with connecting histories of the times in which they lived“, 
von Richard Gattermole. In ber vortäufigen Anzeige heißt ed: 
„daß namentlich ber jüngere Leſer aus den Bänden biefes Werkt 
erkennen werde, was er als Englaͤnder der Nationalkirdye und 
jenen begabten und energifchen Geiftern verbanfe, welche ihrem 
Dienfte zur Ehre Gottes und zum Wohle der Menfchheit mit 
Eifer oblagen, während Andere, entweder von Amtöpflicht ober 
einem ernften literarifchen Gefchmade zum ſyſtematiſchen Stu⸗ 
dium ber theologifchen Literatur Englands, dieſes wunäbertcoffe 
nen Schages von Gedanken, Gelehrſamkeit und Beredtſamkeit 
getrieben, durch bie Lecture biefes Werks zu tiefern und außs 
gedehntern Unterfuchungen beiwogen werben dürften.‘ 18. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Montag, 


3. April 1843. 





Politifche Literatur der Gegenwart in Deutſchland. 
Bierter Artikel. 
(Beſchluß aud Nr. 9.) 

Mit der meiften Galle wird die augeburger „Allge⸗ 
meine Zeitung’ angegriffen und es fcheint faft, als ob 
die allgemeine Verbreitung derfelben nicht blos aus patrio⸗ 
tifchen Gründen dem Verf, fhmerzlidy ſei. Zwar gefleht 
er ihr große Mittel und viele flaatsmännifche Correſpon⸗ 
denzen zu — weil es ſich nun einmal nicht ableugnen ließ — ; 
im Übrigen wird ihr aber fo ziemlich jedes Werdienft ab- 
gefprochen und ihre Charakterlofigkeit fcharf getadelt. Me: 
benbei meint er, daß felbft die Beilagen der augeburger 
„Allgemeinen Zeitung’ lange nicht fo reichhaltig und geift- 
reich feien wie die der „Rheinifchen Zeitung”. Es will 
uns faft beduͤnken, als wenn diefe etwas gewagte Behaups 
tung das Incognito des Berf. einigermaßen decouvricte. 
Unfere Anſicht über die augsburger „Allgemeine Zeitung ” 
ift allerdings die, daß fie ſich in ihrer ganz allgemeinen, 
Alles unfaffenden Zendenz nicht mehr halten kann. Der 
Stoff wird denn doch zu ungeheuer, als daß nicht die 
bedeutendften Lüden entfiehen müßten. Sie if eigentlich 
eine allgemeine Niederlage, ein Depot für jede beliebige 
Anficht, fobald fie nur in einem einigermaßen erträglichen 
and anftändigen Gewande auftritt. Fruͤher mochte ein 
ſolches Inſtitut zeitgemäß und nothwendig fein, und es iſt 
ihr auch allerdings gelungen wegen ihrer Allgemeinheit faſt 
alle bedeutendere Maͤnner, die zufällig einen politifchen 
Aufſatz fchrieben und demfelben eine große Verbreitung 
wünfchten, fi zu verbinden. So kam es aber auch, 
dag, eben meil fie fo vom Zufalle abhängig war, manch⸗ 
mal ein Artikel im Überfluffe vorhanden war, während 
andere mangelten, und daß fie auf Wollftändigkeit und 
Planmaͤßigkeit trog fo unendlich vieler einzelnen intereflans 
ten Auffäge nicht im geringften Anfprudy machen konnte. 
Die Reaction verhielt fid) immer nur paffiv. Etwas 
planmößiger, thätiger und von einem beftimmten durchge: 
bifdeten Standpunkte mehr ausgehend, wird fie ſchon ver: 
fahren müflen, wenn fie ihren alten Vorzug behaupten 
wild. Sodann Legen ihr aber auch ihre Außeren Verhaͤlt⸗ 
aiffe fo viele Beruͤckſichtigungen und biplomatifche Schwie⸗ 
rigkeiten in den Weg, daß an eine gleichmäßige Behands 
lung der pollsifhen Notizen kaum zu denken fein möchte, 
und das äft fehr ſchlimm und könnte: ihr für die. Zukunft 


verderblich werden. Sie hat eigentlich fo viel Charaktere, 
ale ed Staaten gibt. Kür Holftein z. B. iſt fie liberal, 
für Baiern Hof: und Staatszeitung, für Öftreich Regies 
rungsblatt, über Heſſen fchweigt fie, desgleichen über Hano⸗ 
ver u. f. w. Ein folches anorganifches Conglomerat der 
verfchiedenften Specialanfichten und Sonderintereffen kann 
aber heutzutage nicht mehr befriedigen. Dagegen geftehen 
wir ihe gern eine Menge bee reifſten und gediegenften 
Auffüge zu, wie fie feine deutfche Zeitung bis jegt aufzus 
weifen hatte; namentlich tritt die echte Sreifinnigkeit in 
ihrer edeiften Duchbildung in fo gewinnender und übers 
zeugender Geftalt dort zuweilen auf, daß unfere liberalen 
Blätter von Profeffion und namentlih die „Rheiniſche 
Zeitung” ſich dort ihre Mufter und Vorbilder fuchen folls 
ten, ftatt hochmuͤthig im Allgemeinen daruͤber abzufprechen. 
Sch erinnere nur an bie „Pia desideria”, die mit Recht fo 
allgemeine Anerkennung gefunden haben; aber auch eine 
große Menge anderer Auffäge voll Vaterlandsliebe, Sach⸗ 
kenntniß und vom ‚weiteften, überfchauendflen Standpunkte 
reihen ſich denfelben würdig an. 

In dem Tadel der berliner Zeitungen flimmen wir mit 
dem Verf. überein; fie find zu mattherzig, nicht männlich 
genug und machen der großen Hauptſtadt keine Ehre. 
Wenn dort nicht bald ein wuͤrdiges politifhes Organ 
entfteht, fo möchten ſich gegründete Schlüffe über die ber: 
liner Schincultue und Gefinnungstlofigkeit ziehen laſſen. 
Daß der ehrwürdige Higig noch en passant ein halbes 
Lob vom Berf. erhält, hat uns gewundert. 

Auch die Beitungen, “die das fogenannte nationale 
Princip verfechten, wie die entfchlafene „„Dberdeutfche” und 
die Biedermann’fche „Monatſchrift“, werben nicht fehr gnaͤ⸗ 
dig angelaffen. Auch geftehen wir auftichtig, daB wir mit 
diefen oberflächlichen und unnöthigen Tendenzen, die mol 
nur abfichtlid = willkuͤrlich aus aͤußerer Berechnung und 
wegen: mangelnder tieferer Befähigung gewählt find, uns 
nie haben befreunden können. National oder beſſer volks⸗ 
thuͤmlich follen alle Zeitungen fein. Sie follen behülftich 
fein, die inneren und dußern Anlagen des Volks zeitgemäß 
zu entwickeln. Kine kuͤnſtliche Treibhausentwickelung eins 
zeiner Induſtriezweige duch Schutzzoͤlle auf Koften der 
übrigen Gefammtvoltsthätigkeit und ein Renommiren ges 
gen Rufen und Franzofen fcheint uns ebenfo flach und 
geiſtlos, als einer echten, zeitgemißen Volksthümlichkeit 


370 


unangemeffen. Auch die Biebermann’fche „Monatsfchrift” 
verbindet mit Nationalität einen durchaus irrigen und 
unmürdigen Begriff. Sie verficht darunter nur Äußeres, 
materielles Gedeihen und beurtheilt alle Lebenserſcheinun⸗ 
gen in der Gegenwart des bdeutfchen Volks nur nad) eis 
nem oberflächlichen Maßſtabe Außerer Nüplichkeit. So 
ift es kein Wunder, daß fie die Rechtskaͤmpfe der badi⸗ 
fhen Kammer um freies Staatöbürgerthbum und nament: 
lich die raſtloſen Anftrengungen des edein deutfhen Wel: 
der für unnational erklärt. Überhaupt ſcheint uns ihre 
ganze fittliche Lebensauffaffung auf dem allergeöbften Da: 
terialismus zu beruhen. Der Herausgeber, Biedermann, 
mag ſich früher als angehender deutfcher Profefior in dem 
unfruchtbaren Wuſte deutfher Gelehrſamkeit herumgetties 
ben haben und will ſich nun dafuͤr dem „Leben“ zuwen⸗ 
den. Allein er verfchüttet bei dieſer entgegengeſetzten Rich⸗ 
tung das Kind mit dem Bade, erklaͤrt allen Ideen, allem 
hoͤhern ſittlichen Lebensgehalte den Krieg und erblickt nur 
in dem groͤbſten materiellen Gedeihen das eigentliche und 
wahre „Leben”. So z. B. iſt feine Stellung zur Reli: 
gion eine durchaus -charakteriftifhe und feltfame. Er be: 
kämpft Feuerbach und Strauß nicht etwa auf dem Felde 
der Idee, fondern weil Streitigkeiten über Religion übers 
haupt nichts nüsten und das Dahinfcheiden diefes alten 
Aberglauben® nur verzögertn. Man müffe die Religion 
fgnoriren, dann werde fie am erflen von felbft aufhören. 
Er tobt die Engländer wegen der Trennung der Kirche 
vom Staate, verfteht das aber fo, weil ihre Religion nur 
eine Privatbeluftigung fei, die Gottlob auf ihr yanzes 


übriges ſittliches und politifhes Leben weder mittelba⸗ 


ten nody unmittelbaren Einfluß habe. Der eigentliche 
Kern der Beitfchrift liegt in dem MWahlfpruche: Werde 
reich; alsdann findet ſich das Übrige, fogenannte reis 
beit u. dal. ſchon von ſelbſt. Dazu komme noch ein fees 
tenlofer, matter Stil, feelenlo6 und matt wie der ſittliche 
Inhalt; ein aͤngſtlicher, diplomatifcher Stil voller Klaus 
fein, pfiffig, taftend und nie eine Wahrheit unummunden 
ausſprechend, als bis man überzeugt ift, daB nad, keiner 
Seite hin ein bedeutender Anftoß dadurch erregt werde. 
Am beiten wäre es, wenn die Zeitfchrift fih zu einem 
sein technifchen Blatte über Banken, Eifenbahnen u. f. w. 
umgeflaltete. Ä 

Auffallenderweife erkennt der Derausgeber fogar bie 
Poeſie an und will auch diefe zu den nationalen Beſtre⸗ 
bungen in feinem Sinne gerechnet wiffen. Freilich aber 
auch nur in feinem Sinne, infomweit ein praßtifcher 
Materialismus dadurch gefördert wird. in Lehrgedicht 
über die Eifenbahnen oder ein Hymnus auf die Runkel⸗ 
elibenzuderfabrilation, deren Anhänger er ebenfalls ift, 
werden daher eine günflige Mecenfion zu erwarten baben. 

Die Broſchüre fchreitet nun immer weiter von der 
Rechten zur Linken fort und die Misbiligung verwandelt 
fih Schritt vor Schritt in Beifall und Lob. Sogar die 
„Kölner Zeitung” erhält davon ihr Theil, weil fie ja doch 
liberal fein will. Die leitenden Artikel von Hermes haͤt⸗ 
ten wol eine fchärferee Misbilligung verdient. Niemand 
verſteht offenbar die Kunſt befjer wie Here Heemes, über 


‚bat. Die Auffäge find einer hohlen 


Alles und Jedes fi in einer fpiegelglatten, fließenden 
Schreibart zu ergeben. Nur Schade, daß man am Ende 
de6 Aufſatzes nie recht weiß, mas man eigentlich gelefen 
Nuß ohne allen 
Kern zu vergleihen. Er wi es weder mit Publicum 
noch Behörden verderben, greift Daher beiden fortwährend 
leife an den Puls; da es ihm aber an dem rechten Tafl: 
finne, an Wahrheitsvermögen und felbftändiger Auffaffung 
gänzlich fehlt, fo kann e6 nicht fehien, daß er ſich bei als 
lee Vorſicht doch Häufig vergreif. Wer aus den vielen 
Zaufend leitenden Artikeln, die Dr. Hermes ſchon geſchrie⸗ 
bei, nur eine einzige Überzeugung herauszufefen weiß, der 
muß gute Augen haben. Ä 

Jetzt gelangt der Verf. zu den Blättern, die feinem 
Herzen ſchon näher ftehen, Die das liberale Princip offen 
als dab ihrige proslamiren. Dahin gehört die ‚, Ham 
burger neue Zeitung”. Allerdings huldigt fie dem ſoge⸗ 
nannten fiberafen Principe, aber im fchlechtefien Sinne 
des Worte. Frondiren, Spectatelmachen, hohles Decia= 
miren, darin beflebt ihr Talent. Sie iſt ohne ſittliche 
und pofitifhe Grundfäge und möchte dabei wol die unzu⸗ 
verläfjigfte von allen Zeitungen fein. Selbſt die franzöfis 
fhen und englifhen Parlamentödebatten entflelit fie auf 
unglaublihe Weiſe; nach ihren Berichten erfechten O'Con— 
nell und bie franzöjiihe Linke Seite immer die „glänzend: 
ſten“ Siege; die Gegenrede der minifterialen Partei wird 
mit Stilifchweigen übergangen. Nur in ihrer Polemik 
gegen bie perfide, fogenannte jungholfteinifche Partei, welche 
an den eigenen fchleswigihen Landsleuten und Mitbürgern 
zum Verraͤther werden möchte, um nur fchnell morgen: 
den Tags eine Conflitution für Holftein gu befommen 
— noch dazu, abgefeben von der moralifchen Verwerflich⸗ 
keit, ein ganz irriger Calcul —, muß jeder Beffere mit ihr 
übereinflimmen und man muß fid) wundern, daß fie dieſe 
Partei ergriffen hat. 

Nah fo viel Ausftellungen freut e8 uns zu einem 
Blatte zu gelangen, dem wie die herzlichfte Hochachtung 
zollen können. Es find dieſes die „Saͤchſiſchen WBaters 
landsblaͤtter“. Nominell werden diefelben feit diefem Jahre 
von 3. Georg Günther redigirt. Es ift aber allgemein bes 
kannt, daß der factifche Redacteur Robert Blum iſt. Derfelbe 
war, nachdem ber frühere Nominalcedacteur Schäfer Sad 
fen verlaffen hatte, um die Eonceffion bei der fächfiihen 
Regierung eingelommen, hatte aber eine abfchlägige Amt: 
wort erhalten. Diefe Entſcheidung des Minifteriums koͤm⸗ 
nen wir in doppelter Rüdfiht nicht billigen. Einmal if 
fie unpokitifch, indem fie ihren Zweck nicht erreicht. Den 
Ciufiug Blum's auf die „WBaterlandeblätter”, feine facti: 
[he Stelung als Redacteur konnte man doch nicht ver 
hindern, wozu alfo eine Maßnahme, die nichts nüpte und 
hoͤchſtens zut Erbitterung und Gereiztheit führen Bommte 7 
Die menfhlihe Natur ift ſchwach, und mancher tuͤchtige 
Mann, dem urſpruͤnglich eine feindfelige Daltung gegen 
die Regierung fern lag, iſt durch unbillige Behandlung zu 
leidenfchaftlicher Excentricitaͤt verleitet. Durch felhe ver- 
Lehrte Mafregein fördert man eben Das, was man vers 
hindern will. Gluͤcklicherweiſe iſt Blum ein viel zu ges 


auf dem Boden der Verfaffung ſteht und auf das hiſto— 


371 


funder und rechtlicher Charakter, ale daß ſolche Animoſitaͤt 
auch nur um ein Jota auf feine Handlungs: und Dentweife 
influenziren könnte. Aber wir halten den Beſchluß auch 
für ungerecht und für wenig dankbar. Wenn wir auch 
eingeſtehen, daß die „Vaterlandsblaͤtter“ unter Blum’s 
Leitung dem Miniſterium manche Unbequemlichkeit ver: 
urſacht haben und daß einzelne Hußerungen in bem Feuil— 
Ieton zumeilen Anftand und Maß überfchritten, fo wird 
die Regierung felbft doch den unberechenbar günftigen Ein: 
fluß, den die „Vaterlandsblaͤtter“ auf Entwidelung ber 
oͤffentlichen Meinung, auf Förderung eines freien gefeglichen 
ſtaatsbuͤrgerlichen Sinnes, auf ſcharfe Gontrole des Be: 
amtenweſens, auf Entfaltung eines feifchen Gemeindele: 
bens u. ſ. w. gehabt, gewiß am wenigſten verfennen. Diefe 
Verdienſte follten doch beffer gelohnt werden ale durch au: 
genfheinlihe Abneigung und Hinderung. Unferer Anficht 
nach könnte jede Regierung, der es Ernſt ift mit der Bes 
förderung eines öffentlichen conftitutionnellen Sinnes ihrer 
Unterthanen, ſich zu einem Blatte, wie die „Vaterlands⸗ 
blaͤtter“, im hoͤchſten Grade Gluͤck wuͤnſchen. Durch 
ſolches werden die guten Abſichten derſelben auf eine Weiſe 
gefoͤrdert, wie die beſten Intentionen von oben herab und 
die ſchaͤrfſte Controle, die heilſamſten Geſetze allein es nicht 
vermoͤgen. Es gereicht der ſaͤchſiſchen Staatsregierung ge: 
wiß zur hoͤchſte Ehre, es if ein. Beweis für ihre Kraft, 
für ihr richtiges Syſtem, für ihr gutes Gewiffen, daß fie 
ein Blatt hat aufkommen und fich ungeflört entwickeln 
kaffen von fo freiem männlichen Sinne, wie eben dieſes. 
Keine andere Regierung in Deutſchland würde es haben 
ertragen fönnen. Aber defto auffallender ift die Feind⸗ 
feligbeit gegen einen Mann, von dem doch anerkannter: 
maßen der Geiſt des Blattes größtentheilg ausgegangen ift. 

Mit Blum's theoretiſch-politiſchen Anfichten flimmen 
wir keineswegs uͤberein, fowie überhaupt denn feine allge» 
meine Bildung feine ſchwaͤchſte Seite if. Er bilder ſich 
ſogar ein, Republikaner zu ſein, und dieſe theoretiſche Ma⸗ 
rotte wollen wir ihm gern lafſen. Was für Staatsfor⸗ 
men nach Jahrhunderten der Menfchheit angemefien fein 
mögen, fcheint und eine ziemlich müßige Speculation. 
Uns genügt es, wenn Jemand in praxi ehrlich und treu 


Gelegenheit hatten, fie regelmäßig zu leſen. Daß fie aber 
ihre großen Verdienfte baben, fcheint ung doch nad Al: 
lem, was wir pro und contra gehört haben, unzweifel⸗ 
haft. Den Schluß der Broſchuͤre, den eigentlichen Ziel⸗ 
und Strebepunkt bildet dann der Panegyrikus der Rhei⸗ 
niſchen Zeitung“, welche als das non plus ultra aller 
Zeitungen proclamirt wird. Mir brauchen unſere diſſenti— 
rende Anſicht nicht weiter beizufuͤgen, weil wir ſie ſchon 
früher angedeutet haben. Die Redacteure der „‚Rheinis 
fhen Zeitung” find offenbar junge Männer von: Zulent, 
aber ebenfo offenbar noch in einem Entwidelungsproceffe 
begriffen. Diefer fängt heutzutage in der Megel mit der 
entfchiedenften Negation an und es erfodert einige fittliche 
und politifhe Reife, um bie ſittliche Berechtigung des 
Beſtehenden von dem unbedingt Verwerflichen zu unter: 
ſcheiden. Wir hoffen, daß ihnen dieſes mit der Zeit ge⸗ 
lingen wird, und wenden deshalb einſtweilen die Worte 
des Goethe'ſchen Mephiſtopheles auf ſie an. 

Doch ſind wir auch mit dieſen nicht gefaͤhrdet, 

In wenig Jahren wird es andere fein: 

Wenn ſich der Moft auch ganz abfurb geberbet, 

Es gibt zulegt doch noch n’ Wein. 

























F. von Florencourt. 

ö—— — — — — — 
1. Die graue Halle, oder Erdmann's Wanderung. Ein 
Wort zur Zeit. Koblenz, Hoͤlſcher. 1841. 8. 1 Thlr. 


2. Der Rabuliſt und der Landprediger. Von F. M. 


Franzeͤn. Aus dem Schwediſchen. Luͤbeck, Rhoden. 
1842. Gr. 8. 15 Nor. 


Die beiden Schriften haben das miteinander gemein, daß 
fie im Gewande der Poefie ber Seit die Moral Iefen. Die ers 
flere trägt eine auf 254 Seiten dramatiſch ausgeführte Parabel 
vor. Erdmann, ein junger Erdenpilger, wandelt zur Freiheit. 
Der unermeßtliche Raum, der vor ihm liegt und in dem fich 
nad oben die Freiheit als ein liebliches Licht oder vielmehr 
ale Höhe zeigt, bietet unendliche Pfade dar, die ihn in bas 
Deimatiand des Lichts und der Freiheit, zu Gott, ober in bie 
Abgründe des Berderbeng, zum Teufel, führen Eönnen. Ge— 
fährten zur Rechten und zur Linken gefellen fi zu ihm, ſuchen 
ihn zu leiten, über den Weg und bie Segenftände, die ſich zei- 
gen, aufzsullären und überhaupt feiner Wanderfchaft bie Rich: 
tung zu geben. Die Gefährten zur Rechten find aber gute 
Engel mit fchönen mythologiſchen Namen, die zur Linken find 
bie verführerifchen und raifonnirenden Geiſter der Erde und des 
Reihe der Böfen. Unter dem Reiſenden und feinen verſchiede⸗ 
nen Begleitern entwickeln ſich nun eine Reihe von Geſpraͤchen, 
bie alle Lagen und Situationen bes Lebens, wol auch allgemeine 
Zeitrichtungen berühren und beurtheilen, und in denen jeder ber 
Geifter und au der Reifende in feiner Weiſe auftritt. Die 
Grundanfgauung und die Zenbeng, welche der Verf. berauss 
ſtellt, ift die Verberrlichung des kirchlich⸗ dogmatiſchen Dualis⸗ 
mus. Erdmann folgt nach manchem Kampfe, nach mancher 
Unſicherheit endlich den Einfluͤſterungen ſeiner Gefaͤhrten zur 
kinken, die ihn in die Stricke einer groben Sinnlichkeit ver 
wideln unb den vermeffenen Wanderer ins Grab flürgen. Zu 
verfennen ift nicht, daß ber ſicherlich ſehr junge Verf. Phans 
tafie befigt; allein, abgefehen von der ganzen, unreifen An— 
fhauung und Tendenz, find ſowol bie bi eriſche Haltung rote 
bie einzelnen Gedanken, die hervortreten follen, ohne Gharafter, 
Sicherheit und Klarheit. Wie kommt ein Milchbart dazu, wenn 
auch ein beſcheidener und gutmüthiger, ben Schulmeiſter bee 
Lebens fpielen zu wollen! Anlage zur Schwaͤrmerei verräth 


if gegebene Beduͤrfniß des Momente ‚eingeht, und das 
thut Blum durch und durch. Er ift ein Mann von ges 
fundem, ſittlichem Inſtincte, von Aufrichtigkeit und Redlich⸗ 
keit, der fich nie von der Bahn des Rechts entfernen 
wird. Dabei beſitzt er fuͤr einen Journaliſten der aͤußer⸗ 
fien linken Seite die heutzutage feltene Eigenſchaft, daß er 
aufrichtig religiös iſt und einen fittlichen Lebenswandel 
für kein Vorurtheil hält, das man bereits überwunden 
bat. Bir wünfchen feinem Blatte den beiten Fortgang, 
und obgleich, fein eigentlicher Werth nur in ber Befpre: 
Hung des ſaͤchſiſchen Staatslebens beſteht, for verdient es 
doch als Mufter männlichen Freiſinns und ehrlichen Ein: 
gehens auf bie Verfaffung überall gehalten und gelefen zu 
en. ' . 
ber die „Königsberger Zeitung“, fowie über die „Dft: 
ſeeblaͤtter“ haben wir kein eigenes Urtheil, weil wir keine 


472 


uͤbrig ie nicht auf wiſſenſchaftliche Grundſaͤte, ſondern auf 
die —52 der Gate gegründete Sprachtaͤndelei in dem Buche. 

Mit mehr Prätenfion tritt das Gedicht bes ſchwediſchen 
Biſchofs Franz Michael Franzen auf. Gin Herr Prediger 
Micetfen in Luͤbeck bat daffeibe im Interefle der von ber 
Seraui ſchen Theologie bedräuten Kirche ind Deutfche übertra= 


gen unb mit ebenfo gelehrten als erbaulichen Anmerkungen be: | 


teitet. Der Schwede ift als Dichter bisher in Deutſchland nod) 

nicht belannt fen: im „Riterarifhen Anzeiger” Tholuck's 
von 1841 wird indeffen eine Lateinifche Synodalrede deſſelben, 
exegetiſch⸗ dogmatiſchen Inhalts, ſehr guͤnſtig beſprochen. 
Diefe Anzeige ſtimmte auch und für das Büchlein im voraus 
günftig, ehe wir noch den vollſtaͤndigen Titel befleiben gelefen 
hatten. Der Bilhof war, wie fein überſetzer erzählt, 1839 
auf einer Synodalverſammlung, mo er wie gewoͤhnlich eine 
Überficht bes retigiöfen Horizonte und biegmal ein „marnendes 
Wort über den Unfug in Deutfchland” mittheilen wollte, der 
dort mit der heiligen Schrift und bem Glauben von Briten ber 
Anhänger der wiſſenſchaftlichen Vernunft getrieben wird. Diefe 
Mittheitung mußte leider unterbleiben ; dafür fchrieb aber der 
beforgte Oderhirte dieſes poetifche Geſpraͤch zwifchen dem Kabu⸗ 
Iiften und dem Landprediger über „Ja und Rein der Gegen⸗ 
wart in Kirche und Staat‘. Diefer Schritt war vollkommen 
gerechtfertigt, denn kaum nach einer halbjaͤhrigen Erſcheinung 
der Schrift, ſagt der Verf., „iſt die Gefahr der Strauß ſchen 
Epidemie ſo offenbar geworden, daß beinahe eine obrigkeitliche 
Maßregel dagegen fuͤr nothwendig angeſehen wurde, nicht als 
eine wirkſame Äbſperrung, aber doch als ein Warnungszeichen“. 
Ee iſt ſonderbar, daß das fromme Gedicht den Brand der ent⸗ 
feffelten Vernunft nicht gedaͤmpft hat; vielleicht iſt darin die 
Policei, die unter ben Katboliten ganze Länder voll Keger und 
Droteftanten ausgerottet hat, in ber Aufrechthaltung der freien 
proteſtantiſchen Kirche und des proteſtantiſchen Gewiſſens gluͤck⸗ 
licher, wenigſtens in Schweden. Indeſſen ſcheint der ſchwediſche 
Dichter an ber geringen Wirkſamkeit feiner Schrift theitweife 
Schuld zu haben. Der Rabulifl, der ben Eindwurm ber Ber: 
aunft vertheidigt, ift fehr gewandt: ex greift den ſchlichten, 
frommen Landpfarrer mit ſcharfen, blanken Waffen an und 
dieſer hat ihm nichts entgegenzufegen als Demuth, ſalbungs⸗ 
volle Worte und die Autorität der Kirche. ‘Die Pointen, um 
die fih das Geſpraͤch dreht, find fo bekannt und fo oft in 
Deutfchland wiederholt, daß wir fie bier übergeben: der Um: 
fand, daß der Rabulift den altteftamentlichen Sünbenfall für 
einen geiftreihen Mythus Hält, iſt ganz beſonders ber Gegen: 
land der Wiberlegung von Seiten des Prebigers. Dem Buͤch⸗ 
fein iſt zuvöorderſi ‚ein Anhang bes Verf. in Profa beigefügt. 
Er ſchlaͤgt darin die Äußerung Strauß‘, baß bie Wiſſenſchaft 
nichts Heiligeres als die Wahrheit habe, mit bem Einwande, 
daß die Wiſſenſchaft ein misliches Ding ſei, weil ſie nie einig 
geweſen. Gut, daß der rRabuliſt nicht mehr gegenwärtig war, 
er hätte dann wahrſcheinlich auf die geringe Übereinftimmung 
der Kirchen, der Gonfeffionen, ber Theologen und Priefler hin: 
gewiefen und das nämlicye Refultat daraus gezogen. Ein zwei⸗ 
ter Anhang von ber ſchwediſchen Hand gibt ein Geſpraͤch zwi: 
{hen X. und B., in dem bemwiefen wird, daß der erfte Ratio⸗ 
nalift und der erſte Jefuit die Schlange gewefen fei, welche das 
erfte Menfchenpaar verführt hat. Ein dritter und legter An: 
hang des Buͤchleins liefert das befannte Gebicht ‚Smanucl 
SGelbers an Georg Herwegh. Derfelbe kündigt darin dem Verf. 
der „Bebichte eines Lebendigen im Namen Gottes den Krieg 
an. Indeflen ift bis jegt von einer folden Schiacht, in der 
Herwegh ſicherlich unterliegen muß, noch nichts vernommen 
worben. 22, 


DD — — — ——— 


Literariſche Notizen aus Frankreich. 


Wenn wir nicht irren, fo hat ſich aus den phrenologiſchen 
unterfuchungen, die man mit dem Kopfe Rapoleon’s angeftellt 


bat, 'ergeben, daß der große Kaifer ein fehr gewöhnlicher unb 
unbebeutender Dienfch gewefen fein muͤſſe. Es war dies ein harter 
Schlag für das Syſtem Gall's, durch ben fich aber die Gläubigen 
nicht baben abhalten laffen, auf die Worte ihres Meiſters zu 
ſchwoͤren. Seit einiger Zeit iſt die Flut der Schriften, welche 
auf die Phrenologie und bie Phyfiognomif Bezug 
haben, zu einer furchtbaren Höhe gefliegen. Wir können es 
bier nicht unternehmen, eine einigermaßen vollftändige Lifte ber 
franzöfifchen Werke zu entwerfen, bie in biefem Gebiete, auf 
dem neben manchem Nuͤtzlichen doch auch unendlich viel Unkraut 
wuchert, erfdienen find. Wir begnügen uns baher, hier nur 
auf zwei Werke aufmerkfam zu machen, die einen lichtvolles 
Abriß vom gegenwärtigen Stande biefer zweideutigen Wiffenfchaft 
geben. Es find dies erftens „La physionomie et la phreno- 
logie’, von Iſidore Bourdon, unb befonders bie „Elements de 
la phrenologie”, von dem befannten Flourens, dem beftändigen 
Secretair der Academie des sciences. Letzteres Wert befone 
ders behandelt diefen Gegenitand auf eine würbige Weile. Da 
die pbrenologifchen und ahgliognemilhen Studien gegenwärtig 
fo vielen Beifall finden, fo lag die Idee fehr nah, die Grunde 
fäße der Phyſiognomik auf die Notabilitäten der Gegenwart ans 
zuwenden, d. b. nachzumeifen, in welchem Berhältniffe die Ge⸗ 
fichtezüge und der Schädelbau noch lebender großer Männer zu 
ihren Eigenfchaften und Dandlungen fliehen. Wir finden din 
Verſuch einer ſolchen Unterſuchung, die wenigftens ihrer Drigis 
nalität wegen einiges Intereffe erregt, in der Kleinen Schrift: 
„Les hommes politiques du jour juges d’apres LaVater”, vos 
M. Dacquert (Paris 1843). 


Unfer phantaftereicher Novelliſt E. T. A. Hoffmann ift bes 
kanntlich von allen deutfchen Schriftftellern derjenige, der dem Ge⸗ 
ſchmacke des franzöfiihen Publicums verhältnigmäßig am meiften 
zugefagt hat. Die Zahl der mehr ober weniger gelungenen Übers 
fegungen, die von feinen phantafiereichen Dichtungen erfchienen 
find, ift fehr groß. Am befannteften ift die Bearbeitung von 
Loeve⸗Veimars, dem jesigen Gonful in Bagdad, ber indeſſen 
wenig mehr als bie unbedeutende Einleitung dazu geliefert hat, 
indem die Überfegung felbft von einem Deutſchen verfaßt ift- 


Wir erhalten von diefer Übertragung, die im Ganzen finngetren 


ift, gegenwärtig eine neue Auflage. Zu gleicher Bit aber ers 
ſcheinen von einer neuen Bcarbeitung von Hofimann’s „Contes 
fantastiques’’ von Chriflian zwei Ausgaben, von benen die 
größere mit geſchmackvollen Jlluſtrationen verfehen ifl. Wie 
aber ftets der Geſchmack des Publicumd eine große Soncurrenz 
zur Kolge hat, fo wird auch gleich noch eine vierte neue Über: 
fesung von Hoffmann angefündigt, bie, wie es heißt, aus ber 
Feder Marmier's berrühren wird. Vielleicht daB aud hier 
Marmier nur der fogenannte prete-nom ifl. 


England wird noch lange Zeit die hohe Schule für Inge⸗ 
nieurs bleiben. Neben den Cifenbahnen verdienen in dieſem 
Lande, in dem fich die Induſtrie auf einem riefigen Zuße ents 
widelt hat, befonbers die großen unterirbifchen Bauten und nas 
mentlich die unermeßtichen Steinkohlengruben befondere Beach⸗ 
tung. Wir erhalten die ausführliche Beſchreibung eines bieler 
mächtigen Baumerfe, die dem menfchlichen Geifte zur Ehre ges 
reihen, in dem trefflihen „Me&moire sur les canaux souter- 
rains et sur les houillöres de Worsley pres de Manchester” 
Paris 1843). Die Verf., Henri Zournel und Iſidore Dyevre, 
baben bie ausgedehnten unterirbifchen Kandle, die fie in ihrem 
gediegenen Werke befchreiben, an Ort und Stelle ſtudirt. Isre 
Abhandlung jft burdaus praftifch, inbem es den beiden falent« 
vollen Ingenieur darum zu thun war, biefe riefigen Bau⸗ 
werfe in ihrem Vaterlande nachzuahmen. Es handelte fidg 
naͤmlich darum, den Plan zu einer unterirbifchen Verbindung 
ber Loire mit der Rhone zu entwerfen, bie einen Kanal von ber 
Länge von 22,000 Metres erfobern würde. 2. 


Werantwortlier Gerauägeber: Heinrich Brodhaud. — Drud nad Verlag von 3. X. Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 


literarifde 


für. 


Unterhaltun 9. 





an an 


Dienftag, 


tr. 94. — 


4. April 1843. 


Friedrich Ruͤckert. 

Gedichte von J. Ruͤkert. Mit dem Bitdniß und Facſimile 
des Verfaſſers. Neue Auflage. Frankfurt a. M., Sauer⸗ 
länder. 1843. Gr. 12. 1 Thir. , Nor. 

Dem vielfeitig gebegten Wunfche, aus der ſehr bedeu- 
tenden Waffe der lyriſchen Poefien F. Rüdert’s eine Aus: 
wahl · des Beten und Gediegenften veranftaltet zu fehen, 
iſt endlid von dem Verf. felbft genügt worden. Er hat 
uns einen Band Gedichte gegeben, ber, elegant ausge: 
ſtattet, nicht weniger ale 728 compreß gedrudte Seiten 
umfaßt. Müdert hat 20— 30 Jahre Zeit gehabt, ſich 
ein Publicum zu bifden und in deffen Herzen anzubah: 
nen; er hat bie neuere Drang: und Sangperiode Deutſch⸗ 
lands mit durchgemacht, fein Name Elingt daher aufs 
neue einlabend in den Obren feiner alten Bekannten, und 
was er bringt, darf von vielen Seiten eines freundlichen 
Empfangs gewiß fein. 

Aus einer fo umfänglihen Anjahl von Gedichten, wie 
den vorliegenden, indeß das Bedeutfamfte zu bezeichnen und 
herauszuheben, hieße eine Auswahl aus der Auswahl machen 
und dürfte nicht blos räumlich zu weit führen, fondern auch 
für die Mehrzahl der Kefer ermüdend fein. Wir wollen 
daher, um einen Eritifhen Standpunkt zu gewinnen und 
unfer Sefammt: und Endurtheil über Ruͤckert's Bedeu: 
tung im Chor der deutfchen Lyriker vorzubereiten und zu 
begründen, von ben ſechs Büchern, in welche der Verf. 
feine Sammlung getheilt bat, die drei erflen einer ge: 
nauern Prüfung unterziehen. 

So führt und denn das erſte Buch „Jugendlieder“ 


(S. 1—148) vor, aus denen ein wahrhaft jugendlicher, 


harmlofer, freundliher Sinn hervorleuchtet und glei 
gunftig für den Verf. einnimmt. Wir zeichnen unter 
den Gedichten des erſten Buchs aus „Geſtillte Sehn⸗ 
ſucht“ (S. 8) als weich, zart und gefällig, und „Nes'⸗ 
chens Engelögruß” (S. 31) als voll füßer Kindlichkeit; 
wierwol wir in dieſem, wie in vielen der Ruͤckert'ſchen 
Gedichte auf ſtoͤrende Inverfionen floßen, 3. B.: 
| Ich euer Geflüfleer 
Nicht hören mehr foll.' 
euere Züge 

Nicht kennen mehr Tann, 
eine Nachläffigeeit, die uͤberal Leine Entſchuldigung vers 
dient, am allerwentäften aber in einem fo Meinen Rah: 


mn und in einem Gedichte, 
nue in dem reinften Wohllaut ergießen ſollte. 

Etwas Eigenthuͤmlichſchoͤnes an Ruͤckert iſt ſeine alle⸗ 
goriſche Belebung der Natur. In neuerer Zeit haben 
Freiligrath, Gruͤn u. A. ſich diefer Richtung der Poefie 
in ihrer Weiſe ebenfalls bemaͤchtigt und ſie cultivirt; 
allein mit welchem enormen Kraftaufwand? Wie viele 


Batterien groben Wortgeſchuͤtzes laffen fie auffahren -und 


Ipielen, um am. Ende dody unvereichteter Dinge wieder : 
abzuziehen. Wir meinen hier 3. B. aus X. Grüne 
„Schutt“ bie üppige Schilderung (S. 103); Freiligrath's 
„Blumenrache“, in der Idee unpoetifch; deſſen „Loͤwen⸗ 
riet”, ein Gedicht, das ohne alle Idee in bie Luft aufs 
fliegt u. a. m., :wo die Effectmanie nicht den ungetruͤb⸗ 
ten Eindruck aufkommen laͤßt, den eine nicht forcirte Be⸗ 
handlungsweiſe dem Stoffe nach haͤtte hervorbringen koͤn⸗ 
nen. Man vergleiche nun dagegen von Ruͤckert „Die 
Blumenengel” (&. 33); wie einfach, anſpruchsſslos, wie 
natuͤrlich iſt hier Alles, als muͤßte es ſo ſein, und wie reizend! 

S. 37 — 39 enthalten Beine gefaͤllige Bilder, unter 
denen Nr. 8 einen Beigeſchmack hat. „Gruß aus ber 
Berne” (S. 39) ift zu weit ausgelponnen, ein Kehler, der 
einer großen Anzahl diefer Gedichte eigen ift, fowie wir 
denn Rüdert auch von einer allzu häufigen Spielerei und 
Schnörkelei wie S. 41 und 45 u. a. D. mehr nicht 
freifprechen können. Er geftcht dies feibft ein ‚An uns 
fere Sprache“ (S. 43): oo 

Ließeſt mich die Welt erbeuten, 
Lehrteſt mich die Kaͤthſel deuten 

Und mich fpielen felbft mit bir. 
Damit aber iſt der Poefie fehr wenig gedient. In bee 
Lyrik iſt die Concentration und Steigerung des Gedan⸗ 
kens etwas ſehr Weſentliches, ein Gedicht ſoll, um es 
ſtark und bildlich auszudrücken, mit Schwertſchlag begin⸗ 
nen und mit Kanonendonner endigen, oder umgekehrt, 
wie ein Gewitter mit Blitz unb Donner daherfahren und 
in Regenbogen und Sonnenſchein ſich aufloͤſen. Zu ſol— 
hen an einer gewiſſen Breite leidenden Gedichten zäblen 
wir noch aus dem erften Bude ‚Keiner Daushalt” 
(S. 48), „Wiegentied” u. f. w. (&. 51). Sehr gefals 
ben hat und dagegen ber Humor in „Bitte um Anftelfung 
in ber andern Welt” (S. 69) und „Echo“ (S. 78), 
defien Schluß hier eine Stelle finden mag: 


das als Engelsgruß ſich 





es ⸗ 


Du Sehnender, ber bu dem Ziel des Gtrebens 
>. Nicht nahen kannſt, nah” meinem Schattenhang, 
Und rufe nur! du rufeſt nicht vergebens. 

Ich will dir kommen in ber Lüfte Klang, 

Ich will dich in. der Blätter Säufeln grüßen, 

" Dig: teöften in der Quelle Murmelgang. _ 

— Aus meiner Wehmuth fol die Wehmuth fprießen; 
Gefuͤhlet hab' ich, was gefühlt du baft ; 
So laß dein Klagen mild ins meine fließen ! 

Vereintes Klagen wird zum Jubel fall. 

In „Edelftein und Perle” (S. 80—119) hat dieſe 
neue Auflage eine ungemein ſchoͤne Bereicherung gefun: 
den, und wie haben uns wahrhaft erfreut an diefer hoͤchſt 
finnigen und zart empfundenen Dichtung, bie. in faſt 
durchgängig vortrefflichen Terzinen verfaßt iſt. Hierauf 
folgen Sonette, „Aprilreiſeblaͤtter“, 13, und „Agnes Tod⸗ 
tenfeier”, 11 an ber Zahl, wenn wir dab Sonett S. 132 
gleich hiecher rechnen. An den erften (13) hat une bie 
Form als zu nachlaͤſſig misfallen, 3. B.: 


3. If mein Anklagen eitter Luſt und Schmerzen. 
8. Ein Neſt, ein Brautgemach bem Hublenden Schalke. 


9. Aus Tebende Bitdfäule aufgericktet 
der unftatthafte Übergang in den Daktylus: 


10. Tußen mit Luſt, innen mit Tode praſſend. 
11. und auf das Kind, das drunten lag im Schlafe — — 
Ich ſank aufs Anie und ſprach ein gläubigs Ave(!) 
Hier müffen wir, was Rüdert „” An die Dichter” 
(S. 75) richtet: 
Deutfhe Dichter, im Gemüthe 
Hegt ihr oft gar ſchoͤne Fuͤlle, 
Leider daß nur aus der Hülle 
Meiſt vertrüppelt kommt bie Blüte. 
Dann fpricht wol des Lefers Güte: 
Dieſes war doch gut gemeint, 
Wenn ed auch nicht zund erfcheint u. |. w. 
an ihn felbft richten. 

Was Überhaupt das Formelle anlangt, mit dem ſeit 
einiger Zeit ſo oft geprunkt ward, ſo ſollten wir eine hohe 
Bolltoımmenheit deſſelben als etwas ſich von ſelbſt Ver⸗ 
ſtehendes bei dem wahren Dichter billig vorausſetzen duͤr⸗ 
fen; er ſelbſt foͤrdert ſich dadurch am meiſten. Wenn 
Goethe dagegen äußert, er wuͤrde, wenn noch einmal jung, 
abfichtlich gegen die Form verfloßen, aber daflıc fo ſchoͤne 
Dinge fagen, daß man die Form darüber vergeffen follte, 
fo wollen wir ihm dad zu gute halten, würden es aber 
angemeffener finden, wenn er geäußert hätte: Ich würde 
den fhönen Inhalt eine entiprechend fchöne Form zu ges 
den fuchen, aber nicht ebenfo viel Weſens davon machen, 
wie etwa Platen thut. Als ausgezeichnet von Sorm und 
Inhalt heben wir das Sonett 12 (S. 124) heraus: 

Die Welt ift eine Bitte, eine blaue, 

Gin Inbegriff geheimnißvoller Dinge: 
pr Brautkelh ift die Sonn’, um bie im Ringe 
Staubfäden » gleich Planeten ftehn zur Traue. 
diefer Lille weitem Wunderbaue 
Ne (dnmebend mit der ſehnſuchtmuͤden Schwinge 
Des Menfchen Geiſt gleich einem Schmetterlinge, 
Und lechzet durſtig nach des Kelches Thaue. 


224 > 
.% . 


Eich! durch die Blume wehen Gottes Hauche; 
Da neigen hie Planeten fi zur Gonnen, 
Wetteifernd, wer darin fich tiefer taudye. 
Wie fo das heilige Liebeſpiel begonnen, 
ülle Duft die Blume wie mit Opferrauche; 
en trinkt ber Schmetterting und flirbt in Wonnen. 
„Agnes' Todtenfeier“ (Ne. 8 enthält wieber Nachlaͤſſig⸗ 
keiten) iſt fo ſchoͤn und ideal empfunden, daß Petrarca 
ſich nicht zarter und inniger hätte ausdrüden können. 
Mir geben das Sonett 10 ale Probe (S. 128): 
Ich hörte fagen, Fruͤhling fei erſchienen, 
Da ging ich aus, zu fuchen, wo er wäre; 
Da fand ich auf den Fluren Blum' und Ähre, 
Allein den Yrkhling fand ich nicht, bei ihnen. 
Es fummten Vögel und es fangen Bienen, 
Allein fie fangen, funmten duͤſtre Maͤhre; 
Es rannen Quellen, doch fie waren Zaͤhre; 
Es lachten Sonnen, doch mit trüben Mienen. 
und von bem Lenz konnt' ich nicht Kund’ erlangen, 
Bis daß ich ging an meinem Wanberftabe 
Dortbin, wohin ich lang nit war gegangen; 
Da fand ich ihn, den Lenz; ein fhöner Knabe 
Saß er, mit naffem Auge, blaflen Wangen, 
Auf deinem, als auf feiner Mutter, Grabe. 
Bon den fünf Maͤrlein (S. 139—150) haben uns bie 
drei erften beſonders angeſprochen. 


Die „Zeitgedichte” bilden das zweite Buch (S. 153— 
346) und beginnen mit ben berühmten „Geharniſchten 
Sonetten“, die mit einer wahrhaft flammenden Begeiſte⸗ 
zung bie Gefühle jener glorreihen, ewig benfwärbigen 
Periode der Erhebung Deutfchlande ſchildern und Deren 
Wirkung damals außerordentlich gewefen fein muß. Je⸗ 
des Sonett ift ein Blitz, der auch noch jetzt in des Hoͤ⸗ 
rers Gemuͤth einfchläge, wie fern er jener Zeit ſtehen 
und wie ſehr der tragifhe Untergang des Heiden im 
Dom ber Invaliden die Sympathie flr das Unglä rege 
gemacht und ben alten Groll beſchworen haben mag. 
Man ſieht an dieſen Gedichten, daß in ſolchen Zeiten 
ein Tyrtaͤus wol etwas zu bedeuten haben ann. Sie 
find für Deutfhland und deſſen Literatur ein hiftorifch- 
poetifcher Schau, um beretwillen ber Verf. allein ſchon 
die Auszeichnungen verdient hat, die ihm in neuerer und 
neuefter Zeit geworben find. Haben wir an manchen ber 
bisherigen Gedichte das Mangelhafte der Form bemerklich 
gemacht, fo müflen wir bier deren Vollkommenheit umd 
Mufterhaftigkeit anerkennen; fie find au dem Reime 
nach durchweg rein und correct und mögen, als die di- 
tern, Platen vielleicht zum Vorbilde gedient haben. 

Unter den übrigen Gedichten biefes Buchs nennen 
wir noch „Die Gräber zu Ottenſen“, deren erſtes mit 
dem Schluß: 

Man merkt des Jammers Größe 

Nicht an dem kleinen Grab. 
„Barbaroſſa“ hat uns nicht angefprochen und wir muͤſ⸗ 
fen in Bezug auf unfere Volksſagen bemerken, daß, wer 
ihnen eine neue dee unterzulegen, ihnen feine neue 
Seite abzuminnen weiß, beffer thun wird, fie zu laſſen 


‚wie fie find. . Unfere heutigen Balladenſaͤnger machen 


fi die Sache unendlich Leicht, bie erſte beſte Gage ein 


378. _ 
v0 


wenig zurecht gelegt, ohne metzifche Überlegung und Kunſt 


seeimt und das Dina iſt fertig. - Daher fo viel Uner: 
ldlics, —— das auf dieſem Gebiete der Tag 
bringt und derweht. „Die drei GSeſellen“, gut gemeint. 
„Die firasburger Tanne“, vortrefflih! „Die linke Hand”, 
unbeimlih, à Ja Chamiſſo. „Bluͤcher“, im Ton wohl⸗ 
getroffen und Nr. 7 hoͤchſt ſinnig und chevaleresk! 
(Der Beſchluß folgt.) 





i ßens bis zur Zeit der Re: 
—— Su be Bänden, Don Johannes Voigt. 


Zweiter Band. Königeberg, Bornträger. 1842. Gr. 8. 


2 Thir. 10 Rgr.“) 

Wenn es für irgend ein Volk wuͤnſchenswerth und rath⸗ 
ſam ift, zu erforfchen, zu wiſſen und zu beherzigen, was es eins 
flens war, einftens that und im Rathe der Völker galt, fo tritt 
diefer Fall bei ben Deutſchen ein, und zwar aus einem doppels 
ten Grunde. Ginmal, weil wir durch eine Vergleichung mit 
der Wergangenheit unfere Zeit in Abſicht auf Recht, Freiheit 
und Bildung um fo unparteiifher und gerechter zu würbigen 
im Stande fein werden. Zweitens aber, weil uns bann erft 
der einzig wahre und ſichere Maßſtab geboten wird, ben une 
Niemand weder verflümmeln noch entreigen kann, zur Weurtheis 
lung der Werlufte, die wir erlitten haben. ‚Und diefer Maßſtab 
wird um fo eletrifch = beiebender wirken, mit je größerer Befon: 
nenheit und inniger Überzeugung von feinem Werte wir ihn 
feftyatten. Er wird gleichſam die Wünfchelruthe fein, bie und 
anzeigt, auf weichen Grund und Boden wir unfere Thaͤtigkeit 
entwickeln und weiche Richtung dieſe Entwickelung zu verfolgen 
Habe. Gine Batertandegefchichte ift ein rathgebendes Rational 
bemußtfein. Je klarer die erſtere vor der Stele fteht, je näher 
fie dem Herzen gebracht wird, defto kräftiger wird das letztere 
fein. Zwar behauptet man gewöhnlich, die Geſchichte habe ſehr 
fchlechte Schüler ; und fie bietet in der That, um mit Rotted 
zu reden, aud nur Dem ihr Fuͤllhorn dar, der fie mit Grill 
und Herz fludirt. Wer ſich aber in diefer Weiſe mit ihr ver: 
traut madıt, auf den wird fie auch ebenfo wol belehrend als 
belebend wirten. Man lege nur dem Denfchen nicht zur Laſt, 
was die Schuld des Verfahrens iſt, wie man auf ihn wirkt. 
Gin Bolk aber, das noch feine Geſchichte hat, dem noch keine 
Grinnerung inwohnt, das fich erſt feine Eorbern auf bem gro⸗ 
Sen Kampfplage der Menſchheit erringen muß, wird — fo darf 
man nad der Erfahrung und dem Bildungsgange des Men⸗ 
ſchengeſchiechts urtheiten — ungleich öfters irren und auf Abs 
wege gerathen ald dasjenige, dem bereits ein durch längeres 
Dafein erzeugtes Rationalbewußtiein geworben ift, felbft wenn 
diefes Legtere fich theilweiſe nur auf Tradition gründen follte. 
Allein einem Boike muß auch feine Geſchichte in weitelter Aus⸗ 
dehnung vorgelegt werden: es muß zum vollen Bewußtfein, fo 
weit dies möglich if, feiner Wergangenpeit in Raum und Zeit 
gelangen. Die Befriedigung biefer Foderung iſt ganz befonders 
dem deutſchen Geſchichtſchreiber ans Herz zu legen. Denn 
Dentſchiand hat feit der Zeit, wo bie kaiſerliche Reichsmacht 
immer mehr verfiel, und feiner alten Bedeutſamkeit und Würde 

det wurde, dagegen in eine Familienmacht ſich verwan⸗ 
delte, die nicht felten ganz andere Intereffen als Deutſch⸗ 
and hatte und oft lebhaft genug verfolgte, um ihm zu ſchaden, 
im Weſten und Nordoſten lieder von feinem Staatslörper ges 
waltfam abreißen feben, in beren Arterien bis biefe Stunde 
noch viel deutfches Blut im Umlauf ifl. Ja, es fcheint zumeis 
ien, als überträfen die Budungen jener abgeriffenen namentlid) 
uorböftlichen Glieder an Stärke bie Grinnerung oder Sehnſucht 
des verſtuͤmmelten Reichtkoͤrpers. Allein worin liegt der 


Bal. über den erſten Band Nr. 33 d. Bi.f. 1812. D. Red. 


Grund dieſer Srjjeinung? In der unkenntniß. Wie Miele, wie 
dürfen nicht fagen des Wolke überhaupt, fondern ber geblideten 
Melt gibt es, weiche die Gefchichte, den Werth und’ bas frühere 
Verhaͤitniß der norböftlichen Provinzen zu Deutfchland Eennen? 
Bo waren aber auch die geſchichtlichen Forfchungen, die hiftorts 
ſchen Ergebniffe, weiche darüber Aufktärung zu geben vermodkt 
hatten? Unleugbar hat fich unfer Verf. bucch fein großes und 
gruͤndlich gearbeitetes Werk über die beutfchen Drbenslande ein 
weſentliches Verdienſt erworben; und wir müffen es als einen 
bantenswerthen und gluͤcklichen Gedanken anfehen, wie wir au 
früher ausgefprodyen haben, daß der Verf. auf dem Grunde je 
nes größern Geſchichewerks fein „Handbuch der Gefchichte Preu⸗ 
Pens bis zur Seit der Reformation” herausgibt und daburch die 
Grgebniffe feiner jahrelangen Forſchungen einem zahlreichern 
nach hiſtoriſcher und politiſcher Aufklaͤrug ſtrebenden Yublicum 
zugänglich und für daffelbe zugleich erfprießlich macht. 

Wir freuen uns, daß der Verf. den zweiten Band feines 
Handbuchs dem erften fo bald hat folgen laffen; er kann aber 
zugleich ruͤckſichtiich des Hiftorifchen Gehalts und Charakters, 
wie wir gleich im voraus verſichern zu dürfen glauben, auf die 
Anerfennung fowol ber Beurtheilenden ats ber Zefenden rechnen. 
Denn daſſelbe guͤnſtige Urtheil, was über den erſten Band in 
db. BI. ausgeſprochen worden ift, können wir auch mit Recht 
für den vorliegenden geltend machen. Die äußere Ginrichtung 
ſowie die ſprachliche Darftellung find fich gleich geblieben. Bier 
und da nur bürfte man ben Ausdrud etwas - präcifer und 
die Erzaͤhlung gedrängter wuͤnſchen. Indeß foll diefe Ausftel: 
lung feinen das Verdienſt und den Werth fchmdlernden Zabel 
begründen wollen. Auch war biesmal die Schwierigkeit, in jes 
der Einzelnheit das richtige Maß zu treffen, infofern etwas 
größer, als der hiftorifche Stoff in einem breitern Strome floß. 
Ubrigene umfaßt der vorliegende Band bie Zeit von 134 — 
1407, oder von dem Amtsantritte des Hochmeifters Werner von 
Drfele bis Konrad von Jungingen. 

In der Ginleitung vertheidigt ber Verf. feine Annahme, 
daß der Name. Pressi: von Po-Rassi abzuleiten fei, gegen 
mehrfache Einwendungen, lehnt aber auch zugleich die Autors 
[haft diefer Ableitung bes Namens „Preußen“ von fih ab, in⸗ 
bem er auf Ältere Autoritäten, wie Prätorius, Oftermeyer und 
Hartknoch fid) beruft. Die ganze etymologifche Streitfache, auf 
weiche, als zu unfruchtbar für unfere Zwecke, hier nicht weiter 
eingegangen werben Tann, ſcheint ſich unſers Erachtens um den 
Punkt zu drehen, ob Schaffarik's Lehrfag, den man dem Berf. 
vorzüglich entgegengehalten hat, eine unbedingte Wahrheit fet: 
„daß die Zufammenftellung der Präpofition po mit dem Namen 
von Voͤlkern nicht der grammatifchen Gonftruction der polnis 
fen Sprache gemäß fei”. Dagegen erwidert der Verf. mit 
Recht, es müfle in Frage geftellt werben, ob der heutige Sprach⸗ 
gebraudy der Polen für das 10. Jahrhundert, wo ber Rame 
Prussi bereits vorkommt, als maßgebend betrachtet werben 
koͤnne. Übrigens führt ex feine Bertheidigung mit ebenfo viel 
Sachkenntniß ats Ruhe, und es dürfen die Autoritäten, denen 
er gefolgt ift, noch keineswegs als erfchüttert betrachtet werben. 
Benn Hr. Voigt in das Vereich feiner hiſtoriſchen Darftelluns 
gen, wie früber, fo auch diesmal die Gulturgefchichte, Handbels⸗ 
verhaͤltniſſe, ſtaͤdtiſche Zuftände u. f. w. aufgenommen hat, fo tft 
das zu loben und des heutigen Standes der Wıffenfchaft mis 
dig und den Anfoderungen, die man an fie macht, entſprechend; 
daß er aber die Rechteverfaffung der Orbensiande übergangen 
bat, das müffen wir entſchieden misbilligen; man fühlt eine 
kuͤcke im Ganzen. Gr Hat allerdings diefes Gefühl ſeibſt ge⸗ 
habt, wie dies von einem Manne, wie unſer Verf. iſt, nicht 
anders erwartet werden kann, rechtfertigt aber ſein Verfahren 
damit, daß er in Bobrick's und Jacobſon's „Zeitſchrift für 
Theorie und Praxis bes preußiſchen Rechts’ eine Abhandlung 
über jenen Gegenftand gefchrieben und diefelbe 1834 in Marien: 
werber babe beſonders abdrucken laſſen. Ihm find gewiß Spitt⸗ 
ler's ſchon am Ende des vorigen Jahrhunderts geſchriebenen 
Worte nicht unbekannt: „Man fragt jett in jeder Geſchichte 


1b europdi Staats gleich darnach, wann und wie iſt ein 
ee porortommen? Wie Haben fih die Werhätts 
niffe der Gtände untereinander und wie die Berhaͤttniſſe der 
Stände zum Regenten gebildet? Wie iſt bie gerichtliche ins 
sichtung geworben? Wie ging es mit Steuern und Finanzen des ge Europa ab! MWährmp 
Reihe?" Wozu Arnoid in feinen trefflihen „Umriſſen und 
Studien“ bemertt: „Aber jetzt ift noch mehr für die Staaten⸗ 


‚bie Kiffer des übrie 
eo die Moͤnche der Ordenslande aus 
kmuth fo zubringlide Behller waren, ‚daß die fädtifhen Mer 
börben zumeilen polickiliche Maßregetn ergteifen "mußten, Tab’ 


ichte au fodern,. 3. B. alle die Gegenftände, weldge bie Ras 

a konnte umfaßt, die innern materiellen Entwidelungen. 
Tbenſo dürfen auch die geiftigen Zwecke, bie Wiffenichaften, die 
Künfte, die Kirche u. . w. nicht unberührt bleiben. Durch 
dieſes Alles gewinnt die Geſchichte ebenſo ſeht an Umfang, 
Reichthum des Inhalts, allfeitiger, fruchtbarer, tiefer Beleh⸗ 
rung, als ihre Darftellung und ihr Berftändniß in diefer vollen 
Sntwidelung und Ausdehnung aud einen höhern Grad ber 
Bildung und bes Geiſtes erfodert.” Wir dürfen die Hoffnung 
ausfprechen, daß ber Verf. im Kalle einer neuen Auflage feines 
Dandbuche jene Lüde mit den Materialien der oben angeführs 
ten Monograpbie ausfüllen werde; das Ginzelne, was zur Abs 
rundung eines wiffenfchaftlichen Ganzen gehört, muß willen 
ſchaftlichem Gefege und Zwecke zufolge biefem Ganzen einvers 
leibt werben. | sr Stich der— x 
Wie ber beutfche Orden, obſchon ein Glied ber Jangen um 
arten Kette des hierarchiſchen Syſtems, dennod im Gefuͤhle 
feiner Macht dem paͤpftlichen Stuhle gegenuͤber ſeine Selbſtaͤn⸗ 
digkeit zu wahren verſtand und Gonflicte nit gerade felten 
waren, fo tritt diefe Haltung ruͤckſichtlich des Moͤnchthums ins⸗ 
befondere hervor. Der Verf. ſagt in dieſer Beziehung z. B. 
olgendes: „Das Moͤnchthum und Kiofterweien bat in Preus 
* nie zu beſonderm Gedeihen und zu der Ausbreitung wie an⸗ 
erwarte gelangen koͤnnen. Seine Verbreitung hinderte ſchon 
das alte Verbot, daß ohne des Ordens oder eines Biſchofs aus⸗ 
druͤckliche Genehmigung nirgend ein neues Kloſter erbaut wer: 
den durfte. Seinem Gedeihen ſtand der Umſtand entgegen, daß 
keinem Kloſter ein Haus oder Hof ober ſonſt unbewegliches Bes 
ſigthum durch Schenkung, Vermaͤchtniß ober Verkauf zufallen 
konnte, ohne bie Verpflichtung, den betreffenden Gegenſtand bin⸗ 
nen Jahresfriſt wieder zu veräußern. Die Kloͤſter konnten alfo 
nie zu bleibendem ländlichen Eigenthum gelangen ; fie blieben 
arm und ſtets nur auf den Befig beſchraͤnkt, den ihnen ber Dr: 
den bei ihrer Gründung angemwiefen hatte, der aber nie bon 
fonderticher Bedeutung war. Überdies hielt fie ber Orden ſtets 
unter ſtrenger Aufſicht und geſtattete ihnen feine weſentliche 
Veränderung und Umaeſtaltung ihrer töfterlichen Berhättniffe 
ohne befondere Genehmigung bes Hochmeiſters. Selbſt jeder 
Ausbau ihrer naͤchſten Umgebungen, bie Benugung eines Hof⸗ 
raums zur Erweiterung einer Kloſterkirche u. dgl. hing von ber 
Erlaubniß des Hochmeiſters ab. Cs ift daher auch in den Ter⸗ 
ritorialverhältniffen des Lande von Kioftergütern felten die 
Rede. Nur die zum Theil ziemlich begüterten Kiöfter in Pom⸗ 
mern, befonders Dliva und Pelplin, machten eine Ausnahme, da 
fie fchon fräger unter der Herrſchaft der Herzoge von Pommern 
durch vielfache Beſchenkungen zu nicht unbedeutendem Landbefig 
gelommen und biefer ihnen dann aud vom Orden beftätigt 
worden war. NMonnenflöfter gab ed in Preußen nur wenige. 
An Thorn fand fon aus früher Zeit ber ein Giftercienfer 
Zungfrauenklofter, zum Heiligen Geiſt genannt, eben ein ſolches 
auch in Kulm, jedes mit feiner eigenen Abtiſſin. In Danzig 
befand ſich ein Brigittenkloſter Augufliner Ordens bon Witwen 
und Jungfrauen bewohnt, die auch Büßerinnen genannt wur⸗ 
den. Obgleich das Klofter, zu St.» Maria Dagbalena gebeißen, 
beftimmte Einkünfte genoß, fo lebten bie Nonnen doch mebr von 
dem Almofen, welches fie in der Stadt erbetteiten, lieben babei 
aber Gelder aus. Die Einfegung und Entlaffung ihrer Pröpfte 
hing jeder Zeit vom Hochmeiſter ald naͤchſtem Schugheren aller 
Ronnenksöfter im Lande ab. So fteht alfo das ganze Kloſter⸗ 
weſen in Preußen ohne beſondere geſchichtliche Wich igkeit da. 
Der mächtige Eichbaum, der bei Thorn zuerſt feine tiefen Wur⸗ 


man ſich anderweit mehr als einmal au Kiugheit oder Ge— 
—S genoͤthigt —— daß den Erben 
nit zu Bunften der Moͤnche das rechtmäßige Eigenthum bis 
zu einem beforgliäjen Grabe entzogen werde. 

Unter den Handelsartikeln, welche bie Gtäbte bes Ordens⸗ 
Landes in bedeutender‘ Quantität ausführten, erwähnt unfer 
Verf. auch meht als einmal ben Bernſtein. Er kam damals 
unftreitig in größern Waffen vor und. war befonders im Ause 
ande gefuchter als jet. Es iſt über feinen alterthuͤmlichen 


Namen, Giectrum, über feinen Fundort und über feinen Handes 
‚eine foͤrmliche Literatur entflanden. Die Alten gedenken biefe® 


Minerals fehr oft und mit Auszeichnung, fon Bomer’s 
„Odyſſee“ erwähnt ihn unter den Zierden bed Palaſtes, dem 
Menelaos bewohnte. Unter dert neuern Gelehrten fchrieb zuerfk 
in der Mitte des vorigen Jahrhunderts Geßner in Göttingen bar= 
über. Beſondere Beachtung verdienen dann bie fpeciellen Unter 
ſuchungen von Schloͤzer („Allgemeine Weltgefdichte”, Bd. 2h, 
Buttmann, fowol in feinem „‚Mythologus‘ als in den „Abhande 
lungen ber berliner Akademie der Wiflenfchaften‘‘ (1318), Mans 
nert, Dilthey, Ottfr. Müller u. A.; auch Barth in feiner „Ure 
geſchichte Deutfchlands” fpricht oft und viel von ihm, und Hülle 
mann in feinem „Stäbtewefen des Mittelaltere” ebenfalls, der 
gelegentlich die Hypotheſe aufftellt, daß fein gegenwärtiger beute 
ſcher Name durch eine Metathefis aus. Brennftein entflanden 
fei, weil man ihn in alter- beutfcher Zeit flatt des Weihrauchs 
auf Altären gebrannt habe. Zulest hat unfers Wiſſent ufert 
in der „Zeitſchrift für Alterthumewiſſenſchaft“ (1838, Kr. 57) 
Unterfuhungen über bad Electrum und bie damit verbundenen 
Sagen angeftellt. Die wefentlichften, wenn auch noch keines⸗ 

wegs in aller Hinſicht zweifellofen Refultate find folgende: Die 

Bekanntſchaft mit dem Electrum, das freilich fpäter auch eine 

Mifhung von Gold und Silber ſowie andere glatartige Mines 
ratien bezeichnete, ift uralt, fie reicht bis in die mythiſche Zeit 
hinauf. Der Oſten Europas und Kieinafien erhielt biefes im 
Handel fon frühzeitig gefuchte Minerat hoͤchſt wahrſcheinllch 
buch bie Phönizier. Nach Süden ging ein alter Handelszug 
über die Oder nad) der Donau an die Rhone und ben Po, we 
die Römer mit dem fabelhaften Electrum bekannt murben. 
Was ben Fundort anbetrifft, To ſprichen doch überwiegende 
Gründe für die Oftfeeküfte Preußens, wenigftens ift weder im 
Alterthum noch in der Neuzeit eine andere Gegend befannt 
worden, bie ihr in biefer Beziehung an Quantität und Quali 
tät den Rang flreitig machen koͤnnte. 

Wir brechen’ hier ab mit dem Wunſche, daß ber britte 
unb legte Band unſeres Handbuchs recht bald erfcheinen und 
recht fleißig und von recht Vielen gelefen werden möge, damit 
durch geſchichtliche Belehrung die Sympathie für Provinzen in 
uns lebhafter werde, bie wir weber hätten vergeflen noch vers 
lieren follen ! ' Kart 3immer. 


Literarifhe Notiz. 

Das „Journal des savanıg‘', in dem Goufin vor kurzen 
feine wichtigen Unterfuhungen über die Manufcripte Pascar'e 
niedergelegt bat, bringt in einem ber neueften Hefte einen in 
tereflanten Auffag, der vom naͤmlichen Verf. herrührt. Gouffn 
theilt in demfelben den Inhalt eines noch nicht herausgegebenen 
Briefwechfeld zwifhen Malebranche und de Mairan mit, der 





im Winkel irgend einer Bibliothek aufgeftöbert it. “ Einige der 


mitgetheilten Briefe find von nicht geringem Intereffe und koͤn⸗ 
F einen Beitrag zur Geſchichte des Malebranche'ſchen Orkus 
liefern. . ! 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. U. Brodpaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


Titerarifde Unterhaltung. 





Mittwod, 


—— Nr. 95. ẽ 


.. 7 


5. April 1843, 








Friedrich Rüdert. 
(Beſchlus aus Nr. 9.) 

Unter dem Haupttitel Wanderungen” zerfällt das 
dritte Buch (S. 249—428) in fieben Abfchnitte. Der 
Dichter nimmt nad Weiſe des Anakreon und Dvid Ab: 
fhied vom Heldengeſang, um fi fortan den fanftern 
RMegungen ded Herzens und des Gemüchs zu widmen, 
wandert num ein wenig in Deutfchland umher, geht dann 
nach Stalien, verliert ſich von dort in den Orient und 
kehrt im fiebenten Abfchnitt in den „Deutfhen Blumen⸗ 
garten‘ zurüd. „Roſenlied“ (S. 250), gelegentlich, zu 
fpielend und gekuͤnſtelt. „Des fremden Kindes heiliger 
Chriſt“ (S. 273) fehe innig und gelungen. Die Ge: 
Dichte des zweiten Abſchnitts find recht gefällig verfificitt, 
viel mehr wüßten wir an ihnen nicht zu rühmen. 

Bon S. 283—305 bewegt fih Rüdert vorzugsweiſe 
der Korm nad) auf claſſiſchem Boden; allein Das, was 
er hierin geliefert hat, zeigt, daß er fich mit den höhern 
Geſetzen wenigftene des elegifhen Metrums nicht vertraut 
gemacht hat. Seinen Herametern und Pentametern fehlt 
nicht blos bie edle antite Haltung und Bewegung, fons 
dern fie halten überall keine Keitit aus, z. DB. in dem 
Idyll „Rodach“ (S. 296): 

Er zum Thore der andern gelangt dort, wann von bem Thurme 

Ladet Hungernde mitjtägliches Glockengelaͤut. 
©. 297 unten: 

Hat ein gütiger Bott Hies mit verſchwenderiſchen u. ſ. w. 
S. 298 in der Mitte: 
Die auf den Pfarren veranliaffer fein feierliche u. dgl. m, 
©. 312 heißt es dann wieder in den Reimgedichten: 
Bot alle Baͤche fliehen 
Und alle Steöm’ ins Meer, 
Und Licbesaugen gießen 
Sich niemals thränenleer. 
&o weine bu bort eine, (Thraͤne?) 
Wie ich Hier eine weine, 
Und eine Muſchel fchließen 
Soll ſich um beide her. 


©. 316: 
Dod des Gluͤckes Eiland, bas 
Faßt kein Dcean, kein blauer! 
Was ich Broßes fonft vergaß, 
Nie vergeh’ ich eines, was 
Ich an euch für Veilchen las. 
und: 


Mit Begeiftrung folf mit traͤnken 
Ihr horaziſch Waffer, bis 
Uber Alpen⸗Hinderniß u. f. w. 
Iſt dies etwas mehr als pure Reimerei, um es gelind 
aussudrüden? Nah folhen wenig einladenden folgen 
nun wieder ſchoͤne Blumen, wie „Griechenland“ (S. 324) 
und die hübfche Überfegung des „Venezianiſchen Liebes” 
(S. 327): 
In ber Gonbel geftern Abend 
Ich mein ſchoͤnes Blondchen führte; 
Vom Vergnuͤgen, das ſie ſpuͤrte, 
Sant in Schlaf das arme Kind; 
Schlief, an biefem Arme liegend, 
Und ich wedit? es immer wieber, 
Doc der Rachen, leife wiegend, 
Wiegt’ es wieder ein gelind. 
Bon dem Himmel, halb enthüllet 
Aus Gewblkchen fchaute Luna 
In bie fpiegeinde Laguna, 
Und zur Rube ward der Wind. 
Nur ein einzig Lüftchen faufelnd 
Zrieb mit ihren Loͤckchen Spiele, 
Dob den zarten Schleier Eräufelnd, 
D wie reizend war das Kind! 
Leife leiſe ſchaut' ich nieder 
Auf das Antlid meiner Golden, 
Auf die Loden golben golden, 
Auf den Bufen athmend lind. 
Und ich fühlte füße Gluten 
In der Bruft, wie foll ich fagen? 
Stille ringsum auf den Fluten! 
D wie rann bie Nacht geſchwind. 
Die „Sictianen” Nr. 1-38 befingen Liebe und Natur; 
e6 iſt an ihnen mehr Form und Diction als Gedanken⸗ 
fülle und Auffaffung zu loben. Dann Erhifches, „Vier⸗ 
zeilen”‘, 87 an der Zahl, die gefunde, treffende Lebensrer' 
geln und Ausfprüche enthalten, Alles fehr Mar und wahr 
und einfach und gefällig ausgedrüdt. 

Den fechsten Abfchnitte füllt Drientalifches aus unter 
bem Titel „„Öfttiche Rofen”, die ungemein viel Liebliches, 
Suͤßes und den wahren Rofenduft des Orients athmen. 
Ihren Hauptinhalt bilden Wein und Liebe. Wir haben 
oft gewuͤnſcht, daß Rüdert, als alifeitig dazu befähigt, 
die Freunde orientaliſcher Poefien mit einer Bluͤtenleſe 
aus dem Hafis befchenten möge; denn ohne ben Ver⸗ 
dienften J. v. Hammer's zu nahe treten zu wollen, muͤſ⸗ 
fen wir doch geſtehen, baß es fehr mühfam ift, das wahr⸗ 
haft Schöne den zwei Bänden feiner Überfegung, bie an bie 








taufend Detavfeiten umfaßt, herauszufinden, abgefehen Davon, 
daß es diefer Überfegung an kieblichkeit, Eleganz und Duft 
des Ausdrucks fehlt und fie Überdies des Reims entbehrt. 
Die „Öflliyen Roſen“ enthalten Manches nad) Hafie, 
das durch Anmuch und Zartheit anzieht, z. B. „In ber 
Geſellſchaft“ (S. 370), „Das Lieblihe” (S. 373), 
„Liebeszauber“ (S. 381) u. a. mehr. Sehr zweckmaͤßig 
würden wir es finden, wenn ber Verf. feinen Gedichten 
nicht blos da6 Jahr ihrer Entſtehung im Juder beige: 
fügt, fondern auch angegeben hätte, was bier und bort 
Üderfegung oder im mweitern Sinne Nachbildung und 
Anlaut ift, theil® um ihn fo in feinem Bildungsgang 
leichter verfolgen zu koͤnnen, theils aber auch, um das 
Uetheil danady: zw modificiren. Indeß 0b Original, ob 
Nachbildung, wir freuen uns bier des finnvollen und 
tieblichen Gekoſes mit Rofen und Nachtigallen, wie auf 
©. 382: 
Zaubertreis. 
Was flebt denn auf den hundert Blättern 

Der Roſe all? 

Was fagt denn taufendfaches Schmettern 

Der Nachtigall? 


Auf allen Blättern fteht, was ſtehet 
Auf Einem Blatt; 
Aus jedem Lieb weht, was gemwehet 
Sm erften hat: 
Daß Schönheit in fich ſelbſt befchrieben 
Dat einen Kreis, 
Und Eeinen andern auch das Lieben 
3u finden weiß. 
Drum kreiſt um ſich mit hundert Blättern 
Die Rofe all, . 
und um fie tauſendfaches Schmettern 
Der Nachtigall. 
Oder auf S. 386 „‚Lebensweisheit”. S. 387 tadeln mir 
wieber: ' 
Diefe meifter: 
tofen Seifter u. f. w. 
Schließlich heben wir aus dem ſechsten Abfchnitt noch 
„Die Botin” (S. 391), „ Hingegangen in den Wind’ 
(5.393) und „Einmal“ (S. 395) hervor. Im fieben 
ten Abſchnitt (S. 411) fol die Stelle: „Lind gewiegt 
bat es“ wol heißen: „Hat gewiegt es lind.“ Die bei: 
den beiten Gedichte dieſer Abtheilung ſind „Sonne und 
Roſe“ (S. 411) und „Die ſterbende Blume“ (S. 419), 
nur daß die guten Grundgedanken wieder zu weit ge⸗ 
ſponnen ſind. | 
Mit den drei erſten Büchern glauben wir den Glanz 
puntt diefer Auswahl hinter uns zu baden; es folgen 
zwar noch drei Bücher, allein fie enthalten ſehr wenig, 
was nicht bereits in anderer und meift ſchoͤnerer Meife 
im Vorhergehenden dagewefen, fobaß wir als unfere Ans 
fiht ausfprehen muͤſſen: der Verf. hätte wohlgethan, 


wvenn auch nicht die Gedichte jedes folgenden Buchs, fo 


doch minbeftens die der einzelnen Abtheilungen zu decis 
miren. Manches ift indeß in dieſer neuen Auflage [chen 
weggelaffen, was wir ungern in der erften fahen. 
Rüͤckert's Name ift in diefer Zeit fo oft, bald mit Tadel, 
bald mit Lob genannt worden, daß wir mit wahrem Inter⸗ 


eſſe daran gegangen find, die vorliegende Auswahl von Au⸗ 
fang bis zu Ende gewiffenhaft kennen zu lernen, um zu 
ſehen, inwieweit Beides begründet fe. Wir nehmen an, 
daß er uns in diefes Sammlung die Quinteffenz feiner 
Poeſie habe geben wollen und urtheilen darnach über ihn 
als Lyriker wie folgt: . 
Ruͤckert's Dichtungen find die gemuͤthlichſten und ges 
muͤthreichſten; lieblich, leicht gefällig, fpielend, tändelnd. 
Mi. ber , en Sonette“ und einiger 
andern ZBeitgedichte, in denen er aus feiner gewohnten 
Bahn Präftig und gewaltig beraustritt, träge feine Poefie 
den Charakter des Beſonnenen, Reflectiventen, Befchau: 
lien; ihr Reich iſt Die, vorzugswmeife, ruhige, heitere Ge: 
müthswelt und die Natur. Er ſteht nicht, wie Goethe, 
mit dem praktiſchen, großartigen Blick, über Welt und 
Leben und lehrt mit beiden fpielen und fie beherrſchen; 
fondern er miſcht fi unter ihr buntes Getreibe, theil: 
nehmend und befprechend, und fucht mit ihnen durchzu⸗ 
kommen, fo gut als e6 eben gehen mil. Allem, was ihm 
begegnet, weiß er mit der größten Leichtigkeit eine poeti: 
[he Seite abzugewinnen ; aber er legt feinen Stoff nicht 
Lünftlerifch zurecht, abwägenb und berechnend, wie behan- 
beit er mol bie größte und beſte Wirkung bervorbringen 
könnte; fondern der Stoff bemeiftert fi meiſtens feiner, 
und je nachdem der Moment mehr oder minder gluͤcklich, 
fällt das Refultat aus. Daher die Längen und Breiten, 


"der Mangel an Concentration und Steigerung. Aber 


dagegen ift er frei vom der neueften Iprifchen Überſchweng⸗ 
lichkeit, dem Phantaflifhen, Grellen, Unheimlichen und 


"der Bilderei: Überall flieht er da als eine gefunde, edle, 


biedere Natur, ohne alle Praͤtenſion. Was er nicht fingt, 
bat er nicht erlebt (S. 673), aber dadurch wirkt fein 
unerfchöpflicher Reichthum oft wie Armuth, und Nie⸗ 
mand mehr ale ec koͤnnte unfere Iprifhen Bruthennen 
Ichren, Maß zu halten. Neue Bahnen bat Rüdert in 
diefen Gedichten nicht gebrochen; das orientalifche Ele⸗ 
ment in ihm iſt nur ein herbeigeholtes, ob allfeitig auf 
die Dauer Anfang findend, dürfte zweifelhaft fein. Als 
Verskuͤnſtler flieht er groß da im Reim; in Allem, was 
über das Gebiet des Reims hinausliegt, iſt er nichts we⸗ 
niger als durchgängig gut oder gar muſterhaft. Schließ⸗ 
lich mag Ruͤckert noch feine Poefie felbft charakterificen 
(8. 687): ' 
An die Mufen. 
Nicht aufregende 
Wild beivegenbe 
Leidenſchaft; 
Ruhig glaͤttende, 
Friedlich bettende 
Liebeskraft: 
Sturmbemeiſternde 
Gottbegeiſternde 
Himmelsruh 
Haucht, ihr guͤnſtigen, 
Euerm bruͤnſtigen 
Prieſter zu! 
Auch am Niedtichen 
Dabt ihr Friedlichen 
Freude gern; 





Nur das Haßliche 
Und das Graͤßliche 
Bleibt euch fern. 
Zwar das ſpigige 
Eitel witzige 
Liebt ihre nicht, 
Doch das ſpielende 
Reife gielende 
Sinngedidt. 
5. W. Rogge. 





Rom und Loretto. Bon dem Berfaffer der Wallfahrten 
in die Schweiz. Aus dem Sranzöfifhen uͤberſezt von 
Kranz Xaver Sted. Zwei Theile. Tübingen, 
Zaupp. 1842. 8. 1 Zhle. 25 Nor. 

Vortiegendes Werk ift eine Reife in den Katholicismus 
binein und in dem SKatholiciemus herum. Es enthält die Bes 
tebrungsgefchichte des Verf., Louis Veuillot, und ward ald Bei: 
fpiet und zur Erbauung der Belehrten und zu Belehrenden 
überfegt. Lonis Veuillot war der Sohn eines armen Faßbin⸗ 
ders und wuchs in Aymuth auf. Er erhielt den lauwarmen 
Religionsunterricht, den die vom Municipalrath protegirten 
Schulen des wedhfelfeitigen Unterrichts zu extbeilen pflegen, 
fchöpfte auch noch mandjerlei Weisheit aus den Leihbibliotheks⸗ 
büchern, die er herumtragen mußte, warb Schreiber und endli 
Sournalift, wo er mit Kreigeifteen verkehrte, philofophirte, 
ſprach, raifonnirte und heil an allen politiſchen Greigniffen 
des Tages nahm, bie er auf feine Weife, von feinem Geſichts⸗ 
punkte aus beurtheilte und bekrittelte. Doch Unzufriedenheit, 
Unbefriebigtfein bemächtigten fich feiner Seele, ber GSeitſchmerz 
feiner Kafte ergriff ihn, er rang nad etwas Unbefchreibtichen, 
noch nicht Erreichten, wie es ſchien nicht zu Srreichenden ; feine 
Sehnſucht fleigerte ſich darnach immer mehr und feine Ber⸗ 
zweiftung tannte feine Grenzen. In Rom fprad Alles Kathos 
Kcismus zu ihm: „Rom ift wahrhaftig dad Bud der Unwifs 
fenden, von denen ein guter Papft ſprach, welcher wollte, daß 
die Kirchen voll von Gemälden und Scuipturen feim, in wel⸗ 


“hen das arme Bott immer bie ſchoͤne Geſchichte ber Religion 


jefen koͤnnte. Wenn diefe heiligen Orte Roms durch den Ge⸗ 
nins ber Künfte verfchönerte Mufeen zu fein ‚fcheinen, fo koͤnn⸗ 
ten die Mufeen ihrerfeits oft für Kirchen gelten, in welchen bie 
Kunft durch den Genius des Glaubens vergbelt ifl. Die heilige 
Schrift entfattet fi dafeibft in taufend von den berühmteften 
Künfttern entworfenen Gemälden; überall ficht man die großen 
Scenen des Evangeliums, batd fo liebli und fo rührend, bald 
fo vertrauensvoll, immer aber voll hoher Lehre. Die Heiligen, 
die von Hoffnung flraplen, die Märtyrer, die bei den Qualen 
fo rubig find als bei ihren Gebeten, die vom göttlichen Geiſte 
erleuchteten Propheten, die glorreichen Apoftel, das Jeſuskind 
und die bimmliſche Mutter heiligen daſelbſt fogar die Neugierde 
einigermaßen und machen aus der Augenweide einen bewundes 
zungsmürbigen Unterricht für das Herz.” Veuillot ſchoͤpft nicht 
nur die ihm mangelnde Belehrung in heiligen Dingen, fondern 
er fammelt auch unumftößliche Zeugniſſe. „Dieſe Heiligen, diefe 
Märtyrer, diefe berübmten Maͤnner aller chriſtiichen Zeiten, bes 
zen Werke ich bewunderte, diefe Päpfte, diefe Schutherren ber 
Welt, weiche durch Glaube, Weisheit, Geduld und Liebe maͤch⸗ 
tiger waren, als je ein Eroberer durch bie Kraft des Genies 
und bie Stärke ber Waffen gewelen war, fie alle hatten ges 
glaubt, ‚fie bezeugten durch eine Aufeinanderfolge von 18 Jahr 
hunderten, durd das Gewicht aller Greigniffe, aller Gedanken, 
aller Wiffenfchaften die Dogmen, bie man mir zu glauben vers 
legte, und die Wunder, die man mir erzählte, und mehre von 
ihnen, welche wunderbarerweife befehrt worden waren, ließen in 
meinem Geiſte keinen Zweifel, welder fh auch nur auf ben 
Schatten eines Grundes hätte flügen können.” 

FJreunde beten fromm an feiner @eite, fie beten für ihn, 


und das Gebet wird erhört, Im Gebaͤube Jeſu, wo 

fromme, entfagende, felbfiverleugnende Leben Dee ber * 
ſuiten bewundert, wird er von einem frommen Bruder in den 
Schoos ber wahren Kirche eingeführt und aufgenommen, wäh: 
rend im Vorzimmer feine Eatholifchen Freunde beten; und der 
Friede zieht von nun an ein in feine Bruſt. Zwar hat ex 
noch dann und wann Rüdfälle in bie alte Zweifelfucht auf ber 
Walfqhrt; Loretto hebt fie aber ganz und er reift nun als 
echter Katholik durch Italien und durch das Echen. „Ce gibt 
taufend Sefepe, um taufend Übertretungen der Rechtfchaffenpeit 
zu befirafen, aber um bie Rechtichaffenheit allen Menſchen ans 
suempfehlen, gibt es wahrhaftig nur ein einziges Gefeg, näms 
lich die Religion. Die Religion ift in einer Monarchie beffer 
beftellt, forgfältiger gelehrt, mit mehr Achtung umgeben als in 
einer Republik, wo unter ben Kreiheiten, die man verlangt, als 
bie nothivendigfie in ber erften Reihe der Freiheiten, das Joch 
der Religion abzufchütteln, figurirt, weil diefe allen keidenſchaf⸗ 


‚ten, allen Luͤſternheiten, allen ſtraͤflichen Begierden laͤſtig iſt. 


Die Religion macht die Voͤlker leitbar, die Fuͤrſten aere 

und beffer. Sie befänftigt durch den Gedanfen a mie — 
geltung viele Schmerzen, die ohne dies zum Ausbruche kommen 
wuͤrden. Sie verpflichtet die Fuͤrſten zu Tugenden, zu Sorgen 
und Worſichtemaßregein, welche das Land mächtig befchügen, 
Sie wiederholt ihm jeden Augenblick, daß, obwol er Koͤnig ſei 
und wie hoch er auch als ſolcher ſtehe, er einſt dennoch Dem werde 
Rechenfchaft zu geben haben, welcher Alles weiß und Richts ver= 
gißt, welcher nicht der Erbfolge, fondern nur der Reue und 
Beſſerung vergibt. Ach, welcher Redner der Oppofition wirb 
ben Bürften .je fagen, was Bourbaloue Ludwig XIV. vor feis 
nem ganzen Hofe gefagt hat, und weiche Gharte wird je für 
ein Wolf jene Garantien enthalten, welche Benedion in jener ers 
babenen und allzu wenig gefannten Schrift, die den Titel führtz 
‚Direction pour la conscience d’un roi?‘ im Namen Gottes 
fetbft verlangt. Freilich kann der Fürft für ſich ſeibſt diefe 
ſchreckliche Lehre verachten; er ift auch nur ein Menſch, ber 
dem Irrthum unterworfen ifl. Die Religion bleibt aber body 
aufrecht, die Kanzel ertönt fortwährend von dem Unterrichte der 
Volks, die Geifttichkeit laͤßt nicht ab die Kinder zu erziehen, 
und Ludwig XIV., der vom Wege deö Guten abgeirrte Mos 


narch, widmet feine legten Zage ber Reue” u. f. w. 


Obgleich nun Xaver ganz bie Überzeugung des Autors über 
die Beglüdung der Religion theilt, obgleich er ben größten Ges 
gen darin ſieht, wenn Religion und religiöfes Streben alle 
Menfhen, vom Zürften bie zum Riedrigften befeelt;, obgleich 
Religion allem Fühlen und Handeln eine höhere Weihe zu ges 
ben vermag, den Menſchen und fein Ihun heilige, ein Gegen 
für den Ginzeinen und für ben Staat ifk: fo ift fie doch im 
mandyen Bällen ein Hemmſchuh des Denkens, befonders wenn 
fie den blinden orthoboren Katholiciemus zur Form wählt. 
Der Verf. gibt über Religion, Kunft, Politik und Geſchichte 
wol tiefe, durchdachte Neflerionen ; doch fein Genie trägt immer 
den Katholicismus als Brille auf ber Nafe unb betrachtet alle 
Begenftände durch beflen etwas truͤbe Glaͤſer. So fagt er uns 
tee Anderm: „Als ich, ich weiß nicht was für einen verfäng« 
Uden, die Lehre und Kirche, ber ich mich doch fo feft anges 
fhloffen zu baben glaubte, niederreißenden Gedanken dußerte, 
fagte man mir: ‚Das ift ein Gedanke Luther's.“ Dies Wort 
erſchreckte mich. Ich ward feit einiger Zeit von dem Geſpenſte 
Luther’ verfolgt. So oft ich mid meinen Gefühlen, den Ver⸗ 
fährungen meines Geiftes, den Verfuͤhrungen meines Herzens 
übertieß, fo gelangte ich zu dem Gage Eutber’s, ich gelangte an 
—— und ber alte Menſch gewann wieder bie Ober⸗ 

an ⸗ u. ° w. 

Das Urtyeil über Lord Byron ift auch durch Froͤmmigkeit 
befchrändt worben. „Was meinen Theil betrifft, — — ich 
ehemals faſt zur Zahl der Bewunderer. Jedtt ſcheint mir der 
Dichter mittelmäßig, und der Menſch noch mehr als das. Ich 
tenne freilich nur Das von ibm, was mich die über 
feger und die Biographen von ibm fehen tiefen, aber ide 


be ibm au ſehr gefchägt. Ich gebe jeboch zu, daß er ein 
ker ——— — war. (11) Ihr muͤßt mir aber auch zugeben, 
daß es an ben Ufern der @eine 50 Männer gibt, die in Ge⸗ 
fahr Kommende um 25 Francs per Kopf wieder herausfifchen 
md ihm diefen Waſſerruhm ftreitig zu machen im Stande ſind. 
Schreien wir nicht mehr o Wunder! wenn ein Pair von Eng⸗ 
land dieſeiben Gaben eines Hundes von Reufundland befigt und 
außerdem noch bie Kunft wäßriger Verſe übt. Das. Ber: 
dienft der Skandale if ein armfeliges Berdienft, und diefes if 
Lord Byron nur in zu hohem Maße zu Theil geworden. Gr 
kam dadurch zu feinem Rubm, baß er fein Waterland te be: 
ſchimpfte, und in feinen Schriften Dem, was man Zugend 
nennt, fogar die Hulbigung der Deuchelei verfagt hat“ u. f. w. 
Der fromme Eifer führt den Verf. noch viel weiter. Wer By: 
ron’s Werke nicht gelefen hat, bürfte eigentlich gar nicht darüber 
urtheilen, weber als Chrift noch als gebildeter Menſch, ſelbſt 
als Franzoſe nicht, wenn auch der Dichter ein Auslaͤnder iſt. 
WBiele fromme Herzenserguͤſſe, echt chriſtliche Anfchauungen 
fieft man in biefen Blättern; mandje Capitel koͤnnten fuͤglich 
ais Andachtſtunden gelten. Die Bekehrung ſcheint vollendet und 
beſiegelt: Ich lernte in ben herrlichen Sinn der katholiſchen 
Gebräuche eindringen, ich lernte in jenen Sinnbildern, jenen 
Gewohnheiten, im-allen jenen Sagen bes Cultus leſen, wovon 
nicht eine ohne Bedeutung iſt und welche allen Chriſten irgend 
eine bobe Lehre, eine heilige und große Erinnerung ins Geb ht: 
niß rufen‘ 0. f. w. Der katholiſche Stolz laͤßt freilich dann 
und wann die hriftlihe Demuth nicht recht aufkommen: „Es 
gibt nur zwei Schulen, eine, welche die göttliche Offenbarung 
und die. Errichtung eines Tribunals der Werföhnung zwiſchen 
ven Geſchoͤpfen und dem Schöpfer zufäßt, und eine andere, 
welche bei der Mannichfaltigkeit ihrer Selten und Spaltungen 
Alles annimmt, dieſen Punkt allein ausgenommen. Diefe legte 
Schule hat nie zroei veritändige Menfchen in ein und bemfelben 
Glauben vereinigt; ihre Schriftfteller und ihre Gelehrten wis 
derfprechen fih. Es ift alfo fein Beweis vorhanden, daß auf 
der einen Seite an einer derfelben die Wahrheit fei. Die an: 
dere Schule bietet hingegen der Welt feit 18 Jahrhunderten 
das impofante Schaufpiel einer Menge mächtiger Geiſter, bie 
durch die wundervollſte Einigkeit des Glaubens und der Geſin⸗ 
nungen miteinander verbunden waren. Es gibt Teinen lutberis 
fehen oder caloiniftifchen Gelebrten, welcher genau wie Galvin 
oder Luther dächtes einen Schüler Kant's, ber ihn begriffs kei: 
nen Schüler Fichte's, der in deſſen Fußtapfen getreten wäre; 
und bort, wo ich mehre Köpfe in bie Feſſeln ein und beffetben 
Syſtems gefcymiebet fehe, kann ich nichts erbliden, was mir 
von einer Religion Kenntniß gäbe. Überall aber, wo Katholi- 
ten find, ift nicht ein Eingiger, der nicht durchaus tie der bei 
ige Petrus und ber heilige Paulus daͤchte, glaubte, betete und 
zu handeln fich beftrebte. (22?) &o find bie Karholilen von Ans 
fang gewefen, fo find fie noch, fo werben fie bis ans Ende 
ein.’ (111) 
. De überfeger fagt in feiner Vorrede: „Der Verf. hat dies 
fer Schrift einen großen Auffag über den moraliſchen und den 
politifhen Zuftand des beutigen Roms angehängt, worin ber 
Katholik eine meift auf Thatfachen gegründete Vertheidigung 
Roms in Beziehung auf eine Sache finden wird, die in ber 
neuern Zeit viel befprodden und von den Feinden der Kirche 
zum Gegenftand vieler Schmaͤhartikel gemacht worden if.” 
über Misbräucdge und Mängel in ber katholiſchen Kirche, 
über die ber Priefterfchaft und bes Moͤnchsweſens ſchweigt nas 
tuͤrlich Verfaſſer und Überfeger ganz und gar. Das ganze 
Werk ift eine Stimme des Katholicismus, eine Stimme bes 
Bekehrungsſtrebens, welches ſich jegt der Kirche bemaͤchtigt hat 
und fich überall kund gibt. Solchen Stimmen wie dieſen kann 
nun der Aufgeklaͤrte zwar Manches entgegenſtellen; er kann ſich 
ſogar manches Verdachte gegen ben Autor nicht erwehren; aber 
e8 mag doch Menfchen geben, welche fi durch das dunkle Ne 


beigebilde von religiöfen Empfindungen, Ausrufungszeichen, Ge⸗ 
beten und frommen Verdrehungen, buch folge, Werte mögen 
für den Katholicismus bearbeiten und zu einer libertretung bes 
reden laffen. Ihnen wuͤnſcht von Herzen Ref., daß fie an bem 
Altar der kathotifchen Kirche den Krieden und das Gluͤck finden 
mögen, das der Verf. gefunden zu haben behauptet. Fromme 
Lutheraner und fromme Reformirte können indeß ebenſo gut 
als die frommen Katholifen die der Heiligen Thereſia entlehnten 
Schlußworte des Werks mit Erbauung lefen und ausfprecden: 
„Wenn bu nichts thuft, als deine Mugen gen Himmel erheben, 


dich dabei an Gott erinnerend, fo darfft bu nicht fuͤrchten, daß 


er diefe Dandlung unbelohnt laſſe.“ Auch der fromme Luther 
raner unb ber fromme Reformirte kann freudig in den Ausruf 
einftimmen: „Gott fei Ehre!‘ 12. 


Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Neuigkeiten der franzöfifhen Literatur: 

Der Graf Wencesiaus Iablonoweli gab heraus: „La 
France et Ja Pologne, ou le slaviafisme et la dynastie 
polonaise." Nach ben Handſchriften der koͤniglichen Biblio⸗ 
thek gedruckt erſchien das „Diaire ou journal du chan- 
celier Seguier en Normandie” (1639 — 40). Auf bem 
geſchichtlichen Gebiete ift befonders ein Wert des Grafen 
Antonin de Ladevege zu nennen, welches unter dem Zitel 
„BRecherches sur l’histoire de France‘ erfdhienen ift unb 
von ber Invafion der Franken bis zum Regierungsantritte 
Ludwig XI. reiht. Mean rühmt daran das gründliche Stu 
dium, die Kraft und Zülle des Raiſonnements und eine viel: 
leiht nur zu weit getriebene Goncifion. Ferner erſchien von 
9. Zernaurs&ompans: „Notice historique sur la Guyane 
frangaise”, von ©. Bataille ‚Vie politique et religicuse de 
Thomas Becket, chancelier de Henri II., archereque de 
Canterbury‘, von Serre „„L’histoire politique de 1841”. Non 
Romey’s „Histoire d’Espagne’ erfhien der ſechste Banb, wel 
cher die wichtigen Ereigniffe von faft zwei Jahrhunderten, von 
Alfons’ VI. Zode bis zum Friedensvertrage von Caſtro⸗Nodvo 
umfaßt, unb von Vatout's, erften Eöniglichen Bibliothekar, 
Werke über die königlichen Refidenzen Frankreichs ( „‚Residences 
royales de France‘), der fünfte Band, weldyer die an inters 
effanten Momenten fo reiche Gefchichte des Palaſtes von Saints 
Cloud enthält. 


Des Srafen Aleris de Saint: Prieft Werk „Histoire de 
la royaute, cousideree dans ses origines’’ hat ſoeben eine zweite 
Auflage erlebt. Krangöfifche Blätter veröffentlichen einen Brief, 
weichen der jest regierende König von Preußen, unter bem Das 
tum des 22. Juni 1842 aus Sansfouci an ten Verf. gerich⸗ 
tet bat. Er lautet: „Herr Graf! Mit dem Intereffe, welchet 
Ihre gewichtigen Unterfuchungen anregen, babe ih Ihr Werk 
üser den Urfprung bes Königthums entgegengenommen. Es ge 
reiht mir zur Genugthuung, Ihnen mein lebhafte Wohlgefal⸗ 
len über die Uberfendung eines Werks zu bezeugen, weiches 
ebenfo anerfennungswerth ift wegen bee Erhabenheit ber Ge 
fühle, als wegen des Ausdrucks der Überzeugungen, bie es dic 
tirt haben. Zu einer Zeit, wo die Givilifution oftmals durch 
übertriebene fociale Doctrinen gefährdet war, ift es, mein ‚Herz, 
boppeit verbienftlih, daran zu erinnern, daß die monardhifchen 
Softitutionen, eine fruchtbare Quelle für bie Ordnung und Ge⸗ 
fegtbeit des Öffentlichen Geiftes, unter dem wohltbätigen Ein⸗ 
fluffe der Religion, alle jene Garantien bieten können, welche 
die Ausbreitung der geiftigen Aufklaͤrung und die freie Entwicke⸗ 
lung der menſchlichen Fähigkeiten in Anfprudy nehmen.‘ Auch 
ber König der Kranzofen bat genanntes Werk fo ſehr nach ſei⸗ 
nem Geſchmack gefunden, daß er eine große Zahl von Krems 
plaren feinen Privatbibliothefen einverleibt bat. 18. 


Berantwortliger Derauögeber: Heinrih Broddaus. — Drud und Berlag von 8. A. Broddans in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerstag,. 





Schweden unter Kari XIV. Johann. Bon F. Schmidt. 
Heideiberg, Winter. 1842. "Or. 8. 2 Zhlr. 

Der Verf. dieſes Buchs ſchildert darin die Zuſtaͤnde 
Schwedens von 1809 bis auf die gegenwärtige Zeit; er 
thut dar, daß auch diefes Land feit einem Vierteljahrhun⸗ 
dert raſch vorwärts gefchritten, daß Finanzen, Induſtrie, 
Handel, geiftige Erzeugniffe, militairifhe Organifation, 
öffentliche Arbeiten — Alles von der fortfchreitenden Ve: 
wegung, welche Schweden eingeprägt iſt, zeuge. Unter 
allen Staaten Europas ift Schweden allein von der ſchwe⸗ 
ren Laſt einer Staatsſchuld frei; die Steuern, welche die 
Nation zahle, find für die Bedürfniffe des Staats bes 
Rimmt oder werden für gemeinnügige Arbeiten verwendet. 
Die Eifenbergwerfe haben feit 1809 ihre Erzeugniffe ver 
doppelt; die Schiffahrt hat fi fehr erweitert. Schweden 
ruͤhmt fih ausgezeichneter Namen in der Wiffenfchaft und 
der [chönen Literatur. Der Goͤthakanal befördert den 
Handel, erleichtert und vervielfältigt die Communicationss 
mittel. Die Militaireinrihtung hat Weränderungen er: 
fahren, welche dem Ruhm des Oberbefehlshabers der Ars 
mee, des jegigen Königs, entfprehen. Der Verf. fagt 
in ber Vorrede: 

Unfere Arbeit wird darin beſtehen, ein unparteilfches Ge⸗ 
mätde von Schweden zu entwerfen, fowie wir es beobachtet 
haben, und als Anfangspunft wollen wir die Lage nehmen, in 
weicher es fih um 1 befand. Dann wollen wir die her⸗ 
Dorfpringenden Züge vom Charakter des ſchwediſchen Monarchen 
ju entwerfen ſuchen, feine Politit und den Gang feiner Regies 
zung , von dem Moment an, da er den Buß auf den Woben 
feines neuen Vaterlandes gefeht, bis zur jegigen Zeit. Hierbei 
werden wir Schritt vor Schritt der periodiſchen Preffe Deutfch: 
lands folgen, um tie Irrthuͤmer zu beridhtigen, welche man oft 
über den moraliſchen unb finanziellen Zuftand biefes Landes ver: 
breitet dat, das heutzutage uns mehr denn jemals intereffirt. 

As der Friede von Tilſit gefchloffen wurde, fagte 
Napoleon zum Kalfer von Rufland: „Nehmen Ste Finn» 
land, wenn es ihnen anfleht, mic gilt es gleich.” Zur 
Zeit der Zufammenfunft in Erfurt war jene Eroberung 
durch die ruffifchen Heere beinahe vollende. Es blieb 
fo faſt nichts mehr übrig, ale das alte Königreich 
Schweden aus ber Reihe der unabhängigen Staaten Eu: 
ropas zu flreihen. Man befprach die Frage wegen der 
Zhellung; die Grenzen waren feflgefegt; Rußland follte 
feine Herrſchaft bis zu den Gewaͤſſern von Wotala auss 


6. April 1843. 





dehnen; das ganze diefleitige Gebiet foute Dänemark ges 
hören. Haͤtte alfo Guftav Adolf's Regierung noch einige 
Monate gedauert, fo wäre Schweden wie Polen. von der 
Karte von Europa verfhmwunden. In diefen Umfländen 
rettete die Revolution vom 13. März 1809 das Land. 
Die Stände verfammelten fi und arbeiteten eine neue 
Conftitution aus, welche Karl XIII. beſchwor, worauf er 
sum König gewählt wurde. Die Urfachen, welche die 
Entfernung Guſtav IV. Adolf's herbeigeführt hatten, wer: 
ben vom Verf. ziemlich genau angegeben. Die Grundlage 
der alten Gonftitution, nämlich die Stellvertretung durch 
vier Stände, behielt man in der neuen bei. Wohlthätige 
Neuerungen waren eine gleichmäßigere Vertheilung ber 
Steuern unter alle Claſſen der Sefelifchaft und die Preßs 
freiheit. Da Kart XIII. ohne Nachkommen war, fo waͤhl⸗ 
ten die Stände den dänifchen Peinzen Chriflian Auguft 
zum Kronprinzen von Schweden, der als folcher den Nas 
men Karl Auguft annahm. Diefer Prinz fund bei dem 
ſchwediſchen Volk die Liebe, die ihm in den Gekirgen Norwe⸗ 
gend die Zadellofigkeit feiner Sitten und die Einfachheit 
feiner Manieren verfhafft hatten. An eine Vereinigung 
Rormegend mit Schweden wurde ſchon damals gedacht, 
ihre Möglichkeit wenigftens gehofft. 

Nicht lange nach feiner Ankunft in Schweden unter: 
nahm der Kronprinz Karl Auguft eine Reife nach Scho⸗ 
nen, fam in Delfindory an und reifte nad) Quidinges 
Haide, um ein Hufarenregiment zu muften. Dam't bes 
ftäftigt, fiel er plögkih vom Pferde; man fand ihn gleich 
bewußtlos auf der Erde liegen und innerhalb einer -hal: 
ben Stunde war er todt. Dies gefhah im Mai 1810. 
Profefforen der Medicin wurden von der Univerfität Rund 
geholt, um ben Leichnam des Prinzen zu öffnen; fie erklaͤr⸗ 
ten, er fii vom Schlage geftorben. Das Volk glaubte 
aber, er ſei vergiftet worden. Andere Ärzte wurden das 
ber von Stodholm gefandt, um eine neue Unterfuchung 
anzuftellen. Diefe Maßregel fleigerte nur den. Ber 
dacht des Volks zur völligen Gewißheit; der Reiches 
droſt Schwedens *), Graf Axel Ferſen, wurde als Urheber, 
Rofſi, Leibarzt des Prinzen, als Ausführer der Vergif⸗ 
tung angeſehen. Demzufolge ward Ferſen bei dem feier⸗ 


*) Der erge ber Reichöbeamten, ber bie Aufſicht über das 
anze Juſtizweſen in Schweden hatte, der höchfte an Rang und 
—2* zu damaliger Zeit. 


ihen Einzug der Leiche Karl Auguft's in Stodholm vom 
Volke umgebracht. Dem Leibarzt Roffi, der audy mit im 
Zuge war und dem man daſſelbe Schickſal zugedacht hatte, 
gelang es zu entkommen und nad Deutichland zu ent: 
fliehen. Nach der Ermordung des Grafen Ferſen fuchte 
das Volk feine Schwefter, die. Grafın Piper, die man 
aud für eine Mitſchuldige der geglaubten Vergiftung hielt, 
in ihrem Haufe; aber fie hatte ſich ſchon durch die Flucht 
aus der Hauptſtadt gerettet. 

Das hohe Alter des Königs machte die Wahl eines 

„neuen XThronfolgers nothwendig. Zu dem Ende traten 
die Reiheftände am 23. Zuli 1810 in der Stadt Orebro 
zufammen und wählten, nad reiflicher Überlegung, den 
franzöfifhen Marſchall Jean Baptifte Jules Bernadotte, 
Fürft von PontesGorvo, zum Kronpringen von Schweden. 
Zuerft wählte ihn der Bauernfiand und dann wählten 
ihn die übrigen Stände. Bernadotte nahm die Wahl 
an, verließ Frankreich, ging zuerſt nad Helfingör auf 
Seeland, wo er in Gegenwart des Erzbiſchofs von Upfala, 
von Rofenflein und einer Anzahl anderer dort verfammel: 
ter Schweden die evangelifchsiutherifche Neligion annahm, 
welches um fo leichter gefchehen konnte, da der Prinz vor: 
ber der reformirten Kirche angehörte. Darauf begab fich 
derfelbe nach Stodholm, wo ihm die. Stände als Kron⸗ 
prinzen huldigten. Der Verf. bemerkt S. 18—20: 

Der Fuͤrſt von Ponte⸗Corvo ſtand in feinem ſechtundvier⸗ 
zigſten Sabre, als er zum Thron berufen wurbe. Geine hohe 
Statur, feine Geiftesbilbung, feine Haltung, Alles am ihm kuͤn⸗ 
digte eine höhere Natur an; man bätte fagen mögen, er fei 
zum Befehlen geboren, fo fehr erwedte er Ehrfurcht, wenn er 
vor dem Volke fland. Da er mit einem vortheilhaften Äußern 
die feinen Gitten verband, welche den Reiz des gefelligen Lebens 
bedingen, fo war er zugleidh der Mann des Volks und der hör 
bern Elaſſen. 

Jedes Hinderniß verſchwand vor ber überzeugenden Macht 
feines Wortes. ein Takt in Staatsfachen glich feinem Scharf: 
biid auf dem Schlachtfelde. Aus ben außerordentlichen Ereig⸗ 
niffen feines Jahrhunderts und aus feiner eigenen Erfahrung 
hatte ex eine Kenntniß der Menfchen und Dinge gefchöpft, weiche 
wenige Fürften in fo hohem Grabe wie er befaßen. Im Kriege 
war er Hannibal und Fabius; er war einer jener Menfchen, 
* im entſcheidenden Augenblicke die Maſſen mit ſich fort⸗ 

en. 

In den eroberten Laͤndern linderte er, ſo viel er vermochte, 
die Leiden des Kriegs; ſein Betragen zu Palma Nova und die 
Erinnerungen, die er in Hanover zuruͤckgelaſſen hat, geben davon 
den Beweis. 

Der Stolz und die Unabhaͤngigkeit ſeines Charakters, das 
Bewußtſein feines Werthes hatten ihn allen Denen theuer ge: 
macht, welche dad Vaterland (Frankreich) dem Despotismus 
vorzogen; zugleich aber hatten fie ihm bie Ciferſucht Napoleon’s 
zugezogen, ber Jedem Haß ſchwur, welcher den Muth hatte, 
eine felbfländige Meinung und ein Schwert zu beren Vertheidi⸗ 

ung zu beſigen. Das war ber Fuͤrſt, den die Vorſehung für 
weden — und für Europa aufbehalten hatte. 


As Bernadotte feinem Kaifer von der ihm angebote: 
nen Candidatur ſprach, antroortete diefer: „Ich will an 
Ihrer Wahl keinen Antheil haben, aber fie hat meinen 
Beifall und ich wuͤnſche fie.” Doc war dies Napoleon’s 
wahre Sefinnung nit. Er fügte fid) jedoch darein und 
fagte zum Marſchall, als diefer ihm feine Adoption durch 
Kart XIII. und feine Wahl anzeigte, „daß ein vom Volke 


Ermwählter ſich nicht den Wahlen anderer Völker entgegen: 
fegen könne”. Unter der Maske von Gleichgüͤltigkeit, die 
er annahm, ließ er doch in der Art und Weife der Er⸗ 
klaͤrung, die er an bie fremden Gabinete richtete, und 
in den Briefen, die er an Karl XIII. und an feinen Ge 
ſchaͤftstraͤger in Stockholm ſchreiben ließ, feinen Ärger 
duchbliden. Da Napoleon aber die Wahl des Kürften 
von Ponte: Corvo nicht ohne Grund verweigern konnte, 
befonderd da er in ber Antwort auf die Mitcheilung 
Karl’s KU. fon fein Einverſtaͤndniß erflärt hatte, fo 
befchloß er, als Bedingung derfelben, bie vorläufige eidfiche 
Verpflihtung zu verlangen, daß der Kronprinz niemals 
die Waffen gegen Frankreich ergreifen wolle. Diefer hatte 
eine zu flolje Seele, um feine Größe um einen folchen 
Preis zu erfaufen. Er beharrte auf feine Weigerung, ei- 
nen foldyen Eid zu Leiften, und. begründete fie fo gut, daß 
ed ihm gelang, das von Napoleon ‚gegen ihn gemährte 
Mistrauen zu entfernen und fo das letzte Dinderniß zu 
befeitigen, welches ſich feiner Reife entgegenftellte. 

Sobald der Kronprinz (am 2. Nov. 1810) in Etod» 
bolm angelangt war, erfannte man den Gang der ſchwe⸗ 
diſchen Regierung nicht mehr. Bis jegt unentſchloſſen und 
zaghaft bei jeder von Paris ihre zulommenden Depeſche, 
faßte fie von nun an neues Zutrauen zu fi ſelbſt. 
Überall, wo der Kronprinz ſich zeigte, in der Dauptftadt 
oder in den Provinzen, ſah er fi von Huldigungen um: 
geben. Er feinerfeite gab’ fi) von nun an ganz den rs 
terefien feines Volks bin; er bemühte fi den mahren 
Zuftand und die Bedürfniffe deffelben kennen zu Iernen, 
fowie den Geiſt, der die Bewohner beliebte. Seine Bes 
obachtungen führten ihn zu der Überzeugung, daß Schwe⸗ 
den nicht beftehen koͤnne ohne den Austauſch der Erzeng⸗ 
nifje feines Bodens gegen andere Beduͤrfniſſe, wie Salz, 
Setreide, Wein u. f. w., und daf das Syſtem, welches 
ihm bei dem Frieden von Paris aufgedrungen worden, 
es in die Laͤnge zu Grunde richten würde. 

Wiewol Schweden das Continentalfuftem foweit moͤg⸗ 
(ih beobachtete, um den noch Übrigen Handel de6 Landes 
nicht ganz vernichtet zu hen, fo wurden doc; Mapoleon’s 
Unfoderungen immer unerträgliher. Er verlangte entwe⸗ 
der das Abbrechen aller Verhaͤltniſſe mit Frankreich ober 
eine förmliche Kriegserkiärung gegen England. Vergebens 
bemühte fi der Kronprinz dem Kaifer Napoleon die Bes 
fahe vorzuftellen, worin ein Krieg mit England ſtuͤrzen 
würde. Die verlangte Kriegserklaͤrung erfolgte und der 
Kronprinz gab Napoleon die Verfiherung, daß die ſchwe⸗ 
difhe Regierung mit der gefoderten Beſchlagnahme aller 
engliihen Waaren fo ftrenge fortfahren würde, als es in 
des Könige Gewalt ſtaͤnde. Kurz nachher verlangte ber 
Kaifer 2000 Mateofen von Schweden zur Bemannung 
der frangöftichen Flotte von Breſt. Diele Koderung wurde 
aber von der ſchwediſchen Regierung abgefchlagen. Dars 
nah ſchlug Napoleon eine nordifhe Bereinigung zwiſchen 
Schweden, Dänemark und dem Großherzogthum War: 
(hau vor, die, wie der Rheinbund, unter feinem Schutze 
fiehen, und daB franzöfiihe Douanen in Gothenburg aufs 
genammen und auf fchwedifhe Koften unterhalten werden 


ſollten; auch dies wurde abgetehnt. Hieruͤber wurde der 
franzöfifye Geſandte in Stodholm (Manier) fehr empoͤrt 
und erffärte, daß die fchwedifhe Regierung ihre Abſicht 
Mar an den Tag legte, ih vom Gontinentaffgftem unab: 
bänyig zu machen. Als man damuf fragte, welchen Er: 
fag Schweden für die Aufopferungen, die von ihm gefo⸗ 
dert wurden, erwarten koͤnnte, errolderte der Gefandte: 
„der Kaifer verlange erſt Thaten, die feinem Syſtem ent: 
ſprechen; dann erſt wäre es möglidy, die Frage zu ftellen, 
was der Kaiſer wol zum Bellen Schwedens zu thun 
beliebte.” Unterdeffen nahmen franzöfifche Kaper ae ſchwe⸗ 
difche Schiffe, die fie fanden, weg, bis man fie mit Ge: 
walt von den ſchwediſchen Küften fortiagte. Dies war die 
Lage Schwedens im März 1811. Der Verf. fagt: 

Kart XIII. war ſchon ſchwach durch Alter und Kraͤnklich⸗ 
keit, als er feinem Neffen in der Regierung folgte. Der Tod 
Karl Augufl’s, für weichen er eine zaͤrtliche Zuneigung gehegt 
hatte, bie Drohungen und bie Leidenſchaftlichkeit, mit welchen 
Frankreich das Vertrauen vergalt, das er ihm bewiefen, ver: 
ſchlimmerten nod feinen Zuftand. Der Antheit endlich, ben er 
en ber Verwaltung ber Staatsgefhäfte nahm, fo unbebeutend 
ex auch fein mochte, druͤckte ihn vollends nieder. Man fah ein, 
daß ihm völlige Ruhe nothwendig fei und den 17. März wurde 
die Gewalt feierlich dem Kronprinzen übertragen. 

Diefe vorläufige Regierung des Kronprinzen dauerte 
bis zum Januar 1812. Bei feiner Übernahme derfelben 
drohte das Ungemwitter von allen Seiten loszubrechen. Das 
Bertheidigungsfpfiem mußte ganz umgeflaltet werben; dies 
war bed Regenten erſte Sorge. Schon feit 1809 dachte 
die Regierung daran, eine Confeription in Schweden ein: 
zuführen, welches jedoch damals nicht ausführbar war, 
Denn die Bauern, deren Söhne im finnifchen Striege bei 
ber Landwehr gedient hatten und oft fo unvernünftig und 
zwecklos aufgeopfert waren, widerſetzten fich dieſer Maßte⸗ 
gel durchaus. Da wurde die Reſerve aufgeboten; doch 
ſollten von 50,000 Mann, welche ſie im Fall der Noth 
ausmachen ſollten, vorlaͤufig nur 15,000 Mann ſogleich 
in die Regimenter eintreten, die uͤbrigen nur im Fall drin⸗ 
gender Noth unter die Fahnen gerufen werden. Die 
Bauern glaubten aber doch, man habe die Abſicht, die 
Landwehr wiederherzuſtellen. Geheime Emiſſaire in den 
Provinzen beſtaͤrkten dieſe Meinung. Vom Maͤlarſee bis 
an den Sund wurde das Volk aufgeregt. Die Bauern 
von Schonen, die vom Adel, der ſie Sklaven nannte, am 
meiſten gedruͤckt waren *), brachen in offene Empörung 
aus. Der Statthalter dieſer Landſchaft, General Tott, 
daͤmpfte dieſelbe mit der Gewalt der Waffen. In den 
noͤrdlichern Landfchaften gelang es dem Kronprinzen, die 
Unzufriedenheit auf friedlihem Wege durch feine Beredt⸗ 
ſamkeit zu ſtillen. Darauf wurden die Zuruftungen zur 
nöthigen Landesvertheidigung ohne Murten ausgeführt, 
Im Auguft 1811 zählte das Landheer 16,000 Streiter 
and die Slotte 15,000 Matrofen. Diefe außerordentlicyen 
Anftrengungen Schwedens bei dem damaligen Zuftand ſei⸗ 
ner Finanzen flößte den Miniftern des Kaifers der Scans 


*) Gchonen war ehemals eine bänifche Provinz und bie 
Bauern waren eibeigene, bis biefe Provinz 1660 unter ſchwedi⸗ 
ſche Botmaͤßigkeit kam. 





2 


zoſen Argwohn ein; Napoleon ſelbſt aber ſprach davon 
mit einer gewiſſen Zuruͤckhaltung. Mit nicht geringerer 
Thaͤtigkeit betrieb man die an den Kuͤſten und an den 
Seftungen auszuführenden Arbeiten. 

Die Unzufriedenheit über Napoleon’s Üsermuth und’ 
despotiſche Unternehmungen hatte jest bei den meiften 
von den Stanzofen umterjochten Völkern ihre Höhe erreicht. 
Ein großer Krieg drohte noch auszubrehen. Da au 
Schweden nichts Gutes von Frankreich zu erwarten hatte, 
[0 begann auch die Regierung an Buͤndniſſe mit andern 
Staaten zu denken. Demnady wurde im Aprit 1812 ein 
Bund mit Rußland gefchloffen, welcher im Monat Auguft 
deffelden Jahres bei einer Zuſammenkunft des Kronprinzen _ 
von Schweden mit dem Kaifer Alerander von Rußland 
zu #0 in Finnland beftätige wurde. Es lag Rußland 
damals viel daran, Schweden, das es fo kurz vorher Zinn: 
land geraubt hatte, für fich zu gewinnen. Kaum mar 
der jetzige König von Schweden in Abo angefommen, als 
ihn der Kaiſer von Rußland zuerſt befuchte. Diefer gab 
ihm die Verſicherung, daß Norwegen mit Schweden ver: 
einige werden follte, und verfprach dazu beizutragen durch 
ein Heer von 35,000 Mann, welches unter den Befehl 
des Kronpringen geflellt werden follte, um zur Eroberung 
Norwegens beizutragen, bevor die ſchwediſche Kriegsmacht 
nach Deutſchland ging, um die Franzoſen aus dieſem Lande 
verjagen zu helfen. Unter ſolchen Umſtaͤnden wurde Schwe- 
den ein Bundesgenoſſe Rußlande. Um dieſe Zeit ſchien 
auch Napoleon geneigt, ſich mit Schweden zu verbuͤnden, 
und er gab fcheinbar die Hoffnung, Frankreich würde aus 
allen Kräften zur Miedereroberung Finnlands beitragen. 
Der Verf. fügt: 

Der Kronprinz beſtrebte fi) in biefen ſchwierigen 3eiten 
das Bolt über feine wahren Intereffen aufzuflären und ihm 
anzudeuten, von woher eigentlich bie Gefahr brohe. Da bradhte 
auf einmal der Einfall ber Franzoſen in Pommern allen Zwei⸗ 
fel zum Schweigen und oͤffnete der Nation bie Augen. 

Vorwand und Grund diefes Einfalls war, daß Schwe⸗ 
den das Continentalfpftem nicht fireng genug beobachtete, 
fondern mit England Handel tried, feine Waaten ing 
Reich eingehen Ließ und fie nicht verbrannte. 


Schon feit dem Herbſte 1811 hatte Davouft, der im 
Norden von Deutfchland befehligte, erklaͤrt, fobald das 
Meer mit Eis bedeckt fei, werde er ein Armeecorpe in 
die ſchwediſchen Befigungen am baltifhen Meere rüden 
lafien. Am 7. Zan. 1812 hatte der Kronprinz die Regie: 
tung wieder an Karl XI. übergeben. Kurz darauf er- 
fuhe man, daß General Friand mit 20,000 Mann und 
einer Menge Zoübeamten in Pommern und di Inſel 
Rügen eingedrungen ſei. Die Regierung war auf Dies 
fen Angriff vorbereitet. Darauf fchrieb der Kronprinz an 
Napoleon: 

Diefe Beſchimpfung, die Schweben obne allen Grund an: 
gethan ift, wird lebhaft vom Wolke gefühlt, befonders aber, 
Sire, von mir, dem die Ehre obliegt, es zu vertheibigen. Wenn 
id zu den Triumphen Frankreichs beigetragen, wenn ih immer 
gewuͤnſcht Habe, es geehrt und gluͤcklich zu fehen, fo konnte mir 
body nie in den Sinn kommen, bie Intereffen, bie Ehre und bie 
unabhängigteit des Landes zu opfern, bas mich zu feinem Sehne 

ven. 





Die Wirkung, welche der Ginfall, über den ich Beſchwerde 
führe, auf das Volt hervorbrachte, kann unberechenbare Jolgen 
haben, und obſchon ich nicht Goriolan bin, obſchon ich nicht 
Bolster zu befehligen habe, fo habe ich doch von den Schweden 
eine fo gute Meinung, daß ich fie für fähig halte, Alles zu war 
gen, Alles zu unternehmen, um Beſchlwpfungen zu rächen, bie 
fie nicht herbeigerufen haben, und um Rechte zu vertheidigen, 
an denen fie ebenfo fefthalten wie an ihrem Dafein. 

Darauf wurde das Buͤndniß mit Rußland und Friede 
mit England gefchloffen. Norwegen war Schweden zu: 
gefihert. Die Folge des Tractats war eine Drbonnanz 
Rarl’d XI. vom 29. Jull, derzufolge die ſchwediſchen 
Häfen den Schiffen aller Nationen zur Aus: und Eins 
fahr fremder und einheimifcher Producte offen ftehen fol: 
ten. Napoleon wandte jegt mehre Mittel an, um ben 
Kronprinzen wieder für fi) zu gewinnen. Die Kronprin: 
zeffin, jetzige Königin von Schweden, eine Schwaͤgerin 
von Napoleon's Bruder Joſeph, lebte damals in Paris, 
Der Kaifer bewog fie, an ihren Gemahl einen Brief zu 
fchreiben, in weichem Finnland als Preis eine6 Buͤndniſ⸗ 
ſes zwiſchen Schweden und Frankreich ausgeſetzt wurde. 
Zu gleicher Zeit hatte Oſtreich ein Buͤndniß mit Frank⸗ 
reich gegen Rußland geſchloſſen. Der Fuͤrſt von Schwar⸗ 
zenderg ſchrieb an den Graſen von Neipperg, damaligen 
oͤſtreichiſchen Geſandten in Schweden: 

Benutzen Sie den Credit, den Sie in Schweden genießen, 
um dieſe Regierung in unſer Intereſſe zu ziehen; ſtellen Sie 
die Wiedererlangung Finnlands für die nahe Zukunft in Aus: 
ſicht; dies ift ein Reizmittel für das Volk, welches diefem 
Keieg in den Augen der Schweden einen aanz befondern Char 
rakter geben muß. 

Diefe Verfuche waren jedoch umfonft; die ſchwedi⸗ 
ſche Regierung hatte ihren Entſchluß gefaßt. Aber dies 
felbe bedurfte Geld und Mannfcaft. Beides bemilligte 
der auf den 13. April 1812 zu Drebro zufammenberufene 
Reichstag. Das Gefeg ging da duch, daß jedem Bür: 
ger von 20—25 Jahren die Pflicht obliegen ſollte, zur 
Bertheidigung des Vaterlands mitzuwirken. Auch wurde 
ein Gefeg von den Ständen genehmigt, welches dem Sof: 
kanzler die Gewalt verlieh, die Herausgabe einer periodis 
ſchen Schrift, welche der Regierung zumider wäre, zu vers 
bieten. Die Stände bewiefen nicht geringe Feſtigkeit, ins 
dem fie die Bezahlung der Gapitalien und Binfen zurück— 
hielten, welche Schweden an foldye Länder ſchuldete, die 
mit Frankreich vereinigt waren, und Dies für fo lange 
verordneten, bi8 Schweden für die Verlufte entfchäbdigt 
waͤre, melde jene Macht ihm verurſacht hatte. Nach 
Beendigung biefes Reichstags war es, wo der Kronprinz 
am 27. Aug. eine Zufammentunft mit dem Kaifer Ale: 
zander zu Abo hatte. Mit England wurde ein Subfi: 
dientractat gefchloffen. 0 

(Die Fortſervng folgt.) 
———— — — 
Nordamerikaniſche Miscellen. 

(Auszüge aus ben oͤffentlichen Blättern der Vereinigten Staaten 
vom Sabre 1842.) 

Um die nämliche Bett, wo ſich dad große Erdbeben auf 
der Inſel Haiti zutrug, nahm man auch in Florida einige ge: 
uinde Groflöße wahr. Der Sumaneefluß, fowie alle andere 


Kiäffe und Teiche in den dortigen Gowmties Alachua und Hamil⸗ 
ton fliegen piöglich drei Buß empor, fielen jedoch nach einigen 
Minuten wieder bis zu ihrer gewöhnlichen Ziefe. Capitain 
Zuder von Brefton lag mit der Brigg Dirigo am 7. Mai auf 
dev Rhede von Gap Haitien vor Anker und war Augenzeuge, 
wie die Stadt zufammenftürgte und theilmeife dom Meere vers 
ſchlungen wurde. Nur Theile von einigen einzelnen Häufern 
find fleben geblieben. Ale Regierungsbeamten kamen um. Gin 
norwegiſcher Schiffscapitain, der ſich gerade am Lande befand, 
büßte ebenfalls fein Reben ein. Cine Zeitung aus Neuorleans 
meldet, daß am 7. Mai, mithin an demfelben Tage, wo bie 
meiften Gtäbte auf &.: Domingo durch ein heftiges Erdbeben 
zerflört und in Ruinen verwanbelt wurden, ein Erdbeben zu 
Mayaguez in Luifiana, zu Wan Buren im Gtaate Arlanfas 
und am Fuße der Selfengebirge bemerft worden ift, fodaß fid 
daffeibe auf mehr als 1500 engliſche Meilen erftredt haben muß. 

Die große Wafferieitung, bie beftimmt ift, die Stadt 
Neuyork mit vortrefflihem Trinkwaſſer in Überfiuß zu verfeben; 
woran es bisher derfelben mangelte — ein wahres Riefenwert 
in feiner Art — ift in biefem Sabre vollendet worden. Der 
4. Juli war als der Tag feftgefest worden, wo dad Waſſer 
vom großen Damm über den Crotonfluß in bie Röhren gelaf: 
fen und durch die ganze große Stadt vertheilt werben follte. 
Die Röhren, durch welche das Waſſer ıäuft, ‚find von Eiſen 
und halten britthalb Fuß im Durchmeſſer. Sie befiehen aus 
Gtüden von neun Fuß Länge, wovon jebeö 110 Dollars koſtet. 
Die Wafferleitung von dem Damm bis zur Stadt ift 32 eng: 
liſche Meilen lang und läuft durch einen von Backſteinen erbau: 
ten, gemwölbten und inwendig mit roͤmiſchem Mörtel verfehenen 
Bogengang. Die Führung dieſer Waſſerleitung über den Har⸗ 
temfluß, etwa neun englifche Weiten entfernt von Nenyork, bat 
allein eine Ausgabe von einer Million Dollars erfodert und bie 
Koften des ganzen Werks belaufen ſich auf mehr ale zwölf Mil 
tionen Dollars. An vielen Stellen ift die Wafferleitung durch 
Berge und Felſen geführt und das Ganze ift eine der größten 
Unternehmungen, die wol je in ber neuern Zeit vom einer eins 
zeinen Stadt in Ausführung gebracht worden ik. Das Wafler, 
weiches durch diefe Wafferleitung der Stadt Neuyort zugeführt 
wird, wird fehe gerühmt und fol beffer fein als das Schuyl⸗ 
killwaſſer in Philadelphia. 


Durch die neue, zwiſchen Bofton und. Buffalo angelegte und 
in diefem Sabre vollendete große Eiſenbahnſtraße ift num 
mehr auch eine Eifenbahnverbindung der Staaten von Neueng⸗ 
(and mit dem Griefee bewerkſtelligt worden. Zur Feier diefer 
Begebenheit fand im Monat März ein fröhliches Feſt zu Spring» 
fietd ftatt, wohin fich der Gouverneur. des Staats Reuyork ia 
Begleitung der vornehmften öffentlichen Beamten und der Mid 
glieder der Legistatur auf der Eifenbahn begeben hatte, um 
mit dem Gouverneur und den Behörden des Staats Maffachufetts 
zufammenzutreffen. 


Ein SPfantagenbefiger in ber Nähe von Neuorleans hat 
neulih 80 Sklaven in Freibeit gefegt, nachdem er ihnen zuvor 
in Auem, was zur Eultur tes Zuderrohre und der Gewinnung 
des Zuckers gehört, Unterweifung hatte ertheiten laffen. Sie 
haben ſich ſaͤmmtlich an die amerifanifche Golonifationsgefeltfchaft 
gewendet und werben nädftene nad Liberia in Afrika auss 
wandern. 





— — — 


Sn der Kathedralkirche des heiligen Patrick zu Neuorleans 
wird naͤchſtens bie größte Orgel in den Vereinigten Staaten 
erbaut werden. "Die Anfertigung derfelben ift Hrn. Heinrich Er⸗ 
ben in Neuyork übertragen. Sie wird 35 Fuß hoch fein, 2000 
Pfeifen, 37 Regifter und 4 Claviaturen enthalten und 10,000 
Dollars koſten. Das Äußere wird im gothifden Stile aus⸗ 
geführt. 33, 


Berantwortlier Herausgeber. Heinrich Brodhaub. — Druck und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Freitag, 


— Nr. 97. — 


7. April 1843. 





Schweden unter Karl XIV. Johann. 
(Bortſezung aus Nr. 96.) 

Nachdem Napoleon's Heer auf dem Ruͤckweg von 
Moskau durch Hunger und Kaͤlte großentheils zu Grunde 
gerichtet war, ſtand in Deutſchland zuerſt Preußen gegen 
Frankreichs Herrſcher auf. Als die Ruſſen an der untern 
Elbe erſchienen, raͤumten die wenigen Franzoſen, die in 
Pommern Winterquartiere bezogen hatten, dieſe Provinz 
im März, ſodaß die erfte Abtheilung der ſchwediſchen Ars 
mer, befehligt vom Generals Sandels, ftatt der Feinde, nur 
Einwohner fand, die fie mit Jubel begrüßten. Die Re: 
gimenter kamen nadeinander an. Etwa 4500 Pferde 
und 27 — 28,000 Mann Zußvolf bildeten die Armee. 
An der Spige der verfchiedenen Corps flanden Generale, 
Die fi in dem finnifdyen Krieg ausgezeichnet hatten, wie 
Sandels, Döbeln, Begefüd. Da der Kronprinz Oberbes 
fehlohaber der ganzen Nordarmee war, fo wurde der Be: 
fehl über die ſchwediſche dem Marfchall Stedingk anver: 
traut. Das Heer war von einem guten Geiſte befeelt. 
Der Kronprinz erwartete, bei feiner Ankunft in Deutfch: 
land, die preußifchen und ruffifhen Divifionen, worin er 
fih aber getäufche fand; fie waren nur erſt auf dem 
Papier vorhanden. Dies erfüllte fein Gemüch mit Kälte 
und Mistrauen. Er ſah nichts als Unglüd für Deutſch⸗ 
land voraus, wenn die Tractate nicht erfüllt würden, und 
der Sieg der verbündeten Fürften fchien ihm davon abzu: 
hängen, daß fie alle ihre vereinten Kräfte in Bewegung 
festen. Diefe Übereinflimmung, dieſes Zuſammenwirken 
fehlte noh. Darum fchrieb ee am 11. Juni einen drin⸗ 
genden Brief an den Kaifer Alexander, welcher die Zuſam⸗ 
mentunft der Monarchen und des Kronpeinzen bewirkte, 
die einen Monat fpäter zu Trachenberg in Schleſien flatt: 
fand. Es ging daraus eine Einigkeit der Anfichten und 
der Operationen hervor, welche den Erfolg ſicherte. Dil: 
zeih entfchied fih nun auch für die Sache der Allüicten. 


Der Kronprinz war die Seele der Berathungen, worin" 


die Lebensfragen befprochen und gelöft wurden. Ihm ver: 
dankte man den Plan zum Feldzuge, der darin beftand, 
die drei großen Armeen gegen die Fronte und die Flanken 
Napoleon's operiren zu laffen, um feine Stellung zu 
überflügein. Hierauf reifte der Kronprinz in fein Haupt⸗ 
quartier ab. Kaum mar er dort angelommen, als er eis 
nen Beſuch von Moreau erhielt. Die Unterredung, die 


fie miteinander hatten, wirft vieles Licht auf jene merk⸗ 
würdige Zeit und befonders auf die perfönliche Stellung 
bed Kronprinzen. 

Die Keindfeligkeiten begannen von neuem und bie 
Nordarmee zeichnete fi) an jenen ruhmvollen Tagen aus: 
die bei Groß⸗Beeren und Dennewig vetteten nicht nur 
Preußens Hauptſtadt, fondern bereiteten auch den Sieg 
vor, ben fpäter die verbündeten Heere auf den Feldern 
Leipzigs erfochten. Mach jener entfcheldenden Schlacht 
wandte fich die Morbarmee nach der untern Eibe, in ber 
Abiihe, Hanover, Braunfhweig und Weftfalen zu bes 
freien und Holland zur Unabhängigkeit aufzurufen. 
Aber mit diefem Zug hatte der Kronprinz zugleich den 
Zwed, ſchnell mit Dänemark zu Ende zu fommen. An 
dee Spitze der fchwedifhen Armee und einiger Divifionen 
ber DBerbündeten, zufammen ungefähr 60,000 Dann, 
ging er den 24. Nov. bei VBoigenburg über die Elbe. 
Davouft, der bisher eine feſte Stellung an der Stedinig 
innegehabt, verließ fie plöglich bei der Nachricht vom Ans 
rüden des Kronprinzen und fchloß fih in Hamburg ein, 
weiches er ſtark befeftige huttee Die 10 — 12,000 Däs 
nen, die unter feinem Befehl geftanden, uͤberließ er ihrem 
Schickſal. Diefe Trennung machte faft alten Widerſtand 
von Seiten der Einwohner Holfteins unmdglih. Das 
offenftehende Land wurde von den Truppen des Kronprins 
zen befegt. Sie belagerten Friedrichsort und Gluͤckſtadt, 
während Tettenborn ſich der Städte Hufum, Friedriches 
ſtadt und Toͤnningen bemaͤchtigte. Die Gefahr hatte den 
König von Dänemark auf den Kriegsfchauplag geführt. 
15,000 Mann Dänen waren von den Inſeln herbeigeeilt. 
Man erwartete eine Schlacht, von deren Ausgang das 
Schickſal Norwegens und vielleicht das der ganzen Monars 
hie abhing, als Friedrich VI. ſich entſchloß, Unterhandlun⸗ 
gen anzufnüpfen. Sie führten den 15. Dec, einen viers 
zehntägigen Waffenftilftand herbei, der dann bis zum 
5. Jan. verfängert wurde. Während diefer Zeit bemühte 
fi) Dänemark, Oſtreich zu vermögen, daß es zu feinen 
Gunſten einfchreite; aber alle Verfuche ſcheiterten an dem 
feften Willen Aterander’6 und Englands, die Verpflichtuns 
gen gegen den Kronprinzen zu erfüllen. Nun ergab fich ber 
König von Dänemark in den einzigen Ausweg, ber ihm 
übrig blieb: er unterzeichnete am 14. San. den Friedens: 
ſchluß von Kiel, der die Bereinigung Norwegens mit 


Schweden feftfepte. Dagegen trat Schweden Pommern 
und Rügen an Dänemark ab. Darauf lehrte der Kron: 
prinz zu ben -Verbündeten zuruͤckk. Diefer war ihnen 
nothwendiger geworden wie je, denn die Wendung, welche 
die Dinge genommen, mar nicht geeignet, fie über den 
Ausgang des Feldzugs zu beruhigen. Am 16. Februar 
erließ der Kronprinz aus Köln eine Proclamation an die 
Franzoſen, worin er ihnen erklärte, daß man weder ihr 
Gebiet noch ihre Freiheit beeinträchtigen wollte, und daß 
man nur über den Rhein gegangen fei, um einen Despo: 
tismus zu bekämpfen, der die Throne erfchüttert und die 
Unabhängkeit der Völker zerftört Habe. Darauf zog er 
mit feinen Truppen nad den Miederlanden. 
Da der dänifhe Prinz Friedrich, als Statthalter von 
Norwegen, die Einwohner diefes Landes zu einem: Krieg 


gegen Schweden aufgereizt hatte, fo war es genöthigt Ges 


walt zu gebrauden, um den Tractat von Kiel geltend 
zu machen. Doch mar der Krieg von feiner Dauer. 
Die Norweger erkannten Karl XII. für ihren König und 
er beftätigte ihre neue Gonftitution, die freielte in Europa. 
Die nähern Umflände diefer Bereinigung Norwegens mit 
Schweden erzählt unfer Verf. ziemlich umſtaͤndlich. Da 
e6 nothwendig war, die Grundgefege mit der neuen Lage 
der ſtandinaviſchen Halbinſel in Übereinftiimmung zu brin⸗ 
gen, fo ward auf den 25. Febr. 1815 ein Reichstag nad 
Stodholm berufen. Die Abgeordneten druͤckten dem Kron⸗ 
yeinzen in rührenden Worten ihre Dankbarkeit aus für 
feinen Eifer um die öffentlihe Sache und erneiterten die 
Verſicherung ihrer Treue bei Gelegenheit einiger Complotte, 
die fich eben anzufpianen begannen. Auf dieſem Reiche: 
tage zeigten ſich jedoch die erften Spuren ‚einer ernfihaften 
Oppoſition. Die frühern Reichstage, feit der Ankunft des 
Kronprinzen, waren durch feine Oppofition bemerklich ges 
weien, man müßte denn diefen Namen einer Minderzahl 
der Adelskammer beilegen, die auf dem Meichstage von 
1809 die entthronte Familie vertrat umd deren Wortfuͤh⸗ 
ee meiftens vormalige Diener Guflav’s II. waren. Aber 
jene Oppofition verfhwand wie ein Schatten. Während 
des Reichstags 1810 ließen die noch blutenden Wunden 
dee Nation, das Schwert des Eroberers, das immer über 
ihrem Haupte ſchwebte, Leine andere Sorge auflommen, 
ats die für die eigene Erhaltung. Im J. 1812 wer 
der Kronprinz bei dem Volle fo in Gunft, daß keine 
Oppoſition ſich laut auszufprechen wagte. Aber in dem 
Augenblide, als fein und der Verbündeten Schwert die 
Unabhängigkeit Deutfchlande von der Fremdherrſchaft und 
die Intereſſen Schwedens gefichert hatte, da trat erſt eine 
wirktiche Oppofition in Schweden auf, an deren Spitze 
der PDropft von Sala in Weſtmanland, Graf Bogislaus 
Schwerin, fi ſtellte. Frei von perſoͤnlichem Intereſſe, 
beobachtete er in den Berathungen der Adelskammer, in 
weichen ſich die ganze Gewalt feiner lbergengung und feis 
8 Talente geltend machte, jedoch fortwaͤhrend große 


bigung. 

Das ſchwediſche Finanzweſen bedurfte der Verbeſſe⸗ 
sung. Das Ausgeben einer ungeheuen Maſſe von Bank⸗ 
yetteln (e8 waren davon für einen Werth von. 30 Mit 


. befonders Schweden. 


lionen im Umlauf), das Verſchwinden des baaren Beides, 
das Schwanken des Wechſelcurſes, der Lupus, welcher um: 
ter dem Volle neue Bedhrfniffe eingeführt, die mit der 
gewohnten Einfachheit der Sitten in Widerfpruch fanden, 
der nad großem Maßſtab betriebene Schleichhandel, die 
Entfittlihung, die davon eine Folge war: dies Alles 
waren mächtige Elemente, um das Land in Unruhe zu 
verfegen und Die Regierung in Verlegenheit zu bringen. 
Der Friede felbft enthielt Keime der Aufregung. Der 
plögtiche Übergang von einem krampfhaften Zuftand in 
einen ruhigen verurfacht in den Intereſſen der Wölker 
eine Erfhütterung. Dies begegnete damals Europa und 
Durch Wiedereröffnung der fruͤhern 
Handelswege hatten die Ereigniffe des Krieges von 1813 
und des allgemeinen Friedens von 1814 ihm die MWors 
theile entzogen, welche die neuen durch den Kronprinzen 
vermittelten Verhältniffe zu England und Rußland ges 
währten. Die ſchwediſche Regierung theilte gleiches Loos 
mit allen Regierungen, denen man den Schaden zuſchreibt, 
welchen die Verhaͤltniſſe hervorgebracht. Sie mußte den 
Vorwurf erdulden, als fei fie allein Schuld an den Bers 
legenheiten, welche durch die politifchen Beränderungen, 
durch die Unerfahrenheit der ſchwediſchen Kaufleute und 
die Zerrüttung des Staatsſchatzes der vorigen Regierung 
erzegt worden waren. Daher entflanden lebhafte Eitreitigs 
keiten zwilhen den Miniftern und der Oppoſitionspartei. 
Ohne Haß zu erregen, verbreiteten fie Mare Anfichten 
und: veranlaßten die Bildung eines Ständeausfchuffes, bri 
weichem Graf Schwerin den Borfig führte und der die 
Aufgabe batte, die Urſache der damaligen Verlegenheiten 
zu erforfchen und Mittel Dagegen anzugeben. Man fuchte 
den Luxus einzufchränfen und der Induſtrie aufpubelfen 
duch Anuahme eines Verbotſyſtems. 

‚Beinahe zu bderfelben Zeit Lehrte Napoleon von ber 
Inſel Elba zuruͤck und der Congreß zu Wien loͤſte ſich 
auf. Es bildete fi) eine neue Coalition gegen Frank: 
reich, und Napoleon wurde von Europas Fuͤrſten für ge 
aͤchtet erfidet. Die Ereigniffe waren fo ſchnell aufeinans 
der gefolgt, daß der Graf Karl Loͤwenhielm, fchrwedifcher 
Minifter zu Wien, eine Inſtructionen erbalten konnte 
über das Verhalten, das er bei diefen bedenklichen 1m: 
ſtaͤnden zu beobachten habe. Schweden hatte nichts mehr 
mit Frankreich zu thun, noch mit dem Beherrſcher, den 
das franzöfifche Volk ſich geben wollte. Karl XII. en 
Krärte baher dem —— 

achdem eden das Seinige gethan, di 
über ben Rhein gu werfen unb alle er ideungen ef da 
bie ihm die Tractate mit den Werbünbeten auflegten, fo fei e# 
eu — —— mentale zu beobachten, und eine 

€ onnen, ſich in die i 
——iſ — ch in die innern Angelegenheiten 
Die Beweggründe für dieſe Stellung Schwebens niit 
tem in —S Aufregung ſpricht der Rrompring 
n einem an den ſchwediſchen Miniſter in Wien 
Graf Karl Löwenhielm; re " 

Seit Kari XII. Hatte die auslaͤndiſche Schuld, welche 
die Einkünfte des Staats verſchlang, die Erleichterung 
dee Öffentlichen Laften gehindert. Cie beiief ſich auf um 


gefähr 12,000,000 Speeiesthaler, ober hamburger Ba.ıco, 
Bor Allem lag 
es dem Kronprinzen daran, das Reich von dieſer Laft zu 
Hülfsquellen 
ihm nicht erlaubte, von dem Lande ſelbſt Mittel zur Til⸗ 
gung zu verlangen, fo ergriff er die, roelche die Umſtaͤnde 


welche 600,000 Thaler Zinfen trugen. 


befreien. Da aber die Erſchoͤpfung der 


ihm Ddarboten, und befreite Schweden von feiner Schuld 
an das Ausland, England hatte dem Rronprinzen Guas 
deiompe zur Entſchaͤdigung für feine Dotationen abge: 
treten, aber noch im Befiß behalten. Diefer erklärte 
dem Lord Caſtlereagh, er wolle, wenn Frankreich ver⸗ 
pflichtet wuͤrde, die Entſchaͤdigung zu tragen, ſich mit 
16,000,000 Francs begnügen, hingegen wenn bie Ver⸗ 
bündeten fich dazu nerfländen, ſo glaube er wol 24,000,000 
verlangen zu dürfen. Der englifche Minifter unterfchrieb 
diefe Bedingung, und durch einen zu London den 13. 
Aug. 1814 abgelchloffenen Vertrag wurde die Entfhäbdis 
gung auf eine Million Pf. Sterling feftgefeßt, welche 
Karl Johann ald Zilyungsfond für das Abtragen der 
ausländiihen Schuld anwies. 
Zwifchen 1815 und 1818 trat auch in Schweden eine 
Hungersnoth, die Folge eines unfruchtbaren Jahres, ein, 
deren traurigen Wirkungen theilweiſe dadurch entgegenges 
arbeitet wurde, daB der Reichstag der Verwaltung der alls 
gemeinen Getreideniederlagen geroiffe Summen zur Bers 
füygung ausſezte. Außerdem holte man Getreide aus ber 
Fremde. Aber kaum war dieſe Noth befeitigt, als Die 
Privatbanken zu Malmoͤ und zu Gothenburg bankrott 
machten. Dadurch wurde die Geldnoth fo druͤckend, daß 
die Regierung ſich veranlaßt fand, einen außerordentlichen 
Reichsſstag auf den 27. Nov. 1817 sufammenzuberufen. 
Auf diefem Reihötage dienten die Drangfale, welche einige 
Provinzen gelitten, der Oppoſition zur Gelegenheit, ihre 
Kräfte zu verfuchen. Mehre neue Männer erhoben ihre 
Sahnen, unter denen ſich vorzüglih Baron Karl Heinrich 
Antarfwärd auszeichnet. Er war einer der thätigften 


Mitwirker an der Revolution von 1809 geweſen und- 


ergriff jegt die Partei der Oppofition, an deren Spige der 
Graf Schwerin no fland, und nahm bier den erften 
Platz ein, als dieſer [päter in feinem Eifer erkaltete. Nach 
ſeinem Beiſpiele bemühte er fih, das in England ange: 


nemmene Princip einzuführen, nad) welchem die Raͤthe 


dee Krone Die eigentliche Regierung bilden und für die 
Beſchluͤſſe verantwortlich find, welche fie unterzeichnen. 
Sein erſtes Auftreten bezeichnete den Platz, den er kuͤnf⸗ 
tig einnehmen follte. Faſt auf allen folgenden Reichsta⸗ 
gen fieht man ihn ſeitdem erfcheinen, fein Ziel, eine zeits 
gemäße Staatsverfaffung, Staatsverwaltung und Wolke: 
vertzetung, ftandhaft verfolgend. 
| (Der Beſdlus folgt.) 





Wie lange kann der Menſch Ichen? 


Das if eine Brage, die ſchon gar viele Köpfe befchäftigt 
hat, denn wenn auch „das Leben nicht der Güter hörbftes if”, 
wie wir in unferm Schiller lefen, fo will body nur felten es 
mand gern aus demſelben fchelden. Da dies nur ein VBunſch 
iſt, den alle Gtaffen ber Geſellſchaft theilen, und namentlich die 


werben, bei welcher es nicht fo ganz unbedenklich 


Höher Geftelten, fei es num um Kitel, Ämter ober Gelbe wil⸗ 
in, nicht gern an ben Tod denken, fo war es ein gluͤcklicher 
Gedanke eines beruͤhmten Arztes in Berlin hieruͤber zu einem 
großen Kreiſe gebildeter Maͤnner und Grauen, mie er ſich jett 
bort im zweiten Jahre verfammelt hat, zu fprechen 
ift der Geheime Wiebicinalcath Caſper, 
Male in jenem Vereine die 
worden iſt. ) Sein Vortrag war aber fo gedraͤngt und von 
fo intereffantem Inhalte, daß wir ihn nur in den Bauptpunf: 
ten wiederzugeben vermögen, dadurch aber zugleich zu einer ge: 
nauern Kenntnif der wenigen Blätter aufzufoderh uns gedrun⸗ 
gen fuͤhlen, die ſich durch paſſende Mittheilungen aus in» und 
auslaͤndiſchen Schriften auszeichnen und bie lange Zeit hindurch 
für ein Evangelium angefehene „Göttliche Ordnung” des berliner 
Propftes Suͤßmilch Häufig berichtigen. 

Bir heben folgende Säge als befonbers wichtig hervor. 
Srftens, das weibliche Geſchlecht ſtirbt nach thatfächtichen Er: 
fahrungen langfamer aus als das männliche, wenngleich ber 
iegte Grund nit angegeben werden kann. Zmeiteng ftuft ſich 
befanntlid ‚die Dauer des Lebens in den verfchiedenen Ständen 


‚und Beſchaͤftigungen der Menfchen ab. Um bei den oft ſich 


widerſprechenden einzelnen Faͤllen zu einigermaßen ſichern Reful⸗ 
taten zu gelangen, bedurfte es der Erfahrungen im Großen. 
Daher hat Hr. Caſper für eine nach den erreichten Lebensjahren 
an faft 4000 Berftorbenen conftruirte Tafel acht Glaffen berüds 
fihtigt, nämlich Geiſtliche, Militaire, Beamte, praltifche Ärzte, 
Künftter, Lehrer, Kaufleute, Landwirthe und Forſtleute und 
biernach bemerft, daß 70 Jahre und darüber alt geworben find: 
von je 100 geftorbenen Geiſtiichen 42, von 100 Landwirthen 40, 
von höhern Beamten 35, von Militairs 32, von Künfttern 28, 
von Eehrern 27, von Ärzten nur 24. Hieran fchließen fich 
intereffante Erdrterungen, namentlich über die Sterblichkeit in 
England, aus denen hervorgeht , daß der Menſch als Gellectis 
vum, feine Lebensdauer bis auf einen gerwiffen Punkt beherrſcht. 
Dies wird drittens auf die Unverheiratheten angewendet und aus 
ben thatſaͤchlichen Belegen in den Sterbeliſten von Senf, Paris 
und Amfterbam mit überrafchender Einftimmigfeit die nicht un- 
bedeutend größere Lebensdauer im ehelofen Staͤnde nachgewieſen, 
ſowie viertens durch eine Reihe ganz gleicher Erfahrungen aus 
Deutfchland und Frankreich, wie viel äußerer Wohlftand auf 
bie Verlaͤngerung bes Lebens wirke und daß bie Bälle von faft 
nur bei Dürftigen vorlommenben hoͤchſten Eebensaltern gegen 
biefe allgemeine Regel gar nichts beweifen. Bünftens endlich 
erfreut Hr. Caſper bie gegenwärtige Generation burch die Augs 
führung, daß wir jet länger leben al® fonft und empfiehlt 
Denen, die recht lange leben wollen, das Waabtland als den 
Fleck unfers Erdtheils, der ſich durch die größte bekannte Lebens⸗ 
wahrfcheintichfeit auszeichnet. Kerner ſtirbt in Frankreich faft 
nur ber zweiundvierzigſte Menſch, in Belgien der vierundvier- 
zigſte, in England gar erft der funfziafte, in Preußen kann 
man den fünfunbbreißigften oder fcheumdreißigften Menſchen als 
jährlich flerbend annehmen, wobei freilich nicht darf unbeachtet 
bleiben, daß bie öffentlichen Liften in England fehr ungenau, in 
Preußen aber fehr genau geführt werben und daher bie eng⸗ 
liſchen Angaben begruͤndeten Zweifeln unterliegen. 

Den Schluß macht ine humoriſtiſche Betrachtung über bie 
Unglüdszapt dreizehn. Der Verf. zeigt, wie zu dem bltannten 
Glauben, es muͤſſe von dreizehn einer ſterben, auch nicht die 
geringſte mediciniſch⸗ ftatiftifche Urſache vorhanden ſei. „Eine 
einzige Gombination““, fo ſchließt er, „Kann indeß doch gebacht 
wäre, ſich zu 
dreisehn zu Tiſch zu fenen. Es iſt dies ber Ball, wo fämmt: 
liche Sheilnehmer fi) in dem Alter befinden, in welchem, der 
Grfahrung nach, ber Dreigehnte ſtirbt Dies iſt, für Vertin 
weniaftens, fein anderes als das achtundſechzigſte Lebensjahr. 


*) Über die wahrſcheialiche Lebensdauer dei Menſchen. Gine 
am =. Sanuar 1833 Im Wiffenſchaftlichen Weteine gehaltene Bor: 
Iefung von 3.8. Gafper. Berlin, Dümmier. IMER Ge.o, 5 er. 











Solche patriarchaliſche Mahle aber von dreizehn achtundſechezig⸗ 
jahrigen Menſchen gehören wol nicht zu den alltaͤglichen Erfab⸗ 
sungen, und fo fönnen wir auch über biefen Punkt ganz bes 
ruhigt fein.” R 9, 


— — — — — — — — — ——— — 


Literariſche Notizen aus Frankreich. 
Hippolyte Carnot. 

Hippolyte Carnot, der Sohn des berühmten Carnot, der 
in der Geſchichte der Revolution eine bedeutende Rolle fpielt, 
bat ſich ſchon durch mehre gediegene literariſche Arbeiten und 
namentlich durch den Antheil, den er an ber Rebaction ber 
„Revue encyclopedique’ genommen bat, ruͤhmlichſt befannt 
gemacht. Gegenwärtig ſchickt er fi an, ein Wert herauszus 
geben, das für Deutfhland von hohem Intereffe fein wird. 
H. Garnot hat während feines langen Aufenthalts in Deutſqh⸗ 
and das beutfche Volt und befonders bie deutſche Eiteratur 
liebgeronnen. Schon in früher Jugend fludirte er unter Leis 
tung feines Waters, der befanntlih in Magdeburg ſtarb, die 
Meiſterwerke unferer Literatur, und feitbem bat er bie Ent: 
widelung bes geiftigen Ecbens in Deutſchland nie aus dem Auge 
verloren. Go faßte ex denn fchon früh den Plan, fein Vater⸗ 
fand mit den würbigften Geiftesprobucten Deutfchlands bekannt 
zu maden. Noch unter den Augen feines tenntnißreichen Va⸗ 
terd übertrug er mehre der duftigften Blüten ber deutfchen 
Poeſie, und fpäterhin fanden in der von Jullien begründeten 
„Revue encyclopedique‘, fo lange Garnot der Direction bie: 
ſee Blattes vorftand, die hauptſaͤchlichen Erſcheinungen der deut: 
ſchen Wiffenfchaft und Kunft eine größere Beachtung, als dies 
bis dahin in ben franzöftfchen Blättern ber Fall zu fein pflegte. 
Diefer fortdauernde vertraute Umgang mit ber deutſchen Litera⸗ 
tur führte Garnot auf die Idee, die intereflante ‘Periode ber 
Zreiheitöfriege zum Gegenftande eincr ausführlichen Darftellung 
zu machen. Er beabſichtigte zwar urſpruͤnglich nur die Über: 
tragung ber befannteften volitifchen Gedichte Körner’, Ruͤckert's, 
Arnde’s und Schenkendorf's u. ſ. w.; bald aber wurde cr von 
feinem Gegenftande fo angezogen, daß er beſchloß, ein vollftäns 
diges Bild vom mächtigen Aufſchwunge zu entwerfen, der 
Deutſchland vom Joche feiner fremden Herricher befreite. Dies 
fes Werk ift bereits ganz vollendet und wird unter dem Zitel 
„L’Allemagne pendant la guerre de la delivrance”’ in zwei 
Bänden binnen kurzem erfcheinen. Wir können uns kein Urs 
theil erlauben über ein Werk, deffen Drud kaum begonnen ift, 
aber nach einzelnen Bruchſtuͤcken zu urtheilen, die der Verf. bie 
Guͤte gehabt hat, uns noch im Manufcripte mitzuteilen, duͤr⸗ 
fen wir etwas ganz Ausgezeichnetes erwarten. Der Verf. be⸗ 
handelt ſeinen Gegenſtand mit einer Liebe, die gewiß in Deutſch⸗ 
land Anklang finden wird. Garnot, ber in der Deputirtentams 
mer auf den Baͤnken der Außerften Linken figt, hat bei jeder 
Gelegenheit feine Sympathie für bie deutfche Nation ausgelpro: 
chen, und bringt auch in feinem Werke darauf, daß Frankreich 
fi enger als bisher an Deutfchland, deffen neueften Aufſchwung 
er mit begeifterten Worten begrüßt, anfchließen müfle. Mit be 
fonderm Intereffe haben mir den Theil feines Werks gelefen, in 
bem ber enge Zuſammenhang zwifchen den Principien der fran⸗ 
söfifchen Revolution und dem Erwachen der deutſchen Nation 
im 3.4813 nadjgewiefen wird. Gerade im entgegengefegten 
Sinne von Auinet, der ein langes Sünbenregifter von alle Dem 
entwirft, was in Deutfchland gegen Sranfreich gejagt ift, ſtellt 
Carnot alle Belege für die gegenfeitige Sympathie beider Na⸗ 
tionen zufammen. Das Gapitel, in dem er nachweiſt, mit wels 
cher Begeifterung bie aufgeflärteften Geifter in Deutfchland, wie 
Klopſtock, Zorfter u. U. die frangöfifche Revolution von 1789 
begrüßten, zeigt von einer feltenen Beleſenheit. Außer biefer 
Arbeit, mit deren Herausgabe der Verf. hoffentlich nicht länger 
zögern wird, hat Carnot noch zwei andere Werke vorbereitet, 
die beide sin hohes Intereffe bieten. Es find dies erftens bie 


Memoiren feines Vaters, die auf einzelne Partien der Geſchichte 


der franzöfifchen Revolution ein ganz neues Eiht werfen wer 
den, und dann cine vollffändige Geſchichte des Gt. : Simonis: 
mus. Carnot hat feinen Beruf zu hiſtoriſchen Arbeiten ſchon 
burch die Herausgabe der wichtigen Memoiren Gregoire's und 
neuerdings durch die WBearbeitung bes Literarifchen Nachlaſſes 
von Barrere an ben Tag gelegt. Das „Foreign quarteriy 
review ' bemerkt mit Recht, daß bie Charakteriſtik, die er den 
Denkwuͤrdigkeiten Barrere's vorangeftellt hat, für ein wahres 
biographiſches Meiſterwerk gelten kann. So bürfen wir benn 
fon erwarten, baß der Verf. in ber Ginteitung zu den Mer 
moiren feines Vaters hinter feinem Gegenftande nicht zurüde 
bleiben wird. Was feine Geſchichte ded Saint : Simonismus, 
bie gleichfalls im Manuſcripte vollendet it, betrifft, fo können 
wir fagen, daß Keiner fo febr zu dieſer ebenfo wichtigen als 
fhwierigen Arbeit befähigt ift als eben Garnot, der felbft 
lange Zeit hindurch an den Arbeiten dieſer philoſophiſchen Sekte 
Theil genommen bat, ohne jemals in bem Strudel, ber ſich 
diefer Geſellſchaft bemaͤchtigte, völlig unterzugehen. Er ſtand 
einige Zeit hindurch an der Spitze bes „Globe”, als derfelbe 
das Organ des Saint: Simonismus war, trennte ſich aber von 
den Iüngern biefer Lehre, als er wahrnahm, daß es dem Pere 
Enfantin darum zu thun ſei, aus einem nationaloͤkonomiſchen 
Syſteme eine Religion zu machen. 


Aug. Chaho ift, wenn wir nicht irren, Base von Ges 
burt. Er hat fi durdy einige phantaftifche Romane, mehre 
Reifewerke Über Spanien und namentlich duch feine bizarren 
Anſichten über die baskiſche Sprache befannt gemacht, er be: 
hauptet, ‚baß dieſes Idiom die Grundſprache und bie Wurzel 
aller übrigen Sprachen fei. Zwar ift diefe Behauptung fchon 
von andern überfpannten Gelehrten aufgeftellt, und namentiich 
bat ein Spanier des vorigen Jahrhunderts mit einem großen 
Aufwande von Gelehrſamkeit nachgewiefen, baß Adam im Pas 
radiefe baskiſch gefprocken habe; indeffen bat doch keiner biefe 
fonderbare Anfiht mit fo großer Beharrlichkeit durchgeführt 
als Chaho. Sein neueftes Werk, welches den Titel führt 
„Lelo ou la fee des montagnes‘ (2 Bde., 1843), hat zwar 
mit dieſer lächerlicden Hopotheſe nichts zu ſchaffen, aber body 
fputt derfelbe abenteucrlihe Geift darin, der allen Schriften 

2. 


Chaho's eigenthuͤmlich ift. 





Literariſche Anzeige. 


In meinem Verlage erſcheint und iſt durch alle Buchhand⸗ 
lungen zu erhalten: 


preußiſche Familienrecht 


nach dem Allgemeinen Landrechte 


mit 
Rücksicht auf das gemeine und deutsche Recht 
dogmatiſch-kritiſch dargeſtellt. 


Von 
RR. ©. W. Schmidt, 


Juſtiz-Commifſarius und Notarius. 
Gr. 8. 3 Thlr. 
Fruͤher erſchien bei mir: 
Witte (K.), Dis preußiſche Inteſtat-Erbrecht, aus 
dem gemeinen deutſchen Rechte entwickelt. Gr. 8. 
1838. 1 Thlr. 15 Ngr. 


Reipzig, im April 1843. 
S. A. Brockhaus. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 





Schweden unter Karl XIV. Johann. 
(Eeſchtuß aus Ar. SL) 

Am 5. Gebr. 1818 ſtarb der König Karl XIII. und 
Kart XIV. Johann beftieg den Thron. Der Prinz Os⸗ 
kar, der am 4. Juli 1817 für großjährig erflärt worden 
war, vertaufchte nun den Titel eines Herzogs von Süder: 
manland, den er bi8 dahin getragen, mit dem des Kron⸗ 
prinzen. Der König wurde am 11, Mai zu Stodholm 
und am 7. Sept. zu Deontheim mit einer Pracht ge: 
kroͤnt, von welcher dieſe Gegenden noch cin Beifpiel ge: 
fehen hatten. Unterdeſſen fegte der Reichstag feine Arbei⸗ 
ten fort. Durch den Miswachs und den Bankrott der 
Privatbanken wurden viele Privatleute von großem Ver: 
Luft betroffen; dem Staate war e6 unmöglich, fie zu ent: 
ſchaͤdigen. Doc, erhielt Gothenburg, die erſte Dandele: 
flade Schwedens, einen Vorſchuß von 200,000 Thalern. 
Die Unternehmungen großer Öffentlicher Arbeiten vertrieb 
das Elend aus manchen Provinzen. Trotz der Ungunft 
der Zeiten, fand der neue König noch Mittel, Gutes zu 
tun. Durd den Ankauf großer Güter rettete er ganze 
Familien, ftellte er an manchen Orten den Credit wieder 
ber. Unter andern Erwerbungen Karl Johann's iſt die von 
Etfdalen bemerkenswerth, welches den prächtigen Porphyr 
liefert, aus welchem die in ganz Europa befannten Va⸗ 
fen gefertigt werden. Ferner fuchte der König das zu 
ſtarke Fallen des MWechfelcurfes und des Papiergeldes, fo: 
weit möglich, zu hemmen, voriches nicht ohne bedeutende 
Opfer geſchah. 

Nach einer Sitzung von acht Monaten gingen die 
Staͤnde auseinander. Das unter den odwaltenden Um⸗ 
ſtaͤnden Moͤgliche wurde auf demſelben durchgeſetzt. Schwe⸗ 
den hatte ſeit ber Revolution von 1809 nur außerordentliche 
Reichsſstage gehabt, welche in Britifchen Zeitumfländen zus 
fammenberufen wurden, wo die Regierung der Unterflügung 
und Zuſtimmung der Nation bedurfte, um Maßregeln zu 
treffen, welche das Öffentliche Intereffe verlangte. Dies 
war unter Karl XII. vier Mal ber Fall geweſen. Aber 
unter dem neuen Kürften verfammelten ſich die Stände 
verfaffungsmäßig blos alle fünf Jahre. Am 23. Jan. 
1833 traten die Stände in Stockholm wieder zufammen. 
Um diefe Zeit waren die Gedanken der Schweden mit ber 
Meife des KRronprinzen ins Ausland beſchaͤftigt. Er war 
bis Verona gelommen, wo damals die Monarchen den 





8. April 1843. 





befannten Gengreß hielten. Mit Ungedulb erwartete man 
von ihm die Wahl einer Gattin, und bald erfuhr man, 
daß Prinz Dakar fih mit der Prinzeſſin Sofephine von 
Zeuchtenberg verlobt hatte. Kine von dem Grafen Ceder⸗ 
ſtroͤm befehligse Flotille geleitete von Luͤbeck ber die Krons 
pringefin und die Königin von Schweden, und die Ber 
mäbhlungsfeftlichkeiten wurden zu Stodholm am 19. Juni 
in Gegenwart der Reichsſtaͤnde, gefeiert, welche für bie 
Koften der Reife und der Heirath des Prinzen 500,000 
Thaler Banco bewilligten. In Folge eines Beſchluſſes 
des Gtorthings von 1824 gab Morwegen 60,000 Thaler 
für denfelben Zweck. 

Wie gemöhnlih, war auch bei diefens Reichstage die 
Mafle der Oppofition in der Kammer der Adeligen, an 
deren Spitze jetzt Ankarſwaͤrd fland; unter der Geiſtlich⸗ 
keit zeichnete fich der Pfarrer Stenhammer, unter den 
Bauern Anders Danielfon als Oppoſitionsmaͤnner aus. 
Ihe Organ war das Blatt der Argus”. Die ganze 
Staatsvermaltung mwurbe von ber Oppofition heftig geta» 
deit, bald Vertingerung der Abgaben, bald Derabfegung 
de6 Kriegebudgets von ihr verlangt. Sie verweigerte der 
Regierung die zur Vollendung der Öffentlichen Arbeiten 
nöthigen Summen, In dem fie der Nation den Überſchuß 
der Staatseinnahme verbarg. So entfchloß man fi erſt 
nad) heftigen Debatten, die Arbeiten am Goͤthakanal forte 
zufegen, die man aufgegeben haben würbe, hätte fidy nicht 
bie Stimme des Könige dagegen erhoben. Das Prohibitiv⸗ 
ſyſtem fand in dem Grafen C. Poffe einen heftigen Geg⸗ 
ner; er warf ihm vor, daß es eine Maſſe Ärgerniffe und 
eine allgemeine Entfittlihung erzeuge. ine Anklage ges 
gen den gefammten Staatsrath wurde bei dem Conſtitu⸗ 
tiondausfhuß vorgebracht, aber die Klage nad langen 
Verhandlungen befeitigt; doch wurde ber Staatsſecretair 
der Kriegsverwaltung vor das Reichsgericht geftellt, das 
mit der Unterfuhung feiner Handlungsweiſe beauftragt 
ward. Aber das Mislingen ihrer Plane, namentlidy des 
Verſuchs, das Minifterium zu ſtuͤrzen, ſchreckte die Oppofis 
tion nicht ab. In der Überzeugung, daß in unfern Tas 
gen der Adel ohne die Stuͤtze der andern Stände, die im 
wirklichen Beſitz ber materiellen und intellectuellen Kraft 
ſind, nichts ausrichtet, gedachte ſie, in den Buͤrgerſtand 
neue Elemente einzuführen, und ihr Blick fiel auf die 
nicht adeligen Hüttenwerks: und Gutsbeſitzer, die nad der 


e ° 


beftehenden Verfaffung auf den Reichstagen gar ‚nicht ver: 
treten find. Daß fie es werden, durauf hat die Oppofi⸗ 
tion feit jener Zeit flet6 gedrungen. In biefer Verſamm⸗ 
lung überteugen die Stände dem Kronprinzgen ben Vorſitz 
in der Regierung im Abweſenheit des -Könige. 
ftaͤndiſchen Verhandlungen entwidelte fich der Gedanke, 
dem Unterricht eine zeitgemäßere Richtung zu geben, den 
der König fpäter durch die Errichtung der Schule für 
Künfte und Gewerbe verwirklichte. Auch beſchloß man, 
einen Ausfhuß aus den berühmteften Gelehrten zu bilden, 
weiche einen Plan zur Reform der Univerfitäten ausarbeis 
ten follten. Einem Beſchluß des Reichstags zufolge wurden 
im Auguft 1824 dem Exkoͤnig Guſtav IV. Adolf ein für 
allemal 577,138 Thlr. hamb. Banco ausgezahlt, womit 
die feiner Sumilie” bis dahin bezahlte Penſion aufhörte 
dem Schage zur Laſt zu fallen. Im Laufe des Jahres 
1824 fliftete der König Karl Johann neue Gymnaſien 
zı Stodholm, Sölfottsborg und Wisby. 

Sm J. 1825 verkaufte die Regierung mehre Kriegs: 
(chiffe, die mehr ats 25 Jahre alt und, da fie fait zu 
einem Dienft mehr tauglich waren, die Koften nicht ver: 
dienten, welche ihre Ausbeflerung erfodert hätte. Dadurch 
fchaffte der König feiner Flotte neue Hülfsgnellen. Der 
Ertrag des Verkaufs überflieg den Koftenpreis einer gleis 
hen Anzahl neuer Schiffe von gleicher Größe. Man 
hatte nun den Vortheil, an diefen legtern die bedeutenden 
Sortfchriete in Anwendung bringen zu Bönnen, welche bie 
Schiffbaukunſt gemacht hatte, des Nutzens für die Wer: 
theidigung des Landes und den inländifchen Gemwerbfleiß 
nicht zu gedenken. 
Die Reicheftände wurden für den 4. Nov. 1828 zu: 
fammenberufen. Auf diefem Reichötage verließ Graf Schwer 
rin die Oppofition, deren Haupt er lange geweien, verband 
fi) mit der Regterung und weihte von nun der Vertheis 
digung ihrer Intereſſen die Beredtſamkeit, deren Blitzſtrah⸗ 
len er früher auf die Minifter gefchleudert hatte. In dem 
Berbandlungen uͤber die Kortfegung der Arbeiten an dem 
Goͤthakanal wollten die Einen auch nicht einen Thaler 
mehr bewilligen, während die Andern den Vorſchlag aus 
allen Kräften unterftügten. Unter andern wichtigen Fra⸗ 
gen war die uber die Feſtſetzung des Werthes des Papier: 
geldes und des baaren Geldes zu ihrem Umtauſch an der 
Bank zw befprechen. Ihre Wichtigkeit war fo groß, daß 
von ihrer Löfung gewiffermaßen das künftige Schickſal des 
Lundes abhing. Die nöthbigen Mittel zuc Vollendung des 
Goͤthakanals wurden, trog der Oppofition, bewilligt. Die 
Armee wurde zweckmaͤßiger organijirt. In-diefer Verſamm⸗ 
lung beſchloß eine Verhandlung der Meichsitände die Df: 
fentlichkeit ihree Sigungen. Während diefer Geſetzgebung 
ward eine aroße Feftlichkeit gefeiert. Auf Verlangen der 
NReiheftände wurde die Königin am 21. Auguft 1829 
gekrönt. 

Nah zweiundzmwanzigjühriger Arbeit, die dem Staate 
fünf Millionen Thaler gekoftet, konnte der Goͤthakanal, 
welcher, ſchraͤg durch das Land gehend, das Nordmeer mit 
der Oſtſee verbindet, 1832 befahren werden. S. 156 
fagt unfer Verf.: 


Aus den: 


Als die Oppoſition ſah, daß ſich alle ihre Anftren 

an dem monardyifchen Princip brachen, Gefolgte fie ein 22 
Syftem. Statt ihre Angriffe gegen die Regierung richten, 
ſchlug fie dem Grundgeſetze eine Breſche — die Preffe, weiche 
zu ihrer Verfügung fland, unterſtuͤtte fie alsbald mit allen ib 
sen Kräften. In den Augen des Ariftokratie, weiche Wie Oppo⸗ 
fition in ihren Meihen zählte, war bie Verfafſung Norwegens, 
demokratiſch, wie keine in Europa, ein Mufter der Bolllommens 
beit, weiche man im Lande einführen folle. 


Wir bezweifeln’ jedoch fehr, daß die wirklichen Ariſto⸗ 
fraten Schwedens die norwegifche Gonftitution eingeführt 
zu fehen wünfchen; anders verhält es fih mit den Bür: 
gern und Bauern: fie haben Grund dazu. Die ſchwe⸗ 
diſche Geiſtüchkeit iſt vermöge ihrer Stellung im San: 
zen confervativ. Die Meichsflände flanden 1834 wie 
der auf dem Punkte, fi) zu verfammeln; in allen Glafs 
fen der Gefellfhaft war die Reform an der Tagesordnung. 
Bon einem Ende des Reichs zum andern wurden Peti⸗ 
tionen herumgetragen und von Tauſenden unterfchrieben. 
Der Reichstag wurde am 15. San. eröffnet. In ber 
Abdelstammer waren nicht mehr dieſelben Glieder der Op⸗ 
pofition wie auf den früheren Reichsſtagen; Ankarſwaͤrd 
begnügte ſich mit der Rolle eines Zuſchauers, entſchloſſen, 
die Wuͤnſche des Volks zur Kenntniß des Koͤnigs zu 
bringen. Vom Bürger: und Bauernſtande geſellten fich 
viele zu der Oppoſition, und ſo fingen die Reichsſtaͤnde 
an, ſich als Staatsgewalt zu fühlen. Mehre finanzielle 
Anträge der Regierung wurden von den Ständen verwors 
fen. Am Schluſſe des Reichstags fagte der König in 
feiner Rede: „er fei Dem, was man verlange, nicht ent: 
gegen; er wolle nur, daß die Reformen innerhalb der 
Grenzen der Conftitution bewirkt würden.” Durch koͤnig⸗ 
liche: Ordonnanz wurde die Bank am I. Dt. 1834 zur 
Umtaufchung des Papiergeldes geöffnet. Dan konnte von 
jest an das Finanzſyſtem in Schweden als georbnet be: 
trachten. Ungefähr um biefelbe Zeit .ertheilte der König 
eine allgemeine Ammeflie für alle politifhen Vergehen. 
Nachher wurde der Kanal von Teolihätts wieder aufge: 
baut und erweitert. Die in Schweden lebenden Juden 
muden emancipirt und den übrigen Bürgern faſt gleich⸗ 
geſtellt. 


Je naͤher die Zuſammenberufung der Reichsſtaͤnde 
kam, deſto unruhiger wurden die Bewegungen der Op: 
poſition, deſto erbitterter die Sprache ihrer Blaͤtter. Die 
Reform des Staatsgrundgeſetzes wurde mit Ernſt gefodert. 
So ſtanden die Sachen, als die Staͤnde auf den 14. Jan. 
1340 zuſammenberufen wurden. Die Wahlen waren im 
Bauer- und im Buͤrgerſtande im Ganzen der Oppoſition 
guͤnſtig. Der vorige Reichstag hatte dem von 1840 die 
Entſcheidung über eine Stage überfaffen, welche eine Ver: 
Anderung des Staatscaths betraf. Die Staatsſecretariate 
und Die Stelle des Hofkanzlers follten eingehen und der 
Staatsrath Fünftig aus zehn Gliedern beſtehen, worunter 
fieben Minifter mit Portefeuille fein und drei nur eine 
berathende Stimme haben follten. Das war eine Nach— 
ahmung von Norwegen. Dirfe vom Reichstag beſchloſſene 
und vom König beflätigte Neuerung wurde unverzüglich 
in Ausführung gebrachte, Duch einen Beſchluß dieſes 


1 


Reichetags wurde das Lotto aufgehoben. So weit hatte 
die Oppoſition bis dahin geſiegt. Es wird Aufgabe der 
tommenden Geſetzgebung ſein, ale Fragen zu loͤſen, die 
in Bezug auf eine Radicalreform der ſchwediſchen Staates 
verfaffung von der Sigung von 1840 auf 1841 aufge: 
worfen find; hierzu gehört auch das Wahlgeſetz. 

Das Wenige, was wir aus dem vorliegenden Buche 
beruorgehoben haben, genügt, um zu zeigen, daß auch die 
Schweden vorwärts ſchreiten. 16. 





Romanenliteratur. 


1. Juſtin. Roman von 2. Mühlbach. Leipzig, Fritſche. 
1843. 8. 1 Site. 15 Nor. 

Leben und Geele wohnt in biefen Blättern; das kleine Bud 
enthält eine Heerſchar von Greignifien. Bon ben Zuftänben 
der Givitifation, von den Ungeredhtigkeiten und Berzerrungen 
dee großen Welt wird man nad) Garacas in bie Llanod, zu 
den Sndianerffämmen, in den Zuftand ber Natur geführt. Mon 
lernt die zahlreichen Opfer der Givilifation fennen: Das intri: 
guante, tofette Maͤdchen, die erſt den Mann ihrer Liebe bes 
trügt, um das flrafbare Verhältnig mit einem andern zu deden, 
und fpätee einen abgelchten Wüftting beirathet, um reich und 
\ururiös zu lebens ihre, über die Untreue ihres Gatten wahn⸗ 
finnig gewordene Mutter, welche im Mondſchein mit den Si 
lien plaudert; die Maitreffe des reichen Mannes, melde ſich 
im verlauft, um mit ihrem Gemahl ein forgenfreies Ecben zu 
führen; die arme, an einen reihen Kaufmann vermaͤhlte 
Seiſe, welche von des Gatten Härte zuruͤckgedraͤngt, von ihrem 
Schwager in ein flrafbares Verhaͤltniß gezogen wird und als 
Lenterer ihren Gatten mordet, von ber Welt als bie Moͤrderin 
genannt wird und, obgteich von dem Gericht frei geſprochen, in 
der Öffentlicyen Meinung für ihr ganzes Leben als Verbrecherin 
geſtempelt if. Ferner fieht man auch den vornehmen unb ge- 
achteten Mann, welcher große Lehngüter befigt, die fein Water 
verfchuidet hatte. Dee Vater warb für tobt ausgegeben, bie 
Gläubiger betrogen und der Sohn genießt dad Wermögen, wos 
son ex dem Vater nur einen kleinen Gnadengehalt zumendet. 
Betrug, Raͤnke und Pintertift überall, überall Opfer der Ge⸗ 
ſeuſchaft und ihrer ſich täglich ſteigernden Anſpruͤche; dazwiſchen 
Surus, Wuſik, Feſte, Freuden und Laͤcheln. Auch Juſtin iſt 
ein Opfer der Geſellſchaft. Im der Liebe getaͤuſcht — dann 
blafirt und gelangweilt, kann nur die Liebe dem Leben wieber 
Gehalt geben. Er liebt die arme Gonflanze und erfährt, daß 
fie die Mörderin ihres Gatten fei. Nun will er bie civilifirte 
Welt verlaffen und ein Mifftonnair der Cultur werben. Auch 
Lucie iſt ein Opfer der Geſellſchaft; man hält fie für die Mais 
xeſſe ihres alten Schwagers, weil der alte Wüftling fie aufs 
geichnet, während fie ihm nur als Schwager, ale Greis und 
@i3 Wreudenfpender vertraute. Cie folgt Juftin, den fie liebt, 
in Männerfieidern, um ibm zu fagen, daß das Geruͤcht Lüge, 
Daß fie ahnungslos fo böfen Schein auf ſich gezogen bat. Sie 
erreicht ibn auf dem Dampfidiffe und begleitet ihn als Schwe⸗ 
ker in die neue Heimat. Mit den Farben eines ſuͤdlichen Him⸗ 
meid werden bier die Exfcheinungen des Klimas jener furchtbar 
großen Natur geſchildert; die Feder ſcheint in Feuer getaucht. 
In den naturgemaͤßen Verhaͤltniſſen findet Juſtin Ruhe und 
Sliuͤck wieder, er nimmt Lucie zum Weib, fie leben ale Pflans 
zer, und als die Kunde kommt vom TJode feines Baters und 
den reichen, feiner wartenden Befigungen in der civiliſirten Welt, 
verfchmäht er diefelben, um am See Tacarigua glüdtich zu fein. 


3. Novellen von Ludwig Halirſch, aus deſſen Nachlaſſe her» 
ausgegeben von Johann Gabriel Seidl. Wien, Ges 
rold. 1842. Gr. 12. 1 hr. 

„Die jungen Herzen“ und „Belladonna” find dic beiden 

Koveilen dieſes Baͤndchens; beibe erheben ſich ſehr uͤber das Ge⸗ 

woͤhnliche und erfuͤllen den Leſer mit Bedauern über den fo 


febhen Zob bes Derf. Deſonders bie zweite Novelle „Bella 
bonna‘ trägt ben Hauch des Südens, mit deſſen feuriger Faͤr⸗ 
bung. Florenz if der Schauplag. Das Maͤrchen von des Bilt: 
fäule des Mediceiſchen Benus gab den Stoff. Der junge Kaͤu⸗ 
fee jenes Kunftwerts mußte als Kaufpreis ein Mädchen geben, 
weiches ihm mit großer Liebe zugetban war. Es gebar am 
Berb des Schiffs eine Tochter und fprach fterbend einen Fluch 
über biefe und deren Geflecht aus, welcher ſich auch während 
ſechs Generationen bewährte. Cudoxia ift die tete diefes Ge⸗ 
ſchlechte und in der Überzeugung eines gleichen Loofes fällt fie 
in die Hände des Johann von Piazzi, des lezten Sprößlinge 
ber geächteten Familie, weicher ben Grimm gegen die Dediceer 
und die heißeſte Rachſucht in fich trägt. Eudoxia gedachte er 
als Werkzeug feiner Rache zu gebrauchen, und greift wie ein 
böfer Dämon in ihr Reben ein. Die dadurch herbeigeführten 
Begebenheiten find fchauerlich und ergreifend; der Leſer behält 
‚war viele Kragen auf dem Herzen, Manches bleibt unerörtert, 
Manches unerliärt, Manches fcheint unnöthig. Aber eine Eräfs 
tige, glübende Phantafie mwaltet über dem Ganzen, und bie 
poetifche Fiction wird auch poetifch ſchoͤn ausgeführt. Piazzi 
bat die Liebe der Prinzeffin Bianca gewonnen und führt fie, 
bie Verlobte des Königs von Polen, mit fich in die Verban⸗ 
nung; das ift die Art, wie er fich rät an den Mebiceern! Gus 
doria aber, die Belladonna, melde er zum Werkzeug einer blus 
tigen Rache beftimmt hatte, itirbt an dem in ihrem Ringe, dem 
Erbtheil der fluchbringenden Ättermutter, enthaltenen Gift. 
3. Der Freiherr. Novelle von Robert Reinhold. Zwei 

Bände. Meißen, Goedſche. 1843. 8. 1 hir. 20 Wer. 

Warum ift diefe Novelle „Der Freiherr“ genannt worden, 

da doch jeder andere Standesgenofle fich ebenfo ſchwach und mi: 
ferabel hätte benehmen können und nit ein einziger, einen 
Freiherrn charakterifirender Zug gegeben wirb? Der Autor 
ſcheint verlegen gewefen um ben Ramen, und das begreift fich, 
da das Werk ſelbſt charakterios ift und zu denen gehört, bie 
man möglihft langſam lieſt und ſchnell vergißt. Es ift kein 
Anhaitepunkt darin für den gebitbeten Geiſt; keine der hans 
deinden Perfonen it fo intereffant, daß man das Schickſal derſel⸗ 
ben zu erfahren begierig wäre; feine tiefe Reflerion tröftet 
für die alltäglidyen Romanbegebenheiten, bie fchon feit Jahr⸗ 
bunberten in der Nooellenfabrifation gebraudht wurden. Der 
Freiherr vertäßt eine arme Geliebte, um ſich mit einer reichen 
und vornehmen zu verloben, obgleich fein treuer, alter Diener 
Konrad abrathet. Am Polterabend erhält die Braut Kunde 
von des Bräutigams früherm Verhaltniß und gibt ihn auf. 
Die Verlaffene, zu welcher der Reuige reift, ift indeffen geftore 
ben. Daß fie die uneheliche Tochter des alten Rammerbieners 
war, was jetzt herausfommt, macht die Sache nicht gerade 
tragifher. Der Freiherr zieht nun reuig in den Polenkrieg. 
&r hat indeffen noch Mehres auf feinem Gewiffen mitzunehmen, 
denn er finder auf dem Gottesader das Grab einer alten Frau, 
die cr einft umgeritten und dadurch ihren Tod befchleunigt hat. 
Ihr Sohn bemeint fie. Gin Feind des Freiherrn, welcher bef: 
fen vertaffene Braut einft geliebt und ihren Tod nun raͤchen 
will, tödtet ben armen, meinenden Sohn ſtatt des Schuldigen. 
Dann lieft man etwas vom Polenkrieg; der Freiherr wirb ver: 
mwundet, flirbt, vermadt fein Vermögen einem Freunde, der 
ihn begleitet. Diefer beirathet ein Polenmaͤdchen, und das 
ſchoͤne, ftolze Fraͤulein, die einftige Braut des Freiherrn, reicht 
dem Arzt, einem lufligen, wiselnden, gutmüthigen Gefchöpf die 
fhöne Band. Die Sprache ift gut, nur etwas ſchwuͤlftig; die 
Schilderungen der Naturereigniffe vor und nad) dem Negen, 
im Frühling und im Herbſt, im Wald und im Feld, während 
Sonnenfein und Sturm, ſcheinen mit großer Sorgfalt aufs 
gezeichnet zu fein und find auch gelungen. 
4. Altonaer Bilder, Genrebitder und Skizzen von Heinrich 

Schmidt. Berlin, Vereinsbuchhandiung. 1843. Kl. 8 

I Thir. 

As ein fchönes Andenken müffen biefe Bilder den Bürgern 

von Altona erfcheinen, von dem fernen Landsmann, der fie ih- 


nen weist. Sie finb mit Siebe aufgenommen und mit Eiche 
niedergezrichnet, Herz und Verſtand haben’ babei geholfen. „Das 
Theater” enthält eine Scene aus der Kindheit bes Autors. Die 
Berlooſung des Lanmes bei dem bäntfchen Luſtſpiel unb bie 
Yeunsbrunft , diefe fo verfgiebenen Momente find außer 
ordentlich lebhaft, jebes in feinem Genre vortrefftich ae 
Am eigentbümtichften {ft aber das Wild Rr. 3: „Das Zahlen 
Iotto’’, mit den dadurch verantaßten Gcenen gefchiibert, es find 
nur wenig Federſtriche an jedes Bitd gewendet, aber diefe find 
bezeichnend und charakteriftiih. Das Gtend, weiches das Lotto 
in den verfchiebenen Kreifen, von dem reihen Kayfımanne an, 
der feine legten tauſend Mark daran feht, bis zum Tageloͤh⸗ 
ner, der das ſilberne Kreuschen feiner Frau entwendet, bie 
fpielende Gattin, weiche hinter des Mannes Rüden ihr Gluͤck 
verfudht, und dann bie Verzweiflung bei der getäufchten 
Hoffnung dieſer Betheiligten find fehr gut ausgeführt. Die 
Rede aber nad) beenbigter Ziehung vom Balcon bes Rathhaufes 
herab ift voll Humor und Eräftigen Vortrag, und wenn je ein 
Wort gerignet wäre, das Voik von feinem verberblichen Begins 
nen zu überzeugen und abzubringen, To Eönnte biefe Rede allens 
falle es von dem Lottofpiet abhalten. Weniger anziehend und 
intereffant find „Die Denriette” und „Gin Damencirkel in ber 
Eibe’'. Erſtere enthält einen Streit des Schiffcapitains mit der 
Regierung ober ber Poticei, da ihm der Befehl gekommen, eine 
Stunde fpäter zu fahren als ein anderes Dampfſchiff. Das 
mag an Ort und Stelle und den Capitain felbft beſchaͤftigen, 
gehört aber nicht vor ein größeres Lefepublicum, wenigitens 
nicht in ein Bud, hoͤchſtens als Zeitungs s oder Journalartifel. 
Auch die Schilderung der Schiffe im Hafen diefer Dame in der 
Eibe it wenig anziehend für den fernwohnenden Lefer. 12. 





Bibliographie. . 


Asverus, Die Denunciation der Römer und ihr geſchicht⸗ 
licher Zuſammenhang mit dem eriten proceßeinleitenden Decrete. 
Leipzig, Brodhaus. Er. 8 1 The. 15 Nor. 

Beitrag zu dem Gchieswig > Holfteinifchen Verein für be: 
drängte evangelifche Gemeinen, von einem Diſſentirenden, der 
aber in der großen Haupt ſache von ganzer Seele confentirt, wie 
auch darin, daß ben nothleidenden Glaubensgenoſſen geholfen 
(Bon 8. 3. van Rhyn.) Schleswig, Bruhn. 

127%, Ror. 

General Graf Bülow von Dennewit in ben Felbzügen 
von 1813 und 1814 Kon einem preußifchen Offizier. Leipzig, 
Brockhaus. Br. 8. 1 Ihr. 18 Nor. 

Emmerid, 8. 9. D., Die Gedankenloſigkeit der Meie 
nungen Diefterweg’8 und feines Defenfors Kirchberg. Frank⸗ 
furt a. M., Brönner. Br. 8. 1 Zhie. 

Feldmann, F. Kirchliche Zeit⸗ und Lebensfragen. Cotts 
bus, Dover. Er. 3. 227, Nor. 

Brobberg, Regina, Gedankenfruͤchte auf dem Pfab 
des Lebens. Wien, Mechitariften» Eongregationg » Buchhandlung. 
1842. Gr. 12. Nor. 

General-Bericht an Se. Majestät den Kawer von Russ- 
land über das Ministeriam des öffentlichen Unterrichts für 
das Jahr 1841. Hamburg, Nestler und Melle. 1841. 8. 
11 . Near . 

Geſchichte des Feldzugs von 1814 in dem oͤſtlichen und 
nörblichen Frankreich bis zur Ginnahme von Paris, als Beis 
trag zur neuern Kriegsgeſchichte. Zter Theil. Mit brei Plaͤ⸗ 
nen. Berlin, Mittler. Gr. 8. 3 Thlr. 10 Nar. 

Girand, 9., Preußiiche Poftzuftände. Königsberg, Theile. 
8 7% Nor. 

Der Groß: Benebiger in der norifchen Gentral s Aipentette, 
feine erfte Erſteigung am 3. Eeptember 1841, und fein Glet⸗ 
fer in feiner gegenwärtigen und ehemaligen Ausbehnung. Bon 
J. 9. Kürfinger und 8. Spitaler. Mit einem Auhange: 


. Die zweite: Gefteig 


ung am 6. Gieptsmber 1543. Bon Spi⸗ 
taler. Mit fünf Aufihten und einem Kärtchen von Dber⸗ 
pinzgau. Innsbrud, Wagner. Er. 8. 2 Thlr. 5 Nor. 
.Varder, 6. W., Beitrag zu den ehelichen Verhätmiffen, 
insbefondere zu der rechtlichen Stellung der Frauen, nad dem 
—578 Ne Stadtrechte non 1270, Hamburg, Kittier. 

2 198. 

Das Daus ber Welfen. Beiträge zur Gefchichte der Lande 
Braunſchweig und Hannover, in Biographien der ausgezeichnet: 
ften Regenten und Bürften beider Welfen« Linien. Unter Mir⸗ 
wirkung mehrer Gelehrten herausgegeben von F. Steger. Dit 
32 authentiſchen Portraits und 4 hiſtoriſchen Driginalbildern. 
Br rl Beim. und et &r. 8. 2 Thir. 

eitter, C., Ethnographiſche und geſchichtliche Noti 
über die Zigeuner. Königsberg, Gräfe und ale Er 2 Far. 

Hofmann, v., Zur Geſchichte des Feldzuge von 1808. 
2te, neu bearbeitete und vermehrte Auflage. Sertin, Mittier. 
&r. 8. 1 Thir. 20 Nor. 
ſeri Die er Kommunion. Eine Gryäbtung von ber Werfafe 
erin der „ Geratdine”. us dem Engliſchen. Regen 
Many 8.8. 10 Nor. ars egenctacs 
er Konrad ER Hoͤllenbriefe an feine Lieben 

unde in Deutidyland. Herausgegeben von F. Ruhsmun 
Königsberg, Theile. 2 Kar. ” 5 Bugemunt, 


Bremen, Heyſe. Gr. 8. 5 Rear. 

eoeft, H. W., Geiſt und Leben cchter Bumanitär, dar⸗ 
geſtellt in drei Trilogien. Berlin 1842. Gr. 8. 2 Thir. 

Atrheinlaͤndiſche Maͤhrlein und Lieblein. Zu beſſerer Ber 
daͤchtniß und feinen Landéeleuten zu Nut und Frommen gang 
treulich und fleißiglich geſammelt und in dies Buͤchtein gebracht 
sus einen Liebhaber deutfcher Poeterei. Coblenz, Bölfcher. 12. 

gr. 

Mayer, F, Der Zweikampf. Gin fittengefchicheti 
Beitrag. Erlangen, Palm. 8. iM Nor. ſetengeſchihtuicher 

Michelet, ©. L., Gntwidelungsgefcichte ver neueften 
beutichen Philoſophie mit befonderer Rädfit auf den gegens 
wärtigen Kampf Schelling’s mit der Hegel'ſchen Scyute. Dars 
geftcht in Worlefungen an der Friebrich- Wilhelns = Univerfität 
zu Beriin im CSommerhalbjahre 1842. Berlin, Dunder uns 
Humblot. Gr. 8. 2 Thlr. 

Mitdgerzigkeit gegen Thiere. Innebruck, Wagner. & 
3, De & 

ie Patrimonialgerichts⸗ Reform im preußifhen Staate. 
Stettin, Nicolai. Gr. 8. 7Y, Nar. preußifie 

Reifen und Länderbefhreibungen der Altern und neueften 
Seit, herausgegeben von ©. Widenmann und H. Hauff 
24fte Lieferung: Beſchreibung von Kordofan und einigen 
angrenzenden Ländern, nebft vinem Üüberblick über ben dafi⸗ 
gen Handel, bie Sitten und Gebräudge der Einwohner uns 
der unter der Regierung Mehemed Atl’s flattgefundenen Skia⸗ 
venjagden. Bon 3. Palime, während deſſen Anwefenheit im 
den Jahren 1838 — 39 verfaßt. Stuttgart, Gotta. Gr. & 
1 Thir. 10 Nor. 

Rellſtab, L., Sefammelte Schriften. After bis Iter Band: 
1812. Gin biftorifher Roman. Dritte Auflage. Ifter bis 
ter Theil. Leipzig, Brodhaus. Ge. 12. 3 Thir. 

Rohr, &. v., Sammlung lyriſcher Gedichte. Stes Wind: 
hen. Berlin, Stuhr. 8. 1 Thir. iO Rar. 

Schmid, ©., Dramatifhe Werke. ter Band. Sripzig, 
F. Fleiſcher. Gr, 12. 1 Zhle. 20 Nor. 

Trendelenburg, A., Die logische Frage in Hegel’s 
Byetem. Zwei Streitschriften. Leipzig, Brockhaus. Gr. & 

gr. 


Verantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhauß ie geipzig. 


x 


Blätter 


literariſche 


für 


Unterhaltung. 





Sonntag, 


— N. — 


9. April 1843. 





Die Univerfitäten in den Vereinigten Staaten. 

Es ift in Deutfhland entweder gar keine oder eine 
falſche Anficht über die Univerfitäten der Vereinigten 
Staaten im Gange, bie ich nur mit der oft Alles über: 
fhägenden oder unterfchägenden fanguinifhen Meinung 
für und gegen dieſes Land und befonder6 ber beutfchen 
gelehrten Republiken auf den Univerfitäten erklaͤten Bann, 
Ertauben Sie mir Ihnen die Harvard University zu 
Cambridge zu fhildern, die befle der Vereinigten Staaten. 
Sie beſteht jegt aus einer Schule von vier Claſſen. Mit 
dem funfzehnten bis fiebzehnten Jahre kommen die jungen 
Leute oft mit fehr unbebeutender Vorbereitung hierher. 
Ale diefe Neulinge (Fuͤchſe) bilden unter dem Namen 
Freshmen die unterfte Claſſe. In diefer bleiben fie ein 
Jahr und bilden ſodann die zweite Claſſe die Sophomores, 
Nach einem Jahre rüden diefe in die Claſſe der Junior- 
sophisters ein, und ter nun noch ein Jahr laͤnger bleibt, 
wird zum Magister artium (Master of arts) promovirt 
und bilft die Claſſe Senior-sophisters bilden, In bies 
fen vier Claffen wird ungefähr der Unterricht ertheilt, der 
in unfern Fuͤrſtenſchulen und Gymnaſſen ertheilt wird, 
b. h. den Faͤchern nad. Doc bilden auch bier alte und 
neuere Speachen, Geſchichte und Mathematik die Haupt 
abtheitungen, in weiche man das übrige Wiffenswerthe 
teiht. Gegen 200 ſolcher Schüler bilden das eigentliche 
Gollegium. Alles, was man lernt, ift auf praktiſchen Ge: 
brauch berechnet und Vieles daher nur curſoriſch oder 
encyklopaͤdiſch behandelt; die Öffentliche Beredtſamkeit wird 
ſtark beruͤckſichtigt und man gewinnt bei den jdhrigen 
und halbjährigen Examen und Hffentlichen Erhibitionen 
leicht einen Begriff, wie bier unfers alten wadern Rectors 
Wilhelm: mon scholae sed vitae eigentlih an den Mann 
gebracht wird. Der hiefige ältere Schüler bat eine ges 
wandte Dialektik und ber Ausdruck ſteht ihm ſtets zu Ser 
bot. Selbſt ein geringeres Willen wird bei ſolcher 
Bildung bedeutend für das Öffentliche Leben. Nach vol: 
endetem Curſus im Collegium wählt der junge Mann 
ein Fach. In Cambridge felbft iſt die Law-school unter 
dem berühmten Judge Story und dem tüchtigen Profeffor 
Sreanleaf wol die befte der Union, obgleich man die 
größten Lawyer in Philadelphia finden foll. 
befteht eine Divinity-school hier, welcher jeht George R. 
Noyes und Mr. Francis vorfichen. Im erſterer weilt 


Demnaͤchſt 


man zwei bis drei Jahre, in letzterer ein bis zwei Jahre. 
Es iſt hier durchaus nicht ſo ſchwer, ein Geiſtlicher als 
ein Lawyer zu werden. Und doch ſollen die Erſtern auch 
hier die Lehrer des ganzen Volks ſein. Im Collegium iſt 
der Haupthebel der Disciplin und des Fleißes der Ehrgeiz. 
Man bat es mit nicht ganz jungen Anfängern zu thun 
und raſch muß vorwärts gefchritten werden. Die jungen 
Leute find in der That meift fleißig und löfen ihre Aufs 
gabe gut. Das Leben ift ziemlich heiter, doch fehlt es 
nicht an Zucht und Ordnung regulicenden Gefegen. Thea⸗ 
ter und öffentliche Häufer zu befuchen ift keinem Schüler 
erlaubt. Die Studenten in ben Law- und Divinity- 
schools ſtehen nicht unter diefem Zwange. In Boſton 
if} die Medical-school mit den Dofpitäiern und Profeſſo⸗ 
ven und nur der Profeffor der Chemie wohnt bier und 
die Studenten kommen wöchentlich zweimal heraus. Ste 
hören zwei Winter hindurch diefelben Gollegien zweimal. 
Alles kurz, bündig und praktifch, aber freilich auch dürftig, 
wie in der Theologie. 

Dürftig iſt der Unterricht in der Gefchichte und Geogra⸗ 
phie. In Bezug auf legtere liegt dies beſonders daran, daß 
fie ſowie die Statiftit und felbft die Geographie des Lan⸗ 
des (wie die elenden Landkarten zeigen) noch in der 
Kindheit liegt. Die Befchichte in einem univerfellen Sinne 
zu lehren, fiel bisher Niemand ein. Erft in neuefter Zeit 
bat man bier dieſen Unterricht begonnen. SProfeffor Jared 
Sparks, bekannt als der Gefchichtfchreider Wafhington’s, 
hat angefangen Univerfalgefchichte zu Ichren und eine Übers 
fegung eine®, ich glaube, beutfchen Handbuchs — irre ich 
nicht, von Heeren — gegeben. Danach kann man beurthei⸗ 
len, daß man mindeftens 20 Fahre hinter dem Stande 
der biftorifhen Wiſſenſchaft zurüd if. Doc iſt Sparks 
ein guter Lehrer und nicht von denen, die ſtehen bleiben. 
Die alten Sprachen werden anerfanntermaßen am beften 
bier gelehrt, von einem Deutfhen, Profeffor Karl Beck 
die Sateinifche und von Cornelius C. Selton die griechiſche. 
Die Fortſchritte, welche in beiden Sprachen burch ben 
Fleiß und die Gediegenheit der beiden genannten Lehrer 
gemacht werben, überrafchen, fobald man meiß, daß bie 
Vorbereitung für das Colleglum durchaus ungenügend im 
Sinne unferer Vorbereitungsfhulen genannt werden muß. 
Dennoch find nur bie Freshmen gehalten bie alten Spras 
hen zu kennen, und in ben hoͤhern Claſſen flrht jedem 


bie Wahl frei. Dan lieft Hier nicht fo ſehr die „golde⸗ 
nen” Schriftſteller und kuͤmmert ſich nicht fo aͤngſtlich um 
ein claſſiſches Latein, ſondern um eine geeignete Fertigkeit 
im Verſtaͤndniß des Lateins der circa 150 Jahre von 
Cicero bis zu den Antoninen, und man ſollte meinen, daß 
deſer Plan ſehr verſtaͤndig und unſern deutſchen Schulen 
auch anzurathen waͤte, ſeit das Latein nur noch und auch 
nur zum Theil die Sprache der Gelehrten und nicht mehr 
der Gebildeten iſt. Ebenſo verfaͤhrt man im Griechiſchen 
und bindet ſich nicht aͤngſtlich an die Claſſiker. Dadurch 
erfahren in der That die Schuͤler Vieles, was unſere 
Schuͤler nur von Hoͤrenſagen erfahren. Mit der Gram⸗ 
matik beſchaͤftigt man ſich genuͤgend, doch in der That 
nicht mehr, als zum Verſtaͤndniß der Alten unumgaͤng⸗ 
lich noͤthig iſt. Man will dieſe Sprachen nicht gebrau⸗ 
chen, um fie zu ſprechen, um damit „zu glänzen oder zu 
überzeugen”, fondern um feine eigene Sprache gehörig 
handhaben zu fernen. In biefer übt man fi auf die 
mannichfachſte Weile. Ebenfo wie das Lateinifche und 
Griechiſche treibt man das Deutfhe, Branzöfffhe und 
Italieniſche. Mit dem erlangten Magiſtergrade hat jeder 
Senior - sophister da6 Recht, einteitende Vorlefungen In 
fein Fachſtudium zu hören. Dies iſt der Übergang zur 
Univerfitde (nach deurfhen Sinne). Unter den Vorle⸗ 
fungen bemerken wir mit Vergnuͤgen eine: über die Wit: 
tel, die Geſundheit zu erhalten. Was man fich darunter 
auch vorftellen mag, fo iſt gewiß, daß die jungen Mens 
fhen In der Mogel viel auf koͤrperliche Übung halten. 
Insbeſondere fpielt man mit Leidenfchaft hier eine Art 
Ballfpiel, wobei der Ball an der Erde fortgefchlagen wird 
(Cricket). In biefem Spiel ſtellen die Sophomores mit 
den Freshmen am Nachmittage ber erſten Vorleſungen 
bes Curfus einen Wettlampf an, der oft ſehr ſchwankend 
ausfaͤlt, weil zuc Vorbereitung für das Collegium die 
Übung in biefem Spiele keineswegs verfäumt wird. Man 
tkann daraus fchliefen, daß bier nicht blos ein Stuben⸗ 
leben geführt wird. Auf ber andern Seite bat der ame 
rikaniſche Student eine große Vorliebe für das Dandy⸗ 
oder Stuper:, auch Schniepelwelen, und gewöhnlich iſt er 
äußerfi gewandt in der Unterhaltung von Damen, d. h. 
leer genug wie umfere jungen Dffigiere und Kaufleute. 
Die Sicherheit des Benehmens, die der angeborenen Frei⸗ 
beit und der privilegirten Stellung im Leben eigen if, 
feblt ihm keineswegs und wird nicht, wie auf unſern 
Fuͤrſtenſchulen, durch firenge Abgefchledenheit von allem 
Umgang mit dem fchönen Geſchlecht in ihrer Entwicke⸗ 
lung gehindert. Doch unterfcheibet fich hierin der Student 
von Cambridge nicht von den übrigen Umgebungen ber 
‚reichern Claſſen des Volks. Die ausgefuchtefte Galante⸗ 
tie, mit welcher man in Amerika die Frauen behandelt, 
erſetzt auch bier wie in Frankreich oft die wirkliche Zart⸗ 
heit und Schönheit des Verhaͤltniſſes beider Gefchlechter 
zueinander. Mit diefem außen Benehmen contraflirt 
die entfchledene oft barte Richtung zum Ariftofratismus, 
die im biefen privilegieten Schulen gemährt wird. Daß fich 
ein Zufammenhalten, felbft ein kampfluſtiger Gorpägeift 
gegen außen in folchen Schulen bildet, ift eine natürliche 


und überall gewöhnliche Erſcheinung; daß aber gewiſſe 
Principien wahrer und ideeller Geiftesfreiheit bier praktiſch 
ausgefchloffen merden, das liegt nicht in der Natur der 
Sache und verräth einen Einfluß von dee hoͤhern Leitung 
bes Samen, deu man deshalb ſchwerlich billigen Bann, 
weil er ber tiefen Entwickelung der Schönheit des Geis 
ſteslebens gefährlich if. Solche Beſtrebungen, wo fie 
auch ftattfinden, find Volksverrath. 

Die Drganifation der Univerfitdt iſt durchaus eigens 
thuͤmlich und bat im Bolke oder vieleicht mehr in der 
höheren oder reichern Claſſe des Wolke ihre Stüge. Über 
dem Ganzen fieht eine Corporation von fünf Männern, 
die fich ſelbſt ergänzen und den Präfidenten ober Director 
der ganzen Anftalt wählen, forwie fie auch die Eigenthuͤ⸗ 
mer der ganzen reichen Stiftung find und uͤber ihre Fonds 
zum Zwecke der Anflalt verfügen. Unabhängig von biefer 
Corporation bilden der Gouverneur von Maflachufetts, der 
Souverneur:Lieutenant, die Mitglieder bed Raths und des 
Senats, der Sprecher des Hauſes der Mepräfentanten 
und der Präfident der Univerfität, nebft einer Anzahl dazu 
gewählter ausgezeichneter Männer eine Aufficht über die 
Anftalt, der jede Art von Einficht in die Angelegenheiten 
des Unterrichts und Vermoͤgens zuſteht. Auf dieſe Art 
iſt das Ganze gleihfam unter die Augen bed Bolks ges 
ſtellt und von ihm gehegt und gepflegt. Den Unterricht 
und die Leitung der Auffiche führen die Profefforen. Bon 
diefen haben wieder einige die fpecielle Aufſicht dsber die 
im Collegium befindlichen Schuͤler in dem ober: 
wähnten vier Claſſen. Von diefen Auffehern wohnen 
mehre in den (ollegiens Bebäuben, die ben Schuͤlern 
zur Wohnung bienen, und führen bie fpecdielle Aufſicht 
über fie. Die Wohnungen in den Collıgien: Gebäuden 
werben daher vorgesogen, doch ſteht es frei, fi andy Pri⸗ 
vatwohnungen zu ſuchen. Ebenfo ift Miemand au den 
Tifch des Pachters der Okonomie gebunden. Der Praͤſt⸗ 
dent bat eine Dienflmohnung unb außer gewiſſen Emo⸗ 
lumenten und einer Profeffer, die ihm 1500 Deflar6 eins 
bringt, 2000 Dollars Gehalt. Die Gehalte der. ordentlichen 
Profefioren finb bis jest auf 1500 Dollars firket, eine Bes 
foldbung, die mit dem gesenwärtigen Stand ber Bebärf: 
niffe eines faſhionablen Daushalts nicht ganz in Verhaͤtt⸗ 
niß ſteht. Jeder ordentliche Lehrer am Golegium hat bis 
zu 31 Stunden wöchentlich Unterricht zu geben, umb 
jeder Schulmann weiß, daß, wenn er gewiſſenhaft ift, ihm 
nicht viel Zeit zu andern Beſchaͤftigungen gelaſſen iſt. 
Zweimal im Sahre find längere Ferien von freche Wochen. 
Bon Weihnachten an geftattet man den drmern Schuͤlern, 
im Lamde Lehrerfiellen zu begleiten und ſich deu noͤthigen 
Unterhalt zum Fortſtudium zu verfhaffen Sie ſtellen 
fi zum Examen wieder ein und fo auch bie, weldge we⸗ 
gen befonderer Umflände gezwungen find, zu Daufe weite 
zu fludirn. Dafür haben fie das Recht, am Ende ihrer 
Laufbahn grabuirt zu werden. Dies gefchieht mit einer 
befondern Feierlichkeit in einer Kicche nahe an ben Eollegien⸗ 
Gebäuden, nachdem die Afpicanten oͤffentliche Reden ges 
halten haben. ine große Menge Fremder verfammelt 
fi dazu in der Kirche. Zum Jahresfeſte geht jegt diefer 


Frieruichkeit eine Berfammiung von Freunben ber Anſtalt 
voraus. Dies find alte Schüler derfelben ober doch meiſt 
folche. in ausgezrihneter Mann unter ihnen haͤlt In 
derfelben Kirche eine Rede über irgend einen Gegenfland, 
worauf ein fiierliched Mahl in einer Halle des Collegiums 
eingenommen wird. Den folgenden Tag werden bie ers 
wähnten Graduationen gehalten und am britten Tage vers 
fammeln fi) die Glieder einer Lediglich aus ben Graduir⸗ 
ten der Anſtalt gebildeten Gefellfchaft ebenfalls zu eines 
Rede und zu einem Feſtmahle. Diele Geſellſchaft bat 
den Namen D©BKgefellfchaft und ift fehr alt. Die 16 
beſten Schüler aus jeder Claſſe des Collegiums werben 
jedes Jahr in bdiefelbe gewählt und erhalten Medaillen 
und Diplome. Früher war bie Geſellſchaft geheim, wie 
die Freimaurer; feit diefe aber vor mehren Jahren in 
Verruf kamen, erflärte fie fich als Öffentliche Geſellſchaft 
und wählt ihre Mitglieder durch Ballotage. Sonſt vers 
binderte eine einzige ſchwarze Kugel die Wahl, jetzt ſechs. 
Die Glieder werden nach Jahren aufgerufen und fo zie⸗ 
hen die alten Glaflenfeeunde zuſammen zur Kirche und zum 

böse man eine ausgezeichnete Rede 
und bei dem Feflmahle jagt ein witziger Einfall und 
Ertempores Redner den andern. 

Diefer letztern Feierlichkeit wohnte im vorigen Fahre 
Lord Ashbarton ei. Seten wird man in Europa, bes 
fonder& In Deutſchland eine Befellfchaft von ehemaligen 
Studenten zuſammenſehen, deren Froͤhlichkeit und Heiter⸗ 
keit diefen markitten Ausdrud hätte. Alles bewegt ſich 
bekanntlich hier nach einer und derſelben Ordnung. Kin 
Dräfident, ein ober einige Viceprtaͤſtdenten und fonflige 
Redner halten das Ganze fortwährend im Gange. Die 
Zoafte geben VBeranlaffung zu Reden und Scheren. Das 
Ganze ift geiſtreich, angiehend, belebt und belebend. Bon 
ſtarkem Trinken und dergleichen englifchen und germanifchen 
Sreuden findet hier nichts flatt. Die Freude iſt durchaus 
nicht in Selbflvergefteuheit zu fuchen und zu finden. Dan 
bat bazu wenlgſtens keine äußere, politiſche Veranlaſſung. 
Bisweilen wird ein beliebter Geſang oder ein Gelegenheits⸗ 
gedicht von Geſangskundigen aufgeführt. Es iſt auffals 
lend, wie man von unferer germanifchen, völig Alles um 
fich vergefienden Stöhlichleit bier gar feine Ahnung hat, 
und doch wird man durch und durch angeregt und iſt 
fortwährend in vergnuͤgter Spannung und befriedigender 
Überrafhung gehalten. Die Elite der Univerfität bie in 
die achtziger Jahre iſt aber auch dabei zugegen, denn wer 
irgend kann, kommt gewiß. Durch die Milhung von 
Alt und Jung bekommt das Ganze eine gute Daltung. 

Dies iſt unſtreitig der glänzendfle Punkt des hiefigen 
Univerfitätsiebens. Etwas Ähnliches, fo fehr es von ie in 
Deutſchland gewimſcht wurde, fcheiterse dort ſtots an des 
offenbar getrübten politifchen Stellung der Maflen, mögen 
fie heißen, wie fie wollen. Geit dem Wartburgsfefle was 
ren oft Zufammenkünfte der Univerfitätöfteunde im or: 
fchlag, aber außer einer fehr elenden in Halle iſt meines 
Wiſſens der Art nichts zu Stande gelommen. Die Als 
gemeine Burfchenfchaft hatte einen aͤhnlichen Zweck; allein 
er iſt unerreichbar im Deutfchland, wo die idealen Anfich: 


ten ber Jugend noch mehr von ber NMealitaͤt gefähebee 
werden al& bier. Der Republikanismus if dagegen etwas 
Ideales, was fich felbft im Alter unvergänglidher Jugend 
ruhmt. Der Abfolutismus, felbft ber Feudalariſtokratis⸗ 
mus, war flets ein alter Mann voll Gravitaͤt und voller 
Rüdfichten und Beforgtheiten um feine Würde. 

Dos Erudiren iſt bier wie überall theuer, und unter 
300 Dollars jaͤhrlich kann keiner beftehen. Das Collegium 
bat eine Anzahl Stipendien. Der Zudrang zum Studium 
iſt aber nicht übermäßig, doch fleigt er mit der Zahl der 
Bevoͤlkerung. Die Yankee: Geifttidhen und Yankee: Ärzte, 
die in den verfchiedenen Anftalten und Seminarien des 
Landes erzogen werden, befegen alle neue und leere Stel 
ien in der Union und find durchaus nicht an den Drt 
gebunden oder an den Staat. Da für die Erſtern mehr 
eine Paſtoralwiſſenſchaft, für die Legtern eine, der franzoͤſi⸗ 
fen Hofpitalesziehbung nachgebildete allgemeine Routine 
die Dauptfache find, fo laͤßt ſich nicht erwarten, daß jene 
im Algemeinen die erften Lehrer des Volks, diefe die eriten 
Helfer in Leiblicher Noth find. Nirgend ift die Theologie 
mehr in den Händen des Volks und wird vom ihm ger 
mobelt nach befchränkten Begriffen, nirgend tft der Geiſt⸗ 
liche mehr abhängig vom befondern Geſchmack in religiös 
fen Dingen als bier. Nirgend iſt die Pfufcherei und 
Duadfalberei größer als bier und beide Stände genießen 
daher nicht die Achtung, bie fie noch in Deutſchland ges 
mießen, obgleich fie auch dort aus uͤbergroßem wifjenfchafts 
lichen und geifiigen Hochmuth an den Rand bes Ab: 
grunds zu gerathen fcheinen. Nur der Lawyer hat hier 
eine einflußreiche, fehr wichtige Stellung. Er iſt ber Leiter 
des Volks, regiert das Land und gibt den Ton an. Er 
it wirklich frei — weil er herrſcht. 

(Der Beſchluß folgt.) 


Recherches sur la decouverte des pays situés sor la 
cöte occidentale d’Afrique au-delä du Cap Bojador 
et sur les progres de la science geographique apres 
les navigations des Portegais au l Sième sitcle. Par 
le Vicomte de Santarem. Paris 1842, 


in feanzöfifcher Reiſender der legten Haͤlfte bes 17. Jahr⸗ 
hunderte, Namens Billaut be Bellefonds, nahm die Entdeckung 
Guineas im 14. Jahrhundert für die Schiffer von Dieppe in 
Anſptuch. Diefe Annahme, ber faft alle franzöflfhen Geogra⸗ 
pben auf Treu und Glauben gefolgt find, fucht der um bie 
Geographie mehrfach verdiente Santarem zu widerlegen. Gr 
ftügt fich dabei auf die Zeugniffe der geitweiligen Autoren, und 
citirt nicht nur die wichtigen portugiefilchen 
beruft fih auch auf die Werke ber Reifenden aller Nationen. 
Seine Schrift erhält einen befondern Werth dadurch, daß ber 
gelehrte Verf. eine große Anzahl von geograpbifchen Karten bei: 
bringt, die bis jegt noch gar nicht oder doch nur ungenügend 
befannt warn. Der Atlas, den er feinem Werke beigefügt 
bat, ift deshalb vom hoͤchſten Werthe. Zu den koſtbarſten Kar⸗ 
ten, die derfeibe enthält, zählen wir die von Afrika, bie zur 
berühmten Bibliothek Pinelli’s gehört, ferner die von Juan de 
ia Sofa, der Solombo auf einer feiner Reifen begleitete. Aber 
Santarem bat ſich nicht begnuͤgt, diefe hochwichtigen Documente 
beizubringen, ſondern er hat fich die Mühe gegeben, alle Stel⸗ 
len der Kosmographen und der übrigen dhriftiichen und arabi⸗ 
ſchen Gelehrten des 5. bis zum 15. Jahrhundert zufammens 


emoiren, fondern » 


zuſtellen, tie einiges Licht auf biefen Punkt ber Geſchichte der 
Beograppie werfen können. Die zwei Kauptfäge, bie er mit 
einem Außerorbentlichen Aufwande von Gelehrſamkeit nachzuwei⸗ 
fen fucht, find 1) daß man im Mittelalter bie eigentliche Ger 
fait Afrifas und insbefondere bie weſtlichen und füblidhen Kuͤſten⸗ 
fixiche dieſes großen Grbtheild, die über dem Gap Bojador 
binausliegen, vor ber Enideckung biefer Gegenden durch bie 
Portugiefen nicht kannte, und 2) daß man bie heiße Bone für 
unbewohnt hielt und daß die europälfchen Kosmographen von 
den Bewohnern biefer Laͤnderſtriche gleichfalls erſt durch bie 
Sntdedtungsreifen der Portugiefen etwas erfahren haben. Nach⸗ 
dem der Verf. dieſe hauptfaͤchlichſten Punkte gruͤndlich nach⸗ 
gewieſen bat, ſucht er noch im Vorbeigehen darzuthun, daß 
Portugal nit nur bie MWefllüfte Afrikas jenfeit bes Cap Bo⸗ 
jador zuerft entdedt hat, fondern daß es auch bis ins 16. Jahr⸗ 
hundert dem übrigen Europa die nöthinen Piloten, ohne bie 
man bie Heife nach diefen Gegenden nicht zu unternehmen ges 
wagt hätte, lieferte. 
Document beute darauf hin, baß von ber Gründung ber Feſtung 
©t.Georges da Mina bis gegen das Ende bes 15. Jahrhun⸗ 
derts diefe Länder auch nur don Andern als Portugiefen be: 
ſucht fein. Erſt während ber Kriege zwiſchen Karl V. und 
Franz I: ſcheint man in Frankreich auf ben Gedanken gekom⸗ 
men zu fein, eine Grpedition nad) der Küfte von Guinea zu 
unternehmen. 6. 





Notizen aus Italien. 


Die Entftefung der fiebererzeugenden Luft, ber malaria 
ober aria cattiva, hat in allen Iheiten Italiens den Arzten 
wie ben Naturforfchern immer viel zu fchaffen gemacht, und 
die Literatur über biefen Gegenftand ift ſehr umfangreih. Daß 
die böfe Luft von den Sümpfen, Maremmen, flodenden Waſ⸗ 
fern überhaupt und fo aud von ben Reisfeldern in der Lom⸗ 
bardei ausgehaucht werde, iſt eine längft befannte Sade. In 
den testen Jahren ift aber ber merkwürdige Umſtand viel bes 
fprocyen und befonders in dem Lombarbifchen Inftitut für Wil 
fenfhaft und Kunſt häufig zur Verhandlung gekommen, daß 
fi feit einiger Zeit malaria und Wechfelfieber in ber Umgegend 
Maitands gezeigt haben, wo es nach einem alten Gefege bis 
auf fünf Miglien weit von der Stabt keine Reisfelder geben 
darf und gibt. Man wies nad, daß die Ungefunbheit diefer 
Gegenden nicht früher eintrat als die borthin verpflangte Ans 
wendung jener eigenthämtlich oberitaliſchen und daſelbſt fchon 
fehr alten Bewäfferungsmethobe, für welche man fogenannte 
fontalini, kuͤnſtliche Reſervoire, anlegt, um von ihnen aus bie 
Bewäflerungsgräben überallbin zu vertheilen und zu verbreis 
ten. Es erſchien jedoch allen Kunbigen auffallend, daß diefe 
fließenden Wafler böfe Dünfte erzeugen follten. Endlich bat der 
Dr. Rosnali aus eigener Anfchauung nachgewieſen, baß bie ges 
dachten Wafler keineswegs fo rein und frei fließend find, als 
man vorausfeßte: biefeiben müffen vielmehr dreis bis viermal 
jährlich von fchlammigen Niederihlägen und befonbere von 
furchtbar wuchernden Waflerpflangen gereinigt werden; mit eins 
tretendem Herbſt fleht man von biefem Reinigen ab, das Wafs 
fer fängt an zu ſtocken, die bei dem mehrmaligen Baggern aus: 
geworfenen und aufgehäuften Pflanzenrefte zerfegen fiy und die 
Derbftfieber ericheinen unverzüglich. Wie koͤnnen hierbei an bie 
wichtigen Unterfuchungen des Dr. Daniel! (vom King’s College) 
erinnern, welcher die malaria der afrikanifchen Küften ebenfalls 
ber Decompofition von Pflanzenreften im Seewaſſer zufchreidt : 
es fcheint demnach, daß nicht allein das bortige fchwefelhaltige 
Seewaſſer, Sondern auch füßes Waſſer im Stande ift, burch 
die Aufnagme einer Menge von Pflanzenftoffen ſchaͤdliche Aus: 
dünflungen zu erzeugen. 


überhaupt behauptet er, kein einziges 


Die wiſſenſchaftlichen Zeitſchriften in Italien machhen 
der Kirche ihre Sompliment. Diejenigen, wel —2 
Werke anzeigen, bringen oft bogenlange Beſprechungen irgend 
eines ascetiſchen Buchs oder einer Sammlung von Faſtenpre⸗ 
digten; aber auch mitten unter den naturwiſſenſchaftlichen oder 
archaͤologiſchen Kritiken fehlt es nicht an dedoten Verbeugungen. 
Neulich wurde Paganeſſt's „Saggio di teologia naturale” 
(Maitand 1841) beſprochen: es iſt diefes ein Lehrbuch nach der 
alten metaphufifchen Methode, welches bie Beweiſe für das Das 
fein Gottes vorträgt und bie göttlichen Attribute befchreibt, bas 
bei ben phyſikaliſchen Beweis, von Bewunderung der Natur 
anhebend, nur kurz bebanbelt, übrigens ein erſter Verſuch, die 
fogenannte natürlide Theologie als befondere Wiſſenſchaft auf 
italienifhen Boben zu verpflanzen. Der Recenfent begnügt ſich 
nun nicht damit, biefe Wiffenfchaft überhaupt hoch zu preifen 
und näher dann ſich über das Paganefflihe Buch ausnehmend 


zu freuen, fondern er freut ſich noch ganz insbefonbere über den 


dentwürbigen Umſtand, daß „dieſes Wert aus dem Schooſe 
eines bifhöfliden Seminars hervorgegangen” 3a", zuft 
er aus, „bie Seminarien find der wahre Sig jeder theologifchen 
Wifſenſchaft.“ Weiche Harmonie zwiſchen Theologie und Phi⸗ 
loſophie! Zu biefer Unſchuid ber Harmonie haben wir es num 
body in Deutſchland mit allen fpeculativen Verſohnungspraktiken 
noch nicht bringen können. 48, 





Literarifhe Anzeige. 


Die Wiederkehr. 


Eine Rovelle. 
Herausgegeben 
von 


dem Einſiedler bei St.- Johannes. 


Drei Theile, 
Gr. 12. Geh. 6 Thlr. 15 Ngr. 


Leipzig, bei F. U, Brockhaus. 


Die innere und Außere Geſchichte eines reichbegabten Juͤng⸗ 
lings, der in religiöfen und politiſchen Wahn befaugen ausgeht 
aus dem Baterhaufe, die wahre Kirche und den freien Staat 
zu fuchen, und heimfehrend, wenn nit was er gefucht, doch 
die koͤſtiichfte Perle gefunden bat, bietet eine Galerie von 
landſchaftlichen und hiftorifhen Gemaͤlden und Portraits dar, 
weiche das bäustiche, kirchliche und bürgerliche Leben in mannich⸗ 
fachen Geſtalten abfpiegeln. Es find Büber aus dem Leben, 
voll hiſtoriſcher unb poetifher Wahrheit, und bie wichtigften 
Streitfragen, Sontroverfen und Differenzen unferer 3eit treten 
in anmuthigem Wechfel der Erzählung und bes Dialogs anfdyaus 
lid) hervor. Altes und Neues wich hier geboten, aus bem Schape 
eines erfahrungsvollen Lebens, das ben Kampf der Parteien und 
Syſteme mitgefämpft und für ſich durdägefämpft, im Kampfı 
aber gelernt bat, gerecht fein gegen Meinungen, wo die Geſin⸗ 
nung lauter und wahr, das Streben reblich ſich erwelſt. Redliche 
Zweiflee werben bier über manche angefochtene Glaubensartikel 
befriedigende Aufſchluͤſſe, und was die ſtreitenden Kirchen ent 
zweit ins Licht geftellt finden, nicyt aus dem Standpunkte einer 
Partei oder Sekte, fondern aus den unverfaͤſchten Zeugniffen bes 
biblifchen Chriſtenthums und bem geläuterten Bekenntniß ber 
evangelifchen Kirche. Zur heitern Unterhaltung gefellt ſich man⸗ 
nichfache Belehrung und fo fleht zu hoffen, daß die verfchieden- 
artigften Lefer ſich befriedigt fühlen werben. 





Verantwortlicher Heraukgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von $. A. Brodhans In Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Montag, 


BEE Nr, 100, ö— 


10. April 1843. 





Die Univerfitäten in den Vereinigten Staaten. 
(Beſchluß aus Nr. W.) 

Etwas auf den hiefigen Univerfitäten ganz Fehlendes 
ift das Duellwefen. Es kann bei der flattfindenden Ein: 
richtung gar nicht beflehen und im Allgemeinen ift im 
Norden der Union dagegen ein erflärter Widerwille. Im 
Süden dagegen ſchießt man fi nach Herzensluſt. Was 
der Natur der Verhältniffe nad in hiefigen Verhaͤltniſſen 
nicht beſtehen kann, läßt ſich alfo aud nicht mit deut: 
ſchen vergleichen. Ubrigens iſt ein gemeljened und gere⸗ 
geltes Duell auf den deutſchen Univerfitäten gewiß nicht 
ganz verwerflich, fo lange man fie nit zu Schulen her 
abwiürdigt, deren Zoͤglinge jede Unart im Betragen gegen: 
einander durch Sigen vor dem Disciplinargeriht aus⸗ 
gleichen follen. Man hat gefehen, wie diefe Behandlung 
der Sache zu den abfcheulihen Prügeleien unter ben 
Studenten geführt hat, und daß diefe reichlich fo gefähr: 
fi find als die Duelle, weil fie in der roheſten Weiſe 
ftattfinden und den Geiſt der Brutalität nähren, der lei: 
der nirgend leichter wurzelt als auf Univerficäten. Das 
Zufammenleben mit den Profefjoren iſt fo erſchwert wie 
nirgend. Die Ungleichheit, die Abſtaͤnde find im monat: 
chiſchen Leben überall fo groß, daß eine Kette der Bildung, 
wie fie z. B. bier die OBKgeſellſchaft darftellt, nicht mög: 
tih iſt. Die falfchen Maßregeln, durch Clubs und Mu: 
feen dies zu befördern, haben nie gute Fruͤchte getragen. 
TRiH man das Univerfitätölcben, und zwar mit Recht, auf: 
echt erhalten, fo lange es etwas nuͤtzt und leiftet für das 
Volk und die Welt, [o laffe man ihm jenes prioklegicte 
äußere Selbſtrichten. Es liegt darin mehr als bloße rohe 
Spielerei und Autonomie. Wir haben keine Mittel, Män: 
ner zu ziehen, aber fehr viele, Weiglinge zu bilden. Die 
Miederträchtigkeit und Wohlfeilheit dringt überall in das 
Leben der Einzelnen, fobald die Reatitit ihn überwältigt. 
Es follte in allen Lebenslagen dieſer Vermittelung nichte 
entgegenftehen als ber Misbraud). 

Bisweilen ſtellt ſich noch bier der jugendliche Geiſt in 
Aufruhr der Diseiplinargewalt gegenüber. Es iſt hoͤchſt 
laͤcherlich, dieſe Verweigerungen des Gehorſams mit anzu⸗ 
ſehen. Gewöhnlich iſt eine große Kleinigkeit Urſache, z. B. 
ein Totor (Collaborator) oder. dergleichen uͤbt Parteilichkeit 
oder Misgriffe. Der Senat ſchuͤtzt natürlich feine Be⸗ 
amten fo fehr als möglich, und oft haben dieſe auch mehr 





in der Form als in ber Sache unrecht, das gilt aber gleich. 
Die Muffe rottirt ſich kernhaft aneinander und zieht wol 
aus den Gollegiens&ebäuden aus auf den Common (Anger) 
des Gollegiums. Im Sommer hat man fie bier fchon 
bivoualiren fehen. Wegen und Kälte find ſtets Feinde ber 
Empörungen. Wenn die Rädelsführer weggeſchickt find, 
wird die Ordnung hergeftellt, oft erft nach Tagen, auch 
wol nah Wochen. Die eigentlihen Studenten (in ben 
Law- und Divinity-schools) nehmen daran feinen Antheil, 
daber find diefe Ereigniffe oft noch Eindifcher als auf den 
deutfhen Lniverfitäten. Die Ausbrücde von Roheit feh⸗ 
ien auch hier nicht, und dies ift das Traurigſte bei ber 
Sahe. Im Ganzen ftellt ſich heraus, daß eine große 
Menge von Einwürfen gegen diefe privilegirten Anftalten 
gemacht werden. Man misbilligt die whigiſtiſche Rich⸗ 
tung ded Ganzen und über fur; oder lang dürfte auch 
wol diefe Anſicht fich geltend machen. Die Gefeggebung 
iſt freilich in Maſſachuſetts whigiftifh, und fo lange dies der 
Fall it, ſteht nicht zu erwarten, dab Jemand wagen 
werde, diefe Richtung in der hoͤchſten Schule des Landes 
anzutaften. Selbſt in bee DBKgefelfchaft fiebt man 
Whigismus, und wenigſtens ift der Ariftokratismus des 
Talents darin erkennbar. In den Leiltungen des Uni: 
verſitaͤtslebens felbft liegt der Keim zu einem hoͤhern wifs 
ſenſchaftlichen Umfchwung ; dies ift durchaus in der Nas 
tur der Anſtalt. Sie foll praktiſch befähigen; es. iſt zwar 
nicht die Tendenz dee Leiter, eine andere Richtung zu ges 
ben, aber man erwedt die Intelligenz. Man thut dem 
ameritanifchen Leben oft den Zwang an, ed mit europaͤi⸗ 
ſchem vergleihen zu wollen. Man will Geſchichte — 
gefhichtlihe Auferbauung des Volks in befien Leben fu: 
hen. Alles das ift Thorheit, von der fich ſelbſt Tocque⸗ 
ville nicht losreißen kann. Man ift bier fehr überzeugt, 
daß man nicht in der Altern noch in der mittlern, fon» 
dern lediglih in dem Studium ber zweihunbertjährigen 
Geſchichte des Landes etwas Lernenswerthes finde. Gewiß 
find biefe felbfigemachten Männer dieſer Gefchichte große 
Mufter; aber eben deshalb muß aud das Leben und bie 
Verhaͤltniſſe bier erft in jedee Epoche Männer bilden, wie 


wir in dee Geſchichte der gegenwärtigen Krifis von Ames 


sitz ſehen. Wie hoͤchſt armfelig, wie bodenlos biefe Vaͤ⸗ 
ter der Nation ſind, das laͤßt ſich kaum mit Worten aus⸗ 
brüden. John Quincy Adams, der Exptaͤſident, iſt das 


ſchlagendſte Beiſpiel. Auch dazu liegt ber Keim in der 
Gefchichte, in dee blos praßtifchen Erziehung, in der Ober: 
flaͤchlichkeit. Doc iſt Maſſachuſetts unbezweifelt allen 
Staaten voraus und wird mit Recht als Mufterflaat be: 
trachtet. Man hat bier die beffernde, nicht die verknoͤ⸗ 
chernde confervative Richtung und haͤlt dem bloß fpeculi- 
renden Neuyorker und Pennfylvanier u. ſ. w. gewaltig bie 
Wage. Daß die Harvard: Univerfität dazu viel beiträgt 
und getragen hat, und zwar durch ihren whigiftifhen Geiſt, 
laͤßt ſich nicht bezweifeln. Sie ift der Augapfel bed Wolke, 
und mit Stolz betrachtet der Bürger von Maffachufetts 
diefe Stiftung feiner patriotifhen Voraͤltern. 

Man bat hier eine Öffentliche Bibliothek, die jegt ein 
neues, geräumiges Local erhalten bat und vergrößert ter: 
den fol. Man eröffnete dazu Subferiptionen und in kur⸗ 
zer Zeit waren 12,000 Dollars unterzeichnet. Die Unters 
zeichnungen geben fort und viele jährliche Beiträge und 
Gapitafgefchenke fihern diefem Snftitute fein Streben, fich 
zur allgemeinen Nüslichkeit zu erheben. Bei ber Strenge, 
mit welcher die Aufficht gefchieht, ift ein betrügliches Ver⸗ 
walten auch diefes Fonds unmöglih und fo ſteht dem 
Gedeihen dieſer Nichtung nichts entgegen. Sehr zweck⸗ 
mäßig ift es, daß jedem Studenten die Hauptquellen und 
Bücher feines Privatſtudiums im Lectionskatalog angeges 
ben werden, daß man darauf bei den Prüfungen Rüdficht 
nimmt und daß die Bibliothek mit den für diefes Stu: 
dium geeigneten Büchern hinreichend verfehen if. Der 
Bibliothekar, Here Thaddeus W. Harris, ift ein in ber 
Unton bekannter Kenner der Naturgefhichte und bat treff: 
liche Schmetterlinge: und Käferfammlungen, die er, wie 
die Bibliothek, in der nusgezeichnetften Sauberkeit und 
Drdnung erhält. Der Fleiß der Schüler und Studenten 
tft im Ganzen genommen gut, dba man in ben wenigen 
Fahren viel von ihnen verlangt. 

Sollte es mir gelungen fein, ein Bild dieſes Inftituts 
zu entwerfen, ohne mich von der Wahrheit entfernt zu 


haben, was ich nicht glaube, fo dürfte ein fehr erfreuliches 


Gebaͤude vor dem Auge bes Lefers fliehen, einfach, Eräftig, 
aufftrebend, und, trog einiger unfchuldigen und politifcyen 


Gebrechen, nicht dem Syſtem der Verknoͤcherung unters 


mworfen, welchem die englifchen Univerfitäten verfallen find, 
die mit ihrer Peitſchen⸗ und Stoddisciplin ſich brüften 
und weiter nichts Teiften, was dem Volksleben einen ver: 
jüngenden Zufag gäbe, wenn man die fittlichen Folgen 
und nicht das Lateinifche und Griechiſche im Auge hat; 
denn Cambridge ift, wie es if, das Hypomochlion und 
der Mittelpunkt amerikaniſcher Intelligenz. Diefe aber ift 
in den Grundideen eine neue und völlig Losgeriffene von 
den Wurzeln europälfchen Volks⸗ und Staatslebens. Der 
Begriff der Souverainetät des Volks gibt dem Einzelnen 
eine durchaus andere Stellung und Richtung. Die Ber: 
Antwortlichkeit ded Bürgers dem Bürger und Mitfouve: 
rain gegenüber iſt eine völlig andere als die Verantwort⸗ 
fichkeit dem Fuͤrſten gegenüber. Etwas Ähnliches finden 
wir in Europa in den Verhaͤltniſſen des Adels zueinan⸗ 
"der, bee fi) Vieles durchgehen läßt, was er den niebern 
Elaffen des Works nicht gut thut; ebenſo iſt in det Stel⸗ 


lung der Fürften zueinander eine Anerkennung der Sous 
verainetät felbft im Unrechtthun nody politifch = moralifdy, 
und man darf fi alfo nicht wundern, baß bei ähnlicher 
Freiheit bier ſich ähnliche Principien entwideln, die indel⸗ 
fen alle auf die große Entwickelung des Principe der Frei: 
beit der Perfon hinauslaufen. Der Ehrgeiz hat in einem 
ſolchen Leben ein ungeheure Feld; er iſt ſelbſt die Haupt: 
triebfeder ber Erziehung und der Unterrichtsanftalten. Die 
Gewalt der Rivalitaͤt ift hier völlig entwidell. In dem 
wenigen Jahren des Univerfitäts: oder Gollegienlebens, wo⸗ 
bin man mit ſehr dürftiger Vorbereitung kommt, wird 
man duch bie Unterrichtsclaffen jährlich hindurchgeriffen 
und foll Schritt halten, um in der legten die Ehre eines 
Magister artium oder Baccalaureus zu erwerben. Wer 
einen wiſſenſchaftlichen Beruf ergreifen will, ohne biefe 
Ehre zu erlangen, fühle ſich gebrüdt. Daher die Außer: 
flen Anftrengungen oft bei geringen Anlagen; daher fehr 
haufig Fälle von Überreisung und Geiſteskrankheit. In 
dem Maſſachuſetts - Collegium, deſſen ganze corporative 
Einrichtung auf Ariſtokratismus und Confervatismus, auf 
einer gewiffen Ausfchließlichkeit beruht, geht dieſer Zuſtand 
allen andern vor, beherefcht das Ganze und hält die pars 
tetfofe, freie Entwidelung bedeutend nieder. Diefe Wahr: 
nehmung kann dem Fremden um fo weniger entgehen, 
wenn er fieht, daß alle rein humane Beftrebungen, wie Ab: 
fhaffung der Sklaverei, Aufklaͤrung in philofophifchen und 
politifchen Principien, in Xheologie u. f. w. bier mit einem 
gewiffen, oft geheimen Berfolgungsgeifte zufammenfloßen. 

Man darf jedoch nicht unbeachtet laſſen, daß fi in 
Zöglingen der Anſtalt felbft eine gewiſſe eroterifhe Rich⸗ 
tung in der Literatur gebildet hat. Man iſt durchaus nicht 
mit den Leiftungen englifcher und amerikaniſcher Philoſo⸗ 
pbie und Theologie begnügt; man fühlt, daB man fid 
über gewiſſe Armfeligkeiten erheben, daß bie Philofophie 
dazu dienen müffe, die Theologie in den Stand zu fegen, 
fi) Über die bigoten und engherzigen, oft fehr gewillkuͤr⸗ 
ten Dogmen ber Kirchengemeinden zu erheben und daß fie die 
Beftimmung habe, die Verdummung der Menſchen zu ver: 
hindern. Diefe Richtung ift eine junge und wird als 
revolutionnaire bezeichnet; man nennt fie demokratiſch, ja 
irreligioͤs. Dennoch findet fie mehr und mehr Cingang. 
Befonders blickt diefe Schule auf die deutfche Literatur 
und überträgt die ‚Standard works” in allen Faͤchern 
der Wiffenfchaft, fofern fie hier Intereffe haben. Bis 
jegt find zwoͤlf Bände folcher ÄÜberfegungen in dieſer 
Sammlung gegeben, und unter diefen befonders Werke 
de Wette's. Irren wir nicht, fo hat der befannte Dr. 
Karl Kollen zu bdiefer Richtung viel beigetragen, und wenn 
Viele ihm dies als ein Verbrechen anrechnen und deshalb 
deutfche Neuerer aͤngſtlich von allem Einfluß auf das erfle 
wiſſenſchaftliche Inſtitnt des Landes auszufchließen freben, 
fo freuen fih ebenſo Viele der begonnenen Enffeſſelung 
des Geiſtes. Noch ift es ſchwer zu fagen, welche Rich⸗ 
tung fiegen merde. So lange man bier das Studium 
der Univerfalgefchichte geringfhägen Hört im Öffentlichen 
Reden und Erhibitionen — im Vergleich mit dem Stu: 
dium der vaterländifchen Gefchichte und Ihrer „selfmade” 


Charaktere, fo groß fie auch fein mögen, fo lange wirb ber 
Nationalſtolz die Nationaldummheit ebenfo aufrecht erhalten 
wie in England, Frankreich und Holland. Die Abneigung 
der gebildeten Deutfchen vor dem ameritanifhen Kicchen: 
weſen fcheint auf der andern Selte eine Verkegerung deut: 
ſcher Philofophie herbeizuführen, ohne daB man fie Eennt. 
Es ift wahr, daß die beutfche Theologie viel von der beut- 
fhen Phitofophie zu leiden gehabt bat, aber gewiß nicht 
ohne Grund. ie wird zur rechten Zeit fhon zurüdzah: 
len, was fie zuviel erhielt. 

Man fieht bier forgfättig darauf, bie Profefforenftellen 
an Männer zu vergeben, die wirklich in der Wiſſenſchaft 
etwas feiften. Da die Stellen nicht glänzende Beſoldun⸗ 
gen abwerfen, ‘fo kommen meiftene Männer von Bente 
und ohne Vermögen hinein. Indbeſſen iſt damit eine 
geriffe Abhängigkeit der Profefforen von den politifchen 
Meinungen ber Leiter des Ganzen verfnüpft, welche eine 
ſchon berührte Einfeitigkeit der humanen Entwidelung bes, 
dingt. Dies ſcheint man von den englifchen Mujteran: 
ftatten geerbt zu haben, die wahrhaftig Alles fein können, 
aber gewiß kein Muſter für eine amerikanische Univerfität. 
Schwebte das whigiftifhhe Cambridge in England als Mufter 
vor, fo hätte dies vielleicht einen Sinn; allein man hat 
das torpftifche Oxford als Vorbild der rechten Maximen 
im Sinne, und dies fcheint Vielen ein Misgriff. 

Bel dem Allen vermißt man hier jene fteife englifche 
Erziehung durchaus, und dies ift, role ich glaube, das 
Befle, was man zum Unterfchied beider Länder und ihrer 
Anftalten fagen kann. Der Amerikaner beftrebt ſich in 
allen Verhältniffen, ſich ebenſo leicht und von Formen un: 
gehindert zu bewegen, als der Brite und Deutfche ohne 
diefe Sorm kaum beftehen kann — glei einem Mädchen 
ohne Schnuͤrbruſt. R. Weſſelhoͤft. 





Erinnerung an Bluͤcher. 


Der Marſchall Vorwaͤrts hat ſich als das Ideal einer ge⸗ 
ſunden und kraͤftigen Soldatennatur ſo ſehr in das Bewußtſein 
der Deutſchen eingelebt, daß er auch jetzt, dreißig Jahre nach 
ſeinem heldenmuͤthigen Ringen und Kaͤmpfen, fortwaͤhrend ein 
Mann des Volks geblieben if. Ein ruͤhmliches Andenken deſ⸗ 
ſelben ſchrieb bereits Varnhagen von Enſe von — Jabren in 
ſeiner meiſterhaften Biographie des Fuͤrſten Bluͤcher; Foͤrſter, 
Wallenrodt, Friedrich und Andere ſtrebten gleichfalls darnach, bes 
Feldherrn Gedaͤchtniß friſch zu erhalten; in einer Reihe von 
Sharafterzügen und Anekdoten, als deren Herausgeber ber Oberft 
von W. genannt wird, ift das Bild des alten Helden mit größs 
ter Lebendigkeit gefchildert und wer nur fonft über die Geſchichte 
der Jahre 1812 — 15 geſchrieben hat, wie Ruͤhle von Liliens 
Kern, Srolmann, Hofmann, Muͤffling, Arndt, fand immer 
Gelegenheit, dieſe oder jene Seite aus Bluͤcher's rüfligem Krieger: 
leben herauszuheben. An biefe fchließt fich ein ehemaliger tapfe⸗ 
zer Dffigier der preußiſchen Gavalerie, Kurb Wolfgang von Schoͤ⸗ 
ning, dem wir bereits mehre ſchaͤgbare mitltairifche Biographien 
verdanken, in ruͤhmlicher Weife an, inbem er ben hundertjaͤhri⸗ 
gen Geburtstag Bluͤcher's am 36. Dec. 1842 nicht ohne ein ber 
beutungsvolles Erinnerungszeichen wollte vorübergehen laffen. *) 


°*, Geſchichte des koͤnigl. vreuß. fünften Oufarenregimentö, mit 
befonderer Ruͤckſicht auf Gebh. Lebr. von Bläher, ben ehemaligen 
Thef dieſes Regimentd. Won Kurd Wolfgang von Schöning. 
Berlin, Luͤderig. 1943. Gr. 8. 2 Thlr. 15 Ner. 


Sr Hat dazu bie Geſchichte des preußifchen fünften Huſaren⸗ 
regiments, bem Bluͤcher 46 Jahre als Offizier * ſpaͤter 
als Chef angehörte, gewählt und in dieſelbe viele neue, ins 
terejfante Züge aus dem Leben des Generals verwebt, fobaß 
uns deren Mittheilung hier nicht unftatthaft erfcheint. übers 
dies dürfte das Buch nur in die Hände Weniger gelommen fein, 
bie nicht gerade Militairs vom Fache find. 

Bluͤcher war bekanntlich aus ſchwediſchen Dienften im 2. 
1760 in preußifche getreten und zwar in das berühmte Belling’s 
ſche Bufarmregiment, dem König Friedrich Wilhelm IV, am 
12. Dec. 1842 den alten Ramen der Blücher’fchen Huſaren und 
bie rothe Uniform wieber verlieben bat. Im Jahre 1771 ftand 
er bei bemfelben, nachdem er zehn Jahre lang Premierlieutenant 
geweſen war, als Stabsrittmeiiter und harrte ungebuldig auf 
Avancement. Da geſchah es, daß ihm, fei es nun in Kolge 
eines Misbrauchs der ihn anvertrauten Gewalt gegen einen pols 
niſchen Priefter (worüber bei Varnhagen von Enfe das Wei—⸗ 
tere zu leſen ift), oder aus Haß des Generals von Loffow ber 
Premierlieutenant von Jaͤgersfeld vorgezogen wurde (am 10, 
Dct. 1712) und diefer die Schwabron erhielt, auf bie Blücher . 
gerechnet hatte. Gleich fchrieh er im hoͤchſten Unmuthe an 
Friedrich 1.: „Der von Sägersfeld, ber Eein anderes Verdienft 
hat, al& der Sohn tes Markgrafen von Schwebt zu fein, iſt 
mir vorgezogen: ich bitte Ew. Majeftät um meinen Abfchieb.‘ 
Hierauf erfolgte erſt Arreſt, dann, auf Bluͤcher's wieberholtes 
Rachſuchen, der kurze Befcheid „der Nittmeifter Bücher kann 
fih zum Teufel jcheeren ”. Ohne Weiteres geſchah dies und 
zwar mit ſolcher Schnelligkeit, daß die geheime Kriegskanzlei 
eigentlich gar nicht wußte, wo Blücher geblieben fei. Er kaufte 
nun, durch bas Bermögen feiner Frau unterflüßt, das Gut 
Großrabborw in Pommern und warb 1784 Deputirter der Lands 
ſchaftsdirection, wobei er, wie Hr. v. Schöning nach dem Zeugs 
niffe glaubwürbiger Perfonen berichtet, einen hellen Blick und 
fehe leichte Orientirung zeigte. 

Aber König Friedrich grollte noch lange dem hitzigen Nitts 
meifter. Diefer konnte feinerfeits die Ruhe bes Friedens nicht 
vertragen, und als der Bairifche Erbfolgekrieg auszubrechen 
bropte, wagte er ſich wieder an den König. Es werden bier 
zehn Schreiben Bluͤcher's an ben König aus ben Jahren 1778 
— 85 zuerſt mitgetheilt, in denen der feurige Mann demuͤ⸗ 
thig und inftändig bittet, fein Landesherr wolle Gnade für Recht 
grgehen laſſen und ihn ald Major in der Cavalerie „placiren 
ober ihm wenigftens ben Abſchied als Major bewilligen und er: 
lauben die Montirung zu tragen, „damit er doch wenigftens 
ein Gnadenzeichen für feine beiwiefene Bravour und bie empfans 
genen Bieffuren aufsuseifen babe’, und „baß er fich, wenns 
gleich jegt noch auf entferntere Art, zu dem Haufen rechnen 
dürfe, der zur Beſchuͤtzung des Waterlandes gebraucht wird, 
worin er feinen ganzen Stolz fege”. Sogar in hbollänbifche 
Dienfte will er gehen, um nach dort erlangtem höhern Grabe 
bei einem ausbrechenden Kriege feine Kräfte wieder dem preußis 
ſchen Vaterlande widmen zu Lönnen. Aber Alles vergebens. Die 
Eöniglichen Refolutionen lauteten entweder: „warum ift er nicht 
im Dienft geblichen, das ift feine Schuld‘ oder: „das iſt nichts“, 
oder fie blieben ganz aus und Alles, was Bluͤcher erlangen 
fonnte, war, baß er bei einem ausbrechenden Kriege follte in 
ber Armee „placirt“ werben. 

Darüber flarb Friedrich IT. Bein Nachfolger Friedrich 
Wilhelm 11. flellte Bluͤcher unter dem 23. März ald Major 
in demfelben Dufarenregimente an und gab ihm bie gewünfchte 
Schwadron. Nun ftieg er raſch und führte ais Oberft bed Res 
giments baffelbe 1793 ins Feld gegen die Franzofen. 

Sowol in biefem Jahre als im folgenden entwidelte Bid: 
er fein audgezeichnetis Talent als Gavalericanführer auf bie 
glaͤnzendſte Weile. Wie befcheiden er hierüber felbft dachte und 
in welcher edeln Weife er jedem Verdienſt feiner Mitlämpfer und 
Untergebenen bie hoͤchſte Gerechtigkeit widerfahren ließ, zeigt 
das bier nicht zum eriten Male gebrudte Tagebuch, zu beffen 
Bervollſtaͤndigung Hr. v. Schöning noch hätte Valentini's „Er⸗ 


400 


innerungen eines preußifchen Offigiers aus biefen Belbzügen ©. 
87 fg. benugen koͤnnen. Wir Eönnen auf das militairiſche De: 
tail bier nicht eingehen, müffen aber der Recognoſcirung bei 
Bouvines und dor allen des Kavalerlegefechts bei Kirrweiler 
(28. Mai 1794) gedenken. Mit feinen Leuten war Bücher fehr 
väterlich, verlangte aber auch viel von ihnen: „Ihr Rothen‘', 
rief er ihnen einmal zu, „wenn ihr euch mich recht verbindlich 
machen wollt, fo arbeitet heute: wir Können viel thun.” Ges 
gen verwunbete Franzoſen zeigte er ſich menſchlich und ſprach 
einem Franzoſen, der bie Preußen auffoderte, ihn tobt zu 
fchiegen, weil er boch nicht länger leben könnte und wollte, al⸗ 
les Ernſtes zu, fich verbinden zu laffen, indem es einem Sol⸗ 
daten nicht anftehe zu verzweifeln. Wo bagegen feine Ehre ins 
Spiel fam, war er fireng und nachdruͤcklich. In einen ſolchen 
Sonflict Fam er mit dem Oberften von Szeculy, beffen Poften: 


reihe fein Regiment im October 1793 übernehmen follte. Als 


diefer nämtich anfing ihm eine Dispofition zum Angriff vorzu: 

f&reiben, entgegnete Bluͤcher mit der ganzen natürlichen Hef⸗ 

tigkeit feines Weſens: „Höre, Szeculy! kannſt du, wenn wir 

auf einem Fiecke find, jemals vergeffen, daß ich befehle und 

* ra, fo ziehe ich die Piftole und ſchieße dich vor den 
opf. 

Mit großen Ehren Eehrte Bücher aus dieſen Yelbzügen 
zurüd und fein Name war fortan einer ber gefeiertften in ber 
preußifchen Armee. In den unglüdlichen Zagen bei Auerftäbt 
und Sena vermochte Bluͤcher (damals Generallieutenant), bei ber 
Mishelligkeit und Wefangenheit dee Oberanführer, nichts We: 
Tentliches auszurichten, wo aber perfönliche Tapferkeit ausreichte, 
da bewährte er fich ſowol als fein Regiment. Daher wählte 
auch der beflegte König, als er in ber Nacht vom 1A. auf den 
15. Oct. 1806 in &ömmerba ankam, eine Escorte von 90 Hu: 
faren aus dieſem Deakmente. Man fuchte bie beften und ficher: 
fien Leute aus, Bluͤcher trat unter fie und redete bei Fackel⸗ 
fein folgende Worte zu ihnen: „Der König hat dem Regimente 
die Gnade angethan und eine Escorte von bemfelben angenom: 
men, jest wo Beine Majeftät durch die Umftände beftimmt 
werben, die Armee zu verlaffen, um wegen wirkfamer Verthei⸗ 
digung des Vaterlandes bie geeignetften Maßregeln felbft anzu: 
ordnen. Die Wege, die der König pafliren wird, find durch 
franzöfifhe Truppen unficher, ihr fühlt daher die ganze Be: 
deutung und Wichtigkeit eurer Beflimmung unb ich hoffe, 
daß im Fall der Noth ein Jeder von eudy feine Schuibigkeit 
tun wird, denn berjenige von euch, der mir aus einem 
etwaigen Unglüd lebendig unter bie Augen treten wollte, den 
würbe ich mit eigenen Händen in Stüde hauen. Run reitet 
mit Gott.’ 

Neben diefer Probe militairifcher Beredtſamkeit, durch die 
Bücher, wie auch anderwärts befamnt ift, im rechten Augen: 
blicke ſehr energifch einzugreifen verfland, finden wir auch in 
der Chöning’fgen Schrift manche charakteriftifche Briefe und 
Parolebefehle, von benen wir folgenden vom 20. Aug. 1809 an 
die pommerfche Brigade mittheilen : 

„Wenn die Deren DOffiziers fchriftlih zu melben haben, 
ober meine Verwendung —288 wollen; ſo bitte ich ſich da⸗ 
bei der moͤglichſten Kürze zu befleißigen und mid mit franzoſi⸗ 
fhen Ausprüden zu verfchonen, da es ihnen wohl befannt fein 
wird, daß ich Fein guter Franzoſe bin. Ich wuͤnſche, daß ein 
Jeder fo an mich fchreibe, als wenn er mit mir Ipricht, alle 
Snabe und Unterthänigleit weglaffe, und in dieſem Geſchmacke 
werde ich dann auch antworten. — Die ungeheuern Badenbärte 
werben bie Deren DOffiziers auch wol abfchneiden, denn ich kann 
biefen Putz nur für Kutſcher ſchoͤn finden.“ 

Der Zweck biefer Blätter verhindert uns, auf andere Details 
einzugehen, welche bie auch durch Sammlerfleiß ausgezeichnete 

rift vereinigt hat. Wir mwärben fonft noch ber merkwuͤrdi⸗ 
gen, ungebrudten Beſtimmung Friedrich's II. über das Grerci- 
zen der Gavalerie während des Grafens erwähnen und bes 
Parolebefehls des Generals Zauentzien vom 20. Mär; 1763, 


burch den die Offiziere ermahnt werben, in ben Garnifons 
fläbten nie „ohne dienftmäßige Friſur, fteife Halsbinde, Gties 
feletten, gelbe Stuͤlphandſchuhe und Stock zu erfcheinen, den 
Zopf bis hinten an ben Schoos zu tragen, den Degen hoch 
über der Hüfte, bie Weſte nur mit zwei Knöpfen zuzu⸗ 
knoͤpfen, bamit das Oberhemde und bie Buſenkrauſe gehörig zu 
feben iſt“ u. dgl. m. — Vorſchriften, von denen Hr. v. Schoͤ— 
ning bedauert, daß ſelbſt ein fiebenjähriger Krieg nicht im 
Stande geweien fei, bie alten, kaͤſtigen Einrichtungen längft 
vergangener Zeiten auszurotten. Unter all ben militeirifchen Er 
zählungen würden wir bie Geſchichte des fünften Dufarenregis 
ments im ruffifchen Feldzuge 1812 erwähnen, den zwei Schwa⸗ 
bronen beffelben mitgemacht hatten, von denen aber nur 51 
Mann zurüdkebrten, ferner bes Gefechte in und bei Berſailles 
am 1. Juli 1815 und als Muſter einer Elaren, für Laien wie 
für Soldaten intereffanten militairifchen Erzählung die Relation 
bes Lieutenant vom Lemcke über eine von ihm an biefem Tage 
gemachte Seitenpatrouille. Aber e8 mag für jest an biefen Ans 
beutungen genug fein. Ä d. 





Literarifhe Notizen aus Franfreid. 


Der Major Pouffin, ber die Vereinigten Staaten in 
allen Richtungen bereift und felbft, wenn wir nicht irren, in ameri⸗ 
kaniſchen Dienften geftanden hat, laͤßt gegenwärtig ein Werk 
über Nordamerika erfcheinen. Es ſchließt fih an feine ſchon 
früher herausgegebenen Abhandlungen an, die meiftens die nord⸗ 
ameritanifchen Eifenbahnen betrafen, erſtreckt fich aber über ein 
bei weitem ausgebehnteres Feld. Es führt den Titel: „De la 
puissance americaine”’ (2 Bbe., Paris 1843). Der Verf. 


‘befpricht darin den Grund ber norbamerifanifcdhen Macht, die 


Snftitutionen, auf benen fie beruht, den politifchen Geift, von 
benen biefe Inftitutionen befcelt werben, und die militairifchen, 
commerciellen und inbuftriellen Werbältniffe. Der Major Poufs 
fin ift ein eifriger Bervunderer biefer jungen Macht, die in ih⸗ 
rem blühenden Zuſtande, wie Gens in feinen Briefen gefteht, 
für die Ariftofraten des alten Europa etwas Unheimliches hat. 
In einer foeben erfchienenen politiſchen Broſchuͤre: „De l'aristo- 
cratie anglaise, de la d&mocratie americaine et de la libera- 
lite des institutions francaises”, von Charles Karıy (Paris 
1843), follen nun die Schattenfeiten der vielgepriefenen Ber: 
faffung Nordamerikas nachgewiefen werden. Der Berf. deckt 
zu gleicher Zeit die Schwaͤchen ber englifchen Snftitutionen auf 
und fucht darzuthun, daß die franzoͤſiſche Conſtitution vollkom⸗ 
mener als bie der übrigen Länder fei. 


Es iſt bemerkenswerth, daß die beiden Handbücher der 
Geographie, bie in Frankreich am meiften verbreitet find, vom 
zwei Ausländern berühren. Die Werke von Malte-Brun, dem 
Dänen, und von Balbi, bem Italiener, ſtehen in Frankreich 
im böchften Anſehen. Es fcheint, als wollten die Franzoſen 
dadurch einrdumen, baß fie, was Genauigkeit und Sorgfalt in 
ben einzelnen Angaben, auf die «8 in geographifcdyen Bands 
buͤchern hauptſaͤchlich ankommt, mit ben ausländifchen Gelehr⸗ 
ten nicht rivalifiren können. Wir find weit entfernt, ben fran 
zöfifchen Geographen, denen die Wiffenfchaft zum Theil die wide 
tigften Entdeckungen verbanft, ihr Verdienſt ftreitig zu machen. 
Wir erwähnen nur des Factums, baß noch feiner ber franzoͤß⸗ 
fgen Gelehrten die beiden Ausländer, beren wir eben gebadht 
haben, in ben Schatten zu ftellen vermodt hat. Balbi’s „Ab⸗ 
riß ber Geographie“ namentlich genießt in Frankreich immer noch 
bes größten Anſehens und jedes feiner geographilchen Werke 
findet ein ausgebehntes Publicum. Go wird fi) aud fein 
neuefte® Wert, das ſich gegenwärtig unter der Preffe befindet, 
einer guten Aufnahme zu erfreuen haben, Es wird ben Titel 
führen „Elements de geographie generale” und foll eine 
dıtvole Auseinanderfegung der Principien ber Geographie 

ieten. . 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brochaus in Leipzig. 


BE IE “3 ' nn — ... —2 


Blätter 


für 


literarifbe Unterhaltung. 





Dienſtag, 


— Nr. 101. — 


11. April 1843. 





Karl FZörfter. 


Gedichte von Kari Foͤrſter. Herausgegeben von Ludwig Tieck. 


Zwei Theile. Mit dem Bildniffe des Dichters. Leipzig, Brock⸗ 
haus. 1843. Gr. 12. 3 Tolr. 
Wo fahrlos jede Herzensluſt, 
Kein Weh und kein Verbrechen, 
Beil aus ber reinen Menſchenbruſt 
Nur reine Stimmen fprechen ! 


Da ſteht das Herz in guter Wacht 
Und braucht nicht eigne Wehre, 
Und weiß, daß, was es drin erbacht, 
Des Gegens nicht entbehre. 

Nur der Zufall führte uns gerade auf diefe Verſe, 
um die Anzeige der Gedichte des edeln Mannes und 
Dichters mit Worten anzufangen, die ihm felbft angehö- 
ven und ihn und feine Didtung am deutlichſten aus: 
drücken. Die „reinen Stimmen aus der reinen Mens: 
fhenbruft” tönen uns überall entgegen, wo wir biefe 
zwei Theile auffchlagen; es iſt der Widerhall eines Ela- 
zen Lebens, genährt von den reinften Gedanken, den ebel: 
ſten Empfindungen, die Worte find fo klar, rein und 
edel, als dad Leben ihres Dichters war, den in dem gros 
fen Deutfchland verhältnigmäßig vielleicht nur Wenige 
Sannten, den aber Alle lieben mußten, die in feine Nähe 
kamen. 

Daß gerade Ludwig Tieck ſich bewogen gefuͤhlt hat, 
Karl Foͤrſter's Gedichte herauszugeben, iſt ein ehrendes 
Zeichen der Bedeutung, welche der Dichter, deſſen poeti⸗ 
ſche Richtungen ganz andere Wege einſchlugen, dieſem 
Dichter gab, deſſen Poeſie ihm anſcheinend ſo fremd ſein 
mußte. Tieck ſchwelgte als junger Mann im Zauber: 
walde der Romantik, im Alter liebte er mit ſeinem dia⸗ 
lektiſchen Witz die Wahnbilder, an denen die Menge 
ſchwelgt, in ihre Grundſtoffe zu zerſetzen und aus dem 
tiefen Schatze feiner Welt: und Menſchenkenntniß Schloͤſ⸗ 
fer aufzubauen und Landfchaften zu malen, in welchen 
die natürlichen Menſchen, bie er findet, nur gelegentlich 
untergebracht werden. Zu feinen Schöpfungen bedarf er 
anderer, aus feineen Stoffen kuͤnſtlich componirter, denen 
ee nur, ein anderer Prometheus, das Leben einhaucht, 
das er aus einer Welt entwandte, in die andere Geifter 
keiten Zutritt haben. Was konnte ihn nun an diefen 
natürlichen Ergüffen einer ſpiegelklaren Menfchenfeele fef: 
fein, die ſich nicht für mehr oder weniger gab als fie 


war, bie nue fpricht wie fie denkt, und ihre Gedanken 
find niche verfchieden von denen fo vieler andern? Es 
war gewiß nicht allen perfönliche Sreundfchaft, fondern 
Anerkennung des Wahrhaftigen und Edeln in diefen Ges 
bihten. Dean täufcht fi, wenn man meint, es ſei eine 
leichte Sache, das edel Gefühlte, das klar Gedachte ebenfo 
edel und klar auszudruͤcken, daß es zur Seele des Andern 
dringt, wie es in unſerer Seele lebte. Das iſt die 
Sache des Talents, es iſt Gabe. Wenn alle geiſtvolle 
Menfhen auch geiftvoll fchrieben, wäre die Welt anders. 
Karl Förfter war ein bedeutender Dichter, obgleich nur 
Wenige von ihm wiffen, weil er die Babe, fein helles In⸗ 
nere ebenfo heil und anſpruchſslos im Verſe nieberzulegen, 
vor Ändern voraus hatte. 


Was Mlingt leichter, natürlicher, wie wir zu fagen 
pflegen, al8 wenn er von dem Voͤglein [pricht, das feders 
108 aus dem warmen Ei ſchluͤpfet und fich ruhig auf 
weihen Moofe im Neſt bertet und dann bang zwits 
fhernd aus feinem Meinen Haufe herausblickt und ſich 
doch nicht in die Welt wagt, und wenn er dann vers 
gleihend fagt: 

Was ift das Gi denn weiter, 
Als mein beweglich Herz? 
Was ift das Wöglein anders, ® 
Als meine Luft, mein Schmerz? 
Die Liegen auch verhüllet 
Im warmen Herzen drin, 
Noch blind und ohne Leben, 
Wie's Böglein, im Beginn. | 

Iſt das aber fo ſehr natürlich? Es iſt die Luft, 
welche uns die Arbeit vergeſſen macht, die hoͤchſte Errun⸗ 
genfhaft derfeiben, welche uns glauben macht, daß ber 
Dichter, ohne gezwungen zu fein, gar nicht anders fpres 
hen konnte. Wie oft haben Dichter ihre Dichternoth 


beſungen, und kann etwas anſchaulicher, natürlicher und 


einfacher lauten, als wie Foͤrſter ſingt: 


Die ihr die Welt erfuͤllt mit Klagen, 
Daß euch ſo viel zum Leben fehlt, 
D laßt es euch vom Dichter ſagen, 
Was ihn bedrängt und was ihn quält! 


Was ihr von Luft in euch empfinbet, 
Und was von Schmerzen in euch weint, 
Ihr tragt es freudig bin und kuͤndet 
Es Dem, der euch verfteht, dem Freund. 


“A, 


Der Dichter muß fein ganzes Leben 
Gntfalten, einen offnen Brief, 
Der frechen Neugier preiszugeben, 
Was treu verwahrt im Innern fchlief. 
Was drin er unter füßen Schmerzen 
Geber, ber Seele beften Theil, 
Sr reißt es von dem eignen Herzen, 
Gibt's hin und beut’s der Menge feil. 
Den inneren Himmel zu entgöttern, 
Gießt er, was göttlich in ihm lebt, 
In kalte Züge, ſtarre Eettern, 
um die kein Hauch des Lebens webt. 


und Menfchen, die ihn nicht verftehen, 
Sehn bloͤd die ſtummen Zeichen an 
und fühlen nicht das leife Wehen 
Vernehmen nicht des Geiſtes Nahn u. f. w. 

Aber es iſt nicht der einfache Gedanke, es iſt der 
glaͤckliche Wurf, der ihn gerade diefe reine vollausgeprägte 
Form finden ließ, was das Gedicht macht. Gerade die: 
ſes if ein vollkommenes. Wie vielen Dichtern mag ein 
hmiiches gelungen feln, aber der Vorzug der Foͤrſter'ſchen 
iſt, daß, wo man biättert, aufſchlaͤgt und lieſt, daſſelbe 
Amalgama des Empfundenen mit dem Ausgelptechenen 
ums begegnet, und uns Fliegen zwei flarke Theile vor. 
Biete Dichter Haben tieferklingende, mächtigere Saiten 
angeſchlagen, aber dazwiſchen fhlummert nicht allein ber 
Humoer, wie das bei allen Dichten und — Menſchen 
ber Fall iſt, ſondern ber Dichter ſtrengt ſich auch wol 
an, wo die Poefie nicht von ſelbſt kommen mil, ſich 
zu zwingen, und das Gemwaltfame, Schiefe, Verkehrte 
fommt ans Tageslicht; bavon findet ſich Hier nichts. Es 
athmet merkwürdige Harmonie durch alle biefe Lieder. 
Dre Dichter fang, weil ed ihn zum Singen drängte, ber 
Drang aber ift ein fanfter Erguß der fertigen Töne umd 
Bilder; fie mußten heraus und in biefem natürlichen 
Proceß fanden fie ſogleich die natürliche Form. 

Um biefe durchgehende Harmonle zwifhen Willen und 
Form zu verflehen, iſt es nöthig, einen Blick auf das Le: 
ben oder die Perſoͤnlichkeit des Dichters ſelbſt zu werfen. 


Seine Lebensgefchichte iſt fo einfach wie die eines deut: 


(hen Gelehrten im beften Sinne; die Charakteriſtik, welche 
uns Xie ins Vorworte von ihm gibt, kann nicht gelun: 
gener in wenigen Worten ausgedruͤckt werden: 


Karı Körfter gehörte In feiner dußern Gefcheinung und 
feinem Weſen zu den durchaus liebenswuͤrdigen Menſchen. 
Sanft, gefällig, den Mitfprechenden auf dad halbe Wort 
verſtehend, und ſelbſt ihm fremde Meinungen von ber beften 
Seite auffaffend, war er ein burchaus freundlicher und ans 
muthiger Geſellſchafter, wenn er auch feibft nur felten viel 
und im Fluſſe ſprach. Gr war ber milbefle der Menfchen 
und es geſchah ihm nur felten, daß er über Gemeinheiten 
und Ungezogenheiten in ber Eiteratur im Zorn aufbraufte. Ja, 
feine Freunde konnten mit Recht von ihm behaupten, daß er zu 
friedlich war, daß ex zu fehr mit feiner Meinung an fi hielt, 
um Niemand zu verlegen, daß er zu fehnell fein Recht aufgab, 
oder wenigftens ſich des Gtreites enthielt. Daher Fam es, daß 
er durch feine zu große Befcheidenheit die Stelle in ber Geſell⸗ 
ſchaft nicht einnahm, die ihm mit vollem Recht gebührte. Go 
febr ihm Ungruͤndlichkeit und Gharlatanerie verhaßt war, fo 
feft er auf feiner überzeugung beftand und bebarrte, fo’ gehörte 
ex body zu den feltenen Männern, bie niemals Feinde, ja nur 
Gegner gehabt Haben. Eben diefe feine zu weit getziebene Zus 


gend bat ihn audy gehindert, an irgend einer Univerfität einem 
Wirkungskreis zu ſuchen, ber ausgebehnter war und feinem 
Kenntniffen und feiner Bildung mehr geziente. 

Tieck fchließt damit, daß er als Profeffor an einer 
Hochſchule von großem Nugen für die Jugend geweſen 
wäre und bier erſt feine Lterarifche Gelchrfamkeit Die 
Fruͤchte tragen Sinnen, die in der Beſchraͤnkung, in wel⸗ 
cher er lebte — er war Profeffor an der Cabettenfchufe 
in Dresden — nicht fo gereift find, als feine Talente es 


möglich machten. 


(Der Beſchluß folgt.) 





Notizen über die ſchwediſche Literatur des 
Jahres 1842. *) 


Das Zournalwefen Schwedens iſt im Betreff der Zahl 
der Zeitungen und Zeitf'hriften, wie des Werths und Siharak 
ter& berfeiben ziemlich bem bes vorhergehenden Jahres gleich ge: 
blieben. So erfchlenen im ganzen Reiche 116 periodifche Schrifs 
ten; davon waren 6 der Theologie, bem Miſſionsweſen und ans 
bern kirchlichen Angelegenheiten, 1 der Rechtsiehre, 1 der Arznei 
kunde, 1 der Pädagogik, 4 der Landwirthſchaft und der Thier 
arzneitunde, 1 den Gewerben überhaupt, 1 der Phyfiographie, 
1 der Botanit, 1 dem Gartenbau, 1 der Kriegswiſſenſchaft, 
1 dem Seewefen, 1 dem Bergbau, 1 der Politik als Willen: 
fhaft, 1 der Kunft und ben Moden, 2 der Wiffenfchaft übers 
haupt, 1 der Verbreitung volksthuͤmlicher Bildung gewidmet. 
Die übrigen waren alle Zeitungen, fi) mit Politik und Tages⸗ 
fragen, fowie mit Verbreitung von Neuigkeiten ober localen 
Nachrichten befcyäftigend. Überhaupt fteht unfere nichtwiſſen⸗ 
fhaftlihe Zournatiftit auf einem niedrigen Standpunkte, befons 
ders was bie Provinzialblätter betrifft, welche, mit fehr wenis 
gen Ausnahmen, nur Echo ber ſtockholmer Zeitungen find, wie 
wol man in ben letzten Jahren viel über die Emancipation ber 


| Propingialpreffe geiprochen hat. Ale mehr ober weniger ſelbſt⸗ 


ſtaͤndig und tonangebend bezeichnen wir bie folgenden: „Svenſta 
Minerda‘’, „Svenfla Biel", „Stockholms Dagbiad“, ‚Apfala 
Zioning”, „Sorrefpondenten” in Upſala, „Wermiands Tibning” 
(mit dem Ende des Jahtes eingegangen), „Samlaren i Streng⸗ 
ns” and „Norrlande Zibningar’‘, welche ſaͤmmtlich bie confers 
vative Richtung, freilich in ſehr verfchiedenen Fractionen repr 
fentiren; auf ber andern Geite wieder begegnen wir „‚Aftons 
bladet”, „Dagligt Allehanba”, „‚Ereja”, „Goͤtheborgs Bandeis 
och Giöfartstibning”, „Phönir” ebenfalls in Gothendurg, bie 
„Najade” in Karlskrona, „Öftgbtha Gorrefpondenten‘ in Link 
ping, „Staͤnſta Gorrefpondenten‘‘ in und, als mehr ober we 
niger ber Dppofition oder doch wenigftens ber Bewegungeporiei 


gehörig. 

Auf dem Felde der Theologie ſprechen wie zuvdrderſt 
von ber im vorlegten Jahre entflanbenen Bewegung auf Berans 
laffung einer Überfegung des Strauß'ſchen „Lebens Jefu”, weil 
fie aud in biefem Jahre fortgedauert und verfihiebene Gegen 
ſchriften, theils Originale, theils Überfegungen, z. B. von 
ben Schriften Ullmann's, Tholuck's, Müller’! in Halle u. X, 
hervorgerufen Hat. Bon ben Driginalen heben wir zuerſt bie 
Schrift der freilich in einem ganz andern Fache ten 


Freberite Bremer: „WMorgonpäfter (Morgenwadgen), ats eine 


ſehr intereffante, eigenthuͤmliche Erſcheinung hervor ten es 
aber für uͤberfluͤſſig, über das Büchlein zu (Preihen, —* durch 
zweit Überſezungen bereits den Deutſchen bekannt und beifällig 
aufgenommen worden ift. Auch Prof. Knoͤs in Upfala Bat bie 
Strauß’fchen Iermeinangen in öffentlichen Wortefumgen äber bie 


Glaubwuͤrdigkeit der Evangelien dargethan und biefelben drucken 


) Vgl. die Notizen über bie Literatur des Jahres 1811 im 
Mr. IM und 166 d. BL. f. 184%. D. Red. 


— —— — — nn 


403 


. Endlich kann man das vom Docenten Melin in Lund 
verfaßte „Jeſu Lefnab” (Leben Jeſu), wovon ber erfle Theil 
erfhien, als eine inbirecte Widerlegung jener mythiſchen An⸗ 
fit arfehen. Andererfeits hat der Prediger N. Ignell, ein 
guter Kopf, aber wenig gelehrt, ber orthodoren Partei Anſtoß 
geneben theils durch feine Überfegung ber Schleiermacher’fchen 
„Slaubensichre”, theild durch eine eigene Schrift: „Grunddragen 
of den dyrifitiga Beboläran” (Grundzüge der chriſtlichen Sit⸗ 
teniehre), worin er fich hauptſaͤchlich an Schleiermacher ans 
ſchtießt, aber über manche Punkte ſich weit offener und freier 
als fein großer Vorgänger ausipricht. Daher fand ſich ber ehr: 
wirdige Patriacch des ſchwediſchen Zion ſowie des ſchwediſchen 
Helikon, Bifchof Franzen, bewogen, einige Tragen tin bichteris 
ſcher Form („Brägor till Börfattaren af Grunbbragen” u. |. w.) 
an ihn zu richten, worin er bie alten Wahrheiten der Kirche 
mit den Waffen bes Gefühls, der Überzeugung und des Gemüthe 
vertheibigt. Übrigens wird die Theologie in zwei Zeitichriften 
vertreten: „Eccleſiaſtik Zipftrift” von den Profefforen in Upfala, 
und „Theologisk Quartalftrift”, weldye nicht mehr von Tho⸗ 
mander und Reuterdahl, fondern von ben jungen Theologen 
Melin und Bring in Eund herausgegeben wird. Der verdiente 
Veteran, Propft Aſtroͤm, tiefere ein „Handbok i theolo⸗ 
giske Literaturen”, worin bie Altern Hülfsmittel ziemlich volls 
fländig verzeichnet find, deflo mangelhafter aber die neuern Er⸗ 
fcheinungen der Literatur. Noch müffen wir eine Sache erwaͤh⸗ 
nen, bie forben dffentiih verhandelt wirb und auch die Auf: 
merPfamfeit des größern Publicums in Anſpruch nimmt, ba alle 
meologifche Säge und Meinungen, die ber Autorität der Staats⸗ 
tirche entgegentreten, von der freien Preffe lebhaft vertheidigt 
werben. & mehren feiner Schriften hatte ber bekannte Dichter 
und Romanfchreiber Almguift einige ſehr anftößige Meinungen 
geäußert; fo hatte er 3. B. ben Heiligen Paulus gefchmäht und 
ats den erften Werfälfcher des Chriſtenthums bargeftellt und die 
feeie Ehe vertheibigt. Dabei redigirte er im vorigen Sommer, 
währenb der Abweſenheit des Redacteurs, das „Aftonblabet” und 
hatte dann eine Außerft ſtandaloͤſe und öffentlich viel befprochene 
Affaire mit einem andern Zeitungsrebacteur; endlich befindet er 
ſich ſelbſt feit ein paar Jahren ohne prieflerliche ober irgend 
eine amttiche Anftelung, was unferer Kirchenorbnung entgegen 
M. Das Sonfiftorium zu Upfala fand fich deswegen veranlaßt, 
ihn zu Anfange bes Octobers vorzulaben und ihm zur Beants 
wortung zwölf Kragen vorzulegen, ob er nämlich deren Wahrs 
heit anerfenne oder nicht. Nah einem Monat gab Almauift 
eine ſehr ſchlau abgefaßte ſchriftliche Antwort ein, worin er bes 

ugt, daß er die Wahrheit, berfelben in ihrer Allgemeinheit vom 
Denen unb mit tieffter Überkeugung anerfenne, machte aber 
dabei fo viel fophiftifche Diftinctionen und caſuiſtiſche Ausflüchte, 
dab man auch feine Antworten als negirend anfehen Tann. 
Diefe Schrift warb neulich in ben Zeitungen mitgetheilt und 
das Für und Wider beſprochen; man ift neugierig, wie das 
Eonfitorium fich weiter benehmen wirb*); Warnungen und 
Berweife kann es allerdings ihm zutheilen und fodann ihn ir⸗ 
genbmoßin miffioiren, aber ihm wegen feiner im Drucke ges 

ferten Meinungen ſchwerlich beilommen, weil er als Schrifts 
fiellee unter ber allgemeinen Preßverorbnung fteht und die Jury 
In, wie gemöhntidh, gewiß freifprechen würbe. 

Eine Bruͤcke von der Theologie zur Phil oſophie bilbet 
die Schrift des Sector Petreli: „Tankar om Mennifto : fjälens 
Zilſtaͤno efter Döden” (Gedanken über den Zuſtand ber menſch⸗ 
lichen Seeie nach dem Tode, als Beiträge zur Eſchatologie). 
Sich auf die Heilige Schrift ſtuͤgend, die er freilich zuweilen ei⸗ 
was willfürlich deutet, kommt der Verf. zum Refultat, daß bie 
Seelen von der Todesſtunde an bis zur allgemeinen Auferflehung 
vor dem Juͤngſten Gericht, in einen Mittelzuftand übergehen, 
weichen er Reifungsſtadium nennt, das aber nicht als ein ins 





°) Eben erfahren wir, daß das Gonfiflorium beſchloſſen bat, 
ob einmal brei Fragen an ihn zu fielen — welche, wir 
nicht angegeben. 


bifferentes, fonbern vielmehr beftimmt als eine beginnende Ges 
ligkeit oder Unfeligfeit zu denken if. In unferer vorjährigen 
Überficht erwähnten wir, daß Profeffor Hvaffer in feiner übrts 
gens gelungenen und nach den ſtrengſten moralifchen Grund: 
fügen abgefaßten Schrift „Om Altenslapet” (Über die Che), 
bie auch in biefem Jahre neu aufgelegt worden ift, einige, 
theils völig unbegründete, theils übertriebene Beſchuldigungen 
gegen die fittlichen Anfichten Plato's und Goethe's rüdfichtlich 
ber Ehe vorgebradt hatte. Dies hat die Profefforen G. X. 
Schröder und Atterbom bewogen, gemeinſchaftlich in einer 
Schrift: „Plato och Böthe”, als Wertheidiger jener Heroen 
aufzutreten. Die Ausführung ift fo bündig, die Darftellung fo 
Ihön, daß das Büchlein, unferer Meinung nad), wol verbiente, 
auch in Deutſchland bekannt zu werden. Ausgezeichnet ift es 
durch einen humanen Ton und eine wuͤrdige Haltung. Gin 
Gegenftüd dazu ift eine vom Docenten der Philofophie Fr. Afı 
zelius in Upfala herausgegebene Überfegung einer Einleitung in 
das philofophifhe Studium, mit einer geharnifchten Vorrede 
gegen Schelling und deſſen öffentliches Auftreten in Preußens 
Dauptftadt, die aber faft nur eine Sammlung von Kiätfchereien 
ift, die der Verf. einem Befuche in Berlin verdankt. Gr klagt, 
bag Degel in Schweden fo wenig ftubirt werbe, was nicht 
wahr ift, und daher bort fo wenig Eingang gefunden hat, was 
allerdings begründet iſt. Erſteres anlangend, fo ift zu bemers 
fen, daß Profeffor Bring in Lund foeben in Form von afabes 
miſchen Differtationen ein Lexikon zum Verſtaͤndniß ber Oegel'⸗ 
ſchen Zerminologie herausgibt, mas wol einiges Intereffe für 
bies Syſtem bezeugen mag; ferner bat dieſe Philoſophie bei uns 
einen foharffinnigen Anhänger an Snellman, eigentlich Docent 
an der Univerfität zu Helſingfors, aber feit vielen Zahren in 
Schweden privatifivend, gefunden, ber auch im Laufe diefes Jab⸗ 
res unfere Literatur mit einem gründlichen und wohldurchdach⸗ 
ten Werke: „Räran om Staten” (Die Lehre vom Gtaate), bes 
zeichert hat, in welchem er zwar ſich als Hegelianer zeigt, 
aber viele felbftändige und eigenthämtiche Anftchten vorbringe. 
Wir erwähnen noch bes Profeffor Hvaſſer's Büchlein „Om 
vaͤr Tids Ungbom’ (Über die Jugend unferer Zeit), das, wenn 
auch auf etwas unklare Prämiffen geftüst, doch praktiſch viele 
bepergigenwerige Warnungen enthält. 

n der Rechtswiſſenſchaft, welche noch immer von 
bem „Juridiſchen Archiv’ des Affeflor Schmidt in Ghriftianftad 
sepräfentirt wird, begegnen uns nur zwei Erſcheinungen, bie 
eine „kaͤran om Bevisningen“ (Die Lehre von dem rechtlichen 
Beweile), von Prof. Lindblad, die andere „Om Raͤttegaͤngs⸗ 
fättet i i Sverige“ (Über den Proceß in Schweben), von Dr. Dells 
ben in Upfala. 

Die bei uns fonft fo arme medicinifche Riteratur 
lieferte mehre und zum Theil gehaltvolle Arbeiten. Dahin gr⸗ 
bört die Fortſetzung der Zeitſchrift „Dygida’, an gruͤndlichen 
Auffägen und beachtenswuͤrdigen Beobachtungen reich; der zweite 
Theil der „Smaͤrre Strifter‘ (Kleinere Schriften) von dem 
oben genannten Prof. Dr. Hpaffer, eine fehr gründliche Abhand⸗ 
lang über die Kolik enthaltends zwei Schriften von Dr. Andree 
in Wisby: „Helſolaͤran utan Mebicamenter” (Geſundheitslehre 
ohne Arzneien) und „Om Apotheksvaͤſendet i Sverige’ (Über das 
Apotheterwefen in Schweden). Dr. MWiſtrand hat eine „Af⸗ 
banbdling dfver Statamedicinen“ (Abhandlung über Staatsarz⸗ 
neikunde) gefährieben, Dr. Alfort ein „Handbok für Brunns⸗ 

After’ (Handbuch für Brunnenbefuchende, eigentlich wine Ber 
chreibung der vornehmften ſchwediſchen Geſundbrunnen) in zwei 
Theilen; ein Ungenannter belehrt uns über die Schiffskrank⸗ 
beiten unter dem Titel „Sheppslaͤkaren“ (Der Scifftarzt); 
Director Noring ſetzte fein Wert über bie Krankheiten ber 
Hausthiere („Handbok i Husdjurens Skötfel”, dritter Shell) fort. 
Endiih hat die auch bei uns eingeführte Waſſerheilart ihre 
Bearbeiter gefunden, wir erwähnen bier nur ber Abhandiund 
des Prof. Erikſon „Om kallt Vattens bietetifla Anvaͤndande“. 


Über bie Leiſtungen in der Landwirthſchaft, Ted: 
nologie und Ökonomie haben wir leider ehr wenig zu bes 


404 


sichten. Das vorige Jahr hat nur brei in biefe Bäcker eins 
fehlagende Schriften zu Tage geförbert, nämlidy eine vom Ma⸗ 
jor Gveifoärt herausgegebene Beitfhrift „Wör Landtmanna och 
GSommunat  Angelägenheter‘ (Bi kandwirthſchafts⸗ und Com⸗ 
munal s Angelegenheiten), die ſich einer ziemlich bedeutenden Ber: 
breitung erfreut; ferner eine Abhandlung „Om Angfartyg od 
deras Handterande⸗ (Über Dampfihiffe und ihre Behanbiung 

von ben Rlottenoffizieren Engelharbt und Inbebethou; endli 

ein „Handbok i Randthushällning”” (Handbuch ber Landwirths 
ſchaft) von Director Lundſtroͤm. Der Verf. ift ein gefchicter 
Praktiker aber ein fchlechter Theoretiker, ober richtiger ein ents 
fchiedener Gegner alles Theoretifirens in biefem Wache. 

Eine weit größere Thaͤtigkeit bewährt fich wie immer in 
der NRaturgefhichte. Rortgefegt werben noch immer bie 
ſchoͤnen und prachtvollen Werte über bie ſtandinaviſche Yauna 
von Prof. Nilfon (wovon ber dritte Theil erfchien); über die 
ftandinavifchen Vögel von Körner (bisher 8 Hefte); über bie 
flandinavifchen Fiſche, der Text von B. Br. Fries, Ekſtroͤm 
und Sundevall, die uͤberaus gelungenen Abbildungen von W. v. 
Wright (bis zum ſiebenten Bande fortgeruͤckt). Der berühmte 
Prof. El. Fries in Upfala ift durch vieljährige Krankheit vers 
hindert worden, größere Werke zu liefern, doch hat er auf 
Beranlaflung der lebten Promotion viele alademifche Abhand⸗ 
Iungen herausgegeben. Auch fegt ber Schwediſche Gartenverein 
feine Zeitſchrift fort; eine andere, auch für Gartenbau und 
Blumencultur ift vom Propft Gumaͤlius begründet; ferner fest 
Dr. Eindbom feine „Botaniſchen Notizen‘ fort; Dr. Lilja gab 
ein „Handbuch der Flora und Eultur der angebauten Gewächle” 
heraus und Dr. Arrhenius bemühte fi, das Studium diefer 
Wiffenihaft durch Herausgabe einer „Zerminologie der Pflan⸗ 
zenkunde zu begründen. Berner hat Prof. Zetterfiröm in Eund, 
mehr Entomolog als Botanifer, „Diptera Scandinaviae dinpo- 
sita et descripta‘” geliefert. Gin anderer Gelehrter, Dr. 
Angſtroͤm, bat den Moofen durch feine „Dispositio musco- 
rum in Scandinavia huc usque cognitorum’” benfelben Dienft 

eleiftet. 

⸗ Die Akademie der Wiſſenſchaften hat ihre Verhand⸗ 
lungen fuͤr 1840 erſt jetzt erſcheinen laſſen; im Betreff der von ihr 
1821 begonnenen „Jahresberichte“ hat fie ſich im vergangenen 
Sabre bemüht, mehre feit längerer Zeit ins Stocken gerathene 
Branchen fo gut wie möglich nachzuholen. So berichtet nun 
Prof. Sellander auf einmat über bie Kortfhritte der Aftronomie 
während des Zeitraums von 1837 bis 18415 Prof. Wilftröm’s 
Bericht über die Botanik erfchien auch in biefem Jahre, um: 
faßt aber nur das Jahr 18385 doch verfpricht ex, nächften® die 
fehlenden Jahre auf einmal zu abfolviren. Noch weiter zurüd 
geht Berlin in feinem Bericht über bie Entdeckungen in Phyſik 
und Geologie, worin er ben Zeitraum von 1821—40 zus 
fammenfoßt. ine Ausnahme macht Freiherr von Berzelius, 
deſſen Fleiß ebenfo groß wie feine Gruͤndlichkeit iſtz nims 
mer zögernd, gab au er bei der Zuſammenkunft 1842 feinen 
gewöhnlichen Bericht über die Kortfchritte in der Chemie und 
Mineralogie ab. „ 

Zur Philologie Äbergebend, nennen wir zuerſt eine Über: 
fegung des Propheten Iefaias mit einem Commentar vom Propft 
Lindgren. Der Docent Johansſon in Upfala hat feine liber: 
fegung der „Odyſſee“ und der Docent Melin in Lund bie des 
griechiſchen Wörterbuch von Jacobi und Geiler fortgefest. 
Lectoe Hedner in Linkoͤping gibt den Freunden der lateinifchen 
Dichtkunſt feine „Metra latina”. Weit wichtiger als jebe 
andere philologifhe Bemühung wäre bie Herausgabe eines 
fwebifden Wörterbuche , deffen Mangel feit 70 — 80 Jah⸗ 
sen ſchmerzlich gefühlt wird, indem das Sablſtedt'ſche Längft 
Deraltet if. Diefem Beduͤrfniß bemüht ſich jest der Rector 
Almquiſt durch fein „Ordbok dfver Svenſka Sprätet” abzuhels 
fen, leider aber iſt der Plan ſchon ganz verfehlt. Alles ift ohne 
hiſtoriſche Begründung, willkuͤrlich und ohne Gonfequenz zufam: 
mengetragen, ein wahres Chaos von Wörtern; daher erreicht 


% 


auch ber „ bis jegt erfchienene ziemlich ſtarke Dctanbanb 
faum bie ee bes Buchſtaben B. s a 

Auf dem Felde dee Geſchichte finden wir, wie immer, 
eine verhältnigmäßig reiche Ernte. Wir erwähnen zuodrberft 
das wichtige Quellenwert „Gpenft Diplomatarium ’‘, beffen 
dritter Theil, von Hilbebrand beforgt, 1842 erſchien; fer: 
ner haben bie Herren Kröningsfoärb und Liden angefangen, 
ein , Diplomatarium dalecarlicum ** herauszugeben. on 
„Handlingar rörande Skandinaviens Biftoria’” ( Actenflüde 
zur ſkandinaviſchen Geſchichte), von einer Geſellſchaft beforgt, 
liegt uns jest ber zwanzigfte und von dem „De la Gardie ſchen 
Archiv‘, vom Propft Wiefelgren redigirt, der fechszehnte Theil 
vor. Auch erſchien ein Anhang „Chriftian IL. Archiv, aus 
ben Handſchriften gefchöpft, die der König von Baiern unferm 
Monarchen gefchenkt bat. Dem Propft Afzelius verdankt man 
eine neue Gabe in dem vierten Theile feiner „Spenfta Sago⸗ 
haͤfder ¶ Schwediſche Sagengefchichten), weldyer den Zeitraum 
von 1200 — 1363 umfaßt. Der Oberfllieutenant und Landes⸗ 
hauptmann Montgomeri hat unter dem Zitel „Hiſtoria öfver 
Kriget mellan Sverige oh Roland”, in zwei Theilen, eine 
Geſchichte des ungluͤcklichen Kriegs 1808 und 1800 zwiſchen 
Schweden und Rußland herausgegeben, weldye die Creigniffe 
faft einzig aus dem militairifchen Geflhtspunfte darſtellt und 
baher durch die Details für gewöhnliche Lefer minder intereffant 
ift ; einen, obwol nicht eben bedeutenden Beitrag dazu hat reis 
herr Vegeſack aus den Papieren feines Waterd, des Generals, 
geliefert. Won Grufenftolpe's ‚‚Portefeuille‘, einer Quellenſamm⸗ 
lung für bie neuere Geſchichte, liegt uns jegt der dritte Theil vor. 
Bär die alte Geſchichte bemüht ſich Oybeck mittels ber. Zeitfchrift 
„Runa, Skrift für Fäderneslandets Fornvaͤnner“, worin er alte 
Monumente beſchreibt und commentirt, wovon ber zweite Theil ia 
biefem Jahre erichien. Bon Sammlungen zu felbftändigen Arbeiten 
übergebend, begrüßen wir mit gebührendem Lobe ben zehnten 
Theil von Fryrxell's „Berättelfer i Svenſka Hiſtorien“, morin 
ber Berf. auf eine ebenfo gründliche als lebendige Weife Sprir 
fline und ihr Zeitalter zeichnet. Prof. Geijer hat in biefem 
Jahr und mit dem zweiten Theile feiner Eleinern ausgewählten 
Schriften („Valda Efrifter”) befchenkt, welder auch fein phi⸗ 
loſophiſches Glaubensbekenntniß einſchließt. 

Wie bei und die Geſchichte, fo bewegt ſich auch die Bio⸗ 
graphie gänzlich auf vaterlänbifhem Boden. Das „Biogras 
phiſche Leriton‘‘, deffen wir in unfern Berichten feit 1832, we 
es begründet wurde, immer erwähnt haben, ift bis zum 
Ende des achten Bandes, welcher den Buchſtaben Lſchließt. 
fortgeruͤckkt. Nicht unerwaͤhnt bleibe bier bie Biographie 
des Dr. Kjellander, der, kaum 27 Jahr alt, in Itauen 
ſtarb, deſſen jegt herausgegebene Papiere von einem reich 
bildeten Geiſte zeugen. Desgleichen ſei hier auch des jett er 
ſchienenen zweiten Theiles der „Dagboks Anteckningar⸗ (Tages 
buche » Bemerkungen) des verftorbenen Prof. Zörneros, binfichts 
lich der trefflichen Biographie des Autors von Atterbom, die 
biefem Theile (der erſte erfhien 1840) vorangeht, gebadht. 
Der Guriofität wegen nennen wir endlich eine Biographie der 
Kifa Mor, ber Mutter zu Kifa. Sie bieß eigentlich Frau 
Janzon und war eine Bäuerin, bie in Oſtgothland durch glüde 
liche Euren fo großen Ruf erlangte, daß immer eine große Zahf 
Kranker ihr zuftrömte, fogar aus Dänemark. Gie ftand mit 
vielen Perfonen aus allen Zheilen des Reichs in Briefwechſel 


und hinterließ ein Vermoͤgen von 30,000 Thalern. Eine Bun . 


derthaͤterin war fie nicht, ſondern ſchrieb fogar lateiniſche Re 
cepte, bie aber nur der benachbarte Apotheker verftand; mei 
wandte fie jedoch felbft bereitete Mittel an. Einmal mwiberfube 
ihr die Ehre, an das Krankenlager des Grafen Brahe, mobel 
der König ſelbſt (wie fie wenigftens behauptete) incognito zu⸗ 
gegen war, nach Stockholm berufen zu werben, und hatte das 
Giuͤck, das chronifche Über des Grafen, wenn nick zu beben, 


doch zu lindern. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Berantwortlihes Drrauögeber: Deinzih Brodhaud. — Drud und Verlag von F. A. Brodheus in Eeipzig. 





Blätter 


für Ä 


literariihe Unterhaltung. 





Mittwoch, 


— Nr. 102. — — 


12. April 1843. 


Cu Lu — —— 


Karl Foörſter. 
(Beſchluß aus Re. 101.) 

Karl Foͤrſter's Gelehrſamkeit war nicht pedantiſch; 
dies druͤckt ſich auch in ſeinen Gedichten aus. Ein 
Mann, den nur Buͤcher⸗ und Stubenluft umwehte, 
konnte nicht die Dinge ſo hell, klar und rein anſchauen, 
die Fuͤlle Gemuͤths, die alle ſeine Lieder athmen, haͤtte 
eine aͤngſtliche Beimiſchung erhalten. Er verehrte die Natur: 

D laß, wenn’s dunkler ift in bir, 
Natur nur walten für und für! 
Thu auf dein Derz und laß fie ein; . 
Bald wird's drin licht und Iebendig fein, 
Und was bir draußen gefiel und gefällt, 
Wird drin dir zur zweiten, zur eigenften Welt. 
Er zieht fi gem auf das Land zurid, der Natur, 
Freundſchaft und Poefie zu leben, befonders, um vor 
dem ,,‚politifchen Zeuge” zu fliehen; aber es kommt 
ihm nad: 
Glei in Maflen, ganze Bogen 
Drängten ſich ind Haus herein. 
Er faßt fie bet Schweif und Füßen — da, wunderbar, 
vom Kopfe keine Spur zu fehen war — und läßt fie in 
die Flamme des Herdes wandern. Dies iſt ein ſcherz⸗ 
haftes Gedicht; die Komik war indeß nicht Foͤrſter's 
ſtarke Seite. Auch Leidenfchaft und Gut müffen mir 
biee nicht fuchens er mar im Aufern und Innern ein 
durchgebilbeter Mann, der das Ebenmaß des Lebens wie 
der Gefühle gefunden hatte. Wie fein Biograph uns fagt, 
Daß er keine Feinde, nicht einmal Gegner Draußen gehabt, 
fo hatte er auch im Innern mit keinem foldyen zu kaͤm⸗ 
yfen. Sie waren wenigftens überwunden, als er, ale 
Mann, feine Lieder dichtete. Nur die füge Melancholie, 
die Träume, die auch den Ernſteſten beſchleichen, umgau⸗ 
keln ihn Dann und wann. Doc auch mit ihnen hat er 
ſich geſetzt; 
Senkt auf melnen Lebensfſtrom euch nicher, 
Bis der Tropfen letzter ihm verfchäumt, 
Golbne Träume! webt um meine Lieder, 
Bann mein Kahn fi in die Wollen baͤumt! 
Rimmt die Wahrheit, was ihr gabt, audy wieber, 
War es Zraum, doch war es füß geträumt, 
- Und, wie die Geſtalten auch verfchwüunmen, 
Auch im Traume reden GBötterftimmen ! 

Karl Foͤrſter iſt durchaus ein lyriſcher Dichter. Gr 
darf nicht aus feiner Gemuͤthswelt heraus, die ihm biefe 
Lieder eingab, um ganz er felbft zu bleiben. Wo er 


didaktiſch aufteitt, warnend, ernſt rügend, iſt es doch ims 
mer die Slamme des Gemüthe, die ihn antreibt. Darum 
ftehen feine erzählenden Gedichte, feine Balladen und 
Romanzen hinter feinen Liedern zuruͤck. Sie find nicht 
ſchlecht, verfehlt, er ergeht fich aber bier in einer fremben 
Welt. Der gemüthlihe, Mare Mann kann fih nicht in 
die fremden Zuſtaͤnde verfenten; er behält fein Hauskleid 
an, wo er den Harniſch anlegen müßte, und Sturm und 
Nacht, auf denen die Ballade reitet, find ihm, der gern 
Alles behaglich zurechtlegt, fremd. Auf weit feſterm Bo: 
ben ſteht der Dichter im feinen epfgrammatifchen Gedich⸗ 
ten. Hier hilfe ihm und begeiftert ihn die Geſinnung. 
Er urtheilt nach befter Überzeugung, ec kann auch in 
heiligen Zorn gerathen gegen die neuen Tempelſchaͤnder: 
Wie fie, die dreiften, und ad) täglidy dreiftern 
Gefellen nun bes Tempels heilige Mauern, 
Drin die verlaßnen Götter einfam trauern, 
Mit ihren Kragen — Bild an Bild — befleiftern ! 
„Hinab“, fo heißt's, „mit euch, den alten Meiftern ! 
Das cwig Schöne ſoll nicht ewig dauern; 
In Suͤnd' und Qualen, in der Hölle Schauern 
Muß fih zu neurer Kunft das Herz begeifteen. 
Den alten Wuſt hinab zur Poiterfammer, 
Des Glaubens Popanz, der Geſetze Plunder, 
Des Eh⸗ und Wehſtands dumpfen Kapenjammer ! 
Betſchweſtern laßt die alte Zeit beweinen; 
Die neue Zeit briht an und neue Wunder, 
Giaubt's ficherli, fie werden bald erſcheinen!“ 
Auch unter dem Epigrammatifchen in antiker Form 
bewegt ſich der Dichter mit Gluͤck. Die alte heitere Kunſt, 
das bewegte Leben, felbft in der Rube, auf allen feinen 
Spruͤngen und Irrwegen zu verfolgen, fagt feiner Natur 
zu. Ee zieht gegen die falfchen Stürmer im Gebiete der 
Politik zu Felde. Faſt beißender, ale wir es von ihm er: 
warten follen, ift das Epigramm „Das Volt 1830: 
Brei nun, bem Zwange ber Fuͤrſtenſchul' entwachfen, geberbet 
Sich, wie Studenten das Boll, und — der Magniflcus ſchweigt. 
Tobe nur aus bein feuriges Blut! Bald gibt es Vertreter — 
Hat der Burfd nur ein Amt, findet fich Alles von ſeibſt. 
Trefflicher find die Sinngedichte. Hier find mandhe 
Perlen, die vor dem Untergange in den ber Zeit angehds 
venden Poeſien bewahrt zu werben verdienten. Nur eis 
nige erlauben wir uns zu citiren: 
Schickſal. 
Ernſt durchwandeln das Leben des Schickſals dunkele Boten, 
Aber dem reinen Gemuͤth heißen fie Engel bes Lichts. 


* bie) nit die Inte, drechts bir b 
der Raͤthſel dich nicht, die links un r begegnen; 
Eben im —R ja liegt jegliches Lebens Genuß. ars 
Sibyllenblaͤtter. 
Frage die Blaͤtter nicht mehr, ob unterge choben, ob echte; 
Alle gewiß fie find gut, legſt du das Rechte hinein. 
Diefeilben. 
Blätter nur find wir von Staub; doch im Irdiſchen blühet 
das Ew'ge, 
Ernſt nur betracht' uns und gleich ſpricht der verborgene Gott. 
Zeitwunder. 
Zeichen und Wunder! fo rufet der Hauf. Die Klügeren ſprechen: 
Zeiget die Wunder, vielleicht wundern der Zeichen wir uns. 
Manus manum lavat. . 
Wohl, wir haben's geſehn; fie wafchen cinander bie Hände! 
Aber, ihr Herren, es fehlt immer das Wichtigſte nk. 
Waſchet die Augen euch aus, fonft waͤſchet man freundlich 
den Kopf eud. 
Aber was huͤlf e8? Es waͤſcht Keiner den Mohren boch rein. 
Die Gedichte find die Srüchte vieler Jahre, von de: 
nen viele bier zuerſt gedruckt erfcheinen werden. Ein 
großer Theil derfelben find Gelegenheitögedichte und ber 
Herausgeber räume ſelbſt ein, daß deren vielleicht zu viele 
wären. Der zweite Theil befteht faſt allein aus ſolchen, 
mit Ausnahme der ſchon bekanntern und gewürdigten, 
weiche in einer Meihenfolge dem Andenken Rafael's ge: 
widmet find. Die Mehrzahl ber übrigen ift bei be: 
fondern Seftgelegenheiten theuern Freunden, Darunter 
befannten und geachteten Männern gewibmet, denn Karl 
Foͤrſter lebte mit allen edein und ausgezeichneten Män- 
nen und rauen Dresdens in freundſchaftlichſter Ber: 
bindung. Der andere Theil aber gehört feiner Familie. 
Foͤrſter war einer bee Dichter, denen Liebe und Freund⸗ 
haft immer jung und friſch blieben. Er befinge das 
Wiegenfeft der Gattin nach einer vierzehnjährigen Ehe mit 
demfelden Ausdrud von Zärtlichkeit wie in ben Honig⸗ 
monden. Wir möchten die Aufnahme fo vieler dieſer 
Gelegenheitsgedichte nicht unbebinge tadeln. Galt es el: 
nen edein Mann, der al6 Dichter in Deutfchland noch 
wenig bekannt war, bem großen Publicum vorführen, 
dann that man allerdings nicht gut, zu viel von ihm zu 
geben. Das Beſte hätte genügt. Aber wie die Dinge 
ſtehen, iſt kaum zu erwarten, daß fie ein fehr großes 
Yublicam fid) erobern werden, dazu gehören heute andere 
VBedingniffe als gute Gedichte. Es galt alfo mehr dem, 
fo vielen Bekannten theuern, Mann in feiner ganzen 
Eigenchümtichkeit bdenfelben vorführen und fein Gedaͤcht⸗ 
niß erhalten. In diefer Beziehung war auch das gering: 
fügigfte Geburtstagslied von Werth und Bedeutung. 
Wir aber wollen unfere Anzeige mit zwei Diftichen 
fließen, bie als Motto auf dem Xitel, oder unter dem 
trefflichen Stahlſtich nach Vogel's Portrait bes Eeligen 
paſſend geflanden hätten: 
Est Deus in nobis. 
Foͤrdre den Menſchen in bir, und wie bu in ſchwellender Knospe 
deuchtende Bluͤte dir ziehft, ziehft du im Menſchen ben Gott. 
Rechtes wollen. 
Rimm dir das Höchfte zum Biel; nur Wenigen wolle gefallen ; 
Glaube, mit freudigſtem Gruß fallen bir aan a" ie 
——— eris. 


Notizen über die ſchwediſche Literatur des 
Jahres 1842. 


(Beſchlud aus Mr. 101.) 


Zu ben Staatswiſſenſchaften und ber Polit ik uns 
wenbend, nennen wir zuerft eine englifche, in Stockholm er⸗ 
fehienene Überfegung der befannten Abhandlung bed Kronprins 
zen: „On punishments and prisons, By His Royal High- 
ness Oscar Crown Prince of Sweden.” Auf Veranlaſſung 
diefer Schrift bemerken wir, daß bie darin gepriefene philabel- 
ng Sinrichtung in Schweden viel Anttang fand und man 
fon zu dem Bau eines Gefängniffes nach diefem Syſtem ſchrei⸗ 
ten welltes aber bie von ben Zeitungen mitgetbeilten Anfidhten 
in Dickens' Buch über Amerika haben ber gefaßten Meinung 
einen gewaltigen Stoß gegeben. Ferner gedenken wir einer in 
Paris gedrudten Schrift: „Des differends entre les nations 
civilisdes et de leur cause”, vom Grafen Froͤlich, einem ber 
Häupter die Oppofition. Der Verf. ift nicht ohne Geiſt, aber 
oberflächlich gebildet, daher fein Buch ein Gemiſch von Wah⸗ 
sem und Falſchem. Früher mit der vateriändifchen Conſtitution 
unzufrieden, weil das Wahlſyſtem zu Taftenmäßig und überdies 
die Bönigliche Prärogative (feiner Meinung nach) zu groß ei, fanb 
er in dem gelobten Lande der Freiheit die Dinge auch anders 
ale er erwartet hatte. Uber bie Entwidelung der Raticnak 
träfte feit bem Regierungsantritte bes Könige Karl Johann 
verbreitet ein Heft „Statiſtiſcher Tabellen’ fo viel Licht als durch 
Ziffern bargeftellt werden kann. Das Zchleau iſt giaͤnzend: bie 
Gtaatseintünfte haben ſich, bei verminderten Abgaben, ſehr ges 
hoben; ber Landbau bat große Fortſchritte gemacht, ebenfo der 
Sewerbfleiß in faft allen Richtungen, fowie der Bergbau und 
der Dandel. Indeſſen läßt ſich nicht Ieugnen, daß der uns in 
feiner eigentlichen GBeftalt bisher faft unbekannte Pauperismus 
zunimmt, daß ber Lurus auf eine verberbliche Weiſe geftiegen 
ift und daß in bemfelben Grabe, wie die Probuction geſtiegen, 
auch die Preife gedrüdt find, fobag es problematifch fcheinen 
kann, 0b fi; die Probucenten beffer oder fchlechter befinden; ja, 
bie Oppofition behauptet in vollem Ernſt, daß ber allgemeine 
Wohlftand cher geſunken als geftiegen fei. Alles erwogen, Läßt 
ſich vielleicht behaupten, daß das Vermoͤgen allgemeiner bei uns 
verbreitet if, daß bie Bauern und aͤrmern GStaffen im Banyen 
gewonnen, baß aber ein Theil bes Adels und die reihere Mit 
telctaffe in Folge des Luxus und bei den gefleigerten Bebürfnifs 
fen verloren haben. Die Rentenverficherungsanftaiten Preußens 


baben auch bei uns lebhafte Aufmerkfamkeit erregt, unb der 


Secretair Archenius gibt uns darüber in einer Brofchäre Aut⸗ 
kunft, nachdem er fidy darüber bei einem Belude in Berlin uns 
terrichtet hatte. Eben erfcheint ein Profpectus zu einem foldhen 
Verein, wobei man box die Bemerkung gemacht hat, daß, 
weit bie Werhältniffe bei uns in vieler Hinſicht anders find, das 
preußifche Syſtem nicht für uns unbedingt das paffenbfle wäre, 
fonbern die Sache erſt einer nähern Erwägung bebürfte. Der 
Vollftändigkeit wegen bemerken wir, daß ber erwähnte Grufen 
ftotpe ein fünftes Heft feiner „Ställningar och Foͤrfaͤllanden“ 
berausgegeben bat, wie gewöhnlich voll Invectiven gegen ben 
König und den Grafen Brabe. Die Waffen find aber jett 
flumpf geworden, und bies neue Heft bat, fo viel wir wiſſen, 
nit die geringfte Xufmerkfamteit erregt. Anders aber war eb, 
als er mit dem flolgen Titel eines Gtaatögefangenen ſich brüften 
und als einen Märtyrer der Freiheit ſich darſtellen konnte. 
Geographie. Bier unferer Landsleute haben im 3. 1842 
die ſchwediſche Literatur mit Reifebefchreibungen bereicgert: er⸗ 
ſtens der Blottencapitain Gofleimann, durch feine „Reſor i Soͤdra 
Amerika” (Reifen in Suͤdamerika); die mehr wiſſenſchaftliche 
Ausbeute ſeiner im Auftrage der Regierung unternommenen 
Reiſe hat er fruͤher dem gelehrten Publicum in einem beſondern 
Werke geliefert. Die zweite Reife hat ben Titel: „Nefa i 
Tyskland. Skildringar och Dmdömen, 1840 — 41” (Reifen in 
Deutfchland. Gchüderungen und Urtheile) unb zum Berf. den 
Philoſophen Gnellman, der die von ihm gebegten Grwartungen 


407 


auch hier nicht taͤuſcht. Ginem dritten Reifenden, Dr. Sil⸗ 
efteöm,, verdanken wir „Antedningar äfver Rorige“ (Bemer⸗ 
ungen über Rorwegen). Der Berf. begleitete bie legte fran⸗ 
zöftfche Nordpolexpedition, die im nörblicen Norwegen über: 
winterte, und hatte alfo Gelegenheit und Zeit, allerlei Rach⸗ 
richten über dies Land zu fammeln. Der vierte Reifende ift 
&t. Arwidefon, der unter bem Zitel „Norr och Soͤder“ (Ror⸗ 
ben und Süden) feine Reifen in den 3. 1835 — 39 von Ava⸗ 
fora (am Zornet) bis Neapel geſchildert hat. Im 3. 1842 
erſchien auch die dritte, fehr vermehrte Auflage ber „Beſchrei⸗ 
bung von Palaͤſtina“ vom Prof. Palmblad, mit Benugung 
vieler neuen Hülfemittel, befonders der Entdedungen und Er: 
Örterungen bes Amerikaners Robinfon. ine neue Karte ift 
binzugefommen und die alten find revidirt. Der Docent Ried 
hat eine brauchbare, nur zu compenbidfe „Geſchichte des Geo: 
graphie und der geograpbilchen Entdeckungen““ geliefert. ber 
Stockholm und Upfale find neue Zopograpbien erſchienen. 

Wir führen endlich den Lefer ins Feld ber ſchoͤnen Eis 
teratur;z den Difteln geben wie vorüber und bemerken nur 
bie Blumen. Die fchönfte ift vielleicht der „Julqvaͤll“ (Der 
Weipnacdhtsabend), eine Idylle von Runeberg, der zwar, als 
Finnlaͤnder, politifh uns fremd, aber der Sprache nach unfer 
Sandemann uud Geiſtesverwandter if. Die beliebte Euphroſyne 
(Frau Byftröm) bietet uns neue Dichtungen („Nya Dikter“), 
welche aber nicht ganz bie frühere Friſche haben. ine andere 
Dame, bie ſich Fraͤulein R** ſchreidt, liefert ein Epos in fie 
ben Geſaͤngen: „Bertha. Mäsning af det 17 Arhunbreb i fin 
Sänger.” Aus dem Nachlaſſe des Dichters Nicander hat man 
man einige italienifche Dichtungen („Poesie italiane di Carlo 
A. Nicander‘) heraußgegeben. Die Mufenföhne in Upfala ha⸗ 
ben unter dem Titel „Linnaca borealis’ einen neuen Blumen» 
firauß gewunden; aber der lundiſche Muſenalmanach „Hertha, 
der an dußerer Pracht feine Nebenbuhler überbot, iſt eingegans 
gen. Der unermüdete Dahlgren nannte feine legte poetifche 

ihnachtegabe „Talltraſt“ (Meindroffel). Wenn ber Eefer 
von den @ingfang ber jehigen Apollojünger ermübet ift, fo 
fleten zwei Fuͤhrer bereit, ibn in die Sängerhallen ber Bor: 
weit zu leiten. Der erſte iſt der Bibliothekar Arwidsſon, er 
Bringt ten britten Theil der „Svenſka Fornſaͤnger. Samling 
af Kämpavifor, Folkviſor, Lekar, Danfar, Barn s och Ballfänger” 
(Lieder aus der fehmebifchen Vorzeit. Sammlung von Kampf 
gefängen, Volkelledern, Spielen, Taͤnzen, Kinder» und Walls 
tiedbern), eine um fo dantenswerthere Gabe, da diefe Gefänge 
mehr und mehr in dem Munde bed Volks verkiingen. Der 
zweite Zührer beißt auch Arwidsfon, es ift ber ſchon erwähnte 
Heifende von „Nord und Süd”; er aber ladet uns in eine ganz 
andere Welt und Zeit ein. Gr hat naͤmlich Oſſian aus dem 
@ätifchen neu überfegt und mit einer geſchichtlich⸗kritiſchen 
Ginteitung begleitet: „Difians Sänger efter Gaelska Driginalet 
och pa deB Bersſtag. Yörfvenstade ſamt med en dhiſtoriſk⸗kritiſk 
Inledning.“ Während man nenerlich wieder gruͤndlich zu ers 
weifen fuchte, die Offtan’fchen Gefänge feien ein modernes Mach⸗ 
wert, fucht jest Hr. Arwibsfon ebenfo gründlich und mit Auf 
wand von großer Beleſenheit dazuthun, daß dieſelben, Freilich 
won Macpherfon etwas verfälfcht und mobernifist, doch im 
Ganzen unzweifelhaft echt und fogar einige Jahrhunderte Älter 
find, als Macpherfon feldft glaubte, oder daß fie ungefähr bis 
auf Shrifti Zeit zuruͤckgehen! 

In der noch immer allenthalben bis zum libermaß gepflegs 
ten Romanenliteratur begegnen uns wicher bie beiden 
Bielfchreiber Aimquift und Grufenfloipe. GErſterer hat ben früher 
von uns dharalterifirten Roman „Babriele Mimanſo“ beendigt 
und einen neuen „Tre Fruar i Smöäland” (Drei Frauen in 
Smaͤland) angefangen, der nicht ſonderlich iſt, wiewol fi 
darin einige Spuren von Talent zeigen. Grufenfloipe trat im 
Beginn feiner Schriftitellerbahn ale Novellendichter auf, aber 
obne Gluͤck; jest, ba er ald Publicift binfichtlih der Dar: 
flelung fi) Ruf erworben bat, tifcht ex aus feinem Pulte 
zwei — auf: „Mina foͤrſta Fjaͤt pi Foͤrfat⸗ 


tarbanan” (Meine erſten Fußtapfen auf ber Schri 

bahn) und „Biltfadern” (Der Beichtoater). a — 
eifern mit ihm zwei andere Publiciſten oder richtiger Feuilleto⸗ 
niſten, Rofen und Orvar Odd (eigentlich Dr. Sturzenbecher); 
Beide ſind nicht ohne Wis, obgleich derſeibe zuweilen etwas ge⸗ 
ſchraubt iſt. In Roſen's „En fiffig Dans Miſſoͤden (Unfälle 
eines pfiffigen Mannes) iſt der Plan gewöhnlich, die Satire 
plump und grob, die Situationen finb bisweilen luͤſtern, doch 
zeugen einzelne Ecenen von Zatent für das Komiſche. Kıiner, 
gewanbfer und bie neuern Branzofen in leichter und glänzend: 
ſchluͤpfriger Darftellung nachahmend, tritt Orvar Odd in feiner 
Ropellenfammlung „Med en bit Blyerts“ (Mit einem Bischen 
Bleiftift) auf. Bon dem meiblicyen Kieeblatt, Frederike Bre: 
mer, Freiin Anoreing und Frau Emilie Flygare: Garten, 
baben bie beiden Grftern in dieſem Jahre nicht Neues geliefert 
(mit Ausnahme ber in der Theologie bereitd erwähnten Schrift 
der Demoifelle Bremer ), aber bie Letztere bringt uns ſchon wie⸗ 
der zwei ziemlich umfangreiche Romane: „Rofen pi Ziftelön” 
(Die Rofe auf der Diftelinfel) und „Kamrer Laßman“ (Der 
Kämmerer Laßmanı, Leider nur Nothgaben; bie Verf. bat 
ſich naͤmlich contractlich verbunden, jaͤhrlich dem Verleger der 
„Sabinetebibliothet‘’ zwei Romane zu zwei ober drei Theilen zu 
liefern. Schließlich fei noch der Genregemaͤlde eines Ungenann⸗ 
ten: „Genre » mälningar af Onkel Adam’ gedacht. 49. 





Sigismund Forſter. Bon Ida Gräfin Hahn: Hahn. 
Berlin, 4. Dunder. 1843. Gr. 12. 1Thlr. 22'% Nor. 


Es iſt uns geſtattet, bei der Beſprechung dieſes Werkes 
kurz zu fein, ba ein in d. Bl. juͤngſt gelieferter Aufſatz, wel⸗ 
cher das Talent der Verf. einer ausführlichen Beleuchtung uns 
terwarf, uns hierbei ſchon vorgearbeitet hat.*) Die Gräfin Hahn» 
Bahn vertäßt ſichtbar mehr und mehr den etwas eigenſinnigen 
und darum nothwendigerweiſe auch deſchraͤnkten Standpunkt für 
die Lebensanſicht, den fie in ihren erſten Werken feſthielt. Won 
der „Bauftina’ zum „Ulrich und don biefem zum,Forſter“ ift 
ein Kortfchritt unverfennbar, nicht gerade in den formalen 
Kunftbebingungen, aber im Geifte, in der Freiheit der Auffafs 
fungen. Ja, es findet in einer Grundbeziehung aller ihrer 
Schriften fogar eine Art von umkehr fatt, inſofern naͤmiich, 
als in biefem Romane zuerft der Gieg ber Tugend und Ehre 
auf Geiten des bürgerlichen Helden, gegenüber bem abligen Wis 
derſacher bleibt: eine Auffaflung bes Stofflicdyen, deren bie Graͤ⸗ 
fin Bahn» Hahn bie hierher, faſt unfähig geachtet wurde. Das 
gegen ſteht die Sprache in diefer Erzählung an Beuer, an Gut, 
an innerm Born, möchten wir fagen, kurz an Kraft, Bälle und 
Energie, ber in den frühern Leiftungen der Verf. nach, und fie 
feint baher, was fie an geiftiger Harmonie, freier und wah⸗ 
ver Lebensbetrachtung und Weisheit geivonnen hat, in mehr 
Außerliher Wirkung eingebüßt und verloren zu baben. Die 
Einfachheit, Yaptichkelt und Natur, die Raivetät ihrer Erzaͤh⸗ 
lung — ein Worzug, ber ihr vor ihrer Witbewerberin, ber 
Verf. von „Gt. Roche” und „Godwie⸗GCaſtle“, unbebingt zus 
kommt — Hafen nichts zu wuͤnſchen übrig, vielmehr iſt 
„Sigiſsmund Forſter“ in dieſer Beziehung den beſten Mus 
ſtern in unſerer Literatur aͤhnlich. Auf die Erfindung ſcheint 
nicht die geringſte Bemuͤhuag verwendet zu ſein — wir 
ſagen „ſcheint“, weil gerade hier der Schein kaͤuſchend iſt 
und weil bie kunſtloſeſte Erfindung in der That oft die muͤhe⸗ 
volle if. Der Student Worfter liebt Toſca Beyron — wie 
Studenten lieben. Gr wendet fi von ihr ab, weil ex bie 
Geliebte für kokett Hält, und fie von ibm, weil er fie in 
jenem Bahn verleht. So treten bie jungen Leute auseins 
ander nach einer zart und fein geſchilderten erften Begegnung, 
den Funken ber Neigung in ber Seele bewahrend. Rach zwölf 
Jahren führt der Zufall fie wieder zufammen; Forſter tft Ste 


*, Bel. ven Auffag ‚‚Weiblige Schriftellerinnen ” in Nr. 6 
u. 7 db. 8. D. Red. 


ierungsrath in Berlin, Toſca an einen kraͤnkelnden, bejahrten 
Berwandten verheirathet und von beffen Wetter Ignag um: 
ſchwaͤrmt. Was ift natürlicher, als daß die Eiche aus ihrem 
frühern Grabe erſteht? Forſter aber ift Bräutigam; ein gutes, 
einfaches Mädchen in Magdeburg hat fein Wort. Dies ift bie 
ganze Werwidelung, gewiß fo aufwandlos ale nur immer mög» 
lich, fo voll innerer Wahrheit und fchmudiofer Natur, ale nur, 
wir möchten fagen, in einem Idyll gedacht werden kann. 
Bier finden fich Feine gewaltfam zur Poefle emporgefchraubten 
Geftatten, keine Beuerkinder oder Wafferniren,, weder Mignons, 
noch Undinen, keine aus der Linie der Natur tretenden Begeben⸗ 
heiten, nichts Zransfcendentes mir einem Worte. „Sigismund 
orfter‘’ ift ein Idyll der modernen Geſellſchaft und darin liegt 
En Reiz und fein Berdienfl. Die Heldin iſt Toſca, eine Ges 
ftatt voll Leben und aus dem Leben, fo groß in echter Eiche, 
in Duldung, Muger Abwehr und ſchoͤner Refignation, daß fie 
fig jeden Lefer zum Freunde gewinnt. Forſter ift biefer Ges 
ſtalt gegenüber vernachläffigt, ſchwach, nicht auf fich ſelbſt fus 
fend, den Greianiffen unterthan und in fophiftifcher Kälte ver 
graben, fähig, ein edles Herz ohne Gewiſſensregung zu brechen. 
Er würde unfere Adytnng als Dann verlieren, zeigte er fi 
dem verworfenen Better Igna& gegenüber nicht tuͤchtig unb 
ehrenwerth. In diefem Ignagt ftellt die Verf. allen ihren 
Schweſtern ein Warnungszeichen bin, für welches das ganze 
Geflecht ihr dankbar zu fein Urfache hat. Er ift bie perfoni» 
fieirte Verworfenheit der Verführungstünfte, ein Menſch, der 
die Liebe täufchend zu copiren verftebt, ohne Herz, ſchmachvolle 
Plane brütend und eine ſchwaͤrmeriſche Glut zu ihrer Ausfühe 
zung beftellend. Daß Zofca einen folchen Charakter zu durch⸗ 
ſchauen verftebt, ihn, ben fie fchonen muß, ohne Eclat von 
fi) abzuwehren und body mit ihm auf gutem Buß zu bfeiben 
vermag , das ift der Triumph einer gut berathenen Weiblich⸗ 
keit. Dagegen aber möchte fie, dem würbigen Gemahl gegens 
über, trog aller ihrer zärtlichen Sorgſamkeit, von einiger bes 
wußten Taͤuſchung doch nicht frei zu Sprechen fein. Dies war 
vielleicht unmöglich zu erreichen und hier ruht bie ſchwache 
©eite des Romansz die Verf. will, daß Toſca rein fei, und fie 
ift es doch nicht gan In Forfler’d Tode, von Ignatz' Band, 
übt fie daher volle und gute poetifche Gerechtigkeit und Jeder 
empfängt, was ihm gebübrt. 

An gefellfchaftiichen Feinheiten, guten Bonmots und geift 
zeichen Ginbliden in das Weltleben kann es in einem Roman 
der Graͤfin Hahn: Hahn natürlich nicht feblen, es fehlt auch in 
diefem nicht daran; nur ſchwimmt auf diefem fanften See doch 

Vieles obenauf, was feine natürliche Klarheit trübt. 
Manches Ungehörige, Schiefe, Halbangeſchaute begegnet uns 
und Vieles erfcheint gering unb unbebeutend. Hingegen vers 
dient Erwähnung, baß beinahe nichts Scharfes, Eigenſinniges, 
Borniges und Gehaͤſſiges darin vorkommt, woran in ben frühern 
Schriften der Verf. Überfluß if. Für den beften Theil der 
Erzaͤhlung halten wir Forſter's Beſuch in ber Bamilie feiner 
Braut. Auch biefe Epiſode ift warnungsreidh für das zarte 
Geſchlecht. Sie zeigt, wie in entfcheidenden Augenbliden dieſer 
Art einen mit fi feibfE ringenden Männergeift nichts feindiicher 
und wiberwärtiger berührt als gerade ein Übermaß von Guͤte 
und Zärtlichkeit, wie beide gerabe bie gegentheilige Wirkung her: 
vorbringen unb, anftatt zu feflein, abftumpfen, entnerven, abs 
flogen. Es ift dies eine große Lehre für Frauen und für — 
Bräute im Beſondern. Kühnpeit und Gleichguͤltigkeit hätten 
Forſter gereist, vielleicht bezwungen, bie Weichheit vertreibt Ra 


Eugene Sue's Selbftvertheidigung. 
Eugene Sue, ber burch feine „Mysteres de Paris‘ dem 
„Journal des debats” von vielen Geiten ben Borwurf ber 
Berbreitung von Immoralität, zugleich freilich auch einen bes 


* 


traͤchtlichen Zuwachs an Abonnenten zugewendet hat, vertheibigt 
ſich jegt in der genannten Geſchichte ſelbſt gegen den erwaͤhnten 
Vorwurf. Nach einigen allgemeinen Betrachtungen uͤber die Erb⸗ 
lichkeit des Verbrechens durch viele Generationen hindurch und 
uͤber die Verſaͤumniſſe der Geſellſchaft, welche dies verſchulden, 
ſagt er am Anfange der fechäten Abtheilung (‚Journal des débata“ 
vom 16. März): „„Werzeibe der Lefer, daß wir abermals eine Art 
Einleitung gemadt. Hier unfer Grund. Während bie Veroͤf⸗ 
fentlihung dieſer Erzählung fortfchreitet, ift ihr fittlicher (Ende 
zweck fo heftig und, wie uns fdheint, fo ungerecht angegriffen 
worden, daß man uns verflatten wird, bie ernfte, rechtſchaffene 
Abficht zu verwahren, weldhe uns bisher Antrieb und Ausdauer 
gegeben hat. Verſchiedene Perfonen von Gharafter, feinem Takt 
und Bildung baben uns Aufmunterung und fchmeihelhafte Be⸗ 
weile ihres Beifalls zu Theil werden laffen. Wir find es viel 
leicht biefen Breunden, befannten und unbelannten, ſchutdig, ein 
letztes Mai den blinden, hartnädigen Anfchuldigungen entgegens 
zutreten, welche, jagt man und, bis in den Schoos ber gefeß: 
gebenden Berfammlung Widerhall fanden. Uns ‚abfcheulicye 
Sittenloſigkeit‘ vorwerfen, ift nichts Anderes, mie uns duͤnkt. 
als eine abſcheulich unfittliche Richtung mittelbar allen Denen 
vorwerfen, welche uns mit ihrer lebhaften Theilnahme beehrt 
baben. Um biefer Theilnahme alfo, wie um unfer felbft willen, 
wollen wir verfuhen, an einem Beifpiele unter mehren zu 
gen, daß unfere Arbeit nicht an menſchenfreundlichen unb 
nugbaren Gedanken gänzlich bar iſt.“ 

„In einer ber erften Abtheilungen haben wir das Büb 
einer Duftermeierei entworfen, bie dazu gegründet ift, um ars 
men, reblidyen und fleißigen Arbeitsleuten Aufmunterung, Unter 
weiſung und Belohnung zu gewähren. Wir fügen binzu: Uns 
befcholtene Ungluͤckliche verdienen mindeſtens ebenfo viel Theil⸗ 
nahme al& beftrafte Verbrecher; dennoch gibt es zwar zahlreiche 
Geſellſchaften, welche ſich junger GSträflinge oder Enttaſſener 
annehmen, allein keine Geſellſchaft, welche den Zweck hätte, für 
arme junge Ecute Sorge zu tragen, deren Wanbel tadellos ges 
blieben : das heißt denn, man muß erft ein Verbrechen begans 
gen haben, um auf die Wohltbat foldher verdienſtiichen und 
beilfamen Bülfteiftungen ein Anrecht zu erlangen. Wir ließen 
damals einen Bauer unferer Wuftermeicrei fagen: ‚Mild und 
menſchlich iſt es, den Böfewicht nie ganz aufzugeben; aber man 
follte auch den Unverdorbenen Ausfichten eröffnen. Wollte ſich 
ein rüfligee und arbeitfamer junger Burſch von gutem Ruf an 
bie für entlaffene Gträflinge beftimmte Meierei wenden, fo 
würde ex den Beſcheid erhalten: Haft du ein Bischen geftoblen, 
Karl, und vagabundirt? — Das nit. — Ja, bann iſt hier 
fein Play für di.‘ Diefer Misftand ift nun Männern, die 
fähiger als wir find, zum Bewußtſein gelommen, und ihnen 
fei e8 Dank, dab, was uns ein Utopien ſchien, zur Wirklichkeit 
geworben tft.” 

„Unter dem Vorſtande eines ber aufgezeichneteften unb vers 
ehrungsmürdigften Männer, die gegenwärtig leben, bes Berra 
Grafen Portalis, und unter ber einfidhtsvollen Leitung eines 
wahren Pbilanthropen, eine® Mannes von ebenfo edelm Her 
zen, als praktifhem und aufgelärtem Geift, des Herrn Aller, 
bat fi eine Geſellſchaft gebilbet, deren Zweck ift, armen, ehr 
lien jungen Leuten aus dem Geinebepartement beizufpringen 
und ihnen Beſchaͤftigung auf Iandwirthfchaftlichen Anftedelungen 
iu geben. Diefe einfahe Erwaͤhnung reiht allein bin, um 

er ben ſittlichen Gedanken unferer Arbeit Auffchluß zu geben. 
Es madıt uns ſtolz und gluͤcktich, daß wir in einem unb bems 
felben Kreife von Gedanken, Wünfchen und Hoffnungen mit 
den Grünbern dieſes neuen Anftituts zufammentrafen; benn is 
in ber That zählen wir uns zu den Genbhoten, zu den uns 
ſcheinbarſten freilich, aber zu denen gewiß, die am Lebhafteften 
bon dee Wahrheit durchdrungen find, daB es Pflicht ber Gefells 
(daft iſt, dem Boͤſen vorzubeugen, zum Guten aber, fo viel 
an ihre iſt, anzufpornen und das Gute zu belohnen.” 48 


Berantwortlicher Brrauögeber: Heinrid Brokhaus. — Drud und Berlag von 8. U. Broddaus in Leipzig. 








Blätter 


für 


literarifbhe Unterhaltung. 





Donnerstag, 


— Nr. 103. mm 


13. April 1843, 





Socialismus und Communismus. 

Der Socialismus und Communismus bes heutigen Frankreichs. 
@in Beitrag „gut Zeitgefchichte von &. Stein. keipzig, D. 
Wigand. 2. ©. 8. 2 The. 15 Nor. 

Die vorliegende, unter einem fehr befchelbenen Zitel 
auftretende Schrift muß als eine der bedeutendften Er⸗ 
fcheinungen unferer publiciflifhen Literatur und als ein 
neuer Sieg ber deutſchen Wiſſenſchaft über die großen 
Drobleme des Lebens und der Geſchichte gelten. Zwar 
haben bis jest bei uns die focialen Geſtaltungen, welche 
die Gefellfhaft Englands und Frankreichs bewegen und 
erihüttern, nur ein geringes praktiſches Intereſſe gehabt: 
Die deutfche Welt ift noch viel zu fehr mit dee geräufch: 
tofen Befreiung vom Staate und der Gefellfhaft des al: 
ten Europas befchäftigt, al6 daß die Elemente der moder: 
nen, auf Die freie Perföntichkeit gegründeten Geſellſchaft 
fhon zu entſchiedener Entwidelung und zum Kampfe ih: 
rer Gegenfäge und Widerſpruͤche hätten gelangen koͤnnen. 
Allein auch das theoretifhe Intereſſe an den focialen 
Bewegungen der übrigen germanifhen Welt blieb uns 
fo ziemlich fern; der Kampf in dem Herzen ber Gefell: 
Schaft Englands und Frankreichs, der auf den Conflict 
gervaltiger Mächte und principieller Reſultate hinweiſt, 
bat uns nur als vereinzelte abnorme Erfcheinung gegols 
ten und unfere Neugierde und Bebauern, aber feine 
gründfihe Aufmerkfamkeit rege gemacht. Diefe Gleich: 
gültigkeit gegen Das, was wir mit dem Namen ber 
bürgerlichen Geſellſchaft bezeichnen, erſtreckt ſich fogar bei 
uns bis in die Wiffenfchaft überhaupt. Wir, denen bie 
Aufgabe geftellt zu fein ſcheint, alle Lebensprobleme der 
germanifchen Welt roiffenfhaftlih zu Idfen und zu über: 
mwinden und damit den fchroffen Widerfprüchen der Wirk: 
lichkeit die Bahn zu tiefer und friedlicher Kortbildung zu 
ebnen — mir befigen, bei aller Ziefe, mit der wir den 
Begriff des Staats und des Rechts erläutert - haben, 
weit weniger als die übrigen Nationen ein originelles 
wiſſenſchaftliches Spflem von Dem, mas hinter dem 
Staate liegt. 

Und doch — wie fehr fodert uns die Gefchichte des 
19. Zahrhunderts auf, einem Elemente unfere Achtfam: 
Seit zu fchenten, das freilich zur Zeit der unumſchraͤnkten 
Herrſchergewalt gänzlich darniederlag und wenig in Be: 
sracht am, das aber jegt ſich als ber Gentralpunft ges 


flaltet, aus dem die großen Ereigniffe der Gefchichte, ber 
Fortſchritt der Menfchheit, die Schidfale der Staaten 
hervorgehen unb in den fie zuruͤckwirken. Die Gefell: 
ſchaft, ihr Erwachen, ihr Intereſſe, ihre Überzeugung, 
hat zu Ende des vorigen Jahrhunderts in Frankreich die 
Schranken des alteuropaͤiſchen Staats niedergeriſſen; ſie 
bat die Resolution ſelbſt, in der Begründung einer freien 
Derföntichkeit im Staate, zu einem dauernden, pofitiven 
und mweltgefhichtlichen Erelgniffe gemacht; fie bilbete wäh: 
rend der Reftauration die mächtige Oppofition gegen die 
Politik der alten Bourbons und hat die Julirevolution 
durchgeſetzt; fie zeigt fi im Hintergrunde aller Fragen, 
aller Parteien, die das politifche Schickſal Frankreich ent: 
ſcheiden. Die Sefelifhaft, ihr Intereffe und ihr Einfluß 
iſt es, was bie ganze neuere Geſchichte Englands be: 
herrſcht. Allein der ſociale Wille bat die Meformbill 
ducchgefegt und damit der innern Politik des Staats 
eine Bahn und eine Richtung gebrochen, gegen bie ſich 
das Parteigetriebe, die politifche Combination, die Ariſto⸗ 
Eratie mit ihren gefefteten Privilegien vergeblich ſtraͤuben; 
jeder Schritt, den bie pofitifche Gewalt nad) außen thut, 
kann fogar nur mit der Rüdficht auf das ſociale Inter: 
effe gefchehen. Und auch in Deutfchlaud, wo die Trage 
um den Staat und die Staatsgewalt noch das Wefent: 
liche iſt, wo politifche Sewalten und Doctrinen noch den 
überwiegenden Einfluß auf das äffentliche Leben der Na: 
tion ausüben, ift es zulegt doch nur die Macht und das 
Intereſſe der Geſellſchaft, das fich über die politiſchen 
Schwankungen und Kämpfe erhebt, dem Gange ber Ent: 
widelung Gefes und Charakter vorfchreibt und die Zu⸗ 
kunft in ihrem Schooſe trägt. 

Bon bdiefem allgemeinen Geſichtspunkte aus bat ſich 
die Arbeit 2. Stein’s ein außerordentliches Verdienſt er: 
worben. Die Unterfuhung felbft ift zwar auf einen be: 
flimmten Gegenftand befchränkt, aber ihr Ausgangspunkt 
und ihre Mefultate greifen auf das tieffte und umfaf: 
fendfte in das Leben und die Wiffenfchaft der Geſellſchaft 
ein. Bon der wüften Oberfläche der franzöfifchen Gefell: 
[haft führt er uns zum erften Male durch die ganze in: 
nere Geſchichte diefer neuen Geſellſchaft, um bie drohend: 
ften und raͤthſelvollſten Erfcheinungen derfelben, den So: 
clalismus und Communismus, aus ihren Principien zu 
erklaͤen. Er weiſt durch dieſen echt wiſſenſchaftlichen 


410 


Gang nicht allein die wahre Bedeutung und den tiefen 
organifchen Bufammenhang dieſer Geſtalten mit dem Bil: 
dungsgange der ganzen germanifhen Welt nad), ſondern 
eröffnet hiermit an dieſem individuellen Volksleben den 
ganzen Umfang und den unermeßlihen Reichthum einer 
allgemeinen focialen Wiffenfhaft von dem Standpuntte 
unferer weltgefchichtlichen Epoche. 

Welcher Hülfsmittel und Vorarbeiten konnte ſich ber 
Verf. aber bedienen, um diefem chaotiſch drängenden, von 
unzähligen Fragen, Anfichten und Perfönlichkeiten durch⸗ 
kreuzten Stoffe eine fo tiefe, objective und ganz neue 
Geſtalt abzugewinnen? Es iſt nicht zu verfennen, baß 
ihm die eigene Erfahrung des franzöfifchen Lebens und 
ein gründliches Studium feiner Geſchichte und Literatur, 
in Bezug auf den Gegenftand aber das geiftreihe Werk 
Louis Reybaud's und das trefflihe Buch von Eugen 
Buret eine Menge neuer Geſichtspunkte und unmittelba: 
tee Anregungen mögen gewährt haben; allein bie tiefe 
Auffaffung des Ganzen, die fpeculative Durddringung 
des Einzelnen, die Zurüdführung der Erxfcheinungen auf 
das Allgemeine — alles Dies haben wir unbezweifelt dem 
originellen und reichen Geifte des Verf., wie feiner tuͤch⸗ 
tigen deutfch=phllofophifchen Durchbildung zu verdanken. 
Es zeigt diefe philoſophiſche Bildung, wie wefentlih, ja 
wie einzig geſchickt nur das wiffenfchaftliche Denken für 
die wahre Aufklaͤrung auch der praßtifchen Lebensverhält: 
niffe iſt. 

Die Kritik wird ſich bei der vorliegenden Arbeit nur 
pofitiv und entwidelnd verhalten muͤſſen, denn Gegen: 
ftand und Auffaffung find neu: fie reichen weit über bie 
Art und Weife hinaus, wie wir wol allgefammt über 
die Sache dachten und urtheitten. Die Schulmeifterei 
koͤnnte fich zwar bier und da an bem Formellen reiben; 
denn der Umſtand, daß vielfahe Zwiſchenftagen in Be: 
zug auf die Hauptfachen verfolge werden mußten, ferner, 
daß der Verf. feine Gedanken im Angefichte der franzoͤſi⸗ 
[chen Lebenswogen gefammelt und niedergefchrieben, bat 
zumellen die Ruhe und Durchſichtigkeit des ſonſt ſchoͤnen 
und geiftvollen Stils beeinträchtigt. Allein dem aufmerk⸗ 
famen und reifen Lefer wird dieſes bei der planvollen, 
fihern und logiſchen Anordnung und Entfaltung bes 
Ganzen nicht in Betracht kommen. 

Das Buch zerfällt in vier Dauptabfchnitte, von denen 
der erfte die philolophifcye Entwidelungsgefdyichte der frans 
zöfifchen Geſellſchaft feit der Revolution bie in das Herz 
des Socialismus und Communismus hinein enthält. Auf 
dieſem Theile ruht deshalb unferer Anficht nad) der Ac⸗ 
cent, und wir wollen bier ben fchwierigen Verſuch mas» 

chen, die Grundgedanken defjelben zu bezeichnen. 
In Frankreich, wie bei den übrigen germanifhen Nas 
tionen, ift unter den Elementen bes Staatsverbandes 
(don laͤngſt ein neues aufgetaucht, das vor ber erſten 
Revolution völlig unbeachtet blieb, dem Niemand ein 
Recht zugefland, dem fih Niemand mit Liebe zumandte 
— Menſchen, die Bott gleihfam felbft bei der Verthei⸗ 
lung geifliger und materieller Güter vergeſſen zu haben 
fheint, die weder Bildung noch Eigenthum als Baſis 


ihrer gefeufchaftlichen Geltung aufzuweiſen haben, und bie 
fih dennody berufen fühlen, nicht ganz ohne diefe der 
Perföntichkeit erft Werth verleihenden Güter zu bleiben: 
diefes Element ift das Proletariat, der gemeinfame hiftes 
rifche Grund und Boden des Socalismus und Commu— 
nismus. Nicht wie der Reiche reicher, der Weiſe weifer 
werden kann, nicht bie Theorie des Staatsrechts ober 
ber Verwaltung, feldft niche das Armenweſen, fondern 
wie dieſer Glaffe der Proletarier in dem Gefühle und 
Zuftande ihres Ungluͤcks, worin fie verfunten ift, geholfen 
werden kann, ihre Loos, ihre Berechtigung, ihre Zukunft, - 
das ift ber einzige Zweck, den die Socialiften wie die 
Communiſten verfolgen. 

Warum, fragt der Verf., hat diefes heutige Proleta: 
riat eine fo große Wichtigkeit und Bedeutung; warum 
ift es ein befonderer Gegenftand der Sorge und der Un: 
ruhe? Auch die alte Welt hatte neben Sklaven ihre 
Armen; der römifche Staat litt an einer ungeheuern Laſt 
von Bürgern, die jedes Beſitzes entbehrten und aus dem 
Öffentlihen Schage unterhalten werden mußten. Allein 
der römifche Proletarier hatte bie unterfcheidende Eigen⸗ 
thuͤmlichkeit, daß er fich nicht durch eigene Arbeitskraft 
Erwerb und Eigenthum verfchaffen wollte, wenn er auch 
Eonnte, während die Unferigen durch Arbeit ihre Lage 
verbeffern möchten, wenn fie nur die hinreichende Moͤg⸗ 
lichkeit dazu hätten. In Rußland, der Türkei, China, 
Eurz unter allen Nationen und Staaten nichtgermanifchen 
Urfprungs, gibt es zabllofe Scharen, ja ganze Bevoͤlke⸗ 
rungen von huͤlfloſen Menſchen, die ſich für ben gering- 
fin Lohn zu jedem Dienfte bereit finden Laffen; aber 
dieſe unterfcheiden fih von dem germaniſchen Proletarier 
dadurch, daß fie ihe Loos als ein abfolutes anfehen, und 
keinen Anſpruch auf die allgemeinen Lebensalter machen. 
Der Verf. findet im germanifhen Nationalcharakter, auch 
im Chriftenthume die erſte Begründung diefes eigenthuͤm⸗ 
lihen und gefährlichen Proletariats. Die Bauernaufflände 
im Mittelalter, die englifche Revolution zeigen, wiewol 
unter Rache, Religionshaß und politifche Abfichten ver: 
fiedt, die erften Spuren dieſer Erfcheinung auf. Doch 
die bewußtvolle Bewegung tritt erſt in der mobernm 
Geſellſchaft und mit der franzöfifhen Revolution hervor: 
das Proletariat von heute iſt das Mefultat der modernen 
Givilifation, und in diefem Punkte liegt fein Zuſammen⸗ 
bang und feine allgemeine Bebeutung für die ganze ger- 
maniſche Welt, 

Es ſtellt fih darum die Frage entgegen: was ift bie 
Civiliſation, ihrer Zdee, ihrem Inhalte nach — welches 
ift ihr Standpunkt in der gegenwärtigen Epoche? Der 
Derf. unterzieht ſich dieſer ſchwierigen Frage. Guizot, 
ſagt er, hat den großen Gedanken gehabt, ihre Geſchichte 
zu ſchreiben, aber er hat dem Begriff ſeine fcharfen Gren⸗ 
zen nicht angewieſen. Nicht eine Kunft oder Wiſſen⸗ 
(haft, nicht alle, nicht die Bildung eines großen Volks, 
feibft nicht der Maſſe, kann den Begriff der Givilifation 
ausmachen; denn waͤre das Volk babei einer bespotifchen 
Regierung unterworfen, fo hätte es den Höhepunkt ber 
Civiliſation nicht erreiht. Doc au eine humane Re 





gierung {ft niche hinreichend. Ein Boll, das, wie bie 
Deutfchen des vorigen Jahrhunderts, einen eigenen Stand 
batte, ber rechtlih Andern untergeordnet war, ohne ſich 
aus dieſer die Perfönlichkeit verlegenden Abhängigkeit zu 
befreien , ift fein wahrhaft civififirtes Voll. Zur Civiliſa⸗ 
tion gehört nicht blos Bildung, fondern, damit der Menſch 
ale folcher an der ganzen Fülle der Lebensgüter theilneh: 
men kann, auch ſtaatsrechtliche und perfönliche Freiheit 
für Alle. Dee Begriff der Civiliſation wird alfo zuerft 
alle die ſelbſtbedingten und allgemeinen Güter, wie des 
Befiges, der Ehre u. f. w. enthalten, dann aber aud) 
den gefchichtlichen Gang, nach welchem dieſe Güter das 
Eigentum der Einzelnen werden und bdiefelben erheben 
und beffern. Ein Bolt fleht auf dem Gipfel der Civili⸗ 
fation, wenn alle feine Glieder aus Machtvollkommenheit 
ihrer menſchlichen Würde an ben Lebensgütern theilneh: 
men, und die Gefchichte der Givilifation Ift nichts Ande⸗ 
ves, als die Bewegung der menſchlichen Geſellſchaft, dieſe 
Güter in Allen und mit Allen zu befigen. 

An diefen Begriff, bei deflen Ausführung durch die 
Geſchichte wir bier dem Verf. nicht folgen koͤnnen, knuͤpft 
ſich die Frage über den Charakter unferer gegenwärtigen 
Givitifationsftufe. Es wird der Beweis geführt, daß das 
Bemwußtfein von dem unbedingten Rechte ber Thellnahme 
Aller an den abfoluten Lebensgütern die Eigenthuͤm⸗ 
lichkeit und der unterfcheidende Charakter unferer Givilis 
fationsepoche ſei. Diefes Bewußtfein tritt nicht eben im: 
mer in fpeculativer Form hervor, fondern aͤußert ſich 
auf die mannichfaltigfte Weiſe. Der Proletarier be: 
figt es und offenbart daſſelbe, wie jeder Andere. Man 
(öfe fie auf die Vorftelungen von Liebe, Menfchenfreund: 
lichkeit, Beduͤrfniß, Liberalismus, Nugen u. f. w., hinter 
ihnen verſteckt fih der Gedanke an die Verallgemeinerung 
der hoͤchſten Lebensgüter; ihre Ertheilung und Kreigebung 
beruht nicht mehr auf Willkür, Zwang, Mitleiden, Gut: 
müthigkeit, fondern fie werden gefodert und erlangt, weil 
eine zum Bewußtſein erwachte Perföntichkeit diefelben als 
ihr unveräußerliches und abfolutes Recht fodert. Die 
franzöfifhen Revolutionen weiſen die Wahrheit diefes Ge: 
dankens ganz befonders nah. Die gewaltigften Umgeftal: 
tungen der Voͤlker in früherer Zeit haben ihr Motiv 
immer in einer beflimmten That, einem ungewohnten 
Eingriffe oder einer Bedruͤckung gehabt. Der Keim der 
sevolutionnalren Bewegungen Frankreichs lag nicht in ei⸗ 
ner gewaltfamen Tyrannei, nicht in Eingriffen auf alte 
eingebürgerte Mechte und Sitten, fondern es mar der 
neue und mächtige Gedanke von den Foberungen ber 
freien Perfönlichkelt, der unter dem Namen der Freiheit 
das Volk zum Kampfe, und ber unter den rein politi: 
fhen und flaatlihen Ereigniffen einen dauerhaften und 
folgenreihen Sieg ftetö errungen hat. 

Es wäre allerdings wünfchenswerth geweſen, hätte ber 
Verf. bier den gefchichtlichen Nachweis über die Entwide: 
ung des Bewußtſeins und der Nechte der Perfönlichkeit 
auch bei den Übrigen germaniſchen Nationen weiter vers 
folgen wollen. Er würde damit in Deutfchland einer 
potitifchen Partei große Auffiärung gewährt haben, bie 


411 


den Zuſammenhang dieſer Entwickelung nicht zugeſtehen 
will, um jede Aufmerkſamkeit und Hinweiſung auf Frank⸗ 
reich zu beſeitigen. Indeſſen wendet er fich ſogleich zu 
der wichtigen Frage: Warum gibt es ungeachtet dieſes 
Bewußtſeins und der faſt durchgaͤngigen Befreiung der 
Perfönlichkeit von den Feſſeln der alten Geſellſchaft noch 
ein Proletariat; warum find gewiſſe Glaffen der Geſell⸗ 
ſchaft jegt nur um fo mehr in Elend und Abhängigkeit 
verfunten, fodaß fie den weitern Beſitz der allgemeinen 
Lebensgüter entbehren müffen? Die neuere Geſchichte hat 
es hinlaͤnglich gezeigt, daß es nicht blos die Zeit war, 
die zwiſchen dem Erwachen des Gedankens und der Er— 
teihung eines allgemein beffeen Zuftandes der Geſellſchaft 
lag. Die Civiliſation fcheint alfo mit ſich ſelbſt im haͤr⸗ 
teften MWiderfpruche zu ſtehen. Ein allgemeines Hinſtellen 
der Stage, wie man die niedern Claſſen zu einer eblern 
und hoͤhern Stellung emporheben könne, iſt ebenfo ge: 
woͤhnlich als nuglos. Unterricht? — Bildung? — Bel: 
bes fegt voraus, daß man über Zeit und Mittel zu ges 
bieten vermag. Überdies gibt die Bildung felbft wiederum 
Anfprud zur Theilnahme an dem höhern Leben der Ge: 
feufhaft, und diefe Theilnahme fegt wiederum Mittel, fie 
fegt materiellen Beſitz voraus, der allein Unabhängigkeit 
gewährt, ‚der die Bafis für den Erwerb aller andern Guͤ⸗ 
ter iſt, der auch überall die Theilnahme an dem Staates 
leben bedingt. 

Der Beſitz aber enthält ein Moment, das ibn von 
andern allgemeinen Gütern weſentlich unterfcheidet: ex iſt 
perfönlich wie jene, aber diefe Perföntichkeit iſt ausfchlies 
Bend. Der Befig kann nicht Allen, fondern nur Meh⸗ 
ven gehören, und damit eben ift der große Widerſpruch 
in der Givilifation vorhanden, den ſchon die Philofophen 
des vorigen Jahrhunderts zu loͤſen fuchten. Iſt der Beſitz 
für die Idee der Perföntichkeit etwas Zufälliges; oder iſt 
er eine abfolute Bedingung derſelben? Der ganze fociale 
Kampf drängt fih in England und Frankreich auf dies 
fen Punkt zufanımen; er ift der Knoten, der gelöft ters 
den fol. Das Proletariat, die ganze Claffe der Nichts 
befiger, antwortet auf diefe Frage um den perfönlichen 
Beſitz in diefem Augenblide mit einem fanatifchen Nein; 
von der andern Seite aber wird mit eben berfelben Hart: 
nädigkeit und Unverföhntichkeit die Perföntichkeit des Bes 
figes behauptet. 

Es ift auf biefer Stufe der Unterfuhung nicht die 
Abſicht des Verf., das Problem felbft zu loͤſen. Durch 
die Entwidelung diefes innerlichften Widerſpruchs in dem 
Herzen der Geſellſchaft mußte nur aufgezeigt werben, daß 
der Kampf mie die Kämpfer und bie Erſcheinungen und 
Seftalten, welche fie hervorrufen, nicht zufällig, nicht 
vorübergehende und vereinzelte Momente des franzöfle 
[hen Lebens feien, fondern daß dieſer MWiderfprud eine 
gewaltige Wurzel befige, daß er allenthalben zur Erſchei⸗ 
nung fommen müffe als das Reſultat eines großen ges 
ſchichtlichen Procefies. Die Geſtalt diefes Widerfpruche 
tritt aber in Frankreich ſelbſt eigenthuͤmlich genug auf. 
Der Kampf der anfpruchsvollen Perföntichkeit mit dem 
ausfchließenden Befige macht fi bier unter dem Namen 


412 


der Kgalite geltend. Man frage nicht, fagt der Werf., 
was dieſes Wort in Aller Munde beflimmt ausdrüdk. 
Es iſt die Lofung für alle Proletarier; es beginnt als 
Ahnung, es fest ſich als Negation, erhebt den Kampf 
mit bem Beftehenden, breitet fi) aus uͤber Staat, Kirche, 
Verwaltung, Geſellſchaft. Es iſt nur die Bewegung; 
aber eine Bewegung, die ihr Ziel nicht zu fallen vermag. 
Der Verfolg und die Entwidelung diefes Egalitaͤtsprin⸗ 
cipe wird alfo die innere Geſchichte der franzöfifhen Ge: 
fefhaft fein, und auf feinem Wege Liegt auch die Auf: 
klaͤrung über Das, was Sommunismus und Socialismus 
genannt wird. 
(Die Fortſetzung folgt.) 





Englifher und deutſcher Charafter. 


Der bekannte, nicht zu fagen berühmte englifche Reifende 
Laing läßt in feinen „Notes of a traveller“ folgende Bemer⸗ 
tung auf den deutſchen Charakter zu Bunften bes englifchen los: 
„Der durch Erziehung und ftaatliche Berhättniffe im beutichen 
Sharalter erzeugte Mangel an Selbſtachtung, das ungebührliche 
Anfehen, welches dev Deutfche dem Range, dem Amte und cons 
ventionneller Auszeichnung beilegt, und das in Deutfchland bie- 
fen Dingen übermäßig angehangene Gewicht — alles Dies fpies 
geit ſich klar und deutlich in der verſchwenderiſchen Menge von 
Drden, Sternen, Kreuzen, Bändern und leeren Ziteln, mit 
weichen fewol Giviliften als Militairs ſich feelenvergnügt ans 
pugen. Ungefähr jeder.britte Dann, ber Einem auf ber Straße 
begegnet, trägt einen Zettel im Knopfloche, ber aller Welt zu: 
zuft: ‚Gebt mi an, ich bin ein Ritter.“ Gin junger beutfcher 
Offizier kann füglich Feine Kugel auf dem Schlachtfelde haben 
pfeifen hören. Alſo kann aud fein Stand für das Bändchen 
um Knopfloche Eeinen fonderlichen Reſpect verlangen, und noch 
viel weniger der Givilftand, der ſich damit en militaire' hrüftet. 
Die Deutfchen fcheinen feine Ahnung von jenem Gefühle per: 
föntichen Werths zu haben — man nenne e8 meinetwegen Stolz —, 
in deſſen Kolge der englifche Edelmann, ob hochgeftellter Beam: 
ter oder Militair, einen ihm verliehenen britifchen oder auslaͤn⸗ 
difchen Orden nur bei gewiflen Feierlichkeiten trägt. Er fühlt, 
daß er auch ohne Außerliches Zeugniß etwas ift, und wuͤrde es 
mit feiner perfönlichen Geltung ebenfo im Widerſpruch glauben, 
bei alltäglichen Gelegenheiten und in den gewöhnlichen Tages⸗ 
gefellfchaften feine auf die Wruft geklebten Sterne, Kreuze und 
Bänder leuchten und flattern zu laſſen, als wollte er bie Zei: 
tungsberichte über bie Thaten, durch die er jene Ehren ge: 
wonnen, fich auf ben Rüden Eleiftern. Der Deutfche bingegen 
knuͤpft fein Stuͤckchen rothes Band fogar in das Knopfloch fei: 
nes Schlafrods; ber Kaufmann geht auf feine Schreibftube, der 
Apotheker, um fich rafiren zu laffen, zum Barbier, der Profefs 
for in fein Aubitorium, jeder mit feinem Kreuze und feinem 
Bande, juft als ginge er zum Lever bes Kürften. Es ift ge: 
fagt worden, bie höhern Giaffen der Geſellſchaft feien fich in 
allen ändern ziemlich gleich, verriethen wenige jener eigenthüms 
sichen Merkinale, welche in den Mittels und niedern Claſſen 
aller Länder den Nationalcharakter repräfentiren. Das ift ein 
Serthum. Der englifche Bentleman, der hoͤchſte wie der nic 
drigfte, fo lange er ein gegründetes Recht auf diefe Benennung 
hat, unterfcheibet fi) vom beutfchen Gentleman durch den eige⸗ 
nen Sharalterzug der Zuverläffigkeit auf fich ſelbſt, durch feine 
Selbſtachtung, nenne man fie Stolz ober hochſinniges Bewußt⸗ 
fein feines Werthes. Wie er dort ſteht, Ichägt ex fich wegen 
Deflen, was in ihm ift, nicht wegen der@äußerlichen Beglaubi: 
gungen, die ihm Andere ausgefertigt. Diefes Gefühl greift 
tief in die engliſche Geſellſchaft Während in Preußen 
und überhaupt in Deutfchland jeder dritte Wann mit einem 


Berdienſtorden biefer ober jener Art umhberfchiendert und Man: 
dem es gar nicht ſchaben Tönnte, wenn er duch eigenen Fleiß 
fih einen neuen Rod anſchaffen und biefen zum Traͤger feiner 
Ehren machen wollte, befindet fich das Boll, welches auch die 
Regierungsform fei, in gefellig und induſtriell niebrigem Zus 
ftande, ift in feiner Staatsölonomie und in der echten focialen 
Erziehung zu thätigen und freien Mitgliedern bes Gemeinweſens 
um Denfchenalter hinter uns zuruͤck.“ 14. 


Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Der Tod ber Mad. Dupin — bie, im Vorbeigehen fei es 
gefagt, fo viel wir wiffen, mit ben bekannten Staatömännern 
gleichen Namens gar nicht verwandt war — iſt für die Literatur 
ein berber Verluſt. Sie batte berfelben einen Theil ihres Le 
bens geopfert und mehre ihrer Werke werden ihren Namen 
nicht ganz vergefien laflen. Beſonders hervorgehoben zu werben 
verdienen ihre Auffäge in ber „Revue de Paris”, in denen fie 
namentlich einige intereffante Charakteriſtiken italieniſcher Did 
ter mitgetheilt bat. Einer andern jugendlichen Schriftfiellerin, 
die vor kurzem geftorben ifl, bat die Hand eines Freundes ein 
würbiges Denkmal errichtet. Wir meinen die Herausgabe ber 
„Melanges litteraires de Mile. Ozenne”. Louife Ozenne, bie 
vor kurzem in ber Blüte ihrer Jahre geftorben ift, war eine 
bon ben wenigen weiblichen Seelen, die fich der Literatur mit 
beiligem Ernſte widmen. Sie verſchmaͤhte ed, auf der breiten 
Straße zu wandeln, auf ber ſich der größte Theil der Blau 
firümpfe umhertreibt. Ihre Verhaͤltniſſe zwangen fie, zur 
Unterhaltung ihrer Bamilie zur Feder zu greifen, aber fie wur: ' 
digte nie biefeibe zur Verfaffung fchmuziger Romane, in benen 
fih fo viele Schriftfteller ihres Geſchlechts gefallen, herab. Be: 
achtung verdienen die Eritifchen Auffäge, die fie unter dem Pfeu: 
donym Camille Barton in die „Revue de Paris‘, die „Revue 
frangaise‘’ und andere Zeitſchriften einrüden ließ. H. Romond, 
der dem ftillen Wirken der Verftorbenen in der @inleitung einige 
gefühlvolle Worte widmet, bat unter bem oben angeführten Zi 
tel eine geſchmackvolle Auswahl ber beften Auffäge, die aus ih⸗ 
rer Feder gefloffen find, zufammengeftellt. Vielleicht hätte ber 
Herausgeber indeffen den Abriß der franzöfifdgen Literatur, den 
die Verf. für die „„Eacyclopedie des gens du monde’ geſchrie⸗ 
ben hatte und mit bem die „Melanges‘ eröffnet werden, weg⸗ 
laffen können. Er iſt gar zu bürftig und ffelettartig. 


„Les mauvais livres, les mauvais journaux et les ro- 
mans” ift der Zitel einer in Belgien erfchienenen Flugſchrift, 
die von einem Prediger bes Jeſuitenordens herrühren foll. In 
diefer kleinen Broſchuͤre wird fehr gegen bie verberblichen Rich⸗ 
tungen ber neuern Literatur geeifert und firenges Gericht über bie 
„ſchlechten Bücher‘ gehalten. Nur wenige, und nicht immer 
bie beiten, entgehen bem Berdbammungsurtbeile. Um einen Be 
oriff von der Wuth, mit der ber Verf. feine Opfer verfolgt, zu 
geben, wollen wir nur zwei ober drei Beiſpiele anführen. Die 
„Geſchichte der Eroberung Englands durdy die Rormannen’ von 
Thierry erhält das Praͤdicat tres- mauvais; die „Geſchichte der 
franzoͤſiſchen Revolution” wird ein erbärmliche® Wert genannt, 
und der tieffinnige Alfred be Vigny, beffen Eeufche Muſe nie in 
bas Gefchrei des Tages eingeflimmt hat, wirb als ein fehr 
fhlüpfriger und gottlofer Romanſchreiber an ben Pranger geftellt. 


Wir haben vor einiger Zeit in d. Bi. eines geiftreich ge: 
fhriebenen Werkes von Iſidore Loewenſtern erwähnt, in 
dem der Verf. einige Partien aus feinem Tagebuche von einer 
großen Reife mittheilt. Wir begleiteten den gebilbeten Reifenden 
dur Rordamerika, über deſſen Verbältniffe wir neben vielem 
Oberflaͤchlichen doch auch manches Neue und Intereffante ers 
fuhren. Gegenwärtig laͤßt Dr. Loewenftern die Kortfegung die: 
fes Werkes u. d. T. „Le Mexique” (Paris 1843) erfheinen, 
und wir hoffen, daß er und noch fernere Mittheitungen aus 
feinen Reifeeindrüden machen wirb. 2. 


Verantwortliher Deraudgeber: Heintih Brodhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockdaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 








Socialiemus und Communismus. 
(Bortfegung aus Nr. 168.) 


Der Verf., nachdem er dieſes Princip als den Grund 
dee focdaten Bewegung aufgefunden hat, kehrt nun zur 
Geſchichte der franzoͤfiſchen Sefellfhaft zuräd und betrach⸗ 
tet zuvoͤrderſt deren Gegenſaͤtze vor der erften Revolution. 
Seine ſcharfe Charakteriftit diefer Epoche duͤnkt uns das 
Schlagendfte, was je über die franzöfifche Revolution ge: 
fagt wurde; ihre Anwendung auf die reingefchichtliche 
Darſtellung müßte ganz neue Geſichtspunkte liefern. Es 
ift des Verf. wohlbegruͤndete Überzeugung, daß nicht das 
Staatsrecht und ber politifche Abfolutismus, fondern eben 
biefer in dem Innerſten der Befelifchaft vorhandene Wi: 
derſpruch zwiſchen ben Foderungen einer zum Bewußt⸗ 
ſein erwachten Perſoͤnlichkeit und dem factiſchen Zu⸗ 
Rande ber Geſellſchaft die Revolution des vorigen Jahr⸗ 
hunderts bewirkt habe. Die ganze Geflakt der alten Se: 
ſellſchaft hatte zu ihrem Principe die Standesunterfchiede. 
Um den Thron ſcharte ſich der Adel; in feinen Händen 
waren die hoͤchſten Ämter, die hoͤchſten Ehren, die hoͤch⸗ 
ken Senüfte. Xief unter demfelben fland der Tier: Etat ; 
er, ber einft der Krone fo viel geopfert, konnte kaum 
feine alten Rechte vor lbergriffen und Wernachläffigung 
fihern; auf feiner Seite war der Beſitz und die Intelli⸗ 
genz, die wefentlichen Momente, welche bie Theilnahme 
am Staatsleben bedingen, und doch fchloß ihn feine Stel: 
lung zum Vortheile des Adels von jeder Theilnahme an 
dee Staatsverwaltung aus. Noch mehr, ber abfolute 
Standesunterfchied, der Jedem feine Stellung ein für 
ale Mat nicht nad feiner Kähigkeit und feinem Stre: 
ben, ſondern nach des Bufälligkeit der Geburt beflimmte, 
leugnete geradezu jeben perfönlichen Werth, jede Geltung 
der perfönlichen Arbeit, jeden Befitz, jede Intelligenz; er 
verleugnete nothwendig Überhaupt die Unendlichkeit des 
Fortſchritts und die Wahrheit des eigenflen Lebens. Und 
diefer craffe, unverföhnliche Widerſpruch mußte in den 
Gtänden gegeneinander, fogar in den verſchiedenen Glaf: 
fen des einen Standes, jenen Hab und jenes Misver: 
guügen bervorbringen, das bie franzoͤſiſche Geſellſchaft je: 
ur Epoche in allen Stufen unzweideutig und drohend 
an den Tag legt. Inmitten aber diefer allgemeinen Un- 
zufriebdenheit gegen diefe, ſelbſt die billigſten Anfprüche 


14. April 1843, 








mn -——— 20.0.0 


verhöhnenden Standesfchranten, die ſich als hiſtoriſches 
Recht geltend machten, erhob fih nun: der Gedanke, der 
Gegenſatz des Hiftorifhen, und gab der Oppofition ihre 
Berechtigung. Hierin liegt der Grund, daß damals bie 
philofophifdhe Bewegung in Frankreich fo allgemein war 
und daß ihre Refultate für die Revolution, ja für die Ges 
genwart fo entſcheidend geworben. Der gefchichtlichen 
Berechtigung gegenüber ſtellte bie Phllofophie die abfolute 
Berechtigung auf, die zu ihrer Baſis die Idee der abfo: 
Iuten Perfönlichkeit Hat. Die drängenden Verhaͤltniſſe 
übergaben aber damals der Philofopbie die praktifche 
Stage nad dem Wefen und Werth einer Verfaffung von 
Staat und Geſellſchaft, ohne daß die Philofophie ſelbſt 
Zeit gehabt, ſich zur tiefern Logik oder wahren Natur: 
philofophie herauszuarbeiten. Sie loͤſte die Frage, von 
der abfoluten Perföntichkeit ausgehend, damit, daß fie das 
abſtracte Ich als die einzige Grundlage für Staat und 
Geſellſchaft, als das einzige Rechtsprincip aller Verhaͤlt⸗ 
nifje aufftellte. Die Idee der abftracten Gleichheit mußte 
fo das legte und einzige Recht für die Geſellſchaft und 
bie Idee der Vereinigung der gleichberechtigten Perſoͤnlich⸗ 
keiten durch den eigenen Willen des Ichs, oder der flaat: 
liche Vertrag, die Bafis des Staatrechtes werden. Der 
tiefe Widerſpruch des factifchen Zuſtandes war hiermit ins 
nerlih begründet. Das Princip der abfoluten Perföns 
lichkeit in ber Form des Egalitätörechtes umfaßte Alles, 
den Staat und bie Geſellſchaft. Alle Wünfche, alle gei⸗ 
fligen und materiellen Anfprüche konnten fi daran fnüs 
pfen, und inmitten der ſchaͤrfſten äußern Gegenfäge wurde 
das Egalitätsrecht oder Princip bald, nicht etwa bie Theo⸗ 
tie, fondern die legte Hoffnung und die Weltanfhauung 
des franzöfifhen Volle. Was ferner geſchah, hatte in 
dem Egalitaͤtsprincipe feinen Mittelpunkt. Ja, das allge: 
gemeine Bewußtſein ſteht in Frankreich weſentlich noch 
heute auf dieſer Stufe. 

Der Verf. verfolgt nun hierauf das Egalitaͤtsprincip 
durch die Conftitutionen von 1791, 1793 und 1795, 
Er geht die Ereigniſſe und die Parteien von ber Zuſam⸗ 
menberufung der Generalſtaaten an durch und zeigt auf, 
wie der dritte Stand in Folge des allgemeinen Bewußt⸗ 
feine, das alie Glaffen des Volks beherrfchte, fich gleich 
anfangs als die eigentlihe Vertretung bes gefammten 
Volks, feiner Foderungen, Wuͤnſche und, Srunbanfichten 








414 


hinſtellen mußte. Die erſten Acte der Verſammlung ruüͤt⸗ 
telten ſogleich an dem Staats: und Geſellſchaftsgebaͤude. 
Der Tiers: Etat erklaͤrte ſich im Angeſichte des zornigen 
Adels und des bewaffneten Hofes fuͤr die eigentliche Na⸗ 
tienalverſammlung, ſprach am 23. Juni dem Könige bie 
Souverainetaͤt ab, warf in der Macht bes A. Aug. mit 
einem Schlage die Privilegien der alten Gefellfhaft und 
die altgefchichtlichen Rechte der Provinzen nieder, um eine 
abfolute Gleichheit und eine Gentralifation aller helle 
Frankreichs herzuftellen, und gab dem Volke eine Conſti⸗ 
tution, in welcher fsine Wuͤnſche und Anfchauungen 
von dein Principe der abfoluten Perfönlichkeit verwirk: 
licht waren. An der Spige dieſer 

erffärt: die Gleichheit in Bezug auf den Staatswillen, 
die Gleichheit in der Geſellſchaft, die Gleichheit der Ar: 
deit, die alles Zunftwefen aufhob. Die flaatsrecht: 
fiche Reform war dem Principe nicht minder angemeſſen. 
Die activen Bürger bildeten Primairverfammiungen ; in 
diefen wurden die Wähler für die gefeugebende Berfamm: 
fung gewählt, die den König blos als Erecutiogewalt mit 
dem bloßen Veto an der Seite hatte. Die Souveraine: 
tät gehörte fo wirklich der Nation; der hoͤchſte Wille war 
das Wollen Aller. Sedem fland es nun frei, durdy Ta⸗ 
lent und Fleiß die höchfte Stufe im Staate zu erfteigen. 
Die Perſoͤnlichkeit hatte nirgend eine Schranke und das 
Princip ſchien erfüllt: Allein dennoch mußte die Eonfli: 
tution von 1791 follen, weil fie immer nicht das Prin⸗ 
cip im ganzen Umfange verwirklicht... Sie hatte ihre 
Gelege auf die Idee des Bürgerflandes allein gegründet, 
während es fchon eine furchtbare Glaffe der Proleta: 
rier gab, zu ber fie ſich nicht hinwandte. Das war ihr 
Irrthum. 

Auf dem ſtaatsrechtlichen Gebiete mußte deshalb der 
Widerſpruch zwiſchen der Bonftitution von 1791 und den 
Foderungen des Egalitätsprincips ausbrechen. „La sourve- 
raineté appartient & la nation” hatte die Eonftitution 
gefagt; mit diefem Grundfage ſtritt die Beftimmung, daß 
der an der Staatögewalt theilnehmende Citoyen actif im 
irgend einem Orte des Reichs eine Contribution zahlen 
mußte, die dem Werthe dreier Arbeitstage glei) kam. 
Diefe Beftimmung ſchloß alfo einen Theil der Bürger 
von der Staatsgewalt aus; es gab fo Gtaatsberechtigte 
und Staatsunterthanen, die, weil fie keine Abgaben zah⸗ 
ten konnten, ihre Perfönlichkeit in der höchften Angelegen- 
heit nicht geltend machen durften. Zwar war es nicht 
mebr der gefchichtliche Beſitz, fondern der erworbene, der 
eine höhere Stellung In der Geſellſchaft bedingte; allein 
die Scheidung war dennoch vorhanden. Es trat in bem 
Öffentlichen Rechte das erſte Mat die hochwichtige Erſchei⸗ 
nung hervor, daß eine WBourgeoffie, welche den Grundbeſitz 
und den Geldbeſtitz in fich vereinigte, dem bloßen befig: und 
rechtloſen Peuple gegenüberfland. Diefer Peuple aber be: 
fand aus den bewaffneten Banden der Proletarier, die 
die Revolution hatten machen helfen und ſich immer 
Denen als williges Werkzeug überlieferten, die ihre An- 
ſpruͤche erfüllen wollten. Am 24. Juni 1798 ‚erhielt 
demzufolge Frankreich aus den Händen Robespierre's eine 


neue Conflitution, welche die Anfprüche ber Proletarier 
in ber That befriedigt. Man behielt wol das frühere 
bei, aber das Recht des Einzelnen ward geändert. Der 
Citoyen actif erlofh und jeder Bürger, ber ſich ſechs Mo⸗ 
nate in einem Canton aufgehalten, Baunte wählen. „La 
population. est la seule base de la representation na- 
tionale’’ iſt der Grundfag dieſer Conſtitution. Warum 
bat fie keine Dauer gehabt? — Nicht, fagt ber Berf., 
weil fie überhaupt das Egalitätsprincip verwirklichen wollte, 
fondern weit fie ein weſentliches Moment des Staats, 
naͤmlich den Befig uͤberſah. Wenn die Conſtitution von 
1791 den Befig zwar geltend machte, aber in feiner _ 
Bedeutung wicht erkannte, fo ſcheb ihn die von 1793 
ganz zur Seite. Sein Einfluß war bier wol völlig ne 
girt; aber wur materiell, denn das Eigenthum foll aud 
in ihr unverlegt und befhüst fein. Diefer Irrthum 
rächte fidy zwar langfam, aber ficher; denn nicht nur der 
Terrorismus, fondern auch die Somfitution fiel und mit 
ihe ihr eigentlicher Lebenspunkt, die Trennung der Pier: 
föntichkeit vom Beſitze. Der Untergang diefer Somfitu: 
tion iſt ein Wendepunkt im Egatitätsprincipe ſelbſt 

Als die Öffentliche Ruhe mit dem Kalle des Terre⸗ 
rismus eintrat, machte ſich aud das Bewußtſein über 
den Conflict der Principien geltend, und ber Reichthum 
fegte fich erſt factifch neben bie Armuth als den Here 
ſcher. Die Conftitution von 1795 aͤnderte aber kald ge 
nug flaatsrechtliih das Verhaͤltniß. Unter andem Ber: 
Andesungen flellte fie al$ die Bafis der Theilnahme ber 
Einzelnen an der republikaniſchen Gewalt den Wnterfchied 
des Citoyen actif von dem bloßen Citoyen auf, nebſt 
den zwei Wahlcollegien aus der Gonflitution nen 1794. 
Obſchon der Citoyen actif fo weit als maͤglich gefaßt 
war, denn er burfte als folcher Überhaupt nur eine directe 
Contribution fleuern, fo iſt es doch wiederun der Bes 
und deflen Maß die öffendiche Abgabe, der die Claſſen 
ber Bürger trennt. Für den eigentlichen Waͤhler ſelbſt 
wied fogar ein höherer Kanon feſtgeſetzt. Dieſes Ver⸗ 
haͤltniß und biefe Stellung das Proletariers zum Belt 
eriftirt noch im Heutigen franzoͤſtſchen Staatenschte. Daf- 
felde erkennt in allen feinen Entwickelungen den Grund: 
fag am, daß die Xheilnahme der Bürger am Stagtéleben 
nothwendig von irgend einem Maße des Befiges abhän: 
gen muß: die Entwidelung findet nicht mehr im Grunb- 
fage, fondern nur im Maße flatt. Indem ‚num aber 
alimälig der Belig feine Bedeutung wieder erraldhte, er 
wachte zugleih auch das Bewußtſein bes Egalitaͤtsprin⸗ 
cip6 über dieſes Verhaͤleniß: allmaͤlig mußte es Ach über 
feinen neuen Feind klar werden und ſich gegen ıdewfeiben 
wenden. Damit wecgfelte es nicht zur ben Begmer, Jen: 
dern zugleich den Kampfplatz. War es früher die Staaer⸗ 
gewalt, an der ſich das Princip verſuchte, fo iſt «6 jest 
die Geſellſchaft. Nur bei der Gleichheit des Eigenthus 
das wird allgemein erkannt, kann das Ziel des Mincips 
erreicht werden: und der Nichtbeſitzer ſtellt ſich Hiermit 
dem Befiger, der Einzelne dem Einzelnen gegenüber. Das 


Prolstariat erhält fo einen. nauen Audgangepunlt Fir 


feine Hoffuungen und Beflrebungen. Es erhebt Hd 


i 


Geſtalt angenommen. 


"aber eine ſharfe @heldung, ein Widerfpru 


415 


lauglam, aber ſicher sin Kampf in dem Herzen der Ge⸗ 


ſellſchaft. 
Wie geſtalten ſich nun aber die Gegenſaͤtze der fran⸗ 


zoͤſiſchen Geſellſchaft nach der Revolution? Als die Ruhe 


eingetreten, der Parteikampf erloſchen und doch alle fruͤ— 


hern geſellſchaftlichen Schranken verſchwunden waren, be⸗ 
gann bei den Einzelnen ein merkwürdiger Kampf um 
den Vorrang und die Geltung in der Geſellſchaft. Die: 
fer Vorrang konnte fih nur an die Perſoͤnlichkeit knuͤpfen. 
Schon unter Napoleon theilte fi darum das franzoͤſi⸗ 
fche Volk in zwei heile: in das Heer und in die bür: 
gerliche Geſellſchaft. Im Heese war es die Xapferkeit, 
die der Perföntichkeit eine ungemeffene Laufbahn eröffnete. 
In der durch den kaiſerlichen Despotiemus vom Stante 
ferngehaltenen Geſellſchaft gab es aber nur ein Mittel, 
das die Perfönlichkeit bedeutend, unabhängig und gewal- 
tig machte — died mar der Vefig. Genuß und Achtung 
waren an ihn allein geknuͤpft. Während fih nun das 
Egalitätsprincip durch Beſitz und dußere Mittel in ber 
Geſellſchaft zu genügen tradhtete, da ihm allein dieſer 
Punkt zu feiner Verwirklichung übrigbiieb, fo entwidelte 
fich in der franzäfifchen Geſellſchaft reifend ein Materia⸗ 
lismus, der die Richtung jener Zeit wurde, der Krank: 
reich noch heute beherrſcht. Der Materlalismus in Srant: 
reich ift nicht der thierifche Trieb nach Befig und Genuß, 
fondern er ift das Refultat, das die Entwidelung ber 
Idee der Perföntichkeit hervorgebracht hat: er iſt der Be: 
danke, den die abftracte Perföntichkeit faßt, dem fie ihre 
Kräfte zumendet, um dadurch zu ihrem Mechte, für das 
es feinen andern Weg gibt, zu gelangen. Allerdings bat 
dieſer Materialismus in Frankreich eine eigenthümliche 
Das Refultat des nur abflract 
erfaßten Begriffs der Perlönlichkeit war nicht blos eine 
Schaͤtzung, fondern eine Überfhägung der Materie. Es 
entftand der Gedanke, dag der materielle Beſitz das höchfte 
But der Erde, die Baſis der Gefeltfchaft, die Beſtim⸗ 
mung des irdiſchen Dafeins fel; es erhob fich ganz der 
alte Gedanke Diderot's, daß das „interet personnel’ den 
eigentlichen Mittelpunkt im Staate und in der Befellfchaft 
abgebe. Bei einer folhen Bafis der Geſellſchaft mußte 
pruch des Egalitaͤts⸗ 
princips mit dem factifhen Zuftande eintreten. Die Be: 
figenden ſtellen fi nicht allein in die vorderſte Meibe, 
fondern fie beginnen aud bald die Berachtigung des Ar: 
men erft zu überfehen, dann zu bezweifeln, endlich zu 
verneinen. Der Reihthum in feiner Bedeutung für die 
Geſellſchaft hat einen gleihen Sang mit dem Adel. Die 
Reihen haben das hoͤchſte Außere, mithin auch die Theil⸗ 
nahme am Staatsleben. Dem Armen mangelt Beides; 
er iſt der Unterthan, deſſen Wille nichts gilt und ber 
auf mannichfaltige Weiſe feine Unabhängigkeit verliert. 
Das Egalitätöprincip, das den Materlalismus zu feis 
ner Verwirklichung geltend macht, bat da6 Streben, in 
den Befitz einzutreten, denn bdiefer allein ftellt die Sleich⸗ 
heit her. Es tritt deshalb ein abfoluter Widerfpruch her: 
vor, indem ber Befis und die Gleichheit zuſammen gefo: 
dert werden. Die Gleichheit zu erhalten und dennoch 


die Richtung der gefellfchaftlihen Entwidelung auf den 
Beſitz nicht aufzugeben, die ebenfo innerlich nothwendi 
als Außerlich unvermeidlich iſt, das würde nun die Auf. 
gabe fein. Das perfänliche Eigenthum entfcheidet darauf, 
das Proletariat muß abgefhafft werden, ale das Princip 
aller hoͤchſten Entwickelung muß‘ die Unperfönlichkeit des 
Eigenthums hergeftelle werden. Diefes Refultat des Ega- 
litätöprincips tritt bei den Nichtbefigern allerdings zuerft 
als ein dunkles Gefühl auf; aber der Punkt ift hiermit 
gegeben, wo ſich der Materialismus in feine Gegenfäge 
aufloͤſt. Die Idee der Perfönlichkeit gebietet den Beſitzen⸗ 
den die Vertretung des perfönlichen Befiges; den Unvermoͤ⸗ 
genden reizt bdiefelbe Idee der Perfönlichkeit, gegen das 
perfönlihe Eigenthum in die Schranken zu treten. Mit‘ 
einem Worte, es ift das Eigenthumsrecht und der Com: 
munismus, bie fih von jegt in Frankreich unverföhnt 
egenuͤberſtehen. Schon 1796, als dem Proletariat die 
berzeugung geworden, daß die republifanifche Staats: 
form für die Egalitdt nicht ausreiche, faßte fich deshalb 
das Egulitätsprincip in eine communiftifhe Verbindung 
zufammen, an deren Spige Baboeuf ftand. Baboeuf wollte 
einfach eine neue Vertheilung des Eigenthums; er ging 
von dem Begriffe der Gleichheit aus: Brüberfchaft in 
Atem, Stimmfähigkeit für Alle, Genuß für Alle — 
das war der Wahlſpruch. Die Verbindung wurde ver: 
rathen und beftraft; allein fie hat doch reichliche Fruͤchte 
getragen, denn mit ihr ift daB Proletariat zu einem be: 
ſtimmten Grundſatze gelangt, nämlich zur Leugnung der 
Perföntichkeit des Eigenthums. 

Indeſſen bedurfte es damals noch eines langen Zeit: 
raums, um den Communismus im Volke geiftig mög: 
ih zu machen. Die Stände waren überwunden; «6 
fiand Jedermann frei zu verfuchen, ob Im Laufe der Zeit 
der Beſitz fih unter ben Armen und Reichen ausgleichen 
und durch die Anſtrengung von Seiten der Armen das 
Egalitätsprincip verwirklicht werden Eönnte. Die Arbeit 
ſollte das Mittel zum Beſitz und zum gleihen Antheil 
an den Gütern bes Lebens werden; allen die Refultate 
dieſer Arbeit, die zum Ausgangspunkte den Beſitz hatte, 
treten fchon in der Kaiferzeit, in der Neftauration, ganz 
entfchieden aber nad) der Fulirevofution hervor. Es tritt 
mit dem Streben der franzoͤſiſchen Geſellſchaft nach ber 
Materie eine Kluft hervor, die den einen Theil des Volks 
vom andern bald gänzlih trennt. Es iſt bie vollendese 
Scheidung der Geſellſchaft in Befitzende und Nichtbe⸗ 
figende: in Bourgeoiſie und Peuple. 

Es eröffnen fi nun dem Verf, eine ganze Weihe 
wichtiger Erörterungen, die nicht allein über den heuti⸗ 
gen Zuftand von Frankreich ein mefentliches Licht verbrei: 
ten, fondern auch im Allgemeinen wichtige fociale Fragen 
berühren, die in Deutichland bis jegt kaum aufgeworfen, 
gefchtweige gelöft worden find. Dies find die Gapitel von Ca⸗ 
pital, Induſtrie, Concurrenz, Arbeit und Arbeiter. Nur um: 
gern geben wir ein fpectellere® Eingehen in dieſelben auf. 
Die Entfaltung der Arbeitskräfte und ber Verſuch zur 
Verwirklichung des Egalitaͤtsprincips duch Beſitz mußte 
Frankreich nothwendig auf da6 Gebiet ber Induſtrie fuͤh⸗ 


416 


ven: nur bier, auf keinem andern Felde, kann bie Per: 
ſoͤnlichkeit durdy die bloße Arbeitskraft die materiellen Gh: 
ter fich unterwerfen. Abgefehen von dem Umftande, daß 
das Gapital in feinem gewoͤhnlichen Verhaͤltniſſe zu Ar: 
beitökraft den Sieg dbavontragen, den Reichen nur noch 
reicher machen und ihn um fo mehr von bem Nichtbe⸗ 
figer fcheiden mußte, lag es auch im Weſen biefer aus 
der Revolution und dem Eyalitätöprincipe bervorgeganges 
nen Induſtrie, daB der Zweck der bloßen Arbeitskräfte In 
ihr nicht erreicht werden konnte. Sollte die Induſtrie 
jedem Einzelnen das Mittel bieten, fih Beſitz zu erwer⸗ 
ben, fo mußte fie Jedem offen flehen: das heißt die un: 
bedingte Concurrenz mußte anerkannt fein. In der uns 
bedingten Soncurenz aber befiegte nicht allein das größere 
Capital das Mleinere, fondern die Producte der Arbeit 
wurden in dem Maße berabgedrüdt, daß der Arbeiter, 
der nur feine Arbeitskraft anbieten kann, bald kaum einen 
foihen Lohn empfing, um fein Leben zu friften. Die 
factifche Wahrheit davon liefert der Zuftand der Fabrik: 
orte. Die Einzelnen, die Befiger, haben fi auch bei 
geringem Gewinne bereichert, und die Maffe der Arbei: 
ter, die induftriellen Deere, die fih Beſitz erobern wollten, 
find in VBerarmung, Elend und die tieffte Abhängigkeit 
von dem Willen und von dem Können des Gapitaliften 
verfunfen. Freilich iſt die Zahl Derer, die gerade aus: 
fchließend zur Claſſe der Fabrikarbeiter gehören, im Ber: 
hältniß zur ganzen Bevoͤlkerung Überall gering; fie geben 
aber, befonders in Frankreich, den Punkt ab, an dem 
dieſes Verhaͤltniß und diefer Zwiefpalt, den die Induſtrie 
in die Geſellſchaft gebracht, am ſchaͤrfſten hervorfpringt. 
Der Fabrikherr oder ber Gapitatift, und auf der andern 
Seite der Arbeiter, ſtehen ſich deshalb in Frankreich gleich 
zwei Principien gegenüber, von denen das eine das Recht 
des Beſitzes, das andere die Idee der Gleichheit gel: 
tend macht. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Wenn bie Verfchrobenheit bes Balzacihen Stils nur 
eine Folge der großen Flüchtigkeit wäre, mit ber diefer unerfchöpf: 
liche Romanfchreiber feine Geiftesprobucte auf das Papier wirft, 
fo würde man ihm nod eher durch die Finger fchen. Man 
muß aber willen, daß der eingebildete Autor an jedem Satze 
drechfeit und feilt, bis Das, was erft Mar und einfach war, 
verrenkt und unnatürlich geworden iſt. Seine faft untefertidyen 
Manuferipte liefern ben Beweis von dieſer Manie, dem großen 
ftitiftifchen Talent, das er von Haus aus hat, auf eine ſchaͤnd⸗ 
liche Weife Gewalt anzuthun. Dabei förbert er oft wahren Un: 
finn zu Tage. Wir fchlagen fein „Me6nage de garcon de pro- 
vince” (2 Bde., Paris 1843), eins feiner neueften Probuctios 
nen, auf und leſen z. B. folgenden Sad: „La couleur, ma- 
dame, est le moment A saisir par le peintre oü les choses 
sont dans toute la splendeur de leurs effets.“ Was für ein 
Franzoͤſiſch! „Es gebt Einem wie ein Mühlrad im Kopfe 
berum.’ La couleur est un moment — od! Dabei laufen 
Gemeinheiten im Ausbrud mit unter, die den Weibern ber Halle 
zur Ehre gereichen würden. Und biefes Machwerk, das nur 
an fehr wenigen Stellen an bie beffeen Dichtungen des allzu 
fruchtbaren Schriftftellers erinnert, ift Charies Nobier, das 


beißt, einem ber feinften Profalften, ben bie frangäfifdde Litsra- 
tur aufzuweifen hat, gewibmet! 


Dos im proteftentifhen Sinne gefchriebene Journal „Le 
semeur”, das zu Paris erſcheint, aber von Genf aus rebigirt 
wird, ſchenkt den Hauptfäkhtichften Erfcheinungen deutfcher Wils 
fenfyaft und Kunft eine größere Aufmerkſamkeit, als franzoͤ⸗ 
ſiſche Zeitfchriften dies im der Regel zu thun pflegen. Naments 
ih erinnern wir hier an bie intereffanten Auffäge, in denen 
ber geifteihe Binet in Genf über bie beachtungswertheften 
neuern Dichter Deutſchlands Bericht erftattete. Vinet, welcher 
der eigentliche Leiter dieſes intereffanten Blattes ift, hat füch 
überhaupt ſchon manches Verdienſt um Berbreitung unferer Li⸗ 
teratur erworben, unb ganz neuerbings haben wir wieber eine 
neue Bearbeitung eines beutfchen Werks erhalten. Wir meinen 
bie „Souvenirs de la terre sainte. Quarante vues originales 
des lieux les plus célèbres dans l’histoire biblique, dessindes 
par Z. M. Bernas, avec un texte explicatif par M. @. H. 
de Schubert, trad. par A. Vinet.“ Wabrfceintich gleich: 
fals aus Binet's Feder, oder doch wenigſtens von ihm ans 
geregt, ift bie Bearbeitung der „Confessions d’Adalbert par 
Theremin, ırad. de l’allemand sur la seconde Edition” (Neuf: 
chatel 1843). 


Die Dichtungen Heſiod's, bie voller mpibologifcher Anfpie 
lungen find, bieten für den Überfeger ungleidy größere Schwie⸗ 
rigfeiten, als der größte Theil ber übrigen griechiſchen Dichter. 
Die große Anzahl der verunglüdten Verſuche, die alle Literatı- 
ren aufzumeifen haben, liefern den Beleg dafür. Gegenwärtig 
erhalten wir eine neue franzöfifcdhe Bearbeitung ber Werte De 
ſiod's in Verſen, die nicht ohne Werth if. Sie rührt von 
Alph. Sreffes Monval, ber Profeffor am Athenee ift, her. Im 
3. 1837 hatte Langlois, Profeffor am College Henri IV, im 
„Journal de l’instruction publique” einige Proben von einer 
poetifhen Übertragung gegeben, in benen fehr gluͤckliche Züge zu 
entbeden waren. Wir mwiflen es Hrn. Freſſe⸗Monval Danf, 
daß er ſich dadurch nicht bat abhalten Laffen, feine begonnene 
Bearbeitung zu Ende zu bringen. Es eriftiren einige ditere 
Überfegungen von Hefiod, die nicht ganz mislungen find. Die 
befte dürfte die von Jacques Legras fein, ber indeflen nur die 
„Werke und Tage“ (Paris 1586) geliefert hat. Der Abbe 
Soujet, ein guter Kunftrichter, 308 diefe Überfegung den ſpaͤ⸗ 
Date von Richard Leblanc, Lambert Daneau und von %. 
aif vor. . 


Literarifche Anzeige. 
Bonftänbig iſt jett durch alle Buchhandlungen zu bezichen: 
Raturgefhichte 
r 


Landwirthe, Gärtner und Techniker. 


Herausgegeben 


von 
William TöõBe. 
Mit 20 lithographirten und iluminirten Safeln. 
Gr. 8. 2 XThle. 
(Ku in 5 Heften & 18 Mr. an Beziehen.) 


Dieſes Werl, das in gebrängter überſicht und populairer 
Darftellung die widhtigften Gegenflände der Naturreidhe befans 
beit, Tann allen denkenden Landwirten, Gärtnern und Jech⸗ 
nitern empfohlen werben. Die bem Zerte beigefügten Abbil⸗ 
bungen find ebenfo gefhmadvoll als naturgetreu ausgeführt. 

Reipsig, im April 1843. 


F. A. Brockhaus. 





Berantwortlier Herausgeber: Deinrih Brokhaus. — Drud und Berlag von $. &. Broddaus in Leipzig. 





Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonnabend, 


15. April 1843, 





Socialismus und Gommunismus. 
(Beſchluß aus Nr. 108.) 

Drei Punkte find es aber, die den Nichtbefitzer, den 
bloßen Arbeiter, feine Stellung als eine gänzlich abhaͤn⸗ 
gige und auch gaͤnzlich hoffnungsloſe erkennen laſſen. 
Mit der Einfhhrung des Wahlcenfus hat er feine Rechte 
auf die Vertretung im Staate verloren, mit dem Zu: 
fammenftrömen der Arbeiter auf den induflriellen Plägen 
geht jede Hoffnung auf die Erhöhung feines Arbeitsloh⸗ 
nes zu Grunde; die gewaltigen Handelskriſen und die 
Deplacirung ber Weltmärkte beraubt ihn jeder Hoffnung 
für die Zukunft. Von einem Vollbuͤrger aus der Zeit 
ded Terrorismus iſt alfo ber Proletarier an der Hand ber 
Induſtrie zu einem volllommenen Werkzeuge feiner Mit: 
bürger, zu einem Heloten geworden, der fi) von ber 
Egatität in der Gefelfhaft und von dem Genuffe der 
allgemeinen Lebensgüter nur um fo meiter entfernt, je 
länger diefer Zufland dauert. Das Egalitaͤtsprincip, das 
ihn früher zur Miederwerfung der abfoluten Standesuns 
terfchiede führte, muß ihn nun entfchieden gegen diefen 
Geſellſchaftszuſtand flimmen. Diefer Kampf iſt von dem 
fruͤhern ganz verfchieden; es handelt fih nit mehr um 
die Abftraction, fondern um den Inhalt der Perfönlich: 
keit, den Beſitz. Indeſſen Liegt der Knoten nicht darin, 
ob Frankreich die politifche Drganifation des Egalitaͤts⸗ 
princips finden werbe, fondern ob das bisher nur nega= 
tive Princip der Perſoͤnlichkeit auch eine organifche Kraft 
-in ſich trage, den Widerſpruch, in den es mit felbft ver- 
wickelt ift, zu Iöfen. Der Socialismus und der Com: 
munismus, bie nach der Julirevolution hervortraten, find 
die erften Verſuche diefer Löfung. 

Warum, muß man nod fragen, tritt diefe entfchiedene 
Spaltung der franzöfifchen Geſellſchaft erft nach der Juli⸗ 
revolution fo entfchieden und deohend hervor? Die Prä: 
tenfionen des alten Thrones hielten das ganze Bürger: 
thum fammt den Profetariern in einer Spannung und 
DÖppofition, die den Unterfchled zwiſchen Bourgeoifie und 
Peuple vor der Vertheidigung des Egalitätsprincipe und 
dee Volksinſtitutionen nicht aufkommen lief. Erſt ale 
der alte Thron wieder umgeflürzt war, konnte fich der 
Tiere - Etat aus ſich felber entwickeln und fi feinen 
Wuͤnſchen und Intereſſen frei überlaffen. Die Staates 
gewalt war aber zugleich in die Hände des Reichthums 


und der Intelligenz gefallen, die den Kampf eingeleitet 
und geführt hatten; und das Staatsrecht mußte darum 
in allem Wefentlihen aus dee Natur der Induſtrie und 
aus den Anfprücen ihrer Herren hervorgehen. Was 
aus der Deputirtenlammer werben follte, da6 war gewors 
den: die Geſetzgebung bed Staats mar den Befigenden, 
dee Bourgesifie, zugefallen und die executive Gewalt kam 
in die Hände eines von ihr erhobenen Könige. Was 
erhielt aber der befislofe Peuple, der während ber Juli⸗ 
tage für die Freiheit mitgefämpft hatte? Der Peuple, in 
dem bie ganze Erinnerung und bie ganze leidenfchaftliche 
Anhaͤnglichkeit an das Egalitätprincip mit diefem Ereig⸗ 
niffe erwacht war, wurde von der neu befefligten Gleich⸗ 
heit ausgefchloffen; denn der Wahlcenfus blieb, nur mit 
dem Unterfchiede, daß das Quantum der Abgabe von 
300 auf 200 Francs für den Wähler berabgefegt wurde. 
Diefe Ausdehnung bed Wahlrechts konnte ihn, ber nichte 
befaß, nicht berühren und mußte nur aus feinen Reihen 
noch die Wenigen hinwegführen, denen der Beflg nicht 
ganz entzogen war. So flieg ber Widerſpruch des Prins 
cips und der Daß zwifchen Bourgeoifie und Peuple auf 


| feine drohende und gefährliche Spige. 


Die Gewalten aber, ſchließt der Verf. bdiefen Theil 
feinee Arbeit, die dem Armen in feinem Bewußtſein die 
Verföhnung dee widerfprechenden Wuͤnſche und Berech⸗ 
tigungen bieten, find der Glaube an den Staat, an das 
Eigentbum und an Gott. Jeder will ats Glied des 
Ganzen am Staate Antheil nehmen; der beftehende Zus 
ftand fchlieft aber von 20 Bürgern 19 davon aus, und 
das nicht zufällig, fondern grundfäglih. Was verfähnt 
bier die Wünfche in Deutſchland? Es ift die Achtung 
vor dem Gefege, bie jede Gewaltſamkeit aufhebt. Dem 
feanzöfifhen Volke iſt biefes Moment durch die Revolu⸗ 
tion entriffen, denn was einft niedergeriſſen wurde, tell 
es nicht gut war, das kann auch ferner der gewaltfamen 
Veränderung unterliegen. Derfelbe Schlag, der aber die 
politifche Drganifation traf, hat auch die Kirche getroffen. 
Der Katholiciemus hat zwar in Frankreich alles Moͤg⸗ 


liche angewandt, um einen alten oder neuen Bott zu ge⸗ 


winnen; die unglüdtichen Verſuche von beiden Seiten 
liegen aber mehr als alles Andere zu Tage und die mo⸗ 


raliſche Wurzel Frankreichs ſcheint in ber That vernich⸗ 


tet, der Kern ſeines Lebens zerfplittert. 


418 ’ 


Dem ift jedoch nicht fo; vernichtend iſt kein wahr: 
haftes Princip. In dee Idee der Perföntichkeit liege ein 
Keim verborgen, der in ſich nicht blos eine negative und 
zerſtoͤrende, fondern zugleich eine ordnende und ſchaffende 
Macht trägt. Aber die Art und Weife, wie diefe Auf: 
Wfung des Widerſpruchs und die Wahrheit zur Erſchei⸗ 
nung tommt, {ft allerdings bei ben Völkern eine ganz 
verfchiedene. Die ganze germanifhe Welt hat eine Auf: 
gabe; jedes Volk verfolgt fie auf feine Weile. Das 
franzöfifche Volk verwirklicht feine Ideen raf und glän- 
zend, ehe es diefelben in den Kreifen feines Gedankenlebens 
vollzogen hat. Es nimmt bafür allen Reihthum und 
alle Armuth der blos dußerlihen Handlung für fi in 
Anſpruch, damit unter den Völkern nicht allein der ru⸗ 
bige Gedanke und die langfame umrmäbdlihe Arbeit, 
fondern auch das fchnelle, nur an bie Vollendung ben: 
Sende Handeln feinen Vertreter habe: dieſe Volksthuͤm⸗ 
lichkeit hat auch das Egalitätsprincip an feine aͤußerſte 
Grenze geführt, ohne daß eine tiefere Unterfuchung die 
äußere und innere Entwidelung belehrend gehemmt hätte. 
Die erſten Spuren des organifhen Lebens des Egalitaͤts⸗ 
princips finden wir daher auf dem praßtifchen Gebiete 
felbft, wo wir den heftigſten Kampf aller Kräfte gefun: 
ben haben. Es ift dem Volke auf dem Gebiete der In: 
buftrie durch die unbedingte Concuerenz das erfte Mat 
zum Bemußtfein gelommen, daß das Princip der abs 
firacten Freiheit, die reine Atomiſtik der Geſellſchaft, eine 
Unmöglichkeit ift, weit fie fich ſelbſt aufhebt, fobald fie 
ſich verwirklichen wil. Das Bolt fängt an zu begreis 
fen, was bie Männer wollen, die ſich gegen die Unbe⸗ 
ſchraͤnktheit ber Concurrenz erklären, und was die Schluß: 
folge nicht vermag, das vollendet das Gefühl des gemein: 
famen Elende. Die: Idee dee Organifation ber Arbeit 
taudıt auf und findet beim Peuple, wie in der Baur: 
geoifte, einen plöglichen und entfchiedenen Beifall und An: 
bang. Aus den Theorien bed Socialismus tritt Diefe 
dee zuerſt hervor; fie entwickelt ſich als eine Wiſſen⸗ 
fhaft, die nicht allein das Loos ber Proletarier verbeflern, 
fondern auf der induſtriellen Grundlage eine neue gefell: 
ſchaftliche Ordnung mit einer beflimmten Weltanfchauung 
verwirklichen will. Das Volk ergreift biefe Idee in feis 
ner praftifchen Weiſe; es will eine Aſſociation aller Eins 
zelnen und die communiflifchen Verbindungen find Die 
Sormen, im welche fich diefe Idee von der Drganifation 
der Arbeit verwirklicht. Man täufche ſich nicht über die 
tiefe Bedeutung biefer bee, weil fie fi vor dee Hand nur 
über die Induſtrie erſtreckt und unter des Schwärmerei 
bes Socialiemus und dem rohen Unfinne bes Commu: 
nismus vergraben Liege. Die Idee ift der erſte Sieg 
über das Princip der abftracten Freiheit, und von die 
fem Standpunkte aus müflen bie beiden Erfcheinungen 
betrachtet werden: fie find bie erfle pofitive Seite des 
Egalitätspeintips. 

Mit dem zweiten Abſchnitte beginnt nun die Dar: 
flelung und bie Kritik der fociatiftifchen Syſteme St.⸗ 
Simon's und Fourier's; dann folgen in einem dritten bie 
nebengeordneten Schriftfieler: Lamennais, Pierre Le: 


song, Proudhon und 2. Blanc. Der vierte Abſchnitt 
behandelt die Befchichte de6 Sommunismus bis auf die 
neuefle Zeit, und zwar nad allen feinen Richtungen. 
Stein ift fomit der erfte Gefchichtfchreiber dieſes ver: 
widelten und in Dunkel gehüllten Gegenflandes gewors 


den. Obſchon fi) auch diefe Theile durch großen Reichs 
thum biftorifhen Stoffes, gründliche Durcharbeitung des 
Segenflandes und eine Fülle von neuen und überras - 


fhenden Refultaten auszeichnen, muͤſſen wir doch hier 
leider an ihnen vorlbergehen. 

Es ift unfere Überzeugung, daß weder Frankreich noch 
die focialen Zuflände der Gegenwart bisher mit Diefer 


Gruͤndlichkeit, Ernſt und Tiefe find abgehandelt werde, 
wie e8 in diefem Buche gefchieht. Daffelbe muß gewiß 
nicht nur das wiſſenſchaftliche und die ge: 


lehrte Thaͤtigkeit von den mannichfachſten Seiten aufklaͤ⸗ 
ren und anregen, ſondern wird auch ſicherlich dazu bei⸗ 
tragen, die Vorurtheile zu vernichten, bie bei uns ſelbſt 
Wohldenkende gegen die framgöfifdge Geſellſchaft und ihre 
Geſtaltungen hegen und bie fich oft roher aͤußern als 
der rohſte Communismus felbft. 4. Kurgel. 


Der hürnen Siegfried und fein Kampf mit dem Drachen, 
eine aftdeutfche Sage. Nebſt einem Anhange Über den 
Seift des germanifchen Heidenthums und die Beben: 
tung feiner Heldenfage für die Gefchichte von Guido 
—8 Schaffhauſen, Hurter. 1843. 4. 1Tolr. 
15 Ngr. 


Wie Goͤrres und Hurter in Schaffhauſen zuſammenkommen, 
iſt wol gerade nichts Unbegreifliches, ebenſo wenig, wie bes Al⸗ 
ten Sohn dazu ſich anſchickt, ein Volksbuch zu verfaſſen. Schon 
im 3. 1807 feierte Hr. 3. Goͤrres das Lob ber deutſchen Volks⸗ 
bücher, derer, welche, wie fdhon oft gefagt, ihre Jugend vers 
kuͤndigen durch „Gedruckt in diefem Jahr“. Man darf nur ein 
wenig unter bad Boll gekommen fein und fi mit ihm in gu 
trauensvollere, ernſtere Unterredungen eingelaffen haben, fo 
wird man bie Worte hören, wie ich fie mehr als einmal vers 
nommen habe: Wie das fo erbaulich in der Gefchichte, in ben 
Hiftorien von ber heiligen Genovefa zu lefen fleht, bie Ihr ge 
wiß gelefen habt. Und dann wird ed wol Mehren als mir fo 
ergangen fein, daß man jene erbaulicde, rübrende Geſchichte fo 
wenig gelefen bat als ih. Aber follte das ein Ruhm fein? 
Es mag immerhin fo vornehme Leute geben, welche weder jes 
nes Volksbuch, noch ein anderes, ober Märchen gelefen hätten. 
Sind bergleigen Schriften wirklich fo einfältig, baß ein beber, 
gelahrter Herr und eine fublime Dame fol gemeine Waare 
nicht zu beachten braudte? Dann und wann hört man, daß 
in jenen Märchen eine ſchlechte, verberbliche Moral liege, uns 
anftändige Hebensarten und Geſchichten flünden. 

Es ift wol nicht gut, wenn bie Nahrung des Bolls fo 
verächtiich angefehen wird. So find wir aber jet. Wie wir 
einen andern Rod und einen andern Hut tragen als bas ge: 
meine Volt, fo wollen wir auch andere Bücher Iefen als daſ⸗ 
fetbe Lieft, ober andere Geſchichten hören als es ſich erzaͤbtt. 
Daß wie fogenannte Bornehme noch Anderes, no 
fen, als das Bolt, verſteht ſich von felbfl; aber bie Eichlingäs 
bücher bes Volks follten uns bekannt fein. Gin Stil iſt es, 
bie Volksbücher in der Kindheit und Jugend zu lefen, ober ihren 
Inhalt zu hören, Yennen zu lernen aus ben Erzählungen älterer 
Perſonen. Etwas gibt ed doch, was auch ber Bornehmſte mit 
dem Geringſten gemeinſam bat, das iſt bie Geburt und ber 





419 


ob. Außerdem aber wich es wol nach manches Andere geben, was 
den Menfchen gemeinfames Gut ift, zumal in ber Kindheit und 
Jugend. Uns Deutſchen namentlich thut es gar zu ſehr noth, 
unferer Gemeinſchaft inne zu werden; bean efhe gefliffentliche, 
mit Abſicht genährte Berriffeneit, wie ſolche in unferm Kater: 
lande zu ertennen iſt, wird doch gewiß in keinem andern Theile 
Guropas fo anzutreffen fein: bie Regentenhäufer find kaum im 
Gerächtnib zu behalten, wie man von Wielen hört; bann gibt 
ed Hobe und Niedrige, Vornehmme unb- Geringe, Gelehrte und 
Ungelehrte, Gebildete und Ungebilbete, Oberdeutſche und Rieder: 
bautfce und wer weiß wie Miete fonft noch; bie Spaltung in 
der pe er nimmt von einem Decennium zum andern fo zu, 
daß die Verſchiedenheiten gar nicht zu ermeffen find: Katholtten 
und Proteftanten, Lutherifche, Attiutherifche, Reformierte, Cal⸗ 
vinfaner, Zwinglianer, mit und ohne Präbeftination, Deren: 
huer, Bennoniten, Wiedertaͤufer nad) der neueften Mobe, Ra⸗ 
fionoliften, Gupranaturatiften, Myſtiker, Muder, Pietiften, 
Theoſephen, Orthodoxe, Heterodoxe (und anbere Ochfen). 
Philoſophen von allen Gattungen; ob auch verſchiedene 
Pelitiker? Man bat behauptet, in Deutſchland gäbe es gar 
keine Politiker, das wird zu viel behauptet feins alfo: Radi⸗ 


- cale und Stabile, Sonfervative und Liberale, Sonftitutionnelle, 


Servile (servam pecus, eben bie praftifch:politifchen), Re 
pꝓublitaner, Abfolutiften, bie für die Monardie, das göttliche 
Recht der Kürften, für gemifchte Berfaffungen; Adelige mit als 
ten , jungen Stammbäumen, ohne Stammbaͤume, neugebadene, 
mit von, zu, auf, aus und andern Präpofitionen unb Präten: 
fionen; bürgerliche Ganaille, mit und ohne Orden und Kreuze, 
und nun wieder Ritter, GSommandeure, mit und ohne; und 
dann die Ämter in Geheim, Wirklich, Wirklich-Geheim, Dr: 
dentlich und Außerordentlich, Ober und Unter, bie verſchiedenen 
wichtigen Rangelaſſenz Kaufleute und Krämer, Bürger und 
Bauern, Stadt und Land. So fiebt e8 auch in ber Literatur 
aus; ba gibt es Wächer für die Gelehrten nur, für die Gebil⸗ 
deten, für Damen, Sungfrauen, junge Frauen; für Ungelehrte, 
für jeden Stand, für ben Philoſophen und den Schneider, für 
den Theologen und Bäder, für den Mebdiciner und Seiler, für 
den Zuriften und Horndreher, für den Polititer und Windmüls 
Ver. Es ift unglaublich, für welche Alle gefchrieben wird. Gin 
Zabel fol in der Aufzählung dieſer Verſchiedenheiten nicht lies 
gen. Aber das ift das Ergögliche und mehr als Lächerliche, 
daß nur in Deutfchlagb und namentlich im nördlichen Theile 
deffelben, zumal in geriffen Theilen von Preußen, fo erftauns 
lich viel auf dergleichen Unterſchiede gehalten wird. 
Außer dem Trennenden gibt es nun auch mandjes Vereini⸗ 
‚, als ba find Bücher und Buͤchlein für Ärzte und Nichts 
te, Gelehrte und NRichtgelehrte, Theologen und Nichttheolo⸗ 
gen, Juriſten und Nictjuriften, für alle Gebilbete, für afle 
Stände, für Iedermann.*) Dergleichen Probucte find meiſtens 
ins Gebiet ber Amphibien zu verweilen; ob fie nidyt zumweilen 
auch Krebfe werben, namentlih zur Dfterzeit? Zum Bereini⸗ 
genden gehört vornehmlich bie Poefle, wiewol nicht zu leugnen 
it, daß Poeſie, Dichtkunft nicht fo ſehr Gemeingut ifl, als 
Trachtkunſi; dichten Tann und mag nit Ieber, cher ſchon 
tradhten. Eine Art von Poefie gibt ed, welche für Hohe und 
Geringe ift, nämlich die Kirchliche. Doch auch da, auf diefem 
Gebiete fängt man laͤngſt ſchon an, Gefangbücder für Kirchen, 
Schalen, Gymnafien, Eyceen, Buͤrgerſchulen und Landſchulen 
herauszugeben; es iſt ein großer Jammer. Zu Dem, was ver⸗ 


einigt, was für Alle in Einem Lande wenigſtens iſt, rechne ich 
auch den Regenten, Kalfer, König, Großherzog, Herzog, Fuͤr⸗ 
fien, Kurfürften u. f. w.; denn dieſe follen nicht für Einige 


beſonders da fein, fendern für Alle. Auch große Helden find 
für das ganze Wolf, Karl der Große, Friedrich Rothbart, Prinz 
Sugen der edle Ritter, Schwerin, Friedrich ber Große; und 
wenn ich nicht irre, auch der jegige König don Preußen wird 
ein Dann des Wolks werden, wenn er tin Dann nach dem 





=) Auch werben Büder geſchrioben für Niemanden. 


Gottes IM, denn unfere Zeit iſt fromm, troß aller Frei⸗ 
geiflerei. Doch Hat Deutſchland wegen feiner Zerriffenhelt feie 
drei Sahrhunderten verhältnißmäßig wenige Rationalhelden; 
England 3. B. hat deren viel mehr, weil es eine Ration aus 
Ginem Sue if. Zür Alle in ber ganzen Nation, für Hohe 
und Niedrige find die Wolkébuͤcher. Fuͤr alle Schichten und 
Claſſen des gefammten Volks muß ein ſolches Buch Sntereffe 
haben, felbft für Gelehrte und Umgelehrte, Studirte und Un⸗ 
ftubirte ; denn dies iſt doch fuͤrwahr die jaͤmmerlichſte, klaͤg⸗ 
lichſte Unterfcheibung, weiche es nur auf der Welt gibt. Daß 
es ſchwer fe, ein Volkebuch zu fchreiden, muß zugegeben werben ; 
insbefondere wir abftracten Deutfchen, mit unferer deſtkllirten 
Schreibweiſe, mit unfern fpisen, philoſophiſchen Zerminologien, 
Kunft : und Stichwörtern, die felbft von den Kanzeln, naments 
lich der alten Kant’fchen Landpfarrer tönen, mit unfern vielen 
Wörtern auf ung, keit, beit, wir verlieren nach und nach noch 
mehr alles Geſchick, allgemein verſtaͤnblich zu fprechen und zu 
ſchreiben. Kenne ich doch einen ehemaligen Infpector eines Ges 
minars für Volksſchullehrer, den Tein Bauer, welcher mit ihm 
wegen ſeines Sohnes ſprechen wollte, verfichen Tonnte ob befs 
fen abftracter Buͤcherſprache. 


Dadurch zeichnet ſich unfere Zeit aus: wie die Stimme des 
Volks (vox populi) auf den Lands und Provinzialtagen wies 
der vernommen wird, fo geht mancher Gelehrte in Dörfer, zu: 
mat in ſolche, weiche entfernt von der Bildung der Staͤdter und 
der Wornehmen, zwiſchen ben Wäldern und Bergen liegen, 
um Sagen, Lieder, Melodien zu hören und zu merken, weiche 
auf dem weiten Markte des Lebens laͤngſt verhallt find und 
vergeffen und verachtet, aber in ber Einſamkeit der Berge fi 
Jahrhunderte lang, oft ganz unverändert erhalten haben. O 
in biefen Volksbuͤchern Poeſie Liege? Natur menigftens, Schwer: 
muth und Wehmuth, oder fpringende Munterkeit tönen daraus 
hervor. Solche Meder und Sagen werben jest zahlreich gedruckt; 
ob aud gekauft und gelefen? So viel iſt gewiß, daß bie Ge⸗ 
(dichte vom huͤrnen Siegfried, oder, wie es auch heißt: von 
dem gebörnten, dem mit Hoͤrnern verfehenen, bis in bie neuefte 
Zeit im Munde des Volks lebte. Wer auch nur ein wenig fi 
mit ber beutfihen Literatur befchäftigt, wird gewahr werden, 
wie biefe Sage au weithin ſich verbreitet bat: bei uns in 
Deutſchland, bei unfern Verwandten im Norben war biefe Gr: 
zaͤhlung verbreitet; dauert noch fort in farder Gefängen: 
ſchimmert durch in Märchen und Sagen aus verfdhiebenen Ge⸗ 
genden Deutfchlants; bad Volkebuch vom hoͤrnen, gehörnten, 
Siegfried, das Nibelungentlied tft befannt genug, fobaß barüber 
weiter nichts an biefem Orte zu melden wäre. 

Borliegende Bearbeitung ber Volksſage von Siegfried dem 
Drachentödter, dem Schnellen, führt ung in das alte heidnifche Ger- 
manien, in die Welt der Riefen, Zwerge, Drachen, in bie norbifche 
Mythenzeit und fchließt Fröhlich mil" ber Hochzeit des Helden und 
einem ergoͤtlichen Schwank, bem Eurzweiligen Kampfe, den zwei 
Hafen auf Siegfried's Hochzeit geftritten, wozu eine luſtige Ab⸗ 
bildung gehört. Sie ftellt dar bie Herren Jockus und Zivilles. 
Ihre Nachkommen find die deutſchen Bärenhäuter, ale da find: 
die gewaltigen Maulhelden, bie Brüder Schlendrian und Schlu⸗ 
drian, die ſtets auf der Vaͤrenhaut mäßig liegen und ſich ber 
Thaten ihrer Altvordern rühmen; die Rechthaber, die nie etwas 
lernen und doch Alles beſſer wiſſen; die Wuͤrdeloſen, die fich ges 
gen die Niedern hochmuͤthig und gegen die Hohen niedrig er⸗ 
weiſen; die falſchen, tuͤckiſchen Seſellen, bie dich auf den Mund 
kuͤſſen und dir auf den Ruͤcken ſpucken; die farbloſen Wetter⸗ 
fahnen, die nicht warm und micht kalt, bie den Mantel immer 
nach bem Winde und ben Blick nad) dem aufgehenden Gluͤcke 
fchren, bie beim Kampf bie Letzten und beim Preis die Erfien 
fein wollen, und die Rechenmeifter, die in Allem zuerft und zus 
legt nur an ſich denken; bie felbftaefälligen Reidvdgel endlich, bie 
mit Gott und der Welt zürnen und immer ihr Eigenlob fingen. 

Der Bolkeſchriftſteller haben wir wenig. Unbedenklich kann 
dr. Guido Görres zu ihnen gerechnet werden. Außer J. P. Ges 
bei, dem Wandabecker Boten, Loͤhr und einigen Neuern und 


Neueſten find nicht viele zu nennen. Poeſie fürs ganze Bolt 
mag es, unferer Meinung nad), viel leichter und mehr geben, 
als Profa. Vorliegende Darftellung der Siegfriedsſage mag 
darum, auch wenn fie nicht mit fo einladenden Bildern geziert 
wäre, recht willtlommen fein, auch ba ihre Herausgabe, gegen 
des Verf. Abficht, durch zufällige Umflände hinausgefchoben wors 
den iſt. Dergleihen Schriften kommen nie zu unrechter Zeit 
mit forcher Sprade, mit ſolchem Gegenſtande: denn Siegfried 
war ber geliebte, jugendliche Lichtheld unfers Volle, da es ſich 
ſeilbſt in der Jugendzeit feiner Heldenkraft fühlte; was es von 
berrlicgen , ihm von Bott verliehenen Raturgaben und Kräften 
in feinem ganzen eigenften Weſen empfand, was es erſtrebte, 
was es ahnte, wonach es fich fehnte, damit ſchmuͤckten feine 
Sagen: und Lieberbichter Siegfried ben Schnellen, ber alfo, 
duch die Dichtung verkiärt und mit der glänzendften Waffen 
rüflung angethan, ihm aie böfiee Vorbild germanifchen Hel⸗ 
denthums vorſchwebte. (S. 69.) Weiche, ſentimentale Seelen, 
nervenſchwache Weſen, welche, wenn ſie Blut ſehen, in Ohn⸗ 
macht fallen, werden freilich zuruͤckſchaudern vor dem blutgeroͤ⸗ 
theten Schwerte und der grimmigen Mordgier der alten Blut⸗ 
rache. Gegen die Nibelungenſage iſt die Heldenſage der Griechen 
im Homer viel milder, menſchlicher gehalten; germaniſche Begier 
nach Menſchenfleiſch iſt bei den Helden vor Troja nicht, nur 
Ungeheuer der „Odyſſee“ gemahnen an barbariſche Geſtalten in ber 
germanifchen Sage. Eine Charakteriſtik diefer Iegtern und eine 
Darftelung ihrer Umbildung lefen wir in dem Nachwort unb 
merken uns des Verf. Bekenntniß, daß er bie alte Sage mit 
Freiheit behandelt habe und demnach in feiner Arbeit eben wol 
eine Art Umarbeitung gegeben fe. Maßſtab für bergieichen 
Umbildungen würde fein dürfen die Art, wie man jest vor ge- 
miſchter Verfammlung eine alte Dichtung, Sage erzählen würde, 
mit Grlduterungen, Zufägen, Weglaffungen. Die ftrengen 
claſſiſchen und deutichen Philologen werden vermuthlich zürnen 
ob ſolcher Freiheit. Aber kein Inſtitut der frübern Zeit, keine 
Einrichtung aus alten Tagen mag für unfere veränderte Gegen: 
wart in der urfprünglichen Geſtalt ein Beſtehen finden; auch 
bie Poeſie der alten Zeit in unferm Vaterlande mag nicht mehr 
in unfer Fleiſch und Blut ganz übergehen; auch die Poefie nicht, 
ungeachtet diefe mehr ale bie Profa das Göttliche, Ewige in 
fih trägt. Und ſolche Misgeburten nun gar, wie zu mander 
Zeit vorgeführt wurden: halb Alt und halb Neu! Exempla 
sunt odiosa, 


Bon demfelben Verf. ift in demfelben Verlage ein Chriſt⸗ 
tagebüdhlein erfchienen und trägt ben Zitel: 
Das Weihnachtökripplein und Prinz Schreimund und 
Prinzeffin Schweigftila. 1843. Gr. 16. 10 Nor. 
Symboliſche Darftellungen Eönnen, wie es fcheint, am glüd: 
lichften Einem aus der Kirdyg bes Verf. gelingen, denn dieſe 
ift voll von Symbolen. Das Bild der Trägheit ift eine Kari: 
catur; die andern Wilder find erhebend und ergreifend. Zum 
Weihnachtsgeſchenk gehört eine Ruthe, denn ohne Ruthe, ohne 
Zucht verdirbt König, Koͤnigskinder und Unterthanen. Dies Kleine 
Bud ſcheint flüchtiger gefchrieben als das vorige. 50. 





Bibliographie. 


Das claffifche Alterthum für Deutfchlands Jugend. Cine 
Auswahl aus den Schriften der alten Griechen und Römer. 
übertragen von D. Weil. Berlin, Veit und Comp. Gr. 8. 
221, Nor. . 

Beniden, 3. W., Einſiedler⸗Gedanken über die Gegen» 
wart und ihre Stichwörter. Aus den Papieren einer Eremiten: 
Brüberfchaft zufammengeftellt. Iſtes und 2tes Heft. Erfurt, 
Expedition ber Thüringer Chronit. 8. 10 Nor. 

Beyfe, A. W., Unparteiifhe Beurtheilung ber legten 
Schrift des Herrn Dav. Hanfemann, über die Ausführung der 


Eiſenbahnen, eine ber Zeit angsmeffene kleine Schrift. Köln, 
Dunſt. ®r. 8. 15 Nor. 

Fliegende Blätter fuͤr Fragen des Tags. III. Die Senfurs 
frage. Bertin, Beffer. Gr. 8. 5 Nor. 

Eylert, R. F., Sharakter Züge und hiſtoriſche Frag⸗ 
mente aus dem Leben bed Königs von Preußen Friedrich Wil 
beim III. Geſammelt nach eigenen Beobachtungen und ſelbſt 
gemachten Srfahrungen. After Theil. 2te, aufs neue durch⸗ 
gefebene Auflage. Magdeburg, Seinrichehofen. Er. 8, Beibe 
Theile 4 Thlr. 

Gelzer, 9, Die Gtraußifchen 3erwürfniffe in Zürich 
von 1839. Zur Gefchichte des Proteflantismus. ine hiſto⸗ 
riſche Denkſchrift. Hamburg und Gotha, F. und A. Perthes. 
Sr. 8. 1 Zhlr. 20 Rer. 

Gerber, 3. H., Supranominaliömus, ein neues Syftem 
der Theologie; oder die endliche Verſoͤhnung zwiſchen Rationas 
liemus und Gupranaturalismus in wiſſenſchaftlicher Nothwen⸗ 
bigkeit. Leipzig, Breitlopf und Härte. Gr. 8. 7, Near. 

Hebel’, 3. P., Werke. 1fter Band. Mit Hebel's Bild⸗ 
niß, ein Kacfimile feiner Handſchriften und vier Mufitbeilagen. 
Karlerube, Müller. Gr. 16. 11Y, Nor. 

Laun’s, F., gefammelte Schriften. Neu durchgeſehen, 
verbeffert und mit Prolog von Ludw. Zied. Ifte Lieferung. 
Mit dem Bildniffe des Derfaflere. Stuttgart, Sceible, Ries 

r 


ger und Sattler. Ki. 8. a Nor. 
Leipzig, Brockhaue. Gr. 8. 


g 
eynar, Fuͤrſt zu, Gedichte. 
1 Thlr. 18 Rgr. 
Müller, W, Friedrich Wilhelm, Herzog von Braun⸗ 
fdyweigs Lüneburg und Ols, in Liedern der Deurfchen. Braune 
ſchweig, &. ©. ©. Meyer sen. 15 Rar. 

Nante im Bierleller oder das Öffentliche und mündliche 
rein. Bon Dans in allen Gaſſen. Leipzig, Naumburg. 8. 

tgr. _ 

Offentlichkeit, Muͤndlichkeit, Anklageproceß. Geſchwornen⸗ 
gerichte. Eine ſoſtematiſche Zuſammenſtellung der Verhandlun⸗ 
gen der ſaͤchſiſchen Staͤndeverſammlung hieruͤber. Nebſt einem 
aphadetiſchen Sachregiſter. Grimma, Verlagscomptoir. 1 Iplr. 

gr. 


Paulus, Die ſeche Schoͤpfungstage. Gin Beitrag zur 
Börberung wahrer Bildung. Stuttgart, Ebner und Geubert. 
Gr. 8. 22), Nor. 

Ein Ruf für Palaͤſtina. Gefchrieden im Jahre 1841, 
Münden, Eentner. 1842, 8, 5 Ner. 

Schwartze, M.G., Das alte Ägypten, oder Sprache, 
Geschichte, Religion und Verfassung des alten Agyptens 
nach den altägyptischen Originalschrifien und den Mitthei- 
lungen der nichtägyptischen alten Schrifisteller bearbeitet. 
Ister Theil. — A.u.d,. T.: Darstellung und Beurtheilung 
der vornehmsten Entzifferungssysteme der drei altägypti- 
schen Schriftarten. Ister Theil in zwei Abtheilungen, Leip- 
zig, Barth. Gr. 4. 40 Thlr. 

Stoſch, G. Graf, Die Amortifation der Schlefifchen 
Pfanbbriefe. Breslau, Goſohorsky. Gr. 8. 15 Nor. 

Uber das Verhaͤltniß des Staats zur Rhemifhen Eiſen⸗ 
bahn⸗Geſellſchaft. Zur Beleuchtung einer Hanſemann'ſchen 
Pegeſcrift über dieſen Gegenſtand. Leipzig, Brodhaus. Gr. 8, 

r 


gr. 
Balenti, de, Hegel, Strauß und der Ghriftenglaube. 
Bafel, Bahnmaier. Gr. 8 6%, Nor. 

Varnhagen von Enfe, 8. %., Denkwuͤrdigkeiten und 
vermifchte Schriften. 2te Auflage. After bis Zter Band. — Au 
unter dem Zitel: Denkwürdigkeiten des eigenen Lebens. 2te 
Aufiage. After bie Iter Theil. Leipzig, Brockhaus. Gr. 12. 


6 Thir. 
MWilberg, 3. F., Gedanken und Urtheile des Vetters 


Ehriftian über Leben und Wirken im Mitteiftande. Nebſt Mits 
theilungen aus feinem fchriftlichen Vermaͤchtaiſſe. Eſſen, Vaͤde⸗ 


ter. Gr. 8. 1 Thlr. 


Berantwortliger Herausgeber: Heinrih Broddaus. — BDrud und Werlag von B. A Brodbaud in Leipzig. 








Blätter 


für 


literarifche Unterhaltung. 





Sonntag, 


— Nr. 106. 


16. April 1843. 





—— uw m zz pc — — 


Die dermalige Krife der Philofophie in Deutfchland. 
Eine Stimme aus Frankreich. 
U Schelling.) 

Bor 40 Jahren führte biefer Philofoph das Scepter 
des Gedankens in Deutfchland.- Kommt er, «6 wieder 
zu ergreifen? Er iſt's, der den Pantheismus heraufbe: 
ſchworen; wird es ihm gelingen, ihn wieder binabzus 
beſchwoͤren? Einige hofften es. Die Degelianer ihrerfeits 
verfprechen fih, den Stoß wol aushalten zu können. 
Selling ſelbſt trat in bie Mitte diefer kaͤmpfenden Leis 
denſchaften. Seine Antrittsrede wurde in ganz Deutſch⸗ 
land mit Begierde gelefen, fo begierig mie eine Thronrede. 
Auch mar die Ähnlichkeit zwiſchen beiden nur gar zu 
geoß. Der Rebner fprach mit vieler Würde von fi 
ſelbſt, machte große Verſprechungen und umging die Fra— 
gen, bie ihn in Derlegenheit bringen Eonnten. 

Mit diefen Gedanken leitet der Auffag der „Bevua 
des deux mondes“ feine Skizzirung der neueſten Lehre 
Schelling's ein, nachdem er die übrigen Gegner Hegel’s 
kurz harakterifiet hat. Für die Richtigkeit ber Darftel: 
lung läßt ſich freilich hier keine Buͤrgſchaft geben, da bes 
Urheber dieſes Syſtems daſſelbe noch nicht duch den 
Druck veröffentlicht hat. Gewiß aber find diefe Mittheis 
lungen geeignet, Intereffe zu erregen. 

Die Verwandlung, die in den Anfichten dieſes Welt: 
weifen vorgegangen, däucht dem Berichtenden gründliche 
als die Modificationen, die früher deflen Spftem ducch 
ihn felbft, fowie wol auch fonft manche andere Philo⸗ 
ſephie durch ihren Urheber erfahren. Schelling hat dies⸗ 
mal ſein Princip geaͤndert: er will in die Speculation 
ein neues Element einfuͤhren und begreift alle vorherge⸗ 
henden Philoſophien, feine eigene wie bie andern, unter 
einer und derfelben Verdammmig. 

Diefe Syſteme haben einen gemeinfchaftlichen Cha: 
rakter; die Vernunft ift darin das einzige Princip der 
Erkenntniß; fie find ausſchließlich Logifh. Seit Descars 
ws iſt man einverffanden, daß bie Vernunft für den 
Philoſophen das einzige Mittel if, zur Wahrheit zu ges 

Nun kennt aber die Vernunft nur das Univer⸗ 
fele. Die allgemeinen Ideen, welche fie gibt, paſſen auf 
alle Weſen ohne mögliche Ausnahme, aber fie bezeichnen 


°) Bergl. ven erften Artikel äber Hegel in Nr. 88 u. 63 d. BL, 
D. Re. 


keines imsbefondere; fonft würden fie micht mehr auf bie 
andern anwendbar fein, fie würden aufhören allgemein 
zu fen. Das Individuum iſt für die Wermunft gar 
nicht da, fie ignorirt es, fie bemerkt es nicht; in dieſer 
Beziehung iſt fie blind; um das Individuum zu erden“ 
nen, bedarf das Bewußtſein eines andern Organs. Was 
folgt daraus? Daß die Vernunft, wenn ihre ein Indivi⸗ 
duum in den Weg kommt, nur das Allgemeine an ihm 
und nicht das Individuelle ſieht. Eben darum nım kann 
Bott, fofern er etwas Unterfchiedenes iſt und nicht 
mehr ſchlechtweg als das allgemeine Weſen betrachtet 
wird, von der Vernunft nicht erreicht werden. Sie kennt 
auch von Ihm nur das Unperfönliche. Ebenfo gibt die 
Bernunft nur das Nothwendige. Die freie Handlung 
entgeht ihr, denn diefe kann man nicht a priori determis 
niren; man fennt fie nur durch das Ereigniß. Mas 
aber nothwendig iſt, das iſt auch ewig. Mic der Ders 
munft allen alſo, wenn man anders confeauent iſt, fin 
det man nur elmen unperföntichen Gott, eine nothwendige 
und ewige Welt, kurz den Pantheiomus, und nie die 
Perfoͤnlichkeit und die Freiheit. 

Die Gefchichte der neuern Philoſophie beweiſt biefes. 
Unmittelbar nach Descartes kam Spinoza, der allerdings, 
nicht recht verſtanden und verfchrien, vielleicht noch mehr 
Staunen als Skandal erregte. Um zwei Jahrhunderte 
war biefer einfame Genius feiner Perlode vorangeeilt. 
Unfer Zeitgenoffe iſt er und bat erfl heutigen Tags die 
Geiſter gefunden, die mit ihm verkehren und die Tiefe 
und das Wiftenfchaftliche feines Imelfels begreifen koͤn⸗ 
nen. Der Schreden war alfo damals nur vorkbengehend. 
Dan glaubte den Spinoza widerlegt zu haben umd ber 
Gedanke wanderte feine Bahn forglo6 weiter. Dan fiehe 
die Eonfequenzen eines Principe nicht gleich anfangs vor⸗ 
aus; aber fie find darum nicht weniger unerbittlich 
Sie kommen mit fangfamem, aber unerbittlichem Scheitte, 
wie eine vielleicht zögernde, aber unfehlbare Juſtiz. Und 
fo iſt der menfchliche Geiſt felt Descartes, von Syſtem 
zu Syſtem, bei Hegel's Pantheiemus angekommen. Sein 
letztes Opfer iſt der perfönliche Bott. 

Schon Jacodt, lange vor Schelling, wie er jetzt iſt, 
hatte dies unvermeidliche Ende ber modernen Speeulation 
angekündigt. Er hatte mit vief Beredtſamkeit gezeigt, daß 
unfere edefften Inſtincte gegen den Pantheismus proteflk 
ver: er vertraute ihnen, ohne fich doch enrfchließen zu 


422 


koͤnnen, der Vernunft den Abfchied zu geben. Bezaubert 
von ihe und fie verwünfcend, weder zu glauben noch 
zu zweifeln wagend, litt er bis an fein Ende an diefem 
graufamen Zwiefpalt, und ſchmeckte von der Wiffenfchaft 
nur die bitterfle Defe. 

Aber diefer Widerfpruch darf nicht beſtehen bieiben. 
Und hier hebt fich der Grundgedanke des neuern Schel⸗ 
ling’fhen Syſtems an. 

Es gibt zweierlei Betrachtungsweifen des Univerfums: 
entweder man leitet Alles von einem oberfien Princip mit 
logiſcher Nothwendigkeit ab, man fleigt herab von Gott 
zur Melt, als von einem Princip zu feiner Confequenz, 
fodaß mit Gott auch die Welt gefegt iſt; oder aber man 
betrachtet die Welt als von Gott durch einen Act feines 
Willens, durch freie Entſchließung gefchaffen. Die Welt 
ift entweder nothwendig oder accidentel. Diefe beiden 
Begriffe koͤnnen in einem und demfelben Geifte nicht bei: 
ſammen eriftiren; fie find unvereinbar und bie einzigen 
möglichen; ber eine iſt wahr, der andere falſch. Die 
Vernunft allein nun, die logifche Methode, gibt nur eine 
notbmendige Welt. Der freie Act läßt fi) nicht a priori 
befiimmen, er wird nur a posteriori, durch die Erfahrung 
erfannt. Wenn nun bie Kreiheit ihren Plag in Der 
Melt findet, fo muß die Erperimentalmethode oder bie 
biftorifche Methode auch ihren Plag in der Philoſophie 
finden. Die Vernunft iſt alfo, wie Schelling bemerkt, 
feine intereffelofe Schiedsrichterin zwilchen den beiden 
Spfiemen. Ebenſo verhält es ſich mit der andern Me⸗ 
thode. Ihre Anwendung fett eine accidentelle Welt vor: 
aus, fonft könnte von ihr nicht die Rede fein. So bie: 
tet fich bei Eröffnung der Pbilofophie eine Alternative von 
Methoden dar, die in Wahrheit eine Alternative von 
Spitemen ifl. Die Philofophie kann uns über die Wahl 
nicht aufklären; dieſe muß flattgehabt haben, wie jene be= 
ginnen fol: die Philofophie geht von einer Hypotheſe 
aus. Man wollte die Hppothefe vermeiden, indem man 
bie Vernunft als einzige Erkenntnißquelle zuließ; man 
ahnte nicht, daß dies felbft eine Vorausfegung war, daß 
man damit ſchon eine Wahl getroffen hatte. 

Nun fragt Schelling, welches die natürlichfte dieſer 
beiden Hppothefen if. Wozu raͤth uns das inftinctartige 
Verlangen des Geiftes? Neigt es uns auf die Seite ber 
(ogifhen Methode? Wollen wie urfprünglich alle Dinge 
als nothwendig begreifen? Offenbar nein! Wir fühlen es, 
indem wir die Dinge biefer Welt betrachten, daß fie auch 
nicht fein könnten, daß fie anders fein könnten, daß fie 
occidentell find. Der Gedanke an eine Welt, wo bie 
Freiheit ihren Platz bat, gibt überdies der Intelligenz 
Luft und Schwung. Nichts dagegen macht den Geift 
aͤrmer, raubt feiner Betrachtungsweiſe mehr ben Zauber, 
ſchlaͤfert ihn mehr «ein als der Fatalismus. Die Menſch⸗ 
beit tritt als Zeuge zu unfern Gunften auf: alle rellgioͤ⸗ 
fen Offenbarungen wollen uns eine Geſchichte geben. Der 
Sort des allgemeinen Bewußtfeins iſt ein perfönlicher 
und freier Gott. Dazu kommt die überwältigende Ge: 
wißheit der Moral, die in letzter Inflanz immer über 
das Schicſal der Syſteme entſcheidet und die Freiheit des 


Menſchen und die Perfoͤnlichkeit Gottes vorausfegt. Dieſe 
vereinten Motive entfcheiden. Die logifhe Methode hatte 
nur eine illuſoriſche Nothwendigkeie für ſich. Man barf 
alfo der Vernunft nicht geftatten, unfer ganzes Denken 
zu ufurpieen. So ſchließt Schelling. 

Heißt das aber bie Vernunft ganz aus der PhHofes 
phie verbannen und nur die Erfahrung zu Rathe ziehen? 
Ehenfo gut konnte man der Philoſophie überhaupt dem 
Abfchied geben. Welchen Werth und welchen Plag muß 
alfo die logifche Methode behalten? Wir haben von nichts 
eine wahre Erkenntniß, che wir Gott erkennen. Se 
lange ift alles Wiffen Stuͤckwerk, proviforiih, ungewiß. 
Ein Object iſt erfl dann erkannt, wenn man ihm feinen 
Pag im Ganzen, fein Verhaͤltniß zur oberften Urfadye 
angewiefen hat. Died kann man aber nicht, ohne daß 
man bie dee von Gott bat. Diefe aber erhält man 
nicht unmittelbar, es iſt die wenigſt einfache, die reichfte, 
die complicirtefte von allen. Wie gelangt man zu ihr? 
Sort offenbart fih nur in feinem Werke. Die Schoͤ⸗ 
pfung wird ihn uns erkennen lehren. So mäffen wir 
denn von der Welt ausgehen, um zur oberften Urfache 
zu gelangen. Man fleigt nicht nochwendig von Bott 
zur Welt herab (?), wol aber nothwendig hinauf zu Gott 
von der Welt, von der Wirkung zur Urſache. Der notb: 
wenbige Weg hierzu, der iſt eben bie logiſche Methobe. 
Sie ift die Methode der Präliminarien ber Wiffenfchaft; und 
die moderne Philofophie, wenn fie vorerft diefen Weg befolgt 
bat, ift Beinen Irrweg gegangen, fie hat ihrem Inſtinct ges 
horcht, Hat mit dem wahren Anfang angefangen. Aber es war 
dies nur bie Vorrede zur Wiffenfchaft. Ihe Irrthum mar, 
daß fie Darin glaubte, die ganze Philoſophie zu befiden. Won 
Descartes bis Hegel flieg der Gedanke Europas zu Gott em: 
por, als zur Idee. Jetzt bleibt ihm übrig von Gott wieder her: 
abzufteigen zur Welt, und die Gefchichte des Weltalls zu 
benten, und dies iſt die wahre, die definitive Wiffenfchaft. 

Diefe Frageftellung nun tft Schelling’S großes Ber 
dienft, nah dem Berf. Sie ift ein guter Schritt zur 
Löfung. Die Intelligenz wird ohne Zweifel auf diefem 
Wege fortfchreiten müffen. Man wird der Vernunft 
feine Zügel mehr anlegen wollen, fobald man überzeugt 
fein wird, daß fie uns einen perfönlichen Gott nicht vers 
meigert. Aber wenn für die Praris die Mefultate einer 
Philoſophie hinreihen, ihren Werth zu beftimmen, fo 
verhält es fih anders mit der Wiſſenſchaft. Die Gonfe: 
quenzen eines Syſtems ziehen, heißt noch nicht, eine ent: 
fchiedene Kritik über baffelbe üben und bie übrigen Gründe, 
die Schelling gegen bie logifche Philofophie aufführt, find 
nicht ſtichhaltig. Er fpricht von dem Berlangen, dem 
Wunſche der Intelligenz. Iſt das nicht vielmehr ein 
Wunfc des Gefühle, der Phantafie? Won der Überein⸗ 
flimmung der Menſchheit. Aber ftimmt etwas anders ihm 
zu, außer dem Chriftentbum? Nur biefes kennt einen 
perfönlichen Gott und eine freie Schöpfung. Der Koran 
freilich jenen auch, aber er Läße den Fatalismus daneben befte= 
ben. In den Mopthologien iſt die Perfönlichkeit der Goͤt⸗ 
ter nur fcheinbar; der Gott, der fich dahinter verkirgt, iſt 
fein perfönticher. 





Nun wit Schelling feinm. perfönlichen Gatt durch 
De Logik erhalten; aber wenn die Vernunft diefer Sore 
fähig iſt, fo fällt Schelling’s Anklage des Pantheismus, 
die er gegen fie erhebt, von ſelbſt. Das find Lauter 
Duntelpeiten und Lüden im Spftem. Sie helfen nicht 
zur Überzeugung. . 

Auf die Einleitung folgt das Syſtem. Gott fchafft 
buch einen Act feines Willens. Aber, wenn. ber De: 
ſchluß frei ift, einmal ausgeſprochen, realiſirt er ſich durch 
einen ſich gleich bleibenden Proceß. Gott ſchafft nach 
ewigen Geſetzen, welche die Exiſtenz in ihm hat. Die 
fer Proceß der Schöpfung ift das Myſterium des Lebens 
ſelbſt, und nur ein kuͤhner Wahn beutfcher Philofophen hat 
ſich einbilden können, dies Geheimniß enthällen zu wollen. 

Selling unterfcheidet drei Principien oder Factoren 
dee Exiſtenz: erſtens, ein Princip abfoluter, unbeftinmter, 
gewiffermaßer blinder und chaotifcher Eriftenz (dev dunkle 
Grund). Nicht diefe If es, die die Welt uns darbieter. 
Somit gibt ed eine mit diefer Exiſtenz wetteifernde Ener: 
gie, ein zweites Princip, das ihr widerſteht und fie befchräntt. 
Der Kampf diefer zwei Gewalten und ber progreffive Triumph 
der zweiten haben bie Mannichfaltigkeit der Weſen und bie 
immer volltommenere Entwidelung der Schöpfung her: 
vorgebracht. Diefer Dualismus, der allenthalben in der 
Natur fihhtbar wird, ift jedoch nicht das oberſte Factum. 
Diefe feindfeligen Gemwalten find vielmehr beide einer 
dritten unterworfen, bie fie vereinigte. Erſt wenn ber 
Kampf fi vollendet, durch die gänzliche Unterwerfung 
der blinden Exiſtenz erfcheint endlich jenes dritte Princip 
mit dem Dienfchen, mit dem Geiſt. Der GSeift befist 
in fi alle Principien feiner Eriftenz; aber der Krieg, 
den fie fih in der Natur Kieferten, ift in ihm zum Frie⸗ 
den geworden: die blinde Materie iſt gänzlich in ihm 
umgeſtaltet, alles iſt Klarheit, Licht und Harmonie. Das 
Sein ift endli bei feinem vollkommenſten Ausdrud ans 
gelangt im Menſchen, bem treuen Bilde Gottes, der frei 
tft, wie Bott; ihm ſteht es auch frei, mit Bott vereinigt 
zu bleiben, ober fich von ihm zu trennen, in Harmonie 
zu bleiben oder nicht. 

Die Erfahrung allein lehrt uns Das, was gefchehen 
iſt. Der Zuſtand des Menfchen bezeugt feinen Fall: auch 
bier noch iſt der Entſchluß frei, aber er verwirklicht ſich 
nach ewigen Gefegen. Die urfprünglihe Harmonie des 
Menfchen konnte nur getrübt werden, wenn bie blinde, 
befiegte Eriftenz ihre Herrſchaft mwiedererrang. Sogleich 
aber regte ſich auch die andere, die rivale Eriftenz, und leiftete 
Miderfiand, und fo begann ber Kampf aufs neue, aͤhn⸗ 
lich dem Kampfe, der die Natur hervorgebracht hat, nur 
Daß es jest ein imnerlicher, ein Kampf in ber Tiefe des 
Bewußtſeins wurde. Lange Jahrhunderte hindurch ver: 
lor der Menſch — der Materie bingegeben — gleich⸗ 
fam den Belig feiner felbft; er iſt nun nicht mehr Be: 
berberger der göttlichen Vernunft, fondern der titanifchen, 
ungeorbneten Mächte, die in ihm bie alte Zwietracht er: 
neuen. Aber das Bewußtſein des Menfchen iſt wefent: 
lich religiäß; die Principien, die ihn beberrfchen, find für 
ihn göttliche Kräfte. 


— — — — — — — 


So erſchienen dem Bewußtſein 


N 


fremde, uns jetzt unbegseifliche Götter, und es Connie: 
fih von Diefer aufrährifhen Viſion nicht losmachen 
Died ift, nad der originellen, neuen Lehre Schelling’s, 
der Urfprung bee Mythologien. Sie werden für ben 
gefallenen Menſchen eine Nothwendigkeit, der ec fich nicht 
entziehen konnte, eine Phafe feiner Gefchichte, durch die es 
nothwendig bindurchgehen mußte. Se unbegreiflicher dieſe 
Goͤtterlehren erfcheinen, deſto einleuchtender muß es wer: 
den, daß Völker vom edeiften Geifte und hoher Weisheit 
ſich nit immer unter ihe Joch gebeugt hätten, wenn 
es von ihnen abgehangen, ſich davon zu befreien, und 
wenn diefe Götter nicht die natürlichen Beherrſcher ihres 
Demwußtfeins gewefen wären. Man ficht wohl, daß da⸗ 
mals bie Natur eine Allmacht über den Menſchen aus: 
übte; und biefe Macht lag nicht (mie jegt zuweilen) im 
Zauber ihrer Schoͤnheit. Die Ägypter, über welche der 
Polptheismus fo unbedingt berifchte, waren die profaifch- 
Ken Sterblihen; die Hindus dagegen, mit ihrer glaͤnzen⸗ 
den Einbildungskraft, ihrer empfänglichen Seele, ihrem 
ſchwaͤrmenden Enthufiasmus, umtingt von allem Zauber 
der Natur, befigen eine reiche, ſchoͤne Poefie, und doch 
find ihre Gottheiten bie groteskeſten und misgeftaltetften 
des Morgenlandes. Poetiſch wurde die Mythologie erſt 
in Griechenland, als fie aufhörte eine Religion zu fein. 

Diefe Herrſchaft der Mythologien über die Menſch⸗ 
beit war eine erniedrigende, demüthigende Tiprannei wols 
tüftiger, geaufamer, ſchaͤndlicher, gräßlicher Götter, die an 
die Wolluͤſte und Raſereien der Natur erinnern: Orgien, 
Unzudt, Ehebruh, Denfchenopfer. Deswegen gehören 
fie mit zum Sale. Und doch find fie zugleich eine Er⸗ 
bebung. Nur muß man fie nicht ifolirt betrachten ; fie 
bitden vielmehr einen ungeheuern Cyklus. 

Diefe allgemeinen Anfichten find nidt das einzige 
Intereſſante im Eurfe Schelling's. Merkwuͤrdig ift auch 
die Art, wie er die Verſchiedenheit der Voͤlker erklärt. 
Auf welhe Weife ift die urfprünglihe Einheit der Mens 
ſchenfamilie zerbrädelt worden? Nicht aus der Zerſtreuung 
dee Menſchen über die Erbe, nicht aus den Kriegen, 
nicht aus der Verſchiedenheit der Racen, felbft nidyt aus: 
der Derfchiedenheit der Sprachen glaubt Schelling bies 
Phänomen hinlänglih erklärt. Diefe letztern bedürfen 
fetbft wieder einer Erklärung; eine Philoſophie, legt den 
Sprachen zu Grunde; die Etymologie iſt etwas mehr 
als nur eine Ableitung der Woͤrter; fie gibt eine Genea⸗ 
logie der Ideen, fie versäch den geheimen Gedanken der 
Völker über die Verhaͤltniſſe der Dinge, über den Eins 
Hang des Sittlihen und Phyſiſchen, über Natur, Seele 
und Got. Die Eintheilungen, Kormen, Gefege der 
Grammatik, Alles fest eine Logik voraus. In jeder 
Sprache iſt gemiffermaßen ein Weltfoftem verborgen ; bie 
Berfchiedenheit der Sprachen verrärh alfo eine Verſchie⸗ 
denheit der Anfihten über das Univerfum, und ihr hoͤch⸗ 
ſter und wahreſter Ausdrud finder ſich in der religiäfen 
Verfchiedenheit. Dies iſt das Kactum, auf welches wir 
bingetrieben werden, um die Verſchiedenheit der Voͤlker 
zu erllären. Der Polptheismus, indem er bie Einheit 
Gottes zerbrach, zerbrach auch die ber Menfchheit. Wenn eine 





nene Mythologie in den Geburtswehen lag, wurbe bei 
den Menfchen, bei weichen dieſe Krife eintrat, Altes affi⸗ 
cirt: der Gedanke verwirrte ſich bis in feine geheimſten 
Ziefen, die Sprache formte fih um unter diefem Eins 
ftuß; ein neuer Gott, ein neues Idiom, ein neues Volk 
entſiand, die ſich vom alten Wurzelſtock abloͤſten. Der 
Eine Gott mußte den Menſchen wiedergegeben werden, 
wenn fie die Erinnerung an ihre eigene, verlorene Eins 
heit wiederfinden ſollten. So find es nicht bie Völker, 
de ihre Mythologien erfunden haben, fondern bie My: 
thotogien haben Völker geſchaffen. 

Die Philoſophie der Offenbarung Erönt Schelling's 
neues Spftem. Die natürliche Folge de6 Falls iſt das 
Verderben des Menſchen. Indem er fiel, gab er ſich in 
die undedingte Gewalt des Princips der Materie. Dies 
rineip, wenn es ſich des Menſchen ganz bemaͤchtigt 
hätte, würde den Geiſt, d. h. den Menſchen vernichtet 
haben. Dies geſchah nicht. Ein Witte hat fih mithin 
unferm Verderben widerfegt, und diefer Wille, den man 
niche im Menfchen finden kann, muß in Gott gefunden 
werden. Der Fall konnte nicht aufgehoben werben, wenn 
das Princip der Materie nicht aufs neue unterworfen 
ward. Dies konnte nur durch eine rivale Gewalt ges 
ſchehen, wie bei. ber Schöpfung. So erfchlen denn diefe 
Gewalt, Gott unterworfen, zugleich aber eines ſchuldigen 
Geſchlechte einverleibt, fie wurde das vermittelnde Wert 
umd rettete die gefallene Menfchhei. In ihrem Kampfe 
gegen das Princip der Materie brachte fie die Mytholo⸗ 
gien wieder zum Vorſchein, aber ſie durchſchreitet ſie blos, 
um über fie hinauszugehen; fie find -flr fie der Weg 
und nicht das Biel. Die Religionen find Ringe einer 
und berfelben Kette, aber die legte iſt weſentlich verſchie⸗ 
den von ihren Vorgängerinnen. Die Götter der Mytho⸗ 
logien eriirten nur im Bewußtſein und haben im uͤbri⸗ 
gen gar Seine Realitaͤt. Das weſentliche Wort des Chri⸗ 
ſtenthums dagegen erſcheint im Fleiſch und miſcht fich 
unter die Menſchen als eine diſtinete Perſoͤnlichkeit. Das 
Chriſtenthum ift nicht die vollkommenſte Mythologie, es 
hebt alle Mythologien auf. In ihnen iſt der Menſch vom 
wahren Gott getrennt, im Ehriſtenthum iſt er aufs nene 
mit ihm vereinigt; ex iſt nicht mehr Sklave der Natur, 
fondern, wie ehedem, ihr Heer. 

Schelling läßt alle Dogmen ber Kirchenlehre zu: die 
Fleiſchwerdung, die Auferftehung, bie Himmelfahrt. Das 
Evangelium iſt feine Mythe; es bleibt wahrhaftige Se: 
ſchichte. Stande und Vernunft werden fi binfort ver: 
mählen; neue Zeiten kündigen fi an. Der Katholicis⸗ 
mus rührte von St.⸗-Peter ber, die Reformation von 
St.Paulus, der unmittelbar von Gott erleuchtet warb; 
die Zukunft wird von St.⸗Johannes abhängen, dem Apo⸗ 
fiel der Liebe. Wir werben den vollfommenen Sieg bes 
Ehriſtenthums erleben, ber Menſch wid von aller Knecht: 
fchaft frei werden, von einem Ende ber Erde zum ans 
dern werben die Menfchen vor Einem Altare Inien, das 
Band berfelben Liebe wird fie umfchlingen. 

(Der Befälup folgt.) 


Literarifche Notizen aus Frankreich. 


Alpbonfe Karr’s „Gu&pes” haben ſich, trotz ber unzähli 
gen Nachahmungen, bie fie ins Erben fen haben, von denen 
wir der eingegangenen Balzac'ſchen Revue parisienne”, bez 
„Cbronique de Paris”, ber „‚Historiettes” von Eug. Briffaut 
und des „Papillon” nur im Worbeigeben gedenken, immer noch am 
meiften in der Gunſt bes Publicums erhalten. Nur bie gut 
rebigirten „Nouvelles à la main‘, von benen monatlich ein kiei⸗ 
ned Bänbdyen herauslommt, haben einen fafl ebenfo großen 
Referkreis. Sie verdanken bdiefe Beachtung namentlidy der Ins 
discretion, mit der die Redacteure (Neſtor Roqueplan, Leon 
Gozlan und Malitourne, wenn wir recht unterrichtet find) die 
Seheimniffe der vornehmen Salons unb Geuliffenintriguen auße 
beuten. Sebruarheft ber „‚Guöpes“ ift bietmal nicht 
von Karr felbft redigiet. Der ſchmerzliche Verluſt, den der⸗ 
felbe durch ben Tod feines Waters vor kurzem erlitten bat, if 
der Grund, weshalb mehre feiner Freunde zufammengetreten 
find, um den Stoff zu diefem Hefte zu liefern. Der befannte 
Muflter Eon Gatayes hat fi dem Geſchaͤfte der Redaction ums 
terzogen. &o zeichnen fi dieemal die „Guöpes‘, bie u 
weilen etwas monoton waren, durch eine große Mannichfaltige 
keit aus. Wir finden darin ein Bruhflüd aus bem ungebrud: 
ten „Etoile polaire”’ von Arlincourt, einige unbekannte Berfe 
von Ramartine und Victor Hugo, bie inbeffen fein neues Blatt 
zu den Lorberkraͤnzen beider Poeten hinzufügen, auch sin Lieb 
aus ber Feder des gewandten Zeichnere Gavarni, einen geifl- 
reichen Auffag von 3. Sanin „Horace et le chiflonier’, einen 
Brief von Bicomte de Launay (Mab. de Girarbin), ein Bruch⸗ 
flüd einer Komödie von Alerander Soumet. Beſonders hervors 
zubeben ift unter der bunten Auswahl «in Meiner Aufſatz, im 
dem der bekannte Componiſt Adolf Adam einige Züge aus dem 
Leben vom Vater Alpbonfe Karr's erzählt. Bekanatlich hat fi 
Henri Karr, der vor kurzem getorben ift, als Componiſt einen 
bedeutenden Namen gemadt. Wir fehen aus bem Artikel Adam’, 
daB Karr aus einer beutfchen Familie flammt. Henri Karr, 
olfo der Vater des fruchtbaren Schriftftellers, it um 1780 zu 
Zweibrüden geboren, wo fein Bater Kapellmeiſter war. 


Das neuefte Wert von Lamennais führt den Titel 
„Amschaspands et Darvands”. Es tft ein kuͤhnes Phantafie: 
ſtuͤck, in das tieffinnige Wetrachtungen über die Gegenwart 
verwoben find. Lamennais theitt uns bie Wetrachtungen eines 
alten Magiers mit, beffen Auge, von ben Banten der Zeitlich⸗ 
feit ungehemmt, den ewigen Streit der Geifter des Guten und 
des Böfen ſchaut. Amſchaſpands und Darvands find naͤmlich 
bie Namen ber guten und böfen Engel, von benen die einen 
im Dienfte Ahriman's, die andern in dem Drmuzb’s fliehen. 
An einzelnen Gtellen macht fi der titanenhafte Unmuth gegen 
alles Beftepende Luft, der vielleicht durch bie politiſchen Ber 
folgungen , unter denen Lamennais neuerdings zu leiden gehabt 
bat, noch gefteigert ift. Die fchöpferifhe Kraft der Phantafte 
und ber gtänzende Stil, ber in Allem ift, was aus ber Weder 
Lamennais' fließt, übt auch in biefer neuen Schrift feinen um» 
widerſtehlichen Zauber aus. 2. 





Literarifhe Anzeige. 
Soeben erfcheint bei F. SE. Brockhaus in Leipzig: 


. General Graf 
Bülow von Deunnewig 


in den Feldzügen von 1813 und 1814. 
"Yon einem preussischen Officier. 
Gr. 8. Geheftee. 1 Thlr. 18 Ngr. 


Derantwortlicher Herauſgeber: Heinrich Broddaus. — Druck und Beriag von F. A. Mroddaus in Leipzig. 


| 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Montag, 


EEE Nr. 107. — ⸗ 


17. April 1843. 


III 


Die dermalige Kriſe der Philoſophie in Deutſchland. 
Eine Stimme aus Frankreich. 
L Schelling. 
(Beſchluß aus Nr. 166.) 

Hat uns nun Schelling — ſo fragt der Berichterſtat⸗ 
ser am Schluſſe dieſes Überblicks — die Wahrheit ges 
bracht, die wir bisher vergebens fuchten? Ich möchte es 
denken können, und kann es nicht. Schelling erklärt, 
mit Huͤlfe feiner ontologiſchen Hypotheſe, Natur, Ge: 
ſchichte, Mythologien und Chriftenglauben, Alles zufam: 
men; aber bie Begruͤndung fehlt diefer Hypotheſe. Er 
findet in feinen Principien unvorhergefehene Mittel, er 
handhabt fie mit einer Gewanbtheit, dag man bie Be: 
wegungen ber Gefchichte felbft zu fehen glaubt, ex weiß 
fie trefftihh zu benugen, aber bie Geſchicklichkeit Liegt in 
Hm und nicht in feiner Hypotheſe. Er leitet daraus 
eine chriſtliche Philofophie ab: man könnte ebenfo wol 
jedes andere Syſtem daraus herleiten. Alle Augenbiide 
selßt der logiſche Haben und wirb nach Belieben wieder 
angeknuͤpft. Er faͤllt in einen Fehler zuruͤck, welchem 
Hegel mit feiner firengen Wiffenfchaftlichleit abhelfen 
wollte. Die Logik Hegel’s ift offenbar feine fchönfte und 
bedeusendfle Entdeckung. Schelling hätte fie annehmen 
ober doch widerlegen follen. Er verwirft fie ohne Proceß. 
Das heiße ſich einer ber intellectuellen Foderungen ber 
Epoche verfihließen, heißt zu den precairen Gonjecturen 
zuristehren, die feit dem großen Logiker in Miscrebit 
gerathen find. 

Diefee Mangel an Schärfe iſt überall bemerklich. 
Die Idee der Freiheit iſt der Hauptbegeiff des Syſtems, 
er macht defien Originalität aus. Und doch bleibt biefer 
Begriff umentfchleden und dunkel. Gchelling fest ben 
Unterſchied zwiſchen goͤttlicher und menfchlicher Freiheit 
micht ſeſt und ſpricht don ber erſtern immer mie von 
einer Wahl, von einer Willkuͤr. Ebenſo gut kann man 
Ion bes Fatalismus anklagen. Der Menſch, nad) feinem 
Gau, iſt der mythologiſchen Bewegung unterworfen unb 
Saum fich ihr nicht entziehen; er tft nicht mehr frei. 
Wird er durch das Chriftenthum tieder frei? Mit nich 
un. Der Menfchengeift entwickelt ſich hinfort durch bie 
Philoſophie, wie vordem durch die Mythologie, nach ei: 
mem unbeugfamen Belege. Die Syſteme folgen ſich aus 


einem nothwendigen Grunde und jedes bringt wieder 
eine andere Moral mit fi. Gut und böfe wechſeln 
unaufbörlich; oder vielmehr, es gibt weder Gutes noch 
Böfes; ein jegliches hat feine Berechtigung zu feiner Zeit. 
Der Sändenfall, dem die Menſchheit ihre ganze Ent: 
widelung verdankt, wird gewiſſermaßen zu einem Gute. 

Auch die Übereinfiimmung des Syſtems mit dem 
Chriſtenthum hat ihre Luͤcken. Dieſes legtere unterfchels 
det fich, nad) Schelling, von den Mythologien, ohne ihnen 
zu widerfprechen ; fie bahnen Ihm den Weg, fie find bie 
Propylaͤen dazu. Iſt das Gedanke bes Chriſtenthums? 
D nein. Ihm find Gögendienerei und Sünde einerlei; 
es volberfegt fi) dem Cultus der Idole, wie das Gute 
bem Boͤſen; es betrachtet ihn als eine Entfernung vom 
wahren Gott, nicht als eine Annäherung an ihn. Nicht 
orthodoxer tft Schelling In feinen Anfichten vom Juden⸗ 
thum. Wozu bedarf es auch In der That eines ander: 
wählten Volks, wenn die Mythologien einmal fich vorbes 
reiten und für ſich fchon das Chriſtenthum ankündigen. 
Auch weiß Schelling nicht recht, was er mit ben Juden 
machen fol. 

Außerdem gibt uns der Philoſoph nur eine ontologi: 
fche Erklärung des Chriſtenthums und vernachläffigt die 
moralifche. Er beleuchtet mehr das Geheimniß der Ver⸗ 
einigung zweier Wefenheiten im fleiſchgewordenen Worte, 
als das Geheimniß der Verföhnung. Und doch iſt hier 
das größte Ereigniß, das vor allen Dingen ber Erklaͤ⸗ 
rung werth mar, das moralifche; alle andern hängen von 
dieſem ab, begreifen fich nur buch dieſes. Mit allen 
Morten wendet fich das Evangelium an das Gewiſſen. 
Es wäre nicht mehr dafjelbe, es würde fein Werk nicht 
mehr ausrichten, feine holdfeligen, falbungsvollen Ge⸗ 
fhichten würden ale Kraft für die Seelen verlieren, 
wenn ber oberfle Sinn biefer göttlichen Erzählungen nicht 
Barmperzigkeit und Liebe wäre. Im Spfteme Schelling’6 
iſt Jeſus Chriſtus vielmehr dee Demiurg als ber Erloͤ⸗ 
fer. Auch unter jenem Titel hätte er Wunder an ber 
Natur verrichten Finnen; aber den Willen der Menfchen 
bätte er nicht umgewandelt, bie Herzen bätte er nicht 
geheilt. Und doch war biefes feine vornehmfle Sorge. 
Die Welfen des Jahrhunderts, die Gluüͤcklichen, hätten 
fih dann um Ihn gefchart, und nice nur Mühfelige al: 
(ee Art, arme Fifcher und fromme Frauen — bie6 er⸗ 


48 


habene Geleite von getröfteten Schmerzen und anbetenden 
Herzen, da6 fih um den König der Demuch drängte. 
Der Eriöfer iſt freitih auch der Weltfchöpfer; nur ver: 
kehrt Schelling die Rollen und macht bie untergeordnete 
zus erſten. Go befrichlgt Schelling weder die Logik noch 
Yin Freiheit; er verföhns den Glauben nicht mit dee Wiſ⸗ 
ſenſchaft, er macht nur beide unzufrieden. Er bat ge: 
zeigt, daß die Vernunft unvermeidlih zum Pantheismus 
führt, hat das Beduͤrfniß, über fie hinauszukommen, le⸗ 
bendiger angeregt; aber die Mittet, dies zu volibringen, 
bat er uns nicht gegeben. 

Die ganze Betrachtung des Franzofen fchließt mit 
deu Worten: Eine und dieſelbe Kriſe bearbeitet bie ganze 
Melt. Überall, bei allen Völkern Europas, biefelbe Er- 
ſchuͤtterung des Glaubens, dieſelbe Bangigkeit der Gemuͤ⸗ 
ther, derſelbe Aufruhr unter ben Geiſtern. in Zweifei 
belagert uns, deſſen Macht wir uns vergebens verhehlen 
möchten. Er ſtoͤrt den Prieſter vor dem Altare; er wars 
tet auf uns ſelbſt im Heiligthume des Gewiſſens und 
lockt uns mit dem Nutzen, an der Stelle der Pflicht. 
Ins haͤusliche Leben ſelber folgt uns der unheimliche 
Gaſt; hier diſputirt er gegen Familie und Eigenthum. 
Alles wird in Frage geſtellt, Alles unſicher, Alles ſcheint 
bedroht. Seibſt der Orient krankt an demſelben lbel, 
ar traut ſeinen Goͤttern nicht mehr, die ihm keinen Schutz 
mehr gewaͤhren gegen uns. Das erſte Mal verbreitet 
ber Skepticismus feine Schatten Über die ganze Erdſcheibe 
und in dieſer Dunkelheit bemächtigt ſich unfer Traurig⸗ 
it, Furcht und Verdruß. Kein Logiker wird biefen un: 
beſtimmten Ängſten ein Biel fegen. Das find keine 
Spiele und Aufgaben ber Schule; es find graufane, 
yeinliche Nöthen. Großen Ereigniffen find fie entfprun: 
gan, große Ereigniffe allein können ihnen ein Ziel fegen. 


Wir Haben den Nachbar ausreden laſſen, ohne ihn 
zu unterbrechen. Nachdem er ausgefprochen bat, wollen 
wir nur zwei kurze Bemerlungen anfügen, benn zu eis 
ner Discuffion des Sanzen ift hier nicht der Raum. Die 
erſte betriffe den Vorwurf, daß Schelling die größte Ent: 
bedung des Hegel'ſchen Syſtems, die Logik deſſelben, hätte 
annehmen oder widerlegen follen. Dies duͤnkt uns eine 
feltfame Foderung. Der Widerſpruch gegen biefe Logik 
des Unendlichen iſt bei Schelling in der Entgegenftellung 
feines Syſtems enthalten; die Annahme derſelben aber 
hätte nothwendig Anerkennung des Spflems ſelbſt zur 
Folge haben müflen. Vielmehr muß es an dem Berf. 
des Aufſatzes befremden, daß er über die Mefultate bes 
Hegel'ſchen Syſtems jammert und body biefe Logik 
ale eine Entdedung, eine neue Wahrheit, welche die 
Runde ber Welt machen wird, betrachtet. Wenn auf 
dem Gebiete des Unenblichen, in der Subſtanz und dem 
Subftrat der Dinge, im Weſen des Begriffs, ein ander 
res Logifches Geſetz herrſcht als in der Endiichkeit, wenn 
bier das Geſetz bes Widerſpruchs, des ausgefchloffenen 
Dritten und der Identitaͤt aufhört, Gültigkeit zu babe, 
fo müßten wis nicht, wie Das, deſſen Untergang ber Verf. 
bedauert, wie ber biöherige Begriff von einem auf irgend 


vem Zweifel beilen follen. 


eine Weife transfcndenten Gott und einer jenfeltigen 
Welt, noh Raum in einem Spfteme finden fol. Mit 
biefer Logik ift bee werdende Bott und ber ewige Fluß 
bee Welt als feine einzige Entwidelung gegeben; biefer 
dialektiſche Denkproceß des Unenblihen kaun gar nichts 


Anderes ſein als der Weitproeeß. Die Annahme des letz⸗ 


teen iſt Beine falſche oder auch nur unvorhergefehene Conſe⸗ 
quenz des Syſtems, fie tft in feinen erſten Anfängen als 
Srundanficht enthalten, wie bies fchon das Altefte Docu⸗ 
ment des Syſtems, die bewundernewürdige Vorrede zur 
„ Phänomenologie ”’ — bemwunbdernswürdig , weil fie das 
ganze Syſtem Hegel’6 im Keime enthält — unwiber 
. („Phänomensingie‘‘, echte Aufi. 1817, 

S. sıvı fg, S. zum fg, S. ızvi fg, ©, ıxx fg. ganz 
— S. ıyıvu fg. über den Satz: „Gott iſt des 

n. 4 

Dies unſer eines Bedenken, das auf ber Oberflaͤche 
liegt. Ein anderes, ebenſo nahe liegendes, heftet ſich an 
die Schlußworte des Verf. Kein Logiker ſoll dem allge⸗ 
meinen Skepticieomus ber Welt ein Ziel ſetzen koͤn⸗ 
nen, — Ereigniffe follen «6 thun. Da der Berf. 
ſchwerlich ein Chitiaft iſt und ebenſo wenig in ber naͤch⸗ 
fien Zeit eine Parufie erwartet, fe verſteht er unter bies 
fen Begebenheiten gewiß keine Runder, welche die Welt 
Es bleibt alfo wol niches 
Anderes übrig als Ummälzgungen und Kriege. Run if 
es ſchon ſchwer abzufehen, wie diefe auch nur den praßtis 
fhen Wirren ber Welt, welche der Verf. geſchickt und 
auf echt franzoͤſiſche Weiſe mit den theoretiſchen in Ver⸗ 
bindung ſetzt, fo leicht abhheifen ſollen; wie fie aber vollende 
bie Zweifel dee Vernunft zu loͤſen vermoͤgen, laͤßt ſuch 
wahrlich nicht begreifen. Etwas Wahres liegt freilich dem» 
noch in feiner Behauptung, aber es befchräntt ſich, wa 


die Kämpfe der Überzeugung betrifft, doch nur auf bie 


Außenwerke. Wenn ein lebendigeres Intereſſe die menſch⸗ 


liche Geſellſchaft auftegt, verlieren allerdings die philoſe⸗ 


phiſchen Syſteme gewiſſe kuͤnſtliche Bundesgenoſſen, und 
das Coterie⸗ und Parteiweſen gewährt ihnen keine Stihe 
mehr. Die bloßen Schreier werben zum Schweigen ge⸗ 
beacht; fie werben nicht mehr gehört, nicht mehr honorict 
Und fo dürfte e6 denn, wenn andere Knoten ber Welt 
mit dem Schwerte gelöft. werben, wol dahin konnen, 


daß eine Menge junger, jest florirender Schriftſteler in 


Noth und Elend geriethen und dadurch ih nadı dem 
lebendigen und perfönlichen Gott fehnen lernen würden, 
wenn ber unperfönliche fie nicht mache bezahlt. Die Phie 
loſophie wirb überhaupt in den Hintergrund treten. Aber 


IR damit die Vernunft beruhigt und wird au nme 


Eine Frage des Geiſtes durch eine Meveintion ober einem 
Krieg geloͤſt? Weil man weniger denkt, ober williger 


‚glaubt, wird damit der perfänliche Gott beiwiefen, ober 
wird bewielen, daß man ihn nicht beweilen fan und 


bach glauben muß? Das Alles wird, es ſei Kelag ader 
Frieden, zu jeber Zeit Sache ber Logik, dee Eiperulatiem 
bisiben,, und die Schwerter materiellen. Kampfes möge 
noch fo. laut drein fchlagen, fie mögen nech fo Vieles ers 
vingen, für bie Vernunft können fie. nicht die ultima ra- 





4217 


to fein. Hier wird imsmer und ewig nur Gin Schwert 
entfcheiden innen: das Schwert des Geiſtes, welches 
iſt das Wort. 44, 





De la Russie et de la France. 
Par un Inconnu, Paris 1842, 


Die fo häufig mit großer Selbſtzufriedenheit außgefprochene 
Meinung, daß Frankreich zu nichtig geworben, um noch ferner» 
hin den Impuls zu großen Greigniflen geben zu koͤnnen, mag 
in der Reſtaurationsperiode richtig geweſen ſein; gegenwärtig 
wäre fie ein hoͤchſt gefäprlicher Iertbum. Allerdings konnten 
wir als Nachbarn biefes großen Staats lange Zeit ohne alle 
Befürdhtung vor ihm fein; ifolirt fand er auf ber einen @eite, 
ganz Guropa vereinigt auf der andern. Als aber bie Anreis 
zungen von 1840 das kriegsluſtige Bolt aufgeflachelt hatten, 
war wol deutlich zu erfennen, wie maͤchtig Frankreich, waͤre es 
nicht iſolirt geweſen, in die Welthaͤndel eingegriffen haben wuͤrde. 
Becker's Rheinlied wurde damals viel geſungen und das war 
gut; noch beſſer aber war Frankreichs Iſolirtheit und ſeine 
baraus folgende Ohnmacht, es mit ganz Europa aufzunehmen. 
Sobald nun bdiefe Ohnmacht mittels eines geeigneten Buͤndniſ⸗ 
fed gehoben wird unb in eine gewaltige Kraftentwidelung übers 
geht, wirb es uns nicht an dringender Auffoberung fehlen, das 
Rdeinlied zur Wahrheit zu machen. Bon biefer Betrachtung 
ausgehend, muß jebe Beftrebung Frankreichs, fich mit einem 
andern Gtaate zu alliiren, von großem Intereſſe für und fein, 
um fo mehr, als die Sranzofen noch immer glauben, eine Fo⸗ 
derung an uns zu haben, bie fie gar zu gern bei dem nächften 
Zahltage geltend machen und mit Zinſen wieber einziehen moͤch⸗ 
ten. Die Principienpolitit war bis jegt ein ſtarkes Dinderniß 
für Frankreichs Allianz mit abfoluten Staaten, 3.8. mit Ruß: 
land; wie nun aber, wenn man ſich zu verftändigen ſuchte und 
über bie Vorurtheile gegen eine Weballianz der Principien bins 


Entretiens politiques. 


genommen wird, unb daß 
mäßige 


ber und ebenfalld zu bem eben mitgetgeilten Refuitate ger 
langt. Rußland Hat alle Urſache, mit dem Inhalte der Schrift 


zufrieden zu fein, und wenn bie Partei Moid fortfährt, ihre 
Plane mit bergleihen Mitteln zu unterflägen, fo darfte fle ihre 
Ziel in nicht zu langer Beit erreichen. Heben wir nım einige 
intereffante Punkte aus dem Bude hervor; bielleicht voerben 
wie dadurch angeleitet, unfere Begriffe von der ruſſiſchen Givi- 
liſation, „deren Zukunft eine Wohithat für die Menf beit fein 
wird”, zu Iäutern und bie erwachende Klugheit der Franzoſen 
zu würdigen, ‚welche aus weifem Rationalintereffe aufhören 
werben, aus ber Zreibeit eine Offenbarung zu machen und fie 
aller Welt zu predigen“. 

Rach der Anficht jenes „vorurtheilsfreien Fremden“ birgt 
Rußland in ſich alle Elemente eines ſchnellen und wahrhaften 
Fortſchreitens; es iſt eine aufftrebende neue Welt. Cs befinbet 
fih in jenem politifchen Stadium, in welchen bie abfolute Res 
gierung die befte, bie einzig mögliche für diefeg Sand if. Do 
wird die Ration bereinft, vielleicht bald (?), ihre gänzliche Bes 
freiung eben biefee abfoluten Regierung zu verdanken haben; fie 
(bie Ration) wird dann erkennen, daß das Recht, Alles zu 
thun, das Mittel gewelen ift, Gutes zu thun. Nachdruͤcklich 
kaͤmpft der „Fremde“ gegen bie allgemein verbreitete Vorftels 
lung von ber ruſſiſchen Barbareis er geht hierin fo weit, daß 
er das polniſche Voik in jeder Beziehung hinter das suffifche 
zuruͤckſtelt. Die eigenthümtliche Organifation bes Ruffen wird 
in dem vortheilhafteften Lichte gezeigt. Biegſam, firedbar wie 
das Eiſen unter dem Hammer (malleable), zugänglich für ale 
Ideen, nimmt er das Dargebotene an, ohne zu vernünfteln. 
Mit der Geſchwindigkeit des Verſtandes vereinigt der Rufle eine 
bemertenswerthe Geſchicklichkeit der Hand. Beine Leichtigkeit, 
fi; in jedes Klima, in jede Lebensweife zu finden, von einem 
Gewerbe zum andern überzugehen, die verfchiebenften Dinge zu 
verrichten, ein anderer Menſch zu werden, ift wahrhaft erſtau⸗ 
nenewürbig. Aus einem Bauer macht man in kurzer Zeit einen 
eleganten Kammerdiener, ober je nach den Umfanben einen 
Maurer, Zimmermann, Schmied, Kutfcker, Koch, ſelbſt einen 
Maler und Muſiker; der Ruſſe ift gefickt zu Allem; in ihm 
ſteckt gleichermaßen bie Ratur eines Eyklopen und bie eines 
franzoͤſiſchen Haarkraͤuslers. Der Ruffe ift ein trefflicher &ols 
dat; er urtheilt nicht, grübelt nicht, er gehorcht. Anziepenb ift 
im biefem Betracht folgende Paraliete. In bee franpöfifichen 
Armee herrſcht die Liebe zum Ruhm, die innere Erhebung bes 
Einzelnen; in der ruffifchen bie —— der Enthu⸗ 
fiasmus für den Gehorſam. Menſchliche Leiden haften erregen 
bie erſtere, ein Schickſalsſchlus ſcheint bie Iehtere anzutreisen. 
Im Gefecht iſt daher die. frangöfifche Armee drohenb wie ber 
Big, bie ruffifche unerſchuͤtterlich wie ein Geis. Der Franzoſe 
if furchtbar im Angriff, der Ruffe unermüblich im Kampfes 
ber Se ift heftig wie bie Flamme, ber Anbere wiberfleht wie 

6 Gifen. 

Zu Rußlands Politit übergehend, ſieht umfer „Fremder“ in 
beffen Groberungsfucht nur die natürtiche Foige feines Streben⸗ 
nad Civiliſation; er zweifelt nicht, daß bie Entwidelung biefer 
Sivilffation eine Reihe von Schlaͤgen gegen England mit ſich 
bringen wird, während für die übrigen europäifchen Gtaaten 
feine reelle Gefahr dabei ifl. Was den Kaifer Rikolaus betrifft, 
fo erſcheint er ald der Mann ber Rothwendigkeit; er wirb volle 
enden, was Peter ber Große begonnen bat. Rad) eurer Ans 
erfennung ber ausgezeichneten Cigenſchaften des jeht regierenden 
Kaifers, ſtellt der „vorurtheilsfreie Fremde⸗ folgenden Gay auf: 
„Es iſt zwar Riemand gegeben, in ber Zukunft zu leſen; je 
doch wenn es außer Zweifel ift, daß die mit Kanonen bewaff« 


nete und fich auf die Prefie flügende Givitifation *) vor keinem 


Hinderniß zuruͤckweicht, fo ſcheint ſich die Zukunft der ruffifchen 
Civiliſation als eins ber größten Greigniffe, weiche jemals bem 


Menſchengeſchlecht begegnet find, darzuftellen; biefe Zukunft wird 


*) Ref, hat jene merkwärbige Äußerung über bie in Rus 
land auf die Preffe fi ſtuͤgende Giviltſation mit keinem Brages 
zeichen verfehen, obwol er. gefiefen muß, daß ihm der Sinn biefer 
Worte etwas dunkel If. 





438 “ 


eine Wohlthat für bie Wenſchheit fein, ein wahrer Rupm für 
das Bolk, weiches das Werkzeug berfelben geweſen.“ Weislich 
wirb aber hinzugefügt, daß bie Verwirklichung bes eben Ge: 
fagten ein Geheimniß der Zeiten fel. 

Hiernaͤchſt beginnt ber zweite Shell ber Schrift. Gin 

nzofe (der übrigens für Rußland nicht minder gut geflimmt 
ft ais bee vorurtheilsfeeie Fremde) betrachtet Deutfchland, 
Preußen, Öftreih, England, Rußland und Frankreich in ihren 
gegenfeitigen WBeziehungen, wie fie durch die wiener Verträge 
entftanden find. Diefe WBerträge finden natuͤrlich Leinen Lob« 
rebner an dem „Franzoſen““, doch müffen wir einräumen, daß 
ee manches Zriftige über diefelben ausfpridht. Fuͤr Deutſchland 
haben fie, nach des Verf. Anficht, keine Zukunft begründet. 
Die conftitutionnellen Formen, weiche den kleinern Ländern bewils 
gt wurden, find nur vereinzelte Gonceffionen gewefen, eine ben 
Völkern zum Rechnungsabſchluß ein für allemal Fan Zah⸗ 
lung. Dieſe conſtitutionnellen Inſtitutionen, in ſich ſelbſt ohne 
Lebensprincip und unter diplomatiſchem Ginfiuß ſtehend, werben 
Sei ben obwaltenden Umſtaͤnden eine Thatſache ohne weitere 
Kolgen bleiben, ein angefangener Bortfchritt ohne Vervollſtaͤn⸗ 
digung. Bine beffere Zukunft Eönnte nur bann anbrechen, wenn 
bie kieinern Staaten eine eigene, über allen fremden Einfluß 
erhadene Stellung einzunehmen im Stande wären, wenn fie fid 
politiſch zu emancipiren und ſiegreich in ihren Mitteln und in 
ihrem Wollen zu conftituiren vermöchten. Aber felbft mit ber 
fonft allmächtigen Hütfe der Zeit ift dies für Deutfchland, wie 
die gedachten Werträge es geſchaffen haben, nicht zu reatifiren. 
Hſtreich Hat keine Analogie mit den kleinern deutſchen Staaten, 
e6 fteht in entgegengefeäter Richtung zu denfelben und hätt fle 
darnieber. Preußen dagegen ift, mit gewiffen Einſchraͤnkungen, 
Deutfchlande einflußreiher Regulators unter ben Mächten, 
welche auf Deutfchland beftimmend einwirken, ift Preußen bie 
einzige, welche das conflitutionnelle Deutſchland reflectirt, bes 
genift und bereinft nicht fürdgten darf, deſſen Anfprüchen zu 
enügen. 
s Di deutfhe Rationalität ift, wie der Verf. meint, ein 
abſtractes, vages Ding, welches nur durch aͤußere Greigniffe, 
5. 8. durch eine Zerſtuͤckelung Oſtreiche, oder durch das assen- 
timent actif Preußens, ober durch bie „uneigennügige‘' Einwir⸗ 
Kung Frankreichs etwas werben könnte. Die erfle und lebte 
diefer Bebingungen finden wir nicht annehmbar; bie zweite ift 
wot nicht fo übel, wofern unter ben nicht ganz deutlichen Wor⸗ 
ten, „assentiment actif”‘, zu verftehen ift, daß Preußen bem 
conftitutionnellen Deutfchland zu affentiren, d. h. auch ein con» 
flitutionnelles Wefen anzunehmen babe. 

Bem swertg — weil es von einem Pranzofen her: 
rührt — ift des Verf. Urtheil über feine Landsleute. Gr ges 
fteht, daß die Franzoſen Charakterfehler haben, bie nur zu 
fihtbar in ber Gefchichte Hervortreten, als daß man fie weg: 
leugnen koͤnnte; eine natürliche Beweglichkeit, eine angeborene 
Unruhe des Blutes führt fie leicht über das rechte Maß hinaus ; 
fie find auf ber Weltbähne, wie man fie auf dem Theater flieht, 
ploͤtzlichen Bewegungen nachgebend, ſich in Mafle elektrifirend, 
ſtets mehr durch die Leidenſchaft aufgeregt ale durch die Ber: 
nunft zuruͤckgehaiten; daher verliert ihr Patriotismus leicht feis 
nen Stuͤgpunkt auf der Erde, geräth in politiſche Abftractionen 
und ermangelt der Localfärbung, welche man Egoiſmus nennt, 
und weiche hier ein weiſes Rationalintereffe, ein franzöftiches 
SIntereffe fein würde. Sehr bezeichnend für das ganze Buch ift 
folgender gute Rath, welchen der Verf. feinen Landsleuten gibt: 
„Warum wollen bie Franzoſen ihre Grunbfäge, ſelbſt wenn fie 
fie für die beften halten, allgemein verbreiten, warum befchräns 
ten fie ſich nicht darauf, deren Trefflichkeit in ihrem eigenen 
Lande und für ſich allein anzuwenden? Warum wollen fie fie aller 
Welt predigen und aus ihrer Kreiheit eine Offenbarung machen ? 
Laſſet doch diefe Freiheit für fih wirken, fte wirb 
fih ſchon allein ihrRecht in der Welt verſchaffen.“ 

Sind die Franzoſen erſt ſo weit gereift, dieſen guten Rath 


ſen werden wird. 





Literarifhe Notizen aus England. 

Sins ber vorzuͤglichſten neuerdings erfchlenenen Yrobucte 
ber dramatifiden Literatur Englande iſt Henry Taylor’ 
biftorifches Drama „Edwin the Fair”. Gin bramatifches 
Gedicht voll Leben und Schönheit und reich an materifchen 
Sruppen. Die Gharaftere find beftimmt gezeichnet und ges 
nau voneinander unterſchieden, bie Sprache ift im hoͤchſten 
Grabe rein, harmoniſch und kräftig. Zu rechter Zeit wird ber 
Edle, Liebenswärbige und Bute von den Schlägen des Schick⸗ 
fal® zermalmt. Unb doch ift „Edwin the Fair” eine Tra⸗ 
göbie im firengen Sinne des Worte. Denn ber Ausgang bes 
Stuͤcks ift eher ſchrecktich als tragifh. Wir find zwar Zeuge 
von einem Kampf auf Leben und Tod zwifchen ber geifttichen 
und weltlichen Gewalt. Der ®cepter fällt aus Edwin's ſchwa⸗ 
der Hand und ein folper Priefter trägt ben blutigen Sieg da⸗ 
von; aber es ift ein Triumph ber Kraft über die Schwaͤche, 
der Lit über die Einfalt, reifer Weltklugheit über Eindifche Un⸗ 
erfahrenheit. Gewaltiges Truͤbſal befällt Edwin und feine Ge 
mahlin Sigiva, ift aber weber von einer ungeheuern Schulb 
noch von einer großmäthigen Gelbflaufopferung hervorgerufen. 
Sie gehen als Opfer ihrer eigenen Unbefonnenheit und Unklug⸗ 
beit zu Grunde. Darum erregt bas Städ keine kraͤftige Sym⸗ 
patbie und era keine tiefe Ruͤhrung, es mangelt ihm [bie 
poetifche Gerechtigkeit im Fortgang und in ber Kataftrophe defs 
fetben. Diefe Ginwenbung gegen fein Drama hat Taylor offen: 
bar ſelbſt vorhergefehen. Darum bat er andere Mittel zu Huͤlfe 
genommen, um bie feinem Gegenftande anklebenden Fehler zu 
verbeden. Er ergreift jede Gelegenheit, welche derfelbe ihm dar⸗ 
bietet, um neue Charaktere zu zeichnen und in Gontraft gegens 
einander zu ftelen. Überall, wo das Intereffe ber Faber ſinkt, 
läßt er neue Perfonen auf der Bühne auftreten, bie voll Leben 
und Poefie find. So nimmt Taylor, trog der an feinem „Ed- 
win the Fair‘ gerügten Mängel, unter Englands jept lebenden 
bramatifchen Dichtern eine der erſten Stellen ein. 


Ein großes, vielverſprechendes Lliterarifche® Unternehmen 
bat in England feinen Anfang genommen, nämlich bie Dex: 
ausgabe von „The biographical dictionary of the Sodety 
for the diffusion of useful knowledge”. Die Gefellfcheft 
für Berbreitung näglicher Kenntniffe wird dadurch einem im 
der englifhen Literatur lange gefühlten Mangel, dem eis 
ner forgfältig ausgearbeiteten Univerfal: Biographie, 
abhelfen. Die bereits erfchienenen Abtheilungen verfpredien 
bas Belle, und für eine würbige Wollendung bes ganzen 
Werks bürgt die Geſellſchaft, unter beren Auſpicien ed er 
fheint. Die englifche Literatur bat zwar mehre biographi⸗ 
ſche Werke ähnlicher Art aufsumeilen, aber fie umfaflen nur 
einzelne Gegenftände. Das bedeutenbfte darunter ift die „Bäo- 
graphia Britanica”, welche die Lebensbefchreibungen ber beruͤbmn⸗ 
teften Männer enthält, die in England und Irland von ben 
älteften Zeiten bis auf die gelebt haben. Die exfle 
Ausgabe davon wurde im 3. 1766 in fünf Foliobaͤnden voll: 
endet. Später wurbe von mehren ausgezeichneten 
eine neue Ausgabe biefes Werks angefangen, aber nur bis zu 
dem Buchſtaben F gebracht. 16. 


Verantwortlicher Derausgeber: Heinrih Brodhaus. — Drud und Verlag von F. U. Brockhaus in Leipzig. 


. 





Blätter 
für | 


literariſche Unterhaltung. 





Dienſtag, 


18. April 1843. 





Über Gervinus' neuere Literaturgeſchichte 


An W...... 

Sie aͤußern Ihr Erſtaunen, verehrter Freund, daß 
uͤber die beiden letzten Baͤnde der deutſchen Literaturge⸗ 
ſchichte von Gervinus noch immer keine andern Beurthei⸗ 
lungen erſchienen ſeien, als lobpreifende”), und fragen uns 
mutbig: ob ie fih denn entſchließen müßten dies für 
ein Zeichen allgemeiner und entfchiedenee Billigung zu 
halten. Ich begreife die Stimmung, in der Sie dieſe 
Frage thun, volllommen, weil ich fie theile. Auch ich 
fenge mid) ſchon lange, ob ich den Jubelruf, mit bem 
jene Bände empfangen worden, die zahlreichen bis zu en: 
thuſiaſtiſchen Acclamationen gefteigerten Lobſpruͤche, die 
ihnen ertheilt find, für ein allgemeines Einſtimmen in die 
darin ausgeſprochenen Urtheile und Anfichten balten fol? 
ob die Nation denn in der Zhat freudig, ja mit einer 
Art von bilderſtuͤrmeriſchem Geluͤſt, fo Vieles von Dem, 
was fie einft verehrt hat, zertruͤmmern hilfe? Iſt ja doch 
nicht einmal cin Ton des Bedauerns, des Mitgefuͤhls 
faut geworden mit den geflürzten Deroen, über welche ber 
Alles Zermatmmde ſtolz einherfchreitet und ‚aus Schluͤn⸗ 
den der Tiefe den Athen erſtickter Titanen gleich Opfer: 
geruͤchen“ empfängt. 

Dann frage id mi wber auch wieder: Sind es 
wirklich die Urtheilsfaͤhigſten, weiche die, wie die Sage 
geht, in Deutfchland noch nie fo volltönend und fo kraͤf⸗ 
tig aufgetretene Öffentlihe Meinung ausmahen? Repraͤ⸗ 
fentiren die Organe, durch welche fie ſich augfpricht, wirk⸗ 
lich allein und gaͤnzlich den intelligenten Kern ber Marion? 
Dieſe Fragen kann man denn doch mit einem entſchiede⸗ 
nen Ja nicht beantworten, und je weniger man es kann, 
je mehr darf man auch an der Vollſtimmigkeit des Bei⸗ 
falls zweifeln, mit welchem jenem bilderſtuͤrmeriſchen Be: 
ginnen zageſehen wird, Mehme ich dazu, daß Mancher, 
der ein Wert mitzureden hätte, ſchweigt, weil er den Ha⸗ 
der befonder6 mit einer dir Parteien fcheut, welche Ger: 
vinus fid) gemonnen hat, die mit ruͤckſichtsloſer, unermüd> 


») Su unſern Witten If diher Leider durch die Sdumnip 
eines Mitarbelters, der wieberhelte Verſprechungen und Bufliferuns 
gen unerfält laͤßt, über Gervinus’ neuere Werko über die deutſche 
Siteratur gat nichts niitgeiheltt worben. Wir hoffen aber bald einen 
audfuͤhrlichen Artikel barkber ‚geben zu Annen. D Res. 


licher Zank⸗ und Schmaͤhſucht uͤber eben herfälkt, der. «6 
wagt, anderer Meinung zu fein wie fie, und daß die 
wahre Kritik überhaupt einen natuͤrlichen Wiberwillen ent 
pfindet, ſich dem betäubenden Lärm von Leuten gegenüber 
zuſtellen, bie fid) weit mehr um bie Parteiſtellung des 
Autors ats um den Geiſt und den Gehalt feiner Leiftuns 
gen befümmert, fo moͤchten Ihre Fragen ſchon halb ess 
ledigt fein. Auf andere Weile iſt dafuͤr geforgt durch zwei 
Beurtheilungen, weldye, während ich die Beantwortung: 
Ihres Briefes nur allzu lang verfchoben habe, erfchienen find. 
Die «ine in der berliner „Literarifchen Zeitung“ ſtimmt 
ziemlich das Gegentheil von dem Ton an, der Sie fo in, 
Erflaunen feht. Ben der andern, in ber ballifchen „Lie. 
reraturgeitung”, iſt mir zwar erſt die in den Octoberblaͤt⸗ 
teen befindliche erfte Hälfte zu Geſicht gekommen, aus dies: 
fee aber habe ich den Mecenfenten keineswegs als einem 
unbedingten Bewunderer des Werks kennen gelernt. Er 
weiß zwar von dem durchgebildeten Charakter und her 
entichiedenen Gefinnung des Verf. nicht Ruͤhmens genug 
za maden, er meint, daß man feit Leffing und Fichte 
dergleichen nicht gelefen habe, fügt aber hinzu, dag, wie ex 
die Groͤße des Werks freudig, ja begeiftert anerkenne, ex, 
doch dad Ganze feinen wiſſenſchaftlichen Principien nad 
ganz zu verwerfen fich genoͤthigt ſehe. Auf diefe Beur⸗ 
theilungen könnte ih ®ie nun ſchon vermeifen; da Sie 
nun aber einmal meine Meinung zu vwiffen wünfdhen, fo 
wit ich dem Buche und ſeinem Verf. fowie ibrem ers 
häteniffe: zu den herrſchenden Stimmungen und Richtuns 
gen etwas näher tretem. 

Dier muß ich denn gleih von einem Punkte audges 
ben, auf den ich zulegt zuruͤckkommen werde, auf ben Zu⸗ 
fommenhang bes berühmten Werks mit den politiſchen 
Intereſſen. Ich bin weit entfernt, aus Gervinus politi⸗ 
fchem Maͤrtyrerkranze auch nur ein Blaͤttchen zichen zu 
wollen; daß aber dieſes Maͤrtyrerthum des Stantshürgerk 
dem Gchriftikeller ungemein zugute gekommen ift, liege aus 
Tage. Was er feitbem fchreibt, wird fchon mit Dem alles 
günftigften Vorurtheile in die Hand genommen. Er hatte 
in bes Vorrede zum legten Bande wahrlich leicht fagem; 

or überlaffe das Buch ſeinem Schickſale, gleichguͤltig gegen 
—* Erfelge, denn er wußte zu gut, daß dies Sid 
fein ſchlechtre fein wuͤrde. 

Gewiß find Sie daricber mit mir einverſtanden, dal 


8 * 
das Werk Eigenſchaften beſitzt, welche ihm ein nicht nur 
nicht ſchlechtes, ſondern ein glänzendes Schickſal bereiten 
mußten. Die Fülle der feltenen DBelefenheit, bie Gedan⸗ 
Eenblige, die geiftreihen Bemerkungen, die pitanten Pa: 
ralleten, Alles, voorauf der flächtige Leſer zuerſt Mößt und 
merkt, mußten, wie e6 der Italiener fo bezeichnend aus: 
drückt, furore machen. Sie finden, daß die Darſtellungs⸗ 
weife diefem furore großen Abbruch hätte thun müffen, 
eine Darftelung, die man, wie Sie fagen, einem fo ent 
ſchiedenen Verehrer des großen Leſſing am wenigfien zu: 
trauen ſollte. Allerdings ift diefes unaufhoͤrliche Inein⸗ 
anderfehimmern von Gedanken, Worten und Phrafen, 
ganze Reihen von Seiten raſtlos fort, ohne Einſchnitte 
und Ruhepunkte, bis man endlich athemlos und keuchend 
an ein Ziel kommt, zu erſchoͤpft, den zuruͤckgelegten Weg 
mit Klarheit und Ruhe uͤberſehen zu koͤnnen — allerdings 
iſt dieſe geſchmackloſe Manier das vollſte Gegenbild ber 
nie genug zu preiſenden Leſſing'ſchen Form und Darſtel⸗ 
lung. Aber ſagen Sie mir doch, theurer Freund, kennen 
Sie viele Leſer und Beurtheiler unſerer Tage, die ſich um 
Form und Stil kuͤmmern, ja auch nur verrathen, daß ſie 
ſich darauf verſtehen? Die Zeit hat viel zu viel mit wich: 
tigen Dingen zu thum, als daB fie ſich auf ſolche Neben: 
fachen einlaſſen Eönnte. 

Aber laffen Sie und gerecht fein! Jene brillanten und 
pikanten Eigenſchaften find es wahrlich nicht allein, wel 
he dem Werke Werth geben. Wil man fein Verdienſt 
ermeſſen (ich fpeeche immer von den legten Bänden), darf 
man ed nur gegen die ähnlichen von Bouterwek und 
Franz Horn oder gar gegen die dürftige Phrafenftoppelei 
Wachler's mit ihren achtzehnzolligen Wörtern halten. 
Mirgend hatten wir noch die Geſchichte unferer Literatur 
fo zur Gefchichte der gefammten geiftigen Beſtrebungen 
und Zuftände der Nation erhoben; nirgend bie einzelnen 
Leiſtungen fo der Entwidelung ganzer Richtungen unter: 
geordnet; nirgend diefe Richtungen fo mit ben Schidfalen 
des Volks verwebt; nirgend den oft ausgefprechenen Sag, 
daß unfer geiftiges Blut hauptfächlih in den Adern uns 
feree Literatur rollt und in ihren Pulfen ſchlaͤgt, in einer 
fo ins Einzelne gehenden Anſchauung klar gemacht ge: 
fehen.. Warum mußten nun fo viele vorzügliche Eigen; 
fihaften, durch eine fo reiche Zuthat von Sophiſtik, gril⸗ 
lenhafter Willkür und Parteivorurtheil getrübt werden ? 
Wo Gervinus fich dieſer erwehrt, iſt fein Urtheil fcharf, 
treffend und belehrend. Es haben ſich aber leider aus 
zwei Richtungen, der poetiſchen Stimmung und aͤſtheti⸗ 
fhen Begeifterung, die auf biefem Felde auch dem Kritiker 
nicht fehlen dürfen, gleich gefährlih, Beſtandtheile einge: 
mifcht, aus dem dürten, nüchternen Ratlonalismus bes 
vorigen Jahrhunderts und aus der begrifflihen Abſtrac⸗ 
tionstenden; bed gegenwärtigen. Was die richtige Eins 
ſicht und der gefunde Sinn bes Verf. der letztern abge: 
winnen, geht leider nur zu oft wieder durch bie Einwir- 
kung des erſtern verlosen. Eine Hinneigung zu biefem 
Nationalisnus fcheint urſpruͤnglich in Gervinus 
empfaͤnglicher, ſuͤddeutſcher Natur nicht gelegen zu haben, 
Be ſcheint vielmehr erſt auf ihn übergegangen aus ber 


den Titel führt „„Berätteifer ur Svenska 


feifher, | 


0  , 


Säule, In die er zu früh und unbewachten Geiftes ge: 
kommen, von beten tüchtiger, aber trodener, herber, be: 
fhrankter und für wahre Poeſie ˖ verfchloffenee Natur er 
Manches angenommen bat, was mit ben originellen Kreuz: 
und Queufprüugen, zu weichen ihn die angeborene, ſpru⸗ 
deinde Natur verführt, oft feltfam genug confraftict. 
Ohne diefe ftarke rationaliftifche Ader hätte Gervinus 
fi wol je entfchließen fönnen von Hamann zu fprechen, 
wie von einem faft biödfinnigen Schwachlopf, von Frie⸗ 
dri Heinrich Jacobi, wie von einem anmaßenden Stuͤm⸗ 
per? Waren fie aber das, fo hatte freilich die Aufklärerei 
gegen diefe ihre Bekaͤmpfer ein ganz anderes Recht, als 
man ihr von bem geoßen Umſchwung der Dinge am Ende 
des vorigen Jahrhunderts bie zu diefem neueften, der Sie, 
mein Freund, in ein ſolches Staunen verfegt, einräumen 
wollte. Gervinus hat durch die ſtarken Schatten, welche 
er auf Jene wirft, ſchon allein die Aufklärerei und ihre 
Tendenzen in ein ganz anderes Picht gerüdt. Und ſehen 
Sie nur, wie er mit ihrem Haupte und Fahnenträger, 
dem ebrfamen Hrn. Friedrich Nicolat, fo fänberlich fährt! 
Mit demfelben feinen Geſchick, derfelben Abfichtlichkeit, mit 
welcher er dort die Schwächen hervorhebt und ausmalt 
und das Treffliche unberührt laͤht, gleitet er hier über die 
ganze Maſſe der bornicten Anmaßung leicht hin, um hei 
allem nur irgend Löblihen mit Liebe zu verweilen. Dies 
ſes Geſchick ift wahrlich der Anerfennung werth, nur 
iſt es die Eigenſchaft eines Advocaten, nicht eines Ge: 


ſchichtſchreibers. 
(Der Beſchlus folgt.) 


Leben Guſtav 11. Adolf's, Könige von Schweden. Aus 
dem Schwedifchen des And. Fryxell, überfegt von 
Tinette Homberg. Zwei Theile. Leipzig, Hin⸗ 
viche. 1842. Gr. 8. 1 Thlr. 


Das neuerdings in Deutfchland erwachte JIntereſſe für die 
ſchwediſche Literatur bat Xinette Homberg bewogen, vorlie: 
gendes Bud, zu überfegen, unb es verdiente ins Deutfche über: 
tragen zu werben. Denn der in bemfelben behandelte Zeit⸗ 
raum der ſchwediſchen Geſchichte iſt einer der intereflanteften 
berfelben ; theils im Allgemeinen durch die große Perfoͤnlich⸗ 
keit bes Mannes, theild für die Deutichen durch die Theü⸗ 
nahme Schwedens an bem Dreißigjährigen Kriege. Die bier 
angezeigte Überfegung iſt zwar eine moͤglichſt treue; doch 
find verfelben, zum beſſern Verſtaͤndniß, viete Anmerkungen 
und eine gefchichtliche Ginleitung Hinzugefügt. Iryrell's „Bu: 
ſtav Adolf iſt Leine für fich beftehende Schrift, fonbern ber 
fechste Theil eines gefchichtlichen Werkes biefes Berf., welchet 
iſtorien“ ( Erzaͤh⸗ 
lungen aus ber ſchwediſchen Geſchichte, 10 Bde.) und in 
Schweden fon mehre Auflagen erlebt hat. Zu ben Noten 
und der Ginleitung hat bie liberfegerin nicht nur das Fryxell ſche 
Wert, fondern au Geijer's „Geſchichte Schwedens‘ ber 
nust. Die ſchwediſchen Familien « und Gigennamen find uns 
verändert gelaffen, was fehr zu billigen ifl, da man ja and 
in Überfegungen franzoͤſiſche, engliſche u. a. Namen nicht ver 
ändert. Die Namen der Doc ingen bingegen finb fo mwiebers 
gegeben, wie man fie gewoͤhnlich in ben deutſchen geographifcen 
Lehrbä bezeichnet findet, und bie& um das Aufſuchen für 
die Leſer zu erleichtern. 

Die Ginleitung gibt einen Üüberblick der ſchwediſchen Ge: 
ſchichte von Guſtav IL. Wale bis auf Guſtav Il. Aroif. Cs 


wird bazfıı mbglichit Eur: die Stgiseuhgsgefchichte Guflan's I. 
und feiner Böhne Erit’s XIV., Johann's HI. und Karl's IK. 
erzählt. Die Zeit von Guſtav's I. Tode 1560 bis zur Re 
sierung feines Enkels, Guſtav U., war eine Zeit der Unruhe 
und Verwirrung, eine Seit gewaltigen Kampfes ber neuen Dy⸗ 
zuftie mit dem ſtolzen hohen fchwebifchen Adel um ihre Be⸗ 
hauptung auf bem Thron. 
Guſtav II. Adoif, Sohn Karl's IX. und feiner zweiten Ges 
mahlin, Ghriftina von Holftein, wurde am 9. Dec. 1574 ges 
boren.. Aus ber Stellung —F — peophegeiten bie 
damaligen Hofſterndeuter dem Prinzen ein glänzendes und g 
liches Geben. Als Erbtheil feiner Altern hatte Guſtav Adolf 
einen gefunden kraͤftigen Körper erhalten, welcher durch eine 
ſehr einfache und mäßige Lebensweife während feiner Erziehung 
noch mehr abgehärtet wurde. Schon als Kind zeigte er Uner⸗ 
ſchrockenheit. Mit dem größten Muthe verband er bie größte 
Milde des Charakter. Guſtav Adolf bewies in feiten Stu⸗ 
dien ſowol ein ausgezeichnetes Bafjungsvermögen als Ordnung 
und Fleiß. Jagd und Priegerifhe Spiele waren feine einzige 
Zerftreuung ; außerdem war er eifrig befchäftigt, ficy zu unters 
richten , oder Laufchte aufmerkfan dem Geſpraͤche äiterer Perſo⸗ 
nen * A Angelegenheiten * rer De Bein. Date 
i e und unterrichtete Le und er war ein wißbeg 
— uͤter. Er lernte unter Anderm Latein, Deutſch, Rie⸗ 


—ã— Franzoͤſiſch und Italieniſch mit ziemlicher Fert 


ige 
keit ſprechen, und verſtand dabei noch Spaniſch, Engtifc, 
Schottiſch und etwas Polniſch und Ruſſiſch. In der Geſchichte 
hatte er tiefe, in der Philofophie nicht unbebeutende Kinfichten. 
Den Seneca wußte er beinahe auswendig; in feinen männlichen 
Sahren ward Hugo Grotius fein Liebfler Schriftſteller, deſſen 
Wert „De jure belli ae pacis“ er immer bei ſich führte, 
wie weiland Kalfer Karl V. Macchiavelli's Buch vom Zürften. 
Befonders flubirte Guſtad Adolf in feiner Jugend bas Leben 
oßer Kelbherren. Gchon vom neunten Jahre an wohnte er ben 
Berfammlungen des Reichsſsrathes beis im zwölften fing er an, 
kleinere Geſchaͤfte zu erledigen; mit 16 Jahren war er dem Bas 
ter ſchon ein unentbehrlicher Gehuͤlfe. 

As Karl IX. ftarb, hatte fein Sohn noch nicht das fiebzehnte 
Jahr erreicht, wurbe aber doch, wegen feiner außerorbenttichen 
Geiſtesfaͤhigkeiten, bald durauf von den verfammelten Retichöftäns 
ven 1611 für mündig erklärt. Das Reich befand fich in einer 
traurigen Lage. Der Adel veriäaffte fih bei Guſtad Aboıf's 
Huldigung mehre bedenkliche Vortheile. Die Geiftlichleit war 
unzufrieden über bie Slaubensveränderungen, wodurch Johann 
und Karl fie beunruhigt hatten, und der Bauern: und Bürgers 
fland war durch die ewigen Kriegeſtenern und Truppenlieferun⸗ 
gen beinahe zu Grunde gerichtet. Das Reid bedurfte Ruhe; 
aber ſtatt deifen erfoderten bie Außen Nerhältniffe neue Ans 
ſtrengungen: Guftav Adolf hatte drei Kriege geerbt, naͤmlich 

en Rußland, Polen und Dänemark, bie er glorreich zu Enbe 
rte, ehe er, 1630, nad Deutfchland ging, um für deu 
Proteflantismus zu kämpfen und zu flexben. 

„König Guſtav Adolf”, fagt Fryxell, „war ein anfehnlis 

dere, etwas über drei Ellen (ſechs Zuß) lang, gut ger 
wachſen, body in den letten Jahren ſehr dick werdend, ja fo 
fehr, daß nur ungemöhntich ſtarke Pferde ihn auf einem lang 
bawernderz Sitte zu tragen vermochten. Er war beffenungeachtet 
geiund und ſtark, ja felbft abgehärtet und ruͤhrig. Kurzſichtig⸗ 
feit war das einzige koͤrperliche Gebrechen, worüber er fich bes 
Hagen konnte. in Daltung war edel und voll Anmuth; ben 
Körper trug er gerade, das Kinn ein wenig voraus; das Haar 
Sur, und Aber der Stirn hinaufgeflrichen; es war, gleich dem 
Knebel⸗ und kurzen, fpisen Kinnbarte golbged. Stirn und 
Raſe waren erhaben gewolbt, die Augen offen und lichtblau, fein 
Antlig behielt ſtets die Farben wie bie Wülle ber Jugend bei. 
In feinem Wi, feinen Geſichtszuͤgen und feinem ganzen We⸗ 
fen war auf eine feltene Weife die herablaffendfte Milde mit bem 
Ernft und ber Majeflät bes Könige vereinigt. — „Nur wer 
nige Menſchen find mit fo autgezeichmeten Seelenkraͤften begabt 


geweien wie Guſtav Asif. Mit cbenfo ſchaellem als tiefem 
Btide durchſchaute er alle perfönliche wie allgemeine Werhätt: 
niffe, und das ſchon als gling oft beffer als bie unter Ar⸗ 
beit und Grfahrung ergrauten Staatsmänner. Ebenſo befoß er 
bad Zalent, ohne Weorbereitung und gleichwol mit befonderer 
Klarheit und Aumuth feine Gedanken zu entwideln, buch Sanfts 
beit ber Stimme und Geberden beinahe noch größer ale Rebner 
erſcheinend denn fein Großvater. ein Gedaͤchtniß war fehr 
ſtark und umfaßte in feinen männtidhen Jahren bie Geſetze und 
bie Ginwohner des Reichs mit berieben Leichtigkeit, wie in 
feinen Juͤnglingtjahren die verfchiedenften Wiffenfchaften unt 
Sprachen. Als Feldherr kannte er nicht num bie oben Bes 
fehlshaber, fondern auch die geringern Offiziere, ja fogar manche 
der ausgezeichnetern Golbaten. In feinem Herzen wohnte eine 
wahre und lebendige Gottesfurcht, bie fidy in Wort und That 
ausſprach. Das Morgen»: und Abendgebet verfäumte er ſelten; 
den Gottesdienſt nie." — „Er liebte das Glänzende und Aus: 
gezeichnete, aber nur in perfönlichen Eigenſchaften und Thaten, 
nicht in Pracht und dußerlichem Schmud. Geine Lebensweife 
war ſehr mäßig und einfach, ebenfo feine Kleidung. Bei alls 
gemeinen Feierlichkeiten zeigte er aber doch jene Pracht, weldye 
der Majeftär zukommt. Gr haßte Nichtsthun und Bergnuͤ⸗ 
gungsfucht. Er felbft war unermuͤdlich in ber Arbeit.“ 

Diefer König hatte bas feltene Gluͤck, in dem fo berühmt 
gewordenen Kanzler rel Orenflieerna einen treuen Rathgeber 
und Freund zu finden, deſſen edein Charakter und feltene Ta⸗ 
lente und Cigenfchaften Fryrell ebenfalls nach Verdienſt ſchil⸗ 
dert, fowie er überhaupt den Lefer mit ben ausgegeichnetften 
Zeitgenoſſen bes großen Schwebentönigs bekannt macht. 

Beim Antritt feiner Regierung erbielt Guſtav II. Adolf 
von feinem gewefenen Lehrer Johann Skytte ben Rath, den 
mächtigen Adel zu vernichten, um nachher ganz nad feinem 
Wohlgefallen regieren zu koͤnnen. Diefen Rath theilte ber Koͤ⸗ 
nig Axel DOrenftjerna mit, welcher benfelben natürlich durchaus 
verwarf. Dies flimmte mit des Königs eigener Denkungsart 
in mancher Binficht überein, welcher jede Grauſamkeit und Uns 
gerechtigkeit verabfcheute. Der Abel war auch zu jener Zeit 
wirklich beinah allein im Beſitz der Kenntniffe und der Gr: 
ziehung, welche gefchidt zum höhern Gtaatsbienfte machten. 
Außerdem von Natur Allem gewogen, was groß und glänzend 
war, liebte Guſtav Adolf den Adel mit feiner feinern Bilbung, 
feinen ebrenvollen Erinnerungen, und fühlte mehr Beruf, an 
der Spige biefes Standes Lorbern und Länder zu erobern, als 
im Kampf mit bemfelben Strafen und Einſchraͤnkungen nebft 
ben bamit verbundenen unangenehmen Auftritten zu veranlaffen. 
Diefe Gründe bewogen den König, Orenſtjerna's Rath zu 
folgen. Gine Menge von feinem Kater bes kandes verwies 
fene Edelleute erhielten die Erlaubniß, ins Vaterland zuruͤck⸗ 
zukehren, und einige fogar bie durch ihre Vaͤter verwirkten 
Büter zurüd. Der Abel hielt mit Wacht auf feine Privilegien, 
verfäumte aber gar oft bie mit denfelben verbunderien Verpflich⸗ 
tungen zu erfüllen. Guſtav Adolf ſchien bie Ungerechtigkeiten, 
denen fi der Adel zu jener Zelt nicht felten (dig machte, 
anfangs nicht zu bemerken. Bald aber gab ihm bes Volkes 

nehmende Liebe größere Zuverficht und bem Adel eine heilfame 
ucht. Bon Jahr zu Jahr zeigte fidy im Benehmen des Koͤ⸗ 
nige eine Immermehr zunehmende Kraft und Sicherheit und 
bie Klagen über des Adels Übermuth wurden immer feltener. 
Diefe Beränderung wurbe befonders burch den Beift, weldyen 
Guſtav Adolf diefem Stand einzuflößen wußte, bewirkt. Gr 
umgab ſich mit ben ausgezeichnetften Mitgliedern bes Adels und 
beiedte feine Umgebung mit feinem eigenen Geifte. Selbſtauf⸗ 
opferung,, Tapferkeit, Liebe für Vaterland und Geſetzlichkeit, 
Gottesfurdgt und Gittlichleit ſprachen aus jedem Worte, jeder 
Pandiung bes Könige. Der Eigennutz fing an ſich zu ſchaͤ⸗ 
men und zu verbergen: ber uth gegen bie unabligen 
Staͤnde und bas gewaltfame Werauben ber wehrlofen Bauern 
rn 2“ einem verädgtiichen Blicke Buftav Aboif's und feis 
ner Freunde. 


Der Koͤnig beforderte auf jede Meile die Wäiffenfchaften 
und den Unterricht in allem Glaffen bes Wollt. Der Univerſi⸗ 
tät zu upſala ſchenkte er bie Gußavianiſchen Erbgäter, bie fein 
Privateigenthum waren. Das Belipiel wirkte. Mehre unter 
den Großen des Reichs machten Verfügungen zum Beten des 
Unterrichtöweiens. Klarheit und Anmush ber Darftellung, nebfl 
Reinheit und Schabenheit bed Inhalts waren bie Anfoderun⸗ 
gen, weiche ein König an die Wiſſenſchaften machte, ber fie 
nicht nur an und für fich liebte, fondern auch bie wohlthaͤtigen 
Wirkungen ihres Lichts fo weit möglich zu verbreiten fuchte. 

Die inne Wermaltung des Reichs wurbe durchgreiſend 
verbeffert und eine neue Reichitagsorbnung nom. König feflges 
fteitt, weiche allen nachfolgenden zus Grundiage biente. 
Berwaltung ber Provinzen erhielt einen geordnetern Gang unb 
das Steuerweſen wurbe nach billigern Grundfägen geregelt. An 
der VBerbefferung der gerichtlichen Werfaffung warb mit Gifer 
gearbeitet, Das Staategeſet warb gedrudt herausgegeben unb 
verboten nad) handſchriftlichen Gefegbücern zu richten. Die 
Preceßorbnung warb verbeflert; Hofgerichte wurden eingefekt. 
Der Gewerbfleiß wurde auf jebe Weife aufgemuntert und ber 
Handels verkehr belebt. In ber Kriegskunſt war Guſtav Adolf 
Grfinder und Schoͤpfſer. Selbſt von wahrer unb inniger Got⸗ 
tesfuccht durchbrungen, ließ er es fi) auch angelegen fein, feis 
nem Volke biejelben Gefühle cinzuprägen. Ordnung und Kit: 
chenzucht wurben ernftlich befördert. Doch war der König über 
beſchraͤnkte Unduldſamkeit weit erhaben. Er liebte zwar den 
lutberifchen Glauben mit warmem Gifer und bie Katholiken 
waren feine Feinde im Felde und img Kathe; aber befiegt hatten 
fie fih feiner Nahfiht und Mübe zu erfreuen. Die Iefuiten 
waren die Einzigen, mit denen er fich nie. verföhnen Eonnte. 

Sein Krieg mit Dänemark endete mit dem Fricden zu 
Knaͤrod, unter harten Bedingungen für Schweden. Gluͤcklichern 
Erfolg hatte der Krieg mit Rußland, Durch den Zrieden zu 
Stolbaowa 1617 trat Rußland an Schweden ab: Kexholm mit 
feinem Gebiete, Nöteborg mit bemjenigen Theile feines Gebiets, 
weicher zwifchen dem Labogafee und dem finnifchen Meerbufen 
lag., Ingermannlant mit den Feſtungen Imanogorod, Jama 
und Koporie, entfagte allen Anſpruͤchen auf Liefland und zahlte 
außerdem noch 2U Rubel. Nicht weniger ruhmboll wurde 
dee Krieg mit Polen geführt, der 1628 durch einen auf ſechs 
Jahre geichloffenen Waffenſtillſtand unterbrochen wurde. Der 
poinifhe König Sigismund, Sohn des Königs Johann III., 
behielt zwar den Zitel eine Erbkoͤnigs von Schweden, mußts 
aber Guſtav Adolf als wirklichen König anertennen und ihm 
alle dazu gehörigen Titel geben. Won feinen Eroberungen be> 
hielt Schweden ganz Liefland mit Riga, nebit den durch ihre Zölle 
fo einträgiichen Haͤfen Memel, Pillau, Braunsberg unb Eibing- 

Ende Mai 1630 berief Guſtav Adolf die Reichsſtaͤnde nach 
Stockholm und eröffnete ihnen feinen Entſchluß, nach Deutfchs 
land zu geben, um für die Glaubens⸗ und Gewiſſensfreiheit zu 
kämpfen. Der Krieg warb genehmigt und bie nöthigen Steuern 
bewilligt. Ruͤhrend ift feine Abſchiedsrede an die Stände. Gr 
fagt in derfelben unter Anderm: 

‚Was mich betrifft, fo weiß ich recht gut, was mis bes 
vorfteben kann. Ich habe ſchon bei manchen Glelegenteiten für 
Schweden mein Blut vergoffen unb werde wol auch einmal 
für daſſelbe mein Leben laflen. Darum will ich, bevor ich dies: 
mal vom Waterlande fcheibe, im innigen Gebet euch Ale, 
Ne Fa Bewohner, nahe und ferne! in Gottes, bes Aller⸗ 

ften Schus mit Leib und Seele empfehlen, wuͤnſchend, daß 
wir, wenn einft bie Stunde kommt, im Reich der undergängs 
lichen Freuden uns begegnen mögen! . . - . Euch, ihr Herren 
des Reichsnathes, wünfde ih Verſtand und Kraft, um euerm 
Amte zur Ehre Gottes, zur Srhaltuag feines zeinen Wortes 
und des Vaterlandes Trieben, Einigkeit und Wohlſtand vorfte 
ben zu können... . . Der Ritterihaft und. dem Abel wuͤnſche 
ich Gluͤck und Kraft, um. durch Tapferkeit und Heldenthaten 
unſerer Vorfahren, der alten Gothen, Namen wiederaufleben 


. Auf dieſelbe Meiſe ſout ihe dieſetbe Etzee er⸗ 
werben, eures Könige Gabe und den einzigen echten Rules 
bes vom geiſttichen Stande ermahne ich 
zur Ginigkeit und wahren Gottesfurdt. Leuchtet euern Buhbe 
vern nicht nur mit ber Lehre, fonbern auch mit euerm Leben 
vor, fo werdet ihr Gewalt über ihre Herzen haben.... Eu 
von der Sargerſchat und dem Bauernflande, wuͤnſche ich alles 
mögliche Gluͤck und Wohlergehen. Moͤchten eure niebrigen 
Hütten ih in ftarke Häufer aus Stein verwandeln, eure Beinen 
Boote in geräumige Schiffes eure Üder ımb Wieſen mit taus 
fenbfältigen Gaaten eure Gcheuuen und Borvathhaͤuſer filllen, 
zur Bermehrung eures unb des Baterianbes Reikktbum! — Sa, 
euch Alle, Gchwebens geliebte Wewohner! empfehle ich in Got⸗ 
tes milde Obhut und fage euch mein herzliches Esbewohl; vie 
leicht zum legtenmate ! " 

Den 24. Juni 1630 landete Guſtav H. Abolf mit feinem 
Heer auf ber Imfel Uſedom. Beine. Theilnahme an 
Dreißigjährigen Krisge und feine Helbenthaten in 
erzähle Iryxrell im zweiten Theile feines Merle, 
wir ihm bier, aus Wange an Raum, nicht folgen ködanen. 
Der Verf. wollte, role er in der Morrebe u ſelbſt fagt, 


großen Maͤnnern ihres Borzeit nahe 
treten follten, um durch bie Erkenntniß ihres Weſens unb ibues 
Thaten auch zu einem eblern Leben fich begeiſtern zu laſſen; en 
bat feine Aufgabe auf eine lobenswerthe Weiſe geloͤſt. 16. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich, 

Belletriftifhe Reuigkeiten der franzd n : 
„La nouvelle paroisse, poöme herei- I Ks: 
et sans notes”; „O’etait Ecrit, ou le lion batave”, von J. 
van Gaver (2 Bde)3 „Une cowurenne en songe, par le fils 
d’un Girondin’; „Estreila”, Roman von Rey: Duffeuil; „‚Pe- 
laio‘', ein Seeroman von E. Corbiere; „Souvenirs d’ua voyage 
en Suisse‘, von Mad. Aragon; „Le monde de Chaalis’’, von 
Mme. SH. Reybaud (2 Bde.); „La marqube invisible”, von 
3. Lecomte; „Dies heures de paresse à Naples”, vom Grafen 
Maricourt, Rovellen in Vers und Profa; „La journte auz 
Heurs et la nuit aux lions’‘, von Arthur Ponrop, zu deffen 
„Legendes orienzales” gehörig; „Tumulus”, von X. Gosnarh. 


2. Gatibert gab heraus: „Algerie ancienne et moderne 
depuis les premiers dtablissemenis des Oarthaginois, jasgues 
et compris les derniöres campagnes du gen6rel Bugeaud, 
avec une introdsction sur les divers systömes de oolonisatiom 
qui ont precdde ia conqudee francais.‘ Das Werk erfdeint 
in 24 Lieferungen, mit 25. ſchoͤnen Aupferftichen und zahlreichen 
Bignetten in Oolzſchnitt von Raffet und den Brüdern Rouargue. 
Auch erwähnen wir hier noch des Werkes „Colonisation d’Al-. 
gerie par Enfantin, membre de la commission scientifique 
d’Algerie‘’, mit einer Karte und emem Golonifetionsplane, 
Bon P. 9. Hamont erfihien in zwei Bänden „L’Egypte sons 
Mehtmed - Ali“. 


Die Sammlung der Kupferftiche ber koͤniglichen Biblische 
zu Paris enthielt bei der legten Zaͤblung 900,516 ĩ 
darunter 1805 von Rembrandt und 2498 von Gallot; die S 
lung von: Portraits beſtand aus 90,563 Stacken, biruater ZOG 
von Heinrich IV., movon nur zehn einander, alfo wol mu Dem 
Dargeſtellten, ähnlich find; 433 von Nepsleon, HIl von Labs 
wig XIV. Die Abtheilung, weiche für die Goftgmbilder bes 
ſtimmt ift, enthielt deren 36,973, pouon 11,901 allsin frangde 
ſiſche Goftumes betzeffen. Unter den 24,118 geſchichtüchen Kupfene 
en besieben ir Areal auf bir Gef its ** Sa⸗ 
ricatuxen gab eb in dieſter Samm ſrchitettvchiv 
36,859, naturgeſchichtuiche 39,901 * m. — 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Brud und Verlag von F. A. Brochaus in Leipzig. 


me. u. m — 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Rittwog, 


"19. April 1843. 





Über Gervinus’ neuere Literatucgeſchichte. 
¶( Beſchiu aus Wir. 18. 

Doch in ihrer vollen Kraft dieſe Kunſt, Licht⸗ 
und Schattenmaſſen auf dem Gemaͤlde nach Willkür, und 
obne daß der unbefangene Leſer die Abſicht jedes Pinſet⸗ 
firihe merkt, zu vertheilen, erſt bei ber tomantifchen 
Schule, deren Schilderung aus einem objectiv und natur⸗ 
getreu aufgefaßten Bilde zu einem wahren Zerrbilde ges 
worden ift, fo dhnlich, wie alle Saricaturen es find. Der 
Kenner fiebt die polemiſche Abfihe in jedem Zuge, das 
wubefangene treuherzige Gemuͤth wird durch die Kunſt, 
weiche in den Umriffen einige Xhnlichkeit bewahrt, indem 
fe ſchoͤn in haͤßlich verwandelt, verwirrt, befonders wenn 
w das Driginal nur von Hoͤrenſagen kennt. Wie muß 
en fo beichaffener Leſer erſchrecken, wenn er vor biefer 
eiuft fo hochgepriefenen Romantik, bie fo viele Köpfe und 
Herzen erfüllte, ſteht wie vor einen mephitifchen Pfuhle 
poetiſcher und meraliicher Sünden, in weichem alle böfen 
Dimfte. md Miasmen unferer Literatur ſich abgelagert 
haben. Dier meinen Sie, daß es doch felbit dem res 
ſpectvollſten Glauben an bie Einfiht und die Aufrichtigs 
beit des Berf. etwas zu viel zugemmthet fei, wenn ex fich 
einzeben laſſen fol, bag die Romantik, „is hätte fie an 
Diefer eigenen entſetzlichen Laſt noch nicht ſchwer genug zu 
tragen, auch Das mit verfchuldet habe, was im entgegen: 
gefesten Sinn verwirkt ift, was fie felbft mit beißendem 
Spott und Hohn verfolgt hat? Freilich müßte Der doch 
gar zu unbefangen fein, der nicht etwas merkte, wenn er 
gustichen die beiden Schlegel und Tieck — Kofegarten, Tiedge 
und Matthiffon eingereiht findet, als wäre das ein und 
derſelbe Zuſammenhang und Fluß der Literatur und der 
portiihen Dauptideen; oder der nicht anfliehe bei der Fi 
verfichtlichen Behauptung, daß im gegenmärtigen M 
ſchenalter es Wenigen mehr bekannt fei, 0b ein ovalis 
exiſtirt habe oder nicht, da es doch nicht fo gar viele deut: 
ſche Dichter gibt, deren Werke im J. 1802 zuerſt ges 
denckt, 1837 die Fünfte Auflage eriebt haben. 

Sie meinen, es gehöre Bein kleiner Grad von Selbſt⸗ 
Merwindung dazu, wenn Jemand ſich, wie Gervinus, das 
wahrlich nicht beneidenswerthe testimonium paupertatis 
ausſtellt, daß es ihm an allem Sinn fuͤr den Humor 
und Scherz ber Tieck ſchen Poeſie gebreche. Aber das iſt 
os ja eben, fo weit gebt man, wenn man uͤber die Mittel, 


buch welche man feine Abfichten erreicht, gleichgültig iſt; 
man bringt Alles, au den Ruhm eines feinen Ges 
ſchmacks, den ein Literarhiſtoriker fonft freilich nicht gut 
entbehren kann, zum Opfet. Man iſt dann gerecht gegen 
Drollinger und Liscov, ja man flicht ihnen Kraͤnze, wäh: 
vend man fuͤr Tieck auch nicht das kleinſte Woͤrtchen der 
Anerkennung bat, vielmehr über Alles, was er hervorge⸗ 
bracht, mit einem aus affectieter Gleichguͤltigkeit und ſchnei⸗ 
dender Geringfchägung zuſammengewebten Tone fi fpriat ie 
ihen gefliſſentlich eine Stelung gibt, in welcher ihm 
treibungen und Verzerrungen zur Laſt fallen, die Niemand 
eindringlicher zuruͤckgewieſen und verfpottet bat wie Tieck 
ſelbſt. Wäre dies nice die hartnaͤckigſte Werbienbung, 
wenn es nicht die ſtudirteſte Abficht des Parteigeiſtes 
wäre? Goethe brachte eben auch nicht gem das Lob 
Te’6 über die Rippen, doch nannte er ihn ein Talent 
von hoher Bedeutung und fchrirb ihm außerordentliche 
Verdienſte zu. Warum fich nun in einer Literasurges 
ſchichte von fünf diden Bänden auch nicht der kleinſte 
Raum für die Erwähnung dieſer Verdienſte bat finden 
mwellen ; oder wenn es ſolche Verdienſte gar nicht gibt, 
wodurch Goethe und fo viele Andere in einen fo ſtatken 
JIetthum verfallen — das mögen die Leler, bie aus dem 
berühmten und vielgepriefenen Buche ein untruͤgliches Ur⸗ 
theil als einen dauernden Beſitz ſchoͤpfen zu können ver 
trauen, ſich ſelbſt erfiären, fo gut fie können. Und wenn 
fie es nicht können, was kuͤmmert das einen Autor, ber 
in der Vorrede erflärt bat, daß er gegen die Schickſale 
ſeines Buche gleichguͤltig ſei? Aber wenn er über etwas 
fiyer fein konnte, fo war es darüber, daß dad Bud an 
dieſer Klippe am wenigſten fcheitern würde. Konnte er 
ſich denn bei dem ganzen Schwarm kleiner Ritter, die 
ſchon feit geraumer Zeit an Niemand lieber als an Tieck 
ihre Sporen verdienen wollen, beliebter machen, als wenn 
er fie mit feinen yersichtigen Waffen unterftügte? Iſt «6 
denn etwa nur eine der herrſchenden Parteien, bie er das 
durch gewann? Scheint denn nicht vielmehr die Sympa⸗ 
thie fire die Romantik überhaupt fo verfhellen und abge⸗ 
than, dag Niemand in Gefahr geräch, feine Popularität 
durch Abneigung gegen fie zu verfcherzen? 

Vielleicht wagt jemand, ber keine gu verlieren bat, 
und die Beurtheilung, in dere Sinne, wie &s fie wis 
fehen, unternimmt, die Idee und bie Tendenzen ber echten 


. > 
m 


Romantik zu retten gegen die Anklage entnervender Ders 


weichlihung, welche Gervinus gegen fie erhebt, im Ge⸗ 


ſichtspunkt, wo man dann ſtark zurüdgehen und den „Wer: 
ther”” hineinziehen muß, welcher der Verdammniß dann 
gleichfalls nicht enfgehen kann und auch wirdfich "wicht 
entgeht. Sogar. die bekannten in einem Briefe hingewor⸗ 
fenen Worte Leffing’6 gegen ihn werden gebraucht, aus 
weichen man doch wahrlich feine vollgültige Kritik des 
„Werther“ ableiten kann, da Leffing fich hier ganz auf den 
antiten Standpunkt geftellt und den modernen ignorirt 
bat, den er bei „Romeo und Julia” fo wohl anzuerken⸗ 
nen wußte. Gervinus war bei biefer ganzen Polemik um 
die Schickſale feines Buchs ebenfo wenig undekuͤmmert, 
al® bei den einzelnen Urtheilen über die Heroen der Ro: 
mantit. Indem man fi) naͤmlich jegt in Deutfchland ber 
fruͤhern politifchen Gteichgüftigkeit und Indolenz ſchaͤmt, 
fucht man nach einem tuͤchtigen Suͤndendock dafür, und 
dazu gefällt Peiner beſſer als die vomantifche Poeſie. 
Durch eine als Gegenſatz zu dieſer aufgefaßte Tendenz 
nach That und Kraft tritt Gervinus der neueſten Litera⸗ 
turrichtung der Zeit noch weit naͤher als durch den Ra⸗ 
tionalismus , der doch, wenn er auch noch fo ſehr 
gehaͤtſchelt wird, in ſeiner alten Form nicht wieder zu 
Einfluß und Wirkſamkeit gelangen kann. Dieſe Literatur⸗ 
richtung iſt die politiſche, nicht blos an und fuͤr ſich und 
auf ihrem eigenen Gebiete, ſondern auf dem der Poeſie, 
die — fo lautet die Foderung — aus dem Bereiche des 
Staatslebens ihren Stoff und Inhalt nehmen fol. Da: 
ber dichtet man politiſch, fammelt politifche Lieder und 
gibt Erörterungen über die Gattung der politifhen Poeſie. 
Gervinus folgt dieſer Richtung und bat nicht wenig dazu 
beigetragen, fie zu verftärken. Am Schluffe des Ganzen 
empfiehlt er die Bearbeitung der politifhen Satire als 
das befte Mittel, unferer fintenden Dichtkunſt wieder auf: 
zubelfen ; Verſtorbene müffen ſich gefallen laſſen, den 
Rathſchlag zu unterſtuͤtzen; Schiller, der befanntli ganz 
in Idealen lebte, fol in feinen Xrauerfpielen von politi- 
ſchen Beziehungen feiner Zeit durchdrungen geweſen fein. 
Aber hat denn Schilter, hat überhaupt je ein großer Dich⸗ 
tee in diefem Sinne politifc gedichte? Ich beruͤhre bier 
ein Gebiet, welches eine Iangathmige Mede erfodern würde, 
wenn ich nicht vorausfegen dürfte, daß wir über ben 
Hauptpunkt einig find. Ich zweifle nämlich nicht, wenn 
ih mich alter Gefpräche recht erinnere, daß Sie mit mir 
tber Folgendes einftimmig fein merden. Freilich iſt der 
Poeſie, um das Höcfte zu erreichen, nöthig, daß im Wolke 
ein tiefes vnterländifches Gefühl lebt, daß es einen wär: 
digen Stolz auf feine gefchichtliche Bedeutung und auf 
feine Thaten empfindet, daß es das Bewußtſein feiner 
Ehre und Unabhängigkeit hat, und das Streben, zu ers 
ringen, was ihm noch mangelt an diefen großen Gütern. 
Über diefes Gefühl und diefes Streben follen nur bie 
Grundlage der Poefie fein, nicht die Poeſie felbft, fie fol: 
fen die Kraft und die Feuerluft fein, welche die dichtenden 
Geiſter über den Boden hebt, ihnen Schwung und Fluͤ⸗ 
gelſchlag gibt, nicht die Megionen, wohin der Flug fie 
tragen fol. Diefe Regionen. find die Wohupläge ber 


434 


Menfchen als Menſchen, nicht als Staatsbürger, das Was 
terland bildet einen großartigen Dintergrund, es ſpiegelt 
fi ab in ihren Thaten und Beflrebungen, und dieſe ent: 
flammen für fein Wohl und Web, aber die unmittelbare 
Noth der politifchen Fragen und Aufgaben "fol die vom 
Dichter gezeichneten Geftuiten nicht aus dem reinen Äther 
des Menſchlichen in die trübe Schwere der bürgerlichen 
Verhältniffe ziehen, vielmehr fie verklären, indem es fie 
aus diefen in jene erhebt. So ift es nicht etwa nur in 
einem idylliſchen Epos wie „Hermann und Dorothea“, 
ſondern ˖ durchgängig im Shaffpeare. Rom und Enafınd 
und ihre Schickſale find nur die Träger für Heinrich V. 
und Percy, für Caͤſar und Bratus. In den Werhaͤu⸗ 
niffen dieſer Helden und ihrer verfchiedenen Charaktere zu: 
einander als Menfchen liegen die Knotenpunkte der Dra= 
men, nicht darin, daß in England die Dynaſtie über bie 
Rebellen fiegt, ober daß in Rom ber Verſuch, die Repu⸗ 
blik zu retten, fcheitert. 

Doh es fei, daß die Zeit glaubt, eine Poefie, die das 
Humane über den Staat feßt, ſowie die ganze Laͤuterung 
und Berfiärung des Irdiſchen durch die Kunſt, weil fie 
die irdiſchen Verhaͤltniſſe, wie fie find, nur flört, von fi 
weifen zu müflen. Gervinus felbit ſcheint um Schluſſe, 
obfhon er von der politifchen Satire einen Fortſchritt er: 
wartet, dieſes Aufgeben der Poefie anzudeuten. Dann 
aber wird es dem Literachiftoriler, der die legten Blüten 
der Dichtkunft erlebt, am wenigſten ziemen, veraͤchtlich und 
fcheitend von dem entzüdenden Duft zu fprächen, ben fie 
verbreiteten, als es noch vergönnt war, ihn einzuathmen. 
Doh war dies nicht blos vergönnt, es ift es noch fie 
Ale, die den Much befigen, ſich von einer herrſchenden 
Parteirihtung nicht unterjochen zu laſſen, und wenn fie 
nod) fo laut als die allein wahre verfündtt wird. Dies 
fen Muth laſſen Sie und bewahren, theurer Freund, und 
zugleich vertrauen, daß das Schöne und Wahre, weiches 
(don fo oft durch die Feuerprobe der Verkennung gegans 
gen und aus langer Verdunklung fiegreich wieder an das 
Licht getreten tft, immer diefe ‘Probe beſtehen und dieſe 
Kraft bewähren wird. 51 


Romanenliteratur. 


1. Der Zitenide, Novelle von Karl Eitner. i Teile. 
Breslau, Kern. 1842. 8. 1 Zpir. 25 Nor. Anne 

Sehr wohl gewäpit ift der Titel dieſer Novelle, ald Tita⸗ 
nibe bezeichnenb ben Beiden, der fi außergewöhnlicher Kraͤfte 
bemußt ift und feine Thaten vollbringt. Er will Großes Leiften 
für das Menſchengeſchlecht und uͤberſieht die naͤchſten Pflichten; 
er will die Menfchheit begluͤcken und macht ungluͤcklich Alle bie 
ſich ihm nahen; er findet die Kraft zur Liebe, nicht die zur 
Treue; ber erhörte Wunfch bringt ihm Überfättigung. Die Gat⸗ 
tin eines Andern, bie er bethört, ftößt er mit Berachtung von 
fi. Das Mädchen, beffen Neigung er erregt, verfdhmäht er, 
um ald Bräutigam einer andern ihr feine Reue vorzuflagen, 
als er fie verlobt glaubt. Geine Braut bat er mit behersiicher 
Liebe errungen, doch als fie feine Braut if, begiädt igre Reis 
gung ihn nicht mehr. Entſchuldigen muß man indeß den ars 
men Zitaniden, ba die drei Frauen, mit benen er in Verhaͤlt⸗ 
niß tritt ‚ auch wunderlich genug find und ben vernünftigen 
Mann nicht begluͤcken konnten. Mie eine alt und vertisbt, Air 


andere ätherifch und uͤberreizt, unverſtaͤndlich durch Launen und 
Gefühle, die dritte verzogen nnd Überfpannt. Die eine gebt in 
ein Ktofter, die andere ftirbt und bie dritte heirathet cr auch 
mit. Aber er bleibt feinem Charakter treu; er will (Gutes 
wirfen, er will nicht mehr für ſich leben, fondern nur für An: 
dere, denn er hat feine Fehler eingefehen und er geht nad 
Amerifa. Als 06 er in feinem Baterlande nicht Gelegenheit ge: 
mug zu Ausführung dieſer Lebensplane finten könne, um fo 
mebr , da er Güter befigt, die er erft verfaufen muß. Solche 
Charaktere find nicht felten in jegigen Zeiten; es gibt viele 
Leute, welche nicht wiffen was fie wollen und was fie follen, 
und deshalb wollen wir ben Zitaniden ald Romanhelden pafft- 
ren laffen. Die Erzählung leidet an einer Überfülle von Figur 
ren; man muß gar zu viel Bekanntſchaften anknüpfen, die nicht 
zur Entwidelung und Tendenz nöthig find und ben Eefer irre 
machen, ben Baden verwirren und das Intereffe von ben Paupt: 
perfonen ableiten Auch iſt die Briefform oft ſtoͤrend, da fie 
zu unnöthigen Weittäufigfeiten Anlaß gibt. Mögen Briefe im: 
merhin das innere Leben erfchließen, das dußere, die Begeben: 
heiten, müffen fo dramatifh als möglidy bargeftellt werben. 
Schr wahr ift folgendes Wort bed Helden: „Ia, wer immer 
ein ganzes Menfchenleben im Zufammenhange überfchauen könnte, 
ber würde duldfamer fein. &o fehen wir nur entweder Schoͤ⸗ 
nes oder Häßliches, und das macht uns Leidenfchaftlich und 
beftimmt im Augenblicke einfeitig unfer Urtheit und ®anbeln. 
So wird oft ein Prachtſtuͤck, ein feltfames Exemplar von Mens 
fchen in Nacht vergraben, das zu etwas Beſſern getaugt hätte.’ 
Diefen fo wahren Worten zufolge muß ber Leſer mehre Mens 
ſchenſchickſale fih in aller Weitläufigkeit erzählen laflen, wobei 
mehr Kürze zu wünfchen geweſen wäre. Manchen tiefen Blick 
in die Menfchenbruft geftattet biefer Roman und ber denkende 
Lefer wird fi daran erfreuen. 


Hammerich. 1843. 8. 1 Zhir. 227, Nor. 

Eine Tendenznovelle von der ſchwerfailigſten Art, berufen, 
das Anftitut der Ehe von allen Seiten zu beleuchten, ſowol in 
fharffinnigen Abhandlungen als in weitfchweifigen Darftelluns 
gen und in Standreden junger Damen. Antonia, bie Heldin, 
heut die Knechtſchaft der Ehe; fie fab einen Tauber die Taube 
beißend nach dem Reſt verweifen, welches fie verlaffen hat, und 
erkennt darin die Zyrannei des Cheſtandes, deshalb folgt fie 
dem Manne ihrer Liebe, ohne ihm angetraut zu fein Gin 
geiftreicher Bibltothelan beweiſt fehr grünblich und umſtaͤndlich, 
daß ein Mann gefchaffen fei, um zwei, ja auch drei Weiber zu 
haben. Der Fünfunbzwangigjährige vermaͤhlt ſich mit dem zwans 
zigjaͤhrigen Mädchens ift diefe nun 30 Jahre, bat fie Kinder 
in die Welt geſetzt und ihrer Pflicht gemäß ſelbſt geftilit, fo ift 
fie verblübt und muß fih, indem fie des Mannes Freundſchaft 
fih erhält, eine Nachfolgerin in feiner Liebe gefallen laflen. 
Rach zehn Jahren kann der zweiten Frau daffelbe Schickſal zu 
Theil werben. Bon Sitte und Geſeß geheiligt, würbe biefe 
Ginridhtung keine Frau verletzen, fie dürfe ſich ebenſo wenig bes 
Magen wie die Krebfe, weiche in mandyen ändern in kaltem 
Waſſer angefegt werden und von denen eine geiftreiche Köchin 
verfihert haben foR, fie feien es nicht anders gewohnt. Diele 
Inſtitution wird auch ale eine gute Berforgung für Mädchen 
von Stande und Erziehung anempfoblen, da die Etelle der 
zeiten Frau eines Mannes immer beffer ſei als manche ans 
dere Berforgung der alten Jungfern. Antonia's Lebensgefährte 
benust ſolche gute Lehren, ſowie bie Freiheit, welche Antonia 
ihm gelaffen,, und verläßt fie, als er fich in eine Juͤngere ver: 
iiebt hat. Gr verläßt die Mutter feines Kindes; dem Rinde 
feet ee einen Jahrgehalt aus. Dem Lefer madht er deffenuns 
geachtet den Eindrud eines Schufts, während die Frau in ihrem 
Schmerz Theilnahme findet. Ref. war demnach nicht recht mit 
fi einig, ob Antonia nicht zu gratuliren fei, daß fie an ſolch 
einen Dann nicht unauftetich gebunden. Antonia ift indeflen 
auch nicht das Wild einer edein Weiblichkeit; fle vermag nicht, 
das Intereffe des Lefers zu gervinnen, ebenfo wenig al& irgend 


Eine Rovelle von Egert Winnfteen. Altona, , 


eine ber vorgefühsten Perfanen, unb wer nicht einen beſondern 
Geſchmack für Grläuterungen, Auseinanderfegungen, Abhandb⸗ 
ungen und Differtetionen bat, Tann unmöglich diefe Novelle 
ganz durchleſen. Die meiften Perfonen halten lange Neben 
für ober wider die Ehe, bie, wenn aud der Eefer ihnen 
zuweilen mit Jntereſſe folgt, do ben Zuhörern im Roos 
man ſelbſt fehr täftig werben mußten. Auch das Capitel ber 
Religion wird abgehandelt, bie Mufterergiehung eines weidlichen 
Weſens in allen Detaild vorgeführt; unter Anderm verfteht fie 
ſich aud auf die. engliſche Küche. Es mögen viel Gedanken in 
bem Bude enthalten fein, viel Scharffinn und Weltkenntniß, 
viel Zalent, dis verſchiedenen Zuflände zu beleuchten, bie Ros 
vellenform ſcheint indeß nicht bie rechte Kerze dazu zu fein. 


3. Philidor. Er lung aus dem Leben eines Landgeiſtlichen, 
von Pubmig ehftein. Gotha, Verlagscomptoir. 1843, 
8. 1 hir. 15 Nor. 

Die Erzählung beginnt im Anfange bes 18. Jahrhunderts 
und ift ſehr erbaulichen Inhalts, im Ton der Zeit geſchrieben, 
deren Bild fie entwirft. Der fromme Pfarrer Philidor wird 
ber Verführung eines fchönen Maͤdchens befchuldigt, und zahls 
zeiche Umflände vereinigen fi, um den Schein gegen den Uns 
fyuldigen zu wenden. Der wirkliche Verführer, ein roher Krieges 
knecht, welcher dem Mädchen einen Schlaftrunk gereicht und auf 
biefe Weiſe die fündliche That vollbradht hat, ift fern; eine boͤs 
willige Gutsherrſchaft, welche bamals noch viel Gewalt durch die 
Gerichtöbarkeit übte, wirkt auf die Vertreibung bes Pfarrers, 
und unfagliher Kummer bricht über ben Gläubigen und feine 
fromme Gattin ein. Yür jede neue Qual und Verfolgung hat 
er einen ſchoͤnen Bibelſpruch, und feine Predigt, als die arme 
Verfuͤhrte vor ber Kanzel weinend und betend Kirchenbuße thut, 
iſt ſehr ergreifend und ſalbungsreich, kraͤftig die boͤfen Verfolger 
treffend, ſodaß fie die Kirche verlaſſen, und feine Worte zur 
Bergebung der uUngluͤcklichen find mild und fchön. Seine Ber: 
treibung aus ber ihm ergebenen Gemeinde, bie Strafe, welche 
den Bauern, die für ihn gebeten, auferlegt wurde, gehören zu 
ber Faͤrbung jener Zeit. Zuletzt fleht man den würdigen Geift: 
lichen in einer andern größern Pfarrei eingefeht; Magdalenen 
als Verlobte des Cantors, den Verführer feine Sünde befens 
nend unb mit dem Tode dafür büßend. 


4. Die lette Soirde der Gräfin Zolfa, oder be Nemefis Male 
ten. Roman von ber’Verf. der „Sräffn Loͤwenmark““. Zwei 
heile, Gera, Heinflus. 1842. 8. 2 hir. 15 Nor. 

Ref. fühlt fich ſehr gluͤcklich, die „Gräfin Löwenmark” nicht 
gelefen zu baben, da biefes zweite Werk der Verf. ihm in keis 
nee Hinſicht munden wollte. ine fehr gewöhnliche, mit fran: 
zoͤſtſchen Redensarten und franzöfifchen Worten geſpickte Sprache, 
widerliche Sharaftere, obge alle naturgemäße Zeichnung, ab« 
ſichtlich Herbeigeführte Verfbirrungen, lange Lebens» und keidens⸗ 
geſchichten, die nicht zum Ganzen nötkig find, füllen dieſe zwei 
langen Theile. Die vergnügungäluftige alte Gräfin Zolfa, die 
ihr Vermoͤgen in Feſten und Weltfreuden verpraßt und ben 

Sohn an eine reiche häßliche Gräfin verfuppeln will, um ihre 

thörichte Lebensweiſe fortfegen zu Können, und ihr Bruder, der 

alte Graf Falkenau, ber Tyrann gegen Frau und Sind unb 
rohe Jagdliebhaber, ber dem ermachfenen ohne noch zuletzt 
einen Zußtritt verfegt — fie find Beide fo vollftändige Garicatus 
ren, wie die Hildinnen Alba und Aygtonia in ihrer Tugend und 

Vortrefflichkeit. Natur, Wahrheit,, wo waret ihr, als eine 

ſchoͤne Hand die Zeder ergriff! 


5. Bilder und Sagen aus der Schweiz. Bon Ieremias 
GottHeif. Erſtes und zweites Bändchen. Solothurn, 
Jent und Gaßmann. 1842, 8. 1 Thlr. 

Im teeuherzigen Schweizerdialekt find im erften Theile brei 
Erzaͤhlungen mitgetheitt: „Die ſchwarze Spinne”, „Der Rit⸗ 
tee von Branbis”, „Das gelbe Voͤglein und dies arme Mars 
geithti”. Sie find mit großem Feuer und abfichtlicher Effects 
berechnung, jedoch im frommen, gottesfürdgtigen Sinne geſchrie⸗ 


Der weite hell enthält: „Gelb und Geiſt ober die Ber 
fbgnung” und „Der Druide”. Die erſte lung iſt ſehr 
sührend durch die Schilderung eines einfachen häuslichen Gluͤckes 
und der Störung beffeiben. Man ericht alle bie Eieinen Be 

benheiten bes Alltagsiebens mit unb muß fi für bas fohtichte 
Ehepaar des Bauernflandes lebhaft intereffiren. Diefe Samm⸗ 
fung bat gebiegenen Werth und eignet fidy vor allen für Volke⸗ 
bibliotheken und für Lefer, welche noch wenig gelefen baben 
und von der Umfändlicgkeit der Mefchreibungen nicht ermübet 





Henry Clay. 


Henry Stay gilt nach den Zeitungen für einen Verfechter 
der liberalen Sache, ift im Gongrefle der norbamerikanifchen 
Staaten zu Waſhington Führer ber liberalen Partei. Ie mehr 
es nun um politiiche Angelegenheiten ſich kuͤmmernde Leſer gibt, 
denen bie amerikaniſche Eiberatität wie ein fautes Ei vorkommt, 
Außertich rein, innerlich ſtinkend, beflo allgemeiner intereffant 
muß es fein, glaubwürdig zu erfahren, wie bie liberalen Theo⸗ 
rien des Hrn. Henry Clay ſich in ber Praxis ausnehmen, benn 
thut nach meinen Worten und nit nad meinen Werfen, ift 

heutzutage überall Mode und eine Wahrheit. Eine folche glaub⸗ 
würbige Kunbe bringt der Quaͤker Sturge in feiner „Visit 
to the United- States” (Ronbon 1842), in einem an ihn 
gerichteten Briefe eines Hrn. James Cannings Yuller, für 
weichen Sturge ſich verbürgt: Da beißt es: „Weil mich fehr 
verlangte, die veredelte Viehzucht auf Henry EClay's Pflanzung 
zu fehen, going ich hin. Als ich mich dem Wohnhauſe näherte, 
erblickte ih einen farbigen Mann und fagte zu ihm: ‚Wo 
wurbeft du audgeboben?‘ — ‚In Wafbington’, fagte er. — 
„Wurdeſt du dort von Henry Glay gekauft?‘ fragte ich. — 
‚3a‘, fagte er. — , Willſt du mir wol fein verebelte® Hornvieh 
zeigen?“ fagte id. — Er beutete auf den Obftgarten und fagte, 
dort wohne der Mann, der die Aufficht barüber habe. Geiner 
Deiſung folgend, begegnete ich einem recht klug ausfehenden 
Knaben, ungefähr acht oder neun Jahre alt. ‚ Kannft bu leſen?“ 
fragte ih. — ‚Nein‘, antwortete er. — ‚Gibt es auf Henry 
Glay’s Pflanzung feine Schule für die Barbigen ?* fragte ich. — 
Rein‘, fagte er. — ‚Wie alt bift uf‘ — ‚Weiß nit.‘ — 
Em Obſtgarten traf ich eine alte Frau beim Nähen. ‚Wie alt 
bift du?* fragte ih. — ,‚Derbe fünfzig (a big fifiy! — 
Wie alt iſt das?‘ — ‚Nahe an ſechzig.“ — ‚Wie viele Kins 
der haft du?‘ — ‚Funfzehn oder fechzehn.‘ — „Wo find fie?‘ — 
‚Barbige Menſchen wiflen nicht, wo ihre Kinder find. Die 
werben übers ganze Land zerftreut.‘ — ‚Wo murbeft du aus: 
gehoben?‘ — ‚In Wafhington,‘ —«, Kaufte dich Henry Clay 
dort?! — ‚Zu. — ‚Wie viele Kinder hatte du damals?‘ — 
„Vier.“, Wo find ſie?“ — ‚Weiß nicht. Sie follen tobt fein.‘ — 
Die Hütte, in welder biefe Quelte, des Reihthums 
wohnte, war weder dußerlich noch im Innern fo gut wie mein 
Stall. Mehre Sklaven fammelten Obſt im Garten. Ich fragte 
einen der jüngften, ob fie auf bieler Pflanzung Iefen ernten. 
Sie antworteten Alle ‚Nein. As ich den Auffeher fand, 
ſchwenkte er eine dicke, zerbrochene Peitfche mit kurzem Stiel. 
Er fagte, er gebraudye fie fowol beim Reiten, als um gelegent: 
Gh ‚die Sklaven auszuhaen. Was lernen wir nun, mein 
Sreund, aus diefen aufgefüngenen Thatſachen zu Aſhland, aus 
diefen Handlungen unfers gemeinfchaftlichen Freundes, Joſeph 
Sohn Eurney’s ‚theuern Freundes‘, Henry Clay, bed Mannes, 
der ſich rühmt,_ jeder Schlag feines Herzens fchlage hoch für 
Breiheit‘, und N boch nicht Ichämt, Männer und Weiber am 
Gapitot zu kaufen — an dem Drte, der vor allen andern 
. * „son ben Fußtapfen eines Sklaven verfludht werben 
. ae . . 


Rotizen. 

Neuerlich iſt es, aller Geſchichte zum Trotze, wieder Mode 
geworben, bie kirchliche Abhängigkeit des Volke für eine Stuͤte 
der Regierungen zu halten. „Wan muß Bott mehr geborchen 
als den Menſchen.“ Zittert ihr nicht vor biefem Grund⸗ umb 
Urſpruch aller Sonfeffionen? Hier eine Fuge über biefes Thema! 
As Maria Stuart dem Knor vorwarf, er habe ihr Wolf zum 
Ungehorfam und zur Rebellion aufgereizt, entgegnete er: Gott 
babe ihn dazu berufen — im Punlte der Religion feien Unter 


I thanen Bott mehr Gehorfam ſchuldig als ihren ; font 


hätten auch die erfien Chriſten bie Religion ber roͤmiſchen Kat 
fer annehmen müflen. Die Königin: Diefe hätten doch nicht 
das Schwert gezogen gegen ihre Beherrſcher. Knor: Bott 
hatte ihnen Macht und Mittel bazu nicht geſchenkt. Die Koͤ⸗ 
nigin: Wenn Unterthanen biefe Wacht aber haben, dann alfo 
bürfen fie, nach Gurer Meinung, biefelbe wiber ihre Könige 
ebrauchen? nor: Allerdings, wenn Pürften ihre Gren 
berfchreiten. Wenn Kinder einem wahnfinnigen Bater, 

fie erwürgen will, zuvorkommen, ihn binden und, bis er genefen, 
in ben Kerker werfen, meint Ihr, baß fie Unrecht thun? Der 
Vürften blinder Eifer iſt ebenſo nichts als Wahnfinn: ihre 
Hände feſſeln und fie ind Gefaͤngniß werfen, bis fie wieber zu 
ih kommen, ift’nicht Ungehorfam gegen die Obrigkeit, fondern 
ber w ve Gehorfam, weil er mit dem Willen Gottes 
übereinffimmt. — — 


Den katholiſchen Zeloten in Deutſchland empfehlen wir bes 
berühmten italieniſchen Kanzelredners Varbieri Vortrag über bie 
Kanzelberedtſamteit (Orazioni quaresimali ec.”, Mailand 
1836— 37, ®b. 7), worin es unter Anberm heißt: „Bor 
allen Dingen hat es der Prediger als einen Borzug feines Bes 
rufs zu achten, daß er fich aller Ausbruͤche gegen Diejenigen, 
weiche nicht im Schooſe ber Kirche find, enthalte; denn fürwahe, 
dergleichen beleidigende Declamationen verunehren nur bie Beis 
ligkeit unſers Standes, erbittern Jene, gegen weiche fie gerichs 
tet find, und wiberfireiten ganz dem Brauche der Apoſtel und 
Jeſu Chriſti.“ „Der wahre Eifer ſucht nicht anders ats durch 
Milde und burch Überzeugungstraft zu wirken.” Den Bis 
ſchoͤfen, fagt Barbieri, zieme es, ber geifitiigen Beredt⸗ 
famleit einen vorzuͤglichen Aufſchwung zu geben. Ihnen fei 
bas gar nicht ſchwer. Schon ihre Stellung, ihre Würke 
fei für fie berebt. „Das perfönliche Anſehen, bie Pracht der 
Sewänber, bie ganze feierliche Umgebung — alles Das wirft 
mächtig auf die Sinne und durch biefe auf das Herz.” Bor 
zuͤglich aber iſt es dies: „Wo fich ber Biſchof nur zeigt, da if 
Kichterſtuhl und Lehrſtuhl beieinander, doppelt Ehrfurcht gebies 
tend. Wie follten nicht folge WBorzäge helfen zur Erhaͤbenteit, 
nicht beifen sur ergreifenden Wirkung feinex Rebe?” IE es 
nicht mit ber Beredtſamkeit der Könige baffelbe ? 


‚Bei Gelegenheit des amicabeln Colloquiums zwifchen ben 
reformirten und lutherifchen Theologen zu Berlin im 3. 1683 
erklärte der berühmte Lieberbichter Paul Gerhardt in einem 
Responsum: Von ber natura intellectus humani (Weſen ber 
Vernunft) reden, helfe feinen Gegnern, ben Reformirten, im 
Geringften nit — „weil ich in Gottes Wort nicht allemal auf 
argumenta convincontia (überzeugende Gründe) feben und 
warten muß, fondern ba gilt das auvsog &ye (er hats gefagt); 
wenn mir Gott etwas fagt, fo muß ichs glauben, daß dem 
alfo fei, wenn er mir — nicht rationes et argumenta babei 
gibt, warum es alfo ſei.“ Berner bemerkt er: „Gottes Wort 
gehört nicht zu ben Claſſen vontwr ober intelligibilium, fer 
dern fie find ale nıoıa (Blaubensfachen), fie find üneg reis 
(über der Vernunft)" u. f. w. — Mephiſto fagt: 

Verachte nur Vernunft und Wilfenfchaft, 
Des Menſchen allerhoͤchſte Kraft — 
So hab' ich dich ſchon unbebingt. . 





Vlxantwortiicher Ferausgeber: Helurig Brokhaus. — Drud und Berlag von F. A. Brodbaus in Leipztg. 


vv‘ 


er) 


- 


Blätter 


für 


literarifbe Unterhaltung. 





Donnerstag, 


Kr. 110, ö— 


20. April 1843. 








Über die gothiſche Literatur, beſonders über Ulfilas 
und den Codex argenteus. 


Es iſt billig die Literatur eines Volks mit Erwaͤh⸗ 
nung auch jetzt nicht mehr vorhandener, vielleicht nie 
ſchriftlich aufgezeichneter Lieder, die von eigenen Saͤngern 
vor dem Volke geſungen wurden, anzufangen, denn in ih: 
nen wurzeln, da fie meift hiftorifchen Inhalts find, we: 
nigftens Volle = und Deldenfagen enthalten, die Anfänge 
der Hiftoriographie und, wenn bei der Kortbildung und 
weiterfchreitenden Cultur auch Lieder ethifchen oder didakti⸗ 
chen Inhalte hinzukommen, die Theorien der Wiſſen⸗ 


haften. Unterhaltung und Belehrung des Volks durch 


Lieder ging bei den alten europälfhen Völkern, bie zu der 
Kette des indogermanifhen Stammes gehören, nicht wie 
bei den orientalifchen Völkern und bei den Ägyptiern, von 
einer Priefterfafte aus, fondern von befondern, mit der 
Gabe des Geſanges begabten Männern aus dem Wolke. 
Solche Sänger gab es bei den Hellenen, und bei diefem 
Volke wiſſen wir von jener angedeuteten Trennung in eine 
epifche oder hiltorifche und eine didaktiſche oder ethifche 
Schule, jene war die Homerifche, diefe die Heſiodiſche. 
Diefe Sänger, belehrt von einem Meifter, der feine Lieder 
ihnen vorfang oder den fie begleiteten und fingen hörten, 
wanderten dann im Lande weit umher und waren bei 
feftlichen Spielen und in Volksverſammlungen ebenfo will: 
tommen, wie bei den Gelagen der Fuͤrſten und Häuptlinge, 
wo fie auch durch Theilnahme am Mahle geehrt wurben. 
Romantifche Lieder wurden mit der Harfe oder Zither be: 
gleitet; unter diefen maren befonder& beliebt in Griechen: 
land die Lieder des Sagenkreiſes der trojanifchen Helden, 
und felbftändiger von den Homeriden weiter und fortge: 
bildet und freier gefungen gingen fie endlich von den 
Rhapfoden fefter und woͤrtlicher aufgefaßt durch dieſe in 
die Schrift über. Ähnlich waren die Skalden bei ben 
Skandinavien, den fernften germanifhen Stammverwand: 
ten im Mordmeften Europas; entweder zu dem Hofe eines 
Jarl gehörend oder von einem zu dem andern ziehend, 
fangen fie dort wie in Bolksverfammlungen zur Bither 
ihre Gefänge und reiheten Erzählungen daran, und wie: 
derholten jene fo oft, bis Einer der Anweſenden fie aus: 
wendig gelernt hatte. So entſtanden die dAlteften islaͤndi⸗ 
hen Sagen, und aus ihnen ging jene alte reiche, meiſt 


aus Liedern beitehende feandinavifche Literatur hervor. 
Solche Sänger treten auch im Mittelalter an ben HB: 
fen germanifcher Fürften auf, fie fangen ebenfo heroifche 
Lieder ber Nation zum Saltenfpiel, und vielleicht ſtammt 
aus ihren Liedern die in fpätern Jahrhunderten erſt aufs 
gezeichnete Deldenfage. Doch war der umbherziehenden 
Sänger Anfehen an den germanifchen Höfen nicht fo 
groß, wenigſtens deutet darauf das im 18. Kapitel des 
oſtgothiſchen Geſetzes erwähnte geringe Wehrgeld für ben 
Zodtfchlag eines Sängers; es beitand in der Aushaͤndi⸗ 
gung eines Paares Hand: und Kußfchuhe an die Erben 
des Erfchlagenen und eines dreijährigen Kalbes, wenn, ber 
Erbe daflelbe, von einem Bauer dreimal gefchlagen, feſt 
am Schwanze halten konnte, daß es ihm nicht entlief. 
Solche Sänger bat es auch bei den Gothen gegeben, 
denn auch fie hatten Lieder, in denen ganz nach geichicht: 
licher Weife, wie Jornandes fagt, die Thaten der Väter 
nad dem Klange der Zither abgefungen rourden. Der 
Inhalt jener Lieder war 3. B. der Zug der Gothen aus 
der MWeichfelgegend nah Skandinavien, dann die Ruͤckkehr 
von dort und die fieggefrönte Wanderung herab bis in 
die pontifchen Länder der Skythen, die Thaten der als He: 
toen verehrten Ethefparama, Fridigern, Vidicula u. dgl. 
Mythiſch im eigentlihen Sinne, voie es noch viele Sagen 
der Edda find, waren alfo, wenigſtens fo viel uns befannt 
ft, die gothifchen Lieder nicht, fondern Volksſagen und 
Heldenlieder, und vielleicht find die Lieder des „Heldenbuch“ 
zum Theil, von Gefchlecht zu Geſchlecht gehend, aus je: 
nen alten Gefängen entftanden. Wenigſtens ſchoͤpften bie 
Hiftoriter Ablavius, der feine gothiſche Geſchichte auch gos 
thifch gefchrieben haben foll, und Jornandes die erfien Nach: 
richten von dem gothifhen Volke aus diefen Liedern, 
Ungewiß ift, ob wirklich von Gothen zu verftehen ift, 
wenn Jornandes erzähle, zu Sulla's Zeit wäre zum go: 
thifehen König Boroiſta (oder WBprebiftes, wie ihn Strabo 
nennt) Dichneus, ein fremder Philofoph, gekommen, der 
von dem Könige auf das zuvorkommendſte empfangen und 
auf das auszeichnendfte behandelt worden wäre. Du er 
des Volkes Zuneigung zu fich und ihren guten natürlichen 
Berftand erkannt hatte, unterrichtete er fie in ber Philo⸗ 
fophie, lehrte fie die Ethik, daß fie ihre wilden Sitten abs 
legten, und bie Phyſik, daß fie der Natur gemäß nach eige: 
nen Gefegen lebten, und diefe Lehren hatten fie bis auf Jor⸗ 


438 


nandes’ Zeit Fchriftlich aufgezeichnet und nennten fie Billa- 
gines; aud) Logik, Praktik, Theorie und Theologie (dieſes 
Altes nach dem antiken Begriffe diefer Wörter) lehrte fie Di: 
caͤneus unb machte dadurch, wie Dio Caffius hinzufligt, die 
Gothen den Griechen an Bildung und Gelehrſamkeit gleich. 
Ich fage, ob dies auf Gothen oder vielmehr auf Beten, 
die Strabo ausdrüdlich bei der Erwaͤhnung des Dicäneus 
nennt, und welde Sornandes in feiner Gefchichte mit den 
Sothen zu vermifchen pflegt, zu beziehen ift, iſt nicht zu 
beftimmen, doc hat die Benennung jener Gefege, die go⸗ 
thiſch ift (eigentlich Bilageineis), und der Umftand, daß 
Somandes von dem Borhandenfein derfelben zu feiner Beit 
fpricht, etwas Wahrſcheinliches für die Beziehung auf die 
Sothen, wenn auch das Ganze nicht auf das Gothiſche 
zu beſchraͤnken wäre. Faſt könnte man fich verleiten laſ⸗ 
fen, in jenen Bilageineis, gegenüber den hiſtoriſchen Ge⸗ 
fängen, eine Art Gnomen, oder den Defiodifhen „Werken 
und Tagen“ ähnlicher didaktifcher Volkopoeſie zu vermuthen, 
wenigſtens pflegten und pflegen noch jegt allerhand Sprüche 
und Megeln für das Leben und den Beruf alliterirend 
oder gereimt im bdeutfchen Volksmund zu leben. Aber 
auf unfere Zeiten ift von jenen Bilageineis, wie von ben 
biftorifchen Liedern nichts gelommen. Indeß iſt es doch 
von ntereffe für die gothifche Literatur, von dem Be: 
ſtehen eines gefchriebenen Buchs unter den Gothen in 
früherer Zeit zu willen, da man gewöhnlich, nach einer 
UÜberlieferung, den Ulfilas als den Erfinder des gothifchen 
Alyhabets nennt. 

Mit der Nennung bes Ulfilas find wir auf den Ans 
fünger und, ich möchte faft fagen, auf den Vollender 
der uns übrigen gothifchen Literatur gefommen, da diefelbe 
zum großen und beten Theile in ber Bibelüberfegung be: 
fteht, die gewöhnlich dem Ulfilas zugefchrieben wird. Um 
jedoch noch mit einem Worte zuruͤckzukommen auf bie 
„Erfindung der gothifhen Buchſtaben“ duch Ulfilas, fo 
dat das Alterthum und ſelbſt Jornandes, freilich im Wi⸗ 
derfpruche mit fi ſelbſt, da er die Bilageineis lange vor 
Ulfilas gefchrieben fein läßt, gefagt: Ulfilas hat die gothi⸗ 
fchen Buchſtaben zuerft erfunden. In neuerer Zeit hat 
diefe Meinung mehrfache Modificationen erfahren; man 
bat angenommen, daß die Gothen ſchon vor Ulfilas ein 
Alphabet hatten, daß es aber Ulfilas, der gemiß erft un: 
ter feine Gothen, wenn fie auch ſchon früher Chriften wa: 
ven, den Geiſt der Wiſſenſchaft brachte (Gothos minores 
fiteris instituit fagt Sornandes S. 135 Lindenbr.), Durch 
neue Zeichen bereicherte und zur Wiedergabe aller Laute 
fähig machte. Diefe Anſicht empfiehlt ſich nicht nur da: 
duch, daß fie felibere fchriftliche Denkmäler bei den Go: 
then beflehen laͤßt, fondern iht widerſpricht auch gar nicht, 
wenn «6 heißt, Wfitas habe das gothiſche Alphabet erfun: 
den, denn fo pflegen von alten Schriftflelleen die Vervoll⸗ 
kommner einer Erfindung, auch die erfien Erfinder oder 
Darſteller genannt zu werben, wie wenn Plinius (Hist. 
Neter., XKXIV, 8) von dem Bildner Pythagoras fagt: 
we drickte zuerſt Muskeln und Adern an feinen Statuen 
amd ; diefer biühele Olymp. 75 — 87, aber fdyon vor ihm 
hatten Kallon und Kanachos (blüheten Olymp. 60 — 73) 


Muskeln dargeftellt; aber meil diefe zu ſtark und zu ber: 
vorgehoben waren, Pythagoras aber felbige zuerft bei aller 
Kraft doch natlrlich ausdrückte, fo heißt er der Erſte, der 
überhaupt Muskeln und Adern ausgedruͤckt. So ift es 
vielleicht auch mit der Erfindung des gothifchen Alphabets 
duch Uffilas; das Werhältniß der Altern, nationafen Schrift 
zu der des Ulfilas Haben ſich Einige fo gedacht: die alte 
gothifche Schrift, eine runifche, fei wegen ihrer Steifheit 
und Beſchraͤnktheit von Ulfilas aufgegeben, dafür aber die 
gefügigere, fchreiblichere griechifche eingeführt worden, und 
nur wo die griechifhe zur Wiedergabe vaterländifcher Laute 
kein Zeichen gehabt, habe er die alten beibehalten; Andere 
haben geglaubt, das griechiſche Alphabet, in ber Geſtalt, mie 
ed Utfilas anwandte, fei ſchon vor ihm bei den Gothen 
in Gebrauch gewefen. Antere meinen, auch er babe das 
griechifche Alphabet geradezu angenommen und für Laute, 
bie feine Sprache, aber die griechifche nicht gehabt, entwe⸗ 
der Iatelnifche Zeichen (3. 3. f, h, q) oder ſolche griedhi: 
ſche genommen, die er fonft nicht brauchte (5. B. y für th). 
Noch fei bemerkt, daß die angeblihen Buchflaben des ge: 
tbifchen Alphabets auf allen Scheifttafein, welche den Aus 
gaben gothiſcher Schriftwerke oder andern Büchern beige: 
geben, nicht richtig find; der echte, verſchiedene Ductus 
it auf den zwei Zafeln der neuen Ausgabe des Ulfila 
zu erfeben. 

Ein anderes Berdienft des Ulfilas um fein Volk war, 
baß er die Bibel in das Gothiſche uͤberſetzte. Daß « 
mit Geift und mit Berudfichtigung der Eigenthuͤmlich⸗ 
keiten feiner Sprache überjegte und nicht ein [Havifcher 
Nachtreter des griechiſchen Originals war, bat, feitdem 
man Gothifch gelernt hat, faſt Niemand mehr bezweifelt. 
Daß Ulfilas die ganze Bibel, auch das Atte Teftament 
überfegt bat, wurde fonft geglaubt und Philoftorgius fagt, 
nur die Bücher der Könige feien ausgenommen geblieben, 
damit die Gothen durch das Lefen von Kriegsthaten in 
ben heiligen Schriften ihrer neuen Religion nicht voieber 
in ihre alte Krlegsverwilderung verfielen. In der That 
wurden auch in neuerer Zeit Stagmente aus den Büchern 
Esdra und Nehemia aufgefunden und einzelne Zahlenan⸗ 
führungen in einer wiener Handſchrift, die in einem gram: 
matiſchen Intereſſe aufgefchrieben zu fein ſcheinen, ſchienen 
nicht undeutlich auf die Überſetzung der Bücher Moſis 
und fo dies Alles auf die Überſetzung wenigſtens mehrer 
heile des Alten Teſtaments binzumeifen. Aber ob Ulfi⸗ 
las died ganze Werk vollendet, und nicht blos das Neue 
Zeflament, ja vielleicht blos die Evangelien überfegt bat, 
muß dahingeflellt bleiben. Ja, durch die neulihe Auf: 
findung einer, auf die Lebensverhaͤltniſſe des Ulfilas ſehr 
genügendes Licht twerfenden Schrift möchte man fait zu 
dem Zweifel an .einer fo ausgebreiteten Arbeit des gochi⸗ 
ſchen Biſchofs gebracht werden. Jene Schrift, veröffent: 
liht in dem Buche: 

Über das Lehen und bie , I 
Hanover 1840. 4. ron bei uia, von Beorg Maik 
aus einer Handſchrift der Eöniglichen Wibliochet zu Paris, 
und zwar auf die leeren Ränder Über, neben und unter 
ber eigentlichen Schrift gefcheiehen, Läßt mit Zuverſicht an: 





439 


nehmen, daß Ulfilas 318 n. Chr. geboren ward, wo bie 
Gothen noch jenfeit der Donau in Dacien wohnten, daß 
er fee jung Reetor und fihon in feinem dreißigften Le: 
bensjahre, alfo 348, Biſchof wurde, 355 aber mit einer 
großen Anzahl feiner Gothen, um einer Verfolgung des 
Königs, über die Ehriften verhängt, über die Donau ging 
und hier vom Kaifer Konſtantius neue Sige empfing ; Daß 
er 388 noch einmal nad) Konftantinopel zum Raifer ging, 
um vor bemfelben fir feine, auf dem dortigen Concil 383 
verurtheilte Glaubensmeinung (bekanntlich die Arlanifche) 
gu fireiten oder zu follicitisen, dort gefährlich erkrankte und 
Hard. Bor feinem Tode machte er noch fein Glaubens⸗ 
teflament, welches deshalb voichtig iſt, weil man niegend 
fo beſtimmt und im Zufammenhange die Arianifche Lehre 
ausgefprochen und dargeflellt finder; es lautet — fo weit 
die ſehr ſchwer zu lefende und vielfach verffümmelte Schrift 
gelefen und entziffert werden konnte — in deutſcher Über: 
fetzung (die sanhe Schrift ift lateiniſch gefchrieben) alfo: 
„Ih uUlfila, Biſchof und Bekenner, habe immer fo ge: 
glaubt und in dieſem einzigen und wahren Glauben mache 
ich mein Glaubensteſtament an meinen Serra: ich glaube, 
das einig fei Gott der Vater, allein ungeberen und un: 
fichtbar, und an den eingeborenen Sohn beffelben, unfern 
Heren und Bott, der Schöpfer und Macher aller Creatur 
tft, welcher ‚nicht hat, der ihm aͤhnlich wäre, darum er al: 
fein unter Alten Gott ifl, der auch nach unferer Überzeu⸗ 


gung Bott ift (qui et de nostris [?] deus est); und an. 


einen heiligen Geift, eine erleuchtende und heiligende Kraft, 
wie Chriftus fagt zu den Apofteln: ‚Siche ich fende bie 
Verheißung meines Vaters auf euch; ihr aber figet in 
Zeruſalem, bis ihr begabt werdet mit der Kraft von oben‘, 
ebenfo: ‚Und ihr werdet empfangen Kraft, wenn der bei: 
lige Geiſt über euch komme“ — daß er weder Bott ift 
noch Herr, fondern Diener Chriſti — — untertban und 
geborfam in Allem dem Sohne, und ber Sohn unterthan 
und gehorfam — — in Allem Gott dem Vater — —.“ 
Während diefe Schrift nun auch von der gefegneten 
Wirkſamkeit des Ulfilas unter den Seinen redet, indem er 
griechiſch, lateiniſch und gothiſch ohne Umterlaß gepredigt, 
auch in diefen drei Sprachen mehre Abhandlungen und 
viele Überfegungen den Lernbegierigen zum Nugen und 
zur Erbauung, fich aber zum ewigen Gedaͤchtniß geſchrie⸗ 
ben habe, erwähnt fie dad, der Bibslüberfegung nicht aus⸗ 
Veiktich. Sie in den „vielen Überfegungen” mit inbegriffen 
fein zu laſſen, welche dem Ulfilas hier zugefchrieben wer: 
den, möchte wol in den Ausdruck zu viel gelegt fein, aber 
von einzelnen Theilen der Bibeluͤberſezung koͤnnte ed ver: 
flanden werden. Ulftlas mathte mwalnfcheinlid den An⸗ 
fang, Andere, fei e8 Zeitgenoffen, ſei es Nachfolger, über: 


fegten wieder einzelne Theile, bis wenigftens das Neue . 


Teſtament voltftändig überfegt war (nur die Apoftelge: 

ſchichte, die katholiſchen Briefe, der Brief an bie Hebraͤer 

ud Die Apokalypſe find vielleicht nie uberfegt worden, 

wentgfiens haben fich davon nirgend Fragmente gefunden). 

Aber einen Theil hat er ganz gewiß un der Bibeluͤberfetzung, 

denn barin find alle Zeugniffe des Alterthums einftimmig. 
(Die Bertfegung folgt.) 





Die eine Frage. Leipzig, F. Fleiſcher. 1843. Gr. 8 
1 Xhle. 20 Ngr. 

Unter biefem &Zitel wird bier bie Nüplicleitstheorie Ben: 
tham’s vorgetragen unb nebenbei unfern Gefepgebern dringend 
als cin fpeculativer Ausgangspunkt bei ihrer Arbeit empfohlen. 
Obſchon wir in der Bearbeitung des Dumont’fchen Werkes durch 
Beneke ‚eine gut geſchriebene, wenn auch mit ber eigenen 
Weisheit des deutſchen Herausgebers reichlich verfeste Darſtel⸗ 
lung ber theoretiſchen und praktiſchen Anſichten des britiſchen 
Philanthropen befigen, fo möchte doch, bei dem lebendigen Zn: 
tereſſe an den Fragen über Staat, Recht und Geſellſchaft, und 
bei der fihtbaren Beachtung, welche bie Bentham'ſche Geſeg⸗ 
gebungspolitit vieifeitig erfährt, eine ausfuͤhrlichere Bearbeitung 
biefes ſcharfſinnigen und in jeder Hinſicht mertwürbigen Schrift: 
flellers immer noch von großem Nugen fein. Freilich iſt das 

entliche Philoſophem Bentham's, an welches er feine prakti⸗ 

en Unterſuchungen und Grundſaͤte zu knuͤpfen verſucht, von 
der Art, daß ſich das beutige Bewußtſein, namentlich das beut- 
ſche, davon weder befriedigt noch erbaut, ſondern vielmehr ab: 
geftoßen fühlen muß; denn uͤber jenen profanen,, flachen und 
beſchraͤnkten Senſualismus, wie ihn befonders Bentham vor al: 
len übrigen franzoͤſiſchen und engliſchen Denkern lehrt, waren 
wir fehon damals hinaus, da er fid) als ein nothmendiges umd 
geſchichtlich bebingtes Nefultat zeigte. Allein bie ſcharfſinnige 
und unerbittliche Analpſe, mit weicher Bentham und feine eis 
ſtesverwandten ‚gegebene Formen und Verhaͤltniſſe zergliedern, 
bie Gruͤndlichkeit, mit welcher derſelbe das formale Gebiet der 
Geſetzgebung durchdringt, der warme Enthuſiaemus, mit der 
fi der Philanthrop namentlich über fociale Fragen verbreitet 
und zu ihrer Löfung auffodert, mit einem Worte, das verftäns 
big praktiſche Feld der Bentham'ſchen Schriften, wo allgemeine 
Principien vorausgefegt werben, verbient bearbeitet zu werden 
und hat für ums ein allgemeines und fruchtbares Intereffe. 

Bon biefem Geſichtspunkte aus ſcheint uns die vorliegende 
Schrift gaͤnzlich verfehlt. Der Verf., Reinwald von Birken: 
felb, ein eifriger und ausfchließender Anhänger der Nuͤtlichkeits⸗ 
theorie , tritt als ber Apoftel derſelben auf und entwickelt in 
einer Reihe entiehnter und bearbeiteter Bragmente, die durch 
ihre Anorbnung ein neues Licht auf die Lehre werfen folen, 
die Principien,, die letzte Rechtfertigung, überhaupt bas Specu⸗ 
lative der Bentham'ſchen Nechtsphilofophie. Hätte er ſich dabei 
auf eine objective Darflellung beſchraͤnkt, fo würde gegen biefes, 
nad) Dumont's Buche überflüfftge, Apoftelamt immer nichts 
einzuwenden ſein; aber bie erceifive Polemik, mit welder der 
Verf. feinen Gegenſtand entrüdt und verſchuͤttet, der gehäffige 
Vanatiömus, mit dem er über unfere Beiftesbildung und unfere 
Isgilativen Befirebungen ben Stab bricht, maden bie Schrift, 
wenn auch keineswegs gefährlich, doch völlig werthlos. Da$ 
Deutfchtand bei der Erſcheinung des Bentham'ſchen Genfualis- 
mus namentlich die Refultate feiner fpeculativen Arbeit nicht 
atsbald von ſich geworfen, fondern über Natur, Staat und 
Geiſt hartnddig fortzufpeculicen gewagt hat: ferner bag un⸗ 
fer gegenwärtiges Kecht und unfere Gefehgebung jedes ‚‚logi: 
fdgen '’ Prineips entbehre — das find die Punkte, über welche 
ſich der Berf. fortwährend in Hige erhält und bie eigentlich 
das bide, aphoriſtiſche und verworrene Evangelium hervorge⸗ 
trieben haben. 

Die ausſchweifende Form des Wuches, indem unter Anderm 
ber Verf. mit großer Redſeligkeit ſeine Lebensgeſchichte, feine 
Bekanntſchaften und allerlei Tagesereigniſſe beſpricht, übergehen 
wir hier. Wir wollen vielmehr verſuchen, unſern Leſern einige 
Andeutungen über die in Deutfchianb wenig befanute Theorie 
Bentbam’s zu geben: bie Koberungen jenes kecken reformatori: 
ſchen Ditettantiemus, ber mit ber ‚Partei der religiöfen und 
politifchen Dunlelmänner Das gemein bat, daß er bie Errungen⸗ 
Schaft bes deutſchen Beiftes für ein Phantom ausgibt, werben 
ſich ſchon Hierdurch von felbft in bas vechte Licht flellen. 

Dt die Mängel und Misbraͤuche der engliſchen Berichtes 

wurde Bertham tm tegten Viertel des vorigen Jahrhun⸗ 


440 


derts zum Nachdenken über eine zweckmaͤßige Seſeggebung und 
damit auf den Begriff des Rechtes geführt; denn es mußte ihm 
daran liegen, für feine philanthropifchen Beſtrebungen ein alls 
gemeines Princip und einen feften Haltpunkt zu haben. Ben⸗ 
tbam befaß für feine Zwecke einen tuͤchtigen Gharafter, eine 
entſchiedene Gefinnung und heilen und ſcharfen Verſtand; allein 
es mangelte ihm jede fchöpferifche Tiefe, jede fpeculative Ans 
ſchauung, um als wirklicher, epochemachender Rechtsphiloſoph 
aufzutreten. In dieſer Beſchraͤnktheit wandte er ſich zu den 
empiriſtiſchen Syſtemen der engliſchen und franzoͤſtſchen Philo⸗ 
ſophen, wie ex felbſt geſteht, und conſtruirte ſich einen ziemlich 
oben Senſualismus heraus, ber ſchlechter war als feine Ge⸗ 
finnung und feine praktiſche Wirkſamkeit. Daß Recht und Dos 
ral ihren Grund und Boden im Willen befiten, konnte ihm 
nicht verborgen fein; das abfolute Verhaͤltniß des Willens zum 
denkenden Geifte, um das ſich zu diefer Zeit auch bie Melt des 
deutfchen Geiſtes bewegte, bie Wurzel unfers ethiſchen Dafeins, 
ift ihm dagegen gänzlich unbegriffen geblieben. Bentham er» 
ennt in dem Willen nicht die freie und darum fittlidhe Pra- 
xis des intellectuellen Wtenfchengeiftes, fonbern er bleibt bei ber 
fenfuatiftifcden Behauptung ſtehen, daß die Natur den Menfchen 
unter die ‚„Derrfhaft von Euft und Untuft‘ geftellt, daß dieſe 
Empfindungen die einzigen, ewigen, das beißt, abfoluten Mo⸗ 
tive unfers Willens in allen Urtheiten, Handlungen und Lebens⸗ 
functionen feien. Der Moratphilofoph und der Befeggeber haben 
diefe Empfindungen deshald zu ihrem alleinigen Studium zu ma⸗ 
dyen. Die Luft ift nach biefer einfadhen Debuction der hoͤchſte 
Zweck und ber wahre Inhatt des menfdhlichen Dafeind. Was 
Luft gewährt, ifk gut und recht, was Unluft bringt, ſchlecht und 
unrechtlich; freier und ſittlicher Wille iſt der, welcher fo viel 
Klugheit und Stärke befigt, daß er eine vorübergehende und 
zweifeihafte Luft einer wahrhaftern, nad) Ertenfion_ und Ins 
tenfion reellern, zu opfern vermag. Durch dieſe Hinterthuͤr 
entfchlüpft Ventham freilich unter andern Einwänden auch dem 
Borwnrfe des Epitureismus. Das Recht hat fo allerdings nicht 
mehr zu feinem Inhalte und feinem Principe bie fitttiche Noth⸗ 
wendigfeit, fondern bie Subſtanz des Rechtes, und das Princip, 
nach weldyem es ſich verwirklicht, ift das Nügliche in Bezug 
auf die Verallgemeinerun 
oder der Unluſi. Da diefem Rechtsprincipe nichts als eine haare 
Berechnung des Verſtandes zum Grunde liegt, fo nennt es Ben: 
tham mit Recht das Princip des Nugen®. 

Wollte man uns vorwerfen, daß wir der Nüglichleitstheo- 
rie eine falfche Debuction untergelegt hätten, fo werben bie weis 
teen Andeutungen Bentham's alle Zweifel über feine Philoſo⸗ 
pbie löfen. Wir find alfe Anhänger des Nüglichkeitsprincips, 
fagt er, wenn wir unfere Billigung ober Misbilligung ber Danbs 
Iungsweife eines einzeinen Menſchen oder eines Gemeinwefens 
nur nach der Geneigtheit derſelben, Luſt ober Unluſt hervorzu⸗ 
bringen, abmeffen; wenn wir uns ber Begriffe: gerecht, unge: 
recht, gut, ſchlecht als Collectiobegriffe bebicnen, welche die Vor: 
ftellungen von gewiffen Luft: und Untuftempfindungen in ſich 
ſchließen. Fuͤr den Anhänger dieſes Princips iſt die Tugend 
nur ein Gut in Ruͤckſicht der mit ihr verbundenen Luft, das 
Laſter nur ein Uebel in Rüdfiht der aus ihm hervorgehenden 
Untuft; fände der Anhänger des Principe in dem allgemein an⸗ 
genommenen Berzeichniffe der Tugenden eine Handlung, welche 
mehr Untuft ats Luft zur Folge hätte, fo würde er kein Beben: 
fen tragen, dieſe angebliche Zugend für ein Lafter zu erflären. 

Das ift die Spitze jener Weisheit, die zum Ärger unfers 
Berf. nicht allein die beutfche Rechts: und Moralphiloſophie, 
fondern auch die Geſehgeber fo hartnädig ignorirt haben. Al: 
lein es ift nicht nur nothwendig, den Begriff des RNuͤtzlichkeits⸗ 
princips zu kennen und feftzuhalten: es muß auch eine „morali⸗ 
ſche Arithmetit”” mit fo beftimmter Methode erfunden werben, 
daß man dadurch zu gleichförmigen Reſultaten über das in je- 
dem Verhaͤltniſſe Rüsliche gelangen kann. Die weitern theore: 
tifdyen Bemühungen Bentham's über Recht und Geſetzgebung 


der Luſt und Unterbrüdung des Udels 


find nun auf die Beflimmung biefer moratifdgen Arithmetik mit 
— oder ng we fle enthalten, wenn fie nicht 
geradezu r berühren, für die Politik der Geſetgeb 
manchen trefftichen Wint und Geſichtspunkt. * 
ESs gibt, entwidelt er, vier Luſt⸗ und Unluſtgattungen, bie 
in dem Menfchen als Willensmotive ſich geltend madyen, umb 
diefe Gattungen nennt er Sanctionen. Sie find: 1) bie phufl 
ſche oder natuͤrliche Sanction, ober die Luſt⸗ und Untuftempfin 
bungen, welche man im gewöhnlichen Laufe der Natur erfahren 
oder erwarten kann; 2) die moraliſche Sanction, oder bie Em⸗ 
pfinbungen, bie man von Seiten ber Menfchen erfährt, ver: 
möge von Haß ober Freundſchaft, mit einem Worte ver: 
an ihrer willfärlihen Stimmung gegen uns: man kann fe 
auch Sanction ber Volkeſtimme, der Öffenttichen Meinung, der 
Ehre, der Sym⸗ und Antipathie nennen; 3) bie religiöfe Sau⸗ 
ction, d. i, die Empfindungen, welche man durch die Berbeißun 
— ober Drohungen der Religion erfahren kann; 4) bie politi⸗ 
Ge Sanction, oder bie Lufts und Uniuftempfindungen, bie man 
von Seiten ber Obrigkeit durch die Gelege erteidet.*) Diefe 
Staffification if für Bentham ſehr wichtig, fie gibt ihm eine 
Kunftiprahe an bie Hand, wodurch er bie verfchiebenen Gat⸗ 
tungen ber moraliſchen Gewalten, die in ber „Mechanit” bes 
menfchlicgen Herzens für den Gefeggeber die Hebel find, bezeich 
net. Sie wirken nicht auf alle Wenfchen in gleicher Weiſe, 
noch mit gleicher Gewalt; fie find bald Rivale, bald Verbaͤn 
bete, bald Feinde. Sind fie einig, fo wirken fie unwiberflch: 
lich; befämpfen fie ſich, fo maͤſſen fie fich ſchwaͤchen; rivalificen 
fie, fo müffen fie Widerfprühe in den Handlungen der Mens 
fügen bervorbringen; eine Gefehgebung, bie alle vier Sanctionen 
gleich berüdfichrigte, wuͤrde bie vollendtfle fein, unb nur durch 
das Nüslickkeitsprincip kann man dahin gelangen. 
(Der Beſchluß folgt.) 


*) Bentham macht ben Begriff diefer Sanctionen durch folgendes 
Beifpiel anfhaulih: „Einem Menſchen ift fein Haus burdh Heuer 
zerlöst worden ; geſchah ed in Bolge feiner Unvorfichtigkeit, fo wer 
ed die Unluſt der naturliden Sanction, bie er empfand; geſchah ed 
durch einen Richterſpruch, fo empfand er bie Unluſt der politiihen 
Sanktion; geſchah ed durch Miswollen feiner Nachbara, To empfand 
er die Unluſt aus ber Sanction der Volksſtimme; vermutbet er 
darin einen Act der beleidigten Gottheit, fo iR ed bie Unluf aus 
der religiöfen Sanction.“ 


| — — 


Literarifhe Anzeige. 


Durch alle Buchhandlungen ift von F. Ei. Brockhaus 
in Leipzig zu beziehen: 


Stanz Paſſow's 
Vermifchte Schriften. 


Herausgegeben 
von 


W. A. Passop. 


Mit zwei litbBograpbirten Tafeln. 
Sr. 8. Sch. 2 The. 


Diefe Sammlung der Eieinen beutfchen Schriften eines ber 
außsgezeichnetfien deutfchen Philologen wird nicht nur ben per⸗ 
ſoͤnlichen Freunden Paffow’s, fonbern auch allen Denen, | 
aus Beruf oder Neigung ber Geflaltung ber Alterthumswiflen: 
fhaft in diefem Jahrhundert mit Aufmerkſamkeit gefolgt And, 
eine willlommene Gabe fein. 


Berantwortliyer Deraußgeber: Heinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. X. Broddaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifbhe Unterhaltung. 





Freitag, — Nr. III. 


21. ap 1843. 





liber die gothifche Literatur, befonders über Ulfilas 
und den Codex argentens. 


(dertſetung aus Rr. Ile) 


Diefe gothifche Überſetzung der Bibel, ohne Zweifel in 
der oſtgothiſchen und weitgethifchen Kirche gebraucht (das 
ber man nicht fagen darf, Wifilas habe die Bibel in die 
möfogothifche Sprache überfest), mar auf jeden Fall feit 
dem Untergange des ofgothifchen Reichs in Italien und 
des weftgothifchen in Gallien und Spanien verſchwunden, 
im Iegterm Lande hat man noch nichts von Spuren des 
Gothiſchen vernommen, mol aber find fie in Stalien und 
in der Nähe von Frankreich wieder aufgetaucht. ad) 
kangem Schweigen wurbe (jeßt abgefehen von einigen go: 
thiſchen Studien, deren unten Erwähnung gefchehen wird) 
nah der Mitte des 16. Jahrhunderte von Anton Ro: 
rillou in „Becani Origmes Antwerpenses”’ das gothifche 
Bater Unfer aus einer Haudſchrift des Kloſters Werben 
detkannt gemacht, wahrfcheinlich aus derfelben, weiche lange 
die einzige war, die man fannte, und welche noch bie 
heute die einzige ift, welche, ein Bleines Fragment ausges 
nommen, die Evangelien unb in ihnen das Vater Unfer 
enthält. Diefe Handſchrift tft ber Codex argenteus (die 
Silberne Handſchrift), und ba diefe eine biftorifche Nota⸗ 
bilitaͤt geworden tft und, ungeachtet vieles Schreibens über 
biefelbe, noch viel Irriges von derſelben gefagt und geglaubt 
wird, fo fei es vergönnt kurz darüber zu erzählen, was 
die Wahrheit ifl. 

Aufgefunden wurde der Codex argenteus in der Be: 
nedictinerabtel Werden, jegt zum Kreiſe Duisburg bes 
preußiſchen Regierungsbezirks Düffeldorf gehörig, und zwar 
wahrfdyeinih im 16. Jahrhundert. Wie er dahin ges 
kommen iſt, weiß man ebenfo wenig, als wie und wenn 
er von Werden nach Prag, feinem fernern Aufenthalte: 
erte, kam, doch fcheint letzteres zu Ende des 16. Jahr⸗ 
hunderte gefchehen zu fein. Als der ſchwediſche General 
Graf Königemart 1648 nach der Adſchließung des Weſt⸗ 
fälifhen Friedens den Hrabfehin zu Prag, den er waͤh⸗ 
send ber Friedensunterhandlungen überrumpelt hatte und 
beſedt hielt, verließ, nahm er umter andern Beuteſtuͤcken 
aus Kaiſer Rubolf's Schage auch die Sitberne Handſchrift 


mit nah Stockholm. Hier fand fie einen Pag auf bee | 


Böniistichen Bibliothek und die Schweden glaubten gewiß 


fyon damals, wie fie noch heute glauben, daß fie bier in 
ihrem eigentlichen Vaterlande fei, da es ihnen unwider⸗ 
ſprechlich ausgemacht ift, daß das Vaterland der Gothen 
Skandinavien ift und daß fie von dorther, befonders aus 
Suͤdſchweden nad) Deutfchland gewandert find. In dem 
felben Jahre, wo der Codex argenteus nach Schweden 
gebracht wurde, war auch auf die Einladung der Koͤnigin 
Chriftine der Niederländer Iſaak Voffius nach Stockholm 
gekommen und Aufſeher der königlichen Bibliothek gewor⸗ 
den; Da aber nach wenigen Jahren auch Claudius Sal⸗ 
maflus nach Stodholm kam, ging Voſſius aus Verdruß 
von dort nah Holland zuräd und mit ihm kam der 
Codex argenteus nad) Leyden. Ob ihm die Königin den⸗ 
felben gefchenkt, oder ob ein guter Freund, wie Joſeph 
feinen Brüdern Geld und Becher, fo ihm den Gobder 
heimlich in den Reifefad gepackt, oder ob er, wie Viele 
glauben, unaufgefobert denfelben zum ÜReifegefährten ges 
nommen, weiß Niemand mit Beſtimmtheit gu fagen. 
Lange, nachdem Chriftine auf den Thron refignirt hatte, 
kam dur Pufenderf 1662 die Kunde nad) Schweden, 
baß der ſchmerzlich vermißte Coder in Holland bei Voſ⸗ 
fius ſei. Der ſchwediſche Reihsrath und Kanzler Graf 
Magnus Gabriel de Ia Gardie feste fih mit Vous 
über die Abtretung deffelben in Briefwechfel und erhielt 
den oder für 200 Thaler Conventionsmuͤnze (oder 408 
Thaler Banco, oder 600 Thaler ſchwediſches Meichegeld). 
Darauf ließ er ihn in maffiv filberne Decken einbinden 
und ſchenkte ihn 1669 ber Univerſitaͤtsbibliothek zu Upſala. 
Hier fit ee no und wird ale das Wahrzeichen von Ups 
fala von allen Reifenden mit großer Neugierde angefehen 
und von Neifebefchreibern, nach) dem Maße ihrer Kennt: 
niſſe davon und mach den Erzählungen der Bibliothekar: 
gehülfen darüber, auch nicht felten nach eigenen, oft von 
nicht geringer Unwiſſenheit in der Sache zeugenden Coms 
binationen und Fictionen beichrieben. Abgeſehen von No⸗ 
tizen in aͤltern Reliſebeſchreibungen und in neuen, weit 
kluger Borfiht fehr allgemein gehaltenen, verdient hier mit 
befonderer Dervorhebung aufgeführt zu werden, was Wels 
mann (in feiner „Beſchreibung einer Reife nach St.⸗Pe⸗ 
tersburg, Stockhotm und Kopenhagen”, Damburg 1838, 
&. 2723) von dem Codex argenteus fabett und commis 
niscirt; „der Cober”, fagt er, „enthält die vier Evangelien 
in möfogothifcger («8 iſt wicht blos möfogathlfche, ſondern 


442 


überhaupt gothiſche Sprache) Überfepung, von Ulfilas, im 
Jahre 360 (moher weiß denn das Hr. Woltmann mit 
ſolcher Beſtimmtheit?) angefertigt, gefchrieben mit Silber: 
ſchrift (es find auch mehre Zellen mit goldener Schrift 
gefchrieben) auf biaurothem, glatt polirtem Pergament, 
welches durch fein 1470jaͤhriges Alter (alfo glaubt Hr. 
Woltmann, daß der Coder von Ulfilas felbft geſchrieben 
iſt?) nachgerade etwas muͤrbe und loͤcherig geworben iſt. 
Der Anfang fehlt, auch das Ende iſt nicht erhalten (und 
außerdem fehlt leider noch fehr viel!), aber Angelo Mai 
hat vor nicht langer Zeit 20 Blätter dieſes Coder (mein! 
das iſt von einem ganz andern Goder, und es find ba: 
xin blos zehn Seiten in der Mai'ſchen und Caſtiglione'⸗ 
ſchen Ausgabe, darin auch ſchon mehre Fragmente ber 
Briefe) und die Briefe Pauli (find meift blos Fragmente 
diefer Briefe!) im gothifcher Überfegung gefunden. Auch 
weiß Hr. Woltmann zu erzählen, daß der Coder einft in 
Koͤln geroefen, dafür weiß er aber nicht, daB die Bene⸗ 
dietinerabtei Werden hieß; ferner fagt er, Bengel babe 
den Coder zuerft enträthfelt, und Zahn's Ausgabe nennt 
er eine deutfche Überfegung. Man mag eher den beiden 
Neufranten, die 1797 in der Beſchreibung ihrer Reiſe 
durch Schweden zweifelten, daß der Coder ſchon gedruckt 
fei, verzeihen, denn den Franzoſen hält man fo etwas zu: 
gut, aber von unfern Landsleuten verlangt man, daß fie 


ordentlich über Das belehrt feien, roorüber fie beiehrend 


fchreiben wollen. Und ebenfo unwiſſend in der Sache war 
Boltmann’s, übrigens fehr firenger Mecenfent in der bals 
liſchen „Literaturzeitung“, denn er fchrieb Wort für Wort 
jenen abenteuerlichen Bericht über den Coder in feine Res 
cenfion über, weil dieſe Befchreibung Niemand überflüflig 
finden würde. Ja, überflüffig ift fie wol nicht, aber fie 
ſollte nur richtig fein. In Wahrheit verhält es fich mit dem 
Inhalte und der Verfaffung des Codex argenteus alfo: 
Bekanntlich enthält er die vier Evangelien oder eigent: 
lich nur Fragmente berfelden, ſehr wenig von Matthäus, 
mehr von Johannes und Marcus, am meiften von Lucas. 
Gefchrieben iſt diefe Überfegung mit filbernen, der Anfang 
mandyer Abtheilungen und das ganze Vater Unfer mit 
goldenen Buchſtaben auf geglättetes purpurrothes Perga: 
ment. Freilich ift diefe Farbe auf den meiften Blättern 
ſehr verſchoſſen und hat, wie es den, mit diefer Farbe 
gefärbten Stoffen gewoͤhnlich duch das Alter ergeht, 
theils eine ſchmuzig violett, theils eine Lichte wöthliche, 
theild eine braune Farbe angenommen; die Silberfarbe 
der Buchſtaben tft nicht häufig erhalten, fondern fieht oft 
ganz bleigrau, oder voftfarbig, auch ſchwarz aus; dagegen 
hat ſich die Goldfarbe fehr gut erhalten. Und während 
- die Sliberfchrift auf der dußern, an fid glatten Seite 
bed Pergaments oft ganz vertilgt iſt, bat fie fih auf 
der innern Seite eingefreffen und eine Art Vertiefung bes 
wirkt, und wo das Pergament zu dünn geweſen iſt, iſt 
die Schrift dann ausgebrochen. ihre, der übrigens große 
Werbienfte um die Lefung des Codex argenteus hat, hat 
zuerſt behauptet, der Gober fei wit einer Art Stempel 
oder Patrize gedindt, fo zwar, daß man erſt den Buch⸗ 
Raben in das Pergament eingebrüdt, darein einen binden: 


den Stoff geftrihen und dann darauf die Metaliplättchen 
geliebt habe. Diele an ſich ſchon fehr abenteuerlihe Ans 
ſicht verliert noch mehr an Wahrfcheinlicdhkeit, wenn man 
fiebt, daß die Buchſtaben einander zwar ziemlich, aber 
durchaus nicht ganz gleich fmd und daß fie, wenn fie 
über die Zeile hinausgefchrieben find, immer Kleiner wer 
ben, je weiter fie fih von dem Ende der Zeile entfernen. 
Und doch glauben die Schweden Ihre's Wermuthung, daß⸗ 
der Codex argenteus gedrudt ſei, noch bis auf den heu⸗ 
tigen Tag, und mit ihnen glauben es nod viele Andere, 
wie B. Biondelli (in feinem, auch fonft fehr bedeutungs: 
fofen Schriften „Dei Goti e della loro lingua“, Mais 
(and 1839). Wenn Ihre den Codex aureus auf der koͤ⸗ 
niglichen Bibliothek zu Stodholm angefehen hätte, der 
zroifchen Pergamentblättern von gewoͤhnlicher Farbe, mit 
bunten Buchſtaben befchrieben, auch purpurfarbene Blätter 
mit Gold⸗ und Silberfchrift enthält und in welchem ganz 
wie in dem upfalaer die Farbe des Pergaments und der 
Schrift fi) verändert hat und unter der Schrift Löcher 
eingefallen find, fo hätte er jene Vermuthung nicht auf: 
geftellt. Das Eindrüden der Buchſtaben, was ihn zus 
meift zu jenem Glauben verführt hat, rührt unftreitig vom 
dem beizenden Bindemittel des Metall in der Tinte ber 
und ift, wie gefagt, nur auf der innern Seite des Pers 
gamentd. Allerdings ift der Coder durch diefes Angreifen 
der beizenden Zinte an einigen Stellen fehr wandelbar ge 
worden, uber doch beiweitem nicht fo, daß man es nicht 
übertrieben nennen muͤßte, was Luͤdecke ſchon 1784 von 
ihm fchrieb, er werde bald nichts weiter als ein Zeugnif 
Deffen fein, was er gewefen iſt, und der allgemeinen Ber 
gänglichkeit und Verweslichkeit. Und Lüdede muß bei feis 
ner Betaflung zur Unterfuchung bee Schreib: oder Druck⸗ 
art (denn auch er glaubt, der Coder fei gedrudt) fehr derb 
zugegriffen haben, oder bei feinem Verſuche auf das mors 
ſcheſte Blatt gerathen fein, daß fidy die betaftete Steile, 
wie ein alter Leichnam, in Staub aufloͤſte und anseinans 
derflog. Ich babe den Coder lange und tüchtig gemälzt 
und zwar 50 Jahre fpäter, als ihn Luͤdecke nur berührte, 
aber ich habe kein Stäubchen aus demfelben fliegen fehen. 
Es ift aber In neuerer Zeit ein anderer Feind als der 
Bahn der Zeit über den Gobder gekommen, der ihm einen 
großen Schaden zugefügt hat. Yon den 188 Blaͤttern, die 
er mit nach Upfala gebracht hatte, find — man weiß 
nicht durch wen und wenn — noch gegen LI Blätter ab: 
bunden gefommen, wenigſtens babe ich fie bei meiner Ver⸗ 
gleihung nicht finden koͤnnen. In Deutfchland hatte fi 
die Sage verbreitet, daß ein Engländer, der den Coder 
verglichen, fie mitgenommen babe; body iſt mir kein Eng⸗ 
länder bekannt, der den ober neulich verglichen hätte, 
und geſetzt, baß die Blätter wirklich nach England ges 
kommen wären, waran bei der eigenthümlichen, den Van⸗ 
dalismus nicht fheuenden Alterthümerfucht der Engländer 
wol Mancher zunaͤchſt denken Eönnte, fo wäre doch dabei 
noch nicht nöthig, daß fie der unbefannte jegige Beſttzer 
fetbft geholt. Die Schweden glaubten die Sache gar nicht 
und noch neulich haben fie es gegen Hrn. v. Strombedi 
geleugnet, wiewol ein Bibliothekar zugleich gegen denſelben 





443 


die Meinung ausſprach, daß die fehlenden Blätter mol 
ſchon feit geraumer Zeit entwendet fein möchten (vgl. v. 
Strombeck, „Darftellungen aus meinem Leben‘, Bd. 8, 
&. SI), und Mafmann (in M. Haupı’s „Zeirfchrift für 
deutfches Alterthum“, Bd. I, S. 319) fagt, die Biblio: 
thefare zu Upfala hätten leider den Verluſt fchon früher 


entdeckt, obfchon der Silberne Eoder in eigenem eifernen (?)- 


Kaften aufbewahrt gelegen habe. Das flimmt nun freilich, 
nicht recht gut zu dem Verwundern und Unmöglichfinden 
beim erſten Hören der Sache. Doc) iſt feitdem, wie man 
zur Sicherung vor unbefugten Antiquitätenfammiern Guſtav 
Adolf's Waffen über feinem Sarge in der Ritterholms: 
kirche zu Stodholm an Ketten gelegt hat, auc der Silberne 
Coder zum Noli me tangere gemacht und in den hölzer: 
nen Kaſten, in dem er früher fchon unter Berfchluß ge: 
halten, aber für jeden Fremden herausgenommen und fehr 
liberal gezeigt wurbe, für immer verfchloffen und nur ein 
paar aufgefhlagene Seiten find durch ein Glasfenſter 
fihtbar. 

Das Yufere, fein werthvoller fchöner Einband, iſt 
nun nidt mehr zu fehen. Diefer beſteht aus maffivem 
Silber. Auf der vordern Dede läuft ein erhabener Rand 
herum, einen Zoll weit nady innen ein gleicher, in dem 
Raum zwifhen Ddiefen beiden Rändern iſt eine Blumen: 
guirlande gravirt. Der ſechs Zoll breite und acht Zoll hohe 
Spiegel zeigt links den geflügelten Zeitgott mit der Senfe 
in der Hand und mit der Sanduhr auf dem Kopfe, der 
den Boden des Saals aufhebt, woraus eine nackte, von 
dem Nimbus umftrahlte Jungfrau hervorſteigt, die mit 
ber Linken ein aufgefchlagenes Buch hält, roorauf Codex 
Argenteus ſteht, mit der Rechten zeigt fie auf den, im 
Hintergrund mit der Biſchofsmuͤtze bedediten und vor einem 
Buͤcherſchranke figenden und fchreibenden Ulfilas. Drei 
Engel heben vor ihm einen Vorhang; Über der Scene der 
Aufbringung des oder halten zwei andere Engel ein, mit 
einem Kranz umwundenes und gekröntes Schild, worauf 
ſteht: Viphila redivivus et patrine (sic!) restitutus cura 
M. G. de la Gardie K. S. Cancellarıj Anno 1669, Der 
Engel rechts bat noch ein über jene drei Engel hinflat⸗ 
ternde® Band in der andern Dand, darauf ſteht: 40 Esaj. 
Verbum domini manet ip aeternum, Man findet die Ab» 
bildung dieſer vordern Dede des Einbandes in der Aus⸗ 
gabe des Wifilas von Stjernhielm. Die hintere Dede hat 
dieſelbe Einfaſſung, wie die vordere; im Spiegel iſt das 
graͤftich Gardie'ſche Wappen gravirt, von einem Eichen: 
franz umgeben und mit vier Engelöföpfen in den Eden 
verziert. Auf den Rüden find wieder Blätter von wins 
denden Bärsdern durchzogen gravirt. Die innern Selten 
der Decken find mit weißfeidenem Zeuch überzogen. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Die eine Frage. 
(Beſchlus aus Mr. 110.) 

Weiches ift nun aber das Berhaͤltniß des Rechts zur ſitt⸗ 
lichen Freiheit, oder, wie Bentham nadı feinem Standpunkte 
fat und fagen muß, zwiſchen Moral und Gefepgebung? 
Die Moral, allgemein —5 ſagt er, iſt die Lehre von der 
Kunft, die Handlungen ber Menſchen fo zu leiten, daß man 


die möglich größte Summe von GSluͤck hervorbringt. Obwol 
nun aber auch die Gefeggebung mit dieſer KRunftwiflenfchaft das 
gleiche Biel bat, To ift doch der Umfang der Wirkſamkeit beider 
jehr verſchieden. Alle Handlungen, im privatlichen wie öffente 
lichen Leben der Menſchen, gehören unter die Gerichtäbarkeit 
der Moral. Die Geſetgebung aber kann nicht und darf nicht 
einen birecten und ununterbrochenen Einfluß auf die @efanımt: 
baubiungen ber Menſchen haben, weil fie ihren Ginfluß nur 
durch Feſtſezung von Strafen auszuüben vermag. trafen aber 
find Uebel, die nur dann zu rechtfertigen find, wenn daraus 
eine größere Summe des Guten und des Gluͤckes entſteht, und 
wollte man die Moral jederzeit durch die Geſeggebung unters 
ftügen,, fo würde das Geſetz oft mehe Unheil anftiften als bie 
Übertretung der durch die Moral vorgefchriebenen Pflicht. Man 
würbe durch ein foldyes Gtraffuftem in ber Geſellſchaft Furcht 
und Schrecken verbreiten, welches das größte der übel fein 
müßte; man würbe bei vielen Bergehungen nicht das richtige 
Maß oder den alleinigen und wahren Schuldigen ausmitteln 
tönnen; man würde dem Ginzelnen duch ein durchgaͤngiges 
Gtrafgebot alle Energie des Willens und des Charakters raus 
ben; die Strafen und gefeglichen Drokungen mürden in Bezug 
auf die Pflichten gegen das Selbſt meiſtentheils überfläffig fein, 
da ihre Erfüllung die Klugheit hinlänglicy und ſtark gebietet. 

‚ Die Kritik Bentham's, der, feiner Anſicht nach, falfchen 
Principien in Morai und Gefeggebung vermifcht auf eine felte 
fame Weife das Wahre mit dem Falſchen. Er Eennt kurzweg 
zwei folche falfche Principien. Das eine ift das dem Nüplichs 
teitöprincipe gerade entgegengefehte:: das Princip des Asketismus. 
Philofophen, die durch die Verachtung, welche fie den gewoͤhn⸗ 
lichen Eebensgenäffen erwiefen, auf Beifall und Verehrung ge: 
rechnet haben, und unfinnige» von eitlem Gchreden gepeinigte 
Schwaͤrmer und Froͤmmler haben dieſes Princip geltend gemacht. 
Das andere nennt er das Princip der Sympathie und Antipathie. 
Es iſt die Willkuͤr, die aus bloßen Gefühlen billigt oder misbil⸗ 
tigt, ohne irgend einen andern Grund zugulaffen: die eine Pandlung 
für gut oder ſchiecht Hält, weil fie ihr gefällt oder misfaͤut. Reis 
der fieht der gute Bentham, der ſich vielfach über diefes Prin⸗ 
cip ſehr treffend austäßt, nicht ein, daß er ſich bier ſelbſt ver 
urtbeilt; denn wenn er bie Realifirung der Luft ober unluſt 
aud) einer Außerft verftändigen Berechnung unterworfen wiſſen 
will, fo iſt und bleibt bei ihm die unmittelbare Empfindung 
doch das Abfolute, welches den menfchlihen Willen beftimmt 
und beftimmen muß. Gr geftcht zu, daB bdiefes Princip bis 
jegt die meiften großen Wirkungen in der Gefchichte verantaßt 
bat, daß man durch baffelbe zur Nuͤtzlichkeitslehre gelcitet worben 
fei, daB es aber auch von jeher die Wurzel des Parteigeiftes, 
bes Sektenweſens und bes Charlatanismus gewefen. 

Da nun aber das Princip der Sympathie und Antipathie eine 
fo weſentliche Rolle im Gebiete der Moral und Geſetzgebung 
fpielt, fo wird Bentham zu einer Analyfe der Antipatbie und 
ber Ermittlung ihres Einfluffes in der Geſetzzgebung fortgeführt. 
Es verfteht fidy von ſelbſt, daß er auf feinem empirifchen Stand⸗ 
punfte die Natur bed Inſtincts unerdrtert täßt, fondern ſich 
nur mit einer nicht einmal möglichft vollftändigen Specialifirung 
der dußern Urfachen der Abneigung zufriebenfteltt, Er zählt 
bier auf: finntidhe Wiberwärtigkeit, verlegten Stolz, abgewehrte 
Derrichaft, Schwaͤchang und Zerftörung des Vertrauens auf die 
Fünftigen Handlungen der Menfchen, Zäufchung des Verlangens 
nad Sinftimmigleit und Neid. Bei dem Nachweis, mie dieſe 
Momente von allen Seiten ſtoͤrend in der Geſetgebung wirfen 
und wie fie allerhand ZTäufchungen veranlaflen, if die umfafe 
fende und ſcharfe Kritit Bentham’s freilih an ihrem Orte. ns 
ter Anderm verwirft er mehre „BSophismen”, hinter welche fi 
die legislative Willkür nicht felten ſteckt, und fagt: das Alter 
iſt kein Grund, ebenfo wenig bie Neuerung für bie Annahme 
oder WBerwerfung eines Geſetzes; religioͤſe Mutorität iſt kein 
Grund, denn Algernon Sidney begründete barauf fein demokra⸗ 
tifches Syſtem fo gut wie Bofluet feinen Deſpotismus; eine 
willfürliche Definition iſt Bein Grund; eine Metapher iſt Fein 


2.77 


444 


Grund, tie z. 3. bie „„Berunreinigung‘ bes Bluts bei den Ju⸗ 
riſten für die Gonfiscatton des Vermoͤgens; eine Wiction if 
fein Grund, 3. B. wenn man ben MWärger durch den Geſell⸗ 
fhaftsvertrag an den Staat verpflidgtet wiſſen will; ein phan⸗ 
taſtiſcher Grund, z B. „die ewige Vernunft will‘, ift kein 
Grund; endlich die petitio prineipii ift Fein Grund für bie An⸗ 
nahme oder Berwerfung einer Pflicht ober eines Geſetzes. 

Der Auffindung der moralifcdyen Arithmetik ruͤckt Bentham 
daburd näher, daß er alle bie „Elemente“ möglichft entwidelt, 
weiche die Rechtsbeftunmungen begründen und begründen müfs 
fen. Er laͤßt fich, ——— von den vier Sanctionen, in eine 
Opecificirung der Eufls und Unluftempfindungen ein, die bie 
Zriebfedern bes Menfchenherzens bilden, zählt bie Außern und 
Innern Momente auf (wie Gefundheit, koͤrperliche unb intellec- 
tuelle Kraft, Religion u. f. w ), weiche diefe Smpfinbungäweis 
fen bei Einzelnen und gungen Völkern mobificiren, und weift 
nach, daß nur unter Beruͤckſichtung aller dieſer Berhältniffe vom 
Geſetzgeber und Richter eine dem öffentlichen Welen heilfame 
und gleichmaͤßige Gerechtigkeitspflege möglich fei. An diefe Ana⸗ 
tofen Enüpfen fi nun fehr weitläufige und fcharffinnige Ent⸗ 
widelungen über die Art und Weiſe, tie ſich bie Übel in ber 
Geſellſchaft verbreiten. 

Niemand wird leugnen, baß dieſes Ruͤſtzeug bei der Bes 
ſtimmung eines pofitiven Geſetzes ſehr wefentlich fei; auch muß 
man zugeben, daß Benthbam unter den neuen Rechtslehrern 
zuerft diefe Rüdfihten mit befonderm Nachdruck geltend ge: 
macht und dem Gefeggeber an die Hand gegeben bat. Allein 
diefe fcyarfiinnigen Berechnungen, welche die Zufälligleit der 
Gtrafbeitimmungen ihrem Außerlichen Wefen nad weniger zus 
fällig machen, die ſich nur auf bie äußere Zweckmaͤßigkeit bezies 
ben und mit Recht dem Brundfage des Nugens angehören, has 
ben mit bem Rechtsprincipe und feiner logifchen Entwideiung 
gar nichts zu fchaffens denn das Recht fteht feiner Natur nad) 
bei allen Völkern, zu allen Seiten, bewußt oder unbewußt, als 
eine abfolute Koderung des freien, fittlidyen,, vom intelligenten 
Geiſte getriebenen Willens über der dußern Imedmäßigkeit, 
über dem Nutzen. Wenn Bentham diefe geiftige Ratur des 
Rechtes nicht anerkennt, wenn er bie unmittelbare Begierde, die 
nur Intelligeng ift, während fie fi klug verwirklicht, als ben 
abfoluten Inhalt des Rechtes dennoch aufftellte und ben Geſetz⸗ 
geber für einen „„Argt” hält, der die Gollifionen der Luſtbeſtre⸗ 
bungen befeitigen und verhüten fol, fo hat er fig nad dieſer 
Seite bin, wie fehr auch fein Herz von Liebe gegen bie Menſch⸗ 
heit erfüllt gewefen fein mag, dem traurigften Irrthum binges 
geben, ber die Grundveften bes Staats aufheben, die Gefell- 
ſchaft vernichten und aus ihr eine wuͤſte, perfide, vom Egois⸗ 
mus getriebene Maſſe machen würde, follte er mit Ernſt und 
GSonfequeng verwirkticht werben. 

Das Ruͤtzlichkeitsprincip, als das vermeintliche Wefen bes 
Rechts, laͤßt Bentham fogar ſchon bülflos, wo er zu einer weis 
teen Sntwidelung der Rechtsbegriffe übergeht. Eigentlich hätte 


er doch follen die Eintheilung des Rechtes aus den Empfin⸗ 


dungsgattungen, aus den vier fogenannten Sanctionen berleiten ; 
allein er bemerkt wol, daß Hier feine Philoſophie nicht Stich 
hält: er handelt vom Civilrecht, vom Criminalrecht, vom er: 
faſſungsrecht. Warum geftattet er ein Criminalrecht, warum 
gibt er Verbrechen gegen den Staat zu, ba body bei ihm con« 
fequenterweife feine ſolche ſittliche Macht, fondern hoͤchſtens 
ein durch Egoismus verbundener Haufe von Perſoͤnlichkeiten be⸗ 
ſteht? Wiewol gerade Bentham in ſeiner Abhandlung uͤber 
die Einrichtung legislativer Verſammlungen die ſchaͤrfſten und 
aͤußerſt praktiſchen Grundſaͤte aufgeſtellt, und zuerſt aufgeſtellt 
bat, fo mußte er uns doch eine Entwickelung des Verfaſſungs⸗ 
rechtes ſchuldig bleiben, weit ihm bie flaatlihen Verhaͤltniſſe 
feiner Theorie nach als etwas Unweſentliches, Zufälliges galten, 
die fo und auch anders ausgebilbet fein können. Bei ihm han⸗ 
beit es fih nur darum, daß der Arzt der Geſellſchaft in die 
Bebürfniffe und möglichen Übel berfeiben gehörig eingeweiht fei, 


um für das Gluͤck berfelben zu forgen, das heißt Fr rechnen : 
auf eine organiſche Entfaltung bes allgemeinen Geiftes umb 
Nechtsbewußtſeins kommt ed babei nicht an. Bentham konnte 
deshalb der feanzöfifchen Nationalverſammlung feine philanthro- 
pifgen Abſtractionen mit gleihem Rechte und glei Eifer 
en bie Hand geben, wie er es bei bem ruffifdden Autofraten 
that. 

Wenn wir alfo bad Princip Bentham's, ungeachtet feiner 
fonfligen Wirkſamkeit, ungeachtet der Anerkennung, bie wir ſei⸗ 
nem eifernen Gharafter und feinem Gifer für Menſchenwohl 
zugefteben, als ein beichränktes und werthlofes Probuct feiner 
3eit und feines Raturelld von der Hand weifen en, ſo kann 
es einem blinden und fanatifchen Nachbeter ber Nuͤtzlichkeitephi⸗ 
lofophie, wie der Verf. ift, nicht anders ergeben, zumal gerabe 
bie deutfche Wiſſenſchaft in diefem Gebiete ihre beiße Arbeit 
vollbracht hat. Wie jeder Apoftel einer verfchollenen Lehre bätt 
auch der Verf. die Seine für verfaunt und fobert eine gruͤnd⸗ 
liche Widerlegung. Wo foll die Kritik zu feinem Beſten, zu 
feiniger alleinigen Aufklaͤrung diefes Riefengefchäft beginnen, wo 
ſoll fie aufhören, da er fo gänzlidy außer dem Bewußtſein und 
der Bildung feiner Zeit und feines Volkes ſteht! Mean Eann 
ihm hoͤchſtens rathen, daß er feinen aparten Standpunkt einmal 
aufgeben und mit Ernft in die Ziefen der beutichen Rechtsphi⸗ 
loſophie binabfleigen möge. Nicht allein die Natur des Rechtes 
und bie Berdienfte feines Meiftere werben ihm bann Elar wer: 
ben, fondern er wird auch begreifen, daß die Verwirklichu 
bes Rechtes niemals dem Zufalle preisgegeben ift, fondern ba 
bie Gefeggebung,, bewußt ober unbewußt, aus dem fittlichfreien 
Geiſte eines Volkes vollzogen wird. 4. Kurgen. 


Literarifhe Notizen aus England. 


In Bentley's Verlage erfcheinen nädıftens: ‚Voyage to 
the North - pole, performed ia His Majesty’s ships Dorochee 
and Trent, under the command of capt. Buchan; by capt. 
Beechey, one of the officers of the expedition“, mit Kupfer 
ftihen; „Miss Pen and her niece” (3 Bde), eine Novelle 
von Mrs. Stone, Verf. von „William Langshawe”, ‚The 
art of needlework’’ u. f. w.; „Bagland casıle”, ein Roman 
von Mrs. Thomſon, Verf. von „Widows and widowers”, 
„Anne Boleyn” u. f. w.; „Tales of the english settlers ia 
Munster” (3 Bbe.), von John Elmes; „Devereux, earl of 
Essex”, ein Roman von Ch. Whitehead, Werf. des ‚Richard 
Savage” u. f. w. In demfelben MWertage erfdhienen unter 
Anderm: „Narrative of a journey to Kalat; including an 
account of the insurrection at that place in 1840, and 
a memoir on Eastern Balochistan‘, von Ch. Maſſon, den 
vierten Band zu deſſen „Journeys in Balochistan” bifdend, mit 
einer neuen Karte ber verfhiedenen Gegenden auf jeder Geite 
bes Indus, weiche der Verf. durchreiſte; „Doings in China; 
being the persomel narrativre of an oflicer engaged in the 
late chinese expedition, from the recapture of Chusaa, in 
1841, to the peace of Nanking, in August 1842“, vom 
Lieutenant Aler. Murray, mit des bekannten chinefifchen Som: 
miffionnairs Lin Bildniß; „The court of England, under the 
houses of Nassau and Hanover’‘, von John Heneage Felle, 
Berf. der „Memoirs of the court of England during the 
reign of the Stuarts”, (3 Bde.) mit Portraits; „Titian, a 
romance of Venice’, von Shelton Madenzie (3 ®Bde.); „The 
double duel; or, Hoboken“, von Th. Ray; „The phantas- 
magoria of fun’, von Alfred Crowquill t2 Wide), mit 150 31: 
Iuftrationen ; „The wassail-bowl’, von Albert Smith (2 Bde.), 
mit charakteriftifchen Illuſtrationen von Lead. 


Aus einem eben entdeckten Driginalmanuferipte, weldens 
ber frühen Zeit von König Jakob's I. Regierung angehören 
fol, erihien „A dream of a Queen's reign.” 18. 





Berantwortlier Deraudgeber: HAetnrich Brokhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodbaus in Letpzig. 








Ba "00 





u \ 
9 


Blätter Ä 


ür 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 





Über die gothifche Literatur, befonders über Ulfilas 
und den Codex argenteus. 


(Beſchluß aus Nr. 11.) 


As der Soder in Leyden bei Voſſius war, fah ihn 
Franz Junius, befhäftigte fidy mit der Sprache und gab 
die Fragmente heraus (Dordredt 1665) ; dies war die 
erfie Ausgabe des Ulfilas, fie iſt mie gothifchen Lettern 
gedruckt, neben dem gothiichen Texte enthält. fie noch die 
engelfächfifche Überfegung,, den zweiten Theil bildet ein 
Gloffarium. Der Junius'ſchen Ausgabe folgte die ſchwe⸗ 
biiche Ausgabe von Stjernhielm (Stockholm 1671), welche 
auch die islaͤndiſche, ſchwediſche und lateiniſche Überfegung 
der Vulgata enthält. Stjernhjelm wurde in Folge diefer 
Arbeit zum Prafidenten der Alterthumsgefellfhaft in Stock⸗ 
bofm gewaͤhlt. Won den Altern Ausgaben iſt unffreitig 
Die beſte und zugleih in typographiſcher Hinſicht die 
ſchoͤnſte die engliſche, eigentlich von dem Schweden Benzel 
deforst, aber erit nach deffen Tobe vom dem Engländer 
Eduard Eye herausgegeben (Drford 1750); fie iſt mit go: 
thiſchen Lettern gedruckt und enthält eine Lateinifche Über: 
fegung unter dem Texte. Biel beſchaͤftigte ſich auch ber 
Prof. Ihre zu Upfula mit dem Codex argenteus ; er ließ 
afe Fragmente aus der Benzel'ſchen Ausgabe abfchreiben 
und berichtigte die nicht wenigen Fehler derfelben aus dem 
Gober ſelbſt; leider kam er nicht zur Derausgabe, das Mas 
nufeript kam fpätet in die Hände bes Prof. Heynatz in 
Frankfurt (daher Heynatz's Manufeript, jest fol es, nad 
Maßmann's Ausfage, in dem Befige Zeißberg's in Wer: 
nigerode fein). Doc, wurden feine zahlreichen und treff: 
fihen Umendationm in mehren einzelnen Schriften be 
kannt gemacht, welche mit andern Schriften, den Codex 
argenteus ımd fonft die gothifche Sprache betreffend, ge: 
ſammelt von Buͤſching als „Scripta versionem Ulphila- 
sam illustrantia” (Berlin 1773) herausgegeben wurden; 
die erfte der Ihre'ſchen Abhandlungen, befonders die Emen: 
dationen der frühern Ausgaben enthaltend, ift betitelt „UI- 
philas iHustratus”‘. Fruͤher gab es noch eine Abſchrift des 
Codex argenteus, welche von einem gewiſſen Derrer fchon 
in Werden gemacht worden war (daher Derrer's Hand⸗ 
ſchrift) und alle Reiſeſchickſale des Coder theilte, zuletzt 
auch mit demfelben von dem Brafen de la Garbie der 
Bibliothek zu Upfala gefchenft wurde. Bon da hatte fie 


der jüngere Olaus Rudbeck geliehen, fie verbrannte ihm 
aber in einer Feuersbrunſt, weiche fein Haus verzehrte. 

Unterdrffen hatte 1756 der Acchidiatonus Knittel zu 
Wolfenbüttel auf der dortigen WBibliothet ein Kragrmmet 
des Briefe an Die Römer gefunden; der Coder (Codex 
Carolinus), ein Palimpſeſt, ſtammt aus der Bibliothek der 
reichefreien Abtei Weißenburg im Wasgau und kam, nad) 
mannichfahen Wanderungen (auch er war einft in Prag), 
1690 nach Wolfenbüttel. Knittel gab das Fragment her⸗ 
aus 1762 (die Exemplare mit den Kupferplatten find fel: 
ten), und dies Fragment fand aud Aufnahme in der deut⸗ 
ſchen Ausgabe des Ulfilas von Zahn (Weißenfels 1805). 
Diefe Ausgabe enthält ben Text mit Lateinifchen Lettern, 
eine lateinſſche, dis zur Batbarei woͤrtliche Interlinear⸗ 
verſion und am Rande Benzel's lateiniſche Überſetzung; 
darnach folgt Fulda's ſehr duͤrftige Grammatik und von 
Reinwald umgearbeitetes Woͤrterbuch. 

Bedeutender als der wolfenbüttler Fund wur die Ent 
dedung Angelo Mai's und des Grafen Gaftiglione in Pa- 
limpfeften der Ambroflanifchen Biblische zu Mailand. 
Diefe Handfchriften (Codices Ambrosiami) find fünf an 
der Zahl; zwei derfelben find befonders wichtig, da fie alle 
Pautinifchen Briefe (freilich zum guten Theil nur fragmen: 
tariſch) enthalten; der dritte enthält ein Fragment des 
Evangeliums Matthät, welches größtentheils nicht Im Co- 
dex argenteus fteht und beffen Text einer andern Recen⸗ 
ſion angehört als ber des Codex argentens, wenigftens 
aus einer andern Handſchrift als jener gefchrieben ift; ber 
vierte Coder enthält Fragmente aus Esdra und Mehemia 
und der fünfte einen Theil der unten zu nennenden Skei⸗ 
reind. Alle diefe Handſchriften kamen aus der Benebictt: 
nerabtei Bobbio in Piemont nah Mailand. Zuerft mach⸗ 
ten bie beiden genannten Gelehrten in einem „Specimen 
Ulphilae partium ineditarum‘” (Mailand 1819) bie ge: 
nannten Fragmente des dritten und vierten Cober bekannt, 
ferner eine Probe des Briefs an die Philipper, die Frag: 
mente der Briefe an Titus und Philemon, ein Stuͤck aus 
dem fünften Gober, das ihnen Fragmente einer Homilie oder 
eines Tractats Über einen theologifhen Gegenſtand zu fein 
ſchienen; dazu aus einer von den beiden Hundfchriften, welche 
die Paulinifchen Briefe enthalten, dad Fragment eines go⸗ 
thifchen Kalenders, da® in der Angabe der wichtigen Tage 
des November (im gothifchen Kalender der erſte Jiuleis 





446 


genannt) und einiger ded vorhergehenden Monats befteht. 
Diefem Specimen folgte, von Caftiglione allein herausge⸗ 
geben, 1829 der zweite Brief an bie Korinther, der (bie 
auf wenig fehlende Worte) ganz vollftändig ift, mit einem 
fehr reichhaltigen Gloſſar über denfelben; 1834 die Frag⸗ 
mente des Briefes an Die Römer, des erften am die Ko: 
rinther und des an die Ephefer; 1835 die Fragmente der 
Briefe an die Galater, Philipper, Koloffer und des erften 
an die Theſſalonicher, endlich 1839 die Fragmente des 
zweiten Briefd an die Theffalonicher, der beiden Briefe an 
den Timotheus, des Briefs an den Titus und an Phile: 
mon, in den drei erſten Briefen diefed Heftes waren die 
Schwierigkeiten des Lefend am geößten und der Heraus: 
geber mußte oft nur vermuthen und nach Anleitung des 
griechifchen Textes errathen. 

Alle Fragmente der Bibelüberfegung enthält die zweite 
deutfche und erfte vollfiändige Ausgabe des Ulfilas, welche 
unter dem Xitel- 

Ulfilas. Veteris et novi testamenti versionis gothicae fra- 
gmenta, quae supersunt ad fidem codd. castigata latioitate 
donata adnotatione critica instructa cum glossario et gram- 


matica linguae gothicae conjunctis curis ediderunt H. C. 
de „Gabelentz et Dr. J. Loebe. Altenburg, Schnuphafe. 
1836. 4. 


herauskam und das Gluͤck hatte, dem Kronprinzen Mari: 
milian von Baiern dedicirt werden zu dürfen. Die Ver: 
zögerung dev Herausgabe des legten Bandes ber italieni: 
fchen Ausgabe verzögerte die Vollendung diefer Ausgabe, 
und da inzwifchen der zeitherige Verleger mit der Luft 
auch das Vertrauen zu der Sache verloren hatte, überließ 
er, zu großer Sreude der Herausgeber, den Verlag an 
F. A. Brockhaus in Leipzig. Da die Herausgeber ſelbſt den 
Codex argentens und Codex Carolinus an Ort und Stelle 
verglichen und in ununterbrochenem Briefmechfel mit dem 
Srafen Gaftiglione denfelben auf viele fragliche und ver- 
dächtige Lesarten in feiner Ausgabe aufmerkſam machten 
und zu mehrmaligem Bergleihen ber mailändifchen Hand: 
fchriften veranlaßten, fo dürfte diefe Ausgabe, ohne Ruhm: 
rebigkeit zu fprechen, die befte fein, die es bis jegt vom 
Ufitas gibt, wie fie denn auch Jakob Grimm, ohne Zwei: 
fel der competentefte Richter in der Sache, in der Vor: 
tede zum erften Theile der dritten Ausgabe der deutfchen 
Grammatik „eine trefflihe, dem hohen Werthe der gothi- 
fen Sprachdentmäler entfprechende‘ nennt. Sie ifl zu: 
glei die volftändigfte, denn fie enthält einen bisher noch 
nicht edirten vom Grafen Gajtiglione den Herausgebern 
freundlichft im Manufeript mitgetheilten Theil aus Esdra 
und mehre Verſe des erften, deitten und fünften Capitels 
des Evangeliums Johannis aus der Skeireins. Der Text 
ift mit Iateinifchen Lettern gedrudt, ihm eine Lateinifche, 
der Vulgata entnommene, aber dem gothifchen Text ſich 
innig anfchließende Uberfegung untergeftellt und daran reis 
ben ſich Eritifche Anmerkungen, welche bie Lesarten aller 
Ausgaben enthalten, auf fehlerhafte oder zweifelhafte Les⸗ 
arten aufmerkſam machen, auch auf das Derhältniß des 
gothifchen Textes zu dem griechifchen binzeigen; eingeftreut 
find auch grammmatifche Bemerkungen, welche zur Beſtaͤti⸗ 


gung der Richtigkeit oder zur Hinweifung auf die Falſch⸗ 
beit der Lesarten nöthig waren. Voraus gehen Prole 
gomena , in denen kurze Nachricht von Ulfila® gegeben 
und dann von der gothifhen VBibelüberfegung und zwar 
befonder6 worüber fie fich erſtreckt und aus welcher Quelle 
fie gefloffen iſt, ihre echte Gothicitaͤt und der Überfegungse 
weife echte Germanicität nachgeriefen ift; ferner von ber 
Derfchiedenheit der einzelnen Xheile der Sragmente des 
Codex argenteus gefprochen tft, auch die Codices beſchrie⸗ 
ben, fowie eine vollfländige Literatur der Ausgaben bei: 
gegeben ijt. Als erfte Abtheilung des zweiten Bandes er: 
feine nun auch in einigen Wochen das Gtoffarium, 
welches ſich nicht allein über die Bibel, fondern über 
alle Überrefte der gothifchen Literatur erftredi. Dem Glof- 
far wird ſich nachher als zweite Abtheilung bes zeiten 
Bandes die gothifhe Grammatik anfchließen. 

Diefe anderweitigen Überreite der gothifchen Literatur 
find zunaͤchſt die fogenannte Skeireins. Dies Werk, wenn 
man ein Fragment fo nennen barf, wurde zum Theil 
fhon in Mailand in den Ambrofianifhen Handfchriften 
gefunden und, wie oben angegeben, von Mai und Caſti⸗ 
glione für eine Domilie oder einen theologifhen Tractat 
gehalten. Prof. Maßmann in Muͤnchen erhielt inzwiſchen 
1825 Kunde, daß auch in Rom auf der Vaticaniſchen 
Bibliothek ein Theil jener Schrift in einem Palimpſeſt 
fei, und im Auftrag des Kronprinzen von Baiern reifte 
er nach Stalien und lad dort in Rom die brei und im 
Malland die fünf Blätter. In diefen Fragmenten finden 
fi) viele Citate aus dem Evangelium des Johannes, von 
denen ſich eine gewiſſe Reihenfolge auemitteln ließ, und 
während Mai und Gaftiglione darin eine erbauliche Er⸗ 
pofition über die Bibelſtellen erfannten (weshalb fie fie eine 
Homitie nannten), fand Maßmann darin einen erflärenden 
Commentar oder eine didaktiſche Auslegung und nannte 
fie mit gothifhem Namen Skeireins (d. i. Erflärung). 
Das Buch führt den Titel: 

—— —— 5*— ichannen, Auslegung bes Cvan⸗ 
elii Johannis in gothifcher ade, herausgegeben von 
5 afßmann. en Tr or 9 

Ob diefe Schrift wirklich eine Auslegung des Johan: 
neifhen Evangeliums oder vielleicht eine Art Erklärung 
einer Evangelien: Harmonie, der befonders Johannes zu 
Grunde lag, oder fonft eine theologifhe Schrift, zur Ver⸗ 
theidvigung des Arianifhen Dogma iſt, bielbt ungewiß. 
Mit noch weniger überzeugenden Gründen murbe von 
Maßmann vermuthet und vielfach, von Andern ihm nad: 
geglaubt und nachgefprocdhen, es wäre die Überfegung einer 
Schrift des Theodorus von Heraklea. Darauf und zu: 
gleich auf die Nichtigkeit des von Maßmann gelefenen und 
herausgegebenen Textes warf der Unterzeichnete einige kri⸗ 
tiſche Blicke in dem Schriften: 

Beiträge zur Textberichtigung und Erklaͤrung ber Skeireins. 
Altenburg 1839. 8. 

Diefen Beiträgen ift auch eine verfiändliche Überfegung 
der, für die Bibelerklaͤrung des Alterthums nidt unie 
tereffanten und für die Geſchichte des Arianismus wich⸗ 
tigen Schrift angefügt. Der Text der Skeireins, der {che 





447 


uarichtig geſchrieben und noch mit mehren Fehlern von 
Maßmann herausgegeben worden ift, findet fi) verbefjert 
abgedruckt in der Vorrede zu unferm gothifchen Gloſſarium. 

Die übrigen Reſte der gothiſchen Literatur find weni: 
ger umfänglih. Zu ihnen gehören zunaͤchſt ale die noch 
bedeutendern und echt gothifchen die Neapolitaniſche und 
Aretintfche Urkunde. Die erſtere enthält vier gothifche Un: 
terfchriften in einem lateiniſch auf Papyrus gefchriebenen 
Kaufdrief, der ein Landftüd bei Ravenna betrifft; die letz⸗ 
tere enthält eine gothifche Unterfchrift eines gleichfalls la: 
teinifch gefchriebenen ähnlichen Kaufbriefes. Beide find 
wahrfcheinlih aus dem 6. Jahrhundert. Die Ravennati: 
ſche Urkunde, uefprünglih in dem Archive der Anaflafia 
zu Ravenna, dann in dem Archive der Kiche Sta. : Annun> 
ciata zu Neapel, iſt jetzt ebendafelbfi in der Bibliothek ber 
Stud; reali in einem hohen Wandfchranf unter Glas. Die 
gothiſchen Unterfchriften wurden wieder 1810 von Siero: 
kowsti bernusgegeben; die Aretinifhe, in Doni's „In- 
scriptiones untiquae”, herausgegeben von Gori (Florenz 
1731), auch wieder im zweiten Bande von 5. Brunetti's 
‚„‚Codice diplomatico toscano” abgedrudt, fam von Atezzo 
nach Florenz und ift feit 1731 verloren. Die beidertheili: 
gen Unterfchriften und von der Meapolitanifchen einen Theil 
des Texts facfimilirt gab heraus Maßmann in: 
Frabauhtabokos, ober die gothifchen Urkunden von Neapel und 

Arezzo, mit zwei Schriftnachbildungen in Steindruck. (Muͤn⸗ 
chen 1837.) Wien 1838. Fol. . 

Frabauhtabokos foll ein Kaufbrief beißen, ift aber ein, 
auf den Grund eines nicht vecht verflandenen Ausdrucks 
in der Aretinifchen Urkunde von dem Derausgeber unrichs 
tig gebildetes Wort. Von Intereſſe iſt aud das Frag⸗ 
ment ded oben genannten gothifchen Kalenders, welches 
ſich ebenfalls wieder in der Wortede zu unferm gothifchen 
Gloſſarium abgedruckt findet. 

Mehre gothiſche Kleinigkeiten und einiges mit Unrecht 
fuͤr Gothiſches Gehaltene hat Maßmann unter dem Titel 
„Gothica minora” in M. Haupt's „Zeitſchrift für deut: 
ches Alterthum“ (erſten Bandes zweites Heft, ©. 294 
— 393) herausgegeben. Er führt ba aus einem wies 
ner Goder (Mr. 3527 der k. k. Bibliothek) mehre 
gothifche Alphabete mit den Benennungen der Buchſtaben 
nady Runenweife, einige Zeilen gothifcher, meift aus dem 
Zufammenhang geriffener Worte, ferner einige Zeilen, wel 
he Regeln für die Ausſprache der gothiſchen Laute ent: 
haften, und dann mehre gothifche Zahlen, wovon ſchon W. 
Grimm (‚Zur Literatur der Runen”, Wien 1828) ge: 
handelt und die Zahlen dem erſten Buche Mofis zuge: 
f&hrieben hatte, an. Maßmann meint, bie zweite Reihe der 
Zahlen gehöre in den Propheten Ezechiel und in die Buͤ⸗ 
cher der Makkabaͤer. Ferner das fogenannte „Gotthikon” 
in des Kaifer Konftantinus Porphyrogenetes Buch „De 
caerimoniis aulae byzant.”, 11, 83; diefes ift ein Gefang, 
den in ben zwölf Nächten nach Weihnachten fremde Krie⸗ 
ger in ihrer Mutterfprache zu einem Waffentanz vor der 
Baiferlichen Tafel in Konftantinopel aufführten. Aber jene 
Ausrufe und Berfe, wenn man ed fo nennen darf, find 
weder gothiſch, noch wird durch die beiden, darauf fols 


teiniſche Inſchriften. 


genden Worterklaͤrungsverſuche bei Konſtantinus irgend eig 
Licht auf die Sprache geworfen. Das eine jener Wort: 
verzeichniffe verfuchte die Ausdräde einzeln aus dem Las 
teinifchen, Hebraͤiſchen und Griechifhen zu erklären, fie 
gehören aber diefen Sprachen ebenfo wenig an, als der 
gothiſchen. Intereſſant ift die Einfuͤgung gothiſcher Wörs 
ter in einem Epigramm in Burmann's „Anthologia la- 
tina”, V, 161, wo aus der übel zugerichteten Lesart sca- 
piamatziaiadrincan doch wenigftend gewiß matjan jah 
drigkan (effen und trinken) herauszulefen ift, fei es daB 
jenes Monſtrum von Lesart durch die Abfchreiber in den 
Zert gelommen oder wol gar von dem Dichter feibft fo 
geſchrieben ift, der ficherlich nicht gothifch verftand. Auch 
dad verlegte Metrum follte wol in der barbarifchen das 
zarte Ohr des Italieners verlegenden Sprache eines zumal 
von Hunger und Durft noch zu ungemäsigtern Ausdruͤ⸗ 
den und zu roherm Zone genöthigten Soldatenhaufene 
Entfhuldigung finden. Altes Andere, wie die Elle von Bes 
sona, daB Gothiſche in der Krim aus einem Briefe Bus: 
beck's, das Sihora armen, hier und anderwärts erwähnt, 
gehören ebenfalls ſicherlich der gothifchen Sprache nicht an, 
wierol die angeführten Wörter in Busbeck's Brief und 
Anderer Nachrichten vor ihm (vgl. Beuß, „Die Deutfchen”, 
S. 432) etwas Überrafhendes haben. Gothifhe Namen, 
entweder in alten Schriftftelleen erwähnt oder in eigenen 
Verzeichniffen aufgeführt, gehören nicht hierher, fondern 
in die Grammatik und in das Woͤrterbuch. Das oflgos 
thifhe wie das weſtgothiſche Geſetz iſt in Iateinifcher 
Sprache gefchrieben; ſelbſt die Münzen, welche von den 
weftgothifchen Königen in Spanien (vgl. Aſchbach's „Ge⸗ 
fhidhte der Weltgothen”, S. 354 fg.) und von den Oflts 
gothen in Italien gefchlagen find, enthalten fämmtlidy las 
J. Loͤbe. 





Denkwuͤrdigkeiten eines oͤſtreichiſchen Kerkermeiſters. Nach 
wahren Begebenheiten bearbeitet von Ernſt Will: 
tomm. Leipzig, Reclam jun. 1843. Gr. 12. 1 hie. 
15 Por. 


Wer dachte beim Anblick dieſes Buchtitels nicht unwillkuͤr⸗ 
ih an Spielberg, Brünn und Ollmuͤt und erwartete nicht, von 
den Leidensgenoffen Silvio Pellico’d und Maroncelli’s unterhals 
ten zu werben? Die Taͤuſchung waͤre vollſtaͤndig. Der Verf, 
der dies Buch vieleicht ſchon vor langer Zeit gefchrieben — denn 
es ſcheint uns eine Jugendarbeit zu fein —, fest ſich barin ein 
an fi lobwuͤrdiges Biel. An ein uraltes, in Prag noch be= 
ftebendes Gebäude, den Teynhof in ber Altftabt, Enüpft er die 
Erzaͤhlung von einem entdeckten Manufcript aus den Zeiten des 
Dreißigjährigen Kriegs, die Hinterlaffenfchaft eines alten Kaftel⸗ 
land dieſes Gebaͤudes, das vordem das Staatsgefaͤngniß von 
Böhmen war. Dies alte Manufcript erzählt nun die Geſchich⸗ 
ten großer Verbrecher, bie hier unter der Obhut des Schreibers 
lebten. Alle dieſe Befchichten, nach einem moralifcdyen Biele uns 
verkennbar zuflrebend und zum heil weit in das Dunkel des 
Mittelalters zuruͤckreichend, werben von einem ethifchen vothen 
Baden aneinanbergereiht, ber als der Grundgebanke des Verf. 
und ald Kern des Ganzen eine nähere Betrachtung verbient ; 
denn wäre biefer Grundgebanke etwa falfch, fo wäre bamit 
diefen Erfindungen — dafür müflen fie dem Titel zum Trog 
gelten — das Urtheit gefprochen. Diefer leitende Gedanke if 
nun der, daß alle große Verbrechen, die die Menfchheit er⸗ 


448 


recken, ihren Anfang in einer erlaubten Seelenregung neh⸗ 
Mr und ſomit gewiffermafen Übertreibung bes Kechten unb 
der Tugend find. Mir wollen biefen Gag nicht geradehin als 
faiſch bezeichnen, indeffen miſcht fi in ihm der Wahrheit doch 
o viel Schein und Irrthum bei, daß er wenigſtens als zwei⸗ 
haft erfcheinen darf. Ein Sohn erfchlägt feinen Water aus 
Ruhmſucht, ein Bruder den Bruder aus Ehrgefühl, eine ſhone 
au wird Möcberin aus erlaubter Pflege ihrer Schönheit x. 
ie moraliſche Intention ſolcher Erzählungen ift Mar, aber auch 
ihre grfaͤhrliche Seite. Die Tugend ik Maß und die menſch⸗ 
che Natur ift bay befähigt, dies Maß zu behaupten. Über: 
[reitet fie es, 
Sauͤnde erzeugt, und es ift eben für deren Laͤßlichkeit nichts er⸗ 
wiefen. 

Alle diefe Geſchichten haben zunaͤchſt ben fehler, daß fie 
unferm Gittenzuftande zu fern ſtehen. Dies Gebrechen ift ihnen 
willtürtich von dem Verf. mitgegeben worben, ber ber Verſu⸗ 
ung nicht widerftehen konnte, feine Erzählungen in ‚ein alter: 
thuͤmliches Gewand zu kleiden und fie mit einer, tn feinem 
Kreife befannten Localität in Berkinbung zu bringen. In bies 
fem kuͤnſtlichen Effect geht ein großer Theil ihrer fonftigen Wir: 
tung nußlos verloren. Manche diefer Begebniffe find nicht ein» 
mal neu unb wir erinnern uns namentlich die Gefchichte von 
der ungarifchen Gräfin, weiche, um den Glanz ihrer Haut zu 
erhalten, fi in Kinderblut badete, in der Form eines Kinder: 
mäschens ſchen angetroffen zu haben. Dergleichen paßte nicht 
in ein halbwegs ernftgemeintes Buch. Die meiften andern Ber 
gebenheiten mögen allerdings auf boͤhmiſchen Sagen beruhen, 
wie die von Samo von ber Dul — ein Opfer ber Kr Ten 
wol unzweifelhaft einen foldyen Urfprung verräth; indeſſen ift es 

kaum zu rechtfertigen, wenn fie auf dem Titel als wahre 
Begebenheiten angekuͤndigt werben. 

Ein anderer Mangel diefer Arbeit ift, daß in diefe alter: 
thuͤmlichen Erzählungen eine ziemlich moderne Denk: und Sprech⸗ 
weife überall ftötend hineinfpielt und hineinfchielt. Der Verf. 
Dat häufig die von ihm beabfidhtigte Farbe feiner Gemälde nicht 
feft zu halten vermocht und tft den felbfigegogenen Grenzen, mehr 
als erkaubt ift, untreu geworben. Abgelehen von biefen Aus⸗ 
ſtellungen, welchen eine ftrengere Kritil, als fie uns gerabe 
bier nöthig zu fein feheint, noch Manches hinzufügen könnte, 
leſen fich diefe Verbrechergeſchichten mit demjenigen Interefle, 
welches die Analyfe einer Menfchenfeele ſtets darbietet. Gewandte 
Diction und glädtiche Farbenabſtufung flehen dem Verf. zu Ge- 
bote. Wie müflen ihm jedoch ſchließlich noch eine Bemerkung 
zur Beachtung empfehlen, nämlich die, daß wir begabte Geißler, 
zu welchen wir ihn rechnen, ungern ihre fchriftftellerifchen Ziels 
puntte fo niebrig fleden feben, als im Ganzen genommen bier 

eſchehen iſt. Wer nicht über ſich Hinausftrebt in der Kunft, 
Ber ſinkt rettungslos unter ſich hinab, jede fpätere That in der 
Literatur ſtrebe die frühere zu überragen, und wer in ſich nicht 
weiter fchreitet, wer in fi nicht mehr bie Kraft fühlt, Beſſe⸗ 
res als das ſchon Geleiſtete darzuftellen, deſſen Zeit iſt verflof: 
ſen, der ſchweige. Wir bekennen, daß dieſe Saͤtze zu Grund⸗ 
fägen bei uns geworben find, die uns auch auf das kritiſche Ge⸗ 
biet begleiten, und baß wir, willenlos ober nicht, bei jeder 
neuen Leiſtung eines Schriftftellers alle feine vorausgegangenen 
mit im Auge behalten. Zrifft der Blick dann auf einen Rüd: 
fgritt, fo tönnen wir uns ber Verſtimmung nicht erwehren; 
denn in ber Welt der Erſcheinung ift Rüdfchritt Tod und 
Ruhepunkte geftatten wir in ber Kunſt nicht. 8. 





Literarifhe Notizen aus, Frankreich. 


Die Geſchichte ver Scholaftik ift im Ganzen bisher zu fehr 
vernachläffigt worden und erfl ganz neuerdings hat man ange 
fangen, the die Beachtung zu geben, bie fie verdient. Die bes 


tft dies eben die Schwachheit, weiche bie - 


® 


fondere Borliebe, mit ber ein großer Theil der Hiſtoriler ſN5 
Ta — 

n tm Jndeſſen auf dieſem noch viel 
thun übrig. Awar umfaflen die größern Werke über die & 
fyichte der Philofophie, die von Brucker bis auf Zennemann 
erichtenen ſind, auch bie Pertobe, in ber bie Scholaftif in voll⸗ 
ſter Biuͤte ſtand; aber dieſer Abſchnitt wird faſt in allen biefen 
Werken wit fo wenig Liebe behandelt, zudem ſtuͤten ſich ihre 
Verf. meiftens auf fo ungenügenbe Vorarbeiten, daß biefer Theil 
der Gefchichte der pbilofopgifchen Entwidelung noch weit ents 
fernt tft, eine befriebigenbe Darftellung gefunden zu haben. Un⸗ 
ter ben franzoͤſiſchen Philoſophen, die das Wefen der Scholaftik 
am beften aufgefaßt haben, erwähnen wir Grande in feiner 
„Histoire comparde des systömes‘ und namentlidy Couſin, bey 
in feinen Ginleitungen zu den „Oeuvres insdites d’Abelard‘“ 
einige dunkle Partien der Philoſophie bes Mittelalters ins rechte 
Licht ſtellt. Wir erhalten gegenwärtig eine umfaffende Geſchichte 
der Schotaftit, oder vielmehr die Vorarbeiten zu einer foldhen 
Geſchichte von Rouffelot unter dem Titel: „Dtudes sur la päi- 
losophie dans le moyen -äge’' (3 Bde., Paris 1843), Lei 
der iſt diefe Arbeit, der wir nicht alles Verdienſt flreitig madgen 
wollen, burhaus noch nicht befriedigend. Namentlich ſcheint 
ſich ber Verf. bes eigentlichen Weſens der Scholaſtik ſeibſt nicht 
recht klar bewußt geworben zu fein. 





Proudhon ift fo ziemlich der einzige von den Streitern für bie 
Sache bed Sommunismus, der von wirklicher Bebeutung iſt. 
Wenn man bie glänzenden Gigenfchaften biefes Schriftſtellere 
betrachtet, fo fann man es fi kaum erklaͤren, wie ein fo aus 

ezeichneter Geiſt im Dienfte einer fo zweideutigen Sache ſtehen 
ann. In allen feinen zahlreichen Kiugfchriften entwickelt ex bie 
Brundfäge der vollkommenſten Gleichheit und vertheidigt diefelben 
mit einem folcgen Aufwand von Logik, daß man einen fdyarfen 
Blick haben muß, wenn man ſich von fo gefchichten Trugſchluͤſ⸗ 
fen nicht bienden laflen wid. Er verfolgt bie unerbittlichſten 
Gonfequengen und läßt fi) von keinem auch noch fo gewagten 
Paradoxon zurüdfchreden.e Seine neuefte Broſchuͤre führt ben 
Titel „Celebration du dimanche” (Paris 1843) und ſcheint 
alfo einen Gegenflandb zu behandeln, ber auf den erften Blick 
mit dem Communismus nichts zu ſchaffen bat. Der Verf. aber, 
der ſich Feine Gelegenheit entfchlüpfen laͤßt, feinen Feinden et⸗ 
was am Zeuge zu fliden, bat an bie Betrachtungen über bie 
Geier des Somtags die erbaulichften Diatriben über Freiheit 
und Gleichheit anzuknuͤpfen gewußt. Gr entwickelt darin die 
ſelben gefährlichen Principien, bie er in feiner befannten Fiug 
ſchrift „Qu’est-ce que la propriete”, bie der Form nad) wirt 
ih der berühmten Brofchhre von Sieyes „Qu’est-ce que 
le tiers - &tat” an die Seite gefegt werden Tann, bereite auf: 
gefteilt Hat. 


Wir haben in d. Bi. von Seit zu Zeit die wichtigſten Schrif⸗ 
ten zufammengeftellt, welche die franzöfifche Golonie Algier und 
namentli die Nugbarmachung berfelben betreffen. Wir haben 
gegenwärtig ein Werk deſſelben Inhalts anzuführen, das ſchos 
um feines Verf. willen bie Öffentliche Aufmerkſamkeit auf ſich 


ziehen wird. Es rührt von dem bekannten Enfantin, dem . 


Gründer der St.⸗Simoniſtiſchen Sekte, her und führt den SL 
tel „La colonisation de l’Algerie”. Gnfantin ift Mitgiieh 
der wiflenfchaftlichen Commiſſion, die von der franzöfifchen Re 
gierung niedergefegt ift, um Algerien in jedem Sinne und nad 
allen Richtungen zu fludiren. Er war deshalb im Stande, am 
der beſten Quelle zu fchöpfen, und feine Scheift fcheint wir 
liche Beachtung zu verdienen. Bon einer lesbaren Geſchichte 
Algiers: „Algerie ancionne et moderne‘, find die erſten Lickt 
rungen erfchienen. Der Verf. diefes Werks, das mit gefchmeds 
vollen Kupfern geſchmuͤckt wird, ift Leon GBalibert, ehemaliger 
Redacteur der „Revue britannique”. q, 


Verantwortlicher Deraußgeber: Heinrich Brokhaus. — Ürud und Verlag von F. A. Brodbauß in Reipzig. 








Blatter 


. für 


literarifhe Unterhaltung. 





23. April 1843. 





Über Er’ und E38. 


Es gibt in den verfchiedenen Betrachtungen und Be: 
arbeitungen der Geſchichte und Politik, des Rechts, der 
Medicin, der Naturwiffenfhaften und der allgemeinen Li: 
teratur zwei Tendenzen, wie ich fie nennen möchte; bie 
eine, als Er bezeichnet, fucht das Beflimmte, das Perfön: 
liche, die andere, als Es erwähnte, liebt das Unbeftimmte, 
das Unperfönliche. Die erftere ſtellt den Menfchen als frei 
wirkend dar, bie andere fieht ihn mehr als gebunden an, 
haͤlt es auch nicht für rathſam, fich der Zeffeln zu ent: 
ledigen, und betrachtet die Entfeſſelung ats Abfall, fie 
ſucht in dem unbewußt Gefchebenen einen tiefen Kern, 
als in dem mit Belonnenheit Ausgeführten. Die erfte 
Tendenz, die bligende Macht begabter Individuen anerken: 
nend, fucht das in menfchlihen Dingen Bewirkte auf ei: 
nen oder einzelne beftimmte Menſchen als Urheber zurüd: 
zuführen, ohne darum zu verkennen, dag zum Durchdrin⸗ 
gen der Wirkſamkeit der Einzelnen von Fruͤhern und Gleich: 
zeitigen vorbereitete umd verbreitete Empfaͤnglichkeit und 
Stimmung bei Andern angenommen werden muß. Von 
der andern, der unbeſtimmten Tendenz, werden Ausdrüde 
gewählt, als hätten die menfchlihen Dinge ſich felbft er: 
funden,, fie begnuͤgt fih mit einem unbeflimmten Bil: 
‚bungstrieb als Grund der Veränderungen in den menſch⸗ 
tichen Ereigniffen, und audy wo an einen einzelnen Mann 
etwas geknüpft wird, erfcheint diefer der Kolsharfe gleich 
ein tönended Etwas, nicht ein Tonangeber. Man ver: 
gleicht nad diefer zweiten Tendenz das Gefchehene oder 
nad der erften Anfıht Gethane mit einem früher Ge: 
ſchehenen und fo weiter mit einem noch Fruͤhern, bis es, 
- der Beitlichkeit entrüdt, der Mythologie und Offenbarung 
anheimfaͤllt. Nach der WVerfchiedenheit der Anfichten über 


die Vergangenheit find auch die Rathſchlaͤge fuͤr das Kuͤnf⸗ 


tige den beiden Tendenzen gemäß gar verfhieden. Die 
zweite unbeflinmte Tendenz ift von Arnim In einer Wib: 
mung an beide Grimm fo bezeichnet : 


ihr achtet, Ä 
was Keinem eigen, was ſich felbft erfunden. 
Ich will verſuchen, diefe beiden Tendenzen, die in Deutſch⸗ 
Sand befonders in dem Anfang diefes Sahrhunderts hervor: 
traten und bei den Eröcterungen über Sage und Dichtung 
fit am häufigfien zeigten, aber keineswegs jegt zuruͤckgetre⸗ 
ten find, in einigen einzelnen Faͤchern nachzuweiſen. 


In der Gefchichte wird nach der unbeflimmten Ten⸗ 
denz die Reformation der Kirche nicht den Meformatoren 
zugefchrieben werden müffen, denen die Stimmung der Zeit: 
genoffen zu Hülfe kam und von benen die orarbeiten 
Srüherer benugt wurden, fondern diefe zweite Richtung 
muß entweder von dem Grunde und der Duchführung 
der Reformation in unbeflimmten neutralen Wendungen 
fprechen, die Einheit und die Nothwendigkeit der Gegen: 
fäge, den Süden und Norden hervorheben, den Bildungs: 
trieb die Reformation bewirken laffen, oder fie als Ver: 
fuh zur Entfeffelung und zum Abfall vom Gegebenen 
bedauern. 

Alle erfcheinende Einheit — fo wurde gefagt — fann nur 
die Sinheit und Gefcheinung zweier Begenfäge fein. Dec Ka: 
tholicismus konnte nicht entftehen, ohne den Proteſtantismus zu⸗ 
leich mit zu erzeugen. Luther wurde nur der Repräfentant bie 
es Geiſtes der Zeit. Es war nicht Luther’s Lehre, bie er vor⸗ 
trug, fondern bie ber Nation. Die Trennung und der Gegen: 
fas ift ein durchaus nothwendiger. 


Ebenſo wird die franzöfifcde Revolution angefehen werden 


 müffen, wogegen neulich Luden In feiner Vorrede zu Droz 


. 


gefprochen hat. 

Ju der Politik werden, ganz abgefehen von der ur: 
ſpruͤnglichen Staatenbildung, nad der zweiten Tendenz 
audy die ſecundairen oder fpätern Geftaltungen ber Staa: 
ten nicht einer freien Thaͤtigkeit, nicht einer freien Über- 
einkunft zugefchrieben, fondern einem unbeflimmten hifto: 
riſchen Drange. Es ift hiernach Xhocheit, nach gefchries 
benem Berfaffungswert zu ringen, in Schrift und Drud 
feftfegen zu wollen, was in Zukunft gelten foll, es muß 
fih von ſelbſt machen, fi organiſch herausbilden , fonft 
erhalte man nur ein künfttiches Werk, eine papierene Con: 
ftitution. Streckfuß hat in feinen Garantien fo gefpeöchen 
und manche Andere. 

Auch die Entflehung des Privatrechts fucht die zmeite 
ruͤckblickende Tendenz in einer Offenbarung. Nicht bloß, 
daß bei einem Voll und einer Bleinern Geſammtheit ein 
gleichgeſtimmtes Rechtögefühl fei, muß hiernach und gewiß 
mit $ug behauptet werden, fondern, daß die entwidelten 
und ausgeführten Rechtsſaͤtze ein Gegebenes feien und bei 
ihnen die Thaͤtigkeit der Einzelnen feinen oder nur unter: 
geordneten Einfluß Haben inne und dürfe, 


In der Medicin fucht die unbeflimmte Tendenz ihre 
Therapie in dem Nacht⸗ und Traumgebiete der Sympa⸗ 


> 


thie und ded Magnetismus und zieht diefe nady alten 
Überlieferungen im Volk geglaubten Heilmittel den durch 
Erfahrung und Nachdenken gefundenen vor. Wenn der 
Einzelwille im Schlaf und Zraum ſich dem Allgemeinen 
ergeben hat, muß das Rechte und Wahre, von Kluͤgelei 
nicht zu Ergrundende ſach zeigen. Ähnlich iſt das Urthell 
uͤber die Naturwiſſenſchaften. 

Die Natur fol — fo lautet es — uns wieder magiſch 
werden, alle Raturwirkungen müffen uns, wie durch höheres 
Geiſterwerk, durch gebeimnißvolle Zauberſpruͤche hervorgerufen 
erſcheinen. Die mathematiſchen Erklaͤrungen haben Alles getoͤd⸗ 
tet. Man weiß, wie Newton Kepler's Entdeckungen aus dem 
dynamiſchen Gebiet ins mechaniſche herunterzog. 

An der allgemeinen Literatur, namentlich der Poefie, 
wird von ber zweiten Tendenz, was fie und Andere ale 


das Beſte und Trefflichfle anfehen und barflellen, ale 


Volksdichtung hingeftellt. 
Die Poeſie — fo heißt es — ift fein Eigenthum der Dich 
ter, fie, ein Blut, durchdringt ben ganzen Leib des Volks. Wir 
lauben an bie Eriftenz einer Naturpoefie, die denen, die fie 
ben, wie im Traume anfliegt. Wie der Ambra nad) der alten 
Cage im Gehirn des Walfiſches gerinnt, fo wurden bie Lieder 
im Herzen wie von felber und gingen mit dem Athem aus. 
Der Begeifterte hat im Raufche die Adern fich geöffnet und blu⸗ 
tet mit Luft die Dichtung aus den warmen Quellen. Wie das 
Feuer von Natur die Pyramidenform liebt und das Wafler die 
Kugelform — fo ift auch das Band zwifchen Form und dem 
inwohnenden Geiſte gefnüpft. Gefang und Tonfall ift der Poe⸗ 
fie innertidg eingeboren. Einzelne Xccente, die Grundaccorbe 
von dieſen alten Gefangen der Naturpoeſie, leben und ertönen 
aus der Mollsporfie des Wunderhorns. Gin NRationalgedicht 
dichtet nicht der befchräntte Sinn eines Ginzelnen. 
Wenn man in Märchen und Gedichten 
Erkennt die ew’gen Weltgeſchichten, 
Dann fliegt vor einem geheimen Wort 
Daß ganze verlehrte Welen fort. 

Unter Andern haben die beiden Grimm, denen Manche 
hierin gern folgten, diefe Anficht vertreten, fie fuchen bie 
Erfindungen von einem beſtimmten Erfinder wegzuleiten 
und auf ein Unbeflimmtes zu führen, fo namentlich Jakob 
Grimm die Erfindung der gothifhen Buchſtaben. Ber: 
theidigen fie auch in dem Gebiete ber Sage und bed 
Epos nicht, wie früher Mone, die rein mpthologifche An: 
fiht, fo ift ihnen doch die Sage das Göttliche, welches 
fih an die hiftorifhe That anſezt. 3. Grimm leug: 
net wol mit Recht, daß die Erzählung von Tell's Apfel: 
ſchuß mit ihren Nebenumſtaͤnden hiftorifche Wahrheit fei, 
aber er behauptet zugleich, daß das gerührte Volk uralte 
Sagen (wie die von Toko, Eigil, Adam Bell und von 
Bellerophontes Söhnen) auf den Tell, der des Volks Liebe 
zunaͤchſt lag, der mit Abel, Belus unb Apollon (Abelus) 
den pfeilfendenden zu vergleichen, Übertragen babe. 

Wenn wir nun nad) diefer Charakterifirung der bei⸗ 
den Richtungen fragen, was denn die wahre und richtige 
Betrachtung und Austrudßsweife fei, Einer oder bie Ge⸗ 
fammtheit, Er oder Es, fo wird, wenn man nicht wie 
Sanyo Panfa fragt, wer den Schlaf erfunden, die be: 
flimmtere von Schtoffer gelegentlich vertheidigte Anficht die 
richtigere fein. A. W. Schlegel fagt gegen die zweite Ten: 
ben; wol mit Med: 


Das Erhabene und Schöne kann nur ein Werk ausgezeich⸗ 
neter Geifter fein. Die Sage und vollsmäßige Dichtung wer 
allerdings das Geſammteigenthum ber Zeiten und Völker, aber 
nicht ebenfo ihre gemeinfame Hervorbringung. Alle Abweidhuns 
gen ber Sage find nicht blos den Umwandlungen ber blinblings 
wirkenden Zeit beizumeffen, wir ſehen in nicht wenigen die abs 
fichtlichen Erfindungen eingelnee Dichter. Die Zabelkreife von 
Karı dem Großen und Artus verbanfen einer volksmaͤßigen Über: 
tieferung blos bie einfadhften Grundzüge, die reiche und mans 
nichfaltige Ausbildung ift bad Werk freier Dichtung Man 
darf den Begriff der Sage nicht auf romanhafte und unterhals 
tende Erzaͤhlungen, nicht auf einzelne @leichniffe und Sinnbil- 
der ausdehnen. 

Nach meiner Meinung kann es Volkslieder in dem 
Sinn, daß das Volk als Geſammtheit Urheber fei, nicht 
geben. Eine Geſammtheit ald folche kann poetiſche The: 
ten thun, nur nicht in Worten, nicht allitericende , aſſo⸗ 
nirende,, reimende und gemeffene Poeſien wie z. B. das 
Hildebrandelied dichten, das thut Einer, und, wenn da$ 
Gedicht Werth haben folk, wie dunkel auch die erfte Con: 
ception fein mag, nicht in unbemußter Traͤumerei, fondern 
in bewußter Geiſteshelle. Volkslieder kann es aber in Dem 
Einn geben, daß der Stoff des Liedes vor der Entſte⸗ 
bung der Form im Bemwußtfein der Gefammtheit war 
und Einer diefem Stoffe Form gab. Es kann aber auch 
der Stoff des Liedes von Einem gegeben oder erfunden 
und nachher des Dichters Merk in den Glauben der Ges 
fammtheit übergegangen fein, melde ſich der Bildung des 
Einzeinen anſchloß. Der Dichter, deflen Werk dem Volt 
bleibend gefallen, welchem das Volk feinen Glauben zus 
wenden fol, muß vor feinem Thun ein treuer order 
und Hörer fein, um Stoff und Ton richtig zu finden, 
und darf ihm Peitho's Kunft der füßen, felbft die alten 
Goͤtter gewinnenden Rede nicht fehlen. Nicht blos Volks⸗ 
lieder Eönnen fo von Einem ausgegangen und von der 
Sefammtheit angenommen fein, fondern auch folche Sa: 
gen, die nicht auf gemeinfamen Thaten und Ereignifien 
ruhen, koͤnnen Erfindungen Einzelner fein, dem fich ber 
Glaube Mehrer anſchloß. Ruht die Sage von Zell nidt 
auf einem Schweizerereigniß, fo muß fie für die Schweiz 
urfprünglic dad Werk Einzelner fein, dem fich der Glaube 
Anderer fügte. Der Stoff der vom Volk geglaubten Sa: 
gen kann wol eine Ddegeneritte oder corrumpirte Offenba⸗ 
eung fein, aber die Gorruption wird doch, wenn. aud 
nicht gerade nachmeislich, von Einem oder Einzelnen ge: 
heben fen. Man müßte fonft neben dem Geift der 
Einzelnen und unter dem abfoluten göttlichen Geiſte noch 
einen thätigen mittlern Geift annehmen. Von Manchem, 
was jetzt ald Sage gilt und mas nah Vieler Meinung 
in einer fagegläubigern Zeit allgemein geglaubt wurde, 
wird wol ſchon in früherer Zeit das Wort, welches fi 
tief im Volksleben feflgefegt haben foll*), „wer meiß, 
obs wahr iſt“, angewandt -morden fein. Wird ja doch 


*) Bechſtein's Mufeum, II, &. 303: „„Aufmerkfame MWeob- 
achter bes Volkslebens finden Leicht, wie tief eindringlich ſich im 
ihm gewiffe oft ganz alltägliche Begriffe und Redensarten fe: 
feßen. Cine ſolche Rebensart ift auch die Frage: wer weiß, 
ob's wahr iſt?“ Bon »iefem angeblichen Zöpfer: und Bolke— 
ſpruch wird dert auch ringe Gage mitgetheilt. 





431 0 


nit Ales, was man gern bat und nur in einer bes | Gaspard de la nuit, fantaisies a la maniere de Rem- 


ſtimmten Form hören mag, darum geglaubt? Wo es an 
gleichzeitigen Variationen nicht fehle, wie bei der Sage 
von der Helena u. a., da kann man wol den &toff nicht 
als allgeglaubtes Factum anfehen. 

Wenn Manche jest von einer Thierſage und gar ei: 
ner deutfchen Thierſage fprechen, wei kaum ein Lehrbuch) 


der deutfchen Literaturgefchichte ohne Zhierfage iſt, fo- 


fcheint mir das ein Irrthum. Soll der Begriff der 
Sage nicht ganz vage verſchwimmen und verſchwinden, 
foll fie eine Darftellung volksmaͤßiger, im Volke geglaubter 
Vorſtellungen und Anfichten von menſchlichen und gött: 
lichen Dingen fein, fo kann Xhierfabel nicht Thierſage 
beiten. Was man Thierſage nennt von Wolf und Bär 
u. f. w. wird fih nicht als vollsmäßiger Glaube nad 
weifen laſſen. Sind in dieſem Gebiete gewiſſe Ausdrucks⸗ 
weifen typiſch gewefen, fo wuͤrde man andere Darftellun: 
gen vom Xreiben der Thiere, wenn nur thiermahr, nicht 
als von der Wahrheit abroeichend betrachtet haben, wenn 
man auch die gewohnte Darſtellung mehr liebte. 

In der Politit, um noch eins der erwähnten Fächer 
fpeciell zu beruͤckſichtigen, hilft freilich ein Auffchreiben und 
Eeftfegen Deflen, was gelten fol, nichts, wenn Diejenigen, 
für welche es Gültigkeit zu behalten hat, das Gefegte 
‚nicht fefthaften wollen, nicht die Kraft haben, es zu wol: 
len, das Gefchriebene ihnen ein Fremdes bleibt. Verfaſ⸗ 
fungen, die Beſtand gehabt haben, find gewiß nicht belie: 
big ohne Grundlage des Gegebenen gemacht werben, aber 
fie haben fi nicht gemacht, fondern find gemacht worden 
und nicht ohne Zuthun hervorragender einzelner Geifter. 
Bei neuen Einrichtungen, die bleiben follen, muͤſſen die 
Schöpfer derfelben die gegebenen Verhaͤltniſſe, die vorhan: 
denen Kräfte beachten. Nach der unbellimmten Zendenz 
Eönnte es gar Beine rathgebende Politik geben, der Menfch 
müßte ohne Schuld und ohne Verdienft den Geftaltungen, 
ich weiß nicht welches Geiſtes zufehen und ihn fchaffen 
und walten Laffen. Die Menfchen erfcheinen nach der 
Estendenz als fungibel, wie die Juriſten Died nennen, der 
eine gilt fo viel wie der andere, die Anziehungskraft, das 
Anfeussn, Begeiftern, Gewinnen, Glaubenverbreiten, Be: 
herrſchen des Einzelnen duch Blid, Wort und That ver- 
fhwinden vor dem Geift der Geſammtheit, der nicht ein 
Dhantafieerzeugniß, fondern wie eine gewaltige Perfon in 
feinem dunkeln Thun die SIndividualitäten erflidt. Die 
Dinge entwickeln fich, geftalten ſich, Sage und Epos bilden, 
der Menſch if ein paffiver Zufchauer des Keimens, Wach: 
fens, Gruͤnens und Verwelkens der in Wahrheit menſch⸗ 
lichen Ereigniffe, nicht pflanzlicher Erzeugniffe. 

Die Theologie ift nicht ausdrüdlid genannt worden, 
es ift aber befannt genug, tie durch liberttagung der Sa: 
genbildungsanficht auf dieſes Gebiet auch hier von Meh: 
ren angenommen wird, die Gemeinde habe die Doymen 
gedichtet. Vielleicht Liegt der Schlüffel der Erfcheinungen 
der Estendenz in dem Wiederaufleben der Spinoziftifchen 


Philoſophie. 52. 


brandt et Callot, par Louis Bertrand, precede d’une 
notice par Sainte- Beuve, Paris 1842. 


Diefes poeſiereiche Werkchen ift nicht etwa, wie der Titel 
vermuthen laflen könnte, eine Nachahmung der Hoffmann'ſchen 
„Phantafieftüde in Callet's Manier’, die in Frankreich unzäh: 
lige Copien ins Leben gerufen haben. Nein, biefe Eleine Did: 
tung ift mehr als eine bloße Nachahmung, und wir halten es 
für unfere Pflicht, nicht blos um ihres poetifchen Gehalte, fon- 
dern auch um ihrer literarbiftorifchen Bedeutung willen darauf 
aufmerlfam zu maden. Diefes nachgelaſſene Werk eines jungen 
Dichters, der in der Blüte feiner Jahre und bevor ſich noch 
alle feine Keime entfaltet hatten, geftorben ift, kann als eine 
verfpätete Blüte des poetiſchen Frühlings angefehen werden, 
ber ſich vor der Julirevolution entfaltet hatte. 

Louis Bertrand gehörte mit Leib und Seele zu der romans 
tiſchen Schute, bie eine Reformation der franzöfiichen Literatur 
in Haupt und Gliedern anfündigte und deren großer Einfluß, 
wenn auch nicht alle ihre Verfprehungen in Erfüllung gegans 
gen find, ſich nicht flreitig machen laͤßt. Wir wiſſen indeffen 
nicht, ob er ben Haͤuptern feiner Schule auf allen ihren Irr⸗ 
fahrten treu geblieben fein und ob er ſich in der zerfahrenen 
Romantik gefallen haben wuͤrde, durch die einige derſelben Auf: 
fehen zu erregen ſuchten. Sein Wert trägt zwar alle Spuren 
ber Zeit und Richtung an fi), aus der es Kervorgegangen ift 
bleibt aber im Allgemeinen von jeder Übertreibung frei. Cs if 
fozufagen im Stile einer milden und gemäßigten Romantik 
geſchrieben, ſodaß es intereffant ift, daffelbe mit den bizarren 
Probuctionen bes Königs der Romantiter zufammenzuftellen. 

Der Berf. gehörte zu der zahlreichen Tlaſſe junger Poeten, 
deren Bruſt voll, deren Beutel aber leer ift und bie ihre ſchoͤ⸗ 
ned Zalent nicht auszumuͤnzen verftehen. Er würde e8 gewiß 
nicht fo weit gebracht haben als der inbuftrielle 4. Dumas 
und andere feiner Genoſſen aus ber romantifchen Echule her, 
die jegt in folgen Caroffen rollen. Und ex hat e8 auch in der 
That nicht weit gebracht. Wir fehen aus der intereffanten bios 
graphifchen Notiz, die Sainte = Beuve dieſer Ausgabe des 
„Gaspard de la nuit“ beigegeben bat, baß der talentvolle 
Louis Bertrand, von herben Enttaͤuſchungen entmuthigt, von 
Noth und Elend gebrüdt, in den unfreundlichen Raͤumen eines 
Hoſpitals geftorben if. Gr bat alfo das jämmerlidhe Loos He—⸗ 
geſippe Moreau’s getheilt, der auch im Kampfe mit den uners 
bittlihen Anfoderungen des Lebens untergegangen ift. 

Sein Werk beftept aus mehren Eleinen Bildern, bie alle 
mit der unefplichften Sorgfalt und bis in bie Erinften Striche 
ausgemalt find. Der Stil, in dem es gefchrieben ift, verräth 
eine gewiffe Künftelei und ift ſehr gefeilt, wie denn überhaupt 
die romantifhe Schule, fo fehr fie auch gegen die Vorliebe bes 
clamirte, mit der die Elaffiker die Form ihrer Dichtungen hät: 
ſchelten, doch viel auf Einkleidung der Gedanken hielt. Der 
Verf. gefaͤllt fi in kunſtreich gewendeten Perioden, bie zum 
Theil überlaben find und die wie der Stil V. Dugo’s in feinem 
„Notre-Dame” an die bunten Zierathen ber gothifhen Baus 
art erinnerten. Die Phantafie des Dichters ſchwelgt in ben 
ritterlihen Zeiten des Mittelalters, und einzelne der kleinen 
Lieder, die mitunterlaufen, erinnern weniger an bie Romantif 
Hugo's, Dumas’ u, A. ald an die duftigen Ergüffe der deut⸗ 
fen Romantik. Überall barf man aber nicht aus dem Auge 
verlieren, daß diefe Heine Schrift vor dem 3. 1830 abgefaßt 
ift, und daß der Berf., der 1807 geboren war, gewiß nody et: 
was ganz Anderes geleiftet haben würde, wenn ihn ber Tod 
nicht fo früh mweggerafft hätte. 6. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 
Schriften über die franzdfifhen Kolonien. 
Die immer welter um fich greifende Macht dev Englaͤnder 
in Afien und befonders ihre Erfolge in China, deren‘ Wichtige 





452 


keit n e nicht zu berechnen iſt, erregen auch in den Fran⸗ 
zoſen nen, ihren überfeeifhen Solonien eine größere 
Ausdehnung zu geben. Man bat mit Hecht bemerkt, daß der 
Franzoſe im Allgemeinen zur Golonifation nicht beſonders beru⸗ 
fen zu fein fcheint. Won allen ihren fruͤhern KBefigungen im 
Auslande ift ihnen im Ganzen wenig geblieben. Die franzöfis 
ſchen Golonien find für das Mutterland von keinem großen &r: 
trage und fie gedeihen bis jegt nur kuͤmmerlich. Vergeblich bat 
man felt einiger Zeit alle möglichen Plane entworfen, um ihnen 
einen neuen Aufſchwung zu geben. Es fcheint ein Wurm an 
ihnen zu nagen, den man noch nicht zu zerftören vermocht hat. 
Bei diefen neuen Verſuchen, der Golonifation eine größere Auss 
behnung zu geben, bat man feiner Wichtigkeit wegen befonderd 
Guiana im Auge gehabt. Die franzdſiſche Regierung fcheint 


jest den beften Willen zu haben, dieſe Golonie zu heben; vers 


ſchiedene Plane find entworfen und geprüft, und mehre der ad) 
—— — — Gelehrten Frankreichs haben die Hand zu die⸗ 


ſem patriotiſchen Unternehmen geboten. So haben wir in neuer 


ſter Zeit mehre intereffante Werke, die zum Theil felbft für bie 
Wiffenfchaft nicht ohne Imterefie find, über den Theil von 
Guiana erhalten, der Frankreich gehört. Sehr beachtendwerth 
war eine Kleine Brofchäre von Jules Lechevalier, ber feine Beob⸗ 
achtungen an Drt Stelle gemacht hat. Sie ift im vorigen 
Sabre erfohienen und führt den Zitel „Notice sur la fonda- 
"tion d’une nouvelle calonie dans la Guyane francaise”. Wich- 
tiger indeffen ift eine „Notice historique sur la Guyane fran- 
gaise”', welche der befannte Geograph Ternaur⸗-Compans 
jegt bei Didot erfcheinen laͤßt. Der verdbienftvolle Verf. ent 

wirft eine vollftändige Geſchichte diefer Eolonie, weift mit gros 
zer Sachkenntniß nach, welche Fehler man bisher bei der Colo⸗ 
nifisung begangen bat, und gibt zu gleidyer Seit einige Finger: 

eige, die koffentlich nicht verloren fein werden. Am Schluſſe 
eines intereffanten Werkchens gibt er eine vollftändige Biblio⸗ 
graphie, in der alle Schriften, die dieſe Colonie betreffen, aufs 
gezähtt werben. Die Zahl derfelben beläuft fich auf 106 Rum: 
mern. Ternaux⸗Compans, beffen Verdienſte um die Gefchichte 
der Geographie wir in d. Bl. bereits zu wiederholten Malen 
erwähnt haben, Eennt Amerika aus eigener Anfchauung Gr 
bat es in verfchiedenen Richtungen durchſtreift. Die „‚Annales 
des voyages‘‘, deren vorzüglichfter Herausgeber er mit Eyries 
iſt, haben bereits einen Theil feiner Reifebeobachtungen gebracht, 
und wir haben gewiß noch mehre wichtige Werke über Amerika 
von ihm zu erwarten. Gluͤcklicherweiſe iſt Ternaux⸗Compans 
in einer Lage, die ihm erlaubt, bei feinen Werfen mehr auf den 
innern Werth, als den Gewinn, ben er von ihnen haben Eönnte, 
zu fehen. Er gehört zur Bamilie des befannten Zernaur, ber 
fih durch feine großen induftriellen Unternehmungen, befonders 
während der Neftauration bekannt gemacht bat. Compans iſt 
der Name ſeiner Frau, dem er den ſeinigen hinzugefuͤgt hat. 
Weichen ſchoͤnen Gebrauch er von feinem bedeutenden Vermoͤgen 
macht, fiebt man an ber Herausgabe der bändereichen Samms 
lung alter Reifewerte über Amerika, bie er auf eigene Koften 
unternommen bat. Zu bedauern iſt, daß ein Mann wic Ter⸗ 
naurs Sompans, der das Deutfche fo ohne allen fremden Accent 
fpricht, daß man ihn für einen geborenen Deutfchen nehmen 
tönnte, nicht auch zuweilen über Deutſchland ſchreibt, mit def 
fen Berhältniffen er noch von Göttingen her, wo er flubirt hat, 
genau bekannt ifl. Da wir bier einmal mehrer Werke gedacht 
baben, welche die franzoͤſiſchen Golonien betreffen, fo wollen 
wir auch gleich noch bemerken, daß die Befignahme dev Mar: 
quefasinfeln, die vor kurzem flattgefunden hat, bereits eine 
ganze Schar von WVefchreibungen, Karten und illuftrirten Wer: 
ten hervorgerufen hat. Von diefen Gelegenheitsfchriften verdient 
„ ties marquises vu Nouka -Hion’ von Dumoulin und 
Despaz” (Paris 1843) befondere Beachtung. 


Die franzöfifhsruffifhe Allianz. 
Die Allianz mit Rußland findet in Frankreich feit einiger 
Zeit immer eifrigere Verfechter, fowol auf der Tribune als in 


voraus hat. 


der Preffe. Wir haben vor kurzem in d. BL einer Schrift ex: 
wähnt, in ber bie gegenfeitigen Vortheile einer ſolchen Berbin⸗ 
dung ausfuͤhrlich beleuchtet werden. Diefelbe rührte aus ber 
Feder eines „Unbelannten’’ ber, ber zuvor ein Werk über Preu: 
fen hatte erfcheinen Laffen. Gegenwärtig erhalten wir nun noch 
ein Werk, welches demfelben Gegenftande gewidmet if. Sein 
Titel lautet: „La France et la Russie. Avantages d’une 
allianoe entre oes deux nations“, von Eugene Quesnet und 
%. von Santenil (Paris 1843), Das Bud ift geiſtreich ge 
ſchrieben und fcheint auf guten Beobachtungen zu beruhen. 


» Gefhihte der „Rachfolge Chriſti“. 

Michelet widmet in feiner „Histoire de France” ber ‚„Imi- 
tation de Jösus’ ein fchönes Capitel. Er ‚beleuchtet in dem⸗ 
felben die verfchiedenen Anfichten über den muthmaßlichen Berf. 
diefer berühmten Schrift, und flüst ficy babei namentlich auf 
die gehaltreiche Abhandlung von Gence. Gegenwärtig erhalten 
wir ein neues Werk, in dem biefelbe Literarhifterifche Frage 
aufs neue behandelt wird. Es führt den Zitel: „Histoire 
l’Imitatioa de J&sus Christ et son veritable auteur, par le 
chevalier de Gregory” (2 Bbe., Paris 1843). Auch ber Verf. 
diefer Schrift neigt ſich zu der Anfidht, dab Gerſon ber wahr: 
ſcheinliche Verſ. der „Imitation‘ fei, und ſtuͤttt ſich dabei auf 
Gründe, bie viel für fidh haben. -- 2 





Erflärung. 

In Nr. 9I— 93 d. BL. befindet fi ein Auffag über die 
„Politiſche Literatur der Gegenwart in Deutfchland”, in weichem 
au die „Saͤchſiſchen Vaterlandsblaͤtter“ erwähnt werden und 
mir eine Beziehung zu denfelben gegeben wird, gegen bie id 
um fo mehr mid erklären muß, als ähnliche unrichtige Angas 
ben in verfchiedenen deutſchen Zeitungen bereits enthalten wa: 
ven. Es heißt nämlih 1): Bünther fei feit biefem Jahre no⸗ 
mineller, ip factifher Redacteur des Blattes. Dies iſt 
burdaus unwahr. Meine frühern Beziehungen zu dem 
Blatte bedürfen feiner weitern Erdrterung; aber feit dem 1. Nov. 
v. 3. ift Günther wirklicher, nidyt nominefer Redacteur und 
ih bin ein Mitarbeiter des Blattes, der vor Anderen gar nichts 
Wahriih, man muß von ben zahllofen Aunehm: 
lichkeiten einer Redaction bei unfern Preßzuftänden gar keinen 
Begriff haben, wenn man behauptet, ein Mann von Geift, 
Gefinnung, Charakter und Selbſtaͤndigkeit koͤnne die verant- 
wortlihe Puppe bei einem Blatte fpielen, das von allen beut: 
ſchen Zeitungen am wenigften auf Roſen gebettet ift. Dann 
wirb 2) der Umſtand beſprochen, daß das fächfifche Minifterium 
mir die Gonceffion zur fernern Herausgabe der „Vaterlande⸗ 
blätter'‘ (die ih von Hrn. A. Schäfer kaͤuflich erwerben wollte) 
verweigert hat, und biefe Verweigerung unpolitifch, umaereit, 
wenig dankbar und eine Animofität genannt. Auch bies tft un: 
richtig ‚und ungeredt. Man mag bie Zuflände beffagen und 
betämpfen, unter denen bas Werben und Beſtehen des Zout: 
naliften von der Gnade, von der Laune eines Minifters abs 
bängt, während alle anbern Staatsbürger ein Recht baben, 
ih ihre Beſchaftigung zu wählen und auszuüben, wozu fie ber 
fähigt find. Aber die Zuftände find fo, und ber Miniſter, 
der eine Gonceffion mit ober ohne Gründe verweigert, übt nur 
eine ihm zuſtehende Befugniß aus. Ob das „politiſch“ 
ift, mag unerörtert bleiben; aber von „Ungerechtigkeit und Ani 
mofität” kann wol nicht bie Rebe fein. Ich glaube, daß bie 
Entfheidung unfers Minifteriums auf einem Irrthume, auf 
einer falfchen Anficht meiner Stellung zum Blatte berubte; 
aber das Minifterium braucht auf die Beſeitigung dieſes Itr⸗ 
thums nicht einzugehen und idy habe daſſelbe nicht weiter damit 
behelligt. Daß die Verweigerung nicht gegen das Blatt ge- 
richtet war, beweift die fpätere Conceſſionirung des jehigen 
Verlegers. So viel zur Steuer der Wahrheit. 

Leipzig, 9. Aprit 1843. 

Robert Blum. 


Verantwortlicher Deramdgeber: Heinrih Brodhaus. — Drud und Werlag von J. A. Brodhausß in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung, 





Franz; Paffomw’s Vermiſchte Schriften. Herausgegeben 
von W. A.Paffow. Mit zwei li hirten Ta⸗ 
feln. Leipzig, Brockhaus. 1843. Gr. 8. 2 Ahlı. 

Es ift jegt ein nur zu gewoͤhnliches Berede der Me: 
dernen, die alte Philologie gering zu achten und die Weis⸗ 
heit und Kunſt Griechenlands und Roms weit unser die 
der Gegenwart zu fließen. Die Philologie, fagen fie, fei 
nur ein zechrödeltes, lexikaliſches, grammatiſch⸗s, hiſtori⸗ 
ſches und amtiquariiches Willen, fie ſei nicht viel mehr 
a8 Dandlangerarbeis für weit wichtigere Beftsebungen 
dee Menichheit und die Zeit hoffentlich nicht fern, wo 
man ihrer würde ganz entbehren koͤnnen. Was num das 
Letztere anbetrifft und die gefliffenelich hernorgeruſene Spal⸗ 
tung zwiſchen der altclaflifchen und deutfchen Literatur, 
hie eigenslich nur Unwiſſenheit ober uͤbelverſtandener Pas 
triptismus wollen ann, fo bat gegen folche Ultras ber 
echt deutſche Mann, Jak. Grimm, unläng am 24. Febr. 
das vollwichtigfte Zeugniß abgelegt, indens er der ſtudi⸗ 
senden berliner Jugend bie claffifchen Studien ale die 
Grundlagen umferer Bildung auruͤhmte. 

Sie zeigen — ſprach ee — uns immer bad einfach Menſch 
liche, zu ihnen kehren wir immer wieder, wenn wir uns an dem 
reinen Schönen erfreuen wollen. Die claffifhen Studien koͤn⸗ 
nen nie verdrängt, ihre Werth Toll nie verringert werden. Das 

tubium bes deutfchen Alterthums will fle auch nicht verbräns 
gen; es will nur eintreten in das Recht, das ihm gebührt, und 
den Platz wiebergewinnen, aus dem es pertrieken ift. 

Nun aber iſt es auch die Aufgabe der heutigen Phi: 
(ofpgie, durch Wort und That ebenſo gut dahin zu wis 
ten, daß ihre Wiſſenſchaft nicht verflacht werde, ale daß 
fie fi nice in ſtarrer Abgefchloffenheit halte, ſondern 
daß fie die Gegenwart in ſich aufnehme, fie befruchte 
und ihr den Geift überliefere, der in ben lebensvollen 
Schöpfungen des claffifhen Alterthums, in diefen Wer: 
ten aus der Tugend der Menfchheit, uns entgegenwehr. 
Dean mit Recht hat Ranke (mir nennen einem Hiſtori⸗ 
fer, keinen Philologen vom Fache) «6 als ein univerfal: 
hiſtoriſches Ereigniß bezeichnet, daß die Melignien des Al: 
terthums in fo weiten Kreifen verbreitet, ſtudirt und 
nachgeahmt morden find. („Deutſchlands Geſchichte im 
Zeitalter der Reformation‘, I, 283.) 

Eine ſolche Richtung, wie wir fie foeben bezeichneten, 
ift aber feit dem Anfange diefes Jahrhunderts unter den 
deutfchen Philologen fichtbar gemwefen, und biefe haben in 








Fr. Jacobs einen fo ruhmmeirdigen Vertreter derſelben 
aufzuweiſen wie kein anderes Land, fo groß ti die Kennt 
niß des edeln Greiſes von griechiſchen und roͤmiſchen Zus 
ſtaͤnden, ſo echt ſeine Humanitaͤt, ſo bedeutend ſeine 
Meiſterſchaft in deutſcher Rede und Schrift. An ihn 
haben ſich Manſo in verſchiedenen Abhandlungen, Thor⸗ 
lacius in feinen poyulaiten Aufſuͤtzen über das Alter 
thum, sh in den „Ferienſchriften“, A. ©. Lange ſowol 
durch das lebendige Wort feiner Lehre als durch einzelne 
Auffäge u. A. angefchloffen, namentiih hat Boͤctiger 
durch die Verſtreuung feiner veichen Gelehrſamkeit im 
eigenen Schriften und in ſolchen Journalen, die fonft 
der Philologie nice zugäuglih waren, bem Alters 
thume vielfach genügt. In einer ſoichen Reihe darf abes 
am wenigſten der Name bed Mannes vergefien fein, 
deſſen „Vermiſchte Schriften” jegt vor uns liegen. Frans 
Paſſow war einer der trefftichfien Philologen unſers Jahr: 
bunderts, ein Maun vol Leben, Kraft, Keuer und Wahr⸗ 
beit, ein ausgezeichneter akademiſcher Lehrer, ein inmiger 
Freund des deutſchen Vaterland unb warmer Berehrse 
feiner großen Schriftſteler. Ohne bier das gebührende 
Lob feines geiechifchen Woͤrterbuchs, dieſes echt deutſchen 
Werks vol Geiſt und Fleiß, wiederholen zu wollen, fo 
befaßen wir fchom in feinen Leinen fateinifchen Gchriften, 
welche Bad) im J. 1835 berausgab, ein ſchoͤnes Denk⸗ 
mal ber großartigen Anficht, die im Alterthume nichts 
Zodtes und Abgefchloffenes, ſondern Leben und ewige 
Blüte fuchte und fand. Wie ſich num diefe Anfiche mit 
deutfher Gefianung und mit bes geiftigen Intereſſen bes 
neuern Zeit verſchwiſtert hat, lehren und Paſſow's ge: 
fammelte deutfche Schriften, die uns das frühe Abſchei⸗ 
den deffelben, auch noch jetzt nach zwoͤlf Jahren, aufriche 
tig und innig beflagen laffen. 

Wir verdanken diefe Herausgabe der deutſchen Schrifs 
tem dem Sohne des Verſtorbenen, Herrn W. A. Paſſow, 
Lehrer am herzoglich ſaͤchſiſchen Gymnaſium zu Meinin⸗ 
gen, und erkennen gern feine treue und nicht leichte Mih⸗ 
waltung bei der Anordnung derſelben. In dee Vorrede 
ſchüdert er zuerſt die doppelte Egenthumlichkeit feine® 
Baters, einmal daß ihm die Alterthumswiflenfchaft, bee 
er fein Leben gewidmet hatte, nicht ein in ſich gegen alle 
Außenwelt abgefchiofienes Gange war, fonbern daß fie 
ibm deshatb ale die Krone aller Wiſſenſchaften galt, 


4 


weit Eeine im gleichen Grade bildend auf das Gefammt: 
leben einzelner Menſchen wie ganzer Völker einzuwirken 
fähig ift, weil fie dem Sinne für alles Wahre, Schöne 
und namentlih für Recht und Baterland die ficherfte 
Grundlage bildet. Zweitens aber hatte ihn diefe begeifterte 
Liebe zum Alterthume nicht zu einem Veraͤchter der neuern 
Zeit und ihrer Leitungen werden laſſen, meil er überall, 
dort wie bier, nur das allgemein Wahre und das ewig 
Schöne fuhte und fhäßte, daher auch überall Parallelen 
zwiſchen dem Älteften und dem Neuern zu ziehen oder doch 
anzudeuten pflegte, um das Alte richtiger und leichter zu 
veranfhaulihen, namentlich griechifche und deutfche Volks⸗ 
thuͤrlichkeit, griechiſche und deutſche Dichtkunſt nebenein: 
ander zu ſtellen liebte. Hieran knuͤpft nun ber Verf. 
eine Überfiht von Paflow’s geiftiger Eigenthümlichkeit 
in geſchichtlicher Folge. Eine eigentliche Biographie zu 
ſchreiben, erſchien Hrn. Paſſow unnöthig, weil die von 
Wachler 1839 berausgegebenen Briefe Paffow’s ein reis 
des und vollfiändiges Wild feines Innern Lebens geben, 
überdies find auch von Bach in der ‚Allgemeinen Schul: 
zeitung”, 1333, II, Mr. 40, von Eckſtein in Exrfcy:Gruber’s 
„Encyklopaͤdie“ und von Ludw. Wachler in deffen „Bio⸗ 
graphifchen Denkmalen“, I, ©. 331-— 344, ausführfiche 
Nachrichten über Paſſow's Leben mitgerheilt worden. Auch 
mochten wol, da er felbft in den legten Jahren des Ba: 
ters, von demſelben entfernt, auf einer auswärtigen Schule 
feine Bildung empfangen hatte, feine Erinnerungen nicht 
gleichmäßig fiher fein als die der mit feinem Water eng 
verbundenen Männer. Nichtödefloweniger wäre aber doch 
wol die Hnzufügung der biographifhen Skizze von 
Paſſow's eigener Hand in Nr. 93 d. Bl. f. 1833 oder 
aus bem „Sonverfationsleriton der neueften Zeit und Kite 
ratur” zweckmaͤßig gewefen, der fi dann eine forgfältige 
Nachweiſung alles Defien, was uͤber Paſſow von Freun⸗ 
den und Schuͤlern in verſchiedenen Journalen und Pro: 
geammen, zuletzt (1840) von Mönntch in der „Jugend⸗ 
und Bildungegefchichte berühmter Männer und Frauen”, 
gefchrieben worden ift, hätte anſchließen koͤnnen. Die 
Herausgeber nachgelaflener Schriften dürfen fih nah un: 
ferm - Dafüchatten einer ſolchen Zufammenftellung zum 
Nugen der Literatur nicht entziehen, wie ed, um nur ein 
Beifpiel anzuführen, in den von Weider und Müller 
herausgegebenen Schriften Diſſen's gefcheben iſt. 

Die flatt der biographifchen Nachrichten gegebene 
Üserfiht vom Paſſow's geiſtiger Thaͤtigkeit nehmen wir 
mit Dank an. Sie beginnt mit dee Schilderung feines 
atabemifchen Lebens in Leipzig, wo viele Lefer gewiß gern 
aus Linge's nach Form und Inhalt ſchaͤtzbarer Schulfchrift 
„De Franc. Passowii in academia Lipsiensi vita et 
stadiis’’ (Hirſchbera 1839) einige Nachträge gefunden bas 
ben würden, um fo mehr, da biefe Abhandlung wicht ei: 
wem Seden zu Gebete ſteht. In Weimar (1807 — 10) 
omtfaltet Paſſow ale Gymnaſiallehrer ſchon die gange Le: 
beudigkeit und Tüchtigkele feines Weſens, woruͤber einer 
feiner ausgegeichnetfien Seller, W. E. Weber in Bre⸗ 
men, in der ‚Allgemeinen Schulzeitung“, 1831, II, 
Mr. 2, im Gefühle der dankbarfien Rüderinnerung aus 


vollem Herzen gefprodhen hat und worhber außer andern 
Briefen die Briefe an Knebel (im zweiten Theile von 
befien ‚ Literarifhem Nachlaß und Briefwechſel“) ein vol: 
gültiges Zeugniß ablegen. Beide Stellen hat Hr. Paſſow 
nicht angeführte. Während feiner Amtsführung in Jenkau 
(1810 — 14) leitete den WVerftorbenen befonder® die An⸗ 
fiht von der Wichtigkeit der alten Sprachen für bie 
deutfche Jugend, indem der auf Deutfchland noch ohne 
Ausfiht auf Errettung laftende Drud der Fremdherrſchaft 
die Erzieher der heranwachſenden Gefchlechter verpflichtete, 
mehr als je auf tüchtige Begründung einer vaterlänbi: 
fhen Gefinnung bedacht zu fein. In Breslau begann 
fett 1815 Paſſew's fegensreiche akademiſche Thaͤtigkett, 
die der Sohn nad ihrer doppelten Richtung ſowol auf 
Foͤrderung der Alterthumsroiffenfchaft in ihrer ſtrengften 
Form als auf Verbreitung ihrer Refultate in einem mei: 
tern Kreiſe gebilbeter Männer dargeftellt bat, ebenfo Paf: 
ſow's rege Theilnahme an ber Journalkritik (die von 
Paſſow verfaßten Recenfionm find feit 1815 forgfältig 
verzeichnet) und feine Beſchaͤftigung mit den bildenden 
Künften des Alterthums. Wie fehr ihn die oͤffentlichen 
Verhaͤltnifſe Deutſchlands In Anſpruch nahmen, ift eben: 
fous nicht übergangen, bie Turnſache, urtheilt der Her: 
audgeber, um die fi) zunaͤchſt der Kampf entfpann, war 
nur die aͤußere Veranlaſſung, im Grunde handelte es 
fih um weit allgemeinere und höhere Fragen. Die Mit: 
theilung ber von Paſſow damals verfaßten Streitfchriften 
ift aber aus Leicht begreiflichen und lobenswerthen Grün: 
den in diefer Sammlung ebenfo wol unterblieben ale in 
dee im vorigen Jahre erfchienenen Sammiung von Nie: 
bubr’s. nichtphilologiſchen Schriften. „Wan muß fih 
fteeiten können‘, fagte ber ebengenannte große Mann 
(‚, Zebenenacdhrichten , III, 212), , wenn eine Meran: 
laffung «6 nothwendig wacht, aber es muß auch ver: 
fliegen wie ein gefprodgenes Wort. So geht es in freien 
Staaten unter den Rebnern, fo muß e6 auch in ber ge: 
lehrten Republik fein.” 

Segen die Anordnung ber vorliegenden Sammlung 
iſt nichts Wefentlich:s einzuwenden, wir finden fie dem 
Zwecke des Herausgebers angemefien, baf fein Buch nichts 
Neues leiften, fondern Vorhandenes vereinigen, erhalten 
fol und dadurch das Andenken eines ausgezeichneten Kaͤm⸗ 
pfers für die Wiſſenſchaft fihern und ehren. Demnad 
find alſo die Auffäge ganz fo abgebrudt, wie fie Paſſow 
gefcgrieben hatte, und nur hier und ba finden ſich einige 
Berwelfungen auf Paffew’s ‚Leben und Briefe’, meift 
zur Berfländigung von perföntichen Vechättniffen. Den 
Rath ‚‚befreumdeter und gewichtiger Stimmen”, daß ber 
Herausgeber in die einzelnen Abhandlungen ,, möglich 
vollſtaͤndig nach⸗ und hineinarbeiten“ follte, verwarf er 
feinem Plane gemäß. Nun konnte auch eigentlich Mie 
mand von ihm fodern, daß er 3. B. bei Nr. IT ade 
verfchiedene Meinungen über Tacitus’ Germania” auffühs 
ven oder bei Nr. VII die Anfihten nah Paffow tiber 
die Demagogie in Griechenland prüfen oder in Nr. XII 
und XIV die Literatur des Tibullus neu durchgehen ſollte, 
aber wir fehen nicht ein, warum bei einzelnen Auffägen 


455 


(die wir nachher bezeichnen werden) kurze literarifche Nach: 
träge eine „fo armfelige Role‘ gefpielt haben würden, 
wie fie Hr. Paſſow die Herausgeber ‚‚mehr als einer, 
an fich ſehr werthvollen Sammlung” fpielen läßt. Ob: 
ſchon wie nicht wiſſen, welche Sammlungen der Heraus⸗ 
geber im Sinne gehabt hat, fo können wir ihn body 
aus einiger Bekanntfchaft mit bergleihen Arbeiten ver: 
fihern, daß ſolche kurze Nachträge, welche die Literatur 
zu vervollſtaͤndigen und zu ergänzen beabfichtigten, von 
urtheilsfaͤhigen Richtern Beineswegs für „eingeftreute und 
angeflickte“ Nachträge gehalten worden find, fondern daß 
man ben SHerausgebern es nur zum Lobe angerechnet 
bat, daß fie thaten, was jene Verf. bei längerm Leben 
und nochmaliger Bearbeitung Ihrer Auffäge ſelbſt gethan 


haben würden. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Chronik des edlen En Ramon Muntaner. Aus dem 
Catalaniſchen des 14. Zahrhunderts überfegt von K. 
Fe. W. Lanz. Zwei Theile. Leipzig, Engelmann. 
1842. Gr. 8. 3 Thlr. 264 Nor. 

She Gervinus („Grundzüge der Hiftoril‘) auf die Bedeut⸗ 
famteit der Shronif von Don Ramon Muntaner binwies, mochte 
diefelbe in Deutſchland nur wenigen Sreunden ber ðeſchichte 
bekanat fein, wiewol die Hinderniſſe, weiche das Verſtaͤndniß 
des catalaniſchen Dialekts abgab, feit 1827 durch die von Bus 
chon gebotene überſetzung ins Franzoͤſiſche beſeitigt waren. Seit⸗ 
dem bat ſich die Aufmerkſamkeit in groͤßerm Maße dem Ehro⸗ 
niſten zugewendet und man darf vieleicht mit einigem Grunde 
annehmen, daB ber Lefer bie vorliegende UÜberfegung der Hindeu⸗ 
tung in dem obengenannten Büchlein verdankt. Geitben wir 
aber auf diefe Weile eine allen Anſpruͤchen der Billigkeit genü- 
gende Übertragumg ind Deutfche erhatten haben, mit welcher 
die etwas flatterhafte Arbeit Buchon's ſich nicht meſſen kann, 
laͤßt fi annehmen, daß man fid in Deutfchland raſch mit 
Muntaner’s blungen befreunden wird. Wer in biefen Bluͤ⸗ 
tenwald ſpaniſchen Lebens vom Anfange bes 13. bis zum An: 
fange bed 16. Jahrhunderts einmal bineingebtidht hat, wirb 
fih zu allen Zeiten zu demſelben zuruͤckgezogen fühlen. Die 
Tiefe der Anfchauung in Liedern und Romanzen, die flolze Rit⸗ 
terfichleit, verbunden mit dem Berfenken in die Myfterien des 
Glaubens in Chroniken und Erzählungen, der Geift der zarte⸗ 
ſten Romantit und der finnigften Speculation, ber über die Ers 
zeugniffe jener Zeit feine Flaͤgel breitet — das Alles zieht ben 
Lefer unwillkuͤrlich wie in einen Bauberfreis hinein. So wurde 
der Amerilaner William Prescott (‚History of the reign of 
Ferdinand and Isabella”) von dem Reichthum ber Erſcheinun⸗ 
gen im fpanifdgen Erben getragen, flatt fig ihrer ordnend und 
geftaitend zu bemädhtigen, unb ben den neueften Richtungen des 
Liberalismus in Madrid und Barcelona angehörenden Marliani 
(„Histoire de l’Espagne moderne”) flieht man wider Willen zu 
den poetifcyen Gebilben feiner neuen Heimat in Zeiten zuruͤck⸗ 
ehren, die den politifchen Weflrebungen der Gegenwart ſchroff 

berſtehen. In Muntaner aber iſt Ritterlichkeit, begei⸗ 

e Liebe fuͤr ſeine Heimat, Drang nach Thaten, feine Sitte 
den Frauen gegenuͤber, Zobeötreue für das Fuͤrſtenhaus und zus 
gleid die um ittene Entwickelung felbfländiger Freiheit des 
Mannes erquicklich miteinander vereinigt ;_ eine Geſundheit der 
Anfdjauung, die mit fo manchen Eranten Biflonen oder tenbens 
iöfen Schilderungen und bürren oder fpröben Erzählungen neues 
—* Zeit den —— * Gegenſatz bildet. 

liter Muntaner’s Leben. befigen wir nur fpärliche Radrid- 
ten. Geboren 1265 ie Peralada, einem Flecken der Grafſchaft 
Ampuries in Gatalonien, eines Gaſtwirthe Sohn, verlieh er, 


20 Jahr alt, die Heimat für immer, meiſt mit dem Schwerte 
umgärtet, an Kämpfen zu Land und Meer gegen Mauren und. 
Zürten, Griechen, Provencaten und Reapolitaner Theil neh: 
mend. Als er 60 Jahre zählte, begann er, 1325, feine Chro⸗ 
nie. Er kennt die heilige Schrift gründlich, ift mit Legenden 
und Ritterromanen befreundet, zeigt ſich überall von der Goͤtt⸗ 
lichkeit des Shriftentbums durchdrungen, ohne deshalb den Lob: 
redner jedes Zonfurioten abzugeben. Als Unterthban des Könige 
von Aragon gehört Muntaner begreiflich zur ghibelliniſchen Par⸗ 
tet; dennoch redet er nur mit kindlicher Ehrfurcht von dem 
geifttichen Herrfcher in Rom; er erlaubt fi fo wenig ein Urs 
theit über bie Kirche, daß er bei Gelegenheit der Graählung 
von den Zerwürfniffen Friedrich's II. mit dem Papſte fih mit 
bem Zufage begnügt: „Zu fagen, von welcher Eeite das Un: 
recht fam, das ſteht mir nicht zu.’ Über den größern Theil 
der Begebenheiten berichtet Muntaner ald Augenzeuge; für ben 
merkwürdigen Feldzug in Romanien muß er unftreitig als bie 
bedeutendfte Quelle betrachtet werben. An feiner Wahrheit in 
der Sntwicelung und dem Außgange der Begebenheiten zu zwei⸗ 
fein, ifl fein Grund vorhanden. In den Angaben ber Zahl 
von befiegten ober gefallenen Gegnern fpricht ſich der begeifterte 
Spanier aus, der feine Helden von Aragon und Gatalonien fo 
gern mit einem Xlerander ober mit Roland und Dlivier vers 
gleiht. Die Chronologie ift nicht immer mit Zreue verfolgt. 
Fuͤhrt die Erzählung auf einen edein Herrn, fo Tann Muntaner 
nicht umhin, wie Herodot, ſchon im voraus bie fpäter von ihm 
vollführten Thaten zu berichten. Er bat fein Aragon und Ca⸗ 
talonien zu lie), als daß er eine Broßthat feiner Männer ver⸗ 
ſchweigen könnte. Und fo führt uns der Berichterftatter fprunge 
weile nad Bicilien und Aragon, nach Romanien und Natolien, 
nach den Küften ber Werberei, ber Provence und Neapels. 


Muntaner will belehren. Er hat bie liebenswürbige (Ber 
ſchwaͤtzigkeit bes Alters, aber feine Erzählung bleibt ewig jung. 
Dan fühıt fi unmwilllürlih an die Darftelung von NRovalis 
erinnert: ‚Und er that feinen Bart auseinander und hub an.’ 
Mitunter glaubt man einen frommen Landsknecht zu hören, 
ber von dem Lande jenfeit der Alpen nach Schwaben heimge: 
ehrt iſt; aber der Catalane bat bie Gewandtheit voraus, er 
ift der Vielgereiſte, ihm find alle Geftadeländer des Mittelmeer 
res mit ihren an Tracht und Bitte und Glauben verfchiebenen 
Bewohnern belannt. Dann wiederum wirb man an Billehar⸗ 
douin gemabnt, an Joinville, felbft an den fpätern Froiſſart; 
aber das firenge Element bes Adels, welches biefen ausfchiteß: 
ich innewohnt, beberrfcht ben Gatalanen nicht, wenn es ſchon 
ihm nicht fremd ift. 

Die Vorrede Muntaner's athmet nichts ale Dank ge 
Gott. Er fieht alt und müde auf fein bewegtes Leben zurüd, 
aus Roth und Jammer, aus denen ihn Gott fo wunderbar ges 
rettet bat. Da treibt e8 ihn zu erzählen, „bamit ein jeglicher 
erfahre, daß in fo großer Noth keine Rettung iſt, außer durch 
Hülfe und Gnade Gottes und feiner gebenebeiten Mutter, der 
heiligen Jungfrau Maria. Gr erzähıt im erften Gapitel, daß 
ihn eine Erſcheinung im Traume aufgefodert habe, fein Werk 
u beginnen, aus Dank, daß ihm Bott ein langes Leben ge: 
—* und es ihm habe wohl ergehen laſſen. Als er erwacht 
ſei, habe er das Kreuz geſchlagen und mit dem Schreiben ange⸗ 
fangen. Zwei Regeln kann er nicht oft genug wiederholen: 
nicht der eigenen Tapferkeit, ſondern ber Macht Gottes ſoll 
non ven Sieg zufchreiben,, fobann gegen Jedermann Gerechtig⸗ 
eit üben. 

Glieich im Anfange floßen wir auf folgende ungemein liebs 
liche Erzaͤhlung. Maria brachte ihrem Gemahle, Pebro IL, 
als Erbtochter Stadt und Herrichaft Montpellier zu. Aber Pie 
dro Liebte eine andere ſchoͤne Frau in Montpellier und wohnte 
der Königin nicht bei. Das kümmerte die Rathöherren ber Stadt, 
befonbers weit fie, wenn fein Erbe geboren wurbe, von Aras 
gon wieder ablommen mußten. Deshalb verfländigten fie ſich 
mit einem vertrauten Ritter des Könige dahin, daß diefer bem 
Anfchein nach die Geliebte heimlich in Pebro’s Gemach führen 


6 


ſolle, doch im Dunkeln, daß Feiner fie ſaͤhe. Run wurden bie 
ganze Woche hindurch d tie Mn Bf, angeftellt 
- und in per Racht des Gonntags_fehritten dic Nathömänner, 
bte und Prioten, fammt bem Officigt des Piſchofs und den 
iitlichen, zum Schloß unb mit ihnen Maria mit 12 Frauen 
and Fräulein und zwei Berichtiähreibern. Da führte der Kit 
ter or Königin Heimlid ind each Pedro's und diefgr wähnfe, 
ze Tel die fehöne Krau_ aus Montpellier. we kabt aher 
iparen alle Kirchen geöffnet und mit Betern ge if. 8 nun 
der Tag anbreden wollte, traten Rathömänner, rdlaten, 
öndhe, Frauen und Gerichtfchreiber, ale mit brennenden Kers 
zen, ins Gemach. Erſchrocken Tprang ber König auf und griff 
zum Schwert. Aber die Männer fielen nieder und riefen: 
„Gnade, Derr, und Tobit wen Ihr geherzt habt!” Da fah 
der König ſtaunend, dad Maria in feinen Armen gelegen babe, 
und fprab: „Welt dem nun fo ift, To möge Gott euern Wunſch 
erfüllen!” Nämtichen Tages noch ritt Don Pedro aus Mont: 
pellier fort; doch blieben ſechs feiner Nitter mit den beiden Ges 
richtſchreibern unausgefegt' bei der Königin, bis neun Monden 
vergangen waren. Da gebar Marla einen Infanten; bad war 
Jahme J., oder, wie bie Überfegung ben catalanifhen Dia: 
fett beibehalten, En Jacme, der 1213 bem Vater auf bem 
Thron folgte. | | 1 
* Mit diefem Jayme J., von welchem wir befanntlid eine 
Autobiograptie befigeii, beginnt Wuntaner feine Chronik von 
Yragon. Er erzählt von feiner Einnahme Mallorcas, von ber 
durch ihn erfolgten Unterwerfung der Mauren In Balencia und 
Murcia, wie ber König 1276 frank zu Katifa 108 und, als er 
don dem Aufftande der Granadiner hörte, zornig Roß und Rüs 
ftung zu bringen gebot, dann, als bie Kraft ihm verfagte, ſei⸗ 
nem Gott Elagte, daß er ihn in ſolcher Zeit babe ſchwach wer: 
den laſſen, und befahl, daß man ihn in einer Saͤnfte feinem 
Banner nachtrage. Als Jayme den Feind zu treffen wähnte, 
fand er bdiefen ſchon durch feinen Infanten Pedro geworfen, 
tegte ſich bald darauf nieder und ſtarb. Einige Jahre zuvor 
hatte Jayme I. feinen ältern Sohn Pebro zum Verweſer von 
Aragon , Valencia und Gatalonien, den jüngern, Jayme II., 
zum Statthalter über Minorca, Mallorca, die Graffchaft Rouf: 
finon, Wonflans, Gerdagne und "Montpellier beftellt. So ges 
Bachte er der Infanten Einfiht und Geſchick zu prüfen. Jetzt 
berief der mit der Staufin Conftanze vermählte Pedro III. die 
Sortes nah Saragofſa, feste ſich bier die Krone von Aragon, 
in Valencia die diefes Reichs, in Barpelona den Reif (gerlanda) 
als Graf von Barcelona und Herr von Gatalonien aufs Haupt. 
An dieſe Darftellungen reiht fich die treffliche Erzählung 
von dem Untergange der Staufen in Neapel, den Grauſamkei⸗ 
ten Karl’ von Anjou, den Umtrieben und heimlichen Fahrten 
des verfchmisten Giovanni da Procida, ber Stellung, welche 
dad Oberhaupt der Kirche zu Seankreich nahm, jener gräßli: 
chen Vesper von Meffina, endlich der Überfahrt Pedro's nad 
dem von Provensalen bedrängten Gicitien. ine eigenthüm: 
lich ſchoͤne Epifode bildet in biefen Berichten der Ritt ded wort: 
treuen Pebro von Bordeaux, wo fidy der feige Bruder Lud⸗ 
wig's des ‚Heiligen zu dem verabrebeten Zweikampfe nicht ſtellte. 
In den nachfolgenden Mittbeitungen tritt der kuͤhne Abs 
miral Roger de Luria in den Vordergrund. Durch ihn werben 
die provencalifchen Galeeren gefchlayen, der Strand don Apus 
lien und Galabrien verbeert, im Golf von Neapel der Sohn 
Karl's von Anjou gefangen. Die berufenen Stände Siciliens 
ſprachen über den Gefangenen, befien Vater ben Konradin hatte 
enthaupten laffen, den Tod; aber der Infant Jayme, Pedro's IH. 
Sohn, ſagte: „Gott will nit, daß der Sünder fterbe, fondern 
daß er ſich bekehre“, und fandte den Ergriffenen nad) Gatalos 
Men. Noch lebte er in Gefangenfhaft, al® er durch den Tod 
des Waters, „auf welchem Gottes Zorn lag’, Erbe der Krone 
von Neapel wurde. Nun wenbet fidh der Erzähler zu den Rüs 
flungen Frankreichs gegen Aragon. Als Pedro III. von Sancho 
von Gaftilien fatt der zugefagten Hülfe nur glatte Worte ers 


bielt, er: „Da Ale, bie mir are folten, mi 

baben A bitf du mic, Bere und Vater, und fhüge u 
mein Bord!" befahl zu fatteln und zu rüften und fanımeite 
Kitter und Bürger bei Bagnoles. Philipp von Frankreich aber 
umeing, han Moͤnchen geleitet , Gegner, zwang biefen zum 
Ye on in ber Ebene van Prrajaba die —5 


It 
entfalten. egenheit ber hier, mm feine erſtabt, Anke 
findenden Kaͤmpfe gi Muntaner (Sapitel 124) folgende Eyine 
Erzählung, bie zugleich ald Probe feiner Darftedung blenen möge: 
„Bu Peralaba war elne Frau, bie id perſoͤnlich kannte, 
Na Marcgbera genannt, weil fir einen Kramladen Halte; fie 
war eine ruͤſtige Frau, groß unb Fark. Gines Toqges, als die 
Sranzpfen vor Peralada gelagert waren, ging fie berams in 
ren Garten, Gemuͤſe zu holen, z0g einen Mannstrock an, 
tete ein Schwert um und nahm Schild und Lanze zur Hand; 
fo ging fie in ben Garten. Auf ein Mal Hört fie ein Seklin⸗ 
gel; fie ſtutt, laͤßt ihren Kobl und geht nach ber Gtelle him, 
zu feben, was es war; und fiehe da, in dem Me A 
ihrem und bes Nachbars Kaxtı N & fie einen Ellen 
Ritter in Kuͤſtung auf einem Dr ‚ daß am Bruftriemen mit 
Gloͤcklein behaͤngt war; ber ritt ba und dorthin, denn er wußte 
ben Ausgang nöd. Wie fie ihn erfah, eilt fie zu ihm auf eis 
nen Schritt und flößt ihm bie Lanze mit folder Macht in bie 
Site, daß fie Hüfte und Sattel durchdrang und noch das Nkerd 
vermundete. Go wie das Thier bie Wunde ſpuͤrt, baͤumt «8 
fi) und ſchlaͤgt hinten aus und hätte ſicherlich feinen Reiter a 
geworfen, märe er nicht mit eincr Kette am Sattel hefefligt 
ewefen. Was meint ri Sie zieht daB Schwert und wer 
est dem Pferde einen ſolchen Schlag auf ben Kapf, daß as 
taumelte. Nun, denkt, faßt fie die Zügel und zuft dem Bitter 
zu: „Ihe feid des Todes, wenn ihr euch nicht ergebt!”’” Der 
Ritter, der ſich ſchon verloren gab, wirft feinen Degen ab uub 
ergibt ih. Sie beht den Degen auf, zieht ihm bie Lanze auß 
der Seite und nimmt ihn mit fi nach Peralada. — Diele Ger 
(idee bat dem Deren König und dem Deren Jufanten viel 

paß gemacht und fie ließen ſich oftmals von der Frau erzaͤh⸗ 
ten, wie es dabei zugegangen. Kur, der Ritter und feine Kuͤ⸗ 
ftung gehörten ihr. Er kaufte ſich nachher für MO Bolbguiden 
(08, bie fielen ihr zu. — Daran könnt ihr ben Zorn Gottes 
über die Franzoſen erfennen.‘ 

(Der Beſchluß folgt. ) 








Literarifche Anzeige. | 


Gefammelte Schriften 
Xyudw ig Rellttap. 
In zwölf Banden. 


Erxfte Rieferung, ober. erſter bis dritter Baud. 
Sr. 12. Geh. 3 Thlr. 


Diefe aus zwölf Bänhen beftehende Sammlung wirb in 
vier Lieferungen zu drei Bänden ausgegeben, die jedoch nid 
getrennt werben. Die erfte Lieferung enthält die erſten drei il 
des in dritter Auflage erſcheinenden hiſtoriſchen Romane „A834204 
die zweite bis vierte Lieferung, die in kurzen Zwifcdhenrdumgm 
folgen, werden den Schluß von „ABER, eine Auswahl vog 
Movelien, Bebichten, bramatifchen Wrbeiten uns 
vermiſchte und kritiſche Schriften enthalten. 

Eine ausführliche Anzeige it in allen Muıb- 
bandlungen au finden. 

Eeipzig, im April 1843. 


5. A. Brockhaus. 


Beranfwortlider Gerausgeher: Heinrich Brodhaud. — Drud und Verlag von 5. A. Brodhaus in Leipzig. 


’ 


Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Franz Paffow’s Bermifhte Schriften. Herausge⸗ 
geben von B. A. 
(Beſchluß aus Nr. 114.) 

Die einzelnen Auffäge find nun folgende: 

1) „Die griechiſche Sprache nad Ihrer Bedentung 
in dee Bildung deutfcher Jugend”, 1812. Eine vor: 
serffliche Abhandlung, bie mit Recht an der Gpige der 
Sammlung fieht. Denn wenn and die Grundanſicht, 
daß die Erlernung der griechiſchen Sprache dem gans 
zen deutſchen Volke, ohne Ruͤckſicht auf Geburt, Stand 
und Lünftige Beflimmung, nothiwendig fei, heutzutage man: 
den Widerfpruch finden wird (bekanntlich wollte fchon F. 
A. Wolf „die Perle-nicht vor die Säue werfen‘), fo wer: 
den doch die in ber ſchoͤnſten Sprache niedergelegten Anfich⸗ 
sen über die Sprache im Allgemeinen und über die grie: 
chiſche und deutfche Sprache im Beſondern umd der glüs 
bende Eifer für Jugendbildung duch eine National: 
ſchule dieſem Auffap noch nad mehr als 20 Jahren feine 
bedeutende Stelle in unferer pädagogifchen Literatur fichern. 
Diermit in Verbindung fleht 

3) „Der griechifchen Sprache pädagogifcher Vorrang 
vor der lateiniſchen, von ber Schattenfeite betrachtet‘, 
1812. Die Nothwendigkeit, die lateiniſche Sprache erſt 
nach der griechiſchen zu erlernen, wird aus deutſch natio⸗ 
nalen, ſprachlichen und paͤdagogiſchen Ruͤckſichten gegen 
allethand Einwendungen ſehr beredt dargethan, aber frei⸗ 
Uh nur für Wenige überzeugend. Died von unſerer 
Seite zu beweilen, kann in d. Bl. nicht verlangt werden; 
zu loben aber iſt in unfern Tagen ganz befonders die einfache, 
naturgemaͤße Beweisführung über die Wichtigkeit der als 
son Literatur auch für Juriſten und Andere, die fich ihr gern 
zu entziehen pflegen, wo zu der Anmerkung auf ©. 28 
ein nuͤtzlicher Nachtrag aus K. Sr. Weber's darmflädter 
Programm vom J. 1831 (S. 61) gegeben werden 
Somnte. Auf S. 34 iſt die Anorbnung des griechiſchen 
Sprachunterrichts in Jenkau mitgetheilt (wozu Hr. Pafı 
fow noch aus feines Vaters WBriefn S. 138, 149, 153 
den umfoffenden Plan zu einem Übungsbuche für das 
Geiechiſchſchreiben hätte mittheilen follen), deſſen Unan⸗ 
wendbarkeit in unfern jegigen Gymnaſien wol jeder Schul: 
wann einfehen wird, fo viele Gerechtigkeit er auch Hen- 
Paſſews Eifer widerfahren läßt. 

3) „Über Iacitus” Germania”, 1816. Diefe Abs 











handlung iſt unftreitig eine ber bedeutendſten im der gan: 
zen Sammlung, und ihr Inhalt, der an fich ſchon vor: 
süglih genug iſt, erfcheint jest in einem noch ſtrahlen⸗ 
dern Lichte, wenn man ihn mit des kaltverſtaͤndigen 
Luden neueſter, faſt barocken Anficht vergleicht, daß die 
ganze „Germania” ein untergefhobenes Stüd fei. Sowol 
die treffliche Charakteriftit des Zacitus als die Meinung 
über den Grundgedanken des köftlihen Buͤchleins, durch 
welches Tacitus habe meitere Kriege feiner Landsleute mit 
ben Deutſchen verhuͤten wollen und auch hierin den Ge: 
genſatz als die eigentliche Seele feiner Darfielungen ver 
wirkliche bat, empfiehlt diefe Schrift der fortdauernden 
Aufmerkfamkeit der Zeitgenoffen und Aller, die fich für 
Tacitus intereffiren. 

4, 5 und 6) Mehre Auffäge aus der Erſch⸗Gruber'⸗ 
ſchen „Encpktopädie” über den Redner Äſchines über die 
lateiniſche Anthologie und bie griechiſchen Erotiker und 
Epiftolographen, Antipbanes von Berga, Antonius Diege: 
nee, Achilles Zatius, Alciphron und Ariſtaͤnetus — alles 
geift: und merthuolle Beiträge zur Literaturgefchichte. 
Namentlich verdient der Artikel über die lateiniſche An: 
thologie befondere Beachtung, und wenngleich der Her—⸗ 
ausgeber überall die bibliographifchen Notizen weggelaflen 
bat, fo dürfte doch gerade bier, weil Paflow feit langer 
Zeit der Erfte geweſen war, der diefe Gedichte behandelt 
hatte, eine Überfipt der fpätern Bearbeitungen und der 
Nachtraͤge, die Bardili, Dübner, Sillig und Meger in 
mebren philologifhen Zeitfchriften, deren Nachweis une 
bier zu weit führen würde, gegeben haben, ganz an ih: 
rem Orte gewefen fein. 

7) „Über die romantifhe Bearbeitung beilenifcher 
Sagen”, 1817. Wir möchten diefen Auffag mit dem 
unter Nr. 3 die Krone der ganzen Sammlung nennen, 
weshalb Ihn auch Friedemann mit allem Rechte im erften 
Bande feiner ,, Paränefen ”’ hat abdruden laſſen. Se 
weniger nun feit Paſſow bdiefer wichtige Gegenfland be: 
arbeiter ift, um fo nothmwendiger war bie Anführung 
zweier Männer, die ihn mit Liebe und Einficht behan⸗ 
deit haben, naͤmlich Struve’s in feiner „Erklärung zweier 
Goethe'ſchen Balladen aus griechifchen Quellen” (Königs: 
berg 1826) und W. E. Weber's in ſeinerAeſthetik“ (Reips 
sig 1835), Bd. 2, S. 2 fg., und in dem erften Bändchen 
der „Elaſſiſchen Dichtungen der Deutfchen” von &. 41 an. 


458 


8) „Zur Gefchichte der Demagogie in Griechenland”, 
1819. Mit Einſicht und Wahrheitsliebe aus den Quel⸗ 
len gefchöpft und zur Feſtſtellung eines Begriffe, der 
noch immer viele Verwirrung anrichtet, auch für unfere 
Zeit fehr ‚belshsend. 

u, 10, I1 und ID) Vler Meine Auffige über Ges 
genfände aus der griechifchen und römifchen Literaturge: 
fhichte aus den Jahren 1821 —25, zu Theokrit's Chas 
riten, über den Phyſiognomiker Polemon, den Dichter Fa⸗ 
bullus und eine Stelle aus dem Hellodorus. Dahin 
gehören auch Mr. 43 und 14 „über die Gedichte und 
das Leben des Tibullus“, zwei Recenfionen vom 3.1825, 

ia de wowfn 


19) „Über Eicero's Rede flr den M. Marcellus“, 
1829. Abgeſehen von der fdyarffinnigen, genauen Durch⸗ 
dringung dieſer Streitfrage und der Gewandtheit in Bes 
nugung der hiſtoriſchen Thatſachen verleiht auch die klare 
Darſtellung diefem "Uuffage sinen ganz vbeſendenn Werth. 
Es ift derſelbe wie mehre der autern Wichriften (ir. 3, 
7, 8) zuerſt ein in dem wiſſenſchaftlichen Vereine zu 
Breslau, in der fogenannten Philomathie, gebaltener Vor⸗ 
trag gemwefen, und als ein Beweis, wie Sragen aus dem 
Bereiche der Höhen Keitte fuͤr gebildete Männer, die nicht 
5* Philologen vom Fache find, zugaͤnglich und Inter 
ſſant gemacht werden koͤnnen, des Abdrucks vollkommen 

XX 


Kate | Acdig. 


2 uh tem steile 
gabe dieſes Dichters auch da von wiſſenſchaftlicher Be⸗ 
deutung find, wo man Paffow's Meinung ats unhaltbar 
dezeichnen muß, wobei freilich zu bedenken tft, daB biefe 
Arbeiten nur Borarbeiten zu einem groͤßern Werke Über 
Tibullus geweien find. 

15) „Allgemeine Einleitung zu den Juhrbuchern flıx 
Dhilologie und Pädagogik”, 1826. Ein mit Geiſt und 
Beben gefchriebener Aufſatz, deſſen wurdige Anſſchten uͤber 
Ohllologie und Paͤdagogtk, über unſer ganzes deutſchee 
Schriſeweſen und beſonders uͤber die Journalkritik allge: 
meiner Beherzigung werth ſind. Einen Theil der Ein⸗ 
leitung fuͤllt die Erörterung des für die, Jahrbuͤcher“ gel⸗ 
wenden Befeges, daß alle Anonymitaͤt wegfallen und alle 
Mitarbeiter ih mir Memmung Ihres Namens unterzeich⸗ 
nen follten. Die Sache hat indeß zwei Seiten; wollte 
der ſelbſt Leſſing fich als Kunſtrichter nicht wermen und 
Goethe weigerte ſich ebenfals feine Auffäge in ben „Ho⸗ 
ven’ neit feines Namens Unterfcheift zu verfeben, obwol 
Gotta «8 verlangte, weil das Publicum mehr auf den 
Stempel ale auf den Geiſt fähe („Briefwechſel zwiſchen 
Schiller und Goethe“, 1, 81). Em 
©. 186, ba es nach der bertigen Bemerkung ſcheinen 
koͤnnte, als hätte feit dem 3.1825 die „Allgemeine "tes 
raturzeitung“ es auch zur Norm gemacht, daß die Na⸗ 
men genannt werden ſollten. Bo viel wir wiſſen, ſteht 
Died eigentlich nur den Redactoren zu, andern Dritarbeis 
ten wird 26 auch wol mackgelaflen, aber von feinem 
verlangt. 

16) „Über die neneften Bearbeitungen der griechi⸗ 
ſchen Anthelogle”, 1827 — 28. Gut ausgewählt, um 
Paſſow als Kritiker und Ereget zu geigen und durch Fr. 
Jacobs ganz beſonders zum Wiederabbsud empfohlen. 

17) ‚Über die Bemälde des Altern Philoſtratos“, 
3837, und 

18) „Herakles der Dreifußraͤuber auf Denkmalen 
aiter Ruf” -umd „Über die vorgebliche Gortina auf Diefen 
Denkmal”, 1628. Beide Auffkge zeichnen fich durch 
Eleganz her Sprache, duch große Klarheit und durch 
Unbefangenhheit is dee Benutzung und Erklaͤrung ber 
bisher beplagficden Stallen aus den griechiſchen Glefiilenn 
end, ſodaß für ſpaͤtrere Jahre gewiß vorcceffliche Leiſtun⸗ 
. gan von Paffew auf dieſem Felbe hätten erwartet ueıbam 

Sbmen, de da ex feiner ganzen Natur nad) Fi ges 
wi nie in mpfifchen Dämmerungen verloren haben würde. 





Jerthum iſt auf 


Betmumiih, eich Dale ia auchten 
den Punkten von $. 4. Wolf ab und ſtellte feſt, daf 
Elcero nad Mara’ Degnabigung durth Gäfer alles⸗ 
dings eine Rede gehalten hat, ſowie daß er aus vielen 
Gründen eine Veröffentidumg berfäben wünfdenswerth 
finden konnte. Damit iſt nah Paſſow's Auſicht aller: 
Dinge noch niche erwieſen, daß Die wor ums liegende Rede 
fie den Marcellus die Damals 'gebaltene fel, aber eime 
Schritt für Schritt durchgeführte Prüfung diefer Rebe 
würde zweifelsohne zu demfelben Refultate ‚geführt haben. 

20) ‚Erinnerungen am ausgezeichnete Philologen des 
16, Jahrhunderts“, 1833 u. 1830, Auth der Abdeuck Die 
fee Biographien iſt für ‚die gegenwaͤrtige Literatur, die 
an allerhand Biographien fo zeich iſt und fire weiche ſich 
jegt ein unverdennbareß Intereſſe geist, ſehr zwekmaͤßig. 
Zuerſt iſt von dem ale Menſchen und Gelehrten audge 
jeichneten Hieronymus Wolf (geb. 1516, geſt. 1580) die 
von ihm ſelbſt Latrimifch verfaßte Schilderung feines Ju⸗ 
gendiebens aus dem achten Bande mon Reiske's griecht⸗ 
ſchen Rednern im fehe lesbarer Äberfegumg zuitgetheift 
worden, deren Werdienfilichleit es Leinen Eintrag kimam 
kann, daß fie bereits Kofeganten im zweiten Bande feimm 
„Myapfodien“ (Leipzig 1800) mit vieler Liebe deutſch be 
arbeitet hat. Da mun aber Dre vorliegende Auffag nur 
das Jugerdleben des ruhmwindigen Mannes ſchilbert 
wie auch Voͤmel in einer gu Frankfurt a. M. im Hechſu 
1827 gehaltenen Rede (ſ. Seebode'sMritiſche Bibliechek 
fir das Schulweſen“, 1838, I, Mr. 13) gechan hat, fe 
dürfte die Nachticht vialleicht nicht Abexlüffig fein, baf 
von G. EC. Metzger zu Augsburg, mo Hier. Wolf ab 
Reetor geſtorben iſt, 1833 eine „Memosia Hier. Wolfe” 
— er — — Aber Heincich Gtephes 
nus (ge ‚ geht. iſt ein Meiſterſtuͤck quellen⸗ 
maͤßiger und praͤeiſer Darſtellung. 

21) „Uber die ſogenannte Apotheoſe des Auguſtus 
in dar Autikenſamnlung zu Wien“, 1820. Kar u 
aͤberſichtlich, ohne alte UÜberladung mit antiquariſcher ie 
lehrſamkeit, fo recht gesigmet, Die Nuͤtzlichkelt folcher Mies 
trachtungen über gefehnittene Steine auch einem größren 
Bublieum gu smpfehlen. 

232) „Zum Audenben des am 17T. Gebr. 1633 num 
ſtorbenen breiiauer Thealagen Daniel von Eden.” Sea 
ehler Einfachheit ſchildert der treue Freund Das Beben 
eines Mannes, defien Gruudſatz im Handein Wahche 
im Forſchen Gruͤndlichteit amd Tieſe mar. 


Din Sichiuß der Sammlung malen eine Anzahl 
Sedichte aus Pafſow's frühern Jahren, wie fie nicht feh⸗ 
Ien durften. Ale zeichnen ſich durch Zartheit und Wahr: 
heit der Empfindung und durch eime ſehr gebildete Sprache 
ans, wie muter andern das in der „Neujahrnacht“, weis 
bes wir bier ald Probe geben. 

In jener Racht, wo an bie ew'gen lieber 

Der Zeit den neuen Kreis die Sonne bindet, 
Rım Freud' und Beben ſich der Flur entwindet, 
Sanbt’ Gros feinen erſten Pfeil mir nieder. 
Und Freude ſtrahlt mir nicht noch Beben wieder, 
Wenn Aller Herzen auch ihr Kranz umwindet, 
bret nie das GSluͤck, das einmal ſchwindet, 
Entfloh es felbft dem ſchoͤnen Traum ber Lieder. 
Auf ewig, wie die Zeit im Tanz ber Horen, 
Iſt meine Ruhe mir dahin geſchwunden, 
In holden Zaubertönen eingemwieget. 
Und willig hat mein Bufen fie verloren, 
Run mic) ein fchöneres Gebilb ummunben, 
und meines freien Sinnes Stolz befieget. 
Liebe, Freundſchaft und Naturſchilderungen find die Ge⸗ 
genftände ber meiſt in Sonettenform abgefaßten Ge⸗ 
dichte. In fpdtern Jahren hatte bei Paflow, mie er 
ſeibſt erzähle (‚Leben und Briefe”, S. 273) die Leichtig: 
Leit im Versmachen abgenommen ımd er nur noch Sinn 
fire hochernſte Poeſien. 

Und fo möge auch dieſe Sammlung in ihrer geſchick⸗ 
ten Berbindung des Ernſten mit dem Heitern und bed 
Gruͤndlichen mit dem Anmuthigen allen gebildeten Leſern, 
weß Standes fie auch find, beftens empfohlen fein. Die 
Dietät des Sohnes hat dem Andenken bes Vaters durch 
diefefbe ein wuͤrdiges Denkmal errichtet. 

8. ©. Jacob. 





Chronik des edlen En Ramon Muntaner. Aus dem | 
Catalaniſchen des 14. Jahrhunderts Überfegt von 8. 


dr. W. Lany Zwei heile. 
Beſchluß ans Nr. 116.) 


Der erfie Theil fchließt mit dem Tode Pebro’s ILL. (1285), : 


bee feinem Altern Infanten Alfonfo Aragon, Gatalonien und 
Salencia, dem jängern Janme (II.) dad Reich Bicilien als 
nterließ. Us Le bem Tode Alfonfo's 


V dam | 
(1391) die ſpaniſchen Reiche zufieien, erwarb fein jüngerer Bau: 
der Federigo Bicitien. 


Run führt uns ber Werf. abermals & 
deu Seeſiegen des Roger de Burda gurüd, erzaͤhlt von ber praͤch⸗ 
tigen Tafelrunde, bie biefer 4. Calat hayu veranflaltete, von 
den Koaͤmpfen igo's mit Karl von Neapel, und beginnt mit 
Gap. 194 die Geſchichte des merkwuͤrdigen Weib 


wanien. So gelangen wir zu bem reichhaltigſten Theile ber 


hronit, die ſich bier in Farbe und Haltung ben Demoken | 
ſeldern 
Jmit 17,000 Reitern und 100,000 JFußgaͤngern von Adrianopel 


Muntaner berichtet meiſt als Augenzeuge; er 


adbert. 
auf Schla 


als Damiecl in den Dienſt Federigo's ivat, Er war sb, ber, 

nachdem fein Herr 

des Hauſes Anjou endlich erreicht hatte, Ceſtern bat, mit ben 
hi Gatalanın und ——ie die nach endlicher Feſt⸗ 


Kung des Friedent Scilien nur laͤſtig fallen könnten, in ben 
des gei Kaiſert treten zu bürfen. Seberigo ging 
bierauf ein, Kaifer Andronikus verſprach dem Titmen Abenten⸗ 


es nad Ro⸗ 


die foͤrmliche Abtretung Siciliens von Seiten 





rer bie Hand feiner Schweßertecter Maria, ind Mut eines 
Oberbefebtöhabers über fänmmtiiche griechiſche Gtreitträfte und 
guten Lohn für ſich und fein Gefolge. 

So fihiffte ſich Roger de Flor 1308 mit 1500 Neitern — 
unter Ihnen Ramon Muntaner —, mit 4800 der gefürdyteten Ai⸗ 
mugavaren und 2000 andern Fußknechten in Weffina ein ums 
gelangte nach Konftantinopel, wo er fi mit Maria verm 
jugleich aber auch den Brund zu bem nachmals fo verberblichen 
Zwiſte mit den Benuefern Iegte, welche durch ihn in Ihrem Bin- 
Muffe am Kaiferhofe beeinträdgtigt zu werden fürdteten. Bon 
hier fegte Roger de Bine nad) Natolien über und drang, ie 
auf Gieg über bie Tuͤrken erfireitend, bis zu der Grenze vor 
Armenien vor. Dieſer Erfoig verdroß die Griechen, namenttich 
ben Kaiſerſohn Michael, der gegen den Slaubensfeind ſtete ohne 
Siluck gefämpft hatte. ‚Denn Über den Griechen waltet Wer 

tu) des Deren, drum kann ein jeder fie leicht befiogen. DS 
mmt vornehmlich von zwei Suͤnden ber, bie unter Inch 
errſchen. Erſtlich weit fie bie hoffärtigften Menſchen in we 
it find, denn es ift kein Volk, das fie adyteten, ala nur ſich 
ſelber, und fie taugen doch nichts. Zum Zweiten, fie haben 
keinen unten Menfigeniiebe im Bergen.” . 

Bald nach der Ruͤckkehr von Aſien erfuhr Roger, welchem 
ber Zitel eines Caͤſar des Reihe und bie Verwaltung von 9 
Ratolien und dm Inſeln Romaniens übertragen war, die 4 
und Untreue ber Griechen. Dem Rufe des Kaiſerſohnes Mb 
chael folgend, begab er ſich von Ballipoli aus, wo ex Beren 
guer de Rothafort ats Befeblshaber über feine Mannfchaft zu⸗ 
ruͤckließ, nach Adrianopel, wo er fammt feinen Begleitern beim 
tüdifch erfählagen wurde. Asbald umgaben die Satalanen Bals 
lipoli mit Schanzen und mit dem groͤßern Theile der Spanier 
beftteg Berenguer d'Entenza, nadgbem er dem Kaifer den A 
fagebrief zugefanet hatte, einige Galeeren, um einen Rachezug 
nach Konftantinopei zu wagen. Im Begriff, mit weicher 
heimzukehren, wurde ber Arglofe von genueſiſchen Galberen 
überliftet und nach langer Gegenwehr mit feinen Gefolge ges 
fangen. Run war bie Roth im Gallipoli groß, und In bem von 
Muntaner gehaltenen Kriegsrath erklaͤrten fih Viele dafür, mit 
den noch gebliebenen Bateeren nach dee Infel Metelino zu fah⸗ 
ven unb vor dort aus den Kaifer zu bekriegen, während Anbewe 
in Gallipoli bieiben umb wegen ber gemordeten Genoffen Rade 
nehmen wollten. Legteres ging durch; man beſchloß, auf Mub 
und Leben zu fämpfen und Jeden nieberzuftoßen, der anders [pres 


1 hen werde. Deshalb verfenfte man die legten Galerren, Dun: 


taner ließ ein großes Banner bes heil. Petrus auf den Haupt⸗ 
thurm der Stadt wufpflanzen und drei andere, mit dem Bilde 
von St.⸗Georg und ben Mappen von Aragon und @icilien ans 
fertigen, die im Kampfe vorangetragen werden follten. Dann 
Rimmte man, mit Ihränen in den Augen, den Lobgeſang St.⸗ 
Peter's an, übergab bie drei Banner ben Kanten ber tapferften 
Nitter und 309 den 22. Juni 1307 gegen feindliche Reiter 
aus, benen ein ftattliches Beer von gußfnechten zur Seite fland. 

„Kein Wunder war e6, daß ihre Sünden und unfer gutes 
Recht und den Sieg gewannen”, feht Muntaner hinzu, wenn er 
bericdtet, daß die Seinigen nur einen Ritter und zwei Eußtnechte 
eingebüßt, und andern Sage mehr als 60000 Reiter und 20,000 
Fußknechte der PBeinde (!) erfchlagen gefunden hätten. „Das 
war ber Zorn Gottes, der über fie kam!” | 

Bald darauf hörten bie Männer in Gallipotf, dab Michaei 


gegen fie ausgezogen fei. Damit ber Muth der Catalanen nicht 


| geiihwächt werde, beſchloß man, bie Belagerung nicht abzuwar⸗ 


ten. „In den Bimmel konnten wir einmal nit fliegen, auch 
nicht in die Hölle hinabfteigen, noch zur Ber davonſchiffen“, 
fagt ber Chroniſt. So eilte man dem Feinde entgegen und bie 
Almugavaren erftritten den Sieg. Seitdem wagten fie fi in 
ipren GStreifjägen bis zu ben Sporen von Konſtantinopel und 
ſcheuten ben Kampf mit den berittenen alanifchen Soldnern des 
Koilfers nit. Bei biefer it erzählt Wuntaner nad) 
feiner anfchautichen Weile im . Say. alfo: 


„Ich muß body ein Geſchichtchen erzählen von einem Reiter 
and feiner Freu, die ex retten wollte. Gr ritt auf einem tächs 
tigen Pferbe und fie auf einem andern; drei unferer Reiter ſet⸗ 
ten ihnen nad. Was meint ihr? Das Pferd ber Frau ward 
möäbe und er fchlug mit ber flachen Klinge darauf; am (Ende 
aber ward er doch eingeholt. Da er ſah, daß fie ihm auf ber 
Kerfe waren und daß er feine Frau verlieren follte, fprengte er 
ein wenig voran. Da ſtieß fie einen heilen Schrei aus; er 
Schrte zuruͤck, umarmte und kuͤßte fie, dann verfegte er ihr mit 
dem Säbel einen Hieb übern Halt, daß ber Kopf zu Boden 
zollte. Darauf wenbete er fich gegen unfere Reiter, die bereits 
das Pferb der Frau wegnahmen, und hieb dem einen bergeftalt 
it dem Säbel über den linken Arm, baß berfelbe bavonflog 
und der Reiter todt zu Boden flürzte Wie die beiden andern 
das fahen, fielen fie über ihn ber und er wehrte fi tapfer 
and wich nicht vom Leichnam feiner Frau, bis fie ihn in Stüde 
bieben. Daraus Pönnt ihr fehen, wie ein tapferer Reiter ſtirbt 
and weflen ein großer Schmerz fähig iſt.“ 

Während dieſes Zuges war Wuntaner, weil ihn bas Loos 

etroffen , zum use der Frauen, Kinder und Babe mit nur 

50 su Zuß und Reitern in Gallipoli zurücdgeblieben , gegen 
weiches ſich jeßt, vom Kaifer gewonnen, ber Genueie Antonio 
Spinola. mit feiner ®aleerenflotte wandte. Da ließ Don Ras 
mon die Mauern durch bewaffnete Frauen befegen, fiel aus 
und erſchlug den feindlichen Fuͤhrer mit 600 ber Seinigen. 
Endlich erfhien im Namen Federigo's ber Infant Kernando 
von Mallorca mit Saleeren; mit ihm kehrte Muntaner 1309 
nah Sicilien zurüd. 

Nachdem ber Shronift die Erzählung der Thaten und Leis 
den der Gatalanen bis zum Jahre 1313 fortgeführt hat, wens 
det ex ſich (Kap. 245) piöglich zu ber Geſchichte von Aragon 
zuruͤck, die er beim Jahre 1304, wieder aufnimmt. Cs find 
meift Berichte über Kriege mit ben Ungläubigen und den Wie⸗ 
derausbruch der Keindfeligleiten von Anjous Neapel gegen ben 
ficitianifgen Zweig des aragonefifhen Koͤnigshauſes. Beim 
Sabre 1309 teitt Muntaner wieder handelnd auf, als Befehls⸗ 
haber auf der Infel Gerba, in fteter Fehde mit den Mauren. 

So bewegt ſich die Erzählung weiter bis 1328, immer 
glei anmuthig und abwechfelnd, bald über Sicilien und Nea⸗ 
pel, bald über Morea, die berberifche Küfte, oder die Rei 
von Aragon berichtend. 53. 





kiterariſche Notizen aus Frankreich. 


Über ben Stand der Agricultur in Frankreich. 


In Frankreich fängt feit einiger Zeit die Nationalökonomie 
oder die &conomie politique, die gegen das Ende bes vorigen 
Jahrhunderts eine fo große Rolle fpielte, wieder an alle Geis 
ft:r zu befchäftigen. Diefe Sucht, nationalöfonomifchen Theo⸗ 
rien nachzujagen, hat die unangenehme Folge, daß darüber bie 
Agriculture und bie andern Wiffenfchaften, weiche die Grundlage 
dieſer Disciplin bilden, zum Theil überfehen werben. Jeder 
Aderbauer will fi jest in Grörterungen über die National: 
dtonomie einlaffen. Ia, wir haben zu wicberbolten Malen 
Gelegenheit gehabt, zu bemerken, dag mehre ber Profefforen am 
Conservatoire des arts et metiers zu Paris, denen es obliegt, 
über ben Aderbau und bie damit in Verbindung ftehenden Ges 
werbe vorzutragen, nicht felten ihren Gegenftand vernachlaͤſſigen, 
um fi in politifchen Betrachtungen zu ergehen. Diefe Bemer: 
tung iſt uns beim Zitel eined Werks aufgefloßen, das nicht 
ohne Werth iſt, aber das an mehr als einer Stelle unndthig 
mit Broden aus ber politifchen OÖkonomie gefpidt if. Es 
heißt: „Notices &conomiques sur l’administration des richesses 
et la statistique agricole de la France”, von M. Royer 
(Paris 1842). Der Titel, den ber Verf. gewählt hat, ift et= 
was zu prahleriſch; benn wir erhalten im Grunde in dieſer 


Schrift nichts als Bemerkungen zu ber bt über ben 
Stand ber Agricuitur, ber jährlich vom franzoͤſtſchen Miniſte⸗ 
rium ausgegeben zu werben pflegt. Diefe Bemerkungen find 
zum Theil nicht ohne Intereffe; aber ber Verf. taͤuſcht fich ſehr, 
wenn er glaubt, den Werth feines Werks dadurch erhöht zu 
baben, baß er, flatt ſich innerhalb beſtinmter Grenzen zu bes 
wegen, bei jeder Gelegenheit einen Streifzug auf bad abgetrie- 
bene Feld der &conomie politique macht. 


Das Franzoͤfiſche Inſtitut hatte vor einigen Zahren eine Preis: 
frage über ein Univerfalatphabet auögefchrieben, zu der ein 
von Volney ausgeſetztes Sapital verwandt werben follte.. Wir 
verdanken dieſer Preisaufgabe ein recht intereffantes Wert von 
Schleiermacher in Darmftadt in franzoͤſiſcher Sprache, bas von 
Silveſtre be Sacy feiner Zeit im „Journal des savants”’ gewür: 
digt ward. Binnen kurzem werben wir nun ein anderes Wert 
erhalten, deſſen Berf. fi um denfelben Preis beworben hat. 
Es wirb ben Titel führen: „Alphabet universel invents par 
M. de Briere et appliqu& à cent langues du monde, ouvrage 
couronne en 1837 par Plnstitut”. Der Verf. biefer Bearbei⸗ 
tung bat noch ein anderes Wert ausgearbeitet, das gleichfalls 
bald erfcheinen fol. Daffelde beißt: „Cours sur les hierogly- 
phes &gyptiens et les religions anciennes compardes”', md 
wird mehre Bände umfaflen. 2. 





Erklaͤrung. 


Den Beurtheilern meiner überſetzung des „Cid“ iſt folgende 
Stelle meiner Vorrede anſtoͤßig geweſen: „Der gute Herder 
bat den Cid ‚befungen‘, d. h. weggelaſſen und zugeſetzt, wie es 
ihm gefiel, und vom Charakter bed Helden fo wenig gelaſſen, 
dag kaum ein Menſch begreift, wie ee bie ohren fdulagen 
konnte.“ Ich glaube um fo mehr hierüber eine Erklärung ſchul⸗ 
dig zu fein, als jene Beurtheiler, wenn fie fih an diefe Stelle 
fließen, weniger die Dffenfive gegen meinen bartfcheinenden Aut: 
fpru als die Defenfive für Herder ergriffen haben. 

Ich gehöre nicht zu jenen Literarifchen Sansculotten, bie 
eine Freude baran haben, große Namen wohlnerdienter Männer 
in den Staub zu ziehen, aber ich gehöre auch nit zu Denjeni- 
gen, welche 2eiftungen, benen ein berühmter Mann als Autor 
vorfteht, fobald fie ihrer Natur nah in ein Feld gehören, wo 
fie abgefehen von dem Mittheilenden zu beurtheilen find, 6108 
um bed Namens willen Gerechtigkeit ober vielmehr Nachficht 
widerfabren laſſen. Geſetzt, es erſchiene in Frankreich von einem 
der beruͤhmteſten Literaten eine Überfegung unſers Nibelun 
liedes ganz nach denſelben Grundſaͤtzen bearbeitet wie bie — 
Überfegung des. Eid — ſicher wären dann bie jegigen Vertheidiger 
Herder’ die Erften, weiche den Grundfag feftbielten: „an Poe⸗ 
fien, welche dem Geifte eines bochherzigen Voikes zur Zeit feiner 
größten Thatkraft entfprungen find, darf nun und nimmermehr 
etwas verändert werben, fei es in Haltung bes Tones ober in 
Daltung ber Form’, und fi in noch weit härterm Tadel er: 
gina als ich dies bei Gelegenheit bes Derber’fchen Eid gethan. 

erder hat feinem fentimentat : äfthetifchen Zeitalter ut blandi 
Doctores Das in den Eid: Romanzgen zu mildern gefucht, was 
etwa weniger verbautich fehlen, und ff dadurch in ber t 
bem Geifte des Originals zu nahe gefreten. Ich dene nun, es 
iſt nicht nur erlaubt, fondern feibft Pflicht, zur Ehre der Wahr: 
heit Misgriffe diefer- Art zu rügen, felbft wenn fie von Män- 
nern fommen, benen bie größte Verehrung gebührt, und bies 
um fo mehr in einem alle, wo bie Majorität von einem fal: 
fhen Grundſatze beherrfcht wird. Ich that dies und werbe es 
thun, felbft auf die Gefahr bin, in meiner gerechten Abſicht mis: 
berftanden zu werben. - 

Stuttgart, im März 1849. 


5 M. Duttenbofer. 


Verantwortlicher Herausgeber: Oeiurich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brochaus in Leipzig. 


—— gi — vn 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





26. April 1843. 





Johann Keppler in Linz. 

Man bat über Keppler's Aufenthalt und fein wiſſen⸗ 
ſchaftliches Wirken in Ling bisher faſt nichts gewußt; 
auch teug man fi daſelbſt mit der Meinung, der große 
Brand von: 1800 Habe alle Documente, welche uͤber ihn 
Aufſchluß geben koͤnnten, zerftört. Gluͤcklicherweiſe vers 
haͤlt fi die Sache nicht ganz fo. Nachforſchungen bes 
Herrn Ritters von Spaun im landfländifchen Archive zu 
Einz haben zur Auffindung von mehren Eingaben Kepps 
ler's an die Landftände von Oberoͤſtreich geführt, die er 
ſelbſt verfaßte und niederfchrieb und wodurd über feine 
amtliche Stellung zu den Ständen, ſowie über feine ge: 
tehrten Arbeiten während des Aufenthalts In Linz, uner: 
wartet ein, dieſe Lüde in feiner Lebensgefchichte einiger: 

ausfuͤllendes Materiale gegeben if. Wir benugen 
Die in der „Zeltſchrift des Mufeum Francisco⸗Carolinum“ 
daſelbſt unlängft erfchienenen Mittheilungen über dieſen 
Documentenfund zur nachſtehenden Darftellung. 

Die unruhigen Auftritte in Prag während ber Be: 
fegung diefee Stade durch die Truppen des Erzherzogs 
Matthias, befonder6 aber das in der Nähe von Keppler's 
Wohnung vorgefallene Plündern und Morden, hatten 
feine 
beigeführt._ In demfelben Jahre, ats ſich dies zutrug, 
verlor der ohnedies Schwergebeugte auch drei feiner Kins 
der durch die Podenfeude. Dazu kam, daß Keppier, ob» 
gleich von Kaiſer Matthias als Hofaftronem im Amte bes 
ſtaͤtigt, die ſchon unter Rudolf auf mehre Zaufend Thaler 
anfgelaufenen Gehaltsruͤckſtaͤnde nicht bezahlt befam. Diefe 
Umftähde flößten ihm den Wunſch ein, Prag zu verlaf: 
fen und einen andern Wohnfig zu wählen. Da zu jener Zeit 


Rein großer Theil der obderennfifchen Stände proteftantifc, 


war, fo mochte Keppier tool ber richtigen Vorausfiche fein, er 
werde in ihrem Dienfle Schus und Unterſtuͤtung finden. 
Ste waren ja feine Glaubensgenoſſen. Thatſaͤchlich bot 
er in folgendem am 10. Juni 1611 von den Ständen 
empfangenen , eigenhändig verfaßten Geſuche denfelben 
feine Dienfle an. Es lautet: 

Ehrwuͤrdige, Wohlgeborene Herrn, auch Edle und geftrenge 
Herrn, gnaͤdige Herrn, Guer Gnaden und Gunſt, feien meine 
—— Dienſt bevor. Demnach ich nunmehr in das zwoͤlfte 

be der roͤm. kaiſerl. Majeſtaͤt unſeres allergnaͤdigſten Herrn 
Hoſfftaat beigewohnt, in Hoffnung, das angefangene Wert 
Astronomiae restaurandae et Tabularum Rudolphi conden- 


Sattin in Wahnfinn geflürzt und ihren Tod herz. 


darum, zu welchem Ihre kaiſerl. Majeftät mich nach Abgang 
bes vielberuͤhmten Deren Tyychonis Brahae mit einem jährlicyen 
Salario beftelit, förderli zum Enb zu bringen; und aber biefe 
ganze Zeit über fich allerhand Ungelegenheiten an ermeldetem 
Hofe ereignet, die mich nicht allein in Vollfuͤhrung meines vor⸗ 
babenden Werkes, fondern auch in Beſtellung meines Dausıwe: 
fens und fchuldiger Borfehung Weibs und Kinder ſchwerlich ges 
hindert, ſolche auch täglich überhand nehmen ohne Hoffnung 
einiger mir fürträglichen Beſſerung; als bin ich endli im Na: 
men Gottes Willens worden, mich nach erlangter allergnaͤdig⸗ 
ften Erlaubniß an einem ruhigern Ort dermalen haͤuslich nie⸗ 
derzurichten und meine angefangenen Studia zu Ghren Ihrer 
kaiſerl. Majeftät und bes ganzen Daufes Öfterreich hoffentlich mit 
beflerer Beförderung zu vollführen. 

Wann dann ich biefe ganze Zeit über und auch zuvor, bas 
mal ich in einer Ehrſamen Landfchaft in Steyer (Steiermark) 
Dienft gewefen, von nidyt wenigen aus Euer Gnaden und Gunſt 
Mittel Deren und Ritter Stande allerhand gnädige affection 
gegen meine geringe Perfon geſpuͤrt; danebens in billige Erwaͤ⸗ 
gung ziehe, daß ſonderlich dieſer Orten viel abeliche Gemüther 
fih finden, welche nach dem hochloͤblichen Grempel Ihrer Lan⸗ 
besfürften und Herrn von dem Haus Öfterreich, den mathemati: 
ſchen Künften und Betrachtung der allerweifelten und zierlichften 
Werke Gottes in Erſchaffung Himmels und der Erde, hintan⸗ 
geſetzt aller andern Kurzweil, vernünftiglich ergeben — als hätte 
ih zwar nicht geringe Zuneigung, da es zeitlicher Nahrung hal: 
ber fein möchte, meine Wohnung und domicilium alhero (b. i. 
nach Linz) zu transferiren, und durch bieß Mittel meine vorha⸗ 
bende unter dem Schug und zu Ehren des Hauſes DOfterreich ans 
gefangene Werk alfo vollends innerhalb defien Gebietd und Herr⸗ 
fchaften, wie Kiemuic, zu continuiren und zu enden. Hierumben 
und aus vernünftigem Rath meiner guten Freunde und Gönner, 
hab Euer Gnaden und Gunft ich hiermit bei fürfaliender Gele: 
genheit meiner Ankunft allyier, meine unterthänigften Dienfte 
in studiis mathematicis, Philosophicis et Historicis, in wel 
id mich bisher geübt, und durch öffentlich ausgegangene Bücher 
unterſchiedliche demonstrationes gethan, gehorſamlich anbieten 
wollen; nicht zmeifelnd, weil foldye meine studia weitläufig wer: 
den, Euer Gnaben und Gunft ſich nicht allein derohalben zu 
des Landes Rutzen hochvernuͤnftiglich zu gebrauchen wiſſen, ſon⸗ 
dern auch für einen Ruhm halten, das patrochiium und bie 
Beförberung meines erfigemelbten Hauptwerkes tabularum 
Rudolphi zu unterthänigften Ehre des Hauſes Öfterreichs auf 
fi zu nehmen und demnach mir eine billige jährliche Beſtal⸗ 
lung maden. Wie idy eine ſolche, fo auch alle aubere vorher⸗ 
gegangene Gnaden und Butthaten mit getreueftem Bleiße in des 
nen mir aufgetragenen Verrichtungen und kürzlich mit aufriche 
tiger beutfcher Redlichkeit nach meiner geringen Möglichkeit 
dankbarlih und gehorfamtich zu erkennen und zu beſchulden 
Willens wäre, 


Euer Gnaben und Gunft mich hiermit zu ebefter gnädiger 
resolution gehorfamftlih empfehlend, Euer Gnaden und Gunft 


unterthäniger gehorſamer ber kaiſerl. koͤnigl. Majeftät Matbe- 
maticus Johann Keppler. 

Aus diefem fauber und leſerlich eigenhändig gefchrie: 
benen Gefuche Keppler's geht hervor, daß nicht die Stände 


Oberaſtreichs ie Diynitanträge machten, fanden ce ih: 


nen, und daß er bertits vor dem 10. Juni 1641, dem 
Empfangsdatum dieſes Geſuchs, in Linz angekommen 
war und fich daſelbſt feßhaft gemacht hatte. Wohnung 
nahm er im der Lederergaffe, einer ziemlich ſchmalen und 
eben nicht heilen Strafe. Die Stände nahmen Keppler 
mit 400 Fl. Gehalt in ihre Dienfle auf, und obgleich) 
der Beſcheid auf obiges Gefuch ſich nicht vorfindet, fo 
fanb ſich dagegen «ine Aumellung an Eins 
nehmeramt von 100 Fl. vom 14. Juni 1611 datirt, 
welche, wie es darin heißt, ‚dem Joanni Kepplero, den 
die loͤblichen Stände in ihre Dienfte aufgenommen, zur 
Hierherbringung feines Weibs (von beffen Ableben bie 
Stände nichts ſcheinen gewußt zu haben), Kinder und 
Hausraths als Neifekoften s Beitrag geſchenkt wurden“. 
Wahrſcheinlich fälle der Beſchluß, Keppler als fländifchen 
Mathematicus anzuftellen, mit bdiefee Schentung auf 
den Tag zufammen, und jedenfalls gewiß zwifchen ben 
10. und 14. Juni 1611. 

Keppler ſchritt zwei Jahre nach erhaltenem Amte zur zweis 
ten Ehe mit Suſanna Reuttinger, Tochter eins Bürgers 
von Eferding. Bor feiner Bermählung machte er den 
Ständen in nachſtehendem gleichfalls eigenhändig verfaß: 
ten Schreiben vom 25. Juli 1613 davon, fomie von 
feiner Reife nach Regensburg zum Reichstage, Anzeige. 
Er fagt darin in letzterer Beziehung: 

Euer Gnaben berichte ich gehorſamlich, daß Ihre kaiſerl. 
koͤnigl. Majeſtaͤt durch den Oberſten Kämmerer mir bie allers 
gnaͤdigſte Meinung anzeigen laffen, daß ich nämlich anjego mit 
dem Hoſtaat mich nach Regensburg begeben folle, in maßen 
mie dann als einem Jeden Mitreifenden auch vier Monat an 
meiner kaiferlichen Beſoldung ‚ausgezahlt werben. Weil dann 
diefe Reife zur Bierung meinee Profeſſion dient, indem Ihre 
kaiſerl Mojeftät in Dero Ausfchreiben bes Reichsſtags unter 


Anderm auch der Ungleichheit ber Zeiten und Pefttäge gebadıt, |. 


dahero wie hievor alfo auch vermuthlicdh jego allerhand Nach⸗ 
feagen wegen des Kalenberwefens fürfallen möchten, nebens aber 
ich nicht allein meine von einer loͤblichen Landſchaft anbefohlene 
Stodia auch alldorten zu Regensburg für mich fetbft und burdy 
meinen studiosum zu continuiven Getegenbeit babe, fondern 
auch denen Herren und Landieuten (Landſtaͤnden) oder junger 
Herrſchaft, fo aus diefer Provinz mit Ihrer Majeftät Hof⸗ 
ftaat nad) Regensburg kommen und allda ſich aufhalten moͤch⸗ 
ten, nach jedes Gelegenheit und Begehren mit meinen Studien 
und in andrem Weg gehorfamlich und möglichen Fleß zu dienen 
erbötig bin, alfo gelangt an Euer Gnaden mein geborfamftes 
Bitten, die wollen Ihnen biefen Abſatz nicht zuwider fegn Laffen, 
wie ich dann mit erften Ihrer Laifert. Majeſtaͤt allergnäbig- 
ſten Erlaubniß mich allhzier bei E. E. Landſchaft Dienften und 
binterlaffenen Kindern wieder einſtellen will. 


Die Proteflanten nahmen, wie bekannt, ben verbef: 
foten Gregorianifchen Kalender nicht an und beharsten 
auch auf dem Reichsſtage zu Regensburg bei diefer Wei⸗ 
gerung, obgleich Keppler in einer eigenen Schrift die un: 
umgängliche Nothwendigkeit des Beitritts dargethan hatte, 

"Bon Regensburg im Donate October 1613 zuruͤckge⸗ 
kehrt, ſchritt Keppler zur Vermaͤhlung mit feiner zweiten 


Frau. 


Er lud die Landilände mit einer Zufcheift zur 
Hochzeit. 


Aus ihrer Antwort vom 29. October 1613 


erhellet, daß Sufanna, feine Braut, die Tochter Hanns 


Reutinger's, Bürgers zu Eferding, und Barbara, feiner 
Hausfrau, wag, daß fie faihzetig Waife geworden, aber 
bis zum Alten uon 32 Yahen umter der Leitung Dee 
edeln Frau Elifaberh von Starhemberg, geborene Ungnabin, 
Freiin zu Sonnegg, in Eferding ſtand. Die Trauung 
dDafelbft war auf den 30. October Mittage 12 Uhr fefl: 
gefegt und die Hochzeit wurde im Gaſthauſe zum golde: 
nen „Leuen“ gefeiert. Die ehrſame Landſchaft drückt in 
befagtem noch vorhandenen Schreiben für Keppler große 

—* un Merthſchatung aus, und ishee zwar bie 
Einladung zur Hochzeit ab, beſchenkt ihn aber mit einem 
Trinkgeſchier von 40 — 50 Fl. Werthsé, welches das Iflän: 
diſche CEinnehmeramt dem Braͤutigam zuzuſtellen den Auf: 
trag hatte; auch uͤberlaͤßt ſie ihm die Wahl einer ihm 
angenehmen Perfon, welche die geſammte Landſchaft bei 
dee Hochzeit repräfentiren follte. Aus biefem Verhalten 
ber obderennfifchen Stände geht hervor, daß Keppier bei 
ihnen im boher Achtung fland und ſich mannächfadhe 
Auszeihuung zu erfremen hatte. Er niüste dena Laude 
aber auch mefentlih, denn fein Aufenchalt in Liz zog 
wiele Studirende herbei und mag feld Anla zur I 
gung einer Druderei in dieſer Stadt gegeben haben, 
denn das erite von dort ausgegamgene Drudwerk ift Kepp⸗ 
ler's Stereometrie vom 3. 1610. Er war al& Profeſſor 
der Mathematik an der Lardfchaftsfchuie in Linz ange 
ſtellt, doch blieb feine Hauptbeſchaͤftigung das Zuſtande⸗ 
bringen der Rudolfiniſchen Tafeln. Die Stände verlang⸗ 
ten aber zugleich von ihm die Herſtellung der Landes⸗ 
mappe. von Oberoͤſtreich, mit den Werbefferungen, welcht 
er feie 1614 an den ditern Arbeiten dieſer Art vorge: 
nommen hatte, nicht fich begnügend. Sie ſcheinen wachr⸗ 
mals darauf gedrungen zu haben, bis endlich Keppler, 
von der Unthunlichkeit, beide Arbeiten zugleich zu Stande 
zu bringen, beſſer uͤberzeugt als fie, einen umflänbliden 
Bericht ale Gegenerklaͤrung ihrer Antragſtellung eingab. 
Auch dieſes Document hat fih im ſtaͤndiſchen Archise 
vorgefunden, und ward von ber „Zeitſchrift des Muſeum“ 
auszugaweiſe wie folgt mitgatheilt: 

Bon den Tabulis hi. *) 

&uer Snaden werben felber wiflen, ober von andern Ma- 
thematicis berichtet feyn, daß in re literaria bie Tabulae 
astronomicae ein wohlbebächtiges Hauptwerk feyn mäffen, und 
gar nicht wie eine Eomoͤdie über Nacht anzuſtellen oder wie ein 
poema aus bloßen @infällen beflche, ober wis em Commenta- 


rius super Aristoielem aus bem Armel zu ſchuͤtten: ſonder 


man ft viele Jahre lang zu befinnen unb mit observationibus 
und calculationibus zu bemühen babe, will man die Redhnung 
atfo verfaffen, daß fie auf viele hundert, ja taufend Sabre him 
ter ſich und für ſich gelten fol. Copernikus bat #7 Zahre zw 
gebracht, ehe er fein opus rewolutioaum und tabulas ans Aidkt 


) Keppler theilte feine BVorſtollung in zwei Theile und hans 
delte zunaͤchſt von den Rudolfiniihen Tafrin, denn von ben Lanbumaips 
yon. Er foriht mit Laune, wie derjenige Gachkundige, welher 
nad langem Schweigen fi berebläßt, den Unwiſſenden zu bebeh⸗ 
son, bob iſt der Gruadton feines Sprache offenbar bes umter des 
Maske des Wiged verborgene Miömuth, 


SE EEE —— EEE EEE. En En — e e m e —— —— —— —— — 


head. An den tebulis Badelphi hat Bye brahe allbereits 
abe, nämlich bis in feine Gruben und zwar jeberzeit mit 
Höfe von 10, 20, 30 Studioaerum gearbeitet. Geine Ders 
richtung ift diefe. Erſtlich hat er das Werk mit observationi- 
. bas (weiche gieichfam unfer Zeug, Stein und Holz zum Ge⸗ 
väube find) überflüffig verſehen; fürs Andere bie fizas stellas 
äber Zaufend ausgerechnet, und jedem Stern feinen Ort, weil 
ex denfelben jederzeit behält, aufgezeichnet. Drittens has er an 
ben Planeten, welche wegen ihrer vielfältigen, verwirrten Bu 
wegung das meifte Kopfbrechen verurſachen, auch angefangen 
und bei Sonn und Mond überhaupt das Seinige gethan und 
den Bau an biefer Seite aufgefhlagen. 

Die übrigen fünf Planeten, nicht weniger an Sonn und 
Mond fo viel und mehr dann ich oder er jemald gemeint har 
ben, find mir geblieben. 

An ver Sonne, als dem Eckſtein und Grundvefle zu allen 
Planeten und an dem Planeten Marte habe id 9 Jahr gear⸗ 
beitet, da ich noch ziemliche ‚Hitfe von tauglichen studiosis ge: 
habt, bis ich meine Commentaria de Marte ans Licht gebracht. 

Derjenige gelehrte Mathematicus Davib Kabricius, ber 
mich vor einigen Jahren wegen meines langen Verzugs ftart 
angezapft unb je vermeint, er wolle mit feinen tabulis fertig 
fein, der zieht dies Jahr die Schnauppen wieder ein, und meldet, 
baß fich bei den Sonnenfinfterniffen noch ein anderer merklicher 
defectns finde, der bis daher noch uneroͤrtert geblieben; iſt ges 
wißlich wohl an den rechten Knopf kommen. 

Demnach mir aber die kaiſerl. Beſoldung, nicht allein was 
Kaifer Rudolph hochfeel. Gedenkens mir bei der Schleſiſchen Kam⸗ 
mer und Neichepfennig : Amt Augsburg anweifen, die jegt regie⸗ 
rende kaiſerl. Majeftät aber confirmizen laffen, fondern auch 
was höchft ermeldte kaiſerl. Majeſtaͤt mir allhier im Mauthamt 
jährlich affignict, ganz und gar außenbieibt, alfo daß man mic 
auch der Schuldigkeit am Mauthamt nicht geſtaͤndig; alſo vers 
mag ich wahrlich feinen tauglichen Magistrum oder stadiosum, 
der mix mehrere Hülfe (leiftete), nicht zu unterhalten, und liegt 
nicht allein die speculation und inventien, fondern auch die 
deduction und calculation der observationum (ift unfere Gteins 
metz⸗ und Bimmerarbeit) ferners nicht allein bie concipirung 
des Textes fondern auch calculatio tabularum taediesisstima et 
longissima, ja fogar die Xofchrift auch Abreißung der Figuren aufs 
Holz und endlich die vielfältige Correctur im Drud, neben der 
testen mir fonft fehr angenehmen Correctur und Veränderung 
des Textes, alles mir allein ob dem Halß. 

3u geſchweigen die vielfältige Bekuͤmmerniß wegen meines 
fogar verbleibenden Ausftandes, wodurch meine Kinder um ihr 
mütterliches gebracht werben und zu beffen Sompenfation nichts 
väterliche® zu erwarten baben: mit welchen ſchwermuͤthigen Ge⸗ 
danken und allerhand Anfchtägen mir viel Zeit bingeht; alfo 
daß ich endlich, weil je im meinem Abmefen von Hof fein Sol- 
lieitator fich meiner annehmen will, bie loͤblichen Stände noth⸗ 
wendig um Pülf und gleichfam um bie Curatel diefer Hoffchulb 
unterthänig flehentlich erfucht werden müffen, weit fondertich fie 
von Kaifer Rubolpho zur Beförderung der tabularum Rudolphi 
gemeint und hergerührt. | 

Michtsdeftoweniger, und wenn ich nur allein biefen Som: 
mer aus mit gefundem Leib zu Haus zu bleiben hätte, wollte 
ich in Hoffnung flehen, wegen der tabalarum Rudolphi fols 
gende boppelte Semonstration (eine in speculatione, die andere 
in prazi) zu thun. Endlich in speculatione hätte ich ein Epi- 
tomen astronomiae Copernicanae verhofft und beinahe zu End 
gebracht, alſo daß folches Werk durch den hiefigen Druder und 
durch Hanſens Krugers von. Augsburg Verlag in meiner Ges 
genwart gar wohl auögefertigt und gedruckt werben möge. In 
diefem Wert werden die Fundamenta Tabularım Rudolphi 
erktaͤrt. Ein Muſter des Drucks hier liegend. 

uͤre Andere in praxi wäre ich nunmehr fomeit mit ben 
tabalis fertig, daß ich gar wohl ein Kphemerida in annum 1617 
daraus rechnen auch zu contentirung etlicher Hersen und Land 
leute sin Calendariem und Prognosticum, darauf ein ſonder⸗ 


li Dringen, beifügen könnte, zweifle aber, ob es allhier ges 
druckt werben möchte, fonberlich die Ephemeris. 


Dieſes intereffante Actenſtuͤck iſt wol ein erwuͤnſchter 
Beleg zur Geſchichte der Rudolfiniſchen Tafeln. Was 
die von Keppler beflagten Geldrückſtaͤnde anbelangt, fo 
mochten fie allerdings fehr bedeutend fein, denn in einem 
Schreiben des Rectors der Landfchaftsfchule zu Linz, 
Johann Merahard’s, an feinen Freund Bernegger in 
Strasburg vom 16. October 1611 werden fie damals 
fhon auf 5000 Thaler angegeben. Bedenkt man übrt: 
gend die damaligen wirren Zeitverhälmifle, fo wird es 
wel begreiflih, wie bei dem beſten Willen des Kaiſers 
dDiefe Zahlungen nicht fließend werden konnten. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Vorarbeiten zur römifchen Gefchichte, von L. O. Broͤcker. 
Erſter Band. Tübingen, Fues. 1842. Gr. 8. I Thir. 


Sollte in kurzer Friſt nach Abdruck gegenwärtigen Bes 
richte ein zweiter Band biefer „Worarbeiten‘ erfcheinen, fo 
würde Ref. ſich allerdings lebhafte Vorwürfe machen, nicht zei⸗ 
tig genug gethan zu haben, was vielleicht hätte beitragen E 
nen, bie Kortfegung eines fo ganz  berufloe unternommenen 
Werks zu hindern. Den Leſer in ben Stand zu fegen, bie 
Wahrheit der harten Behauptung felbft zu ermeflen, bies wird 
nicht fchwer fallen. 

Am Schluſſe des Werts (&. 211— 212) finden fi unters 
ber Überfchrife „Bine Frage an juriftifche Lefer gemiffe Vers 
muthungen über bie judieia legitima aufgeftellt, nach weichen 
die Schrift mit den Worten fließt: ‚Liegt in meinen Wermus 
thungen etwas Wiberfinniges, fo bitte ich den Kundigen e6 das 
mit zu entfchutdigen, daß ich mic, bisher aus Mangel an Zeit 
mit bem römifchen Rechtäwefen noch nicht genug befaffen Tonnte.” 
Dann war aber jebenfalla Hr. VBröder auch noch nicht berufen 
Vorarbeiten über römifche Geſchichte drucken zu laffen Was in 
Nr. 200 Wi dv. Bi. f. 1841 in dee Anzeige des erſten Bandes der 
‚rdmifchen Gefchickte” Peter v. Kobbe's über die Wichtigkeit bes roͤ⸗ 
mifchen Rechts und deſſen Bedeutung in Hinſicht auf die Geſchichte 
Roms gefagt ward, das kann Hrn. Broͤcker und Jedem, der mit ihm 
auf gleicher Stufe der Einſicht ſtehet, belehren, daß der Glaube, 
one Kenntniß, und mehr noch, ohne Verſtaͤndniß des römifchen 
Rechts, Laffe ſich über Roms Geſchichte ſchreiben, völlig gleich 
ftebt dee Anmafung, User franzöftfche mittelalterliche Poeſie zu 
berichten, ohne ſich den Geiſt ber Chevalerie zur Anfchauung 
gebracht zu haben. So bimmelweit vie Objecte dieſes Verglei⸗ 
ches auseinander liegen, fo treffend iſt die Vergleichung ſeibſt. 
Indeß, Ref. wilt mit ſich handeln laffen unb zugeben, baß eine 
Schrift zwar des materiellen Werthes ermangein koͤnne, weil 
ed dem Verf. an der allerndthiaften Vorkenntniß gebrach, den⸗ 
noch aber die Möglichkeit eines formellen Werthes übrig bleibt. 
Denn für den gewählten Zweck unausreichend vorhandene Hülfs: 
mittel laſſen fih um nichtö weniger mit fo viel Geiſt ımb 
Echarffinn handhaben, daß bie Arbeit anregend und biidend auf 
den Lefer zu wirken vermag. Wermoͤchte bied aber mei eine 
Methode, ober vielmehr Unmethobe, welche — man vergleiche 
nur das Inhaltsverzeichnig — alles in vereinzelte Zractätchen 
zerreißt, vermöchten bies Forſchungen über aͤlteſte vömifche Ges 
ſchichte, die nie vor allen Dingen eine genaue Kritik der 
Quellen an die Spige ftellen, um deren linzuverläffigkeiten, ja 
Unglaublichkeiten und offenbare Widerſpruͤche ſcharf hervorzu⸗ 
beben, nicht biernächft irgendwelche als unbeflreitbare, wenn 
auch nur nad fubjectivem Ermeſſen angenommene Momente 
ermitteln, eine in dieſen audgeprägte Idee des Roͤmerthums 
und objectiviten, von biefem Standpunkte aus das verworrene 
Material ordnen und auf ſolche Weile Zuſammenhang und Gins 
beit in das ſcheinbar unauftöslich ſich widerfprechente Mannich⸗ 


faltige zu bringen verfucdhen? Hätte vielleicht Hr. Droͤcker eine 
Idee bes Römerthums und feiner Geſchichte in der Worrebe ent: 
wickelt? Wenigſtens ber Verſuch dazu, könnte man glauben, fei 
dort gemacht worden, benn hinter der 47 Seiten langen Bor: 
rede wird von berfeiben in dem Inhaltsverzeichniſſe gefagt, fie 
„enthalte den Schlüffel zum Werke”. Wenig Gutes aber laͤßt 
von einer Vorrede ſich erwarten, welche mit den Worten (©. 1) 
fließt: „Die Vorrede iſt, befonders gegen das Ende hin fo 
vielfach erft während bes Druds geänbert, daß bie Gedanken⸗ 
folge zuweilen zerſtuͤckt ift — am liebften hätte ich den — wie 
nenne ich's? philoſophiſchen Theil ber Vorrede gar nicht ger 
ſchrieben und zwar nur deshatb, weil ich mich zu fo Etwas 
noch nicht reif weiß.” 

Das tft ftarl, fo ftark, daß bie Lefer dem Ref. wel auf das 
Wort glauben, wenn er verfidhert, aud die Vorrede enthalte 
nicht das Gewuͤnſchte. Welches Machwerk diefelbe fei, nur noch 
ein paar Belege. ©. ıx lieft man die Behauptung : „Eine 
Thatfache kann nicht unmoͤglich fein.” Darunter ſteht in einer 
Note: „Das hier Gemeinte follte anders ausgedrüdt fein.” Hat 
man bi &. xrı gelefen, fo ftößt man auf einen Endftrich und 
dann geht es unter dem Datum „am 18. Nov.“ des toeitern 
fort in einem Schreibfal, das mit folgendem Gingang anhebt: 
„Das Meifte etwa 15 Tage fpäter. Endlich faffe id an einen 
Lebenstnoten meiner Gedanken! Das Flattern vieler Gebanfen 
endet und die Zaghaftigleit des Urtheils entweicht! Die augens 
blicktiche Wichtigkeit gelehrter Befchäftigung mit dem Alter: 
tbume beruht zum Theil darauf, daß gerabe jegt auch bei ihr 
um die entſcheidende, legte Vorfrage für faft alle Lebentfragen 
der drei legten Jahrhunderte gerungen wird: um die legten 
Erkenntnißquellen im einzelnen Falle. Ein Urtheil entfteyt nur 
dann, wenn bie Vernunft einen Gegenftand berührt. Es kann 
mur dann richtig fein, wenn bie Vernunft vernünftig und ber 
Gegenftand von ihr erkannt ifl. Daher find bie zwei Voraus⸗ 
fegungen, unter denen allein die Vernunft ein nicht blos zufäls 
lig richtiges Urtheil liefert: Wernünftigkeit der Vernunft, 
Kenntniß des zu deurtheilenden Gegenſtandes.“ Gott gebe, daß 
Hrn. Bröder’s Vernunft bald vernünftig werde, Erſt dann ift 
er berufen, gegen Niebuhr in die Schranken zu treten. Seine 
Polemik gegen diefen enthält manche richtige Bemerkung, 3. 8. 
©. v: „Niebuhr bemerkt I, S50, es hätte dem Geiſt der Ariſto⸗ 
tratie ſchnurgerade widerfprochen, wenn die Elienten in den Cu⸗ 
rien geflimmt hätten. Was enthält bie Behauptung: ‚Dies 
ober Jenes widerſpricht dem Geifte einer Einrichtung?‘ Doch 
wol nur Polgendes: wenn ſich bie fragliche Ginrichtung frei 
und ungehindert entwidelt, fo wirb fie Dies oder Ienes nicht 
zur Kolge haben. Darnach ift alfo im gegebenen Falle durch 
den Beweis: Dies oder Jenes widerfpricht dem Geifte der frags 
lien Einrichtung, noch nicht bewiefen, daß es nicht flattgefuns 
ben babe. Um dies zu beweifen, müßte man vorerft nachwei⸗ 
fen, daß fich bie fragliche Einrichtung wirklich in der fraglichen 
Hinficht frei und ungehindert entiwidelt habe.’ Es beweift dies 
nur, wie viele unb ieichtzuentdeckende Bloͤßen deſſen berühmtes 
Berk bietet. Es kann aber ein trefflider Dann Irrthümer 
und Unridhtigkeiten fi Haben zu ſchuiden kommen laffen, bie 
bucchfehnittlich genommen ein Jeder wahrzunehmen vermag, ohne 
daß darum ein Jeder befugt tft, fidy gegen ihn gu fpreigen und 
gu brüften. Hr. Bröder gehört zu Denjenigen, die dazu hoͤchſt 
unbefugt finb. . 34. 





Literarifche Notizen aus Frankreich. 


Giraudeau be SaintsGervais. 

Man bat mehren berühmten deutfchen Arten vorgeworfen, 
daß fie eine beiletriftifhe Bildung hätten. ir wiſſen nicht, 
inwiefern dies gegrändet ift und 06 es Überhaupt ein Vorwurf ge: 
nannt werden kann. In Frankreich wenigftene wirb man es 
einem Arzte nicht verargen, wenn er mit berfelben Feder, mit 


ber er ein BRecept aufgefeht hat, bie Eingebungen feiner Wufe 
nieberfchreibt. Indeſſen laͤßt fidy nicht leugnen, daB foldde Mes 
bieiner, die den ſchoͤnen MWiffenfchaften opfern, nur zu oft 
ihre eigene Kunft zu ſehr aus dem Auge laffen und leicht 
ihren Werten einen Anftrich von Sharlatanismus geben. Dies 
Teint uns bei Jean Giraudeau, der ficy de Saint: Gervais 
nannte, weil er in der kleinen Stadt diefes Namens geboren 
ift, der Ball zu fein. Wir wollen nicht den tab über feine 
wiſſenſchaftlichen 2eiftungen brechen, obgleich fein ‚‚Trait6 des 
maladies de la pean” (1841) und fein „‚Traits des mala- 
dies syphilitiques‘ (1838) mannichfach angefochten find Aber 
wir finden, daß fi in ‚allen feinen Schriften die Sucht, zu 
glänzen und einen ſchoͤnen Stil zu entfalten, und der Anfprudy, 
für einen aͤſthetiſchen Kopf zu gelten, faft auf jeder Geite gei⸗ 
tend macht. Am unangenebmften ſtellt ſich dies namenttich in 
der Beſchreibung einer Reife heraus, bie er im J 1833 nach 
bem Driente unternommen bat. Dies Buch, von dem man fas 
gen Tann, daß das Reue barin nicht gut und das Gute nicht 
neu ift, führt den Titel: „„L’Italie, la Sicile, Malte, la Gräce 
et la Turquie ou Souvenirs de voyage historiques et anec- 
dotiques.” Giraubeau bat ſich befonders noch durch feinen 
Sommentar zu Barthélemy's fonderbarem Gebichte über die 
Syphilis befannt gemacht (1841). Wir nennen baflelbe fon: 
berbar, mehr um ber Wahl bed Stoffe als um der Behand⸗ 
lung willen. Barthélemy, ber talentvolle Dichter der „Neme- 
sis‘, war, als er ſich von feinem poetifchen Zwillingsbruder 
losgeſagt und für ein betraͤchtliches Handgeid der Regierung in 
bie Arme geworfen hatte, um einen Gegenflond für feine 
Poefie in Verlegenheit. &o kam er, nachdem er den Birgit in 
franzoͤſiſche Verſe übertragen hatte, auf den Gebanlen, bie 
Syphilis zu befingen. „Hierbei Eonnte er ſich wenigftens nicht 
compromittiren. Nachdem er das Gedicht ausgearbeitet hatte, 
ließ Barthelemy durch Giraudeau die wiſſenſchaftlichen Anfpie: 
lungen unb die techniſchen Ausdrücke, von benen das Werk wim⸗ 
melt, in einem ausführlichen Sommentar, der nicht ohne In⸗ 
tereffe ift, erfidren. Giraudeau iſt der Eigenthümer und Heraus: 
geber bes ausgegeiäpneten ‚Atlas des departements”, beffen 
Zeichnungen von Alexis Donnet, Sremin, Monin, Eevaffeur u. %. 
entworfen find. Gegenwaͤrtig foll ee mit der Abfaffung eines 
„‚Precis de l’bistoire du Poitou” beſchaͤftigt fein. 





Die franzoͤſiſchen Colonien. 

Die Bibliographie des Colonieweſens iſt im ſteten Steigen 
begriffen. Wir haben kuͤrzlich mehre der in dieſes Gebiet ain— 
fhlagenden Werte zufammengeftellt unb doch koͤnnten wir jet 
Ion wieder eine neue Lifte entwerfen. Kein Menſch will in 
Frankreich Hand anlegen, den Golonien einen neuen Aufſchwung 
zu geben, aber bafür hält fi) Jedermann für berechtigt, über 
die wichtige Coloniefrage, die boffentiich in biefer GSeffion ber 
Kammern endli zur Sprache kommen wird, zu fchreiben. 
Wir mollen aus ber großen Menge von Schriften, bie ganz 
Eürzlich wieder über das Goloniewefen vom Stapel gelaufen 
find, nur die bebeutendften ausheben. Wir zählen bazu erftend 
ein Wert, welches den Zitel führt: „De la Marünique en 
1842 par le comte de la Cornillere'‘ (Paris 1343). Der 
Verf., der, wenn wir nicht irren, felbft bebeutende überfeeifche 
Beſitzungen hat, theilt uns feine Reifeeindrüde mit. Eein Werk 
unterfcheidet ſich indeffen vorteilhaft von ben unzähligen ober: 
flaͤchlichen Reifetagebüchern, mit denen wir Jahr aus Jahr ein 
überfchwemmt werden. ‚Dr. von Gornilltre ift ein guter Beobach⸗ 
ter und feine Borfchläge find durchaus praftifh. Beachtene⸗ 
wert ift ber Gommentar, ben ber Deputirte Jollivet zum Bes 
richt erfcheinen läßt, in dem das englifche Minifterium den Zus 
ftand des Colonieweſens ſchildert. Diefe gehaltreiche Brofdgüre 
führt den Titel: „Enquéêôte parlementaire sur les colonies 
anglaises, publice en septembre 1842. Analyse de l’enquäte 
par M. Jollivet"' (Paris 1843). 2. 


VBerantwortliher Herausgeber: Heinrich Brodhbaus. — Drud und Berlig von F. A. Brodbaus in Leipzig. 








' 


Blätter 


für 


literarifbhe Unterhaltung. 





Donnerstag, 


— Nr. 117. — 


27. April 1843. 


I 


Johann Keppler in Linz. 
(Beſchluz aus Nr, 116.) 


Keppler geht nach obiger Auseinanderfegung Über bie 
Rudolfinifchen Tafeln zu der ſtaͤndiſchen Anfoderung, die 
Zandesmappe von Oberoͤſtreich zu bearbeiten, über und 
gibt den zweiten Theil feiner Vorftellung die Überſchrift: 


Bericht von ber Sanbmappa. 

Diefe drei Jahre her fonderlid anno 1614 im Herbſt hab 
ich einen Verſuch gethan, und fo viel befunden, daß zum aller: 

derften mir eine Hemeffene ſchriftliche instruction was bei 
befferung der Mappa mein vornehmfter Zweck feyn fol, vons 
aöthen fegn wolle. 

Kun find am Tag (beftehend) Wolgangi Lazii mappa to- 
tius Austriae mit den fleyerifchen, Lärnthnifchen, falzburgifchen, 
baierifchen und böhmifchen confinen, Gerhardi Mercatoris Sty- 
ra und Episcopatus Salisburgensis mit ben obderennfiichen 
eonfinen, Petri Apiani Bavaria auch mit den obberennfifchen 
eonfinen, Augusti Hirsvogels Land ob der Enns, verfaßt anno 
1542 geftochen zu Andorff 15983. In diefen Mappen finden 
ſich erſtlich vier Faͤiſchungen ber Namen. Darnach ift Lazü 
tabula zwar Mein, begreift aber viel Örter, Mercator und 
Apianus haben nur etliche Stüde vom Rande ob der Enns, 
Girssogel ift ziemlich weitläufig aber unproportionirlich. 

Bier iſt nun mein Frag, was dann mehreres zu präftiren 
fegn werde, denn bie jegt ermeldte präftict haben? Weitläufiger 
und größer, auch zum Theil proportioniriider Tann die mappa 
wohl gemacht und die Namen corrigirt werden, auch zu Baus, 
ann ich Thon nicht reife, fondern nur die Boten und Bauern 
aber jedes Drts Innwoner allbier ausfrage, bann alfo find die 
‚Mappen bis dato gemacht worden; hernach koͤnnte eine foldhe 


mappa einem berühmten Kupferſtecher zugeſchickt oder vielmehr 


einer allher erfordert werben. *) . 

So aber ber loͤblichen Erände Meinung dieſe wäre, daß ich 
Mitt Orten felber den Xugenfchein einnehmen, ber muppa ihre 
Agentliche proportioa geben, nichts übergeben, fonberlich bie 
»oafinen und was fonft für antiquitaeten oder denkwuͤrdige 
Baden anzutreffen, wohl anerkennen foll, in maßen Apianus 
"Bavariam verfaffet, da gehört wahrlich Zeit, Mühe und Uns 
“toften dazu. Apianus hat mit Bavaria acht Jahre zugebracht, 
bei 6000 Zi. verzehrt, ift gleichwohl nicht aller Orten in ber 
Berfon gervefen. 

..., Und hab ich mich gemeiniglich an jedem Ort, da es eine 
Kich, Meßner und Algen hat, einen Zag zu fäumen gehabt, 
bis ich die Kirche befehen, einen erfahrenen Innwohner bekom⸗ 
wen, ihn um die Gelegenheit ber umliegenden Orten genugfam 
ausaefragt. Keiner hat mir nichts vergebens gethan, fondern 


°, Wie alfo zu Anfang der Buchdrudertunf die Druder vers 
th; herbeigerufen, oder auch auf Wanderung kamen und wie: 
der abzogen, fo machten es noch die Kupferſtecher zu Keppler's Beit. 


fo lang Antwort geben als er zu trinken gehabt, ober fonft 
nicht unwillig ober betaͤubt worben ft. 

Daneben hab ich überall fowoht in Märkten und Dörfern, 
ba ich Nachfrag gepflogen, ald aud auf Feldern und Bergen, 
ba ich mein Abfeben gerichtet oder ben Waflern nachgegangen, 
und auf ungewöhnliche Pfade kommen, viel Zurebftelungen und 
drohliche Anftöße von unerfahrenen, groben, argwöhnifchen Bauern 
erleiden müffen, und würden ſich ohne Zweifel viel mehr auf ben 
@rängen gefunden haben. 

ieraus leichtlich zu erfeben, daß ich ohne einen vertrauten 
Boten oder tapfern Diener, der Schreibens kundig, einen Fuhr⸗ 
mann zu meinem Blaͤſſel (Falben) und ohne Begleitung eines 
jeden Orts Amtmann ober Jägers oder guten bekannten Bauer, 
nichts Fruchtbarlichs werde verrichten koͤnnen. 

Darauf E. Ehren den überſchlag des unkoſtens oder Liefe⸗ 
zung (die mir in meiner Beſtallung zugefagt iſt) auch was fie 
fonften für notwendig anfieht, Leichtiich zu machen habe. 

Nach diefer Erörterung uͤberlaͤßt Keppler zum Schluffe 
den Ständen die Entfcheidbung, mit welchem biefer beiden 
Werke — den Rudolfinifchen Tafeln oder der Landesmappe — 
ee im Sommer 1616 ſich beſchaͤftigen folle. Hieruͤber er 
hielt ex folgenden, diefem Berichte indorfirten Beſcheid: 

Dem Guppilicanten wird hiemit anbefohlen, er foll alles, 
was er bisher gearbeitet, zufammenrichten und benen ‚Deren 
Verordneten übergeben, bamit fie foiches den Löblichen Ständen 
um berfelben resolution, was er künftig weiter fürnehmen fol, 
fürbringen Finnen. 


So mar denn ber größte Gelehrte feines Jahrhun⸗ 
derts, der Mann der MWiffenfchaft im engften Sinne, in 
der druͤckenden Rage, Vorfchrift in Hinficht auf ben Ges 
genftand feiner fchöpferifchen Producrivirät annehmen zu 
müffen! Dazu verpflichtete ihn feine Dienftinfiruction 
ausdruͤcklich, inwiefern ndmlih von Verfertigung ber 
Landmappen bartn die Rede ifl. Diefe untergeorbnete 
Leiſtung, der fi Keppler zwar nicht unterziehen wollte, 
die er aber wahrlich nicht der Vollendung ber Rudolfinifchen 
Tafeln vorziehen onnte, war dagegen den Ständen von 
befonderer Wichtigkeit. Nehmen wir an, daß es deren 
auch gegeben haben mag, bie im jener Zeit der Aufre⸗ 
gung und Leidenfchaftlichkeit dem SProteftanten Keppler 
nicht geneigt waren, fo erklärt es fi um fo mehr, wes⸗ 
halb man fo fehr wegen der Mappenverfertigung in ihn 
drang. Als ein wahrhaft glücklicher Zufall erfcheint def 
fenungeadhtet ber endliche Beſchluß der Stände: Keppler 
möge ſich mit der Kortfegung der Rudolfiniſchen Tafeln 
befchäftigen, und die Übertragung der andern Arbeit an 
ihren Ingenieur Abraham Holzwurm, der ſich derſelben 


466 


binnen zwei Jahren entlebigte. Seine Karte wurde von 
den Ständen Keppler blos zur Prüfung zugeftellt. Dar: 
über erflattete er ihnen einen gleichfalld noch vorhande: 
nen eigenhändigen Bericht. Diefe Karte, fowie jene von 
Dissvogel und Lazius, waelche Keppler verbefiert hatte, 
fm. Sein Gmahten Tıber Holzwurm's Arbeit rich: 
tete er nach fünf Fragepunkten ein: 1) ob bie Orte wohl 
eingetragen; 2) ob die gradus longitudinis et latitudinig 
recht gegeben; 3) ob Fluͤſſe und Berge wohl proportionitt; 
4) 0b die Mappe groß und weitläufig genug und 5) ob 
fie rein geriſſen und illuminirt ſei? Er äußert feine Zus 
friedenheit damit, tobt den Fleiß und die Geſchicklichkeit 
des Verf. ungemein und beklagt ben Tod bes Altern 
Holzwurm, den er einen „ausblindigen Meifler in der 
Kunſt preiſt, den Abriß und die Malerei zu verfertigen”. 
Am Schluffe feiner Relation lehnt er den ihm ver 
muthlich gemachten Vorwurf, diefer Arbeit ſich entzogen 
zu haben, mit folgenden Worten ab: 

Obgleich ich vor zwei Zabren ber aus berühsten Urſachen 
mi um die Mappen weiter nichts angenommen, auch noch 
nicht eindringe, ſolches jeboch nicht dahin auszubenten, als bes 
gehre ich fürfegiich wider diefen Punkt meiner Beſtallung zu 
handeln, und allein meines Willens, ben bloßen astronomicis 
obyitiegen, fondern wann und fo oft eine Löbliche Landſchaft mir 
gegen verfprockene ‚Lieferung und Ertheilung Patents (fo mir 
noch. nie gugeflellet worden) dieſes Werl wieder aufträgt, darin 
entweder per intervala temporum megen Mitforthelfung 
meiner mathematifchen editionum oder auch unausjeglich bis 
gu End fortzufahren, fonderlich aber, fo etwa bie Beſchrei⸗ 
bung dee Grängen oder fonft bes Landes unumgängliche Rothe 
durft meinen speculationibus vorzuziehen, ja auch auf einem 
anbern von mir privatim vorgefchlagenen Wege, To oft einer 
aus den Deren und Landleuten, welche bie Landgerichte inme has 
ben, zur Eintragung deffetben in die Mappen auf feine Unko⸗ 
#en meiner begehrt, weiß ich mich jedesmal mit ſchuldigem Ges 
horſam zu erweiſen. 

In den ſtaͤndiſchen Annalen finden ſich mehre Ur: 
laubsbewilligungen für Reifen nad Prag, welche Kepp⸗ 
Ier, berufen „durch den oberſten Kämmerer, auf Seiner 
Mojeftät Befehl” dahin machen mußte. Er ward alfo 
auch nad) feiner Anflekung bei den Ständen Oberoͤſt⸗ 
reichs noch im Hofdienſte behalten. 
gaben ihm freilich Gelegenheit, feine Gehaltruͤckſtaͤnde per: 
fönlih zu reddamicen, was ex gewiß mit deflo größerm 
Nachdruck gethan haben wird, als feine zweite Frau ihn 
mit fieben Kindern befchenkt hatte, allein er richtete def: 
fenumgeachtet nichte aus und mußte fid) mit Bertröftuns 
gen begnügen. 

Wie bekannt, war ihm 1618 zu Linz bie Auf: 
findung frined berühmten dritten Befeges und 1624 
ebendaſelbſt die Beendig der Rudolfiniſchen Tafeln 
gelungen, deren Druck gleichfalls in Ling begann, nach⸗ 
dem ihm Kaiſer Ferdinand II., zu welchem er ſich 
dieſerwegen nach Prag begeben hatte, eine Anweiſung von 
6000 Fl. auf bie aͤdte Nürnberg, Memmingen 
und Kempten hatte ausftellen laſſen. ‚Won diefee Summe 


bekam er abermals nur einem Theil von Seite der beiden 


legten Städte, während Nürnberg der Bezahlung ihrer 
Quote fi gänzlich entſchlug. Dit den erhaltenen ges 
singen Mitteln legte ex gleichwol fein Werk in Drud 


Diefe Berufungen 


und hätte es vermuthlid ganz in Linz zu Stande ge: 
bracht, wäre nicht duch den grauenvollen Bauernauf: 
ruhe eine Störung eingetreten. Linz wurde von dem 
Bauern eingefchloffen und belagert. Wahrfcheinlich ge 
[hab «6 um biefe Zeit (1626) und bei dieſem Anlaſ 
daß die Stände von Keppier din Gutachten foderten, 
wie die Megiferifcye Bibliothek zu verwahren ſei. Die 
diesfaͤllige ſchriftliche Außerung Keppler's fand ſich gleich⸗ 
falls unter den von ſeiner Hand verfaßten Documenten 
im ſtaͤndiſchen Archive zu Linz vor Won minder weſent⸗ 
lihem Intereſſe übergehen wie fie und bemerken blos 
ned, daß Keppler nah aufgehobener Belagerung von 
Linz mit feiner Familie wegzog, dieſe in Vegenkburg zu 
ruͤckließ und fih nah Ulm begab, wo ec den Drud 
feine Werts von neuem begann und auch vollen: 
dete.”) Inzwiſchen hatten die Stände Oberoͤſtreichs den 
kaiſerlichen Befehl erhalten, ihre proteftantifchen Beamten 
zu entlaffen. Keppler, von ihnen zur Erklaͤrung aufgefodert, 
was er als ſtaͤndiſcher Mathematicus zu thun gefommen - 
fel, kohrte vermuthlich aus dieſem Grunde noch einmel 
nach Linz zurüd, gab aber erſt dann eine beffinmte 
Außerung, als er 1628 mit feinem Gehalt vom Defe 
und mit ben früheren Rückſtaͤnden auf Mecklenbutg ver: 
wiefen wurde. So kam er in die Dienfte des Herzogs 
von Friedland. Das Weitere feines Schickſals berühet 
unfere Darftellung nicht. Auf die Entlaffung aus bem 
ſtaͤndiſchen Dienfle findet id in den ſtaͤndiſchen Annalen 
folgendes : 
Johann Keppler 

wegen Recompens um bie verehrte tabulas Rudolphi und dis 
laſſung feines gehabten Dienft. 

In bie gebetene Ertaffung als auch in bie Abraitung wol⸗ 
1en bie Herren Berordneten hiemit gewilligt und dem Suppli⸗ 
canten zu feiner Reisnothburft 200 Fl. aus dem Siunchmers 
amte zu bezahlen angefhafft haben. Den 3. Juli 16238. 


Aus den Hier mitgetheilten Handſchriften Kepplers 
ergibt fi als Berichtigung der bisherigen Angaben feis 
ner Biographen und als neuer zugewachſener Stoff, daß 
diefer große deutſche Mann nicht auf Befehl des Kaifers 
Matthias von der obderennfifhen Landfchaft in Diemfe 
senommen, daß ihm ebenfo dieſe wiche aus Freiwilliges 
Antriebe das Amt eines ſtaͤndiſchen Mathematics vnd 
die Profefjur diefe® Faches an ihrer Schule in Linz über 
tragen haben, fondern daß vielmehr er darum ange 
halten und «8 von 1611 — 238 ehrenvoll bekleidet Has. 
Wie teren daraus ben Ancheil kennen, welchen Tyche 
de Brahe an der Verfertigung der Rubdolfintfchen Tafeln 
genommen, und wenn wir ſchon im Allgemeinen muß 
ten, daß Keppler mit großen Schwierigkeiten zu kaͤmpfen 
hatte, um das Merk zu vollenden, fo waren biefe bed 
vordem nie fo deutlich wie jest nachgewieſen, nachdem 
nun er ſelbſt fich daruͤber ausſpricht. Sein Gehalt, zu⸗ 


Die Belagerung dee Stadt Linz hatte die Eindfigerung bes 
ganzen Vorftabt zur Folge. Dadurch kam Keppler um ben bevaitd 
gedruckten Theil ſeines Werks, der mit verbranate. Stan Sehe ſei⸗ 
nen Brief vom 11. Jebe. 1838 aus Prag an die aberöſtreichiſchen 


Gtände in Kurz .„. Beitzägen zur Geſchichte von Dberiiuei “, 
Bd. 1, G. 58 —— 636, 





am 


geſchlagen die anderweitigen Unterſtuͤrnngen, welche ihm 
Die Staͤnde gewährten, ſowie die Einnahme. die er aus 
dem Privatunterrichte des jungen Adels gefchöpft haben 
dürfte, werben ihm fin Linz mindeftens eine leidliche Exi⸗ 
ſtenz verfchafft haben. Wer die damaligen Zuflände und 
die Erſchoͤpfung der Iandfländifhen Kaffe zu jener Zeit 
kennt, wird es nicht tadeln dürfen, fondern wielmehr als 
ter Anerkennung werth achten, daß die Stände von Ober: 
öftreih Das für Keppler chaten, was thatſaͤchlich geſchah. 
Das Mufsum Frandsco : Carolinum in Linz bewahrt bie 
angeführten Handſchriften Keppier’s, ſammt Abfchriften 
mehrer Urkunden, welche fi auf feine Perſon und auf 
die Berhandlungen beziehen, die nach ſeinem Tode mit 
deffen Erben gepflogen wurden. Sämmtlihe Documente 
werden jedenfalls bei einer künftigen Biographie vom 
Keppier zu benugen fein. Übrigens machen wir wieder: 
holt auf Die Zeitfchrift dieſes Inſtituts aufmerkſam, da 
fetbe, obwol ausfchliefend dem wiſſenſchaftlichen Intereffe 
der Provinz Oberöftreih gewibmet, doch auch öfter das 
Depofitorium ſolchen Stoffes wird, deflen Verwendung 
ben allgemeinen Interefſen ber hiſtoriſchen Wiſſenſchaften 
voutkommen entſprechend if. Natthias Koch. 


Romanenliteratur. 
1. Des Genies Malheur und Gluͤck. Ein Spiegelbild mit Lands 
und Wienerfiguren ſammt exen und Reflexionen von Se⸗ 
zaſt an Brunner. Zwei Bände, Leipzig, Themas. 1843. 


Ir. 
Der etwas burlesle Titel mit dem fremden Worte ſchien 
dem Mef. eine wiener Poffe zu propbezeien, unb mit ſolchen 


Srwartungen nahm er bad Buch zur Hand; er fand ſich aber: 


täufht. Schon ber Prolog, ein Dialog zwiſchen Autor und 
itgeiſt, bereitet auf einen ernſten Plan vor und der Autor 
deutet denfelben durch folgende Worte an: 
Das Leben eines Menſchen, den ich kannte 
Und den die Zeit umd Erdengluͤck gebradt, 
Doch der am Ehe ſich nach Dien wandte 
Aus feines Irrthums ſchaubervoller Nacht. 

Der Zeitgeiſt ſoll zu dieſem Unternebmen feinen Rath ers 
kheilen, was er auf auch humoriftifche Weile thut; er warnt den 
Autor, ſich vom Dogma fern zu balten, da man jegt lieber 
ꝓon Moral lefe. Deffenungeachtet fpricht er feine Achtung für bie 
Religion ohne Verhehlen aus, und als ber Autor feine Verwun⸗ 
derung dußert über den feheinbaren Widerſpruch bes Zeitgeiftes, 
antwortet diefer: 

3 lüge wicht, ich lebe nur vom Scheinen, 
Ih bin des Zeitenbilded MWiderftrapl, 
Und wie bie Spiegel zeigen oft den Einen, 
So zeige ich der Menſchen größte Zahl, 
Ich höre auf, fowie die Zeit vergangen, 
Die Einen aber, deren Bild id wear, 
Die find ed, uber bie ber Fluch verhangen, 
Die felbibewußten Feinde vom Altar. 
D glaubt es mir, auch Wahrheit kann ich reden, 
Wenn ih Den finde, der fie bören will, 
Ich zeig ihm offen die verborgnen Züten 
Bom eigenen Marionettenfpiel. 
Jedoch die Welt, die wid ſich ſelbſt belägen, 
Sie bleibet gern vor bez Cartine ſtehn, 
gäpt fi von Iumpigen Gedanken trügen, 
Wenn fie nur kann der Sprache Bitter ſehn a. f. w. 
De Ton ui Romans innert an bie alten 


mane von Sterne und Fielbing, wo bie fi) ausfpinnenden 
flerionen die Erzählung hemmen und bie Hauptſache berfeiben 
find, wo bie Begebenheiten bie Gharaltıre der handelnden Pers 
fonen darftellen müffen, nicht die Ch aktere zu Berftändigung 
der Begebenheiten dienen follen. Oft fühlt man ſich von wahr 
baft Jean Paul ſchem Humor angeſprochen, oft von ben einfach⸗ 
fen Motiven gerührt und bewegt, oft auch von echt komifſchen 
Ecenen zum Lachen veranlaßt. Das Ganze trägt ben Stempel 
ber Wahrheit; fomol das erfte Abenteuer des Helden, wie er ih 
Koth fällt und ungerechtermweife die ftrafende Hand der Mutter 
fühlen muß, als au in der Schule und auf ber Studenten 
wanderung. Die Bilder des Lerchenfelds, die eingelnen Scenen 
ber verſchiedenen Menſchenkinder, welche ihr Gluͤck machen wolr 
len, vom Streben ber Zeit erfaßt, und es machen, ſowie de# 
Helden Gluͤck und Malheur, Alles ift wahr, bem Leben nadıs 
gebildet. Und vor allen tritt die eine große Wahrheit hervor ; 
daß das Genie nicht immer zum Gluͤck führt und daß ein Tas 
tent zum Fluch gereichen fann, anftatt zum Segen, wenn nicht 
ein höherer Geiſt ihm bie Richtung gibt und es leitet. Froſch, 
unfer Held, verläßt das Brotftubium, um feinem Malertalent 
zu leben, weil ein junges, talentvolles Maͤdchen, welches in feis 
ner Phantaſie Eindrud gemacht, ibn gelobt und den Kuͤnſtler⸗ 
ruhm prophezeit hat. Er geht nad Wien und führt ein uns 
geregeltes Leben, welches er ein geniales nennt; feine Malerſtu⸗ 
bien ohne Pinfel werben in den Kneipen gemacht, beim Biers 
trug, in luſtiger Gefellfhaft. Die Bilder, die er malt, finden 
Anertennung und tragen ihm Geld ein und er lebt unthätig, 
bis dieſes verthan iſt. Kreunde haben Mitleidven mit ibm, weil 
fie meinen, dem Kuͤnſtler feine Launen verzeihen zu muͤſſen. 
Das hier und da MWieberaufflammen feines Genies unter tem 
Elend, ber Armuth, der Krankheit, welche das liederliche Leben 
erzeugt, find von tragifhem Effect. Er flirbt zuiegt im Spi⸗ 
tat; feine weniger begabten Collegen machen indeß ihr Glaͤck: 
der harmlofe Schreiber Wangenberger als Munbharmonikns 
fabrifant, der berlinee Handwerksburſche ald Brillen: und Aus 
gengläferverfertiger. 

Der Autor möchte eine große Wahrheit darthun — 
und biefe if die Zenbenz des Buches — daß ndmlich der 
Mangel an chriſtlichem Glauben jener Flug des Geniuß 
ift, woran fo viele zu Grunde geben. Alle jene Charaktere, 
welche vorgeben, in ber Natur ihren Gottesdienft zu halten, ans 
ſtatt in der Kirche, alle, welche nicht bad Dogma annehmen, 
und zwar das katholiſche, bringen es auch nicht weit in der 
Welt, oder vielmehr in diefem Romans und fo flebt man denn 
auch zulegt den ſterbenden Künftter, vweldyer fein ganzes Leben 
ber Philofophie gefröhnt und nichts von kirchlicher Frömmigkeit 
wiffen wollte, auf dem Schmerzenslager im Spital der barms 
berzigen Scweftern bekehrt, fromm und befriedigt, gern ſter⸗ 
bend in Chriſto. Des ‚Genies Malheur und Gluͤck iſt ein 
treues Lebensbild des 19. Jahrhunderte, wo unzählige junge 
Leute untergehen an bem Fluch des Genies. Der Fluch befteht 
indeß nicht nur in dem mangelnten Chriftenthum, fondern auch 
in Genußſucht und Arbeitsſcheu. Wie der junge Froſch das 
Brotftubium beifeitelegt und nach dem Pinſel greift, fo greifen 
unzählige nad) der Feder, nach ber Rolle des Schaufpiels, nady 
den Mufifinftrumenten. Sie wollen alle reich werden, um zu ges 
nießen; währen das Talent ihnen das Reben hätte verfchönern, 
ihnen ein Freund, ein Zröfter fein können, bat es fie ins Uns 
gluͤck gebracht und ift ihnen zum Fluch geworden. Das Buch 
muß dem Lefer während bes Leſens viel Genuß gewähren; ben 
denfenden Lefer, ber es aber aus ber Sand legt, wird «8 zu 
langem ſchmerzlichen Nachdenken anregen. Es kann zu den bedeu⸗ 
tendſten Erſcheinungen unferer Literatur gerechnet werden und 
iſt allen jungen, talentvollen Männern ats unterhattende und 
entwickelnde Lecture zu empfehlen. 


2. Wildhanne. Gin hiſtoriſcher Roman aus dem 15. Jahrhun⸗ 


bert von Franziska v. Stengel. Zwei Theile. Mans 
heim, Bensheimer. 1843. Gr. 16. 2 Thle. 7%, Nor. 
Der Kampf zwilchen ben Cantonen ich und Bchwyz If} 


ver hiſtoriſche Moment, dem ber Roman angepaßt if. Die 
Begebenheiten werden meift in Geſpraͤchen abgehandelt und vor⸗ 
bereitet und dadurch oft unndthige Breite herbeigeführt. Tho⸗ 
mas Stuͤſſt, der Bürgermeifter von Zürich, wird mit kräftiger 
Sharakterzeihnung dem Lefer vorgeführt. Auch Wildhanns von 
Bandenberg, der Liebesheld , und Rebing, ber ſchweizer Haupt: 
mann, find edle Erfcheinungen, welche gut fpredgen, wenn auch 
oft zu viel. Die Boͤſewichter, des Bürgermeiftere Sohn Hans 
Stuͤfſi, fowie Thomas, deffen Diener, find foldhe, an denen 
fein gutes Haar iſt; fie werden oft zu Garicaturen unb Zerr⸗ 
bildern. Oft ermangelt der Roman der Wahrfcheintichkeit. Daß 
ber Schurke Hans Stuͤſſi die ſchoͤne Verena raubt, durch eine 
in ihre Kleider gehuͤllte kopflofe Leiche, die Tochter Thomas, die 
ihr Befreunbeten irreteitet und Nachforfchungen hemmt, iſt gut 
ausgebachtz daß aber die geraubte Verena monatelang in Züri) 
in einem Hinterhaufe wohnt, nur von ihrem Verführer, einem 
alten Weide und dem Diener Thomas bewacht, daß fie ihre 
unſchuld nur durch einen Dolch vertheibige und biefen Doldy 
Niemand ihr zu entreißen vermag, weder bei Tag noch bei 
Nacht, daß dann ber von feinem Herrn mishandelte Thomas 
das Geheimniß nicht ſogleich, daß feiner ber Übrigen Diener, 
die doch auch darum zu wiſſen feinen, es verplaubert, daß, 
als man fie mit Lift entfuͤhrt, nicht jedes Haus in Zurich, nicht 
ihre nächften Verwandten und mütterlichen Freunde als Schut 
gewährend aufgefucht werden können, um fo mehr, da der maͤch⸗ 
tige Bürgermeifter tobt ift und fein Sohn feine Gtüge an 
ihm fände, daß die kaum der Gefahr Entronnene in der 
Irre umberziehen und ſich neuen Gefahren preisgeben muß — 
kam Ref. hoͤchſt fonderbar vor. Auch daß ber nach Rache 
fynaubende Thomas Feine andere Rache für feinen vormaligen 
graufamen Herrn findet als ben @iftbecher, während doch Vere⸗ 
na’s verfolgte Unſchuld in jener rittertichen, wenn auch nicht ge: 
feglichen Zeit Kaͤcher gefunden haben würde, alles Das find 
Verftöße. Übrigens find die Beſchreibungen gut, die biftorifchen 
Begebenheiten lebendig vorgetragen, das Ganze feflelnd durch 
Thaten und Greigniffe, Schlachtgemüht und Todesfaͤlle. Der 
Held Wildhanns, obgleich im ehrlichen Kampf gefangen, vom 
gandamman ber Schwyzer ale Bochverräther verurtheilt, fällt 
auf dem Schaffot, Verena aber geht in ein Klofter. 
3. Novellen⸗Album mit Beiträgen von B. Auerbach, 8. Dies 
fenbad, 8. H. Geibler, A. v. Haffelt, H. Koenig, 
. 3. Kuranda, 9 Laube, 8. Eebrun, ©. Robin, 
C. v. Schmidt. Erſter bis dritter Band. Leipzig, Herbig 
1842. Gr. Ler.:8. 3 Thlr. 

Einige der Namen auf dem Zitelblatte find fo ruͤhmlich 
befannt und wohltönend, daß fie für ben Werth bes Inhalts 
garantiren Eönnten. Ref. fühlte fich zu den ſchoͤnſten Erwar⸗ 
tungen berechtigt und war nicht getäufht. „Die beutfchen 
Abende’, womit ber erſte Band beginnt, von B. Auerbad, 
beurfunden ſich als echt deutſch, wegen der finnigen, gründlichen 
Beleuchtung des „wer ift gluͤcklich“ und durch bie Löfung der 
Frage. %. dv. Haſſelt's biftorifche Novellen find anziehend 
dur Stoff und Bearbeitung. „Zicci“, von &. v. Schmidt, 
fhien Ref. nicht Original zu fein, Auszug oder Bearbeitung 
eines englifhen Romans, mit veränbertem Anfang und Ende, 
Die „St.:Liepinsnarren, novelliftifge Chronik nach flamändifchen 
Archiven“, von St.⸗Genois, ift als gefchichtliche Darftellung 
intereffant, trägt aber nicht ben Stempel der Novelle. Sehr 
“feffelnd und ergreifend dagegen ift „Jakob Steen“, Hiftorifche 
Novelle von Bictor Zoly, Zeit und Menſchen ſcharf charak⸗ 
terifirend und in den menigen Blättern Thaten und Intereffe 
draͤngend; ba ift kein Federſtrich, welcher nicht zur Vollendung bes 
Banzen gehörte. „„Der Hausiehrer‘ bagegen, von, 9. Geibler, 
tft unbedeutend, an hunderttaufend franzoͤſiſche Novellen erinnernb. 
‚Der alte Schaufpieler”, von J. Kuranda, iſt gang trefflich aus: 

eführt, ein feltener Charakter, wie nur der tiefdentende Autor 
n finden und erkennen Tann; viel weniger gut ift „Selbſttaͤu⸗ 
taͤuſchung“, von bemfeiben Verf.; ber Held ift fo ganz erbaͤrmlich 


nflgueen has 
für entfchädigen. „Die Folgen eines Wiges‘, von B.Lebrih, if 
auch nicht zu empfehlen, ebenfo wenig wie die „Prophezeiung 
von E. Robin. Dagegen verdient H. Laube's „Marquiſe von 
Manzera“ Anerkennung und Lob, obgleid es als Bearbeitung 
eines befannten Stoffes angelänbigt wird. Es iſt in Dialog 
efaßt, zeigt den abgelebten ſpaniſchen Shemann mit ber 
unſchuldigen jungen Gattin, ber pfiffigen Duegna und bem 
fürftlichen Verfuͤhrer. Gin Lebensbild, deffen tragifches Ende 
ergreifen und rühren muß. 


4. Das Pfarrhaus. Eine Familiengeſchichte vom Verfaſſer der 
„Mahleiche“ u. f. w. Zwei helle. Braunſchweig, Leibtock. 
1843. 8. 2 Thle. 7Y, Rgr. 

Wirklich eine Bamitiengefhichte, wie ber Zitel verheißt: ein 
vielgeprüfter, frommer Pfarrer, eine liebenswürdige Pfarrers- 
tochter, eine tugendhafte, verwitwete Tante, ein ebler, reicher 
Bewerber, ein in ber Stille anbetender Berehrer, viele erbaus 
liche Zwie⸗ und Selbſtgeſpraͤche, nachträglich erzählte Lebensge⸗ 
ſchichten, Alles gut gefchrieben, angenehm erzählt, mit fchönen 
Lebenswahrheiten und guten Reflexionen gewürzt, und überall 
das Gute heraushebend, überall eine eble Tendenz an den Tag 
legend. Nur die Intriguirenden, bie Schledhten find nicht gut 
gerathen: der Amtmann und feine Gattin find fo mit dem Ws 
fen geflempelt, daß man nicht begreift, wie. fie noch Schlechtes 
vollbringen, wie fie noch einen Augenblick täufcgen können. Ihre 
Sntriguen find loder angelegt, fie beängftigen nicht für bas 
Schickſal der Guten. Der ſchaͤndliche Neffe des Freiherrn von 
Korbheim, deffen Verleumbung ben Sohn verbrängt, erinnert 
an Kranz Mohr. Der vom abelftolzen Vater wegen der Bers 
maͤhlung mit der diteften Tochter bes Pfarrers Grone verftoßene 
Sohn Ferdinand lebt ald Maler und verdient auf biefe Weiſe 
den Unterhalt feiner Familie, während feine Frau ſich über ben 

(ud ihres Vaters grämt. Bor feinem Zode nimmt aber ber 
farrer biefen Fluch zurüd, der Freiherr von Rorbheim vers 
föhne fi mit dem Sohne und verzeiht um der blühenden En⸗ 
tel willen den Fleck feines Stammbaumes. Des Amtmanne 

Schandthaten werden entbedt, das Lafter wird beftraft, bie 

Tugend fiegt. Das Ganze als moralifche Lecture fehr empfeh⸗ 

lenswerth. 12. - 





Literarifhe Notizen. 


Zur Publication in England iſt vorbereitet: „An apology for 
the revival of christian architecture in England”, von X, Waıbp 
Yugin. Folgende Hauptpunfte werben darin zur Erörterung 
fommen: die Mängel der modernen englifhen Architektur 
werden nachgewiefen und Eritifche Bemerkungen über verfchiedene 
neue Bauten beigefügt; Vertheidigung der chriſtlichen Architek⸗ 
tur gegen mandherlei Einwuͤrfe; die Ungereimtheit der Wieder 
befebung des claffifchen Bauſtils im 16. Jahrhundert wird bars 
gethanz bie @runbfäge der Heibnifchen und chriſtlichen Sculp⸗ 
tur werden betrachtet und bargelegt, daß bie chriftliche Archi⸗ 
teftur ber legtern Kunſt ein großes Feld der Thaͤtigkeit gewaͤhre; 
die innige Verbindung zwifchen dem beftebenden Syftem der 
Verwaltung Englands und bem ber Eatholifhen Vorfahren wird 
nachgemwiefen (1); endlich wird zu beweifen gefucht, baf Eng⸗ 
land für bie Wiederaufnahme des chriftlichen Bauſtils das ger 
eignetfte Land ſei; auch Betrachtungen über mehre berrlice 
Überrefte des katholiſchen Alterttums in Englanb werben beis 
gefügt, und das Ganze bdiefes Fatholifchen Bauſyſtems, in bem 
Bormat der „True principles of pointed or christian archi- 
tecture”' erfcheinend, mit zwölf Kupfern erläutert. 


Von F. T. B. Clavel, „mattre & tous grades”, erſcheint 
in Paris in Lieferungen: „Histoire pittoresque de la franc- 
maconnerie ot des societes secretes anciennes et modernes”, 
mit 25 Kupferftichen. 18, 


Verantwortlicher Heraußgebers Heinrich Brodhaus — Drud und Verlag von F. U. Brockhaus in Leipgig. 


Bla 


tter 


für 


iterarifße Unterhaltung. 


* 





Freitag, 


28. Aprit 1843. 





Religion, Theologie und Philoſophie. 
Eine Trias. 
1. 

Jedes Bedentſame In menfchlichen Gedanken, Hand⸗ 
Iungen, Kunftwerten wird aus dem Geiſte geboren. 
Cinn und Berftend faffen- das Gewordene, nicht den 
Qrund des Werdens, den Geift; fie deuten nur darauf 
bin, fetzen ihn voraus. Damm wird von dem Denker, 
dem Zugendheiden, dem Dichter Geiſt und Begeiflerung 
werlangt und man fpricht von Tiefe und Flaͤche bes 
Dentens, Handelns und Dichtens; die Tiefe weil auf 
ben fehaffenden Goiſt, bie Fläche auf das Gewordene, den 
Leib; Ruͤckficht oder Rüdfichestofigkiit auf deſſen Ent⸗ 
ſtehung und hervorbringende Kraft machen den Unter⸗ 
ſchied. Das ganze menfhliche Leben iſt eine Verleib⸗ 
Uchung des Geifligen, ſeiner Zwecke, feiner Richtungen ; 
und. daher auch umgekehrt eine Wergeiſtigung des Leib: 
Kchen, ein Bewußtwerden feines tiefen rundes, Leibe 
lichas laͤßt ſich beflimmt auffaften, deſſen Beſchaffenheit 
etzaͤhten; Seiſtiges iſt feinem Weſen nach unbeſtimmt, 
wird geahnet und von feiner Beſchaffenheit gibt es keine 
Erzaͤhlung. Entwidele dir, was du am menfchlicen Wer⸗ 
hen und Haudlungen buch Besrachtung wahrsimmil, 
und du gewinnk Begriff berfeiben, aber nicht von der 
Vegeiſterung, dem Genius, der Singebung, woraus Werke 
und Handlungen hervorgingen. Allenthalben eine Offen⸗ 
barung des Offenbarenden, eine Sichtbarwerdung des Vers 
borgenen, eine Kaflichleit des Geſchafſenen, eine Unfaß⸗ 
lichkeit des Schaffenden. Oder fichft und verſtehſt bu 
die Begeiſterung des Dichters, des bildenden Künftiers, 
deffen Werte du kennſt und wegen bes Richterfennmiß, 
wir diefelben entſtanden, bewundert? 

So aud in dee Metigion. Ste iſt das Bewußtwer⸗ 
dem eines Mehr ats du felber, eines Höhen, Bellen, 
Bollkommenern, ober wie fonft bie Ausbrüde gewählt 
werden moͤgen. Das Wegrenzte, Beſtimmte ift dem 
Menſchenverſtande angehoͤrig, das Unbegrenzte, Unbe⸗ 
ſtimmte feiner Religion. Sie iſt das Tiefe für die Ober: 
flaͤche bes Lebens, ein Unfinnliches im Vergleich mit al 
Im Siuwlichen, ein unerkanntes Geiſtige für das erkannte 
Leibliche des Daſeins. 

- Wie aber ber Geiſt ſtets fich im Leibe offenbart, der 


Schaffende am Gefchaffenen, fo wird auch eine nähere 
Beſtimmung, Verleiblichung des Religion im menſchlichen 
Berwußtfein"gefucht werden und hervortreten, und 6 ha⸗ 
ben die Religionen folder Verkeibiichung ihren Urfprung 
zu danken. Jene Zeruane Alherene bed Zenbfoflens, 
als das Ewige, Anbeginnlofe, bringe Weſen berwor, denen 
es von feines Groͤße, feinen Eigenſchaften, feiner Macht 
und Herrlichkeit mischeitt, und dadurch gibs es daun eine 
Religion des Ormuzd und Ahrlman, ober aus Para« 
brama eine des Brama, Wifhnu, Shiva. Incarnation 
beißt der Gefammtcharakter, in welchem fich bie Beligio- 
nen entwideln. 

Gewiſſe Stufen ber Berkörperung find hierbei in des 
Religionsgeſchichte zu erkennen, ungeachtet fie nicht ſteso 
in derſelben Ordnung aufeinander folgen und auch Ver⸗ 
bindung und Miſchung unser ſich geſtatten. 

BZuvoͤrderſt verkoͤrpert fi die Religien im Begriff 
Begriffe ind Bein Siunliches, fie Liegen daher dem Unſtnuli⸗ 
chen des Retigion näher als finnliche Anſchauungen. Begriffe 
find zugleich ein Menſchliches, ein Product des Denkens, sine 
Beflimmung des Unbeflimmten, daher ein Leib, der das 
Letztere offenbart, der mit Gedanken und Wort gefaßt 
werden kann umd darum dem vsligiöfen Bewußtſein ſich 
empfichit. Die abflrasteften, vom concreten Sinnlichen 
entlegenſten Begriffe eignen ſich dafür am meiften; alfe 
die Begriffe des Seine, des Werdens, des Alle, den 
Subftanz; und wenn daraus fihon in fruͤhen Zeiten ein 
Pantheismus hervorging, der auch in fpätern unter mans 
hen Formen wiederkehtt, fo iſt biefes eine Begriffincar⸗ 
nation, dem menfchlichen Verſtaͤndniß, welches durch Be⸗ 
geiffe zu Stande bommt, naheliegend und von begriffbauen⸗ 
den Philofophen deöhalb annehmbar gefunden. Geſetzt, 
dies entfpräche dem urfprünglichen veligiöfen Bewußtſein 
aus unvollkommen, fo entfpringt es vieleicht aus einem 
Mangel der Verkoͤrperung, den Begriffe an ſich tragen, 
ohne doch der Geiſt felben zu fein; fie find Gebilde des 
denkenden Wienfchengeiftee, gereorden aus feiner verſtaͤndi⸗ 
gen Macht, Beine Weſen höher als der Menſch. 

Wegen der Leerheit abſtracter Begriffe bat man diefeiben 
auszufuͤlen, ihren Iuftigen Körper zu verdichten gefsccht, 
z. B. in den Emanationsiehren, die mit Ausfließen und 
Ruͤchfließen des reinen Seins und Werbens das Goͤttliche 
bezeichnen und daran eine Sinnenauffafſung befigen,, er⸗ 


430 


kennbat aud im Auseinandertreten des Einen (des Un⸗ 
bedingten) zur Zweiheit, mit Bewegung, Raum und 
Zeit, als Anfägen zur Verkoͤrperung, oder in dem Sein 
des Abfoluten, weiches als Nichts an fih zu feinem An: 
dern, zum Etwas wird und im Menfchen, deſſen Koͤr⸗ 


yerdafein wahrnehmbar iſt, zum Selbſtbewußtſein gelangt:- 


Hierin durchweg erſcheint eine Fortſetzung der Begriff: 
incarnation, deren abitractefte Geſtalt einen Mangel 
£undgibt, dem abgeholfen werden foll. 

Darum kommt es zur zweiten Stufe der Berkörperung 
in Borftellungen. Die Begriffe felber weifen darauf 


hin, fie beziehen fi auf ein Vorſtellungsgebiet, aus wel: 


chem fie Nahrung faugen und Beſtimmtheiten gewinnen, 
die bei der hoͤchſten Abftraction unfenntlid werden. Me: 
ligion auf diefer Stufe hat vorgeftellte Gegenſtaͤnde, wenn 
nicht in wirklicher finnlicher Anfchauung, doc) im Bilde, 
und zwar einem ſolchen, beffen Bewahrung eintreten 
inne. Ein unfinnlies mehr als menfchliches Welen 
wird gefegt, ähnlich dem ſinnlich mahrnehmbaren, aber 
wicht diefes ſelbſt, weil es fonft nicht dem religiöfen ‚Bes 
wußtfein, ſondern blos bem finnlichen angehören würde, 
aber im Bilde mit dem finnlichen vermittelt: Begreif⸗ 
liches und Borftellbares find gleihfam ineinander ges 
wachlen. 

Was fällt in den Kreis der Vorſtellungen? Perfonen 
und Sachen. Ein Bild jener gewinnen wir durch Wahr: 
nehmung unferer felbft und unferd leihen, das Bild 
diefer durch Wahrnehmung der Naturdinge. Goͤttliches 
Sein wird mithin vorgeſtellt als ein perſoͤnliches, erhaͤlt 
dadurch Beſtimmtheiten, nämlich Bewußtſein feiner ſelbſt, 
Willen, Verſtand, Wirkſamkeit aus eigenem Entſchluß, 
perſoͤnliches Verhaͤltniß zum Menſchen. Wie mannich⸗ 
fach auch die Incarnation auf dieſer Stufe des Perſoͤn⸗ 
lichen wechſeln moͤge, ſie bleibt Anthropomorphismus 
und iſt in manchen Religionen ſo kenntlich, daß ſie faſt 
ihren Geſammtcharakter ausmacht. Ob die Perfönlichkeit 
des goͤttlichen Weſens in eine Vielheit ſich zerſpalte, oder 
in eine Einheit zuſammengehe, iſt freilich fuͤr das Ver⸗ 
haͤltniß des Menſchen und ſeine daraus erwachſende Le⸗ 
bensanſicht, für Furcht oder Liebe, für Verehrung und 
Hoffnung nicht gleichgültig; jedoch bleibt die Verleibli⸗ 
hung des religiöfen Bewußtſeins in beiden Fällen biefelbe. 

Allein in den Kreis der Vorſtellungen fallen nicht 
blo8 Perfonen, fondern auh Sachen, bie Verleiblihung 
kann alfo gleichfalls in dieſen gefchehen. Wenn fie ſich 
nicht an einzelnen fihtbaren Dingen als Zetifchen befe: 
fligt, dient die ganze Natur nit ihren Erfcheinungen 
zum Vorftellungsbilde. Mehr als menfchliche Naturmacht 
ift finntih wahrnehmbar, daher hoͤchſt bedeutfam. Die 
Natur ift ferner ein Begriff, welcher Vorſtellungen ein: 
zeiner Naturdinge unter ſich begreift, alfo der Begriff des 
Au, des Ganzen und feiner Theile, des Allgemeinen und 
Befondern in ihrer Einheit, des Seins und Werdens in 
Beharrlichkeit und Wechfel, wodurch das Vorſtellungsbild 
ſich der Begriffverleiblichung anndhert und beide nicht fel- 
ten zuſammenwachſen. Wird ſinnliche Raumerfüllung 
als das Gemeinſchaftliche (Subſtanz) aller Naturdinge 


im Begriff feftgehalten, fo erwächft auf dieſer Verleibli⸗ 
chungoſtufe der Materialismus, als befondere Geſtalt des 
Naturalismus überhaupt und mit Atomen in unendliche 
Vielheit zerfallend. 

Es erhellt, der Naturalismus fei fein Anthropomor⸗ 
phismus, fondern refigidfe Sachverleiblichung, und nur 
wenn diefer die Vorftellung einer Weltſeele ſich anſchließt, 
treten beide einander näher. Sie behaupten indeß ſtets 
eine Derfchiedenheit, weil der Naturalismus die logiſchen 
Begriffverhältniffe des Allgemeinen und Befondern feſt⸗ 
hält, Die bei der Vorſtellung menfhendhnlicher Indwi⸗ 
dualität Feine Anwendung finden; auch wird eine Welt: 
feele nicht als individuelles perfönliches Weſen in dem 
Vorſtellungskreis aufgenommen. Weil nun das menfdy 
liche Denken fich flets in den Werhältniffen des Auges 
meinen und Beſondern bewegt, fo haben heidnifche Phi: 
lofophen den Naturalismus einem reichgegliederten Volks⸗ 
anthropomorphismus vorgezogen, und auch die chriftlicyen 
folgen leicht diefem Hange in Bezug auf den einfacdyern 
des Chriftenthums,. 

Immer weiter hinein in die Vorſtellungswelt geras 
then die folgenden Stufen der Verleiblichung. Werde 
perfönliches Weſen oder Natur vorausgefegt, fie find Ur: 
ſache eines Geſchehens und deſſen finnliher Wahrneh⸗ 
mung, ihr Sein offenbart ſich in Wirkungen — in 
Handlungen, im Entſtehen und Vergehen, in Theilen 
des Ganzen, in Accidenzen der Subſtanz. Aber gewoͤhn⸗ 
liche Erſcheinungen des Lebens feſſeln nicht die Aufmerk 
ſamkeit; dieſe hält fi) an das Außerordentliche, dem taͤg⸗ 
lien Weltlauf Unterbrechende, an das Wunder. Mor 
bat außerordentliche Naturereigniffe und das Staunm 
darüber ald Quelle religioͤſer Vorftelungen bei den Voͤl⸗ 
fern betrachtet, fie find aber keine Duelle, fondern Ver⸗ 
leiblihungen der Religion, weldye daher nach oͤrtlichen 
Befonderheiten und Erfahrungen fich richten. Die Stimme 
der Gottheit tönt aus dichten Wäldern, tiefen Grotten, 
im Ungeroitter, aus der Meerflut; bie verborgene Kraft 
der Ratur oder Äfkulap find Urſache fchneller Hellungs 
fo lange Mond : und Sonnenfinfterniffe noch Wunder 
find, haben fie ihre Stelle in der Religion bes Volks 
und verlieren diefelbe durch Ausrehnung im Kalender. 

Am deutlichſten und entfchiedenftn erfcheint die In⸗ 
camation in menſchlichen Individuen, welche Wunder 
verrichten. Heidniſche Vielgoͤtterei Bann derfelben entbeh⸗ 
ven, denn die Götter wandeln auch auf dem Olymp in 
Leibern, nur freilich beffern als die menfchlichen, wenn 
fie nicht zuweilen eine Verkleidung in bie legtern votzie⸗ 
ben. Der Dalai Lama hingegen bedarf ihrer fortwaͤh⸗ 
rend und iſt in feiner durch alle Zeiten fichtbaren Maris 
feftation der vollendetſte Anthropomorphismus. In ge: 
ringerm Maß wird biefer kenntlich in Prieftern, goͤtcci⸗ 
hen Befandten, melche geeignet find, die Verbindung 
zwifchen Gottheit und Menſch einzuleiten ober herzu⸗ 
ftellen. 

Wenn irgend eine Berleiblihung der Religion, fi «6 
diejenige der Begriffe, oder der Vorſtelungen, der offenba= 
renden Wunder, oder perfönlicher Erfcheinung, im einer 


41 


beſtimmten Zeit fich feſtſtelt, fo wird fie der Nachwelt 
eigen entweder durch Wiederholung ihrer ſelbſt, oder durch 
Überlieferung in Wort und Lehre, wo dann die letztere 
für das nicht in Sinnenwirklichkeit Wiederholbare gleich: 


fam einen Körper des einſt Worhandenen und Geſchehe⸗ 


nen bildet, an welchem Begriffe und Borftellungen ihre 
beflimmte Haltung finden und dann den Inhalt irgend 
einer Theologie ausmachen. Die Theologie iſt daher Lehr: 
körper der Religionsverkörperung, mündlich oder ſchriftlich 
von Geſchlecht zu Geſchlecht fortgepflanzt. 

Gemeinſchaftlich iſt der Religion und Theologie Ver⸗ 
anſchaulichung der Gottheit und Vergoͤttlichung des Men⸗ 
ſchen, Naturwerdung der Gottheit und Vergoͤttlichung 
der Natur. Wird Eine ſolcher Richtungen im Lauf 
der Zeiten ſehr uͤberwiegend, ſo entſpringt aus der Grund⸗ 
lage aller Religion im menſchlichen Bewußtſein das Be⸗ 
dürfniß, die Gottheit als goͤttlich, die Menſchheit ale 
menſchlich, die Natur als natuͤrlich einander gegenuͤber⸗ 
ſtehend wiederherzuſtellen. Die Herſtellung geſchah und 
geſchieht im verſchiedenen Anfägen bei griechiſchen Philo⸗ 
ſophen und jüdifchen Propheten, bei Katholiken und Pro: 
teftanten, bei den Philofophen unſerer Zage und ihren 
chriftlihen Gegnern. 

Vielleicht laͤßt fih das Allgemeinfte der Religiondge: 
fhichte und ihrer Theologie folgendergeſtalt am beiten 
ausdrüden: „Jede DBerleiblihung fodert ale ihre Ergaͤn⸗ 
zung bie Bergeiitigung, und umgekehrt diefe fodert jene.” 

(Die Bortfegung folgt.) 


Notizen Uber das ee Schulwefen in 
reich. 

Ze feltener unfere preußiſchen Gymnaſialprogramme Auffäße 
von allgemeinerm Intereſſe bringen, befto angenehmer über: 
raſcht eine Mittheilung über das oͤſtreichiſche Schulweſen, welche 
in dem zuliegt erfchienenen Programm des Tönigsberger Frie⸗ 
drichscollegiums enthalten ifl.”) Der Verf. berfeiben, Br. Dr. 
Lewis, batte im vorigen Jahre auf einer Reife duch Oftreid 
Gelegenheit, einige Schulanftalten Wiens aus eigener Anfchauung 
tennen zu lernen, und was er uns in dem gedachten Programm 
über biefe eigenthümtiche, von ber unferigen ganz abmweichenbe 
Unterrichtsorganifation berichtet, ift ein fehr dankenswerther Bei: 
trag gu Charakteriſtik der öftreihifchen Nationalbildung. 

in Auszug aus den gegenwärtig gültigen, im Jahr 1820 
erlaffenen Verordnungen über die Verfaffung der dortigen Gym⸗ 
naften dürfte vorzüglich geeignet fein, bie Einrichtung dieſer An⸗ 
ftatten kennen zu lernen. Zur Beförderung der Religioſitaͤt ift 


2) Giner Rechtfertigung, daß Dr. Lewis keine „gelehrte Abs 
danblung” geliefert, hätte es nicht beburft; doch find bie Worte, 
mit denen er fi hierüber ausſpricht, fo treffend und beherzigens⸗ 
werth, daß mir nicht umbin können, fie bier wiederzugeben: „Sollte 
Diefe Befchaffenheit des Programme in etwas von ber bergebratten 
Sitte abweichen, fo kann ich fie doch nicht für verwerflich halten. 
Woher kommt ed, daß die oft (?) fo werthvollen Abhandlungen ber 
Programme meiftend wie ein todter Schas in ben Schulbibliothelen 
vergraben liegen? Vielleicht wird es und und der Welt nicht ſcha⸗ 
den, wenn wir Schulmänner in diefer Art von Schriften und ein 
wenig mehr der lebendigen Wirklichkeit der Lebenderfheinungen,, fo 
weit fie die Schule angeben, anzuſchließen fuchten. Do man außers 
dem im übrigen Deutfhland, und bei und zumal, von dem Öftrels 
qhiſchen Schulleben fo gut wie gar nichts Specielles zu willen fcheint, 
fo fürdte ich nicht, Eulen nach Athen zu tragen x.” 


verordnet, daß ber Religionsiehrer tägliche, monatliche und halbe 
jährliche Prüfungen anguftellen hat, Und bag Fein Schüler in 
eine höhere Claſſe verfegt werden darf, wenn er nicht von dem 
Religiondiehrer die erfle Genfurnummer beibringt. ( Diefetbe 
Einrichtung beſteht feit einigen Jahren auch in Baiern; baf 
man in Preußen etwas Ähnliches beabfichtige, muß als ein leer 
res Gerücht bezeichnet werden.) Grhält ein Schüler ber zweiten 
$umanitätsclaffe (d.h. Prima) im zweiten Semeſter des Schul⸗ 
jahrs eine nachtheilige Sittencenfur, fo hat dies bie Wirkung, 
daß er weber bei berfelben Anftalt bleiben noch bei einer andern 
aufgenommen werben darf. „Alle Gymnaflaften (bier Studi— 
rende genannt) müffen auch an den Recreationstagen ber heil. 
Meffe in der Anftait beimopnen. Bei der Gtafiificirung (Gen« 
furertheitung), vorzüglich bei den Sitten, ift auf die Erfceis 
nung Rudfict zu nehmen.” (Wir müffen annehmen, daß biers 
mit das Erſcheinen bei der Heil. Meffe gemeint fei.) Die Gyms 
nafialjugend iſt verbunden, fünf Mat des Jahres zur Beichte 
und Sommunion zu gehen, und hat ſich darüber bei dem Praͤ⸗ 
fecten (Director) mit einem Beichtzettel auszuweiſen. 

‚„ So weit die Borfchriften zur Beförderung der Religioſitaͤt; 
nicht minber gemeflen find die Anordnungen zur Aufrechthaltung 
der Disciplin. Der 5 30 befagt: Am Ende jedes Schuljahres 


muß Gr. kaiſerl. Majeftät felbft von allen aus dem legten Gym⸗ 


naſialjahr ausgetretenen Schülern ein Verzeichniß vorgelegt were 
ben, das eines Jeden Betragen, Verwendung und Fortgang 
durch die ganze Zeit feiner Gymnaſialſtudien barlegt. $ 32. 
Körperliche Strafen find von den Gymnaſien ſchlechterdings ent= 
fernt zu halten. 5 34. Der Unfleiß hat I) Ermahnung, 2) 
Erinnerung an bie Altern, 3) Zurüdfegung, 4) Ausfchließung 
vom Gymnafium als Strafe zur Folge. Auf moraliſche Fehler 
bat im Wiederholungsfalle Arreſt einzutreten, der jedoch nicht 
über 24 Stunden dauern und nur ein Mai angewendet werden 
darf; beim zweiten Fall tritt Excluſion ein. 


Was die Anordnung des Unterrichts ſowie bie auf. die 
Schule und die haͤuslichen Arbeiten zu verwendende Zeit betrifft, 
fo würde Dr. Lorinſer ſchwerlich in Öſtreich Stoff zu jenen 
Beſchwerden gefunden haben, mit denen er vor mehren Jahren 
gegen die preußifchen Gymnaſien auftrat. Die letztern haben 
woͤchentlich 30 — 32 Lehrftunden, bie häuslichen Arbeiten ber 
Schüler in den obern Glaffen betragen nach einer billigen Schaͤ⸗ 
dung ebenfo viel Zeit, während auf den Öftreichifchen Gymna⸗ 
fien täglich nur zwei Vor⸗ und zwei Nachmittagftunden gegeben 
werben, wobei am Dienftag der Nachmittag unb der Donner: 
flag ganz ausfällt, fobaß alfo die Ginmnaflaften wöchentlich nur 
18 Unterrichtöftunden und dabei fehr wenig häusliche Arbeiten 
haben; diefe befchränten fi auf Wiederholung des Vorgetrage⸗ 
nen und Erlernung bes Aufgegebenen; unfere fchriftiichen Ars 
beiten und freien Xufläge fehlen ganz, dba dergleichen nur in 
der Claſſe angefertigt werben. 

Die Unterrichtegegenftände, bie bei uns in den obern Claſ⸗ 
fen aus Latein, Griehifh, Hebraͤiſch, Deutfh, Franzoͤſiſch, 
Religion, philofophifcher Propädeutit, Geographie, Gefchichte, 
Mathematik, Phyſik, Raturbefchreitung, Seichnen und @efang 
befteben,, rebuciren fi in den oͤſtreichiſchen Gymnaſien auf Bas 
tein, Griechiſch, Rechnen und Mathefis, Geographie, Geſchichte 
und Religion. In Betreff der alten Sprachen werden in als 
len Staffen beſtimmte, durch das Reglement feftgefegte Chreſto⸗ 
mathien, niemals die Ausgaben der alten Autoren ſelbſt ge⸗ 
braucht. Im Griechiſchen ſind die Tragiker und Redner ſowie 
Plato ausgefchloffen. 

Eine merkwuͤrdige Stelle aus der Schulverordnung iſt fol⸗ 
gende: „Judenkinder, welche ein Gymnaſium befucdhen wollen, 
müffen mit einer fchriftlichen Erlaubniß der Landesregierung 
verfehen fein.” 

Wie hoch die Lehrer im Gehalt ftehen, ift nicht geſagt; 
wahrfcheintich find die Beſoldungen nicht bedeutend; body finder 
bier eine Einrichtung ftatt, welche bie wohlwollende Fürforge 
ber Regierung beweiſt. Es wirb naͤmlich allen aus Öffentlichen 
Bonds befoldeten Gymnaſiallehrern nach jedem zur Zufriedenheit 





ten Desennium im Lehramt ihr Gehalt um ein Deit⸗ 
del deſſelben vermehrt. Nach dreißigjaͤhriger Amteverwaltung 
bekommen fie ihr volles, durch bie Zulagen geſteigertes Gehalt 
is Penfion. (In Preußen haben bie Lehrer bis jett noch keine 
Penfionsberechtigung, doch wurden diefeiben in ihrem Alter durch 
die Ednigliche Gnade größtentheild To verforgt, wie es bei bes. 
Schwierigkoit des Berufs und ber ſchneller als bei andern Ams 
tesn eintretenden Abnutzung ihrer Kräfte billig ifl; der vor etwa 
zwei Jahren verfoßte Entwurf zu einem Penfionsreglement für 
Scheer an hoͤhern Schulanſtalten ift bis jegt noch nicht realis 
firt worden; bie Beflimmungen bed Entwurfs find von der Art, 
daß dadurch vielen Lehrern nur kuͤmmerliche Ausfichten für ihre 
Isäten Lebenstage eröffnet werben. ¶ Vol. Ar. 178 6.81. f. 1842.) 

Die Art, wie der Geift der Jugend auf den oͤſtreichiſchen 
®omnaflen ausgebildet wirb, iſt zum Iheil aus den obigen No⸗ 
tigen zu erfehen; einen tiefern Einblick in das dortige Lehrver⸗ 
fahren würde Dr. Dr. Lewig gewonnen haben, wenn er einigen 
Anterrichtöftunden in verfchiedenen Claſſen hätte beiwohnen duͤr⸗ 
fen; fein besfalfiger Wunfch blieb jedoch unerfuͤllt. Dagegen. 
wurbe ex eingeladen, eine Prüfung anzuhören, bie im SBeifein 
nes Bicedirectors in ber vierten Srammaticalclaffe (Iertia nach 
unferes Zerminotagte) gehalten werben follte. „Dergleichen Pruͤ⸗ 
fungen“, berichtet Sr. Dr. L., „finden regelmäßig alle Monat 
ſtatt und find duschaus nur psivatim, von dem Lehrer der Claſſe 
allein in Gegenwart des Präferten abgehalten. Überhaupt habe 
ich von einer Öffentlichen Prüfung der Schuͤler, wie fie bei und 
jährlich ſtattzuſinden pflegt, nichts gehört, noch im Reglement 
darüber etwas fellgefegt gefunden. Jene Prüfung begann um 
8 Uhr, nachdem die Schüler aus der Kirche in ihre Glafle zus 
rüdgelommen waren, und dauerte (eine Stunde über bie gewöhns 
liche Schulzeit) bie li uhr. Der Gegenſtaͤnde waren brei: Bas 
teinifch, Griechiſch und Welchichte, von denen ber erſte zwei 
Stunden, die beiden andern zufammen die übrige Zeit einnah⸗ 
men. Die Claſſe zählte einige und 90 Schuͤler, anſcheinend 
wiſchen 14 und 17 Zahren. Der Praͤfect rief nach feinem 
—8 die Schuͤler auf, etwa zu ſechs jedesmal, von ver⸗ 
ſchiedenen Baͤnken, die ſich alsdann vor dem Katheder aufſtell⸗ 
den. Der Profeſſor ſtellte aber die Fragen, oder vielmehr die 
Yufgaben on bie Schüler. Denn Fragen konnte man es eigent⸗ 
lich nicht nennen, da nur die Stelle bes Autors beflimmt wurbe 
und bes Schuͤler alsdann einen zufammenhängenden, buch Fra⸗ 
gen nicht ‚unterbrochenen Vortrag hielt. Das Lateinifche be 
and im überſetzen ber beiden erſten Horazifchen Epoden: Bea- 
tus ille qui procul etc, und Ibis Liburnis inter alta navium 
etc., die ziemlich gegen das Ende der in ber Claſſe gebrauchten 
Shreftomathie fanden. Diefe enthielt von Horaz nur biefe beis 
den Gedichte, vorher außerdem Afopifche Kabeln von Phaͤdrus, 
kann: Viele aus Geneca (5.8. Ad Marciam consolatio), Bruch⸗ 
ftüdle aus Sueton und Zacitus, von Gicero einige Reben und 
Stellen aus ben philofophifcken Schriften. Der Schüler über: 
fegte zuerſt die Epoden, nicht gerade wortgetreu, aber fehr flie- 
Bend in Profa. Es verftebt fi, daß man bier nur das Hoch⸗ 
deutſche zu hören bekam, obwol ich außerhalb der Schutz junge 
Leute ihr gutes Wieneriſch babe fprechen hören. „Nunc versi- 
bus exponas”, fagte der Lehrer, worauf ber Schüler biefelbe 
Gtelle fehe fließend im beutfchen jambifchen Verfen herfagte, bie 
ganz erträglich waren. Ich habe Urſache, zu zweifeln, daß un: 
fere Schüler aus dem Stegreif dergleichen machen £önnen. Dann 
folgte ein Sommentar ber überfesten Stelle, ber ausfchließlich 
in Angabe von Synonymen ber vortommenden Wörter, in gries 
chiſchen Etymologien und Loteinifchen Parallelftellen beftand und 
recht geläufig in Lateinifcher Sprache bergefagt wurde. Die 
Stellen waren meift aus Cicero, einige aus Sucton, meiftens 
recht paflend, und wurden in extenso fehr geläufig gefprochen. 
Grammatifche Bemerkungen über GSonftructionen ober Erlaͤu⸗ 
terungen bes Sinnes und der Sachverhäitniffe, wozu ſowol bei 
den Gedichten als bei den angeführten Stellen recht wohl Ge⸗ 


surüdkgeleg 


legenheit war, habe ich nicht gehört , außer daß zu ber zweiten ' 


Spare kemenkt wurde, Por Tmmele bien Ironie, Ka 
ons den letzten Zeilen gegen bem. 9 Afius ergebe. 
kam auch vor, daß ein te eine Thon dageweſene Bemeg; 
fung eines bern ganz mit denfeiben Worten und benfelben 
Gutäuterungen wiebecholte, wenn die elle durch das Borkom⸗ 
men beflelben WVortes dazu Anlaß gab. Das Base ber lateiai⸗ 
fgen Prüfung vertheilte fi auf etmg 12 — 125 aufgerufem 
Schüler, während. beffen an die andern, nicht aufgerufenen Beine 
Frage außer ber Reihe gerichtet wurde. Doch Yasen alle fi 
und ſchienen aufmerffam, obwol ich nach gemadyter Erfahrung 
nicht dafür einftehen moͤchte, daß fle währen» biefer zwei Ocuas 
den alle gerade an nichte Anderes als am bie Hovaziſchen Cine 
den gedacht haben werben. Dann. fam bas Griechiſche. Die 
Shreftomathie enthält Auszüge aus den Gnomendichtern, viele 
Aopifihe Fabeln, Siniges aus Xenophon, zulegt auf etwa 8 
Seiten eine kurze Grammatik. Drei Aſopiſche Fabeln wurben 
von etwa acht Schuͤlern erponirt, in derfeiben Art wie Das 
Lateiniſche, nur daß bier der Commentar vorzüglich in der Ente 
widelung der Declinationes und Gonjugationeformen beftan, 
die meiftens geläufig und richtig gewußt wurden. Zulegt Fam 
die Gefchichte an die Reihe und auch hier rief der Vicedirector 
etwa ſechs Schuͤler hervor, ſodaß im Ganzen etwa em Dritte 
ber anweſenden wöährenb der ganzen Praͤfung zum Antworten 


oder vielmehr zum Vortrag kam. Denn auch in der Gefchickte 


fragte der Profeffor nicht, fondern gab nur die. Begenftände an, 
worüber die Schüler alsdann zufammenhängende Vorträge hiel⸗ 
ten. Es war bie norbifche Gefchichte von ber Kalmariſchen 
Union bis zum Frieden von Diiva, unb es Sam in ber That 
eine überaus große Wenge von Thatſachen, Ramen usb Zah: 
reszahlen vor, bie nach der Individualität des Schülers in ei⸗ 
nem mehr oder minder geläufigen Vortrage ohne Unterbrechung 
abgehandelt wurden. Kreusfragen über das Verſtaͤndniß oder 
Ertäuterungen des innern Sufammenhages kamen nicht vor und 
auch von den figenden Schülern wurde feiner gefragt, wozu 
aber freilih, fo wenig als bei ben vorigen Gegenfländen , Eein 
Anlaß war, ba die aufgerufenen ihrer Sache vollkommen Berr 
waren. Ob unfere Abiturienten dies teilten önnen?“ u 
Eingedenk der freundlichen Suvorlommenpeit, welche ihm 

bon den Lehrern jener Anflalt zu Theil geworben, hält ſich Hr. 

Dr. Lewis als Berichterftatter in discreten Scranten und meie 
det alle ſcharfen und verlegenben Urtheile. Über die erwähnte 
Prüfung äußert ee nur: „Sol ih den Eindruck ausfpreden, 
den das Ganze auf mid; gemacht hat, fo muß ich fagen, daß 
zwar eine ziemliche Summe von Kenntniffen mit Geläufigkeit . 
gewußt und wohl eingeübt ſich zu erkennen gab, daß aber ber 
Geift bei diefer Art des faft ganz auf das Gedaͤchtniß gegrün: 
deten Unterrihtd mir wenig gewedt und genährt zu werden 
ſchien.“ Wir aber wollen ganz offen ben Wunſch ausfpre 
hen, daß niemals biefe Grundfäge der Jugenderziehung weder 
in religidfer noch in wiſſenſchaftlicher Hinſicht bei uns aud nur 
annaͤherungsweiſe einheimifch werden mögen. Dreffur if keine 
Bildung ; planmäßige Einſchnuͤrung des menſchlichen Geiftes iſt 


‚ Unnatur; todter Mechanismus wird früher oder fpäter in Truͤm⸗ 


mer zerfallen, denn nur bie lebendige Kraft des Geiftes bat ein 
Anrecht auf Beſtand und Dauer. 28. 





Literariſche Anzeige. 
Von F. A. Brockhaus in Leipzi 
—E— zu ne in Leipzig if durch alle 


Über dad Verhältniß des Staats 
Rheinifchen Eifenbabn- Gefelfaft. 


Zur Beleuchtung einer Hanfemann'fhen Denkſchrift 
über diefen Gegenſtand. 


Gr. 8. Geh 4 Mer. 





Berantwortlider Deraudgeber: Drinrih Brodhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhauß in Leip B18- 





P4 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 


—— Kr. 119. — 


29. April 1848. 





Religion, Theologie und Philofophie. 
Eine Trias. 
(Bortfegung aus Nr, 118.) 
II. 
Die Grundlagen bes Chriſtenthums find einfach und 
in Beziehung auf bie urfprünglie Unbeflimmtheit ber 


Religion im menſchlichen Bewußtfein allerdings eine Ber: 


felbtihung, aber im Bergteih mit andern Religionen 
und fpäterer chriftlicher Theologie eine geringe, nur gleich⸗ 
fam in Anlage gegebene unvollendete, der Vergeiſtigung 
fiets bewußte und fi ihr hingebende, wodurch eben ver: 
fchiedene Auffaflungen der chriftlihen Theologie felber 
und einer mit ihr verfchwifterten Philoſophie herbeige⸗ 
führt wurden. 

Wir finden einen der heidnifchen Wielgötterei entge: 
gengefegten Monotheismus, wie im Judenthum, zugleich 
einen vom Groben und Unwürdigen in beiden gereinigten 
Anthropomorphismus. Die Gottheit iſt perfönliches We: 
fen, erfennend, wollend, nach Zwecken wirkend, mit unbe: 
ſchraͤnkter Macht, Weisheit und Güte. Vorſtellung eines 
menfchlichen Leibes iſt ausgeſchloſſen, auch die ganze fidht: 
bare Natur iſt nicht der Leib, fondern die Schöpfung 
Sottes, der Schöpfer tft Geiſt, über Körperlichkeit erha⸗ 
ben, allenthalben gegenwärtig, ohne Bedingungen ber Zeit 
and des Raumes; feine Vorfehung fi erfiredend über 
das Ganze und Einzelne der gefchaffenen Welt; nichts 
gefchieht, entfleht und vergeht ohne Gottes Willen. Über 
das Wie der Schöpfung fehlt nähere Angabe, ebenfo 
über die Art und Welfe der weltregierenden Vorfehung. 
Die gefchaffenen Menſchen find gottaͤhnlich, perfönlich 
wirken» in befchränktem Maß, leiblich febend, unvollkom⸗ 
mene geiftige Weſen unter dem Walten und der Kügung 
des hoͤchſten volllommenften Geiſtes. Es bedarf für die⸗ 
ſes Berhältniß keiner Bundeslade, keines Tempels, keines 
Levitenſtamms, Feiner aus der Vorzeit ſtammenden heili⸗ 
gen Selerlichleiten und Gebräuche, die Gedanken der Men⸗ 
fchen erheben ſich unmittelbar zu Gott dem Unfihtbaren, 
wie Gedanken der Kinder zum- fichtbaren Vater. 

Uber es fehlen nicht göttliche Gefandten und Wun⸗ 
der: Mofes, die juͤdiſchen Propheten und im hoͤchſten 
Sinne Chriftus, als Vollender göttlicher Offenbarungen. 
Dia ſchließt ſich die chriftliche Überzeugung von Gott, 
VBorfehung, vom Auffhwunge menfchlicher Gedanken, 


menfchlichen Vertrauens und menfchlicher Hoffnung. Das 
Unmittelbare derfelben erhält hlerdurch biftorifche Vermit⸗ 
tefung, an beren Pörperlicher Gegenwart der endliche Men: 
ſchengeiſt feiner Beziehung zum unendlichen Schöpfer und 
Vater des Menfchengefchlehts vollkommen bewußt unb 
fiher wird. Geremonialgefeg, Prieſterthum, Tempeldlenſt 
verlieren hierfür ihren unerlaßlichen Einfluß, gelten nur als 
Vorbilder, und außer den einfachften theiftifchen Grundlagen 
ift eine weiter ausgeführte theologifche Lehre nicht erkenndar. 

Hierdurch ſtellt fi das Chriſtenthum gegen die Ver: 
lefblichungen des Judenthums wie des Heidenthums als 
eine Bergeiftigung, und wenn jene als etwas Bindendes, 
und die leßtere als etwas Freies betrachtet werben koͤn⸗ 
nen, gefchieht ein Übergang von Knechtfchaft zur Freiheit, 
wie ihn der Npoftel Paulus auffaßt. Inzwiſchen iſt das 
Menſchengeſchlecht fündig und bedarf der Gnade, naͤm⸗ 
lich einer MWieberherftellung des geftdrten Verhaͤltniſſes 
zu Gott, dem Gerechten und Aligltigen. Dafür wird 
das Evangelium der Buße und Sündenvergebung vers 
kündigt. Zuverſicht auf biefe Verkündigung, entfchiedener 
Glaube an Gottes Gnade und Erbarmung ift das eigen: 
thuͤmlich Chrifttiche, in folcher einfachen Weiſe auch nicht 
dem Judenthum eigen. Werbindung dieſes Glaubens 
mit dem Tode Jeſu iſt ein Späteres, vor dem Eintre⸗ 
ten des Todes im Gemüthe Derer, die Chrifto nachfolg⸗ 
ten, nicht Oegenwärtiges, und man möchte darin eine 
Vorftellungsverleiblihung des Gedankens der Suͤnden⸗ 
vergebung bezüglich auf heidnifhe und juͤdiſche Opfer 
erkennen. Das Reid, Gottes, als Erbtheil ber Glaͤubi⸗ 
gen, tft eine Ausweitung des Begriffs vom Volk Gottes, 
bem ber Nachkomme Abraham's durch feine Geburt an: 
gehörte, es iſt ein unfichtbares Reich, im Unterfchlede von 
dem fichtbaren jädifchen. 

Unfterblichkeit, und zwar perſoͤnliche Fortdauer nach 
dem leiblichen Tode, findet Sinnenbewährung in der Auf: 
erftehung bes Hellandes, dem Schlußwunder "der Übrigen 
Wunder, und gewinnt bann das Vorftellungsbild kuͤnf⸗ 
tiger allgemeiner Auferfiehung ber Todten fammt einem 
jüngften Gericht. Unbeflimmt bieiben bie Zeit, die Art 
und Weiſe eines neuen leiblichen Daſeins für den unfterb: 
lichen Geiſt, der Begrabenen Zuftand bis zur Erweckung, 
das ewige Leben und deffen Freuden oder Leiden. Him⸗ 
mel und Hölle find Namen für den Gedanken der Ver⸗ 


874 


geltung des Guten und Boͤſen, im Zufammenhange mit 
dem irdifchen Leben, feiner Sünbigkeit und ber in Chriflo 
verfündigten Erloͤſung. 

Bezeihnet man den unbeflimmten Inhalt des velis 
giöfen Berußtfeind als eine irgendwelche lÜberzeugung 
son Gott, Frelheit und Unfterblichkeit, To mird fie in jede 
weder Religion angetroffen werden muͤſſen, und ſelbſt ihre 
Verneinung fieht zuruͤck auf eine ihr vorhergehende Be⸗ 
jahung. Die legtere fegt dann ein Höheres als der Menſch 
oder Allerhoͤchſtes, perfönlich oder nicht perſoͤnlich, menſch⸗ 
liche Handlungen felbftändig oder unfelbftändig, künftigen 
Zuftand mit perſoͤnlichem Bewußtſein oder ohne daffelbe. 
Das Chriſtenthum bat nähere Bellimmungen, nämlich 
anthropomorphiftifhe Perſoͤnlichkeit Gottes, Selbſtaͤndig⸗ 
Belt des menſchlichen Thun⸗ 
Böfes und den Willen Gottes, perſoͤnlich bewußte Font: 
dauer und deren Seligkeit ober Unfeligleit. Deswegen 
AR die bloße Anerkennung eines Goͤttlichen, mienfchlicher 


Freiheit und Unſſterblichkeit nicht Daſſelbe mit chriſtlichem 


Glauben ; denn der letztere bat mehr Verleiblichung, weiche 
sm dem hiſtoriſchen Ereigaifſſe, dem Leben und Tode des 


’ Ya der geſammten Gefchichte des Chriſtenthums iſt nun 
wine fortgehende Verleiblichung erbennbar, theils im 


B, 
heile in finnlichen Vorſtellungen, und e6 konnte der Geiſt das 


duech zu Zeiten fo ſtark aͤberwachſen werden, um ihn felber 
wulenmtlich zu machen. Gleich in den erſten Jahrhun⸗ 
deeten mühte fich die Gnoſis um ein mäheres Verſtaͤnd⸗ 
ai der Schöpfung, verfolgte Die Begriffe des Logos, bes 
Memiurg, drachte damit die Perföntichkeit Ehriſti in Ver⸗ 
dandung, ſuchte dieſe zu beſtimmen und zu entraͤthſeln 
in Bezug auf Dreieinigkeit; «6 bildete ſich ein Lehrkoͤrpor 


der Thedlogie und zugleich ein prieſtetlicher Stand, das 


fen Weihe dem Glaͤubigen Suͤndenvergebung eraheilte, 
46 ſpaͤter das Reich Gottes umter Leitung bes Nachfoi⸗ 
gers Petri zur vollen Sinnenwirklichkeit gedieh. Beſon⸗ 
Sm Anlaß zur Verhoͤrperung gab ber Tod des Heilan⸗ 
des, ſchon von den Apoſſein in Beziehung zu den Opfers 
wuderer Religionen gaſtellt, von ben Scholaſtikern als 
Ohne göttlichen Strafgorechtigkeit nothwendig erfunden, 
un als dargebrachtes Pfand der Erlöfung bush +in 
thglied Wunder der Meſſe den Kirchengliedern vorgegen⸗ 
waͤttigt und an bie Sacramente ber Taufe md des 
Abendmahis gaſchleiſen. Daß die Sacramente ſich mehr⸗ 
ven, war ein Vortheil der Kirchenglieder; daß die Feom⸗ 
men dadurch kuͤnftige Seligkeit erwerben, war eine na⸗ 
shrlihe Folge; daß ihre Fuͤrbitte bei Gott nicht ohne 
Bedeutung fei, war bem Leben im Himmel angemeſſen; 
Daß bis zur Auferſtehung der Todten unb dem juͤngſten 
Garicht sin Mittelzuſtand für die Geſtorbenen eintzete, 
in welchem die Reinigung der Berfchuideten durch Pein 
umd Buße geſchehen Binne, war eine Ergaͤnzung bar 
chriſtuchen Unfterbligleinsicehue; daß bie Kirche, als irdi⸗ 
ſche Reinigungsanſtalt, hierauf manchen Einfug aushbe 
war jedem Gorglichen erwänfht; daß ſolche Hülfe dur 

Darbringung irdiſcher Guͤter erkauft werden Sinne, war 


in Bezug auf Gutes und 


Heitandes, feinen Wundern und feiner Auferſtehung ſich 
nichießt 





dann bie volifte Verleiblihhung des Gedankens. Immer 
zeigt fi ein Fortgang vom Unbeflimmten zum Beflimm- 
tern, ſowol in Begriffen als in Vorflelungen, man dürfte 
fagen, eine Ausmalung der Begriffe und Vorſtellungen, 
wovon jene vorzuͤglich ben dogmatiſchen Theolagen, did 
dem Volk amgebörte und beide einen wechlelfeidigen Ein 
fluß aufeinartder außübten. 

Wenn das Ganze des katholiſchen Chriſtenthums, ein 
Wert von Jahrhunderten, geftügt auf Kirchenautorität, 

206 e6, geiſtvollen 
Männern zu leiblich erfchien, wenn fie nachtheilige Kolgen Für 
Sittlichkett und Frömmigkeit im Ablaßhandel, Bögenbienft in 
Verehrung der Deiligenbilber, Sesifche in ben Religuien, In⸗ 
denthum in der Priefterfchaft und dem Meßopfer erfann: 
ten, wenn fein ber Schrift Seine zureichende Bewährung 
für dergleichen Bereicherungen fanden: fo mußte ihr Be 
ftreben auf Entleiblichung ber chriftlichen Religion, auf 
Rüdführung zur urfprünglicyen Geiftigkeit gerichtet fein. 
Concilien hatten dies nicht gethan, fie waren in bee ein: 
geſchlagenen Richtung fortgegangen, hatten bei Streitig 
keiten über dogmatifche Beftimmtheiten und Ausmalus 
gen der Vorflellung für irgend eine Partei entfchieben. 
Jene Erkenntniß foderte Reformation, ein Concilium ge: 
gen ältere Goncilien, berief ſich wider Kirchenautorität 
auf die Autorität der heiligen Schrift, Geſchichte und Lehre 
gegen Geſchichte und Lehre ſtellend, bie frichene gegen die 
fpätere. Allein vollkommene Entleiblihung der Religion 
Eonnte nicht gewollt fein, fie war ja nicht vorhanden im 
der evangelifchen Geſchichte, das Chriflenthbum war Theis⸗ 
mus, mar Evangelium ber Suͤndenvergebung durch 
Chriſtum, der am Kreuze Tach, mar beflätigt durch 
Wunder, Doffnung ber Unſtorblichkeit Auch den Auf⸗ 
erftandenen. 

So fans denn im Proteflautismus eine Wergeiftigung 
des Chriſtenthums zu Stande nad) dem Maßſtabe feines 
Urſprungs, die ein KRüdfpsung fein folte in Die reine 
Dfienbarung. Es verſchwand dabei römifche Hierarchie, 
Priefterfhaft, fichtbere feligmachende Kirdye, Meſſe, ver 
geößerte Zahl der Sacramente, Anrufung ber Jungftan 
Maria und der Delligen, Fegefeuer mit allen darauf be 
halihen Lehren und Gebraͤuchen. Selbſt die Kinfier: 
inflitute, ber Coͤlibat, als Mittel irdifch anzugersinmenber 
Heiligkeit und Geiſtigkeit, murden abgefchafft,. indem ein 
Zwang ber Gelübde und ſtrenger Enthaltſamkeit ber 
freien Vergeiſtigung unangemeſſen ſchien und eben bu 
durch zur chriſtlichen Unnatur, Deuchelei und Merdarbens 
heit bes Kivchenzuflandes beigetragen haben mochte. Nur 
aus dem Halten am Wort Gottes, aus feiner belebenden 
Kraft, wie zur Zeit apaſtoliſcher Verkündigung, follte be 
Brit geboren werben. 

Gleichwol hieb den Reformatoren cin Lehrkaͤrper da 
Theologie unemtbehrlich, eine Confeſſion im Gegenſet zu 
Kirchenlehre, deren Chriſtlichkeit durch Ausfpehibe der 
Schrift gerechtfertigt werben mußte. Es eigneten fi das 
für zugleich die Begriffsbeſtimmungen ber exflen Jahe 
hunderte beſſer als die der ſpaͤtarn, und vos allen Jalde, 
weiche ben Anftöpigkeiten bes Lerheiifhen Kirchenchnutd 





1) 


um wenigſten Borſchub gaben, namentlich die Auguſtini⸗ 
ſche Rechtfertigung durch bin Slauben, nicht durch gute 
Werke. Weit indeſſen die Verleiblichung in Begriffen 
und Vorftelungen naturgemäß zunimmt im Lauf der 
Zeit, aus welchem Wachsthum ja die Lehre des Katholi- 
eiomus hervorgegangen, fo konnte auch der proteſtanti⸗ 
ſchen Dogmatik eine genauere Begriffsbefiimmung nicht 
fehlen, und bei den darüber erwachſenden Streitigkeiten 
mußten wegen Mangel entfcheibender Eoncifien oder Päpfte 
Goncordienformeln und fonflige Vorkommniſſe aushelfen. 
Ein Zerfallen in einzeine Sekten war dabei unvermeidlich, 
auch biieb die flete Moͤglichkeit, in Hetzereien früherer 
Jahrhunderte oder auch in die Bahn der roͤmiſchen Kirs 
chentheologie zu gerathen und Brundfäge der erſten Res 
formatoren aufzugeben. Das gemeinſchaftlich aner⸗ 
kannte Schriftwort konnte wegen verſchiedener Auslegung 
deſſelben keine Lehrvereinigung bewirken, und je ſcholaſti⸗ 
ſcher und feiner die dogmatifchen Begriffe ich geſtalteten, 
defto weniger unwiderſprechlichen Zuſammenhang Hatten 
fie mit den undeſtimmtern Äußerungen der Bibel. 

Mit Recht betrachter ſich bes Proteſtantismus als 
eine Bergeifiigung des Chriſtenthums im Vechaͤltniß zum 
Karholicienmms, der letztere Dagegen beruft ſich mit Recht auf 
das ununterbrochen Überkieferte feiner Verleiblichung, ohne 
weiches keine Einfoͤrmigkeit der Theologie zu gewinnen, 
und daß die Proteßanten felbes ja nicht letberfuei waͤ⸗ 
sen, es fi alſo eigentlich darum handeie, in weichem 
Leibe der Geiſt am beflen wohne. Wollte man fagen, 
der Geiſt wohne in jedem Leibe gleich gut, fo ſchwaͤtht 
Dies die Bedeutſamkeit der Theologie, mas Theologen 
ſchwerlich einräumen, und wenn Myſtiker wol weine Vers 
geiſtigung anflrebten, shasen fie es bdennoch nicht ohne 
monde aus chriftticher Theologie ftammende Begriffe und 
Vorſtellungen; volle Gleichguͤltigkeit des Leibes für den 
Beil aber ward am beſten widerlegt durch das Dafeln 
des Proteſtantiomus ſelbſt, der in herkoͤmmlichet katholi⸗ 
ſcher Kirchenlehre fo viel Anſtoͤßiges gefunden, um ſich 
von ihr zu ttennen. 

Philoſophie, als Begriffswirthſchaft und deren Haus⸗ 
baltungslehre, wußte bei aller dogmatifchen Ausbildung 
des Chriftenthums (feiner Begriffsverleiblichung) in Ge: 
beaud kommen. Schlechthin abweifen läßt fie fih nicht, 
«6 fei denn, daß Alles unbeſtimmt bleibe; Darum ent: 
ſteht — wie für das im Vewußtſein Gegebene der Res 
ligion Religionsphiloſophie — fo für das Gegebene des 
Ehriſtenthums qhriſttiche Philofophie. Da jene auch den 
Helden nicht fehlte, fonnte Heidniſches und Chriſtliches 
zufammenwachfen, und mir fehen auf folhe Weife Pia: 
toniſche Lehren in die Dogmatik der Kirchenväter überge: 
ben. Berſchteden indeß find Heidniſches umd Chriſtliches; 
denn die Heiden entſagten nicht immer Ihrer polytheiſti⸗ 
ſche Verleiblichung, bie Chriften Hielten an ihrer mono: 
theiſtiſchen Offenbarung dusch Chriſtum, an evangelifcher 
Geſchichte und deren Wundern. Die Philofophie daher 
Für fidy ſelber iſt weder heidniſch noch chriſtlich, fie ver: 
kehet in religioͤſen NBegriffebefliammunges unb wird nur 
daB Eine oder Andere, je nachdem fie abiehm oder aufs 


nimmt. Spätere heidnifche Phäleſephen nahmen wehr 
aus der Bieigoͤtterei als Plats und Ariſtoteles, auch 
cheiſtliche Philoſophen blieben in ihrer Aufnahme nicht 
einig. Die Scholaſtik des Mittelalters nahm die chrift⸗ 
lich⸗philoſophiſch unter überwachender Autorität feflgebik 
dete Kirchenlehre und dıbte fich mit Arifotelifcher Bes 
griffswirthſchaft an nähern Begriffsbeſtimmungen des ans 
noch Unbeſtimmten, oft Beifall, oft Widerfpruch, Ruhm 
der Rechtglaubigkeit oder Ketzerei gewinnend. 

Nach dem 15. und 16. Jahrhundert ſank Scholaſtit 
und ward dekaͤmpft, zur Aufnahme fuͤr chriſtliche Philo⸗ 
ſophie bot ſich außer dem Katholiſchen auch das Prote⸗ 
ſtantiſche, und letzteres erhielt in den Streitigkeiten der 
Theologen manche ſcholaſtiſche Geſtaltung. Die Philoſo⸗ 
phie aber wollte ſich frei bewegen, ihren eigenen Leib ſchaf⸗ 
fen und gerieth dadurch auf bie Wege des Pantheismus 
und Naturalismus, die ſchon von den Heiden eingefchla: 
gen waren und mit dem Inhalt des Chriſtenthums in 
Begenfag flanden. Im Vergleich mit chriftlich = degmatis 
ſcher Verkörperung der Religion konnte man irgend eine 
davon umabhängige Religionsphiloſophie für Vergeiſti⸗ 
gung halten, für Idealismus gegen Realismus, nur 
nicht auf chriſtlichem Boden, fondern außerhalb dem: 
ſelben; es war keine Kicchenreformation , fondern Ableh⸗ 
nung chriſtlicher Kirchen: und Bibellehre. Wer diefes flr 
fein religiöfes Bewußtfein ungenügend fand, mochte mit 
feiner Philofophie in den Skepticismus flüchten, mit ſei⸗ 
ner Religion in den Glauben, oder er mußte ſuchen fo: 
wol das Ehriſtliche nach feiner Phitofophie zu vergeiftigen, 
ais auch das Philofophifche gemäß dem Chriſtlichen zu 
verfeiblihen, weiche Auswege und Beftrebungen in dem 
Rationalismus, Deismus, Myſticismus der neuen Zeit 
fenntlich werden. 

Dadurch find denn Gedanken von Perfectibilität des 
Ehrlſtenthums und von Toleranz zu einer gereiffen Herr 
ſchaft gelangt. Die Volklommenheit ward gefucht nicht 
in der Urfprünglichfeit evangeliſcher Verkündigung, wie 
bei den Reformatoren, fondern über diefe hinaus in phi⸗ 
lofophiſcher Begriffsvergeiſtigung und einer für das gort⸗ 
wohlgefällige Leben ausreichenden Sittenlehre, deren Bes 
beutfamteit auch die Ermahnungen des Heilandes und 
der Apofiel gewiß nahe legten. Selbſt der franzoͤſiſche 
Naturalismus war geneigt, den Werth der lehtern anzu⸗ 
erkennen, fo feindfelig er fonft gegen dogmatiſche Begriffe 
und Vorſtellungen verfuhr. Wechſelſeitige Duldung der 
Confeffionen war eine nothwendige Koderung, wenn Jeder 
des Geiſtas aller Meligion theilhaft werden konnte, ohne 
Ruͤckſicht auf deſſen Verleiblichungen unter verſchiedenen 
Voͤlkern und theologiſchen Schulen. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Halm's „Srifeldis” in engliſchem Gewanbe 
und englifhe Dramen. 

Bebanntiäh iſt Halm's „Brifadis” in ei . 

fioieten ne —X —2 6 Kr 

tun 


auf die lippeile Souenate gefpaunt; wir verumsehe 
baB bei einem —— erde einen ehaffpcare an ber Syige 


476 


ſeiner dramatiſchen Siteratur bat, ein fo weichliches Gebilde wie 
die „Griſeldis“ Seinerlei Erfolg haben könne, und unfere Ver⸗ 
muthung fcheint ſich zu beftätigen durch ein Referat, welches 
das ‚„‚Athenaeum‘” in einer feiner legten Nummern enthält. 
Der Glanz des Verfes, bie ſchoͤne lyriſche Empfindung, das 
ftellenweis ergreifende Pathos haben den britifchen Kritiker über 
die verfehlte Compoſition, über die gänzlich unpſychologiſche 
Motivirung nicht irre führen koͤnnen. Nachdem er bie Incon- 
equenzen und Unhaltbarkeiten im Gange bed Stüds und in 
er Sntwidelung der Gharaftere treffend nachgewiefen und mit 
Auszügen belegt hat, ſchließt er fein Referat mit folgenden 
Borten: „Anftatt an bes Berf. Verſuch, ein neues Motiv der 
Erzaͤhlung unterzulegen, halten wir uns licber an bie Cinfach⸗ 
beit und arößere poetilche Wahrheit der alten Sage und ziehen 
deren giüdlichern Schluß vor. Man fühlt, daß foldye unmoͤg⸗ 
lichen Prüfungen auch einen undenklichen Lohn verdienen, und 
daß, wenn ein gebrochenes Herz das einzige Ende au ſolchen 
Duldene war, es zu beflagen iſt, daß es nicht fehon früher 
brach. Wir fehen uns gezwungen, zu fagen, baß das Städ 
uns eine Grifeldis gibt, in welcher jeber eigentbümlidhe Zug 
der Sage verloren gegangen iſt. Won den andern Charakteren 
ift es unnöthig, etwas zu fagen. Hrn. Halm’s Gtit’ift an⸗ 
ſprucht voll und doch fehals auch bat er, wie man gefehen has 
ben wird, keine fo dichterifche Külle, um für den Wangel an 
Ginfachheit einen Erfag zu bieten. Die Sprache erſcheint wie 
eine Parodie jenes Gräcismus, welcher fich in Goethe's fpätern 
Stil eingefchtichen hat und in einem romantifchen Drama durch⸗ 
aus nicht am Plage iſt. Im Ganzen hätten wir mehr Berdienft 
in einem Werke zu finden gehofft, welches in Deutfchland Er: 
folg hatte, und wir müffen den Zuftand des wiener Theaters 
bebauern, wenn ſolche Neuigkeiten feine bebeutenbften find. Aber 
Hr. Halm ift ein junger und, wir bürfen hoffen, nicht ber 
befte Schriftfteller feiner Zeit.” Ja, man gebe uns großartige, 
geniale Verirrungen, aber nicht eine fo kleinliche, wie biefe 
Griſeldis“ ift, welche von einem gänzlicyen erkennen aller 
böhern dramatiſchen Gefege zeugt! Haben wir mit unferer Tin: 
diſchen Theilnahme für das Becker'ſche Rheinlied unfere kyrik vor 
den Augen bes Auslandes blosgeftellt, fo haben wir jetzt, wir 
feben «6, durch unfere Vorliebe für bie „Griſeldis auch unfere 
dramatifche Literatur im Auslande in Miscrebit gebracht. Gin 
Troſt, wenn überhaupt ein Troſt, ift nur diefer, daß die neue Mel- 
pomene Englands auf ber Trompete des Drama ebenſo klaͤg⸗ 
liche Töne bervorbringt als die deutſche. In berfelben Num⸗ 
mer bed „Athenaeum‘’ kommen mehre neue englifhe Stüde 
zur Anzeige. „Die Tragödie”, beißt es darin, „muß etwas 
mebr fein als ein verfificirter Dialog oder eine Reibe von Untere 
baltungen über irgend einen traurigen oder erhabenen Gegen: 
fand, in Acte und Scenen eingetheilt. Vergebens aber fuchen 
wir in den neuern Compofitionen nad innerer Größe der Hand: 
lung oder Leidenſchaft, ohne welche es Feine Tragoͤdie gibt.” 
Ein Motiv hierzu findet der Kritiker barin, daß unfere Zrauers 
fpieldichter in der Wahl ſchwanken, ob fie für bie Bühne ober 
für den Buchhandel, oder, fegen wir hinzu, für beide zugleich 
fchreiben wollen. Man will ber jegigen fo heruntergelommenen 
Bühne willfahren, man will aber auch ein Product von poctis 
ſchem SIntereffe und Literarifcher Bedeutſamkeit liefern. Beides 
tft, bei dem geſunkenen Zuftande ber Bühne, sicht wohl zu 
vereinigen, aber ebendeshalb follte man auch die bramatifchen 
Dichter nicht zu hart beurtheilen, wenn fie häufig Gtüde lies 
fern, die weder ganz der Bühne noch ganz den poetifchen An: 
foderungen genügen. Ginen großen Theil der Schuld trägt uns 
fere Bühne ferbft, welche für den wirklichen Dichter keinen Halt 
mehr bietet, dann das Publicum, welches ber tragifchen Ka: 
tafteophen müde und durch die häufige Vorführung von ſchlech⸗ 
ten Poſſen und fpeltaculofen Opern dem poetiſchen Intereſſe 
entfrembet if. Diefer Zuſtand tft fo traurig, daß der ſehnlichſt 
erwartete Meſſias der dramatifchen Poeſie mol noch lange auf 
fih warten laflen wird. Die im „Athenaeum‘ zyr Anzeige 


tommenben Zragbbien und Dramen find folgende: „Oliser 
Oromweli’, ein Drama von W. Leatham; „John of Hapsburg”, 
ein Zragdbie von R. Lewis; „Borgia“, eine Tragödie von 2. 
Worsley. Leatham hat ſchon früher die Tragddie ‚‚Strafford‘‘ 
geliefert und thut ſich in einer Vorbemerkung viel darauf zus 
gute, daß er bie Sprache ber in feinem Drama auftretenden 
Perfonen Hiftorifch genau copirt hate. Hiervon iſt allerbings 
bie Rede Lambert's, als er Cromwell bie Protectorfchaft ans 
bietet, ein Tchlagendes Beifpiel: 
Sir! the iste Perliament is now dissolved; 

The exigency of the times requires 

A strong and stable government — we pray 

Your Exoellenoy , ia the Joint bebalf 

Of ihe army and of (ho three natieus, 

To accept Ihe offico of Protector, 

Or Ohief Magistrete of the Commonwealth, 

Under e constitution newiy made 

By the couaciis of Army and of State. 


Gegen ſolche Hiftorifche Genauigkeit ann die Poefte allerdings 
nicht auflommen Lewis gefteht mit großer Aufrichtigkeit,, daß 
er aufs forgfamfte alle rein poetiſchen Stellen vermieden habe, 
weil fein „John of Hapsburg” ganz für die Bühne beredunet 
fi. Schlimm genug, wenn der Zufland der Bühne ein folcker 
ift, daß man ſich ihr nur durch die Abweſenheit jeber poetiſchen 
Zuthat empfehlen und gefällig zeigen fann! So werben wir al: 
lerbings dahin fommen, wohin ber verflorbene Schaufpie 
ier Seydelmann bie bramatilche Poefie gebracht wiſſen wollte, 
indem er foberte, ber Dichter babe nur eine Skizze zu Liefern 
und der Darfteller fie auszufüllen! Auf diefe Weile wuͤrde der 
dramatifhe Dichter zulegt nur als der Hausknecht und Schuh⸗ 
putzer des Schaufpielers erfcheinen muͤſſen. Worsley's Trauer: 
fpiet zeichnet fi, nad. bes Recenſenten Anficht, burch Kraft 
und concentrirtes, wenn audy peinliches Intereffe aus, obgleich 
es, unb zwar bäufig an Stellen, welche hoͤchſten Ernft und 
Intenfität der Sprache und des Gedankens erfodern, auch nicht 
an vagen Gemeinplägen fehlt. Bor Victor Hugo's „Rucretia 

Borgia” hat Worsley's Drama das Verdienſt einer mildern 

und zartern Auffaflung und Behandlung voraus. 13. 


Notizen. 

Die franzöfifcge Regierung bat einen Kuͤnſtler der Stadt 
Valenciennes , Herm Louis Auyray, beauftragt, cine Marmor⸗ 
ftatue Froiffart’s für das hiſtoriſche Muſeum von Berfailles 
auszuführen. Froiſſart, zu Balenciennes geboren, fol in feinem 
Eoftum als Kanonikus von Chimay bargeftellt werden. Neben 
ihm liegt feine Chronik, bei den Worten aufgefählagen: „Je 
suis de la nohle et franke ville de Valenciennes.’ 


Der Bibliothekar des Kiofterd zu Sta.Croce bat juͤngſt ein 
Werk entdedt unter dem Titel: „Aponii libri XIL in Canti- 
cum Canticorum”, wovon bisher nur ſecht Bücher und zwar 
nad einem fehr corrumpirten Manufcripte bekannt waren. 





Der Graf von Almagro gab in Paris heraus: „Notice 
sur les principales familles de la Russie”, und zwar zum 
Beften der Armen, melde vielleicht aus Dankbarkeit fortan 
beffer von ber vuffifchen Ariſtokratie denken werben. 


Der Minifter des Innern bat der koͤniglichen Bibliothek 
in Paris eine Eopie auf Porzellan zuftellen Laffen, weldye von Kon» 
ftantin nach einem authentiſchen Portrait Kari's des Großen 
gemalt ift, das fih feit Iahrhunderten zu Rom befand. 


Vor kurzem flarb Michael 3. Quin im 50. Lebensjahre. 
Er war, fo viel wir willen, der erfte Herausgeber bes „Dublin 
review’‘ und Verf. der Werke „Travels in Spain’ und „A 
steam voyage down the Danube‘. 18. 


Verantwortlicher Deraußgeber: Hrinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. %. Brodhaus In Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifche unterhaltung. 





Sonntag, 


30. April 1843. 





‚Religion, Theologie und Philofophie. 
Eine Trias. ‘ 
(Beſchluß aus Ne. 119.) 

Gedanken von Bott, Freiheit und Unſterblichkeit wur: 
den ſonach als eigenthuͤmliches Geld unabhängiger Religions: 
philoſophie betrachtet, welche über Reinigung, Verbeſſe⸗ 
rung, Beglaubigung der Religionen zu entfcheiden habe. 
Es waren aber bdiefe Aufgaben ber Unterfuhung ſowol 
einer nähern theiſtiſch⸗chriſtlichen Beſtimmung als auch 
einer pantheiftifhen und materialiftifchen faͤhig. Daher 
entftand für chriſtliche Theologie ein gerechtes Mistrauen 
gegen Einwirkung philoſophiſcher Lehrgebäude, Indem ja 
durch fortgefegte davon abhängige Reinigung und Ber: 
befferung der ganze chriſtliche Religionskoͤrper zerſtoͤrt wer: 
den konnte. Bei dem franzöfifchen Naturalismus fiel 
dies fogleich ind Auge, weniger bei Leibnitz und Wolf, 
oder bei Kant, deſſen moralifch: theiftifcher Glaube zwar 
nicht mit dem chriftlichen zufammenfiel, aber doch dem; 
felben nicht durchweg widerſprach. Spätere deutiche Phi: 
loſophenſchulen brachten Naturalismus und Pantheismus, 
welche mit dem Chriſtenthum ſich nicht vereinigen ließen. 
Philoſophiſche Gegner Kant's und ſeiner Nachfolger ſuch⸗ 
ten zu erhaͤrten, deſſen Glaube ſtehe in uͤblem Zuſam⸗ 
menhange mit feinem Lehrgebäude der Erkenntniß, und 
Naturalismus wie Pantheismus widerſtrebe dem urfprüng: 
lihen Bewußtſein der Religion, al dem Ausgangspunfte 
aller Religionsphilofophie . und der theiftifch = chriftlicyen 

zzeugung. Daraus erwuchs ein Zermürfniß unter 
den Philoſophen felbfi und ein mehr oder weniger her: 
vorteetender Gegenſatz zwiſchen Philofophte und chriſtlicher 
Dogmat'k. Legtere wollte keine von der erflern unter: 
nommene Perfectibilität und Reinigung anerkennen, und 
fand Toletanz in folhem Sinne unftatthaft; die erftere 
aber wollte ihr Mecht der freien Unterfuchung und eines 
daraus fich bildenden Begrifflörpers nicht aufgeben. 

Je mehr man nun die Ungefügigkeit der verfchieden: 
artigen Anſpruͤche fühlte und ſowol philofophifche als 
degmatifche Thaͤtigkeit entwickelte, befto mehr abweichende 
Behauptungen und Anfichten mußten hervortreten und 
Zugleich ein Beduͤrfniß ihrer Ausgleihung aufregen. Die 
Philoſophie hatte feit den Zagen der Scholaſtik von einer 
Menge abfteufer Speculationen fich losgeſagt, und wie 
in der Mechanik der geringfie Gebrauch von Rädern für 


die beabfichtigte Wirkung das Vollkommenſte ift, fo ward 
aud ein Beſtreben zur Einfachheit, Faßlichkeit, ja ſelbſt 
Popularität, in Philofophie und Theologie kenntlich. Hoff⸗ 
nungen aber einer voliftändigen Ausgleichung blieben un: 
erfüllt, denn genauere Unterfuchungen zeigten immer rotes 
ber den Gegenſatz und ließen vermuthen, er ſei nur 
Scheinbar zugedeckt durch Oberflächlichkeit des Verfahrens 
und feine wahre Heilung fei nur vom Eindringen in bie 
Tiefe zu erwarten. " Dadurch erhielt die Theologie eine 
Richtung, verfchollene dogmatifche Beflimmungen wieder 
aufzunehmen, und die philoſophiſche Speculation gewann 
Farbe dialektiſcher Scholaſtik, auch darin derſelben aͤhn⸗ 
lich, daß aus der alten Kirchenlehre Hauptſtuͤcke, wie das⸗ 
jenige der Dreieinigkeit, in philoſophiſche Unterſuchungen 
einwanderten. Koͤnnte nun Religionsphiloſophie mit ih⸗ 
ren Begriffen den Leib chriſtlicher Dogmatik gewinnen 
und dieſe wiederum den Geiſt jener in ihren Koͤrper auf⸗ 
nehmen, ſo waͤte die gewuͤnſchte Vereinigung beider voll⸗ 
bracht und eine philoſophiſche Gnoſis ſtaͤnde mit ber 
chriſtlichen Glaͤubigkeit im Einklange. 

Nach diefem Ziele hin find neuere Bemühungen freier 
Dhitofophie und chriſtlicher Theologie in Deutfchland ge: 
richtet und haben ihre Wurzel im Dafein beider. Un: 
förderlich genug wollen Theologen das ihnen vom ber 
Philoſophie Dargebotene nicht für das Ihrige erkennen 
und Philofopben den theologifchen Stoff nur unter vers 
änberter Geſtalt fi aneignen. Man hat zu ſchlichten 
verfucht, Eins und Daffelbe der Religion für Philoſophie 
in Begriffe, für Theologie in Vorſtellungen geftellt, für 
jene 3. B. in Pantheismus, für diefe in Theismus; man 
hat auch einen Durchgang und Übergang beider ineinans 
der nachzumelfen getrachtet; allein diefes entiprach wieder 
nicht dem philoſophiſchen und dem chriſtlichen Bewußt⸗ 
ſein, zudem waren Begriffe ebenſo gut heimiſch in der 
Theologie, als Vorſtellungen in der Philoſophie, weil alt 


menſchliche Erkenntniß in Begriffen, Vorſtellungen und 


deren Wechſelbeziehung ihr Weſen hat. Daher denn 
Andere eine offene Scheidung des Philoſophiſchen und 
des Theologiſchen fuͤr angemeſſen hielten, und daß jedes 
auf ſeinem Wege ſich ſelbſt uͤberlaſſen bleibe. Wir ge⸗ 
wahren Philoſophen, die alles Theologiſche ablehnen, und 
Theologen, welche alles Philoſophiſche zuruckweiſen, was 
nur dadurch wiederum ſo ſchwer, wo nicht unmoͤglich iſt, 





418 


well Beides von jeher ſich verzweigte und ohne biefe Ver: 
zweigung weder Religionsphilofophie noch chrifttiche Theo⸗ 
fogie ihre hiſtoriſches Dafein gewonnen hätten. Auch iſt 
ja beides im Bewußtfein, Beduͤrfniß, Gebrauch jedes ein: 
zelnen Denkers allemal beifammen. 

—  Kheologie und Philoſophie behaupten beide ein Wiſ⸗ 
fen vom Überfinnlichen, örtlichen. Spricht jene zwar 
vom Glauben, fo flügt er ſich doch auf Glaubensgruͤnde; 
fpricht die letztere von Einficht, fo muß diefe doch als ein 
Staublihes dem Denker fich darftellen. Nun aber fin: 
det ſich im theologifhen Glauben Unbegreiflides und in 
der philofophifhen Einfiht Unglaubliches. Die Wunder 
der evangelifhen Geſchichte find unbegreiflih; bag aus 
den Formeln des An fih, für fih und bei ſich, oder 
aus den Begriffen Sein und Nichts und ihrem Sohne, 
dem Werden, eine Einficht des Weſens Gottes und 
feiner Schöpfung zu Stande komme, iſt unglaublid. 
Sollen Theologie und Philofopbie unterfchieben werben 
als Stauden und Wiffen, fo iſt die Theilung ungerecht; 
denn beide haben Beides; nur die eine das Glauben und 
Wiſſen des Unbegreiflichen, die andere das Wiſſen und 
Glauben des Unglaublihen. Wie ein Unbegriffenes zum 


Nichtgeglaubten werben kann, fo noch mehr ein nicht 


Glaubliches zum Unbegeiffenen, mithin ließe ſich ebenfo 
gut vom philofophifchen Stauden und Unglauben, Wil: 
fen und Nichtwifien, als vom tbeologifchen fprechen. 
Oft ward das Unbegreiflihe durch ein Unglaubliches er: 
laͤutert — in Gnofis, in neuerer Philoſophie — oft 
auch ein nicht Geglaubtes — etwa Unfterblichkeit, Bott: 
eit Chrifi — durch Unbegreiflihes — Auferfiehung, 
nitaͤt — geftüst. Der Grund folcher Erſcheinungen Hegt 
in ber Unvertilgbarkeit der Religion für das menfchliche Be⸗ 
wußtfein, im Beduͤrfniß ihrer Verleiblihung durch Begriffe 
und Vorfielungen, deren Fortſchritt wieder einen Kuͤckſchritt 
zur Entleiblihung, nämlich Vergeiftigung herbeifuͤhrt. 
Bedenkt man die große Gefinnung, die Erhabenheit 
und Demuth, das Leben in Gott und für Sort, über: 
Haupt den Geiſt und die Wirkungen bes erſten Chriſten⸗ 
thums, fo ift deſſen Erfcheinung einzig und umvergleichs 
bar in ber Menfchengefchichte. Heidenthum und Juden⸗ 
hun zeigen wol Ähnliches in ihren ebelften Lehren und 
Naturen, aber Nichts volllommen Gleiches. Daraus 
möchte bie Überzeugung gewonnen werben, jene Verleibs 
lichung der Religion nach chriſtlichem Map — Offenba⸗ 
ung für Beitgmoffen und fpätere Jahrhunderte — ent: 
fpreche in ihrer Beſtimmtheit und Unbeſtimmtheit, im ib: 
rem Glauben und Wiffen beffer dem menſchlichen Ge⸗ 
muͤth als jegliches Andere, uͤbe eine heiligende Kraft an 
ihren Bekennern und ein Mehr oder Weniger des Ver⸗ 
koͤrperns babe unausweichliche Nachtheile. Nur freilich bie 
genaue Abgrenzung des Maßes im Verhaͤltniß zum übel: 
gen Umfange bes Denkens und Vorſtellens jeglicher Zeit 
erfcheint als flete Aufgabe aller chriftlichen Theologie und 
Religionsphilofophie, welche in mancherlei Weiſe fich wer 
ſchlingen und verwireen, fördern und hemmen und, eis 
wen feflen Abſchluß ſuchend, ihre Verhandlungen ben 
Fahrhunderten überliefern. 


Eines iſt zugleich hierbei erkennbar. Was Über den 
Kirchen liegt und in keiner Kapelle eingefaße wird, was 
mehr ift als jede Speculation, was dennoch in jeder 
Kirche und Kapelle feinen Beift kundgeben kann und kund⸗ 
gegeben Hat, was für jede Speculation eine Erweckung ib 
res Daſeins ward; — «in gläublges Chriſtenthum, nicht 
im gewöhnlihen Sinne dogmatiſcher Confeffionen, eine 
die Bedeutung deſſelben anerkennende Philofophie, nicht 
im gewöhnlichen Sinn fpeculitender Schulen; — was 
allem irdiſchen Wefen der Menfchen hoͤhern Rang umd 
Werth ertheilt; jenes dünne Haar, nach dem Ausbrud 
Klinger's, an welchem bie Menfchheit aus dem Staube 
bervorgesogen wird und welches trog alles Zerrens nick 
zerreißt; ein Alterheiligftes, um welches Pracht und Nicht: 
pracht der Tempel, bie fpeculative Spitzfindigkeit der Dog⸗ 
matik und der philofophifchen Schulen ſich lagert; — dies ift 
das Unvergängliche, Bleibende. Kirchen, Schu: 
Ien, Begriffe, Vorſtellungen und Worte wechfeln. 

8. Köppen. 


Anagramm. 


Bekanntlich entfteht das Anagramm aus Derfegung ber 
Buchftaben eines ober mehrer Wörter zu einem andern Worte 
und Sinne, jedoch fo, daß biefer zu bem urfprünglichen Worte 
frgendwie paflen, es gut oder übel erläutern muß. Die Sache 
ift an fi eine Spielerei. Gleichwol gibt es bavon dicke Samm⸗ 


lungen und find darüber eigene Schriften erfchienen, wie Se _ 


ber aus Pierer's „Univerſal⸗Lexikon“ erfehen Tann. Ic ci⸗ 
dire dies, weil unter ben dort aufgeführten Schriften eine ber 
beften, William Camden's Verſuch über das Anagramm, fehlt 
und ebenfo wenig bei Gamben's Namen erwähnt ifl. Der ges 
lehrte Camden aber (geb. 1551, geft. 1623) achtete das Ano⸗ 
grammatifiren für keine Spielerei. Er nennt es eine ergöglihe 
Unterhaltung und angenehme Beichäftigung für denkende Mens 
fen , und je ſchwerer, je beffer, „denn dann“, fagt er, „if «8 
ein Schleifſtein für jedes Menſchen Gebduld; es find mir Muſter 
von Gebulb vorgelommen, bie barüber ungebulbig geworben 
find, die Feder zerfaut, fich Haare ausgerauft, die Stirne wund 
gerieben, ihre Lippen blutig gebiffen, mit ben Yüßen geflampft 
und das Papier zerriffen haben.” Übrigens ift das Anagrammaz 
tiſiren, wenn eine Spielerei, eine fehr alte. Die myſtiſchen 
Neligiofen des Alterthums verfchloflen barin ihre i 

und wollten mittels deſſelben uͤber gewiſſe Perſonen und Dinge 
einen een werfen. Die jüdifhen Kabbaliften übten oͤf⸗ 
fentlich die Kunft des themura, die Kunft, Wörter zu verän: 
dern ober zu verfegen, um eine verborgene Bedeutung heraus: 
zufinden — genau Anagramm Fabrikation. In Noah fanben 
fie das hebräifche: Gnade, in Meffins: er wird erfreuen. In 
ber „Kaſſandra“ bes eykophron, einem 300 Jahre vor Chriſto 
gefchriebenen Gedichte, wird der Name bes Ptolemäus PYhilabel- 
phus durch Verſetzung des griechifcyen 5 aus Ptolemais in Apo 
melitos, Honigmann, vertvandelt, und aus Arsinoe, ber &: 
mahlin biefes Könige, wird Eiras ion, Zuno’s Bellchen. Anbe: 
ser griechifchen Anagramme gedenkt Euftachius. Beim 
rutfchen vom Berge ber Vergangenheit floße ich an Bacon, von 
welchem a ſchon früher unter ber Überfchrift „Schießpuiver” 
in Nr. 273 d. Bl. f. 1842 erwähnt habe, daß er eins feiner 
Schießpulver = Ingrebtenzen, nämlidy Holzkohle, in ein Anas 
gramm verſteckt, —* verſteckt haben fol. Da be 

gofen von jeher Berehrer des Wites und Freunde bes badinage, 
ihre Könige aber bi8 auf Louis Philipp freigebige Herzen 4 
weſen find, fo ift fi nicht gu verwunbern, daß Lubmwig 

einen eigenen Anagramma mit jährtich 1200 Livres beſol⸗ 
dete. Und wie heute in Frankreich ein giä 
berühmt macht, fo konnte ehemals ein gluͤckliches 


cklichet met Jemand 


d reich mungen. Durch Frankreich erſcholl ein Ants 
He per Bewunderung und 20.006 waren ber Lohn, 
als ein Stüdstind in Francois de Valoys bie Worte: De 
iagon suis royal entdeckt hatte. Und ber Beneidenswertbe, ber 
der fhönen Marie Touchet, Bavoritin Karl's IX., die Kunbe 
brachte , ihr Name fei fie felbft: Je charme tout! Sie erlaubte 
ibm, ein koſtbares Periengefcmeide von ihrem Bufen zu Löfen, 
ud — mehr. Auch hat yweifelschne Derienige ein fibeles 
Amtchen mit viel Gehalt und wenig Arbeit befommen, ber dem 
Ranzier Lowis de Boucherat benadgrichtigte, ex ſei zum Kanzler 
geboren und getauft, est Ja bouche du roi. ft der ernſte 
äbte die Gpielerei nicht. Daß er feinem Namen 


nahm, in Calvin's Ramen ein j aus dem i und ein u aus bem 
v zu machen, war jan-cul fertig — ein altes feanzöfifches Com⸗ 


baren. Nachdem daher ergründet worden, daß James Char 
Stuart — der Zaufname des erften Jakob — fih in clalıns 
Arthur’s seat verfeßen laſſe, führten feine Anhänger es zum 
Beweis an, daß er als Nachfolger bes ritterlichen Königs Ar⸗ 
thur ein unbefreitbared Recht auf ben großbritannifden Thron 
habe. Berfaſſer biefes Anagramms war der Wallifer Owen, von 
weldgem mehre dergleichen Guriofa exiſtiren, und 5 bemer⸗ 
ten ti noch, daß er jenes Anagramm fertigte, ehe Jakob ben 
englifcken Thron beſtieg, e8 mithin das Verdienſt einer Prophes 
zeiung bat. James Gteuart wurbe in Jacebus Steuartus la- 
finifirt und daraus Tu es ob justa carus gemacht. Ungezwun⸗ 
ener und deshalb häbfcher ift die Verwandlung von James 
Skuart in A just master. Villiers, der Liebling biefes James, 
wurde von ibm zum Grafen von Buckingham ernannt, und 
George, Barle Buckingbame gab die Worte: Oh, grave, able 
king, grace me — eine Bitte, welche ber König auf Koften 
der Ration gnädigft erfüllt hatte. Da der gedachte Camden 
feinen Verſuch über das Anagramm unter der Regierung ber 
. jungfräulichen Eliſabeth ſchrieb, fo begreift fi, daß die An 
firengungen biesfallfigen Scharffinnes ipr in gerätteltem Maße zu 
Theil wurden. Hier nur zwei ber gelungenften. Elisabetha 
Rogina verwandelte fi) in Angliae eris beata, und Elisabetha 
Regina Anglerum in Gloria regni salva manebit. Der 
Lord Kanzler Efeömere hätte das auf feinen Namen Thomas 
Egerton gemachte Anagramm: Gestat honorem, zum Bamiliens 
motto nehmen können, unb auf ben bübifch ermordeten Sir 
Thomas Overbury erfchten, mit Weglaffung bed Sir, ein Ana⸗ 
gramm, we Symonds b’Ewes für das witzigſte feiner wigie 
em Zeit . Es Heißt: O! Ol base murthyr. Gollet 
in feinen intereffanten, auch die Anagramm : Jabrikation beſpre⸗ 
den „Belics of literature” erwähnt eine Miſtreß Mary 
‚ vie unter Kari I. von am einen ar ſelbſt 
verfaßte Anagramme und Akroſtichen herausgegeben, Ihn „ ame’s 
Roil⸗ betitelt und darin nicht weniger als Fuͤrſten, Pairs 
wu Praͤlaten anagrammatiſirt und zugleich akroſtichirt habe. 
beſonders — der Himmel mag willen warum — bat ber 
von Weymes fie infpiriet. John Weymes kommt wiebers 
holt vor. ine gute WBerfegung ‚feines Ramens if die in: 
„ühew men joy, und bas bazu gehörige Akrochichon fängt an: 
Ja your great kenour, fres frem all alley, 
O truly neble Weymes, you skow men joy; 
Misving your virtues in their clsarer sight, 
Mothing there is oan broed them more delight. 


Gin nicht minder gewandter Anagrammatift ſchuf aus bem 
Ramm umd Titel des General Mont ein Ehronogramm, ein 


Unagramm mit Datum, fand nämlich in Georgius Monke, 
Dux de Aumarle die Worte: Ego Regem reduxi, Anno 
Sa. MDCLVV (Sa. für Salutis). Sir Thomas Wiat hatte 
po ieh im Kamen int a wit, Waller ben Lawrel 
n er), Vernon das Renoun (die Berühmtheit). Der 

Dichter Craskawe befaß einen Herzensfreund, Namens Gar, unb 
erflärte feine Dingebung an ihn baraus, daß er felbft Gar fei, 
He m eu x no 

n land ſind die Anagramme heutigen % be 
Uebt. Folgende drei finb vielleicht wenig gelannt: Fr 
Bonaparte — Boma rapta, leno, pone; Arthur Wellesiey, 
Duke of Wellington — Let well foil’d Gaul secure thy 
renown; Horatie Nelson — Honor est a Nilo. In Gefells 
ſchaften gehoͤrt das Anagrammatifiren zu ben Geſellſchaftsſpielen, 
wie ſehr das auch Diejenigen uͤberraſchen mag, die von in Eng⸗ 
tand geweſenen Deutſchen Tchriftlih ober mündlich gebört haben, 
daß es in den dortigen Gefellichaften, flatt unfers gefühlvollen : 
Sieh di nicht um, mein Buͤttel gebt um, oder unſers geiſt⸗ 
zeichen: Schenken und Logiren, Gteifbeinigkeit und Langweiligs 
keit gebe. Man ſchreibt kurze Fragen auf, die mit einem aus 
dem Sauptworte geformten Anagramm beantwortet werben 
möflen. Als Probe einige, die ich mie notirt, und Kenner bes 
Englifchen mögen enticheiben, ob fie des Notirens werth waren. 
What is revelution ? Love to ruin. — What is a telegraph? 
Great help. — What are lawyers? Siy ware. — What 
comes from a dispensatory? O! I send pastry. — Is the 
assembiy eemposed of good men? — Yes, lambs. — Who 
moved the amendment? Ten mad men. — What do the 
catholic representatives? Serve Saint Peter. — Got you 
satisfaction ? It is a fact, son. — When does christianity 
appear ? 

When I ory tkat I sin is transppepd, it is clear, 

My resource COhristisnity, soon’ will appear. 

14. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Neueſte Igrifche Poeſien. 

Bon allen Gedichtſammlungen, die uns bis jetzt das Jahr 
1843 gebracht hat — und Gott weiß, daß ihre Zahl Legion —, 
iſt ohne Zweifel die ausgezeichnetfte und beachtenswertheſte 
diejenige, welche Mad. Desbordes: Balmore unter dem Ti⸗ 
tet „Bouquets et prieres”’ ganz kuͤrzlich heransgegeben hat. 
Es ift dies in der That ein duftreicher Strauß, ber von ben 
Kebiichften Btumen gebildet wird. Mad. WBalmore fehlen in 
neuefler Zeit in die einträgliche Vielfchreiberei verſunken zu fein, 
und wir freuen uns beshalb ſehr, daß fie in dieſer Sammlung 
ihrer neueften lyriſchen Bebichte ben ganzen poetifchen Duft Ih: 
rer Sprache und bie Glut bed Gefuͤhls wiebergefunden hat, bie 
tor fdon längft einen hohen Rang unter ben Di Frank⸗ 
reichs geſichert haben. Bon dieſem ihren neueſten Werte kann 
man ſagen, daß es ein neues Blatt zu ihrem Kranze hinzu⸗ 
gefuͤgt hat. Aus der großen Zahl von Gedichten, mit denen 
wir in jüngfler Zeit überfchwenmt find, heben wir noch eine 
andere Sammlung hervor, bie gleichfalls von einem weiblichen 
Gemüthe eingegeben find. Wir meinen bie „Eglantines par 
Marie - Laure”. Die Sprache dieſer Heinen Lieder, in denen 
fi zum Theil ein reines Gemuͤth Luft macht, verraͤth zuwei⸗ 
ten, daß dies ein erſter bichterifcher Werfuch it. Im Allgemei: 
nen find die Verſe harmoniſch und die jugenbtiche Dichterin bat 
fich im Ganzen von allem Gewoͤhnlichen und Trivialen frei ges 
halten, ohne in eine beffimmte unnatärtiche Manier zu fallen. 
Wir machen nur auf ein gar liebliches Gebicht au am, 
das wir in biefee Sammlung gefunden haben. Daſſelbe iſt 
„Les amours de Marthe’ uͤberſchrieben Sitel „Biuettes 

Eugene de Launay’’ (Paris 1843) verſpricht nicht viel, 
—* die vr Lieber, rt wir Au A em en — 

uſammeng en, mehr als, Q ⸗ 
iten’‘. Dee groͤßte Theil derſelben find natuͤrliche rote 


eines gefaͤhlvollen Herzens. Ihre Sprache ift einfach und ger 
ae und wir —* es deshalb erklaͤrlich, daß die Com⸗ 
poniften, wie Berat, Louiſe Puget u. U. bercits einen großen 
Shell der Lieder von Launay in Muſik gefegt haben. Diefem 
glädtihen Umſtande verbantt berfelbe einen größern Ruf, als 
man unter den gegenwärtigen Verhaͤltniſſen mit einem einzigen 
Bändchen lyriſcher Gedichte einzuernten pflegt. 


Wenn auch Quinet in feiner „Teutomanie’ fagt, daß in 
Deutichtand noch nicht eine vernünftige Geite über irgenb 
eine Periode der franzöfifchen Literatur geſchrieben fei, fo kann 
man ed uns doch nicht ftreitig machen, daß deutſche Gelehrte 
bauptfächtich bazu beigetragen haben, das Studium ber proven⸗ 
zalifhen Sprache unb Literatur zu erleichtern. Wir ers 
inneen bier nur an Gchlegel’6 „Observations sur la langue et la 
litterature provencales” (Paris 1818) und Diez' „Poeſie der 
Zcoubabourd” (3midau 1826), fowie beffen ‚Leben und Werke 
der Zroubabours” (Zwidau 1829). Schiegel's Werk ift, ſchon 
der Spradhe wegen, in der es abgefaßt iſt, den ‚ franzöfls 
ſchen Gelehrten zugänglicher als die gebiegenen Schriften von 
Diez. Man muß es einem jungen franzöfiihen Gelehrten des⸗ 
halb Dank wiffen, die Aufmerkfamkeit des franzöfifchen Publi⸗ 
cams auf bie Arbeiten bes verdienftoollen deutſchen Gelehrten zu 
tenten. Der Name biefes jungen Franzoſen, der fich biefer Ar: 
beit unterziehen will, das Wichtigfte diefer beiden angeführten 
Werke ins Franzoſiſche zu Äberfegen, if Ferdinand de Roifin. 
Wir haben von ihm bereits eine Probe unter dem Zitel „Eissai 
sur les cours d’amour par Frederic Diez‘ (Paris 1842) ers 
halten, die viel verſpricht. 2. 





Biblivgrapphie. 


Boͤhmens Provinzial: Zuftände auf dem Schachbrete ber 
Öffentlichkeit. Vom Verfaffer der Schrift: „Hſtreich und feine 
Staatsmänner”. Leipzig, Reclam jun. Gr. 12. 1 r. 

Booſt, J. A., —2*— der Reformation und Revolution 
von Frankreich, England und Deutſchland (von 1517-1843). 
Mer Band: Frankreich. Augsburg, M. Rieger. Gr. 9. 
1 Ihr. 25 Ner. 

Cowper's, W., Expostulation ober Israel und Eng⸗ 
land, ein Gedicht, überfegt, mit Ginteitung und Anmerkungen, 
von K. H. Sad. Bonn, Weber. Gr. 12. 7Y, Nor. 

Ellendt, %., Über das religidssfittliche Bewußtfein der 
Philologen und Gchulmänner, befonders Preußens. Gisleben, 
Reiharbt. 8. 77, Rar. 

Erinnerungen an Johann Gonrad Maurer. — Bilder aus 

bem Leben eines Predigers. (1771 — 1841). Größtentheils 
nach. beffen binterlaffenen Papieren herausgegeben. Rebſt meh⸗ 
rern Briefen Joh. v. Mülters, Joh. Georg Muͤller's, 
Heyne's und Anderer. Schaffhauſen, Hurter. 8. 1 Thir. 
1 r. 
— ichte, F. H., Über den gegenwärtigen Standpunkt 
der Philosophie. Akademische Antrittsrede gehalten in der 
Aula der Universität zu Tübingen am 4. Nov. 1842, Tü- 
bingen, Fues. 8. 7), Ner. 

Granada, 8% v., Die Lenkerin der Sünder. 2 Bände. 
Zte verbefferte Auflage. Aachen, Cremer. &r.12. 1 hir. LU Ngr. 

* Grant, A, Die Reftorianer, ober die zehn Stämme. — 
Reifen durdy das alte Affvrien, Armenien, Medien und Mefo: 
potamien; Schilderung der kirchlichen unb häuslichen Gebräuche 
und Sitten der Neftorianer, und Nachweis ihrer Identität mit 
den verloren geglaubten zehn Stämmen Isracis. Im Auszuge 
überfest von S. Preiswert, Mit einer Karte. Baſel, 
Bahnmaierr. Er. 8. 25 Nor. 

Hahn-Hahn, Ida Gräfin, Sin Reifeverfuh im Ror: 
den. Berlin, A. Dunde. 8. 1 hir. 15 Ner. 

- DHaufgild, ©, Allgemeine Zonfprachlehre, oder Ber: 
fuch einer wiſſenſchaftlichen Darftellung der Elemente der Ton⸗ 


funkt, fowie der Melodik, mit 


Harmonik, Auythmit, nebſt einem 
| das Mußſtkaliſche Sonventionele behandelnden Anhange. Leipzig, 


Hartknoch. Ki. 8. 280 Re. 
Hirsch, 8,, Das Judenthum, der christliche Staat 
und die moderne Kritik, Briefe zur Belenchtung der Juden- 
frage von Bruno Bauer. Leipzig, Hunger. Gr. & 22}, Ngr. 
Smmermann's, K, Schriften. 13ter und LAter Banb: 
Memorabilien. 2ter und Iter Theil. Hamburg, Hoffmann 
und Gampe. 8. 3 TShlr. 10 Ror. 

Koerner, T. E., Das unbewegüche Eigenthum nach 

preußiſchem Rechte. Eine ſyſtematifche Harſtellung. Nach Lage 
ber neueſten Geſetgebung, und mit Rückſicht auf deren Eroͤrte⸗ 
sung durch Praxis und Wiſſenſchaft entworfen. Berlin, Hey⸗ 
mann. Gr. 8. 2 Thlr. WM) Nor. 
Kortuͤm, F., Roͤmiſche Gefchichte von ber Urzeit Ita⸗ 
liens bis zum Untergange des abendlaͤndiſchen Reichs, uͤberſicht⸗ 
lich und mit ſteter Beziehung auf die Quellen fuͤr den Privat⸗ 
und Eehrgebzaud bargeftellt. Heidelberg, Mohr. Gr. 8, 
2 Ihle. 10 Nor. 

edſſel, H., Rachtiſch für Arm und Reid. In zwei Ab⸗ 
theitungen. Ifte Abtheilung: WBetracdhtungen, Gebanken unb 
Parabeln. 2te Abtheilung: Geiſtliche Lieder und Gebidhte, Be 
bein a Dichtungen. Berlin, Thome. Gr. 12. 

hir. r. 

eudwig Philipp Joſeph von Orleans, genannt Egalité. 
Rad dem Franzoͤſiſchen eines Zeitgenoſſen von F. Badhans. 
Leipzig, Hunger, 12. 1 Thlr. 

Der deutfche Michel. Griäutert von einen feiner Freunde 
und Leidensgenofien. Leipzig, Renger. &r. 8. 5 Rer. 

Hiftorifcge Nachrichten über Teufeisbanner, Waprfager, 
Wundermenichen, Geiſterſeher und anbere dergleichen außer 
ordentliche Erſcheinungen in den Rheinlanden und Seſtphalen 
feit Beginn dieſes Jahrhunderts. Bei Gelegenheit bes Auftres 
tens des Wunderdoctors Heiner. Mohren zu Riederempt nad 
meift noch unbenugten und zunerläffigen Quellen bearbeitet von 
F. € * Mering und Ludw. Reiſchert. Kin, Dunfl. 

r. 


Nekrolog auf Herrn Conrad Ott, Privatbocenten an ber 
Zuͤrcheriſchen Hochſchule und Redacteur der Neuen Zuͤrcher⸗ 
RE Züri, Orell, Züßli und Comp. 1842. Gr. 8. 

2 7198. R 

Schneidawind, 8 J. A., Der Krieg ſtreiche 
Frankreich, deſſen Alliirte und den Rheinbund im Jahre 508. 
Ober ausführliche Gefchichte der Feldzuͤge in Deutſchland, Ita⸗ 
lien, Polen und Holland; ber Infurrectionen Tirols und Vor⸗ 
arlbergs; der Aufftände in der Altmark und in Heſſen und der 
Züge des Herzogs Wilhelm von Braunfhweig und bes Majors 
3. v. Schill im Jahre 1808. ter Band. Gchaffhaufen, Her 
ter. 1842. Gr. 8. 1 Thlr. 22%, Nor. 

Schoppe, Amalie, Bilder aus dem Familienleben. 
Iftee Band: Der Better. — Mutter und Sohn. Zwei Erzaͤh⸗ 
lungen. Leipzig, Zaubert. 9. 1 Thir. 15 Nor. 

BSiguier, %., Die Größen des Katholicismus. Aus 
ben Franzoͤſiſchen überfegt. Schaffhauſen, Hurter. Gr. 8. 
1 Thlr. 20 Nor. 

Sjoͤberg, E. (Vitalis), Gedichte. Aus dem Schwedi⸗ 
ſchen überfegt von K. &. Kannegießer. Leipzig, Brockhaus. 
&r. 12. 20 Ror. 

Soll denn wirklich ber Bank zwiſchen Proteflanten umb 
Katholiken losgehn? Gin Wort treuer Ermahnung an alle 
chriſtlich gefinnte Katholiten und Proteftanten. Strasburg, 
Schuler. Gr. 8. 3%, Nor. 

Stephani, I., Beise durch einige Gegenden des 
nördlichen Griechenlands. Mit sechs Steindrucktafeln. Leip- 
zig, Breitkopf und Härtel. 8. 24 Ngr. 

Verfolgung und Leiden der katholiſchen Kirche in Rußland. 
Mit noch ungebrudten Documenten. Bon einem ehemaligen 
ruffifhen GStaaterathe. Aus dem Franzöfifcken überfeht vom 
M. Zürcher. Schaffhaufen, Hurter. Gr. 8. 1 Thlr. 22%, Ne. 


Verantwortlier Herauägeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Berlag von 3. A. Brodhaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 











Bar Redricht. 


Bon diefer Zeitichrift erfcheint außer den Beilagen täglich eine Nummer und iſt ber Preis für den Jahrgang 
12 Thlr. Alle Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Deftellung darauf an; ebenfo alle Poftämter, 


di an die koͤnigl. fächtifche Zeitungserpebition in Leipzig ober das 
* s ——— — — ⏑— ee and in Monatsheften ſtatt. 


Halle wenden. Die Verſendung findet in 


nigl. preußiſche Grenzpoſtamt in 





Schriften uͤber den Urſprung der dramatiſchen 


Poeſie in Frankreich. 

I. Mysteres inedits du quinzieme siecle, publies pour la 
premiere fois, avec l’autorisation de M. le ministre de 
V’instruction, par Achille Jubinal, d’apres le manuscrit 
unique de la nibliothöque de Sainte-Genevieve. Zwei 
Bände. Paris 1840 — 41. 

2. Mystere de Saint-Crespin et Saint-Cröpinien, publie 
pour la premiere fois, d’apres un manuscrit conserve 
aux archives du royaume, par Dessalles et Chabaille. 
Paris 1842. 

Wollte man die Gefchichte der dramatifchen Poeſie 
and Schaufpiellunft in Frankreich bis zu ihrem Urfprunge 
verfolgen, fo müßte man bis in die erften Jahrhunderte 
unferer chriſtlichen Zeitrechnung zurüdgehen und die ge 
fchichtlidhen, auf die romanifirten Gallier bezuͤglichen Denk: 
maͤler zu Rathe ziehen. Führen wir hier zuvoͤrderſt an, 
wie Raynouard, der berühmte Romanift, ſich bei feiner 
Aufnahme in die Franzoͤſiſche Akademie vernehmen ließ: 

Bei den alten Griechen war die Vorflellung einer Tragoͤ⸗ 
die ein politifches Inſtitut, cin religiöfes und vaterlänbifches 

‚ von dem bie Bürger, in glorreichen und tugendhaften Vor⸗ 

n beftärkt, heimgingen; als die Franzoſen die Darftellung 
Beiligee Dramen und Wyfterien aufbrachten, hatten fie ungefähr 
Die Abffihten und Zwecke, weiche die griechifchen Dichter geteitet 
hatten; und weil man den Gharakter und Endzweck bes athe⸗ 
nienſiſchen Theaters verkannt hat, iſt es vielleicht auffallend er⸗ 
ſchienen, daß die altfranzoͤſiſchen Dichter in ihrer naiven Froͤm⸗ 
migkeit bie Heiligen, die Jungfrau Maria und Gott Vater 
dargeſtellt haben. Wie die griechiſchen Dichter den Athenieufern 
die Gefchichte ihrer Götter und Halbgoͤtter dargeboten hatten, 
fo führten fie ber allgemeinen chriſtlichen Andacht die Heroen 
ihres Glaubens zur Erbauung vor, und das Boll, welches ſich 
zu biefen anbächtigen Schaufpielen drängte, erfannte und ver: 


crte darin feine religioſen Überlieferungen. 


Diefe Höchft beachtenswerthe Anficht wird durch Facta 
beſtaͤtigt: nach den ſogenannten Liebesmahlen (Agapen) in 
den erſten Zeiten des Chriſtenthums, wobei Buͤhnenſpiele 
und Aufzüge gehalten wurden, iſt zundchft zu nennen ein 
lateiniſches Drama von dem Tragiker Ezechiel, welches 


das „Leben Moſis“ vorſtellt, und der „Leidende Chriftus” 
von dem heiligen Johann Chryſoſtomus; ein wenig ſpaͤ⸗ 
ter folgen der „Querolus”, der Querelenmacher, eine Art 
Mifanthrop, nah Terenzifhem Muſter zugefchnitten, und 
das „Spiel der fieben Weifen” von Aufonius. Die chriftlis 
chen Geifllihen, dem einmal angenommenen Princip ge: 
treu, verfäumten, wie man fieht, nicht, Sitten, Ideen, 
Kunftformen und Gewohnheiten des heidnifchen Alterthums 
zu ihrem Gebtauch und Beduͤrfniß zuzurichten. Die weit⸗ 
befannte Entgegenftellung, weldye antike und moderne, hels 
lenifche und vomantifhe, oder, wie man auch wol fagt, 
beibnifche und chriſtliche Kunft im ſchaͤrfſten Gegenſatze 
denkt und die Charakteriftit beider dabin befcheidet, es 
fpreche fich erſtere aus als geläuterte, veredelte Sinnlich⸗ 
feit, als Poefie der Freude und des Beſitzes, fich flügend 
auf die Gegenwart — hingegen legtere ald Schwermuth 
und Sehnfuht, als ein ſtetes Wiegen zwifchen Erinne⸗ 
ung und Ahnung”) —, warb fehr unrecht eine längere 
Zelt hindurch überall mit befonderer Gunft aufgenommen 
und mit mehr oder weniger Scharffinn von einer Menge 
Selehrten auf fämmtlichen Gebieten ber Kunſtkritik und 
Xſthetik durchgeführt. Denn jener Gegenſatz betrifft, in⸗ 
ſofern er begründet iſt, nur etwa bie Wendung und Be 
jiehung, nimmer das ganze Weſen der Kunft, welches 
überall nur Eines iſt. Weiß doch jedermann, daß die 
gefchichtlichen Urkunden, die geheime wie die praßtifche 
Weisheit der neuen Weltreligion in ben Begriffen und 
Medeformen der claffifhen Sprachen niedergelegt worden; 
und wenn ed Niemanden, der ſich mit den Refultaten 
der neueften Eritifchen Forſchungen in der chriſtlichen Al⸗ 
terthumskunde vertraut gemacht, befremdend und neu if, 
daß bie früheften Werfuche einer bildnerifch = malerifchen 
Darftellung chriftlicher Ideen nicht in eigenen und durch⸗ 
aus neuen, vielmehr eine längere Zeit hindurch eben nur 


EM. Sqhlegel, Über dramatiſche Kunſt und Literatur. 





482 


in den überlieferten Kunſtformen des heidniſchen Alters 
thums fich bewegten, fo wird, denke ich, die Behauptung 
feinen Anftoß geben können, daß nicht minder audy die 
erften Verſuche dramatifcher Darftellung chriftlicher Gegen: 
fände wit in neuerfundene, fondern in vorhandene aus⸗ 
Sebiiete, uͤbeckomcene Lineaturformen des claflifchen Als 
terthums eingefponnen und eingepuppt wurden, worin fie 
durch lange Jahrhunderte von Voͤlkerwanderungen, Um: 
wälzungen und Gährungen überwinterten, bis fie endlich, 
dem Schmetterfinge gteich, die todte, feffeinde von 
ſich warfen und freie, leichte Schwingen entfalteten; doch 
auch von diefem erften Fluͤgelſchlage ab bis zum vofiftän: 
digen, ſehen mis die Moecfis in 
Frankreich in mannichfach verfchiedenartigen Stadien der 
Entmidelung, oft von aͤußer ichen Eindruͤcken und Um: 
Maaden abhängig, oft verweilend und gleichſam ausruhend 
von dem Wege, den fie zurüdigelegt. 


Die Schauſpielkunſt ſcheint in Frankreich faſt zugleich 


mit der Monarchie aufgebluͤht, aber bald ausgeartet zu ſein. 
Schan unter Chlodwig (481 — 511) if die Mebe von 
Hifttionen, Taͤnzern, Spaßmachern (farceurs), Gauklern 
und Seiltaͤnzern (bateleurs), und ihre Spiele waren fo 
fchandbar, daß Karl der Große fie verbot. Wahrſcheinlich 
brachte die Geiſtlichkeit den Kaifer zu diefem ntfchluffe, 


welche eiferfüchtig diefen Gauklern den Zulauf des Volks | 


beneidete und ihrerfeits ebenfalls unſchickliche Pofſen an: 
wandte, um durch fie den großen Daufen in die Kirche zu 
locken. Das Narren : oder Efetsfeft ift unter den geift: 
lihen Buffonnerien des Mittelalters am bekannteſten. 
Man mählte naͤmlich altjährlid einen Narrendifhof, dem 


man einen Haufen ungefchlachten Poͤbels als Klerus bei: 


ordnete, und einige diefer Narrenkleriker trieben die Wahr: 
heit oder vielmehr Unverfhämthelt fo weit, daß fie ſich 
nadt in den Kirchen zeigten. Wie die Geiſtlichkeit ſolchen 
Unfug nicht blos zulafſen, fondern felbft anordnen Ponnte, 
das begreifen wir heutiges Tags nicht. Die Univerfität 
zu Paris ſchrieb im J. 1444 einen ftrafenden Brief an 
die Geiſtlichkeit des Königreichs, worin es heißt: 

Non contens de chanter dans le choeur des chansons 
ü&sshonnetes, les prötres et les clercs mangenient et jouasient 
nux des sur l’autel A cötE du pröetre qui oslebrait la 
messe: ils mettaient des ordures dans l’encensoir, ils cou- 


‘rsient, riaient, chantalient et faisaient mille postures inde- ' 


centes, ils allaient ensuite par toute la ville se faire voir 
sur des chariots. 

Die Mahnung der Univerfltät war vergebens, daß 
Narrenfeſt fand unter der Geiſtlichkeit aller Länder berebte 
Bertheidiger, und ein Theologe des 15. Jahrhunderts fagte: 


„Unfere Vorfahren, würdige und beillge Männer, haben 


ſtets —* Feſt gefeiert, koͤnnen wir beſſern Beiſpielen 
fol en?“* 

Reben diefen geiftlichen Poffenreißereien finden fih zu 
derſelben Beit, d. h. vom 7.— 10. Jahrhundert, auch 


Beiſpiele von ernfihaften Bühnenfpielen, deren Stoff theile . 


aus dem gewöhnlichen chriftitchen Leben, theils aus den 
qriſtlichen Myſterien hergenommen war. Diefe Mofterien 


) Über dad Narrenfeft Tann man Walter Scott’ ‚The Ab- 
Ber! nachleſen. 





bildeten fogar den Gegenſtand der. erflen dramatifchen Ber: 
ſuche in franzoͤſiſcher Volksſprache; die älteften Erzeugniffe 
biefer Art, welche bis in die erften Jahre des 12. und 
fogar bis in Die letzten des 11. Jahrhunderts hinaufreis 
hen, find bie „Epitres farcies“, d. h. folde, Die abwech⸗ 
ſelnd franzöflfep und lateiniſch geſchrieben find. Diejemigen 
Stüde dieſer Gattung, welche uns übrig geblieben find, 
baben faſt alle die Marter des heiligen Stephan zum Ges 
genftande; fonft ift noch da: „Le Mystere des Vierges 
folles et des Vierges sages“, in drei Sprachen, latels - 
niſch, franzöfifch , und provenzaliſch abgefaßt und wevon 
Raynouard im zweiten Bande feiner vortreffiihen Samms 


lung ber Qriginalgedichte fagt: 
Stud bietet die Elemente und den Gang eines Dramas, 


d. 5. es hat eine Auseinanderfegung , eine Verfhürzung 


und eine Entwickelung.“ *) 

Im 12, Jahrhundert finden fich einige andere Frag⸗ 
mente von Muyfterien in franzöfifcher Sprache und ner: 
ſchiedene Iateinifhe Bühnenfläde ; folgendes fihon van 
Bapnound angesogene Factum beweiſt, daß hiefe latei⸗ 
niſch oder franzoͤſiſch geſchriebenen Stuͤcke wirklich aufge⸗ 
fuͤhrt wurden: 

Wenn die Geſchichte bezeugt — ſagt ber ebenerwaͤhnte Ge⸗ 
lehrte in feinem legten ber Literatur des Mittelalters gewidme⸗ 
ten Auffage —, daß ein Myſterium, das heilige Katharinenfpiel 
betitelt, zu Anfang bes 12. Jahrhunderts in England aufge: 
führt wurde, fo dient biefes Factum als Beleg, daß jene Art 
Sompofitionen fon in Branfreich befannt waren. Gin gewiſſer 
Geoffroi, von einer Familie aus dem Mans abflammend, war 
noch als Laie von dem Abte Richard von Saint: Alban nad 
England berufen worben, um bafelbft die Leitung einer Schule 
zu übernehmen, und er ließ jenes Stud in Dunſtable aufführen. 
Zur Ausſchmuͤckung ber Bühne und für den Anzug der Schaus 
fpielee hatte ex vom Meßner von Baint: Mban die Ehorröde 
und geifflihen Meßgewaͤnder geborgt. In dem Saufe, weiches 
Geoffroi bewohnte, kam zufällig Feuer auss bie koftberen Ger 
wänder und Bücher wurden zu Aſche. Ganz troftios, daß er 
der Abtei den erlittenen Verluſt nicht wieder erſetzen konnte, 
zahlte Geoffroi mit feiner Perfon, indem ex ſich als Möndy ein: 
fleiden lied. Er wurde Abt von Baint:Alban im 3. 1119. 

Diefe Facta nebft vielen andern, die fi noch beifks 
gen ließen, volderlegen ganz die von den Alterthurasfors 
fern des vorigen Jahrhunderts und von den Geſchicht⸗ 
fchreibern des franzöfifhen Theater (ben Gebrüdern Par: 
fait) verbreitete Anficht, daß Pilger, die aus dem gelobtem 
Lande von Jeruſalem, aus Spanien von Santiago de 
Kompoftella, aus Italien von Loretto und andren beruͤhm⸗ 
ten Wallfahrtsorten zuruͤckkamen, fich beigehen ließen, Die 
Erzählungen des Alten und Neuen Teflaments, die Lebens: 
geſchichte Jeſu, die Lebenslaͤufe der heiligen Märtyrer auf 
Öffentlichen Pidgen darzuſtellen, und daß dieſe dramatiſir⸗ 
ten Evangelien und Legenden Myſterien hießen, nad) dem 
Segenftande, den fie am häufigften behandelten. Was den 
Namen angeht, fo iſt nichts gewiffer und ausgemachter, 
was aber den Urſprung betrifft, fo iſt nichts beſtreitbare 
und ungegruͤndeter. 

Man muß bis ans Ende des 13. Sahrhunderts him 
aufgehen, um einige weltliche bramatifche Bearbeitungen 

) Choix des pordsies originalee des troubadeurs (5 Bbe., 
Paris 1817 — 32). 


⸗ 


m franzoͤſtſchen Werfen anzutceffen, die Theaterſtuͤcke ges 


nannt zu werden verdienen; und mehre von diefen Bear: 


beitungen gehören noch In die Abtheilung ber fogenannten | 
jeux-partis, d. b. foldyer verſificirten Stuͤcke, ‚wo zwei | 
‚ die in einem Geſpraͤche redend eingeführt wer: 


den, fich über diefen oder jenen Gegenſtand fireiten. So 
glauben wir, daß man mehre dialogirte Fabliaur und etz 
nige andere Stuͤcke derſelben Art nicht unter bie aͤlteſten 
Dervocbringungen der dramatiſchen Poeſie in Frankreich 
rechnen darf. Es unterliegt indeß keinem Zweifel, daß 
im 13. Jahrhundert in Frankreich dramatiſche Bearbei⸗ 
tungen weltlicher Sujets gegeben wurden; Belege dazu 
find das allerliebſte Schäferfpiel „Robin et Marion le dit 
de ia fenillee”, daß „Jeu de Pierre de la Broce”, fo; 
mie die in Werfen abgefaßte Beſchreibung ber Feſte die 
1313 zu Paris gegeben wurden, als die Söhne Philipp's 
des Schönen den Ritterſchlag empfingen. 

Vier Tage lang — beißt es in einer alten Reimchronik 
des Godefroy de Paris, aus der A. Jubinal mehre Stellen in 
Proſauͤberſegung mittheilt — dauerten die Feſtlichkeiten, und 
waͤhrend dieſer Zeit gab man Schauſpiele, darſtellend Adam und 
Eva, die drei Koͤnige, den bethlehemitiſchen Kindermord, unſern 
Heiland, wie er mit feiner Mutter ſcherzt und Äpfel ißt, bie 
Apoſtel, wie fie ihre Baterunfer mit ihm auffagen, bie Ent: 
Yanptung Iohannes des Taͤufers, Herodes und Kaiphas mit der 
Inful, Pilatus, wie er fich die Hände wäfcht, die Auferftehung, 
das jüngfte Geriht, ein Paradies mit 90 Engeln, eine Hölle, 
ſchwarz und flinfend, in weldhe die Verdammten hineinflärzten 


und bie hunbert Teufel amöfpie, meldge die armen Geeien mit 


ihren Krallen padten und erbärmiich zwickten. 


Außer diefen geiftlichen Darftellungen führt der Chro⸗ 
niſt auch Poffen an, große Aufzüge, Tänze und fatirifche 
Farcen auf Ärzte, Geiſtliche und fogar auf den Papfl. 
Diefe Zwifhenfpiele, damals Entremets (Intermede, In⸗ 
termezzo) genannt, beſchreibt die Chronik alfo : 

Diefe Zwiſchenſpiele waren Lumpengefindel, das tanzend und 
fingend im Hemde herumfprang, ein Bohnenkönig, ein Kinder 
turnier, sin wuͤthendoer Wider, ein [pimuender Wolf, ein Voͤgel⸗ 
concert... 

te bes Reinecke Fuchs darzuſtellen, der zuerft Doctor und 
—5 — dann —— —e —* Biſchof, dann 
Erzbiſchof, dann Yarft wird, und dabei immerſort Hennen und 
Achieia veripeift. (Chroniquo metrique de Godefroy de Pa- 
ci, ©. 191 — 192.) 

Nach diefer Zeit werden die Dentmale der dramati: 
(em Poeſie zahlceich und Buͤhnenvorſtellungen begleiten 
fortan alle feierlichen Geremonien, alle Königs» und Volkes 
feſte. Als Rönig Karl VI. 1380 feinen Einzug in Paris 
hielt, führten Geiftlihe ein Schaufpiel auf, wie man «8 
noch nie gefehen batte, und einige fahre fpäter, als er 
fi mit Iſabella von Baiern vermählte, ſetzten dieſelben 
Geiſtlichen ſich durch ein neues Schauſpiel bei dem Koͤ⸗ 
nige in Gunſt. Sie hielten nun um ein Privilegtum an, 
bildeten eine Geſellſchaft und gründeten fo das erfte fie: 
bende Theater. Ihren Namen gaben fie fi von dem 
berähmteften ihrer Stüde, der Pafjion ; ihre Darſtellungen 
wurden Myſterien, die Gefellſchaft la Confrairie de la 
Passion, und die Mitglieder, faft ausſchließlich Geiſtliche, 
Confrtxes de la Passion genannt. Odgleich vernünftige 
Männer fhon frühe in diefen geiftlichen Spielen etwas 


Die Gerber enbdlich bemühten fi die ganze Reben: | 





Anftögiges erblidten und der Peevdt von Paris fie ſchon 
1398 unterfagte , fo wurden doch die Paffionshrüder von 
der Geiſtlichkeit, die ihnen fogar in irgend einem Kloſter 
einen Saal zum Theater einräumte, wirkſam unterftägt, 
und Karl VI, gab ihnen 1402 das Privilegium, 

Die Stüde konnten wegen ihres Umfangs in einem 
Zage unmöglich gegeben werden und waren daher in mehre 
Journdes (Acte) getheilt, von denen jede einen Abend 
waͤhrte. In dem berühmtefien: „Die Paſſion unſers 
Herrn Jeſu Chriſti“, treten in der erſten Journee ſchon 
87 Perfonen auf, unter denen die drei Perſonen der Gott: 
heit, fech& Engel, die zwölf Apoftel, Herodes und fein Hof, 
und ſechs Zeufel die merkwürdigern find, in anderes 
Mofterium: „Die mpfängniß der Mutter Maria” betitelt, 
hat 53 Aufzüge und 97 Hauptperfonen. 

Mie die DVerfafler der Müfterien geheißen, iſt nicht 
ganz ermittelt, wahrſcheinlich waren «8 aber Geiſtliche. 
Wie die Form der Buͤhne beſchaffen geweſen, worauf 
man dieſe Myſterien ſpielte, daruͤber berichtet Jubinal 
Folgendes: 

Die Buͤhne beſtand meiſtens aus weitlaͤufigen Geruͤſten 
Schafauds), die auf oͤffentlichen Piägen ober auf Anhöhen am 
ußerften Ende einer Ebene aufgefchlagen wurden. Mitunter 
gewann die Sache ein noch malerifcheres Anfehen. Laſſay, in 
feiner Geſchichte des Berry, erzählt, daß man z. B. zu Bours 
ges 1436, zum Behuf ber Aufführung des Myſters der Apoftel: 
geſchichte, im Umkreis des ehemaligen Amphitheater oder Bra: 
bens der alten römifchen Arenen „ein zweiftädiges Amphithea⸗ 
ter herſtellen ließ, bad über die boͤchften Stufen hinäberrrichte 
und oben brüber mit Begeituch bedeckt war, um bie Bufchauer 
gegen Regen ober Hitze zu ſchuͤzen“. Was die Anordnung ber 

hne betrifft, fo theitte man biefelbe, da feine Verwandlungen 
vorkamen, terraſſen- und etagenweiſe ab, wovon jede eine 
Stadt, eine Provinz u. ſ. w. vorſtellte; und dieſe Abſtufungen, 
bie wieder in Unterabſtufungen zerflelen, ſtellten ihrerfeits wies 
der verſchiedene Örtlichkeiten das. Das Gange hieß l’eschafault, 
le jeu oder le parloir. Dben war das Paradies, unten die 
Hölle, in der Mitte das Fegefeuer angebradyt; um das götts 
lie Misfallen oder Wohigefallen auszudbrüden, hatte man bie 
Borfiht, im Paradies eine Orgel aufzuftellen, welche zu gleicher 
Zeit gebraucht wurbe, die Gngeichbre zu begleiten. Unten am 
Geruͤſt und nicht auf ber Bühne fah man ein Dradenmaul, 
das bie Zufchauer mit polixten Stahlaugen anglogte und ſich 
öffnete und ſchloß, je nachdem Teufel auf die 8 bne auszu⸗ 
fpeien oder nach dem Abgange von ber Bühne zu verſchlucken 
waren. Das flellte den höllifchen Flammenpfuhl vor; genau be⸗ 
ſehen, hätte man fich irren und biefen unterirbifchen Behälter 
für ein Arſenal halten können; denn es fanden fi) darin Feld⸗ 
langen, Mrmbräfte und fogar Kanonen, um Larm und Don: 
nermwetter zu machen. 

Was das Fegefeuer anlangt, fo bat uns bas Myſter ber 
Auferftehung folgentes in dieſer Beziehung überliefert: „au ber 
achten ift, daß die Sinfaffung ein Gebäude In Geſtalt eines 
großen viereckigen Thurmes fein muß, rundum mit Garn und 
Negen oder anderm durchfihtigen Gewebe umgogen, bamit man 
unter den Zuſchauern die darin befindlichen armen Seelen feben 
kann, und binter befagtem Thurme müffen mehre Leute im 
Streit begriffen fein, die alle -auf einmal ganz erſchrecklich 
fehreien, Heulen und winfeln, und wer von ihnen bie beſte und 
ftärtfle Stimme bat, fpricht für ſich und feine übrigen Mit: 
ſeelen.“ WBißweilen waren bie eben erwähnten Örtlichleiten, fos 
wie alle diejenigen, die das Gtüc noch erfoberte, mit Tafeln 
behängt, worauf ihre Ramen geſchrieben ftanden. Richt nur in 
Paris gab es Theater für die Myſterien, jede große und mans 
de kleine Stadt in Frankreich befaß eins, und die Geiſtlichkeit 


an ben Tagen, da man Gtüde aufführte, ben nachmit⸗ 
er Gottesdienft früh zu befchließen, um die Gläubigen am 
Befuche des Theaters nicht zu verhindern. 

Vorftehende merkwürdige Details find meiſtens ber 
außerſt lehrreichen Einleitung entnommen, welche dem er: 
ften angezeigten Werke beigegeben iſt und in gut gefchries 
bener Darftellung fhägbare Beiträge und Winke zur Ge: 
ſchichte der dramatifchen Poefie in Frankreich Liefert. Die 
Mufterien, welche die beiden Bände enthalten, find fämmt: 
lich In deeis und vierfplbigen Verſen gefchrieben. Der 
Grund ſelbſt ift oft ſchoͤn, aber gänzlich entſtellt durch bie 
Behandlung. Es zeigt fid darin Dülflofigkeit und innere 
Armuth, Mangel an Freiheit in Beherrſchung des Stoffe. 
Dieſem unterliegend, umfaßten die Dichter niemäls das 
Sanze, welches daher nie flreng durchgeführt und anein: 
andergereibt, fondern lofe und unbegrenzt voneinander faͤllt: 
eine unbeſchreibliche Geſchwaͤtzigkeit draͤngt ſich durch die 
Geſchichte und treibt ſie, mit Vernichtung jedes Intereſſe, 
nach allen Seiten hin, wie Laune oder Zufall will. Ja, 
man hat durchgehends den Eindruck, als ſei die Darſtel⸗ 
lung der Geſchichte das Außerweſentliche, blos vorgenom⸗ 
men, um darüber reden und moraliſiren zu koͤnnen. Hier⸗ 
zu kommen noch bie hart aufeinanderfallenden Reime, faft 
immer ohne Rhythmus, fodaß die langmüthigfte Geduld 
dazu gehört, diefen Mopfterien eine anhaltende Lecture zu 
widmen. Bei aller Robeit und Unvollkommenheit dieſer 
Stuͤcke kann man indeß eine mitunter and Erhabene ſtrei⸗ 
fende Einfachheit, eine gewiffe Größe der Compofition und 
an vielen Stellen den echten, kraͤftigen Dichter nicht ver: 
fennen, ber die Sprache in feiner Gewalt hatte und bei: 
fen Phantafie jebenfaus bewundernswerth bfeibt. Selbſt 
die Sprache iſt gewaͤhlt, einzelne Situationen ſind ſehr 
lieblich und reizend erzählt, und man findet, beſonders in 
einigen Monologen, einen fonoren Wörterpomp, uͤber den 
man erffaunt. Immer iſt zu bedauern, daß bie Franzo⸗ 
fen nicht auf dem duch die Paffionsbrüder angegebenen 
Wege fortgefchritten find; bei fortgefegtem Studium hätte 
ihe Theater etwas weit Beſſeres werden können, als es 
durch Jodelle's und anderer Nachahmer fogenannte Re: 


formation geworben If. 
(Die Fortſetzung folgt. ) 





Notizen. 

Gavard's grobes Wert: „Les galeries historiques de 
Versailles”, am 1. Mai 1837 begonnen, ift jedt mit der breis 
gundertften Lieferung gefchloffen. In ben 2000 Kupferftichen 
nad Werfen ber verfalller Galerie, wie in ben zahlreichen 
Holzſchnitten, woraus diefes Eoftfpielige Werk beftebt, erkennt 
man ben Eifer des Herausgebers, von Lieferung zu Lieferung 
den Kupferſtich wie den Holzſchnitt zu vervolllommnen ; umge⸗ 
kehrt wie in ähnlichen deutſchen Werken, in weichen die Treff⸗ 
lichkeit von Lieferung zu Lieferung abzunehmen pflegt, weil bie 
ohnehin für folche Unternehmungen geringe Sheilnahme bes 
Yublicums nur zu bald erlahmt. Namen wie Burdet, Blau: 
hard, Prevoft, Calamata, Dien, Delaunoy, Gaite, Buguenet, 
Lefeure, Mercuri, Margeot, Pannier, Prubhomme, Taver⸗ 
nier u. f w. bürgen für bie burchgebenbe Trefflichkeit des Werts. 
Auf die iegte Lieferung, welche 13 Platten und, ohne die Ta⸗ 
bellen und Qubfertptionsliften zu zählen, mehr als 40 Bogen 


Zert enthält, iſt beſendere Sorgfalt verwandt worben. Mehre 
ver in biefer Lieferung enthaltenen Kupferftiche find Weifterfläde 
des Grabſtichels. Das Zitelblatt ftellt Ludwig Philipp dar, 
geftocgen von Prudhomme nach Winterhalter's Gemaͤlde. Die 
Schlacht von Äbukir, nach dem Gemälte von Gros, tft von 
Lefeore, bie Salbung Karl's X , nach Berard’s großem Zableau, 
von Dien, ein Portrait bes Chriſtoph Colombo, feiner Zeit 
angehörig, von Mercuri geſtochen. 

Die „Ruffifche —— — bringt die Nachricht, daß der 
reihe Kaufmann Löwerftine (Loͤwenſtein?) dem Muſeum bes 
Corps des mines in Petersburg ein koſtbares Geſchenk gemacht 
bat. Es befteht aus einer ärdigen Sammiung von Per: 
len unb Edelfteinen, worunter 50 große Perlen, weidge 
auf 60,000 Aubel Werth gefchägt werben. ine berfelben, 
noch an der Muſchel hängend, iſt von außerordentlicher Größe 
und unvergieichliher Schönheit. Die Sammlung von rohen 
ober gefchliffenen Edelſteinen iſt nicht von geringern BWerthe 
unb Intereffe. Der Kalfer hat für biefes Geſchenk ten Kauf 
ern zum Nitter des Stanislausordens dritter Glafle er: 

oben. 


„Caboche ou le peuple sous Charles VI, po&me tra- 
gique, suivi d’6tudes historiques sur le regne de Charles VI, 
sur les moeurs, les coutumes, les usages etc., et sur les 
actions du peuple de 1795, rapprochdes des actions du 
peuple de LSième siecle” ift ber lange Zitel eines Werkes von 
&eon Martinay, worauf, wie in Journalen zur Gmpfeblung 
hervorgehoben wirb, auch ber Herzog von Remours fubferibirt hat. 


Den pilanten Xitel „‚Mesmoires et prophäties du petit 
bomme rouge, par une Sibylle” trägt eine new erſchienene 
Schrift, weldye von einer literariſchen Berühmtheit herruͤhren 
fol, die fi in den Mantel der Anonymität einhüllt, um ihren 
Drakelſpruͤchen den Reiz des Geheimnißoollen und Räthfelgaften 
zu ertheilen. 18, 





Literarifhe Anzeige. 





Allgemeines 
Wücher-Zexikon «. 


Bon 
Wilhelm Heinufins. 

Neunter Band, weicher die von 1835 bis Ende 1841 
erſchienenen Bücher und bie Berichtigung früherer Er: 
fheinungen enthält. Herausgegeben von 

Otto August Schulz. 


Erfte und zweite Kieferung, Bogen 1%. 
nt) vo 








Sr. 4. Geh. Jede Lieferung auf Drudpap. 25 Ner., 
auf Schreibpap. 1 Thlir. 6 Nor. 

Die erſten fieben Bände bes „Allgemeinen Bücherskeriten“ 
von Seinsius (1812 — 29) find fa gafommengenommes 
im herabgeſetzten Preiſe für 20 Thlr. zu erhalten; 
werben einzelne Wände zu verhältnißmäßig erniebrigten Preifen 
12T gain Bäder wind, Tun Zentren. 1 

enen Bücher enthält, koſtet au e 
15 Ngr., auf Schreibpap. 12 Thir. 20 Rer. Fr. 


Reipgig, im April 1843. 
$. A. Brockhaus. 


Berantwortlicher Derausgeber: Herarich Brodbaus. — Brud und Berlag von BE. U. Brodbaus in Eetpzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienfiag, 


2. Mai 1848. 





Eriften über den Urfprung der Ddramatifchen 
Poeſie in Frankreich. 
(Eortfegung aus Nr. 181.) 
Die deamatifirten Legenden, weiche Lebensläufe der 
Heiligen darftellen und die Mehrzahl in diefer Sammlung 
ausmachen, find zwar zur Erbauung gefchrieben, doch fehlt 


es ihnen nicht an unfittlihen Stellen. Die damaligen 


Dichter bebdienten fih, um fchlüpfeige Situationen in er⸗ 


bauliche einzuſchwaͤrzen, eines fein erfonnenen “Mittels, 
Sie legten den zahlreichen Perfonen, welche bie heiligen 
Märtyrer quälen und ihnen die gräßlihften Martern an: 
thun müffen, ſehr gefuchte, ungewöhnliche, drollige und oft 
eynifcye Redensarten In den Mund, oder ließen fie icdifche 
Anfechtungen und böfe Lockungen erfahren, was denn Ge 
legenhelt gab, das Unverſchaͤmteſte auf dem Theater zu 
zeigen. Durch die Darſtellung des Märtprertodes werden 
mehre dieſer Stuͤcke zu einer Art romantifcher Trauer⸗ 
fpiele. Wie wenig man auf Schicklichkeit ſah, beweiſt, 
daß In dem Myſter von der heiligen Barbara die Hellige 
auf dem Theater bei den Beinen aufgehängt, mit effernen 
Kaͤmmen zerfleifht und an Lampen gebraten wird. Trog 
dieſes Ungemachs bleibt die arme Frau immer am Reden, 
wirft dem Tyrannen feine Brutalität vor und ſchweigt 
erſt mit dem legten Athemzuge. In neuefter Zeit waren 
die Franzofen auf gutem Wege, wiederum folche Scenen 
auf ihren Theatern zu ſehen. 

Die Mofterien, womit uns dieſe Sammlung befannt 
macht, maren bis jegt noch nicht herausgegeben und bios 
dadurch bekannt, daß der Herzog von Pa Valliere im erften 
helle der „Bibliothöque du Theätre français“ (S. 36) 
ihrer erwähnt. Das Manufcipt gehört der Bibliothek 
Sainte = Beneritoe. Jubinal bat den Tert mit ers 
Käuternden Anmerkungen begleitet, welche feiner Ausgabe 
einen großen Werth verleihen. Zlr bloße Liebhaber find 
Überfegungen der ſchwierigſten Stellen beigefügt, ſodaß dieſe 
Ausgabe wenig zu wuͤnſchen übrig laſſen duͤrfte. Ju⸗ 
Dinat durchforſchte ſeit Jahren franzöfifhe und auswic 
ige Bibliotheken und gab mancherlei Schägbares umd In: 
tereffantes heraus: den „Trouvere Rutebeuf” (2 Bde.), 
„Jongleurs et Trouveres’' (2 Bde.), mit Victor de Sans 
fonetti die „Anciennes tapisseries bistorides”‘, und ganz 
neuerdings „Nouveau recueil de oontes, —* ſabliaux et 
autres pièces inddites des 13itme, lAiece et Lite 


siöches' als Fortſetzung zu den Sammlungen von fe 
Grand v’Auffy, Barbazan und Mion. 


Nr. 2: „Mystere de Saint-Crespin et Baint- Cr& 
pinien”, {ft ganz im demfelben Genre und flammt aus 
berfelben Zeit wie die Stuͤcke, welche bie Vorhergehende 
Samnılung mittheil. Das Manufcript, dem es entmenis 
men ift, Mrfindet ſich in den koͤniglichen Archiven, hiſtori⸗ 
fche Abtheilung, Reihe M, Nr. 906. Es beſteht aus drei 
Heften in Folio in Form eines Memotials und gehörte 
zu den Urkunden und Documenten, welche das 1783 ‚um 
Ausfuhen von Urkunden eingefegte Eomtid aus den Ars 
chiven von Motte: Dame ausgewählt. 

Die melften von uns vorher in Bezug der vom 
Jubdinal edirten Myfterien gemachten Bemerkungen paſſen 
aud auf dieſes. Eine Eunrze Inhaltsanzeige der deiden 
Abtheilungen, die von dem Mopfler des heiligen Crispin 
und Grispinian erhalten find, möge das Gmmälde vervoll⸗ 
fländigen, welches wir von bee Geſchlchte der aͤlbeſten Ders 
vorbringungen des franzöfifhen Theaters zu entwerfen ver 
fuchten. In den Hauptdaten dieſer Analyſe halten wir 
uns an Raynougtd. 

Der Prevdt Rictiovaire tritt anf und fegt das Sche 
auseinander, Wie ihr wißt, fagt er, haben wir zwei Chri- 
ften in unferer Gefangenfhaft, die unfere Gefege und uns 
fere Götter ſchmaͤhen und verfpotten. Die Kaifer (damals 
Diocletion und Marimian) befahlen, daß fie mit Node 
beftraft werben. Die Raͤthe und Henker, weiche letztere 
ber Verf. Ausrecker (tirants) nennt, find dee Meinung, 
daf man die beiden Gefangenen langfam zu Tode quälen 
fol. Grispin und Geispinlan werden aus dem Kerker ger 
holt und vor ihren Wächtern gemishanbelt, wofuͤr fie 
Gott danken. Anſtatt fiy in Ausbräche von Zorn und 
Klage zu ergießen, predigen fie In einem fort ihren Rich⸗ 
tern und Denken, bie mie großer Gefaͤlligkeit die an fie 
gerichteten frommen Reden anhören. Da faͤllt Rictiovaire 
auf eine Marter, auf die ihn ohne Zweifel das Glaubens: 
befenntniß der beiden Maͤrtyrer bringt: er laͤßt jeden Fin⸗ 
gre an jeder Hand Erispin’s und Crispinian’s mit einer 
Ahle durchſtechen, was bie Patienten ruhig aushatten, ins 
dem fie Gottes Beiftand anrufen. Die Mutter Maria 
bittet daranf ihren Sohn, ſich für die zwei muthigen 
Märtyrer zu verwenden. Die Engel Gabriel und Rafael, 





von Bott ausgefandt, erfcheinen, und die Schuhmadyers 
pfeiemen fptingen plöglid) aus den Singern, in die fie ge 
ftochen waren, heraus, durchbohren die Leider der Henker 
fetbft und machen ihnen den Garaus. Der Teufel kommt 
dag und holt fie mit Leib und Seele. Der Prevoͤt, feft 
Aberzeugt, daß diefe wunderbare Befreiung durch Bauberel 
bewirkt worden , läßt andere Ausrecker rufen und fchidt 
die Märtprer wieder ins Gefängniß ; darauf hängt man 
ihnen Muͤhlſteine um den Dals und wirft fie in den 
Huf, aber fie werden wiederum durch ein Wunder gerettet. 
Wegen des Eindrucks diefer wunderbaren Rettung fehr bes 
forgt, verhören Rictiovaire und feine Beiſitzer die Heiligen 
Grispin und Crispinian aufs neue und ſchicken fie zurüd 
ins Gefängniß. Am dritten Zage, d. h. im dritten Ast 
druͤcken Gott, die Jungfrau Maria und bie Engel unver: 
boblen das Intereſſe aus, welches ihnen die Ergebenheit der 
Märtyrer einflöße, und Gott ſelbſt erwidert die Bitten, 
die Griepin und Crispinian an ihn richten. Die Mut: 
ter Maria teöftee fie auch. Der Prevöt verurtheilt fie, 
in einen Keſſel voll fiedenden Öls und gefchmolgenen 
Bleis umzpulommen. Die Heiligen bitten Gott um Gnade 
und ber liebe Herrgott bedeutet ihnen, fowie ser Mutter 
Maria, die ſich fortwährend für fie verwenbet, ſich rubig 
zu verhalten, der Keffel werde plagen und das fiedende 
DI und heiße Blei werde über die Peiniger kommen. 
Der Keſſel platzt in der That und bewirkt den Tod Ric⸗ 
tiovaire’8 und feiner Spießgefellen ; der Teufel fährt mit 
ihuen ab zur Hölle. Kine Botſchaft wird an den Kaifer 
Marimian abgeſchickt, der eiligſt herbeiklommt und die bei: 
den Glaubenshelden zu erweichen und zu verführen ſucht; 
aber biefe widerſtehen tapfer allen feinen Drohungen und 
Berfprehungen. Gott thut endlich einen Machtſpruch und 
erklärt, daß ihre Probezeit vorüber fei, welche frohe Nach⸗ 
richt ihnen ſtracks ein Engel bringt. Die beiden Mär: 
tyrer werden enthauptet und ihre flerblichen Hüllen wer⸗ 
den von einer gutherzigen Dame, Namens Gävia, zur 
Erde beftattet. 

Die Sorgfalt und Umſicht, womit die Herausgeber 
ihee Aufgabe gelöft haben, verdient volle Belobung, ihre 
Arbeit iſt ein fchägbarer Beitrag zur diteften drama⸗ 
tifchen Literaturgefchichte der Franzofen, und mittels die: 
fe6 Beitrags , fowie durch da6 Merl Jubinal's und 
die von Krancisque Michel mit Monmerqué heraus: 
gegebene Sammlung (, Theätre frangais du 12itme, 
13itme, I4itme et Ididme siöcle’”) ijt es uns jeht ges 
Rattet, mit Bequemlichkeit eine Auswahl der beften Jeux, 
Mysteres, Moralites u, f. w. bed Mittelalters in ihrer urs 
fprünglihen Geſtalt, in Eritifh treuem und correctem Ab: 
deu mit Anmerkungen, Überfegungen, Gloſſen, Indices 
u. f. w. lefen zu können. 

(Der Beſchluß folgt.) 


Konrad Siebenhom’s Höuenbriefe an feine lieben Freunde 
in Deutfchland. Derausgegeben von Ferdinand 
Fuchsmund. Königsberg, Theile. 1843. 8, 20 Ngr. 


Ein Geifllicher, ein Offizier, ein deutfcher Student mit 


beeifarbiger Dluge und laugem Baar, ein berliner Kammer 


gerichts: Referenbarius, ein bünner Menſch vom wittenberger Ges 
minar, eine nervenſchwache Baronin, ein ruſſiſcher Genator un) 
bon preußifche Birilftimmen fahren nad ihrem Ablchen in einem 

oſtwagen ber andern Welt entgegen. Auch Siebenhorn iſt mit 
dabei. Sie glauben, es gebe ind Himmelreich; um fo größer 
ift das Gntfegen, als fie gewahr werben, daß ihr Weg dire 
zur Hölle führt. Diefe HöUe hat jedoch nichts mit den Angfbe 
gebilden frommer Sünder gemein; vielmehr laͤßt es fich dafelbft 
ganz gut leben. Die Reifegefelfchaft wirb in einem comforta⸗ 
bein Wirthehaufe untergebracht und genießt ſchon am folgenden 
Tage die Ehre einer Audienz bei Sr. ſataniſchen Wajefldt. 
Der Teufel in uͤblichem Goſtum faß auf einem golbenen Thron, 
zu feiner Rechten, eine Stufe niebriger , die Frau Großmutter, 
links feine Gemahlin; ringsum fland ein großer Theil der zur 
Unterwelt eingegangenen Geſchichte, Kaifer und Könige, Fuͤrſten, 
Paͤpſte, Minifter u. f. w. - 

Nach einer jovialen Anrede, mit welcher Satan die neuen 
Ankoͤmmlinge begrüßt, werben ihm biefeiben perſoͤnlich vorgeſtellt. 
Zu einigen Indianern dußerte ber Satan, er fei der europätfchen 
Miſſionsgeſellſchaft viel Dank ſchuldig, daß fie aud) den Wilden mög 
lich gemacht habe, in den Himmel zu kommen. Ginige Augenbiide 
beſchaͤftigte er ſich mit mehren aus dem bittern Bierlande, einigen 
werthoollen SIefuiten und andern gewandten Menſchen, benen 
es fein Wohlgefallen ausbrüdte. „Da, meine Pfäfftein”, rief er, 
„meine ſchwarzen Kinderchen, herzlich willkommen! Ihr feib 
mir Ale ans Herz gewachlen, meine Römerlein, meine Baier 
lein.“ 

In einem ſpaͤtern Briefe berichtet Siebenhorn uͤber eine 
Unterhaltung, welche er mit des Teufels Großmutter und der 
Pompadour gehabt hat. Erſtere behauptet, die Mode ſei nicht 
blos Laune, ſondern ein Ausdruck ber Zeit. Die Pompadour 
bezweifelt dies und fragt, wie denn z. B. der Frack die Zeit 
darſtellen ſolle? Siebenhorn erlaͤutert hierauf die Bedeutungen 
dieſes modernen Kleidungsſtuͤcts. „In dem tiefen Ausſchnitt 
liegt die ganze Negation des heutigen Jahrhunderts; es iſt ein 
kritiſches Segment philoſophiſch gefaßt und praktiſch bie unäber: 
windliche Idee ber Cenſur: der Brad ift negativ, kritiſch unb 
cenfirt. Wiederum liegt in den ſpit nach Hinten zu laufenden 
Schoͤßen die unendliche Idealitaͤt der Zeit, das inbifferente Abe 
folute,, die gleichſam punktlos vergehende Abſtraction, die meta⸗ 
phyſiſche Sinheit von Sein und Nichts.” „Und”, fiel die Groß⸗ 
mutter fanft ein, indem fie mit dem Teufelchen auf ihrem 
Schooſe tändelte, „ift es nicht die elegiſch⸗ſentimentale Stim⸗ 
mung der Zeit, wenn ein liſpelnder Lufthauch die Schoͤße hin⸗ 
ten ſanft voneinander ſchlaͤgt, daß fie poetiſch im Winde flate 
tern? Iſt das nicht etwas unendlich Atheriſches 7” „Zugleich“, 
fügte Siebenhorn hinzu, „iſt dieſes Igrifche Spiel der auseinander» 
ſchlagenden Schöße ein Ausdruck der plögliden Manifeſtation 
des Abſoluten und bes Durchſcheins der Ratur, weldye in ihrer 
ganzen ftabilen Fuͤlle von Hinten her ſichtbar wird. Darin liegt 
unftreitig ein materialiftifcher Yantheismns.” 

Auch eine Badefaifon gibt's in der Hölle. Fallſtaff if 
Badewirth. Sehr ergoͤtlich iſt es, woie Kogebue wegen ein 
ger, im Grunde wohlgemeinter und unſchuldiger Redensarten 
von dem groben Engländer zurechtgefegt wird. „Sir John er 
zählte mir eben feine Abenteuer mit den lufligen Weibern von 
Windfor. Indem trat Kogebue herein in Begleitung von cin 
paar ruffifhen Spionen, einem BBibelgefellfchafter und einigen 
Menſchen vom Mäßigkeitsverein; fie fepten fi an einen Tiſch 
und tranfen Branntwein. Kotzebue prahlie mit feiner GBefchichte 
des deutſchen Reicht und wigelte auf Volkeverfaſſung und com 
flitutionnelle Ideen. ‚Wozu ift ein Boll‘, fagte ex, „als zur 
Knechtſchaft und von der Gnade ber Könige zu leben? Bolt 
ift weiter nichts als das Bausthier bes Könige.‘ ,Ia“, 
fagte der Bibelgefrllfchafter fanft, ‚man muß es feit an das 
Kripplein binden, ja! — ‚Peitſchen! peitfcden!‘ bekliten Wie 
befoffenen Ruffen, ‚Donnerwetter! ſo'n Bolt, wir wollen Wiut 
faufent‘ — , Wahrhaftig‘, lachte der edie Schriftfieller Roger 
bug, „es iſt lächerlich, wenn fi ein Volk will vertreten laſſen; 


nicht vertreten, ſondern zertueten! umb Jeden ſollte man öf⸗ 
fentlich ausbauen, der von Gonflitution zu ſprechen wagt.‘ 
‚Goddam! das ſoll man‘, rief Sir John Fallſtaſf, indem er 
auffprang und dem Schreier eine fchallende Obrfeige gab, ‚und 
das ift der Humor davon.‘ Die grünen Spione zogen bie 
Göbel und drangen fluchend auf Balluff ein, ber behende res 
tirirte. „Cie John, Ritter Sir John, lauft doch nicht‘, Ladys 
ten mehre Engländer, ‚es find fleifleinene Kerie und mit 
denen nehmt Jhr's auf.“ Ginige Franzofen halfen, das Geſin⸗ 
dei ward hinausgeworfen und der Legationsrath rollte fammt 
einer Reichsgeſchichte die Treppe hinunter.” 

Der Slavierfpieler Lyſius verberriicht die Saiſon und ber 
Enthuſiasmus ift für ihn dert unten ebenfo überfchwänglich wie 
auf der Oberweit. „Epfius fpielte zuiegt einen daͤmoniſchen 
Galopp: bier brach Alles in wuͤthende Ekſtaſe aus — man 
hieit ſich nicht mehr; Herren und Damen fielen jauchzend über 
ben Giavierfpieler ber, einige fehnitten ihm bie Haare ab, ans 
dere zogen ihm wüthend die Weinkleider aus und machten ſich 
darüber her, fie in Streifen und Wegen zu zerfchneiben, um 
ben tbeuern Raub nach Hauſe zu tragen. Die Damen werben 
fi) daraus Souvenirbänder machen laflen. Geht, wie gewals 
tig der Genius wirkt und wie ihm gehulbigt wird!’ 

Nach dem Goncert geht's in Philabeiphia’d Zaubervorſtel⸗ 
ung. „Der Satan war anweſend und bei fo guter Laune, wie ih 
ihn felten gefeben habe. Ia, er trug dem Zauberer ſelbſt einige 
Berwandlungen auf. ‚Werwandein Sie mic doch den Menſchen 
da*, rief er lachend. Flugs faß ein Eichhörnchen mit Schwanz, 
Schnauze und Kiauen. Dann nahm Philadelphia einen dicken 
Senfor bei den Beinen, ftellte ihn auf den Kopf, bieb ihn 
einige Mate mit einem Knuͤttel über den Bauch, und fich! ein 
Baum ſchoß daraus hervor, auf dem das Eichkaͤtzchen fofort 
hinauffprang,, ein Männchen machte und hohle Nüfle in das 
Yublicum warf. Darauf ließ fi) ber Magier ein paar Orden 
geben, hackte fie Elein, lud fie in ein Pilot und feuerte auf 
das Eichkaͤgchen: Anall — Yulverdampf — beide Metamors 
phofirte ſaßen an Ort und Gtelle und fragten, wie aus einem 
Zraum erwachend,, wonach es hier fo ſtinke. Rach Eichkaten, 
fagte der Satan lachend. Er winkte dem Zauberer und fagte 
ibm heimlich etwas ins Ohr, worauf ſich biefer entfernte und 
wie müßig unter den Zuſchauern umberging. Bald merkte 
mans, Graͤßliches Gelächter | man fiebt umher: Der General 
eapitelömeifter Pius V. figt mit einem Originatfchafsgeficht da 
und bIöft, ohne etwas von feiner Verwandlung zu ahnen. Der 
Schafskopf weiß nicht, worum Alles auf ihn Hinficht. Linke 
und redyts entfliehen neue Schafstöpfe; «es ift fchon eine zahl: 
reiche Heerde — alle ſtecken um den Generalcapitelmeifter biös 
fend bie Köpfe zufommen. Die Zufchauer wälzen ſich; ber 
Satan lacht fürchterlich.” 


Ein ganz originelles unb vortrefflid organifirtes Inſtitut 
ift die Senforenfhule des Höllenreihe. In einer wiben 
Gegend, wo der Fluß Pyriphlegeton eine wuͤſte Zelfeninfel ums 
heuit, liegt ein finfteres altes Kloſter mit verwittertem Ge⸗ 
mäuer, ſchautrlichen Hallen und dunfeln Bogengaͤngen. Es 
ſcheint; als wäre das deben entſetzenvoll vor dieſer Ode zuruͤck⸗ 
geflohen und als haͤtte nun die Natur ewige Trauer angelegt 
und als wäre fie in ihrem Sram fleinern geworben. Das tiefe 

igen des Grabe laſtet erdruͤckend über dieſem Kloſter 
und die Schatten hängen geſpenſtiſch an feinen flarren Finnen 
wie klagende Grinnerungen einer gemorbeten Weit. Unwillkuͤr⸗ 
licher Schauer erfaßt den Wanderer, der diefe Stätte bes Los 
bes fchaut, und fein Geiſt firdubt ſich, ale hörte er die Sklaven⸗ 
fette raffeln oder ben meuchleriſchen Dolch der Feme wegen. 
Und diefes Ktofter? Dreibundert junge Leute werben bier zu 
Senforen erzogen — es ift bie fatanifche Staatscenforenfchule. 
Die von Natur unbändigften , wildeften Knaben werden, fobald 
fie die Luͤmmeljahre erreicht haben, in dieſes Gemaͤuer gefperrt 
und in der Genfur unterrichtets fie haufen in finftern, dumpfen 
Zellen. Hier wird ihre Galle kunftmäßig bearbeitet; man reizt 
diefe Züngtinge, macht fie graͤmlich, mürrifch, biffig., Sind fie 


hierdurch binlänglich vorbereitet, fo lieſt man ihnen Colleglen 
über bie Philofophie der Genfur; die Kennzeichen der guten und 
der ſchlechten Preſſe werben ihnen fcharf eingeprägt. Ratürtich 
werben häufig praktiſche Übungen im Genfiren angeftellt. „Es 
ift eine hoͤlliſche Luft, eins abcenfiren zu fehen. Der Director 
der Cenſorenſchule macht befannt, an dem und dem Tage wird 
cenfirt! Alles grinft vor Freude. Um bie jungen Leute noch 
grimmiger zu machen, werben fie den Tag vorher ausgehungert. 
Man reizt fie durch Vorzeigung neuer fcheußlicher Autoren. 
Bon Zeit zu Zeit ſteckt der Director den Kopf durch die Zellen 
tür und recitirt einige bemagogifche Ruchlofigfeiten aus der zu 
cenfirenden Schrift mit verftellter, fürdhterlicher Stimme. Das 
geſchieht am haͤuſigſten in der Nacht, wo die Etille und das 
feierliche Dunkel die Worte noch fchauerlicher machen. Die Gens 
foren knirſchen mwüthend mit den Zaͤhnen. Hier und ba wilde, 
unarticulixte Muthausbrüde in ben Betten. Es wird Tag. 
Alles ſtuͤrzt mit großem Geheul in die Genficftube. Bei einem 
fo fireng foftematifchen Unterrichte kann es nicht fehlen, daß 
die Genforen, wenn fie aus der Kloſterſchute dimittirt werben, 
wahre Wunder leiflen. Es gibt deren, die ein ganzes, großes 
Wert ſchon aus dem bloßen Zitel cenfiren können: fie fchlagen 
ton auf, begrinfen ihn, befchnuppern ihn, floßen ein patriotis 
ſches Geheul aus und — es ift abcenfirt. Das find aber auch 
wahre Driginalcenforen, wahre Genies, Prachtleute, Paradig⸗ 
mata ber ganzen Genforenkunde. Habt Ihr noch nie einen 
wahren, echten Genfor cenfiren fehen? O! meine Freunde, es 
it ein Anbtid, der einen Stein zum Erbarmen bringen koͤnnte. 
Die Cenfur iſt der wahrhafte unaufgelöfte Widerfpruch ber Idee, 
ber ſich in dem ganzen Ausbrud eines Genfors abprägt. Ent 
weber iſt's Wuth oder eiferne Starrheit. Der Erfte padt das 
Manufceipt, er reißt es, er zerrt ed, als wollte er bie ganze 
Gedankenweit in Waculatur verſchtingen. Wie fich fein Baar 
firäubt I Wie die feurigen Augen in den Böhlen rollen! ie 
die Nafe fchnaubt! Es ift ein aufzifchendes Yuriengeficht , ale 
wills aus dem Kopf berausfpringen. Er wirft fi) unrubig im 
Stuhle umher. Seine Hand Erallt ſich in den Roͤthel und zudt 
feurige Blieftreifen über die Blaͤtter. Sie find roth über und 
über. Jetzt wird er gang kirſchbraun im Geſicht. (Cs iſt na« 
tuͤrlich nur von hoͤlliſchen Genforen die Rebe; die irdifchen 
haben ſich's alſo nicht anzunehmen.) Roch einen hafligen Strich — 
das Bud iſt tobt. — Seht den Andern! (Eine marmorne Rube 
tiegt in dem grauen, eingeflürzten Geficht, unveränberlich. Der 
Mund ift Halb zur Seite fchief aufgeriffen und zeigt ein zuſam⸗ 
mengepreßtes Gebiß. Er lacht nicht, er wuͤttzet nicht auf: es 
ift ein kaltes, feftgefrorenes Grinſen. Die Eritifche Nafe hängt 
fpig über in das Bud und wundert fh: alle Regung bes 
Lebens bat fich in fie Hineinconcentrirt, man könnte fagen, bie 
Seele ſaͤße in ihr. Bon Zeit zu Zeit mache er einen kunſt⸗ 
gerechten Strich durch die Rechnung, langfam mit eifenfefter 
Hand. Das ift ein kaltbluͤtiger, unerbittlicdger Senfor, beimets 
tem der gefaͤhrlichſte. Wie fehr man geniale Genforen hier zu 
fhäsen weiß, beweiſt ein Denkmal, welches der Satan bem 
Dbercenfor hat errichten laſſen. Es tft ein zwoͤlf Buß hoher 
Würfel von Rothſtein; obenauf ſteht der gewaltige Genfor gang 
von Stein. Sein rechter Fuß tritt auf die spolia opima feiner 
Senfur, auf zerriffene Manufcripte, Federn und entblätterte 
Lorbertränge. Er felbft trägt auf dem Haupte einen Lorbers 
franz in mattem Silber. Mit ber rechten Hand hebt er einen 
noch zappeinden GSchriftfteler bei den Haaren in die Höhe, ihn 
ben Bolke zeigend; die Linke ruht nachläffig auf einer Eoloffas 
len Schere. Bor ihm niet der Beitgeift kraͤnklichen Aus⸗ 
ſehens, hält einen Rapport vor und ſcheint Befehle zu er⸗ 
warten. ‘ 

Es wird an biefen Proben genügen ; bie folgenten Briefe 
ſchildern noch eine Menge irdiſcher Dinge aus dem Gefichtss 
punkte diefer luſtigen Hölle. Wir würden zu viel fagen, wenn 
uhr die Schrift als ein Meiſterwerk des Witzes anpreifen well 
ten3 doch ift fie faft durchgängig in einem kraͤftigen Humor 
gefhrieben und wird ben Lefern, welche in den Feten und komi⸗ 


bes Hblleniebens feine Yrofanation erblicken, eine 
—— Sonde gewähren. 3, 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


po 
.Lamattine, der es namentlich durch feine Marseillaise 
paix’ in ber „Revus des deux mendes” mit ber libe⸗ 
salen Partei fehr verdorben hatte und dem z. B. ber „Natio- 
nal’ befonbers feiner oft etwas vernachtäffigten Form wegen 
immer etwas am Zeuche zu fliden wußte, ift mit einem Male 
wieber bei ben Radicalen zu GBnaben angenommen. Mir bens 
fen hier nicht daran, bie kaͤhne Schwenkung zu erliären, durch 
bie er in die Reiben ber Linken übergegangen ift, aber wir koͤn⸗ 
nen es nicht unterlaffen, darauf aufmerffam zu machen, wie 
noch in einem der erſten Hefte der „Rerue indélpendante 
G. Sand, dieſer beredte Bertheidiger ber demokrati Ideen, 
Lamartine zurief, ſich nicht mit der Politik zu befaſſen, weil 
er nichts davon verſtehe, weil er ein Ntopift ſei; waͤhrend 
jegt keines der liberalen Organe Anſtand nimmt, ihn fuͤr einen 
ber größten Staatsmaͤnner, bie Frankreich gegenwärtig bat, zu 
estiären. Es iſt aber freiti wahr, daß zu gleicher Zeit 
®. Sand barauf binweift, wie eigentlich ein Widerſpruch zwi⸗ 

feinen Poeſien und den confervativen Principien fel, die 
er bis dahin auf der Nebnerbähne befannte. Sie belegte es 
durch zahlreiche Gitate, dab Lamartine wenigſtens in feinen Ge⸗ 
dichten fih zu ben demokratiſchen Tendenzen hinneige. Wiel 
wichtiger inbeffen als bie Änderung feines politifden Glaubens: 
befenntniffes bürfte für Lamartine's literariſchen Ruf das Er⸗ 
ſcheinen einer Tragoͤdie fein, die im Manuſcript bereits vdilig 
ausgearbeitet fein fol, und bie, wie mir verfichert wirb, wahr: 
ſcheinlich zuerft im Drud erfcheint, obgleich Lamartine gern ben 
Zriumspf einer Öffentlichen Darftelung im Theätre francais feiern 
möchte. Sie heißt „Les esclaves”. Die „Revue des deux 
meondes’‘ und bie „Presse’’ theilen ein Bruchſtuͤck daraus mit. 
Es if ties ein Monolog Touſſaint's und bat deshalb fein zu 
großes Intereffe, weil man daraus nicht erfehen Kann, ob «6 
Bamartine verfianden haben wird, feinem Stuͤcke einiges drama⸗ 
tifche Leben einzubauden. Wir können uns unmöglich vorſtel⸗ 
len, daß er im Gtanbe geweien fein wird, feiner Tragödie 
eine wirkliche Handlung zu geben. 


Über Lamennai#’ philoſophiſches Syftem. 

Die neuefte von uns ſchon erwähnte Schrift bes phantafiereis 
hen Lamennais hat aufs neue die Aufmerkſamkeit auf diefes feltene 
Zalent gelenkt. Bon vielen Seiten wirft man ihm feine mannidys 
fadgen politifchen, philofopbifchen und religiöfen Beränderungen vor, 
als träfe diefer Vorwurf nicht einen großen heil der ausge: 
zeichnetften Dränner, und als könnten dadurch bie demokratifchen 
Principien, deren Sache ber ehemalige Abbe jegt mit fo vieler 
Glut vertheidigt, verbädtig gemacht und entkraͤftet werben. 
kamennais bat ſich, fo viel wir wiſſen, noch nicht über bie 
wirklichen oder auch nur ſcheinbaren Widerſpruͤche ausgefprochen, 
die zwiſchen einzelnen Stellen ſeiner verfchiedenen Werke herr 
fen; dafür aber haben es einzelne feiner Yreunbe unternommen, 
ben Zuſammenhang zwiſchen den verfchiebenen Phaſen, die er 
durchlaufen bat, zu erflären. G. Sand namentlich bat mit 
glühenden Worten den vielfach angefochtenen Philoſophen ver« 
theidigt. Gegenwärtig ift nun ein eigenes Kleines Werkchen er 
fhhienen, in dem das Syſtem Lamennais', insbefondere wie es 
derfelbe in feiner „Eisquisse d’une philosophie etc.” aufftellt, 
gewürdigt und bie verfchiedenen Umgeftaltungen feiner philoſo⸗ 
phifchen Richtung beleuchtet werben follen. Diefe Schrift führt 
den Titel: „Kxposition raisonnsee de la doctrine philose- 
phique de M. F. Lamennais‘, von E. %. Segretain (Paris 


1949). So fehe der Standpunkt, auf tem Yamtamats feut 

‚ von feinen früheren Beſtrebungen entfernt tft, fo hat man 
doch eigentlich unrecht zu fagen, daß er feine frühere Sichtung, 
und instefondere feine erſten Schriften, die als unvergaͤngliche 
Beugniffe derſelben daſtehen, gaͤnzlich verleugne. So Läßt er 
z. B. gerade jept von feinem Buchhaͤndier eine neue Ausgabe 
hinten „Essai sur I'indiff6renco en matiere 
de religion’‘ vorbereiten, die binnen kurzem die Preſſe verlaſ⸗ 
fen wird. Diefelbe wirb, wenn wir nit ircen, bie zehnte 
Ausgabe bilden. 


Sanin’s „Un hiver a Paris‘. 


prachtvollen Kupfer in dem „inter zu Paris” alle nach Zeich⸗ 
nungen vom befannten Cugene be Samy entworfen. Auch el 
nen Text bat er Nr er * fra a Perg und 
zwar von einem, deſſen zu en en Sc: 
derungen trefflich eignet, nämlich von 3. Janin, anfertigen laſ⸗ 
fen. Der fruchtbare Feuilletoniſt fehrieb fein Werk in franzoͤß 
ſcher Sprache und ließ es bann ins Engliſche übertragen. Zu 
gleicher Zeit ift aber auch eine franzöfticye Ausgabe davon unter 
bem Titel „Un hiver a Paris’ herausgelommen, beren wir 
in d. 1. bereits erwähnt haben. Wir haben vor kurgem Ge: 
legenheit gehabt, einen Blick in die englifche Überfegung zu 
werfen und gefunden, daß fie im Ganzen nicht übel iſt, daß 
aber der Bearbeiter body manches Misverſtaͤndniß mit bat 
unterlaufen laſſen. So überfegt er, um nur ein Belfpiel aut 
zubeben, un juge d’instruetion durch un experimented judge, 
als wenn im Xert un jage instruit ftänbe. 


8 —— in ——— 

e neuere Zeit hat uns einige ganz aus nete Scrifs 
ten über das Gefängnißwefen gebralit. we bat man 
babei das in Nordamerika heimiſche Suftem berüdfichtigt, das 
man feit einigen Monaten auch in Frankreich einzubürgern an⸗ 
gefangen bat. Wir erinnern bier nur an bie trefflidhen Werke 
von Tocqueville und Beaumont. Die Gimridhtung der in 
Deutſchland gebraͤuchtichen Strafhäufer war im Allgemeinm 
weniger unterfucht. Das jegige Winifterium gab daher vor 
einem Jahre einem jungen Gelehrten, Hallez⸗Elaparede, weis 
der dem Gefaͤngnißweſen feine ausfchließliche Aufmerkſamkeit zu 
gewendet hatte, ben Auftrag, die Gefängnifte Preußens forg: 
fältig in Augenfdhein zu nehmen. Der Bericht, den berfi 
beim Miniſter bes Innern eingereicht hatte, iſt vor kurzem 
unter dem Zitet „Rappert a M. le comte Duchätel, ministre 
secrötaire d’&tat de l’interieur, sur les prisons de la Prusse” 
(Paris 1843) in den Buchhandel gelemmen. Gr fcheint fer 
beachtenswerth zu fein. 


Improvifation eines Zrauerfpiels. 

Man erinnert fich vielleicht bes Improvilators Eugene be 
Prabel noch, ber vor mehren Sahren in Paris fi mit einem 
Stalierre in einer Ast poetiſchen Duelld verfuchte. Wie es 
ſcheint, Hat berfelbe fein fehönes ISmprovifationstaient noch nicht, 
wie bies fonft fo häufig zu gefchehen pflegt, abgenupt. Mb 
erhaiten gegenwärtig unter dem Xitel „Improvisatiens en 
vers francais‘ einige feiner poetiſchen Graufte im Drmf. 
Diefes Baͤndchen enthält unter Anberm eine Tragoͤdie in beei 
Acten „„Boabdil, ou les derniers momento de Grenade”, bie 
Pradel zu Montpellier aus bem Gtegreife vorgetragen hat. 
** bemerken 3 — eine u Leichtigkeit in der Verſi⸗ 
catıon und mehr p als I e Improvbiſa⸗ 
tionen in ber Regel aufzumelfen baben. ai * 


Berantwortiiger Herausgeber: Heinrich Brodhaus. — Druck und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 


j für 


literarifhe. Unterhaltung. 





Mittwoch, 





Schriften uͤber den Urſprung der dramatiſchen 
Poeſie in Frankreich. 
| (Beidlub ous Rz. 10.) . 
Nachtraͤglich verbinden wir mit diefer Beurtheilung bie 
Anzeige von zoli andern Schriften, die vielfach denfelben 
Segenftand behandeln, wie die beſprochenen Werke: 


1. Monnaies inconnues des &veques des innocents, des fous 
et quelques autres associations singulieres. Par J. R. 


d’Amiens, avec notes et une introduction par C. L. (Le- | 


der.) Paris 1840. 
2. Etudes sur les mysteres dramatiques et sur divers manu- 
scrite de Gerson. Par Onedsime Leroy. Paris 1840. 
Beide Bücher verbreiten ebenfalls mandyes Licht Über 
den Urfprung des frangöflfchen Theaters, wiewol in ver. 
ſchiedenen Beziehungen. Erſteres, welches eine Abhand⸗ 
fung über bizarre und ſeltſame Gebraͤuche des Mittelal⸗ 
terd und authentifche Beweisſtuͤcke von dem Vorhanden⸗ 
fein derfelben enthält, hänge nur in einer Hinſicht mit 
dem Theater zufammen und fchlägt in andern Beziehun⸗ 
gen in bie Geſchichte des franzoͤſiſchen Privatlebens und 
Muͤnzweſens; letzteres hingegen ift ein Verſuch über den 
wichtigften Theil der aͤlteſten dramatifhen Poeſie und 
Schauſpielkunſt in Frankreich. 
Die Sammlung der „Monnaies inconnues des Ev8- 
ques etc.”, zerfällt in zwei Abtheilungen, in Einleitung 


und Text, die von zweiverfchiedenen Verfaſſern herrühren. 
In der Einleitung oder Überficht über den Gebrauch der | 


bleiernen Dentmünzen, die Narren und Wortfpiele im 
Mittelafter fprihe Hr. C. Leber, der fich durch verſchiedene 
hoͤchſt gehaltreiche hiſtoriſche und Literarifhe Publicationen 
in der gelehrten Welt einen ehrenvolln Namen erworben, 
von der fonderbaren , im alten Frankreich üblichen Sitte, 
gewiſſe Feſte zu feiern, die und jegt ſkandaloͤs erfcheinen, 
aber damals im Ganzen fehr ſchwer auszurotten waren, 
da fie mit alten, vom Heidentyum auf die erften Chriften 
vererbten Überlieferungen zufammenbingen. Dahin gehörs 
ten das bereits erwähnte Narren⸗ und Efelöfelt, das Keft 
der Unfchuldigen und Subdiatonen, ſchmaͤhliche Parodien 
auf den Eatholifchen Eultus, unanfländige und laͤcherliche 
Poſſen, die, an beiliger Stätte aufgeführt, den Tempel 
des Herrn befudelten. Dieſes abfonderliche Gemiſch von 
weltlichen Poffenreißereien und geiftliden Ceremonien 
ftimmte fo fehr zu dem damaligen rohen und barbariichen 


Zeitgeift, daß ſelbſt ordinirte Geiftliche ſich nicht ſchaͤmten, 
an diefen Volksfeſten und Tollheiten Theil zu nehmen, 
und daß fie fich oft weigerten, den firengen Verboten bes 
hohen Klerus Gehorfam zu leiften. Genau genommen, 
fann man bdiefe geifllihen Buffonnerien des Mittelalters 
als die erſten Anfäge der älteften Schaufpieltunft in Frank: 
reich betrachten, und jene Diakonen, jene Chorknaben und 
andere Narrenkleriker, die einen Tag lang die Biſchoͤfe 
und Erzbifchöfe fpielten, find im Grunde die Vorläufer 
ber „Kinder ohne Sorgen” und der „Schreiber der Bar 
foche”‘, die ihrerfrits wiederum und mit volllommenem 
Recht als die Begruͤnder des frangöfifchen Luftfpiel® ange 
ſehen werden. 
Leber unterfucht fehr forgfältig, ob die bieiernen Denkt; 
mänzen, welche da6 ephemere Dafeln jener geifllichen 
Buffonnerien bezeugen, fir wirkliche Muͤnzen zu balten 
find; er glaubt foldyes mit Recht verneinen zu müffen 
und ftellt Mar beraus, daß diefe Stüde blos ats merk⸗ 
würbige Denkmale, als unumfößliche Belege jener naͤrri⸗ 
fhen Poflen anzufehen find. Unter diefen Belegen, die 
er für feine Anfiche anfuͤhrt, verdient befonder® einer bers 
vorgehoben zu werden, beſtehend in werfchiedenen bleiernen 
Medaillen, welche in ben erſten Sahren des 15. Sabre 
Yunderts den fic Damals in Frankreich und hauptſaͤchlich 
zu Paris um die Herrſchaft ftreitenden Parteien ats Er 
ennungszeichen dienten. Es gab damals bekanntlich di 
Parteien: die Eöniglicye, die leider die am menigften zahl: 
reihe ift und Armagnac an der Spige bat; die burgun⸗ 
diſche und endlich die englifche, die, abmechfelnd von einer 
der beiden andern Parteien unterftügt, nahe daran war, 
alle beide aufzursiten. Ruͤckſichtlich diefer Medaillen be; 
richtet Leber Holgendes : 
Sie find fämmtiidy von Blei, blos auf einer Seite geftems 
et und auf dee umgelehrten Seite mit einem Haͤkel ober 
br verfehen, womit fie nach Umfländen am Hute ober an its 


gend einem andern, minder fichtbaren Theil des Anzugs befeftigt 


wurden. Rr. 1. Das franzoͤſiſche Wappen und oben drüber bie 
Snfchrift: Ave Maria gratia plena. Diefe Medaille ſcheint 
den Armagnacs, der Partei des Dauphin, fpäter Kari’s VII. ger 
geben werden zu müffen. Nr. 2. Ein Kreuz, oben drüber eine 
kilie und die leeren Räume mit Lilien und Löwen ausgefüllt, 
als Infchrift: Ave Maria gratia plena. Diefer Orben gehörte 
ber burgundifchen Partei, wie es ber Löwe von Burgunb (ans 
fänglidy von Flandern), mit den Wilien vereinigt, anbeutet. 
Nr. 3. Die engliſche Mebaille trägt ganz daſſelbe Biidniß wie 


; 400 ! 


die im Namen Heinrich's VI., Königs von England und angeb⸗ 
tichen Könige von Frankreich, zu Paris gefchlagenen Golbfläde ; 
die Inſchrift lautet wie bei den vorigen. 

Reber befchließt feine, wie aus Obigem erſichtlich, 


in mehr als Einer Bepehung lehrreichen Unterſuchungen 


mit neuen und unterhaltenden Notizen über die Hofnar⸗ 
ren, welche die Könige von Frankteich vom 14. Jahrhun⸗ 
dert etwa bie zum 18. hielten, wo diefes Hofamt mit 
Angeli aufhoͤtte. Der Verf. gibt außerdem noch einige 
Details über die Wortfpiele oder Bebus der Picarbdie. 
Eine ftrenge Kritik koͤnnte vieleicht dem Verf. biefer ziem: 
lich langen Einleltung die Fülle und Vielfältigkeit der das 
tin abgehandelten Gegenflände vorwerfen, welche die Lecture 
erſchwert und die Klarheit des Zuſammenhangs ſtoͤrt; aber 
der Verf. dürfte ſich damit entfchuldigen, daß diefer Fehler 
von einer vielfältigen, ſehr außgebreiteten Gelehrſamkeit 
herruͤhrt, die alle Seiten und Punkte eines Gegenitandes 
zu erhellen und zu ergelinden fucht. Die Arbeit des Hrn. 
J. R. von Amiens dünft und genau, gewiffenhaft und 
oft gehaltreich. Die der Beſchreibung ber Münzen vor: 
ausgefchickten Unterfuhungen und Forſchungen find fehr 
wichtig, aber unvoliftändig; die Bemerkungen, welche in 
die Velchreibung der einzelnen Stüde eingeftreut find, 
entfalten mitunter mertwürdige Nachweifungen und Do: 
sumente. Die ganze Publication erhält endlich ihren vol: 
fändigen Werth durdy eine beträchtliche Anzahl gut aus: 


geführter Kupferplatten, welche bie Herausgeber beigefügt | 


haben. 


Die zweite Schrift „Etudes sur les mysteres drama- 
tiques“, von D. Leroy, einem bekannten dramatiſchen 
Dichter, deſſen Komoͤdie „Liirresolu” großen Beifall ge⸗ 
funden ‘Hat, find ausſchließlich Unterfuchungen über den 





Urfprung des franzoͤſiſchen Theaters und Zergliederungen 


heiliger ober moralifcher Schaufpiele des. Mittelalters ge 
widmet, mit Ausnahme der beiden legten Gapitel, wovon 
da6 eine mit dem Gegenflande des Buchs in gar keinem 
Bezuge flieht und das amdere daraus füglic hätte weg⸗ 
hleiben Binnen. Der Verf. macht uns im Auszuge mit 
den im der Volkoſprache gefchriebenen Stüden bekannt, bie, 


Mofterin oder Moralitäten geheißen, vom 13, —15. ; 


Jahrhundert die ſchauluſtige Menge entzudt haben. Ob⸗ 
ſchon Leroy das erfte Capitel feines Buchs „Origine 
da drame frangais‘ uͤberſchrieben hat, To fagt er uns 
doch fehr wenig in diefer Beziehung und umgeht dieſe 
Frage gänzlich, indem er die „„Kipltree farcies” und die in 


Vuigairſprache abgefaßten Gefänge des 10. und Il, Jahr⸗ 


hunderts, die rohen Grunbelemente der Mofterien und 
Moralitäten, ſowie die lateiniſchen Stücke des 9. und 10. 
Jahrhunderts und die halb lateiniſchen, halb franzoͤſiſchen 
Stüde in gereimter Profa, die bei den geiftlihen Buf— 
fonnerien des Mittelalters abgelungen wurden und von 
denen wir ſchon geſprochen, unbeachtet und mithin die 
Frage wegen des Urſprungs des franzoͤſiſchen Dramas un⸗ 
entſchieden laͤßt. 

Ans Ende des 13. Jahrhunderts, bei dey geiſtlichen 
Spielen in Vulgairſprache amgelange, gibe Leroy eine 
Analyſe bed heifigen Nikolausſpiels, von Sean Bodel 






1 ' ‘ 


aus Arras, dem er die Ehre zufpeicht, das erfie drama⸗ 
tifhe Mondment, deffen fich die franzöfifche Literatur ruͤh⸗ 
men koͤnne, errichtet zu haben”, eine Behauptung, bie 
uns etwas voreilig und gewagt fcheint. Der Analyfe ei: 
niger Mpfterien, die fi im einem zweibändigen Folis⸗ 
manufeript auf der koͤniglichen Bibliothek Paris 
unter Nr. 7208 befinden, hat Leroy mit Recht ein 
ganzes Gapitel feiner „Etudes’ gewidmet. Die zahltei⸗ 
hen Stüde, welche jenes Manufcript enthält und bie 
theilweife herausgegeben find, beziehen ſich alle auf die 
Aungfrau Maria, und jedes behandelt ein von der Mut: 
ter Ehriſti verrichtetes Wunder, Einige von diefen Sth- 
cken haben ihren Stoff von den Ritterromanen hergenom⸗ 
men, wie dad Mofter der „‚großfüßigen Bertha‘, der 
Mutter Karl's des Großen, und das von „Robert dem 
Teufel”; andere behandeln geſchichtlichen Stoff, wie die 
„Taufe Chlodwig's“, die „Enerves de Jumieges” u. f. w. 

Nach einem Capitel über die religiöfen und drama⸗ 
tiſchen Feſtlichkeiten, worin Leroy bie verſchiedenen Feſte, 


feiert, und die mancherlei Spiele erzählt, die bei dieſen 
Selegenheiten aufgeführt wurden, fommt er auf das ber 
ruͤhmte Myſter der Paffion unfere Herrn Jeſu Cchriſti 
zu ſprechen, mit deſſen Inhalt er uns weitlaͤufig bekannt 
macht. Dieſe dramatiſche Bearbeitung der Lebensgeſchichte 
Jeſu füngt bei dee Taufe im Jordan an und geht 
bis zum Begraͤbhniß. Leroy zengliedeet das in mehre 
Jourmdes zerfallende Stud Scene für Scene. Es würde 
zu weit führen, bier auf feine umſtaͤndlichen Entwidelun- 
gen näher einzugeben; nur zwei Stellen wollen wir aus 
heben, die und wahre, obgleich rohe Poefie dünfen. Ein 
Prieſter ſpricht im Synedrium: 
Premiärewent l’Empereur soulz la man dure 
Nous tient subjetz, tout le peuple murmure, 
Rien n'est en paix, tout est mal gouverne, 
Erreurs croissent, ia sinagogue endure, 
Haynes pulluleut, et tout mal on procure, 
.  Parquoy je dis que Messyas n’est pas nd. 
Die Mutter Judas’, des Werräthers, beklagt ihr Unglüd: 
O que j’ay de rage en mon coeur! 
O Dieu tout- puissant, quel horreur ! 
Quelle terreur! 
Quelle erreur! 
Quel forfaict ! 
O le trös-haultain plasmateur! 
Qui sera ie reparateur 
Du melhenr, 
Deshonneur 
Que j’ay faict ? 
O Dieu souverain tout parfaict, 
‘Jay faict le faict et le defaict, 
Par vil faict 
Et maiffaiot, 
Douloureux : 
O veutre maternel infaict, - 
Tres ort, träs vil, tres imparfaict 
Par le faict 
De ton faict 
Maiheureux ! 
Las ciel! à toi je me deulx. 
Venge toy sur moy, si tu peulx, 


die bei den Einzuͤgen der Könige und Koͤniginnen ge 





403 


Des grieks: d’eniz,. 

Visienix, . 
"Que je paxte. 

Terre qui nous soastient tous deux, 

Pour nos p6chex libidineux, 
En tes lieux " 
Tensbreux 

‘ Neus transporte ! 

Diefe wirklich merkwürdige und mit ber größten 
Sotgfalt ansgearbeitete Analyſe des Myſters von der 
Paffion zeichnet fidy befonders in dem Werke Leroy’s 
aus und bringe mandyes Neue. Ziemlich gluͤcklich ver: 
gleicht der Verf. bisweilen gewilfe Ausdrudsweilen und 
fogar ganze Stellen aus alten Mpflerien mit Redeformen 
und Stellm der franzoͤſiſchen claflifchen Dichter ; diefe Pa: 
rallelſtellen, die den Werth jeder Servorbringung in ein 
helleres Lichte flellen, find mitunter recht finnreih, doch 
bisweilen nicht ganz richtig. Den fehler bat Re: 
son nicht forgfam genug vermieden, indem er in feine 
Unterfuhungen zu oft Reflexionen eingemifcht, die nicht 
dahin gehören und die ihm von firengen Kritilern den 
Vorwurf der Geſchmackloſigkeit zuziehen könnten. Auch 
mil uns beduͤnken, daß der Werf. über die Vorſtellung 
umd die Infcenefegung der Mofterien feine ausreichenden 
Details gegeben; er fagt uns zwar, was der Meneur du 
jea war, eine mit der Handlung nicht in Verbindung fle- 
bende Perlon, die den Zufchauern die moralifche Abficht 
des Stuͤcks klar mahen und zu Gemüthe führen mußte; 
er erzählt und auch noch von dem öffentlichen Ausrufen 
der Stüde, wodurch man bie Tiheaterzettel erfegte, und 
führt ebenfalld die Namen mehrer Schaufpielee an; aber 


Biefe und andere dergleichen Einzelheiten find bier und da 


in dem Werke zerſtreut, anflatt daß fie in einem befondern 
Capitel zufammengefteltt fein follten. 

Rah dem Mofter von der Paffion analpfirt Leroy 
noch mehre andere Hervorbringungen dieſer Art, unter 
andern das geiftliche Stud vom heiligen Ludwig, welches 
am Ende des 15. Jahrhunderts von Pierre Gringoire, ei: 
nem duch Satiren und Farcen befannten Poeten, gebich: 
tet worden und die dramatifche Bearbeitung* der aus den 
beiten gefchichtlihen Quellen gefhöpften Biographie des 
heiligen Ludwig enthält. Einige Scenen find wahrhaft 
poetiſch; unter andern die Scene zwifchen dem from 
Könige und dem Site von Coup, der feinen König und 
Herrn um Vergebung bitten muß, daß er drei junge Bur⸗ 
fche, die auf feinen Gütern gejagt, bat aufhängen laſſen. 
Das ganze Stuͤck ift hoͤchſt merkwürdig und verdient be: 
kannt gemacht zu werden. 

Im Allgemeinen find die „‚Etudes” von Xeroy ein 
durchaus liebenswuͤrdiges und leſenswerthes Buch, freilich 
sicht fo gelehrt, als. was von Achille Zubinal, Frans 
cisque Michel oder Paulin Paris aus Bibliotheken und 
Archiven zu Tage gefördert wird, aber voll gelungener 
Anatpfen und oft geiftreiher Bemerkungen, die biftorifchen 
Sim, poetiſches Gefühl und kritiſche Tuͤchtigkeit beweifen. 

Was das vorlegte Capitel des Buchs mit Nachfor⸗ 
ſchungen über Gerfon und die „Imitation de Jesus- Christ” 
anlangt, fo mag alles daſelbſt Beigebrachte fehr treffend 


und merkwürdig fein, aber es drängt fich dem Leſer dabei 
unwillkuͤrlich die Frage auf: was bat das Alles mit den 
Mofterien zu fchaffen? Non hic erat locus. 

Schließlich Binnen wir die Bemerkung nicht unter: 
drüden, welches vortheilhafte Zeugniß von dem ruͤhmlichen, 
lobenswerthen Eifer der heutigen Franzofen für die Kennt: 
nißnahme und Erforfhung ihres Mittelalter die angezeig: 
ten vier Schriften ablegen. Jedenfalls müffen diefe mit 
Liebe und großem Erfolg betriebenen Studien mit der 
Beit einen fittlihen und focialen Einfluß ausüben. Wenn 
der Goͤtzendienſt mit dem Geſchichtlichen abgeſchmackt iſi, 
ſo iſt Kenntniß und Beruͤckſichtigung des Geſchichtlichen 
dagegen ein hoͤchſt loͤbliches und fuͤr die jetzige franzoͤſiſche 
Bildung wol das beſte, vielleicht das einzig angemeffene 
Mittel gegen die Herrſchaft und Verwuͤſtung leerer politi= 
fher und fonftiger Abſtractionen. 27. 





A memoir of Ireland, native and saxon. 
By Daniel O’Connell. 


Folgendes Urtheil über O'Connell's Schrift entnehmen wir 
einem engliſchen Journale: „Ein thaͤtiges Leben voll politiſcher 
Aufregung, ein tuͤchtig ausgebildetes Jalent zu leidenſchaftlicher 
Declamation, eine im Sturme des politiſchen Kampfes zur Ge⸗ 
wohnheit gewordene ſich uͤberſtuͤrzende Anordnung der Rede ſind 
fo unvertraͤglich mit ber geduldigen Forſchung und ber ruhigen 
Betrachtungsweiſe, die man von einem Geſchichtſchreiber vers 
langt, daß wir mit einiger Überrafchung obiges Werk angekuͤn⸗ 
digt fahen. Hätte ſich deu Verf. vom politiſchen Sehen zurüd: 
gezogen und ber Literatur als einer neuen Quslle der Aufregung 
für einfame Stunden gewidmet, um feinem Gemuͤth, welches 
aus in einer mannichfaltigen Beſchaͤftigung Ruhe finden kann, 
einen Ableitungslanal zu eröffnen, fo mürden wir immer noch 
an der Möglichkeit gezweifelt haben, baf der Verf. die zu einem 
bedächtigen Urtheite über fireitige Punkte nöthige Ruhe erlan: 
gen werbe; aber ein Berk, welches zu einer Zeit gefchrieben iſt, 
wo ber Verf. noch an bes Spige der Agitation fleht, gefchries 
ben fft mitten unter der Aufregung einer fieberifchen Discuflion, 
kann nur al6 Daß gelten, was es auch in der That ifl, als ein 
ausgeführteres politifches Pamphlet. Herr D’Gonnell bat wirt: 
lich wenig mehr gethan, als Auszüge aus ber irländifchen Ge⸗ 
ſchichte zu veröffenttichen,, bie er in fein gemeinplägiges Buch 
als Stoff für Reden einführte, und er hat ihnen nod) ein paar 
Worte einer hitzigen Erlaͤuterung beigefügt, die ihm wol in einer 
öffentlichen Verſammlung lauten Beifall einbringen würden, 
aber nicht genügen, um ihm die Billigung und den Beifall eines 
leſenden Publicums zu fihern. Charles Kor fagte, daß, was fich 
als ein Verſuch recht wohl Lefen tafle, niemals als eine Rebe 
von Wirkung fein koͤnne; aber das Gegentheil ift noch wahrer: 
was als populaire Rede wirkfam fein, mag, bat ale eine ges 
ſchichtiiche Denkſchrift die wenigſte Ausficht auf Erfolg. Schon 
ber Titel zeugt von einem des Verf. unwuͤrdigen Mangel an 
Ruhe und Vorficht; von bem ‚Native Ireland‘ fagt er faum 
etwas, und von dem ‚Saxon Ireland‘ natürfich gar nichts, 
da ein ſolches Irland nie eriftirt hat. Die erften Eroberer Ir: 
lands von Britannien her waren normännifche WBarone, die den 
urfprünglichen Bewohnern Englands ebenfo verhaßt waren als 
den eingeborenen Irlaͤndern. Cine populair gewordene Rüge 
mag mit Vortheil wiederholt werben, um ben lauten Beifall 
bes Volks zu erlangen, aber ein Buch darf nicht nady demſel 
ben Maßftabe beurtheilt werben wie eine Rebe, und es ift ein 
unerlaubte3 literariſches Bergehen, den Titel mit einem vulgairen 
Irrthum zu flempeln und fi auf ein vollsthümliches or: 
urtheil zu berufen. So weit biefes Buch ein Object hat, iſt es 


eine Beweisführung für die Aufhebung der Union, hergeleitet 


408 


ans den Weweifen für die fehlechte Leitung der englifchen Wer: 
waltung.” Der englifche Berichterſtatter meint nun, baß man 
eher das Gegentheil behaupten könne und daß die bel, welche 
Irland getroffen bätten, daher entfprungen wären, daß man bie 
Union zu lange aufgefchoben und zuiegt unvollftändig gelaffen 
hätte. Cine vollftändige Union wuͤrde Irland alle jene Wohle 
thaten des englifcgen Geſetzes gewährt haben, deren 26 entbehrte. 
Wenn O'Gonnell beweife, daß Irtand nice ale eine Provinz 
behandelt werden dürfe, fo müfle es entweder als ein integraler 
Theil Britanniens oder als rin unabhängiges Volk behandelt 
werden; eine andere Alternative gäbe es nicht. Auch könne fi 
D’Sonnell nirgend recht deutlich machen, was er eigentlich uns 
ter Aufhebung der Union verfiche. Der Werichterflatter ſchließt 
mit folgender Bemerkung: ‚Wenn wir biefes Wert weder als 
literarifche® noch als logiſches loben können, fo müffen wir doch 
gerecht fein und die Kraft des Stils und die Aufrichtigkeit der 
Gefühle anerkennen, aus benen es hervorgegangen iſt Die 
Lecture deſſelben bat uns ein Werk von fehr verichiebener Art 
wuͤnſchen laſſen; wir würden mit freudigem Danke Hrn. O' Con⸗ 
nell's Memoiren feines eigenen Lebens und feiner Zeit entgegen: 
‚ nehmen. Beine Lebensgewohnheiten, fein natürliches Tempera⸗ 
ment, fein lebendige Gefühl für das Unrecht machen ihn für 
die mühfame Forſchung und das ruhige Urtheil nicht geeignet, 
welche erfoderlih find, um geſchichtliche Zeugniffe zu ſammeln 
und anzuorbnen 5 aber eben jene Eigenſchaften würben ber Auto: 
biographie eines Mannes, welcher in feinem Ginzelleben mehr 
gethan, gelitten und triumphirt bat als eine ganze Generation 
von gewöhnlichen Polititern, den Stempel von Kraft und Ge⸗ 
wichtigkeit aufdruͤcken.“ 13. 





Literarifhe Notizen aus Franfreid. - 
Beitrag zum Boͤlkerrecht. 

Folix Hat fi in Frankreich durch die Herausgabe einer 
juriflifhen Zeitung, an weldger bie hervorragendſten Rechts⸗ 
gelehrten von Paris mitarbeiten, vortheilhaft bekannt gemacht. 
Außerdem hat er feine Wiffenfchaft durch mehre gediegene Schrifs 
ten bereichert. Wir erhalten gegenwärtig ein Merk von ihm, 
dur das er fi um einen wichtigen Theil des Voͤlkerrechts 
großes Verdienſt erwirbt. Es ifk dies ein „Traité de droit 
international prive’’ (Paris 1843). Das allgemeine inter: 
nationale Recht iſt Häufig und erfchöpfend behandelt worden, 
während man die Rechtsfaͤlle, die zmifchen Unterthanen ver: 
ſchiedener Regierungen -vorlommen, aber doch dem Privatrechte 
anbeimfallen,, feltener wiffenfchaftiidh beleuchtet hat. 
dies zum erften Mate auf eine etwas befriedigende Weife, und 
Dupin, gewiß ein competenter Richter, bat bereits in ber 
„Gazette des tribunaux” von biefem Werte einen fehr vor: 
theilhaften Bericht erflattet. Diefe Schrift gereicht der beuts 
chen Jurisprudenz zur Ehre, indem Hr. Yölir ein Deutfcher 
von Geburt iit und feine Bildung deutſchen Rechtsichulen vers 
dankt. Seit geraumer Zeit lebt er inbeffen in Paris und bat 
lange an der augsburger „Allgemeinen Zeitung” mitgearbeitet. 








Sin Wert, das Rouffeau fhreiben wollte. 

Rouffeau erzaͤhlt in feinen „„Confessions”, daß er ein Wert 
zu fchreiben beabjichtigte, welches den Zitel „La morale sensi- 
tive” führen folltee Er mollte in demfelben eine Anleitung ge: 
ben, wie der Menſch durch Beobachtung gewiſſer diäterifcher 
Regeln und fosufagen auf ganz materiellem Wege zur Zugend 
und zum moralifd Guten gelangen koͤnne. Diefes Werk, das 
unter Rouffeau’s Hand gewiß fehr originell gemorden wäre, ift 
nicht zu Stande gefommen, und die Bruchflüde, die der große 


Schriftſteller davon aufaefegt hatte, find zum größten heile 


verloren gegangen. Valery, Bibliothekar zu Verſailles, der ſich 
durch mehre Compilationen über Italien einen Namen gemacht 
hat, läßt gegenwärtig eine Schrift unter dem Zitel „La science 


Joͤlix thut 


de la vie ou principes de condaite religieuse, morale et po- 
litique’’ (Paris 1843) erfcheinen, das demſelben Gegenſtande, 
ben Roufleau behandeln wollte, gewidmet if. Der Derausgeber 
bat nur das Verdienſt, das Werk zuſammengeſtellt unb georbs 
net zu haben, indem er die Baufteine dazu ber italieniſchen Li⸗ 
teratur, in der er fehr zu Haus zu fein fcheint, entiehnt bat. 
Valery fagt, daß er feinen Stoff bei fieben italieniſchen Schrift: 
ftellern, deren Werke ſich gegenfeitig ergänzen, vollftändig vor⸗ 
gefunden babe. 


Über ven Geiſt unfers Jahrhunderts. 
‚Bun es ſchwer iſt, ein vollfiändiges und getreus Bil 
irgend eines Zeitraums zu entwerfen, To hält es gewiß doppelt 
ſchwer, der Gegenwart einen Spiegel vorzubälten, in dem fi 
alle Beiten berfelben abfpiegein könnten. Unſer Jahrhundert 
namentlich, das fo wunderbar bewegt und von fo feindlichen 
Richtungen durchkreuzt if, laͤßt ich nicht Leicht in ein abgeruns 
detes Bild zufammenfaflen. Und doch ſehen wir alle Tage 
Schriftſteller auftreten, die uns das ganze Leben ber (Gegens 
wart in nuce erflären zu koͤnnen behaupten. "Wir könnten na 
mentlich eine ganze Lifte frangöfticher Federhelden entwerfen, bie 
alle den „esprit du siecle” mehr ober weniger ausführlich zu 
ſchildern verfucht haben; aber wir wollen es bier bei dem 
derartigen Werbe bewenden laſſen. Daffelbe führt den Zitel: 
„Genie du dix-neuvieme siecle”, von Ed. Alles (Paris 1843). 
Der Berf., der dur eine Abhandlung über die Demokratie 
bekannt ift, ergeht ſich gar zu fehr in allgemeinen Redensarten. 
Es fehlt ihm an beflimmten Grundideen unb er glaubt phile⸗ 
ſophiſch zu fein, wenn er dunkel redet. Seine Schrift zeugt 
von einer großen Beleſenheit, namentlidy werben einige literas 
riſche Richtungen nicht ohne Gluͤck gezeichnet, indeſſen ift bas 
Ganze doch nur eine ungenuͤgende Skizze. 








| Die bibliſchen Anfigten über die Erfhaffung der 
eilt 


Bei den englifhen Geologen fehen wir, daß fie trog ber 
oft fehr originellen Anftchten, die fie über gewiſſe Yunkte ihrer 
Wiffenfchaft aufftellen, doch felten den Muth haben, ſich von 
ben biblifhen Ideen über bie Schöpfung der Welt, über die 
Gündflut u. f. w. lotzuſagen. Wir Deutichen gehen dabei viel 
freier zu Werte, wie wir, die wir im politiſchen Xeben fo 
Kam find, denn in ben Wiffenfchaften oft die revolutionnair 

en Anfiditen zu entfalten pflegen. Auch bie franzöfifcyen Ge: 
tehrten flimmen in der Geologie nicht fonterlih mit den Ans 
nahmen der Bibel überein. Indeſſen Hat man doch ſelbſt in 
neuefter Zeit die altteflamentarifchen Lehren vielfady mit ben 
Refultaten der Wiſſenſchaft in Einklang zu bringen geſucht. 
Wir machen in diefer Beziehung auf ein Wert aufmerffom, 
das zwar ſchon fein Publicum gefunden hat, von dem aber ger 
gie, eine neue vermehrte Ausgabe herausfommt. Wir 
nen „De la cosmogouie de Moise, camparde aux faits 
geologiques”. Der Verf, Marcus de Serris, ift Profeflor 
zu Montpellier und bat ſich bereits durch verfchiebene geichrte 
Arbeiten befannt gemacht. 


Neueſtes Wert vom Berf. des „Gamin de Paris“. 
Wer kennt nicht ben liebenswärdigen Taugenichts, dem 
„Gamin de Paris”? Der Berf. deffelben, Emile Banderburd, 
der noch durch andere dramatifche Leiftungen befannt iſt, Läßt 
gegenwärtig eine Reihe von Romanen erfheinen, die er war 
befonders für die Jugendwelt beftimmt bat, die aber auch von 
den Ewachſenen mit Vergnügen geiefen werben. Das nendke 
Werk aus feiner fruchtbaren Feder, das einen Theil biefer 
Sammtung bildet, ift „La maison waudite. Histoire cent 
ans (2 Bde, Paris 1843) Es iſt in demſeiben einfachen, 
ruhigen, geſchmackvollen Zone erzaͤhlt, der allen Romanen Baus 
derburch's eigenthuͤmtich ift und der gegen ben affectixten und 
verbrehten Stil der meiften neuern franzöfifchen Romanfcreiber 
fehr abfticht.. 2. 


Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Brodbaus — Drud und Berlag Yon J. A. Brodpaus In Leipzig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


Donnerstag, 


— Nr. 124. — 


4. Mai 1843. 





Ruͤckblicke. 
Drei Landſchaftsmaler. 


I, Profeſſor Friedrich. 

Derſelbe gehoͤrte zu denjenigen Kuͤnſtlern, welche frem⸗ 
dem Unterrichte nur ſehr wenig verdanken. Durch ſeinen 
Genius ſchon in fruͤheſter Jugend hinausgetrieben nad 
dem Dunkel des Waldes und den ſonnigen Hoͤhen, wurde 
das blaue Himmelsgewoͤlbe ihm bei Zeiten ſein liebſtes 
Obdach. Die Akademie zu Kopenhagen, wo der aus 
Greifswald Gebuͤrtige ſich zuerſt für die Prieſterſchaft der 
Kunſt auszubilden dachte, wie uͤberhaupt das Wort und 
die Lehren der Kunſtmeiſter wußten das Streben ſeines 
Geiſtes nicht lange feſtzuhalten. Die Natur und ihr, 
jedem Geweihten allenthalben aus derſelben hervorklingen⸗ 
der und leuchtender, großer, geheimnißvoller Zuſammen⸗ 
bang wurde fein unablaͤſſiges Studium. Und fo gelangte 
er, ehe feine Hand noch fähig war, ihre einzelnen Er: 
ſcheinungen nachzubilden, vielleicht ſchon zu einem weit 
tiefen Verſtaͤndniſſe mit ihr als mancher bereits fertige 
Landfchaftemaler. Wenn er auch das Verdienft der ſchoͤ⸗ 
nen Brucftüde aus ihr, die fo viele einnehmend in Bil: 
der zu fallen wußten, Leinesweges verfannte, ja folches 
nur allzu gern ſich baldigſt angerignet hätte, fo genügten 
ihm Doch weder die getreuefte und gelungenfte Abfchrift 
einer lieblichen Gegend durch Stift oder Pinfel, nody auch 
die auf foliden Studien beruhenden, aus impofenten 
Maſſen von Waldung, Bergen, Strömen phantaſtiſch zus 
fammengefegten landichaftlihen Meiſterwerke. Außer der 
Naturtreue und Schönheit der aͤußern Gompofition fo: 
derte er von jeder Landfchaft, die ihn völlig befriedigen 
folite, daß entweder eine befondere Idee das Bruchſtüͤck 
zu einem lebendigen Ganzen umfchaffe oder doch fonft 
ein eigenthuͤmliches Weſen im Allgemeinen foldyem eine 
höhere Bedeutung ertheile. Es kam ihm nur wenig auf 
Mamichfaltigkeit und Reichthum der Gegenftände, ſowie 
auf wirkſame, malerifhe Contrafte der Landſchaft an. 
Die tunfllofefte Einfachheit veichte ihm vollig aus, wenn 
der feines Erachtens allen Kunflerzeugniffen unterzule: 
gende tiefere Sinn ſich in ihnen hinlänglich ausſprach. 
Zum beiten Commentar über feine Anfichten dienen bie 
Landfchaftfichen Darftellungen in Sepia, die ungefähr zu 
Anfange des jetzigen Jahrhunderts in Dresden von ihm 


ausgeſtellt erfhienen, das er in einem Alter von 24 
Zahren zu feinem Aufenthalte gewählt hatte. Wie feine 
Naturbetrachtung mehr das Ganze umfaßte, ale dem 
Einzelnen eine fecupulöfe Aufmerkſamkeit widmete, fo bes 
zweckte er auch in feinen Nachbildungen vor Allem ben 
Zotaleindeud. An Sorgfalt in Ausführung des Einzel: 
nen fein Gedanke. Zuweilen fogar keiner an Baͤume 
und ebenfo wenig an Staffage. Dafür aber fchien auch 
kein einziger Strich feines Pinfels ohne Beziehung auf 
da® Ganze gefchehen zu fein. Alle wirkliche Farben ganz 
verfchmähend, wußte Friedrih aus feinem Duntelbraun 
und Weiß und den mancherlei bazrifchenliegenden Toͤnen 
der Einbildungskraft des Beſchauers den Reiz der Far: 
ben hervorleuchten zu laffen. Und nicht dieſen allein. 
Auh den Glanz und Schimmer des Sonnenauf: und 
Untergangs. Diefen beiden Endpuntten des Tages wid⸗ 
mete er in der erften Zeit zundchfi feine Kraft. Dan 
folte offenbar hauptſaͤchlich durch kunſtvolle Anwendung 
von Schatten und Licht die raſtlos wirkende Seele ber 
Natur in feinen Schöpfungen wiederfinden. Und in ber 
hat, je länger ſich das Auge in feine Sonnenauf⸗ und 
Untergänge vertiefte, deflo mächtiger umfaßte uns die 
Größe der Erſcheinung, das erhebende Gefühl, von dem 
wie in der lebenden Natur felbft ergriffen werden. In 
der Folge trachtete er mehrmals irgend eine philoſophiſche 
oder religioͤſe Idee durch feine Bilder auszufprechen. So 
eröffnete er, wie er ſchon oͤfter als früher in die lands 
ſchaftlichen Gegenftände menfchliche Handlung zu verwe⸗ 
ben fuchte, wiederholt mit großem Erfolg durch einen 
aus hochbejaheten, frommen Mönchen beſtehenden Leichen: 
zug in tiefem Schnee nach einer Kloſterkirche, oder durch 
ähnliche Darſtellungen, tröftliche Ausfichten auf eine Zu: 
kunft jenfeit des Grades, vorzüglih mit Hülfe eines das 
düftere Gewoͤlk von oben zerfpaltenden, hellen Lichtſtrahls. 
Noch fpäter verfuchte ex fih in buntfarbigen Olgemälden 
zur Zufriedenheit feiner Verehrer auf gleiche Weife. Sein 
unabläffiges Naturſtudium bewog ihn häufig zur Nach⸗ 
bildung ſolcher Gegenftände, denen der Maler eher aus⸗ 
zuroeichen als fich zu widmen pflegt, wie 3. B. in Nebel 
gehuͤllte Berge und Gegenden. Er wußte au durch 
richtige Auffaffung fogar diefen Nachbildungen ein be: 
fonderes Interefie zu gewinnen. So gewiffenhaft und 
forgfältig aber fein Pinſel fpdterhin bei den Olgemälden 


494 


verfuhr, um das Charakteriſtiſche aud ber Einzelheiten 
zu erfchöpfen, fo ging barin dem Ganzen doch Vieles ab 
von der Harmonie feiner Seplazeihnungen. Dem Ted: 
nifchen des Baumſchlags und anderer Thelle in der Land: 
ſchaft fehlte die ſolches vollendete Leichtigkeit, das zaubert: 
ſche Karbenfpiel, die anmuthige Verſchmelzung der Töne, 
welche dergleichen Kunſtwerken gerade ben hoͤchſten Reiz 
verleiht. Vielleicht fühlte er das endlich ſelbſt und kehrte 
darum zulegt hauptfächlich wieder zur Sepiazeichnung zu: 
ch, bis eine langwierige Krankheit fich feiner bemaͤch⸗ 
tigtt. Eo bat, ſein Alter auf beinahe 66 Jahre gebracht. 

Nach feinem im Mat 1840 erfolgten Tode hat 
fein viekſaͤhriger Freund, der berühmte Landſchaftwaler 
Profeffor Dahl, eine Leine Schrift unter dem Titel 
Friedrich der Landſchaftmaler“ den zahlreichen Freunden 
des Verewigten gewidmet, die durch ein früher in dem 
das Morgenblatt“ begleitenden ‚‚Kumftbtatt” abgedruckt 
geweſenes Urtheil des bekanntermaßen landſchaftliche Ges 
genſtaͤnde ganz im Sinne des Verſtorbenen mit vielem 
Gefühl und Gemuͤth auffaſſenden und darſtellenden Hof⸗ 
raths Dr. Carus über ihn und die Landſchaftmalerei 
überhaupt, ſowie durch Friedrich's lithographirtes Bildniß 
und Fragmente aus ſeinen nachgelaſſenen Papieren, un⸗ 
tee Künfttern und Andern große Aufmerkſamkeit erregte. 
Mehre dieſer Papiere ſind Belege der Eigenthuͤmlichkeit 
von Friedrich's kuͤnſtleriſchen Schoͤpfungen und gewaͤhren 
nuͤtzliche Winke für andere Kuͤnſtler, wennſchon in mans 
chen eine zu große Einfeitigkeit und eine innere Verbitte⸗ 
sung kaum zu vertennen if. Beides fcheint die Folge 
eines aus den fruͤheſten Verhaͤltniſſen ſchon herſtammen⸗ 
den Truͤbſinns und des darauf eingetretenen einſamen 
Lebens zu fen. Schon das mit lichtblondem Haar be: 
grengte, durch zwei glanzuolle Augen empfohlene Geſicht der 
Eräftigen Manneogeftalt hatte einen entfchieden duͤſtern 
Husdrud. Aber das Menfchenfeindliche, welches der erfle 
Blick auf daffefbe dem Kuͤnſtler beimaß, zerflöß in ber 
Regel wie der trlbe Nebel vor dem warmen Sonnen: 
feine, ſobald feine gefchtoffenen Lippen fih aufthaten, 
und Mund und Ange verrietben zugleich die Bonhommie, 
ober, wenn das Wort auf den wortlargen Rorbländer 
Sriebrich angewendet, ber keinen franzöfifchen Blutstropfen 
in ſich hatte, zu unpaffend Mingen follte, die freundlichen 


Gefühle, bie er für alle Guten wie für alles Gute in 


feinem theilnahmvollen Herzen trug. Und den Ausbrud 
biefes einnehmenden Zuges eben vermißten die Freunde 
des Berftorbenen recht ſchmerzlich an ber erwähnten, fonft 
uͤberaus ähnlichen, Tithographifchen Skizze von feiner Phy⸗ 
ffognomie. Schon fehr frühzeitig hatte, wie man erzählt, 
das Leben vol des finfterfien Ernfles ihn vom Boden 
feiner Helmat hinweggeſcheucht. Mit einem zärtlichft: 
geliebten Bruder eines Tages die eifige Luft des nordi: 
ſchen Winters auf Schlittſchuhen genießend, würde Fried⸗ 
rich, auf eine nicht feſtgefrorene Stelle des Fluſſes gera⸗ 
then, vom Tode ereilt worden ſein, waͤre ſein Bruder 
nicht fo gluͤcklich geweſen, dem ſchon halb von ber zer⸗ 
brechenden Eisdecke Verſchlungenen wieder herauszuhelfen. 
Aber beide vergaßen in ihrer Freude uͤber die Rettung, 


dag dem Wankelmuthe bes Gluͤckes nicht zu trauen if. 
Ihren Schlittſchuhlauf forglofer vieleicht als zuvor vers 
folgend, kommt bald darauf fein Bruder an bie Reihe 
bes Verſinkens in die einbrechenbe Eisdecke und iſt be: 
reits darunter hinweggeſchwunden, als Friedeich laut aufs 
ſchreiend ſeine Arme audſtreckt, dem Bruder den Dienſt 
auf gleiche Weiſe zu leiſten, wie er ihm eben ſolchen er⸗ 
wieſen. Das Entſetzen, das ben alſo vereinfamten Ben: 
bee darüber erfaßte, foll ihm, nachdem er den erflen 
Vorfag, den Ertrunkenen nicht zu überleben, bekämpft 
hatte, da6 Bleiben in der Heimat unerträglid gemacht 
haben. Aber bereits eine Zeit lang in Dresden feine 
kuͤnſtleriſchen Studien fortſetend, überwältigte jener be- 
kaͤmpfte Vorſatz den Künftler von neuem. Schon hatte 
er fih in einfamer Kaufe eine tiefe Wunde am Halle 
beigebracht, als die Thüre aufgsriffen und er doch noch, 
nicht nur gerettet, fondern auch durch Sreundesvorftellun- 
gen dahin vermochte wird, fein Ehrenwort auf Unterlaf: 
fung jedes neuen Verſuches gegen fein Leben zu ver: 
pfänden. Bei diefer Gelegenheit halte ich «6 für Mlicht 
den Verdacht der Affection zu beflveiten, zu welchem 
recht Diele der außerordentlich behaarte Geſichtsuntertheü 
Ftiedrich's zu einer Zeit veranlaßte, wo an die ſpaͤterhin 
unter der männlichen Jugend ziemlich allgemein gewor⸗ 
dene Art, Baͤrte zu tragen, noch kein Gedanke war und 
Jeder, der eine Zierde darin fuchte, für einen laͤcherlichen 
Bramarbas gehalten wurde. Auch Friedrich gerietb da⸗ 
ber in diefen Verdacht und recht oft wurde er gegen mich, 
der ihn kannte, barüber bitter getadel. Da mir, dem 
Berf. diefes Auffages, erſt vor kurzem feine Veraniaffung 

zu der Sonderbarkeit befannt wurde, fo konnte ich bie 

Tadler damals nur im Allgemeinen verfihern, daß der 

Mann viel zu Eug zu einer Thorheit fei, wie man foldye 
ihm zutraue, wenn ich auch achfelzuckend geflehen mußte, 
baß ich mir ſelbſt diefen abfchredienden Bart an ibm gar 
nicht zu erklaͤren wiſſe. Nachher erfuhr ich, daß wahr: 
fheinlih feine Wertrauteften ihn zu der Sonderbarkeit 
verleitet, oder ex felbfE um bestwillen auf fie verfallen 
war, weil auf andere Welfe die ungemein große Narbe 
bee Wunde, die ihm der Verſuch des Seibfimorbe beige: 
beacht, dem Auge der Menſchen nicht zu entziehen gewe⸗ 
fen und ein Vermeiden der dadurch immer neugeweckten 
Frage, wie er zu der Wunde gelommen, allerdings fich 
rathſam darſtellte. 

Wenn aber auch Seltſamkeiten aͤhnlicher Art, wie 
das ragen eine damals über alle Gewohnheit großen 
Barts, außerhalb feiner gefunden Natur lagen, fo war 
ee doch von andern nicht frei, die zum Theil aus feinem 
Hange zur Einſamkeit und einem fehr beſchraͤnkten Um: 
gange mit der Welt herruͤhrten. So glaubte er, obſchon 
aud ihm das Geſchick im Allgemeinen bie gewoͤhnlichſte 
Krankheit der Künftler und Dichter, die Armuth, nicht 
erfpart hatte, beſonders Vornehmen und Reichen gegen: 
über einen gewiffen Stolz behaupten zu müffen. Einſt⸗ 
mald in fehr gedrüdter Rage, vertraut er fich eimem 
Sreunde, dem im 3. 1842 verftorbenen Profeffor Ferdi⸗ 
nand Hartmann und ruft, da er von biefem bört, eime 





ve Malerkunſt fehr ergebene Graͤfin, die eine Reiſo nady 
Jalien vorhaba, ſuche umter vecht anflänbigen Bebingun- 
gen einen Sin fen zu ihrer: Begleitung, froblodend aus: 
„Me — hietzu paßte ich 5 in wol gleich, und 
roſiger Hoffnungẽs⸗ 

fleg ihm: dabei über das ae N Ant⸗ 
Ks. Se. tiefe. er 4 in die Lage umd die bamit verbun⸗ 
kenn, glücklichen V iffe: für einen Mann. feiner 
“flo flärker wird feine Sehnſucht bas 
nah, biefer Begleiter zu werben, beflo dringender feine 
Witte, der: Freund möge dach ja fig ohme Verzug bei 
dee Sefin für: ihn vermenben, damit fein Anderer ihn 

di nheit bringe, Stalien zu befuchen 
mund: zugleich ber fun igen Graͤfin von gutem Nutzen 
zu fein, deſſen ex: fich amfrichtigft beftschen werde. Außer 
fih vor Freuden, als in deſſen Verfolg es Hartmann 
gelungen: iſt, Alles Friedrichſs Wunſche gemäß abzuſchlie⸗ 
Ben, fällt dieſer dem ihm wohlwollenden Vermittler dank⸗ 
bar um den Hals und geſteht zugleich, was bis dahin 
noch nicht geſchehen war, daß es bie — Zeit geweſen 


gi" 


fei: mit. biefem. faft unglenbliden ( the, da er wirklich 
gar nicht mehr gewußt babe, mas. er vor oͤkonomiſchen 
Verlegenheiten aller Art anfangen fole. Die Gräfin, 


ehemfalld hocherfreut über die ihr [ehe paſſend erſcheinende 
Acquiſition des. genialen Landſchaftmalers, brennt vor Der 
kaugen, daB Nähere über die. Reife mit Sriebrich zu bes 
[puechen, und läßt biefen durch den, Profeſſor Hartmann 


wfuchen, fogleich zu ihr zu kommen. Doch nachdem fie 


lange fruchtlos gewartet: bat, erfcheine Hartmann allein 
und fehr unmuthig. Es find nämlich inzwiſchen in 
Stiebrich eine Menge Bedenken gegen das ihm kurz zu: 
vor als ganz unglaublich erfchienene Gluͤck aufgeftiegen 
und der faum noch im Gefühle der ihm hoͤchſt erwuͤnſch⸗ 
ven Reife aͤußerſt Frohgeweſene Hat geradezu erklärt, durch⸗ 
aus keinen. Schritt über die Schwelle ber Wohnung ber 
Gräfin zu fegen, ehe fie ihm die Erlaubniß habe zuſichern 
ofen, daß es fie nie gnädige Frau ober gnäbige 

Graͤfin zu nennen brauche, weil dergleichen gegen feine 
Grundſaͤtze verſtoße. Auf diefe ſeltſame Foderung nun 
hemaͤchtigt fi ſogleich ein unverkennbarer Unwille ber 
Damm. „Sie koͤnnen leicht denken“, aͤußert fie, „daß es 
mir hoͤchſt gleichguͤltig ſein muß, ob Herr Friedrich dieſe 
gewoͤhnliche Redensart gegen mich gebraucht oder ſolche 
mir entzieht. Das aber wird Ihnen ebenſo gut ein⸗ 
leuchten, daß man mit einem Manne, der abnliche Fode⸗ 
sungen Überhaupt machen kann, immer Gefahr laufen 
wuͤrde, fi) Unſchicklichkeiten auszufegen und daß alfo das 
ganze befprochene Verhältniß zweifchen ihm und mir nun: 
mehr in keinem Falle flattfinden barf. “ 

Ein andermal kommt Friedrich in Hartmann's Ate: 
Sie, wo ein ziemlich großes Ölgemälde des Landſchafters 
fi) bereits befinde. Ein fremder Fürſt, ber eben in 
Dresden fich aufhielt, hatte nämlich gerwänfcht, etwas von 
feinen Werken zu fehen, um, wenn es ihm geflele unb 
er über den Preis mit dem Künflier einig würde, folches 
zw Saufen, und biefer e& herbeiſchaffen laſſen. Bald nad: 
Her tritt der erwartete Fuͤrſt herein. Obſchon das Ge: 


maͤlde, welchas das Peer und fein mit großen, von. je⸗ 
dem Reiz entblößten Steinen, ohne alle tation übers 
fuͤlltes Ufer darſtellt, über den ein duͤſterer Himmel aus⸗ 
geſpannt iſt und weiter nichts enthält, dem Siyeften menig 
suzufagen ſcheint, erkundigt fich diefer nach dem Preiſe. 
Da Friedrich eine ziemlich hohe Foderung macht, fo ent: 
ſchluͤpft Hierauf dem Fürften das Wort: „So viel! Und 
dech hat man auch gar nichts auf Ihrer Lanbfchaft.” 

„Wenigſtens würde das Futter, das Ew. Durchlaucht 
daraus koͤnnten ſchneiden laſſen die Koſten meines Bil⸗ 
bes Ihnen nicht zu decken im Stande fein”, antwortete 
Friedrich empfindlih, das. Gemälde von einer Staffelei, 
auf die es geſetzt war, herunternehmenb. und es zur Seite 
ftellend. Bei alledem entfchloß ſich ber gutherzige Fuͤrſt, 
ben Unmuth des Kuͤnſtlers befien befchränkten. Verhaͤlt⸗ 
niffen zurschnend, 0, sum Ankaufe des allerdings nicht vors 
züglichen Gemaͤ 

Bei dem — eignen Sinne fuͤr Ordnung und 
haͤusliche Stille würde er gewiß die eheloſe Einſamkeit 
ſchen frühzeitig aufgegeben haben, wenn feine Einnahme 
als. Künftler nicht zu ungewiß gewefen wäre, um das 
Schickſal einer Lebensgefährtin noch an fein Dafein zu 
fnüpfen, Die Anwandlungen zu einer Veränderung die⸗ 
fer Art kamen ihm aber immer ſtaͤrker und dfter, je 
mehr die Unfreundlichkeit feiner dfonomifchen Verhaͤltniſſe 
nad) umd nach fidy verminderte. In der Regel pflegte er, 
wenn es nicht den Naturſtudien im Freien oblag, vor Son- 
nenuntergang nur felten fein Wohn und Arbeitszimmer gu 
verlaffen. As bie eines Tages wieder geſchah, fo ließ, 
nachdem er ſolches verfchloffen hatte, der druͤckende Ge⸗ 
banfe an feine Einſamkeit auf dem Wege, den er ge: 
nommen, nod lange nicht von ihm ab. Auf der Elb⸗ 
brüde fogar ſtillte der Genuß ber zu beiden Seiten des 
Stromes fo anmuthig gelagesten,, reizenden Landſchaft in 
ber Abenbbeleuchtung feine innere Unruhe nur kurze 
Zeit, Es fiel ihm ein, daß er zu Haufe vergeffen, fein 
Seuerzeug in gehörigen Stand zu fegen, und daher bei 
der Heimkehr im Finſtern Bein Lichte haben werde, feine 
hochbejahrte Nachbarin aber, die ihm in ſolchen Fällen 
auszuhelfen pflegte, verseifi fe. Die Vorſtellung, wie 
ba6 Allee eine andere Geflalt gewinne, wenn eine 
auf feine häuslichen Beduͤrfniſſe aufmerkfame Lebens: 
gefährtin zu Haufe feiner harte, war nur geeignet, 
das Unheimliche feines jegigen Hausweſens ihm empfind⸗ 
licher zu machen. Da zieht plöglich ein junger, auf dem 
Trottoir der andern Seite der Elbbruͤcke Voruͤberkommen⸗ 
ber feinen Hut vor dem völlig Verſtimmten ab. Das 
freundliche Wohlwollen, mit dem es geſchieht, macht, daß 
Sriedrich nachdenkt, wer der Mann fei, deſſen er fi 
nicht fogleih erinnert. Bald befiunt er fih. Es if 
Einer, bei bem er feine Bleiſtifte zu kaufen pflegt. Die: 
fer Erinnerung gefellt fich die ambdere, dag in dem Kauf: 
laden gemeiniglich die Schwefler des Verkäufers am Fen⸗ 
fer zu figen und zu arbeiten pflegt und daß dies ein 
gar liebes, nettes, haͤusliches Maͤdchen zu fein fcheint. 
Wenn diefes freundliche Kind in feiner Behaufung lebte, 
denft er, würde es ihm gewiß Abends bei feiner Heim: 


Sehr nicht an Feuer fehlen. Zeither hat er nur wenig 
orte erft mit ihre gewechfelt und zwar ganz unbebeu: 
tende. Aber er befchließe auf der Stelle, am nächften 
Tage mit dem Früheften einen Bleiſtifteinkauf zu befor: 
gen und bei diefer Gelegenheit der huͤbſchen Jungfrau 
auf den Zahn zu fühlen, ob vielleicht ein bebeutenderes 
Geſpraͤch mit ihr anzufangen ſei. Und ſiehe da, Alles 
gelang dem feiner häuslichen Einſiedelei berzlichfatten 
Küunftter fo gut, daß ſchon der folgende Abend einen 
gluͤcklichen Bräutigam aus ihm gemadt hatte. Allent⸗ 
halben mußte fein fröhliches Herz fich mit Verbreitung ber 
Kunde Luft mahen. Vielleicht war eine unerwartete 
Frage die erſte Störung in feinem neuen Gluͤcksrauſche. 
Ein Freund wollte nämlid den Namen feiner Braut 
wiffen und es fand fi, daß der Bräutigam felbft ihm 
keine Auskunft daruͤber zu geben vermochte. Aber Fried⸗ 
rich's anfängliches Erröthen vor Derlegenheit hierüber 
machte bald einem herzlichen Belachen des gewiß höchft 
felten im Leben vorkommenden Umftandes Plat. Übei: 
gens betheuerte mir die Echtheit dieſer Heitathsanekdote 
ein Mann, deflen Wahrheitslicbe Niemand bezweifeln 
würde, wenn id ihn nennen wollte. Sollte er auch, 
wider alles Vermuthen, felbft vieleicht damit getäufcht 
worden fein, fo ſieht fie doch in der That der vom Ge: 
wöhnlichen ganz abweichenden Individualität Friedrich's 
durchaus nicht unähnlih. Was midy betrifft, fo find mir 
allerdings bie häuslichen und ehelihen Verhältniffe des 
Veremigten ganz fremd geblieben. Aber, der allgemeinen 
Verfiherung nach, hat, nachdem Friedrich von der grund: 
tofen Eiferfucht, die fich feiner in der erſten Zeit bemächtigt 
hatte, zuruͤckgekommen war, die Zukunft das Gtüd feiner 
Wahl volllommen beftdtigt und er in feiner Lebensgefährtin 
ein Muſter der Liebe, Zreue und Häuslichkeit gefunden. 
Die Anerkennung feines fittlichen und kuͤnſtleriſchen 
Werths wurde durch die tiefe Ruͤhrung der zahlreichen Ber: 
fammlung von jüngern und Altern Künftlern und Andern, 
welche feinen Leichnam zur Ruheſtaͤtte geleitete, hinreichend 
dargethan. Schon am Abende zuvor hatte ein Chorgefang 
bei Fadelfchein vor feiner Wohnung flattgefunden. 
Allerdings beklemmt ber Charakter mancher Landſchaf⸗ 
ten dieſes Künftlers durch ihre Dde und Einſamkeit. 
Auf mehren nit nur noch keine Spur von dem Men⸗ 
fchengefchlechte und von der Thierwelt, fondern auch feine 
ſcheinbar feblofen Gegenftände von einiger Auszeichnung. 
Erde, Luft und Waſſer liegen gleihfam In ihrem eins 
fachſten, reizlofeften Neglige fo vor uns, daß das Auge 
zuerft vor Langemeile kaum weiß, was es mit ihnen an: 
fangen fol. Aber das Intereſſe daran wählt meiftens 
unter ihrer Betrachtung mit jedem Momente. Gerade 
die geringe Auszeihnung des Einzelnen gibt dieſem im: 
mer mehr das Anfehen eines zufammengehörenden Gan⸗ 
zen. Je länger der Bli auf der genannten Dreieinig: 
keit ruht, defto befier glaubt er in ihr und dem in Licht 
aufgelöften, geſtaltenden Sonnenfeuer den Urfloff der Thier: 
und Menſchenwelt und alles Lebendigen wahrzunehmen. 
Und fo in die Betrachtung der Natur felbft verfentt, 


iſt mir der Schöpfer dieſer hoͤchſt einfachen Wilder im 
Leben zuweilen Abends, am eiſernen Gelaͤnder auf der 
Bruͤhl'ſchen Terrafſe ſtehend, vorgekommen, bald wenn bie 
Sonne eben erſt ihren. Scheideblick ber Erde zugeworfen, 
bald wenn die immer entſchiedener hervortretenden Schatten 
allen Geſtaltungen ſchon die Umriſſe zu rauben drohten. 

Es gehoͤrten auch, wie auf ſeinen Sepiazeichnungen 
bie Sonnenaufs und ⸗Untergaͤnge, fo auf allen feinen 
Schöpfungen die zroifhen Tag und Nacht geflellten Si⸗ 
tuationen zu den Glanzpunkten feiner Einbildungskraft. 
Gerade weil er über dem Studium des ganzen Zuſam⸗ 
menhanges ber Natur die genaue Beobachtung des Eins 
zelnen geroiffermaßen vernachläffige hatte, war die Daͤm⸗ 
merung und der Kampf in ihr zwiſchen Licht und Duns 
kel eine wahre Fundgrube für die Kunſt dieſes gemüth- 
vollen Mannes, der vielleicht ein ganz anderer noch ge 
worben wäre, hätte der Ri, der mit dem frühen Untergange 
des Bruders ihm fein Herz zerfpaltete, nicht einen dur 
das ganze Leben ſich ziehenden und in allen feinen Werfen 
widerhallenden, melancholiſchen Nachklang hinterlaffen. 

Es fcheint die Kräfte der Malerei zu Überfleigen, dem 
Geiſt aller Erfcheinungen anders als durch beren Körper 
barzuftellen. Von Friedrich möchte man aber behaupten, 
daß er in feinen Gebilden zumeilen ben Geift auch ohne 
Körper darftelbar zu machen verflanden hätte. So werde 
ich eine feiner in DI gemalten Dämmerungslandfcaften 
nie vergeffen. Kein lebendiges Weſen in ihr zu erbliden; 
die darauf vorfommenden Bäume bereits durch das im 
diefelben verroebte Grau um den ganzen Charakter bed ihnen 
eigenthümlichen Laubes gebracht. Aber das über das Ganze 
ausgefpannt liegende, von der Dämmerung bereit6 ange: 
bauchte, Mare Blau des Himmels riß alle Gemuͤther zur 
Bewunderung bin. Das ahnungspvolle Herz glaubte auf 
biefem Gemälde bie legten Wehmuthslaute des langſam 
dbahinflerbenden Tages zu vernehmen und ſchon ſich der 
fliten Heitigkeit einer fchönen Nacht entgegengeflihrt zu 
fehen. Und doch gibt es auf dem Bilde gewaltigen An: 
flog für da6 Auge in einem umnebelten Berge von gres 
Ber technifher Unvolllommenpeit. Der Berg ift nicht 
ſowol gemalt als blau angefltihen. Aber das Auge 
kann nicht zur Sprache kommen vor ber harmoniſchen 
Wirkung eines Ganzen, in dem die Seele ber Natur 
fih auf das reinfte abſpiegelt. Der tiefe, Iebenswarme 
Ton feiner Darftellung, worin die oft bedeutenden Maͤn⸗ 
gel des Einzelnen völlig zerfchmelzen, ift es, was dat 
fühlende Gemürh bei den meiften Werken fo innig mit 
biefem Künftler zu befreunden verfteht. 

(Die Fortfegung folgt.) 





Literarifhe Notiz. 


In zehn Lieferungen erfcheint in Paris: ,, Collection de 
60 feuilles d’alphabets historiees et fleuronndes, tirde des 
plus beaux manuscrits de l’Europe, des documents les plus 
rares etc,’ von DI. Sylveſtre. Der Verf., ber bereits eine 
„Pal&ographie universelie‘’ herausgegeben, wirb ber Samm⸗ 
lung durch eine analytifche Tabelle noch einen erhöhten Werth 
ertheilen. 18. 


Verantwortlicher Herausgeber: Deinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brodhauß in Leipzig. 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





5. Mai 1843, 





Ruͤckblicke. 
Drei Landſchaftsmaler. 
(Bortfegung aus Nr. 19.) 
2. Drofeffor Klengel. 


Einen volllommenen Gegenfag zu dem Mater Fried: 
eich in Kunft und Leben bilbete der ausgezeichnete Land: 
ſchaftkuͤnſtler Klengel. Schon 1751 in dem unweit 
Dresden gelegenen Keffelsdorf geboren, war er bei Fried⸗ 
rich's Ankunft diefem an Jahren um Vieles voraus und 
behauptete eine yroße Gelebrität unter den deutfchen Land: 
fchaftmalern. Lange Zeit pflegte bei der jährlichen bresde: 
ner Kunftausfiellung eine der erflen Fragen die zu fein: 
Iſt von Klengel ſchon etwas da? und das hierauf erfol: 
gende Fa oder Nein beflimmte den Fragenden entweder 
die Ausftellung fofort aufzufuchen oder feinen Beſuch ders 
ſelben bis zur Ankunft des Klengel'ſchen Beitrags zu 
verfchieben. Ein Schüler von dem ehrenmwerthen Meifter 
Dietrich, gründete Klengel feine Kunft von frühefter 
Jugend an auf dad Studium der Einzelheiten der Na: 
tur. Der Sohn eines armen Landmanns, hatte ex den 
fhwerften Kampf mit den Hinderniffen, die während ſei⸗ 
ner Ausbildung auf der Dresdener Kunſtakademie fich ihm 
entgegenftemmten. Jede ländlihe Situation, jeden hüb- 
fhen Baum in dee Gegend fuchte er mit Stift oder 
Pinſel fi) anzueignen, jeden Lichteffect zu erhafchen, jede 
Hütte mit ihrer ganzen Eigenthuͤmlichkeit zu Papier zu brin: 
gen, um Alles, wie er es gefunden, in einem Gemälde zufam: 
menzuftellen. Der Dresdener, an mwohlgeflafteten Bäumen 
fo reihe Große arten befaß vielleicht einen fchönen 
Baummwipfel, dem er nicht auf einer feiner zahlreichen 


Landfhaften ein Denkmal duch treue Nachbildung ge: | 


ftiftee Hätte. Obſchon an kuͤnſtleriſche Notabilitäten, wie 
befonders die Maler Alerander Thiele und bie beiden 
Dietrih fi) haltend, bing| Klengel der Natur mit noch 
größerer Teue als ihnen an. Aber freilich fiel es ihm 
niche ein, ihr, wie der Landſchafter Friedrich, einen be: 
fondern Sinn in feinen Darflellungen unterzulegen. Bei 
alfer anerkannten Birtuofität im Technifchen und vorzüg- 
lich des Baumſchlags, wollte man übrigens doch zuweilen 
die gehörige Individualifirung der verfhiedenen Gattun⸗ 


gen vermiffen. Auch behauptete, wie ich mich erinnere, 
namentlich der Landſchaftmaler Veith, Klengel fhöbe zu: . 


weilen feinen herrlichen Waldbaumzmweigen bie Stämme 
von Obſtbaͤumen unter. 

Eine neue Phaſe ging für Klengel's Schöpfungen 
mit feiner Reife nach Stalien auf. Die grandiofen Reize 
dortiger Natur riſſen ihm dergeſtalt bin, daß die mei⸗ 
fien feiner nachherigen Kunſtwerke die deutlichfte Spur 
davon an fih trugen. Die Wirkungen des mädhtigern 
Sonnenſtrahls ertheilten feinen Werken befondere Anziehkraft 
und bildeten oft auch da einen fcheinbaren Verein, mo 
das Zuſammenraffen heterogener Gegenflände dem entge⸗ 
genarbeitete. Um feinen Sebilden einen befondern Stem: 
pel der fonnigen Heimat aufzudrüden, verfäumte er felten 
ihre Ausfhmüdung duch roͤmiſche oder griechiſche Rui⸗ 
nen, die fih feinem Studienbuche nicht hatten entziehen 
£önnen, oder durch eine Staffage, welche die Nachbildung 
eigenthünmtichee Gebräuche und Gewohnheiten beim Lands 
bau im reigenden Stallen zum Gegenſtande hatten. 

Es hieß aber freilich fein wahrhaftes Gluͤck in Auf: 
faffung und Wiedergabe des ganzen Naturzaubers jenes 
gefegneten Landes bis über die Grenze verfolgen, daß er 
wiederholt den Verſuch machte, die Sonnenfcheibe felbit 
im vollen Sarbenglanze am blauen Himmel erfcheinen zu 
laffen. Allerdings hatte er hierin an Claude ein unfterb: 
liches Mufter vor fi, durch welchen ein Gleiches gewagt 
worden. Natürlich aber fcheiterte Klengel's Verſuch nicht 
weniger als Claude's und die neuerlich von Schönberger 
in Wien. unternommenen an der Unmöglichkeit. Wenn 
auch das Auge des Beſchauers nach langem Hinſiarren 
auf die kunſtvoll nachgebildete Sonnenſcheibe allerdings 
die Zäufhung immer mehr anwanbelt, daß von ihr der, 
Erde und Bäume überflutende, Glanz ausgehe, tritt es 
doch nur allzu bald wieder fo weit auf den rechten Ge⸗ 
ſichtspunkt zurüd, um für eine fo mächtige Wirkung 
die Urfache durchaus unzureichend zu finden. Inzwi⸗ 
fhen geben mehre Zableaur, wo Klengel diefee Kuͤhnheit 
fid) unterzog, dem Kuͤnſtler dad rühmtiche Zeugniß, Alles 
verfucht zu haben, um ben Kampf mit der Unmöglichkeit 
zu beſtehen. Im Allgemeinen pflegte man feinen größern 
kuͤnſtleriſchen Gompofitionen, wo es hauptſaͤchlich auf im: 
ponirende Zufammenftelung der Gegenfäge und ihrer 
finnreihen Verflechtung zu einem harmonifchen Ganzen 
an fich, oder buch eine finnvolle Staffage, anlommen 
möchte, die Heinen, der Jändlihen Wirklichkeit mit ihrer 


498 


vollen, lebendigen Wahrheit entiehnten Werke vorzuziehen. 
Und in der That fprechen biefe Lieblihen Maturbilder, 
durch Klengel's geſchickte Hand in das Gebiet der Kunſt 
verpflanzt, mit ihren muntern Schafheerden, übervolien 
Erntewagen und dem dem Ränfller felt früheſter Jugend 
wohlbekannten Apparat der ganzen Feldwitthſchaft, befonder6 
jeden Freund des Landlebens um fo mwohlthuender an, je 
treuer in Klengel's Werken das ländliche Weſen und 
Treiben fich ausgeprägt findet. Auch find bie Beinen, 
einfachen Naturfcenen von dieſes Kuͤnſtlers Pinfel [dom 
darum befonder® fchägbar, weil er die Originale dazu im 
frifchen Leben felbft auffuchte, während feine größern, 
kunftlichen Iufammenfleffungen zam Then 

zu fein fchienen. Dem berühmten Hadert zu Neapel 
machte man bekanntlich den Vorwurf, dab er vermöge 
des Glaubens, die Natur bereits auswendig zu wiſſen, 
in fpätern Jahren folhe, dem Mechanismus feiner ge: 
ſchikten Hand allein verteauend, zu wenig zu Rath ge: 
zogen habe. Vielleicht trat Daffelbe auch diswellen bei 
Klengel ein. 

Aus feiner Schule find mehre, zum Theil noch lebende 
Kunftnotabilitäten hervorgegangen. Beſonders ſchien er 
sine, übrigens ſchon längft verflordene Schülerin, Fraͤu⸗ 
Kin Sreiftein, zu beguͤnſtigen, die in der That, nament: 
lich in ber Fertigkeit des Baumfchlages, ihm zur Seite 
zu fielen war. Der fleifigen Hand biefer gefdidten 
Künftterin hat die Kunſt befonders eine Menge hüͤbſcher 
Banmgruppen und MWaldpartien des Großen Gartens 
zu verdanken, die ohne alle Abſicht, fie zu verfchönern, 
der Himalerei durch fie gewonnen, bei der größten Ein: 
fachheit, vermöge ber reizvollen Durchſichtigkeit ihres 
Laubwerks, auch als Bilder, dem Auge recht willkom⸗ 
men find. 

Übrigens fagte man Kiemgel nach, daß er feine Dialer: 
und Radirkunft (denn auch im Radiren bewies er &6 
ala Meifter) wie ein Arcanum betreibe und nicht leicht Je⸗ 
manden zulaffe, wenn ex mit Palette und Pinfel an ber 
Staffelei fige oder am einer Kupferplatte arbeite. 

Beim Unterrichegeben in dee Malerkunſt bediente er 
#4 einer eigenthuͤmlichen Terminsiogie. Vorzuglich hatte 
er zu Bezeichnung des im Baumfchlage von bem Schu⸗ 
Ise zu Beobachtenden Ausdehde, die ſich ohne Erlaͤute⸗ 
sung nicht wohl verfüchen liefen. So rühmte er unter 
Anderm einem derfeiben nad, daß er mit dem Baum⸗ 
Ablage im Allgemeinen huͤbſch fertlomme, nur da6 „Kaotr⸗ 
ige, Knackrige und Krospige” woch nicht gang berams« 
Yringe. Unter deu Titeln „Priacipes des dessins pour 
es paysages‘‘ und „Etudes des paysages“ find in bem 
Jahren 1802 und 1824 Vorlezeblaͤtter von ihm im 
Kunfthandel erfhimen. Er fbarb im dem zuletzt genaum- 
ten Sahır. 

Wie in Kunſtanſichten und Lelflumgen wichen auch 
Friedrich und Klengei ihrer äußern Crfcheinung im Leben 
nach völig voneinander ab. Während der Erſtere nicht 
Fetten eine den Schein des Stolzes annehmende Micne, 
Yefonberd gegen Vornehmere, hatte, nahm der Leptere, 


namentlih gegen diefe, eher zu viel als wenig Rüd: 
fichten. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Der Zakobine in Win Iſſtreichiſcha Memoken auß 
dem letzten Decenniam bes 18. Jahrhunderts. Zurich und 
Winterthur, Literariſches Comptoir. 1842. Gr. 12. 
1 Xhlr. 22% Nee. *) 

@elten hat uns ein Buch in dem Grade getäufcht wie bas 

— ent. —— — — — — war — eine zwiefache 
on Sau wir daffelbe mit gering Erwartungen, 

fanden uns aber angenehm überrafcht, Gare bios burd eine 


| oinzEn 

eigenthuͤmlich geheimnißvollen Gewande politiſche Zuſtaͤnde ent» 
wickelten und an bie erſten Capitel des „Geiſterſeher“ mehr als 
einmal erinnerten, ſondern auch durch kreffliche Fragmente hiſto⸗ 
riſcher Darſtellungen, welche theerſctta einen tiefen Blick in bie 
oͤſtreichiſchen Staatsverhältniffe um die merkwuͤrdige Epoche vom 
Kaifer Joſeph's Tode anfündigten. Unfer Intereffe wuchs von 
Eeite zu Geite bis etwa gegen bie Mitte des Buchts bin for 
wol für das romantifche ats für das biftorifche Element deflel: 
ben, die uns beide in einer feltenen und originellen Miſchun 
rei an Unterhaltung und Belehrung, eine ganz eigenttäkm 
Arbeit darzuftellen ſchlenen. Da reißt auf einmal der Wabern 
ab — der Reſt Zrivialität — wir ſehen einen feltfamen 
Zorfo vor uns. Wine ſolche Erſcheinung if ſchwer zu erklaͤren; 
es ift die Horaziſche SIungfrau, in einem Fiſchſchwanz endet, 
und es bleibe uns nichts übrig, alE anzunehmen, daß das geifh 
reich angelegte Buch in der Hand feines Erfinders ein Prag 
ment geblieben, ala ſolches aber in bie Hände eines Unberufe 
nen gefallen und von biefem in feiner unfertigen Geſtalt ber 
ausgegeben fei, von Einem, der feine Zerriffenheit und Un⸗ 
genuͤge ni zu erfennen im ande war. Wie ed nım vor 
uns Liegt, iſt es eine Materiatienlammtung zu einem biſtoriſchen 
Romane, ohne Abfchiuß, aber in einzelnen Bruchftäden kebew 
tend unb werthvoll in ſolchem Grabe, baf wir bie 
dung des Unternehmens bedauern müflen. Rob und unverfchme:- 
zen Hegen jegt hiſtoriſche und romantiſche WBrudjftäde vor uns; 
aber in ben einzelnen Fragmenten ift die Hand eines Meiftens 
fo unverkennbar, wie fie es in einem Weschitäde aus den „Ge 
vennen“ oder dem „Mbfall der Niederlande‘ fein würde. Doqh 
wir wollen biefe ofen Baufteine, ‚beren Zufammenfägung der 
Dimmel weiß welcher Umftand gehindert bat, etwas näher an 
feben, um uns baran Au erferuen. In den erſten Capiteln Aber 
wiegt die Romantil. Wir feben einen Kicdhenfürften, den Car⸗ 
dinal⸗ Erzbifthof von Wien, mit geuchimwifcher Geberbe den Ich 
Kaifer Joſeph's beweinen, waͤ er ale Minen ſpielen laͤßt, 
das verhaßte Werk dieſes n Fuͤrſten und Bolkefreundes, 
die Denk⸗ und Gewiſſensfreiheit, in die Luft zu ſprengen. Der 
zweite Abſchnitt führt uns in die Verbruͤderungen und Verdin⸗ 
dungen ein, welche bie Regierung Kaifer Joſeph's aller Orten 
zur Entſtehung gebracht hatte wab deren Ausrottung num die 
Sauptaufgabe der neuen —— wurde. Dies natke 
ih zu einer Parallee zwiſchen der Regierung Joſeph's und 
der feines Nachfeigers Leopold, und der Berf. ſteht mun auf 
einmal ganz auf hiſtoriſchem Boden. Das romantifhe Gewand 

von feiner Schalter; aber wir folgen ihn wit faſt ned 
erhöhtem Intasefle, denn. was er als Zeithiſteriker vortroͤgt 
geist uns ben Gingeweibten, unb bie fer unb bie if 
zeuge, welche er uns vorfühst, wehmen unfere Theilnahme im 
gerechten Anſpruch. Allerdings war Katfer Leopold, ein Kürfl, 
der in feinem fiydnen Zoscana ein anerkanntes Begierungitatent 


·Es find und von zwei Mitarbeitern Auffäge über viele 
Schrift zugegangen, bie beide non Jutereſſe für unfere Lefer feiz 
möchten und die wir daher hintereinander abbruden. 

D. Re. 





pen Ya Regie a Ei ge m 
u ers, er wieder m 
follte. Adel und Geiftitchlert traten wie von ſelbſt vorbuͤndet 
vor ihn hin mit einer erſchreckenden Darftellung ber im Volke 
errfchenden Unzufriedenheit, und flachelten, mit dem Beiſpiele 
ankreichs drohend, die natürliche Furchtſamkeit bes neum Ger 
ieter6 zur Angft auf. Es gelang diefem Bunde, den fonft hel⸗ 
len Blick des Fürften zu umnebeln. Reaction ward das Los 
fungswort, Vernichtung alles von Joſeph Geſchaffenen das Biel 
der neuen Regierung. Zuetſt nahm die Beiftfichkeit alle ver: 
lorenen Vorreqhte ftürmifh wieder ein, ihe folgte bee Adel. 
Die vortreffliche oͤffentliche Policet Joſeph* ward zu einer beute- 
gierigen geheimen umgefchaffen, an deren Spitze zu ſtehen 
aifer Leopold ſelbſt fein Bedenken farb. Die Eehr:, die Rede⸗, 
die Preßfreipeit Joſeph's verfchwand; aber ein Geiſt kleinlicher 
Scheelſucht gegen den Abel machte, daß Leopold felbft ſatiriſche 
Streifzüge gegen dieſen begünftigte, ja wol ſelbſt hervorrief. 
Eine Menge anziehender Details dest uns biefen Kürften in 
einem ganz neuen Lichte, einen Charakter, Bein im Großen 
und groß im Kleinen und wie gefchaffen, um die Werke fein:s 
großen Vorgängers zu zerflören. Die Doppeiregierung von Col⸗ 
orebo und Schlolenig zerftörte endlich alle Regierung und fegte 
die Intrigue an ihre Stelle, und In biefem Elemente ſchwamm 
Kaifer Leopold. Rachdem uns der Verf. merkwürdige Blicke in 
dieſe Epoche der oͤſtreichiſchen Staatsgefchichte hat werfen lafs 
fen, nimmt er den Baden feiner romantifchen Erzählung wieder 
auf. Es folgen die anziehenbften Scenen auf dem Schloſſe In 
Böhmen, in den Logen und Clubs, wo Hebenſtreit ber Held ift, 
in dem lüfternen Hauſe der Baronin Saintral. Allein Alles iſt 
nur fligzirt; es fehlt nicht an einer meifterhaften Anlage, aber 
am Zufammenhange, an Berbindbung der Wegebenpeiten. In 
derſelben unerflärlichen Weiſe endet das Buch. Der Club, 
offenbar in Berbindung mit den parffer Iafobinern, wird ent« 
deckt, die Mitglieder verſchwinden vom Schauplate und das 
Buch fchließt, ohne daß eine einzige der eingeleiteten Begeben⸗ 
heiten zu einem annehmbaren Ende fortgeführt wäre. Gtatt 
eines folchen erhalten wir einen Anhang von regierungsgefdicht: 
lichen Notizen, die bis zum franzoͤſiſchen Krlege von 1199 rei: 
chen und bier plöglich abbrechen. 
Man wird uns einräumen, daß dies ein fonberbares Buch 
M. Dee Schlüffel zu diefem Raͤthſel kann, wie ſchon angedeu⸗ 
tet, nur barin gefunden werben, daß irgend ein begabten Kopf, 
Augenzemge dieſer Epoche, den Plan entwarf, fie zum Gegen: 
ſtand eines Romans zu malen, einzelne Momente beflelben 
ansführte, andere nur fligzirte, für noch andere nur Materias 
lien fammelte, biernächft aber dad ganze Unternehmen aufgab, 
und daß diefe unfertige Arbeit in biefem Buftanbe von einem 
Unberufenen edirt wurde. Sie wäre der Vollendung werth, 
und vieleicht in hoͤherm Grabe als Gchiller’s Seiſterleder⸗ 
e8 war. . 


Wir find in Deutſchland nody fo wenig daran gewöhnt, 
Selter anſerer Gtaatsangelegenheiten und biefe fest im 
der OEffentiichteit zu erblidden (obwoli bie lettern biefes 
am meiften bebürftig find und die erflern e® am wenig⸗ 
Wer zu ſcheuen haben foliten), baB jeder Verſuch, uns mit bei 
den Bertrauter zu machen, unfern Dank verdient, follte er auch 
in eier vom Serkömmiichen fo abweichenten, wir moͤchten faft 
fegen, fo zweidentigen Yorım auftreten, wie bies bei vorkiegen« 
dem Buche der Yan iſt Insbefonbere fließen die Quellen, aus 
denen wie die Kenntmiß Öftreichifcher Zuſtaͤnde ſchoͤpfen, ohne 
Bergleich viel Märtider als anderewo; wir befigen fafl keine 
von dortigen Gtaatömännern herruͤhrende, mit den frauzoͤſiſchen 

marken Memoiren in eine Elaffe zu fegende Denkwuͤr⸗ 
digkriten *), und find entweder auf bie offlciellen Relatlduen bes 


2) ine In jeder Beziehung feliene Teſcheinung biefer Art find 





45* 





ſchraͤnkt, die natuͤrlich nicht an Anſcherungen und Me 
niſſen entſprechen, oder auf die Berichte und et 
von Privatperfonen angemwielen, denen Häufig die Blaubiwärbigs 
beit adgedt. Wir beklagen nicht, daß uns Sehriften fehlen, 
bie ſogenannte Gabinetsgeheimniffe entſchleieta, oder uns einem 
Bid in das Gewirre der Hofintriguen thun laſſen; allein fäht: 
bater ift ber Mangel fotcher, weldye, bie wichtigern Perioben bes 
Öfterichifchen Staatolebens gleidfam begleitend, bie geſellſchaft⸗ 
lichen Merpätiniffe, die. Einfläfle der Dinge auf bie Menf 
und umgekehrt (fo welt dieſe in das Gebiet der hiſtoriſch 
Fer Dan Möletengen ber feungb 

un tungen ber Tranzöfifdgden evolution Eimmte 
man auch bie Schreibſeligkeit aufzähten, weiche fie, wenn nicht 
ergeugt, fo doch auf einen vorher unbelannten Brad gefteigert 
hat. Bom Heros berfelben angefangen bis zur Gontemporaime 
herab haben ſich wenige Perfonen, denen fie zw einer Role wer 
half, die Genugthuung verfagt, Wit: und Nachwelt mit ihren 
„Seben und Meinungen‘ zu beſchenken. Die Bekenntniſſe gin⸗ 
gem und geben jedoch, was Leicht erklaͤruch iſt, der Mehrzahl 
nad von derjenigen Seite aus, welche als bie am meiften ber 
theiligte erſcheint. Die Framoſen treten überall in ben Border 

nd und führen das große Wort, währmd Englaͤnver und 
mar gelogentlich fich vernehmen laſſen, und die Deutſchen, 
Ä gebrachten Beſcheidenheit gemäß, in letzter Beihe ihre 
unmaßgebliche Deinumg abgeben, ungeachtet fie in erſter fchiu: 
— geſchlagen wurden. Unter den Deutſchen find aber die 
eicher bie ſchuͤchternſten, bie Öſtrolcher, denen im großen 
Weltdrama des verfloffenen 30 Jahre fürwahr nicht die kleinfle 
Rolle zugefalen war. Weather e dies zuzuſchreiben iſt, 
wollen wir hier nicht unterſuchen; es find ums in jüngfter 3eit 
von einee Dand, ber wir ſchon manche werthvolle Gaben vers 
danken, Auffchtäffe geboten worben, nach denen wir es begreift 
It finden, daß minbeftens dem Intereffe getoiffer Öftveichifcher 
Staatsmaͤnner des SRevotutionsgeitalters das Schweigen mehr 
zufagt als das Neben. 

Mit den „Eebensbiidern aus dem Wefseiungskriege” laͤgt 
fig der „Jakobiner in Wien’, fo fehr fonft beide Bücher vom 
einander verfhieden find, doch in einer Rüdficht zufammenftel: 
len. Iene machen, fo weit fie öftreichifche Verhaͤltniſſe berühren, 
ungefaͤhr den naͤmlichen Cindruck, deu bie keätgenannte Schrift 
besvorbringt. Wir fehen Leute an der Spige des Staats, bie, 
bem Kampfe mit den Ideen einer neuen Zeit durchaus nicht 

ewachſen, mit kleinen Mitteln große Zwecke erreichen wollen, 
eute, die, mit allen Vorurtheiten ihres Standes, ihter Reli⸗ 
ion, ihrer Erzlehung behaftet, entweder in der unbebingten 
ufrechthaltung des Alten das einzige Heil erbliden, ober wy 
fle dem Neuen eine Berechtigung zugeſtehen, daſſelbe nicht zum 
Semeingute bes Volks, fonbern Monopol einer Kafte mas 
Ken wollen. Wir fehen bie klaͤglichen Widerſtandsmittel, welche 
fogenannte Staatsmänner, bie blos auf Policeikuͤnſte eingehöt 
firb, in ben Tagen der Gefahr kefammuenzuca en verſtehen; 
wir fehen den Abgrund, ber ben Staat zu verfchlingen droßt, 
wenn ihm nit die Energie des Volks zu Hülfe kommt; wir 
ſehen, was biefe Energie vermag. 

„Ber Jakobiner in Wien” zerfaͤllt, rote auch der Titel 
anzudeuten Scheint, in zwei Ihefle, bie nur ſehr Lofe zufammens 
hängen, einen biftorifcyen und einen ronanartigen. Die Kritik 
kommt wirklich in Dretegenbeit, wenn fie die Gattang nennen 
fol, der das Buch angehört. Es tft weder Gefchichte noch Ro⸗ 
man; Memoiren Im gewöhnlichen Sinne des Worts find es 
auch nicht, und fo bieibt nur übrig, den „Jakobiner in Wien“ 
für einen Zwittet zu erklaͤren, dem von jeber biefer drei Gat⸗ 
tungen einige Merkmale ankleben. Vlelleicht find damit bie An: 
fänge einer neuen Art gegeben, bie fi) zum Romane fo ver 





bie acht Metanbände umfelennen Denkwuͤrdigkeiten bed Grafen 
3. Q. von Ideger, Gtatthalter von Wien unter Leonelb I., weide 
reichhaltiges, beinahe unbenugted Materlal für die Geſchichte jener 
Seit darbieten. 


Halt wie das politiſche Gedicht zur Eyrik. Der romanartige 
Theil des Wuchs hat zur Unterlage die Verſchwoͤrung, wegen 
welcher der Ylaphauptmann Hebenftreit 1794 in Wien am Gals 
gen büßte. Der hiſtoriſche befpricht bie Zuſtaͤnde Oſtreichs vom 
ode Kaifer Joſeph's II. bis zum zweiten Kriege gegen Frank⸗ 
reich. Berböte es der Raum nicht, fo wäre es bei der epiſodi⸗ 
fen Form bes Buche nicht ſchwer, zur Charakteriſirung deſ⸗ 
felben Auszüge zu bringen; aus bem naͤmlichen Grunde müffen 
mir une auch entbaiten, über den Grab von Glaubwuͤrdigkeit, 
weichen die zahlreichen in dieſer Schrift mitgetheilten Anekdoten 
und Notizen über öftreichifche Notabilitäten verdienen, Unter 
ſachungen anzuftellen. Die Hebenflreit’fche Verſchwoͤrung ſchrumpft, 
wenn wir dem „Jakobiner in Wien‘ glauben dürfen, zu einer 
Geheimbuͤndelei zufammen, die nicht viel gefährlicher war ale 
das burfchenfchaftliche Complot, von bem wir Alle wiffen, wie 
gefaͤhrlich es war. Sie fei aber, meint unfer Gewaͤhrsmann, 
von einer Camarilla zu felbftfüchtigen Zwecken ausgebeutet und 
von ihr benugt worden, um ſich mittels der Schredbilder , die 
man vor dem Monarchen auffteigen ließ, einen ungebührlicyen 
Einfluß zu fihern. Das allmälige Anwachſen der Reaction, 
die ſchon in den legten Tagen Joſeph's ihre Haupt erhob, wird 
mit ſcharfen, da und dort etwas grellen Sägen gefchiidert , das 
Berhalten tes öftreichiichen Cabinets dem revolutionnairen Frank⸗ 
reich gegenuͤber als aufreizend und zu ſehr engliſchen Einfluͤſſen 
nachgebend ſtrengem Tadel unterworfen und ebenſo unnachſicht⸗ 
ich werden die Bloͤßen aufgedeckt, die man ſich bei den kriege⸗ 
riſchen Operationen gegen einen Feind gab, den man zuerft 
übermüthig verachtete und dann kleinmuͤthig fürchtete. ließ⸗ 
lich mag noch angeführt werden, daß die S. 42—47 vorkommen⸗ 
den Scenen ſtark an Dasjenige erinnern, was in den im I. 1800 
in Paris erfchienenen „Memoires secretes sur la Russie et 
particulierement sur Ia fin du regne de Catherine II et le 
commencement de celui de Paul I“ von einem „Club phi- 
sique” erzählt wird, dem man in ben legten Regierungsjahren 
Katharina’8 in Moslau auf die Spur fam. ;Derlei Dinge 
ſcheinen fih in der Eulturgefchichte fittentofer Ariftokratien öfter 
zu wiederholen. . 








Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


In Paris erfchienen neuerdings Band 24— 26 der „His- 
toire des Francais’, von dem berühmten, Zürzlid verſtorbe⸗ 
nen Simonde de Sismondi. Diele drei Bände umfaffen bie 
Regierung Ludwig's KIV., welche 72 Jahre dauerte. Der 
Berf. theilt diefelbe in drei Zeitabfchnitte, von denen ber erfte 
1643 anfängt und 1661 aufhört; er enthält die Geſchichte der 
Negentfchaft der Anna von Äſtreich und das Minifterium bes 
Cardinals von Mazarin. Der zweite beginnt mit dem befann: 
ten Ausfpruch Ludwig's: „der König regiert durch ſich ſelbſt“, 
und dauert bis 1688; dies ift die Zeit der Größe, Macht und 
Herrlichkeit dieſes Monarchen. Der dritte endlich umfaßt die 
Zeit von 1689 — 1715, worin fein Glück und Anfehen immer 
mehr abnaym. Die Regelmäßigkeit der Proportionen ift eine 
der Verdienſte, welches beim Lefen biefes Werks fogleich in die 
Augen fällt. Sismondi's Erzählung ift Leicht und Bar, und 
die Arbeit des Hiſtorikers, welche fi) allmälig auf alle heile 
des Sabre, ben er umfaffen mußte, erſtreckt, bietet wahrhaft 
ſpnoptiſche Gemaͤlde dar, denen nichts Wefentlihes von Dem, 
was bie Kriegsthaten, die gefeßgeberifchen Arbeiten und bie in 
dem Charakter, den Anfichten und Meinungen der Nation be: 
wirkten Mobificationen betrifft, entgeht; endlich führt die Kolges 
reihe der Begebenheiten in bünbigen, Fräftigen und treuen Bes 
Schreibungen die Portrait dee Männer vor, welche eine bedeu⸗ 
tende Rolle auf der politifchen Schaubühne gefpielt Haben, nicht 
allein in Frankreich, fondern audy in den Ländern, welche der 
Wechſel von Unterhandlungen und Schlachten nach und nach in 
enge VBerhältniffe mit Frankreich brachte. Das Werk zeugt von 


aa garen 


GStudium ber Denen, welche 6 
von 16 in Gpanien, Holland, Großbritannien, 
bem beutfchen Reiche, Italien und fogar in ber Türkei zutrus 
gen. Nur die Geſchichte der franzoͤſiſchen Literatur und Kunſt 
im Jahrhunderte Ludwig’ XIV. behandelt Sismondi etwas zu 
kurz, übrigens aber als grändlicher Kenner derfelben. 


Sin für die Sprachforſchung fehr intereffantes Werk 
erſchien kuͤrzlich in Paris unter dem Zitel: „Histoire de la 
langue et de la litterature des Slaves, considerdes dans 
leur origine indienne, leurs anciens wmonuments et leur 
etat present par F. G. Eichhoff.” Indem der Verf. von 
dev Geſchichte der Slawen, von ihren Spraden und ihrer 
Literatur nacheinander handelt, erfennt er auch auf gebührende 
Weife die Verdienſte feiner Vorgänger auf berfelben Bahn an, 
namentlich bie eines Gretſch, eines Schaffarid, eines Reiff und 
eines Schnigler, der fn feiner „Statiftil von Rußland”, feiner geo⸗ 
graphiſchen und hiſtoriſchen Befchreibung von Rußland und Finn 
land, ſowie in der „„Encyclopedie des gens du monde” über 
eine Menge fchwieriger Fragen ein neues Licht verbreitet hat. 
Herr Eichhoff Hält die Scythen bes Herodot für die Stamm: 
väter der jegigen Slawen und glaubt, daß die Beten und bie 
Dacier diefelben Völker wie die Gothen und die Deutſchen find, 
welche, nad) und nach von DOften nach Weften vorrüdend, ben 
Namen Hermannen, Wehrmannen, Germanen erhielten. Im 
3. Zahrhundert war bie Rolle der flawifchen Voͤlker in ber 
Geſchichte Europas ziemlich friedlich. Die germanifchen Volker 
hatten ihre Wohnfite verlaſſen, um ſich auf das römifche Rei 
zu werfen; ſowie die öͤſtlichen Ebenen Deutfchlands von ihren 
Bewohnern verlaflen wurben, drangen bie Slawen in biefelben 
ein und nahmen die Weiden vom baltifchen Meere bis an bie 
Donau in Beſitz. Damals ließen ſich die Ifchelen in Böhmen, 
die Serben oder Soraben in Sachſen, die Obotriten in Mecklen⸗ 
burg nieder; unter einer großen Anzahl anderer flawifcher Böls 
Eer gaben die Poruflen dem gegenwärtigen Preußen feinen Ra: 
men, die Ulranter einem Theil von Brandenburg, der foges 
nannten Udermarf, bie Hevellen dem an fie grengenden Fluß 
Havel, bie Stezacen Schleſien, die Pomoranier (Rachbarn des 
Meeres) Pommern, bie Mähren der Landſchaft Mähren, die 
Polenen ( Ebenebewohner) Polen, die Khrobaten oder Kroaten 
den Farpatifhen Gebirgen. Weiter nad) Norden au ben 
Ufern des Ilmenſees gründete ber friedliche Stamm der Glos 
venen die Wiege eines großen Reiche, des alten Slawinſk, bas 
zerfiört und durch das neue Nomgorod erfeht wurde. Won 
dem 7. Zahrhunderte an wurde das ganze Rand, weiches fi 
vom Ural bis an die Elbe und an das Abriatifche Meer erfiredt, 
von den Slawen befett. Im Weflen wohnten bie Deutſchen, 
im Rorben die Finnen. Aber ihre Öftliden Grenzen waren 
von finnifhen, türkifchen oder tatarifhen Stämmen bewohnt, 
welche über Europa herfielen, Tod und Berwüftung darin vers 
breitend. Im 9. Jahrhundert wurde das Ghriftenthum von 
Konftantin und feinem Bruder Methobus aus Thefſaloniks 
unter den Slawen verbreitet. Unterbefien waren noch die fol: 
genden Jahrhunderte für die Slawen Zeiten bes Kampfes und der 
Unterjohung; die Deutſchen unterwarfen Mähren, Böhmen, 
Kärnten und Mecklenburg; bie beutfchen Ritter eroberten 
Preußen, die Schwertritter entriffen den Letten einen Theil 
von Liefland, bie Serben und die Kroaten erfannten bie Ober: 
bersfhaft der Bulgaren und Briechen, die Schweden nahmen 
Ingermanland in Befig; die Mongolen endlich, geführt von 
einem Enkel Dſchingis⸗Khan's, verwüfteten das flawifche Europe 
mit unerhörtee Grauſamkeit und beherrfchten Rußland faſt brei 
Jahrhunderte lang. Alle Mundarten ber ſlawiſchen Gpradge 
bieten einen gemeinfamen Typus bar, welcher ſich an ben indos 
perfifchen Sprachſtamm, namentlidy an das Sanskrit anknüpft. 
Das gebachte Werk iſt auf jeden Fall für die Völker: amd 
Sprachkunde von größter Wichtigkeit. 1 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Broghaus. — Drud und Berlag von J. A. Brodbaus in Leipzig. 





Blätter 


literariſche 


ür 


u 


nterhaltung. 





Sonnabend, 


— Nr. 126. — 


6. Mai 1843. 





Ruͤckblicke. 
Landſchaftsmaler. 
(Beſchluß aus Wr. 128.) 


3 Mechau. 

Mitteninne zwiſchen den Kuͤnſtlern Friedrich und 
Klengel in Kunft und Leben fland gewiffermaßen ber in 
feinen Lanpdfchaften das Ideal mit der Wirklichkeit fo 
gern innig verſchmelzende, trefflihe Mechau. Er gehörte 
zu denjenigen Künftiern, denen bei Betrachtung der Na: 
tue immer bie Phantafie zur Hand war, bemüht, die 
ihm vor Augen liegenden Gegenſtaͤnde durch Beifügung, 
ober Hinwegnahme, auch zumellen nur andere Anerbnung 
einzelner Theile, in ein fchöneres Ganze zu bringen und 
fo zum Kunſtwerke umzugeftalten. Sein unabläffig veger 
Sinn für Schönheit und Ebenmaß glaubte der Willkuͤr 
ber Natur duch den Menfchengeift Schranken fegen zu 
müffen. Wenn er aber Das, was fie feinem Auge im 
Ganzen darbot, in dieſer Hinficht als bloßen Stoff für 
feine Schöpfungen behandelte, fo ging er deſto gewiſſen⸗ 
bafter bei Auffoffung und Wiedergabe des Einzelnen zu 
Werke. Keine Pflanze und kein Baum durfte an ber 
ihnen von ber Natur befchiedenen Eigenthuͤmlichkeit das 
Mindefte einbüßen. Davon zeugen beſonders die Bor: 
gründe feiner Landfchaften, die, wie dem Kenner durch 
ihre Kraft, auch dem Botaniker buch die Sorgfalt in 
treuer Nahbildung ber verfchiedenen Pflanzengattungen 
fi empfehlen. Gleiche Friſche und Kunſtfertigkeit zeich: 
nete feine Bilder in Waſſer⸗ wie in Ölfarbe aus. Auch 
Reben auf ihnen Licht und Schatten gemeiniglih in eis 
nem recht relzenden Gegenfage und der blaue, buftige 
Schimmer, den Mechau's Pinfel der Ferne abzugewinnen 
wußte, gibt den Zauber ber Naturmwahrheit in feiner gan: 
zen Fülle wieder. Sogar den einfachfien Landfchaften 
wußte er, vermoͤge einer anziehenden Zufammenftellung 
ober erfreulicher Lichteffecte, Leben und Seele zu erthei⸗ 
len, legtere auch oft hauptſaͤchlich aus finnvoller Staffage 
bervorleuchten zu Hafen, deren große Wirkſamkeit fich 
überhaupt in vielen feiner Landfchaften geltend macht. 
Den bödften Werth aber behaupten immer feine Bilder 
von weiterm Umfange. Die anfehnlichfte vielleicht unter 
alten feinen Schöpfungen iſt die Ruhe auf der Flucht 
nad Ägypten, mit ihren gewaltigen Eichenwipfeln im 


Drei 


ſten Werten. 


BVorbergrunde, den herrlichen Gebirgsmaffen in der Mitte 
und einer mit der Luft halbverfchmolzenen Ferne. Auch 
auf bie, ben Gedanken des Künftlers ausfprecdhende Staf: 
fage unter ber Eihe, Marla mit dem Kinde und So: 
ſeph, tft die ruͤhmlichſte Sorgfalt verwendet. 

Mechau rechnete biefe Landſchaft zu feinen gelungens 
Aber erft nachdem der mit feinem Pinfel 
häufig unzufriedene Künftler fie für einige Zeit beifeite 
gefegt hatte. Schon ganz fertig, genügte fie ihm naͤm⸗ 
ih durchaus nicht,  fodaß er foldhe zum zweiten Dale 
in Arbeit nahm. Und es mar in ber That wun: 
derbar, um wie viel größer und impofanter ihr Ein- 
deud wurde, als er auf ihe Mehres in fchärfern Con: 
traft geftellt und hauptſaͤchlich einen weit größern Raum 
als zuvor In ihre Kerne zu bringen gewußt hatte. 
Diefes Löftlihe Bild erinnert an ein, Angefichts beffelben 
vorgefallenes drolliges Ereigniß. Der, ſeitdem auch ver: 
ftordene, berühmte Baukuͤnſtler Weinbrenner aus Karls: 
ruhe befuchte feinen alten werthen Freund Mechau und 
ergögte fich befonders an dem wahrhaft geifl: und kunſt⸗ 
vollen Gemälde. Nur damit fehlen er fich nicht recht 
befreunden zu können, daß der Kuͤnſtler zur Leitung und 
zum Schuge der nach Ägypten Flüchtenden Engel ange: 
bracht, deren Köpfchen mit den Flügeln allein fichtbar 
find. Mechau mochte feines Freundes Miene eine Eins 
wendung abmerten. Er drang daher in ihn, mit ber 
Sprache gerade herauszugeben. „Ei, ei, Freund Mean”, 
erwiberte Weindrenner in feiner fchwäbifchen Ausfprache, 
„waſch werde zu diefche Engelsköpfche die Achelfchte ſage?“ 
„Dm, Hm!’ huſtete Mechau, „was kümmern mid die 
Atheiften? Ich pflege nur für gute Chriften gu malen!’ 

Mechau farb im J. 1808. Ein Brief, den der das 
mals in hohem Rufe fiehende Hiftorienmaler Gerhard 
von Kügelgen, befage der vom Profeffor Haffe zu Leipzig 
verfaßten trefflichen Biographie des Legtern, einen Monat 
nach Mechau's Tode, am 16. Mai des gedachten Jah⸗ 
res, feinem Bruder, dem Landfchaftmaler Karl von Kuͤ⸗ 
gelgen fchrieb, nennt den Maler Mechau den erften Land: 
ſchaftmaler in Deutfchland. Der gefühlvolle Kügelgen, 
der leider 11 Jahr fpäter, nachdem er eben erſt auf dem 
Punkt gelangt war, wo er der Sorgen wegen ber Zu: 
kunft fich entbunden fühlte und noch bei voller Mannes: 
kraft feiner Kunft und Familie mit aller ihm beiwohnens 





den Liebe und Innigkeit zu leben dachte, das Opfer eines 
Raubmoͤrders wurde, hatte diefem Urtheile in dem Briefe 
noch hinzugefügt: „Sein (Mechau's) Hinſcheiden erfüllte 
meine Seele mit der tiefſten Trauer, denn ich liebte ihn 
fo ſehr als reg, 2 3 als Kirkiftier achtete.“ 

Henn uͤbttgens der’ Landſchaͤfter Friedtich genteinig> 
lich jedes ſeiner Gebilde erſt durch einen eigenthuͤmlichen 
Geiſt beleben zu muͤſſen glaubte, ſo traute Klengel ſogar 
dem geringſten, willkuͤrlich von ihm abgeriſſenen Stud: 


lein Landſchaft oder Witklichkeit im Augemeinen, daß 


fein Pinſel naturgetren auf Papier oder Leinwand trug, 
wie den einzelnen Theilen des zerfchnittenen Polypen ein 
ſeckſtundiges Leben zw. Mechau hingegen, dieſes Leben 
nicht anerfennend und auf der andern Seite die Natur: 
ei inungen nie) für viel zu groß an ſich achtend, um 
zu reinen, daß fie erſt einer auf Ftiedrichſs Wege ein: 
zühauchenden Seele Bebürften, ließ ſich es angkligen fehl, 
durch finnreiche Zufammienftellung dieſe Erſchtinungen zu 
einem kunſtgerechten, höhern Leben zu berufen. 35. 





Shakſpeare als Vermittler zweier Nationen. Bon Karl 
Simrock. Probeband: Macbeth. Stuttgart, Cotta. 
1842. Gr. 8. 26%, Mt. 


Wir empfangen bier den erfreulichen Anfang eines Wertes, 
das jedem Freunde bes. großen, Dichters und Jedem, für ben 
die. Geifteöverwandtichaft ber Deutfchen und Briten Intereſſe 
bat, nicht. anders als willlommen fein kann. Nach der Vor: 
rede hat daffelbe die zwiefache Beflimmung, zuvoͤrderſt bahin zu 
wirken, baß eben Shakſpeare der beiden Völkern gleich Lieb und 

iſt und an bem fidh ihre Berwa am auffallend» 

flen. exweiſt. noch ferner. zu ‚ifgem Bermittier gewählt BERN, 
ſedann aber auch das, Verfländniß bes ‚Dichters bei beiden Ras 
tionen upd feine Aneignung bei und weiter zu förbern, da man 
ſich weder bet dem jetzigen Stande ber Fextkritik noch bei den 
gangbaten Uberſetzungen und Erkläfungen beruhigen darf. Die 
diefem doppelten! Zwecke entfprechende Ginridytung bes Bucht 
beſteht darin, daß dem. engliſchen Text eine neue Üerfegung F 
b efeüt und bei bein erſtern auf die allein authentifche 
oligs Außgabe von 1623 zurüdgegangen wird, ohne damit die 
enugung ſpaͤterer Editionen auszuſchließen. Im vorliegenden 
Bande iſt für das Original, da die auf jene Ausgabe gteichkalls 
gegründete „‚Victorial, Edition” von Sharles Anight den „Mat 
betp‘’. noch nit enthielt. *),.ber von Delius mit fritiihen An- 
merkungen herandgegebene Abdruck zum Grunde gelegt worden, 
jedoch unter AÄbhuife Eleiner Nachlaͤſſigkeiten, weiche der übte 
eferte Text bier und da wahrntgmen läßt, ſodaß manche Stel 
len dem wirklichen Shakſpeare'ſchen Texte näher gebracht fein 


bärften. Am Gphtuffe folgen deutſche Anmerkungen, ‚meiche theils | 


rt» und Sacherklaͤrun eild ber Polemik ewidmet 
ind. (inteitungen „zu jedem Ci e aber, die ben Stoff bei: 
elben mit Erwähnung der Quellen befprecdhen, hat der Heraus⸗ 
geber nicht für nöthig erachtet, indem ex eins für allemal auf feine 
Muellen des Ghalfpeare” (3 WBänbe, Berlin 1831) vermeift. 
an kann, dergleichen gud), Fr entbehren, da man ſeibſt in 
angelung des ee erks für eo —— ‚ans 
dere Mittel findet, Namentlich bat Aler. 6 midt feinen „ ⸗ 
arklaͤrenben Anmerkungen za Shakſpeare's Dramen” (Leipzig 1342) 
Wei denjenigen Gräden, deren Gtoffe auß Bagen iind Rovelien 
endehnt finh, Zusgäge.öder vollſtaͤndige Mittpeilungen, ie .nab 
ihrer Bebeutfaniteit ‚ beigefügt. Dagegen wäre es gut geweſen, 


Seti ili er bereits erfchlenen. 


‘ Shaffpearfs 





in den Anmerkungen jebe wefenttiche Berichtigung des englifchen 
Textes und jede Stelle ber Übertragung, wo bie Säge abſicht⸗ 
lich in abweichenden Sinne verbunden ober abgetheilt wurben, 
mit kurzen Worten zur Sprache zu bringen. 


Was nun bje Übeffegung betrifft, fo ſpricht für dieſelbe ſchot 

ber * ——— Fed e Air ahder® Dramen 
ir S. Widand’fchen Befdnfintatsgabeüberfruns und 

baß biefes neue Unternehmen nichts weniger ald überflüffig ſei, 
wirb von ihm in ber Vorrede nachgewieſen. Das Studium ber 
Voß'ſchen lberfegungen, fagt er, hätte uns wenigftens Ichren 
follen, wie man_nicht überfegen muͤſſe; aber bie Arbeiten Tiecks, 
welcher hierüber nach feinen eigenen Außerungen body aufgefiärt 
wäre, haben viele Fehler mit jenen gemein. Als foldye werben 
genänht: allzu genaue Woͤrtlichkeit, durch die‘ er uns den Ger 


‚ nuß mander Stellen vertümmert hat, während anbere wol ein 


engeres Anfchließen an das Orlginal wünfchen laſſen; ferner 


: Befangenheit in ber engtilghen Wortftellung und Ausdrucksweiſe; 


endlich und hauptſaͤchlich Verfenfäng der Natur des bramatifchen 


Verſes, der nie fo piel eichung bon ber gewoͤ en Wort⸗ 
: folge als der lyriſche nd er ? ihr Sn —A let⸗ 
ten Punktes, welchen wir am aueh 


hrlichſten behandelt und burdy 


Beifpiele aus Tieck's „Macheth“ und „Biel Lärmen um 


Nichts" erläutert finden, macht der Verf. manche treffliche Be 
merkung. Während es ſich von ſelbſt verſteht, daß Umſtettungen 
der Wortſolge, die den Affect zu malen dienen, auch beim bras 


matiſchen Dichter freiſtehen, iſt er außer dieſem Kalle tbeils 
deshalb darin weit beſchraͤnkter, weit die dramatiſche Sprache 
die des Lebens ift, welche vor ung von ıpirflichen Perfonen fd 
geführt wird, wie es ihnen die Leidenfchaft oder dad augenblidk 
liche Beduͤrfniß gebietet, und welche durch bie Geftattung zw 
Verſen diefen Sharafter nicht verlieren kann, theit6 auch beds 
wegen, weil, im Gegenfage des Inrifchen und epiſchen Bortrags, 
deſſen langlameres Austönen dem Hörer Zeit gewährt, Dig zu 
fammengehörenden Worte zu fammeln und für den Begriff zu’ 
rechtzuſtellen, bei der dramatiſchen Declamation Alles Moment 
iſt und die Worte nach Lage und Stimmung des Sprecheuden 
mehr ober minder raſch fließen muͤſſen. Diefen Unterſchitd hat 
in übgrfehen,. indem ex dieſelben @efege, bie ex in feinen Keen 
Is$yn n bes. Homer u. f. w. bewährt gefunden hatte, aud) b 
hakſpeare's Dramen befolgte; und allerdings iſt es dieſes, fos 
gar auf die Profa derfeiben angewandte Verfahren dat niche 
allein, aber doch vornehmlich / wodurch feine üͤbertragungen, ihrer 
Gediegenheit ungeachtet, fo wenig. genießbar werben mußten. 
„Ss ſchien mir‘, fagt der Verf., „um fo nöthiger, diefen Ges 
genfland zur — zu bringen, als jegt Wenige bavon zu 
wiſſen fcheinen. &effing, Goethe und Schiffer mußten wot bas 
von: man wirb in ihren eigenen für bie Baͤhne beftiuiikten: 
Werken nicht einen Yall folder undrämatifchen Wortfteltuig fire 
den; ebenſo wenig in ihren Überfegungen des Racine, Boltai 
Shakſpeare. Dies ift ein großer und bieibender Vorzug 
gallerfäen „Machety‘ vor allen den Überfedungen. At 
. 8. von Sätegel bad dieſen Fehſer, wd er fonnte, md 
ohne Bewußtſein vermieden. Ganz anders Med, beffen 
Fr den Mangel des bdramtatifchen Verſes mit 
Voß ſchen und Kaufmann'ſchen theilen. Die gänzliche 
nung ber Ratur des dramatiſchen Berſes, bie durch 
Stüde zieht, macht fle für bie Lecture witenvärtig, 
—* Ge Darſtellung aber vdllig unbrauchbär. Wie ſehr 
a der t 


Blick zeigt, fie fei keine Tagtsgeburt, bertrexii berfelbt 

| feine genügendbe Übertragung 
piefes Drama befigen und auch die von Fied beforgte nur für 
ine Worarbeit zu einem kanftigen deutfadd „Wacherh geiteh 


Mhne, worauf er hit rähilichfer MWelcpeibenheit harzutfetk: 





‚MEN die Kritik über bie: meinige ein gleiches Urtheit, fü wii: 
ich mich gren berafigen, nur: auch mein’ Scherfiein beigefteuert 
38 haben.” Wie ganz anders klingt das, als jenes pomphufte 
Nachwort, in welchem ein kurz vorangegangener feger' aller 
Ghakfpeare’fhen Dramen ſich recht naiv ruͤhmt, er habe das 
Wert eines ganzen Menſchenlebens im Zeitalter der Eiſenbahnen 
beinah in Jahresfriſt abgethan! Übrigens hat Simtock an ge: 
dachter Stelle irrig erwähnt, daß bie von Tieck aufgenommene 
Userfegung des ‚„‚Dacheth” ben Brafen Wolf von Baubdiffin- 
zum Berf. habe. Denn unter ben im Nachworte zur zweiten 
Ausgabe, Bd. 123, S. 400, namhuft gemudten Stüden, welche 
vor dieſem überfeht worden, finden wie „Macbeth nicht, fons 
dern „ein anderer überſetzer, der ſich nicht nennen will’, hat 
nad ©. MI auch ihn vollendet, nachdem Tieck laut einer zur 
erfien Ausgabe gemachten Bemerkung einen großen Thei ſeibſt 
übertragen hatte. Daß jener Ungenannte feine verewigte Zoch: 
ter geweſen, erfuhe man anderweit; bie legte Band aber bat 
bei der zweiten Ausgabe, in welcher die Übertragung dieſes 
Städs oft weſentlich von ber erften abweicht, wahrſcheinlich 
wieder Tieck felbft angelegt. 

Gin beftimmtes Verhaͤltniß der vorliegenden Überfegung zu 
der Tieck'ſchen ergibt ſich aus der Verſchiedenheit ihres Ent: 
ſtehens, welche dreifach iſt. Grftlih band fi Ziel nur im 
Allgemeinen an das Metrum bes Originale und gebrauchte faſt 
überall, wo ihm bie Verſe deffelden nicht ausreichten, die Kreis 
heit, entweber einzelne Zeilen zu verlängern, oder auch ganze 
Berſe hinzuzufügen. Simrock dagegen erlaubte ſich nur Außerft 
felten, die Verſe des Originals in der Länge, wo bad Metrum 
nicht ausgeſuͤlt ift, und noch weniger in ber Anzahl zu übers 
ſchreiten: e® fragt ſich aber auch, ob er ſich hierin nicht zu ſehr 
befchtäntt hat. Namentlich follte die Ausfüllung abgebrochener 
Berfe wol nur dann Bedenken finden, wenn ber Inhalt einer 


verkürzten Zeile ohne folche Abfonderung nicht den nöthigen Ein: | 


druck machen, oder wenn eine neue Wendung ber Rebe fi im 
weitergeienden Verſe zu wenig hervorheben würde. In beiden 
Begicehungen rechtfertigt es fi z. B. vollkommen, daß unfer 
Aberſeßzer in Banquo's Rede S. 20 den unvollſtaͤndigen Vers 
„In’deepest consequenes nicht gleich Tieck durch Himneinziehung 
von Worten aus der vorhergehenden und folgenden Zeile vers 
längert bat; außer dergleichen Fällen aber darf unſers Erach⸗ 
tens blos das Beduͤrfniß einer treuen Übertragung enticheiben. 
Ebenfo wäre Vermehrung der Verſe da nicht zulaͤſſig, wo bie 
Rebe, welche fie bilden, eine größere Ausdehnung ihren 
nothwendigen Charakter einbäßen würde. An jeber andern 
Stelle dagegen, deren GSinn ſich mit allen dem kleinen Neben» 
—— ee Due * einem a en — 
nie malse gie ti d, in der Be dee als wie 

hop fen" laͤßt, ſcheint es uns brfonbeto bei bramatiſchen Wer⸗ 
fen nicht nur erlaubt, fondern nfthig, einen Vers einzufchalten. 
Man weade nicht ein, diefe Freihelt, werk fie emal gäftattet, 


önnte fo’ gemisbraucdt werdet, daß dadurch an Kraft verloren | 


gehen möchte, was bie Treue gewaͤnne. Zwar bleibt die Vers 
meldung des Misbrauchs Yon dee andtheit und Gewiſſen⸗ 
haftigkeit des UÜberſteks abhängig, aber she diefe Eigenſchaf⸗ 


ten läßt fich bei aller Kenmtntb überhaupt nichts von ihm ers | 


warted. Ferner war He um We Genfeßbarkeit bee dramati⸗ 
fen Sprache und um Entfernyuyg ven Anglicidmen nicht vors 
zuͤglich beforgt, ſonderñ machfe eo auch in diefer Beziehung die 
Axbett etwas leicht, indem er (aut ſeines Nachwortes der 
An life nicht aldgte, Het der feinigen aber, wie es 
; Witt befttimmtes Befeh befolgte. Nur darin lag ein Er 
fdnderniß; daß er der Überfegurig, wie aus ben Anmetkincgen zer) 
n Ausgabe hervorgeht, namenilich bei ben brei erſten Acten 

die Foberung ftefte, nicht blos den Sinn des Originals wieber⸗ 
zugeben, ſondern and beſſen „wunberſame und zum Theil ins 
correcte Sprache nachzuahmen. deſſen nahıa Sivtock 
forgfäitig rauf Bebade, ein lesbaren und dem Geiſte der 
race treuen dramatiſchen Vers zu liefern. Gine 

dritte Verſchievencheio liegt endiich darin, daß Zied’s Überfegung 


das Wert im Ganzen zu gewähren vermag, 
ſedter vereinigt brei Eigenſchaften, weiche bei diefem Gefchäfte nıza 





von einem Berein überarbeitet wusbe, in weldien der Ausau 
zwiſchen drei Perfonen ihr zwar vortheilbaft werben könne 
deſſen vielfache Bemüßtengen aber zuweilen vielleicht eine ge⸗ 
zwaͤngte Misbildung herbeifuͤhrten; wogegen Simrock fidy-mit 
freierer Kraft dem Werke hinzugeben: und es mehr aus ehem 
Su, zu Teaenn vermochte. 

etradhtet man nun bie bemerkten Verhaͤltniſſe näher, fo 
findet fi die Erſchwerung für unfern liberfeger f! m Bo 
eriten Punkten beiweitem nicht durch den Vortheil aufgewogen, 
der fi im dritten für ihn ergab. Wir muͤſſen daher das Bere 
dienfi um fo höber anfchlagen, welches er fich durch bedeutende. 
Berbefferung. feiner Worgänger unzweifelhaft erworben, und 
baben es aur zu bedauern, daß zuweilen theils feine geoße Zus 
rüdhaltung im Grgänzen ober Bermehren ber Verfe, theile: 
fein: erfolgreiches Streben, einen fließenden dramatifcyen Bert 
berzuftellen, merklich der Treue gefchadet, während freilich auch, 
mancher Mangel hervorblickt, welchen man nicht auf Rechnung. 
dieſer Umftände fegen Tann. Die meiffen Ausftelungen find im: 
der That, ungeachtet ber großen im Ganzen fichtbaren Sorgfalt, 
ih Bezug auf materielle Genauigkeit zu machen, es fei. 
nun, daß der Wortſinn überhaupt nicht: getroffen, ober body, 
unflar, unvollſtaͤndi ‚ober nicht Eräftig genug wiedergegeben 
worden, ober daß Ginfchaltungen, abweichende Wendung oder 
Verbindung ber Säge u. f. w. bie Treue verlegen. Ohne zu 
jener falſchen Wörtlichteit binzuncigen, gegen weiche ſich dev. 
Verf. in ber Vorrede nachdruͤcküch erklaͤrt hat, glauben wir body: 
einer Arbeit, die fih für Überfegu n8 gibt, ein ſtrengeres Kefts 
halten des Originals anfinnen zu müffen, als hier an einigen 
Stellen zu finden iſt. „Vieles, fagt Zied, „muß in jeber. 
Überfegung verloren geben, denn ber echte Schriftfteller lebt 
und bichtet ganz in feiner Sprache und wird Gins mit ihr.” 
Aber eben nur biefes „Müffen“, biefe wahre Notbwendigkeit 
kann % - vechtfertigen. In ‚gleiten Sinne fagt 
Heinrich Voß: „Dft bringt eine wörtliche Übertragung Steifheit, 
Geziertheit, fragenhafte Bergertung, ja Unſinn hervor: in bies 
fem Falle ſehe der Verdeutſcher, wie er, flatt zu uͤberſegen — 
erſeze,“ Das Erſetzen ift aber aud erft dann erlaubt , wenn 
jene Übelftände fich. nice andere vermeiden laffen. Kerner. bleibe 
im Ausdrud ber vorliegenden Übertragung bier und ba me 


etwas zu wuͤnſchen uͤbrig; doch kommt dies ſchon ſeitener vor. 
. 4m wenigſten endlich wird gegen. den Versbau 
‚ fein, und wo fich noch eine Unregelmaͤßigkeit finbet,, die zu 


den 


vermeiben geweſen waͤre, darf fie einem fo bewaͤhrten Bera 
kuͤnſtler wenigſtens nicht als Rachlaͤſſigkeit Bear werben 


: Unfere einzelnen Geinnerungen hier folgen zu Laffen, würde. me 


weit führen, und wir behalten und deren Mittheitung auf einem: 
andern Wege vor; fie können aber Keinem, ber die Schwierig⸗ 
keit der Aufgabe kennt, den hohen Genuß verfümmern, welchen 
Denn unfer libers 


feiten zufammentzeffen: ex begriff feine Aufgabe richtig, 
ige völlig gewachſen und —** ch ni Pr Mi fen“ 


Von feinen gewandten Kürze wollen wir einige Beifpiele geben: 


At 1, &c. 2 (8. 8): 
Benor: 
What a haste loske through his eye! So khould he look, 
That senms- to speak thiage stwange. 
In feinen Mugen welche Daft! 
So blidt, wer Großes gu berichten Tommi, 
Act 3, &. 2 (8. 56): 
Macbeth: 
To know uiy deed — 'iwere Dost mot Ruow myielfi. 
Der Shut Bewaußtfein:, beffer Sein Vewußtfein. 
&r. 3 (&. 68): 
Doncatbain: 
As sear in blaod', 


Nachſtes Blut 


The neiäree bloncy. 
BuniäR am Bluten. 


Kt 3, &. 4 (S. 104): 
Macbeth: 
I am in blood 
Stept in se far, thats should I wade no mere, 
Returniag were as tedious as ge ore. 
So tief fie’ ih in Blut: mir wirb fo ſchwer 
AS vorwärtswaten (don bie Wiederkehr. 


Richt minder fat aber auch dem aufmerkfamen Lefer ber Fleiß 
in die Augen, mit welchem ber Überfeger zu Gunſten des münd- 
lichen Bortrags Härten und mögliche Wlisverfländniffe zu vers 
meiden geſucht. Bier begegnen wir nicht jenen wiberwärtigen 
Eiifionen, als deren Gipfel man, abgefehen von mancher Voß'⸗ 
ſchen Wendung , die Tieck'ſchen Worte „Daum 'nes Eootfen” 
bezeichnen koͤnnte, würben fie nicht durch Hilſenberg's „b'gann 
ein graͤulich Kämpfen’ noch überboten. Ebenſo iſt das Wert 
von ungebührlicher Aufſchmuͤckung frei gehalten, wenn man ein 
paar Stellen ausninmt, die aus ber faft zu ſtark benugten 
Schiller’fchen Bearbeitung hineinfamen. Am gelungenften ſchei⸗ 
nen uns übrigens die britte, vierte und fechste Scene bes erften, 
fowie die britte unb vierte bes zweiten Acts, ferner der britte 
und fünfte Act, auch die beiden legten Scenen bes vierten. 
Zum Schluſſe haben wir nur zu wünfdgen, daß ber Heraus» 
geber alle andern Arbeiten, fo weit fie nicht etwa die würbig- 
ften Denkmäler altbeutfcher Dichtung betreffen, bei Seite fegen 
möge, um das glüdtich begonnene Werk mit berfelben Sorgfalt 
zu Ende zu führen. Diefer Wunſch muß um fo lebhafter fein, 
je weiter ber gleichzeitig angefangene beutfche Shaffpeare von 
Keller und Rapp, fo viel man nad ben fünf erften Stüden 
urtbeilen Tann, befonders im Ausbrud und Versbau zuruͤckſteht, 
obwol die Erwartungen nicht geringe find, zu benen ber Name 
bes erfigenannten Verfaſſers berechtigt. 55. 


Betrahtungen. 


Die That, in welcher. das handelnde Individuum verfchwins 
bet, fpricht zu dem allgemeinen fittlihen Gefuͤhl. Zritt aber 
das Perſoͤnliche heraus, fo tritt das Allgemeine, bie ſittliche 
Macht zurüd, und nicht mehr die Vernunft ber Sache, fonbern 
unfere Menſchlichkeit, unſere Theilnahme, unfer Mitleid eriangt 
bie Herrfchaft. Der eingefangene Mörder ift dem allgemeinen 
Daffe, dem Gefuͤhl der Rache verfallen, indem man nichts bes 
denkt als fein Verbrechen; der Gntfprungene ruft das Mitleid 
wach: man bentt ihn als WBerfolgten, wünfcht, er möchte ent: 
tommen. („Kann er ſich body beffern 1”) Es ift ſehr gefähr: 
lich, Maͤrtyrer zu machen; ſeibſt einer ſchlechten Sache gewinnt 
das Maͤrtyrthum Anhänger. 


Die Ermahnungen im „Robinſon Grufoe” und ähnlichen 
abenteuerlichen @efchichten, welche die moralifdye Tendenz haben, 
durch das Beiſpiel der erlittenen Unbilde und empfundenen Reue 
junge Gemüther vom Abenteuerlichen abzufchreden, bewirken 
ganz gewöhnlich das Gegentheil, indem fie bie Luft zum Abens 
teuern reizen. Was ald das Boͤſe daran vorgeftellt wird, meint 
bie junge Verwegenheit ja wol vermeiden und die phantaftifche 
Roſe ohne jene Dornen pflüden zu koͤnnen. So geht ed mit 
Tendenzen gemeinlich. Die beften Tendenzen dienen oft ber 
fchlechteften Sache, und wenn man von dem Gchriftfteller flatt 
Löbliher Thaten loͤbliche Tendenzen fobert, fo weiß man nicht, 
was man wollen fol. 


Diejenigen, welche am liebſten im Jenſeits leben, fei es 
in bem der Vergangenheit, fei es in dem ber Zukunft, biefe 
find es, die gewoͤhnlich auch am eifrigften nach dem dieffeitigen 
Genuſſe trachten. Schwelgen in Tüßen Erinnerungen, Schwel⸗ 
gen in ſeligen Hoffnungen, Schwelgen im geſicherten Beſit ber 
Gegenwart — dieſe Drei ſind Eins, der Lebenſtraum, in wel⸗ 
chem ſfich die ſchoͤne und romantiſche Seele genießt. Die Zeit 


ber Schoͤnſeligkeit iſt aber voruͤber: ber Geiſt will ſich nicht 
länger entfremdet bleiben, ſondern in wirklicher Gegenwart fich 
ſelbſt befriedigen, inbem er das Vergangene und Zukünftige in 
ber Gegenwart der Wirklichkeit zufammenfaßt. 


Deine Stimmung gibt Allem, was bir erfcheint, Geſtalt, 
Ton unb Farbe. Jedes, wenn dein ven voll Sehnſucht iſt, 
erſcheint dir als der Gegenſtand deiner Wuͤnſche. Die Stim⸗ 
mung iſt der Oberonsſaft, der „getraͤufelt auf entſchlafene Wim⸗ 
pern, macht Mann und Weib in jede Greatur, bie fie zunaoͤchſt 
erblidlen, toll vergafft”. Kommt zu der Einbildung dann ber 
Eigenfinn und bie innere Übung und Gewoͤhnung des Vorſtel⸗ 
Iungsvermögens hinzu, fo wird die müßige Einbildung zur Wirk⸗ 
—Aã— zufällige Regung zur Begierde, die Stimmung zur 

enfchaft. 


Die ſchoͤnen Gefühle, die weichen Regungen bed Gemuͤths 
find nicht ſtichhaltig. Im Helldunkel ber Stimmung, im Rabe 
men des Innern täufchen fie ihren Beſiter, fcheinen Gold. 
Heraus in die eckige Wirktichleit geworfen, werben fie oft fab, 
ja lächerlich. Was ſtill empfunden vielleicht wahr gewefen, wirb 
geäußert zum Komddienfpiel und führt, wenn man es bennoch 
nicht opfern will, zur Heuchelei. Nur die Empfindung bes 
Wahren, des gediegenen Inhalts, bes Rechten, Guten unb 
Schönen ift der Form fähig und Tann ohne Selbitbetrug frei 
ausgefprochen werben. 


Genuß des Unſinnlichen und Genuß bes Sinnlichen ſtehen 
in bderfelben Beit, wie in derfelben Perfönlichleit beieinander. 
Das Mittelalter vertiefte fich ebenfo ſehr ins Geiſtige wie ins 
Fleiſchliche. Im heutigen Rom noch begegnen einander finnliche 
Beraufchung und ſchwaͤrmeriſche Froͤmmigkeit; Suͤnde und Buße, 
ir Pr Sünde wechſeln. Sittlichkeit und Freiheit kann da 
n n. 


Das Abtreten des Schaufpielers iſt bekanntlich ſchwieriger 
alt das Auftreten. Auch im Leben. Wenn ſich Zwei eine ſen⸗ 
timentale Scene vorgeſpielt haben und ber Eine muß endlich 
leibhaft hinweggehen, fährt Leicht alle Illuſion zum Teufel. 48. 


Literariſche Anzeige 
Denkwürdigkeiten 


Bermifdte Sheßften. 


Vo 
KR. AÆ. Varuhagen von Ente. 


Zweite Auflage. 
Qu ſechs Bänden. 


Sether BIS dritter Band. 

Gr. 12. Geh. 6 Thlr. 

Die erften drei Bände der zweiten Auflage biefes intereflans 

ten Werks enthalten „Dentwürbigteiten bes e * 

Eebens“; der vierte bis ſechste Band werben B te 

Schriften“ enthalten und ebenfalls in kurzer Zeit erfcheinen. 

Bon der erften Folge ber erften Auflage (in vier Bänden) find 

noch einzelne Bände zur Gompletirung, fowie ber fünfte und 
ſechſte Banb in einigen Sremplaren vorräthig. 


Reipzig, im Mai 1843, 
S. A. Brockhaus, 





Berantwortlier Herausgeber: Breinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. U. Brodhaus in Leipzig 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 





7. Mai 1843. 





Gharakterzäge und hiſtoriſche Bragmente aus dem Leben des Nb« 
nigs von Preußen Friedrich Wiühelm II. Gefanmeit nad 
eigenen Beobachtungen und ſelbſtgemachten Srfahrungen und 
herausgegeben von R. F. Eylert. Erſter Shell. Magdeburg, 
Deinridhehofen. 1842. Gr. 8. Preis für beide Theile 4 Thlr. 

Das vielgelefene,, vielgelobte und weiterhin vielleicht 
auch noch vielen Angriffen ausgeſetzte Buch, das wir bier 
anzeigen, gehört jedenfalls zu den merkwürdigen und bes 
achtenswertben, ja zu ben für die Kritik unumgänglichen 
Erfcheinungen der Tagesliteratur. Beginnen wir bei ſei⸗ 
ser Beſprechung mit Dem, was eine zum Xudel aufge 
legte Stimme dagegen vorzutragen vermag, um dann mit 
um fo größerer Freudigkeit in feinem Lobe und feiner An: 
erfenutnig enden zu können. 

Der Biſchof Eplert, feit faſt 35 Jahren Hofgeiftlicher 
und Beichtvater im evangelifhen MWortfinne bei dem hoch» 
feligen Könige, ein Mann durch das ununterbrochene Ver: 
trauen und die perfönliche Neigung Friedrich Wilhelm’s III. 
geehrt, in den wichtigften Entwidelungsphafen der Ge: 
ſchichte der evangelifchen Union felbfithätig, unternimmt 
es bier, uns mit der Innern Geſchichte jenes unvergeßli⸗ 
chen Fürften, dem er fo nahe ftand, nach feinen Wahr: 
nehmungen und nad) den Zagebüchern, in welchen er jede 
wichtige Begebenheit feines Lebend und die bedeutendern 
Unterrebuungen mit dem Könige fogleich zu firiren gewohnt 
war, vertraut zu machen. Wer wollte an feiner Wahr: 
haftigkeit und alfo an der Lauterkeit der Duelle zweifeln, 
aus der und bier fo wichtige und erwünfchte Belehrung 
herfließt? Und doch iſt der Hr. Verf. von vornherein in 
einem Serthum befangen, der möglicherweife auf feine Dar: 
fiellung eimen werderblichen Einfluß aushben konnte. So 
wenigfieng Bann der Zabel fprechen! Der Verf. gebt von 
dem Gedanken aus, daß der hochſelige König Friedrich 
Wilhelm von Preußen von vielen, ja von den meiſten 
Menſchen verkannt werden fei und als Menſch falfch be: 
urtheilt werde. Der Hr. Bifchof tröfte und beruhige ſich 
— der- Sag iſt gluͤcklicherweiſe wicht richtig. Hat er 1840 
in Preußen nicht gelebt? Dat er ein Volk von 15 Mil: 
lionen in feines Herzenstrauer nicht geſehen ? Dat er bie 
heißen Thränen zu zählen vermocht, die diefem unvergeß⸗ 
lichen Kürfien, ich fage, aus der Seele feines Volks ge: 
floſſen ſind IR in ganz Deutſchland, ja in der Wett, 


auh nur Eine Stimme laut geworden, bie biefe tiefe 
Zrauer nicht gerechtfertigt genannt bat? Iſt in feinem 
Volke au nur ein Menſch anzusreffen, der an ber Alles 
überragenden Gerechtigkeit, dieſer oberften aller Zürftens 
tugenden, in der er felfenfelt war, an der Herzensguͤte, an 
dem chriftlichen Ernſt des feligen Zürften zweifelte, und 
bat der Dr. Verf. in einem großen Volke je ein fefteres 
Bertrauen, einen unerfhütterlihern Slauben an die Zus 
gend, die Liebe und die Menſchlichkeit feines Fürften ans 
getzofien, als unter den Preußen für ihren König beftand? 

ach biefen Einwürfen fragen wir, ob von Verkennung 
eines ſolchen Kürften die Rede fein könne! Beſtaͤnde fie, 
fie wäre eine Schmach; doch fie befteht und fie bes 
ſtand nicht. 

Es iſt died ein Irrthum, der allerdings auf die vors 
liegende Darſtellung von Einfluß geweſen fein mag. Er 
gab den Ideen des Biographen fofort eine polemifche Faͤr⸗ 
bung, nöthigte zu fhärferm Auftragen der Farben und 
* zu einem Eifer Anlaß, dem es an anderm Grunde 
ehlte. 

Man kann vositer einwerfen, daß ber Verf. zu viel 
fage, um nichts zu verfäumen. In Friedrich Wilhelm 
durchdrang ſich der König und der Menfh in einem 
Grade, wie er felsen angetroffen wird. Inden ber Verf. 
nad) feinem geiſtlichen Standpunkte den Menfchen zu ent 
ſchieden ins Auge faßt, verſaͤumt und benachtheiligt er den 
König, Vieles von Dem, was er Preifendes von dem Ver⸗ 
Rorbenen fagt, manche derjenigen Eigenfchaften bes Geis 
fies und der Seele, die ex ruͤhmt, gehören geradehin zu 
denen, deren Abweſenheit fofort der DBegeiff der Untugend 
dargeſtellt haben würden. Won mancher andern geruͤhm⸗ 
ten Eigenſchaft laͤßt fi fagen, daß fie den Menfchen 
jiere, den König aber nicht Thmüde Wir wollen uns 
nur an einem Punkte deutlicher machen. Die durchaus 
chriſtliche Wefignation des Könige wird gepriefen: es 
erhebt fi, aber die Frage, ob ein König refignirt fein folle, 
in dem Sinne, wie biefe Seeleneigenfcaft etwa einen 
Miffionnair odes den Vorſtehor einer Bruͤdergemeinde zie⸗ 
von mürde? Dan kann fügen: ein König folle handeln, 


‚wirken bis zum lebten Moment der Selbflaufopferung. 


Wir find der Meinung, der Verf. gebe hier, verleitet von 
feinem fubjeetiven Standpunkte, zu weit, um nicht Einis 
geä an feinem hiftorifchen Gewicht zu verlieren. 


Es kann endlih der Einwurf gemacht werben, bie 
ganze Form der Darftelung ſei verfehlt. Der Vortrag 
entlehnt feine Beftalt durchaus von der typifchen Form 
einer Gedaͤchtnißrede. Er reiht, wie fie fich dem Geiſte 
barflellen, die einzelnen Seeleneigenfhaften, Gemuͤths⸗ und 
Verftandesanlagen, ohne alles pragmatiſche Bindemittel, 
mit ziemlicher Willkür aneinander umd begleitet diefelben 
mit der Erzählung einzelner Züge, Anekdoten und Au: 
Gerungen des Königs, ohne Ruͤckſicht auf hiſtoriſche Reihe: 
folge, ohne Rüdblid auf Jugend oder Alter, auf glüd: 
tiche oder unglüdtiche Lage, auf Umgebung, Zeit, Ort, 
Entwidelung des innern Individuums und feines Mo: 
ments in der fubjectiven Gefchichte. 

Dies ift ein wefentliches Bedenken und es dringt fich 
ung die Anfiht auf, daß es wol zweckmaͤßiger und befier 
gewefen fein möchte, wenn der Verf. den Typus der Ges 
bächtnißrede bei feiner Arbeit aufgegeben und flatt deffen 
den der biographifchen Behandlung angenommen haben 
möchte. Doc er wollte keine Biographie ſchreiben. Er 
follte auch nicht; aber es gab einen Mittelweg zwiſchen 
Gedaͤchtnißſchrift und Lebensbefchreibtung — und biefen zu 
finden, war die Aufgabe. 

Wie find mit unfern Ausftellungen zu Ende und 
fügen hinzu, daß bdiefe Erinnerungen nicht fowol die unſe⸗ 
rigen als ſolche find, welche der Geift der jüngern Kritik 
etwa erheben koͤnnte. Mit voller Seele treten wir nun 
zu dem trefflichen und Löftlihen Buche, um uns feiner 
und feines Gegenftandes mit allen menfchlidyen Gefühlen 
zu erfreuen. 

Aus dem Standpunkte des Verf. war zunaͤchſt zu er: 
warten, daß wir Sriedrih Wilhelm III. mehr als Menſch 
und FZürft denn als Regent, Heerführer und Staatsober⸗ 
Haupt gezeichnet fehen würden. In der That tritt ber 
Iegte Charakter auch kaum in drei oder vier Zügen fo her: 
vor, daß er für die politifche Gefchichte des deutfchen Va⸗ 
terlandes neu und bedeutend beleuchtet würde. Die Mit: 
theilung biefer wenigen Züge verdient Dank; allein bie 
Empfindung miſcht fid) mit dem Gedanken, daß der Verf, 
ſelbſt mit voller Feſthaltung feines Standpunktes, in die: 
fer Beziehung mol hätte etwas freigebiger fein koͤnnen, 
um ein reicheres Maß des Dankes, der ihm gebübet, eins 
zuſammeln. Won diefen Zügen müflen wie zuvoͤrderſt ef: 
nige erwähnen. Als die erheblichfte Mittheilung diefer Art 
tritt uns bier entgegen, was über den Allianztractat von 
1813 mit Frankreich zu unferer Kenntniß gebracht wird. 
Dem hellen, wir möchten fagen, dem prophetiſchen Blicke 
des Königs lag in diefer verwirrten Lage der Dinge, in 
welcher feine Näthe Leinen oder nur einen verzweifelten 
und hoffnungslofen Ausweg fahen, die Zukunft wie ein 
offenes Buch vor Augen; der Entfhluß, der allein zum 
Heite führen konnte und deſſen Grundlage Selbflüber: 
windung hieß, dieſer Entſchluß ging auch allein von dem 
Könige aus. Der Himmel meiß es, wie ſcharf und viel: 
fach der edle Fürft dieſerhalb getadelt und angegriffen wor: 
den iſt. Die Gefchichte iſt indeſſen abgerollt und mas 
liegt nun vor uns? Nichts Anderes, ale daß des Königs 
Entſchluß der allein richtige war. Denn wie, kann man 


fragen, wie wenn ber König, dem Drängen feiner Räthe 
folgend, zu Rußland übertrat, wenn er, in natürlicher 
Folge biervon, mit feiner Armee Über ben Niemen zuruͤck⸗ 
trat, wie wenn Napoleon, dort angelangt, Rußland den 
Frieden bot, um Preußen als ein im Kriege erobertes 
Land zu behandeln? Wir haben in frübern Nummern 
d. BI. das Urtheil eines Mannes von einigem Blick in 
der Politit über den König Friedrich Wilhelm III. ange 
teoffen, das uns im erfien Eindrud tief berührt, bei fer 
nerm Nachdenken aber mit Unwillen erfüllt bat. Wie ? 
Ein Fürft wie biefer, ein Geiſt fo Heil und ſelbſtbewußt, 
daß er in jener Eritifchen Epoche den falfchen Rath, ber 
fih an fein Gemüth wendete, von dem richtigen, der nur 
zum Verſtande ſprach, fo genau zu unterfcheiden mußte, 
ein Mann von foldyer Energie des Geiſtes, daß er gegen 
den Rath feiner ganzen Umgebung, ja gegen feine eigenen 
Wuͤnſche, den einzigen beilbringenden Entſchluß zu faffen 
vermochte, aller Verkennung, aller Nachrede zum Trotz — 
ein folcher Fuͤrſt fol, wie dort behauptet wird, das aͤngſti⸗ 
gende Gefühl feiner Ungenügenheit lebenslang mit ſich 
herumgetragen haben und darım fcheu und muͤrriſch ge: 
weſen fein? Edler Geiſt des Unvergeßlichen — vergib jenem 
Schreiber, der weder dich felbft noch dein fchönes Gott: 
vertrauen zu erkennen ober zu würdigen geroußt bat, ver: 
gib diefen feinem großen Irrthum! 

Wir haben längft zugegeben, daß Friedrih Milhelm 
kein macedoniſcher Züngling war, der für einen Schlach⸗ 
tenkranz das Wohl feines Reichs in die Schanze ſchlug. 
Wäre er König Alerander geweſen, fo wuͤrden wir wol 
ſchwerlich die herrliche Stelle In dieſem Buche Iefen, wo 
er den Ruhm des Sieges von Kulm, den die Volkstra⸗ 
bitton ihm ohne Widerſpruch zufchried, ganz und gar von 
fi ablehnt und ihn allein dem Zufall deimißt. Diefe 
Stelle iſt das zweite merkwuͤrdige hiſtoriſche Fragment, 
das wir hervorheben. Die Wahrheitsliebe und die Be: 
fheidenheit des Königs feiern in ihr einen vereinigten. 
Triumph. 

Man Hat — fagte der König ungefähr — i 
Kulm mir und meinen Xnorbnungen — — die 
Sache ift faſt zur Bollstrabition geworben. Es ift nichts Wah⸗ 
res daran. 3% fand mit dem Kaiſer Alerander auf ber Höbe 
bes Schloßberges von Teplit, um dem Portgange bed Kampfes 
zwifchen Oflermann und Banbamme zujufehen; da brach, auf 
feinem Rüdzuge begriffen, Kieift, einen Ausweg fuchenb, bei 
Nollendorf hervor, griff den Feind muthig an und ber Sieg wer 
Folge bes muthigen Entſchluſſes, Folge eines gluͤcklichen Zufalls. 

Außer diefen begegnen uns über hiſtoriſch bedeutende 
Mendepunkte kaum andere anzuführende Mittheilungen. 
Für die innere Natur des Königs war freilich die in dem 
Ungluͤcksjahren zu Königsberg entflandene vertraute Be: 
kanntſchaft mit dem nachherigen Erzbifchof Borowski rin 
fehr entfcheidendee Moment. In der apoftelifchen Strenge 
und Sicherheit diefes Mannes, für den Friedrich Wilhelm 
bie tieffte Verehrung fühlte, fand ber bis dahin ſchwan⸗ 
kende Wille des Könige einen Kern von Sicherheit und 
Sottesvertrauen, die ihm nie wieder verließen. Er gefteht 
bied felbft und feine Handlungen bezeugen es. Wie viel 
verdankt Preußen und mit ihm Deutfchland dem feften 


603 


. ftelen Wort diefe® Mannes, weicher der beginnenden Wie: 
dergeburt des Staats gleichſam eine seltglöfe Grundidee 
unterzulegen wußte. Wie ſchoͤn aber auch behauptet ſich 
Die Pietät des Könige gegen dieſen feinen Seelenpfleger, 
den er auffuchen mußte, weil er ſich nicht in das Haus 
der Rönige drängte! Das innige Verhältni zu dem ruf: 
ſiſchen Kaifechaufe, welches fi am treueften in dem Be⸗ 
fuch der Kaiferin » Mutter zu Potsdam (1827) abbildet, 
iſt hier als ethe wenigftens halbpolitiſche Mittheilung gleich 
falls zu erwähnen. Hiermit aber endet auc beinahe, was 
wie als hiſtotiſch Wichtiges, als gefchichtlich Bedeutendes 
aus diefem Buche auszuheben haben; in allem Übrigen 
teitt und zunaͤchſt das Humane, das Weinindividuelle Dies 
ſes Zürften entgegen, ſodaß wir durch dies Medium erſt 
den Koͤnig und den Regenten ins Auge faſſen. 

Wir haben ſchon bemerkt, daß der Verf. ſein Thema 
in der Form einer Gedaͤchtnißrede abhandelt, den pragma⸗ 
tiſchen Standpunkt aber gaͤnzlich aufgibt. Die einzelnen 
Eigenſchaften des Verſtandes, des Herzens, der Seele auf: 
faffend, trägt er nacheinander diejenigen Züge vor, welche 
über diefe Eigenfchaften bei Friedrich Wilhelm III. Licht 


verbreiten, fie modificiren oder auch fie in Abrebe ſtellen. 


Mit der Geſtalt beginnend, geht er zur geiftigen Eigen: 
thuͤmlichkeit, von diefer zum Charakter über und be: 
richtet im vierten und lebten Abſchnitt von des Könige 
Zuruͤckgezogenheit in feinen Gärten. Dieſer legte Ab: 
fchnitt enthält die koſtbare, viel bekannt gewordene Mit- 
theilung über Friedrich's des Großen letztes Gefpräd mit 
dem Könige. 

Die Einfachheit des Fürften In Lebensweife und Au: 
Serer Erſcheinung iſt ſehr bekannt und wird in humori⸗ 
fifchen Zügen, die jeder Preuße kennt, belegt. Hoͤchſt an: 
mutbig und flet# wuͤrdevoll waren feine Handbewegungen 
(Geſten), dagegen war die Stimme unſchoͤn und feine 
Sprachweiſe, wie bekannt, aphoriſtiſch, concentrirt und oft 
ſchwer verſtaͤndlich. Entſchieden war feine Abneigung ge: 
gen Schoͤnrednerei und Phraſen; aber der Verf. liefert 
häufige Zeugniſſe, wie wirkungsvoil, fließend und ſchoͤn ber 
König zu reden wußte, wenn eine warme Überzeugung 
ihn erfüllte und die Umgebung zu feiner Stimmung 
paßte. In Speife und Genuß der Geregeitfie und Maͤ⸗ 
Siofte, hat ihn nie Jemand irgendwie das Maß über: 
ſchreiten ſehen. 

An die Spitze ſeiner intellectuellen Eigenthuͤmlichkeit 
ſtellt der Verf. das hohe Maß natürlichen, gefunden Ver⸗ 
ſtandes, der mit richtigem Blick, gerecht, mild und ſcharf⸗ 
ſichtig in entſcheidenden Momenten und bei kritiſchen Ent⸗ 
ſchlüffen faſt ohne Ausnahme das Richtigſte zu treffen 
wußie. Dies iſt gerade einer von den Punkten, bei wel⸗ 
chen der Biograph gegen Praͤventionen, die faſt zur Glau⸗ 
bensſache geworden find, anzukaͤmpfen finde. Man hat 
dem Könige wol allgemein Scharfblick und gutes Urtheit, 
nicht aber die Energie des Geiſtes zugefprochen, welche da: 
zu gehört, feinem Urtheil wirkſame Geltung zu verſchaffen. 
Es ſcheint uns, daß diefe Meinung fehr zu mobificiren 
ſei. Friedrich MWithelm III. beſaß viel Reſignation und 
viel Beſcheidenheit; allein wo irgend es darauf ankam, 


als Koͤnig zu entſcheiden, in Dingen, wo er ſeinem indi⸗ 
viduellen Urtheile trauen durfte, weil es auf techniſches 
Wiſſen nicht ankam, da fiel es ihm nicht ſchwer, ſelbſt 
gegen die Anſicht aller ſeiner Raͤthe an gefaßten Entſchlie⸗ 
ßungen unbeugſam feſtzuhalten. Schreiber dieſes kennt 
davon ein merkwuͤrdiges Beiſpiel, das hier nicht erzählt 
iſt und zu beffen Mitthellung die Zeit überhaupt nicht ges 
kommen ift; allein für ihn iſt bie Feſtigkeit des Koͤnigs 
in Entſchluͤſſen, die nicht auf befonderer Wiffenfchaft bas 
firten — benn in dieſem traute er feiner Einficht wenig 
zu — eine ungmeifelhafte Thatfahe. Der Wig des Kb: 
nigs, ber in engem und erwähltem Kreife oft gutmüthig 
fpielte, trat niemals verwundend auf; in diefer Beziehung 
wohnte ihm ein Zartfinn bei, der von alle Dem empfind> 
lich berührt wurde, was irgend eine Perfönlichleit oder 
auch feinen Begriff von gutem Gefhmad und Anftand 
verletzend ſtreifte. Wigjäger duldete er nicht in feiner 
Nähe, ein geſchmackloſes Wort und vollends eine Schluͤ⸗ 
pfrigleit vermochten ihn in beiterfter Laune fofort zu ver: 
flimmen; ein gutes Scherzwort feiner Vertrauten dagegen 
machte ihm Freude und er war ſelbſt damit nicht Earg. 


Friedrich Wilhelm war in ber That zu tief religiös, 
die ganze Stimmung feines Weſens war bem praftifchen 
Chriftenthum zu fehr zugewendet, als baf er an den Ent: 
widelungen der modernen Philoſophie einen tiefer einge: 
benden Antheil hätte nehmen koͤnnen. Wie fo Viele, 
hatte er mit Kant abgefchlofien; was darüber hinauslag, 
galt ihm wenig, doch nur für feine Perſon; denn für 
die Miffenfchaft uͤberhaupt ließ er auch biefem Streben 
volle Gerechtigkeit widerfahren. Ex berief Fichte nach 
Berlin und fliftete auf Beyme's Math die Univerſitaͤt 
Berlin mit koͤniglicher Munificenz. Einen gleichen Ans 
theil brachte er der Kunft entgegen; fein fletes Streben 
aber ging dahin, bei ſich felbft die Einbildungskraft, in 
der die Kunftbegeifterung vouzzelt, zu zügeln und einzu: 
ſchraͤnken. Das rein Phantaftiiche mar feinem Naturſinn 
zuwider und oft fagte er: Phantaften kann ich nicht brau⸗ 
chen, und „Phantafus war ein Bruder des Morpheus” 
pflegte ex binzuzufegen. Bei dieſer Zügelung der Phan⸗ 
tafie, in der er den Keim der Sünbe entdedte, war und 
blieb fein Gedaͤchtniß ſtaunenswerth. Es iſt jedem Preus 
Ben bekannt, daß der König nicht blos jede einmal gefe: 
bene Phyfiognomie fofort wiebererfannte, fondern mit ihr 
zugleich an alles Das erinnert wurde, was mit biefer Pers 
foͤnlichkeit in einer ihm je befannt geweſenen Verbindung 
fand. Der Verf. berichtet davon merkwuͤrdige Beiſpiele, 
an deren Nichtigkeit wir gar nicht zweifeln. Er erkannte 
einzelne Soldaten nach 18 Jahren wieder und wußte bie 
Mehrzahl feiner Gardiften beim Namen zu nennen. Pie 
vergaß er einen Dienft, nie die befondern Verhaͤltniſſe ei: 
nee Perfon, die ihm jemals näher geftanden hatte; was 
er las und hörte, faßte der ganze Menfh auf und behielt 
eö auf immer. Der Verf. fagt hierüber ſchoͤne Worte : 

Das Gedaͤchtniß des Königs war darum fo treu, weil fein 
Herz treu war; was er Mar aufgefaßt hatte, ruhte wohlver⸗ 
wahrt in biefem. Da er nur bie flillen, fanften und ſchuldlo⸗ 
fen $reuden einer ber Vernunft und bem Gewiflen untergeorb- 





Phanta te, jele nah Faͤuſchungen aber an 
Im —— murben, 10 war Raum in feiner Serie für ein 
flarkes Gedaͤchtniß. 

Diefer Sag Ift wahr; Phantaften entbehren des Ges 
daͤchtnifſes. 

Unter den Eigenthuͤmlichkeiten feines Charakters trat 
zunaͤchſt ein bis zur hoͤchſten Strenge gefkeigertre Wahr: 
heitsfinn hervor, ein natürlicher Daß der Lüge und aller 
ihrer Abarten, der Schmeichelei, der Phrafeologie, der ver: 
Beidenden Wortmacherei. Sein Anblid, fein ruhiges Auge 
fhon foderte Jeden, der zu ihm trat, zur Wahrhaftigkeit 
auf und nur der Wahrhafte war ficher ihm zu gefallen ; 


denn feine Erkenntniß für diefe Eigenfchaft war außeror⸗ 


dentlich ſcharf. Dffenes ober verſtecktes Lob abzumeifen, 
war feiner Natur nothmwendig; nah dem Siege von Leip⸗ 
jig, beim Einmarſch in Paris, beim triumphirenden Heim⸗ 
zuge börte man ihn ernft und feierlich fagen: „Nicht 
uns, nicht uns; Gott allein die Ehre!” Im ltiefſten 
Grunde der Seele aber verhaßt war ihm Schmeichelei im 
Munde der BSeiftlihen, im Gotteshaufe. Hierzu werden 
tharafteriftifche Belege geliefert; von einem Geiſtlichen, ber 
in einer Anrede an Ihn des Lobes etwas viel vernehmen 
ließ, wandte der König filh mit den Worten ab: „Das 
iſt nie zum Aushalten, der Wann fast ja Unwahrhei: 
tm!” As Friedrich Wilhelm 1809, von Konigsberg zu: 
ruͤchgekehrt, zum erflen Dale in Potsdam wieder das hei: 
fige Abendmahl genoß, floß dem geruͤhrten Verf. das Der; 
über, Der König ruͤgte das ihm gefpendete Lob, der Verf. 
vertheidigte feine Anfiht mit der Situation; allein Frie⸗ 
drich Wilhelm erwiderte: „In der Kirche gibt es keinen 
König!” und bat freundlich, es, wenn es denn fein müͤſſe, 
beim Lobe kuͤnftig wenigſtens gnaͤdig zu machen! So 
mild, fo zartfuͤhlend war diefer ſeltene FJuͤrſt. Der Werth 
dieſer Eigenfchaften aber wählt, wenn wir fie gegenüber: 
ſtellen derjenigen Feſtigkeit feiner Seele, in melche er mit: 
tels einer ſchweren Schule des Ungluͤcks ſich wahrhaft 
praktiſch hineingelobt hatte. „Feſt in der Sache, mild in 
der Torm”, dies war der Wahifpruch feines ganıen We⸗ 
fens, in welchem ſich Emtfchiebenheit und Sanfemuth fo 
‚wie felten in einen Menſchengeiſt durchdrangen umd ge: 
:genfeitig trugen. 

Der heitere Glaube an die Menfchheit war in der 
zreeiten Hälfte feines Lebens vor den bitten Erfahrungen 
des Undanks und der Selbſtſucht der Welt gewichen; das 
Mistrauen uͤberwog, aber es konnte weder ſeine Treue 
noch feinen Sinn für Wohlthaͤtigkeit wankend machen. 
Wir erfahren hier — und es mag beſonders am Rheine 
fuͤr eine Lehre gelten — was den Koͤnig in dem beruͤhm⸗ 
ten Fonk'ſchen Proceß mit unbeſieglichem Mistrauen gegen 
den Spruch der Geſchworenen erfuͤllte. Es war berichtet 
worden, daß die Anklaͤger Fonk's am Tage ſeiner Verur⸗ 
theilung ein Ballfeſt angeordnet hatten. Der Koͤnig war 
hoͤchſt gereizt hieruͤber. 

„Erſchrechlich!“ rief er aus, „ſich zu freuen, wenn ein 
Menſch zum Tode verurtheilt wird! Wo folde Gefühle und 
Fußerungen hervorbrechen, da herrſcht Leidenſchaft, Parteigeift 
und die Wahrheit fehlte. Bott fol mich behüten — mein Ges 
wiffen erlaubt e8 nit — und nie beflätigte er dies Urtheit. 


Die Big non Depmögüte, ‚hie der Verf. Yeridzten, 
kshen (ich, verhaudertfuͤltigan; ser wurde nicht müde, ‚ge 
geben und zu gewaͤhren, wrotz feiner Überzenguns, daß fh 
auf den Glauben an die Menſchheit, mie er ſagte, „nick 
niel pechen lafie”. Miemand kann ohne innige Ruͤhrung 
leſen, was der Verf. Über die Frier detz funfzigabriges 
Jubluuma des Generala u. Koderitz, Friedrich Bilbenn 
teeneſten Freudes, berichtet. In dieſem Zeit, das her Ka⸗ 
als ganz und allein leitete und ordnete, feiern fuͤcſtlich⸗ 
Großmuth und Bossfinn ihren Aciunph; leidet müſſen 
wir dem Leſer überlaſſen dieſe smpergfeidliche Erzaͤhlug 
©. 114 — 121 ſelbſt nachuleſen, da ſie hier zu nie 
Raum erfüllen wurde. 

Der König Uebte in des Bezeigungen feine Erfienag 
lichkeit vor allen Dingen hie Ähechaßhung; ve diefer Van 
liche erzählt der Verf. ein anzichendes Beiſpiel amd dem 
Lehen Miemeyer's. Diefer feinste fein funfzigiährigeh Dien- 
feſt; fein hoͤchſter Wunf mar es, mit dieſem Lie Self 
tung eines ‚eigenem Gebäudes fuͤr die Univerſitaͤt Halle wer 
bunden zu ſehen. Er teng dem Könige, der ihm ſchaͤ, 
den legten Wunſch feines Lebens perſoͤnlich vor. Umſobſt; 
Friedrich Wilhelm entgeguete: Non habeo pecunissn, wie - 
fein Ältervater zu fagen liebte. Aber fein tuenes Gerächenis 
hatte ben Tag des Feſtos mahl geinerkt, und zu Tag umd 
Stunde kam die Bewilligung von 40,000 Thalern fir ein 
Univerfitätägebiude zu Halle bei dem uͤbexraſchten Gefeier⸗ 
ten an. AÄhaliches erlebte dor Verf. mehr als einmal af, 
und mis ſchoͤn, mie zartfiunig, aber auch wie fcharffichtig 
der König abfchlug und gewährte, erfuhr er gleickfaiie an 
ſich fetbft, als er 1815, durch Umſtaͤnde verſtimmt, obne 
volle Erwägung einſt um Dienfiverfegung gebeten hatee. 
Man muß dies lefen, um bie ganze Uhte and den gan: 
zen fehlen und ſcharfen Geiſt des Koͤnigs ganz zu würkis 
gen, der hefler erlunnte als die Bittenden, was treien 
Dienern frommte und maß nicht. 

Mir übergeben hier, was bee Verf. Anzichendes von 
ben Arbeiten der bekannten lithurgiſchen Commiſſion und 
über den ehrwuͤrdigen Sack, des Könige Religlonslehrer, 
mättheils, um nur zu erwaͤhnen, daß nicht blos der erſte 
Gedanke der enangelifhen Unien in der Seele des Könige 
feinen Urſprung genommen, ſondern auch, Daß die Camps 
wiſſion fortwährend umter den Augen Friedrich Wilhams 
felbit wirkte und arbeitete, ber diefer Arbeit einen nicht nach⸗ 
lafienden Fleiß und eine hoͤchſt muͤhevolle Leitung wihmete. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifhe Rotiz. 

Bon Ambroiſe Firmin Dibot's „ Bibliothdque greeque * er: 
ſchien in Paris ein neuer Band, welcher die Scholien zum Ari fto- 
phanes entpält. Sie find aufs neus mit den Manufcripten vers 
glidden und durch zahlreiche, bisher noch nicht herausgegebene und 
aus mehren Manufcripten ber koͤniglichen Sibliothek ausgezogene 
vermehrt worden. Großen Werth verleiht diefer Oammiım 
noch ber weitläufige Commentar von Dinborf und Duͤbner, a 
ein immenfer Inder, worin ſelbſt die kleinſten Details, weiche 
in dem Zerte des Ariffoppanes und in ben Scholien norlommen, 
aufgeführt find. Diefe mühfelige Arbeit bat Dübner mit Ges 
ſchick und großer Belehrfamkeit zu Stande gebracht. 18, 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von 8. X. Brodhaus in Leipzig. 


- Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Montag, 


— Rr 128 — 8. Mai 1843, 





Die Schule des Ungluͤcks war für Friedrich Wilhelm 
zu einer Lehrerin in der Kunft, zu verzeihen und zu ver⸗ 
geffen, geworden; aus der Thraͤnenſaat, in Königsberg vers 
goffen, und von dem warmen Anhauch chriſtlicher Milde, 
wie fie von Borowski ausging, keimte für ihn die fchönfte 
menfchliche Tugend, die ber Großmuth. In ihrem voll: 
fien Glanze erfchien diefe Seelmeigenfchaft des Könige in 
dem Verhalten gegen den befannten Oberft v. Maflenbach. 
Man weiß, zu welchen ſchweren Berirrungen die Leiden: 
fchaft diefen Mann hingerifjen hatte; mie tief, wie blutig 
er das Herz des Königs in einer Epoche verlegt hatte, 
wo das Unglüd mit feiner ganzen erdrüdenden Wucht 
auf ihn einftürzte, und wo feine Seele um feines Volks 
willen in tieffter Trauer lag. Zu dieſer notorifchen Ge: 
ſchichte erzähle der Verf., ein naher Bekannter Maffen- 
bach's, noch unbekannte Züge; wir erfahren, daß er die 
unbegreiflichen, verlegenden Zufchriften an den König, an 
Stein u. ſ. w. dem Verf. zuvor zeigte, und daß diefer nicht 
im Stande wär, ihn von ihrer Abfendung zurüdzuhalten. 
Genug, der Verf. der „Denkwürbigkeiten”, der Diefelben 
mit Drohungen dem Könige ſelbſt uͤberſchickt hatte, faß, 
zu vierzgehnjähriger Feſtungsſtrafe verurtheilt, in Glatz, wo 
er feine tolle Verbiendung in leichter Haft büßte. Auf ein» 
mal, Jedermann ein Räthfel, erfhien fein Sohn in Ber: 
lin bei dem General v. Wisleben, dringend um eine Aus 
dienz beim Könige bittend, um ihm für die Freilaſſung 
feines Vaters zu danken. Alle Welt erflaunte, Niemand 
wußte das Mindefle von diefer Wendung der Sache, Der 
König lag krank an dem belannten Beindruch darnieder. 
Der Berf. faß gerade an feinem Bette, als v. Wipleben 
eintrat, um den ganzen Vorgang zu berichten. Der Rd: 
nig, fanft erröchend, antwortete: die Sache hat ihre Rich: 
tigkeit. Er erzählte dann, daß er in einer fchlaflofen Nacht 
ſich gefragt habe, wer fi am ſchwerſten an. ibm ver: 
gangen habe, um nad den Worten des Evangeliums dies 
fem feinem Feinde von Herzen zu vergeben. Da fet ihn 
Maſſenbach eingefallen und fofort habe er Papier und 


Feder gefodert und, um alles Gerede zu vermeiden, ſelbſt 


Die Drdre feiner Steilaffung an den Commandanten ges 
fchrieben und abgefendet. 
„Scenen lieb’ ich nidgt”, fuhr er fort, „aber fagen Sie 


dem Sohne, ich ließe feinem Vater wuͤnſchen, daß er in feiner 
Familie nun ruhig und gluͤcklich lebe — Alles fei vergeben unb 
vergeffen. Es ift mir lieb, daß es fich fo von ſelbſt gemacht hat.“ 

Mir haben wenigftens biefen Zug aus dem Leben des 
gerechten Königs mit einigem Detail berichten wollen; je⸗ 
der Lefer aber wird fich freuen, ihn in voller Ausführliche 
keit beim Verf. ſelbſt nachzuleſen. Friedrich Wilhelm war 
durch Leiden zu jener Milde der Seele geführt, die der 
ſtets Gluͤckliche ſelten kennt. Für feinen Lehrer in biefer 
Tugend, für den Biſchof Borowski bemahrte der König 
fein Leben hindurch eine treueſte Verehrung. 

„&ie müffen fi) den Borowski denken“, fagte er zu bem 
Verf., „wie einen Propheten bes Alten, einen Apoſtel des Neuen 
Teſtaments — jedenfalls als das Urbild feines Standes; fein 
Beruf war ſeine Natur geworden. Gerade dies vermiſſe ich ſo 
oft an evangeliſchen Geiſtlichen; jeder Stand hat feine abge 
ſchloſſene Sphaͤre, ſeine Form, ſeine Begrenzung; der Soldat 
dieſe, der Juriſt jene. Dagegen ſinde ich in der evangeliſchen 
Geiſtlichkeit unſerer Zeit eine ſicht⸗ und fuͤhlbare Zerfloſſenheit, 
ein Schwanken, Rathen, Waͤhnen und Meinen, bei dem Einen 
fo, bei dem Andern fo gefärbt in wechſelnden Zeitideen. Stag⸗ 
nation taugt nicht, allein ein unbeftändiger Wechſel laͤßt zuletzt 
allen Grund und Boden verlieren.” 

Der König führte dies Thema weit aus, im wunder; 
barften Schmud der Einfachheit‘ und Überzeugung. Dies 
fee fo tief veligiöfe Geift bewahrte ſich dur alle Pruͤfun⸗ 
gen feines Lebens die heiterfle Kindlichkeit der Seele. Im 
Eleinen Kreiſe feiner DVertrauten kam mancher heitere Zug 
freundlichfter Laune zum Vorſchein und der Verf. erzählt 
dergleichen gern und mit Pierät. Liner der jovialften 
Auftritte diefer Art ereignete fi, als kurz nad dem Er: 
feinen des „Feſtes der Handwerker” der Kronprinz eines 
Tages unpünftlih und zu fpät an der koͤniglichen Tafel 
erſchien. Friedrich Wilhelm, ein Mann nach der Uhr, 
pflegte von dergleichen Verſaͤumniſſen verflimmt zu werden; 
man hatte auf feinen Befehl Platz genommen, als der 
Kronprinz erfchien, Lächelnd auf frinen Vater zuging und, 
ihm die Hand reichend, ſprach: „Herr Merfter, darum 
keene Feindfhaft nicht.” Der König nahm lachend bie 
Hand des Sohnes und fuhr in demfelben Zone fort: 
„Fritz — du warft ja — allemal derjenigte — welcher. .” 
zum großen Ergögen ber Öefelfcaft, Seine tindlic hei⸗ 
tere Seele zeigte ſich beſonders auch in der Art, wie er 
ſeine Kinder zu Weihnachten beſchenkte, in ſeiner Vorliebe 
fuͤr ſchoͤne Blumen und Fruͤchte, in der lleblichen Ge⸗ 
wohnheit, wenn er in ſeinen Landſitzen verweilte, jeden 





510 


Morgen feine Töchter mit friſchen ſelbſtgewaͤhlten Blu⸗ 
men und Heinen Körbchen voll Fruüͤchte zu befchenken, 
in dem feifchen und befelfgten Gefühl, das er flet6 in 
ferier Natur, befonders auf der Pfaueninfel und in Pa: 
reg aisſpruch. 

ie kreten nun alffhälig zu dem tieffleh und chatak⸗ 
teriftifchften Zuge im Weſen Friebrich Wilhelm's, zu demieni⸗ 
gen, der wie ein Stern uͤber ſeinem ganzen Daſein ſchwebte, 
der wie ein rother Faden ſein ganzes langes Leben zu⸗ 
ſammenfaßte und durchzog, wir meinen zu ſeiner tiefen, 
wahien ind warmen Religioſitaͤt. Gottesfurcht, fromme 
Scheu, Gewiſſen, dies waren die Grundtoͤne, die Genien, 
die Hüter diefes ſeltenen, relnen, fledenlofen Lebens, mit 
dem wol Wenige in die Schranken treten moͤgen. Wir 
haben fein frommes Teſtament geleſen; der Grund⸗ 
kon dieſes, 13 Jahte vor feinem Tode geſchriebenen 
Slattes rohe der des ganzen Lebens Friedrich Wilhelm's. 
Bielleiht möchten wir nach unfern befondern Anſichten 
etwas weniger Gewicht darauf legen, als der Verf., naͤm⸗ 
lich der Beichtvater des Könige thut, dag Frledrich Wil⸗ 
beim ein pofitios gläubfger Chriſt war, der durch alle Gra⸗ 
dationen des Glaubens, von der erften Annahme auf Au: 
torität hin, zum Denken, zum Fuͤhlen, zum Bewußtſein, 
vom Bewußtfein zum Gehorfam, von diefem zur Erfah: 
rung und von biefer aus endlich zur ruhigen, feſten und 
Haren Hingabe an Gott durchgegangen war. Es genügt 
uns, in feinen Selbſtbekenntniſſen, die bet Verf. mittels 
einer gersiffen anomalen Kuͤhnheit mittheitt, einen fo ed): 
ten Ghriftengeift, ein fo lauteres Bewußtſein von feinem 
Verhaͤitniß zu Gott, eine foldye Tiefe der religioͤſen Durch⸗ 
Beingung zu erkennen, als wol felten einem fo praktiſchen 
Reben geftattet ift, wie das Friebrich Wilhelm’s war. In 
diefee Durchdringung hatte er es bie zu einer hohen Di: 
vinationsgabe gebracht, ber er in allen Dingen vertraute 
und nach welcher er, was gehen könne und was nicht, 
was richtig ſei und was nicht, beſſer als feine einſichts⸗ 
vollften Näthe vorauszufagen mußte. „Wo der König nur 
Immer nah diefen Innern Stimmen entſchied“, 3 der 
Verf., „da folgte Segen und Erfolg über alle Wahr: 
ſcheiniichkeit hinaus feinem Entſchluß.“ 

Friedrich Wilhelm war Proteftant im ganzen Wort: 
finne; feine Bekanntſchaft mit der Geſchichte und den 
Schriften der Reformation war eine feltene und tiefen: 
dringende, der Geift der Reformation mar auch ber feinige 
und den vwoichtigften Theil feier Pflichten fand er in fels 
ner Stellung als Summus episcopus feiner Kirche. Atrin 
diefe Überzeugung verdunkelte feinen Blick als König eines 
Relchs von gemifchter Confeffton nicht; vielmehr war er 
in Milde der Denkart feinem Lieblingsapoſtel Johannes 
verwandt. Verkennung hietin ſchmerzte ihn tief, und was 
er In feinen legten Lebenstagen duch dieſe Verkennung 


8 leiden hatte, beruͤhrte den innerſten Menſchen in ihm. 


er Öffentliche Gottesdienſt war Ihm uͤberaus theuer und 
es bedurfte eines großen Entſchluſſes und vielen Anbrin: 
gens ber Ätzte, bevor er ſich entfchloß, ihm bei vorgerück 
ten Jahren durch einen Hausgottesdienſt zu erfegen. Die 
Sicherheit feiner Überzeugungen als evangelifcher Ehriſt, 


innig vertraut mit der evangelifchen Kicchengefchichte, wear 
der Art, daß er, der fonft Widerfpruh mit größter Ge⸗ 
duld ertrug, in biefem Punkte ganz auf fi ſelbſt fußte 
und feine Anſicht oft mis einem: „Ei was, das muß ib 
beffer wiſſen“, verfocht. Helllg war ihin Die Gache dk 
Kirchenunidn, Bern ſo ſehr er in hiſtorifcher Himficht Pro: 
teſtant war, ſo ſehr misfiel ihm dieſe Bezeichnung doch 
als eine dogmatiſche. Auf dieſem Felde fand manch ern: 
ſtes Zuſammentreffen mit dem edeln, allzu vorſichtigen Al⸗ 
tenſtein ſtatt, das die Milde bes Königs aber ſiets be: 
fiegte. Dennoch Heß er, obwol fehr ungern, feine Ideen 
von der Beichte, über welche er 1831 einen merkwürdigen 
Auffag geſchtiedetrs Hatte („Bern Araı ort Stäfa) adf 
des Xerf. Vorftellungen fallen. 

Mir koͤmen uns nicht entbrechen zur Brekekthtung des 
Vorſtehenden, wenigſtens einige Gedanken aus den Selbſt⸗ 
bekenntniſſen Friedrich, Wilhelm's, welche der Verf. auf 
einigen 30 Seiten mittheitt, einzufchalten; fie lehren im 
Zufammenhange freilich mehr als jedes andere Bild Yen 
Mann kennen, den wit fo laͤnge Zeit „ünfern Koͤnige 
genannt haben. Er fagt: 

Es thut noth, im Gebränge des Lebens von taufenb Dim 
gen angezogen und abgefloßen, zerftreut, geſchwaͤcht, durch ben 
Glauben wieder zu ſich felbft gebracht zu werben. Bon “ 
felbft viel halten, ift ein jämmerticher, kindiſcher Zuſtand; i 
Eenne nichts, was die müde Seele mehr erfrifcht, als fromme 
Sammlung. Es gibt ſtarke Geifter, die das entbehren ! 
— ich verhete es nicht. Ich wärbe elend fein, wenn ich das 
Chriſtenthum nicht kennte unb hätte. Die miferabelfte Anficht, 
die man vom Ghriftentfum haben Tann, iſt bie, daß ee noth⸗ 
wendig fei, um die untern Volksclaſſen zu zügeln. Soll das 
Auftiärung fein? Ich wüßte nicht, woher den hoͤhern Gtaffen 
Gewißheit, Erhebung, Würde, Licht, Troſt und Hoffnung kom⸗ 
men foll, wenn fie es nicht daher Hotem. Richt feinetwegen, 
fondern der Sache und ber Menfchheit wegen, ſol man ein gu⸗ 
tes Beifpiel geben. Ich möchte fo gern alle meine Unterthanen 
gluͤcklich ſehen; aber fein Menſch kann gluͤcküch fein, ohne gut 
zu fein, und gut von Hetzen koͤnnen wie nar durch. die ſchaf⸗ 
fende Kraft der Religion werden. Ohne Glauben Teine rem! 
Ein rohes, unwiffendes Boll kann kein gutes, alfo auch fein 
gluͤckliches ſein — darum habe ich für den Unterricht gegeben 
und bewilligt, was ber Gtaatshaushalt nur immer zuläßt. 
Nur daB der Eine den Volksunterricht anpreift und heilfam, 
der Andere aber ſchaͤdtich findet, macht verbrteßlicdh; man möchte 
die Luft daran verlieren — das darf man aber auch nicke ! 
Die größte Gefahr unferer Zeit ift ber mit ber Intelligem 
wachſende Pauperismus; jeber lerne grünblidy und ganz. was 
er für feinen Beruf wiffen muß, das Mehr ift für ben Lebens: 
zweck nicht förderlich, fonderh flörend und hinberlih. Meiner 
tehrt mich bie Menfchen kennen, ich babe fie durdfchaufs das 
Wahte an der ganzen Geſchichte ift: „der Menſch if mit fei- 
nem Bersen von Bott abgefallen”. Klugheit it noch keine 
Weisheit, Aufgebunfenheit noch Fein Muth, bat fchöne Wert 
noch keine Geſinnung, Geſchmeidigkeit noch Feine Liebe und Be: 
(häftsgewanbtheit noch Feine Treue; bie echte Tugend liegt tie: 
fee und entfpringt aus gang anderm Quell. 

Doch wir find gezwungen, hier mit dieſen Itagmen- 
ten zu enden; fie genügen, um es klar zu maden, auf 
welchem Grund und Boden Friedrich Wilden: ats Chrift 
ftand. Das Chriftentyum war ihm ein heiliger Ernſt, 
die erfle und oberfte Sache in feiner Lebmsaufgabe; er 
fprady davon nur mit Scheu und Sammlung, aber ters 
warm und in erhoͤhter Stimmung. In einer folchen 





GH 


ſhrieb et, Hei voͤlliger Gefundheit, fein betuͤhmt geworde⸗ 
me T t vom 1. Dec. 1827, das zunaͤchſt nur für 
feine Familie Sefliint war; ein Zeugniß feiner fremmen 
gebung und einer Reſignation, die weder Schwaͤche 
ich Kleinmuth, ſondern das Ergebniß ſeiner ganzen ke⸗ 
bensauffaflung war. | | 
— — des Biſchofs Eylert ſchließt mit einer Schil⸗ 
derung des Lebens Friedrich Wilhelm's in feinen Gärten 
und auf feinen Landfiten, einem Gemälde von flillem 
Reli; und von wohlthuendem Eindruck. In den Gärten 
Potsdam, Paret, auf bee vor allen geliebten Pfauen⸗ 
infel lebte dies hohe fürftliche Herz fein: gluͤcklichſten Stun: 
den; Hier allein verlieh den König das ſtrenge Gefühl ſei⸗ 
Her Pflichten als Fuͤrſt; hier, mit dein aufgeknoͤpften Mod, 
fog er freiere Athemzüge, und zeine Naturllebe zog herr: 
ſchend in dies einfache und kindliche Gemuͤth ein. Der 
wilde idyRifche Eharakter der Pfaueninfel und die Erinne: 
zung an die nie vergeffene königliche Gefährtin ſchwellte hier 
feine Seele, daß ihre ganze Lirbenswärrdigkeit and Licht 
seat. In Pareg lebte er mit den Dorfbeivohnern, die faſt 
Den Tiſch des guten Grundherrn theilten und mit denen 
er den fonntäglichen Gotteödienft theilte. In Sansſouci 
tar er mehr freumdficher, humaner Fuͤrſt. Die fchönften 
Züge feines Weſens enthält diefer Abſchnitt, in dem ſich 


auch der Bericht über das vielverbreitete legte Geſpraͤch 


mit dem stoßen König findet, ben wir bier leider über: 
gehen mirffen, fordie die tiefgedachten Worte über die Stel⸗ 
fung Friedrich's TI. zu dem dogmatiſchen Kirchenthum. 
Nicht minder ſchoͤn find die Züge aus dem Familienleben 
des Koͤnigs, welche hier vorgetragen werden und welche 
diefen Bericht zu einem wahrhaft harmoniſchen Abſchluß 
deingen. Sn Charlottenburg war feine Seimmung ernfte 
Wehmuth: hier ruhe, was er Theuerſtes auf Erben 
en 


Seit der Zeit — fagt der Verf. ſchließend —, daB auch er 
Ju den Bätern verfammelt ift und in bemfelben Mauſoleum, 
an ber von ihm erwählten Stelle, zur Seite feiner Luife zu, 
sat Schloß und Park eine büftere Yarbe angenommen. Denn 
hier ruht ein Königepaar, bad, weil es unter uns wandelte, bie 
Liebe und das Entzäden aller guten Menfchen war und befien 
Andenken Mit: und Nachwelt fegnet. 

Zum Sctuffe dieſes Referate foliten wie noch ein» 
mal, wie in einem Sonnenfpiegel, ben Eindrud zuſammen⸗ 
Taffen, den uns Died ungewöhnliche Buch gegeben bat. 
Zür den aufmerkfamen Leſer iſt dies jedoch kaum eifober: 
bh: es iſt ein Buch der Pietät, aber, wie wir glauben, 
vom Geiſte der Geſchichte und ihrer Wahrheit eingegeben 


und durchdrtingen. Wir glauben, daß der Verf. beide. 


Soderungen vereint zu Iöfen geroußt hat, und daß er nicht 
tet allen preußiſchen Herzen mit feinem Bude ein koſt⸗ 
bare Gefchenk gemacht habe. Sen Stil iſt ungefucht, 
Bhue Kanſt, bisweilen ſelbſt umter der Foderung, weiche 
man an pragmatiſche Behandlung des Stoffs oder an 
ame Hhaftlerifce und gefhmadvolle Darftelung machen 
tarm; er iſt eben darum vielleicht um fo befier. Er ver 
est Nichts und gibt nicht mehr, als die Sache felbft 
"Bidet — er iſt wahrhaftig. 

Mit gefpannter Dheitnahme ſehen wir dem zweiten 


Thelle diefes Werkt entgegen, das Mad) dem angeſchloffenen 
Inhaltsverzeichniß des Wichtigen und Anzlehenden noch 
viel zu bringen verfpricht. von Lüdemann. 


. 22 “m 007 u m 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


@in Roman von Pauı Racroir. 

Das neuefte Wert vom Bibliophilen Jacob (P. Lacroir), 
von dem ber „Biecle” bereitd einen bedeutenden Auszug gegeben 
bat, ift ein Roman, welder „Le songe” betitelt if. Et 
fpielt in ber zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts und gibt uns 
ein Gemäibe der philoſophiſchen Sekte, welcher man den Na: 
men der Atheiffen gegeben hatte. Verſchiedene hiſtoriſche Pers 
fonen, bie mehr oder weniger berühmt find, werden vor ung 
vorübergeführt. Wir erwähnen von denfelben namentlich den 
betannten Guys Patin, den ber Verf. fehr gut portraitirt hat. 
Die erfumdenen Charaktere find gleichfalls gut 
bewegen ſich mit großer Natürlichkeit auf dem Hiftorifchen Hin⸗ 
tergrunde. Auffallend iſt es uns gewefen, daß Lacroirx diefen 
Roman dem befannten Pianiften Eifzt gewibmet bat, ben er 
wirklich bis zu den Wolfen erhebt. Er bewundert ihn nicht 
nur als Kuͤnſtler, ſondern nennt ihn einen bedeutenden philofos 
phiſchen Geiſt. Wir wagen nicht, zu entfcheiden, inwiefern 
ber gefeierte Muſiker, ber ſchon Längft einmal von der „Revue 

es deux mondes“ feiner Anfprüde auf den Namen eines 
Jüngere der focialen Ideen wegen verfpottet ift, bierauf An: 
ſpruch machen ann. u 


Neueſtes Wert von Öranbpitle. 

Der ganze Kreis Deffen, was Stoff zur Garicatur geben 
ann, ſcheint gegenwärtig durchlaufen zu fein. Nachdem man 
der Komik eine neue Quelle dadurch eröffnet hat, daß man bie 
menſchlichen Schwächen und Lächerlichleiten unter der Geftalt 
von Zhieren verfpottet, ſcheint auch fie erfchöpft. Wan bat 
alſo darauf finnen müffen, dem Griffel eine neue Welt zu ers 
obern. Grandville, der unerfchöpfliche Zeichner, hat es in feinem 
neueften Werke, welches ben vielverfprechenden Zitel „Un hou- 
veau monde” führt, gethan. Diefe neue Welt ift nicht etwa 
das proſaiſche Amerika, fondern eine Art von Fata Morgana 
unferer Welt, der aber die reiche Phantafie Grandville's einen 
eigenthuͤmlichen Reiz gegeben hat. Bis jest haben wir nur bie 
erſten Nummern biefes neuen illuſtrirten Werks erhalten, das, 
nach benfelben zu urtheilen, hinter den übrigen Publicationen, 
die ben Namen des fruchtbaren Zeichnere unſterblich gemadgt 


’ 


haben, nicht zurüditehen wird. 





Bibliographie. 

Audin, 3 M., Geſchichte des Lebens, der Lehren und 
Schriften Calvin's. Aus dem Franzoͤſiſchen uͤberſetzt. Mit 
einer Vorrede von G. Egger. Uſter Band. Ifte Lieferung. 
Augsburg, Schmid. Gr. 8. 12 Nor. 

Bauer, G., Die Genfur: Inftruction dom 31. Januar 
1848. Leipzig, DO. Wigand. Br. 8. 9 Kar. 

Der weſtphaͤliſche Bauernſtand. Ein zeitgemäßes Wort 
von dem Verf. ber „Weftphätifchen Zuftände” umb ber „Kritik 
der Landgemeinden-Orbnung”. Eiberfeld, Buͤſchler. 8. MM Rgr. 

Behn: Eihenburg, $ Zulehna. Ein Jugendtraum 
im Kerker. (1835.) Bonn, Henry und Cohen. Gr. 8. 1Xtr. 

Birch, &., Ludwig Philipp der Exfte, König der Kran: 
zofen. Darftellung feines Lebens und Wirkene. 2ter Bant. 
Stuttgart, Hallberger. Gr. 8. 2 The. 15 Ror. 

oben, A., Das Luſtſpiel Böttor Wespe von Bob. We: 
nebir nad) einer Aufführung deſſelben auf der frankfurter Buͤhne 
beurteilt. Hanau, König. Gr. 8. 3%, Nr. 

Dainos, oder Litthauiſche Volktlieder. Geſammelt, Über: 
fegt und mit gegenuͤberſtehendem Ustert herausgegeben von ®. 


zeichnet und 


612 


J. Rheſa. Rebſt einer Abhandlung über bie ſchen 
Volksegedichte und muſikaliſchen Beilagen. Neue Auflage. Durch⸗ 
geſehen, berichtigt und verbeſſert von %. Kurſchat. Berlin, 
Enstin. 8. 1 hie. 15 Nor. 

Dumaft, 9. ©. de, Was hat Frankreich in ber oriens 
talifchen Frage mit Recht gewollt? In Briefen an ben Redac⸗ 
teux bes Univerd beantwortet. Aus dem Franzoͤſiſchen überfegt 
von einem katholiſchen Geiſtlichen. Reutlingen, Wäden jun. 
&r. 8. 11%, Ror. 

Eifelen, 3. F. &., Die Lehre von der Volkewirthſchaft 
in ihren allgemeinen Bedingungen und in ihrer befondern Ent⸗ 
wicklung , oder wiffenfchaftlide Darftellung ber bürgertichen Ge: 
ſellſchaft als Wirthſchaftsſyſtem. Ein Handbuch für bie Freunde 
diefer Wiffenfchaft und für Staatsmänner. Halle, Schwetſchke 
und Sotn. Gr. 8. 2 Thir. 15 Nor. “ 

Grinnerungen aus Danover und Hamburg aus den Jahr 
ren 1803 — 13. Nebſt einem Anhang mit Bemerkungen. Bon 
einem Beitgenoffen. Hanover, Helwing. Gr. 8. 20 Nor. 

Politifche Gedichte aus Deutfchlande Neuzeit. Won Klop⸗ 
fto® bis auf die Gegenwart. Herausgegeben und eingeleitet von 
9. Marggraff. Leipzig, Peter. 8. 1 Thir. 20 Nor. 

Gerladh, G. W., Syſtem ber Philofophte in kurzer 
Darftellung Uſter Theil: Fundamentalphiloſophie. Auch unter 
dem Zitel: Die Dauptmomente ber Philoſophie in encyklopaͤdi⸗ 
ſcher überſicht dargeſtellt. Halle, Gebauer. Gr. 8. 1 Thlir. 

Der kurheſſiſche Geſetzentwurf, bie religioſe Erziehung der 
Kinder aus gemiſchten Ehen betreffend, betrachtet aus dem Ge⸗ 
ſichts punkte des Rechts und ber awedmäßigfeit. Mainz, Kirch⸗ 
beim, Schott und Thielmann. Gr. 8. 2%, Nor. 

Guerike, 9. ©. F., Die rechte Union. Eine offene Er⸗ 
klaͤrung. Reipzig, Köhler. 8. 3%, Nor 

Guillemon, Wiffen und Glauben 
fhen. Münfter, Deiters. Gr. 8. 1Thir. 

Hirſch, T., Die ObersPfarrliche von St. Marten in 
Danzig in ihren Denkmaͤlern und in ihren Beziehungen zum 
kirchlichen Leben Danzigs überhaupt dargeſtellt. After Theil. 
Mit einem Grundriß, einer Seitenanfidht und einer Anſicht der 
innern Kirche. Danzig, Anhuth. Gr. 8. 2 Zhir. 71, Nor. 

Kornmann, R., Die Sibylle der Religion aus ber Welt: 
und Menſchengeſchichte. Nebft einer Abhandlung über die gols 
denen Zeitalter. Dritte verbefferte und vermehrte Auflage, nebft 
einer beutfchen Überfegung der in fremden Sprachen vorkom⸗ 
menden Stellen. Regensburg, Dany. Gr. 8. 1 Thlr. 3%, Rgr. 

Korfinsty, Album des Koͤniglich Wuͤrtembergiſchen 
Hoftheaterd. Mit dem Peftfpiel zur fünfundzwanzigjährigen 
Negierungsfeier Er. Mai. des Könige Wilhelm, von F. Löwe. 
of einer Auuftration und 7 Bitbniffen. Gtuttgart, Etzel. 

r. 8. hir. 


Aus dem Franzoͤſi⸗ 
I 6 of 


Kraufe, Lotte.Louife, Dramatiſche Scenen zu Polters 
Abenden. Liegnis, Kuhlmey. 8. 122 . 

Lasker, 3., Fidibus, Schelmenlieder. Danzig, Kabus. 
Gr. 8. 20 Nor. , 

Lebensbilder aus Öftreih. Gin Denkbuch vaterläntifcher 
Grinnerungen unter Mitwirkung ſinnverwandter GSchriftfteller 
und Künftier zum Beſten ber bei dem verheerenden Brande vom 
3 Mai 1842 verunglüdten Familien von Steyr, herausgegeben 
von A. Schumacher. Wien, Zauer und Sohn. Gr. 8. 2 Thir. 

Lengerte, ©. v., Gedichte. Gefammtausgabe. Danzig, 
Gerhard. Gr. 8. 1 Zhlr. W Nor. 

Lenzen, Daria, Die Bettler in Köin. Ein Roman. 
Drei Theile. Leipzig, Kollmann. 8. 3 Thir. 7%, Nor. 

Lewald, &., Die Mappe. Skizzen eines Gentleman über 
beutfche Bäder. Mit 34 Hotzfchnitten nad engtifigen Driginas 
lien Karlsruhe, Artiftifches Inftitut. Gr. 12. 2 Thlr 

Lichtenstein, H., Zur Geschichte der Bingakade- 
mie in Berlin. Nebst einer Nachricht über das Fest am 
15. Jahrestage ihrer Stiftung, und einem alphabetischen 
Verzeichniss aller Personen, die ihr als Mitglieder ange- 


benbülber aus höhern und niedern Kreifen. 


hört haben. Berlin, Trautwein und Comp. Schmal 4, 
gr. 
eog, ©, Drei Zage in Ban Carlo. Roman. Drei 
Bändchen. Iena, Buben. 8. 1 Zhlr. 32), Mor. 
Marcard, H. E., Uber die Möglichkeit ber Juden⸗ 
Smancipation im chriſtlich⸗germaniſchen Staat. Minden, Eß⸗ 
mann. Gr. 8. 11%, Ror. ' 
, Mignet, 3. %., Die Einführung ber Reformation und 
bie Verfaffung des Calvinismus zu Genf. Aus dem Branzöf- 
ſchen überlegt von 3. I. Stolz. Leipzig, Köhler. 8. 22%, * 
Möller, A. B. C., Der Herr und feine Kirche. Ei 
Cyklus Heiliger Bilder. Bielefeld, Helmich. 8. 8%, Rar. 
Neigebaur, J. F., Handbuch für Reisendein Deutsch- 
und, Leipzig, Mayer und Wigand. Gr. br. 13. 2 Thir. 
er. 


Reßler, 5. W., Der Herr mein Palm und mein Beil 
CEhriſtliche Lieder für kirchliche und häusliche Andacht. Leipzig, 
Friefe. 8. 22%, Ngr. 

Paolo, F., Novellen aus dem mobernen eben. Berlin, 
Bereinsbuchhandlung. 8. 1 Thblr. 

Remele, I. R., Analyſe arifcher Giaffiter. Cine 
rer DEN Icber aungarii grammatit und ein 
e er claſſiſchen Literatur. ien bier und Schaͤ 
1842. ®r. 8, 1 Zhlr. 5 Rar. " fe 
& Rof entre any, 8 , re Do fungen, gehalten im 

ommer an der Univ t zu Königsberg. Dami 

ie Beemis S & — 
alit⸗Seewis, 3. G. v., Gedichte. Ausgabe le 

Hand. Zuͤrich, Drell, Fuͤßli und Comp. Gr. —— Fe 

Saͤhe zur nähern Begründung einer allgemeinen Ginheite- 
tehre. Ein erläuternder Nachtrag zu ber Saat: „Die Ein: 
heit als Urweſen.“ Berlin, Deymann. 8. 7, A 

Schioffer, F. C., Geſchichte des 18. Jahrhunderts und 
19. bis gun Sturge des franzoͤſiſchen Kaiſerreichs. Brit befon 
derer Ruͤckſicht auf geiftige Biidung. Iter Band (bie 1788) 
2te Abtheilung: Wom Anfange des Seekriegs in Guropa um 
1778 bi8 zum Mai 1788. Beidelberg, Mohr. Gr. 3. 7 Thir 
tn a 

ober, E., Uber bie Heutige muſikaliſche Tragddie. 
Eine aͤſthetiſche Beige. Bamberg, Züberlein. Gr. 8. 3%, Nor. 

Smith, H., Masaniello. Ein biftorifher Roman. Aus 
dem Gnglifchen überfegt von W. A. Lindau. Drei Theile. 
keiprig Kollmann. 8. 3 Thlir. 

gr taat, Religion und Partei. Leipzig, D. Wigand. Er. 8. 
gr. 


‚ Stein, L., Die Municipalverfassung Frankreichs. 
Leipzig, O. Wigand. Gr. 8. 18 Ner. 

Suan be Barennes, Die Parifer Matroſen. See⸗ 
roman. Nebft einem Vorworte von &. Sue. Frei überfegt 
An * Heine Drei Bände. Leipzig, Kallmann. 8. 3 Thur. 

2 Xgr. 

Told, F. X., Der Zigeuner. Roman. Wien, Tendl 
und Schäfer. 1842. Gr. 12. 22%, Rer. “ 
ri ——— ——— Geograpdie —— und Daus, 

er geographiſch⸗ hiſto 6% Hande⸗ und Ta ipgä 
Böfenberg. Gr. 16. 1 Iblr. 73 Sepsis, 
. ogel, ©. F., Die zwei neueften ſaͤchſiſchen Gef 
Entwürfe über das literarifche Gigentbum und über bie Genf 
Befreiung, vom 21. und 30. Nov. 1842, in ihrer Gigenthäms 
lichkeit durch eine hiſtoriſch begründete Kritik der hierher gehh 
rigen ditern und neuern allgemeinen chen unb fächfifdgen 
Geſetzgebung leicht verſtaͤndlich charakterifist. Leipzig, Boͤſen⸗ 
berg. Gr. 8. Rgr. 

Winter, Amalie, Nur ein armes Dienſtmaͤdchen. Le⸗ 

ipzig, Kolmann. 
1 Zhir. 15 Nor. beipis, 
Die katholiſchen Zuſtaͤnde in Baden. Mit urkun 


Beilagen. 2te Abth. Regensburg, Manz. Gr. 3. 22%, Ner. 








Berantwortlier Herausgeber: velaric Brockhaus. — Druck und BVerleg von F. A. Brodyaus in Setpzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 


Diekitag, _— r. 





9. Mai 1843. 





Gommentatoren deutfher Dichter. 
Die Reflerion hat in jlingfler Zelt in der beutfchen 
Literaturgefhichte mehr Eingang gefunden, als die man» 
nichfachen entgegengefehten Bemühungen, zu generalificen 
und zu concentriren, erwarten ließen. Wir meinen jene 
vereinzelte Reflerion, die fi ein Object herausnimmt, 
ſich an daſſelbe heftet und es mit einem mehr oder min: 
der dichten Netze von Faͤden umfpinnt, deren Stoff oft 
ſehr fubjectiv gewählt if. An Schüler umb Goethe wurde 
zumeift diefe Kunſt geäbe: bald nad) ihrer Totalität, bald 
nach einzelnen Seiten ihrer Leiſtungen wurden fie Eritifch 
betrachtet und erläutert, und glüdlich noch, wenn fie nicht 
durch Commentare ad modum Minelli zu einem Eperci: 
tium für Schulknaben gemadht wurden. Wir haben ver: 
fihiedene Beftrebungen biefer Art, beren einige aber auch 
wegen der Freiheit und Objectiofeät ihres Geſichtspunktes 
aller Anerkennung würdig waren, bei anderer Gelegenheit 
in d. BL *) beſprochen. Gegenwärtig legen uns zwei 
in diefen Kreis gehörige Werke vor, bie aber fowol nad 
Stoff, als, wenigſtens das eine, nach Behandlungsweife 
einen gewiſſen Fortſchritt zum Beſſern beurkunden. Nicht 
blos, daß das ſo vielfach beleuchtete Dioskurenpaar dies⸗ 
mal nicht wieder in das Centrum der reflectirenden Be⸗ 
wegung geſtellt iſt, ſondern mehr noch, daß die Wahl auf 
Dichter gefallen iſt, die überhaupt weniger oder gar nicht 
in den Kreis folcher Separat:Refleplonen gezogen worden 
find, fo ſehr fie es auch verdient hätten, möchten wir als 
einen Fortſchritt bezeichnen. Einige neuere Dichter bat 
der Eine, dar Andere Leſſing's Dramen gewählt. Sodann 
iſt aber auch bie Behandlungsweiſe namentlich bei dem 
Erſtern im Fortfchritte dadurch, daß er eine Im Allgemei⸗ 
‚nen wenigftens glädlich zu nennende und im befondern 
Falle fehe anfprecyende Form der kritiſchen Reflexlon ges 
wählt, man könnte fagen, erfunden bat, und auch bei 
dem Regteen erfreuen wir uns einer Tuͤchtigkeit literar⸗ 
hiſtoriſcher Studien, bie manche andere Mängel leichter 
überfchen laͤßt. Sept zu dem Einzelnen. Unter dem Titel: 
2. Deutfche Dichter der Begenwart. Erlaͤuternde und kritiſche 
Betrachtungen von ©. 2. Denfe an Sonders⸗ 
haufen, Rohland. 1842. 8. 2 Thir. 20 Nagr. 


iſt d die Schilderung einer Reihe von Charakteren deutſcher 


9 IR. 300—302 f. 1830 u. Rr. 22355 [. 1840. 
e 


Dichter der neueſten Zelt gegeben worden. Der Verf. 
fheint — eine feltene Ausnahme — mehr fein Werk 
ſeibſt fich einen Standpunkt finden laſſen zu wollen, flaer 
den VBerfuch zu machen, ihm einen ſolchen in einer Bor⸗ 
rebe anzuweiſen: die letztere enthaͤlt in Allem drei Säge, 
aus denen wir nicht einmal deu Umfang des Planes des 
Derf. erkennen. 

Unter diefen Umfländen erfcheint es um fo nöthiger, 
einen Eurzen Auszug vorauszufhiden und bann erſt eis 
nige Bemerkungen anzufnäpfen. Der Verf. beginnt mit 
Ludwig Uhland. Er charakteriſirt das Romantifche feiner 
Poefie als weſentlich verſchieden von den Dichtungen bee 
eigentlichen romantiſchen Schule. Dieſer Unterſchied, ſagt 
er, liegt in der Art, wie die Romantiker und Uhland 
aus dem Mittelalter ſchoͤpften und ſich zu demſelben ver⸗ 
hielten. Wenn Uhland mit den Romantikern die Liebe 
zum Mittelalter gemein hat, wenn er die Stoffe zu fets 
nen Ditangen größtentheils aus biefer Zeit wählt, fo 
verhält er fig doch dabei ganz naiv, harmlos und objectiv, 
indem er jene Stoffe nur wählte, wenn fich durch fie 
eine allgemeine menſchliche Smpfindung barflellen ließ. 
Er bat dabei nur das mit den Momantikern gemein, 
daß er das jugendliche, empfinbungsrelche Leben der Menſch⸗ 
beit in verſchiedenartigen Bildern zur poetifchen Anſchauung 
brachte und daber fein Lichte von derfeiben Sonne ems 
pfing, von welcher die Romantiker erleuchtet waren — 
von Goethe. Der Verf. führe dies weiter aus, ſetzt aber 
dann noch hinzu: Uhlanb haͤlt ſich nicht blos in dieſer 
Sphäre der epifchen Lyrik auf, im welcher ber engere Kreid 
dee Gemuͤthswelt ſich darlegt, ſondern geht weiter und 
führt uns Geftalten vor, welche auf dem Boden freier, 
ſelbſtbewußter Sierlichkeie ſich bewegen. Nach ſpeciellern 
Erlaͤuterungen einzelner Gedichte gelangt der Verf. zu ei⸗ 
ner allgemeinen Eharakteriſtik Uhland's, aus ber wir fols 
genbe Hauptfäge herausheben: 

Die erſte Rand ‚bie wir an einen großen Dichter au 
den muͤſſen, i er eine große Weltanſchauung habe. 
Beltanf yauung Uhland's ift aber eine einfeitige und — 
es find größtentheils nur die Empfindungen der Jugend, es iſt 
bie Gentimentalitde und Treuherzigkeit des Mittelalters, 2— 
hier zur ee Derfielung gelangen. Di ſchein 
an den großen geiſtigen Bewegungen des Jahrhunderts, —288 
lich der — A wenig 1e Te endigen Antheil genommen zu 
haben, als daß er den Gefichtsfreis feiner poetifchen Anfchauung 
hätte erweitern können; wie bemerken dies insbeſondere an fele 


* 814 


nen dramatiſchen Verſuchen. — Bei dieſer Beſchaffenheit ber 
Ubland’fchen Poeſie, ba fie ſich ber Sirklichkeit und Gegenwart 
mehr entfremdet ats zuwendet, iſt es denn natuͤrlich, daß Derje⸗ 
nige, welcher in der Poeſie nicht blos einen Reichthum jugend⸗ 
licher Empfindungen, fondern großartige Gharaltere, maͤnnliche 
Leibenfyaften und Dandlungen fucht, von ber füßen, aber ers 
mattenden Sentimentalität und Schwaͤrmerei Uhland’s * ab⸗ 
wendet. — Die Lieber, welche die Liebe betreffen, find üb: 
land entweder reine Außerungen des Gefuͤhls, ober Ausdruͤcke 
der Wehmuth wie im Volksliede. Über bie Einfachheit bes ſich 
entäußernden Gefühle kommt Uhland nicht hinaus, während 
Schiller und Boethe die Empfindungen der Eiche in dem allges 
meinen Geiſte ſich verklaͤren laſſen. 

Nach einem etwas verſoͤhnenden Schluſſe geht der 
Verf. zu Juſtinus Kerner uͤber. Uhland's Gabe, heißt 
es hier, iſt, ſich in unbeſtimmte menſchliche Zuſtaͤnde hin⸗ 
ein, Kerner's, ſich uͤber ſie hinaus zu empfinden. Hier⸗ 
durch fällt innerhalb des Bodens der Romantik ſelber 
wieder Ubland der claffifhen, Kerner der romantiſchen 
Seite zu. Uhland's Mufe, fo oft fie auch in das Uns 
endliche als ſolches hinuͤberſtrebt, weiß ſich doch noch oͤf⸗ 
ter in ihren beſten Erzeugniſſen im Endlichen anzubauen 
und in ihm das Unendliche zu finden: die Kerner'ſche, 
obwol es auch ihr in manchen Balladen und Liedern ge⸗ 
lingt, im Dieſſeit ſich zu befriedigen, zeigt doch ihren ei⸗ 
genthuͤmlichen Charakter da, wo ſie das gegebene Menſch⸗ 
liche verfluͤchtigt und im Dufte der Sehnſucht in das 
Jenſeit aufſteigen laͤßt. Der Verf. gibt hierauf einen 
groͤßern Auszug aus den „Reifefhatten”. Ein Hauptzug 
desfelben,, bemerkt er demnaͤchſt, iſt dee Spott gegen alle 
Aufklaͤrung und Nüchternbeit des Verſtandes; jeder fa: 
den, aufllärenden, nuͤtzlichkeitsſuͤchtigen Richtung des Ver: 
ſtandes aber ſetzt der Dichter Geflalten und Erſcheinun⸗ 
gen mit Vorliebe entgegen, welche dem Gemäth genug zu 
empfinden, dee Ahnung genug zus träumen geben. Weis 
tee findet der Verf. in Kerner einen Myſticismus, ber 
in ber Unendlichkeit bes Gemuͤths beſteht, welches fich In 
feine innere Wunderwelt vertieft, eine weichliche Schns 
fucht nach der Natur, eine kraͤnkliche Gemuͤthsſtimmung. 
Er ſchließt mit einem Hinblide auf diejenigen Gebichte 
Kerner's, welche ber Helle des Tages angehören und wirk⸗ 
liche Charaktere verherrlichen. 

Es folgt Nikolaus Lenau. Seine Begeiſterung für 
die Freiheit wirb zuerſt hervorgehoben ; 
wie nun Lenau bie poetifchen Geftalten feines Landes energifch, 
lebensvoll hinzuftellen weiß und barin fein poetifches Talent 
am träftigften offenbart, fo entwidelt er auch benfelben Keich⸗ 
thum der Phantaſie in Ruͤckſicht auf die Natur. 

In den Darftelungen hingegen, bie unmittelbar aus dem 
Gebiete des Geiſtes flammen, iſt eine tiefe Melancholie, 
eine ſchwermuͤthige Stimmung wahrzunehmen. Den 
Grund hierzu findet der Verf. in dem Zwieſpalte, welcher 
noch unuͤberwunden in Lenau's Geifle liegt: ein Zwie⸗ 
fpalt, der aus dem Umſtande hervorgeht, daß der Dichter, 
duch die Bewegung des wiſſenſchaftlichen Geiſtes der 
Gegenwart mit fortgerifien, die Unmittelbarkeit des Glau⸗ 
bens einbüßte, ohne die Kraft zu befigen, ſich der Er: 
tenntniß In ihrer bernhigenden, bie tiefften Zweifel Iöfenden 
Totalität zu bemächtigen. Lenau’s „Fauſt“ wird bier: 
auf ausführlicher beſprochen und ale ein Ausdruck ſub⸗ 


jectiver Zerriffenbeit bezeichnet. Auch bier wieder ein vers 
fühnender Schluß: Lenau’s Romanze Ziska“. 

Anaſtaſius Gruͤn, „ber Mann des Ernfles, der Frei⸗ 
heitsfehnfucht, des Prophetenzorns, befien Mufe auf bie 
großen Angelegenheiten ber Menſchen gerichtet iſt“, ſucht 
„nah einem Wanne, dem er fein volles Dichterherz ent 
gegentrage, dem er fein freiheiterfülites Lied weihe und 
findet diefen Mann in dem Kaifer Marimillen”. Aber 
Morimilian, bemerkt der Verf., ift kein epifcher Charak⸗ 
ter, ebenfo wenig feine Zelt: daher „Der legte Ritter“ 
nicht befriedigen kann. Es folgen Auszüge aus dem 
„Schutt“. Der Berf. fagt: 

Das Welen der Gruͤn'ſchen Dichtun i i 
Naivetaͤt des Liedes als Ir ——— * ver = 
danke. Daraus erfiärm ſich denn alle Borzuͤge und. Bängel 
biefes Dichters. Wenn namentlich der „Schutt hoͤchſt anzie 
penb ift durch bie Gnergie der Gedanken, die gewaltfam ſich 

ahn brechen, fo find viele von ben kleinen Gedichten minber 
anfprechend, weil uns ihre zeflectivende Haltung mehr ober wes 
niger kalt iaͤßt. Mit diefer reflectivenden Richtung des Dichters 
hängt es auch zufammen, baß vielen feiner Bebichte die wahre 
Einheit fehlt, daß fie vielmehr nichts find als eine Reihe aufs 
einanberfolgenber glänzenber oder wigig erfunbener Bilder. Un: 
fer Dichter wird daher bei diefen Mängeln, welche mit Borzd- 
gen auf ber andern Geite innig verbunden find, nur Denjenis 
gen gefallen, welche in ber Poeſie weniger eine bequeme Unter 
haltung, fondern große Ideen für ihre Denken und einen bebeus 
tenden Inhalt für ihe Gemüth fuchen. 

In Eduard Moͤrike — defien Roman „Dealer Nol⸗ 
ten’’ wie deſſen Gedichte der Verf. kritiſch betrachtet — 
findet derfelbe einen Dichter, der einerfelts der Romantik 
angehört, andererfeitö aber den Geift moderner Bildung 
in fi) aufgenommen bat und in feinen Gedichten ent: 
widelt. In den letztern tritt die romantiſche Seite in 
feiner Liebe zum Wunderbaren, zum Geifler: und Mär: 
chenhaften, zum Pbantaflifchen, ferner in der Naivetoͤt 
hervor, welche aus vielen Gedichten wie aus Volksliedern 
uns anfpeicht. Er bleibt jedoch in biefer Richtung nicht 
fiehen, fondern da bie Kämpfe des modernen Bewußtſeins 
fein tieffles Innere erfchüttert haben, da fein Gemuüͤth 
ben Schmerzen und Leiden bes modernen geiftigen Lebens 
ſich aufgefchloffen hat, mußte feine Poeſie auch dadurch 
den Charakter der modernen Richtungen des Geiſtes 
darſtellen. 


Etwas kuͤrzer find bie Eharakteriſtiken des zweiten 
Bandes. Boran ſteht hier Friedrich Mäder. Der Verf. 
faͤlt über ihn ein ſehr umgünfliges Urtheil. Er findet, daß 
Rüdert mehr bucch die Reflesion als durch die Phantafie 
geftaltet, daß feine Probucte mehr Mefultate feines Ver⸗ 
flandes und Wiges als Ausdrüde des Gemuͤthes find: 
daraus leitet ber Verf. den Umfland ab, daß Räder 
eine große Neigung zur geiftlihen und didaktiſchen Poeſte 
bat, „welche beide mit linvecht den Namen Poefle führen”. 
Er ſagt: Ruͤckert's geiftliche Lieder find Reflexionen, aus 
der Intelligenz, aus dem verftändigen Bewußtſein ent⸗ 
fprungen, geößtentheils formiofe Verſe. Er vermift an 
ihnen die Sinnlichkeit der aͤltern Rirchenlieber, die tiefe 
Empfindung der Gerhard'ſchen Dichtungen; er erblickt im 
ber „Welöhelt des Brahmanen“ fophiftifhe Spielereien, 


ne Sucht, das Zrediuufle und Saſtkoſeſte in Neime zu 
bringen. 

Die Ratur betradgtet Ruͤckert als einen Ausbrud ber ewis 
gen Liebe. In dieſer Betrachtung tritt er allerbinge mit einem 
großen Reichtbume bed Empfindens und Denkens auf, aber nur 
zu balb verfällt er in das Gpigfindige. 

Der Verf. befpriht nun „Edelſtein und Perle’ und 
ben „Liebesfruͤhling“; er hebt einzelne Stellen aus, bie 
feeitih ohne alle Muſik und Schönheit find. 

Diefe ganze Natur: und Liebespoefie Rüdert’8 — fährt er 
fort — ift, auch abgefehen von ihrer Kormiofigkeit, ein Beweis, 
wie weit der Dichter von dem wahren Ideal ber Poefie fern ift. 
Benn man auch der Liebespoeſie unb der Schilderung der Sm: 
pfindungen fonft alle Gerechtigkeit wiberfahren laſſen muß, fo 
iſt doch an Rüdert zu tadeln, daß fich diefes Thema bei ibm 
fo unendlich breit macht, ſodaß neben ihr nichts Großes Plas 
behält; wie würbe Homer, wie würbe Shaffpeare, biefe objectis 
ven Dichter, die das Menfchenteben in feiner Höhe und Tiefe, 
in feinen bedeutendflen Momenten zur poetifchen Erſcheinung 
brachten, wie würden fie Iddheln, wenn fie diefe fo oft ſich wies 
berhotenden Liebesempfindungen Rüdert’s und die noch ſchlim⸗ 
mern Reflexionen darüber lefen müßten! Das wahre Ideal der 
Poeſie ift die Darftelung von Handlungen, von Charakteren; 
Ruͤckert weiß nichts von dieſem Ideale, unb am weiteften ent: 
fernt er ſich von demfelben in feinen orientalifchen Gedichten, in 
jenen Gafelen, wo orientalifche Beſchaulichkeit und Quietismus 
die Quelle der Poeſie iſt. 

Nicht minder abfällig werhellt der Verf. über Graf 


Daten. 

Ze mehr biefer Dichter den lebendigen Quell ber poetifchen 
Begeifterung in feiner Seele vermißte, befto mehr forcirte er 
fih, ihn — AÄußerlichkeiten wie durch die Kuͤnſtiichkeit der 

zu erfegen. 

werden hauptfählih „Die verhängnißvolle Gabel” 
und „Der romantifche Ödipus“ befprochen. 

Benn diefe Platen’ichen Komödien — heißt e8 — wirklich 
einen Genuß gewähren follten, fo mußten fie ganz anders mit 
Humor und Beiftesreihtbum ausgeftattet ſein; der Dichter mußte 
nicht bios perfifliren, fich alfo nicht bios negativ und kritiſch 
verhalten, fondern über bie Perfiflage und das Negativ» Kritifche 
hinausgehen zu einem pofitiven Kunſtwerke. 

Dabei wird aber ein Vorzug nicht überfehen: 

In der lyriſchen Poeſie wird Ylaten dann am glädtichften 
fein, wenn ex feine Empfindungen und Gedanken über Stoffe ober 
Gegenftände ausfprechen kann, welche ſelbſt poetiſch find oder 
etwas Poetifdyes enthalten. 


Es folge Heinrich Heine. 
Ginge der Dichter nicht über die Schranken hinaus, in 
ee fich innerhalb der ‚„„Darzreife’ noch hält, fo würden 
feine Werke immer ben Genuß gewähren, weichen bie Anſchauung 
eines frifchen, genialen Lebens gewährt. Aber an der Sucht, 
intereffant zu fein, ſcheitert der Dichter. Anftatt ſich dem uns 
mittelbaren Zuge des Gemuͤths und der Phantafle zu überlaffen 
und fein eigenes Ich dabei zu vergeflen, macht ‚Deine vielmehr 
immer geltend, wie er über Allem ſtehe, mas er empfindet und 
darſtellt, wie er von keiner Macht des Geiſtes fo ergriffen werde, 
daß er darüber bie Beſinnung verlöre. Dies lehtere Moment 
der Befinnung, welches Heine fo oft und namentlich am Schtuffe 
feiner Lieber hervortreten läßt, tft nun nichts weniger als poe⸗ 
tiſch, fondern gehört dem verftändigen Denken an und verbirbt 
*53 die —3*— Eindruͤcke, welche wir fonft empfangen ha⸗ 
ben wuͤrden. 


Weiter beißt es: 
Der Charakter dieſes Dichters iſt, wie man uͤberall wahr⸗ 
nehmen kann, die Eitelkeit, bie Koketterie, bie Geſinnungs⸗ 
Lofigkeit 


Segen den chin: 

Jene Lieder, Die durch die Tiefe der Empfindung und die 
Naivetät des Ausbruds an das Boikelied erinnern, geben den 
Beweis, baß Deine ein Dichter iſt; zugleich aber fehen wir in ihm 
ben Beweis, daß es keinen großen Dichter geben Tann ohne 
große Gefinnung, ohne tiefe Wegeifterung für das Wahre. 


Adalbert von Chamiſſo. 


Die meiften feiner Gedichte bewegen ſich in ber Sphäre 
bes wirftichen Lebens, flellen Vorfälle und Begebenheiten dar 
und haben daher größtentheils einen epifchen Gharakter, der fs 
gar in den beſten Inrifchen Gedichten Chamiſſo's bie Grundlage 
bildet. Auffallend fann es nur erfcheinen, daß biefer Dichter, 
befien Herz fo mild, Liebevoll und fanft war, in feinen Gedich⸗ 
ten am liebſten durch den Schmerz wirkt und namentlich in 
dem epiſchen Theile derſelben ſogar graͤßliche und Schauder ers 
regende Stoffe behandelt hat. Die Ipeatitdt, d. h. bie Dar 
ſtellung der Idee im einzelnen Individuum, fehlt der Shamiffo’s 
fen Porfle zu ihrem Nachtheil faft gang. Darin liegt benn 
auch der Grund, daß fo viele feiner Gebichte bloße Anekdoten 
find und bleiben, daß fie jener allgemeinen Wahrheit entbehren, 
zu welcher bie wahre Poefie das ſchlechthin Einzelne, Charak 
teriftifche zu erheben hat. Beiweitem intereffanter iſt uns ba 
ber Ehamiſſo, wo er etwas Gharakteriftiiches ſchildert, womit 
fid) zugleich da8 Ideale verfnäpfen laͤßt, wie wenn ex uns Bräfs 
tige Raturen außereucopdifcher Weltthrile darſtellt. 

Zum Schluffe: Friedrich Freiligrath. Der Verf. er: 
kennt in ihm einen vortrefflihen Dealer der Natur, einen 
wunderbaren Dichter; er findet feine Eigenthuͤmlichkeit 
nit nur in der Darſtellung fremder Sitten und Ges 
ſchicke, fondern überhaupt in der Liebe zum Kräftigen, 
Außerordentlihen, wobri er fteilich zumellen den Unter: 
ſchied zwiſchen der Kraft und der Roheit vergißt; ex bes 
zeichnet als das Feld, das Freiligrath mit der größten 
Meiſterſchaft beherrſcht, das der Schilderung und epifchen 
Darftelung. „Der Dichter muthet uns am meiften an, 
wo er eben feine Kunfl auf vaterländifche Stoffe wendet.” 

Wir müffen geflehen — heißt es am Schluſſe —, daß er 
durch bie Darftellung bes zu Individuellen und Zufälligen oft 
die Befege der Schönheit Übertritt. Diefer Dichter iſt daher, 
weit ex fi nicht immer im Kreife der Nothwendigkeit bewegt, 
am meiften in Gefahr, in Manier zu verfallen und fein eigener 
Nachahmer zu werben, eine Gefahr, die er bereits ſchon nicht 
mehr überwunden hat. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Amusements philologiques par Philomneste. Paris 1843. 


Zwei Ausgaben, die von biefem Buche fchnell vergriffen 
find, beweifen, daß der Inhalt feinem Xitel entfpridt. Der 
befannte Bibliograph Peignot, der ſich hier hinter dem Pſeudo⸗ 
nym Philomnefte verfteckt, weiß felbft bie trockenſten Rotizen 
zu beleben und unterhaltend zu machen. Es ift —5 den 
Inhalt dieſer kleinen Schrift, die eigentlich den ſpr —— 
geworbenen Titel De omnibus rebus et quibusdam aliis fähren 
follte, zu bezeichnen. Der Verf. ergebt ſich auf dem weiten 

eide ber Gelehrſamkeit und fein Kleines Werk ift wie ein Ders 
arium zu betrachten, in dem er uns eine Auswahl von ben 
feltenen und intereffanten Pflanzen bietet, die er auf feinen Ex⸗ 
eurfionen hufammengeiefen bat. Beſonders intereffant find bie 
Partien, in denen der Verf. uns aus feinem reichen Schate 
bibliogeaphifcher Guriofitäten mitteilt, und man fleht, baf 
bie das Gebiet ift, auf dem er befonders zu Haus iſt. &o 
finden wir ein ganz koͤſtliches Kapitel, in dem uns ber Verf. 
eine Auswahl der merkwuͤrdigſten MDebicationen Liefert. Wir 


machen r auf bie Abtheilung aufmerkſam, im ber wie eine 
— ungewöbntich 8 hoher Honorare finden. Zur 

auung aller Derer, die ſich wit einem beſcheidenen Ehren⸗ 
ſelde begnuͤgen mällen, wollen wir aufs Geratbewohl ein paar 
Belfpiele daraus mittheilen. Die hiſtoriſchen Yragmente von 


‚ bie tm Manufeript verauctionirt wurben, koſteten bem 
5 der ſie an ib brachte, mehr als 33,000 Thlr. Der: 
ibe 


laflen wird und auf das wir vorläufig aufmerkſam machen wol 
m. 
tions singulid les predicateurs, entre- 
mölses d’extraits des plus piquants des sermons bisarres et 
faostieuxz prononcss notamment dans lo 15, 16 et 17 siäcles 
tout en France qu'à l’6tranger.” 6. 





Notizen. 


Kannten die alten Römer auch [hon Wetten? 
Es dürfte allerdings angenommen werben können, baß bie, 
+ B. bei den Sngländern unferee Tage fo fehr und faft bis 
zur Ungebühr, namentlich in Betreff der Summen, gewöhns 
tichen Wetten, z. B. bei Pferberennen, ſchon im alten Rom 
ihr Vorbild finden. So fcheint es nämlich nach einer Stelle bei 
Dvid in der „Ars amatoria”, I. 168, wo der Dichter von ben 
Stadiatorfpieten im Gircus und von ben babei gegebenen Gele 
genbeiten ſpricht, Madchendekanntſchaften zu machen unb forts 
zufesen; und wo er fagt, daß der Gircas ber Schauplag mans 
her Kämpfe und Siege des Amor fei, indem mancher der 
Schauenden, welder Wunden (naͤmlich Wunden der Gladiato⸗ 
ren) geſehen babe, felbft verwundet worden ſei (nämlidy von 
ben Pfeilen Amor's). Und Dvid fährt darauf fort, jedenfalls 
won bem Liebhaber ober von Dem, ber ein kiebesverhaͤltniß 
ſucht, redend: 
Dum leguitur, tangitquo menum , poveilque libellum, 
Et quaerit, posito pigeore, vineat uter, 
Sauelus ingemuit,, etc. 


Beziehen fi nun bie Worte: quaerit — uter auf die Kämpfe 
der Gladiatoren und bie, für ben Sieg des Ginen oder bes Ans 
dern ſchon im voraus mit Pfändern, ald dem Preife des Sieges, 
beftimmte und belohnte Beantwortung ber Frage: Wer wird ber 
Sieger fein? fo hätten wir bier eine Wette, die noch dazu in 
ein Büchelchen (poscit libellum), etwa in eine Brieftafche nach 
unferer Art (nur baß fie beim Ovid das Mädchen bat) ein« 

chrieben wurde, eine Wette, in ber Dauptfache ganz wie un⸗ 
fere heutigen Wetten in England Wir möchten wol wiſſen, 
ob ſich noch mehr und beutlichere Spuren einer ſolchen Sitte bei 
ben alten Römern finden, und ob demnach Bulwer, in feinen 
„ketzten Zagen von Pompeji’, Recht gebabt Habe, biefe Sitte, als 
bei den alten Römern im Schwange, mit in fein Sittengemälde 
jener Zeit aufzunehmen. Denten läßt es fich allerdings, wenn 
man auf ber einen Geite das Panem et Circenses! bebenft 
und auf ber andern Seite ber raffinirten Srivolität und fpielen- 
ben Genußſucht der Römer, namentlid zu Ende der Republik, 
fih erinnert. 


Die ungarifche Gelehrtengeſellſchaft in Pefth, die im 3. 1825, 
befonders durch den Grafen Szechenyi, zu Stande fam und 
namentlih aud den Zwed hat, die ungarifhe Sprade 
auszubilden, ift biefem Zwecke nicht ohne Erfolg nachgeftxebt. 
Sie Hat mandye neue ungarifche Wörter ausgeprägt und bie 
Ungarn baben, in ber Freude und Luft an ber Bildung eigener, 
vaterlaͤndiſcher, echt ungarifchee Wörter. biefelben bereits mehr 





ober weniger allgeuielı in fidy aufgsheummm. So hat, wie Au 
Arbunbert Zage auf ars in ben —Xæ Stastm“, 
. ZHL) mittpeitt, jene Geſellſchaft, ſtatt des fremden Gigarre, 
das Wort szipa eingeführt; fo hat fie für Apotheke, die man 
früher mit dem, offenbar aus dem Sriechiſchen verberbten Pae- 
tika bezeichnete , ebenfalls ein neues Wort gebilbet, das fo viel 
bedeutet als Heilmittelniederlage. Kohl demerkt im Allgemel⸗ 
nen, daß ſolche neue MWorte ſich mit einer außerordenttichen 
Schnelligkeit in Ungarn verbreiten, ſowie fie nur von ber peſther 
gelehrten Geſellſchaft gebilligt find und auch als verflänbige 
Bildungen dem Yublicum munden. Jedenfalis fpricht ſich in 
biefer Empfaͤnglichkeit ber magyrifchen Ration eine nicht ges 
woͤhnliche Seiſtes friſche und Kraft aus, bei deren richtiger del: 
tung und Gntwidelung für die magyarifche Rationalität feisft 
nicht wenig zu boffen ifl. 


Das Wort Hufar iſt ungariſchen Urfprungs, von husz, 
db. $. zwanzig, weil nad einem alten Rekruticungsgefege von 
Zwanzigen Giner Reiter werben mußte, ſodaß Huſar eigentlich 
fo viel ale der Zwanzigſte heißt (Kohl a. a. D. ©. 193). 
Sind bie Hufaren echt ungarifhen Urfprungs, fo können fie 
auch als ein Beweisgrund für bie Meinung mancher Gelehrten 
gelten, daß bie heutigen Ungarn und bie alten Parther gang 
baffelbe Volk feien, eine Meinung, bie nach Kobt (a. a. D. 
&. 192) darin einige Unterftügung findet, daß man Das, was 
die Römer von ben Parthern erzählen, in Guropa nirgenb befs 
fer deuten und verftehen lernen Tann als In Ungarn. Mas bei 
den alten Römern Horaz, Properz, Virgil u. X. von ber Reis 
tergewanbtheit der Parther, von ihrer Flüchtigkeit und Schnei⸗ 
a erzählen, bürfte in ben ‚Bufaren ber Neuzeit ein Seiten: 

& finden. Die Uhlanen find nur eine durch die Polen vers 
beſſerte Einrichtung ber Zataren oder Koſacken, alfo urfprängs 
li flawifcher Abkunft. 


Blüdiihes Kandia! 

&o kann man wol in gewifier Beziehung jedenfalls aus⸗ 
rufen; denn auf Kandia gibt es keinen Abvocaten! Aud Feine 
andern Gerichtskoſten gibt ed dort als bie, welche bem Kläger 
das geſetzlich gebotene Auffegen feiner Eingabe durch die öffentlichen 
Schreiber Eoftet. Diefe Legtern bürfen aber nicht über fichen 
Sous nach franzöfifhem Gelde für eine Klage oder Supplit, fie 
fet noch fo lang, annchmen. Selbſt das Papier u. f. w., fo. 
viel auch bavon im Werfolg der Sache verbraudgt werben Eönnte, 
liefert da8 Gouvernement unentgeltlih, unh bis zum Austrag 
derfetben bleiben die ſieben Sous für bie erfte Requete bie eins 
sige Ausgabe der Parteien. Anderwärts muß ber Kläger gleich 
von vorn herein eine Abgabe an den Staat zahlen, ohne Rüds 
fiht darauf, ob er den Proceß gewinnt ober nicht. 31. 





Literarifche Anzeige. 


Bei S. Of. Bro “6 in Leipzi 
duch alle —e erhalten: Pate IR erſchienen u 


Gedichte 


vom 
Fürſten zu Rynar, 
Gr. 8. Sch. 1 Thlr. 18 Mer. 


Grüher erſchienen von dem Verfaſſer ebendafelbfl : 

Der Bitter von Rhodus. Zrauefpiel in vier 
Acten. Gr. 8. Geh. 20 Nee. 

Die Mediceer. Drama in fünf Xcten. 


Gr. 8. 
Sch. 24 Nor. “ 


Berantwortiicker Gerauögeber: Heinrih Broddaud. — Drud und Balag von $. A. Brodbaus in Eeipsig. 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Mittwod, 






Sommentatoren deutfher Dichter. 
(Bella aus Mr. 129.) 

Mir Haben einen näher tingehenden Auszug aus dies 
ſem Werkchen geliefert, weil, vote wir Eingangs bemerk⸗ 
ten, wie in Diefer Art der Reflerion, im Allgemeinen wenig: 
fiens, einen Kortfchriet der Kritik erbiiden. Wir denken 
ans die Sache fo: Ein Dichterwerk, oder eine Mehrheit 
von Dichtungen deffelben Verf. unterliegen der Kritik der 
Tagespreſſe alsbald nad ihrer Ankunft auf dem Forum 
der Literatur, und diefe Kritik wird wiederholt und viel 
feitig gebe in demfelben Maße, als das Werk die Aufı 
merkſamkeit der Seifter auf fid) zieht. Sobald aber dieſes 
Werk aus dem Kreife des Meuen ausgefchleden und von 
dem Markte der literarifchen Movitäten in die Hände der 
Gebildeten übergegangen ift, ſobald der Werth des Be: 
fies den Meiz der Neuheit erfegt, ſobald wird auch bie 
journatiftifche Kritik fich deffelben entfchlagen und hoͤch⸗ 
ſtens bei anerkannter Bedeutſamkeit des Dichters ihm 
von Zeit zu Zeit die Ehre einer Parallstefirung mit 
neuen, jüngern Dichterwerden zu Theil werden laſſen. 
Die journatiftifche Kritik kann nichts weiter hun, als 
einen Maßſtab der Pehfung an den neuen Ankoͤmmling 
legen; fie wird aber eben damit nicht für den Werth: 
meiter der Bedeutung gelten Eönnen, welche dem bereits 
auf dem Gebiete der Literatur ingebürgerten beigelegt 
wird. Diefen Werth zu bezeichnen, iſt zur Zeit Aufgabe 
des 8 terachiftorikers. Hiermit iſt aber zugleich der Man⸗ 
gel ausgefprochen, den wir bier finden. Der Literarhifto: 
riker kann nur das Bergangene, das zur Gefchichte Ge: 
worbene barflellen: es wird flets ein Raum zwiſchen ſei⸗ 
nem Standpunkte und feinem Objecte liegen müffen, den 
genügend zu charakterifiren er felten im Stunde, noch 
feltener überhaupt veranlaßt if. Hier nun treten ergaͤn⸗ 
zend Refumes, Paralielen und dergleichen ein. Je mehr 
fie fih dem Standpunkte der Gegenwart nähern, beflo 
mesr werden fie als Supplement ber journaliftifhen Kri⸗ 
tie erſcheinen; je mehr fie auf bereits gefchichtlihem Bo: 
Dei fich bervegen, deſto größere Huͤlfe werden fie der lite: 
ra:hiltorichen Kritik bieten. ° 

Indem das vorliegende Werkchen diefem Kreife ange: 
hört, haben wir feines Erſcheinens uns zu freuen, bei 
der Seltenheit und noch felteneen Tuͤchtigkeit diefer Ar: 
beiten. Aber wir bergen und und den Leſern nicht, daß 










das Anerkenntniß diefer Tüchtigkeit, das wir bereitwillig 
gewähren, andererſeits beſchraͤnkt wird durch; mannichfaches 
Ungenügende, das wir an dem Standpunkte des Verf. 
bemerken. Zuerſt ift feine Eritifche Reflerion eine zu ver: 
einzelte. Zwar zieht er öfters Parallelen, er weiß dem 
estangten Eindrud mit andern Anfhauungen zu verbins 
den, er geht auf die Gruͤnde deſſelben ein und Iegt fie 
fh auseinander. Aber von einer aͤſthetiſchen Einheit 
feines Urcheils finden wir viel weniger Spuren als von 


der Eubjectivität des Beliebens bei dem und bei jenem: 


Dichter. Wie wäre es fonft 3. B. zu erklaͤren, daß dem 
Verf. die Kuͤnſtlichkeit der Ruͤckert'ſchen Didytungen fo 
verwerflich erfcheint, daß er ſich dadurch insbefonbere mit 
zu bem fo misfälligen Uctheite uͤber ben Dichter beſtim⸗ 
men läßt, das ſchlechthin einfeltig genannt werden muß, 
waͤhrend er der fo fichtbaren Spuren derſelben Kuͤnſtlich⸗ 
keit bei Freiligrath gar nicht gedenkt? oder daß er bie 
Richtung Rückert's auf das Orientaliſche fo misbillige, 
während er bei Freiligrath in biefem auf das Fremde 
gerichteten Sinne eine großen Theile feiner Poeſie nur hie 
Eigenthumlichkeit einer wunderbaren Dichternatur erfumms? 
Borfhen wir aber noch tiefer nach der eigentlichen Baſis 
feiner aͤſthetiſchen Kritik, fo iſt zwar micht zu verkennen, 
daß Ehrenhaftigleit und Tuͤchtigkeit der Gefinnung ihn 
leitet, und daß ihn die vage Reflectirung des Subject, 
wie fie bei Platen und Heine vorkommt, fehr abſtoͤßt; 
aber ex geht zu weit, wenn er von der politiichen. @efin: 
nung einen Maßſtab für den Werth der postifchen Leis 
fangen entiehnt; er entfernt fi) von dem Boden objec- 
tider Würdigung, indem er der Subjectivität drs Dir 
ters zu wenig Anerkenntniß gewährt. Während er auf 
der einen Seite duch fremdartige Eindrhde fi beſtim⸗ 
men läßt, über Dichterwerth abzuurtheilen, ſtreckt er an⸗ 
dererſeits poetiſche Producte auf das Prokruſtesbett feiner 
ein für allemal feſtgeſtelten Anſicht. So wiberſprechend 
dies ſcheint, ſo tritt es doch deutlich bei Ruͤckert hervor. 
Hier finden wir die bekannte Floskel, daß Goethe (von 
dem bier wegen der orientaliſchen Richtung in der Poeſie 
die Rebe ift) keinen Sinn für die großen Bewegunges 
des Vaterlandes hatte, und biesvon wird fehr wies Gele 
genheit genommen, Huber den Dichter Goethe misliebig 
zu urtheilen; und an einer andern Stelle wird die Na⸗ 
turwahrheit der Goethe'ſchen Poeſie wieder als preis: 


0. 813. 


ledig und hochſtehend bezeichnet. Diefer Widerſpruch 


wäre vermieden worden, wenn der Verf. fi) daror bes 
wahrt hätte, die Stellung bes Dichters zu feiner Zeit 
von der Stellung deſſelben zur Poefie zu unterſcheiden. 
So viel, um nicht gu weitläufig zu werden, uͤber bie: 
8 Werkchen. Einen Anſtoß noch, der aber mehr die 
Stonomie beffelben betrifft, mögen wir nicht verfchweigen. 
Daffelbe könnte um bie Hälfte Lleiner fein, wenn nicht 
fo viele Gedichte bald fragmentariſch bald volftändig darin 
abgebrudt wären. Wer fie kennt, braucht fir bier nicht; 
wer fie nicht kennt, lernt durch diefe Extracte den Dich⸗ 
tee nicht kennen. 


3. eefiing's Dramen und dramatifche Fragmente. Zum erſten 
Male vollftändig erläutert von A. Nobdnagel. (Eupple 
mentband zu ſaͤmmtlichen Ausgaben von Leſſing's Werten). 
Darmfledt, Leste. 1842. 16. 20 Near. 

.  Diefer Commentar trägt ebenfo fehe das Gepraͤge ber 

Solidität als den Schein einer Eleinen Buchmacherei. 

Um bie Beſchuldigung vor dem Lobe zu rechtfertigen, bes 

merken wir, daß die erflärenden Anmerkungen zu. einzeb 

nen Stellen der drei Hauptdramen oft Überflöffiges, bis⸗ 
weiten fogar Schwaches, faft ſtets aber derlei enthalten, 
was für den Gebiideten, der das Übrige des Buchs ner: 

Keen kann, ſelbſt verſtaͤndlich iſt. Aber freilich — das 

Bädlein wähft dadurch. Herner meinen wir, baß die 

Häufigen Epifoden, wo irgend Anatoges oder Parallelts 

an: und ausgeführt tft (mie S. 69 die Bezugnahme auf 

Emerentius Scaͤvola's Roman, S. 173 der voliftändige 

Abdruck von F. Kind’s ‚König von Samos“ u. dgl. m.) 

gleichfalls ein Pius find. Endlich hätte wol auch das 

detaillirte Erpof& der einzelnen Charaktere vermieden wer: 
den können. Das Misverhaͤltniß muß Bar hervortreten, 
wenn man erwaͤgt, daß auf ziemlich drittehalbhundert Seis 
ven „Emilie Balottt”’, „Nathan“ und, Minna von Barn- 
hetm⸗ erponict werben, während den fieben übrigen Dra⸗ 
men zufammen nur hundert Seiten gewidmet find: halb 
fo ſtark, unb das Buch würbe uns werthvoller duͤnken. 

Die Methode des Verf. ift, daß er literarhiſtoriſch jedes 

Drama einteitee und deſſen Geſchichte fogar in dem 

Sinne verfolgt, ale er die Bearbeitungen gleicher aber 

ähnlicher Sujets auffuͤhrt. Die geſchichtlich baſirten Dra⸗ 

men werden noch von dleſer Seite her erlaͤutert. Indem 
hierbei eher zu viel als zu wenig gethan iſt, legt der 

Berf. zugleich gründliche und vielſeitige Geſchichtskennt⸗ 

niſſe dar. Die aͤſthetiſche Wuͤrdigung der Charaktere iſt, 

wie bemerkt, etwas breit. Aus dem Bereiche der Litera⸗ 
urgefchichte hat Hr. Nodnagel eher zu viel ald zu wenig 
gefchöpft. Zu diefem Zuviel rechnen wir namentlich das 
ausführliche Wiebergeben ber Urtheile Anderer über Lei: 
fing, zuerft in ber Einleitung ber generellen, dann bei 
den Hauptdramen aud noc der ſpeciellen. Dadurch 
wird das Banze faft encyklopaͤdieartig. Wo foll ber Ge: 
auf eines Kunſtwerks feine fehöne Unbefangenheit behal⸗ 
ten, wenn ber Weg zu demfelben duch Raifonnement 
und Erplication ſchon fo breit getreten iſt? 56, 


‚uber Bir G. L. Büliwer’g Lei 


Die Stellung der Schriftfteller in England. 


Das „Edinburgh review”, diejenige englifche Monatsſchrift, 
welche mit dem ‚„Quarterly‘ den ausgebreitetften und begrünbets 
ften Ruf gentift und Männer wie Brougham, den vormaligen 
wohiggiftifchen Arggemimifter Macaulay u. A. unter feine Mitarbei⸗ 
ter zaͤhlt, kommt im Februarhefte d. 3 am Schlufſſe eines Artikels 
ngen auf bic Stellung ber Schrift» 
fteller in England zu fpredhen. Veranlaſſung dazu gibt ihm 
das zweibeutige Benehmen Sir Lytton's, in welchem ber neu⸗ 
geadeite Baronct und ber berühmte NRovellift ihre Rangſtreitig⸗ 
keiten noch nicht ausgelämpft zu haben fcheinen. „Sir Lytton”, 
beginnt der Reviewer, „wird und vergeben, wenn bie Bemer⸗ 
kungen, welche wir über fein Betragen als Eiterat zu machen 
uns genoͤthigt fühlen, auf einem Misperftänbniffe beruhen. Gr 
ift unſers Willens der jüngere Sohn einer in gutem Rufe 
ftehenden Familie von Landedelleuten in der Grafſchaft Norfolk. 
Nun hat man aber aus einigen Auferungen in feinen Schriften 
den Schluß gezogen, er wuͤnſche fi ſelbſt Aber feine literariſchen 
Collegen zu erheben, indem er zu verfiehen gebe, ber Beſitz 
eines Abristitele weile ihm beu Rang über ihnen an. Geinen 
abeligen Standesgenoſſen gegenüber nehme er hingegen auf den 
Grund feines Schrififtellerrufs einen Vorzug in Anſpruch. Dies 
mag erflären, warum es ihm oft erging wie der Fledermaus 
und er von ben Schwalben und Mäufen Angriffe erfuhr. Die 
Abeligen fallen über ihn her, als nicht zu ihnen gehörig; die 
Literaten, weil er die Kameradichaft mit ihnen verfeugnet, unb 
fo geräth er mit beiden Gtaffen in Gollifion. Zu wiederbolten 
Malen bat er fi mit großer Beredtſamkeit über den Werth 
titerarifcher Veftrebungen vernehmen laſſen. Kein Adeliger, der 
diefe Stellen feiner Werke lieſt, wird fi einbiiden, der Verf. 
halte das vergnügliche Geſchaͤft, von feinen Renten zu Ixben, 
für ebenfo würbevoll, als dasjenige, welches Prinz Albert — 
und diefe Worte gehören zu einer Reihe ähnlicher Zeichen uns 
ferer Zeit — ‚den erhabenen Beruf der Bildung bes Menſchen⸗ 
geiftes‘ nannte. Zum Beweiſe, baß fi Bulwer in ber Ges 
Iehrteirepublit eine ungebührlicye ilberfchägung des Abelstiteis 
zu Schulden fommen laffe, wird auch der Beweggrund ange: 
führt, auf den er fich berufen haben foll, ats er die Heraus⸗ 
gabe des „New monthly magazine * übernahm — naͤmlich um 
zu zeigen, baß eine ſolche Stellung für einen Ebelmann nicht 
unpaflend ſei. Verhaͤlt fich dies wirklich ſo, fo kann man bies 
Motiv nur fehe jämmerlich und biefe Ziererei bei einem fonft 
Fidhehadten und wahrhaft edeln Manne nur ſehr betruͤbend 
inden.“ 

„In feinem ‚England and the English‘ entwarf Bulwer 
ein fehr übertriebenes und unrichtiges Bild von ber i 
fhägung, welche in biefem Lande ben Literaten im WWerglei 
mit ben Gelbmenſchen zu Theil wird. Er und Andere, bie mit 
ihm übereinftimmen, bezeichnen mit Entrüftung die Sucht nad 
Reichthuͤmern als das englifche Nationallafter. Ihnen zufolge 
wird bei uns nur dem Reidhthume und biefem allein alle Ehre 
erwiefen. Allein unfere Beobachtungen fichen mit biefer Aus 
nahme in gerabem Wiberfprud. Blos mit Geld erwirbt Ries 
mand in England die höchften Ehren, noch erlangt er damit 
Zutritt in bie befte Gefellfhaft von was immer für einer Art. 
Rothſchild wurde von keinem Theile des engliſchen Publicumt 
beklagt, und die verftorbene Herzogin von St.⸗Albans *) flößte 
nie Eprerbietung ein. Man kann nicht fagen, baß bie befle 
Geſellſchaft Londons — bie befte in jedem Sinne des Worte, 
ſowol die erblidhe als bie perfönliche Ariftofratie der Haupt⸗ 
ſtadt — je um den Einen ober um bie Andere gebuhlt babe. 
Wenn er ober fie mit cinem liebe bes hohen Adels, mil einem 
Zonangeber der fafhionablen Kreife, oder mit einer von ben an⸗ 
erkannten Berühmtheiten der Wiſſenſchaft, Literatur oder Kunſt 
jemals in Beruͤhrung kam, fo war ‚froftiges Adchfelzuden‘ das 
Einzige, wozu ſich diefe herbeiließen. Gewiß würden bie Ads 


») Witwe und Erbin bed reihen Bankier Cutté, in zweiter 
(he mit dem Herzog von Gt. : Albans vermäßlt. 











tumgsbezeigungen, weldge Stot b wäßsend feines ganzen Le⸗ 
ben⸗ —— Die Bufbigung en aufwiegen, mit der man in 
diefer Hauptſtadt des MWeltyanteld Exott während eines einzi⸗ 


Zoos feierte.‘ . 

„Jedoch felbft zugegeben, das ſich bie Sache fo verhaite, 
wie Butwer meint, fo iſt das Auspofaunen der allgemeinen Wer: 
achtung, in ber bie Literaten ſtehen, nicht bas Mittel, ihnen 
Me allgemeine Achtung zu gewinnen. Rod; nis wurden Men⸗ 
fen in der Meinung dadurch gehoben, daß man berichtete, wie 
fehe_fie in derſelben gefunfen find. Es gibt in der That eine 
Glaffe von Leuten, die ſich anftellen, als veradhteten fie Diejeni- 
gen, weiche ſich mit Literatur beichäftigen — die ganz gemei⸗ 
nen Mammonsdiener, die, fo behaupten wir, in ben Augen aller 
andern Engländer felbft verächtiid find. Profeffioniften büden 
füh vor ihnen der Kunbfchaft wegen 1 Hausknechte, Aufwaͤr⸗ 
ser und Bediente um bes Trinkgeldes willen und für Das, was 
fie von ihnen erhaſchen können, aber Achtung erweiſt man ihnen 
weiter Beine. Berechtigen fie dazu feine perfönlicyen Vorzuͤge, 
fo entdedt ein geübtes Auge mit einem Btide diefen Mangel 
und ficher folgt dem Enechtiichen Buͤckling felbft bei den unter 
fien Ständen eine pöbelhafte Geberde der Verachtung. Ihr 
Herzen Literaten! Reſpect vor euch ſelbſt.“ 

„Schriftſteller werden nicht für Abenteurer gehalten, wenig: 
ſtens in keinem ihrer Ehre nachtheiligen Ginne, und verbienen 
ale eine Staffe keinerlei Geringſchaͤzung. Was ſittiichen Cha⸗ 
zalter und Brauchbarkeit betrifft, ſtehen fie, durchſchnittlich ges 
aommen, ebenfo hoch als jeder andere Stand. Ein bodhfinniger 
Sournalift zu fein, erfobert vielleicht mehr moralifhe Kraft ale 
font ein Beruf, und nad) unferer Überzeugung trifft man un: 
ter ihnen ebenfo viele edle Geifter als in jeder andern Sphäre 
des Lebens. Thoͤrichterweiſe wird zwiſchen ben gefeierten Schrift⸗ 
ſtellern, mit Ginfhluß der Mitarbeiter an den Reviews ‚und 
denen, welde für Wochenzeitungen und Zagesblätter fchreiben, 
ein Unterſchied gemacht, als wären fie nicht die nämlichen Per: 
fonen.*) Allein wir behaupten, baf in in unferer Zeit Nies 





*), Bulwer felbf dient als Beiſpiel, daß dieſer Unterfleb als 
ler Begründung entbehrt. An einer andern Stelle ded von uns 
benusten Aufſatzes kommt der Reviewer auf bie politifhe Wirkſam⸗ 
keit des Batonets zu ſprechen und erwähnt, daß die von demfelben 
verfaßten Zeitungdartilel einem der beflen englifhen Sournaliften 
zugeſchrieben worben fein. „Vielleicht⸗⸗, fährt er fort, „wird uns 
Sir Lytton nicht dankbar dafür fein, daß wir eine bloße Vermu⸗ 
hung für beglaubigt halten und der Welt erzählen, er Babe „Leis 
tende Artikel! gefhrieben. Allein thatfählih ift ed, für ganz Lon⸗ 
son kein Geheimniß, daß, obwol Zebermann damit heimlich thut, 
faſt kein zu politifher Thaͤtigkeit Berufener es verſchmaͤht habe, 
ein ober daB andere Mal von der Zeitungsprefſſe, biefem mädtig: 
Ren Meinungdhebel, Gebrauch zu machen. Elner unferer Belann: 
ten, ber einem Biſchof feinen Beſuch machte, mußte neben ihm 
warten, bis er einen leitenden Artikel für ein Tagesblatt vollendet 
Hatte. Einige politifhe Parteifuͤhrer machen kein Geheimniß dar: 
and, daß fie in Seitungen ſchreiben, obwel fie, wie ſich von felbft 
verſteht, nicht wuͤnſchen, daß man fie mit allen Mitarbeitern der: 
ſelben in eine Linie ftelt. ‚Ihnen mag eb fehr leicht feinen, einen 
BZeitungbartitel zu ſchreiben‘, fagte unlaͤngſt ein Gabinetöminifier bei 
einem öffentliden Eramen, ‚allein verfuhen Sie es nur.‘ Und 
wirklich gehört es zu den ſchwierigſten Aufgaben der Schriftſtellerei, 
Über eine Tagesbegebenheit einen guten leitenden Artikel zu ſchrei⸗ 
Ben, beffen Beweisfuhrung fcharffinnig und leicht verftaͤndlich iM, 
der witzig und wirkſam erläutert, die Thatſachen in deutlicher Kuͤrze 
angibt und forgfam bie perfönliden NRüdfichten beobachtet, welche 
die Zeitung felbft und die Partei, der fie angehört, auferlegt. Das 
politifde Pamphlet iſt eine Reihe folder unter dem Gefichtspunkte 
einer ihm elgenthümtichen Einheit miteinander verfnüpfter leiten⸗ 
der Artikel. Es bedarf wol wicht ber außbrädiiden Angabe, daß 
Dt. Bulwer ber Berf. jened Pamphlels fel, welche vieleicht das 
ꝓitanteſte und kraͤftigſte und gewiß das erfolgreichfie von allen war, 
Die in füngfter Zeit erfhienen find. Er veräffentiichte ed, als ber 


manb mehr wahre Hochachtung genießt ats jene Riteraten, bie 
im Dienſte der Ginilifetion auf eine muͤtliche Weiſe thätig ge: 
weien find, mögen fie nun biefen oder jenen Weg der Yublice: 
tion gewählt haben. Unfere Landeleute find nicht blind, taub 
und ſchwachkopſig. Sie wiffen, daß bie Iomenatiften eine große 
Macht zu guten Zwecken gebrauchen und fic ehren fie darum. 
Zweifelsohne werben die Journaliſten verachtet. Jeden trifft 
dies Loos. Derachtung macht überall die Runte, Einer ſchaͤtt 
ben Aubern gering. Lord John Ruſſell ſagt, daß die Feble 
feiner Claſſe von Menſchen ſtrenger geruͤgt werben als jene ber 
Lords. Sicherlich, Lords haben eine Menge Verächter. Leute, 
bie unter der Geißel ber Journaliſten winfeln, reden ihnen na« 
tuͤrlich Übles nad); aber nach der beften überzeugung VBerftän- 
diger iR in biefem Augenblide kein Beruf in England geach⸗ 
teter als jener der Preſſe. So ifi es, wenn wir unfern Obren 
und Augen glauben duͤrſen; doch innen fie auch im Irrthum 
fein. Sndeffen geht unfere Auſicht dahin, daß die Kiteraten nur 
ae fasten bebürfen, um al Das zu erringen, was ihnen 
g t.“ 

„Unfere Beobachtungen berechtigen uns zu dem Schluſſe, 
daß Riemand, blos weil ex biefem ober jenem Etande angehört, 
mag berfelde fein weicher er wolle, eine höhere geſellſchaftliche 
©tellung einnimmt, ober eine ebenfo hohe, ala Büyriftfteller, 
die an ben beſten Monats und Wochenfchriften (reviens und 
magazines) mitarbeiten. Sin Sig im Parlamente gibt einem 
Manne ben Borrang, aber er wird deswegen nicht mehr — in 
gutem ober uͤblem Sinne — beachtet. Wol wird jeber junge 
Mann, ber ſich der Literatur widmet, gefragt, warum er nicht 
lieber Juriſt werde, da fi) an den Gerichtsſchranken fortwährend 
Gold aufpäufe und auf die Roßhaarperuͤcken vor denfelben fogar 
Peerötsöndgen von Zeit zu Zeit ſich niederlaffen. Allein nie 
fühet man als Grund an, daß dis juriftiiche Laufbahn ehren: 
voller fei als die literarifche, daß die Sünger ber Themis einen 
eblern Beruf haben als die Männer ber Preſſe. Grwibert der 
alfo Befragte, es fei ihm nicht darum zu thun, reich zu wer 
ben, und er fehäge die Aufgabe, mittels feiner Feder bie Ginifi- 
fation zu fördern, höher als die Wappentrone eines gefehkuns 
bigen Lords, fo wird ihm gewiß Keiner einwenden, daß er im 
Begriffe ſtehe, fein Eeben uneblern Beſtrebungen zu weihen, 
als die find, deren Schauplatz MWefkminfters Hat if. NRäth 
man alfo einem jungen Riteraten, Abvocat zu werben, fo be: 
sieht man ſich babei eingeflandenermaßen auf niebsige uab 
feibſtſuͤchtige Beweggruͤnde — auf den Erwerb eines Bermd 
ober eines Titels. Die Wreunde bes Wetreffenden benten, baß, 
wenn cr biefen legtern Beruf ergriffe, ein Plat auf der Richter: 
bank cher im Oberhauſe blos bie Stelle wäre, weiche ihm vers 
möge des fpecififchen Gewichts feiner Talente zukaͤme. An ber 
Hervorbeingung Deſſen zu arbeiten, was die Öffentliche Meinung 
einer Nation wird, iſt ein großes Werk. Sich über Das zu 
beſprechen unb zu einigen, worüber künftige Gefepgeber ihre 
Berfügungen treffen werden, ift das tägliche Geſchaͤft der Lite: 
raten. Keinem, ber rechts von Lines unterfckeiden kann, duͤnkt 
die Verrichtung eines Journaliſten fo niedrig wie jene einer 
bloßen parlamentarifchen Votirmaſchine. Die Gefeggebung thut, 
was bie Preffe fie heißt. In unferer Zeit find die Literaten 
Diejenigen, welche auf das geiftige Leben der Kationen den 
größten Einfluß üben. Ihr Werk ift das erhabenſte, was 
Menſchen thun Fönnen. Die Schaͤtung bes Menſchenwerths 
betreffend, macht ſich jept aͤberall die mannhafte Lehre g.Itenb, 
daß Würde nach den Werken gemeſſen werben ſoil, die ein 
Menſch für feine Mitmenfchen thut. Gchriftfteller arbeiten an 
ber Erzeugung des Wahren und Schönen. Ihe Werk iſt die 
Givitifation 5 fie beſteht aus ihren beflen Gedanken. Sie rin 
gen, daß aus Berfunkenheit, Irrthum und Unrecht das Gute 
ſich erbebe, der Menfchheit zum Gegen. Zu allen Beiten hat 
ein Schimmer dieſer Wahrheiten in klaren Köpfen gedämmert. 


Tod des leptverfiorbenen Lorb Spencer eine Intrigue veranlapte, 
die ein Minikerium in einem Tage ſprengte.“ 


„Sag ihm, feine Geche wohne in einem GSaͤßchen“, war bie 
Antwort des Dichters an ben König. Geniale Menſchen hatten 
lets ein mehr ober weniger denttiches Bewußtſein, daß ihr 
Grit einen Thron einwehme. Unſere Bemerkungen betzeffen jes 
doch nur die Scheiftſteller von Profeſſion. 
man fie nicht höher fielen will, minbeftens die Kauf: unb 
Handwerksleute im Reiche des Wiffene. In der wahren, nicht 
vom ſchmuzigen Intereffe beſtimmten oͤffentiichen Meinung fleht 
der Jorrnaliſt und Literat gewiß höher ald der Rechtégelehrte. 
Ban bit Ihn von vorn herein für einen Dann von größern 
Talenten, denn fonft könnte er ja von Journaliſtik gar nicht 
ieben. Gewinnt er Grfolge, fo richtet das Publicum feine 
Blicke mehr auf ihn als auf den gtuͤcklichſten Anwalt. Die 
Verachtung, mit der man bie Advocatenkniffe und »Mänte, ihr 
Zanken, übertreiben und keckes Lägen betrachtet, findet auf ihn 
keine Anwendung. Seiner eigenen Partei fcheint er im Dienfte 
des Rechts und ber Waterlandäliebe zu fieben. Dem Journa⸗ 
üften muthet man es nicht zu, daß er jedem Agenten zu Ge⸗ 
bote und bereit fei, für einige Guineen feine Lügen zu wieber: 
holen. Seibſt die Verleumdung geht nicht fo weit, ihn anzukla⸗ 
gen, daß er feinen Verſtand und feine Beredtſamkeit auf offe: 
nem Markte dem Meiftbieter verkaufe. Er bringt nicht 30 Jahre 
feines Mannesalters damit zu, zu felbftfüchtigen Zwecken Ra⸗ 
butiftereien auszuhedlen. Der Zournatift, wenn mit Grfolg ge: 
kroͤnt, ift in Vierteljahr⸗ und Monatichriften, in Wochenzeitun⸗ 
gen und Tagesblättern der Lehrer ber aufgeklaͤrteſten Geifter 
feiner Zeit. Gein Publicum ift kein Oberbaus, in dem viellsicht 
Wgeſchickte Leute unter 400 Dummeöpfen figen; kein Haus 
der Gemeinen, in dem der fechete Theil aus gefchidten und 
werftändigen Männern beftehen mag, während bie Übrigen ganz 
gewöhnliche Alltagsmenfchen find; kein Gerichtshof, we fich, 
etwa ein Dusend achtungswerthe Leute abgerechnet, ein gemei⸗ 
ner Daufe unbefhhäftigter Anwälte, auf Beute lauernder Ba: 
buliften, Agenten und Gcheeiber herumtreibt. Der Journaliſt 
Hat bie Beten alle aus dieſen brei Bullen zu Zuhörern und 
nebftdem noch jeden geiflig DBefähigten diefed Bandes, ja am 
Ende au Europas, ber feine Blicke nach den Höhen des Wiſ⸗ 
fens richtet, auf das anbrechende Licht der Civiliſation. Hoch⸗ 
finntge Shrenmänner machen obne Zmeifet den Stand ber Rechte: 
gelehrten zu einem fo edeln Berufe, als er überhaupt werben 
kann. Wir wiflen jedoch, baß einige unſerer vortrefftichiten 
und hochgeftellteften Nechtögelehrten, die noch am Leben find, 
darin übereinlommen, zu der Stellung unferer größten Journa⸗ 
tiften, auf deren Wort Europa horcht, laſſe ihr Amt ſich nicht 
erheben. Die Gegenflände, mit denen ſich der Juriſt befchäfe 
tigt, gehören ciner niedrigeren Stufe an. Die erhabenften Fra⸗ 
gen, an denen bie Advocaten in den eben verfloffenen Jahren 
ihre Talente zu üben hatten, bezogen fich Darauf, weicher von 
zwei Sekten eine Stiftung zuzuſprechen, welche von zwei Par⸗ 
teien in den Beſitz eincd Bergwerks zu fegen fel. Ein ober 
zwei Male in jüngfter Zeit ertönte das Ohr des Publicums 
von der Werebtfamkeit der Anwälte — in der Vertheidigung 
rines Mörders, in der Lobrede auf einen Kuppler. Im Alb 
gemeinen ſchenkt die Welt dem Journaliſten mehr wahre Auf: 
merffamfeit als dem glüdlihfiin Anwalt. Man bemüht ſich 
mehr um ihn. Seine dußere Erſcheinung, feine Lebensgeſchichte, 
feine Manieren werden häufiger befproden. Beine Gegenwart 
in einem Salon macht größeres Aufiehen. Die Zuneigung und 
das Wohlwollen des Publicums wird ihm in höherm Grade zu 
Theil. Er erntet den geraͤuſchvollen Beifall ber Menge, ihm 
bringen die Auserwählten ihre Robeserhebungen dar. Gin Pa: 
zagraph in einem abgelegenen Mintel einer Zeitung tft Allee, 


was ein Peer, der fonft nichts ift, bei feinem Tode zu erwar⸗ 


ten hat; iſt er ein rechtögelehrter Lord, fo mag fich die Ro- 
“iz; wol bis zu einer Spalte ausbchnen. Den Zournaliften bes 
Elagen Artikel bis zu Hunderten. Seine Autographe werden zu 
hohen Preifen verkauft. Zur gebührenden Zeit ftellen fidy zwei 
oder drei umfangreiche Bände cin, bie feinem Leben gemeibt 


find, wenn 


find. Gein Name wird ein Theil der geiftigen Geſchichte feines 
Beitatters. Zu dem Hauſe, in bem er geboren wurbe ober flach, 
wallfohrtet das Jahrhundert. Zaufende und aber Tauſende er⸗ 
blicken in ber Beroͤffentlichung feiner Werke, in der Dffenbarung 
feiner Echren, in der Berbreitung der Wahrheiten, die er aus 
ben höhern Sphaͤren bed Gelftes herabholt und zugänglid 
macht, eine wohlthaͤtige und ſchoͤne Erſcheinung, gleich dem 

ling in der griechiſchen Ode, wenn er glaͤnzend ſich naht, 

en ſtreuen 1. 

’]Js nws dapes yarkyıog 
zupıuss (oda Agvovaıy.” 

Wir möchten no, um ben Borwurf ber Übertreibung, 
welchen man gegen ben Reviewer als pro domo sua perorirend 
gelten machen Fönnte, von bemfelben abzuwehren, an zwei 

ournaliften feinee Stammes erinnern, die er wol vor Augen 
haben konnte — an Franklin und Junius, und fließen mit 
den Worten eines Mannes, ber eine nicht weniger hohe Wiek 
nung von der Wichtigkeit und bem Ginfluffe der Literatur Hatte 
und damit vielleicht nur eine tiefere Einſicht in die Schwaͤchen 
ber Literaten verband — mit den Worten Mirabeau’s: „Ah! 
s’ils se devouaient loyalement au noble mötier d’&tre utiles! 
Si leur indomptable amour-propre ponvait composer avee 
lui-meme, et sacrifier la gloriele A la dignite! 8i, au lieu 
de s’avilir, de s’entre-dechirer, de detrüire röciproquement 
leur influence, ils r6&unissaient leurs eflorts et leurs travaux 
pour terrasser l’ambitieux qui usurpe, l’imposteur qui &gare, 
e Jäche qui se vend; si, meprisaat le vil metier de gladis- 
teurs litteraires, ils se croisaient en veritables freres d’ar- 
mes contre les prejuges, le mensonge, le charlatanisme, la 
superstition, Ja tyrannie, de quelque genre qu'elle soit, en 
moins d’un sidche la face de la terre serait changee.” 

54. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Beitrag zur franzoͤſiſchen Provinzialgeſchichte. 

Es kommt ſelten genug vor, daß ein Werk mehr leiſtet 
als fein Titel verſpricht. Man kann dies indeſſen von einer 
intereſſanten Schrift ſagen, bie vor kurzem in Paris uns 
ter dem Titel „Statistique historique de Tarrondissement 
de Döle” von Armand Marquiſet (2 Bde.) herausgefoms 
men iſt. Wir erhalten hier nämlich nicht etwa cine einfache 
Statiftif, fondern die forgfältigfte Gefchichte dieſes Arrondiſſe⸗ 
ments, bie man fich denken fann; ja das Werk Eann faft für 
eine Geſchichte dev Franche-Comté, deren Hauptftadt Döle war 
gelten. Der Berf. führt nicht nur bie wichtigften Greigniffe 
an, die fih auf diefem Schauplage zugetragen haben, fondern 
er gibt bie vollftändige Monographie jedes wichtigen Monuments, 
jedes Weged und Steges und bie Sagen, die fih an bie 
Ruinen antnüpfen. Sein Werk ift reich an einzelnen Ro: 
tigen unb intercffanten Anekdoten. 


Zur Statiſtik der franzdfifhen Bibliotheken. 

%. Marmier berichtet im „Moniteur universel‘’ über den 
„Catalogue general des bibliotheques du departement de la 
marine”, der vor kurzem von Bajot auf Befehl bes Mi: 
nifteriums herausgegeben if. Wir feben aus demfelben, baf 
feit einigen Jahren viel gethan ifl. Diefer Katalog führt mebr 
ats 17,000 Rummern an, und was man noch vermiffen Eönnte, 
wirb bald nachgetragen werben. Überhaupt fcheinen auf dem 
Minifterium der Marine bie willenfchaftlihen Beſtrebungen bes 
fonders befördert zu werben. Es ift deshalb ganz natürlid, 
daß bie jungen Angeftellten auf demfelben es ſich angelegen fein 
laffen, fi auch durch literarifche Arbeiten hervorzuthbun. So 
baben wir vor kurzem eine recht intereflante Biographie Col⸗ 
bert's erhalten, bie aus der Feder eines jungen Mannes ber: 
rührt, ber in diefer Abminiftration angeftellt ift. 2. 


Berantwortlier Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brockhaus in Leivzig. 


nn wm 


\WTORNUENZTU 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Donnerdtag, — Nr. 131. 


11. Mai 1843. 





Stimmen der Zeit. 


1. Gegen Georg Herwegh. Bon —— Vogelleim, ge 
nannt 8. &. Meonte. Berlin, d 343. 16. 15 Nor. 


2. Lieder eines Gefangenen. Fan Ferien gewibmet. Schuffs 
haufen, Brobtmann. 1842, 12. 20 

3. An artburgftinimen: VE a rag von Sriebeid Ludwig. 
—— ei" Rönigsberg, Sp 

4. 3 al eder eines yunıia en. nig eile. 
1843. 8. 20 Rar. 


Wozu die Lieber Menge 

Von Freiheit, Bölkernoth, 

Die alle andern Klänge 

Faſt zu erftiden droht? 
ruft einer diefer Dichter und beantwortet es felbfl. Be⸗ 
flügelt ziehen fie weiter und ballen verfläckt von Dit zu 
Drte wieder. Wie für Natur und Liebe der Sänger 
erglüht, erfüllt auch die Freiheit fein Lied mit heißem 
Triebe. Es werde ein hundertſtimmiger Chor merben, 
in welchen endlich auch das Volk einftimmen mäffe. 


Haft gewinnt es den Anſchein, als habe der Sänger 
Recht. Wie Viele fingen ſchon und aus demfelben Zone, 
und wie viel Zaufende, die nie Gedichte lafen, die nie 
auf folhe Dinge hörten, laufhen den Sängern und ler 
nen die Lieder auswendig und recitiven fie wieder. Daß 
ein Umſchwung der Verhaͤltniſſe durch Lieder zu bewirken 
ift, wer bezweifelt das, feit Tyrtaͤus gefungen und Solon 
fang, fih das maurifhe Lied „Wehe mir Alhema!’ in 
Granada verboten werden mußte und Beranger der Vor⸗ 
fänger der Sulivevolution wurde. Aber bag in Deutſch⸗ 
land gerade zur Zeit, wo Einige vom Zollverein, Andere 
von den Eifenhahnen das Heil erwarten; daß in unferer, 
den materiellen Intereſſen, wie e6 beißt, ganz bingegebe: 
nen Zeit durch die Lieber der Umſchwung vorbereitet wer: 
den folle, {ft eine unerwartete Erfheinung! Kine duch 
die Poefie bewirkte Revolution ift jedenfalls minder furcht: 
bar als eine durch militairifche Kräfte, durdy wilden Poͤ⸗ 
belauflauf ins Werk geſetzte. Dis Poefie hat neben der 
aufregenden eine wunderbar befänftigende Kraft. 

Ihr lacht: es ift ja nur Poeſie! — Vielleicht. Es 
find noch nicht Monden vergangen, fo glaubte ich es 
auch. Was waren die Freiheitslieder da anders al& der 
Widerhall der uralten Weile. Sie ſchmettern an ben 
Felſen, fie bröhnen durch den Wald, fie wicbeln mit der 
Lerche in den Himmel, und e6 find body nichts als Klänge, 


bie allenfalls auch ein blutiger Tyrann ſich in ber Vers 
dauungeſtunde vorfpielen laͤßt. Sie effectuiren nichts, weil 
fie Schaummblafen der Phantafie find. Phantasmagorien von 
einem gluͤckſeligen Zuftande, ber nie eriftirt bat und nie 
exiſtiren wird, uralte Chablonen, nur mit neuen Streichen 
und frifhen Karben ausgeführt. Und iſt e6 jest anders? 
Die Dichter haben es nicht gemacht. Ihr Reich ber 
Zukunft ift noch ebenfo unbeflimmt, ein vages Feld des 
füßen Unmöglihen. Aber die Zuftände, aus benen fie 
ſich aufſchwingen wie die Luftbläschen aus einem Chaos, 
find in einem Gaͤhrungsproceß, der fo nicht fortbeftehen 
kann. Sie find die Vorboten des Anderswerdens. 

So betrachten wir fie denn auch andere. Nicht ihre 
hohlen Seufzer und flimmernden Wünfche, fondern bie 
Stoffe, welche ſolchen Lebensathem, gerade biefe Toͤne und 
Bilder bervorbringen Eonnten.. Rene bleiben immer bie 
felben. Es fol Etwas werden, was nie gemefen ift, noch 
werden kann, bis das taufendjährige Reich eintritt, beffen 
Exiſtenz und als möglih zu denken, wir nicht gute 
ChHriften genug find. Jener Dichter fagt uns: 

Bis daß ben alten Schranten 
Entwägft ein ſtark Geſchlecht, 
Erzogen in Gedanken 
An ew'ges Freiheitsrecht 
Dann wird die Freiheit ſiegen 
Auch ohne Schwert und Blut, 
Und Thron und VWoͤlker fügen 
Ein Band wohl ſtark und gut. 
Dann bei ber großen Beier 
Bir ew'ges Voͤlkergluͤck 
egt unſere Freiheitsleier 
Als Wrihgeſchenk zuruͤck. 
Bis dahin laßt uns fingen, 
Was und das Herz erfüllt, 
Rah Dem allein uns ringen, 
Was uns das Hoͤchſte gilt! 
Dies Hoͤchſte bleibe alfo einſtweilen in feinem unbe: 
flimmten Daͤmmerſcheine ruhen, aber bie Lieder führen 
auf das Leider fehr Beſtimmte in der Tiefe. Sie find 
die Symptome, die Kritik der Zuflände, von benen, mer 
frei iſt, forteilt. Wer fi ch nicht frei machen kann, ſchickt 
wenigſtens feine Seufjer in die Freiheit hinaus. Melche 
Ummwandlungen müffen da vorgegangen fein, baß, was 
wir erſt vor kurzem geneigt waren als unverfländige 
Phraſen beifeite zu ſchieben, uns jetzt, mit wenigen An: 


derungen, als verfländig erſchelnen mag. Daß die Wän: 
ſche der Jugend, in allen aufgemedten Zeiten biefelben, 
alfo auch mit denſelben Waffen leicht zu betämpfen — 
und fie werden in Regel von ihnen felbft, wenn aus ben 
Juͤnglingen anflelige und angeftellte Männer wurden, 
am fehärfften niedergedruͤckt, ja lächerlich gemacht —, daß 
diefe unfchuldigen Wünfche auch vor dem größern Areopag 
dee Nation als gehalterih und natuͤrlich widerklingen 
mögen. Welche Misgriffe, welches Verkennen ber Zeit 
und ihrer Aufgabe feßt das voraus! Im der Beziehung 
find fie uns wichtig als Symbole und Kriterien des gros 
fen Lebensprocefies, der Ruͤckwaͤrtsſtroͤmung in den Ge⸗ 
bieten, wo die Guten einen Gang nad Vorwärts er: 
warteten. Hätten Die, welche wir bie guten Gonfervatis 
ven nennen, Die, welche, nur den Sturmfortfchritten ent⸗ 
gegen, eine organifche Entwidelung beabfichtigen, mehr 
Vertrauen gezeigt als Furcht, hätten fie nicht allein ihrer 
eigenen Einſicht geglaubt, fondern aud) ber außer ihnen 
Iebendigen, mächtig wachfenden, hätten fie ſich nicht allein 
mit eifernem Willen an die alten Zormen bes Rechts 
angellammert und ben Wachsthum des Rechts anerkannt, 
hätten fie auch das Recht des Gefühle berüdfichtigt, dann 
wären dieſe Lieder, was fie waren, fehöne Klänge, die in 
der Luft verhallen. Man hört ihnen heute zu, man 
freut fi) und morgen find fie vergefien. 

Doc wäre e8 ungerecht, nicht auch auf ber andern 
Seite zu erkennen, daß Fortſchritte da find, welche bie 
umgemwanbelte Stimmung rechtfertigen. Iſt gleich das 
Utopien noch immer ein ſchoͤnes Nebelbild, fo tauchen doch 
ſchon einzelne Figuren, Grenzen mehr oder minder deut⸗ 
lich hervor. Der Tyrannenhaß ſpukt freilich noch ſo unge⸗ 
geberdig als fruͤher, wo es wirkliche Tyrannen gab, die 
Aber unterirdiſchen Kerkern ſaßen und Sklaven in Ketten 
Hierten an dem Fuͤßen ihres Thrones; aber die Mehrzahl 
der Dichter hat doch ſchon gelernt bie feinen geifligen 
Ketten von denen aus verroftetem Erz zu unterfcheiben. 
Sie detaillicen die Stoffe, aus denen fie gefhmiedet find. 
Die unerklaͤrliche Europamüdigkeit ift feit den Eiſenbah⸗ 
nen faft ganz verſchwunden. Selbſt der Dichter darf fie 
nicht mehr aufnehmen. Das ift ein großer, faſt uner⸗ 
warteter Fortſchritt. Nicht in Amerika, nicht in den frem⸗ 
den Welten, in unſerm Erdtheil iſt noch Hoffnung auf 
Freiheit; aus uns heraus foll fie erroachfen. Auch find fhon 
mehre Propheten da, welche fie kommen fehen ohne Bol: 
kerſchlachten, ohne blutige Kataflrophen, ohne erſtuͤrmte 
Baſiillen, wie ein Kind, das empfangen iſt und geboren, 
wie eine Frucht, die reif werden muß, und dann faͤllt ſie 
vom Baum. Auch Spuren von Verſoͤhnung mit ber 
Religion, mit dem offenbarten Glauben werben ſichtbar. 
Die Freiheitsluſt erkennt wieder, daß die Freiheit nicht 
beeinträchtigt wird, wenn fie Jeden glauben läßt, was er 
Luft hat, und jeden Glauben ehrt. Sie erkennt, daß ber 
ChHriftusglaube die Entwidelung der bürgerlichen Freiheit 
nicht ausfchließt, daß der Spruch: Seid unterthan der 
Obrigkeit, die Gewalt über Euch hat, nicht dem dumpfen 
paffiven Gehorfam feiner falfchen Ausleger bedingt, daß 
er nicht will, daß der freie Geift das Licht feiner Erkennt: 


nis auch in jenen Dingen unter ben Scheffel ſtelle. 
Noch mehr, fie ruft ſchon den alten Gott, den bie Hege⸗ 
lingen und ihre Wiedertäufer beifelte gefchoben hatten, 
als einen Gott bes Zorns, ber fein nicht fpaßen läßt, 
hervor. Nun, wo ber Bott des Zorns erfannt wird, if 
auch Hoffnung, daß der Gott der Liebe den verlangens 
den Semütbhern nicht lange mehr unfichtbar bleibt. 

Wir haben «6 hier nicht gerade mit erſten Dicher⸗ 
Eräften zu thun; mo follten diefe auch herkommen! Durch 
die, welche dageweſen und noch leben und in voller Ju⸗ 
gendkraft, und ihre Lieder gehen umher in wiederholten 
Auflagen in ber Nation, durch fie ift die Exiſtenz fo 
vielen bdichterifhen Fonds in Deutichland erwieſen, daß 
wir gefättige find. Wohlverftanden, wir haben ber Licht: 
blige, de Schlagenden, Treffenden, Pilanten einftweilen 
genug. Das muß noch verarbeitet werden. Nun find uns 
die Detailliſten willkommen, welche das Gewonnene für ihr 
Specialpublicum in Ordnung bringen und ausſtellen. Wie 
viel ift da zu thun, welche ehrenwerthe Aufgabe, welche ver: 
dienftliche Arbeit, das Unklare deutlich zu machen und auf das 


Nothwendige und Naͤchſte die Aufmerkfamleit zu lenken! 


Der erfte der vier Dichter, der ſich Friedrich Vogelleim, 
genannt F. F. Franke, nennt, hat ein Bändchen Gedichte 
„Segen Georg Herwegh“ gefchrieben. Aus warmem Her: 
gen alle, mit einer Zuelgnung an das ganze deutſche Va⸗ 
terland, deren Refrain die Worte des Erzherzogs von 
Oſtreich find: 

Kein Preußen und kein Öfterreidh! 
Wir find als Brüder Alle gleich, 
Sin einig deutſches Baterland! 
- Reicht Euch als Brüder AU’ die Hank. 

Das. Lieb an die Lerche gibt die Tendenz fämmtlicher 
Gedichte. Es iſt noch Vorfruͤhling. Die Saat friert 
noch und bittet um wärmere Blicke den Himmel. Da 
ftudiren die Voͤgel ihre Rollen und haltın Rath im 
ſchlummernden Walde, ob der Hochzeitsreigen beginnen 
foren folle. Es ift Poeſie in ber Schiiderung: 

Sept rüdten die Gräfer bie Köpflein vor, 
Mit dürft'ger Zung' und gefpigtem Ohr; 
Die Sonne küßte die Augenlider 
Der Eiche; die kaͤmmte ihr falbes Gefieder 
Und ftredte die Arme zum Himmel empor. 
Es war, als ob es die Nachtigall wüßte, 
Daß die Sonne ber Erbe die Augen küßte 
Den Gträudgern dringt in bie Binger das Blut, 
Als griffen fie nach der Sonnenglut. 
Die fegeinden Weſtwindwolken fagen, 
Es komme ber Lenz auf biumigen Wagen, 
Die Veilchen und Primeln auf Bruft und Hut. 
Das ift ein Leben, das ift ein Zreiben: 
Zu Haufe will Niemand figen bleiben. 
und — bie Lerche fpazirt in der golbigen Au 
Und trinkt begeifiert ben Morgenthau. 
Sie prüft erſt in Beinen Bogen den Fluͤgel 
Und triumphirt dann über dem fammetnen Bügel, 
Und fteigt fo fteil in des Himmels Blau: 
Sie will e8 ben bleichenden Sternen fagen, 
Es nahe der Lenz auf blumigem Wagen. 
Aber fie feige noch höher wie ein Luftballon, fie weil 
Sott felbft es fügen, daß ber Frühling kommt, ba fie 
feit Alters ſein Derold war: 





D atte fie leider jegt v en 
De I —35— ſie 4 ig "gefeffen. 
Darauf heißt es weiter: 
Run fingt fie von nichts als von Freiheit und Tod, 
Als lockten fie Engel mit Dimmelsbrot: 
„Was ſaͤumſt du fo lange, bu Herr der Welten, 
Und bebättft das Licht in den himmliſchen Zelten ? 
Der Morgen weint fidy die Augen roth! 
Schlaͤfſt du nody auf den feidenen Deden? 
So will Ich mit meinem Triliho dich weden.” 
Gott ließ längft die Roſſe fehirren und zeigte den Engeln 
die goldene Bahn. Aber die Lerche flieht das nit. Sie 
flattert in gefchmwägigem Raufh, nimmt in ihrem Wahn 
den Diener für den Deren und ruft: 
Gleich ſollſt du — Ich wili es! — auf blumigen Wagen 
Den Lenz ausfenden! das muß Ich bir fagen. 
Da ruft der Dichter ihr zu, das fei nicht gut. Sol⸗ 
cher Übermuth führe gu Fall und Tod: 
So ſpricht man nit mit dem lieben Gotte, 
Der macht bich leicht zu Spreu und zu Spotte; 
hätte fie des Liedes Schwingen gemäßigt, fo könnte fie 
fhön von und in Sreiheit fingen: 
Der goldene Zügel, ber ift dag — Maß. 
Wer das im Zichten und Trachten vergaß, 
Der hat fein Leben ber Erbe verpfaͤndet; 
Dem hat die Zeit die Augen geblenbet, 
Und — er brödelt und bricht wie Thon und Glas. 
Was Granit und Marmor konnte werben, 
Das ſinkt als Afche und Staub zur Erben. 
As der Frühling nun wirklich in brautlihem Glanze 
prangte, da fiel die Lerche 
— von ber Sonne geblenbet, 
und hat fo — ihr junges Leben geenbet. 

Der Sinn der Parabel iſt, daß es mehr als eine 
Parabel if. Ja, vor einigen Monaten dachten Zaufende 
und Millionen wie der gemüthliche, gefinnungsvolle Dichs 
ter. Seitdem find Stürme gelommen und der Früh: 
fing, den er fo nahe glaubte, iſt wieder zurüͤckgeſcheucht. 
Bon der Lerche meinten wie Biele mit ihm, daß es mit 
ibe aus wäre Sie ift angehaudt von dem frofligen 
Winde; ob und wie fie fich wieber erheben und welche 
Lieder fie noch in die Luft wirb ſchallen laſſen, das weiß 
Niemand. Das if auch nicht die Hauptſache. Die 
Lerche bat ſchwer gefündigt, fie hat viel verborben; wir 
Alle find erfchüttert und ſchaudern vor den Nachfrofte, 
der mit ihr Werk iſt. Um deshalb ihr jegt noch zu zürs 
nen und «6 fie entgelten zu laflen, wäre Graufamteit, 
mwohlverftanden, wie die Dinge jest ſtehen. Die Lerche 
iſt untergegangen in dem großen Naturproceffe, und auch 
vom Dichter Vogelleim find wir überzeugt, daß er dieſe 
Gedichte gegen ihren übermuth in biefem Augenblicke 
nicht gedichtet, oder wenn, in feiner Bruſt verfchloffen 
hätte. Aber fie find da und find Momente ber Zeit, 
fprechende gegen Diejenigen, welche die Nation verklagen 
möchten, daß fie gefinnungslos ſich einem hohlen Raufche 
bingab. Das deutfche Volt weiß nicht immer, was «6 
will, aber mas es nicht will, das weiß ed. Dieſes Be: 
wußtſein, dieſe Beſonnenheit liegt in feinem ruhigen 
Blute. | 


Die Übrigen Gedichte in dem Beinen Bändchen find 


| weitere Ausführungen des Themas und der Geſinnung 


des Dichters; doch find wir ihm ſchuldig, noch Einzeines 
daraus mitzuthellen: 
— mas ber Griechenhelden Morgenzug 
Der Menſchheit nicht vermochte darzureichen, 
Das ward den Völkern fegensooll genug 
Durchs größte Epos, das die Erbe trug, 
Wo fi des Südens Palmen mit den Eichen 
Des falten Nordens inniger verbanden —: 
Das ift bie Demuth, die am heil'gen Brab 
Den Herzen jenen Zroft des Leidens gab, 
Den Manche, die fo Mancherlei verftanden, 
Doch nie im ſchweren Kampf des Lebens fanden. 
Den andern Sängern ruft diefer Sänger zu: 
In lauter Kataralten 
Stürzt Euer Lieb herab, 
Geftüst von keinem Stab: 
Sin jeder Sturz ein Grab. 
und: 
Ihr fengt die Häufer nieber 
Und habt nicht Rath, noch Riß 
Zu neuem Bau! Gewiß, 
Das macht mir Kümmerniß. 
Aber fein wahrhaft Freier fürchtet auch Sein Gericht, er 
fagt es fogar dem Kaifer ins Geſicht: 
Nicht freier bi du auf dem Thron 
Als jeber andre Erdenfohn : 
Bor dem Geſetz find Alle gleich, 
Sowie — vor Gott im Himmelreich. 
und das Motto feiner deutfchen Freiheit ifl: 
Die Freiheit ift uns Fein — Gedicht, 
Sie ift uns Luft und Kebensticht! 


Aus einem ganz andern Zone klingen die „Lieder 
eines Gefangenen“. Sie find den Freien gewidmet. Ver⸗ 
bitterte Schmergenstöne eines Märtprers der Freiheit, 
Sehnfuchtsfeufzer, wildes Rütteln an den Ketten, wuth⸗ 
fhnaubende Aufrufe in die Welt binaus und bittere 
Refignation: 

Grau ift nun mein Haar geworben 

Und mein Leib iſt krumm gebüdt, 

Und mein Auge ift erlofchen, 

Dat fo lang Fein Licht erbiidt. 

Nur zumeilen zittert freundlich 

Durch die Seele mir ein Strahl, 

Durch die Seele mir ein Hoffen, 

Daß ich weinen kann einmal. 
Tyrannenwuth und graufame Büttel und. Ketten und 
feuchte Mauern und Märtyrer für ihre Überzeugung, die 
auf faulem Stroh, ohne Zagesticht der Verzweiflung ent: 
gegenbrüten, gehören boch nicht mehr der Wirklichkeit an. 
Die Gefangenen von Chillon, deren Haar in einer Nacht 
ergraut, find nur noch das Eigenthum der Dichter. Die 
Tyrannen find aus der Welt verfhwunden, auch bie 
Kerten find anderer Art, mit denen bie Freiheit gefeffelt 
wird, weit flärker, aber man fieht fie nicht. Die Mauern 
find nicht übereinander gethuͤrmte cyklopiſche Felsmaſſen, 
Moos und Epheu ranfı nicht an ihnen; fie haben viele 
Fenſter und die Buͤttel haben freundliche Gefichter; fie 
lächeln mit Achſelzucken über die Verhaͤltniſſe, wie fie find. 


" A 


Wozu deshalb die Schreckgeſpeuſter der Vergangenheit für 
die Dhantafie heraufbeſchwoͤren! Wer glaubt's, wem hilft's! 
Weshalb Mühlen zu Rieſen machen, um die Lanze ges 
gen fie einzulegen? Es find andere Miefen ba, gegen 
weiche ber Freie Bimpfen muß, wach alle Sinne, daß fie 
in ihren Schlangenwindungen ihm nicht entfchlüpfen. 
So wollte ich fagen; aber ich vergaß, daß «6 doch noch 
Kerker gibt, die noch nicht gefprengt find, zehnjaͤhrige 
Proceſſe und Unterfuhungshaften. Ob die Kerker, in 
denen bie Unglüdlicyen figen, feucht find, ob Molch 
und Kröte unter der Diele zifcht, weiß ich nicht, aber ich 
weiß von Mandem, beffen Haar grau geworden, und 
die Gnade rief einen zerftörten Leib, eine verwuͤſtete Seele 
ans Licht der Freiheit, und die Unglücklichen ſaßen — 
um andere Meinungen, ald beren Meinungen waren, 
welche fie einfperren ließen. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifche Notizen aus Frankreich. 


eyriſche Poefien. 

Bei dem größten Theile jüngerer Dichter, namentlich ber 
kyriker, genügt e3, wenn man ihre Manier bezeichnen will, 
das Vorbild anzuführen, nach dem fie fich gebildet haben. In 
der Regel laͤßt ſich dies naͤmlich, fosald man nur einiges kriti⸗ 
ſche Gefuͤhl bat, auf den erften Blick erkennen. Accurſe Alix, 
der vor kurzem ein beachtungswertbes Bändchen „Podsies” 
herausgegeben bat, tft offenbar ein Zünger Lamartine's. Seine 
Igrifchen Ergüffe, weldhe von Gemüth zeugen, find ganz im 
Zone der „Meditations‘’ gefchrieben. Der junge Dichter gefteht 
übrigens auch die große Bewunderung ein, die er für fein Vor⸗ 
bild hegt, fcheint aber zu glauben, daß Lamartine in neuerer 
Zeit fih vom rechten Wege verirrt habe. Wenigftens ruft er 
ihm in einem Gedichte zu, baß er fidh wieder mehr ben religioͤ⸗ 
fen Gefühlen, bie feine crften Verſe athmen, zuwenden follte. 
Air fcheint alfo die legten Werke des großen Dichters ebenfo 
wenig verftanden zu haben als ber Papft, ber biefelben auf 
den Suter gefcht bat. Es ift grundfalf, wenn man annimmt, 
Lamartine verleugne in feinen neuen Dichtungen alle Religion. 
Theodore de Banpille ift efn junger Dichter ganz andern Schiags, 
ber es mit der Religion nicht fo genau nehmen würde. Man 
fieht c8 feinen Gedichten, die cr unter dem Zitel „Cariatides’ 
berausgegeben bat, an, daß es ihm darum zu thun ift, Auf: 
fehen zu erregen. In ber Vorrede geberbet er ſich fehr wuͤthend 
gegen alle Kritik und Eokettirt viel mit feiner P.rfönlichkeit. 
Wir erfabren, daß er von altem Abel ift, daß er ein altes 
Schloß befist, baß er felber aber im erften Jugendlenze ſteht zc. 
Im Allgemeinen haben uns feine Gedichte, in denen er meiftens 
zu ſehr nad Effect haſcht, nicht fehr zufagen wollen Indeſſen 
wollen wir auf einen „Songe d’une nuit de printeinps” auf: 
merffam machen, der fehr gelungen iſt. Die Gedichtfammiung 
„la tragedie du monde‘ zeigt uns einen jungen Dichter Namens 
Louis de Leon, der noch zu feiner rechten Klarheit gelangt ift. 
Seine Spradye ift nody unbeholfen und er verfteht es noch nicht 
recht, feine Gedanken auf cine natürtiche Art zu entwideln. 


Die neueflen franzoͤſiſchen Fabeldichter. 

Wir haben vor einiger Zeit der koͤſtlichen Kabeln Viennet's, 
ber fi auf dem Titel derfeiben etwas anfpruchspoll l’un des 
quarante de l’Acadömie francaise nennt, in bdiefen Blättern 
erwähnt. Nachtraͤglich wollen wir deshalb gleich noch auf zwei 
andere Sammlungen ber nämlichen poetiſchin Gattung aufmerk⸗ 
fam machen, die vor kurzem die Preffe verlaffen haben. Beide 


verbienen nämlich ſowol Ihres Inhalts als der na wirt 
liche Beachtung. Wir meinen erſtens die „Fables par L. A. 
Bourguin“ (Yaris 1843) nnd die „Fables par Auguste Du- 
vivier'' (Paris 1843), von benen bie erflern befonders ihres 
naiven Stils wegen fehr anfprechen. So gelungen inbeffen auch 
die in biefen beiden Sammlungen enthaltenen Stücke find, fo 
darf man fle doch nicht mit den meifterhaften Yabeln von Wiens 
net auf eine Linie ſtellen. Biennet hat unleugbar zwei Zitel 
zur Unfterblichfeit. Es find dies erften® feine fatirifdhen „Kpt- 
tres’’ und bann feine ‚„Kables”. Auf feine dramatiſchen Leiſtun⸗ 
gen legen wir weniger Gewicht, obgleich er dadurch, daß mehre 
feinee Zragddien durchgefallen find, ſich nicht bat abſchreden 
laffen, das Gebiet des Dramas immer wieber zu bebauen. Gr 
ſelbſt ſcheint indeffen für die Schwächen und Mängel feiner 
Stüde nicht verbiendet zu fein, wenigſtens erzählt man fidy, 
baß der Dichter bei der erften Vorſtellung einer feiner eigenen 
Tragboͤdien, ale Alles pfiff, mit großer Geibfiverleugnung mit 
eingeftimmt bat. 


Wichtige franzöfifge Memoiren. 

Es ift gar nicht abzufehen, wann die Flut der Memoiren 
über die ältere franzoͤſiſche Geſchichte einmal ſtillſtehen wird. 
Jeder Tag läßt neue Denkwürbigfeiten, von deren Griftenz 
Niemand etwas geahnt hat, ans Licht treten. Won alle ben 
Memoiren indeffen, die wir in neuefler Zeit erhalten haben, 
find keine von fo großer Wichtigfeit als die „Mémoires authen- 
tiques de Jacques Nomper de Caumont duc de la Force“, 
von denen focben ber Marquis de la Grange, Mitglied ber Des 
putirtenfammer, vier Bände herausgegeben bat. Wir finden 
in benfeiben nit nur die Denfwürdigkeiten bes Duc de la 
—* bie an und für ſich ſchon vom hoͤchſten Werthe find, 
ondern noch eine reiche Auswahl ſehr intereſſanter Documente. 
Wir erwaͤhnen darunter namentlich mehre Briefe von Jeanne 
d'Aibret, von Louis XIII., von Biron u. f. w. Was nun bie 
Memoiren felbft anbetrifft, fo kann man fidy von ihrer Wich⸗ 
tigkeit einen Begriff machen, wenn man weiß, bag fie fi von 
der Bartholomaͤusnacht bis zur Fronde, alfo über fieben Kegie⸗ 
rungen erflreden. Der Duc de la Force erſcheint uns in dens 
felben zuerft als Freund und Bertrauter von Heinrich IV., dann 
als Wicelönig von Navarra und Gouverneur von Bearn, als 
Haupt ber proteflantifchen Partei in Guyenne und endlich als 
Marihall von Frankreich. Die Zahl der beigebrachten Briefe 
beläuft ſich allein auf 800. 


Sammlung dbaguerreotypirter Anfidhten. 

Das Daguerreotyp ift bis jest in ber Wiebergebung ber 
meoſchlichen Sefichtszüge noch am wenigften gluͤcklich gewefen. 
Die Portraits, die darnach angefertigt find, haben ſtets etmas 
Starres und Abgeftorbenes. Dagegen iſt biefes Verfahren für 
die Darftellung von großartigen Monumenten, die in ihrer gan⸗ 
zen Treue wiedergegeben werden, von ber größten Wichtigkeit. 
Es war baher eine reiht glüdliche Idee, eine Sammlung fols 
her daguerreotypirter Anfichten anzulegen und, wie es fdyeint, 
baben auch die „„Excursions daguerriennes” von Lerebours riel 
Beifall gefunden. Wir erhalten daher gegenwärtig eine zweite 
Serie von bemfelben Herausgeber. Die erfte Lieferung {ft da⸗ 
von bereits erfchienen und enthält recht intereffante Sachen, die 
durch Die beigegebenen Zerte noch erhöht werden. Die erſte 
Platte bietet eine Anfiht vom Goncorbienplag zu Paris, 30 
dem M. de Lagarenne eine gute Notiz geliefert bat. Dieran 
reiht fi die Johanneskirche zu Lyon. Wir erhalten eine Be: 
ſchreibung biefes intereffanten Gebäudes, bas aus dem 12. oder 
13 Zahrhundert ftammt, aus ber Feder von Gontencin. Die 
britte Anfiht zeigt uns den Arc de triomphe de l’Eteile am 
Paris, den 3. Janin mit glüdlicher Hand ſchildert. Den Bes 
ſchluß dieſes Heftes macht die Kreuzkirche zu Bordeaux, deren 
Befhichte don Gontencin bis ins 9. Jahrhundert verfolgt 
wird. 2 


Berantwortiicher Deraußgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von F. &. Brochaus in Eripzig. 
_— 


Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Freitag, 


mn Nr. 132. — 


12. Mai 1843, 





Stimmen der Zeit. 
(Beſchluß aus Rr. 131.) 

Um welche Verbrechen, Meinungen oder Thaten bies 
fer Gefangene fist, erfahren wir fo wenig, ald um welche 
Victor Hugo’s Kondemnirter bingerichter werben fol. 
Darauf kommt es auch niht an. Nur heißt «8 eins 
mal: 

und weil ich fprady nach Herzensdrange, 
Weil ich den Gott in mir gefühlt, 
Weil ih nicht meine eigne Schlange, 
Dat man mein freies Herz durchwuͤhlt. 
Run lieg’ ich, aller Frucht beraubt, 
Gefangen in des Kerkers Räumen 
Und bebe ſtill das weiße Haupt: 
Laßt mich, laßt mich no einmal träumen! 
Der Ketten Laſt zmängt fi ihm um die Lenden wie 
das Verbrechen um den Bufen: 
Wie's Verbrechen? — Beſſer noch die Ketten 

Um das morfche, fchwächliche Gebein, 

Und das Herz, das freie Herz zu retten, 

As ein Sklave feiner felbft zu fein. 

Beſſer in des Kerkers feuchten Tiefen, 

Unerreiht vom Strahl bes Lichts, verborrt, 

Als die Triebe, die im Buſen fchliefen, 

Zu verſcheuchen durch ein falſches Wort. 

Dann — dann laͤßt es ſich fo herrlich träumen — 

Gern vergißt der Geiſt des Leibes Dual, 

Heimlich wird es in den ſchwarzen Räumen, 

Denn im eignen Herzen wohnt ber Strahl. 

Seine Lieder find alfo Träume; Träume eines fo Se: 
fangenen, ber fo von der Welt abgefchieben iſt, find mos 
notoner Art. Bald verzweifelt er, bald hofft er wieder. 
Er fpriht von Deutſchland, aber die Vorftellungen find 
fo allgemeiner Art, daß man geneigt wäre zu glauben, 
das Buch fei nicht allein in der Schweiz gedruckt und 
gebichtet, fondern auch aus republikaniſch⸗ſchweizeriſchen 
Auffafjungen von der deutfchen Fürftentyrannet und Dem, 
was daſelbſt Freiheit beißt, hervorgegangen. Selbſt 
Berfe wie: 

Ihr baut Kandle, Ihr baut Dome, 

» Der Dämpfer raufchet auf dem Strome. 

und: . 
Ihr habt ja jetzt die Zollverbanbe, 
Was braucht Ihe noch ein deutfches Reich? 
brauchten uns in biefer Annahme nicht Irre zu machen, 
und Auffoderungen fo radicaler Art, wie: 


Laft Kanonenbonner brüllen, 

Fuͤrſtenohren find verftopft, 

Daß fie fih mit Schreden füllen, 

Klopfet an und klopft und klopft. 

Dabt gefleht genug im Guten, 

Laßt den Schmerz fich nun verbluten, 

Seid ein ein’ger beutfcher Stamm, 

Baut der Kreiheit einen Damm 
find in der neueften Zeit in Deutſchland gänzlich vers 
Hungen. Die vorwärts Gehenden und Stürmenden find 
darüber einig, daß ber Fortfchritt, der durch Kanonendonner 
erzwungen würde, ein vorübergehender wäre, einer, bem eine 
Reaction auf dem Fuße nachfolgen müßte. Er fobert 
auf die Fahne der Zeit zu ſchwingen. Sie rauſcht uns 
Alm, aber Kanonendonner folgt nicht nad; es find 
Triedenszüge. Laßt das ewige Onadelaufchen! ruft er 
uns zu. Das gibt fih auch; fchneller, als wir. e8 in 
Deutſchland erwarten durften. Kämpfen follen wir, daß 
wir uns felbft befreien. Die Sklaven bitten nur, bie 
Braven kaͤmyfen. Es wirb mächtig gefämpft. Wer ers 
kennt in dem heutigen Deutfhland das Deutfchland vor 
25 Jahren wieder! Wie viel Sinn, wie viel Aufmerk⸗ 
ſamkeit für Dinge, weldye damals der großen Menge 
fremd, gleihgältig waren, iſt in das Volk übergegangen. 
Nicht die wilden Auffoderungen zur Revolution, nicht 
bie einzelnen unüberlegten Aufftände haben das zu Stande 
gebracht, ed waren die glüdlichen Verſuche, den mächtig 
werdenden Geiſt zu unterdruͤken. Indem fie ihn fcheins 
bar unterdrädt, haben fie ihm genaͤhrt, ausgebreitet. Das 
find die Waffen, welche Deutfchlands Volk zu ber Frei 
beit führen, welche es will, nicht Bayonnete und Kanos 
nendonner. Diefe Verfuche, die fih noch oft erneuern , 
werden, wirken wunderbar, aber auch wohlthätig. indem 
fie die wilden, verzehrenden Flammen nieberfchlagen, vers 
breiten fie das waͤrmende Feuer, welches die Saaten reift. 
Nach allen diefen Reactioneumfchlägen tritt das Verlan⸗ 
gen immer fefter, befonnener, allgemeiner und doch mit 
richtigem Takt, auf das Beſondere, was zunaͤchſt noth⸗ 
thut, gerichtet, hervor. Die ſchoͤnen Phraſen ſind nur 
ein ſchoͤner Feberſchmuck über der Ruͤſtung; fie thun 
nichts mehr in dem Kampfe, der um den Ernſt des Le⸗ 
bens ernſt gefuͤhrt wird. Ja, iſt das nicht auch ſchon 
ein Triumph, daß waͤhrend die vorwaͤrts Strebenden, die 
hohlen Phraſen von der Freiheit beiſeite laſſend, darauf 


6 7 


ihr Sinnen, Trachten und Denfen richten, wie fie in 
dem einzelnen Dingen fi manifefticen fol, ihre Gegner 
jetzt faſt nur noch mit hohlen Phraſen kaͤmpfen! Wo iſt 
die Macht der Phraſen hin aus Haller's Reſtauration! 
Wie verbluͤmt, mit liberalen Tiraden umwunden, wagen 
aur noch die Anhänger der Reſtaurationstheorien ihre 
Säge auf den Markt zu bringen, auf die fie einft nadt 
ſchwoͤren liegen. Man appellirt an Gott weiß was alles, 
was bei den Liberalen in Ehren flieht, um bie Pille, be: 
ven Bitterkeit für den Geſchmack des Volks man fühlt, 
zu verfüßen. Und das wäre fein Sieg, einer, der durch 
die Macht der Wahrheit allen, nicht durch Blut und 
Kanonendonner gewonnen iſt! Und mas würde das für 
ein Sieg dagegen, von welchem ber Gefangene träumt: 
O ftimd’ ich auf den hoͤchſten Spitzen, 
Wohin die Adler ſelbſt nicht drangen, 
und ſaͤh' den gluͤhnden Himmel bliten; 
und koͤnnte doch bie Erd’ umfangen: 
Dann wuͤrde ich in Freiheitsgluten 
Die arme Dichterfeder tauchen, 
Dann wuͤrde ich, in reinen Fluten, 
Der kranken Erde Frieden hauchen. 
und wie es oft in argen Wettern 
Die Blitze in den Luͤften treiben — 
So wuͤrde ich mit Flammenlettern 
Die Freiheit auf die Erde ſchreiben! 
So wuͤrde ich in großen Zügen 
Der heißen Gehnfucht mich entiaben, 
Zur Freiheit immer Freiheit fügen, 
Bis Freiheit ſtrahlt von allen Faden. 
Freiheit zur Freiheit gefügt, und immer mehr Freiheit 
und nichts als Freihelt, was müßte das für ein Bild 
werden, weiß in weiß! ine treffliche Negation. Wer 
ſteht daflır, daß ber freie Menſch dann wieder, wie jetzt 
nach ber Freiheit, nach etwas Knechtſchaft fi) ebenfo leb⸗ 
baft fehnt! — Da fälle mir jener wackere Republikaner 
and Url ein, der mich Über ben Wierwaldfläbterfee ru⸗ 
derte. „Wir Schweiger find frei’, fagte er, „und bie 
Freiheit if, daß mir können in die Berge gehen, und 
Feder kann [hießen Hirfche, Gemſen, Fuͤchſe, Rebe, Abs 
ter, fo viel er wid und Erliegen kann.” Das iſt doch 
noch eine Freiheit ohne Policei, die etwas Beſtimmtes 
win, naͤmlich wenn fie es kriegt. Ob mit einem Schwei⸗ 
ger oder einem Deutſchen, das laß ich dahingeflellt, aber 
mit einem Dichter haben wir es zu thun: 
Ich möchte Bluͤten fchätteln, 
Das bald die Fruͤchte reifen, 
Ich möchte vom Himmel rütteln 
Die langen, ſchwarzen Streifen! 


Und ben Schluß des Liedes: 
Ich Tann, zur Freiheitswonne, 

Als Friedenshauch nicht winten, 
Ich kann als lichte Sonne, 
Erleuchtend, nicht verfinten. 
Ich kann nur feufzend klagen, 
Ein Windſtoß durch bie Lande: 
Ihr habt getragen! 
Serreißt der Knechtſchaft Wandel 





Das Schlußlieb fagt uns, daß, wenn au feine Kraft 

in des Kerkers Mache verderbe, ber Gefangene doch nicht 

fterben könne, bis daß Deutfchland feine That vollbracht 

babe. Wenn aber erft die Sreiheitöfahnen raufchen wer⸗ 

den, will er, ein flerbender Trompeter, dab Dem noch eins 

mal zur Hand nehmen und feinen Geiſt verhauchen laſſen: 
In einem langen Breiheitsftoß. 


Ein vaterländifher Sinn mit deutfcher Innigkeit weht 
uns aus den „Wartburgſtimmen“ (Dichtungen von Fried⸗ 
rich Ludwig) entgegen, Freiheitsluſt und beutfche Begeiſte⸗ 
rung, aber noch im romantifhen Gewande. Dagegen 
hätten volr gewiß nichts einzumenden, wenn nur das 
Kleid und der Körper beffer zueinander paßten. Die 
fchäumende Jugendluſt nimmt noch den Mund voll und 
kommt fo fchmerer zum Maren Ausdrud Defien, was fie 
will, ale jene abgeffärten Sänger, welche bie Gemüche: 
welt längft als ein DHinderniß auf dem Wege zur Frel⸗ 
beit abgefchürtelt haben. Diefer glaubt, Hofft und liebt 
noch, fogar die Erinnerungen der Vorzeit, was ihm An 
dere gar zum Verbrechen anrechnen koͤnnten. Wir nicht; 
aber auch die Gemuͤthspoeſie kann fi zu einer reinen 
Klarheit durcharbeiten. Diefe Lieder zeugen von einens 
Proceſſe, der noch nicht entfchieden if. Was er will 
und wünfcht, kommt in ben meilten Gedichten nur noch 
als Stoßfeufzer heraus; erft in ben Liedern ſpricht er 
ſich deutlicher aus. Wie der Titel zur Mehtzahl ber 
Gedichte ſich verhält, wird nicht ganz ſichtbar. Zwar 
euft der Dichter im Anfange die Wartburg an: 

Wie eine Warte ftehft du da im Lande, 

Nicht drob, des Wandrers Ruh und Dab zu rausen, 

Rein Idfen willſt du der Bebrängten Bande 

Und fchügen beut, wie einft, ben freien Glauben. 

Wie ein Aſyl ſtehſt du verfolgter Streiter 

Für Menfchenrecht und ew’ge Gotteswahrheit, 

Sie lockt dein Antlig, fo getroft und heiter, 

Dein Felfenhort und beines Himmels Kiarheit 
aber der geiflige Zufammenhang der Dichtungen mit je: 
ner Burg, die er als Symbol ber geifligen Freiheit bes 
trachtet wiffen will, ift nur ein loderer; viele, bie, ganz 
felbftändig, gar nicht dahin gehören, find nur gelegentlich 
hier untergebracht. Dem Titel nach hätte man eime poe⸗ 
tifche Geſchichte der vielen Kämpfe uns Geifteöfreihelt, 
welche von der Wartburg herab über Deutſchland ſich 
verbreiteten, erwarten follen; fie werden aber nicht einmal 
alle angedeutet. Es iſt nur bie allgemeine liberale Be 
geifterung der Gegenwart, bie fid, in ſcharfem Unmuth auch 
in diefem Sänger ausfpriht. Er ruft die Germania am: 

Noch nennft du deine Großen jene Schwachen, 
Die freies Wort und Wahrheit nicht ertragen, 
Die fürchten, GBeifterfonnen anzufachen, 
Die zittern, wenn fie ſehn die Herzen tagen. 
Noch nennft du deine Freien jene Sklaven, 


Die unerfättiich fich in Lüften weichen, 

und die am Markt, in Sälen und Conclaven 

Der Schmeichler Schar, wie falfche Hunde, flreicheln. 
Ko nennft du Fromme jene Heuchlerrotten, 

Mit ſchoͤnem Blick, in Kutte, im Zalare, 

Die frech des Helligften im Herzen fpotten, 

Die läftern Bott, im Wert und am Altare 


u 


umd noch pofitiver an einer andern Stelle, nachdem er 
vom Feſt zu Köln gehört und Alle zu einem neuen 
Dombaufefte aufruft: 
Der-Dom wird nicht gebaut zu Köln am Rheine, 
Nicht wo die Elbe und bie Donau fluten; 
Im Herzen tief verftedt das Grundgeſteine, 
Im Herzen voll von heil'gen Geiftesgluten. 
Se Höher eures Geiſtes Schwingen dringen, 
Ze näher fie in Gottes Raͤh fih wagen, 
So höher fi) des Domes Gäulen ſchwingen, 
So böher werden feine Kuppein ragen. 
In euerm Geifte follt ihe Den vwerchren, 
Der felbft ein Geiſt, den Raum und Zeit nicht faſſen; 
Dem Geifte follt ihr feinen Flug nicht wehren 
Und Euerm Herzen feine Freiheit laſſen. 
Wir empfehlen auch zu gutem Gebrauch das Schlums 
merlied, von Rom für Deutfchland gefungen, das anhebt: 
„Schlafe, mein Kindlein, im ftillen Gemach; ſchlafe, die 
Siebende Mutter iſt wach.” Bon ben angehängten Bal: 
laden, welche zum Sauptgegenflande gar keinen Bezug 
haben, hätten mehre, die nur.poetifche Studien find, fügs 
lich ungedrudt bleiben Finnen; in andern ringt fich das 
Talent zu einer [chönen Geſtaltung duch. Das legte Lied: 
„Das Kind und feine Mutter”, das wir freilich unter 
politifchen Liedern diefer Art am wenigften erwarteten, ver 
diente auch anderwaͤrts Aufnahme, wo es der Strom ber 


Zeit nicht mit fich fortſpuͤlt. 


Ein Publiciſt aus Königsberg tritt als Dichter auf, 
vielleicht weil in Berfen Das noch zur Zeit erlaubt iſt zu 
fagen, was in Profa nicht mehr erlaubt ifl. Die ſibiri⸗ 
fchen Dftwinde, über Lithauens Haiden in Oſtpreußen 
hineinwehend, haben dort von Alters ber bie Luft von 
mancherlei Illuſionen gereinigt. Anbere freilich beftehen 
daneben fort, wie ſich ja eben bie fchroffen Gegenfäge überall 
berühren. Die philoſophiſche Luft hat aber auch das 
praktiſche Leben durchdrungen. Es wird bei ben Did; 
tern und Politikern nicht gefchwebele und genebeltz; wenn 
etwa bei den Herweghsfeiern einige zu weitfchichtige 
Phraſen von Enthuſiasmus mit in ben Kauf gegeben 
wurden — fie willen, was fie wollen. Nicht Alles, was 
fie wollen, wollen wir auch; aber wir achten Die, welche 
bei ſich über ihren Willen Mar geworben find. Die Kö: 
nigsberger wollen unter Anderm, daß der Deutfche Par: 
tei nehmen ſoll; einer ihrer Profefforen bat es neulich 
fogar vom Katheder herab ausgefprochen. Wir waren 
jüngft noch der Meinung, daß es ein Palladium bes 
deutſchen Ernſtes und Freiheitsſinnes fei, über der Partei 
zu ſtehen, nicht wie die Froͤſche im franzoͤſiſchen Convent, 
die nur abmwarteten, auf welcher Seite die Wagfchale 
finke, fondern als Götter und Richter in letzter Inſtanz; 
aber die legten Zeiten haben uns faft eines Andern bes 
Lehrt. Wo die Unten und Eulen zufammenräden, find 
auch die Lichtoögel gezwungen aneinander zu halten, um 
nicht zerfplittert von der compacten Maſſe ber Nachtun⸗ 
Holde aus dem Felde gefhlagen zu werden. Wie ba ber 
gemeinfame Feind in Übel berechneter Strategil feine ges 


trennten Feinde zwingt ein Corps zu bilden! Es iſt ges 


wiß, daß die beften Lehrer und Exercirmeiſter ber Libere- 
(en nicht ihre viel verfchrienen und gefürchteten Ver⸗ 
fhwörer waren, ſondern ihre blinden Gegner; biefe bewaff⸗ 
neten, inſtruirten und machten fehlagfertig ein Heer, das 
in feinee Compactheit unwiderſtehlich iſt; aber vereinzelt 
fechtend wäre es leicht zu überwinden geweſen. „Partei, 
Partei!” ruft ber koͤnigsberger Publiciſt aus: 
— ich habe fie genommen ! 
3u ihren Fahnen ſchwoͤr' ich ernft und frei! 
Den freien Eid, ich halt’ ihn ewig treu, 
Und von Begcifirung tft mein Herz entglommen! 
Mein Eifer fagt mir, daß ich wuͤrdig fet, 
Mein namenloſes Leben ganz zu weihen 
Dem rühmlidy ernften Dienfle der Partei; 
Ss ſoll der Schwache Sänger ſich nicht ſcheuen! 
Ein feſtes Herz, das ift mein Dort, \ 
Und meine Waffe ift das Wort! 
Den Mafftab des poetiihen Werthes angelegt, ficht dee 
koͤnigsberger Publiciſt den andern Sängern nad, aber «6 
iſt etwas Eigenes, Friſches in der Mefolucheit bes Wol⸗ 
lens, und wo biefes Wollen ſich wieder eine eigene Sprache 
gebitdet hat, wird es auch zu einer eigenen Poefle, welche 
ihren befondern Maßſtab fodern darf. Kecke, Iuftige Lie 
der, fcharfe nicht weit ausgeholte, aber ihr Ziel treffenbe 
Hiebe. Richtig gezielt, nicht mit einem Schuß den gan 
zen Vogel von der Stange holen wollend und darum 
febffchießend, fondern mit fiherm Bewußtfein auf ein be 
flimmtes Sieb angelegt. Große Flackerfeuer, das mit 
poetifchen Boͤllern in die Luft Schießen, ob es einen Vo⸗ 
gel ober einen Stern trifft, find abgethane Dinge; mar 
weiß ſich hier (don an das Specielle zu halten. Diefe 
loͤbliche Beſtrebung auf das Beflimmte erweitert die Kenne 
niffe, zumal des Strebenden ſelbſt, die hohlen Phraſen 
fallen weg, und es ift ſehr viel für beibe Theile gewon⸗ 
nen, wenn flatt der büftern Melancholie, des ſchnauben⸗ 
den Ohnmachtgrimmes der Scherz und Spott ihr Recht 
behaupten. Anmuthig klingt das „Philiſterlied“; das trifft, 
wenn bie Phtlifter fingen: ’ 
Hört das freche Raifonniren 
Über Staat und Preßfreipeit! 
Kann bas wol zum Guten führen? 
Sind die Leute recht gefcheit? 
Denkt doch huͤbſch an Haus und Speicher, 
Strebet brav nad Brot und Sohn! 
Macht die Preßfreiheit Euch reicher? 
Saͤttigt Euch Conſtitution. 
Auch das Lied „Die Conſervativen“, in welchem es heißt: 
Nur ben Männern von Vermoͤgen 
Steht ein lautes Urtheil zu, 
Was dem Lande jchaffet Segen, 
Was ihm Schaden bringt, was Ruh. 
Das deutfche Meichepanier wäre zu ſchwer für eine Hand 
in unfern Zagen. Der Sänger läßt es fchon in Heinen 
Segen zerftüdt werden mit dem befannten incompetenten 
Einheitsbunde, der in Friedenszeiten fo ficher bafteht, aber: 
Wenn eine Zeit voll Krieg und Blut 
Ginft predigt alte Lehre, 
Daß freier Völker treuer Muth 
No Eräftger ſchuͤßt als ‚Deere. 
Wird dann das Boll, wenn Ihr es ruft, 
Sich wieder um Sud fhharen? 


628 


Der Sänger läßt es antworten: 
Ihr wart ja fletö incompetent, 
Wenn wir mit Bitten nabten:. 
t find auch wir incompetent, 
Maͤht felber Eure Saaten. 
Der Publiciſt als Beobachter entwirft kurze ſchlagende 
Bilder von den Zuſtaͤnden, wie fie find, ober iſt das 
auch Declamation, wenn es heißt: 
Sucht nur in Zeitungen und Kammern 
Dee Deutfchen Zreiheit ſchwache Spur; 
Ihr findet nichts als ew’ges Iammern 
Bon Policei und von Genfur! 
Wir empfehlen das Lied „Die Bettler“ zur Beherzigung. 
Das ‚‚unverbefferliche Geſchlecht der Schranzen — unbe: 
lehrt durch die Geſchichte — blind für bes Schickſals 
Strafgerichte“ ruft noch immer, nach dem Dichter, wo 
die Völker bittend nahen: Ne craignez pas ces gueux! 
Daß wir dem Dichter Unrecht geben koͤnnten! 

Ze weiter wir in den „Zeitfignalen” blättern, um fo 
vertrauter werden wie mit dem Dichter ald Menfchen. 
Seine Sefühle find Wahrheit, die Sprache ſchwingt ſich 
freilich nicht zu der Höhe, die andere Sreiheitsdichter ers 
sungen haben, aber den Vorwurf, den, wie er fagt, feine 
Gegner ihm machen, fie wäre feicht, verdient fie nicht. 
Es ift die naive Ausdrudöweife, die von allen hohlen Phra: 
fen ſich losgeſpuͤt hat, was uns mehr und mehr feflelt. 
Manches koͤnnte kürzer, prägnanter fein; aber die ganze Art 
ift wahr, nalv. Weder geht ihm Gemuͤth, noch inniger 
Naturfinn ad. Die naive Weife, in der er feine eigene 
Derfönlichkeit, feine drüdenden Verhältniffe und feinen 
feifchen Much uns vorführt, nimmt für ihn ein. Er 
iſt begeiftert für fein ſchoͤnes, dem übrigen Deutfchland 
fo wenig bekanntes, Preußenland: 

Ihr, die Ihr unfer Preußentand 
Für eine Wüfte haltet, 
O kommt hierher zum Oftfeeftrand, 
Wo fi fein Glanz entfaltet! 
Wo Euch der Park in feiner Pracht 
Umpälft mit heil’ger Urwaldsnacht, 
Ro hoch wie Preußens Ehre 
Das Ufer fleigt vom Meere! 


3um Ufer kommen raſtlos ber, 
Sn fletem Drang gezogen! 
Der ewigen Bewegung Bild 
Ermahnt's den Menſchen ernfl und wild, 
Daß vorwärts, vorwaͤrts fireben 
Er fol im Erdenleben. 
Dos Lied „In der Schenke” ift freilich, was ben poeti: 
fhen Ausdrud anlangt, unbedeutend, das Ausgebrüdte 
kann aber nicht oft genug ins Gedaͤchtniß gerufen werben: 
Ja, Preußenland, du fchreiteft 
Dem Mannedalter zu! 
Erhebſt dich und geleiteft 
Zu Grab die Zünglingeruh! 
Erwacht bift du vom Schlummer, 
Wo ohne Bram und Reid 
Du träumteft obne Kummer, 
In ftiller Schlaͤfrigkeit! 


Eine allerunterthaͤnigſte Witte ſchließt die Lieder. Der 
Dichter weiß nichts mit feinem kiederkram anzufangen, 
wo er fie anbietet, fchile man fie feicht und lahm. Der 
Verleger klagt, daß er fein Gelb verloren: 
Denn mebr noch als zwölfpundert Gremplare 

Sie bleiben flebn als todte Waare! 

Nichts rettet mich aus meiner Noth 

Als einzig ein Werbot. 


Bei den Miniſtern aller Potentaten 

In unfern dreißig Bundesftaaten, 

Fleh ich in meiner tiefen Noth 

Um gnaͤdiges Verbot. 
Mir wollen ihm, auch wenn er abſchlaͤglichen Beſcheid 
erhielte, wuͤnſchen, daß das Publicum ihn aus dieſer 
Noth reiße. Die Lieder verdienen es. Es iſt eine 
Wohlthat, wenn die gedrückte Bruſt noch ſcherzen kann. 

W. Alexis. 





Literarifhe Notizen. 


Ein in ruffifher Sprache jest in Petersburg unter dem 
Titel „Galerie von Portraits und Biographien” erſchienenes Werf 
verfpricdht viel belehrenden Stoff zur Kenntniß der Literaten 
und Künſtler Rußlands zu liefern. Bisher war biefe 
Seite der Literaturgefchichte ſehr vernachlaͤffigt; mititairiide 
Namen bildeten, wie in Kamenéky's Werke über die berühmgen 
Männer Rußlande, ben Hauptſtock der ruſſiſchen biograptifchen 
Werke. Kamensky's eben genanntes Werk enthielt über die ruſſi⸗ 
fchen Autoren nur fehr vürftige Skizzen. Auch bas ruffifche „Con 
verfations:Lerifon”, fo ausgebehnt es auch angelegt iſt, entfpridt 
in diefer Hinficht felbft mäßigen Anfoberungen nicht. Dagegen 
wird Sokoly’s „Galerie“ eine Reihe von Portraits und biogra 
phiſchen Skizzen bilden, welche ausfchließtich Diejenigen betreffen, 
die fi in der Eiteratur und ben fchönen Künften ausgezeichnet 
haben und von denen bie meiften noch eben und thaͤtig find. 
Die Lifte der Perfonen, welche bier charalterifirt werben follen 
ift von beträchtiicher Ränge. Das „Athenaeum” macht hierbei 
die Bemerkung: „Ein Werk dieſer Art wird veſſer geeignet 
fein, andere Länder mit dem jegigen Zuſtande der ruffifchen 
Literatur und Kunft bekannt zu machen, als Shaw's Borbemer 
tungen zu deſſen Überfegung von Marlinsky's ‚Amalet Bel‘, 
weiche in einer der legten Nummern von ‚Blackwood’s Maga- 
zine® begonnen hat. Auch irrt er in feiner Annahme, baf in 
England Niemand bis dahin von irgend einem der ruſſiſchen 
Rovelliften, welche er erwähnt, gehört Habe, denn dereits vor 
einigen Zahren erfchien eine Analyfe von Bulgarin’s ‚Dimütel 
und Polevoi’s ‚„Lomonofeff‘, im ‚Foreign quarterly rerien‘. De 
‚„Amalet Bel‘ unter Marlinsky's Erzaͤhlungen nicht bios bie 
befte, fondern auch die einzige ift, welche englifche Leſer ans 
fpricht, fo ift ihe Erfcheinen in einem fo weit verbreiteten Jour⸗ 
nal ein gluͤcklicher Verſuch zu nennen. Yindet bas englifche 
Yublicum daran Geſchmack, fo möchte wohl das Werlangen, auch 
mit andern Erzeugniffen der zuffifchen Literatur befannt zu 
werden, bie Folge davon fein.’ 


Francis Bowen gab zu Boſton „Critical essays’’ heraus, 
die zuerft im „North american review” unb andern trands 
atlantiſchen periobifhen Gchriften mitgethellt wurben. Das 
Werk bildet eine unterrichtende Überficht über den gegenwärtigen 
3uftand der fpeculativen Philofopbie in ihren haupt: 
fächlichften Streitpunften. Beſonders befchäftigt er fidy mit bem 
Spfteme Kant’s und mit Rocke, welchen er gegen feine kritiſchen 
Widerfacher zu vertheidigen fucht. 18. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brokhaus. — Drud und Berlag von E. 4. Brodhausß in keiysig. 


NE we — 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonnabend, 


— — Nr. 133. — — 


13. Mai 1843. 





Ludwig Achim's von Arnim ſaͤmmtliche Werke. 
Herausgegeben von Wilhelm Grimm. In zwoͤlf 
Bänden. Erſter bis dritter und fuͤnfter bis achter 

Band. Berlin, Veit und Comp. 1839—40. Gr. 8. 
9 Thlr. 2% gigr. 

Erſter Artikel. 

Lieber hätten wir die Anzeige dieſer erwuͤnſchten 
Sammlung von Arnim’s Werken fo lange verfchoben, 
bis das ganze Werk erfchienen und von der verfprochenen 
Zugabe des Herausgebers — einem Umriß von dem 
äußern Leben des Dichters und Betrachtungen &ber fein 
geiftiges Wirken — begleitet fein wird; aber andererſeits 
erfcheint es doch als Pfliht, die Freude über diefe neue 
Ausgabe eines reichbegabten Dichters und den Dank ge: 
gen den Derausgeber nicht allzu lang zu verfchmeigen ; 
auch ift das bis jetzt Erfchienene fhon ein reichlicher 
Gegenſtand für die Eritifche Betrachtung, daher wir nicht 
länger zögern und das noch zu Ermwartende einer fpütern 
Beſprechung vorbehalten wollen. 

Menn Arnim’s Erzählungen bisher nicht in dem 
Maße, wie fie, verglichen mit fo vielen heißhungtig ver: 
fhlungenen Romanen und Novellen, verdienten, in Deutfch: 
land gelefen und bekannt geworden find, fo hat body 
fhon die mit Clemens Brentano gemeinfchaftlid unter: 
nommene Sammlung und Derausgabe von „Des Kna: 
ben Wunderhorn“ Arnim's Namen feit vielen Fahren 
in ganz Deutfchland ruͤhmlich bekannt gemacht und ihm 
einen ehrenvollen Platz unter ben verdienten Freunden 
und Beförberern Älterer nationaler Poefie erworben. Daß 
uns in der preußifchen Geſchichte früherer und neuefter 
Zeiten diefer Name öfters als ein ausgezeichneter begeg: 
net, dies hat allerdings mit dem Werth und Berdienft 
von Arnim's Poeſie nichts zu thun; doch iſt es wol 
immer erfreulih und ſchoͤn, wenn ein fonft ſchon bedeu⸗ 
tender Familienname in Einem feiner Träger auch durch 
ben poetifchen Lorbeer gefhmüdt wird und fomit ben 
verfchiedenen Intereſſen des Waterlandes immer inniger 
und vielfeitiger verwächft. Wichtiger iſt ohne Zweifel für 
viele Sreunde der deutfchen Literatur der Umftand, daß 
Achim von Arnim der Satte von Bettina war, von je: 
nem wunderbaren „Kinde“, welches im legten Jahrzehnd 
fo großes Auffehen gemacht, fo plögliche und in ber Haupt: 
fache faft unbefttittene Triumphe errungen hat, welches 


kam und fiegte! Ein folches poetifches Ehepaar iſt gewiß 
an fi) ſchon eine hoͤchſt merkwürdige und anziehende Er: 
fheinung, und wenn auch in der deutfchen Literaturge: 
fhichte mehre ähnliche Fälle vortommen, fo findet man 
doch fonft, fo viel dem Mef. bekannt iſt, entweder feine 
fo tiefe innere Geiſtes⸗ und Gemuͤthsverwandtſchaft neben 
unzmeifelhafter Eigenthuͤmlichkeit und Selbftändigkeit auf 
beiden Seiten, ober Beine ſolche Richtung auf die Poefie 
im engern und höhern Sinne. Die dichterifhen Schoͤ⸗ 
pfungen Arnim's und Bettina’s gemahnen uns wie aus 
Einer tiefen Quelle bes Geiftes, des Gemuͤths, ber Phans 
taffe, der Lebensanfhauung entfprungen, und doch hat 
Jedes von Beiden feinem Eigenthbum einen ganz fchars 
fen, unterfcheldenden Stempel feiner Eigenthämlichkelt, 
feines Geſchlechts aufgeprägt. Gemeinfam ift Beiden das 
gefunde, reihe, von vielen Seiten erregbare, genußfähige 
Leben, ber offene, empfängliche Sinn für die Natur im 
Großen und Kleinen, der den eigenen Reichthum mit der 


| Schönheit der Gegenflände vermählt und fie oft erft durch 


feine Anſchauungsweiſe verffärt, die gluͤckliche, ſcharfe Be: 
obachtung, welche Kebendigem und Leblofem das Charaf: 
texiftifche ober doch ein Charakteriftifches abzufaufchen, das 
Gewoͤhnliche von irgend einer Seite bedeutend zu machen 
verftehe, die fchlagende, kecke Schilderung und Bezeich- 
nung, und was biefen Borzügen meift zu Grunde 
legt: die Friſche, bie Naturfeligkeit und Kindtichkeit der 
Phantafie und des Gemuͤths, durch Leinen gewaltfamen 
Zwang erſtickt und eingefchlichtert, durch keine ertödtenden 
Sormen des Herkommens abgenugt und abgegriffen, wor⸗ 
aus dann auch ber bald harmlos bald übermüthig ſpie⸗ 
ende Humor entfpringt, welcher in feiner Liebenswürdig: 
ften Geſtalt nicht ohne die hoͤchſte Geiſtesfreiheit, ohne 
eine kecke Erhebung über bie Gegenfäge bes Lebens ge: 
dacht werden kann. Und doch — bei folcher Verwandt: 
ſchaft, welche charakteriftifhe Verſchiedenheit. Am kürze: 
ſten laͤßt fie ſich vielleicht fo bezeichnen: Achim's maͤnn⸗ 
licher Genius iſt auf das Geſchichtliche, und in der Kunſt, 
in der Poeſie mehr auf das Plaſtiſche, Bettina's welbli⸗ 
cher Genius iſt mehr auf das Natürliche (verſteht ſich 
im weiteſten Sinne) und in der Kunſt mehr auf das 
Muſikaliſche gerichtet. Wie ein zwangloſes, leichtes Traͤu⸗ 
men, Erlebtes und Imaginirtes wunderbar vermiſchend, 
das Naͤchſte und das Fernſte mit gluͤcklichſter Kuͤhnheit 


verbindend, die forgfamften, treueften Schilderungen eines 
beſchraͤnkten Stilllebens mit den wunderbarſten Ahnungen 
und philoſophiſchen Phantafien verwebend, den ſchaͤrfſten 
Verſtand mit dem toliften Muthwillen nedifch würzend, 
immer aber um ben Mittelpunkt der eigenen Empfin⸗ 
dung, des eigenen Gemuͤthes Ereifend — fo iſt Bettina's 
Doefie, weiche fo heißen muß, teog Ihrer ungebundenen, 
ungeregelten Formloſigkeit nach dem Maßſtabe einer kunſt⸗ 
mäßigen Aſthetie. Acim’s Genius ſtrebt und ringe da⸗ 
gegen, uͤber die Sphäre der Subjectivität hinausczukom⸗ 
men, fein Ich zuruͤckzudraͤngen, Geftalten zu ſchaffen, den 


Gang der Welt, die Verwickelungen dee Schickſale und 


deren geheime, höhere Lenkung zu veranfchaulichen, ber 
Sage und der Geſchichte ſich zu bemächtigen, bem menfch: 
lichen Leben. nahe, iq in es hineinzutzeten, feinen: kleinen und 
großen Jammer, feinen tiefen Ernf zu ergeinden und durch 
feine Darftelungen nicht blos die Phantafle zu vergnügen, 
fondern auch das Gemüth tiefer anzuregen, auf den denken⸗ 
den, ernfiftrebenden, mit dem Leben kaͤmpfenden Dienfchen zu 
wirken. So wandte fi Arnim zu den objectiven Kunſt⸗ 
geflaltungen, zum. Drama und befonder6 zur Erzählung; 
feine Iprifhen Poeſien, an welchen er reich If, find faſt 
alle feinen Erzählungen einverwoben, und wenn. Bettina’s 
überfhwänglichfte Empfindungen und Ahnungen wie eine 
mufitalifche Phantafie feſſellos dahinrauſchen, iſt Arnim 
beftrebt, die allerbefonderften, eigenthuͤmlichſten Stimmun⸗ 
en und Gefühle in bie ſtrengere Form des Liedes, des 
Gedichte zu bringen, bie leiſeſte, flüchtigfe Empfindung 
zu verkoͤrpern und feilzubannen, dem Hauch und Seuf⸗ 
zer des Gemuͤths Worte zu leihen. Die Vergleichung 
weiter auszuführen, müflen wir uns bier verfagen; nur 
die Bemerkung finde noch hier eine Stelle: wenn Bettina 
eigentlich nue ihr eigenes Sein und Leben und ihre Ge⸗ 


danken und Empfindungen mittheilt, fo fallen. ihe gele>. 


gentlich treffliche objective Schilderungen ganz ungeſucht 
von felbft zu, während es Arnim gefchieht, daß fih in 
feine übrigens fo reichen und verbienftvollen Schöpfungen, 
welche möglihft objectiv gehalten fein follen und wollen, 
doch mitunter fein Ich, feine Subjectivität allzu fehr hin: 
eindrängt, wovon noch weiter die Rede fein wird. End: 
lich iſt auch der Name des Herausgebers geeignet, . für 
die Sammlung ein noch höheres Intereſſe zu erwecken. 
. Die trefflichen Brüder Grimm haben in Erforſchung und 
Würdigung der Altern deutſchen Sprache und Literatur, 
des deutfchen Glaubens und Lebens zum Theil neue Bah⸗ 
nen gebrochen und fi) als Gelehrte Werdienfte erworben, 
welche nicht auf bie Schule und die Bibliothek beſchraͤnkt 
bleiben werden, ober geblieben find, welche für dis Sprache 
und Literatur unferer Nation, ja feibft für das Leben 
ihre Früchte tragen werden. Es muß die Theilnahme 
und das günflige Vorurtheil für die Schriften Arnim's 
verftärken, daß Einer diefer berühmten und verbienftoollen. 
Foͤrderer unferer Altern Nationalliteratue und echt beuts 
ſcher Wiffenfhaft es ift, der die Herausgabe übernom: 
men. Doch nicht blos ber Freund iſt es, welchem ber 
Dichter ſchon im 3. 1811 zufammen mit feinem Bru⸗ 
ber Jakob eines feiner Bücher mit einem Gedicht zueig- 





nete unb bee nun biefe Ehre mir einem Liebesbienft vers 
gilt — es tft nicht blos der Freund, ber bie zerſtreuten 
Werke und den Nachlaß bes Freundes zufammenftelt 
und orbnet, es tft auch der Liebhaber und Pfleger einer 


. wahrhaft deutfchen, vaterlaͤndiſchen Sprache, Pesfie, Lite 


ratur, Geiſtesbildung und Geſinnung, ber die poetiſchen 
Schöpfungen eines hoͤchſt edeln, männlichen, echt deutfchen 
Geiſtes mit der Empfehlung feines gediegenen, an ben 
kraͤftigſten, Beufcheften Dichtungen einer flarfen unb ges 
ſunden Vorzeit geübten Urtheiles, mit feinem unbefloches 
nen Lobe begleitet. Mit Wehmuth gedenkt er des zu 
frühe gefchiedenen Sreundes, der immer „in volkr Ge 
fundheit, getragen von ben Stahlfedern feines Geiſtet, 
auf feiner Bahn gewandelt”, und freut fi, Andern, des 
nen ex im Leben fremd geblieben, die Blüte einer reiche 
begabten Natur vorgubalten. Er fage: 

Aus Arnim's Dichtungen quillt uns eine Külle von Leben 
entgegen: aus tiefem, unerkünfteltem Gefühl, wie aus ernſter 
Betrachtung der Welt hervorgegangen, find fie zugleich von lies 
bevoller Hingebung an fein Bolt und Baterland durchbrungen. 
Sein Urtheil war ſeſt, aber feine Geſinnung mild. Allem Yan 
teiwefen fremd, hat er den Spaltungen ber Zeit gegenüber bie 
edelſte Unabhängigkeit bewährt. Er war kein Dichter ber Ber 
weiflung, der an ber Pein innerer Zerriffenheit ſich ergoͤtt; 
ber Verwirrung und Dunkel erhob er fich, wie die Lerche, zur 
Abendroͤthe, um die legten Sonnenſtrahlen mit Gefang zu prüfen 
und auf den kommenden Tag zu hoffen. eine Dichtergabe bes 
trachtete er als eine Quelle, die in auterkeit aus der Bruft 
ftröme, der man einen ungehemmten Lauf gönnen müffe. 

Dabei jedoch überfhägt W. Grimm feinen verftorbes 
nen Freund nicht, er verfchweigt nicht bie Maͤngel feiner 
Poefie und will ihn nicht in eine höhere Ordnung von 
Dichtern erheben, als welcher ee wirklich angehört. Er 


| berührt die Ungleichheit, die nicht feltene Unangemeffenz 


heit von Gegenftand und Form, die Dunkelheit in feiner 


Poeſie, aber er verfichert: Überall hat er die volle Wahr⸗ 


heit feiner Seele ausgefprochen, die er mit keiner Buhle⸗ 
rei nach Beifall befleckte.“ 

Die vorliegenden Bände enthalten: „Novellen”, zwei 
Bände, „Die Kronenwächter” in zwei Bänden, wovon 
der zweite noch zu erwarten iſt; die „Schauſpiele“ umd 
die „Graͤfin Dolores” füllen je wieder zwei Bände. Noch 
find zurüd: „Ariel's Offenbarungen”, ‚Die Gleichen”, 
„Halle und Jeruſalem“, „Hallin's Liebeieben” *), „Land⸗ 
hausleben“ und ber ‚Wintergarten‘. 

So unbeftreitbar und treu wie nur irgend ein Dichs 
tee gehörte Achim von Arnim der romantifchen Schule 
an, von welcher er einer der ausgezeichnetften und frucht⸗ 
barften Vertreter ifl. Angeborene Stimmung und Meis 
gung ebenfo wie bie Beitverhältniffe zogen ihn zu dieſer 


. Schule hin. Geboren 1781, war er jung gerade in den 


Jahren, in welche die froͤhlichſte und glänzendfle Schoͤ⸗ 
pfungstuft ber Romantiker fällt, al& deren Denkmal und 
Mittelpunft man den „Mufenalmanady” von 1802 betrady: 
ten Tann, Die vielfeltige, glänzende Phantafie und Ah⸗ 
nung aufregende Thaͤtigkeit der Häupter dieſer Schule 
mochte wol einen ceichbegabten und beweglihen Juͤngling 

*) Da ein Auszug davon ber „Eräfin Dolores’ einderleibt 
ift, fo wirb dies wol aus der Sammlung wegbleiben. 


51 


auziehen ats bie ſtillere, eruſtere Thaͤtigkett, das we⸗ 
niger nach Effecten firebende Schaffen der gereifteen 
Dichter Goethe und Schiller, auch mochte fi) mit den 
jungern Dichtern leichter ein perſoͤnliches Verhältniß an: 
Inupfen loffen. ebenfalls fagte feiner Natur die vo: 
wantifche Richtung ganz befonder6 zu mit ihrer phantafies. 
vollen Ungebundenheit, mit ihrem Xieffinn und ihrem 
Spiel, borzuglic aber mit ihrer Richtung auf das Volke: 
mäßige, dad Deutfhe, auf die Religion und auf das 
Mittelalter. Freilich, je mehr die Romantiker eine Schule 
ausmachten, deſto mehr iſt zu bedauern, daß fo Diele, bie 
zu ihnen gehörten, fo wenig Schule und Zucht zeigten, 
und auch Arnim hätte * gewonnen, wenn nicht die 
romantiſche Schule gar manche natuͤrliche Eigenheit und 


Unart, die aus Bequemlichkeit oder Eigenſinn entſprang, 


ſonderbare Grillen, genialiſche Freiheiten, myſtiſche Dun⸗ 
kelheiten, in welchen die Dichter ſelbſt wol oft nur einen 
Sinn vermutheten, nachgeſehen, oder gar als Vorzuͤge, 
als Zeichen der Originalitaͤt gebilligt haͤtte. Wenn dies 
ungezügelte Waltenlaſſen der Originalitaͤt — worein ſich 
aber haͤufig Affettation miſcht und nur eine falſche Ma⸗ 
nier erzeugt — für den pſychologiſchen Kritiker intereſ⸗ 
ſant ſein mag, indem es die Verſchiedenheit der Anlagen 
und Neigungen nach allen Seiten hin ſich entwickeln, 
jede Laune und Idioſynkraſie ſich gleichſam zum ſelbſtaͤn⸗ 
digen Organismus ausbilden laͤßt: ſo muß der aͤſthetiſche 
Kritiker es doch tief beklagen, wenn hierdurch einem 
ſtrengern, gleichfoͤrmig fortzubildenden und eine tiefere 
Originalitaͤt keineswegs unterdruͤckenden Charakter und 
Stil der Kunſt Abbruch geſchieht, wenn ihm die reichſten 
Talente entzogen werden. Dies auf Arnim angewen⸗ 
det — ſo iſt er ohne Frage, fuͤr ſich betrachtet, als poe⸗ 
tiſches Individuum, eine hoͤchſt ausgezeichnete und erfreu⸗ 
liche Erſcheinung, eine Natur von ganz eigenem, ſchar⸗ 
fem Gepraͤge, von einem edeln Metall und Kern, ein 
Gemuͤth voll Faſſung, Hoffnung und Begeiſterung in 
einer verzagten, niedergedruͤckten, blaſſen Zeit, ein Mann, 
der an der Poefie feſthielt, als die Proſa und Nuͤchtern⸗ 
heit die Welt zu uͤberſchwemmen drohte. Faßt man aber 
feine Bedeutung für die bdeutfche Poefie und Literatur 
ind Auge, fo muß man bedauern, daß er nicht tiefer .in die 
Nation eingegriffen hat, aber man muß auch geftchen, 
daß der Grund hiervon in ber Form und Eigenthuͤmlich⸗ 
keit feiner Schriften liegt. Um Größeres zu wirken, 
Gtaffifcheres zu fchaffen, hätte ee einer ſtrengern Kunft: 
form fich befleißigen, feine Gefühle und Gedanken zu 
größerer Klarheit herausarbeiten, ſich von feiner Subjecti⸗ 
vität, obne den Kern feiner Sefinnung und Gefühle zu 
verlegen, mehr befreien müflen. Je nachdem man nun 
auf diefen oder jenen Standpunkt fi flellt, kann man 
über Arnim's Werke ein außerordentlich guͤnſtiges, oder 
aber ein vielfach tadelndes Urcheil füllen und beides mit 
triftigen Gründen belegen und unterflügen; eine billige 
und unpartelifche Würdigung hat die Mitte zwiſchen den 
beiden Ertremen zu fuchen, fie darf fih dur die Ein: 
feitigteiten der Schule und des Individuums nicht zu 
einer geringfchägenden Verwerfung hinreißen laſſen, aber 


’ 


fie darf auch über den glänzenden und lirbenswuͤrdigen 
Borzägen des Individuums nicht die Anfoderungen eines 
allgemein anfprechenden, im hoͤchſten Sinne nationalen 
Stils und Charakters der Porfie aus den Augen fegen. 
Nur ein befangener Schulz und. Sektengeift koͤnnte Ars 
nim den eriten Dichten unfers Volks gleichftellen oder 
vorziehen, aber auch nur eine engherzige, pebantifche Ver: 
blendung koͤnnte feine Schöpfungen hauptfächlich unter 


| dem Geſichtspunkt von midlungenen Verfuchen, von Ges 


ſchmacksverirrungen, durch falfche Theorien und Muffer 
veranlaßt, betrachten wollen. Berfuchen wir, Arnim nad) 
unfern Kräften volle Gerechtigkeit widerfahren zu laffen 

(Die Bortfegung folgt.) 





Romanenliteratur. 


1. Helnrih von England und feine Söhne. Cine alte Gage 
neu erzählt von Fanny Zarnom. Zwei Theile. Leipzig, 
Kollmann. 1842. 8. 3 Thlr. " 

Heinrich von England und feine Soͤhne ift allerdings eine 
alte, bereits vielfach ausgebeutete Sage, oder Gefchichte, wie 
man will; daß fie aber von der Verf. neu erzählt, oder bears 
beitet wäre, müffen wir geradezu beſtreiten. Wir find fogar 
denfelben Perfonen, denfelben Berwidelungen und Berbältniffen 
in al ihren Einzelnheiten, Scenen und Berflechtungen, wie wir 
fie in dieſer angeblich neu erzählten alten Sage gefunden haben, 
in. einem weit ditern, gegenwärtig wol bereits Längft vergeffenen 

Romane „Walter von Montbarri” begegnet, und der Unterfchied 

befteht Lediglich darin, daß der Held hier „Walter von Mont: 

barri“ und bei unferer Verf. „Arthur von Montgomeri” heißt. 

Sollte etwa unfere Verf. jenen Roman, ber, wo wir uns 

nicht irren, gleichfalls von einer weiblichen Feder berrührt, 

at8 Quelle bei ihrer neu erzäßlten alten Gage benugt has 
ben? Macht man übrigens keine Anſpruͤche auf tiefere pfucholos 
aifche Charakteriſtik ver Perfonen, auf anfchautiche Darftellung 
und Schilderung der Sitten und Verhältniffe jener Zeit, ſowie 
ber verfchiedenen Schaupläge, auf denen die Gefchichte abwech⸗ 
fetnd fpielt, fo Tann die leicht und anfpruchsios gehaltene Er: 
zaͤhlung genügen, und es laßt ſich mindeftens ihr nachruͤh⸗ 


men: daß fie ſich leſen laͤßt, wie viele taufend andere aͤhniche 


Geſchichten audh. 


2. Die Gräfin von Shoifeul : Prasiin. Eine wahre Begeben⸗ 


beit aus der Zeit Ludwig's AV. von Paul Jacob. Aus 
bem Kranzöfifchen von Emilie Wille. Zwei Theile. Leips 
zig, Kollmann. 1842, 8. 2 Thlr. 7. Rgr. 

Wir haben es offenbar einem böfen Sterne zu banken, daß. 
wir ed fo häufig mit Überfegungen elender Machwerke frembläns 
bifher Zunge zu thun haben. Gin foldes Machwerk ift nun 
auch die „Graͤfin Choiſeul⸗Praslin“, dem der beigefügte Druder: 
„aus dem Franzoͤſiſchen überfegt’’, fchmerlich auf bie Weine hel⸗ 
fen kann, vollends wenn die überſetzung fo fchlecht und ſchuͤler⸗ 
haft ift als die vorliegende. Eine jaͤmmerliche Geſchichte! Go 
jaͤmmerlich und liederlich als die Zeit, der diefe angeblid wahre 
Begebenheit angehören fol. Dan verliert nichts dabei, wenn 
man fie nicht gelefen bat, gewinnt vielmehr die koſtbare, uns 
erfegliche Zeit, die man babei auf eine unverantwortlicdhe Weiſe 
verlieren würde. 


3. Die Eroberung von Zouloufe. Cine biftorifche Novelle von 


Bredkric Soulié . Aus dem Pranzöflichen übertragen. 
Seipzig, Vinder. 1842. 8. 12 Nor. 

Wir haben bee fchlechten und erbärmlichen Geſchichten und 

Novellen von beutfchen Federn bereits zum Überfluß, und es 


‚wäre daher gar nicht nöthig gewelen, uns mit dieſem erbaͤrm⸗ 


lichen Machwerk des noch obendrein franzöfifchen Rovellenfabris 
kanten Soulid befannt zu machen. Zu beklagen ift, wer dazu 


x 


verurteilt genefen, bies elende Dugendflüd zu überlegen, feine 

Zeit ma fein bischen Geiſt an ein ſolches te zu vergeuben, 

und nicht minder zu beflagen ift, wer es zur Strafe feiner 

Suͤnden, wenn auch nicht bat Lefen, fo boch mindeftens durchs 

biättern möflen: denn Hier wird er nicht einmal mit Hamlet 

fagen können: „Worte! Nichts ale Worte!” fondern: „Spreu! 

Nichts ald leere Spreu!“ Schade nur um das verfchwenbete 

gute Papier und den verfchwendeten guten Drud, denn das if 

das einzige Gute an der ganzen fogenannten hiftorifchen Nos 
velle des Deren Soulie. 

4. Liebe und Krieg, oder die Romantik des Eoldateniebens, von 
Eduard Auillinan. Aus dem Engliſchen überfegt von 
Amalie Winter. Drei Theile. Leipzig, Kollmann. 1842 
8. Thlr. 

Wieder eine Menge Papier und Druckerſchwaͤrze an die 
Überfegung einer ſchlechten dreibaͤndigen Geſchichte verſchwendet. 
Wie die Verſchwoͤrungen, geheimen Geſellſchaften und ſonſtigen 
Abenteuerlichkeiten, die uns bier in reichlicher und bunter Menge 
von dem englifchen Verf. aufgetifcht werben, mit einer „Romans 
tik des Soldatenlebens“ in Verbindung fteben, ift uns raͤthſel⸗ 
haft geblieben. Wir haben nichts von Romantifchem in der 
ganzen Geſchichte von Anfang bis. zu Ende entdeden können; 
wol aber ift fie une durdy und duch als ein non plus ultra 
von Abgeſchmacktheit und Langweiligkeit erfchienen. Wohl Dem, 
der fie nicht zu lefen braucht. 21. 





Eine englifhe Correſpondenz über Berlin. 


Das „Athenaeum’ enthält in einer feiner Iesten Nummern 
eine recht intereffante Correſpondenz aus Berlin, welche fich bes 
ſonders über die Aufführung der „Antigone” ausfpricdht. Nachdem 
der Correfpondent feine unbegrenzte Verehrung und Bewunde: 
zung für des Sophokles dramatiichen Genius ausgedrüdt hat, 
bemerkt er, daß ihm die Darftellee weit unter ihrer Aufgabe 
geblieben zu fein ſchienen, daß dies aber auch nicht anders fein 
koͤnne. Madame Grelinger befige offenbar eine große Praris; 
ihre Attituden feien in der That oft bewundernswuͤrdig gewefen, 
befonders in der Ruhe, und fie habe ſich, je näher dem Schluſſe, 
deſto volllommener gezeigt; aber ed habe ihr doch etwas — er 
ſelbſt wiſſe nicht was — gefehlt, um die verurtheilte Tochter 
eined gottgleichen koͤniglichen Geſchlechts, die ſich unterwerfende 
und doch furchtloſe Dienerin der Bötter vollendet darzuftelfen. 
Die übrigen Darfteller fcheinen ihm gar nicht in Betracht zu 
tommen. on dem Ghore, meint er, koͤnne man nicht zu viel 
fagen; zumweilen fei der Gefang nicht volllommen, aber doch im 
Ausdrude ftets gehalten, würdig, edel und ſchoͤn geweſen, ganz 
gemacht, den Eindruck der mächtigen und, ehrwürdigen Fabel 
bervorzubringen. Die mise en scene laſſe ſich gar nicht be: 
ſchreiben, man müffe fie gefehen haben; einige Momente, befons 
derö ber Geſang an den Bacchus, wobei der Chor den Altar 
umkreiſe und feine Thyrſusſtaͤbe ſchwinge, komme über @inen 
mit übermwältigender Kraft und Feierlichkeit. Der Geſchicklich⸗ 
keit und Genialität, womit Mendelsfohn feine Aufgabe loͤſte, 
1äßt der Gorrefpondent vollkommene Gerechtigkeit widerfahren, 
obgleich aud er mit vielen Andern ber Meinung ift, daß fich 
die Muſit zu felbftändig hervordränge. Daß die Choͤre gefun- 
gen und nicht gefprochen werben müßten, darüber, fagt er, fei 
fein Imweifel, wenn man die „Braut von Mefjina”, wie fie ge: 
woͤhnlich dargeftellt würde, gefehen hätte; das Zuſammengewirr 
der Stimmen bringe felöft diefe edeln und muſikaliſchen Verſe 
um ihren Reiz. Diergegen bemerken wir, daß es doch nur ein: 
seine Stellen und Schtußverfe find, welche der Chor mitfam: 
men fpridjt, und ba findet in ber That ein fehr unharmonifches 
Gebrauſe und Geziſche flatt; aber dem größten Theile nad) wird 
der Chor doch nur von ben einzeinen Shorführern gefprochen, 
und wie 5. B. der verftorbene Lemm die Aufgabe bes Gajetan 
Löfte, machten diefe mächtigen Rhythmen und Worte Schiller’ 
einen intenfivern und wenigftens nadhhaltigern Eindruck als 


ſeibſt bie WRufit Wienbeisfohn’s, in ber der gewaltige Text 
verſchwindet. 

Außerdem bemerkt der Correſpondent noch, daß Jakob 
Grimm eine zweite Ausgabe feiner „„Deutfchen Mythologie“ 
vorbereite, und, daß er, der Gortefpondent, neulich einige Frag» 
mente aus der Autobiographie der beiden berühmten Bruͤder 
gelefen habe, bie er in England befannt wolle, bas 
mit man dort bie Trefflichkeit, den Abel und die Einfachheit 
der beiden „literarifchen Riefen” kennen lerne, ihre rührenbe 
Familienliebe, ihr reines und erhabenes Gefühl für Natur, Bas 
terland, Freiheit und Humanitaͤt; es fei dies ein rührendes Ab⸗ 
bild der beften Seite deutfchen Eebens und Charakters. — Das 
Modell zu Rauch's Standbild Friebridy’s bed Großen erklaͤrt er 
für ein Meiſterwerk; Stellung, Ausbrud, felbfi jene wunder 
bare Beinhelt der Linien um den Mund feien vortrefflid. „Uns 
fer Fritz“ erſcheine da, wie er lebte und ſich bewegte, wie er 
blickte und zu Pferde ſaß; nichts fei Hinzugefügt als ein Her⸗ 
melinmantel, der in anmuthigen Falten über die eine Schutter 
berabhinge und die Trockenheit einer befleibet bargeftellten 
Figur milder. Auch die liegende Figur bes Leßtverftorbenen 
Könige, welche beflimmt fei, an ber Geite ber ebenfalls in 
Marmor gebitbeten Königin Luife gu Ghariottenburg zu ruben, 
fei ein geniales Werk, der König Liege da wie 

— — a werrier taking his rest, 

With his martial cloak around him. 
Meifterhaft fei au Rauch's Büfte ber Fuͤrſtin von Thurn und 
Zarie, welche, hiernach zu urtheilen, feldft die Königin Euife 
an Schönheit übertroffen habe, und eine liegende Statue der 
verftorbenen Königin von Hanover, ber dritten Grazie in bie 
fem herrlichen Trio. — Tieck, von feiner Krankheit wieberbers 
geftellt, habe zwar feine Vorleſungen noch nicht wieder ans 
gefangen, oe fein Auge fei glänzend und feine Unterhal⸗ 
tung lebhaft. 

Seltſam ift die Abfchweifung, welche ber Gorrefponbent 
plöglih von Berlin aus auf das Gebiet der ſchwediſchen Eiteras 
tur unternimmt, indem er fich auf eine Kritit ber Romane 
ber Frederike Bremer eintäßt. Veranlaſſung hierzu gab ihm 
der Umftand, daß die Romane bes Fräulein Bremer au in 
das Englifche überfegt worden find. Er lobt fie als eine Schrift: 
ftelerin von gefundem Menfchenverftande, weiblichem Gefäpt 
und Einſicht und trefflicher Schilderungsgabe, tabelt fie jeboch 
ald eine ſehr mittelmäßige Erzählerin, indem fie theil® ſehr ge: 
ſchwaͤtig, theild in der Erfindung fo romantiſch abenteuerüch 
erfcheine, daß Ichtere Partien gegen das Hausbackene — ber 
Sorrefpondent bebient fich biefes deutfchen Worte —, wel 
fi reichlich vorfinde, fehr feltfam abſtaͤchen. — Durch die Güte 
Waagen's, fährt er fort, fei er mit den neuen Erwerbungen 
für das Mufeum befannt geworben ; barunter fei befonders aus⸗ 
zugeichnen eine herrliche und Eoloffale Abnahme vom Kreuze, 
ein Werl des Gebaftian bei Piombo, nach einer Zeichnung von 
Michel Angelo. Intereffanter noch feien die Sculpturen. Dan 
muͤſſe fich freuen, daß diefe an ber waͤliſchen Küfte gerettet wor⸗ 
den. „Es iſt troſtreich“, ſagt er, „zu ſehen, daß England nit 
daß einzige Land ift, welches Über forglofe und unkluge Conſuia 
zu Magen hat. Der preußiſche Conſul zu Livorno, welden 
diefe koͤſtiichen Sachen anvertraut waren, hielt fie drei Moden 
zurüd und fchiffte fie dann am Bord eines Fahrzeugt ein, 
deſſen Gapitain anerfanntermaßen ein ſchlechter Seemann 
war.“ 





Literariſche Anzeigen. 

Soeben erscheint bei F. A. Broekhausin Leipzig: 
Trendelenburg ed) ‚ Die logische 
Frage in Hegel’s System. Zwe 

Streitschriften. Gr. 8. Geh. 10 Ngr. 


Berantwortliher Deraußgeber: Heinrid Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus in Leipzig. 
——— 000000202. 2 


*⁊ 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 





Ludwig Achim's von Arnim fämmtliche Werke. 
erauögegeben von Wilhelm Grimm. In zwölf 
Anden. Erfter bis dritter und fünfter bis achter Band. 

Erfier Artikel. 
(Bortfetung aud Wir, 138.) 
Bei Achim von Arnim finden fid) gar mandye, und 
zwar manche der ſchaͤtzbarſten Eigenthümlichkeiten und 

Richtungen ber romantifchen Schule, in welcher fich fo 

verfchiedene, zum heil fchwer unter Einen Begriff zu 

vereinigende charakteriflifche Strebungen kundgaben. Die 
fheinbare oder wirkliche Ungleikhartigkeit ihrer Tendenzen 
erklaͤrt fi zum Theil daraus, daß die Häupter und 

Gründer derfeiben, fo viel und geiſtreich fie theorestifirten 

und dedurcirten, doch haufig mit ihren Theoremen und 

Behauptungen erſt hinter ihren Neigungen, Studien und 

productiven Stimmungen, welche wechſelten, hinterdrein 

kamen und mehr von einzelnen Punkten als von allge⸗ 
meinen Begriffen ausgingen, und dann das Einzelne und 
in feiner Art, in feiner Sphäre Wahre und Bortreffliche 
oft über Gebühr verallgemeinerten. Schön iſt an ben 

Romantikern ihr lebhaftes, tiefes Naturgefühl, deſſen herr: 

lichſter, begesiftertfier Prophet 2. Tieck war; dankenswerth 

iſt ihe Verweiſen und Dringen auf das Einfache, Ras 
särliche, Native im Menfchen: und Volksleben, auf das 

Nationale und Baterländifche, ihre Beſtreben, die beutfche 

Poeſte und Literatur durch Eröffnung der Quelien und 

Schaͤtze der alten, echten, einheimiſchen Sprache, Poeſie, 

Geſchichte, Sitte zu Präftigen und ihr eine ganz natio: 

nale Richtung zu geben, was auch burch die innigere 

Vermaͤhlung der Poefie mit der Religion bezweckt wurde; 

— ihre Vertheidigung und Erhebung ber Iebendigen, bes 

lebenden, indivibualificenden Phantafie gegen die nüchterne, 

pedantiſche, engherzige, nivellirende Verſtaͤndigkeit; und 
hinwiederum haben fie ſich auch Verdienſte erworben durch 
ihre belehrende, foͤrdernde, fruchtbare Hinweiſung auf die 

Literatur bed Auslandes, auf Shakſpeare, Cervantes, Cal: 

beron, durch bie Kunſt, mit welcher jie die deutfche Sprache 

in ben fchwierigften, verwickeltſten Metern und Reimen 
mit den füdlichen Sprachen wetteifern ließen; und auch 
durch ihre komiſchen, tronifhen, humoriſtiſchen Schöpfun: 
gen und Verſuche haben fie zur Bereiherung und Er: 
mweiterung eines in Deutfchland wenig angebauten Feldes 
beigetragen. Was man bei fo vielen Verdienſten und 





14. Mai 1843. 


——  — 





—o ol non 


lobenswerthen Beflrebungen vermiffen kann, ift haupt: 
fächlich die, Einfeitigkeiten und Launen außfchließende oder 
beſchraͤnkende kuͤnſtleriſche Beſonnenheit und. Mäßigung, 
der beharrliche, nachhaltige Ernſt, an deſſen Stelle man 
bei ihnen einen raſch auflodernden Enthuſiasmus und 
einen genialen UÜbermuth findet, der doch hinter dem ent⸗ 
fchlofienen Muthe des ernften Dichters im Erfolg meit 
zuruͤckbleibt. Arnim fchloß- fich, wie gefant, den fchönften 
und ruͤhmlichſten dieſer Richtungen und Beſtrebungen mit 
Liebe und Eifer an; man findet bei ihm vorherrſchend 
die Richtung auf das Nationale, das Deutfche, das tieffte, 
empfindlichfte, zartefte Gemuͤth verbunden mit einer Phan⸗ 
tafie, deren Kraft und Tugend nicht minder in der böchft 
lebendigen Beranfhaulihung des Vergangenen und ber 
Wirklichkeit, als in ganz freien und kecken Schöpfungen 
bewährt, die waͤrmſte Liebe für aͤltere deutſche Gefchichte, 
Sitte und Poefie, einen tief religiöfen Sinn; und danes 
ben auch eine überrafchende Vertrautheit mit dem Leben 
und der Literatur fremder Nationen, ein ernſtes Streben 
nad) firengern Kunftformen in der Lyrik und den kecken, 
muthwilligen Humor ber Romantiler. Dee Humor aber 
ift ein gefährlicher und ſchwer zu behandelnder Dämon; 
nur den größten, gewaltigfien, ficherfien Geiftern iſt es 
gegeben, ihn zu beberrfchen und dann durch ihn die größ: 
ten Wirkungen hervorzubringen; nur Solche vermögen 
ihn in ein wirkliches Kunſtwerk aufzunehmen, ohne daß 
er es ihnen auseinanderfprengt; Andere aber beherrſcht 
dee Dämon, den fie fich dienfibar machen wollen, reißt 
fie willenlos und halb bemußtios mit ſich fort und zer⸗ 
flört ihnen weniſtens jede Kunftform. Am meiften tritt 
dee Humor in Arnim’ dramatifchen Arbeiten (Bd. 5 und 
6; die größern Dramen fehlen noch in der Sammlung) 
hervor, mit deren Befprechung wir ben Anfang machen. 

2. Tieck mit feinen ironifch:polemifhen und humoriſti⸗ 
fhen dramatifirten Märchen im „Phantaſus“, mit dem 
„Octavian“ und „Zerbino“ war offenbar der Erwecker diefer 
Gattung; aber auch Goethe's „Jahrmarkt zu Plunders⸗ 
weiler“ fchlug zum Xheil in diefe Gattung ein, bie ſich 
baneben gewiffermaßen an Shaffpeare anlehnte. Arnim 
fschte ihe befonders ein nationales Gepräge aufzudruͤcken, 
theils durch die Mahl ber Stoffe, thells durch die an 
bie ältere deutfche Bühne erinnernde Form. Es find Im 
ganzen 11 Stuͤcke, eine Poſſe, ein Schattenfpiel, ein 











Pidelberingsfpiel, ein Hanswurfifpiel, ein Duppenfpiel, ein 
(tomifches) Trauerſpiel, ein (unbebeutendes) Nachfpiel, 
ein heroiſches Luſtſpiel (ganz und gar phantaſtiſch), ein 
Schauſpiel und ein Luflfpiel, welche doch bie auf einen 
gewiſſen Grad dem feflen Moden des wicklihen Lebens 
jich nähern, und ein geößere® Drama, „eine Geſchichte 
in vier Handlungen“, mit einem leiſen hiſtoriſchen An⸗ 
flug. Unſtreitig iſt in dieſen dramatiſchen Arbeiten eine 
Fülle von Humor, Wis, Geil, Phantafie und Semüth 
enthalten, manche Charaktere find fehr ſchoͤn umrifien, 
oder durch einzelne Züge vortrefflich bezeichnet, und eine 
ungemeine Kraft, Kebendigkeit, Anfhautichkeit der Sprache 
hebt und veredelt oft das Gewoͤhnliche; aber wenn man 
mit Ergögen und Lachen, mit Spannung und gelegent: 
ich mit Rührung dieſe Bände durchleſen hat, bedauert 
man doch am Ende, daß fo viel ſchoͤne und edle Kraft 
bier doch im Grunde an Poffen und Taͤndeleien in ei- 
nem übermüthigen Spiele verſchwendet if. Freilich war 
das Spielen mit den Gegenftänden ein Fehler mancher 
Romantiker; die Sronie, von welcher fie fo viel zu fa: 
gen mußten, beachte das mit fich; eine ungemeine, über: 
legene Kraft ſcheint ſich darin auszuſprechen, daß man 
von einem Stoffe ſich nicht hinreißen läßt, daß man 
daraus macht, was man will, ihn in Scherz und in ein 
Nichts aufloͤſt, als einen an ſich nichtigen Traͤger ber 
Kunft; aber höher ſteht dody gewiß der Ernſt, der mit 
einem großen Segenflande ringe und ihn am Enbe ganz 
oder doc; großentheils bewältigt; Kunſt und Kraft, wenn 
fie wirklich echter Art und bedeutend find, wachſen mit 
dem großen und türbigen Stoff, während fie ſich an 
dem geringfügigen Gegenſtand verzehren und verflüchtigen, 
jedenfans keinen nachhaltig befriedigenden Eindrud her⸗ 
vorbringen. Die Schatten:, Hanswurft:, Pidelheringes, 
Puppenfpiele und = Poffen enthalten in der That koͤſtliche 
Züge, echt komiſche Situationen, fie zeugen von einer 
äuferft gilicklichen und fruchtbaren Erfindungs: ober Be⸗ 
nhgungsgabe; aber fie flehen im dee jegigen Beit und Li⸗ 
teratur, in ber wirffihen Welt fo gar fremd unb unver⸗ 
ländlich da; bee harmloſe Leſer — denn aufführen kann 
man biefe Sachen ſchwerllch — weiß oft gac nicht, Wer 
eigentlich verfpottet, über Wen gelacht wird; und fo welt 
foflte doch der Humor nicht potenzirt werben. Der Ins 
balt der Poffe ‚„„Iann’E erſter Dienſt“ iſt folgender: 
Der reiche, geizige Bauer Erbwurm jagt feinen faulen, 
tötpelhaften Sohn Jann fort, um fi anderswo Dienſte 
zu fuhen, unter den Wehllagen der Mutter um das 
dreißigjährige Kind. Jann findet fogleich Dienfte bei dem 
Heren des Dorfes, der am feinen plumpen, halb ſchlauen, 
halb toͤlpiſchen Reden und Späßen Gefallen findet; Jann 
wird fogleich von der Köchin, Jungfer Grethe, mit 11 
Kindern, angetöbert und muß fi mit ihr verloben. 
Bienen, die er dem Schwager feines Herrn bringen fol, 
frißt er felbft auf; baflıe befommt er, ber nicht leſen 
kann, von Jenem eine fchriftliche Anweifung auf eine Tracht 
Schläge, als gutes Trinkgeld. Er ruͤhmt ſich deſſen ge: 
gen feinen Water; dieſer emtreißt ihm die Antweilung, em: 
Hängt die Schläge, kommt heulend und ſcheltend zurück, 


Grethe komme mit den 11 Kindern vom GSchloffe gelau: 
fen, wie der alte Erbwurm gerade dem Jann die em: 
pfangenen Schläge erflattet; fie kommen dem Jann gu 
Hüife, überwältigen den Erdwurm und zwingen ihm fei- 
nen Segen ab, den er, mit Fluͤchen untemmifcht, ihnen 
gibt. Im derfelben Sphäre hält fi das Hanswurfifpiel 
„Der vwunderthätige Stein”. Der mit gutem Grund 
auf feinen jungen Nachbar Wilhelm eiferfüchtige alte 
Bauer Hans will einen Schwarzlünftier, der ins Dorf 
gelommen, wegen feiner biuslichen Angelegenheiten zu 
Mathe ziehen. Wilhelm fpielt die Rolle des Schwarz: 
kuͤnſtlers mittel& einer Vermummung; Hans bittet den 
vermeintlichen Teufelsmeifter, ihm bie Schelmengeflalt bes 
Wilhelm zu geben, damit er feine Frau auf die Probe 
ſtellen koͤnne. Der begünfligte Nachbar gibt ihm einem 
Stein, der die Eigenſchaft haben fol, ihm, wenn er ihn 
auf den Kopf legt, Wilhelm’s Geflalt zu geben, und un- 
terrichtet heimlich in aller Eile die Frau von der Rolle, 
bie fie zu fpielen hat. Der alte Hans verfucht feine 
Grau, wird als Wilhelm von Ihe berb und ſchnoͤde abge: 
wiefen, ia geprügelt für feine Zudringlichleit, im feiner 
eigenen Perfon aber, wenn er den Stein vom Kopf ge 
nommen, geliebloft und gefchmeichelt, und nun freut er 
fi) hoͤchlich, durch den geringen Aufwand eines Gold⸗ 
ſtuͤcks, das er dem Hexenmelſter gegeben, die fichere üÜber⸗ 
jeugung von bee Treue feiner Frau gewonnen zu haben. 
Manche komifche Einfälle, derbe Witze und Iuflige Si⸗ 
tuationen kommen in bdiefen Poffen vor, die freilich an 
fi keinen Werth, keine allgemeine Bedeutung haben 

und auch gar nicht anfprechen; es ift fo rein nur um 

den komiſchen Effect, um das ungebundeme Spiel bee 

Laune zu thun, daß auch bie fittlichen Verhaͤltniſſe, welche 

unferm Dichter in dee That heilig find, mit muthwilli⸗ 
gem Leichtfinn behandelt werben. Daſſelbe gilt von dem 
Sthattenfpiel „Das Loch ober das wiebergefundene Pa: 
radies“, wo ein Ritter von der runden Tafel dem ſtumpf⸗ 
finnigen Kalfer vom Rhabarberiande feine Gemahlin ent: 
führt und ihm feinen Rath Kafper zufammenhaut. Das 
Stud if in Verſen gefchrieben, mit einem fatirifächumes 
eiftifchen Prolog, und polemifirt und ironiſirt mitunter 
ſehr ergöglich gegen und über politifche, philoſophiſche und 
Humanitätsgrundfäge. Humor, Liebe, Poefle triumphi⸗ 
ven Über Pedanterei, Albernheit, Stumpffinn und Ranges 
weile. Im Pidelberingefpiel ‚Here Hanrei und Maria 
vom langen Markte“ wi ein alter Geizhals ein junges 
Frauenzimmer heirathen, das fi anſtellt, ganz Unſchulb 
und Hingebung zu fein. Wie er kaum ihr den Rüden 
zukehrt, laͤßt fie fi mit einem bramarbafirenden Solda⸗ 
tem ein; ber Alte ſtellt ſich todt und erkennt mittels bie 
fer Lift die Sefinnungen und Abfichten feiner Braut, laͤßt 
fih aber doc wieder von ihr beſchwaten, bis fein von 
ihm verfloßener Sohn Peter zurkdlommt und burg ein 
fonderbares Ungefähr die Braut beimfährt, mit der ex 
fon frührer fehr vertraut geweſen. Das Hauptmotiv, 
ber alte, gelzige, verliebte und betsogene Hanrei, iſt aller 
dings nicht neu. In dem Puppenfpkl „Die Appel: 
pelmaͤnner“ bedauert man beinahe ben großen Aufwand 


von ſchoͤnen, kraͤftigen, ergreifenden Empfindungen und 
Gedanken für ein fo ſeltſames, mitunter Läppifches Thema. 
Der Dichter wollte barin „mandgen fcheinbaren Widerſpruch 
in dem Gemüche ber Menſchen zu einer wohlthuenden, 
befriebigenden Einpeit bringen”. Schwerlich aber wird 
Jemand In dem zwar reich autgeflatteten, doch tollen 
Yuppenfpiel einem ſolchen tiefern Sinne nachipüren. 
Nicht viel minder ummahrfcheinlicd; und märdhenhaft, aber 
boch ergöglicher, von einem reinern Eindrude begleitet iſt 
die ‚„‚Capitulation von Oggersheim“, we ber faft allen 
in der von ben Spanien bedrohten Stadt zurückgeblie⸗ 
bene Stadtfhäfer mie Hilfe feines Weibes und feines 
Anaben die anrückenden Spanter taͤuſcht und mit ihrem 
General Corduba eine fehr guͤnſtige Capitulation mittels 
finnreicher Liften und Schlauheiten abſchließt. Der eins 
ruͤckende General erkennt in bed Scäfers Weib feine 
Tochter, und fein Sohn, weichem der Schäfer das Leben 
gerettet, bat deſſen Schweiter zu feiner Braut erwaͤhlt. 
So wunderlih Alles ift, fo hat doch bie Geſtalt bes 
Schaͤfers Warſch eine anfprechende, innere Wahrheit; 
er veranſchaulicht recht ſchoͤn, wie bie Zeit dee Gefahr 
und Neth den in einer anfpruchsiofen, aber gefunden und 
kraͤftigen Seele fchlummernben Deldenmuth, Geiſtesgegen⸗ 
wert und Kiugheit erweden kann, wie ba die Wahrheit 
und das Weſen über ben conventionnellen Schein den 
Sieg davonträgt. Das bedeutendſte Stüd iſt das vier 
actige Drama ,‚Der Auerhahn“. Der Landgraf Deins 
eich der Eifeene von Thüringen kommt nad dem Tode 
feines Vaters, mit dem er in Unfrieden gelebt, auf das 
Schloß Marburg, wo berfelbe geflorben. Ex trifft das 
fesbft die jüngern, unehefichen Söhne feines Waters, Dtt: 
wit, Franz und Albert, bie ee fehr barſch und grob an⸗ 
laͤßt und ihmen feinen Widerwillen nicht verhehlt. Mit 
Entrüftung vernimmt er den letzten Willen feines Ba: 
ters, wornach, nicht wur die unehelihen Söhne reichlich 
ausgeftattet werden fellen, fondern der auch verfüge bat, 
daß des Landgrafen eigene Soͤhne die ihnen nad) ihrer 
Geburt zukommenden Beſtimmungen vertaufchen, ber aͤl⸗ 
tere, Heinrich, ſich dem geiſtlichen Leben widmen, der 
jüngere, Otto, aber Erbe ber Herrſchaft werben ſolle. 
Auch hat der Todte feines Sohnes Tochter Jutta dem 
Ottnit zur Gattin zugedacht. Der eiferne Heinrich tobt 
und wuͤthet; feinen Sohn Dtto ſchickt er nach Köln, um 
ein GBeiftliher zu.werben, ben zarten, frommen, kranken 
Heinrich fchile er, entreißt ihn feinem Lieben frommen 
Berufe, und wie er feiner Schweſter Jutta fein geiftlis 
ches Gewand uͤberlaͤßt, in das fie fi bunt, um dem 
Vater zu täufhen, haut er mit dem Schwert auf ihn 
im Zorn ein, fobaß der Sohn an der Wunde bald flicht. 
Auf die Bitte des Sterbenden jedoch verfchweigt ber 
Kanzler dem Vater, baß er der Urheber von feines Soh⸗ 
ses Tode if. Jutta entflieht, um nicht von ihrem Das 
ter zus Ehe mit feinem Neffen Günther gezwungen zu 
werben. Ste trifft in ihrer geiftlichen Verkleidung mit 
dem wilden Dtto zufemmen und fie fchiffen ben Rhein 
hinab, nad) Kleve, wo Dtto (der Schüp), ohne feinen 
hohen Stand zu erkennen’ zu geben, In einem Armbruſt⸗ 


fdiepen Steger wird, bie Gunſt bes Hubertus von Rice 
umb bie Liebe feiner Tochter Eliſabech gewinnt. Eliſa⸗ 
bet, und Jutta werden Freundinnen und legen ſich mit 
einander, in ihren Kleidern, fehlafen. Otto befanert fie, 
glaubt Eliſabeth ſich untren, weil er Jutta noch immer 
für einen Mann hält und will Beide ermorden; durch 
Ottnit und Günther, die ihm nachgefchlichen, wird er 
abgehalten. Diefe folgen naͤmlich dem Landgrafen, wel⸗ 
des feinen Sohn Dtto zu fuchen ausgezogen if. Aber 
Eliſabeth, im Schreden, gelobt ſich der heiligen Jungs 
frau und bleibe bei ihrem Gelübbe, welches eigentlich 
ſchon ihre Mutter bei ihrer Geburt abgelegt bat. Otto 
geräth außer fi), faßt und ergibt fi) dann, aber, von 
feinem Vater aufgefliftet, will er doch noch einen Vers 
fa machen, feine Braut dem Kloſter wieder zu entfühs 
ven. In finfterer Nacht begegnet er vor dem Kiofter 
feinem Vater, der foeben feinen Kanzler aus Zorn und 
Mistrauen getöbter hat, und Beide, einander nicht erken⸗ 
nend, tödten fih im Zweikampf. Ottnit, der Jutta's 
Satte wird, erbt die Herefchaft; fein Bater bat feine 
Mutter heimlich fi trauen laffen und er iſt vom Kai⸗ 
fee legitimirt. Der Wille des eifernen Landgrafen bricht 
fih an dem Willen bes Schidfale, des Himmels. Seinen 
Titel hat das Stud davon, daf der Sage nad) die Seele 


bes Ahnhern der Fürften von Thüringen in eines Auer: . 


hahns Leib follte übergegangen fein, und fo lange biefer 
Vogel lebte, follte das Hans der Fuͤrſten beftchen. Am 
Anfange des Stuͤcks aber hat Ottnit einen Auerhahn ges 
fhoffen und etliche Federn davon Jutta geſchenkt. Die 
fer Zug rhdt auch dies Drama ganz In den Kreis bes 
Phantafifhen und Abenteuerlihen, dem es freilich fonft 
fon durch die ganze Art der Compoſition angehört, ob: 
wol bin und wieber eine tiefere Charakterzeichnung un= 
verkennbar if. Der eiferne Landgraf 5. B. iſt gluͤcklich, 
wenn auch nicht ganz originell, angelegt, aber Skizzen⸗ 
haftes und Caricirtes miſcht fich dann immer wieber her 
ein und läßt kaum ein tieferes, ruhiges Befühl, einen 
feften und beſtimmten Eindruck aufkommen. Auch der 
wilde Otto, ber fanfte Heinrich, der edle Ottnit, der bes 


fonnene Günther, die kecke Jutta, bie ſchwaͤrmeriſche Eli⸗ 


fabeth find Geftalten, die einer befonnenern Ausführung 
wol werth geweſen wäre. Aber es fcheint beinahe, als 
babe dee Dichter abſichtlich in feiner Darflellung bie rohe 
Einfachheit neben der ungebändigten Leidenfchaftitchkeit 
umd ber Gemuͤthstiefe des Zeitalters, in welches er fein 
Drama verlegt, ſich abfpiegein laſſen wollen. Das Sthd 


iſt zwar im Profa gefchrieben, aber fo, daß ſich mit leich⸗ 


teflee Mühe bie metrifche Form herflellen ließe. 

Mit beharrlicherm Eifer und wol auch mit entfchies 
denerm Beruf ale dem Drama wibmete ſich Arnim ber 
Erzählung im weiteflen Umfang. Das Gebiet der Ers 
zaͤhlung if ein fehr großes, und wenn fie allerdings im 
manchen Gattungen mit der nüchternften Proſa zufams 
mengrengt und fich in ber alltaͤglichſten Wirklichkeit vers 
llert, und das felbft in Werken, denen es weder an Wers 
bienft in mancher andern Beziehung, noch auch an Wels 


fan ſehlt — fo muß man doch anerkennen, daß es auch - 


“ 


ſeiche Gattungen gibt, welche entweder durch bie Bedeu⸗ 
tung der in ihnen veranfchaulichten dee, oder aber durch 
die kunſt⸗- und pbantaflevolle Behandlung und Darſtel⸗ 
ung ber Poeſie nahe gerückt werden, obwol fie durch ihre 
Form von ihr geſchieden find. Und zwar iſt hiermit 
keineswegs nur, ober vorzugsweiſe, das Märchen gemeint, 
fondern folche Erzählungen, deren Factiſches hoͤchſt natuͤr⸗ 
lich fein mag. Ob überhaupt die ganze Gattung ber 
Erzählung aus einer Entartung ber Poeſie ſtanme, bleibe 
bier dahingeſtellt. Genug, bei allen gebildeten modernen 
Nationen (bei den Griechen allerdings erft in den fpätern 
Zeiten der finfenden Literatur) finden wir Erzähler, deren 
Ruhm zum Theil mit dem von großen Dichtern wett: 
eifert, wie Boccaccio, Cervantes; und gewiß gibt es eine 
Linie, wie ſchwer fie auch zu ziehen fein möchte, weiche 
die Erzählung (Roman, Novelle oder wie fie heiße) von 
wirklichem poetifhen Sinn und Werth fcheidet von den 
entweder nur auf Unterhaltung und Vertreibung der Lan⸗ 
geweile berechneten, oder den geiftceichen und lehrhaften, 
bei welchen die Korm ber Erzählung mehr zufällig: und 
willkuͤrlich iſt. Daß auch biefe beiden legten Arten von 
unendlich verfhiedenem Werth fein können und find, 
braucht kaum erwähnt zu werden. Der Gattung ber 
blos unterhaltenden Erzähler, ohne Anfprüche auf Poeſie, 
gehört die große Mehrzahl der modernen Roman: und 
Novellenfchriftfteller Europas an. Zu den lehrhaften und 
geiſtreichen Erzählern kann man mehre moderne Englaͤn⸗ 
der rechnen; von Franzoſen Fendlon und St.:Pierre; in 
Deutfchland die Verf. von philofophifhen, Kuͤnſtler⸗ und 
religiöfen Romanen, Nicolai, Wieland, Hippel, Jung: 
Selling, Klinger; in die Sphäre der Poefie haben fich 
als Erzähler unter den Deutfchen, mehr oder minder, er: 
hoben: Goethe, Jean Paul, L. Ziel, Novalis, Heinrich 
von Kleift (in einigen Stüden wol auch Callot : Hoff: 
mann), Steffens und ganz gewiß auch Achim von Arnim. 
Es ift eben angedeutet worden, daß man zwiſchen zwei 
Arten ber auf Poefie Anfprudy machenden Erzählung un: 
terfcheiden könne; bie eine wäre die, wo eine bedeutende 
philofophifche oder geſchichtliche Ider mit postifcher Frei⸗ 
- beit und kuͤnſtleriſchem Sinne in einer erzählenden Dar- 
fielung veranfchaulidht, aber nicht Ichrhaft erdrtert würde, 
bie. andere biejenige, worin ein merkwuͤrdiges, durch Meus 
heit und Seltſamkeit Intereffe erregendes Factum, fei es 
nun ein mehr dußerlic, = Hiftorifches, oder ein: innerlich: 
piochologifches, aufgefaßt und duch die lebhafte Hinein⸗ 
zeihnung eines von irgend einer Seite wunderbaren Er: 
eigniffes in die gewohnte Autäglicykeit dee poetifche Sinn 
angeregt wird. Dies, fcheint uns, könnte als Unterfchei: 
dung des Romans und der Novelle gelten, und es wäre 
damit zugleidy auch die Wirkungsweiſe beider angebeutet; 
ber Roman wirkt mehr ideell auf den ganzen Menfchen, 
jedoch mittels der Phantafie, die Novelle mehr materiell 
und zunaͤchſt nur auf die Einbildungskraft. Der Ro⸗ 
man will und foll die Welt abfpiegeln und daher ein 
befriebigendes, abgefchloffenes Ganze fein; die Novelle 
wid nur ein intereffantes Einzelne herausgeeifen und 


ein befriedigender Abſchiaß iſt für fie weniger unerlaͤßuch 
Worin fi die Novelle von poetiſchem Verdienſt von der 
nur unterhaltenden Erzählung unterſcheide, dies ift ſchwer 
durch allgemeine Saͤte zu beflimmen; wir find verſucht, 
als ein Hauptunterſcheidungsmerkmal das Vorwiegen bee 
Objecrivieät oder der Subjectivität zu nennen, und erklaͤ⸗ 
ren dies näher fo: die Movelle, ihrem Namen nad ur: 
fprüngtich eine Neuigkeit, eine frappante Begebenheit, und 
zwar aus bee Wirklichkeit, aus dem Leben, fchließt fidh 
mehr an die Gefchichte an; fie ſucht auf das gelegentliche 
Wunderbare, Poetifche im Leben, im Lauf der Welt, in 
der Begegnung und Verkettung der Leidenfchaften hinzus 
weifen und durch den Contraft ber überrafchenden Neu⸗ 
beit mit der anſchaulichſten Wirktichkeit einen Effect ber 
vorzubringen, auf ben die Schidfale der Menſchen unb 
bie Welt beivegenden Geiſt als auf einen poetifchen bin: 
zudeuten und die Perfon und Zuthat des Berf. tritt in 
den Hintergrund zurüd; die Movelle berichtet Wirkliches, 
für das fie Glauben verlangt, oder wenn fie erfunden 
ift, fo beſteht ihr Verdienſt darin, daß fie das Erfundene 
zur Anfchaulichkeit des Wirktichen erhebe. Die unterhal⸗ 
tende Erzählung ift näher dem Maͤrchen verwandt, und 
roie dieſes geht fie darauf aus, der Einbildungstraft und 
ben Berftande nur überhaupt eine Nahrung zu geben; 
gegen die Mirklichkeit der erzählten Thatſachen iſt fie 
gleichgültiger, ja die Erfindung gilt gerade für ein großes 
Verdienſt des Erzählere, der fi wenig Mühe gibt, ge 
möhnlich auch nicht das Talent befigt, durch fehr fcharfe 
und anfchauliche Zeichnung ber Wirklichkeit, durch über: 
rafchende Localfarben und Toͤne eine wirkliche Füuflon 
hervorzubringen. Die Beflätigung obiger Auffaffung ber 
Novelle finden wir 3. 3. in der Sammlung von Bülow 
„Das Novellenbuch“, aus den novelliſtiſchen Schägen 
aller Nationen, bei Boccaccio, Cervantes, und unter den 
neueften beutfchen befonders bei Goethe in einigen klei⸗ 
nern Erzählungen, und bei Heinrich von Kieift (weniger 
bei Tieck, der oft feinem dialektiſchen Geiſte zu viel bie 
Bügel fchiegen laͤßt), und nad diefen Muſtern bat fich 
wol auch Arnim gebildet. ' 
(Die Fortfegung folgt. ) 





Noti;. 


In einer der lesten von ber Geographiſchen Geſellſchaft zu 
Paris gehaltenen Sitzungen übergab Ferdinand Denis, einer ber 
Sonfervatoren an ber Bibliothek Ster-Geneviede, der Geſell⸗ 
haft die Büfle des Dom Heinrich, Infanten von Por⸗ 
tugal, zugenannt ber Geefahrer. Diefe Büfte, von 3. 
ausgeführt, iſt von genauer Portraitähnlichkeit, indem fie nad 
einem autbentifchen Portrait copirt ift, welches fich in einem 
koͤſtichen Manufcript der königlichen Bibliothek zu Paris befin⸗ 
det. Dies — enthaͤtt die Geſchichte der Eroberung 
von Guinea, geſchrieben von Gomez Eanez de Azuram, erſten 
Archivar des Koͤnigreichs Portugal. Verfaßt wurde fie im J 
1453 auf Befehl Alfons’ V., bes Afrikaners. Wis 
1703 befand fi das Manufcript in fpanifchem Beſige, —38 
betrachtete man es als verloren, bis gegen Ende bes J. 1838 
Ferdinand Denis es in der föniglicen Bibliothek zu Paris 
wieder auffand. 18. 


Verantwortlicher Deraußgeber: Heinrih Brodhaus. — Drud und Verlag von 8, 4. Brodpaus in Leipzig. 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Montag, 





Ludwig Achim's von Arnim fämmtliche Werke. 
Deraugeg en von Wilhelm Grimm. In zwoͤlf 
Anden. Erxfter bis dritter und fünfter bis achter Band. 
Erſter Artikel. 
(Zortſegung aus Nr. 13%.) 

Von den bis jetzt erſchienenen kleinern Novellen Ar⸗ 
nim's fallen jedoch einige nicht ganz in die hier charakte⸗ 
rifirte Gattung und find mit maͤrchenhaften, phantaſti⸗ 
fhen Elementen, nicht eben zu ihrem Vortheil, wie uns 
bntt, verſezt. Dahin gehören „Mettd Maria Blain⸗ 
ville, die Hausprophetin aus Arabien”, ein in ben Zeiten 
ber franzöfifchen Revolution fpielendes Märchen, das ganz 
natürlich und vernünftig beginnt, aber in den tollſten Spuk 
austäuft, dee doch mit dem Ernſt und ber Rührung bes 
Fnhalts ſich nicht gut verträgt. „Die brei liebreichen 
Schweſtern und der gluͤckliche Faͤrber“ heißt ein Sitten: 
gemälde und hat in ber That eine Menge anziehender, 
Überrafchender und gemüthlicher Züge aus dem Leben fo: 
wie auch eine tüchtige und gefunde Moral; aber auch bier 
mifche fi ein phantaftifdhes, wunderhaftes Element ein, 
das ganz, unbefchadet dem Ganzen, hätte wegbleiben Sins 
wen. „Fuͤrſt Ganzgott und Sänger Halbgote” iſt nicht 
gerade maͤrchen⸗ und fpufhaft, aber humoriſtiſch⸗ phanta⸗ 
ftiſch und ironiſch; der Dichter macht ſich luſtig über das 
fetbfigefhaffene, nur im der Einbidang und in ber liders 
fättigung beftehende Ungluͤck großer Herten, welchem in 
diefer Erzählung der luſtige Saͤnger Halbgott, ein Bru⸗ 
der bes Furſten, ein fröhliches Ende macht. Ganz durdy 
drungen von dem phantaſtiſch⸗ maͤrchenhaften Element iſt 
die größere Erzaͤhlung„Iſabella von Ägypten, Kaiſer 
Karl des Künften erſte Jugendliebe“. Diefe Iſabella iſt 
die fchöne, unfchulbige Tochter des wegen falfcher Be⸗ 
ſchuldigung eines Diebftahle gehängten Zigeunerfärften 
Michael, welcher fein Volk in feine Deimat, nach Ägyp⸗ 
ten hatte zurüdführen ſollen. Einer Weiffagung zufolge 
foll ein Sohn Bella's und des Lünftigen Behertſchers 
Des größten Theile von Europa, Karls V., der Beherr⸗ 
ſcher der Zigeuner fein. In tiefer Unfchuld, theils durch 
gufällige Verkettung von Umſtaͤnden, theils durch die abs 
fichtlihen Berechnungen Anderer wisd Bella mit bem 
jungen Fuͤrſten befannt und eine innige Liebe verbindet 
Die Herzen Belder, und arglos folgt Bella der Weiffagung 
und dem füßen Triebe ber Natur; aber bald werden fie 


a Te u Eee 





15. Mai 1843. 





buch Misverfländniffe fowie durch zauberhaften Spuk 
getrennt; Karl, zur Herrſchaft berufen, reißt fein Herz 
von bee Geliebten los und dieſe zieht an der Spige ib: 
res Volks, mit reinem Gewiflen und mit einer frohen 
Hoffnung, in ihre Heimat, wo fie, bes ehemaligen Ge: 
liebten mit Wehmuth, doch ohne Meue gebentend, ale 
Königin hochverehrt lebt und ſtirbt. Die ausfchweifend- 
fin Spukgeſchichten, Märchen und abergläubifchen Sa: 
gen von Alraunen, Golems (beiebten Bildern), Bären- 
bäutern u. f. w. find hier eingeflodhten, fodaß Einem 
(dwindlih und wuͤſt darüber im Kopfe wird; aber das 
Geheimniß⸗ und Ahnungsvolle, das Phantaflifhe und 
Schauerliche, was in dem Leben, den Schidfalen, dem 
Stauben, den Überlieferungen und Gitten ded merkwür— 
digen Volks der Zigeuner liegt, ift mit außerordentlichem 
Talent und Gluͤck benutzt und dargeſtellt. Wahthaft 
tragiſch iſt der Contraſt des Titels und der Wuͤrde von 
Michael und Bella, die von den Ihrigen als Fuͤrſten 
verehrt werden, mit ihrem Schickſale und Ihrer Behand⸗ 
lung unter Fremden. Die Unſchuld, die hohe Reinheit 
Bella's, ihre tiefe, Innige Liebe, ihre gewaltige Natur: 
Craft machen fie zu einer hoͤchſt rührenden Geftalt und 
bie merkwürdigen fpdtern Geſchicke Kaifer Karl’s V. wers 
den von dieſem Maͤrchen aus mit einem ganz eigenthuͤm⸗ 
lichen Lichte beleuchtet. Die lebendigſte Anſchaulichkeit, 
bie energifchite und dabei doch zarte Färbung zeichnet bie 
nicht geradezu märchenhaften Theile dieſer Erzählung aus. 
San; im Ton ber Novelle gehalten find: die ,Ehens 
fhmiede”, ‚Die Verkleidungen bes franzoͤſiſchen Hof: 
meifters und feines deutfchen Zoͤglingga“ und ‚Dee tolle 
Invalide auf dem Korte Ratenneau”. Die erfle Er: 
zaͤhlung ift allerdings nod etwas ercentrifh und abens 
teuerlich, allzu bunt umd überladen und erinnert etwas 
an Sallot: Hoffmann, bach herrfcht neben dem allzu außs 
fhweifenden Humor eine wirklich ergögliche Laune. Dee 
Verf. findet fih auf englifch:fchottifchem Boden fo Hut 
zu Haufe wie auf deutſchem. In ber zweiten Erzaͤh⸗ 
ang iſt eine vecht gut erfundene und ſpannende Be 
fchichte fehr artig vorgetragen, und der Charaktere des 
Hofmeiſters iſt ebenſo originell als anziehend — ein ech⸗ 
ter Novellencharakter. Nicht minder trefflich iſt der tolle 
Imdlide, der, In Folge einer Verwundung am Kopfe, 
die er fruͤher in Deutſchland erhalten und von welcher 


er durch die Pflege eines deutſchen Maͤdchens genefen iſt, 
das er fobann gebeirathet, wahnfinnig geworben, von dem 
Fort ans, wohin er als Feuerwerker geſchickt iſt, bie 
ganze Stadt Marfeille bedroht und ängflige, bis fein 
tremes Weib mit feinem Kinde es wagt, dem Wuͤthenden 
entgegemzutreten und ben Sieg uͤber den böfen Dämon 
daventräge. „Gnade loͤſt den Fluch der Sünde, Liebe 
treibe den Teufel aus”, fchließt dieſe Erzählung Der 
feanzöfifche Nationalcharakter ift hier und in ber vorher: 
genannten Novelle recht glüuͤcklich und anziehend geſchil⸗ 
dert, „Die Majoratsherren” iſt eine hoͤchſt wunderliche 
Erzaͤhlung. in ſehr reicher, krankhaft verſtimmter Das 
joratoͤherr kommt, um fein praͤchtiges, reiches Haus zu 
übernehmen. Er faßt eine Neigung für eine ihm gegen: 
übeewohnende wunderfchöne Juͤdin, Eſther, die von ihrer 
Stiefmutter zu Tode geplagt, am age ihrer Hochzeit 
mit einem armen Juden flirbt; der Schmerz, ober das 
Trinken aus einem Safe Wafler, das bei der Sterben: 
ben geftanden und in weichem ber Todesengel fein Schwert 
abgewifcht haben fol, tödtet den Majoratöheren. Sein 
Erbe wirb ein biutaemer, alter Lieutenant, der einer als 
ten Hofdame nunmehr feine Hand reicht, welcher er ben 
Geltebten vor Zeiten im Duell getöbtet. Aber beide le⸗ 
ben aufs elendefte miteinander; nad) ihrem Tode, unter 
der Franzoſenherrſchaft, kauft die böfe Stiefmutter Vaſthi 
das Haus und legt darin eine Salmiakfabtik an; fo 
„trat dee Credit an die Stelle des Lehnrechts“. Jnter⸗ 
effant iſt die Schilderung mancher Sitten, Bräude und 
Meinungen dere Zuden. „Owen Tudor“ führt dieſen 
Namen von einer eingeflochtenen Epifobe, welche, weil 
ziemlich, mÄrchenhaft, weniger fpannt als bie Erzählung, 
weiche den Rahmen bildet und beren Mäthfel eigentlich 
nicht gelöft wird. „‚Angelica und Gosmus’ hat uns 
am weniofien angefprochen; es iſt das Wiederfinden einer 
Mutter und ihres Sohnes, die vor vielen Jahren ges 
trennt worben find, ba Legterer das Kind eines erſten Gat⸗ 
tem iſt, mit welchem jene heinilich vermählt gewefen. Die 
Ciferfucht des zweiten Gatten hat kaum einmal eine Bes 
ung erlaubt, bei welcher der Juͤngling, in thörichtem 
ahne, die zärtliche Liebe des Mutter ganz falfch gedeus 
tet bat. Dies iſt ſtoͤrend für das Gefuͤhl. Auch fonfl 
iſt dieſe Erzählung wunderlich und ungleich. 

Noch find die zwei geofen Erzählungen, die „Gräfin 
Doelores“ und bie. „Kronenwächter” übrig, in weichen 
Arnim feine ganze reiche Kraft zufammengedrängt zu ha⸗ 
ben ſcheint. Dieſe umfaflienden Werke nähern fich ziem⸗ 
lich dem Roman, wie ibn Jean Paul behandelt hat, 
wrbinben aber den Kon feiner ernften und feiner humo⸗ 
siftifchen Romane, des „„Defperus” und „Titan“ auf ber eis 
men, des „Siebenkaͤs“ umd der, Flegeljahre auf der andern 
Seite und neigen, flatt zum Gentimentalen, mehr zum 
Ppansafifchen hin. Überhaupt laͤßt ſich Arnim als Ver⸗ 
mittler zwiſchen den Romantikern und Jean Paul anſe⸗ 
hen, welcher doch bekanntlich dieſer Schule nicht hold 
wor, fo Manches er mit ihr gemein hatte. An Bes 
rühmmheit koͤnnen fi die genannten Werke von Arnim 
entfernt nicht mit denen von Sean Paul meflen, und 





auch nicht au Popularität, obgleich es, fürchten wir, im 
neuern Zeiten Diele gab, die Jean Paul priefen umb 
Über ihn urtheilten, ohne feine größern Werke auch nur 
recht zu kennen, da deren Lecture fchon eine größere Hin⸗ 
gebung srfobert, als Manche ihr zu wibmen geneigt fein 
mögen. Dies Urtheil der Nation wird wol feinen Grunb, 
es wird Recht haben; indeß fällt eine Vergleichung beiber 
Autoren nicht in allen Städen zum Nachtheil Amim’s 
aus. Ruͤhmen darf man an Arnim die im Ganzen 
Sernigtere, gebiegenere, charaktervollere Sprache, gegenüber 
von Jean Panl's Sprüngen, Ausrufungen und ge 

then Unarten, das treuere Anfchließen an das Poſitive 
und Wirkliche in Sitte, Geſchichte, ‚ feinen 
Reichthum an Anfchauungen aus dem Keben, während 
Jean Paul fo unendlich vie Anfpielungen und Retigen 
aus der Schule, aus allen erfinnlichen Wiſſenſchaften 
berbeiholt; feine vertrautere Bekanntſchaft mit den hoͤhern 
Sphären ber Geſellſchaft, während er doch auch eine be 
wundernswerthe Kemntniß der Art und Sitten ber nie 
derſten Stände überall am den Tag legt, und endlich 
auch das Hinſtreben feiner Erzählungen zur wirklichen 
Poeſie, in welche fie gelegentlich, tie von einer undber 
windlihen Macht getrieben, übergehen. Gar manche Bes 
dichte find dieſen größern, wie auch den kleinern Eczaͤh⸗ 
lungen einverwebt, als integrisende Beſtandtheile, und 
fie find theilweiſe won unbeſtreitbarem Verdienſt durch 
Eigenthuͤmlichkeit der Form und bes Inhalts, durch die 
glüdtiche Kühnbeit, womit fie, was für die Poeſte zu 
fern oder zu nahe fcheinen koͤnnte, ergreifen und bewaͤl⸗ 
tigen, durch Tiefſinn und Zartheit nicht felten mit bem 
Ihönften Lieben von Viel und Novalls wetteifernd. 
Aber Häufig find fie auch dunkel, unklar, myſtiſch, er⸗ 
fheinen wie ein den Lefer neckendes und Affendes Spiet 
und führen wie In eine Sackgaſſe wunberliger Gedanken 
und Empfindungen. Dieſer poesifche Hauch über umb 
in Arnim's Erzählungen erklärt vielleicht, obwol in eines 
Dinfiht ein Vorzug, mit die geringere Gunft, die fie 
beim Publicum gefunden, denn viele behagliche Leſer 
fheuen, wenn fie zum höchften Genuſſe mit faft paffivens 
Geiſt darauf loslefen, in einem Roman Verſe, wenn fie 
nit kurz find wie auf einem Albumblatt, und Plar wie 
Waffer, Ärger als „der Teufel ben Weihrauch” und geben 
eine fo flörende und anſtrengende Lreture lieber auf. 
Diefe Traͤgheit iſt wicht loͤblich; aber auch wer baven 
frei iſt, kann fich Leiche ſtoßen am der Vermiſcheng Dre 
Poefie mit der Profa, weil fie etwas Zwitterhaftes au 
fih bat, zumal wenn bie Pasfie allzu oft, wenn fie nicht 
am angemeflenften Drte, einen Ruher oder Eniminations: 
punkt bilbend,, oder fonft befriedigend motiviet, eimtrkt, 
zumal aber wenn fie nicht volkommen Bar und mit Dem 
Ganzen harmoniſch if, wie 5. B. bei Cervantes, ober ia 
Goethes „‚Wityetn Meier”. Die vonwiegende poetiſch⸗ 
phantaftifcye Compoſition uͤberhaupt bei Arnim fagt einem 
groͤßern Publleum weniger zu als der elegiſch⸗gemuͤthtiche 
Charakter von Jean Paul's ernten irren. Sean Paul 
wendet fih zunaͤchſt am das gewöhnliche, allgemein⸗ 
menfchliche (vielleicht richtiger: an das Dausfchegenakthliche) 


Bewaßtſetn, das er dann allmaͤlig, oft aud mit Tas 
hen, gewaltfamen Sprüngen und Übergängen, in einen 

irdel von füßen, fehmerzlichen, erhebenden, ſchwaͤrmeri⸗ 
fchen, träumerifchen und ſchmelzenden Gefühlen und Ideen 
hineinrrißt, doc) immer wieder auf den Boden der Wirk 
fichkeit zuchetverfegt. So feltfam nun auch bie Einfuͤh⸗ 
sungen und Einkleidungen bei ihm find, fo wunderlich 
feine humoriſtiſchen Abfchweifungen, fo überfhwänglich 
feine Entzuͤckungen, fo unberechenbar feine Launen, fo 
bunt und regelbar feine Darſtelung durch alle denkbaren 
Bilder, Bergleichungen, Anfpielungen: iſt doch das eigent⸗ 
fiche Gewebe feiner Fabel einfach, plan, das gewöhnliche 
Bewußtſein anfprechend; meift iſt es die Geſchichte ber 
Erziehung, der Bildung, der Liebe und Leiden von Juͤng⸗ 
lingen und Mädchen, wie alle gefühloollere Jünglinge 
und Aungfrauen, unter veränderten dußern Berhäftnifien, 
fein zu koͤnnen glauben oder wünfchen. Aber dies allges 
mein Menfchliche (mas wenigſtens uns dafür gilt) in 
Gefühlen, Ahnungen, Gedanken, Strebungen und Leidens 
fhaften bat Jean Paul mit bewunderungswärdiger Tiefe 
und Wärme dargeſtellt, ee iſt Unzaͤhligen der beredte, be: 
geiſterte Deuter ihrer nur halb bewußten Empfindungen 
geworden, und das Feuer des tieffühlenden Autors vers 
bindee fich mit der Glut jugendlicher Gemuͤther, die er in 
dem Paradies ihres eigenen Herzens erſt recht einheimifch 
macht. Die allgemeine Denfchennatur (innerhalb einer 
gewiffen Bildungsiphäre) hat er vortrefflich erkannt und 
selhildest, und wenn er als Philofoph tiefe und allges 
meine Wahrheiten über fie ausfprach, war er dabei auch 


Dichter genug, um einzelne Charaktere individuell genug | 


ſchildern, fie. mit eigenthümlichen Zügen ausflatten zu 
koͤnnen. Arnim iſt weniger Philofoph, weniger aufs AU: 
gemeine gerichtet, dad Individuelle zieht feinen poetifchen 
Geiſt mehr an und es treten baher bei ihm beflimmte 
Ideen weniger Mar hervor, fie find wenigſtens nicht fo 
allgemein anfprechend wie bei Jean Paul. Die Anlage ſei⸗ 
ner Werke ift minder Elar, man verliert cher ben Haben, 
man wird von der Fuͤlle von Seflalten und Gedanken, 
welche ſich ohne bie gehörige Entwickelung und Unterorb: 
nung unter einen überfichtlichen Plan herandrängen, bei: 


nahe erdruͤckt. 
(Dre Deſcqhluß folgt.) 





Gin St.s3ohannid: Zag in dem Pyrenden= 
Departement des Arritge. 


Der St.: Iohannistag iſt in den Departements bed mittaͤg⸗ 
lien Frankreichs ein Feſt, in welchen die Gebräuche des grauen 
Heidenthums ben Gewohnheiten der chriftlichen Ara die Hand 
zeichen; bie Macht der Zrabition ift hier nicht nur flärker ge: 
weſen als der Wechfel der Zeiten, Tonbern, was mehr ift, fie 
bat den durch abweichende Religionsmeinungen erzeugten Haß 
der Volker Aberwunden, und die Jammen, welche am 24. Juni 
in Frankreich von allen Plägen ber Dörfer und Städte zwiſchen 
dem Dcean und ber Nhone zum Himmel emporlodern, find nad) 
der Verſicherung St.» Bernharb’s eine Überlieferung der Sara⸗ 
enen und Zürten. Court be Gebelin beftätigt die Meinung 
jenes Helden bes Soangellums, indem er behauptet, daß die von 
den Drientalen zu Bezeichnung ihres Sahredanfangs um bie 
Zeit des Solſtitiums angeziimbeten heiligen Feuer in bie Johan⸗ 


niefeuer ber Ehriſten übergegangen fein. ee aber noch, aid 
die Angabe jener beiden Sewaͤhrsmaͤnner, ſpricht ie füs 
den erwähnten Usfprung ber Iehannisfeier bei ben Chriſten des 
Umftand,, daß gerabe bie Bewohner der am Iängften der Maus 
renherzfchaft verfallen gebliehenen Provinzen des fübfichen Brants 
reichs die größte Anhaͤnglichkeit für die Flammen des 24. Juni 
zeigen. Der täglich mehr zunehmende Holzmangel wird in der 
Racht St.» Jean vergeffen und wenige Zage nach bem Fefte 
ſchon fieht men in allen Pyrendenbörfern den Baum wieder ers 
Keen, weicher verheißungsvoll der naͤchſten Feſtlichkeit entgegen 
harrt und wm weichen fich demnaͤchſt ein großer Scheiterhaufen 
auftyärmen fol. Diefer Baum iſt gemiffermaßen die Partei 
fahne des Orts, der Ausdruck ber ailgenieinen Sympathie; um 
ihn reihen fih von Allen getheilte Wünfche und Hoffnungen für 
das naͤchſte Jahr, an ihn ſchließt ſich die Werfchiedenheit ber 
Formen an, weiche die Gitte der Hrtlichkeit feit Jahrhunderten 
für das Feſt geheiligt hat. Hier ziehen Jung und Alt in Pros 
ceffion mit frommen Gefängen bee Brandftaͤtte zu, welcher der 
Gegen des Priefters und bie Gebete der Anwefenden eine höhere 
Weihe geben, und die vom Feuer nur halb verzehrten Reſte des 
Holzes werben als wunderthätige Reliquien forgiam gefammelt 
und am häusi.chen Herde aufbewahrt; dort wieder vereinigt fich, 
weniger devot und der ungebundenen Bröhtichkeit ergeben, die 
Bevölkerung in ungeregelten Fluten um das heilige Feuer; Maͤn⸗ 
wer und Frauen wirbein in bunter Reihe und, indem fie ſich 
zum Kreife bie Bände geben, jubelnd um bie praffeinden Flam⸗ 
men; bier werfen fi) junge Burſche und Mädchen Kränze und 
und ins Kreuz gebundene Blumenſtraͤuße zu und ſagen ſich 
fo ohne Worte eine bis dahin verfchwiegen gebliebene Zuneigung; 
dort fpringen bie Gewandteſten über die hochaufſchlagenden 
Blammen , die weniger Khhnen über die bereits der Afche ver- 
fadende Kohlenglut und glauben, baß der Sprung fie während 
bes Jahrs vor mancherlei Krankheiten ſchuͤge; dort wirder wird 
die noch gluͤhende Aſche in alle Winde zerſtreut, damit gleich 
r das lauernde Ungluͤck zerſtreut ſei. 

Auch in St.Girons, einem Staͤdtchen des Pyrenaͤen⸗ 
Departements Arriege, wo ich einen Theil des Sommers 1842 
zubtachte, hatte ein rieſiger Gcheiterhaufen die ganze Einwoh⸗ 
nerfchaft um ſich verfammelt, Der jüngft verheirathete Ehe⸗ 
mann hatte, dem Gebraude treu, den großen Baum in bee 
Mitte des Holzſtoßes geliefert und ber Präftbent des Tribunals 
hatte bie entzuͤndende Kadel in das Reiſig geſchleudert. Balb 
war burdy den Glanz der bis zu einer außerorbentlidhen Höhe 
fi erhebenden Flammen bie monphelle Nacht in tiefe Dunkel⸗ 
heit verwandelt, und es waren bie zahlreichen Feuer, weiche 
von der nahgelegenen malexifchen Gebirgékette des Surroc und 
von antern Ausläufern bee Pyrenaͤen in das Thal herableuche 
teten, zu Sternen zweiter Ordnung inabgefunten ; in bem 
Gezweige ber den Schauplatz umgebenden Bäume unb Hecken 
und in den Nifchen, Fenſtern und Gculptuven ber nahen urals 
ten Kirche St.» Ballier ſpielten magifche Lichter, während ein 
wilder, von Hunderten junger Leute bes Orts gebilbeter Reiben 
19 reißend fihnell um ben brennenden Scheiterhaufen herum⸗ 
ewegte. 

Deute ſollten feibft Elemente des fernen Nordens ſich bruͤ⸗ 
derlich dem Feſte des Suͤdens beigeſellen. Die Bonerationen 
des Staͤdtchens verſammelten ſich zu einem Quartett, welches 
Schreiber dieſes Auffanes feit kurzem in St.⸗Girons fi zu 


ſchaffen glüdtic genug gewelen war und bei weichem die mufle 


kaliſche Organtfation der Bewohner mittäglicher Linder balb 
ben alten gebiegenen Meiftern deutſcher Kunft, Beethoven, Haydn, 
Mozart, huldigend entgegengelommen war, 

Das herrliche Allegro virace des erfien der drei Haydu 
geroftmeten Quartetts von Mozart aus E-dur war eben vers 
tungen, ber koͤnigliche Anwalt wandte, faſt erfchredt, vie 
Augen nad ber eben bie nahe Mitternacht verfünbenden Pen⸗ 
dule und legte feufzend feine Wratfche in den Kaften, um, wie 
ee fagte, durch feine Worbereitung zum morgenben Vortrage 
noch einen Raubmörber zum Gandibaten bes Wells zu ſtempeln. 


Der Praͤſtbent des Tribunalt, ein junger liebendwärbiger Mann 
aftlicher hrer der Muſik, nannte ſolche Abſich⸗ 
ten der Gerechtigkeit eine Catweihung ber Kunfl und ergriff 


bochaufrantende 
verwanbelten Galerie, die, von ben @lasthüren meiner Woh⸗ 
nung aus, auf ber alten Stadtmauer entlong lief und meinen 
von Drangenbiäten, Rachtviolen und Reſeda buftenden Garten 
von der in voller Bluͤte fiehenden und durch Nachtigallen bes 
vötferten Lindenallee der oͤffentlichen Promenabe ſchied. 

Ein unter dem allgemeinen Aufbruche von mir an einen 
jungen Daler aus Paris gerichteter Wink fagte biefem, meinem 
- tzeuen Gefährten auf manchem Ausfluge ins Gebirge, daß ich 
och heute ihm einen befondern Worfchlag zu machen habe. Nie 
hatte ich den oft Wochen lang in feinem Atelier begrabenen 
Künftier getäufcht, wenn ich, ber unbeſchaͤftigte, aber deshalb 
eben des Landes und feiner, intereflanten Eigenthuͤmlichkeiten 
tundige Fremde, ihm eine überraſchung zu bereiten verſprach 
Auch ergriff ex mit Lächeln, aber willig und ohne weiter mit 
* in mich zu dringen, den Gebirgeſtock, ben ich ihm 
cqhweigend und geheimnigvoll darreichte; wenige Minuten fpäter 
batten wir ſchon die Stadt, von deren beiden Thuͤrmen eben 
in langfamen Schlägen bie zwoͤlfte Stunde der Nacht herabs 
Hang , binter uns. 

In uns verfunten, wol beibe gleich fehr von bem Zauber 
der unter den Strahlen des Vollmonds ſchimmernden Juninacht 
bebevrfcht, wanderten wir ſchweigſam durch bie taahellen, von 
grünenben Hecken eingefhloffenen Saatfeider und Weinberge des 
Böftlichen und, gleich einem Korb voll Fruͤchte und frifcher Blu⸗ 
men, im Schooſe feiner Berge ruhenden Thals von St.⸗Girons. 

Wir mochten eine Viertelſtunde in füdlicher Richtung ges 
gangen fein, als ber diefe Fluren bemwäflernde und in einem 
zerriſſenen Felſenbette hinabftürmende Salat uns durch fein 
Raufchen feine größere Nähe anfündigte. Hier, in nur gerins 
ger Entfernung ſuͤdlich von St.⸗Girons, endet mit einem gro⸗ 
fen Gutsgebaͤude die Region der fruchtbaren Ebene um bie 
Stadt; das Thal erleidet hier eine jener plöglichen Werengungen, 
welche einen der Gharafterzüge ber Pyrenaͤenwelt bilden. Cine 
Schlucht laͤßt dem Anbau nur wenig Raum noch zu feiner Ents 
widelung übrig; der Bergſtrom raft bieht neben dem Wanderer 
bin, table, fleinige Berge, auf welchen magere Heerden nur 
nothbärftige Nahrung finden, flarren rechts und links von ben 

bed Stroms empor; zumeilen nur deutet dort oben noch 
sin Heines Gehoͤlz oder ein vereinfamtes Gehoͤft eine ben Schweiß 
des Menſchen belohnende Strecke des Bodens an; bier und da 
wagt eine Mühle ihre in ftarke, maffive Mauern eingefchloffene 
Induſtrie dem Strome anzuvertrauen, ber vom Kochzebirge und 
deffen wanbelbaren Saunen bad Beleg empfängt; bier und da 
öffnet auch wol in ben Blanfen ber Berge eine Höhle ihren 
naͤchtigen Schtund, neben weichem ber durch die Scenerie umher 
verbüfterte Tag fich wieder aufhellt. 

In diefer Einöbe fahen wir, trot der vorgerüdten Stunbe 
ber Macht, dennoch häufig in die weißen, felbft ben Kopf durch 
eine Kapuze bedeckenden Mäntel bes Landes eingehüllte Geftal- 
ten uns zur Seite herfchleichen und, als bie Zahl folder zum 
Theil auf Kruͤcken ſchwankender Nachtwandler ſich mehrte, rief 
mein Begleiter aus: „Sie wollen mich zum Sabbat fuͤhren!“ 
mBielleicht‘‘, erwiderte ich, „wenn anders ber Teufel an der Fin⸗ 
fterniß fein Wohigefallen hat, die ihre Kortbauer in dem Claus 
ben der Einfalt gefichert ſieht. Ich bringe Sie zu ber foges 
nannten Fontaine du genou, bie in ber St.⸗Johannisnacht 
zwifchen 12 und 1 uhr mit fo mwunberfräftigen Eigenſchaften 
ausgeftattet ift, baß fie die von Gebrechen heimgeſuchten und 


nach Eridſueg von denfelben ſchmachtenden Bewohner ber gan 
gen ee zu fi binzieht." 

Sch hatte diefe Erfiärung zu unferm naͤchtlichen Skrei uge 
faum geendet, ale ein bumpfes Gemurmel von Denfchenftim: 
men, wie das GBrollen der balbberubigten Meereswogen am 
Strande, zu unfern Ohren brang, noch che wir ben Ort, von 
wo es audging, unterfcheiben tonnten. Die Begenflänbe vor 
uns wurden inbeffen mit jedem Schritte deutlicher und es ent 
— ſich endlich in ber Helligkeit des Mondlichts ein Schau⸗ 
piel vor uns, wie ich ein aͤhnlichcs nicht geſehen habe. 

Man denke fich eine waflerarme Quelle, die von ben sum 
wirthlichen Höhen bes das rechte Ufer bed Salat überragenden 
Gebirge herabſteigtz am Buße des letztern fängt eine kleine Bexs 
tiefung im Boden bie wunderthätige Flüffigfeit auf. Um biefes 
Loch herum , deffen Waffer durch die ſich zu feinem Gebrauche 
brängende Menge alsbald in bien Schlamm verwandelt if, 
singen ſchreiend, bittend, deobend Hunderte von Menſchen um 
den Vorrang; benn Keiner will bie entſcheidende Stunde von 
Mitternacht bis 1 Uhr und mit ihr fein Heil auf Erben, feine 
Geſundheit, vielleicht fein Leben verfchergen. Der Kräntere und 
Schwaͤchere erliegt dem gefundern und fräftigern Rebenbuhler, 
die Riedergefallenen fuchen ſich Eriedhend einen Weg zwildhen 
ben Beinen ber zum Biel Gelangten und vor ihnen Stehenden 
zu bahnen. Bis weit hin von ber Quelle ab fiebt man auf 
der bloßen Erbe, oder auf Karren ober Tragbahren burch ihre 
Reiben, oder durch ihr Alter zu jeder felbfländigen Bewegung 
unfähig gemworbene Männer und rauen ausgeſtreckt und von 
der Freundfchaft ober Liebe ihrer Angehörigen einen Raub an 
dem erjehnten Heilquell erwarten; bier und ba liegen Kranke, 
welche bereits zur Quelle gelangt waren, ober aber bei bem 
allgemeinen Sturme jede Hoffnung aufgegeben haben, ben Zweck 
ihrer Reife zu erreichen, von der Müdigkeit überwältigt und 
auf dem feuchten, Falten Boden in tiefen Schlaf verfunten. 
Grauen, von ber zeugung ber bier allein noch möglichen 
Rettung beherrſcht, vergeflen jedes Gefühl der Scham und 
entblößen ſich faſt vollſtaͤndig, um bie leidenden. Theile ihres 
Koͤrpers in das wohlthaͤtige Waſſer der Quelle zu tauchen; 
Burſche von 15 — 16 Jahren ſuchen ganz nackend durch bie 
bichte Maſſe der Gläubigen Hinburdygubringen, um ſich in dem 
ſchiammigen und eislalten Wafler niederzumerfen, Kinber von 
zwei bis drei Jahren werben durch ihre Mütter entkleidet und, 
troß& ihres berzgerreißenden Geſchreis, ber Friſche der Nachtluft 
ausgefest und in die Fontaine du genou getaucht — fo fann 
ſelbſt das heiligfte Gefeg der Natur, die Mutterliebe, durch den 
Abergiauben zum Mörder werben! 


(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifhe Notiz. 


Viet mine Brantzeine 

ictor Hugo bat nur einen Griff in bie fran 8 
(dichte gethan, aber in mehren Scenen feines A 
iſt das mittelalterliche Leben aufs meiſterhafteſte gezeichnet. 
Sein Bruder Abel hat ſich ganz der Geſchichte Frankreichs zu⸗ 
gewendet. Wir haben bereits mehre Werke aus feiner Feder 
erhalten, in benen er dieſelbe auf eine wuͤrdige Weiſe behan- 
beite. Namentlich bat feine „France historique et monumen- 
tale”, fein letztes Buch, einen großen Beifall gefunden, den c# 
auch wirklich verdient hat. Cs ift gegenwärtig mit ber 
3. Lieferung abgefäloffen. Abel Hugo verdankt feinen Ruf, 
wie bad vol zumeilen zu gefchehen pfleat, nicht etwa Lebig- 
lich feinem berühmten Bruder, ſondern er würde fich durch 
feine gewiffenhaften Arbeiten, auch wenn berfelbe feinen Namen 
nicht unfterblich gemacht hätte, bekannt gemacht haben. Seine 
Werke find zwar meiftens nur Gompilationen, aber biefelben 
find mic Fleiß, Sorgfalt und Genauigkeit gemacht, und der Stil, 
in dem fle abgefaßt find, ift lebendig und gewandt. 2 


Berantworiliier Serausgeber; Heinrich BroEhaus. — Drud und WBerlag von B. A. Brodhaud in Leipzig. 


Blatter 


für 


literarijde Unterhaltung. 





Dienflag, 





Ludwig 
eraußgegeben von Wilhelm Grimm. In zwölf 
aͤnden. 


Erſter Artikel. 
(Beſchluß aus Nr. 135.) 

„Armuth, Reihthum, Schuld und Buße ber Graͤfin 
Dolores. Eine wahre Gefchichte, zur Ichrreichen Unter: 
haltung armer Fräulein aufgefchrien” Fülle zwei ſtarke 
Binde. Das Skelett dieſer Erzaͤhlung iſt dies: Ein 
Graf, Minifter eines Fürſten, bat em Schloß gebaut, 
welches den Neid diefes feines vieljähriaen Freundes ers 
regt und fie fcheidet; der Graf verarmt, reift heimlich 
nah Indien ab, feine Sattin ftirbt vor Kummer, und 
die zwei jungen Gräfinnen Klelia und Dolores leben 
allein, in Eläglichfler Armuth, auf dem von Gläubigern 
ausgeplünderten, im Krieg unverkäuflihen Schloffe und 
deffen Garten. Der junge Graf Karl, ein Mann von 
hohem Geiſt, tiefem Gemüth; vielfeitigen Zalenten 
und Kenntniffen, lernt fie auf einer Ferienreiſe ten: 
nen, verliebt fih in bie jüngere, muthwillige, unge: 
zogene, wilde Dolores und heirathet fie, nach einigen 
Entzweiungen und Berföhnungen, da er Erbe reicher 
Güter geworben if. Sie leben in Freude und Herrlich⸗ 
Leit zuerft auf dem Lande, dann in ber Stadt; aber der 
Charakter des innigen, gemürhvollen Grafen flimmt mit 
der ausgelaffenen und Taunenhaften Dolores nicht recht 
zufammen; er wird oft von ihr verlegt und halb an ihr 
irre. In der Stadt ſchenkt fie dem Grafen einen Sohn 
und bleibt deshalb dort zuruͤck, während der Gatte wie: 
der aufs Land gehe. Ein Marcheſe D.. iſt ihr Haus⸗ 
freund geworden; durch feine gefelligen Talente, feinen 
Geiſt, durch magnetifhe Manipulationen und vermöge 
ihres eigenen Leichtfinns und ihrer Eitelkeit verführt er 
fie und verläßt fie dann. Er tft, mie fid) nachher zeigt, 
Der Gatte ihrer Schmefter Klelia, ein ſpaniſcher Herzog 
von I..., ben diefe in Stallen gebeirathet hat und mit 
dem fie in Sicilien lebt. Der Graf, von Ahnung und 
Verdacht gequält, flieht, kehrt aber bald wieder zu Dolo⸗ 
res zuruͤck. Diefe gefteht ihm ihre Schuld; er fucht ſei⸗ 
nen Tod baburch herbeizuführen, daß er fie ein geladenes 
Gewehr auf ihn abdrüden läßt, wird aber nur ſchwer 
verwundet und gene. Er ſucht auf einer Wallfahrt 
Beruhigung und trifft an dem Waulfahrtsort bie reue⸗ 


volle, ganz umgewandelte Dolores, die auch bort Erleich⸗ 
terung ſucht. Kine Herzliche Verſoͤhnung erfolgt; doch 
verlaffen fie Deutſchland und reifen nach Sicilien zu 
Klelia, deren myſterioͤſer Gatte geſtorben ift und fie ohne 
Kinder, aber im Befig großer Güter zurücgelafien hat. 
Gluͤcklich und begluͤckend leben die drei Menfchen; Dolo⸗ 
res gebiert dem Grafen zwölf Kinder und lebt gang ihren 
Mutterpflihten. Der zweite Sohn, ein Jahr nah Do⸗ 
lores’ Sünde geboren, geht, trotz aller Vorftelungen und 
Bitten feiner Ältern, im dreizehnten Jahr in ein Kofler. 
Das Glück der Familie erleidet eine Störung durch bie 
Ankunft der Fürftin in Sicilien, welche für den Grafen 
eine heftige Neigung faßt, während er, ganz arglos, nur 
an ihrer Unterhaltung Gefallen findet. Dolores empfin: 
bet den tieflten Kummer, aber um ihre Buße zu vollen: 
den, will fie fchmweigend dulden. Das Misverftändniß 
wird aufgeflärt, aber Dolores ſtirbt 

an bemfelben Zage, in berfelben Mitternachtsftunde, in wels 
her fie vor 14 Zahren die heilige Treue gegen Gott und 
ihren Mann gebrocdyen, jedoch innerlich beruhigt: ſich erfreuend 
der unmandelbaren Liebe ihres Karls. Nie fühlte fie fich ihm 
fo nahe; ihre Fehler waren ihr ein frembes, abgelegtes Kleid, 
wie ihr Körper; fie füpite ſich durch ihre Buße ihrem Mann 
und der Welt verföhnt, fie fcheute ſich nicht, eine Ewigkeit zu 
bleiben, wie fie in ben Augenbliden geworden, und ein Rüd: 
blick in das veränderliche, fterbliche Leben machte ihr Schmerz. 


Schon diefer nadte Auszug mag bemeifen, welch ein 
eigenthümliches und ſchwieriges Thema der Dichter ſich 
für feine Erzählung gewählt hat. Es zeugt von einer 
ungemeinen Kühnbeit, wenn ein Autor von fo tiefem, 
ſittlichem und religiöfem Gefühl ſich die Kraft zutraute, 
feinee Heldin nah einer folhen Schuld flatt der Ver⸗ 
föhnung durch alsbaldigen Tod, oder durch Scheiden aus 
der Welt in die Einfamkeit und Stille des Kloſters, die 
Verföhnung im Leben, durch Liebe, Thätigkeit Pflicht 
erfüllung zu Theil werben zu faffen, ohne daß ein jlören- 
des Gefühl zuruͤckbleibe. Uber gerade duch die Xiefe 
und Junigkeit feines fittlihen und religiöfen Gefühle iſt 
ihm dies auf bemunderungswertbe Weiſe gelungen; bie 
Berföhnung der Gatten durch Entfündigung von Oben 
Mt meifterhaft motivirt und dargeſtellt. Auch die Ver⸗ 
wandlung des ganzen Charakters dee Dolores iſt fehr 
ſchoͤn gedacht. Der Charakter des Grafen iſt ein Bild 
edier, ruhiger, ſtarker Männlichkeit, amd fein Streben, 


0.548 


feine Thaͤtigkeit, feine Geſinnung treten uns nicht in all: 
gemeinen Andeutungen, in nebelhaften Umriſſen, ſondern 
in anfchaulich gefchilderten concreten Verhaͤltniſſen Mar und 
anfprechend entgegen. An diefe Dauptperfonen aber hätte 
ſich, unſers Beduͤnkens, der Dichter ausſchließlicher hal: 
ten, daneben nicht fo gar viele andere, die jedenfals zum 
Theil entbehrlich, oder zu weitläufig behandelt find, auf: 
treten Laffen, die häusliche Familiengeſchichte nicht fo, wie 
er getban, mit Staats: und Regierungsgefhichten und 
Intriguen und noch weniger mit abenteuerlichen, maͤr⸗ 
chenhaften Elementen verfegen, er hätte fich vor den übers 
wuchernden, gar nicht zur Sache gehörenden, nur zer: 
fiteuenden und flörenden Epifoden hüten follen, fo ver: 
dienftlich diefe au zum Theil an fi find. Der Rah: 
men, ein ganz individuelles Bild aus bem fittlichen, dem 
Familienleben, war zu eng, um alle6 Das zu umfaflen, 
was Arnim in diefe Erzählung bineinlegen und zufam: 
mendrängen wollte, und mit echt fagt wol Grimm 
darüber: 

Was ihm die eigene Zeit bot, was er felbft Tab und mit: 
sriebte, das hat cr in dem Roman von ber Gräfin Dolores 
niedergelegt, deſſen reihe WBelehrung nur von einer gewiſſen 

berfülle, deren er fich nicht erwehren konnte, bedeckt wird. 

Der darin enthaltene Reichthum von ideen, Gefüh: 
len und Anfhauungen ift in Wahrheit fall unglaublich 
und fie überrafchen ebenfo oft durch Wahrheit wie durch 
Neuheit, aber es tik eben darum auch nicht fo ganz 
Leicht, ſich darein fogleich zu finden; durch fie fowie durch 
die gefchilderten Verhaͤltniſſe und die auftretenden Perſo⸗ 
nen fühlt man ſich in eine fremde Welt verfegt, in der 
man ſich erſt eingemohnen muß. Und wenn der Dichter 
das eine Mat feiner reichen und kecken Phantafie ganz 
freien Lauf laͤßt in den verwegenſten Combinationen, in 
ausfhmweifenden Gompofitienen und übermäthigem Hu: 
mor, fo ſcheint er auch oft wieber genau die Wirklichkeit 
zu copiren in feltfamen, wunderbaren und Lächerlichen 
Charakteren und Originalen, wie 5. B. bei feinem Pre 
diger Frank, bei dem Dichter Walter und dem wunder: 
baren Doctor (mit welchem Beireis gemeint iſt). Wäre 
es in Arnim’s Natur gelegen, oͤkonomiſcher zu verfahren, 
fo hätte er aus dem Inhalt feiner „Dolores“ leicht zwei 
und mehre Werke geftalten können, welche durch größere 
Einfachheit, Harmonie und Klarheit mehr befriebigt ha: 
ben würden, als dies eine, uͤberreichlich ausgeftattete 
Wert, das aber doch auch in dieſer Geſtalt vollkommen 
geeignet ift, ebenfo ben reichen, vielumfaffenden, tiefgebils 
beten, poetifchen Geiſt des Dichters erkennen und bewuns 
dern zu machen, wie fein tiefinniges, frommes, liebevolle® 
Gemuͤth im ſchoͤnſten Licht zu zeigen. Nur eine kleine 
Probe von ber ernften Sefinnung in dieſem Buche. 


Ewige Gerechtigkeit, warum mußte fie (Dolores) fterben? 
Das dir ſchaudere, Menfch, vor der Gewalt der göttlichen Leis 
denſchaft, der allmädhtigen Kiebe, welche von der Jugend fo oft 
in thoͤrichtem Leichtfinn aufgeſucht und ausgefobert wird; — 
daß dir nicht graue vor dem Tode, flerblicher Menſch, denn er 
ift dir gewiß; daß du gedenkeſt in ihm deines Lebens und beffen 
unerfchöpftich reicher Erfahrung. Der Zukunft gehört alle Welt: 
erfahrung s möge Keinem ihre gute Lehre gu ſpaͤt kommen; wer 
ich nicht verfchließt, dem iſt fie nicht verichloffen, in ihr Lebt 


alles Vergangene ein vollkommnes Leben. Der Menſch ſteht 
aufgerichtet in der Welt, daß er ſich umſchaue mit offenen Aus 
gen; oft will er fidy begnügen mit feinem Kreifes aber bie 
Roth treibt ihn gewaltfam auf die Höhen, die feinen Blick erſt 
befchräntten ; da ftrapit ihm das Licht der Welt, fie liegt unter 
ihm, bie dunkle Erde fcheint Keuchtend, oben umfchließt ihn bes 
ewige Blau. Zu dem Lichte möchte der Menſch dann auffirigen, 
ba beweift ihm die irdiſche Schwere ſchwindelnd in ihm ihre 
legte Macht: er fühlt, daß fie ihn flürgen kann, und er betet zu 
Allem, was ihn erhoben, daß es ihn nicht zu Schanden werben 
laſſe. Da fcheidet fi fein Wefen, das Blut aus tiefem irdi⸗ 
fen Triebe aufwallend zur hoͤhern, reinen Luft füllt den beten 
den, dürftenden Munb, ber Menſch flürzt nieder, fein Soͤttliches 
fleigt empor — dies iſt der Tod auf den Höhen der Welt, fo 
befchreiben ihn die Neifenden, bie hohe Berge beftiegen. 

Verwandte Empfindungen, aber noch anfprechenber, 
klarer ausgefprochen und gleihfam unmwillfürlih in Poefie 
uͤbergehend, liegen in folgender Stelle der „Kronenwaͤch⸗ 
ter”; ber feinem Tode ſich nähernde Berthold fagt: 

D mie fo oft habe ich ein Zeichen erhofft, zogen Sterne 
ben ſchimmernden Bogen durch die himmliſche Leere, durch bie 
himmliſche Tiefe, daß ich der irdiſchen Schwere endlich auf im⸗ 
mer entſchliefe. Aber der Morgen loͤſchte die Sterne aus, we 
die Sorgen, weckte des Herzens Haus und des Alltaͤglichen 
Macht zwang die Ahnung der Racht. 

Doc von den ‚, Kronenwaͤchtern“, von ben Gedichten 
und dem noch zu erwartenden Reſte der Sammlung 
werden wir in einem fpdtern Artikel noch berichten. 

G. Pfizer. 





Ein St.:Fohannistag in dem Pyrenden: 
Departement bes Arritge. 
(Beſchluß aus Nr. 135.) 


Ich Hatte, von dem Anblicke diefer unglaubliden Scene 
gefefielt, meinen Gefährten. aus ben Augen verloren; ich fanb 
ihn auf einem Yelfenftäde, etwas oberhalb der Quelle, wieder, 
wo er, begünftigt von dem Lichte des am woltentofen Himmel 
binziehenden Monde, eifrig zeichnend mit Meiſterhand bereits 
die Hauptgruppe diefeß abenteuerlichen und mit ben Zeichen als 
* en belafteten Verſammlung auf das Papier gewor⸗ 
en hatte. 

Mein Freund war voll Dankbarkeit für mid; denn ich 
batte ihm durch meine Auffoberung zu biefer nächtlichen Wan- 
derung die Materiatien zu einem Bilde verfchafft, bes bei ber 
in Kunft und Literatur ber Neufranken vorberrfchenden Sucht 
nach dem Drigfnellen, Außerorbentlichen von der größten Wir 
fung fein mußte. Gern vertraute ee fi mir daher zur weitern 
Führung an, als ich ihm einen zweiten Act des bier begonnenen 
Dramas verbieß. 

Es handelte ſich zuvorderſt darum, vom rechten auf bas 
linke Ufer des Fluſſes zu gelangen. 

Wenn man auf einer Fahrt mit dem Dampfſchiffe von 
Shalons nach yon mit Recht über die große Zahl herrlicher 
Kettenbrüden erflaunt, welche bie beiden Ufer ber Saont vers 
binden und baraus den vortheilhafteſten Echiuß auf das Wer: 
bienft bes heutigen franzoͤſiſchen Gouvernements um die Verbin: 
bungen im Innern bed Landes macht, fo drängt das Departe- 
ment des Arritge bagegen dem Beobachter die Überzeugung auf, 
daß baffelde Souvernement auch feine Stiefkinder zählt. Der 
intellectuelle und induſtrielle Zuſtand diefes Departements allein 
beweiſt, baß die wenigen baffelbe burchfchneidenden größern Wer: 
bindungslinien erſt feit Eurzem entflanden find; in den emts 
legeneen Gegenden biefes Landes aber find Vicinalwege die eins 
zigen, für den Verkehr mit Fuhrwerk oft ganz unzulängiis 
Ken Sommunicationsmittel und, ein Kleiner Fluß wirb aus 


Slangel an Wehen und Fahren oft auf weite Strecen ein 
Hinbern 


Um meinen Freund einem neuen Bilde in Callot's Manier, 
dos unſer auf dem linken Ufer bes Salat wartete, entgegen 
führen, ſtanden nur zwei Wege offen, die Ruͤckkehr nad St.⸗ 
Girons, ober der Bang nad dem eine Stunde aufwärts am 
Fluſſe gelegenen Dorfe Laccurt, wo eine Brüde ben Übergang 
möglich macht; ich wählte das letztere Auskunftsmittel. 

Das mistönende Geräufch der um die Fontaine da genou 
kaͤmpfenden Geſellſchaft von Krüppeln war bereits hinter uns 
verſchollen und das Raufchen des allein noch die Stille der Nacht 
unterbrechenden Salat vollſtaͤndig im feine Rechte zurückgetreten. 
Barb erweiterte fi die öde, enge Schlucht, in welcher wir 
entlang gingen, zum kleinen Wieſenthale. Der Mondſchein 
warf die Schatten einer Reihe von Pappeln auf ben grünen 
Plan, der Fiuß ſchien feinen Zorn in ber Ebene zu vergeffen, 
duch die er bequem dahingleitet, und fein Toben bedeckte nicht 
mehr die füßen Töne der Rachtigallen, welche in Heden und 
Geſtraͤuch am Wege ein heimliches Plägchen gefunden hatten; 
wechfelnd zogen, ale Boten befonnter Höhen, oder In ewigen 
Schatten gebüllter Kluͤfte des Gebirge, balb warme, bald 
ſchneidend kalte Luftfiröme über uns bin und trugen uns ben 
Duft des feifchgemäbten Heus ber Wiefen entgegen, unb bie 
Stimme eines in treuer Wacht bad Geböft des Deren ums 
fhreitenden Hundes fchallte dann und wann von ben Bergen 
nieder und faate uns, baß die Fruchtbarkeit Hier wieder ſich 
aus der Ebene zur Hoͤhe erhoben, hier wieder ben größten 
Schmud dieſer Gegenden, bie überall an ben Hängen bes Be: 
birgs zerftreuten uerhöfe mit ihrem Kranze von jungen 
Eihen und Fruchtbaͤumen, hervorgerufen habe. 

Bald erfchien die herrliche, in einen Mantel von Epheu 
eingehällte und auf hohem Felfen thronende Burgruine Über dem 
Dorfe Lacourt und bald war auch das fchweigende Dorf felbft 
erreicht, in defien durch bie Nacht veröbeten Straßen wir nur 
einigen geifterhaft an uns vorüberziehenben verfpäteten Pilgern 
nad der Wunderquelle begegneten; bann überfchritten wir bie 
hoch fich über den Salat wölbende Brüde und eilten from: 
abwärts dem Dörfchen Eichel zu, das am fühlichen Ende bes 
Thalbeckens von Gt.: Girons fi hinbreitet. 


Etwa zehn Minuten von Gichel entfernt ‚liegt bie burdh 
uralte Linden und Ulmen befchattete Kirche bes Dorfe. Bon 
einer mäßigen Höhe herab beherrſcht das Fleine Gotteshaus eine 
koͤſtliche, wie eine Bucht, ein Anlerplag in ben ausgefchweiften 
Fuß des Gebirgs bineintretende Wieſenſtrecke und weiter bin 
das ganze blühende Thal von Ste⸗Girons, an deffen nord⸗ 
öftiichem Thalrande man von hier in unbeſchreiblich malerifcher 

orm das Staͤdtchen St.⸗Lizier mit feinem alten bifchöflichen 
alafte und vielen andern Ruinen ehemaligen Glanzes fi) am⸗ 
phitheatralifch aufbauen fieht. 

Wenn man das Kirchlein des Dorfes Eichel fo entfernt 
von den Wohnungen ber Menſchen und namentlidh feiner 
Dfarrtinder Liegen fiebt, fragt man fich, welch romantifcher 
Baumeifler den Plat dazu wol auserfeben haben möge, und bie 
Eegende antwortet, daß, als ber Bau befchloffen war und alles 
Material im Dorfe aufgefchichtet lag, die Bauern jenes eines 
Morgens an dem Drte wieberfanben, wo jest bie Kirche fteht. 
Bergebens wurben bie flüchtig gewordenen Ballen und Steine 
on felbigem Tage wieder zurüdgebradht; ein neues Wunder 
fegte diefelben in ber folgenden Nacht abermals in Bewegung. 
Zn jener Zeit erflaunte Niemand über ſolche Dinge. Aber 
„Der Wille der Heiligen fei erfüllt!” riefen Jung und Alt unb 
das Kirchlein erhob ſich an der Stelle, wo es jeht ins Thal 
herniederſchaut; biecher nun wendeten wir unfere Schritte. 

Die Stille, welche in der Umgebung bes Tempels herrfchte, 
wear der Überrafhung eines neuen Schaufpiels günftig. Ringe 
um die Kirche herum, in allen Zugängen berfeiben, auf bem 
Kircyhofe, unter ber durch ein hoͤljernes Dach gedeckten Bor: 
halle lagen unzählige Pilger, in tiefen Schaf verfunfen, bie 


Armut umbebedt ber feuchten, Ealten Nochtluft ansmefegt, tie 
Wohlhabenheit, vor welcher ſelbſt der Weg zum Krane ſich 
dornenloſer ebnet, mit großen Maͤnteln von der weißen ober 
braunen Wolle ihrer Heerden bebedt. 


Nur in der naͤchſten Nähe des Gotteshaufes war nicht als 
les Leben erflorben. In ven Niſchen der Mauern, in ben 
Winkeln der Saͤulen und Strebepfeiler fauerten um die dunkeln 
Geſtalten der Priefter zahlreiche Beichtende, welche bie Schwelle 
bes Heiligthums erſt gereinigt von aller Schuld betreten tolle 
ten. Reunzehn Priefler hatte die Umgegend heute bierher ger 
fendet, um alle die Reuigen zu hören und zu entbinden, welche 
bie Beier diefer Nacht hier zufammenführt; und doch genügte 
die Zahl der Beichtiger kaum ihrer Aufgabe. 

Aus der Thür und durch bie Fenſter der Kirche drangen 
Ströme von Lichts denn bie fonft fo befdgeidene entfaltet bies 
eine Mal im Jahre den ftrahlenben Glanz von Kerzen, ben 
ihre flolgen Schweftern in den Städten Fatholifcher Rande an 
Feiertagen faft ohne Ausnahme in ihren dunkeln Mauern bers 
gen. Kaum war es möglid, bie in dem engen Raume der 
Kirche zufammengepreßte Menge zu durchbrechen und zu ber 
Bogenthür einer Treppe binzugelangen, welche in eine unters 
irbifche Kapelle binabführt. Bier Schritt ins Gevierte, aber 
durch ein erbrüdend niedrige Tonnengewolbe gefchloffen,, bilden 
die ganze Weite diefer eher einem Grabe als einem ber Gottes⸗ 
verebrung geweihten Orte gleichenden Kapelle; ein Altar in ders 
felben trägt zwei unfoͤrmliche Bruſtbilder; diefe würben durch 
ihren grellen Barbenglanz und ihre geſchmacklos reiche Wergols 
dung an bie Goͤtzen eines alten mericanifchen ober indiſchen 
Zempeld erinnern, wenn fle nicht zu fehr den Zerrbildern gli⸗ 
den, weiche ben Modehaͤndlerinnen unferer Kleinen Städte zur 
Ausſtellung der Hauben und Hüte dienen. Zwei Wachskerzen 
erleuchteten die Bildniſſe, und vor dieſen ſtanden, von ſchmui⸗ 
ger Kupfermuͤnze angefuͤllt, zwei Teller von Metall, deren Ins 
halt theils Zeugniß von bee Armuth des Landes und der Opfern⸗ 
ben ablegte, theils die Wahrheit beſtaͤtigte, daß noch jett bie 
Heiligen der Kirche ſich ihre Wohlthaten gern bezahlen Laffen, 
wenn anders ber blinde Glaube das Gefchäft begünfligt. 

Datte das Gebränge um bie Fontaine du genou und in 
ber Kicche und ihren Umgebungen jede freie Bewegung erfchwert, 
fo war dies noch mehr in ber Kapelle der Ball. An der Erde, 
in den Winkeln des befchränkten Raums, auf den Stufen bes 
Altars lagen zahlreiche Schläferinnen (denn die große Mehrheit 
bee Anmefenden befand aus Frauen), welchen entweder bie 
Kälte der Nacht diefen Zufluchtsort empfohlen hatte, oder welde 
das reiben auf ber engen Treppe verhinderte, ben Ausgang 
wieberzugewinnen. Um den Altar aber war ber Bubrang der 
Ständigen befonders groß, denn bier erwartete biefelben aber 
mals die Herſtellung von allen körperlichen Reiben. Die Deils 
methode erfiärte zugleich, weshalb die hochrothen Wangen bes 
heiligen Johannes, der feiner großen Praris wegen bier in bop: 
pelter Geſtalt erſchien, zum Theil verwiſcht und mit andern, 
dem Maler fremden Farben bedeckt waren. Die Hülfe und 
Heilung; Suchenden nämlih rieben mit ihren Haͤnden den 
Kopf ber Statuen und dann ben Theil ihres Körpers, 
welcher mit einem @ebrechen behaftet war. Da aber leider 
alle Theile unſers Körpers der Sit der Krankheit werden 
tönnen, fo hatte dies oft etwas hoͤchſt Wiberwaͤrtiges und ſelbſt 
Unanftänbiges. 

Ein Blick auf die Verfammlung in der Kirche und Kapelle 
zeigte mir, daß jene größtentheils aus den Bewohnern ber Um: 
gegend von Waflat, einer Beinen, tief im Gebirge nach ber 
fpanifchen Grenze hin, fünf Stunden von St.⸗Girons geleges 
nen Stadt beſtehe. 

Die merkwürdige Bevölkerung biefer Gegend weicht, wie 
in ber Tracht, fo in Charakter, Sitte und Lebensweiſe von als 
ten übrigen Franzoſen des Mittags entfchieden ab. Mit ber 
Überlieferung einer der Wildheit nah verwandten Heftigkeit des 
Temperaments unb mit der feltfamen dußern Form bes Lebens 
bat der Bauer des Landes von Maflat in feinen faſt nie von 


5 


den Yermten betretenen Mhhfern bie religidſen Überzen 
and den Aberglauben bes. Mittelalters ſich tren und ungeſchw 
erbalten. 

Dem Spanier, mit dem er Zhär an Thür wohnt, mehr 
als dem Franzoſen verwandt, bewaffnet der Bewohner dieſer 
Gegenden feine Hand in jedem Gtreite mit dem Weffer, und 
irgend fonft in Frankreich ift die Statifti der blutigen Ver⸗ 
brechen fo reich als auf jener Scholle Landes, nirgend ſonſtwo 
ift der Glaube an Zauberer und Hexen und böfe Geiſter fo eins 

ewurzelt wie bort, nirgend fonftwo ift die Bigoterie fo unums 
—*8* te Herrin als da. 

Während die Tracht der Männer durch bie hinten in Beu⸗ 
telfoem lang auf den Rüden hinabfallende gewebte Muͤtze von 
other, brauner ober blauer Wolle, ferner buch das kurze 
Camiſol von dbemfelben Stoffe und mit blanten Knöpfen, dann 
durch die rothe Leibbinde, die aus Binbfaden geflochtenen Sans 
dalen der Tracht des Gatalanen ſich nähert, bewahrt die Klei⸗ 
dung der Frauen nicht weniger einen von dem der übrigen Be: 
wohnerinnen des Departements abweichenden Charakter. 

Ein weißes leinenes und in ein Dreieck zufammengelegted 
Tuch, das dergeſtalt um den Kopf gefchlungen ift, daß die 
Zipfel hinten zwanglos herabhängen, ein Spencer von vothem, 
blauem, gewöhnlich aber grünem Tuche, welder Enapp um bie 
Zaille anfchließt und hinten rund herum bis gegen bie Hüften 
bin durch einen handbreiten Überfall über den Rod hinabgreift, 
ein ſchneeweißer Kragen von grober Reinewand, ber auf bie 
Schultern fällt, enge, kurze Ärmel, die unten einen Aufſchlag 
haben, mit einer gelben oder rothen Borte eingefaßt find und 
unter benen die Hemdaͤrmel hervorkommen unb ſich bi8 an das 
Handgelenk fortfegen, vor ber Bruft ein vierediges Stud weis 
Ber Leinewand, das von den Schultern aus ſich kleidſam nach 
der Zaille zu verengt und unter einer oben eng zuſammengezo⸗ 
genen und breit geftreiften Schürze endet, ein ſehr Eurzer, false 
tenrridger Rod, gewöhnlich von blauem Zuche, weiße Strümpfe 
und Lederſchuhe, das ift der Anzug einer Bäuerin aus Maffat. 

Der Morgen graute, der öftliche Himmel röthete fidy leicht, 
die Sterne erbleichten und einzelne Vogelſtimmen erwachten leife 
bier und da, als wir den Rüdweg antraten. 

„Wie ifl es möglich”, rief mein Begleiter, nachdem er eine 
Zeit lang nachdenklich neben mir hergefchrirten war, „daß Priefter, 
weiche das Volk belehren und auffiären follten, daß Priefter des 
19. Zahrhunderts ſolchem tollen Aberglauben Vorſchub teiften 
and ihn durch ihre Gegenwart, durch ihr Anfehen befeftigen 

nnen!’’ 

„Der Einfluß und die Herrſchaft über Andere find eine 
große Verfuhung für den Menſchen“, ermwiderte ih, „und bie 
Prieſter haben von jeher gezeigt, daß fie in diefer Beziehung 
Menfchen waren; übrigens fühlen die Geiſtlichen bes Landes 
den Borwurf, welden Sie ihnen maden, und entfchuldigen 
fi mit der Unmöglichkeit, dem Unfug zu fleuern. Es ift in 
der That vor kurzem noch in einem nahen Dorfe vorgeflommen, 
daß der Beiftliche faft von den Bauern ermordet worden wäre, 
weil ex fich weigerte, beim Gewitter die Glocken laͤuten zu laf- 
fen und fein Dorf dadurch einer vermehrten Gefahr auszufegen.” 

„Ich habe mir in Paris nicht träumen Laffen’, fuhr der 
junge Maier fort, „daß auf franzoͤſiſchem Boden heutzutage 
noch ähnliche Dinge gefchehen, auch wird mir es dort kaum Ser 
mand glauben, wann ich zeicyne oder erzähle, was ich in jener 
Nacht gefehen.” 

„Da eben liegt ber Fehler”, entgegnete ich, „in welchen die 
meiften meiner Landsleute verfallen; fie gehen nach Paris und, 
wann fie dert, am Herde der hoͤchſten franzöfifchen Civiliſation, 
ſich umgefehen, bilden fie fi ein, das ganze Land und bie 
Sranzofen zu kennen; ich aber glaube, daß das ber Weg ift, 
weicher am wenigften zu dieſem Zwecke führt. Das franzöfifche 
Gentralifationsfpfiem führt Alles, was in der Provinz ausgezeich⸗ 
net und dadurch allein fchon ſich aͤhnlich ift, nach Paris, und 
find ja in den bort fo verfammelten Glementen noch Spuren 


verfchiebener Wetionabitit dorhanden, fo verfükwinhen biefe alt⸗ 
bald in der mächtigen Affimilation, weldye bie Hauptfſtadt ber 
den ihr dargebotenen Stoff ausübt. Wer bie Schattirungen des 
Landes kennen lernen wi, der ſuche fie an ihrer Quelle. 57. 


Bibliographie. 


Arming, 5 B. (Billiem Fitz⸗Berth), Rovellen 
und Erzaͤhlungen. Zwei Bände. Wien, Stoͤchholzer von Hirſch⸗ 
feld. 8. 2 Zhlr. 

Bilow, 8. v., Geſchichtliche Gntwidelung ber Abgabene 
verhältniffe in Pommern und Rügen feit ber Ginführung bes 
Shriftentpums bi6 auf die neueflen Zeiten. Greifswald, Rod. 
Sr. 8 1 Zpie. I1Y, Rat. 
ch ——— — — — Bebmäner und ungaris 

en NRationalge r. ung. e Auflage Berli 
Vereinebuchhandlung. 16. 10 Near. has lin 

Froͤhlich, ©. Z., Rolando Rolandini, ber furchtbare 

Lands und Seeraͤuberfuͤrſt. Zwei Bände. Ite verbeſſerte Auf⸗ 
lage. Nordhauſen, Fuͤrſt. 8. 1 Thlr. 15 RNgr. 
- Hoeck, K., Arnold Hermann Ludwig Heeren. Eine 
Gedächtnissrede, gehalten in der öffentlichen Siızung der 
königlichen Societät der Wissenschaften, am 12. Nov. 1842, 
Göttingen, Dieterich. Gr. 4. 5 Ngr. 

Lieder eines Hanſeaten. Welel, Prinz. 8. 25 Rgr. 

Neubürger, H., ncyctopäbie der Buchdruckerkunſt. 
te Lieferung. (A — Formatlehre) Leipzig, Frieſe. Gr. & 

r. 


g 
Röggerath, J., Die Entftehung der Erbe. Eine Vor⸗ 
leſung. Bonn, Henry und Cohen. Gr. 8, 10 War. 

Bunte Reihe. Eine Sammlung ausgewählter und interefs 
fanter Erzählungen, Novellen und Criminalgeſchichten. 7tes 
und Ste Bändchen. Leipzig, Binder. 8. 15 Nor. 

Allgemeine Rentenanftalt in Stuttgart, nachdem fie von 
der öffentlichen Meinung verworfen worden, nunmehr auch nad 
ihrer Grundlage, ihren Wahrfcheinlichleitsherechnungen, der 
Stellung der Directoren und den Manipulationen derfelben vor 
ben Schranken der Gerichte. Stuttgart, Beer. 8. , Rear. 

Reffel, W. 3., Allgemeine Geſchichte des Alterthums. 
Reichenberg, Pfeiffner. Gr. 8 2 Thlr 

Schattenriffe aus dem Jugendleben eines Arztes. Nah 
dem Englifchen bearbeitet von G. Ernſt. 2te® Baͤndchen. Leip⸗ 
zig, Binder. 16. Beide Bändchen l Thir. 

Schlicht hoͤrle, A., Beiträge zur Lehre von den Be: 
fugniffen der Gewerbsinhaber. Ertangen, Palm und Ente. 
Gr. 8. 7% Nor. 

Schneider, J., Die Truͤmmer ber fogenannten kang⸗ 
mauer. Ein Beitrag zur Altertbumefunde im Nheinlande. 
Mit oe. Karte. 8, Trier, Sal. 8. 10 Nar. 

neitler, ©, Walkenried, biftorifh und topegras 
phifch gefchilbert. Norbhaufen, Schmibt. 8. 7Y, Nor. 

Schwetscehke, G., Peläogrephischer Nachweis der 
Unechtheit der kölner Freimaurerurkunde vom J. 1533. 
Mit drei Facsimiles. Halle, Gebauer. Gr. 8, 7Y, Ner. 

Seydelmann, ©., Blätter ber Erinnerung $reunbe 
und Verehrer des Verewigten. Berlin, Voß. 8. 71, Rar. 

Wacernagel, W., Zeitgebichte. Mit Beiträgen von 
B. Reber. Baſel, Schweighaufer. Gr. 8. 1 Zr. 

Der Leipziges Wechſelarreſt. Gin Beitrag zur Kenntuif 
des deutſchen Redytezuftandes. Den hoben fächkfchen Kammern 
vorgelegt zur Beherzigung, Pruͤfung und Abhuͤtfe. Grimme, 
Verlagscomptoir. 8. 10 Nor. 

Wedekind, Bertha, Anna Arnotd, bie Herrnhuterin. — 
Der Thurmwaͤchter auf St. Petri. Zwei Novellen. SBertim, 
Vereinsbuhhandlung, 8. 1 Zplr. 

Weider, &., Ein ſtaatsrechtlicher Injurien = Progep im 
actenmäßiger Mittheilung Manheim, Baffermann. Er. 8 

gE. 





Berantwortiiher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung, 





Mittwoch, — Kr. 137. —⸗ 


17. Mai 1843. 





Der deutfche Zollverein. 

Der beutfehe Zollverein in — 2 gußas Bf; 
ten. Stuttgart, Gotta. 10 Nor. 
Wenn man in dem beutfchen onen. * Keime 
einer beſſern Zukunft Deutſchlands erblicken und von ſei⸗ 
ner Fortbildung die Beförderung muterieller Wohlfahrt, 
ianerer Einheit und politiſcher Macht erwarten darf, fo 
Kegt gerade in dee Vortrefflichkeit dieſer Borausfichten eine 
dringende Auffoderung, die Feſtigkeit feiner Formen, die 
Buͤrgſchaften für ein ſegenwolles Acheiten in diefen For⸗ 
mm und die Mittel zur gänzlichen Überwaͤltigung des als 
tem Übels der Spaltung und Zerriffenheit näher ins Auge 
zu fafien. Es kreuzen fich bier die mannichfaltigſten po: 
Ksiihen und nationatdtemomilchen Fragen, neben der 
Theorie fpricht auch die untheoretifche und ſich deshalb für 
praktiſch haltende Erfahrungowelsheit mit und ebenfo be: 
haupten auch Sonberinterefien und Spmpatdien und Ans 
tipathien ihren Einfluß. Es iſt daher dankenswerth, wenn 
zur Loͤſung jener Kragen ein von Diefen Beimifchungen 
feeist und von einer tuͤchtigen patriotifchen Geſinnung zeus 
gender Verſuch gemacht wird, und ein folcher liegt in ber 

obengenannten Schrift von Höften vor. 
Urſpruͤnglich waren die Zölle lediglich ein Mittel, fich 
Einkunfte zu verichaffen, und fir den Handel etwas Drös 
dendes. Eine Bollvereinigung kann man daher im Grunde 
mar infofeen eine Vereinigung zur Foͤrderung des Handels 
und ber Induſtrie nennen, als fie theils duch die Ent: 
fenung von Binnenzoͤllen und @inheit des Zoffefteme 
fenen Druck der Zölle Überhaupt erleichtert, theil aber — 
ba jest bei dem Beſtehen von Zollſyſtemen in andern 
Ländern ein eigenes Zolfoftem, koͤnnte man es Überhaupt 
in finanzieflee Dinficht entbehren, in Rüdficht auf den eis 
genen Handel und die eigene Induſtrie nicht entbehrt wer: 
Ben kann — fie fo einrichtet, daß fie eine Schugwehr ges 
gen die heutzutage flatt der Kanonenfchüffe in Gebrauch 
kommenden coups de tarif de6 Auslandes abgeben koͤn⸗ 
nen. Nach den verfchiedenen Verhälmifien des Handels 
Heß fich jener Drud durch Zölle mannichfach modificiren 
und vertheilen; man Eonnte den Abfag ausländifcher Pro: 
ducte und Fabrikate erfchiweren oder ausfchließen und ſo⸗ 
mit Production oder Fabrikation des Inlandes beguͤnſti⸗ 
gen, man fonnte durch Unterfchiedbsabgaben den fremden 
Handel ausfchkießen, Und ebenfo ließ ſich durch Erſchwe⸗ 


sung obere Verbot der Ausfuhr von Gegenfländen, welche 
der inilandiſchen Induſtrie dienen konnten, fuͤr dieſe ſorgen. 
Bei einer folgen Anwendung der Zölle für Die Beguͤnſti⸗ 
gung des eigenen Dandeld und ber eigenen Induſtrie er: 
gaben ſich denn ſogleich bie wichtigſten nationaloͤbonomi⸗ 
ſchen Fragen: die Zoͤlle konnten theils mit Erreichung die⸗ 
ſes Zwecks den Zweck, eine Duelle von Einkünften zu fein, 
ganz verfehlen, theils konnte eine Bedruͤckung der fremden 
Einfuhren zu einer gleichen Bedruͤckung des eigenen Dans 
dels führen, und felbft im eigenen Lande konnte die Bes 
guͤnſtigung der Production eder Fabrikation ſchaͤdliche Ruͤck⸗ 
wirkungen hervorrufen. Allgemein guͤltige Regeln ließen 
fich in dieſer Hinſicht nicht auffinden und Schaden oder 
Vortheil hingen immer von den Zeitverhaͤltniſſen, den be⸗ 
ſondern Verhaͤltniſſen des eigenen Landes, feiner Größe 
and feiner Hälfsguellen und von den Maßregeln ab, wels 
de in andern Ländern ergriffen wurden. Die Hanbels⸗ 
potitid verfuhr daher bis in die neuefte Zeit immer nur 
nach Nuͤtzlichkeits⸗ und Zweckmaͤßigkeitsruͤckſichten, und 
wenn fie gewiſſe theoretiſche Grundſaͤtze aufftellte, fo was 
ven dieſe theils nicht anwendbar und wurden auch nicht 
angewandt, theils aber — und hierin ſind die En länder 
befonders ſtark geweſen — fuchte man damit bie Ubrigen 
zum Feſthalten an einen ſchaͤdlichen Gpfteme, bei dem 
man feinerfeits Vortheil hatte, zu verleiten. 

Die europäifchen Staaten haben feit Jahrhunderten 
auf diefe Weiſe die Zölle mie Ruͤckſicht auf Handel und 
Gewerbebetrieb angervandt und nur in Deutfchland hat 
man erft im neuerer Zeit angefangen, biefen Geſichtspunkt 
nach feiner vollen Wichtigkeit ine Auge zu faflen. Den 
fruͤhern Zuſtand In Deutfchland, wo jede Regierung Zölle 
erhob, je nachdem fie gerade Einkünfte lieferten, und eine 
Maſſe von Binnenzolllinien ben innern Verkehr in Feſſeln 
fegte, während die Induſtrie durch die Einfuhren des übers 
mächtigen Auslandes niedergehalten wurde, dieſen Zuſtand 
wollen wir bier nicht weiter fchildern. Mit der Fortbil⸗ 
dung des deutfchen Zollvereins, welcher jegt eine Bevölkerung 
von 27 — 28 Millionen einfchließt, hat ſich dieſer Zuftand 
geändert. Das ganze Zoflvereinsgebiet wird durch eine 
Zolllinie eingefchloffen und der innere Verkehr ift frei. 
Der Tarif macht wenigſtens eine Goncuerenz der eigenen 
Induſtrie mit dem Auslande möglih unb unter biefem 
Schutze hat ſich diefelbe bereits bedeutend gehoben. Die 


— _ — —— 


546 


Keeiheit des Innern Verkehrs führe dann allmaͤlig zu einer 
Steichförmigkeit der Grundfäge Über das Conceſſionsweſen 
und die Gewerbepolicei, und noch dringender gebietet er 
die Einführung einer gleichen Handelsgeſetzgebung, an wel: 
che fi) nothwendig eine Gleichförmigkeit des Rechtszuſtan⸗ 
des uͤberhaupt anfcliefen muß. Diefer Innern Confoli: 
dirung der bisher fo unglüdlich zerfpaltenen Verhaͤltniſſe 
entſpricht aber die politifche Stellung, welche die deutfchen 
Staaten gegen das Ausland gewinnen müflen: flatt ber 
Ohnmacht der Vereinzelung und der Wahrnehmung bes 
fonderer mit denen der Geſammtheit nicht verträglicher 
Intereſſen darf man auch hier in Zukunft ein träftiges, 
dem Auslande imponisendes Eintreten in die voͤlkerrecht⸗ 
lichen Verhältniffe vor Augen haben. 

Gerade diefe Hoffnung einer Conſolidirung ber politis 
ſchen Verhaͤltniſſe Deutfchlands, weiche man oft mit einer 
Art von Begeifierung zu hegen pflegt, fodert indeß gu eis 
ner etwas tiefer eingehenden Betrachtung auf. Unfer pos 
litiſches Leiden Liegt in der Zerfplitterung umd in bem 
Gonflicte der verfchiedenften Sonderinterefien , in welchen 
bie Kraͤfte, deren Verein die größte politifche Macht der 
Welt bilden koͤnnte, auf fo bedauernswerthe Weiſe ſich 
theilen. Der Zollverein ſtellt nur in Einer Beziehung, in 
den Zoͤllen und im Handel, eine Einheit her, und die 
Conſequenzen dieſer Einheit moͤgen zunaͤchſt Einheit der 
Geſetzgebung, eine tuͤchtige Ordnung der Verkehrsverhaͤlt⸗ 
niſſe mit dem Auslande und allenfalls auch das Auf⸗ 
blühen einer deutſchen Seemacht fein: in allen andern 
Beziehungen bleiben aber die jegigen Verhaͤltniſſe diefelben 
und bie DVerfaffungen ber einzelnen Staaten umd ihre 
Stellung zum Bunde dauern völlig unverändert fort. 
Schon aus ber Stabilität diefer Verhaͤltniſſe werden für 
jene zundchftliegenden Gonfequenzen ber Zollvereinigung 
Schwierigkeiten entfichen. Wie fol alfo, muß man fra: 
gen, das in einer Beziehung erreichte gluͤckliche Refultat 
in allen Beziehungen beilfam witken? Laͤßt ſich eine fol: 
che Einwirkung der einen Sphäre auf die Übrigen nicht 
nachweifen, fo muß man in dee That jene Hoffnungen 
von einem allfeitig ſegensvollen Einfluffe der Zouvereini⸗ 
gung für voreilig und übertrieben erklären. Die Antwort 
auf jene Frage liegt im einer Betrachtung der verfchiebes 
nen Functionen bes geſammtorganiſchen Menſchenlebens. 
Man hat ſehr mit Unrecht den Staat oder die Sphaͤre 
des Politiſchen für den Inbegriff und die legte Harmonie 
aller diefer Functionen ausgegeben, ſodaß er — wie bei 
Hegel — Moral und Sittlichkeit und alle übrigen Ent: 
widelungspuntte des Menſchengeiſtes in fich enthält und 
bie einzige Form ift, in welcher die Menfchheit ihren welt 
gefchichtlihen Proceß, der alsdann folgerichtig blos In ber 
Entridelung bes Staatlichen beftände, durchzumachen hat. 
Die übrigen Kreife materieller und geiftiger Xendenzen, in 
denen ſich das Menfchheitsteben feinen Anlagen nach zu 
bewegen und fortzubilden hat, haben vielmehr sine gleiche 
Berechtigung und jene Fortbildung muß eine allfeitige 
und barmonifhe fein. Neben dem Staate, neben bem 
öffentlichen und politifchen Leben gelten daher die Sphaͤ⸗ 
ven ber Religion, der Moral, der Wiſſenſchaft, der Kunft, 


des Handels und. ber Sinbufleie als voͤllig felbftändige, 
und die Sphäre des Staats oder das politifche Moment 
fteht nur infofern am höchften, als es allen übrigen Kreis 
fen theils erft die Form der Allgemeinheit und der Syn 
thefe aus der Berfplitterung des Individualismus zu geben, 
theils ihnen bie Bedingungen ihres Gedeihens zu ver 
(haffen und endlich ihre harmoniſches Verhaͤltniß unterein⸗ 
ander und zu dem Staate felbft zu erhalten bat. Jene 
Sphären überfchreiten fogae bie Grenzen eines befondern 
Staats und umfafjen allgemein menſchliche Intereſſen: 
zwängt fie der Staat in feine Grenzen ein, nimmt er 
dem Handel, der Induſtrie, der Wiſſenſchaft und der 
Kunft ihren kosmopolitiſchen Charakter und färbt fie mie 
den Landesfarben, fo entfichen Misgeſtalten und Zerrbil: 
der. Die Harmonie aller diefer Kreiſe ift das Ziel ber 
Menfhheit, ihr mac) diefer Harmonie hinflrebender Kampf 
ift der Verlauf der Geſchichte, und der Öbfieg und bie 
UÜbermacht einer einzelnen Sphäre. ift dad Ungluͤck ber 
Menfchheit. Im Driente waltete in den Prieſterſtaaten 
die Sphäre der Religion vor und alle übrigen Seiten des 
Beiftigen wurden erflidt und niedergehalten: in Phoͤnizien 
und Babylon herrfchten bie materiellen Intereſſen und 
führten nach der Abtödtung des geiftigen Nervs die Voͤl⸗ 
ker zum Erftiden im Schlamme des Materialismus. Im 
claſſiſchen Alterthum herrſchte der Staat oder das Politi⸗ 
fye vor und ablorbirte alle übrigen Sphären. In ber 
chriſtlichen Zeit rang das Religioͤſe mit dem SPolitifchen, 
die Kirche mit dem Staate. Zumellen herrfchte das Pos 
litiſche in aͤußerlich gewaltſamer, alfo unvolllonmener und 
blos einzelne Individuen treffender Bewältigung der Kirche, 
regelmäßig aber berrfchte letztere und die Theologie war 
Wiffenfchaft par excellence, bie Philoſophie ihre Magd, 
und wer ihr opponirte, den verfolgte man unter der Bes 
nennung eines Ketzers als Dochverräther. Aus ber Mes 
formation gingen beide geläutert hervor; die Kirche, geläms 
tert von dee Weltlicykeit, der Staat von dem Jrrthume, 
Süd, Frieden und Gerechtigkeit unter feinen Mitgliedern 
in das Senfeit des Himmelreichs zu verweilen. Seitbem 
ift der Staat frei und ſucht die übrigen Sphären zu 
ordnen und in Harmonie mit fi zu erhalten. Schien 
ihm die Wiſſenſchaft uͤbermaͤchtig und dem politiſchen 
Momente, d. i. der Aufrechterhaitung eines geregelten Forts 
gangs aller Functionen der Menfchheit, gefährlich zu wer: 
den, fo gab er der religiöfen Sphäre weiten Spielraum. 
Jetzt erſtarkt die Sphäre der materiellen Intereſſen und 
wird als dem Politifchen ungefährlich, ja fogar mitunter tu 
ber Meinung, als würden dadurch die Bemüther vom ge⸗ 
fährlichen abfiracten Raifonnemente abgezogen und berus 
bigt, mithin unterwürfiger gemacht, gehegt und gefodert. 
Man Hat wie das Religiöfe, fo die Sphäre der ma teriel⸗ 
len Intereſſen gleichſam als Gegner ber abfltacten Wiſ⸗ 
fenfchaft und ihrer dem Staate gefährlichen Conſequenzen 
angefehen, die man ſtaͤrken und heben müffe. Richtiger⸗ 
weife hat man indeß nur die Derfiellung eines harmoni⸗ 
(hen Verhaͤltniſſes im Auge zw baden. Gelangten bie 
materiellen Intereſſen zu einer wahren Herrfchaft, fo wuͤr⸗ 
den fie verderblich wirken, denn jede einzelne Richtung, fei 


% 





es die veligiöfe, die induſtrielle ober irgend eine andere 
Sphaͤre, gewinnt, wenn fie uͤbermaͤchtig wird, auch einen 
Einfluß auf die dem politiihen Momente zukommenden 
Kunttionen und wird alsdann deffen Thaͤtigkeit ftören, bies 
feibe ſich ausſchließlich dienftbar machen und am Ende fo 
gut wie ganz aufheben. Raumt man — tn dem Glau⸗ 
ben, ein materielle® Intereſſe bei der jegt beftehenden Ord⸗ 
nung fei die ſicherſte Bürgfchaft gegen eine zevolutionnaice 
Neuerungsſucht — in Deutichland nur ben materiellen 
Intereſſen eine politifche Berechtigung ein, fo wird man 
die bezeichnete Folge, die in Frankreich bereits fühlbar ge: 
nug getvorden ift, auch in Deutſchland zu erfahren haben. 
ol aber haben wir von einer Belebung der materiellen 
Intereſſen bis zu einem harmonifchen Verhaͤltniſſe zu ben 
übrigen Lebensfactoren auch für diefe ein neues Erblühen 
zu erwarten: das Menſchheitsleben ift ein Organismus, 
und die Heilung eines einzelnen erfrankten und erfchlafften 
Gliedes diefed Organismus wird aud die von feinem feh⸗ 
lerhaften Zuftande auf die übrigen zuruͤckgefallenen Wir⸗ 
Zungen aufheben. In Deutſchland haben unter der Vers 
kuͤmmerung von Handel und Induftrie und folgemwelfe bes 
äußern Wohlftandes alle übrigen Gebiete mit leiden muͤſ⸗ 
fen. Die Beflimmung der Induftele iſt es, das Natürs 
fiche und Stofflicye, defien der Menſch bedarf, ihm immer 
gemäßer und dienflbarer zu machen und ihn am Ende 
{immer mehr von der harten Arbeit, in welcher er der 
Erde feine phyſiſche Exiſtenz abzuringen bat, zu befteien. 
Auf diefe Weife verbinden fid) die materiellen und geiſti⸗ 
gen Sntereffen. Die fortfchreitende Wiſſenſchaft fördert 
duch Entdeckungen die Induſtrie, und diefe arbeitet der 
Wiſſenſchaft in die Hand, Indem fie das Matürliche vers 
edelt und dem Menfchen die harte mechanifche Arbeit 
(part. Ebenſo unzweifelhaft iſt die Einwirkung bes dus 
Gern Wohlſtandes auf das Öffentliche Treiben, auf Kunft, 
Religion und Sittlichleit. Das ganze Leben wird freund: 
lichet und regfamer, man wird ſich nicht in ber Flucht 
aus der harten und rauhen Gegenwart in bie von biefer 
entfernteften Gebiete des abſtracten Wiſſens zu retten fus 
chen, die Gelehrſamkeit wird nicht mehr duch ben darben⸗ 
den und aller äußern Behaglichkeit entbehrenden Geleht⸗ 
tenftanb des vorigen Jahrhunderts repräfentirt werben, 
denn nur diejenigen Gelehrten werben darben, welche Die 
Fiffenfchaft als Erwerbsmetel auszubeuten denken und 
ſich in diefee Specufation verrechnen. Der fromme Glaube, 
daß fich der Arme und Elende tröften könne, weil in eis 
nem künftigen Himmelreiche die Sütervertheilung umge: 
kehrt werde, wird fich endlich durchaus nicht halten: bie 
Wünſche ſowie bie Kräfte werden ſich einem ruͤſtigen Ars 
beiten für gegenwaͤrtige Intereffen zuwenden und in biefer 
Richtung auf die lebendige Gegenwart müflen die Kräfte 
erftarten und öffentliches und Privatleben einen neuen 
Aufſchwung gewinnen. Auf denjenigen Standpunkt, wo 
fie mit den übrigen Sphären in ein richtiges Verhaͤltniß 
des harmoniſchen Zuſammenwirkens treten, ſind aber aͤu⸗ 
ßere Cultur, Handel und Induſtrie erſt durch die hier zu 
einer Herftellung und Erhaltung diefes Verhaͤltniſſes beru: 
fene Öffentliche Macht zu heben. Mau hat wol von Frei⸗ 


heit des Handels und ber Induſtrie in dem Sinne ges 
ſprochen, als habe ber Staat beide fich ſelbſt zu überlaffen, 
allein eine folche Anſicht ift nad ber Hier dargelegten 
Theorie durchaus verwerflih. Der Staat foll nicht im 
Handel und Induſtrie eingreifen und fo wenig dieſe als 
bie Kirche oder die Wiſſenſchaft monopolificen und zu 
Staatsanftalten machen, wol aber hat er fie durch von 
ihm ausgehende Maßregein in das richtige Verbältniß zu 
den übrigen Elementen zu bringen, und wenn er bier im 
Ruͤckſicht auf leere Freiheitstheorien die Sachen geben 
ließe, wie fie wollten, fo würde er gerade feine eigentlichfte 
Zunetion unerfüllt laſſen. Was und wie viel in diefer 
Beziehung gethban werden müfle, hängt bavon ab, wie 
groß oder gering die Disharmonie iſt und wie kraͤftig 
oder gelinde alfo die Mittel zu ihrer Aufhebung fein 
müffen. Es leuchtet mithin ein, daB es thöriche iſt, 
ſchlechthin eine beftinmmte Regel, ein beflimmtes Syſtem, 
Schut:, Meciprocktäts: oder Prohibitiofpftem, oder gar ein 
Spftem völliger Handelsfreiheit mit Lediglich finanziellen 
Zwecke der Zölle zu empfehlen: was von alle diefem noth⸗ 
wendig iſt, hängt von der Größe ber aufzuhebenden Diss 
barmonie und von der Wirkſamkeit ab, die den zu treffen. 
ben Maßregeln an fich und den von andern Staaten ge: 
machten Einrichtungen gegenüber zugetraut merben darf. 
Durch zu ſtark wirkende Maßregeln, z. B. Prohibitiogölle, 
kann gerade eine Disharmonie herbeigeführt werden, man 
kann damit Mangel an unentbehrlichen Artikeln oder eis 
nen kuͤnſtlichen Flor der Induftrie mit dem traurigen Ans 
bange bed Pauprrismus und des Kabrikelendes hervorru⸗ 
fen; ebenfo wenig aber darf man unter der jegigen Lage 
dee Dinge erwarten, daß ſich die Sache ohne Zuthun und 
Hüflfe von felbft machen werde. Handel und Induſtrie 
greifen weit über bie Grenzen des einzelnen Staates bins 
aus, und biefer muß daher feine Einrichtungen auf Das‘ 
berechnen, was außerhalb feiner Grenzen von andern Staa⸗ 
ten gefcheben ift, wenn ex feine eigenen Intereſſen nicht 
diefen fremden Maßregeln preisgeben will. In diefer Ruͤck⸗ 
ſicht kann Deutſchland ſchuͤtzender Zölle nicht entbehren. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Der Dichter Lenz und Friederike von Sefenheim. Heraus: 
gegeben von Auguft Stöber. Bafel, Schweighau⸗ 
fer. 1842. 8, 18% Nor. 


Die Literatur wie die Weltgeſchichte hat ihre Männer bes 
Leidens und ihre fchmerzenreichen Brauen, bie, bingeriffen im 
Wirbel einer großen Zeit, dem Elend anheimfielen: jene, weil 
ihnen die innere Kraft gebrach, durch bie Lebensftürme fiegend 
inburchzufchreiten 5 biefe, weil eine unerflärtiche Misgunſt bes 
chickſais ihnen jede reizende Gabe ber Natur zu einem Unheil, 
jede Blüte zu einem Keim bes Leidens entwickelte. So Güns 
tber, Lenz, Hölderlin, Luife Brachmann und jene mit ben 
ſchoͤnſten Klängen echt deutſcher Eyrif geheimnißvoll verfchwifterte 
riederike Brion. Und es ift, als fänden manche Leute einen 
chmerzlich anziehenden Genuß, inmitten des Reichthums gluͤck⸗ 
licher Gefangsheroen, jene verfallenen Schachte menſchlichen 
Trübfals wieder aufzugraben und bie dunkeln Wege zu beleuch⸗ 
ten, die der Irrthum und die Selbfttäufchung und der Mid: 
muth einft gewandelt find. Wenn Hölderlin neue Geſchichtſchrei⸗ 
ber feines Trauerlebens findet, fo achten wir es recht und bils 


Ugs man will den Srund ber Seele, aus ber fo wanche glähende 
{fume emporfchoß, gern genauer kennen lernen. er Lenz, 
welden Nachhall ließ er zurüd Im Voräberraufchen feines Das 
feine, daß wir uns ben follten, der Spur dieſer Klänge 
kaufchend nachzugehen? Gr hat Sieles geſtrebt und nidgts er⸗ 
cht; er hob ein Schwert und es zog ihn zu Boden. Dies 
idfat theilt er mit Unzaͤhligen, deren Geiſt reich genug war 
ihren Umkreis, doch aͤrmlich den Koberungen der Ration 
gegenäber. Unſere Theilnahme wirb ihm nur deshalb vor Ans 
dern, weil ex, tim bie Bahn ber Goethe ſchen Sonne geriffen, 
einen Heinen Abgiang ihres Lichts empfing; denn bad if die 
Bevorrechtung geiftiger Größe, daß fie auch das Kleine durch 
ihre Bevorrechtung adelt, wie ber König von Spanien, wenn 
er in der Vertraulichkeit einen Diener mit Du anrebete, ihn 
dadurch zum Granden erhob. Alle Bedeutung, bie Lenz in ber 
deutfchen Literatur haben kann, hat ihren Mittelpunkt in Goe⸗ 
thee Wahrheit und Dichtung”; feine eigenen Werke ſchlummern 
in ben Einſiedeleien ber Bibliothelen und fein Name bat nie 
im Rolle wibergetönt. Darum koͤnnen wir das neue Werkchen 
von Auguft Stöber nur als eine Gabe für die befchräntte Zahl 
Mer gründlichen Literaturhiſtoriker betrachten; biefe mögen ihm 
ven Dank dafür abftatten, ben wir ihm nicht ſchulben. 

Haͤtte Senz eine hohe Stelle unter feinen Zeitgenoffen eins 
genommen, fo würde und um besiwillen auch fein inneres Leben 
anziehend erfcheinen. Allein wir Bönnen in ihm wenig mehr 
feben als einen Ungluͤcklichen, der feine bitterften Verfolger im 
eigenen Bufen trug; unb wer untergeht im Kampf um Ruhm 
und Liebe, bat gu viele Leibensgefährten, als dab fein boͤſes Ge⸗ 
ſchick allein ihm die Theilnahme der Nachwelt ſichern koͤnnte. 

Lenz burchfchnitt auf feiner trüben Bahn mehrmals ben 
Siegesweg Borthe's. Unfer Büchlein ſchildert in einer geſchicht⸗ 
lichen Einteitung und in Briefen von Renz zumeift jenen Zeit: 
raum, ala er tm Elſaß lebte und, nachdem (Goethe das Ber⸗ 
haͤltniß mit Friederiken abgebrochen, feibft mit einer Liebe ſich 
ihr anſchloß, die uns halb aus dem Herzen, halb aus bem 
Thaͤtigkeitsdrange feiner Phantafie entfproffen dünkt. Öfters 
ſchon habe ich fruͤherhin, zuerft in d. Bt., den Ruf der armen 
Friederike mit teiftigen Beweisgründen gegen die Angreifer ver: 
theibigt, bie ihre Grabesruhe flörtenz aber ich geitehe offen, daß 
ih, nad den vorliegenden Briefen von Lenz, wenigſtens in 
einer Hinficht geirrt haben mag : Friederike fcheint wirklich die Zus 
nrigung von Eenz ermibert ku haben. Benz ſchreibt am 3. Juni 1772: 

„Heute reift Mad. Brion mit ihren beiden Töchtern nad 
Saarbräden zu ihrem Bruder, auf 14 Zagc, und wirb viele 
leicht ein Mädchen dalaſſen, das ich wuͤnſchte nie gefehen zu 
Haben. Sie bat mir aber bei allen Mächten der 
Liebe gefhworen, nicht dazubleiben.” 

und am 10. Zunt: 

„Es ging uns Beiden wie Caͤſarn: Veni, vidi, vici. 
Dur unmerfiihe Grade wuchs unfere Vertraulichkeit; und 
jest ift fie beſchworen und unaufldstich.‘ 

Und ähnliche Stellen in mehren Briefen. Es kommt nun 

darauf an, ob die Phantafie von Lenz, bie nicht immer ſich an bie 
Ehrlichkeit der Profa hielt, nit in ſolchen Ausbrüden weiter 
ging, als vor einem billigen Schiedsgericht zu verantivorten ge: 
weſen wäre. Gin Verhaͤltniß zwifchen ihm und Friederike bes 
fland; ob es von ihrer Seite ein rein freunbfchaftliches war, 
ober fo innig, als er es ausfpricht, das mögen Andere entfchei= 
ben. Balten wie uns jedoch an die Andeutungen Goethe's, fo 
tönnen wir das Lestere feinenfalls annehmen. 
Renz fiel wenige Jahre, nachdem er Srieberife Eennen ges 
lernt, in unheilbaren Wahnfinn. Ob erſt hierdurch diefe Vers 
bindung fich gelöft, ober ob fie ſchon früher aufgehört, laͤßt 
das vorliegende Büchlein ungewiß. Kein feoherer Stern leuch⸗ 
tete feinem Pfade mehr. Gr ftarb als Bettler, von Almofen 
fi trosig friftend, zu Moskau am 24. Mai 1792. Geboren 
war er zu Geßwigen in Licfland am 12. Sanıtar 1750. 

Das Werkchen von Stöber enthält außer ber Lebensbeſchrei⸗ 


bung und eier Anzabl von WBeiefen, bie zum Theil ats Wow 
boten eines Wahnfinns intereffant find, auch mehre Gedichte von 
Lenz, bie in ber Tieck'ſchen Ausgabe feiner Schriften fehlen; 
ferner Gorthe's —— überſezung ber Oſſianiſchen Ge⸗ 
fänge, aus Friederikens Nachlaß abgedruckt, mit Beibehaltung 
der ‚fen Rechtſchreibung; fobann die bereits bekannten 
Gedichte Goethe's an Beieberifen. Als Beigaben find nod ein 
Bacfimite jener Goethe ſchen Überfegung und die Abbildung bes 
alten ſeſenheimer Pfarrhaufes zu erwähnen. 

Hoffen wie, dag mit biefem Werkchen ein Abſchluß jener 
unsrguidtidgen Bemuhungen gekommen fei, die Spuren Goethes 


in Irrungen des Herzens und Jugenberiebniflen aufzufudgen. 
Weder die Literatur noch bie Pfychologie gewinnen merklich das 


bei, wenn wir erfahren, was aus Zrieberifen geworden, nach⸗ 
bem Goethe fie verlaſſen; Goethe's Liebe zu ihr hat ihrem Ras 
men Ewigkeit verliehen und das Übrige gehört der Vergaͤng⸗ 
lichkeit an. Die Stelle, wo ein Lichling ber Götter einft in 
Begeifterung geweilt, ift uns auf immer heilig; aber weiches 
Schidfal vors und nachher biefeibe Stelle berührte, ift der 
Rachwelt durchaus gleichgültig. 2. Braunfels, 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Spaniſche Dramen ins Kranzöfifche überfegt. 

In Deutſchland find wir zuerft von X. W. von Schlegel 
auf die Meifterwerke des ſpaniſchen Theaters aufmerffam ges 
worben , während man in Frankreich ſchon laͤngſt verfucht hatte, 
einige derſelben auf dev franzoͤſiſchen Bühne einzubärgern. a, 
oählegel bot fi zum Theil, namentlich bei feiner Beleuchtung 
von Lope de Vega, vielleicht von einem ſeiner franzöfifchen 
Vorgänger gar zu fehr leiten laffen. Wir erwähnen unter ben: 
felben insbefondere du Perron de Caſtera und Einguet. Reider 
fonnte fich aber vorzüglich Letterer von ber leibigen Manier, 
Alles über ben modernen Eeiften zu fchlagen, gar nicht los⸗ 
machen. Er verbrehte, veränderte und verballhornifirte da 
nady Herzensluſt. Gegenwärtig erhalten wir nun zum fen 
Male eine Auswahl recht gut bearbeiteter ſpaniſcher Dramen 
und wire beeilen un® daher, auf biefelbe aufmerffam gu madhen. 
Wir meinen bie „Chefs-d’oeuvres du théatre nolt, 
von Damas » Hinard. Beſondert beachtenswerth find bie, lites 
rarhiftorifchen Notizen, welche der Herausgeber feiner über: 
fegung beigefügt bat. Diefelben zeugen von fehr grünblichen 
Studien und find recht gefchmadvoll gefchrieben. An mehren 
Stellen weift Damas⸗Hinard einige ber groben Irrthuͤmer nad, 
weiche Schiegel ſich hat zu Schulden kommen laffen Auch einige 
Verfehen von Bouterwek werben im Vorbeigehen berichtigt. 


Sranzdfifhe Werte über Irland. 

Bon den franzöfffchen Werken, melde Irland betreffen, bes 
ben wir vorpäglich zwei hervor. Es find dies erftens die bes 
kannte Schrift vom Deputisten Beaumont, der ſich durch feine 
Werke über Rorbamerifa und namentlich durch feine Unter⸗ 
ſuchungen über das Sklavenweſen ber Vereinigten Staaten einen 
bedeutenden literarifhen Namen gemacht bat, und dann das 
Bud „De l’Irlande” vom Literarifchen Parteigänger Gapo be 
Feuillide. Lehteres namentlich bat einzelne ſehr Intereffante 
Partien und ift im Ganzen recht leſenswerth. Wir erhalten 
gegenwärtig bie erfle Rieferung eines umfaffenden, illuftrirten 
Werks, das ein vollftänbiges Bild diefes intercffanten Landes 
geben fol. Es führt den Zitel „L’Irlande au 19ieme sieche“. 
Die Kupfer find zum Theil fehr gelungen und ber Text, ber 
von 3. 3. Prevoft , einem ber ehemaligen Rebacteure ber bes 
Eannten „Revue britannique”, herrührt, ſcheint fehr belehrend. 
Der verdiente Comte Taylor, der bereits an unzähligen aͤhn⸗ 
lichen Werken Theil genommen bat, licfert zu diefem Buche, 
deſſen Vollendung nody im weiten Zelbe ſteht, eine intereffanre 
GSinleitung, in der er die Geſchichte Irtands mit einigen alle 
gemeinen geiſtreichen Zügen zeichnet. 2 


Verantwortlicher Derauögeber: Heſnrich Brockhaus. — Drud und Verlag von 8. U. Brodyaus in Leipzig. 


- 


a U Ey D. | ZeNe ne Cu Zn EEE 


Blatter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerdtag, 


Der deutfhe Zollverein. 
(Beſchluß aus Nr. 137.) 

Auf diefe Weife wuͤrde nun in einem einzelnen Staate 
das Beleben der erfchlafften materiellen Intereſſen den gan: 
zen Staatskoͤrper verjüngen: Deutfchland iſt aber fein 
einzeiner Staat, fondern ein Verein felbftändiger. Staaten, 
und eben biefe mangelhafte Einheit ift der Grund feines 
Zuruͤckbleibens hinter den übrigen Weltmächten, in deren 


“ Weihe ihm der Eintritt erſt durch die aus bem Zollver⸗ 


eine folgende feflere Vereinigung zu fichern iſt. Es han: 
deit fi alfo darum, daß die commercielle Verbindung 
auch eine politifche werde, und bier ift zuzugefteben, daß 
e8 zur Zeit an einem flaaterechtlichen Bande, wel 
ches theils bie Dandelseinheit feft und bleibend machte, 
theils eine feftere politiſche Einigung daran knuͤpfte, 
noch fehlt. 

Ehen das Fehlen dieſes ſtaatsrechtlichen Bandes ift «6, 
was bei Manchen, und auch bei Höflen, noch Beſorgniſſe 
erregt. Die Zollvereinigung beruht auf Verträgen, bie 
nach Ablauf von 12 Fahren nad) vorgängiger Aufkuͤndi⸗ 
gung erlöfhen Finnen. Die einzelnen zu treffenden Maß⸗ 
regeln find ferner ebenfalls nur durch Vereinbarung zu er: 
zeichen: ber Widerfpruch eines Einzelnen hemmt Alle und 
eine Entſcheidung nach Stimmenmehrheit findet nicht ſtatt. 
Höften erblickt die Abhülfe diefes Mangels einer felten 

eganifution in einer Ausbreitung des Zollvereins über 
ganz Deutfchland, welhe dazu führen wird, daß die Zoll: 
vereinigung in Übereinftimmung mit Artikel 19 der Bun: 
desacte ein Integrirender Theil der Bundesverfaffung und 
ber periodifch zufammentretende Zollcongreß zu einem per: 
manenten Zollrath wird. Diefe Ausfiht bat in der That 
nichts, was gegen die Grundfäge des beutfchen Staats⸗ 
rechts verfließe: die Souverainstätsrechte ber einzelnen Res 
genten werden auf eine mit jenen Grundfägen unverein- 
bare Weife beeinträchtigt, wenn das Zoll: und Handels: 
weſen Deutfhlands duch beflimmte, vom Bunde ausge: 
bende Principien geregelt und — ebenfo wie das Mili: 
tairwefen — der völlig freien Anordnung der einzelnen 
Staaten entzogen wird. Gibt es aber auch von biefer 
Seite her eine Schioierigkeit, fo iſt doch auch nicht zu 
leugnen, daß das conflitutionnelle Princip, die „Voraus: 
fegung einer mitwirkenden Volksthaͤtigkeit“, dabei leiden 
dürfte. Dieſen Punkt hat befonders Steinader in einem 


18. Mai 1843. 


im erften Bande der Weil’fchen „‚Sonftitutionnellen Sahrs 
buͤcher“ enthaltenen Auffage ins Auge gefaßt. Würde bie 
Ordnung ber Verkehrs⸗ und Handelöverhäftniffe der Aus 
tonomie der einzelnen Staaten entzogen und auf bie Bun: 
desgewalt übertragen, fo fiele dieſe mitwirkende Volksthaͤ⸗ 
tigkeit natuͤrlich hinweg. Dieſelbe geraͤth uͤberhaupt in 
Ruͤckſicht auf die Zollverhaͤltniſſe ſchon jetzt in eine beſon⸗ 
dere Lage: die von den Staaten verabredeten Maßregeln 
bedürfen, wo man Conſtitutionen bat, der ſtaͤndiſchen Zus 
flimmung und werden den repräfentativen Körperfchaften 
(don fertig und feſtgeſtellt vorgelegt, fobaß deren Zuſtim⸗ 
mung meift deshalb, weil die Folgen einer Verweigerung 
nicht wohl abzufehen wären, ertheilt werden muß. Bildete 
die BZollvereinigung einen Theil der Bundesverfaffung und 
wäre die Ordnung der Zollverhältniffe eine Sunction des 
Bundes, fo ließe fih hier an eine Mitwirkung durch 
Volksvertretung gar nicht denken. Eine folche Vertretung 
ift nur in einem einzelnen Staate möglih und ihre Eins 
führung bei der Bundesgewalt wuͤrde daher bie Veraͤnde⸗ 
rung diefer in eine beutfche Regierung und den völligen 
Umſturz ber beftehenden Verfaſſung vorausfegen. Stein⸗ 
ader Außert deshalb die Idee, man könne dem Zollcon⸗ 
greffen ein conftitutionnelles Element beimifchen und ihnen 
eine aus Abgeordneten der einzelnen Staaten, fodaß viel: 
leicht auf 100,000 Einwohner ein Abgeordneter kaͤme, ges 
bitdete Verfamminng gleihfam als zweite Kammer unb 
vorerft nur mit berathender Stimme beigeben. Wir moͤch⸗ 
ten indeß — ohne im mindeften eine reactionnaire Ten⸗ 
denz zu haben — den Conſtitutionalismus bier noch nicht 
fo entfchieden in den Vordergrund treten laffen. Gerade 
in Zoll⸗ und Handelsfachen bat eine mitwirkende Wolke: 
thätigkeit ihre ganz eigenen Bedenken. Es iſt zwiſchen 
dem Intereſſe einzelner Perfonen und dem Gefammtwohle 
oft ein großer Unterfchied vorhanden. Eine Vertretung 
im Sinne des conftitutionnellen Principe bringt aber ‚nur 
immer die befondern Intereſſen zue Sprache, und man 
fieht an dem Beifpiele Frankreichs, daß eine entfchiedene 
Geltung folher Stimmen der Sonderntereffen in hohem 
Grade fhadlih if. Es kann alfo der Mugen einer fol 
den Anftalt nur darin liegen, daß man die MWünfche, 
Bedürfniffe und Sntereffen des Volks erfährt; zu dieſem 
Ende bedarf man aber feines conftitutionnellen Inſtituts, 
fondern es gibt andere Anftalten, welche biefem Zwecke 


550 


beffer genͤgen. Es darf Hier an die englifchen Parla: 
mentsunterfuchungen und bie franzöfifhen Enqueten ern: 
nert werden, welche allenfalls zu dem nicht als Regierung, 
fondern nur als Verſammlung unterhandelnder Beamten 
der einzelnen Staaten angufehenden Zollcongreſſe beffer 
poßten als ein conftitutionnelles Element. Jene englie 
fchen Unterfuchungen find oft In wahrhaft blindem Enthu⸗ 
fiasmus geruͤhmt: fie find In ber That nichts als eine 
Auskunft, die durch ben Mangel einer centralificten Staate: 
verwaltung und die Unmöglichkeit, fi auf andere Meile 
offisielle und glaubhafte Machweifungen zu verfchaffen, 
nothwendig gemacht wird, Der Zollcongreß kann auf bei⸗ 
weiten einfachere Weife bie nöthigen Machweilungen von 
den einzelnen Megierungen, denen e8 an Mitteln zu ihrer 
Herbeifchaffung nicht fehlt, erhalten. Näher liegen uns 
alfo die franzöfifchen Enqueten, Unterfuchungscommiffionen, 
die von der Regierung — oder auch von bee Deputirten: 


fammer — angeordnet werben und im erſten Sulle unter | 


dem Praͤſidium des Handelsminiſters thätig find. Solche 
Gommiffionen würden aud in Deutfchland vorkommen 
koͤnnen, jedoch bei den Arbeiten des Zollcongteſſes natuͤr⸗ 


lich nicht von einer Ständeverfammiung, fondern von ben 


Regierungen anzuordnen fein. Bis jegt ift indeß ein Be: 
duͤrfniß derfelben noch nicht fühlbar geworden, da die Mes 


gierungen im Beſitze ber nothwendigen flatiftifchen und | 


anderer Notizen find und nad den beflehenden Verwal: 
tungseinrichtungen die Übrigen in Trage kommenden Nach: 
eichten meift ohne befonbere Unterſuchungscommiſſionen 
werden erhalten koͤnnen. 

Wir dürfen überhaupt bei.den Anfprühen an die Per 
litiE des deutſchen Zollvereind nicht fanguinifch fein. Es 
ift gewiß ſehr richtig, wenn man die jest erlangte Einheit 
in den bisher beflandenen flaatsrechtlichen Formen zu pfles 
gen fortfährt und bie im Schoofe der Zukunft liegenden 


politiſchen Confequenzen ſich ruhig entwideln und ins Les | 


ben treten läßt. Alsdann wird fi für diefe Confequenzen 
die Form ſchon finden. Sept würbe aber eine Einführung 
folchee Formen, mit welchen man nad den Begriffen der 
Gegenwart einen Inhalt politifyer Einheit und regen of: 
fentlichen Lebens verbindet, namentlich die Einführung 
conftitutionneller Elemente in die Leitung der Vereinsan⸗ 
gelegenheiten, nur bie Dinftellung von Formen fein, bie 
erft auf den Inhalt warten müßten und im beflen Falle 
unnüg, im ſchlimmſten verberblich wären. Ebenſo wenig 
darf man zu fchnelle Mefultate und zu fcharfe Mittel in 
Bezug auf Hebung des Handels und der Induſtrie erwar: 
ten. Zölle find namentlich in Deutfchland blos ein Drud 
bes Handeld gewefen. Die neue Einrichtung des Zollwe⸗ 
fens, welche zuerft von Preußen ausging, konnte zunaͤchſt 
sur den Drud, der in den Zoͤllen lag, fo viel als thuns 
lich erleichtern und man batte einen fegensreihen Erfolg 
mehr von ber Ausbreitung und Arrondirung bes Bollvers 
eins als von ber prohibitiven und fchligenden Matur ho⸗ 
bee Zölle zu erwarten. Eine Anfeindung des Auslandes 
duch Tariffäge, ein plögliches Erzwingen de6 Aufblühene 
einer allmälig kräftig woerdenden Induſtrie konnte babei 
nicht in ber Politik des Zollvereins Liegen, bie theile 





finanzielle Zwecke, theils auch die HMüdficht, dag man bie 
Geſammtheit nit zu Gunſten Einzeiner befteuern dürfe, 
zu wahren hatte. Michtsdeftoweniger wird auf dem eins 
gefhlagenen Wege der Zweck, Deutfchland am Welthandel 
zu betheiligen und fo feine Macht und Blüte zu heben, 
gewiß erreicht werben, da es nicht fehlen kann, daß die 
immer mehr erflarkende Induſtrie und die demnächflige 


Ausbreitung des Zollvereins bis an das Meer diefem eine 


Theilnahme an ben Dandelsvortheiten moͤglich machen wer⸗ 
den, deren Reciprocität amı Ende doch nur allen Prohibi⸗ 
tios und Anfeindungszölien der großen Hundelsmächte als 
letzter zu erreichender Zweck zum Grunde liegen kann. 
F. Liebe. 





Dänemark und feine Könige bis zum Antritt des Oldben⸗ 
burger Haufes (1448). Vom Grafen Ernfi Re: 
ventlow⸗Farve. Zwei Theile Kiel, Schwers. 
1842. Gr. 8. 2 Thlr. 15 Nor. 

Die Weltgefchichte gleicht einem großen Epos, bie i 
ten ber Völker bilden bie einzelnen Rhapfodien und bie 

ler der Klio find die Rhapfoden. Und wie alle Dichtungsarten 

fih auf das Epos als Urquell hiſtoriſch zurädführen taffen, fo 

bietet auch die Weltgeſchichte den Stoff gu jeder Dichtungégat⸗ 
tung dar. Allein fo wahr auch biefe Behauptung wergieidhungds- 
meile fein mag, fo wenig kann doch die Möglichkeit gebadht 
werden, daB entiweber die Welthiſtorie ober auch nur eine Spe⸗ 
cialgeſchichte ſich zu einem wahrbaft poetifchen Kunſtwerke ders 
arbeiten laſſe Man barf zwar wiederum behaupten, daß ger 
wife biftorifhe Grfcheinungen einen abfolut poetifchen Charak⸗ 


| tee zeigen und daß die SDarftellung berfelben einen poetiſchen 


Schwung annehmen koͤnne, ohne ſelbſt in bie Kunſtform bez 
Poeſie gekleidet zu fein; aber deſſenungeachtet muß, wie in ber 
That auf der Hand liegt, bie Moͤgilchkeit in Abrede geftellt 
werden, daß bie poetiſche und biftorifche Kunft je in Eins zu⸗ 
fammenfallen könne. Der erfle Grund if der, daß bie Quellen 
der Wahrheit beiber verſchleden find: die Geſchichte geht vom 
ber Anfchauung Aufßerer Thatſachen aus, während die Poeſie, 
obſchon unter dem Ginfluffe dußerer Wahrnehmungen und Ein⸗ 
gebungen bis zu einem gewiflen Grabe ſtehend — das kommt 
auf die Dichtungsgattung an —, aus innern Borftellungen 
ſchoͤpft und freie Gebilde fchafft. Daher ift ſchon aus bems 
Grunde bie griechiſche Poeſie reicher als die römifche, weil ber 
erftern eine viel reichhaltigere Mythe zu Gebote ſteht als der 
legtern. Die Geſchichte ift beichränkt durch das aͤußerlich Ge⸗ 
gebene,, die Poeſie dagegen frei durch bas innerlich WBerbenbe 
und Geſchaffene. Mit einem Worte: bie erſtere hat es lediglich 
mit der Außenwelt, bie legtere mit der innern Welt zu than. 
Ein zweiter Grund ift folgender. Die Geſchichttdarſtellung muß 
ſich ſtreng an die gegebene Beitenfolge binden, bie Poefte dage⸗ 
gen entweber an bie, welche die erfoberlihe Darmonie ihrer 
orftellungen und inneren Anſchauungen nöthig macht und der 
Darftelung Einheit gibt, ober fie entruͤckt ſich namentlig im 
ihren hoͤhern Potenzen ber Beit gänzlih. Daher das Gefeg: 
bie Geſchichtskunſt bewegt ſich fortfchreitend auf dem Gebiete 
ber Zeit fo weit, als ihre Thatſachen gehen, das poetifdge Werk 
aber ift an 3eiteinheiten gebunden und wirb nur frei in feiner 
Ideenwelt. Ein dritter Punkt ift noch diefer: ber Geſchi 
liegt als erfter Zweck die Belehrung ob, und diefer wirb theils 
burch reine Erkenntniß der Thatſachen, theild durch Reflerionen 
erreicht; die poetifche Kunſt verfolgt zwar biefen Zwed amd, 
aber die Mittel, wodurch fie bie Erreichung deffelben möglich zu 
machen fucht, find verfchieben: fie gruppirt waͤhleriſch gewiſſe 
Einzelnheiten zu einem Ganzen und bemüht fi, durch das 
Medium ber Phantafie und bes Gefühle einen Totaleindruck 





Hr 


| . &s bieten fi num allerbings bem Dichter 
bifto Eheimungen dar, bie an und für fich ſchon fo poe: 
tiſch find, daß es beinahe nur ber dußern Kunftform bedasf, 
um ein dichteriſches Kunſtwerk daraus zu ſchaffen. In biefem 
Zalle kann ein Gericht ſogar als eine hiſtoriſche Duelle betradh 
tet werden, wie 3.8. bie „Pharfalia’’ des Eucan. Es kann aber 
auch ein hiſtoriſches Sujet der poetiſchen Hebung bebärfen, wie 
4. B. die „Maria Stuart” von Schiller. Allein ber exfte Kal 
macht ebenfo wenig eine allgemeine Geſchichte möglich, ale der 
zweite eine eigenttiche hiſtoriſche Quelle fein kann. Verſuche, 
umfangreichere Begebenheiten poetiſch zu bearbeiten, find im 
Altertbume von ben Römern gemacht worden, 4 B. von En⸗ 
nius, Lucan und Gilius Italicus. Es find aber dieſe Werfuche 
nicht blos deshalb ohne bedeutenden kuͤnſtleriſchen Werth, weil 
Ennius zu einer Zeit fchrieb, in weldyer die roͤmiſche Poeſie 
erft im Entſtehen begriffen war und die beiben andern Dichter ber 
Periode des verfallenden Geſchmacks angehörten, ſondern vorzuͤg⸗ 
Ih aus dem Grunde, weil das firenge Feſthalten an ber Ges 
Ichichte den Dichter unfrel macht, während auf ber andern Geite 
ein freies Gebahren des Dichters mit dem hiſtoriſchen Gtoffe 
sine flörende Gollifion mit ber hiſtoriſchen Kenntniß erzeugen 
muß. Die Griechen mit ihrem feinen Takte und bei bem Reich⸗ 
thum ihrer Mythen haben dergleichen Verſuche, fo viel uns bes 
kannt ift, gas nicht gemacht. Gelbft ihr Roman, obfchon feine 
Anfänge in das romantifche Zeitalter Alerander’s des Großen 
fallen, Lehrte doch vielfach auf mythiſche Perfönlichkeiten und 
blungen zurüd. Die Geſchichtsliteratur bes Mittelalters 
trägt bis ins 13. Jahrhundert eine mehr obes minder poetifche 
Faͤrbung an fi), aber gleichwol find bie ſchoͤnſten Dichtungen 
dieſes Zeitalters nicht aus einem zeinbiftorifchen Grund und 
Boden hervorgewachſen, fondern reichen mit ihren flärkfien Wur⸗ 
zein in ein ZBeitgebiet hinein, deſſen Gntfernung eine firenge 
Sonberung ber Wahrheit von der Dichtung nicht mehr zulieh, 
am fo weniger, ba den damaligen Dichtern und Geſchichtſchrei⸗ 
bern bie hiſtoriſche Kritik beinahe ebenfo unbelannt war, ale 
unſere Geſchicklichkeit geübt iſt, mittels der großen Retorte uns 
ferer Philoſophie die mythiſchen Subſtanzen zu einem hiſtori⸗ 
ſchen Ather zu ſublimiren. 

Nach diefen Grörterungen, bie natürlich noch manchen Su: 
fah, noch manche Erweiterung erhalten mäßten, wenn eine 
Grihörfung bes Gegenftandes erfoberlich oder bier thunlich 
wäre, glauben wir den Maßſtab genommen zu baben, nach weis 
chem das vorliegende Werk beurtheilt fein will. Wir können 
umnfer Urtheil in wenige Worte zufammenfaflen: es bildet bafs 
felbe kein poetiſches Kunftwert, fondern ein hiſtoriſches 
NReimwerk. Es tft allerbings die Möglichkeit denkbar, bie 
Sauptmomente einer Volksgeſchichte ober bie hervorſtechendſten 
Charaktere, Creigniffe und Thaten poetifh aufzufaſſen, na⸗ 
mentlich um fie befto leichter dem Gedaͤchtniſſe des Volks einzus 
prägen, allein eine ſolche fireng chronologiſche Dichtung, wie 
fie der Verf. gegeben bat, iſt ebenfo wenig geeignet, Eindruck 
zu machen ober Begeifterung zu erregen, als geſchichtliche Be⸗ 
Jehrung zu erzielen. Das Ganze leibet an Gintönigleit, bas 
Bebeutfahnere verfhwimmt in der großen Mafle bes Gleichguͤl⸗ 
tigen oder linbebeutenden und nur einzeine Momente, denen «in 
yeetifcher Charakter entwerer ſchon inwohnt, ober leicht zu ers 
Sheilen war, heben fidy hervor und unterbrechen auf eine ange 
mehme Weife die Sinförmigleit. Diefe legtere ift aber insbeſon⸗ 
dere theild vermöge der allgemeinen und langmährenden Indi⸗ 
vibualität bes Mittelalter hervorgerufen worben, theils dadurch, 
Daß bie ganze Darftellung ſich chronologiſch lediglich an bie Koͤ⸗ 
usige und beren Schickſale und Thaten anknuͤpft. Bon den 
ebiern und befiern Regungen der Geifter, bie doch auch das daͤ⸗ 
niſche Mittelalter, namentlich in feiner zweiten Hälfte, aufzus 
weiſen bat und die unter Kämpfen, Morden, Berrath und 
Berwüftungen bem beobachtenden und theilnehmenden Lefer der 
Geſchichte eine nicht minder nöthige ale angenehme Erholung 
gewähren, zeigen fih nur geringe Spuren. Übrigens find wir 
der Meinung, daß ber Verf. der gefammten Darftelung noch 


dadurch wefentlich gefchabet habe, daß er e, vierzeil 
Jambenverſe gewaͤhlt und nicht in einer Be 9— 
die durch ein umfaͤnglicheres Rhyythmenſyſtem auf ber einen 
Seite mehr Mannichfaltigkeit, auf der andern aber eine größere 
Einheit und größern Gindrud erzeugende Zotalität zur Folge 
gehabt haben würde. Die kurzen Verſe ermüben ebenfo fehe 
bei dem Umfange des Werke, ais fie bie Serriffenheit des Vor⸗ 
trags befördern und ben Eindruck ſchwaͤchen. Überdies ſchlaͤgt 
bie poetiſche Diction nur zu oft in Profa ober in eine unges 
lenke Gonfteuction um und der Einfluß des Reims auf bie ge= 
waͤhlten Wendungen und Wörter iſt nur zu oft ſichtbar. Wie 
möchten das Ganze, um une fo bezeichnend als moͤglich auszu⸗ 
druͤcken, einen literariſchen Baſtard nennen: es tft weder reine 
Poeſie, noch reine Geſchichte, es iſt von beidem etwas. Wir 
haben es um fo lebhafter empfunden, wie wenig ruͤhmlich die 
meiften Eigenſchaften bes vorliegenden Werks find, da wir 
eichzeitig mit der Lecture der Erefflichen Preisfchelft Allan'g 
die Geſchichte ‚Dänemarks beſchaͤftigt waren. Die eble 
proſaiſche Sprache dieſes Schriftſtellers befit eine ungleich flärs 
kere Anziehungskraft als bie Poeſie oder richtiger die gereimten 
Verſe unfers Verf. Aus einzelnen Stellen geht inbeh bervor, 
baß bemfelben ein gewifles poetiſches Talent inwohnen müffe; 
allein es fcheint die Ausbitdung zu mangeln, fowie die fiber 
kugung, daß Etwas, was einmal nicht poetifch ift, trotz aller 
erfification und alles Reimens, auch nicht Poefie werben Tonne, 
„ Um nun unfer Urtheil zu beftätigen, befonders infofern 
wir oben bemerkten, daß ein Hifkorifches Factum, en im 
an ſich ſchon eine poetifche Anlage eigen fei, mit Leichtigkeit bie 
bichterifche Kunftform annehme, zugleich aber auch zum Weweis, 
daß dem Serf. das Dichtertatent keineswegs völlig abgehe, her 
ben wir eine der beften Gtellen des ganzen Werks aus, meis 
nend, daß unfern Leſern mit einer guten Stelle mehr gedient 
I as ad einer Tetehten. wi König Erich Gtipping wich 
e egenpeit einer Jagd, auf ber er fich verirrt bat 
Berichworene ermordet (1286): ſich hat, durch 
Ein kalter Wind durchdringet Juͤtlands Gauen, 
Die Duchenwaͤlder ſtreifte er ſchon ab, 
Und bie gebraͤunten Eichenkraͤnze ſchauen 
Geſenkten Haupts auf das bemooſte Grab. 
Da kommt der Sturm, die Eichenkraͤnze fallen, 
Entblättert ſtarrt des Waldes Niefenbaum , 
Sein Schmuck, die Pracht der himmelhohen Hallen, 
Berſchwand, gleichwie des Lebend Blaͤtentraum. 
Und durch den Wald und durch die dunkle Haibe 
Schleicht eine finſtre Schar im Moͤnchsgewand, 
as ob fie ſelbſt den Schein des Mondes meide, 
Rachdem der Sonne Licht in Naht verſchwand. 
Den Geiſtern glei verſchwinden jene Schatten, 
K durch die Naht tönt Hell der Jaͤger Dorn, 
Die fih im dichten Wald verloren Hatten 
Und ſuchen eine Bahn durch Halb und Dorn. 
Der König Erich iſt's mit feinem Knappen, 
Des Truges Ebenbild, er iß's und finnt 
Auf feinem ſchaumbedeckten Dänenrappen, 
Wie er des Walded Ausgang bald gewinnt. 
Der König läßt fein Hiſthorn flärker tönen, 
Treu fendet es den Auf durch Wald und Mur, 
Doch Alles ſchweigt und nur die Eulen Höhnen 
Den König, welcher folgt bed Knappen Spur. 
Bon Wiborg war er jagend ausgezogen 
Unb Hatte fih in Haid' und Wald verirrt, 
Durd Zügen feined Knappen ſchler betrogen, 
Der wiſſentlich des Königs Sinn verwirrt. 
Moch glänzt der Mond, doch ſchwarze Wollen ziehen 
Und Lung birgt ihre keuſches Angeſicht, 
Als wolle fie den Pfad des Truges fliehen, 
Worauf den König führt ber Boͤſewicht. 


662 


Und ziehend weiter umter dunkeln Fichten, 
Erreicht er, als das Auge klarer ſchaut, 

— Der dichte Wald beginnt ſich ſchon zu lichten — 
Ein Scheunendach von Holz und Halb’ erbaut. 


Hier will der König jegt der Nude pflegen, 
Indeß fein Roß fi ſcheut und warnend ſchnaubt, 
Doch muß ed ſtumm fih bin zur Ruhe legen, 
Weil Bott ihm nicht die Rebe bat erlaubt. 
Doch fällt kein Schlaf auf König Erich's Glieder, 
Umbült von ded Werratdes finſtrer Nacht, 
Indeß der Uhu fehättelt fein Gefieder, 
Sein Feueraug’ die Mörder flarr bewacht, 
Die dreizehn an der Zahl, dad Haus erreichen, 
Wie Wölfe, die fi einer Deerbe nahn, 
Und Alle, als des biut’gen Bunded Beiden, 
Mit Kutten grauer Brüder angethan. 


Stig Anberfen winkt jest der Mörberbande, 
Graf Jacob, Palle und noch Andre mehr 
Bon Unzufriedenn Im Dänenlande 
Stehn Ale barrend um den Kührer ber. 


Doch als der Doi in feinen Händen bliget, 
&o ſtuͤrzt die gottvergeß'ne Moͤrderſchar 
Auf Erich, der im Stroh verborgen fitzet. 
Dooh bald ein Opfer Ihrer Doiche war. 


Dann übergeben fie dad Haus den Flammen 
Und eilen fchnell nah allen Winden fort, 
Indeß die Scähredendftätte bricht zufammen 
Und Aſche deckt bed graufen Mordes Drt. . 


Durchbohrt, zerfleifht von mehr als fiebyig Wunden, 
Wird Erich, ald bad Morgeniiht erwacht, 
Inmitten Schutt und Aſche aufgefunden, 
Al graufes Opfer ber Caͤciliennacht. 
Sein Roß entflieht und mit ihm Dänentreue 
Durh Wald und Gau, durchs ganze Waterland, 
Bis endlich Fürft und Volk, erfült von Reue, 
Bon neuem eint ber treuen Liebe Band, 


Sowie das ganze Werk mit einer kurzen poctifchen Debis 
cation an bie Königin von Dänemark beginnt, jo endet daffelbe 
mit einem poctifhen Schlußworte, das eines norbifchen Skal⸗ 
den nicht unmürbig ift und jedenfalls dem Verf. zur Ehre ge: 
reiht. Auch wir wollen unfere Anzeige des Werks mit dem 
Schlußworte deffelben befchließen : 

Wer führte freundlich mid Berg auf Berg ab 
Durd die Gefilbe jener fruhern Zeiten, 

Mer war mein fihrer Zroft, mein Wanbderflab, 
Der Borzeit Meeredfluten zu burdhfchreiten ? 
Du nur allein, bu gabft mir Kraft und Muth, 
Und unbetümmert folgend deinen Spuren 
Beſang ih, ſchauend in die blaue Blut 

Des Meers, ber thatenreihhen Vorzeit Fluren. 
So ſende ich auch dir mit Zuverſicht 

Des Dfſtſeeſtrandbes heimatliche Lieder, 

Wo jede Woge rauſchend zu bir ſpricht: 

D Dahlmann, kehre bald zum Strande wieder. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Shalfpeare in Frankreich. 

Wenn jest einige neuere franzoͤſiſche Kritiker die Behaup⸗ 
tung aufzuftellen wagen, Deutfchland, ja England ſelbſt habe 
Shakfpeare erft von Franfreih aus kennen lernen, fo ift das 
wirklich ein ſtarkes Stuͤck. Als bätte nicht Voltaire den briti- 
ſchen Dichter als ein monstre ber allgemeinen Verachtung preis: 
gegeben, und als hätten die Sranzofen nicht die erbärmlichen 
Überfegungen feiner Iragddien von Ducis auf dem Gewiffen! 


Wirklich Hat man erft ſeit einiger Beit in Frankreich angefane 
gen, die unfterblichen Werte Ghalfpeare’s zu würdigen. Co 
geſchehe bier nur der Bearbeitung „Heinrich's IV.“ Erwaͤh⸗ 
nung, bie auf dem Theater bes Ddeon unter dem Zitet 
„Walstaf'’ zur Aufführung gelommen ift. Die beiben jungen 
Dichter, Maurice unb Bacquerie, von benen biefe Arbeit here 
ruͤhrte, find in den Geiſt des englifchen Dichters eingedrungen. 
Leider find auch fie von dem Wahne befangen, als müffe man 
Shakſpeare für die franzöfifche Bühne erſt zuflugen. So haben 
fie fih, wenn fie beim „Kalstaf” fchon gar zu willkuͤrlich ums 
fprangen, bei ihrer neueften Arbeit noch flärkere Abweichungen 
vom Drigfnale erlaubt. Statt nämlich eine einfache Überfegung 
bes koͤſtlichen „Ende gut, Alles gut” zu geben, haben fie nur 
einzelne Züge baraus genommen und ein neues Stuͤck gemacht, 
dem fie den Namen „Le capitaine Paroles” gegeben haben. 
Auf diefe Art iſt aus einem lebendigen Luftfpiele eine bloße Sil⸗ 
houette geworben. Trotzdem kann man ben Bearbeitern das 
Verdienft nicht ftreitig machen, daß fie einzelne Zuͤge Shaffpeare's 
auf das fehlagendfte wiedergegeben haben. in anderer talente 
voller junger Dichter Namens Roger (er iſt ein Sohn des verr 
ftorbenen Mitglieds der Academie francaise), ber fi d 

die bizarre Dichtung „Oléar“ befannt gemacht hat, ſcheint 
jest gleichfalle dem Studium Shakſpeare's zu mwibmen. 

erſte Frucht feines Umgangs mit dem größten Dichter ber enge 
liſchen Nation find bie „Beautes morales de Shakspeare” 
(Paris 1843). Im Ganzen ift die Übertragung des „Rear“ 
und einzelner Scenen von „Heinrich IV.“, bie uns bier geboten 
werden, gelungen. Leider hat der Verf. ſich genöthigt gefehen, 
einzelne Schönheiten feines Originals fallen zu laſſen. Ss iaͤßt 
ſich dies indeffen, wenn in Berfen und noch dazu in franzäfte 
ſchen Verſen überfegt wird, nie vermeiden. Roger ift Profeflor des 
Engliſchen am koͤniglichen Collegium St. Louis und hat vor 
kurzem einen Cyklus von Borträgen über die englifche Literatur vor 
einem gemifchten Publicum gehalten, bie fehr angefprocdhen haben. 


Adelsalmanach. 

Wenn es in Deutſchland mehr als eine Adelszeitung gibt, 
fo finden wir dies ganz natuͤrlich. Aber in Frankreich, wo bie 
Revolution reine Bahn gemacht bat, wollen uns berglsidgen Er⸗ 
fcheinungen Anachronismen duͤnken. Wir wiffen deshalb auch 
nicht, 0b ber ‚Annuaire de la pairie et de la noblesse de 
France” von Borel b’Bauterive ſonderlichen Anklang finden 
wird. Es wird in bemfelben nad Art des -befannten „Al- 
manach de Gotha‘ eine Chronologie aller fouverainen Pänfe 
Europas und außerdem noch eine Genealogie der vornehnaflen 
berzogtichen und fürftlichen Yamitien gegeben. Als Beilage em 
hält man ein „Precis historique de la pairie en France” 
und ein „Precis el&mentaire de blason”, 








Die Ariflotelifhe Philoſophie. 

Coufin bat fih das unfterbiihe Werbienft erworben, dem 
Stubium der griechiſchen Phitofophie in Frankreich einen neuen 
Aufſchwung zu geben. Rad ihm haben fich einzeine Gelchrte 
in dieſes weite Gebiet getheilt-. So hat 3.8. Barthelemy St⸗ 
Dilatre, deffen Titerarifche Beflrebungen wir in db. BL. zu wies: 
derbolten Malen erwähnt haben, feine ganze Kraft der Philo⸗ 
fophie des Ariſtoteles zugewendet. An feine Schriften, die der 
Erläuterung dieſes Philoſophen gewidmet find, ſchließt ſich ein 
Wert an, von bem vor Eurgem ber erfte Band die Prefle ver 
laſſen hat. Es ift dies die libertragung der „Metaphufit?? des 
Ariftoteled, von der zwar einige ditere franzoͤſiſche Bearbeityne 
gen eriftiren, von benen aber, fo viel wir wiffen, keine einzige 
im Druck erſchienen ift. Die Verf. biefer neuen überfegung, 
zwei ehemalige 3öglinge der Ecolenormale, Alexis Pierron und 
Charles Zevort, haben ihrem Werke, das mit Recht ihrem Leh⸗ 
rer Goufin gewidmet ift, mehre ausführtiche Anmerkungen beis 
gefügt, die auf bie dunkelften Partien der Ariftotelifchen Lehre 
ein helles Licht werfen. 2. 


Verantwortlicher Herausgeber: Deinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von 5. 4. Brodhaus in Leipzig. 





ws. 1. — — er 


Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 


Freitag, 





19. Mai 1843, 





Überfiht der neueften poetifchen Literatur. 
Erſter Artikel. 


1. Thalblumen. Gedichte von Fr. Ser. Schanza. Zwei 
Bändchen. Wien, Gerotd. 1842, Gr. 12. 1 Ipir. 

An dem verfificieten Borwort bittet ber Berf. den Leer, 
auf den Pleinen, erfigeborenen (?) Nachen, den er durch die Wo⸗ 
gen (der Poefie) leite, einen gewogenen Bid zu werfen, ta e6 

Schiffers Zuverſicht ftärke, wenn er in bie heilverheißenden 
Augen ber Sterne blide. Offenbar ift er ein Reuling im Kahn 
führen und ein etwas unbeholfener Schiffer. Das melodiſche 
Wellengefäufel will er durch pretidfe Ausbräde (mie wir denn 
gleich in der erſten Nummer auf „ſaͤuſetfrohe Zauben, Harmo⸗ 
nientrdume und Radhtigaligeflüfter” floßen) hervorbringen; aber 
ee bedenkt nicht, dap es der Geiſt und nicht bad Wort ift, was 
lebendig macht und Klänge fchafft. Überdies fieht man ben 
meiften Liedern die Mühmaltung, das Gemachte, die Geburts: 
wehen an, unb in ben Romangen offenbart fich eine unklare und 
ſchwuͤiſtige Redfeligkeit. Den luſtigen Bräbern ruft er warnend 
mu: „die Jugend flieht; darum genießt, was Okkaſio (sic!) 
gibt, trinke, et, tanzet und lieber”, und &. 48 ruft er 
einer entfernten Wilhelmine gu: 

Es birgt die Bonn’ ihr ſtrahlendes Gefieder, 

Und fintt beſcheſden am Dorizonte nieder, 

Do& nit mit ihr mein Herz, das ſtets ein Kranz umflicht, 

Der finnig bentt (117%): Vergiß mein nicht. 
An biefee Probe wird ber keſer errathen, weß Geiſtes Kind uns 
fer poetifcher oͤſtreichiſche Schiffer fei, und wirb zugleich bezwei⸗ 
fein, daß ein Auge mit Beifall auf den ſchlecht gezimmerten 
und fchlecht geführten Kahn biicke. 

Wien, Bed. 1842, 


2. Gedichte von Bincenz Zusner. 
Gr. 8. 20 Par. 

Bier offenbart fich eine Klarheit und in ber Klarheit eine 
Semüthlichkeit, die Jedermann verfländlid wird und bei der 
man glaubt, die Sachen ſchon irgendwo gehört ober gefehen zu 
haben. Man ſuche nichts, was Aber bie Sphäre des Alltags: 
lebens hinausgeht, Fein großartiges Bild, Leine Plaftil, Leine 
Bäßnen Gedanken; hier tft nichts als fließende Verſe, correcte 
Sprache, Reinheit bes Reims, Gingbarkeit der Weifen und ly⸗ 
rifche Behaͤbigkeit. Die großen Lettern, das Format und das 
weiße Papier machen das Buch zur Lecture für Greife und 
Matronen gerignet, die mit unbewaffnetem Auge fonft nidt 
leſen können. 


3. Blüten der Liebe. Bon Wilhelm Torffſtecher. Prenz⸗ 
lau, Bincent. 1843, 8 35 Nor. 

Nicht gern fagen wir bei Sängern beutfcher Lieder: no- 
men - omen; aber bier liegt’8 nahe. Der Verf. dieſer Gebichte, 
an denen ber Titel das Beſte iſt, fördert nirgend edles Metall 
zu Xage, ſondern höcftens jenen ſchwarzbraunen vegetabilifchen 
Brennftoff, der trog feines übeln Geruchs in vielen Gegenden 
unſers Vaterlandes cin Surrogat bes Brennholzes geworben ift, 
und wenn er auch Afthetifche Skandale vermeidet, ß ift ee doch 


Träumen barf ih nicht, 

Handeln kann I nit, 

Lieben fol ich nicht, 

Klagen will ich nit: 

So gelinget mir benn au kein Gebicht. 

4. Gedichte von ©. E. Cloſter. Nürnberg, Stein. 1841. 
Gr. 12. 15 Nor. 

Mit weniger Selbſtgefaͤlligkeit ale Hr. T er und 
nicht ohne Anlage für Epifches auftretend, bietet diefer batrifche 
Sänger in gar bunter Reihe, auf etwas graues Papier gedruckt, 
NRomantifches, Srotifdye® und Naturgemaͤlde, worin fi) mander 
Gedanke und mandyes Bild findet, das uns erhebt; aber häufig 
werben wir burch einen hoͤchſt profaifchen Gedanken wieber ber: 
abgezogen in bie nücdhternfte Nuͤchternheit; inbeffen darf die Kris 
tik Teinen zu firengen Maßſtab an biefe Lieder legen, bie, einem 
Burgen Borwort zufolge, eigentlich nur dem Kreife einer engern 
Tyheilnahme beflimmt waren. Gut gehalten iſt „Byron's lehter 
Troſt“ (S. 94), 

5. Gedichte von A. ©. B. Merlinau. Berlin, Mittler. 
1842. Gr. 12. 10 Nor. 

In der erften Nummer, einem Sonette, legt der Verf. dem 
Leſer feines Beiftes junge Blüten vertrauensnoll in bie Hände, 
belehrt ihn, er finge nur von Treue und Baterland, nehme 
mebr das Gemüth als den Verfland in Anſpruch, wünfcht herz⸗ 
ih, au gefallen, und ſchließt mit ber Werficherung, er werde 
fein Saitenfpiel zertrümmern, wenn es Misfallen und Lange⸗ 
weile weden follte. Indeffen hat es bamit gute Weges Dr. 
Merlinau, der ein junger patriotifcher Berliner zu fein fcheint, 
wird in dem efwaigen Tadler feiner patriotiſchen Akroſtichen 
u. ſ. w. gewiß nur den haͤmiſchen Kritikus oder den blaffen 
Neider wittern und wird weiter fingen. 

6. Rheinifche Kotsharfe. Herausgegeben von Jakob Stang. 
Bonn, Habicht. 1841. Gr. 12. 20 Nor. 

Das Büchlein gibt topographifche Gemälde, rheiniſche Los 
calromanzgen, patriotiſche, erotifche und gelegentliche Reime ohne 
Geiſt, worunter „Was brallt?” (©. 87) das ift, was bie frans 
söfifche Sprache coq-a-l’äne nennt. 

1. Heemskerk's Seezug nach Gibraltar. Gedicht von A. Bo: 
gaers. Aus dem Niederländifchen übertragen von F. W. v. 
Mauvillon. Rotterdam, Baͤbeker. 1842. Er. 8. 25 Nor. 

Im 16. Sahrhundert Eonnte es ber Monarch Spaniens 
nicht über feinen Stolz gewinnen, die Freiheit und Unabhängige 
keit Hollands anzuerkennen. Im Anfange bes 17. Jahrhunderts 
befchloffen die Staaten ber Vereinigten Rieberlande, diefe Aners 
fennung zu erzwingen; de züfteten zu dem Ende eine Flotte 
aus, deren Commando dem Admiral Heemekerk übertrugen, 


—** den Spaniern vor GSibraltar bie Seeſchlacht lieferte, bie 
in biefem ſplendid ausgeſtatteten Buche befungen if. —æ 
criangte durch dieſe Schrift den von ber hollaͤndiſchen Geſellſchaft 
für ſchone Künfte und Siſſenſchaften ausgefegten Preis. Hr. 
v. Maupillon hat es zu Nug und Brommen ber Deutſchen vor: 
treffiäg übertragen, unb bat fehe wohl daran geiban, ba wir 
bis a mit vorhefmer Gleichguͤltigkelt auf die Erzeugniſſe wie 
berländifcher Poefie geſchaut haben. Hätte ein beutfcher Dichter 
indeffen diefen Stoff fo bearbeitet, wie bier zu leſen iſt, fo iſt 
es die Frage, ob er den Preis erhalten hätte; denn wenn wir 
die pattiotiſche Wärme hinwegnehmen, die aus dem Ganzen 
haucht, fo bleibt ein winziger äfthetifcher Werth und Gehalt, 
der noch obendrein durch den Mangel an epiſcher Kürge ge: 
ſchmaͤlert wird. 

8. Gedichte von ©. Schellenberg, geb. Biedermann, 

Berlin, Reimer. 1841. Gr. 12. 230 Nor. 
Cine Dame. Sie liebt zu reflectivens doch wänfchten wir 
diefen Reflexionen etwas mehr Geiſt. Das Gelegentliche erhebt 
ch kaum über Zriviales und ben Namen ber deutſchen Sappho 
wird ſich die Verf. ſchwerlich erfingen. 
9. Elmire und Ferdinand, oder: der Liebe Heldenmuth. Von 
Beiebeic Graf Hochenegg. Leipzig, Hunger. 1841. 
. 1 Zpie. 10 Nor. 

Ein im Bänkelfängerton, ober im Geiſt der Romanzen, ges 
druckt in diefem Sahre abgefaßtes Buch, in deſſen Lecture wir 
nicht weiter ats bis S. 34 kommen konnten — in ber That 
unter aller Kritik. 

10. Kauft. Ein Gedicht von Woldemar Nürnberger. 
(M. Bolitar.) Berlin, Logier. 1842. 8. 15 Nor. 

Obwol ledbarer als ,„KElmire und Ferdinand“, wird bie 
bier genaunte Ilias post Homerum doch immer nur nürnberger 
Zand auf dem Bazar unferer neuern epiſchen Literatur bleiben, 
und wir bezweifeln beinahe, daß felbft derjenige Kunſtrichter 
gänftig darüber urtheilen wird, der im Stande fein follte, von 
jeglicher Paralleie mit dem gleichnamigen Goethe'ſchen Meifters 
werke zu abſtrahiren. Dex Hier auftretende Fauſt iſt ein gauz 
gemeinen liederlicher Geſell, den zwar aud die Wiſſenſchaft nicht 
befriedigt, ber ſich aber dem Mephiſto nicht ergibt, damit ihm 
dieſer den Wiſſensdurſt Löfche, fondern damit er ibm Mittel und 
Gelegenheit fchaffe, die ungezähmten Lüfte und Begierben zu bes 
friebigen, bie ihn verzepren. Das thut denn auch biefer wirt 
lich gemeine, ſchmuzige, ber Wöllerei und Trunkſucht ergebene 
Teufel veblich und ſchuͤrt des Lehrlinge unkeuſches Feuer, in⸗ 
dem ex bemielben in Hätten und Paldfien Nahrung zuführt. 

auft if Mebicus und Anatom; aber er bat bie menfchliche 
tue nicht ſtudirt, noch das pfochifche Weſen anatomirt ; ſei⸗ 
ner Zeeltanfäauung mangelt Originalität und Ziefes bie Er: 
eigniffe, felten gehörig motivirt, (einen bunt zufammengewürs 
feit zu fein; bie Charaktere find mit einem unſichern, bie Ras 
turreize mit einem plumpen Pinfel gemalt; Anfland und Gitte 
wird oft verlegt; ſchuldloſen Jungfrauen muß bas Buch ein 
Abſcheu, heipblütigen Juͤnglingen wird es ein moralifches Gift 
fein. Nur ber Shtuf iſt originell und ſelbſt ergreifend; benn 
der Rabe bes Hochgerichts, der bem an Geiſt und Leib gerrüttes 
ten Wüftiing die Krüde in die welke Hand gibt, involviert einen 
ſchen Gedanken. Die Berfe verrathen hin und wieder Ger 
wandtheit im Ausdruck, aber der Reim ift nicht immer rein; 
die Gonftruction iſt Häufig regels und geſchmacklos; auch an 
Druckfehlern feblt es nicht; Summa: diefer „‚Baufl” konnte 
fuͤglich im Pulte des Hrn. Nuͤrnberger verſchloſſen bleiben. 


11. Vermiſchte Gedichte von D. C. ©. D. Hanfemann. 
Hamburg, Perthes⸗Beſſer und Mauke. 1841. Gr. 12. 2 Ngr. 
Zweck der Herausgabe des Buchs iſt Unterſtuͤzung ber Blin⸗ 
benanftalt in Hanover, weshalb auch voran ein langes Sub⸗ 
ſcribentenverzeichniß; Geift ded Buche ift der der alten Schules 
der Inhalt deffeiben befteht in 26 Geburtstagsgedichten an Ber: 
wandte, Freunde und hohe Goͤnner, in verfchiedenen Epithala⸗ 
mien, Gonetten, Scherzgebichten, Neujahrsliedern, Oden und ei: 


bes Ir? u, 
Bun nbeefehung be ainfangt von Dfflan’s „Bingat”. Moͤge ber 


13. Gedicht i g . , 
5 —* von Briedrich Ludwig. Kaffel, Fiſcher. 1842. 


8 
Diefe von einer gewiffen Jugendfriſche angehaudhten Liedes 
verratben in ibn Iingspreisgefängen —— in ihren 
religioſen Hauchen fhommen, in ihren erotiſchen Erguͤſſen weiches 
Gefuͤhl und in ihren vermiſchten Klaͤngen eine gehaltene Phan⸗ 
taſie; aber wir konnten nicht eines als ausgezeichnet notiren, 
und ſie gehoͤren in die Kategorie derer, die unbeachtet von den 
Wellen bes Zeitſtroms hinweggeſpuͤlt werben. 


13. Gedichte von Henriette Braus. Barmen, Langemief 
1843. Gr. 12. 25 Ror * 


Wollen wir der Wahrheit bie Ehre geben, unb wir müfs 
fen bad, ſelbſt auf bie Gefahr bin, bes ſchoͤnen Sängerin wehe 
zu thun, fo gehören auch diefe Lieder, aus denen fid) einige Ans 
lage für Epiſches kundgibt, zu ben Blumen, bie fie S. 217 
dem Dichter darbietet. Ref. fagt mit dem Dichter: 

Mein Kind, warem mir Blumen wäßlen, 
Da ihre Schönkeit kur) nur lacht? 
Kaum freut an ihnen fih bad Auge, 
So weltt fdon ihre Farbenpracht. 
14. Gebichte von Wilhelm Stens Komm, Habicht. 
®r. 8 1 Thlr. 15 . 
Ein gebüdeter Geiſt, eine wadere Geftnnung, 
Gefuͤhl laſſen ſich diefem Sänger nicht abſprechen; aber damit 
läßt ſich heutiges Tages im Steiche der Wtufen kein hoher Es⸗ 
senpoften erklimmen; ber Kunſtrichter ſowol als bad verwoͤhnte 
Publicum verlangen mehr vom Dichter der Jetztwelt als Regels 


und ' be’ (@. 7), „Auffoberung” (S. 21), „Giegie i 
Winter” (&. 172) aus „Die —— —* —* 


ſchende Gedanken, neue Biider, kuͤhne PYhantafirflüge ſucht man 
vergebens. Des Erotiſchen finbet fi wenig. Als Gelungenes 
notirten wir „Menſchen und Ratur” (©. Yn, „an Louife‘‘ 
(S. 52); unter den Sonetten, bie einen nicht unbebeutenben 
Theil des Großoctavbandes füllen, beuten wir beifällig bin 

Nr. 38 (©. , Ne. 40 (&. 290); unter den Ghaſeren auf 
Ar. IV (S. 2394); unbebeutenden Di 


& 


auf „Der Kranz’ (©. ), „Die Blinde” (G. . DE 
©trom" (&. 97165) if in Borm und Geif * einigen 


Themen völlig der Schiller'ſchen „Glocke“ nachgebildet 

wire ewiß Beifall gewinnen, wenn biefer Strom nicht zu 
breit wäre und man nicht unwillkuͤrlich an das Vorbilb, wor⸗ 
nad er gearbeitet ift, erinnert würde. Ginige antik gemeffene 
Stuͤcke find in metriſcher Dinficht mit Geſchicklichkeit behandelt; 
um jedoch dem Berf. zu beweifen, baß wir feine Berſe pflicht⸗ 
mäßig gewärbigt haben, welfen wir auf einige Werfiöße in ber 
Gcanfton hin; 4. B. &. 28 im Serameter hat er gemeffen: 


‚waftand”, ©. 353 im dritten @onett heißt es: ich fehe mit 
Gntzüden euch „hernapa”, S. 431 „zuwinft”, ©, 227; „wen 


u — U 

rief Neptun”, ©. 203 ift ein Spondeus im zweiten Zeil des 

Pentameters; in mehre Sonette laufen fechsfüßige Jamben, 

vgl. 3. B. ©. 273, 274, 278, 281, 282 und 283; in ans 

dere verirren fi Yünffüßier. Der Verf. halte diefe Bemer⸗ 

Fungen, namentlich in Bezug auf die Sonette, ja nicht für Pe⸗ 

bantismus oder Spfitterrichtereis Boileau, wenn er fonft mod 

als Autorität gilt, fagt: „Un bon sonnet vaut seul um Jong 
po&me,” 

15. Die Kriegskunſt. Lehrgebicht in ſechs Geſaͤn aus bem 
Franzoſiſchen Friedrich des Großen metrifi ‚ überfe von 
&. 4. Springer. Berlin, Heymann. 1842. 16. 18 Res. 

Der Überfeger legt diefes didaktiſche Bebicht aus der Feber 
bed großen Preußenkönige dem Prinzen von Preußen als Opfer 


Sr 


aa ung au Bien; und wer wollte ſolche Ce: 


16. Bluͤten des Ailers von Karl Lappe. Stralſund, Löffler. 
1841. &r. 8 | hir. “ 
Man wirft dem Alter Geſchwaͤtzigkeit, Tadelſucht ber Jetzt⸗ 
weit und verdrießliches Weſen vor, unb von einem bichtenden 
Gerife behauptet man gewöhnlich, bas zur Poeſie nöthige Feuer 
fei in feiner Bruſt erloſchen, er fei mithin unfähig, in dieſer 
Hinſicht etwas zu leiſten; 
reis nicht ‚ ber ben Boben ſeines warm fchlagenden 
Hergens viel beffere Bluͤten unb Fruͤchte abzugewinnen weiß, als 
feine Sandsieute den fandigen Schellen des Pomwerlandes. Wir 
bönen hier das anmuthige Gepiauber eines beitern, freundlichen 
Greiſes, deſſen gemüthtiche Reflexionen ſich licht in Ryythmus 
und Reim. ſchmiegen, oft aber auch fich im ungebunbener Rede 
ewgeben, ober fogar Monologen gleichen, bie alte Leute zu halten 
Heben; &. 65 ftürzt er ſich ſogar in „Bute Nacht an mein 
Herz ins Metrum und wieber hinaus, unb wir meinen, in 
dieſem Treiben offenbare ſich eben fein Dichterberuf; in Folge 
eines unabweisbaren Dranges muß er ſich ausſchuͤtten. Gewiß 
hatte er nie nöthig, bie Berſe an den Fingern abzuzaͤhlen; uns 
befümmert um Korm und Metrum, gibt ihm der günftige Mo» 
ment ungefucht beibes. Doch ficht bapin, ob dieſe gemüthlichen 
und Eunfllofen Grgäffe vor den Augen moderner Kunſtrichter 
und ber Jugend Gnade finden; benn ein lebhafte, das Auge 
beftechendes Farbenſpiel haben fie nicht; ſie find Probucte einer 
langen Erfahrung, einer prüfenden Weisheit, eines patriotiſchen 
Sinns, eines warmen Herzens, gedankenreich und kraͤftig. Im 
„M. K. Gicero’ (©. SU) wird er ber Apologet bes Altenb: 
Was wirft man doch dem Alter vor? 

„Es hemmt die Wirkfamtelt?”" — Mit nichten! 

„Aber dab Gedächtnis wird gefhwädt? 

Ich kenne noch die ganze Welt mit Namen. 

„Dem reife fehlt die Sänglingätraft?” — 

Ich Bann noch immer mehr, als wie man fobert. 

„Das Alter barbt an finnliher Luſt?“ — 

D ſchoͤne Gabe, wenn es und von bem befreit, 

Was unfre Jugendzeit erniebrigte. 

„Der Tod ift vor der Thüre?” — 

Auch Kinder ſterben, Juͤnglinge und Männer. 


Eine erfte Leiche auf einem neuen Kirchhofe läßt er (S. 3) un: 
zufrieben mit dem ihr angewieſenen Pläschen fagen: 
O, wie beneib’ ich jene drüben, 

Die gefellig wohnen, Wand an Wand, 

Wie im Dorfe ber Bebenbigen ı 

Meine längfigeftorbenen Ättern, 

Meine voraufgegengenen Kinder, 

Deine Bekannten und NRahbardlente ! 

Werft mir von ihren vermorſchten Särgen 

Ginen Gplitter mit in die Gruft! 

Es wird mir ein Tre fein! 
Ebenſo originelle Gebanken und Keflexionen finden ſich (&. 10) 
in „Die Doppelgemeine’, eine plaſtiſche Barftellung und lebendiges 
Gemälde einer Gemeine, bie Sonntags zur Kirche u, mit 
treffenden Binbeutungen auf kirchliche Zuſtaͤnde ber Jetgtwelt 
und bie Geiſttichen unſerer Tage. Gehoben wird das Ganze 
dadurch, daß ber Dichter mit den Lebendigen bie früher verſtor⸗ 
benen Mitglieder ber Gemeine zum Gotteshaufe ziehen und bas 
zin Patz nehmen ſieht als unfidhtbare Zuhörer und Beter. An 
ben Paftor läßt ex die Mahnung ergehen: 

Schwarzer Dann, dort im Berfluffe, 

Der du treten ſollſt auf die Höhe, 

Und verkünden bad Wort bed Allerhoͤchſten, 

Einwandlos predigen unb fdhelten 

ine Siodraftunde fang — 

Diſt du auch wärbig bereitet? 

Daft du auch gruͤndlich flubizetz 

Bom Montage ab bie ganze Woche? ‘ 


biefe Vorwürfe können den jowialen | 


In jeder gäuftigen Gtunde 

Gedanken geſchoͤpft und gefichtet, 

Pruͤfend aufgefchrieben, ſchwarz anf meiß, 
Memorirt, was fi tuͤchtig bewährte? 

Haſt du das Bold des Munde geſchmiebet? 
Fuͤhrſt du goldne Apfel in fllbernen Schalen ? 


Oder ware bu weltlich gerichtet ? 
Tag' aus, Tag ein bi6 zum Sonntagmorgen ? 
Vertroͤſteſt di und und mit bem, 
Was der Geiſt des Augenbiides 
Dürftig genug zutröpfeln wirb ? 


Sage nit: „Ich fehe leere Bänke; 
Wie fol Hier Begeifirung fi entflammen?” 
Dich fol die Stelle begeiftern, 
Nicht Hinz und Kunz, nit Ehriſtel und Käthe, 
Au iſt dad Haud mit nichten leer, 
Es iſt vollgebrängt zum Crftiden. 
Du ſiehſt fie nit; fie ſehen dic, 
Ste ſchoͤpfen lauſchend jebed Wort, 
Nehmen es mit in die einfame Gtille, 
Auch find’ ja nicht die Laien allein, 
Swanzig, dreißig Maͤnner vom Bade, 
Ein hochwuͤrdiges Confiſtorium u. f. mw. 


Bie warm und verftändig ſchwaͤtt und monologifirt er (8. 14) 
über „Bücher und Bilder”; wir würden das Stüd für den Les 
fer in feiner ganzen Länge bier abbruden laffen, wäre ber 
Raum uns nicht fo fehr beſchraͤnkt. Daffelbe würden wir thun 
mit dem anfprechenden Idyll oder Kindermaͤrchen (S. 16) 
„Mutter Tanne“ überfchrieben, bas in naiver Darftellung ein 
Muſter if. Gleiches Eob gebührt dem Monologe, den (S. 42) 
ein flerbender Greis hält, woraus nur zur Probe die Worte 
bes Scheidenden: 
Mein Schöpfer und mein Bert, 

Mein unumihräntter Gebieter und mein Richter, 

Obwalter über den Wurm, der fib kruͤmmt, 

Den du jeden Augenblick 

Nach erhabener Willkuͤr 

Ververben konnteſt und vernichten, 

Wie bu ihn hervorgerufen, ohne Ihn gu fragen, 

An unerlannte Belege ihn gebunden, 

Sins Bahn ihn führf, bie Hinter ibm verfintt, 

Während vor und neben ihm 

Undurchdringliches Dunkel rudt — 

Dem du aber für den Augenblick, 

Ihm bad aufdrungene Dafein zu vergäten, 

Froͤhlicher Senüfle Fuͤlle, 

Der Sonne wärmenden Glanz, 

Eine Blätenwelt unter Sturm und Schloßen, 

Der Treundſchaft Taͤuſchung und der Liebe Traum, 

Die Beine Gitelkeit 

Bon Pracht, von Großthat, von deruͤhmtem Namen — 

Den Belänftiger und Verſoͤhner Schlaf, 

Und bie buntfärbige Narrin Phantafle, 

AS ein heiteres Spielwert Hingeworfen — 

Laß mid, wenn es moͤglich wäre, 

Laß mid, enden ohne Angſt und Schmerz! 


ber wunderbar, ber mittlere heil und das Ende bes Buchs 
entipricht Eeinedmegs dem Anfange. Seine Stoffe werben Bas 
gatsllen, er wird mitunter geſchwaͤtig, bed Witzes Pfeile find 
unbefiedert und treffen nicht. Schon die Gedichte in pommer⸗ 
fer Mundart Hätten wir herausgewänfihts wie wibsig unb 
unpaſſend ift die Ode nach Horaz im Plattbeutichen! Die bios 
graphiſchen Preislieber auf ausgezeichnete Pommeranen hätten 
wir ihm ebenfo gern gefhentt, ald die Nummern, bie von 
©. 95 pommerſche Städte und Drtfchaften befingen, unb ber 
Verf. täufcht fi, wenn er behauptet, baß dergleichen ärtliche 
und perfönliche Poefien für das Ausland Intereſſe ober Werth 
haben. Die ganze Sammlung ſchließt mit „Kteine 


366 


poefie die auch einem großen Theile nach durch erkünftelte 
eme ausgebrütet if. ei alledem iſt das Beſſere überwies 
gend und ber heitere, gemuͤthliche Greis braucht feine Lyra noch 
nicht an die Wand zu hängen. Hell Dem, welchem bie Kälte 
des Alters dieſes dulce lenimen senectutis nicht verfliimmt ! 


17. Kornblumen. Grbiäte von Sb. G. Ernſt am Ende 
Dresden, Sillig. 1842. 8. 1 fir. 

Die elegifche Saite klingt am veinften auf biefer befcheibes 
nen Lyra und wir möchten auf den in ber ganzen Sammlung 
vorherrschenden Geiſt die finnigen Schlußworte in ber Wibmung 
an bie Mutter des jungen Sängers anwenben: 

Ob man auch Sters im Maskenſpiele fände : 
Im Scherze ſelbſt Liegt tief oft Ernſt am Ende. 


Dr. Ernft von Brunnow führt den Verf. durch ein freundliches 
Borwort vor ein größeres Publicum ; der Kornblumenkranzwin⸗ 
ber ſelbſt aber verfichert in biefem Vorwort, auf hohe poetifche 
Richtung, kuͤnſtleriſchen Schwung und vollendete Form made 
keins feiner Gedichte Anſpruch; feine Poeſien follten blos Zeu⸗ 
gen einer innern Ihätigkeit und jugendlichen Bewegung fein, 
indem ihm bie Richtung nach außen durch koͤrperliches Leiden 
und trübe Rebensverhältniffe ziemlich verfchloffen geblieben ſei; 
er betrachte Poefie überhaupt blos als ein Mittelglied zwiſchen 
Ideal und Leben und verzichte gern auf die Züngerfchaft einer 
ule und auf den Auf der Mobernität. Solche befcheibene 
ußerungen nehmen für ihn ein, auch beftätigt ſich die Wahr: 
heit dieſes Selbſtbekenntnifſſes in allen drei Abtheilungen des 
Bude, In den Sonetten bes erften Inrifchen Theils legt er 
feine Weitanſchauung und feinen religiöfen Sinn bar. In 
„Entſchließung““ (S. 37) geht. die dunkle Färbung, mit der das 
Gedicht beginnt, zur Überrafchung bes Lefrrs, in einen heitern 
Lichtglang über und ein gar freundliches und nettes Bildchen 
eigt fich uns in „Maid und Böglein” (©. 50), wenn fonft des 
Ögleins: Piep, piep! nicht Manchem zu fpielend ift. Die eros 
tiſchen Lieder entbehren aller leidenſchaftlichen Glut und bieten 
nur Alltägliches in Anlage und Ausführung. Die Romanzen, 
Balladen und Erzählungen der zweiten Abtheitung find ſchwach 
und wir konnten nicht eine herausheben; vielleicht flößt dagegen 
die dritte Abtheitung dem Pſfychologen ein eigenthümlidyes Ins 
tereffe ein, indem der Stoff berfeiben aus dem Leben einer juns 
gen Somnambule genommen ift, bie im vorigen Jahre ber Ge⸗ 
genftand der regſten Aufmerkfamfeit für Dresdens Bewohner 
war. Der Verf. verfucht bier die Erfcheinungen bed magnetis 
fen Zuftandes in ihren Stadien vor die Seele des Eefers zu 
ftellen und gibt dazu auch ein eriäuterndes Vorwort in unges 
bunbener Rebe. Bliden wir nun auf das ganze Kranzgemwinde 
und beurtheilen daſſelbe nach dem Eindrude, den es auf uns 
macht, fo müffen wir befennen, mit einem andern Namen, als 
dem der anfpruchlofen Kornblumen, konnte der Berf. am Ende 
feine Gedichte nicht füglidd benennen; es genüge ihm, daß kein 
Lolch und Feine Zrespe darunter ift. 
18. Sammlung deutſcher Volkslieder. Peraußgegeben von Wis 
Libald Walter. Leipzig, Rein. 1841. 8. 1 hir. 
Wer liebt nicht Volkslieder, wer kennt fie nit? Sie ent: 
halten in nuce bie Lebensphilofophie des Volks, fie find das 
Mittel einer vernünftigen Erheiterung bei ber Arbeit Derjenis 
gen, die im Schweiße ihres Angefichts ihr Brot effen, am Sonns 
tage, am Feierabend des Werkeitags, in der Spinnftube, - im 
Fabrikhauſe; fle machen Hochzeit⸗ und Kindtauffeter lebendiger, 
und wir behaupten kuͤhn, daß „Freut euch des Lebens’ u. ſ. w.; 
„Bluͤhe, liebes Veilchen“ u. f. w.; „Arm und klein iſt meine 
Hütte” u. ſ. w; .‚Bıter Mond, du gehft fo file” u. f. w. 
und das echt deutfche „Das waren mie felige Tage’ u. f. w. 
von unendlich wohlthätigerm Ginfluß auf die Sittlichkeit und 
Heiterkeit unfers Bolks geweſen find als die Erzeugniſſe der 
Romantik oder die politiſchen Lieder der Neuzeit. Das bat man 
u vor 40 unb mehr Jahren erfannt und aus Lofen fliegenden 
Blaͤttern einen Schatz deutfcher Volkslieder mit Fleiß zuſammen⸗ 





Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodhaud. — 


getragen. So thaten Herder, Buſching, von der Hagen und 
Brentano , ſpaͤterhin Goͤrres und Tieck, und neneriich Wolff, 
Erbach und Soltau. An bie Genannten ſchließt ſich unfer 
Antholog an, indem er bier ſolche Lieder gibt, bie er ſelbſt auf 
Heilen aus dem Wunde des Volks gebiet hat und bie, wie ber 
Zufag auf dem Titelblatt lautet, in feiner ber bither erſchiene⸗ 
nen Sammlungen zu finden find. Indeſſen nimmt fich biefer 
Zufag wie die Worte eines Aushängefchiibes aus, das eine Waare 
dem Käufer anpreift; auch möchten wir bie Vollſtaͤndigkeit ber 
Sammiung obgenannter Anthologen nicht in Zweifel . & 
find unter ihnen Ginige, die gute Augen und Ohren zu ihrem 
Geſchaͤft mitgebracht haben, und kaum glauben wir, daß Dr. 
W. Walter bei feinem Lucubeiren und Gntdedungsreifen giäde 
licher als jene geweſen iſt; auch haben wir in ber That, wenn 
wir einige Provinzialvollslicber und ein paar Eiſenbahnlieber 
ausnehmen, die natürlich erſt bie Neuzeit erzeugt Hat, nur Be⸗ 
kanntes gefunden. Moͤchte der Sammler nur nicht verfi 
haben, den beilebteften Opernarien , bie aus ber „Bauberflbte”, 
„Fanchon“ und dem „„Breifhäg” in ben Rund bes Volks überges 
angen find, ein Pıägchen zu gönnen. Dagegen kann es wol 
ein, daß er von vielen bekannten Liedern neue und beffere Les⸗ 
arten babe, die da verdienen, bem größern Publicum mitgetheilt 
zu werben; zu diefen gehören bie Nummern 10, 17, 47, 53, 
66, 93, 94, 96, 97, 101, 108, 161, 173 u. a. m. dies 
fer neuen Lesarten ift aber biefe Sammlung boch nichts als eine 
Nachleſe, in welcher wir beſonders das naivrührende Es iſt bes 
fiimmt in Gottes Rath‘, welches Menbelsfohn: Bartholby mit 
einer fo entſprechenden Melodie ausgeftattet hat, mit Bergnä 
gefeben haben; herausgewuͤnſcht hätten wir dagegen Nr. 162 
„Ss waren vor Zeiten drei prager Studenten“, da bei allem 
Wis und aller darin herrſchenden Schalkheit doch immer eine 
unfeufche Gedanken» und üppige Phantafiebilder erzeugende 
Zweibeutigfeit darin obmaltet. 


(Die Bortfegung folgt. ) 





Literarifhe Notizen. 


Eine breibändige Novelle; „Ragland-Castle, a tale of 
the great Rebellion‘, von Mrs, Thomfon (London 1843), fpielt, 
wie ſchon der Titel anzeigt, in jener tiefbewegten und vielbe⸗ 
fchriebenen Zeit, wo auf der einen Seite bie ritterlichen Cava⸗ 
liere fanden, in Spigen und Manfcetten, mit langen Locken 
und feiner Sitte, auf ber andern die glattgefhorenen Runbköpfe, 
die Männer, bie Alles abſchwuren, was nad Fieifchtichkeit 
ſchmeckte, die eifengepanzerten Govenanters. Die Schilderung 
jener Zeit, oft cine graphifche, bildet das Hauptintereſſe des 
Buche. Der eigentliche Roman ift verhaͤltnißmaͤßig unbebeutend, 
ift die Liebesgefchichte einer jungen Dame, Blanch Gomerfet, 
und eines jungen Mannes, des in früher Kindheit ihr verlobten 
Edward Herbert. Wie Beide zufammen aufwachſen, wählt in 
Edward bie Liebe, in Band) die Abneigung. Herbert ift nicht 
der Mann nad ihrem Sinne. Gr iſt ein flattlicher, hochbe⸗ 
gabter, tapferer Mann, aber nicht das Ideal bes jungen, heißen, 
ſchwaͤrmeriſchen Maͤdchens. Das findet fie unter ben Stebeflen, 
ben Rundkoͤpfen, als fie nebft ihrer Tante von ihnen gefangen 
genommen wird; ber Gluͤckliche heißt Sidney Godolphin. Den 
nahme fie, aber fie befommt ihn nicht, unb nachdem ‚Herbert 
fie und das Schloß Ragland gegen General Fairfar ritterlich 
ehenist hat, reicht ſie ihm die Hand, hoffentlich auch dad 

er . 


Aus dem Spaniſchen uͤberſegt von X. G. be Lavigne und 
mit Anmerkungen und Vorrede verfehen von Ch. Nodier, erſchien: 
„Vie et histoire de Don Pablo de Segovie, surnomme l’a- 
Par buscon’, mit einer großen Anzahl Slluftrationen von 

. &my. 18. 


zu und Verlag von F. 4. Brockhaus in Leipzig 






53 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 





Überſicht der neueften poetifchen Literatur. 


Erſter Artikel. 
(Bortfesung aus Nr. 139.) 


19. Gedichte von Heinrih Hoffmann. Frankfurt a. M., 
Sauerlaͤnder. 1842. 8. 384, * 

Das Gedicht, durch welches der Verf. den Leſer in ſeinen 
Muſentempel einführt, iſt „Die Rebellen‘ uͤberſchrieben; dieſe 
Rebellen find nichts Anderes als kleine, trotzkoͤpſige Etfen, wel 
vom Dichter die Veroͤffentlichung der um ihn liegenden, mit 
Verſen beſchriebenen Blaͤttchen erzwingen wollen und ſeine Ein⸗ 
waͤnde dagegen ſiegreich widerlegen. Er muß den ſophiſtiſchen, 
obſtinaten, neckiſchen Geſchoͤpfen nachgeben, und ſo ward der 
Preßbengel in Bewegung geſetzt. Sonach haben Kritikus und 
keſer blos zu unterſuchen und zu entſcheiden: That der Verf. 
Recht, oder that er nicht Recht, daß er nachgab? Ref. aber er⸗ 
widert auf dieſe Frage, daß nur der ſplitterrichternde Kritikaſter 
oder der übellaunige Leſer den Sänger wegen ber Veroͤffent⸗ 
lichung biefer Verfe und Lieder tabeln Tann, befonders wenn 
man erwägt, daß Dichter überall nicht zu ſchweigen lieben und 
fi) der Menge zeigen wollen, a 
nen heutzutage weber ben Mund no bie Tinte halten! 
Die vor uns in manchen Rhythmen und angemeflenen Weifen 
fid leicht bewegenden Gedichte brauchen überdies bei allen mit: 
unterlaufenden Reimbärten, fowie bei allen hin und wieder ver: 
unglüdten Aufflägen, vor einem größern Yublicum nicht zu er: 
röthen und koͤnnen ruhig vor jedes Eritifche Zribunal treten. 
Unter den vermifchten Gebichten ber erflen Abtheilung beuten 
wir auf das „Gebet eines Gottes” bin, und bemerken, baß dieſes 
fruchtbare Thema ſowol geiftreicher als in größerer Ausdehnung 
bearbeitet werben konnte, ba es eine Fuͤlle von Gebanlen er: 
zeugt. Eines der vorzüglichften iſt, feiner Kürze ungeachtet, 
„Die Wüfle” (&. 30), wo die Wenfchenbruft mit der Wüfte, 
das Herz mit dem fleinernen Memnonsbilde verglichen wirb. 
Die folgende Nummer: „Das Huͤnengrab⸗“, ſchließt fi) wuͤrdig 
an jenes an, Wir theilen zur Probe daraus die Schlußſtro⸗ 
phen mit: 

Du Menſchenherz, du bil bie Dale, 
Sin weiter Trauerdom und doch fo Hein! 
Die Leichen feines Kinder alle, 
Die liebfien, legt ber Menſch in dich hinein. 
Es ſchlummern dort die golbnen Jugendtraͤume, 
Des Juͤnglings Hoffen unb fein freud’ger Muth, 
Der kalte Ernſt bewacht bed Grabes Räume, 
Auf dem als Grabſtein bie Erfahrung ruht. 
Die zweite Abtheilung: „Aus bes Fruͤhlings gold’nen Tagen“, rer 
det warm und kraͤftig vom Fruͤhling ber Liebe; aber der Titel 
klingt doch etwas pretids und geſucht. In „Mit fröhlichen Ges 
fellen‘’, tem dritten Abfchnitt, treibt der Wein vor allem fein 
Seſen, und wenn e8 nachgerade unſern Dichtern fchwer fallen 


muß, auf ein fo oft variirtes Thema immer wieder neue Bas 
rtatio 


nen zu ſchereiben, To koͤnnen wir body die hier geſchriebenen 


& — und welche Dichter koͤn⸗ 


20. Mai 1843. 








nicht eben zu ben verunglücdten ober fchon dageweſenen zählen. 
„Reimnoth” (S. 99), „Das Butenbergstieb” (S. 107) und 
„Jubilaͤum im Geifterreiche” (©. 11T) zeichnen wir als wigige, 
kraͤftige, gedankenreiche Gaben dee Mufe aus. Unter den „Bals 
laden’’ find ſchwache, namentlich „Der Glockenguß gu Breslau‘ 
(8. 150); beſſer gerathen ift „Die Nacht auf dem Meere” 
(8. 143), „Die Eifenhochzeit (&. 173, der wie mehr epiſche 
Kürze jedoch gewuͤnſcht Hätten) und bas Beſte ift „Das Märs 
hen vom betrunfenen Riefen” (&. 189), worunter nichts Ans 
beres als ber Scirocco zu verſtehen ifl. Um die Art ber Be⸗ 
handlung zu zeigen, erlaube man, folgende Strophe daraus 
mitzutheilen : 
Es greift nach dem Glaſe dee durſtige Rieſ', 

Man haͤtte die ganze Stadt Paris 

Bequem mit dem Glaſe zugedeckt, 

Gleichwie man bei Tafel den Kaͤs verftedt. 

Und es hätten alöbann die Franzoſen 

Sezappelt wie Maden in Hoſen. 


In ber leeten Abtheilung, betitelt „Aus bem Lalenbuche‘, hat 
ung „Das Ders auf dem rechten Flecke“, ats ein ergoͤtlicher 
Schwank, am meiften zugefagt. Wir vermuthen, ber Verf. 
habe noch eine ganze Menge mit Verſen befchriebener Blaͤttchen 
in feinem Pulte oder auf feinem Gchreibtifche liegen; follten 
ihm nun die nedifchen Elfen ihr ancora zurufen und er nach⸗ 
geben, fo wuͤnſchen wir ihm einen ebenfo nachfichtigen Beurtheis 
ter feiner Bere, als er hier gefunden hat. 
20. Gedichte von Heinrich Ritter von Levitſchnigg. 
Wien, Pfautfh und Comp. 1842. 8, 1 Zptr. 
Diefe Gedichte wurden und von einer jungen Dame warm 
empfohlen, und wir griffen deshalb mit freudtger Daft nach dem 
sche, wie es zu gehen pflegt, wenn uns Semanb mit dem 
Darreichen bes B ſeine Brille leiht. In der That fanden 
wir die erſten Nummern genial, jugendfriſch, kuͤhn, voll pikan⸗ 
ter Bilder, den Reim hoͤchſt euphoniſch, die Sprache mit Takt 
und Gewandtheit behandelt, und was etwa noch fehlte, als Ges 
dankenreichthum, Einfalt, Natur und postifche Selbſtaͤndigkeit, 
bofften wir auf den folgenden Blaͤttern zu finbens aber unſert 
Hoffnung wurde getaͤuſcht; im Weiterleſen fanden wir mehr 
Worte ald Ideen, mehr Kunft als Natur, mehr Koletterie mit 
der Sprache als Gemüthstiefe oder Klänge, bie durchs Ohr in 
bie Seele dringen. Will man biefes Urtheil beftätigt finden, fo 
Iefe man ©. 21 „Am Nil”, &. 34 „Sonnenuntergang”, ©. 35 
„Die Rachtigall im Käfig”, ©. 57 „Glaube, Hoffnung, Liebe‘ 
und viele andere mehr. Der Sänger erfäuft gleichſam dad Ge: 
fühl durch den Strom feiner Worte. Das Auge, welches fo 
viet zu Schauen hat, laͤßt das Herz nicht zum Empfinden kom⸗ 
men, unb fo verfehlt der Blick auf das feine, bunte Kunflge: 
webe am Ende doch die heabfichtigte Wirkung. Dabei laͤßt ſich 
nicht verfennen, daß der Verf. bei Freiligrath, Anaftaflus Grün 
und 9. Heine in die Schule gegangen und wirklich etwas 
Tuͤchtiges da gelernt hat; biefe Züngerfchaft offenbart ſich oft 
und vielfach, wie gewandt er fie auch zu verſtecken weiß. Cine 


358 


iemliche Anzahl Gedichte verrathen ihrer Anlage nach etwas 
—— wie ihm denn ein ſchoͤnes Talent keineswegs 
abzufprechen iſt; aber ber Anfang entſpricht der Erwartung 
und dem Ende nicht, und man findet ſich getäufcht durch den 
matten Ausgang mit flumpfer Spitze. Kurz, auf ben erften 
Anblick beftechen diefe Gedichte; fie find wie das Portrait bed 
Dichters (es ſteht dem Titelblatte des hoͤchſt elegant ausgeſtat⸗ 
teten Buchs gegenüber), deſſen Außeres ebenfo einnehmenb fein 
muß, wie feine darunter beſindliche Handſchrift leicht, flüchtig 
und zierlich if. Wir empfehlen baher das elegante Buch allen 
Damen, welche Gedichte und beren jugendfriſchkraͤftige, ritter⸗ 
Viche Verfaſſer lieben, auf das angelegentlichſte. 
21. Gebichte von Karl Gere Neumann. Aachen, Re 
ſchuz. 1841. 8. 1 Thir. 10 Nor. 
Bier Haben wir, in fcharfem Gegenfas mit bem vorigen, 
einen Dichter aus ber guten alten Schule, ber ſchon im letzten 
Jahrzehnd des vorigen Jahrhunderts durch die Töne feiner Eyra 
feine Hörer ergögt und fein Spiel bis zum Jahre 1840 fort: 
geſetzt hat. Wir mögen nun bie von einem ſchoͤnen Rational: 
gefühl erzeugten Lieber, unter denen fi ein „Preußiſches Na: 
tionalfieb‘ (&. 11) auszeichnet, ober feine religiöfen Erguͤſſe, 
oder die erotifchen Blüten, cber die Raturfchilberungen betrach⸗ 
ten, fo haucht uns immer ber Geiſt beutfcher Kraft und Ges 
möüthlichleit wohlthätig an, und aus dem ganzen Beſtreben bed 
gewiß nicht mehr jugendlichen Verf. (er iſt preußifcher Regie: 
zungs= und Mebdicinalvath außer Dienft) geht eine Pierät_ gegen 
die Mufenkunft hervor, die er in guten und fehlimmen Zeiten, 
ein halbes Zahrhundert lang, in treuer Bruft gepflegt bat. 
Was ift namentlich diefer Dichter ber frobfinnigen, fludirenden 
Jugend durch fein befanntes „Akademiſches Trinklied (©. 52): 
„Bob vom Dlymp herab ward uns die Freude” u. f. w. ge. 
worben! Die Jahreszahl 1793 fteht über dem Liebe, es feiert 
mithin in diefem Jahre fein golbenes Geburts s und QJubelfeft ; 
5 Jahre lang haben taufend und aber taufend Sünglinge aus 
diefem Freudenquell geſchoͤpft, ohne zu wiſſen, wer bad Baͤchlein 
deſſelben in ihre Kreife leitete. Ref. beklagt übrigens nichts 
mehr, als daß ber Verf. die beffernde Hand an bie Verſe ge 
legt, alte, liebgewordene Lesarten verwifcht und noch eine ober 
ein paar neue Strophen hinzugefügt hat. Gin Lieb ſolcher Art 
muß im Lapibarftil flehen und Jedem, ber ibm mit Meiſel und 
Feile naht, müßte man warnend zurufen: Manum de tabula! 
Der Verf. kann im Bezug auf daffelbe mit allem Recht das 
Wort der Vorrede von fich fagen : 
Der Neib, den Lebenden gefährlich, ſchweiget, 

Verdienſt wird na dem wahren Werth geſchaͤtt, 

@obalb der Juͤngling feine Fackel neiget: 

Dann leb' auch ich, von keiner Zeit verlegt. 


Gin kleines Epos in drei Abtheilungen „Rapoleon” befingt ben 
Sharafter, die Thaten und die wechſelnden Phaſen bed Ruhms 
diefes Helden. Die freimaurerifchen Gedichte und Neben wer: 
den ben Geweihten gewiß willtommen fein. Die Überfegungen 
md Nahahmungen aus und von bem Pfalmiften, Salomo, 
Walter Gcott, Byron und Horaz, beffen „Saͤcularfeier“ wir bier 
auch Yefen, ſchließen fich nicht unmürbig an ähnliche Leiftungen 
in der Jetztwelt an, unb unter ben vermifchten Gedichten ber 
legten Abtbeilung möchten wir das NRachtgemälde mit ber Be⸗ 
flattung ber icbifchen Hefte Friedrich Wilhelm’s III., weiches bier 
unter ber Überfchrift „Berlin in der Rat vom 11.—12. 
Juni 1840° gemalt ift, als gelungen dem Leſer empfehlen. 


2323. Gedichte von Hermann Achenbach. Düfleldorf, Stahl. 
1843. Gr. 12. 25 Rar. 

Im verfificirten Vorwort fagt der Verf.: „Der Feuerftein 
ber Jugend ift verſchwunden, doch will auch, was dad Alter 
fchafft, fo gerne noch aus feiner 
ben.” Within abermals ein Eyrafpiel in alterswelker Hand. 
Die alte Schule iſt bier weniger fichtbars aber in dem Gege⸗ 
benen geist ſich Schülerhaftes und felbft Schäterthemata (1. 8. 
&. 115 „Der Hund") find behandelt. Mit großer Rebfeligkeit 


aft befreit fein und entbuns | 


verbindet fich eine Reimfertigkeit, die aller Driginalität entbchrt. 
Belege zu diefem Urtheil geben „Die Poefie” (&. 29), „Der 
Mann“ (©. 46), „Die Feder’ (&. 76), „Das Wafler” (S. 97), 
„Der Kranke” (S. 105) und „Der Flüchtling‘ (S. 146), wel: 
ches Überdies noch mandyerlei Abgeſchmacktheiten enthält; an 
Icgtern fehlt es auch ber curiofen „Brabfehrift auf Nicolai 1. 


-(&. 241) nit. In Hinſicht der Sprache wäre auch noch 


mancherlei zu rügen, h B. der wunberliche Plural von Cherub 
— „Sherubime” (S. 19), „beruht nur auf Gerüchte” (5. 190) 
und forge (&. 272), Für das Elegiſche ift wenig Beruf ba. 
Mit dem Scherzbaften geht es ſchon beffer, und ber Verf. bes 
wegt fi auf biefem Gebiete leichter; man vergleiche darüber 
„Sonſt und Sept (8.297) und „Das Verhör vor ber Him⸗ 
melsthür" (&. 274), obwol auch beide Stuͤcke an einer gewiffen 
Berfahrenheit leiden, die den Lachkitzel bämpfen. Die Sharaden 
und Logogryphen find In Bezug auf Erfindung und Behanb⸗ 
tung ohne Werth. Um jedoch nicht in ben Ruf eines übellaus 
nigen ober boͤswilligen Jadlers zu kommen unb Gerechtigkeit zu 
erfüllen, deutet Ref. auf „Das Leben” (S. 69), die erften fünf 
Strophen von „Der Benius der Zeit” (&. 133), „Schweden“ 
(©. 166), „Der Aofchted” (©. 218), „Der Dfen’' (S. 269) und 
einige Verſe aus dem „Reifeliede” (&. 242), als auf gelungene 
Würfe hin; auch will er hiermit ber Pflicht und Wahrheit ges 
mäß eingefteben, daß bem Verf. eine gewiſſe Fähigkeit zu por- 
tifchem Schafen nicht abzufprechen ift. 


23. Schweizerſagen in Balladen, Remanzen und Legenden, von 
Friedrich Otte. Baſel, Schweighaufer. 1842. 8. 
18, Nor. 

Die Worte auf dem Zitel „Neue Sammlung‘ Laffen auf 
eine frühere, von demfelben Verf. herausgegebene, fdhließen, bie 
wir jebody nicht gefeben haben; gleicht fie indeffen ber vorlie: 
genden, fo ift ihre Srfcheinung keineswegs zu beffagen und fie 
ift gewiß nicht zu DMaculatur geworden; denn ber Bilbner unb 
Sammier ift nicht ohne epiſche Anlage, trifft die gluͤckliche 
Mitte zwifchen nöthiger Ausführlichkeit und kraͤftiger Prägnanz 
in Wort und Vortrag ber Romangen, unter denen wenige bes 
fannte find, und alle feine Gemälde athmen Natur und Jugend: 
feifche. Anders targeftellt oder gänzlich hinweggewuͤnſcht haben 
wir keine Nummer; auszeichnen möchten wie dagegen „‚Riklas 
von der Fluͤe“ (S. IT), „Hans Bolbein” (S. 45), ein gar ers 
goͤtzlicher Schwank, „Ahasver (8. 54), „Der wilde Jaͤger“, 
ein Idyll (8. 66), „Snguerrand von Rondſchatel““ (&. 109) 
und „Gertrude von Beim‘ (©. 136). Die dem aͤußerlich aud 
wohlaußgeftatteten Buche angehängten hbiftorifchen Anmerkungen 
werben Vielen willlommen fein. 


24. Kortunat. Gin Gedicht in gehn Bildern. Bon Theodor 
Scherrer. Leipzig, Hartung. 1842, Gr. 8. WO) Rer 

Wer hat nicht als Kind aus bem Munde einer Gropmut: 
ter ober Tante von bem Fortunatus und feiner Wuͤnſcheiruthe 
erzählen gehört? Wer Fir ſich dabei auf dem Flügel ber Phan⸗ 
tafie nicht in das Reich der Wunder tragen laffen? Der Fox: 
tunatus rebivlous gegenwärtigen Buche uͤbt ſolchen Zauber nicht 
aus; Geiſt und Herz der großen Kinder, bie biefes Märchen le⸗ 
fen werden, geben wahrfcheinlich leer aus; benn wir haben bier 
einen Brübler vor uns, deffen Herz ben finftern Maͤchten troſt⸗ 
Lofen Sweifeld verfallen if, ben Unzufriedenheit mit Gott, Weit 
und Schickſat unftät umbertreibt, deſſen Leben eine chaotifdke 
Maffe unmotivirter Handlungen unb Greigniffe ausmadht uns 
von befien Ende fi das Auge unbefriedigt, ja ummwillig weg 
wendet. Schon daß ber frühe Tob eines geliebten Zugendfrems 
bes ihm bas Grbenieben völlig verfäuert unb verbiitert umb 
ihm eine menfdyenfeindliche Stimmung einflößt, bie durch Nichte 
milder wird, iſt unpfochologifh. Wir finden ben ‚Heiden auf 
einem Felſen an Afrikas Meeresküfte, finfter brütenb über dem 
Räthfel des Menfchendafeins und jammernb über das Loos ber 
Menſchheit. Der wilde Kampf zweier Adler um eine Meeres: 
beute, in wel ber eine erliegt, bringt ihn auf miibere An: 


| fichten und weichere Gefühle; des. buldenden Heilands Bild tritt 








vor feine Seele und floͤßt ihm ben Wunfch ein, das Lanb zu 
fehen, wo er duldete, wirkte, litt und flarb. Er ſchifft ſich nach 
Palaͤſtina ein. Ein türkifcher Kaper und ein Seeſturm bringen 
ichzeitig Freiheit und Leben der Schiffenden in Gefahr. Das 
iff ſcheitert. Mitteld eines Truͤmmers aus Holz gelingt es 
dem Helden, fich felbft und noch ein Inbividuum von ber Mann: 
Schaft des Korſarenſchiffs zu retten. Mitleidige Kifcher nehmen 
den Dufelmann und den Ghriften am Ufer auf. Der von Kor: 
tunat Gerettete ift der überaus reiche Ägypter Haſſan, der, von 
Dankbarkeit durchdrungen, ben finftern Retter feines Lebens mit 
in fein Vaterland nimmt, wo er ihn jedoch weder durch bie 
Reize der afritanifchen NRaturfcenerie, noch durch die rührenben 
Beweife freundlicher Theilnahme und Liebe von feinem Bram 
beiten kann. Wol aber fcheint bie Zaide, Haſſan's reizende 
Favoritin und Gemahlin, die er auf des Agypters Landfige bei 
Kahiro Eennen lernt, zu vermögen. Er entbrenat in glühenber 
Liebe zu ihr und fie zu ihm, und Beide verabseben einen Plan 
zur Flucht. Bevor diefer jedoch ausgeführt wird, führt ihn der 
gute, nichts Arges abnende Haſſan nad Üguptens Pyramiden, 
die zu feben er fchon lange fehnlich verlangt hat. Wie nun 
$ortunat, über dunkeln Gedanken brüten, in einer Nacht auf 
dee Spige einer derſelben liegt, erblickt er im Innern bes koloſ⸗ 
foten Wundergebaͤudes einen magifchen Lichtglang und hört de 
gleich feinen Namen rufen. Er fleigt eine Treppe hinab. Gin 
Bmeitaufend Jahre alter Greis, der Bildner und SBeherricher 
iefes wunderbaren unterirbifchen Lichtreichs, belehrt ihn über 
bas Wefen, die Beflimmung und das Loos der Gtaubgeborenen. 
Aber bes Greifes Anfichten unterfcheiben ſich in biefer Hinficht 
wenig von benen bed Fortunat, koͤnnen bes Lehtern Stimmung 
nicht beſſer machen, nod ihn ausföhnen mit dem Leben. Am 
Schluſſe der Unterrebung befchenlt der Zauberer unfern Helden 
mit einem Kreuz, fagend (S. 48): 
Dier dieſes goldne Kreuz; nimm zum Geſchenk von mir; 
Doch laß ed nie von deinem Dalfe kommen. 
Nicht werthlos, wie ein andres Kreuz iſt's bir, 
Es kann zum größeren Gluͤck dir frommen. 
In welch' Geſchoͤpf du wuͤnſchſt, daß deine Seele fahre, 
Wenn Überdruß und Krankheit dich umweht, 
Du fährfk hinein, wenn dies ſich dreimal dreht. 
Sieh das Geſchoͤpf nur an und denke dich hinein, 
Dann dreh’ das Kreuz und bu wirft in ibm fein. 
Richt kann dir's rauben menſchliche Bewalt, 
Die folgen wird's in jegliche Geſtalt. 


Bon diefem koſtbaren Geſchenke macht der ungufriebene Fortu⸗ 
nat ſogleich Sebrauch, indem er fi in einen Story durch 
Bünf und Dreben bed Kreuzes verwandelt und bie ‚Hülle 
feines Menſchenkoͤrpers feelentos liegen laͤßt am Zuße der Py⸗ 
zamibe. Zaide hofft und harrt auf bes Geliebten Wiederkehr, 
und wie man ihr deffen Leiche nun bringt, erboicht fie fich in 
VBerzweifung. Inbeffen fitegt der Held mit einer Schar wan⸗ 
dernder Stördge zur Frühlingsgeit über das mittellänbifche Meer, 
Aber Griecheniand, Italien und bie Alpen nad) Deutſchiand, wo 
er ſich auf dem Hauſe eines Predigers niederiäßt und ein da⸗ 
ſtehendes GStorchneft bezieht. Im der Nacht bricht eine Feuers⸗ 
beunfi aus, in der ber Sohn des Predigers ben Flammentod 
findet. Mit neuem Unmuth und Grbitterung fliegt der Storch 
von bannen und par nad ber iz, wo er fidh in einen 
Adler verwandelt, der nun, feinem wilden Geläft folgend, ſchuld⸗ 
1ofe Thiere raubt und zerfleifcht. Wie er das Kind ben Armen 
einer zärtlichen Mutter entreißen will, rührt ihn ber Jammer 
ber ungiädlichen Frau; er ahnt und fieht es, Liebe laſſe fich 
nicht toͤdten; aber er fühlt auch, ihm ſelbſt bleibe nichts ats 
Bernichtung. Sein Wunſch, in einen flarren Alpenſels verwan⸗ 
delt zu werben, gebt mit des Kreuzes Huͤlfe in Erfuͤllung; fein 
Geiſt ruht erſtarrt im tobten Stein. Dies in wenigen Worten 
der JInhalt de Wie gewandt nun aber auch’ ber 
Berf. die Sprache zu behandeln weiß, wie frifch bin und wies 
ver gen find, wie die Anlage bes Sans 


sen zu fein ſcheint, ‚fo wird er body fänvertich irgend eines de⸗ 


fees Srwartung befriedigen. Gen Fortunat iſt ein morali 
Monſtrum, ein pſychologiſches Unbing. Des Helden es 
motivirt feine Handlungen nicht, und ber Schtuß, wo ausgefagt 
wird, daß Bott einfl allen Schmerz und jeden Bweifel, der das 
Menſchenherz aͤngſtigt, enden und bes Lebens Taͤthſel Löfen 
werde, föhnt das unbehagliche Gefühl nicht aus, mit welchem 
man das Bud aus der Band legt. 


(Der Beſchluß folgt.) 





Der koͤlner Dom als freie beutfche Kirche. Gedanken 
über Nationalieät, Kunft und Religion beim Wieder: 
beginne des Baus. Bon Moriz Carriere. Stutt: 
gart, Srandh. 1843. 8. 1 Thir. 


Der Berf. hat die Gedanken über Nationalität, Kunft und 
Religion, welche er in bem vorliegenden Buche niebergelegt, 
auf eine etwas fonderbare Weile an den koͤlner Dom angelnüpft. 
Er fieht nämtich in dem Wiederbesinn bes Baus das Symbol 
des neuerwachten bdeutfchen Rationalbewußtfeins, und ba diefes 
nicht allein erfcheint, fondern in feinem Gefolge alle geiftigen 
Thaͤtigkeiten ber Nation fi) ebenfalls hervortbun, glaubt er 
aud eine neue Kunſt und eine neue Religion fchon zu erbliden, 
beren weſentliche Elemente er weitläufig befpricht. Dun wiffen 
wir Alle, daß man in ben Zeitungen wenigftens ben Dombau 
wirklich als das Zeichen der wiedererweckten Rationalität ans 
gefepen hat: aber es ift uns ebenfo wenig unbekannt, baf man 
fich vielfach darüber luſtig gemacht hat, und wie ſelbſt find ber 
Anſicht, daß der Dombau nicht gerade als eine würdige Mani⸗ 
feftatton des Nationalgefuͤhls angefehen werben dürfe. Da gibt 
es noch ar andere Dinge, welche ein beimeitem großartigeres 
Symbol deflelben find, als z. B. Einführung der uralten ger- 
maniſchen Öffenttichleit und Maͤndlichkeit, Einfuͤhrung ber ur: 
alten germanifchen Freiheit der Rebe, Ginführung des uralten 
germaniſchen Grundfages: wo wir nicht mit vathen, wollen 
wie nicht mit thaten, und dergleichen. Wie nun? wenn man 
biefen Dombau, ber von allen biefen Dingen nichts gewährt, 
nur benugt hätte, um das Volk von Nationalität reden zu mas 
hen, in ber Hoffnung, biefes fei ſchon bamit zufrieden, wenn 
es nur davon fprechen dürfe, au wenn es von ben wahrhaft 
nationalen Gütern keines befäße? wenn man bas Boll mit 
einem Scheine von Nationalität habe befdhäftigen wollen, um 
ihm ben Kern berfeiben defto beffer vorenthalten zu Tönnen ? 
Bet einer fotchen Vorausfegung, fiebt man wol, wäre es fehr 
fühn, an den Wiederbeginn bes koͤlner Dombaues die beutfche 
Rationalität knuͤpfen gu wollen. 

Doc fehen wir von der Einkleidung bes Wuchs ab, welche 
wir tadeln, und gehen wir in ben @egenftanb beflelben näher 
ein, fo müffen wir gefteben, daß biefer uns für jene auf viel 
fache Weiſe entfchädigt. Was der Verf. über Rationalität und 
Patriotismus fagt, ift zwar nicht neu, aber e8 kann uns ein 
neuer Beweis fein, daß die rechten Anfichten darüber fich immer 
mehr unter den @ebilbeten unferer Ration verbreiten, was ge: 
wiß für die Zukunft von unberechenbaren günftigen Wirkungen 
fein wird. Den Kern des Buchs bildet übrigens bie Religions: 
anficht des Berf., bei weicher wir daher etwas länger verweilen 
wollen. 

Es leuchtet batb hervor, daß feine Tendenz keine anbere ifl, 
ale, der bloßen Negation der neueften Kritik gegenäber, welche 
nicht nur die Auswächle des Ghriftentbums, fonbern un 
das Weſen deffelben, ja fogar alle Religion beftreitet, biefe 
letztere zu reiten und ihr ihr Recht zu vindictren. Diefes ift 
um fo verbienfllicher, als bei ben bloßen Ginreißen nichts 
beraustommt , ja cher zu fürdhten flieht, baß bie deutſche Nas 
tion, von jeher durch ein tiefes veligiöfes Gefühl ausgezsichnet, 
fih mehr und mehr in die Arme der Reaction wirft, wenn fie 
ſieht, daß fie bei der freiern Sichtung keine Wefriebigung ihres 
Webürfniffes findet. Mir wollen damit nicht — haben, ale 
wuͤnſchten wir die Kritik in ihrem Laufe gehemmt: im Gegen⸗ 


teile, wir glauben, es iſt gut, wenn ihr geflattet wich, fo 
weit zu eben, als fie wi und kann. Denn nur dadurch wird 
gulegt die Wahrheit an den Tag kommen. Zu gleicher Zeit aber 
it e& nad) unferer Anficht wünfdgenswerth, wenn bem Volke im⸗ 
mer wieder in Erinnerung gebracht wird, daß noch Etwas ba 
fi, an das es fich halten Tönne, daß nicht Alles in einem 
wüften Chaos aufgelöft worden, daß gewiſſe leitende Ideen, bie 
uns erheben und flärken, niemals ganz verſchwunden feien. 
Diefes Verdienſt hat nun ber Verf. 

Wir brauchen übrigens wol nicht erft zu bemerken, daß er 
hierbei keineswegs auf der Seite der Reaction fleht oder fich ihr 
nähere. Sein Standpunkt iſt ein durchaus freier, und er tritt 
der Drthodorie wie dem Pietiömus ebenfo ſcharf, ja noch 
ſchaͤrfer gegenüber und verlangt in religibſer Beziehung voll⸗ 
kommene Freiheit unb Zoleranz. 

Daß man bdiefe im 19. Jahrhundert noch fodern muß, 
ift freilich uͤberraſchend, und vielleicht koͤnnte man und entgegs 
nen: fie feien ſchon laͤngſt gewaͤhrt, man brauche fie nicht mehr 
zu verlangen. Allerdings ift es wahr, daß man heutzutage wegen 
Heterodoxie nicht mehr gekoͤpft, geräbert und verbrannt wird. 
Nichtöbeftoweniger ift die Intoleranz im Weſentlichen in unfern 
Zagen noch ebenfo arg wie im Mittelalter oder im 16, und 
17. Jahrhundert. Wir rädern nicht, wir Eöpfen nicht, wir 
brennen nicht, aber fegen die Leute ab, entziehen ihnen ihre 
Befoldung und laſſen fie verhungern fammt Weib und Kind. 
Oder wie ftellen fie nicht an, wenn fie nicht unfere Anfichten 
mit dem Munde befennen, unb morben dadurch ihre Geele, 
weit fie mit dem Heiligften ein fchnöbes Spiel treiben müffen: 
wie ziehen aus den Männern, welche Geelforger fein follen, 
Heuchler, was noch viel ärger ift, als wenn wir fie binrichtes 
ten, weil fie nun ihre ganze Gemeinde vergiftien. Wir haben 
lange uns weis gemadt, durch bie Reformation ſei bad Prins 
cip der Gewiffensfreiheit gerettet worben; wenn ed aber je eine 
ungeheure Zäufchung gegeben hat, fo ift es diefe. Der Staat 
bat nur das Heft in die Hund genommen, was eisbem bie 
Kirche gehabt — mwenigftens in den proteftantifden Ländern hat 
er bied getban — und führt nun über bie Gewiſſen ber Mens 
fen ebenfo die Policei, wie über ihr politifches Betragen. 
Der Staat kann fagen: Du mußt Dies und Das glauben; ich 
will c# fo! Und wenn du nicht glaubft, fo mußt bu auf beine 
Stelle verzichten! Wenn uns biefe Tyrannei im Mittelalter 
begegnet, fo Schimpfen wir darüber; aber im 19. Jahrhundert 
darf fie ungeftraft verhbt werben. Es ift der größte Hohn, 
den man Bott anthun kann, fo die Gewiffen dee Menſchen, wo 
er nur allein gebietet, zu beftxiden, fie mit felbfigemachten 
Satzungen gefangen zu halten. Dies wird nun freilich nicht 
anders werden, fo lange ber Staat die Religion ale ein Stüd 
feinee Policei oder vielmehr als ein Mittel der Poltcei betrachtet, 
ober betrachten darf. Aber die Öffentlihe Meinung bat fi 
fon laut dagegen erklaͤrt und auch unfer Verf. verlangt mit 
Gntfchiedenheit eine Zrennung ber Kirche und ber Religion 
vom Gtaate. 

Gr ſchlaͤgt dafür bas Recht der Affociation ber Gemeinden 
vor, d. h., er verlangt, daß nun die Menſchen von gleichen 
Religionsanfichten fich Aulammentgun bürfen, um nad ihrer 
Weite und nad ihren Überzeugungen ihren Gottesdienſt zu be 
gehen, natürlich mit dem Recht, ihre eigenen Prediger zu waͤh⸗ 
len. Hierdurch, meint er, könnte man am erflen dem religiöfen 
Indifferentismus begegnen. Denn bann würbe Jeder mit Freude 
irgend einer kirchlichen Gemeinſchaft angehören, wenn feinem 

fauben nit Zwang angethan würde. Gr vermeift hierbei 
auf Nordamerika, wo ähnliche Verhaͤltniſſe ftattfänden, wo nes 
ben einer Unmaſſe von verichiebenen Sekten doch allenthalben 
ein großes religidſes Bewußtſein vorhanden fei. Bei uns, bie 
wir fchon fo weit in biefen Dingen vorgeichritten find, würben 
übrigens nicht einmal fo viel verfchiebene Religionsbelenmtniffe 
eutfichen,, es wuͤrde ſich viel einfacher Alles berausftellen ; in, 


wir haben die Hoffnung, daß es dann nicht fange mehr dauern 
würde, bis bie Idee einer einigen freien beutfchen Kirche, weiche 
ber Verf. ebenfalls in Ausſicht ſtellt, ihre Berwirklichung fände. 
Diele Idee, weiche eigeutiih auch die urfprünglidhe der Refors 
mation war und daher gar nicht neu, welche befonbers in ber 
legten Zeit zu bäufig außgefprochen worden, um fie nicht für 
bie Öffentliche Meinung Halten zu bürfen, müßte freitich bie 
Möglichkeit einer volllommen freien Entwidelung des Ginzeinen 
wie des Ganzen in ſich ſchließen; man bürfte nur Aber geroiffe 
allgemeine Säge — unb dies müßten foldhe fein, die in der 
menſchlichen Watur felbft gegründet find — übereinfommen, 
das Gpecielere müßte man dem Ermeſſen jedes Einzelnen übers 
laflen. Dann erft fände bie große Ibee, welche der Reforma⸗ 
tion zu Grunde lag, ihre Realifirung: dann erſt koͤnnten wire 
in Wahrheit von einer einigen Ration fpredyen: bann erſt 
tönnte eine allfeitige großartige Entwicklung auf dem Gebiete 
des menſchlichen Geiſtes eintreten. &o lange aber bie elenden 
religidfen Gpaltungen zwiſchen Katholiken und Proteftanten ber 
ſtehen, zwiſchen NRationaliften und Orthodoxen, zwiſchen Pie⸗ 
tiſten und den Maͤnnern ber freien Richtung; und fo lange 
bie bornirte zeligiöfe Partei vom Staate unterſtuͤht und gehaͤt⸗ 
ſchelt wird, fo lange wird nichts aus uns Deutfdhen werben. 
Die Yinfterlinge find von jeher die Erbſuͤnde der Menſchheit ger 
wefen. Haben wir jene einmal überwunben, wirb es auch mit 
biefer beſſer ausfehen-. 43. 





Literarifhe Notiz. 


Am Schluß von Nr. 44 d. Bi. wird ber „Histoire a 
tique de la r6volution Cartesienne” von Francisque Boullier 
(Paris 1842) als der erſten größern Arbeit eines jungen Phi⸗ 
Iofophen, der zu großen Erwartungen berechtigt, bezeichnet. 
(Es ift eine vom Inſtitut gekroͤnte Preisfchrift.) Wie dieſer 
preiswürbige Philofoph — ob das Beiwort „jung“ bier zutreffe, 
möchten wir faft bezweifeln — auch mit ber deutſchen Philos 
fophie, namentlich ber Religionsphilofophie, wohlbefannt fei, 
bezeugt noch eine andere, von ihm und einem gleichgeſtimmten 
Freunde (Dr. Lortet) in bemfelben Jahre erſchienene, wenn 
auh nur Feine Schrift, welcher aber ein größeres Verdienſt 
als jener oben erwähnten dürfte zuerlannt werben mäflen; denn 
man barf hoffen, daß die Wirkung namentiidy im religid# fin: 
ſtern Frankreich eine ſehr heilfame fein wird. Diele Heine 
Schrift führt den Titel: ‚Theorie de Kant sur la religion 
dans les limites de la raison, ouvrage traduit de l’allemaad 

M. le Docteur Lortet; pröoede d’une intredection par 

1. Franciseque Boullier'' (Paris 1842). Bon den Dunkel 
männern und von den Pfaffen, weder jenfeit noch biefleit des 
Rheins, wird diefe Schrift nicht gekrönt, aber von Lichtfreuns 
den und ben echten Geiftlichen wird fie freubig begrüßt werben. 
In ber Sinleitung, bie eine heile Überfit bes Ganzen eröffnet, 
fagt Bouillieg: „Le livre que nous publions est un abrégé 
de l’ouvrage de Kant, qui a pour tiere: De la Religion 
dans les limites de la raison. Cet abrégé est göneralement 
attribue a Kant lui-möme, cependant comme la boane fol 
de l’&diteur qui l’a donne sous le nom de Kaat dtait un peu 
suspecte en Allemagne, il demeure à co sujet quelques donws 
que nous n’avons pu dissiper. Ce qu’il y a de certain et 


ca qui imposte avant tout, c’est que oet ab ost par- 
faitement exact, L’exactitude y- est poussde a point que 


le plus souvent il est composs avec les phrases mömes de 
grand ouvrage, sur lequel ıl a l’avantage de la cları& Il 
a dte imprims pour la premiere fois & Riga, en 179, 
c'est -a-dire apres ia seconde Edition de la Religion dans 
les limites’ de la raison (1794). Mettre & la portse de tous 
le monde les principes moraux et religieus oestenus dams 
oe petit abreg6, tel est l’unique but de cette —— 


Verantwortlicher Orrandgeber: Heinrich Broddand. — Drud und Berlag von 3. U. Broddeus in Eeipgig 








» wa [no m 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 


nn en - 





Erfter Artikel. 
(Eeſchluß aus Ar. 140.) 


3. Sieg des Kreuzes. Religioͤſes Epos in ficben @efängen 
von 3. B. Go m ann. Würzburg, Voigt und Moder. 
1341. &r. 8. 1 Thir. 5 Nor. 

In wohlklingenden Octaven, fireng nach den Berichten ber 
neuteflamenttichen Synoptiker, durchdrungen von frommer Ehr⸗ 
fu gegen den ‚Heiden mit der himmliſchen Siegesfahne, wicht 

end. von ben Anfickten und Satzungen feiner (ber katholi⸗ 
fhen) Kirche, wird uns bier ein Gemälde aus ben legten Les 
benstagen des Stifters des Ehriſtenthume von einem Dichter 
des Baierlandes aufgeftellt, dem wie wenigftens ſchon dreimal 
asf dem Weite der epiſchen Leteratur begegnet find und befien 
aͤſthetiſche Perföntichkeit und Leiflungen wir in d. Bl. fon fo 
weit, als der Raum zur Befprehung ſolcher Gegenftänbe es ges 
flattet, gewürbigt haben. rüber bewegte er fidh mehr in ber 

Sphäre der Vaterlands⸗ und Heimatsliebe, Indem er eben unb 

Thaten von Helden aus bairifhem Koͤnigsſtamme beſang; bier 

betritt er Siona's Gebiet und fingt in fieben Abfchnitten (Der 

Triumph, Das Abendmahl, Der Ölberg, Das Gericht, Das Kreuz, 

Die Nacht, Die Glorie) ben Steg bes Kreuzes. Nun ift es zwar 

befannt und allgemein angenommen, daß ein Dichter geboren 

wird und nicht werden kann; aber es beduͤnkt Ref. bo, als 
fei dem Berf. in den Jahren feiner Beftrebungen die Kraft zu 
portifhem Schaffen gewachſen und ber Ton feiner Zuba Elinge 
reiner unb voller al8 früher. Iſt das Wert auch keine „Wels 
lade”, To ift es boch ein Beitrag zur modernen epifchen Litera⸗ 
tur, auf dem Sein Kunftrichter vornehm herabblicken wolle und 
das kein frommer chriſtlicher Lefer ohne Erbauung aus der 

Band legen wirb. . 

3. Ivan Krylow's Kabeln in acht Büchern. 
Ruffifhen von Ferdinand Zorney. Mitau, Rehyher. 
1842. 8. 1 Ihe. 15 Nor. 

Um zu zeigen, welche Sprache und weicher Geiſt in biefen 
Fabeln herrſche, theilen wir (8, 7) bie vierte „Die Kräbe und 
Das Huhn“ mit: 

Als einft Smolenſtens Held 

Sich wider frechen Muth erſt ſchlau verwahrt; geſtellt 
Sadann das Netg den neu'n Vandalen, 

Und Moskau ihnen ließ zu Schreck und Qualen; 

Da ſchnürte, was bie Stadt bewohnte, Groß und Klein 
Sein Bündel flugs, wie auf ein Zeichen, 
um fort aud Mostwad Mauern zu entweidhen, 

Wie Bienenſchwaͤrme querfelbein, 

Und eine Kraͤhe ſieht vom Dache dies Getuͤmmel, 
Streicht ruhig doch den Schnabel dort. 

„Biebft du, Gevatt'rin, denn, beim Himmel⸗, 

Vom Fuder ruft's ein Huhn, „nit fort? 

Schon naht der Beinde bunt Gewimmel, 

For -lärmend Worb!” 


Aus dem | 


"von 





—— Kr, 141, 21. Mai 1843, 





„Dab’ ih mit benen was u theilen? ” 

Spricht ide prophet'ſcher Mund, „ganz dreift kann ich Hier weilen; 

3a, beine Schweftern mahnt bie Pit; 

Doch eine Kraͤhe kocht und brät man nicht. 

Drum foll vor jmen Gaͤſten mir nicht bangen; 

Birlieiht Bann ich durch fie ſogar noch wad erlangen, 

Ein Staͤckchen Kaſe, ein Knoͤchlein, und wer weiß . . - - 

Erb’, Buͤſcheltantchen, wohl denn, gute Reif! 

@6 folgt die Kraͤhe keiner Gruppe; 

Doch flatt Gewinnes bringet Noth 

Bär fie Smolendtens Kür, den Uhfen — Bungerötob. 

Sie ſelbſt gerätp no in die Suppe — 

So rechnet aft der Menſch für ſich auch blind und bumm. 

Er tanzet nach) der Hand bed Glaͤdes, wird ihm ſcheinet; 

Doch wenn er fie zu fallen meinst — 
Dreht er fi in der Suppe uw 
So unklar, pump, gefchraubt und unbarmonifch wie in obiger 
Probe Kutop und Dolmetfch fi) vernehmen laffen, find fie 
das ganze, äußerlich elegant ausgeflattete, bem ruſſiſchen Minis 
ſter Bollsaufflärung mit einem fubmiſſen Gedicht dedicitte, 
mit dem Portrait Erylow's geſchmuͤckte, ach, 20 Bogen ſtarke 
Buch. Mehr als 20 Kabeln, alle wie die obige, Tonnten wie 
nicht lefen. Vielleicht folgen auf fpätern Seiten beffer erfundene 
ober beffer erzählte. Wie ſehr waͤnſchen wir das! 


371. Liederbuch der Lätitia. Breslau, Keen. 1842. Sr. 8. 
 Npr. Ä 


Es wäre ungart, wenn man an biefes, als Manuſcript für 
bie Mitglieder der breslauer Laͤtitia⸗Seſellſchaft gedrudte Buch 
ben gewöhnlichen Maßftab ber Kritik Iegen wollte; aber thäte 
man es auch und ließe dad Anathem (&. 51): 

ern fel die Welt mit den ftelfen Philiſtern, 
Neivifhe Kritiker feien verdammt — 


unbeachtet, fo dürften doch die Männer, bie ihr poetifches Con⸗ 
tingent barin ſtellten, bas Öffentliche Urtheil durchaus nicht 
fheuen; benn es find frifche, gefällige, anmuthige Klänge, was 
uns bier entgegentönt. Die zahlreichften Beiträge (es mögen 
überhaupt 50 und etliche Rummern fein) find von Beyer, 
Gruͤnig und Loewenftein und fie zerfallen in drei Abthei⸗ 


. tungen: Gefellige Lieder, Trinklieder und Wanberlieder. Ein 


Anhang bringt uns außerdem ſeche Lieder von Hoffmann 

allersleben, welder allerdings bie übrigen Gänges 
in Schatten ſtellt. Grin „Lied an die Deutfchen” (&. 108), 
weiches beginnt: „Deutfchtand, Deutfchland über Alles” u. f. w. 
möchten wir hervorheben und als das befte bezeichnen. Das 
Liederbuch enthält eine fchägenswerthe Beilage durch bie Gome 
pofition von ſechs Liebern, von den Tondichtern Schnabel, Rays 
monb und Bröder, wobei wir blos bei der Compofition des Eoe- 
wenftein’fchen „Shampagnerticdes’, wovon jede Strophe mit eis 
nem energifchen : Puff! endet, fragen mödjten, warum ber Ton⸗ 
dichter und dieſes energifche Puff in feinen Klängen vorenthals 


ten bat? Das Äußere des Buchs iſt feiner vermuthlichen Be⸗ 





. 2 


ein Album für die Laͤtitia⸗Genoſſen zu fein, vollkom⸗ 
men prechend. Die feine Lithographie, dem Titelblatt ger 
genuͤber, ſellt mit paſſenden Emblemen der Freude die Mitglie⸗ 
der der Geſellſchaft im Moment des vollen Freudengenuſſes 
dar; jebes Lied ift mit fein gebachten und gezeichneten Initia⸗ 
len verfehen und unter jebem berfelben fieht man eine entſpre⸗ 
chende Vignette. 


B. Gedichte von Karl Fink. Zweite Auflage. Kobin, Weiter. 
1842. 8. WM Nor 


Der junge Doppellänftier — sit venia verbol — ber 
een mit feinem Namen ein finniges Spiel treibt, fagt Hrn. 
. B. Rouffeau (8. 143): 

Tauſend arme Boͤglein Hiegen dort und fliegen ſchuͤchtern Wie, 
Können nirgend Ruhe finden, überall verſcheucht man fie. 

Doch no gibt ed ſchoͤne Auen, die ber Poefie geweiht, 

Wo im Hauche füßer Lieder endet jedes Erdenleid. 

Auen, wo ber liebe Gaͤrtner felber mit ben Boͤglein fingt, 

Daß der Klang durch alle Welten und bi8 auf zum Himmel bringt. 
Und in ſolchen Gärten flog von Lieb’ befeelt ich flink: 

Särtner wird wol nicht verjagen feinen treuen armen Bin. 


Das thut auch der fo Angefungene nicht. Er thut noch mehr 
für das ſchuͤchterne Voͤglein. In einem Prolog, in weldem er 
eine Galerie von beutfchen Dichterportraits von Parcival und 
Ziturel an bis auf Kerner und Brentano zeichnet und aufſtellt, 
empfiehlt er mit warmer Theilnahme feinen Schuͤtling dem 
Publicum und zeichnet zugleich fein Bild folgenbergeftalt: 
Der biefe Lieder fang, gehört — Ihr werdet felbft 16 leſen — 
Bu denen nicht, die, fhmug’gen Sinns, die But und bie Gifte 
derböfen ! 
Aus feinem Munbe weht Sriede nur umb jener zeine Tom, 
Dur den ein Dichter zum Bitter wird ber Chreulegien. 


Noch lebt fein Derz, fein gemüthlicher Sinn in ber Unſchülb 
" lichten Bezirken, 
Sen Himmel iA nit mit den Hourid gefällt der opiumtrunke⸗ 
nen Tärten, 

Er fiebt nur Engel mit Lilienkleid und Vergißmeinnichtſittig allda, 
Unb ſtimmt, aufjauchzend, entzädt, in ihr HSofianng, Yalleiuja ! 
Dann redet er von feinem biedern Herzen; er fet ein Heſſe, aus 
Kaſſel; er führe den Pinfel, werde von Kennern gerühmt, auch 
fähe man wol an feinen Liedern, daß er fich auf Schmelz unb 

Jarbenreiz verfiche. Dann fährt er fort: 
Wohlan denn, koftet Ihe Andern auch, was mir konnt’ Freude 
bereiten! 
Mit vollen Glocken wit ich nicht zu biefem Büchlein Iäuten, — 
Befeiben iR aoch Manches brin, wie befien Sinn, ber’s führieh s 
Allein auch Bieles IR fo fhön! fo kiefgefühlt! fo Lieb! 
Berzeiht — mild Urteil thut fo wohl! — dad Schwaͤchere 
wegen bed Feſtern, 
Und glaubet, unfer Dichter wird, ba die neun olympiſchen 
Schweſtern 
Ihm doch einmal die Stirn gekuͤßt, noch weiter ſtreben hinauf⸗ 
Wenn erſt er nicht verſucht, wenn ganz ſelbſtaͤndig geht ſein Lauf. 
Bu dieſer Freundesrecenſion fegen wir noch einige Andeutungen. 
Die Gedichte haben eine zweite Auflage erlebt, ein Beweis, daß 
fie geen gelefen worden find. Unter den Romanzen und Balla⸗ 
ben, bie alle von eigener Erfindung zu fein ſcheinen, Haben wir 
mit Bergnügen „Die lehte WReife” (8. 9), „Die Rovembers 
nacht” (S. 16) und „Die Leiter’ (&. 45), als Stuͤcke gelefen, 
die poetifche Anlage und Dichterberuf befunden und Zeugniß ab» 
legen von dem Dafein innerer Wirkſamkeit der Seelenkraͤfte, 
bie einem Dichter eigen fein müflen. Schwach dagegen find in 
diefer Rubril „Die Sarbine” (3. 49) und „Das Mädchen im 
Kapuzinergäßcken zu Würzburg” (&. Sl), indem fi in ihnen, 
wie in vielen andern, eine jugendliche Unbeholfenheit offenbart, 
die Dr. Dr. Rouffeau, fein Mäcen, Mangel an Selbſtaͤndigkeit 
nennt: „Die Spinne und das Blämdyen” (&. 72) ift gut ev 
funben, gehört aber nicht unter die Balladen, fondern iſt eine 


* Gin gweiter Artikel folgt im Monat Jull 





ten 
Himmel“ je: „Thraͤnen“ (&. 1 
nett ber Verf. in 


Wir alle gebn zuſammen bier in bie Lebensfkul’, 

Das Betum figt ald Lehrer auf finfierm Wolkenſtuhl. 

Erfahrung find die Bücher, die Thraͤnen unfre Dint‘, 

Mit Blut wird corrigiret — wo grobe Fehler find. 

Schwarz find bie Bücherdecken, und golden if die Sahriſt, 

Zerbrechlich, weich, auch fpröde if unfer Schreibefift. 

Der Mäden Meiner Menſchen iR unfer Bäreitpuit bier, 

Die Bungen bummer Leute finb unfer Löfchpapier. 

Die Thaten guter Shrißen find unfer Lineal, 

Die Folge krummer Zeilen It bed Gewiſſens Dual, 

Gar weife if vertheilet bie Zeit im Stundenplan, 

Sehn wir ihn au Topffäättelnd mit jedem Morgen an. 

Sm Aug’ und auf der Stirne ficht offen die Genfur, 

Da ſtehtes, wie man gelebet, doch unauslöfhbar nur. 

Danach wird nun gerichtet des Schuͤlers Erdenlauf: 

Bulest fließt dann der Himmel deu Bieib'sen Prima auf. 
Summe unfers Urtpells: In der Prima ber pieriſchen Schute 
figt unfer junge Sänger noch nicht; aber vielleicht wird er das 
bin verfegt. *) 61. 





Bon ben neueften Bereiherungen ber beuts 
fhen Sprade. 

Es ift nicht übel, wenn man ſich von Zeit zu Zeit Rechen» 
ſchaft gibt über Gewinn und Berluft feines Vermögens inners 
bald eines gewiffen größern Zeitraums, um eine Bilang zwi⸗ 
fen Vergangenheit und Zukunft 'abzufchliefen. Auch mit ben 
geiftigen Gütern ift fo ein Verſuch zu Zeiten anzuflellen — unb 
was thun bie Geſchichten der Sprache, Literatur, Kunft, Wiſ⸗ 
ſenſchaft u. f. w. anders, als die Vergangenheit mit ber Ge⸗ 
genwart controlircen? So ift es benn nicht ohne Jautereſſe, 
auch einmal unfer ſchoͤnſtes und gewiſſeſtes Gemeingut, bie 
theure Mutterfprache, darauf anzufehen, wie weit fie es in 
Folge der ungewöhnliden Anftrengungen, die ihr bas lette 
Menfchenalter zugemuthet, gebradjt hat. Für heute genüge es, 
einmal vorläufig gewiſſer Gingelbeiten zu gedenken in Beden⸗ 
tung, Biegung und Verbindung ber Worte. Ginem Andern 
bleibe es vorbehalten, dieſen Ginzelheiten gegenüber ein Ganzes 
zu denken, aus dem jene erklaͤrt und beftätigt werden mögen. 


1. In ber Biegung find Zaberungen eingefreten, bie 


Ginigen ale Bereicherung, Andern, biftorifch @efinnten als Ber⸗ 
armung gelten werben. Gchon bei Luther finden ſich neben unb 
ſtatt der ebein naturkräftigen fogenannten ſtar ken Formen der 
Berben manche gefchwächte, deren Gintritt dem ſchoͤnheitlieben⸗ 
den Ohre ein Verderb fcheinen muß; biefe Formen nehmen auch 
bei forgfältigen Schriftftellern feit dem vorigen Jahrhundert zu. 
Ein kreuzbraver Mann aus jenem philiſtroͤſen Saͤcuium, dem wir 
manche wunderliche Beſtimmung des Gprachgebraudye banken 
und fie fogar theitweife gefegfräftig gemacht Haben — Bett 
beſſer's! — ber machte fogar ben revolutionnatren Worfchlag, 
man folle bo, ben Fremden, 3.8. Branzofen, zu Ges 
fallen, bie Mehrzahl ber unregelmäßig flectirten (ai! 
alles Starte war dem guten Deren wider feine Na ) 
Zeitwoͤrter abſchaffen und zahme abgeſtutte dafuͤr einfegen ! und 
dieſer fromme Wunſch iſt leider in Erfuͤllung gegangen bei fol⸗ 
genden Berben, bie, wer weiß? ihre zahlreichen Nachfolger er⸗ 
warten. 


D. Keb 


. 


. uhr: Haute, bratete, meibete (Iubith, Tobias) 
Rott: hieb, briet, mich. 
Kiopſtock: zufte, ladete, flatt: rief, Iub. 

Goethe: faugte, ſproßte, fatt: ſog, ſproß (von 
ſprießen). 

Schiller und Spätere: gedeihte, backte, ſchraubte, 
ſchnaubte, gleitete, kneipte, ſchallte, ſtatt: gedieh, 
buk, fhrob, ſchnob, glitt, kniff, ſcholl. 

Unter ben Subſtantiven, bie bei Schiller geſchwaͤcht 
vorlommen, bebe ich hervor: ber Willen, ber Trieben, wo 
Goethe das Echte feftpält: der Wille, ber Friebe, Die 
Dialekte haben zum Theil erhalten: der Babe, der Garte, 
der Shlitte Den unorganiſchen Plural: die Läden, bie 
Sämmer u. f. w. haben die noͤrdlichen Wolksbialekte nicht 
aufgenommen , während man bagegen in Böhmen hört: bie 
Züge, und in Nieberfachfen an der Wefer: bie Hünbe. 

2. Mannicfaltiger ift noch bie Bereicherung der Werts 
bebeutungen und Zufemmenfehungen, womit genau zuſammen⸗ 
hängt die Aufnahme fremder Wörter. Man bat dem guten 
Gampe feinen Yurismus vorgeworfen: nur halb mit Recht. 
Denn ungeachtet feines abenteuerlichen Fanatismus bat er bodh 
das Seine beigetragen zur Reinigung unfers herrlichen über 
reichen Sprachſchatzes, und viete feiner lÜberfegungen haben 
Bürgerrecht erworben. Heute thäte uns ein zweiter Campe 
noth, um dem philofophifchen Jargon feine vomanifirende Sub⸗ 
ects Objectivität ideell und reell zu curiren, und wenigftens das 

berflüffige Eſoteriſche, Precäre, Dubidfe, Relative, Reflerive, 
Generelle und Specielle in feine notwendigen Schranken zuruͤck⸗ 
zuverweifen. Schlimmer jedoch als biefe Fremdwörter, bie 
das beutfche Ohr als foldye vernimmt und vielleicht allmaͤlig aus⸗ 
fcheidet, Tcheinen biejenigen Wortbilbungen zu wirken, bie aus 
einheimifhen Stämmen gebildet, aber in neue unorganifche Bes 
deutungen umgeftempelt find. Hier wirb das heimiſche Gefuͤhl 
nicht groͤblich verlegt, obiwol ber feiner Hoͤrende die Ungehoͤrig⸗ 
feit, wenn auch unbewußt, merkt. Der größte Theil biefer 
Wörter find aus fchlechten Überfegungen entftanden und durch 
die Zeitungsfchreiber eingeſchwaͤrzt. Man fieht ihnen oft das 
Linkifche an und ahnt die fremde Zunge; es wäre ein Berdienſt, 
diefen Bilbungen zu entfagen, und auch in ber Politik fein 
dem: das deutfche Wort, vernehmen zu laflen. Ron biefer 

xt find: 

Unterſtellen, recht niedlich überfegt aus dem Hollaͤndi⸗ 
ſchen onderſtellen, welches wieder aus dem Franzoͤſiſchen 
supposer matt genug nachgeahmt iſt. Wir haben für dies 
Modewort laͤngſt ein altverftänblicdhes: vermuthen, ober ges 
legentlich: unterlegen, vorausfegen. 

Unterbreiten, noch entfeglichen gebilbet als Hyperbel 
des vorigen und ebenfo entbehrlich. Sefegentwurf unter: 
breiten: warum nicht: vorlegen, zu Grunde legen? 

Überwadhen. Das Holländifge overwadhting warb 
früher nicht .uneben mit Beobachtung, Bewakhung über 
fept, der Nebenbegriff der Verantwortlichkeit ift in das 
hoilaͤndiſche Wort willkürlich bineingetzagen, Dies Wort ift 
ſchon aus ben Zeitungen in die neunbändige Literatur der Frau 
von Paalzow eingedrungen. 

Borgefehen. Im „Code Napoleon” {ft orime prevu 
ein Verbrechen, das in ben @efegen vorkommt, bezeichnet wird; 
etwa das bezeichnete, genannte, fragliche Vorgeſehen heißt 
fonft nur provisus, cautus. 

Sich herausſtellen if zwar nicht überfegt, aber body 
fremdartig für erfheinen. Goethe bat es zuerft, wo wirklich 
von Stellen die Rebe if. Das haben fi) die Zeitungsfchreis 
ber fogleich gemerkt, um ein neues efoterifches Wort zu haben. 

Herftellen bedeutet bei Goethe und den Blaffitern resti- 
tao, wieder in den vorigen Stand bringen. Die fübdeutfchen 
Zournatiften gebrauchen es für einrichten, binftelien, 
machen, und es gilt für vornehmer, in fagen: es foll eine 
neue Bräde hHergeftellt werden, flatt gebaup («tablir und 
r6tablir). 


Vorgehen heißt in allen beutfchen Bauen entwehes 
ſonlich praeire,, oder unperfönlich accidere; aber nirgend, Ba 
bie augsburger „Allgemeine Zeitung” aus dem franzoͤſiſchen pro- 
ceder verdreht hat, fo viel ale verfahren. (Lyons ift gegen 
ben Minifter Rudhart fhonungsios vorgegangen, flatt übel 
mit ihm verfahren, umgegangen; a procédé mal 
avec etc.) 

Boranſchreiten bebeutet ſonſt praecedere, praegredi, 
anteire. In den heutigen Zeitungen lieſt man: bald foll ber 
Bau bes Doms voranſchreiten, flatt: vorwärtsgehen. 

 Bielleiht liegt in einigen dieſer Bilbungen fübbeutfcher 

Dialekt zu Grunde; wenigftens haben manche fchweizer Blätter 

dergieicgen im Übermaß, was fie zum Theil ben weltlichen Radh- 

barn entlehnt haben. Auffallend ift unter anbern auch eine 

Menge zuſammengeſetzter Zeitwoͤrter, bie nichts bezwecken als 

— Steigerung des Einfachen. Ein paar Beiſpiele 
en: 

Zuwar ten iſt nichts weiter als warten, erwarten. 

Andauern (auch im „Hamburger Correſpondenten“); 
warum vr Hirt N 

nbeftellen flatt beftellen, foll das Gegentheil vo 
abheflellen beflimmter anbeuten. genth n 

Verdankung eines Berichts (ſchweizer Blätter). 

Unter bie mislichften Erſcheinungen aber rechnen wir einige 
derartige Zufammenfeßungen, die entweder in fi unverſtaͤndlich 
find und alſo eines Commentars bedürfen, oder zur Zweideu⸗ 
tigkeit neigen; beides Dinge, bie in einer Urſprache gar nicht 
vortommen müßten und auch im Ganzen bis zum (Ende bes 
vorigen Jahrhunderts ſehr felten find. Es ift ein Ruhm, ein 
Borzug der deutſchen Sprache, daß jedes Wert eindeutig fei 
(ben technifchen Gebrauch natürlich ausgenommen) und aus ſich 
ſelbſt verfianden werbe. Bon den wiberwärtigen Worten aus 
biefer Reihe nennen wir vorzüglich: 

Dem naͤchſt fol bedeuten 1. ferner, naͤchftens; 2. fobann, 
in Folge beffen. Es bedeutet aber von Natur nur das Erſte, 
dv. h. dem (zu) naͤchſt. 

Beiläufig I, was beistäuft, d. 5. nebenher, nebenbei; 
9. in fübbeutfchen Blättern fo viel als ungefähr, bei Zahlen 
gefeht; eine complicirte Idee, daß bie Zahl ungefähr bei diefer 
und jener u. f. w. berläuft! Cbeildäufig 100,000 Men⸗ 
ſchen). Nur das Erſte ift natuͤrlich und richtig. 

Dermalig 1. jegig, 2. resp. jebesmalig. Beides iſt 
glei gut und gleich ſchlecht. Wenigſtens das Erſte, das fi 
noch erklären läßt, müßte heißen: dasmalig, diesmalig. 

Bislang, ein tragifch berähmtes Wort aus ber hanover⸗ 
fhen Kammer von 1834! fol bedeuten: fo lang bie hier, 
bisjegt. Man könnte ebenfo gut'fagen bisgroß, bistief, 
bisdumm, es wäre nicht duͤmmer als jene reizende Zufams 
menfegung, um bie fih eine harmloſe Debatte zwifchen den lin⸗ 
guiſtiſchen Politikern entfpann, wo endlich ein geborner Däne 
(Dr. Shriftiani) für das Wort fechtenb fiegte! 

3. Endlich hat aud) die Wortverbindung Änderungen er⸗ 
faheen, bie nicht immer aus ber angeborenen Natur unferer 
Srrache hervorgegangen ſind. Den Franzoſen nachgebildet iſt: 

Das Miniſterium Thiers, Wellington, welche 
Redensart im Franzoͤſiſchen nur aus dem Beduͤrfniß ber 
bei der troſtloſen Fiexionsarmuth jener Sprache zu erklaͤren i 
im Deutfchen aber gar feinen Grund bat, als Nachäffereis 
—A Redensart folgt das Häufiggebörte: ber Proceß 

affarge. 

Man kommt iſt nicht beutih für Einer, Jemand 
kommt, wie das franzöfifche on vient, on frappe. Leider bat 
auch Goethe dieſe rheiniſche Redensart. Eind eutig bedeutet 
das man immer die Verallgemeinerung (noch mehr als das 
Griechiſche zus): die Menſchen überhaupt, die Allgemeinen, Uns 
Fi als! man fagt, man glaubt, man traut 

m nicht. 

und ſehe ig nicht ein u. f w. Dieſe Stellung bes 

Satzes nah und iſt ſchon ziemlich alt und hat in früherer Zeit 


der ng in dem halb relativen Gebrauche be und, 
noch in Sans Sachs erſcheint, z. B. Griſelvis ih wott 
und daß du mir ſagen möchteſteu. ſ. w. Da aber die⸗ 
ſer Gebrauch des und gaͤnzlich verſchwunden und dieſe Par⸗ 
tikel jetzt rein coordinirend geworben tft, fo iſt jene Stellung 
für uns falſch geworden, und es kann keine andere Folge na⸗ 
turgemäß ſtattſinden als: und ich ſehe nicht, 

Die Tiefe iſt diefes, das Srundlofe, Unenbs 
the zu bezeichnen. Diefe und aͤhnliche Rebensarten hat 
Ze daͤufig. Das Beduͤrfniß neuer Ideendarſtellung dat die⸗ 
en großen Denker auch zu neuen Bildungen und Verbindungen 
ber Worte gedrängt, die fich zumeilen durch ihre treffende Bes 
deutfamkeit hervorthun, oft aber auch dem eingeborenen Sprach: 
gefühl vertegend find. Die eben genannte Satzbildung iſt nun 
zwar aus dem Zufammenpange genügend erftärt, body hat fie 
etwas Widerhaariges an fih. Warum nicht ſtatt: iſt diefes 
etwa: bat bies zu bedeuten, daß es iſt? hat die Bes 
deutung, zu fein? 

Mit diefer Biüteniefe ohne Wtütenftaub fei es für heute 
genug. Wir wollen uns nicht wie Zionswächter geberben, welche 
das Attertfum und das Jahrtauſend lang Geweſene ſogleich hei⸗ 
lg ſprechen; aber bas koͤnnen wir auch nicht ertragen, daß uns 
jeder Horriblliſcribifax mit einem Sack Neuerungen in die Thür 
teitt und mit der Anmaßung, dem Alten, Urfprüngliden eine 
neue Seite abgewonnen zu haben, wenn er uns nur bie Ohren 
kereuzigt. 62. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Periodiſche Provinzialwerke. 

Es iſt eine alte, oft wiederholte Klage, daB in Frankreich 
bad gefammte geiftige Leben von der Hauptſtadt abforbirt wird. 
Falſch aber wäre ed, wenn man bamit behaupten wollte, bie 
Provinz fei aller Literarifchen Thaͤtigkeit entbiößt. Im Gegen: 
theil zeigt fich in mehren Departements, namentfi im Süden, 
feit einiger Zeit eine rüftige Thaͤtigkeit, die wir keineswegs 
ganz aus dem Auge verlieren dürfen. Wenn au früher fon 

ter und da in der Provinz einzefne talentvolle Schriftſteller 
auftauchten,, die fi in den mächtigen Strudel der Hauptſtadt 
binreißen ließen, fo waren im Allgemeinen body befonder® die 
Departementatjournate nur malte Abdrüde von ben Tagesblät: 
tern der Hauptſtadt. Seit kurzem zählt nun bie Provinz ins 
deſſen ſchon einige Zeitſchriften, die eine wirktiche Literarifche 
Bebeutung haben unb die ſich allmaͤlig Luft machen werben. 
Wir erwähnen hier nur beifpielsmeife bie gediegenen „Archives 
litt&raires da Nord’, die zu Lille herausfommen. Ein Seiten: 
fi zu diefem periodiſchen Blatte, dus ſchon eine Reihe von 
Jahren befteht, ift die neue „Revue du midi”, bie in Mont: 
peffier herauskommt. Das erfte Heft, das und vor kurzem zus 
gelommen ift, verfpricht fehr viel Es enthält außer mehren 
fietnen Artikeln folgende Auffähe: 1. ‚Orient es l’Occident‘’, 
von Lallemand; 2. „Sur les traditions populaires carlovin- 
giennes”, von Achille Jubinal; 3. „Recherches sur la philo- 
sophie du droit”, von Maffot:Reynier u. f. wm. Bon den 
aͤſthetiſchen Beiträgen, die wir in dieſer Revue gefunden haben, 
7335 wir namentlich einige geiſtreiche Verſe vom bekann⸗ 
en- j 





Sainte⸗Beuve. 

Sainte-BVeuve iſt unſtreitig der liebenswuͤrdigſte Kritiker 
des gegenwaͤrtigen Frankreichs. Er hat ſich bekanntlich eine 
eigene Gattung ber Kritik, die man die pſychologiſche heißt, ge: 
(haften. Aber außerdem hat er fich durch umfaflende literarifche 
Arbeiten bekannt gemacht. Ganz neuerbings hat er erfl wieder 
in feinem „Port-royal“ fein bedeutendes Hiftorifches Darftels 
lungstalent an ben Zag gelegt. Schon früher hatte er dies ins 
deffen in feinem verbienftvollen „Tableaa historique et cri- 


 tique de la po6sle francalsu et du tiitätre fiancals 


in Leipzig aufmerksam 


au Iölime 
siöcle”! getyan Sainte s Beuwe hatte bei ber Ausarbeitung die⸗ 
fes ‚ von dem ber „Globe” bie erſten Druchſtuͤcke brachte, 
einen fpecielen Zweck. Gr wollte nämiidy nachweiſen, daß bie 
literarifchen Beſtrebungen ber romantiſchen Schule, zu berem 
Hauptlämpfern er damals zählte, fidy an einzelne Richtungen 
des 16. Jahrhunderts anknaͤpfen ließen. Somit war bicfes 
Wert, das auf fehe umfaffenden Studien berupte, zum Theil 
als eine Parteifchrift zu betrachten. Darunter mußten natürs 
lich eingelne Partien leiden, in denen bie Anfichten der romans 
tifchen Schule gar zu fehroff hervortraten. Wir meinen befons 
ſonders die Stellen, in weidyen ben Dichtern bes 16. Jahrhun⸗ 
berts Ideen und aͤſthetiſche Grundſichten untergelegt wurben, an 
welche fie wol ſchwerlich gedadyt haben mögen. Wir haben 
deshalb zu unferer Freude bemerkt, daß Sainte⸗Beuve, ber 
allmätig die @infeitigteit der eigentlichen romantifchen Schule 
überwunden hat, tin bee neuen Ausgabe, welche ex von biefem 
*— ae ne ** von der 3. Band heraut⸗ 
gekommen iſt, dieſen Mangel zu tilgen ſucht. Außerbem ſcheint 
es uns, fe viel man nach einem fluͤchtigen Beide —— ta 
ee ber Berf. weienttiche Bufäge zur erſten Ausgabe ges 


Über ben uUrfprung des Menſchengeſchlechte. 
Sin franzoͤſiſcher Priefter, Namens $.8. M. Maupied, bat es 
unternommen, bie Wahrheit der Annahmen ber Heiligen ift 
über den Urſprung des Menſchengeſchlechts ausführlich nad; 





weiſen. Der Zitel feines Werks Tautet: „Prodrome d’ethao- 
‚graphie ou essai sur l’origine des 


peuples anciens, contenant 
l’histoire neuve et detailldee du bouddhisme et du brahma- 


‚nisme’”’ (Paris 1343). Der Verf. nimmt, zuwörberft eine alls 


gemeine Suͤndflut an und ſucht dann, in Übereinftimmung mit 
ber Bibel, darzuthun, baß das chaldaͤiſche Armenien die Wiege 
der nachſuͤndflutlichen (poſtdiluvaniſchen) Menſchenrace geweſen 
ſei. Es ſcheint ihm unwiderleglich, daß alle verſchiedenen Ras 
tionen von einem gemeinſamen Stamme herkommen. In die⸗ 

ſem Falle muß natuͤrlich eine Grundſprache exiſtirt haben, weiche 

ihm die ſemitiſche und zwar die alte chaldaͤiſche Mundart gewe⸗ 

ſen zu ſein ſcheint. Dieſer Theil ſeines Werks iſt am ausfuͤhr⸗ 

lichſten behandelt. Der Verf. gibt ſich den Anſchein, als habe 
er nicht nur eine ganz neue Wiſſenſchaft, nämtid die Phyſio⸗ 
logie ber Sprache, geſchaffen, fondern er wendet fogar, um bie 
Wahrheit feiner Annahmen nachzuweiſen, ein eigends erfundenes 
Inſtrument an, das er „„Bloffometer” tauft. Von dieſen Sägen 
geht er nun weiter und ſtellt bie Behauptung auf, baß ber 
Buddhismus nichts fei als eine Umgeſtaltung ber juͤdiſchen Res 
ligion. Auch bie Ghinefen haben, nah Maupied, ihre Re 
lie und ihre Philofophie nur aus zweiter und britter Band 
erhalten. 2, 





Literarifhe Anzeige 


Steunde der Siteratur 
werden auf den Verlags-Katalog von F. A. Brockhaus 


emacht, der soeben in eiuem 
neuen, bis zam Jahre 1842 fortgeführten, mit einer wissen- 
schaftlichen Übersicht und einem Autorenregister versehenen 
Abdruck erscheint. Durch jede Buchhandlung sind Exrem- 
plare gratis. zu erhalten, sowie auch ein erzeichniss 
schönwissenschaftlicher, historischer etc. und an- 
derer werthvoller Schriften aus demselben Verlage, 
welche zu bedeutend ermässigten (nur noch kurse 
Zeit geltenden) Preisen eriassen werden. 


Verantwortliher Herausgeber; Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von J. 4. Brodhaus In Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Montag, 





Vitse CHI viroram illustriam qui saecalo XV extite- 
runt auclore coaevo V espasiano Fierentino. Praelt 
Bernardini Baldi de historla tractatus. Rom 1839. 

EErſt 1843 publicirt.) 

Dee gelehrte und wnermüblihe Forſcher In den 

Bibliotheken Italiens, Cardinal Angelo Mai, bat als 


Fortſezung feiner aus dem haudſchriftlichen Schägen des. 


Vaticans gezogenen Sammlungen ein „Spicilegium Ro- 
manum‘’ herausgegeben, von welchem acht ſtarke Groß: 
schaubände ſoeben (Februar 1843) erfchienen find, eine 
Säle von Iateinifchen und griechifchen Ineditis, von den 
Kirchenvaͤtern an bis ins 16. Jahrhundert enthaltend. 
Einige Schriften in italieniſcher Sprache find gleichfalls 
in dieſer Sammlung mitgetheilt: die umfangreichiten und 
wichtigften derſelben enthält ber oben angezeigte Band, 
4103 Lebensbefchreibungen berühmter Männer des 15. 
Jahrhundetts, von dem florentinee Buchhändler Vespa⸗ 
Emo. Diefer Vespafians iſt ein in der italieniſchen Lites 
sargefchichte keineswegs unbekannter Name: Muratori hat 
feiner großen Sammlung der „Scriptores Rerum Italic.“ 
zwei von demſelben verfaßte Biographien der Päpfte Eus 
gen IV. und Nitelaus V. einverleibe und dabei in Pin: 
fiyt der Schreibart bemerkt: omnia haec multa cum 
simplicitate seripta sed quae magnificam alıorum elo- 
quentiam pretio superent; ein Paar andere Lebensbe⸗ 
ſchreibungen, bie der Gardindie Gefarini und Albergati, 
des Agnolo Pandalfini und Sr. Filelfo, find andermärts 
gebrudt, verfchiedene von ben übrigen mehrfach benupt 
worden; ins volle Licht wird fein großes und eigenthuͤm⸗ 
liches ja beinahe einziges Verdienſt indeß erſt durch die 
gegenwaͤrtige Publication geſtellt, welche uns mit dem 
reichen Schatze der durch ihn geſammelten Nachrichten, 
mit einer Menge ber intereſſanteſten Züge, mit anſpruchs⸗ 
lofen aber getreuen und lebendigen Charakterſchilderungen 
bekannt macht. Bevor ich aber von dem Buche rede, 
muß id des Autors gedenken, wobei bie inhaltreiche 
Vorrede de6 Herausgebers den beften Leitfaden an bie 
Hand geben ann. 

Als das Studium bes claffifhen Alterthums in Ita⸗ 
Khers toiederaufjuleben "begann, bie Kenntniß der lateini- 
fen Schriftſteller und die Kunft, in ihrer Sprache fich 
auszudruͤcken, im Vergleih mit Petrarca’6 Zeiten bedeu: 
{end eriveitert und vervolllommnet wurden, während bie 





griechiſche Literatur erſt recht fi) Wahn zu brechen an⸗ 
fing, war Florenz ber Mittelpunkt biefer gelehrten Bes 
firebungen, roelche, während fie nad einer Seite bin uns 
endlich förderten und über bie legte Epoche des italieni⸗ 
[hen Mittelalters einen Stanz verbreiteten, ber nimmer 
erbleichen wird, andererfeits die Entwidelung der Natio: 
nalliteratur bemmten, bis diefe, genährt mit dem antiken 
Saft, aber wieder frei in Form und Bewegung, von 
neuem glänzend bervortrat. Jene Zeit, welche der Ex 
findung der Buchdruderkunft nur um fo wenig vorans 
ging, war auch die Zeit des Anlegens ber großen Biblio 
theken im Deceibent: die Bildung begann fich fo weit zw 
verbreiten und die literariſchen Huͤlfsmittel wurben von 
Dielen fo emfig gefucht und fie wurden fo nothwendig, daß 
der menſchliche Erfindungsgeift auch ohne fonftige Außere 
Veranlaffung auf das KErfinnen einer bequemern und 
minder koſtſpieligen Vervielfältigungsmwelfe, deren gefteigerte 
Production mit den gefleigerten Anfoderungen Schritt zu 
balten vermochte, angemwiefen war. Daß das Sammeln 
von Büchern damals mit Mühe und mit großen Koften 
verbunden war, braucht nicht noch erſt gefagt zu werden: 
die Zahl Älterer Handfchriften war verhältnißmäßig ge: 
ring und ber Preis fland mit der Seltenheit im Ber: 
haͤltniß. Abfchriften wurden deshalb in Menge gemacht: 
mancher Gelehrte copirte die Claſſiker für feinen eigenen 
Bedarf, und wir befigen noch berühmte Beifpiele davon; 
die Mohlhabenden liefen ſolche Kopien verfertigen und 
die reihen Privatleute und Fuͤrſten beftellten, als es Be⸗ 
dürfniß und Sitte ward, Bibliotheken anzulegen, ganze 
Sammlungen derfelben, wie denn ein großer Theil ber 
Eodices, die wir noch befigen, aus diefen fpdten Zeiten 
ftammt. Das Gefhäft des Buchhaͤndlers, der die Be⸗ 
forgung ber Manuſcripte übernahm, fei ed, daß er neue 
Abſchriften anfertigen Ich, fel es, daß er den Verkauf dls 
teree vermittelte, gewann dabei immer größere Ausdeh⸗ 
nung und Bedeutung. Denn, welche reihe Sammlun⸗ 
gen angelegt wurden in Venedig, Mailand, Urbino, Mom, 
Neapel, namentlidy in Florenz durch Gofimo ben Alten, 
dur Palla Strozzi, Riccold Niccok u. m. A. Ift aus 
den Schriftſtellern jener Zeit bekannt und nachmals durch 
Bandini im „Specimen litt. Flor.”, duch Mehus im 
Leben bes Ambroſio Traverſari, Such Tiraboschi in 
feiner ‚‚Literntusgefchichte‘‘, durch Fabroni in den Blo⸗ 


86 > 


bien Palla Strozzi's und Gefimo’s und Lorenzo's 
de Mebid, duch D. Giorgi im Leben P. Nikolaus’ V. 
endlich durch Roscoe, Ghepherd und manche amdere 
Neuere vollſtaͤndig erlaͤutert worden. 

Ein ſolcher Buchhaͤndlor war dee florentiner Bespas 
ano di Filippo, den man häufig nach Mehus mit Unrecht 
Da Biſticci nennt, und er macht feinem Stande die größte 
Ehre. Wann er geboren warb, ift ungewiß: er ſelbſt er: 
zähle, daß er zur Beit, wo der Garbinal Gefarini vom 
bafeler Concil abberufen, um ber florentiner Klrchenver⸗ 
fammlung beisuwohnen, in Florenz ſich befand, ein juns 
ger Menſch war („di non molta età“) und ber Cardi⸗ 
mal ihn veranlaſſen wollte, in den geiftichen Sum zu 
treten. Da er noch im 3. 1493 lebte, erreichte er jeden- 
falls ein hohes Alte. Wie wenig er ſich darauf‘ be⸗ 
ſchraͤnkte, mit dem mechaniſchen Xheili feines Geſchaͤfts 
fich gu befaffen, zeigen die Schriften, die ee hinterlaſſen, 
bie Zeugniffe von Zeitgenoffen (fo ſchreibt umter Andern 
der berühmte Gianozzo Manetti: „Sei dotato di buono 
ingegno piü che mon si richiede all’ arte‘‘) und die 
große Menge von Bekanntſchaften, die er mit gelehrten 
und vornehmen Männern antnüpfte, wie die ehrenvolle 
Behandlung, die ihm von bdiefen zu Theil ward. Als 
Thomas von Sarzana, der als Nikolaus V. den paͤpſtli⸗ 
chen Stuhl beftieg, in Florenz verweilte, fah er dieſen 
viel und Leiftete ihm manche Dienfle; daß er, nachdem) er 
Papſt geworden, bemfelben noch Hold war, zeigt bie leben: 
dige Schilderung, die Letzterer von einer Aubdienz bei Gr. 
Heiligkeit entwirft: 

Kurze Zeit nach feiner Wahl — erzählt Vespaſiano — bes 
gab ich mich zu ihm, eines Freitag Abende, wo er Aubienz ers 
£heilte, wie er einmal wöchentlich zu thun pflegte. Es war 
ungefähr um die erfte Stunde der Rat. Kaum war ich in 
den Aubienzfal getreten, fo bemerkte er mich und fagte mit laus 
tee Stimme, ich fei wilkommen und folle mich gebulben, da er 
mit mir allein fein wolle. Nicht lange Zeit verging, fo wurbe 
mir angezeigt, ich follte mid zu Gr. Heiligkeit verfügen. Ich 
ging und kuͤßte ihm ber Sitte gemäß ben Fuß, hierauf gebot 
er mir aufzuftehen, ſtand felbft von feinem Stuhle auf und ver: 
abfehtebete eben, indem er fagte, die Audienz fei nun zu Ende. 
Dann ging er nad) einem geheimen Theil bes Saales, neben einem 
Ausgange, der nad) dem Garten führte; gegen zwanzig Doppelleuch- 
ter brannten, vier davon nahe bei &r. Heiligkeit. Er winkte, 
man möge biefe entfernen, und nachbem Alle weggegangen, begann 
ee gu laden und fagte zu mir: Vespaſiano, hätte das Bolt 
son Florenz wol geglaubt, daß zur Beſchaͤmung vieler Hochmuͤ⸗ 
thigen aus einem zus Meſſe laͤutenden Priefler ein Papſt wer 
den würbe? Ich antwortete, die Blorentiner würden glauben, 
daß Sr. Helligkeit um eigener Tugenden willen zu biefer Würbe 
gelangt und baß fie Italien den Brieben wiebergeben werde. 
Darauf erwiberte der Papſt: Ich bitte gu Bott, daß er mir 
gewaͤhren möge, Das auszuführen, was ich in Gedanken habe, 
naͤmlich den Frieben zu fliften und während meines Papſtthums 
einer andern Waffe mid zu bedienen als derjenigen, welche 
Chriſtus mir zu meiner Vertheidigung gegeben — fein Kreuz, 
weiches ich mein ganzes Pontificat hindurch führen will. Bier 
auf wanbte er zu mir, indem er fagte: Du weißt, wie oft 
Gofime de’ Wtebici mie in meinen Nöthen Wohlthaten erzeigt 
bat, darum will id ihn nun belohnen unb werbe ia morgen 
u meinem Depofitar (Schagmeifter) ernennen. Dan Bann nicht 

‚ indem man bankvaren Leuten Gutes thut. Zur Zelt des 


Zubildums geſchah es wet, daß die mediceiſche Bank über 100 000 


„die der Kirche gehöorten, in Berwaheſam hatte, wie ich 


kannt, obgleich das Schreiben meinem Stande fre 
Beweggrü 


von glaubwärbigen Perfonen weiß, bie babei waren. Hierauf 
fuhr er fort: Ich will den Florentinern eine große Ehre erzei⸗ 
gen, morgen früh werde ich ihren Botſchaftern in einem öffent« 
lichen Gonftflorium Aubienz erthellen, wie man bei Kaifern unb 
Königen zu thun pflegt. Diefe Auszeichnung werbe ich ihnen 
zu Theil werben Vaffen Und dann: es wäre gat, den Sa Fr 
lippo di Ser Ngolino aus dem il yurädumwufen. (Diefee was 
ein Florentiner, beffen Leben unfer Vespaſiano geichrieben bat 
und dem ber Papft wohlwollte, ohne aber feine Abſicht zu fer 
nen Gunften burchfrgen zu können.) Sch redete ihm gu, er 
möge dies thun; er fagte: er wolle es fih als eine Gnabe auss 
hitten, und fo that er. Hierauf empfahl ih ihm Meſſer Piero 
deglt Strozzi, damit er biefem ein DBenefiz geben möchte. Er 
verſprach ed mir und erfüllte, was er verheifen. Webrmais 
fagte er mir, ich follte von ihm verlangen, was ich wuͤnſchte; 
wnerfahren wie id; war, frug ich nichts. Rachdem ich längere 
Zeit bei ihm verweilt, fagte er: Bleibet diefen Abend bier, ſo⸗ 
dann rief er Meffer Piero da Roceto und fagte: Morgen fekh 
werdet Ihe mit ums efien. Gr felbit ging dann ins anſtoßende 
Zimmer und fagte: bleibt biefe Madyt bier, worauf ex (es wer 
in ben Faſten) das Abendeſſen auftragen ließ. Er bebamerte, 
daß ber Dausflanb Papſt Eugen's völlig ausgeplündert wor⸗ 
—2 — und er die Betten fr bie Dienerfhaft habe borgen 
müffen. 

Papſt Nikolaus brauchte den Vetpaſiano viel in lite⸗ 
tarifchen Angelegenheiten und der Cardinal Aleandre 
nennt ihn deſſen „‚Bibliopola”. Auch dem Herzog Fried⸗ 
rich von Urbino ging er bei ber Anlegung feiner berähers 
ten Bibliothek, derem handſchriftliche Schäge jest mit den 
Vaticanifchen vereinigt find, an die Dand, wie dem Ger 
fimo be’ Medici bei der gegenwärtigen Laurenzianifchen 
Bibliothek und jener ber Dominikaner von ©.- Warce, 
dem Alerander Sforza, Hera von Pefaro, und mehren 
Ausländern, geifllichen wie weltlichen ‚Deren, die im 
Floren; Buͤcherſammlungen zufammenbeschten. Dadurch 
kam er mit ſolchen Männern in genaue Beruͤhtung, uub 
während er Fremden haͤufig als gelehrter Wegweiſer Ws 
der Stade diente, wie dem Grafen won Worceſter, dem 
fpanifchen Geſandten, den er bei Lionarbe Aretino ein⸗ 
führte, dem Gardinal von Girona, den Miniſtern Abe 
wig Alfons’ won Aragon u. A., Hand er mit Gianono 
Manetti, Ambeogio Traverſari, Sozomeno von Pifieie, 
Victorin von Feltre u. A. in einem Berhaͤltniß, das in 
manden Faͤllen ein freundfchaftliches genanne werben 
muß. Bon diefen und Andern wurden sahlreiche Briefe 
an ihn gerichtet, die zum hell auf ums gekom⸗ 
men find. Die perfönlihen Beziehungen, in bene 
Vespafiano zu fo vielen ausgezeichneten Maͤnnern 
den, umd bie vielen Nachrichten, bie ihm üͤber ſolche ger» 
gingen, bie er nicht felber gefehen, veranlaßten ihn, von 
den berühmteften derfelben kurze Denkwurdigkeiten aufzuzeich⸗ 
nen. Er ſpricht fi in dee Vorrede zu feinen Biographien 
über die Grunde aus, die ihn dazu vermocht. Nachdem 
er geklagt, wie felt dem Tede Papft Nikolaus’ und des 
Herzogs von Uchino ber Eifer für die Wiſſenſchaften abe 
genommen, fährt er fort: | 

Da ich in jener Zeit gelebt und fo viele berähmte Mäuse 
oefehn, über die ich viele Auskunft erlangt, fo habe ih, Damit. 
ihr Ruhm nicht untergehe, in kurzen Gommentarien bie Denke 
würbigfeiten aller gelehrten Leute aufgefeht, bie * 


abe haben mic) bayıı angetrieben: der erſie, banzic DIE 


Winnerung an — Bänder wicht untergehn moͤge; der 
Kite, damit ‚ welcher etiva Lebensbeſchreibungen derſelben 
teinifäy abfafſen wollte, den Stoff dazu vorraͤthig finde. 

Indem er ſo that, hat Vespaſiano der Geſchichte 

amd der Literatur einen groͤßern Dienſt erwieſen, als vr 
wol felbft vermuthete, wenn ihm auch erſt jest, wo ſeine 
Biographien, dfe bisher faſt ſaͤmmtlich Manufceipt ge: 
blieben, durch den Drud bekannt geworden, bie allgemeine 
Anerkennung, die er verdient, zu Shell werben wird. 
Bon ſehr Vielen unser Denen, über weiche es uns Auf 
zeichnungen binterlaffen, befigen wir war aͤltere tie neuere, 
zum Theil ausführliche und gelehrte Lebensbeſchreibungen; 
aber nur durch einen Zeitgenofjen, der Perfonen, Fami⸗ 
ie, Hausweſen, Verhaͤltniſſe kannte, der mit den Leuten 
geredet und fie in Gluͤck und Unglüd beobachtet, der in 
feiner Einfachheit nicht daran dachte, die Dinge mit an: 
dern Zarbern als mit denen auszumalen, die feinen Au: 
gen fih darboten, Eonnten wir fo zecht ins Innere, ge: 
wifiermagen in Hans und Studirzimmer eingeführt 
werden. Wir haben bier keine eigentlichen Biographien 
vor uns, kein Geburts: und Sterbejahr iſt genannt, die 
&ronologifche Ordnung nicht befolgt, oft befteht das Ganze 
aur aus einzelnen Schilderungen und Charaktergügen ; 
aber gerade dieſe Charakterzuͤge find. von ſo unendlicher 
Wichtigkeit und laſſen und das Menfhlihe an den Men: 
ſchen fo gut erfennen. Dazu kommt nody des Berf. 
eigenes Sein und Wefen, wie e6 in diefen Schriften fich 
Bar ausſpricht, feine liebevolle Natur, die Wärme, wos 
wit er bie guten Eigenfehaften Derer, von welchen er redet, 
anerkennt, das Dervorheben der moralifhen Eigenfchaften, 
die er beiweitem höher preift und bewundert als fonftige 
Vorzüge, fo glänzend fie auch immer fein mögen. So 
find diefe Biographien aͤußerſt ſchaͤtzbare Beitraͤge zur 
Kenntnif jenes betvegtem und ereignißreichen Jahrhunderts, 
und ber Herausgeber verdient ben Tebhafteften Dank für 
eine fo fhöne Gabe. Die Schreibart iſt, wie gefagt, ein: 
fach und ſchmucklos; bisweilen iſt fie etwas gar zu kunſt⸗ 
ios, namentlich im Aneinanderreihen bee einzelnen Bege⸗ 
benheiten und Bemerkungen; fonft tft, wenn man einige 
Eigenthuͤmlichkeiten ausnimmt, die fi auch wol bei an: 
dern Florentinern jener Zeit finden, die Sprache rein und 
in ihrer naiven Ausdrucksweiſe reich an glüdlihen Wen⸗ 
Bungen. 

Was wir in dem vorliegenden Bande von Lebens: 
befchreibungen des Bespafiano finden, iſt nach vaticani⸗ 
ſchen Sandfchriften gedruckt; vollftändig iſt indeß die 
Sammlung nicht, fo fehlt das Leben des Bartolommeo 
Sortini, weldes nah einem Coder der Riccardiana im 
wierten Bande bes „‚Archivio storico Italiano” (©. 373 fg,), 
Der unter der Preffe befindlich, enthalten fein wird. Auch 
andere Schriften gibt's von unferm Autor, fo Biographien 
berühmter Frauen feiner Zeit, der Paola Malateſta, der 
Hetzogin von Urbino, Federigo's Gemahlin, ber Cecilia 
Mancovana und mehrer Florentinerinnen u. A., endlich 
ein Lamento d’Itala, bei Otrantos Eroberung durch die 


Zürten im 3. 1480. Im gegenwärtigen Buche find, 


wie der Titel angibt, 103 Lebentbeſcheeibuugen enthalten, 


e 
ſich mit zu neanen, datan. Gut an - 


von denen 9T Bisher ungedruckt. Sie find in fünf Elaſ⸗ 
fen getheite: Päpfte und andere reglerende Herren (6), 
Gardinäle (16), Erzbiſchoͤfe, Biſchoͤfe und andere Geiſi⸗ 
lie (29), Staatomaͤnner (20) und Gelehrte (32). Die 
Bemühungen des Herausgebers, einen lesbaren Text zu 
geben, verdienen alle Anerkennung; Noten und Verwei⸗ 
ſungen ſind nur in ſeltenen Faͤllen beigefuͤgt. Haͤtten 
ſolche, bei der ungeheuern Maſſe des gelehrten Materials, 
das ſich auf dieſe Zeit bezieht, nur einigermaßen vollſtaͤn⸗ 
dig und ſomit nuͤtzlich ſein ſollen, fo würden ſie den Um⸗ 
fang des Buchs, das ihrer für den gewoͤhnlichen Ge⸗ 
brauch nicht bedarf, bebeutend vermehrt haben. In literar⸗ 
hiſtoriſchen Schriften findet ſich das Hierhergehoͤrige. 
(Dre Belchluß folgt.) 





Romanenliteratur. 
rer zolen (aus: geh . Blende) von Pitre⸗ 
evalier. Aus dem ſiſchen überfest von Kann: 
Sarnow. Leipzig, Kollmann. 1842, 8. Taxe. di 
Wieder eine Reiſegeſchichte! Der franzoͤſiſche Herausgeber 
verfichert uns in einer Ginleitung über bie nöthigen Gigenichafe 
ten eines volllommenen Zouriften, baß er fo gluͤcklich iſt, einem 
Freund 3. zu befigen (bisher hat nur das X, fo viel uns bes 
kannt iſt, zur Bezeichnung unbelannter Größen gedient), ber 
ein fo merkwuͤrdiger Zourift ift, daß er fo wenig feine Denk: 
würbigteiten als feine Neifebilder, Abenteuer, oder Briefe 
druden laͤßt, unglüdticherweife aber biefelben feinen vertrauteften 
Freunden, unter Anbern dem Herausgeber, erzählt hat. Go 
erfahren wir denn bucch diefen eins von den aller merkwuͤr⸗ 
bigften Reifeabenteuern biefes merkwuͤrdigen Zouriften, von dem 
unfer Herausgeber mit echt franzöftfcher Suffifance verſichert, 
daß er Feine gedruckten Reifeberichte Bennt, die mehr werth find 
als feine einfachen Erzählungen, und daß er beffer fpricht als 
alle Bücher. Wäre nur Herr Pitre Chevalier dem guten Bei⸗ 
fpiele bes befcheidenen Zouriften, der dreimal beide Hemiſphaͤ⸗ 
ren burdjwandert hat, gefolgt, fo wäre uns bie undankbare 
Mühe, eine abgeſchmackte Geſchichte Lefen zu müffen, erfpart 
worden. Denn baß fie in Spanien fpieit, fcheint uns jest gar 
nicht mehr merkwürdig; eher wuͤrden wir es für merkwuͤrdi 
balten, wenn fie auf der von dem ehrlichen Sancho Panfa weile 
regierten Infel Barataria ſpielte. Auch das können wir weder 
für neu noch merkwürbig halten, daß fie von Großmuth, Ket⸗ 
tungsfcenen, Lebensgefahren u. dergl. überflicßt und mit einer 
Hochzeit ſchließt. Wenn aber der durch beide Bemifphären ges 
wanderte Touriſt 3. nichts Beſſeres und Geſcheiteres zu ers 
zählen weiß, fo wird ihm hiermit ein ewiges Stillſchweigen 
auferlegt. Zur Zugabe erhalten wir noch eine Gefchichte von 
Jules Bandeau in den Kauf, deren, da fie von gleichem Ka⸗ 
liber wie bie vorige if, gedacht zu haben ſchon hinreichend iſt, 
um fie ald Das zu bezeihhnen, was fie iſt: nämlich eine litera⸗ 
riſche Seifenblafe und Gintagsfliege. 


3. Sermanı. Gine Novelle von G. &. Aus bem Schwediſchen 
überfegt von ! G. ungewitter. Leipzig, Kollmann. 2843, 
8 1 Ihlre. 1, Ror. 

Bon verfchiedenen Seiten aus wirb darüber geflagt, daß zu 
viel gefcdhrieben und gebrudt werbe, und dennoch werben wie 
noch obenein alljährlich mit Überfegungen aus dem Franzoͤſiſchen, 

Engliſchen und fogar Schwebifhen uͤberſchwemmt. Und wenn ed 

noqh werth: und gehaltvolle Sachen wären, mit benen uns befannt 

F machen es der Muͤhe lohnte, ſo moͤchte gegen dieſe Über⸗ 

ehungsmanie wenig zu erinnern fein. Wenn es aber fo gang 
geiftz, werth⸗ und gehaltlofe Grzählungen find wie dieſer 
ſchwediſche „.Dermann”, .beflen Verf. ſehr wohl baran_gethan bat, 
ac lee auf das 


wider die leidige 


teflicen. So 
. BE lektane „germann” eine duch und ver (cminbfüctige 


Geſchiqhte. Die Heldin derſelben, Säcitie, mit einem ungelieb⸗ 
ten Manne verheirathet, flirbt zulegt aus lauter Liebespein zu 
ihrem lieben Hermann an ber GSchwindfucht und Hermann gebt 
auf Reifen. Wenn er nur nicht auf ben unglüdlichen Einfall 
‚ als echter Zourift Reifebitder oder Reiſeſkizzen zu fchreis 
Een Do er fcheint uns gleichfalls eine ſtarke Anlage zur 
Schwindſucht gehabt zu haben, und wir hoffen baher, er wird 
feiner GSäcilie bad im Mode gefotgt fein. Wenigſtens wäre es 
sienbar das Weite, was er bätte thun können. RNoch beffer aber, 
die ganze ſchwindſuͤchtige Geſchichte wäre ungebrudt geblieben ! 
3. Niccolo de’ Lapi oder die Palleschi und die Piagnoni von 
Maffimo d'Azeglio. Nah dem italienischen Driginale 
bearbeitet von Rudolf von Langenn. Bier Theile. 
Leipzig, Kollmann. 1842, 8. 4 Thir. . 

Bereitö find von unfern allezeit fertigen üÜberfegern die 
englifche und fchwebifche Eiteratur ausgebeutet worben: es ift dar 
Her ſehr natuͤrlich, daB fie auch die italienifche brandſchatzen. 
Belch einen koſtbaren Schatz, welch ein unſterblich Meiſterwerk 
haben wir nicht in dieſem „Niccolo de’ Lapi“ dem Herrn Über: 
feger zu danken: er bat ſich durch die übertragung dieſes uns 
Maͤtzbaren Meifterwerts ein unſterblich Verdienſt um unfere Li⸗ 
teratur crworben! Diefe Novelle ift mit allen Apparaten zu 
einer biftorifhen Novelle uͤberreich ausgeſtattet: ber Berf. madıt 
immer Anftalten und wird niemals fertig, ſett befländig an 
und kommt niemals zur Sache! Das Ding fieht aus, als wäre 
es etwas, ift aber nichts. 21. 





Hiſtoriſche Miscellen. 


Der Papſt keo X. pflegte ſich zuweilen von dem geraͤuſch⸗ 
vollen Rom binweg auf feinen etwa fünf Meilen entfernten, 
ruhigen Landſitz Malliana zu begeben, wo er einen großen Theil 
feiner Zeit dem Vogelfang und der Jagd *) widmete. Wenn er 
auf diefem Landgute ankam, fo freuete fich jedesmal das Volk 
aus der ganzen Gegend, als ob es bie reichfte Ernte eingefam: 
meit hätte. Seine Freigebigkeit ergoß fi) über Alte und Junge, 
bie ihn an der Heerſtraße ermarteten, um ihm ihre ländlichen 
Gaben darzubieten. Er begnügte ſich aber nicht damit, nur 
aufs Gerathewohl zu geben, fondern ließ fich oft mit ben Leuten 
ins Gefpräd ein, erfundigte fih nach ihren Beduͤrfniſſen, zahlte 
die Schulden der Bejahrten, Unglüclichen oder Kranken, fteuerte 
junge Mädchen aus und unterflüste die Verforger zahlreicher 
Bamilien ; benn nach feiner Dentart fand einem großen Zürften 
nichts mehr an, als Elend zu mildern und jedem Bekuͤmmer⸗ 
ten mit leichtem deren und frober Miene von ſich geben zu 
Loffen. Daher fagt Erasmus (Epist. lib. I. p. 30) von bies 
fem Papfte, der noch überdies durch thätige und freigebige Er: 
munterung aller Wiſſenſchaften **) und Künfte die meiften Ans 
{prüche auf die Achtung und ben Dank der Nachwelt fich er: 
morben hat: „Quantum romani Pontificis fastigium inter re- 
Kiquos mortales eminet, tantum Leo inter romanos Pontifi- 
ces excellit,” 


etras Pantoia be Aiola, ein Mechtögelehrter von Toledo 
im -17. Jahrhundert, fchrieb einen Gommentar über ben Tiger 





%) Die Geſetze, melde den Geiftlihen bie Jagd verbieten 
(«.1. 2. X. de elerico venatore), find zwar durdy gegentheilige Ge: 
wohnheit außer Anwendung gekommen; dennoch aber nahm Leo’ 
Geremonienmeifter, Parid be Graſſis, daran großen Anſtoß, daß 
fein Gebieter bei folder Gelegenheit Stiefeln zu tragen pflegte. 

**) Ihm verbantt man ganz befonder& die 1515 erfolgte Aufs 
findung ber fünf erflen Bücher ber „Annalen“ von Tacitus in ber 
Abtei Korvei in Weſtfalen. Vergl. Lipsius ad Taclt. Annal. 2, 9. 


„De alestoribus” in ten Pandekten nn. Gpber , wer 
aber. ſelbſt ein fo leidenſchaftiicher Spieler, daß er fogar das 
Landgut, auf weichem feine Kltern begraben waren, aufs Spiel 
efegt und verloren haben fol. Wei diefer Gelegenheit verbicnen 
bie von der Frau von Houlieres über die Spietwutrh verfaßten 
Berfe, weile von Wenage (1692) bekannt gemadıt worken 
find, hier wol einen Platz: 
Leu plalsire sont amers si tät qu'on abuse, 
Il est bon de joner an pen, 
Mais il faat seulement que le jeu nous amuse, 
Un joueur d'un oommun avoa 
N’a rion d’kumain que l’sppatenes, 
Er d’süleers li n'est pae ei face qu'on pense, 
D'otre fort honndie komme et de jeuer gres jeu. 
Le desire de gagner qui nult et jour occempe, 
Est un dangereux alguillon. 
Souvent quoique l’esprit, quoique le oseur seit bon, 
On commence par 6tre dupe, 
Os finit per #ire fripen. 


Ludwig Jakob a &.:Carolo, Bibliothekar bei dem erften 
Parlamentespräfidenten Achilles de Harley zu Paris (geft. 1670), 
war ein Schriftſteller ohne Kritik und Urtheilskraft. In ver 
von ihm herausgegebenen „Bibliotheca pontificia” (I.ugd. 1642 
4.) läßt er fih fogar zu Schulden kommen, ben Articulus Smal- 
caldieus zu einem Schriftfteller zu maden. Ihn übertrifft aber 
hierin gewiffermagen noch ein Schriftfteller der neueften Zeit. 
Der (nun verflorbene) Dr. Philipp Iofepb Mayr, Privat: 
bocent ber Rechte an ber Ludwig» Marimilians : Univerfirdt zu 
Münden, hat in feinem zu Landehuc 1831 erichienenen „Bands 
buche des gemeinen und bairifchen Lehnrechts“, &. 293, Rote 34, 
als Schriftfteller aufgeführt den „B. Parens de praescriptione 
adversus leges prohibitivas”. Diefer B. Parens ift aber Rie 
mand anders als der von Georg Ludwig Böhmer in den „Pris- 
cipiis juris feudalis’, $&. 2723, Rote c, angeführte Juſtus Den: 
ning Böhmer, der Water Georg Ludwig's, den diefer als „„beatus 
parens’’ immer anzuführen pflegte, den aber unter biefer Benen: 
nung ber gedachte Verf. eines der neueften kLehnrechtshandbuͤcher 
zu einem von Niemand gekannten Schriftfteller geſtempelt hat. 


Nachdem in der zweiten ‚Hälfte des 3. Jahrhunderts ber 
römifche Kaiſer Poftumus, gleidh ben meiften feiner Worgänger, 
eines gewaltfamen Todes geftorben war, ſchwang ſich Marius, 
ein ganz gemeiner Handwerker — vilissimus opifex, fagt Eutro⸗ 
pius (9, 9), denn er war ein Waffenſchmied —, auf ben Ihrem, 
weichen er aber nur zwei Tage bebauptete. Gin Soldat, der 
vormals in des Marius Werkftätte gearbeitet batte und fi 
nachher von ihm zurüdgefegt ſah, ftieß ihm das Schwert mit 
den Worten in den Leib: „Dies Schwert ift von deiner eigenen 
Arbeit.” Solche Befledung der Majıflät des roͤmiſchen Kaiſer⸗ 
throns preßt dem Aurelius Bictor in der Kaifergefchichte (33, 10) 
bie Klage aus: „Nun war es aufs Außerfte gekommen und Alles 
zum Untergange reif, nachdem ſolche Leute mit bem Thron und bem 
Preife der außgezeichnetften Verdienfte ihr Spiel treiben Eonnten.“ 


Als bie ſpaniſchen Gotoniften in Amerifn bald nach ihrer 
Anfiedelung von den Ameifen unendlich zu leiden hatten und alle 
Verſuche, diefe Landplage zu kilgen, vergeblich waren, faßten 
fie den Entſchluß, die Huͤlfe der Heiligen im Himmel anzuru 
fen. Wie aber das Übel, gegen welche dieſe Sülfe in Anfprudy 
genommen werden follte, von ganz neuer Art war, fo waren 
fie aud in Verlegenheit, an weichen Beiligen, als tüchtiefien 
Helfer, fie fü wenden follten. Sie gerietven nun auf den Eins 
fall, das Loos darüber den Ausfchlag geben zu laſſen. Diefes 
entfchied für den heiligen Gaturninu& Ihm zu Ehren wurden 
ſonach große Fefllichkeiten angeordnet, werauf, wie ber ſpaniſche 
Seſchichtſchrerber Serrera verſichert, das Ungeziefer auf bes 
Stelle anfing feine Verheerungen einzuflellen, 37. 


1— Metentsodiiliges OQerruczcer: Heinrtch Beoddeut. — Drad und VDertaq von J. U. Brodbaus in Seipjig. 


.. wm - 


Blatter 


für 


literarifde Unterhaltung. 








Dienftag, 


Vitae CIN virorum Mustrium qui saeculo XV ex- 
titerunt auctore coaevo WVespasiano Florentino. 
Praeit Bernardini Baldi de historia tractatus. 

(Beſchius aus Nr. 142.) 

Um nun den Vespafiano kennen zu lernen, wird es 
bas Befte fein, ihn in feinen Schilderungen von ein paar 
Männern, zu denen er in vielfacher Beziehung geftanden 
unb denen er warme Anerkennung zu Theil werden läßt, 
den Leſern vorzuführen. Die Beſchreibung der Lebens⸗ 
weife Herzog Friedrich's von Urbino möge den Anfang 


maden: 

Im Verhaͤltniß zu feinen Untertbanen — heißt ed bas 
fetbft — benahm der Herzog ſich auf eine Art, daß fie nicht 
Unterthanen ſchienen, fondern Söhne. Zu jeder Stunde bes 
Zages konnten fie mit ihm reden und er hörte fie alle mit der 
größten Kreunblichleit an, antwortete ihnen und ließ ſich nichts 
verbrießen. Waren ed Dinge, bie ſogleich fich abmachen ließen, 
fo that er ed, fobaß fie nicht zum andernmal gurädyufehren 
brauchten; nidyt viele Angelegenheiten blieben über den Tag 
hinaus unerledigt. Sad er Einen, ber mit ihm zu reden wünfchte, 
ſich aber ſcheute, fo ließ er ihn rufen und machte ihm Muth, 
fein Geſuch vorzubringen. Er benahm fich gegen feine Unters 
thanen fo gnädig, daß, wenn er durch Urbino ging, Wänner 
und Frauen nieberfnieten und fagten: Gott erhalte dich, o Herr. 
Dft ging er zu Kuße umher und von ciner Werkflatt und Bude 
zur andern und frug die Handwerker und Künftler, wie es ih⸗ 
nen gehe, ob ihnen nichts fehle, und bies mit ſolcher Freund⸗ 
lichkeit, daB fie ihn liebten, wie man Vater und Söhne liebt. 
Seine Regierung bewirkte gang unglaubliche Dinge: das Volk 
war wohlhabend, und er trug bazu bei, es jo zu machen, indem 
er ihm duch die vielen Bauten, bie er aufführen ließ, Arbeit 
verſchaffte. In den Ortfchaften feines Gebiets begegnete man 
keinem Bettler. Wurde irgend eines Vergebene wegen Einer 
yerurtheilt, fo war es leicht, Begnadigung dom Heren zu erlans 
gen: nur in einem Kalle war er unerbittlich, bei Läfterungen gegen 
Gott, bie Mabonna und bie Heiligen, wo er von Gnade und 
Barmherzigkeit nichts hören wollte eine Freundlichkeit ers 
ſtreckte fich auf Alle. An Marlttagen ſah ich ihn auf den Plag 
geben und die Frauen und Männer fragen, wie viel fie für das 
Mitgebrachte verlangten; dann fagte er ſcherzend: Ich bin der 
Herr und habe Fein Geld bei mir, weiß aber, daß ihe mir Feis 
nen Credit geben würbet, aus Furcht, nicht bezahlt zu werden. 
Da waren denn bie Lanbleute fo froh darüber, daß der Herr 
mit ihnen gefproden, daß er Alles, was ibm beliebte, mit ih⸗ 
nen hätte thun können. Ritt er umber, fo begegnete er Keinem, 
den er nicht gegrüßt unb gefragt hätte, wie es ihm gebe. Bald 
hatte er viele, bald wenige Begleiter; weder er noch Andere 
von feinem Hausftand trugen Waffen. Im Sommer ritt er, 
wenn er in Urbino ſich befand, bei Sonnenaufgang mit vier 
ober hoͤchſtens ſechs Pferden auf, mit einem ober zwei unbe: 






waffneten Dienerns fo legte er brei bis vier Wiglien vor ber 
Stadt zuruͤck und kehrte nach Haufe zurüdl, wenn Anbere aufftanden. 
Bei feinem Eintreffen begann bie Meſſe, der ex beiwohnte, dann 
blieb er in einem Garten, deſſen Ihüren geöffnet waren, und 


ab bis zur Speifeftunde Jedem Audienz. Wenn er bei Tiſche 
aß, blieben die Thuͤren offenftehen; Jeder konnte herbeikommen 
und ber Herr fpeifte nie, obne daß der Saal voll geweſen wäre. 
Je nad) der Zeit ließ er ſich vorlefen, während der Faſten aus 
geiſtlichen Büchern, fonft aus den Geſchichten des Livius, alles 
in Latein. Die Speifen waren einfach zubereitet, Eingemachtes 
aß er nicht, bes Weines enthielt ex ſich und trank nur etwas 
Fruchtwein, wie von Pomerangen ober Äpfeln. Wer mit ihm 
reden wollte, Tonnte es während des Eſſens oder nachher thun. 
Nachdem das Effen vorüber war, trug ibm fein Appellationes 
richter, ein ausgezeichneter Mann, die Proceßfachen in lateinis 
fher Sprache vor, Sache nah) Sache. Sr entfchieb fie unb 
ertheilte feine Beſchluͤſſe gleichfalls lateiniſch. Jener Rechtsge⸗ 
lehrte ſagte mir, die Entſcheidungen des Herrn waͤren ſolcher 
* da Zrtolo und Baldo nicht anderes Urtheil geſprochen 
en wuͤrden. 


Nachdem er im Sommer vom Tiſche aufgeſtanden und vor 
wie nachher Audienz ertheilt hatte, ging er in fein Zimmer, bes 
forgte feine Angelegenheiten und ließ ſich je nach ben Zeiten 
voriefen. Gegen bie Stunde der Vesper kam er wieder zum 
Vorſchein und hörte unterwegs eben an, der ihm etwas vor⸗ 
zutragen hatte. Wenn ihm dann noch Zeit blieb, befudhte er 
bie frommen Ronnen von Sta.: Slara, deren Kloſter cr gebaut 
hatte, oder begab fih nad einem Franciscanerkloſter, mo ein 
großer Platz und eine fchöne Ausficht ift. Nachdem er hier an« 

efommen, feßte ex fidy nieder und 30 — 40 Zünglinge zogen 
hre Oberkleider aus und begannen Übungen im Werfen, Rins 
gen u. f. w., mas zu fehen der Mühe werth war. Liefen fie 
nicht gut, oder zeigten fie ſich nicht gewandt, fo tabelte ber 
Herr fie; alles Dies that er, auf daß fie fich übten und nicht 
müßig biieben. Während diefer Spiele hatte Jeder Gelegenheit, 
mit ihm zu reden, und auch dies war ein Grund feines Ber 
weilens. Wenn die Stunde ber Abendmahlzeit heranruͤckte, fo 
gebot ev Allen, ihre Kieldung wieber anzulegen, was fie im Nu 
thaten. Zu Hauſe angelangt, war ed Zeit zum Abenbeffen, 
wobei es zuging wie beim Mittagemahl. Nachdem bies zu Ende, 
verweilte er noch einen Augenblid, für den Kall, daß Iemand 
ihm nod etwas vorzutraggen habe; war bies nicht, fo zog er 
fih mit feinen vornehmften Herren vom Hofe und Edelleuten 
in feine Gemaͤcher zuruͤck, wo er fi aufs freundlichſte mit ih⸗ 
nen unterhielt. Bisweilen fagte er zu ihnen: Morgen fräß 
will ich zeitig aufftehen und einen Spazterritt machen, um der 
Kuͤhle zu genießen; Ihr ſeid noch jung und ſchlaft gerne lange 
und wuͤrdet ſagen, Ihr kommt, und dennoch ausbleiben: legt 
Euch daher fruͤhe nieder und jeder ruhe ſich aus. Da gingen 
denn Alle weg und jeder freute ſich ber Leutſeligkeit des Herrn. 
Eines Tages fagte er mir, daß Derjenige, weldger in einem 
Königreih oder Zürftentyum ober einer Republik, klein ober 


gb, zegiert, vor Allem leutſelig fein müffe, und er tabelte 
tejenigen ſehr, die es nicht find. ed auch irgenb einen 
Herrſcher, der feiner Ratur nach ſolche Bigenfchaften nicht ber 
fige, fo müffe er ſich Gewalt anthun und ſich zu ändern ſuchen. 
Denn die Leutfeligkeit fei bei den Mächtigen das befte Mittel, 
Feinde in Freunde umzufchaffens ſei aber einer uafreundlich, 
böre er Die nicht an, welche ihn um Audienz bitten, ober hoͤre 
er fie nur fo an, daß er durchblicken laſſe, ex kuͤmmere ſich nicht 
um ihr Anliegen, fo könne gr leicht Freunde in Widerfacdher 
verwandeln, wovon er ſchon manche Beiſpiele gefehen. Geit 
lange bat Stalien keinen Fürften gehabt, welcher ber Nachah⸗ 
mung fo würdig geivefen wäre wie der ‚Herzog von Urbino, 

Eine andere Schilderung iſt die des Palla Strg, 
eines der verdienteften und ausgezeichnetfien Bürger, die 
Florenz gehabt, beffen größter, vielleicht einziger Irrthum 
darin beitand, daß er, nah Machiavell's Ausſpruch, „ru: 
big, gemäßigt und menſchlich gefinnt, und mehr geeignet 
den Studien und Wiffenfhaften obzuliegen, als inmitten 
bürgerlicher Unruhen ein Parteihbaupt zu fein’, in ber 
großen Kıifis, wo es darum ſich handelte, ob Albizzi oder 
Medici die Obergewalt haben follten, ſchwach und unents 
ſchloſſen ſich zeigte umd zwifchen beiden Sactionen ſtehen 
zu können glaubte, wodurd er fi und den Seinigen 
die Verbannung aus ber Heimat zuzog, fin die er nicht 
wieber zurückkehrte. 

Meſſer Palla di Noferi degli Strozzi, einer Yamilie ange: 
hörend, die durch viele würbige Männer, die aus ihr entfproffen, 
hoben Abel erlangt hat, am meiften aber durch Meſſer Palla, ber 
ihr durch feine großen Tugenden Ehre und Ruhm verſchafft, war 
ein gelehrter Kenner ber griechifchen und lateiniſchen Sprache, 
denen er mit fletem Gifer oblag. Gr war den Wiffenfchaften 
ſehr hold und trug zu deren Kortfchritten in Florenz mehr bei 
benn irgend ein anderer Wann. Da man in biefer Stadt auss 
gebreitete — von der lateiniſchen Literatur beſaß, nicht 
aber von der griechiſchen, ſo beſchloß er dieſe letztere gleichfalis 
zu foͤrdern. Darum that er Alles, was in ſeiner Macht ſtand, 
den Emanuel CEhryſoloras zu veranlaſſen, nach Italien zu kom⸗ 
men, und zahlte einen bedeutenden heil ber Koften. Als nun 

Emanuel auf ſolche Weife, und namentlich durch bie Bemühuns 
gen Mefler Palla’s nad Florenz gelommen, fehlte es an Buͤ⸗ 
dern, ohne die nichts zu madhen war. Meſſer Palla fandte 
aun nad) Griechenland und ließ auf feine Koften eine große 
Menge Bücher herſchaffen; die Kosmographie mit den Bildern 
ließ er aus Konftantinopel kommen, die Lebensbefchreibungen 
des Plutarch, bie Werke Platon’ und zabliofe Schriften Aus 
derer. Die Politit bes Ariſtoteles gelangte erft durch Meſſer 
Palla nah Italien, indem bdiefer fie aus Konftantinopel ver: 
fhrieb, und als Meſſer Lionardo fie überfehte, bediente ex fich 
bes GSremplars, welches jenem gehörte. Dadurch, daß Meſſer 
Palla ben Emanuel Ehryfoloras auffoderte, in Italien fi nies 
berzulaflen, war er Beranlaffung, daß Meſſer Lionarbo von 
Arezzo von biefem Sriechifch lernte, fowie Guerino von Verona, 
Bra Ambrogio Traverſari, Antonio Gorbinelli, Roberto de’ Roſſi, 
Mefler Lionarbo Biuftiniani, Meffer Francesco Barbaro, Pier 
Paolo Beraerio. Ser Filippo di Ser Ugolino, der nicht blos in 
ber Iateinifchen Eiteratur vortrefflich Befcheib wußte, war ein Schuͤ⸗ 
ler Smanuel’s und wurde zu jener Zeit für ben gelehrteften Mann 
unter ben Lateinern gehalten. Niccoid Niccoli war fein Schuͤ⸗ 
ter, namentlich im @ricchifchen. Die Früchte des Kommens des 
CEhryſoloras waren fo reich, daß fie bis auf den heutigen Tag 
eingefammelt werben, und da Meſſer Palla dazu den Anlaß ger 
geben, verdiente und erwarb er ſich das größte Eob feiner Groß: 
muth. Mefler Lionarbo von Arezzo pflegte von ihm zu fagen, 
er fei der grädtichfte Mann, den ex in feiner Zeit gelannt. Denn 
er befaß Aues, was zur menſchlichen Gluͤckſeligkeit erfoderlich if, 
an Gaben bes Geiftes wie des Körpers. In beiden alten Spras 


den war er fehr erfahren, von bewunberungswächigem Mer: 
flande, ſchoͤn von Körper und vollkommen in allen Theilen, fos 
daß Der, weicher ihn nicht kannte, nad dem bloßen Außen 
hätte urtpeiten möffen, diefer fei Mefler Palla. Er hatte die 
Thönften und wuͤrdigſten Kinder in ganz Fiorenz, Söhne wie 
Töchter: bie Söhne waren trefflich unterricktet und von unte 
delhafter Aufführung, die Töchter erzogen unter Reitung ber 
Babonna Marietta, einer der ausgezeichnetften Krauen jener 
Seiten. Er verheirathete fie an die erſten Leute der Stabt: eine 
nahm Neri Acciajuoli, eine andere Francesco Gobderini, eine 
britte Giovanni Rucellai, noch eine Zommafo Sacchetti, ale 
vier von würdigen Familien und reich an welttichen Gütern, 
bie der Stadt Zierbe waren und blieben. Um feine Baterfkabt 
machte er ſich fehr verdient und erlangte von ihr alle Würden, 
in der innern Verwaltung wie auswärts, die einem Bürger gu 
Shell werden koͤnnen. Als Gefanbter erhielt er viele ehrennoße 
Aufträge und förderte dabei jedesmal den Nugen feiner Heimat. 
Mit biefen Gaben verband er bie größte Ehrbarkeit. Was 
vorerft feine Perfon betrifft, fo war er ber geſittetſte und ge: 
achtetfte Bürger, den bie Stadt befaß, und ein Sleiches, wollte 
er, ſollten audy feine Söhne fein. Damit nun dies nicht fehl⸗ 
läge, hielt ex für leztere, mit reichlichem Gehalt, einen Leh⸗ 
ver Ramens Siovanni von Imola, einen ſehr gelehrten Mann. 
Gingen feine Söhne in ber Stadt umber, fo brauchte man nicht 
zu fagen, weß Kinder fie waren: ihr Äußeres war fo würdig, baf 
fie von Jedem erkannt wurden. Als die hohe Schule in Florenz 
gänzlich umgefchaffen werben follte und man wußte, weiche Riche 
Meſſer Palla Strozzi zu den MWiflenfchaften hegte, wurde er zu 
einem ber Beamten der Univerfität ernannt. Da orbnete ex in 
jeder Bacultät ben trefflichſten Unterricht an, ber je in Slorenz 
geweien, und bes Rufes fo vieler berühmten Lehrer wegen ka⸗ 
men aus allen Theilen ber Welt zahlreiche GSchäier nach der 
Stadt. In jenen Jahren von 142333 befand fidy bie Stadt 
Florenz im gluͤcklichſten Zuftande, reich an gelehrten Waͤnnern 
in jeglichen Fach und voM trefflicher Bürger. Jeder bemüpte 
fi, es bem Andern an Tuͤchtigkeit zuvorzuthun; in ber ganzen 
Welt war ber Ruf ihrer Iobenswerthen Regierung verbreitet 
und Jeder zitterte vor ihrer Macht. Meſſer Palla batte 
Untermweifung feiner &öhne, wie gefagt, flets bie geieh 
Leute in feinem Haufe gehalten und fah nicht nur darauf, daß feine 
Kinder in den Wiſſenſchaften unterrichtet wurden, fordern vor 
allen in ben guten Sitten. Außer Meffer Giovanni von Imola 
hielt er noch Marftto Tommafo von Sarzana als Rehrer, ber 
[päter Papſt Rilolaus wurde. Diefer war bet Erfte, den er 
mit betraͤchtlichem Gehalt in fein Haus nahm, denn ba derſelbe 
zu Bologna fludirte und es ihm an Gelb mangelte, den Wiffen⸗ 
[haften ferner obzuliegen, blieb er gwei Jahre lang im Haufe 
ameiee florentiner Bürger, deren einer Meffer Rinaldo begli 

ibizzi war, Meſſer Palla di Noferi der andere. In biefen 
beiden Jahren gewann er fo viel, daß er nad) Bologna zu feis 
nen Studien zurüdtehren konnte. Während feines Pontificats 
ſodann bezeigte er ſich weder gegen Meſſer Palla undankbar, 
noch gegen Meſſer Rinaldo. Da er ihnen ſelbſt feine Dankbar⸗ 
keit nicht bezeigen Eonnte, that er ed gegen Meffer Rinalbo’s 
Söhne. Einem derſelben, ber nicht eigener Verſchuidung wegen 
aus feiner Vaterſtadt verwiefen war, ertheilte der Papft ein 
einkoͤmmliches Amt, von welchem er ehrenvoll Leben Tomate. 
Den Mefler Garlo hr Meſſer Palla's Sohn, der nadh 
Rom gegangen war, machte er zu feinem geheimen Kaͤmmerer, 
und biefer fand bei Gr. Heiligkeit und dem ganzen Hofe fo 
ſehr in @unft, daß er, wie bie allgemeine Stimme fagte, 
nach einem Jahre Cardinal geworben wäre, hatte nicht ein 
frübzeitiger Tod ihn dahingerafft. Diefer Züngling war von 
folder Art, daß er nicht nur eine Zierde feiner Familie war, 
fondern ber gefammten florentinifchen Nation, denn er bewies 
ſich in feinen ſaͤmmtlichen Handlungen fo tugendhaft, wie Alle 
thun folten, die zu folcher Würbe gelangen. 

Um nun zu Meffer Palla zurüdzufehren, fo war biefer 

von großer Beicheidenheit, fowol in feinem Privatieben wie in 





5 


feinen öffentiicgen Ämtern. Er furpte dem Weib zu cntflichen, 
fo viel ex konnte, indem er wußte, weichen Schaden biefer in 
gur Stadt anrichtet und wie er wadere Männer verfolgt. 

ffentlich ließ er ſich nicht gerne fehen: auf den Piag (vor dem 
Palaſt der Signotie) ging er nie, wenn er nicht ausdruͤcklich 
dahin befchteden ward, ebenfo wenig auf ben neuen Marft. 
Ging er nad) dem Plage, fo begab er fi an Sta.⸗ Zrinitä vor 
bei durch den Borgo Sto. » Apoflole bahin, vermweilte nur kutze 
Zeit und verfuͤgte ſich gleich in den Palaſt. Er achtete die 
Zeit ſehr body und ging nie auf Straße und Plaͤtzen umber, 
fondern kaum war er zu Hauſe angefommen, fo flubirte er 
Griechiſch und Latein und verlor nie feine Zeit. Da er bie 
Wiflenfchaften fehr liebte, fo hielt er immer bei ſich wie außers 
halb des Haufes Abfchreiber, von den beften, die in Stalien was 
sen, fir griechifche wie Iateinifche Werke, und er kaufte Alles, 
was er von Buͤchern erhalten Eonnte, in allen Bädern. Es 
war feine Abficht, in Sta. : Zrinttä eine Bibliothek anzulegen und 
ein fchönes Local bafür zu bauen; er wollte fie öffentiich machen, 
auf daß jeder nach feiner Bequemlichkeit fie benugen koͤnnte. 
Sta.» Trinita hatte er gewählt, weil das Klofter mitten in ber 
Stadt liegt und Allen leicht zugaͤnglich. Aber es kamen dar⸗ 
über die bürgerlichen Unruhen, die ihn des Vaterlandes beraubs 
ten und fein Vorhaben zu nichte machten. 

Endlich möge hier eine Schilderung bes Charakters 
unb ber Lebensweife des Dominicanermoͤnchs Antonino 
fliehen, den Papft Eugen zum Erzbiſchof von Florenz 
wählte, eine Würde, die er nur unter Androhung der 
Ercommunication annahm und welcher er durch die Hei⸗ 
ligkeit feines Wandels gleich große Ehre machte wie durch 
feine Gelehrſamkeit. 

Nachdem Antonino von ber Wahl in Kenntniß gefept wor⸗ 
den, begab er fid nach San : Domenico bei Ziefole, wo er eine 
Beit lang vermeilte. Bon bort fehrieb er nach Rom und that 
Alles, um ben Belchluß bes Papftes rückgängig zu machen, aber 
biefer blieb fell und wollte von keiner Widerrede hören. Nach 
San: Domenico gingen viele Bürger, ihn zu bewegen, daß er 
das Erzbisthum annehmen follte, indem fie ihm den Vortheil, 
der daraus erwachſen würde, vorftellten. Am Ende fah er ſich 
genoͤthigt, des Papſtes Willen zu thun. Als er die biſchoͤfliche 
Kieidung anlegte, riethen ihm Viele, den langen Mantel mit der 
Schleppe zu tragen: er aber legte ein gewoͤhnliches Gewand an 
wie jeder Moͤnch, und da es ſich einmal traf, daß man es um 
ein paar Finger länger gemacht, ließ ex es abſchneiden. Bes 
gegnete er einem Mönch, der einen ſchlechten Rod anhatte, fo 
zog er wol ben feinen aus und gab ihn hin. Wie feine Klei⸗ 
dung war audy feine Lagerflätte wie bie eines einfachen Moͤn⸗ 

In feinem Schlafzimmer fland fonft nichts als ein alter 
bölzerner Stuhl und davor ein. Pult, auf welchem ex feine Werke 
ſchrieb. Im ganzen Haufe waren feine gewirkten Zapeten oder 
Tonftigen fchönen Gegenſtaͤnde, an ben Thuͤren wollte er keine 
Berfchläge, damit Jeder, der mit ihm reben wollte, frei zu ihm 
eintreten koͤnnte. Die Site waren nadte Breter, welche er 
fletö ſehr reinlich halten Tief, damit Die, fo ſich darauf festen, 
ihre Kieider nicht verderben möchten. Zwei Moͤnche wohnten 
dei ihm im Hauſe; zum Vicar wählte er einen, der ihm an Vor: 


treffiicgkeit bes Wandels und ber Sitten gli. Bon Dienern. 


wollte er nur fo viele haben, als der dußere Bedarf erfoberte; 
Pferde hielt er nicht, fondern nur ein kleines Maulthier, wel⸗ 
ches er in Sta.» Maria nuova geborgt hatte. In jener Zeit bes 
tiefen fich die Einkünfte feines Erzbisthums auf 1500 Seudi. 
Davon nahm er, was eben hinreichte, fein Hausweſen gu führen, 
nämlidy 500 Goldgulben, die übrigen 1000 gab er den Armen. 
Den bifchöftichen Hof orbnete er von neuem, indem er Alles 
abfchaffte, was auch nur im entfernteften einem Schatten von 
Simonie aͤhnlich fah. Wei den Orbinirungen wollte er felber 
zugegen fein und ließ bie Weihen nur nach vorgängiger Pruͤ⸗ 
fung an Die, welche er für würdig hielt, erthellen. Er verbot 
von Denen, welchen bie Weihe erhielten, unter irgend einem Bors 


wande Gelb zu nehmen: nur ber Notar, weidger bie is 
gung über bie Ordination auf einem Pergamentblatt aus eltte, 
erhielt dafür fünf Soldi und nicht mehr. So ordnete er ſelbſt 
das Kleinſte. Fuͤr die Geißlichkeit, bei welcher große Unorb⸗ 
nung eingeriſſen, erließ er viele Verhaltungeregeln: fo ſchaffte 
er die geſohlten Schuhe und daB lange Haupthaar ab. Aedes 
Jahr befuchte er feinen Sprengel, und fo zwar, daß ben Kits 
Ken, bie er vifltirte, Feine Koften daraus erwuchſen. Er verords 
nee, daß jeder Priefter ein Breviar haben follte, und fchrieb 
darin mit feiner Band und verzeichnete fie alle mit Nummern 
in einem Hefte, auf daB fie nicht verfauft oder fonft veräußert 
werben könnten, Um, tie gefagt, ben Kicchen feine Auslagen 
zu derurfachen, ging er, ohne ib vorher anzufagen, und es lag 
ihm nicht viel am Effen ober Sonftigem, wofern er für das 
Seelenheil forgen Eonnte. Er ftrafte und beflerte viele fitten- 
loſe Prälaten; die wiberfpenftigen entfehte er ihrer Benefizien, 
wenn er fand, baß fie unverbefferlich waren. Durh Bitten 
war nichts von ihm zu erlangen: was gerecht und ehrbar, bes 
willigte er ohne dies. Anfehen der Perfon galt nichts bei ihm, 
er ließ Armen wie Reihen Recht wiberfahren und benahm fi 
gegen Ale gleihmäßig und ohne einen Unterfchied zu machen. 

ie Nonnenktöfter in feinem Sprengel reformirte er nad ſtren⸗ 
gern Grundbfägen. Überhaupt verfuhr er fo, dag er ein Erzbis⸗ 
thum, welches ex in größter Unordnung vorfand, dermaßen ge⸗ 
ordnet hinterließ, daß es nicht einen Prieſter gab, welcher nicht 
ſeine Pflicht erfuͤllt haͤtte. Als eines Tages einer unſerer Buͤr⸗ 
ger, der einflußreichſte Mann, den die Stadt damals hatte, 
Coſimo de’ Medici, zu ihm ging, ihm eine Angelegenheit zu em⸗ 
pfehlen, die in der ergbilchöflichen Eurie entfchieden werben follte, 
gab er ihm zur Antwort, dies fei unndthig: habe er Recht, fo 
werbe er Recht finden, fowie er, fo ber aͤrmſte Bürger in Flo⸗ 
renz. Gr ſtand in großem Anſehen und ſoicher Verehrung, daß, 
wenn er umherging in feinem einfachen Moͤnchsgewande, mit 
geringer Begleitung, Jeder niederkniete, an dem er vorbeilam. 
Und ohne Pferbe, ohne Dienerfchaft, ohne Kleiderpomp, ohne 
Aufwand im Haufe, war er geehrter, ald wenn er mit ber 
Pracht, weiche die Mehrzahl der PYrälaten an ben Zag zu legen 
pflegt, fi) gegeigt hätte. Nicht nur in Florenz galt feine Aus 
torität fo 0 „ſondern auch am römifchen Hofe: benn bie 
Päpfte Eugenius und Nikolaus fanbten ihm viele Fälle zur Ents 
ſcheidung zu, und die Paͤpſte wie das Sarbinats» Kollegium und 
der gefammte Hof sichtete ſich nach feinem Urtheil. 

Diefe Proben mögen hinreichen, von dem Geiſt und 
der Darftellungsmweife de6 Verf. einen Begriff zu geben. 
Es braucht nur noch hinzugefligt zu werden, daf diefe 
Galerie von Bildniffen alle berühmten Zeitgenofien Bes: 
pafiano’® umfaßt, vorzugsmweife die Florentiner, aber auch 
viele andere Italiener und einige Ausländer, fo den Gars 
dinal von Cues (Cufanus), über den freilich nur wenige 
Worte gefagt find, ben Cardinal von Portugal, der in 
Florenz ſtarb und in der Kirche S.: Miniato al Monte 
begraben liegt, Alvar de Luna, den Bifchof Johannes 
von Fuͤnfkirchen u. A. Ein Zractat über die Geſchichte, 
von Bernardino Baldi, Abt zu Guaſtalla und Verf. ber 
befannten und gefhägten Lebensbefchreibungen ber Her: 
söge Sriedrih und Guidubald I. von Urbino, I6LL ges 
fihrieben und bisher ungedrudt, iſt dem Buche vorgefest. 
Alfred Reumont. 





Eine Reliquie von Immermann. 
as Immermann im Jahre 1821 als Divifionsaubiteur zu 
Muͤnſter fand, fpeifte er nebſt einigen Freunden, zu denen auch 
Einfender gehört, an der Table b’Höte bes Herrn F. Oberrecht 
zur Stabt Amfterdbam. An dem Perbinandstage, bem Ramends 
tage bes Baftgebers, wurde dieſem im Namen ber ganzen Tiſch⸗ 


! 


v 


geſellſchaft folgendes, von Immermann verfaßte, fte 
Gratulationsgebicht überreiddt, und da baflelbe weiter ber 
fannt wurde, fo werben bie zahlreichen Freunde des leider zu 
früh dabingefchiebenen genialen Dichters es in d. BL. nicht ums 
gern mitgetheilt fehen. Schließlich fet noch bemerkt, daß ber 





am Ende ausgefprodhene Wunſch vor etwa zwei dahren fa 


buchſtaͤblich in Erfüllung gegangen iſt. 
D du, ber jeden Tag verſchiedne Magen fült 
Mit Fleiſch und mit Gemüf, mit Braten zahm und wild, 
Der wuͤrdig obenan bei Tiſche präfibirt, 
Den Segen feiner Koft an fi hauptſaͤchlich ſpuͤrt, 
Dem unterwürfig iſt fo Magd, als auch Marqueus: 
Es gratulirt dir heut Civil und Militair! 
Civil und Militair find fonften oft im Streit: 
Wenn Eins die Glocke fdlägt, dann ſchweiget jeder Neid; 
Civil und Militair feet fih geruhig hin 
Und nur auf Speif’ und Trank gerichtet IR der Ginn. 
Den Yunger ſtillen ja ſechs Schäffeln leicht und raſch, 
An Waffer fehlt ed nicht in Weins uud Waſſerflaſch. 
Ein Jeder kriegt fo viel, ald er nur kann vertragen, 
Kein Stand Hat ob bed andern je fi zu beklagen. 
Ein Friedensheiligtfum! Und Oberrecht iſt Priefter, 
Die zwei Marqueure find des Briedenstempeld Küfter. 
Hell! Heil! dem großen Dann, ber ſolche Eintracht ſchuf, 
Der ſchwitzend Fleiſch tranchirt, im ebeiften Berufs 
Hell aber au dem Tag, der Ihm den Namen reichte! 
D, daß er oftmals noch dem Hochgeſchaͤtzten Leuchte! 
Ihr Götter, Thüset ihn und feinen ganzen Stamm! 
(Ih meine unfern Wirth zur Stadt von Amſterdam) 
Laßt ed an feinem Tiſch fi fletd von Eſſern mehren, 
Bewegt der Menſchen Herz, bei ihm oft einzukehren, 
Unb laßt noch funfzig Jahr hindurch ihn Contos ſchreiben. 
Auf welche Niemand ihm je mag mas ſhuldig bleiben; 
Bulept eritid? ihn dann im Fett ein fanfter Tod! — 
Dieb wünfät, Herr Oberrecht, dir deine Table d’Döte. 





Bibliographie. 


Fliegende Blätter für Bragen bes Tages. IV. Zeitungen, 
Eherehtäreform, Dffentiiche Meinung. Berlin, Beſſer. Gr. 8. 

er. 

Brad, B., Preußentieder. Köin, Eifen. 8. 15 Nor. 

Mititairifche Briefe eines Verſtorbenen an feine noch Lebens 
den Kreunde, biftorifchen, wiſſenſchaſtlichen, kritiſchen und hu⸗ 
moriſtiſchen Inhalte. Zur unterhaltenden Belehrung für Gin: 

eweihte und Laien im Keisgerorfen. 2te Sammlung. Aborf, 
Berlags + Bureau. Gr. 8. The. 5 Nor. 

Bulwer's, E. L., Saͤmmtiiche Werke. 44ſter und 45ſter 
Band. Der letzte Baron. Aus dem Engliſchen uͤberſett von 
D. v. Czarnowski. Ifter und 2ter Theil. Aachen, Bayer. 
Gr. 12. Preis für 44ſten bis ATften Band, das vollftändige 
Werk enthaltend, 4 Thlr. 

Buch, G. F., Morando Moranbini, der furdptbare unb 
unerfchrodtene Land» und Geeräuber, ober: Der Todtenritter. 
Eine hoͤchſt abenteuerliche Räubergefchichte. Drei Theile. Nord⸗ 
haufen, Fuͤrſt. 8. 2 Thir. 22, Nor. 

Danzer, A. R., Geschichte von Marienbad. Mit 
Dr. Nehr's Portrait und vier lithographirten Ansichten. Prag 
1842, Gr. 8. Ngr. 

Dingelftedt, F., Wanderbuch. IT. Leipzig, Einhorn. 
8. 1 Thir. 15 Nor. 

Grimm, 8. A F. Geiftliche Lieder zu Erbauung Wis; 
mar, Schmidt und von Coſſel. Er. 8. 11Y, Ngr. 

Lange's, 3. P., Gedichte. Eſſen, Baͤdeker. Gr. 12. 
1 Thlr. 10 Nor. 

Laurop, ©. P., Das Forſt⸗ und Jagdweſen und bie 
Forſt⸗ und Jagdliteratur Deutſchlands in —— ‚und 


algemeinen, — dargeſtelt. Geuttgart, Sqhweizerbart. 
vo, N . 

Liederbuch für Burner. Gerausgegeben von H. Timm. 
Parchim, Hinſtorff. 16. 5 Rar. 

3 84 C., Dee Zigeuner. Roman. Merlin, Stubadk, 
e r. 

Maimonides’ (Rambam) diätetisches Sendachreiben 
an den Sultan Saladin. Ein Beitreg zur Geschichte der 
Medizin für Ärzte und Freunde des ciassischen Alterthums, 
mit kritischen und sacherläuternden Noten. Herausgegeben 
von ng Winternits. Wien, Braumülier u. Seidd. Gr. 8, 

gr. 

Midiewicz, %., Vorlefungen über ſlawiſche Literatur 
und Zuflände. Gehalten im College de France in den Jahren 
von 1840— 42. Deutfche, mit einer Vorrebe des KBerfaffers 
verfebene Ausgabe. (2 Theile ober 4 Abtheitungen.) Ifter Theil 
Zbtteitung. Leipzig, Wrodhaus und Avcnarius. Gr. 23, 

gr. 


Mundt, Z , Gefammelte Schriften, Rovellen unb Dich 
tungen. Iftee Band. keipzig, Einhorn. 8. 1 Thir. 20 Nor. 
Proben ſchleswig⸗ holfteinifcher Preßfreiheit, ober die deut 
fche im Kampfe mit der danifchen Preffe. Leipzig, WBeldmann. 
Gr. 12. I ru » Nor. Fr 

Rand, ., 6 dem bmerwalbe. Leipzi Einhorn. 
Gr. 8. 1 Ihle. s 

Reifen und Länderbefchreibungen,, herausgegeben von E. 
Widenmann und H. Hauff. 2öfte Kieferung: Reifen auf 
den griedhifchen Inſeln des Agdifhen Meeres. Von 8. of. 
ter Band: enthält Anbros, Gyros, Myconos, Amorgos, Aſth⸗ 
palda, Niſyros, Knidos, Kos, Kalymnos, Xelendos, Leros, Pats 
mod, Samos, Ikaros, Delos, Rhenda, Gyaros, Beibina. Wit 
einem Kupfer, einer Karte und mebren Holsfchnitten. Stutt⸗ 
gart, Gotta. Gr. 8. 1 Zhlr. 15 Rgr. 

Schmid, u. R., Das Wefen der Erziehung im Elemen⸗ 
tarunterrichte mit befonberer A ettigung der Mutterfprade. 

D&D ’ 2 1 


Jena, Größer. 
Die Schredensjah:e von Lindheim. Gin Beitrag zur Gits 
Tür das Chriſtenvolk ers 
r. 


tengeſchichte des 17. Jahrhunderts. 
zaͤhlt. Hanau, König. 8. TY Ng 
‚ Schubert, &. 9. v., Der ungleiche Sohn unb ber gleiche 
artige Gatet: Eine Erzaͤhlung. Gtuttgart, I. F. Steintopf. 
.8, gr. 

Sonnenfhmidt, F. 9., Über bie Redaction eines all: 
gemeinen deutfchen Gefegbuches und Sie in biefer Hinſicht dem 
Tune beizulegende Bebeutung. Greifswald, Koh. Gr.8. 

3 TIGE. 

Sparre, K. v., Deutſchland und bie Staͤdteordnung und 
die Canbgemmeinbeorbnung. Gießen, Heyer's Verlag. Gr. 8. 

, FBF. 

Stegmayer, C., Die Schlacht bei Effegg. Hiſtoriſches 
Schauſpiel in vier Aufzuͤgen. Wien, Stoͤckhoizer von Hirſch⸗ 
feld. 8. 18%, Ngr. 

Steiger, K., Pretioſen deutſcher Spruͤchwoͤrter mit Bas 
riationen. Ein Angebinde auf alle Zage des Jahre. St.⸗Gal⸗ 
len, Scheitlin und Zollifofer. Gr. 8. 1 Thir. 15 Nor. 

Die neueren Straf» und Beſſerungs-Syſteme. Grinneruns 
gen aus einer Reife durch bemerkenswerthe Gefängniffe in AL 
gier, Spanien, Portugal, England, Rrankrei und Holland. 


Bon I. R. von M—— Mir vier rabirten Zeichnungen. 
Berlin, Beit und Comp. Gr. 8. 1 Ihir. 22%, Nor. 
Thal, K. von, Das gebratene ‚Herz ober die Gräfin von 


Rabenhaupt. Romantifche Daritelung aus ber Vorzeit. Mit 
Abbildung. Norbhaufen, Fuͤrſt. 8. Y, Nor. 

Humoriſtiſche Vorträge. Geſammelt von &. Weyl. Ber⸗ 
lin, Verlagsbucbhandlung. 8. 15 Nor. 

Yfemer, 8. Th., Der Predigtamts- Kandibaten Not 
und Klage. Gin Gendfchreiben an bie enangelifähe Kirche bes 
preußiihen Staates. Berlin, Hermes. Gr. 8. 10 Nor. 


Verantwortliher Herausgeber: Heinrih Brodhaus. — Brud und Verlag von F. X. Brockhaus in Leipzig. 


J 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Mittwoch, 


— Nr. 144. — 


24. Mai 1843, 





Kunftbeftrebungen der Gegenwart. *) 
Toleranz. — Katholiſche und proteſtantiſche Kunftauffaffung. 

Man kann wol mit Beltimmtheit behaupten, daß 
alle Kämpfe, welche in ber neuern Zeit in geifliger wie 
materieller Hinficht geführt worden find und es noch 
werden, ihren tiefften, ja im weiteſten Sinne genommen 
ihren einzigen Grund darin. haben, bag man fi bis 
jegt nicht über die Auffaffung und Bedeutung des Wors 
te8 Toleranz Mar geworden, und che die Menfchheit 
fi) nicht bequemen wird einzufehen, dag wahre Duldung 
nicht das Ergebniß einer geringern Schägung, zu welcher 
der Drang ber Umftände, die Nothwendigkeit, uns zwingt, 
fondern nur das Reſultat der gegenfeitigen Achtung 
fein muß, nie von einem wirklichen Frieden der Voͤlker 
und Confeffionen bie Rede fein kann. 

Alle Steichheitstheorien laſſen fih am Ende auf die: 
fen Punkt zurüdführen; der ganze Drang der Gegen: 
wart, der Kampf der Stände gegeneinander, der Streit 
ber Stände gegen den Thron, die Reibungen der Natio: 
nen, endlid der Zwieſpalt der Religionsmeinungen, alle 
bezweden,, koͤnnen vernünftigerweife nichts Anderes bes 
zwecken als die Gleichachtung des Menſchen im In: 
dividuum, Gleichachtung der Staͤnde vor Thron und 
Geſetz, Gleichachtung der Nationen, Gleichachtung ber 
Confeſſionen unter ſich. 

Die Gegenwart kann viel ertragen, aber gegen bie 
Worte: Alleiniggroß, Alleinigberrfhend, Alls 
einigbeglädend erhebt fie fih wie ein bäumenbes 
Roß und Enirfche die Zügel, weil eine individuelle Über⸗ 
hebung darin Liegt, weicher die Menfchheit entwachfen iſt. 
Als Beduͤrfniß erfand man das juste milieu, welches 
aber in der Anwendung oft bie fchreiendfie Intoleranz 
wird, indem man bäufig als Princip befolgt, was 
fiets nur Refultat fein ſollte; als Princip iſt Mittels 
maͤßigkeit und Erfchiaffen die Solge, als Refultat Bewe⸗ 
gung und Thaͤtigkeit, wie fie zur Erhaltung der Welt 
noͤthig. Der Fürft halte die Wage und feine Pflicht ft, 
zu fehen, daß der gefeumäßige Bang ber Schalen nicht 


*) Bol Nr. 55 d. Bl., wo in dem Auffag „Die proteftans 
tilche Kirde' bie Anfichten bes Verf. diefes Auffapes, des Archi⸗ 
tetten X. Hallmann, über ben Bau proteſtantiſcher Kirchen 
von einem Mitarbeiter d. Bl. beurtheilt wurden. D. NReb. 


geftört werbe; legt aber eine Partei fo viel in die Schale, 
daß die andere emporgefchnellt wird, fo fol er nicht ein: 
greifen, es ift die hoͤchſte Intoleranz, um der Ruhe 
willen dergleichen zu thun, denn was auf Erden wirklich 
mehr in die Wage zu legen bat, ſoll auch mehr gelten; 
wo nicht, fo wird der Erfolg fein, dag Gewicht fich auf 
Gewicht haͤuft, bis die Stricke zerreißfen und die eine 
Schale fi von dem Wagebalten trennt. 

Wenn eine Nation in Wahrheit mehr Kräfte befige 
als andere, fo wird fie ſchon, ohne es felbft auszufpres 
hen, dafür erfannt und geachtet, das fehen wir an Eng» 
fand; Frankreich Hingegen ufurpirte gegen Recht und 
Sitte die Herrſchaft über Europa, Unterwerfung hieß die 
Münze, wofür es feine prahlerifhe Sreiheit und Gleich⸗ 
beit bergab. In feinen frühen Zuſtand zuruͤckgebracht, 
krankt es jest am der bee, mehr Rechte zu beſitzen als 
andere Nationen, die erfte zu fein, und nur deshalb 
gerieth es in Die iſolirte Stelung, weil Selbftübers 
ſchazung ftets eine geringere Schägung von be 
übrigen Welt zur Kolge hat. £ 

Der Menfh im Naturzuftande ward als Herr ber 
Schöpfung geboren, aber wenn er in die Gefelifchaft der 
Menſchen eintritt, fo wird er einfehen müffen, daß Bote 
außer ihm noch einige andere Herren ber Schöpfung ers 
fhaffen, und fich demgemaͤß fügen; Daffelbe gilt von dem 
Meinungen und Anfichten der Maſſen, Daffelbe von ben 
Religionen. Vor der Reformation konnte ſich ber 
Parholifche Cultus mit mehr Recht den alleinfeligmachen: 
den nennen, denn es war in der Chriftenheit noch ein 
anderer von wirklich entfchiedenem Vorzug vorhandenz 
ſeitdem aber ein bdreißigiähriger Krieg gezeigt hatte, daß 
es eine Partei gäbe, welche zu unterbrüden man nicht 
die Kraft befige, fo mußte man ſich entfchließen fie zu 
dulden, freilich war es damals nur in bem Sinne der 
Nothivendigkeit und der mindern Schaͤtzung; nachdem 
übrigens die Erfahrung von Sahrhunderten gelehrt hat, 
dag Millionen von Menfchen durch die proteftantifche Res 


ligion begluͤckt und zufrieden gelebt haben, fo muß ſich 


bei jedem denkenden Katholiken diefe Duldung mit dem 
Gefühle der Achtung paaren, und wenn es nicht geſchieht, 
fo wird dee Kampf fo lange fortdauern , bis es gefchieht. 

Jeder Menſch, der fi zu einem Glauben bekennt, 
aus Überzeugung befennt, kann es nur, wenn er für 


574. 


fein Individuum biefen Glauben als aleinbefeligend 
erfannt bat, es mag auch, aus echter Liebe und Mitges 
fühl, der Wunſch in ihm entfichen, daß feine Mitmen⸗ 
ſchen diefen Btauben mit ihm theilen möchten; aber wenn 
er einſieht, daß viele derfelben, mit dem gleichen Geiſtes⸗ 
feäften, mit dem gleichen Talente, mit ähnlicher Übergeu: 
gung, wie er ben feinigen, einem andern Glauben nach⸗ 
leben, fo wird die Realiſirung feines Wunſches eine 
Überhebung feiner felbft, eine anmafende Intoleranz. 
Überlaffen wir vorläufig die Schlichtung von dergleichen Dif: 
ferenzen der Zeit, machen wir übrigens von dem, uns 
nicht abzuleugnenden Rechte, die Welt aus unferm pro: 
teftantifchen Geſichtspunkte betrachten zu können und uns 
in diefem Sinne auszufprechen, Gebrauch! 

Manchem wird «6 vieleicht unnoͤthig ſcheinen, ſolche 
gowoͤhnliche und theilweiſe ausgemachte Wahrheiten bier 
als Einleitung zu wiederholen; doch wollte ich ſie aus zwei 
Gruͤnden nicht fortlaſſen, erſtens weil ich fie als Stuͤtz⸗ 
puntt für das Folgende gebrauche, zweitens weil eine 
auf meithiftoftichen Wolken thronende, nur dem Anblicke 
des überirdiſchen, Unmoͤglichen und Unerklaͤrbaren zuges 
wandte Betrachtungsweife, wie fie in Deutſchland beliebt 
wird, das Gewöhnliche, d. h. das Praktiſche vergißt und 
oft abſichtlich ignorirt. 

Es iſt nun eine unumſtoͤßliche Wahrheit und That⸗ 
ſache, daß die Kunſt bei allen Voͤlkern, vom hoͤchſten 
Aiterthume an, ſich ſtets den Religionen aufs innigſte 
angeſchloſſen, ja ſich ihnen gemaͤß entwickelt habe, indem 
die Känfte dazu dienten, die der Maſſe unverſtaͤndlichen 
Ideen zu verfinnlihen und zu erllären. Um fo mehr 
HR es deshalb zum Verwundern, daß bei ber Sucht nad) 
Tiefe unter uns Deutfchen es noch fo felten zugegeben 

worden, daß eine Kunſt, weiche dem Proteflantisntus Dies 
nen foll, eine wefentlich andere fein muͤſſe als bie, welche 
dem Eatholifchen Cultus dient, um fo mehr zu verwun⸗ 
bern, da der Hauptunterfchied der Confelfionen in ber 
Form liegt und die Kunſt doch bekanntlich ihre einzigfte 
Ausdrudsweife in der Formenwelt hat. 

Diefer Umſtand iſt es, ber leider zu deutlich zeigt, 
wie wenige Menfchen es gibt, die den Much umd die 
Kraft haben, über gewiffe Sachen fih Klarheit zu vers 
fehaffen, indem ihnen ein buntes Gefühl fagt, daß fie 
ſich auf unrechtem Wege befinden, baher Vieles aufopfern 
möflen, um auf einem andern beflo mehr zu gewinnen. 
Se ging denn das Beflreben der meiften beſſern Kuͤnſt⸗ 
ler und Belehrten ber legten Zeit dahin, die am deutlich 
len hervortretenden Bloͤßen in den Kunſtbeſtrebungen 
möglichft zu verdecken, durch exborgte, der Vergangenheit 
entrifiene glänzende Segen, ohne die Wahrheit öffentlich 
eimzugeftehen, daß fie dadurch bee Gegenwart ein ihr uns 
wöärdiges Gewand umgehängt haben. Eine Erbenntniß, 
die allerdings wol großer Opfer werth if, haben uns die 
Anſtrengungen und Sorfhungen der legten Decennien un: 
widerruflich gebracht, nämlih: daß es ebenfo wenig im 
der Kunſt als Überhaupt in allen irdifchen Dingen und Bes 
trachtungsweifen etwas Alleinigmwahres, Alleinig: 
ſchoͤnes u. ſ. w. gibt, fondern, daß dieſes Alleinige nur 


in dee Goͤttheit begruͤndet, von Ihe aber in dem verſchle⸗ 
benften Strahlen ausſtroͤmt und in fie zurkdflieft. Man 
bat erfannt, daß, da jede Kunflepoche ihre befondern Schön: 
heiten darbietet, die Kunſt etwas unendlich Höheres fei, 
als fie in einzelnen Richtungen offenbar, Die Kun 
im hoͤchſten Sinne iſt die verkörperte, gefammte, geiftige 
Schöpfungskraft des menſchlichen Geſchlechts, fie wird 
alfo mit den verfhiedenen Geſchlechtern ſteigen und fallen, 
entfiehen und vergehen, fie wird das Abbild der Empfin⸗ 
dungs: und Auffaſſungsweiſen ber verfchiedenen Geſchlech⸗ 
ter bleiben, wie die Gefchlechter ſelbſt die mannichfache 
Unendlichkeit des Schöpfers widerfpiegeln. 

Nur Abgefchloffenheit kann ſoiche Äußerungen hervor 
rufen, „daß die wahre Kunſt nur der Kirche allein dies 
nen dürfe”, nur Mangel an Tiefe ſolche, welche befagen, 
bag „das Reich dee Schönheit allein das Feld der Kunft 
fei und fie mit veligisfen DMeinungsverfchiedenheiten we⸗ 
nig zu thun babe”. Weide Anfihen find im engem 
Sinne falfh, in der weiteften Bedeutung der Worte 
wahr, aber die eigentliche Wahrheit ſchwebt über beiden 
erhaben ; denn die Kunft kann und fol nur das Goͤtt⸗ 
liche deuten helfen, und ihr Reich iſt unendlich, wie bie 
Sortheit in jedem Gefchöpfe nach Verhaͤltniß unendlich 
groß erfcheint. 

Die Kunft des Mittelalters war dutchaus ſymbo⸗ 
liſch und diente, wie gefagt, dazu, der geiflig ungebildes 
ten Maſſe finntlich vorzuftellen und fichtlich zu erklaͤren, 
was fie geiftig nicht zu faflen im Stande war; beshalb 
war auch zunaͤchſt die Schönheit der Darſtellung infos 
fern Nebenfache, als die Deutlichkeit, die Verſtaͤndlichkeit 
bes Darzuflellendben Hauptzwel war. Es erklaͤrt 
fi) alfo von felbft und iſt hoͤchſt intereffant, es allmaͤlig 
in denn Gange der Kunftentwidelung zu erkennen, daß 
die roheſten und dann wiederum die Zeiten des Verfalls 
für die religioͤſen Darftelungen bie graffeften und barba⸗ 
riſchſten Gegenſtaͤnde wählen, anfangs um die feiner 
Eindräde überfehenden Augen zu fefleln, fpäter um die 
berfättigten zu reizen oder zu bienden. Ebenſo natär- 
lich iſt es, daß die Blüte der chriftlichen Kunft in bie 
Mitte diefer Zeit Fällt, wo alfo die Darfielung den Grab 
ber Schönheit erreiche hatte, um das gebildete Auge zu 
befriedigen, ohne durch den Heiz der Darfiellung bie tie 
fere Bedeutung des Gegenſtandes zuruͤckzudraͤngen; beum 
es ift nicht zu vergeflen, daß die chriftliche Kunft nie daS 
Goͤttliche ſelbſt darzuitellen beabfichtigte, fondern nur die 
heiflliche Lehre zur Erkenntniß des Goͤttli—⸗ 
hen dem Volke anfhaulich machen wollte; die chriſtliche 
Kirche diente, um einen Vergleich zu gebrauchen, der 
Menfchheit in demfelben Sinne wie dem Rinde bie Bilder 
fivel, um zu lernen, wie denn überhaupt jebe Kirchen⸗ 
form ihr Ziel erreicht, ſobald fie ihre Heerde fo weit gefuͤhet 
bat, ihr Verhaͤltniß und ihre Stellung gegen Bott und bie 
Welt in Wahrheit zu wärdigen und bemgemäß zu leben. 

Fuͤr Alle, welche an einen Fortfchrite des menfchlichen 
Geſchlechts glauben, mußte alfo ohne Frage der Zeitpunkt 
einmal eintreten, wo diefe Art des Unterrichts mit einer 
höhern vertaufcht zu werden gewünfcht würde, wie ber 


Benfica, wenn er leſen gelsent hat, anfängt über das Bes 
— erubenten, wie in allen chriſtlichen Orden ver⸗ 
fdiedene Stufen, wie fogar ſchon im Alterthume bei je: 
dem Tempel verfchiedene Grade befanden und die Eleufi: 
niſchen Geheimniſſe ſicher nichts Anderes fein konnten ale 
eine formiofere Saffung der Glaubenslehren. Es gab 
daher audy ſchon vor ber Reformation Viele, denen das 
für fie hohl gewordene Formenweſen laͤſtig und überflüffig 
wfchien, fie mußten anfangen, in ben Bildern, um fie zu 
betoundern, etwas Anderes zu betvundern ale den Gedan⸗ 
fen, der zum Grunde lag, nämtih bie Darflellunge: 
art feibft; fo murde bie Schönheit in den Kunſtleiſtun⸗ 
gen ein neuer Gultus, neben dem urfprünglichen, für Die, 
weiche im Stande waren, ſich zu diefer Höhe empotzuats 
beiten. Aber ſelbſt diefe Richtung hatte ihre Zeit und 
die Kunft entwuchs ber Kirche umd Lehrte in das große 
und wirkliche Leben zuruͤck; denn fie hatte ihre Aufgabe 
volfendet, fie hatte durch der Wirklichkeit entlehnte, aber 
für das zu Erklaͤrende ſymboliſche Formen 
die Lehre verfiehen gemacht: „Im Anfang war 
das Wort und das Wort war bei Gott.” 

Die mittelalterliche Kunft wie überhaupt der katholi⸗ 

ſche Cultus hatte die Menſchheit fo weit geführt, daß fie 
im Stande war, das Wort ohne Symbolik zu verfichen, 
da gefchah die Reformation, der Proteftantismus trat 
auf und unterfcheidet fi durch nichts vom Katholicismus 
als dadurch, daß er auf Entfernung biefer Mittelglieder, 
welche hinfort mehr vermwireten als nüßten, drang. Chris 
ſten bleiben wie nach mie vor, nur fuhen wir uns uns 
fer Verhaͤltniß zum Schöpfer jest durch das Wort zu 
erklaͤren, und wir fanden, baß buch die Schärfe des 
Wortes ſich der Erkenntniß dee Wahrheit in der Lehre 
son Gott unendlich näher Tommen laſſe als durch die 
bitdfiche Darftellung; die Wiſſenſchaft tritt Hinzu und 
beginnt Das für: den Proteſtantismus zu thun, was bie 
Kunft dem Katholicismus geleiftet, die Predigt ftellt fich 
an bie Stelle der Bilder: durch die Leuchte der Wiſſen⸗ 
ſchaft fuchten die Proteflanten ihre Begriffe aufzuhellen 
und ihren Glauben zu läutern; nad vielen Icethänmern, 
wie bei allen menſchlichen Dingen vorkommen, wurden 
wie endlich zur legten Stufe geführt, die der Menſch 
auf Erben zu erfleigen haben wird, nämlich: einzufehen, 
daS die Gottheit ſelbſt ebenfo unerfaßbar für unfere geiſti⸗ 
gen Augen, als das Innere der Sonne es für unfere 
Eörperlichen bleiben wird; beide ſchweben über und, aber 
wie die Sonne in dem Segen ihrer Wirkungen zu er: 
Eennen ift, offenbart ſich die Sottheit in der Geſammt⸗ 
heit ihrer Schöpfung, und unfere Religion iſt, zu ers 
kennen, daß Gott jedem feiner Gefhöpfe innewohne, 
und ihn in feinen Geſchoͤpfen ſelbſt zu verfiehen und zu 
verehren; fo tritt die Religion wirklich ins Leben wieder 
en und mird die Welt, welche fie bis jest faſt aus⸗ 
ſchtießlich als in der Kirche wohnend betrachtet, in Wahr: 
heit beleben und begläden, Kunſt und Miffenfchaften be: 
ainnen das ungleich, größere Merk, ſtatt das Göttliche 
ducch Gleichniſſe es nun durch das Geſchoͤpf im Geſchoͤ⸗ 
pfe felbſt zu erklaͤren. 


Im Allgemeinen iſt dieſe Art von Gottesdlenſt noch 
ein Ideal, jedoch, ſofern es die Kunſt betrifft, beweiſt die 


Betrachtung hinreichend, daß die Kunſt im proteſtanti⸗ 


ſchen Sinne nie eine ſymboliſche Kraft gleich der des 
Katholicismus ſein kann und ſein wird. Denn will man 
in proteſtantiſchen Kirchen Bilder anbringen, ſo kann das 
im proteſtantiſchen Geiſte nicht geſchehen, um ſymboliſch 
etwas damit zu verfinnlichen, ſondern nur um an ein 
für den Entwickelungsgang unſers Glaubens wichtiges 
Ereigniß zu erinnern. In dieſem Sinne feiert auch der 
wahre Proteftant das heilige Abendmahl, er erhebt fi 
zur Beſſerung dur die Erinnerung an die Größe Des: 
jenigen, der es einfegte. Pur in diefem Sinne habe ich 
für den Dom in Berlin (wenn er nämlich gebaut 
werben follte) Malereien und zwar auf Goldgrund ges 
wuͤnſcht, indem ich damit nur eine Andeutung des Ent: 
veidelungsganges der Chriftenheit bis auf uns beabfich: 
tigte, welche gleichfam als Hintergrund für die fi im 
Leben der Gegenwart bewegenden Geftalten dienen follte; 
fowie man danach flcebt und es gerne hat, eine Legende 
im Urterte zu leſen, ohne jedoch jedes Wortbild für buch⸗ 
fläblih zu nehmen. Der tatholifche Cultus hat, während 
die Zeiten und bie Menfchen fich änderten, feine Form 
beibehalten; für diefe Kirchenform befkreite ich nicht, daß 
Borflelungen in der Art und Weife, wie Overbeck fie 
ſchafft, Die geeignetiten fein mögen; aber ob fie noch dem 
Eindruck Hervorbringen, den die Malereien in der Zeit 
bervorbrachten,, welcher fie entiehnt find, datauf muͤſſen 
Katholiten antworten, möglih, daß es für einen Theil 
berfelben der Fall ift, aber die Gefchichte lehrt, daß 
bie Maſſe der Gebildeten dieſer Kirche jener Symbo⸗ 
lik entwachfen war, denn auf dem Felde des Kathos 
licismus felbft entfland ja Die fogenannte Ausartung 
bee Kunſt, ein ficheres Zeichen für das Bedürfniß eines 
andern Zuftandes: dies Factum der Geſchichte kann man 
nicht umfloßen. Für den fluͤchtigen Überblick koͤnnte es 
auffallen, daB ich die Darflellungen von Cornelius in 
dee Ludwigsliche zu München einen Sortfchritt dee 
Kunft genannt habe, indem fie boch derſelben Richtung, 
weiche Overbeck verfolgt, angehören, "und was bie Aus: 
führung beteifft, die legten den erflern durchaus nicht 
nachſtehen. Die Overbeck'ſche Richtung erzielt aber, wie 
der Deeifter es ſelbſt ausgeſprochen, die Zurückfuͤhrung 
der Kunſt in jene aͤltere mehr ſymboliſche Darſtellungs⸗ 
weiſe des Mittelalters, waͤhrend Cornelius, mit maͤchti⸗ 
germ und ſtaͤrkerm Geiſte bemuͤht geweſen, bie ganzen ver⸗ 
ſchiedenen Darſtellungsarten der katholiſchen Kunſt zus 
ſammenzufaſſen und in der Deeoration der Kirche die 
ganze batholifche Kirchenlehre felbft zu fombolificen. Es 
iſt als eine Zufammenfaffung aus allem, oft zerſtreut 
Vorkommenden in dieſer Hinficht ein Kortfchritt, aber 
auch zugleih eine Grenze, denn fo gerne ich bereit bin 
anzuerkennen, daß es ſchwerlich einen Künftier fernerhin 
geben wird, der dies mit mehr Geiſt und Kraft volifüh: 
ven dürfte, fo ſehr bin ich überzeugt, daß eine ähnfiche 
Darftellung die beabfichtigte Wirkung gänzlich verfehlen 
muß und beshatb für die Fotge Aberfläffig fein wird, 


576 


denn fie belehrt, aber erfreut ben Geiſt nicht, fie deutet, 
aber erwärmt nicht, denn fie belehrt und deutet nicht in 
dem Grade, kann es nicht, als es die Schrift ſelbſt kann, 
und die Kunſt erſcheint am ohnmaͤchtigſten, wo fie am 
hoͤchſten binauffteigen wollte. 

Ich kann es nicht genug herausheben, wie das Ge: 
äußerte Lediglich eine Betrachtung aus proteftantifchem 
Standpunkte, aber nicht im entfernteften eine Derabfegung 
jener Richtung fein fol; dem fie paßt, der folge ihr; ich 
bin nur bemüht zu entwideln, daß für Proteftanten bie 
Kunftbeftrebungen auf einem ganz andern Felde liegen 
als in ber Kirche fpeciell genommen, Daß der Unterfchied 
zwiſchen Eatholifcher und proteflantifcher Kunſt nicht etwa 
ein PBleiner, auf unbedeutender Deinungsverfchledenheit be: 
eubender, fondern ein gewaltiger, das ganze Gebiet der 
Kunft veränderhder fei, und endlich, daß man aufwachen 
möge aus diefem Jerthume und nicht ferner der prote 
ſtantiſchen Kunft dadurch aufzuhelfen fich beftrebe, ihr 
Dinge anzukleben, die keinen Zufammenhang mit ihrem 
Innern Wefen haben. So wenig der proteftantifche Got: 
tesdienft von katholiſcher Kirchenform haben will, fo we: 
nig kann die proteftantifche Kunft von Eatholifcher Auf: 
faffungsweife gebrauchen. 

Es thut mir wehe, daß man 3. B. In Berlin nit 
zur Klarheit Über diefe Grundzüge kommen will, des⸗ 
halb in der Beförderung und Beſchaͤftigung der Künfte 
ſtets ſchwankt und fo die von Fatholifcher Seite oft aus: 
gefprochene Behauptung zue Wahrheit macht: „der Pro: 
teftantismus ſei der Förderung und dem Gebeihen ber 
Kunft entgegen”. So ift fie den denkenden Menſchen 
sar nichts daran gelegen, ob bie Form eines proteftanti: 
fhen Domes mit irgend einer beflimmten Form der 
Vergangenheit übereinftimmt, wol aber, ob ein neuer 
Dom feinen für bie jegige Generation leiſten follenden 
Zweck hinlaͤnglich erfüle. Wenn eine Bafttikenform 
vor 1000 Jahren zweckmaͤßig war, fo ift es deshalb 
nicht nötbig, daß fie es jest noch fei; man thut.am 
beften, fi dem wahrhaft natürlichen Gange ber Sefchichte 
zu unterwerfen, auf dieſem Wege gelangt man zu Re: 
fultaten, voelche nich? als etwas der Gegenwart Entfrem: 
detes in die Zeit einſchneiden, man kann ſich 
aus dem Überkommenen das moͤglichſt Benutzbare heraus⸗ 
ſuchen und es anwenden; ein ſolches habe ich bei dem 
von mir entworfenen Plane verſucht, ohne den Glauben, 
das Beſte geleiſtet zu haben, aber wol in der Überzeu⸗ 
gung, dem richtigſten Principe zu folgen. Weder im Les 
ben der einzelnen Menſchen noch in dem Gange der 
Sahrhunderte negirt man ungeflraft ganze Epodyen, und 
wenn das im Allgemeinen wahr ift, fo ift es ebenfalls 
in ber Kunft. Es iſt auffallend, daß in einer Zeit, wo 
man fortwährend mit welthiftoriicher Bedeutung um ſich 
wirft, man es nicht einfehen will, daß kein Schritt der 
Geſchichte ohne eine ſolche Bedeutung iſt, indem jeder 
Schritt ein endliches Reſultat vorbereitet oder foͤrdert, 
es koͤnnte alſo fuͤglich die welthiſtoriſche Bedeutung bei⸗ 
feite geſchoben werden, als etwas ganz Alltaͤgliches, man 


würde dann weniger ſchwerfaͤllig und beſtimmter aufs 
treten. 
(Die Beortfegung folgt.) 





Notizen. 
Auch politifhe Poeſie! 

In einem Dorfe von Mittel: Deutfchland bildete ſich vor 
etwa einem Jahre eine Schaufpielergefelfchaft, und auch ber 
Dichter bee nöthigen Trauer #, 86 und Luſtſpiele fanb fi 
in der Witte derfelbens fie fpielten anfangs In dem eigenen, bana 
auch in ben benachbarten Dörfern. Gchreiber diefes kam kurs 
nach einer foldhen Aufführung in bie Gegend und erfuhr bier 
von einem alten Bauer, daß er zwar den Titel des Stuͤcket 
nicht mehr wiffe, fein Inhalt aber fei folgender geweien: Um 
eine Krone ftreiten zwei Prätendenten, der Buͤrgerkri 
aus und ber eine Kronbewerber ift bereits bem lntepliegen 
nahe; da verfprit er nicht nur, ſondern erläßt ſogleich für 
den Ball feines Sieges eine hoͤchſt freifinnige Verfaſſung. Das 
wirkt entfcheibend: in kuͤrzeſter Krift tft fein Gegner von allen An⸗ 
bängern verlaffen und der Liberale Fuͤrſt ergreift unter allgemeis 
nem Jubel das Ecepter. Run fage man noch, ba6 in der enge 
bes Volks kein Sinn für freie Verfaſſungen lebendig fei! 


Etymologiſches. 

Marode, Marodiren leitete man in ber Kindheits⸗ 
periobe ber Etymologie wie fo mandyes andere Wort aus dem 
Hebräifchen her, fpäter von einem Volksnamen. Cine andere 
Ableitung ift in ben abenteuerlichen „Bimpticiffimus” enthalten. 
3ur Zeit des Dreißigjährigen Krieges habe ein Graf Merobe 
ein Regiment gefammelt, welches aber aus dem al i 
ſten Geſindel zufammengefegt geweſen ſei und ſich, ſtatt durch 
ſeine Kriegsthaten, nur durch Betteln, Rauben und Pluͤndern 
ausgezeichnet habe, deshalb habe man zuerſt die Leute dieſes 
Regiments, dann alle Soldaten, bie, vom Heere ſich trennend, 
ein aͤhnliches Leben fuͤhrten, Merodebruͤder genannt, und ſo ſei 
dies Wort allmaͤlig in allgemeinen Gebrauch gekommen. Das 
orthographiſche Bebenten, welches man gegen dieſe Ableitung ha⸗ 
ben koͤnnte, wird dadurch befeitigt, daß im, Simpliciſſimus Tas 
bald Merodes, bald Marobebrüber gefchrieben ift. 38. 





Literarifche Anzeige. 
Neueſtes und vollftändigftes 


Fremdwörterbuch, 


zur Erklärung aller aus ftemden Sprachen entlehnten 
Wörter und Ausbrüde, welche in den Künffen und 
Wiffenfhaften, im Handel und Verkehr vorkommen, nebft 
einem Anhange von Eigennamen, mit Bezeichnung ber 
Ausfprache bearbeitet von 
Dr. 3. $. Kaltschmidt, 


Sn 10 Heften zu 8 Ngr. 
Leipzig, bei F. A. Brockhaus. 
efes Werk zeichnet ſich vor allen bisherigen Frembreärtere 
i 





Di 
büchern durch Bon ſtndigkeit edmä tuvogea⸗ 
phfhe Einrichtung — ger ale 
vortpeilhaft aus. Grfchienen ift bis jegt Heft I—S (A—N), 
fehlenden Hefte werden in kurzen Zwiſchenraͤumen 


Berantwortlicher Serausgeber: Heinrih Brodhaus. — Drud und Werlag von 8. &. Broddaus in Leipzig. 
a 


Blätter 


für 


literarifbhe Unterhaltung. 


25. Mai 1843. 





ons Nr. 144.) 

Mach diefer Abfchweifung treten wir der proteflantis 
fchen Kunftauffaffung etwas näher: Overbock bat im feis 
nee Behauptung, welche die Kuͤnſtler fo fehr frappirte, 
„dab Rafael's Hand in das verbotene Reid, gegriffen 
habe”, von bem Standpunfte, wo bie Religion in ber Kirche 
allein wohnt, ganz recht; nach uuferer Lefeart will es 
freilich nicht® Anderes heißen, als daß Rafael wol eingeſe⸗ 
ben habe, daß Sort nicht allein durch die Lehre, fondern 


durch das Geſchoͤpf unmittelbar erklärt und verflanden | 


werden koͤnne, und firenge genommen war Rafael in der 


fpätern Ausübung feiner Kun ſchon mehr Proteſtant 


als Katholil. Am deutlichfien tritt dieſer Gontraft in 


der Schule von Athen hervor, wo durchaus nichts mehr | 


fombolifch, fondern alles natuͤrlich erſcheint, wo aber, durch 
die Anſchauungsweiſe der Zeit, noch das Streben ſichtbar 
ift, den Begriff oder fozufagen bie Erklaͤrung des wiffen⸗ 
fchaftlichen Schaffens barzuflellen, biefer Zuſammenhang 
aber duch die Zufammenflellung von einer Menge in 
fü; vortreffliher, jedoch eigentlich ohne Beziehung auf: 
einander daſtehender Geſtalten nicht hinlaͤnglich ſich aus⸗ 
ſpricht. Dieſes Bild bedeutet nichts mehr, es iſt et⸗ 
was, d. b. es iſt kein Symbol, ſondern Wirklichkeit, es 
bedeutet nicht die Wiſſenſchaft, denn Wiſſenſchaft ober 
Philoſophie laſſen ſich nicht malen, fondern nur in ihren 
Wirkungen erkennen, «6 ſtellt uns einzelne Dinner in ih⸗ 
ven wiſſenſchaftlichen Beichäftigungen bar, und bdiefe Ge⸗ 
Ratten ſah Rafael mit feinen Augen im Leben ſich 
ebenfo bewegen, ob fie nun gerade daſſelbe Coſtum ge: 
tragen, iſt gleichbedeutend. So find die Rafael’fhen 
Mabonnen keine Mütter Gottes, nach dem firengen Bes 
griff der Kirche, fondeen es find göttliche Mütter, d. h. 
Seftatten des Lebens, in denen fid das Göttliche ber 
menſchlichen Natur auf das vollkommenſte ausſpricht; 
nach dem Principe der katholiſchen Kirche koͤnnen fie im 
ſtrengſten Sinne keine Andacht mehr erwecken, nad) pro⸗ 
teftantifcher Anfhanungsart koͤnnen fie anbetungswuͤrdig 
fein, indem fie auf die Herrlichkeit Gottes auf bie edelſte 
Weife hindeuten. Nah unferer Denkart erhebt ſich der 
Menſch mit der Seele und die Seele erhebt ſich bei 
jedee Ahnung der Gottheit, denn fie iſt ein Theil von 
ihre: ein Steahl der Morgenfonne öffnet bie Kelche der 





Blumen und als Dankopfer firömen fie ihren Duft aus! 
Deshalb genieht der wahre Künftler das Leben mehr als 
viele andere Menſchen, weil er die Faͤhigkeit bat, mehr 
durch das Göttliche in der Natur angeregt zu werden, 
und duch die Wirkung feiner Werke kann und will er 
nichts bezwecken, als die Maſſe der Menſchen, welche biefe 
Empfängsichkeit nicht beſitzt, bucch fein Gebilde als Mits 
telglieber auf das göttliche Dafeln hinzuweiſen; infoferm 
iſt denn auch die proteftantifche Kunſt ſymboliſch, indem 
fie nur das Individuelle Abbild des Goͤttlichen an die 
Stelle des Schöpfers ſelbſt ſetzt; in diefem hohen Sinne 
fogt auch Goethe: . 
Alles Vergänglidye it nur ein Gleichniß, 

Das Unzutänglidye hier wird's Ereigniß, 

Das Unbefchreibliche hier wird's gethan, 

Das ewig Weibliche zieht uns hinan! 
Die proteftaneifche Kunft fol und will Beine Wunder bar: 
fielen, die wir weder begreifen noch fehen Binnen, will 
Seine Unmoͤglichkeiten dacftellen, fondern nur die Wunder, 
weiche uns auf jedem Schritt entgegentseten, wenn mir 
fie nur ſehen wellen; wie brauchen gar keine andere 


. Wunder als die wirdliden, um unfen Glauben zu 


ſtaͤrken, darum gefchehen auch wahrſcheinlich jekt Leine 
unnatürligen mehr. 

Die Kunft im proteſtantiſchen Sinne will aͤhnliche 
Gefühle und Eindruͤcke hervorrufen als die Natur ſelbſt, 
ans kuͤnſtleriſchem Standpunkte fragen wir nicht, was 
fo jener Baum bedeuten, wir fühlen bie Schönheit befs 
felben und freuen uns daruͤber; wir fragen nicht, weshalb 
fieht der Berg da? wie fehen ihn umd find entzüdt über 
fein Dafein; wie grübeln nicht beim Anblid des Meeres, 
das unfere Füße befphle und in unabfehbarer Berne mit 
dem Azur des Himmels verſchwimmt, die Seele jauchzt 
auf und firebt dee Unendlichkeit nach, und wenn es Mo⸗ 
mente gibt, wo dee Dann in bee Umarmung bes Weis 


bes felig iſt, fo frage er nicht, was iſt Liebe? er fühlt 


fie und denkt nichts! Es ift ganz unmöglich, in den 


Anblick von Naturſchoͤnheiten verfuntenzu fein, ohne am etwas 


Anderes zu denken al6 das Göttliche, was darin außges 
druͤckt erfiheintz deshalb iſt auch jeder Kunſtgenuß bdefte 
ſtaͤrker, je unmittelbarer ee mit dem Gefühle aufgefaßt 


. werben kann, und wird fchwäcer und fchwächer, je mehr 


dee Verſtand oder gar das erlernte Wiſſen dabei den 


578 


Gommentar machen muß; ſolche Darfielungen erfreuen 
nicht, fie interefficen nur. 

Das Feld der proteflantifchen Kunſt ift alfo vorzugs⸗ 
weife die Wirklichkeit, worunter nicht nur etwa un: 
ſere jegige Lebensweiſe zu verftehen, fondern überhaupt das 
Leben des menfchlichen Geſchlechts, im allen Epochen, 
mag es in dieſes oder jenes Gewand gehuͤllt fein, das iſt 
im weiteften Sinne gleichbedeutend; die Geſchichte ber 
Menſchen, d. b. die fihtliche Offenbarung Bottes, 
im Entwidelungsgange der Schöpfung, das 
Leben, und da fih das Leben am ſtaͤrkſten in ben 
Thaͤtigkelten der Gefchöpfe, in den Eörperlichen und Sees 
Ienbewegungen der Menſchen dyarakterifirt, bie Haud⸗ 
lung, die Thaten. Eine ſolche Kunftauffaffung nähert 
ſich in gewiſſer Hinſicht der Kunft des Alterthums, nur 
daß wir 5. B. die Naturkräfte nicht ale Götter in 
menfchlicher Geſtalt darftellen, fondern daß wir das Gött: 
tiche der Naturkraft durch fie felbft am deutlichften aus⸗ 
gedrückt und erklärt erkennen. Dies bezieht ſich zunaͤchſt 
auf die fogenannte leblofe Natur, wir ziehen es vor einen 
Strom zu malen flatt des Fußgottes, lieber ben Baum 
flatt dee Dryade, lieber die Quelle ftatt der Nymphe, lie: 
ber das Meer feloft ale den Neptun u. ſ. w.; dieſer Art 
von Symbolik find mir ebenfo wol entwachlen als. ber 
cheiftfichen. Sofern aber die menfchliche Geſtalt und das 
Thun der Menſchen ſtets der Hauptgegenftand der Kunſt 
bleiben wird, fo koͤnnen wie bei der Darftellung berfelben 
uns immerhin bemühen, die herrlichen Antiken zu erreis 
hen und wo möglich zu übertreffen. 

Ein ſchlagendes Beifpiel für unfere Betrachtungsweife 
gibt uns die Architektur, auch ſchon deshalb die erſte der 
Künfte, weil fie nur des Gefühle bedarf, um aufgefaßt 
und empfunden zu werben. Der Beſchauer fragt nicht: 
Mas ift es, das mich beim Eintritt in eine ſchoͤne Kicche 
erhebt? Warum oder was bedeutet es, daß mich der Eins 
druck einer ſchoͤn geſchmuͤckten Halle oder eines geſchmackvollen 
Saales erfreut? und er genießt die Wirkung biefer Kunſt 
deshalb nicht weniger, weil er ſich das Wirkende nicht zu 
erklaͤren verficht. In der Architektur find es überdies 
nicht einmal die Kormen der Natur ſelbſt, fonbern nur 
bie ewigen Geſetze des Gleichgewichts und der Statik, 
wonach bie Welt ſich hält und bewegt, durch den Mens 
fhen duͤrftig nachgeahmt, und wie viel ergreifenber könnte 
die Wirkung der andern Künfte fein, denen es erlaubt 
ift, fih in Zormen der Natur unmittelbar auszudruͤcken. 

Ein Kunftwert kann dem Künftter viele Anſtrengung 
und Sopfbrechen Eoften, er kann unendlich viel gedacht 
und gefchafft haben, um es zu erzeugen, aber er foll bas 
duch ben Beſchauer gleihfam der Mühe überheben und 
ihm das Refultat feiner Anfirengungen geben, ftatt zu 
verlangen, daß man ihm auf feinem Wege dazu folge. 
Ein großer Philoſoph fage 3. B. die Wahrheit fei eins 
fach, aber flatt Das, mas er für wahr hält, und das, wenn 
es wahr ift, dee Menſchheit doch nur allein nüsen kann, 
als ein Reſultat in wenig Worte zu fallen, muß er ein 
halbes Jahr Vorlefungen darüber halten, wo ben Zuhoͤ⸗ 
rern von dem Wuſte von Gegenfländen und Stoffen, 


Begriffen und Definitionen ber Kopf fo gu ſchwindeln 
anfängt, daß fie das bischen Wahrheit ganz aus dem 
Augen verlieren. Eine ähnliche Wirkung üben ungeheuer 
tiefgebachte undarflellbare Unmöglichkeiten, worin man une 
zu oft das Hoͤchſte ber jegigen Kunſt zu finden fire gut 
haͤlt, auf das ungluͤckliche Publicum aus, und da bie 
Kuͤnſtler erfter Claffe, d. h. die Hiftorienmaler, bemerkt 
haben, daß das Publicum vor ihren Bildern voribergeht 
wie vor leeren Mauern, fo ift es Mode geworden, im 
die Eden der Gemälde erkläcende Anfchlagszettel auszu⸗ 
hängen, ein offenbarer Fortfchritt gegen die byzantini: 
ſche Urzeit der chriſtlichen Kunft, wo den unerklaͤrlichen 
Figuren die Zettel aus dem Munde hingen. 

Ebenfo wenig ald der Staat Soldaten halten foll, 
nur um Soldaten zu haben, fondern zur Aufredythals 
tung ber Geſetze und zur Vertheidigung des Vaterlande, 
ebenfo wenig fol ein Kunſtwerk feiner ſelbſtwillen geſchaf⸗ 
fen werden, fondern zunähf um zu wirkten, und biefe 
Wirkung muß keine nur einzelne Individuen, fondern 
bie größere, beſſere Maſſe der Menſchen erfafiende fein, 
db. h. das Bild muß verſtaͤndlich fein und deshalb eins 
fach; dieſe Einfachheit bezieht fi uͤbrigens nicht auf 
die Menge der Figuren ober auf den Reichthum ber 
Scenerie, fondern auf die Einfachheit der Handlung und 
des Gegenſtandes, mit andern Worten, es muß natuͤrlich 
fein. Es gibt wol jeder Menfh von Gefühl zu, daß 
ihm ein einzelner vollendet gemalter Kopf Lieber fei als 
eine Sompofition von 30 — 50 Figuren, bei denen bie 
Schönheit der Darftelung vernachlaͤſſigt iſt; es mag nun 
ben Einfturz der Welt darftellen, es erfhüttert und er⸗ 
faßt nicht mehr darum, fondern weniger als der einzige 
Kopf, denn in ihm allein kann eine ganze Melt Legen! 

Nah unferer Betrachtungsart verdient Alles, was 
überhaupt edele und nach den verfchiedenen Abſtufungen 
dee Bildung und Empfänglichkeit gute Empfindungen 
und Einbräde hervorrufen kann, bargeftellt zu werden 
und wird feiner Wirkung um fo mehr gewiß fein, je 
ausgezeichneter, je vollendeter, je harmoniſcher der Vor⸗ 
teag und die Darfiellungsart if. Das abfichtlidhe Her: 
abfegen der Vollendung in dee Malerei ift eine Thorheit, 
eine Impotenz Derjenigen, welche, weil fie nidyt können, 
aus der Malerei gerne eine Zeichen: oder Gomponiranftalt 
machen möchten ; wenn ich zu fagen hätte, ſollte mir fortan 
Niemand mehr malen, ber das Praktiſche der Malerei 
gering achtet, er möge denn lieber ein Denker werben, 
ein Maler ift er nie. Man wird einen eben aus⸗ 
lachen, der da behauptet ein Dichter zu fein, und feine 
ſehr ſchoͤnen Gedanken nur in hinkenden Werfen oder in 
bolperigtee Profa zu Rage fördert; ein poetiſcher Menſch 
kann er fein, aber, um wirklich fchöne Gedanken in vollen 
betee Form zu geben, gehört ſich's, außer der Gabe noch 
die Geiſteskraft zu haben, die Gedanken vom Daupte bis 
zue Feder geben zu laſſen und dabei nichts von der 
Friſche derſelben einzubüßen, darin erft zeigt fi das 
wahre Genie! Auf diefe Art gibt es viele Künftter! fie 
können nur ihre Kunſt nicht treiben! Kann der Künfl: 
ler, der Maler denken, nun fo ſuche er fi bie Kraft 








679 


en, dad Wild feiner Gedanken fo unmittelbar ale 
möglich wiederzugeben; wenn er bagegen, durch unenbliches 
Cartonzeichnen ermüder, endlih zum Malen kommt, fo 
muß ihn das natürlid langweilen, indem er ſich ſelbſt 
genoͤthigt iſt zu copiren und die Farbe und das fogenannte 
Machwerk nur fo beigibt wie ber Schlaͤchter den Kno⸗ 
chen bei gekauftem Fleiſch. 

Fuͤr gefuͤhlvolle Augen wird geiſtvolle Form immer 

mehr Bedeutung haben als formloſer Geiſt; zu vollende⸗ 
ter Form gehoͤrt aber nicht blos Zeichnung, ſondern der 
geiſtvollſte, der gefuͤhlvollſte, der innigſte Pinſel; jedoch 
da liegt der Stein des Anſtoßes, das laͤßt ſich nicht mit 
dem Berftande auffaffen, fo weit reichen Schulen und 
Akademien nit. Das Machwerk, was da gelehrt wers 
den kann, iſt feeilih nur ein hohles; jetzt find die mei⸗ 
ſten Kunftwerke freilich nichts als zufammengeflicdte Schul: 
marimen und Spfleme, Muge Denker verfchangen ſich bin: 
ger einem unüberfieiglichen Bollwerke von Stil und bo: 
. ber Auffaffung und ſchlagen die Seele zurüd; laßt ber 
Jugend die Freiheit, wieber feelenvolle Dienfchen zu wer: 
den, und ihr mwerbet feelenvolfe Künftler und Kunſtwerke 
Haben ! 
Es ift merkwuͤrdig, wie die Verſchrobenheit ganze Ge: 
nnerationen durchdringen kann; fo bat man noch vor kur⸗ 
zem darüber gefiritten, ob die Wiffenfchaft dadurch ein: 
Süße, daß fie ſich verftändlich auszudrüuden beftcebte und 
do mehr Altgemeingut der Nation würde. Ebenfo ift es 
mit der Kunft, man wagt «6 zu behaupten, ohne verhöhnt 
zu werben, daß die höhere Kunft ſich niche mit Dar: 
ſtellung des jegigen Lebens befafen könne! Was in aller 
Melt will denn Wiffenfhaft und Kunfl, wenn fie es fich 
niht zum Hoͤchſten anrechnen, der Nation, der Welt 
moͤglichſt zu nügen; was will denn Poefie? Wil fie fich 
ſelbſt vergöttern? Statt einer Maſſe politifher Baͤnkel⸗ 
Sänger, wäre es nicht beffer, wenn Leute, welche die 
Sprache in der Gewalt haben, fi) bemühten, eine gebies 
gene Sprache in der Journaliſtik einzuführen, um da: 
durch zu zeigen, daß die Intelligenz in Deutfchland wirkt: 
dich höher ſtehe als in andern Ländern, flatt baß jest 
dadurch gerade das Gegentheil bemiefen wird. Es hat 
mehr Werth für die Menfchheit, wenn der Bürger am 
Abend oder in feiner Ruhezeit durch werthvolle Auffäge, 
Die fein Leben und Treiben behandeln, unterhalten wird, 
als diefe Unterhaltung nur allein im fogenannten Reiche 
Ger Poeſie für möglich zu denken, und er dadurch gezwun⸗ 
gen wird, fih aus feinem reellen Zuftande herauszufeh: 
nen, ftatt fih darin glüdlih zu fühlen. Die Sudt 
wach Lurus ift im weiten Sinne nur die Folge davon, 
daß die Kunft nur allein dem Lupus dient. 

Es iſt im hoͤchſten Grade zu bedauern, daß in 
Berlin, wo die Elite ber Gelehrten und fomit bie 
einſichtsvollſten Männer beifammenfigen, nicht einer, 
nicht ein Einziger auftritt, und anftatt fi in dem 
Gebaͤude feiner Theorien zu befpiegeln, es vorzieht, das 
allgemeine Verlangen nad Ktarheit, den Wunſch eines 
edeln Könige nach einer wuͤrdevollen Beſprechung ber 


‚wahren Intereſſen des Landes durch eine gediegene Zeit⸗ 


ſchrift zu befriedigen, nicht einmal den immenſen Einfluß 
zu rechnen, den ein aͤhnliches Unternehmen einem Manne 
von Charakter verſchaffen wuͤrde; ſonſt gibt es doch Egoi⸗ 
ſten genug in ber Welt, es wird alſo eine Ohnmacht 
zum Stunde liegen, denn bie Preſſe iſt frei genug, das 
beweifen einzelne anderweitige Erfcheinungen. Man bruͤ⸗ 
ſtet fih mit beutfcher Tiefe und verwechfele Tiefe mit 
Gelehrſamkeit, man begnügt fih auf dem Katheder alle 
Entiwidelungsphafen der Geſchlechter ab ovo bis auf une 
zu demonſtriren, aber man findet feine Belohnung nicht 
in dem Nugen biefer Anfttengungen, fondern nur in dem 
Beifall der Zuhörer, den Tiſchreden bei Seftfchmäufen, 
oder dem Orden ober Zitel, welchen der Hof ſchickt. Das 
Schreiben ift doch fonft bei Gore nicht die ſchwaͤchſte Seite 
bee Deutfchen, man ſieht aber hieraus um fo deutlicher, 
wie überallemaßen jämmerlih «6 bei uns beſtellt iſt, 
fobald es fih um Nutzen und Praris banbelt. 

Es ift an ber Zeit, daß Künfte und Wiſſenſchaften 
berunterfleigen von eingebildeter Höhe und den Traum auf: 
geben, fich wegzumerfen, wenn fie der Nation zu Herzen fpre: 
hen; gerade weil ich die Kunft unendlich hoch achte, wollte 
ich Lieber meine ganzen Entwürfe und Studien zerreißen, 
meine Pinfel zerbrechen und mit der Hand das Land 
bauen, ſtatt Kunftwerke fördern zu helfen, bie weder er: 
wärmen noch nügen. Es hat lange genug gedauert, daß 
man ſich bemüht hat, Kunft und Wiffenfhaft dem Le: 
ben möglichft zw entfremden und ihre Höhe in der Uns 
verftänblichkeit zu fuchen, fie müffen fi dem Leben wie 
bee nähern oder fie flerben. Die alten Höhlen der Bors 
urtheile, bie fogenannten Schulen müffen zufammenitür: 
zen und ihre Aushaͤngeſchilder Spftem und Stil ale 
etwas Lächerliches abgeriffen werben, es muß in Deutſch⸗ 
land in geiftiger Dinfiht eine Schlacht gefchlagen mer: 
den, wie die bei Jena für die fchönfterercitte Armee der 
Welt, che Deutſchland praktifh wird und fein wahres 
Beduͤrfniß erkennt, und wie Preußen durch die Kraft 
eines tapfeın und ungefhulten Volks gerettet wurde, 
fo wird es z. B. die Kunft duch die Richtung, bie man 
jegt am geringften achtet, denn fie ift in diefem Augen» 
blide die einzig gefunde, fie wird es durch bie Maͤn⸗ 
ner, die man der Kunft gefährlich nennt, weil die Kafte, 
welche die alleinige und erfle Kunſt gepachtet zu 
haben glaubt, fhon eine Ahnung hat, daß fie unterlie: 
gen müfje und auch fchon theilwelfe unterlegen iſt. 

Wenn das Junge Deutfchland feinen Eredit verloren, 
fo gefhah es, weil ein großer Irrthum dabei zu Grunde 
(ag, nämlich eine Überhebung der Jugend über das Alter. 
Dos Alter kann fo wenig ohne die Jugend oder das 
Neue fertig werden als die Jugend ohne das Alter, fie 
ergänzen einander; aber es gibt eine Epoche im Leben, 
welche weder an Jugend noch Alter fpeciell geknüpft tft, 
es it die Reife. Ein reifes Deutfchland thut noth, 
weder ein junges noch ein altes, es brauche in keiner 
materiellen Berbindung zu ftehen und braucht keine Ans 
führer; aber fein Streben follte fein, durch klare Darles 
gung der Verhäteniffe den Einbildungen ber SSugend und 
des Alters die Wage zu halten, fein Organ fei die Preffe 


kin Wirkungslselö das yeakeifche Leben. Waffen wir nun 
nochmals das Sefagte zuſammen, fo fol die proteftantifche 
Kunft den Beweis liefern, daß wahre Poefie im wirkli⸗ 
en Leben fei, nicht außerhalb des Lebens, daß das Goͤtt⸗ 
Ude in den Geſchoͤpfen felbft, nicht von den Geſchoͤpfen 
getrennt eziflice, und zwar in einem Sinne, der die Kunfl 
nicht zum bloßen Abſchreiben ber Natur erniedrigt, fons 
dern in dem Sinne des folgenden Sprache: 
Nicht, was ich ſehe, will ich wiebergeben, 

Nein, was ich fühlte, wie ich ſah! 

Zu formen firebt’ ich jenes innre Leben, 

Was aus dem Spiegel meines eignen Ichs 

Mir von der Wirklichkeit zurüdgeworfen. 

(Der Beſchiuß folgt.) 





Meife durch einige Gegenden bes nördlichen Griechenlands 
von Ludolf Stephant. Mit ſechs Steindrudtafeln. 
Leipzig, Breitkopf und Härte. 1843. 8. 24 Nor. 


Schon durch andere, in neuefter Zeit erfihimene Reiſe⸗ 
befchreibungen, 3. B. von Roß, Ulrichs u. ſ. w., bat es fi 
Mar berausgeftellt, weichen Nusen biefelben fir nähere Kennt⸗ 
niß Griechentands, des gegenwärtigen ſowie bes alten im neuen, 
und fowol in geographifcher und archaͤologiſcher Hinſicht als in 
andern allgemeinern Beziehungen, wenn nur fonft bie Reifen 
mit Aufmerkſamkeit, Umſicht und Genauigkeit gemacht werden 
und die Reijenden im Beſitze der erfoderlichen Kenntnifle fich bes 
finden, zu gewähren im Gtande find. Auch bie vorliegende 
Heifebefchreibung durch einen Theil des nördlichen und nord⸗ 
dſtlichen Griechenlands vermag unfere Kenntniß davon zu vers 
mebren, zu bereichern und zu berichtigen, beſonders auch infos 
fern, als fie namentlih die Infel Eubda zum Gegenftande 
hat, die noch wenig von Heifenden befucht und unterfucht wors 
Sen ift, die 3. B. au) Brandis im erſten Theile feiner „Mit⸗ 
&heilungen über Griechenland” meniger in ben Kreis feiner 
Reifeftizgen gezogen und bie dennoch in mancher Rüdficht beach⸗ 
tet und näher unterſucht zu werben verdient. Allerdings hat 
nun ber Verf. der vorliegenden Reife vorzugsmweife das Alters 
tum und was ſich von ihm auf Eubda, ſowie in den andern, 
von bem Beilcnden befuchten Königreichs niand in Ins 
ſchriften u. f. w. erhalten hat, ins Auge gefaßts indeß beruͤck⸗ 
fihtigt er auch die Gegenwart des Landes und Volks, und es 
ift in jener, wie in dieſer Hinſicht Manches aus der Reife zu 
fernen. Namentlich auch in Betreff der alten Gecgraphie ift 
dies der Ball. Umftändlicher verbreitet ſich der Verf. Über bie 
Lage alter Gtäbte, nach den mehr oder weniger erhaltenen 
Spuren berielben, z. B. über bie Lage des alten Herakltia nicht 
nicht weit von den Thermopylen, über die Stelle bes alten Kos 
Ionos u. f. w., und ed wird dabei natürlich auch über alte 
Architektur und Sculpturen berichtet. Außerdem find bes Verf. 
Mittheitungen befonders in Anfehung erhaltener Infchriften von 
nicht geringem Intereffe und er theilt davon viele, zum heil 
ſchon befannte, zum hell unbelannte von Werth, mit. Uns 
fere bisherige Kenntniß Griechenlands in geographifcher Bes 
tehung erſcheint auch nad Demjenigen, was Stephani in 
* feiner Unterſuchungen ausſpricht, noch als ziemlich man⸗ 
gelhaft, und 4. B. ſelbſt den Karten von Griechenland von 
Kirchent werben im Allgemeinen und @inzeinen manche Unrich⸗ 
tigfeiten nadhgewiefen. Bon Dem, was aus den Mittheilungen 
in vorliegender Reife befonderse der Gegenwart Griechenlands 
angehört, will Rec. bier nur Deifen gedenken, was über einzelne 


itten und Gebräuche im Leben des Volks, beren manche das 
alte Griechenland ch unveränbert und wohlerhalten im 
neuen erſcheinen Laffen, über den Volksgeſang, ben Tanz und 


das Volkslied der heutigen Griechen gejagt wird. Auch einige 
Volkslieder von nicht gewöhnlidher Erfindung werben Hier, je 


body nicht busckgängig richtig, in der Driginalfpeache meitgetpeiie, 
Im Ganzen ift es dem Bec. auch aus biefer Reife klar gewors 
den, baß, wie viel auch bereits von Beite ber griechiſchen Res 
gierung für bie materiellen Intereflen bes Landes, die hier zus 
nacht nach Lage ber Sache ins Auge zu faffen waren, geſchehen 
fein mag, doch jebenfals noch mehr hätte geſchehen koͤnnen, 
5. 8. durch Anordnung allgemeinnäglicher Maßregein in Betreff 
des Anbaus des Landes, der Sommunicationswege u .f.w.5 aber 
noch weniger gefchieht in biefer Hinſicht, fo fcheint es, von 
Seiten des Gingeinen und von freien Stüden. und doch if 
das Land, nad Allem, was von Beifenden berichtet worben, 
fo vielvesfprechend ; aber freilich iſt es Pflicht bes Wenſchen 
das Beine dazu beizutragen und ben Schat, der in dem Mes 
ben ruht, zu beben. Es fcheint, daß namentlich auch in Grie— 
chenland der Sinn für das Allgemeine noch gar zu ſehr durch 
den Egoismus des Einzelnen — dieſe Frucht des frübern türs 
fifchen und felbft bes nationalen Defpotismus einzelner Kaſten — 
zurüdgebalten wird; daß die Tugend bes echten, aufopfernken 
Patriotimus zwar in Griechenland keineswegs fremb iſt, aber 
daß fie boch nicht fo allgemein gefunden und geübt wirb, als 
e8 zur wahren Wiedergeburt des Landes und Volks wuͤnſchene⸗ 
werth und nothwendig iſt. Die echte Zugend bes Patriotismus 
bürfte „eich auch anberwärts in unferer Zeit gar wm, 1 
mange . 





Literarifhe Notizen aus Frantreid. 


Zu Goffelin’s „Bibllotheque d’elite” gehört folgendes Werk: 
„L’heptameron, ou histoire des amants fortunes; neurvelles 
de la reine Marguerite de Navarre. Ancien texte, publi6 
par Claude Gruget, dans l'édition originale de 1559; revu, 
corrig6 et publie, avec des notes et une notice, par l»biblio- 
phile Jacob.’ Bei biefer Gelegenheit erinnern wir an bas 
freundfchaftlihe Verhättn'ß, welches zwiſchen ber Königim ' 
Margaretha und Siemens Warot befand. Beibe wechfelten 
untereinander Rondeaur, ſcherzhafte Zufchriften, poetifche Epie 
ſteln. Marot nannte die Königin feine mieux aimse, fdhilberte 
fie in folgendem Berfe: 

Corps feminis,, coeur d’komme et 1dte d’ange! 
und fagte an einer andern Stelle: 

Je l'aime tans que je n’ose l’simer. 

Er fol auch wirklich von ihr geliebt worden fein; doch macht 
man den Gluͤcklichen au zum begünftigten Liebhaber der Diana 
von Poitiers. Was die Novellen der Königin betrifft, fo Iaffen 
fie fidy mit denen des Boccaccio, obgleidy die Form ihnen nach⸗ 
gebildet ift, gar nicht vergleichen: Boccaccio war ein Dichter, 
ein Künfter, ein Schöpfer; Margaretha erfindet nichte, fie er⸗ 
zählt blos. Merkwuͤrdig daran iſt jedoch die Polemik gegen bie 
Geiſtlichkeit, der alle in biefen Novellen gefchliberten Verbrechen 
und Laſter aufgebürbet werben. Daher ift der Eifer erklaͤrlich, 
womit man biefe Novellen unter der frivolen antireligidien Res 
gierung ẽudwig's XIV. wieder auffuchte und las. Ginige 
Kritiler des modernen Frankreichs find deshalb über die ziem= 
lich wohlfeite Wiederauflage biefer Novellen entrüftet, fie faͤrch⸗ 
ten, baß der irreligiöfe Geift, im Ramen ber Königin Marge: 
ehe und auf ihr Beiſpiel geflünt, neue Nahrung erhalten 
m e. 


Der Verf. des Werts „La vie militaire sous l'’empire‘‘, 
be& „‚Chasseur conteur’‘, des „Almanach du chasseur”, Gere 
Eleazar Blaze, gab heraus: „Histoire du chien chez tous 
les peuples du monde”, wobei er nidyt blos die Profanen, weie 
Homer, Ariſtoteles, Xenophon, Herobet, Plutarch, Dvib, Des 
raz, Virgit u. |. w., fonbern auch die Bibel, die Kirchenoäter 
und ben Koran zu Hülfe gerufen hat. Der Verf. bat hierauf 
20 Zahre Studium verwandt ! 18, 


Berantwortliher Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von 3. 4. Brockhaus in Leipzig. 


SI atter 


literariſche 


Freitag, 





Kunſtbeſtrebungen der Gegenwart. 
(Beſchluß aus Nr. 145.) 


Sehen wir nun, inwieweit bie Thatſachen der Ge: 
ſchichte mit dieſer Richtung zufammenfallen: Seit der 
Reformation find alle Kunftarbeiten ſowol von Katholi⸗ 
Ben als Protefianten (die Sachen der Reaction natürlich 
abgerechnet) wenn nicht in jenem Sinne, doch dem Me: 
Attate nad) in dem Sinne gefhaffen, fi) der Natur fo 
viel wie möglich anzufchließen, man mochte fie nun durch 
eine griechifche oder romantiſche Brille anfehen, das gilt 
ffir unlern Standpunkt im Grunde gleich; ferner behan: 
bein die beffeen und zahlreichſten Darftellungen der neuern 
Kun geſchichtliche Facta, und wenn man biblifche 
Gegenſtaͤnde gewählt, ſo find diefe (mit Ausnahme: der 
Drobuctionen ber Reaction) auch nur im Sinne ge: 
ſchichtlicher Facta dargeſtellt. Trotzdem daß man 
es ſich von ber katholiſchen Partei und ſonderbarerweiſe 
auch von ber proteſtantiſchen angelegen fein ließ, die fo: 
genaumte, alleinig hohe Hiſtorienmalerei mit befonberer 
Parteilichkeit zu unterſtuͤtzen, fo haben alle dieſe bedeutenden 
Anſtrengungen das Refultat herbeigeführt: den Geſchmack 
an dergleichen Kunſtſachen, flatt zu heben, von Jahr zu 
Jahr geringer zu machen; ‚und wie bei bean Einnahmen 
die Zahlen am beften beweifen, fo beweifen ſaͤmmtliche 


Ausſtellungen, daß unter 100 Gemälden kaum 1 oder 2° 


find, Die jener Richtung angehören und welche, trotz des 
Gejammers ber Recenfenten, dennoch wenig berüdfichtigt 
werben. Man gibt fich fo gerne das Anfehen, die öffentliche 
Meinung zu ehren, ich bächte, fie wäre deutlich genug! 
Die fi) für Auserwählte in der Kunft haften, fu= 
hen fi dadurch zu entfchädigen, daß fie z. B. Die fo: 
genannte Genuremalerei verächtlih behandeln; fo hörte 
noch kuͤrzlich aus dem Munde eines unſerer erfien 
Künfter, dab Ingres, ber doch die altchriflliche und afts 
griechiſche Kunft nur In einer grauen Grimaffe wie: 


dergibt, ber erile Maler Ftankreichs fei, nur weil er die: 


ſelben Grundſaͤte mit ihm theilt, während jener Mann 
tie vortrefflihen Gemälde von Delaroche mit ziemlich 
wegwerfender Miene nur Genrebilder nennt. 

Iſt man gezwungen den allgemeinen Drang der Völker 
nach Gleichſtellung vor dem Geſetze zu achten, nun fo 


fehe ich nicht ein; wechalb in ber Kunfl nicht eine gleiche. 
Unpomteitichke 


it bereichen fol, warum eine Kunſt, die die 


für 


Unterhaltung. 





26. Mai 1843. 


u a a ne 
— — — — — — —— — — — 





Nation erfreut, hinter einer, die nur einem ſehr beſchraͤnk⸗ 
ten Kreiſe gefaͤllt, zuruͤckſtehen fol. In proteſtantiſchen 
Staaten müßte billigerweiſe uͤber die Richtung der prote⸗ 
ſtantiſchen Kunſt kein Zweifel herrſchen, obwol man in 
Berlin mit dem Entſchluß darüber noch nichts weniger 
als aufs Klare gekommen zu fein fchein. Man läßt 
Schinkel's Sompofitionen am Mufeum von andern Künfl- 
tern ausführen (beiläufig eine fehr wuͤrdige Aufgabe für 
Künftier, wenn fie ſelbſt etwas leiſten koͤnnen), fie behan⸗ 
dein mpthologifche Gegenftände, find aber In einem allge 
mein menſchlichen Sinne aufgefaßt, gut alfo! Man baut 
ein zweites Mufeum, um allerlei Sammlungen und auch 
fänmtliche Gypsabgüffe von Antiten hineinzuftellen, und 
fhafft die noch fehlenden Gppfe mit großen Koften anz 
nun, man wird al&dann Ruhe haben Binnen, alfo auch 
gut! Endlih mil man Gruppen auf die Schloßbrüde 
flellen, welche Beziehung zu dem legten Befreiungskampfe 
haben follen, und obwol ſchon Bluͤcher, Bülow, Scharen 
horſt und bald auch Friedrich der Große in ber Nähe 
fiehen, weiß man, ftatt febendige Gruppen aus dem 
Kampfe felbft darzuftellen, welche das Volt zum hoͤchſten 
intereffiren müßten, nichts Beſſeres zu thun, als die My⸗ 
thofogie aus dem naheftehenden Mufeum „Wache heraus’ 
machen zu laflen, um der Nation zu erklären, daß bie 
vorgefiellten nadten Sünglinge Preußen find, welche für 
das Baterland gefallen. Bet einem zweiten Falle, wo 
die Entſcheidung vom Publicum unmittelbare abhing, hat 
man fich geweigere Beiträge zu einem Monumente ins 


Thiergarten zu geben, was, von einer Sommiffion 


gebitliget, durch drei tanzgende Mädchen an den ver- 
florbenen König erinnern follte, und lieber gewuͤnſcht die 
einfache Geſtalt des edeln Könige felbft binzuftellen!? 
Das heißt verbeutfcht nichts Anderes als „wir wollen keine 
Mythologie in unferm Treiben, wie wollen feine Sym⸗ 
bolik und Allegorie, wir wuͤnſchen Natur und Wahrheit”. 
Über den beelinee Dom (von dem koͤlner Dombau will 
ich hier ſchweigen) ift noch zu wenig Beſtimmtes bes 


kannt, um fih Anmerkungen barhber zu erlauben; aber 


wenn es wahr ft, daß Cornelius, ber boch nicht mehr 
zu den Juͤngſten gehoͤrt, Cartons zu ben Fresken, welche 
ein muthmaßliches Campo santo zieren bärften, zeichnen 
fol, das noch nicht einmal zu bauen angefangen, fo koͤn⸗ 
nen ſich die jängern Künftter auf eine ber Schinkel' ſchen 


u 

Ihe Erbſchaft freuen; das find Ergehniffe der übers 
an Richtungen, man veradyter das Machwerk und 
verlangt dennoch, daß man Künfkter dazu auferziehe, um 
die Gedanken Anderer auszuführen, alfo fie in dem eiges 
nen Sinne zu Yandlangen macht; das hiefe wicht Die 
Kuuft heben, das hiche fie zu Grunde wichten!!. 

Smug! Gleichachtung der ‚Kunftbeflrebungen If es, 
was wahre Kuͤnſtler verlangen Binnen! Sollte die Verblen⸗ 
dung in gewiſſen Regionen auch biefe Achtung verfagen, 
fo fahrt nur feifch fort, ihr Kuͤnſtler Deutfchlands ! welche 
ihe der Darflellung des marligen und herrlichen Lebens 
huldigt, fahre fort, uns bie Darmonle der Landfchaft, 
den Zauber, der in jeder Gegend der Erde, in jeder Be: 
wegung der Thierwelt, die Poefie, bie in jeder Regung 
dos menfehlichen Körpers und Lebens, fei es im der Ges 
gentwart, fei «6 durch die ernflen Thaten der Geſchichte, 
in Bilderwerken verzuführen, dee fuͤhlende Theil der Nas 
tion wird euch mit Enthufiasmus danken, mit Wörme 
die Hand Derer druͤcken, die ihn mit Aufrichtigkeit auf 
das Schöne des Daſeins hinweiſen, und die knoͤcherne, 
kaite Hand, die aus Gräbeen hervorlangt, um das Leben 
zu ‚vernichten, mit Verachtung zuruͤckſtoßen! Und Ihr, 
Edele und Großherzige unter den Deutſchen, laßt Euch 
nicht herab, verſchrobene Alterthumsforſcher gleichſam zu 
den Maͤklern und Dolmetſchern Eurer Gefühle zu ma⸗ 
hen, fagt nur Eure Meinung friſch und frei umd ſchaͤmt 
Euch nicht ferner, daß Euch fogemannte umtergeorbnete 
Bilder gefallen, muntest uns auf buch Eure Theilnahme, 
Euch mehr und mehr zu geben, Euch höher und höher 
zu führen, bie Ihr Reiner Fuͤhrer mehr bebürft! 

Diefe Gleichachtung des Künfte fol ſich aber nicht in 
einer bloßen Duldung von Seiten des Staats, fondern 
auch in gleichmäßiger Förderung der Künfte bethätigen; 
wenn man höhern Orts bei dieſem ober jenem Maler ober 
Bildhauer jener Richtung ein Bildchen oder eine Statuette 
beftellt, damit er nicht verhungert, das ift Beine Förde: 
rung, d. h. mit lahmen Kaninchen einen Granitblod 
fortſchaffen wollen! Wenn «6 erfannt wird, und es 
muß erlannt werben, daß bie Beſtrebungen ber 
Gegenwart nicht allein ihren Mittelpunkt in der Kirche 
finden, ſondern daß die Kirche fich weiter ausgedehnt im 
Staate, fo muß, wie jeder Stand des Reiches an der 
Verwaltung Theil zu nehmen wünfct, auch jeder Zweig 
der Kunſt zu gleichmäßiger Beſchaͤftigung berechtigt fein. 
Don biefer Idee durchdsungen, habe ich den Plam zu einem 
Staatsverwaltungsgebäude für Preußen von 
gefchlügen, weil es ein der Gegenwart würdigen 
Kunftvorwurf, die heiligſten Intereſſen des Nation 
durch Die Kunft, die hohen nterefien der Kunſt durch 
ihre Beziehung auf die Regungen der Mation adelt! 

Ol über bie geiftige Blindheit! man gibt zu, weil 
man es ficht, daß der Strom fo lange ſchwillt, bis er 
ein unnatuͤrliches Bollwerk nieberwirft; man weiß, daß 
das unſchuldige Waſſer die Luft uerpeflet, wenn es ein: 
gefangen und ohne Bewegung daſteht, die heitere Luft 
zerſchmettert Eiſen, wenn man fie kuͤnſtlich zuſammen⸗ 
nreßt, und dem Geiſte, des hoͤchſten Kraft der Menſchen, 


m; 









halten, IR «6 





2 U-. 
traut man weniger Refiſtenz zu und zweifelt, daß 


bie 
' eigen Naturgefege nicht jede Fieber des Daſeins durch⸗ 


Drängen. Man kann durch kuͤnſtliche Drittel den wirt: 
lich ſtaͤrkern Gef einem Simſon gleich feffeln, man tanz, 
ihn biendem umd der Melt erftgichen, aber dei der A 
‚Gelegenheit erfaßt er bie Träger des ufarpicten 
und reißt fih und Andere in die allgemeine Vernichtung, 
die man berbeifährte, indem man fie verhindern wollte! 
Für Diejenigen, welche fih bie Augen mit Gewalt zu: 
‚ noͤthig Die fo zu fehlen, daß file 
durch die Finger bringe. Noch find für. Kunft und 
Wiſſenſchaft diefe Zuftände nit da, aber die deutlich⸗ 
flen Spuren davon liegen am Tage, der negirende Geil 
In Norddeutſchland ift nichts Anderes als ein zuruͤckgehal⸗ 
tener, bush Schulmarimen verſtockter, ſich in Vernich⸗ 
tung fÄttigender und ſich ducchfreffender Geiſt; benn fein 
Menfh bat mehr Freude an den Merten Anderer, wenn 
ex feine Thaͤtigkeit gebemmt und feine Werke mit Ber 
ringſchaͤtzung behambelt fickt. 

Man wähle! man ſuche im vollen. Maße das Weſen 
feiner eigenen Sache zu verfichen; die Kunft des Pros 
teftantismus Könnte groß daſtehen, wenn fie 
dem Kostfehritt Hulbigte, we nicht, fo veieb fie 
dahinkraͤnkeln und verbient Bein beſſeres Schidfal, abs 
zum Gelpötte bee ganzen Chriſtenheit, als sin Popanz 
auf einer Kuhhaut im Triumphzuge der katholifihen Kunſt 
zu Tode gefchleift zu werben! 4. Dallmenn, 





Ältere franzöfifhe Literatur. 
gonife Labe (geb. zu Lyon 1526, geft. ebendaſeibſt 1506). 
Um das Jahr 1590 verfammelte fi zu Lyon auf ber Döte 
von Yourpitres (Forum Voneris), in dem Haufe eined Derrm 
von Lange, einer ber beukhmteften Dichterdereine 
wäheend ber Bluͤtezeit bes Kiterarifchen Föberaliimus, we bie 
Poeſie mit Freude und Erhebung aus tauſend Kehlen in allem 
franzoͤſiſchen Provinzen erflang als wahre Boll: und Mens 
ſchendichtkunſt, nicht als bloße Hof: und Gtabtpoefte, wozu 
fie darch das ſpaͤter eintretende Gentratifetionsfpftem in Sachen 
des Geſchmacks und ber Literatur einfchwumpfte. Zu ben Gets 
beitäten jener Inoner Dichterakademie gehörten Etienne Dolst, 
Maurice Schoe, Pernette du Buillet, Slemence de Rourges unb 
Louife Labe. Von dieſen drei dichtenden Frauen fland Louiſe 
Rabe, von dem Gewerbe ihres Mannes bie ſchoͤne Seilerin (ia 
belle eordiöre) genaunt, mit Hecht im größten uf usb Une 
ſehen, ebenfo_fehr wegen Ihrer poetifihen Arbeiten als wegen 
ihrer feinen Manieren unb anmuthigen Geiftedgaben. 

Sie war bie Tochter eines gewiflen Pierre Shariy ober 
Sharlin, feiner Profefſton nach Seller und Bürger, ein wodl⸗ 
bhabender Mann in bedeutenden Geſchaͤften mit Marfelle, wos 
Yin Lyon bamals ben ganzen Martinebedarf an Dau⸗ mb Ta⸗ 
kelwerk lieferte. Wie en zu dem Meinamen Lab gelemmen, 
weiß man nit. Gr wohnte in ..ber Rue de l’arbre sec und 
befaß vor dem Stadtthor auf bem Territorium la Bella ein 
adıt Hafen großes Srundfhid, wo er fich eine Elcine Billa ans 
— u mn eines Wäbenden, ruͤſtigen 
ap er au . vom Lu das Gnabengefchent 
einer Zochter, bie ‚unter bem Namen Louife. aus dem Bad ber 
heiligen Taufe gehoben ‚warb. Da bie heranwachſende Sieine 
ſtch mit jedem Zage zu Einem immer feltenern Wunder von 
Schoͤnheit und Artigleit ausgeftattete, wollten bie Ättern im übe 
rer Geziofung eher wendung ale Sparſamkeit üben ib 
lieſſen ſie frühe in. Allem untgerichten, was bemals Manchen yon 









uumuhmen: Gange vaten ‚wigehlaite in hen werſchie⸗ 
unterrichtechern cine * Sentigfeit und Vaſ⸗ 
abe. Sie fang. bezaubernd aud cewpopirte bie von ihe 

gebichteten Lieder ſelpſ. Dabei verſtand fie Griechiſch, Latei⸗ 
sit, Italieniſch und Spamiſch und machte is allen dieſen 
Gprarken huͤbſche Verſte. Cie war ein muſicirendes Genie und 
eine Meifterin in der Kanf, die zierlichſten Bilder „mit den 
Madel zu malen” .. 
. Leitist ha vols que la musigee aveme; 

Louise hs main ui text bien au kath foue; . 
mib’ in Ayrer dritten Elegie fagt fie, mas das Sticken anfange 
fo he ed in der „Rofenzeit ihrer Jugend’ volltommen 
aufnehmen können mit ber 

— — — qui, plus docts gue sage 

Avec Pallas comparoit qon ouvrage. 

Raum 15 Jahre alt, war Louiſe allgemeiner Gegenftanb 
des Stodtgefpraͤchs und der Ortsbewunderung, ebenfo geprieſen 
und gefeiert als die geprieſenſten und gefeiertfien Frauen ihrer 
Beit, Gatherine de Vauzelles, Louife Sarrazin, Pernette bu 
Suitiet, Elaudine Peronge, Ieanıe Creſte und Jeanne Gaillarde, 
Bon aun an beginnt auch das an Abenteuern aller Art uber 
reiche Leben ber Dichterin. 

Die Hinderniffe, bie Lehnwefen und Geiftichleit ehedem 
dem rafchen Bange ber Eultur in ben Weg gelegt hatten, war 
sen um diefe Beit 41542) geößtentyeie befeitigt. Biel Leben 


und Bewegung herrſchte auf Gebiete der Borihung. Das | 


BStudlium der alten Rbmer war in Italten ſchon früher aufge 
Kt, durch die and Konftantinopel nad) deſſen Yall flüchtenden 
Gelehrten warb nun auch die Sprache der Griechen und ihre 
heitece Weltanfiht daſeibſt bekannt und das neu aufgehenbe 
Licht ſtrahlte baid nach Frankreich herüber. Vornehmlich er⸗ 
warb ſich ber berähmte Eastaris, von Franz I. nad 
Yaris berufen, durch Verbreitung des griechiſchen Alterthums 
bteibende Verdienſte. Vor Kranz I. gab es vielleicht keinen eins 
zigen Branzofen, der Griechiſch verftand; nun fing man an Del 
ienift zu werden, wie man jegt Orientalift wird. Man fludirte 
die Alten mit Andacht, mit unbebingter Hingebung, mit religiös 


ung und tiebe. Die mittelalterliche 
fee felbftaufopfernder Verehrung ch mon, ouife, mach nicht 16 Tapes it, befant Ad m quch fein 


Denk- und Ginnesart befriedigte nicht mehr. Wie früher der 
Gebrauch ber Geuergewehre, die Auffindung bes Seewegs nach 
Dftindien, die Entdeckung von Amerika, die Einführung des 
Poſtweſens den Krieg, den Handel, ben Verkehr, bas ganze 
gefellfchaftlihe Leben gewendet und gewandelt, fo hatten bie Ers 
findung der Buchdruckerkunſt, die tiefere Ginführung bes roͤmi⸗ 
ſchen Redts, das Studium der alten Literaturen gegen ben Ans 
fang des 16. Jahrhunderts in Frankreich, wie In ganz Europa, 


eine mächtige Erfütterung in der Geiſterwelt bewirkt und die | 


Übereinftimmung in ber Eebensanfchauung gpifden der Kirche 
und ben Böcfigebilbeten aufgehoben. Rach ber Breiheit bes 
Gedankens, nach ber intellectuellen Smancipation aus den Ban- 
ven des mittelalterlichen Papfttbums firebten bald mit klarer 
Erkenntniß, bald in dunklerm Sehnen die Geifter, und die Pros 
duscte der claffifchen Welt wurden nur deswegen mit fo großem 
Enthuflasmus aufgenommen und fludirt, mit ſolchem Heißhunger 
verfchlungen und affimilirt, weil bie von dieſem Enthuflssmus 


ergriffenen Geifter die Befriedigung ihtes eigenen innerſten @el- | 


fledbebürfniffes in ihnen fanden, die Erloſung und das Aufers 
eBungsfeft ihrer eigenen Vernunft in ihnen feierten und bie 

* enungthuung hatten, ſich im Andern bei ſich zu fuͤhlen. 
ur das ort der Verſtaͤndigung fehlte noch und fehlte fo 

lange, bis der Moͤnch aus Wittenberg den Big in die Welt 

ſchleuderte, der in allen Geiſtern zünbere. 

. Das Mittelalter endigt, die Neuzeit hebt an. Die neuer: 


wachten Verſtandeskraͤfte, ſich trennend von ber religiöfen Ger | 


finnung und Begeiftesung, treten dominirend hervor; die Ge⸗ 


müthslräfte ruhen. —X il and Bepfithum far | 
tig waren, wo bie ſte agfertige, chriſtlich europaͤi⸗ 
und maͤchtig | j g AB: 


fe „aehosfame Mtnfäaft auf ein 2 


. | — 





haupts für Ablaßverheißungen unb.Geebitöriefe auf ben Dimmel 
ih für des gottlofen Arianismus Unterdruͤckung und des heili- 
gen Brabes Befreiung in den Kampf ſtuͤrgte; dia Deldenperiode 
bed Chriftentbums, wo die alten mythiſchen Goͤtterkriege unter 
von Wenſchen um bie Götter zuruͤckkehrten und die Weltge⸗ 
ſchichte ein zweites großes Epos, eine chriſtliche Itiabe, exhiekt, 
wozu jede ber europäifchen Nationen einen Geſang Tieferte — 
dieſes heroiſche Zeitalter ift zu Grabe gegangen; das Jahrhun⸗ 
dert ber Doctoren und Humaniſten, die kritiſche und wiſſen⸗ 
ſchaftliche Periode des Ghriſtenthums hat begonnen; alle Kräfte 
zerſplittern ſich in den unſeligen Religioneſtreitigkeiten, in bibli⸗ 
ſcher Exegeſe und ſchelaſtiſchen Spitzfindigkeiten. Es lag in der 
Natur der Sache, daß die Frauen länger als die Maͤnner bem 
bominixenden Iibergewicht des neuen Geiſtes entzogen und dem 
zurüchwirtenden Einfluß der alten Lebensanſicht verfallen blicken. 
um eben diefe Zeit fliftet GClément Marot in Frankreich, neben 
ber wiflenfchaftlichen und philotogifchen Forſchung, eine roma⸗ 
neste, galante Poeſie, welche die Damen fchuell ergreifen und 
in ihr ritterliches Denken und Fühlen verweben. Louiſe Labe 
ift das vollſtaͤndigſte Muflerbitd einer weiblichen Künftternatur, 


Eriebniffen diefer merkwürdigen Dichterin bekannt gemacht zu 


en. 
Bon entfhloffenem Charakter, lebendigem Temperament, var 
ſchem Weſen und unabpängiger Stellung, dabei für Herrens 
und Frauendienſt, Wallfahrt und Kreuzzug ſchwaͤrmend, empfand 
Eonife bald ein großes Misbehagen an dem ftillen, weichlichen 
und friedlichen Stadt: und Familienleben und entflob, als Gols 
bat verkleidet, aus dem aͤlterlichen Haufe mit den Truppen des 
Daupbin, bie auf ihrem Marfche nad) Perpignan gerade durch 
kyon kamen. Dieſer kecke dchenſtreich macht ihre Lebensbe⸗ 
ſchreiber ſehr verlegen; hoͤchſt wahrſcheinlich, ſagen ſie, hatte 
entweder ihr Vater oder ihr Bruder eine Anſtellung im Heere, 
eine wohlgemeinte Vermuthung, bie alle Anerkennung, indeß eine 
uverlaͤſſigere Gewaͤhrleiſtung verdient, als die zweideutige Aus⸗ 
* eines bewundernden Biographen. Wie dem nun auch ſein 


dung eines Kriegers, bei der Belagerung von Perpigngn (1542), 
ſchlug fich gleich den Tapferften und hieß im ganzen Lager ber 
Sapitain Loys. Kin gleichzeitiger Dichter vergleicht fie mit den 
berühmteften Helbenweibern des griechilchen und zömifehen Alters 
thums, mit Semiramis, Penthefllea, ben Amazonen u. f. w. 
Louise ainsi furieuse 
Et laissunt ion habite mols 
Des femmes, et enneleuse 
Du bruit, par les Eapagnois 
Souvent Gouras, en grand’neise 
Kt malat neeanf leur demse, 
Quand ia jeuneses fsangeise 
Perpigaen envisonus, 
Lä ua forse elle despleie 
Là de sa lanee elle ploye 
Le plus hardi asselllant, 
Bt, brave desous le selle, 
Ne demontrait rien en elle 
Que d’un chevalier vaillant. 
Orss li forte guerriöre 
Tourmait son destrier en rond: 
Ores en une carriöre 
Essayoit e’il estoit proat: 
Branlaut en flot son panache, 
‚ Soit quand elle ae jouoit 
D’une pique ou d’une hache, 
Chacun prince la loueit: 
. Puls ayant & la senestre ' 





L’sapde salute, a la desire . 


'ka üugee enriöhlu: d’er, * 
Ba s’en allant toute armde 
Ei’ semblolt parmi l'armdo 

Un Ackille, ou un Hoecter. 

Diefem galanten und brillanten Portrait fügen wir noch 
ein zweites, von ber Dichterin felbft entworfenes und- igrer 
dritten Elegie entlehntes bei: . 

Qui m’eust vu lors en armes fiere aller, 
Potter is lases, ot beis faire roler, 
Le devoir faire en l’asieur furleez, 
Piquer, velter ie cheval giorieux, 
Pour Bradameute, ou la kaute Marphies, 
Soeur de Roger, il m’eust, possible, preise. 

Siehe es die Geſchichte zu, fo könnten wir hier irgend eime 
fabeihafte Shronit hinzubidgten und ein weitläufiges Geruͤſt zu 
einem glaͤnzenden Ritterroman, nad Art der fraͤnkiſchen Chronik 
des Erzbiſchofs Turpinus aufrichten; allein bie nadte Wahr⸗ 
heit dringt und das Geſtaͤndniß ab, daß Perpignan damals vom 
Herzog son Alba vertheibigt wurbe, gegen ben alle Tapferkeit 
des Sapitain Loys nichts auszurichten vermochte. 

Der „Parnasse des Dames” behauptet: „Cupido hätte im 
Lager vor Perpignan der Louiſe aufgelauert und fie überwältigt.” 
Zebo findet biefe Behauptung bei andern Lebensbefchreibern ber 
flyönen Seilerin gegründeten Widerfprud und jene Überwaäͤlti⸗ 
gung dürfte erfi nad ber Ruͤckkehr von ber verunglüdten Be: 
lagerung Perpignans anzufegen fein. Won ben reichften Freiern 
und vornehmften Anbetern ihrer Poeſte, Schoͤnheit und Tapfer⸗ 
keit umſchwaͤrmt, weit und breit von Fremden und Einheimi⸗ 
ſchen aufgefucht, wehrte ſich Louiſe Lange gegen alle Eiche. Aber 
eines Tages, erzählt fie, habe Amor, durch hartnädige Wider: 
fpenftigkeit erboft, feinen Pfeil mit allee Macht gegen ihre 
» zarte Hülle abgebrädt, die ein viel zu ſchwacher Harniſch, um 
das Herz gegen einen Schügen zu decken, ber beftändig Sieger 
fei. Nach der erften Brefche fei Amor in den Pla& gebrungen, 
babe allen Frieden daraus gebannt, mache ihr unaufhörlich zu 
Schaffen und gönne ihr weder Raft noch Ruh. Das Alles be: 
ſchreibt fie in leicht anmuthigen und fließenden Berfen: 

— — Amour ne put louguement voir 
Mon coeur n’alınant que Mars et le scarvolr; 
Et me voulaut domner auire söuct, 

Eu »ourlant, il me diseit alnsi: 

„Tu pense donc, 6 Iyonnalse dame, 
Pouvoir fuir par ce moyen ma flame; 
Mais non ferss; j'ai subjugud les dieux 
Ee bas eufers, en la mer et da dienz.‘ 
Aiusi parloit, paie tout dehaufld d’ire 
Hors de va trouse une engette il tire, 

Bit dedcrochant de sen extresme force 
Droit la tira oontre ma tendre dooree, 
Faible harnois, pour bien ooavrir je o0eur 
Osatre l’archer qui teajeurs ost veingumıt. 
La breche falte, Amour entre on le place, 
D’oü le repos promiäremont il ehasse; 

Et le travali qu’il me denne sans came, 
Boire, manger et dormir ne me lalese. 


(Der Beſchluß folgt.) 





Literarifche Notizen aus England. 


Unter den vielen Schriftftellerinnen der Gegenwart — wie 
viele find ihrer? — gibt es doch nur wenige, weldye bie Faͤhig⸗ 
keit der Mrs. Trollope befisen, ben menſchlichen Charakter mit 
fefter, Eräftiger, unverzagter Dand zu zeichnen. Sie faßt ihren 
Gegenftand tüdhtig an, nimmt ihm ohne Scheu und Compli⸗ 
mente alle conventionnelle Hüllen ab und die Maske dazu, wenn 
er eine trägt, damit männiglich fein visage fehe, zieht ihm 
dann nöthigenfalls auch bie Haut ab, und ift das noch nicht genug, 


| Bwed, fondern zur Coloricung gebrauden. 





fochet fie Syn His auf bie Knochen und der erſſaunten BE 
die complicirte moralifike Maſchine, een er, 
Federn und Hebel, bie nitberträchtigen Motive, die anſcheinend 
fo wunderbar. edle, fo merkwuͤrdig tugenbhafte Handlungen zu 
Tage gefördert haben. In Folge diefer feltenen, mit maͤnnlicher 
Eniſchüoffen deit geuͤbten, von bitterm Sarkasmus begleiteten, 
weit feuverainer Verachtung aller gefefchafttächen ten in 
Anipenbung gebrachten Fähigkeiten ift die Trollope eine der am 
meiften mishandelten,, aber eine ber geleſenſten Novelliſtinnen. 
Afo wird auch ihr neueſtes Erzeugniß gelefen werben: .‚Har- 
rave, or the adventures of a man of fashien” (3 Be. 
Eonbon 1843). Und wer barin bie angebeuteten Eigenthuͤmlich⸗ 
keiten erwartet, kann fi ftellenweife irren. „„Dargrave, ober 
die Abenteuer eines fafhionabeln Mannes“ ift eine allerliebſte 
Liebesgefchichte, die auf einem Kelsvorfprunge am Munımelfer 
bei Baden: Baden anfängt, in den Iuftigen Salons von Parit 
fi fortfegt und gluͤcklich da embet, wo fie angefangen hat. 
Hargrade, ber eitle, ſelbſtſuͤchtige Elegant, ift ein echtes Charak⸗ 
terbild, ebenfo echt, wenn er ſich in feinen Cirkeln beivegt, beren 
Mittelpunkt er bildet, in der hoͤchſten pariſer Geſellſchaft den 


| Zon angibt und durch feine faſhionable Ertravaganz der Welt 


Sand in bie Augen Freut, als wenn er fih kruͤmmt und windet 


unter der Seelenfolter brohender Schande, freundlich Lächelt und 


Artigkeiten flammelt, während die Angft, feine verwegenen und 
gelungenen Bübereien entdeckt zu ſehen, ihm den Angftichweiß 
auf bie Stirn teeibt und bie Keble zuſchnuͤrt, er dann einfem 
und gedemäthigt auf dem alten Schloffe Gernsbach feinen hoch⸗ 
fliegenden Ptanen entjagt, ein rekigiöfer Heuchler wirb und fein 
glanz⸗ und ereignißmolles Leben in bes Abgefchiebenheit eines 
ſpaniſchen Kloſters enbigt. Gleich echte, aber lieblichere Charak⸗ 
terbilder find die zwei ſchoͤnen Stiefſchweſtern, Adele und Sabina, 
weiblicher Stolz und meiblidye Sanftmuth. Bargrave's Schwaͤ⸗ 
gerin, Madame Dautrivage, vepräfentixt bie hbeitere, luſtige 
Branzöfin, bie zwar über den großen Wendepunkt des Weibes 
hinaus, aber immer ned). eitel ift auf ihre achtſam gepflegten 
Reise. Enfin, das Buch unterhält. 


Mrs. Maberly gehört zu den modernen Rovelliſten, bie 
nicht wie der alte Walter Scott die Geſchichte als Mittel zum 
) Ein Hiftoritcher 
Roman bdiefer Gattung ift ihre „Melanthe, or the days of the 
Medici, a tale of the fifteenth century” (3 Bde., London 1843). 
Die Scene liegt in Konftantinopel unter der Regierung des legten 
Konftantin. Elphenor, von Konftantin’s Water ihm zum Bor: 
munde beftellt und, wie es ſcheint, der einzige ehrliche Mann 
in Byzanz, bat die Bunft des Monarchen verloren und ſich auf 
fein Landhaus zuruͤckgezogen. Während er bier bie falfchen 


: Regierungsmaßregeln bedenkt und bedauert, erhält er um Mit: 


ternacht Beſuch. Konflantin iſt es, der Kaifer, der ihn bittet, 
an den Hof zuruͤckzukehren. Elphenor verfpricht es und bei 
der am folgenden Tage ftattfindenden Wahl bes Oberfammers 


herrn wird das Amt zu allgemeiner Erftarrung Elphenor über: 


tragen Hierauf geht er als Gefandter zu Mohammeb ET., ber 
Konftantin’d Anträge unter der Bedingung bewilligt, daß der 
Kaifer ihm erlaube, am Geſtade des Bosporus an einer belie⸗ 
bigen Stelle fih eine Burg gu bauen. Wider Elphenor’s Kath 


' gefteht das der Kaifer zu und Mohammed wählt Eiphenor’s 


Landhaus. Run gefchieht, mas Legterer befürchtete. Mohammeb 
rüdt vor Konſtantinopel; die Stadt und der Kaffer fallm; 
Elphenor's Gemahlin, Ida, wirb in den Harem des Suttant 
geichleppt und, weil fie ihm ihre Gunſt verweigert, von ihm 


erdoicht Dies, fozufagen, der Prolog des Romans, der erft 
mit dem zweiten Bande anhebt und bas in die Geſchichte ber 


Medici verwebte Schickſal Melanthe's crzählt, Tochter Ida's 
und Elphenor's. Mit Huͤlfe von Schere, Papier und Kleiſter 


koͤnnen aus „Melanthe‘ fehr bequem ein halbes ober ganze 


Dugend Melodramen fabricirt werben. Und fie würben nicht 
die fchleihteften fein, dafern fie bem Originale gleichen, über 
welchem fein Eefer fo. leicht einſchlafen dürfte. 3. 


Berantwortliier Herausgeber: Heinrich Brockdaus. — Drud und Verlag von B. A. Brockhaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonnabend, 





Reiſeliteratur. 
Erſter Artikel. 

Seit fat einem Jahr haben ſich Reiſeſkizzen und 
Reiſebeſchreibungen auf dem kritiſchen Secirtiſche des Re: 
ferenten dergeſtalt angehaͤuft, daß er faſt verlegen und 
verwirrt dieſer baͤndereichen, bunten, in den Farben aller 
Himmelsgegenden ſchillernden Büchermaffe gegenüͤberſteht. 
Es gilt hier, in wenigen Worten Geiſt und Charakter 
der verſchiedenen Schriften anzudeuten und im lbrigen 
durch pilante Auszüge die Bücher für fich felbft fprechen 
zu laſſen; denn dies iſt der befte Prüfftein fr den Werth 
einer Reiſebeſchreibung, daß fie zu intereflanten Auszügen 
Gelegenheit bietet. Manches fonft unbedeutend fcheinende, 
in Stit und Darfielung verwahrlofe Buch enthält oft 
bier und da eine mittheilbar Intereffante Notiz, welche 
bee Beachtung werth iſt, ohne bag man dieſer einzelnen 
Motizen wegen dem Leſer zumuthen darf, fi) das Buch 
anzufchaffen und durchzuleſen. Lestere, zum Theil etwas 
mühfelige Pflicht iſt die des Berichterſtatters. Andere 
größere, auch wol durch gefaͤllige Darſtellung bemerkens⸗ 
werthe Schriften enthalten dagegen wieder eine ſo große 
Menge intereſſanter Angaben, Thatſachen oder Betrach⸗ 
tungen, daß es hinreicht, auf den Werth des Buches im 
Allgemeinen aufmerkſam zu machen, vielleicht nur eine 
einzige Probe, weiche für den Geift und die Darſtellungs⸗ 
weile des Verf. begeichnend iſt, mitzuthellen, im Übrigen 
aber dem Lefer bie Lecture des Buches zu empfehlen. 
Man begleite nun ben SBerichterflatter von Nordamerika 
nah Italien, von dba durch einen Seitenfprung nad 
Spanien, von ba nah England, von England nad dem 
Morgenlande, nad Ägypten, Syrien, Perfien, Oftindien, 
ven GSunbainfeln, dann wach Algier, endlich, nachdem 
wir eine Station in den Alpen und im Heimatlande ge: 
macht, nah Petersburg. Man ficht, die Reife if 
nicht bie Pleinfle und fchreitet in gewaltigen Sprüngen 
und Umwegen fort. Aus Achtung für ben Namen umd 
das Talent des Verf. ſtellt der Verichterflatter voran: 

1, Amerika. Von Boy (Didens). Aus bem Engliſchen von 


E. 4. Moriarty. Drei Bände. Leipzig, Weber. 1843. 
16. 1 Zhlr. ’ 


Diefe durch charaktetiſtiſche Darſtelungs⸗ und An: 
ſchauungsweiſe ausgezeichnete Reifefchrife bildet ben 40.— 
43, Theil von Bez’ ſaͤmmtlichen Werken, in der bei Weber 


in feinen Anſichten durch eigene Anſchauung beſtaͤrkt zu 
werden hoffe. Diefes günftige Vorurtheil wurde auch im 
Allgemeinen nicht getäufcht, obgleich fi Boz dadurch 
edenfo wenig, wie durch die ihm bei feinem Beſuche in 
Amerika gefpenbeten Ehren über die mancherlei Mängel und 
Schattenſeiten des nordamerikaniſchen Landes und Volks 
irrefuͤhren ließ. Indeß hätte er ohne jenes fo günflige Vor⸗ 
urtheil, ohne die ihm geſchenkte ehrenvolle Aufnahme, bie 
jeben deutſchen Schriftſteller der Gegenwart ben Kopf — 
voransgefegt, dab er Kopf hätte — verruͤckt haben würbe, 
no eine größere Anzahl von Mängeln und Gebrechen 
entbedt. Man darf gerade gegen eine Beliebte nicht 
Blind fein, aber man Liebe fie doch fo, daß dem Lichen: 
ben fogar ihre Untugenden und Unfchönheiten unwillkuͤr⸗ 
lich als Worzlge erfcheinen, und während ber Eine ober 
Andere Das ober Jenes an ihr auszufegen bat, meint der 
Liebomde, gerade dies fei ihr eigenthuͤmlichſter Liehreiz, 
man mäüfle fie nur fo innig kennen tie er — obgleich 
ee fie von Allen vielleicht am wentgfien keunt, denn fe 
mebr man eine Geliebte liebt, deſto weniger fennt man 
fie und mit der Erkenntniß nimmt fchon die Mebe ab. In⸗ 
deß iſt e6 von vornherein unmöglich, baß ein fo klar blicken⸗ 
ber ſcharfſichtiger Geiſt wis Bo; Nordamerika nicht auch 
in eingelnen Mängeln erfannt, in der Erkenntniß biefer 
feiner Gellebten Fortfchritte getban und mithin in feiner 
Liebe etwas weggelaſſen haben follte. Er wird, wenn er 
aufrichtig fein will, geſtehen müflen, daß auch Noerdame⸗ 
rika ein ariſtokratiſches Land tft (von ben ſuͤdlichen Skla⸗ 
venſtaaten gibt er es ohnehin zu), wenn auch die Ariſto⸗ 
kratie aus ganz andern Glementen befteht als in Eng: 
land, baß aber die nordamerikaniſche Ariſtokratie, ald aus 
den engberzigen Elementen des Gelberwerbes und Geld» 
befige® hervorgegangen, beiweitem ben Schwung, die geiftige 
Größe, die edelmaͤnniſche Tugend nicht hat wie die eng» 





liſche. Was Nordamerika für die Ausgleichung der Stände 
— denn feine Ariftokratie bilder bei bem ewigen Wech⸗ 
fel, den die Geldſpeculation bedingt, keinen eigentlichen 
Stand — für alle Principien bes Gemeinwohls und ber 
Gemeinnuͤtzigkeit, für alle materiellen Intereſſen gethan, 
sft fo ruhmvoll, dag man darüber kein Wort weiter vers 
tieren darf; aber wo ift feine Kunft, feine Poeſie, diefe 
feinduftigften Blüten eines gebildeten freien Volks? wo 
auch nur die gefühlvolle Poefie im gefelligen Verkehr? 
und was hat es auf dem Felde der Wiſſenſchaften, nas 


mentlich der fpeeulativen, fo Großes gethan? Iſt bei dem. 


Deutfchen zw viel Theorie, fo iſt bei dem Nordamerika: 
‚ner zu viel Praxis, obgleich diefe gerade die Göttin iſt, 
vor welcher die moderne Menfchheit auf den Knien liegt. 
Ya einigen Jahrhunderten wird auch Nordamerika fein 
Mittelalter und mit ihm eine Menge Misbräuche haben, 
welche ihm vielleicht ebenfo viel Befchwerden machen wer: 
den, als und bie Misbraͤuche und Mängel, bie unfer 
Mittelalter uns überlieferte, 

Der Berichterftatter hat mande Hypotheſe über bie 
säthfelhafte Zukunft Nordamerikas auf dem Herzen; er 
muß aber fo geſchwind als möglich abbrechen, um zu Boz 
zuruͤckzukehren. Seiner edein menfchenfreundlichen Ges 
muͤthsrichtung gemäß laͤßt fi Boz keinen Gang vers 
drießen, um in Nordamerika die Stätten bes menſchlichen 
Elends, die Krantens, Iren: und Gefangenhäufer kennen 
zu lernen. Tiefruͤhrend ift 5. B. bie Erzaͤhlung von 
Laura Bridgman, die, nachdem fich ihre Intelligenz raſch 
entwidelt, von einer furchtbaren fünf Wochen lang wuͤ⸗ 
tbenden Krankheit ergriffen wurde, wobel fi Augen unb 
Ohren entzindeten und deren Inhalt auslief. Erſt im 
vierten Jahre erlangte fie ihre vollkommene Geſundheit 
wieder, aber fie war blind, taub und flumm, ihr Ge: 
zuchefinn gänzlich zerſtoͤrt, ihr Geſchmack abgefiumpft und 
nur der Gefühle: und. Taftfinn war ihr übrig geblieben 
als der einzige finnliche Rapport zwifchen ihe und ber 
menfchlichen Geſellſchaft. Wie man ihr aber durch bies 
fen ihr allein übriggebliebenen Sinn been und Kennb 
aiffe zuführte und fie fogar fehreiben lehrte, dies iſt fo 
merkwürdig, daß wie ben Lefer auf das Buch vermeifen 
muͤſſen, da es une offenbar zu weit führen würde, wenn 
wir den alimäligen Bildungsgang ded armen Mädchens 
and bie babel zur Anwendung gelommene Methode hier 
mittbeilen wollten. Boz befchreibt ihre aͤußere Erſchei⸗ 
nung folgendermaßen: 

Ihr Anttig ſtrahlte von Intelligenz und Vergnügen. Ir 
aar, von ihren eigenen Bänden geflochten ,‚ war um einen 
pf gefchlungen, deſſen geiftige Faͤhigkeiten in dem fchönen 

Contour und ber hoben freien Stirn herrlich ſich ausbrüdten; 
ihr Anzug, von ihre felbft georbnet, war ein Muſter der Nettigs 
keit und Ginfachheit; bie Arbeit, an ber fie eben geſtrickt, rubte 
neben ihr; ihr Schreibebuch ag auf dem Pulte, auf das fie fi 
fü Gleich den andern Bewohnern bes Haufes hatte 
fie ein grünes Band um ihre Augen gebunden. Cine Yuppe 
die fie angekteidet hatte, lag neben ihr auf dem Boden. J 
bob Died Spielwert auf und fah, daß fie ein grünes Band, 
wie fie felbft trug, gemacht und ber Puppe um bie Augen ges 
bunden hatte. 

Segen das Spftem ber einfamen Abfperrung ber Ges 


fangenen erklaͤrt ſich Bez mit jener edeln Wärme, die 
ihm, dem Anwalt bes Eienden und Ungluͤcklichen, eigens 
thuͤmlich il. Beine Schilderung der in folchen einſamen 
Zellen Begrabenen, welche er befuchsweife kennen lernte, 
ift ebenfo maleriſch und lebendig als ergreifend. . Die 
Schlußbemerkung theilen wir mit: 

Auf dem hagern eingefallenen Antlig eines jeben biefer Ges 
fangenen tag berfeibe Ausdrud. Ich weiß nicht, womit ich ibn 
vergleichen fol. Er hatte etwas von jener gefpannten Auf 
merkſamkeit, die wir auf den Geſichtern der Blinden unb ber 
Tauben ſehen; gemifcht mit einer Art von Entſetzen, ats Hätte 
man fie im Geheimen erfchredt. In jeber Heinen Kammer, bie 
ich betrat, und an jedem Gitter, durch das ich fah, glaubte ih 
baffelbe graufende Antlig zu ſchauen. Es tebt in meiner Erin 
nerung, wie mit der Bauberkraft eines merkwuͤrbdigen Bilbes. 
Fuͤhrt mir hundert Menſchen vor, und wenn nur Einer ben 
unter iſt, ber nicht lang aus einer ſJolchen einfamen Zelle bes 
freit it — ich will ihn augenblidtich erkennen. 

Die traurigen Folgen biefes allen Geiſt und ſelbſt die 
Sinne, namentlich den Gehörfinn, abflumpfenden, mehr 
als die Todesſtrafe peinigenden Syſtems des Schweigens 
und ber einfamen Abfperrung find von Boz fo überzen 
gend ans Licht geftellt, daß ſowol die Unzweckmaͤßigkeit 
ale Unmenfchlicykeit diefes Syſtems auch von Denen ers 
kannt werden müfien, die e8 bisher wenn auch nicht für 


das menfhlichfte, doc für das zweckdienlichſte gehalten 
haben. 

Hat die Erfahrung, ber Augenfchein Boz zum Geg- 
ner der einfamen Abfperrung gemacht, fo iſt er natürlich 
fhon von Gemüthsart und aus Princip Gegner der Skla⸗ 
verei, jener offenen Brandwunde am Körper der vereinigs 
ten Freiſtaaten, in die man nicht erſt die Finger zu le⸗ 
gen braucht, um ſich von ihrem Vorhandenſein zu übers 
zeugen. Mit zornbegeifterten Worten bounert Boz gegen 
bies alle Phraſen von norbamerikanifcher Freiheit und 
Philanthropie Lügen ftrafende Syſtem: 

Die elende Ariftofratie einer unechten Republit — ruft ex 
aus — erhebt ihre Stimme und zuft: ‚Die tliche Meinun 
ift mächtig genug, um ſolche Grauſamkeiten zu verhindern, wie 
Sie anführen.” Öffenttice Meinung I Ja, bie Öffentliche Mei⸗ 
nung in den Sklavenſtaaten iſt für die Eflaverei! Iſt es nicht 
wahr? Die öffentliche Meinung in den Sklavenſtaaten bat bie 
Sklaven in bie barmberzigen Hände ihrer Derren gegeben. Die 
öffentliche Meinung hat die Geſetze gemacht und ben Sklaven 
ihren us verweigert. Die dffentlidhe Meinung bat Dornen 
in die Geißel geflochten, das branbmartchde Eiſen gegiäbt, Die 
Buͤchſe geladen, den Mörder gefüst. — — Die Öffentliche 
Meinung hat vor wenigen Jahren in ber Stadt St.:ouis einen 
Sklaven am langfamen Feuer geröftetz unb bie dffen Meis 
nung bat bis auf dieſen Tag jenen ehremverthen Richter im 
Amt erhalten, der den Gefchworenen, die zufammenberufen wes 
ven, um über die Mörder zu urtbeilen, erflärte, baß ihre ſcheuſ⸗ 
liche That eine Äußerung der öffentlichen Meinung fei und baß 
fie demnach nicht beſtraft werben koͤnne durch die @efege, weiche 
die oͤffentiiche Meinung geſchaffen hätte. Die öffentlide Mei⸗ 
nung war es, welche dieſen Lehrſag mit einem Geheul wilben 
Beifalld begrüßte unb die Gefangenen befreite, daß fie herum. 
gingen in der Stadt als Männer von Anfehen und Ginfiuf, 
wie fie vorher gewefen waren. 


Wir laſſen bier einige ber bezeichnendflen Zeitungs: 
annoncen folgen, worin entflohbene Sklaven mit ber res 
beften und ſchaͤndlichſten Aufrichtigkeit fignalifict find und 
deren Boz eine große Anzahl zufammengeftellt bat: 


ai en 23 


Guifisfen, Vie Negerin Garoline. Hatte ein eiſernes ‚Halte 
band an, mit einem einwärts gekruͤmmten Gifenflachel. 

Davongelaufen, ein Negeriunge, etwa zwoͤtf Jahre alt; 
trug ein Hundehalsband mit „De Lampert‘' barauf eingegraben. 

Davongelaufen, ein Negerweib und zwei Kinder; wenige Tage, 
ehe fie entflob, brannte ich fie mit glühendem Gifen auf die linke 
Wange. Ich habe verfucht, den Buchſtaben M auszubrüden. 

Entfiohen, ein Neger, Henry; das linke Auge iſt auöges 
ſchlagen, bat auf und unter dem linken Arm Dolchſtiche und 
vigle Narben von ber Hegpeitſche. | 

Durchgegangen, eine Negerin, Rachel. Bat alle Zehen an 
ben. Füßen, außer ber einen großen Behe verloren... — 

Davongelaufen, ein Neger, Arthur. Hat eine große 
Schmarre über Bruſt und beide Arme, von einem Meflers 
ſchwatt immer von Gottes Allgüte. 

Entfiopen, Sam. Iſt vor kurzem durch bie Hand geſchoſſen 
und bat mehre Schußwunden in ber linken Seite und im linken Arm. 

Entflohen, bee Reger Homer. fernen 
um den linten Zuß. Ditto Grife, fein Weib, mit Ring und 
Kette am linken Bein. 

Entflopen, ein Negermaͤdchen, Mary. Bat eine Kleine 
Narbe über dem Auge, mehre Zähne ausgefchlagen, den Buch⸗ 
flaben A auf Stirn und Wange eingebrannt. 

Entflohen von der Pflanzung des James Gurgette, fol: 
gende Neger: Ranbel, hat ein Ohr geflusts Bob, bat ein Auge 
verloren; Kentudy Tom, hat ein Kinnbadtenbein gebrochen. 

Funfzig Dollars Belohnung für den Fluͤchtling Sim Blake. 
An jedem Ohr ein Stuͤck abgefchnitten und den Mittelfinger 
ditto bis zum zweiten @liebe. Ä 

Sünfunbgwanzig Dollars Belohnung für die Negerin Sally. 
Sie geht, als wäre fie zum Krüppel geſchlagen. 

Davongelaufen, ein Neger, Namens Ivory. Bat ein klei⸗ 
nes Stüd von jeder Ohrſpitze weg. 

Und fo Wunde auf Wunde, Narbe auf Narbe, 
Brandmal auf Brandmal, Verſtuͤmmelung auf Verſtuͤm⸗ 
melung Man fieht, daß die Plantagenbefigee für jene 
befondern Kennzeichen zu forgen wiſſen, die in unfern 
Signalements fo oft fehlen, weil wir die Natur alten 
walten Laffen und feine künftlihen Mittel in Anwen: 


dung bringen. 
(Die Kortfegung folgt.) 





tere franzöfifche Literatur. 
Louife Lab. 
(Beſchluß aus Nr. 146.) 

Die erſte Eiche Louiſens fiel auf einen armen Ritter von 
unbebeutenber Herkunft, ber im franzöfifchen Deere in Italien 
Biente und feinen Igoner Schaf bald vergaß. Dieſes ungluͤckliche 
Liebesverhältniß verbreitete einen ſchwermuͤthigen Anflug über 
Louifens ganzes Leben, verlieh ihr aber einen ſchoͤnen Iyrifchen 

ung und begeifterte fie zu mehren ungemein rührenben Klagen 
im elegiichen Genre. Hier eins von ihren Bonetten als Probe: 

Tant que mes yeux pourront larmes repandre, 
Pour Fheur passd avec toi regretter, 
Et que pouvant aux soupirs rösister, 
Pourra ma veiz un peu so falro emiendre; 
Tant que ma main pourra les cordee tendre 
Da miguard luth, pour tes graces ohanter; 
Tant que V’espris voudra eoontenter 
De ne veuloir rien, lors que tel onmprendre; 
Je ne seuhalte emeore polnt mourir: 
Mais quand mes yoaxı je sentirsi tarir, 
Me voiz enssce et ma main impulssante, 
Et men esprit en ce mortel sdjear, 
Ne pouvant plus montrer signe d’amante, 
Prirai ia mort de me ravir le jour. 


Hat einen eifernen Ringe 


Eben darauf bericht ſich falgende wmerkwaͤrdige Quelle zus: 
einer ihrer Gtegien, bie zugleich als Beleg dienen mag für ben 
außerorbentlichen Ruf, worin bie fhöne Beilerin zu Lyon, bie 
zweite Sappho, wie fie von ihren Gchmeichlern genannt wurde, 
nicht blos in Frankreich, fondern auch im Auslande fand, zu 
jener blühenden Zeit, wo huͤbſche Verſe fo enthufiaftifche Vers 
ehrer erweckten und ben vertrauteften Umgang mit Königinnen, 
Prinzeffinnen und den vornehmften Damen leinteiteten. Rouife 
wendet fi an ben treulofen Freund: 

Deja deux fois, depuis le promis terme 
De ıon retour, Phebo ses cornes ferme,) 
Sane quo do bonne ou mauvalue ferlune, 

De toi, ami, j’ale nouvelle aucune, 

SI toutefois, peur estre enamourd 

Es on autro lies, tu as tamt demoure, 

Si scais- je bien que t'amie nouvelle 

A peine aura je renom d’asitre telle, 

Soit en vertu, beaute, grace et faconde, 
Comme plusieurs genu »savants par le monde 
M'ont fait & tort, ce eroy-je, estre estimee; \ 
Mais qui ferait tsire la rosemmee ? 

Non seulement en Franse suis fattde 

Et beaucoup plus que ne veax exaltee; 

La terre aussi quo Alpe et Pyrende 

Aves la mer tienneut envirennde, 

Du large Rhin les roulanies ardnes, 

Le bosu pays auquel or te promeönes, 

Ont entendu (ta me l'al fait nocroire) = 
Que geus d’esprit me dennent quelgue gloire, 
Gouste le bien que tant d’hommes desirent; 
Demeure au but oü tant d’autres aspirent, 
Et crois qu’ailleurs n’en suras une telle, 

Je ne dis pas qu’elle ne solt plus belle; 
Mais que jamais femme ne t’aimers, 

Ni plus que moi d’honneur te portera. 
Maints grands seigneurs d men amour pretendent, 
Et a me plaire et servir prests se rendent; 
Joustes et jeux, maintes belles devises 

En ma fsvour sont par eux entreprises, 

Et neanmoins, tant peu je m’en soucie, 

Que seulement ne les en remercie. 

Tu es tout seul test mon mal et mon bien; \ 
Avec toi tout et sans toi je u’al rien; 

Et n’ayant rien qui plaise & ma pensde; 

De tout plaisir je me vois delaleude; 

Et poar pleieir, ennui salsir me vient: 

Le regretter et pleurer me convient; 

Et sur ce point j'entre en tel deconfort, 
Que mille fols je souhalte la mort. 

Ainsi, ainsi, ton absence lolntaine, 

Depuis deux mois, me tient en cette peine, 
Ne vivant as, mais mourant d’un amour, 
Lequel m’occit dix mille fois le jour. 
Reviens doac tost, si tu as quelque envie 
De me revoir oncore un conp en vie; 

Et si la mort, avant ton arrivde, 

A de mon corps l’aimante ame privde, 
Au-moine un jour viens, habill6 de deull, 
Environner le tour de mon cercueil. 

Que plust à Disn que lors fussent trouves 
Ces quatre vers en blanc marbre gravds: 
„Par toi, aml, tant vecue enflammde, 

Qu’en lenguissant par fen enis oonsumee, 
Qui oouvo eneore sous ma cendre embrasde, 
Si ne la rends de tes pleurs zpaisde.“ 

on ihrem Geliebten verlaflen und von Bewerbern ges 
brängt, entſchied ſich Louiſe endlich fär einen Gatten und hei⸗ 
zathete ‚ben reichen Geilermeiftes Gnnemond Perrin. Das 
ſchmuckloſe Haus auf ber Höhe von Kourvieres wurbe nun mit 


einer prädktigen Wohnung in der Rue Comfort vertauſcht, wo 
Bonife Babe täglich bie geiſtreichſten und galanteften Maͤnner in 
Soon um fich verfammelte und als Königin von Geiſtes Gua⸗ 
gen ſtets von einem glänzenden Hofe gleichzeitiger Gelebritäten 
wngeben war. Hoͤtel und Park Gnnemond Perrin's gehörten 
den größten und fchönften in Lyon; Armibens Eufthaine find 
bei Zaffo Fein fo himmliſcher Aufenthalt als Louife Labe's Luft 
wätbchen bei einem gleichzeitigen ungenannten Dichter. Tauſen⸗ 
derlei Reize und Lodungen nahmen alle Sinne gefangen; weiße 
Lilien verzierten Majoranrabatten, mit Thymian eingefaßt, in 
grünen, von Druscatweinlaub uͤberwachſenen Bogengäangen, an 
deren Ränder Rosmarin und Rofengebuͤſche hinaufrankten. Oli⸗ 
venfetlinge, allerlei austänbifdde Pflanzen und Gewaͤchſe fproßten 
in Baumſchulen in der herrlichſten Sonnenlage; im ‚Hintergrund 
des Gartens umfchattete verflohlenes, beimliches GSebuͤſch und 
verfchwiegenes, düfteres Laubwerk einen bepolfterten Hafen, wo 
fih am liebenden Herzen fo ſuͤß die ganze Welt vergaß; im 
Mittelgrunde WBatdpartien, von Nachtigallen, grünen flingen 
und andern Gingnögeln belebt; überall Springbrunnen, ge: 
ſchmuͤckt mit Ritterfporn, Maaßliebchen, Ringelblumen, 
D’herbe tousioeurs vordoysute, 

Peinte de diverses Beurs, 

Qui ou l’eau desondeyante 

Mesloient leurs belles eouleurs. 

Duverdier in der „‚Bibliothdque frangaise” ift nicht gut 
zu fprechen auf Louiſe Babe und fucht ihe mit aller Gewalt etwas 
anzubhängen und abzuſtreiten; er fagt, fie wäre allzu galant und 
gar nicht fchön, und bie Männer von Geiſt, weiche fie an fi) 
gezogen, wären blos durch eine ſchoͤne Buͤcherſammlung unb 
durch „Gollationen von ausgeſuchtem Naſchwerk in ihrem Kreife 
feftgehalten worben. Diefe gehäffigen Spiitterridhtereien rühren 
HE wahrſcheinlich von neibifchen Keinbinnen her, benen Dus 
verbier als gefälliges Werteumbungsorgem diente. Denn bie 
ſchroff entgegengefehten Meinungen und Wetheile über bie Ber: 
dienfte und Vorzüge aller geledrten und dichtenden Frauen bes 
16. Jahrhunderte iaſſen vermuthen, daß zwiſchen den damaligen 
ſchoͤngeiſtigen Girkeln Lebhafte Feindſeligkeiten obmwalteten und 
die Literaturhiſtoriker nicht ganz unbefangen ihre Stimme ab» 
gaben, wenn es fich um gleichzeitige Getebritäten handelte, die 
nicht zu ihrer Goterie gehörten. 

Louiſe Labe hatte zu viel Yreunde, um ihre de zu 
fuͤrchten; ausgelaflen und neckiſch, foberte fie oft unvorfichtig ober 
maliziös den unverföhnlichften Hab heraus. Die Damen von 
Lyon vergaben ihr nie ben ihnen zugefchleuberten Vorwurf der 
Unwiffenheit und Fridolitaͤt; und nicht ſowol ‚aufgebracht über 
Louiſens Eriegerifche und galante Abenteuer, als erboft über bie 
unverhohlen geäußerte Geringſchaͤtung, rächten fie ſich durch Auf 
hetzung aller Schriftſteller, die Eouife von ihrem Hofe entfernt 
hielt und deren Huldigungen fie verſchmaͤht oder befpättelt hatte. 
Duverdier und Galvin (denn au Calvin hat ihr in feinen 
„Tractaͤtchen“ ſtarke Grobheiten aefagt) gingen aus verſchiede⸗ 
nen Gründen auf die gegen Louiſe Labé angezettelte Gabale ein, 
und Bayle bat Duverdier’ Angaben auf Treue und Glauben 
angenommen. Louife ſchadete fich vollends durch den unbeſon⸗ 
nenen Freundſchaftoͤbruch mit der eiferfüchtigen Giemence be 
Bourges, der Tochter des Finanzgenerals in Piemont, Herrn 
von Myons im Dauphine u. f. w., einem Edelfraͤulein von 
größtem Ruf und vornehmfter Verſchwaͤgerung mit den erſten 
Kamilien in Lyon. 

Was auch ihre Verleumder unb Verkleinerer von ihrem 
‚allzu großen Bange zur Galanterie, von ihrem unbebeutenden 
Werth als Dichterin fagen, fo viel fleht feft, daB Louife Labe 
in der poetiſchen Literatur des 16. Jahrhunderts einen ehren: 
vollen Plag einnimmt und verbient. Es bedarf nur ber Lecture 
ihrer Schriften, um Lonife Labe ats Dichterin gu lieben unb 
hochz 3 die guͤnſtigen Verichte der Zeitgenoſſen, weiche 
ihr im Leben nahe Banden, find völlig überflüfllg und bie boͤs⸗ 
willigen Anfchulbigungen, welche Duverbier unb nad ihm Baple 


über fie haben drucken Iaffen, fallen in ben Augen ber Urkheila 
fähigen wol nar auf weibiſche Meinbinnen, vielleicht auf fein 
ftellernde rauen und Rebenbuhlerinnen zuruück; c’est que ces 
dames filaient aussi, wie Lafontaine fagen würbe. 

Die ältefte Ausgabe ber Werke Louiſe Labers iſt 1556 zu 
Enon gebrudtz ebendaſelbſt wurde vor ungefähe 15 Jahren eine 
neue Ausgabe veranflaltet. Louiſe LabE wibmet ihre Schriften 
ber Giömence de Bourges; in einer kurzen Vorrede aͤußert fir 
den Wunſch, die rauen möchten ir endlich ber Vormundſchaſt 
entwinden und in Kunft unb enfchaft mit ben Maͤnnern 
wetteifern. Das Thema ift wicht neu, und obſchon ſich das 10. 
Jahrhundert die Ehre dieſer Salanterie beimißt, fo Haben oh 
Guillaume Poſtel, der Skeptiker Cornelius A und neuer: 
sich der Akademiker Thomas dieſes liebenswuͤrbige Yaraboron in 
Frankreich abgehandelt. Zu einer Zeit, wo bie Daͤnner BVerſe 
madıten wie bie Weiber, Eonnten biefe übrigens gang fuͤglich 
eine hohe Stelle in dem flatterhaften Parnaſſe anfı ER, 


wo 
"Sean be la Taille, Etienne Dolet, Mellin de Saint: &alsis 


und Ellment Marot faßen. 

Hätte Louife nichts Hinterlaffen als ihre kleine Gebict- 
fammlung, fo verdiente fie deswegen allein ſchon Ruf und Ras 
men. „Le debat de folie et d’amour‘’ wirb von allen Bios 
grapben als ihr vorzuͤglichſtes Gedicht gerühmt, und es gibt in 
der That nicht Leicht etwas Artigeres als diefes Kleine Drama, 
in Form einer gerichtlichen Verhandlung, wo Jupiter präfs 
dirt und Apollo bie Liebe und Mercur bie Thorheit mit dem 
beredteften Eifer vertheibigt. Won den gewichtigen Gründen 
ber beiden Sachwalter betroffen, wagt ber vorfigende Richter 
feinen Urtelöfprud zu Gunften einer ber betheiligten Parteien 
zu fällen, und vertagt bie hochwichtige Angelegenheit auf drei- 
mal fiebenmal 900 Sabre, bedeutet indeß ben flreitenben Par⸗ 
teien fo lange in Frieden und Eintracht zu leben, und daß bie 
Thorheit inzwifchen bie blinde Liebe überall hingeleiten und ihre 
treue Fuͤhrerin fein folles — ein ebenfo geiftreich erdachter als 
unerwarteter Beſcheid. 

In Ruͤckſicht auf Innern Werth, Raivetät bes Gefkhis, 
Zrefftichleit der Borm und Energie bes Gtüs find zwar die Ge⸗ 
dichte der Louife Labe — mit denen ber Gotilbe be 
Surville (geb. 1405, geft. 149%) zu vergleichen, zeichnen ſich 
aber durch Wahrheit ber Empfindung, liebenswärbige Rachlaoͤſ⸗ 
figteit, leichte Anmuth und auch in technifcher Weyiehung aufs 
vortheilhaftefte von denen ber meiften ihrer Beitgenoflen aus 
und bezeugen eine für bie damalige Zeit ungewöhnliche Geiſtes⸗ 
bildung. Anftatt über Louiſe Labe's Werth als Dichterin uns 
bier weitlaͤufig auszulaflen, theilen wir zum Beſchluß noch ihr 
legtes Sonett mit, worin fie fich gegen ihre Feindinnen wegen 
bes an ihr getabelten Danges zur Salanterie auf eine vibe 
sende Weife entſchuldigt: 

Ne roprenes, dames, si j'ay aymd; 

Si jay senti mile torches ardentes, 
Mile travauı, mile douleurs mordanies: 
Si en plouraut j'say mon tems oomsume. 

Las! que men nom m'en seit par vous blasmd; 
Si j'ay failli, los peines sont prösentes ; 
N’sigrisses point lcurs peintes vielenten : 
Mais estimes qu’ Ameur, à polat nommd, 

Saus votre erdeur d’um volsan eXouser, 

Sans la beaute d’Adonis sesuser, 
Pourra, #il veut, plgs vous rondre amenscusss, 

Et ayaut moins que moy d’oocasion, 

Et plus d’estrange et forte passion : 
Ei gardez vous d’estze plus malheurenses. 

Ich weiß nicht, welcher franzöflfche Dichter bes voriem 
Jahrhunderts dieſe allerlichften Verſe zugeflugt und verflümmelt 
bat, um fie bem poetifchen Toiletten « und — Oefänad 


ber Damen ber Regentihaft geniehbar zu machen. 


VBerantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Druck und Berlag von J. A. Brodbaus in getpzig. 





Blätter 


für 


literarifbhe Unterhaltung. 


\ 





Sonntag, 


28. Mai 1843. 





KReifeliteratur. 


Erfier Artikel. 
(Bortfegung aus Nr. 147.) 


Menden wir und zu beiten Schliderungen, fo if 
es namentlich die meifterhafte Schilderung der Seektank⸗ 
heit, welche im erſten Bande als ein komiſch⸗ tragifches 
Genrebild hervortritt. Huͤbſch iſt auch folgendes Ge: 
fprädy, welches Boz in einer Kutfche zu feinem hoͤchſten 
Ergögen mitanhoͤrte. Ein Here mit einem Strohhut 
guft aus dem Wagenfenfer: 

Strohhut (zu dem unterfeäten Hörer mit dem braunen 
Hute). Ich rathe, das iſt Richter Zefferfon, nicht? 

Braunhut (ſchaukelt fi immer noch und fpricht fehr 
langfam und ohne alle Betonung). Yes, ir. 

Strohhut. Warmes Wetter, Richter. 

Braunhut. Yer, Sir. 

Strohhut. Hatten ein paar kalte Zuge letzte Woche. 

Braunhut. Yes, Sir. 

Strohhut. Yes, Sir. 

Eine Paufe. Sie betrachten einander mit fehr ernſthaf⸗ 
tem Geficht. 

Strohhut. Ich rathe, Ihr habt bie Sache mit dem 
Gemeinderichter jest abgemadt ? 

Braunhut. Yes, Eir. 

Strohhut. Wie fiel das Verdict aus, Sir. 

Braunbut. Kür den Angellagten, Sir. 

Strobhut (fragend), Yes, Sir? 

Braunhut ‚betheuernd). Yes, Sir. 

Beide (nachdenkend und auf den Boden blidend). Yes, Sir. 

Wicder eine Paufe; fie fehen ſich wieder an, noch ernfter 
als vorbin. 

8 H aunhut. Die Kutfche kommt heut ein Bischen fpät, 
rath' ich. 

Strohhut (zweifelnd), Bes, Cir. 

Braunhut (die Uhr herausziehend). Yes, Sir; faft zwei 
Stunden zu ſpaͤt. 

Strobhut (zieht die Augenbrauen in größtem Erſtaunen 
in bie Höhe). Yes, Gir. 
v Zaundut (entſchieden, indem er die Uhr wieder einſteckt). 

es, Sir. 

Alle übrigen Innenpaſſagiere (unter ſich). Yes, Sir. 

Kutfcher (fehr mürrifh). '6 ift nicht wahr. 

Strohhut (zum Kutſcher). Nun, ich weiß nit, Sir. 
Es hat ziemlich lange gebauert mit den legten 15 Meilen. 
Das ift Factum. 

Da ber Kutfcher nicht antwortet und offenbar Feine Luft 
bat, über eine Sache zu flreiten, die ibm fo ganz und gar 
gleichgültig if, fo fagt ein anderer Paffagier: „Yes, Sir; wor⸗ 
auf der Herr mit dem Strobhut in Anerkennung feiner Höflich 
Leit erwidert „Yes, Sir!" Dee Strohhut fragt hierauf den 


Braunhut, ob er nicht meine, daß die Kutfche, in ber er fiße, 
neu fei? worauf ber Braunhut abermals erwibert: „Yes, Sir!” 

Strohhut. Ich glaubte e8 auch. Ziemlich flarker Fir⸗ 
nißgeruch, Sir? 

Braunhut. Ye, Sir. 

Alle übrigen Innenpaffagiere Yes, Eir. 

Braunhut (zu der Reifegefellfchaft überhaupt). Des, Bir. 

Man fieht, daß es den NMordamerikanern ein wenig 
an Ideen und Worten fehlt und daß ihre Unterhaltung 
ohne ihr Jangmeiliges Yes gar ein belebendes Princip 
baben würde. Aber auch bei Boz muß man, nie in 
ben meiften tagebuchaͤhnlich fortfchreitenden englifchen Reis 
febefchreibungen manches weniger Intereſſante und ſogar 
Zriviale mit in den Kauf nehmen. 

2. Ruͤckblicke auf Amerika, oder: Belenntniffe eines ausgewans 
berten Poeten. Von F. R. Eylert. Drei Bände. Brauns 
ſchweig, Meyer sen. 1841. 8, 4 Thlr. 

Mit einer geroiffen Leichtigkeit und Leichtfertigkeit eis 
ned modern vagen Talents gefchrieben, enthält dies Buch 
erſt im zweiten Bande einige beachtenswerthe Notizen 
über des Berf. Aufenthalt in Amerika. Ob er feine 
eigenen Schickſale oder die eined Freundes fchlldert, ob 
dieſe Schickſale, worauf ihr ausgeprägt noveNiftifcher Cha⸗ 
rakter zu deuten ſcheint, nicht zum Theil erdichtet oder 
erlogen find, bleibe dahingeſtellt. ebenfalls geht der 
ausgewanderte Poet fehr aufrichtig zu Werke. Er fchils 
dert uns im erflen Banbe feinen Lebenslauf in Berlin, 
der ſich durch feine eigene Schuld ſehr mislich geftaltete, 
feine unglüdlicye Verheirathung, die erfolgte Eheſcheidung 
u. f. w., feine Schmauferelen in Hamburg, feine liber: 
fahrt von bier nach Neuyork, er nennt fich felbft einen 
finnlihen Menſchen, den von früher Jugend auf ein uns 
widerflehliher Drang fort und fort in die Wirthshaͤuſer 
gezogen babe, der aus Sinnlichkeit immer feig gewefen 
fei und auf der Univerficdt jedes Duell, wie auch ſpaͤter 
jedes Flußbad aus Furcht vermieden babe u. f.w. Das 
bei viel müßiges Din= und Hergerede über Dichter und 
Dichtkunſt, über Dies und Jenes, über Etwas unb 
noch Etwas. Manche Gitate zeugen von der claffifchen 
Bildung des Verf., obgleich Darftelung und Stil gar 
feine claffifche Sediegenheit, vielmehr nur den zweideuti⸗ 
gen Charakter moderner Loderheit und Zerfahrenheit has 
ben. Mitten unter wuͤſtem und lofem Geſchwaͤtz ſtoͤßt 
man plöglih auf eine überrafchend richtige Bemerkung, 


auf Spuren eines ſchoͤnen, wahren, tiefen Gefühle, was 
uns um fo mehr beweift, der ausgewanderte Poet, wahr: 
ſcheinlich Eylert ſelbſt, fei eine wohl unterrichtete, aber 
ducch falfhe Erziehung misleitete, durch Sinnlichkeit, durch 
baltiofe Grundſaͤtze, durch Die zerflörenden oder abſchwaͤ⸗ 
henden Einfläfle der Zeit getrühte, aus ihren Wurgeln 
geriffene, mit fich zerfallene, aber von Haufe aus gut or: 
ganiſirte und für Beſſeres befähigte und berufene Perföns 
lichkeit. Dabei ift er Katatift, feine Anficht iſt: was fein 
ſoll — muß geſchehen! Und zur Bewahrheltung erzählt 
er folgenden allerdings intereffanten Fall: 

Sch kannte einen außerordentlich ehrbaren unb gefegten 
Mann, welcher durchaus keine Anlage zu Verbrechen verrieth 
und dem doch jedesmal der Anblid eines Sefangenhaufes ein 
fo graufenhaftes Sntfegen zuzog, daß er In Krämpfe fiel. Und 
diefer- ebrbare gefegte Mann ift als gemeiner Verbrecher im 
Zuchthauſe geflorben. Wir koͤnnen uns dergleichen bunfle väthfels 
hafte Gefühle nicht erklaͤren — fegt der Verf. hinzu —, aber es hat 
Alles in der Welt einen innern gebeimnißvollen Zufammenhang- 

Sewiß mehr Zufammenhang als des Verf. Charakter 
und vorliegendes Werl, Am beften laſſen fi bie Par: 
tien lefen, in denen gr die vielen Unglüdsfälle erzähle, 
welche ihn in Nordamerika trafen. Überhaupt ſchildert 
er und Nordamerika als ein Nahrftüd der flaatlichen 
Einrichtung und des gefelligen Verkehrs: 

Alle noch fo unfchuldigen Vergnügungen und Ergoͤtzungen 
des Lebens find Verbrechen und Krivolitäten in biefem Lande 
der Freudloſigkeit. Ich frage, was übrigbleist? Sind wir in 
einer Welt des Todes oder des Lebens, in einer Schöpfung ber 

reube oder der Trauer? Diele Kopfhängerei führt die Republik 
cher nicht zur Ewigkeit. 

Und ferner: 

Niedrige Sefinnung, Lug, Trug und unbegrenzte Habſucht 
find auch heute die natürlichen und unvermeibliden Wirkungen 
des Krämergeiftes, der wie eine Sündflut bie Tiefen und Hoͤ⸗ 
ben der amerilanifchen Gefellfegaft uͤberſchwemmt. Jede uns 
ſchaͤdliche Leibenfchaft, jedes moraliſche Gefuͤht ftumpft ſich ab in 
dem täglichen Tagen nach möglichft großem und unmittelbarem 
Gewinn. Jedes Verbienft, jede empfehlende Eigenſchaft, jeder 
Bortheil der bürgerlichen teilung wird zum Gegenftande der 
merfantiten Speculation. Das Gold ift der Ruhm, das Bold 
die Ehre diefed Landes. Fuͤr Gold erreiht man hier literaris 
ſche Erfolge, erwirbt man artiftifchden Ruf; für Gold erfauft 
man politiichen Einfluß und Macht, um fie feinerfeits wuchers 
tich auszubeuten; jelbft die Ehe ift hier ein kaufmaͤnniſcher Con⸗ 
tract, bie Liebe hat ihren beflimmten Tarif und das göttliche 
Genie verbingt fi) dem Mammon. — Statt ber vermittelnde 
Bote der Gonfumtion unb ber Probuction zu fein, hat ſich ber 
Handel zum deöpotifchen Geſetzgeber beider gemacht. Ihm ſteht 
der Geldreichthum zu Gebote, unb er weiß ihn fo gut zu bes 
nutzen, daß er das Gteigen und Ballen im Waarenpreife nad 
Gutduͤnken bewickt, daß er nicht felten ben Probucenten zwingt, 
ihm um die Hälfte bes Werthes Das zu verlaufen, was tim 
folgenden Xugenblid der Gonfument genöthigt ift, ihm um den 
doppelten und breifachen Preis abzunehmen u. |. w. 

Die nordbamerilanifhen Abenteuer brechen in der er: 
ſten Hälfte bes zweiten Bandes kurz, das Ganze ſchnappt 
novelliftifh ab, ſodaß das Bud, in fi unfertig, übers 
haupt noch nicht fertig zu fein fcheint. 

3. Beſchreibung einer Reife durch bie Vereinigten Staaten von 
Nordamerika in den Jahren 1838-40. In Geſellſchaft des 
Kitters Franz Anton von Serfiner unternommen von Clara 
von Gerfiner. Leipzig, Hinrichs. 1842. 8. 1Thir. 25 Nor. 

Der in Eifenbahnangelegenheiten oft und rühmlichſt 


genannte Ritter von Gerſtner ſtarb befanntlich zu Phlla⸗ 
beiphia 1840, „als ein Opfer zu angeſtrengten Fleißes 
und zu großer Thaͤtigkeit“, wie die Verf. dieſes Werke 
fagt. Clara von Gerfiner hat unter Leitung und Belch 
ung ihres Gatten aus Notizen biefe Reiſebeſchreibung 
zufammengeftellt, die fi durch eine für eine Fran be 
wundernswerthe Objectivität bemerkbar macht, befonders 
bie nordamerikaniſchen Eifenbahnen im Auge behält und 
an flariftifchen Angaben reich iſt, obgleich doch fonft die 


Statiſtik den Frauen, die an Liebesverhältniffen in der 


Regel mehr Geſchmack finden als an Zahlenverhaͤltniſſen, 
wenig zuzufagen ſcheint. Inſofern ift das Bud, fo teiz 
und farblos es gefchrieben iſt, doch von Wichtigkeit und 
Intereſſe und ganz geeignet, dieſe Nordamerikaner, bie 
wir unmöglich Liebenswürbig finden können, doch ihrer 
erſtaunlichen und riefenhaften Unternehmungen wegen in 
unferer Achtung hodyzuftellen. Hier ein Beiſpiel: Um 
Neuyork mit beffeem Trinkwaſſer zu verfehen, beſchloß 
man, nad mancherlei Unterfuchungen und Werſuchen, 
einen 40 Meilen von Neuyork in den Hudſon mänden: 
den Fluß, Namens Groton, nah Neuyork zu leiten. 
1835 begann man den Bau. Diefer befteht in nichts 
Anderm als der Herftelung eines 40. Meilen langen 
unterirdifchen Kanals (Aquäducts), der, in einem Riveau 
fortlaufend, bald über die tiefften Thaͤler fegt, bald durch 
Selfen und Hügel geht und das Wafler auf eine Anhöhe 
innerhalb der Stade in ein großes Reſervoir leitet, wel 
ches 5 Acres einnimmt und 20,000,000 Gallons Waf- 
fer faßt. Die Dimenfionen des Aquäducts find: 6 Fuß 
Breite am Boden, 7 Fuß am obern heile und 8—10 
Fuß Höhe; er iſt durchaus 4 Fuß hoch mit Erbe be: 
det, bamit das Wafler im Winter nie friere. Im 
Aprit 1840 waren erſt 26 Meilen vollendet und bie 
Ausführung ber ſchwierigſten forte Eoftbarften Arbeiten 
fland damals noch bevor. Nah dem Berichte eines 
Ingenieurs dürfte der Bau, mit Einfhluß einer Brüde 
über den Harlaren-River Eude 1843 beendigt fein. Die 
Koften werden ſich vielleicht auf 10 Mill. Dollars belau: 
fen, am 1. San. 1840 waren bereits nahe an 4 Mil. 
verausgabt. Wir ermähnen no, daß man Herm von 
Gerfiner und feine Gattin überall mit großer Zuvorkom⸗ 
menheit und Gefaͤlligkeit aufnahm, befonder& in Boſton, 
wo es Sitte if, vornehme empfohlene Fremde zuerſt zu 
beſuchen. Die Damen find bier alle muſikaliſch und 
mehre fogar mit dern Deutfchen fo vertrat, daß fie fi 
mit der Überfegung der Schiller'ſchen Tragoͤdien beichdf: 
tigen. In einigen Samilien bemerkte Frau von Gerſt⸗ 
ner einen auffallenden Anſtrich von Ariftoßratie; fie ha 
ben häufig die Wände Ihrer Parlours mie Portraits ih⸗ 
er Vorfahren gefhmüdt und find ſtolz Darauf, von den 
Engländern abzuſtammen. 
4. Reife durch Salzburg und Tirol nah Italien. Zweiter 
Band. Düffeldorf, Schreiner. 1842. Gr. 8. 1 Xptr. 15 Rear. 
Schon bei Gelegenheit des erften Banbes*) haben wit 
auf biefe inhaltreiche, kenntnißvolle und in ber Darſtel⸗ 


9 Bsl. Ar. a d. Bi. f. 1881. D. Reb. 











lung treffliche Reiſebeſchreibung die Aufmerkſamkeit unfe: 
rer Lefer zu Leiten geſucht. Der Verf. ift, wie ſich von 
jedem hoͤher Gebildeten, für die Schönhelten der Archi⸗ 
teftur, der Landfchaften und des Himmels Empfaͤnglichen, 
mit Geſchmack und Sinn für die Künfle, mit bingeben: 
der Liebe für urfprängliches Volksleben Ausgeruͤſteten von 
ſelbſt verſteht, ein begeifterter Verehrer Italiens. Unter 
Anderm erklaͤrt er ſich aufs entſchiedenſte gegen das viel⸗ 
verbreitete Vorurtheil, daß die Voͤlker des ſuͤdlichen Eu⸗ 
ropa weniger kraͤftig und ſtark als die nordiſchen ſeien: 

Im Gegentheil — ſagt er — wir ſehen am gemeinen 
Mann durch ganz Italien von der Lombarbei bis Neapel einen 
wahrhaft normalen Körperbau, Alles ift muskulos, feft, vol 
Kraft, ohne jedoch übermäßig di und fleifhig zu fein, bie 
Glieder gerade, wohl proportioniet und zierlich. Ohne Zweifel 
flehen dagegen viele Gegenden Deutfchlande, befonder& bed noͤrd⸗ 
lichen Deuiſchlands recht ſehr zurüd. Dazu kommt noch ber 
Auftand, die ungezwungene Haltung, eine natürliche Anmuth in 
allen Bewegungen, und ein fefter, elaftifcher, nicht ſchwerfaͤlliger 
Gang, welches Alles dem Italiener angeboren zu fein fdheint, 
endlich noch die harakteriftifchen, marfirten, Mugen, durchgaͤngig 
fein geformten Geſichtszuͤge, gerade das Gegentheil von jenen 
platten, vieredigen, nichtsfagenden Befichtern, jenen breiten Ras 
fen, großen Maͤulern und flieren grauen Augen fo mancher 
deutfchen Bauern, wie wir fie etwa auf Oſtade's Bildern 
feben u. f. w. 

Der Hauptgrund davon fcheint ihm in ber Beguͤn⸗ 
ſtigung des italienifhen Klimas und der daraus hervors 
gehenden Verfchiedenheit der Eebensweife zu liegen. 


Die arbeitende Claſſe in Deutſchiand — fagt ee — muß, 
befonders auf dem Rande, ſchon von frühefter Jugend an bie 
ſchwerſten Arbeiten den ganzen Zag hindurch vom Morgen bis 
um Abend verridhten und ift babei der rauheſten Witterung 
—B8 ausgeſetzt. Manche gewinnen dadurch wol einen 
hohen Grad von Staͤrke, die Glieder werden geſtaͤhlt, aber ſie 
werden auch vor der Zeit ungelenkig, ſteif und die Zuͤge alt; 
die unaufhoͤrliche muͤhevolle Anſtrengung wird das Grab aller 
Schoͤnheit. Dazu kommen denn nd {im Winter, abwechſelnd 
mit Eie, Schnee, Sturm und Kälte draußen, die heißen, bum: 
pfen, oft feuchten und raͤucherigen Stuben im Hauſe, und in 
vielen Gegenden das Schlafen unter ſchweren und erhigenben 
Kederbetten, endlich und bauptfächlich bie Unmaͤßigkeit und Voͤl⸗ 
Lerei, der abſcheuliche Branntwein, deffen Gonfumtion in der 
neueften 3eit wegen feiner übergroßen Wohlfeilheit fo enorm 
zugenommen bat! Dies Alles fält in Italien faft gaͤnzlich weg- 
Ganz ohne Zweifel — fährt der Reiſende fort — lebt das 
Bolt in Statien (trog feiner großentheils fehlechten Regierungen) 
um vicies gluͤcklicher. So z. B. Eagt man häufig und vielfäls 
tig über Mangel an Inbuftrie und Fabriken, und wahr iſt es, 
daß davon in ganz Mittels und Güditalien, in Neapel unb 
Kom, nicht viel zu finden iſt. Sind aber bie Leute deshalb 
weniger gluͤcklich? Wer das Leben ber Arbeiter in vielen Fabrik⸗ 
ftaͤdten Beutſchlands aus eigener Anichauuung kennt, wer nicht 
blos etwa auf einer flüchtigen Reife die fih von Jahr zu Jahr 
vermebrenden ſchoͤnen Gebäude und palaſtaͤhnlichen Haͤuſer und 
den aͤußern Schein jenes Reichthums, den nur Einzelne, naͤm⸗ 
lich die Fabrikherren, erlangen, waͤhrend bie Arbeiter nur kuͤm⸗ 
wwerlichen Tagelohn gewinnen, fondern wer auch gefchen hat, 
wie diefe Leute jeden Tag vom früheften Morgen bis an ben 
fpäten Abend ihr freubenlofes Geſchaͤft betreiben, wie ſelbſt zarte 
Kinber fon, vielleicht unter graufamer Disciplin, bazu ange: 
halten werben, wie fie dabei ihrem phyſiſchen und moralifchen 
Berberben entgegengeben, wie bie bleichen Gefichter und ber 
ſchwache Körperbau ein jammervolles Zeugniß von dem allmäs 
ligen Entſchwinden der Gefundheit bei ganzen Familien, Gene 
zationen, ja ganzer Orte und Gegenden geben, wer ed weiß, 


wie dann die fonntägtiche Erholung biefer Beute im Genuß bes 
Branntweins befteht, und wie gerade dieſe Fabrikgegenden beis - 
weiten bie meiften Verbrechen aller Art erzeugen, — ber wird 
Statien wegen des ihm fehlenden Fabrikweſens u. f. w. nicht 
allzu fehe bedauern ! " 


Schon eine Vergleihung der Bewohner der fuͤdbairi⸗ 


ſchen Alpen, der Steiermärker und Tiroler mit den Be: 


wohnern der norbbeutfchen Flaͤche führt zu ähnlichen Re: 
fultaten. Den Inhalt des zweiten Bandes diefer Reiſe⸗ 
befhreibung bilden die Reife von Rom nad Neapel, ber 
Aufenthalt zu Neapel, die Ruͤckreiſe von Neapel nad 
Nom, der zweite Aufenthalt zu Rom, die Reiſe von 
Rom nad Florenz, der Aufenthalt zu Florenz, die Reife 
von Florenz nach Genua, ber Aufenthalt zu Genua und 
Zurin, die Reife Über Genf und Neufchatel zuruͤck. 

Lebhaft — To ſchließt ber Verf. fein durchweg anziehendes 
KReiſewerk — gebachte ber Geiſt des herrlichen Landes, ſchon 
jest ſehnte ſich das Herz wieder dahin zuruͤck, und dieſes Seh⸗ 
nen, dieſes Heimweh wirb mich nicht verlaſſen, fo lange mein 
Fuß auf diefer Erbe wandelt, wo auch das Geſchick mir einft 
eine andere Deimat verleihen wird. — — Unb wie man fi 
in der Erinnerung noch der feligen Stunden erfreut, die man 
einft, und wär's auch vor Jahren, in der füßen Nähe ber Ge⸗ 
liebten verliebt bat, Stunden, in benen uns ein Blick aus ihrem 
feuchten Auge, ein Drud der Hand, ein Berühren unferer Wange 
mit bem dunkeln Lockenhaar in Entzuͤcken fehte, fo auch werben 
mir die in jenem Lande verlebten Tage vorſchweben, jene Zage, 
an weldyen ich in Tivolis lieblichen Dlivenhainen, in Roms 
fdwermäthiger Campagna und an Amaifis holdſeligen Felskluͤf⸗ 
ten einſam umherſtreifte, an weichen ich in offener Barke, von 
den Wogen geſchaukelt, die göttlichen Geſtade PYarthenopes um: 
f&iffte und der Blauen Grotte Wunder fah! In meiner Phan⸗ 
tafie werben ſich bie impofanten gewaltigen Städte, dieſe glaͤn⸗ 
zenden Sterne Italiens, in all ihrer Pracht wieder aufbauen, 
jenes romantiſche in dem Schooſe der Fluten geborene Venedig, 
jenes Genua mit ſeinen hellen Palaͤſten, die ernſtgrandioſen 
Feſtungen biefes ſonſt To lieblichen Florenz, das ſtille, große, 
ruinenerfuͤllte Rom und das rauſchende praͤchtige Neapel, und 
wie eine traumhafte Zauberwelt werden meinem Auge noch jene 
unerreichbar ſchoͤnen Farbentoͤne vorſchweben, welche in jenem 
Feenlande Erde, Himmel und Meer verklaͤren! 


So muß es doch wahr ſein, was Jemand bemerkte: 
daß, wer Italien geſehen, nie mehr ganz unglüdlich, aber 
auch nie mehr ganz gluͤcklich fein koͤnne. Freilich, wer 
als eine Pelzſtiefelſeele nach Ftalien geht, den wird auch 
Itallen nicht neu verfohlen koͤnnen! 

(Der Beſchluß folgt.) 





Üiberfeger, hört, bört! 

Ein charmantes Buch — muß uͤberſetzt werben — tft: „The 
wires of England” (London 1843). Das Bud ift der Koͤ⸗ 
nigin Victoria gewidmet. In England wie auch mol in andern 
Ländern erfobert eine ſolche Debication fpecielle Exlaubniß, und 


hat die Verf. diefe nicht durch einen befondern Kunftgriff er: 


langt, fo muß bie Königin fie gewährt haben, nachdem fie ftatt 
des Wuchs bios das Vorwort gelefen, in welchem fie „the 
highest example to her countrywomen‘“, das höchſte Mufter 
ihrer Randemänninnen, genannt wird. Entgegengeſetzten Falls 
ift die Erlaubniß nad Allem, was über bie Königin verlautet, 
eins ber vielen unlösbaren weiblichen Räthfel. Der Zitel: „Die 
Gattinnen Englands”, Tann eine Schilberung derfelben erwar: 
ten laſſen. Das Bud ift aber ein Rathgeber für, eine Epiſtel 
an die englifchen Frauen, ober vielmehr an die ſchoͤne Haͤlfte 


jeder eiviliſirten Nation, folglich auch der deutſchen. an 
deshalb verdient ed gegenwärtige Anzeige. Bevor ein Maͤdchen 
Gattin wird, muß fie heirathen. Alſo erſtes Sapitel: „Gedan⸗ 
fen vor dee Heirath.“ Da prebigt die Verf. den Brundfag : 
„Des Weibes Liebe kann nach ber Werheirathung fleigen, bie 
des Mannes nicht.” Wenigſtens hätte fie Ausnahmen geflatten 
follen, zumal gerade die Ausnahmen ber fchönfte Triumph des 
Weibes find. Aber nein, keine Ausnahmen. Und wenn es 
fpäter heißt: „Keine Mannes Gerz wirb vor ber Verheirathung 
gewonnen’, fo kümmere ich mich nicht, ob das bie Meinung 
der Königin vor ihrer Wermählung geweſen, möchte aber gern 
von der Verf. erfahren, wenn das Herz gewonnen werden 
Tann, das nach ber Verheirathung nicht mehr zu lieben vermag 
als vorher. Dagegen lobe ich po ihrer Rathſchlaͤge. Sobald 
Ihr verlobt feid, fagt fie, „denkt in Betreff aller Eurer übris 
gen Liebesangelegenbeiten, vorüber iſt vorüber”. Das ift brav. 
Und auf berfelben Geite: „laßt keine ſchlecht berathene Neugier 
Euch verloden, dem frühen Wandel des Bertobten in Betreff 
folder Angelegenbeiten zu genau nachzufpüren”. Sehr richtig; 
feid froh, daB Such Einer nimmt und hätte er auch manchen 
Hriebene geſtoͤrt und manches Herz gebrochen. Seite 38 wünfcht 
die Verf., „der jungen Frau einige Eluge Worte ins Ohr zu 
flüftern”. Als Dann wollte ih nicht horchen und bat eine 
—* Frau, die klugen Worte zu lefen und mir ihr Urtheil zu 
agen. 
Barum fie dabei erröthete, weiß ich nit. Im Gapitel „Cha⸗ 
rafteriftil der Männer‘ beißt es: „Der Charakter eines edeln, 
erleuchteten und wahrhaft guten Mannes befipt eine Kraft und 
eine Erbabenheit, die Dem, was wir bie Ratur und Eigenthuͤm⸗ 
lichkeit dee Engel glauben, fo nab verwandt ift, daß, wie kein 
Gefühl die Bewunderung und bie Achtung zu übertreffen vers 
mag, welche die Betrachtung eines folchen Charakters erwecken 
muß, fo auch Eeine Sprache im Stande ift, das auszubrüden. 
Unter dem Ginfluffe eines folchen Mannes leben zu bürfen, iſt 
ein Vorrecht der feltenften Art; feinem Gelpräche laufen zu 
dürfen, ein ununterbrochener Genuß. Aber in feinem Derzen zu 
wohnen, fidy mit ihm zu beratben und die erwählte Gefährtin 
feiner Freuden und feines Kummers zu fein — es ift ſchwer zu 
beftimmen, ob in einem fo bevorzugten, fo gefegneten Weibe 
das Gefühl der Demuth ober dad Gefühl ber Dankbarkeit vor: 
berefchen fol.” Bravo, fagte ich zu erwähnter jungen Frau, 
das Laffe ich gelten. O ja, antwortete fie, aber wo findet man 
einen ſolchen Mann? Ich ſah fie groß an und ſchwieg. Ich 
thue das flets, wenn ich nichts zu erwidern weiß. Unb wie 
die junge Frau lächelte, als ich auf ber folgenden Seite in uns 
befonnener Haft die Worte ablas: „Wahr ift freilich, daß man 
gelegentlich Männer findet, die, genau zu reden, weder ebel, 
noch erleuchtet, noch überhaupt aut find.” Aber nicht lange, 
fo fam das Lachen an mid, ©. 76 bei der Stelle: „Die Liebe 
des Weibes wurde offenbar gefchaffen, um zu dienen; bie des 
Mannes, um bedient zu werden.” Bald nachher berichtigt bie 
Berf., was fie einen unter den Männern ſehr verbreiteten Irr⸗ 
tbum nennt. „Der Beruf des Mannes veranlaßt ihn täglich 
zu einiger Arbeit, zu irgend einer Anftrengung für die Sub: 
fiften, feiner Familie, und er bildet ſich da oft ganz ehrlich ein, 
er arbeite für feine Frau.” Das nennt die Verf. einen argen 
Irrthum und verfichert, der Dann würde ebenfo emfig arbeiten, 
. wenn er auch gar feine Frau hätte, if he had no wife at all. 
Ob fie recht hat? Niemand wird ihrer Behauptung wibers 
fpreden, daß es „die natuͤrliche Charakteriftif weiblicher Liebe 
in. deren verfeinerten und praßtifchen Entwidelung, ſtets Etwas 
zu thun, das dem Gegenflande ihrer Neigung gefällt ober ihn 
glüädtih nacht”. Sie belegt das mit den aus dem Leben ges 
ariffenen Beifpielen eines Lieblingsgerichts und ber Geſtattung 
des Sophas zum Mittagsfchläfchen. Zu befonderer Beherzigung 
empfiehlt fie Folgendes: „Es ift chne Zweifel cin unverdußer- 
licher Anfprudy aller Männer, ob gefund oder frank, reich oder 
arm, klug oder dumm, mit Achtung behandelt und in ber 


Sie fagte, die Worte ſchienen ihr ziemlich kiug zu fein.- 


Haͤuslichkeit hoch geftellt zu werden. In bem legten Falle mag 
die Erfülung biefer Pflicht allerdings ihr Schweres haben. Da 
indeſſen kein Mann durch bie Werheirathung feinen Berftand oder 
feine Sinne verliert, fo muß das Weib, das ihn fi zum Ges 
führten erkoren, bie Bolgen ruhig binnehmen. Mag er daher 
auch noch fo dumm fein, er hat doch ein Recht auf ihre Ad. 
tung, denn fie bat ſich ja freiwillig in eine Lage gebracht, die 
fie ihm nothwendig unterorbnet.” Wenn dann die Verf. zum 
Troſt bemerkt: „weldhe Frau ſich felbft zu beherrſchen weiß, 
kann auch ihren Dann beherrſchen“, fo tft Dagegen weiter nichts 
einzumenben als etwa bie an Nürnberg erinnernde engliſche 
Redensart: First catch your hare, Erſt fange ben Hafen. Doch 
jeder aufrichtige Mann wird den Weibrauc zu ſtark finden, 
daß „die große, vorragenbe Eigenthuͤmlichkeit im Gharakter dei 
Mannes fein Adel, mit andern Worten, feine Befreiung von 
jenen zahliofen Kteintichkeiten ſei, welche bie oͤnheit des 
peibtichen Lebens verbunfein und deſſen Reinheit beſchmuzen. 
Bon allen ihren verftohlenen Raͤnken, von all ihrem heimlichen 
Neide, von all ihrer erbärmlichen Misgunſt ift ber Dann frei.” 
Wollte Gott, Frau Berfaflerin, Sie Iprächen wahr. Aber ich 
verfichere Sie, es gibt unter uns viele — Ausnahmen. Rod 
Eins, und id bin fertig. Seite 203 — 205 wird ben Frauen 
geraten, ihren „verirrten“ Männern zu verzeihen. Dad mag 
ug fein; aber wie ſteht ed um die Moralität und was wird 
Königin Victoria dazu meined? Die VBerf., deren Namen ih 
übrigens nicht weiß, citirt oft ihre frühern Werke: „Die Toͤch⸗ 
ter Englands” und „Die Frauen Englands”. Soiche Gitate 
laffen nicht gut. @teichwol, dba fie gut ſchreibt, würde ich mid 
freuen, wenn es ihr gefiele, auch die „Tanten“, „Couſinen“ und 
„Großmuͤtter“ Englands zu fdhreiben. 14. 


Miscellen. 


In ber L. 1. $. 5. D. De extraord. cognit. (50, 13) 
ift der Grundſatz aufgeftellt: „Quaedam, tametsi honesto ac- 
cipiantur, inhoneste tamen petuntur.” Welchen Misbrauch 
hiervon ein gewiffer Abgeorbneter gemadt, lebrt nachſtehendes 
Geſchichtchen aus dem Anfange des 18. Jahrhunderts: Der 
Fürft von *** fandte einen Abgeorbneten an bie Höfe zweier 
benachbarten Kürften, um deren Streitigkeiten beizulegen. Dee 
Verſuch gelang und ber Streit wurbe geſchlichtet. Der eine 
diefer Fuͤrſten ges dem Adgeorbneten bei feiner Abreife ein Ges 
fchent von 100 Dukaten. Dankbar nahm diefer es an, erbat 
fih aber ein fchriftliches Zeugniß, daß er 200 Dukaten als 
Ehrenſold erhalten habe. Diefes wurde ihm auch (was freilich 


‚nicht zu loben war) ohne weitern Anftand ertheilt. Mit diefem 


Zeugniß begab ſich nun der Abgeordnete an den Hof des andern 
Fürften, woſelbſt er nicht unterließ, die Freigebigkeit bes fürs 
lichen Dofes, von dem er eben komme, zu rühmen , feine Lob⸗ 
fprüde mit Aufweifung des fchrifttichen Zeugniſſes belegend. 
um ſich nicht übertreffen zu laflfen, gab man nun auch hier dem 
der Zäufchung fich freuenden Abgeordneten 200 Dukaten. 


Das römifche Recht geftattet nicht, fi unerlaubter Eibes⸗ 
formeln zu bibienen, wie benn namentlich in bee Nov. 77, Cap. 1, 
$. 1 verboten ift, beim Haupt und Haar Gottes zu ſchwoͤren. 
Das Tanonifche Recht hingegen läßt auch ganz unpaffende Girts 
formeln zu. „Nos canonicum jus sequimur‘‘, fagten bie Zuriften 
der Vorzeit und wiefen auf bie ditern Shriften hün, weiche fi, wi 
aus Dufresnes „Glossar. med. et inf. latinitat.”’, v. Juramentum, 
©. 166, zu erfchen ift, der abgefgmadteften Exbesformeln bedien 
ten, 3.8. „Ich fchwöre bei meinen Waffen; bei meines Vaters 
Seele; bei allen Nationen; bei den Zähnen Gottes; bei Sr 
Jakob's Lanze; bei Chrifli Grab; bei Gottes Kehle ; bei Gottes 
Haupthaar; bei Gottes: Zunge; bei des Kaifers Bart” u. 5 m. 


Verantwortlicher Herauageber: Heinrih Brodhaud. — Drud und Verlag von 3. A. Brodhaus in Eeipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 








KReifeliteratur. 
Erſter Zrtiten. 
(Eeſchluß aus Mr. 148.) 

5. Reiſeberichte und ⸗Gedichte. Erinnerungen aus ben Sommer: 
wanberungen 1841 von 8. Hellftab. Zwei Bände. Leip⸗ 
zig, Köhler. 1842. Gr. 8. 3 Thlr. 15 Ngr. 

Der Verf. biefer ,‚MReifeberichte und = Gedichte” iſt 
ums als WBerichterfiatter immer fehr willkommen, we: 
niger al6 Dichter. In Iegterer Eigenſchaft verliert er 
ſich nur zu oft in einen etwas dußerlichen, abgelebten 
Apparat ber Romantik; aber ba, wo er bie unmittelbare 
Gegenwart, bie Erfcheinungen ber Zeit raifonnirend be⸗ 
trachtet, find feine Mittheilungen meiſtens von tüchtigem 
Schrot und Korn, während ihm bei der Auffafjung und 
Schilderung gewiſſer die Empfindung aufregender Gegen⸗ 
fände jene romantiſche Element fehr zu flatten kommt, 
indem es feinem Stile Wärme und Färbung ertheilt. 
GSluͤcklicherweiſe ift in diefer Meifebefchreibung wol wur 
Weniges gebichtet oder erbichtet, aber auch dies Wenige 
hätte fortbleiben follen, da es den Lefer auch gegen man: 
dies Wahre und nicht Erdichtete misdtrauiſch machen 
ann. Der Berf. bemerkt in ber Vorrede wahr und 
treffend, daß die wunderlich formloſe Korm feiner Reiſe⸗ 
befchreibungen toeniger ein Product eigener Willkuͤr ale 
eins der Zeit fei, die man in näherer oder entfernterer 
AÄhnlichkeit bei faft allem thätigen Lebenden Schriftfſtellern, 
beimifchen und fremden, die einander nicht nachahmten, 
ats ein glelchzeitig Erzeugtes antreffe. Rellſtab hat eine 
fhöne Summe von Kenntniffen und Erfahrungen ange: 
fammelt, und da er außerbem ein aufrichtiger und ehr: 
licher Schriftſteller Mi, darf man Ihm auch Blauben 
ſchenken, während man jest gegen fo viele Autoren auf 
der Hut fein muß. Daß er bier und da zu einfeltig 
fubjectiv anſchaut, wollen wir nicht leugnen, wo aber 
wäre ein raifonnirendes Bud, überhaupt von biefem Feb: 
ker frei? Außerdem machen Reilſtab's Retfefchriften ſtets 
einen ſehr behaglichen, nirgend verlegenden oder verbit: 
ternden Eindruck, obgleih man ihnen anbererfeits den 
Borwurf einer allzu großen Behaglichkeit machen barf. 
Bo ſich aber etwas Truͤbes ben Bilden barbietet, ba 
verfchmäht er auch nicht, dies tehbe Element zur öffent: 
lichen Kunde zu bringen und fich in feiner Datſtellung 
übfpiegefn zu laffen. Demerkenswerth iſt feine Betrach⸗ 





20. Mai 1843, 





— 


tung über die verbäfterte Stimmung bes gegenwaͤrtigen 
Wiens. Freilich gibt er zu, daß er vielleicht eine trübe 
Periode getroffen, wo durch ein Zuſammenwirken traurts 
ger und drüdender Ereigniſſe die Gemuͤther im Allgemei⸗ 
nen gereizt waren und man die Dinge ſchwaͤrzer fah, 
härter beurthellte ald gewöhnlich. Sein Aufenthalt in 
Wien fiel nämlich mit der Zeit zufammen, als die Ge: 
muͤther noch allgemein durch bie große finanzielle Kriſis 
bewegt waren, welche der eben Fundgewordene Bankrott 
des Daufes Geymüller erzeugt hatte. 

Doch felbft nach Abzug biefer Erhöhung allfeitiger Mis⸗ 
ſtimmung — fagt ber un — bleibt don ein —* — uͤbrig, 
das eine tiefe Spaltung und Unterhoͤhlung verraͤth und vieie 
Zuſtaͤnde als im grellſten Widerſpruch zwiſchen ihrem aͤußern 
Schein, der ſo glaͤnzend, lockend und behaglich iſt, und ihrem 
innern Sein, bad uns in vielen Theilen von weit um ſich greis 
fender, herb nagenber Krankheit een dünkt, darftellte. — 
Der forglofe Fröhliche Sinn der Öftreicher, ben man fonft bei 
Hohen und Niedern antraf, war wie ausgeſtorben; ein dimpfes 
Misvergnügen blickte aus Aller (1?) Zügen, verrleth fich in Al⸗ 
ler Geſpraͤchen; in den untergeordneten Etänben bagegen trat 
jenes Glement adhtlofer Robeit, die wir vormals vielmehr in 
Rorbdeutfchland, zumal in Berlin, in den Maffen antrafen, uns 
gleich Tchärfer und allgemeiner hervor, als es mir ehedem jes 
mals erfchienen war. Und von jener harmlos herzlichen Gurte 
muͤthigkeit, bie fonft buch Sprache, Sitten, Geberden und 
Handlungen fo wöhlthat, ift uns leider gar wenig bemerkbar 
geblieben. Das heißt, vorzugsweife in Wien, in ben größern 

täbten überhaupt; auf dem Lande Eonnten wir uns biefes 
wohlthuenden Sinnes ber Bevoͤlkerung noch vielfach erfreuen. ' 


Hiermit beingt er auch einzelne Erſcheinungen In ber 
Literatur, wo fie von hohen Gefellfchaftsfphären ausgin⸗ 
gen (3. B. Anaftafius Grün), in Verbindung. Daß 
fih ein anderer Geiſt in Sſireich regt, ift aus vielen 
Symptomen erkennbar; der Geiſt der Zeit ift einmal ein 
fo feines und penetrantes Fluidum, daß «6 auch durch 
die kleinſten Luftloͤcher eines fonft fo dicht verfchloffenen 
Körpers wie ſtreich dringt; nur fragt fich, ob die bloße 
Verſtimmung, die fich übrigens auch außerhalb ſtrelch 
findet, diejenige Stimmung ift, aus welcher etwas Gro⸗ 
ßes als Nieberfchlag ber Niebergefchlagenheit erfolgen koͤnne. 
In Öftreich befchäftigen den Reifenden vorzüglich bie Wi: 
fenbahnen, für die ber Verf. fchon früher als Publiciſt 
aufs dankenswertheſte gewirkt hat, Indem in Preußen 


baum ein anderer Schriftiieller jene Popularitaͤt befaß 
die, wie bie Pepularitaͤt Rellſtab's, ganz dazu ſich geeige 


net hätte, die Sympathie für die große Angelegenheit ber 

Eifenbahnen in weitern Kreifen zu verbreiten. Der zweite 

Band macht uns in meift interefjanter Weiſe hauptſaͤch⸗ 

Kich mit Trieſt, Venedig, Mailand, dann mit der Reife 

über dad Stilffer Joch und mit Münden bekannt. 

6. Buch der Reifen. Bilder und Studien aus Italien, ber 
Schweiz und Deutfchland. Bon Adolf Ritter von Sf ch a⸗ 
a 2,98 Wien, Pfautfch und Somp. 1842. 8. 1 Ihe. 

„Nor. 

Kaum hätte Meferent geglaubt, daß der ihm als 
ziemlich fentimentaler Novelliſt bekannte Berf. dieſes 
Buchs ſich einer hinlaͤnglich objectiven Betrachtungsweiſe 
hingeben koͤnne, wie fie in biefem Buche, welches aus 
einer Reihe unverbundener Skizzen befteht, vorwaltend 
iſt. Was kann trockener und objectiver fein als des Verf. 
Definition des Handels, womit er ein „Handel und 
Schiffahrt“ betiteltes Capitel beginnt? Sie lautet: 

Handel ift jene Gattung menſchlicher Thaͤtigkeit, woburd) 
die Erzeugniſſe der verfchiedenen Länder und Völker dem Drie, 
wo fie zu verzehren, zu verwenden kommen, zugeführt werben. 

Diefe Definition iſt doch wirklich ebenfo Mar als 
waͤſſerig. Und dazu, wahrfcheinlid nad) der öftreichifchen 
Grammatik, die Wendung „wo fie zu verzehren, zu ver: 
wenden kommen”. Nein, mein Lieber! wohin man 
tommt, nice wo man kommt, fagt man bei uns in 
Deutfchland; oder wollte Verf., wie wir vermuthen, Dafs 
felbe fagen, was wir mit der Phrafe ausdrüden: zur Verwen⸗ 
dung kommen? Wan fagt ja nicht: „das Bud kommt 
zu beſprechen“, fonbern „das Bud, kommt zur Beſpre⸗ 
hung”, Here Ritter von Tſchabuſchnigg kommt zur Ab: 
fertigung u. f. w. Ich laſſe mich fonft nicht gen auf 
Grammatik betreffende Zurechtweifungen ein; bier geſchah 
es jeboch, weil wir folhe und ähnliche Verftöße bei einem 
Manne, ber fonft von tiefem Wiſſen, ia gelehrten Stu: 
dien in feinem Buche manche Zeugniffe ablegt, nur um 
fo auffallender fanden. Das Buch enthält zuvoͤrderſt 
Bilder aus dem Venezianifchen: „Baccanale am Lido‘, 
„Die Lagunen”, „Ville Petrarca in Arqua’’; ferner aus 
Trieft: „Carnevale“, „Handel und Schiffahrt”, „Der 
Hafen”, „Sartorello”, „Die Hochzeit der Mandriara“; 
Bilder aus einer Schweizerreife: „Catull's Vila am Gar: 
dafee”, „Die Borromäifhen Inſeln“, „Das Chamounys 
that”, „Der Genfer See”, „Berner Oberland”; Bilder 
und Studien aus Deutfchland; Stalienifhe Studien; 
Bilder und Studien aus Stallen und Sicilien: „Spo⸗ 
teto”, „Ponte molle”, „Das jüngfte Gericht“, „Villa 
Mine”, „Berenice”, „Das Thal der Egeria”, „Ein 
Diner im Benustempel zu Bajaͤ“, „Die Tänzerinnen 
und Kentauren von Pompeji”, ‚Ausflug nah Paͤſtum“, 
„Ciſa“ (ein farazenifches Luftfchloß bei Palermo), „Die 
Katakomben zu Palermo”, „Eine Terraſſe in Meffina”, 
„Sibylla von Cumd’. Bei unfern Radicalen wird der 
Verf. kein Gluͤck machen. Dan höre folgende Worte, 
die man jest felten vernimmt: 

Schön und erſprießlich ift es auch, daB es nicht einen deut⸗ 
fen Staat, fondern einen beutichen Bund gibt. &o findet jede 
Neigung, jede Anlage um fo leichter ihren Schauplatz; hundert 
Weufenftädte blühen, aber Teine Gentratftabt gerſtreui ober ver⸗ 


diebt die deutfche Jugend. Die Säfte der teüigens 

gleichmäßig ie Ober bie —— ach m 

gebrachter Weiſe fchreitet bie deutſche Bildung unb Geftaltung 

weiters weife Yürften und treue Voͤlker arbeiten baran in rebli- 
dem Ginverftändniffe. Unſer Deutſchland hat noch keinen Ty⸗ 
rannen. Leife und milb wie Pflangenfäfte treiben die Lebens 
£räfte in feinen Adern; jeber Fortſchritt ift organifche dauernde 

Errungenfhaft.e Es mag fih nit mit Blutkitte frembartige 

Flitter anſetzen. der Wunderbalſam ber Weltweisheit 

wird in ſeinem Schooſe ausgekocht. Deutſchland iſt die Vor⸗ 

rathkammer ber Syſteme. Es erwägt immer auch ben Gegenſat; 
darum treten ſeine Theſen nur allmaͤlig und vorſichtig ins Leben. 

„O ihr Herwegh und Prutz, Prutzianer und Her 
weghianer, kommt hierher, ſchaut und leſſt: Deutſchland 
bat noch keinen Xyrannen! Da habt ihr nun gefungen 
und euch angefungen und angeliebelt, und feid beſchmauſt 
und betoaflet worden und habt einen entfehliden Staub 
aufgewuͤhlt von Königsberg bis Zuͤrich, in Weimar umd 

Polkwitz, und trog eurer tprannenfreffenden Strophen 

wagt Ritter von Tſchabuſchnigg die Behauptung: Deutſch 

land hat noch keinen Zyrannen! 

7. Des Kriegscommiffair Pipig Reife nach Italien. Ein komi⸗ 
[her Roman von Eduard Boas. Bier Theile. Mir 12 
Bildern. Gtuttgart, Scheibe. 1841. Er. 16. 3 Thlr. 
Ta Ror. 

Ein närrifhes Buch! Pipig, ein verruͤckter Phitifter, 
der durchaus nicht unfern Planeten: Erde, fondern Waſ⸗ 
fer nennen will, weiß biefer Planet mehr Wafler: als 
Landfläche enthält, der nicht die Sonne fagt, fonderm 
ber Sonne, und wieder die Mond flatt der Mond, 
weil feiner Anficht nach bie Sonne das männliche, der 
Mond das weibliche Princip fei, reift mit feiner Tochter 
Blanda nach Stalien, wo fie mit noch drei jungen Leu⸗ 
ten, Agathon, Leo, Camill, mit dem Baron Pappel= 
ſtamm und deflen Gattin Liddy wie no mit mehren 
andern Männlein and Welblein zufammentrefien, ſodaß 
an dem Webeſtuhl des Buchs bie Fäden des — meiſt 
tomifhen — Romans hin- und wiederfhiefen. Die 
Formloſigkeit hat ſich wol bald nicht fo ertranagant ge- 
zeigt als in dieſem dicken viertheiligen Buche; denn außer: 
dem, daß der Roman ſich immer fortfpinnt, daß bie Rei⸗ 
febefchreibung , indem jeber bier Auftretende, feiner Indi⸗ 
vidwalität gemäß, über Stallen in feinen Briefen ſchwaͤtzt, 
fih mit dem Romane verkuppelt bat, fo kat aud der 
Berf. noch mandyes gerade bei ihm vorräthige Manu= 
ſcript eingelegt: fo mehre ſatiriſche Vorreden zu fingirten 
Buͤchern, eine Novellenſkizze unter dem Titel, Dpperiom 
und Phaeton”, einen lufligen Briefwechfel zwifchen einem 
Verleger und dem Berf. u. f. w. Ein Buch, weldyes 
miehin für viele Publica gefchrieben ift, wird ſchwerlich 
ein Publicum für fi gewinnen, welches gleichfam für 
das Bud feiner Liebe und Zuneigung ins Feuer geben 
muß. Recht böfe kann man aber dem DBerf. für feinen 
Miſchmaſch auch nicht fein, da er ihn mit vieler Behag⸗ 
lichkeit und Gemuͤthlichkeit an das Tageslicht geförbert 
bat und ein gewiffer Zug von guter Laune, von Bon 
hommie durch das Gezeuge hindurchgeht. Wer das fächfiz 
fhe Bericht, „„Alledlei” genannt, für einen Lederbiffen 
hält, der wird allenfalls auch biefes Buch verdauen koͤn⸗ 


— u. m — — 
524 


—X 


805 


nee. Manche Wefchreibungen und Schilberungen find 
recht frifh und farbig, leiden aber durch ihre Umgebuns 
gen und erfliden im Wufle des Ganzen. Beigegeben 
find zwoͤlf Fedetzeichnungen von Nisle. *) 

9 Marggraff. 





Roͤmiſche Gefchichte von Peter von Kobbe. Zweiter 
Theil. Don dem erften punifchen Kriege bie Auguftus. 
Leipzig, Engelmann. 1841, Gr. 8. 1 Xhir. 22". Nor. 


Infoweit es fi um Roms dttefte Zeiten handelt, ift ein 
jeder von den vielen Gelehrten, die uns immer und immer wie⸗ 
der mehr oder weniger umfaoflende Werke über roͤmiſche Geſchichte 
darbieten, mit ſich darüber einig, daB er entiweber gegen Nie⸗ 
buhr polemifiven oder boch deſſen berühmten Werke Zufäge, vers 
meintliche Berichtigungen und Grläuterungen anzubängen habe. 
Bei der Anzeige des erſten Theiles des vorliegenden Buches 
haben wir beridytet **), wie weit bie Kräfte und Mittel rei: 
Sen, womit ausgeflattet der Verf. der eben angebeuteten 
Aufgabe zu entfprechen geſucht bat. Dort ift bemerkt wors 
den, wie wir jeden Beruf, über römifche Geſchichte ein bes 
beusendes Wort abzugeben, Demjenigen abſprechen mäflen, weis 
dem die Kenntniß bes römifchen Rechtes abgeht, und gezeigt 
haben wir, wie Hr. von Kobbe ihrer fo gänzlich baur ift, daß 
man bei ihm an ein Veritaͤndniß diefes allerwichtigſten Beſtand⸗ 
theiles der roͤmiſchen Zuftände nun einmal gar nicht denken darf. 
Weitere Belege zur Rechtfertigung ber harten Behauptung lie⸗ 
fert bee vorliegende zweite Theil. Da wo Hr. dv. Kobbe auf 
8. 72 — 76, alfo auf fünf nicht einmal vollen Geiten hinter 
der Erzaͤhlung von den drei punifchen Kriegen einen „Innere 
Verhaͤltniſſe“ überfchriebenen Abfchnitt folgen läßt, finden wir 
in rechtshiſtoriſcher Beziehung folgende, wahrhaft Lächerlich duͤrf⸗ 
tige Notizen: „Seit dem Jahre 510 (244) wurde noch ein zweis 
ter Prätor gewählt, um die Streitigkeiten ber Fremden zu ents 
ſcheiden. Die Vermehrung ber Provinzen gab Anlaß zu weiterer 
Vermehrung ber Prätoren. So wurden 5237 (227) noch pmel 
Prätoren für Sardinien und Corſica ernannt; im 3. 557 (197) 
nod zwei für Spanien. Die Gerichtäbarkeit der Prätoren ers 
firedte ſich nur auf Privatflreitigleiten; zu Criminaiſachen wurs 
den eigene Qudfitoren vom Volke beftellt, jedoch ward gewoͤhn⸗ 
lich eine ſolche Unterſuchung einem Praͤtor übertragen. Die öfs 
fentlichen Bekanntmachungen ber Prätoren bildeten bald eine ber 
widhtigften Quellen bes Rechts und ihre Entſcheidungen dienten 
dazu, die firengen Formen des alten Rechtes zu mildern. Geite 
dem Flavius die alten Rechtsformein bekannt gemacht hatte 
waren don ben Patriziern neue Proceßformeln erfunden ; auch 
diefe wurben durch die Bekanntmachungen bes Gertus Aclius 
Gatus (552, 202) Gemeingut. Schon früher (500, 254) hatte 
Tiberius Goruncanius, der erſte plebejifche Oberpriefter, Jeder⸗ 
mann, alfo nicht allein junge Patrizier, zu feinen Rechtsbeleh⸗ 
zungen zugelaflen und feitdem wurde biefe Gewohnheit allges 
meiner." Was hat, fragen wir, ein Leſer, der nicht mehr als 
Dr. von Kobbe von der Sache verftcht, begriffen, wenn er biefe 
Worte gelefen? 

Dinter dem vorlegten, „Auguftus” überfchriebenen Ab⸗ 

AIchnitt folgt unter der Rubrit „Sitte und Bildung” ber lette, 
ſechs Blätter ſtarke, deſſen feste fünf Geiten zum hunderte 
ften und aberhundertfien Male abgebeteten und nachgefchries 
benen Notizenkram aus ber xömifchen Hedhtögefchichte ents 
halten. Bier wiederholt ſich die bemitieidenswertbe, ber hiſtori⸗ 
fehen Schule nadhgefprochene Behauptung: Cicero fei kein Rechts⸗ 
gelehrter von Fach geweien, obfchon ber Unterfcheidung in Rechts⸗ 
gelehrte von Fach und nicht von Fach alle Realitaͤt in den 
römifchen Zuſtaͤnden abging, wo Das, was wir Rechtsgelehrſam⸗ 


”) Der zweite Artitel folgt im nächften Monat. D. Red, 
”») Bol. Str. 2 — Bl d. Bl. f. 1841. _ D. Ned. 


keit nennen, nichts Anderes als Rechtspraris, aber eine fo geift⸗ 
reiche Praxis war, daß fie Über der Rechtsgelehrſamkeit unferer 
Zeit, bemefien wir biefe nach den Leiftungen des juriftifchen 
Schriftſtellers, weicher zuletzt jenes unverftänbige Urtheil über 
Eicero zu rechtfertigen gefucht hat, ebenfo hoch ſteht, als über 
bed Batteux Kunſttheorie die, man verflatte ben Ausbrud, 
Kunftpraris des Homer. Cicero fol kein Rechtsgelehrter von 
Bach geweſen frin, und dennoch wird gleich barauf in der names 
lien Periode behauptet, deſſenungeachtet müßten „zu gelehrter 
Kenntniß des roͤmiſchen Rechtes feine Reden in öffentlichen Ans 
gelegenbeiten und vor Gericht, fein Briefwechſel, feine Werke 
über Beredtfamkeit und Weltweisheit, feine Logik und feine Sit⸗ 
tenlebre täglich benugt werben”. Welchen Sinn Fann es baben, 
dem Juriften daß ftete Studium der Werke Gicero’s anzuempfeh⸗ 
len, wenn dieſelben nicht alluͤberall durchdrungen find von Kennts 
niß des gleichzeitigen Rechtezuftandes ? übrigens beweift, wer 
fo etwas behaupten kann, daß er zu Vervolllommnung feiner 
Rechtskenntniß zuvertäffig nicht täglich Cicero’s Werke benugt hat, 
denn fonft müßte er vo wol auch einmal auf bie „Zopica’ ges 
ftopen fein und bemerkt haben, wic Gicero, der biefe Schrift 
waͤhrend einer Seereiſe und alſo gewiß ohne allen ſogenannten 
gelehrten Apparat ausarbeitete, um feinen großen juriſtiſchen 
Zeitgenoſſen, dem 6. Trebatius das Verſtaͤndniß ber Ariſtoteli⸗ 
fen Zopica in angemeflener Form zu eröffnen, unerſchoͤpflich 
iſt, jeden Sat mit treffenden juriſtiſchen Beiſpielen zu belegen. 
Barum fol nun aber troß alledem Cicero Kin Juriſt geweſen 
fein und fo das unmoͤgliche moͤglich gemacht haben, als Staate— 
mann und tömifcher Rebner groß und berühmt ohne bie allers 
ausgezeichnetſte roͤmiſche Rechtskenntniß geworben zu ſein? 
Darum, weil er zu verſtaͤndig und einſichtsvoll gewelen ift, um 
nicht zu erkennen und auszufprechen, baß die Jurisprudenz kei⸗ 
nen Anſpruch auf den Namen einer Wiſſenſchaft bat, fobalb 
wir den Begriff Wiffenfchaft in echt wiflenfchaftlihem Sinne 
auffaffen, und weil er geglaubt hat, der Werth ihrer Leiſtungen 
werde nur im Gebiete der Praxis erkennbar. Das haben dem 
trefflichen Manne die Juriſten nicht verzeihen koͤnnen, das kraͤnkt 
ben Duͤnkel der hiſtoriſchen Schule und darum predigt fie den 
Ohren ber Ginfichtölofen, was Hr. von Kobbe in den Worten 
nachſpricht: Gicero fei kein Jurift von Fach gewefen. 

Indeß wir laſſen nunmehr des Hrn. von Kobbe Unkenntniß 
bes römifchen Rechtes ein für allemal bei Seite liegen und wie wie 
ber Anzeige bes erflen Theiles eine größere Bedeutfamfeit als 
diejenige, weiche die Schrift felbft in Ausficht fleilte, dadurch zu 
geben gefucht haben, daß wir im Allgemeinen über Borfchungen 
in römifcher Geſchichte ſprachen, inſoweit biefelben ſich mit Roms 
aͤlteſten, nur unvollftändig zu wirklich hiſtoriſchen gewordenen Beis 
ten befchäftigen, fo bietet auch ber vorliegende zweite Theil ers 
wünfchte Gelegenheit, näher auf die wichtige Frage einzugehen, 
was denn nun neuere Gefchichtfchreibung auf einem Kelde leiften 
Eönne, auf bem ihr bereite des Livius, Polybius, Piutarch u. f. w. 
ruhmgekroͤnte Häupter vorausgegangen find? Man Eönnte fagen: 
feine von den bedeutendſten Schriften der alten Hiſtoriker if 
uns vollftändig erhalten worden und alfo haben wir ‚von dem 
erften punifchen Kriege an — benn mit biefem beginnt Br. von 
Kobbe ben vorliegenden zweiten Theil — nur infofern eine ununs 
terbrochen zufammenhängende römifche Geſchichte, als wir uns 
diefelbe aus den erhaltenen, ſich gegenfeitig ergängenden Beſtand⸗ 
theiten jener berühmten Werke zufammenfegen. Indeß, warum 
fol Jemand ſich bemühen, damit Andere durch ihn einen 3wec 
erreichen, den Jeder für ſich allein und mit der allerbelohnends 
ſten Mühe erreichen Tann, indem er die alten Gchriftfieller in 
berjenigen Verbindung lieſt, welche ben Bericht der GSchidfate 
und Thaten Roms ihm in fletigem Zufammenhange der chrono⸗ 
logiſchen Aufeinanderfolge liefert? Somit gelangen wir, bie 
Broge von biefem Geſichtspunkte aus zu loͤſen verfuchend, zu 

nem normirenben Principe. Wol aber fcheint ein ſolches habe 
ſtehenden Betrachtungen erreichbar. 


Allgemeines Einverflänbniß, darf man annehmen, herrſcht 
in unfern Zagen barüber, daß hiftorifche Forſchungen, noch fo 











meifterbaft burchgefähet und Aberzeugenb dargelegt, bennodh keine 
25 nur bie Borarbeit gu ehe Ph find, dieſe in 
der —— von Thatſachen deſteht, weiche, wie jede Erzaͤh⸗ 
Bang, ihren höchften Werth dann erlangt, wenn fie zu lebendiger 
Darftelung wird. Wo aber bleibt dann bie Grenzſcheide groif 
Poefie und Geſchichte? Nicht kann fie auf ber erftern metrifchen 
VForin beruben, indem, wie ſchon Ariſtoteles in Gap. 9 der,Poetik 
bemerkt, ‚Derodot’s neun Bücher, obfchon in ihnen die antike Ge⸗ 
fyichtfehreibung im nädhften Zuſammenhange von dem Epos zur 
Hiſtoriographie fortfchreitender geiehifger Bildung erſcheint, ſich 
noch zu. keinem Gebichte durch bie Umſetzung in metriſche 
Sprache umwandeln würden. Gr fagt aber ebenbafelbft über 
jenen Unterfchieb zwiſchen Geſchichte und Poeſie Folgendes: „Die 
Poeſie iſt philofophifcher und höher ſtehend“) als bie Hiſtorie. 
Denn die Poefie druͤckt mehr das Allgemeingüftige, bie Hiſtorie 
das den Ginzeinen Betreffende aus.” Wer nun ben Eindruck 
fich zurädrufend und vergegenwärtigenb, ben die vorariftotelifchen 
Hiſtoriker und deren größter, Thucydides, auf ihn gemacht, da⸗ 
mit vergleicht, wie Sliade, Odyſſee und der Sophokleiſche Odiput 
ihn angeregt haben, und wie dad Intereffe, das wir in Thucydides 
Darftellungen an ben Greigniflen bed peloponnefifchen Sorteges 
unb an den handelnden Perſonen nehmen, bennody nicht gleich⸗ 
kommt bem befriedigenben Genuſſe, womit das Goncrete in jes 
wen Werken der Poefie uns durchdringt, indem befien Betrach⸗ 
tung uns zugleich eine Weltanſchauung eröffnet, der wird jene 
Äußerungen des Ariftoteles hinreichenb verftehen, um gemein 
fafttich mit uns weiter auf ihr fortzufußen. Wol werth, ger 
nauer (gmogen zu werben, ſcheint es nämlich, ob Ariftoteles feis 
nen Ausfprudh wuͤrbde mobiflciet haben, hätte die biftorifche Lite: 
ratur feiner Sage ein Wert aufzuweifen gehabt, in dem die Hi⸗ 
ftoriographie bereits biejenige Hoͤhe hätte erreicht gehabt, auf 
welcher wir fie in dem römifchen Tacitus erbiiden, deſſen Dar⸗ 
fielungen keine poetifche an KRiarheit und Lebendigkeit übertreffen 
koͤnnte, während biefelben zugleich, anftatt Belehrungen zu geben, 
uns auf einen Standpunkt ftellen, auf bem wir fie uns nicht 
fowol abftrahiren, als vielmehr uuf dem Wege unmittelbarer 
Anſchauung fie erfennen. Dennoch würde Ariftoteles das Naͤm⸗ 
liche gefagt haben. Denn aud ber Taciteiſchen Gefchichtichreis 
bung bient das Goncrete nicht zum Organ, um das Allgemeins 
gültige zur Anſchauung zu bringen, fondern diefes tft ihr das 
Drgan, durch weiches fie jenem höhere Bedeutung verleiht, ins 
foweit dasjenige Gebiet bes Realen, das ſie fi) zur Bearbeitung 
ausgeliehen, es verflattet. Sie bleibt alfo abhängig von dem 
Stoffe. Richt völig frei, kann fie auch nie völlig zur fchönen, 
zur freien Kunft werden. Der Befchichtfchreiber verhält fich zu 
dem Dichter, wie zu ſich ſelbſt ein und derfelbe Baukuͤnſtier ſich 
verhält, bem bier mit unbefchränkten Mitteln eine Kathedrale, 
dort für eine im voraus abgemeflene Summe ein Palaſt zu irs 
nd einem Zwecke bed bürgerlichen Lebens aufzuführen wäre 
ertragen worden. In einem wie in dem andern Werke wuͤrde 
fi der Bauſtil eines Yalladio kundgeben, mebr aber in jenem 
als in diefem feine Künfttergröße. In Schillers „Wallenſtein“ 
muͤſſen wir die höher flebende Gattung anerkennen, obſchon auch 
in der „Befchichte des breißigjährtgen Krieges“ der Dichter bes „Wal: 
Ienftein‘ ganz er ſelbſt tft. Um nichts weniger aber hat ber Hi⸗ 
floriter feine Aufgabe vollftändig nur dann geloͤſt, wenn das 
als ein Reales ihm aͤußerlich Begebene, das zu bebanbeln er 
ausgewählt hat, uns, infoweit dies möglich war, in kaͤnſtleriſcher, 
in poetifcher Darftellung vor das Auge tritt. Bon biefem Stand⸗ 
punkte aus angefehen, db. h. mit Tacitus verglichen, fcheinen 
ef. allerbings biejenigen alten Hiſtoriker, weiche für uns Quel: 
Ien der roͤmiſchen Geſchichte bis Auguflus find, nicht durchaus 
das Maß einer unübertrefflihen Vollendung erreicht zu haben, 


*, Dttfrieb Möller überfest in Bd. 1 der „Geſchichte ber grie⸗ 
qhiſchen Literatur, S. 470, Note 1, dab anovdarepov gebans 
tenvoller, Gottfried Hermann dagegen ©. M feiner Ausgabe 
des „Poetik⸗⸗ esoslientius. 


und fomit wäse es wenigftens denkbar, baß eine neue 
fe Geſchichte Roms vom erſten punifchen Kg an Fre 
und mit Auguftus geſchrieben würbe, welche durch die Darftellung 
Anfpru hätte, ihren Plat neben ben claffiihen Hiſtorikern 
einzunehmen. e du Gründe, weshalb es mit biefem 
Sebanten, menſchlichem Abfehen nach, bei dem bloßen Gedanken 
bleiben wird, laͤßt Ref. bei Seite liegen, um auf eine Stelle 
bei Hrn. von Robbe zu verweilen, welche befien Darftelungsgabe 
in das gebührende Licht feht, nämlich auf den S. 30 — 
enthaltenen, „Caͤſar's Zob” überfchriebenen Abſchnitt. Dem 
Grmeffen des Leſers uͤberlaͤßt Ref., ob fich jenes tragiſche Er⸗ 
eigniß in trgenb einer der unzähligen neuern Geſchichten Stoms, 
fobalb nur ber Verf. nicht eben wortkarg guvefen iſt, wes 
niger erbaulidh ald von Hrn. von Robbe vorgetragen findet. 
Hier etwas zu leiften, das bes Anerkenntniſſes koͤnnte verfickert 
fein, war fein Genius, fonbera nur das Talent erfoberlih, in 
biftorifcher Form zu reprobucizen, was in dramatiſcher Shakfoeare 
für jeden mit echter Receptivität Wegabten auf postiih hoͤchſt 
anregende Weiſe gebichtet hat. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Notizen. 


it a BF nun or den on en ſchon 
v pfbrechens gemadt. „Die e“, ſagte aeuertq 
Giambattiſto Ajello in ſeiner Abhandlung "Dell muliebrith 
dei tempi di mezzo’‘, „war das vornehmfte Element der Poefle 
in ber mittleen Zeit. Allein, wie foll man ſich dieſes Phaͤno⸗ 
men erklaͤren?“ Diefes Phänomen! Der Benannte 

bie Anfiht, als fet die Frauenliebe eine Wolge der Retigion, 
der Marienverehrung geweſen. Mit Reit! Die Cache iſt na⸗ 
tuͤrlich umgekehrt: Das Ghriftenthbum des Mittelalters, dab 
alles Diefleitige als ein Ienfeitiges ber Verehrung darbot, bat 
auch die Irbifche Liebe zum Weibe in eine himmliſche verwandelt. 
Gin neuerer Phlloſoph bemerkt ganz richtig, dab ber Proteflan- 
tismus das himmliſche Weib hinweggenommen, indem er das 
trdifche wieder in bas Herz fihloß. Bedarf die Liebe zum Weibe 
einer Erklaͤrung? Ober bedarf es einer Grflärung, daß das 
Herz den Gegenftand feiner Liebe vergöttert? O der Gelehrten, 
die den Walb vor allen Baͤumen nicht fehen. Bier ein Weir 
trag zu euern tieffinnigen Unterfuchungen aus Immermann's 
leßten Romane: „In fo bitterer Pein fand er das große 
Geſetz der Liebe, weldhes dem Liebenden ewig feine tele 
zu den Füßen ber Gellebten anweift, und wäre biefe eine aus 
dem Staube bervorgegangene Bäuerin. Babe du die Schäge 
des Moguls, grüne ber Lorberkranz des Ruhms um beime 
Schlaͤfe, führe du Salomo's geifterbeherrichenden Ring, Träne 
dich der Reif ber Hoheit — bie Geliebte wird, und nid im 
abgefhmadten Gleichniß, fondern in ber Wahrheit und Wirk: 
lichkeit deine Königin fein.” 


Die Verachtung von Vernunft und Wiffenfhaft ik 
in unfern Tagen wieder fehr im Schwange. „Die driftlidge 
Ordnung”, fagt Hr. Eſchenmayer (in feinen „Grundzuͤgen einer 
chriſtlichen Philofophie‘), „erfodert eine ganz andere Gonftructiom, 
als der Vernunft» und Raturzufammenhang uns barbietet. Um 
fie zu finden, muͤſſen wir über unfer Gelbfibewußtfein hinausgehen 
und einem weit hoͤhern Element den Zutritt geftatten, das nicht 
in uns erzeugt ifl.” If das nicht wirkiih, um aus ber Haut 
zu fahren? Mephiſto fagt wiederum : 

Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde, 

Das find' ich gut; denn da gehoört ihr hin. 


In einem Bericht über die zilſert haler Gemeinde gm 
Erbmannsborf wirb unter ben Urfachen, welche 66 Ziroler bewo⸗ 
gem haben , * aeen folgende angefahet: „Bangigteit 
egen eitlichen Fortkommens o (!) Mangel 
ae eeeenmens, a on 


Werantwortlicher Herausgeber: Ketarich Brokhaus. — Brud und erlag von E. X. Brodbauß ig Beipzig. 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienftag, 





Holländifche Preidlieder von 3.9. Heije, nebſt 
einem Vorwort über holländifche Sprache und 
Literatur. 

Es gereicht gewiß der Hollaͤndiſchen Geſellſchaft fuͤr 
ferie Kuͤnſte und Wiſſenſchaften das ernſte Streben, bie 
Reit ihres Vaterlandes auf eine Höhere Stufe zu erheben, 
zur größten Ehre. Vielleicht war es ihe nicht entgangen, 
Daß, ſeitdem der Lafontaine ihrer Literatur, „Vater Cats” 
(1577 — 1660) der Schöpfer ihrer vaterländifchen Poeſie, 
und feitdem der Srennd des Hugo Brotius, Hooft (1581 
— 1647), der Begruͤnder ihrer Profa geworden waren, 
und, feit Ihre Pindar und Shakſpeare, der geniale van ber 
Vondel (1585 — 1647) durch, wenn aud bier und da 
rohe, doch volle und foft ſehr ſchoͤne Naturlaute die Ger: 
jen- ihrer Vorfahren getüßet, abgefehen von einigen em⸗ 
wRadimgereicheh und wohllautenden Liedern von Tollens 
und ven einigen originellen und kraͤftigen Gefängen des 
ebenfo . talentvollen als fruchtbaren Bilderdijk (geb. 1756) 
und. von winizen Oden Feith's (geb. 1753) und Kinker's 
und einiger anderer meift noch lebenden Dichter, wie Arntzenius, 
Helmers, Strijivan Linſchoten, Loots, Meſſchert, Spandam, 
Staring van ben Wildenboſch, Withuis u. m. A., den Prie: 
fteen der heimifchen Polphymnia «6 an Weihe und Kraft 
und as derjenigen Harmonie des Ausdrucks gebrach, wel⸗ 
che die Dichtungen einer muſikaliſchen Behandlung faͤhig 
macht. Darum ſtellte ſie eine Preisaufgabe, welche von 
Dr. J. P. Heije ſo geloͤſt worden iſt, daß ſeine Lieder ge⸗ 
kroͤnt und im Th. 2, Stuͤck l, S. 1—96 der „Nieuwe 
Werken der Holiandsche Maatschappij van Fraaije Kun- 
sten en Wetenschappen” (Leyden 1841) durch den Drud 
befannt gemacht worden find. In dem „Voorberigt” 
wird ausdrüdlid gefagt: „dat het den Auteur minder 
te doen was om Lof als Dichter in te oogsten, 
dan wel om door zijne proeve te trachten het muzij- 
kaalelement te ontwikkelen en te verede- 
len.” Da madıt es und denn ein wahres Vergnügen, 
dieſes edle Beſtreben als cin [ehr gelungenes bezeichnen zu 
tönnen, befonders in den „Liederen” ven S. 1— 54, 
weichen von S. 55 — 78 „Zangen“ oder Gefänge und 
von S. 79 — 96 „Gewejde po&zij” oder Hymnen und 
Pſalmen folgen, die wir einer fpätern Mittheilung, zu> 
gleich mit Berüdfichtigung der trefflichen geiftlichen Lieder 
van Alpen's und der neneften Erſcheinungen im Gebiete 


ö— Nr. 150. — 30. 








Mai 1848. 





der chriſtlichen Hymnologie in andern Laͤndern Europas, 


an einem andern Orte vorbehalten. 


Wir glauben uns aber durch den Abdruck einiger Lie⸗ 
der Heije's in moͤglichſt treuer und geſchmackvoller Über⸗ 
ſetzung um ſo mehr des Dankes der Leſer verſichert halten 
zu koͤnnen, ſowol darum, weil uns der Genuß von Fruͤch⸗ 
ten der hollaͤndiſchen Literatur ſo uͤberaus ſelten geboten 
wird, daß ſelbſt ein Profeſſor der neuern Literatur an ei⸗ 
ner namhaften Univerſitaͤt Deutfchlands, O. L. B. Woiff, 
in den „Vorleſungen uͤber die ſchoͤne Literatur Europas in 
der neueſten Zeit“ (Leipzig 1832) S. 391 über Mangel 
an Hülfsmitteln Elagen Eonnte, als auch wegen ber eigen: 
thuͤmlichen Schönheit diefer Meinen Gedichte, die fich durch 
edle Einfatt und Einfachheit, durch eine das Herz rührende 
Innigkeit und Sinnigkeit, duch fließende Verſification 
und reine Sprache, und hier durch Anakreontiſche Lieblich⸗ 
keit, dort durch Theoktitiſche Anmuth und Naivetät, und 
öfter endlich durch sine dem Volkslied angemeſſene epiſche 
Haltung fehr vortheilhaft vor andern Erzeugnifien ber jüns 
gern bolländifhen Muſe auszeichnen, in welchen es nicht 
immer gelungen ift, zur Tiefe und Fülle die edle Sims 
plicität und Anmuth, zur Popularität die Würde, zur 
Herzsichkeit die Grazie und zue Kraft des Gedankens oder 
zu dem Phantafiereihthum der Erfindung die Schönheit 
der Sprache in angemeflener Versform und wohlkiingens 
dem Ausdrud zu finden, noch aud einer geiftiofen Reis 
merei und dem Abwege ſchwaͤchlicher Empfindelei, oder, 
wie es bei Swanenburg fo fehr misfällt, einem laͤcherlichen 
Bombaft auszuweichen. 

Die Motive der Lieder von Heije find Mein, Liebe, 
Frühling, Jagd und häusliches oder religiäfes Leben und 
bier und da dem Soldatenftand und andern Verhaͤltniſſen 
des Lebens entnommen, und wenn wir barin weniger 


| Stärke und Bedeutung wahrnehmen, als bei den obenges 


nannten aͤltern und bei jüngern Dichten wie Trips, 
Huizenga, Bakkers u. A., fo finden wir, neben hinreichen⸗ 
der Entfhädigung dafür, leicht den rund in den Motis 
ven felbft, deren Behandlung bald jugendliche Friſche, bald 
zarte elegiſche Wehmuth athmet. Auch iſt im Allgemei⸗ 
nen ruͤhmlich zuzugeſtehen, daß ſich der Dichter den Ver⸗ 
fuhungen allzu getreuer Naturnachahmung, wie fie lei⸗ 
der zu oft die niederländifchen Dichter und Maler von der 
Ihönen Wahrheit in die hausbackene, fleiſch-⸗, Frucht: und 





blumenreiche Wirktichkeie hinabgezogen bat, glüdlih zu 
entziehen geroußt hat, vieleicht in dankbarer Erinnerung 
an bie edein Beflrebungen Bellamy’s und feiner Freunde, 
die es für eine um fo höhere und nothwendigere Ver⸗ 
pflihtung dee holländifhen Künftler in Bild und Wort 
erfannten, das Gefühl für ideale Schönheit zu nähren 
und zu pflegen, je mehr fie durch Blimatifche Bedingungen 
des Bodens und durch phyſiſche und politifche feiner Be: 
wohner von dem Himmel, den fie wie über ihren Land⸗ 
haften audy über ihren Dichtungen durchſichtig in fchönen 
Farbentoͤnen ſchweben laſſen follten, zur Erde hinabgezogen 
und gleichfam hinabgedruͤckt zu werden Gefahr laufen, alſo 
dag aus Schäfeebitdern und Schäfergedichten leichter ale 
anderswo Schäfereibilder und Schäfereigedichte werden. 

Denn wenn irgendwo fo befonders in Holland beftd: 
tigt fich die Thatſache, daB jedes Kunftgebild den Charak⸗ 
ter und die Farbe des Bodens trägt, dem es feine Ent: 
ftehung, feine Pflege und Erfcheinung verdantt. 

Sagen doch ſelbſt Willems in „Verhandeling over 
de Nederduijtsche Taal en Letterkunde ”’ (Antwerpen 
1819), &b. 2, S. 11, und Brandt im „Leven van Von- 
del”, &. 5, von dem in Köln geborenen aber in Amſter⸗ 
dam erzogenen und durch feine eigenthümlichen Lebensvers 
haͤltniſſe, Anfichten und Schickſale fo merkwürdigen Bon: 
bei: „Hij was wel buiten Holland gebooren, maar met 
hollandsch melk opgevoed, en door geduurige inwoo- 
ninge een Hollander en Amsterdammer geworden”, und 
in der That ſtellt kein Dichter fo die Verſchmelzung einer 
echtdeutfchen und, um fo zu fagen, Ins Hollaͤndiſche übers 
festen Kraftnatur dar, als eben diefer Vondel, von dem 
man wie von Hercules fagen kann, daß er das Gluͤck ges 
habt, zugleich an einer unfterblihen und an einer fterbli: 
chen Bruft gefogen zu haben. Aber das finnliche Trach⸗ 
ten nach unten, um deſſentwillen ein ebenfo unfelnes als 
wahres deutfhes Wortfpiel die niederlaͤndiſche Kunft eine 
niederträchtige genannt hat, und das bald mehr bald mes 
niger behagliche, ja uͤppige Verweilen in den zwiebel⸗, obfts, 
wildprets und heerdenreichen Auen und fetten Marfchen 
der niederländifchen Ebenen fegt den Dichtern und Kuͤnſt⸗ 
fern große Schwierigkeiten entgegen, weil den ummnebelten 
Augen leicht die Höhenpunkte des antiken Menſchenlebens, 
der Parnaß und Helikon nicht nur, fondern auch die fells 
gen und befeligenden Lichthoͤhen des Olympos entſchwin⸗ 
den, und mit ihnen zugleich das Streben, zur Fülle die 
Kroft, zur Geſtalt die Bedeutung, zus Naturwirklichkeit 
und Raturtreue die ewige Wahrheit und Schöne, zu oder vor 
oder lieber ftatt der Moral die individuell dargeftellte und 
durch fich ſelbſt redende Dandlung, und endlih zu der 
idpllifchen Anmuth zugleich die heroiſche Erhabenheit *) 
hinzuzufügen. Wenn nun aber der hollaͤndiſche Pegafus 
leichter zu Falle oder in den Sal kommt, in den Erga⸗ 
flerien und Phrontifterien des Alltagsiebens die Slügel wo 
nicht zu verlieren, doch nicht zu gebrauchen und, feine goͤtt⸗ 
liche Abkunft, feine himmliſche Heimat vergeffend, bie 





*) Der Parnap nit nur wird von den Alten biceps genannt, 
fondern von Spätern auch der Kraftmuskel des Oberarmö. 


Bare Quelle des Genius zu truͤben, befto eifriger und aus 
gefivengter und beharrlicher*) muß die Mufe, die befannt: 
lich ohnehin der Fittige zu entbehren pflegt, darauf bedacht 
fein, ihren hohen Beruf fi unausgefegt vorzuhalten, uns 
tee Anführung bes aus Trümmern durch das Licht immer 
neues Leben hervorrufenden Apollon, zugleich mit den Wäds 
teen de6 Olympos, den früchtefpendenden Horen, und ih⸗ 
ren bolden Schweftern und den befiändigen Begleiterinnen 
Aphroditens, den Chariten, erfreuend und erhebend, bie 
ewigen Freudenfeſte der Olpmpier zu zieren und zu em 
hoͤhen. 

Je inniger und aufrichtiger wir es nun bedauern, ſa⸗ 
gen zu muͤſſen, daß es ſelbſt dem für feine Zeit großen 
Cats, ebenfo wie Huygens, Kamphuyzen u. A. zum ges 
rechten Vorwurf gereicht, ſtatt der verköcperten und ans 
fhaubaren Ideale und nur Materie in poetiſchen Scha⸗ 
ten, nur Stoff in verfificirtee Gemandung, und, um ein 
Beiſpiel anzuführen, bie Liebe (es iſt nicht genug zu be: 
achten, daß bei der Aphrodite der Alten die Schönheit um 
der Gottheit willen, die Chariten aber um der Schönheit 
felbft willen da waren) nicht als ſolche, d. h. al6 cine 
Goͤttliches wirkende Böttin, fondern als eine, wie Bom: 
eing**) fagt, gute Eheleute machende umd folgfame Kin 
der zeugende, aljo blos praktifche menfchliche Frau dar: 
und hingeltellt zu haben — defto freudiger begrüßen wir die 
Aufmunterung der ehrenwerthen Dolländifdyen Geſellſchaft 
der fchönen Künfte und Wiflenfhaften, durch melde fie 
den faft allgemeinen Übelftänden zu begegnen ſucht, die 
den Genuß auch ihrer beſten Gedichte mehr ober weniger 
beeinträchtigen, und welche bei Vondel's Kraft, Züle und 
Originalität, bei Hooft’6 Würde, Harmonie und Anmuth, 


*, Denn im rubigen und Haren Beharren unb Aabharren bei 
bem für wahr und gut und ſchoͤn Erkannten zeigt ih vorzugsweife 
die Wefenbeit und Kraft des Genie, beffen zweite — die adıiwe 
ober productive — Gigenfhaft die felbfländige Darftellungdgate ik, 
gegenüber dem, obwol bel, doch nicht ange flackernden Strohfeuer 
eigeb allzu gefchäftigen, ertenfiv flachen, ebenfo nuͤchternen als kalten, 
bald moralifirenden, bald raifennirenden, bald docirenden Dilettens 
tismus, der entweder in eine mit verfiändiger Berechnung poetiſche 
Moſalktheilchen zufanımenfegende unb zufanımenfiellende Redhenerem- 
pelmadyerei, oder in eine bie erborgten und forgfältig geglätteten 
glitter und Jetzen aud dem Kramlaben ber von gefuchten, geſchraub⸗ 
ten und hochtrabenden Redensarten vollgeftopften fogenannten poeti⸗ 
fen Profa zufammenfuddende und zufammennäbenbe, ober den tabs 
ten Bliebermann und Puppentopf in ängflidier Sorgfelt anf mes 
triſch⸗ rhythmiſche Fuͤße und auf theild antike theils meberne VYo⸗ 
flamente fegende ſchulgerechte Nachahmerei, ober in eine vomantif6 
oder elegiſch ſchwindfuͤchtelade Sentimentalität dee Stimmung zab 
der Darftellung, oder in bad innerlich bankerotte falſche Patkok, 
oder in eine rhetorif aufs und zuftugende an fidy trodene, halbes 
beroäffernde und baidebeblämelnde Didaktik, ober in eine ebenfo oft 
trübe und träbfelige als wäflerige und mehr an Dornenſtachels ad 
Roſen reihe Tendenzpoeſie oder Spigrammatil u. f. w. ausartet. — 
Die Sonderbarkeit diefer Ausbrüde wirb Jeder mit der guten Ib 
fit entſchulbigen, dadurch in gerechtem Uns und Wiberwillen eben 
jenes vielkoͤpfige unheilſchwangere Ungedener und deſſen Biel uud 
Bielerlei ſchaffendes ober vielmehr erzeugendes und gebarendet Us: 
weſen einigermaßen zu zeichnen und zu charakteriſiren. 

”, Bowring in dem Bude „Sketch of the language and B- 
terature of Holland ’ (Amfterdam 1829) fagt: „Ho kas me seither 
motion of love than that it is mennt to make good husbands and 
wives, aud to produce paine-taking and obedient children.” 


bei Feith's fanfter und gefählvoller und bei Bilderdijk's fo 
erhabener und mwohltönender, bei Hoogoliet's, Smirs und 
der beiden van Haren fo reinfließender und wohlverſificir⸗ 
ter Sprache doch immer den göttlichen Hauch vermiffen 
laffen, ber immer mit demſelben Geiſte erfuͤllt, mit wels 
chem er der Dichterbruſt entſtiegen iſt. Sowie nun, was 
die Form betrifft, durch die Bemühungen des vortreffli⸗ 
chen Überfegers Feitama die Verſification ſehr gefördert und 
gebildet und auch duch Andere, und zwar bei Gedichten, 
ans nur Einen zu erwähnen, durch Bilderdijt's Überfegung 
des „Koͤnigs Ödipus“, und bei Profaitern duch Vondel's 
Zacitus und in glüdtichen Übertragungen Anderer auf eine 
Meife in Anwendung gebracht worden iſt, die um der 
überwundenen Schwierigfeiten willen eines doppelten Lo: 
bed wuͤrdig erfcheint:: fo wird gewiß auch ber poetifche 
Geiſt immer mehr gewinnen, neben der vorzugswelle prak⸗ 
tifhen Richtung des Volks und feines Lebens und We⸗ 
ſens, durch Benutzung der Mittel, die dazu geeignet 
find, denfelben immer mehr und mehr zu mweden, zu be 
feben, zu bilden, zu ſtaͤrken, zu adeln und zu erhöhen, und 
befonders den dichterifchen Erzeugniſſen ihrer vaterländifchen 
Mufe an Inhalt und Form immer mehr Werth und 
Würde zu verleihen und auch bei den andern Nationen 
Europas mehr Eingang, Beachtung und Anerkennung 
zu verfhaffen. 

Diefe Mittel find aber vorzüglich drei, weldye, wenn 
wir aus einigen Andeutungen richtig fhließen, von den 
Holländern ſelbſt als die wichtigften Hebel ihrer Sprache 
and Literatur angefehben werben. Zunaͤchſt iſt «6 der 
bildende Geift des rehtverftandenen Alter: 
thums, das, zugleich und zu gleicher Zeit mit den Res 
gungen flaatöbürgerlicher Setbfländigkeit und Freiheit bie 


 Gemüther erhoben und die Geifter genaͤhrt und geftäckt 


hat durch die Ideale menfchlicher Bildung, duch die un: 
vergänglichen Antiten in Wort und Bild, die den Voͤl⸗ 
kern immer role fonnebeleuchtete Hochgebirge in verklärter 
Hoheit und mit verflärender Macht vor: und in die Daͤm⸗ 
merungen und Miederungen des Lebens hineingeleuchter 
haben. Wenn nun irgend ein Volk der Welt ein reiches 
Vermaͤchtniß in diefer Beziehung geerbt bat, fo find es 
.— wie fagen e8 mit dem lebhafteften Gefühle dankbarer 
Anerkennung — vor Alten die Holländer; aber je bedeus 
tender dieſes Erbtheil ift, das ihnen die erleuchtetfien und 
hochgefeiertfien Alterthumsforſcher feit mehren Jahrhunder⸗ 
ten binterlaffen haben, defto größer und dringender ift die 
Auffoderung und Mahnung, die an fie ergeht, mit fol: 
chem Pfund auf das Beſte zu wuchern und daſſelbe für 
die Veredlung ihrer eigenen Sprache und zur Vergroͤße⸗ 
sung und Erhöhung ihres eigenen Sprachſchatzes und 
Schrifthumes auch binfort immer mehr und mehr zu 
verwenden. 

Das zweite Mittel, ihrer Sprache und Literatur 
mehr Werth und Würde zu geben, fcheint uns bie 
Aufmunterung der Dichter zur Foͤrderung der 
religiöfen Poefie zu fein. Wenn es nicht zu leug: 
nen ift, daß die Naivetät der hollaͤndiſchen Sprache, als 
einer ausgebildeten niederſaͤchſiſchen oder plattdeutfchen 


Mundart, deren Laute und Ausdruͤcke bisweilen dem unbe⸗ 
fangenflen Lefer ober Hörer, befonders aber dem Deuts 
(den, der den Maßſtab feiner Mutterſprache mitbringt 
und zur Vergleichung mit der bolländifchen faft immer 
genöthigt wird, bisweilen poſſitlich und komiſch erfcheinen 
und Elingen, dem wuͤrdevollen Vortrage religiöfer Empfin⸗ 
dungen und Gedanken großen Eintrag thut: um fo hoͤ⸗ 
ber fleigert ſich die Verpflichtung der holländifchen Dich⸗ 
ter, dem Mutterlande nicht nur, fondern dem Gefchmade 
und dem mufitalifchen Ohre des Weltpublicums gegenüber, 
dieſer Schwierigkeit alle Kraft entgegenzufegen, um ihre 
Sprache Immer mehr zu adeln und duch Wohllaut und 
Wohlklang für den möglichft reinen und barmonifchen und 
würdigen Ausdrud der hoͤchſten Gefühle empfaͤnglich zu 
machen. Da ich dieſen Gegenſtand an einem andern 
Orte riner ausfuͤhrlichern Beſprechung zu unterwerfen ges 
denke, wie er denn bie ernſtlichſte Beruͤckſichtigung verdient 
und in Anfpruch nimmt, fo gehe ich fofort zur Andeutung 
bes dritten Mittels über, durch welches die holländifche 
Sprache und Literatur zu heben fein möchte. Diefes be: 
flieht in einem gründlichen und von aller Vor: 
liebe und von jedem Vorurtheil freien Stu: 
dbium ber Geſchichte eben diefer Sprache und 
Literatur, in Verbindung mit einer unparteli⸗ 
fhen Forfhung über die hiſtoriſche Entwide: 
lung des bolländifhen Volks: und Staat: 
lebens. Und da möchte denn vor allen Dingen, um 
auf Eins befonders aufmerkfam zu machen, die Lautlehre 
einer forgfältigen Prüfung ebenfo beduͤrftig als fählg und 
würdig fein, um, wenn es, oder vielmehr fo weit es über: 
haupt bei einer lebenden und conftituirten Sprache möglich 
ift, mit verfiändiger Hand allmälig hinzuzuthun und mit 
fhonender ebenfo hinwegzunehmen, was irgend, ohne den 
urſpruͤnglich und ſubſtantiell inwohnenden Genius zu vers 
letzen, zur Reinigung, Veredlung und Vereinfachung eini⸗ 
ger Laute und Formen der Sprache beizutragen ſein moͤchte. 
Sollte die Beſorgniß, welche Einige hegen, ganz und fac⸗ 
tiſch gegruͤndet ſein, daß es wegen unuͤberſteiglicher Hin⸗ 
derniſſe unausfuͤhrbar ſei, das Material oder den Sprach⸗ 
koͤrper und deſſen Gliederungen auf die angedeutete Weiſe, 
beſonders aber (mas ih, um nicht misverſtanden*) zu 
werden, nochmals ausdrüdlich Hinzuflge) bei manchen ans 
flößigen und übellautenden Wörtern, allmälig zu verän- 
dern, fo wird es nie möglich werden, die Sprache wohls 


*), Daß dieſes kein Dirngefpinnfi eined vom Sprachleben träus 
menden unpraltifhen philologiſchen Stubenhoderd fei, ſondern ein 
aus vieljähriger befonnener Betrachtung und Wergleihung der Spra⸗ 
den und ihrer Geſchichte Herporgegangener und wirklich ausfähr= 
barer Gebanke und Vorſchlag, biefes wird, un nur zwei Beifpiele 
anzufähren, nit nur durch das Herrſchendwerden des Hochdeutſchen 
in ber Schrift⸗ und Umgangsſprache, fondern vorzüglich auch durch 
die Verbefferung und Veredelung bed Neugriechiſchen auf ber Grund⸗ 
lage ber altgriechiſchen Sprache volllommen bemwiefen und außer Zwei⸗ 
fel geſezt. Es bedarf nur des kräftigen feften Willens und einiger 
tuͤchtiger durch Naturgabe und durch Sprachbildung und durch That⸗ 
kraft gleich ausgezeichneter Führer, welche im Volke und in ber 
obenerwaͤhnten ehrenwerthen Geſellſchaft der freien Kuͤnſte und Wiſ⸗ 
ſenſchaften den rechten Ton auf die rechte Weiſe angeben und den 
rechten Weg zeigen, indem fie denſelben ſelbſt gehen. 





lautender und muſikaliſcher zu machen, und die Vertreter 
der bolländifchen Sprache in gebundener und ungebunbener 
Mede hätten dann zugleid ein Verdammungsurtbeil auss 
geſprochen, das ihr Drgan für unfähig erflärt, das Er⸗ 
bubene in würdevollee Haltung und in ungetrübter Form 
auszudräden und darzuftellen. 

(Der Befälu folgt.) 





Roͤmiſche Geſchichte von Peter von Kobbe. 
Zweiter hell. 
4 a — Nr. Sof 2 ' le 

Obſchon, wie gedacht, Ref. der Hoffnung entfagt, jema 
eine neuere römifche Gefchichte, der jene be Trefflichkeit 
nachzuruͤhmen wäre, das Licht der Welt erblicken zu ſehen, bleibt 
es doch ſehr wohl möglich, daß eine folche erfähiene, bie wenige 
flens in einer Hinſicht leiftete, was jene zu leiften hätte. Da⸗ 
mit ift Folgendes gemeint. Was von Thaten und Begebenheiten 
dem roͤmiſchen Schriftſteller in feiner benfelben nähern Stellung 
wichtig war, das iſt es nach mehr als taufend, ja zweitaufend 
Jahren entweder gar nicht mehr, oder nim im mindern Maße 
für uns, befonders fobald es fi um vömifche Geſchichte im 
Allgemeinen, nicht um die gefchichtliche Entwidelung diefes ober 
jenes einzelnen Inftituts bandelt. Belehrend und darum wide 
tig für uns ift in roͤmiſcher Geſchichte nur, was ben ethifchen 
und intellectuellen Standpunft des Roͤmerthums und beffen Um: 
wandlungen im Laufe der Zeit charakterifict, von welchem Stand⸗ 
punkte aus betrachtet Roms Politik und feine Kriege nicht merk: 
würbig an ſich, fondern nur infofern es find, als entweder in 
ihnen fich jener tiefere geiftige Gehalt ausfpricht oder fie in ih⸗ 
ren Wirkungen und erzielten Refultaten zu Momenten wurden, 
ia Folge welcher der Römer intellectuelles und fittliches Leben 
fig ummanbelte. Ausgehend von diefer Überzeugung, hätte ber 
Hiſtoriker das allermeifte der factifchen Einzelheiten eines Livius 
und Polybius von der Hand zu meifen und, auf bie entfcheiden: 
den Hauptbegebenheiten fich befchräntend, dieſen eine umftänbli: 
chere Wiederholung nur dann zu ſchenken, wenn ihr näheres 
Detail bedeutende Sndioibuatitäten charakteriſtiſch ausgeprägt 
barftellt oder daffelbe, durch feine Eigenthuͤmlichkeiten fähig, die 
Phantafie anzuregen, bei ausführlicherer Echitderung eine wich 
tige Thatſache fefter dem Gedächtniffe eindrüdt. Bor Allem 
aber müßte er eingeben fein, daß nach dem Verlaufe von Jahr: 
bunberten bie politifche Gefchichte allgemeingültige Wichtigkeit 
nur infofern behätt, ale fie von der Geſchichte des menſchlichen 
Geiſtes fich nicht trennen laͤßt, für alle Zeiten nur biefe von 
ungerftörbarer, allgemeingültiger Wichtigkeit bleibt und aıfo fein, 
auch nicht der geringfte Zug darf überfehen werden, wodurch 
uns bie Eigentb müichkeit römifchen Sinnes, römifcher noch jetzt 
die gefammte Welt in unendlich vielen Beziehungen durchdrin⸗ 
gender Bildung kann anſchaulich werden. 

Beurtheilen wir des. Hrn. von Kobbe Verfahren auf Grundlage 
obiger Bemerkungen, fo fönnen wir unmöglich daffelbe loben, ja es 
ericheint, wie Ref. an einigen Beifpielen zeigen wirb, völlig prin⸗ 
ciplos. Während wir z. B. (vgl. S. 4) durchaus billigen muͤſſen, 
daß bie originelle Methode nicht ift übergangen worden, welche 
die Römer erfonnen, auf dem feſten Lande den Seedienſt einzus 
üben, gleihfam um dann erft in das Wafler zu geben, wenn fie 
ſchwimmen Tönnten, begreifen wir nicht, warum Hannibal's 
Zug über bie Alpen (&. 20 u. 21) mit folgenden Worten abgethan 
bleibt: „Durch eine Kriegslift bewerkftelligte Hannibal den Übers 
gang über die Rhone, ließ nach einem Heitergefechte die Römer 
unangegriffen, zog ben Strom binauf und lagerte nad) viır 
Zageszügen auf der Infel, wo Rhobanus und Iſara zuſammen⸗ 
fließen. Hier benugte Hannibal die Zwiftigleiten zweier fuͤrſt⸗ 
lichen Brüder des Allobroger, fidh einen Anhang zu fchaffen; von 


bier trat er den berühmten Zug über bie Alpen an, bie er, 


wahrſcheinlich über den Beinen ©t.: Bernhard fein Beer führend, 


‚fähigleit Roms Tann angefehen werben, uns ©. 


in fünfzehn Tagen überfieg.” Bier wäre Ausfähutidgkit am 
Plage geweien, um eine Wirkung bervorzubringen , welche jener 
vergleichbar wäre, bie bei Livius’ trefflicher Schilderung eben 
dieſes Xipenüberganges gewiß Tchon auf ber Schule die Mehrjzahl 
unferer Leſer mächtig ergriff. Dafuͤr entfchäbigt nicht S. 21 u. 29 
bie ellenfange Rote, weiche hinſichtlich ber Streitfragen, di 
bar) Hannibal's Zug über bie Alpen find veranlaßt worden, 
literarifche Notizen liefert, deren Vollſtaͤndigkeit Ref. nicht zu 
beurtheilen wagt, bie aber felbft bei erfchöpfender Vollſtaͤndigkeit 
nur ein Eriegsgefchichtliches Intereffe haben und überdies, einem 
zu genügen, materiell gu dürftig und nichtsfagend fin. 
Dagegen tft empf: bie Kürge, womit (&. 24 u. 25) von 
der Schlacht am Traſimener See und der bei Cannaͤ kaum mehr 
gelagt wird, als daß bie Römer total geſchlagen wurden. Dean 
in unferer Zeit bleibt für Jeden, der nicht gelehrter Mititale 
iſt, es gleichgültig, ob ſich noch ermitteln laſſe, welcher Art 
bie Taktik war, bie jenes Tages fiegte, und andererſeitt bie, 
welche beflegt ward. Allein welches Princip mag mol den 
Hrn. von Kobbe bei Auswahl bes Stoffes geleitet haben, wenn 
er uns (©. 35) folgende, die Phantafie unangeregt, des Leſers 
urtheil unbefchäftigt Taffende, überdies auch nicht einmal als 
unmittelbar reich an Folgen erfcheinende und darum dem er 
daͤchtniſſe unaufhaltbar wie Wafler einem Giebe entfallende Rs 
tigen zu leſen gibt: „Unter dem Gonfulate bes jüngern Zabind 
und des Sempronius (541, 213) wurde der Krieg in Italien 
ohne großen Rachbrud geführt. Fabius, unter Leitung feines 
beim Deere gebliebenen Baters, nahm Arpi in Apulien ein, 
Sempronius unterwarf mehre Städte in Lucanien und Bruttim. 
Dagegen beiagerte Hannibal Zarent und nahm dieſen wichtigen 
Ort mit Ausnahme ber Burg buch Lift ein. Die römilde Be 
ſatzung 4: beimlih nad) Brundufium. Auch Detapont unters 
warf ſich den Karthagern. Im folgenden Jahre, als D. Zul: 
vlus Flaccus und Appius Claudius Pulcher Gonfuln waren 
(342, 212), erlitt Hanno bei Benevent eine Niederlage, in Folge 
weicher die Römer zur Belagerung Capuas ſchritten. Als der 
Proconful Grachus aus Eucanien anrückte, un das Belagerungds 
beer zu verflärken, wurde er burch die Berraͤtherei eines Gaſt⸗ 
freundes, ber ihn zu einer Zuſammenkunft mit ben Haͤuptern 
der Lucanier geleitete, in bie Bände numibilcher Reiter geiiefert 
und von biefen nach tapferer Gegenwehr erihlagm. In dem 
nämlichen Jahre kamen die beiden Scipionen in Spanien um. 
Um Capua zu entfegen, gab Hannibal die Belagerung der Burg 
von Zarent auf, vernichtete ein von M. Gentenius Penula ans 
geführtes ‚Deer und ſchlüg ben Gonfut Yuloius.” Diefe Stelle 
iſt zugleich ein trefflicher Beleg für die totale Yarbtofigkeit in 
bem Stile des Hrn. von Kobbe; denn vollkommen ihr ähnliche 
könnte, wenn es darauf ankaͤme, Ref. aus diefem zweiten Theile 
abdruden laffen. Daß endlich für das Hauptfächliche, hiſtoriſche 
Darftellung roͤmiſchen @eiftes und römifcher Bildung, Hr. von 
Kobbe gar keinen Sinn hat, beiveift der Umftand, daß er, nade 
dem Gicero’8 Ermordung berichert worden, flatt eines jeden 
Wortes über Gicero, als größte Literarifhe Motabilität Rome, 
über einen Dann, ber vielleicht nicht fowol um des Einfiufles 
willen wichtig ift, den er auf Roms Bildung gehabt hat, als 
vielmehr weil er als Repräfentant ber Literarifchen Bine 
unter 
Nr. 37 mit folgender Rote beſchenkt: „Über Steero’s Schriften, 
Reden, Rhetorik, Briefe, Philoſophie, Staatewiſſenſchaft, Res 
ligion, Dichtkunſt enthaltend und betreffend, vergl. die neuefle 
Uberficht von Erſch und Gruber, Sect. I, Th. I7, &. 210 — 2342." 
Rach alledem außer Stand, zu berichten, was denn num 
eigentlich des Hrn. von Kobbe Zweck und Abftcht bei Ausarbes 
tung biefes zweiten Theils gewefen, murben wie erfreut fein 
wirkte Dasjenige, was wir, dazu veranlaßt burch gegenvoärtige 
Anzeige, über bie Aufgabe der neueften römifchen Biftoriographie 
bemertt haben, überzeugend auf die Verfaffer zuvertäffig in nicht 
ferner Zeit und zahireich uns bevorftiehender anberweiter Schrif⸗ 
ten über den nämlichen Gegenſtand. R 


Verantwortliher Herandgeber: Heinrih Brockkhaus. — Druck und Verlag von F. A. Brodhaus in Leipzig. 





7 a un ir no — 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Mittwoch, 





Hollaͤndiſche Preislieder von J. P. Heije. 
( Beſchluß aus Mr. 150.) 

Wenn es nun in der Malerkunſt dem befreundeten 
Nachbarvolke, wie die gediegemen politifchen Bilder von den 
Belgiern Gallait und Biefve beweifen, möglich geworden 
ift, Meiftechaftes, Vollendetes und Großes zu leiften, fo 
dürfte auch den Holländern der Erfolg ihrer Bemühungen 
nicht abzufprehen fein, wenn fie auf dem Gebiete der 
Sprache und Literatur nur das Beſſere and Döhere ernſt⸗ 
lich wollen und zu erreichen fireben. Da fcheint uns aber 
nur in einem Umſtande das Heil zu liegen, und diefer iſt 
die unbefangene Annäherung an das Mutter: 
Land, von welchem es doc, vor noch nicht fo langer Zeit die 
Sprache nicht bloß, fondern — ich wage e8, den alten Streit 
mit dem Buchdrucker Cofter zu berühren — fogar die erſten 
gedrucdten Buchflaben und Buͤcher erhalten oder genoms 
men bat. Sind die Hollaͤnder nicht ſtark genug, ihrer po: 
litiſchen Selbfländigkeit unbefchabet, diefe Thatſache factifch 
anzuerkennen und der VBerbefferung und Veredelung ihrer 
Sprache zu Stunde zw legen, fo wird es ihnen, wie den 
deutfchen Schweizern, nie gelingen, ihre Mundart zu el: 
ner fchönen, Eräftigen und Würbevolled würdig ausdruͤ⸗ 
enden Sprache zu erheben, und ihre celigiöfe und hero⸗ 
iſch⸗ epifche Poeſie (die Romanzen, die ihnen befonders ge: 
lingen, fchließe ich aus) wird nie auf die Beachtung und 
Nachahmung der andern civilifirten Völker Europas ge: 
gründeten Anſpruch machen können. 

Diefe Angelegenheit aber fcheint uns von einer folchen 
Wichtigkeit zu fein, daß wir theils in einer befondern Ab: 
handlung darauf zuruͤckkommen werden, theils in der An: 
zeige des vortrefflihen Nationalwerkes: „Germaniens Voͤl⸗ 
kerſtimmen, Sammlung der beutfhen Mundarten in 
Dichtungen, Sagen, Märchen, Volksliedern u. f. w., ber: 
ausgegeben von Johannes Matthias Firmenich“ 
(Berlin, Schleſinger), worin auch die verfchiedenen 
Mundarten Hollands vertreten find, eines ebenfo beleh⸗ 
renden als unterhaltenden Buchs, in welchem mit hin: 
gebender Liebe und unfagliher Ausdauer Proben ber 
Mundarten der verfchiebenen deutfchen Voͤlkerſtaͤmme ges 
fammelt und erläutert werden. 

Hier folgen nun einige der Heije’fchen Lieder, von wel⸗ 
chen bereitd manche, 3.8. Nr. 14, 22, 27, 32 und an- 
dere, durch den rühmlichft bekannten Componiſten Scan; 


Commer in Berlin, der unlängft, zugleich mit Bennett in 
London, Mitglied der Niederländifchen Gefelfchaft zur Be⸗ 

| förderung der Tonkunſt geworben ift, in Muſik gefegt 
worden find. 


Das Lied (Nr. 1, ©. 3). 
rei, der Lüfte Athem gleich, 
Launenvoll wie ihre Bider, 
Deut wie vie — —— 
orgen le lei 
Se, o Lied, in Freud’ und Screen 
Balfam für gerührte Herzen. 
D das Hollands Poeſie 
Al die Milde ließe fließen, 
Au die Fuͤlle möchte gießen 
Sn die Süße Metobie, 
Daß du Ohren dann und Derzen 
Balſam fei’ft in Freud' und Schmerzen ! 


Des Herren Haus (Nr. 2, ©. 4). 

Aus den graubemooften Ballen 
Dringt der Soden heller Schall: 
Kommt denn, ihr bedürft es all, 

Laßt im Chor die Stimme fdhallen. 
Kommt, zieht Kreuz und Kummer aus, 
Erst es ab in Gottes Baus. 

Wie ihr weintet, wie ihr batet, 

Thraͤn' und Witte hört man dort; 
Ruhe leiht des Herren Wort, 

Wie euh Mühe auch belabet. 

Dort flieht aller Erdenbraus: 
Friede wohnt in Gottes Haus. 

Einfalt, unfchulb kehrt da wieber 
In bas Der; von Gott entbrannt. 
Jedes ſchwere Erdenband — 

Legt es an der Schwelle nieder. 

Biſt — o flieh' Palaſt und Kauf’ — 
Gottes Kind in Gottes Haus. 


Ihranen (N.3, G. 5). 

Wie maͤchtiglich entzuͤcket 

Die Thraͤne das Gemuͤth, 

Die aus der Tiefe ſpruͤht, 
Wenn's wahre Reue druͤcket! 
O Balſam für die Schmerzen, . 

Du — lindernd mit Geduld — 

Rimmft fchweren Drud der Schuld 
Vom tiefgebeugten Herzen. 
So Leid wie Freud’ vereinen 

Kann nur der Erde Sohn: 

Cherubs vor Gottes Thron 
Beneiben uns das Meinen. 


Erdgeift (Wr. 38, ©. 480 — 49. 

‚Mein Kind! ver eis iſt fleil und frei, 
Und unten firdmt bie Flut fo grauss 
Der Erdgeiſt flellt dort Bluͤmchen aus 
Dee Moos und Epheu mandgerlei 

Do pi ſtuͤcke keins! — Frau Maartens Rind 

Hat jüngft die Kühnheit ſchwer gebäßt, 
&o bu mid liebſt! — geh’, ſag' geſchwind 
Zum Bater, daß bie Mutter grüßt!“ 

Das Kind Fam an ben fteilen Bang, 
Das Kind kam an ben wilden Fluß: 
Da noch ber Mutter lehter Gruß 
Beim Flutgetoͤs ins Ohr ihr drang. 
Doc auf der braunen Belfenwanb 
Sieht fie ein reizend Blümchen ſtehn, 
Mit weißem Kelly und golbnem Rand, 
Und buftend fo betäubend ſchoͤn. 

und i ihe r bebagt ber füße Duft; 
Mit fchüchtern » fcheuem Fuß ſie wankt, 
Und zaudernb bin und wieder ſchwankt, 
Als riefen Sarfen durch die Luft: 
„O pfluͤck' mid, pfluͤck mid, „artges Kind! 
Für dich der Duft, für dich die 

Pfläd’ mich: des Waters AA 
2 ich, mir ift bein Water gut.” 

Das Mädchen ſtreckt die Kleine Hanb, 
Das Mädchen vedt den Kleinen Fuß, 
Und ſtuͤrzt hinunter in ben Fluß, 
De „adumend ſchlug bie flelle Wand. — 

War’s nicht, als ob's dert hoͤhniſch Fang, 
Wie Spottgelächter aus dem Fluß, 
As tief binab das Mädchen äbcyen fan e?. 
„Bring' doch dem Water meinen Sup“ 


Maitrank (Nr. 32, ©. 4). *) 
Im Srün, im Grün, 
Auf fmwellentem Hafen gefeffen, 
Die Becher gefüllt mit dem goldgelben Wein 
Bon dem Rhein; 
Die Sorgen vergeffen 
Im Brün! 


Im Grün, im Grün! 
Ob unten der Stromfürft auch brande, 
Doch wäblen wir, über dem Waſſer, den Mein 
n dem Rhein, 
Selagert am Strande 
| Im Grün! 


°) Dieſes einfache Sefellfpaftötieb iR ſchwerer zu äberfegen ge: 
vorfen ale die andern Lieder alle zufammen genommen, wegen ber 
daͤnzlichen Abweichung ber weiblichen Reime in beiden Spraden. 
In ver erſten Strophe: 
Op t’donsige iager van zeoden 
(soden und dad englifhe sod für Raſen if aus unferer Sprache 
verſchwunden), unb 
De zorgen ontvloden 
In ber zweiten: 
Bruist giader de koning der siroomen — 
Gevlijd aan zijua zoamen, 
wo bad Wort gevliJd nit von vleijen ſchmeicheln⸗ koſen, plaubern, 


noch von viljt, fleißig getrunken, ſondern von vlijen orbnen, ges | 


reiht, im Kreife figenb, abzuleiten iſt. 
Enblich in der dritten: 
Den geurigen Meidraak gedrenken, — 
Ten borde geschonken, 
wo ich früher fo Hatte: 
Mit wärzigem Maitranl geträntet, — 
Sum Rand voll geſchenket. 


Im Gruͤn, im Gruͤn, 
Den duftigen Maitrank genoſſen, 
Die Kraͤuter der Berge gemengt mit dem Wein 
* dem An: r 
um Sand voll gegoflen 
Im Grün. 


Der Lanbetneht (Nr. IT, ©. 34). 
Drei Würfel und ein Kartenfpiel, 
Das ift im Frieden unf're Wehr ; 
Im Krieg iſt's Schwert und Eangenfliel, 
Schwert ſcharf und kurz und lang der Speer. 
Richt Gnad' im Spiel noch in dem u 
Das iſt's, womit's der Landeknecht 5 
Ein Becher voll mit Wein vom Rhein, 
Das tft im Frieden unfer Trank. 
Im Kriege mag es Waſſer fein, 
In Zeindes Land auf harter Bank; 
Doch Wein im n und im Feld, 
Das iſt'e, womit's ber Landsknecht Hält. 
Sin Mädchen, das fein kuͤſſen kann, 
Das tft im Frieden unfer Fang; 
Im Krieg ba iſt's ein Henaftaeipann, 
Mit Zeug von Gold und Sil lauf. 
Guter Yang im Frieden —8* pi —* 
Das iſt's, womit's der Landsknecht haͤlt. 
was im Frieden ihn gereut, 
Dach. zu flerben auf dem Bett. 
Der od, der ihn am meiften freut, 
Ruft ihn mit fehmetternder Trompet'. 
Sr fa’ im Kampf auf freiem Selb, 
Das iſt's, womit's ber Landeknecht hält. 


Berwelkt (Nr. 3, ©. 42). 

Dort unten an bem tiefen Rhein 

Steht dicht im Walb ein Ci 

War's dort ‚nicht, wo mein bin kam, 
Und ſchwur mie ewig treu Be fein? 
Der Baum trug üppig Blatt an Biatt, 

Die Äfte Voͤglein mannichfach. 

War's dort nicht, wo den @ib fie brach, 
Unb Andre kuͤßt' an meiner Statt? 


Noch fließt hinab der tiefe Rhein; 


Der Eichenftamm iſt bärr und fill. 
Ah! Wenn der Tob mich nehmen will, ’ 
So moͤcht' ich dort begraben fein. 


Die Shlummernde (Nr. 14, ©. 13. 
ar mein Yuß au wandeln mag, 
Am liebſten mag er weilen 
Dort wo Marta ſchlummernd lag, 
Brei vor der Sonne Pfeilen 
Die Radtigall im Buſche fingt 
In füßem Web’ befangen. 
Das Lüftchen um ihre Moosbett fpringt, 
Holdſtreichelnd ihre Wangen. 
und tönen denn nur um bas Moos 
Die Rachtigallenlieber ? 
und kuͤßt fo hob das Säftäen blos 
Die liljenweißen Glieder? 
Gewiß iſt ihrer Augen Licht 
Dem Fragenden entgangen: 
Er * das füße Lächeln nicht, 
ihre Roſenwangen. 


Mailied (Nr. 12, ©. 15). 
Bien tragen alle Dage, 
Däfte wehen überall, 


Die Hütte auf der 


Und der Nachtigallen Klage 
Irrt am Haren Waſſerfall. 

Sieh des Fruͤhlings Erdentuß! 
Suͤßer Sänger, Mag’ nicht laͤnger! 

Warum miſch'ſt Du, immer baͤnger, 
Trauerklagen zum Genuß? 


Die Mutter und ihr 
Sie fchliefen beides 
Huf Hügeln, auf der Haide 
Blies ver Wind. 
Das Leimenhuͤttchen krachte, 
Doch Mutter nicht noch Kind 
Erwachte. 
Ganz arm und ungeliebt ſie ſind: 
Das — oe 
t wen egeben 
Yo after und bem Kind. 
Kein Engel mocht' fie umſchweben, 
Und nur der Schlaf, der Armen Freund, 
Saß an dem Lager eben. 
Und rauher ſtoͤßt dee Wind 
Das Hüttchen hin und wieder, 
Stuͤrzt's nieber 
a Mutter und auf Kind... .. 
S ift einfam auf der Haide, 
Die Mutter und bad Kind 
Sie ſchlafen beide. 


Ein altes Liedchen (Wr. 22, ©. 38). 
Man Tann nidht allzeit luſtig fein, 
Oft nugt ein traurig Weſen. 
Ah! wären alle Wafler Wein, 
Mic duͤnkt', ich würb’ genefen. 
Doch müßten beine Lippen 
Bor allen davon nippen, 
Mein lieblich Maͤgdelein. 
Ich hab' 'ne Huͤtt' von Tannenholz, 
Ein Rohr, ums Wild zu jagen. 
Ad wären alle Berge Gold 
Mein Derz, ih ging’ did, feagen. 
Do kann auf Königsthronen 
Kein treuer Liebchen wohnen 
Ks in dem grünen Wald. 


Die weiße Frau (Re. 40, ©. 52—53). 


„Was irrſt du, Maͤgdlein, trüb” und bang 
Am Lodenhaar, von Ort Ri Dt? 
Was irrſt du trüb’ unb einfam bort, 
Dem fonn’gen Hügelrand entlang?” 
Ich fpieite froͤhlich auf ber Flur, 
Und tief den bunten Baltern nad. 
Zu fpät, zu fpät da ſucht' ich ach! 
Auf weiter Au’ der Mutter Spur. 
Mein Haupt iſt von ber Gonne Heiß, 
Die and mir vom Durfte glühn! — 
„Ich weiß die Brombeeren in dem Grün, 
Den kaͤhlſten Born im Wald ich weiß.” 
Das weiße Weib fpricht mandjes Wort, 
und fagt, bei manchem fühen Blick, 
Das fie mit Frucht und Trank erquick', 
Und — trieb das arme Maͤdchen fort. 
Die Mutter irrte hin und ber, 
Bei Racht und Zag, bei Zag und Nacht. 
Sie bat im Haus fo Lang’ gewacht; — 
Das Mädchen kehrte nimmermehr. 


-&. Hauthal (gm. 5. F. Kranke). 


Haide (Mr. 36, &. 45). 
ind... 


Notice sur le roman en vers des sept sages de Rome. 
Paris 1839. 


Über diefes Kleine nur in 65 Eremplaren gebrudte- Schrift 
chen, daB mir jetzt erſt zugelommen, mögen mir ein paar Worte 
vergönnt fein. Der Verf., der fi ©. 34 G. B. unterzeichnet 
und dem Vernehmen nad Guſtav Brunet in WBorbeaur iſt, er: 
wähnt gleich auf ber erften Seite in einer Anmerkung, daß er 
ſich bei meinem Werte über ben „Roman des sep: sages’’ nicht 
aufhalten wolle, ba Loifeleur Deslongchamps alles für einen 
Sranzofen Intereffante aus meiner Einleitung feinem Werke 
über denſelben Gegenſtand einverieibt habe. ‚Mais nous ne 
nous y arröterons pas, car tout ce qu’elle offre d’interessant 
poue un locteur francais, se retrouve dans l'excellent Essai 
de M. Loiseleur Desiongchamps sur les Fables indiennes’ æc. 
Allerdings bat das zum Theil feine Richtigkeit, indem Kr. Loi⸗ 
ſeleur meine Ginleitung fammt BDrudfehleen und andern Irr⸗ 
thümern fleißig ausgebeutet hat. Herrn G. B. war das aber 
noch nicht hinreichend, denn er fagt ©. 4: „Cette dernidre 
publication (meine Ausgabe nämlich) 6tant d'un prix assex 
eleve, et ne convenant gueres yu’aux es familiaris6ses 
avec ia langue allemande, nous avons eu l'idée d’offrir aux 
amatenrs de notre ancienne littsrature un extrait que nous 
nous sommes amusds a eu faire, et que prudemment nous 
avons fait imprimer à petit nombre.’’ In diefem töblichen Vor⸗ 
fa beginnt er nun mit ber Bemerkung, welche inbeß nicht, 
wie man nadh der eben angeführten Rote vermutben follte, aus 
dem Text, fondern aus meiner Einleitung, bei der Hr. G. 8. 
fih „nicht aufhalten” wollte, genommen tft, ber von mir erſt⸗ 
mals herausgegebene „Roman des sept sages” fei „la plus 
ancienne r&daction connue de cet ouvrage en une des lan- 
gues modernes”. Hr. ©. B. legt hier dem Werke einen 

bei, den es mach meiner Anſicht nicht hat; er Hat 
naͤmlich S. xxx1 die Worte „die Altefte, voliftändig erhals 
tene Bearbeitung” überfehenz ich halte nämtich den Dolopathos 
für älter, ben wir jeboch bekanntiich nur noch fragmentarifch 


Ohne gehörige Rechenſchaft über den Inhalt der ganzen 


Dichtung werden fobann &. 6 einzelne Gtellen aus dem Ein⸗ 


sang (3. 1—4, 9— 12, 21 — 42), ferner die Befchichte vom 
Troſt der Witwe (3. 3680 fg.), endlich bie vom Zauberer Bir⸗ 
gitius (3. 3924 fg.) mitgetheilt, Leider ohne Beruͤckſichtigung ber 
von mir ſchon in meiner Ausgabe S. xuv fg. gegebenen Ber 
beffeeungen. So fiebt, um nur ein paar Beiſpiele zu geben, 
3. 3 et sample flatt Essample. 3. 3693 lies ooutiaus. In 
den barauf folgenden Zeilen iſt die Interpunction meiner Aus⸗ 
gabe unpaflenberweife verlaſſen. Ebenſo 3. 3717, 3892 fg., 
3931, 390. Die 3. 3781 Habe ich ſchon ©. zuvin verbefiert. 
3. 3875 fteht ia flatt i a. 3.3927 lies nigremanche. 3.4058 
nimmt Herr G. B. v für eine Baht, flatt für das Abverb. 
3. 4059 Lies despendes? 3. 4068 lies Adont dist li rois 
maintenant: signor, entendes mon samblant. 

Nach diefem Auszug aus dem metrifhen Roman kommt 
Hr. ©. 8. auf bie altfranzöfifchen Fortfegungen, zunaͤchſt das 
Bud „De Markes de Romme” zu fprechen und erzählt, wie 
9. Paris daruͤber bemerkte, es enthalte zwölf Erzaͤhlungen. 
„Nous allons en transcrire un tel qu’il se trouve 


& 
‚manuscrit 4096.” WMerkwürbige Sympathie! Dr. G. B. fällt 


auf das naͤmliche Beilpiel, das ih S. Lix— Lxxiii meiner 
von ihm nicht benusten Sinleitung gegeben babe unb welches 
er, nicht obne uUnrichtigkeiten, gleichfalls abbrudt. Weiter 
fommt er auf bie Branche de Cassiodorus: „Laissant & plus 
habiles que nous le soin de l’exploiter, nous ne renoncerons 
pas cependant à ouvrir A-peu-pres au hasard, le manuscrit 
4096, et nous lui emprunterons l’historiette sülvante”‘. Wahr: 
ſcheinlich war der Band von frähern Benugern ber noch an ber: 
felden Stelle gewöhnt aufzufallen, denn der Zufall führt Hrn. 
G. B. wiederum auf die gleiche Geſchichte, die ich in meiner 
Einleitung &. uxxııı fg. aus biefer Branche ausgehoben habe, 


Dathfelhaft bei der Sache iſt nur bie G. 30 ſtehende Bemer⸗ 
tung: „Nous sommes dans l’impossibilite de eonsulter les ma- 
nuscrits.’’ 

Weiter macht fih Or. G. B. mit der Gage von ben beis 
den Freunden zu tbun, aboptiet S. 28 die von mir S. ocxzxuı 
gegebene Deutung der Namen, beutet aber miles unrichtig mit 
guerrier flatt chevalier. Ich erwähne bei diefer Gelegenheit, 
daß bas altfranzdfiiche Gedicht über diefen Gegenſtand ſich hand⸗ 


ſchriftlich aud auf ber karlsruher Hofbibtiothel, ber gebrudte - 


franzöfifche Yrofaroman auf der täbinger Univerfisätsbibliotkel 
befinbet. 


Daß der Verf. ben Kaifer Octavian, Magelone, Ritter 
Gay u. f. w. ale Epifoden des franffurter Wuchs ber 
Liebe aufführt, daß unfer Wirnt von ——— Wirich, 
ver Engländer Ellis zum Ellies wird und dergleichen, kann nach 
dem Bicherigen nicht auffallen. Nous ne nous y arreterons 
pas. Nur die ſpaniſche Romanze von Bergilios, welche 
auch in Ochoa's6 „Tesoro” &, 1 abgedruckt ſteht und 
Hr. 6. 3. mit unferm Zauberer Birgilius in WBerbindung bringt, 
bemerfe ich noch, daß mir biefe beiden Virgile nicht zuſammen 
zu gehören fcheinen. 

Am Schluſſe bes Schriftchens bemerkt Dr. G. B. über 
men Wert: „Nous basarderions volontiers la r&produc- 
tion de P’euvrage dont mous nous sommes bornds & detacher 
deux fragments; mais” u. |. w. Sollte ſich derſelbe wirklich 
ernfttich verſucht fühlen, dieſen Plan ausmführen, fo ift nur 
zu wünfden, daß dies zu einer Zeit geſchehe, wo bie oben ber 
zührte impossibilit6 de consulter les manuserits nidyt mehr 
ftattfindet, denn Verbefferungen bebarf mein in großer @ile dem 
Manufeript entraffter Text wol, und ich werde ſolche flets freu: 
dig begrüßen, Tönnte dem Hrn. &. 8. in diefem Fall auch bie 
Freude taffen, meine 246 Seiten fällende Einleitung aus zubeu⸗ 
ten und hinterher zu verfihern, ich babe ben Text nu et sans 
aucun &claircissement gegeben. Abelbert Keller. 





Bibliographie. 


Anton, ©., Wörterbuch der Gauner: und Diebesſprache. 
Mit befonderer Hervorhebung ber verfchiebenen Ktaffen von Raus 
bern, Dieben und Diebeshelern und Bemerkungen über ihre Ber: 
drehen und Machinationen. Re verbefferte Auflage. Magde⸗ 
burg, Baenſch. 8. 7Y, Near. 

Arndt, E. M., Verſuch in vergleichender abifergeichiähte. 
Leipzig, Weibinann’fche Buchhandlung. Br. 8 2Xhtr. 1), Near. 

Barth: Barthenheim, 3. 8. E. Graf v., Öfeeih’e 
Schul⸗ und Studienweſen mit befonderer Ruͤckſicht auf bie 
Schul⸗ und Studtenanftaiten im Erzherzogthume Öftreich unter 
der Sans. In 2 Abtheilungen. Wien, Braumüller u. Seidel. 
Gr. 8. 4 Ihr. 20 Ror. 

Beder, A., Die Bollephitofophie unferer Tage. Reu⸗ 
münfter, Def. Gr. 8. TIL Mer. 

Ausführiicher Bericht über das articufirte Verhoͤr und die 
erhobene fiscatifche Anklage gegen die Herren Jambers, Wurmb, 
Doder und Meldau in punto erlaflener, verfaßter und verbyeis 
teter yasqnilke gegen das hoͤchſtpreisliche Obergericht und vers 
fchiebene Mitglieder der hochweiſen Hamburger Senats. ent: 
lich veriefen im dam burgiſchen Niedergericht am 13. Maͤrz 1843. 
Altona, Heilbutt. 8. 9 Nor. 

Der Bravo. Erzählung in Werfen vom Verfafler bes Maus 
ren und bes Nienegaten. Bresiau, Graf, Barth und Komp. 
1842. Gr. 8. 17%, Nor. 

Breier, E., Die Huſſiten in Ludiz. Roman. Wien, 
Stoͤckholzer von Hirfchfeld. 8. 1 The. TA Nor. 

Dobeneck, Magbalene Freifrau v., Briefe und Tages 
suchblätter aus Frankreich, Irland und Stalien, mit einem klei⸗ 
wen Anhang von Compofitionen und Gedichten. Nürnberg, 

Row. Gr. 2. 1 Thir. 


Drobiſch, Ah., Thron und Herz. Hiſtoriſcher Roman. 
Eeipzig, Peter. 8. 1 Thir. 15 Mer. or 

Le Droit canen, et son application i l'églias 
testante. Manuel tradeit de l’Allemand, par Henri —* 
Leipzig, Brockhaus u. Avesarius, Gr. 8. I Tur. 25 Ner, 

Die Erübrigungsfeage des bairifchen Staatsrechts. Min 
den, Franz. Gr. 8. 5 Ner. 

Eydam, J., Die Erſcheinungen des Magnetismus in ihs 
ver Verbindung miteinander. Rach den neueflen Entbedungm 
im Gebiete des Elektro» Magnetiömus und ber Inductions : Elek: 
tricität, für Freunde ber Raturwiſſenſchaften und befondert für 
Ärzte ausführlich bargefkeilt Mit 60 Abbildungen. Weiner 
Hoffmann. Gr. 8, 1 Thir. 26%, Nor. ' 

Frang, G., Beundzüge des wahren und wirklichen abfe 
Iuten Idealiemus. Berlin, Hermes. Gr. 8. 1Thirx. 15 Rer. 

Strom. Gonstte. Stuttgart, Hallberger 


Knapp, %., 
8. 2 


Kromm, 3. J., Dis wangelifh ti 
kirche Deutſchlande. ——— us 


gr. 
Kudraß, K. J., Religidie Dichtungen. Breslau 
Barth u. Comp. Gr. 8 \ Thu. 10 * vestan, Sr, 
Kugler, F., Vorlesungen über die Systeme des Kir- 
chenbaues gehalten am 4. März 1843 im wissenschaftlichen 
Verein zu Berlin. Mit 7 Abbildungen. Berlin, Gropius. 
Gr. 8* al— Ngr. 
bier, 3. H., Leitfaden der mathematifchen und 
mine phyſiſchen Geographie. Btuttgart, Gotta. 8. ae 
gr. 


Magha’s Tod Cigupala. Ein sanskritisches Kunstepos. 
Übersetzt und erläutert von U. Schüts, Iste Abtheilung 
Übersetzung, Gesang 1— XI. Bielefeld, Velbagen u, Kla- 
ring. Lex. -8, 1 — 2 Ner. 

orden, M., Erzählungen. 2 heile. Leipzig, Wiens 
brach 8. 3 Tpie. 10 Has. me Eh, 

Denferofo, Das fchöne Maͤdchen am Gmünder See. 
Novelle. 3 Theile. Leipzig, Wienbrad. 8. 3 Thlr. 10 Ner. 

Ausgewählte Predigten ſchwediſcher Kanzelredner des neun: 
gehnten Zahrhunderts. Aus dem wediſchen von &. Benz: 

en. ifter Theil: Auswahl aus den Predigten des Grabifchoft 
Wallin. Luͤneburg, Herold u. Wahlſtab. Gr. 8. 1 Zptr. 

Rau, K. H., Zur Kritik über F. Liſt's nationales Ey: 
Dem set politifchen Skonomie. „Beidelberg, Winter. Sr. 8. 

gr. 

Reiner, I3., Genealogie des Hochfuͤrſttichen Hauſes Ho⸗ 
henzollern. Gin Beitrag zur Gefchichte deſſeiben. Gtuttgart, 
Bed En Beänet Gr. 8 150 a ver den 

auer Rovellen von F. Kieophas. 2 Bänke. ⸗ 
sig, Peter. 8. 1 She. 15 Kgr. er 

Die Schweiz und ihre Bundesverfaffung. Zuͤrich, Literar. 
Comptoir. Gr. 8, TY, Rgr. 

Über Befeftigungen zus neueren Rriegfühwung. Mit einer 
Karte von Guropa und 14 Plänen. Wien, Braumäller und 
Seidel. Gr. 8. 1 Thir. 20 Roar. 
eh ie au einer den een und neuen Zwieſpalt Ver 

nde verjöhnenden Reorganifation bes Adels. A 
Beeiin, Kroplus. Paco 1 10 Ror. Atx Kuflag 
ner, Edler von Maithſtein, Die ungarifden 
Yubliciften über bie Broſchuͤre: „Ein Hauptbindernig 8 Fort: 
ſchritts in Ungarn.” Wien, Gerold. Gr. 8. 12, Ror. 

Bittde, 8. I. T. Die Verpflihtungen, Berichtigumgm 
und Wuͤnſche bes preußifchen Arztes. Ein Beitrag zu Reform 
ber Mebicinat » Berfaffung Preußens. 

gr. 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brockhaud. — Drud und Verlag von F. X. Brodpaus In Leipzie. 


Erfurt, Müller. &r. 8 


| 





Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Donnerstag, 


1. Juni 1843. 


m 
| Zur Nachricht. 

Bon diefer Zeitfchrift erfcheint außer den Beilagen täglich eine Nummer und ift ber Preis für den Jahrgang 

12 Thlr. Alle Buchhandlungen in und außer Deutfchland nehmen Beftellung darauf an; ebenfo alle Poftämter, 

die fich an die Eönigl. fächfifche Zeitungserpebition in Leipzig oder dad koͤnigl. preußifche Grenzpoſtamt in 


Halle wenden. 


Die Berfendung findet in WBochenlieferungen und in Monatöheften ftatt. 





Bülow: Cummerom. 
Preußen, feine Verfoffung, feine Verwaltung, fein Verhaͤltniß zu 
Deutſchland. Bon Bülow: Summerow. Zweiter Theil 
Sena, Frommann. 1843. Gr. 8. 1 Tolr. 15 Nor. 

Daß der Verf. ein gefcheiter, von der Natur mit 
tüchtigen Anlagen ausgeflatteter und bdiefelben zu gebraus 
chen verfichender Mann fei, haben wir fchon bei ber ſehr 
ausführlichen Beurtheilung des eriten Theile feines Werks 
in d. Bl. bekannt *), und erhalten durch diefen zweiten 
Theil Deranlaffung, dies Urtheil nicht nur zu beftätigen, 
fondern fogar die Beſchraͤnkungen und Vorbehalte wegzu: 
laffen, welche wir das erſte Mat hinzuzufügen nicht umhin 
tonnten. Der Berf. hat feine Zeit gut benutzt; man 
ſieht, baß er über die Gegenflände feiner Schrift weiter 
and reiflich nachgebacht, daß er die ihm gemachten Auss 
ſtellungen mohl erwogen und dazu benugt bat, um tiefer 
und zufammenhängender in die Sachen einzudringen, mit 
einem Worte, daß er zu begründeten Ausſtellungen weni: 
ger Anlaß gegeben, vielmehr faſt überall die Anerkennung 
feiner Anfichten von deren richtiger Auffuffung und bes 
urtheilung ſich erworben hat. 

Es konnte nicht ausbleiben, daß eine Schrift, wie der 
Verf. veröffentlicht Hatte, eine geoße Aufmerkſamkeit auf 
ſich zog und vielerlei Anfechtungen erführ. Als ein weis 
fee und bedaͤchtiger Mann erweiſt derſelbe ſich ſchon das 
durch, daß er durch dieſe letztern ſich im mindeſten nicht 
aus ſeinem Gleiſe und ruhiger Erwaͤgung hat bringen 
laſſen, ebenſo wenig aber ſie gering geſchaͤtzt und uͤberſehen, 
und daß er, was ſchon zur Annehmlichkeit der Form unge⸗ 
mein beitraͤgt, es vermieden hat, auf das Einzelne einzugehen 
und es zu beantworten, vielmehr ſolches auf allgemeine Be⸗ 
trachtungen und wichtige Momente von ihm gebracht und 
zuſammengefaßt worden iſt. Solchergeſtalt brauchte er we⸗ 
der Geſtaͤndniſſe daruͤber abzulegen, wo er bekehrt worden, 





” Bel. Nr. u—N ». Bl. f. 1088, D. Red. 


was ſich von ſelbſt aus der anderweitigen Behandlung ber 
Dinge ergibt, noch burfte er in Nebenbetrachtungen und 
Befonderheiten eingehen, wodurch Abirrungen von den 
Hauptfeagen herbeigeführt wurden. 

Der Verf. ſelbſt claffificirt die Schriften, welche bie 
feinige hervorgerufen bat, und ſtellt (S. vır) in bie erfle 
Linie „die intereffanten und mannichfachen Belprechungen 
der Tagesblaͤtter und Zeitfhriften, die fo mefentlich dazu 
beitragen, ein politifches Intereffe zu erwecken und die Ans 
fihten des Publicums über die behandelten Gegenftände 
zu berichtigen”. Diefer Anerkennung uns erfreuend, wers 
den wir in der audgefprochenen Abfiht auch diefen zwei⸗ 
ten Shell mit derfelben Ruhe und Parteiloſigkeit durch⸗ 
gehen und beurtheilen, als bei dem erfien unfer Beftreben 
gewefen ifl; aber mir werden uns weit kuͤrzer faſſen, weil 
wir meiftentheild nur zu berichten, nur wenig zu wider⸗ 
legen haben, indem wir faft überall mit dem Verf. nuns 
mehr übereinftimmen. Selbſt Jenes erleichterte er uns 
dadurch, daß er die Geſchicklichkeit befigt, den Inhalt feis 
ner Ausführungen in wenige treffende Schlagworte zuſam⸗ 
menzudrängen, deren Anführung es nur bedarf, um unfere 
Leſer auf die Standpunkte bes Verf. zu führen. 

Über die drei aligemeinften und wichtigften Gegenſtaͤnde 
feines Buchs legt der Verf. fein Glaubensbekenntniß im 
der Einleitung offen und unummunden ab. Nach feiner 
Anſicht, die er jedoch ausdruͤcklich mur für feine indivi⸗ 
buelle erklaͤrt, iſt 

1) dee um die Hegemonie Preußens angeregte und ges 
führte Streit entweder ein Hader um ein Phantom oder 
um eine ausgemacdhte und nicht abzuändernde Sache, ie 
nachdem man ben Sinn jenes fremden Wortes faßt. 
Denn Preußen kann nach feiner ganzen Lage niemale im 
Schilde führen, fih eines Einfluffes und einer Gewalt zu 
bemächtigen, durch welche die Übrigen Staaten in Deutſch⸗ 
land gefährdet oder in ihrer Hoheit beeinträchtigt werben 
tönnten. Preußen bebarf ebenfo fehr ber Einigkeit und 


des Zuſammenwirkens mit dem übrigen Deutfchland, als 
umgekehrt diefes fich nicht verhehlen kann, daß es des Zus 
fammenhaltend mit Preußen bedarf und ohne Diefed ohn: 
mächtig fein würde, 

Darin etwas Kräntenbes zu finden, wenn Preußen eine 
Schutzmacht oder der Vorfechter von Deutfchlanb genannt wird, 
beweift eine fo reizbare Empfindlichkeit, baB man dahinter einen 
Eranthaften Zuftand beforgen muß, weil außerdem es den Brauns 
ſchweiger oder Sachſen nicht verlegen koͤnnte, bes fchügenden 
Beiftandes des ftärkern Bruders zu gebenten. Denn in ber 
Jamilie findet Leine Eiferſucht flatt. 

Iſt auch das deutfche Volk lange noch nicht eine Samilie, 
thut e6 ihm doch fehr moth, es zu werben, 

3) Für Preußen ſelbſt iſt der Verf. der Meinung, 

daß es (S. xvı) noch nicht an der Zeit fei, eine vollkom⸗ 
men ausgefellte Verfaſſungsurkunde zu entwerfen, fondern 
die Aufgabe der Zeit nur darin beftehe, das Material zu 
einer folchen zufammenzutragen und gewiſſe Vorurtheile 
zu befämpfen, die dem Baue entgegenftehen, fowie gewiſſe 
Anfichten zu bevorworten, welche unter allen Verhaͤltniſſen 
wahr bleiben und deren Eingang mwohlthätig auf die weis 
tere Entwidelung wirkt. Daß bie Verfchiedenheit der Ans 
und Abfichten fo groß iſt, macht eben, weil die Verfaſ⸗ 
fung ſich noch in ber Entwidelung befindet und feinen 
feften Anhaltepuntt gibt. Die Überzeugung des Verf. 
aber ift es, daß für Preußen die heilfamfte Verfaſſung in 
der ftändifchen Monarchie liegt, wenn dieſe fi vollkom⸗ 
men principgemäß ausgebildet haben wird, und zwar mög: 
fichft auf hiftorifcher Grundlage, allein mit nothiwendiger 
Beruͤckſichtigung der vorgefchrittenen Zeit, des Bildungs: 
grades des Volks und der Verhältniffe nach außen. 
- Wir fobern eine flarke, d. h. in ihrer Bethätigung uneins 
gefchränkte und unbehinderte Regierung, bekennen uns aber ale 
entichiebenften Gegner bes Abfolutismus, weil diefer antimonar: 
chiſch, außergefegtich ift, und weil es felbft gegen die Religion 
ftreitet, eine Regierung mit und nach Willkür zu führen oder fühs 
ren zu laffen. Denn der Monarch, weldher von Gottes Gnaden 
regiert, oder nur Gott und feinem Gewiffen verantwortlich iſt, 
muß fih auch die göttlihe Regierung zum Vorbilde nehmen, 
in welcher es keine Willkür gibt, fondern eine unmandelbare 
Ordnung ber Dinge. Da es indeſſen Feine einfeitigen Rechte 
geben kann, fondern biefe an Pflichten gelnüpft find, fo glaus 
ben wir, es liege im wechfelfeitigen Interefle des Monarchen, 
wie „oe Volks, daß fie durch die Verfaſſung fcharf beftimmt 
werben. 

Hiermit roiderfpricht fi der Verf. aber ſelbſt, wenn 
er meinte, es fei noch nicht an ber Zeit, die Landes» oder 
Regierungsverfaſſung dermalen ſchon vollftändig zu be: 
flimmen. Denn welcher Unterfchied fol hier zwifchen den 
Befchaffenheitsworten: volftändig und ſcharf obwalten? 
In einem Berfaffungsgefege hängt alles Einzelne, was 
den Nechtözuftand der Regierung und des Volks betrifft, 
genau zufammen, weil fie ein organifches Ganze ausma= 
hen, in welchem jeder Theil den Zuftand und die Thaͤtig⸗ 
kelt eines jeden andern bedingt, ſodaß es unmöglich ijt, 
gemeſſene Beſtimmungen für den einen zu geben und dabei 
die übrigen unbeſtimmt zu laſſen. Es iſt mithin ein 
ganz unausführbarer Gedanke, eine Berfaffung ſtuͤckweis 
und in verfchiedenen Abfchnitten einzuführen oder zu ha⸗ 
ben, was nur Stud: und Flickwerk und für ein zuſam⸗ 


mengefugtes Ganze ganz unbrauchbare Materialien zuſam⸗ 
menbringen und den Rechtszuſtand nicht ordnen, fonbern 
verwircen und verdunkeln würde. Iſt es für den Staat — 
und jeder Staat beflcht in feinem Volke mit felner Re 
gierung — von wichtigem Belange, daß fein Mechtszufland, 
d. h. eben die gegenfeitigen Pflichten und echte, mögs 
lichſt genau beſtimmt werden, und iſt unleugbar das öf: 
fentlihe Wohl das erfte und hoͤchſte Staatsgeſetz, fo heißt 
ſolches mit andern Worten nichts Anderes ausfprechen, 
als das Gebot der möglichft vollftändigen Beſtimmung der 
ganzen Verfaſſung. Eine adfolute Vollkommenheit ift von 
Menfchen weder zu begehren, noch würde fie für fie tau⸗ 
gen. Die Vervollkommnungsfaͤhigkeit des Menſchen if 
fein Zuftand und feine Würde; darum muß ihm in als 
len Stüden und zu jeder Zeit Dasjenige genuͤgen, was In 
ihe zu befchaffen ift, aber auch nicht ſchlechter, Leichtfer: 
tiger und feichter, ale es in ihre zu gewähren ifl. Nie 
kann es einen abgefchloffenen und unveränberlichen Zuftand 
geben; eine Nechtsvorfchrift dafür, welche davon ober dar 
auf ausginge, würde eben darum fchon eine unmenfchlice 
und rechtswidrige fein. Aber ebenfo fehr fireitet «6 mit 
der Vernunft und bem Rechtsgebote, nicht zu ſchaffen und 
berzuftellen, was diefelben erheifchen, fo gut, als es m 
liefern if. Denn es bleibt eine Verfündigung an Gott 
und an der Menfchheit, fich dem zu entziehen, es unter 
irgend einem Vorwande zu verfchieben, es ungethan fein 
zu laflen. 

Es kommt ganz und gar auf Eins heraus, wie man 
fid) den Entflehungs: und Rechtsgrund ber obrigkeitlichen 
Gewalt vorftelle, ob aus einem Wertrage, oder aus götts 
licher Beſtimmung hervorgehen. Denn Derjenige, der. 
aus Gottes Gnade auserkoren ill, der Regent Anderer, 
das Oberhaupt feiner Unterthanen zu fein, wird dadurch 
ein Unmenſch, fondern if vielmehr das Haupt einer 
menfchlichen Gefellfchaft, welche in feinem Gliede ihre 
Vernunft und Würde verleugnen kann, deren Haupt viels 
mehr dasjenige Sieb vorftellen muß, in welchen die Ger 
bote der Vernunft zum klarſten Selbftbemußtfein kommen, 
in denen ſich dee Wille Gottes kundbar macht. Bon 
Gottes Gnaden, ober nach feinem gnädigen Willen und 
Beftimmung, nad göttlicher Anordnung, Regel und Ges 
fe, will Altes gleich viel fügen. Die Pflicht „gegen Gott 
ſchließt alle Pflichten gegen den Naͤchſten von ſelbſt in ſich, 
wie denn die Gebote: Liebe Gott und Liebe den Nächiten 
wie dich felbft, von gleihem Werthe und Inhalte find, 
weil wie unfere Liebe gegen Gott nur durch bie Erfüllung 
unfers Berufs unter unfern Nebenmenfhen erweifen kön 
nen. Ein von Gott auf feine Stelle berufenee Monardy 
ift alfo ein Diener des Höchften mit dem und in dem 
Berufe, feine aus feiner Stellung fliegenden Obliegen heiten 
nach Kräften zu erfüllen, an Gottes Stelle feine Unter: 
thanen zu regieren, die Gelege Gottes und der Vernunft 
unverbrühlid und unerlaßlich zu beobachten und geltend 
zu machen, und folchergeftaft gefegmäßig zu regieren, von 
Wilke, Neigung, Laune oder Leidenfchaft aber fidy nicht 
befchleichen zu laffen, fo viel an ihm if. Er ifl von 
Gottes Gnaden deſſen Werkzeug nur infoweit, als er 





Neſem feinem Berufe nachlebt und ihn erfuͤllt; im entge⸗ 
gefegten Kalle wird er eine Plage, welche die Vorſehung 
ber die Menfchen fendet, um fie zur Erkenntniß und 
Beflerung zu bringen, auch ſich davor zu fchügen. Go 
wenig eine göttliche Regierung in Willkuͤr denkbar ift, fo 
wenig kann ed einen Stellvertreter Gottes auf Erden ges 
ben, der ohne Geſetz und Richtſchnur über Menfchen ge: 
bietet. Alte Verſchiedenheit zwiſchen Regierung und Defpo: 
tiomus, zwiſchen Monarchie und Tyrannei befteht in dem 
Vorhandenfein oder dem Mangel des Geſetzes. Ohne Ges 
ſetzchkeit iſt nirgend eine Rechtmäßigkeit der Regierung 
vorhanden, mithin die Verpflihtung unleugbar, im Privat: 
wie im Staatsrechte alle Verhaͤltniſſe durch Geſetze zu re: 
gein. Weil aber die Stellvertreter Gottes auf Erden nicht, 
wie Er Selbft, Altes wiffen und unwandelbar eroige Geſetze 
aus fich entnehmen koͤnnen, fondern weil fie, als Mens 
fen, nur nah Maßgabe ihrer Einfihten und Erkenntniß 
des Mechten daſſelbe zum Gelege erheben können, muß jede 
menfchliche Gefeggebung in die Zeit eintreten und mit ihr 
fortfchreiten, ſonach ihrer Natur nach veranderlid fein, 
doch aber unverbrüchlich, fo lange fie gilt, weil es außer 
dem kein Sefeg fein würde. Weil ferner Menfchen nicht 
lediglich im Geiſte und deſſen Vernunfterkenntniß leben, 
fondern vermöge ihrer Leiblihen Erſcheinung auch unter 
Umgebungen und Umftänden, welche auf ihre Zuftände 
und ntfchließungen einwirken, muß es eine doppelte 
Mechtsquelle unter den Menſchen geben, die Vernunft und 
die Geſchichte, oder die Folge von Begebenheiten, aus de: 
nen ein Rechtsverhaͤltniß fih entwidelt hat. Da das 
Entfichen und Beſtehen eines jeden Rechts in der Mirk: 
lichkeit dadurch bedingt ift, daß e8 dem Charakter und den 
Erfodernifien des Rechten und Gerechten überhaupt ent: 
fpricht, und da der vernünftige Geiſt das Weſentliche und 
Bergängliche, alle zeitlichen und geſchichtlichen Beſchaffen⸗ 
beiten aber das Vergängliche und Unmefentlihe ausmachen, 
fo ſtellt ſich dadurch von felbft die Regel für die Geltung 
Des Vernunft- und des biftorifchen Rechts heraus. Die: 
ſes gebt jenem in der Beobachtung, jenes diefem in der 
&eltung vor; es kann gefchichtlich nichts zum Rechte wer: 
den oder beftchen, was feinem Weſen nach Unrecht iſt; 
wodurch aber kein Unrecht gefchieht, das muß beobachtet 
werden, fobald ein Recht darauf erworben murde. Es 
hindert um deswillen auch ein beſtehendes Recht die Ein: 
gehung einer entgegengefegten Berpflichtung. 

Ob das geltende Recht ein gefchriebenes oder unge: 
fchriebenes fei, muß für feine Guͤltigkeit ganz gleich fein, 
mithin auch einerlei, ob das pofittve Recht durch Vertrag 
oder Vorſchrift der Geſetzgebung ausdrüdtich, oder durd) 
Herkommen und Gewohnheit flilffchweigend aufgelommen 
und eingeführt worden iſt. Dagegen bringt es die Be: 
flimmung und der Zweck alles Gefeges mit fi, daß es 
gewiß, alſo deutlih und beftimmt, fein müfle, weil die 
Ungeroißheit die Nothwendigkeit der Beobachtung aus: 
fchliegt. Eben hieraus folgt die gebieterifche Nothwendig⸗ 
keit der fchriftlichen Abfaffung und Aufbewahrung der gel: 
tenden Gelege, mit Einfhluß aller Verfaffungsbeilimmun: 
gen, damit ſowol Über das Borhandenfein als über bie 


Faſſung und den inhalt der zur Richtſchnur bienenden 
Vorſchriften aller Zweifel, Widerfpruh und Unficherheit 
nah Möglichkeit vermieden, vielmehr außer Anfechtung 
geftellt werde, was geſchichtlich Rechtens geworden fei, und 
in welcher Art, damit ferner, was gefchichtlich noch unbes 
flimmt geblieben, durch die Gefeggebung der Wernunft zu 
Jedermanns Befolgung vorgefchrieben werde. Denn die 
menſchliche Vernunft ift ihrer Natur nad ‘Reine untrüg: 
liche Fertigkeit in der Mechtserfenntniß nach ihrem ganzen 
Umfange, fondern nur eine durch den Gebrauch zu ver: 


-volllommnende Anlage dazu, ſodaß das Muß der Vervoll⸗ 


tommnung über den Grab der Gediegenheit der Erkennt: 
niß entfcheidet, mithin unter ben Einfihten Mehrer die 
Gefeßgebung anzugeben hat, was, weil ihr entfprecyend, 
Alte verbindend fein fol und muß. Es fteht folglich Bei: 
neswegs in dem Belieben der Regierungen, die Landes⸗ 
verfaffung durch eine möglichft voltitändige, beſtimmte und 
zuverfichtlihe Verfaffungsurkunde, oder auch Urkunden, ins 
Klare zu ſtellen, fondern folches ift eine ihr durch ihre 
Stellung auferlegte Obliegenheit, der fie ſich ohne geredys 
ten Vorwurf nicht entziehen mag. Wir find hiernach mit 
dem Berf. nicht allein hierüber völlig einverflanden, ſon⸗ 
dern rechnen es ihm noch befonders zum Verdienſte an, 
daß er die ſcharfe Beſtimmung der gegenfeitigen Rechte 
und Pflihten für unumgaͤnglich nöthig erachtet hat. Denn 
gewoͤhnlich ift bisher immer nur von den Rechten, und 
gar nicht von den Pflichten die Rede gewefen. Aber 
nicht blos darum, weil Rechte und Pflichten immer wech: 
felfeitig find, fondern bauptfädhlich darum, weil im Man: 
gel pofitiver Entſtehung alle Rechte des natürlichen Staats: 
rechts nur aus den Verpflihtungen, als Mittel und Be: 
dingungen ihrer Erfüllung, hervorgehen und niemals wei: 
ter gehen, fodaß ihr Umfang dadurch genau bemeflen wird, 
folften die Pflichten jtet6 den Rechten vorausgeſchickt, oder 
auch nur jene aufgeführt werden, indem bie gegenliber- 
fiehenden Rechte daran von felbft abzunehmen waͤren. 
Man erachtet leicht, welch eine große Meform in ber Be: 
handlung und dem Erfolge des ganzen Staatsrechts dar: 
aus hervorgehen würde, wenn daffelbe zum Vorwurfe er: 
hielte, vor allen Dingen den Umfang und die Leiftungs- 
art der Verpflichtungen der Regierungen gegen die Unter: 
thanen, und ebenfo umgekehrt, feftzuftellen. Es würde 
hiermit ganz von felbft das Sagen nad Erweiterung der 
Rechte und das Außerachtlaffen der Obliegenheiten darüber 
ſich verlieren und an deſſen Stelle die Auffuhung und 
Ermittelung des Pflichtenkreifes und der durch diefen be: 
grenzten Rechtöfphäre treten. Welcher unausfprechlidye Ge: 
winn für die Ausbildung des Rechtsſinnes! 


Wenn nun der Verf. fortfährt: 


Es folgt hieraus, daß der rechtliche Verfaffungszufland nies 
mals einfritig verändert werben kann unb daß, wie dem Mons 
archen die ganze ausübende Macht zu Gebote ſteht, um feine 
Rechte zu ſchuͤßen, aud den Ständen bie Befugniß zuftehen 
muß, die ihrigen zu wahren, wobei wir uns in der Beantwor⸗ 
tung ber Brage, wie bie® zu bewerkftelligen, von Denen trennen, 
welche foldyes durch die Theilung der Staategewalt, Verant⸗ 
worttichfeit ber Minifter und jährliche Steuerbewilligungsbefugs 
niß zu erzielen meinen: 


Hlumenreiche Wirklichkeit hinabgesogen bat, gluͤcklich zu 
entziehen geroußt hat, vielleicht in bankbarer Erinnerung 
an die edein Beflrebungen Bellamp's und feiner Freunde, 
die es für eine um fo höhere und nothwendigere Ber: 
pflihtung der hollaͤndiſchen Künftier in Bild und Wort 
erkannten, das Gefühl für ideale Schönheit zu nähren 
und zu pflegen, je mehr fie durch Elimatifche Bedingungen 
des Bodens und durch phyſiſche und politifche feiner Be: 
wohner von dem Himmel, den fie wie über ihren Land» 
ſchaften auch über ihren Dichtungen durchſichtig in fchönen 
Farbentoͤnen ſchweben laſſen follten, zur Erde hinabgezogen 
und gleichſam hinabgedruͤckt zu werden Gefahr laufen, alſo 
dag aus Schäferbildern und Scyäfergedichten leichter als 
anderswo Schäfereibilder und Schäfereigedichte werden. 

Denn wenn irgendwo fo befonders in Holland beftä- 
tigt ſich die Thatfache, daß jedes Kunfigebild den Charak⸗ 
ter und die Karbe des Bodens trägt, dem es feine Ent: 
ftehung, feine Pflege und Erſcheinung verdantt. 

Sagen doch felbit- Willems in „Verhandeling over 
de Nederduijtsche Taal en Letterkunde ” (Antwerpen 
1819), Th.2, S. 11, und Brandt im „Leven van Von- 
del”, &. 5, von dem in Köln geborenen aber in Amfter: 
dam erzogenen und durch feine eigenthümlichen Lebensver: 
haͤltniſſe, Anfichten und Schickſale fo merkwürdigen Von⸗ 
det: „Hij was wel buiten Holland gebooren, maar met 
hollandsch melk opgevoed, en door geduurige inwoo- 
ninge een Hollander en Amsterdammer geworden”, und 
in der That ftelle kein Dichter fo die Verſchmelzung einer 
echtdeutfchen und, um fo zu fagen, Ins Dolländifche übers 
ſetzten Kraftnatur dar, als eben diefer Vondel, von dem 
man mie von Hercules fagen kann, daß er das Gluͤck ges 
habt, zugleih an einer unfterblichen und an einer fterblis 
chen Bruft gefogen zu haben. Aber das finnliche Trach⸗ 
ten nach unten, um deffentwillen ein ebenfo unfeines als 
wahres deutſches Wortſpiel die niederländifhe Kunſt eine 
niederträchtige genannt hat, und das bald mehr bald we⸗ 
niger behagliche, ja uͤppige Verweilen in den zwiebels, obfts, 
wildprets und heerdenteichen Auen und fetten Marfchen 
der niederländifchen Ebenen fegt den Dichtern und Kuͤnſt⸗ 
fern große Schwierigkeiten entgegen, vwoeil den umnebelten 
Augen leicht die Höhenpunkte des antiten Menfchenlebens, 
der Parnaß und Helikon nicht nur, fondern auch bie felis 
gen und befeligenden Lichthöhen de Olympos entſchwin⸗ 
den, und mit ihnen zugleich das Streben, zur Füuͤlle die 
Keoft, zur Geſtalt die Bedeutung, zur Naturwirklichkeit 
und Naturtreue die ewige Wahrheit und Schöne, zu oder vor 
oder Lieber ſtatt der Moral die individuell dargeftellte und 
duch fich felbft redbende Handlung, und endlih zu ber 
idyſliſchen Anmuth zugleich die heroiſche Erhabenheit *) 
hinzuzufügen. Wenn nun aber der hollaͤndiſche Pegaſus 
leichter zu Falle oder in den Sal kommt, in den Erga⸗ 
flerien und Phrontifterien des Alltagslebens die Flügel wo 
nicht zu verlieren, doch nicht zu gebrauchen und, feine gött: 
lihe Abkunft, feine himmliſche Heimat vergeffend, bie 


— — — — — 


e) Der Parnaß nicht nur wird von ben Alten biceps genannt, 
fondern von Spätern auch der Kraftmuskel bes Oberarms. 


klace Quelle des Genius zu tehben, befto eifelger und ans 
geftvengter und beharrlicher*) muß die Muſe, die bekannt: 
lich ohnehin der Sittige zu entbehren pflegt, darauf bedacht 
fein, ihren hohen Beruf fi unausgefegt vorzubalten, uns 
ter Anführung des aus Truͤmmern durch das Licht immer 
neues Leben hervorrufenden Apollon, zugleich mit den Waͤch⸗ 
teen des Olympos, den früchtefpendenden Doren, und ib 
ren bolden Schweſtern und den befiändigen Begleiterinnen 
Aphroditens, den Ehariten, erfteuend und erhebend, bie 
ewigen Freudenfeſte der Dlympier zu zieren und zu em 
böhen. 

Je inniger und aufrichtiger wir es nun bedauern, fu: 
gen zu müffen, daß es feldft dem für feine Zeit großen 
Cats, ebenfo wie Huygens, Kamphuyzen u. U. zum ger 
tehten Vorwurf gereicht, flatt der verkörperten und ans 
fhaubaren Ideale uns nur Materie in poetiſchen Scha⸗ 
len, nur Stoff in verfificinter Gewandung, und, um ein 
Beifpiel anzuführen, die Liebe (es iſt nicht genug zu be: 
achten, daß bei ber Aphrodite der Alten die Schönheit um 
der Gottheit willen, die Chariten aber um der Schönheit 
ſelbſt willen da waren) nicht als ſolche, d. h. als eine 
Goͤttliches wirkende Göttin, fondern als eine, wie Bon: 
ring **) fagt, gute Eheleute machende und folgfame Kin: 
ber zeugende, alfo blos praktiſche menſchliche Frau dar 
und bingeftellt zu haben — defto freubiger begrüßen wir bie 
Aufmunterung ber ehrenmerthen Hollaͤndiſchen Geſellſchaft 
der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften, durch welche fie 
den fait allgemeinen Übelftänden zu begegnen fucht, bie 
den Genuß auch ihrer beften Gedichte mehr ober weniger 
beeinträchtigen, und welche bei Vondel's Kraft, Fuͤlle und 
Originalität, bei Hooft’s Würde, Harmonie und Anmuth, 


»), Denn im rubdigen und Haren Beharren und Aubharren bei 
dem für wahr und gut und ſchoͤn Erkannten zeigt ſich vorzugsweife 
die Wefenbeit und Kraft des Genie, deſſen zweite — die ackine 
ober prodwtive — Gigenfhaft die felbfländige Darftellungdgabe if, 
gegenüber dem, obwol hell, doch nicht lange flackernden Strohfeuer 
eiged allzu gefchäftigen, ertenfiv flachen, ebenfo nüchternen als Kalten, 
bald moralifirenden, bald raifonnirenden, bald docirenden Diletten- 
tiömus, ber entweder in eine mit verkänbiger Berechnang peetifibe 
Moſalktheilchen zufammenfegende und zufammmenftellende Rechenexem⸗ 
pelmacherei, oder in eine die erborgten und forgfältig geglätteten 
Slitter und Jetzen aud dem Kramladen ber von geſuchten, gefäraub- 
ten und bochtrabenden Rebensarten vollgeflopften fogenannten poetis 
fen Proſa zuſammenſuchende unb zufammennäbende, ober den tabz 
ten Sliedermann und Puppenkopf in ängflidder Gorgfelt auf me 
triſch⸗ rhythmiſche Fuͤße und auf theils antike theild moderne Po⸗ 
ſtamente fegende ſchulgerechte Nachahmerei, ober in eine romantiſch 
oder elegiſch ſchwindſuͤchtelade Sentimentalität der Stimmung zad 
der Darfiellung, oder in dad innerlih bankerotte falſche Pathos, 
ober in eine rhetorifh aufs unb zuftugende an fi trodene, halbes 
bewaͤſſernde und haidebebluͤmelade Didaktik, ober In eine cbeufo oft 
trübe und trübfelige als wäflerige und mehr an Dornenſtacheln als 
Rofen reihe Tendenzpoefie oder Gpigrammatil u. f. w. ausartet. — 
Die Sonderbarkeit diefer Außbrüde wird Jeder mit der guten Ab 
ficht entſchulbigen, dadurch in gerechtem Un⸗ unb Wibertuilen eben 
jenes vielköpfige unhellſchwangere Ungebeuer und deſſen Viel und 
Bielerlei ſchaffendes oder vielmehr erzeugendes und gebaͤrendes Un 
weſen einigermaßen zu zeichnen und zu charakterifiren. 

”, Bowring in bem Bude ‚Sketch of the language amd Ut- 
teratare of Holland ‘’ (Umflerdam 1828) fagt: „He has ne siher 
notion of love than that it is monat to make good husbands and 
wives, and to produce pains-taking and obedient children.“ 





bei Feich's fanfter und gefüͤhlvoller und bei Bilderdijk's fo 
erhabener und mwohltönender, bei Hoogoliet's, Smit's und 
der beiden van Haren fo teinfließender und wohlverfificir 
ter Sprache doch immer den göttlichen Hauch vermiſſen 
laſſen, der immer mit vemfelben Geifte erfüllt, wait wels 
chem er der Dichterbruſt entftiegen iſt. Somie nun, was 
die Form betrifft, duch die Bemühungen des vortreffils 
chen Überfegers Zeitama die Verfification fehr gefördert und 
gebildet und auch durch Andere, und zwar bei Gedichten, 
um nur Einen zu erwaͤhnen, durch Biiderdijt's Überfegung 
des „Rönige Ödipus“, und bei Profaitern duch Vondel's 
Zacitus und in glüdtihen Übertragungen Anderer auf eine 
Teile in Anwendung gebracht worden iſt, die um ber 
äberwundenen Schwierigkeiten willen eines boppelten Los 
bes wolırdig erfcheint: fo mird gewiß auch der poetifche 
Geiſt immer mehr getwinnen, neben der vorzugsweiſe prak⸗ 
tifhen Richtung des Volks und feines Lebens und Me: 
fens, buch Benugung der Mittel, die dazu geeignet 
find, denfelben immer mehr und mehr zu weden, zu bes 
feben, zu bilden, zu flärken, zu adeln und zu erhöhen, und 
befonders den dichterifchen Erzeugniſſen ihrer vaterländifchen 
Mufe an Inhalt und Korm immer mehr Werth und 
Würde zu verleihen und aud bei den andern Nationen 
Europas mehr Eingang, Beachtung und Anerkennung 
zu verfchaffen. 

Diefe Mittel find aber vorzüglich drei, welche, wenn 
wir aus einigen Andeutungen richtig fhließen, von den 
Holändern ſelbſt als bie wichtigften Hebel ihrer Sprache 
und Literatur angefehen werden. Zunaͤchſt iſt es ber 
bildende Geift des rechtverſtandenen Alter: 
thums, das, zugleih und zu gleicher Zeit mit den Ne: 
gungen flaatsbürgerlicher Setbfländigkeit und Freiheit bie 

Semuͤther erhoben und die Geifter genaͤhrt und geftärkt 
hat durch die Ideale menfchliher Bildung, durd die un: 
vergänglihen Antiten in Wort und Bild, die den Voͤl⸗ 
kern immer wie fonnebeleuchtete Hochgebirge in verklärter 
Hoheit und mit verflärender Macht vor: und in die Daͤm⸗ 
merungen und Niederungen des Lebens hineingeleuchtet 
haben. Wenn nun irgend ein Volk der Welt ein reiches 
Vermaͤchtniß in biefer Beziehung geerbt bat, fo find «6 
. wir fagen e8 mit dem Llebhafteften Gefühle dankbarer 
Anerkennung — vor Allen bie Holländer; aber je bedeu⸗ 
tender dieſes Erbtheil if, das ihnen die erleuchtetfien und 
hochgefeiertſten Alterthumsforſcher feit mehren Jahrhunder⸗ 
ten hintetlaſſen haben, deſto größer und dringender iſt die 
Auffoderung und Mahnung, die an ſie ergeht, mit ſol⸗ 
chem Pfund auf das Beſte zu wuchern und daſſelbe für 
die Veredlung ihrer eigenen Sprache und zur Vergroͤße⸗ 
sung und Erhöhung ihres eigenen Sprachſchatzes und 
Schrifthumes auch hinfort immer mehr und mehr zu 
verwenden. 

Das zweite Mittel, ihrer Sprache und Literatur 
mehr Werth und Würde zu geben, fcheint uns die 
Aufmunterung der Dichter zur Sörderung der 
zeligiöfen Poeſie zu fein. Wenn es nicht zu leug: 
nen ift, daß die Maivetät der holländifchen Sprache, als 
einer ausgebildeten niederfächfifchen oder plattdeutfchen 


Mundart, deren Raute und Ausdruͤcke bisweilen dem unbes 
fangenfien Lefer oder Hörer, befonders aber dem Deut: 
fen, der den Maßſtab ſeiner Mutterfpradye mitbringt 
und zur Vergleichung mit der holländifchen faft immer 
genöthigt wird, bisweilen poffirlih und komiſch erfcheinen 
und klingen, dem würdevolien Vortrage religioͤſer Empfin⸗ 
dungen und Gedanken großen Eintrag thut: um fo hoͤ⸗ 
ber fleigert ſich die Verpflichtung der holländifchen Dich⸗ 
ter, dem Mutterlande nicht nur, fondern dem Geſchmacke 
und dem mufikalifchen Ohre des Weltpublicums gegenüber, 
dieſer Schwierigkeit alle Kraft entgegenzufegen, um ihre 
Sprache immer mehr zu adeln und durch Wohllaut und 
Wohlklang für den möglichft reinen und harmoniſchen und 
würdigen Ausdruck der hoͤchſten Gefühle empfänglich zu 
machen. Da ic diefen Gegenfland an einem anbern 
Drte riner ausfünrlihern Beſprechung zu unterwerfen ges 
denke, wie er denn die ernſtlichſte Beruͤckſichtigung verdient 
und in Anſpruch nimmt, fo gehe ich fofort zur Andeutung 
des dritten Mittels über, durch welches die holländifche 
Sprache und Literatur zu heben fein möchte. Diefes be: 
flieht in einem gründlihen und von aller Vor: 
liebe und von jedem Borurtheil freien Stu: 
bium der Geſchichte eben diefer Spradhe und 
Literatur, in Verbindung mit einer unparteii— 
(hen Sorfhung über die hiſtoriſche Entwides 
lung des bolländifhen Volks: und Staats: 
lebens. Und da möchte denn vor allen Dingen, um 
auf Eins befonders aufmerkſam zu machen, die Lautlehre 
einer forgfältigen Prüfung ebenfo bedücftig als fähig und 
würdig fein, um, wenn es, oder vielmehr fo weit es uͤber⸗ 
baupt bei einer lebenden und conftituirten Sprache möglich 
ift, mit verftändiger Hand allmaͤlig hinzuzuthun und mit 
fchonender ebenfo hinwegzunehmen, was irgend, ohne ben 
urfprünglih und fubftantiell inwohnenden Genius zu vers 
legen, zur Reinigung, Veredlung und Vereinfahung eini: 
ger Laute und Formen der Sprache beizutragen fein möchte. 
Sollte die Beforgniß, welche Einige hegen, ganz und fac⸗ 
tiſch gegründet fein, daB es wegen unüberfteiglicher Hin⸗ 
derniffe unausführbar fet, das Material oder den Sprach⸗ 
£örper und deſſen Sliederungen auf die angedeutete Weife, 
befonders aber (mas ih, um nicht misverftanden*) zu 
werden, nochmals ausdrüdlich hinzuflige) bei manchen ans 
ftößigen und übellautenden Wörtern, allmälig zu verän- 
dern, fo wird es nie möglich werden, die Sprache wohl⸗ 


*) Daß dieſes kein Dirngefpinnft eined vom Sprachleben träus 
menben unpraktiſchen philologiſchen Stubenhockers ſei, fondern ein 
aus vieljaͤhriger beſonnener Betrachtung und Vergleichung der Spra⸗ 
chen und ihrer Geſchichte hervorgegangener und wirklich ausführ— 
barer Gebanke und Vorſchlag, dieſes wieb, un nur zwei Beiſpiele 
anzufähren, nicht nur durch das Herrſchendwerden bed Hochdeutſchen 
in der Schrift⸗ und Umgangsſprache, ſondern vorzuͤglich auch durch 
die Verbeſſerung und Veredelung bed Neugriechiſchen auf der Grund⸗ 
lage der altgriehifchen Sprache volllommen bewieſen und außer Zwei⸗ 
fol gefegt._ Es bedarf nur des Fräftigen feſten Willend und einiger 
tächtiger durch Naturgabe und duch Sprachblidung und durch That⸗ 
kraft gleich ausgezeichneter Bührer, welche im Volke und in der 
obenerwähnten ehrenwerthen Geſellſchaft der freien Künfte und Wils 
fenf&haften den reiten Son auf die rechte Weiſe angeben und den 
rechten Weg zeigen, indem fie denfelben felbR gehen. 


lautenber und mufikaliſcher zu machen, und bie NWerterter 
der bolländifhen Sprache in gebundener und ungebundener 
Mebe Hätten dann zugleich ein Verdammungsurtheil aus⸗ 
geſprochen, das ihre Drgan für unfähig erflärt, das Er: 
habene in wuͤrdevoller Haltung und in ungetrübter Form 
auszudruͤcken und darzuftellen. 

(Dex Beſchlud folgt.) 





Roͤmiſche Gefchichte von Peter von Kobbe. 
Zweiter hell. 
act aus Nr. Sof “ ' m 

Obſchon, roie gedacht, ef. ber Hoffnung entfagt, jemal 
eine neuere römifche Geſchichte, der jene boͤchſte Trefflichkeit 
nachzuruͤhmen wäre, das Licht der Welt erblicken zu fehen, bleibt 
es doch ſehr wohl möglich, daß eine folche erſchiene, die wenige 
ſtens in einer Hinſicht leiftete, was jene zu leiften hätte. Da⸗ 
mit ift Folgendes gemeint. Was von Zhaten und Begebenheiten 
dem vömifcyen Schriftſteller in feiner denfelben nähern Stellung 
wichtig war, das ift e8 nach mehr als taufend, ja zweitaufend 
Jahren entweder gar nicht mehr, ober nur im mindern Maße 
für uns, befonders fobald es fih um vömifche Geſchichte im 
Allgemeinen, nicht um bie geſchichtliche Entwickelung dieſes ober 
jenes einzelnen Inſtituts bandelt. Belehrend und darum wich 
tig für uns ift in römifcher Geſchichte nur, was den ethifchen 
und intellectuellen Standpunkt des Roͤmerthums und beffen Um: 
wandlungen im Laufe der Zeit dharakterifirt, von welchem Stand⸗ 
punkte aus betrachtet Roms Politik und feine Kriege nicht merk⸗ 
würdig an fi), fondern nur infofern es find, als entweber in 
ihnen fich jener tiefere geiftige Gehalt ausſpricht oder fie in th: 
ren Wirkungen und erzielten Refultaten zu Momenten murben, 
ia Folge welcher der Römer intellectuelles und fittliches Leben 
fig ummandelte. Ausgehend von biefer Überzeugung, hätte der 
Hiſtoriker das allermeifte der factifchen Cinzelheiten eines Livius 
und Polybius von der Hand zu weiſen und, auf bie entfcheiben: 
den Dauptbegebenheiten fich befchränfend, diefen eine umſtaͤndli⸗ 

ere Wiederholung nur dann zu ſchenken, wenn ihr näheres 

etail bedeutende Individualitaͤten charakteriftiih ausgeprägt 
darftellt oder daffeibe, durch feine Eigenthuͤmtichkeiten fähig, bie 
Phantafie anzuregen, bei ausführlicherer Echitberung eine wich⸗ 
tige Thatſache fefter dem Gedächtniffe eindrüdt. Bor Allem 
aber müßte er eingeben? fein, daß nach dem Verlaufe von Jahr: 
hunderten die politifche Geſchichte allgemeinguͤltige Wichtigkeit 
nur infofern behaͤtt, als fie von der Geſchichte des menfchlichen 
Geiſtes ſich nicht trennen laͤßt, für alle Zeiten nur biefe von 
ungerftörbarer, allgemeingültiger Wichtigkeit bieibt und alſo Fein, 
auch nicht der geringfte Zug darf überfehen werden, wodurch 
uns die Eigentb muichkeit römifchen Sinnes, römifcher noch jest 
die gefammte Weit in unendlich vielen Beziehungen burchbrin: 
gender Bildung kann anfchaulich werden. 

Beurthellen wir des Hrn. von Kobbe Verfahren auf Grundlage 
obiger Bemerkungen, fo tönnen wir unmöglich baffelbe loben, ja es 
erfcheint, wie Ref. an einigen Beifpielen zeigen wird, völlig prins 
ciplos. Während wir 4.3. (vgl. S. 4) durchaus billigen müffen, 
daß bie originelle Methode nicht ift übergangen worden, welche 
die Römer erfonnen, auf dem feften Lande den Seedienſt einzus 
üben, gleihfam um dann erft in das Waffer zu geben, wenn fie 
. Schwimmen tönnten, begreifen wir nidgt, warum Sannibal’s 
Zug über die Alpen (S. 20 u, 21) mit folgenden Worten abgethan 
bleibt: „Durch eine Kriegsliſt bewerkftelligte Hannibal ben Übers 
gang über die Rhone, lieb nach einem Reitergefechte die Römer 
unangegriffen, 309g ben Strom hinauf und lagerte nach viır 
Zageözügen auf ber Infel, wo Rhodanus und Sara zufammen« 
fliegen. Hier benugte Hannibal die Zwiftigkeiten zweier fürfts 
lichen Brüder der Allobroger, fich einen Anhang zu fchaffen; von 
bier trat ev ben berühmten Zug über bie Alpen an, bie er, 
wahrfcheintich über den Eleinen &t. Bernhard fein Deer führend, 


in funfzehn Wagen überflieg.” Bier wäre Ausfuͤhrlichkeit am 
Plage gewefen, um eine Wirkung bervorzubringen , welche jener 
vergleihbar wäre, bie bei Livius' trefflicher Schilderung eben 
Diefes Alpenüberganges gewiß ſchon auf der Schule bie Mehrzahl 
unferer Lefer mächtig ergriff. Dafuͤr entichäbigt nicht &. 21 u. 29 
bie ellenlange Note, welche hinſichtlich der Gtreitfragen, die 
durch Hannibal's Zug über die Alpen find veranlaßt worben, 
Iiterarifche Notizen Liefert, deren Vollſtaͤndigkeit Ref. nicht zu 
beurtheilen wagt, bie aber ſelbſt bei erfchöpfender Vollſtaͤndigkeit 
nur ein kriegsgeſchichtliches Intereffe haben unb uͤberdies, einem 
ſolchen zu genügen, materiell zu dürftig und nichtöfagend find, 
Dagegen ift empfchlenswert$ bie Kuͤrze, womit (&. 24 u. 3) von 
ber Schlacht am Traſimener See und ber bei Cannaͤ kaum mehr 
gefagt wird, als daß die Römer total geichlagen wurben. Denn 
in unferer Zeit bleibt für Seven , der nicht gelehrter Mititate 
iſt, es gleichguͤltig, ob fich noch ermitteln laſſe, welcher Art 
bie Taktik war, die jenes Tages fiegte, und andererſeitt die, 
welche beſiegt ward. Allein welches Princip mag mol den 
Hrn. von Kobbe bei Auswahl bes Gtoffes geleitet haben, wenn 
er uns (©. 35) folgende, die Phantafie unangeregt, des Leſers 
Urtheil unbefchäftigt Taffende, überdies auch nicht einmat als 
unmittelbar reich an Folgen erfcheinende und darum dem Ge⸗ 
badytniffe unaufpaltbar wie Waſſer einem Giebe entfallende Ro 
tigen zu lefen gibt: „Unter dem Gonfulate des jüngern Zabisd 
und de8 Sempronius (541, 213) wurbe der Krieg in Stalien 
ohne großen Nachdruck geführt. Fabius, unter Leitung feines 
beim Deere gebliebenen Vaters, nahm Arpi in Apulien ein, 
Sempronius unterwarf mehre Städte in Lucanien und Bruttium. 
Dagegen belagerte Hannibal Zarent unb nahm dieſen wihtigen 
Ort mit Ausnahme ber Burg dur Lift ein. Die roͤmiſche Ber 
fagung zog heimlich nach Brundufium. Auch Metapont unter: 
warf ſich den Karthagern. Im folgenden Iahre, als D. Zul: 
vius Flaccus und Appius Claudius Pulcher Confuln waren 
(542, 212), erlitt Banno bei Benevent eine Niederlage, in Folge 
weicher die Römer zur Belagerung Capuas fihritten. Als der 
Proconful Grachus aus Lucanien anrüdte, um das Belagerungs⸗ 
beer zu verftärken, wurde er durch die Verraͤtherei eines Gaſt⸗ 
freundes, der ihn zu einer Zuſammenkunft mit den Haͤuptern 
der Lucanier geleitete, in die Bände numidiſcher Reiter geliefert 
und von biefen nach tapferer Gegenwehr eridlagen. In em 
nämlichen Jahre famen die beiden Scipionen in Spanien um. 
Um Sapua zu entfegen, gab Hannibal die Belagerung der Burg 
von Zarent auf, vernichtete ein von M. Gentenius Penula ans 
geführtes ‚Heer und ſchiug ben Conſul Fuloius.“ Diefe Otelle 
ift zugleich ein trefflicher Beleg fir bie totale Barbiofigkeit in 
dem Stile des Hrn. von Kobbe; denn vollkommen ihr aͤhnliche 
tönnte, wenn es darauf ankaͤme, Ref. aus dieſem zweiten Zheile 
abdruden laffen. Daß endlich für das Hauptfächlicge, hiſtoriſche 
Darftellung römifchen G@eiftes und römilcher Wildung, Hr. von 
Kobbe gar keinen Sinn hat, bemweift der Umftand, daß er, N 
dem Cicero's Ermordung berichert worben , flatt eines jeben 
Wortes über Cicero, als größte Literarifche Rotabilität Roms 
über einen Mann, der vielleicht nicht fowol um des Cinſluſſes 
willen wichtig ift, den er auf Roms Bildung gehabt bat, als 
vielmehr weil er als Repraͤſentant der literarifchen Bildunge 
‚fähigkeit Roms kann angefeben werden, ung S. 323 unter 
Ar. 37 mit folgender Note befchenkt: „über Gicero'e Schriften, 
Reden, Rhetorik, Briefe, Philoſophie, Staatewiſſenſchaft, Re 
ligion, Dichtkunſt enthaltend und betreffend, vergl. die neveſte 
Überfiht von Erſch und Bruber, Sect. I, Th. 17, &. 210— 242." 
Rach alledem außer Stand, zu berichten, was denn nuk 
eigentlich des Drn. von Kobbe Zwed und Abficht bei Ausardes 
tung biefe® zweiten Theils geweſen, wurden wir erfreut fe, 
wirkte Dasjenige, was wir, dazu veranlaßt Durch gegenw 
Anzeige, über bie Aufgabe der neueften roͤmiſchen Hiſtoriographit 
bemerkt haben, überzeugend auf bie Verfaffer zuveriäffig in nicht 
ferner Zeit und zahlreich uns bevorftehender anbermweiter Schrif⸗ 
ten über den naͤmlichen Gegenſtand. 34, 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brockhaus. — Druck und Verlag von F. 4. Brodhaus in Reipzig. 


Bla 


tter 


für 


literarifche Unterhaltung. 





Mittwoch, 





Hollaͤndiſche Preislieder von J. P. Heije. 
( Veſchluß aus Mr. 150.) | 

Wenn es nun in der Malerkunft dem befreundeten 
Nachbarvolke, wie die gediegenen politifchen Bilder von den 
Belgiern Gallait und Biefve beweifen, möglid geworden 
ift, Meifterhaftes, Vollendetes und Großes zu elften, fo 
dürfte auch den Holländern der Erfolg ihrer Bemühungen 
nicht abzuſprechen fein, wenn fie auf dem Gebiete der 
Sprache und Literatur nur das Beſſere und Höhere ernſt⸗ 
lich wollen und zu erreichen fireben. Da fcheint uns aber 
nur in einem Umſtande das Heil zu liegen, und dieſer iſt 
die unbefangene Annäherung an das Mutter: 
Land, von welchem es doch vor noch nicht fo langer Zeit die 
Sprache nicht blos, fondern — ich wage ed, den alten Streit 
mit dem Buchdrucker Coſter zu berühren — fogar die erften 
gedruckten Buchflaben und Bücher erhalten oder genoms 
men bat. Sind die Holländer nicht ſtark genug, ihrer po: 
litiſchen Selbſtaͤndigkeit unbefchaber, diefe Thatſache factiſch 
anzuerkennen und der Berbefferung und Veredelung ihrer 
Sprache zu Grunde zu legen, fo wird e# ihnen, wie den 
deutfchen Schweizern, nie gelingen, ihre Mundart zu ei: 
ner fchönen, kräftigen und Wuͤrdevolles würdig ausdrüs 
denden Sprache zu erheben, und ihre religiöfe und hero⸗ 
ifch = epifche Poeſie (die Romanzen, die ihnen befonders ge: 
Iingen, fchließe ich aus) wird nie auf die Beachtung und 
Nachahmung der andern civilificten Völker Europas ges 
gründeten Anſpruch machen Eönnen. 

Diefe Angelegenheit aber ſcheint und von einer folchen 
Wichtigkeit zu fein, daß wir theils in einer befondern Ab: 
handlung darauf zuruͤckkommen werden, theil® in der An: 
zeige des vortrefflihen Nationalwerkes: „Germaniens Voͤl⸗ 
Eerftimmen , Sammlung der deutfhen Mundarten in 
Dichtungen, Sagen, Maͤrchen, Volksliedern u. f. w., her: 
ausgegeben von Johannes Matthias Firmenich“ 
(Berlin, Schlefinger), worin aud die verfchiedenen 
Mundarten Hokhllands vertreten find, eines ebenfo beich: 
renden als unterhaltenden Buchs, in welchem mit bin: 
gebender Liebe und unfagliher Ausdauer Proben der 
Mundarten der verſchiedenen deutfchen Voͤlkerſtaͤmme ge: 
fammelt und erläutert werden. 

Hier folgen num einige der Heije ſchen Lieder, von wel: 
chen bereits mandye, z. B. Nr. 14, 22, 27, 32 und an: 
dere, durch den rühmtichft bekannten Gomponiften Franz 


Commer in Berlin, der unlängft, zugleich mit Bennett in 
London, Mitglied der Niederländifchen Geſellſchaft zur Bes 
| förderung ber Tonkunſt geworden ift, in Muſik gefegt 
worden find. 
Das Lied (Nr. 1, ©. 3). 
Frei, der Lüfte Athem gleich, 
Launenpoll wie ihre Wider, 
Deute wie —— wilder, 
Morgen leiſen Seufzern gleich, 
Sei, o Lied, in Freud' und ———— 
Balſam fuͤr geruͤhrte Herzen. 
D daß Hollands Poeſie 
AU die Milde ließe fließen, 
Aw die Fülle möchte gießen 
Sn die Süße Melodie, 
Daß du Ohren dann und Derzen 
Balſam ſei'ſt in Freud' und Gchmerzen ! 


Des Herren Haus (Nr. 2, ©. 4). 

Aus den graubemooften Hallen 
Dringt ber Glocken heller Schall: 
Kommt denn, ihr bebürft es all, 

Laft im Chor die Stimme fchallen. 
Kommt, zieht Kreuz und Kummer aus, 
Beat es ab in Gottes Baus. 

Wie ihr weintet, wie ihr batet, 

Thraͤn' und Witte hört man dort; 
Ruhe leide des Herren Wort, 

Wie euch Muͤhe auch belabet. 

Dort flieht aller Erdenbraus: 
Sriede wohnt in Gottes Das. 

Einfalt, Unſchuld kehrt da wieder 
In das Herz von Gott entbrannt. 
Jedes ſchwere Erdenband — 

Legt es an der Schwelle nieder. 

Biſt — 0 flieh' Palaſt und Kauf’ — 
Gottes Kind in Gottes Haus. 


Ihranen (Rr.3, S. 5). 

Wie maͤchtiglich entzuͤcket 

Die Thraͤne das Gemuͤth, 

Die aus ber Tiefe ſpruͤht, 
Wenn’s wahre Reue dräcder! 
O Balfam für bie Schmerzen, 

Du — lindernd mit Bebuld — 

Rimmft ſchweren Drud der Schuld 
Bom tiefgebeugten Herzen. 
So Leid wie Freud' vereinen 

Kann nur der Erde Sohn: 

Cherubs vor Wottes Thron , 
Beneiden uns das Meinen. 


613 


wirb, abgefehen von ihrem Kunftwertpe, ſchon durch bie ganz 
beftimmt darin ausgefprochene, ber neueften Schule entgegens 
efegte Richtung flet einen bedeutenden Plag in der Entmwides 
Tungögefriehte der franzoͤſiſchen Poefle einnehmen. Die von 
Victor Hugo vertretene ultraromantifche ule verwarf die 
in Raeine gu ihrer Bluͤte gediehene altfranzoͤſiſche Zragddie 
ganzlich, ohne Beruͤckſichtigung ber in ihr rupenden trefflichen 
Keime. In jener Zeit politiſcher und literariſcher Revolutionen 
wurde Alles niedergeriſſen, weil es alt war, und alle neuen 
Bauten mit um fo gröferm Gnthufiasmus begrüßt, je birecter 
und auffallender ber Gegenfag war, weichen fie zu dem Zerſtoͤr⸗ 
ten bildeten. Anſtatt bie jede freie ER binbdernden Feſ⸗ 
fein der ſtrengen Kunftgefege ein wenig zu löjen und zu ermeis 
tern, warf man fie ganz ab uod feßte Regelloſigkeit an bie 
Stelle der Regungstoflgteit; anftatt die zuoefoiste Üüberfünftelung 
auf die einfache Ihöne Natur zurüdzuführen, ließ man die 
Ratur in ungebändigter Kraft mit ihrer ganzen Zugabe ber 
Roheit und Haͤßlichkeit hervortreten. So wurde Gtarrheit 
nicht zu Würde, hoͤfiſche Geſuchtheit nicht zu zarter Feinheit 
veredelt, fondern durch ungeſchlachtheit und groben Wis erfegt. 
Gründliches Rachdenken ımb richtiger Takt ließen Herrn Pon: 
fard in feiner neuen Tragoͤdie den Mittelweg zwiſchen biefen 
Vrtremen einſchlagen. Seine Figuren find nicht moderne Fran⸗ 
zofen, die über ihr Gallakteid eine antike Soga gehängt unb 
auf ihr duftendes Toupet einen Eiſenhelm gedrüdt haben, auch 
nicht rohe, halbnadte Heiden, die in der Sprache civilifirter 
Menſchen Zeugniß von ihrer thierifchen Kraft und Leidenfchaft 
ablegen, fonbern wirkliche Römer aus ber Königsperiode mit 
oßen Derzen und ftarfen Leidenfchaften, voll Verſtand und 
atkraft. Der in Worten, Stein und Farben fo oft behans 
delte Stoff ift, wie ihn uns die Geſchichte überliefert, ſchon an 
fi) ungemein dramatiſch; und der Dichter zeigt feinen fichern 
Biick und fein richtiges Gefühl namentiid auch darin, daß er 
moͤglichſt wenig an bemfelben gefünftelt, ſondern ſich fireng an 
die Erzählung bes Livius gehalten und ihre einfache Groͤße treus 
Jich wiedergegeben bat. Ginzelne Figuren nır bat er im Sinne 
der neuern Anſchauungsweiſe deutlicher hervorgehoben und in ber 
Tharakterzeichnung genauer ausgeführt, jedoch ohne Beeintraͤch⸗ 
tigung ihres Verhaͤltniſſes zum ganzen Gemälde. Außer Bru⸗ 
tus, dem Träger bes ganzen Trauerſpiels, erwähne ich Hier nur 
den Gertus Tarquinius, welchen der Verf. mit Meifterhand 
zum römifhen Don Juan geftempelt. Die von mehren franzoͤ⸗ 
fifchen Kritikern als eine überflüffige Epiſode bezeichnete Scene, 
in welcher er der Cumaͤiſchen Sibylle den Ankauf der propheti⸗ 
ſchen Bücher verweigert, iſt zur Abrundung dieſes Gharakters 
ganz nothwendig und erinnert vielfach an den Beſuch bes ſtei⸗ 
aernen Gaſtes bei Don Juan, der, wie Sextus, den Himmel 
perfpottet und die Hölle verachtet. Die weiblichen Figuren tre⸗ 
ten, nach der Natur ber römifchen Sitten, bei dem eigentlich 
Hiſtoriſchen des Handlung mehr in den Pintergrund; fetbft Lu⸗ 
cretia, bad Ideal eines roͤmiſchen Watrone, tft mit ihrer Aufs 
opferung nur ber letzte Tropfen, den Brutus mit gefchidter 
Hand in ben vollen Becher der Bolksunzufriebenheit fallen laͤßt 
and ihn dadurch zum überſtroͤmen briagt. Die Sprache in 
dieſer neuen Tragödie iſt kräftig und klar, die Gebanten 
ſchoͤn und die Verſe wohlklingend.. Go gelangte fie benn, 
nachdem Herr Ponfard bie beiden legten Acte etwas abgekürzt 
Hatte, im Dbeon zur Aufführung und erntete, trotz mannid): 
facher Cabale, den vwoohlverbienteften. Beifall, welcher bem 
jungen Dichter gewiß auch in Zufunft nicht fehlen wirb, wenn 
er fortfährt, fich feines fchönen Talents mit berfelben Bes 
fonnenheit und Mäßigung zu bebienen. 

Diefelbe eben angebeutete Richtung bat, wenn auch mit 
weniger Sicherheit, bie Verf. der „Judith’’ eingefchlagen. Das 
Beſtreben der Bichterin, die dramatifche Literatur der Franzo⸗ 
fen auf den richtigen Weg hinzulenken, ift allfeitig anerkannt 
und gewürdigt worden, wenn auch ihr Talent zur Hervorbringung 
eines Meiſterwerks nicht hinreichte. Den ebenfalls vielfach bes 


banbeiten and bargeftellten biblifdgen Stoff hat Madame be 
Sirardin umformen gu müffen geglaubt; fie hat die einfachen 
Motive verändert und bie Präftigen Geſtalten ber alten übers 
lieferung mit bem Schmucke moderner Gmpfindungen und Ges 
fühle behängt. Cine bei dem weiblichen Gemuͤthe Leicht verzeih⸗ 
liche Scheu vor der Nacktheit gewaltiger Zeibenfchaften und ges 
waltfemer Handlungen veranlaßte bie Verf. vielleicht zur Au 
wendung fünftiicher Dedimänte. Dadurch aber, daß bem Lefer 
das Haifonnement aufgedrängt wirb, gebt für ihn alles Ruͤh⸗ 
rende und Ergreifende verloren, deſſen die einfache Erzaͤhlung, 
wie fie die Biber mittheilt, fo reichlich überflrömt. Die Schleier 
um ſolche Stoffe find wie die Papierbätchen an nadten Mar 
morftatuen. Das Schöne iſt wicht veriegend, und nur Ber 
letendes muß ben Blicken entzogen werben. Freilich aber wohnt 
nicht in jeder Hand fo viel bildender Takt und ZBartheit, um 
hoͤchſte Kraftäußerungen ſchoͤn darſtellen zu können. So find 
aud In biefem Drama, das übrigens einzelner Schönheiten nicht 
entbehrt , namentlich bie Charaktere der Judith und des Hole 
fernes durch empfindfame Schnoͤrkeleien abgeſchwaͤcht, und ber 
Effect der ganzen Kataflrophe erhebt ſich kaum zu ber durch 
eine gewöhnliche Salonsintrigue erregten Spannung. In deut: 
ſcher Sprache ift derſelbe Stoff beiweitem befler behandelt wor: 
den. Trotz aller Mühe, bie fig Herr von Girardin in feiner 
„Presse“ unb in den ihm befreundeten Journalen gab, gelang 
e8 daher doch nicht, ber Arbeit feiner Gattin ungetheilten 
Beifall zu verfchaffen, und felbft bie Anftrengung und das Tas 
Ient von Fraͤulein Rachel vermochten es nicht, die Äußerungen 
bes Misbehagens bei der erften Darftelung im Théatre fran- 
gais zu unterbrüden. 6. 





Nordameritanifhe Miscellen. 


(Auszüge aus den Öffentlihen Blättern der MWereinigten Staaten 
vom Jahre 1842.) 


Ein Hr. Maffey, meldet der „Reading Adler” In Penns 
folvanien, machte Berſuche mit dem Pflanzen bes Welſchkorus 
und erlangte folgende Refultate: Ex nahm eine Heine Quanti⸗ 
tät von dem zum Pflanzen beflimmtın Weiſchkorn unb weichte 
es in eine Aufıdfung von Galpeter ein, wovon er fünf Reiben 
pflanzte; ber übrige Theil bes Felbes wurde ohne biefe Vor⸗ 
bereitung bepflanzt. Der Erfolg war unglaublich, die fünf wit 
Salpeter gepflanzten Reihen gaben eine reichere Ernte als B 
von ben andern Reiben. Die fünf waren unberährt vom 
Wurme, während faft alle andern flar von feiner Verwuͤſtung 
getitten hatten. 


Die Zeitungen aus den weſtlichen Staaten von Amerila mer 
ben, daß dort jegt viel Brenndil aus Welſchkorn bereitet 
wird. Das Korm wird nämlid zermalmt und in Gährung ge 
bracht und während berfelben fondert fi das Öl von den mehe 
ligen und fonftigen Beſtandtheilen ab und ſchwimmt obenauf. 
Diefes DL foll ebenfo gut brennen wie bas beſte Sperwacetidl 
und feinen wibrigen Geruch verbreiten. Die überbleibſel bei ver 
Babrikation geben überdies noch vortreffiiches Viehfutter. 


Die Einwohner des Staats Michigan legen ſich bereitd ber 
beutend auf die Obſtbaumzucht. Zus einer Baumfdule in 
VYpfilanti wurden in dieſem Fruͤhjahr allein über 18,000 
Dbftbäume verkauft und ein Ooͤſtbaumhaͤndler in jener Gegenb 
bat berechnet, daß in dieſem Staate im laufenden Sahre wenig 
ftens 50,000 Obſtbaͤume angepflanzt worben find. 


Aus Wareham in Maſſachuſetts wird berichtet, daß Me 
Fiſcher im Kgemamfufk in einem Nachmittage die faſt unglaube 
liche Anzahl von 320,000 Häringen fingen. Diefe Fiſche fer 
gen im Frühjahr aus dem Mecre in die Fluͤſſe Neuenglande, 
um bort gu laichen, unb zwar fn fo dichten Waffen, daß man 
fie mit Eimern ausfhöpfen Fann. . 33, 


Berantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brodbaud. — Drud und Verlag von F. %. Broddaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonnabend, 





Bıalow:- &ummerow. 
(Vertfegung aus Mr, 158.) 

Noch an einem andern Weifpiele wollen wir zeigen, 
wie ganz umvermerkt, ja zumelten abſichtswidrig, die Bu⸗ 
reaukratle Ihre Anfichten und Plane ber Regierung unters 
zufchieben und biefeibe dazu zu bereden, ihr damit aber 
Be Macht aus der Dand zu winden und ihrer entfchies 
benften Abſicht entgegenzuwirken weiß. Es beweiſt dies 
ber Entwurf des neuen Strafgefezbuches, den man fich 
daburch ungemein leichte gemacht hat, daß es einmal ver: 
mieden worden ift, auf irgend eine Begriffsbefimmung 
der Verbrechen einzugehen, und zweitens, dab dem richter⸗ 
lichen Ermeflen ein ungeheurer Spielraum in der Wahl 
dee unbeſtimmten Strafen eingeräumt worden ift. Beides 
kann nur den Erfolg haben, die richterliche Subjectivität 
auf den Richterfühlen auszubehnen und bie Objectivitaͤt 
davon zu verdrängen, oder, mit andern Worten, den Ber 
euf -der fländigen Gerichte zu vermehren und die Sehn⸗ 
fürchte nach Gefchworenengesichten zu beföchern, ganz ficher 
gegen die Abfiht der Regierung. Der weſentliche Unter: 
fied der fländigen Gerichte und der Jury iſt eben fein 
anderer, ald daß jene objectiv und diefe fubjectiv zu Recht 
fprecyen, das heißt, daß jene den Thatbeftand, uͤber den fie 
richten follen, unwandelbar feflzuftellen und ihn demnächft 
unter allgemein feitftehenbe gefeßliche Beſtimmungen ums 
terzuordnen bemüht find, indem fie die Üsereinfiimmung 
ber Merkmale an jenem mit den Rehnzeichen in diefen 
nuchreifen; wogegen diefe die Auffoffung des Thatbeſtan⸗ 
des ſowol als die Urtheileblidung bee individuellen Auf⸗ 
merkſamkeit und Geſchicklichkeit eines jeden Richters ohne 
frgend einen Nachweis darlber anvertrauen. Wo folglich 
wahre und zuverläffige Rechtshegung allein fattfinden 
ann, und wo ein bloßes Schaugepränge, durch welches 
Die Veraͤnderlichkeit dee Subjectivitaͤt unter dem Anfcheine 
einer großen Achtung des Rechts umd ber Gerechtigkeit 
verſteckt wird, iſt unfchwer zu begreifen. Dennoch ift ſeit 
einiger Zeit das Verlangen nach Gefchmorenengerichten und 
mündlichen Verhandlung überlaut und allgemein geworben, 
fo ſicher es aus dem eben angeführten Grunde auch ift, 
daß eben dieſe Erſcheinung geradezu umfer Uetheil über den 
innern Gehalt der fländifchen Beſchlußfaſſungen beftdtigt. 
Die Welt will betrogen fein, iſt ein befannter Sag; und 
wer am beten Komödie zu fplelen verficht, beträgt fie am 





leichteften.” Denn alle Welt laͤuft Lieber Ins Theater ale 
in eine Lehrflunde; ein „Nathan ber Weife” ober „„Hamtet” 


aber bat heutzutage auch keinen Zulauf; Dper und Bal⸗ 


let find im Gefhmade der Zeit. Schon um deswillen 
wird die Fury größen Beifall finden als fländige Ges 
richte, bi8 das Bolt unter dem Beile einer Sternfammer 
fühlen wirb, wozu fie brauchbar if. Weil aber diefe Er⸗ 
fahrung uns Deutfchen noch abgeht, fo meinen die Meis 
fien in diefem Inftitute dasjenige Mittel zu erkennen, 
durch welches eines der gewichtigften Mittel ber öffent 
lichen Gewalt in die Hände des Volks gebracht und das 
durch rin Theil der bemfelben zur Ungebuͤhr vorenthaltenen 
Theiinnhme an den Öffentlichen Angelegenheiten ausgegli⸗ 
dyen voerden wuͤrde. Daß dies die Dauptteiebfeder bed 
Begehrs nach diefer, aus der erflen Kindheit der Rechts⸗ 


Pflege herſtammenden Anſtalt, aber auch des’ ernflen Wis 


derſtandes der Regierungen, darauf einzugehen, in fich ents 
halte, kann keinem tiefer bliddenden Auge entgehen. Wenn 
man nun aber Befegblicher herausgibt, welche für den al 
lerroichtigften Theil der Rechtsbeſtimmung, nämlich dee 
Staffification der verfihledenartigen Borgänge, gar keine 
Borfchriften enthalten, macht man es eben dadurch fo weit 
unmöglich, objective Mechtefprüche zu geben, und verwans 
beit damit ganz von felbft die Ratur der fländigen Ge» 


richte In Geſchwornengerichte. Die unausbleibliche Folge 
diefes großen Nüdfchritts der Befehgebung kann nur der 


fein, daß entweder bucch authentifche Beftimmungen, durch 
wiſſenſchaftliche Erklärungen und durch einen fich ausbil⸗ 
denden Gerichtsgebrauch nach und nach die gemachte Lüdte 
wieder ausgefüllt wird, bis fih am Ende die Nothwen⸗ 
digkeit ergibt, aus allem desfallfigen Wuſte wiederum eine 
neue ergänzende Gefegfammiung auszuziehen, oder aber 
daß es ganz und gar In das Begriffes und Erkenntniß⸗ 
vermögen jedes Richters geftellt wird, was er aus jedem 
Vorgange zu machen für angemeffen bäft, folchergeftait aber 
die buntfchedigiten Urtheile zu erleben und die Rechtöpflege 
dem Zufalle zu überantiworten. In dem einen, wie in 
dem andern Falle werden die häufigften lagen und Uns 
zufeiebenheie nicht auöbleiben. Die allermeiften Menſchen 
fühlen wol, daß und wo fie der Schub bradt, aber 
wiffen darum noch nicht, warum er brüdt und wie bem 
abzuhelfen ift? Nur bie fehe gut unterrichteten bleiben 
nicht bei der nächften Wirkung ftehen, fondern ergeiänden 


- — un. 


\ 


04 


bie entferntere Urfache davon. Es kann mithin auch nicht 
fehlen, daß jene Unzufriedenheit den Übelſtand der beftes 
benden Rechtspflege und ber Beſchaffenheit der Gerichts: 
böfe beimeffen werde, da dieſe doch ganz unfhuldig daran 
find, vielmehr das neue Strafgeſetzbuch die ganze Schuld 
auf ſich hat. Die gemeine Meinung wird alfo die ftaͤn⸗ 
digen Gerichte um fo mehr noch verdammen und um fo 
fehnfüchtiger nach der Jury ſchreien. Vielleicht daß die 
Regierung am Ende nadygeben zu müffen glaubt! 

Zwar bat keine einzige der fänımtlichen Provinzial⸗ 
fländeverfammlungen bdiefen Mangel des Geſetzentwurfs 
aufgefaßt und gerügt; aber dadurch, daß er ihnen vorge: 
legt worden, iſt doch uns bie Gelegenheit gekommen, 
ihn zur Sprache öffentlich zu bringen, die weitere Erwaͤ⸗ 
gung Denen anheimgebend, denen fie zuflcht. Auf diefe 
Weiſe beſchraͤnkt fi die Sphäre der Berathung nicht blos 
auf den Kreis der Ständeverfammlung, fondern erftredt 
ſich mittelbarerweife über Alle, welche ſich berufen fühlen, 
ihee Stimme zu erheben. Dies und der davon unabloͤs⸗ 
liche Gewinn an Erwägungen und Einſichten iſt der un: 
Ihhägbare Vortheil des Daſeins von Landfländen, in deren 
Mitte fi) am Ende meift doch zufammendrängen muß, 
was Brauchbares von irgendwoher zu Tage gefördert wich, 
und woburd es unmöglich wicd, daß die Bureaukratie in 
Einfeitigkeit oder Dummheit oder Unlauterkeit verfinke. 
Se ernfllicher vielmehr die Stände ihre Beſtimmung er: 
fuͤllen, deſto unausweichlicher befindet ſich die Regierung, 
fi) mit der größten Intelligenz und Rechtſchaffenheit zu 
umgeben. Günftlinge, Blender und Leute ohne Verdienſt 
koͤnnen ba nicht am Plage bleiben. Umgekehrt, wenn bie 
Stände nicht blos eine berathende, ſondern eine befchlies 
Bende Stimme haben, bilden fid) bald Parteiungen und 
Parteianfuͤhrer nicht um der Sachen willen, fondern les 
biglich zu dem Zwecke, um dadurch zu einem Anſehen zu 
gelangen, durch welches die öffentliche Macht genöthigt 
wird, ſich mit den einflußceichen Leuten zu befteunden, ja 
fi) ihnen in die Arme zu werfen und ihnen bie Leitung 
dee Geſchaͤfte anzuvertrauen. Dieſes gefährliche Partei 
fpiel, das immer bösartiger wird, je länger es dauert, 
wird wieder zur erſten Ruͤckſicht aller vorzunehmenden 
Schritte, worüber bie Angelegenheiten der Landeswohlfahrt 
in den Hintergeund treten müflen. So offenbart fi 
abermals, wie ſehr der Schein trügt, und wie dem Lande 
duch Stände mit berathender Stimme weit mehr geges 
ben wird als mit entſcheidender. 

Indeſſen ift nicht außer Acht zu laflen, daß hierbei 
‚nur von der Wirkſamkeit der Stände für die Geſetzgebung 
und folche Einrichtungen, welche das Land angehen, bie 
Rede war, und daß eben diefe Wirkſamkeit nur einen 
Theil des fländifhen Berufs ausmacht. Einen zweiten 
Theil deffelben erfüllt ihre DObliegenheit zur Bewahrung 
und Vervollkommnung ber Landesverfaffung felbfl, wie 
Ihon erwähnt ift, und wobei es ſich von felbft verficht, 
daß ihre Beichlußfaffung eine maßgebende fein muß. Eben 
dies iſt auch der Kal in Betreff des dritten Theils ber 
Mirkfamkeit der Stände, der in der Gontrolirung ber ges 
fammten Staatsvermaltung in allen ihren Zweigen beſteht. 


Der Verf. gebenkt nur eines Leinen Theils biefer Witk⸗ 
famteit, naͤmlich des Petitions⸗ und Beſchwerderechts und 
der Vorlegung bee Rechnungen über den Staatshaushalt, 
damit bie Stände dadurch von biefem voliftändige Kennt: 
niß erlaugen und die Überzeugung dev Verwendung des 
Staatsvermögend zum Beſten des Landes. Allein das 
Geld ift nicht das Wichtigſte; die immateriellen Güter 
ftehen noch höher. Wie es nöthig iſt, da die Verwaltung 
über die Anwendung und Verwendung jenes Öffentliche Re: 
chenſchaft gebe, fo auch über den Gebrauch, die Erhaltung 
und die Verbefferung dieſer. Die bürgerliche Ehre umd 
Freiheit, die Anflalten zur geiftigen Ausbildung und pu 
Beförberung der Sicherheit in allen | zum 
Flore des Ackerbaus, des Gewerbes und Handels, die 
Rechtspflege und Policei im ganzen Umfange find Dinge 
von dem hoͤchſten Intereſſe für alle Lamdesbewohner, folg⸗ 
ih auch für die Beobachtung des Ausfchuffes derfelben, 
durch welchen das Landesintereffe vertreten werben fol. 
Dabei iſt das Unterlaſſen fchwieriger wahrzunehmen als 
das DBegehen, aber von nicht geringerer Wichtigkeit ; und 
das Wichtigfle von Allem ift die Heilighaltung des Grunde 
ſatzes ber Deffentlichkeit, daß durchaus nichts den Staͤn⸗ 
den verborgen gehalten oder ihnen über irgend etwas voll⸗ 
ftändiger Nachweis verfagt werden darf, was in ber Staats: 
verwaltung geichehen ober unterlaffen worden iſt, fobala 
fie darnach Erkundigung anftellen. Die Öffentlichkeit if 
das genügende, aber auch allein ausreichende Palladium ber 
Landeswohlfahtt. Altes Gute läßt fie ſich gern gefallen; als 
(ed Arge fcheut fie und fucht das Geheimniß. Es gehört 
alfo zur ſtaͤndiſchen Wirkſamkeit, darauf zu fehen, daß bie 
Derfaffung und die zu ihrer Sicherung feftgeflellten reis 
heiten ober Rechte weder unmittelbar angetaftet noch mit⸗ 
telbar untermühlt werden; baf im ganyen Staate unb 
befien Verwaltung nirgend eine Ungeſetzlichkeit fkattfinde, 
noch unerlaubte Willkür; daß jede Beſchwerde diber eine 
Behörde gehörig unterfucht und ihr gebührend abgebolfen 
werde; endlich daß bie Aufmerkſamkeit auch darauf gewen⸗ 
bet werde, was unbeachtet geblieben, aber nicht bebeutunge: 
108 if. So weit nun vermöge bdiefer Controle von bem 
Ständen Anträge gemacht werben, die auf zu nehmende als 
gemeine Maßregein abzielen, greift dies in die Geſetzge⸗ 
bung ein, bei welcher den Ständen nur die Berathung 
und die Derlautbarung der Wünfche des Landes zugebil⸗ 
(ige voerden kann. Anders verhält es fich bei Beichwerben 
über unmittelbare ober mittelbare Verlezungen der Ver⸗ 
foffung, über begangene Geſetzwidrigkeit, Pflichtvergeſſen⸗ 
beit oder unerlaubte Willkuͤr. Die Befugniß, dergleichen 
zu rügen und auf Abftellung zu dringen, wäürbe zu einen 
leeren Gebelle werden, wenn ihr nicht das Recht auf Ach⸗ 
tung derfelben zur Seite ſtaͤnde. Die Regierung darf 
feine gegründete Beſchwerde zurudweifen. Darüber aber, 
ob diefelbe gegründet fei ober nicht, koͤnnen freilich weder 
die Stände noch die Regierung, welche durch ihre Billi⸗ 
gung auf die Seite einer angellagten Staatsbehörbe tritt, 
einfeitig abfprechen, well beide Richter in eigener Sache 
fein würden. Nichts iſt eine fo Lächerlihe und zugleich 
aͤrgerliche Komödie, als wenn Miniſter, ber welche Kla⸗ 


⸗ 





615 


gen gefuͤhrrt werden, dieſelben unter ben Namen bes Re⸗ 
genten für unſtatthaft erklären, den Ständen Verweiſe ge: 
ben oder fie ausfhmähen. So unverlegli die Würde 
und Perfon de6 Regenten fein muß, ebenfo auch das Ans 
ſehen der Landesvertretung. Die Werfaffung muß bafür 
Vorſehung tr fen, daß nur im folchen Formen verkehrt 
werden darf, weiche diefer wechfelfeltigen Ehrerbietung kei: 
nen Eintrag thun, und daß ein materieller Streit, der 
Succh Unterhandlung nicht zur Ausgleichung gebracht mers 
den kann, auf unpartelifche Weiſe durch einen oberſten 
Staatsgerichtshof zur Entfcheldung und zum Austcage 
Zomme, damit kein Zwieſpalt erwachle, der immer weiter 
Hofft, je weiter die Spaltung geht. Ohne einen folchen bat 
das ganze Gewölbe der Verfafſung keinen Schlußſtein. 
Auch von Denen, melde die Hichtigfeit ber aufgeftells 
ten Grfoberniffe begreifen, glauben Manche, es möchte gut 
fein, nicht damit auf einmal hervorzutreten, ſondern ſich in eis 
ner gewiſſen Hatbheit zu halten unb nur flüdweis nach und 
nach immer Weniges herauszugeben, das man allenfalls, wenn 
es zu unbequem würde, wieder zuruͤcknehmen koͤnne. Gin fols 
des Spiel zu treiben, ſcheint mehe als gewagt; denn die Ver⸗ 
Hältwiffe der Regierung zum Volke find zu ernfl, um baraus 
ein Spielwert zu machen. In allen Beziehungen gibt es nichts 
Tadelnswertheres als die Halbheit. Die Bedingung aller ſocia⸗ 
len Berhaͤltniſſe ift bie Unterordnung bes Willens aller Einzel⸗ 
nen unter das allgemeine fefte Geſez. Wenn nun ben Fürften 
bie Aufgabe geworden iſt, den geſeglichen Zuſtand aufrecht zu 
erhalten, fo fest dies doch das Vorhandenſein ſolcher Weftims 
mungen voraus, in denen nothwendig auch ber Umfang ihrer 
eigenen Obliegenheiten und Befugniffe feft beftimmt fein muß. 
bien fie, fo entbehrt bie Regierung der Hauptflüge, auf wel⸗ 
fie ruht, und zugleich die moraliſche Kraft, welche aus ber 
innigen Bereinigung von König unb Bolk hervorgeht und weis 
de den Thron gegen ben Parteigeift, ben Ehrgeiz und ben 
Egoismus zu ſchuͤten vermag. 
Denn fehlen fie, fo waltet nicht das Geſetz, fondern 
Willkuͤr; unter jenem iſt der Staatsbürger Unterthan, 


unter dieſer Sklave. 

Se Ichärfer und zuverläffiger bie Grenzen ber Befugnifle 
einer jeden Stellung, eines jeden Verhaͤltniſſes im Staate bee 
ftimmt find, um fo geficherter iſt bie Ordnung ber Dinge und 
Die Heftigkeit des Staatsverbandes. Denn nichts if conferdas 
tiver als die GBefeglichkeit. 

(Die Bortfekung folgt. ) 


Die Franzoſen in Dezptſdland im 15. Sabre: 
undert. 

Wie die Franzoſen im 17. Jahrhundert auf Ludwig's XIV. 
Befehl in Deutſchland gehauſt, wo ihre Brandfadel am Rheine 
und Nedar leuchtete, N weitkundig; weniger befannt find ihre 
fruͤhern Sinfälle über die deutſche Grenze, bie fi damals noch 
weit jenfeit des Rheins ausbreitete. 

As Wilhelm von Diet, Erzbiſchof zu Strasburg, von 
dem Dombechanten unb einigen Gapitularen gefangen gefegt und 
felbft auf das Gebot bes Concils zu Koftnig nicht leid in 
Freiheit gefett ward, ba hatten feine Kreunde für ihn thätig 

ft, daß ber Kaifer Sigismund durch einen firengen Befehl 
die Eoslaffung des Biſchofs erzwang. Ob diefer unmittelbaren Ans 
theil an ber Ankunft ber franzöftfchen Kriegsleute hatte, die in eins 
einen Banden das Land umher durchzogen und durch einen Herrn 
von Finftingen aus dem Lothringifchen über Zabern in das Elſaß 
gerührt wurden (1439), 14ßt fi mit Sicherheit nicht beſtimmen. 

iefe Truppen hatten vorher unter dem Befehl eines Grafen von 
Armagnac geftanden, man gab daher bem ganzen Haufen diefen 
Natnen, den bie Rheinländer in Arme Gecken ummanbelten. 





@ie Hatten bie Nacht um Zaubern in ben Doͤr elogen 
und erſchienen am frühen Morgen vor ae fünr 
Haufen um die Stadt aufgeſtellt, hoffend, die Bürger würben 
herautkommen; body wehrte bies der Hauptmann Rüle Bars 
pfennig, ben bie Bürger gewählt hatten. Nur etwa 600, meiſt 
gemeines Bolt, gingen hinaus, wurben aber übel aufgenommen; 
O blieben tobt, viele wurben gefangen und mußten ſich 1öfen. 
Die räuberifchen Horden zogen nachher weiter, theils nach Da⸗ 
genau und Beummt, theils aufwaͤrts auf Molsheim, Roßheim, 

ndiau; fie plünderten und verbrannten über 100 Dörfer und 
ſchuugen tobt, wer ihnen in den Weg kam. Sie fanden nir— 
gend Wiberfland; man hatte fidy keines überfalls verfeben und 
war nicht darauf gefaßt. In Strasburg befeftigte man ſich 
alles Fleißes, hieb die Bäume rings um die Stadt ab, zandete 
bie Haͤuſer auf ber Bänfeweide an und bielt ſtarke cht. 
Nachdem fie ſich bei Schlettſtadt verſammelt, 16,000 Mann zu 
Roß, zogen fie nach dem obern Elſaß, „hatten 600 ſchoͤne Weis 
bee bei ſich auf Pferden und viele Wagen und Karren mit 
geftoplenem But”. Zwar folgten ihnen ZOO Pferde des Pfalz⸗ 
grafen Ludwig und wol 10, Mann Landvolk, bie in der 
dandvogtei und in der Stadt Strasburg zufammengebracht wa⸗ 
ven; nachdem fie aber vernommen, baß die Armagnacs forte 
gezogen waren, begaben fie ſich audy; wieder nach Haus. Jene 
raubten und plänberten alle Kirchen und Ktöfter, nahmen Keiche” 
und Monftrangen und morbeten, wen fie antrafen; nad) brei 
Bochen zogen fie wieder über das Gebirge nach Lothringen. 
Ste follen bei bem Abzuge von den Herren und Grafen von 
Lichtenberg, Ochſenſtein, Lüselftein, Solms und Andern ans 
gegsiffen und 2000 erfchlagen worden fein; doch behielten fie 
das Feld und zogen nach Frankreich. 

Als das Gonct zu Baſel und ber oͤſtreichiſche Krieg noch 
währte (das dem Herzoge verbuͤndete Zürich hatte 1443 unters 
gelegen und Bern bedrohte die Worlande bes Herzogs), da wandte 
ſich Kaiſer Friedrich III. an feinen Schwager, Karl VII. von 
Frankreich, und bat ihn, nach Beendigung des Kriegs mit Eng 
land die Armagnacs, welche der gemeine Mann Arme Gecken 
nennte, ihm zu Hülfe heraus zu ſchicken, die Schweizer damit 
zu dbemmen, auf daß andere Voͤlker hören mögen, ihren Koͤni⸗ 
gen und Herren Gehorfam zu leiften. Zu folchem half ber Adel 
Im Lande meiſterlich und griffen tapfer auf die Schweizer; hiers 
mit meinte auch Kaifer Friedrich und Papſt Qugenius, das 
Concilium zu Baſel zu verftören, jeber fah auf feinen Rugen, 
aber der Armen ward nicht gedadht. 

Während bie Schweizer vor Zuͤrich und Frundsberg lagen, 
kam König Kart mit feinem Sohne Lubwig, bem Bauphin, 
nach £othringen, foberte Mez, Toul, Berdun unb viel andere 
St te, ſo zum Reiche gehörten, auf, ſchickte feinen Sohn vor⸗ 
aus in das Eiſaß (im März 1444) und ließ andeuten: „baß 
Gtrasburg und die ganze Landfchaft bis an den Rhein zu Frank⸗ 
reich gehöre (7); begehrte: man wolle im Eiſaß 24, Mann 
aufnehmen , babe im Übrigen nichts wider das eich vor, fon» 
dern fei von dem Katfer wider die Schweizer zu Hülfe gerufen.’ 

Im Auguft 1444 zog der Dauphin mit 32,000 Pferben 
auf Wömpelgarb, baher ließen die im Concil von Baſel es den 
Zuͤrichern wiffen, die zum Schutz berbeigogen, aber an ber Birs 
800 Mann verloren. Zum zweiten Male von den Franzoſen 
angegriffen, wurben fie bei St.⸗Jakob'e Kapelle faft ganz aufe 
gerieben und zerſtreut; fie Hatten 1100 Todte, doch die Feinde 
nit weniger, denn bie Schweizer hielten fidy mannlich unb 
fagte ber Dauphin, „baß er mit benfelben keine Schlacht mehr 
begehrt zu wagen”. Gern wären bie von Bafel den guten reb⸗ 
Liden Leuten zu Hülfe geflommen, der Dauphin aber frie 
8000 Pferde auf den Halt geftellt, fie und die Stabt zu übers 
fallen, wenn fie ſich berausbegeben hätten. 

Die Öftreicher führten den Montgommeri mit 6000 Pfer⸗ 
ben nad) Rheinfelden, Lauffenburg und Waldshut, da zogen bie 
vor Frundsberg eilig ab, fchägten die Stadt um eine große 
Summe und wollten über den Schwarzwald ing Breisgau; doch 
weit ber Landvogt den Wald und alle Wege verbauen Taffen, 


mußten fie zuräd gen Altenkicchen um Dauphin. Die Übrigen 
an Munftrot, Demertüch und Enflöpelm. 

Hler hatte Papft Felix eine Zuſammenkunft vorgeſchlagen, 
auf der ein Vergleich zu Stande kam: daß bie Gidgenoffen dem 
Daupbin 4l, Gulden erlegen und damit einen Frieden er⸗ 
kaufen ſollten, der zwar verbrieft und verſiegelt, aber nicht ge⸗ 
halten warb. 

Der Dauphin foderte den Biſchof von Strasburg zu ſich 
nad) Enſisheim, um von ihm Ruſtach und Egisheim einzubekom⸗ 
men. Er gab ihm ben legten Ort. Die Übergabe von Her⸗ 
liäheim ergwang ber Daupbin durch die Drohung: ben Herrn 
won Hattitädt öpfen zu laſſen; ebenfo ergab fi) St.⸗Poͤlten 
nach zweimaligem vergeblichen Gtürmen, weil ihr Oberfler er 
ſchoſſen warb. Rachdem bie Zranzofen aller Bleden und Doͤr⸗ 
fee um Strasburg ſich bemächtigt hatten, kamen Briefe von bem 
Herrn von Briffac und dem königlichen Kämmerer Veronne mit 
dem Anfuchen: daß fie ungehindert aus⸗ und einveiten und fr 
ib: Geld zehren koͤnnten; doch ward es Höftichft auräckaewiefen. 
Sie fen barant in bie ut, wo die Mönche 1000 gIl. 

anbfchagung za mußten. 

Bald darauf * der Marſchall Johann von Finſtingen 
mit 4000 engliſchen Reitern unter dem Oberſten Macle herein, 
die in Wirtersweiler nachteten und dann weiter gogen. In 
Markolsheim, dem Biſchof von Strasburg geboͤrend, fanden fie 
keinen Widerſtand, wol aber in Rheinau, das von Strasbur 
aus beſetzt war und tapfere Gegenwehr leiſtete; wofelbfi a 
ein Anführer der Franzoſen erfchoffen ward. 

Die Stadt Roßheim hatten fie mit harten Bebrohungen 
aufgefodert, während fünf auf der Mauer fiehende Bürger es 
weiter bringen Tonnten, ward einer berfelben an einer Zinne 
erfchoffen, worüber bie andern Bürger bergeftalt erichraten, daß 
fie etlichen mit Leitern über die Mauer geholfen und aud mit 
ihnen das Thor inwendig geöffnet haben. Als bie Armagnacd 
fo in bie Stadt gekommen, ſchwuren die Bürger ben Martchall, 
der verhieß ihnen zwar, daß er fie bei ihren Freiheiten wollte 
bleiben Lafien, ba bie Gecken aber Alles inne hatten, fpielten fie 
den Meifter über der Moßheimer Leib und But, Auch Schioß 
und Städtchen Biſchofsheim fiel in ihre Dändes in Wangen 
hingegen ſchlugen bie Bürger den Sturm ab und zogen fich 
dann in das Schtoß zuruͤck, wo num bie Brangofen ſich mit 
Quartier und Eſſen gegen Bezahlung begnügten. Dambach 
Yeiftete drei Tage lang unericheodene Gegenwehr, obgleich ber 
Daupbin felbft zugegen war und bie Mauer an zwei Orten mit 
Geſchuͤtz befchießen ließ, wobei er ſelbſt durch einen Pfeil am 
Knie verwundet ward. Die Einwohner befamen freien Abzug 
mit Allem, was ein Zeber auf einem Pferde fortbringen koͤnnte. 
Das hielt man ihnen fo lange, bis fie vors Thor kamen, ba 
nahm man ihnen baflelbe au. Ebenſo erging es ben Ein» 
wohnern von Weftbofen, die ſich mit ben Raͤubern um das 
halbe Gut vereinigt hatten. „Wie fie aber jenes hatten, nabs 
men fie das andere auch.“ 

Nachdem fie ſich der meiften Eleinern Orte bemäcdtigt hats 
ten, verlegte der Dauphin feine Reiterei in diefelben : die Spar 
nier nach Egisſsheim, die Engländer nach Roßheim und die 
Franzoſen in bie andern, zufammen 28,580 (oder nady einer 
andern Urkunde 33,300 Pferde). Er felbft nahm 2000 Reiter 
zu feiner Begleitung, als er zu bem Herzog von Eothringen 
reiſte. Won den in ber Umgegend von Strasburg zuruͤckgeblie⸗ 
sen fagt bie Urkunde: „Die Armenyaden betrugen ſich, als ob 
das Land heidniſch wäre und die Leute darin alle ungläubig, 
Mörder ober Keger. Denn fie ſchonten Niemand, weder in 
Kirchen, Kiöftern, geweihten ober gefreiten Orten, in Staͤdten, 
Dörfern oder auf dem Felde, wenn fie an bie Leute kommen, 
fie feien geiftiih ober weltlich, Prieſter oder Laien, Männer, 

auen, Knaben, Töchter, Kinder alt und jung, ſchlugen und 
achen fie viel zu Tode: einigen ziffen fie ihre Kehlen ab, cinige 
erſchoſſen fie, einige hieben ober flachen fie wund und liefen fie 
für todt liegen, einige nahmen fie gefangen und marterten und 


peinigten fie jämmerlih, einigen banden fie Bände und Füße | 


zuſammen unb fie. ſo gebunden Tag und Racht Hey, 
daß Haut und —* durchſchnitten wurben und bie Bande bis 
auf die Knochen gingen. Etliche töbteten fie felbft, wenn fie 
ſahen, baß fie id elähmt hatten, andere fharben vor Kälte 
im Winter, oder erfroren Hände und Füße, denn ſobald fe 
Semanb fingen, zogen fie ihm b und Kleiber aus, nahmen, 
was daran gut war, und ließen bie Gefangenen nackend. 
verbrannten in ben angeftedien Haͤuſern, wo fie gebunden Ias 
en und ihnen die Boͤſewichte nicht heraushalfen; andere liefen 
he Hungers fterben, wenigftens mußten fie Bunger und Durft 
leiten, unb waren in Kiften oder Faͤſſer eimgelpertt. Denen u 
noch wohl ging, bie mußten am age arbeiten, was ihnen ge 
peißen warb; des Nachts wurben fie wieder in ben Kerker ge 
rat. Wer da klagte, daß er wegen Armuth nichts geben 
koͤnne, ber ward über Tag gequätt mit Schlägen, Fußtritten 
und dergleichen. Wer Löfegeld bot, aber es zur beffimmten Beit 
nicht aufbringen konnte, über bie wurden fe ergrimmt, ſchait⸗ 
ten ihnen ben Hals ab, hingen fie auf, erſaͤuften fie oder 
gelten fie zu Tode.“ 

„Sie nothzüchtigten und misbraudhten Frauen, Sinbbeites 
sinnen und Kranke, beſonders Jungfrauen, denen fie bie Haͤnde 
auf den Rüden banden. Gtlichen fperrten fie bie Beine übe 
Wannen und fchaürten ihnen bie Züfle an bie Handhaben. 
So mishanbelten fie eine nach ber andern und beoingen au 
fonft mit Weibern mancherlei böfe üppigkeit und verfinchte 
Muthwilligkeit, desgleichen nie mehr gehört ward und auch zu 
grob ift, zu ſchreiben.“ 

Sie zaubten und brannten auf foldhe Art täglich im danke, 
wo fie nur in die Staͤdte, Gchiöffer ober Dörfer kommen konn⸗ 
ten; ohne Ruͤckſicht, ob die Stadt ober das Gchloß befeit ober 
von oben her verbrieft war. Gie waren Herr und Meiſter; 
gab man ihnen nichts, fo nahmen fie ſelbſt, jagten bie Leute 
aus ibren Däufeen und vertrieben fie aus der Stadt oder dem 
Schloſſe. Viele gingen freiwillig fort, verließen Daus und ‚Hof 
und wanderten mit Weib unb Sind als Bettler fort, ihr Habe 
und Gut hinter ſich kaflend, das die Armagnacı veroifiten 
und vergeubeten. 

Als nun bee Winter kam, hatten fie einen Landfiri von 
mehr als 20 Meilen eingenommen, wo fie in den Staͤdten la⸗ 
gen und Nahrung und Fuͤtterung vom Lande herbeiſqhleppten. 
Es fehlte an fördernden Anftalten, fie zu vertreiben; denn was 
gefchehen, war nicht hinreichend, wenn ſich auch einzeine zuſam⸗ 
menthaten , bem räuberifchen Bolke Wiberftand zu thun. Zwar 
wurden viele deſſelben von jenen erſchlagen, erkoffen ‚ gefangen 
und ertränft, fobaß. bie Anführer, als fie endlich nach Kothrins 
sen fortzogen, den Verluſt über 10,000 Mann beredjneten, unter 
denen mehr al8,1000 Herren und Ritter waren, die in den bluti⸗ 
gen Schlachten mit den Schweizern gebliebenen mit eingefchloffen. 

(Der Beſchiuß folgt.) 





Literarifhe Anzeige 
Durd alle Buchhandlungen iſt von mir gu beziehen: 
Asverus (®st.), 

Die Denunriation der Römer und ihre ge 
ſchichtlicher Zuſammenhaug mit Dem tr: 
ſten procseinleitenden Derrete. 

Gr. 8. 1 Thir. 15 Ngr. 


Woeniger (A, Thdr.), 

Das Saeralſyfſten und das Provoeations. 
v sen Der Römer. Zwei Beiträge zur Kunde 
bes roͤmiſchen Staats: und Rechtstebens. 

Gr. 8. 1 Thle. 24 Nor. 

Reipzig, im Mat 1843. 


F. A. BSrockhaus. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brocbaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Sonntag, 





Bülow: SGummerow. _ 
( Bortfegung aus Rz. 184.) 

Nicht nur das Beduͤrfniß einer gefchriebenen Berfafs 
fung hat fomit der Verf. klar gemacht, fondern ſich audy 
über bie leitenden Grundſaͤtze bei deren Schöpfung richtig 
erklärt. Was in einem lebenden Weſen felbfl lebendig 
werden fol, muß ſich an dad Beſtehende anfchließen und 
mit demſelben bergeftalt vereinigen, baß die Verbindung 
eime ganz innige wird. Überall folglich darf im Staates 
eben feine Einrichtung nach bios theoretiichem Ermeſſen 
getroffen werden, fondern nur in bifkorifcher Anknipfung 
und Entwidelung dergeſtalt, daß das Beſtehende genöthigt 
wird, ſich von innen heraus in ber beabfichtigten Art ums 
zugeflalten. Dagegen darf ba6 Beflchende darum, weil 
es entſtanden iſt, noch keinen Anfpruh auf Kortbeftand 
amd ungeſtoͤrte Fortdauer machen, weil bie Zuflände uns 
ter den Menfchen beimeitem mehr ohne Vernunft und 
wider die Vernunft ſich geflalten, als mit und nach der 
Vernunft. Diefe aber iſt für Vernunftweien immer der 
Leitſtern und die Regel, nady deren Srundfägen alfo alles 
Siftorifche beurtheilt, gewuͤrdigt und ihm untergeordnet 
werden muß. Darum muß alfo, was gefchieht, zeitgemäß 
gefhehen (S. 94), das heißt auf die Weiſe, daß das Bes 
ſtehende nicht gewaltfam über den Haufen geworfen und 
vernichtet, fondern daß ihm eine ſolche Richtung und Thaͤ⸗ 
tigPeit gegeben wird, daß ed der Einrichtung zuwaͤchſt und 
fie felbft verwirklicht, welche den Anfoderungen einer rich: 
tigen Politik (Staatsweisheit) entfpriht, welche nie und 
nirgend aus den Augen gefegt werden barf, und beren 
Beboten zu genügen, allerdings kein Opfer zu ſchwer füllen 
darf. Überall hierbei tft aber noch zu bedenken, daß nicht 
Die Außere Erſcheinung, fondern die Innern Verhaͤltniſſe, 
Kräfte umb Triebfedern der Dinge das Weſentliche derfel: 
ben ausmachen unb beshalb weniger jene, als biefe zu 
Eennen und zu beachten find. Ebenfo wichtig iſt die Be⸗ 
merkung, daß unter der Megel, das Hiſtoriſche zu chren, 
ebenfo wenig ein Felthalten der Gegenwart ald eine Zu: 

hrung auf irgend eines früheren Zuftand gemeine 
fein koͤnne (S. 93). Was vorübergegangen und erflorben 
ift, Liefert eben damit den Beweis, daß ihm die Lebens: 
kraft — iſt, die kein Menſch irgend einem 
Stoffe einfloͤßen kann, außer durch die Aufnahme deſſelben 
in die einfachſten Elemente eines organiſchen Koͤrpers. 


Nichts Hiſtoriſches hat einen abgeſchloſſenen Zeitpunkt; 
was zu einer Zeit war, iſt in einer andern nicht; inſofern man 
ſich an die aͤußere Form hält, kann man zu keinem hiſtoriſchen 
Refultate gelangen. Möchte aus der Wergangenheit gewählt 
werden, was da wolle, fo kommt man auf Zuftänbe, bie in bie 
Gegenwart nicht mehr paſſen, bie ſich entweder aufgeloͤſt ober 
geläutert haben ober des es verbiichen find, und aus beren 
Grabe erft der Mittelftand und bie Lanbeshaheit, biefe Haupt⸗ 
beftandtheile ber Ausbildung ber beutfchen Monarchien, hervor⸗ 
gegangen find, weldye, nachdem fie gemeinfchaftlich die Todten 
begraben haben, ſich ſelbſt als Demokratie und Gouverainetät 
noch einander gegenuberfichen und miteinander ringen, anftatt in 
Eintracht und Gemeinſchaft ige Werk weiter zu vollbringen. 

Dierzu kommt, daß der premfifche Staat aus einer 
großen Menge von einzelnen, auf fehr verfchiedene Weiſe 
sufammengebrachten Landestheilen beſteht, von denen bie 
meiften ein ſehr verfchiedentliches Recht aufzuweiſen haben. 
Die Frage, wie e8 mit dem geſchichtlichen Rechte der 
durch Eroberung erworbenen Provinzen flehe, kann auf 
fi) beruhen bleiben, weit, infofern es bei ber Erwerbung 
zugefichert worden, dieſes Maß gibt und im Gegentheile 
es ebenfo ausgemacht iſt, daß bie Eroberung nicht durch 
den König allein, fondern als Oberhaupt und mit den 
Keäften des Staats gemacht worden ift, daß fie folglich 
dem erobernden Staate gehört und dem Recheszuſtande 
ber Bürger defjelben keinen Eintrag thun kann. Umge⸗ 
kehrt vielmehr müfjen diefe Provinzen ale in den Staates 
verband ſolidariſch aufgenommen, in deſſen Rechtszuſtand 
ebenfalls mit eintreten umd deſſelben theilbaftig werden. 
Aber welches Recht der verfdyiedenen Landestheile und 
welche Zeit feiner Geltung foll zur hiſtoriſchen Grundlage 
für die Verfaſſung de6 Ganzen dienen? Einige Provinzen 
befigen ſogar ein gefchriebenes Recht, durch weiches bie 
Souverainetät des Fuͤrſten überaus beſchraͤnkt if. Gleich⸗ 
wol folgt daraus, daß es feit des Großen Kurfürfien Zeit 
nicht mehr volftändig und ſeit Friedrich's des Einzigen 
Zeit gar nicht mehr beobachtet und ihm nachgelebt worden 
it, auf Leine Weife, daß «6 aufgehört habe. Wie jetzt 
die Macht fi davon einfeitig entbunden hat, koͤnnten 
veränderte Zeitumfiände eine Berufung darauf wieder ber 
beiführen. Damit es von Rechtswegen nicht mehr zu 
Recht fortbauere, muß alfo ein Rechtsgrund amgeführt 
werden. innen, der bie Rechtsverſagung erſt rechtfertigt. 
Diefer iſt allerdings vorhanden und beruht in dem hoͤch⸗ 
fin Staatsgefege, daß in einem Staate nichts Rechtens 


fein kann, womit bie Exchaltung und bie Wohlfahrt des 
Staats nicht beſteht. Dies unbedingt zugegeben, iſt je: 
doch ebenfo ausgemacht, daß die Anwendung biefer fors 
mellen Regel auf concrete Werhältniffe und die Umgeſtal⸗ 
tung einer beftehenden und gefchriebenen WBerfaffung nicht 
der einfeitigen Beſtimmung ber Regierung anheim gegeben, 
fondern nur durch Vergleih und Vereinigung mit den ges 
ſetzlichen Vertretern des Landes fefigeftellt werden kann. 
Schon die Klugheit gebietet deshalb ebenſo wie das Recht, 
dee preußifchen Regierung ihr Rechtsverhaͤltniß auf recht: 
lichen Wege baldmoͤglichſt und zu einer Zeit zu ordnen, 
wo man ihr willig entgegentommt und gern jedem billi: 
gen Begehren entſprechen wird. So ift «6 in Wuͤrtem⸗ 
berg gefchehen und der Segen biefer Pflichterfüllung iſt 
dort nicht ausgeblieben. Früher oder fpäter kommt bie 
Angelegenheit doch zur Sprache. Es iſt aber nicht weile, 
es darauf anlommen zu laffen und die Zeit abzumarten, 
wo man Rebe fliehen muß und wo die Noth dazu treibt, 
auf Das einzugehen, was verlangt wird, fondern es iſt 
weife, dem zuvorzulommen und eine Zeit des Friedens 
und der Ruhe, des gegenfeitigen Vertrauens und Wohl: 
wollens, der Befonnenheit und des Schweigens ſtuͤrmiſcher 
Bewegungen im Innern oder von außen zu benugen, um 
der Ungewißheit, den Zweifeln und den Beforgnifien ein 
Ende zu maden und durch eine verglichene fefte Rechts⸗ 
beflimmung die Eintracht und das Einverfländniß zu be⸗ 
genden, in welcher das Volk mit feinem Oberhaupte und 
der König mit feinen Unterthanen zu einer moraliſchen 
Derfon verbunden find. Es iſt jegt noch dafür eine fo 
günftige Zeit, daß faft zu bezweifeln ift, fie möchte jemals 
wiedertehren, und bag noch in Wergefienheit kommen kann, 
was ſchon verabfäumt worden iſt. 

Unſtreitig endlich iſt es, daß, wenn eine Volks⸗ oder 
Landesvertretung der Regierung zum Heile des Staats 
zur Seite ſtehen muß, dieſelbe nur ihrer Aufgabe Genuͤge 
keiften Eann, wenn fie in der That eine vollſtaͤndige Ver: 
tretung in ſich fchließt. Da kommt denn die viel befpro: 
chene Frage zum Borfchein, was vertreten werden muß 
und wie und in welcher Art? Der Berf. Hält dafür 
(5. 26), daß die gegenwärtige Einrichtung dem Zwecke, 
der Verfaſſung eine größere Geftigleit zu geben, barum 
nicht zufage, weil a) Überfehen worden iſt, daß ein durch 
Verſchuldung, Verkaͤuflichkeit höchft beweglich gemachte 
Grundbeſitz nicht das Patronat der Stabilitaͤt fuͤhren 
kann; b) weil die zu ſchwache Vertretung des Mittelſtan⸗ 
des und ſeiner wichtigen Intereſſen denſelben unbefriedigt 
laͤßt, wenigſtens eine Theilnahmloſigkeit erzeugt, die in 
Dppofition uͤbergehen kann; und weil c) der erſte Stand, 
ber, früher mit fo vielen Vorrechten ausgeftattet, feine 
Stellung nicht hat behaupten können, fie noch weniger 
gegenmärtig zu vertheidigen vermag, Mit klarer Einficht 
misbilligt es demnach der Verf., daß der Grundbefig nach 
der dermaligen Einrichtung nicht blos das wichtigfte, fon: 
been im Grunde das ausfchließliche Moment der Befaͤhi⸗ 
gung zur Standfchaft abgibt in der irrigen Meinung, die 
Stabilität dadurch zum Principe der fländifchen Thaͤtig⸗ 
keit zu machen. Denn der Hausbefig in den Städten ift 


überall kein ſolcher Grundbeſitz, welcher den Beſitzet au 
den Boden bindet (S. 233); vielmehr ift ein bedeutende 
Gewerbebetrieb oder ein Stadtamt beiweitem bindender. 
„Es war eine geroiffe Ängſtlichkeit, durch die Ereigniſe 
zur Zeit der Geſtaltung der Provinzlalftände, welche auf 
diefe Idee gebracht und welche ſich ſeitdem als völlig 
grundlos erwiefen hat.” ine viel wichtigere Berudfictl: 
gung iſt daruͤber ganz umbeachtet geblieben. Das iſt die 
Vertretung be6 Handels und des Gewerbes nach den Koͤr⸗ 
perfchaften, in welche fi Im germaniſchen Geiſte derſelbe 
von felbft zufammenfügt, wo er daran nicht behindert wird, 
Ohne dergleihen Corporationen bleibt ber zweite umb britte 
Stand immer nur eine Samminug vereinzelt Stehender 
und wird zu feinem organiſchen Theile eines Staatskdrs 
perd, wozu ein Zufammengeben und Ineinanderwachſen der 
gleichen Einzelnheiten unumgdngli iſt (S. 32). 

Richtig an ſich iſt die Berufung des großen Grund: 
befiges zur Standfchaft, jedoch nur unter der Bebingung, 
baß ebenderfelde durch feine Dauer eine heimatliche Ge: 
finnung erzeugt bat, welche ihn theuer und werth mad. 
Wo hingegen durch Fünftliche Mittel der Verſchuldung der 
Boden mobitifirt worden ift und nur noch eine Waare 
des Marktverkehrs abgibt, fchafft er fo wenig heimatlichen 
Sinn als jede andere Handelöwaare (S. 26). „No 
ift freilich die Zelt zu kurz, um ſchon alle die leidigen 
Wirkungen bed eingetretenen Guͤterſchachers herbeigeführt 
zu haben; doch werden und Binnen fie nicht ausbleiben. 
Sie find eine nothwendige Folge der fchlechten Marine, 
ben Gelbvortheil im Büterpreife hauptfächlich zu beachten, 
da doch im Staate viel gewichtigere Ruͤckſichten zu beden⸗ 
ken find, welche ſich zwar nicht nad Zahlen, aber nach 
ihrer Gewichtigkeit bemeflen laſſen. Die Staatspolitik, 
welche erſt die uͤbeln Wirkungen der Verhaͤltuifſe und 
Einrichtungen aus ber Erfahrung entnehmen und tenuen 
leenen muß, um Ihnen ſodann wieder abzubelfen, gleicht 
einem Dausarzte, ber ben Samiliengliedern alle beliebigen 
Diätfehler geftattet, um immer Kranke zu curiten zu ha 
ben. Da maltet niemals der Zuſtand aligemeiner Gefunds 
heit, Wohlbefindens und Kraftgefühle. Das if die Auf 
gabe der Staatsweisheit, die abfehbaren Folgen jebes Zu: 
ftandes vorberzufehen und ihn darnach zu regeln, um bie 
heilſamen zu fördern, den ſchlimmen aber vorzubeugen. 

Auch bei dem Ländlichen Grundbeſitze iſt über deſſen 
Überfhägung nad jenem Principe die politifche Stellung 
des Adels ganz aus den Augen verloren worben, der als 
folcher gar keine Standfchaft mehr genießt, vielmehr von 
Jahr zu Jahr durch den Gutshandel daraus immer meht 
verdrängt wird. Doch iſt der Erbadel eine hiſtoriſche Bil 
bung, die noch Beſtand hat und deshalb nicht auf die 
Seite gefchoben werden darf. Er allein ift in ber That 
derjenige Stand, welcher ben Abſtand zwiſchen Füuͤrſten 
und Unterthban vermittelt, indem der Adelige, wie jener, 
nur Gott und ber Verfaſſung feines Vaterlandes ſeine 
politifche Stellung zu verdanken bat, außerdem aber im 
Rechte allen Staatsbürgern gleich ſteht und mit ihnen in 
Gemeinſchaft. Darum tft auch die Erblichkeit ein weint 
liches Erfoderniß biefes Inſtituts. Freilich aber bat unfe 


Adel eine ganz ſchiefe Stellung erhalten und iſt durch fie 
ein Stein des Anſtoßes geworden (&. 46). 

Dem Schutze des Baterlandes in ber Wertheibigung ber 
Rechte der Krone wie der Freiheiten bes Volks fi) ganz zu 
widmen, das ift fein wahrer Beruf. Um aber biefen erfüllen 
zu koͤnnen und des Gefellfhaft dadurch nüglich zu werben, bes 
darf er einer Stellung, bie ihm eine Einwirkung auf bie Lans 
desangelegenheiten verſchafft, wozu ex fich bie erfoderlichen Kennt 
niffe erwerben, fein Vermögen zu Rathe halten, durch anſehn⸗ 
lichen Grunbbefig mit bem Sande verwachlen fein und der Bes 
wahrer ber feinen Sitte und der GSchidlichkeit bleiben muß. 
Richt die (meift gang unbefannten) Thaten der Worfahren, fon« 
dern nur bie eigenen werthoollen Leiftungen können einen Ans 
Spruch auf ausgezeichnete Achtung vechtfer ine unabhäns» 
gige Stellung und die Snthaltung von einfeitigem Brotftubium 
oder Gewerböbetriebe muß ihm eine allgemeine Bildung gewin⸗ 
nen und diejenige Freiheit des Geiftes und Pefligleit des Wils 
lens bewahren, ohne weiche ex feinen Beruf nicht erfüllen kann. 
Wenn wir hiernach von Dem, wie es fein follte, auf das her⸗ 
überfeben, wie es ift, befennen wir offen, daß eine Wieberges 
burt durchaus nöthig iſt. Wis jest iſt bies fo wenig erkannt, 
daß die Errichtung von Yamilisnfibeicommiffen erichwert und 
betaftet ifl. Wil der Adel eine Bedeutung behalten, muß er 
ſelbſt auf Errichtung von Majoraten bedacht fein und einer 
wahrhaft adeligen Gefinnung fich wieder befleißigen. Nur ein 
auf großen und unverfchuldeten Brundbefig gegründeter, wenig 
zahlreicher und durch Sitte und Kenntniffe fich ehrenwerth 
machender Adel vermag eine dem Lande erfprießliche Ariftos 
Eratie abzugeben. Was dem entgegenfteht, muß alfo abgeſtellt 
werben. 

Auf den Begriff der Ariftofratie führt der Verf. über 
Haupt bie Bedingungen ber Vertretung in ber Standfcyaft 
zurüd (S. 30). Er verfleht darunter eine jede Gemein: 
Schaft Mehrer, fo ein Sonderintereffe in ihrer öffentlichen 
Stellung haben und hegen, jedoch mit demfelben ſich dem 
allgemeinen Wohle einfügen und unterordnen. Alles alfo, 
was ein mit dem Gemeinwohle unverträgliches und ihm 
weiderfirebendes Intereſſe bewahrt, iſt davon ebenfo aus: 
geſchloſſen, als umgekehrt Alles, was an ſich Gemeingut 
und von allgemeinem Intereſſe iſt, da foldhes von Denen 
{don mit vertreten wird, welche daneben noch ein eigenes 
Intereſſe wahrzunehmen haben. Hiernach beſchraͤnkt der 
Verf. die zur Standſchaft berufene Ariflofratie, außer dem 
Adet, auf den Srundbefis, Dandel und Induſtrie, welche 
corporativ ihre Vertreter zu den Ständen aborbnen follen. 
Dagegen verwirft er ganz alle befondere Vertretung ber 
geiſtigen Intereſſen, insbeſondere ber Intelligenz und Re: 
figion, weil ſolche eine Angelegenheit aller Staatsbürger 
find und deshalb Feiner abfonderlihen Vertretung bebürf: 
sen (S. 51) Wir pflihten ihm bei, infoweit es 
fi um die Beachtung der geiftigen Güter ſelbſt han⸗ 
deit, alfo um die Grundfäge und ben gelftigen Betrieb 
der MWiffenfhaften und Religionen. Inſoweit diefelben 
aber durch dußere Anflalten im Staate eine Stellung be: 
haupten und zu moralifhen Perfonen geworden find, des 
nen Rechte und Pflichten beimohnen, muͤſſen diefe auch 
im Ganzen bei der Sefeggebung und den Staatseinrich: 
tungen berüdjihtigt werden, und es ift deren Vertretung 
hei den Ständen nothwendig, Damit dies wahrgenommen 
und das Eigenthümliche ihrer Stellung gehörig zur Spra⸗ 
he gebradt werde. Es gilt dies vor allen ſolchen Ge: 
wmeinfchaften, welche Gorporationssecht haben und welchen 


eben darum wegen ihrer befondern Perſoͤnlichkeit ein Be⸗ 
bürfniß und ein Anfpruch auf unmittelbare oder mittel: 
bare Vertretung nicht abgefprochen werden kann. Akade⸗ 
mien, Univerfitäten und die in jedem Staate öffentlich ans 
erfannten, nicht aber die bloß geduldeten, Kirchen mögen 
ihre Abgeordneten zur Standſchaft flellen. Der Nutzen 
davon bat fih in Sachſen fchon zu Tage gelegt. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Die Franzofen in Deutfchland im 15. Jahr: 
undert. 

Ralfer Karl —— aus Nr. 184.) 

er Karl IV. hatte zwar ſich auf einem Reichstage zu 
Nürnberg mit den Fuͤrſten berathen und an ben Sonig von 
Frankreich geichrieben, um ber Läftigen Gäfte 108 zu werben, 
deren man nun nad) beenbigtem ſchweizer Kriege nicht mehr bes 
durfte. Gleichzeitig wendete ſich Herzog Ludwig von ber Pfalz 
an den Dauphin und befam zwar eine freundliche Antwort, 
ber aber bie That nicht entiprad, denn e8 wurden mittlerweile 
noch verſchiedene Städte und Schloͤſſer von den Franzoſen ein⸗ 
genommen und fuͤrs erſte behalten. Daher waren einige 
Reichsfuͤrſten der Meinung: man muͤſſe die Räuber mit Gewalt 
aus Deutfchlands Grenzen verjagen; allein es fehlte Einigung 
und gemeinfchaftlicher Entſchluß. Zwar wurden einige Fuͤrſten⸗ 
tage gehalten, in Mainz, in Nuͤrnberg und in Trier, der Her⸗ 
og Ludwig ward zum Oberbefehlshaber ernannt des Reichs⸗ 
eers, das die Franzoſen aus dem Lande treiben ſollte, das 
aber niemals zuſammenkam. Mehre der Fuͤrſten waren gegen 
die Gewalthandiung: der Markgraf Albrecht von Brandenburg, 
der Erzbifhof von Mainz, der Markgraf von Baden, die Eris 
bifchöfe von Köln und Trier drangen auf gätlichen Verglei 
Die beiden Legtern kamen nach Strasburg und verlangten: 
„man folle die franzoͤſiſchen Gefandten beim Concil zu Bafel 
nad Gtrasburg kommen laffen, um fich mit ihnen wegen des 
Abzugs der Sranzofen aus dem Elſaß und dem Oberlande frieb⸗ 
lich zu einigen.” Der Rath ber Stadt aber wollte ſich nicht 
bazu verftehen, fondern fagte: „bie Franzoſen fein keine Leute, 
die Frieden und Buͤndniß halten; man achte es am beften, daß 
man den Schluß zu Nürnberg nachfegte (auf die fogenannten 
Armen Geden unverweilt loszugehen), fo wuͤrde man bes uns 
nügen Volks binnen acht Tagen ledig werben können.” *) Dazu 
aber waren bie beiden Kurfürften nicht geneigt — fie mußten 
für ihre Länder Alles fürchten! —, fie fegten ſich auf ein Schiff 
und fuhren wieder nach Gpeier, wo ſich zwar viele Kriegsleute 
verfammelt hatten und nach Strassburg zogen, boch enblidy wies 
der auseinander gingen, weil Herzog Ludwig nicht kam, ber 
fie anführen follte. Ohnehin fehlte e8 an Unterhalt, weil audp 
um ben Andreastag ( 12. Dec. 1444) fo viel Schnee fiel, daß 
alle Straßen unwegfam mwurben. 

Es blieb den Strasburgern nichts übrig, als möglichft fi 
felbft zu beifen. Ihre Sölbner, bie auf dem Kochersberge lagen, 
machten deshalb faft täglich Streifzuͤge gegen die Plünberer, 
nahmen ihnen den Raub wieber ab und machten Gefangene, bie 
fie nach ber Stadt brachten und gewöhnlich daſelbſt ertränkten. 
Sie erſchwerten ihnen dadurch die Fütterung und zündeten einige 
ihrer Quartiere und bie Mühlen an, die fie erreichen Eonnten. 
In Gayspolzbeim überfielen 150 Strasburger 800 Geden, bie 
dafelbft Getreide ausgedrofchen und auf Wagen gelaben hatten, 
nahmen ihnen über 200 Pferde, viele Harnifche und allen Raub 
ab, womit fie fih in das Schloß zogen und bas Dorf durch 
Feuerpfeile anzündeten, daß bie Räuber nad) Roßheim zuruͤck⸗ 
gehen mußten. Cine andere Partei von 400 Fußfnechten ging 


*, Die granfame, empoͤrende Behandlung ber Ginwohner abe 
gerechnet, findet fih Ähnliches in den I. 1812 und 1813 in Rußland 
und in dem Frankreich befreundeten Sachſen wieder, 








. 628 


Gdariebergbeim, und weil bie Feinde gewichen waren, nabım 
73 Faber Wein, alles Hausgeraͤth, Pferde und Vieh und 
ztndete das Dorf an. Daſſelbe geſchah auch durch 1000 Mann 
mit Wangens dann durch hie Bauern im Beilerthale, bie ben 
Enoländern 60 Pferde und zwei große Güde mit Gülbergeichire 
und vielem Gelbe abnahmen. firasburgifche Reiter und 
1400 zu Zuß griffen das Schloß von Marienpeim an, gingen 
über den zugefrorenen Graben und erfliegen bie Mauern auf 
Reitern 3 36 Franzoſen wurden erfchlagen, ihre Pferde und 
Waffen genommen und gulegt das Schloß angezündet. Sie 
wurden zwar auf dem Ruͤckwege nach Strasburg von ben Fran⸗ 
zofen verfolgt und angegriffen, bildeten aber von ihren 100 Was 
gen zwei Reihen, zwiſchen denen bie Schügen im — — ſchar⸗ 
mügelten.. Da that man zwei Schuͤſſe mit topbüchlen auf 
den Zeind, der eine fehlte, der andere traf und töbtete fünf 

erfonen. Da ihnen Mann aus Strasburg yur Unter: 
gung entgegenlamen, gingen bie Franzoſen zurüd und lie⸗ 
$en jene ungehindert in die Stadt. 

Ein Haufen Bauern vom Kaiſerſtuhl und ber Umge end, 
630 Köpfe, kamen bei Markolzheim über den Rhein, erichlus 
gen einige Branzofen und zogen nach Schiettſtadt. Ihnen folg⸗ 
ten noch 100 andere, die auf 40 feindliche Reiter fließen, von 

nen gefchlagen und theils auf ber Flucht getöbtet, theils in ben 

bein atjagt, 40 aber gefangen nach Markolzheim gebracht 
wurden, benn Biete hatten weber Harnifch noch Gewehr, ſelbſt 
keine Hoſen und Schuh, „gleich andern Öben verlorenen Buben, bie 
nackt und blos Sommer: und Winterszeit waren”. Die übris 

en 630 Bauern zogen dann in guter Ordnung zuräd über ben 
Shin, baß ihnen die Feinde nichts anhaben Tonnten. 

Am %. Januar 1445 (St.:Erharb’8: Tag n. ©t.) legte 
ſich Ludwig, der Pfalggraf bei Rhein und Herzog in Baiern, 
mit dem Grzbiichof Ruprecht vor Strasburg und TOO gehar: 
nifchten Reitern vor Tagesanbruch in ein Verſteck bei Illkirchen 
und überfielen 2000 Franzoſen, die auf Kütterung nad) Bledes⸗ 
heim ritten. Diefe hatten 300 Todte und verloren 12 Gefan⸗ 
gene, unter denen ber Gapitain Mettetin auf 15,000 X, Amt 
von Balberg auf 4000 XI. und Aufferet Lebrave auf Fi. 
Loͤſegeld geſchaͤtzt wurden, nach deſſen Bezahlung ſie frei waren. 

war bekamen bie Franzoſen Hülfe und verfolgten bie Stra: 
ger, die ihnen aber fchnell entgingen und mit Berluft eines 
einzigen Drannes die Stadt erreichten. 

Als fie nachher im April mit 8000 Pferden unb vielem 
Gepäd durch dad Leberthal zogen, hatten fih 500 Fußknechte 
unter vier Daupleuten zufammengetban und ſich bei Deilige Kreuz 
aufgeftellt, wo ber Weg einige Schlagbäume hat und fo enge 
ift, daß nur zwei nebeneinander reiten Tönnen. Nachdem nun 
. ein großer Theil der Franzoſen hindurch war, fielen die Deut: 
ſchen über bie Hinteren ber, nachdem fie die Schlagbänume nieber: 

ezogen, baß fie weber vorwärts noch rüdwärts fommen konnten. 

t Beuerröhren und Armbrüften beſchoſſen, mit großen Gtei: 
nen geworfen und mit langen Spießen erftochen, verloren hier 
bie Franzoſen gegen 300 Mann, 416 Pferde, 80 ganze Har⸗ 
niſche und viel andere Rüftungen, 9 große Buͤchſen ( Kanonen), 
3 Tonnen Pulver, viel Schilde, 3 fliegende Fahnen, mehre 
Saͤcke mit Silbergeſchirr und 60,000 Fl. in Golde. Gefangene 
batten fie mehre und zwei Frauen, bie fie nach Schlettſtadt 
brachten. Die no in Markolzheim Zuruͤckgebliebenen wollten 
deshalb nicht Aber das Gebirge gehen, fondern marfcdirten am 
Palmſonntage im flachen Lande aufwärts. Sie hatten bei einem 
Gefechte 50 Gefangene bekommen, bie fi nicht mit Gelb Löfen 
Tonnten, nahmen fie theil® mit nach Frankreich, fagend: fie 
wollten fie dort an bie Juden verlaufen; die andern wurden 
aufgehangen. 

·Als fie nun endlich abzogen, nachdem fie nody in dem Ges 
biete des Deren von Lichtenberg acht Dörfer abgebrannt, wo 
gu Dettweiter und Lüselhaufen auf ben Kirchthuͤrmen gegen 
40 Weiber und Kinder, bie fich dahin geflüchtet, ein Raub der 
Flammen wurden, foberten fie noch ſtarke Brandſchatungen mit 


| 5000 A. 


Bedrohung des Anzuͤndens der verlaffenen Ortſchaften; fo wurten 
Oderzheim, Ruffach, Markolzheim, Heilige Kreuz, Enſisheim 
Hefingen, Hegenheim und noch viele andere Staͤdte, Dörfer und 
Kloͤſter vom Peuer verzehrt. Die im PYfirther Amt gaben 

damit fie verfhont wurben. Fuͤr Weſthofen und Berge 
teithenhelm wurden 500 Pt. gezahlt. Won ben Gtrasburgern 
foberte der franzoͤſiſche Marſchall Jalvignes Geld, daß er ihre 
Häufer in Roßheim verfehontes weil es boch der Magiftrat nicht 
erlaubte, Alb aus ber Stadt zu fchiden, unterließ er es. Auch 
Niederenheim biieb unverfehrt, obgleich ber Beſiger, ein Der 
von Landsberg, die gefoberten 1000 Ft. nicht zahlte; um Dam 
bach zu retten, fanbte der Biſchof dem Oberſten zwei fdhöne 
Pferde. Außerdem wurben beim Abzichen nebft Ruffach, Mars 
kolzheim, Deilige Krug, Gnfishbeim das Schloß, Hefingen, 
Hegenheim unb viele andere Städte, Dörfer, Cchtöffer und 
Ktöfter dem Feuer übergeben, wobei Hunderte von Einwohnern 
elenb umkamen, die mit den Händen unb Füßen an bie 
Wände und Thuͤren genagelt Hatten und fo verliefen. Borher 
batten fie bei Vertreibung ber Einwohner bie nuͤtlichen Hand⸗ 
werker, Müller, Bäder, Schuhmacher, Schneider, Schmiede, 
Maurer und Zimmerleute zurüdgehatten und ihnen ihre Arbeit 
reichlich bezahlt. Beim Ausmari aber nahmen fie ihnen Allet 
wieber ab, und oft doppelt fo viel, als fie verdient hatten. 
Do wurden fie unterwegs vom Grafen von Blamont, Bar 
Ichalt bet Herzogs von Burgund, angegriffen und Aber 500 
„getöbtet. 

Sobald die Armen Gecken die Grenzen bes Reichs verlaffen 
hatten, ging man auf Die los, von denen fie begünfkigt worden 
waren. Johann von Finflingen warb von bem Grafen von 
Luͤtzelſtein und von ben Stra®burgern angegriffen, bie ihm neun 
Stäbtchen wegbrannten. Doc Walther von Zame, ber wegen 
Waſſelnheim fein Lehnsmann war, ftand ibm treulich bei, er⸗ 
oberte Alsweiler, morbete Dann und Weib und zünbete den 
Ort an. Die Gtrasburger, mit dem Grafen Luͤtzelſtein mb 
dem Herrn von Lichtenberg gingen dann, mit bem Marfgrafen 
von Röthel vereint, mit Kriegöleuten über ben Rhein gegen 
den ‚Deren von Lupfen zu Kynsheim, beffen Gebiet fie beſchaͤ⸗ 
bigten, Engen gewannen und ihn felbft gefangen befamen. 

‚. Auch die Schweizer fuchten fi am Herzog Albrecht von 
Öftreich zu rächen, fie belagerten 1445 Rheinfelden und erobers 


ten e8 nach vier Wochen. Sie zogen dann herab gegen Brei⸗ 
ſach mit Mann zu Roß und zu Fuß, um die oͤſtreichiſchen 


kaͤnder, das Suntgau und das Hartgebirge zu verheeren, ſowie 
es die Kriegsſitte jener Zeit war. 

Die nach Frankreich zuruͤckkehrenden Armagnacs wurden be⸗ 
zahlt und verabſchiedet. Karl VII. errichtete dafuͤr die fogenana: 
ten Ordonnanz⸗Compagnien, vielleiht bie erften flehenden Sol⸗ 
daten, auch im Frieden! 67. 





Literarifhe Notizen aus England. 

Der Verf von „Shakspeare and his friends”, Kolfeftone 
Williams, gibt heraus: „Lives ofıhe princes of Wales, heirs 
to the British throne, from the most authentic private and 
public sources.‘ Ber erfte Band, mit IHuftrationen verfehen, 
iſt bereits vollendet und umfaßt die Lebensbefchreibungen von 
Ebuarb von Eaernarvon, fpäter König Eduard U. von Eduarb 
von Windfor, fpäter König Eduard III., und von Ebuarb von 
Woodſtock, der Schwarze Prinz genannt. 


Erſchienen find: „The life and times of John Reuchlis, 
the father of the german reformation", von Francis Barbam, 
Derausgeber von Goflier'& „„Bcclesiastical history’ unb mit Dies 
fem aud im Format correfpondirend; „The life and times of 
Girolamo Savonarola, illustrating the progress of the re- 
formation in Italy during the fifteenth century’, mit dem 


Motto von Zaylor: „The world knows nothing of its 
greatest men.” 18, 


Berantwortlicher Herauegeber: Heinrich Brockh qus. — Drud und Berlag von F. A. Brockhaus im geippie- 


Blätter 
far 


literariſche Unterhaltung. 





Montag, 





Buülow-Cummerow. 
Beſchluß aus Mr. 166.) 

Da der Verf. in der zweiten Abtheilung ſeiner Schrift 
nicht die Staatsverwaltung einer allgemeinen Beurthei⸗ 
lung nach Grundſaͤtzen hat unterziehen, ſondern nur ein⸗ 
zelne, fuͤr die Zeitgegenwart vorzuͤglich wichtige, Gegen⸗ 
ſtaͤnde hat herausheben wollen, meinen wir, uns hierbei 
auf eine bloße Inhaltsanzeige mit der allgemeinen Be⸗ 
merkung beſchraͤnken zu ſollen, daß, wenn wir auch nicht 
Alles, doch das Allermeiſte aufrichtig unterſchreiben. Es 
ſind 1) die Aufhebung der Vererbpachtungsbefugniß der 
Rittergutszubehoͤrungen durch die Cabinetsordre vom 28. 
Juli 1842, womit der Verf. ſehr unzufrieden iſt, weil fie 
in den minder bevoͤlkerten Provinzen der noch unentbehr⸗ 
lichen Anſiedelung von Coloniſten in den Weg tritt, 2) 
ber das freie Grundeigenthum nutz⸗ und zwedios hem⸗ 
mende Lehnsverband in Pommern, 3) die Vereinfachung 
des Hypothekenweſens und die Unverantwortlichkeit des 
Mangels gefeglicher Abfhäsungsgrundfäge für das unbe: 
mwegliche Eigenthum, 4) die Anlage eines großen Eifen: 
babnneges durch das ganze Land, deren große Wichtigkeit 
in induſtrieller, commerzieller und militairiſcher Beziehung 
dee Verf. auseinanderfegt und darans folgert, daß fie 
ganz und gar von der Staatöverwaltung beforgt erden 
müfje, 5) die Wohlthaͤtigkeit des Eöniglichen Erlaffes an 
der Salzſteuer, endlih 6) die Grundiofigkeit der Klage 
über Überbuͤrdung der meftlichen Provinzen in ber Grund⸗ 
fteuer, welche in dieſer Abtheilung abgehandelt worden finb. 
Bei der Berechnung, durch weiche diefe letztere erwieſen 
wird, find allerdings die Einkünfte aus ben Domainen 
dem Grundſteuereinkommen hinzugerechnet, aber auch nach 
deutſchem Rechte mit vollem Fuge, weil darnach das Dos 
mantale fein uneingefchränktes Eigenthum der Landesherren 
war, fondern aus den Einkünften die allgemeinen Verwal⸗ 
tungskoſten neben dem Hauseſtande der fürftlichen Familie 
befiritten werden mußten und nur das Fehlende vom Lande 
noch zugeſchoſſen und aufgebracht werden durfte. Es ge: 
hören alfo nicht blos die Domaineneinkünfte, fondern auch 
der Ertrag ber Regalien in die Berechnung. Es bedingt 
3. DB. einen erheblichen Unterfchied im Werthe des Grund» 
eigenthums, ob ben Befigern blos die Oberfläche ober auch) 
Das angehört, was unter berfelben liegt, ob fie Foſſilien 

graben dürfen oder nicht ? 


Eine einzige allgemeine Bemerkung können wir nicht 
ganz unerwähnt laflen. In einem fo ausgedehnten Lande, 
wie Preußen ift, kann das Centraliſationsſyſtem es nicht 
vermeiden, auf allgemeine Maßregein zu gerathen, welche 
für den größten oder doch einen fehr großen Theil des 
Staatsgebietd gut, für einen geringern aber fchädlich find. 
Dies zu erwägen und in Betrachtung zu bringen, iſt ganz 
eigentlich die Aufgabe der Oberpräfidenten und ber Pros 
vinzlalftände. Alsdann ift zu erwägen, ob und welche 
Ausnahmen oder Modificationen raͤthlich find oder ob das 
Kleinere dern Größern zum Opfer gebracht werden müfje 
und in welcher Art es dafür anderweitig ſchadlos zu hal⸗ 
ten fei? Ale Schuhe über einen Leiften zu fchlagen, 
macht fie für viele Füße ungangbar. 

In des dritten Abtheilung betrachtet ber Verf. diesmal 
nicht ſowol das Verhaͤltniß Preußens zum übrigen Deutſch⸗ 
ande, fonbern die Sefammtheit des politifhen Zuſtandes 
im ganzen deutſchen Vaterlande. Iſt der Verf. in ber 
Behandlung biefer Materie in der Form des Vortrags 
darum etwas weniger anfprechend, weil berfelbe zu viel In 
bie Breite gezogen ift, fo wird bies ducch die Wichtigkeit 
und lobenewerthe Freimuͤthigkeit feiner Betrachtungen reich⸗ 
lich verguͤtigt. Es will darum das Buch felbft gelefen 
fein, indem es ganz unmöglich ift, durch einen Auszug 
den Inhalt zur Anfchaulichkeit zu bringen. Mur vermöge 
einzelner Züge kann ein Vorſchmack davon erzeugt werben, 
in welcher Weife das Ganze gehalten iſt. 

Die Zerriffenheit Deutfchlands in viele große und Steine 
Länder und der Verfall bes Anfehens und der Macht bes Kais 
fers mußte die natürliche Folge haben, daß durch die Zürften, - 
die fie regierten, weniger die Intereffen bes ihnen untergebenen 
Volks, als das ihrer Häufer gewahrt wurden. Dadurch mußte 
fih das Wefen und der Grundgedanke der alten germanifchen 
Verfoflung durchaus verändern, in ber bas Volk eine Gefamnits 
beit bildete, in feiner Freiheit durch feinen Ancheil an ber Res 
gierung und durch das Recht bes Landes geſchuͤtt. 

So ift «8 dahin gefommen, was eine lange Gewohns 
heit geworden war, baß das Intereſſe der deutſchen Fuͤr⸗ 
fin und ihrer Häufer als das Ziel aller Politik, das 
Bolt nur ale das Mittel zu ihrer Verfolgung, bie Bes 
amten bed Landes nicht fowol als Staatsdiener denn als 
Fürftendiener angefehen wurden. In der That bezeichnet 
der Titel des hoͤchſten Beamten im erſten beutfchen Staate 
genau die Rangordnung feiner Beflimmungen: der Haus⸗, 


Sof: und Staatskanzler! Solchergeſtalt mußte die Eins 
heit des beutfchen Volks in den Gonderinterefien ber ein: 
zelnen Regierungen ſich auflöfen umd untergehen. Als 
Napoleon dies weislich benutzt und die XZrennungen ber 
Deutfchen von Deutfchen fo weit getrieben hatte, daß fie 
fait brudermoͤrderiſcher Hand einander zu unterjochen ſich 
ihm hingaben, wurde man bie betrübten Folgen biefer 
Spaltung inne, bereute fie und wendete ſich wieder bem 
erftarrten Gedanken der Einheit und in ihr ber Kraft 
des deutfchen Volks zu, dee in den Gemüthern wleder 
auflebte, angefacht wurde und Großes bewirkte. Als durch 
die Anfteengungen, Opfer und Zapferkeit bee einig zu: 
ſammenwirkenden deutfchen Wolle die Bauen des Water: 
Landes von der Fremdherrſchaft befreit und die Fuͤrſten von 
ihrem Tyrannen erlöft waren, da erfüllte Dank für ſolche 
Lelftungen die Seelen der nach Wien zum Friedenscon⸗ 
greffe ſich begebenden Fürften und Diplomaten. Es war 
ein allgemeiner Gedanke, dag nur durch die Einheit 
Deutſchiands daffelbe vor ähnlicher Gefahr ficher geftellt 
werden inne und daß für das gefammte deutfche Volk, 
deffen Öffentlicher Rechtsſtand durch die Auflöfung des 
Reichs zerclittet und umgeflürzt war, die Gewaͤhrleiſtung 
eines folchen eine unableugbare Pflicht fei. Von diefem 
Geiſte und von dieſer Abficht zeugen die Acten des Con⸗ 
reſſes deutlich aus feiner erſten Periode. 

Allein die Regungen bloßer Gemuͤthlichkeit halten nicht 
aus und nicht Stich bei dem Auftreten der Politi. Was 
lange Gewohnheit zur andern Natur gemacht hatte, mußte 
bald jene Regungen beſchwichtigen; die verfammelten Fürs 
fen waren als folche, nicht als die Vertreter ihrer Voͤlker 
beffammen ; fie beruhigten fich felbft und Andere damit, 


daß ihnen unbenommen bleibe, daheim freiwillig zu ges 


währen und einzuführen, was als eine Verpflichtung ger 
gen den Bund einzugehen ihnen bedenklid wurde. Die 
in einem ritterlichen Sinne, der jedoch in Staatsgeſchaͤften 
ſchlecht an feinem Orte iſt, von den Fuͤrſten einander ge: 
gebene Zufage (S. 204), daß alle für das gefammte deut: 
ſche Vaterland zu treffenden Einrichtungen duch einmüs 
thigen Beſchluß gefaßt werden follten, hemmte bald bas 
freifinnigere Beſtreben, binderte das Zuftandebringen einer 
Vereinbarung und verfchaffte ber bedächtigen und argliftis 
gen Behutſamkeit die Oberhand. Außer in Polen iſt ber: 
gleichen noch bis dahin unerhört geweſen! Eine zweite 
unglüdfelige Übereitung brachte aber den under der Uns 
einigkeit und der Misgunſt in die Verfammiung, indem 
die Aufrechthaltung der Theilung Polens die Zerritorials 
ausgleihung in Deutfchland zur Kolge hatte. Denn nichts 
tft geeigneter, die Menſchen zu entzweien, als wenn es 
fi um Mein und Dein handelt (S. 204). Diefer Has 
der wurde fo groß, daß, wenn es nicht Napoleon beliebt 
hätte, in allee Gefchwindigkeie von Elba aus Paris wegs 
zunehmen, nicht abzufehen gewelen wäre, weiches Ende 
die Theilung der Lömenhaut genommen haben würde. So 
indefien wurde bie gemeinfchaftlihe Sorge der Gegenwehr 
bee Bewegungsgrund, alle Anlaͤſſe des Innern Unfriedens 
zu befeitigen. Die Ländertheilung wurde nun vermöge ab: 
genoͤthigter Nachgiebigkeit bewerkſtelligt und alle andern 


Gegenſtaͤnde, worüber man ſich noch nicht verſtaͤndigt hatte, 
wurden zur weiten Verhandlung nach erfolgter Abwehr 
des Feindes Aller ausgefegt. So Lam die Bundesacte zu 
Stande, in welcher über die politifche Geſtaltung Deutſqh⸗ 
lands, die orgamifchen Einrichtungen zu ihrer Ausführung 
und Behauptung und beſonders über die Beroährieiftung 
des Öffentlichen Rechts des deutſchen Volks gar fehr mes 
nig, Im Grunde nichts feftgeftellt wurde, was nicht ſchon 
in der That befland. Die Wiener Schlußacte folite das 
beabfichtigte große Werk der Gründung eines ganz neuen 
Staatskoͤrpers des deutfchen Bundes ergänzen und vellm 
den; aber auch da befchäftigte man fi nur mit Dem, 
was unumgänglich oder nach den umgewandelten A 

und Abfichten abgemacht werden mußte, und behielt alles 
Übrige den weitern Berathungen des Bundestags vor, durch 
weichen nun feit beinahe 30 Fahren noch nichts zu Stande 
gebracht worden tft, was ben Rechtszuſtand und bie or: 
ganifche Ausbildung des Ganzen angeht. 

Wie wenig eine folche Bundesacte ben gerechten Ex 
wartungen entſprechen konnte, daruͤber täufchte fich von 
Anfang an Niemand. Es wurde felbft von vielen hell: 
nehmern des Bundes anerkannt und Verwahrungen des⸗ 
bald ins Protokoll niedergelegt, namentlich von Hauover, 
Preußen, Luremburg und Naffau (S. 216). Wie die 
Sache jest ſteht, IfE zwar ein Schug: und Trutzbuͤndniß 
der Bundesmaͤchte unter fich abgefchloflen, allein der große 
Zweck einer Wiedergeburt Deutfchlande zu einer Einheit 
und zu einem Staatskoͤrper, der Vereinigung aller Deuts 
(hen Volksſtaͤmme zu einem Ganzen und der Sicherung 
eines allgemeinen bürgerlichen Rechtszuſtandes iſt unerreicht 
geblieben (S. 325), Go, wie die Saden ſtehen, können 
fie teiner der Erwartungen entfprechen, die man billig ges 
faßt und gehegt hat, da dem Bunde nicht nur die uner⸗ 
laßlichen organifchen Geſetze fehlen, fondern auch die Kraft, 
fih Geltung zu verfchaffen. Das deutſche Volk hat jetzt 
einen andern Schus als ben guten Willen und tie Ges 
rechtigkeitsliebe feiner Kürften; und wie wenig das Geſet 
über die Handlungsweiſe der Kürften felbft entfcheidet, bes 
weifen die Ereigniffe in Braunfchweig, Kaflel und Hanes 
ver. Ein Grundgefeg des Bundes ordnet landſtaͤndiſche 
VBerfaffungen an; in Oldenburg, Schwarzburg : Sonders⸗ 
baufen (und Preußen) find die Regierungen noch abfolnt. 
Die freie Schrift, bie dem beutfchen Wolke zugefichert iſt, 
hängt noch von den Anfichten ber einzelnen Regierungen 
ab, und weder über den Gebrauch noch Misbrauch beſte⸗ 
hen zureichende gefegliche Beflimmungen. Sa, die mates 
riellen Intereffen bes deutfchen Volks zu fügen, iſt ber 
Sorge eines neuen Mebenbundes uͤberlaſſen geblieben; ver 
Zollverein hat nur darum fich bilden müflen, weil auf 
dem Bundestage ein folcher nicht zu Stande zu bringen 
geweſen wäre. 

Es iſt indeſſen weit gefehlt (S. 206) zu meinen, ba 
Stammverwandtfhaft und gleiche Sprache ſchon hinrei⸗ 
hen, eine Volkseinheit berzuftellen ; denn weiter iſt dem 
beutfhen Voͤlkern nichts Gemeinſchaftliches geblieben, da 
der Bund nicht für fie, fondern Lediglich für bie Bundes⸗ 
glieder beſteht. Soll der Zweck erreicht werben, wird «6 

A 


umerloßtich, das Band durch Einheit des Öffentlichen 
Rechts, durch Gemeinſamkeit der Verfaffungsformen, durch 
Gemeinſchaft der Sefinnung, durch Betheiligung in Leid 
und Freud, durch umfaffenden innern freien Verkehr im 
Spirituellen und Materiellen, buch zuſammenwirkende 
und uͤbereinkommende Anftalten, mit einem Worte durch 
ein allgemeines Intereſſe zu verknüpfen, da eine Einheit 
dee Regierung und der Verwaltung herzuftellen nicht 
mehr angeht. Außerdem find alle Worte und Redens⸗ 
arten über Einheit und Einigkeit Deutſchlands hohle 
Pheafen und ein Deuefcher iſt ein Wort ohne politifche 
Bedeutung. 59. 





Überfegungen aus dem Ruffifchen. 


Das befte Zeichen ber. Anerkennung für eine junge Literas 
tur ift, daß man es werth findet, einzelne Erzeugniffe derfeiben 
in fremde Sprachen zu überfegen. Kür bie ruſſiſche Literatur 
ift biefe Zeit noch von jungem Datum (denn einzelne Gebichte 
und profaifche Aufläge koͤnnen hier nicht in Anfchlag gebracht 
werben); aber die Zahl ber libertragungen nimmt in ſtarker 
Progrefſion zu. So liegen vor uns wieder brei ſolche Schriften: 


1. Die ſchoͤnwiſſenſchaftliche Literatur der Ruſſen. Auserwähl: 
te6 aus ben Werfen ber vorgüglichften rufftfchen Poeten und 
SProfaiften dlterer und neuerer Beit, ins Deutfche übertragen 
und mit hiftorifchs kritifcher Überficht, biographiſchen Rotigen 
und Anmerkungen begleitet von @. Wilhelm Wolffohn. 
Srfter Band. Gedichte. Erſte Abtheilung. Leipzig, Kort. 
1843. Gr. 8. Preis für bie erfle und zweite Abtbeilung 
2 Thir. 15 Nor. 

Der etwas audgebreitete Zitel befagt fo ziemlich Ales, was 

im Bude ficht, und bie Leſer werben alfo nicht zweifelhaft 

darüber fein, was fie hier finden koͤnnen. Es tft bier mehr 

als liberfegung, wie anfangs bezweckt geweſen zu fein ſcheint; 
es wird ein Gefammtbild der ruſſiſchen Belletriſtik zu geben 
verfucht. Die ebenfalls gedehnte Vorrede des Berf. bezweckt, 
nach feinem Worten, nichts mehr als ben Leſer „vertrauenspoll 
mit der Gefchichte dieſes Buchs bekannt zu machen unb ihm 
ven Standpunkt anzugeben, auf weldem er ben beurtheilenden 
Lefer gern fehen möchte”. Er fchiebt die etwaigen Unvollkom⸗ 
menpeiten feines Buchs „ſo unbefcheiden” auf Zeit und Um⸗ 
fände, indem er einerfeits über ben Mangel an Hülfsmitteln 
für den in Deutichland Lebenden klagt, andererſeits aber noch 
einft Befleres liefern zu koͤnnen hofft, wenn er nämlich erft in 
fein Baterland zurädgetehrt ifl. Unter dem Titel „überſicht⸗ 
Iiche8’’ gibt der Verf. in acht Abfchnitten die auf dem Titel 
verfprochene Hiftorifch = Eritifche Überficht. Die beiden erften Ab⸗ 
ſchnitte, über Poeſie, Kunft, Literatur im Allgemeinen, gehören 
nicht in das Bud, ber Verf. mag womit immer ſich entfchuls 
digen. Ebenſo bünkt uns ber Abfchnitt III über bie Slawen 
und bie Vorgeſchichte berfeiben und ber übrigen Voͤlker Ruß⸗ 
lands uͤberfluͤſſig; V, altflawifche Mythologie, gehört nur in 
die Anmerkungen wo es nöthigz; Volksgeiſt und Volkscharakter 
ber Ruſſen (IV) Tann eher am Orte fein, fowie VI bie ruſſiſche 

Sprache. Nur Hätte fich der Berf. beffer vor Irrthuͤmern huͤ⸗ 

ten follen, wie 5.8. S. 24 fg. Cyrill ftellte das „ſlawoniſche (?) 

Alphabet““ zufammen und brachte mit Method viele feiner Über⸗ 

fegungen zu Stande, bevor er nach Mähren kam. Schon aus 

ben Zeiten vor Peter dem Großen findet man die jegt im Rufe 
fiſchen geltende Schreibart, Peter war alfo nicht ihr Urheber; 
am wenigften fann man fagen, er „riinigte, vervollftändigte 
das Alphabet der Volkseſprache“, denn dieſe hatte gar kein Als 

abet unb wurbe mit ber Cyrillica (Kicchenfchrift) gefchrieben. 

Die Gintheilung ber ruſſiſchen Sprache und bes ruflifhen Volks 

nach den Munbarten iſt in ber Beflimmung ber Grenzen ber 


einzelnen ſehr unbeftimmt und von ben neueften Forſchungen 
Sacharow's, Radjezdin's und Schafarik’s fehr abweichend. Die 
unter VII aufgezäpiten Alteften Denkmäler der Schriftfteller ha⸗ 
ben eine Sprache, bie von dem (heutigen) Ruffifchen himmel⸗ 
weit verſchieden ift, da faft ſaͤmmtliche Gchriften biefer Reihe 
im Kirchendialekt gefchrieben wurden. Grft mit VIIE fängt, 
unferer Anficht nad), der Verf. die Gefchichte der ruffifchen Kis 
teratur an. Gr fpricht von dem „kiede vom Igor's Heereszug“, 
von ber „Geſchichte des gottiofen Zaren Mamaj”, alte Dichs 
tungen, bie ſchon mehr das ruſſiſche Gepraͤge an ſich tragen. 
Das Beduͤrfniß des Theaters erzeugte zuerſt einzelne Anfaͤnge 
der dramatiſchen Dichtung. Den Einfluß Peter's des Großen 
verkennt der Verf. ganz, nach unſerer Meinung vernichtete Pe⸗ 
ter durch feine fremdartigen Inſtitutionen alles Rationalleben 
und jeden Aufſchwung, den der ruffifche Geiſt vor ihm genoms 
men, ein Schlag, von dem ſich die ruſſiſche Nationalität nur 
langfam erhoite. Ebenſo verfannt ſcheint uns bie Stellung 
Kantemir's; beffer ſcheint der Verf. die berühmtern Schriftflele 
ler, Lomonoſow, Derjawin, Karamfin, befonders auch Za⸗ 
koweky aufgefaßt zu haben, über welche lettere Beide er ſich weit 
und breit ergeht, fobaß ihm wol bei den biographiſchen Notizen, 
die er doch von biefen wird geben müffen, nichts übrig bleiben 
wird, als das Gefagte zu wieberholen. Überhaupt wirb diefes 
öfters vorkommen müffen, weit fih ber Werf. viel mehr an bie 
Ramen ber Literaten als an das Weſen und ben Sharafter ber 
Literatur und ihrer allmäligen Entwidelung hält. Der Berf. 
hätte beffer gethan, die lÜberficht erſt nach Vollendung bes gans 
zen Buchs zu geben. So viel wie indeß gegen manche Ein: 
zelnheiten zu erinnern hätten, fo finden wir body im Ganzen 
den Gang der zuffifchen Eiteratur gluͤcklich und entfprechend ges 
zeichnet. Freilich iſt die Überficht dadurch etwas lang geworden; 
denn bie Gedichte fangen exrft mit dem „Vom Zuge Igor's 
auf &. 173 an, fobaß jene ziemlich die Hälfte der exften‘ Abs 
theilung einnimmt. Außer dem genannten Liebe, das mit feis 
nem, wie uns fheint, allzu ausgedehnten Sommentare ganze 
54 Geiten einnimmt, finden wir noch 32 Volkslieder und fünf 
aus Kirſcha Danilow, endlich vier Dichtungen von Lomonoſow 
und ſechs von Derjawin. Über das Volkslied überbaupt, fos 
wie über das ruffifche insbefondere, entwickeit der Verf. eigen⸗ 
thämtiche Anfidhten, die wir ihm laffen müffen, fo fonderbar fie 
bisweilen Elingen. Bei ben Volksliedern find nicht felten bie 
Melodien angegeben. Die Überfegung der Dichtungen ift ſehr 
getreu und dabei ungemein fließend, ber befle Theil des Buchs, 
das dem Minifler Uwarow gewibmet ift. 


2. Der Novize. Bon M. kermontoff. Aus dem Üuffifchen 
überfegt von Roman Freiherrn Budberg⸗Benning⸗ 
baufen. Berlin, Beſſer. 1942. 8. 15 Nor. 

Ein Kaukaſierkind, das von einem ruffiihen General 
fangen genommen wurbe, bleibt in einem Kloſter in Grufien 
zurüd, wo fih ein Moͤnch deffelben annimmt unb es vom Zobe 
rettet. Allein der der Kaulafierfeele angeborene Durft nad 
Freiheit verzehrt ben Züngling in den engen Kloftermauerns er 
weiß zu entichläpfen, irrt drei Tage in der Einoͤde herum, ims 
mer nad) ben weißen Bergen des Kaukaſus, bem Biele aller 
feinee Wünfche und Gebanten, ben Blick gerichtet. Am dritten 
Bag: endlich fieht er fich piöglich in dem Thale, wo fein Kloſter⸗ 
kerker ſteht, wieder angelangt. Verzweiflung und Grmattung 
überwältigen ihn; halbtodt ſinkt er nieder, wirb fo gefunden 
und in bad Klofter zurädgebradht. Der Sram verzehrt indeß in 
kurzem feine Lebenskraft, auf dem Zobtenbette ſchildert er dem 
Mönche, der ihn als Kind gepflegt, die ganze Dual feines Aus 
ſtandes; feine unvertilgbare Sehnſucht nach Kreiheit, nad der 
Heimat, dem Kaukaſus. Es find dies herrliche Bilder voll 
Kraft und Leben, voll Wahrheit und tiefen Gefühle. Man 
fieht aus dem Gebichte, wie viele Ruffen das Verhaͤltniß ihres 
Vaterlandes zu ben Völkern des Kaulafus anzufehen gewohnt, 
und muß fich nicht felten wundern über die Entfchloflenheit, 
mit welcher ber Verf. von Freiheit und dergleichen ſpricht. 
Auch dieſes Buch mag Manchem dazu dienen, baß er beffer ben 


Geiſt kennen lerne, ber gegenwärtig unter ben gebilbeten Rufs 
fen, befonders der jüngern Generation herrſcht. Die Überfegung 
ift fließend und rein, an vielen Stellen jedoch matt und pros 
ſaiſch. Der Here Überfeger fcheint zu legterm überhaupt viel 
Anlage zu haben, wie man unter Anderm aus dem alles höhern 
Schwunges baaren Widmungsgebichte erfehen kann. 
3. Eliſabeth Kulman, Phantafie von Aleris Timofcew. 
Aus dem Ruſſiſchen überfegt von K. 8. v. G. Leipzig, 
iefe. 1843, 8er.s8. 1 Zhle. 3%, Nor. 

Gin bereits 1837 in Petersburg gebrucdtes Buch, das aber 
jept als Novität verfendet wird. Die Schidfale dieſes höchft 
mertwürbigen Mädchens find fo ziemlich allgemein bekannt; fie 
machte zu ihrer Zeit ein fo außerorbentliches Auffehen, baß fich 
der Ruf von ihr alsbald in den weiteften Kreifen verbreitete. 
Zur Bervollſtaͤndigung und gleichfam als bleibendes Denkmal 
jchrieb der befannte Äftpetiter, Prof. Nikitenko eine Biographie 
der Eliſabeth Kulman, welche in vorliegendem Bude als Bors 
rede mitgetheilt wird. Das Gedicht von Timofeew, eine ber 
zarteften und gefühtreichften Schöpfungen ber ruſſiſchen Literatur, 
bat nun das Leben biefer jugendlichen, echt weiblichen Seele zu 
feinem Gegenftand. In 15 dramatifchen Scenen ftellt ber Did: 
ter Eliſabeth in den verfchiebenften Verhaͤltniſſen bar, wo ſich 
ihre engelgleidye Seele auf die mannichfaltigſte Seele offenbart. 
Das Gedicht hat in ber That vortreffiihe Stellen. Die aus⸗ 
gezeichnete liberfegung wird nicht wenig dazu beitragen, auch in 
Deutfchland Freunde einem Dichtergeifte zu erwerben, welcher 
in Rußland zu ben vortrefflichiten gehört, 

3. 9. Iorban. 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 


Reich an intereffanten Angaben find bie „„Recherches sta- 
tstiques sur Paris’ des Grafen Chabrol de Volvic. Bon befon: 
derm Jutereſſe find darin die Documente in Betreff dee Wahn» 
finns und feiner Urfadhen. Namentlich iſt das Refultat 
überrafchend, daß kei bem weiblichen Geſchlechte, welches man 
fi dod mit einer fo lebhaften Phantafie, mir fo zaͤrtlichen 
Gefühlen , mit fo großer Empfindſamkeit ausgeftattet denkt, bie 
moralifcyen Urfachen nicht fo großen Einfluß auf die Entftehung 
bes Wahnfinns haben als die phyſiſchen. Die Unterfuchungen 
haben bie in der Salpetriere von 1815—20 behandelten wahn⸗ 
finnigen Frauen zum Gegenftande. Unter 1000 hatten während 
dieſer Zeit 307 ihren Verſtand durch Krankheiten verloren, des 
nen in Folge ber Pubertätsentwidelung, der Mutterfchaft und 
des Alters ihre Geſchlecht ausgeſetzt iſt; die Lähmung, die Epi⸗ 
Iepfie, die Ausfchweifung, bie Trunkſucht u. f. w. figuriren in 
biefer vergleichenden Tabelle mit der Zahl von 4455 außerdem 

ab es etwa noch 100 unbelannte Urſachen; diefe abgezogen, 
amen auf 1000 nur 112 wahnfinnige Weiber, die entſchieden 
aus moralifchen Urfachen ihren Verſtand verloren hatten. Und 
unter bdiefen haben bie religidfen Ideen, beren Einfluß bei dem 
weiblichen Gefchlechte To allgemein und oft fo tief zu fein fcheint, 
unter 1000 nur 11 zum Wahnfinn gebracht; bie Liebe — wer 
folte e8 glauben! — bie Liebe, bdiefer mächtige Hebel all ihres 
Denkens, Fuͤhlens, Handelns, da, res ganzen Dafeins, bie 
ungluͤckliche Liebe, zaͤhlt unter 1 wahnftnnigen Weibern nur 
ſechs! Wie viel Frauen dagegen laſſen unfere Romanfchreiber in 
ihren Büdern mahnfinnig werben! Freilich halten fich dieſe 
auch nicht an mediciniſche Schriften und ftatiftifche Tabellen, 
die aller Romantik meift in fo hohem Grade fpotten. Ebenſo 
merkwürdig flellt fich das Verhältniß für die wahnfinnigen Män- 
ner im Bicktre. Unter 1000 hatte die Religion 30 (9 mehr 
als unter ben Weibern), die Liebe 43 (37 mehr als unter ben 
Weibern), ber Ehrgeiz 76 wahnfinnig gemacht. Man wirb 
erftaunt fein zu hören, daß ber Handel nur 16 Narren gemacht 
hatte, und zwar nicht unter 1000, wie wir ats Durchſchnitts⸗ 
zahl angenommen hatten, fondern unter 1763 im Bicketre bes 


x 
j 0. 
- 


banbelten WBahnfinnigen ; da befanden ſich darunter 98 Känf- 
ler, fobaß der Ausſpruch: die Künfte find nit für bie 
Gefundheit erfunden, rechtfertigt. Merkwuͤrdig iſt auch bie 
Thatſache, daß unter ben wabnſinnigen Weibern ſich allein 
356 Waͤſcherinnen, Stickerinnen und Naͤhterinnen befanden, 
ſodaß ein Journal die Frage aufwirft, ob nicht die Pugfuct, 
genährt durch den Anblid fo vieler Schmuck⸗ und Putzſachen 
und durch bie Unmöglichkeit des Beſiges, die entferntere erſte, 
wenn aud nicht naͤchſte und letzte Beranlaffung zur Verwir⸗ 
zung ihrer Begriffe gewelen ſei. Auch unter den wahnfinnigen 
Männern war bie Zahl berer fehr bebeutend, die ſich mit Kieis 
berverfertigung, Euzusgegenftänden u. f. w. befdgäftigten; fie bes 
lief fih auf 388. 


Alphons ibe gab heraus: „„Esclave et libert£; existence 
de l’homme et des societ#s en harmonie avec les lois uni- 
verselles’, aus zwei Bänden beftehend, wovon der erſte bereits 
vollenbet If. Das Werk ift nad) folgendem feltfamen Schema 
gearbeitet: 





Etat de nature. 
Liberte. Inegalite. 
Opposition, combat. Destruction ou esclarage. 
La soci&t& se forme par 
Le despotisme. L’esclavage, 
Intelligence, ordre. Travail, bien &tre, 
Les soci6tes tombent en d&cadence par l’abus du des- 
potisme et par 


Lasouverainet€ La liberte., L’& galite, 
du peuple, Opposition, Opposition 
Ignorance, desordre. combat. aux lois universelles. 


La perfection est dans 


L’aristocratie. Le patronage. La famille. 
Intelligence, Protection, Union d’interets, 
Grandour des Bien £tre. Developpemeat. 
peuples. 


Bu ben intereffanteften Reifebefhreibungen, welche in 
jüngfter Zeit in Frankreich erſchienen find, gehört ohne Zweifel bes 
Admirald Dupetit:Thouare Werl „Voyageau tour da monde’. 
Sehr reich an intereffanten Thatſachen, iſt et zugleich auch in 
einem anziehenden unb eleganten Stile geſchrieben. Zu den pis 
kanteſten Partien bes Werks gehören die Capitel, weidye Chile 
und Peru gewibmet find und die Beobachtungen enthalten, weiche 
der Abmiral während einer dreijährigen Station an den Küften 
biefer Länder gemacht hat. Roh bat Fein früherer Reifender 
fo anziehende Gemälde von dem gefelligen Leben in biefen ins 
teveffanten und blühenden ſuͤdamerikaniſchen Staaten getiefet. 
Die Sitten der rauen, das Goflume u. ſ w. find barin von 
einem feingebilbeten Weltmanne geprüft und geſchildert, der 
feine gefellige Bildung in den Salons von Parts erworben hat. 
Aud der Geograph und Raturforfcher finden in biefen Bänden 
car reichhaltigen Vorrath an werthoollen Nachrichten unb 

otizen. 


Der Verf. der „Etudes sur les reformateurs”, %. Reps 
baud, gab heraus: „La Polynesie et les iles Marquises, vo- 
yages et marine, accompagnes d’un voyage en Abyssinie et 
d’un coup d’oeil sur la canalisation de l’Isthme de Panama‘ 
Auch erfhien ein Stluftrationswerf „Les 1les Marquises; di- 
mat, productions, moeurs des habitents, par un capitaine 
au long cours‘, mit 100 Bignetten und Portraits. 


Bereits find mehre Eieferungen ber „Rois de France” vom 
Grafen Horace de Viel⸗Caſtel erfchienen. Dies mit Klar: 
beit und Methode gefchriebene Werk enthält zugleich bie Portrait® 


fammtlicher Könige Frankreichs, geftochen nach ben Gemaͤlden 
im Mufeum zu — un, geſtoch o⸗ 18. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinzih Brodbaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus ia Leipzig. 








Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 











Briefe über die Marquefas = Infeln. 


Die fo unerwartete Befegung der Marquefas : Infeln 
buch die Kranzofen hat die Aufmerkſamkeit von ganz 
Europa plöslih auf diefen bisher ziemlich unbeachteten 
Punkt unferer Erdkugel hingemendet. In allen Ländern 
horchte man auf, forfchte nach den Urfachen, erwog die 
Solgen. Frankreich, leicht erregt, triumphirte erſt und 
unterrichtete fich dann Über bie Beſchaffenheit diefer Tex: 
ritorial: Vermehrung. Alles, was hierin zur Belehrung 
dienen, zur Aufklaͤrung beitragen kann, wirb jegt von 
den Sranzofen mit dem regften Eifer aufgefucht und er: 
griffen. So verfchlang man bie Sammlungen von No: 
tigen und Documenten über die Marqueſaſs⸗Inſeln von 
Dumoulin, Desgraz und einigen Anbern, wiewol fie nur 
ſehr unvolfländige Mittheilungen über die Geographie, 
die Geſchichte diefer Inſeln und einige Sitten ihrer Be: 
wohner machen; fo aud reißt man fich jegt um die ums 
foffendern „Lettres sur les iles Marquises”, welche 
foeben bei ben Gebruͤdern Gaume in Paris erfchienen 
find. *) Der Berf., ein Priefter aus der Sefuitengefell: 
fchaft des Sacres coeurs, war in ben Jahren 1838 —42 
als Miſſionnair auf diefen Juſeln und theilt alle feine 
während biefer Zeit gemachten Beobachtungen und Er: 
fahrungen einem feiner Freunde in fieben Briefen mit. 
Die Form iſt überaus kunſtlos und einfach, zuweilen fos 
gar etwas fchwerfällig; doc, erfegt bes Inhalt veichlich, 
mas bei ber Behandlung des Stoffe zur Erhöhung des 
Intereſſes verfäumt worden if. Alle Mittheilungen tra⸗ 
gen das Gepraͤge ber ungeſchminkten Wahrheit, ihre Ge: 
nauigkeit zeigt von fcharfer Beobachtungsgabe und Gewif: 
fenhaftigkeit, bie Beſprechung ber Beobachtungen von 
gefunden Uetheil. Nur der Athem chriſtlicher Liebe, ber 
das ganze Buch durchweht, die mit firenger Sittlichkeit 
gepaaste, Altes umfafiende Milde in ben Worten dieſes 
Mitglieds der Geſellſchaft Jeſu dürfte etwas verbächtig 
‚zfcgeinen, wenn man fie mit feiner oft bis zur gehäffl: 





*) Der vollſtaͤndige Zitel dieſer Briefe if: „Lettres sur 
ies 1los Margvisos, Hr Memeires pour * à 'étoude reli- 
gieuse, moralo, peliti et statistiqgue des 1los Marguises 
et de l’Oc6anie orientale par le Pere Matkias G@-- '» pröire 
de la Société des Sacres çoeurs (Picpus), missionnaire de 

anie, recemmient arrire de ces tles.”’ 


Dienflag, _ — Nr. 157. 





gen Kälte geſteigerten kauigkeit gegen die Mifſionnaire au⸗ 
derer Religionszweige zuſammenhaͤlt. Bei Erwaͤhnung 
derſelben dringt aus feinen Morten ein mit Mühe zu⸗ 
ehdgehaltener Haß hervor, ein neidifches Misbehagen 
dei dem nothgedrungenen Zugeſtaͤndniſſe ihres heilſamen 
Wirkens und eine Art von Schadenfteude bei der Bes 
richtung ihrer Zehlgriffe umd ihrer geſcheiterten Unterneh: 
mungen. a biefent Beifte deutet er auf alle protefian- 
tiſchen Miſſionnaire und auf die Emiſſaire der Bibelgeſell⸗ 
fdaften, welche er als rein commercielle Unternehmungen 
bezeichnet. So beſpricht er die von Spanien, von Mord: 
auerika, namentlich aber die von England ausgegangenen 
Bekehrungsverſuche, gegen welches Legtere Land: ſelbſt die 
fer von aller Politik entfernte Heanzofe, diefer dem Heile 
der ganzen Menſchheit fich opfernde Ptieſter feinen alten, 
eingewurzelten Nationalhaß auf keine Weile zu unter 
drüden vermag. Daher macht es denn auch keinen bes 
fondern Eindru auf den Lefer, wenn bee Verf. die Er: 
folge der Rachalifhen Miſffionen über die Gebühr her: 
vorzubeben und darzuthun fucht, wie ihre Diener altein 
ed wären, bie von dem eigentlichen Zwecke ihrer Gene 
dung gang durchdrungen und fich ihrer Lebensaufgabe: 
„Vetbreitung religidfer und moraliſcher Auftiäeung, gei⸗ 
ſtiger Elviliſation“, deutlich beroußt fein. Diefee Bel 
geſchmack verbittert ben ruhigen Genuß ber fonft einfachen 
und natktlichen Erzählung intereffantee Erfahrungen ; ber 
argwoͤhniſch getborbene Lefer vermuthet hinter jeder Nai⸗ 
verät eine ſchlau verſteckte Abſicht, er ſieht in ſedem from 
men Seufzer eine Berechnung und muß einen getiffen 
Grad von SGelb@beherefhung anwenden, um von dem 
Berf. und feinen perfönlichen Reflexlonen gaͤnzlich ab⸗ 
ſtrahiern und ſich den rein biftortfchen Mitthellungen um: 
geſtoͤrt Aberlaffen zu koͤnnen. 

Diefen letztern wollen wir, ber innern @intheilung 
des Buche folgend und an biefelbe anlehnend, einige all: 
gemein intereffante Punkte entnehmen, wobei wir bee 
Gelegenheit, die Anſchauungs⸗ und Auffaſſungsweiſe des 
würdigen Pater Mathias zu beurtheilen, nicht ausweichen 
werben. Einige concentelete Lichtftrahlen auf diefen ent⸗ 
fernten Inſelpunkt fallen zu laſſen, die ihn In feinem 
jesigen Zuſtande beleuchten und ihn duch das Fernroht 
des Journalismus auch deutſchen Augen näher zu ruͤcken, 
buͤrfte nicht nur die allgemeine Wißdegierde befriebigen, 


\ 


fondern auch mandyen Irrthum berichtigen und manche 
Dunkelheit aufhellen. 

Das Buch beginnt mit einer geographifchen intel: 
tung, die durch eine fehr anfchauliche Karte näher erläu: 
sere wird. Wir lernen barin Namen und Lage aller 
Inſeln der ganzen Gruppe kennen und heben daraus nur 
die wichtigften hervor. Die Hauptinſel wurde von dem 
Gontreabmirat Dumont:d’Urville (der in dem Eifenbahn- 
unglüd vom 8. Mai 1842 mit feiner Familie fo jammervoll 
ums Leben kam) nach der Ausſprache der Eingeborenen 
Nouka-Hiva, von Hrn. de Teffan aber, nad dem Mas 
men des franzöfifchen Entdeckers biefer Inſelgruppen, 
Marhand genannt. Jedoch wird diefer letztere Name jegt 
vorzugsmeife der von den Franzoſen noch nicht befegten 
Inſel Ua: Pou beigelegt, welche auch, nach ber Bedeutung 
dieſer Worte, les Deux-Pica Heißt. Meben dieſer Juſel 
ift die in Bezug auf Flaͤcheninhalt und Bevoͤlkerung be 
deutendfte Ohiva: Da, auch Dominica genannt. In 
Schönheit und Fruchtbarkeit jedoch wetteifert die ſuͤdlichſte 
der ganzen Gruppe Fatu-Hiva oder Madalena mit ber 
am meiften nach Oſten gelegenen Ua⸗Uka um den Preis. 
Lebtere wird auch, nah dem Namen des Schiffes, auf 
welchem Marchand das Meer durchfuhr, Solide genannt. 
Diejenige Inſel, auf welcher die Sranzofen ihre erſte Nie- 
declaſſung dur Errichtung eines Forts befefligten, heißt 
Tahuata oder Santa⸗Criſtina de Mindana. Die Frucht⸗ 
barkeit, das hetrliche Klima, bie pittoreske Lage und die 
fonftigen einzelnen Naturfchönhelten aller dieſer Inſeln 
rühmt der Verf. bereits bei diefer Gelegenheit außerordent⸗ 
lich und kommt fpäter in feinen Briefen noch oftmals 
darauf zuräd. 

Der erſte der nun folgenden fieben Briefe enthält bie 
Geſchichte des Archipels der Marqueſas⸗Inſeln, welche 
der bei allen Gelegenheiten ſchulmaͤßig⸗methodiſch verfah⸗ 
rende Kloſterlehrling in fuͤnf Epochen eintheilt. 

Die fabelhaften Zeiten vor Entdeckung der Gruppe 
find durch eine wohlorganiſirte Mythologie und durch 
Sagen von eigenthümlichem Charakter belebt. Der Verf., 
welcher biefer Nebeiperiode ben erften Abfchnitt widmet, 
zeigt die wunderbare Ausbildung diefer heibnifchen Götter: 
Sehre durch Aufführung einer vollftändigen genealogiſchen 
Tabelle von dem aͤlteſten Stammvater O⸗te⸗Paona ‚und 
defien Frau O⸗te⸗Koena herunter bis auf Date, der 
Selen und Gefteine aus dem Meere angelte und fie über 
Die Erde vertbeilte. Bon diefem geht das Geſchlechts⸗ 
zegifter durch zehn Generationen bis auf dem dort fehr 
berühmten Tiki, den Erfinder der Bildfäulen und ber 
Zätowirung, und beffen noch berühmtern Sohn Dtii: 
Zapu, nebft feinee Frau Ohina-Ua, von welchem ers 
lauchten Paare ſich faſt alle Könige der verſchiedenen In⸗ 
ſeln abzuſtammen ruͤhmen; denn auch hier, wie bei den 
meiſten andern Voͤlkern, verſchmilzt die Tradition die er⸗ 
ſten Anfänge der Geſchichte mit den Goͤtterſagen. Merk: 
soürbig iſt der. hier in der diteflen Zeit vorkommende, 
jeboch . fpäter verſchwundene Gebrauch der ehelichen Der: 
bindung zwifhen Bruder und Schweiter, wie denn 
überhaupt mancherlei myſterioͤſes, von der aͤußerſten 


Natureinfachheit zur Außerften Bizarrerie überfpringenbes 
Weſen diefer eigenthuͤmlich herausgebilbeten Religion, das 
fih noch bis auf den heutigen Tag erhalten bat, an bie 
antifen, namentlid an die altägyptifchen Sitten oft leb⸗ 
haft erinnert. 

Die zweite Geſchichtsepoche umfaßt die allmälige Ent 
dedung der Inſeln. Der Spanier Mindana war ber 
Erfte, bee 1595 einige Inſeln diefee Gruppe betrat und 
ihr den Namen Marquefas-Infeln gab; dies gefchab zu 
Ehren des Marquefe von Mendoza, Generalgouverneurs 
von Peru, der Mindana zu näherer Befichtigung der 
Snfelgeuppe Salomon ausgefender hatte. Daber flam- 
men noch die fpanilhen Namen berienigen vier Sufeln, 
die er befuchhte: Dominica, Madalena, Santa : Erifiina 
be Mindana und San: Pedro. Im J. 1773 landete 
Cook dort. Im 3. 1791 wurden zwei nady jener Ges 
gend gerichtete Erpeditionen mit günftigem Erfolge ges 
tönt. Der Amerikaner Ingraham aus Boſton entbedkte 
naͤmlich einen Theil der nordweſtlichen Gruppe mit Nuku: 
Hiva, auf welcher Infel jegt die Franzoſen ihr zweite 
ort, das Fort Collet, angelegt haben, und in demſel⸗ 
ben Jahre fand und benannte Marhand, Capitain be® 
marfeiller Handelsſchiffs Solide, die Inſeln Maffe und 
Chanal. Des Lestern merkwürdige Reife wurde fpäter 
von Hrn. de Fleurieu befchrieben und veröffentlicht. Im 
J. 1792 kam Lieutenant Vancouver auf dem Walfifch- 
fange dort an; 1797 Gapitain Wilfon, der beauftragt 
war, alle diefe Inſeln mit proteftantifhen Miffionnairen 
zu verfehen; 1798 Gapitain Farming und endlich 1804 
Kreufenftern. Lesterer entführte damals von bort den be: 
kannten Franzofen Cabry, aus Bordeaur gebürtig, ber 
bei einem Schiffbrude in die Hände diefer Wilden ges 
rathen war, die Tochter des Könige geheirathet, ſich taͤ⸗ 
towirt, ganz die Sitten jener Horden angenommen hatte 
und damals eines ihrer einflußreichſten Häupter war. 
Mach langen Reifen betrat derfeibe 1817 Frankreich wies 
der, wurde Ludwig XVII, und dem Könige von Preu⸗ 
fen vorgeftellt und flarb plöglih, 42 Fahr alt, im Sep: 
tember 1822 zu Valenciennes, wo er audy, troß ber 
Bemühungen der Stadt Douai, welche feinen Körper für 
ihr Muſeum erwerben wollte, begraben liegt. Den Lauf 
diefer interefianten Entdeckungsgeſchichte der Marqueſas⸗ 
Inſeln, auf deren Hauptpunkte wir in dieſem kurzen, 
wenngleich moͤglichſt vollſtaͤndigen Abriſſe nur hindeuten, 
unterbricht der Verf. hier ploͤtzlich und bildet, gleichſam 
mitten im Sage, einen neuen Abſchnitt, in welchem er 
eine Epoche ber Hungersnoth in biefem Archipel befchreibt 
und dann fortfährt, über die fernere Ankunft fremder 
Seefahrer in demfelben zu berichten. Die erwähnte 
Hungersnoth fällt zwiſchen die J. 1806 unb 1813. 
Aus einer den Eingeborenen nicht befannten Urſache blie⸗ 
ben nämlich ploͤtzlich alle Fruͤchte, namentlich die wichtige 
Brotfrucht, aus und, ihrer Verſicherung nach, verſchwan⸗ 
ben ſelbſt die Fiſche. Als nun bie wenigen auf ben Ju⸗ 
feln befindlichen zahmen Schweine und das Wild vers 
jehrt waren, machten der Hunger und bie Anthropes 
phagen: Gewohnheiten ber Kingeborenen ihnen den Ge⸗ 


banken fehr natuͤrlich, ſich untereinander felbft zu effen. 
Es entftand der fchrediichfle Kampf, in welchem nicht 
nur Einzelne, fondern ganze Stämme übereinander her: 
fielen. Eine Mahlzeit war des Sieges Preis und das 
noch athmende Dpfer wurde des Starken Speife. Nach 
Ansfage der Eingeborenen raffte diefer geäßliche Zufland 
etwa zwei Drittheile der ganzen Bevölkerung hinweg, 
was duch die enorme Differenz in den Bevoͤlkerungs⸗ 
angaben der verfchiebenen Serfahrer, bie vor und nach 
dieſer Kataſtrophe die Inſeln befuchten, beftdtigt wird. 
Während Nuku : Hiva früher 10,000 Seelen zählte, hat 
es jest nur 4 — 5000. Im 3. 1821 fandete ber 
ameritanifche General Porter (derſelbe, der fpäter Ge: 
fandter der Berrinigten Staaten in Konflantinopel war) 
in Nuku⸗Hiva. Da die Vereinigten Staaten während 
feines 15 Monate dauernden Aufenthalts dafelbft gerade 
mit England im Kriege begriffen waren, fo fing er fieben 
vorbeifegeinde englifche Schiffe ein und zwang deren Mann: 
ſchaft, ibm ſowol bei Errichtung eines Forts, als auch 
zur Ausführung feines Vorhabens behüuͤlflich zu fein, alle 
Däupter der Infel unter einem Zürften zu vereinigen. 
Sein Plan misglüdte jedoch und er fegelte unverrichteter 
Sadye wieder ab. Nach ihm waren folgende die haupt: 
fächlichften Landungen auf den Marqueſas⸗Inſeln: Im 
. 1825 der ameritanifche Lieutenant Paulding; der pro: 
teftantifche Geiſtliche Stewart, der einen intereffanten Be: 
richt von feinem dortigen Aufenthalte erflattete, langte 
1829 auf dem Schiffe le Vincennes dort an; im März 
1830 der engliſche Sapitain Waldegrave und im Januar 
1831 ber englifche Gapitain Pendleton, welcher in Nuku⸗ 
Diva den Engländer Moriffon unter ähnlichen Verhaͤlt⸗ 
niffen bei den Wilden eingebürgert vorfand, in denen ber 
Sranzofe Cabry bei ihnen gelebt hatte. Der Beſuch des 
Eontreadmirals Dumont:d’Urville auf diefer Inſelgruppe 
ift aus feiner „Voyage pittoresque’’ befannt, welche 
1834 in Paris erfchien. | 
In der vierten Epoche behandelt der Verf. die An: 
tunft und den Aufenthalt von. Proteflanten, namentlich 
von Engländern, Schotten und Amerikanern. Das Auf: 
treten berfelben bei dieſen Voͤlkerſchaften fällt in den Zeit: 
raum von 1830 — 40, während welcher Jahre mehre 
Bibelgeſellſchaften fi) bemühten, die Inſeln mit Miffion: 
nairen zu verfehen. In diefem und dem folgenden Ab: 
fhnitte befindet fih der Verf. in feinem eigentlichen Ele⸗ 
mente. Cr theilt mit einem gewiffen Behagen mit, daß 
bie 1833 alle derartigen Verſuche gänzlich verungtäckten, 
die Geiftlihen gemishandelt, die von ihnen mitgebrachten 
Srauen, durch die fie beffer zu wirken hofften, verfpottet 
und gefchändet, fie felbft beraubt und endlich vertrieben 
wurden. Cr erzählt ferner, daß im 3. 1839 ein junger 
Miffionnait, Namens Tomſon, mit großen Hoffnungen 
und Entwürfen dort angelommen fel, die jedoch wie Ne: 
belwolken in der Sonnenhige einiger mühe: und gefahr: 
voller Monate verfhwanden — und er mit ihnen. Nur 
einem unvermaͤhlten Hrn. Talworthy war es gelungen, 
feften Fuß zu faffen und fih Achtung und Freundſchaft 
zu erwerben, bie jeboch der Verf. nicht fonderlich au thei⸗ 


len ſcheint. Diefer proteftantifche Beifttiche befand fich noch 
1841 in guten Derpäteniffen auf den Marqueſas-Infeln. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Der zweite Theil des „Fauſt“ englifh von 
Gurney.*) 

Der treffliche kritiſche Überfeger des erften Theils des Goe⸗ 
the'ſchen „Sauft”, U. Hayward, fagt in dem Vorwort einer ber 
legtern Ausgaben: „Man empfahl mir von mehren @eiten, nun 
ben ganzen ‚Zaufl‘ zu Überfegen, und als das vollftändige 
Werk angekündigt wurde, hatte ich auch gar nicht übel Luft 
dazu; aber als ich es durchlas, überzeugte ich mich, daß bie 
Scenin zu vereinzelt daftehen, um großes Sntereffe zu erregen, 
und daß die ganze Poeſie nicht Subſtanz genug bat, um eine 
Überfegung in Profa zu ertragen.” Gr widerraͤth fogar den 
Engländern, aus Verehrung für den erften Theit, den zweiten 
zu lefen, weil jener fo vollkommen und erfchätternd mit Mar: 
garethens Gefaͤngnißſcene adgefchloffen fei, daß die im vagen 
Reid der Träume und Ideen fich bewegende Kortfegung den 
Eindrud nur ſchwaͤchen koͤnne. . 

Seitdem find wenigftens brei englifche Überfegungen bes 
zweiten Theils ben zehn bie zwölf Überfegungen des erften 
heile gefolgt. Wir Eonnten durch die Proben der frübern, 
welche wir bisher Gelegenheit hatten zu feben, nicht davon 
überführt werden, daß Haymard Unrecht gehabt habe. Wie 
follte der Engländer dem phantaſtiſch⸗ labyrinthiſchen Gewebe 
des reflectirenden Dichtergreiſes folgen, wo der Deutſche ſelbſt 
Mühe hat, ihm in bie Hoͤhen und Tiefen und in bie fettfamen 
Schluchten und Klüfte nachzugehen, in denen er, anfcheinenb in 
willfürtichfter Laune, luftwandelt. 

Ein junger Engländer, Archer Gurney, der, wie wir hören, 
längere Seit in Deutfchland zugebracht und ſich in Weimar und 
andern Orten mit deutſchem Gein, Wefen und deutfcher Denk⸗ 
art volllommen vertraut gemacht bat, hat fi) nun baran ges 
wagt, ben zweiten heit vollftändig und in Verſen — nicht zu 
überfegen, er hat ihn — wiedergegeben, rendered from the Ger- 
man Mir leſen in ber That diefe Wiebergabe mit fleigender 
Verwunderung, wie es einem Englaͤnder möglich wurde, Das 
ber praktiſchen britiſchen Nation in fließenden Verſen verftändlich 
zu machen, was der ideologiſchen deutfchen unklar geblieben ift. 
Hören wir ihn aber erft ſelbſt, wie er über das Gedicht ſpricht: 

„Waͤhrend die Schoͤnheit einzelner Stellen und Scenen im 
zweiten Theile des, Fauſt? von Niemand geleugnet wird, find 
doch Viele der Meinung, dag wenig poſitiver Sinn, kaum ir⸗ 
gend etwas von einer feften Tendenz, keine Echre über Gutes 
und Böfes aus diefem aufßerordentlichen Werke verblide. Man 
behauptet, es fei nur eine Bufammenhäufung von &cenen, von 
benen jede, für fidy genommen, allerdings großes Verdienſt habe, 
bie aber durchaus nicht genugfam untereinander verbunden waͤ⸗ 
ven, um ein abgeſchloſſenes Ganze zu bilden. Ich teile dieſe 
Meinung nit; und ich will verfuchen, in fo wenig Worten als 
moͤglich des Autors Plan und Gegenftand in diefer wahrhaft 
wunderbaren Production zu verfolgen.” 

Ein:ge Zeit fei nady Margarethens Tode verftrichen, und 
Bauft, auf die Erde zuruͤckgekehrt, fuche unter Meppiftopheles’ 
Leitung nach neuen Ergögungen. Aber fein Verlangen fei noch 
immer fein reines und ebled, er fuche immer nur nach Gluͤck 
und Wohlbehagen und nicht nach ber Tugend, nicht mittels des 
unfterblichen Geiftes, fondern durch finnliche Regungen. Cr 
verliebt fi in den von ihm heraufbefchworenen Schatten der 
Helena und fucht, um ihren Befig zu erringen, bie claffifche 
Walpurgisnaht auf. Vom mahren Ideal, dem xomantilche 
chriſtlichen Gretchen, welche zu begreifen und deren überragen: 
den Werth zu ergründen er nicht im Stande gewefen, ſich ab: 
wendend, fuche er nun das Gluͤck beim falfchen Ideal, bei ber 


*) Faust. A Tragedy. Part the second. ‚Rendered from 
the German of Goethe by Archer Gurney. London 1842. 


ſchen a, weiche ihm näher fehe und welche ex leide 
tee begreifen könne. Aber nach Cyphorion's Tode, dem Kinde 
ihrer gegenfeltigen Sinnenglut, kehre Helena in den Bades zus 
rüd; die Bande der finnlichen Liebe feien Leicht gebrochen, und 
von der Schönheit, welche nicht von der Tugend begleitet werde, 
&bane Ihr entzäufchter Berehrer nicht wahre Treue erwarten. 
Sept erſt werde Kauft inne, daß bie Bergnügungen, welche die 
Sinnlichkeit gewährt, flüchtig und eitel fein, und vom Kaifer 
um Herrn über das dem Meere abgewonnene Land gefekt, ar: 
Brite er raftlos für ein durch ihn freies und gluͤckliches Volk 
und flerbe im Gefühle wahrer Getigkeit. Der Wille bes Him⸗ 
mels fei nun erfüllt. Durch Sünden und Sorgen fei der raſtlos 
arbeitende Sterbliche endlich zum Quell ber Gnade gebiehen. 
Die Ecene, wie die Engel den böfen Feind und feine Geiſter 
abtreiben,, fet im Sinn der alten Diyfterien aufgefaßt. In ber 
lesten Scene, in welcher der alte katholiſche Himmel uns vor 
Augen geführt wird, babe ber Autor gefühlt, daß das Werk 
ba fchließen müffe, wo es begonnen, in den Regionen ber himm⸗ 
liſchen Seligkeit, aber fein vichtige® Gefühl babe ihm gefagt, 
daß es unſchicklich fei, die Gottheit auch nur in einer Geftalt 
ihrer Dreieinigen Vertreter erſcheinen zu laffen. Um deshalb 
babe Goethe mit großem Takt und Urtheil bie Jungfrau Maria, 
without too much shocking the reader, gewählt. 

Seltſam nun, ja wunderbar fei es, daß Iemanden alles 
Dies zwecklos und rein viffonnaie erſchienen, und baß er danach 
noch meinen koͤnnen, der zweite Theil habe nur geringe Verbin: 
dung mit dem erften und gemwähre feine genügenden Refultate. 
Sm erften Theile erfahren wir aus dem Prolog, daß der Ewige 
von Kauft erwartet, er werde die Mächte der Finſterniß beſie⸗ 
gen. Aber wir fehen ihn dem Geifte des Boͤſen unterliegen, 
wir fehen ihn Gretchen, das Symbol ber Unſchuld und Tugend, 
zerſtoͤren. So laſſe uns ber Schluß des erſten Theils in völlis 

er Ungerwißheit, ob ber irrende Sünder ben Weg zur Erloͤſung 

nden werde. Der zweite Theil Löfe diefe Zweifel und zeige, 
durdy welche Mittel diefes große NRefultat erreicht werde — 
durch wahre Derzensgüte und Liebe. Welchen ſchoͤnern und ge: 
nügendern Schluß Eönne das Näthfel finden. Freilich, der Geiſt, 
in welchem Fauſt diefe Mitdthätigkeit ausübt, fei nidyt ganz bie, 
wie wir fie wuͤnſchen; er fei zu felbftändig, denke zu viel an 
fi und zu wenig an feinen Schöpfer. Aber man müffe 
binfichts diefer und ähnliher Maͤngel Rachſicht 
baben mit dem Werke eines Mannes, ber geboren 
und erzogen worden in ber Jogenannten beutfden 
Säule des Rationalismus. Fauſt enthalte nicht bie 
volle Wahrheit, aber einen guten Zheil der Wahrheit. Jeden⸗ 
falls fei die Grunblehre, die man aus dem Werke lefe, klar, 
und bie fie nicht lefen wollten, müßten mit Abficht blind fein. 
Es beweife, daß bie Gluͤckſeligkeit nie durch feibftifche Freude 
errungen werde; baß aber das KBerarbeiten des Ichs in ber 
Liebe zu unfern Mitmenfchen,, indem man alles mögliche Gute 
für fie fchaffe, das wahre Mittel zur Stüdfeligkeit fei. „Und 
dies iſt eine große und wichtige Wahrheit. Es iſt wahr, daß 
die Selbſtverleugnung nur gefucht und erlangt werden fann 
mitteld des Glaubens an ben Erloͤſer. Es ift wahr, daß Goethe, 
der Rationalift, dieſes Myſterium nicht ergründen konnte. Aber 
wenn wir fein Wert mit rechten Geifte lefen, wird ung man: 
ches Gute daraus entgegenbliden. Es ift ſchon viel, zu wifs 
fen, daß bie Kreude am Gluͤcke Anderer und zu unferer eiges 
nen Glüdfeligkeit leitet. Die Seibftentfagung, wenngleich nur 
eine theilweife, ift ein Mittel, um zur Selbftvollendung zu ge⸗ 
langen. Und biefe Lehre lehrt Zauft.” 

So meint der Gngländer. Was Goethe wol dazu gefagt 
baben würde, wenn er biefe Überfesung noch erlebt hätte! 
Bielleiht ein vornehmes: „Run, bad ift ja auch gut. Es Läßt 
fich jedes Ding von vielen Geiten betrachten, und uns freut es, 
daß diefer Engländer auch von feiner aus eine Meinung bars 
über 'zu dußern unternommen bat.” Herr Gurney ſchreibt 
für Engländer, und uns fann es nur freuen, wenn das raͤth⸗ 
felhafte, wunderliche und wunderbare Werk auch einen Briten 


fe daß er gedrungen fuͤhlt, feinen Laudeleuten 
ben ffet zum Raͤthſei zu liefern. Unſer Schluͤſſa if es 
nicht. Damit ſei nicht gefagt, daß er nicht ſchließt. Wir wär: 
ben inbeß Das, was er Öffnet, unerdffnet der Deutung eines Se: 
den überlaffen haben, ba uns das NRäthfelhafte und bie 
Poeſie in andern heilen des ruht und baffelbe uͤber 

upt etwas Anderes unb mehr iſt als bie Allegoriſtrung eines 
ütlidgen Gedankens. Welche Welt von durchlebten Gebanken 
und Anfchauungen gingen ald Schatten vor dem innern Gefidht 
bes Dichtergreifes vorüber, und in contemplativer Kuhe ftredite 
ee bier den Zauberflab aus und ruf: Steh und verweile! bei 
anderen fuhr er mit ber Hand duch Die Lifte und rief: Ber⸗ 
über! Und bies wogenbe Meer, biefe bewegte Weit, diefe große 
Laterna mapica großer Ideen, Kämpfe und Zeitſtroͤmungen ſoll 
zu einem bürren, bürftigen moraliſchen Rechenerempel werben! 
Aber der Engländer hat Recht Er fchrieb für fein Wolf und 
dieſes Bolt wit ein praktifches Biel, eine kirchlich⸗ orthebare 
Moral feben; ohne biele Leine Poeſie, wenn fie gelten ſoll 

So uͤberſetzte Herr Gurney für die Engländer und hat für fie 
einen „Bauft”’, zweiten Theil, exit gefhaffen, einen, ber ihrem 
religidesfittlichen Anfchauungsvermögen zufagt und fo beuttich und 
faßlich ift, wie fie es von einem Gedichte verlangen. Wunderbar! 
rufen auch wir, und es ifl ihm gelungen, Das feſt zu merken, 
was für uns loder ifl, und den Keiz, ber für uns im Unbeſtim⸗ 
ten ruht, ins Beflimmte zu übertragen. Iſt bad nun das Lob 
ber Dichtung, die fo reich und vielgeftaltig iſt, fo entgegen: 
geſetzte Behandlungen über ſich ergeben zu laffen, ober ein kob 
des Berf., der das Miderfirebenbfte zu feinem Zwecke zu benugen 
weiß? Und, noch wunderbarer! der Engländer bat ein dich⸗ 
teriſches Gemuͤth und cine allegorifch = poefiereiche Sprache; er 
bat fie fo wohl zu verwenden gewußt, bag auch wir Deutfche 
mit Luſt feiner fließenden, wohltönenden Diction folgen, bie 
vieles von Dem zur beutlichften Anſchauung bringt, mas bas 
Original im Unbeflimmten läßt. Mit einem Wort, das Enge 
liſche lieſt fich beſſer, friſcher, fließender, Elarer, als viele det 
räthfelbaften, im Abflracten fi umwindenden Berfe, Boethe's. 
Vom erften Theile konnte man nicht fagen, daß eine Überfegung 
bas Original an naiver Ausdruckskraft auch nur erreicht Habe. 
Auch bier mögen Manche entfegt Aber unfern Spruch zuruͤck⸗ 
fahren und behaupten, er bat mit einer rauhen Maurerkelle die 
Ihönen Hieroglyphen übertündt. Moͤglich hier und da; nun 
aber find es für den Betrachter Eeine Hieroglyphen mehr, fons 
bern er fieht ihm Wohlgefälliges und Berftänbli Zu einem 
Zempelbau gehört Mancherlei, Myſterien und Saͤtze, die fo 
lichtvoll und kiar find, daß fle Jedem zum Herzen ſprechen, 
eben wie ber Wege zum Dimmelreiche viele find. 

(Der Beſchlus folgt.) 


Literarifhe Notiz. 
Hanbbud der franzoͤſiſchen Archäologie. 

‚. Dee Graf von Montalembert, der ein eifsiger Verehrer bee 
bildenden Künfte ift, bat vor kurzem in einem Auffege eine 
ganze Anzahl von Privatperfonen, die mit vandalifher Hand 
zur 3erftörung ehrwürbiger Überrefte ber Borzeit beigetragen ha⸗ 
ben, Öffentlich an den Pranger geftellt. Alferbings ift es be: 
dauernöwerth, wenn, wie dies nur zu häufig geſchieht, alte 
Bauwerke, die ein kuͤnſtleriſches Intereſſe haben, ober an bie 
ſich hiſtoriſche Erinnerungen Enüpfen, dem Boden gleichgemact 
werben. Aber mit allen Declamationen gegen biefe Verheerun⸗ 
gen wird weniger ausgerichtet, ald wenn man das Bolt für 
diefe Denkmale der Bergangenpeit zu interefficen fudht. Es 
banbeit ſich alfo vor Allem darum, ber großen Menge bad Ga: 
bium ber alten Monumente zu erleichtern. Wir wollen besheib 
bier auf einen Abriß der archaͤologiſchen Wiflenfchaft aufmerffam 
machen, ber ohne oberflächlich zu fein, body in einer einfachen, 
allgemein verftändiichen Sprache gehalten iſt. Wir meinen bie 
„Kisments d’archdologie nationale pr6ckd4s d’une histoire de 
Part monumentale chez les andems’, von Louis Batiffier 
(Paris 1843). 2 





Berantwortlicher Derauögeber: Heinrich Brokhaus. — Drud und Berlag von F. U. Brodbaus in Beipsig. 


-—- m Wu nn Wr TE “, rn ” 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Mittwod, 





(Befühep aus Mr. 37.) 

Endtich geht der Berf. zum. legten Abfchnitte dieſes 
hiſtoriſchen —— zur Epoche der katholiſchen 
Miſſtonnaite über. Nachdem der franzoͤfiſche Admiral Du⸗ 
petit⸗Thonars, ber jetzt auf dieſen JInſein eine franzoͤſtſche 
Colonie gegrimdet bat, 1838 die erſten katholiſchen Miſ⸗ 
ſtonnaire dahin gebracht, worüber er ſelbſt in feinem 

„Voyage autour da monde en 1836 — 38” 
(Paris 1841) ausfahrlih Auskunft gibt, kam 1839 
eine Verſtaͤrkung franzöfifchee Miſſtonmmaire dort an, über 
deren Empfang das auf den Sandwich⸗Inſeln gedruckte 
engliſche Journal „Sandwich Island Gazette” und das 
„Journal of commerce” vom 27. April 1839 Bericht 
erftattet. Diefe Gefelifchaft, unter der fi auch ber Verf. 
befand, hatte guten Fortgang, taufte viele Eingeborene 
und veröffentlichte ihre Erfolge in den „Annales de la 
propagation de la foi”. Gleichwol benugten die alten 
Gögenpriefter ihren immer noch mächtigen Einfluß nicht 
felten zur Verurſachung neuer Ruͤckfaͤlee, biutiger Auf: 
Hände und felbft langwieriger Kriege, bei weichem Be⸗ 
Rreben ihnen die Ankoͤmmlinge leider nur zu oft burch 
zu fchnelle und zu gewaltfame Maßregeln in die Hand 
arbeiteten. Denn das Volk der Marqueſas⸗Inſeln ift, 
wie der Verf. ber Briefe verfichert, ſtoiz, mit lebhaftem 
Sinn für Unabhängigkeit und Gerechtigkeit begabt und 
treibt die Behauptung feiner hestömmlichen Rechte bis 
zur aͤußerſten Hartnaͤckigkeit. Da es ſich eher vernichten 
kaffe, als der Gewalt weiche, fo, raͤth der Verf., müffe 
bei feiner Leitung mit befonderer Diilde und Mäfigung 
verfahren werben; dann aber koͤnne man der günftigften 
Refultate verfichert fein, denn es verbinde mit Stärke 
eine eigenthümtiche Größe und Erhebung der Seele, weiche 
tn ihren Kußerungen von Dulung und Großmuth nicht 

Achtung und Bewunderung abnöthige. 

Wem «6 in diefer Berichterflattung über das vorlies 
gende Buch in unferm Zwecke lag, den hiftorifchen Mit: 
theilungen des Verf. mit moͤglichſter Genauigkeit zu folgen, 
fo tönnen wir uns dafür bei der Beſprechung ber ſechs 
folgenden Briefe um fo Eürzer faffen, ba das Hervor⸗ 
heben einzelner intereffanter Punkte aus dem innern Les 
ben ber Inſulaner zur Vervollſtaͤndigung und Berichti⸗ 
gung desienigen Bildes, das man fich bisher von ihrer 
Lebeneweiſe gemacht, genügen duͤrfte. 









7. Juni 1843, 


Die Marqueſas⸗Infulaner erinnern, wie fchom ers 
wähnt, in ihren Religionsbegeiffen und Religionsgebraͤu⸗ 
Gen, welche dee zweite Brief behandelt, vielfach an die bee 
älteflen Voͤlker. Ihre unbeflimmten religioͤſen Ideen, bes 
ven ſchwankende Umriſſe fich wicht Leiche in dem feſten 
Rahmen eines Syſtema faſſen lafſen, legen fi um bas 
Gerippe einer ausführlichen genealogiſchen Tabelle ihrer 
Goͤtterfamllie, an beren einzelne Glieder fich diejenigen 
Sagen anknüpfen, die in ihren Überlieferungen nod 
beute die Grundlage ihres Glaubens bilden und ihnen 
als Meligionsvorfchriften gelten. Es ſtellt ſich bei der 
Betrachtung berfelben der Glaube an bie Unfterblichkeit 
ber Seele, an Lohn und Strafe nach dem Tode herans. 
Der Lohn Derer, welche bie Erfhlung keiner Vorſchrift 
verfäume und kein Verbot übertreten haben, beflcht, in 
einem obern Reihe, befonders in Ruhm und Wohls 
tebn. Die in das untere Reich Gebannten fcheinen 
dagegen feiner befondern Strafe zu unterliegen, außer 
daß fie hin und wieder gendthigt find, daſſelbe zu ver⸗ 
laffen, um bie Lebendigen zu plagen. Das obere Reich 
wird von den guten, das untere von den böfen 
Goͤttern beherrſcht, von denen bie legten Menſchen vers 
zehren, befonders aber die Augen berfelben lieben. ihre 
Opfer, denen man befonbere, verborgene Tempel gewid⸗ 
met bat, find in dee Regel nur gefangene Feinde, welche 
ſchnell und ohne Qual vor dem Altare getödtet werben. 
An dem Göttermahle aber nehmen nur die Priefter, die 
Häuptlinge und die ausgezeichneten Krieger des Volks 
Theil, ſodaß bie Anthropophagie keineswegs eine graus 
fame Sitte aller Inſulaner, fondern vielmehr nur ein 
Opfer zu fein fcheint, dem fich die Erſten und Muthig⸗ 
fin zur Befänftigung der böfen Götter in abergiäubifcher 
Furcht unterziehen. Demn jedes Ungläd, jede Krankheit 
und Beſchwerde, die den Einzelnen ober das ganze Volk 
teifft, wird dem unmittelbaren Einwirken böfer Götter 
zugefchrieben. Der Verf. erzählt, dag im erſten Jahre 
feiner Anwefenheit im Archipel allein auf Nulu: Diva 
20 Menfchenopfer flattgefunden hätten, ohne daß bie das 
mals noch fehr einflußlofen Miffionnatre im Stande ges 
weſen wären, dieſem Greuel ein Ziel zu ſezen. Da bie 
Driefter und Priefterinnen, welche bis zu einem gewiflen 
Grade im Coͤlibat leben, dem Volke die Gebote der Goͤt⸗ 
tee duch Vorgebung einer unmittelbaren Inſpiration mit⸗ 
theilen, waͤhrend welcher, vote einft bei der Pythia und 


noch jetzt bei den Derwiſchen, jedes ihrer Worte ein noth⸗ 
wendig zu befolgender Orakelſpruch iſt, fo bedienen fich 
die Könige derfelben, um ihren Befehlen und Verboten 
duch den zeligiöfen Nimbus ſchnellern Eingang zu ver: 
ſchaffen und defto unbedingtern Gehorfam zu fichern. 
Unfee rechtglaͤubiger katholiſcher Verf. hält fie daher fon: 
derbarerwweife entweder für Halbnarren oder für ſchlaue 
Betruͤger und behauptet, daß fie dem Molke nicht Ach⸗ 
tung, fondern Furcht einflößen. Die allgemeinfle und 
gebräuchlichfte Form fire alle Verbote ift das fehr umfafjende 
Sefeg Tapu, das eine eigenthuͤmliche Ahnlichkeit mit al: 
ten israelitiſchen Vorſchriften und Gebraͤuchen bat. Es 
beſteht nämlich bald in bem entweder fortlaufenden oder 
auf gewiſſe Tage befchränkten Verbote, dieſe ober jene 
Speife, Früchte, Bäume oder andere Gegenflände zu bes 
rühren, bald darin, gewiſſe Orte, Perfonen oder auch 
nur Körpertheile gaͤnzlich der Gottheit zu weihen. Ebenfo 
wie einzelne Vorſchriften erinnern auch die Feſte an die 
religioͤſen Gebraͤuche anderer Völker; namentlich die Herbſt⸗ 
feſte, welche mit den roͤmiſchen Lupercalien in vieler Be⸗ 
ziehung große Ähnlichkeit haben. Sie find gewiſſermaßen 
dee Gipfel der ausgelaſſenen Freude, die ſich kurz vorher 
milder und menſchlicher bei Gelegenheit der großen Ernte⸗ 
feſte über alle Voͤlkerſchaften verbreitete. Während dieſer 
Tage ſind alle Feindſeligkeiten zwiſchen den einzelnen 
Staͤmmen aufgehoben und werden bis zu dem Grade 
vergeſſen, daß ſogar die Mitglieder ſolcher Voͤlkerſchaften, 
die miteinander in Fehbe Liegen, ſich gegenſeitig zu dieſen 
Zeiten befuchen. Doch bricht auch bier die kannibaliſche 
Wildheit diefe Anthropophagen wie ein Blitz hervor, der 
den ganzen Himmel biefes Friedens und biefer Freude 
grell durchzuckt. Jeder fremde Gaft nämlich muß bei den 
Feinden wohl auf feiner Hut fein und fih vor Beendi⸗ 
gung bee Seftlichkeiten nach Haufe retten. Denn in dem 
Augenblide, in welchem das Feſt endet, iſt es erlaubt, 
über die Fremdlinge herzufallen, fie zu erwuͤrgen unb, 
gleihfam als die leckerſte Erntefrucht, zu verfpeifen. Xrog 
folcher unnatuͤrlichen Auswüchfe wohnt im Gemuͤthe bie: 
fer Wilden eine außerordentliche Kraft und Tiefe ber 
Poeſie, die namentlich aud in ihren religioͤſen Sefängen 
auf eine wunderbare Weile hervortritt. Text und Die: 
lodie find außerordentlich einfach (oft befleht der erſte nur 
aus drei Worten und bie zweite aus einer Abwechfelung 
zwiſchen drei verfchiedenen Noten), doc ergreifen fie 
ſtets auf das mädhtigfte das Herz durch ihre feierliche 
Würde und Erhabenheit. Die Priefler, welche diefe Lie: 
ber immer verfaffen, oft auch im Augenblide ertempori: 
een, fingen biefelben zuweilen ganze Nächte hindurch in 
ſtarkem Chor, unter der andächtigften Aufmerkſamkeit ber 
verfammelten ſchweigenden Menge. Die fhauerlihe Ein: 
dringlichkeit eines ſolchen nächtlichen Chorgefanges wird 
noch duch bie Begleitung vermehrt, welche allein in 
„ einer ftarken, tiefen Pauke befleht, deren dumpfer Ton, 
weithin durch die Thaͤler und Berge dröhnend, tie 
Glockenton die Gemuͤther zur Andacht mahnt und bie 
Kernen herbeiruft. 

In dem britten Briefe befpriht der Verf. den mo: 
ralifhen und politifchen Charakter ber ſocialen Relationen 


und zwar, wie er wisberum fehr genau unterfcheibet, ber 
verfchiedbenen Stämme unter fih, in einem Stamme 
und in der Familie. Die foclalen Relationen der vers 
ſchiedenen Stämme unter fich reduciten fi auf die Art 
Ihrer Kriegführung und ihrer Friedensſchluͤſſe. Beide, we⸗ 
nig abweichend von ben auch bei andern Wilden hierin 
beobachteten Gewohnheiten, bieten nichts fonderlih In⸗ 
tereflfantes dar. Wol aber die gang feudalifiifchen Ver⸗ 
hältniffe, welche die verfchlebenen Abftufungen der Sieber 
eines Stammes zufammenhalten und abfondbern. Diefe 
treten befonder® zur Zeit eines Kriegs deutlich hervor. 
Der König verfammelt als oberfler Feldherr feine Haͤupt⸗ 
linge zu einem Feldzuge um fich, biefe wieder ihre Unter: 
gebenen u. f. w. bis zur gänzlihen Vervollſtaͤndigung 
eines förmlichen Heerbannes. Auch bierbei fehlt der Ein» 
flug der Priefter nicht, wie denn Überhaupt die weltliche 
und geiftliche Macht bier mit mehr Vorficht und Übers 
legung Hand in Hand gehen, als dies in den einft auf 
gleicher Bildungsſtufe flehenden europäifhen Reichen ber 
Fall war. Die Erblichkeit der Königewürde in männs 
licher und weiblicher Linie ift eine Confequenz der bei den 
Inſulanern hierin allgemein herrfchenden Grunbfäge, welche 
fi befonders in bem beutlichen Begriffe und der forgs 

fältigen Vermeidung einer Misheirath, wie auch nament: 

ih in einem Geſetze ausfprechen, welches als eine Fort: 

fegung und Erweiterung des vorzugswelſe in England 

und Deutfchland beftekenden Inſtituts der Majorate ans 
gefehen werben ann. Diefes hoͤchſt wichtige Gefeg, weis 
ches nicht nur alle Zerfplitterung bes Vermögens, fondern 

auch alle Erb: und Thronfolgeflreitigleiten verhindert und 


in ihree Wurzel zerftört, beflimmt, daß alle Rechte unb . 


Befigungen bes Waters auf ben diteflen Sohn ſogleich 
nach feiner Geburt übergeben, ſedaß der Water nur der 
Vormund und Verweſer der Mechte und des Eigentbums 
feines Sohnes bleibt, dem er bei feiner Großiaͤhrigkeit 
Alles zu übergeben verpflichtet iſt und fi dann nur als 
feinen erſten Vaſallen anzufehen bat. Zwar wird hier 
durch bie väterliche Autorität in ber Familie fehr ge: 
ſchwaͤcht, doch iſt dies bei der alfeitig ungehinberten Aus: 
bildung und bei der ganz ber Matur Überlaflenen Erz 
ziebung der Kinder hier von geringem Nachtheile. Den 
Nachtheil, weicher biecbei durch gefteigerte Ehrſucht und 
Herefchbegierbe für bie Fortpflanzung, für die Vermeh⸗ 
rung der Bevölkerung aus dieſem Gefege erwachfen könnte, 
befeitige bier wieder die überall frei waltende Natur, 
weiche ihren Sunbamentaltrieben über alle kleinlichen Leis 
dbenfchaften entipringenden Rüdfichten ben Sieg verleiht. 
Die Natur iſt diefem Volle von der Wiege aus Amıme 
und Erzieherin. Den Kindern läßt man bie unbebingtefle 
Sreibeit bes Willens, fobald fie nur gehen können. Gie 
entwideln ſich frei vor ben Augen des ganzen Stammes, 
der bei der Beobachtung ihrer erften Regungen und leb⸗ 
baftefien Neigungen biejenigen Grundgefege ber Natur 
täglich zu. ſtudiren ſcheint, welche allen feinen Dandiungen 
und Gefegen ſtets zur Richtſchnur dienen folen. Wer 
bächte hierbei nicht an bie lacedaͤmoniſche und athenien- 
ſiſche Erziehung! Natürlich führt diefe unbebingte Der 
ſchaft, welche der finnlichen Natur eingeräumt wird, zu 


631 


einem an Epikuraͤiſche Grunbfäge ſtreifenden Materialis⸗ 
mus. Das Beduͤrfniß und die Fähigkeit zu genießen iſt 
bereits bis zu einem folhem Grade geftelgert, daß der 
gewoͤhnliche Lebensgang dieſer Wilden in einer forlaufen⸗ 
den Reihe von Vergnügungen beſteht, welche bei uns 
mit bem Namen Zefte bezeichnet werben. Die Befriedis 
gung' ber einfachften Beduͤrfniſſe, als Efien, Baden u. dgl., 
wird zur Luft erhöht, welche nur die Ruhe umterbricht; 
ſelbſt der Tod eines Famillenglieds wird BVeranlaffung zu 
einem Sefte. Aus biefer Berhdfichtigung der Naturtriebe 
und der Beobachtung ihrer Gefege iſt eine Menge von 
Gewohnheiten und Beſtimmungen erwachlen, weldye mit 
europäifchen Einrichtungen und Anfichten vielfach im Wi⸗ 
derfpruche ſtehen. Da z. B. die Ehe auf keinem reli⸗ 
giöfen Gebrauche beruht, fo iſt die Scheidung ſehr Leicht 
und gewöhnlich. Desgleichen iſt es einer Frau geftatter, 
mit Erlaubniß ihres Mannes Handlungen zu vollziehen, 
welche das Chriſtenthum Ehebruch nennt. Der Natur 
gemäß kommt es ferner viel feltener vor, daß ein Dann 
zwei Frauen, als daß eine Frau zwei Männer bat. 
Jedoch herifcht in allen diefen Dingen eine außerordent> 
liche Wilke, wie denn überhaupt in keiner Weife eine 
policeitiche Aufficht auf diefen Inſeln exiſtirt. Die Staat: 
gewalt tritt mit ihrer Macht, die allein in ausgebreiteten 
Familienverbindungen befteht, nur in ganz außerordentlihen 
Zälten ins Witte. Bei unbedeutendern DBeranlafjungen 
verfchafft ſich Jeder felbft fein Recht; er holt ſich 3. B. 
die geflohlenen Sachen vom Diebe wieber, oder laͤßt fich 
ben doppelten Werth dafuͤr erfegen. Doch kommt Diebs 
ſtahl, da fremdes Eigenthum nicht leicht zu verbergen 
ift, felten vor. Geſchickt ausgeführt, ift er, wie in Sparta, 
erlaubt und nicht entehrend; namentlid wird er gegen 
Auslaͤnder beguͤnſtigt, denen man ihe Eigenthum felten 
zuruͤckerſtattet. Mord ift in Seiedenszeiten ganz unerhägt. 
Den natürlichen Rob erwartet man ſtets mit fo großer 
Ruhe und Sammlung, daß fogar Jeder, wie fein an: 
deres Dausgeräch, ſich auch feinen Sarg bereitet und ihn, 
wie ein ganz nothwendiges Meubel, in feine Hätte ſtellt. 
Dennod ift bei den Begräbnißceremonien auch eine ge: 
wiſſe Zeit dem Wehklagen ber Angehörigen gewidmet, 
wie eine andere den Schmaufereien und den bei biefer 
Gelegenheit üblichen obſcoͤnen Taͤnzen, welche von nad: 
ten Frauen ausgeführt werden. Dem Todten wird die 
ſchoͤn taͤtowirte Haut abgezogen und in dem geheimen 
Familienarchive als Heiligthum aufbewahrt. Der eben 
erwähnte, vielfach ausgefchmüdte Sarg wird bei der Bes 
ftattung nicht in die Erde verfenkt, fondern, luftdicht 
verfchloffen, in dem Todtenhaufe der Familie an Seilen 
frei in der Luft aufgehängt und, wie bei den alten 
Deutfchen, von Speifen und Waffen umgeben. In bie 
Erde veriharrt zu werben, ift eine Schmach, die nur fin 
derlos geftorbenen Frauen zu Theil wird. 
Die folgenden vier Briefe, wenngleich fie für man: 
chen Zweig der Wiflenfhaft Intereffantes enthalten, be: 
eühren wie bier nur kurz, zur Vervollſtaͤndigung des San: 
mie wenigen Worten ihren Inhalt andeutend. Eine 
ausführliche Beſprechung deſſelben würde zu weit über bie 
diefen Mittheilungen geſteckten Grenzen Hinausführen. 


lichkeit hat. 


Der vierte Weief beſpricht die Arbeiten der AInfulaner- 
und ihre induſtriellen Kunffertigkeiten. Der Verf. bei 
fchreibt Hierin aufs genauefte ihre Wohnung, Nahrung 
und Kleidung. Diefe Dauptbebürfniffe, an welche ſich 
bei andern Voͤlkern alle Kunft und Induſtrie knuͤpft, 
befördern bier um fo meniger bie Entfaltung derfelben, 
als der Menſch auf dieſen gluͤckſellgen Inſeln fich gegen 
die Natur nicht fhügen und ihr nichts abringen darf. 
Ste bietet in ihrer Milde Alles fertig und im Überfluffe 
bar umd gibt daher fehr wenig Auffoderung zu irgend 
einer Geiſtes⸗ ober Körperthätigkeit. Die Guitivirung 
des Tabacks und des Maulbeerbaums find die einzigen, 
den Luxus befördernden Arbeiten, und ihre einzigen 
Kunfiproducte find: Diademe von Hahnenfedern, Faͤcher 
von Knochen, Goͤtzenbilder, Pfeifen, Obrringe und bie 
Taͤtowirung. Die meilte Induſtrie und Kunft finder 
fich bei denjenigen Stämmen, welche von fremden Schifs 
fen am wenigſten befucht werden, da die Bewohner ber 
beſuchten Küften duch Eintauf bie Erzeugniſſe euros 
paͤiſcher Induſtrie ohne Mühe und eigene Anſirengung 
erwerben. Hierbei verdient noch eine eigenthuͤmliche Taufch: 
waare erwähnt zu werden: bie Scham. Die Frauen 
bee Infulaner zahlen mit ihren Qunftbezeigungen bie 
Waaren der Europder. Es iſt dies eine vollftändige und 
unglüdtihe Ausbildung ber Proftitution, welche jedoch in 
ihrer ganzen Immoralitaͤt hier nur von Seiten ber Maͤn⸗ 
ner verübt wird, bei den wilden Frauen jedoch, im Zu: 
fammenhange mit ben Sitten ihres Volks, ganz den 
Charakter der glüdlihen Unfhuld an fi träge. Wenn 
biefe erft der Erkenntniß gemwichen fein wird, dann wird 
ber kuͤnſtliche Rieſenkoͤrper „Civiliſation“ mit feinem 
ſchwarzen, langgeſtreckten Schlagfchatten auch die noch 
beife Bruft diefes fernen Voͤlkleins verdunkeln. 

Der fünfte Brief enthält Bemerkungen über die 
Sprahe ber Inſulaner und die Idee einer Grammatik 
derfeiden. Die Mitcheilungen des Verf. geben einen volls 
ftändigen Begriff von der Sprache, welche fehr viel Mu: 
fit zu enthalten fcheint und in der Art ihrer Beugung 
und Behandlung einen guten Gefhmad und ein feines 
Ohr verräth. Gleichwol iſt die eigentliche Muſik bei dies 
ſem Wolle nicht fehr ausgebildet. Faſt alle Melodien bes 
ſchraͤnken fih auf die Abwecfelung unter hoͤchſtens bref 
Moten und ihre Inſtrumentenreichthum befteht in ber 
Pauke, einer mit drei Löchern verfehenen Floͤte, die durch 
ben Hauch ber Nafe geblafen wird, und in einer Art 
Holzharmonika, welche mit der von Guſikow viele Ähn⸗ 
Beſonders ausgebildet bei beiden Geſchlech⸗ 
tern findet fich bier die Kunſt der Beredtfamkeit, und 
zwar erlauben die Infulaner vernünftigerweife, im Gegen: 
fage mit Europa, ben Frauen, ihr unbeftrittenes Talent 
zu dieſer Kunft auszubilden und zum Belten ihrer Mit: 
menfchen, als Advocaten oder bergleichen, öffentlich anzu: 
wenden. Ihre poetifchen Geſaͤnge find erhaben, volltönend 
und in kurzen alliterirten Verfen. Neuerdings haben bie 
Miſſionnaire ihnen auch geiftliche Kleber und Stellen aus der 
Bibel, wie es fcheint, mit Gluͤck in ihre Sprache überfest. 

Die komiſche Pedanterie und das foftematifch Lintirte 
In dem Geiſte und ber Anfchauungsweife des Verf. 





verleitet denſelben in feinen Anmerkungen ber den wiſ⸗ 
fenfchaftlichen Standpunkt ber Infulaner, von weichem 
er im fechöten Briefe ein Bild entwirft, zu allerlei laͤcher⸗ 
lichen und thörichten Anmertungen. Er hätte biefen ſein 
Buch verunftaltenden Brief ganz fortlaffen follen. Wir 
überfpringen ihn daher ganz, wie aud ben legten, ber 
von den Arbeiten der katholiſchen Miſſionnaire handelt, 
da wie fchon oben Genuͤgendes daruͤber mitgetheilt, und 
bemesten nur noch zum Schluſſe, daß das ganze ebenfo 
intereffante als verdienſtvolle Wert des Pater Matthias 
wärbig und paflend abgefchloffen wird durch bie wörtiiche 
Mittheilung des merkwürdigen Berichts, weichen der 
Gontreadmiral Dupetit» Thouars an den Marinemimiſter 
über die Beſitznahme der Marqueſas⸗Inſeln, am 28. Juni 
1842, erflattete, und aus weldem wie erfahren, daß 
die Inſulaner eigentlih nur durch die Furcht vor ber 
Rache der Amerikaner, wegen Tödtung einiger Männer, 
bewogen worben find, fich unter Frankreichs Schutz und 
Botmaͤßigkeit zu begeben. A. Roerdang. 


Der zweite Theil des „Fauſt“ englifh von 
Gurney. 
(Beſchluß aus Rz. 157.) 

Wir haben es alfo mit einer freien Überfegung zu thun, 
feet im volften Sinne bed Worts, wo ber Überfeger wieber 
zum Dichter für feine Nation wird. Ginzelne Beiſpiele mögen 
es zeigen. Die Rymphen im Chor umfchließen den großen Yan: 

Auch kommt er an! 

Dad AU der Melt 

Wird vorgeftellt 

Im großen Pan. 

Ihr Deiterften umgebet ibn, 

Sm Gankeltanz umſchwebet ihn; 
Denn well er ernfl und gut babel, 
So will er, daß man froͤhlich ſel. 
Esch mortel mas 

To Earth must bow; 

Behold him now 

The mighty Pan! 
Ye gracefull maids around him fiy 
In lightsome mirth and revelry; 
He sees yon dance, with joy elate, 
For he is good as he is great. 


Das war frei überfebt, aber ber folgende Geſang der de: 
putirten Gnomen ift mehr ald bass er iſt aus ber Goethe’fchen 
Specialliebe für mineralogiſch⸗geologiſche Proceſſe in das all⸗ 
gemein Menfchliche übergedichtet: 

Wenn dab glänzend reihe Gute 
Fabenweis durch Kluͤfte ſtreicht, 
Nur ber klugen Wuͤnſchelruthe 
Seine Labyrinthe zeigt, 

Woͤlben wir in dunkeln Gruͤften 
Troglodytiſch unſer Haus 

Und an reinen Tagesluͤften 
Theilſt du Schäge gnaͤdig aus. 
Nun entbecken wir hierneben 
Eine Quelle wunderbar, 

Die bequem verfpricdht zu geden, 
Was kaum zu erreihen war. 
Died vermagfi bu zu vollenden, - 
Nimm 08, Derr, in deine Hut! 
Jeder Schatz in beinen Händen 
Kommt ber ganzen Welt zu gut. 





When ike dee ned ere is Iying 
In iho meountalas gloomy cavo, 
We its secret heunts deserying, 
©'er (hem rods of magie ware, 
Opes the roeR, und forth the breasures 
From their kome to earikı we bring; 
Thou reoeivest tham, king of Plonsures 
Howsä the gold ia husps dest fing. 
in this kmll a wondreus feantain 
Even now we chanosd to find; 
Pearly lake and ruby mountain 
Never atores like tkosse combined. 
Geld und gems, like waren are Bowlug — 
Thou, o king their guarälen be! 
So on all Ihe werid bestewing 
ei mt * Guemes bestew on thes. 
ie trefflich und charakteriftifh Here Gurney auch zu 
überfegen weiß, bafür folgende Stelle aus den komiſchen 
Partien. Der Gelehrte fprict: 

Sch fah fie deutlich, doch geſted' ich frei, 

Bu zweifeln iſt, 0b fie die rechte ſei. 

Die Segenwart verführt ind Übertriebne; 

Ich Halte mid vor allem and Geſchriebne. 

Da lad’ id) beun, fie Babe wirklich allen 

Graubaͤrtgen Trojas fonbertih gefallen; 

Und wie mich bänkt, vollkommen paßt das bier, 

Ich bin nit jung und do gefällt fie mir. 

I soo her clearly, to say the truth, 

I still must doubt if she be she in sooth. 

The present often may deceive our eyes, 

And pusts long ohronieles far more I prise. 

Here then, I road that all Troyu greybeards thought ker 

Werthy to be a Venus’ self the daughter; 

This rale apply a tailor might or tinker, 

I am not young, and get most beauteous think ker. 

Es würde nicht ſchwer fallen, noch zaßlreiche Stellen aus 
den. Igrifchen und braflifchen Partien ausgusichen und andere 
ans ben Dialogen, in weichen die Reflexion mit der finnlichen 
Auffaflung fo eigenthuͤmlich wunderbar, wie eben nur im Goe⸗ 
the ſchen „Fauſt“, verſchwiftert ift, und die alle in Friſche und 
Kräftigkeit von dem Überfeger wiedergegeben find. Wie reich if 
die engliſche Bolksſprache an Ausdrüden für finnliche Kuffaffun- 
gen, daß unfere beutfche Mutterſprache durch bie Berührung 
mit ihr, wenn fie in Abflrectionen ſich verirrt, ſich Immer wie 
der Eräftigen und zu ben Raturiauten zurüd könnte leiten lafs 
fen. Wie mandyer Teutfche zu feiner Belehrung bie Hayward'ſche 
Überfegung bes erſten Theiis gelefen haben wird — bie kurzen 
praktiſchen Roten derſelben verdienten ins Deutſche überfegt ya 
werben —, fo koͤnte auch Mancher, wenn nicht zur Betehrung, 
doch zus Anfeuerung im Nachbenten, biefe Gurnev'ſche über⸗ 
tragung in bie englifhe Eigenthuͤmlichkeit fludiren. Wie bie 
verwandten Völker in ihren Sinnesrichtungen ſich theilen, bavon 
liegen fich hier merkwürdige Belege fammeln. Der flarre cons 
fervative Brite, der Highchurchman, kann, trod feiner Bewun⸗ 
berung für Goethe, body unmöglich defien Bewundermg fir 
Lord Byron theilen und müht fich In den Roten ab, das Lob, 
welches der beutfche Dichter ihm fpenbet, oetguifigen. Byron 
im Grabe wird es ſich gefallen Laffen können. Der Anklang 
für den Dichter iſt, aus ben britiſchen Grenzen hinaus, ein 
europäifcher geworden. Er läßt ſich micht mehr fi aus 
ber Gefchichte unferer intellectuellen Entwidelung, Geltfam 
aber, daß bie englifche Nation, in ihrer engherzigen Beurthei⸗ 
lung Byron’, ihm nur die Ähnliche engherzige Beurtheilung, 
die er an Shalfpeare verübte, vergitt. Sehr beachtenswerth 
find auch die Winfelgüge, durch welche der englifche Überſther 
mit Bewußtfein und Geſchick anftögige Wilder und Iüfterne Ans 
fpielungen umgeht, welche ein englifches Ohr nicht anhbem 


koͤnnte, ohne baß man ihm um beshalb vorwerfen barf, va er 


falſch uͤberſetze. 


Berantwortlicher Herauſsgeber: Oeinrich Brodbaus. — Drud und Verlag von 8. A. Brodhaus in Leipzig. 


— m — — — — — — — 


— 


Blätter 


für 


fiterarifhe Unterhaltung. 


Donnerdtag, 


8. Juni 1843. 








Ruͤckert ald dramatifher Dichter. 

Gaul und David, ein Drama ber peili em Gefchiähte von Beieduih 
Rüdert. Erlangen, Heyder. 1843, Gr. 12. 1 XThir. 15 Nr 

As Ruͤckert zuerft unter ben — ——* 
auftrat, war er durchaus ein Sohn der Zeit und wid⸗ 
mete ihr in feinen „Geharniſchten Sonetten“ und in ſei⸗ 
wem „Kranze der Zeit” bie werthvollſten Erſtlinge feiner 
Kraft; bald jedoch zog er feine Dichtung, theils wol aus 
Innern, theils auch, wie Guſtav Pfizer in der bekannten 
Schrift „Uhland und Ruͤckert“ anbeutet, aus perfönlichen, 
jedoch den ebeiften perfönlichen Beweggründen, von dem 
Schauplatze zuräd, auf dem fein Volt Eimpfte und mehr 
noch litt als kämpfte. So war feine Stelung zur beut- 
ſchen Dichtung, trog feiner großen Fruchtbarkeit, trotz 
der hohen Trefflichkeit, die ein unbefangener Beustheiler 
vielen feiner Leiſtungen nicht abfprechen kann, gerade ein 
Vierteljahrhundert lang eine durchaus einfame und, ebenfo 
fehe in Beziehung auf bie von ihm gewählten Stoffe 
als auf deren Behandlungsweiſe, fait außer Zuſammen⸗ 
bang mit ber übrigen deutfchen Dichterwelt. Jetzt end: 
ih, wo man doch wol nicht mit Unrecht bie Kraft jus 
gendlichen Scyöpferdrangs in ihm wo nicht für erloſchen, 
doch fuͤr allmaͤlig erloͤſchend halten darf, ſcheint er ſich in 
gewiſſem Grade den Beſtrebungen ber Zeitgenoſſen wieber 
zuzuwenden, ba er plöglich und gewiß allen Kennern ſei⸗ 
ner früheren Arbeiten überrafchend den zahlreichen jugend⸗ 
frifchen Kräften fich zugefellt, die jest von allen Seiten 
den Drama zuſtroͤmen. Schon bald nah Rüuͤckert's 
lÜiderftedelung in das nördliche Deutſchland verbreitete fich 
das Gerücht von dramatifchen Arbeiten des Dichters; 
dann erfchienen im „Morgenblatt“ Bruchftüde eines ber 
armenifchen Geſchichte entnommenen Trauerſpiels, die 
aber bei der verwidelten Anlage des Ganzen. noch zu kei: 
nem Urtheile befähigtenz; jest endlich liegt fein erſtes voll: 
fländiged Drama vor, welches nach dem Geſagten wol 
zu eingehender Betrachtung auffodern-muß. 

Hat fi) Rüdere mit diefer Arbeit der Richtung un: 
ferer. Zeit infofern wieder genähert, daß auch er dem leb⸗ 
haft erwachten Eifer für dramatifche Richtung ihr Recht 
zuzuerkennen fcheine, fo iſt er dach zugleich auch feinem 
bisherigen Standpunkte nicht untreu geworden. Dies 
zeigt zunaͤchſt die Wahl feines Stoffe. Während bie 
übrigen Dramatiker unferer Tage entweder biftorifche 


Stoffe behandeln, die uns theils durch ihren vaterländis 
ſchen Gehalt, theil® durch ein mächtig ergreifendes pſycho⸗ 
logiſches Intreſſe nahe flehen, oder folche Stoffe ganz 
neu erfinden, welche durch Abfpiegelung unferer ſocialen 
Zuftände anziehen und fo zur Löfung fhwebender Lebens: 
fragen das Ihrige beitragen: iſt NRüdert, was Zeit und 
Drt feines Drama betrifft, in bderfelben Ferne flehen ges 
blieben, in ber er fi fhon lange hält. Und der Unter 
zeichnete muß leider gefleben, daß er ſchon darin einen 
Misgriff erkennt, der alle Wirkung diefer Dichtung felbft 
bei den größten fonfligen Vorzuͤgen unmöglih machen 
würde. Ein Drama, weldes fefleln und wirken fol, 
muß zunaͤchſt ſchon ein bedeutendes floffliches Intereſſe 
erregen Binnen: dies ift aber won einer bramatifchen Ge 
ſchichte Saul's und David's durchaus nicht zu erwarten, 
da fie uns von frühefter Sugend an viel zu bekannt ift, 
als daß fie bie Theilnahme der Neuheit in Anſpruch 
nehmen koͤnnte. Noch mehr aber muß ein wirkfames 
Drama immer irgend einen Punkt treffen, in dem «6 
bie Gefühle, die Wünfche, die Bedürfniffe der Zuſchauer 
ober Lefer berührt und befriedigt; dies konn „Saul und 
David’ nicht erreichen, da es einer längft abgefchloffenen 
Welt angehört, aus ber keine Gedankenbruͤcke in unfere 
Zeit führt, noch dazu einer Welt, deren charakteriftifches 
Kennzeichen eine eng befchränkte, fireng ausfchließende 
Volksthuͤmlichkeit ift, aus ber fich allgemeine, ewig wahre 
Gedanken und Gefühle nicht entwideln laffen, wie dies 
im helleniſchen Alterthume der Fall ift, welches deshalb 
auch niemals einer poetifhen Behandlung unfählg wer: 
den wird. Hier wäre es höchftens durch eine gänzliche 
Umgeftaltung des Stoffs möglich gewefen, eine große, 
eiwige dee zum leicht erkennbaren Mittelpunkte des Gan⸗ 
zen zu erheben; daß Ruͤckert dies nicht gethan hat, wird 
ſich weiter unten zeigen. 

Müuͤſſen wir ſonach bie. Wahl bes Stoffes für eine 
unglüdliche erklaͤren, fo "bliebe deswegen doch immer nach 
die Möglichkeit, daß „Saul und David” ein kuͤnſtleriſch 
body vollendetes Meiſterwerk wäre, unb «6 wird deshalb 
nöthig fein, näher darzulegen, auf welche Weiſe Rüdert 
feinen Stoff behandelt hat. 

Entnommen iſt berfeibe dem erften Buche Samuelis 
und dem Anfange des zweiten und verteilt in ein Vor⸗ 
ſpiel Saul's Erwaͤhlung“ von drei Aufzügen und das 


‘ “4 


Drama ſelbſt von fünf Aufzuͤgen. Die Form iſt durch⸗ 
aus metriſch, großentheil® gereimt und in verfchiedenen 
Versformen wechfelnd, die, dem Inhalte und den ſpre⸗ 
chenden Perfonen gemäß, Rüuͤckert's laͤngſt anerkannte 
Meifterfheft in Handhabung der dichteriſchen Formen 
von neuem bewähren. 

Das Vorſpiel enthält daB Verlangen bes juͤdiſchen 
Volks nad einem Könige, Saul’ Salbung buch Sa: 
muel, des Erſtern Sieg über die Ammoniter bei Tabes 
in Gilead und die darauf folgende allgemeine Anerken⸗ 
nung feines Koͤnigthums. Das Drama ſelbſt beginnt 
20 Jahre fpäter, wofür Luthers Bibelüberſetzung nur 
einen Zeitraum von zwei Jahren hat. Dier erſcheint 
Saul fofort als der mistrauifche, faft geiſteskranke Zürft 
im Zwieſpalt mit Samuel; David komme an Saul's 
Hof und erfchlägt den Goliath, wird vor Saul's Grimm 
flügtig, und fo führt und der Gang des Drama, bis 
nah Saufs und Jonathan's Fall David den Thron 
befteigt und auch die wenigen noch uͤbrigen Anhänger 
der Familie Saul's fi unterwerfen; David's großartige 
Plane und feine Milde gegen bie Unterweorfenen machen 
den Schuß. So hat fi) alſo Rüdert aller eigenen Er: 
findung ganz und gar bis auf die leifefte Spur offenbar 
abfichtfich enthalten, um bem gegebenen Stoffe mehrfach 
Bis zur Woͤrtlichkeit treu zu bleiben. Aber nicht nur 
den Stoff felbft hat er ganz unverändert beibehalten, fon: 
dern auch bie Behandlungs: und Darſtellungsweiſe tft 
ganz biefelbe wie in feiner Quelle; und beshalb führt 
fein Wert nur den Namen Drama, obne irgend eine 
andere Eigenfchaft deſſelben zu befigen, als baf es aus 
einer Reihe, durch den Zufammenhang bes Stoffe ver: 
bundener Dialogen beſteht, was freilich nur die aller 
geringfte und Außerlichfte Bedingung iſt, die das Drama 
zu erfüllen Hat. Es fehlt diefem Drama dagegen erſtens 
ganz an Handlung: wie die Quelle, nach der Rüdert 
gearbeitet bat, eine Chronik ift, fo befleht fein Drama 
aus einer Reihe von Auftritten, in denen bie verſchiede⸗ 
nen Perfonen abwechſelnd die Stelle des Chrontfien ein: 
nehmen; alle eingreifenden und handlungsreichen Ereig⸗ 
niffe erfahren wir Lediglich durch bie Erzählung dritter 
Derfonen, fo den erfien Sieg Saufs, fo bie Salbung 
David’, die Beſiegung bed Rieſen, den Ausbruch von 
Saul's Zorn, den Kal Saul's und Jonathan's. Es 
findet fi) deshalb in dem ganzen Werke auch nicht eine 
dur eine große Handlung bewegte und beliebte Scene, 
denn auch die, wo Saul zum König gewählt wird, bes 
megt ſich der Natur der Sache nad nur in Wechfelceben, 
und wo fonft Handlungen fihtli vorgeführt werben, 
find nur einzelne Vorfälle und Perfonen dabei ohne we⸗ 
ſentliche Entſcheidung für das Ganze betheitige. 

Wir müflen jedenfalls annehmen, daß biefe Eigen; 
thuͤmlichkeit dos Werks von dem Dichter beabfichtigt. wor: 
deu I, und es fehlt nicht an den glänzendflen Beiſpie⸗ 
Ien, die zu feiner Rechtfertigung angeführt werben gu 
koͤnnen ſcheinen. Bei diefen tritt dann aber, um nur 
an Goethes „Iphigenie” und „Tafſo“ zu erinnern, im: 
mer ber Fall ein, daß ber Stoff ſelbſt einen folchen 


Reichthum an Handlung nicht bietee wie die Geſchichte 
Saul's und David's, und daß zweitens ber Mangel an 
äußerer Handlung durch Innere Dandlung, d. b. buch 
die ausgeführte Darfielung eines reichen und bedeutenden 
Gemütheguftandes ber auftretenden Perſenen reichlich auf 
gewogen wird. Dies if aber in Ruͤckert's Drama kel— 
neswegs ber all, dem es im Begentheil an ſcharfer 
Charakterzeihnung ber einzelnen Hauptperfonen und pfp 
chologiſcher Motivirung ganz fehlt; dieſe fehlt allerdings 
auch der biblifchen Erzählung, aber fie iſt eben kein Be 
dicht, fondern eine Chronik. 

Faſſen wir die Hauptperfonen in dieſer WBeriehung 
näher ind Auge: Saul erfcheint im WBorfpiel als eine 
heldenkraͤftige Natur im befcheidener und unſcheinbarer 
Umhuͤllung. Als König iſt er plöglic zw einem launen⸗ 
baften, geiſteskranken Tyrannen umgervandeit, ber ſelbſt 
von fih fagt (S. 140): . 


D Herr, 

Daß du mi Haft veriaſſen, fühl’ ich wohl, 

Do nicht, warum du mic) verlaffen haft. 
Und leiber weiß es der Lefer ebenfo wenig, denn ber in 
dee bibliſchen Erzählung liegende Abfall won ber theofre- 
tiſchen Verfaſſung feines Volks wirb nirgend hervorgehes 
ben. David erſcheint bald als kindlich unbefangener 
Knabe, bald als ſchlau berechnender Kronpraͤtendent, ohne 
daß ein Übergang vermittelt wäre; namentlich aber wer: 
miffen wir in ihm bie Kraft des unbedingten Gott 
vertrauens, die die biblifche Erzählung bei aller Einfade 
beit fo ſchoͤn in feinen Charakter zu legen weiß; und ber 
Verſuch, dieſes auch bier toieberzugeben, der durch das 
Einlegen mehrer metriſch bearbeiteter Pſalmen, einer bar 
unter in Form eines Sonetts (©.280), gemacht weich, 
ift mislungen, weil er mit allen Übrigen nicht zuſammen⸗ 
ſtimmt. Samuel iſt eine gang und gar unklare 
befien Stelung weder zu Saul noch zu David man 
beutlich verfiehen kann. An einzelnen Stellen zwar ſcheim 
der Zwieſpalt zwifchen Saul und Samuel oder zwifden 
Koͤnigthum und Prieftecherrfchaft als Grundidee dei Ban 
gen hervortseten zu wollen, was dann allerdings «im 
fruchtbare und naheliegende Anwendung auf unfere Zeit 
geflatten würbe; aber diefer Gedanke ift viel zu ſchwach 
angedeutet, als daß man auch nur eine derartige Abſicht 
bes Dichters mit Sicherheit annehmen koͤnnte. Am wa 
fequenteften durchgeführt find die beiden Geflalten des 
Edomiters Doeg und Jonathau's: Erſterer aber ſpielt 
als Aufreizer und Zutraͤger Saul's eine zu untergeerducte 
Molle, als daß er einer ſolchen poetiſchen KBevorugung 
würbig waͤre, und verſchwindet gegen das Ende dx Deo 
mas fpurs und wirkungslos; und bie Gomfequenz bei 
Letztern beſteht blos darin, daß er durchweg weich, far 
timental, allenfalls zu Thaten perfönlicher Bravour, aber 
nirgend zu einem böhern Auffchwunge fähig erſcheint. 

Da fi fonach ein wahrhaftes Verbienft dirſes Des 

mas weber in der Wahl des Stoffe, noch in ber De 
nugung deſſelben, noch in dee Charakteriſirung der de 
zelnen Perfonen, ober einer leitenden Grundidee nad 
weifen läßt, fo werden bie Worzüge, welche es befigt, au 








von ber Art fein koͤnnen, baß fle ber lyriſchen Voefle an- 

ehören, und bies tft ja auch das Feld, auf dem fich 
—** ſeinen ſchoͤnſten und reichſten — er⸗ 
worben bat; ein Drama aber, deſſen Vorzuͤge auf ſolchem 
Boden ruhen, verliert ben richtigen Standpunkt und 
nähert fi entiweber der Oper oder dem Oratorium. 
Und namentlich letzterm nähert ſich das in Rebe flehende 
Drama fehr entfchieden, nicht nur duch zahlreiche lyp⸗ 
eifche Elemente, nicht nur duch den biblifhen Stoff, 
fondern auch duch ben erwähnten Mangel am pſycholo⸗ 
gifcher Entwicklung, die auch in ben Dratorien weder 
efunden noch gefodert zu werben pflegt. Den Iprifchen 
Dartien aber, bie in biefem Drama vorkommen, läßt 
ſich große bichterifche Schönheit gar nicht abſprechen; fo 
3. B. ben Wechfelreben, die in dem dritten Aufzuge bes 
Vorſpiels von den Bürgern zu Tabes horartig gehalten 
werden, als fie zuerft von ben Feinden rettungslos be 
droht fcheinen, dann Saul's Verheißungen neue Hoffnung 
erroeden und, endlich diefe auf das herrlichfie erfüllt 
werden. Ebenſo laͤßt fih noch von mehren heilen 
der Dichtung fagen,, daß fie, für ſich betrachtet, ganz 
geeignet find, Ruͤckerts alten Ruhm zu erneuen; nur 
von dem Ganzen können wir dies nicht behaupten. 

Ich bin der Überzeugung, daß Nüdert dies fein 
neueſtes Wert abfichtlih fo, role es vorliegt, geſtaltet 
bat, indem er von ganz andern Principien dabei aus: 
gegangen zu fen fcheint, als ih nad meinen An- 
ſichten bei Beurtheilung eines Drama in Anwendung 
bringen fann. ‚Saul und David’ gehört in allem We⸗ 
fentlichen berfelben poetifchen Richtung an wie Rüuͤckert's 
„Leben Jeſu“, d. 5. einer Richtung, welche ſich darauf 
befchränkt, einem gewählten Stoffe das dußere Gewand 
der Dichtung umzuhängen, ohne weder an dem Stoffe 
ſelbſt eine dichteriſche Thaͤtigkeit zu üben, noch auch bei 
der Wahl eines Stoffs irgend eine andere Ruͤckſicht als 
die der ſubjectiven Neigung zu nehmen, namentlich nicht 
die, ob ein Stoff, der, an ſich betrachtet, einer der groß: 
artigften fein kann, einer bichterifhen Behandlung für 
unfere Zeit und für unfer Volk fähig If. Es iſt dies 
aber die Folge theils jener oben erwähnten Vereinſamung 
und Belchaulichkeit, in die fih Ruͤckert je länger je mehr 
zuruͤckgezogen, theils wol auch der vielfach und mit felte: 
ner Meifterihaft gelibten Überfegungstunft, die dem eige: 
nen Talente nicht förderlich fein kann. Gebr fchade iſt 
es, daß einer der wenigen lebenden Dichter, deren Zahl 
zu ber der Verſemacher gerade in umgelehrtem Verhaͤlt⸗ 
nis flcht, einen ſolchen Standpunkt eingenommen hat 
sind immer entfchlebener einzunehmen ſcheint, ber feinen 
neueflen Arbeiten die Anerkennung, bie auch ber Unter: 
zeichnete bei andern Gelegenheiten Rüderr’s frühen Ars 
beiten freudig gezollt hat, zu verfagen zwingt! 

MW. A. Paſſow. 





Literarifhe Rotizen aus Frankreich. 
Unterfuhungen über die Nerven. 
Lobende Anerkennung verbient die zweite vielfach verbeflerte, 
vermehrte und umgeftaltete Ausgabe von P. Flourens: „Recher- 


ches expärimentales sur les prepriätses et lies fonotions 
du ı nerveux dams les animaux vertöbres” (Yarks 
1842). Der Verf., ein Schuͤler des berükmten Naturforſchers 
Suvier und fein Nachfolger als beftänbiger Secretair beu 
Alademie der Wiſſenſchaften, bat in biefee neuen Ausgabe 
alle Arbeiten vereinigt, welche er früher über das Nerven: 
foftem einzeln herausgegeben hatte, er hat biefelben coorbinirt 
web durch neue Unterfuchungen erweitert und dadurch dem 
Ganzen mehr Ginheit gegeben. Außer vielen neuen That—⸗ 
fodyen , welche biefe Ausgabe vorzüglich intereffant machen, vers 
bient feine Methode beachtet zu werden. Der allgemeine Fehler 
der ehemaligen Srperimente, die man über das Gehirn anftellte, 
beftand darin, daß man ſich folcher Verfahrungsarten bediente, 
welche eomplicirte Reſultate gaben. Das erfle Werbienft bes 
Herren Flourens ift, fo zu Werke zu gehen, baß er die Theile 
iſolirt, woburd er füch einen fihern Begriff von den Grenzen 
ber Veränderung machen kann. Gr hat ganz beflimmte Organe 
verflümmelt ober weggeriffen und iſt auf diefe Weife zu weit 
ſicherern Ergebniſſen gekommen als feine Vorgängers denn er hat 
eingefepen, wenn bie Phänomene complicirt find, man fie zer» 
legen, mithin bie Organe voneinander trennen, db. h. alle ver: 
ſchiedenen Theile genau voneinander unterfcheiben muß. Seine 
alten Entdeckungen find in biefer neuen Ausgabe des Werks 
von neuen Beweiſen unterflügt und mit neuern Unterſuchungen 
vermiſcht. Durch Anwendung biefer Methode iſt Flourens 
zu zahlreichen Reſultaten gekommen, bie wir bier nicht analy⸗ 
firen können. Mit einem Wort, bdiefe neue Ausgabe, die als 
ein neues Werk zu betrachten ift, muß bie Aufmerkfamfeit der 
Phyſiologen auf ſich ziehenz fie macht bem berühmten Verf. 
in jeder Weife Ehre. 


Über die zömifhe Berfaffung. 

Bon Heren Nougarede be Fayet if in Paris neuerdings 
ein „Essai sur la constitution romaine‘‘ erſchienen. In biefem 
kleinen Werke, weiches nur ein Bruchſtuͤck eines größern, kuͤnf⸗ 
tig ericheinenden über bie alte Gefchichte ber römifchen Verfaſ⸗ 
fung in Gallien ift, fucht der Verf. dem Leſer bie verfchiedenen 
Beränderungen, welche die roͤmiſche Gonftitution im Laufe ihrer 
fucceffiven Revolutionen erfahren hat, vor die Augen zu fielen 
und bie Grunbbeftandtheile diefer Verfaſſung mit ben Staates 
verfaffungen der neuern Völker zu vergleihen. Man fieht, daß 
ee ben berühmten Verf. des Werts „ Esprit des leis “, 
MWontesquieu, fleißig flubirt bat wand dieſe kurze überſicht ber 
Veränderungen ber römifchen Verfaſſung zeugt von Fleiß 


und Kenntniffen. einen politiſchen Betrachtungen fehlt es 


weder an Scharffinn noch an Nichtigkeit; die geographifchen 
und militatrifhen Details geben Beweiſe von Geiehrfamteit. 
Mehre Sharaktere find gut fEigairt, wie die von Marius, Sulle, 
Auguftus und Tiberius. Die Regierungen bes Ziberius und bes 
Caligula befchliehen biefe Arbeit, weiche nur die Worläuferin 
einer größern, ausführticheen über benfelben Gegenftand iſt. 


Regierung ber Franken 
nad der Eroberung. Der zweite Theil enthält bie Gefchichte 
der Karolinger bis zur Erlöfchung ihres Geſchlechts in Frauk⸗ 
reih im 10. Jahrhundert. Der britte Theil geht von Huge 


⸗ 


Gapet bit Tode von Philipp Auguft, der vierte fährt und 
bis zur Sröglerung Philipp's IIL am Ende des 13. uns 
derts. Das Wert zeugt von Fleiß und Talent; nur ber Stil 
bes Verf. bebarf noch der Felle. 16. 





Bibliographie. 
* Altmann, A. 8, Gedichte. Wien, Gerold. Ge. 8. 

Nor. 

Berg, D., Sklaverei, Seeherrſchaft und bie preußifche 
GStaats zeitung. Ein Nadıtrag * meiner Schrift: „Morbame: 
ritas Stellung zum Quintupelsraftat am 20. Dechr. 1841. 
Königsberg, Sräfe und Unger. Gr. 8. 15 Ner. 

ubl, 8, ragen ber innern Politik und Verwaltung. 
garich ——8 Comptoir. Gr. 8. 15 Nor 
uniger, ®., D und &, ober Durft and Tod, ober 
Rob 23 laß oder Sitis und Satis. Faßliches. Mit einem 
—— Anhange. Leipzig, Peter. 8. 22%, Nor. 

Garnevalsfeier der Hallenfer Lumpia. Brei nach Goethe's 
von Sturmfeder. Mit vier Federzeichnungen. Leipzig, 

adowig., 8. 10 Ror. 

Der alte Demagog, ober Abenteuer und Schickſale eines 
Weltbürgerd. Vom Verfaſſer ber Chronique scandaleuse des 
päpftiihen Hofes. Leipzig, Peter. Thlr. 5 Rgr. 

Egon Ein Roman von Suſt av vom See 3 Theile. 
Leipzig, Wienbrack. 8. 3 Thlr. TY, Nor. 

Die Entfheidungsgründe der Juriftenfacultät gu Jena, zu 
—* Erkenntniſſe im Reichsgraͤflich Bentinck'ſchen Succeſſione⸗ 
ß eiter han noanat mit Anmertungen. Oldenburg, Gtalling. 

Ban ald. H. Geschichte des Volkes Israel bis Christus. 
ister Band. "Göttingen, Dieterich. Gr. 8, 1 Thir. 20 Ngr. 

Fahne, A., Diplomatifche Beiträge zur @efchichte ber 
Baumeifter des kölner Domes und ber bei biefem Werke thätig 
gewefenen Künftler. Mit Urkunden, architektoniſchen Xbbilbun, 
gen und einer Karte. Köin, Du Mont» Schauberg. Gr. 8. 

A _Ror. 

Follen, 4. &. E., Das Ribelungenlieb im Ton unſerer 
Bolkslieder. After Theil: Giegfrieb’s Tod. Zürich, Eiterarifches 
Comptoir. Gr. 8. 15 Nor. 

Haupt, A., Bamberger Legenden und Sagen. Bamberg, 
Keindi. 1842. &r. 8. 

2 Theile. 


gr. 

Heller, R., Eine neue Welt. 
Pierer. 2 Ihr. 20 Nor. 
Hofmann, 3. © K., Des Herrn Julius Wiggers Bes 
zuf zum öffentlichen Anftäger I der Iutherifchen Kirche, geprüft. 
Koftod, Stiller. 8. TR 

Humboldt’s, W. v., gesammelte Werke. 
äter Band. Berlin, Reimer. Gr. 8, 4 Thlr. 

Jahrbuͤcher ber deutſchen Turnkunſt. Serausgegeben von 


Altenburg, 


öter und 


8. Euler. Iftes Deft. Danzig, Anbuth. Gr. 12. Ti, Nor. 
Kähler, ©. N., Keine Kirchen: Agende! Gin Ausruf. 
Kiel, Schwere. or 8 3% Nor. 

Karfen, 6 . J. B., 5 ſophie der Chemie. Berlin, 
Keimer. Gr. 8. 1Thlr. 1 

Kaslow, 


Puſchkin, — Eine Sammlung aus 
ihren Gedichten. Aus dem Ruſſiſchen uͤberſezt von F. Boden; 
Rebe arig Kollmann. Br. 12. 1 Thir. 

Kühne, F. G., Mein Carneval in Berlin 1843. Brauns 
ſchweig, Weftermann. 9 Ngr 

Die Liberalen ber Gegenwart und ihr Streben nad) Preß⸗ 
freigeit. Ein Zeitthema, vom volksthuͤmlichen Standpunkte aus 
beleuchtet durch einen preußiſchen Staatsmann. Grimma, Vers 
lagscomptoir. Gr. 12. 12%, Nor. 

Lodore. Won dem Verfaſſer bes „Frankenſtein“. Nach dem 
Engliſchen von des Überfegerin von Frauenlohn unb bemfelben 
Sue gewibmet. 2 Bände. Altenburg, Pierer. K1.8. 3 Chir. 

Nor. 


Verantwortlicher Derausgeber: 


Lorenz, wilbetmine io ber Daͤnenprien; Reman. 
keipꝛie Wienbrack. 1 Thir. 1 
eynder, $ —e dramatiſches Gedicht mit 
Genien. Ri fünf ufzügen. een Sort. Gr. 16. 1 Thir. 10 fgr, 
(ter, W., Die ſaͤchſiſche Schweiz. Sagen⸗Cycin 
Beriin, — Berlagebuchhandiung. 8. 25 Rgr. 
6. Nelly, Blüten aus Zeichens ‚goldenen Auen. 3 Theile 
Leipzig, Wienbrad. 8. 3 Thlr. 1 
ine unpolitifdge — en Parteien des Kan 
tons Zürich gehalten von Jedediah Baudelius Enzian. 
Winterthur, Steiner. 4. Nor. 
Nitzsch, K. W., Polybius. Zur Geschichte antiker 
Politik und Historiographie, Kiel, Schwers. 1842, Gr.8, 


221, Ngr. 
Dtto, Eouife, Eubwig der Kellner. Roman. 2 Bände. 
bes Kia 


keipzig, Wiendrad. 8. 2 Thir. 7%, Rgr. 

Petition an die hohe Ständeverfammlung igeeiht 
Sachſen, betreffend ben Schutz ber echte an literariihen Er 
zeugniffen. Leipzig, Leo. @r. 4. 6 Nor. 

Petition an biefelbe um Derftellung eines angemeffenen und 
wirkſamen Rechtsſchutzes für bas Sigenttum dramatiſcher Auto: 
ren und Öperncomponiften an ihren Werken, gegenüber den 
Buͤhnendirectionen. Leipzig, Leo. Gr. 4. 5 Rgr. 

Proteflantismus und Kirchenglaube. Bedenken eines Laien an 
bie peoteftantifchen Zreunde. Glogau, Blemming. Gr. 8. 18%, Nor. 

Der Proceß Saumartin » Sirey s Heinefetter. Ron einem 
Augenzeugen. Leipzig, Herbig. Ki. 8. LE Nor. 

Ritter, C., Die Erdkunde im Berhaͤltniß zur Natur und 
zur Gefchichte des Denfchen, ober allgemeine vergleidende Geo⸗ 
graphie, als fichere Grundlage des Studiums und Unterrichts 
in „abnßtalifcgen und hiſtoriſchen Wiffenfchaften. IOter Theil. 
( Ites Buch. Weftafien.) 2te flark vermehrte und umgearbeitete 
Yufloge. — Auch unter dem Titel: Die Erdkunde von Aſien. 
Ttee Band. Ifte Abtbeilung: Das Gtufeniand des Euphrat⸗ 
und Ligeisfofleme. Berlin, Reimer. Gr. 8. 4hit. B Ngr. 

Aufl, J., Wie entgeht man ber Armuth? ine Anwei⸗ 
fung, wie man mit Sicherheit zu einem ehrenhaften Wohlſtande 
gelangen, alſo fi dor Armuth bewahren und felbft wieber ents 
reißen kann. ‚Reime. Gr. 8. 1 Thle 

Schober, © ud ber Jugend. —* Sonetten und Lie⸗ 


dern. Bamberg, Züberlein. Gr. 8. 
Schubar, 8, Louiſe. Aus den — eines Gtaates 
mannes. Berlin, veymann. 8. 1 Thir. 10 Ragr. 


ggrrbien, Rußland und die Türkei. Berlin, Ehriver. 8. 
gr. 

Sommer, F. v., Kart ber Zweite, König von England. 
in bhiftorifher Roman, nad) Quellen bearbeitet. 2 Theile. 
Berlin, Morin. Gr. 13, 2 Thlr. 15 Nor. 

Struve, G.v., Die Geschichte der Phrenologie. Hei- 
delberg, Groos. Gr. 8. Ngr. 

— — Über Tobeöftrafen, Behandlung der Strafgefangenen 
und Zurckhnungsfäpigkeit, mit befonderer Rückficht af ben Cat⸗ 
wurf eines Strafgelegbudis für das Großherzogthum Baden. 
Heidelberg, Grood. Gr. 8. 5 Nor 

Zafchenbuch für angehende Zußreifende, @ine ber dentſchen 
Inge gewidmete Fruͤhlingsgabe. Iena, Frommann. &. 12. 


Nor. 
Über bie Banken. Bon einem ſchwediſchen Büren. Deu 
von 8. E. Zeller. Leipzig, So. Gr. 8. 11Y,R 

Wehl, B., Berliner Wespen. Iftes Heft. 88 Ph. 
Reclam jun. Gr. 16. 5 Ngr. 

Weinhol z, K., Die fpeculative Methode und bie natuͤr⸗ 
liche Gntwitelungsmeile, erwogen. Roſtock, Stiller. Gr 8. 
1 Thlr. 15 Nor. 


Hierzu eine Beilage: e *. ur litere 
zifche Seitums, DR 8 





Deinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. 4. Brockhaus in u Te 














Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung, 





Freitag, 





Über flämifhe Kiteratur. 

Wir Deutfchen haben bisher in mehr denn einer 
Hinſicht den Flaͤmingen großes Unrecht gethan, wenn wir 
über ihre junge Literatur uns Urtheile erlaubten. Die 
meiften Verichterftatter über biefelbe waren zu wenig mit 
ihe vertraut und faßten die Einen bloß ihre vhetoricale 
Schattenſeite allein und einzig ind Auge, während die 
UAndern, nur einige beffere ihrer Productionen kennend, 
fie mit uͤbertriebenen Lobſpruͤchen beehrten. Weide fagten 
uns viel Wahres, aber mit all dem Wahren kamen wir 
immer noch nicht ins Kare. 

Wenn wir das Wort hier noch einmal aufnehmen 
und eine nähere Beleuchtung ber flaͤmiſchen literariſchen 
Beſtrebungen verfuchen, fo glaupen wir und dazu in etwas 
befugt; mehrjähriger Aufenthalt in Belgien fegte uns in 
Stand, die Sache in der Nähe zu beobachten und une 
recht innig vertraut mit ihre zu machen. Daß an Peine 
Dartetlichleit von unferer Seite zu denken iſt, daran 
brauchen wir mol nicht zu erinnern. 

Am fügtichften vermeinen wie ba® ganze Gebiet ber 
flämifchen Literatur in drei Schulen vertheilen zu koͤn⸗ 
nen: es find die altrhetoricale, deren Gebiet Weit: 
flandern und beren. Hauptſtadt Brügge; die fi mehr 
nach Holland hinneigende genter claffifhe, auf deren 
Sahne Bondel und Bilderdijt prunfen, und die antiwerpener 
romantifhe. Man könnte noch eine vierte anneh: 
men, bie orthodorkatholiſche — Im Gegenfage zu 
den beiden, festvorhergehenden, bie wir dann ale halb⸗ 
liberal und durchaus⸗liberal bezeichnen müßten —, aber 
Diefe war bisher noch fo wenig productiv, daß wir glaus 
ben beffer zu thun, wenn wir von ihr gänzlich ſchweigen, 
ober ihrer nur in wenigen Worten beiläufig gedenken. 

Was bie Altrhetoricalen beteifft, da meint es fein 
Menſch beffer mit der Sprache und der Literatur als fie, 
aber feiner trägt auch beiden weniger zu. Unberübet 
von Allem, was um fie herum in ber Welt vorgeht, 
füpwärmen fle götterfelig in dem alten Diymp umher und 
tummeln ihren Pegaſus auf dem vielbetrappelten Pelikon. 
Ihre Specialliteratur iſt die veichfie von der Welt: da 
gibt es Deldengebichte zu Hunderten, Dramen zu Tau⸗ 
fonden und Oden und andern Meinen Kram zu Millio⸗ 
wen; Altes in wohlabgezählten Heidbenverfen (Alan: 
Weinen). Sie ſchreiben große Dichteswettlämpfe aus und 


um wie ein Schultnabe mit feinem Butterbrot; 


9. Zuni 1843. 






fchenten ben Siegen goldene und filberne Medaillen und 
feifche grüne Lorberzweige. Kurz, es ift ein herrliches Les 
ben unter diefen Leuten; fie geben mit der Unfterhlichkeit 
ber 
bürftigfte Landſchulmeiſter ſtellt ſich kuͤhn neben Homer, 
das winzigſte Kraͤmerlein fieht Horaz mit Geringſchaͤtzung 
an. Alles, was nur neu heißt, iſt ihnen in der Seele 
verhaßt. „Die Saat der Neomanen hat ſtark um ſich 
gegriffen”, ſprach der Praͤfibent der oſtender Rhetoritaner 
am letztvergangenen 4. September, als er die Preisausthei⸗ 
(ung eroͤffnete, „aber wir werben uns ihr entgegenſtemmen 
und unfere Rhetorica wieder auf den altehrwürbigen Fuß 
zurückbringen, auf dem fie in ben goldenen Tagen unferer 
Väter ſtand.“ Und als man auf dem genter Sprachcon⸗ 
greſſe den größten Nhetoricaten, den Apotheker van Loo *) 
aus Brügge fragte, ob er die Regeln ber reinen Ortho—⸗ 
graphie, welche die königliche Commilfion **) anrieth, ans 
nehmen wolle, fagte er: „Nein, bie alte Orthographie finde 
ic) in meinem Tetraglotton und in meinen Rudimentis und 
in meinem Katechismus; ihr entfagen unb meinem Staus 
ben entfagen, das ift für mich eins und daſſelbe.“ 

Aus dieſem Wenigen ſchließe man auf den Gehalt 
ber Leiftungen ber Schule. Doch wir würden uns an 
unfern Lefern verfündigen, wollten wir ihnen ein Proͤb⸗ 
hen berfelben vorenthalten. Hier denn ein ganz feifches, 
das Willkommengedicht, mit welchem ber Dekan der often- 
der Kammer feine Wartburgs: Kämpfer am 4. Sept. vo: 
sigen Jahres begrüßte: | 

Meine Herren und Kunftfreunde! 

Seid Herzlich willlommen, ihr berühmten Harfner, 
feib taufendmal willkommen auf unferm Redeſaale; auf diefem 
Saale, wo man bie Goͤtterſprache ſich paaren hört mit der 
glänzenden Dichtkunſt unferer Mutterſprache. Ja, unfere Mute 
teriprache, das Zlämifche, fo reih an Worten, fo fanft 
fließend an Ton, an ber der Belgier fich hätt, fie fol flets der 


) Diefer gab eben feine feit 1828 angefünbigte „ Dichtkunft 
ober Profobla heraus, ein Werk von 2980 Heldennerfen, in view 
Gefänge vertheilt und mit vielen lateiniſchen und ſelbſt einem grie⸗ 
chiſchen Citate ausgeftattet. Bon dem letztern ſcheint ber Autor je 
doch wenig verftanden zu baden. Wir führen ein Verschen zur 
Probe an: „Iſt es nicht die bolde Aurora Tithonus junge Braut, 
die und den DOften mit Nofenfingern entſchließt ?“ u. f. w. " 

* Über den DOrthograpbies Krieg Näheres in einer folgenden 
glittheitung. 


Ifen fein an Ihetis’ Geſtaben, auf weichem ber Barde von 
FA feinen Tempel baut. 

Kommt denn, Söhne Apollo’, au kaͤmpfen um bie 
Lkorbern; kommt, tretet in Minerva’s Geleite in die Schrans 


ten; wir bieten froben Empfang den Redelingen, bie ihre | 


Bernunft uud ihre Zelt an Sprache und Dich wenben. 

Die Ihe das Vorurtheil in fo kraͤftigen Zügen maltet and 
feine unglüdtichen Kolgen in all ihrer Graͤßlichkeit beichriebet, 
ihe, die ihre den Vortheil der Emſigkeit leuchten ließet, euer 
Lob müßte durch Kama überall verbreitet werben. 

O ihe Säulen der Kunft, euch bieten Themis 
Hände den Lorber, ber eurer wartet für eure Scharffinnigs 
keit; glänzende Ehrmedaillen beden hier bie Wände; wahre 
Brubsctiehe weihte fle für die Sieger. 

Tretet heran und lefet zu eurer Ehre eure preisbaren 
Werte; die oftendifche Geſellſchaft mit dem Wahlſpruche 
„Was reif, was grün’, bie euch brüberlich und wohl empfan⸗ 
gen fell, wird auf dem Heliton mit end ber Weisheit 


en. 

Wir müßten bier eigentlich noch Erklärungen zu 
manchem in biefem theils mit ungehenerm Enthußasmus 
empfangenen und thells mit wuͤhſam verhaltenem Lächeln 
begruͤßten Meiſterwerke geben, ziehen jedoch ver, ſtatt 
derſelben eine kurze Skizze des Preiskampfes felbfl mit: 
zutheilen, die unfern Lefern jedenfalls willkommener fein 
durfte. Haben wir doch in Deutſchland nicht mehr Ges 
Isgenheit, ein ſolches Feſt zu fehen, unb würde body gar 
Manchem der Mühe zu viel fein, darum einen Ausflug 
nad Belgien zu machen. 

MWoltte und will eine Rederykertkammer einen Wett⸗ 
kampf ausichreiben, fo fendet fie an all ihre Schweſtern 
und an die bekanntefin Harfner einen gedruckten 
Brief, in welchen fie die Preiöfragen und andere Bes 
dingungen des Kampfes mittheilt; ein folcher Brief heißt 
eine Preiskarte. Obenan auf bemfelben ſteht der 
Kttel ber Geſellſchaft, ihm folgen nach einer kleinen Ein: 
tefeung, in der Tag und Stunde des Kampfes beſtimmt 
werden, bie Fragen, welche zumeiſt didaktiſcher Natur 
find. Folgende waren die von Oſtende: 

Erſte Frage: „Die unglüdtichen Folgen des Vorur⸗ 
theils“, ein Dichtwerk von 100 — 120 Heldenverſen. 

Zweite Frage: „Der Vortheil der Emſigkeit“, cint 
fünffttopbige Ode in Werfen freier Wahl. 

Dritte Frage: „Eine Kammerftage“, in S— 123 Hel⸗ 
denverfen. 

Ehe wir weiter geben in unſerer Analyſirung ber 
Peeiskarte, müſſen wis noch einige Aufklaͤrungen geben. 
Der Inhalt der beiden erſten Fragen laͤßt den anders 
rächfeldaften Sinn der dritten Strophe des Willlommen: 

edichte nicht mehr dunkel. Kammerfrage if ein alter 
Runfiterminus. Um nämlich ſicher zu fein, daß die Kaͤmpfer 
aud ihre Gedichte ſelbſt gefertigt hatten, mußten fie in 
dem Kunffaale ein Gedicht fchreiben; dies geſchah 
meiftene auf dem Knie unb darum hieß man Dies 
Anieftüct ober, weil es in dee Kammer gefertigt war, 
Kammerfrage. Wer in einem Gedichte die Feftgefegte 
Zahl von Werfen überfchreitet, der kann nicht gekrönt 
werden, voäre feine Arbeit auch die meiſterlichſte von dee 
Welt. Go hatten bie befannten flämifchen Dichter van 


Duyſe und Mens einmal mitgerungen, aber ber Erfie I. 


flatt 150 Verſen 157 eingefandt; des Zweiten Ode hatte 
fechs Strophen ftatt fünf und ihre Gedichte blieben um 
beachtet, obmwol fie fonft beimeltem bie beiten waren. 
Doch nun zuruͤck zur Preiskarte. 

Die folgenden Preiſe ſeien den Siegern übereide 
werben : 

Erſte Frage, erſter Preis: Eine goldene Medaite, 
Zweiter Preis: Eine filberne Medaille. 

Zweite Frage, erfler Preis: Eine filberne vergoldete 
Medaille. Zweiter Preis: Eine filberne Medaille. 

Deitte Trage, erſter Preis: Eine filbeme Medaikk, 
Zweiter Preis: Eine filberne Mebaille. 

Daun felgen fübeene Mebaliten fe ben sin 
zenbften Einzug — worüber [päter mehr —, bie größte 
Zahl von Mitgliedern bei dem Zuge, die von ferufitom: 


mende Geſellſchaft, den beſten Lefer, den beflen Gin: 


ger und die befle Schrift. Nun kemmen die frnm 
Bedingungen. Wer einen Preis haben will, muß kei 
bem Kampfe gegenmärtig fein; die Leſer muͤfſen eine ber 
Astworten auf die erfle Stage prima vista herumterleſen; 
bie Sänger eine Antwort auf bie zweite Stage herunter 
fingen und natürlich feibft bie Melodie machen; bie 
Schreiber wenigſtens 60 Zeiten einfenden, ale Gedichte 
auf Minifterpapier in Folio gefchrieben fein. Zum 
Schluſſe der Preisaustheilung folge din Bat. Damit 
find wir aber noch nicht zu Ende, denn nun kommen 
noch die Preife für bie Declamateren; doch damit wollen 
wir unfere Leſer verfhonen umb ihnen nur noch den 
Schuß der Karte geben: „Alſo gefchehen in Situng 
vom 3. April 1842, Gezeichnet N. Borfiser, N. Die 
fon, NN. Kunftrichten, N. Secretair.“ Bel ben aͤltern 
Kammern kamen noch Hinzu der Prinz, Dauptmamt, 
Schatzmeiſter u. f. w. 

Der Tag des Preiskampfes ſelbſt iſt für die Stabt, 
In welcher der Streit gefeiert wird, eim echtes Beiläkf- 
Alte Straßen find mit Bäumen bepflanzt und mit Des 
peeien verziert. Fahnen in allen Karben wehen aus der 
Höhe, Triumphbogen erheben fi zu Dutzenden, bie 
meiften mit gewaltig großprablerifchen Inſchriften. Ende 
lich kommt denw der Zug, ber bie fremden Mitkaͤmpfer 
am There abhott und mit Ihnen zum Kunftfante zicht; 
wir wollen ben oflender und anfehen. 

Voran fchritt die Stadtmufit, hinter ihr kamen die 
Shüpengilden vom Stahlbogen, dem Handbogen und 
der Büchfe, jede mit ihren Wappen und Fahnen. Folgu 
der befondere rhetoricate Zug, an beffen Spitze der Zromms 
fee — benn einem ſolchen hat jebe Reberplersfemme —, 
die Standarte umd bie Fahne. Dann Fama mi dia 


riefigen Trompete — Moaͤbchen mit ſinnbildlichen Ben 
ſtellungen auf großen Schilbdern — andere mit ben neun 


Provinzen — die Üappen der Stadt, dei Königs um 


der Königin — zei Mamtulen — Schilde wi 
den Ehrendenkmnzen — noch ein Mami uw 


ned; zwei Mamluken mit dem Wappen der Geh 
ſchaft — die Kämpfer — der Vorſtand ber Geſel⸗ 
fhaft — und endlich ihe Pebell. Ungluͤcklicherweiſe fan 
ben ſich am here Sehe fremden Kammern, bie um DB 








Srets des glänzenden Einzugs mit Zronmmel und Bahne 
und Wappen gerungen hätten, und fo ging denn ber 
Zug zum Saale. 

Das Urtheil über die eingegangenen Dichtungen fiel 
gar fonderbar aus, doch echt rhetorical Immer. Ein grei⸗ 
fer Siebziger trug die drei erſten Preife bavon und das 
war kein Wunder bei den greifen Richtern: dieſe fanden 
des alten Gefellen Stuͤcke unvergleihlic, weil der Mann 
ganz grenzenlos mit dem Olymp ſich herumgefchlagen und 
dabei, wie fich einer ber Kunſtrichter ausbrüdte, „,zecht 
Präftig dreingefprochen hatte”. So hieß ed unter Anderm 
in dem getrönten Gedichte vom Vorurteil: „Es wirkt 
aus Eigennutz, aus Rachſucht, Wuth und Neid, dermeil 
es knirſcht und raft und grinft und heult und beißt“ 


nf. w. 

Noch viel koͤnnten wir fagen von dem Jubel, mit 
welchen die Gekroͤnten in ihren Städten empfangen, 
weiche Feſte ihnen zu Ehren angefiellt werden, doch wir 
hielten und wol ſchon zu lange bei dem leeren Formel» 
wefen anf. Wir wenden uns denn zu der zroeiten Schule. 

Waͤhrend wir In den Rhetoricalen einen lebensmüben 
Greis ſehen, der noch bie legten Kräfte aufbietet, um 
die feit fo mandem Jahrhundert gelieblofte Gunſt bei 
. Ehren zu erhalten und der dennoch fehen muß, daß Ihr 
Reich vergangen iſt und daß bald feine festen Trümmer 
fchroinden werden, fo tritt in der genter Schule ein mu: 
thiger Sohn jenes Alten vor uns, ein recht geſetzter 
Mann. Gleich fern von veralteter Form mie von zu 
fehr jugendlich brauferifhen Wefen, von orthodorem Kas 
tholicismus tie von wilden Atheismus, behauptet Gent 
eine gemäßigte Mitte, ber freilich mitunter die flammende 
Stute, der Adlerſchwung der Begeifterung ein bischen 
fehle, die jedoch immer noch einen gentigenden Theil Le: 
benswärme läßt, um aufs fegensreichfte für Präftiges Ge: 
deihen dee Sprache und Literatur zu forgen. Sehr nüß: 
lich wirkten auf die Schule die ohne Ende ihre auf das 
Haupt gerichteten Streiche der franzoͤſiſchen Partei; dieſe 
halten fie ſtets wach und munter; ihnen jufl haben wir 
Die Bittfcheiftenberoegung zu Gunſten des Flaͤmiſchen zu 
danken, die vor zwei Jahren ganz Belgien faft in Aufs 
ruhr brachte. Seit Gene den Sprachcongreß über bie Dr: 
thographie entſchelden fah, erhielt es noch einem andern Feind 
in einem halb flämifchen und halb franzäftfchen Club, befs 
fen Hauptfig nun Brüfjel geworden iſt; doch iſt dieſer 
beiweitem weniger gefährlich als bie ganz franzöfifch ge: 
finnten Anhänger des Hofes. Der Dauptvorwurf, ben 
diefer Club Gent macht, ift, daß es ſich zu ſehr nach 
Holland hinneige und dadurch das Beſtehen des Flaͤmi⸗ 
ſchen als eigene Sprache gefaͤhrde. 

Wie unſinnig dieſer Vorwurf erſcheinen mag, ſo liegt 
doch immer etwas Wahres darin; freilich bezieht ſich das 
Wahre nicht auf die Orthographie, im Gegentheil, es 
iſt nur fehr zu wänfden, daß beide Dialekte, das Flaͤmi⸗ 
ſche und Hollaͤndiſche, bald zu einem einigen Nieder: 
deutfch verfhmelzen; mie verſtehen vielmehr unter der 
Hinmwelgung bie faft abgöttiiche Verehrung einiger Schrift: 
fielter Hollands und brfonders des bei uns ſchon felt lange 


gerichteten Biidernijze, ben Gent nun einmal mit aler 
Gewalt nachäffen gu wollen ſcheint. Wir koͤnnten bei 
bem Dichter immer noch ein Auge zubräden, gloriſteit⸗ 
ven fie ihm nur als Gelehrten — und wie tief flcht ber 
gute Mann als ſolcher —, oder fügen fie nur den mit⸗ 
unter gar koͤſtlichen Saft, der in fo vielen feiner Gedichte 
fi wirklich in reichem Maße finder, mit andern Wor⸗ 
ten, gingen fie behutfamer mit feinen Arbeiten zu Werk; 
daran iſt aber nicht zu denken, Bilderdijt und die Dibel, 
das iſt eins und baffelbe; feine duͤmmſten Dummpeiten 
find noch Orakelſpruͤche für fie. Einer der ſchlinmſten 
Punkte in diefer Hinſicht iſt der durch Bilderdijk new 
beſtaͤrkte Gebrauch der Alexandriner. Mit allem Rechte 
ſagt Snellant im „Belgiſchen Muſeum“, IV, &, 28: 

Was ift eintöniger ale unfere Deldenverfe? 

— Wriee —— a Pi * ce un 
ein Leben ge 8 
* Literatur hinderlich ae haben? fe werben ſtets unfe 

Was hilft aber alles Prebigen, wo Bilderdijk [prach, 
die Deldenverfe ließen die allergrößte Abwechſelung zu 
und die Derameter der Griechen und Römer wären nicht 
würdig, ihnen bie Schuhe aufzuldfen; wo er und Bondel 
fo viel tanfend Heidenverſe ſchrieben. Wir Deutfchen 
haben befanntlidy den Alerandriner ſchon feit lange ver: 
laſſen; den Einwurf ſcheint Bilderdijk oft gehört, wenig⸗ 
ſtens zu hoͤren gefürchtet zu haben, darum fchrie er uns 
fammt und fonders in feiner gewöhnlichen höflicken Ma⸗ 
nier für Koddumm aus und fagte, bei uns fei nie ein 
guter Alerandriner gefchrieben worden. Freilich kannte 
der ehrliche Mann unfere Literatur fo gut als gar 
nicht, aber das ift Leinen Miederdeutfchen und am aller 
wenigften einem enter einzupredigen; er bat es gefagt, 
damit ift die Sache abgemacht. Diefer Übelſtand macht, 
daß die beften Producte aus Gent unendlich verlieren 
und für den mündlichen Vortrag nun einmal ganz und 
gar verloren find: ein Drama in Heldenverſen if bie 
fürchterlichfte aller Torturen. Es if in der That recht 
ergoͤtzlich, ſich mitunter ein ſoich Gedicht nähere anzu: 
[dauen; man fieht deutlich, wie der Verf. beim Nieder⸗ 
ſchreiben ſtets in dem, bei der Länge des Verſes nat 
ih in bie Witte fallenden Ruhepunkt fant und fpäter 
überall flidte und Lappte, um bie Caͤſur wieder wegzu⸗ 
beingen. 

Se reich an Dictern, als die Rhetoricalen, ift 
Gent nicht, doch mag es floly auf feine wenigen fein. 
Werfen wir einen flüchtigen Blick auf Diefelben. 

Der ältefte und in anderer Beziehung auch befann- 
tıfte iſt Willens, in Deutſchland beſonders geſchaͤtzt 
durch feine Ausgaben bes flaͤmiſchen „Reinhart“ und der 
„Schlacht von Woringen” von Ian van Helu. Der 
treffliche Mann hängt mit einer wahshaft rührenden Liebe 
an feiner Sprache, für welche er felbft keine Verbannung 
fcheute, denn anders mögen wir feine einflige Verſetzung 
aus dem fchönen Antwerpen nad) dem trüben Encloo 
nicht nennen; kein Wunder darum auch, wenn ihn feine 
Landsleute buchfläbiih auf den Händen tragen. Wir 
hatten Gelegenheit, einer uns tief rührenden Scene In 


dieſer Beziehung beiguwohnen. Als bas dem Sprachcon⸗ 
greſſe ſich anſchließende Feſtmahl geendet war und bie 
fremden Säfte ſich entfernt hatten, ba ſchloſſen fich bie 
Flaͤminge in engerm Kreife zufammen und Willens’ Wohl 
galt ihe erſter Toaſt; dann aber nahte ein jeder ihm und 
druͤckte einen herzlichen Kuß bei berzlicher Umarmung 
auf den «deln Mund, ber fo oft die Rechte der Sprache 
wahrend gefprochen hatte. Außer dem „Belgiſchen Mus 
feum‘‘, welches Willens ſchon feit einer Reihe von Jah: 
ven mit größtem Belfalle ebirt, und vielen Ausgaben 
älterer Sprachbentmäler danken wir ihm vorzüglich eine 
recht gute Geſchichte der flämsifchen Literatur. Seine 
UÜberſezung des „Reinhart” iſt zu einem wahren Volks⸗ 
buche geworben und erlebte bereite mehre Auflagen; nebfl 
ihe finder fi) noch eine Menge von Eleinern Gedichten 
von ihm in verfchiedenen Sammlungen. 

Am fruschtbarften als eigentliher Dichter iſt Prudenz 
van Dupfe, ein anerfannt großes Zalent. Seitdem er 
zuerft mit einer Sammlung von Poefien in Holland aufs 
trat, fleht er geachtet und geehrt, wie dort fo in Slam: 
land. Am vorzüglichften iſt er in ber Ode, in der es 
ihm wenige Niederländer gleich thun; doch handhabt er 
au die Ballade und Legende mit vielem Güde; von 
einer der lebtern, dem genter „Beginchen““, gab Eduard 
Duller eine Überfegung in der „Europa”. Als Then: 
teedichter ift er ſchwach, wenig beffer, obgleidy ungemein 
bitter und ſcharf als Satiriker. Die allgemeine Erb: 
finde, der Deldenvers, verdirbt viel an ihm, aber da iſt 
nichts daran zu beffern, benn er ift einer der riefenhafte: 
ſten Schwärmer für den „göttlichen Bilderdijk. Glei⸗ 
chen Fehler theilt mit ihm Karl Ladegand, nebſt ihm 
der begabteften Einer. Diefer findet feit einiger Zeit gar 
eine Schönheit darin, den Aterandriner in zwei mono: 
tone Theile zu theilen; wir haben lange flumm darob 
geftanden. Wie abfcheutich fein Gedicht auf die Unab⸗ 
bängigkeit von Belgien — Übrigene aud Antwort auf 
eine Preiſfrage der Regierung —, fo rein poetifch iſt fein 
„Burgſchioß von Bomergem”. Als Juriſt gab er eine Über: 
fegung des Napoleonifhen Geſetzbuchs. Philipp Blom⸗ 
maert ift ein ziemlih Ealter Dichter, wie fehr warm er 
für die Ältere Literatur gluͤht; Beweiſe für das letztere 
find feine altflaͤmiſchen Gedichte des 12. — 14. Jahrh. und 
feine Ausgaben des Theophilus und bes Lebens von 
Sanct:Amand. Auch 5. Rene kann es zu hoher Wärme 
nicht bringen und fein einziges Verdienſt bleibt mitunter 
nur die Form, in ber er Meifter if; was man ihm 
übrigens als dem Herausgeber einer jährlich erfcheinenden 
Art von Mufenalmanady zu danken hat, das weiß jeder 
Flaͤming wohl. 

(Der Beſcluß folgt.) 


——— ———— — 
Notizen. 


Zur hiſtoriſchen Literatur, die Theilung Polens 
betreffend. 

Seitdem Thiers in der Deputirtenkammer ſeinen Unwillen 

uͤber die Theilung Polens erneuert und von Friedrich dem Gro⸗ 


fen geſprochen bat, glauben mandge Zeitblaͤtter, Die Gelegenheit 
nicht vorbeigehen laſſen zu türfen, auf biefes Thema zuruͤck⸗ 
zulommen, fel ed aud) nur um ben Srminifter hiſtoriſch zu ber 
richtigen. Wir können dieſes infofern nur billigen, als jede 
Andeutung darüber, don mo jene größte aller Ungerechtig⸗ 
feiten bes vorigen Jahrhunderts ausgegangen ift und wer ben 
innern Zwiefpalt in dem ungluͤcklichen Sande ber Polen Jahr: 
zehnde lang unterhielt, um auf bie erfle Ungerechtigkeit eine 
zweite und britte folgen zu laffen, um fo willlommener fein 
muß, als bisher vielleicht Unfchutdige falfchem Verdachte bier: 
unter ausgeſeht worben find. Unſere Leſer erlauben wir über 
biefes ſtets wi bleibende Gapitel der Weitgeſchichte auf 
Dasjenige aufmerffam gu machen, was Dr. R. Eoreng, Direo 
tor des Gymnaſiums zu Ludau, im vierten Theile feiner „Als 
gemeinen Geſchichte der Völker und ihrer Cultur“ (Elberfeld 
840) darüber ſagt. Nachdem ber Berf. mit vieler Freimuͤthig⸗ 
keit und großem Rechte von Friedrich dem Großen fagt: „Rur 
im Lande Preußen ſelbſt theilte man nicht ganz die Bewunde⸗ 
rung, welche das Ausland auch noch bem alternden Könige 
zollte, dem die ganze WBebeutfamleit feines Staats auf ben 
Schultern des Kriegsheers zu ruhen ſchien“, fpricht er ſich über 
die Theilung Polens natärlih mit Unwillen aus, nennt ſchon 
das Buͤndniß 1764, woburd die Anardyie Polens garantirt 
worben fei, geradezu ‚‚einen Schandfleden‘. Dem oͤſtreſchiſchen 
Minifter Kaunig läßt er die Gerechtigkeit wiberfahren, daß er 
ih am laͤngſten gemweigert habe, auf ben ungeredhten Zerſtuͤcke⸗ 
lungsplan einzugehen, und erft durch bie Alternative: Krieg 
mit Rußland ober Zheilnahme an ber Beute, dazu befimmt 
worben fel. Bon dem Benehmen Preußens bei der zweiten Theis 
lung fagt Dr. Loreng: „Rubig faben die Polen im Bertrauen 
auf ben Beiftand Preußens 100,000 Ruffen ihren Grenzen zus 
sieben. Aber fie erfannten es, daß ein Volk feine Rettung zu: 
naͤchſt durch ſich felbft fuchen mäffe, und erfuhren, daß bie 
Gunſt der Höfe und die Freundfchaft der Starken wandelbar 
ſei. Preußens Freundſchaftsverhaͤltniß zu Polen war nicht ganz 
uneigennügig gemwelen, es ſcheute neue Anflvengungen, wo es 
feinen Erjag zu erwarten hatte, und ſchien bad revolutionnaire 
Princip in Polen zu fürchten, das mit franzöfifdden Ideen über: 
einftimmte.’’ 


Die Schweiz, unb ben Fuͤrſtabt Mauriz von Gt. 
laſien. 

In dem I Shaffhaufen erfhienenen Supplement zu Jo⸗ 
bann von Muͤller's fämmtlihen Werfen, herausgegeben von 
Maurer» Sonftant u. f. w., wirb ein Brief mitgetheilt, worin 
Kürftabt Mauriz ſchon im 3. 1796 fich mit folgenden Worten 
klagend über bie Schweiz ausfpricht: „Der große, aber unficht⸗ 
bare Bund zum Umſturz aller Religion und der monardhifden 
Staaten ift wirklich fein Unding, fondern beftebt in feiner gan 
zen fuͤrchterlichen Größe. Er bat nicht nur alle Genfuren, fons 
deen auch alle Buchhandlungen unter feinen Defpotismus ge⸗ 
bracht. Alle Werke, bie nicht den Charakter dieſes Bundes an 
der Stirne führen, find zur Guillotine verurtheilt.” In einem 
andern Briefe vom Februar 1798 theilt der Kürflabt Mauriz 
mit, daß eine ungeheure Waffe von Aufruprszetteln und Emifſ⸗ 
farien im Lande berumfliegen. Gr findet den Mercantiltheil der 
Schweiz von fchiefen @rundfägen burchbrungen ; „es mangelt in 
der Schweiz an Einheit, an Energie, an Muth.” der 
Schilderung immer trüber werbender Anfichten fagt er: „Wie 
freut e8 mich, daß ich bie alten Grundfäge, in denen id; erzos 
gen worben, rein in meinem Derzen bewahrt habe! wie freut 
es mich, baß ich cin Geiftliher von dem alten Schlage bin.” 
In einem Briefe, ben derſelbe Fürftabt 1785 noch als Archtvar 
geichrieben, kommt folgende von wahrhaft propbetifchem Geiſte 
dietirte Stelle vor: „Den Bewohnern ber Schweizerkiöfter ift zu 
wohl, daher fie auf dem Gebiete der Wiffenichaft wenig Leifte- 
ten; man barf ihnen einige Außerliche Unruhen wünfchen, um 
fie arbeitfamer und fleißiger zu machen.“ 64. 


Verantwortlicher Deraudgeber: Heinrih Brodpaud. — Drud und Verlag von F. A. Brodhaus in Leipzig. 


m. —.— | — — — — — 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 








Über flämifdhe Literatur. 
(Beſchiuß aus Nr. 108.) 

Zwei wadere Srauen fchliefen fich dieſen Herren an. 
Maria van Adere, geborene Doolanghe, riß ſchon feit 
fange die Släminge hin durch ihre ungemein anmuthigen 
umd bduftigen Lieder; ſchade nur, dag ihre immer noch 
ein leiſer Anftrich ihrer chetoricalen Erziehung bleibt. 
Jetzt ruht fie fo ziemlich und nur zuweilen noch dringt 
ein Zon von ihr aus dem fernen, einfamen Dirmulben, 
defien Bewohner fie in ber That vergoͤttern. Viel Eräf: 
tiger, frifher und origineller ſteht eine Genterin ba, 
Stau Courtmans. Diefe fehrieb und las bis zum zwan⸗ 
ztgften Lebensjahre nur franzoͤſiſch; kaum daß fie Flaͤmiſch 
fprechen konnte. Da aber ergriff fie mit einem Male 
der wieder in Slandern erwachende Nationalgeiſt; die 
Sranzofen flogen in die Ede und fie flürmte daher im 
lämifchen Liebe. Wo fie noch in Preistämpfen auftrat, 
da mußte fid Alles beugen, ausgenommen — zu Dftende, 
wo ein grauer Siebziger Ihe der Fuͤnfundzwanzigerin drei 
Dreife freitig machte. Nach Allem, was wir bisher von 
ihe fahen und hörten, zögern wir nicht, ihr das aus⸗ 
gezeichnetfte Talent zuzuerkennen, dem wir noch in Mies 
derland begegneten; nur bedarf es freilich noch recht 
fleißigee Studien. Sie bereitet eben eine Sammlung 
ihrer Gedichte zur Derausgabe vor; wollte Gott, daß fie 
uns darin mit Heldenverfen verfchonte, 

Wir mögen nicht wohl von Gent ſcheiden, ehe wir 
nicht noch einiger Männer gedenken follten, die, wenn 
auch nicht ald Dichter, doch als Gelehrte, einen hoͤchſt 
Gedeutenden Einfluß auf das Ztämifche bisher auslbten: 
es ift Dr. Snelfaert und Profeffor Bormans. Der Erftere 
erwarb fi) ſchon einen guten, klangvollen Namen duch) 
feine treffliche Abhandlung über die Geſchichte der flämi- 


ſchen Literatur bis auf Albert und Ifabelle, welcher bie 


bruͤſſeler Akademie die goldene Medaille zuerkannte. We⸗ 
nige durchſchauen gleich ihm die noch immer vielfachen 
Gebrechen der jungen Literatur, keiner fpricht fich fo offen 
dsber Ddiefelben aus, als er es in dem von ihm rebigirten 
„„Konft: en Letterblad“ feit drei Jahren that. Daß er 
auf Diele Welle einen böhft unangenehmen Stand ba: 
ben muß, iſt nicht ſchwer einzufehen; aber wir müffen 
es zu feiner Ehre fagen, er behauptet fich recht brav und 
süftig auf demſelben. Dom Profeſſor Bormans befigen 


Sonnabend, —_ Kr. 161. 


10. Juni 1848. 





wir außer Heinern Abhandlungen nur ein größeres Werk: 
es ift feine Kritik der bei der koͤniglichen Orthographie⸗ 
Commiffion eingegangenen Abhandlungen; aber dies «ine 
Buch nur muß ihm den glaͤnzendſten Namen fichern. 
Eine ſolche Tiefe und Gruͤndlichkeit, wie wir da fanden, 
tam uns faft noch in Leinen nieberbeurfchen Werke ent: 
gegen ; neben Bormans zerflicßt der riefige Bilderdijk nebft 
noh einem guten Dutzend feiner Collegen in Nichte. 
As Tateinifhen Philologen lernten wir Bormans gleich 
vortheilhaft kennen durch feine Noten zum „Reinardus 
vulpes“, den Done herausgab. Auch den genter Hoch: 
lehrer d' Hulſter mögen wir billigerweife nicht übergeben; 
wie er zuerſt mit Willems fi) auf der Lyra verfucht, fo 
fahen wir ihn zuletzt noch in der Löniglichen Commiſſion 
mit demſelben figen und eine Abhandlung über Behae⸗ 
gel's Sprachkunſt herausgeben. 
Menden wir uns denn nun zu bem weniger geſetzten 
und ernfien, mehr wild bahinbraufenden romantifchen 
Antwerpen. Da herrſcht einftweilen noch allgewaltig roth⸗ 
gluͤhende Liebe und rothſtroͤmendes Blut: Alles,„ wallet 
und ſiedet und brauſet und. ziſcht“, denn es mengt ſich 
viel Waſſer mit noch mehr Feuer; doch ſteckt immer 
noch Poeſie in dem muntern Voͤlkchen und mitunter 
recht viel Poefie, wie ſehr Dies die katholiſch⸗pietiſtiſchen Loͤwe⸗ 
ner ableugnen wollen. Es iſt wahr, gehen die Autwerps 
ner noch einige Zeit fo fort, dann fehen wir von dort 
aus noch blutende Nonnen mit Dolch und Lampe, oder 
den einen oder andern Ritter Bofo den Fürchterlichen 
von Schredenflein ; aber neben fol grimmigen Producten 
werden fich immer noch ambere ediere erhalten. Sieht 
Confcience feinen „Löwen von Flandern’ — den uns Ans 
dede eben Überfegte — noch einmal genau an, dann has 
ben wir in demfelben wahrlich einen der beften Romane, 
bie noch gefchrieben wurben. Sin de Laet befigt Antwers 
pen einen ſehr guten Romandichter. Ban Rijewijd bat 
fein Auge nur auf das Volk gewendet und ſcheint einzig 
für dieſes fchreiben zu wollen; kein Wunder daher, wenn 
er mitunter etwas gar zu Blumauerifch drein tappt. Bis 
jege können wir ihm nur einen fehr geringen Shell des 
Lobes zuerfennen, mit dem ihn die damit gar freigebigen 
„Grenzboten““ überhäuften. Hätte ee nicht fein foeben ers 
fchiemenes „Baterunfer’‘ gefchrieben, wie würben ihm fein 
langes literarifches Leben prophezeien koͤnnen. Ban Kerb 


heven, der Herausgeber bes „Mordflern"", iſt gewaltig 
platt und thäte befier, die Lefer des Blattes mit feinen 
Producten zu verfhonen. Wie ſehr fruchtbar der gen: 
tee Theaterdichter van Peene tft, fo kann er ſich doch 
in al feinen Stüden nicht über das ganz Gewoͤhnliche 
erheben; beſſer macht es ein junger Antwerpener, E. Rofs 
ſaels, deffen bisherige Arbeiten bedeutende Anlagen zeigen 
und uns noch viel hoffen laſſen. 

Ein letztes Wort denn über Löwen. Dies befigt 
einen poetificenden und profalficenden Seudentenverein, 
deſſen wahrhaft wärdiger Worfiger der hochverdiente Geil: 
the Profeffor David if. Wir fahen nebft einer guten 

von Beigien und einer gleich bravem flämifchen 
Grammatik noch manche ſchoͤne Abhandlung von ihm In 
feinem „Vermittler, nebft dem ‚‚Ronft: en Letterbiad” 
bie beſte flämifche Zeitſchrift. Bon dem Vereine ſelbſt 
kennen wir wenig; die Studenten find zu ſtlaviſch un: 
terdruͤckt, ale daB fie fich frei und kraͤftig entwideln 
koͤnnten. Wer von ihnen wagte, ins Theater oder zum 
Tanze zu gehen, wer es ſich einfallen ließe, an einen 
Schläger zu denken, dee dürfte ſicherlich auf Leine Abſo⸗ 
lution in der Ofterbeichte Anfpruch machen und wie fähe 
es dann mit feinen Teſtimonien aus! 

Mas aus diefen fo verfchiedenartigen Beſtrebungen 
endlich hervorgehen wirb, da6 tft wol leicht abzufehen. 
Sind die letzten noch übrigen Stägen dere Rhetorikkam⸗ 
mern gefunten, dann werden dieſe ſich entweder ganz 
aufloͤſen, oder fi in einfache Literarifche Geſellſchaften 
umbilden, wie died ſchon an mehren Orten und unter 
andern in Antwerpen gefcheben If. Was die alten Kam⸗ 
mern ber Sprache und Literatur fo häufig waren: letzte 
Aſple, wohin beide flüchten Eonnten, das mögen fie ih⸗ 
nen in der Umwandlung immer bleiben, werben es jeboch 
hoffentlich nicht fobald fein müffen, denn bie Liebe und 
Luft am Flaͤmiſchen nimmt in bemfelben Grabe zu, als 
bee Widerwille gegen franzoͤſiſchen Leichtſinn fi mehrt. 
Ob Geut noch lange mie Dichten prunfen wird, weiß 
ich nicht; dafür wird es um fo Präftiger für eine wifs 
fenfhaftlihe Literatur forgen, die in ber That bis 
jege noch ſchlecht beftelke ifl. Antwerpen muß ausbraus 
fen, dann haben wir rechte Sntes von ihm zu erwarten; 
in ihm wird die Poeſte zulegt ihren Hauptſttz baben. 
Löwen tagen wir nice ein günfliges Prognoſtikon zu 
fielen, «6 müßte benn feine Liberale Partei mehr geben 
und die Werfaffung des Univerfitdt eine ambere werden 
und beides iſt in den naͤchſten Jahren wol noch nicht 
abzufehen. Vielleicht empfängt bie Literatur von bort 
aus noch einige ſprachwiſſenſchaftliche Werke oder, gebt 
«6 weit, ein paar caflrirte Geſchichtsbuͤcher; dabei wird es 
aber auch bleiben, denn ber Predigten und Katechismen 
und Gebetblicher, die von da und von Mecheln su Hun⸗ 
derten kommen, mögen wir nicht wohl gebenfen. 

Jedenfalls iſt nun eimmal ein Grund gelegt und eime 
Bahn bald zu breden. An Eifer und gutem Willen 
fehlt es nicht, koͤnnte berfelbe nur immer auf richtigem 
Wege gehalten werden. Vielen Rutzen bringen in letzte⸗ 
ses Beziehung bie großen genter umd antwerpener Litera⸗ 


turvereine; ein kuͤrzlich noch zu Bruͤſſel geflifteter wich 
hoffentlich feinen beiden Brüdern Eräftig in die Hand wir: 
fen. Noch Eins aber bleibt zu eringen, die Einführung 
bee Sprade auf den flämifhen Univerfitäten; könnten 
bie Flaͤminge Died zu Wege bringen, dam wäre ihnen 
gänzlich geholfen. Das aber fieht der frangsfifch:gefinnte 
Hof zu gut ein und darum bietet er im Verein mir ben 
Minifterien Alles auf, um’ jede Frage darnach gleich als 
Stage zu erfliden, ehe fie noch zu einer Discuffion in 
den Kammern gelangen kann. Daß dies hoͤchſt unge: 
vecht If, leider keinen Zweifel, doch es iſt nun einmal 
fo und Befleres muß die Folge bringen. 
J. W. Wolf. 





Franz von Fuürſtenberg. 


Franz von Fuͤrſtenberg. Deſſen Leben und Wirken nebſt ſeinen 
Sehriften über Erziehmmg und UNnterricht. Bon Wilhelim 
Eſſer. Muͤnſter, Deiters. 1842. Gr. 8. 1&hir. 15 Nee. 


Diefe Lebensgeſchichte iſt fo einfach und ſchticht geſchrieben 
als es der Charakter und bad Weſen des ausgezeichneten Man⸗ 
nes waren, der ihr Gegenſtand und Inhalt if. Denn es iſt 
nicht das geräufchvolle Leben und Wirken eines gewaltigen Er⸗ 
oberers, oder eines mächtigen Geiſtes, ber etwa die Seſchicke 
Europas in der Weife eines Richelien ober Ü 
hätte, das uns bier vorgeführt wird, fondern das Leben unb 
Wirken eines Mannes, der in einem befchräntten Birkungs⸗ 
kreiſe mit befchränkten Mitteln und mit manderlei Schwierige 
keiten und Hinderniſſen Lämpfend dennoch eine wahrhaft große 
und fegensreiche Wirkſamkeit geübt hat. 

Friedrich Wilhelm Franz, Freiherr von Kürftenberg, einem 
der diteſten abeligen Geſchlechter Deutfchlands angehörenb, ward 
am 7. Aug. 1728 auf feinem väterlichen Stammgute Herderingen 
in Weflfalen geboren. Wie das Meifle bei Erziehung und 
Unterricht auf die Geiſtes⸗ und Gharakteranlagen ankommt, 
d. i. wie felbft die befle Erziehung und der forgfältigfte Uns 
tereicht bei dem Mangel an Geiſtes⸗ und Gharakteranlage 
nur ſehr wenig, dagegen bei vorhandener Geiſtes⸗ und 
Sharakteranlage ſelbſt bie nachläffigfte Erziehung unb ber 
mangelbaftefte Unterriht fehr viel” ausrichten und bewir— 
ten ®önnen, zeigt auch dad Beifpiel unfers Fuͤrſtenberg, um 
deſſen Grzirhung ſich der Kater wenig kümmerte und deſſen 
Unterricht er einem zufällig auf ber bfiraße aufgegriffenen 
Körner, ber einen Iateinifchen Fluch ausgeftloßen hatte unb 
ehemals Theolog geweien war, anvertraute. Diefer Päbagog 
betrieb ben Unterricht mit einer wahren Donnerfiimme und mit 
fo heftigen Sefticulatonen, daß der Tiſch umfiel und bie in ber 
Nähe befindliche beforgte Mutter in das Sculzimmer flärgte 
und bem ungeflümen Giferer heftige Vorwuͤrfe machte. 
der Sohn ruft ihr berupigenb zu: „Geh' nur, Mutter, «8 
iſt beffer, der Tiſch bekommt's, als wir.” Dennod mag biefe 
energiſche Weife bes Erzlehers viel zur Gntwidelung jener 
Energie des Gharakters beigetragen haben, durch die fick anfer 

nberg in ber Folge in feinen Verpäitniffen als Minifker 
und ale Gurator des Schul⸗ und Unterrichtäweiens im Miän: 
ferlande fo ſehr auszeichnete. Inzwifchen hat ihn fo wenig, 
wie überhaupt irgend einen großen Wann, bie Schulftube, fons 


dern nur das Leben gum großen Manne erzogen. Denn nad 
dem ibm bereits im W. Jahre feines Alters (1748) eine Pr 


bende an dem hochſtiftlich münfterfihen Domcapitel zu Aeil 
geworben war, bradıte ihn fein Werhättniß als Domberr 

bes Siebenjähigen Krieges, defien Schau⸗ und Zummelplag yrm 
heil das Diünfterland war, nicht nur mit den Felbherren der 
beiderfeitigen Heerr, fonbern auch mit ben auegezeichneten unb 
bebeutenden Mannern in Beruͤhrung, bie ſich ders bei dem 


von dem nb von Mrnunfdiweig vers 
bündeten Deere befanden, al& namentiich mit dem Grafen Wil⸗ 
helm zu Schaumburg» Lippe und dem Generat Heinrich Lloyd. 
Fürftenberg , an Geift, Gemüth und Charakter ein Wahl⸗ 
Verwandter von diefen beiden, burch Driginalität des Geiſtes 
und Charakters, fowie durch ihre großen Kenntniffe in der 
Kriegswiffenfhaft und Staatskunſt ausgezeichneten Männern, 
mußte fi) natürlich bald durch die Bande der unzertrenntichften 
und innigſten Freundſchaft mit ihnen verbunden finden, und es 
konnte nicht fehlen, daß der freumdfchafttiche Verkehr mit ſolchen 
Männern, der gegenfeitige Ideen⸗ und Gedankenaustauſch unter 
und mit ihnen einen wichtigen und für das ganze Leben ent⸗ 
ſcheidenden Einfluß nicht nur auf die Bildung feines Charakters, 
fondern auch auf die ganze Richtung feiner Ideen und Anfichten 
über politiſche Berhaͤltniſſe und Zuftände, ſowie auch in Bezug 
auf die Regierung und Bermaltung eines Staats, insbefondere 
aber in Bezug auf die Stellung und bie Intereffen ber klei⸗ 
nen deutſchen Staaten in ihren Berhältniflen zu ben grös 
Gern hatte. Es wurden bei unferm Fuͤrſtenberg ſowol durch 
den freundfchaftlidhen Umgang mit den beiden genannten 
ausgezeichneten Männern, die mit ihm übereinflimmende Ideen 
und Änſichten hatten, als auch durch die furchtbaren Verhee⸗ 
zungen und Verwuͤſtungen des Giebenjährigen Krieges, beren 
Augenzeuge er war und die nur zu lebhaft an die grauenpollen 
VBerheerungen bes Dreißigjährigen Krieges erinnern mußten, in 
dieſer Beziehung been und Anſichten gewedt, bie über feine 
Seit binauslagen und daher von berfelben weber begriffen noch 
gewürdigt wurben. Wie der fo originelle und ausgezeichnete 
Graf Wilhelm von Schaumburg⸗kippe über feiner Zeit 
Hand, fo auch Pürftenderg, ber mit jenem bie Anficht 
theilte, daß die Abwehr ähnlicher Greuel und Schreckniſſe von 
ben deutfchen Staaten und überhaupt die Rettung des deutſchen 
Reichs, der deutſchen Volksthuͤmlichkeit und Unabhängigkeit den 
fremden Mächten, namentlich Frankreich gegenüber, nur dadurch 
möglidy werden dürfte, daß man das Volk wehrhaft und waffen: 
geübt made. Wenn man bie Schilderung lieſt, die uns 
ber Verf. vorliegender Schrift von ben Greueln und Verwuͤſtun⸗ 
en des Giebenzährigen Krieges in jenem Theile unfers deut: 
chen Baterlandes buch feindliche und freundliche Deere gibt — in 
andern Theilen des deutlichen Vaterlandes, bie ein Schau⸗ und 
Zummelplag jenes furdhtbaren Krieged waren, waren fie natürs 
lich nicht minder groß —, von ben unſaglichen Erpreffungen 
und Plackereien, die ſich beibe Theile gegen das Land und beflen 
Bewohner auf bie fehonungstofefte Weife erlaubten, unb wo⸗ 
durch es faft gaͤnzlich zu Grunde gerichtet wurde, fo bes 
greift man volllommen, wie ein fo großfinniges, feuriges und 
vaterlandsliebendes Gemuͤth wie das unfers Kürftenberg es 
war, unb ein @eift wie ber feine, wol auf ben Gebans 
ten von einer allgemeinen Volksbewaffnung, als dem einzigen 
Mittel geführt werben konnte und gewiffermaßen werben mußte, 
durch deſſen Anwendung fi allein mit Erfolg die Abwendung 
fo großer Übel und fo ſchwerer Heimfuchungen von dem beutfchen 
Batertande hoffen ließ: nämlich durch die Bildung von Volkes 
heeren. Indem er biefe Ideen ſpaͤterhin in feiner Gigenfchaft 
als Minifter in dem kleinen Wünfterlande in Anwendung zu 
Bringen verfuchte, war er gewiffermaßen ein Seher in bie Bus 
kunft. Allein es ging ihm, wie es noch Jedem ergangen ift, 
den feine Zeit nidyt begreift: man verlachte ober verfpottete 
feine mititatrifchen Einrichtungen und Anordnungen und betradh: 
tete fie entweder nur als eine feltfame Brille ober gar als eine 
Läcdherliche Don Qufroterie, und freilich, fofern man fie nur in 
ihrer vereinzelten Beziehung auf das Feine Muͤnſterland auffaßte, 
Bonnten fie leicht als ſolche erfcyeinen. Es bedurfte exft fo gros 
Ber, ſchwerer und nachdruͤckücher Erfahrungen und Lehren, wie 
fie die verhängnißeollen Jahre von 1806 und 1807 in ihrem 
Gefolge hatten, um ſolchen kuͤhnen und großartigen Ideen 

Geltung und allgemeinen Gingang u v ffen. 
Schon in feinem 34. Sabre warb Faͤrſtenberg nad) 
burg bie erwähnten NWerhäitniffe und SBegiehungen 


ertangten tichtigen Merbitbung, bei ber er ar fein 
eigener Lehrer geweſen war, als Minifter, Seheimer Conferen 
rath, Generaldicar und Gurator ber hoͤhern Lehranſtalten an ve 
pipe aller Angelegenheiten bes Münfteriandes geſtellt (1762), und 
in biefem umfaffenden Wirkungsfreife entfaltete ex bis zu feinem 
Ausiheiden als Minifter (1750) nad) allen Seiten und Richtun⸗ 
gen hin die großartigfe und umfafjendfte Thaͤtigkeit, um das 
in allen Beziehungen faft gänglich zu Grunde gerichtete Band 
wieder in feinen blühenden Zuftand ber öffentlichen Wohlfahrt 
zu verfegen. Die Löfung diefer großen und fchiweren Aufgabe 
gelang ihm über Erwarten und fein Wirken erfcheint in dieſer 
Beziehung als fo wahrtaft groß, baß er ſich dadurch einen 
ausgezeichneten Pag unter den großen beutfchen Charakteren 
vollflommen verdient und erworben hat. 

Er fand bei dem Antritt feines Minifteriums den Wohl⸗ 
ftand bes Landes dusch die Greuel des Siebenjährigen Kriege 
nicht nur faft ganz vernichtet, fonbern es nody außerbem mit 
ben brüdendften Schulden belaftet. Ferner druͤckten alle Gemein⸗ 
beiten und den größten Theil der einzeinen Unterthanen übers 
häufte Schulden, wozu noch kam, daß fie durch Einquartirungen 
und Fouragirungen, durch Lieferungen und Gontributionen ers 
ſchoͤpft, daß ihre Gebaͤude und Mdergeräthe zerftört, ihr Pferde⸗ 
und Biehſtand zu Grunde gerichtet waren und die Ader 
dde und verwüflet lagen. Dem Minifter von Fuͤrſtenberg gelang 
e6 durch die gang einfache Maßregel einer nicht drüdenben Per« 
fonenfchagung, die es ihm ungeachtet mancherlei Schwierigkeiten, 
Hinderniffe und Ginwendimgen, die von Seiten einzelner Stände, 
namentlich der Geiſtlichkeit bes zweiten Ranges, bawiber erhoben 
und gemadjt wurben, einzuführen glücte, ben zerrütteten Wohl⸗ 
fland des Landes binnen kurzem in all feinen heilen wieder⸗ 
berzuftellen und die Schulden zu tilgen. Auch die Verſchoͤnerung 
ber Hauptfladt war, nachdem dem Bauptbebürfniffe bes Landes 
durch Tilgung ber Schulden genügt war, fein Verdienſt und 
Werl, indem er die Feſtungswerke bemolicen ließ. 

Ebenſo verbient wie um eine verbeſſerte Militairverfaſſung, 
woräber wir uns ſchon ausgefprodyen haben, machte fidy der Mi: 
nifter Zürftenderg um die Verbefferung bes Medicinalweſens und 
ber Juſtiz; kurz, er war nicht blos der Wieberherfteller, fondern 
auch ber Reformator des Pleinen Staats, da ihm Kurfärft Dari- 
mitian Friedrich völlig freie Hand in Bezug auf die Landesderwal⸗ 
tung ließ. Aber fogar eine noch größere, eingreifendere und umfafs 
fendere Wirkſamkeit war ihm in diefer Beziehung in Ausficht geſtellt, 
ba ihm der Kurfürft, ber ſich bereits demjenigen Alter zu nähern 
anfing, wo ihm ein Goabjutor erwünfcht fein mußte, mehrmals 
erklärt hatte, daß er in dem Hochſtift Muͤnſter keinen Andern als ihn 
zu feinem Nachfolger wuͤnſche, und daß, falls zunehmendes Alter 
oder fonft andere Gründe ihn beflimmen follten, einen Coadjutor 
für das Hochſtift zu begehren, er dies nie anders thun werde, 
ats wenn er fich zuvor verfidhert Halten koͤnne, daß die Wahl 
bed Domcapitels auf Bürftenberg fallen werbe. Da dieſe Befinnung 
des Kurfürften allgemein befannt war, fo wurde Bürftenberg 
bereitö überall ats kuͤnftiger Regent betrachtet und biefer burfte 
fid feinerfeits der froben Hoffnung hingeben, dereinſt als ans 
besfürft, Bifchof und Reihefürft für die Plane, die feine ganze 
Seele füllten, in größern Kreifen und mit mehr Nachdruck 
wirken zu koͤnnen. Inzwiſchen war bereits die Aufmerkſam⸗ 
keit der Höfe von Wien und Berlin auf bie Wahl eines Goab⸗ 
jutors für die Länder des Kurfürften von Koͤin und Muͤnſter 
gelenkt worden, noch ehe biefer einen Goabjutor begehrt hatte, 
indem jener fi für den jüngften Sohn ber Kaiferin Maria 
Thereſia, Maximilian Yranz, um die Goabjutorie bewarb, 
diefer aber bei deu damals gzwiſchen beiden Höfen beftehenden 
für Deutichtand fo ungluͤcktichen Sivalität jenen Beftrebungen 
beö wiener Def entgegenwirkte und fie aus allen Kräften zu 
vereiteln ſuchte, um eme Vermehrung bes oͤſtreichiſchen Ein- 
fluſſes tim nordweſtlichen Deutfchland u .Nicht ohne 
Intereffe iſt die in dem vorliegenden Werke gegebeme hiſtorifche 
Darftellung von dem Gange der Berbanblungen in Bezug auf 
dieſe für Die damalige Zeit ſehr wichtige policiſche Frage, ſowie 


von em dadel von beiden Geiten in 


fpiet, in bem zuletzt bie biplomatifche ——— des een 


Sefandten, Grafen Metternich von Winneburg, ben Sieg über 
die preußifchen Unterbänbter Dohm und den General Wolfersborf 
davontrug; hauptſaͤchlich deshalb, weil biefe beiden genannten 
Männer mandyen biplematifchen Mitgriff und mandje biplomas 
tifche Unvorfichtigkeit begingen, und weil Friedrich der Große 
nicht gefonnen war, es um biefer Angelegenheit willen, fo unan» 
enebm ihm auch die Wahl eines oͤſtreichiſchen Erzherzogs zum 
—** des Erzſtifts Koͤn war und fein mußte, zu einem 
eenfltihen Bruche mit Öftreih kommen zu laſſen. Go ward 
denn der Erzherzog Franz Marimitian als einflimmig gewählter 
Goabjutor des Erzſtifts Köln, ſowie auch des Hochſtifts Muͤnſter 
roclamirt. 
⸗ In Folge dieſer Wahl des Erzherzogs Franz Maximilian 
ward der Miniſter von Fuͤrſtenberg, der bei dieſer ganzen Ange⸗ 
legenheit die edelſte und uneigennuͤtigſte Vaterlandéliebe bewaͤhrt 
hatte, als ſolcher von dem Kurfuͤrſten Maximilian Friedrich, 
jedoch mit Beibehaltung feines Gehalts von 1000 Dukaten und 
des Generaloicariats ſowie der Direction des Schulweſens ent: 
laſſen. Es konnte bies keineswegs ale eine Ungnade angeſehen 
werden, in die etwa der Dinifter Zürftenberg bei dem Kurfürften 
wegen der Rolle gefallen wäre, die ee bei dieſer Anlegenheit 
gefpielt batte, als es vielmehr nur al8 bie ganz natürliche und 
nothwendige Folge von dem Umftande, daß in diefem Wahlkampfe 
diejenige Macht und Partei den Sieg davongetragen hatte, der 
er am eifrigften und mit der größten Entfchiedenheit nicht aus 
feibftifch kleinlichen Kuͤckſichten auf feine eigenen perſoͤnlichen 
Wünfdhe und Ausfichten, fondern aus wahrer, voller übers 
zeugung von ben Intereſſen des Landes, die er dadurch ger 
fährdet glaubte, widerftrebt hatte. Als eine zarte Beruͤckſich⸗ 
fihtigung für den ausgezeichneten Mann muß es übrigens ers 
fcheinen, daß das Minifterium im Münfterlande bie ganze ſpaͤ⸗ 
tere Dauer der kurfuͤrſtlichen Regierung hindurch unbeſetzt blieb, 
was natürlich auch ihm nur angenehm fein konnte. 

Der Minifter von Zürftenderg konnte feitbem feine ganze, 
volle Aufmerkſamkeit und Thaͤtigkeit der Verbefferung des Schul: 
weſens und der Schulen wibmen, und er that dies mit voller 
Seele. Um ihn gleihfam in feinem warmen Gifer und in feinen 
großartigen Beftrebungen für Kunft und Wiſſenſchaft noch mehr 
anzuregen und zu unterflügen, fügte es fi, dab er um biefe 
Zeit die Belanntfchaft einer durch Geiſt und Gharafter glei 
ausgezeichneten Frau hoben Standes, nämlich der Fürftin Amalia 
von Galligin, geborenen Bräfin von Schmettau, Gemahlin bes 
zulfifhen Gefandten im Haag, machte, die fi) balb zu ber 
unauflößlichften und innigften Kreundfchaft zwifchen beiden geftals 
tete, bergeftalt, daß fie ihr anfängliche Vorhaben, fih am 
Genferfee nieberzutaffen und dort ganz der Grgiedung ihrer 
Kinder zu leben, aufgab und ſich in Wtünfter nieberließ, um 
ſowol den ihr unentbehrlich gewordenen Umgang Fuͤrſtenberg's 
zu genießen, als auch fich feines Raths in diefer Beziehung zu 
bedienen. Beide übten gegenfeitig aufeinander einen großen 
und wichtigen Ginfluß aus, ber fi für unfern Fuͤrſtenberg 
unter Anderm auch dadurch geltend machte, daß er durch feine 
freundfchaftliche Verbindung mit diefer ausgezeichneten und eigens 
thuͤmlichen Frau in Berührung und Verbindung mit vielen ber 
ausgezeichnetfien Männer feiner Zeit, bie in dem Hauſe ber 
Be eine gaftliche Aufnahme fanden, gebracht ward, in bie er 
onft —* ekommen ſein moͤchte. Dahin gehoͤrten namentlich 
der Philoſoph Hemſterhuys, Jacobi, der Philoſoph von Pempel⸗ 
fort, der originelle Hamann aus Koͤnigsberg, ſowie auch Goethe, 
der ſich auf der Ruͤckreiſe aus der Champagne, wohin er den 
Herzog von Weimar begleitet hatte, einige Tage im Hauſe der 
Fuͤrſtin aufhielt. Im J. 1800 kam noch ber Graf Friedrich 
Leopold zu Stolberg hinzu, der mit feiner Familie feinen 
Wohnſitz in Münfter genommen hatte und hier nebft feiner 
Gemahlin und feinen Kindern zur katholiſchen Religion übertrat. 

(Der Beldtuß folgt.) 


Literarifhe Notizen aus England. 


Eine Geſchichte unferer Beit. 

Bon bem Verf. des Werkes: „The court and times of 
Frederick the Great’ erfchien ber erfle Band einer: „History 
of our own times”, mit Jiluſtrationen. Aus ber Vorrede ents 
nehmen wir folgende Stelle: „Dies Werl wird alle jene außer 
ordentlichen Scenen ber franzöfifchen Revolution aufroflen unb 
die Greigniffe der langen Reihe von Kriegen berfeiben , weiche 
in allen Theilen des Erdballs auf diefe Revolution folgten, bie 
Gelbftdefreiung der fpanifch » amerilanifdgen Colonien, die Bes 
freiung Griechenlands vom tuͤrkiſchen Joche, der kühntrogige 
aber unglüdtiche Aufftand der Polen, das Verpflanzen ber franz 
zöftfchen Krone auf einen neuen Zweig bes Hauſes ber WBourbons, 
die Gründung bes Königreichs Belgien und bie graufamen Buͤr⸗ 
gerkriege in Spanien bilden die neuern Züge in diefem großen 
bewegten Drama. Es ift wol kaum nöthig hinzuzufügen, daß 
die Mittel, durch weiche das läd und die Macht des britiſchen 
Reiches während dem von Stufe zu Stufe ausgebreitet und bes 
feftigt wurden, bie befondere Aufmerkſamkeit des Geſchichtsſchrei⸗ 
bers in Anfprudy nehmen werden. Kurz, er wird fireben, in 
populairer Form eine glaubwürbige und unparteiifche Chronik 
aller wichtigen Greigniffe zu liefern, welche im Laufe ber lesten 
50 Jahre geichapen. Man fieht ſchon aus biefer Stelle, daß 
die Ereigniffe in Deutſchland, Das, was 1830 und fpäter in 
Braunfhweig, Sachſen, Helfen u. |. f. geſchah, die innen 
politiſchen und mercantiten Gntwidelungen in Deutfchland, bie 
veligiöfen Spaltungen, ber Zollverein u. f. w., wie gewöhnlich 
in Geſchichtswerken fremder Zunge, hoͤchſtens eine nur beildufige 
Rolle fpielen werden; bean Deutſchland ift in ber citieten Stelle 
nicht einmal angedeutet. Man betrachtet Deutſchland in polie 
tiſcher Dinficht immer noch wie ein unreifes Kind, welches da 
lat, wo andere Voͤlker verftänblich ſprechen; aber man verftebt 
uns im Auslande nicht, weil wir fo durch⸗ und untereinander 
raifonniren, baß wir uns felbft nicht verftehen, und unfere klein⸗ 
lihen Particularintereffen «ine großartige Rationalentwidelung 
nicht zu Stande fommen laflen. Bögen bie Eeiter unferer ſtillen 
und gemuͤthlichen Entwidelungen bebenfen, baß fie unfern Credit 
im Austande befefligen, wenn fie dur Liberale Inſtitutionen 
das Volk in ſich feitigen, jede engbeezige Anficht aufgeben unb 
nicht das bloße Gefchrei um beutfche Einheit, fonbern die Sache 
und bad Wefen ber deutſchen Einheit fördern. Die Ehre der 
deutfchen Nation vor der Weltgefchichte wie vor dem Auslande 
zu vertreten, iſt doch wahrlich eine würbige Aufgabe, welche 
des Schweißes der Edeln werth ift! 


Eine poetifhe Reife durch DOftindien. 

„Days in the East‘ heißt ein Gedicht von 3. H. Burke, 
worin die Erinnerungen eines Offizierd von ber Armee ber Oft⸗ 
indifhen Compagnie verfificirt find, Grinnerungen an eine Seife 
von Bombay aus durch mehre der weftlichen Provinzen Indiens. 
Das Gedicht iſt am Word des Schiffs entitanden, auf welchem 
der Verf. nad) England zurückkehrte; er wollte fi dadurch bie 
Langeweile vertreiben, weiche bei einer fo langwierigen Geereife 
unvermeidlich ifts außerdem litt der ehrenwerthe KRriegemanz 
noch an einer Kränktichleit, weiche ihm das Klima Oſtindiens 
zugezogen batte. Das Gebicht erfcheint wie ein zweiter ab⸗ 
gebämpfter „„Childe Harold’ und {ft ganz in derfelben Weiſe und 
Stanzenform, aber natürlich nicht im entfernteften mit dem 
poetifchen Geifte deffelben geſchrieben. Das Gedicht mag für 
einen Invaliden ein ganz erfprießliches Mittel gegen bie Lange 
weile einer Seereiſe geweſen feins aber daffelbe Mittel hat nicht 
bei jebem Kranken benfelben Erfolg, und obgleich das Pubu- 
cum auch an Ennui zu leiden ſcheint, wirb das Gedicht nicht 
im Stande fein, das Yublicum fo von biefer Krankheit, an der 
man nidgt flirbt, zu beilen, mie es den Berf. davon erloͤſte 3 
vielmehr möchte es das Übel nur fleigern. 18. 





VBerantwortlicher Deranögebes: OHeinrich Brodpaut. — Drud und Werlag von F. U. Brodyans in Leipzis. 





a. ma u: ww u ww me — — 
‘ 


— 1% 


So enthält die erſte Serie: „Les 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Sonntag, 





Neueſte Sprichwoͤrter-Literatur. 


I. Le livre des proverbes francais, par Le Roux de Lincy. 
Zwei Bände. Paris 1842. 

3. Dictionnaire “tymolegique, histerigue et anecdotique des 
proverbes ot des locations proverbiales de la langue fran- 
caise, en rapport avec des proverbes et des locutions 

. proverbiales des autres langues. Par P. M. Quitard. 
Paris 1842. 

3. Kıiofterfpiegei in Sprichwoͤrtern, Spipreben, Anelboten und 
Kanzeifihden. Bern, Jenni Sohn. 1841. Gr. 8. 15 Rgr. 

4. Sprichwörter und Spruchreden der Deutichen. 
ben von G. D. Marbach. Mit Holzfchnitten. Leipzig, D. 
Wigand. 8. Ne. 

5. SPretiofen beutfcher Sprichwoͤrter, mit Variationen von Karl 
Steiger. Gin Angebinde auf alle Tage des Jahres. Gt. 

. Ballen, Scheitiin und Zollilofer. 1843. Sr. 3. 1 Ihr. 15 Rer. 

Wie uns Die Pflanzenwelt mit ihren zahllofen, in reis 
gender Mannichfaltigkeit immerfort neu auffprießenden Blaͤt⸗ 
tern, Blumen und Fruͤchten immerfort von neuem anzieht, 
daß wir und auch des Bekannteſten und Altäglichften 
zu feiner Zeit erfreuen und deſſen gebrauchen, fo behalten 
auch die Sprichwörter ihren Immerfort neuen Reiz im 
Sanzen ımd Einzelnen; fie vergegenmwärtigen uns Erfah 
wungen, Gemüthszuftände, Begegniffe ganz ebenfo lebhaft, 
wie und 3. B. Korfblumen das Bild eines wogenden 
Getreidefeldes vor die Seele bringen und ein Strauß von 
Haideblumen uns im Geift die ganze Herrlichkeit von 
Wald und Fels erſchließt. 

Won dieſem Gefichtspunkt aus ſcheint es weniger auf: 

fallend, daß auch in unſern Tagen, wo ſowol Theorie als 

Praxis, mehr großhaͤndleriſch auftretend, den Kleinhandel 

der Sprichwoͤrterweisheit nur fo Über die Achſeln anzu⸗ 

fohen gewohnt find, dennoch das Gebiet ber letztern noch 
immer ſo emſig durchforſcht und bearbeitet wird und die 

Theilnahme der Gebildeten an dieſen Dingen keineswegs 

erkaltet iſt, wie ſolches die ſich faſt draͤngenden Erſchei⸗ 

nungen dieſer Art Doch wol genugſam bezeugen. 

Mr. 1. Das erſte une vorliegende Wert: „Le livre 
des proverbes frangais”, von Le Rour de Lincy, zeichnet 
fih vor allen feiner Art ſowol duch Vollſtaͤndigkeit als 
Anordnung aus und zungt von guter Kritik und einer 
außerordentlichen Beleſenheit. Es zerfällt in 15 Abſchnitte, 
in welchen die Sprichwoͤrter und Redensarten, ihrem gleich: 
mäßigen Jahaite nach, alphabetiſch zuſammengeſtellt find. 
proverbes sacres”, 


Derausgeges | 


„Dieu, Jesus-Christ“, ‚Personnages de l’Anden et da 
Noureau Testament”, ‚‚Apötres”, ‚Saints‘, „Papes”, 
„Eveques”, „Prötres”, „Moines”, Religions diverses 
autres que la religion catholique”, „Diable”, „Mytho- 
logie ancienne et moderne”. Wir theiten die Überſchrif⸗ 
tem dieſes Abfchnitts deshalb fo vollſtaͤndig mit, um es 
anfchaulih zu machen, wie umfaflend der Plan diefer Ar⸗ 
beit ift; denn ganz ebenfo reichlich find die Überſchriften 
ber übrigen 14 Abfchnitte, deren Daupttitel folgende find: 
3) und 3) „Proverbes relatifs à la nature physique“, 
4) „Relstifs aux animaux”, 5) „Belatifs & l’bomme”, 
6 —- 14) Proverbes historiques“, und alle die, welche ſich 
auf Politik, Stände, Krieg, Jagd, Spiele, Geſetzgebung, 
Handel, Gewerbe, Sitten u. f. w. beziehen, 15) „Pro- 
verbes relatifs à la morale”, 

Der Zwe des Verf. war nicht 6108, die Syrichwoͤr⸗ 
ter feines Volks zu fammeln, fondern auch, was ungleich 
ſchwieriger fein mußte, den Urfprung und die Zeit der 
Entſtehung jedes einzelnen Spricyworts, fo weit dies mög 
lich war, urkundlich nachzuweiſen, theild aus gedruckten 
Werken, thells aus zum Theil fehr alten Handſchriften; 
fowol von jenen als diefen wird, von S. LXxvu - cıx, 
ein fehr Intereffantes Verzeichniß mitgetheilt. Mit Erklaͤ⸗ 
rung und Auslegung der Sprihmörter hat ſich der Verf. 
weniger befaßt, um den Fehler der meiften Arbeiten biefer 
Art zu vermeiden, dba man Alles deuten und erflären will, 
mag es klingen oder Mappen, biegen ober brechen, wo 
denn genug naͤrriſcher Gelahrtheit und unnuͤtzen Scharfe 
finns zu Tage kommt. 

Der kurzen Vorrede folgt ein „Essai sur la philono- 
phie de Sanche” von Ferdinand Denis. Man definire 
die Sprichwörter fchlecht als die Weisheit der Voͤlker; fie 
feten vielmehr nichts Anderes, als nur bie lebendige Stimme 
ber Menfchheit, de cette humanit€ qui parle, pleure 
ou rit toujours, et qui ne se taira jamais’. Die 
Sprichwörter feien deshalb auch gleichzeitig mit dem erſten 
Leiden und Schnen des Menfchen; fie feten entilanden, 
als er es zuerſt gewagt habe, fich uͤber fein Elend zu troͤ⸗ 
Ken und fi über ſeine Tyrannen luſtig zu machen. 
Weniger ſentimental und gruͤndlicher iſt dagegen, was 
©. vm gefagt wird: „Manches Sprichwort, das noch jehf 
gang und gebe. ift in Indien wie bei uns, darf war 
wol als vorfkmbfluttich betrachten, fodaß es une ebenſo 


I) 
Kunde gibt von der Weisheit Henoch’s, wie und Guvier's 
Maftodonten einen Beitrag geben zur Naturgefhichte aus 
Noah's und Methuſalem's Zeiten. Noch wahrer iſt ber 
Satz ©. sur: „Si ce sont les philosophes qui inven- 
temt les proverbes, c'est ie peuple qui les foramle.“ 
Deflo weniger aber können wir damit einverflanden fein, 
wenn der Berf. am Schluß feines Verſuchs dazu aufs 
fodert: „de faire bien vite d’autres proverbes”, damit 
die künftigen Zahrhunderte und nicht weniger, wie wir 
unfere Vorfahren, deshalb zu loben haben möchten. 
Sprichwörter laſſen ſich nicht ſo bien vite hinmachen und 
Gott bewahre une vor ſolchen neu gemachten. ©. xxvn 
wird unfer Lichtenberg angefuͤhrt, ald ‚le grand faiseur 


de proverbes allemands”, ein feinen Landsleuten gewiß 


hoͤchſt neues Praͤdieat bes geffleichen Mannes, welches 


Dr. Denis indeß wol umfehlbar auf eine ſehr uͤberraſchende 
Weiſe zu vertreten willen würde. 

Dem „Essai” folgt eine fehr ausführliche Einleitung 
von ©. xus—uıxıv. Unterfuchungen über bie franzoͤ⸗ 
fiſchen Sprichwoͤrter; Charakter der ältefien und Prüfung 
der Sammtungen derfelben vom 12.—15. Jahrhundert. 


Was von den Alteften Speichwörtern ber Framzoſen, gilt 


auch überall von den unferigen, wie das denn auch bei ber 


nahen Berwandtfchaft beider Nationen nicht anders fein ' 


kann. Unſere Gebräuche, Sitten, unfere Geſchichte haben 
den Wert geliefert zu einem geoßen Theile unferer Sprich 
wörter, weiche wir jedoch auch noch zwei andern wicht we⸗ 
niger weichen Quellen ‘zu danken haben: 1) ber Bibel, 
namentlih den Schriften des Könige Salomon; 2) dem 
claſſiſchen Schriftftellem des Alterthums. Bon den Diſti⸗ 
den des Dionyfins Cato hat man ſchon eine Überfegung 
in franzöfifhen Verſen vom 12. Jahrhundert; ebenſo alt 
iſt die erfie Handfcheift von den grotesken Dialogen im 
gereimten Speichwörtern zwifchen dem weifen Rönig Sa⸗ 
lomon und dem nicht weniger gefcheiten Toͤlpel Mackulph, 
defien derbe, markige Wige einige Jahrhunderte hindurch 
dem argbedrängten Wolfe gu großem Troſt und Geluſt 
dienten. 
Sammlung von Speihwörtern in je vier gereimten Ber: 
fen (Quatrains), welche bei uns bis ins 17. Jahrhundert 
Hinein, unter dem Titel „Der alten Weiſen Esempel- 
ſpruͤche“ fo vielfach gebrudt und weiebergebrudt wurde 
und welche bei jenen unter dem Xitel „proverbes aux 
philosophes ” befanst ifl. 

Der Einleitimg folgt eine ‚Bibliographie des pro- 


verbes” von &. Lxzxru—cıx, welde und die bedeuten⸗ 


den handſchriftlichen Schäge biefes Fachs in der koͤnigli⸗ 
Hm und in bee Bibliothek bed Arſenals zu Paris kennen 
lehrt. Das Verzeichniß der betreffenden gedruckten Werke 


weift indeß mr diejenigen nach, weiche der Verf. zu ſei⸗ 


wer Arbeit beugt Hat. | 
Was nun die Sammlung der Sprichwörter ſelbſt be 
wfft, fo iſt auch hier wie in allen berartigen Sammlun⸗ 


gen, duschaus Bein Unterfchled gemacht worden zwiſchen 


dem Sprichwort und ber fpnichmörtlicken Redendart, ob⸗ 
gleich dieſer Unterſchied fo bedeutend iſt and fo weſentlich 
wie etwa der zwiſchen Feucht uud Blatt eines und deſſel⸗ 


So haben die Franzoſen auch dieſelbe alte 





ben Baums; beide find freilich Eines Stammes, aber ſehr 
verfchiedenen Werths und völlig verfchiedener organiſcher 
Geltung. Wenn wir nun das Sprichwort gar wohl mit 
Bluͤte und Frucht zu vergleichen haben, fo werden wie 
bei den ſprichwoͤrtlichen Redensarten fa vom feihit an die 
Fülle des Laubwerks denken, welhhes aur im Ganzen als 
ein Lebensorgan wirkt, während jede einzelne Frucht an 
und für fich eine felbfländige Lebenskraft enthält. So bes 
ginnt das vorliegende „Buch der franzoͤſiſchen Sprichwoͤr⸗ 
ter“ gleich in der erſten Zeile nicht mit, einem Sprich⸗ 
worte, ſondern mit der pariſer ſprichwoͤrtlichen Redensart: 
„U est de Fabbaye de Longchamp“, welche, mittels es 
ner [pöttelnden Anfpielung auf eine Ortlichkeit, verbiümt 
weiter nichts fagt, als: „Er hält fidy gern zu ben Damen.” 
Diefe Redensart, welde durch Ausörud und Did das 
unvertennbare Gepraͤge der feinen Gefelligkeit hat, wolle 
wie bier nur glei als Beiſpiel einer eigenen Reihe von 
Üedensarten bemerklich machen, weile wir ale Salonte 
redensarten bezeichnen moͤchten, an melden bie Franzeſen 
großen Überfluß haben, während fie in deutfchen Samm- 
lungen fo gut wie gar nicht vorhanden find. Wir koͤnnen 
überhaupt ans ber im Allgemeinen vorherrfchenden Eleganz 
des Ausdrucks der franzöfiichen Sprichwörter wol mit vol⸗ 
lem Rechte annehmen, daß diefelben weit mehr aus dem 
hoͤhern Geſellſchaftsleben in die niedern Kreiſe ſich vers 
breitet haben, während unfere deutſchen Sprichwörter und 
Redensarten mehr unmittelbar im Wolke feibft fo derb, 
fhlicht und naiv ausgeprägt wurden. Es iſt ein weſent⸗ 
licher Zug im franzoͤſiſchen Ratienalcharakter, daß auch ber 
geringe Dann «6 gewifjermaßen für Moral halt, von ber 
Eourtoifie der höher Stände ſowol im Benehmen als im 
der Rede, fo viel als moͤglich anzunehmen, während bei 
uns der niedere Stand weder Neigung noch Geſchick das 
für bat und vielmehr fi durch ein maſſives fittliches 
Serbfibernußtfein zur Oppofition gegen Alle, was vornehm 
ft, angeseist fühle, vongu benn freilich bed Deutfchen Vers 
liebe zu dem bequemen Sichgehenlaſſen wol das Ihrige 
beiträgt. Nur dee Suanzefe bat das Wort gener in fet 
ner eigenthlimtichen Bedeutung, ebenſo in den vornehmſten 
wie in den geringften Kreifen. Hiermit firft es im eng 
fin Zuſammenhang, baß ber Franzoſe mach politiſcher 
Freiheit zu ringen nicht müde wird, während ber Deuts 
fie, im Behagen feiner ethiſchen Freiheit, feiner politifcgen 
mit ansdauernder Rache entgegenficht. Ein Leuchtendes 
Zengniß der ethiſchen Freihelt des Deutſchen find feine 
zahlloſen, uralten Sprichwörter und Redensarten wider 
Dapfte, Pfaffen, Mönche, Nonnen, Stöfler, Deilige, Iu⸗ 
tiften, Junker, Ritter und Edelleute. Welche Maſſe vom 
Shimpf, Hohn, Wis und Spott ber allerderbſten, em 
pfindlichſten Art wird ſchonungslos über Alles ausge: 
geffen, was feinen ethiſchen Kreibeitäfinn beleidigt. Sim 
dieſer Dinfige Find die framzoͤßſchen Sprichwörter Fa 
ftunspffinnig zu nennen; fie begnuͤgen fi mit harmloſen 
Wigen und fcherzhaften Ausfällen ‚auf bie Gebreches des 
Adels, ſowie ber Heiligen und der Diener ber Kirche. 
Usechaupt find die Trangöfiichen Sprichwoͤner witigen, 
fpitiger, ſauberer; bie deutſchen dagegen ſinniger, inniger, 


Sucher und gehhen mähr auf die Mach; wem z. B. der 
Sranzofe das Wort hat: „Le diable est trop subtil” (aus 
dem 15. Jahrhundert, vgl. Bo. 1, S. 9), fo ſagt das 
deutfihe Sprihwort: „Der Teufel iſt ſubtil und fpinnt 
doch grobes Burn” (Koͤrtr, Nr. 5870), wodurch des Teu⸗ 
feis Subtilitaͤt näher charakterifirt und zugleich wader 
biamirt wird. 


Die Sprichwörter find hier, wie ſchon gefügt, ihrem | 
Inhalte nach, in 15 Serien abgetgeilt umd in jeder Serie , 


unter fi, nach dem Anfangsbuchſtaben entweber des er⸗ 
ſten oder des Hauptworts, alphabetifch geordnet. Nur 
die hiſtoriſchen, ſowie die auf Ortlichkeiten oder Perſoͤnlich⸗ 
keiten fich beziehenden, und die aus Anekdoten entſtandenen 
Sprichwoͤrter ſind kurz, aber immer genuͤgend erklaͤrt. Ein 
Hauptverdienſt aber dieſer Sammlung iſt, daß bei jedem 


Sprichwort nachgewieſen wird, in welcher Handſchrift oder 


im welchem gedruckten Werke man ſolches am früheften 
finde, in welches Jahrhundert alſo deſſen ſchriftliches oder 
buchliches Erſcheinen zu ſetzen ſei: ein Nachweis, der bei 
allen denjenigen Sprichwoͤrtern, welche wir nicht offenbar 
den geiechifhen und roͤmiſchen Claſſikern oder ber Bibel 
verdanken, von mannichfachem Sintereffe iſt, je nach dem 
Geſichtspunkte, von welchem aus man biefe zum Zheil 
fo koͤſtlichen Blüten des Menfchengeiftes zu betrachten 
denkt. Jene ciaffifichen Urquellen der Sprichwörter find 
leider vom Verf. faft gar nicht beachtet, während er feinen 
Fleiß nur auf die Ausbeutung der aͤlteſten franzöfifchen 
Handſchriften und Drude verwendet bat und zwar mit 
einer fo gewiſſenhaften Kritik, wie man ed nur immer 
wänfchen kann. In diefer Hinficht bar biefes Werk un: 
endliche Vorzüge vor dem in gleihem Sinne angelegten 
des verſtorbenen Eifelein, welches in Nr. 3 d. Bl. f. 1841 
beurtheilend angezeigt worden iſt. 
(Der Beſchluß folgt.) 





Franz von Zürftenberg. 
( Beſchiud aus Mr. 161.) 

Fuͤrſtenberg, mit dem Gedanken der Verbeſſerung des Schul⸗ 
weſens ernſtlich beſchaͤftigt, ſuchte nicht allein durch Lecture 
und Beobachtung Deſſen, was ihm nahe lag, ſondern auch durch 
Reiſen in verſchiedene Gegenden Deutſchlands ſeine Einſichten 
und Kenntniſſe des Schulweſens zu erweitern. So beſuchte er 
unter Anderm 1788 in Geſellſchaft der Fuͤrſtin Galligin und des 
Philoſophen Hemſterhuys das Paͤdagogſum in Halle. Unftreitig 
dienten ſolche Reifen und ſolche Beſuche zur Bereicherung feiner 
pädagogifihen Kenntniffe und infichten, unb er mag daraus 
oft den erften Gedanken zu mancher nuͤtlichen Reform des Schul⸗ 
wefens in feinem Baterlande geſchoͤpft haben. 

Fuͤrſtenberg batte noch am Abend feines Lebens ben 
Schmerz, bas Werk feines ganzen Lebens zufammenftürzen w 
fehen. Es brach nämlich um diefe Zeit jener ganz Europa in 
feinen Srundfeſten erſchuͤtternde furdytbare Vuikan der franzds 
fifchen Staattumwaͤlzung aus. Es war mol natürlich, daß ber 

ochbeiahrte, bereits damals (17189) fechzigjährige Greis, deffen 
ſchon längft hinter ihm lag, ſich mit der neuen Ära, bie 

mit jener ungedeueen Kataftrophe begann und fi nur mittels 
des Umſturzes des Alten Bahn brechen Tonnte, nicht zu verſtaͤn⸗ 
digen vermodte, vielmehr mit derfelben zerfiel, indem ihm natürs 
uch der Umſturz ber alten Ordnung der Dinge, mit der er vers 
wachſen geweſen war, ass ein Umſturz ber goͤttlich⸗ ſtttlichen 





Meltoronung erſcheinen mußte. So wat es benn wel na⸗ 
tuͤrlich, daß Fuͤrſtenberg ein entſchiedener Gegner ber faanges 
fiſchen Staatsuanwaͤtzung und ber neuen Ideen, bie fie in ihrem 
Wefoige mit ſich führte, ward. Auch er laͤchelte nur mitleibig 
barüber, daß man dem jungen, fehjeundzivanzigiährigen Bones 
parte ben oͤſtreichifchen Graubaͤrten gegenüber ben Oberbefehl 
Aber ein Heer anvertraute. Seine Äußerung, bie er einft gegen 
mebre bei ihm verſammelte Profefforen machte: „Geben Cie Acht, 
meine — die oͤſtreichiſchen Graubaͤrte werden ben Knaben 


bie bie Königin von Sardinien nad dem Waffenſtillſtand vom 
Bherasco über Tafei zu dem jungen General Bonaparte machte, 
indem fte demfelben ihre Wermwunderung darüber zu erfennen 
gab, daß man einem fo jungen Wanne bereitd einen Obers 


Jbefebl anvertvaut babe, worauf Bonaparte kalt und gemeflen 


antwortete: „Madame, en guaterze jours j'aorai Mil - na,” 
Imwiſchen kam Fuͤrſtenberg zur Erkenntniß feines Iertyums, 
indem er in einer aͤhnlichen Verſammlung von Profeſfforen, 
äberrajdgt, wie wol ganz Europa, ven den unerwartet glänzenden 
Siegen des jungen Feldherrn über die Graubaͤrte, äußerte: ‚„Bab’ 
sh mich ganz eben, meine Herren, ber Knabe lieſt nach 
eigenen Heften“; vielleicht Hatte we ſich hierbei an Hannibai 
erinnert, ber in einem gleich jugendlichen Alter den Oberbefedl 
Aber ein Heer erhalten und feinen unflerblichen Bug über bie 
Pyrenden unb Alpen unternommen hatte. Gleichwol vermochte 


| er fich nicht mit dem jungen, kuͤhnen und ehrgeizigen Feldherrn 


zu verföhnen: fein Inſtinct mochte vielleicht in ihm den Mann 
errathen ober ahnen, ber ganz Europa aus feinen Bugen reißen 
würde. Als ihm nämtich einft ein Buchhaͤndier ein MBilbniß 
Bonaparte’ in großem Format zur Anficht brachte, wies er e6 
höchft unmillig mit der Xußerung zurüd, er habe diefen Teufel 
Ion in kleiner Geſtalt, und beduͤrfe eines fo großen nicht. 

In Belge des Luneviller Friedens (1801) warb das Erz⸗ 
fift Moͤnſter fäcutarifirt und an Preußen zur Entfehäbigung 
übermiefen, und bie Iegte münfterfäie Fuͤrſtenwahl, die nach dem 
ode des Kurfuͤrſten Marimilion Kranz (27. Zuli 1801) durch 
Erwaͤhlung des Erzherzogs Anton Victor in der Boffnung vors 


“ genommen worden war, jenes Schickſal dadurch vielleicht noch 


von dem Erzſtifte abwenden zu können, kam nicht zur Ausfühs 
End indem fich der Erzherzog der auf ihn gefallenen Wahl 
entzog. 

Fuͤrſtenberg nahm auch noch unter der preußiſchen Negierung, 
Me ihm die wohlverdiente Achtung uub Anerkenntniß im vollen 
Maße zu Theil werben ließ, an dem guten Kortgange der Stu⸗ 
bien einigen Antheil, befuchte zumelien die Lehrſtunden und 
wohnte den Prüfungen Bei. Gchmerzlicher noch für ihn waren 
die bierauf folgenden fpätern Zeiten. Denn in Folge bes Zilfiter 
Friedens kam Münfter Ai dem neu gebildeten Koͤnigreiche Weſt⸗ 
falen, fpäterhin zum Großherzogthume Berg, und endlich zum 
franzoͤſiſchen Kaiſerreiche. Hiermit ſchien unferm Fuͤrſtenderg 
Alles, wofür er gelebt und gewirkt hatte, dem lntergange ges 
weiht zu fein. Dazu kam noch, daB ihm viele befreundete 
Seelen bereits in das beffere Leben vorangegangen waren, und 
daß namentlich das Hinfcheiden feiner Freundin, der edeln Fürftin 
von Galligin, feinem Alter eine reiche Quelle bes fchönften 
Troſtes geraubt hatte. So mußte er denn freilich zu jenem 
Standpunkte religidfer Refignatien geführt werden, die und zu⸗ 
tegt einfehen laͤßt, wie Goethe mit Recht bemerkt: „daß uns 
die Welt wenig ober nichts gebe, daß man fich in ſich feibft 
zurädziehen” und in einem immer befchränftern Kreife um Zelt 
und Ewigkeit beforgt fern mäffe”. Allıtn wenngleich er es kein 
Hehl gegen feine Freunde hatte, daß er ſich mit Sehnfucht dem 
Augenblicke feiner Auflöfung entge ne, fo h te dennoch 
in feinem ganzen Wefen bie Milde und Ruhe eines Meffen 
und Ehriften. Was die Perföntichkeit und den Charakter 
biefes ausgegeichneten Mannes in feinem kraͤftigen Alter betrifft, 
fo möge man hierüber die ſchoͤne Schilderung leſen, die ber 
Bert. feiner Lebentgeſchichte S. 285 aus Dohnrs ‚„Denfwir- 
digkeiten“ mitteilt. 


m. — —— — — — — - 


<< Bun einer beibigen A 
cm % Sept. 1810 “ —X 6% Uhr in ne ke 


ber allgemeinen Reigungew, Zugenben, 


fowie auch des JIndividuellen feiner 53* 


; 9) 


ee im 82. Jahre feines Alters an Aitersſchwaͤche, jedoch bei | erſten Anfangsgrunbe des Feldmeſſens und Desjenigen, — 


volliger Geiſteskraft fanft entſchlief. Seine Gebeine ruhen auf 
dem Gottesader zu Muͤnſter vor dem Kreuze. Die Grabfidtte 
wirb durch einen einfachen Stein mit einer entiprechenden Ins 
ſchrift bezeichnet. Das übrigens Fuͤrſtenberg mit vollem Rechte 
von ſich fagen Eonnte: „Herr, bu haft mir fünf Zalente agrachen, 
fiehe , ich habe fünf andere damit gewonnen” (Mattb. 30, 20), 
wie es in feinem Gterbezettel heißt, dürfte wol am Elarften 
und unwiberleglichften aus bem kurzen Abriß bervorgeben, ben 
wir hier nach dem vorliegenden Bude von ſeinem Leben und 
Wirken gegeben haben. 

Was Fuͤrſtenberg's Verdienſte und Wirken um und für 
das Schul⸗ und Unterrichtöwefen feines Landes betrifft, fc 
verweifen wir auf Das, was hierüber ber Verf. unter ber Kubrik 
„Tuͤrſtenberg's Verdienſte um die Werbefferung der Lehran⸗ 
ſtaiten“ grundlich und ausſuͤhrlich muischeitt. Muͤſſen wie hier 
die ſich nach allen Richtungen bin erfiredende großartig umfafs 
ſende Thaͤtigkeit des Miniſters Yürftenberg bewundernd aner: 
kennen, indem er das Schul: und unterrichtsweſen in allen 
feinen heiten verbefierte, umgeflaltete, erweiterte und vervolls 
tommnete, fo werben wir bie Anfichten und Grunbfäge, dis er 
in feinen Schriften über ben Volksunterricht darlegt, faft noch 
mehr bewundern müflen, nicht nur wegen ber Reife der Einficht 
und des Urtheils, die ſich barin in das Wefen und bie Bedin⸗ 
gungen eines guten und zweckmaͤßigen Volksunterrichts klar und 
ũchtvoll ausfpricht, fonbern auch insbefondere beshatb, weil fie 
weit über fein Zeitalter hinausliegen und fich felbft gegenwärtig 
noch als praktiſch brauchbar in vieler Beziehung bewähren bürfs 
ten. Kach Fuͤrſtenberg zerfällt der Volksunterricht in zwei 
Theile: 1) in Religions und Sittenlehre, und 2) in Das, was 
die Gefundheit und bürgerliche Nahrung betrifft. Er geht von 
dem ganz richtigen unb natürlichen Grundfage aus, daß ed vor 
allen Dingen darauf ankommen werde, bie religiöfen und ſitt⸗ 
lichen Srundwahrheiten in ihre Begriffe zu zerlegen, ebe und 
bevor man die Frage erörtern Bönne, wie diefe Wahrheiten dem 
Unftubirten anſchaulich gemacht werben könnten, und er voll: 
zieht hierauf dieſe Analyfe der zeligiöfen und fittiichen Begriffe 
mit einer Klarheit und Schärfe, die von dem tiefdenkenden, 
pbilofophifch gebildeten Geifte diefes ausgezeichneten Mannes 
den Tprechendften Beweis gibt. Nicht minder bewährt er ſich in 
der Unterfuchung von ber „Methode bes Unterrichts’ wie ein 
Mann von Fach, der nicht bios durch Theorie, die bier nur 
einen bedingten Werth bat, fondern auch praftifch durch Erfah⸗ 
zung und Beobachtung gebilbet iſt. 

Die Methode des Unterrichts iſt eine zwiefachez naͤm⸗ 
lich einmal eine objective, die ſich nothwendig aus und nad 
der Natur des Lehrobjectd beftimmt , und bann eine fubjective, 
die ſich theild aus ber Individualität des Lehrers ergibt, theils 
nach der Individualität des Schülers beflimmen muß. Der 
Hebel gleihfam, auf dem Unterricht und Erziehung ihrer Wir: 
tung und ihrem Erfolge nach beruhen, ift alfo ein tüchtiger 
Lehrer, d. i. ein foldder, ber nicht blos das nöthige Ma: 
terial (Wiſſenſchaft und Kenntniſſe), fonbern auch die Form 
(Methode) vollkommen in feiner Gewalt hat unb zugleid 
ein entſchiedenes Lehrtalent und eine darauf berubende Lehr: 
gabe beſitzt. Fuͤrſtenberg verlangt nun von dem Volks⸗ 
lehrer nichts weniger, aldö: 1) eine gründliche Kenntniß fei- 
ner Religions: und Bittenlehre; 2) eine gruͤndliche Menſchen⸗ 
kenntniß (,, Die wefenttichen pſychologiſchen Wahrheiten, bes 
merkt er hierbei, „müflen ifm ganz anfchaulicy bekannt fein, 
damit er bdiefeiben ben Kindern auf eine helle, leichte Art vor: 
trage’); 3) zwar Feine gelehrte, mit unnöthigen Kunſtwoͤrtern 
belabene Logik, aber dennoch eine deutliche Erkenntniß der wenigen 
‚allgemein vorkommenden Gefepe bes Denkens, um fie fi in 
Abficht auf feinen Vortrag deutlich zu machen; 4) bie Kenntniß 


gemeinen Manne von ber Mechanik zugute kommt; 6) einen 
gefgmeibigen Bortrag und das Talent, auszufragen; 7) endiid 
Gruft, Liebe, Bebulb, Beſcheidenheit, Arbeitfamteit, wahren 
Sifer, ober gar Wegeifterung für fein Amt und tiefe Retigien, 
Wie viel dies von einem Lehrer gefobert beißt, und wie feltn 
man einen Lehrer in ber Wirklichkeit antreffen werde, der biefen 
Boderungen ganz oder auch nur zum großen heil entfprict, 
leuchtet wol von ſelbſt ein umb wird aud von unferm 

berg anerkannt, indem cr bemerkt, wie wenig man jid ver 
forechen könne, „gute Schullehrer opne eine gute Schullehrer⸗ 
ſchule“ zu erhalten. 

Nicht minder beadptungswerth und tief gedacht ik D 
was Fürftenberg über die ‚Bildung des en * 
dem er naturgemäß bie oberſte Aufſicht und Leitung über 
dad Volks⸗, Schul⸗ und Unterrichtswefen anvertraut wil 
fen will, unb in ber That fichen Schule und Kirche in einer 
fo engen und innigen untsennbaren Verbindung zu: und mit 
einander, daß. fie nit wohl voneinander getrennt werben 

nnen. 

Dies mag binreichen, um einen ungefähren Begriff von 
dem hohen Werthe Bürftenberg’s als Wenid), Staattmann un 
Gelehrter, fowie auch von bem reichen und mannicfaden Ia 
terefje dieſer Gefchichte feines Lebens und Wirkens zu geben; 
ber Verfaſſer bat durch fein werthvolles Werk unfere Eiteratur 
wahrhaft bereichert. 2, 





Bemerfung. 


Bor kurzem lafen wir irgendwo aus ber Fieber eines ben 
kenden Kopfes, ber das griechifche Alterthum genau kennt, bie 
Worte: „Warum fällt es denn noch Keinem ein, aus den grie 
chiſchen Tragoͤdien die erhabenfte, ſchoͤnſte Sittenlehre barzuftellen ? 
Es thut e6 aber Einer gerdiß bald. Da fehlt kein Iota. Et 
find bereits, wie auch an demſelben Orte kurz vorher bemerkt 
wurde, ernſte Anfänge gemacht worben, uns das griechiſche 
Altertyum wieder herauszufoͤrdern; biefe Anfänge haben ib 
au nicht bloß auf das Altertum felbft, nicht blos auf das 
Befondere, das NRationalgriehifche in ihm befchräntt, ſendern 
zugleich auf das Allgemeine, bas rein Menſchliche, das Gittliche 
in ihm fich erſtreckt, und gewilfe hyperorthobor schrifttige Sitten: 
richter haben es vergeblich verfucht, dem griechiſchen Altertyume 
im Allgemeinen den Befig einer erhabenen Gitteniehre flreitig 
zu maden. In der mueſten Beit hat die Aufführung ber Gopho⸗ 
Bleifchen „Antigone” auf einigen Theatern Deutſchlands erwüniäte 
Gelegenheit gegeben, die Wahrheit obiger Behauptung, daß In 
ben griechiſchen Tragoͤdien die ſchoͤnſte und erhabenſte Gittenichre 
ſich finde, an einem SBeifpiele fennen zu lernen. Es if dies 
wol auch befonders hervorgehoben worden und jebenfalld iſt es 
fon diefer Erkenntniß wegen ein nicht geringes Verdienſt Difien, 
der bie Aufführung der „Antigone‘’ vermittelt hat, ein nicht geringes 
Verbienft um dad griechifhe Altertfum. eben ber Afthetifchen 
Schoͤnheit der griechiſchen Traͤgodie, die auch in der Überlefung 
nicht bat verloren geben Können, wennfchon fie in bem Driginale 
noch herrlicher fich offenbart, ift es vorzüglich die ethiſche Voͤrde 
die ſittliche Schönheit In ber griechifhen Tragoͤdie, bie befonberh 
dem mobernen Zrauerfpiele gegenüber hervorgehoben werben 
muß, ald das Wefen ber griechiſchen Fragddie felbft. Ramentiik 
auch in diefer Hinficht, was ben fittlichen Inhalt ber griehilden 
Zragdbie anlangt, Tann unfere — wir wollen es hoffen, M 
Werden begriffene — moderne tragifche Dichtkunſt viel, FIR 
aan, mehr als unfere mobernen Dichter ſelbſt pr 
muthen. . 


Verantwortlicher Derautgeber: Heinrich Brodpant. — Disk und Verlag von J. X. Brodhpaus in Beipsig- 





sm wi, Wo (Wu: gu Je DD U m — 


Bläafter 


ur 


literarijhe Unterhaltung. 








Kenefte Sprichwärter= Literatur. 
Beſchluß aus Rz. 162) 

Mr. 2: Quitard's „Dietionnaire &tymologique, histo- 
rique et anecdotique des proverbes” if nach Plan, 
Zwei und Bearbeitung durchaus vom vorigen unterfchles 
den ımd als „Dictionnaire” beiweltem weniger vollſtaͤndig 
als jenes. Der Verf. erkennt nur Das als Sprichwort 
an, was der von Erasmus davon aufgeftellten Definition 
entfpriht: „Celebre dietum scita quadam movitate in- 
signe”, eine Definition, weiche indeß mehr auf des Eras⸗ 
mus Blumentefe aus den alten Claſſikern paßt, welche 
er eine Sammlung von Sprichwörtern zu nennen beliebte, 
als daß fie das eigentliche Weſen des Sprichworts ers 
ſchoͤpfend charatterifit. Dem Berf. find alſo pikante 
Wendung und origineller Ausdruck die weſentlichen Kenn⸗ 
zeichen des wirklichen Sprichworts. Damit aber fein 
„Dictionnaire” nicht gar zu dünn ausfalle, habe er ſich 
nicht eben fireng an jene Definition gehalten. „Mon Dic- 
tionnaire”, fagt er, „est consacre & ces maximes d’une 
sagesse traditionelle, & ces formules da sens commun 
qui, jetdes dans la circulation universelle, forment la 
monnaie courante de la raison et de l’esprit des peup- 
les, & ces expressions pleines d’allusions, à des faits 
euriewm, singuheres à force d’&tre naturelles, et dont 
la vulgarit& ne detruit pas le sel.” Gen Zweck fe 
ganz befonder6 der geweſen, alles Das zufammenzuftellen, 
„qui peut servir à etudier V’histowe des moeurs par 
Phistoire des expressions”, Im geraden Wiberfpruche 
mit diefem feinem Löblichen Vorhaben, hat der Verf. je: 
doch alle die Sprichwörter und Mebensarten von feiner 
Sammlung Ahsgefchloffen, „gui se trouvent souvent dans 
la bouche des gens sans edacation”, welche Leute dann 
gleich näher als „In canaille” bezeichnet werden (S. 111). 
Hierdurch hat fich der Verf. in eine ganz falſche Stellung 
gegen die Sprichwörter gebraucht, bie nach Dem, was er 
unter „education’ verficht, fo gut wie gar nichts fragen, 
weit ihnen von bdiefer Seite ber fo viel wie gar nichts 
zugute tommt, während Ihnen das Leben, die fröhliche 
Armuth, die Regſamkeit und Betriebſamkeit des nicbern 
demokratiſch⸗ derben und ruͤckſichtsleſen Volks den kraͤftig⸗ 
ſten und reichſten Nahrungsſtoff zuführen. Während jeme 
yeude „education“ die Sprichwörter hoͤhniſch über bie 
Schultern anfleht und fie ausſchließt aus ihren Eirkeln, 


Nr. 163. — 





flechten ihr die Sprichwoͤrter einen ſtrohernen Bart, dre⸗ 
hen ihr einen Zopf, ziehen ihr das Haͤlmlein durchs 
Maul, weiſen ihr die Feige, bohren ihr gar einen Eſel 
und behalten immer die Lacher auf ihrer Seite, wenn ſie 
fo bin und her geängfiet wird. Der Verf. ſcheint es 
ganz vergeffen zu haben, daß die Sprichwörter eben in 
ihrer Sefammtheit ein fehr getreuer Sitten:, Leiden: und 
Sreudenfpiegel ihres Volks und ihrer Zeit find, nicht etwa 
befonders in Bezug auf irgend ein Erziehungs: und Bil: 
bungsprincip diefer oder jener Standeögenoffen, fondern 
vielmehr ein .umfaflendes Bild des gefammten Volksbe⸗ 
wußtfeins nach. allen Richtungen bin; er faat ja felbft 
(S. vun): „Les proverbes d’un siecle expliquent ses 
goüts, ses habitudes, et Poriginalite speciale, qui le dif- 
ferencie de tous les autres. En changeant de qualites 
ou de vices, la societ€ change de proverbes”, woher es 
denn auch komme, daß die Sprichwörter fo oft einander 
geradezu widerſprechen und theils für, theils wider eine 
und diefelbe Behauptung eifern. 

Gewiß hat der Verf. ſehr Recht, daB die Sprichwoͤr⸗ 
ter, qui expriment des sentiments universels, fich im- 
mer und Überall wiederfinden, daß fie allen Völkern ges 
mein find ihrem Inhalt nach, menngleich in ihrer Form 
verfchieben ; aber er zieht daraus offenbar einen falfchen 
Schluß, wenn er behauptet: man fehe daraus, daß nicht 
etwa ein Volk dergleichen Sprichteörter von andem ent⸗ 
lehnt babe, fondern daß diefelben bei jedem Volle und in 
jedem Lande felbftändig erbluͤht fein, heroorgetrieben par 
le seul fait du sens commun; die Verſchiedenheit dee 
Form fcheine zu beweifen, daß hier keine „traduction‘ 
flattgefunden habe. Dies wird ſchon dadurch hinreichend 
widerlegt, daß wir gerade die allgemeingültigen Sprichwoͤr⸗ 
tee faft alle von den Griechen und Römern und aus ber 
Bibel uͤberkommen haben, zwar nicht eben „Überfeht”, mol 
aber fo, wie der sens commun jedes Volks fich dieſelben 
alimälig mundrecht gemacht hat. Wie wir von den Gries 
hen, haben biefe von den alten morgentändifchen Voͤlkern 
Sprüche der Weisheit überfommen und fid) angeeignet; 
es war keineswegs nöthig, daß jedes Volk es erſt hinrei⸗ 
hend an fich felbft erfuhr, 3. B. wie bedenklich es ſei, 
Zn ohne weiteres unbebingt zu vertrauen, um daß 

prichwort zu haben: „Trau, ſchau, wenn”; eben par le 
seul fait da sens commun verbreitete es fich als Erfah: 


eungefag von einem Volke zu den andern, bei weichem 
es ſich nun als Sprichwort der Warnung und Lehre gels 
tend machte. Nur hoͤchſt felten iſt es nachzuweiſen, role, 
wann und wo ein altes Sprichwort zuerſt entſtanden iſt; 
wie man ja denn auch meiſt vergeblich darnach fragt, wie 
ein fein fremdes Kraͤutlein in unſern Garten gekommen fein 
mag? Wo aber ift der Mind oder das Voͤglein, von dem 
wir daruͤber genaue Auskunft erhalten könnten! Allerdings 
wäre es hoͤchſt intereffant, wenn wir jedes Sprichwort In 
feiner urfprünglichen Geſtalt Eennen lernen önnten: „Ils 
seraient le plus curieux monument du progres des pre- 
mieres societes; ils jetteraient un jour merveilleux sur 
Phistoire de la civilisation, dent ila marquersient le point 
de depart avec une irrecusable fidelite.‘ 

Bei manchen Sprihwörtern hat Hr. Quitard die ben: 
felben entfprechenden in andern Sprachen beigefügt, fo 
unter andern auch einige deutfche, die fi) denn wunder: 
lich genug ausnehmen, 3. B. (S. 406) zu dem Sprich: 
worte: „Le fou se trahit lui-m&me”, heißt es: „Le 
proverbe allemand qui correspond au notre est tr&s- 
spirituel: Der Kukuk feinen einigen Namen ruft aus.” 
S. 585: „Les Allemands se servent d’un proverbe assez 
plaisant pour marquer la force de la patience: Geduld 
uber Windet Sauer kraut.” Zu dem Worte: „Ten- 
dresse maternelle toujours se renouvelle”, heißt es 
(&. 665): „Ce charmant proverbe est aussi allemand: 
Muttertub! ift immer neu”*); auf dem Drudfehlerblatte 
findet man dies ergöglih alfo berichtigt: „Page 665, 
ligne 3, Mutterlub! lisez: Mullerlieb!” Gleichen Schlags 
ift Alles, was fonft noch Deutſches vorkommt: ©. 149 
„L’abbaye de Kedlinbourg en Allemagne.” Alles Deut: 
ſche fhmedt den Sranzofen noch immer nach barbares du 
Nord; das Sprichwort „C’est un pauvre höre” zapft 
unfer deutſches „Hert“ an und bedeutet: „C’est un hom- 
me sans merite, sans consideration.” ©. 451 wird bes 
richtet, daß unfer edles „Roß“ im Kranzöfifchen rosse ge: 
worden ift, welches Schindmähre bedeutet, und unfer „Buch“ 
tft in bougin verfchimpft, was unferm „alter fchlechter 
Knaſter“ entſpricht. Nicht weniger anzüglich iſt das 
Sprichwort S. 633: „Travailler pour le roi de Prusse —; 
c’est travailler sans recevoir aucun salaire, Il est que- 
stion du gros Frederic Guillaume I”, welcher nun, nad) 
Voltaire's Darſtellung, als ein veritable Vandale geſchil⸗ 
dert wird. Wie Vieles haben die Franzoſen noch zu ler⸗ 
nen und zu vergeſſen, um ſich zu dem Standpunkte er⸗ 
heben zu koͤnnen, von welchem aus wir Deutſchen andere 
Laͤnder, Voͤlker, Sprachen und Sitten gerecht und gruͤndlich 
zu beurtheilen und zu benutzen wiſſen. Gruͤndlichkeit gehoͤrt 
nun aber einmal nicht zur Education des Franzoſen! 

Um fein Buch fuͤr die Leſer genußreicher, unterhaften: 
der zu machen, bat der Verf. die melften Sprichwörter er: 
Märt par des citations precieuses et significatives pui- 
sees dans nos classiques. Es fchien ihm interessant et 
curieux, zu zeigen, welchen Nugen bie großen franzoͤſiſchen 
Autoren häufig aus den Sprichwoͤrtern gezogen haben, ins 


7) 86 foR das Sprichwort fein: Wuttertzeu wird täglich new. 


ben fie bie in denfelben enthaltenen Reime zu ben ſchoͤn⸗ 
ſten, glüdtichften Gedanken und Ausdrüden zu entfalten 
verftanden. In der Erklärung der Sprichwörter iſt in⸗ 
deß bier eher zu viel als genug gefchehen ; fein einziges 
iſt unerläutert geblieben, wo dann das Krinfale, Langwei⸗ 
tige nicht ausbleiben kann. Im Ganzen aber if dirk 
Sammlung reich an wigigen, geiftvollen Anekdoten, Ein 
fällen und Reminifcenzen, welche ber fehr beiefene Verf, 
unter Anderm auch aus den vollfteömenden Quellen ber 
feanzöfifhen Memoiren⸗kiteratur trefflich zu ſchoͤpfen gewußt 
bat. Übrigens find die Meinungen über das Mehr oder 
Weniger bei Sammlung und Erläuterung der Sprich⸗ 
woͤrter unendlich verſchieden, feibft auch unter Denen, die 
fonft in Rüdficht des Principe voͤllig einverftanden-find; 
es ift überall nur zu wahr: „Les gens du ımeme avis 
ne sont jamais d’accord.” 


Einige Proben von des Verf. Art und Welle ve 
Behandlung werden unfere Lefer bier gewiß gern mitge 
theitt ſehen. Bei Gelegenheit ber Sprichwörter uͤber den 
Bart gibt er uns eine Rede über bie Gefchichte des Baru 
aus welcher wir Kolgendes entnehmen: 

La barbe devint meme une decoration gloriense döcer- 
nee aux vouves argiennes qui, sous la conduite de la noble 
Telesilla, avaient veng6 la meurtre de leurs maris. Le de- 
cret rendu & ce sujet &tablissait, que ces veuves, ou se re- 
mariant, auraient le droit de porter une barbe feinte au 
menton, quand elles entreraient dans ia couche nuptiale, 
Ce decret, cité par Plutarque, est assurdment un des plus 
rewarquables qui aient jamais dt& faits.. A suflirait seul 
pour prouver combien les Grecs &taient plus sages que 
nous dans le choix des insignes qu’ils accordaient à la valeur, 
Ces insignes, ils les prenaient parmi les attributs de la vi- 
rilite, tandis que nous allons les chercher parmi les ome- 
ments de femmes. Nous n’ofirons que des rubans A nos he- 
ros; ils donnaient des barbes a leurs heroines. 

Ovi, c'est un fait digae de la plus serieuse considöra- 
tion, que la barbe se montra constamment aupr&s du ber- 
ceau des empires, et le rasoir aupr&s de leur tombean. 

Honneur & ces incomparables jeunes gens qui ont si 
bien préludé à la restauration de ia barbe par ia guerre 
contre les perruques! Quelle gloire pour eux d’&tre barbus 
dans un sidcle ou les barbons n’ont point de barbe! 


©. 159 finden wir folgende Gefchichte ber Jakobiner⸗ 
müge, welche vielen unſerer Leſer gewiß aud neu if. 
Früher war le bonnet rouge ein Attribut des hohen 
Abel: „I porte”, oder auch: „I est bonnet. ronge” 
fagte man von Einem, welchen man ald von gutem Adel 
bezeichnen wollte. Wunderlich genug warb fpäterhin le 
bonnet rouge ein ſchimpfliches Abzeichen der Galeeren⸗ 


ſtraͤflinge und allee fchweren Verbrecher überhaupt. As 


nun aber einige Soldaten des Schweizerregiments Cha 
teaus Vieur, welche 1790 zu Nancy revoltict hatten und 
deshalb zu ben Galeeren verurtheilt worben waren, balb 
darauf von den Revolutionshelden befreit und in ihrem 
Sträflingshabite im Triumph nad Paris eingeladen wer 
ben, wo man ihnen zu Ehren glänzende Feſte gab, da 
ward ihre voche Galeerenmuͤtze einer Bürgerkrone gieihege 
achtet; jeber Patriot beeilte ſich, ſich damit zu ſchmuͤden; 
fie ward als Freiheitsmuhe anerkannt, nachdem fie der be 
ruhmte Mater David, welcher ihr die antike phrygiſch 


.. XX — — — u 


— [Zw 


&1 


Form gab, ber Weftikatue ber Freiheit aufs Haupt ges | und Demeifellen für Fraͤuleins. 


fest hatte. 


Nr. 3. Diefer „Kloſterſpiegel“ Hält uns, was leider 
immer noch noth thut, alle Greuel des Kioflerlebens und 
Moͤnchthums dicht vor Augen, damit wie fein wachſam 
bleiben und nicht etwa glauben mögen, «8 habe nunmehr 
weiter Beine Gefahr damit. „Die neuen Kirchenväter von 
Züri und ihre laͤcherlichen Diakonen von Luzern‘ bewei⸗ 
fen uns toll genug das Gegentheil, wie wir ja auch noch 
anderwärts jegt in Deutfchland Zeichen und Wunder ge: 
nug fehen, daß das Papſtthum heimlich noch immer 
Steine genug hinter ſich wirft, die fih unvermerkt in 
Moͤnche, Kiöftee und Jeſuiten verwandeln. Es ift ch: 
sicht und eitel, die Sturmgloden zur Freiheit in Schwung 
zu bringen, fo lange es noch ein Recht des Pfaffenthums 
iſt, ſelbſt geheiligte Glocken gebieterifh zum Kirchenjoch 
zu laͤuten! 

Das deutſche Sprichwort bat ſeit Jahrhunderten nichts 
ſchaͤrfer aufs Korn genommen als das Pfaffen⸗ und Klo: 
flertbum, und wenn es in ber Heftigkeit und Bitterkeit 
feines Grimms foft keine Schranken finden kann, fo tft 
das nur ein um fo wabhrbafteres Zeugniß von bem fitts 
lichen Freiheitsſinn umfers Volks, welches felbft zur Zeit 
der maͤchtigſten Kicchentyrannei ſich nicht fcheute, die Kirs 
chengreuel [honungslos aufzudecken und mit den fchärfften 
Ruthen des Abſcheus und Zorns furchtbar zu züchtigen. 

Die Bemerkung — fagt bie Vorrede —, daß ſich das Al 
les nur auf frühere Zeiten beziehe und bie Kiöfter heutiges Ta⸗ 
es anders feien als früher, ift dahin abzufertigen: 1) daß nach⸗ 

henbe Ausbrüche und Belege aus allen Zeiten bis auf die ges 
genwärtige en find und alfo fortwährend bie begründete 
und darum berrihende Meinung über die Klöfter waren; 2) ift 
es eine hiftorifch und Literarifch beurkundete Thatſache, daß bie 
Kloͤſter allerdings feit dem 12. Jahrhunderte nicht immer auf 
demfelben Punkte, aber boch immer gleich weit hinter der Cul⸗ 
tur, Moral und Wiffenfchaft der Zeit fliehen geblieben find. 

Mögen darum die Enkel forgfältig auf die Geiſter⸗ 
ſtimmen der Voraͤltern achten und darnach handeln! 


Nr. 4 endlich iſt eine anſpruchloſe Sprichwoͤrterleſe 
im Sinne eines Volksbuchs „gedruckt in dieſem Jahr“. 
Die Sprichwoͤrter, ohne alle Vorrede oder ſonſtige Zugabe, 
find einigermaßen alphabetiſch georbnet und frifch hinters 
einandermeg, ohne Abfag; jedoch haben etliche einen Holz 
ſchnitt über fih, der hier und da wißig genug ift, aber 
von dem vorausgefegten Leſer nur felten möchte verflanden 
werben. Das thut aber nichts, genug, daß die Bilder 
wol dazu beitragen, den fehr wohlfeilen Sprichwoͤrterſchatz 
dem Volke in die Hand zu fpielen, welches ja Laune ge: 
nug zu baden pflegt, um fich die zum Theil ſchnurrigen 
Siguren nicht nur kurzweilg, ſondern auch wol ſinnreich 
auszulegen. 





Pr. 5 iſt eins von den gutgemeinten Büchern, deren 
Weisheit, Tugend und Froͤmmigkeit überaus wohlfeil find 
und bie weder ſchaden noch nugen. Werthlofe Pretiofen 
für geringe Leute, die fi Sonntags gern zu etwas mehr 
herauspugen, daß Sungfeen für Demolfelten gelten können 


guͤrten —S Flammenſchwert, 


Solche witz⸗ und ſpitz⸗ 
loſe Saͤte wie: „Der Fleißige bat immer was zu thun.“ 
„Wir find allenthalben in Gottes Hand.” Jeden drüdt 
was.“ „Die Alten ſollen das Bergſteigen den Jungen 
befehlen.“ „Die Glocken klingen viel anders, wenn einem 
ein lieber Freund geſtorben if.” „Manches Gebäude 
zeigt, wie man kein Geld an ihm geſpart, ſondern nur 
Verſtand.“ „Wo Natur proteſtirt, da mag bie Kunft 
nicht durchdringen“ u. f. w, gelten bem Verf. nicht blos 
für Sprichwörter, fondern fogar für Sprichwörter : Pretlo⸗ 
fen. Mit feinen „Variationen“ ift es nicht beſſer beſchaf⸗ 
fen. Die Variation zu dem Sprichworte „Auch der befte 
Gaul flolpert einmal” beginnt alfo: 

Dann aber wirb ihm tüchtig aufgewirt. Iſt er ein Gate 
teipferd, bringt ex ja den ganzen Poſtwagen ing Unglüd. Dann 
Fern er Fan bem Rittmeiſter, ber ihn zugeritten hat, wenig 

re u. f. w. 


Dagegen endet bie Variation auf „Cs braucht viel - 
Schaufeln, die Wahrheit zu vergraben” um fo weniger 


ſchlicht, vielmehr hoͤchſt prächtig, alfo : 


Die Wahrheit ift ein Veſus. Wer will einen Veſuv bes 
graben? Du meinft, er fei erloſchen. Hörft du denn nicht, wie 
er feit lange warnt und droht, und plöglich wird er fich ums 
wird baftehen mit dem 
weithin leuchtenden Sternenkranz, ein Held unb Sieger bie 
Feinde unter feine Fuͤße 
verfchättet. 

Es iſt fchauerlih mit anzufehen, wie ein fonft fo 
wohlmeinender Autor den Veſuv, einen Helden und Sieger, 
erſt mit gluͤhendem Flammenſchwert umgürtet und mit 
weithin Ieuchtendem Sternenfranze fhmüdt und ihn dann 
dennoch glei nachher unter ber Überwucht feiner Con: 
ftruction auf ewig begräbt und verfchättet. Der Himmel 
wolle doch jeden Helden und Sieger, namentlich) aber bie 
Wahrheit, vor folhen Freunden bewahren ! 

Doch, wie ſchon gefagt, „auch der befte Gaul ſtolpert 
einmal”, und wenn er auch das beſte Herz hat; es wäre 
hart, ihm dafür „tuͤchtig was aufzuwixen“, befonders hier, 
wo nur von einem Buche bie Rede ift, was er nur fo 
ganz behaglich in aller Unſchuld niederfchrieb, für gute 
Seelen, bei denen es Einem gar nicht einfällt, ihnen ein 
Denken zuzumuthen; für gute, ordentliche Menfchen, die 
gern mit aufgewedten Köpfen ihres Schlages tabagiren 
und was auf ihre Religion, auf ihre Stiefeln und Haare 
halten: außen fir, innen nir; außen fleaff und glatt, 
innen fehlaff und matt, überall aber langweilig. 

Wilhelm Körte. 


gebracht auf ewig begraben unb 





Bücherfabrikation. 


Wir wollen nicht bie Geheimniſſe unſers Hanbdwerks aus⸗ 
plaudern, Hehhtet Es iſt jedoch eine zu merkwuͤrdige Sache, 
nur dom politiſch⸗ okonomiſchen Geſichtspunkte aus betrachtet, 
welche Fortſchritte die edle Buͤchermacherkunſt gemacht bat, ſeit⸗ 
den das British Museum in ber neuen großartigen ! 
eröffnet worden if. Wir erinnern uns recht gut der Zeit, ba 
das einzige, enge, Beine Lefecabinet, rechter Hand, wenn man 
eintrat, gerabe fo viele Studenten beherbergte, als ihrer Raum 
fanden, um ihre Fuͤße auf den langen melfingenen Gteg gu fehen, 
gerade fo viel einzelne Perfonen, als Daufen von B 
jest daſelbſt anzutreffen find. Das Mufeum hat jet eine dop⸗ 


652 


te Beſtimmung: es ift nicht blos bie große Mieberlage von 
—2 — ſondern es if auch bie Jabrik, durch weiche der lite⸗ 
zarifche Heißhunger des unerſaͤttlichen leſenden Publicums bebient 
wird, das Refervoir, aus welchem ber Weisheitsſtrom (mie auf 
der huͤbſchen Wignette vor Bohn's Katolog in treuem Gonterfei 
za feben) ſtuͤrzt, raufcht, fließt, fprubelt, fprüht, fprigt, rinnt und 
teöpfelt, fo weit die engliſche Zunge reiht. Wenn die Bibliothek 
des Miufeums einen Monat lang gefchtoffen wäre, fo würbe der 
ganze Bücherverfertigungsbetrieb ſtillſtehen, und es wäre mög 
ih, daß nicht weniger als taufend Menſchen, bie für ihr taͤg⸗ 
fies Brot auf ihre Weber angewieſen find, fi in Roth und 
Eilend geftürst fähen. Zur Zeit der mühfamen Umſtellung, welche 
karztich flattfand, Hat die Rüdficht auf eine ſolche Gefahr die 
Beamten bed SInftituts (deren muͤhevolles Bagenert das Publi⸗ 
cum nur wenig zu würdigen weiß) bewogen, fo große und dans 
tenswerthe Anftrengungen zu machen, um bie Anſtalt offen und 
die Fabrik im Bange zu erhalten, opne eine einzige Autorgarn⸗ 
haspel zum Stoden zu bringen. 

Diefer Zuftand unferer Biteratur hat, wie fo manches ans 
dere Phänomen unferer zufammengeflicten GEriftenz, eine ſehr 
traurige Seite, aber eine ſehr komiſche: traurig, wenn 
man vedenkt, wie Viele, die zu einem beſſern Looſe geboren 
wären, durch unfere jegigen focialen Berhättniffe zu einer Koͤrper 
und Geift zerfiörenden Sklaverei verdammt find; komiſch, wenn 
man es mit anficht, wie eine der höchften Gaben des Menſchen 
praktiſch ausgebeutet wich, gleich der roheften mechaniſchen Kraft. 
@iner der hauptſaͤchlichſten Wertführer bei der Bücherfabrifation 
hatte neulich eine Schrift im Erziehungsfache unter Händen; 
als die Rede darauf kam, was für Buͤcher er zu bielem Behufe 
anfchaffen müßte, antwortete er: „Ad was, Vuͤcher! Bücher, 
lieber Herr, braucht's halt dazu nicht. Auf die Manier werben 
der Art Sachen nicht gemacht. AU fo was, mein lieber Derr, 
madıt man im British Museum. Ich hab’ da einen capitalen 
Kerl für Dergleichen, lieber Herr! jung, vol Feuer und Genie, 
fir von der Hand, Herr! der Ihnen in acht Tagen, ag’ id 
onen, eine Reihe Duartbände fo rein ausquetſcht, daß für 
Seinen Dreier Material drin bleibt!’ Und wahrhaftig, durch 
dieſen compenbiöfen Kusquetfcheproceß werben neun Zehntel alles 
Materials gewonnen, bad in ben gemeinnägigen und lehrreichen 
und Volks⸗ und Yugendfchriften zu Zage kommt, womit wir 
Aberfchättet werben. 

Eine andere zahlreiche Glaffe im Mufeum bilden die „Be: 
arbeiter‘ (Translators). Es ift faum nöthig, zu bemerfen, 
daß die gewöhntiche Bedeutung bes Worted Translator, näms 
lich im Sinne des Überfegers aus einer Sprache in bie andere, 
nur eine von vielen iſt, die man in den Wörterbüchern angeführt 
findet. Johnſon zahlt ſechs Bedeutungen aufs wer aber eine 
fiebente Eennen lernen will, weldye noch nit im Wörterbu 
ftebt, der muß nach Saffron Hill und Chick Lane gehen, wofelb 
er eine ſehr nüsliche Claſſe von geſchickten Handwerkern wohn: 
haft finden wird, ‚Bearbeiter alter Schuhe‘ (translators of 
old shoes) in der Kunſtſprache genannt, die neue Oberleder auf 
alte Sohlen und neue Sohlen unter alte Oberleder fliden und 
dergeftalt das alte Stud in ein neues umarbeiten. *) Das 
Meifte, was im British Museum „gemacht“ wird, ift gerade 
diefe Art von „Bearbeitung. Es gibt da 4. 3. eine Gtaffe 
ſehr finnreicher Schriftfleller, weiche die vordem beliebten No⸗ 
vellen der Minerva: Druckerei in neue „umarbeiten”‘, indem fie 
Die Anlage nehmen, das Canevas, wie die Frangofen Tagen, und 
mit Figuren nicht im Geſchmack unferer Altvobern, fondern im 
heurigen ausfüllen. 

Aun kommen wie zu den „üÜberfegern” im gewöhnlichen 
Wortſinne; diefe zerfallen in drei Glaflen. Erſtlich bie Über 


*) Dad Bortfpfel if in dieſer ganzen Stelle unäberfeglih. Trans- 
Inte Überfegen, umfegen, verfegen, umatbeiten. Um ed wenigſtens 
annährtungsweife audzubrden, if oben ſtatt „Übderfeger das Wort 
«Bearbeiter gerwäßlt. 


feger, weiche eiaſichtevoll, mit ihrem GBegenftanbe befannt um 
mit beiben Sprachen eng vertraut, wie Mrs, Auſtin, den 
Autor, dem fie übertragen, fo gewandt in der fremden Zunge 
reben laffen, als fpräche ex in feiner eigenen. Zu ſolchem Über: 
fegen wird ein ebenfo eigenthümtliches Talent wie zu Original, 
arbeiten erfobert, nur baß es feinen Rang vielleicht um einen 
Grad tiefer in der Hierarchie ber Literatur einnimmt. i 

die liberfeger, welche, bei leidlicher Wertrautheit mit ihrer Dkuts 
terſprache und einiger Bekanntſchaft mit ber fremben, Verſtand 
und Takt. genug befigen, um zu merken, wo fie nicht Befheid 
wiffen. Dieſe heifen dann mit einer Grammatif, faden bie 
ſchweren Ausdruͤcke im Wörterbuche nach, ober erholen fi vie 
leicht bei einem Freunde Raths; und wenn ein gut gewähltes 
Buch von einem Überfeher dieſer Kategorie „berumgeftiegt"" fi 
auch vieleicht fleif und mager Lieft, fo iſt doch bie Arheit nick 
ohne Nutzen für die Menge Derer, welche den Autor nur mit 
Huͤlfe eines Dolmetſchers vernehmen können. Drittens bie Glaffe 
Derer, welche nur eben im Stande find, ein fchlechtes Gugtiiä 
zuſammenzuſtoppeln, und babei nicht im Stande „ zu erkennen, 
wo fie das Original nidyt verfteben, fo unwiſſend alfo, nit 
einmal zu wiffen, daß fie unwiſſend find. Dies etwa find ve 
Stoffen der Bücherfabrifanten im British Museum. #, 





Literarifhe Notizen aus Frankreich. 
Überfegung von Geßner's „Tod Abers“ und Bies 
land's „Oberon“. 

Es gibt gewiſſe deutſche Claſſiker, von denen, obgleich fie 
bei uns faſt ganz vergeſſen ſcheinen, ober die, wie ber geiſtrriche 
Dr. Mifes fagt, die oberften Reiben in unfern Bibliotheken 
einnehmen, in Frankreich Jahr aus Jahr ein neue Überfeguns 
gen erſcheinen. An ber Spitze berfelben ſteht der ehrwoͤrdige 
Geßner und namentiidh fein „Tod Abel’8”, von bem bereitt 
unzählige franzöfifche Bearbeitungen vorhanden find. Auch 
das verfloffene Jahr hat die Zahl berfelber wieder vers 
mehrt. Wie es heißt, hat bie Herzogin von Orleans eine 
Auswahl der Geßner'ſchen Idyllen Überfegt, die im Manuftripte 
zum Druck bereit Liegen fol. Neben Geßner ift Wieland noch 
eine von ben Autoritäten, bie jeber Franzoſe, wenn er audy 
noch fo eng, von der beutfchen Literatur verfteht, body zu dis 
tiven weiß. Übrigens iſt bies kein Wunder, ba von mehren 
feiner Werke recht gute Überfegungen eriftiren. Wir haben ger 
genwärtig eine neue Bearbeitung feines „Dberon” anzuführen, die 
foeben die Preffe verlaffen bat. Der Berf. berfelben, Auguſte 
Satin, fcheint gut in den @eift feines Originals eingebrungen 
zu fein. 


SranzdfifheBearbeitung der nordiſchen Geſchichte. 
Die Geſchichte der „Rérolutions des peuples da Nord 

ift mit bem vierten Bande, der vor kurzem erichienen iſt, eb⸗ 

geſchloſſen. Der Berf., 3. M. Choppin, der bereits durch 

einen Abriß ber ruſſiſchen Geſchichte bekannt ift, hat fein Werk 

auf eine wuͤrdige Weile zu Ende geführt. Der britte Theil 

beginnt mit einer allgemeinen Schilderung der Weltlape im 
15. Jahrhundert. So gelungen diefe Partie auch im Augemei⸗ 
nen ift, To ließe fich body Manches daran ausfenen. Wir har 
ben unter Anderm bemerkt, daß ber Verf. den wendiſchen Bollt- 
ſchlag, der doch mit den nordifchen Nationen durch die nädfte 
Blutsverwandtſchaft verbunden tft, gänzlich uͤberſehen hat. Wir 
erwarteten ferner, daß ber Verf. uns über einige Punkte ver 
neuern Geſchichte Mußlande unbefannte Auffdytüffe geben wuͤrde 
weit ihn feine frühere Stellung — er war Gecretaie bei the 
maligen ruffifhen Gefandten Kurafn — in ben Stand fett 
Notizen zu ſammela, die nicht für Jedermann zugänglid fad- 
Er ſchluͤpft aber abſichtlich über die Partien bin, won fü 
hätte compromittiren koͤnnen, ſodaß das Bild, das er von Rußs 
land entwirft, dürftiger ausfällt als der Theil feines Werts, 
weicher der Geſchichte ber übrigen Länder gewidmet ift. % 


Verantwortlicher Heraußgeber: Heinrih Broddaud — Druck und Berlag von J. X. Broddaus in Reipzig. 


Bıatter 


fat 


literariſche 


» En r 
. 


. 


Unterhaltung. 





Dienflag, 












Über den Scheintod. 
Die Unterfcheibung bes Gcheintobes vom wirklichen Tode; gur 
i uͤber die Gefahr, lebendi ben. 
Bon Br. Kaffe. a an 810 
Obgleich die Liebe zum Leben dem Menſchen, wie jeg⸗ 
Uichem Geſchoͤpfe eingeboren ift, das Gegentheil davon, der 
Lebensäuberdruß aber den abnormen Zuſtaͤnden zugezaͤhlt 
werben muß, fo laͤßt fich doch der Abfchen vor dem Tode 
überwinden. j 
Der Tod 


Iſt Gebot, 

Das verſteht ſich nun einmal, 
ſagen wir mit Goethe und beugen uns unter das unver⸗ 
meidliche Schickſal, je, wenn es gilt, unſer bischen Leben 
einer großen Idee zum Dpfer zu bringen, fo können wir 


uns ihm fogar mit Dutch und Freudigkeit in die Arme 


werfen. Nur möge er ung, wenn es möglich, raſch und mit 
Eräftigem Arme faſſen, die Pulfe des flerbenden Herzens 
nicht langſam in feinen Händen ausfchlagen Laffen. Dies 
Tcheint wenigfiens ber Wunfc der Mehrzahl zu fein und 
nicht Leicht Stiche ein Menſch eines raſchen, fanften Todes, 
daB er nicht von Vielen deshalb gluͤcküch gepriefen würde. 
Langes Sichthum, Schmerzen und Qualen und alle Vor: 
Tehrungen, deren ſich der Unerbittlidye bedient, um endlich 
den legten Reſt des Lebens abzutödten, vorzüglich aber 
jene Momente, in denen der Menſch zwifchen Leben und 
Tod bin und wieder ſchwankt, find es, die Alle fuͤrchten, 
von benen Alle gerne verfchont fein möchten, wenn bie 
Stunde des Sterbens naht. Kein Herz bleibt unbewegt, 
wenn es diefe legten Kämpfe, biefe Erampfhaften Schwin⸗ 
ungen bes erlöfchenden Lebens erblict, und nur erft wenn 
er legte Hauch ber geängfteten Bruft entflohen, wird un: 
Jere Bruſt wieder ruhig und wir preifen den Entſchlafenen 
luͤcklich, daß er überwunden bat und feiner Qualen ledig 
ſt. Nur ein Gedanke trübt noch unſere Rube: iſt er 
aud) todt, den wir foeben aus dem Leben fcheiden fahen ? 
wer bürgt uns dafuͤr, bag Kämpfe, wie wir fie foeben 
dor und fahen, auch immer dem wahren Tode in die 
Arme führen? 
In der That gibt es kaum ein ſchrecklicheres Bild 
als das eines im Grabe Wiedererwachenden. Zwiſchen 
guge Breter eingtzwaͤngt, Über, unter und meben fich bie 
amburchheinglihe Erbe, keine Spanne Raum, um nur ben 





13. Suni 1843. 









Verſuch zur Befreiung aus dem fuͤrchterlichſten aller Ker⸗ 


Per zu wagen, undurchdringliche Finfternig, Beine Luft als 


| der Beine Meft, der gerade noch hinreicht, die unaus⸗ 


ſprechlichen Qualen des Dafeins auf wenige Stunden zu 
feiften und‘ dazu ber Gedanke, mitten unter verweienden 
Leichen zu Liegen und auf die quatvolifte Weiſe verſchmach⸗ 
ten zu muͤſſen! 

D, wach’ ich auf, werd' ich nicht vafenb werben, 

Umringt von all’ den greuelvollen Schrecken, 

Und toll mit meiner Baͤter Glieder ſpielen? 

( Shakſpeares „Romeo und Zulie”.) 
Der ſchwerzlichſte Tod von Henkers Dand ift nur ein 

Kinderfpiel gegen dieſes Verſchmachten im Grabe; es troͤ⸗ 
ſtet wenigſtens dabei der Gedanke an die Gewißheit eines 
baldigen Sterbens und das brechende Auge ſieht noch 
Menſchen um fih und kann feinen Blick noch binamf 
richten nach dem trößlichen Lichte. Lebten wir noch zu 
den Zeiten ber Stiehen und Römer, fo wären wir aller 
Sorge um das Erwachen im Grabe uͤberhoben. Aber 
auch jegt noch gibt es viele Mationen ber Erde, die, weil 
doch nur aus einer gewilien Scheu vor dem Gedanken 
daran, ihre Todten nicht beerdigen, ſondern auf anbere 
Urt der Vernichtung preisgeben. In Siam, Cochin⸗ 
china und bei den Birmanen werben nur die Leidmame 
der armen und gemeinen Leute beerdigt, bei den His 
dus bie Verehrer des Schima begraben, bie des Wiſchnu 
hingegen verbrannt. Auch die Tſchuktſchen, akuten, Ja⸗ 
panefen, Tibetaner, einige pernanifhe Stämme und bie 
Esttmos verbrennen ihre Todten. Auf mehren Inſeln 
der Sübdfee läßt man fie auf hohen Geruͤſten verfaulen; 
ebenfo halten «6 bie Tſchaktas, worauf ihre Priefler das 
Fleiſch ablöfen und verbrennen, bie Knochen aber an der 
allgemeinen Begraͤbnißſtelle aufbemaben. Die Kamtſcha⸗ 
balen ſtecken bie Leichname von Kindern in hohle Bäume 
und bie Samojeden hängen fie in Wiegen an Baͤu⸗ 
men auf. Die Tibetaner, Siameſen und mehre nard- 
amerikaniſche Stämme tragen bie Todten auf Hıgel 
unb Gebirge, wo fie ben Elementen und Raubthieren 
preisgegeben find. In Tibet werben bie Vornehmen ein⸗ 
balfamirt, die Armen ins Waſſer geworfen. Die Birma⸗ 
nen nehmen die Eingeweide heraus, füllen dem Körner 
wit Spezereien, überziehen Iha mit Wachs, dann weit 
Herz, endlich wit Füttergoid verbreunen ihn aber nach 
Anigen Monsten Auf Drabeite wird ber. Körper nach 


4 : 


Entfernung dee Eingeweide mit wohlriechenden Slen bal⸗ 
ſamirt u. ſ. w. Uns erſcheinen zwar alle dieſe verſchiede⸗ 
nen Methoden, die Leichname aus dem Kreiſe der Leben⸗ 
digen zu entfernen, roh und barbariſch, aber geſtehen muͤſ⸗ 
fen wir doch, nicht eine darunter erfällt unfere Bruſt 
mit dem beengenden Gefühl, dad uns bei dem Gedanken 
an das Verſenken in bie finftere Erde und an ein mög: 
liches Wiedererwachen ergreift. Dennoch aber wird die eins 
fache Sitte, die Todten in die Erde zu begraben, bei als 
ien civilifirten Voͤlkern die herrſchende bleiben und fie 
würde ficher auch bie zweddmäßigfte fein, wenn nur einmal 
das Mittel aufgefunden wäre, alles Lebendigbegraben für 
immer zu verhüten. 

Aber ift denn auch die Furcht, noch lebend in die 
Erbe verfenkt werden zu können, fo gegründet, ald Viele 
wähnen? Hat man uns nicht, wie bei fo vielen Dingen, 
mit erdichteten und ausgefhmüdten Zeitungsnachrichten 
und Märchen erfchredit, von deren Wahrheit, bei Lichte 
betrachtet, am Ende Niemand etwas willen will? find 
auch Menfchen, die man für tobt hielt, im Grabe wieder: 
erwacht? Manche glauben nun einmal nicht daran und 
widerftreiten können wir ihnen nicht, daß bei foldhen Er⸗ 
zählungen viel leeres Geſchwaͤtze und Dichtung mitunter: 
läuft und daß Faͤlle der Art, wenn fie wirklich vorfommen, 
ſchwer zu conftatiren find. Aber leugnen Lönnen fie nicht, 
wenn fie anders bem darüber vorhandenen geſchichtlichen 
Stoff einige Aufmerkſamkeit gefchenkt haben, daß Schein- 
todte außerhalb des Grabes wieder ins Leben zuruͤckgeru⸗ 
fen worden find, und zwar unter ihnen folche, die nicht 
aur Stunden, fondern Tage in diefem fcheintodten Buftande 
zugebracht haben. Gerne geben wir, Insbefondere für die 
letztern Faͤlle die Seltenheit zu, aber genug, fie find vor: 
gekommen und was Über der Erde, kann audy unter ihr 
geſchehen. Kaͤme aber auc unter 100,000 Todesfaͤllen 
nur einer vor, wo ein für Zodtgehaltener im Grabe wie 
bererwachte und eines zweiten fo grauenvollen Todes ver: 
biihe, fo wäre es die Menfchheit fih und ihrer Ruhe 
ſchuldig, ähnliches Ungluͤck nad allen Kräften von fich 
abzumenden. 

Abgefehen aber auch von ber Wahrheit oder Unwahr⸗ 
heit folcher Kälte, fo ift hauptſaͤchlich die Möglichkeit der: 
felben wiſſenſchaftlich zu erörtern und die Frage zur Ent: 
fheidung zu bringen, inmiefern der wahre Tod aus dus 
Gen Zeichen am Leichname fiber zu flellen ift oder nicht. 
Da ber Segenftand für jeden Menfchen von hohem In⸗ 
tereſſe ift und auch eine für den Raten faßliche Erpilication 
zuläßt, fo möge es uns hier vergoͤnnt fein, etwas tiefer 
in denfelben einzugehen. Werfen wir zuvoͤrderſt einen 
Blick auf die verfchiedenen Exfcheinungen, welche wir ges 
wöhntich an dem Leichnam wahrnehmen, wenn ber lebte 
Lebensfunke erlofchen iſt. Sie treten vornehmlich in brei 
verfchtedenen Abfchnitten ‚auf, von denen ber erfte ben Zeit: 
raum der Erfchlaffung, der zweite den der Erſtarrung und 
der dritte den der Aufloͤſung barftele. Doch folgen biefe 
Zeiträume nur bet mittlerer Temperatur und bei mäßigen 
Geade der Feuchtigkeit: fo regelmäßig aufeinander. Bei 
Kälte und Trockenheit uͤberwiegt bie Erſtarrung und der 


todte Körper vertrocknet, ſtatt zu faulen, bei äußere 
Wärme und bei vollfaftigen Körpern dagegen tritt Die Aufs 
loͤſung früher ein und «6 kommt gar nicht zur Erflarrung. 
Der erfte Zeitraum beginnt mit dem Erloͤſchen aller Bes 
wegungsfaͤhigkeit. Selbſt die ſtaͤrkſten Reize, Kigeln mit 
der Feder an der Naſe und am Schlunde, Stechen mit 
Nadeln unter die Fingernaͤgel, Salmiakgeiſt an die Naſe 
gehalten, Auftroͤpfeln von brennendem Slegellack auf die 
Herzgrube u. ſ. w. vermoͤgen keine Bewegungen mehr her⸗ 
vorzutufen, auch das ſtaͤrkſte Licht feine Zufammenzichuns 
gen der Pupille zu bewirken. Mit der Bewegungsſaͤhig⸗ 
keit erliſcht auch das Refpirationsvermögen und der Blut 
lauf. Ein vor Mund und Nafe gehaltene Spiegel laͤuft 
nicht an, eine vorgehaltene Slaumfeder oder Lichtflamme 
bleibt unbemweglic und ein auf die Herzgrube gefegtes, mit 
Waſſer gefuͤlltes Gefäß zeigt keine Spuren von Athmunge⸗ 
bewegungen; Herz: und Arterienfchlag hoͤren auf, eine ges 
öffnete Vene gibt Fein Blut mehr. Dabei werden alk 
Theile des Körpers ſchlaff, verlieren an Volumen und 
finten ein, fo namentlih Schläfe und Wangen; die Aus 
gen finten in ihre Höhlen zurüd, die Naſe wird fpie, die 
Hornhaut fchlaff und trübez die Gelenke werden biegſamer, 

die innern Höhlen durch das Einſinken der in ihnen ent: 

haltenen Eingeweide geräumiger,, die Muskeln ſchlaffer; 

aller Lebensturgor verfchmindet, der Leichnam wird an dem 

Stellen, wo er aufliegt, platter und nimmt von dm Koͤr⸗ 

pern, auf denen er liegt, Eindrüde an, ber Bauch wird 

mehr in die Breite gedehnt, der Unterkiefer ſinkt herab, 

da6 Auge iſt halb geöffnet; die Schließmusfeln leiſten 

keinen Widerftand mehr und die Höhlen, zu denen fie ges 

hören, flehen offen. Das Blut zieht fih aus den aͤußern 

feinen Gefäßen zuruͤck in die Stämme der Venen, theil® 

weil das Leben zuerft in der Peripherie erlifht und die 

Kraft des Herzens nicht mehr zureicht,; es bis in die letz⸗ 

ten Berzweigungen zu führen, theils weil es durch den 
Drud der engern Gefäße oder der aͤußern Luft nad ins 
nen getrieben wird. Daher wird die Haut bleich, gelblich, 
befonders an der Nafe, den Wangen, Ohren, Elinbogen, 
Knien und Ferſen, und wenn man ein Kerzenlicht hintre 
die Hand eines Todten hält, fo erfcheint nicht jener roͤth⸗ 
liche Schimmer, wie er fih im Leben zeigt. Aud bie 
Augentider, Lippen, Mundhöhle, Naſenhoͤhle und Bruſt⸗ 
warzen werden bleih. Der ſchwerere Theil des Blutes 
fentt fih nad unten in die tieferliegenden Theile de& 
Körpers und bildet hier die fogenannten Todtenfleden, die 
auf den aͤußern Drud verſchwinden, allmälig aber wieder 
erſcheinen und eine Ergiegung außerhalb der Gefäße jis 
gen. Auch in innen Organen, Lungen, Leber, Darm⸗ 
kanal u. f. w., ſenkt fi) das Blut nach den tiefen Stil: 
len. Allmaͤlig erfaltet ber Leihnam und nimmt erft langs 
fam, gemeintglih erſt 15 — 20 Stunden nach dem Tode, 


die Zemperatur des ihn umgebenden Mediums an. Ber 


ſchieden ift dies jedoch je nach den, dem Tode vorange 
benden Krankheiten, nach Jahreszeit w. f. w. Die aͤußem 
Theile erfalten am früheften, und zwar zuerft Haͤnde und 
Süße, Lippen, Naſe, Schultern, Knie, dann Lelften, Ads 
ſelgruben und Nacken; hierauf erft die Rumpfhoͤhle, und 











zwar zuletzt bie Segend Über und unter dem Zwerchfele. 
Die voäßeigen Theile des Kötpers verbünften, ſodaß man 
fie in der Kaͤlte in Form eines Dampfes von ber Obers 
Häche und beſonders aus den Dffaungen der Schleimhäute, 
.am ſtaͤrkſten aber aus der geöffneten Bauchhöhle auffteis 
gen fieht. Der Leichnam nimmt dadurch an Volumen 
und Gewicht ab, die Haut wird trodener und bie der 
Oberflaͤche nahen Fluͤſſigkeiten zaͤher. Auch das Blut 
wird 24—36 Stunden nah dem Tode didlicher und 
dunkler, fodaß es, befonders an tiefer liegenden Steilen, 
eine fchwargothe, ktumpige ober falzige Maſſe darſtellt. 
Die Hompaut des Auges wird weißlich, die Fluͤſſigkeit 
deſſelben trübe und die Pupille mehr fhwarzgeau. Auch 
Die ferdfen Haͤute verlieren ihre Durchfichtigkelt. Gegen 
das Ende diefes Zeitraums fangen auch die organifchen 
Flaſſigkeiten an ſich zu fcheiden und duch die Wandun: 
gen durchzuſchwitzen; namentlich bringt bie Galle durdy 
die Gallenblafe in das benachbarte Zellgewebe, wäßtige 
Zeuchtigkeit in die von feröfen Häuten gebildeten Höhlen, 
Blut durch die Gefäßwände in die Subſtanz der Dr: 
gane u. f. w., wodurch ferdfe und blutige Infiltrationen 
entſtehen. 

Alle dieſe Erſcheinungen treten in allmaͤliger Folge, 
nie zugleich auf, ja es muß aus manchen Umſtaͤnden ge⸗ 
folgert werden, daß das Leben nie in allen Theilen zu⸗ 
gleich erliſcht, ſondern daß, waͤhrend es in den Central⸗ 
organen bereits aufgehoͤrt hat, es noch in einzelnen Re⸗ 
gionen fortglimmt und ſich in einzelnen, unzuſammenhaͤn⸗ 
genden Erſcheinungen kundgibt. So dauert nach erloſche⸗ 
ner Bewegung die Faͤhigkeit der Muskeln, ohne durch un⸗ 
gewoͤhnliche Reize zu Bewegungen veranlaßt zu werden, 
noch eine Zeit lang fort. Prochaska ſah die Muskeln 
bei einem menſchlichen Leichname eine Stunde nach dem 
Tode noch zittern und bei Reizung ſich zuſammenziehen, 
und Autenrieth ſah den mehre Stunden nach dem Tode 
abgefchnittenen Fuß eines an Lungenfuht Verflorbenen 
auf gafvanifche Reizung fih bewegen. Diefe Reizbarkeit 
erlifcht aber in manchen Organen früher, in andern ſpaͤ⸗ 
ser; nah Noften zuerft in den Arterienkammern des Her: 
zens, die die meiſte Muskelkraft befigen, dann in den will: 
Lürlichen Muskeln, hierauf im linken und zulest im rech⸗ 
ten Venenſacke, deſſen Lebenskraft noch durch das Zuſtroͤ⸗ 
men des Blutes von ben Hohlvenen aus erhalten wird. 
Aber auch noch auf andere Weife offenbart fi) das noch) 


fortglimmende Leben in muskuloͤſen Organen. Stedt man 


ein Stud Fleiſch von einem foeben gefhladhteten Thiere 
in den Gehoͤrgang, fo hört man ein NRaufchen, das fich 
mit dem gänzlihen Abſterben des Fleiſches verliert, Auch 
Starrkrampf und Kinnbadenkrampf dauern zuweilen bis 
zum Cintritt der Faͤulniß fort; desgleichen bie periftaltis 
fche Bewegung der Gedaͤrme und die Zufammenziehungen 
des Uterus, ſodaß man Frauen nod) nad) dem Tode hat 
gebären fehen. Aus der Cholerazeit her werden fi) man: 
che Leſer noch erinnern, daß einzelne Glieder der daran 
Berſtorbenen noch Stunden lang nah dem Tode zudten. 
Setöpfte Vögel laufen nod in derfeiben Richtung fort, 
die fie zuvor genommen hatten, und gelöpfte Froͤſche fah⸗ 


ven fort fich zu begatten. Enbtich ſah man Todte ſchwi⸗ 
gen und Ref. war felbft Zeuge eines Falles, wo man an 
mehren Koͤrperſtellen einer weiblichen Leiche noch getaume 
Beit nach dem Tode einzeine Schweißtropfen wahrnahm, 
bie, weggemifcht, fidy wieder erneuerten. Dan hat früher 
diefe, wenngleich filtene Erſcheinung zu den Erdichtungen 
gezählt, fie läßt ſich aber ebenfo wenig wegdemonftriren, 
als das Wachen der Zähne bei Kindern und das der 
Haare und Nägel nach dem Tode. 

Der zweite Zeitraum in der Reihe der Verwandlungen, 
welche der Leichnam durchläuft, beginnt, wenn anders die 
Zemperatur der ihm umgebenden Luft nicht zu hoch fl, 
gewöhnlich 12 Stunden nad dem Tode, bei Kindern aber 
etwas früher, und zeichnet ficd durch ein eigenthuͤmliches 
Phänomen, die Erflarrung aus. Es beginnen nämlich 
jest alle Organe ſich zufammenzuziehen; die Haut wird 
fefter, das Zellgewobe und die Bänder feſt und wie zus 
fammengezogen, Ohr: und Nafenknorpel pergamentartig 
fteif, die Eingeweide dichter, Herz und Gefäße enger; das 
Bett erflaret, wird talgartig, fodaß, wenn man an einer 
Stelle des Körpers, unter welcher Fett liegt, mit dem 
Singer druͤckt, eine Grube zuruͤckbleibt, die fich befonders 
in der Kälte lange erhält; das Blut in dem Herzen und 
Gefäßen zieht fih mehr zufammen, namentlich aber in 
den Schlagadern, und in dem linken Herzen, in der Aorta 
und in der Lungenvene bilden ſich polppenartige Berinnfel, 
Die auffallendfte Erſcheinung aber iſt, daß alle Gelenke 
ihre Beweglichkeit verlieren und der ganze Körper fteif und 
(änger wird, als er im Sterben geweſen. Die Steifheit 
beginnt zuerft am Rumpfe und Haffe, dann an den obern, 
endlih an den unten Gliedmaßen, und zwar bei dem 
Menſchen gewoͤhnlich 12 Stunden nad) dem Tode, nimmt 
allmätig zu, dann wieder ab und verfchwindet nach vier 
oder fünf Tagen in derfelben Orbnung wieder, wie fie bes 
gonnen hatte. Es ift diefe Erfheinung noch nicht bins 
reichend erklaͤrt, jedenfalls aber ift fie eine Hußerung der 
noch fortdauernden lebendigen Muskelkraft und hat ihren 
Sig in den Muskeln, denn, nad Nyſten, erfolgt fie auch, 
wenn die Haut abgezogen ift, ober die Gelenkbaͤnder durch⸗ 
ſchnitten und die Gelenkfäde entleert oder mit Waſſer ges 
fütte find, tritt dagegen nicht ein, wenn die Muskeln 
quer bucchfchnitten find, ſodaß die Gelenke nach Durchs 
ſchneidung der Beugemuskeln ſtreckbar, nach Durchſchnei⸗ 
dung ber Streckmuskeln biegfam bleiben. Sonderbar iſt 
e6, daß fih die Muskeln dabei in einem ebenfo feften, 
verkürzten und verdidten Zuſtande befinden, wie fie es bei 
willkuͤrlicher Bewegung find, ohne dag man beshalb bie 
Erftarrung der lebendigen Bewegung gieichftellen Eönnte, 
denn Augen und Mund öffnen ſich mehr als im erflen 
Zeitraume, ungeachtet die aufziehenden Muskeln des Uns 
terkiefers mehr Kraft haben als die herabzichenden, und 
der Ringmuskel der Augenlider ſtaͤrker ift als der Aufhebes 
muskel. Auch hat ein erflarster Muskel, nah Buſch's 
Berfuchen, eine ftärkere Cohaͤſion und trägt ein zwoͤlfmal 
fchroereres Gewicht ale ein ſogleich nach dem Tode aus⸗ 
gefchnittewer; wird aber die Erſtarrung durch dußere Bes 
malt überwunden, fo kehrt fie nicht wieder; wird ein ſtar⸗ 


0 ‚Stud mir Mendit- subagen,. eber din gebegenes ge: 
ſiredt, fo ieibt es bewaglih. 
So lange die Staerheit dauert, bemerke man nmoch 
Beine Faͤulniß. Mit ihr beginnt der dritte Zeitraum; alle 
noch an deu Proceß des Lebens ſtreifenden Erſcheimmgen 

nun, denn obſchon die allgemeinen Bedingungen 
derſelben, Waſſer, Luft und Wärme, mit denen des Les 
bens ibdentiſch find, fo iſt fie doch ein rein chemiſcher Vor⸗ 
gang, durch welchen Form und Structur des organiſchen 
Körpers zerſtoͤrt und er ſeibſt dem amorganifchen Reiche 
hingegeben wird. Die nähere Betrachtung dieſes Proceſſes 
bleibt hier ausgeſchloſſen, da es uns mur zunaͤchſt um ein 
treues Bild der dem Leben näher ſtehenden und dem Les 
ben im latenten Zuſtande verwandten Erſcheinungen zu 
chun fein mußte, die Faͤulniß aber als die Grenzſcheide 
enzufehen ift, mit welcher ber eigentliche Tod, ber Übers 
gang des Leibes in die allgemeine Form der Materie, der 
Eiemente, beginnt. 

Man folite meinen, bei einer ſolchen Mannichfaltigkeit 
von Merkmalen des Todes, wie wir fie oben in ihren 
Grundzügen aufgeführt, koͤnnte Aber die Gewißheit deſſel⸗ 
ben in vorkommenden Fällen ein Zweifel entiiehen und 
eine Verwechſelung mit dem lebenden Zuflande müßte 
Saum möglich fein. Und doch iſt es fo. Die ausgezeich⸗ 
netſten Ärzte Älterer und neuerer Zeit ſtimmen darin über: 
ein, daß es unter allen angeführten Zeichen bed Todes 
Fein einziges untrügliches gibe als die Faͤulniß, und wenn 
auch der Kenner aus der Geſammtheit der Zeichen fich 
noch vor Eintritt der Faͤulniß von der Gewißheit des eins 
getretenen Todes zu überzeugen im Stande fein foßte, fo 
vermag er Died doch nur im Verlauf der Zeit und mis 
Huͤlfe anzufteliender Verſuche, zu denen bie Gelegenheit, 
die rtlichkeit, die Zeit u. f. w. nicht immer guͤnſtig find; 
auch find nicht alle Zodtenbefchauer Kenner. 

Schon der befannte Zufland, welchen wir Ohnmacht 
nennen, gleiht in feinen Außern Erſcheinungen fehr dem 
Tode und ſteht ihm auch, feinem Weſen nad, in vielen 
Sällen nahe. Dem Ohnmaͤchtigen vergehen Hoͤren und 
Sehen, die Muskeln verfagen ihren Dienft und der Koͤr⸗ 
ger finkt, dem Geſetz der Schwere zufolge, zuſammen, fein 
Puls iſt mehr zu fühlen, die Hast, befonders im Geficht, 
wird eiskalt und bieih, die Phpflognomie verändert fich 
und wird ber eines Todten aͤhnlich, bie Augen fchließen 
fich und wenn man fie öffnet, fo führen fie doc, dem 
Benforium Leine Außen Bilder zu, die Schließmuskeln 
ber Harublaſe und des Maſtdarms hören zuweilen auf 
zu wirden, das Athmen, wenn es auch im geringen 
Grabe fertdauert, wird body nicht bemerkt, ebenfo daß 
Schlagen des Herzend. In einem ähnlichen Zuftande be 
barren unter den Thieren bie Winterfchläfer Monate lang; 
ohne Zeichen des Lebens, ohne Nahrung, ohne Ausleerun⸗ 
gen, ohne merkliches Athmen find fie einem Zuſtande bins 
gegeben, der dem Tode vollkommen gleich ift umd fi nur 
dadurch von ihm unterfcheidet, daß nur ein geringer Grab 
von Kreitlauf im Innern des Koͤrpers forsbauert und 
daß die Faͤhigkeit, von der zuruͤckkehrenden aͤußern Wärme 


Berantweortliger Herausgeber: Heinrio Broddaut. — 


wieder ind Leben yisheögerufen zu menbi, voch wicht a: 
loſchen if. Obgleich nun der Menſch in Hinſicht fing 
organiſchen Baus von dieſen Thieren maunichfaltig ab» 
weicht, fo kann er doch durch krankhafte Einwirkungen 
in einen aͤhnlichen Zufland von Scheintod verſetzt werden, 
ja es koͤnnen bie oben augefiehrten Zeichen des Tobes bei 
ihm groͤßtentheils vorhanden fein, und er Tann leben, ſa⸗ 
wie im Gegentheil bie meiſten fehlen koͤnnen und er dad 
tedt fein kann. Neugeborene Kinder kommen zumellen 
ohne alle merkbate Zeichen des Athemholens und 
Kreidlaufs zur Welt, verharren ‚längere Zeit im dieſem Zu⸗ 
flande und werben dech wieder zum Leben erweckt. Dem 
Ref. gelang es einſt din folches Kind, das bie . 

bereitd von ber Mutter getrennt umd als todt bei Gase 
gelegt hatte, zum Erſtaunen aller Anwefenden, durch fer 
geſetzte Belebungsverſuche wieber ins Leben zuruͤckzurufm. 

(Din Bertfegung folgt.) 


— 


£ 





Notizen. 

Joh. Chr. Gottſcheb gab im 3.1736 feine Ausfuͤhrliche 
Redekunſt, geiſtlichen und weltlichen Rednern zu gut” heraus. 
Da in derſelben einige Spoͤttereien über ben damals herkoͤmm⸗ 
lichen homiletiſchen Schlendrian 'unb damit Bufanımenhängenbes 
vortamen, fo wurbe ber Berfafler vor ben kurfuͤrſtlichen Kirchen⸗ 
rath gefobert, um ſich wegen ber visien anftößigen Dinge, bie 
ber fludirenden Jugend zum Argerniffe gereichten, zu verant: 
worten. Der gelehrte Profeffor wußte darauf, wie ex ferbft 
erzaͤhlt, nichts Anderes vorzufchlagen, als baß er alle feinen 
Dbern misfälligen Stellen, ja Alles, was von ber geiftlichen 
Beredtſamkeit handle, auslaflen wolle. Mit biefer Erkioͤrung 
gab man fidh zufrieden unb verbot bie angefchufdigte Ausgabe 
nicht einmal, doch mußte Bottfcheb noch verfpredgen, bie neue 
Ausgabe dem Dekan ber theologiſchen Facultaͤt zur 
figt vorguiegen und in einer alabemiihen Gelegenheissidgrift 
die Bemerkung einfließen zu laſſen, dab er es ben Studenten 
nicht wiberriethe, auch homiletiſche Borleſungen zu hören. Die 
vier fpätern Auflagen ber „Ausführlichen Rebetunft’‘ laſſen die 
Kanzelberebtfamteit in der That gang unberuͤckſichtigt. 


Eine der Alteften deutſchen Schriften über und für Buͤcher⸗ 
verbote if gewiß folgendes, 1581 in Wänden mit kaiſerlichem 
Privilegium gedruckte Buch: „Tractat Herrn Gabriel Peuthers 
beien von Thuron u f. w. Kon verbot unnd auffpebung deren 
Bücher unnd Schriften, fo In gemain cne nachthril umnd vers 
legung bes gewiſſens, auch ber frumb und erbarteit, ft mögen 
gelejen ober behalten werben. Erſtlich bey lebzeiten Kaifer Garis 
des V. im Latein beſchrieben, bifer geit aber von wegen des 
wercks nugbarteit, in das hoch Zeutich getrewlich und verftenbe 
ih tranßferirt.“ In der Vorrede des Überfegers werben zwei 
Gattungen ſchaͤblicher Bücher bezeidmet, Romane wie der 
wagen“ und der „Amadis von Gallia“ und Euther’s Schriften, 
Ba ba m Ann Finger wagt 

eht aus brei langen un iligen Dialogen, v op 
von gefchmadlofer elepefamteit und breußent auf echt inquik- 
toriſchem Zelotismus, der vor Allem die Unfehlbarkeit bes Pap⸗ 
ſtes lehrt und blinden Gehorſam gegen benfelben verlangt, gegen 
Luther und Calvin nicht h genug lossichen Tann unb nehme 
bei alle ſchoͤnen Künfte als felswerl verbannt. Das Bud 
if Denjenigen zu empfehlen, bie in unfern Zagen mit Girmenes 
sung aͤhnlichen Gefchreibfels eifrig befchäftigt find; ihnen mwixb 


ohne Zweifel gefallen, daß bier als der kürzefte Weg zu Were 
tilgung ſchlechter Buͤcher bad Verbrennen bee Chreider une 
empfoßlen wisb. 38. 


Drud und Werlag von 9. U. Brochaus in Letpz ig. 


mr — On AED — 


— — — — — — — - 


Blatter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Über den Scheintod. 
(Bortfegung aus Nr. 168.) 

Unterwerfen wie die einzelnen Zeichen des Todes einer 
aufmerkſamen Praͤfung, fo ergibt fih auch Hieraus ihre 
Unficherheit und Truͤglichkeit. Puls: und Herzſchlag koͤn⸗ 
nen auf längere Zeit dem Singer unfühlbae werben, ohne 
Daß deswegen immer ber Tod erfolgt. Bei hyſteciſchen 
Dhnmahten koͤnnen fie oft flundenlang vermißt werben 
und die Kranken bald darauf wieder friſch und gefund ers 
wachen. Bel manden Ohnmachten fühlt man bie ſchwa⸗ 
«hen Herzbewegungen dann nicht, wenn des Kranke auf 
dem Rüden liegt, weil ſich das Herz mehr nach hinten 

ſenkt. Manche Menfchen haben fo Meine Schlagadern oder 
ide Verlauf an der Handwurzel ift fo ungewoͤhnlich, daß 
man ihren Schlag gar nicht fluͤhlt. ef. kannte zwei 
fotche Menfchen, bei denen im ganz gefunden Zuſtande an 
dieſer Stelle kein Puls zu entdedien war. Berryat berich 
tet in der „Histoire de PAcademie des sciences” vom 
J. 1748 von einer Stau, bei der aud bei völliger Ber 
fundheit und bei der fläskiten Bewegung ober Erhitzung 
des Körpers, an keinem Thelle, felbft nit an der Bruſt, 
ein Pulsſchlag zu fühlen gewefen fei, aus welchen Grunde 
ihe mehre Arzte in Krankheiten aus Irrthum das Leben 
abgefprochen hatten. Das Athmen wird bei mandyen bp: 
fterifchen Ohnmachten gleichfalls vermißt. Es find Fälle 
vorgefommen, wo fich weder eine vor die Naſe gehaltene 
Flaumfeder noch eine vor Mund und Mafe gehaltene 
Flamme bewegte, nod ein mit Waſſer gefülltes und auf 
die Bruſt geftelltes Glas die geringſte Wellenbewegung 
verrieth, und doch war das Leben in ſolchen Fällen nur 
fatent und fonnte wieberangefacht werden. Daflelbe ges 
ſchah bet manchen Echängten und Ertrunkenen, bei denen ber 
Athmungsproceß längere Zeit ganz unterbrochen worden war. 

Ein noch trüglicheres Zeichen des Todes ift der Dan 
ges an Empfindung. Es gibt krankhafte Zuftände, na: 
menelich manche Schiagflüffe, Epilepfien, Katalepfien u, |. w. 
bet denen alle äußeren Reize, felbfl das Brennen des Koͤr⸗ 

pers ohne alle Äußerungen von Empfindung angewendet 
werden fönnen, und das Leben dauert doch fort. In den 
alten Derenprocefien fommen Säle vor, wo Menſchen ge: 
gen Stoß und Hieb, gegen Kneipen und Brennen ganz 
unempfindlich blieben und fogar unter ben entſetzlichſten 
Martern ber Tortur einſchliefen und keine Schmerzen em⸗ 


pfanden. Der heilige Auguſtin erzählte von einem Prie⸗ 


| tler, Namens Reſtitutus in Calama, daß er nach Belle⸗ 
ben füch dadurch, daß er einen Jammerton nachahmte, fo 


ben Sinnen entziehen konnte, daß er einem Todten gleich 
dalag und nicht nur Kuelpen und Stehen gar nicht 
fühlte, fondern audy einmal ohne ſchmerzliche Empfindung 
und ohne nachherige Wunde mit Feuer gebrannt wurde. 
Man bemerkte auch keinen Athem bei ihm und er ſelbſt 
fagte, daß er nur laute Stimmen wie aus ber Ferne 
hörte. Bruhier berichtet von einer jungen Kaufmann 
frau, die man am dritten Tage beerbigen wollte, daß man 
auf Berlangen ihres Mannes derfeiben noch tiefe Eins 
fhnitte gemacht und Scheöpflöpfe darauf geſetzt habe. 
Nachdem man deren ſchon 25 fruchtlos gefeut und bereits 
alle Hoffnung aufgegeben hatte, brachte es endlich ber 36. 
Einfchnitt dahin, daß die Frau über Schmerzen fchrie. 
Ein Beweis, wie wenig genügend bie neuere koͤniglich 
bairiſche Verordnung, nad) welcher jedem Todten ein ties 
fer Einfhnitt In die Fußſohle gemacht werden fol, zur 
Berhütung des Lebendigbegrabens iſt. 

Wie die Empfindung, fo fehlt auch bei manchen 
Scheintodten die Bewegung, ſodaß fie Tage fang ohne aße 
Lebenszeichen daliegen; ja auch bie dufere Wärme, die ja 
andy bei Ertrunkenen und Erfrorenen fehlen kann, ohne 
daß fie deshalb unmiderruflich todt find, kann bi zu ef 
nem Grade ertöfchen, fodaß dee Körper eine Marmorkaͤtte 
annimmt und doch noch Lebensfähigkeit befigt. 

Die Todtenftarre beweift ebenfo wenig gegm das noch 
fortdauernde Leben. Man Hat Menfchen fich wiebereches 
len fehen, die in harten Mintern vie ein Schelt Hof 
ftare gefroren waren. Auch folhe, die in kaltem Wafſer 
ertrunken find, werden ganz fteif, und doch find darunter 
manche wieder ins Leben gerufen worden. Aber auch 
krankhafte Zuftände haben eine ſolche Starrheit in ihrem 
Gefolge, namentlich, gehört hierher der Starrkrampf (te- 
tanus) ; fie ift daher keineswegs ein nur dem gewiſſen 
Tode zukommendes Merkmal. Umgekehrt iſt aber auch 
der Nachlaß der Muskelthaͤtigkeit, das Herabfinfen der uns 
tern Kinnlade, die Unthätigkelt der Schließmuskeln u. ſ. m. 
Bein folches Zeichen, denn das erfiere kommt auch bei 
ſcheintodten Kindern vor, bie wieder zum Leben kommen, 
und ummilltürliche Harn = und Darmausleerungen kommen 
auch bei Ohnmachten vor. 


Endlich ift auch das Brechen dee Augen ober die Ver⸗ 
dunkelung der Hornhaut nur ein ſehr ungewiſſes Kenn: 
zeichen, und es gibt krankhafte Zuſtaͤnde, bei welchen nad) 
dem Tode die Hornhaut noch fo durchſichtig bleibe mie 
im Leben. Schon Portal bemerkt, daß bei Erſtickten und 
Bei Solchen, die keines langfamen Todes geftorben find, bie 
Augen zuweilen noch am dritten Tage nady dem Tode 
hell und fogar heller find, als fie felbft im Leben waren. 

Selbſt die Faͤulniß, obwol unter allen das ſicherſte 
Kennzeichen des wahren Todes, erfodert zu ihrer Unter⸗ 
ſcheidung in einzelnen Faͤllen große Aufmerkſamkeit und 
ſcharfe Sinne, denn auch Geſicht und Geruch koͤnnen ſich 
taͤuſchen. Es koͤnnen einzelne Glieder, z. B. in Folge 
des Brandes, faulen, ohne daß der Tod im Ganzen ein: 
getreten iſt. Die beginnende Faͤulniß reiche daher nicht 
immer bin, einen Berftorbenen für wirklich todt zu erklaͤ⸗ 
een. Schon der große Haller fagt: „Ich halte nicht da» 
für, daß bie anfangende Faͤulniß für ein gewiſſes Zeichen 
des wirklichen Todes angenommen werden Bönne, da fie 
nicht felten fogar im Iebenden, dem Tode nahen Men: 
{chen fo vorhanden ift, daß biefer felbft feinen nahen To⸗ 
dessuftand vorausgerocdhen hat.’ 

Unfere Leſer mögen hieraus erfehen, daß felbft die Zei: 
hen des Todes, die man als die vorzüglichften herausge⸗ 
hoben hat, keineswegs über alle Zweifel erhaben find und 
in uns jede Befürdtung vor dem Wiedererwacdhen im 
Grabe zu zerſtreuen vermögen. Andere, weniger gewich⸗ 
tige, auf deren nähere Prüfung wir uns hier nicht eins 
laſſen können, vermögen es begreiflicherweife noch weniger. 
Angenommen aber auch, daß die Sefammthelt aller Er: 
fiheinungen des Todes die Gewißheit feines Eintritts zu 
verbürgen vermöchte, in weſſen Hände würde man in jes 
dem einzelnen Falle den Ausſpruch uͤber Leben und Tod 
legen können? Doch gewiß nur in die ber Ärzte, und 
zwar unter ihnen wieder nur in die der erfahrenfien, ges 
wiſſenhafteſten, mit den ſchaͤrfſten Sinnen ausgerüfteten, 
umfichtigften. Daß aber eine ſolche Todtenſchau, wenig⸗ 
ſtens in Heinen Orten nicht ausführbar ift, leuchtet von 
felbft ein. Wir muͤſſen daher diefe an die des Faches 
wenig oder gar nicht Kundigen, an Wundärzte zweiter 
Claſſe, Bader u. f. m. Übertragen. Aber find dieſe zu eis 
nem folhen Sefchäfte, was wahrlid Leine oberflächlichen 
medicinifchen Kenntniffe erfodert, geeignet? glaubt man fie 
abrichten zu können, Das zu fehen und zu erforfchen, was 
oft nur dem gehbteften Auge mit Mühe gelingt? Wol 
mögen ihre Kenntniffe für gewöhnliche Fälle ausreichen, 
aber für diefe find wir gerade ihres Ausſpruchs am wer 
nigften bebürftig, fondern wir wollen in folchen Faͤllen 
Gewißheit haben, wo die Merkmale ungewiß, täufchend, 
wo die Grenzen zwiſchen Leben und Tod ſchwer aufzus 
finden find. Angenommen aber auch, dergleichen Leute 
wären diefem Gefchäfte gewachſen, fo find fie nicht ein; 
mal an allen Orten zu haben, es muß daher die Todten⸗ 
ſchau auf dem Lande den in den Städten wohnenden 
Chirurgen und Badern übertragen werden. Das fcheint 
leicht ausführbar, entfpricht aber, wie fi) Ref. aus Ex: 
fahrung überzeugte bat, durchaus nicht dem Zweck einer 


ſolchen Todtenſchau. Um zu beflimmen, ob ein Verſtor⸗ 
bener etwa noch im Scheintode liege, muß bie Beſichti⸗ 
gung ber Leiche ſogleich vorgenommen, um dagegen zu bes 
flinnmen, ob die Leiche der Erde übergeben werben darf, 
kann fie erſt nach mehren Tagen wiederholt werden, ja 
oft reichen dazu mehre Tage nicht Hin, weil die Faͤulniß 
fpäter eintritt. ine einmalige Befichtigung iſt daher in 
keinem Falle zureicgend, fondern es müffen deren mehre 
vorgenommen werden. Kommt der Leichenfchauer zu früh, 
fo kann er keine Erlaubniß zur Beerdigung ertheifen, 
kommt er zu fpät, fo kann indefien die Faͤulniß ſolche 
Sortfchritte gemacht haben, daß fie die Lebenden beldfligt, 
ihnen ſchaͤdlich wird und der Leihnam kaum unter Rei: 
chenbegleitung zur Erde beflattet werden kann. Die Ber 
gltung, die ein Leihenfchauer für feine Mühe erhält, ik 
begreiflicyerweife auf dem Lande fo gering, dag man ihm 
nit zumuthen kann, feine Beſuche, befonders im Wins 
ter, bei fchlechter Witterung und fchlechten Wegen zwei, 
drei und mehre Date zu wiederhofen, er kommt daher ein, 
hoͤchſtens zwei Mal, ftellt den Beerdigungsfchein aus und 
die Sache iſt abgethan; mit weicher Garantie für den 
wirklichen Tod des zu Unterfudyenden iſt leicht zu ermeſſen. 
Wir leugnen dabei durchaus nicht, daf eine folche Leichen⸗ 
(hau nicht auch ihren Nugen hat, daß namentlich daburdy 
nicht verborgene Verbrechen, Berfäumnifie u. ſ. w. ans 
Licht gezogen werden Sinnen, aber vor dem moͤglichen Res 
bendigbegraben ift fie Fein binreichender Schuß. 

Hätten wir nur ein einziges ficheres Zeichen des ge 
wiſſen Zodes oder könnten wir unfern Leichenfchauers es 
nen Lebens = oder Todtenmeſſer in die Hand geben, mit 
dem fie die verfchiedenen Grade bes noch deflehenden Les 
ben& oder beginnenden Todes abmeffen kinuten, wie man 
etwa mittel6 bes Aërometers die verſchiedene Schwere agi> 
fliger Fluͤſſigkeiten abwägt, fo wäre uns geholfen; Beides 
aber gehört noch zu den vielen Dingen in der Welt, die 
wir fuchen und bis jegt noch nicht gefunden haben. Ge 
dacht und verfucht iſt darüber mancherlei worden; fo bat 
namentlich ſchon vor 50 Jahren der Engländer Kite als 
Prüfungs : und MWieberbelebungsmittel die Elektricität vors 
geſchlagen und fpiterhin Greve und Heidmann dies mit 
dem Galvanismus gethan, ja Struve zu biefem Zwecke 
einen eigenen galvaniihen Apparat, von ihm Galvanodes⸗ 
mus oder Lebensprüfer genannt, erfunden, allein die Vor⸗ 
ſchlaͤge dieſer Männer find ſaͤmmtlich nicht zur allgemels 
nen Anwendung gefommen und die Gefchichte der Medi⸗ 
cin bat fie nur noch gleich alten Waffen in einer Ruͤſt⸗ 
kammer aufbewahrt. 

(Die Bortfegung folgt.) 





Zur Gefhichte des 16. Jahrhunderts. 
Briefwechſei der beruͤhmteſten Gelehrten bes Zeitalters der Re 
formation mit Herzog Albrecht von Preußen. Bei zur 
Gelehrten⸗, Kirchen⸗ und politifhen Befchichte des 16. Zaher 
hunderts, aus Driginatbeiefen biefer Belt von 3. Beigt. 
Königsberg, Borntraͤger. 1841. Gr. 8. 3 Thir. 


Durch zufälige Umftände verhindert, in biefen Blaͤttern 
das vorliegende Ihäsbare Werk gieich nach feinem GErfdheimen 
zu befprechen, barf Ref. vorausfegen, daß baffelbe den Wiänmwern 











u Eat. ge Ti. 


von hereits binreichend bekannt und als ein veidhhaltiger 
—ãâſ Seichichte jenes Zeitalters, defſen Jundgruben noch 
immer nicht erſchoͤpft find, beſtens empfohlen ſei. Aber dieſe 
angiehende Sammlung von Urkunden und Dentmätern bes ges 


ſchon mannichfach für gruͤndliche Geſchichts forſchung erſprießlich 


geweſen, an Ranke's Außerung in ber Vorrede zur „Deutſchen 


zeugen und den echteſten unmittelbarſten Urkunden auferbauen 
werde, und dazu wird auch dieſe Briefſammlung das Ihrige 


des Altern, Markgrafen von Anſpach und Baireuth, ſchon im 
zwanzigften Lebensjahre Hochmeiſter des Deutichen Orbens ward, 
und nachdem er in kräftiger, vorurtheitsfreier Überzeugung . vom 


aben möchten. 
berühmteften Gelehrten des Zeitalters der Reformation‘, was 
jedoch dahin beſchraͤnkt werden muß, daß auch einige minder 
berühmte, aber allerdings ausgezeichnete Männer bier auftreten 
und bie beiden Koryphaͤen, Luther und Melanchthon, obwol audy 
fie mit dem Herzog in Briefwechfel fanden, übergangen find, 
aus bem guten Grunde, weil ihre Sendſchreiben an ihn bereits 
anderwärts durch den Drud befannt gemacht wurden. Zum beſſern 


‚BVBerftändniß der Briefe find denfelben kurze Nachrichten von den 


Lebenäumftänden und ber Stellung ihrer Berfaffer vorangefchickt, 
die ausgewählten Bragmente ihrer Mittheilungen aber durch 
erläuternde Zwiſchenreden bes Deren Herausgebers zu einem 
Ganzen verbunden. Die Sendſchreiben felbft, obwol nicht volls 
ftändig vorliegend, bieten body ein treues Bild der Denfart und 
Beftinnung jedes Einzelnen bat. Die eingewebten Bruchſtuͤcke 
aus den Briefen bes Herzogs find nicht minder anziehenb als 
die meiften übrigen unb verdienten in vollem Mae nicht nur 
aufbewahrt, fondern aud in einem größern Kreife bekannt ge⸗ 
macht zu werden, wie fie denn als böchft achtenswerthe Zeugnifle 
von bem Seelenadel bed erlauchten Herrn erſcheinen. 

Man kann nicht ohne bie lebendigſte und freudigſte Theil⸗ 
nahme ſolche Urkunden des innern und aͤußern Lebens eines 
Farſten betrachten, der unter den Stuͤrmen einer tiefbewegten 


Zeit, im Kampfe mit mamnnichfach wiberwaͤrtigen Verhaͤttni 

im Drange vieifaͤltiger Sorgen und Geſchaͤfte einer ſich ja 
geftaitenden Regierung bie hoͤchſten Angelegenheiten bes Lebens 
nie aus den Auyen verliert und Muße zu gewinnen weiß, fich 
räftig fortzubiiben, mit vielen auswärtigen Gelehrten in regen 
Verkehr zu treten, nicht nur ihre bäufigen Zufchriften mit umers 
müblihem Wohlwollen zu empfangen unb dem Inhalt berfelben 
bie forgfältigfte Aufmerkſamkeit zu widmen, fondern auch in ber 
Regel bald und umſtaͤndlich zu beantworten. Bei entfchiedener 
Vorliebe für die Theologie bewahrte er hoch ein lebhaftes 
Sntereffe auch für andere Wiffenfchaften, bie höchfte Achtung 
für gruͤndliche Gelehrſamkeit und erwarb fich felbft ein reiches 
Mas von Willen und Einfiht. Wenn er in feiner Hinneigung 
zur Aftrologie und in feinem Wohlgefallen an der Rekromantie 
und Nativitätöftellung von dem Wahne und den Vorurtheilen 
feines Zeitalter abhängig blieb, fo war ihm dieſe Schwachheit 
mit vielen acdhtbaren Zeitgenoflen gemein, unb er erbob fich in 
anderer Beziehung hoch über den noch herrfchenben Aberglauben. 
Dem geläuterten evangelifchen Glauben und bem großen Werk 
der Kirchenreformation mit ganzer Seele ergeben, forfchte er 
fleißig in der Schrift und feheute die Mühe nicht, weitfchweifige 
und fehwerfällige Commentare, auch lateinifhe, ausdauernd zu 
iefen. Um das hellere Licht, das ihm aufgegangen war, überall 
in feinem Lande zu verbreiten, geündete er mit unermüdlichem 
Eifer und mit einer bei feinen eben nicht glänzenden Finanzs 
verhältniffen um fo ehrenvollern Munificenz Schulen, auf beren 
Gedeihen er, mitten unter vielen Kegierungsforgen, unabläffig 
bedacht war, und bie Univerfität Königsberg, der er bid an fein 
Ende, duch manche wiberwärtige Erfahrungen nicht erkaltet, 
die liebevollfte und thätigfte Vorforge widmete. Um für biefelbe 
tüchtige Lehrer und für bie eriebigten Bifchofsfige und Pfarreien 
gelehrte und treue Seelforger zu gewinnen, trat er mit fo vielen 
berühmten Gelehrten des Auslandes in brieflihen Verkehr, ins 
dem er entweder fie felbft zur Annahme der vacanten Stellen 
zu bewegen ſuchte ober ihren Rath und Beiſtand zur Berufung 
geeigneter Männer exbat. 


Diele der ausgewählten Briefe in der Voigt'ſchen Samm⸗ 
(ung beziehen ſich zumeift auf ſolche Bacanzen, aber fie find, 
der Sinförmigkeit deſſelben Gegenftandes ungeachtet, nichts we⸗ 
niger als langweilig. Denn recht anſchaulich dyarakterificen fie 
die Denkart und Gefinnung des Herzogs und der damaligen 
Gelehrten. Man kann ſich einigen Unbehagens und Misfallens 
nicht erwehren, wenn man immer wieder wahrnimmt, wie fo 
viele, faft die meiften berühmten Männer, mit denen ber großs 
müthige Kürft in nähere ober entferntere Beziehung trat, fein 
Wohlwollen und feine immer bereitwillige Wopithätigkeit in 
Anſpruch nahmen, um für fich eine flüdtige Gabe oder größere 
Unterftügung zu erbettein ober herauszuloden Zu ihrer Ents 
fdyuldigung dient wol die in Folge der damaligen Zeitverhättniffe 
oft hoͤchſt befchränkte, drüdende, ja peintiche Cage vieler Ges 
lehrten, die Unficherheit ihrer Exiſtenz, die Kargheit ihrer Be⸗ 
foldung und bei den Theologen insbeſondere der oft rafche 
Mechfel ihrer Stellung, ba fie um ber Lehre und bes Bekennt⸗ 
niſſes willen von Stadt zu Gtabt, von Provinz zu Provinz 
getrieben wurden, zumal während ber Interimsftreitigkeiten und 
der Religionskriege. Auch ift in Anfchlag zu bringen, baß bas 
mals Manches unverfänglich und unanftößig war, wogegen jeht 
unfere Anſichten und Gefühle fich firduben. Dod muß man 
die Geduld und Dienftfertigkeit des Herzogs, der, wo es irgend 
möglich war, nicht leicht die erbetene Hülfe verfagte, wie ex 
auch mit unerbetener oft entgegentam, ebenfo fehr bewundern, 
wie man den Mangel an zarter Ruͤckſicht und rechtem Ehrgefühl 
an mandem ber Gelehrten beklagen möchte. Da legt es ber 
eine auf ein vergütdetes Becherlein, der andere auf 00 oder 
50 ober auch nur auf 25 Gulden an; einige begehren zur 
Herausgabe gelehrter Werke, die bei dem bamaligen ſehr une 
volltommenen Zuftande bed Buchhandels nur durch Vertrag mit 
einem Buchdrucker auf eigene Koften des Autors in Selbſtverlag 
erſcheinen konnten, oder zur Fortſetzung wiſſenſchaftlicher Studien 


und Srperimente, ober zur Bettung aus haͤudlicher Verlegen 
auch wol zu einem Dausbau ober zur Anſchaffung ber n 
fegienden Fenſter in dem neuen Haufe, größere ober kleinere 
Unterflägungen, ober ein Darlehn von 100, auch wol 6700 hlx. 
und erneuen, wenn die begehrte Entſcheidung verzieht ober nicht 
ganz befsiebigend iſt, immer wieder ihre Anliegen mit merk⸗ 
würdiger Unverfchämtbeit. Der gute Herzog hilft, wo er fann, 
verfpricht bisweiten auch mehr als er bei dem ſchwankenden 
Zuftande feines Rammervermögens halten kann, und Mancher 
muß auf die zugefagte Summe lange warten, fie immer wieber 
in Erinnerung bringen, endlich woi auch ganz auf ben Smpfang 
verzichten, weil ber gnäbige De war die Zahlung angeorbnet 
bat, die Kammer fie aber nicht leiſten kann oder nicht will. 

Diejenigen, deren Bekanntſchaft der Dexiog nicht ſelbſt 
ſuchte, die er nicht zuerft mit einer Zufchrift begrüßte, bahnten 
fi) den Weg zu ihm durch die Bermittelung anderer, ihm 
ſchon Befreundeter, am bäufigften durch bie Debication eines 

lehrten Werkes, mit dem fie ihn überrafchten. Gr nahm 

—*— Zueignungen immer dankbar an, und da ſein lebhafter 
und aufrichtiger Eifer für Wiſſenſchaft und Kunſt, feine Freude 
an ausgezeichneten Leiftungen und an den Fortſchritten der 
Studien nicht ganz frei war von ber Eitelkeit, als Förderer 
alles Guten und Schönen, ald Protector der Gelehrten Öffentlich 
anerfannt und gerühmt zu werden, fo ließ ex es nicht nur gern 
geſchehen, fondern veranlaßte wol auch felbft, daB man Werte, 
denen er einen befonbern Werth beimaß, oder die berühmt zu 
werben verſprachen, ihm bebicire. So find kaum je irgend 
einem andern Fuͤrſten fo viele große und Kleine, erbautiche und 
geiehrte, gute, mittelmäßige, auch mistungene Bücher zugeeignet 
worden wie dem Herzog Albrecht. 

3u manden Schriften aber gab er auch felbft die erfle 
Veranlaffung. Denn er nahm, wie an ben aufblübenden Wiſſen⸗ 
fhaften und an der neuen Geftaltung ber Kirche, ihrer Lehre 
und Verfaffung, fo an den theologiſchen Streitigkeiten feiner 
Zeit zu lebhaften Antheil, als daß er nisht begierig geweſen 
wäre, entweder dad Gutachten der Männer, die ihm vorzügliches 
Bertrauen einflößten, zu vernehmen, ober audy fie zu bewegen, 
daß fie oͤffentlich für diejenige Meinung ſich erklärten, ter er 
ſelbſt huidigte. Dies war befonders bei den Dfiander’fchen 
Streitigkeiten der Kal, die ihm ſelbſt fo nahe angingen, fo tief 
berührten, fo mannichfach beunruhigten. Diefer ärgerliche Streit 
iſt charakteriſtiſch für das Zeitalter. Es war noch ein harter 
Kampf na außen zu beftehen, bie Eriftenz ber evangelifchen 
Kirche noch fo mannichfady bedroht und gefährdet, ein muthiges 
Zuſammenhalten und frieblide WBerftändigung der viel ange: 
fochtenen Gemeinden und ihrer Vorſteher das dringendſte Ber 
bürfniß; und doc, erhisten fidy die Bemüther, die auf Einem 
Grunde, an Einem Werke bauten, fo gar leicht, daB aus einem 
Beinen Funken raſch cine große und vermüftende Flamme ſich 
entzünbete. Nicht nur eine geringe Abmeichung von dem herr: 
ſchenden Lehrbegriff, aucd eine eigenthuͤmliche Geſtaltung und 
Sntwidelung des Dogmas, bie mit jenem nicht buchftäblich 
übereinftimmte, etwas hinzuguthun oder davon zu nehmen fchien, 
ein ungewöhnlicher Gedanke, ein verfängliches Wort regte bas 
mals das reisbare Geſchlecht der Theologen, einen oft nur zu 
fleiſchlichen Eifer auf und riß Laien mie Geiftiiche zu beftigem 
und hartnädigem Widerſtande mit fort. Es war eben eine 
Seit allgemeinen und feurigen Kampfes, da benn in tiefents 
brannter Kampfbegier bie Waffen gleich ungeftüm gegen Freund 
und Feind fich richteten und der Freund leicht ſeibſt als ber 
aͤrgſte Feind erſchien. Ofiander's früher Tod verföhnte feine 
erhigten Gegner nichts die Wunde biutete und eiterte noch fort, 
als Der, welcher bei reblichem Streben, urfprünglich wider feinen 
Willen, die Urfache derfelben geweſen, ſchon, allem Kampf ent: 
nommen, zu feiner Rube eingegangen war. Sagt man, ber 
Herzog hätte ſich in biefe theologilchen Haͤndel nicht miſchen 
follen, fo vergißt man, daß es rein unmöglich war, ruhiger 
Zuſchauer zu bleiben und daß, zumal in jener Zeit, die am 


zuließ, Jeder, per der Dr ber allerdings über ben Parteien 


ſtehen unb von ihren Wirren fi frei erhalten follte, fi 
wenn er vermittelnd eintrat, body irgend eine entidgiebene Mei: 
nung ſich erringen und mit biefer ber einen ober der andern 
Partei fi) zuneigen mußte. Daß er ben von ihm berufen, 
redlichen, aber ftreitluftigen und eigenfinnigen Anbreas Oſiander 
gegen die ungeflümen Angriffe feiner Goflegen in Schut nahe, 
das kann ihm um fo weniger zum Vorwurf gereichen, ba er fi 
keineswegs zum Richter über den theologiſchen Streit aufwarf, 
fondern von beiden Parteien Eiare, unummwunbene Ecklirungen 
ihrer Meinung, fowie von auswärtigen Theologen gränkide 
Gutachten begehrte und Alles aufbot, um ben geflörtem Kirchen⸗ 
frieben wiederherzuſtellen. Meint man aber, er hätte, um ben 
ärgerlichen, verderblichen Streit gleich im Sntfichen zu unts 
brüden, ben Kämpfern alsbald Schweigen gebieten Hr ſo 
moͤchte dies mit dem Priacip ber Lehrfreiheit ſchwerlich zu vers 
einigen fein. Es iſt nur zu rübmen, daß, während manke 
feiner 3eitgenofien, die noch nicht zur evangeliſchen freiheit 
binburchgebrungen waren, gern eine paͤpſtliche Autorität fi 
angemaßt und widerwaͤrtige Meinungen nicht blos mit hm 

wert des Geiſtes, ſondern auch mit ben ſchnoͤden Waffen ver 
Snquifition und der Kegergerichte bekaͤmpft hätten, Oerzeg 
Albrecht zur Unterbrüdung der Meinungsverichiebenheit und der 
ipn tiefbefümmernden Zwietracht feiner Theologen gewaltthätiger 
Mittel ſich nicht bebienen mochte. 

Es würde fi) der Mühe lohnen und wol mandem Leſer 
willlommen fein, wenn wir aus der Schatzkammer, bie bier 
aufgethan ift, alleriei Perlen, Gbelfteine und Erzſlufen, von 
denen, neben einigem Lofen Geftein und geringhaltigem Metall, 
eine reiche Auswahl ſich barbietet, zur nähern Beſchauuag ber: 
vorhöben. Wir dürfen aber ben Raum biefer Blätter, vie 
vielen und verfcdhiebenartigen Bebärfnifien genügen und das reiche 
Gebiet ber neueften Literatur umfaffen follen, nigt mehr als 
bilig in Anſpruch nehmen; und fo mäÄflen wir und begnügen, 
bon den Gorrefpondenten bed Herzogs unb von bem Inhalt ihrer 
Briefe Ciniges anzubeuten, was mehr zum Eefen ber ganyen 
Sammlung reizen als es überfihffig machen ſoll. 

(Die Bortfegung folgt.) 





giterarifhe Anzeige. 


KALTSCHFIDT (3. H.), : 
oltffändige 
PRTIT DICTIONNARE | 45 cn krarkerbnd 


francals- allemand et allomand- der franzöfifgen und deutſchen 
frangals 


I) Tao), 
Br a ame na im, 
16. Geh. 24 Nor. 


Leipzig, bei $. A, Brockhaus. 


Diefes Wörterbuch zeichnet ſich vor allen anbern Taſchen⸗ 
Wörterbüchern durd) Wortreichthum, Töne Autfkat: 
tung und einen verhäitnißmäßig Biligen Preis aus. Ducd 
bie zweckmaͤßigſte und raumerfparenpfte typographifcge Sinrid. 
tung wurde es möglich, faſt die boppelte Zahl der in anbern 
ähnlichen Werken enthaltenen Wörter aufgunepmen , fobaß Kalt 
ſchmidt 4.8. im Buchſtaben A über 4000 verzeichnet, währen 
die bis jegt bekannten Tafchens Wörterbücher Deren Faum 2008 
nachweiſen. Da es Überhaupt im Ganzen an 70,000 Wirte 
enthält, mithin an Wortreichthum ſeibſt Thibaut übertrifft md . 
hierdurch für bie Befiger andere Eoftfpielige Wörterbücher iker 
fläfiig macht, fo wird ber Preis deflelben um fo mehr bilig 
tendeinen, als auch Drud und Papier nichts zu wänfchen übrig 
affen. 


Berantwortliher Herausgeber: Heintih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodpand in Leipzig. 
nn 


———[ u To — — — — — 


Blätter 


für 


(iterarifde Unterhaltung. 


Donnerdtag, 


15. Zuni 1848. 








Über den Scheintod. 
(ortfegung aus Nr. 165.) 

Hr. Geheimer Medicinaltath Naffe hat uns In der oben: 
genannten Schrift ein neues Unterfcheibungsmittel des 
Scheintodes vom wirklichen Tod dargeboten. Der Verf. 
iſt als guter und fcharffinniger Beobachter befannt und 
fein Name hat einen guten Klang in der MWiffenfchaft, 
weshalb wir uns doppelt aufgefodert fühlen müflen, ſei⸗ 
nem Vorfchlag ein williges Ohr zu leihen. Die Gründe, 
auf die er ſich fügt, find, wie fi dies erwarten läßt, 
nicht aus der Luft gegriffen, fondern haben Gehalt und 
Erfahrung zur Baſis. Der Wunfh, ein fiheres Pruͤ⸗ 
fungsmittel des wahren Todes zu finden, wird aber noch 
mehr durch die Lecture feines Schriftchens gefleigert und 
Die Trüglichleit aller Zeichen des Todes, tie fie bier von 
einem Kenner und tüchtigen Phyſiologen gezeichnet wird, 
kann die Furcht vor dem Lebendigbegrabenwerden nur vers 
mehren. Er zeigt nämlich unter Anderm, daß bie beiden 
Erfoderniffe zum Athmen, einathmungsfähigee Blut und 
das Dafein einer zum Athmen tanglichen Luft mit dem 
legten Athemzuge keineswegs hinweggenommen werben ; 
dag nah dem leuten Athemzuge noch eine beträchtliche 
Menge Luft in den Lungen zurüdbleibt, woraus das in 


ihnen befindliche Blut einen, wenn auch nur geringen: 


heil bes zur Unterhaltung des Lebens noͤthigen Einfluſ⸗ 
fes ſchoͤpfen kann; daß felbft bei in Waſſer Verungluͤckten 
die Daut noch den Saueritoffantheil der in dem Wafler 
aufgelöften Luft verzehre; daß die Blutbewegungen, wenn 
auch in einem ſchwachen Grade, noch nach dem Stoden 
der Herzthätigkeit fortdbauern; daß 10, 15 — 20 Stunden 
und zutellen noch mehr dazu gehören, ehe der Körper bei 
einer mittleren Xemperatur feiner Umgebungen um 12 
Grad von feiner Normalwärme herabfinft, und daß bie 
fintende Wärme, fo lange fie fi in der Nähe des nor: 
malen Standes hält, noch die Acte, In denen das Leben 
Defteht, unterhalten könne; daß, Meffungen bei Verftorbes 
nen zufolge, die innere Wärme fi nach dem Aufhören 
Des Athemholens und dem Ausbleiben des Pulſes noch 
ein paar Stunden lang und barhber in ber Mähe derje⸗ 


nigen Stufe, die fie bei jenem Aufhoͤren Inne hatte, zu 


erhalten pflegt und erſt dann rafcher weiter ſinkt; daß 
endiich - Seiftesverrichtungen und Muskelreizbarkeit noch 
fortbauern u. |. m. 


Altes diefe® dient zur Unterſtuͤtzung unferer obigen An- 
nahme, baß das Leben nie in allen XThellen zugfeich er 
liſcht, fondern ſtufenweiſe, böchft wahrſcheinlich aber auch 
nicht in allen Fällen in derſelben Stufenfolge ber verſchie⸗ 
benen Organe; es belehrt und aber auch, daß wir bei jes 
dem neuen Prüfungsmittel auf der Hut fein müflen, ob es 
auch das Leben aller Organe in feine Sphäre einfchließe. 

Das Prüfungsmittel unfers Verf. gruͤndet fih auf 
Meffungen der thlerifhen Wärme. 

Die Wärme, die ber lebende Körper in ſich ergeugt, ent⸗ 
fosingt aus dem innerflen Lebensorgane, worin Athmen, Bluts 
bewegung und Nerventhätigleit in ihm zuſammenwirken; fie ges 
bört nicht einem einzelnen heile, ſondern bem Ganzen an; fie 
laͤßt fi in einem Theile auffuchen, ber mitten im Körper liegts 
fie ift, wenn auch in den dußern Zheilen in fortwaͤhrendem 
Schwanken, doch von biefem befto freier, je näber der Drt, an 
dem man fie auflucht, bem Herzen liegt; fie kann zu jeber Zeit 
zwifchen dem Aufhören des Athembolens und dem Eintritt ber 
ausgemachten Räulnißzeichen gemeflen werben, und fest uns da⸗ 
durch in den Stand, ihrem fortfchreitenden Sinken von Grab 
zu Grad zu folgen und fo den Verlauf ber nach jenem Aufhoͤ⸗ 
zen füch aneinander reihenben Zuftände, und nicht blos das Eude 
dieſer Reihe, zu erkennen. 

Wo bie innere Wärme in einer Umgebung, bie minder 
warm ift als der Körper eines anfcheinend Beftorbenen, von 
dem Aufbören des Athemholens an in Ginem fort von Stunde 
zu Stunde fintt und damit über 20 Grad binabgeht, da iſt 
mon anzunehmen beveditigt, daß wirklicher Tod eingetreten fei. 

Als den zum Meſſen ber innern Wärme des Körpers 
am beften fid) eignenden Det bedient ſich der Verf. des 
Magens. Dos Anftcument, mit weichen bie Meffung be: 
werfftellige wird, iſt ein Zilchbeinftab, an deſſen einem 
Ende ein Beines Thermometer in ber Richtung des Sta⸗ 
bes befeſtigt iſt. Die in einer Glasroͤhre eingefchlofiene 
Scala des Thermometers geht nur bis 40 Grab. Die 
Kugel iſt von einer durchbrochenen Kapfel aus bünnem 
Blech umgeben. Für Kinder find Ränge des Stabes und 
Größe der Thermometerkugel nach Verhaͤltniß Heiner. 

So finnreih nun aber auch biefes ganze Verfahren 
erfcheine und fo überzeugend die Zweckmaͤßigkeit deffelben 
von dem Berf. dargeſtellt wird, fo laſſen ſich doch dagegen 
manche nicht ungegsündete Zweifel erheben. 1) Steht feis 
ner allgemeinen Anwendung der Mangel an hinreichender 
Erfahrung entgegen. Die wenigen Verfuche, die ber Verf. 
an Thieren und an menfchlichen Leichen angeftellt hat, 
koͤnnen uns nicht genuͤgen, fie müflen vervielfältigt und 





bauptfächlich an Menſchen, die an den verfchledenften To⸗ 
desarten verftorben, wiederholt werden. So z. B. iſt, nad) 
des Verf. eigener Angabe, noch bei keinem Scheintodten, 
der an den aͤußern Theilen vor Kälte ſtarr war, die in⸗ 
nere Wärme unterfucht worden; ebenſo an keinem an 
Verblutung Verftorbenen u. f. w. Gerade ſolche Körper 
aber müßten vor allen andern geprüft werben. 2) ragt 
es ſich, ob mit der inneren Wärme auch alles Leben, na: 
menttich das fenforielle, erlifcht. Der Verf. meint zwar, 
wie es jich auch nach dem Abſterben des Körpere mit ber 
Dauer des Bemwußtfeins verhalten möge, an das erkaltete 
Gehirn inne keines mehr gelnüpft fein, allein wir kennen 
in das Minimum von Wärme nicht, bei dem noch Reſte 
pfochifcher Thätigkeit beftehen können. Ohne Zweifel ver: 
hätt ſich dies auch nicht bei allen Individuen gleich. 
Kann nit 3. B. in jenen wunderbaren efftatiftifchen Zu: 
fländen, von denen neuerlich wieder Enmemofer („Der 
Magnetismus im Berhältniffe zur Natur und Religion”, 
1842) mehre merkwürdige Fälle erzählt, bei denen auf 
Lange Belt das Bebürfnig, Nahrung zu fich zu nehmen, 
die Ausleerungen , das Wachſen der Haare und Nägel 
gänzlich. aufhärte nnd Fein Puls an der Hand und an 
den Carotiden mehr zu fühlen war, ja felbft bei 13 Grad 
Kälte Tag und Naht Eein Fenſter gefchloffen werben 
durfte, kann da nicht auch bie innere Wärme bis auf eis 
nen Grad herabſinken, wo bei andern Menſchen fchon ber 
Tod erfolgen würde, und dabei doch die geiftige Kraft 
fortdauern? Wiffen wir doch gar nicht, ob überhaupt und 
welches Verhaͤltniß zwilchen den pſychiſchen Thaͤtigkeiten 
und der Zu⸗ und Abnahme des Waͤrmegrades im Gehirn 
beſteht, daher auch die von dem Verf. (S. 56) angeführs 
ten Verſuche keine entſcheidende Kraft haben. Sollte ſich 
aber auch 3) das Verfahren des Verf. als ſicheres Prüs 
fungsmittel des wahren Todes bewaͤhren, ſo zweifeln wir 
doch ſehr an ſeiner allgemeinen praktiſchen Anwendbarkeit. 
Er ſagt zwar, es mache bei einiger Übung feine Schwie⸗ 
rigkeit, das Inſtrument dur den Schlund in den Ma: 
gen einzuführen, ja das Einbringen beffelben fei fo leicht, 
daß, wo ein Arzt fehle, auch ein Michtarzt es verrichten 
£önne, allein andere dabei zu berfichfichtigende Umftände und 
Gautelen machen uns dies fehr unwahrfcheinlihd. Es muß 
jedbesmat bei feiner Anwendung darauf Rüdfiht genommen 
werden, ob der Tod durch plögliche Entziehung des Athem⸗ 
holens, wie Erhängen, Untergehen im Waſſer, Kohlendunft, 
oder allmälig dutch Krankheiten, die zur Abnahme der Wärme 
vor dem Aufhören des Athemholens Zeit gelaffen haben, er: 
folgt feiz e6 muß genau auf die Temperatur ber umgebenden 
Atmofphäre geachtet, die Meffungen müffen öfter wiederholt 
werden; fol das Inſtrument noch während der fogenannten 
Zodtenftarre eingebracht werben, was zur vollen Sicherheit 
des zu fällenden Urtheils anzurathen ift, fo muß, damit wäh: 
send diefer Starre der Mund fuͤr das Einbringen hinrei⸗ 
hend geöffnet fei, vor dem Eintritt berfelben ein Stück 
Kork oder ein anderer nur wenig nadhgiebiger Körper zwi⸗ 
ſchen die Kinnladen gefteddt werden u. f. w. Alle diefe 
Umftände fodern einen der Sache kundigen Mann, was 
unfere Todtenſchauer, namentlich auf dem Lande, nicht 


find und wol ſchwerlich je werben, abgefehen davon, af, 
wenn fie auch die erfoderliche Geſchicklichkeit dazu erlangen 
koͤnnten, fie um ben geringen Lohn, der Ihnen für das 
gange Geſchaͤft zu Theil wird, fich nicht zu ſolchen zets 
raubenden Verſuchen verfichen würden. In ihren Händen 
würde daher die Sache bald zu einem leeren Schlendrian und 
zu einem noch unficherern Prüfungsmittel werben als dag Krk: 
terium der Faͤulniß, worauf fie bis jegt angewieſen waren, 
Dürfte nun aber auch das Naffe'fche Prüfungsmittel 
ſchwerlich zu einer allgemeinen Anwendung kommen, ſo bleibt 
es doch Immer ein ſehr ſchaͤtzbares Mittel für den Mann vom 
Sache. Diefer wird dem Verf. ſowol für die Erfindung als 
für die ausführliche und fcharffinnige wiſſenſchaftliche Aug. 
führung des Gegenftandes zum Danke verpflichtet fein. 
(Der Beſchluß folgt. ) 





Zur Geſchichte des 16. Jahrhunderts, 
(Kortfegung aus Nr. 165.) 

Da die Briefe nach den Ramen ihrer Verfaſſer in atphe 
betifcher Ordnung zufammengeftellt find, fo beginnt ber originehe 
Kaspar Aquila, welcher wegen feines kuͤhnen Eifers gegen 
das kaiſerliche Interim verfolgt, mannichfach umbergetrieben, im 
Sabre 1560 als Superintendent in Saalfeld flarb. eine 
Briefe, beren eigenthuͤmliches Gepräge in ben mitgetheilten Frag⸗ 
menten etwas verwifcht ift, weit die feltfamen Schnoͤrkel, Rande 

loffen, Gitate in manderlei Sprachen, bie gelegentlichen Eins 
alle und Abfchweifungen, mit denen er feine Schriften auszu⸗ 
ftatten pflegte, weggelaffen find, bewähren ihn ats einen glaubenss 
eifrigen, einſichtsvollen, reblichen und Fräftigen Mann; fie bes 
ziehen fich zumeiſt auf bie Oftander’fchen Streitigkeiten und find 
übrigens für bie Gefchichte jener Zeit von geringer Bebeutung. 

Johannes Brenz, ber gründlich gelehrte und vielfeitig 

ebildete, durchaus tüchtige ſchwaͤbiſche Seformator, ber im 
abre 1570 als Propft zu Stuttgart flarb, rechtfertigt durch 
feine anziehenden und reichhaltigen Briefe, die über bie wichtige 
ften Zeitverhaͤltniſſe und theologifchen Streitigkeiten ſich vers 
breiten, ben wohlverbienten Ruhm, weldgen feine Zeitgenoffen 
und auch ſpaͤtere Gefchlechter ihm zuerlannt haben. Um des 
Snterims willen, bem er entfchieden fich wiberjegte, vom Kaifer 
bedropt und verfolgt, aber unerfchroden und flandbaft im Bes 
Benntniß ber Wahrheit bebharrend, fand er bei dem Herzoge 
Ulrich von Wuͤrtemberg Schus. Auch Herzog Albrecht bot in 
feinem Lande ihm eine fichere Zuflucht und ehrenvolle Anflellung 
an. Dies veranlaßte zuerft den Briefwechſel, in welchem beide 
wanzig Jahre lang, mit immer gleihem gegenfeitigen Vertrauen 
fi einander mittheilten und insbefondere audy bie Oſiander'ſchen 
Streitigkeiten verhanbelten. Brenz war einer ber Wenigen, die 
von dem Herzog nichts begehrten; felbft ein reiches Beiden, 
weiches der fürftiiche Gönner für eine willkommene Debication 
ihm zufendete, wies er mit ebler Uneigennügigkeit jurüd, ſowie 
er auch bie wiederholten, zum Theil ſehr großmüthigen Voca⸗ 
tionen nad Preußen aus Liebe zu feinem Baterlande und im 

Gefühl der Wichtigkeit feiner heimatlichen Stellung abichnte. 

Sohannes Bugenhbagen, nad feinem Baterlande audı 
Dr. Pommer genannt, der Ordner bes braunſchweigiſchen, ham 
burgifchen, tübedifchen, holfteinifchen und bänifchen Kirchenweſent, 
geftorben 1558, als Profeffor und Generatfuperintendent ya 
Wittenberg, trat in brieflihen Verkehr mit dem Herzog, der 
er perföntich kennen gelernt hatte, zunaͤchſt durch 
für hülfsbebürftige Stubirende, bie er ber Gnade des su 
muͤthigen Fuͤrſten empfahl. Als im Jahr 1547 der Religients 
trieg ausbrach und ſchwere Drangfale Wittenberg nahten, lud 
auch ihn ber Herzog nad) Preußen ein; ex aber barrte Sett 
vertrauend und flandbaft in ber Präfung aus. Seine Brick, 
in denen ein ſtarker Glaube und heiterer Ernſt ſich ausfpriht 


mn wu. rn y — — — — — — 


enthalten intereſſante Notizen über bie Zeitverhaͤitniſſe. Spaͤter 
mocqhte eine Weinungsverfchiebenpeit zwiſchen Bugenhagen und 
feinem fuͤrſtlichen Freunde eine gegenfeitige Kälte veranlaſſen; 
der Briefwechfel warb feltenee, der Herzog aber knuͤpfte ihn 
ſeibſt wieder an, hauptſaͤchlich um ein Gutachten im Dflanber'fchen 
Streit von ihm — Pa der ehrliche Pommer auch 
eimäthig und rüdhaltlos ertheilte. 
r —X Camerarius, ber vertrauteſte Freund Me: 
lanchthon's. Einer der gelehrteſten Männer feiner Zeit, durch 
geöndliche Studien der aiten Glaffiter gebildet, geftorben 1574 als 
Profeffor der griechifhen und lateinifhen Sprache in Leipzig. 
Sin ebenfo tächtiger Mathematiker wie Philolog, befchäftigte er 
fi auch mit ber beliebten Rativitätsflellerei, durch weiche ex 
uerft dem Herzog empföhlen ward. Bald aber lernte diefer 
beine ausgezeichneten Faͤhigkeiten Tennen und achtete ihn fehr 
hoch, fuchte ihn auch für das neue Päbagogium in Königsberg 
zu gewinnen. Der Briefwechſel bezieht ſich zunächft auf dieſe 
dem Fuͤrſten fehr theure Anſtalt. Nachmals fanden fih in den 
Ofiander'ſchen Streitigkeiten, in ben feindſeligen und gehaͤſſigen 
Beſchuldigungen, welche Melanchthon's Widerſacher gegen dieſen, 
von dem Herzog wie von Camerarius geehrten und geliebten 
Mann verbreiteten, und in den wechſeinden Zeitverhaͤltniſſen 
immer neue Weranlaffungen zu gegenfeitiger Mittheitung, bie 
jedoch keinen neuen Aufſchluß über das kirchliche und politifche 
Leben jener Zeit enthält. , 
Sohann Carion, Profeffor der Mathematik in Frankfurt 
a. d. O., guiset am Hofe Kurfürft Joachim's I. in Berlin, wo 
er ſchon 1537 in noch jugendlichem Alter ſtarb. Der Ruhm, 
den er durch die Aufftellung von NRativitäten, Revolutionen 
(im aſtrologiſchen Sinne) und Prognoftiten ſich erworben, 
empfahl ibn bem Herzog, ber ihn ſehr werth bielt. Ihr Brief⸗ 
wechfel bezog ſich zunaͤchſt auf dieſe aftrologifdhen Träumereien, 
die von beiden ſehr ernfthaft behandelt wurden, nachher auch 
auf einige Geſchaͤftsverhaͤltniſſe. As auswärtiger Geſchaͤfts⸗ 
traͤger des Herzogs meldet Carion dieſem auch manche intereſſante 
Rotiz über politiſche Ereigniſſe und eigene Beobachtungen beim 
Aufenthalte des Gardinald, Kurfürften Albrecht von Mainz in 
Dalle, bei der vom Kurfürften Joachim ihm amvertrauten 
Miſſion an den Eöniglichen Hof von Polen unb bei andern Ge⸗ 
legenheiten. Bitter beklagt er fi, daß man in Polen gegen 
ihn als Gefandten fo gar wenig generdös gewefen, da ec nicht 
mehr „als 16 Ellen ofen fchwargen Damaft, der nicht über 
10 Gulden werth, und nicht einmal vom König felbft, ſondern 
von einem der Diener deffelben zum Gefchent erhalten habe’; 
darum bittet ex den Herzog, derfeibe wolle ein Brieflein an bie 
königliche Majeſtaͤt fchreiben und ihm in forma meliori coms 
manbiren: „Was follte es fchaden einem fogewaltigen Könige, 
wenn id auch ſchon 100 Ungarifche &uiben von ibm kriegte 
und ich weiß, fo es mit Fleiß angezeigt würd, ich bekäme fie. 
— — Die Ocdfen ſtehen gar am Berge mit mir; das macht 
das Doctorat und mein Bauen, welches ich vergangene Jahr 
fchwerlid) in meinem Haufe gethan. D fo ber Gudud anging, 
wär id ein Marter: Angfts Frenberrgefelle; bitte E. F. ©. 
wolle einen GSteinwurf thun; fo ich etwas riegte, würde es 
meinem gnäbdigen Herrn fehr wohlgefallen, auch der Königin; 
denn ihre Snaden ift fehr gut mit mir.” Zum Schluſſe kommt 
er wieder auf diefe Sache zurüd: „Ich bitte nochmals, ©. F. 
@. wolle mir, wie ich im Anfang gemelbet, mit einem Fleder⸗ 
mäuslein aufs befte bei der Eöniglichen Majeftät zu Polen bes 
pätfitch fein, denn hundert Gulden follten mie wohl erfprießti 
ſeyn.“ Der Herzog antwortete: er möchte ihm gern behuͤlfli 
fein, er vwifle aber nur nicht, wie es anzufangen, ba es am 
poinifchen Hofe viel anders zugehe als an andern Höfen. Gr 
rathe ihm daher, etwas zu Ehren des Königs zu ediren und 
ihm durch einen Deren am Hofe überreichen zu laffen, und das 
bei zu erinnern, daß er der Erſte gewefen, ber die Heirath ber 
Zönigiichen Prinzeffin Hebwig auf die Bahn gebradht u. f. w. 
Johannes Srotus, der geniale Verfaffer eines großen 
Theits der „Episiolae obscurorum virorum”, der Bertraute Ulrich's 


von Hutten, mit Luther befreundet, exft ein eifriger Foͤrderer 
der Reformation und ein Yreund des Lichts, darum auch dem 
Herzog Albrecht, der ſechs Jahre lang feines perſonlichen Umgangs 
fi freute und ihn ſehr werth hieit, empfohlen, nachmals, ba 
er Rath des Cardinals Albrecht in Mainz geworden, wieder in 
den Schoos der roͤmiſchen Kirche zuruͤckgeſunken, ein reichbegabter 
Mann, aber bem Kampfe ber Zeit nicht gewachſen, enthüllt in 
den Briefen an den Herzog feinen Überdruß an den theologifchen 
und kirchlichen Gtreitigleiten, die Beſorgniſſe, mit benen fie ihn 
erfüllten, und fein lebhaftes Berlangen auf Wiederherftellung bes 
tief erſchuͤtterten Kirchenfriedens. Er theilt dem Herzog eine 
Geheimſchrift mit, in ber er Eünftig ihm fchreiben wolle. Mit 
redlicher Freimuͤthigkeit meidet er im Jahr 1531 dem Herzog 
feine Ruͤckkehr zur roͤmiſchen Kirche und motivict dieſen Schritt 
duch Gründe, welche den Verdacht, daß er denfelben nur zum 
Schein ober in fesftfägstigen Abſichten gethan, nicht zulaffen. 

Beit Dietrich, 14 Jahre lang Luthers Zifchaenofie, 
Reifegefährte, Mitarbeiter, bis an das Ende ein geliebter und 
treuer Freund, ein Mann von Geiſt und Gemäth, Kraft und 
Milde, gruͤndlicher Gelehrfamkeit und frommem Eifer, als 
Pfarrer an der Sebaldskirche in Nürnberg geflorben nach langen 
Leiden im 42. Lebensjahre 1549. Er hatte einen Ruf, weichen 
der Herzog an ihn ergeben ließ, abgelehnt, aus Dankbarkeit für 
bas ihm bezeugte Vertrauen feine Summarien über bas Alte 
Teſtament dem erlauchten Deren dedicirt und bafür ein ans 
ſehnliches Geſchenk mit freundlicher Erwiderung empfangen. 
Seitdem blieben Beide in ziemlich lebhaften fhriftlichen Verkehr. 
Bom Herzog wiederholt zu umſtaͤndlichen Mittheilungen über 
kirchliche und potitifche Verhaͤltniſſe Deutfchlands aufgefodert, 
berichtet er ihm getreulih, was ihm von bem Golloquium und 
dem Reichstage zu Regensburg 1942, von der Kirchenreformation 
des Erzbiſchofs von Köln, Graf Hermann von Wied, von ber 
Ausbreitung ber evangelifchen Lehre, von dem Heereszuge bes 
Kaiſers gegen Jülich, von dem neuen Religionsgeſpraͤch zu 
Regensburg 1546, an welchem Dietrich perfönlich Theil nahm, 
und fonft über bie beutfchen Kirchenangelegenheiten fund ges 
worden. Die Briefe find fowie die Antworten des Herzogs 
fehr intereffant. Diefer bewies au nad Dietrich's fruͤhem 
Tode der Familie deſſelben tröftende und huͤlfreiche Theilnghme. 

Johann Draconites (ODrach), ein Mann von ausgezeich⸗ 
netem Talent und großer Gelehrſamkeit, aber von unruhigem 
Geiſt und wunderlihem Wefen, nahte dem Herzog zuerft mit 
der Darbringung bes erften Theils feines Buches, „Aller Ver⸗ 
beißungen Figuren und Geſichte““, wofür ihm ein Dankfagungss 
fhreiden und 20 Thir. überfendet, aber, wie man fpäter ents 
dedte, von einem Gollegen unterfchlagen wurbe. Nachdem er 
mebre Amter bekleidet, von benfelben aber vertrieben worden 
oder freiwillig geſchieden war, berief ihn ber Herzog zur Präs 
fidentfchaft des Bisthums Pomefanien. Gr nahm mit Freuden 
ben Ruf an, zögerte aber lange, das Amt anzutitten, bat, 
nachdem er nur kurze Zeit baffelbe verwaltet hatte, um Urlaub 
zur Vollendung feines großen Werks, bie , Biblia pentapla‘, 
kehrte auf wieberholte Auffoderung nicht zurüd, begehrte aber 
immer wieder die Auszahlung feines Gehalts und Unterflügung 
zum Druc feines Eoflfpieligen Unternehmens, warb endlich vom 
Herzog des Amtes entjegt und flarb in Wittenberg 1566. Der 
Briefwechfet zwifchen Beiden bezieht fi nur auf bie angedeu⸗ 
teten Berhaͤltniſſe und iſt übrigens unbebeutend. 

Paul Eher, Melanchthon's geliebter und treuer Freund, 
Berater und Gehuͤlfe, vielfältig gebiibet, neben ber Theologie, 
Phitofophie und Philologie auch Mathematik und Afteonomie 
zu lehren tüchtig, geftorben 1568 ats Profeffor, Generalfuperins 
tendent und Pfarrer an ber Stadtkirche in Wittenberg. Geine 
Briefe enthalten Gutachten über Gelehrte, weldye ber Herzog 
zu berufen beabfichtigte, Nachrichten über Melanchthon und bie 
theologifhen Streitigkeiten ber Zeit, auch über bie Grumbach'⸗ 
(hen Haͤndel, Rechtfertigung ber wittenberger Theologen gegen 
die Berunglimpfung und Berbäcdhtigung ihrer Rechtglaͤubigkeit, 
Berhanblungen über das Bemühen des Fuͤrſten, ihn auf einige 


Zeit Beratung über die kirchlichen Angelegenheiten nad) 
Preußen zu sieben, wozu ber Kurfärft von Sachſen bie Eins 
willigemg agte. Der Herzog bewies ihm beftänbiges Ber⸗ 
trauen und Wohlwollen und erfreute ihn wieberholt mit ans 
ſehnlichen Geſchenken. 
Leonhard Fuchs, einer ber berühmteften und tächtigften 
Arzte feiner Zeit. Der Herzog fuchte ihn als kLeibarzt für den 
König von Dänemark zu gewinnen. Buchs widmete und fenbete 
ihm einige Schriften und nahm feine Unterflügung zur Heraus⸗ 
be eines großen lateiniſchen Werkes mit Abbildungen in Ans 
Pen ‚ ftarb aber 1566 als Profeffor der Mebicin in Tübingen, 
bevor fein Geſuch erfüllt werben konnte. 
Beora Hartmann, ein genlater Mechanikus, den aus⸗ 
ete Kenntniß in ber Mathematik und Phyſik in den 
Stand festen, Werke zu liefern, welche in feiner Zeit Bewun⸗ 
derung und Staunen erregten. Seine Briefe tragen das lebhafte 
Golorit des unermüblichften Eifers; er lebte und webte in feinem 
frei gewählten Berufe, der ihm viele Auszeichnungen, auch bei 
Kaiſer und Königen, body nur Large Unterflügung gewann. 
Aber auch mandge intereffante Zeitung von kirchlichen und welts 
Uchen Händen theilte er dem Fürften mit, ber ihm für feine 
Aftroiadien, Quadranten, Horotogien fuͤrſtlich belohnte und auch 
ihm bethätigte, wie freudig er an wiſſenſchaftlichen Beftrebungen 
Theil m 


Kaspar Hedio, einfreimäthiger und ſtandhafter Bekenner 
der evangeliſchen Wahrheit, ausgezeichnet als Theolog und 
Hiſtoriker, wie als Seeiſorger, ſtarb 1552 als Profeſſor der 
Tyheologie und erſter Pfarrer am Muͤnſter zu Strasburg. Die 
Überfendung feinee Ausgabe der Homilien bes Ghryfoflomus, 
wofür ber Herzog ihm 100 Dukaten ſchenkte, leiteten den mehr: 
jährigen Briefmechlel ein. Ginen Ruf nach Preußen Iehnte er 
jna: ab, fein fürftticher Gönner aber bewahrte ihm daß tieuefte 

oblwollen und Bertrauen und Iub ben hochgelehrten Dann 
immer wieder ein, ihn „mit feinen Briefen zu befuchen”. Diefe 


Briefe gehören zu ben reichhaltigften ber vorliegenden Samm⸗ 
lung; fie liefern manche intereffante Notiz und ein anziehendes 
Detail von den kirchli und politifdden Verhaͤltniſſen aus ber 
3eit von 153946 


Juſtus Jonas, ber Ältere, der mit Recht gepriefene Mit⸗ 
arbeiter an dem großen Werke der Reformation, Profeſſor der 
Theologie in Wittenberg, fpäter Paſtor in Halle, von bort 
vertrieben, Hofprebiger in Koburg, enblid Superintendent in 
Eisfeld, wo er 1555 flarb. Der Herzog hatte auf feiner Keiſe 
in Deutfchland ihn perföntich kennen gelernt und bat ihn nady 
ber um ausführliche Nachricht Über Luther's letzte Lebenstage. 
Später wandte Jonas, aus Halle durch den Krieg vertrieben, 
lange unflät herumwandernd, in großer Bedraͤngniß Huͤlfe 
bittend, fi) an ben großmüthigen Zürften; welchen Erfolg dies 
gehabt, findet fidy nicht aufgezeichnet. 

Juſtus Jonas, ber Jüngere, bes Borgenannten Sohn, 
nicht karg begabt, aber unftäten, projectreichen Geiſtes, eitel 
und hoffahrtig, woburd feine guten Eigenſchaften verbunfelt 
und Biele ibm Feind wurben. Gr hätte als gelehrter Jurift 
viel wirken konnen, aber er zog es vor, als Agent und Bots 
fchafter mehrer Bürften Anſehen, Ginfluß und ein günftiges 
2008 zu erfireben. In Wittenberg, wohin er von Leipzig fich 
wendete, ließ ihn bie juriftifche Yacultät nicht auffommen, weil 
er fie durch feinen Duͤnkel verlegt haben mochte. Sein ganzes 
Erben war eine Kette von Sorgen und Nötben, immer wieber: 
kehrenden Geldverlegenheiten, Planen und Anftrengungen, ſich 
Hülfe zu ſchaffen; trot feiner Eitelkeit fchämte er ſich nicht, 
um Hülfe zu betteln, oft ſehr zubringlich und ungeflüm. Dies 
erfuhr hefonders ber großmüthige Herzog Albredht, dem er ſchon 
duch feinen chrwärbigen Water empfohlen war und in beffen 
Gunſt er fich einzufchmeicheln wußte. Zehn Jahre lang (feit 
1557) ſtand ber allezeit gefchäftige und bienflwillige, aber auch 
ſtets bebürftige und begeprliche Jonas mit feinem erlaudgten 
Gönner in ununterbrochenem Briefwechfel, dem feine Thaͤtigkeit, 


fein meiſt gefundes Urtheil, feine Erfahrungen, feine Verbin⸗ 


dungen mit Gelehrten und an verfdpiebenen Höfen mannichfachen 
Heiz gewährten. Was ber Derausgeber daraus mitgetheilt hat, 
bas ift Alles ebenfo anziehend, zum Theil für die Zeitgeſchichte 
ergiebig, wie charakteriftifch für ben Werfaffer, dem man mie 
herzliches Witteid verfagen kann und von dem man bodh eine 
günftigere Weinung gewinnt, als fonft wol über ihn verbreitet 
fein mag. Durch fein amtliches Verhaͤltniß zu bem Herzog vor 
Gotha in bie Grumbach'ſchen Händel verwidelt, wentgftens der 
Theilnahme an benfelben verbädtig, ward er auf Befehl des 
Kurfärften von Sachſen eingekerkert, zwar auf hohe Berwen- 
bung wieder freigelaflen, aber nach Groberung ber Stadt Gotha 
in Kopenhagen, wohin er fidh geflüchtet unb wo er alsbalb eine 
Anftelung erhalten hatte, verhaftet und nad kurzem Proceß 
1567 enthauptet. 

Georg Major (Meier), der fromme unb gelehrte Freunb 
und Mitarbeiter Luther’s und Melanchthon's, geſtorben als 
Profeffor der Theologie und Gchloßprebiger in Wittenberg 1574, 
war für ben fuͤrſtlichen Gönner ber Gelehrten, vornehmlich ber 
Theologen, ein zu wichtiger Dann, als baß ex mit demſelben 
nicht auch in Verbindung hätte treten follen. Gingeleitet warb 
biefetbe 1547 durch Major, welcher feine erbaulicdye Bearbeitung 
ber Pfalmen dem Herzog zufendete unb ihm zugleich ankänbigte, 
daß er ihm feine Homilien über ben Römerbrief zu bediciren 
beabfihtige- Won daͤuslicher Noth bebrängt , die ihn nie ven 
taffen zu haben feheint, freute er fi der SD Gulden, welche er 
bafür zum Geſchenk erhalten, und dankte aufs verbinblichkte, 
fowie fpäter für anbere Unterflügungen, bie er durch vertrauliche 
Darftellung feinee Armuth und WBebrängniß veraniaßte. Die 
Interimsſtreitigkeiten, an denen er felbft lebhaften Antheil nahm, 
boten immer neuen und reichen Stoff zu brieflidden Mitthei⸗ 
lungen, in benen fi) auch andere intereffante Radhrichten über 
die kirchlichen Angelegenheiten finden, insbefonbere auch über die 
Verhandlungen wegen der Theilnahme der Proteftanten am 
tridentiner Concilium, und über bie Werfegerungen der Witten: 
berger durch Flacius und andere Eiferer. Die Ofianber’fden 
Steeitigleiten tonnten in biefem SBriefvechfel auch nicht uns 


berührt bleiben. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Notiz. 

Eine Anzeige von Victor Hugo’ „Le Rhin‘ im „Quar- 
terly review” fließt wie folgt: „Daß eine Saat großer po⸗ 
litifher und mehr als politifdyer Umgeſtaltungen gegenwärtig 
in Rorbbeutfchland keime, ift in hohem Grabe wahrfceintid. 
Deutſchland, das Vaterland bes Schießpulvers, bes Buch⸗ 
drucks und Luther's, Lönnte Leicht wieber die Welt in Gaͤhrung 
bringen. Davon find wir überzeugt und koͤnnen bie Wranzofen 
überzeugt fein, daß, welche Umgeftaltungen auch beporfichen, 
body ftets in Deutfchland Ein Herz und Sinn fein wich, jeden 
Hügel, jedes That, jede Stadt, jeben Thurm, woran ſich 
beutfche Nationalerinnerungen knuͤpfen, zu vertheibign. Dy⸗ 
naftien mögen neu zeidte Fa werden, * er 

epublik ober ein beutfches Reich möge bilden, { 

Macht iſt bin auf deutſchem Boden, bin für immer. Gebald 
es geiten wirb, bas Banner bes Arminius zu entfalten, wird 
jede @iferfuchht und Nebenbuhlerfchaft zwifchen Fuͤrſt und Kürft, 
zwilhen Staat und Staat, zwifchen Bolt und Bolt fi 
ſchwichtigen. Dee Deutſche Bund wird burd das Blut des 
Feindes gekittet werben, und fobalb die Weifchen ſich erfütnen, 
anzugreifen, wird ganz Deutfchland fi in dem Ruf vererine: 
„Sie folen ihn nicht haben u. |. w.” Bon Becker's Rhrisiih 
wird eine englifche lberfegung beigefügt, wovon wir hier Mir 
erfie Strophe mittheiten : 

No — they shall never win it, 

Our free, our German stream; 

No — though like starving ravens, 

They Rhine -ward, Rhine- ward ecream. 

48, 


Berantwortliher Deraubgeber: Heinrich Broddaus. — Drud und Verlag von $. U. Brodpaus in Leipzig. 


| 
| 





Blatter 


| | für 


literariſche Unterhaltung. 





Freitag, 


Über den Scheintod. 
(Befhluß aus Str. 166.) 

| Erwaͤgen wir nun die Unficherheit aller biöher vorge: 
ſchlagenen Pröfungsmittel des wahren Todes, fo werben 
wir unwilllürlih wieder auf die Einführung von Leichen: 
biufern bingewiefen, denn unter allen Zeichen bed Todes 
bteibt immer das untrüglichfle die Faͤuiniß, ſonach aud) 
| das Abwarten derfelben das ficherfie Schugmittel gegen 
das Lebendigbegraben. Brei von allen Mängeln find frei: 
lich auch diefe Anftalten nicht. Hoͤren wir namentlich, 

was unfer Verf. ihnen zum Vorwurf macht: 
Schon die Koften, welche bie Errichtung und Unterhaltung 
eines Leichenhaufes, fowie die Befolbung der dabei angeftellten 
| Perſonen exrfodert, find ein wichtiger Punkt; nur die Bewohner 
| der Gtäbte können eines haben, bie bes platten Landes mäflen 
darauf verzichten. Daß die Regierungen überall weldye anlegen 
follen, gehört zu den frommen WBünfchen. Es kommt hinzu, 
daß Darbietung von Leichenhäufern und Benugung diefer zwei 
ſehr verichiedene Dinge find. Es gibt ja Stäbte, in benen man 
mit beträchtlichen Koften ein Leichenhaus anlegte und Wärter 
und Arzt daber anftellte, in welches aber Niemand ober hoͤch⸗ 
ſtens alle ein bis zwei Jahre Giger” hineingebradpt wird, weil 
J die Kranken ſelbſt es verboten⸗ ober die Verwandten dagegen 
find. Und iſt es denn durchaus zu tadeln, wenn liebende Ange: 
⸗ hörige Bedenken tragen, -bie Geſtorbenen der Wachſamkeit von 
æ Wörtern anzuvertrauen, über deren Berufstreue es Feine Con⸗ 
EV trole gibt, obſchon dieſe Treue, die Tage und Nächte nicht er: 
„s müben foll, in der Rangeweile des Dafitens, in unabwehrbarer 
nn Schlaͤfrigkeit und der Leicht entftehenden Meinung, es werde doch 
J Keiner wiedererwachen, fo große Verſuchungen zu erleiden hat? 


g! Nur die ntafte kann ſich ein folches Haus erbauen, wo nicht 
s 6508 bie Maͤchter in der Wachſamkeit auf das Verhalten ber 
⸗ Leichen / und der Erhaltung der noͤthigen Wärme Alles thun, 
was fe thun follten, ſondern wo auch ber Arzt, wenn das Be: 
dürfe feiner ſchnellen Huͤlfe «intritt, fih augenblicklich an Ort 
* Stelle ſindet. Daß der Wiedererwachende ſich jedesmal 
* drch Bewegungen, durch das Anziehen von Faͤden, bie zu einer 
* locke fuͤhren, verrathen werde, iſt eine auf die Unkenntniß ſol⸗ 
# cher Bälle gegründete Erwartung, wo Scheintobte volles Be⸗ 
w” > vwubtfein hatten und ſich doch nicht regen konnten. Ja, der 
„Jg S  MWiedereswachte kann, wenn ber Scheintod in einen der ihm ans 
* — Zuſtaͤnde, in Ohnmacht, tiefen Sopor, Starrſucht 
us bergegangen, ſchon wieder ſchwach athmen, ohne daß er bie 
* Faͤhigkeit, die Gliedmaßen willkuͤrlich zu bewegen, wiedererlangt 
bat. Gefährlich ift aber, daß der Verfchiebene wenige Stunden, 
nachdem er aufgehört Athen zu holen, von dem Lager, das ihm 
für die Erhaltung feiner Wärme fo günftig if, weggenommen, 
Daß er wol gar im Winter über die Straße, wo ihm doc bie. 
* Athmungswege gegen die kalte Luft nicht verſchloſſen werden 
a9 dürfen, gebracht werben ſoll, daß ex, wenn er noch Bewußtſein 





bat, es empfinden muß, aus ber Mitte feiner Angehörigen hin 
weg unter Leichen verfegt zu fein, daß er in der Atmofphäre 
von Berwefenden (denn ſchwerlich kann man doch jeder Leiche 
ein eigenes Zimmer geben) ſeibſt mehre Zage lang bleiben muß. 
Diefe ganze Zeit wirb nun aber bloß mit dem mäßigen Wars 
ten, ob er wieber erwacht oder ob bie Zeichen von Faͤulniß an 
ihm merklich werden, hingebracht; erft der Ablauf diefer Probe⸗ 
zeit fol entfcheiden, ob er während berfelben noch Lebensfähigs 
keit hatte, freilich etwas ſpaͤt, wenn es nicht nöthig war, ben 
Transport ins Leichenhaus mit ihm vorzunehmen. 

Manche diefer Einmwürfe find leicht zu befeitigen. So 
find die Koften für Errichtung und Unterhaltung eines 
Leihenhaufes gar nicht fo bedeutend, wenn man ſich ftatt 
eines koſtbaren Baues eines einfachen Haufes bedient. 
Auf dem Lande reihen ſchon ein oder ein paar geräumige 
Zimmer in irgend einem Öffentlichen Gebäude hin. Den 
Angehörigen, welche ihre Todten nicht fogleich ins Leichens 
haus bringen wollen, Tann man ja ohne Bedenken ges 
ftatten, fie fo lange bei fich zu behalten, als fie wollen, 
voraußgefegt daß dies in einem erwärmten Zimmer gefchieht 
und daß fie dann nad Berlauf diefer Zeit doch noch zur 
Sicherheit in das Leichenhaus gebracht werden. 

Beiweitem gegrünbeter find die Einwuͤrfe hinſichtlich 
bee Berufstreue der MWärter, des Mangels an fchneller 
ärztlicher Hülfe, der Unzulänglichkeit der Mittel, um bie 
leifen Bewegungen eines Wiedererwachenden zu entbeden, 
ded Transports ber Leiche im Winter, und gern. geben 
wie zu, daß ſelbſt ein woohleingerichtetes Leichenhaus nicht 
alle die Bedingungen erfuͤllt, die zur leichtern Wiederbele⸗ 
bung eines Scheintodten erfoderlich find; aber man vers 
geffe nicht, daß es fich ja nicht allein um dieſe Wichers 
befebung, fordern hauptfählih um die Verhütung des 
Wiedererwachens im Grabe handelt, diefe aber kann, ws 
ferd Beduͤnkens, nur durch das Reihenhaus ficher erzielt . 
werden. Der Gedanke ift traurig, daß ein Scheintodter 
im Leihenhaufe aus Mangel an fihneller und zweckmaͤßi⸗ 
ger Hülfe dem wirklichen Zobe anheimfallen oder daß ber 
Feine Neft von Leben durch den Transport im kalten 
Winter vollends vernichtet werden ſoll, aber er kann gar 


nicht in Vergleich gefegt werden mit den Schredniffen, 


die unfere Phantafie bei dem Gedanken an ein Wieder: 
erwachen im Grabe erfüllen. Wir meinen, bie Mehrzahl 
der Menſchen wird uns in biefem Punkte beiftimmen. 
Daß Viele noch gegen die Leichenhäufer eingenommen find, 
liegt theil6 darin, daß man ihnen das echt, ihre Todten 


96 


noch einige Zeit im Haufe zu behalten, verweigern will, 
theils darin, daß man bie Sache noch nirgend mit dem 
gehörigen Ernſte angefaßt und befonders da, wo man Lei: 
chenhaͤuſer eingerichtet, noch nicht daran gedacht hat, das 
Volk über ihre Zweckmaͤßigkeit auf muͤndlichem und ferift: 
Ghen Wege zu belehren, endlich auch darin, daß die 
Männer vom Fache ſich noch Über die Sache ftreiten und 
fo den Laien noch die Wahl laffen, ſich auf die eine oder 
die andere Seite zu fchlagen. Alles Neue findet Wider: 
fpruch, weit es nicht das Alte fl. Hätten es une die 
Engländer nicht vorgetban, wir hätten auch noch ane 
Dampfmaſchinen, keine Gasbeleuchtung u. f. w. Vielleicht 
lehren fie uns naͤchſtens auch, wie man die beſten Leichen⸗ 
haͤuſer bauen muͤſſe, und wir, die Prioritaͤt der Erfindung 
‚und Ausführung unſerm alten Hufeland wahrend, bauen 
fie nad). Karl Hobnbaum. 





Zur Geſchichte des 16. Jahrhunderts. 
(Beſchluß aus Nr. 166.) 


Andreas DOfiander, ber muthige, aber auch freitfüchtige 
Eiferer für evangelifche Wahrheit, hatte die erften Funken ber 
Erkenntniß derfelben durch feine Predigten zu Nürnberg, als 
der damalige Dochmeifter des Deutſchen Ordens dort verweilte, 
in der empfängtidgen Seele bes jungen Kürften gewedt und 
dieſer war beffen in treuer Dankbarkeit eingedenk. Als Albrecht 
in Preußen die kirchliche Reformation, bie zugleich eine politi⸗ 
ſche war, begonnen hatte, wendete ſich Oſiander an ihn mit der 
Bitte, ihm aus Rußland eine vollſtaͤndige Liturgie der griechi⸗ 
Ken Meffe in getreuer Überfegung zu verfchaffen, weil er ber: 

iben zur Belämpfung ber Misbraͤuche in der roͤmiſchen Kirche 
bedurfte. Gpäter fand er andere Werantoflung, bie Belannts 
fdyaft mit dem Herzog zu erneuern, und näherte fi ihm ims 
‚mer wieber, wol nicht ohne die Abſicht, eine Zuflucht in Preu⸗ 
fen unter den Wirren ber Zeit fi zu ſichern. Endlich aus 
Nürnberg vertrieben und unftät umberirrend , richtete ex aus 
Breslau, wo er eine bleibende Stätte zu finden vergebens ge: 


hofft, an den Kerzog das Befuch um Aufnahme und Anftellung 


in feinem Lande. Cie warb ihm ſogleich gern gewährt (1549), 
und der Herzog erwies ihm von ba an die hoͤchſte Achtung und 
thätigfte Theilnahme. Aber mit feinem Auftreten begann auch 
ber hitzige Streit, der ben Reſt feiner Tage verbitterte; er 
ſtarb ſchon 1552 ſchmerzlich beklagt von feinem fürfilidyen Sönner. 
‚Die mitgetheilten Briefferagmente find nicht von Webeutung. 

Kaspar Peucer*), ber reichbegabte und gelehrte Schwie⸗ 
gerſohn Melanchthon's, als Arzt und Mathematiker ausgezeich⸗ 
net, in die kryptocaldiniſchen Streitigkeiten vermwidelt, um wel: 
cher willen er, ein beklagenswerthes Opfer ber damaligen Ber: 
Bitterung der Bemäther, faft 12 Sabre lang (bis 1586) in har: 
ter Gefangenſchaft ſchmachten mußte. Er ftarb im boben Al: 
ter, als fuͤrſtlich anbaltiſcher Leibarzt zu Defiau 1602. Nach 
Melanchthon's Tode fchrieb der Herzog an Peucer einen vor: 
treffliihen Troſtbrief und fchenfte ihm und feinem Schwager, 
Philipp Melanchthon, die 200 Thaler, welche zu einem Beer 
beftimmt waren, mit dem ber gütige Fürft den ihm theuern 
Kobten hatte erfreuen vollen. Der oft lang unterbrochene 
Briefwechlel berührt einige kirchliche Streitigkeiten und enthält 
auch Andeutungen zur Genealogie der Grafen von Zollern, auf 
des Herzogs Begehr von bem gefchichtsfundigen Peucer zuſam⸗ 
mmgetragen. 

Erasmus Weinhold, ein ausgezeichneter Mathemati⸗ 
Ser, Profeffor in Wittenberg, von dort durch die Peft vertries 


N) Sein Geſchlecht Hräpt fort in dem jegigen Oberconfiftorials 
peäftventen Friedrich Peucer zu Weimar und deffen Söhnen. 


ben, farb in feiner Vaterſtadt Saalfeld 1553, erft 42 Zahre 
alt. Durch Melanchthon und Anbere dem Herzog ausgezeichnet 
empfohlen, empfahl er fi) dieſem auch feibft durch feine gelehr⸗ 
ten Werke und Genbfchreiben. Letztere enthalten zumeift Rad 
richten von feinen wiſſenſchaftlichen Arbeiten und Gefſuche um 
Unterftößung, deren er bei einer ſeht kargen Beſeldung, bei der 
geringen Anerfennung unb der noch geringern Entſchaͤdigung, 
welche den mathematifchen Studien zu Theil ward, für ſich und 
feine Bamitie bedurfte. Gr fand an dem Herzoge einen allezeit 
willigen, aber nicht immer vieloermögenden Geber und empfing 
von Zeit de Seit freilich nicht ausreidyende, doch ehrenvolle Ge: 
ſchenke. begehrte aber vornehmlich die noͤthigen Mittel zur 
Verausgabe eines großen aſtronomiſchen Werks, dem er mit 
wahrer Begeiſterung und Selbſtaufopferung ſich hingab, nament⸗ 
lich der Tabellen ber Himmelsbewegungen, weldye zu Ehren des 
großen Kopernicus und des Berzogs unter dem Zitel „Tabulae 
Prutenicae‘' erfcheinen follten. Giner feiner Freunde beutete 
dem großmüthigen Fürften an, daß er wol auf eine Beifteuer 
von I000 Guiden fi) Redinung mache; man babe ihm zwar 
gerathen, das Werk dem Kaifer zu bediciren und den Titel 
„‚Tabulae Caroline” zu wählen; er wolle es aber Lieber zu 
Lob und Ehre des erlauchten Herzogs von Preußen „Tabulae 
Prutenicae” uᷣberſchreiben. Der Herzog antwortete: „Wir har 
ben hiebevor Reinholden ſchon nicht wenig Huͤlfe geleiftet, und 
folches um des gemeinen Gutes und ber Fo ber loͤblichen 
Künfte willen gerne gethan, wolltens auch noch in allem Thun⸗ 
lichen unbefchwert fein. Weit wir aber mit merklicyen und ſehr 
vielen Ausgaben ſonderlich zu biefen Zeiten beladen find, Eönnen 
wir unferer jegigen Gelegenheit nach Magifter Reinhoid's An: 
foberung, die allzu Hochgeflellt ift, nicht willfahren.” Um aber 
das Vorhaben nicht gehindert gu fehen und um zu zeigen, „daß 
wie die Künfte lieben, find wir dahin entichloffen: wo ihm ned 
mit 500 Gulden zu betfen ift, welche auf kommende Zeit und 
Termin an gewiſſen Orten geliefert werben follten, wollten wir 
ihm ſolche in Gnaden reichen Laffen, des Verhoffens, weil wir 
mit dem, was zuvor gefchehen, und mit biefen 500 wol volle 
1800 Bulden auf Reinholden wenden, er werde in Betracht ob⸗ 
gemetdeter unferer jetzigen Gelegenheit bamit zufrieden fein”. 
Reinhold erwiberte, er zweifte nicht, dab, wenn der Freund bie 
Sache mit dem Herzog muͤndlich Hätte verhandeln können, Ale 
wol weit befier ausgefallen fein würbes „jedoch nehme ich bie 
Munificeng des erlauchten Fürften, womit ex freunblidh die SUN 
Sulden verfprochen, mit bem banlearften Herzen und ſchu 
Ehrfurcht an’. Dann mwänfchte er, tar Herzog möchte fi 
wegen laflen, die Summe fofort innerhatı eines Jahres autzah⸗ 
ten zu laflen, bamit er fie fo beffer für Wine Kinder anlegen 
und fein Leben etwas bequemer einrichten Töne. Gr Hoffe auch, 
ber Herzog torrde, wie es für die Debication irdend eines treff⸗ 
lien Werts wöbtiche Sitte der Zürften fei, ihn nd gnaͤbig ber 
denten, „ſeys mit einem Kleide ober irgend einer abern Ehren⸗ 
gabe”. Es fol dabei dem gnädigen Herrn bemerkbe gemacht 
werden, daß in deſſen Ramen ihm bisher mehr nicht, WE 222 
Gulden gezahlt und außerdem zwei vergofdete Wrinkbedhı über⸗ 
reicht worden, fobaß er im Ganzen etwa 300 Gulden no, @k. 
Durchlaucht erhalten habe. Wan wird dieſe Zudringlickit 


‚weniger anftößig finden, wenn man die Roth der Beit und : 


fonders den damaligen Zuftand des Buchhandels bedenkt. & 


genttiche Verleger gab es nicht, der Schriftſteller fuchte einen 
uder zu gewinnen, ber bie Koſten und das Riflco übernapem, 
aber in ber Regel Fein Honorar zahlte; ein foldhes warb allein 


burch etwaige engefchente für die Dedication und bie mei 
tere Berſendung an Rärften und Vornehme erreiht. So ers 
Thienen freilich Wiſſenſchaft und Kunſt häufig wie ein Ganb⸗ 
wert, das nach Brot geht, und auch feiner fühlende Gelehrte 
trugen kein Bedenken, fih einen Ehrenfoid von ben Reihen und 
Mächtigen zu erbetteln, weil bie Meinung und Sitte ver Zeit 
daran keinen Anftoß nahm. Der Drud des Reinhold'ſchen großen 
Werks ſchritt langſam fort, wie die Ausarbeitung felbft; enb- 
lich fendete der fleißige Dann feinem fürftliden Gönner bie 


Debicatienseptiel in Abſchrift, mit der Bitte, them zu melden, 
ob fie in ſoicher Waffıng feinen Meifall habe. Dex Derzog war 
damit zufrieden und verſprach nun, bie 500 Gulden (den Gut: 
den zu 31 Grofchen meißmifch ober unferer preußiſchen Münze 
U Großen), vom Erſcheinen des Werks an, innerhalb fünf 
ahren erlegen zu laffen, wogegen Reinpold nicht nur die „Ta- 
bulas Prutenicae”, fondern a alle andern Werke, die er 
nachher auszugeben beabfichtigte, {hm bebiciren follte. Reinhold 
Yanlte verbindlidft und nahm das Anerbieten au, „obwol au⸗ 
derwaͤrts vielleicht auf eine viel reichere Spende zu hoffen ges 
weien wäre. Endlich im 3. 1551 konnte Keinhold dem Her⸗ 
zog ein gedrucktes Gremplar feiner aſtronomiſchen Tabellen, auf 
die er faft fieben Jahre gewendet, uͤberſenden, wobei er denn 
bat, baß ihm von ben Gulden zu Anfang des naͤchſten 
Jahres 200 ausgezahlt werden möchten. Der Herzog dankte 
fehe verbindlich und bewilligte die Auszahlung der 300 Gulden. 
Reinhold ftarb in großer Armuth, bevor die noch fehlenden 300 
Gutden entrichtet werben. Die Bormünder ber verwaiſten Kin: 
der, auch bie Yürften von Sachſen, bie Gräfin Katharina von 
Henneberg u. A., verwendeten I für die Erfuͤllung ber zuge 
fagten Summe: aber die für Nentkammer zoͤgerte, ſodaß 
noch im 3. 1565 Reinholb's Cohn den Herzog, deſſen gutmeis 
enden Willen feine Finanzen nicht unterfiäßten, um die 2b: 
tragung des alten BReftes angehen mußte, Wir verweilten bei 
diefem Artikel etwas länger, weil in ihm die Verſchirdenheit je⸗ 
mes Beitalters von bem unferigen aufchaulich ſich abſpiegelt. 
Georg Spalatin, der vielfeitig gebitbete Theolog, Hiſto⸗ 
riker, Altertbumstenner und Dichter, geftorben als Superintendent 
unb Gofprebiger in Altenburg 1545, trat im 3. 1540 in Ber: 
rehr mit- dem Herzog, ba biefer ihn bat, ihm „eine vechte und 
wahre Abconterfeiung” des faͤchſiſchen Stammbaums, melden 
Friedrich der Weife im Gchloffe zu Wittenberg hatte malen 
laffen, und daneben „einen gründlichen, klaren, fchriftlichen Bes 
zicht, gegen gebührliche Wergleihung” zu verſchaffen. Spalatin 
erfüllte des Herzogs Wunſch und empfing bafür einen fhönen 
ilbernen Becher. Auch ber Auffoderung, ihm von Zeit zu Zeit 
ber bie kirchlichen und politifchen Händel Nachricht zu fenden, 
entfprad er und gab zunaͤchſt Kunde von den Religionsver⸗ 
bandlungen auf dem regensburger Reichstage 1541. Des Her⸗ 
zogs Einladung, zu ihm nad Preußen zu kommen, mußte er 
ablehnen, weil er treu an feinem Zürftenhaufe und Lande hing. 
Dagegen bat er gang bemüthig, ber Herzog wolle ihm „fein 
und feiner ehelichen Gemahlin Gontrafactur auf einem Tuͤchlein 
fammt ihren beiden Wappen, um fie in feiner Lieberei zu ſei⸗ 
nem ewigen Gebächtniß neben anderer Könige, Fuͤrſten u. f. w. 
Gontrafacturen und Bilbniffen zuftellen, auch einft bei guter 
Gelegenheit ein wenig weißen Agtftein (Bernftein) fenden; denn 
der meiner Lieben Hausfrau und mir durch den Herrn Biſchof 
zu Mearienwerber vor zwei Jahren zugefchicte ift mehrentheils 
Schwangern und andern Kranken zu Dienſt verbraucht“. Die: 
ſem Briefe folgten, che eine Antwort kam, mehre, in welchen 
jich Nachrichten über Karls's V. Feldzug gegen Zunis, über bie 
fachfiſche Kirchenpifitation, an der Spalatin ſelbſt thätigen Ans 
tbeit nahm, über bie Reichstagsverhandlungen in Nürnberg 
1542) zur Beſchleunigung der Reichshuͤlfe gegen die Tuͤrken, 
er den Kampf ber ſchmalkaldiſchen Bundesgenoffen gegen Her: 
8 Heinrich von Braunſchweig, über den Feldzug bed Franzo⸗ 
den, der den Ramen Christianissimus ebenfo wie ber Papft den 
Sanctissimus hat”, gegen Mailand. Beigefügt iſt wieberholt 
die Bitte um etwas weißen Agtftein und um bas Gonterfei 
des Königs vom Dänemark. Bernſtein fendete ber Herzog mehr 
als einmal. Die erbetenen Bilder verſprach er. 
Bictorin Strigel, ber gelehrte und wackere Schüler 
Luther’s und Melanchthon's, ats Profeffor in Jena durch ben 
wüthenden Gifer des Matthias Flacius auf barbarifche Weife 
gefangen gefeht, nach drei Jahren zwar aus dem Kerker ent: 
iaffen, aber auch dann weder feinem Amte noch bem vollen. Ge⸗ 
nuffe ber Freiheit wiedergegeben, in Aezis wohin er ſich ge⸗ 
fluͤchtet, von Armuth und Krankheit bedraͤngt, endlich zur Pro⸗ 


legentlich, aber vergebtich 


feffur ber Theologie berufen, aber auch dort verketert und abe 
Wyr enblich Profeffor der Ethik in Seibelberg, wo ex ſchon 

flarb. Herzog Albrecht hatte fich mebrjäheig recht anges 
bemüht, ibn für fein Land zu gewins 
nen, und mit firftlider Muniſicenz ihn untesflügt. Auf eine 
Anfrage, ob er eine deutfhe Ausgabe des Neuen Keflaments 
mit. Anmerkungen Gr. E. H. bebiciren dürfe, antwortete Al⸗ 
brecht: „Uns ift es nicht allen nicht zuwider, daß Ihr uns 
baffelbe Werk zuſchreibt, fondern wir nehmen es auch, doch 
nicht der Meinung, uns feloft andern dhriftlichen hohen Poten⸗ 
toten damit worzuzichen, don Such zu gnäbigem Willen unb 
Dank an, und wollen uns nicht allein gegen Euch hinwieber 
dankbar zu ergeigen wiſſen, fonbern fofern wir Etwas in unferm 
Vermögen hätten, wodurch ſolch chriſtliches Werk um fo viel 
beffer und eher gefördert und ans Licht gebracht werben möchte, 
folte au uns und unferm gnäbigen Willen nichts erwunben 
werben. Wir wünfdgen daher, Ihr wollet in Cuerm Vorhaben 
fortfahren und bei der unterthänigen Gewogenheit gegen uns 
bebarren.” Dex Briefwechſel Weider verbreitet ſich faſt nur 
über Strigel's Berufung nad) Königsberg und feine perfönlichen 
Angelegenheiten, ift aber anziehend als Zeugniß der echt chrift⸗ 
ten Humanitaͤt bes Herzogs und als Urkunde bes damaligen 
Zeitgeiſtes. 

Martin Chemnitz, der zufällig zuletzt geſtellt iſt, eis 
ner der ausgezeichnetſten und tuͤchtigſten Theologen feiner Zeit, 
überiebte den Herzog, mit bem er vieljährig in fehr vertrau: 
lichem Verkehr geftanden, um 18 Jahre; er flarb als Buperins 
tenbent zu Braunſchweig 3586. Gr hatte in Königsberg feine 
Studien fortgefegt, war bort Rector an ber Domfchule und dem 
Herzog perſoͤnlich bekannt, audy wegen feiner mannichfachen 
Kenntniffe und wadern Beftnnung fehr werth geworben. At 
brecht, ber ihn ungern aus feinem Lande fcheiden gefeben, war 
unabiäffig bemüht, ihn zurücdzurufen. „Wiewol wie wiſſen“, 
ſchrieb er ihm, „daß Ihe Gottlob! bortigen Orts mit einem 
guten Dienft, ſtattlichem Unterhalt und reichem Auskommen vers 
fehen feid, fo finnen wir doch an Euch mit befondern hohen 
Gnaden, Ihr wollet um der Ehre Chriſti willen und uns in 
biefem unſerm betagten Alter (da wir Eure Perfon gern um 
und bei uns wiſſen wollten) zu gnäbigem Gefallen, auch biefe 
von Bott alfo auserfehene Vocation willig angelegen fein Laffen 
und bei uns in Dienft eintreten. Wir wollen Such zu einem 
ſolchen Amte gebraudgen, welches Euch ruͤhmlich und ehrenvoll 
fein fol, und Euch auch einen Unterhalt verordnen und reichen 
taffen, woraus Ihr nicht allein unfere Gnade fpüren, fondern 
au ein gutes und danknehmendes Gefallen haben werbet” 
u. f. w. Da Ghemnig ben Ruf abiehnen mußte, fo wenbete 
der Herzog ſich wiederholt an ben Magiftrat der Stabt Braun⸗ 
fhweig und bat ihn dringend, ihm ben treffiichen Mann und 
defien Collegen Mörtin zu überlaffen ; der Magiſtrat erlaubte 
aber nur, daß Weide auf einige Monate ſich nad) Koͤnigsberg 
begaben, um bem Herzog im Anorbnen des Kirchenweſens bei: 
zufteben. Dort erneute ſich das Anbringen, fi) ganz bem Lande 
zu wibmen, unb ba fie, dem Magiftrate noch verpflichtet, dar⸗ 
auf nicht eingeben Eonnten, erſchien gteich nach ihrer Heimkehr 
eine herzogliche Sefandtfchaft, an deren Spige ber Hofmarſchall 
ftand, in Braunſchweig, um beibe Geiſtliche und den Magiftrat 
für die Wünfche des Herzogs zu gewinnen. Die eigenhänbigen 
Sendſchreiben deffelben Tann man nicht ohne Lebhafte Theilnahme 
und Rührung lefen. Auch die gefammte Landſchaft, bie Stände 
Preußens, erließen ähnliche dringende Auffoderungen an die Ber 
theiligten. Wirklich bat nun Mörlin um feine Entlaffung und 
zog nad Preußen, wo er ſogleich zum Biſchof von Samland 
ernannt ward. SEhemnitz rechtfertigte in feinem ebenfo befcheis 
denen als berebten Antwortfcdhreiben an den Herzog und die 
Stände feine Weigerung mit den triftigften Gründen, bie ber 
Herzog anerkannte, ohne auf feinen Plan ganz zu verzichten. 
Da Albrecht am 20. März 1568 ftarb, erneute fein Sohn und 
Nachfolger, Herzog Albrecht Friedrich, die Werbung bei Chem: 
nie, ber aber durch fein Gewiſſen ſich verpflichtet achtete, in 


m Amte auszuharren. Gein Antwortäfchreiben iſt auch ein 
Per Beugniß feines hellen Geiſtes, tiefen Gemuͤthes und bes 
mätbigen Ginnes. 

Diefe Andeutungen des Inhalts der reichen Brieffommiung 
genügen, Diejenigen, weldye fie noch nicht kennen, auf biefelbe 
aufmerffam zu machen, und zu beweifen, daß Hr. Profeflor Voigt 
durch ihre Herausgabe ein ſehr achtbares Berbienft ſich erworben 

at. Gewiß wird es Niemand bereuen, durch den 40 Bogen 

arten Band, ber ebenfo viel Belehrung wie Unterhaltung gewaͤhrt, 
ſich durchzuarbeiten. ef. wenigftens bat mit immer gleichem 
JIntereſſe das Ganze zweimal geleſen und fenbet dem ‚Deren 
Derausgeber Gruß und Dank, bie einzige Müge fich erlaubend, 
daß die Schreibart bieweilen etwas nachläffig erſcheint, während 
übrigens der Bearbeitung bes gegebenen Stoffe ruͤhmlicher Fleiß 
gewidmet ift. 8 A. Koethe. 


Bibliographie. 









Allen, ©. Be Lehrbuch in Dänemarks Geſchichte, zum 
Schulgebrauch. Überfest von &. A. Villaume. Kopenhagen, 
Reitzel. Gr. 8 270g 


2 r. 
Becker, K. F., Ausführliche deutſche Grammatik als 
Commentar der Schulgrammatik. 2ter Band. ?te neu bear⸗ 
beitete Ausgabe. Frankfurt a. M., Kettembeil. Sr. 8. lſter 
und 2ter Band 5 Thlr. 

Beleuchtung einer von dem Deren Canonicus von Bruch⸗ 
haufen zu Osnabruͤck am Sonntage nad dem Reformationss 
Zubelfefte gehaltenen Gontroverspredigt. Nebft einigen Bemer⸗ 
tungen zu der Schrift: „Wo ift Lit und Freiheit?“ und zu 
den Gontroversprebigten ber Herren Pfarrvicar Thiele, Allen 
Seling und Dompaflor Bedimann. Ron einem evangeliichen 
Seiftticen im Königreiche Hanover. Jena, Frommann. ©r.8. 

Ya Ngr. 

De Ehe im Geiſte Ehrifti und die gemifchten Shen. Aus 
der ungrifhen Handſchrift des Weltprieſters Horaͤrik. Züs 
bingen , Ofiander. Gr. 8. 15 Nor. 

Georgi, F., Lehrbuch der Univerfalgefhichte mit vorans 
gebender Methobit und fortlaufenden Winken für die Behand⸗ 
Iung des Gegenftanbes zunaͤchſt in Bürgerfchulen und Gchuls 
iehrerfeminarien, fobann aber auch in Gymnaſien. Mit einem 
Borwort von H. Leo. iſter Band. tes Heft: nebft vorans 
flehendem Beiſpiel fpecieler Behandlung bes Unterrichts in der 
Univerfaigefichte, zur Veranſchaulichung der Foberung, daß 
derfelbe fein ſoll „die Gonftruction des Menfchengeiftes”. Halle, 
Anton. 8. 5 Nor. 

Gochring, C., Polen unter ruſſiſcher Herrſchaft. 
fen und Gittenfchilberungen aus der neueften Zeit. 3 
Leipzig, F. Zleifher. Gr. 12. 2 Thir. 22%, Nor. 

Griepenkerl, W. R., Ritter Berlioz in Braunfchweig. 
Sine Charakteriſtik dieſes Tondichters. Braunſchweig, Leibrod. 


Gr. 8. gr. 
Holſt, 3. G., Feierklaͤnge. 


Rei⸗ 
nde. 


Sine Sammlung religidfer 
I hir. 


Gedichte. Flensburg 1842, Gr. 8, 
Huber, 8, Lebensbilder. I. Flensburg 1842, 8. 
22%NR 


2» gt. 
Iſt Oſtreich deutſch? Eine flatiflifche und gloffirte Beant⸗ 
wortung biefer Brage. Leipzig, Weidmann. Er. 12. 10 Ngr. 
Köbte, &. F., Über die Reform der proteftantifchen Kir: 
chenverfaflung ‚mit befonderer Beziehung auf Würtemberg. Tür 
bingen, Oſiander. Gr. 8. 15 Nor. 
Lamennais, Amſchaſpands und Darvande. Deutich 
von 3. Rudolphi. 2 Theile. Leipzig, Peter. Kl. 8. 2 Thlr. 
Leo, ©. F., Gaunerſtuͤckchen der neueften Zeit. Zur Wars 
nung und Belehrung. Leipzig, D. Wigand. Ki. 8. 21 Ngr. 
Lexikon ſaͤmmtlicher Buchhändler und Buchdruder aller 
Länder feit Erfindung der Buchdruckerkunſt bis auf die neuefte 
Beit, herausgegeben von 3. ©. St. Schmalg und ©. 8. Vo⸗ 
gel. Hfte Lieferung. Leipzig, Schmalz. Gr. 8. 10 Nor. 


Lbhe, B., Die Miſſton unter den Beiden. Zwei Bu 

75 = Belehrung des Volks geſchrieben. Noͤrdlingen, Bet, 
v gre. 

Orelli, G. v., Spinoza's Lehen und Lehre. Nebſt einen 
Abriſſe ber Schelling' ſchen und — Philoſophie. Aavan, 
Sauerlaͤnder. Gr. 8. 1 Thlr. W Nor. 

Palacky, F., Die Grafen Kaspar und Frauz Ster- 
berg, and ihr Wirken für Wissenschaft und Kunst in Böh 
men. Vortrag, gehalten in der Versammlung der königlich 
böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften am 15. Decem- 
ber 1842. Prag, Kronberger und Rziwnatz. Gr.4. 15 Ngr. 

Ratisbonne, X., Gölhichte bes heiligen Bernpart. 
Aus dem Franzoſiſchen überfeht von G. Reidhing. In 2 Theis 
y ter Band. Iſte Abtheilung. Tübingen, Eaupp. Gr. 8, 

3 ®. 

Rauchenstein, R., Zur Einleitung in Pindar's Sie- 
geslioder. Aarau, Sauerländer. Gr. 8. I Thlr. 

Rinalbo Hinalbini ber Häuberhauptmann. Romantiſche 
Geſchichte. 4 helle. Gte Ausgabe mit 18 Kupfern. Leipzig, 
Dienbrack. 8. 4 Thlr. 

Roſenheyn, M., J. Zaflo und Rofaura Piretti. Drams 
in 9 Acten. Warienwerber 1842, Gr. 8. 232%, . 

Die Sagen von den Abentenern Karl’s des Grossen und 
seiner Paladine, der Ritter von der Tafelrunde. Aus den 
ältesten spanischen Romanzen im Versmasse der Origi 
übersetzt von E Brinckmeier. Leipzig, F. Fleischer. Gr. 12. 


l Tbir. 

Salomon, &., Das verkiärte Bild ber Freiheit. Gin 
Kanzelvortrag am Paſſahfeſt des Jahres . Mamburg, 
Geber. Gr. 8. 10 Nor. | 


Friedrich Wilhelm Joſeph von Schelling. Ein Beitrag zur 
Geſchichte des Tags von einem vieljährigen Beobachter. Leip⸗ 
zig, DO. Wigand. Gr. 8. 2 Thlr. 

Schneidawind, B: 3. A., Die Gepdlig: Schlacht bei 
Zorndorf am 25. Aug. 1758. 2te Auflage. Neuhatdensichen, 
Eyraud. 8. 10 Rear. 

Die beutfchen Sieben. Dem ſaͤchſiſchen Volke geweiht von 
G. Rechten. Frankfurt a. M., Kömer. Gr. Ler.:8. 5 Rar. 

Sophocles’ Antigene. Metrisch übersetzt und mit 
Einleitung und Anmerkungen versehen von F. Rempel. 
Hamm, Schulz. Gr. 8. 12%, Ngr. 

Zoilettens Romane des Ausiandes. Fuͤr deutſche Leferinnen 
herausgegeben von ©. R. Bärmann. Ifles bis Ites Baͤnd⸗ 
den: Zephyrina, die fhöne Zigeunerin. ine merkwuͤrdige Ges 
ſchichte, dem Spaniſchen des Don Pebro Maria be Dlive nad 
erzählt von &. N. Bärmann. Drei Theile. Braunſchweig, 
G. C. E. Meyer sen. Gr. 12. 3 Ihr. 

— — Derfelben 4ter und Ster Band: Gine Krone für 
Karı den Kühnen buch A. &. G. Zouffaint. Überfeet aus 
bem Bolländifhen von Hierunda. Zwei Theile. Braums 
ſchweig, G. C. E. Meyer sen. 12. 2 Thir. 

Trendelenburg, A., Raphael's Schute von Athen. Ein 
Jertzas u afaftlißen Vereine zu Berlin. Berlin, Bethge 

x. C B gr. - 

Die ariſtokratiſchen Umtriebe, zur Verſtaͤndigung über bie 
biftorifch begründete Gliederung der Geſellſchaft. Leipzig, B- 
Tauchnit jun. Gr. 8. 1 Zhlr. 15 Nor. 

Veuillot, &., Der heilige Rofenkranz in Gedichten unb 
Betrachtungen. Aus dem Kranzöfiichen überfegt von E Vogt. 
Tübingen, Laupp. Sr. 16. 11%, Rar. 

Wahrheiten mit und ohne Schleier. Won einem beutfchen 
Verbannten. Paris. 8. 25 Nor. 

Weſtermayer, A., Die Fatholifhe Kirche und ihr Pros 
felytismus. Hegensburg, Manz. Gr. 8. 11%, Nor. 

Weftmorland, Graf von, Erinnerungen aus ben after 
Belbzügen des ‚Herzogs von Wellington in Portugal und Spas 
nien.. In das Deutſche übertragen vom Gr. ©. v. d. Golf 
Berlin, Afher und Comp. Gr. 8. 0 Near. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrih Brokhaus. — Druck und Verlag von E. A. Brockhaus in geipzig. 
1} nr, 





wach vor ber politiſchen Kritik ſich nicht ſheuen. 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 


/ 





Sonnabend, 





Diane. Ein Roman von A. v. Sternberg. Drei 
Theile. Berlin, Leſecabinet. 1842. Gr. 12. 4 Thlr. 
15 Ngr. 

Dieſer merkwuͤrdige Roman iſt ſchon vielfach beſpro⸗ 
chen; auch von politiſchen Blaͤttern. Man hat ſeine 
Stellung zu den großen Zeitfragen uͤber Ariſtokratie und 
Demokratie hervorgehoben und ſich auf der einen Seite 
geroundert, wie der Verf., den bie Öffentliche Meinung 
in ein beflimmtes Parteilager verwies, plöglih einen 
Streifzug gegen feine eigene Partei, und mit fo ſcho⸗ 
nungslofem kecken Humor unternehmen Finnen. Auf 
ber andeen bat man ihm vorgeworfen, es fei nur ein 
Scheingefecht, und ſtatt das Übel bei der Wurzel anzus 
greifen, babe er damit nur cavaliermaͤßig gefpielt. Er 
babe die Faulheit der ſocialen Zuftände in ein Licht ges 
ſtellt, wie es ein demokratiſcher Schriftfteler, dem bie 
Galle überlaufe, nicht vermöge; aber ſtatt mit Eräftigen 
Armen fie zu ſchuͤtteln, babe er mit Glackhandſchuhen 
aur bie Gardinen und Schleier gelüftee. Unb worauf 
endlich Laufe das ganze Treiben hinaus? Daß Alles beim 
Alten bielbe unb dee ariftofratifche Held feine Braut 
nad) allen möglichen Romanentrübfalen heimfuͤhre. Wir 
ſehen e8 als Beinen Fehlgriff an, daß die potitifche Lite⸗ 
zatue auch von ber aͤſthetiſchen Notiz nimmt unb wie 
die Erfcheinungen bes Lebens and, bie ber Dichtung beobs 
achtet, kritiſirt und in ihren Kataſtern denſelben einen 
Hang anweifl. Keine Erſcheinung des Lebens darf jegt 
mehr ifolirt fuͤr ſich daſtehen, fie ift ein lebendiges Glied 
bes Geſammtlebens und muß ficy gefallen laſſen, auch 
von Solchen beurtheilt zu merben, welche auf einem ganz 
andern Standpunkte fichen, als von dem fie ausging, 
von dem aus fie betrachtet zu fein wuͤnſchte. Auch bie 
Poeſie muß fih das gefallen laffen, auch ihre Probucte 
And Producte der Zeit, und fie muß bie Stürme und 
Winde ertragen können, von welcher Seite fie auch her: 
wehen; fonft ift fie eine Kunftblume, bie hinwelkt. Nas 
mentlih aber muß der Roman, in feiner echteften Bedeu: 
tung, als Spiegetbild eines, wenn nicht ganzen Nationals 
tebens, doch eines großen, foclaten Segmente Veen, 

uch 
er iſt inficitt von den Gedankenſtroͤmungen feiner Zeit, 
oder er iſt eia Unding, eine Mache und Fehlgeburt, bie 
daid werlkmemet. Davon if Sein Roman autgefchloffen, 


von ber „Schwediſchen Graͤfin“ Gellert's und „Sophiens 
Reiſen von Memel nach Danzig“ bis zu den Romanen der 
Graͤfin Hahn und der Frau v. Paalzow. Sie alle lie 
fern und werden unſern Nachkommen noch mehr liefern 
Documente über die geſellſchaftlichen Zuftände der Zeit, 
nicht immer der, wohin bee Dichter die Kabel verlegt 


bat, fondern derjenigen, in welcher er ſchrieb. Welche 
wunderbare Aufſchluͤſſe wird 3.8. „Wilhelm Meifter‘’ den 
kommenden Gefchiechtern nicht über das Theater, fondern 
darüber liefern, wie der Geiſt ihrer Vorfahren zu Aus⸗ 
sang des 18, Jahrhunderts fih nur und allein mit bem 
scheater, als damaligem einzigen Repräfentanten ihres 
öffentlichen Lebens, ihrer Wünfhe und Gedanken bes 
ſchaͤftigte. 

Aber es waͤre Unrecht, der politiſchen Kritik allein 
das Recht einraͤumen zu wollen, Dichtwerke der Zeit zu 
beurtheilen, weil ſie der Zeit angehoͤren. Eine aͤſthetiſche 
Kritik muß neben derſelben und unabhängig von ihr 
eriflicen, wie das dulce neben bem utile, das xaxor 
neben bem Ayasov fein felbfiändiges Recht hat. Hier 
wollen wir die politifche Tendenz bes neueften Sternberg’s 
ſchen Romans aus dem Spiel laffen und einmal nur 
bie Afthetifche und pfochologifche Seite ins Auge faflen. 
Mertwürdig iſt diefer Roman, abgefehen von feinen Ten⸗ 
benzen, durch feine Geſtalt, indem er ein echter Roman 
im aften Sinne des Worts iſt, einer, in welchem Mens 
fhen und Handlungen die Dauptfache, das Ralfonnement 
die Nebenfadhe iſt. Ein Roman, nad) dem Generationen 
vor uns bürfteten, weit er in buntem Wechſel fpannenbe 
Situationen, eine Intereffante Handlung, haarſtraͤubende 
Begebenheiten, bange Erwartungen, überrafhende Ent: 
widelungen und neben den ernflen tiefen Charakteren 
luſtige Seftalten und Auftritte uns vorfuͤhrt. Das iſt 
eine abgethane, falfche Art, werben Biele einwenben; wie 
find fortgefchritten und eine geläuterte Äſthetik bat uns 
gelehrt, dag wir das wahre Intereſſe in Anderm zu 
fuchen baben, ale in den Laterna = Magica : Bildern 
von imtereffanten Begebenheiten, bie uns vorüdergaufeln 
und nichts zuchdiaffen als eine flüchtige Erholung. 
Die Aufgabe eines tüchtigen Romans. iſt heute eine 
weit andere als zu Kiefbing’s Zeiten. Das iſt fie aller⸗ 
dings; aber wo biefe Aufgabe fo oft verpfuſcht worden, 
barf ans eine gelungene Röfung ber alten Aufgabe, bie 


L, 


viel einfacher war, einmal erfreuen. Daß Sternberg An: 
deres ſchaffen, daß er ſich auf die aͤſthetiſche Höhe der 
Zeit ſtelen kann, hat er anderwaͤrts bewieſen, mit Gluͤck, 
mit Ungluͤck. Nun faͤllt es ihm einmal ein, von die⸗ 
fer Höhe: wieder herabzuſteigen und einen Koman zu 
fipreiben, was unfese WBäter einen Roman nannten, freis 
lich zu einer Zeit, als die Romane für eine gefährliche, 
die Phantafie verderbende, Lecture galten und gute Ael⸗ 
teen fie ihren Söhnen und Toͤchtern aus den Händen 
tiffen. Jetzt gibt man fie ihnen allenfalls In die Hände, 
dansit fie Menſchen umd Völker, Thaten und Sitten und 
Bänder und Meere kennen lernen. Die Romane, welche diefe 
kimmung erfüllen, ſtehen Aber die fie 
nicht erfüllen, womit füllen fie fih und erfüllen den Les 
fer? Beſſer als Wäften zu burchadern, worin auch biefe 
Wuͤſten befichen mögen — in unverdbauten Gedanten, 
Empfindungen, in Sandmeeren oder in Waſſermeeren —, 
auf alte Weile von Stadt zu Stadt, von Wirhshaus zu 
MWirchehaus kutſchiren und uͤberall abfleigen, ſich erfrifchen 
und erholen. Gol denn daram, weil unfere Romane fich 
jegt würdigere Aufgaben ſtellen, der alte Durft aach Un⸗ 
terhaltung verbannt fein! Ein tendenz⸗, ein bifterifcher, ein 
ethnographifcher und geographifcher Roman, der nicht zu: 
gleich unterhält, ift und bieibt eine Misgeburt. Warum 
foH num wicht ein Dieter, zur guten alten Zeit zuruͤck⸗ 
kehrend, die Unterhaltumg zur Haupt⸗ und die Länder 
und Bölkerkunde zur Mebenfache mahen? Wenn Stern: 
berg es nicht ſchon fonft gethan, hier durch den Wurf 
allein, durch diefe Caprice hätte er fein Dichterthum bes 
wiefen. Ein Dichter, ein wahrer, darf nicht immer wers 
haͤngten Zügeld mit dem Winde rennen wollen, er muß 
bisweilen den Pegafus zwiſchen die Schenkel nehmen und 
ihn auch feitwärts und gegen den Wind vennen lafſen. 
Dürftet nicht einen Jeden zumellen nad) dem alten Quell 
der Geſchichten aus der Kinderſtube, was foll der Dich 
ter den Durſt überwinden! Wir möchten das Wunder: 
bare ganz aus der Dichtung verbannen; läßt es fi denn 
aus dem Leben ganz verbanmen? Und rächt es fich nicht 
fire die ihm widerfahrene Zuruͤckſezung durch ben nicht 
zu überwinbenben Sigel nach dem Schrecklichen und Grauen: 
haften. Griminafgefchichten lieſt Jeder gem. 
Aber die Wahrheit iſt doc, die Hauptſache. Ohne 
Zweifel; aber aud) bie Wahrheit läßt fich verfchiebenartig 
angreifen und in ein ſehr werfchiedenes Licht ſtellen. Ei⸗ 
ner gewöhnlichen Kritik wird es nicht ſchwer fallen, im 
dieſem Roman „Diane” eine lange Meihe von Verſtoͤßen 
gegen die Wirklichkeit und von Unmahricheinlichleiten her⸗ 
amszufinden. Schon wer in Berlin befanne ift, wird 
ſchwerlich vor dem Halleſchen Thore ein Wirthshaus fins 
den wie ber in diefem Romane gefeierte Schwan; ſolche 
Bierbrauer wie Here Paͤdus, auch die Schwanenwirthin 
ſelbſt find ſelten. och weniger moͤchte man in gem 
Berlin ein Eremplar biefer Mignon > Diane auftreiben. 
Die Fuͤrſten and Furſtinnen in Pommern And Fehr ſel⸗ 
ten, und «in Eremplar mit ſolchen commponisten Mamen: 
Windiſch⸗, Wärbifch:; Gen: uub Ob: Bensheim, weis 
qhes den ng über ſchliefe und ‚Die: Nacht bauch zu 


Btackpandfchuhen machte, iR in der Nähe vom Kolberg 
ebenfo unmoͤglich, als bort in Wahrheit keine Feudal⸗ 
ſchloͤſſee mit Thuͤrmen und Zugbrüden zu finden find, 
weiche bie Ausfiht aufs Meer haben. Die reichen ge 
adelten Banklers benehmen fh auch aubers als der new 
Gutöbefiger dort, und endlich gehören fo Fe 
milienintriguen wie diejenige, auf welcher die Fabel des 
ganzen Romans, wie die Thuͤr in der Angel, ſich dreht, 
zu den bei unſern buͤrgerlich⸗pollceilich controlirten Verhaͤlt⸗ 
niſſen aller ungewoͤhnlichſten Vorkommenheiten. Wenn 
man dieſen Maßſtab der Wahrheit und Wahrfcheintidy- 
keit einmal an ben Roman legen will, fo dient ihm auch 


nit zus Repiftstigung, daf 

lichbeiten zumeilen wirklich im Leben vorfallen; denn der 
Künftler hat nicht die Aufgabe, wenn er den Horthzout 
malen will, bie meteoriſchen Erſcheinnugen und feltene 
grelle Wolkencompofitionen wiederzugeben , fordern viel: 
mehr die Zaſtaͤnde und kLiche⸗ und Gehattenwirkumgen, 
wie fie in der Regel da find und ein Klima de 
takteriſiten. 

Aber muß man denn dieſe Anfoderungen am jedes 
Dichtwert fielen? Diefer Roman mit feiner kecken Er⸗ 
findung will fein Spiegelbild ber wirklichen Zuflände fein. 
Dee Dichter will einmal fpringen, er fliegt fogar vom 
Blume zu Blume, von der Lille zur Butterblume; ihm 
war es gewiß ein Ergoͤtzen, als er ſchrieb, eine Seelen⸗ 
erholung. ZBIU der Lefer, ber ſich mit ihn ergögt und 
erholt, piöglih eine finftere Miene ziehen und fidh fra 
gen: was war es denn eigentlich, was bich ergoͤtzte? haft 
du auch recht gethan, buch fo cudhalties der Luſtigkeit 
hinzugeben, da es doch nur Geifenblafen waren, und du 
mußt die gefiehen, daß die gute Mehrtzahl des Geleſenen 
weder vorgefallen ift, noch verfallen kana? Es iſt Schade, 
fage ih, daß die Kinder niche mehr Selfenblafen ſpielen. 
Auch von den Dichters wünfchte ich es, da wir etwas 
Abwechſelung in die Monotonie befimen. Im politiſchen 
Ernſt ſchreiten auch unſere Dichter unverkennbar vor⸗ 
waͤrts, aber ein kleines Zwiſchenſpiel thaͤte doch gut, eine 
Erholung von der Arbeit. Man ginge wieder um fo 
rüfliger nachher daran. Here v. Sternberg bat viel ges 
than. eine „Diane“ if ein Produ, in bem er mit 
urfprünglicher Laune den Sauerteig bes Lebens, die Hp: 
pochondeie der Tendenzen, bie Bitterkeit der Syſtematik 
überrounden bat. Und wäre der Roman bdurch und durch 
unmwahr, um diefes angenehmen Intermezzo wegen tan 
ten wir es ihm vergeben. 

Iſt aber die Unwahrheit fo entfchieben ? Das Unwahr⸗ 
fcheinliche und Unwirkliche kann man freilich mit ben Dänten 
greifen, und es faͤllt vielleicht um deshalb noch mehr auf, weil 
es bunt vermiſcht iſt mit Scenen aus ber Wirklichkeit, die ges 
treu nach dee Ratur copirt find. Was kann man fich Leben⸗ 
digeres, Wahreres denken als bie Scene in der Poſtkut⸗ 
ſche, den ſchlaftrunkenen Offizier, dem das Schickſalekind 
ia ben. Wagen gehoben wird, und er ſchlaͤft barkbar 
ein und hält es firr einen Zramm! Was iſt der ſocialen 
Mntur mehr abgeſtahlen als die wirnuntvolle Empfang 
freie. im Poſtgebante, bie Fate, welche den jungen fie 


Yer Iewilllonmmen? wind Anbrre? Die Poefle geſtattet 
diefe Miſchung. Aber fie verlangt body Wahrheit, nur 
daß dee Maßfſtab ein anderer ift, als welchen das große, 
zichtende Publicum gewöhnlih anlegt. Sie verlangt eine 
innere, pfochologifche Wahrheit, weiche uns uͤber die Wil: 
kuͤrlichkeiten, die die Phantafie fi erlaubt, hinwegfuͤhrt 
und die nicht willkuͤrlichen Verſtoͤße des Talents vergeffen 
macht. And diefe Wahrheit ift im der Dauptfache da. 
(Dre Beſchluß folgt.) 





Bien und Münden. 
Eine Parallele. 

Mas tft das öffentliche Leben Wiens? Was iſt der Charak⸗ 
ter diefer Stadt? Alle Tage Sonntag, immer das gebratene 
Huhn im Zopf, le peuple s’amuse, ber liebe Bauch die Gott: 
beit; ein ewiges Drängen und Sagen nach Vergnügen, baf 
man nicht weiß, wo am Ende Alles hinauswill. Cine Öffent: 
liche Meinung, mit dem Gewicht und dem Einfluß anderer gros 
Ben Städte, gibt es in Wien nicht. Öffentlichkeit findet ſich allen: 
falls nur auf der Börfe, wo allgemeiner Zutritt geftattet iſt, und 


fo geringfügig die Sache fcheint, Liegt tiefer Ernft darin. Die . 


Policinelitheater im Wurftelprater müflen ftil, ohne Dialog, nur 
mit Pantomine abgehalten werden. Ich habe die hauptfächlichften 
VBergnügungsörter in und vor der Stadt befucht und Anlaß gefuns 
den, den vlelgeftaltigen Feſten, die mit Muſik, Theater, Feuers 
wert und Ilumination unter pomphafter Ankündigung abgehal: 
ten werben, beizuwohnen. Zu Zaufenden waren überall die 
Wiener verfammelt, eine anftändige Froͤhlichkeit war über fie 
ausgebreitet, und die ftille Behaglichkeit ihres Zuſtandes ſprach 
fi in Geſchmack und Gehör am beutlichften aus. Den Tönen 
des Orcheſters lauſchte Alles mit rührender Andacht und nach 
dem legten Bogenftrich erfcholl das lautefte Bravo, Haͤndeklat⸗ 
fen und Dacaporufen. In der Yaufe bis zum neuen Tanz 
waren die Baden in Bervegung, und wir felbft wurben von ber 
Allgemeinheit des Appetits angeftedt. Ausbruͤche der Brutalität 
und Gewalt habe ich nie wahrgenommen; bie Gefellfchaft vers 
hielt fih in jener ruhigen gelaffenen Stimmung, die weniger 
ron dem Princip der Ordnung als von einer Abweſenheit der 
Reigung, von einer Unbekanntſchaft feiner Kräfte, von einer 
negativen Tugend herruͤhren moͤchte. Der Wiener fcheut das 
Außerordentliche, weit er, vom Herkoͤmmlichen beherrſcht, fi 
den kritiſchen Momenten im Leben nicht gewachſen fühlt. Wie 
überhaupt eine paffive Sinnlichkeit bei ihm voriwiegt, fo fagt 
ihm auch eine etwas ſchlaffe Moral mehr zu als PA ar 
ſittliche Ernſt. Erſchlaffung der hoͤhern Geiſteskraͤfte, wide 
des Willens, Herabſtimmung der perfönlichen Menſchenwuͤrde 
und bie Abwefenheit jenes ebein Stolzes, ben das Gefühl geiftis 
ger Freiheit gibt, verdunkeln die Lichten Partien des öftreichiichen 
Volkðocharakters und Laffen ben Menſchenfreund auch die beffern 
Eindrüde nicht ungetrübt genießen. Was ihn tröften kann, ift, 
daß jene Flecken nur aufgebrädt, nicht angeboren find. 

ür den den tft der erſte Bang in Wien auf die Pos 
licet. Es flieht da aus wie in dem vieloerfchlungenen Räder: 
wert einer Maſchinenſtube, denn kaum wirb eine Behoͤrde fein, 
deren Arbeit umfaffender, meigter und verwidelter wäre. 
Man zeigt ben gegen Abgabe des Paffes am Thore erhaltenen 
Paſſagierſchein vor, um eine Aufentyaltsfarte zu loͤſen. Bevor 
fie ertheitt wird, hat der Frembe folgendes Eramen zu beftchen: 
Bas ift der Zwed Ihres Aufenthalts in Wien? Wie large 
werben Sie bletben? Gaben Sie die Mittel aus Subſiſtenz und 
bei weichem Banguier find Ste accreditirt? Won dem Genann⸗ 
ten wird noch ein befonberes Zeugniß verlangt. Erſt nach frics 
ter Beantwortung biefer Fragen erhält man die Srlaubniß zum 
Aufentyatt, mn deren 
gefucht werden muß. Es mag Manchem biefe® Verfahren uns 


BSertängerung je nad) vier Wochen nach⸗ 


delicat erſcheinen, und es fei fern von mir, dafuͤr Scha 
gu veben. Allein die Beamten, weiche hierin nur —— 
ten des Staats vefolgen, ‚trifft Fein axf; denn wenn ſich 
ein unangenehmer Auftrag ned in moͤglichſt gefaͤlliger Weife 
volfftredten laͤßt, fo kann dies Die Abrige Policei bei Ger oͤſtrei⸗ 
chiſchen ternen. Ic habe nirgend größere Hoͤftichkeit und Zus 
vorkommenheit gefunden. über bie öoſtreichiſche Policei, befou⸗ 
ders die geheime, ſind ſo viele Fabein verbreitet worden, daß 
man meinen ſollte, die eine Hälfte der Menſchen habe nichts 
Anderes zu fhun, als bie andere Hälfte auszulundfchaften, zu 
benunciven, unb hinter jedem Schritt und Tritt bes Fremden 
folge die Spürnafe bes Gpions. Wäre es nicht wegen ber 
Ordnung unb Sicherheit, die überall herrfchen, man würde 
faum glauben, daß jenfeit der Stabtmauer eine Police, außer 
der Grenze, eriftive. England ausgenemmen, gibt es vielleiche 
fein Sand, wo bie perfönliche Kreibeit weniger deſchraͤnkt wäre. 
Auf bie Volksredner und oͤffentlichen Politiker muß man allers 
dings verzichten und als Fremder ſich des Urtheils Aber die Mer 
gierung, ihre Syſtem und bie Machthaber, beögleichen eines 
Glaubensbelenntniffes, das bem mobernen Franzoſenthum — ums 
freitig der ſchlechteſten Empfehlung in Wien — angehört, ent 
halten. Shut man das, was hier ja in Mangel an Gelegenheit 
fo leicht ift, fo darf man ſicher fein, im Gebrauch feiner bürs 
gerlichen, naturgemäßen Kreipeit durch Heine der pebantifchen 

ien geftört zu werben, wie foldye häufig in andern Räns 
bern vorkommen. Es gibt in Wien keine Policeifiunde, fem 
allgemeines Verbot bes Rauchene. Man gefällt fich, flatt mit 
einer kleinlichen, pedantiſchen, bünfelhaften Amtögewalt zu 
prahlen, mit ber ruhigen, gemeffenen Handhabe der Ordnung 
und Sicherheit im Großen und Wefentlihen. Mit einem 
Worte, die Handhabung ber Policei in Wien tft mufterhaft und 
allgemein nadgahmungsewerth. *) 

München macht ben erſten Gindrud eines ſchoͤnen kraͤf⸗ 
tigen Zungen, bez fo fehnell emporgeſchoſſen if, daß ihm bie 
alten Kleider viel zu eng geworben find. Man lacht ihm aber 
nicht ins Geficht, erflens weil ex tuͤchtige Faͤuſte bat und fie m 
brauchen weiß, und zweitens weil man ihn gleich feines branen, 
echtdeutichen Ausſehens halber Llisbgewinnt. Dabei weiß der 
Junge faum etwas von feinee Schönheit unb Kraft, weniaftens 
befümmert er fich nicht darum. Geſund if er von Leib und 
Serie, er fchafft, trinkt und Lüßt wie ber Wiener, aber ee 
fingt auch Alpenlieber aus voller Bruſt. Gr wriß noch nichts 
von Reflerion, bitbet fi) gar nichts ein auf feine Froͤmmigkeit, 
kann fein Franzoͤfiſch und verabfdyeut den Thee. Aber eine 
neue Welt Hat fi in Maͤnchen ausgebaut. Ja, ich möchte 
faft glauben, daß bie Extreme Simplicität, bie Abwefenheit als 
ler Kritit und Regation, alles hohlen, modernen Wefens noth⸗ 
wendig waren, um in Muͤnchen Das zur vollmbeten Anfchauung 
zu bringen, was für ewig einen Abfchnitt im Bildungsgange 
bes deutſchen Volks ausmachen wird — bie beutfche Kunft. 
&ie hat ihren Gig in Muͤnchen aufgefdlagen; nehmen Sie 
Münden weg und es bleiben viele geſchickte Maler, aber feine 
eigenthümliche, Leine deutſche originele Kunftrichtung) Das 
Hingt fab und doch iſt es wahr, weder Düffeldorf, Berlin, noch 
Dresben ober Wien haben eine Schule, bie als folche einen 
bebeutenben bleibenden Moment bildet. Nachdem ich fie alte 
gefehen, ober kennen gelernt, nebft den übrigen bebeutenden 
Kunftkäbten, als Rom, Paris, London, fo kam ich exft auf 
den Bat, daß Das, was bie beutfehe Kumft als ſolche von jeder 
andern unterſcheidet, entichieben blos in Muͤnchen zu finden 
ober von bort ausgegangen ſei. Haben auch bebeutenbe Kuͤnſt⸗ 
fee in neuerer Zeit en vexlaffen,, fogar der genialfle — 
Gornelinsd —, fo blieben body ihre Werke bort, bie Schöpfungen 
ihres Eräftigften Mannesalters, mit all der imponicenden Nach⸗ 
wirtung , bie fie haben mußten. Das verbanft Wänden vors 
nehmlich feinem König.. Ludwig von Baiern ift groß genug, 


*) Bergl. Schereres „Reife nah OÖſftreich im Sommer 1849” 
(Uhn 1888). 





das Genie zu erkennen und ihm alle Mittel zur grenzenlofen 
Thaͤtigkeit I die Hand zu geben. Als Kronprinz ſchon ver» 
wenbete er mit giähenber Kunfltiebe feine Erſparniſſe auf die 
Erbauung jenes herrlichen Kunſttempeis, der GBinptothet, bie 
ewig ein Mufter bleiben wird. Cie war bie erſte jener Reihe 
großartiger Prachtbauten, wie deren kaum irgend ein Begent 
fo viele und gelungene errichtet bat. In 100 Jahren wird 
man flaunen, wie ed einem eingigen Zürften, ber nur über maͤ⸗ 
Sige Kräfte gu verfügen hatte, moͤglich war, fo viel zu ſchaf⸗ 
fen, ohne Baiern durch bie Koften biefer Schöpfungen zu bes 
iaſten. Es gibt Kein beutfches Band, bas biähender wäre von 
einem Gnde bis zum andern, und nitgend gibt es vielleicht fo 
wenig Arme, als in Baiern und namentlich in Bänden, wo 
die großen Gummen, welche die Öffentlichen Gebäude und Pa⸗ 
täfte u. f. w. koſten, zum größten Theil in die Bände ber ars 
beitenden Glaffe, der Maurer, Gteinpauer u. f. w. Tommen. 
Zaufenbe Habe] eine forgenfreie Eriftenz und Gelegenheit zur 
vollen Ausbildung ihrer Faͤhigkeiten bei biefen großartigen koͤ⸗ 
nigtichen Unternehmungen erhalten. Muͤnchen {ft dadurch groß 
und berühmt geworden, und dennoch cine Stadt geblieben, wo 
billiger gebaut und verhältnismäßig billiger gelebt wird als 
irgenbivo. 

Indem wir biefe Büge jenen Skizzen aus München ent 
nehmen, welche in einigen Nummern ber „Zeitung für bie 
elegante Welt” zu Anfang biefes Jahres geliefert worden 
find, wollen wir unfererfeits aus eigener Wahrnehmung bin: 
zufügen, daß für Das, was das Leben bes Volks ſelbſt betrifft, 
alfo Wopifeitheit des Auskommens, bürgerliche Freiheit, Ver⸗ 

dgungen, Geſelligkeit und überhaupt alles Das, was drei 
iertel unfers Dafeins ausmacht, Leine Stabt in Deutfchland 
mebr Gutes und Ungezwungenes bietet als Münden. Der 
Buͤrgerſtand in München iſt zu neuer freierer Bewegung vorges 
ruͤckt. Man kann nicht fagen, er fei noch politifch todt; für 
drei Viertel feiner Glieder würde bie Neigung zum Politifiren mehr 
ein Schaden als ein Rugen fein, während er überall fo viel 
Hg Kenntnig und Verdienſt hat, fi für fein Gewerbe, 
eine Gemeinde, ja für fein Vaterland Eräftig, tücdhtig und freis 
finnig auszubilden. Thut das der Bürger in Münden nicht, 
fo wird er dort auch unter die Philifter, Feiglinge und Schma⸗ 
rozer gezählt. Auch vom Abel in Münden Tann man fagen, 
baß er aus feiner Lethargie und ber Nachaͤfferei bes Auslandes 
ziemlich herausgetreten iſt. Wir finden feine @lieber unter den 
Gelehrten, Dichtern und Künftlern; er fühlt, daß er nach bem 
erhabenen Vorbilde feines Könige vor Allım recht deutfch bleiben 
muß, wenn er als Abel geiten will. Baierns Verfaflung ers 
sieht die Münchner zur Nationalität, ihre Freiheit macht fie 
national und ihre Rationalität macht fie frei. Das Ausland 
bat daher fehr unrecht, wenn es neben Wien und Berlin Muͤn⸗ 
Gen nur Höchftens in Beziehung auf Kunft erwähnt. Wirkt 
auch in München bis jegt noch nicht der Geifl, der ben Fried 
richs II. mit dem Herzen Sofeph’e II. in Gins verbindet, fo 
Tann es doch nody dahin kommen; benn München iſt bei mans 
dem Dunft und Nebel body eine Sonne, unter ber ein feſter 
Körper gedeiht. Es will der Geiſt von Batern, ber in Muͤn⸗ 
chen thront, Feine Kaifertrönungen und Prunfflimmer mehr, 
wol aber Thatſachen, Gefege, Tuͤchtigkeiten. Gr begreift, daß 
Batern fo wenig wie jeber andere Staat ohne Fortichritte fi 
ernähren, ſich ſtaͤrken, ja ſich erhalten kann; biefer Geiſt ficht 
ein, daß nur Unterricht, Wiffenfchaft und Religion bauernde 
Wurzeln im Gtaatsieben treiben, und daß für bas inbuftrielle 
Leben nichts zu gewinnen iſt durch ben inbivibuellen Ehrgeiz, 
Alles aber durch die Benugung der allmaͤchtigen Zeit und durch 
bie weile Löfung ihrer Kaͤthſel, bie fie als Sphinx ben Maͤch⸗ 
tigen ber Erbe zur Löfung aufgibt. Muͤnchens Geiſt, indem 
er große Güter nur um große Mühen eintaufcht und feſthaͤlt, 
laͤßt Münden wachſen trog aller fehlerhaften Reactionen, troß 
aller einzelnen Rüdfchritte, tro& aller nicht vollgogenen Wünfche, 


trot falſcher An 


Furcht vor dem —. — 


und vn 





Literarifhe Notizen. 


@ine neue Monatsſchrift erfcheint zu London vom Mai ab 
unter bem Zitel „Tegg’s London magazine”. Wie gewöhns 
lih wird in ber Anlünbigung gegen alle bisherigen Unterneh⸗ 
mungen biefer Art in einer Weiſe zu Felde gezogen, alö feien 
diefe keinen Schuß Pulver werth, währen bie neue Monates 
fehrift eben das Pulverfaß fei, um damit alle frühern periobis 
ſchen Schriften in die Euft zu fprengen. Es Heißt in ber Ans 
fündigung, daß dee Buchhändler und Derausgeber — und wel. 
der Buchhaͤndler ſchuͤhßt nicht ſolche Motive vor? — von den 
edeiften Beweggruͤnden geleitet fei, er babe erfannt, daß bie 
bisher beftehenden zahlreichen periodiſchen Schriften Ihrem eigents 
lichen Zwecke nicht entfprächen, indem fie den Geſchmack verdär: 
ben u. f. w.; in biefer neuen Monatsfchrift folle ba eine 
gefunbe Speife geboten werben. Unerſchoͤpflichen Stoff lieferten 
die merkwürdigen Entdeckungen zu See und Land, bie wunder: 
vollen Erfindungen und Wervolllommnungen u. f. f. Es fols 
len barin enthalten fein: Befchreibungen aus der Naturgeſchichte, 
mit befonderm Bezug auf das Thier⸗ und Pflanzenreich in ben 
neuen Colonien,. — 28 — Details in Betreff der Coſtume, 
Gebraͤuche und Zeitvertreibungen früherer Epochen, indem fie 
mit denen ber jetzigen Zeit verglichen werben; biographiſche 
Skizzen; Productionen der Einbidungskraft und Artikel von all⸗ 
gemeinem Intereſſe, welche ſich kaum claſſificiren laſſen; „all 
dieſe Gegenſtaͤnde und unzaͤhlige andere, die zu bezeichnen und 
zu rangiren unmoͤckich iſt, von ben — pfen unb 
geübieften Federn bearbeitet und erläutert durch die ausgezeich⸗ 
netflen Holsfchnitte und Kupferftiche, werben, wir hoffen unb 
glauben es, zufammen ein Magazin von einer noch unübertrofs 
fenen Bollendung bilden.” Zu den wichtigſten Gegenflänben, 
auf welche die Rebaction ihr Dauptaugenmerf richten will, wirb 
noch bie Geſchichte des Menfchen in feinem fociaten Zuſtande ges 
wit, wobei die Verſchiedenheiten ber menſchlichen Rocen, bie 

inflüffe von Klima und Erziehung in beiondern Betracht ge: 
nommen werben follen. Noch glaubt „Tegg’s London maga- 
zine” ſich ein vorzügliches und unterſcheidendes Verdienſt da⸗ 
durch Fir erwerben, saß es monatliche Preife für die beflen Ars 
titel über aufgegebene Themata ausfegt — kurz, es ift ein 
vielverfprechendes Journal. 18. . 


Aus anonymer, aber fehr gewanbter Feder ift eine dreis 
bänbige Rovelle: „The Scottish heiress‘‘ (London 1843). Bei 
aller Einfachheit der Intrigue ift die Durdführung finnreidg, 
bie Sprache klar und deutli Verhältnifmäßig treten wenige 
Perfonen auf. Keine ift unnuͤt und jebe gehört an ben Pat, 
wo fie flebt. Die Geſammtheit bewegt ſich meift in ber hoͤhern 
Geſellſchaft, ohne daß der Lefer mit Bornehmthuerei geftopft 
wird, und wer in nieberer Sphäre rangitt, befundet das nicht 
durch Gemeinheiten. Laut Titels iſt „eine ſchottiſche Erbin”, 
db. h. ein reiches fchottifches Mädchen, die Heldin ber Erzaͤhlung. 
Das Bauptinterefle concentrirt fi aber in Kenneth Ginne, 
ebenfalls einem GSchottländer, ein braver, hodhfinniger junger 
Mann, befien Yehler aus demfelben heißen Blute entfpringen, 
das die fhönften Tugenden erzeugt. Er wibmet ſich ber ts· 
wiſſenſchaft und es handelt ſich darum, ber reihen Erbin, Wi 
Helen Ruthven, ben Beſitz von Gütern zu ſichern, um welche 
ihr Oheim, Sir Edgar Ruthven, im Bündnis mit einem ſchar⸗ 
kiſchen Advofaten, auf ben Grund ihrer unchelichen Geburt fie 
beftehten will. Ratürlich fiegt der junge Rechtsmann und — je 
— oder bie Verf. bittet, das demouement nicht zu ge 
ca en. 3 


Verantwortlicher Herausgeber: Heinrich Brodhaus. — Drud und Verlag von J. A. Brodhaus in Seipzig. 





. — 


u — rn A 39 u 3 EEE Ten nn 
® 


Blätter 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Sonntag, 









Diane. Ein Roman von A. von Sternberg. 
i Theile. 


„Diane beißt der Roman, benn Diane ift der Name 
des armen geraubten Kindes aus eimer großen Familie, des 
sen wunderbare Derwidelungen und Schidfale den Haupt 
hebei des Romans im engern Sinne bilden. Diane, das 
lieblihe Kind, wird uns auch in den mannichfachſten 
Situationen vorgeführt, zerlumpt auf der Landflrafe, un: 
tergebracht in einem Buͤrgerhauſe, zus Magd erjogen, 
dienend für alle mögliche Perfonen, endlich fogar ins Ges 
fängniffe, eines Verbrechens angeklagt. Immer tritt ihre 
kindlich⸗ liebliche, gefunde Lichtnatur heraus, und wie ſich 
das von einem Romane von ſelbſt verfieht, wird das 
verlorene Kind doch zulegt erkannt und veih und glüds 
lich, wie ein Poet, d. h. ein Romanendichter, feine Hel⸗ 
den gluͤcklch machen muß. Das Publicum will es has 
ben. Aber die eigentliche Heldin des Romans iſt nicht 
Diane, ſondern Judith, eine ganz neue, eigen⸗ 
thuͤmliche Erſcheinung im Felde dee Romantik, deren 
Durchfuͤhrung den pſychologiſchen Scharfblick, das Ges 
ſchick und den Salt Sternberg's bekundet. Judith iſt 
die Tochter eines Berbrechers. Auch fie erſcheint zuerſt 
auf der Landſtraße, in Lumpen gehuͤllt, ein fluͤchtiges 
Bettelmaͤdchen. Verfolgt mit ihren Angehörigen durch bie 
Diener der Gerechtigkeit, bemaͤchtigt ſie ſich des Briefes, 
der jenem andern Kinde, der Tochter der großen Familie, 
die Wege zur Anerkennung, zum Gtüde bahnen ſoll. 
Daß es ihre gelingt, ſich im das höhere Leben einzuſchlei⸗ 
en, iſt nicht das Wunderbare und das Geſchickte, fondern 
daß fie, in ber gebildeten Welt erzogen, bei ihrem Schuld⸗ 
bewußtfein — fie hat felbft an falſchem Papiergelde mit 
gearbeitet — ſich in den höhern Lebenskreiſen zu behaup⸗ 
ten, ihr Glüͤck durch Klugheit zu ertrotzen und — uns 
fere Xheilnahme fich zu erwerben weiß! Wie fie es er⸗ 
sroßt, verräth eine ſeltene Charakterſtaͤrke; aber das Mo⸗ 


tiv, freilich durch den Charakter des alten Generals wies | 


ber motivirt, flreift aus den Grenzen des bürgerlichen in 
ben romanhaften Roman. Möglich, auch hier und da 
vorgefommen iſt eine ſolche Greuelthat, wie in Hätten 
fo in Paläften. Aber «in Vater, der feinen Sohn im 
Jaͤhzorn erfchiegt, weil ex eine die Ehre dee Familie ver: 
legende. Handlung zu begehen im Begriff ift, iſt ein 


— Rr, 169. — 


18. $uni 1849, 


Thema, welches ins Hochtragiſche uͤberſtreift. Es erfodert 
die ganze Kraft und Aufmerkſamkeit des Dichters, um 
es uns wahrſcheinlich, natürlich vorzufuͤhren. Wenn Bein 
Drama, ſo müßte der Roman ſich darum drehen, es 
müßte das Mittel: und Hauptſtuͤck fein, nicht eine Ne⸗ 
bengabe, etwas beilaufig, in einem gelegentlichen Nachts 
ſtuͤck Abgefertigtes. Wie gefage, es mag in der Wirk 
lichkeit vorgekommen fein, daß ein ariſtokratiſcher Water 
auf einem einfamen Jagdſchloß feinen Sohn umgebracht, 
weil er eine nicht ſtandesmaͤßige Deirach ſchließen wollte; 
dieſer gigantiſche Vater aber muͤßte die Hauptperſon, der 
Traͤger einer großartig gehaltenen Dichtung ſein, und 
esfoderte doch noch die ganze Geſchicklichkeit eines mo⸗ 
denen Dichter, um uns Das in einer miobernen 
Dichtung begriffs⸗ und gefühlögerecht zu machen, was 
wir, in die antike Welt verrückt, weit leichter hinnehmen. 
Aber als Epifode in einem humoriſtiſchen, von Wigflrahs 
ken bilgenden und mit lachenden Karben gemalten Ro⸗ 
mon nimmt es ſich wie ein finfierer Spuk aus, der nicht 
dahin gehört. Freilich verfennen wir nicht die Ironie bee 
Memeſis, daß derfeibe Senior einer ariſtokratiſchen Fami⸗ 
lie, welcher das groͤßte Verbrechen begeht, einen Kindes⸗ 
mord, um bie Schande von derſelben abzuhalten, nachher 
moraliſch gezwungen wird, in eine Heirath des Erben 
der Familie mit der Tochter eines gemeinen Verbrechers 
zu willigen, und um Dsöwillen, weil ber Schatten deö 
Gemordeten ihn verfolge und die Entdeckung dreht. Aber 


' Hätte fi ein folches, d. h. ein ähnliches Schulbbewußts 


fein nicht auch ohne die geäßlihe That denken laſſen. 
Dee vortrefflich angmegte Eharakter bed Alten wuͤrde das 
durch am innerer Wahrheit, an großartigem Intereſſe ges 
wonnen haben. Vielleicht daß der Alte nur die Mörbers 
band gegen den Sohn erhoben hätte, ein Zufall wäre 
dazwiſchengetreten, ober bie beſſere Beſinnung, aber dev 
Sohn wäre doch in ummittelbarer Folge umgekommen 
nr moraliſch laſtete auf dem Alten die Wirkung? Je⸗ 
denfalls wäre durch eine fosche, ober ähnliche mildere 
Wendung die pinchelegtfche Aufgabe, bie Judith wuͤrdig 
zu zsichnen, eine größere geworben. Wie anders, wie 
bedsutungsvoll fände diefe ſchon jet geniale Schöpfung 
des Dichters, wenn fie nicht bios durch die Drohung und 
die zufällige Wiſſenſchaft von einem Familienverbrechen 
fi) den Eintritt in die Familie ertsogte, ſondern durch 


674 


die aufßerorbentliche Lage, in welche zuerſt ein Betrug, 
dann die Umftände fie verfesten. Das wäre eine große 
Aufgabe gemwefen, welche bie Dichtung weit uͤber dem ges 
wöhnlihen Romanenzufchnitt erhoben hätte. Alsbann 
wäre es auch möglich geweſen zu zeigen, wie ein von 
Natur edler Charakter fi nicht allein uͤber die Miſere 
bes Lebens, fondern durch Kraft und Bewußtſein auch 
über die Erinnerung an das Verbrechen wegfegen, erheben 
und eine dauernde Stellung im Leben für ſich erringen 
Tann. Das wäre eine noch größere pfochotogifche Auf: 
gabe geworden, die Aufgabe eines echten Zeittomans, viel: 
leicht auch eine chriftlihe. Dann hätte die arme Judith 
nicht mit ihrem blutigen Tode für das Verbrechen ihrer 
Kinderjahre nah dem altteflamentarifhen oder fatalifti- 
Then Glauben büßen müſſen. ine gereinigte Judith, 
in vollee Klarheit des Bewußtſeins, mitten in der gro: 
Ben Welt, anerkannt in ihrem Urfprunge, und doch groß, 
geehrt, gebietend; das wäre — vielleicht ein Traum, wie 
die Dinge ftehen, aber ein fchöner Traum, befien Realifl: 
zung aus dem Geſichtspunkt der Ideen des Kortfchritts 
und benen des chriftlichen Laͤuterungs⸗ und Regenera⸗ 
tionsproceſſes nicht unmöglich erſchiene. Daß er fich dies 
Thema nicht fiellte, darum hadern wir nicht mit dem 
Dichter, denn auch Judith, vweie fie iſt, iſt eine hoch in: 
tereffante Erſcheinung, ihr legtes Auftreten in Rom als 
Diplomatin, als Sonne eines glänzenden Lebens, ale 
Verf. eines Memoire, welches den neuen Kampf zwi⸗ 
fhen Rom und Preußen ſchlichten foll, ift zwar eine bit: 
ter:geiftvolle Wendung, aber fo epigrammatifcher Natur, 
daß fie nur loſe mit dem Bisherigen zufantmenhängt. 

Kreilich iſt dieſes epigrammatifche Auseinandergeben 
überhaupt ein Fehler des Romans — mohlverftanden 
des Romans, nicht des Dichters. Der Käden wurden 
ihm zu viele, als daß er fie alle einzeln und ordnungs⸗ 
mäßig abfpinnen follen. Er half fi alfo mit geiſtrei⸗ 
hen Impromptus, die alle den Dichter nicht verkennen 
laſſen, der mit feinen reichen Lichtern nad) Wohlgefallen 
und Bequemlichkeit Tpielt und immer noch etwas Brillan⸗ 
tes gibt, wo es auch nur Stuͤckwerk if. So find gerade 
Im legten Theil die glaͤnzendſten Schilderungen, aber fein 
Gemaͤlde mehr; Nachtſtuͤcke, Idyllen, Satiren Alles bunt 
durcheinander gewürfelt. Er wollte es, oder es war ihm 
fo bequem; wir tadeln es nicht, aber wir wänfchten, daß 
eine fo reiche Kraft, bie, wie diefee Roman verräth, noch 
folche Fülle in fi hat, fi einmal an die Arbeit ſetzte, 
um ein großes, durchgeführtee Gemälde auf pſychologiſch 
hiſtoriſchem Boden (mir meinen bamit feinen hiftorifchen 
Koman) zu entwerfen und zu vollenden. Dazu gehört 
freilich Arbeit, Studien, Ausdauer. 

An den vothen Fäden, die bald duͤnn, bald dicht nach 
alen Winden ſich hinziefen — es wird ungemein viel 
gereift —, reihen ſich Perlen und Korallen ber mannich⸗ 
faltigften Art, echte, boͤhmiſche Steine und folche, denen 
man auf den erften Blick anfieht, daß fie Falfch find. Um 
von den ganz falfchen anzufangen, fo iſt der Advocat 
Lobmeyer eine ſehr ungluͤckliche Geſtalt, da fie kaum ale 
Garicatur noch in der Romanenwelt Gültigkeit bat. Ein 


ſolcher Sachwalter kommt um ein Jahrhundert in Ber: 
Un, Preußen, vielleicht in ganz. Deutfchland zu fpät. 
Die berliner Advocaten find eine Menfchenclaffe, bie um 
ihrer Eigenheiten und — aber glänzenden — Schwächen 
willen wol in Romanen zu brilicen verdienten, aber fir 
coftumiren ſich nicht aus der Polterkammer abgelegter 
Boͤſewichter und GBeizhälfe, bie ſogar Moͤrder dingen und 
falſche Criminalklagen machen, ihr Reich iſt der flim⸗ 
mernde Schein, die Chauſſée d'Antin von Berlin. Sie 
ſind befaͤhigt zu Alem, was in der Mode glaͤnzt, nur 
nicht ſchmuzige Knicker und gemeine Angeber zu ſpielen. 
Ebenſo iſt es eine arge Verſuͤndigung, preußiſche Crimi: 
naltaͤthe zu ſolchen raffinirten Boͤſewichtern zu machen, 
welche unſchuldige Mädchen ins Criminalgefaͤngniß ſtecken, 
um ſie zum Eingehen in ihre Abſichten zu zwingen, eine 
Verſuͤndigung, welche fi kaum mit der poetiſchen Licen; 
entſchuldigen laͤßt. Auch die berliner Bierbrauer ſehen 
wol etwas anders aus als Herr Paͤdus; wogegen die gute 
Frau Sempel guten Theils der Natur abgeſtohlen iſt. Eine 
koſtbare Figur iſt die Dichterin, und was nicht an the 
Natur waͤre, iſt von dem Dichter ſo geſchickt ſupplirt, 
daß es wieder Natur werden muß. Nur in einem Punkte, 
glauben wir, irrt er. Naͤmlich in der Verſicherung zum 
Schluß, daß ihre Romane keine zweite Auflage erlebt 
hätten. Gerade diefe Dichtungen von Damenband, two 
e8 nur übermenfchlih edle und uͤbermenſchlich ſchlechte 
Charaktere gibt, erleben zweite Auflagen, von Romanen 
Dagegen, two die Menſchen als Menfchen bargeftellt wer: 
den, iſt mir dies noch nicht bekannt. Die Dame mit 
dem wahnfinnigen Haushalt tft freilich, fowie fie erfcheint, 
nur Phantaſie, aber es iſt nur eine feine, dichteriſche 
Deftillation einer nur zu wahren Wirklichkeit. Iſt doch 
ihr Gegenſtuͤck, die elegante, liebenswuͤrdige Franzoͤſin, 
die Gräfin Senneterre, mit ihrer für alles Interefiante 
abgerichteten Poppda, mit ihrer vollendeten Liebenswuͤr⸗ 
digkeit und Güte ohne Herz, nur ein Gegenftüd, und 
dies Gegenſtuͤck ft aus der. wahrhaften Wirklichkeit nur 
herausgeſchnitten. Die Pietiften in Königsberg geben 
nur als fluͤchtige Erfcheinung vorüber. In Berlin glaubt 
man viele befannte Geſtalten zu erkennen, fo namenilich 
die ſchoͤne Schaufpielerin Charlotte Hermann, welche, un: 
fer Erachtens, fi durch dieſe Portraitirung nur ges 
ſchmeichelt fühlen dürfte. Auch in ihrer Geſellſchaft tre⸗ 
ten, für den Roman zwar nur kurz lebende, aber [ehe 
wahr gezeichnete Perföntichkeiten hervor, die ſich aber wicht 
eben gefchmeichele fühlen dürften. Was das Romanin- 
texefie betrifft, fo wird daſſelbe durch die Sconen im als 
ten Schloſſe an ber preußifchen Küfte auf hoͤchſte geſtei⸗ 
gert; bier uͤberkommt den Dichter eine Weihe, bie es 
faft bedauern läßt, daß er nicht einen ganzen Roman ir 
dieſem Geifte ausgeführt hat, und die Hauptperſon, der 
alte General erhebt ſich zu einer erhabenen Größe. Die 
Scenerien, die Naturſchilderungen, ber Dialog wird alles 
Hautrelief. Im dritten Theile, wo die Miftre der Ge⸗ 
fängnißfeenen einen breiten Raum mit ihrem unmwahr= 
fheintihen und unwirklichen Beiwerk einnimmt, ſinkt dies 
wieder, um fi in Rom in einer andern Art — wie wir 


— =“ II — — — — — 


x 


675 


oben angeführt, If fie mähr epigrammatiſch als drama⸗ 
tiſch und epifh — noch ein Mal zu heben. Die Jdylien 
bes zweiten Theils find tief gefühlt und leicht hingehaucht, 
der Sonnenfchein fpielt Lieblih anf dem Morgenthau, die 
Abendwinde flüftern durch die Lindenblüten, es ift viel 
dichterifcher Schmelz und pfochologifhe Wahrheit da; aber 
fie fcheinen uns dort nicht recht am Plage, nad) den 
deaftäfh mächtigen Scenen an der Oſtſeekuͤſte. Sie haͤt⸗ 
sen früher kommen müffen; und folkten fie nad dem 
Vorangegangenen verföhnend wirken, fo müßten nicht bie 
Scenen in Rom nachher kommen oder gar das wilde 
Nachtſtuͤck auf der Brüde, von ber Vater und Sohn 


ins kalte Waſſer flürzen, ein Nachtſtuͤck, das wie ein 


Meteor erfcheint, um zwei Kiguren fortzufhaffen, die ben 
Dichter vielleicht verdroffen und mit denen er deshalb auf 
recht bizarıe Weile abfahren mollte. 10, 





Der Religionskrieg in Deutfchland. Von Soͤltl. Brit: 
ter und legter Xheil. Briefe und Berichte. — %. u. 
d. T.: Denkwuͤrdigkeiten aus den Zeiten des Religions: 
Erieges in Deutfchland. Hamburg, Meißner. 1942. 
8 2 Thlr. 

In unferer Anzeige ber beiden erſten heile biefes durch 
Freiſinnigkeit und gute Darftellung empfehlungswertben Buchs 
in Rr. 196 u. 197 d. Bi. f. 1841 vermißten wie die urkund⸗ 
Lihe Nachweiſung mehrer von Hrn. Soͤltt angeführten Actens 
ſtũcke, Briefe und Nachrichten. Diefe Ausflelung hat der Verf. 
in dem vorliegenden Theile zu befeitigen geſucht und eine ans 
ſehnliche Anzahl von Briefen und Bertchten aus ben verſchiede⸗ 
wen Seiten des Dreißigjährigen Kriegs mitgethellt, theils voll 
aͤndig, theild in Auszügen und Überfetungen aus bem Lateinis 
ſchen, Engliſchen oder Franzoͤſiſchen, fobaß fie auch von Fünf: 
tigen Geſchichtſchreibern des Kriege noch beffer benugt und an 
ihren gehörigen Orten eingereiht werben Zönnen als bier, wo 
fie loſe und ohne Zuſammenhang flehen. Für die intereffans 
teften Beiträge halten wir bie Briefe des Ludwig Gamerarius, 
von benen bereits Mofer („Patriotiſches Archiv für Deutſch⸗ 
Yand’’, Bd. 5, &. 12) Kenntnig gehabt und fie benugt hat, 
jedoch ohne feine Quelle zu nennen, und bie jest auf ber Hof 
und Staatsbibliothek zu München verwahrt werben. Diefe 
Briefe eines ber treueften Anhänger des pfaͤlziſchen Hauſes und 
wärmften Freundes ber Reformation laffen uns tiefe Einblicke 
in das Getriebe ber damaligen Zeit thun unb erfüllen jeden Les 
fer mit hoher Achtung gegen den feinem fürftlicden Haufe fo uns 
erfchütterlih anhänglien, frommen, einſichtsvollen und gelehr: 
ten Staatömann, aber auch mit Zrauer und Wehmuth über 
das traurige Schickſal der pfälzifchen Eurfürftlichen Familie — 
„ein ſchmaͤhlich Denkmal ber gefallenen Größe”, wie ver Dich: 
ter fagt. Da wir aus diefen Briefen Feine Auszüge geben koͤn⸗ 
nen, fo wollen wir nur bei einer und zwar befonbers wichtigen 
Angelegenheit aus Camerarius' Leben verweilen. Bekanntlich 
gilt er für Den, ber ben Kurfürften Friedrich von der Pfalz 
am dringendften zur Annahme der boͤhmiſchen Koͤnigskrone ges 
ratben babe. Camerarius gedenkt in zwei Schreiben an feinen 
Zanbesheren vom 17T. und 27. Zebruar 1621 (S. 144) und 
noch ausführlicher in einem im September 1622 gefchriebenen 
Briefe (S. 170— 173) ſolcher „gegen ihn gerichteter, bebräus 
Ticher und befchwerticher Neben, als ob ex vor andern alles ges 
genwärtigen Jammers, Blutvergießens und Zerrättung ein Urs 
facher fei und neben antern ben Kurfürften vielfach verleitet 
und in biefe Weitläufigkeit und Beſchwerung eingeführt habe”. 
Dann fährt ee fort: „Dieſes Alles geht mir tief zu Herzen, 
peinigt mich auch wol oft in bie Gedanken, ob nicht etwa für 
mid und tie Meinigen darin am beiten fein fole, mit E. 8. 


M. Belieben und gnäbigften Gonfene mic; binfäro ber bisher 
gehabten Zunction und Gefchäfte zu entfchlagen und wo es Bott 
gefällig, im Grit privatim irgendwie mein Leben zu fchließen. 
E. K. M. werden mir felbft das Zeugniß gerne und gnädigft 
geben, daß, fo viel bie Annahme ber böhmifchen Krone anlangt, 
ich tein Anderes und Mebreres geratben, als das gefammte 
Bedenken, welches E. K. M. von Herrn Sroßhofmeifter, Kanz⸗ 
lee und geheimen Rat vom Wahltag zu Frankfurt nad Anıs 
berg gefickt worben, in ſich hält.” In das GEntlaffungsgefucdh 
wollte Briebridy aber auf keine Weife willigen. Gr bebauert e& 
in einem von Hrn. Soͤltt aus bem Originale mitgetheilten 
Schreiden vom 21. Rovember 1622 fehr, daß Camerarius wer 


. gen feiner ihm geleifteten treuen Dienfte fo vielen Kummer und 


erdruß babe erfahren müflen. „Du haft dich aber deſſelben 
nicht fo body anzunehmen, fondern beiner Unſchuld bich zu ges 
tröften und des Zeugniſſes deines Gewiſſens, daß bu dich jeder: 
zeit gegen Uns und gegen dad gemeine Wefen alfo erzeigt und 
im Wert erwiefen haft, wie «8 einem treuen aufrichtigen Die: 
ner zuſteht. In welcher Betrachtung denn, und dieweil wir 
nie ein Anberes an bir verfpürt, Wir hingegen beffen refoloirt 
find, daß bei allen Gelegenheiten, unangefeben Unſers aegenwäre 
tigen .betrübten Zuftandes, Wir dennoch mit au den Mitteln, 
die Uns noch übrig, bei dir halten und dich nach Bermoͤgen 
fügen und vertreten wollen; in alle Weg aber hätteft du bei 
diefer Gelegenheit deiner wohl wahrzunehmen und fehen Wir 
gern, daß, Tobald du dein Hausweſen in Sicherheit und Rich: 
tigkeit gebracht, du unferm vorigen Schreiben gemäß dich bei 


uns einftellen thäteft” (S. 174). 


Unter ben übrigen Auffägen ift bie Erzählung von Philipp 
Eamerarius’ GBefangenfchaft in den Kerkern der Inquifition zu 
Kom (1565) vecht intereffant, obfchon cigentlich nicht zur Sache 

ehörig. Daflelbe gilt von der Rebe bes lothringiſchen Ge: 
anbdten vor Papft Sirtus V. im 3. 1589, in der ein ausführs 
licher Plan zur Unterdruͤckung der Evangelifchen in Deutſchland 
entwicdelt iſt. Mit welcher Umficht biefelbe Abſicht, namentlich 
in Beziehung auf das Kurfürftentyum Sachen, in den erften 
Sahren des Dreißigjährigen Kriege feftgehalten worden ift, zeigt 
ein Sendfchreiden des Oberſten Wolf von Mansfeld an ben Fais 
ferlichen Beichtvater Lämmermann. Gine größere Anzahl von 
Actenftüden find über die Werhättniffe der Union und der Liga 
mitgeteilt, durch die unter andern bas klaͤgliche und zaghafte 
Benehmen des Könige Jakob I. von England aufs neue beftd: 
tigt wird. Ebenſo erhellt die Langſamkeit der Verhandlungen 
auf dem Friedenscongreſſe zu Münfter und Osnabrüd, die Waffe 
ber biplomatifchen Foͤrmlichkeiten und vor allen der mächtige 
Einfluß der franzöftichen Geſandten aus ben Berichten ber bairi⸗ 
Then @®efandten, Krebs und Baslang, an den Kurfürften 
Marimilian zur vollen Genuͤge. Zwei gleichzeitige Schreiben 
über den Tod bes Markgrafen Johann Ernſt von Jaͤgerndorf 
und des Herzogs Shriftian von Braunſchweig ergänzen in er: 
wuͤnſchter Weife die bisherigen aceiten. 

ber Guſtav Adolf, feine Plane, feine Feldzuͤge In Deutfc: 
land, namentlich über die Schlacht bei Leipzig und die Gefechte bei 
Nürnberg ift nichts Neues von Wichtigkeit in verfchiedenen Briefen, 
Berichten und Auszügen aus Zeitungen angeführt. In den Nadys 
richten über den Tod des Königs findet fid) ber Verdacht, ale fei 
der König durch Meuchelmord gefallen, nirgend erwähnt, wol aber 
beharrt Dr. Soͤltt (&. 343, 348, 354, 446) mit Sartnädig: 
feit bei feiner frühern Angabe (Tb. 2, ©. 205, 207), daß 
Guſtav Adolf nicht auf dem Schlachtfeide bei Lügen geftorben 
fei, fondern erft in Naumburg, wohin man ihn nad feiner 
Berwundung gebracht, und wo er nody bei feinem eben Alles in 
einer erbaulichen Rede fo angeordnet habe, wie es nad) feinem 
Tode gehalten werden follte. Aber wir müffen unfern Wider⸗ 
ſpruch ebenfo beftimmt wiederholen, ale es vor zwei Jahren 
geſchehen ift, obgleich Hr. Söttt ihn wohl zu kennen ſcheint, aber 
{hm mit einer Erwiberung zu begegnen nicht für gut gehalten 
hat. Denn erftens find die von ihm angeführten Radrichten 
aus Briefen, fliegenden Blaͤttern und Zeitungen durchaus Feine 


amtlichen Gcheriben, ſondern ſaͤmmtlich von Privatyerſonen im 
Augenblicde großer Beflürzung geſchrieben, und au die Stelle 
aus einem von Schwanthaler Hrn. Soͤltl mitgetheilten alten 
Duche verdient nicht die Beachtung, welche ihr der Werf. beis 
legt. Wer mit feinem Gedaͤchtniſſe noch SD Jahre zurüdgehen 
kann, muß ſich erinnern, weiche faifche Nachrichten uͤber die 
Schlachten der Befreiungskriege nicht bios geſchrieben, ſondern 
auch aus Briefen und vertrautichen Mittheilungen damals ger 
druckt worden find. Jeder, der etwas erlebt ober erfahren zu 
haben glaubt, hält es für wichtig genug, um feinen nähern 
Betannten ſchnell Nachricht zu geben, und if im Augenblide 
eigener, durch große GSreigniffe besvorgerufener Berechnung nicht 
immer änaftic beforgt, die Wahrheit erft genau feſtzuſtellen. 
In keines andern Weiſe find bie von Hrn. Soͤltl mitgetheilten 
Nachrichten entftanben. Zweitens aber iſt doch hoͤchſt auffallend, 
daß fi in Naumburg fo gar feine Sage oder Spur über ein 
fo wichtiges Ereigniß, als ber Tod Guſtav Adolf's in den Mauern 
diefer Stadt gewefen wäre, erhalten baben follte, während bach 
eine fo genaue Relation über den Tod des Eöniglidien Pagen 
von Leubelfing wit Angabe bes Hauſes, wo er geftorben if, 
und des Arztes, der ihn behandelt hat, in besfeiben Stadt ver⸗ 
blieben und auch im Kreisblatte dieſer Stadt vom 3. 1826, 
Nr. 36, abgebrudt worben if. Wir können noch hinzufesen, 
daß ein angefehener Geſchichtsforſcher daſelbſt, C. 9. Lepfius, 
uns verfihert hat, auch nicht bie geringfle Spur von bem Zobe 
Guſtav Adolf's in Raumburg bei feinen Forſchungen wahrgenoms 
men zu baben. Unftreitig if alfo non dem Briefſchreiber bei 
Soͤlt Weißenfels mit Naumburg verwechſelt worden, mas bei 
der Raͤhe diefer Städte, bie ja beide zum Kurfürftentypum Sachs 
fen gehörten, bei ber wol nicht gerade zu großen Kenntniß ber 
Topographie Deutfchlands unter ben ſchwediſchen Offizieren und 
endlich, weit die Lönigliche Leiche dur Naumburg nad) Leipzig 
geführt worden ift, gar nicht fo unwahrſcheinlich iſt. Eine Vers 
gleichung des Könige mit Spaminondas und die Luſt am Rhe⸗ 
torifiren hat die Nachricht von erbaulichen Reden erzeugt, welche 
der König follte gehalten haben, wobei die Schwere und Toͤdt⸗ 
lichkeit feiner Wunden (Unmöglichkeit, daß ein tobtwunder Dann 
mehre Stunben weit habe transportirt werben und nachher noch 
fo zufammenhängend reden können) gar nicht in Anfchlag ges 
bracht worden ift. Aber auch foiche Geſchichten find vom fter- 
benden Cyrus an erfunden und geglaubt worben. Drittens 
wiffen bie beften ſchwediſchen Schriftfteller, namentlich Ruͤhs 
und Geijer, nichts von den Sntdedungen bed Hrn. Soͤltt, und 
derfeibe thut Unrecht ben le&tern, genauen und in Dingen feines 
Landes wohlungerrichteten Schriftſteller ber Leichtglaͤubigkeit zu 
befchuldigen, wodurch denn diefer Vorwurf nur mit um fo flärs 
kerm Gewichte auf ihn ſelbſt zurüdfällt. Wir meinen alfo, daß 
die bisherige, gut beglaubigte rehlung, nach welcher Guſtav 
Adolf auf dem Schlachtfelde bei Luͤgen den Heldentod gefunden 
bat, feine irdiſchen überreſte aber am Tage nach ber Schlacht 
nah Weißenfels gebracht und dort einbalſamirt find, duxch 
Hrn. Soͤltl in keiner Weiſe erſchuͤttert worden iſt. 

Was uͤbrigens noch die Briefe, auf die unſer Verf. ſo gro⸗ 
Bed Gewicht legt, betrifft und unſere Zweifel über die Glaub⸗ 
würbigkeit ihrer Verf., fo erwähnen wie nur, daß auf &. 356 
von einer Bewachung bes Eöniglichen Leichnams zu „Grimma in 
Meißen”, d. h. im meißner Lande gefchrieben wird, die aber gar 
nicht Rattgefunben bat. Ferner wirb nach Ausfage des ers 
wähnten Schwantbalerfhen Buchs der Lönigliche Leichnam zu 
Wittenberg „mit 15,000 Pferden” eingebracht (©. 446). Wenn 
das Fein Drudfebler ift, fo hätten wir bier ein Zeugniß für 
die Stärke der ſchwediſchen Gavalerie im J. 1636, das doch 
wol fetbft Den. Söltt bedenklich vortommen müßte, um fo mehr 
da auf der folgenden Seite nur „ein ftattlicher Somitat ſchwe⸗ 
difchen Volles zu Roß und zu Fuß“ erwähnt wird, ber den 
am von Eutenberg (fi. Eilenburg) nach Wittenberg gib 
set hat. , 


Literarifhe Notizen aus Frankreich 
Überpdilerung. 

Schon lingk waren bie Nationaldlensmen von vom Ge 
banken beünrup * worden, daß bie immer mehr wachſende Be 
vdikerung das Wohl der Staaten gefährden koͤnne. J 
war Matthäus ber Grfle,ber in feinem „Essay on the prince 
of population” energiſche Waßeegein in Vorſchlag brachte, um 
diefee Fiut, bie von Jahrhundert ve ZJabrhumbert höher firigt 
einen Damm entgegenzufegen. Diele berächtigte Cchrift, in der 
unter Anderm angerathen wird, gegen bie Muth ber anfledenten 
Krankheiten Feine Vorkehrungen zu treffen, well biefelben ats 
ein leichter Aderlaß für einen gar zu uͤbervdlkerten Staat x 
betrachten feien, diefe Schrift, fagen wir, verlette jedes Geſch 
ber Wenfchlichkeit gar zu ſehr, als daß die Principien, auf de 
nen fie beruht, von irgend einer Regierung hätten ins Lehen 

efegt werden können. So haben benn andere nationaldkonomifde 
riftftellee biefe wichtige Frage auf eine praßtifcere Art zu 
zu löfen gefucht. Unter den neuen Werken, im denen die Frace, 
wie der immer mehr überhbaubnehmenden Bevölkerung angemefkeue 
"Schranken gefegt werden könnten, beleuchtet wird, verdient eine 
Brofhäre von Charles Laudon befondere Beachtung. Gie führt 
ben Zitel: „Solution (a jroblöme de la population et de la 
subsistance” (Paris 1845), Das Mittel, weiches der Berf. 
in Vorſchlag bringt, befteht in der Verlängerung des Stillen 
der Kinder. Ohne Zweifel würbe daffelbe, wenn es ſich allge 
mein einführen ließe, die gewuͤnſchteu Folgen haben, weil bes 
kanntlich der Fall einer Schwangerfchaft, To lange die Mutter 
ihr Kind noch ftillt, als eine feltene Ausnahıme zu betradten if. 
Dabei ſcheint aber der Verf. einen wichtigen Punkt überfehen 
zu haben. Die Berlängerung bed Gtillens bis auf beri Iahıe, 
bie er anrathen möchte, würbe nämlich bei den arbeitensen Star 
fen ſchwerlich Gingang finden. Die Mütter, weiche bisweilen 
fon wenige Zage nach ihrer Riederkunft ihren oft anſtrengen⸗ 
den Geſchaͤften nachgehen müffen, würben naͤmlich unmoͤglich im 
Stande fein, dis anhaltende Laſt bes verlängerten Stillens za 
tragen. Außerdem dürfte dadurch doch amch moi die Gelundpeit 
ber Wöchnerinnen gar zu ſehr geſchwächt werben. Es iſt alio 
auf ein anderes Mittel zu denen, mie biefem „embonpeint des 
societea”’, wie es ber befannte Bellart nannte, zu firurn Ik. 





Souveftre's neuefter Roman. 


Smile Souveftve zeichnet ſich nor den übrigen franzoſiſchen 
Romanfchreibern befonders durch die moraliſchen Tendenzen feiner 
Werke aus. In feinem legten Romane: „Le mät de cocagne” 
(2 Bde., Paris 1843) wird die Gefelgfchaft als eine Kletterſtange 
vorgeftellt, welche nur von ben Kühnften und von Denen, weldien 
jebes Mittel recht ift, erkliamt wird. Diefelben plagen von 
vornherein Gefühle, Grunbfäge und Alles, was ihnen hinderlich 
fein könnte, in den Wind und haben mur das Ziel, dad fe 
erreichen wollen, im Auge, Gouveftre drückt die Ider, bie ihm 
vorgeſchwebt bat, am Schiuffe feines Werkes mit Karen Worten 
aus. Er fagt: „Wiffen Sie, mein Beſter, was bie Moral von 
der ganzen Geſchichte it?" „Nein“, entgegnete der General⸗ 
procurator. „Died beweift, daß bartlofe Knaben in der Politik 
die Hauptrolle fpielen, und daß man, ums fich in bie Höhe zu 
Ihwingen, es gerade fo madgen muß, wie fie, wenn fie eine 
Kietterftange erklimmen wollen.” ‚Was tbun fie denn, Hert 
Doctor?” „Nun, fie befchmieren die Stange mit Keth." 
Souveftre zeichnet in feinem Romane einen jungen Mann, 2 
fein Mittel verſchmaͤht, fi aufzuſchwingen, der fein Wort und 
feine Pflicht mit Füßen tritt und der endlich fein Gluͤck mach, 
und einen Andern, ber ſich nicht entfchließen kann, nur einen 
Fußbreit vom Wege feiner Pflicht abzumeichen und der datt, 
ungeachtet feiner wirklichen Verdienſte, ſtets in einer gebr 
Lage bleibt. Es iſt dies eine alte Befchichte, „doch bleibt fit 
ewig neu’. 2. 


Verantwortlichen Heraudgeher: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von J. 4. Brodhaus in Leipzig. 








Blatter 


51 
De | 


vw. 

« 
. 

P 
.. 
% 5% . . ) 
.erdd . , 

, , ı-. 


literarifde 


nterhaltung 


19: Juni 1843, 


I 





L 


Montag, | — Nr. 170. — u 


mm nn nn ne m 





nahme nicht verfagt und ic) glaube daher, daß bie Über: 
fesung eines hoͤchſt intereflanten und bis jegt ungebrude 
gebliebenen. Manufcripts vom J. 1466, deſſen Mitteilung 
ich dee Güte des Beſitzers, Marquis v. C. zu Zoulaufe, 
verdanke, dem geneigten Lofer nicht unwillkommen fein wird. 
Die Naivetät des Verf. jener handfchriftlichen Erzählung, 
die anziehende Schilderung längft verſchellener Sitten und 
Gebräuche dürften, ohne der Sonderbarkeit des Gegenſtan⸗ 
des zu gedenken, alkin hinwichen,. die Aufmerkfamteit des 
Leſers zu feſſeln. wur 

Das Manufcript enthält außer der hier mitgetheilten 
„Meile des Ritters Perilhos in das Fegefeuer des heiligen 
Patrieius“ noch eine in Werfen gefchriebene beißende Sa⸗ 
tige auf die Beflrebungen des 13. Jahrhunderts und end: 
lich die „DBerfuchung de6 heiligen Tindal“. Der Umland, 
daß jener erfie Theil der Handſchrift im J. 1621, durch 
einen Irlaͤnder, uͤberſeht zu Liſſabon unter dem Titel 
erſchien: ‚‚Historiae catholicae Iberniae compendium a 
Philippo Ossulevano Bearro Iberno Ulissipone”, fpricht 
für die Wahrhaftigkeit der in dem Berichte des Ritters 
Perilhos enthaltenen Mittheilungen uͤber den frühen Zus 
Hand Irlande. BE . 

Der Mangel an einem brauchbaren Woͤrterbuche der 
romanifhen Sprache (denn die Arbeiten von Raynouard 
und Roquefort find weit entfernt, fid ihrem Zwede auch 
nur zu nähern), häufige in dem Manufcripte vorkommende 
Fehler gegen die Orthographie haben mich über den Sinn 
einiger wenigen Stellen des Originals in Unſichecheit ges 
laſſen; ich babe diefe zweifelhaften Stellen unter dem 
Terte bemerkt. Wenn ich dem geneigten Lefer fage, daß 
felbR die mit meinem gelehrren Freunde, dem in den ro⸗ 
manifchen Sprachen hochbewanderten Prof. Moquin Tun: 
don zu Toulouſe gepflogene Ruͤckſprache über die angezeig- 
ten Schwierigkeiten Beine befriedigende Löfung herbeigeführt 
hat, fo darf ih für ſolche Mängel meiner Arbeit um ſo 
mehr auf die Nachſicht der Kritik rechnen. 

Für den Lefer, welcher nie von dem Fegefeuer des hei⸗ 
ligen Patricius gehört hat, muß ich, behufs beſſern Vers 
ftändniffes bes Mannferipts einige erklaͤrende Worte vor⸗ 
ausfchiden. Es ift mir, während ich mit meiner Über 
fegung befchäftigt war, gelungen, mic) in Beſitz eines hoͤchſt 
abenteuerlichen Werts zu fegen unter dem Xitel: „Histoire 
de la vie et du purgatoire de St, - Patrice, mise en 


Eine Reife in das Zegefeuer des hei- 
| ligen Patricius. 
(Rad einem ungedruckten Manufeript in romaniſcher Sprache.) 


Es ift bekannt, wie aus der Verſchmelzung der durch 
die’ Barbaren: in das roͤmiſche Meich getragenen Idiome 
mit dem tateinifchen fi) die romanifchen Sprachen ent: 
widelten und mie dann die romanifdh > provenzatifche Spra⸗ 
che bald fiegreich alle Ihre Schweſtern Überfirahlte;, in un: 
glaublich raſcher Entwickelung erreichte Diefelbe ihre faft 
drei Jahrhunderte-dauernde Blütezeit, um während bierer 
Periode faſt die Univerfalipradye der Dichtkunſt zu werden. 
Die Höfe der Fürften, die Burgen der Nitter, die Hör: 
fäle der Städte ertönten von den wohllautenden Klängen, 
in denen bie Troubadours, oft felbft Fuͤrſten und Ritter, 
die Empfindungen des eigenen Herzens, oder die Thaten 
der Helden fagten, oder auch wol in den fogenannten 
Sirventes bie Geifel der Satire gegen die Veritrungen 
der Zeit ſchwangen. Ebenfo raſch, wie die Sprache ber 
Troubadours fih zu ihrer Höhe erhoben hatte, ebenfo 
ſchnell fand fie wieder zu ihrer Wiege, dem vielgetheilten 
patois ihres Vaterlandes, des mittäglichen Frankreichs, ber: 
ab. Die Werke der provenzalifchen Dichter gingen gleich⸗ 
zeitig mit biefem Sinken der Form in die Reihe der den 
todten Sprachen angehörenden Werke Über, um hier lange 
Zeit faft im Staube der Vergeffenheit begraben zu bleiben. 
Penn nun dies an den Poeſien der Troubadours in Ers 
füuung gegangene Schidjal uns infofern natürlich und ge: 
recht erſcheint, als jene ihrem Inhalte nach meiftentheils 
unbedsutend, nur Spiele mit dem Reime in anziehenber 
Form und nur ein glüdliches Zeichen des Kortfchritts in 
ihrer Zeit find, fo iſt es auf der andern Seite begreiflich, 
daß die den Poefien zur Seite ſtehenden Romane als hi: 
ftorifche Documente länger vor der Vergeſſenheit bewahrt 
blieben. 

Seitdem in neuerer Zeit die hiftorifchen Stuben in 
Frankreich einen bedeutenden Auffchwung genommen, hat 
ſich namentlih eine vom Lebhafteflen Intereſſe begleitete 
Ruͤckkehr zu den Werken der romanifch = provensalifchen 
Schriftfteller geoffenbart. Deutfchland, deffen ebenfo tie: 
fer als umfaffender willenfhaftlicher Sinn eine Frage 
der Forſchung fremd bleibt, hat den neueften Arbeiten der 
franzöfifhen Geſchichtsforſcher und Philologen feine Theil⸗ 

























678 


francois par le Päre Philippe de Bouillon de l’ordre 
de St.-Frangois” (Paris 1643). Ich entiehne biefem, 
durch feinen Inhalt und mehr noch durch die in jedem 
Worte fich ausfpeechende innige Überzeugung bes Wer: 
faſſers von. der Wirklichkeit feines Gegenſtandes hoͤchſt 
merkwuͤrdigen Buche die bier folgenden Notizen über St.⸗ 
Patricius und fein Fegefeuer.*) 

Nach dem Pere Bouillon ward der heilige Patricius 
in einem englifhen Dorfe Namens Emptor geboren und 
von feinen dem Chriftentbume ergebenen Ältern heimlich 
getauft. Schon in bee früheften Jugend des Kindes beus 
teten Wunder, welche daffelbe verrichtete, auf feine fpätere 
Sendung bin. Nach vielfachen abfenberlihen Schidfalen 
ward ber nachmalige Heilige von dem Papſte gegen die 
Mitte des 5. Jahrhunderts mit der Biſchofswuͤrde und 
dem Auftrage beehrt, das ChriftenthHum in Irland zu ver: 
breiten. Des neuen Bifchofs Predigten hatten aber nicht 
den ermwünfchten Erfolg und das inbrünftige Gebet des 
Apoftels bewog Gott, ein fihtbares Wunder zu Gunſten 
ber bis jetzt fo fruchtlo6 gebliebenen Arbeiten feines Dies 
ners zu thun. Es iſt, erzähie der Pere Bouillon weiter, 
{m nördlichen Itland eine Inſel mit einem tiefen See, 
deſſen Waſſer befondere Heitkräfte hat. Ein Theil biefer 
Inſel iſt eine malerifhe Wildniß, zwiſchen deren hohen 
und mit Gletfchern bebediten Gebirgen ein anmuthiges 
Thal ruht. Eine von fchroffen Felſen umgebene Höhle 
bildet das Ende des Thale, und biefe Höhle eben umfchließt 
das Wunder, wodurch Gott die verſtockten Heiden bes 
Landes von der Wahrheit und Kraft des Chriſtenthums 
zu überzeugen befchloffen hatte. Der Menſch kann hier 
bei feinen Lebzeiten zum Fegefeuer eingehen und, wenn 
er, mit unerfchütterlihem Glauben an Gott ausgerüftet, 
den Verfuhungen ber Dämonen und den von den leßtern 
über den Pilger verhängten Schmerzen widerfteht, gerei: 
nigt von feinen Sünden an das Licht des Tages zurüd: 
Echren. Ein Kofler der Auguftiner hat ſich in der Nähe 
der Höhle erhoben und der Prior deffelben bewahrt den 
Schluͤſſel zu einer Pforte, melche den Eingang in bie 
Höhle fließt. Erſt nah Erfüllung eines von St.: Pa: 
tricius felbft vorgefchriebenen Ceremoniels und unterftügt 
ducch die Gebete der frommen Väter des Kloſters, geht 
der mutbige Wallfahrer, der fich feft genug in feinem Ber: 
trauen auf Gott glaubt, in die verhängnißvolle Pforte ein; 
nur Wenige aber find aus derfelben zuruͤckgekehrt. Der 
Bericht diefer Wenigen genügt indeſſen, das Dafein des 
Fegefeuers des heiligen Patricius außer Zweifel zu ſtellen. 


Ausfuͤhrlichere Nachrichten über diefen Gegenſtand finden fi 
in „Voyage du puy de St.-Patrioe, par Claude Nourry’ (Lyon 
1566); „Erreurs et prejugds, par Salgues’’ (Parid 1813); „‚Le livre 
de !’Espurgatoire traduit du latin en 3300 vers francgols, par Marie 
de France‘. Die im 3. 1381 verfiorbene Verfaſſerin war bie Ges 
mahlin Philipp's des Kühnen und durch Ihren Geil und ihre Ans 
muth zu ihrer Beit fo berühmt, tote fie durch diefe in ihren poeti⸗ 
fen Nachlaß übertragene Eigenfhaften noch jeht befannt zu fein 
verdient; Roquefort hat 1820 eine Audgabe ihrer Werke veranftaltet. 
Drei englifhe Mönde, Heinrich un 1180, Saltrey und Socelin am 
Ende des 12. Jahrhunderts, Haben ebenfalls uber St. : Patricius 
und fein Begefeuer gefchrieben. 


Et quoique l’6glise catholique, notre möre communes — 
feet Bouillon hinzu — ne nous oblige pas sous peine d’ana- 
theme à croire comme article de foy que oette caverne se 
rencontre dans le monde, neanmoins nous en avons des tra- 
ditions si authentiques, on en produit des arguments zi con- 
vainquants, des raisons si puissantes que c'est un acte de 
pi6t6 chretienne d’y ajouter foy etc, 


Der Verf. des Werks, dem dieſe Zeilen entlehnt find, 
geht dann zu einer umfländlichen Beſchreibung des Ins 
nern der Höhle Über und beſchreibt namentlich die graͤß⸗ 
lichen Strafen, welche in dem von ber Höhle eingefchloffe: 
nen Fegefeuer über die Seelen der Sündigen verhängt 
werden. Die zahlreichen bizarren Gemälde, welche, bie 
Verfuchung des heiligen Antonius oder die Hölle darſtel⸗ 
lend, fih in faf allen Bildergalerien deutfcher Muſeen 
vorfinden, find der treue bildliche Abdrud ber in dem Pa: 
ter Bouillon und dem Reiſeberichte des Ritters Perilhes 
enthaltenen Schilderung des Fegefeuers, zu welchem die 
Grotte des heiligen Patricius für die Lebenden den Ein 
gang bildet. Ich verweife den geneigten Lefer daher, um 
meiner Arbeit nicht eine zu große Ausdehnung geben zu 
müffen, auf jene Gemälde oder auf die ſich in biefem 
Punkte faft copirenden und vorhin citirten Werke, und be: 
ſchraͤnke mich in der Überfegung nur auf die Theile der 


Reiſe des Ritters Perilhos, welche durch die Schilderung 


der Sitten ber Zeit und der damaligen Irlaͤnder von bes 
fonderm Intereſſe find: 


Reife in bas Kegefeuer des heiligen Patricius. 
Magni Patris sunt miranda merita Patricli 
Cul Domiaus ostendit locum purgatorii 
Quo viventes se ’expurgent delinguenies silil. *) 
Alte iriſche Opmme. 


Im Namen der heiligen und untheilbaren Dreieinigkeit. 
Amen. Im Jahre der Geburt unſers Herrn 1398, am Abend 
ber heiligen Marie vom Geptember**), nadıdem ich den & 
des heiligen Waters Benedict XIII. **) erhalten, reiſte th, 
Raymund, durch bie Gnade Gottes Vicomte v. Perilhos und 
Roda +), Herr der Baronie Serret, von Avignon ab, um mid 
nad) dem Wegefeuer des heiligen Patricius zu begeben. 

Da alle Menſchen in ber Welt begierig find, wunderbare 
und feltfame Dinge zu wiflen und da natürlich diejenigen, wel 
he man durch eigene Anſchauung kennen lernen kann, angeneh⸗ 
mer finb als bie, welche man nur durch Hörenfagen weiß, fo 
hätte aus dieſem Grunde ich, der ich in meiner Jugend mit 
dem Könige Kari tt) von Frankreich auferzogen ward (fory 
noyrit), welchem mich mein gnäbiger Here Water (der fein Ad⸗ 
miral und Kammerherr und an jenem Hofe war) überließ, 
gleich allen Rittern und Edelleuten des Koͤnigreichs und fonfti- 
per Länder, gern die wunderbaren, verichiebenartigen und felt« 
amen Dinge Eennen gelernt, die man in ber Welt firht. Es 


*) Bewunberungswärbig find bie MWerbienfle des großen Vaters 
Patricius 
Dem ber Here ben Ort bed PBegefeuerd offenbarte, 
In welchem feine fündigen Kinder noch lebend fih von ber 
Schuld reinigen möchten. 

+) Heißt fo wegen eined im September zu Ghren ber heiligen 
Sungfrau gefeierten Feſtes. 

) Benedict XIII. aus dem aragonifhen Daufe Luna refibirie zu 
Avignon, während der durch dad Goncil zu Konſtanz entfrate Part 
Bonifaz zu Rom herrſchte. 

+) Die Ruinen ber Schloͤſſer Perilhos und Noba exiſtiren n06 
in Rouffillon. 

tr) Karl V. 


lag mir fehe am Herzen, wich mit eigenen Augen in Kenutniß 
von Dem zu fegen, was id von mehren Kittern hatte fagen 
hören. Und ich begann in der That auf Abenteuer audzugeben 
in allen Ländern der Ghriften und Ungläubigen, Garazenen oder 
Anderer von verſchiedenen Sekten, die in ber Welt find und zu 
denen man ſich vernünftigerweife hinbegeben kann. 

Und, da ich durch die Gnade Gottes ben größten Theil ber 
feltfamen und wunderbaren Dinge, welche ich hatte erzaͤhlen hoͤ— 
zen, gefehen habe, ſowol zu Lande als zu Wafler, fo kann ich 
mit Wahrheit Zeugniß davon ablegen. Ich bin großen Gefahr 
zen, Ausgaben und vielen Anftvengungen ausgefegt geweſen; ich 
bin Gefangener in den Landen ber Ehriſten und Sarazenen ge: 
wefen; ich werbe nicht von diefen Abenteuern fprechen, weit fie 
dem Gegenftande, von dem ich handeln will, fremd find; ich 
werde nur von der Reiſe in St.⸗Patricius Fegefeuer, das in 
Irland iſt, reden, welche Reiſe ich mit der Huͤlfe Gottes ge⸗ 
macht und vollfuͤhrt habe, ſo gut ſie irgend einer ſeit dem Tode 
des heiligen Patricius gemacht hat. 

Ich werde dieſe Erzaͤhlung in vier Artikel eintheilen. Ich 
werde zunaͤchſt erzäplen, warum St.» Patricius das Kegefeuer 
einrichtete; zweitens, an welchem Orte es iſt; brittene, warum 
ich mir in den Kopf feste, in das Fegefeuer einzubringen; vier: 
tens, die Dinge, weiche ich in dem genannten Begefeuer gefchen 
oder gefunden habe, aber nur Liejenigen, welche geoffenbart wer⸗ 
den bärfen; denn es gibt deren einige, welche nicht gottgefällig 
wäre, wenn ich fie befannt machen wollte, da dies nicht thuns 
Lich wäre der Gefahr wegen, welche daraus für den Offenbaren⸗ 
den und bie, denen fie geoffenbart worben wären, erfolgen 
2önnte, was unvermeiblid) wäre. 

(Der Beſchluß folgt.) 





Das cloffifche Alterthum für Deutſchlands Jugend. Eine 
Auswahl aus den Schriften ber alten Griechen und 
Mömer. Übertragen von Heinrich Weit. Berlin, 
Veit u. Comp. 1843. 8. 22% Nor. 


Wınn auch Bäder und Wenfchen ſelten halten, was fie 
verfprechen, To gibt es Loch Ausnahmen, wie zu allen Kegeln. 
Bier haben wir eine Schrift anzuzeigen, bie mehr hält als fie 
verfpricht ; fie kündigt fi als Jugendſchrift an, und bietet 
nahrhafie, gute Speife für Männer. Allerdings ift dies auch 
die Abficht des Verf., wie wir aus bee Vorrede erfehen: „Der 
Titel widmet bied Buch ber Jugend Deutfchlands; allein dies 
gilt nicht nur Denen, bie jung an Alter und Erfahrung, fons 
dern Allen, die jung find an Geiſt und Herz, am innern Men⸗ 
fchen. Fuͤr diefe Alle find die noch friſchen, unverwelkten Bluͤ⸗ 
ten aus der kräftigen Zeit bes Menſchengeſchlechts, die man mit 
einem wenig bezeichnenden Namen das Alterthum nennt. Nichts 
ift alt an jener Zeit als die Ruinen ihrer Bauwerke: in Wahr: 
heit find wie die Alten, jene die Jungen; noch heutzutage lebt 
in ihren Schriften, tro& bed Staubes der Bibliotheken, trot 
der ertöbtenden Gelehrſamkeit der Erklaͤrer, ihr Geiſt nad) Jahr⸗ 
taufenden in ewiger Jugend, ift noch immer für Alle, die bafür 
empfängtiy find, — und empfänglich dafür ift jeber wahre 
Menſch, — ein nie verfiegender Born der Verjuͤngung.“ 

Groß, unermeplich groß ift ber Reichtum ber alten Literas 
tur, und ed war eine fchwierige Aufgabe, aus ihr eine gute 
und zugleich für den Laien anziehende Auswahl zu treffen. 
Doch hat der Verf. fie würdig geidft und in feiner trefflichen 
Ubertragung ein Buch zufammengeftellt, das der Jugend ergößs 
di und dem reifeen Alter willkommen ift, ein Buch, das in 
feinen, mit Geiſt und Geſchmack ausgeſuchten Bruchflüden die 
Griechen und Römer uns viel näher bringt und viel deutlicher 
Darftellt, als es bie vollftändige Überfegung eines ganzen Wers 
Les aus dem Alterthum vermöchte. 

Die Übertragungen find faft in jeber Hinſicht gelungen; fie 
find treu und doch deutſch, fie fchmiegen ſich in Geiſt und Wort 
dem Schriftfteller an. Man erkennt in ihnen jede Eigenthuͤm⸗ 


lichkeit, Zenophon in feiner Kindlichkeit, Herodot als Liebenss 
würdig gefhwähig, Thucydides in feiner ſtillen Erhabenheit, 
Tacitus in ſchneidender und gedankenſchwerer Kürze, Plato tiefz 
ſinnig und phantaſiereich, Anakreon in ſeiner unvergleichlichen 
Naivetaͤt, Sophokles in hoher, wuͤrdiger Genialitaͤt. Wir er⸗ 
lauben uns, aufs Gerathewohl einige Proben mitzutheilen. 


Epiktet: Die Rollen des Lebens. 

„Bedenke, daß bu ein Schauſpieler biſt, in einem Stuͤcke, 
deſſen Beſchaffenbeit von dem Willen des Meiſters abhängt. 
Wil er es kurz, fo wird es kurz; will er es lang, fo wird es 
lang. Wil er, daß du einen Bettler fpieleft, fo fuche auch den 
Bettler mit Anftand zu fpielens ebenfo einen Lahmen, einen 
Fuͤrſten, einen Unterthan. Denn das flieht bei bir, die gegebene 
Rolle gut zu fpielen; fie zu beftimmen, ſteht bei einem Anbern.” 


Demofthenes: Aus der Rebe für den Kranz. 

„Wem die Unglüdsfälle der Hellenen ein Mittel waren, 
fi berühmt zu machen, der verbient eher ben Tod zu leiben, 
als einen Andern anzuklagen; und weſſen Vortheil übereinges 
flimmt bat mit dem Bortheil der Feinde bes Gtaares, der 
kann unmoͤglich dem Vaterlande wohlgefinnt fein. Das bemweifeft 
bu auch burdy dein Thum und Treiben, durch dein Handeln im 
Öffentlichen Leben und wieberum durch dein Nichthandeln. ft 
die Frage über Etwas, das euch förderlich zu fein fcheint, — 
ſtumm ift Aſchines. Iſt etwas hinderlich gegangen, und fo 
wie es nicht ſoilte, — gleich kommt Äfchines : wie die Schäden 
und Gebrefte; wenn ein Übel ben Körper heimfucht, dann 
zegen fie 11: ER Wenn ich nun ſprechen wollte: 
ich bin es, ihr Athener, ber eu bazu vermocht, ber Vorfah⸗ 
ren würbige Gefinnungen zu hegen, — bann büärfte mich Jeder⸗ 
mann mit vollem Rechte tabein. Run aber thue ich dar, daß 
diefe Entfchließungen euch angehören; zeige, daß auch vor mir 
bie Stabt von foldem Sinne befeelt war: nur an ben Dien- 
fien, weldye das Ginzelne der Ausführung erfoberte, nehme 
auch ich einen Theil in Anſpruch. Diefer aber, ber gegen Alles, 
was gethan wurde, als Klaͤger auftritt, ber euch aufreizt, mir 
unbold zu fein, weil ih Schrecken und Gefahren über die Stadt 
gebracht hätte, — biefer trachtet nicht allein, mir die gegen: 
wärtige Auszeichnung zu entreißen, fondern raubt auch euch 
den Preis aller Folgezeiten. Denn wenn ihr mit ber Verurthei⸗ 
lung des Ktefipbon zugleich meine Staatsführung verdammt, fo 
wird es ausſehen, ale ob ihr gefehlt, nicht als ob ihr durch 
eine Unbill des Gluͤcks das Geſchehene erlitten hättet. Allein 
ihr koͤnnt, ihr koͤnnt nicht gefehit Haben, Wänner von Athen, 
indem ihr für die Freiheit und Erhaltung bes gefammten Vater: 
landes Kampf und Gefahr beftehen mochtet, ich ſchwoͤr's bei ben 
Delden von Marathon, unfern Ahnen, und bei ben Kämpfen 
in Plataͤa's Ebenen, und bei ben Streitern in Salamie’ und 
Artemifiums Gewäflern, und bei ben Andern, die zahlreich unter 
ben Grabmälern des Staates ruhen, den tapfern Männern, 
weldye die Stabt alle, obne Unterfchied, derfelden Ehre würdig 
achtete und beftatten ließ, alle, Afchines, nicht die Gluͤcklichen 
unter ihnen, nicht die Siegreichen allein. Mit Recht. Gethan 
haben fie alle, was tapferen Männern ziemte; das Gluͤck tft 
tönen geworben, wie der Gott ed einem Jeden beſchieden.“ 

Die Schwierigkeiten, welche die Übertragung poetifcher 
Stuͤcke bot, hat der Verf. mit großem Geſchick überwunden; 
ja, er hat es gewagt, hierin mit unfern tüchtigften Meiftern zu 
wetteifern, und befteht die Vergleichung nicht unruͤhmlich. So 
weifen wir 4. B. auf bie Stellen aus Virgil's „Landbau, welche 
fih in der Weil'ſchen Überfegung neben ber Voß'ſchen fehen 
laffen duͤrfen. Freilich ift man feit Voß’ Auftreten in der 
Behandlung von Sprache und Versbau um ein gutes Theil 
weiter gelommen und dem Gpätern wirb Vieles leicht, wo 
der Zrühere mit taufend Mühen erſt Schöpfer werben mußte. 

Als intereffante Probe möge bier die Übertragung eines 
Anakreontiſchen Gedichte ftehen, welches auch Goethe ſchon wie 
dergegeben hat. Nur müflen wir bemerken, daß Goethe ſich die 
Arbeit etwas bequemer gemacht hat, indem er das urſpruͤngliche 


Berdmaß (Leu _ urn) In einfache Trochaͤen 
was unfer Verf. nicht durfte, 
j An die Cicade. 
Soethe. 

Selig biſt du, liebe Kleine, 
Die du auf der Baͤume Zweigen, 
Bon geringem Trank begeiſtert, 
Gingend , wir ein König lebſt! 
Dir gehöret eigen Alles, 

Was du auf den Keldern fieheſt. 
Alles, was bie Stunden bringen; 
Leber unter Aderbleuten, ' 
Ihre Freundin, unbeſchaͤdigt, 
Du den Sterblichen Verehrte, 
Suͤßen Fruͤhlings ſuͤßer Bote! 
Ja, dich lieben alle Muſen, 
Phoͤbus ſelber muß dich lieben, 
Gaben dir die Silberſtimme. 
Dich ergreifet nie das Alter, 
Weiſe, zarte Diterfreundin, 
Ohne Fleiſch und Blut Geborne, 
Leibenlofe Erdentochter, 
Fall den Göttern zu vergleichen. 
Der Berfaffer. 

D wie neib' ih bi, Gicade, 
Wenn in hoben Boumeswipfeln, 
Bon dem Troͤpfchen Thaues trunken, 
Du ein König thronft und ſingeſt. 
Es gehoͤret dir ja Alles, 

Was du ſchauſt in Zeld und Wieſe, 
Was bie Horen wechfelnd bringen; 
Biſt der Aderdleute Freundin, 

Die du keinem Pflaͤnzchen ſchadeſt; 
Bit geehrt von allen Menſchen, 
Du bed Sommers füßer Bote! 
Sa, ed tieben dich bie Muſen; 
Ja, es Ilebt dich Phoͤbus felber, 
Hat dis füßen Sang verlichen. 
Und bad Alter quält di nimmer, 
Der Gefänge weile Freundin, 
Unbefchwerbet , fleifchlo® , biutloß, 
Ja den fel’gen Göttern aͤhalich. 


In entfjiedenem Vortheil ift unfer Verf. in feiner meiſter⸗ 
haften übertragung der größern Haͤlfte des „Oedipus““ von So⸗ 
phokles. Er iſt genauer wie Donner, ſchließt ſich in Sprache 
und Rhythmus viel inniger an das edle Weſen des erhabenen 
Griechen und hat ſich in Bezug auf das Wersmaß keine der 
kaͤſſigkeiten erlaubt, an denen die Donner’fche Überfesung fo 
reich iſt; zugleich ift er beutfcher und klarer. Es thut uns leid, 
daß die Grenzen diefer Beſprechung zu enge geftedt find, als 
daß wir von Beiden bier noch eine Probe mittheilen könnten. 
So fließen wir nur mit dem Wunſche, duß das Buch nicht 
bloß, was nicht fehlen wird, in den Streifen ber Schulmänner 
und Gelehrten , fondern in benen der Gebildeten überhaupt bie 
Besbreitung finden möge, die es verbients dann wird es un: 
zarifelhaft das Geinige zur Körberung eines edlern Geſchmackes 
in der Literatur beitragen. 68. 





giterarifhe Notizen aus England. 


Eine engliſche Kritit von Mrd. Gore's neueflem Romane 
„The money - lender” (3 Bde., London 1843) fänat unges 
mwöhnlich galant folgendermaßen an: „Reizende, reizende, reis 
zende Mrd. Gore. Unbezweifelt ift fie unter ben neuern Rovels 
uften die große Zauberin. Ihe jüngfles Werk „Der Gelbvers 
leiher“ ift das gewaltigfte Erzeugniß ihrer Feder; der Stil voll 
Rerd und Sehne, eine Menge träftiger Schilderungen und jeber 


ummwanbelte, I Gharakter 
melde 


ein Muſter jener voßenbeten Portraitirfertigkeit, 
mit Recht den Ruhm ber fchönen, talentreichen Verf. 
ausmacht. Auf jeder Gelte, wo Abebwego Dfaleg, ber Selb 
verleiher, erſcheint, tritt er gleichſam aus der Leinwand vor ben 
Leſer. Gr ik eine jener 
Souls made of fire, children of the sum, 
With whom revenge is virtue.” 


Jedenfalls iſt die Perföntichkeit bes Geldverleihers eine rarı avis, 
Gr debutirt damit, daß er einem junger Barbeoffigter, der ihn 
um 300 Pf. St. „anpumpt“ und bafür eine in drei Jahren 
gefälltge Verſchreibung mit Tanbesüblichen Binfen ausſtellt, 
400 Pf. St. in die Taſche ſteckt. Solche Geidverleiher gibt es 
nirgend. Sein Bureau, wo er dieſes Geſchaͤft abſchließt, M 
eine faſt unmeublirte, erbaͤrmliche Stube. Ebenſo erbaͤtnlich 
iſt das Haͤuschen in einer londoner Nebengaſſe — und weiche 
ſchauderhafte Gaſſen ſind das —, wo er ſeelenallein und dem 
Tode nahe wohnt. Ein paar Blaͤtter weiter gibt er in ſeinen 
ſtattiichen, aufs feinſte meublirten Hotel, Bernard Street, 
Russel - square, einigen der reichſten Geldmaͤnner der Gity ein 
Diner, und was für ein Diner! Kein Kaiſer, kein König, fen 
Fürft, kein Epikur, kein Bellogabal, kein Lucull bat ein bei: 
feres gegeben. Won Millionen wird geſprochen, als lägen fie 
eben zum Aufheben in der Straße. Co geht es fort, bis zu 
legt ans Sapreicht kommt, daß bie Mutter bes erwähnten Gar 
deoffiziers Abednego’® erſte und alleinige Liebe geweſen, daß fie 
von ihrer Familie gezwungen worden, bem Oberſten Annesiey 
ihre Dand zu geben, und daß bies den unglädlichen kiebhaber 
bevegen hat, durch Geldverleihen ſich zur Geifel der Arikotratie 
zu machen. Der junge Annesley heirathet Abednego's 

an und damit loͤſt fih der Haß und das Gelubde des Geld: 
verleihers. 


Bulwer's neueſter Roman, The last of the Barons” 
(3 Bde., London 1843) fol fein Icgter fein. So verkuͤndet er 
im Borworte. Auch gut, fallder Wort hält, Bulwer's Romane 
find nirgend, am wenigften in Deutfchland unterfhist, an 
vielen Orten und namentlich von vielen £eferinnen überfchägt 
worden. Kunft» und Geiſteswerke erften Rangts find fie nicht. 
Der gute Baronet bat von vornherein feine Faͤhigkeiten unb 





| feine Zutunft von einem falfchen Standpunkte aus geichen, hat 


beide mit dem Maßſtabe der laͤcherlichſten Eitelkeit gemeflen und 

fieht fi nun getaͤuſcht. Faͤhigkeiten befige er, das iſt nicht zu 

leugnen, feltene Faͤhigkeiten, aber beiweitem nicht fo üben 

ſchwengliche, als er von jeher geglaubt bat und noch glaubt. 

In logiſcher Kolge entfpricht bie gefuntene Anerkennung nit 

feiner Erwartung und fo empfängt die undankbare Welt feine 

iegte Babe. Ungluͤcklicherweiſe — für Bulwer — ift jie nicht 
geeignet, die undankbare Welt in Reue unb Verzweiflung zu 
ftüurgen. „Der letzte Baron’ Leibet in Auffaffung und Behanbe 
lung an allen Gebrechen feiner Vorgänger. Die mit der Ges 
fhichte Adam Warner's — Warner ein Philoſoph? Warum 

nit gar! — in Berbindung gebrachten Begebenheiten und vie 
dem lebten Baron, dem Grafen von Warwick, auf der Ferſe 
folgenden Greigniffe laufen bisweilen paraliel nebeneinander und 
berühren fidy bisweilen, verrinigen ſich aber nirgend, nicht ein: 
mal in der Schlußkataſtrophe. Das war unerlaßlich und ik 
mithin eine flarfe Unterlaffung. Der ganze Adam Warner 
ſcheint verzeichnet und auch an feiner Tochter Sibylla offenbaren 
fich falfche Steige. Die Umftände, unter welchen Beide fterben, 
follen pathetiſch fein — follen, barin liegt der Fehler. Der 
Verf. bat nicht genug zu thun geglaubt, unb was ben Leſer 
rühren foll, empört ihn. Zugleich beeinträchtigt e& bie außerden 
ſehr ſchoͤne und echt pathetifche Zobesfcene des großen Ghrafın 
und feines würbigen Bruders und Waffengefährten. Daß Bulwer 
diefe geſchrieben, darauf barf ex ftolz fein. Überhaupt gebietet 
der Charakter bes Grafen von Warwid unbebingte Achtung und 
fodert die Sympathie als ein Recht. Wo ſich aber etwas theatraliſch 
geberbet, agirt nicht Warwick, ſondern Bulwer. 3. 


Berantwortliher Heraubgeber: Heinrih Brokhaus. — Drud und Berlag von 8. X. Bro@daus in Leipzig. 


u ae ——— 


Blätter 


für 


literariſche unterhaltung. 





Dienſtag, 


m Kr. 171. — 


20. Juni 1843. 





Eine Reife in dad Fegefeuer des hei— 
ligen Patricius. 
¶Beſchiuß aus Mr. 170.) 


Es folgt nun die Erzählung von der Errichtung des 
Fegefeuers durch Vermittelung bes heiligen Patricius, er 
ſten Priors des früher erwähnten Klofters der Augufliner, 
wie wir jene ſchon durch den Pater Bouillon kennen. Der 
Ritter fährt dann folgendermaßen fort: 

Es ereignete fich, daß, während ich mit dem Papfte war, 
ber obengenannte König Sean, mein natürlicher Gebieter, ſtarb. 
Doͤgleich in den Willen Gottes ergeben, war id) doch fo ergrif: 
fen und betrübt durch diefen Todesfall, wie ein treuer Diener 
es nur durch ben Verluſt feines Deren fein Tann. Ich nahm 
mir von biefem Augenblide an vor, nach dem Wegefeuer des 
heiligen Patricius zu geben und In dafleibe einzubringen, um zu 
erfahren, fo fern dies möglich, ob mein gnäbiger Herr in dem 
Zegefeuer wäre und welche Strafen er erbuldete. Zu biefem 
Ende rief id mir alle Dinge unb Urtbeile ins Gedaͤchtniß zu: 
ruͤck, welche ich von verfchiebenen Perfonen über dies Fegefeuer 
hatte fagen hören, und nad) einigen Tagen ber Abſicht, mid 
nad bem genannten Fegefeuer zu begeben unb in baffeibe eins 
zudringen, vertraute ich dem Papfte alle meine Plane an; er 
wies biefe Idee ernſtlich zurüd und foderte mich auf, für nichts 
in dew Welt eine Ähnliche Unternehmung zu verſuchen; außer 
Dem, was er felbft mir fagte, ließ er mich mit mehren Cardi⸗ 
nälen , feinen Vertrauten, fprechen und namentlih mit zweien 
derfelben, von welchen ber eine feinen Ramen von Taratcona 
führte und aus dem Geſchlechte ber Galmeilho war und von 
welchen der andere Iofua von ©t.» Alena hieß. 

Alle zufammen redeten mie mit fo viel Rachdrud zu, daß 


| ich Muͤhe hatte, zu widerſtehen. 


Einige Tage nachher verſicherte ich den Papft, daB ich dieſe 
Neife nicht aufgeben würde, und darauf, nachdem ich feinen Se⸗ 
gen erhalten hatte, reifte ih am Tage St.:Marid im Sep⸗ 
tember dr& obigen Jahres ab und trat meinen Weg duch 
Frankreich an. 

Ih ging nach Paris an den Hof des Könige*), beffen 
Kammerherr ich war, fowie ich es bei feinem Water gewefen, 
der mid in meiner früheften Jugend ernährt hatte. Der Kö: 


nig von Frankreich, fein Bruder und feine Onkel, der Derzog 


von Berri und der Herzog von Burgund, gaben mir Empfeh⸗ 
Lungsfchreiben an den König von England mit, welcher Schwie⸗ 
gerlohn ded Könige war, und an andere Herren beffelben Lan⸗ 
des. Auf Srund jener Beirath fand ein Waffenflillftand von 
30 Jahren ſtatt. 

Ich reiſte von Paris ab und kam mittels meiner Tage⸗ 
reiſen zu Calais an, woſelbſt ich mich nach England einſchiffte; 
ich kam daſelbſt am Tage aller Heiligen an. Ich begab mich 





») Karl VI. 


Canterburi paſſirte. 

Zu London erfuhr ich, daß der König*) ſich in einem gro⸗ 
Sen Park befände (ein Gehege wie ber Wald ven Rincennes 
bei Paris), 20 Meiten von Oxford, wofelbft ſich große Univers 
fitätseinrihtungen befinden. Die Engländer nennen jenen Ort 
Eſtancfort. Der Park ift fehe ſchoͤn; der König hat daſelbſt 
ein fehr ſchoͤnes und feſtes Haus mit weitläufigen Gemaͤchern. 
und ber Briefe wegen, welche ich vom Könige von Frankreich 
batte, warb ich fehr gut aufgenommen unb man erwies mie 
große Ehre. Der König ließ mich ſicher durch fein ganzes Koͤ⸗ 
nigreich geleiten, welches ih, mit Ausnahme von zehn Tagen 
AufenthaltE bei ihm, obne mie Ruhe zu gönnen, durchreiſte. 
Ich begab mich alfo auf den Weg und kam in einer Gegend 
mit Ramen Gefterrice”*) an, welches in der Provinz Wales iſt. 
Ic miethete in der Stadt Kifter***) ein Schiff, um nad Ir⸗ 
land überzufegen. Nachdem ih an ber Küfte von Wales hins 
aufgefegelt war, landete ich an einem Orte Namens Dlyet}), 
von wo ich mit günftigem Winde aufbrach, um über den Golf 
zu fegen; ich fam an der Infel Arman ++) an, welche zur Zeit 
bes Königs Artus dem Könige ber 100 Ritter zugehörte. Deus 
tigen Tages iſt fie gut bevölkert und gehbrt bem Könige von 
Engtand. Bon da feste ich meine Reife fort, ſtets bei gutem 
Wetter und landete nach einer Überfahrt von wenigen Tagen in 
Irland, in Angefiht der Stadt Beloittf), weiche ziemlich 


groß ift. 

Ich fand dafelbft den Grafen von Marche, leiblidden Betz 
ter des Königs von England; ich machte ihm Mittheitung von 
meinem Reiſeplan. Gr nahm mid, den Briefen des Königs 
und der Königin von England zufolge, fehr ehrenvoll auf; ex 
fuchte fehe mich von meinem Vorhaben abzubringen, aus zwei 
®ründen: der exrfte, weil ich eine bebeutende Strede Wegs zu⸗ 
rüdzulegen hatte und weit ich durch die Länder wilder Voͤlker⸗ 
ſchaften reifen mußte, in welche man fein Bertrauen fegen 
konnte. Der zweite Grund war bie große Gefahr des Ginbrin: 
gend in das Fegefeuer, wobei mebre gute Ritter verloren ges 
gangen, ohne daß fie je wiebergelehrt wären, fobaß ich alfo für 
nichts in ber Welt Gott verfuchen und mich felbft täufchen 
möchte. 

Der genannte Graf machte mir, nachdem er fi alle Mühe 
gegeben, mich von meiner Reife abzubrimgen, und als er mich 
entfchloffen ſah, einige von feinen Pferden und Kleinodien zum 
Gefchente und gab mir ferner zwei von feinen Edelleuten mit, 
deren einer, Namens Johann Dimi, mich durch das Gebiet 


») Richard IE, welcher ſich mit Karl'd Tochter Ifabella, als biefe 
acht Jahr alt war, vermählte. 

") GSheftezfhire. 

„... Shefter. 

+) Dlyet, wol Holybeab. 

++) Arman — bie Safel Man. 

+++) Belvi if vielleicht Velfoh, ober Ballivir in ber Grafſchaft 
Armagh. 





we dem Könige von England in Irland , und 
—— *3 mich nichts verausgaben eb, obwol 
er die Bezahlung ganz gegen meinen Wunſch übernahm. Der 
anbere Edelmann hieß John Talabot, weldyer die Sprache von 
Irland wußte und mein Dokmetfiger war, unb alle Beide bat: 


ten ben Xuftuag, mich zum Erzbiſchof von Armanhac zu bringen, - 


und fo thaten fie. 

Selbiger ift Primas auf der Infel. und hat das Anfchen 
eines Papftes; ich fand ihn in der Stadt Diondary, welche fo 
groß ift wie Puicerda oder Zaragona. Weine Führer ſtellten 
mich dem Erzbiſchof vor, ich die Briefe des Königs und 
der Königin von England und bie bes Grafın von der Marche 
übergab, und der genannte Erzbifhof empfing mich fehr gut und 
erzeigte mie große Ehre und, als er meine Abficht erfahren 

mi e er Reife und vermahnte m 
nicht weiter davon zu ſprechen (de non y anor dizen), daß au⸗ 
Ser ber Befahr, weiche mit dem Eingehen in das Begefeuer vers 
bunden fei, weber er noch irgend fonft Iemanb mich bei der 
Heife durch das Gebiet bes Könige Yrnel, noch anderer Herren 
fihern inne, durch deren Länder ich zu paffiven hätte, bevor 
ich bis zum Wegefeuer gelangte, und wenn ich mich nicht mit 
beftimmtem Vorwiſſen verderben wollte, fo moͤchte ih «6 um 
Fichte in der Welt verfucgen. , 

und darauf führte er mich in bie Sacriftei ber großen 
Kirche und ermahnte und bat mid inftänbigft, daß ich um 
Nichts in der Welt in das genannte Wegefeuer eindringen 
möchte, erwähnte mir viete Gefahren und Ärgerniß, welche Ber: 
fehiedenen in bem Wegefeuer widerfahren, die fi in ihr Wer: 
derben geflürzt, und dann fagte er mic alle Gefahren, weiche 
daraus hervorgehen koͤnnten und wirklich darin wiren, worauf 
ich antwortete, je nachdem Gott es mir eingab, verſichernd, daß 
ich nie meine Reife aufgeben würde. 

Und als ex fab, daß er mid von meinem Entſchluſſe nicht 
ebbringen koͤnne, gab er mir alle Anweifungen, bie ihm zu Ge⸗ 
bot flanden, und gab mir feine Beiſtimmung und tieß mich 
beichten und ich erhielt von feiner Hand in größter Heimlichkeit 
unfern Herrn und er fagte mir, daß er im Laufe der Woche in 
einer Stadt Namens Dandela fein würde und fo that er. 

Ich reifte fofort von ihm ab unb war in ber genannten 
©tabt und von da fanbte ih an ben König Yrnel, welcher in 
der Stadt Armanach war; diefee Heß mir in ber That einen 
Geleitöhrief zulommen und einen feiner Reiter und noch einen 
andern Boten, um mid; zu führen, bis ich bei ihm wäre. 

und der Erzbiſchof kam an bem erwähnten Tage unb 
führte 100 Solbaten, weldge auf ihre Weile bewaffnet waren, 
mit fi, um mich zu begleiten, und gab mie einen anbern Dol⸗ 
metſcher bei, einen Leiblidyen Wetter von Johann Zalabot, wel: 
cher fih Thomas Talabot nannte, und mit den 100 Bewaffne⸗ 
ten betrat ich das Gebiet ber wilden ‚Heiden, welche unter der 
Herrſchaft des Könige Yenel ſtehen. 

und als ih fünf und einige Stunden geritten war, wag⸗ 
ten die Bewaffneten nicht weiter mit vorzubringen, da fie mit 
jenen in großer Feindſchaft waren, fobaß fie auf einem Hügel 
halten biieben, und ich nahm Abfchied von ihnen und ritt weis 
tee und nachdem ich ungefähr noch eine halbe Stunde weiter 
gereift war, fand ich den Eonnetabel des Königs Urnel an ber 
Spitze von 100 auf ihre Weiſe bewaffneten Seiten, mit wels 
chem tch Zwieſprach hielt und mid) dann von ihm trennte und 
zum Könige begab, weldyer mich nad) ihrer Meile wohl aufs 
nahm und mir ein Geſchenk an WRunbvorrath machte, das in 
Ochſenfleiſch beftand; denn fie eſſen weber Brot, noch trinken 
fie Wein, benn fie haben dergleichen nicht und trinken Waffer, 
und bie großen Herren trinken Milch ihres vornehmen Standes 
wegen (per nobleza) und einige von ihnen Fleifchbruͤhe. 

Und deshalb, weil ihre Sitten uns fehr fremb find, werbe 
ih Euch, fo kurz ich Eann, etwas von ihren Suftänden und Ge⸗ 
bräudyen erzählen und von Dem, was ich beim Könige fah, bei 
welchem ich das Weihnachtöfeft auf meiner Ruͤckreiſe zubrachte, 
obgleich ich, als ich das erſte Wal auf meinem Hinwege mit 


ihm zuſammen war, genug bavon gefehen habe. Die Koͤnige⸗ 

wöürbe iſt erblid und es gibt mehre Könige auf ber Juſel, 

weldye fo groß wie bie Infel England ift und der größte 

Be ift Yrnel und alle andern flammen aus feinem Ge 
6 r. 

Diefer hatte WO Mann yu Pferde, indem die Pferde mit 
einem Kiffen gefattett waren, und jeber trägt einen aufgefchlit⸗ 
ten Mantel, je nachdem es iſt); fie bewaffnen ſich mit Pan⸗ 
zerhemden und Gürtel und ein Halsſtuͤck von eifernen Mafchen 
und runde Hauben von Eifen. Sie haben Degen und Meſſer 
und fehr lange Langen, jeboch find biefe fehr hänn nach Art der 
alten ganzen und gweifchneibig. Die Degen find denen der Gas 
razenen aͤhnlich, welche wir genezes nennen; ber Degenfuopf 
und das Kreuz finb von anderer Art; ber Knopf bat bie Ge⸗ 
ſtalt einer ausgeſtreckten Hand. 

Ihre Meſſer ſind lang und gebogen, ſo dick wie ein kleiner 
— er und ſchneiden ſehr gut ein. So iſt die Form ihrer 


affen. 

Einige bedienen ſich einer Art von Bogen, welche halb ſo 
lang wie die Bogen in England ſind und dennoch ebenſo ſtark 
wirken wie die engliſchen. Sie find ſehr tapfer und ſeit lan⸗ 
ger Zeit fuͤhren ſie mit den Englaͤndern Krieg und der Koͤni 
von England kann mit ihnen nicht zu Ende kommen, 3 
fie noch verſchiedene andere Jehden haben. 

Ihre Art zu kaͤmpfen gieiht der der Sarazenen und fie 
fhreien dabei, wie biefe. 

Die großen Herren find mit einem Rode ohne Futter, ber 
bis aufs Knie Hinabreicht und oben, nady Art der Weiber, weit 
ausgefchnitten ift, befleidet und fie tragen große Rappen, weldie 
bis auf den Gürtel hinabfallen, und bie Kieider haben eine Gas 
puze, die fo eng ift, wie ich geſagt Habe. **) 

Sie tragen weder Schuhe, noch Gträmpfe, noch Hofen, fie 
legen die Sporen an ihre bloßen Ferſen an, und in diefem Zus 
ftande war ber König am Weihnachtstage und ebenfo alle Geiſt⸗ 
liche und Ritter, Biſchoͤfe, Abbes und große ‚Herren. 

Das Volk geht einher, wie es kann, fchlecht gefteidet, doch 
tragen bie Bornehmften beffelben Mäntel von Wolle und zeigen 
alle Theile bloß, To Frauen, als Männer. 

Die armen Leute gehen nadend, obſchon fie alle von jenen 
Maͤnteln tragen, fie feien gut oder ſchleqt. 

Und ebenfo waren bie Damen, die Königin, ihre Tochter 
und ihre Schweſter gefleidet und trugen einen Guͤrtel. 

Die Fräulein der Königin, beren Zahl fi auf 20 beiief, 
waren ohne Schuhe, gekteibet, wie ich es Euch oben gefagt habe, 
und tießen Alles, was fie hatten, mit fo wenig Scham fehen 
wie ibr Geſicht. 

Es waren mit dem Könige an 3000 Pferde und viel arme 
Leute, weichen ber König große Almofen in Ochſenfleiſch auss 
theilte. Sie gehören zu ben ſchoͤnſten Wännern und Prauen, 
welche ich in irgend einem Theile der Melt geſehen babe. 

Sie ſaͤen kein Getreide, noch ernten fie Wein; fie eben 
nur von Odhfenfleifch und bie großen Herren trinfen Wild und 
die andern Fleiſchbruͤhe und das Volt Wafler und fie haben ger 
nug, bie einen, wie bie andern mit allem ihren Fleiſche, ſei es 
von Dchfen, ober von Kühen und Pferden. 

Am Weihnachtstage hielt, nad) der Ausfage ber Dolmet: 
ſcher und einiger Andern, welche Lateiniſch fpredyen konnten, ber 
König großen Hof; dennoch beitand fein Tiſch nur aus auf der 


*), Der Sinn ber Worte segon que es (selon qu'il est) ifi mir 
an biefer Stelle dunkel geblieben; vielleiht will der Verf. damit 
fagen: ber eine fo, ber andere fo. 

**) Et porto los vestitz ia cogula ayssi estrocha coma le dit. 
Es iR ſehr zweifelhaft, ob bie obige Überfegung riätig if; feim 
Wörterbuch wie dad Wort oogala nad und keiner der von mir 
befragten Romaniften konnte mir Auffluß darüber geben; einige 
Wörter, melde Wurzeln von cogula fein Eonnten, führten ze ver 
Überfegung Gapuze. Los vestitz kann Nominativ und Accaſatis 
fein; ich babe es Hier als Nominativ genommen. 


—— — 


m gi um u 


Gede ausgebwiteten Binfen, abe neben ibn ward zarteres 
Braut gelegı, um den Mund .. - 

Es warb ihm das Fleifh auf Stöden gebracht, wie man 
eine Tragbahre trägt; du fannft denken, wie feine Pagen ges 
kieidet waren, Bott weiß wie! 

Die Thiere freffen, anftatt Hafer, nur Gras und Wiätter 
won Gtadheibeesen, weiche man ein wenig zerbricht wegen der 
Dornen, die an den Wlättern fiten. Und bies genügt, was ihre 
Kleidung anbetrifft, und vermeine ich nicht weiter davon zu reden. 

Der König nahm mich fehr wohl auf und ſchickte mir ei⸗ 
nen Dchfen und Salz; denn Brot und Wein gab es an feinem 

zen Hofe nicht. As großes Geſchenk ließ er mir zwei Rus 
Sen zulommen, die fo dünn waren wie Gifentuchen und ſich 
Gegen, wie nicht gebadener Zeig. Sie warın fo ſchwarz wie 
Kohlen, aber fie waren fehr Ihymadhaft. **) 

Der König gab mir einen Geleitsbrief, um durch fein Ges 
biet und durch fein Votk zu Fuß und zu Roß zu paffizen, und 
er ſprach viel mit mir, indem er mich vielfach befsagte über 
die Könige und namentiich über den König von Frankreich und 
von Aragonien und Caſtilien und über ihre gr} und ihre 
Lebensweife und, wie es mir feinen Worten nach ſchien, hielt 
er die Kleidung in feinem Lande fir die befte und vollkommenſte 
in der Welt. 

Ihre Häufer find gemeiniglid und meiſtentheils nahe bei 
den Ochſen und fie wechſeln jene ber Weide wegen, wie bie 
Alanen ber. Berberei und des Landes Soudan und fie treiben fie 
jeden Tag aus ihren Städten, indem fie alle zufammen gehen. 

Ich reifte vom Hofe des Könige ab und zog meines We⸗ 
ges durch verfchiebene Gegenden bid in eine Stadt Namens 
Drocefio; die Einwohner derfelben fügen Niemand ein Leides 

u und halten &t.»Patricius in Ehren und dies feit langer 
Seit Ion. Die Königreiche und Könige betrachten jene Stadt 
als unverleglid. 

Und bie Pilger, welche dorthin gehen, find gebalten, ba: 
ſelbſt ihre Thiere zu laſſen; denn weber Pferde noch andere 
Thiere würden bie Berge und Gewaͤſſer paſſiren können, und fo 
ging id) von ba zu Fuß nad der Stadt, wo bie Priorei und 
in der Priorei das Fegefeuer if. Es iſt ba ein großer und 
tiefer See, wo die genannte Inſel fi) befindet; das Waſſer ift 
gut zum Trinken. 

In dem See find mehre andere Infeln. Das Waffer fteht 
fo hoch über der Infel, daß auf den höchften Bergen faum ein 
Menſch durch das Waffer bieburchgeben kann; und oft Hat 
man bad Wafler bi an bie Knie, ſodaß man zu Fuß große 
Muͤhe hat burchzulommen, und daß es um fo mehr zu Pferde 
win Wunder wäre, wenn ein Menſch burchlommen Tönnte. 

Als ich von Proceffio abreifte, wollten der Herr des Orts, 
weldger ein großer Herr iſt, und fein Bruder, bie beide eine 
große Verehrung für &t.»Patricius haben unb fehr bereit 
find, ſich ben Pilgern nüglih zu beweifen, mich zum Klofter 
Hegleiten, wofelbft ich fehr wohl aufgenommen wurbe. 

Ich feste in einer Barke von einem ausgehöhlten Baum⸗ 
ftamme über den See; denn andere Barken waren nicht vors 
handen. Der Herr von Proceffio und ber Prior, welcher dort 
war, blieben beifammen. Und ſobald ich im Kiofter war, frag: 
ten fie mich, ob ich in das Fegefeuer eingehen wollte, unb ich 
antwortete ja! 


) Eingard, in feiner Geſchichte von England, erzählt, was bie 
obigen Angaben äber den Sulturzuflend in Irland beflätigen moͤchte, 
Daß vier iriſche Könige, weldhe während ber Fetdzuͤge RKichard's II. 
in den Jadren 1204 — 86 fi diefem unterworfen, nur mit übe 

werben Tonnten, Hoſen anzuziehen, 

») Der oben überfehten Periode geben die Worte voraus: E 
aro desmedan e de terra; diefe Stelle bat mir unäberfegbar ges 
ſchtenen; wahrſcheinlich Hat ber Gepik des Driginalmanuferipts bier 
einen Bebler in feine Abſchriſt gebracht. Mit einiger Verſetung 
Ser Duchſtaben, Linnte man überfegen: Unb fie waren in ber 
Erbe bereitet, gebaden. 


Unb bana begannen fie mich eindringlich zu ermahnen, 

id ja nicht bineingehen und Gott verſuchen möchte, da es * 
nicht F um en Leib — ern —8 um die Seele handele, 
weiche viel mehe werth fei, und fie nannten und zei mir 
die Gräber Dever, welche dabei umgekommen feien. weigien 

Und, ba fie meinen feften Entſchluß fahen, festen fie mie 
auseinander, und dies zwar namentlich der Prior, es ſei ange 
meffen, daß ich nach den Worfchriften des Kiofters, wie ſolche 
St.⸗Patricixs und feine WBorgänger angeordnet und, gemäß 
bem von bem Heiligen Patricius handeinden Gapitel, verführe. 
und fo hat ich nach den Vorſchriften und, wie ſich's gebührt, 
mit großer Andacht, ganz .fowie Diejenigen tbun, welche 
Krankheits⸗ ober anderer Gefahren halber, auf ben Tod gefaßt 
find; und nachdem dies Alles vollbracht ift, haben fie die Ges 
wohnpeit, Den, weicher in bas Begefeuer einfahren wil, in 
großer Proceffion in bie Kirche zu führen. 

Und die ganze Zeit über vermaͤhnten fie mich inftänbig, 
daß ich doch um nichts in der Welt hineingehen, ſondern auf 
meinen Eingang verzichten moͤchte, und daß ich, um meine 
Sünden abzuduͤßen, mich lieber in einen reiigidfen Orden bes 
een möchte, um ben Bruͤdern zu bienen, ober, um Mönch zu 
ein, und daß ich mich nicht in fo große Gefahr begeben möchte. 

Und, nachdem, wie ich vorhin erwähnt habe, alle durch 
St. Patricius erlaflene Verordnungen in der Kirche erfüllt find 
und dies Alles bergeftalt gefchehen, wird von allen Geiſtlichen, 
welde in der Umgegend zu haben find, eig Requiem über Den« 
jenigen gefungen, welcher einfahren fol, und ganz fo, wie e# 
ſich gehört, thaten fie mit mir. 

As ich in der Kirche war, ſprach ich mit einem meiner 
Neffen, dem Sohn meiner Schweſter, welcher aus ber Familie 
von Sentelha und Doctor tft, und ferner mit meinen beiden 
@öhnen, von welchen der Ältere Loys, ber andere Ramon hieß. 
Und fammt meinen Begleitern und Dienern bereiteten fie ſich 
zur Kuͤckkehr vor, im Fall Gott über mid verfügen follte. 
Und ich übergab dem Deren Bernat v. Gentelha, meinem Ref: 
fen, mein Zeflament, weiches ich in Majorca verfaßt hatte. 
Und, als Alles fo vollführt war, fragte mich ber Prior, der 
Herr von Proceffio und die Kiofterbrüber, wo ich für den Fall, 
daß ich umläme, begraben werben wollte, und ich antwortete, 
daß die Erbe die Begräbnißftätte der Todten fei und daß ih 
fonady ihnen die Wahl Überlaffe, und fie führten mich in Pro« 
ceffion zur Pforte des Fegefeuers und ich ſchlug dort vier zu 
Sittern, unter weichen meine beiden Söhne waren; bie beiden 
Andern waren ein Engländer, Namens Monfenbor Thomas und 
ber Andere der Monfenhor Peyre Masco aus dem Königreiche 
Balencia. Und bann fangen fie die Litanei und gaben mir 
Weihwafler und der Prior öffnete mir die Thuͤr und fagte mir 
vor allen Anwefenden folgende Worte: Ihr feht den Drt, in 
weichen Ihr einbringen wollt; aber, wenn Ihr meinen Rath 
bören wollt, fo werbet Ihr umkehren und auf irgend eine ans 
dere Art Buße thun für Euer Leben in dieſer Welt; denn viele 
Menſchen find Hineingegangen, bie nie zurücgelommen und fo 
mit Leib und Seele verloren gegangen find, weil fie nidht ein 
feftes Vertrauen auf Bott und Jeſum Chriſtum gehabt und fo 
nicht die Qualen, welche da unten find, haben ertragen können. 
Wenn Ihr indeffen durchaus hineingeben wollt, fo will ich Euch 
fagen, was Ihr finden werber. 

Und hierauf erwiberte ich ihm, daß ich mit Gottes Willen 
eingeben werbe, um mich von meinen Sünden zu reinigen. 

Da fagte er mir: Bon der Höhle will ich Euch nichts fas 
gen; denn Gure Augen werben finden; aber an einer gewiſſen 
Stelle wird Bott feine Boten fenden, welche Euch von Allen 
unterrichten werben, was Ihr thun follt, und fie werben alsbalb 
von bannen gehen und Euch wohlbehaiten zurüdlaflen, wie Ihr 
gegenwärtig feld und wie fle mit Denen gethan haben, fo vor 
Euch bineingegangen find. 

Und barauf nahm ih von Allen, welche gegenwärtig wa: 
sen, Abſchied und kuͤßte fie auf den Mund und empfahl mid 
Gott und ging hinein und Hinter mir folgte ein Nitter, Nas 


mens Mol r Guilhem, Dr. v. Goucy, weicher ber größte 
der an ee Gemahlin die größte Dan in der I 
der Königin von England, einer Tochter des Königs von Frank⸗ 
seich, waren. Und er machte alle bie Dinge, we 

@intritt in das Pegefeuer zu thun ziemt, mit mir durch, wie 

I6 tte. 

” nr Ahertrüber foderten uns nachdruͤcklich auf, nicht mit⸗ 
einander zu fprecyen. Und, obgleich die mir gemachten Mittheis 
tungen, die vielfach erwähnten Gefahren, bie verfchisbenen Qua⸗ 
ien, durch weiche alle Die, weiche hineingegangen, verloren ges 
wefen und geftorben waren, mir einige Zweifel in ‚Her; unb 
Self trugen, ließ body der fefte Wille, den ich hatte, meiner 
Sanden ledig zu werden, mich Alles vergeffen, was mir hätte 
zuftoßen können. 

Ich empfahl mich den wirkſamen Gebeten der Guten und 
rüftete mich mit Vertrauen und Glauben, fo viel ich konnte, und 
bezeichnete mich mit dem Zeichen des Kreuzes und empfahl mid) 
Gott und ging ein zum Fegefeuer und mein Befährte nach mir. 

Und der Prior verſchioß die Thuͤr und Lehrte mit den 
Geiſtlichen in die Kirche zuruͤck. 

Hier num befchreibt Perilhos weitlaͤufig die verſchiede⸗ 
nen Steafen und Martern, stwelche er im Zegefeuer über 
die Seelen der ſuͤndig Verſtorbenen verhängt gefehen hat; 
er hätt fich jedoch die ihn verfuchenden Dämonen durch 
fein inbrünftiges, an Jeſum Chriftum gerichtetes Gebet 
fen. Der Verf. des Manuferipts ift bier volllommen 
übereinftimmend mit den früher citirten alten Schriftſtel⸗ 
lern und mit den biefen Gegenftand barfiellenden alten 
deutfchen Malern, auf melde ich mic ebenfalls In mel: 
nem Vorworte bezog. Ich glaube alfo diefen Theil des 
Manuferipts übergehen zu bürfen, ohne das Intereſſe an 
dem Ganzen zu beeinträchtigen. Perilhos fährt dann fol: 


gendermaßen fort: 

und ich fah viele von meinen Kameraden und viele, bie 
ich Zannte, und manche von meinen Verwandten und Verwand⸗ 
tinnen. 

und bafeibft ſah ich den König Don Juan von Aragonien 
und den Bruder Franz Deipueg, vom Orden ber Minoriten des 
Kiofters zu Gerona. Ich fah auch bie Donna Albofa de Que⸗ 
zalc, meine Nichte, weiche noch nicht geftorben war, als ich 
mein Land verließ und deren Tob id) no nicht wußte, 

Alle dieſe befanden fih auf dem Wege zum Heil, aber für 
ihre Sünden waren fie noch in der Pein. Die größte Strafe, 
weiche meine Nichte zu erdulden hatte, war für bas Schminken 
ihres Geſicht bei ihren Lebzeiten. Der Bruder Franz, mit wel⸗ 
chem ich ſprach, erlitt feine größte Strafe für eine Nonne, wels 
&e er aus einem Klofler entführte, und er würde verdammt 
worben fein, wenn er nicht durch die große Reue und Zerknir⸗ 
ſchung gerettet worden wäre, die er über feine Sünden fühlte, 
fowie durch die während feines Lebens angeftellten Büßungen. 

Und ih fprady auch viel mit bem Könige, meinem Deren, 
welcher durch die Gnade Gottes auf dem Wege des Heild war. 
Den Grund, weshalb er litt, will ich nicht fagenz ich führe nur 
an, baß die großen Könige und Kürften, die in ber Welt find, 
fi) vor allem Andern hüten follen zu Vergnügen, oder Gunſten 
irgend Eines oder Irgend Einer Recht zu fpreigen. 

Noch andere Männer und Frauen von dem Gefchledhte, aus 
welchem ich entfprungen bin, ſah ich da; ich würde nicht von 
ihnen reden, wenn nit, um Gott zu danken; benn fie find 
auf dem Wege zum Heil; wollte Sott, daß wir unter biefer 
Zahl wären, wenn wir nicht beffer können. 

Wenn in der Welt die Menfchen wüßten, wie bie Sünden 
oeftraft werden, fie ließen fich lieber in kleine Stüde fchneiden, 
als daß fie dergleichen zu begehen wagten. 

Nachdem der Wanderer den Scauplag der Qualen 


durchſchritten hat, kommt es an eine Thuͤr, die von Aue 
und koͤſtlichem Geftein ſchimmert; Wohlgeruͤche ſtroͤmen 
aus derſelben hervor, als ſie ſich einer Proceſſion oͤffnet, 
welche zu ſeinem Empfange dem Ritter Perilhos entge⸗ 
genkommt und ihn in ein feenhaftes, von uͤbernatuͤrlichem 
Lichte ſtrahlendes Land voll grünenber Wiefen, mit Fruͤch⸗ 
ten beladener Bäume, voll Blumen und riefeinder Bäche 
führt. Perilhos wird durch zwei Erzbifcyöfe, die ihn Er⸗ 
läuterungen und weile Lebensregeln geben, an eine Thür 
geleitet, durch die er in das Eingangsgewölbe zum Fege⸗ 
feuer zuruͤckgelangt. Er fchläft hier aus Erſchoͤpfung ein; 
ein Donnerſchlag erweckt ihn; feine Augen fallen zunaͤchſt 
auf feinen Gefährten, welcher gluͤcklich, wie er felbft, zuräd: 
gekehrt if. Dann Öffnet fi die Thür ber Höhle und 
die beiden Pilger werden mit großen Freudenbezeigungen 
von der Geiftlichkeit des Kloſters empfangen und in die 
Kirche zurtchgeführt, wo fie ein Dankgebet für den ihnen 
gnädig gewährten Schug an Gott richten. 

Perilhos kehrt auf demfelben Wege, auf welchem er 
gefommen, in fein Vaterland zurüd; er bringt das Weib: 
nachtefeft, wie ſchon früher erwähnt, beim Könige Vrnel 
zu, verweilt einen Tag im Schloſſe des Grafen von der 
Marche, flattet dem König und der Königin von England 
einen Beſuch ab und begibt fih durch die Picardie an 
den Hof des Königs von Frankreich; feine Erzählung 
endet folgendermaßen: 

und ich biieb bafelbft (db. b. am Hofe bes Könige von 
Frankreich) an fieben Wonate auf Befehl des Papftes umb ich 
war mit dem Könige bei den Zurnieren, welde er bem Kaifer 
von Deutfchtand gab, ber auch König von Böhmen war *); der 
König von Ravarra**) war auch dabei und verfcdhiebene Her⸗ 
zöge unb große Herren. 

Und als der König nach Paris zurädgefchrt war, reifte 
ih ab und ging nach Avignon zuräd zum Papfte, welcher mich 
auf ausgezeichnete Weiſe empfing. 

Zept bitten wir unfern Seren Jeſum Chriſtum, weldger 
alle Dinge in feiner Gewalt bat, daß er durch feine Heilige 
Gnade uns bergeftalt in der Welt leben laffe, daß wir und vom 
unfern Sünden reinigen und am Ende, in der Stunde bes or 
des und ‚Dinfcheidens, die Strafen vermeiden mögen, fo Ihr 
habt erzählen hören, und baß wir mögen zu jenem Ende ge⸗ 
langen, welches niemals aufhören wird. 

Und mögen Alle, melde biefe Erzählung leſen, beten file 
mich, den Vicomte dv. Perilhos und Roda. Amen. 

Touloufe, im April 1843. 

W. v. Rhetz. 


) Wemeslaus hatte im Jahre 1997 eine Zufammentanft wit 
Karl VI. zu Rheims. 
**, Karl Ill. von Navarra. 





Literarifhe Anzeige. 
in Port ae ut hanhlungen ift von ®. 8. Brockhaus 
Kannegiesser (R.L.), Iphigenia in Delphi. 

Scaufpiel in drei Acten, mit einem Borfpiele: Iphi- 
genie’s Heimfahrt, und einem Nachipiele: Iphigenta's 
d. Gr. 8. Geh. „12 Near. 


Berantwortlicher Herauögeder: Heinrich Brokhaus. — Drud und Verlag von B. A. Brodhaus ia Leipzig. 


Blätter 


für. 


literariſche Unterhaltung. 





Mittwod, 





Bon Minh: Räder. *) 

Als König Friedrich VL im Kieler Tractat den 14. Ja⸗ 
nuar 1814 und in den darauf folgenden Öffentlichen Ae⸗ 
ten jedem Recht auf die Krone Norwegens entfagte, war 
es geroiß keineswegs feine Meinung, bie abfolute Macht, 
welche er von feinen Vorfahren als die lebende Erinne: 
rung der Irrthuümer und Vergeben, Lift und Schwach⸗ 
heit der Vorzeit ererbt hatte, dem Wolle zuruͤckzugeben. 
Die Rechte, welche die Actenftäde von 1660 und 1661 
dem - olbenburgifchen Stamm übertragen hatten, wur: 
den von feinem Haupt einftimmig und bem beitehenden 
Grundgefeg zuwider, durch die Noch gezwungen, dem ſchwe⸗ 
difhen Hofe überlaffen, deſſen Leiter, Karl Johann, ſtark 
durch die aufßerorbentlichen Dienfle, welche er dem gegen 
Napoleon vereinten Europa erzeigt, und auf den Bund, 
in welchem Rußland, England und mehre Mächte bie 
Abtretung Norwegens garantirt hatten, fußend, am Biel 
feiner Wunſche, der Bereinigung der flandinavifchen 
Zeenge unter Einem Scepter, zu ſtehen hoffte. Dieſer 

ebanke, den Schweden ——* genaͤhrt und ſeit 
Guſtav's IV. Fall mit Eifer zu realiſiren geſucht hatte, 
war von Kaͤrl Johann mit Intereffe aufgefaßt, und mit 
einer Kühnheit, welche dieſer Feuerſeele eigen war, hatte 
er befchloffen durch eine folche Begebenheit eine neue Ara 
zu begründen, und Strahlen des Ruhms über ihren An: 
fang ausgießend, die Legitimitdt feiner neuen Dynaſtie 
zu befeftigen. König Friedrich entband das norwegiſche 
Volk am 18. Jan. feines Eides und ber Pflicht gegen 
ſich und foderte e8 auf, fidy der ſchwediſchen Herrſchaft 
ruhig zu unterwerfen. Die Rormeger, welche Friedrich 
tiebten und zugleih im Ganzen ſich mit dem freundii: 
hen daͤniſchen Volk fehr gut verteugen, fühlten ſich bit- 
ter gekraͤnkt durch diefe Abtretung, deren Machricht, ob: 
gleih man fie lange geahnet, unerwartet und unfiher — 
wie ein Blitz — duch das Land fuhr; und Manche 
glaubten fi, obgleich gewiß mit Unrecht, von ihrem Rd: 
nig getäufcht und verrathen, der noch am 3. Sept. 1813 


*) Rad) der im Jahr 1841 in Ehriſtiania herausgekomme⸗ 
nen fe bes Verf.: „Den norfte Eonftitutions Diftorie og 
aeſen.“ 





erklaͤrt hatte, daß er ſich keinen ſchimpflichen und un⸗ 
ſichern Frieden durch das Opfer ſeiner treuen und tapfern 
Normaͤnner erkaͤmpfen wolle. Die Zahl Derer war klein, 
welche dieſe Begebenheit gleich als die gluͤcklichſte ſeit un⸗ 
denklichen Zeiten zu ſchaͤtzen wußten, und einſahen, daß 
dieſe Handlung die wohlthuendſte war, welche wir dem 
oldenburgiſchen Stamm danken; Wenige faßten es gleich, 
daß der hoffnungsvollſte Moment ſeit der ungluͤcklichen 
Verbindung mit Daͤnemark der war, worin ſie aufgeloͤſt 
ward. Aber Alle waren darin einig, die Abdication Koͤ⸗ 
nig Friedrich's anzunehmen, waren froh, ihres Eides 
foͤrmlich entbunden zu fein, und erfannten ihn von fels 
nen Pflichten gegen das Volk ebenfo befreit, wie er fchon 
erklärt hatte, fie nicht länger erfüllen zu können; das 
norwegifhe Volt gab ihn auf, wie er ed aufgegeben 
hatte. Doch auf eine Abtretung an Schweden wollten 
wir und nicht einlaffen; der abfolute König konnte ebenfo 
wenig wie der König der Könige al feine Macht einem 
Andern übertragen; das abfolute Dominium tonnte nur 
Friedtich's III. Nachkommen und keinem Andern zukom⸗ 
men; denn ihm allein hatten unfere Vorväter fih und 
ihre Nachkommen mit But und Blut überantwortet. 
Diefee Grund marb indeß wenig oder gar nicht hervor: 
gehoben, wenigſtens nicht auf diefe Art, während andere 
weniger unbefreitbare bei den fpätern Verhandlungen in 
den Vordergrund gefhoben waren; wir fagten 3. B., daß 
wie nicht nöthig hätten, Befehlen zu gehorchen, weil wir 
unfers Eides unbedingt entbunden fein, und daß wir 
gerade durch dieſe Weigerung den erfien Act unferer wies 
dergegebenen Selbftändigkeit ausübten, wohingegen man 
uns wiffen ließ, daß die Löfung nur bedingt aufzufaflen 
ſei. Wir fagten meiter und belegten es mit ben Bel: 
fpielen Spaniens und anderer Länder, es fei im Voͤlker⸗ 
recht anerkannt, daß Fein König fein Reich weggeben 
koͤnne; wir wären ein eigenes Volt und wären immer, 
wie fehe auch unfere Rechte gekraͤnkt, als Unterthanen 
eines eigenen Reichs angefehen; wogegen ſich dann mie: 
der einmwenden ließ, daß unfer Land doch im Grunde 
nichts Anderes als ein Theil des dänifchen Staats gewe⸗ 
fen und mit deffen übrigen Provinzen ſich in gleicher Lage 
befunden babe. Mehr als alles Raiſonnement wirkte 
auf Männer, die fi immer al& frei angefehen hatten, 
das unmittelbare Gefühl der Derabwürbigung beim Em: 








pfang der Nachricht, daß man in ber Ferne, wo das 
Vaterland fo manchmal zerſtuͤckelt und getheilt, jegt da⸗ 
mit geendet babe, dieſes felbft und Alles, was ihnen lieb 
war, an Jemanden zu veräußern, ben fie von Herzen 
haften. Sie wurden fo wenig durch bie legitimiſtiſchen 
Deincipien und Terminologien beruhigt, daß fie eher bei 
dem Gedanken, „mit vollem Eigenthumsrecht“ überant: 
wortet zu werden, von Indignation überwältigt wurden 
und gerade in biefem bitten Gefühl den Beweis dafür 
fanden, daß es darauf ankomme, die heiligen Menſchen⸗ 
rechte zu vertheidigen, die höher ſtehen al6 das durch Ges 
walt und Zwang beflimmte Recht. 

Pas nun aud) die Gründe waren, ber Kieler Tractat 
ward damals ebenfo wenig wie jemals fpäter von den 
Norwegern anerkannt. Gleichzeitig mit der Nachricht 
ſcheint faft Überall der Gedanke an Widerfland gewefen 
zu fein, und Prinz Chriftian Friedrich, der feit dem Fruͤh⸗ 
jahr 1813 das Land in der Eigenfhaft eines Stattpal: 
ters verwaltet hatte und mahrfcheinlicherweife, wenn er 
gewollt, den Schweden bedeutend in die Hände hätte 
arbeiten Finnen, hörte lieber auf die Stimme feines Ge: 
wiſſens und Volks als auf die des Übermundenen Kö: 
nigs. Schon im Januar, ehe noch das Bolt, außer 
Chriftionia, die Bedingungen bes Friedens näher kannte, 
trat er eine Reiſe nach Drontheim an, unterhielt ſich 
auf dem Wege dahin mit dem Volk und erfuhr fo feine 
Stimmung. üÜberall aͤußerte man Abſcheu vor dem 
ſchwediſchen Joh, an manchen Drten flanden Alte und 
Junge mit Thraͤnen in den Augen, fegneten den gelieb: 
ten Sürften, während fie ihm aus innerſter Überzeugung 
Treue im Leben und Tode gelobten. In Drontheim 
zeigte er gleich nad feiner Ankunft deutlich, daß er fei- 
nen Beichluß gefaßt habe: er erffärte nämlich am 5. Febr. 
öffentlih: „Norwegen foll ungetheilt und unbezwungen 
befteben. Ich bin unzertiennlih von Norwegen; mein 
Vertrauen babe ich auf das norwegiſche Volk geſetzt, meine 
Hoffnung auf Gott; die Liebe des Volks fol mein Lohn 
fein!” Dagegen ward damals nod nicht Öffentlich von 
einer Staatsverfaſſung gefprochen oder gefungen. Die 
Selbftändigkeit des alten Norwegens und der Prinz wa⸗ 
zen immer Gegenfland der Toaſte und der Refrain ber 
Lieder. Inzwiſchen hatte doch ber Gedanke an bie Wie: 
bergeminnung ber Volksfreiheit beim Volk Eingang ge: 
funden und dem Prinzen fehlte es auf dieſer Reife nicht 
an Gelegenheit, dies zu erfahren. Als man merkte, daß 
der Prinz die Alleinherrſchaft aufrechterhalten wollte, ver: 
breitete fih eine unuhige Stimmung; drohende Gerüchte 
von wirklichen Unruhen und von Volksverſammlungen 
unter ber Anführung einzelner Patrioten waren im Ums 
(auf, und der Prinz fand ſich veranlaßt auf feiner Reife 
nah Chriftiania hinunter, ungefähre fünf Meilen von 
diefer Stabe, in Eibsvold, anzuhalten, wohin er mehre 
angefehene Maͤnner berief, um ihren Rath zu hören. 
Hier kamen nun Carfien und Peder Anker, Amtmann 
Coltet, Profeffor Treſchow, Oherfllieutenant Haffner, Bi: 
(hof Bel, Agent Nielfen, Profeffor Sverdrup u. 2%. 
zufammen; Alle oder wenigftens bie meiften von Chriftia- 


nia. In biefee Verſammlung war es, baß er die ge 
reifteften Anfihten daruͤber hörte, auf welche Baſis das 
Staatsreht Norwegens für die Zukunft gegründet werben 
müfle. Der Prinz hatte geglaubt, daß er, als naͤchſter 
Thronfolger nach König Friedrich's Abdication, feine Herr 
ſchaft auf das Koͤnigsgeſetz begruͤnden und ſo fortfahren 
koͤnne, als legitimer von Gottes Gnaden eingeſetzter Fuͤrſt 
davon Gebrauch zu machen. Doch der Meinung war 
die Majoritaͤt nicht, die Rechte des oldenburgiſchen Na⸗ 
mens wurden durch das Vorhergegangene als unwider⸗ 
ruflich erloſchen angeſehen. Das Recht des Volks war 
das Einzige, das noch beſtand; ſollte das, durch ſo manche 
Ungluͤcksfaͤlle niedergedruͤckte Volk ſich noch mit der Kraft 
erheben und zu den harten Opfern bereit fein, die erfo⸗ 
bert wurden, um ben Ausgang des bevorfiehenden Kam: 
pfes einigermaßen zu fichern, fo mußte ein neues Agens für 
die Kraftanftrengungen, ein neues und maͤchtig befeelen: 
bes Princhp zur Entwidelung des Volkslebens, ein Ge: 
genftand für den Enthuſiasmus aller Bürger gefchaffen 
werden. Inſonderheit war es Profeffor Sperdrup, dem 
es glüdte den Prinzen zu überzeugen, daß die Souverais 
netät jezt beim Voll ſei. Er fand fi zuletzt in der 
Verfammlung ein, da er erſt am Morgen deſſelben Ta⸗ 
ges von Chriftiania hberberufen war; nachdem er zum 
Prinzen gerufen war, dußerte er feine ihm entgegengefeßte 
Meinung und nad einer vierftändigen lebhaften Discuf: 
fion erklärte der edle Fuͤrſt fih auf ebenfo liebenswuͤrdige 
als rührende Weiſe überzeugt, und übertrug ihn, Mehre 
der Verſammlung gleichfalls zu überreden. Später kam 
dee Prinz felbft in biefe und erklärte feine jetzt veränderte 
Anſicht. Sverdrup entwidelte des Fürften Auffoderung 
zufolge aufs neue feine Meinung. „Dies iſt das Mechte‘, 
rief Treſchow aus, der vorher unficher gewefen war. Bed, 
der für die abfolute Macht bes Prinzen fi entſchieden 
hatte, ging gleichfalls zu ber Meinung der Mehrheit über, 
fodaß, fo viel man weiß, C. Anker und Haffner allein 
dagegen blieben. 

Am 18. Febr. kam der Prinz nad Chriftiania zu: 
ruͤck, und wenig Rage nachher erfchien ein Theil der zu 
Eidsvold discutirten Acten, ber offene Brief und die Be: 
kanntmachung vom 18. befjelben Monats, worin erklaͤtt 
ward, daß bie Nation befchloffen habe, fi Schwedens 
König nicht zu unterwerfen, baß der Prinz vorläufig dem 
Zitel des Megenten mit all ber Machtvollkommenheit am: 
nähme, von der Friedrich VI. fich losgeſagt hatte, und daß 
die von der Nation gewählten Repräfentanten fih am 10. 
April in Eidsvold verfammeln follten, um eine neue Res 
gierungsform feflzufegen; „von dieſer“, beißt es in ber 
Belanntmahung an das norwegifhe Voll, „wird eb 
abhängen, ob ich ferner bie Stelung einnehmen fol, zu 
welcher der Wunfh ber Nation mid in diefer Stunde 
euft”. In einem Girculair an die Biſchoͤfe warb erklärt, 
„daß dem norwegifchen Wolf, dem fein urfprüngliches 
Recht, Telbft die Megierungsform zu beflimmen, zurüdges 
geben ſei, jest durch Einträchtigkeit feine Selbftändigkeit 
handhaben könne; und dann angeorbnet, daß das Bol, 
im Xempel des Herrn verfammelt, aufgefobert werben 


687 


fole, auf die Handhabung von Norwegens Selbſtaͤndig⸗ 
Belt einen Eid abzulegen; ber Segen des Himmels folle 
von den Predigern Über das norwegifche Volk herabgefleht 
und der Tag ſelbſt als ein Bettag angefehen werben. 
Dann follten auch Nepräfentanten gewählt werben, welche 
die Adrefien an ben Regenten zu überbringen und bie 
Gonftitution des Landes zu beftimmen hätten. Auf dem 
Lande ward in jeder Gemeinde die Wahl zweier Maͤn⸗ 
ner unter den angefeffenen Beamten und größern wie 
Heinen Landbefigern angeordnet; der eine der Gewählten 
foute ein Bauer fein. Alle diefe, auf ſolche Weiſe ge: 
wählten Märmer jebed Amts ernannten wieder drei Män: 
ner, um bdaffelbe in der Reichsverſammlung zu vertreten. 
In den Städten fand gleichfalls eine doppelte Wahl 
flatt, wo mehre Gemeinden waren, aber wo nur eine war, 
war bie Wahl direct; eine jede Stade fandte einen Re: 
präfentanten, bie vier Stifteftädte ausgenommen, beten 
jede zwei bis vier Deputirte. Die Wahlberechtigten in 
den Städten waren Beamte und Bürger. Da das 
Militair großentheild von feiner Heimat entfernt lag, 
wurden für die Beikommenden befondere Wahlen verans 
ſtaltet. Won ben verfchledenen Unterabtheilungen wählte 
eine jede zwei Wahlmänner (einen eingeborenen Offizier 
und einen zu den untern Glaffen gehörigen Landmann), 
welcher für jedes Regiment und flr jedes Corps zwei, 
für den Seretat vier Deputirte answählten — zur Hälfte 
Offiziere, die übrigen untergeordnete Militairs. 

Dies war das Wahlſyſtem, wodurch Chriſtian Friedrich 
am fchneliften und ficherften fi) mit den wahren Reprä: 
fentanten des Nationalwillens umgeben zu koͤnnen glaubte. 
Am 22. Gebr. ſchon ſchwor das Bürgermilitaie und bie 
Barnifon in Chriftiania auf dem Markt der Stadt den 
Eid, und am 25. Iegte der Prinz vereint mit ber Ges 
meinde in der Erxlöfersliche den Eid ab, Norwegens 
Seibftändigkeit zu handhaben und Blut und Leben für 
das geliebte Waterland einzufegen. Bon allen Seiten 
des Landes liefen Berichte über die MWaterlandsliebe und 
die Einftimmigfeit ein, womit man bem unglüdiichen 
Vaterlande Treue gelobte, beſonders fheinen bie Bewoh⸗ 
ner Bergens und Drontheims ſich duch ihren Eifer und 
Vertrauen ausgezeichnet zu haben. Letztere fchoffen Geld: 
mittel zufammen, bie fie zur Dispofition des Prinzen 
fteliten, und ihrem Beiſpiele folgten fpäter, nachdem der 
Prinz König geworben war, die von Chriſtiania, Dram⸗ 
men, den Oſter⸗Risoer⸗, Moß⸗, Skien⸗ und Porsgrund, 
Arendal, Frederikshald, Konger, Toͤnsberg, dem ager 
Kirchſpiel, das nordenfjeldfihe Infanterieregiment, ſammt 
mehren Städten, Diftrieten und Corporationenz die Das 
men in Drontheim und dem Oſter⸗Risoer opferten außer: 
dem Geſchmeide und Geld zu Norwegens Krone. Unter 
au diefem Enthuflasmus und biefen Hulbigungen hatte 
man ſich zum Werk der Gonftitution vorbereitet; Privat: 
männer hatten für eine gute Abhandlung über bie künftige 
Megierungsform des Landes eine Prämie von 6000 Thlr. aus: 
gefest ; und ein Journal ward gegründet zur Aufbewahrung 
von Beiträgen, die fuͤß Norwegens zukünftige öffentliche und 
private Sefeggebung von Wichtigkeit fein dürften. 


⁊ 


Alle hier im Lande waren indeß nicht einig; es fan⸗ 
den ſich auch Manche, die mit dem Gang, den die Sa⸗ 
chen nahmen, nicht zufrieden waren, dieſe waren naͤmlich 
keine abſoluten Widerſacher einer Vereinigung mit Schwe⸗ 
den, ſondern fanden den Kampf ſowol ſchonungslos als 
unnuͤtz, wenn man ohnedies die vortheilhaften Bedingun⸗ 
gen erreichen konnte. Koͤnig Karl hatte ſchon in ſeiner 
Proclamation vom 8 Febr., welche wie Alles, was ver⸗ 
handelt wurde, gewiſſenhaft vor die Augen des Volks 
gelegt ward, verſprochen, eine Conſtitution zu geben, ge⸗ 
gruͤndet auf Nationalrepraͤſentation und Steuerbewilli⸗ 
gungsrecht, „die ſchoͤnſten Rechte, welche einem edeln und 
tapfern Volke zukommen“, und es ſchien natuͤrlich, wenn 
die Repraͤſentanten der Nation, nachdem ſie alle Kraͤfte 
des Volks aufgeboten und eine kriegeriſche und ernſte 
Haltung angenommen, ſich in Unterhandlungen einließen, 
fie dann für die Zukunft dem Lande ſicherere Garantien 
zutsege bringen würden, als wenn fie unfere Intereſſen 
ganz vereinten mit denen des Prinzen Chriftian Friedrich, 
deſſen Verhaͤltniß zu Dänemark ihnen eine Wiederanknuͤ⸗ 
pfung der unfeligen Verbindung mit biefem Reiche wahr: 
fheinlih machte. Im Ganzen wurden body die Ideen 
biefer Ealtblätigern, aber zum Theil auch tiefer fchauen- 
ben Männer keineswegs von der Maſſe des Volks ges 
theilt, und fpäter in ber Reichsverſammlung ſtellten 
Sperdrup, Falfen, der Paftor Rein und viele ausge: 
zeichnete Dinner fich ihnen entgegen. Friede war wol 
ber allgemeine Wunſch und Drang Aller, aber ber Haß 
gegen die Schweden und das Mistrauen in ihre Verſpre⸗ 
dungen war doch noch viel flärker. Die perfönliche Lies 
benswuͤrdigkeit Chriſtian Friedrich's machte ihn zum Abgott 
des Volks, feine Aufrichtigkeit und völlige Dingebung für 
die Sache, welche er als feine allein anſah, die Liebe und 
das Vertrauen, daB er dem Wolke bewies, unb feine Ach: 
tung für defjen Rechte, dies Altes hatte ihm die Herzen ge: 
mwonnen und nötbigte Die, welche nicht glaubten, baß 
man an ihn bie Hoffnung auf Erlöfung des Vaterlands 
knuͤpfen bürfe, ſich zuruͤckzuhalten und die größte Vor⸗ 
fiht zu zeigen, um nicht als Verraͤther angefehen zu 
werden. Obgleich ihre Anzahl nicht ganz unbedeutend 
war und angefehbene und ausgezeichnete Männer, wie 
Graf Wedel: Sarlsberg, die Kammerherren Loͤvenskjold 
und Peder Anker, die Prediger Wergeland und Grogaard 
u. 3. fih unter ihnen befanden, verhielten fie ſich fogar 
in der Reichſsverſammlung zum Theil paffiv. _ Diefe 
ward, nach gehaltenem Gottesdienft am Il. April vom 
Prinzen eröffnet, ber in feiner Rede wieder ausfprach, 
daß es ihr Beruf fei, den Grund zu einer Verfaffung 
zu legen und fie Norwegen zw geben, und trug barauf 
an, daß fie felbft woͤchentlich ihren Präfidenten wähle 
und einen Comite zur Kortfegung des Conſtitutionsvor⸗ 
ſchlages ernenne.*) Ein Fürſt, der fo ohne Ruͤckhalt 


*) Der Vorſchlag gu unferm Grundgeſetz ging alfo ebenfo 
wenig, wie biefes felbft, von Prinz Chriſtian aus; uneigennügig 
und edel, erleichterte er die Arbeit durch Wegräumung ber aͤußern 
Hinderniffe, doch dem Volk ſelbſt überließ er die Ehre feiner 
Ausführung und vermieb jeben Schein, auf feine fouverainen Bes 


die Berechtfame ber Repräfentation anerfannte, konnte 
nicht in Conflict mit Männern gerathen, bie ihn ehrten 
und feine redlichen Abfichten kannten; deshalb waren fall 
alle einig, Mäßigung zu zeigen und ſich jedes vorläus 
figen Proclamicens ihrer Souverainetät zu enthalten. 
Selbſt Graf Wedel — welcher unter der Discuffion we: 
gen einer Dankadteſſe ed unwuͤrdig erklärte, zu zweifeln, 
daß die Souverainetät des Volks jegt bei der Verſamm⸗ 
ung ruhe — war fo gegen daB Amendement, daß bie 
Berfammlung, indem fie den Prinzen bat, bis auf Weiteres 
die Regierung fortzufegen und ihm dazu förmlid Macht 
und Mündigkeit mittheile, ihre Machtvollkommenheit 
decretiren möge. Später zeigte fich indeß weniger Einig⸗ 
keit in der Verſammlung, ale es barauf ankam, eigents 
Jich zu beſtimmen, wie firenge fie ſich an ihre Vollmach⸗ 
ten balten follte, die meiſtens nur darauf ausgingen, 
daß die Depusisten die Staatsverfoflung beflimmen fol: 
sen, oder ob fie auch in allen Beziehungen, wo fie felbft 
wolle, unmittelbar in bie Staateverwaltung «ingreifend 
auftreten und jegliche Mittel zum Wohl des Vaterlands 
anwenden könnten. Jetzt galt die Frage nicht mehr eine 
Form, fondern eine wichtige Realität. Es ward indeß 
dieſer Punkt durchaus nicht confequent erledigt, denn 
Die, welche das Vaterland und Chriftian Friedrich für 
unzertrennlih anfahen und fürchteten, baß eine dictato: 
zifche Reichs verſammlung bie Energie in den Veranftal- 
tungen des Prinzen hemmen werde, und vielleicht zugleich 
die Möglichkeit davon erwogen, daß die Majorität fich durch 
den Bang der Begebenheiten günftiger für die von den Schwe⸗ 
ben uerlangte Verbindung flimmen laffen möchte, behaupte: 
ten, daß die Vollmachten allein die Bafis für die Befugniß 
der Repräfentation bilden, aber fie handelten ſelbſt dagegen. 

So festen fie mehre auf die fupponirte bictatorifche 
Befugniß gegründete Maßregeln buch, indem fie eine 
neue Zettelemiffion becretitten und bie Zettel zu einem 
gewifien Curs garantirten, wohingegen fie ſich auf jene 
GSrundfäge beriefen, wenn es galt, die Vorſchlaͤge ber 
Segenpartei zu flürzen. Am waͤrmſten ward der Streit, 
als der Screnflriver Falfen eine vorläufige Beſtimmung 
daruͤber vorgefhlagen hatte, baß die Verfammiung, fobald 
die Gonftitusion fertig und der König gewählt fei, als 
aufgelöft angefehen werden folle. Die Oppofition wollte, 
daß die Reichsverſammlung, „die Seele des Meiche, bie: 
ſes Eopfende Herz des Reichs,“ nicht getrennt würde, fo 
lange das Schidfal deſſelben noch wankte; im Gegentheil 
ſolle fie ſich aufs genauefle von den aͤußern Verhaͤltniſſen 
unterrichten, und wenn etwas Wichtiges vorfallen ſollte, 


ſchluͤſſe einzuwirken. Wenn Koͤnig Chriſtian VIII. es, ſo weit 
bekannt, nicht noͤthig gefunden hat, der in Daͤnemark ſo oft 
wiederholten Behauptung, unſere Verfaſſung gegeben zu ha⸗ 
ben, zu widerſprechen, ſo iſt dies wol nur geſchehen, um 
nicht als ein Solcher misverſtanden zu werben, der bie ehren⸗ 
volle Rolle, welche er bier in jener Zeit ſpielte, verleugnete; 
und vielleicht dürfen wir es aud als einen Beweis anfehen, 
daß König Chriſtian VIII. die Handlungen, wodurch er Norwe⸗ 
gend Wiedergeburt duch eine bemokratifche Derfaffung beför: 
derte, unter feine liebfien und flolzeflen Grinnerungen zählt. 


dahin ſehen, ne quid detrimenti respublica caperet, 2: 
venskjold, Wergeland u. A. redeten mit [o überzeugender Kraft, 
daß die Wagſchale bei der Votirung gerade 55 gegen 55 
fland, ſodaß es allein durch die Decifion des Präfidenten 
war, bag Falſen's Vorfhlag angenommen ward. Die 
Dppofition befland Übrigens meiſtens aus ungefähr 30 
Mitgliebern, etwas mehr al& der vierte Theil der ganzen 
Repräfentantion. Gegen dieſe Eleine Maſſe Andersden: 
Sender entwidelte ſich allmälig eine ziemlich ſtarke Bit: 
tereit und Argwohn; man nannte fie Schwebdifchgefinnte 
und fürchtete, daß fie keine echten Vaterlandsfreunde feien, 
was befonders vom Graf Wedel⸗Jarlsberg galt. 
(Die Zortfegung folgt. ) 





Literarifche Notizen aus Frankreich. 


Zur Seſchichte der Philoſophie des Mittelalters. 

‚Die durfen die phflofoppifdden Beſtrebungen ber Framoſen 
nicht mehr ganz außer Acht laffen. Namentlich zeigt ſich unter 
den jüngern Gelehrten, bie von Goufin angeregt find, ein gros 
fer Eifer für das Studium ber Geſchichte ber Philofophie. 
Wir haben unter Andern einen intereffanten Beitrag zur Kennt: 
niß der Philofophie bes Mittelalters erhalten, auf den wir bier 
aufmerffam maden wollen. Es iſt bies eine Schrift unter dem 
Zitel: „Le rationalisne chretien à la fin du Ilidme siecle, 
ouvrage qui a obtenu à l’Academie francaise la premiere 
medaille du prix de traduction‘‘, von H. Borchitté. Diefes 
Heine Wert gibt zuvoͤderſt eine fehr gelungene überfegung ber 
zwei befannten Abba en von Anfelm von Canterbury 
(„Monologium‘ und „Proslogium‘‘), welche die Quinteſſenz des 
mittelalterlichen Rationalismus bilden, und dann noch ſehr ges 
diegene Einlcitungen und Anmerkungen, bie ein Mares Licht auf 
diefe Periode der Gefchichte der Philofoppie werfen. Beſonders 
gelungen if ber Abſchnitt, in bem bes Verf. das Stefultat ber 
Dhilofophie bes Anfelm von Canterbury in unferer modernen 
pbitofophifchen Sprache wiedergibt. Bouchitteé der Profeſſor 
der Philofophie am Eöniglichen Sollegium zu Verſailles ift, hat 
ſich bereits durch zwei intereffante Denkſchriften befannt gemacht, 
in denen er die Gefchichte der Beweiſe vom Dafein Gottes ent» 
wirft und bie in ben „Mémoires des savants ötrangers’' der 
Academis des sciences morales et politiques abgedrudt find. 


Branzöfifhe Überfegung bes Martial. 

Die frangöfifche Literatur bat einige gute profaifche Über 
fegungen von den griechiſchen und roͤmiſchen Dichtern, waͤh⸗ 
rend die meiſten verſtſicirten Bearbeitungen ganz ungenießbar 
find. In der Regel find naͤmlich biefeiben fo und 
berwäflert, baß man das Original faum zu erfennen im Stande 
if: Gegenwärtig fängt man nun an, auch bei den poetiſchen 

bertragungen fih etwas firenger an ben Text anzuſchließen 
und überhaupt mehr den Foderungen der Kritit nadhzutommın. 
In biefer Beziehung ift eine neue Bearbeitung von Martial 
vortheilbaft zu erwähnen. Sie führt den Zitel: „Epigrammes 
de Dlartial traduites en vers frangais par M. Dubos; pre- 
codees d’un essai sur Ja vie et les ouvrages de Martial 
par J. Janin’ (Paris 1842). BDubos, ber ein ehemaliger 
Profeffor de College Louis le Grand ift, bat fh mit dem 
Geifte feines Autors fehr vertraut gemadt und fallt nur az 
wenigen Gtellen in nichisfagende Umfchreibungen. Leiber Hat 
er fi, „um des Anftandes willen‘, abhalten laflen, alle Epis 
gramme zu übertragen, indem er den Martial von allem ins 
züchtigen zu fäubern verfucht hat. Wir lieben diefe „caſtrirten 
Ausgaben”, wie fie ein geiftreicher Philolog nennt, eben nicht 
ſehr. 3. Sanin entwirft uns in feiner Ginleitung ein ſehr be⸗ 
benbiges Bild vom xömifchen Leben unter Domitian. 2. 


Berantwortlicher Heraudgeber: Heinrich Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brochaus in Leipzig. 





Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Donnerstag, 








Hiftorifche Überfiht des Zuſtandekommens der 
normwegifchen Sonftitution. 
Don Minh: Niäder. 

(Bortfefung aus Nr. 172.) 

Das Conſtitutionswerk ſelbſt hatte unterdeß nicht ge: 
ruht. Schon am 12. April wurden Mitglieder des 
Gonftitutionscomite gewählt, nämlich Oberſt Hegermann, 
Soͤrenſtriver Zalfen, Profeffor Sverdrup, Jakob Aall, 
Daftor Rein, Sapitain Mosfeldt, Etatsrath Rogert, Graf 
Wedel: Farlsberg, Juſtizrath Diriks, Paflor Wergeland, 
Oberſtlieutenant Stabell, Zollprocurator Omſen, Propft 
Schmidt, Kammerherr und Oberſt Peterſen und Propſt 
Middelfart; ſie waͤhlten Falſen wieder zum Praͤſidenten. 
Am 16. April ward ſchon auf Vorſchlag des Comité ein 
Theil allgemeiner Grundfäge Über die Theilung der Macht, 
über Religion, Preb: und Gewerbefreihelt angenommen ; 
ruͤckſichtlich des erſtern Punktes warb erklärt, daß der 
Regent des Landes ben Titel eines Königs führen und 
feine. Würde erblich fein ſollte; ruͤckſichtlich des letztern 
warb feine Bevorzugung geftattet. Gegen den Könige: 
titel ward Verfchiedenes geäußert, und 31 Mitglieder 
wollten nit, daß hierüber eine Beſtimmung feſtgeſetzt 
werden follte, weil fie bezmeifelten, daß die Nation 
Vermögen befäße, eine fo glänzende Würde zu unterhal: 
ten. Daß das Volk durch feine Repräfentanten bie 
Sefeggebung und das Steuerbewilligungsrecht ausuͤben 
folle, ward einflimmig angenommen. Am 4. Mai trat 
der Gomitd mir feinem Vorſchlag zu dem eigentlichen 
Grundgeſetz hervor, wozu er theil® direct fremde Con⸗ 
flitutionen benutzt hatte (in den Details fehr die ſchwe⸗ 
Difhe, wie wenig man auch von ihrer eigentlichen 
Grundlage annahm), theils die von Dielen eingefomme- 
nen Berfuche und Vorſchlaͤge. Ein folcdher war von 
Sörenftriver Weidemann, ein anderer vom Propft Werge: 
land, einer (anonym) von dem Schweden Gyllenborg 
u. f-w.; der Entwurf, weicher am meiften benutzt wurde, 
war von dem Soͤrenſkriver Salfen und Lector (jest däni: 
fcher Geheimer Staatsrath) Adler und in dem früher er 
mwähnten Journal abgedeudt. Aus dem Wergeland’fchen 
Entwurf ward der Name Stosthing aufgenommen, obs 
gleich man gefürchter haben fol, daß er beim Nennen 
deflelben mie entgegengefegt von Smaatbing (Kleinigkeit 
klingen und fo ins Lächerliche fallen möchte. Die Arbeit 


22. Zuni 1843. 





in ber Reichsverſammlung gleich 
zur Verhandlung gezogen, und unter Diriks, fpäter 
Falfen’s Praͤſidium in folder Eile discutitt, daß man 
am 11. fertig warb und das Werk einem Comité ven 
drei Mitgliedern überliefert wurde, um es „in Stil 


bes Comitd ward 


und Ordnung” zu beingen. Zur Beförderung ber Eile 
teug nicht wenig bei, daß ber Entwurf fi fo viel 
wie möglich auf allgemeine Säge befchräntt, ohne in die 
Details und die genauere Anwendung, bie immer fo 
leicht Streit zwiſchen den Sintereffen weckt, einzugeben; 
war gleichwol hier und da eine Frage, die mit ernfl> 
licher Uneinigkeit drohte, fo fegte man fie aus und über 
ließ ihre Erledigung dem naͤchſten Sterthing, welche Ver⸗ 
fahrungsweife um fo mehr mit den Wuͤnſchen des Hofes 
und dee Majorität übereinflimmte, als fie allein bie 
ſchnelle Auflöfung der Verſammlung hoffen ließ, ehe 
ſchlimme Nachrichten die Bemrüther beunruhigen und mögs 
licherweife der damaligen Minoritaͤt die Macht in bie 
Hände fpielen konnten. Auf biefe Weiſe umging man bie 
Frage wegen des Adels und der Wehrpfliht. Man über: 
Heß der Zukunft gleichfalls, über die verfchlebenen Functionen 
bes Odelsthing und Lagthing einig zu werben, nachdem 
es durch Mehrheit von zwei Stimmen abgemadht war, 
daß der Storthing in diefe beiden Kammern getheilt wer: 
ben follte. Gegen den Antrag des Comite, ber im We⸗ 
fentlichen angenommen wurde und daher im Ganzen 
ebenfo demofratifh ale unſer jetziges Grundgeſetz war, 
opponirte man, nicht ſo ſehr aus dem Grunde, daß er in 
dieſer Richtung zu weit gehe, als aus dem entgegenge⸗ 
ſetzten. So wollten Einige, daß kein Beamter ohne Ur⸗ 
theil abgeſetzt werden koͤnnte, durchaus voͤllige Gewerb⸗ 
freiheit decretirt, keine Orden ausgetheilt und daß der 
König nicht Krieg erklaͤren koͤnnen ſollte, wenn der Staats: 
rath einftimmig dagegen ſei; alles dies wurde indeß mit 
großer Stimmenmehrheit verworfen. Auch gegen das 
Odelsgericht ward vergebens geredet; bie Beſtimmun⸗ 
gen wegen bes Wahlrechts und ber Zutritt zu Beamtens 
fielen wurden indeß nad vielen Discufflonen verändert. 
Ein paar Beflimmungen waren politifher Natur und 
gaben Anlaß zu Erneuerungen des Principſtreits zwifchen 
dee Majorität und ben fogenannten Schwedifchgefinnten. 
Der Comité hatte nämlich vorgefchlagen, daß der Koͤ⸗ 
nig nicht allein Lutheraner fein, fondern es aud immer 


ER - 


gewefen fein ſollte; obgleich dieſe, gewiß ſehr un: 
paffende Beſtimmung darauf ausging, die Freiheit ber 
Koͤnigswahl zu beſchraͤnken, und außerdem perſoͤnlich auf 
ben ſchwediſchen Kronpringen angelegt, ſchien, ging fie doch 
en 32 Stimmen durch. Die Oppofition ſank fogar 
nr 11 herab, als fie verlängte, daß es dem König 
bucchaus verboten fein folle, irgend eine- andere Krone an- 
zunehmen, welcher Vorfchlag natürlich die Abſicht hatte, 
den Prinzen Chriftian Friedrich in die Nothwendigkeit zu 
fegen,, gleich und ſchließlich zwiſchen Norwegen und Däne: 
mare zu wählen; die Majorität hingegen fand «6 hin⸗ 
eeihend, die Annahme einer fremden Krone an bie Ge: 
‚aehmigung des Storthing zu binden. Das gegen Däs 
nemark herrfchende Wohlwollen zeigte fich bei diefer wie 
‚bei mehren Selegenheiten unter den Mitgliedern der ſtaͤrk⸗ 
fen Partei; einige wolten fogar, daß Dänen als Be: 
amte angeftelt werben ‚könnten, wenigflens fo lange wir 
‚nicht binlänglih mit Kandidaten verfehen feien. 
Dder Redactionscomitd war fertig und verlas feine 
Arbeit am 16. Mai, der man ohne weiteres beitrat, 
‚ohne ſonderlich Gewicht auf die Freiheit zu legen, wo: 
mit: der Gomite fein Geſchaͤft behandelt hatte; bei die⸗ 
fee Belegenheit verfchwand auch die Beflimmung ber Re: 
‚Uglonsfreiheit aus dem Grundgeſetz.) Der 17. Mai 
sone baflır feſtgeſetzt, daß die Repräfentanten bie Conſti⸗ 
tution und. die Wahl bes Könige unterjchreiben ſollten. 
Doch ward man allein mit legterm fertig, und dies vom 
17, Mai datirte Eremplar, das dem König überreicht 
.wurbe, war nur im Namen der Verſammlung von ih: 
ren Beamten unterfchrieben, die voliftändige Unterſchrift 
fand erſt Tags darauf flat. Der 17. Mai iſt, wie bes 
‚Aannt, immer als das Datum dieſes Grundgefeges ange: 
..feben worden; und als foldhes wird der Zag auch im 
. Zitel des jetzt geltenden Grundgeſetzes betrachtet. 
Die Wahl Chriftion Friebrih’6 zum König war 
. einftimmig; doch waren Berfchiebene, weiche es ferner 
noch als übereilt anfahen, einen König zu wählen, 
und deshalb diefen Act ausgeſetzt wuͤnſchten; es tar 
nur, weil die Majorieät beſtimmt eine Wahl verlangte, 
daß diefe „natuͤrlich den Prinzen wählte”. Die Oppo: 
‚ fitlon war ungefaͤhr 16 Mann. Nah der Abſtim⸗ 
mung rief dee Präfidene Sverdrup aus: „Der alte 
Koͤnigsoſtuhl Norwegens ift wieder errichtet, auf dem 
Adelſtens und Svperas das alte Rorwegen mit Weisheit 
und Kraft regierten. Gott fehüge das alte Norwegen!’ 
. Der legte Wunſch warb feieilid von ber tief gerührten 
Befammlung wieberholt. Eine Adrefle, in welcher bie 
: Königewürbe und bie Conflitution dem Prinzen angebo⸗ 
ten ward, wurde ihm durch eine Deputation zugefandt 
und bie wartende Verſammlung erhielt gleich die Ant: 
wort, daß er etwas Zeit zur Überlegung verlange, doch 
. an Chriſti Himmelfahrt, am 19. Mat, feine Erklaͤ⸗ 


*) Lesteres foll indeß nur ein Abſchreibefehler in. 
an, Girl Ca Se Banner vn Bi 
‚a | war, eilig ins eine 
ſchreiben und überfah diefe Zeile. 


eung abgeben und die Verſammlung fchliefen teil. 
Dadurch war angedeutet, daß kein Abfchlag zu befuͤrch 
ten jet. 


An dem beflimmten Tage fand Ge. koͤnigl. Hoheit 
fi, vom Gtaatsenth And feiner übrigen Suite begleitet, 
in der Reichsverſammlung ein. Seine Rebe begam fe: 

Korweger, ber hohe ruf, zu dem das Verträuen Eurer 
Mitbürger Euch erwählte, ift erfuͤlt. Die Baſis der norwegi⸗ 
fen Gonftitution if gelegt. Die Nation hat durch Euch ihre 
ausgewählten Männer, ihre Gerechtfame gehandhabt, fie für bie 
Zukunft befeftigt und durch eine weife Vertheilung der Macht 


bie BWürgerfreipeit und Ordnung im Staat gefichert, welde zu 


erhalten die ausübende Macht pflichtig und vermögend ifl. Die 


für andere Etaaten —* erkaufte Erfahrung hat die Repraͤ⸗ 
fentanten des norwegiſchen Volks gelehrt, die Regierungsform 
in gleihem Grabe vor dem Gepräge des Despotismus als vor 
dem Misbrauch einer Volksregierung zu fhüsen. Das alte Kb: 
nigreich verlangt einen Koͤnig, ber aber ebenfo wenig in Form 
als That Deöpot fer Mein, der erſte Freund und Bater 
feines Volks muß er fein. 

Mitten in der Rebe ſchwur er ben Eid, uͤbereinſtim⸗ 
mend mit der Conſtitution und den Gefegen regieren zu 
wollen, nachdem er erklaͤrt hatte, daß er die Krone Nor 
wegens als die Babe eines treuen und auftichtigen Volks 
annähme. Er erinnerte an feinen großen KWorgänger 
Chriftian IV., wünfcte, daß fein Geift ihm begleiten 
möchte, und gelobte, daß fein Beiſpiel dem Herzen fei- 
nes Sohnes früh eingeprägt werden folle.*) Darauf 
foderte er bie Verſammlung auf, die Conſtitution glei 
falls zu beſchwoͤren, und erſt nachdem dies gefcyeben, 
ſchloß er feine fhöne herrliche Rede. Zum letzten Male 
verfammelte man fih am. 20. Mai, um das Protokoll 
zu unterfhreiben und voneinander Abſchied zu nehmen. 
Nach Auffoverung des Gommandeur Fabricius ſchloſſen 
dieſe Maͤnner eine Freundſchaftskette, indem ein Jeder 
dem Mann zur Linken die rechte und dem zur Rechten 
die linke Hand reichte, und in dieſer Stellung riefen ſie: 


„Einig und treu, bis in ben Tod!“ worauf fie ſich mit 


Wehmuth, Viele mit Thränen, trennten. 

So endete diefe benkwürbige Verſammlung, bie in 
ber Stunde der Gefahr den Brund zu einem Wer 
legte, das fpäter unfer Gluͤck und Stolz geweſen if; 
fie war, wie alle nah abfoluter Monarchie folgenden 
conftituicenden Verſammlungen, demokratiſch gefinnt und 
im hoͤchſten Grade liberal, doch verband ſie mit dieſer 
Geſinnung mehr Maͤßigung als irgend eine aller jener, 
beshalb arbeitete fie auch Etwas aus, das die Probe 
befland, während die Merle bee andern bald im Strom 
der Zeit verfanten. Dieſer Beine Haufe, vom Ge 
tümmel ibee Stäbte entfernt, in einem Lande, das 
durch die Natur wie durch feindliche Sperrung abgefen- 
dert, war im eigentlichen Verſtande darauf hingewieſen, 


Muth, Troſt und Kraft zum MWiederaufieben des Water: 


*) Dabei beutete er auf bie Portraits hin, bie Im Saale 
aufgehängt waren. Der neue Feine Kronprinz war in Schens- 
größe, in einem Garten mit einem Feberbali ſpielend, beuge: 
re Dies Gemälde war Tags zuvor aus dem Auslande ans 

ommen. 


er m em 


691 


lands allein in feiner eigenen Vaterlandsliebe, Beſon⸗ 
nenheit, Klugheit und Einigkeit zu ſuchen. Dieſe letztere 
mar freilich welt entfernt, volfländig zu fein, dod für 


die Hauptſache, das Wohl des Vaterlands und bie Wie: 


deraufsichtung der Bürgerfrelheit, glähten Alle mit gleichem 
Eifer. *) Prinz Chriftian theilte faſt die ganze Zeit ſei⸗ 
ned Aufenthalts in Eidsvold mit der Reichsverſammlung, 


‘ohne’ indeß eine Einwirtung auf ihre Verhandlungen zu 


verfuchen, deren völlige Freiheit er achtete;. doch kann 


man wol ammehmen, daß die Majorität ſich durch bie 


perfönliche Naͤhe ftärker Fühlee und zum Theil in neuem 
Vertrauen durch die Ermunterungen, welche von ber 
naͤchſten Umgebung des Prinzen .ausgingen, belebt wurde, 
wis fie feinerfeits auch ihn in feinen Borfägen flärkte. 


Der Prinz ließ fi nie in Parteikampf ein, fon: 


dern trat nur verföhnend auf, indem er die Bitterkeit 
zu mindern und bie Gemüther zu vereinen ſtrebte. Er 
fol fogar gefucht haben, ben angefehenften Kämpfer der 
überwundenen Oppoſition, den Grafen Wedel, zu vermoͤ⸗ 
gen, einen Play im Staatsrat anzunehmen; doch biefer, 
der fich fehr zuruͤckhielt, ſeit er ſah, daß die Sachen und 
der Ton eine andere Richtung nahmen al& er es wuͤnſchte, 
wollte fi auf fo etwas in dem neuen Koͤnigthum nicht 
einlaffen. 

Am 19. Mat fertigte König Chriftian Friedrich **) 
eine Bekanntmachung an das norwegifhe Doll aus. 
Man vergleiche diefen ſchoͤnen Act, fo reich an Liebe und 
Dank gegen das Voll, mit König Cheiftian’s VIEL. Pas 
tent bei feiner Thronbeſteigung in Dänemark, es iſt in: 
tereffant, den Unterfchied zwifchen des gewählten Könige 
Anfprahe zu einem freien Volt und der Sprache zu 
fehen, welche ein abfoluter Monarch gegen angeerbte Un: 
terthanen führt: 

Geliebtes norwegifches Boll! — fo begann die Bekannt: 
madung — empfange den erften und innigften Gruß beines 
Königs! Wir haben in der Reichsverſammlung mit Freude eines 
freien und unabhängigen Volks erſte Gerechtfame, feine Regie: 
zungeverfaffung zu beflimmen, ausüben fehen, fo weit Menſchen 
beurtheiten Binnen, mit ber Überiegung, dem Vaterlandsfinn, 
welcher jest, mittel® ber Gonftitution, bie Bürgerfreiheit und 
des Staats Ehre und Wohl fichert. 

So begann das denkwuͤrdige Actenſtück. 

Am 22. Mai hielt der Koͤnig ſeinen Einzug in 
Chriſtiania, das ihn mit einem nationalen und kirchli⸗ 
en Feſt empfing; dies war gerade der Jahrestag feiner 
erften Ankunft in Chriſtiania. An bemfelben Tage ers 
nannte er nicht weniger als 33 Dofleute. Die Kammer: 





*) Eibsvold iſt jest durch eine Nationalfubfeription bas 
Cigenthum bes Wolle geworben; bdiefer Ort wirb kaum von 
irgend einem Rormweger ohne ein Gefühl von Pietät und Ehr⸗ 
furcht vor ben Heiligen Erinnerungen betreten. 

**) Dies war bei uns fein Name; er war nicht in Folge 
des Rechts feiner Borväter König, feine Legitimität war ander 
zer Art als bie ihre, weshalb er ſich auch an ihre Reihe mit 
Zeiner Zahl anſchloß. An Ghriftian Friedrich denkt das Bolt 
noch mit Ehrfurcht; für Ebriſtlan VIII. hingegen bat es 
keine, Gompatpien, da dieſer Rame und dieſer Zürft ihm 


herren Eonnten aber nicht mit Schlüffeln verfehen werben, 
unter ihnen finder man die Namen Trampe, Scheubo 
Hegermann, Vargaos Bedemar, v. Dolten, Brock. Der 
Staatsrat Darthaufen. ward Oberhofmarſchall. Man 
fieht, der junge König vergaß nicht, was zu einem 
rechten und echten Königthum gehoͤrt. Ein Hof ge 
hörte dazu, man kannte damals keinen Buͤrgerthron, 
un das Volk fand ſich deshalb ohne weiteres in diefen 
aat. 

Wie geliebt war dieſer Fuͤrſt als Prinz, wie vergoͤt⸗ 
tert als König! Noch kann man den Abglanz eines reis 
nen unvermifchten Enthufiasmus geniehen, wenn man 
mit Männern bes Jahres 1814 ſpricht. Es war eine 
große hertliche Zeit. Nichts iſt fchöner ala eine Wendt: 
terung, die von Einem mächtigen Gedanken, dem frei zu 
leben oder mit Ehre zu ſterben, beſtelt iſt; und fo war 
dies ſtil und bedachtſame, in einfamen Bergthaͤlern auf: 
gewachſene Volk. Die große Maſſe der Nation zeigte 
ſich rein verwandelt. Das Dichten und Trachten eines 
Jeden ſchien darauf auszugehen, wie man ſeinem Vater⸗ 
lande am beiten dienen könnte; Alles war wie in dieſen 


einen großen Gedanken, das Wohl des Vaterlandes, auf: 


geloͤſt; im diefem Volt, das buch Hunger und mehre Jahre 
Krieg decimirt war, war jeder Anochen voll Mark, jede 
Muskel voll Kraft, wo es galt das alte Norwegen in 
feiner Außerfien Noth zu retten. In Augenbliden folder 
Gefahr weht der Genius des Volles mit gewaltigem Fluͤ⸗ 
gelſchlag und bidft dies Heilige Feuer an, deſſen Glut 
unter ber Kleinlichkeit des Alltagslebens fo oft gedämpft 
fheint und wovon doch ein einzelner Funke hinreichend 
ift, da6 Vertrauen eines ganzen Lebens zu befefligen und 
den Glauben an bie Vorfehung zu flärken. 

Lange Zeit hindurch kamen faſt täglich hundertweis 
neue Nationallämpfer nah Chriftiania und wurden von 
bort an bie Grenze gefandt; fie trugen die einfache new 
angenommene norwegifhe Uniform, grau mit grünen 
Auffchlägen, mit dem Stolz freier Männer, und fein 
Kummer war In ihren Zuͤgen zu erblidenz nur der Sieg 
prägte fi in ihrem Antlis aus. Sie träumten von 
Triumph. Diefe kühnen und friſchen Sünglinge von 
den Bergen machten viel Auffehen in unfen Gaflen, 
aber man fah fie nicht lange, denn fie eilten mit großem 
Eifer hinaus, nur fuͤrchtend, daß die Schweden ihres 
Weges gegangen fein möchten, ehe fie kaͤmen; fie woll⸗ 
ten ihren Vätern nice nachliehen, die Dutch gezeigt 
und zu Aufopferungen bereit geweien waren, two es galt, 
viel zweifelhaftere Guͤter als bie, welche 1814 auf dem 
Spiel flanden, zu vertheibigen. Mit einem ſolchen Bolk 
und einer folchen Armee hätten Wunderwerke ausgerich: 
tet werben koͤnnen, wenn fie von einem talentvollen Feld⸗ 
herrn angeführt wären, ber auf fie allein baute und fußte. 
Aber Ehriftian Friedrich hatte es mit fo mandyen ber 
beften und ausgezeichneten Zürften gemein, baß er im 
Srieden größer war als im Kriege. Died war, obgleich 
unter gewöhnlichen Verhaͤltniſſen das Beſte, hier nicht der 
Tal; denn die Umflände waren außerordentlich. Er 
hatte großes Talent, hatte felbft die Proclamatlonen ge⸗ 


ſchrieben, bei denen die Herzen des Volks fchwellen, gab 
ihnen ſelbſt diefe fchönen Wendungen voll Energie, die fo 
großen Anklang fanden, wohin fie nur kamen; body Heer: 
führer war er.nicht. Er befiegte die Herzen feines Volks 
und brachte es dahin, daß Hohe und Miedere ihm mit 
einer Ehrfurcht huldigten, die mit der conflitutionnellen 
Gravitaͤt unvereinbar gewefen, wenn es nicht fo ar am 
Tage gelegen hätte, daß fie aufrichtig und mit ber ins 
nigften Herzlichkeit gepaart war. Der Enthufiasmus, 
der für Chriſtian Friedrich berichte, war ganz beifpiellos 
und in unfern abgekuͤhlten Zeiten unglaublich; Alles trug 
dazu bei, das Volk für ihn zu exaltiren. Ex war frei 
von jenem ariſtokratiſchen Hochmuth, dee bie Erdengoͤtter 
aus untergeorbnetern Claſſen fo oft auszeichnet. Seine 
Reifen von Ladegaard, wo er fi meiſtens aufhielt, 
machte er in einer einfachen Cariole mit einem Burfchen 
hinten baraufz nicht felten fah man ihn in den Straßen 
Chriſtianias fpazieren, von Bauern umgeben, bie ihm folg: 
ten und ſich fogar an feinen Rockſchoͤßen fefthielten, waͤh⸗ 
zend fie ihm ihre Liebe bezeigten und ihre Noth klag⸗ 
ten; er gab ihnen dann, im Mangel von Anderm, we: 
nigſtens ein freundliches Wort, das fie mehr als viel 


Geld tröftete. 
(Die Bortfetung folgt.) 





Plan eines gegenfeitigen Bücheraustaufches zwifchen 
verfhiedenen Staaten. 


Die unerfchätteriiche Ausdauer, mit welcher Alerandre Vat⸗ 
temare feit Iabren die Ausführung feines Planes zu einem ges 
genfeitigen Austauſche von Buͤchern verfolgt, zeigt recht deut⸗ 
li, weiche Gewalt eine Idee, für die wir begeiftert find, über 
ans belommen kann. Dr. Battemare bat zuerfi den Plan ent⸗ 
worfen, ziwifchen verfchlebenen Staaten eine gegenfeitige Mit⸗ 
theilung ber verfchlebenen Gegenftände, die in ihren Bibliothes 
ten, ihren Archiven ober Mufeen in größerer Angabl vorhanden 
find, zu organifiren. Bis jept hat dieſes Project, ungeachtet 
der unbeftreitbaren Rüglichkeit, tie es bietet, noch Feine officielle 
Sanction erhalten, und es hat daher, obgleidy es ſich Watte: 
mare zur Aufgabe feines Lebens gemacht hat, noch immer nicht 
ins Wert gelegt werben können. Vergeblich hat er es im 3. 1836 
und im I. I ben franzöfifchen Kammern vorgelegt. Er vers 
langte zwei Dinge, 3 baß bie Kammern eine Anzahl ber 
auf ihre Rechnung gebrudten Documente zu feiner Dispofition 
flellen, und zweitens, daß fie eine Commiſſion ernennen foll: 
ten, um ben Entwurf zu einem regelmäßigen Austauſch zwi⸗ 
fchen den verfchiedenen Nationen, den er auf einem großen Fuße 
organifiren wollte, zu prüfen. Der legte Plan, ben cr ber Der 
putictentammer vorlegte, erſtreckte fih nicht nur auf Gegenſtaͤnde 
der Wiſſenſchaften und Künfte, fondern er wollte, bad auch ges 
wiffe Producte des Bodens und der Induſtrie in diefem gegens 
feitigen Austauſche begriffen fein follten. Beibe Entwürfe wur: 
den zwar auf eine für ihren Verf. fehr ſchmeichelhafte Art‘ von 
den Kammern entgegengenommen, finb aber bis jest völlig un: 
beachtet geblieben. Indeſſen ift das libereinfommen, das 1 
awifchen ber franzöfifchen Deputirtenlammer und dem englifchen 
Parlamente gefchloffen warb und in Folge deffen man fidy die 
wichtiäften gedruckten Staatspapiere gegenfeitig mittheilte, zum 
heil auf Rechnung des Eifers, den Battemare zur Verwirk⸗ 
lichung feines Planes entfaltet hat, zu fegen. Diefer Austaufch 
der gebructen Documente zwifchen den verichiebenen National: 
verfammiungen bat feitbem von Jahr zu Jahr eine größere 


Kusbehnung erhalten, fobaß ex, fo viel wir willen, gegenwärtig 
jagen den tin lungen Englands, Fcantreiä, 
Igiens, Badens, Würtembergs und Portugals in Wirkſamkeit 
it. Indeſſen bat es Wattemare dabei nidyt bewenden Laffen. 
Er hat vor keinem Opfer, diefem erften Schritte eine größe 
Ausdehnung zu geben, zurhdgebebt. Zu diefem Zwede iſt er 
eigens in allen Ländern umbergereift. all und ſelbſt im den 
Staaten, wo, wie in der Würfel, die wiſſenſchaftlichen Beſtre⸗ 
bungen nur eine kuͤmmerliche Unterflägung finden, bat er Ben 
bindungen angelnäpft, die für feine Sache von Intereffe 
Die —*— die ihm von allen Seiten gezeigt ward, gab 
ihm Muth, en Plan unaufhoͤrtich zu verfolgen. So begab 
er fich, als ein Deputirter auf der Tribune fagte, daß es wüns 
fhenswerth fei, wenn ein aͤhnlicher Austaufch ber Gtaatsdonus 
mente, wie er zwifchen ben meiften übrigen conftitutionnelien 
Staaten bereits ftattfinde, auch mit ben Mereinigten Staaten 
eingeleitet wuͤrde, fofort nach Amerita. Hier warb Vattemare 
mit einem wahren Enthuſiamus empfangen. Wir haben Ge 
legenheit gehabt, das Album zu fehen, da® er von feiner Reife 
mitgebracht hat. Man glaubt feinen Augen nicht trauen zu 
tönnen, wenn man bie zahlloſen Beweiſe von ber i 
fieht, die ſein Vorſchlag bei den Norbamerikanern, bie wir und 
als von materiellen Intereſſen ganz abſorbirt vorzuſtellen pfle⸗ 
n, erregte. Die Nüslichleit feines Plans wird in langen 
ournalartitein und in Lobgedichten gefeiert. Bon Nordamerika 
begab Wattemare ſich noch nach Havanna, wo bie Patriotifdhe 
Geſellſchaft bereit war, mit ihm in Verdindung zu treten. 

Der große Snthufiasmus, welchen biefes Project eines 
gegenfeitigen Bücheraustaufcheö zwifchen den verſchiedenen Staa⸗ 
ten im ganzen Auslande gefunden hat, feheint auch auf Frank⸗ 
reich wieber zuruͤckzuwirken. Nach vielen vergeblichen ten 
bat fih Hr. Vattemare jegt endlich eine beträchtliche A 
der gewuͤnſchten Staataborumente verſchaffen koͤnnen, und er 
fit fig gegenwärtig, wie es heißt, an, biefelben perſonlich 
an ihre Befimmung zu bringen. Indeſſen kann man fidy nit 
verhehlen, daß diefe vereinzelten Verſuche one große Wirffams 
feit bleiben, fo lange fie nicht auf einer regelmäßigen Baſis bes 
gründet werben. Wir hören, daß Hr. Battemare gefonnen if, 
fih zum dritten Male an die Kammern ju werben, um biefels 
ben dringend aufzufodern, in biefer wichtigen Angelegenheit bie 
Initiative von Frankreich ausgehen zu Laffen. 6. 





Notiz. 
Srangöfifhe Urtheile über den Zuſtand von 


gypten. 

Es pflegt ſehr haͤufig zu geſchehen, daß die oͤffentliche 
Meinung, nachdem fie irgend etwas als unbedingte Watrheit 
angenommen bat, mit einem Male zum Gegentheile überfpringt. 
In Frankreich namentiidh ruft ſtets übertriebenes Lob einen 
übertriebenen Zabel hervor. &o können wir die neuefle Schrift 
über Ägypten, „Keypie sous Mehemet Ali’, von P. R. Hamont 
(2 Bde., Paris 1843), in welder Mobammeb Ali nicht mit 
ben günftigften Farben gezeichnet tft, als eine unfehlbare Folge 
ber gar zu emphatiſchen Xpologie, die der befannte Glot> Men 
vor einiger Zeit herausgegeben bat, betrachten. Hamont, 

tzenswerthe Aufläge gebracht hat, Eennt ÄAgypten aus eigemer 
mehrjähriger Anfchauung. Gr begnügt fi, dem bombaftifchen 


.Bobe ber Verehrer Mohammed Ali's beitimmte Facten gegenüber 


zu Frankreich wird aus biefem Werke, das gewiß man 
hen Widerſpruch finden wird, dieſen vielgepriefenen Schuͤtzling 
von einer ganz meuen Seite Tennen lernen. Indeſſen bemerfen 
wir fchon feit geraumer” Zeit, daß die franzöfiichen Wiätter nicht 
mehr vom Paſcha, „ber das Licht der Givilifation in Agupten 
angezündet hat”, To viel Weſen machen ald vor zwei Jahren. 
Sollte man ſich vielleicht ſchaͤmen, ihn fo .fchmählich in ber 
Klemme figen gelaffen zu haben? 2. 


Verantwortlicher Herausgeber: Heintih Broddaus. — Drud und Verlag von F. 4. Brochaus in Leipzig. 


Blätter 


für 


literariibe Unt 


erhaltung. 





Freitag, 





Von Münch-⸗NRaäder. 
(Sortfetung aus Nr. 173.) 

Unfer jegiger König iſt auch geliebt, und keiner bes 
oldenburgifhen Stammes hat vielleicht verdient, es in dem 
Stade zu fein. Wir erkennen feinen ebein Charakter und 
feine ausgezeichneten Eigenfchaften. Aber Chriftian Friedrich 
fand uns näher; ihm fehlte die impoſante Vergangenheit 
Karl Johann's und ward uns dadurch mehr glei; er 
hatte nichts Fremdartiges, er war unter und ber befle, 
feine Sorgen waren unfere, fein Herz flug dem unfern 
in ben gemeinfamen Bedrängniffen entgegen. Diefe Uns 
gluͤcksfaͤlle, die das Schickſal uns fandte und bie er mit 
uns theifte, knuͤpften das Band zwifchen Zürft und Bolt 
fe. Im Kriege war dies nicht genug, ein Anführer 
war erfoberlich, Ordnung und Kraft in der Verwaltung, 
Mittel. Altes fehlte. Die Armee lag auf ber Grenze 
und verzehrte ihren Peinen Vorrath, während fie wartete, 
bis die Schweden ſtark genug waren, fie anzugreifen. 
Den Seftungen fehlte es an Ammunition, den Magazi⸗ 
nen Provlant, den Lazarethen Arzte, kurz, fie waren faft 
von Allem entblößt. Das Tramsportweien war miferabef, 
und das Korn, was man hatte, war zum Theil unges 
mahlem, da bie Mühlen fehlten. Dies Alles mußte eine 
niederfchlagende Wirkung üben; ber Eifer kuͤhlte ſich auch 
wirtii in den Gegenden, bie den mannichfaltigen und 
immer neuen Leiden, welche der Kriegszuſtand mit ſich 
führt, am meiften ausgefegt waren, bald ab. Dazu kam 
die Mäßigung ber Schweden unb der alliirten Mächte, 
ihre Verſprechungen, bie nicht verfehlen Eonnten, einigen 
Eindruck zu machen, da fie ein ſtarkes Bepräge von Wahr: 
heit trugen. Schon feit mehren Jahren hatten die Schwe⸗ 
ben gefucht bie Norweger zu bewegen, Dänemark zu ver: 
laſſen und fi mit ihnen zu verbinden. Emiſſaire, fo: 
wol wirkliche als unechte *) durchſtrichen das Land mit 
Proclamationen und um 1814 nahm das Weſen natür: 
lich zu. Es ſcheint indeß nicht etwas bewirkt zu haben; 
doch dad Betragen der fchwedifhen Armee, als fie in 





*) In einem feiner Briefe an Graf Ablerfparre klagte Ko⸗ 
nig Karl XIII. ſchon 1810, daß ein öffentlich verurtheilter Dieb 
in Norwegen ſich für cinen feiner Emiſſaire ausgegeben. 


unfere Grenzen eingeruͤckt war, hatte groͤßern Einfluß auf 
bie Stimmung. Ban übersengte fi, daß bie Schweden 
nicht fo ſchlimm fein, als ber Daß bed Volks fie ges 
ſchildert; es ward bekannt, bie ſchwediſche Gefangenfchaft 
fei durchaus nicht ſchrecklich. Die Eampfluftige Armee 
mußte fich außerdem auf hoͤchſten; für fie unbegreiflichen, 
Befehl immer zuruͤckziehen, felbft da, wo fie den Sieg 
als sicht und fidger anfah. Dadurch verloren fis thail⸗ 
weiſe das Vertrauen auf ihre Anführer. Es zeigte fich 
Iafubordinatien; eine Truppenabtheilung brach fogar auf 
und ging in ihre Heimat. Nur auf einzeinen Punkten — 
befondess mo ber ODberbefehl nicht nahe wur — bam es 
Wr eruflen Kampf und bie Norweger beflanden da mit 
uhm. 

Der Mangel an Energie in ber Verwaltung wurbe 
ohne Zweifel zum Theil durch bie Diplomatie verams 
laßt; feiten wur bat es einem kuͤrzlich frei geworbes 
nen Volk genügt, fi damit einzulafſen. Wie hatten 
gehofft, daß die Großmaͤchte Europas hinſichtlich Norwe⸗ 
gens nicht im Ernſt die Grundſaͤtze geltend machen wuͤr⸗ 
den, gegen welche fie gerade mit fo viel Sluͤck gekaͤmpft 
zu haben behaupteten. In England war die Stimmung 
für uns, im beiden Häufern bed Parlaments ward große 
Sympathie fir unfere Sache geäußert. Bon Wynne, 
Whitbread, dem kürzlich verſtorbenen Lord Ducham u. 3. 
ward es ſcharf getabelt, daß man im Verein mit Schwe⸗ 
ben darch Hunger auszurichten fuchte, was mit Waffen 
nicht erreicht werden konnte, und Lord Grey erflärte im 
Dberhaufe, dag niemals der britiſche Charakter mehr bes 
fleckt ſei als durch die Handelsweiſe des Binifterkums 
gegen Norwegen. Er bewies durch bie Zeugniffe von Gro⸗ 
tius, Duffendorf und Vattel, daß der Widerfland Nor⸗ 
wegens vollkommen rechtlich fei und mit dem Voͤlkerrecht 
uͤbereinſtimmte, zeigte, daß es nicht, weile man von ſchwe⸗ 
difcher Seite zu verbreiten fuchte, Dänen felen, bie Nor: 
wegen durch Gewalt und Berfährung beherrfchten. Die - 
Lords Grenville, Holland, Eſſer, Roslyn, Clifton, Wenth⸗ 
worth, Fitzwilliam, Stanhope, Lauderdale und Rerfolk, 
wie die Herzöge von Suſſer und Gloueeſter erklaͤrten fich 
mit Grey gegen das Verfahren der Regierung, aber fie 
ließ fich nicht bewegen. Man begnügte fih einen Agens 
ten, Morier, na Norwegen zu fenden, um bie Reiches 
verfammlung zu benachrichtigen, baß England feine Ver⸗ 


pflihtung gegen Schweden erfüllen, aber vermitteln wolle, 
dag den Norwegern bie conflitutionnellen Gerechtſame, bie 
fie wuͤnſchten und welche der britifche Traetat mit Schwes 
den zum Theil bedingt hatte, gefichert würden. Ex 
tom indeß erſt am 5. Juni nah Chriftienia, alfo nach⸗ 
dem die Verfammlung aufgelöft war. Diefe hatte vor 
Europa Norwegens Selbftändigkeit erklärt und Schweden 
zur eine enge Alliance angeboten ; deshalb konnte Feine 
Übereinkunft vor der Zufammenberufung einer neuen Reiche: 
verfammiung fattfinden. Dies ward auch fowol Wo: 
vier ale ben fpäter (am 30. Juni) angefommenen Com: 
miffairen, oder wie fie fi aud nannten, Kriegsherolden 
von ſtreich, Rußland, England und Preußen erklaͤrt. 
Diefe entgegneten, daß bes General Bennigfen’s Ar: 
mee und ein ruſſiſches Truppencorps zu Schwedens Die: 
pofition geftellt und eine allgemeine Seeblockade beftimmt 
fei; fie boten aber eine partielle Aufhebung ber Blockade 
fammt Waffenftiltfiand an, wenn Chriftien Friedrich feine 
Rechte in die Hände bes Volks niederlegen wolle, dat 
Land zwiſchen Glommen und der fhmebifchen Grenze bie 
auf weiteres neutral erklaͤrt und bie Feſtungen von Schwer 
den befegt würden. Chriſtian Friedrich erklaͤrte ſich zu 
dem erſten bereit, wie auch feinen Einfluß anzuwenden, 
um eine Vereinigung mit Schweden, wenn das Grund⸗ 
gefeg anerfannt würde, zu Stande zu bringen. Die Übers 
Heferung ber Keftungen warb aber für unmöglid und 
gegen die Gonftitution fireitend erklärt, wo hingegen er 
doch bereit war, fie zu räumen und ber Bewachung ber 
Bürger zu überlaffen ; doch daneben erklärte er, fein Schick⸗ 
fal von dem bed Volks nicht trennen zu wollen, wenn 
es den Widerftand der Verfühnung vorzoͤge. Da man 
nicht einig werben fonnte, reiften die Commiſſaire fort, 
um dem König von Schweden zu überlaffen, inwieweit 
er ſich auf die norwegifchen Bedingungen «inlaffen wolle. 
Am 28. meldeten fie wieder, daß der König von Schwe: 
den nicht darauf eingebe, worauf derfelbe, der kurz vorher 
die Verſammlung von Eidsvold als gefehwidrig erflärt hatte 
und dagegen dem Kronprinzen aufgegeben, in feinem Nas 
men die Stände zufammenzurufen, um ihnen ein Grund⸗ 
gefeß vorzufchlagen — nun auf die von ben Commiſſai⸗ 
ven geftellten Bedingungen einging; wie welt ee unfere 
Berfoffung anerkennen wollte, ward nicht geäußert. Man 
hatte gewiß viel Urfache zu beklagen, daß die Meichöver: 
fommlung nicht beifammen geblieben war; der Streit: 
punkt wegen ber Seftungen wäre dann entweder überflüffig 
geworden oder hätte ohne Blut abgemadyt werden Finnen. 
Jetzt war es nicht möglih. Die Kriegsbegebenheiten, bie 
am 27. Juli begannen, brachten es bald mit ſich, daß 
eine jener Feſtungen, Frederiksſtad, am 4. Aug. capitu⸗ 
lirte; die Schweden, deren Mapoleonifcher Heerführer 
feine Truppen auf einzelnen Punkten zu. fammeln wußte, 
um dadurch feine Überlegenheit beim Angeiff zu fichern, 
drängte die Norweger in ben füblichften Theil des Landes 
zurüd, wogegen das in der Nähe von Kongsvinger eins 
geruͤckte ſchwediſche Corps am 5. Auguft gefchlagen ward. 
Am 7. wurde ſchwediſcher Seite Waffenſtillſtand vorge: 
ſchlagen; am 14. warb Waffenftilftand und Convention 


- feln in bunten, vortrefflich 


Theil des Volle — wie gewöhnlich 


gefchloffen. Frederikoſteen ſollte diberliefert werden, der 
Storthing wegfallen, die auslbende Macht vorläufig un: 
tee einem Vorwande dem Staatsrath übertragen und bie 
Krone In die Hand der Repräfentation niedergelegt wer: 
den. Der König von Schweden gelobte bagegen, bie 
Gonftitution anzunehmen, und behielt fih nur vor, bie 
Deränderungen vorzufchlagen, welche eine Bereinigung mit 
Schweden erheifchten; alle vorhergegangenen Drohungen 
wurden zuruͤckgenommen. Die fchwedifchzenglifch:ruffifche 
Blockade ward gleich nach dem Waffenſtillſtand aufgehobers 
und ber König von Dänemark widerrief das ſtrenge 
Verbot gegen Kornausfuhr, ber Kronprinz von Schwe⸗ 
ben fandte fogar, zur Dülfe der Mothleidenden, einige 
Schiffsladungen Korn, bie indeß nicht angenommen wur: 
ben. Der Waffenftillftand wurde fireng gehalten unb 
ein in dem Norbenfieldfchen entfichendes Misverſtaͤndniß 
mit kluger Eile ausgeglihen. Die Rationalverfammiung 
ttat am 7. Det. zufammen und murde Tags darauf 
vom Staatsrath durch eine koͤnigliche Rebe eröffnet, we: 
rin der traurige Zuftand*) des Landes gefchildert und 
Se. Mai. bewogen ward, feine Zufriedenheit und perfön- 
lich gluͤckliche Stellung aufzuopfern, um das geliebte Va⸗ 
terland gegen Verheerung zu bewahren und ihm feine 
eonftitutionnele Verfaſſung zu fihern. Am 10. deffel- 
ben Monats legte er den förmlihen Act, worin er für 
fih und feine Nachkommen **) abbicirte, in die Hände ei⸗ 
ner Storthingsdeputation und ging an bemfelben Tage 
an Bord, um das Land zu verlaffen. 
(Der Beſchluß folgt.) 


Borrow und die Bibel in Spanien. 


Der auch in d. Bi. als Verf. des geadhteten Werks über 
die Zigeuner in Spanien genannte Gaglänber Borrow bat 
unter dem etwas feltfamen Zitel: „The Bible in Spain, 
by George Borrow‘ (3 Bbe., London 1842), ein anbes 
res Werk veröffentlicht, von welchem das „Athenaeum ' nicht 
mit unrecht ‚ e8 fei beinahe das außerordentlichſte 
Buch, das feit Lange in ber englifchen oder in irgenb einer 
Sprache erfchienen. Es erzählt im Weſentlichen die fünfjäheis 
gen Bemühungen bes Verf., ald Agent ber British and Foreign 
Bible society in London eine fpanifche Bibel in Mabrib bruder 
zu laſſen und in Spanien zu verbreiten. Es enthält im Gans 
zen wenig aus der perföntichen Geſchichte des Verf.; doch ſelbt 
dies Wenige beweift, daß feine Abenteuer fabelhaft- i 
geweſen. Auch iſt das Buch kein regelmäßiger, bei A anfangen⸗ 
der, bei 3 aufhoͤrender Bericht; Geſehenes und Grichtes wedhe 
gemalten Bildern, und gerabe im 
bem Fragmentariſchen Liegt ein Hauptreiz des Bude. Gegen⸗ 
wärtige Anzeige bezweckt hauptſaͤchlich eine überſicht des vom 
Verf. Erſtrebten. 


*) Diefer Zuſtand war um fo bebenflicher, da ein großer 
nad einem ungiädlidyen 
Kriege — fich ald von feinen eigenen Landeleuten verrathen anfab. 
Die allgemeine GErbitterung, bie fogar tumultuarifche Auftritte 
veranlaßte, wurbe durch die Einleitung von Unterfucdhungen ge 
gen einige Anführer des Feldzuges beruhigt; mehre von ihnen 
wurben auch fpäter verurtbeilt. 

”*) Die letzte Glaufel „und feine Nachkommen“ war ur 
fprünglich nicht darin, doch warb fie Hinzugefügt, nedhem 
Statsrath Treſchow in einer Privataudienz auf dieſen Mangel 


aufmertfam gemacht hatte. 


| — — 


Mitte Rovember 1835 landete Borrow in Liffabon und 
verlor Feine Zeit, die mitgebrachten portugieflichen Bibeln und 
Neuen Zeftamente nach Möglichkeit abzufegen. Einen Theil gab 
er den Buchhändiern in Commiſſion, eine Partie ließ er hauſi⸗ 
zen tragen und mit dem Reſte machte er ſich nach Evora auf 
den Weg — Evora bie erſte Stadt Portugals jenfeit bed Tajo, 
einft der Sig eines 3weigs ber Snquffition. ‚Auf dem Wege 
dabin wäre der Verf. bei einem Haar im Tajo ertrunken und 
ebenfo kurz entging er ben Räubern. Fruͤh am Morgen verließ 
ee mit einem Mauithiestreiber und deſſen Reffen feine Nacht⸗ 
berberge in Aldea Gallega. „Der Mond ſchien bel und ber 
Dlorgen war eifig kalt. Wir wurden bald von fünf oder ſechs 
Keitern überholt, die ſcharf zuritten, jeder eine lange Flinte 
am @attel. Ich fragte den alten Mann, wozu biefe kriege⸗ 
riſche Armatur. Gr antwortete, die Straßen feien ſehr ſchlecht 
— was fo viel heißen follte als voll Räuber — und daß jene 
deshalb fich zur Vertheidigung bewaffnet. Cie bogen bald rechts 
nad Palmella ein.” Mismutbig fleigt Borrow ab und verfucht 
ein Geſpraͤch mit dem alten Manne. „Sr kannte nur ein 
Thema ‚die Räuber‘, und bie Greueithaten, bie fie in ber Ges 
gend zu verüben pflegten, bie wir eben paflirten. Seine Ger 
fgichten waren ſchauderhaft. Ich feste mich alfo Lieber wieder 
auf und ritt voraus. Nach anderthalb Stunden kamen wir aus 
bem Walde in eine wilde, abfcheulie, durchkreuzte und mit 
Gefträpp bewachſene Landfchaft. Die Mäuler hielten an einem 
feichten Sumpfe, um zu faufen, und beim Umherſchauen er: 
bitekte ich rechts eine eingeftürgte Mauer. Der Führer fagte, es 
feien die Ruinen von Vendas Velhas, des alten Gaſthofs, einſt 
der Aufenthalt des berühmten Räubere Sabocha. Ich flieg ab, 
ging bin und ‚fand die Spuren eines Feuers und eine zerbro: 
dyene Flaſche. Alſo waren bie Söhne bed Raubes noch vor kurs 
zem Hier gewefen. Ich ließ ein Reues Zeflament und einige 
Zractätchen zurüd und machte, daß ich fortlam.” Gin ande⸗ 
zes Mal begegnet der Verf. folgendem hübfchen Beweiſe von 
Straßenſicherheit. Ein portugiefiicher Fidalgo zieht vom Lande 
in bie Stadt. „Und hätten fie die Schäge Indiens durch bie 
arabifche Wuͤſte gefchafft, mit größerer Vorſicht hätte es nicht 

fhehen können. Woran ritt der Neffe mit gezogenem Gäbel, 
Difsien in den Halftern, die gewöhnliche lange fpanifche Flinte 
am Sattel. Hinter ihm marfchirten ſechs Mann in Fronte, Muss 
teten auf den Schultern und jeder ein Beil im Gürtel, wahr: 
ſcheinlich beflimmt, wenn es zum Handgemenge käme, die, Raͤu⸗ 
ber bis zur Bruft zu fpalten. Dann folgten fedye Wagen, bars 
unter zwei Caleſchen, in benen ber Kibalgo und feine Töchter. 
Die übrigen waren bedeckte Karren, anfcheinenb mit Hausgeräthe. 
Bu beiden Geiten jebes dieſer Wagen ging ein bewaffneter 
Bauer, und der Sohn, ein Burſche von vielleicht 16 Jahren, 
führte die Nachhut, die aus ebenfo viel Mann befland wie die 
Vorhut unterm Befehle feines Couſin. Die Goldaten waren 
glüdticherweife leichte Reiterei, wunderfchön beritten, und ſpreng⸗ 
ten nad allen Ridytungen, um, falle ber Feind in der Nähe 
Iauere , ibn aus feinem Verſteck zu treiben.” 

Die Biegenheerde auf Monte Moro — bie Nadhtfcene in 
Evora, wo ber Verf. mitten in einer ſehr gemifchten Pafchers 
gefeufchaft — der Fluͤchtling, der zitternd und bebend ſich von 
Dexen gejagt glaubt und Roſemarin in feinen Hut legt, bamit 

fie ihn nicht finden follen — der von ber Nacht überfallene 
Reitersmann, der nicht weiß, ob rechts ober links: — lauter 
herrliche Schilderungen, bie hier unberüdfichtigt bleiben muͤſſen. 

In Evora findet der Verf. einen Buchhändler, der den 
Verkauf der Bibeln und Zeflamente ibernehmen will. Diefem 
vertraut er bie Hälfte feines Vorraths; die andere Haͤlfte gibt 
er dem Regierungsſecretair, der gemeinfchaftlidh mit dem Gous 
verneur bie Begründung einer Schute beabfichtigte, in weicher 
die Heilige Schrift zur Baſis des Unterrichts gemacht werden 
ſollte. Während feines Verweilens in Evora ging der Verf. 
täglich zu.dem Brunnen, wo bie Mauithiertreiber und alle zur 
Stadt kommenden Landleute ihre Thiere tränkten. Mit Jedem 
fuchte er sin religidfes Geſpraͤch anzuknuͤpfen. Aber nicht Einer, 


verfichert er, hatte eine Bibel gefehen und kaum ein halbes 
Dugend hatten vom Inhalte eiben einigermaßen einen Bes 
griff. Doc hörten fie insgefammt feinen biesfallfigen Mitthei⸗ 
lungen aufmerkſam und wenigftens anfcheinend mit großem In⸗ 
tereſſe zu. Unter den Landleuten, namentlich in Portugal, ift 
ber Glaube an Hexerei noch fehr ſtark, und Viele tragen bed» 
halb Amulete, die von ben Mönchen gefertigt und verkauft 
werden. Daraus könnte man auf fortbauernden Einfluß der 
Moͤnche ſchließen. Allein Borrow behauptet auf das beftimms 
tefte, daß ſowol in Spanien als in Portugal der Moͤnchseinfluß 
in raſchem Sinken fei. Sogar die Pafcher in Evora fprachen 
vom Prieftertyume und Moͤncheweſen mit bem größten Abfcheu 
und verficherten einhellig, daß fie Lieber fterben als fich wieder 
einem Joche fügen wollten, das ihnen chedem ben Naden mund 
gericben. 

Ungefähr 14 Zage nady feiner Rückkehr von Evora nahm 
der Verf. feinen Weg über Badajoz nad) Madrid. linmittelbar 
jenfeit ber Grenze trifft er einen Haufen ſpaniſche Zigeuner und 
einer, Antonio, ber auch in dem frühern Werke vorkommt, 
bietet fi zum Fuͤhrer an. Cine gewifle Vorliebe für Zigeuner 
und der Wunfch, alle Eigenheiten dieſes feltfamen Volkes ken: 
nen zu lernen, veranlaflen ben Verf. bas Erbieten anzunehmen, 
und fo reift er auf einem Meinen, den Zigeunern gehörigen 
Pferde eine ganze Woche, à la Zigeuner, bald im Feide, bald 
im Walde, heute in einer Stadt, morgen in einem Dorfe übers 
nachtend. An bdrolligen Auftritten fehlt es da nicht. In Dies 
vida vaften Beide drei Tage im Hauſe einer alten Zigeunerin, 
die dem Verf. eine Menge wunderbare Geſchichten erzählt von 
ben Mauren und von Ausbruͤchen aus Gefängniffen, von Raͤu⸗ 
berheldenthaten und von ein paar KWergiftungsabenteuern, an 
welchen fie in ihrer Jugend Theil gehabt. Zuguterlegt trägt 
fie dem Verf. ihre Enkelin zur Frau an und widerlegt manns 
haft jede Entſchuldigung, mit weicher er den zärtlidhen Antrag 
ablehnt. Gr kommt indeffen ohne Frau davon. Antonio findet 
e6 aber aus bewegenden Gründen rathfam, ben Städten, bie 
nun in ihrem Wege liegen, aus dem Wege zu geben. Borrow 
ſeht alfo feine Reife allein fort und überholt bei Zalavera einen 
Reifenden, den größten und didften Dann, ber ihm in Spas 
nien vorgelommen. Gr ift nicht nad) ber Eandesfitte gekleidet, 
fpricht jebdoch gut Gaftitifh. Aber im Laufe des Geſpraͤchs 
entfchlüpft ihm ein Wort, das ben Moresco verräth, und 
daran Enüpfen ſich Gröffnungen, bie in Betreff des Zuflandes 
biefer Menfchen in Spanien denkwuͤrdige Thatſachen ans Licht 
ringen. 

Kaum in Madrid angelangt, fuchte der Verf. um bie Er⸗ 
laubniß an, das Neue Teflament in caſtiliſcher Sprache bruden 
zu loffen. Der englifche Geſandte, jetiger Lord Elarendon, gab 
ibm ein Smpfehtungsfchreiben an ben bamaligen Premier, Mens 
bizabal, und damit verfügt ſich Borrow auf beffen Bureau. 
„Mehre Perfonen wurden vor mir cingelaffen. Endlich kam 
die Reihe an mich und ich trat ein. Mendizabal fand hinter 
einem mit Papieren bedeckten Zifche, die Augen feft auf dieſe 
gerichtet. Da er von mir nicht die geringfte Notiz nahm, hatte 
ih Muße, ihn zu betrachten. Gr war ein flarker, athletiſcher 
Mann, noch größer als ich, der ich ohne Schuhe ſechs Fuß 
zwei Zoll mefle. Seine Gefichtöfarbe war frifh, feine Züge 
fein und regelmäßig, feine Naſe complete Abdlernafe und feine 
Zähne glänzend weiß. Obſchon kaum 50 Jahr alt, war fein 
Haar ganz grau. Gr trug einen prädtigen Morgenrod mit 
einer goldenen Kette um den Hals und Maroguinpantoffeln. 
Sein Secrttair, ein fchöner Mann mit einem Eugen Geſichte, 
der, wie ich fpäter erfuhr, in ber englifchen und ſpaniſchen Li⸗ 
teratur fich einen Namen erworben, fland am Ende bes Tiſches, 
Papiere in den Händen. Nach beildäufig einer Viertelſtunde 
ſchiug Mendizabal ploͤtzlich die Augen auf, ein Paar durdhs 
dringende Augen, und ließ fie mit einem befonders flechenden 
Ausdrude auf mie ruhen. Meine Aubienz bauerte ziemlich 
eine Stunde. Als ich mich verabfchieben wollte, fagte er: ‚Ihe 
Geſuch tft nicht das erfte der Art. Geit ich an der Spige der 





Regierung ftehe, bin ich in ähnlicher Weiſe von Englaͤndern ges 
peinigt worden, bie ſich evangelifche Ghriften nennen und jet 
Spanien uͤberſchwemmen. Beltfame Wethörung, die Euch mit 
Bibeln in ben Haͤnden Aber Meer und Land jagt! Mein befter 
Herr, Bibeln brauchen wir nit. Wir brauchen Flinten und 
Pulver, bie Rebellen zu bezwingen, und brauden vor Allem 
Geld, die Truppen zu bezahlen. Sobaid Sie uns biefe drei 
Dinge bringen, follen Gie beralic willfommen fein; fo lange 
jenes nicht, Können wir Ihre Beſuche wirklich entbehren, wie 
groß auch die Ehre.“““ Rach dem batb darauf erfolgten Wi⸗ 
nifteewechfel erneuerte Borrow fein Geſuch, fand aber im Se⸗ 
eretaiv bes Herzogs von Rivas einen entfchiebenen Gegner. 
Selbſt eine Introduction bes Marineminifters Galiano an den 
Herzog, von welchem bie gewuͤnſchte Erlaubniß abhing, Half zu 
nichts. Der Verf. fah fich bei bee Aubienz ein zweites Mal 
getäufcht. Mit der Revolution von 2a Granja endete fein erfter 
Aufenthalt in Spanien. Gr eitte nad England, mit feinen 
Freunden einen neuen Bibelfelbzug zu berathen, und Lehrte über 
Tadix, Sevilla und Gorbova nad Madrid zurüd. Hier wurbe 
{fm Geiten bes Minifteriums zu verflchen gegeben, daß eine 
förmliche Erlaubniß zum Drud der Bibel zwar unthunlich fet, 
man jedoch ein biesfallfiges Unternehmen nicht hindern wolle, 
und darauf ließ der Verf. 5000 Sremplare druden. „Ich hatte 
bereitö befchloffen”, fchreibt ber unermäbliche Bibelagent, „zus 
vorderſt eine Zahl Abdrüde in den madrider Buchhandlungen 
nieberzulegen und dann fortzureiten, das Zeftament in ber 
Hand, das Wort Gottes unter den Spaniern gu verbreiten, 
nicht in den Städten allein, fonbern auch auf den Dörfern, 
nicht unter den Kindern der Ebene allein, auch unter den Kins 
dern der Hügel und Berge. Ich wollte Altcaftilien befuchen, 
ganz Balicien und beide Afturien durchſtreifen, in allen großen 
Städten Bibeln zurüdlaflen, in bie geheimften und verborgens 
ſten Schlupfwinkel dringen, dem Wolke von Chriſtus erzählen, 
ihm den Inhalt feiner Schrift erfiären und das Buch Denen 
in die Hände geben, die meines Erachtens Rugen daraus ziehen 
tönnten. Das Gefährtiche einer ſolchen Reife verbarg ich mir 
keineswegs. Möglich, daß mich das Schickſal des heiligen Ste⸗ 
phan ereilte. Wer darf ſich aber einen Anhänger Chrifti nen: 
nen und Gefahr fürdten im Streite für ihn, den er feinen 
Meifter nennt?” 

Das blieben nicht Worte und Entf&lüffe; der Verf. machte 
fie zur That und verwendete darauf einen großen heil bes 
J. 1837. Aber ohne fehr bedenkliche Gefahren ging es auch 
nicht ab. Gr gerieth unter Banditen und wurde von den Gar 
Kften ausgsplündert. Gin chriftinifcher Alcalde hingegen nahm 
ihn für Don Carlos und wollte ihn auf ber Stelle erſchießen 
taffen. Trotz alledem verlor er feinen Zweck nie aus den Augen 
und Eonnte im Ganzen mit dem Reſultate zufrieden fein. Die 
Buchhhändier in Salamanca, Leon, Gompoflella und andern 
Städten fagten ihm ihre Mitwirkung zu und an Leute niedern 
Standes verkaufte er felbft eine beträchtiiche Menge Teſtamente. 
Durch den Erfolg kuͤhn gemacht, eröffnete ex bei feiner Rüds 
Bunft in Madrid einen eigenen Bibeltaden, benachrichtigte bas 
von das Publicum mittels Straßenanfchläge, nach engliſcher 
Weiſe und zum Staunen ber Spanier auf buntem Papier in 
ellenlangen Buchflaben, und annoncirte es außerdem in allen 
Zageblättern und Beitichriften. Das war bes Guten zu viel, 
Madrid gerieth in Aufregung und bas gleichzeitige Erfheinen 
des Gvangeliums in fpanifcher, Zigeuner = und biscayifcher 
Sprache hetzte der Regierung die Pfaffen bergeflalt auf den 
Hals, baß fie ein peremtorifches Verkaufsverbot erließ. Ano⸗ 
nyme Briefe drobten dem Bert. Ermordung, bafern er den 
Verkauf feiner „jübifchen Schriften‘ nicht einftellte, und nicht 
lange, fo mußte er ins Gefaͤngniß wandern. Er kam jedoch 
halb wieder frei. Merkwuͤrdig ift jedenfalls, wie fehr bie Spa: 
nier oft nad Wibeln verlangten. on vielen Belegen nur 

„einige. As Borrow eines Abende ſich und fein Pferb im Tajo 


Sabete, „ſammelte fi am Ufer ein Haufe Wells uab fihrie : 
‚Komm heraus aus dem Waſſer, der, unb gib uns Buͤ⸗ 
der; bier ik das Geld.“ Dabei firedten bie armen Leute ibee 
Hände aus, in denen fie Peine Kupfermünzen hielten vom 
Werthe eines Pfennige. Ungluͤcklicherweiſe hatte ich feine Teſta⸗ 
mente. Aber Antonio, bee in meiner Nähe, hatte eine. Er 
zeigte es und augenblicklich riffen fie es ihm aus ben Haͤnden 
und balgten fi darum. Bäufig geſchah es, baf arme Lanb⸗ 
leute, die gern Teftamente haben wollten und fein Geld befaßen, 
Lebensmittel zum Austaufh bradgten, Kaninchen, Obſt unb 
Serſte, und & machte es mir zur Pflicht, fie nie zu taͤuſchen.“ 
Gin altee Schulmeiſter fpenbete feinen letzten Real, um feinem 
Scholaren ein Dutzend Teſtamente zu ſchaffen. „Unterm Por⸗ 
tico dort figt ein Bauer und lieſt. 84 Jahre find über ſein 
Haupt gegangen und ee iſt faft ganz taub. Democh lieft ex 
vas zweite Buch Matthaͤi mit lauter Stimme. Bor brei Ta⸗ 
gen beftellte er ein Teſtament. Gr konnte das Gelb nicht aufs 
treiben und eben erſt hat er 30 Pfennige gebracht.“ 

In Bolge von Krankheit, die einen Luftwechlel rathfam 
machte, ging Borrow ein zweites Dial nad) England, war aber 
fhon am lesten Tage bes 3. 1838 wieber in Spanien und 
wählte zu Bortfegung feines Werks die Dörfer oͤſtlich von Ma⸗ 
drid. Die Geiſtlichkeit war jedoch nicht mäßig geweſen. Gis 
hatte fich Abes fein Treiben bei der Regierung befdhivert und 


| diefe befahl den Alcalben ſaͤmmtlicher Dörfer von Neucaſtilien, 


jedes zum Verkauf audgebotene Teſtament wegzumehmen. Hier⸗ 
durch nichts weniger als entmuthigt, verließ Borrow jene Ges 
gend, wendete fich nach Madrid, ſchickte Bibeln von Haus ga 
Haus und verkaufte in 14 Tagen nahe an 600. Sonderbar ge⸗ 
nug war einer feines eifrigften Golporteurs ein Geiſtlicher & 
oft er ausging, Hatte er eine Bibel unterm Gewande, bie er 
dem Erſten, bee ihm begegnete und einigermaßen wie Gelbs 
haben ausfah, zum Kauf anbot. Wenn fidh num ber Werf. von 
der auf ſolche Art bewirkten Werbreitung ber Heiligen Gchrift 
einen mächtigen und wohlthuenden Ginfluß auf bie Denkweiſe 
bee Spanier verfpriht, fo — koͤnnte bad einem frommen 
Wunſche gleichen und zweifelhaft fein. Wenn er aber erwähnt, 
daß in zwei mabriber Kirchen jeben Sonntag das Neue Teſta⸗ 
jbe® elf. eine Mit befät, fo cm bat er ir feine Suflnumg 
ie e ne Bi igt, fo — hat ex eine 

allerdings Grund. Mitte April 1339 waren alle — 
ſetzt und Madrid, wie es ſchien, mit Teſtamenten geſaͤttigt. 
Alſo nahm Borrow bie noch übrigen nad Sevilla, verkaufte 
200 Städ und begab ſich mit dem Refte über Gabir und Gibral⸗ 
tar nach Tanger, um ben legten Vorrath unter bie in boetiger 
Gegend wohnenden Ghriften zu vertheilen. Damit — man 
kann nicht fagen fließt, ſondern — bricht feine Graählung ah 





kiterarifhe Notiz. 

‚Wenige Gedichte haben in den Iekten 15 Jahren fo viel 
Beifall und Käufer gefunden wie ‚Ihe course of time” von 
dem Schotten Robert Pollok. Es erſchien 1827, ift beras 
burch die ſechszehnte Auflage gegangen und het «inen Abfes 
von 40,000 Exemplaren gehabt. Wer daher für die Geſchichte 
bes Gedichte und für den Dichter fich intereſſirt, ber leſe: „Life 
of Robert Pollek, by his brother, David Pellok‘ (bi 
und London 1843). Der Dichter wurde den 10. Det. 1798, 
fein Gedicht unter koͤrperlichen und finanziellen Leiben geboren. 
Sr farb in ber Nähe von Southampton am 18. Sept. 1837 
und ruht auf dem Kicchhofe zu Millbroof unter einem Denkmale, 
beffen Koften aus ben für ihn zu einer Reiſe nach Italien ges 
fammelten Beiträgen beftritten worden find. Gr war bas fs 
bente von acht Kindern eines wenig bemittelten Landwirthes 
zu North» Moorhoufe im Kirchſpiel Eaglesham der Sraffchaft 
Renfrewfpire. 3. 


BVerantwortiiher HSeraugeber: Heinrih Brockhaus. — Drud und Verlag von F. A. Brodbaus in Leipzig. 


r m u ET 


on 2 
— 


— 


Bläfter 


literariſcht ne 





Sonnabend, 





Bo Mind: Räder. 
(Beſchlu ud Nr. 774.) 

Die Stimmung, bie in dee Reichsverſammlung ges 
herrſcht hatte, fand nice mehr flat. Wol war man 
der verlangten Bereinigung im Ganzen ſehr abgeneigt 
und mistrauiſch; was ſich umter Anderm bei der Menge 
wen Gubhferiptionen für den Fall der Erneuerung des 
Krieges zeigte; doch anf der andern Sekte konnte man 
die Vortheile einer Verbindung mit Schweden als bie gebie: 
sende Nothwendigkeit Defien, was Europa foberte, ebenfſo 
wenig leugnen. Jetzt trat Wedel⸗Jarlsberg weit Eifer 
mb Kraft auf, um feine Anfichten geltend zu machen, 
indem er bie Aufklaͤrungen Aber den Zuſtand des Mriche, 
Ne ven einem vom Gtestbing — Unterfus 
dungecomite mitgetheilt waren, benugte. Er bewies daß 
wir mit 20,000 Mann ſchlecht gekleideter unb fhjtecht 
genaͤhrter Zruppen und einigen wenigen Gchiffen nicht 
hoffen bennten, eine Armee von 40,060 Mann, bie durch 
englifdyes Seid in fehr gutem Zuſtande war, unter bem 
Commande Karl Johann's ſtand umb von einer bedeu⸗ 
tenden Seemacht unterflüge war, zu beſtegen; wir ſtaͤn⸗ 
den ohne Bereinigungspunft, abe Alllirte, ohne geüͤbte 
Generäle, ohne Haudel, ohne Schifſahrt, ohne Finanz 
gegen die größten Maͤchte Europas. Ex zeigte, daß eine 
iſolirte Selbſtaͤndigkeit ſehr ungfüdtich fe und überdies 
ir einem fo kleinen Staat nur dem Namen nach flatts 
finden koͤnne; wobei Doch jede Berbinbung mis einem an⸗ 
bern Lande ale Schweden ein Unding fein wuͤrde. Be 
fonbers ſcharf ſprach er ſich gegen eine Wiebervereinigung 
zeit Daͤnemark aus, „deſſen politiſches Syſtem fo ſtoel⸗ 
mb gegen das Intereſſe Norwegens iſt, deſſen zerruͤttet⸗ 
Finanzen lange ein Sprichwort geworden find, deſſen ver⸗ 
wickeltes Collegialweſen aller Geiſt toͤret deſſen verbech> 
liche Charakterioſigkeit uns ſchon allzu febr angefledt hat, 
deffen Kleinmäthigkeitögeift bei ums wur zu viele &puren 
hinterlaſſen hat“; zuletzt entwarf er eine Schilderung der 
Dortheile, die unſere bewahrte Selbſtaͤnbigkeit und 1 

unter einem mit Schweden gemeinſamen König bie 
ten würche. Der Landrichter Nanſen und Andere veroin⸗ 
sem fich diefe Verbindung als vortheilhaft zu ſchitdern, 
uunb amı 39. Dice. wurden bie wichtigen Beſchtuͤſſe ges 


—* Überfihe des Zuſtandekommens der 
norreegifihen Gonftitutien 





* welche Rorwogens Zukuuft beſtimmten. Bis auf 
Eine dh erklärte der Storthing ſich berechtigt, den 
Soſchluß zu fehlen, den er ſelbſt in Becreff einer aeuen 
Konigswahl am zweckmaͤßigſten finde; — Etwas, bas übri⸗ 
gens mit andern hiſtoriſchen Daten zu beroeifen ſcheint, 
daß ber Storthing zunaͤchſt fein Recht, das Wrundgefeg 
zu veraͤndern, aus dieſem ſelbſt herteitete, anſtatt, was 
gewiß das Rickigfke gewefen wäre, «6 auf die neue Befug⸗ 
niß zu thun, welche bie Nation iheen Reprifentanten gegeben 
hatte, ruͤckſichtlich der —— Schwedens das Moͤ⸗ 
thige vorzunchmen. Man beſtimmte gegen fünf Stim⸗ 
men, alla Hagerup, Eonful Amor, Capitain Mo 
feldt,. Secretair Chriſtie und Paſtor Dahl, daß Norwe⸗ 
gen als ſetbſtaͤndiges Reich unter Ginem König mit 
Schweden vereint werben folle, jene fünf referirten alles 
auf den von ihren Gommittenten (in dee Stade Berge 
und dem noͤrdlichen Bergenhunsemt) ausbrüdtich zu er⸗ 
kennen gegebenen Willen. Wäbrmd ber Storthing fi 
für berechtigt anſah, das Grundgefetz zu veraͤndern, wo 
er fand, dab Veraͤnderungen nöthig ſeien, betrachtete er 
es im uͤbrigen day ohne Ausnahme als geltend. Der 
Thron fah er als. exfedigt am umb brachte die Beſtimmumng 
des Grundgeſethzes für diefen Ball: dem Staatorathe ale 
Inhaber der executiven Macht zwei mıue Mitgliedes zu⸗ 
zuosduen wub ben Eid derſelben, die Sonflitution aufs 
vecht zu halten, weiche dieſe freilich der Umfidede wegen 


gern vermieden hästen, entgegenzunehmen, zus Anwendang. 


Ks der Stmatsrach dem Storthing die Erledigung vers 
ſchiedener Regierungsfachen überlaffen wollte, erhtelt es 


dieſelben mit der Welfung zurüd, daß fie unter die ere> 


eutive Macht fortirten. Anbererfeits hielt ber Staats: 


rath fich doch keineswegs mit Strenge innerhalb ber Li: 


nie, bie er ſich vergegeichnes hatte, ſondern erlaubte fick 


. fogar, ein ober das andere minder Weſentliche, das dem 


Verein eigentlich nicht zukam, bei der Mobificatton des 
Srunbgefeges zw deflimmen. Im Ganzen hatte man 
wol einen ſehr unklaren Begriff davon, was berfelbe 
nothwendigerweife erfodere. Streng genommen, beburfte 
es gar keiner Beränderungen, damit Schwedens König- 


zugleich der unfere würde, und nur fehr wenige, um biefe 


Verbindung dauernd zu machen, und fie wurden meiſtens 
nur vorgenommen, theils damit beide Reiche vor dem 
übrigen Europa als Einheit aufgeſtellt werden koͤnnten, 





"Tr 


theild und vornehmlich um das Reich gegen die Incon⸗ 
venienzen zu fichern, welche durch den gewöhnlichen Aufs 
enthalt des Könige außerhalb feiner Grenzen entftehen 
Sönnten, wie auch gegen die Gefahren der Freiheit, welche 
unfer Diötrauem ums vorfpiegelte. So traf. «6 ſich auch, 
daß, wenn man, Seiten Norwegens allzw flarke Barantien 
foderte, die ſchwediſchen Commiſſaire, welche mit dem 
Storthing unterhandelten, oder, wie es hieß, ihm Aufklaͤ⸗ 
rung mittheilten, zu den bisher beſtandenen grundgeſetzlichen 
Beſtimmungen zuruckgingen und verlangten, daß dieſe auch 
ferner guͤltig ſein ſollten, wenn man ſich mit ſolchen Ver⸗ 
änderungen begnügen wolle, in welche König Karl ein⸗ 
willigen würde. So war dies ber Ball, als bie Rede 
auf die Dispofition des Könige Über die Kriegsmacht kam, 
weiche man. norwegifcher Seite — nach einem Vorſchlag 
won Mosfeldt, Nanfen u. A. — allen moͤglichen Eins 
ſchraͤnkungen *) unterwerfen weilte, von been indeß doch 
nur einige buschgingen. Hier wie im Banzen wurde 
ſchwediſcherſeits die groͤßte Mäßigung bewieſen und bie 
größte Vorſicht angewandt, um dies wichtige Werk 
zu Ende zu bringen, das auf ſo mannichfaltigem 
Fundament von Nothwendigkeit umd freier Erkenntniß, 
von Bitterkeit und Mistrauen, mit kaltem Nachdenken 
and Berechnung vereint, aufgeführt wurbe. Niemand 
liebte damals die Vereinigung, man erkannte nur ihren 
Mugen. Man wurde, nachdem bad Brandgefeh im San: 
zen wieder durchgegangen war, am 4. Rob, mit ber 
Umarbeitung fertig. Der Storthing hatte alle feine Bes 
fehlüffe in pleno gefaßt, die ganze Zeit unter dem Präfis 
dium bes Sörenflriver Chriſtie. Am felben Rage wurde 
eine Erklaͤrung an König Chriſtian Friedrich. ausgefertigt, 
in der man feine Abdication anerfannte und ihn feines 
Eides entband.”**) Auch empfing man von den ſchwedi⸗ 
ſchen Commiſſairen am 4. Nov. bie Erklärung, daß fie 
das Grundgeſez im Namen des Könige anmähmen, wor: 
auf man gleich die Königewahl vornahm, welcher Act 
nach dem MWorgefallenen natürlih nur Kormalität fein 
Sonnte, die beobachtet wurde, um die buch das Grund⸗ 
gefeg vom 17. Mat beflimmte Ordnung und Regel fo 
viel als möglich aufrechtzuhalten. Das Grundgeſetz felbft 
ward erſt am 7. Nov. von dem ermwählten Gomitd, 
das fie am 3. zur Vearbeitung erhalten, beendet. Der 
Stortbing machte auch ben Entwurf, zu einer Acte, wo: 


*) Doctor Reumann wollte fogar eine Clauſel eingeführt 
haben, daB Norwegen nie offenfio und nicht einmal defenſiv 
Krieg gegen Dänemark führen dürfte, wenn nicht Norwegen 
ſelbſt von Dänemark angegriffen würde: doch fiel biefer Vor⸗ 
flag weg, da angenommen wurbe, baß fein Angrifföfrieg ohne 
Einwilligung bes Storthing geführt werben könne. 

”") An bdemfelben Tage flieg Ehriftian Friedrich nad) einer 


ſtaͤrmiſchen Überfahrt bei Aarhuus ans Land. In feinem Ges 


folge befanden ſich Graf Bargass Bedemar, Major von Brooch, 
Sapitain Holften und Lector Adler; audy ber Gtaatsfecretaie 
von Holten hatte Norwegen verlaſſen. Beweiſe von ber Liebe und 
dem Bedauern bed Volks begleiteten biefen Kürften in Norwegen 
ſelbſt nach Rieberlegung der Krone; im Gtorthing warb eine 
Dankabreffe vom Gtatsrath Treſchow vorgefählagen, vom Bis 
ſchof Bel eine Apanage und von bem Gonful Konov fogar 
ein Marmormonument; boch kam man zu krinem Beſchluß. 


durch das Brundgefet vom König angenommen und baum 
von dem GStorthing In deffen Namen publicirt werben 
konnte; aber der König, ber biefem nicht beitrat, faßte 
feioft eine Bekanntmachung vom 10. Nov. ab, worin 
erklärt warb, daß er, nachdem er zum⸗ couflitutonnellen 
König gewähls fel, das Brupdgefeg annaͤhme, befkdtige 
und befräftige, forwie es zufolge ber Übereinkunft mit ſei⸗ 
nen Commiſſairen befchloffen fe, Doch daneben nahm 
ber Storthing felbft am 16. eine Intimation an, worin 
er befchtoffen und feftgefegt zu haben erklärte, daß flatt 
der von ber Reichſsverſammlung gegebenen Gonflitution 
die jüngft angenommenen theil® auf diefe gebaute, theils 
bei Veranlaſſung der Vereinigung angenommenen 
flimmungen gelten und baß alle Beikommenden fie tie 
Norwegens Grundgefeg zu achten und zu befolgen hätten, 
und dieſe Intimation warb jest in den Grundgeſetzaus⸗ 
gaben als die eigentliche Einleitung angefehen. 

Gleich nad der Koͤnigswahl kam Karl Johann mit 
feinem Sohn, von normwegifhen Jaͤgern escortirt, nad 
Chriſtiania; er fand ſich gleich im Sterthing ein, wo er 
durch die nachgiebigften Erklärungen das durch die Bege⸗ 
benheiten verwundete Nationatgefühl beruhigte und des Kb: 
nigs conflitutionnellen Eid ablegte; auch bie Mitglieder des 
Storthing leifteten bei berfelben Gelegenheit der Conſtitu⸗ 
tion und dem König ben Eid. Wol warb es nothwen⸗ 
big gefunden, daß ein Schwede (Graf Effen) zum States 
halter ernannt wurbe, doch in dem Staatsrath — befien alte 
Mitglieder blieben, Aall ausgenommen, der feinen Abfchieb 
fuchte — wurben fieben der Männer aufgenommen, melde 
thätigen Antheil am ber Entwidelng der Begebenheiten 
zum Theil als Widerſacher Schwedens genommen hatten, 
nämlid, P. Anker (als Staatsminifter), Wedel⸗Jarlsberg, 
Treſchow, Diriks, Krogh, Motzfeldt und Hegeemann (ats 
Staatsraͤthe), während andere wie Chriſtie, Fabricius, 
Faſting, Holſt, Loͤvenskiold, Sibbern, Hagerup, Krebs 
und Fleiſcher, die alle theils als Repraͤſentanten In Eide⸗ 
void oder im Storthing fungirt, theils ſich im Kriege 
ausgezeichnet haften, gleichfalls Beweiſe der Gnade und 
des Vertrauens erhielten. Am 26. Nov. ward der Stor⸗ 
thing vom Kronprinzen mit einer Rede aufgeloͤſt, die 
durch einige Worte des Praͤßdenten, weiche bie Hoffnung 
ausdruͤckten, daß ber neue Kürft bald bie Liebe des Volke 
zu erwerben willen werde, beantwortet wurde. Dies 
war die Schlußfcene in dem großen Act, durch den Nor⸗ 
wegens Freiheit und Giuͤck gefihert ward. Die Wüns. 
ſche Chriſtie's fingen ſchon an in Erfülmg zu gehen, 
bean der Kronprinz Karl Johann gewann die Herzen 
durch feine ausgezeichnete Perfönlichkeit, feine aufricktige 
Liberalität und das Vertrauen, das er Denen bewies, 
bie vor kurzem noch feine Feinde geweſen waren. 

Das Grundgeſetz felbft umfaßt nicht vollſtaͤndig alle 
Fundamente unfers conflitutionnellen Rechts; als es bie 
in Schweden für bie Thronfolge geltenden Regeln ans 
nahm, beſtimmte es, daß dieſes Landes Succeffionsortuung 
von 1810 in der Überfegung beigefägt werben follte. 
Um einige nähere Beftimmungen in Betreff ber Drganks- 
firung einer gemeinfansen oberfien Regierung auf bew 


Lew wm u on 70 


Hal der Thromecledlzung, der. Ummbnbigleit des Könige 
oder feiner Untaugfichlett zum Regieren, wie aud für ben 
erften Fa in Betreff der Koͤnigswahl, zumege zu bein: 
gen, ward beflimmt, daß zum naͤchſten Storthing oder 
Rteichseag ein Geſetz vorgeſchlagen und in biefer Veran⸗ 
laſſung beſonders das wichtige Princip der voͤlligen Gleich⸗ 
deit dee beiden Reiche ausgeſprochen werden ſollte. Im 
J. 1815 kam ein ſolches Geſetz heraus, das indeß mehr 
die Wisberhofung und nähere Wellimmung mander 
Dinge enthielt, die ſchon im Grundgeſetz feſtgeſetzt waren, 
doch auch fiir Schweden eine Art Intereſſe haben konn⸗ 
ten. Als Unionsdocument erhielt dies Sefeg vom 6. Aug. 
den Namen einer Reichsacte. 

Unter den Quellen zu unferm conflitutionnelien Recht 
fann man, außer den hier angeführten Anordnungen, das 
Geſetz von 1816 und ein gleiches von 1821 rechnen. Durch 
das Geſetz von 1821 iſt ein Zufag zum Grundgeſetz ge: 
fchehen; mit Ausnahme biefes iſt niemals irgend eine 
Veränderung an dem Grundgefeg vom 4. Nov. 1514 
vorgenommen, ungeachtet der unendlichen Maffe von 
Borfchlägen, welche ſowol von Seiten des Königs als 
Privater herausgefommen find. Beſonders feit 1824 
ift es Princip geworden, dies fo viel wie möglich unver: 
ändert zu erhalten, felbft wenn wie feine Mängel erken⸗ 
nen, und fo iſt es uns allmaͤlig ein heilige6 noli me 
tangere geworden. Wir wollen bie Quellen unſers 
öffentlichen Rechts fo rein und klar als möglich erhalten 
und fie gegen das gewöhnliche Schickſal menſchlicher 
Werke fichern, indem wir fie mit der Ehrfurcht umhegen, 
die man dem Alten und ſtark Geprüften ſchuldet. Das 
Recht iſt unteugbar das ehrwürdigſte und ftärkite, das 
fi) aus ſich felbft oder aus dem Volk, ohne Huͤlfe pofi⸗ 
tiven Gebots entwidelt hat. 





Zur Gefhichte der deutſchen Literatur. 


1. Handbuch der Geſchichte bee beutfchen Literatur. Bon 3. 
W. Schäfer Crfler Theil. Bon den älteften Zeiten bis 
he Bremen, Schünemann. 1842. 2er.:8. 1 Thir. 

2 BL. 

3. Innere Geſchichte der Entwickelung ber deutfchen National: 
Eiteratur. Gin methodiſches Handbuch für ben Vortrag und 
zum Selbſtſtudium, von K. Fr. Rinne. Zwei Theile. Leip⸗ 
ig, Dartung. 1842. Gr. 8. 3 Ahle. 


Swei ſehr verfchiedene Arbeiten auf bemfelben Felde und, 
im Allgemeinen wenigftens, zu demfelben Zwecke. Hr. Schäfer 
beabfichtigt möglichft gebrängte Darftellungs bei ber Andeutung 
der interichiebe, die fein Werk von den befannten Werten Ans 
derer babe, fagt er ausdrädtih vom Gervinus'ſchen Auszug 
aus dem größern Geſchichtswerke, es unterſcheide fich derfelbe 
wefentlich dadurch von feiner Arbeit, daß jener die Profalitera- 
tur ausfchliege. „Man wird”, fagt cr in der Vorrede S. vıı, 
„nicht alles vorhandene Material, wie in einem Repertorium 
der Literatur, gefammelt finden, fondern es ſchien mir wichti⸗ 
ger, in den hervorftechenden Graeugniffen bes jedesmaligen Zeit: 
alters den Bildungsgang der Nation nachzuweiſen, diefelben 
nah Inhalt und Form kurz zu dyarakterifiren, ihrem Verhaͤlt⸗ 
niß zueinander, den Bäben, die von dem einen zum andern 
teiten, nachzuforfchen, und dies Zuſammenwirken geiftiger Kräfte, 
fo viel mir möglich, in kleinen Bildern zu veranſchaulichen.“ 
Der Entwickelungsgang, den der Verf. in dieſem erften heile 
verfolgt, ift folgender: ex behandelt die Beit bis zu Opitz in 


vier Büchern, zuerſt die aͤtteſie Zeit BIS zum nn des 
der Laien und WBthtezgeit des Epos wie ber Lyrik, hierauf Uns 
tergang ber. höfifchen Kunftdichtung und Geltung bes Wolks⸗ 
mäßtgen in Voeſie und Profaz endlich das Zeitalter der Refor⸗ 
mation, Ausbilbung ber Profa, Anfänge der Gelehrtenporfie. 
Die einzelnen Bücher zerfallen in Gapitel, weiche aber nicht 
nach einzelnen Perfonen .obee Dichtungen, fondern nady ganzen: 
Sphären oder Gattungen abgetheilt find, z.B. das zweite Buch: 
Dichtungen des 13. Jahrhunderis, beutfches Nationalepos, Blüte 
des hoͤfiſchen Kunſtepos, höfifche Lyrik, Behrbichtung, Profalites 
ratur. Fortlaufende literasbiftorifche Anmerkungen. verleihen dem 
Buche noch größern Werth. Neben ber guten überſichtlichkeit 
verdient hervorgehoben zu werben, daß es zweckmaͤßige Inhaltes 
angaben der einzelnen bebeutendern Dichtungen enthält. 

Das zweite Werk kuͤndigt ſich als ‚‚innere” Gefchichte ber. 
beutfchen Literatur an. Der Verf. gebt von ber Anſicht aus, 
daß biefe Gefchichte meiſt nur als Außere hiſtoriſche Wiſſenſchaft 
vorgetragen werde, wie denn zu einer durchaus innerlichen Bes 
banbiımg berfelben felbft nad) ben Arbeiten von Roſenkranz und 
Gervinus in ber That die literarifchen Hätfsmittel noch nicht ausrels 
chen, am wenigſten aber ſich einer methodifchen Anorbnung nähern. 
Über die vom Verf. gewählten Geſichtspunkte bei dem Werfuche eis. 
ner folden innern Geſchichte Tpricht er fich ſelbſt (Vorrede &. vı) 
fo aus: „Nachdem baher der allgemeine Geſichtspunkt, unter 
welchem, der abfoluten Beftimmung gemäß, bie Entwickelung 
einer Literatur überhaupt, forte der befondere hiſtoriſche fefle 
geftellt war, unter welchem die Gntwidelung der beutfchen Liter 
ratur zu betrachten iſt, mußte weiter das concrete Gefeg derſel⸗ 
ben als Princip zu Grunde gelegt werben, deſſen Richtigkeit 
fi fogleih daran befunden mußte, daß alle einzelnen Erſchei⸗ 
nungen fi als organifche Entfaltung deffeiben ergaben und daß 
ihre natürliche und fihere Erklaͤrung von dem Gentraipunlte 
des Ganzen mit Leichtigkeit hervorfloß. Denn nur fo kann fich 
mit der Erkenntniß des Gingeinen die Anfchauung von dem 
Verhältniffe ded Befondern zum Allgemeinen befefligen und ſich 
an dem concreten Stoffe die abdfolute Wahrheit vergegenwaͤrti⸗ 
gen; nur fo kann der Züngling fich feinem Wolke und feiner 
geiftigen Beſtimmung gegenäber praktiſch erfaffen und nur fo 
alfo das. Berlangte erzielt werben: nationale, religisfe ober 
Welts und Geſchmacksbiidung.“ In Gonfequenz biefer Grunbs, 
fäge hat der Verf. von dem Gtoffliden nur fo niel aufgenom⸗ 
men, ald zur Norftellung von dem Ganzen und bazu nöthig 
war, um daran ben geijligen Wortfchritt in feinem lebendigen 
Bezuge auf das Princip ulencben: Bei einer foldyen Eroͤrte⸗ 
rung mußten ferner, wie fich ber Verf. felbft ausbrüdt, „alle 
titerarifehen Erzeugniſſe, an denen nun der Fortgang nachgewies 
fen war, in. ihrer gattungsmäßigen Entfaltung wie ein vom 
Principe ausgehender, in feine unendlichen Arme fich zerichtas 
gender , feine Gemeinſamkeit aber doch immer kund gebender 
Rervenfirom erfcheinen. Endlich mußten ficy bei einer folchen 
Darftelung angewahbte Aſthetik, Poetik, Rhetorik, ja ſeibſt 
Profobit und Metrit — Wiffenfchaften, die der beutfche Unter⸗ 
richt nur durch großen Misverftand foftematifch abhandeln kann — 
von ſelbſt in das Ganze verweben, fobaß fi), was davon dem 
Schüler zu wiſſen nöthig tft, ihm ohne befondern Anfag von 
feloft einpflanzt.” Das Buch tft ſehr philoſophiſch durchgear⸗ 
beitet und verdient große Beachtung. Bei dem eng gefchloffenen 
DOrgantemus deffelben können wir, felbft wenn es der Kaum d. Dt. 
verftattete, hier nicht auf Einzelnheiten eingehen. 56, 


Bibliographie. 


Ambroſch, 3. A., Über die Religionsbuͤcher der Römer. 
Bonn, Marcus. Gr. 8 10 Nur. 

Asher, A., A bibliographical essay on the Scriptores 
rerum germanicarum. Berlin, Asher und Comp. Amaj. 4 Thir, 

Aubin, 3. M., Geſchichte des Lebens, ber Lehren und 


12, Zahrhunderss, dann Übergang der Dichtung in- 





U Schriften M. Luthers. Rah der 2ten Ausgabe des franzd« 


ü Weit einer Borrebe von &, Sauger. er | 


Mont. Augsburg, DR. Rieger. Gr. 8. 1 Ihe. 

Ber a1, OB. T., Wappesbuch der preussischen Rheia- 
'ovinz mit Beschreibung der Wappen. Nachtsag za den 
appen des immatrikulirten Adels. Bonn, Marons. 1842. 

Gr. 2 Thir. 10 Neger. 

Betrachtungen über bie heilige Gottesliche. Aus dem Ita⸗ 
Uenifgen, Wien, Wechitariften » Gongregationd : Buchhandlung. 
gt. 8. 


Braunfdgweig und Lüneburg. Neu beraudgegeben und mit Ans 
mestungen egleitet. Ginftebein, Gbebr. ziger. kLex.⸗8. 
& v. 
Rieebet franzoͤſifcher Kanzelberedtſamkeit. Eine Gamm⸗ 
lang ausgewählter Predigten ber 
lredner Frankreichs. Muſterbilder für Kanzelredner aller Con⸗ 
——* und Erbamngsbuch für tatpotifce Shriften. Ster Band. 
Leipzig, Jackowig Gr. 8. 1 Thx. 10 Nor. 

Bifkof, G., Populaire Vorlefungen über naturwiſſen⸗ 
ſchaftliche Gegenſtaͤnde, aus: ben Gebieten ber Geologie, Phyſik 
und Ehemie, im J. 1842 gehalten vor ben gebildeten Bewoh⸗ 
nern von Bonn. Bonn, Marcus. Gr. 8. 10 Kar. 

Bolko der Löwe. Erzaͤhlung aus ber fdhiefiichen Geſchichte 


ar 18: unb 14. Jahrhunderts. Braunſchwrig, G. &.&. Meyer sen. | 


Nar. 
Carlopago, Gebichte. Leipzig, Brockhaus. 8. 20 Nor. 
Carus, G., Atlas —— oder Abbil- 
dungen der Schädel- und Antlitzformen berühmter oder senst 
merkwürdiger Personen. Istes Heft, enthaltend auf zehn 
kitho raphirten Tafela die Abbildungen der Kopflormen 
Schille s, Talleyrand’s, eines Grönländers, eines Cretin’s, 
Napoleon’s, eines alten Skandinaviers, eines Kaffera und 
eines Bali, sowie zwei Tafeln übereinander gereichneter 
Contoure dieser Köpfe. Leipzig, Weichardi. Ki.- Fol. 
er 


6 Thir, 10 Ngr. 

Dalberg, Marta Feodora Freifrauvon, Ein Phans 
tafieieben und feine Folgen. Roman. Zwei heile. Yrantı 

a. M., Sauerlaͤnder. @r. 12. 2 Thir. 15 Nor. 

Diefenbad, 2, Die Ariftofraten. Ein Roman. Frank⸗ 
fit a. M., Gauerländer. 8. 1 Zyle. 15 Nor. 

Duller, ©., Maria Ihereſia und ihre Seit. Iftes ‚Heft. 
Wiesbaden, Beyer Br. 16. 71, Nor. 

Eichler, 8, Jonas. Cine Schneider⸗Idylle. Leipzig, 
Baumgärtner. 8. 10 Rgr. 

Eiſenhart, H., Philoſophie bes Staats, ober allgemeine 
Socialtheorie. Leipzig, Brockhaus. Gr. 8. 1 Thir. 6 Nor. 

'Enocyklopädie der gesammten Velksmedicin, oder Lexi- 
kon der vorzüglichsten und wirksamsten Haus- und Volks- 
arsneimittel aller Länder. Nach den besten Quellen und 
mach dreissigjährigen, im In- und Auslande selbst gemach- 
ten zahlreichen Beobachtungen und Kefahrungen aus dem 
Volksleben gesammelt und herausgegeben von 6. F. Most: 
ar Heft. (A— Brennnessel,) Leipzig, Brockhaus, Gr. 8. 

Er. | 
Forſter's, G., ſaͤmmtliche Schriften. Herausgegeben von 
befien Zochter und begleitet mit einer Gharatteriſtik Forſter's 
vn & ©. Gervinus. (Im neun Wänden.) Ifte Liefe⸗ 
sung. (After, Gter und Tier Band.) Leipzig, Brockhaus. 
Gr. 12. 3 Tür. 

Branbfen, 9. S., GC. Eiinius Maͤcenas Cine hiſto⸗ 
riſche Unterfuchung über deſſen Leben und Wirken. Altona, Ham⸗ 
merich. Br. 8. 1 Thir. 10 Ngr. 

Gaͤbler, B., Die vollflänbige Liturgie und die 30 Arti⸗ 
kel der Kirche von England nebft einer Einleitung. — Anhang: 
die Eiturgie der proteſtantiſch⸗ bifcgöftichen Kirche in ben Ver⸗ 
einigten Staaten von Nordamerika. Altenburg, Pierer. Gr. 8. 
k Ihe. 15 Nor. 


tichften Eatpotifchen Kans | 








Swenwart uak Zukunft. Dre: IE Qeuichiand zeif zu 
einer Reorganifation? Gin offenes Wort an das deutſche Wall, 
Bon W. 8. Schaffhauſen, Brobtmann, 8. 7%, ee Ba 

Seibel, &., Zeitftimmen. Gedichte. Ne vermehrte Aufı 
lage. Elbe, Asſchenſeldt. 8. 15 Nor. 

Hauber, %, De ⸗ Eixfisbie 


bey Moͤnche 
und alles geifllichen Drbensflände. Dargeßellt in 
aus ber Geſchichte aller chriſtlichen Jahrhunderte. Ein Lefes 


und Grbaungsbud für bie Beeunde bes kloͤſterlichen Lebens, 


De Rieger. * 11%, Ror 
L; „ Ger ® d Welertagbfeiuien berer 
er — —— m Rau un 
escmann, B. Derwegh und iglich pusus 
Sifchen Bofpoeten. Herrn * W. —2 gewidmet. Schaf 
bauen en 3 — Nat. 
mann .. ich⸗ 
Recenftunden. Mena, Mast. Gr 8 Ar aeſchicheuche 
Er 4 3 
Brontmann. y 8. 5 N & n vanlen, 
annegießer, K. L., i „Schauſpi 
in I Acten, nie einem Borſpiele s ne ae reufiet 
* Radfpiele: Sphigenie’s Tod. Leipzig, Brockhaus Gr. 11 


Kirchner, 8. M., Id weiß an wen ich glaube. Stim⸗ 
men bed Lebens in evangelifchen Liedern. Mit einem Stahl⸗ 
ſtiche. Frankfurt a. M., Dermann. Gr. 13. 3° Mor. 

Landoror, X., Beschreibung der Heilguellen Grie- 
chenlande, Mürnberg, Schrag. Gr. 8. 2% Ngr. 

Mendeisfohn’s, M., gefammelte Schriften. Nach den 
Driginatbruden und Handſchriften. Herausgegeben von Prof. 
®. 8. Mendeisfohn. (In fieben Bänden.) Ifte Lieferung: 
Ifter biß ter Band. Mit Mendelsſohn's Büdniß. Leipzig, 
Brockhaus. Gr. 12. 3 TIhir. 

Moore's, T., poetiſche Werke, deutſch von T. Öldere 
te vermehrte Ausgabe in fünf Wänden. Mit dem Portrait 
bes Dichters. Leipzig, B. Tauchnig jun. Gr. 16. 3 Thlr. 

Reinhardt, Lina, StundensBiumen. Gine Novellen 
Dion Braunfhroeig, G. E. E. Weyer sen. Gr. 12. 1 Thlre. 
gr. 

Das Schulbenmachen ber Juſtizbeamten. Beleuchtung ber 
allgemeinen Verfügung des Herrn Juftisminifters Mühlen vom 
24. Sonuar I} ewidmet allen nicht etatsmäßigen Juſtiz⸗ 
beamten. Berlin, Veit und Comp. Gr. 8. 7Y, Wer. 

Schwartz, K., Der Bruderkrieg der Söhne Ludwig’s 
des Frommen und der Vertrag zu Verdun. Nach den Qael- 
len dargestellt. Fulda, Müller. 4. 27% Negr. 


Softmann, Wilhelmine, Der Bucftabe des Selaer. 
Ein Roman. Braunſchweig, ©. ©. E. Meyer sen. Gr. 12. 


1 Thir. 15 Nor. 


Soutie, %., Der Paradies « Feigenbaum. Aus dem Fran: 
fifcden überfegt von W. du Roi. 2er Band. Braufchweig, 
. C. ©. Meyer sen. Gr. 12. 1 Thlr. 
— — Die Schule bes Lebens. Roman nad Si j 
savait, si vieillesse pouvait, Nach dem ranzöfiihen von 
E.Rumann. ?ter Band. Braunfhiweig, G. 6. &. Meyer zen, 
Gr. 12. 1 Thlr. 15 Rgr. 
Tarnoweki, &, Kuͤchenknecht und Viscounteß. Gine 
hiftorife Novelle. Braunfhweig, 8. C. E. Meyer sen. 8. 
gr. | 
— — Die Schleuberer an der Hafelmattlüfe.- Eine Schwei⸗ 
tnovelle aus dem 14. Jahrhundert. — Der blutige Dfterjubel. 
in italieniſches Volksbild aus dem 13. Jahrhundert. Zwei 
Novellen. Braunfhweig, G. &. E. Meyer sen. 8. 25 Kr. 
Werg, A, Frichſon, der eble Fluͤchtiing. Eine hiſterch⸗ 
romantifche Erzählung, aus dem erften Biertel des 185. Jahr: 
hunderte. Zwei Theile. Berlin, ©. ©. Lüderig. 8. 2 Ihr. 


Berantwortliger Herausgeber: Heinrich Brockhaus. — Brud und Verlag von F. A. Broddaus in Leiyıig. 


— — — — — Mn — 


in, X [oo 


ce 


fit 


ntaeter 


erarifhe Unterhaltung. 


. 
- 





Sonntag, 





Reifeliteratur. 
Zweiter und legter Artikel.) | 
8, Andalufien. Spiegelbilder aus dem füdfpanifchen Leben. Aug 
“den Briefen eines jungen Deutfchen. Herausgegeben von 
W. Ps (8. Aleris). Berlin, Lefecabinet. 1842. 
“ e v. 
‚ine der augichenbflen Schriften, welche der Strudel 
der Reiſeliteratur in jüngflee Zeit auf bie Oberflaͤche 
ihrer wogenreichen Flut gefördert. hat. Mehre Skizzen 
daraus erinnern wie uns beveitd im irgend einer deut⸗ 
ſchen Zeitſchrift oder Zeitung geltſen zu haben, bie und 
Schon damals nicht wenig Interoffisten. Dit Recht macht 
ber Herausgeber and Vorredner auf die im Gegenfatze 
zu der Binfirtheit der vornehmen Touriſten doppelt er⸗ 
frewtiche urfprängtiche und gemüthliche Anſchauungskraft 


des Juͤnglings, auf feinen gefunden, kindlich⸗ frommen | 


Sinn, auf die Liebenswuͤrdigkeit feines anſpruchsloſen 
Eharabeers aufmerffam. Diefe Briefe waren natürlich 

nicht für den Druck gefchtieben, curfirten aber in Ab⸗ 
Schriften auch außer den Kreifen ſeiner Berwandten und 
Freunde und erregten den Wunſch, fie durch den: Drud 
and) einem. groͤßern Publicum bekannt gemacht zu fehen: 
Der junge Dann milfahrte gen dem Berlangen- feiner 
Feeunde unb wünfdte nur, daß eine ſchriftſtelleriſche Fe⸗ 
Dee in. der Heimat die noͤthigen Umarbeiten vornehme, 
weiche familiaire Mittheilungen und Herzensergießungen 
an naͤchſtſtehende Freunde ſodern, ſobald fie vor tin groͤ⸗ 
deres Publicum treten. Dee Herausgeber gewann nun 
einen juͤngern Schtiftſteller, welcher ſich mit voller Liebe 
der Arbeit unterzog. Was perſoͤnliche Berhaͤltniſſe bes 
trifft, fo wurden dieſe andern Perſonen zugetheilt, hier 
und da, wo ſich Luͤcken ſpuͤren und in den Briefen 
nur Andeutungen auffinden ließen, wurde Einzelnes er⸗ 
gänzt und ausgeführt nach den muͤndlichen Mitthrilun⸗ 
gen. eines Freundes, ber den Verf; der Briefe und Ma: 
ĩagas Örtlichkelt und Verhaͤltniſſe näher kannte. Der 
Verf. felbft hat die Herausgabe nicht mehr erlebt; er flach 
ars toisberhaften Blutſtuͤrzen und zu vafcher neuer Blut: 
erzeugung. Seine oft rührend ausgefprachene Hoffnung 
auf Genefung unter Mäfcgas füdlichem Himmel: has ihn 
geräufcht, er farb, als ee gerade "die beſten Ausfihten 
Haste, in: Geweinſchaft mis beonahrten jungen Freunden 


TI) Bgı. dem erften Art: {Re 127 1409 b. UT O. Reb, 


25. Juni 1843. 





ein. eigenes. Geſchaͤft anzufangen. Mit ehrender Auszeich⸗ 
nung wie kaum je ein Sremder, den der Tod in Malaga 
überrafchte, wurde er zur Legten Ruheſtaͤtte geleitet, ein 
gerade zufällig an biefem Zage in Malaga gelanbeter 
premßifcher Prinz folgte aus eigenem edeln Antriebe der 
Leiche feines jungen, ihm perfönlich unbelannten Landes 
manns. Nicht leicht iſt e8 einem Fremden vergönnt ge: 
wefen, fo tiefe Blicke in das fpanifche Familienleben zu 
thun, ba feine mufitalifchen Talente — ber Verftorbene 
galt in Malaga als der befte Virtuoſe auf bem Pianss 
forte — ihm zu allen angefehenen Famillenkreiſen in 
Malaga Eintritt verfchafften. Er belaufchte daher manche 
Beine intime Züge, die dem vornehmen Touriften, weichen 
Toutiſt aus Profefiion oder Langeweile oder Faſhion iſt, 
zu entgehen pflegen, und gerade biefe kleinern Büge ers 
theilen diefen. Darfiellungen einen ungemeinen Reiz, eins 
plante und eigenthümliche Färbung. Gleich im dritten 
Gapitel ſtoͤßt der Leſer auf eine Lebendige Schilderung 
eines Stiergefechts, dem ber Verſtorbene beimohnte,' bie 
in ihrer feifchen Haltung jedem Romanſchriftſteller, dee ein 
Stiergefecht als Epifode zu behandeln hätte, Ehre mas 
hen würde; uͤberhaupt läßt fih in biefen Briefen am 
vielen Stellen eine tuͤchtige Produetionsgabe nicht verken⸗ 
nn. Der Berf. ſah bei dieſer Gelegenheit den gefeiert 
fin Stierfechter Spaniens, ben Don Montes, der auch 
ein großes Werk über die Kunſt des Stierfechtens her⸗ 
ausgegeben hat. Mehr als 14,000 Menſchen umdraͤng⸗ 
tm den Kreis. . . 

Der allenthalben uͤberlaute Pobel — fagt der Berf. — 
war hier gar mit Inftrumenten zum Laͤrmenmachen bewaffnet; 
mit Blechhoͤrnern, unfern Nachtivächtertuten ähnlich, um das 
Bruͤllen der Stiere nachzuahmen, Trommeln und Pfeifen, um 
durch die ſchallendſten Zöne das wilde Thier noch zu reizen. 
Biele ſchwingen Piken, Bahnen, Tücher, um das Auge bes ger 
höyten Thieres zu bienden, und alle biefe Inftrumente, im Sturme 
der Srwartung jenes unvergleichlichen Schaufpiels probirt, das 
iſt ein Anblick, ein Lärm, ber durch Auge und Obr die Geele 
zu einer Witbheit reizt, bie einem Schaufpiel wie bad fommenbe 
borangehen muß, wenn man barin, glei dem Spanier, das 
größte Wergnügen der Wett genießen will, Nicht minder flürs 
miflg, wenn auch mit enormer Grandezza gebt es auf ben Los 
gen ringsum zu. Die ſtolzen Spanierinnen, weniger ſchoͤn, aber, 
weit leidenfchaftticher noch, als fie verſchrien find, liegen weit 
über die Brüftung gelehnt und uerfchlingen mit. gierigem 
feurigem Auge jede Anftatt zu dem herrlichen Vergnügen, das. 
ihnen. beborftght. , Die‘ ſchiwarzſeidfnen Keiber, die ſchwarh, 


.. “ ) ] 
} 4 -. & 


Schleier, von ber glänzenden Haartour herabwehend, bis zur 


ifle, umfchließen die üppigen Formen. Wie fo ganz eigen it I 


der Teint, eine eigenthümliche Miſchung von Fettgelb und Roſa, 
und biefe Miſchung fo heil und rein, fo gang geeignet, ben 
Ausbrud der Augen, bie Isbhaften Misnen zu unterfkügen. , 

Endlich erſcheint Den Montes: 

“Mo er auftritt, jubelt das Volk; das beutfche Wort Jubel 
iſt aber für den ſpaniſchen Snthuflasmus nicht genug. Viel⸗ 
leicht fagt Euch das deutlicher, was Don Montes bedeutet, 
wenn ich Euch fage, daß fein Portrait in jedem Damenzimmer 
hängen muß. Der Gefelerte, mit einem Worte, der erfte Mann 
Spaniens, ber fhlanfe Don Montes ift es, der geibliche, Aber: 
reich pepußte, wie ee jeht vor uns fland, das ſtechende Fisine 
Auge rundum mit einer gefebelichen Daft werfend und ſtolz bans 
kend für den lärmenden Beifall, mit dem fein Auftreten fchon 
begruͤßt wurde. 

Und weiter, als der gehetzte ler einige Pferde durch 
ben Stoß feiner Hörner niederfleedt: | 
Bravo! Bravo! mie wild jubelt bas Bolt über biefe Hel⸗ 
benthat! O, ich wollte, Ihr fähet biefe gluͤhenden Geſichter, biefe 
verzerrten, blutduͤrſtigen Mirnen bes Poͤbels, dieſe gebafiten 
FJauſte, dieſe lechzenden Maͤuler, ſelbſt der zahnloſen Greiſe 
Und die zarten Frauen, wie lebensgefaͤhrlich werfen ſie ſich uͤber 
die Bruͤſtung, haͤndeklatſchend, bravorufend. Sie erſchoͤpfen ſich 
in Lobesausrufungen über das wilde Ungethuͤm, das bis zu ſol⸗ 
cher Wuth emporgeſtachelt wurde. Belle Wonne, weiche Wol⸗ 
ink in ven Zügen! Das Auge ſieht ſich nicht ſatt an den 
Audungen ber fierbenden Pferde. 

Gharakteriſtiſch fuͤr die Nation war die Theilnahme, 
welche der Flügel fand, den fich. der Verſtorbene aus 
Deutfchland ſchicken lief. Ein ganzer Schwarm felgte 
dem Flügel und feinen Traͤgern, bis er vor dem Kaufe 
Band. Hier mußte der junge Deutfche einen Walzer von 
Strauß auffpielen und wieder einen Walzer, und Walser 
auf Walzer, bis ibm der Schweiß von der Stimm lief. 
Die Träger ergriffen babei jeber eine zunaͤchſt ſtehende 
Magd und ſchwenkten fi mit ihr auf ſpaniſch nad 
dem Takte bes deutſchen Tanzes auf offener Strafe 
herum. Später befuchte ihn ein Kapellmeiſter, ein De: 
ganiſt und ein für den geiftlicken Stand beſtimmter jun⸗ 
ser Menſch. Nah Werlauf mehrer Stunden entfern⸗ 
een ſich die Herren unter vielen Complimenten über fein 
Spiel, aber bald trat, mit glühendem Geſicht und fun: 
kelnden Augen, ber junge Dienfch wieder ein. „Seiler! 
Señor!“ rief ee in hoͤchſter Aufregung, „nur den Ans 
fang noch ein Mal, nur ben Anfang, und dann kann 
ich/s auswendig. D, Herr, Ihr vergeht mir! Nur dem 
Anfang!" Der junge Deutfche fragte, welche Pikce er 
meine? und fpielte, da ihm darauf keine beftimmte Ant: 
wort gegeben werben Eonnte, alle Stüde der Reihe nad 
neh einmal buch. Endlich traf er das rechte, es war 
eine Melodie aus MWeber’s Oberen”. 

Wenn ich jemals die Wirkung einer Muſik gefehen — er⸗ 
gu ber Berf. —, fie jemals felbſt empfunden, fo war es Hier. 
Den Sompontften konnte nicht jebe Rote fo durchgluͤht, fo durch⸗ 

joaen fo durchbebt haben, wie hier den jungen Menſchen; er 
ewegte fi, als ob jeder Ton bie einzelnen Glieder feines Koͤr⸗ 
Herd heben und ſenken machte, Alles, jede Nuance fpiegelte ſich 
Ken Zügen wider, bie Augen zitterten, lachten, weinten, 
ten und fchwammen wieder weich dahin, wie die Melodie, 
und mit der Feenwelt ſchwebte ein Heer der zärtlichften Geiſter 
am iin. — — ls ich geendigt hatde, faß er mit gefchloffenen 


Augen, ktem da und 
—* en Irn ee Dinbe mit ben ge 





An einer andern Stelle widerlegt er dem jetzt weit 
verbreiteten —— die Spanier des Katholicismus 


aberdruͤſſig wären. Aber welch eine Religlon! Gin Laft⸗ 
traͤger erzaͤhlt ihm voller Seelenruhe, er habe ein filber⸗ 
nes Crucifix geraubt, ſei aber gleich davor auf die Knie 
gefallen, habe +6 um Vetzelhung gebeten und geioßt, er 
wolle es in beſſere Haͤnde verlaufen, als in denen es fi 
jet befänbe, habe es damit geleiflet, daß er es zu einer 
ſehr frommen Duelia bringen werde, bie werde es im 
vollen Ehren halten und des Tages ſechs Mal ibe 
davor verrichten, und. dann habe er fidy aus einem 
«6 


' 


sen auf dem Hofe einen bejahrten Wann knien, ber ſich 
mit der echtem bekreuzte, während er in ber Linken eb 
nem ſchnurrenden Kater am Wüdenfell feſthielt; eine 
ganze Maſſe ungen umgab ibn tniend mad alle von 
richteten ihre Andacht im gewöhnlicher Weile; nach Be⸗ 
embigung derſelben aber gemahrte ber Deutfche, baf der 
Alte in ber echten, mit ber er ſich befceusigte, ein 
Maus bat, bie er nun am Gchwanze dem Kater mis 
den Kopf ſchwingt und damit fein Auditorium beiuſtigt 
Oder ein Burſche verzichtet fein Gebet und heftet zu 
vor ihm Imienden. alten Weibern die Röde zufanmem, 
während biefe, ihre Suͤndenbekenatniß fortfegend, den 
Burſchen mit der Kauf ins Anttis fahren Mod eime 
Converſation wiſchen fpauifhen Damen fei und erlaubt 
hiee mitzuteilen; fie iſt einmal gebruck, werum follten 
wir, als Berichterfintser,. Anand nehmen, fie mitzutheilem, 
da fie fo ausnehmend charakteriſtiſch iſt? Sie lautet: 
Erſte Dame: Vento (ein Hundename) geſtern 

wieder bie ganze Racht nit zu⸗Hauſe geweien. ja Fre) 
Se a ie ae 
ge dräben ber Donna Caſtill TER 


0. 
.De Deut 4:B8ie t, 
FR e Deutſche ni baß er nur aus Einbltcher BE 


Bweite Dame: Unſinn ne kindliche Eiche, 
Der Bediente Eonnte — * ih kaum mit dem Stocke audeine 
ander treiben. ' 
Dritte Bame: Mb ws iſt denn bat fo Grofek. 
—* und Eva ‚baben’s ebenfp gemacht wie jeht Ponto und 





fe: Wet Mam und’ ⸗⸗ 
Dir Deutfäe: Me an FM wäh, nat * 


ig Thier. 
Der —6* Der Meunſch aber hat eblere Beweg⸗ 
Man ließ ihn jedoch nicht ausrebden 
—5 edie Beweggränder?”” kicherte Dame. 


bie erſte 
„AB Adam der Eva nadlief, wollt er fie nicht ins Kloſter 
H Die Thiere find nur nicht verſchaͤmt, das iſt ber einzige 
renterſchied“, Tagte die Zweite 

„Ach, was Gckam und Gqande“ rief die Dritte. „Das 
ME doch nur Ziererei bei den Renſchen. Wären wir noch im 
Paradieſe, fo wären wir Alle wie Adam und Eva!‘ 

Dies geſchah in einer großen Tertulla und ber Verf. 
verſichert, daß er nichts ausgelaflen, —— verſtaͤrkt 
ober hinzugeſetzt habe. Indeß iſt Ahnliches auch von 
andern Kteiſeſchtiftſtellern berichtet worden. Man flieht, 
daß es in den ſpaniſchen Geſellſchaften natürlicher und 
weniger juͤngferlich und delicat hergeht als in unſern 
Theegeſellſchaften — natuͤrlicher freilich, als man billigen 
darf, aber auch umgefdnwintter und ungenirter. Könnten 
wir den Spanierinnen etwas von unferer Pruderie und 
Dellcateſſe ablaffen, fo moͤchten wir uns als Gegenge⸗ 
fchenE doch etwas mehr Natur und Friſche für unfere 
deutfchen Damen ausbitten. Die Spanterianen haben 
Deshalb auch ein maͤchtigeres Befüht, weit fie nicht fo 
keicht wie die beutfchen Damen Anwanblungen von Ohn⸗ 
macht unterwosfen find. 

9. Erinnerungen aus England. Aus der Januar: Nelfe 1842. 
Don Ebuard Freyberg. Berlin, Kraufe. 1842. Gr. 8 


— duͤnnes Buͤchlein, worin, wie der Verf. ſagt, 
bie Gegenſtaͤnde, wie fie ſich ihm zeigten, naturgetren — 
ohne Schmud und ohne Flitterwerk gemalt worden fein 
foßen. : „Mag es fein’, fegt ex hinzu, „baß in dem Ne⸗ 
bei, der das englifche Babylon undurchdringlich verhülte, 
mancher Gegenftand ſich finfierer ausnahm, als er von 
Andern bei klarem Sonnenfchein gefehen wurde” — wir 
fogen hinzu, auch bei klarerm Verſtande; denn verſtaͤn⸗ 
dig iſt es wol nicht, London von vornherein als das eng⸗ 
liſche Babylon zu bezeichnen; wie, wenn einmal ein eng⸗ 
. Sicher Reifender Berlin das preußiſche Babylon nennen 
wollte? Der Verf. bezweckte durch feine Schrift die Liebe 
fe Preußen und feine Inſtitutionen zu befefligen. Wir 
Heben den preußifhen Rationalſtolz nicht, aber wir ach⸗ 
gen Ihn wenigftens und um fo mehr, dba die Preußen in 
Deutkhland des einzige Voll find, dns einigen National⸗ 
fon, dieſe Queile fo vieler tüdhtiger Entwidelungen, bes 
figt. ber diefer Stolz grenzt nur allzu häufig an Eigen 
bankel, Großſprechereel und aumaßliche Eitelkeit; man 
verenut abfichtlih die größern und freifinnigern Inſiu- 
denen bed Auslaudes, um eimbeinsifchen viel kleinern 
ud engherzigeen das Wert zu reden. Bei 
dieſer Richtung iſt jeder Fortſchritt geheunmt, wenn wicht 
unmoͤglich; man würde ſich ſogar bald gemuͤigt ſehen, 
won genfiiden Chiefen qu, (gen. Dr. Breybeg IR 





1. Mogetweide find Die fAnften, Bierten eitbentfäier 


dm) von der YrnrofphAre' durchzogen, welche die Vedie 

6 Könige von Preußen bei feiner Pathentelfe nad 
England umgab. Er gehörte dieſer Geleitſchaft an. Alleg 
in England erſcheint ihm Grau in Grau In den Ta— 
bagien befenders vorwißt oc dab ,, fröhliche heltere * 
Deutfchland. u 

England — fagt er — ift groß und mächtig, feine Bag 
gen wehen in allen Theilen der Welt, und doch iſt es uns Lieb, 
ein Land zu bewohnen, das nicht fo reich und mächtig im Dans 
bet und in ber Politik, aber reicher und mächtiger’ an jedweder 
et ift, bie das Zuſammenleben der Menſchen bebingt und 
erheitert. 
Und als er dem freien Albion Lebewohl ſagt, meint er: 

Aufrichtig geſagt, geſchah es ohne Bedauern, denn wenn 
uns au mande —E und belehrende Stunde gegoͤnnet 
ward, ſo hatten wir doch auch ſo viel Niederſchlagendes und 
wenig Erbauendes geſehen, daß wir uns herzlich nach unſerni 
theuern Preußenland, deſſen Fehler anderswo am Ende noch Tu⸗ 
genden werben, zurßdfehnten. . 

Wie aber, wenn «8 Jemand einfiele, zu behaupten, 
daß ſelbſt die Tugenden des „theuern“ Preußenlandes 
anderswo am Ende noch zu Fehlern würden? Eins 
moͤchte ſo tden ſein als das Andere. So viel, um den 
Geiſt und die Tendenzen dieſes ziemlich unfertig geſchrie⸗ 
benen Buͤchleins zu charakteriſiren. Sein Inhalt iſt un⸗ 
bedeutend. Die paar Tage, welche der Verf. in England 
zubrachte, reichen eben nur hin, um das Band zu vers 
kennen, flatt zu erkennen. 

(Die Bortfekung folgt.) 


Usungen zur mittelhechdeutfchen Grammatik, Mit Ans 
mertungen und einem Gloffarium von 8. M Hahn. 
Frankfurt, Brönner. 1843. 8. 1 Thlr. 

Das Studlum unferer altnationalen Literatur und ber alt 
deutfchen Poefie insbefondere bat in neuerer Zeit ſich zu einer 

Bedeutung erhoben, daß ein wahrhaft Gebildeter billig Bedenken 

tragen muß, diefen Gegenftand als etwas Überfläfiiges, als eine 

j fern liegende Suriofität von fi zu weifen. Und gewiß wäre 

et dem vielen Trefflichen, was unfere alte Literatur bietet, die 

Theilnahme daran und bie Kenntniß berfeiben viel verbreiteter, 

wenn nicht die Sache ihre eigenthuͤmtichen Schwierigkeiten hätte, 

die wir nicht leugnen wollen, um nicht einen gar zu leichtferti 

Derzutretenden zu täufchen, die aber doch im Ganzen weit ni 

fo groß und unüberfleiglih find, ald man ſich einiglich. vor⸗ 

ftellt. Allerdings möchte ein Autodibatt in biefem Fache vor 
wenigen Jahren noch ſchlimmer daran gemefen fein, als etwa 
bei bem Studium einer ber romaniſchen Sprachen, und auch 
jegt noch würben wir die Leitung eines geſchickten Lehrers, wo 
fie zu erreichen ift, für dieſe Faͤcher vorzugsweiſe empfehlen, 

Sei es mit oder ohne Lehrer, möchte folgende Plan für 

das Etubium bes Altbeutfchen zu empfehlen fein. Ich 

fege voraus, daß man fich zuerft und vorzugswelfe zum Mittels 
hochdeutſchen wenbe, das, wie Herr Hahn in feiner „Grammatik“ 

S. v fagt, uns nach Heimat und Belt, in die es gehört, am 

naͤchſten Liegt und dem vor ‚Allem dadurch eine überwiegende 

Theilnahme gebührt, daß wir hier unfere Ältere Literatur am 

reichften und alfeitigften entfaltet fehen, daß, während andere 

Dialekte zum Theil nicht viel mehr als proſaiſche Überfegungen 

darbieten,' in dem Mittelhochdeutſchen uns mit Aebendige Poeſie 

entgegentritt. Hier, wenn. wie nach inmem Gehalte und 
dauerndem Verthe fragen, baſſen fi Serke mennen, denen bie 
aͤbrigen germaniſchen Diolekte nichts Bleihes oder Höheuee ab 
geaenzufiellen vermogon. Bedichte wie bie „Mibelungen’ und ‚Ad 
beum”, Parziwal⸗ ugd xxiſtan“, oder die dieder Bauthers hon Ing 
a Porfie und wo 


7. ll. PR TIY: . .; »” ! 


wie ſig xs Beeren, und verbreitet, Die Dar⸗ 
Fe — chen Didier ift meift gewandt und 


geh, vol Wärme und Gemuͤths, auch naiv zwar, wie man 


gerne nennt, body öfter ebenfo ausgebacht und berechnet. 


Dazı femme eine gebiſdete, im Ausdrud hoͤchſt mannichfaltige 
Sehriſtſnrache, die zwat an Woltönigleit ber Gubungen una 
Ableitungen und wa® dergleichen ſinnliche Vorzüge find, aͤltern 
Mundarten natürlich weit nachftept, allein indem fie gerabe abs 
ſichtlich das Alterthuͤmliche ſowie auch das zu Provinzielle mög» 
hit zu vernieiden ſucht, indem fie in manches bisher Schwan⸗ 
gende mehr Conſequenz bereinbringt, gewinnt fie ein reineres 
feftered Gepräge als z. B. das Althochbeutſche. Ebenſo mögen 
ihre in fontaktifcher Hinſicht durch Abſchleifung der Flexionen 
manche Gonfttuctionen verloren gegangen fein; bie find aber 
leichter zu verfchmerzen, wo fo viel Geſchick und Eleganz herrſcht. 
Diejenigen ımter und befonders, welche ſich mit allerlei Bor: 
urtheilen diefen Dentmätern nähern, muͤſſen ſich wunderbar bes 
teoffen fühlen durch den günftigen Eindruck einer ſo cultivirten 
Sprache. Fuͤr den Anfang dieſer Studien woͤßten wir keine 
paſſendern Suͤlfsmittel anzurathen, as die 1842 glteichfalls in 
Fenteen a. M. erfchienene ‚‚Mittelhochdeutfche Grammatik“ von 
Ir. Hahn und bie in der Überfhrift genannten dazu gehörigen 

Die ledtern enthalten zuerſt einzelne abgerifiene Beb 

fpiete, welche die Regeln der Grammatik nach einer georbneten 
Zufammenftellung zur Anſchauung bringen follen, über weiche 
aber freilich Manche einen nähern Nachweis vermiffen werben ; 
fodann ift Material zur eigentlichen Secture geboten. Mit Recht 
bat ſich der Verf. Hier nur an bie erzaͤhlende Poeſie, als 
die leichtere gehalten, nuch nur wenige Städe gewählt, jedoch 
fein. Augenmert meift auf die vorzuͤglichſten Gedichte gerichtet 
und daraus anfehnliche Partien, zu Ernſt und Scherz, entnoms 
men, naͤmlich aus dem „Smwein‘, dem „Parzival“, dem „Wils 
heim’, dem „„Zriftan”, aus ben „Ribelungen“, aus bes „Strickers 
Dfoffen Amis’ und endlich die Erzählung vom „Weinſchwelg'“. 
Den Schluß des Buͤchteins macht sin forgfältiges Gloſſar und 
einige Anmerkungen. Dit diefen „Ubungen’.bat uns Dr, Dahn 
ungefähr Das wieder, und in verbefjerter Beftalt geboten, was 
früher Lachmann’s „Auswahl aus den hochbeutfchen Dichtern 
bes 13. Jahrhunderts“ (Berlin 1820) war, auf beren ers 
fodetlich gewordene neue Auflage der Verf. im Anterefle 
von W. Wackernagel's „Altdeutſchem Leſebuch“ verzichtet hat. 
Allein Wackernagels Buch bat jenes Wert zwar in ſich ver⸗ 
ſchlungen, aber nicht etſetzt, denn es fehlte ſeither ein tuͤchtiges 
Meines, woblfeiles, für Anfänger geeignetes Leſebuch. Hat der 
Anfänger die genannten zwei Werke Hahn's gründlich durch⸗ 
gearbeitet, fo wird es ibm nicht fchmer werben, an die Lecture 
des ganzen Ribelungentiedes zu gehen, wobei ich nur vor Ladys 
mann's zweiter —28 deſſelben warnen moͤchte, da die Unter⸗ 
ſcheidung der fuͤr unecht erklaͤrten Strophen durch den Druck 
den Leſer verwirsen und ben erſten unmittelbaren Genuß bes 
großen Kunftganzen flören muß. Gbenfo wird e8 dann Leicht 
werden, fiber das mittelhochbeutfche Spracgebiet hinaus zugehen 
und durch die Lecture von Wackernagel's trefflichem „Leſebuche“, 
mit Zuziehung eines literarhiſtoriſchen Compendiums, etwa des 
Koberſtein'ſchen, ſich ein lebendiges Bild von dem ganzen Ent: 
wictelungsgange unferer Epradje und Literatur don den Alteften 
Zeiten bis auf unfere Tage zu verfchaffen. Dabei werden dann 
Grimm’s „Srammatit”, „Mythologie, „Rechtsalterthuͤmer“ 
und andere Werke mit Nugen und ohne Schwierigkeit zuge: 
ao werben und von da an wird ſich der Leſer ſelbſt weiter 

elfen. J 





kiterariſche Notizen aus Frankreich. 
Legitimiftifhe' Schriften. 
FJean Paul ſagt, daß es Menſchen gäbe, denen das Sqhickſal 
Get. ihrer Geburt ein Ei lege, an dem fie ihr ganzes Erben 
Üten müßten. Er meint damit z. B. Diejenigen, deren Ramen 
De’ Sielſcheibe unaufhoͤrlicher 


Verautwortlicher Verauogeber: Oeilarich Brodbaus. 





Wigeleien rd. - So kann man ' 






r den Spott berausfobern. Wie Tann. man » 8. 
feigem Muche einen Titel geben, wie: „Biens qui vaillent.. 
Extraits da portefeuille d’en oarliste, trouv6 sur le chemia 
de Holy- Road” (Paris 1843). Wenn der Verf. wirklich der 
Meinung gewefen wäre, daß die Bruchſtuͤcke, weiche ex dem 
Publicum bietet, nichts taugen, fo hätte ex fie gar nicht fchreiben 
oder wenigftens nicht drucken laſſen follen. Diefes kleine Wert, 
von bem wir biß jegt drei Nummern erhalten haben, gehört 
auch in ber That zu jenen nichtöfagenden Kleinigkeiten, die auf 
dem literariſchen Markte völlig unbeachtet bleiben und nur in 
befreundeten Girkeln Anertennung finden. Ein Geitenflüd uu 
biefer Se bildet ein anderes Werk, das gang in bemfelben 
Geiſte geichrieben if. Wir meinen „es proscrits, album d’un 
röveur”' von Achille Ballet (Paris 1843). Indeſſen zeigt biefes 
Taſchenbuch, bad, wie ſchon fein Titel andeutet, legitimiſtiſchen 
Erinnerungen gewidmet iſt, offenbar vou größerm Zaient als 
die nochererwähnte Schrift. So machen wir namentlich auf 
eine „Pelerinage au mont Valerien” aufmerkſam, die ſehr gut 
geſchrieben il. Wir ftellen mit diefen beiden Werfen, bie beide 
vorzüglich für bas Faubourg Eit.: Germain berechnet finb, We 
neuelte Schrift des vieibekannten Bicomte b’Artincourt zufammen, 
die foeben unter dem Kütel „AI’Etoile polaire” (2 Bde.) ers 
fheint. Der edle Vicomte hat kein Mittel verfhmäht, um die 
Öffenttiche Aufmerkſamkeit auf biefes jängfte Product feiner Feber 
zu ziehen, ſodaß das Publicum vielleicht: verblendet genug if, 
darauf neugierig zu fein. fruͤher hatte er es ſich .einmel 
mehr als 20,000 Fr. koſten Laffen, um feinem einzigen bramas 
tiſchen Gtüde ben ephemeren Triumph einer einmaligen Vor⸗ 
ftellung zu fihern. Wenn man fleht, wie feine verfchrobenen 
und geifftofen Romane faft m alle Sprachen überfest find, fo 
follte man meinen, baß fie wirktiches Auffegen erregt haͤtten 
und baf fie wenigſtens von einigen poetifchen (Sehalte wären. 
Aber weber das (ine nach das Andere ift der Fall, und wenn 
von jedem feiner Werke mehre Auflagen erſchienen find, fo kommt 
dies daher, weil ber hochgeborene Gchrifrfteller feinen litera⸗ 
riſchen Ruf tuͤchtig zu „‚erploitiren” verſteht. Wie mean im 
Deutfehland von feinen Reifeeindrücten fo viel Weſen hat 
können, ift wirklich unbegreiflich. Aber vielleicht find fie in der 
Überfegung wenigftens infofern leferticher als im Driginal, daß 
die gar zu verfchränkten Perioden etwas zugeftugt find. Der 
Bicomte d’Artincourt hat ſich in eine fo verdrehte Manier bineins 
gefchrieben, daB man, wenn man nur einigermaßen in den 
Geiſt der franzoſiſchen Sprache eingedrungen if, kaum zinen 
Get von ibm leſen kann, ohne zu lachen. 


FR PR —— —A— & —*— 
n n unzaͤhlige uche gemacht, bie Bibel 

ben Veduͤrfniſſe der berſchiedenen Atter und Bildungaflufen 
zuſtuzen. So haben wir in Deutſchland eine betraͤchtliche 

zahl von Schullehrer⸗, Kamiliens und andern Bibelausgaben, 

bie zum Theil ihrem Zwecke entfprochen haben. Auch in Brand 

reich fängt man jest an, Gottes Wort auf alle mögliche Ark 

zuzurichten. Zuerft haben wir bie prachtvollen, mit Kapfera un 

Goldſchnitt verfebenen Ausgaben „pour los gens du monde”. 
Bon den verfhhiedenen Kamitienbibeln, die in neuefter Zeit herans⸗ 
gefommen find, heben wir befonders die vom Abbé Drftei, „La 
bible des familles, a Parage des gens du monde‘ (Paris 
1843) hervor, die mit vieler mficht angelegt zu fein fdyelnt. 
Nur if es und ſtoͤrend aufgefallen, daß der Dernutgeber jebdes⸗ 
mal, wo er fich Beränberuugen im biblifchen Texte erlaubte, Dad, 
was von ihm felber herruͤhrt, mit Gurfivlettern hat drucken lafjen. 
Auf den erften Bid kann dies angemeffen erfckeinen; wenn man 
aber bedenkt, daß dies meiftens foiche Stellen find, bie ſich für 
bie Lecture ber Jugend nicht eignen, fo wird man einft hes, uf 
man dieſeibe gerade durch ben auffalenden Orxck veraniet, amb 
Neugierde die anglicgen Stellen in icgend einer andern Ausgabe 
nachzufehen. Auf die e Yet wird, alfo der Zweck gerade oerfehlt: 


ba einegute A bie 
ein 3 ‚gute. Angahl von MWiächertitetn gibt 








. U. Brockhaus in geipzig. 





Blätter 


für 


fiterarifhe Unterhaltung. 





Keifeliteratur. 
Zweiter und legter Artikel. 
(Bertfegung and Mr. 176.) 

20. Erinnerungen an England. 1841, Bon 8.8.9. Barr. 
Braunfchweig, Meyer sen. . &.8. 18hir. DO Ngr. 
Der Verf. diefes im Ganzen intereſſanten, doch auch 
manches müßige und unecheblihe Beiwerk und Detail 
auftifchenden Buchs liefert von England ein dem eben 
befprochenen Buche gerade entgegengefegtes Bild. Alles 
orfcheint ihm in Großbritannien im rofenrotheften Lichte; 
der neblige Himmel Londons hängt ihm voller Geigen 
und Siöten; das ganze Land fit ihm ein Tiſchlein deck 
dich von Auftern, Plumpudding, Delicateßwaaren, Porter 
und Ale. Den fhauderereegenden Berichten zum Xroß, 
welche von Engländern felbft ausgingen und das Elend ber 
arbeitenden Claſſen in den Fabrikdiſtricten, in den Koͤh⸗ 
Imgruben, in gewiffen verwahrloften Theilen der üppigen 
Hauptſtadt ſelbſt nachgewieſen haben, behauptet der Berf.: 
Blicke ich in die von Arbeitern befuchteften Orte, fo kann 
ich mich nichi genug über das gute Ausfehen der Leute, über 

Das ſchoͤne Brot. und ſchmackhaſte Bier, weiches fie geni 
wundern. Es gibt Nachrichten, die, wie gewifle Ihiere, Dir: 
maphrobiten find und fich felber befsuchten und fortpflungen, 
möge nun eine Wahrheit ihnen zum Grunde Tiegen oder nicht. 
Bielteiht exiſtirt kein Land, wo Gold in allen Ständen fo vers 
breitet ift wie in diefem ; es muß jeben Ausländer überrafchen, bei 
Perſonen Sonertigns zu ſehen, wo er kein Sixpences vermuthete. 
Ob aber der königlich hanoverſche Hofrat auch wirt: 
Beh die Staͤtten geſehen hat und gefehen haben Ponte, 
we das Elend und die Armuth, nach den Berichten Al⸗ 
Ber, haufen. ſelen? Ein Engländer, welcher in Berlin 
wur die wiſſenſchaftlichen Anftalten, bie Theater, einige 
affentliche viel befuchte Orte ſreqquentirt und nur Die 
fafbionabein Staderheile kennen gelernt bat, wird freilich 
von dem Elende in dem entferntern Zhellen, in ben Wins 
deiſftraßen, in den Dachſtuben und Kellerloͤchern Leinen 
Begriff haben. Trotzdem freuen wir uns, daß der Verf. 
Benräht if, die Hochachtung für England bei uns zu 
mehren und zu fleigern. Auch Meferent Hält das engl: 
Bett, bei aller Schattenfeite von nationalem Egoies 
zus, unpbllofephifcher Engherzigkeit und ſchroffer Ortho⸗ 
derxie, für das erfle, kraͤftigſte und, trotz aller chartiflis 
ſchen Umcriebe, in fi gefeſtigtſte Volk ber Welt, für 
Zus, welches im: Handela das. conſequenteſte, im Deuken 


das praktiſchſte iſt, welches ſich feiner ſelbſt am bewußte⸗ 
ſten und ſicherſten iſt und weiß, was in jedem Augen⸗ 


blicke noththut. Selbſt ſeine Maͤngel dienen nur dazu, 
um es zu einem Volke zu machen, während in andern 
Ländern, namentlich in Deutfchland, hohle Theorten, in» 
bividuelle, dem Grundcharakter der Nation zumwiderlaufende 
Anſichten, philoſophiſche Träumereien über einen Zuftand, 
dee vielleicht noch Jahrhunderte Über den gegenwärtigen 
hinausliegt, Alles unterhöhlende Jugendthorheiten, altvaͤte⸗ 
riſche Verſtocktheiten und eitle ſelbſtgefaͤllige Raiſonne⸗ 
ments den Boden für volksmaͤßige Freiheit untergraben, 
den man auf einem pofitivern, geſetztern Wege eher errei⸗ 
den wuͤrde. Fuͤhren wir zu dem Zwede noch einige 
Stellen aus der vorliegenden Schrift hier an. Won ber 


jetiger, dem unabhängigen Gelehrtenſtande fo 

ungänftigen Zeit nicht Leicht antriffl. Die Lehrer braudyen, 
zu ringenz das 
nad) Zur 


lei 
fprechen mögen, fo ift es doch im Allgemeinen eine anerkannte 


Thatſache, daß nur Männer, welche ſich al& Gelehrte und Lehr 
rer einen entſchiedenen Ruf erworben und wegen ihres Sharab 
ters in Öffentlicher Achtung fliehen, dazu gelangen. 

An einer andern Stelle: 


Die Scheidimg der Bürgerlichen von den Abeligen fällt in 
einem Lande nicht auf, wo das Herkommen, das Kecht, der 
Bells in fo Hoher Achtung flieht. Gin Anfeinden der Staͤnde 
ı fupet nicht flatt. Man läßt Jedem das Geine, achtet bie lan⸗ 
| pesühlich angeerbten Vorzüge und iſt nur eiferfüchtig auf Das, 
was Allen gemeinfam zulommt. Gs ift dieſes ein tieftiegender 
Zug des Rationalcharalters, aus dem ſich vier herleiten und er⸗ 
karen laͤßt. Wei dem Geibftgefüht, das Aue in ſich tragen, bei 
dem Bewußtſein, daß alle bor dem Geſche gleich feien,: 
daß jeder Engländer auf jedem Punkte der Erde von feinem- 
Lande Schutz und Beiſtand zu erwarten habe, bei bee Ausficht, 


| die jedem Befähigten gegeben ift, die hochſten Ehrenſtellen des 


Landes zu erreichen, bei der faſt gleichfoͤrmigen Art, wie ſich 
faſt alle Haben, tragen, Bleiben, t dennoch eine fo 
Dbfesvamy in Dem, was bie einzeinen GSlaſſen der Befrtiigaft: 


Unterordnung unter bie aͤußern 
Abzeichen des Ranges, der Geburt, ja des Bermoͤgens, daß in 


— iſt, dieſes kaum begreiflich erſcheint 


erner: | i 
ẽ Ich ſehe es immer mehr ein, man muß die engltſchea Ber⸗ 
haͤltniſſe, weit fie ſo hiſtoriſch, fo durchgebildet, durch Gegenſaͤtze 
fo zerrieben und wieder fo ſcharf geſpalten find, an Ort und 
©telle kennen lernen. Betrachtet man bie öffentlichen Wiätter, 
die literarifchen Verhandlungen, ja bie fociaten Grfcheinungen, 
fo tritt Einem ber Zwiefpalt ber Parteien in allen Formen unb 
Karben entgegen. Die eifrigften und lauteften find aber bie po⸗ 
titifgen. Die Poutik ift ein Gegenfland, woran Alle theilnebs 
men, fie ift die tägliche Nahrung, die Speiſe bes Lebens. Das 
Qnterefie an ihr iſt wicht wie auf dem. Gontinente ein verpoͤn⸗ 
tes, fondern eines, das ſich von felbft verfteht. Auch wird der 
tehhaftefte Antheit nicht als ein unberufmes Mitfpreden, als 
eiri Bekrittein der Regierungsmaßregeln, oder gar ein Conſpiri⸗ 
ren gegen bie Gefege und Berfaffung des Landes angeſehen, 
fonbern ais ein natürliches, angeborenes, rechtmaͤßiges Trwaͤrun⸗ 
fein für Principien und Zragen, die mit dem Wohle ber Indi⸗ 
viduen, des Staats, ber Menſchheit innigſt zuſammenhaͤngen. 


und Was mic) jeden Tag von neuem überrafcht, ift bie Ord⸗ 
nung in diefem anfcheinenden Chaos. — — Wahrlich, wer im 
Übermuthe und Unverftande ber Jugend ſich berufen wähnt, bie 
Sanung der Staaten umzulehren, bie Melt, wäre es and) 

geraltthätige Mittel, zu verlafien umd feinen beſchraͤnkten 
Geſichtskreis der großen Geſellſchaft aufzubringen, der komme 
hierher, um Unterwerfung unter das Beſtehende, Refpect vor 
der berrfchenden Gitte zu lernen. Vierzehn Tage in London 
zugebradht, follten, meine ich, eber vermoͤgen, einen Solchen eines 
Deſſern zu beiehren, als ebenfo viele Donate auf einer Feſtung, 
hinter Wachen und Gifengittern. 

Allerdings, gewaltſam und durch Feſtung und Eiſen⸗ 
gitter täße fi der Sinn für politiſche Ordnung umb 
Anftändigkeit nicht hervorrufen, wenn ce nicht organifch 
mit Staats: und Volksleben verwachſen und zwifchen 
Bolt und Regierung das Verfländigungs: und Binde: 
mittel ift. 

11. Neifeflizgen aus bem Morgenlande. Zmweibräden, Ritter. 
1841, Ler.,8. 1 hir. 10 Nor. 

Der Ertrag diefes Werks ift zum Vortheil der Mif: 
fionen beflimmt, eine Angabe, weiche Ref. über den Cha: 
rakter des Buchs irre führte. Er vermutbete eine durch⸗ 
gehend chriftliche Tendenz, und obfhon das Bud viele 
dahin einfchlagende Stellen enthält, iſt es doch aud 
ebenfo reich am weltlichen Beobachtungen, Volks⸗ und 
Detbefchreibungen, Anekdoten und Charakterzügen. Der 
Verf. fcheint von hohem Stande und Vermögen zu fein 
und deshalb auf feiner Reiſe viele Verguͤnſtigungen ges 
nofien zu haben. In Beirut wurde er fogar dem Pa: 
(da Soliman, bem Renegaten, vorgeftellt, der ſich feines! 
Ramens erinnerte und dem Neifenden erzählte, Mar⸗ 
ſchall Ney ſei bei deſſen Großvater angeflellt geweſen und 
duch dieſen ermuthigt werden, in den Soldentenſtand 
zu treten. Daß er bairiſcher Untertben ift, gebt befon: 
ders aus folgender auch in anderer Dinficht Intereflanten 
GStelle hervor: 

Es ift mir Lieb, daß den Baiern durch die Reife Prinz 
Maximilian's ein guter Ruf vorangebt, ber leider! den Deut: 
ſchen, anderer Hohen Reiſenden wegen, ſchon verlosen gegangen 


eine ſolche ruhige, von allır Anfeins 


war. Einer von biefen Herren, bem es an Gelb mangelie, 
misbraudgte bie vom Wicelönig erhaltene Vollmacht auf feltene 
Weile. Er Lich verſchiedene Sklaven auf Rechnung des Paſchat 
kaufen, verlaufte fie Tags barauf und ſteckte ben Ertrag ein. 

Der Verf. reifte von Rom nach Serufalem, um, wie. 
er fagt, das aͤrmliche Serufalem mit dem ihm verwand⸗ 
ten, prächtigen Rom zu vergleihen. Den intereffanteften 
Theil der Schrift bilder des Werf. Aufenthalt in Ägypten 
und Reife auf dem. Nil; biefe Partie iſt an pilanten 
und zum Theil neuen Nachrichten fehr reich. Won ber 
fummarifchen und rapiden Gerechtigkeitspflege Mohammeb 
Auli's erzählt der Reiſende folgendes Beiſpiel: . 

Hier zu Rande trifft man viele ſchoͤn gewachſene Juͤnglinge 
an, welchen ein Auge ober ein Finger fehlt. Die Väter, im 
Bunde mit den Barbieren, ließen ibnen in ihrer Kindheit bie 
Finger abnehmen oder Gift in das Auge legen, um fie vom 
BSoldatendienfte zu befreien. Mohammed All merkte die Lift, weil 
in einem und banfelben Dorfe ſich fo Wiele befanden, 
der Daumen fehlte und die immer bie naͤmliche Ausrede vor⸗ 
fhüsten. Gr tieß daher allen Barbieren und allen Vätern fol 
her Daumensofen den Kopf abſchlagen; feitbem blieb bies Be 
freiungsmittel ohne Anwendung. 

Einmal börte der Meifende einen Häuptling bad um 
(ihn verfammelte Volk folgendermaßen anreben: 

Bumpengefinbel! ich habe [yon vielen der Gurigen ben Kopf 
abfchneiden, die Zunge ausreißen taffen, ich habe welche ertränten, 
eitſchen und verbrennen laſſen, noch beſſert Ihr Euch nicht; 
ich erfinne besbalb ein anderes Mittel: ich werde Euch nun⸗ 
mehr ſaͤgen laſſen! 

Hierauf mußte ein jubelndes Beifall,eichen erfolgen. 
Der grauſame Bei Defdadar lleß dem Schmiede, ber 
ſein Leibroß ſchlecht gehufet, dieſelben ſchlechten Eiſen an⸗ 
ſchiagen; ein andermal ließ er das Fleiſch ſeiner Megger 
um den nämlidhen Preis, als ihr geſchlachtetes, weil fie 
dies zu theuer verfauft hatten, in den Straßen fellbieten. 
Mohammed Ali, der diefen Bei zulegt ſelbſt fürchtete und 
doch nicht abfegen durfte, lud ihn zu fi ein und ließ 
ihm vergifteten Kaffee reichen. Defdadar, welcher bie 
Apfiche des Paſchas merkte, eneblößte feinen Sarras und 
fuhr auf ihn ein. Mohammed befänftigte ihn, ſchmeichelte 
dem Stoljen und bradyte «6 zulegt dahin, daß Defdadar 
dennoch bie Kaffeefchale leerte. 

Die katholiſche Anſchauung des Reiſenden macht ih 
hier und da in ſehr eclatanter Weiſe Luft; ja, es 
find ihm ſogar, wenn man Ihm glauben vill, einige 
Mirakel zugeſtoßen. Als die Warte, auf weider er nach 
Syrien überfepte, bereitö im Umfchlagen wer, betete ſeimn 
Have die chriſtlichen Worte, die er ihn gelehtt: „Jeſn 
Marie‘ mit beiler Kindesſtimme von ber Kajüte herab 
und fchlug dabei das Zeichen des heiligen Kreuzet. Da 
neigte ih das Schiff, wie geheißen, in feine gehörige 
Lage: Wan hat aber auch Beiſpiele, daß in ſolchen 
Faͤllen alle an Maria und bie Heiligen gerichteten Ge⸗ 
bete nichts gefrudgtet haben und daß dab benneda 
wit Mann und Mous unterging. Vielleicht ſteht aber 
der Reifende beim Himmel befonders gut angefchrieben, was 
wis jedoch nicht weiter unterſuchen innen und’ wellem. 
In Sprien gibt es ein Feld voll erbfenartiger Steine, 
die wirklich einmal Erbſen waren und, um einen Beamer 
zu firafen, vom Himmel in Steine verwandelt mecbem. 


Der Wetfende untırfuhte: Re gematı md. Iierzungte: ſich 


von bem diefes „ möglihenmeife geſchehenen 
Bundes. Seine zur Schau getragene chriſtlich⸗kathotiſche 
Demuth haͤlt ihn keineswegs ab, in voruehmer Vetach⸗ 
tung der anders Biaubenden auf biefe und bie proteſtan⸗ 
tiſchen Ketzer zu ſticheln. Das nene Griechenland gefaͤlt 
ihm ebenfo wenig wie das alte; „denn“, fragt ex, „worin 
waren denn die alten Griechen fo volllemmen, fe, bie 
ſich im Geiſte nicht einmal über das Irdiſche echeben 
kenuten?“ O Eokrates! o Pinto! fleigt herab uud 
nebmt diefen Menſchen in Zucht und Schule! Aber 
in Italien, um Loretto herum, ba iſt des wahre Paradies. 


Der bloße Anſtrich von Bildung, weicher die Hochmäthigen 


Nordlaͤnder auszeichnet, mit denen id; auf meiner Heife zufams 
mentam, hatte mir einigermaßen bie Fremde verleidet; allein 
bier — in Stalien — war wieder Alles Liebe und Empfindung ; 
ein demüthiges Boll, vol Ginfalt, hatte feiner himmliſchen 
Yürfprecherin altes Koſtbare geopfert, Ihre Wohnung mit Edel⸗ 
fleinen 6efleidet u. f. w. 

12. Der Kriegsichauplag in Indien und Lebensbilber aus bem 
Dfien. Bon Henry Edward Kane. Aus dem Snatifchen 
von ©. Richard. Aachen, Mayer. 1842. Br. 8. I Thlr. 
22%, Nor. , 

Diefes Reiſewerk träge den Charakter ber engfifchen 
Reiſeſchriften überhaupt: objective Anſchauung, Schilde 
zung mehr des Gegenſtaͤndlichen als des Zuſtaͤndlichen, 
und trodenes tagebuchmäßiges Fortſchreiten. Gerade Diefe 
Eigenſchaften verleihen jedoch ben emglifhen Reiſewerken 
in mancher Hinſicht größern Werth, als beutfche und 
franzöfifche Neifefchriften durch ihren in der Regel mehr 
fubjectiv anſchauenden und ralfonisenden Charakter je er: 
reihen können; mir fegen binzu: in mancher Hinficht, 
denn die Subjectivität und das Maifonnement eines 
ſelbſtaͤndigen träftigen Charakters kann oft von hohem 
Werthe fein und dem Buche jenes Lebendige Colorit er: 
theilen, welches ben englifchen Meifewerken zum großen 
Theile abgeht. Gegenwärtige Schrift iſt jedoch noch um 
Bieles trockener, als fonft die englifchen Reifewerke zu fein 
pflegen; wenigflens herrſcht, trog intereffanter Einzelnhei⸗ 
ten, in ber erſten Hälfte des Buchs dieſe Trodenheit und 
Windſtille. Und doch bat der lÜberfeger die zwei Bände 
des mglifchen Originals, welches unter dem Zitel „Five 
years in India, compriing 'a narrative of traveis in 
the presidency of Bengal, a visit to the court of 
Runjit Sing, a residence in the Himalaya mountains, 
an account of the late expedition to Cabul and Afgha- 
nistan, voyage down the Indus and journey over land 
to England” erfchienen iſt, „nah Ausſcheidung einer 
Maſſe trivialer Aufzeichnungen“, in einen Band zufam: 
mengezogen. Am interefjanteften geſtaltet fih das Werk 
vom zwölften Capitel ab, wo über den verhaͤngnißvollen 
Kriegszug gegen Kabul und Afghaniftan im J. 1839, 
namentlih über die merkwürdige und ruhmvolle Ein: 
nahme der Stadt Ghisnie Bericht erflattet wird. Kane 
tann uns bier tie überhaupt als ein anthentifcher Mef. 
gelten, da der damalige Oberbefehlshaber in Indien, Sie 
Henry Kane, fein Oheim und er deflen Aide » be : Camp 
war. Bon größerem Werthe freilich mögen ſolche Reife: 


werke, mamwutiih bie Aber Dftiatien, flır den Englaͤnder 
fein, da Oſtindien ein Hauprterrain der britifchen natlos 
nalen Thaͤtigkeit fl, da der Brite gern bis ins Einzeinfte 
die Stätte kennen lernen wird, auf dem feine Landege⸗ 
noſſen leiden, kämpfen und fiegen, und ba jedem Einzel⸗ 
nen die Möglichkeit, daß dieſes Terrain auch ber Schaus 
plag feiner eigenen Wirkſamkeit werben koͤnne, nicht außer 

Berechnung liegt. 

13, Dvei Jahre in Perfien und Seifenbenteuer in Kurdiſtan 
von Georg Fowler. Uberfest von &. Richard. Zwei 
Sheile. Aachen, Mayer. 1842. Lerx.8. 3 Thir. 

Den Geundcharakter der engliſchen Reifebefchreibungen 
[piegelt zwar auch dieſes anziehende Werk ab, aber doch 
nicht ohne individnelle Faͤrbung und eigenthämliche Auf⸗ 
faſſung. Die objective Anſchauung, ben realen Charak⸗ 
ter hat es zwar mit dem Buche von Fane gemein, aber 
der Verf. ſteht auf einer hoͤhern wiſſenſchaftlichen Stufe 
und ſchreibt nicht ohne ein gewiſſes literariſches Ziel und 
Bewußtſein; er war nicht, wie Fane, einem groͤßern 
Kriegszuge zugetheilt, er reiſte nicht einmal in Geſell⸗ 
ſchaft, ſondern allein aus Luſt und Neigung, und fo 
bar fein Werk einen abenteuerlichen Charakter, eine leb⸗ 
bafte frifhe Färbung erhalten und iſt für die Kenntniß 
des perſiſchen Landes und feiner Bewohner überaus wich⸗ 
tig. Der Verf. diefer Meifebilder befand fich dreimal in 
Perfien, zuerſt 1829, bann wieder 1833, endlich vom 
3. 1836 bis zum Schluffe bes J. 1838. in engli: 
ſches Review fagt von ihm: 

Herr Fowler hatte ganz eigenthuͤmliche Belegenheit zu ger 
nauerer Erkennung ber Volksweiſe, da ihn fo wenig Zwang der 
Etilette, als Drängen von Gefchäften belaſtete; mit Geiſtesheiter⸗ 
keit fügte er fich dem Beſchwerlichen, genoß das Angenehme unb 
war vor Allem bereit und befähigt, feine Reiſezuͤge nad) allen 
Hichtungen zu bezahlen — keine geringe Empfehlung bei den 

een. 

Wir wagen nicht, den Reifenden Schritt fuͤr Schritt 
zu begleiten, obgleich er une eine intereffante Localitaͤt 
nach der andern, eine intereflante Figur nach der andern 
Eennen lehrt; wir wärben, wollten wir auch nus das 
hervorftechend Sintereffantefte im Auszuge mittheilen, flatt 
Spalten Bogen füllen müflen. Wir erwähnen jedoch, 
daß das Bild, welches der Verf. von den Perfern ent⸗ 
wirft, keineswegs ein ſchmeichelhaftes umd liebenswuͤrdi⸗ 
ges if. Sie erfheinen uns in diefem Bilde außerordents 
lich hoͤflich und gefällig, aber innerlich bi6 zum Grunde 
demoraliſirt, kriechend, habfüchtig, heuchlerifch und luͤgne⸗ 
eifh. Die Grauſamkeit der Herrſcher, wie der Rechts⸗ 
pflege überhaupt laͤßt alle europäifchen Begriffe von oriens 
talifcher Gewaltſamkeit hinter fih zuruͤckk. Der Berf. 
erzählt: 

rend meines Aufenthalts in Zeheran wurbe ein Ver⸗ 
brecher bei den Beinen an zwei emporgerichteten Stangen aufs, 
gehängt und vom Scharfrichter, in Gegenwart des Schah buch⸗ 
ftäbtich in zwei Hälften zerfchnitten. Diefe Art der Todesſtrafe 
ift in Perfien gewöhntidy, fie wird Schikih genannt und vom 

Oberfcharfrichter vollzogen, ber ein gar gewichtiger Beamter und 

immerwährend um die Perfon Seiner Majeftät iſt. Zuweilen 

vollfähren fie auch noch jene aus dem Alterthum berfiammenbe 

Hinrichtung. weiche der Gage nad zuerſt bei Beſſus, dem Moͤr⸗ 

der des Darius, zur Anwendung kam; — es werben naͤmlich 


Ye Wipfet yusler junger Baumſtaͤmme une 
mit Gtriden en. Hierauf wich der herbei⸗ 
geführt, feine Schenkel an bie Wipfel ber Bäume gebunden un 
dann bie Stricke zerſchnitten; durch die Sewait und Federkraſt 
ihres Aufſchnellens wird bes BVerurtheilten Körper durchriſſen 
veffen abgefonberts Zpelle bleiben an jedem der Baume 

gen. Andere Serafarten in Perfien erinnern in gleichem Grabe 
an da6 darbariſche Zeitalter. Aueſtechen des Augen ift ein fehr 
altertyämliches Verfahren. Berftämmelung ber Gliedmaßen, Durch⸗ 
bohren der Zunge und Naſe mit Pfriemen ſind einige der Zeichen 
cdoniguicher Ungwafts unter den Tobesſtrafen zaͤhlt auch das Fort⸗ 
fgteubern aus der Muͤndung eines Moͤeſers. 

Bekannt ift der barbarifche Gebrauch, welcher vers 
langt, dab bei jeglicher Thronbeſteigung eine Menge 
Gctachtopfer koͤniglichen Blutes fallen mäflen, oder daß 
wenigftene die Augen ber ungluͤcktichen Speoͤßlinge ges 
opfert werben. Ein vornehmer Engländer, erzählt Fowler, 
herichtet folgenden rührenden Beleg zu dieſer Thatſache: 

Bei feinem Beſuche eined ber Prinzen, bee damals nad 
ein ganz junger Menſch war, fand er biefen mit verſchloſſenen 
Augen, und mit beiden Händen, gleich einem Blinden, nach ſei⸗ 
nem Kalium ober Wafferpfeife umbertappend, welche fein Dies 
ner ihm darreichte. Nach kurzem Weiten fagte der Fremde: 
Was machen Sie, Prinz? leiden Sie an Augenübel? — D nein, 
antwortete ver Knabe, ich übe nur Blindſein. Sie willen, daß 
bei meines Vaters Ableben wir Alle getödtet oder und body bie 
Augen ausgeſtochen werden, deshalb verfuche ih, ob ich im 
Stande fein würde, ohne diefe fertig zu werben. 

Bon dem fcheußlichen graufamen Agha Mohammed 
Khan, dem Begründer der Kadjaren: Dynaftie, wird Fol: 
gendes erzählt: 

An Kerman hatten bie Ginwohner Auffland gegen ihn ers 
hoben und einen feiner Widerfacher, Sulf AU, bei fich in Schut 
genommen; ihnen legte er als Zwangeſteuer die Entrichtung 
einer Anzahl Säde voll ausgeflocgener Augen auf. Man gibt 
an, daß mehr als 7000 Menſchen biefe Verſtuͤmmlung erlitten, 
um die gefoderte Maſſe voll zu machen; noch jett bnt man 
in Perfien den Umſtand als unbeziweifelte Ihatfache, daß er, als 
die ausgeftochenen Augen auf Zragtelleen zu ihm gebracht und 
vor ihm auf den Boden bingefchütter wurden, mit dem Ende 
—* Peiefhe fie ummüblte und an feiner Unmenſchlichkeit 

ergößte. 

Seine bis ins Kleinliche getriebene Habſucht kam feis 
ner Grauſamkeit gleih. Hiervon folgendes Beifpiel: 

Der Schah war leidenſchaftlicher Liebhaber der Jagd; eines 
Tages aufgebracht darüber, einen Hirſch, auf den ex gefchoffen, 
nicht eriegt zu haben, mwurbe er gornig und aͤrgerlich. Batd 
barauf kam ein Bauer des Wege, der ein Stud Wilb auf ber 
Schulter trug. Da rief der Schah aus: „Oho, des Menf hat 
mein Wild getödbtet — fchneidet ihm die Ohren ab!” Der 
arme Bauer, aus ganz entgegengefester Richtung kommend und 
in völliger Unwiffenheit über Seiner Majeftät Fehlſchießen, that 
Einrede gegen fragliche Behandlung, gleichwol entblößten bie 
Feraſchen ihm die Ohren, um ihr Meffer anzufegen. Da fagte 
er: „Gemach, ſchneidet nur ein kleines Stud von jedem Ohr 
und id will Euch alles Geld geben, das ich in ber Taſche habe’ 
— ber Betrag deffelben war vier Rial, etwa ſechs englifche 
Schillinge. Diefes Anerbieten, weiches der Schah mit angehört 
hatte, reiste ihn; er fragte: „Was fagt ber Bauer?” Das 


Srhieten warb wiederholt. Da fprady der Schah: „Ich will eis |. 


nen beffern ‚Handel mit dir abfchließen, gib mir das Geld und 
deine Ohren ſollen dir ganz erhalten werben! ” 

Undere pilante Nachrichten find bie über das. weib⸗ 
liche Geſchlecht in Perfien, die er aus dem Munde einer 
an einen perſiſchen Vornehmen verheitatheten Engländes 


rin euhieit, Über bie Muuiffenßeit der Wetber, Die Eike 
ſuche dee Männer u. f.w. Jutereſſant IR auch fein In⸗ 
ſammentreffen mit dem deutſchen Gelehrim Schulz ber 


Antiquithten im Morgenlande zu ſammeln, und bee auch 
eine Menge Keilinfchriften, wovon 43 aus feinen Pas 
pioven beſannt geworben, mit raſtloſem Eifer cepive. 
Der unglldtiche deutfche Gelehrte, welcher ſpaͤter von arge 
wöguntfgen Eingeborenen hinterruͤcks mit mehren feiner 
Diener todtgeſchoſſen wurbe, war, wie Fowler fagt, von 
Alten, die ihm. kannten, hoͤchlich gefchägt, befaß einen tie 
fen Reichthum von Golehrſamkeit und Weltkenntniß und 


gangen war, fand er feinen Tod, obgleich das Oberhaupt 

Ihn mit ausnehmender Baflfreundfchaft empfangen und 

ihm ein — verraͤtheriſches — Geleite mitgegeben hatte. 
(Die Vortfegung felgt. ) 





Literarifhe Notizen aus England. 
Zur Geſchichte Englands im 18. Jahrhundert. 

Mit Portraits und Sllaftretionen ausgeftattet erfihien in Lon⸗ 
bon ‚George Selwyn and hie contemperaries”, mit Memeiren 
und Briefen von Eorb Holland, For, Dorace Walpole, Lorb 
Grantham, Lord Wacartney, Lord Auckland, Biſchof Warburton, 
Biscount Bolingbroke, Biscount Sidney, Lady Diana Beauctert 
u. ſ. w. Herausgeber iſt J. Hinsage Jeſſe, Verf. der „Memoirs 
of the ooart of England under the Stuarts” umb „The court 
of England under the houses of Nassau and Hanover’. Zn. 
der Anzeige des Werlegers, Richard Bentley, heißt es: Es feien 
in biefen Briefen da8 Hofe und Stadtleben wie ber Karten 
und SIodeictub von ©t. : James waͤhrend ber legten Haͤlfte des 
verfloffenen Jahrhunderts dargeſtellt Diefe Briefe feien wie 
bie von Dorace Valpole, denn fie ruͤhrten von einem verwandten 
Geifte ber, voll von Anekboten, Bonmots und Perfiflage. Au 
ber Spige ſtehe Walpole's Freund, der unnadahmlicdye George 
Selwyn, das Idol der damals eriftirenden Clubs. Mit diefen 
Briefen fein die al jener merkwuͤrdigen Perſonen verbumben, 
bexen eigenthümlicher Gharalter, Humor und Wit dem DE 
und ben Girkeln während ber Regierung Georg's III. einen. 
ausgezeichneten und durchaus englifhen Charakter verliehen 
hätten. Derfelbe Verleger Pündigt als naͤchſtens erfcheinend 
an: „Letters of Horace Walpole, earl of Oxford. to Bir 
Horsce Mann, resident at the court of Florence, from the 
year 1760 — 85° (3 Wie), nad den Driginalmanufcripten 
zuerfi veröffenslicht. Die Derausgabe dieſer Briefe vertraute 
der verftorbene Lord Holland im 3. 1833 dem verflorhenen Lord 
Dover an. Man fand damals an, das Ganze p veroͤffentlichen, 
und wollte wenigſtens mit dem Tode Georg's II. abſchlkebßen, va 


‚einige unmittelbare Ablömmtinge von Perfonen, bie in dieſen 


Briefen anekdotiſch geſchildert werden, noch am Eeben fein mod 
ten, ein Misftand, ber jegt, nach Entſcheidung der überlebenden 
Srecutoren des verftorbenen Grafen von Waldegrave und mit 
—— des gegenwaͤrtigen Grafen, als gehoben zu be 
sachten ff. . 


Ein feltfames Buch ift die „„Elistory of ancient America, 


anterior to the time of Columbus” von George Toms, worin 


die Ibentität ber Ureinwohner Amerikas mit den Tyriern und 
SJtraeliten und bie Einführung des Ghriftentkums chem Aust 
dur) den Apoſtel Thomas nachzuweiſen gefucht wird. Der 
erfte Band trägt ben Xitel „Tyrian era”; „wei Bände werben 
noch nadhfolgen. 18 


Berantworilicher Serausgeber: Hreinrih Brokhaus. — Drud und Werlag von 8. X. Brodbaud in Leipzig. 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung. 





Dienftag, 


27. Zuni 1843. 





.  BReifeliteratur. 
Zweiter und legter Artikel. 
(Kortfekung aus Nr. 177.) 
14. Bilder aus dem Orient. Bon 3. 3. 8. Pfyffer zu 
Neueck. Zürich, Schulttheß. 1842. 8, 22%, Nor. 
Diefes etwas aͤrmlich ausgeſtattete Buch enthält eine 
Reihe von Skizzen, welche früher im ‚Wanderer buch 
die Schweiz” erfchienen und, beſonders bei bes Verf. 
Freunden, fo viel Beifall fanden, daß er, dadurch aufges 
muntert, fie ohne weitere Bindung zu einem Büchlein 
zufammenftellte. Diefe Skizzen betreffen Java und bie 
Sundainfeln und follen befonder® dazu dienen, die vielen 
untichtigen Vorflelungen, welche Über diefen Winkel ber 
Erde berefchen und ihn faft zu einem Zabellande machen, 
zw berichtigen, da er jene Gegenden aus eigener mehrjähs 


riger Anfhauung genau Eennen gelernt zu haben vers 


ſichert. Solche tolle und falfche Nachrichten, welche über 
Dftindien in jüngfter Zeit ſelbſt in politifchen Zeitungen 
verbreitet wurden, find bie von Tigern, die corpsweiſe 
ausrüden und den Truppen Gefechte liefern, von Affen, 
welche fich beigehen lafjen, Weibsperfonen zu rauben und 
auf die Bäume im ihre Meter zu fchleppen u. f. w. 
Da leſe der Berf. erſt das neuefle Wert von dem bes 
Lannten anonymen Verf. der ‚‚Lebensbilder aus beiden 
Hemiſphaͤren“, worin die Affen truppmweife die Mädchen 
verfolgen und fi mit den Männern in förmlihe Schlaͤ⸗ 
gereien einlaffen! Freilich iſt das genannte Buch des 
Anonymus ein Roman, aber daß man felbfl bie Affen 
zus Romanenhelden erhoben hat, if bis auf dieſes jüngfte 
Beiſpiel unerhört gewefen. Dies nebenbeil Noch be: 
merkt Dfoffer: 

Labarpe und Gaillot in ihrem Merle „Lands und Geereis 
fen’, nach der vierten Auflage (1!) von W Bammer ins 
Deutſche uͤberſetzt, ſchreiben in ihrer Schilderung von Java Fein 
Wort von den Hauptſtaͤdten ber Infel, wie 5. B. Batavia, 
Samarang, Burabaya, Gheriboen, Sura di Karta u. f. w, 
melden dagegen, Balambuan fei eine berühmte, befefligte Stabt; 
fie ſprechen von Joariam, das nicht einmal bem Namen nach 
befteht, als von einem Seehafen u. f. w. 

Schade, daß des Verf. eigene Skizzen einen fo zers 
fireuten und mehr gelegentheitlichen Charakter tragen! 
Es find darunter mandye intereffante, nur find fie zu 
bunt untereinander gefchüttelt, wie in einem Kaleidoſkop. 
Die Darftelung hat im Ganzen wenig Fülle und Glanz, 
aber in ihrer Simplicitaͤt beflo mehr Glaubwürdigkeit. 


Vielleicht iſt es manchem Lefer angenehm, einen Begriff 
von dem muſikaliſchen Wohllaut der malalifhen Sprache 
zu erhalten; wir theilen daher einige Strophen aus einem 
Liede eines Panton (Minnefängers) mit, denen wir bie 
Überfegung Pfyffer's folgen laffen: 
Tempo dulu ada Radja, 
Kras, besa ke satu gadja; 
Bertinggal di Kota Bali, 
Piki prang sa rebu Kali. 
Murong Kita punja hatie, 
Selab itu Radja mati: 
Djatoh ke pohon waringie 
Sam jekal alus tinghi, 
In der Borzeit war ein König, 
Wie ein Elefant groß und Eräftig; 
Gr wohnte in ber Stadt Bali 
Und zog wol tauſendmal in Schlachten. 
„. Unfer Herz ift betrübt 
Uber den Tod dieſes Fuͤrſten; 
Er fiel wie ein Waringibaum 
Mit ſeinen erhabenen feinen Haarlocken. 
Auch der Laie wird erkennen, wie wohlgereimt und wohl⸗ 
gemeſſen dieſe malaiiſchen Verſe find: 

Die Unzuverlaͤſſigkeit der Weißen in Liebesſachen iſt 
bei den indiſchen Schoͤnen zum Sprichwort geworden; 
ſie ſingen: 

Bebo kali blandah bilang 
Hati guwa, sinar matah! 
Täpi tjinta lakas hilang 
Tjuma tjingg:! katà katä! 
Zu beutfh: „Tauſendmal fpricht der Weiße: O, du mein 
Herz! du meine Geliebte! Allein die Liebe verſchwindet 
ſchnell und es bleiben nur leere Töne.” 

Von ber Öffentlihen Tänzerin (Rongin, Bedoio) 
meint Pfyffer, daß fie, in der Mähe betrachtet, wol viel 
Ahnlichkeit mit dem europälfchen Sreudenmächen habe, 
doch fei fie zum Unterfchiede weder zudringlich noch ums 
verſchaͤnt. Die Rongin will nicht einmal den Schein 
von Unfittlichleit auf fi ruhen laffen und weifet rohe Zu⸗ 
muthungen oft mit dem Refrain eines Lieblingsliedes zuruͤck: 

Laen dari njanje, Rongin ıra tahu, 
Laen dari main, Rongin tra mahu. 
Anders als fingen, kann bie Rongin nicht, 
Anders ats fpielen, will die Rongin nid. 

Daß die Miffionnaiee auf den Sundainfeln fo wenig 
Erfolg baben, fchreibt er zum Theil ihrer häufig groben 


310 


und unglaublichen Unwiſſenheit zu. So lieh einmal ein hol⸗ 
laͤndiſcher Gelehrter bei dee Fahrt nach Batavia auf dem 
Schiffe einem Miffionnaie Stuart’s „Römifche Geſchichte“ 
und erhielt fie nach ein naar 
zuruͤck: „Er fel fein geoßer Liebhaber bee Mitelegie!“ 
Mythologie) — Derfeide fandte, an der Küfte von Su⸗ 
matra ausgefchifft, ein eigenhändig gefchriebenes Billet an 
Bord, unter Anderm bed Inhalts: „Schidet mir bie 
die große Kift mit heifernen Banden!” 
15. Bilder aus Algier und ber Fremdenlegion von 8. von 
ofen. Kiel, Bünfow. 1842. Gr. 19. 1 pie. 7% Ngr. 
Der Verf. fagt im Vorworte: Man folle bier nicht 
kunſtgerechte Gemälde erwarten, aus dem Pinfel eines 
degabten und brgünfligten Malers, nicht auch detaillirte 
Beichnungen aus dem Reißſtahl forfchender Techniker, nur 
Skizzen enthalte feine Mappe, flüchtig hingeworfen in ber 
Mitte eines bewegten Treibens, zumeiſt aus der niebris 
gen Sphäre des Soldatenlebens. Gpäter ging der Verf. 
mit der Fremdenlegion, als diefe durch einen merkwuͤrdi⸗ 
gen Act „philippiftifcher Politik” der Königin von Spas 
nien abgetreten wurde, nad Spanien, wo fie der Sache 
der Königin die bedeutendften Dienfte feiftete, flets in 
den vorderſten Reihen focht, der Schredten der Karliften 
in Gatalonien und Navarra mar, aber bald von 7000 
Mann auf 1080 Krieger, meift duch Wunden für den 
Dienft unfähig, zuſammenſchmolz. Wie fie in Algier bie 
Willkür der Franzoſen erbulden mußte, fo litt fie nun 
nicht minder unter der Undankbarkeit der fpanifchen Re: 
gierung. Roſen, felbft in einem Treffen verwundet, wurde 
mit den Übrigen obne weiteres plöglich entlaflen und 
brachte nichts weiter in bie Heimat mit, als eine Kugel 
in der Hüfte und feine Erinnerungen an das langweilig 
muͤhſelige Ragerleben in Algier und an das bewegte 
Kriegsleben in Spanien. Borliegende nicht uninterefjante 
Schrift ſoll eigentlih nur einen Borläufer zu einem 
Buche über des Verf. Abenteuer in Spanien bilden, 
worin auch über die ungluͤckliche Erpedition bes Basken 
Munagorei, an weldyer bee Verf. als Offizier Theil nahm, 
berichtee werden fol. Wir können hierzu den Verf. nur 
aunfmuntern. Seine Schilderungen find ebenfo anfpruche- 
los einfach als lebendig. Leider fehlte es ibm in Algier 
an Gelegenheit, feinen kriegeriſchen Sinn zu bethätigen; 
Lager errichten, mit Schaufel und Hade flatt mit ber 
Slinte umgehen, im Blockhaus bivouakiren — bie® wa: 
ven die Hauptbefchäftigungen, zu denen man den größern 
Theil der unglüdlichen Fremdenlegion in Afrika verwandte, 
Damremont felbft, an den fi ber Verf. perfönlich zu 
wenden hatte, rieth ihm von feinem Vorhaden, in bie 
Sremdenlegion zu treten, wohlmeinend ab, indem er dus 
Gerte, daß ein junger Menfch, der wie Rofen von gutem 
und gebildetem Stande zu fein fcheine, fi) unmöglich im 
Dienfle der Fremdentegion mwohlbefinden könne; er möge, 
ba es noch Zeit fei, feinen Entſchluß aufgeben und fo: 
bald als möglich in feine Heimat zuruͤckkehren. Intereſ⸗ 
fant iſt feine Unterhaltung mit einem Secretair des In⸗ 
kendanzbureaus zu Toulon, der fein Signalement zu ent: 
nehmen hatte. Dies geſchah in folgendem Zwiegeſpraͤch: 


Tagen mit der Bemerkung 


Ihr Name? — Friebrich. — Borname? — Friedrich. — 
Wie, mein Herr! —* riebrich? — Nice —SeS 
Herr! — Aber — wo ſind Ihre Papiere? — In den Haͤnden 
bes Herrn Großmajors — But! Gebuͤrtig aus? — Daͤne⸗ 
mark! — Daͤnemerk — Dänemark in Deuiſchland? — Rein, 
mein Herr! in Daͤnemark! — Iſt das eine freie Stadt? — 
Wenn Sie erlauben, ein Königreich — Ihe Stand? — Stu— 
dent. — Alt? — 21 Zahr. — Gie kommen von wo —? — 
Bon Brafilien. — Brafitien!? Das muß weit fein, viel weiter 
glaube ich als Atgier. — Ginige Meilen weiter, mein Herr! — 
Kamen Sie zu Lande aus Brafitien? — Nein! zu Meer, mit 
Ihrer Srlaubniß u. f. w. 

Einem Deutſchen ſchwindelt vor biefes craſſen fran⸗ 
zoͤſiſchen Unwiſſenheit, die man kaum glauben duͤrfte, 
wenn fie nicht, was auswaͤrtige Geographie betrifft, ſchon 
dur hundert andere Beiſpiele conflatirt wäre. Won 
Joſeph Berne, dem befannten Anführer der Fremden⸗ 
legion, entwirft er folgendes Bild: 

Sein Äußeres Hatte, wie ſchon bemerkt, eine Ühntichkeit 
mit dem Rapoleon’s, beflen Landsmann er war. Seine 
Heine gebrungene Geftalt, fein ſchwarzes ſchlichtes Haar, feine 
ſcharfdlickenden ſchwarzen Augen erinnerten unwillluͤrtich an ben 
großen Dann, den er felbft in Manieren und Stellungen nad 
ahmte, wie er überhaupt auf bie Ähnlichkeit ſtolz zu fein und 
fo viet ihm möglich dafuͤr zu thun ſchien. (Später in Spanien 
abmte er Napoleon audy durchaus in feinem Gofum nad, trug 
bie großen Beiterftiefeln, den kleinen weltgeſchichtlichen Hut uns 
bie capote grise. Dabei ritt er ein falbes Pferd. Die hiers 
durch noch vermehrte Ähnlichkeit zog ihm oft die größte Mes 
wunderung und Beifall zu.) Bernell, ber für die Legion 
außerorbenttich intereffirte und bem fle eine vorzägliche Organis 
fatton und Gleichſteluung mit allen übrigen franzöfiichen Regie 
mentern verdankt, die fie in mancher Oinſicht ſogar übertraf, 
war immer erfreut, zahlreiche Detachements für fein Gorps anz 
fommen zu feben, und verfehlte nie, ſelbſt diefelben zu infpiciren 
und ihren Zuftand ſich anzufehen. — — Oft verfuchte er audh, 
einige Brogen a an 23 *5 a 5 
en, wa an id gar us und ihm 
großen Spaß zu machen ſchien. 

Noch eine gewiß flichhaltige Bemerkung über die Deuts 
in politifhen Flüchtlinge erlauben wir und mitzu⸗ 

t n: 

Die deutſchen politiſchen Fluͤchtiinge — ſagt ber 
haben nirgend in Frankreich Depots; dennoch findet man beren 
überall und fo aud hier (in Toulon); fie zeichnen ſich gewoͤhn⸗ 
lich dadurch aus, daß fie ihre ercentrifhen Ideen nirgend zu 
verbergen wiffen, und dennoch, trog der allgemeinen Gpmpatyie 
der Srangofen für politifde Opfer, im Algemeinen wenig As 


fang finden, 
(Die Yortfegung folgt.) 


Ludwig Philipp J., König ber Sranzofen. Darftellung 
feines Lebens und Wirkens. Bon Chriflian Bird. 
Zweiter Band. Stuttgart, Hallberger. 1843. Ler.:8. 
2 The. 15 Ne. *) 

Der Umftand, daß ber, von welchem Gtanbpunfte aus 
man ihn auch betrachten mag, immer hoͤchſt merkwürdige Mann, 
deſſen Lebensfchiiderung uns hier vorgeführt wird, noch lebt und 
regiert, tft micht bie einzige Schwierigkeit, die der Verf. biefes 
intereffanten Werks bei der Behandlung unb Anoebnumg des 
Ganzen vorgefunden hat. Schon bedbenklich genug war ed, Fir 
innere Entwidelung ber Ideen, bie Anfchaumgsweife unb bie 


*) Bol. über den erſten Band Nr. 13 9. Sr. f. 18. 
D. Rei 








= m War. u. u 


—— 


711 


Enpfindungen dieſer Perſonlichkeit zu verfolgen und zu fehirbern 
in ihren eigenen Beziehungen; noch mehr gegenüber den großen 
und erfhütternden Zeitereigniffen, die alle auf Eubwig Philipp 6 
Sehen nachhaltigen Einfluß übten, auch als er noch von unmit⸗ 
telbarer Theilnohme davon entfernt war. Dies Alles war die 
Aufgabe des Verf. in erften Bande, ber das Privatleben bes 
Herzogs von Drleans fyitderte, bis zum Ausbruch der Juli⸗ 
revolution. Wir haben zu feiner Zeit bei der Anzeige davon 
in d. Bi. die Haltung des Verf. bei feiner ſchwierigen Aufgabe 
rahmend erwähnen können. Bei dem weiten Bande, ber mit 
der Ernennung Ludwig Philipp's zum Generatftatthalter bes 
ginnt, erweitert fi die Sphäre und wird bee Gehalt des Ges 
senftandes ein anderer. Während der Verf. bis dahin den Gtoff 
fjuchen, einem unter den Schichten biftorifcher Begebenheiten 
verborgenen Privatleben nachgehen mußte, drängt ſich nun ber 
Stoff ftürmifch hervor, und der Verf. muß gleich anfangs ſich 
feftftellen, wenn er nicht davon überwältigt werden foll, ſodaß 
fein eigentlicher Begenftan ‚ die Perfonlichkeit des Könige, ihm 
aus den Augen gerüdt würde. Denn eine nicht geringe Schwie⸗ 
rigkeit entfpringt daraus, daß ber Verf. das Leben bes Königs 
der Franzoſen ſchlldern, nicht bie Gefchichte Frankreichs fchreis 
ven —* Wäre kLudwig Philipp ein König des Parlaments, 
Vollftreder und Schirmer ber bort ohne ihn, wol aud gegen 
ihn gefaßten Belchiäffe, wäre er eine Art Staatsdecoration, 
wozu Herr von Gormenin und bie Gonlitionen ihn gern machen 
möchten, fobaß er nur zu Zeiten, wenn gerade das conflitutions 
nelle Räberwerk einer koͤniglichen Beglaubigung bebürftig, dazu 
Zäme, um nad vollzogener Form wieder in feine königliche 
Höustichkeit zurüdzutreten und von bort aus zuzufehen, wie 
feine Dinifter und das Parlament bie Regierung verwalten, 
dann allerdings wäre es leicht, den König als Perfon und bie 
Vorgänge feiner Regierung auseinander zu halten. Allein es 
iſt zur Genüge befannt, Haß Ludwig Philipp es verſtanden hat, 
die ihm zugedachte Stelle bes leidenden Königthumsd abzulehnen 
und aus ber flets genau beobachteten Legalität ſich einen Schild 
u ſchaffen, unter deſſen Schutze es ihm gelungen iſt, einen 

unnel zu führen unter dem braufenden Strom des zormglähens 
den Parteigewühls, in welchem er bis jent feine Macht gebors 
gen hätt. So oft auch die Flut verfuchte, in feinen Bau ein- 
zubringen, fletö gelang es ihm, fie zurüczumeifen. Wenn man 
daher eine Darftellung des Lebens und Wirkens des Könige der 
Sranzofen geben will, fo muß allerdings bie Geſchichte Frank⸗ 
weiche ſeit der Julirevolution nothwendig mit in ben Kreis bes 
Bildes treten. Bier aber gilt es, bie Hauptfigur nicht in 
der Staffage untergehen zu laffen und bie Gompofition bes Ge⸗ 
matdes fo zu entwerfen, daß der maffenhafte Stoff fi in rich 

ger Gliederung fondert, ohne baß bie Theile ineinander vers 
(daimmen. Durch richtige Anwendung biefer Methode bedingt 
ſich eine wefentliche Eigenſchaft des Ganzen, Klarheit ber Ent⸗ 
widelung und richtige Scenirung der Gruppen in biefem buns 
ten Drama ber Zeitz fie mußte maßgebend werden für den 
Werth des Ganzen. Wir wollen nun gleih don vorn herein 
ſagen, daß es unferer Anficht nach dem Dr. Birch gelungen ift, 
diefe Bebingung zu erfüllen, und daß er damit den Beweis eines 
in der That nicht fehr häufigen Talents gegeben hats denn 
man muß in ber Politit und in der Geſchichte einen nicht ges 
ringen Standpunkt einnehmen, um über einen fo fchwierigen 
Boden ein Straßennep werfen zu können, bas uns in ben 
Stand feht, die rechten Wege, die zu einem Ergebniß führen, 
finden und einhalten zu koͤnnen. 

Die Generatftatthalterfchaft behandelt der Verf. mit Sorg⸗ 
falt und Vollſtaͤndigkeit, obwol fie nur neun Tage bauerte. 
Aber dieſe hatten allerdings das Gewicht von Zubren. Wir 
feben, wie Ludwig Philipp ebenfo kiug als kuͤhn die Wege bes 
geitet, die zu einer Entſcheidung führen müflen, und unaufs 
haltfam bie Hinderniſſe hHinwegräumt, die ſich ihm entgegenftels 
len. So war ber Zug des Generalftatthalters nach dem Stadt: 
baufe am 31. Juli ebenfo kuͤhn als Hug, denn er Überrafchte 
bie Stadthaus⸗Partei, an deren Spige Lafayette flanb, bie zwar 


wicht zahlreich, aber in Ihrem Bereiche gefägrtih wars er Grad 
ihre Oppofition burch feierliche Berkoͤndigung der Proclamation 
der Deputirtenfammer. Der Berf. fagt darüber: 

„Es war Revolution, am Zage nach einem biutigen Ram 
und die übererregten Gemuͤther dee Misvergnuͤgten waren ganz 
bereit, durch einen Handftreich den Beſchluß ber Mehrheit zu 
vernichten, der ihrer idealen Vorſtellung von Bolkegluͤck hindernd - 
in den Weg trat. Und nun. nahte ber Herzog von Orleans, 
unbewaffnet und in frieblicher Umgebung, dem bis an bie Zähne 
bewaffneten Stadthauſe. Sie vergaßen aber, daß eben hierin 
eine Macht lag, benn ein tühnes und unbebitigtes Vertrauen, 
wie es bier gezeigt wurde, enthält einen flummen Aufruf an 
bie Ehre des Gegners, vor dem auch ber wildeſte unwiilkuͤrlich 
flugt. Lafayette mußte bier den Ausſchlag geben. Die-Orleans'z 
ſche Partei der Deputirtenlammer Eannte ihn wohl und wußte 
ihn zu behandein. Man hatte nicht verfäumt, ſchon am 29. 
Radjmittag, wo ber Sieg bes Wolke entfchieden war, Anhänger 
bed Generalſtatthalters in bie Umgebung Lafayette's zu bringen. 
Es ſchmeichelte feiner Gier nach Bolksthümtichkeit, daß feine ' 
Gtimme als unerlaßlich geſchildert wurde, um dem Borfchlage 
ber Generalſtatthalterſchaft bie Billigung ber Volkspartei gu 
ſichern. Dann flelite man ihm vor, daß er eine große Berant- 
wortlichkeit auf ſich lade, wenn er dem einzigen Mittel zur Mes 
zuhigung des Augenblicks Ginberniffe in den Weg lege; bie 
Plane des abſoluten Konigthums würden dadurch nur gefördert 
werben; bei der Ginftimmigfeit ber Abgeordneten aber in ber 
Berufung des Herzogs, für die fich eine überwiegende Mehrheit 
in der Buͤrgerſchaft ausgefprochen, würde durch einen Wibers 
ſpruch Lafayette's eine Spaltung ber Revolution offenbar were 
ben und aus alle dieſem koͤnnte nur Anarchie entſtehen. Ohne⸗ 
dies fei bie Generalſtatthalterſchaft eine vorläufige Maßregel, 
die noch immer zuließe, daß man alle Freiheit republikaniſcher 
Nationalgerechtfame mit der kuͤnftigen Regierungsform verbinde, 
über bie noch entfchieden werben folle. Eafayette, Republifaner 
aus Gefinnung, aber aud) aus Gewohnheit, war dabei immer 
Edelmann in den Umgangsformen geblieben. Er betrachtete 
bie Unabaͤnderlichkeit feiner Grundſaͤge als einen Ehrenpunkt 
und wollte ihnen auch Geltung verſchaffen, aber nicht mit ber 
rauhen Unbedingtheit eines Fanatikers, fondern mit ber feinen 
Zuläffigkeit eines Mannes der großen Welt. Daß ber greife 
Freiheittheld zweier Weittheile nun den eriten Beſuch eines Fuͤr⸗ 
Ken vom koͤniglichen Gebluͤte empfangen follte, der auch unter 
der breifarbigen Fahne gefochten, beutete gleichſam auf eine 
Bahlverwandtfchaft bes Geſchicks, bie unwilltürtich den Edelmann 
für den ehemaligen General ber Republit und den Republikaner 
für den Prinzen gewinnen konnte.“ 


Der Werf. weift aus den Geftänbniffen der Republikaner 
ſelbſt nad, daß es nie ein Stabthaus-Programm gegeben, baf 
zwar bie bort verfammelten Patrioten ein ſolches entworfen 
hatten, welches aber nie dem König vorgelegt wurbe. Tafayette, 
der es bei einer Aubienz in ber Zafche hatte," war entzüdt von 
ber Beutfeligkeit des Generalftatthalters und umſtrickt von fels 
nem geivinnenden Worte; barum behielt er es auch in der Taſche, 
indem er für unſchicklich hielt, „ein unziemlidyes Mistraucn an 
ben Zag zu legen’ einem Prinzen gegenüber, der fo vortrefflich 
gefprochen hatte über die amerikanifchen Snftitutionen. Die 
Darftellung des Verf. deutet vortrefflich an, mit welcher feinen 
Berechnung Eubwig Philipp bie Schwächen des alten Benerals 
zu benugen verfland, und, gleich als ahnete er, welche bedroh⸗ 
ide Handveſte „ber Freiheitsheld zweier Welttheite” in der 
Taſche barg, ihn gar nicht dahin kommen ließ, fie herauszulan« 
gen. Es fehlt überhaupt nicht an Stellen, bie deutlich genu 
zu erkennen geben, daß der Verf. recht gut weiß, wie die Tak⸗ 
tie befchaffen ift, die bisweilen in Anmwenbung gebracht wurde; 
unb wenn er bier und da mit ſympathetiſcher Zinte fchrieb, im 
Vertrauen, ohne Zweifel, auf ein chemifches Talent bes Eefers, 
fo darf die Kritik ihm wol deffen Rechnung tragen, daß er ben 
Lebenslauf eines Lebenden zu ſchildern hatte. Der Verf. 
wirft bie Frage aufs „Konnte ber Herzog von Orleans ben 


712 


Dunſch Karl’s X. erfüllen, bie Thronbeſteigung des Herzogs 
von I Ai verlünden? Wurde nicht durch das Aufgeben 
der Regitimität die Volkeſouverainetaͤt thatfächlih und grund 
fägtich feſtgeſtellt, und dadurch für immer der Beftand des Ihrons 
bem Schwanken eines wogenden Bolfswillens anheimgeftellt g" 
um nicht in den Anführungen zu weit zu gehen, müffen wir 
auf das Buch felbft verweifen und bemerken nur, daß die Be 
antwortung mehr objectiv, vom Standpunkte ber Franzoſen aus, 
gegeben wirb, indem der Verf. fagt: „Was man auch gegen bie 
obige Schlußfolgerung einmwenden mag und aud von einem 
außerhalb der ſchlichten Wirklichkeit genommenen Standpunkte 
einwenden Bann, bie Zranzofen hattın zu viele Dynaſtienwechſel 
erfahren, als daß nicht eine foldye praktifche Vorftellungsweife 
ſich bei der überwiegenden Mehrheit feftgeftellt haben follte.” 
Wir wollen nicht behaupten, daß die Sache abgethan ift, wie 
ver Verf., der feine perföntiche Anſicht gar nicht gegeben zu 
haben ſcheint, ed entwidelt; aber daß es in einem Gemälde, 
wie ex es zu entwerfen hatte, nicht helfen Eann, eine Ausfühs 
zung der Gculfäge aufzuftellen, damit find wir einverftanden. 

Geiſtreich aufgefaßt und in ber Ausführung volllommen 
gelungen tft ohne Zweifel die Art und Weife, wie Dr. Bird 
die Stellung Ludwig Philipp’® unmittelbar nach ber Thron⸗ 
befteigung ſchildert, umd die wir bier mittheilen wollen. 

„Ludwig Phitipp empfing die Krone durch eine Revolution, 
aber nicht von einee Revolution. Gr war nicht das gefrönte 
Haupt der Revolution, nicht ein König ber Barrikaden, wozu 
zafende Zanatiler ihn gerne machen wollten und wie Legitis 
milten ihn gern ſchelten. Gr hatte ohne Zweifel eine feite und 
Mare Anſchauung von der Sendung, die ihm geworden wat, 
wenn er auch, wie alle Andere, von den Greigniffen überrafcht, 
im erſten Augenblicke nicht überfehen konnte, ob alle Bebingun- 
gen ihm ſogleich zu Gebote ſtehen würden, bie unerlaßlich wa⸗ 
gen, um den Weg einzubalten, ben er mit klarem Bewußtſein 
als den rechten anerfannte. Er wußte, was er wollte und was 
ee foltte, aber er wußte nicht, ob er es gleich Eonnte. Roch 
follten die Elemente der verſchiedenen Richtungen, welche Gels 
tung verlangten, fi um den neuen Thron gruppiren und ihre 
Kräfte verfuchen, bis es fich herausftellte, mit wen der König 
es. verfuchen konnte.’ 

„Es ift ſchwer für Ale, die nicht Ähnliches erfahren ha⸗ 
ben können, ſich einen Begriff zu machen von ben Gefühlen 
und Anfichten eines Prinzen, ber, entfproffen aus einem ber 
ätteften Sürftengefchledhter, geboren auf einem Vulkan, entwurs 

it durch eine politifche Springflut, die den ſtaatlichen, religioͤ⸗ 
en und moralifden Boden in einer Alles gleichmachenden An⸗ 
ſchwemmung verfanbete, auch in der Verbannung nicht den Zus 
fammenhang mit dem Vaterlande verlor, und der nun, nıd 
einer neuen Erſchuͤtterung zur Herrfchaft berufen, fich bemäbte, 
den gefunden Boden Frankreichs wiederzufinden, aus bem allein 
ein neues Gtaatsleben hervorblühen kann. Das Bürgerthbum 
war bie Macht, welche fiegreich aus der Julirevolution hervor: 
gegangen war; und nicht die überrafchende Thatſache des Siegs 
belehrte den König bavon, denn während ber ganzen Reftaura- 
tion war er ein fcharffichtiger Beobachter geweſen von ber Ents 
widelung diefee Macht, welche, nad Napoleon's Sturz zum 
Bewußtfein ihrer Bedeutung gelangt, unter Ludwig's XVII, 
Sharte ihre politifhe Erziehung begonnen hatte, im Kampfe 
gegen die rüdgängigen Beftrebungen unter Kart X. alle intel: 
ligenten Kräfte, bie eine Zukunft in ſich trugen, angezogen und 
an ihre Spige geſtellt hatte und im gefeglichen Widerſtande 
intänglich erftarkft war, um die Gegner des Geſetzes von dem 

oben zu verbrängen, ben fie mit ungefeglihen Mitteln bes 
haupten wollten. War nun audy der Umſturz des Beſtandenen 
nicht urfprängtich in ber Abwehr des WBürgerthums als Abficht 
enthalten geweien, fo war es body nicht bavor zurüdigetreten, 
als die Fehler der Gegner ihm keine Wahl gelaffen hatten. Es 
konnte aber nicht vollbracht werben, ohne dab andere Kräfte 
ſich mit dem Bürgertum verbanden, die mit Ihm nur augen» 
blicklich barin übereinftimmten, daß die Gewalt der Rompflichs 


tigen Geiſtlichkeit und bes Iehnfüchtigen Adels, welche bie Wotkts 
freiheiten zum Vortheil einer von ihnen üÜberflügelten Regierung 
einzieben wollten, gebrodyen werben müfle. Nachdem diet ges 
Sehen war, foberten num die Helfer bes Bürgerthums einen 
kohn, bedroplidy genug, um bie Errungenſchaft des Siege za 
gefährden; die Abrechnung konnte bedenklich werden Das Bär: 
gertbum Hatte feinen König bekommen; und bie Patrioten, 
welche den alten König vertreiben halfen, zwar nicht ihre Res 
publit᷑, aber fie hatten in die Erklaͤrung, weldye den Thron ers 
richtet, ungetöfte Fragen hineingeftellt, bei deren vorgefchriches 
nen Löfung fie hofften, eine demokratiſche Grundlage unter den 
Thron bes Vürgerthums einzufchieben. Eben bie Gite, womit 
die Buͤrgerſchaft zur Grrichtung des neuen Königthums trick, 
hatte die Patrioten begünftigt in @rlangung von Borbcdinguns 
gen ihres Sinfluffes, deren gewichtige Bedeutung der Genctal⸗ 
flatthalter wohl erfannt hatte, die indeß Manchen von dir Bärs 
gerſchaft nicht fehr verfänglich erfchienen, ſodaß fie bilizten, 
was fie nachher auf ihre eigenen Koften zurückweifen mußte. 
Der König wußte Schon vor friner Thronbeſteigung, mit weiden 
Gefahren er zu thun haben werde, unb vom erften Tage au 
faßte ex fiin Ziel ſcharf ins Auge; aber fo lange bis er We 
Zuverlaͤſſigkeit der Mittel, welche ihm zu Gebote ftehen mwärden, 
erforſcht Hat, fehen wie ihn bie Dinge mehe an ſich kommen 
laſſen, als ihnen offenbar vorbeugend entgegentreten. Im Gas 
binete warnte er vor Mafregeln, beren Misbrauch ein Ord⸗ 
nungefoftem erfhüttern konnte, er zeigte ihre Iragmeite und 
fou dfter geäußert haben: Je vous atiends à l’epreure; aber 
er Lich feine Minifter die Probe Deffen beſtehen, wäs fie unter 
ihrer Verantwortlichkeit riethen.“ 
(Der Beſchluß felgt.) 





Literarifche Notizen aus Frankreich. 


Unter den Neuigkeiten ber franzöfifchen Preife find hervore 
zubeben: „L’Angleterre, l’Irlande et l’Ecosse, souvenirs d'un 
voyageur solitaire, ou meditations sur le caractere national 
des Anglais, leurs moeurs, leurs institutions, leurs etablis- 
sements publics, l’association britaonique, aussi que d’autres 
socieL&s sarantes et les inventions nouvelles en fait de 
sciences et d’arts’' (2 Bde.). Ferner das in Lieferungen er⸗ 
fheinende Wert: „‚L’ancienne Auvergne et le Velay’' von 
A. Michel. Der Inhalt theilt ſich in Geſchichte, Archäologie, 
Bitten und Topographie. Die Ausſtattung iſt prachtvoll; 
36— 40 Monatslieferungen, jede ſieben oder acht Bogen ſtark 
und mit dir Kupfern und Eithographien geſchmuͤckt, werden drei 
Bände bilden, Eine Dame, Hortenfie Allart, gab eine ‚Histoire 
de la r&publiyque de Florence” heraus, in welcher man bie 
Männtichkeit des Stils rühmt, ber jeboch etwas nach mobrrur 
Überfraft ſchmeckt, erklaͤrlich, da die Dame zu denjenigen Judi⸗ 
viduen gehört, welche eine politiſche Emancipation des weiblichen 
Geſchlecht⸗ — und natuͤrlich in ihren Schriften die moͤg⸗ 
lichſten Kraftanſtrengungen machen, um der GEnırgie des Man⸗ 
nes, wenigſtens ſcheinbar, durch kecke Beharsptungen und hefti⸗ 
gen Stil gleichzukommen, wo nicht fie zu überbieten. Mit dem 
achten Bande iſt befchloffen „Histoire de ka r&volution Iran- 
giise”, vom Vicomte F. be Concy, Mitglücd der Deputirtens 
tammer zur Zeit ber Julirevolution, und mit bem vierten Bandes 
„La revolution, le consulat, l’empire et ia restauration etc. 
jusqu’a 1841.” Bon 3. B. Dedhalotte erfchien: „Soult et 
Brougham, glorieux pacificateurs de l’Europe‘ ; von X. Blan⸗ 
qui: „Precis el&mentaire d’economie politique suivi d’une 
biographie des &conomistes”, welches Werf ein Beſtandtheil 
der „Encyclopedie portative” (54 Bde.) iſt; von Artaub de 
Montor, ehemals Gefandten in Rom: „Histoire du pape 
Leon XII”; und vom Bicomte de Beaumont:Baffy: „Histoire 
des etats europ6ens depuis le congr&s de Vienne”, ein Bert, 
welches auf zehn Bände berechnet ift und deſſen erſter Band 
Belgien und Dolland zur Aufgabe hat. 18, 





Berantwortliger Derausgebers Heinridy Brodbaus. — Drud und Verlag von F. X. Brodhans in Leipzig 


Blätter 


für 


literariſche Unterhaltung. 





Mittwoch, 





Reifeliteratur. 
Zweiter und letter Artikel. 
(Bortfegung aus Nr. 178.) 
16. Rorddeutſche Reife von Otto Friedrich Wehrhan. 
Dresden, Naumann. 1842. Gr. 12, 1 Zir. 

Der als firenggläubiger Altlucheraner bekannte Verf., 
welcher feine religiöfen Überzeugungen im $. 1835 mit 
Unterfuchungs= oder Kerkerhaft zu Liegnig büßte, ceifte 
von Dresden nah Hamburg, wohin er einen Ruf als 
Daftor angenommen hatte. Eine Anzahl Lutheraner fepas 
rirten fi von der hamburger Kirche, fehrieben an Wehr: 
-ban, daß die Union flattgefunden, und foberten ihn auf, 
die Stelle eines Predigers bei ihnen anzunehmen. As 
er jedoch binkam und der Sache auf ben rund ging, 
erkannte er bald, daß von einer kirchlichen Union ber 
£utheraner und Reformirten durchaus nicht die Rede fei, 
und daß der Schritt, weichen jene Separirten gethan, 
jedenfalls zu frühe gefcheben, mindeſtens alfo ein un: 
zeitiger fei. Indem er, fagt dee Verf., nicht auf die 
Gubjectivitäten in einer Anftalt, fondern auf deren Prin: 
cip zu ſehen pflege, habe ex ſich verpflichtet gefühlt, dies 
ganz neu creicte Paſtoramt nicht anzunehmen, ja nicht 
einmal anzuerkennen. In diefem Buche, zufammen mit 
feiner früher erfchienenen „Umfhan”, glaubt er einen 

iemiih vollftändigen und nach beftem Wiſſen getreuen 
berbli@ der aus eigener Anfchauung kennen gelernten 
kirchlichen Verhaͤltniſſe des proteflantifhen Deutſch⸗ 
lands gegeben zu haben. Wir fürchten jedoch, daß 
dieſer UÜberblick zum großen Theile auch ein falſcher 
Blick ſei; einmal ſind die Anſichten des Verf. auf der 
einen Seite im hohen Grade ſubjectiv, auf der andern 
ſtuͤtzen fie ſich zu beharrlich auf den bibliſchen Autoritaͤts⸗ 
glauben. Die Autorität der Bibel iſt fo ehrwuͤrdig, daß 
darüber nichts weiter zu fagen iſt; wollte man aber alle 
Entwidelungen der Menfchheit unter das Commando ber 
Bibel fielen, fo würde ein Stillſtand und mithin ein 
Ruͤckſchritt unvermeidlich fein; der Bibelglaube, wenn er 
durch nichts gemaͤßigt iſt, macht hart, unduldfam, despo⸗ 
tifch, allen Beſſerungen und Fortentwidelungen abgeneigt. 
Dies beweift der Verf. mit feinem eigenen Beifpiele. Er 
vertheidige 3. B. die Todesſtrafe und flüge ſich dabei auf 
Mofes’ bekanntes Gebot „Wer Menfchenbiut vergieft, 
deß Blut fol auch durch Menſchen vergoffen werben”. 


Schlimm genug, wenn wir nad fo vielen Jahrtauſenden 
noch nicht über Mofes hinaus fein follten! Die Erfah: 
rungsfäge, die er zur Vertheidigung der Todesſtrafe in 
Anwendung bringt, find durchaus ungenügend. Die gro= 
ben und großen Berbrechen, worauf bisher Todesſtrafe 
ſtand oder noch flieht, haben fich mit der zunehmenden 
Civitifation und ber damit zufammenhängenden mildern 
Rechtspflege allerdings vermindert, wenn auch die Zahl 
ber kleinern Verbrechen im Wachſen fein mag. Auf 
bloße Beitungsnachrichten follte der Verf. ohnehin bei ei⸗ 
ner [o wichtigen Angelegenheit nicht fo viel geben; Zei: 
tungen find fehr felten reine Gefchichtequellen, da 
fie, belogen, oft wieder lügen ober nut vorübergehende, 
aus momentanen Umftänden entfpringende Erſcheinungen 
berüdfichtigen.. Diefe biblifhe Härte Wehrhan’s fpriche 
ſich namentlich in feinee Schugrede für Beibehaltung ber 
Sklaverei aus. Auch hier ift fein Hauptargument ein 
bibliſches; Sklaverei und Sklavenverkauf, fagt er, 
herrſchten ſchon zu Jeſu Zeiten, Jeſus kannte fie und 
verwirft ſie nirgend, folglich muß es (oder darf es we⸗ 
nigſtens) Sklaven geben. Dieſer Umſtand ſoll nun, trotz 
ganz veraͤnderter Verhaͤltniſſe, trotz der fortgeſchrittenen 
geiſtigen Bildung und davon abhängigen innern Ent⸗ 
wickelung und Reinigung des Chriſtenthums, auch fuͤr 
uns beweiſend fein! Der Verf. ſagt im Vorworte: „Was 
ich hierüber gefchrieben, halte ich für in ber Heiligen Schrift 
begründet, und wenn ich anders gefchrieben, fo hätte ich 
geheuchelt; follte ich aber geirrt haben und eines Beſſern 
überzeugt werden, fo will ich gern der Wahrheit Gehoͤr 
geben.” Er führt hierbei die Worte Luther’s an: „Man 
laſſe die Geiſter aufeinander plagen’, denn fo, meint er, 
werde die Wahrheit hervorgetrieben. Aber fühlt denn 
der Verf. nicht, daß er die ihm fo göttlich duͤnkende Heilige 
Schrift dadurch, daß er fie bei Vertheidigung eines von 
allen menfchlich, recht und billig Denkenden gebrandmark⸗ 
ten Inſtituts wie die Sklaverei zum Grunde legt, wenn 
nicht ſchaͤndet, doch in Miscredit bringe? und kann le&s 
teres in feinem Plane liegen? Gewiß nicht! Wer aber 
feinem Zwecke entgegenacbeitet, handelt mindeſtens unbe⸗ 
fonnen und unklug. Der Verf. führt auch mehre Fälle 
von gluͤcklichen SHaven an, die ſich gerade unter ‚mildern 


| Zee im Wohlfein befinden; wir verweilen aber dem 


ef. auf das Capitel in Boz' „Amerika“, welches Über 


‘ EZ 


die Sklaverei handelt und woraus wir in Mr. 147 
d. BL. ein paar fchlagende Proben gaben, und wenn ihm 
dann nicht die Augen über dies fluchwuͤrdige Inſtitut der 
Sklaverei aufgehen, fo muͤſſen wir den Verf. mit dem 
ſchwarzen Staar des biindeflen Bibelglaubens behaftet er: 
Bären. Der Verf. ift aber nicht flets fo biblifch geſinnt; 
von ©. 81—88 fpricht er über das Efien und Trinken 
in Hamburg, über Aalfuppe, Heidelbeerfuppe, dicke Gruͤtze 
u. f. w. und über das Rauchen als denjenigen Genuß, 
„ber fo zu fagen den Übergang von körperlichen zu gei⸗ 
fligen Genüflen macht“. Die Anfiht des Verf. ift: Bu 
Jeſu Zeiten gab «es Sklaven, folglih bürfen wir auch 
Sklaven halten; aber fo gut koͤnnte man fagen: Bu Jeſu 
Zeiten rauchte man nicht, folglich darf Herr Otto Fried: 
sh Wehrhan auch nicht rauchen! 

17. Öftreich im Sommer 1842 von H. Scherer. Ulm, Stets 

tin. 1843. 8. 22%, Nor. 

Ein brofchärenähnliches Schriftchen, welches bereits 
Im den „Zeitintereſſen“ mitgetheilt worden. Der Berf. 
hat dadurch, daß man ihn ale Plagiarius, Nachdrucker 
u. f. mw. anflagte, daß bee würtembergifche Advocatenver: 
ein gegen ihn eine Erklärung veröffentlichte, des Inhalte, 
Scherer fei von genanntem Berein nicht nach England 
geſchickt, um Documente über das englifche Gerichtsver⸗ 
fahren zu ſammeln, ein nicht bemeldenswerthes Renommee 
erlangt. Borliegende Schrift trägt mehr den Charakter 
eines pofitifchen oder vielmehr politifitenden Pamphlets 
als einer Reifebefchreibung, obgleich fich des Verf. pollti⸗ 
fhe Betrachtungen auf bie von demfelben im J. 1842 
gemachten Reifeerrfahrungen ftügen und die befuchten Lo⸗ 
calitäten darin eine Rolle ſpielen. Im Ganzen ift die 
Schrift für ſtreich wohlwollend abgefaßt, abfchon der 
Berf. die Schwächen der Bermaltung nicht verbehlt und 
namentlih den obmwaltenden Überflug an Cenfur und 
Mangel an Xheaterfreiheit rügt. Unter Anderm erzählt 
ber Verf. daß im „Egmont“ an ber Stelfe, wo das Volt 
festen Helden mit dem Lebehoch der Fretheit begrüßt, ge: 
rufen werden muß: Es lebe die Zufriedenheit! Der Verf. 
ſelbſt hörte, daß Leporello im erften Sinale des ‚‚Don Juan“ 
die Maskenfreiheit weglaffen und dafuͤr die Schoͤnheit fingen 
mußte Im Ganzen genügt es, wenigftens die Exiſtenz 
diefer Schrift durch diefe kurze Anzeige dargethan zu haben. 
18. Reiſeſkizzen. Epiſteln an Madame von H. Deines Nadı: 

folger, Zwei Theile. Bamburg, Neftter und Melle. 1842. 
&r. 12..3 Thir. 15 Rgr. 

Dies unangenehm witzelnde, liederlich gedachte und 
flitifirte Buch traͤgt das Motto: „Nehmt's, wofuͤr ihr 
wollt; ich weiß, wofuͤr ich's gebe’; wahrfcheintidy für ein 
mittelmäßiges Honorar, denn fonft iſt das Buch für gar 
nichts zu nehmen noch zu geben. Ein Nachfolger Heine’s! 
Man Höre diefen Nachfolger Heine’s: * 

Eigentlich, Madame, follte th Ihnen gar nicht fehreiben 


und am wenigfien biefe Briefe, da Sie vor mehren. Jahren 


4 


So lautet ber faubere Anfang biefer ſchmuzigen car 
Birten Copie der Heine’fchen „Reiſebilder“. 

Der Anfang des zweiten Briefes lautet: 

Ich habe Racht ſehr ſchlecht geichlafen, Madame, ober 
auch ſehr gut; weiß es ſelbſt nähe. Eigenmich ſchlief iq 
ger nicht, denn ich lachte beftänbig, ober ich habe gefdkafen un) 

abe im Traum immerfort gelacht. — — Und worüber habe 
ich "denn geladht? Ich habe darüber gelacht, baf es heutigen 
Tages fo leicht ift, ein Buch zu Tchreiben, das feinen Veiſal 
findet, wenn man nur Übermutb genug hat, bem Publicum, vor 
weiches man Tonft nicht anders als in Escarpins und mit vie 
ien Bemüthigen Reverenzen trat, in Gchlafrod und Pantofkiz, 
in hoͤchſter Burfchikofirät entgegenzutreten. um, das Publicm, 
dies viellöpfige Ungebeuer, will es ja nun einmal fo, und ihm 
geſchehe daher, wie Recht if. Die Sache wird fo einem Bierziger 
durchaus nicht ſchwer gemacht, wenn er ſich nur auskleiden wii 
Par den Gtubenten ober den jungen Doctor noch einmal durqh 
pielen mag. 


Der Verf. iſt affo von ber literariſchen und moralifken 
Nichtswurdigkeit ſeines Buches überzeugt und dies kopfloſe 
Ungeheuer wagt dem vielköpfigen Ungeheuer, dem Publicum, 
diefe unumſtoͤßliche Wahrheit ſchamtos zu geftchen. Das 
Buch iſt des Befprechens nicht werth und eigentlich ſchon 
vergeffen, aber es iſt für uns immer noch wichtig als 
Maßſtab für die Ungezogenheit, weiche ſich deutſche Schrifte 
fteler dem Publicum gegenüber erlauben. Sn feinem 
andern Lande iſt dergleichen moͤglich, und biefe Ungezo⸗ 
genheit, dieſe ſchmuzige Witzelei, diefe bequeme Supetel, 
diefe katenjaͤmmerliche Beſchaffenheit des Humots — wo 
finde ih Worte, dieſes demoralifirte Unweſen genügend 
zu brandmarken? — bat Miemand weiter veranlaft ale 
Seine, der zwar umter feines Gleichen immer noch als 
König dafteht, aber als ein König, der ſich in feinem 
Wise betrinkt, in feinem Humor bis zum Ekel überſaͤt⸗ 
tigt, mit den Rymphen der Straße verkehrt, Sitte, Ge⸗ 
ſchmack, Geſetz, Anſtand uͤbermuͤthig mit Fuͤßen tritt, 
feinen an ſich etwas ſchaͤbigen Königs: und Putputman⸗ 
tel in den Koch ſchleudert und ihn erſt in diefem unſau⸗ 
bern Zuſtande unter feine Nachfolger vertheitt. Richt 
ſowol Heine iſt daran Schuld als feine Anbeter von 
ehemals, bie er innerhalb und außerhalb Kanaans, unter 
Juden und Nichtjuden hatte und zum hell noch hat. 
Man nenne mir die Literatur irgend eines Volks zu Ic 
gend einer Belt, welche wie in den letzten Jahten bie 
beutfche durch einen folchen Wuſt von liederlichen, hecze, 
gemuͤth⸗, geſchmack⸗ geſinnungs⸗ und talemtfofen, an bet 
Kruͤcke eines faulen und ekelhaften Witzes lahmenden 
Schriften verunſtaltet worden iſt! Zu dieſer Schand⸗ 
und Schumbdiiteratur gehört obiges Buch, aus dem wir 
noch ſchnell eine poetiſche Ergießung mittheitm wollen, 
damit man den Verf. auch von bdiefer Seite kennen fern. 
Diefes Poem lautet: 

Madame, Sie haben mein jun 
Gar ter er et I on 
' ’ nicht, un ’ meinen Scqchwmerj 
In hundert Auftern sewarffen! 
‚(Dre Befchtuß folgt. ) 


wm — — — 


18 


Ledwig 1., Rinig ber Frauzeſen. Darſtellung 
een und Wirkens. Bon Shyriſtian Bird. 


Bmeiter (Beſchluß aus Nr. 178.) 


Mit Laune iſt die Rage des erſten Orieaus ſchen Minifteriums 
Denen gegenüber befehrieben, die Verlaugen trugen, fi dem 
neuen Königtiume anzufdließen. 

„Kaum hatten biefe Minifler iper Amtöchätigkeit begonnen, 
fo wurden fie überflutet von der Plage aller Miniſter, vom 
einem | von Gtellenfägern, die laͤſtiger find ats die 

tenen im Berbft, und von benen bie Meiſten faſt fo bereit 
nd, We um eine Anftellung gu tyun, wie bie Kliegenwebler 
ene®s Sultans. Praͤfecten, Unterpräfecten, alle abjepbare 
Beamte, die es nur irgend Tonnten, ließen ihre Provinzen im 
Stich, die fi abminiftriren mochten, wie es Immer ging, und 
tagen auf ben Landſtraßen, um nach Paris zu fommen. Wur⸗ 
den ſie abgefegt? Oder hatten fie Hoffaung, beibehalten zu wer⸗ 
den, ober gar zu fleigen? Einer neuen Regierung mußte man 
ich yperföntich vorftellen, mußte feloft ber Herold friner Vers 
dienfte fein und von diefen brachte Jeder beträchtlichen Borrath 
mit. Bon allen Eden und Enden Frankreichs kamen bie öfs 
fentlichen Wagen in Paris an, vollgeftopft mit Bittſtellern ge: 
zingeree Corte, bie am grauenden Mosgen nad) ihrer Ankunft 
im ſchwarzen Frack, dad breifarbige Band im Knopfloche, eine 
ungeheure Gocarbe am ‚But, von boffnungszitternden Händen 
erwartungẽvoller Provinzialmütter und ⸗Frauen gefertigt, Pas 
piere und Zeugniffe in ber Bruſttaſche, nad) den Minifterhotele 
firzten, um mit unabweisbarer Beharrlichkeit an ber Gabinets⸗ 
thuͤre eines Vorzimmers Tage lang zu kleben· Die Miniſter 
und ihre Secretaire konnten ſich zu keiner Thuͤr hinausretten, 
ohne an der Schwelle uͤber ſolche Stellenjaͤger zu ſtolpern, die 
mit Praͤfectur⸗ und Staatsanwaltsſtellen anfingen und ſich zu⸗ 
jetzt mit einer Tabacksconcefſion begnügten. Dier offenbarte ſich 
ſogleich ein Hauptgebrechen ber Stiaats geſellſchaft, welches 
13 Sabre eines conftitutionnellen Syſtems nicht gemindert hatte. 
&o war es unter dem Kaiſerthum, unter der Reſtauration, 
beim Beginn der Juliregierung, und fo iſt es no. Es iſt 
unglaublich, weiche Gier man hat, ſich dem Budget anzufchlies 
Sen. Die befannte Empfehlang ‚Je suis le bätard de votre 
apothicaire‘ hatte nur Variationen bekommen; es waren num 
naturliche Söhne der Eroberer der Baſtille, Oheime von poly 
techniſchen Schülern, aber immer Bewerber um ein Amt ober 
ein Ämtchen um jeden Preis. ine traurige Erſcheinung, in 
foldyer Weife, wo fie immer vorfommen mag, und fie zeigt ſich 
mebr aber Kr überall, aber kaum in ſoichem überſchwange 
wie in Frankreich.“ 

I Gegenfag zu Denen, bie ſich fo ber neuen Dynaſtie 
an den Hals warfen, ſinden wir etwas weiter bin: 

„Nur das Bolk verlangte nichts — als Arbeit. Es iſt 
eine ruͤhrende und ſehr zu beberzigende Erſcheinung, daß ber ger 
meine Dann vach dem Kampfe ſtillſchweigend zuruͤcktrat, die 
Bräber der Gefalienen und die verwundeten Kameraden in den 
Bpitätern, aber, keln Vorzimmer befucgte und nichts wollte 
von allen Herrlichkeiten, welche die Regierung zu vergeben hatte, 
für die er dem Tode getrogt, als das beſcheidene Loos eines 
nicht aubeitälofen Arbeiters. Das pariſer Bolt hat ſich im 
Kampfe großartig gezeigt und feine Uneigennuͤtzigkeit bei ber 
Preisvertheitung nad dem Siege ift eine ſybilliniſche Mahnung 
für die Zukunfi, die man nicht überhören möge, da man ihm 
eben nicht mit dem WBeifpiel der Genügfamleit vorangeht, und 
«8 doch zulept lernen koͤnnte, auch feinen Preis zu machen. Ich 
weiß wohl, daß mit dem Unkengeſchrei trüber Warnungen nichts 
getvan iſt; ich weiß, das wir fo ziemlich Alle rathios ſtehen 
vor der Aufgabe, die eine Hülfe verlangt, weiche nicht Giner, 
fondern nur Alle gewähren können; ich weiß, daß fie nicht in 
politifchen Formen liegt, fondern nur aus einem gekäuterten 
Griſte der Wefeltfchaft hervdrgehen kann, aber die Geſchichte 
müßte derzlos fein, wenn fie bei fo ſchneidenden Gegenſaͤten, 


wie fie bier einander gegemäberflanden, nicht daran erinnere 
wollte, daß das Ungluͤck Diejenigen treffen mußte, weiche ſich 
keiner Schuld bewußt waren und benen man die Fruͤchte deö 
Siegs verwegnahm mit dem böfen Troſte, daß das nit am 
ders fein koͤnne. Das eben iſt das größte Ungluͤck, daß es in 
ber That jent nicht anders fein kann, während es doch andere 
werden muß.’ 

Neu und fcharffinnig find die Bemerkungen des Verf. über 
die eigenthuͤmliche Lage des bipfomatifchen Corps in Paris waͤh⸗ 
rend der Julirevolution und nach ber Thronbefleigung der neuen 
Dynaſtie. Es wird nachgewiefen, wie enticheibend Hier ein 
Formfehler wurbe und von weldyer Bedeutung bad Verbleiben 
ber fremden Geſandtſchaften in Paris für bie neue Ordnung der 
Dinge war. 

Der Berf. behandelt die Frage der perlönlichen Regierung 
des Könige, bie er für heilfam hält, wegen der politifchen 
Richtung der Franzoſen im Allgemeinen, bei welcher ohne bis 
perfönlihe Dazwifchenkunft des Königs ed der Bewegungspartei 
gelungen wäre, einen allgemeinen Krieg herbeizuführen. Er 
jhüdert uns babei die Franzoſen in Beziehung auf ihre poli⸗ 
tiſche Richtung in folgender Weife: 

„Die Franzoſen find geiftvoll, beweglich, leidenſchaftlich 
und unbedenklich einer großen Aufopferung fähig — aber, was 
die große Mehrheit betrifft, meiſt nur für einen nahetiegenben 
Zweck, defien Ergebniß bald ſich ald Nationalerwerb an Ruhm, 
Glanz. und Anerfennung eines vorwiegenden Einfluffes auf ans 
bere Nationen ausweilen muß, wenn der Eifer nicht erlalten, 
die Beharrlichkeit nicht ſchwanken fol. Sie haben große polis 
tifche Erfahrungen gemacht, aber fie wenden fie mehr auf Ans 
dere als auf ſich an. Stets betrachten unb empfinden fie ihre 
eigenen politifchen Zuflände nach dem Maßſtabe des Einfluſſes, 
den fie auf Andere dadurch erlangen Eönmen. Es tft in ihnen 
ein Drang, ber fie treibt, bie Verwickelungen ihres flaatlichen 
Befindens nad) außen zu tragen, flatt fie am eigenen Herbe 
durchzuarbeiten und zu loͤſen. Sie fodern als ein Recht bie 
Snitiative der Givilifation, würben aber viel größere Anfprüche 
darauf baben, wenn fie nicht immer noch meinten, baß ber 
Fortſchritt mit einem Artilleriepark verfündigt werden müfle 
und daß bie Givilifation nur in ber Form für Europa heilfam 
fei, die fie in Frankreich an en babe. Das meinten, wie 
ich wohl weiß, nicht alle Franzoſen, und es hat Frankreich nie 
an hervorragenden und einfichtsvollen Männern gefehlt, welche 
das rechte Verhättniß bei fich und in der Fremde, die Vorzüge 
unb die Gebrechen aller Orten erfannten und verftanden. Allein, 
wie fie auch immer darzuthun ſich bemühten, baß die Größe 
Frankreichs aus der immern Entwickelung und einer regelmäßig 
durchdringenden politifchen Bilbung hervorgehen mülfe, und daß 
biefe die wahre und glorreilhe Propaganda fei, ſtets wurden 
fie überflügelt von Denen, welche diefe nur für möglich und 
ee, hielten, wenn bie Bedingung ber dufern Größe er⸗ 

t ſei.“ 

Weiterhin ſagt er noch in dieſem Betreff: „Iſt es nicht 
ſeltſam, daß die Franzoſen von jedem neuen Frei 
mit dem ſie Verſuche anſtellen, ſogleich Ableger in alle Welt 
ſchicken wollen, ehe er bei ihnen Wurzel geſchlagen und ehe 
ſie durch Acclimatiſtrung eine Gattung davon herangezogen ha⸗ 
ben, bie bei ihnen ſich fortpflanzt und Fruͤchte trägt 3” 

Bir finden endli in dieſem Bande vorzüglich wichtige 
Unterfuchungen über die Regierungsmaßregein bie zum Fieschi⸗ 
fen Attentat und über die daraus hervorgegangenen Septem⸗ 
bergefege vom 3. 1835. Das Wirken Ludwig Phitipp’s ers 
ſcheint hier als auf Erhaltung bes Koͤnigthums gerichtet, wobei 
er ſich allerdings genoͤthigt fah, feine Macht allmälig zu erwei⸗ 
teen, durch Mittel, welche unter den gegebenen Verhaͤltniſſen 
unerlaßlig waren, follte der Staat nicht feine Centralkraſt 
verlieren, ſollte er nicht den Wirren ber Parteien und ihren 
haltungsioſen Theorien preisgegeben werben. Der Berf. ders 
hehlt nicht, wie ber König bei diefem Beſtreben ſich eine > 
zere Sewalt erwarb, als ber Geiſt der Verfaſſung von 1 





T16 


ertbeiite. Allein mit Steht wird anerfannt, daß, wenn 
abet von einer Schulb die Rebe fein follte, diefe nur auf Rech⸗ 
nung Derer zu fehreiben fei, weiche als Bevollmaͤchtigte ber 
Ration nicht verftanden,, conftitutionnelle Fuͤrſorge zu treffen, 
die Webürfniffe der Nation, d. i. Ordnung und Geſetmaͤßigkeit, 
fihern. Wäbrend die Parteien in ben Kammern rebfelig 
um das goldene Vließ des Cinfluffes in die Regierung kämpften, 
war die Revolution werkthaͤtig befchäftigt, das Königthum 
fammt dem Kammerthum durch Caufgräben gu unterminiren und 
bei günftiger Gelegenheit in bie Luft zu fprengen. Kamen biefe 
unterirbifchen Arbeiten irgendwo zum theilmeilen Ausbruch, fo 
waren bie Geſetzgeber davon uͤberraſcht, wie von einer, in ihre 
Theorien und Praktiken nicht paflenden, von ihnen nicht voraus⸗ 
oefebenen Bewalt, bie ohne ihre Erlaubniß hHervortrat. Der 
König dagegen hatte weder das Treiben in ber Kammer 
noch das Wühlen außerhalb berfeiben aus den Augen verloren. 
Gr hatte zugleich die Mittel erfannt, das Übel niederzuſchlagen 
und bie Ordnung zu fihern. Wenn er nun diefe Mittel von 
den Geſetzgebern foderte, einer Gefahr zu begegnen, an welche 
fie nicht gedacht hatten, fo mußten fie, im Gebränge zwiſchen 
ben Folgen ihrer Kursfichtigkeit und der vorausfehenden Klug⸗ 
beit des Könige, ihm wol Alles bewilligen, was fie nur hätten 
verfagen können, wenn fie, unabhängig vom Könige, eine wirk⸗ 
liche Macht befeflen hätten. Wir glauben daher gern, was ber 
Berf. behauptet, daß ber König damals von ben Volksvertre⸗ 
tern noch mehr, als er verlangte, hätte erhalten koͤnnen. Auf 
welche Weife fich die Dinge zu Gunſten der koͤniglichen Macht 
geftaiteten, nicht, wie Viele glauben, durch die Ränfe des Hofe, 
fondern buch die verftändige Werechnung des Könige, ber die 
Dinge heranfommen ließ und erft Im entfcheidenben Augenblicke 
binzutrat, um bie Macht, die er Allen vorenthielt, auf gefeh- 
mäßigem Wege ſich von Denen beftätigen zu laffen, deren uns 
abfebbarer Wortlampf von ben Greigniften nachdrüdtich unter- 
brochen und als unzeitig erwiefen wurde, dies Alles, ber Haupt: 
grund aller Bewegung jener Tage, wird vom Verf. ins volle 
Licht geftelt und der ſchielenden Anficht ber Parteien enträckt. 
Übergeugend für jeden Unbefangenen ift feine kiare Nachweiſung, 
wie die Shatfachen fi) aus ihren Keimen naturgemäß entwidels 
ten; ruͤhmend anzuerkennen ift feine Gewanbtheit, bie Thatſachen, 
feinem Bwede und ihrem Zufammenhange gemäß, zu gruppiren 
und als georbnetes Ganze einer gründlichen Beurtheilung zus 
gänglich zu machen. 15. 





Mancherlei. 


Gervinus in ſeiner, Geſchichte der poetiſchen Nationalliteratur 
der Deutfchen” (Thl. 2, ©. 295) bemerkt über Nürnberg, es 
feien deſſen reiche Bürger im 15. Jahrhundert bürgerlich in ihrer 
Lebendart geblieben, und: „Wie unendlich verpflichtet find wir 
diefen Städten für das Gedeihen ber Reformation; benn ibr ge: 
funder Berftand, fo überlaben er vorher mit ſcholaſtiſchen Spitz⸗ 
findigleiten und bürren Dogmen war, griff mit um fo größerer 
Sympathie nach ben neuen kehren Luther’s und nach der neu⸗ 
gebotenen Schrift." Überhaupt laͤßt fi das Chriſtenthum, 
welches ber Reformation eigen, als ein Bürgerliches, im Gegen⸗ 
fag zu dem Königlichen und Kaifertichen beö Papſtthums begreis 
fen. Es bat weniger Prunk, Aufzüge, Feſte und die Geiſt⸗ 
lichen, mit hinreichend mäßigen Sinkünften, ſtehen als Fami⸗ 
lienväter mitten in der Bürgerreihe. Den Großen und Maͤch⸗ 
tigen mußte dies wunberlich bünfen, da fie fonft Alles viel beſ⸗ 
fer gehabt als gemeine Bürger durch Seelenmeſſen, Ablaß, 
fromme Stiftungen, und man darf flaunen, daß fie in bamıas 
iger Zeit zum Theil von Bürgerfinn und Bürgerlichkeit fo forts 
geriffen wurden, um bie Reformation zu befördern. Kommt 
aber Ariftofratismus und Hoffinn bei ihnen und bei reichen Bürs 
gern zum Durchbruch, fo wird ber Eifer für proteftantifches 
Ehriſtenthum finten und bie Gewogenheit für Katholicismus 


felgen. Dies ſcheint in unſerer Beit ber Fall; denn Gpigkes 
. en und Dogmen, welche ebenſowol im Proteftantismus 
ſich eingefunden haben als im Katholiciemus, koͤnnen 
Liebe und Abneigung nicht entfcheiben. Der Elberfeider Krums 
macher prebigte in Berlin: „ein wahrer eigentlicher Chriſt gehe 
durch die Welt incognito, wie ein großer Herr, feines bhöhern 
Ranges ſich vollkommen bewußt’; unb gewiß muß ibm baun 
bie Euft anlommen, feine Glorie zu zeigen, wie Krummacher 
felber, ber, mit dem Aufiehen, weiches er in Bremen gemalt, 
noch unbefriebigt, au auf den Kanzeln ber Königsfabt bes 
wunbert fein wollte. Da wird nun Roms Auffoderung lauten 
und muthmaßlichen Bingang finden: „Kommt ber zu mir, theure 
Incognitos, Ariſtokraten, laßt eure unſichtbare Kirchenhoheit zu 
einer fichtbaren werbeu, bamit ihr auf den Stühlen leuchtet 
vor dem Bürgertum ber Gemeinen!“ 


Wie CEhriſtus im Sinn ber hoͤchſten religiöfen Liebe fpriät: 
„Liebet eure Feinde”; wie er binzufegt (Ruf. 6, 32): „fo ihr 
liebt, bie euch lieben, was Dauks habt ihr davon? benn bie 
Suͤnder lieben auch ihre Liebhaber‘: — fo ſpreche man im Ginne 
ber hoͤchſten welttichen Liebe: „Liebt euern Rädhften, auch wenn 
er Teine Liebenswürbigen Gigenichaften, ja felbft vielleicht wibers 
liche beſigt; denn fo ihr Liebet die Gigenfchaften, welche euch 
gefallen, was Danke habt ihre davon? Solches thun aud bie 
Rieblofen und ergögen ſich an Demijenigen, was fie belufigt.” 
Das höcfte But bes irdiſchen Daſeins ift eine uneigennägige 
Liebe, und biefe iſt bleibend und unabhängig von Gigenfchaft, 
vom Alter, vom Geſchlecht und währet bie in ben Tod. Aber 
das hoͤchſte Irdiſche iſt fo felten im Leben als das chriſtliche 
hoͤchſte überirdiſche, und jenes wäre gleichſam ein Vorbild des 
letztern. 


„Es hört und lieſt ſich ſelber Gott in Dichtern!“ — ſingt 
ein neuerer deutſcher Poet. Alſo weiter: Gott hoͤrt und betet ſich 
ſelber auf den Kanzeln, Gott hoͤrt und fpeculist ſich ſelber auf 
philoſophiſchen Kathedern, er lobt und preift ſich ſelber in Das 
vid's Pſalmen, er buͤßt und kaſteit ſich ſelber in frommen 
Kioͤſtern, beurtheilt und verdammt ſich ſelber in Ketzerrichtern; 
hoͤrt fi in einer Allocution bes Papftes, Ueſt ſich in jeder 
Dogmatik, jedem Geſangbuch. Die Menihen aber hören un 
Icfen Nichts von fi), fondern Alles von Gott, wobei nur zu 
Fyendern, daß ihre Hoͤrerei und Leſerei nit beffer, nu 

t. 





Literariſche Anzeige. 


Most (Dr. G. F.), 


Encyklopädie der gesammten Volks 
medicin, oder Lexikon der vorzüglich- 
sten und wirksamsten Haus- und 
Volksarzneimittel aller Länder. Nach den 
besten Quellen und nach dreissigjährigen, im \n- und 
Auslande selbst gemachten zahlreichen Beobachtungen 
und Erfahrungen aus dem Volksleben gesammelt. 
Erstes Heft: Aalsuppe — Brennnessel. 
Gr. 8. . Jedes Heft 15 Ngr. 

Der Name des Herausgebers, der dem Publicum durch 
seine übrigen Schriften hinlänglich bekannt ist, bärgt fir 
den Werth dieses populairen und gemeinnützigen Werks 
Es wird aus fünf Heften bestehen und die übrigen Hof 
werden in kurzen Zwischenräumen folgen. - 


Leipzig, im Juni 1843, 
"F. A. Brockhass. 





Berantweortliger Herausgeber: Deinrih Brokhaus. — Drud und Verlag von F. U. Broddand in Leipzig 


⸗ 


m War 


am 


u N 5 wi 


Blätter 


für 


literarifhe Unterhaltung 





Dannersteg, 





— — — — — — — — —— 


Meifeliteratur. 


welter unb letter Xrtiker. 

(Befhluß aus Nr. 178.) 

19. Wanderleben am Buße der Alpen. Den Neifenden am 

Senferfce gewlomet von Emma von Niendorf. Beilbronn, 
Duchslee. 1843. 8. 1 Ahr. 927, No: 


Abſicheich laſſen wir auf das role Buch des Hei⸗ 


maners biefe Neiſeſchrift einer, wie glauben jungen, ver 
muthlich auch huͤbſchen, jedenfalls aber liebenswuͤrdigen, 


mit Gemuͤth, Phantafle und bidyterifiher Anſchauung be: 
Dane folgen. Ihr Buch ift uns weniger feines 


öbjectiven Inhalts als der fich ‚darin ausfprechenden In⸗ 
Woidualität und Subjeerloität wegen intereffant und ges 


Hort zu derjenigen Gattung von Schriften, welche man 


in Frankreich die intime genammt hat. Die Berf. verin: 
merlicht Alles; ja, die Natur ſelbſt erfcheine in Ihren Schit 
derungen fa nur wie ein Mefler ihres Innern. Diefe 


deutſche Raturauffafſung — welche Übrigens leicht auf 


Abwege führen kann und ſekbſt Im der Malerei die Füße 
Ach ſten und myſtiſchſten Gebiſde veranlaßt Hat, indem 
man das Lebloſeſte ſelbſt zu einem netto geiſtigen Leben 
gu fleigeen füchte — charakteriſirt fie felb im Gegen⸗ 
{ate der franzöftfchen wie folgt: U 

Raur aunahmsweiſe werden Deutſche und Frauzoſen ſich 
nerfleben, won 06. fi dom ber Nass handelt. Sie ſehen bie 
Matur nicht wie wie mit dem Herzen, aur mit den Augen unb 
mit dem Geifte an, können weift nur den guten Geſchmack wuͤr⸗ 
digen und nach diefem Maßſtabe die Geſtalt der Zelfen, die JFarbe 
des Sees beurtheilen; durchblaͤttern bie Natur wie ein koſtbares 
Am & Spracht geführichenes Bud Die Franzofen 
Zehen miht in der Natur, fe 


ter Laͤrm, daß alle offenbaren Träume, alle Dichtungftimmen 
darin ungehört verflingen. Die Zranzofen bleiben mit der Na- 


sur ſtets im ‚Somverfationstons es HE Eein Bichesbündmiß, ja füße Nachtigall nur mehr eine Sage find. Die ganze Nafur 


ebadıtung be& Charakters, in der Anakyfe ber Zeidenfchaften, in | a8 anlegt den Menſchen nur mehr ıwie fein verlorenes Para⸗ 


harf das - 
her nur auf den Menfihen und feine focialen Berhättniffe 


wicht einmal Jerunbſchaft. baben jene ea auch in Ve⸗ 
Der ganzen Seelenanatomie fo weit gebracht, weit fie 
ri 


au von Ihrem gewandken Stile ein Veifpiel ſeinz aber 


en. Gr iſt ihre einzige Natur In dem Gteinmerre Paris. 


Das M geifteeih und meiſt auch richtig, und mag. 


Diefe Art, zu betrachten und zu ſtillfiren, entgeht bet Ge: 
Jahr, manferirt zu werden und im Phraſen auszulaufen, ': 


nicht 53 auch nicht bei der Vorf. kun hoͤre, wie 
L der: & ‘ ' . 
. Berge Snud alkin ſcheint den Zauber zu beiten, dem bie 


188. —ñ—— 





rauct 
J nenpfeile bligen; gluͤhendes Ahendſonneng 


jehen in ber Gonveniang und ganz 
abforbirt von der Realitaͤt. Es iſt ſolche Zerſtreuung, fo bun⸗ 





20. Juni 1843. 












Natur Rede Keht. In ben Schriften ber geninien Franzicn 
wie von Neſſerfoͤlen; Loweinen donnern drein, ba 
old ſchwebt um einfame 
rd Zönen und Däften zieht durch die unbewegte Luft. 
it Erlaubniß, ſchoͤne Dame! das find Phrafen, 


I wie fie auf dem Markte der Literatur jetzt täglich rlge 


boten werden, poetifhe Windbeutel und Bonbons, 
im Munde zerrinnen, und es bleibt nichts von ihnen 


| übrig als hoͤchſtens ein ſuͤßlicher Nachgeſchmack. Wenn 


man zu George Sand's Schriften fagen kann: Ihr feht 
aus wie eine Alpengegend! muß man mit bemfelben 
Rechte doch auch zu einer Alpengegend fagen koͤnnen: Di 
ffehft aus wie die Schriften von George Sand! Und daB 
wäre doch wahrlich ein Weniges verrüdt. Zumellen ges 
räth die Verf. in wirklich Eindifche Phantafiefpiele, 3. 8. 
wenn fie fagt: 

Wie lange no und ber Dampf trägt Voͤlker im Ft 
durch die @uft! dann wird es Leine Bogel mehr geben — 
werben en, wie bie Fiſche aus dan Maſſer wegbliehen, 
Nas bi ‚peitichen — . - 
aber, mein Himmel! ſolbſt angenommen, daß Luftdampf⸗ 
fahrten ein Traum wären, wo follen denn die Vögel 
bieiden? Glaubt die Berf., daß unſere Luftdampfſchiffe 
ſo zahlreich ſein werden wie Fliegen oder Muͤcken, daß 
Jeder ſtine eigene Luftdampfequipage haben wird? Auch 
bie, Fiſche ſind, trotz der Mäderfchläge, noch immer tm 
Waſſer geblieben und nicht aufs Land gezogen. Mein, 
im Nomen der Vögel ſtattet Ref. ber Verf. für die 
hetzliche Theilgahme, bis fie ihnen widmet, feinen Dank 
ab, muß fie aber zu beruhigen ſuchen, denn bie Poͤgel 
wenden fich aufsgt an Die Euftbampfinagen gewöhnen, unb 
de Luft iſt ja fo weit, fo weis, und der Vogel fo ge 
ſchwind. Die Verf. malt ihren Traum noch weiter aus: 

Zage können kommen, mo bie ſchmetternde Lerche und bie 


dies gelten. Oas iſt gerade das Daͤmoniſche in Allem, was das 
OBirn bei n unabhängig: vom Herzen hervarbringt. Das 
Din will ohne Gott ſchaffen, und biefer kann bo, mei ar 
elbſt Eein Gott iſt, nicht ohne Bott fein — die alte Geſchichte 
vom ann —7 — . tonnen Ka —— 
en flrasburger), wie an Lerche un 
rein Brmönftiger mehr Blaue. nt 
: Wie die Berf. Sefehle — nur tathen wir ihr, den 
fishdeutichen Propinzialieamus nar mehr”, ben mis jegt 
ſehr häufig in Schriften wen Suͤbdentſchen finden, mit 
dem tichtigeen „‚num wech" Sanftig. zu vertauſchen. Oder 


07 


ift die Zeit fon da, wo man an bas tfhe „nur 
noch” nicht mehr glaubt, wie man künftig an Muͤnſter, 
Nachtigallen und Lerchen nicht mehr glauben wird? Man 
fieht, die Verf. neigt fi zu Brübeleien und Traͤume⸗ 

bin, und mit diefer Hinneigung huge auch ihre 
Myſtik, ihr Glaube an Geſpenſtererſcheinuugen, un⸗ 
gen und Traumerfuͤllungen zuſammen. Zugleich iſt fie 
perfönliche Freundin und fchwärmerifche Verehrerin Juſti⸗ 
nus Kerner’ und erzähle in deſſen Geſchmack mehre 
Anekdoten aus bem Geifterreiche, die Ref. auf ſich beru: 
ben’ laͤſſen niuß, ba er wol unter den fogenannten Geiſt⸗ 
‚zeichen jegiger Zeit, aber nicht in den Geifterreihen Be: 
. Sanntfchaften angelnüpft bat. Aber pfochologifch intereſ⸗ 
Samt iſt der Fall von einer. Kindsmörderin zu Bern, die 
zum Tode verurtheilt, aber mit funfjehniäheigem Gefaͤng⸗ 
niß, wenn dies eine Gnade iſt, begnadigt wurde. Ihre 


Mutter kam auf freiem Felde nieder, wollte das neuge⸗ 


borene Kind umbringen und hielt es ſchon über ben 
Brunnen, als das Kink zu weinen anfing, wodurch bie 


Mutter von der beabfichtigten That zurückgeſchreckt wurde. 


Die Berf. meint, diefer einzige Moment habe vielleidht 
den Sünbenfluh auf die Serle des Kindes übergehen 
laſſen. Der Vater Magdalena's, fo hieß das Mäddyen, 
war Metzger; Magdalena hatte daher häufig Gelegenheit, 
Blut zu fehen, und fie fah es gern, wo Blut war, ba 
fand fie, da flarrte fie bin; es duͤnkte ihr wunderſchoͤn, 
ſchoͤner wie Gold. 
oft. 
Der Geliebte, welcher. fie zur heimlichen Berathung Über 
die Schritte erwartete, bie das drohende Verhaͤltniß for 
derte, verirete fü und kam breinial zum Hochgericht. Fa 
des Nacht vor dem Morde fah Magdalena im Traum 
drei Meine Kinder auf einem Tiſche Liegen, die fie ermor⸗ 
dete und denen das fo gut thatz dies entſchied. Nach 
dem Geſtaͤndniß ihrer That war fie ploͤtzlich ein anderes 
Weſen; fonft roh, gewaltfam, leichtfinntg, erfchten fie nun 
faſt kindlich zart; Biut Eonnte fie fortan nicht fehen. 
Sie wurde Unterauffeherin im Gefängniß, verrichtete ihre 
Pflichten mit liebevolifter Treue und wirkte auf die Sitt⸗ 
lichkeit der übrigen Gefangenen aufs wohlthaͤtigſte. 


Das Bud) iſt in einem eigenthuͤmlich abrupten, fluͤchtig 


geiftreihen, oft kindlich nalven Stile gefchrieben, bildet 
zu den Schriften unferer blafirten emancipirten Touriſtin⸗ 
nen den volllommenfien Gegenſatz und gibt, wenn auch 
weniger zum Nachdenken, doch zum Nachſinnen unb 
Nachfuͤhlen häufige Gelegenheit. 

20. Petersburger Skizzen. Bon Treumund Welp. Drei 
. Zheite. Beipyig, Weber. 1842. 8. 4A Thir. 15 Nor. 

Es iſt nicht Teiche, über dieſes intereffante Werk ein 
treffendes Urtheil zu fällen, fo lange man nicht ſelbſt die 
geſchilderte Localität und Nationalitaͤt an Ort und Stelle 
und nad langer Prüfung kennen gelernt hat, alfo bie 
Anfichten und oft Eeden Behauptungen des Verf. auf 
Neu und Glauben hinnehmen muß. Was: it daran 
wahr, was nie? Was ift In Rußland ſchwarz, was 
fah ‚der Verf. ſchwarz? Hob er ubfichtlich die Schatten: 
deiten Rußlands hervor ober bramgen fich. bisfe in einer 


Das Goͤttlichſte ME Blut! fagte fie | 
Seltſame Warnungen gingen ihrer That vorher. 





‚ 718 H 


Welle auf, daß aud ber unbefangene Besobachter fie nicht 
verfhweigen kann? Der Verf. polemifire an einer Stelle 
gegen Kohl, indem er meint: jedem mit dem Gegenſtande 
genauer Bekannten trete, bei der Lecture des Kohl'ſcheu 
Buchs Mar vor Augen; daß? deſſen Sf. "offenbar nur 
kutze Zeit in Peterchurg gelcbt, daß man Ihn gut: auf 
nahm, ihm Alles in ber Roſabeleuchtung vorführte, daß 
er endlih mittels Benugung ſchon vorhandener gedrud; 
tee Quellen fein Werk zuſammengeſtellt habe; auch macht 
er darauf aufmerkfam, daß der anfangs bei Kohl hervor⸗ 
Sretende Enthufiasmus fi im Verfolge immer mehr abe 
bämpfe, ein Umftand, ber auf die Vermuthung führe, 
fein Werk fei nah einem Tagebuche verfaßt und dabei 
die allmälig fich eingefundene, herabgekommene Stimmung 
beibehalten worden. Treumund Welp, ein Pfeubonymus, 
fheint allerdings mit Petersburg in eine intime Bekannt: 
[haft getveten zu fein; er hatte vertrauten Umgang mit 
ruffifchen Literaten und hohen Beamten; ex iſt der ruffi: 
fhen Sprache, wie er fagt, ziemlich mächtig; er weiß mit 
Schärfe und Verſtand aufınfaflen, fleht aber an Anmuth 
und Lebendigkeit des Darfichung Kohl weit nach, iſt ein 
geſchwaͤtziger Anekdotenjäger und im hohen Grade medi⸗ 
ſant, freilich auch gerade deshalb amuſant. Er iſt kenne 
nißreich, ſpitig und wigig, ſcheint auch von ber Wahr⸗ 
heit feiner Ausfprüche innig uͤberzeugt zw fein; nur fehlt 
es feiner Geſinnung an einge: gewifien Generofität, feiner 
Darftelung an Kürze, feiner Auffaffung an Gemüch und 
Gefühl. Der Berf. if won Kopf bis zu Fuß der nackte 
kriuſche Verſtand umb alle Werzhge des Buchs Liegen 
nach biefer Seite hin. Des JInucereſſanten findet ſich 
übrigens im Buche fo viel, baf wie e6 mit gutem Ge: 
wiffen Jedem zur Lecture empfehlen können. 

Den üÜberſchriften nach enthält der erſte Thell: Ein 
Gang durch Gaſtinoi Dwor uud Sehtſchugin Dwor“, 
„Sommerpromenade und ein Sonntag in Peteraburg“ 
„Das Bet in Peterhoff“, „Eine Wintscpromenade”, 
„Srühlingepromenabe burg einen Theil der Stadt“, 
„Ruflands Manufacturen⸗ und Fabtikweſen““, Hanbel 
und Zollweſen“, „Die Behörden”. Man ficht ſchon aus 
dem Inhaltsverzeichniß des erſten Theils, wie mannich⸗ 
faltig die Gegenſtaͤnde find, die der Verf. erörtert, wobei 
«6 nur wunderbar bleibe, daß ein und derſelbe Wann in 
allen Branchen fo bombenfefl fein folte, um Aber bie 
verfchiedenften Gegenftände ein gruͤndliches Urtheil abges 
ben zu koͤnnen; benn während er im erften Theile über 


Rußlands Manufacturen und Fabriken u. ſ. w. urtheilt, 


ſpricht er mit eben demſelben Selbfivertrauen im zweiten 
Theile über die peteröburger Policei, über die Leibherren, 
die Öranntweinspacht, die zuffifche Geiſtlichkeit, Unterrichts: 
und Bildungsanflalten u. f. w., im dritten dagegen Aber 
Muſik und Theater, über Literatur und Literaten, über Cen⸗ 
fur und Genforen und andere ganz verſchiedene Gegenfländr. 

Da das Hauptintereſſe der Buchs in amekdotendhe- 
lichen Mittheilungen berußt, fo führen wir deren einige 
on. Alles in Rußland bezieht ſich auf ben Zar, dem 
der Verf. großes Lob fpendet, ber aber aufs raffinirtefle 
bintergangın wird und degegen ‚nie zur "geimdliden Eins 


Rt in die ihen michfiitigchten Be 
en gelangen, kann, wie der MWerf. zu verflchen gt. 
5 {ft niemals ein Policeiofficdant zu fehen, wenn ſich 

bes Kaiſer auf der Promenade befindet, aber wol vor: 

und nachher, ja der Verf. ſah bei ſolchen Gelegenheiten 
einige Policeiroͤcke fi) vor bem Kaifer in nahe offenftes 

Bende Häufer fo fange verfteden, bis dieſer voruͤber war, 

und bemerkte genau, wie die Träger der mit Recht ver: 

ſchrienen Uniformen duch Thuͤtlucken alles Vorgehende 
beobachteten. Redet der Kaifer, was er häufig thut, Je⸗ 
mand auf der Straße an, fo fällt die Polkel ſofort Aber 
den Angeredeten her, um ihn auszufragen, was der “Do: 
narch gewollt? So redete einſt der Kalfer einen beliebten 

Schaufpieler des franzoͤſiſchen Theaters auf der Straße 

am und, kaum vom Monarchen verlafſen, ſollte der Schaus 

ſpieler dem herbeieilenden Policelbeamten Rechenſchaft von 

Dem geben, mas er gewollt habe. Der Künſtler aber 

antwortete raſch: „Seht! dort geht er noch, fragt ihn 

ſelbſt!“ Dex Univerfitätsbirector zu Kafan, Fuͤrſt Muſin⸗ 

Puſchkin, ließ das Local der Univerfitaͤtsbibliothek faft ein 

halbes Fahr Allen und Jedem verſchließen, weil daffelbe neu 

angeftrichen worden und man den Wunſch begte, Seiner 

Majeſtaͤt bei deflen zu erwartendem Beſuche diefe Sau: 

berkeit vor Augen zu bringen. Miniſter Uwaroff ließ 

eine geraume Zeit in den Wintermonaten alle Räume 
bes neueingerichteten Univerſitaͤtsgebaͤudes täglich heizen, 
obgleich gerade Holztheuerung flattfand und während bie: 
fer Zeit gerade Serien waren, blos weil man einem Be⸗ 
fuche des Kaiſers entgegenfad. Altes Liegt ber Policei 
daran, genau zu erfahren, welche Straßen der Kaifer auf 
feinen Promenaden berühren werde, und dann wird Alles 
daran gefegt, den Koth, ber fonft vielleicht das ganze 

Jahr hindurch liegen geblieben fein würde, aufzuräumen. 

Wo der Hof bie Wahrheit hört, verfchlieft er ihr das 

Ohr nicht. Hiervon erzähle Welp folgendes Beifpiel: 

Der Thro ee und beflen ebung fand vor mehren 
Jahren — Pi Yemen man —* die Are 
hatte, durch Hunde hegen zu laffen unb es wurbe 

gu hiefer Diorgenumterhaltung auch ber kaiſerliche Leibarzt, Staats⸗ 


. zauth Reinhold, eingeladen. Ginmal und wenige Augenblicke 


bemufsige ber Sihronfoiger Ihn um bie Nrface eines Kegel 
dem er ihn u Urſache 
bene 8 te. Ohne Umſchweife —2 derſelbe die Beſchaͤfti⸗ 
eine bes Prinzen unwuͤrdige, und ſeit dieſem Tage 
— keine dergleichen mehr ſtattgefunden haben. 
Hieran ſchließt der Verf. folgende ſeltſame Mitthellung: 
Der König von Preußen, Friedrich Wilhelm III., warb oft 
ungeduldig, wenn fein Reitpferd im Sommer nad den liegen 
flug. Serviliſten veranftalteten daher, baß bie Pferbe eigens 
zur Srtragun des Fliegenſtichs dreffict wurben, indem man fie 
mit Honig ichen in die Sonne führte und ba zweckdienlich 


% 

Einige der interefianteften Gapitel tragen bie Über⸗ 
ſchriften ‚Der Leibherr“, „Das ruſſiſche Volk in Peters: 
burg“ und die „Deutſchen in Petersburg”. Die Ruſſen, 
namentlich die zuffiihe Dienerfchaft, kommen dabei übel 
weg. Jene ſchildert ex als kriechend, fchlau, gewinnfüch- 
eig, von flacher Gutmuͤthigkeit, bei aller Schlauheit ftupib. 
Mit vollem Rechte, fagt ex, ruͤhme man bie leichte Auf: 


6 und ters | faffunpögabe dee Buffen, aber menige 


te Babe mem bisher 
ben nathrlichen Begleiter dieſes Talents, die Obeiflaͤchlich⸗ 
keit, hervorgehoben; der Ruſſe ſchmiege ſich in Altes, 
eigene fih Alles an, wenn er gezwungen werbe oder fel: 
nen Vortheil Dabei zu machen denke; allein ec bemächtige 
ſich der Gegenflände nur mechaniſch, ohne geiftig einzus 
dringen. Schimpfwoͤrter, wie „Sohn einer Hündin”, 
gelten ihm faft als Schmelcheleien; ber gemeine Ruſſe 
weiß e6 nicht anders. Eine Ercellenz, die von einem ges 
meinen Ruſſen auf der Strafe angeranmt wurde, fuhr 
ihn mit dem wenig fchmeichelhaften Ausrufe „Schwein!“ 
an, worauf diefer gemuͤthlich antwortet: „So ift «6; 
entſchuldige, Bäterchen!” Der Gehorfam des gemeinen 
Ruſſen geht bis zu Stupiditaͤt. So erzählt er von eis 
nem Diener, dem fein Herr einen Brief zur Beſorgung 
gab. Der Diener mußte über die Newa; er konnte aber, 
ihm fein Here Geld mitzugeben vergeffen hatte, die 
berfabhet nicht bezahlen, und fprang nun mit böchfter 
Lebensgefahr von Eisſcholle zu Eisſcholle, um den ihm 
gewordenen Auftrag pünktlich zu erfüllen. Die Deutfchen 
führen, nad) des Verf. Anſicht, in dem an fi freudens 
lofen Petersburg ein ziemlich triſtes monotones Leben; 
kurz, das Reſultat diefed Buchs iſt die Warnung: „Nur 
nicht nah Norden!” 9. Marggeaff. 





Altdeutſche Literatur. 


1. Parzival und Ziturel. WRittergedichte von Wolfram von 
Eſchenbach. Überfegt und erläutert von K. Simrod. 
Zwei Bände Gtuttgart, Gotta. 1842. &r. 8. 5 Thlr. 

2. Gesta Bomanorum, das ditefle Maͤrchen⸗ und Legendenbuch 
des chriftlichen Mittelalters, zum erſten Mate vollfiändig aus 
dem Lateinifchen ind Deutfche übertragen, aus gebrudten unb 
ungebrucdten Quellen vermehrt, mit Anmerkungen und einer 
Abhandlung über ben wahren Berfafler und bie bisherigen 
Zubgaben und Überfegungen beffelben verfehen von J. @. X. 
Gräffe Zwei Hälften. Erſte Haͤlfte, die erften 140 Ges 
fpißten enthaltend. Dresden, Arnold. . 1842, 8. 2 Thir. 


r. 

3. Der Froſchmaͤueler. Komiſch-⸗didaktiſches Gedicht von G. 
R al 1 enh .. h une an gon * 0 h er Gr es 
nebir. nzethnungen von Levy Gifan. ejel 
Kloͤnne. 1841. 8. 1 Thir. 

Das Beſtreben, die literariſchen Denkmaͤler unſerer natio⸗ 
nalen Vorzeit immer bekannter und zugaͤnglicher zu machen, 
greift in erfreulicher Weife mehr und mehr Platg. Diefem Bes 

ſtreben gehören die vorliegenden gungen an. In Re. 1 

gibt und der befannte und gluͤckliche Überfeger der „Nibelungen“ 

und des Walther von der Vogelweide auch den größten er, 
nicht, wie Friedrich Schlegel meinte, ber Deutſchen überhaupt, 
bes beutfchen Mittelalters, dergeftalt wieder, daß er mit 

Beibehaltung bes Beramaßes Zeile für Zeile in unfere Sprache 

fo überträgt, wie er fie in der feinigen erfand. „Wohl weiß ich‘, 

fagt er in der Ginleitung (©. ), „wie viel ich wage, im 

dem ich Werke des 13. Jahrhunderts in ihrer urfprüngl 

Geſtalt dem 19. biete; aber das Wagniß wäre größer geweſen, 

wenn ich fie biefer eigentyämtichen Beftalt entkleidet hätte, benn 

ſchwerlich würbe ich ihnen eine, dem Inhalte gemäßere gelichen 
haben.” Wir mäflen dem Überſetzer beipflichten, wenn wie 
gleich nicht verfennen mögen, daß es fchwierig fei, auf biefem 

Wege feinen Gedichten allgemeinere Zugänglichkeit anzubahnen. 

Dem Zeitgeſchmacke wird bie vorliegende Überfegung nicht gang 

munbredht fein; es fteht indeß zu hoffen, daß es Manche gebe, 


galgenr 
* 
55 ! 
% z Ei 
— 
e 1; 2 
———— 
— 
seäizge 
PHTiier 
she, 
sat tur 
Kan) 
n 
FE 
—— 
— 


Ei 
f 
ſ 


——⏑ 
—e— ufenumenheng beider Ange 
38 bekannte eiterarbiſtoriter Graͤſſe hat in Rr. 2 den 
Xofang einer Überfegung des bekannten Pifforiendudjs veröffentz f 
8 unter dem ım der „‚Gesta Romanorum‘' eine . 
a eh wefdhäftig, gu gerfioeut: 06 fehle ide Dee Humor, 


ag 
H 
f 
* 
3 
ae 
ie 
u 
Yu 
En 
PR 
h I: 
TEKaBSS=, 
— — 


men jung gu, wel = 
blos ale Erzaͤhlungen alten Lateinifchen de, Tondern | einer enden Kraͤntiichteſt: die Seeien ziel 
en, lateiniſch noch ungedruckten Mebactton ente | in 

au) cin meh 


‚Hanbfdeift son &3 Wefdyieen der Genen, die üyum | bisfe 
6 Srimm mittbeilte; ingieichen will er in eines beigefügten | Goban if walere Zeit zu mei 
Feder feine Sntdetungen und Meinung über den wirds | «6 ipr. —X Tugenden Pe —X —8 


der 
mertt, in ve Sammlung fehr fpöne, größtentpeild nody uns wis feiner feiok Bir 

et dee auch Pi dem | ids Zpeater, von dem Mufe — eher Chaufpitet a 
abſprechen, fo if | gezogen, oder von ber ragt der Decorationen, ober zum Zeu ⸗ 
eibe, » aber das Sefte und das irffie im 
fer geist einer weit zugänglichern ats der afthodbentfäen) | Drama Mi am ums weggmworfen. Das Duama gehhrt der der 
Spra⸗ Haan Fe a —— fü Fein 7 Aigen irn he a na yrh 

efen fein mödte. Zul t wit diefes, u ’ ns iteten ſocialen Sutereffen 
Ur mit Genuß hintereinander fortiefen, ba ſich manche Bir darum gethan. 8. 


—5 Ein polniſches Jouraal In England. 
inftig abuetheifen, um fo mehr, da derfetbe in feinem . - 
Franc] — et ned —S el und Beifägung Was man nit Alles erlebt und aus England betommtt 


8 
8 
& 
f 
; 
| 
& 
8 
2 
i 
# 
+ 
i 
®& 
3 
f 
! 
* 
4 
! 


wab Interpunctie ‚u fpredhens mateietl, Indem ex etwas | Eiber ‚Dimmel, wer werfücht benn in Emglank peiniid 
Hoc ıin Büeapel vor ade miatil, ninnd air Gryehime mern do6 [ei mir in Deutfhtenb une wenlg heran. 
aus dem Altextbume, alle Wegiepungen auf das v⸗ , | Wmd gut, bie „@chottifden —e Find für Pol 

ftänd erſchweren GSuiden (15 Ror.) verfauft werden. Rußland, fi 
A 8 y taum zu — — lauert ae —X — — 
Gange beim modernen Geſchmache und Werkändniß näher ges | Mit, und das iſt mit das Merkwardigtte an diekm in 
Sracyt worden; allein fraglich, bleibt «8, ob Diefs Werbionf, | Hrrausfommenden Journale. Auf das forgfättigfte 
mod) mehe, ob ber MWeifall, den ſich ber Überfegee bafılz bei | Dermicden werben, was ben Kuffen Anftoß geben 
dem großen Publicum verfpeedgen darf, bie Bebmken auftniegt, ae einige Kae RE mine ine Fi 
Be een anti.  Joaf, und nit mie Amt entugene Sue reißen wörte. Be nsalt foi fan ve 


 Grzähbungen, 


11 


3 
: 
} 
H 
$ 
# 
R 
Fi 
Ä 
he 
3 
PR 


3 
H 


H 





Kiterarifhe Notizen aus England. Anwerbung, Rotizen über Jabriten, topographiſche — 


Über den Beruf unferer Zeit für das Drama. ueen’s College in Glasgow (ein neues Grgichung! 
a ne Fa Be Be | BES RER EEE EEE 
2 ") „Edwin air’ im 
mQuarteriy review! unferer Zeit die bramatifähe Bäpipteit ab, | Bon Giähten m. [. m. naher 


Beraatwortlicher Deraudgeber: Heinzih Broddaud. — Drud und Werlag von . X. Brodheus im Leipzig. 





Blätter | == 


für 


literarifde Unterhaltung. 





Breitag, 





in Merico. 

Unter dieſer Auffchrife heißt es in der Beilage zur 
augeburger „Allgemeinen Zeitung” vom 10. April d. J.: 

Die Frau eines nach Mexico gehenden ſpaniſchen Geſand⸗ 
ten bat fi dem Zune... . . dee Touriſten angeſchloſſen und 
the eben publicirtes Reifejournat ift fo lebendig gefchrieben, daß 
ein paar Auszüge auch hier nicht an unrechter Stelle fein moͤch⸗ 
ten. Ihr Gemahl ift des Deutſchen ganz mächtig und hat den 
„Sheron‘ metrifh ins Spanifche überfents fie ſelbſt iſt von 
Geburt eine Schottin. 

Damit flellt der Berichterſtatter dem Eugen Lefer ans 
heim zu errathen, wo und in welcher Sprache das „Reife: 
journal’ erfchienen ift, ob fpanifh und in Spanien, weil 
die Berfaflerin „die Frau eines fpanifchen Geſandten““, ob 
deutfch und in Deutfchland, weil „ihe Gemahl des Deuts 
fen ganz maͤchtig“, ob englifh und in England, weil 
fie „von Geburt eine Schottin”. Die Wahrheit if, daß 
das Buch zuvoͤrderſt Fein Reiſejournal, fondern laut Ver: 
ficherung des Hm. W. H. Prescott, befannten Verfaſſers 
einer trefflihen „Geſchichte Ferdinand's und Iſabellens“, 
ans wirklich gefchriebenen und bee Publicitaͤt nicht bes 
ſtimmten Briefen zufammengefegt, daß dieſe Briefe englifch 
gefchrieben und das Buch urfprünglih In Nordamerika, 
der jehigen Heimat der Verf., unter dem Zitel: „Life in 
Mexico, during a residence of two years in that coun- 
try, by Madame C— de la B—” erſchienen und 1843 
von Chapman und Hall in London für ihre mohlfeile 
„KBoreign library” nachgedrudt worden ifl. Den Namen 
der Dame hat der Berichterstatter richtig herausgefunden, 
theils mittel& der gegebenen Anfangsbuchftaben „G— de 
la B—”, dann mittel® der von der Verf. häufig genug 
wiederholten Bemerkung, daß fie die Gemahlin des „Sefor 
Don A. C. de laB-—, Minister plenipotentiary and En- 
woy from H. C. M. to the Republic of Mexico”, und 
drittens mittels der leichten biplomatifchen Weisheit, daß 
es ein Here be la Barca war, ber zu Ende des Jahres 
1839 der Repubtit Mexico die fpanifche Anerkennung ih⸗ 
rer Unabhängigkeit uͤberbrachte. Bei diefer Sendung bes 
gleitete die Verf. ihren Gemahl, blieb bis Ende 1841 in 
Mexico und hatte allerdings durch ihre gefeltfchaftliche 
Stellung ausgezeichnet gute Gelegenheit, nicht blos bie 
Sitten und Denkweile der Mexicaner, fondern überhaupt 


30. Suni 1843. 


Alles kennen zu lernen, was für das Ausland Intereſſe 
haben kann. Sie hat die günftige Belegenheit vollftändig 
benust, d. h. auf ihre Art. Sie überläßt Andern, infos 
weit es nicht bereits gefchehen, die Truͤmmer von Mericos 
einfliger Größe zu entdeden, den Vorhang aufzurolien, hin⸗ 
ter welchem die Geſchichte diefes „Ägyptens des MWeltens’’ 
verborgen liegt, feine Künfte, feine Literatur, feine Tempel 
und feine in Waldesdunkel begrabenen Städte den flaus 
menden Augen: der alten Welt zu offenbaren. Ihre Pros 
vinz find Skizzen aus dem Leben in Merico, malerifche 
Scenerien und Heine Reifeabenteuer, Alles ohne Ziererei 
und in heiterer Laune den Freunden daheim brieflich bes 
richtet, bisweilen mit etwas Pfeffer und Salz, immer je 
doch nur die Oberfläche flreifend und vorzugsweife Äußere 
Gegenftände und locale Erelgniffe berühtend. Im Gans 
zen erhebt fich alfo das Buch nicht über das leichte, flüchs 
tige Geplauder, wie es einer gebildeten Frau bei der Un: 
terhaltung mit ihren Steunden in bie Feder laͤuft. Aber 
es hört ſich huͤbſch zu, ruht ſich bequem dabei aus, und 
das hat auch ſeinen Werth. 

Die Verf. landet In Veraeruz, fleht und beſchreibt das 
glückliche Gemifh von Pomp und Lumpen, das allen Na» 
tionen fpanifcher Abkunft eigen ifl, und gelangt per Dili⸗ 
gence wie gewöhnlid in vier Tagen nach Merico — wie 
gewöhnlich, mern die Diligence weder zufammenbricht, noch 
von Räubern verzögert wird, was beides keineswegs unges 
wöhnlich ift. In der Nähe von Merico erwartet eine um: 
geheuere Menfchenmafle zu Fuß, zu Wagen und zu Pferde 
Seine Ercellenz fammt Gemahlin. 

Wir wurden erfucht, eine fehr ſtattliche Caroſſe zu beſtei⸗ 
gen, ganz Garmoifin und Bold, am innern Himmel das Wap⸗ 
pen ber Republik, der Adler und der Ropal, in goldener Sticke⸗ 
rei. Vier edle weiße Roffe zogen uns. Inmitten biefes uner⸗ 
meßlichen Geleits son Truppen, Wagen und RKeitern hielten 
wir in ber Stadt Montesuma’s unfere Entree. 

In einer freundlich gelegenen Billa vor der Stadt, 
ziemlich comfortabfe, erblidt die Verf. aus den Fenſtern 
auffalfend charakteriftifche Gegenflände, infonderheit merk 
würdige Dienfchengruppen, 
brongefarbene Männer, ein Stuͤck wollene Dede ihre einzige 
Hülle, auf den Köpfen leicht balancirte irdene Gefaͤße, genau 
von bee Farbe ihrer Haut, fobaß fie im Ganzen wie terra 
cotta- Figuren ausfehen; die Gefäße find mit weißen Zucker⸗ 
wert oder weißen Fettpyramiden gefüllt; Weiber In ihren ro- 
bosos und kurzen, boppelfarbigen Röden, meift über und über 


Drehen, gleichwol um ben Saum bes Unterrods ein Spitzenbe⸗ 
au; keine Strümpfe unb ſchmuzige weiße Atlaeſchuhe, für ihre 
Beinen braunen Yüße ein wenig zu kurz; Derren zu Pferde auf 
mericanifchen Sätteln mit ihren sarapess umberlungernde le- 
peros (Bettler), wanbeinde Lumpenbändel, die ans Benfter kom» 
men und mit verftellter Stimme erbaͤrmlich um Almoſen bitten, 
ober im Begengange liegen, faulenzenb Euft und Sonnenſchein 
ſchluckend, oder flundenlang im Schatten ber Dauer ober an 
der Thuͤre in der Sonne figen; inbianifche Weiber, mit ihren 
engen Rödkyen von dunkelm Zeuch und dem wirren, mit rothem 
Band durchflochtenen Haar, die, um zu ruhen, ihre Körbe abs 
fegen und inzwifchen bebachtfam das Haar ihrer kupferfarbigen 
Sproͤßlinge unterfuchen. 

Madame GSalderon eıfährt bald, daß ein wichtiger Eti⸗ 
kettenpunkt beridfichtigt fein will. 


‚Alle Neuankommende, gleichviel wes Ranges und Gtanbes, 
fogar die fremden Geſandten, müffen jebe einigermaßen ange 
fehene Familie der Hauptſtadt in feierlicher Druckſchrift von ih⸗ 
zer Ankunft benachrichtigen und fi und ihr Haus gur Dispos 
tion ftellen. Wer das nicht thut, bleibt unbeachtet und uns 
gekannt. 

Alſo wurden flugs Karten ausgeſchickt und zu allen 
Stunden ſtroͤmte Beſuch ein. Jetzt handelte es ſich um 
das erſte oͤffentliche Auftreten. Man kam überein, daß 
es bei Gelegenheit eines zum Beten der Armen im Then: 
ter flattfindenden Balles geſchehen follte, und da der Ball 
ein bal costume war, entftand die ſchwierige Frage: wie 
fi Heiden? Madame Galderon wählte den Anzug einer 
Bäuerin aus Poblana, und die ausführliche Beſchreibung, 
bie fie davon gibt, vechtfertigt die Wahl. Ich empfehle 
das Coftum für Maskeraden, verfteht fih an Orten, wo 
die Maskeraden noch en masque befucht werden. Aber 
bie Frau Geſandtin irrte fih. u 

Geftern — ſchreibt fie — befuchte mich ber Präftdent in 
großer Uniform und in Begleitung feiner Adjutanten. Er blieb 
etwa eine halbe Stunde, freundlich wie immer. Bald nachher 
tam mehr Beſuch, und ale wir glaubten, daß er zu Ende, unb 
wie zu Tiſch geben wollten, wurben ber Staattiecretair ‚ der 
Kriegsminifter, der Minifter bes Innern und Andere gemelbet. 
Und weshalb denken Sie, baß die Derren famen? Mid u bes 
fhwören bei Allem, was Gefahr brohe, die Idee eines Poblana⸗ 
anzugs aufzugeben! Sie verfidyerten uns, die Poblanas feien im 
Allgemeinen femmes de rien; fie trügen eine Strümpfe, und 
die Frau eines fpanifchen Gefandten bürfe ein foldyes Coſtum, 
und wäre es für einen Abend, fchlechterbings nicht anlegen. 
Ich holte die Kleidung, zeigte deren Länge und wie anftändigs 
half nichts, und da ich nicht zweifeln Eonnte, daß bie Herren 
recht hätten und nur aus Güte die Muͤhe über ſich genommen, 
fo gab ich mit guter Wiene nach und dankte dem Gabinetsrathe 
für feine zeitige Warnung, obwol nicht ohne Beſorgniß, daß in 
diefem Lande des Saͤumens es ſchwer halten würde, mir ein 
anderes Goflum zu verfhaffen. Kaum waren fie fort, fo ers 
fdyien Sehhor — im Auftrage einiger der erften hiefigen Damen, 
die wir nicht einmal kennen unb bie dringend gebeten hatten, 
mir als Fremden bie Gründe mitzutheilen, warum ein Poblanas 
anzug, befonbers bei einer fo Öffentlichen Gelegenheit wie ber 
Ban, bier zu Lande nicht geftattet werden könne. Ich war für 
mein Entwiſchen wirklich dankbar. 


Nach ihrem erften öffentlichen Erfcheinen fah die Verf. 
täglich, etwas Intereſſantes. Die vielen religloͤſen Feier⸗ 
lichkeiten amuficten fie ungemein. Amuficten fie, fage ich, 
denn nicht allein, daß fie felbft fich fo ausdrüdt, fcheint 
auch ihrer Erzählung zufolge die Religion in Mexico eine 
Art Drama zu fein, das täglid aufgeführt wird. In 


der Charwoche erreicht es feinen Glanzpunkt. Da ruhe 
jedes Geſchaͤft; von allen Seiten ſtroͤmen bie Landleute 
herbei 5 die praͤchtigſten Proceffionen bewegen ſich durch 
die Straßen. 

Es kann nichts Maleriſcheres geben als Mexito am Gränen 
Donnerflage. Kein Wagen darf fahren. Gendthigt alfo zu 
Buß zu geben, benugen die Damen diefe Gelegenheit, ben gan⸗ 

n Reichthum ihrer Toilette zu entfalten. Sie tragen an bie 
em Tage nur Sammer und Gelbe. Diamanten und Perlen 
fpazieren durch bie Straßen. Die Wantillen find von weißer 
ober ſchwarzer Blonde, bie Schuhe von weißem ober buntem 
tla8. 


Die Kirchen waren zum Erdruͤcken voll; bie Orgeln 
fpielten felerliche Melodien und in funkelndem Geſchmeide 
lagen taufend Andächtige vor den Altären. Den fhönften 
Anblid gewaͤhrte die Kirche des Santo: Domingo. 

Sie glich einem Kleinen Paradiefe oder einer Schilberung 
in den Arabifchen Raͤchten. Alle Stufen zum Altar waren mit 
Toͤpfen ber eriefenften Bitumen befeht, mit Drangenbäumen 
voll Blüten und Fruͤchte, mit Roſengeſtraͤuch vol Bluͤten unb 
Knospen, mit Kryſtallſchalen voll gefärbtem Waſſer unb mit 
Fruͤchten aller Art. Käfige voll herrlicher Singvögel hingen an 
ber Wand und in den Zwifchenrdumen wahrhaft gute Gemälde. 
Gin heiterer Teppich bebedite den Boden, und flatt ber gewoͤhn⸗ 
lichen Figur bes gefreuzigten Heilands lag quer ver tem Alter 
ein kleines Chriftustind, Lieblik in Wache boffirt, mitten zwis 
ſchen Blumen, rings von Engeichen umgeben. Denken Sie fidh 
dazu die Mufit aus „Romeo und Julie” und Ste können fi 
vorftellen, daB das Ganze mehr einer Dpernfcene als einer 
kirchlichen Feierlichkeit glich. Jedenfalls verfichere ich Sie, daß 
id nie etwas Hübfcheres und Phantafiereicheres gefehen babe 
als den Moment, wo bad durch die bunten Scheiben fallende 
Licht der untergehenben Sonne Alles in Rofengiut tauchte, Boͤ⸗ 
gel und Blumen, Früchte, Gemälde und Engel. 

Die nächte von der Verf. befchriebene Scene gehört 
nach Stalien, dee Deimat romantifher Schaudergefchichten. 

Ich machte neulich einen Beſuch, don dem ich Ihnen Tagen 
muß. &6 war bei ber reihen Seüora —, deren erſte Biſite 
ih noch nicht erwibert. Sie war zu Haufe und ich wurde in 
ein großes Zimmer geführt, wo ich zu meiner Überrafchung bie 
Lampen, Spieget u. f. w. mit ſchwarzem Krepp verhuͤllt fanb, 
wie das bei Zobesfällen bier Sitte if. Alſo vermuthete ich, 
dag Jemand in der Familie geftorben wäre und ich meine Be 
fuchszeit ſehr übel gewählt. Dennoch feste ich mich, und mein 
erfter Blick fiel auf etwas Fuͤrchterliches, dem Sopha, wo id 
faß, gerade gegenüber. Gehe Stühle waren aneinander 
ben und auögefiredt lag barauf eine Geſtalt, anfcheinend ein 
tobter Körper, ungefähr ſechs Fuß lang, in ſchwarzes Zuh ges 
f(hlagen, nur bie Füße dadurch ſichtbar, daß fie das Zud em⸗ 
porftießen. Schrecklich, fehauberhaft! Und da faß id, bie Au⸗ 
gen auf biefer geheimnißvollen Erſcheinung, mich in 
Bungen erihöpfend, weflen Leiche eö wol fein könne Der Herr 
vom Daufe? Richtig, ber war fehr lang, fehr fränkiidy, konnte 
ſchnell geftorben fein. Daß ich angenommen worben, war fein 
Gegenbeweis. Denn während der erften neun Tage nadk einem 
Tobesfalle wird das Haus von Freunden unb Befannten wid 
leer, und die Witwe, die Waiſe, bie ihres Kindes berambir 
Mutter muß in ihrem erften bitteen Schmerze die We 
gungen von Allen unb Jedem empfangen. Man fdheint bier 
hicht zu willen, baß es einen Schmerz gibt, ber ſich nad) Ein 
ſamkeit ſehnt. Je länger ich ſaß und dadhte, befto unheimlicher 
wurde mir. Auch ſchien die Luft immer beklemmender zu wer⸗ 
ben und ich wuͤnſchte aus Herzensgrunde, daß ein lebendes Mies 
fen tommen möchte. Sogar mich wegzuftehlen, fiel mix eim, 
nur fürdhtete ich Anftoß zu geben, und meine Nerven waren 
dermaßen gereist, daß, als bie Señora endlich eintrat, Ich von 
meinem Sitze auffuhr, als Hätte eine Piftole geknallt. Sie trug 


ein buntes Muffelinkicis und einen blauen 5 bis war 
keine Trauer. Rach den üblichen Bingangscomplimenten' erkun⸗ 
digte ich mich angelegentlich nad dem Gemahl, immer einen 


Geltenbiid auf ber my 


Und die Kinder? Hatten eben bie Poden gehabt, waren bebeus- 


tend krank geweſen. „Nicht gefährlich?” ſagte ich zögernd, 
denn fie Eonnte ja einen großen Bohn haben und Hatte ihre 
bern Kindern gemeint. „Nein“, aber bie Kinder ihrer 
weiter waren gefährlich krank geweien. „Keine verloren ? 
boffe id.” „Keins.“ Ich war fo zerfireut, daß die Unterkals 
tung binfte, ich fragte und antwortete, ohne zu twiffen was, 
bis ich endlich zufällig fragte, ob bie Dame balb aufs Land 
gehe. „Nicht um zu bleiben. Wir gehen morgen, nur um eis 
nen Santo Cristo — eine Bigur des Gekreuzigten — dinzu⸗ 
bringen, der für bie Kapelle gefertigt worben iſt“, und dabei 
biickte fie auf bie Geſtalt, „deshalb iſt auch, wie Sie fehen, das 
Zimmer ſchwarz bebhangen’. | 
Der Handel mit ſolchen und ähnliden Figuren, aus 
Wachs, Holz und .anderm Material iſt ſehr beträchtlich, 
dagegen in den befjeen Zweigen bet ſchoͤnen Künfte ein 
großer Abfall bemerkbar. UÜberal Flitter, das Nüglice 
Mebenlace, ſchoͤnes Kußere u. f. w. Das Lied fingen wir 
such in Deutſchland. Pruntende Proceffionen ziehen durch 
Mericod Strafen; die Straßen find ſchlecht gepflaftert und 
ungeheuer ſchmuzig. Die praͤchtigſten Kirchen ſtehen Je⸗ 
dem offen; der Fußboden ift von einer Beſchaffenheit, die 
vor züchtigen Lefern ſich nicht befcheeiben laͤßt. Das Wes 
nige, was die Verf. von ber Erziehung erwaͤhnt, zeigt 
diefe auf niederer Stufe. Literatur exiſtirt eigentlich gar 
nicht; ein Paar magere Zeitungen und eine Monatefcheift 
fütlen die Lifte der laufenden Tageserfcheinungen. Man 


dertreibt ſich die Zeit außer dem Hauſe mit Bällen, Maste: 


raden und Feten. Megelmäßiger Fleiß iſt nicht anſtaͤndig 
und alle Feidarbeit in den Händen ber Indianer und der 
freigelaffenen Farbigen. Das Einfangen von Stieren und 
Stiergefechte ftehen fortwährend unter den Volksbeluſtigun⸗ 
gen obenan. Die Verf. war einmal Zeuge. 

Drei oder vier tiere werben beigefrieben. Sie machen ei: 
nen Augenblick Halt und meflen ben Gegner. Blos mit bem 


Zaſſo bewaffnet, galoppiven die Reiter heran und mit dem wil 


ven, böhnenden Rufe: „Ah toro!“ fobern fie die Stiere zum 
Kampf. Die Stiere hauen ben Boben und flürgen wüthenb auf 
die Pferde, verwunden fie oft beim erften Angriff. In geftreds 
tem Galopp geht es die Runde, Stiere und Reiters bie Zu⸗ 
ſchauer ſchreien und brüllen. Der Reiter wirft den Eaffo. Der 
Stier fchättelt das Seit vom Kopfe, wiegt bie Hörner und gas 
loppirt weiter. Aber fein Schickſal ift entfchieden. Rieder fährt 
das wirbeinde Seit, umſchlingt feinen ſtarken Hals. Gr wird 
geworfen, kämpft wüthend, bohrt in Wuth und Verzweiflung 
den Kopf wieberholt in den Boden. Dann werben feine Beine 

efeffeit und ein Dann, das glübende, ziſchende, zu einem Buch: 
Gaben ausgefchnittene Eiſen in der Hand, brennt ihn auf ber 

eite zum Zeichen, daß er nun bem Herrn bes Bodens eignet. 


WManche Stiere erbulden das Märtyrertbum mit fpartaniichem 


Heldenmuth; kein Laut entfchläpft ihnen; andere, fobalb das 
GSifen ins Flieiſch dringt, ftoßen ein langes Gebruͤll aus, das 
weit über das Land ſchalt. Dann werben fie loegebunden, fies 
ben wieber auf, und gleich gebranbmarkten Kains treibt man 
fie fort, damit fie andern Plat machen. 
Beit dem Stiergefechte, welches bie Verf. fah, wurden 
acht edle Thiere, eins nach dem andern, zu Tollheit ges 
best, dann getöbtet und die Menge Elatfchte und jubelte. 
Im Algemeinen — fagt die Verf. — iſt es ein ſchoͤnes 
Schauſpiel, die Gewandtheit unterhaltend; nur das Verwunden 


ſterisſen Geftalt- War ziemlich wohl. 


und Martern des Seiert thut Enem Tinertich weh. Es kann uicht 
gut fein, das Bolk an foldye bintige Anblicke zu gewoͤhnen. 

Man follte es beinahe glauben. 

Unerfättlicher Hang zu Bergnügungen, fehlerhafte Er⸗ 
ziehung, Mangel an Induſtrie, Schwäche der Regierung 
und eine Art Deficit an gefandem Menfchenverflande ha⸗ 
ben die Republik Merico zu Dem gemacht, was fie in 
den Augen der Verf. ift — ein Elein wenig beffer alt 
eine Bande Markefchreier, Bettler und Räuber. Es 
nimmt nur Wunder, wie ein folder. Staat beflchen Eann.. 
Inzwiſchen ift kein Grund vorhanden, die Angaben der 
Verf. zu verbächtigen. So Hagt fie umter Anderm über 
die Schwierigkeit, Dienflleute zu befommen, bie arbeiten 
wollten, befonders wenn fie ihnen die Erlaubniß verweis 
gerte, nebenbei ihrem penchant zu folgen und ſchmuzige 
weiße aunsihuhe En tragen. A 

„Warum feld Ihr aus Euerm Dienfte gegangen 
monatlich 12 Dollars Hatter “hörte Ian einee Tages — 
eine zerlumpte Bettierin fragen. „Ach“, antwortete fie, „wüßs 
tet Ihr nur, welche Wonne es ift, nichte zu thun“ 

Und fo denkt und handelt die Mehrheit. Wie ift es 
aber einem folchen Wolke gelungen, fit) von Spanien un: 
abhängig zu machen? Die Verf. antwortet: 

Dere is nothink like trying, wie ber alte Perruquier 
fagte, als er, um Georg IV. eine Perüde eigener Erfindung 
überreichen, in einem fleinen Boote der königlichen Yacht nach⸗ 


- zuberte, die vom fchottifchen Ufer aus noch fihtbar war. 


Die Verf. hat Recht, es geht nichts über das Wer: 
fuchen. So verfuchten denn die fpanifchen Golonien, das 
Joch des Mutterlandes abzufchüttein, und bei der Unent: 
fchiedenheit, wer am bornicteften, ob Mutter oder Tochter, 
gab es unter dem Titel Krieg eine Menge Mannſchießen, 
wenig Verluft an Menfchen, viel Verluſt an Eigenthum, 
große Mühfeligkeiten, Beine Refultate. Das Ende war 
eine Verfchlechterung der gefelligen Zuflände und für das 
Eingeriffene kein Aufbau. Zuerſt die Mevolution 1810 
mit Zortfegungen und Veränderungen bis zu ihrer Todes⸗ 
flunde 1819; dann Iturbide's Revolution 1821; dann 
der Ruf: Freiheit — grito de libertad — aus den Keh⸗ 
fen der Generale, „bememeritos de la patria”, San: 
tana und Victoria 1822; das Foͤderativſyſtem 1824; 
die entfegliche Revolution von Acordada und Plünderung 
Mericod 1828; das Centralſyſtem 1836 und die Revo: 
Intion- der Zöderaliftien 1840: in 19 jahren drei Regie: 
rungeformen und zwei Gonftitutionn, — es geht nichts 
über das Verſuchen. 

Eine Revolution heißt in Mexico ein Pronunciamento 
und ſcheint dort leichter zu Stande gebracht als eine 
Straßenbalgerei in Deutſchland. Die Verf. erlebte die von 
1840 und man kann die Beſchreibung des tragiſchen Er⸗ 
eigniſſes nicht ohne Lachen leſen. Leider iſt ſie zur Mit⸗ 
tbeilung zu lang. Der Praͤſident, der damals von den 
Pronunciados beim Mittagsſchlaͤfchen gefangen und in das 
Kloſter des heiligen Auguftin einiogirt wurde, war Gene⸗ 
ral Anaftafio Buftamente, fein politifcher und flegreicher 
Nebenbuhler Antonio Lopez de Santana. Über diefen 
gibt die Verf. einige interefjante Notizen. 

Bon Perfon ift er ein anfländiger, gut auöfehenber, einfach 
gekteiveter Wann, mit einem Anſtrich von Truͤbſinn und einiger: 


ſchwarzen Augen fi 

feinee Mienen anmuthig. Mur bis 

er von feinem Beine ſprach, das unter lm &n 
if, zudte etwas in feinem Auge, bas Ginen 3* 

gens find feine Manieren ruhig und anftändig, er im Ganzen 
ein weit zierticherer Heid, ale ich erwartet hatte. 

Ob e6 ihm möglich fein wird, Fake und Srieben zu 
Hiften, laͤßt die Verf. fich nicht abmerken. Bekanntlich 
bat der talentvolle Gutierrez Eſtrada wegen ber in Drud 
ausgeführten Behauptung , daß Die einzige Rettung für 
Merico die Errichtung eines conflitutionnellen Monarchie 
ante einem fremden Fuͤrſten, fi genöthigt gefchen, bie 
Fiucht zu ergreifen. Es fcheine alfo, daß biefes Mittel 
noch zur Zeit keinen Anklang findet, und iſt das ber Gall, 
fo wird Merico vermuthlich unter Santana oder eis 
nem andern glüdlihen Soldaten bie Feuerprobe eines mis 
Heairifchen Despotismus befichen muͤſſen, bevor es conſti⸗ 
tutlonnelle Freiheit genießen oder auch nur begreifen kann. 
Das iſt für ein fo ſchoͤnes, geſegnetes Land eine truͤbe 
Zukunft; es iſt aber eine, die auch der Verf. beim Schei⸗ 
den vorgeſchwebt zu haben ſcheint. Sie ſchließt mit den 
Worten: 

Es wird uns unmoͤglich fein, Mexico ohne Bedauern zu 
verlaſſen. Mexico bedarf nur eine feſte Regierung, um eins ber 
arſten Länder ber Welt zu werden. Santana bat viel in 
feiner Gewalt. Reste à aavoir, welchen Gebrauch er davon 
machen wird. Vielleicht bat er in ber Ruhe ber Iehten Zahre, 
bie er auf feinem Gute zugebracht, ſich etwas ausgefonnen. 
Sonderbar, indem wir Beine Übel zu umgehen fuchen, flürgen 
wie in ungelannte Kiüfte des Elends. Aber im geheiligten Ras 
men ber Freiheit laͤßt jeber Misbrauch fich ertragen. 

4, 


Bibliographie. 


Übert, %., Die evangelifch-lutberifäge Kirche in Schle⸗ 
fien, feit ben Unions: Berfuchen jüngfter Zeit. Liegnig, Reis 
ne. Gr. 8. 32! h N 

Bonhard, G., Die Sivilehe, oder Beantwortung ber 
Frage: Iſt deren Einführung in chriſtiichen Staaten nothiwens 
dig oder wuͤnſchenswerth? Gießen, Kerber. Br. 8. 5 Rgr. 

Bruchſtuͤck aus dem Thema vom Anfchiuß des Königreichs 
Dannouer an den Zollverein. Bremen, Heyſe. Gr. 8. 11 [iR Nur. 

Döderlein, L., Reden und Aufsätze. Ein Beitrag 
zur Te 16 Re und Philologie. Brlaugen, E. Enke, 
Gr,8 2T 


Drofte zu Bifhering, C. A. F., Über ven Frieden 
unter ber Kirche und ben Staaten, nebft Bemerkungen über bie 
vtanats ‚oerliner Darlegung. Münfter, Zheiffing. 8. 1 Ihe. 
geb ber, Ser umoresten. Mit drei Lithographien. Mainz, 

a 9 8. 


Funk, a Die Hauptpunfte des — proteſtan⸗ 
Nfcgen Kiecyenregiments. Lübedifches und gllgemeines. Eine 


Gratulationeſchrift. Luͤbeck, Robben. Br. 8. 10 Rgr 
Beibel, E.,  Sebidhte, 2te vermehrte Auflage. Berlin, 
%. Dunder. 8. 1 Thir. 15 Nor. 


—Gladſtone, W. E., Der Staat in feinem Verhaͤltniß 
zur Kirche. Rad) ber 4ten Auflage des Driginals. Gingeführt 
Such A. Tholuck. gubenfegs von 3. Areuherz. Halle, 
Maͤhlmann. Gr. 8. Thlr. 

Hellmuth, P., a und I Geieben. Erzählungen. Al 
tona, Hammerich. 8. I Thir. 20 

Durter, 8, 


der Schweiz feit dem Jabre 1831. Berichtigungen, Ergaͤnzun⸗ 


Nor. 
Die Befeindung der katholiſchen Kirche in | 


nie. Gdefipauken, Oster. Ger. 6. 1 te. 


Immermann, K., Damen und Dramaturgiſches — I 
u. Ohm ldter Band. Düffeiverf, Schaub. & 
Kromm, 2. J., Des diſtoriſche Chriſtus in feinem Ben 
—— 
10. mbar, Cüniech u Gap R 


Leaden, , Handbach für Reisende von J. F. Ne 
gebaur und E. A. Meorierty. Leipzig, Weber. 8. 2 This. 
—— von, Rd und Heifebuch für Auswandes 
zer nad ben den von Rorbamerifa. Dremcn, 


Zpie. 7 
P 


— Brangofen N Gpanier, De 
. Bon 8. Leipgig, Weinedei. 8 


PitresGpevalier, Alienor, Priorin von Kol: Maria. 
Hiſtoriſcher Roman aus der Zeit der eaierung 3 IV. 
Rad dem Sranzöfifhen von @. 2. Wefche. wei Bände — 

.u. d. T.: Studien über die Bretagne. —* und Öter Band. 
Brig, Kollmann. 8. 2 Zir. 15 Rgr 

Der Proteftantismus in feiner @etbkaufiöfung. Eine theos 
logifch : „politifähe Denkſchrift in Briefen von einem Proteflanten. 
Zwei Bände. Schaffhauſen, Burter. Kl. 8. 2 Thlr. 7 Wer. 

Rodt, E. v., Die Feldzuͤge Kart’d des Kähnen, te 
von Burgund und. feinee Grben. Wit befonderem Bezug 
bie Theilnahme ber Oyaeiger an benfeiben. Iſter Band. ch. 
haufen, Hurter. = 8. 3 Thlr. 

Schuberth, 3 , Muffalifcdyes Fremdwoͤrterbuch zum Ge⸗ 
brauch fuͤr Zontünflier und Muſikfreunde. Ste verm unb 
berbefferte Auflage. Hamburg, Schuberth und Gomp. Ki. 16. 


Siguier, A., Die Groͤße bes Katholiciamus. Aus dem 
Franzoͤſiſchen. Mit einem Vorworte von einem Tatholifchen 
Feitichen er Zwei Bände. Regensburg, Many. 

l lr 
Steinmann, F., Mefiflofeles. Heute der deutſchen Ger 
enwart in Seinen und Umriffen. Acr Theil. 3tes und Ates 
Bert. era, Dotop. 1 Zhlr. 
dom, F. v., Der junge Wann von Welt. Regeln 
bes be feiner Lebensart, wahrer Höflichkeit, Lebens⸗ 
weiſsheit und Weltklugheit. Jungen Maͤnnern, welche in die 
Des treten, gewidmet. Sondershauſen, Eupel. @r. 12. 
gr. 


Zhürmer, I., Verſuch die Anhänger Hegel's und Schel⸗ 
ling’® durch eine vernunftgemäße Offenbarungslehre zu derſoh⸗ 
nen. Berlin, Herbig. Gr. 8. 124%, Rgr. 

Vecqueray, F. G., Sine Stunde wahrer Andacht, ober 
Bluͤtenſammlung aus ber katholiſchen Religion. Gin Andachte⸗ 
und Belehrungsbuch. Zugleich als Zugabe zu meinem motivirs 
ten Glaubensbekenntniſſe. Herausgegeben nad beffen Tode. Mit 
einem Stahiftihe. Regensburg, Manz. . 18%, Ror. 

Bögeti, H. H., Die Leibesübungen bauptfächti nad 
Cliat. Zürich, Weyer und Seller. Gr. 8. 1 Zhir. 10 Kor. 

Waſſerſchleben, H., Die —& Kirche in ihrem 
Berbäitniie zu den foiabolifchen Büchern und zum Gtaate. 
Breslau, Pirt. —F 8. 10 Ngr. 

Willkomm, E., Gifen, Gold und Geiſt. Gin tragi, 
komiſcher Roman. Vrei Theile. deipzig, Kollmann. 8. ar, 


Dierzu Beilage Nr. |, 


lien nd 
ri En Date 


Verantwortliger Herausgeber: Heinrih Brodbaus. — Drud und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 


. Dänden zerbricht. 


Beilage zu den Blättern für Literariiche Unterhaltung. 





Br. 1. 





30. Juni 1843. 





Blicke in das duͤſſeldorfer Kunft: und Kuͤnſtlerleben von 


Friedrich von Üchtritz. Zweiter Band. Düſſel⸗ 
dorf, Schreiner. 1840. 8. 1Thlr. 


Der erſte Band ift in b. Bl. hinlaͤnglich, ausführlidh und 
anertennend befprochen worden *); über ben zweiten bürfen wir 
uns um fo eher kürzer faffen, da wir uns mit ber Anzeige bei 
felben ein wenig verfpätet haben, offenherzig geftanden, weit ſich 
Ref. wenig dazu gedrängt fühlte. Auch der Kritiker Hat, wie 
der Dichter, feine Stunden, feine Anregungen, feine Hervorbrin⸗ 
gungs⸗ und Raftzeiten, feine Eieblingez er fühlt ſich geneigt, dad 
Urtheil über Buͤcher, bie ihn kalt ober gleichgültig laſſen, To 
lange als moͤglich zuruͤckzuhalten. Dieſem zweiten Bande iſt 
krinetwegs Werth und Bedeutung abzufpredken, aber er leiftet 
Das lange nicht, was ber erſte auch für ben zweiten und bie 
etwa noch folgenden Bände verfprady, es fehlt ihm der innere 
Drang ber Nothiwenbigleit, aus dem der erfte Band erfihtiich 
bervorgegangen wars und fo verfegte er auch den Berichter⸗ 
fkatter nicht in jenen aufgeregten Zuſtand ber Ab⸗ ober Zuneis 
gung, der ihn deängt, ſich fobalb als möglich feiner Gedanken 
Darüber zu entladen. Hr. v. lichtrig ift, um fo zu fagen, nicht 
bei der Stange geblieben; er ſegt fein begonnenes Werk nicht 
eigentlich fort, er fegt nur an, bald biefes, batb jenes Fragment, 
lauter kleine Kryftallifationen einer Reflexion, die ibm unter den 
Die weitläufige Betrachtung über Goethe 
nehmen wir aus, aber auch biefe bildet nur ein größeres Bru 
ſtuͤck in einem Bude, worin ber Lefer Aufſchluͤſſe über Kunſi⸗ 
und Künflierieben in Düffeldorf erwartet und ſich dafkr ſam⸗ 
melt und flimmt. Was, fragen wir, hat eine Abhandlung über 
Goethe von 140 Seiten mit Düffeldorf gemein? Das mag Als 
les ſehr fchön und wahr fein, was ba ausgefprochen wird, und 
es ift auch zum Theil ſehr fchön und wahr, aber nur bier, nur 
in einem Buche über duͤſſeldorfer Kunft will man vergleichen 
nicht leſen; man hat Feine Anregung dazu unb jede Abhandlung 
ſeht bei dem Lefer eine Anregung voraus. Der erfle Band war 
offenbar ein Werk des Liebe, des Drangs, der Nothwendigkeit; 
man fah, daß ber Verf. fein Herz ausſchuͤtten wolltes er fuchte 
ein Publicum, er fand es; aber wir fürchten, daß ihn biefer 
zweite Band um dies Publisum umd das Publicum — vielleicht 
leider | — um bie folgenden Bände bringen wird. Gchabe we⸗ 


*) Bal. diesäder Nr. 265 und 208 f. 1648, DR 


Lob nicht, weiches einem Anbern zu Theil wird, Wir können 
und in bie unerquidtiche Lage, im welche ſich Hr. dv. üchtrit 
nad dem Erſcheinen des erften Bandes verfeht fah, recht gut 
bineindenten. Gr hat in die Eoterien der duͤſſeldorfer Kuͤnſtier⸗ 
fhaft wie in einen Saufen vol Ameifen, in ein Neſt vol 
Schlangen, in eine Belle voll Wespen und Hummeln geftochen, 
bie nun alle an ihm emporkriechen, ihn umziſchen, ibn begels 
fern, ihn umfummen und umbrummen. Da bat er alle Hände 
voll zu thun, nur die aufgereisten ungethäme zu befänftigen, 
u beſchwichtigen, abzuwehren und unſchaͤdlich zu machen. Dies 
ee Umftand träbt auch allerdings die erſte Hälfte biefes Ban⸗ 
des, weiche fpeciell auf bie däffelborfer Kunft Bezug bat. Dee 
Verf. befindet ſich mit jenem Mann in gleicher Rage, weicher, 
indem er ſich in einer Befellfhaft verbeugte, an einen Deren 
anfließ, gegen diefen, um fich zu entſchuldigen, eine Verbeugun 
machte, babei einem zweiten empfindlich berührte, abermals fi 
verbeugte und entfdyulbigte, und fo ind Unendliche fort. Daher 
ift auch das Raifonnement in diefen Partien fo kalt, fo zaghaft, 
fo breit und immer in der Stellung eines Menfchen, weicher 
Niemand beleidigen möchte, fo vielen Grund ex auch dazu bat, 
unb bei Jebermann fid zu entſchuldigen wuͤnſcht, ohne eine Ent⸗ 
fduldigung nöthig zu haben. Dagegen werben wir freilich für 
diefe Mängel durch mandye trefflihe Bemerkungen und Reflerios 
nen entfchäbigt, bie wenn aud nicht von Driginalität, doch von 
Geſchmack, Richtigkeit und Übung des Urtheild und Denkens und 
gefundem Dienfchenverftande zeigen. Der Verf. findet für feine 
Anſichten auch immer einen Haren ftiliftifchen Ausdrud, dem «8 
ſelbſt nicht an Schönheit fehlt, wennſchon er im Allgemeinen 
an einer gewiffen Farblofigleit und Monotonie leidet. Die pis 
kanten und fo beliebten epigrammatifchen Spigen und Sprünge, 
wie fie uns bei ben Modernen fo häufig entgegentreten, findet 
man nicht bei Hrn. v. üchtritz; wir wollen das au nicht ta⸗ 
bein, verfiete er nur nicht zu häufig in den entgegengefegten Feh⸗ 
ler einer bald zu bebaglidden, bald zu peinlichen umfländli 
Breite. Schlaglicdhter dienen oft mehr dazu, als ein zu allges 
mein gehaltenes Licht, ein Gemälde bis in feine innerften Ges 
beimniffe hinein beutiich zu machen. 

Gleich das erfle Capitel fagt mit vielen Worten wenig, ins 
dem der Verf. fi darin bin unb Ger windet und kruͤmmt, um 
den Eefern und namentiich ben däffelborfer Malern deutlich zu 
machen, daß er biefe keines im erften Bande beleidigen ges 
wollt, noch auch wirklich beleib * habe. An guten Bemerkungen 
fehlt es dabei keineswegs, 3. wenn Hr. v. üchtritz davauf 
hinweiſt, daß wir in unſerer Zeit gewaltig anſpruchtvoll gewor⸗ 
den, daß wir uns wie durch einen kraͤnkenden Borwurf ernie⸗ 
drigt fuͤhlen, wenn uns nicht gleich zugeſtanden wird, in Kunſt 
und Leben ein zweiter Michel Angelo oder wenigſtens Rubens 
zu fein u. f. w. In ben folgenden Gapiteln fchreitet er zur 
Sharakterifirung mehrer Notabilitäten der büffeldorfer Schule 
fort, zuvoͤrderſt des Malers Hildebrand. Mas er bei biefer Bes 
legenbeit vom Portrait fagt, wovon nad feiner Anſicht bie duͤſ⸗ 
feiborfee Schule ausgegangen fei, ift volllommen richtig und 
wahr. Es ift noch nid gar lange her, daß die Kunftausftels 
lungen — mir meinen befonbers die in Berlin — mit mehr 
oder weniger misrathenen Portraits uͤberreich gefegnet waren 5 
gegenwärtig ſcheint diefe Kunftgattung mehr verbrängt zu wers 
den. Dr. v. Tichtrig bemerkt mit Recht: „Wie hören bier und 
Fe die en — —— en niedrig ki ai an 

r wol felbft den Anfpru ns; abfprechen, i 
Heiligthume ber Kunft eine Gtaie zu finden. Ich kann biefer 
Meinung nicht beipflidhten. Was zunaͤchſt bie Portraits der 
itafienifchen und nmiederlaͤndiſchen Maler des 14. bis 17. Jahr⸗ 
hunderts angeht, fcheint fie mir eine mehr als ungerechte. Das 
gefchichktiche Interefie, das es uns gewaͤhrt, bie Inbivibuen 


vergangener Beiten in ihrer vollen Lebendigkeit und Wtrktläkeit 
vor Augen zu erbliden, kann bei biefer Frage allerdings nicht 
beruͤckſichtigt werben. Uber auch abgefehen davon madyen 
jene Geſtalten in ihren Sewanben, 


. ern 

wie fie uns auf den Portraits eines van Dyk ober Tizian 

entgegentreten,, jene abeligen Gavaliere oder ehrſamen Bürger 

‚jene geharnifchten Krieger und anmu⸗ 
indruck, ben ich entfchieben als 


&inn 
empfinde. (ich verkennt er die Klippen nidge, welche ſich 
—— —— Gegenwart, des zugleich eine kuͤnſtleriſche 
Bebeutſamkeit erſtrebt, in mehr als einer Dinſicht entgegen⸗ 
ſtemmen. „Den heutigen Geſichtern“, rer er, „mangelt in ber 
Regel ebenfo fehr jene ſcharf nuancirte Indivibualität, wie ber 
Ausdruck eines feften, gemeinfamen Lebens. Es iſt nur zu haͤu⸗ 
fig etwas unbeftimmtes, Berfloffenes, Ruͤchternes ober doch Dals 
tungslofes in ihnen‘ u. f. w. Hildebrand, ber eine ganz unge: 
wöhnliche Babe befist, bie Cigenthuͤmlichkeiten anderer Perfonen, 
ihre Sprachweiſe, Geberbung u. f. w. nachzuahmen, ift im Por: 
trait ausgezeichnet, indem er, um mit bem Verf. zu reden, bie 
Geſichter, die fi ihm zum Gonterfeien bieten, in aller Weſen⸗ 
heit ihres Weſens wiedergibt, ohne diefelben durch eine charak⸗ 

terloſe Werallgemeinerung ihrer Züge heben zu wollen. Beſon⸗ 
ders werben Hildebrand's Verbienfte in Darftellungen ber Kin: 
derweit hervorgehoben und namentlidy auf die beiden Prinzen 
auf den Söhnen Ebuard's hingewieſen. Jett if ber Känft: 
ler, nad) des Verf. Anficht, mit feinem Wolfey, den v. Üdhtris 


für die bebeutenbfte unter ben Gompofitionen Bildebrand’s hielt, 


in bie dritte Epoche feiner kuͤnſtleriſchen Laufbahn getreten. 
Sein Streben geht nad Naturwahrheit und ſchon ats Knabe 
verfuchte er fich in der Rachbildung von Käfern, an beren buns 
ten Karbenfpielen er bie innigfle Freude empfand. Er hat aud) 
eine ſehr anſehnliche Käferfammlung angelegt unb betreibt fein 
Studium und fein Sammeln mit einem ſolchen Ernſte und fol- 
cher wiſſenſchaftlichen Gruͤndlichkeit, daß feine Freunde zumwellen 
die Sorge nicht ganz abwehren koͤnnen, er moͤge zu viele Kraͤfte 
feines Geiſtes nach dieſer Seite hinwenden. —* Politik und 
Theologie intereſſirt ſich dieſer Kuͤnſtler nicht, ebenſo wenig be⸗ 
ſchaͤftigt er ſich mit Aufſtellung, Prüfung und Durchfuͤhrung 
allgemeiner aͤſthetiſcher cber anderer Theorien und Anſichten. 
„Die Biibmosaefihichte Hildebrand's“, fagt er ferner, „tann 
fuͤglich als Beiſpiel des Sntwidelungsganges eines wichtigen 
amd vielleicht des wichtigften und gefundeften Zweiges ber hieſi⸗ 
om Schule gelten.‘ 

Intereffant find bie Mittheilun 

Maler 


—— und dter, welcher au 
u 
gefelliger Scherze 


zugleich mit wabchaf 
humoriſtiſchem 


t 
Erſindber 
haben. Wie 
£effing die Steine, Hildebrand für bie Käfer (ohne Ruͤck⸗ 

wirkung freilich auf deſſen Kunfläbung, wenn 
Farbenreichthum der erweit in feinem GSolorit 
wieberfinden will), fo ſchwaͤrmt Schroͤdter te Pflanzen: das 
ift feine a aon6 feine Arabeslen in Pflanzen 


chtenden, weichen legtern 
geift bezeichnet, geht der Verf. zu einer Gharakterifirung Bende⸗ 
mann's über, a en in feinen —— Das hr 
Bort „Orien 4 a 
Gapitel befcyäftigt it einer KritiE im „Ra 


® tt N 
ae a Be a ee 


als bem Dichter zufagen Tann. Das fei anders geweſen zu den 

Zeiten Raſaers ober Michel Angelo’s, es fei nehmen, baf 

dieſe ale Mitfprecher in bie Unterhaltungen an Taftl eines 
ober Ga Bembo über Öegenfänbe ber 


dirzimmer geiftreicher Frauen vorgebrungen, ber Platonitmus, 
fet ihren Bebürfniffen bier wilfährig entg 
ber Hegel'ſchen Philoſophie verhatte es 
Dennoch könne der Kuͤnſtler, fo gut wie ei Angelo oder 
Leonardo da Vinci, ein bentender und betrachtenber Geik fein, 
und bie Bemerfung des Kritilers im ‚Kunftbiatt”, wenadh es 
von ben Känftiern gelten fol, daß fie mehr auf bem Gebiete 
des Raturs und Seelenlebens als 
fih mehr für Beſonderes und 

für allgemeine Überbiide i , koͤnne auf bie 
Leuchter ber Kunft nicht zur Anwendung Tommen. 

folte, fährt er fort, ein Kuͤnſtler wie Gornelins ſich nidt 
in das eine und andere Platonifdye Geſpraͤch nachdenkend vertie⸗ 


d daſſelbe mit acti ofttpäri durchdringen 
Finnen? Ci bed — Rent veie 


großen Kün 
eigentlich als ein Mythus im Geiſte des Pinto anzufehen u. r-f. 
Gangen und 


2" 





& 
{ 
: 


obgleich auh 


— 


gen, er 
wiſſe Breite und Umſtaͤndlichkeit den Kern 


das er von Goethe uns 

haupt, Ben er befnist eineinen 
ne un 

bieote aufiöl. Am in 


8 
* 





Sen 


g= 
h 


orbenen Aufgabe uns 
als ben beiöpnenbften. — —ãi— Ye —— * 


nur infeweit biefes Beben ei 
liches is; aber nichts meint er, 


abftracter im ſchlimmſten Sinne fein, ats die Darfkellun 
inbuftriellen — in den eier, — 
— er en Werke hervortretende ſichtbare 


7191 


X 
5 


wagt; man mäfle den Rhein bewundern, wie er bei Schaffhau⸗ 
Waſſerfall niederſtuͤrzt, wie er bei Mainz in weiter 
Harer fich dehnt, nicht wie er fi am laffe feiner 
Bahn im Bande verliert. Laffen wir unfern kritiſchen Nieber⸗ 
kändern ihren Sand, fährt er fort, umb erfreuen uns an bem 
Wogenflurge bes „Werther und „‚Baufl’’, an ber fpiegelktaren 
e ber „Lehrjahre”. Goethe, fagt er, habe ſich wenigftens auf 
Alter einen behaglichen Hausſtand in Liebe und Frieden bes 
gednden wollen; da fei denn bad Werhätfchein und Gehrfchäg- 
tfinden, bie unbebeutenden Gedichte an unbedeutende Perfonen, 
das Binpadden des Hrn dv. &. und Fräulein v. Y. wie Haͤringe 
für die Unfterblichleit angegangen. Das zeuge nicht von der 
Liebe, weiche Shriftus erfüllt habe, ale er die Tempelſchaͤnder 
aus dem Tempei trieb. Der edle Born, womit Goethe in ſei⸗ 
ner Jugend auf fo Manches losgefahren, habe biefer Liebe uns 
gleich näher geftanden u. f. wm. Das Idylliſche, die Beſchraͤn⸗ 
g auf die Jnutereſſen bes Privatiebens unb einen beſtimmten 
Kreis fruchtbringender Thaͤtigkeit fei allerdings eine dem deut⸗ 
ſchen Leben angemefjene und natürliche Aufgabe, und gerade auf 
biefem Terrain habe auch Goethe das Herrlichſte geleiftet. Die 
dramatiſche cheine uns jegt, wo wir dem Drange nach 
Berſen 


orm erf 

fung das innere Leben genugthun möchten, als eine 
dürftige, während wir für die Vorzuͤge derſelben, für bie hohe, 
fichere, compacte Einheit, die raſche Bewegung und Hanblung, 
bei der Innern Spaltung und aͤußern Shattofigkelt unfers eig⸗ 
nen Lebens keinen Anklang hätten. Unb doch babe gerabe Schlu⸗ 
ler durch feine hiſtoriſchen Dramen bie entfchiebenfte Bortsgunf 
nnen. Die Auftsfung biefes Problems ſcheint uns der Bear. 

en einem tänftigen Bande Idfen zu wollen. 66. 





Romanenliteratur. 


1. Die Gerlenverkäufer. Nach Thatſachen unferer Tage hiſto⸗ 
riſch⸗ comantifch bargeftelt von F. Th. Wangenheim. 
Drei Bände. Braunſchweig, ©. ©. E. Meyer. 1841. 8, 
3 Thir. 20 Nor. 

Die Geſchichte 
beiöfkabt Lebt ein rei Kau 
San Dil # ee —2 —S S e liebt deſſen 


in Gompa werben 
In derfeibe bis um Beginn —ã— 
er 2 


chaut, losgeſprochen und gelangt 
je Meg üit früger 


bei von Dolen in nften gerwefen. 
wieder Sapitain eines alten und fchlechten Schiffe, Aloyſa ger 
nannt, welches der Firma es 


fen derern 
—2 — feiner ãA einem fchönen Landſtadtchen Deutf 
ter Agathe. Er em a 
Tande. Diee hat feine Koch 


chiffe ein Neffe des 
den Bay aber nicht kennt. Dieſer, 
nimmt Agathen halb durch feine fchöne 


Meſtalt und fein feines Vetragen für ſich ein, ja fie ver 
über ihm fogar ihren Max und laͤßt ſich in ein —8 ef 
mit ihm ein. Rachdem fie auf dem Meere manches lingem 
ausgeftanden haben, kommen fie endlich in Amerifa an. Bier 
findet Hr. Farting feine Hoffnungen und Erwartungen gänzlich 
getäufcht; fein bedeutendes Vermögen, das ſchon unterwegs fehe 
uſammengeſchmolzen, ift bald ganz aufgerieben und in 
—* er tief in Schulden. Aus dieſen Hilft ihm aber Willy 
Blood, ber die Familie überall begleitet. Durch feinen Edel⸗ 
muth, ben er auch ſchon während der Überfahrt bewiefen, ges 
winnt ihn Kr. Farting lieb und verlobt ihn fogar mit feiner 
Tochter. Dietje Baz findet in Amerika ben Lohn für feine 
Berbrechen. Barting’s Frau ſtirbt inbeffen und er ſelbſt wirb 
aus Heimweh faft wahnfinnnig. Nachdem fie viel Roth und 
Drangfal in Amerika ausgeftanden, ſchiffen fie fich endlich nach 
England ein, wo Wily Blood einen reichen Oheim bat, beffen 
einziger Erbe er einft wird. Bald nady ihrer Ankımft in Enge 
land heirathet Willy feine Agathe. Hr. Jarting bat aber auch 
bier feine Ruhe, benn er win ſich von feinem Schwiegerſohne 
nicht ernähren laffen. So Eehrt er denn mit ber erflen Belegen 
t nad) feiner WBaterftabt zurüd, wo er den frühern Gelieoten 
einer Tochter, den Mar Eleve, bereits mit des dafigen Buͤrger⸗ 
meiſters Tochter verbeirathet findet. Dies die Geſchichte. ef. 
bat in derfelben durchaus keinen innigen, nothwendigen Zuſam⸗ 
menhang finden koͤnnen; nur burd die ihr zum Grunde Lies 
gende Tendenz, von der Xuswanberung nad) Amerika abzu⸗ 
freien, werden bie locker verbundenen Faͤden einigermaßen gu 
einem Ganzen vereinigt. 


3. Bilder aus ber Laterna magica eines Blinden von Georg 
Lot. Zwei Wände. Berlin, Sonas. 1841. 8. 2 Thlr. 15 Rgr. 
Log nimmt unter ben Gryählern zweiten Ranges, weiche 
bie Mittelclaffe zwiſchen den Literarifchen Künftiern und ben Jite 
rarifchen Oandwerkern bilben, unbeflreitbar eine ber ehrenwer⸗ 
theften Gtellen ein. Bom Künfttes befigt er die Grfinbungss 
kraft und ben Geſchmack, vom Handwerker den praftifcken Bück 
und bie Handfertigkeit, und mit dieſen Jactoren bringt ee Pros 
ducte zu Gtande, bie zwar feinen vein Afthetifchen 84 ha⸗ 
ben, aber body wie elegante Luxusartikel einen angenehmen, ges 
fälligen Gindeud machen und ben Leſer über das Nivean des 
gemeinen Lebens erheben. Won biefer Art find auch diefe ‚Nils 
der aus ber Laterna magica eines Blinben”, unter denen man 
ſich kleinere Novellen und Grzählungen zu denken bat. Der 
Verf. weiß in benfelben irgend eine intereffante Perföntichkeit 
ober fpannende Gituation fammt Zubehör in einen Bleinen Hohl⸗ 
fpiegel zufammenzubrängen und fie dadurch wirklich zu anſpre⸗ 
den Bi zu gefalten. Daß dieſer Spiegel nicht Alles 
in ben richtigften WBerhältniffen wiedergibt, Manches zu groß, 
Manches zu Bein erſcheinen läßt, Hier und da einmal etwas 
chief und ben ‚ auch mandyes Unbebeutende mit 
abfpiegelt, darf nicht befremben, ba befanntermaßen nichts 
ſchwieriger ift, als auf kleinem Raume etwas wirklich W 
volles oder gar Bollendetes zu leiſten. So este Anfı 
pflegt aber auch das Publicum, welches nach derartigen 
len greift, nicht gu machen, und biefes wich fih durch Das, 
was ihm bier geboten wird, recht wohl befeiebigt bien 


koͤnnen. 
Bevue de kegislation et de jurisprudence, fondé par 
Wolowski, Paris 1843, 


Diefe gebaltreiche Zeitſchrift, von ber bereits 16 Baͤnde 
erſchienen find und die mit bem vorliegenden Jahrgange eine 
Neue Folge begimmt, bat für die Kenntniß ber neueren franzd 
fchen Kedtsimirfenfdaft eine fo große Bebeutung, daß wir ni 
umhin Eönnen, ihrer in diefen Blättern wenigſtent mit einigen 
Worten zu gebentn. Was fie befonders vor ben übrigen juri⸗ 
ftifchen Journalen Frankreichs, beren es eine ganz bedeutende 
Anzahl gibt, auszeichnet, ift bie befonbere Beachtung, bie in 





728 


Kr ausiäabikäee und namentlich beutfcher Miffenfihaft gewibmet 
. herrſcht in allen i Artikeln ein vebti 
——— — ort, ben man in ehr als einem geierien 


Blatte immer mehr zu vermiffen anfängt. Wir wollen, um 
von bem reichen Wechſel zu geben, ber uns in 
diefer Revue’ geboten wird, nur auf gutes Gluͤck bie Zitel 
eini 
geſchienen haben. Wir befchränfen uns jeboch dabei nur pr 
einige der zuiegt erfchienenen Bände. Fauſtin Helie, ber fi 
durch mehre ſehr umfaffende Rechtswerke bekannt gemacht hat, 
gibt einen gehaltreichen Aufſat über „bie Bildung ber Jury”; 
aus den Papieren bes zu früh geflorbenen Klimrath, ber, wenn 
wir nicht ivren, von Geburt ein Elſaſſer war, erhalten wir eine 
geiſtvoll ſtizzirte Geſchichte des Öffentlichen und Privatrechts 
in Fran , an bie fig eine treffliche Xbhanblung von Labous 
Iaye ‚‚Bur les contumes de France’ anſchließt. Des Verf. 
dieſes Äuffages ift befonders vertraut mit den berporragenbfteu 
Erſcheinungen ber beutfchen Rechtswiſſenſchaft und hat feine ums 
fafiende Kenntniß ſowie feine große ſtiliſtiſche Gewandtheit nas 
mentlich in einer gelungenen Charakteriſtik von Gavigny dar⸗ 
gethan. Sehr intereffant find bie kurzen Abhandlungen, welche 
das juriſtiſche Tageblatt „Le droit” aus feiner Feder bringt. 
Als eine Ergänzung dieſes Artikels über bie „Coutumes’’ von 
Frankreich kann Raynal’s „Sur les coutumes de Berri‘, das 
für bie Kenntniß des provinziellen Rechtes von Frankreich von 
großem Intereſſe ift, angefehen werden. Auch ber nach allen 
Seiten bin thätige Roffi ift Mitarbeiter biefer „Revue. Kon 
feinen Auffägen, die von berfelben bis jest gebracht find, heben 
wir befonders ben Artikel „Sur le droit francais, considere 
dans ses rapports avec Petat &conomique de la soci6t#” 
hervor. Er ift in jeder Beziehung beachtenswertb. Wolowski 
ſeibſt, der bekanntlich Yrofeffor an dem berühmten Conservaroire 
des arts et mötiers iſt, bat feine Beitfchrift mit einer ganzen 
Neibe der gehaltreichſten Auffäge geziert. Wir koͤnnen ideen 
derfelben bier nicht einzeln Erwaͤhnung thun. überhaupt können 
wie nicht näher auf den bunten Inhait biefer Zeitfchrift ein 
‚geben, indem es unfere Abficht nur tft, auf dieſelbe in Deutſch⸗ 
land aufmerffam zu maden und ihr wo möglich einen recht 
weiten Leferfreis unter uns zu verſchaffen. Die bisher erſchie⸗ 
nenen Hefte ber Neuen Folge fliehen hinter denen des vorigen 
Sabrganges nicht zurüd, im GBegentheil hat die „Revue das 
duch nur gewinnen können, daß jeber ber verfähiebenen Zweige 
der Rechtöwiffenfchaft in den Herren Zroplong , &h. Giraud, 
r Hille und Drtolon, lauter ausgezeichneten Männern, einen 
petiellen Rebacteur erhalten hat. 6. 





Midcellen. 
Beltfame Teftamente. 

Schon Juſtinian hat in der Nov, 107 pr. darüber geffagt, 
daß zumeilen Leute, welche ein Teſtament madyen, in eine ſolche 
Andeutlichkeit verfallen, daß ihre Worte mehr eines Weiſſagers 
"als eines Erklaͤrers bebürfen. Auch in neuerer Zeit bat es 
nicht an Beifptelen der Art gefehlt. So gebieb im 3. 1703 
— wie Leyſer (Med. ad Pand., 3b. 12, ei erzählt — 
ein Rechtöftreit, weldyer mit vieler Leidenfchaftiichkeit unb einem 
‚anßerorbentlidden Koftenaufwande geführt worben war, zur 
Entſcheidung an bie wittenberger Juriftenfacuität. Es hatte 
"ndmlid Jemand ein Teſtament gemacht, in welchem er „Jeſus 
EChriſtus, feinen Eribſer“ zum Erben eingefeet hatte. Es fragte 

daher um bie Erklaͤrung biefer Erbeinſegung. Die Ents 
ſcheidung fiel bahin aus, dab anzunehmen fei, der Teſtator habe 
damit feine Parochie gemeint. Ganz in ähnlicher Art bat fi 

u Anfang biefes Jahrhunderts ein Ball in München ergeben. 
ine begüterte Frauensperfon, ohne nahe Berwanbte, hatte auf 
Veranlaffung eines nicht geiſtlichen Gewiſſensrathes, der dabei 
‚feine Rechnung fand, ein Teſtament gemadjt, in welchem fie 


Auffäge herfegen, bie. uns befonders deachtungtwerth 


” 


—— Erben eingeſegt und hiernaͤchtt vers 


Legate beſtim 


Rechte zu Frank⸗ 
furt an der Oder, ein überaus eitier Mann, ber ſich beſondert 
mit ſpaniſcher Literatur beſchaͤftigte (geſt. 1735), vermachte ber 
uUniverſitaͤtebibliothek ein Buch, feine Genealogie betreffend, in 
welchem die Lateinifchen Leichengebichte enthalten waren, bie 
man zu Salamanca unb auf andern fpanifdyen hohen ulen 
verfertigt haben follte, als fich, bei feinen Lebzeiten, bas grund 
Iofe Gerücht von feinem Tode verbreitet hatte, weide Gebichte 
aber, ald Machwerk von Iufligen Kunden, ihm, um ihn zu 
Affen, mit dee Poft zugefendet worben, als kämen fie aus Gpas 
nien. In feinem Ieflamente hatte er überdies über feine für 
unfhägbar geachteten hinterlaffenen Wanuferipte mit ber größs 
ten Genauigkeit verfügt, und? — was bie Hauptſache 
feinen Geiſt ſaͤmmtlichen Gelehrten in Guropa vermadit, in ber 
Hoffnung, daß folder zum Heile der Menſchen und zum Frommen 
der Gelehrſamkeit auf diefe Act fortwaͤhrend wirkſam fein werbe. 


Definitionen. 

Die beiden Profefforen ber Rechte zu Tübingen, Eberhard 
Gbeiftopt Ganz (geft. 1773) und Ghriftoph Friedrich Oarpprecht 
(geft. 1774), fprachen öfter miteinander von KBegriffäbeftim: 
mungen in des Rechtslehre. „Ich, für meine Perfon”, fagte 
einmal bei einer ſolchen Gelegenheit der Eine, „kenne te 
Definition, bie fo kurz und yuateit fo begeichnend wäre, als 
die, weldye Cicero (De offic, 3, 29, 3) vom Eide gibt: Jus- 
iurandum est affırmatio religiosa.” „Ich gebe zu‘, verfeste 
darauf bes Anbere, „daß dieſe Definition an ausbrudsseike 
Kürze wenige ihres Bteihen haben bürfte, aber das Pröbicat 
„bezeichniend“ möchte ich ihre nicht beilegens ſolches fommt aach 
meinem Dafürhatten wol eher jener Definition gu, bie ein Uns 


genannter vom Proceffe gegeben hat: Processus est rulva ca- 
nina; facilis introitus,, difficilis exitus.“ 


Ein Beitrag zur Literatur ber Aushbängefhilde. 
In München, in der Kaufingergaffe, iſt am Hauſe Nr. 14 
eine ſchwarze Tafel Öffentlich ausgehängt, auf weldger, wie 
Ref. ſelbſt Er überzeugt bat, mit weißen Buchſtaben zu leſen 
it: „Anaſtaſia Freydenberger, abprobirte und verpflicte 
Hebamme.” Die Schreibart biefer Aufichrift (Orthograpbie kana 
man fie nicht nennen) muß in ber That den Lefer zweifelha 
taffen, ob es fich hier von einem tituli falsi figmento — wie «8 
in ber L. 7 C. de contrah. emt. et vend. (4, 38) hei — 
oder von einer foldhen Bezeichnung handelt, von ber Martial 
(Epigramm. 13, 3, 7) fagt: „Addita per titulos sua nomina 
rebus habebis.” 31. 


Berantwortliger Herausgeber: Deinzih Brodhaud, — Drud und Werlag von & X. Brodbaus ia Seipatg 


Gräfe gegen bie literarifche Zeitung 1843 No. 19. 





His die literariſche Zeitung noch biefelbe Tendenz hatte, welche ih 
in meiner Xligem. Literärs Gefchicdhte verfolge, naͤmlich die veinfeientis 
viſche einer vollſtaͤndigen Notiznahme von dem Material ber Lite: 
ratur und feinem Zufammenhängen, damals betrachtete fie mein 
Buch mit fehe günfligen Augen; feitbem num aber bie moderne 
Romantil, das ‚volle Herz” des Pietismus und bie übrigen Gas 
priolen der reactionären Phantafie an die Stelle ber alten litteras 
riſchen Rüchternheit und Solidität getreten And, geſchieht ed, daß 
bei Gelegenheit des lezten Bandes meiner Fiterär-Gefbichte ein Ano⸗ 
nymus Auftritt, um nun auf meine Koften das alte Prineip biefer 
Zeitfchrift von dem jungen ober, wenn man das Wort vor dem 
Beweiſe hinnehmen will, da es ja notorifc ift, von bem jungen 
haften aus, dem fie jegt folgt, zu bekämpfen. 

Daß der anonyme Recenfent des neuen Principe in allen Puntten 
bie größte Unmiffenheit an den Tag legt, ba er einmal felbft aue- 
foricht, daß er auch in literarbiftorifchen Dingen bie Wahrheit ber 
Sachlage „‚fühlt”‘, alfo aus dem „vollen Herzen‘‘, nicht aus ben 
Documenten nimmit, Tonnte mich zwar nicht wundern; ale ich aber 
auf offenbare Entflelungen und Verdrehungen meines Buches flich, 
fing ich, wie man das natürlich finden wird, an zu fürchten, daß 
es doch vielleicht noch Leute geben möchte, die bie literarifche Zei⸗ 
tung im Thatfächlichen mit dem alten Bertrauen läfen, zumal da 
fie ja ſelbſt ein foͤrmliches Feuilleton für Entſtellungen und Lügen 
anderer Blätter angelegt ga. Für biefe Rubrik in Beziehung auf 
fie fetbft, — denn wie tonnte ich den Redacteur gleic, für einen 
Mitfchuldigen des Recenfenten halten? — fandte ich nun eine Ent 

egnung, bie jedes andere Blatt aufgenommen haben würbe, nad) 
erlin. Die Rebaction der literarifchen Zeitung erhielt fie den 15. 
März. Statt fie aufzunehmen oder im entgegengefepten Ball umge⸗ 
hend zurüdzufchidten, wie ich es verlangt hatte, drudte fie in No. 23 
meinen Privatbrief !! und zwar mit abſichtlichen Entftellungen 
ab. Man lieft mit gefperrter Schrift: „In dieſen (flatt in dieſem) 
Augenblide”’ und „ob daß” (flart dieß), wie ich gefchrieben hatte. 
Was wollen biefe Praktiten aus mir machen? und auf wen fällt 
die kindiſche Abficht, mich mit der Orthograpbie und Grammatik 
du, Brouillicen, zurück? Ich bedaure biefen Sedantenflug bes Herrn 
dacteurs und muß gefteben, daß ich einem Manne, der fich in 
diefen Enabenhaften Gefichtsfreis verlieren Tonnte, Baum noch zumu: 
then möchte, mit fich zu Rathe zu gehen, ob er denn auch bad Recht 
gehabt und ob es ehrenhaft gewefen, was ich ihm in einem Privats 
tiefe anvertraut, wider meinen Willen der Deffentlichkeit zu 
übergeben! Jedoch da ich einmal in die Schulregion herabgezerrt 
bin, fo will ich ihm wenigftens ben Horatius citiren; vielleicht ift 
ihm der noch eine Autorität für die gute Lebensart. Er fagt: 
Fingere qui non visa potest, commissa facere qui ne- 
quit, bic niger est, hunc tu, Romane, caveto. , 

Die fpäte Rüdfendung meines Manuferipts aus Berlin, das, 
wie ich aus den Kleden, die ih darauf fand, fchließe, dort erft die 
Runde bei den Bekannten des Redacteurs und Recenfenten gemacht 
paben mag, hat die Einfendung meiner Entgegnung an bie geehrte 

edaction bieſer Blaͤtter und damit die Aufklaͤrung des Publicums 
zwar_verzögert, aber nicht vernichtet. Solche Aufklaͤrungen kom⸗ 
men nie zu fpät. Alſo jetzt zur Sache. 

Der anonyme Recenſent meiner Allg. Literaͤr⸗Geſch. in No. 19 
der lit. Zeitung fagt zuaft ©. 304, mein Bud fei nirgends 
genau gewürdigt worben, und nennt feine Kritit von einer halben 

olumme Ausftellungen an einzelnen Notizen und zwei Golumnen, 
bie durch drei angeblich von mir begangene Plagiate eingenommen 
werden, genau. Schon hieraus Tann man im Allgenfeinen abneh⸗ 
men, was bie lit. Zeitung gegenwärtig unter Benauigfeit verſteht. 
Im Einzelnen wird dieß noch deutlicher werben. ob will ich 
gleich hier aus reiner Genauigkeit bemerken,‘ daß alfo der Anonv⸗ 
muß bie Kritilen von Hammer:Purgftall in ben Wien. Jahr: 
bühern 8b. XCI gerade 49 Seiten und bie von Bähr in ben 
geetberg. Jahrb. 1838 Nr. 58. ©. 912 fig. 1840 ©. 139-154 u. 

. 790, bie einen cben fo großen Raum einnimmt, unb bie fid 
beide mit vielen Einzelheiten genau einlaflen, nicht zu kennen ſcheint. 
Denn daß er eine ſolche Genauigkeit auf einer halben Columne 
übertreffen und ein fg umfaflendes Buch, als bad meine ift, ein 
Bud, das Überhaupt nur im Detail gewürbigt werben kann (mas 


jeder Kenner einräumen vwird), ſchließlich mit einigen allgemeinen 
Antithefen abthun will, verräth jedenfalls die tieffte unkenntniß des 
ganzen literarifchen Gebietes, um bas es fich bier handelt. 

Er fagt: „der nachſichtigſte Beurtheilee werde das Erſcheinen 
meines Buches nur bedauern können, benn dem Lernenden fei ber 
Berfaffee ein verworrener und regellofer Führer, ber Wahres mit 

alfchem, Gewiſſes mit Beftrittenem, ehendes mit Abgethanem, 

üchtiges und Brauchbarcs mit Abgefchmadtem vermifche ıc.” &.301 
hatte er gefagt, „des Werkes Vorzüge befländen In der Ausdauer 
des Verf. im Sammeln und Zufammenfchreiben, oder Zufammens 
ſchaufeln (wie genial!) des Materials und der gelehrten Nachweis 
Jungen und einem rühmlichen Beſtreben, keine Nation, Teine 
Seite der volffenfchaftlichen Gultur zu vernadhläffigen, worin er 
feine Vorgänger weit übertreffe, allein dieß fei am Ende kein Ver⸗ 
dienſt, denn die Literärifchen Huͤlfsmittel feien jet zugänglicher etc.“ 
Hätte der Rec. die Verdienſt- und Ruglofigkeit meines Buches bes 
weiſen wollen, fo mußte er feine eigenen Antithefen genau belegen 
und erharten und fobann folche Urtheile genam widerlegen, als 

1.) ind. Wien. Zaprb. Bd. 90. &.38 bas von Hammer⸗Purg⸗ 

fall: meine Literärgeſchichte „fei eine vortrefflidhe 

und in Rückſicht der Vollſtändigkeit wirklich kei⸗ 
nen Wunſch übriglaſſende;“ 

2.) ind. Heidelb. Jahrb. 1840 &.790 das von Bähr: „Immer⸗ 
in wird dieſes Werl unter den ähnlichen n biefer Art, 
owohl von Beiten feines Umfanges unb feines Reihthums 
m Ginzelnen, als ber feientivifehen Ansrbnmg im Ganzen 
bie erfte Stelle einnehmen und darum auch nie ohne —* 


zu Rathe gezogen werden;“ 
3 ſelbſt. 1 


u 


das der früheren ehrbaren liter. Zeitun 
S. 477 heißt e& nämlich wörtlih: „Herr Dr. Sr. bat fi 
ber fchwierigften Aufgabe unterzogen und fie auf eine Weife zu 
löfen begonnen, bie bem Ibeale einer Literärs@cid,, 
wie es Referent fih gebildet, ſich weſentlich näs 
hert (wie verfchieden find die Ideale der jegigen Recenfenten 
der Lit, Zeitung !!) — wir heißen vieles * trotz ber an 
beuteten Dängel in der Anordnung willkommen und empfehlen 
es allen Freunden der Literärgefchichte — es hat. nicht etwa 
blos eines Volkes Literatur, Tondern auch bie der übrigen 
berüdfichtigen und möglichft vollftändig gu verzeichnen nice 
unterlaffen, fondern aud ben Entwidelungsgang jeder einzels 
nen Wiffenſchaft (nicht blos der Dichtkunft, Gefchichte zc., 
fondern auch der Mathematik, Ratumviffenfchaften zc., von 
welchen ledtern bei Eichhorn und Wachler faſt nipgende ein 
Wort fteht) mit gleich vertheilter Sorgfalt behandelt.” &. 929 
wird weiter mein Bud, über das Wachler’fche erhoben und 
gefagt: „wir dürfen biefer Leillung unfere Anerkenn nicht - 
verfügen und wünfchen aufrichtig, daß dieſe Biterärgefhichte ſich 
moͤglichſter Verbreitung erfreuen möge.“ Jahrg. 1840 &.678 
wird meinem „ſorgſamſten Fleiße und meiner „Belefenheit‘‘ 
das beßte Beugniß ertheilt, und nur gewünfcht, baß ich bei 
ben Hiſtorikern mein Urtheil über ben Werth ober Unwerth 
der einzelnen angegeben hätte. Weiter wird dann gefagt: 
„gerade dieſe lehtere Partie (nämlich die Philologie) iſt mit 
eigenthümlicher Liebe gearbeitet, die ben Verfaſſer oft zu weit 
führt, fo daß feine Literärgefchichte den Charakter einer Cul⸗ 
turgefhichte annimmt, eine Abweichung, welche ſowohl in dex 
nahen Berwandtfchaft, durch welche diefe beiben Felder. in 
einander verfchlungen find, als auch in dem Intereffe des 
Gegenftandes um 1 eher Entfchuldigung finden wird.“ Aber 
auch mit der Preuß. Staatszeit. 1840 Nr.24 8.95 flg., hätte 
ih der ‚‚genaue‘‘ Anonymus abzufinden. Sie jagt unter 
nbderem: „mein Buch fei ein Fortſchritt in ber Wiſſenſchaſt.“ 
Achnlicher Urtheile, 3.8. in der deutſchen Preßzeitung 1841 
Nr. 73 S.692flg. und in den Blaͤtt. für Iiter. Unterhaltung _ 
1839 Nr. 208 f., nicht gu gedenken. . 
Recenfent wirft mir erfllih feines Selbftlob vor, weiltd ges 
fagt, ich habe das Original bed Faustus entbeckt. Der Anonymus 
weife nad), daß er jemals irgend etwas entdeckt und, wenn dieß je ver 
Kal war, verſchwiegen habe, daß er es gewefen fei, ober if itwa feine 


! 





Anonymität ſchon ber Beweis feiner „ſtillen Verdienſte?“ Seit wann 
iſt es nicht mehr 
en zu baden, weiches bie erfle Quelle einer Sa 
Dieb ift To fehr gelehrte Sitte, daß ber Vorwurf des Anonymus 
nur einen Sinn hat, wenn er eine ungerechte Anmaßung barthun 
Zönnte; und da fordere ich den Recenfenten auf, mir nachzuweiſen, 
in welhem andern Buche die Driginale des englifhen Faustus 
verzeichnet find als bei mir, ber ich fie im Deber’fchen Gatalog 
zuerft aufgefunden. Ich fordre ihn ferner auf, mir nadızuweifen, 
wer vor mir die Leffing und allen Bibliographen unbelannte ältefte 
nieberbeutfche Ausgabe des Eulenfpiegels (ſ. m. B. Bb. 1.2. 
&.1020) entbedt bat, mir barzuthun, wer ähnliche Unterfuchungen 
über die Mirabilia Romae, die Specula, Ars moriendi, Biblia 
paaperum etc. angeftellt (daß Ich dieſe Belfpicle aus taufend andern 
meinem Buche zerftreuten bibliographifchen felbftfländigen Unter: 


ſuchungen anfübre, Far darum, weil ich nur an dieſen Stellen. 


gefagt habe, daß diefe Quellen zuerft entdeckt) und frage ihn, 
wie er, wenn er nicht der gröbfte Ignorant ift, leugnen kann (&.303), 
daß biefe Unterfuchungen in eine Literärgefchichte gehören. Weiter 
wirft er mir vor, „ich habe Ebert ©, 32 flg. getadelt,’ wiederum, 
als wenn es nicht erlaubt wäre, einem Autor fo offenbare Fehler in 
der Sache nachzumweifen, wie ich es bei Ebert an hundert Stellen 
ſtillſchweigend gethan, und fo auf einen andern (8. 1040), weit ſchlim⸗ 
mern, den der Here Recenfent aber nicht nennen mag, verweife? 
Bat denn Ehert anders gehandelt, hat er nicht die beten Gelehr⸗ 
ten iwegen weit geringerer Fehler an den Pranger geftellt und bei 
feinem Bibl. Ler. fo Vieles aus dem wadern Brunet, ohne ihn 
u nennen, genommen, daß man ihn gar wohl, wenn man flreng 
% wollte, des Abfchreivens anlagen koͤnnte? Wenn ich folche 

ehler nahfhriebe, wiejene bei@bert, fo würdeman 
mit Recht mein Bud untritifh nennen und mid bes 
unäberlicgten Abfhreibens befhulbigen Dürfen. Uebri⸗ 
gend babe ih Ebert an vielen andern Stellen volllommene Ge⸗ 
vechtigkeit widerfahren laſſen, wie Jeder, ber mein Buch befist, 
felbft nachfehen Tann. 


Der Anonymus fagt ferner jehr vornehm, ‚‚tch hätte Bein Be⸗ 
wußtjein von den Anforderungen an eine Literärgefchichte‘‘, ich ent⸗ 
gegne ihm aber, baß er felber Feinen Begriff davon hat, benn ich 
wollte nur den ußern Se der Literärgefchichte behandeln (f. meine 
Vorr. Bd. J. S. X), und worin biefer befteht, hätte er aus Wolf’s 
Muſeum der Alterth. 8. J. 1. S.60 fig. lernen Tönnen; ich wollte 
ein Handbuch zum Nachſchlagen liefern und über jeden Schriftſtel⸗ 
ler bie moͤglichſt volfftändige Nachweiſung feiner Schriften und ber 
Quellen, in welchen man fich über ihn Raths erholen koͤnnte, geben, 
und daß ich diefes geleiftet und für Bibliothekare, Literärhiftoriker ıc. 
das vollftändigfte Handbuch, das bisher erfchienen, geliefert, Kate 
bis jept Allc, die ‚genau‘, d. h. in diefer Materie zu Hauſe 
geweien find, anerkannt und werden es ferner anerkennen, wenn 
nicht das ‚‚volle Herz?‘ der neuen Zeit es ehe überflüfflg mas 
hen follte, Bücher, wie das meinige, genau anzujehen. Daß aber mein 
Buch und feine eigenthümliche Brauchbarkeit anerkannt ift, beweift 
die große Verbreitung beffelben im Auslande troß des etwas hoben 
Preifes, bemeift der Umftand, daß Leute, wie Maßmann in feiner 
Beichreibung der alten Holzdrude in Münden, Eram er in feiner 
Geſchichte der Erziehung in den Niederlanden, Schäffer in feiner 
deutſchen Kiterärgefchichte, Otto Comm. crit. ad codd. bibl. Gifs. 
rc. ⁊c. es eitiren. Wenn ich manches unbedeutende Buch als Quclle 
mit eitirt habe, fo wirb man das jedenfalls meiner Abficht, vollftän= 
dig zu fein, zu gute halten, wie man auch in einer Bibliothek nies 
mals im Stande fein wird, blos gute Bücher zu erhalten, und im 
Gegentheil, wenn ich jene Gitate nicht hätte, mir der Anonymus wies 
ber vorwerfen würbe, ich hätte bie bekannteſten Sachen nicht eitirt. 

Segen die Behauptung, ich fei gegen meine Vorgänger, Wach⸗ 
fer und Eihhorn, anmaßend, biene zur Antwort, was in meiner 
Literär- Gefch. Bd. J. S. VIII und X zu Iefen ift, und was ber Anos 
nymus felber eingefteht, indem er fagt, ich hätte fie weit übertroffen, 
wenn ed auch Fein Verbienft fei. 

Weiter ſagt er S. 302, ich führe zum Prunk (T) griechifche 
und hebraͤiſche Worte an, und di hinzu , fat fein Wort bliebe 

einen und mehrere Zehler. Darauf entgegne ich ihm, baf 
durchgängig alle griechifchen Schriften, wo es anging, ihren gries 
chiſchen Titeln nach vom erflen Bande bie zum fiebenten angegeben 
werben, wie auch bie hebräifchen, alfo daß es Plan ift und kein 
Prunk, oder bezweifelt er etwa, daß ich biefe Sprachen verſtehe, fo 
wäre das freilich ein ſehr fchülerhafter und, ich geftehe es, mir zu 
moderner Zweifel. Hinfichtlich der Behauptung, Fein griechifches 


aubt, ſich ienfb angurrchntn , Ki] . au —ES —— ae She 





und hebraͤiſches Wort bliebe ohne einem oder mehrere Fehler, ers 
‚Yan wenn 8 
| ehanpehng, daß fa 
fein Wort ohne einen oder mehrere Fehler fei, im Angefichte aller 
derer, bie mein Buch befigen und mid, felbft als einen gewiflenhafs 
ten und namentlich in diefen Dingen genauen Schriftftellee Tennen, 
das Schamlofefte und Grundlofefte zugleich, was mir vorgekommen. 

Sr fagt ferner, ich ſchriebe Gitate ab, und will mir bieß bamif- 
beweifen, daB an einigen Stellen meine Gitate mit denen Hambers 
ger’s übereinftinmen. . Dan febe die Wergleihung einer eigen 
Stelle (Bd. 1.2. &.301) mit der bei Damberger Bb.IV. 8.547 
nach und überzeuge fi), ob die Eitate überhaupt flimmen, denn erſt⸗ 
lich babe ich mehrere, dann viel genauer verzeichnete, und drittens 
find fie aus Büchern genommen, die in Jedermanns Händen find, die 
ich ſelbſt befige und die ſowohl ich, als Hamberger citicen mußten; 
oder folen Du Pin, Eave, Dubdin, Bruder, Fabricius 
nicht über die Theologen des Mittelalters angeführt werben?! Hebris 
gene habe id ©, 302 weit neuere Gitate über die Lehre beffelben 

ecam angeführt, allein davon fagt der Anonymus nichts, weil 
er mid) verdächtigen will und es alfo nicht in Seinen Kram paßt. 
Jeder fieht ein, daß, wollte er mir Abfchreiben von Gitaten mit 
Recht vorwerfen, er mir beweifen müßte, daß ich nur bei ben 
Schräftftelleen, die Hamberger nennt, bie Gitate deſſelben ans 
führe, biefelben aber fonft nicht habe, oder Druckfehler in der Ans 
gabe von Citaten abfchreibe; gleichwohl führe ich aber biefelben 
Hilfsmittel faft bei jedem — des Mittelalters, und deren 
habe ich gegen tauſend mit ihren Schriften verzeichnet, an, und alſo 
muß ich ſie doch wenigſtens da nachgeſchlagen haben, wo Ham⸗ 
berger ſchwieg. Letzterer Punkt beweiſt auch aͤnglich, wie ich 
Dambergern benutzen konnte, denn dieſer führt von Anbeginn 
der Literatur bis 1500 im Ganzen nur 1021 Schriftſteller auf, 
ih babe eben fo viel Theologen, lebiglid vom 5. bis 15. Jahrh. 
befprochen. 

Daß im Terte bie beiden S. 305 angeführten Stellen aus Hams 
berger durchaus Fein Plagiat bei mir nachzumeifen vermögen, fieht 
Jeder, der fie Lieft, denn wenn das Plagiat ift, daß zwei Schrifts 
fteller diefelben Lebensbegebenpeiten einer Perfon mit verfchiebenen 
Worten erzählen, fo iſt jeder Hiftoriker ein Plagiarius ). Wie 


Roh ©. 305 





*) Das eine angebliche Plagiat feße ich hierher. 
follen nämlich übereinftiiamen 9 


Graäße H. 2.2. 8.301. Hamberger Bb.IV.&.547. 


Builielmus Decam, aus] Guilielmus ober Wühelm Decam, 
einem Dorfe diefes Namens in]aus einem Dorfe diefes Namens in ber 
der Provinz Surrey in Eng:| Provinz Surrey in England, bradıte 
land flammend, fludierte frühs lein fehr gefchidtes Ingchium zu der 
zeitig unter Dune Scotuß, [ein fnbigen Sculpbilofophie mit auf 
was ihn jedoch nicht hinderte, die Welt, die er unter bem bekannten 
von bdemfelben abzuweichen,IDuns Scotus ſtudirete. Er wid 
bie Sekte der Rominaliften zulaber von demfelben ab und veranlak 
erneuern und mit deſſen Anz|fete, indem er die Secte ber Romines 
hängern in geftigen treit zu ‚liften wieder erneuerte, zwifchen feinen 

erathen. Er trat auch in den und des Scotus Anhängern heftige 
— lehrte zu und bis aufs Blut gehende Streitig⸗ 

aris die — verthei⸗ keiten. Occam nahm den Francis⸗ 
digte die Sache Philipps des canerorden an und lehrete zu Paris bie- 
Schönen gegen Bonifacius Theologie mit befonderem Ruhm. Gr 
VIN., die Armuth Chriſti und verſahe es aber auf verſchiedene Weiſe 
ſeiner Apoſtel gegen Johann |mit dem römifchen Hofe, indem er des 
XXI. und endlich auch bie| Königs Philip bed Schönen Sache ges 
Sache Ludwig des Baiern und gen den Yapft Bonifacius vertheibigte, 
bes Gegenpapſtes Petrus de|die Armuth Chrifti und feiner Ap 
Corberia, wodurch er fihjgegen ben Papft Johann XXI. und 
ben Bann zuzog, Italien und |bie Dominilanermöndge behauptete, und 
Frankreich verlaffen mußte,iendlih für den Kaifer Ludwig von 
und fich zu eudwig dem Baier |Baiern und den Gegenpapft, Petrus de 
flüchtete, der ihn auch auf: |Corberia, die Keber führte, Hierüber 
nahm und bis an feinen den zog er fich den päpftlichen Bann za und 
10. April 1347 zu Dünchen |jade fich genötbigt, Italien zu verlafs 
erfolgten Zod in wichtigen Anz |fen und anderswo Sicherheit zu fuchen, 
gelegenbeiten brauchte. Sein |die er theils in Frankreich und bei dem 
einame ift Doctor singu- [vorhin gebachten Raifer fand... Ends 
laris, venerahilis Inceptorjlid nahm ihn der Tod aus der Welt, 
et Doctor iuvincibilis. und biefes geſchahe nach der gemeinen 
Meinung zu München den 10. April 





ed mit der Stelle hinſichtlich des Inhalts bes Dialogus inter Mag. 
et Discip., bie ziemlich gleichlautend bei mir und Hamberger 
if, ſich verhält, Hecht Jeder, der mein Buch in bie Hand nimmt, 
ein, benn ber lateiniſche Titel fleht bei mir gleich hinter dem beut= 
hen, und Zeber Tann den Drudfehler „den’ für „der“ leicht 
verbeffern, auch ift es möglich, daß ich beim Rieberfchreiben biefer 
3 Zeilen Hamberger’s Buch vor mir hatte, was ich nad fo 
geraumer Zeit jegt nicht, ganz beſtimmt weiß; überbieß citive ich, 
nicht etwa blos. bie Editio pr., fondern führe bie Seitenzahlen 
aus Goldaſt an, den Hamberger mur obenhin unten ans 
führt, während ich ihn dei jedem einzelnen Werke Dccam’s genau 
dtire. Webrigens habe ich gerade bei biefem Artikel einige Ausga⸗ 
ben, die Hamberger nennt, nicht und führe dafür nicht allein 
3 Schriften, die jener gar nicht kennt, an, fondern citire auch ganz 
anders, wie Jeder fehen kann. Ebenſo verhält es fi) mit meinen 
Angaben über Petrus d'Ailly und Gerfon, die angeblich aus 
Samberger entiehnt fein follen, man lefe beide Stellen und ur: 
thefle dann, ob ih Unrecht thue, wenn ich den, der fo etwas be⸗ 
hauptet,. für einen Verläumber erkläre, Wahrhaft frech ift die Ber⸗ 
baͤchtigung, als fei ich ein Plagiarius gegen Hamberger in Be 
ug auf Gerſon, wo ich nicht allein S. 300 die neueſten Unter⸗ 
—*8* über ihn anführt (Monographieen und eingedruckte Abs 
handlungen), fondern fogar- feine fämmtlichen einzelnen Tractate, 
mehrere hundert, mit Angabe ber Seitenzahlen zweier Ausgaben der 
Opera beffelben auf ber hieſigen Koͤnigl. Bibl., einzeln angebe. 
Ich frage den Anonymus: hat Hamberger etwas Aehnliches oder 
kann er mir nachweiſen, daß Iemand vor mir fi die Mühe gege⸗ 
ben hat, die einzelnen Schriften Gerſon's mit der Angabe der 
Seitenzahlen aus zwei Ausgaben anzuführen? Nicht einmal Fa⸗ 
bricius bat es gethan. Er fagt ferner, bei ber Beſprechung Pes 
trarca’s und Dante s habe mir Gamderger zum Grunde gelegen. 
Das ift die unverfchämtefte Lüge, die mir jemald vorgelommen ift. 
gamberget referirt ©. 508 fig. in 14 weitgebrudten Seiten über 
ante und feine Commedia (mit Ausſchluß der Ausgaben), und 
bei mir nimmt der Bericht über ihn S. 1191 — 1202 eng gedruckt 
und in großem Format ein; ich citire hier ſowohl als bei Petrarca bie 
neueften deutſchen, italiänffchen und franzöfifchen Unterfuchungen über 
fein Leben und feine Werke, faft bei jedem einzelnen Sage (fo bei 
Detrarea bei mir &. 1219-1228, bei Hamberger ohne die Außs 
aben ©. 585 flg., der aber alle feine Werke befpricht, während ich 
Bier nur von feinem Leben und feinen Rime rede), umd es kann nod) 
ein Menſch fo frech fein, fo etwas hinzufchreiben! Ich fordere alle Leſer 
diefer Blätter und meines Buchs auf, ſich durch eigene Anficht zu 
überzeugen, und hoffe, fie werden einem fo hämifhen Kritilafter, 
der das Publitum geradezu belügt, bie gebührende Verachtung an⸗ 
gebeihen laffen. Seine Abſicht, mir zu fchaden, leuchtet endlich noch 
aus folgenden Worten beffelben hervor; er fagt: „auch den biblios 
rm Apparat Hamberger’s findet, man nur mit vielen 
RR und einzelnen Ballhörnern” (bat das nicht ein Gym⸗ 
naftaft gefchrichen? alfo „Druckfehler und Ballhörner?“ neues 
Princip, neue Zermini!) „bei Sräße wieder, 4.8. S. 321 heißt 
es unter den Schriften d' Aillys: „‚„tractatus de concordia 


astron. veritatis et narrationis historicae scriptus. Basil. - 


1418.*° [als ob dieſes Buch 1418 zu Bafel gedruckt erfchienen wäre! 
Bei Dam bergen fteht: „... scriptus Basileae A. 1418. Hier: 

auf mtgegne ich: 
1.) muß es Bibliographen erlaubt fein, Ausgaben aus andern 
-  bibliographifchen » fsmitteln zu notiven, ih habe z. B. bie 
Hist. litt. de la France, Biogr. Univers., Hain, Reper- 
tor. ſtets benuspt, ebenfo Brunet und Ebert, Die Außs 
gabe ift von mir aber aus Fabric. Bibl. Med. Lat. ents 
nommen, nit aus Hamberger, wie Jeder aus dem Schluffe 
bes Titels bei diefem fehen Tann, und Bibliographie ohne Be: 
nutzung Anderer tft undenkbar, unmöglich, jeden Katalog ober 
jedes fonftige Hülfemittel, wo eine Ausgabe eines Buchs fteht, 
A nennen. Meberdieß finden fi bei mir auch nur diejenigen 
qhriftſteller eitizt, welche entweder mehr oder von dem bei 
mir ſich Sindenden Abweichendes berichten; folglich konnte 
Bamberger, ber faſt immer nur des Fabricius Bibl. M.L. 
außgefchrieben hat, nur citirt werben, wenn er etwas Selbſt⸗ 
Rändiges hatte, und dieß ift nur da der Kal, wo er feltene 
Fünngaben beſchreibt, und dann Habe ich ihn auch flets anges 

ührt. 





ten, er wäre erſt im 3.1350 zu Gapua 


Im, Blos Wadding will behaups 
verſtorben. 


2 — 


nctum von Basil. allerdings Druckfehler, allein der 

tel iſt nicht fo nnde bei mir hingeftelt, wie es fcheint, 
ide des Anonymus hat abſichtlich diefen Sag aus dem’ 

ufammenhange geriffen, um einen falſchen Sinn bineinzules 
gen. Der Zitet heißt bei mir fo: „[’T. de Alliaco) Tra-" 
ctatus de imagine mundi. Epilogus ımappae mundi. 
De correctione calendarii. De vero cyclo lunari. Tra- 
ctatus dua cosınographiae. . Yigintiloquium de con- 
cordantia astronomide veritatis cum iheologia. , Tra- 
etatus de coucordia astronom. veritalis cum theologia.' 
Tract. de concordia astren. veritatis et narrationis, 
histor. scriptus. Basil. 1418. Tract. elucidarius astron. 
‚concord. cum theologia et c. hist. narr: Apolog. du- 
plex asitron. veritatis compos. Colon. 1418. et Tr. de 
concordia discordantium astronomorum. s. 1. et a. fol. 
Zeder ſieht, daß biefes ein Convolut verfchiedener Tractate 
it, das zum Ueberfluffe noch von der folgenden Ausgabe durch 
‚einen Strich getrennt wird. Iſt dieß nicht boshafte abfichtliche" 
Verdrehung und rätbfelhafte Albernheit, nur gu denken, daß 
ſich Jemand einbitden könne, ein Bud) fei 1418 gedrudt 


2.) F das 


worden. 
Ferner ſagt er S. 301, ich wiſſe oft nicht, was ich einige Seiten 
früher nefchriehen babe, md —5— darüber Belege 8 U. 1.. 


&. 723 vergl. mit 725 über Einhard und Bd. 11. 2. ©. 629 fig. 
über Kauft. Hierin find abermals Lügen und Nachläffigkeit des Res 
cenfenten zu rügen. An erfterer Stelle fpredhe ich S. 723 davon, 
bag man Einhard auch bie Annales regum Fraucorum Pi- 
pini, Caroli et Ludovici zugefchrieben habe, und ©. 725 (Druckf. 
d. Anonym. fl. 726, wo es bei mir fleht) von feinem Chronicon’ 
breve a mundi exordio usque ad Chr. n, 810. u. feiner Yita 
Caroli M., und das fol Alles daflelbe fein?! man flieht, der Ano⸗ 
nymus befiät eine fehr genaue Kenntniß der Literatur und mei 
ned Buches! Was die zweite Stelle über Fauſt angeht, fo hat 
der Anonymus geradezu gelogen, denn ich habe an Zeinem andern 
Drte über ihn gefprochen als bier, auch hat berfelbe Füglich untere 
laſſen, eine andere Stelle meines Buches zu conferisen, weil Feine 


2 


So viel über die gelehrten oder vielmehr ungelthrten und ziem⸗ 
lich Eurzbeinigen Marimen der neuen lit. Zeitung. Ich will jett 
bie geringfügigen Ausftelungen an einzelnen Notizen, bie der Nee, 
macht, widerlegen. Es iſt eine einzige flichhaltig. Er fagt, ich 
fhreibe erftlich Edrissi für Edrisi und fage: „er habe den Weis 
namen: „El Scherif ober Mumenim gerührt,” „da wäre ex ja 
Kalif gewefen, denn nur folche führten biefen Titel;“ bet mie 
heißt es aber erſtlich: „El Scherif oder Emir al Mumenin, “ 
alfo abfichtlihe Weglaflung jeder Worte, um den Sinn zu ent: _ 

En, dann fhreibe ich Edrissi, d.h. von ber Linie der Edris, 
nad) der Autorität von Roffi und Herbelot, und drittens muß 
ich bier in Erftaunen über die Ignoranz des Anonymus geraten, 
ber gar nicht weiß, was der Name Edrissi eigentlich bedeutet, und 
noch weniger je gehört hat, daß Alle, welche durch Ali von Mo⸗ 
paimmeb abftammten, wie biefer, ben Ehrentitel Emir al Muınesin 
jetamen (f. Herbelot Vol. IV. p. 178. II. d; 296 sq. [ed. m 4. 
IM. p. 264. II. p. 625] Reinaud, Monum. Musnlm. T. 1. p.210) 
und daß ihn Edrisi befaß, ficht man aus der Hdſchr. (f. Casıra 
T. II. p.13.). Und ein fo unmiffender Menſch will mie den Kopf 
urecht fegen?! Es wäre darum nicht nöthig, in Bezug auf bie- 

hier im Arabifchen weiter gegen einen, der von biefer Sprache fo 
viel verfteht, wie der Blinde von der Barbe, mic zu uertheidigen ; 
allein ich will zum Ueberfluß nod Einiges hinzufügen. So wirft 
er mir vor, ich fehriebe Leo Africanus ed. Fabricius, was denn 
das fei? Nur ein Ignorant wie der Anonymus weiß nicht, daß 
defien Buch de viris illustribus in d. Bil. Gr. von Fabricius 
emeint ift. Kerner follen meine Eitate über Aben Zohr unver⸗ 
ändlich fein; nun ich möchte wiflen, wer nicht verflünde, was 
Abulfeda Aun. Arab. (flatt Mosl.), Leo African. de med. 
et phil. Arab. c. 16. p. 279, ed. Fabric. und Rossi, Dizion. 
degli scrittori *) Arabi bebeuten? Gr fagt, ich fehriebe, fein 
Bud hieße Theisir filmo, und das fei unſinn; abermals boshafte 
Beglaflung meiner Worte, man lieft bei mir ©. 664: Tbeisir 
filmo dadat wel deibir; met babe ich hierauf nicht zu ent⸗ 
gegnen. Wüſtenfeld's Buch ſoli ich nicht gelefen haben, 
”) fr autori, das andere Wort ift bekanntlich auf Titeln Stal, 
ibl. cbenfo gewöhnlich und habe ich dad Buch auch zehnmal 
mit autori citirt; alfo bloßer Schreibefehler, 








Lau 


— 4 — 


adaleich Ich es eitire, fügt ber Anonymud Hinzu, und!! — gerade 
an a Steite Fo die Zitel ber Schriften Zohrs 
«us Wöftenfeld genommen, denn S. 91 ſteht bier ber 
Zitelfo: El Teisir filmo dawat weltedbir, alfo 
babe ih ihn benugt und gelefen, und mein Titel ifl richtig, 
nur daß es flatt dadat, dawat heißen muß, ein leicht verzeihlicher 
Drudfegler, w in d zu verwandeln. Alfo abermals Spnovanz 
und —45 vereinigt. Der Anonpmus tadelt mid, weil 
ich eitike,oöohne nachzaſehen, und ſchlaägt ſelbſt nicht ein⸗ 
maldas Büch nach, aber an's Leſen denkt er ala Bis 
bliograph nicht, er „fühlt“ Alles! ei! ei! wie dumm! wels 
her Bidtiograph wird fih das „Fühlen“ flatt der Kritik, ſiatt 
iner gefunden Xugen die Fühlhörner des Anonymus, ſtatt ber 
nen die Ahnung, flatt des Berftandes die Phantafle aufhef⸗ 
ten laffen? Genug des Unfinns. 

Ich gehe nun zu bem Deutfchen über, wo er mic Fehler (bie 
einzigen, Fir ee auffindet!) vorwirft, „ich fehe Heinrich von Beldecke 
el in das Jahr 1209, er feine Eneit fhon 1184—1189 
gebichtet,'' ganz gut, das fteht dei mir Bd. III. 1. ©. 122 flg. auch 
und noch weit mehr, allein ich fehte feine Blüthe bis um 1209, ba 
ja Mone, Borfhungen B. J. &.252, ihn aus Urkunden bis 1253 
am Leben nachweiſt. Alſo noch einmal, der Anonymus iſt ein uns 
wiſſender Menfch und wirft mir Fehler vor, bie keine find. Weiter 
tabelt er mich, daß ich fage: „Hartmann von der Aue“, es Mmüſſe 
„Uue” bios allein heißen; das hätte ich ihn aus Sd.IIL. 1. ©. 215 
auch ehren können, ja daß er eigentlich „von Weſterſpuͤl“ Heißt, 
allem Lachmann in feiner Uusgabe und Gervinus haben ihn 
„von ber Aue’ genannt, und daher wird ed mir wohl auch erlaubt 
iin. Das Maßmann zweifelt, ob ihm das Gedicht vom Blau: 
en gehört, habe ich ausbrüdlih &. 971 bemerkt; daß berfeibe aber 
auch den Gregor v. Steine ald Acht und ihm gehörig anzıweifelt, 
Kann Jeder feben, ber feine Denkmäler a.a.D. in die Hand nimmt; 
alfo Fein Mißverſtaͤndniß von meiner Geite, ſondern von ber des 
elehrten Griticus, der zwei verfchiedene Schriften Mafpmann’ 6 

c eine Hält. Weiter ift es ihm nicht vecht, daß ich mit Graff 
Hifrids Gedicht Kriſt nenne; nun dieſe Benennung iſt bis jett 
überall, auch bei Gervinus zu finden, und des Anonymus wegen 
werde ich fie nicht ändern. Er fagt, ich glaube, der Bee ung erie 
Ki er gehalten, das fei abgefhmadt! Mag er mir doch e 
Ki Gegentheil hiſtoriſch beweifen! bisher haben dieß fogar die ges 
Ichrten Monographen beffelben, auh Bervinus (ausgenommen 
Hinne) nicht verneint; alfo Tann ich ruhig fein, und warum foll 
nicht nach dem Mufter der Provencalen ein foldher Streit unter 
dem Tunftfinnigen Hermann von Thüringen möglidy geweſen fein? 
Bas ih von dem — — my Fe a * 83. als F 

de“ des 15ten ts. zu ſetzen, geſagt haben ſoll, we er 
—* it igi * von mir S. 1019 - 1024 


Endlich wirft ee mir noch vor, ich habe die Minnefänger 
nicht chronologiſch, fondern nur nach der Ordnung in der Hands 
riſt behandelt, allein ih bin Hagen’ und feiner Anordnung 
olgt und berußige mich mit biefem Gelehrten völlig über den 
nonymus. 

Das ſind alſo älle Ausſtellungen gegen mich und mein Buch 
und wegen dieſer, wenn fie auch alle gegründet wären, geringen 
Mängel, fagt er, mein Buch ſei ein unficherer Führer durch bie 
giteratur und vermechfele Wahres mit Falſchem, unb erwähnt mit 
feiner Sylbe die Hunderte und Taufende von Monographieen, die 
ih für einzelne Notizen habe durchgehen müflen, wie Jeder aus 
den Gitaten bei mir felbft zugeben wird. 

Endlich fagt er, ich Hätte manchmal wichtige Gitate vergeffen, und 
führt für mein dides Buch zwei Beifpiele an, da der große Biblio: 
geaph nicht mehr wußte, namlich: Ritt er's Aufſatz über Dccam in 
des Encyclopäbie, den er aber bei mir unter ben Rachträgen Bd. HI. 


finden wird, und Sontheimer’s Ueberfehung des Beithar, 


Gedrudt dei Eenfl wlochmann in Dresden. 


allein Iehtere Lam erſt heraus, als jene Bogen meines Buchs Yängft 
gebrudt waren. Da Biete ih ihm mehr Rachträ ngeben — 
wenn er mich darnach gefragt hätte, und würde mir es auch für feine 
Schande rechnen, wenn ee mir hundert nachgewieſen hätte, benn 
Alles kann man nicht wiffen, und ob ich fleißig gefammelt habe, dar⸗ 
über wird wohl Riemand, ber mein Buch kennt, in Zweifel fein, 


Endlich fagt er, ich haſche darnach, pilante und fcandalöfe Gas 
hen borzubringen, will alfo auch meinen rakter verdaͤchtigen; 
Leider hat er aber nicht hinzugefügt, wie jene fünf Stellen bie dama⸗ 
lige Zeit und die Werderbtheit der Möndye charakterifiren follen und 
dieß auch ausdrüdlich an vier Stellen gefest iſt, die übrigens, mit 
Ausnahme einer einzigen, alle in der Einleitung flehen, wo fie als 
eulturgefhichtlich auch hingehören. Was meine, wie ich benfe, 
nicht undyriftliche Gefinnung angeht, fo iſt der Anonymus nicht der 
Mann dazu, mid, darüber zur Rede zu fegen, und eine Eiterärge: 
ſchichte der allerungeeignetfte Ort, um eine Blaubensinquffition daran 
anzufnüpfen. Diefe Partie honteuse ber lit. Zeitung überlaffe, 
ich übrigens ruhig der Öffentlichen Meinung, die fich die Sewiffene- 
freipeit durch einige anonyme Seribenten von ber zweifelhafteſten 
Art nicht entreißen laſſen wird. 


Roh wirft der Anonymus meinem Buche Drudfehler vor. 
Ich weiß, daß fich mehrere darin finden, allein eine unerträglice 
Sant, wie er ragt, bilden fie nicht, und werben, vorzüglich die in 
den arabifhen Wörtern, welche Hammer bereits verbefiert hatte, 
am Ende bes Ill. Bandes ihre Grledigung finden. Jedoch hätte 
billig der Schreiber dieler Kritik fich ſelbſt vor bergl Sünden die 
ten follen, er aber fchreibt ©. 303 Abulfelda fiatt Abulfeda, 
&. 305 invicibilis flatt invincibilis u. a. m., ja citirt ſelbſt mehr⸗ 
mals falih, nämlih über Gerson &. 309, wo es 308 heißen 
mußte, dann fchreibt er questiones, wo es bei mir quaesliones 
heißt, und glei darauf 319, wo er 321 fchreiben follte, und gleich 
daneben 321, wo 323 ſtehen mußte, alſo innerhalb 12 Zeilen gas 
vier Drudfehler, und ein folcher nad) er Menſch will mid tar 
bein, wenn in einem Bande von 1241 Geiten einige Drudfchler 
untergelaufen find ? 

r tabelt ferner meinen Styl und fagt, er verſtehe ©. 1019 
ben Sad: „von Wilhelm Weber theilt Bagenfeil einen ihm 
ſelbſt paffirten und von ihm ertemporirten Schwenk in Berfen mit, 
burchaus nicht, allein ich behaupte, daß nur ein Blödfinniger zwei⸗ 
fein wird, daß hier von Weber bie Kede ift, und wenn aud das 
Wort „„paffiet‘ nicht ebel fein mag, fo reicht es doch noch lange 
nicht an die „Ballyörner” bes Recenfenten. Allein lächerlich iß 
es, daß er mich tadelt, weil ich fage: „die Völker der ſcandinavi⸗ 
ſchen Halbinfel,” da es heißen müffe: „Halbinſeln;“ denn ſchwerlich 
bürfte jemand Anderes als ber Anonymus ganz allein daran Aus 


ſtoß nehmen. Uederdieß finden ſich auch im ber vorliegenden Kris 


tik zwei Muſter von Eaten Sägen. Es heißt 8.305: „, Dier hätte 
Gr. vorfichtig fein und die ungenaue Uebertvagung Hamberger’s 
(am wenigften fehlerhaft) abfehreiben ſollen.“ Alſo abichreiben 
tte ich fie follen. O einfältiger Anonymus! &. 904 fleht: „un⸗ 
ere Leſer werben uns gewiß auch den Schein von Willkür zu Gute 
halten, welcher bei der Anführung von Gingelnheiten unvermeiblid 
ft.” Ich geftehe, ich verſtehe nicht, was der Kritilafter will, and 
vermuthlich werden es auch Andere nicht wiffen, denn nxan bieh 
ſoviel heißen fol, als daß er aus vielen Fehlern meines Budet 
aur einige willkürlich ausgewählt habe, fo iſt bief leere Prah⸗ 
lerei; benn gitte er nur irgend bebeutendere Berlöße in ber Sache 
und berglei auffinden tönnen, fo wuͤrde er folde doch gewiß 
de mir gorgrrüct haben, als diefe von mir wiberlegten angebli- 
en . 
mit wäre benn, wie ich denke, binreichenb bewicſen, baf 
ber Criticus ſich nicht etwa blos geflifientlicher Verdrehung ber 
Wahrheit ſchuldig gemacht hat, fondern auch unendlich unwifſſend 
und Burchaus unfäbig ift, über mid und mein Buch ein Urthei 
abzugeben. 

Schließlich forbre ich ihn hiermit öffentlich und feierlih aufı 
das Viſir der Anonymität abzuziehen und feinen Namen zu mumEen, 
damit man boch fieht, was ex denn feinerfeits Durch Arbeiten auf 
ben Felde ber Literaturgefchichte ober Bibliothekwiſſenſchaft bereits 
geleiftet hat. Folgt er aber meiner Aufforbe nicht, fo halte ich 
es für bewiefen, baß er tn biefem Falle fich jeined Rament umb 
feiner That zu fchämen geflänbig fei. 


Dresden, den 1, April 1843. 
Br. 3. G. zb. Gräfe. 


En a 


Literariſcher Anzeiger. 


1843. Nr. I. 


— — — — — — — ——— — — — — —— — — —— 
ſeſer Literariſche Anzeiger wird den bei F. A. Brockhaus in Leipzig erſcheinenden Zeitſchriften „Blaͤtter für literariſche 
—— a Kl beigelegt ober beigeheftet, und betragen die Infertionsgebühren für die Zeile ober deren Raum 2, Nor. 


Leipziger Repertorium 


der 





deutschen und ausländischen Literatur. 





Unter Mitwirkung der Universität Leipzig 
herausgegeben 


Dr. E &. Gersdorf. 


Hofrath und Oberbibliothekar. 


* Wöchentlich ein Heft von 2!,—3 Bogen in gr. 8. 
. Preis des Jahrgangs 12 Thlr, u 
Seipiig, bei F. A, Brockhaus, 


Unter obigem Titel erscheint vom Jahre 1843 an eine allgemeine literarische Zeitschrift, welche die 
Gesammtheit der neuesten deutschen und ausländischen Literatur im weitesten Umfange zusammenstellen 
und die wichtigsten Erscheinungen zwar kurz, doch zur Kenntniss und zur Würdigung derselben genügend 
besprechen soll. Ein Literaturblatt dieser universellen Tendenz besteht in Deutschland noch nicht, und 
auch das Ausland kann ein. solches nicht aufweisen. Gleichwol ist das Bedürfniss desselben vielfach 
erkannt und: dringend, da die deutsche Literatur, so bedeutend diese auch seit einigen Decennien an Zahl 


. und Umfang sich vermehrt hat, dem einheimischen Gelehrten die Kenntniss der ausländischen nicht 


entbehrlich machen kann, vielmehr die Beachtung derselben in neuester Zeit um so wichtiger und noth- 
wendiger gewoxden ist, je mehr auch sie nach den verschiedensten Seiten hin erweitert worden ist, und 


je häufiger die Arbeiten deutscher Gelchrter und Schriftsteller im Auslande berücksichtigt werden. Unsere 


Allgemeinen Literaturzeitungen, so Vorzügliches sie auch leisten, können dem angedeuteten Bedürfnisse 
bei der Menge der .jährlichen Erscheinungen nicht ausreichend mehr abhelfen; die in ihnen vertretene 
wissenschaftliche Kritik gestattet bei einem verhältnissmässig nur sparsam zugemessenen Raume weder 
die deutsche Literatur in ausgedehnterer Weise zu berücksichtigen, noch auch der ausländischen eine 
umfassendere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Einzelne Versuche, eine allgemeine literarische Zeitschrift zu 


- begründen und planmässig und in der unbedingt nothwendigen Vollständigkeit durchzuführen, sind bisher 


an den S@hwierigkeiten gescheitert, welche die Herbeischaffung des nöthigen literarischen Materials auf der 
einen, und die Erlangung und das Zusammenhalten .der erfoderlichen intellectuellen Kräfte auf der 
andern Seite entgegenstellten. Leipzig, seit Jahren der Centralpunkt des deutschen Buchhandels, ist 
neuerdings auch mit dem ausländischen in so vielfache und unmittelbare Beziehungen getreten, dass in 
Deutschland vorzugsweise nur von da aus «in solches Unternehmen begründet und zu einem für die 
Literaturkenntniss und die Wissenschaft nützlichen Erfolge geführt werden kann. Yon dieser Ueberzen- 
gung geleitet und unterstätzt durch die Bereitwilligkeit des akademischen Senats hiesiger Universität, 
das neue Unternehmen thunlichst zu fördern, beabsichtigt die Redaction des seit 1834 erschienenen 


‚BRepertorium der gesammten deutschen Literatur vom Jahre 1843 an dieses 


\ 


unter obigem Titel "zu erweitern und in eine Zeitschrift umzugestalten, weicke} nicht, “wie ‚bisher, di 
deutsche ausschliesslich, sondern die gesammte Literatur aller Länder und Völker berücksichtigt. Es wird 
dies in zwiefacher Weise geschehen, indem " 
I. die Titel neuer Schriften sofort nach deren Erscheinen bibliographisch genau verzeichnet und 
I. über die wichtigeren derselben kurze Berichte gegeben werden. 


Für die Ausführung ist folgender Plan festgestellt worden: 


| I. 

1. In bibliographischer Beziehung wird hinsichtlich der innerhalb Deutschlands und der in deutscher 
Sprache erschienenen Schriften die grösstmöglichste Vollständigkeit angestrebt, die Literatur des Auslandes 
aber mit Ausschluss kleinerer Broschüren und Schriften von blos localem Interesse verzeichnet. 

2. Die Titel der Schriften der deutschen Literatur werden unmittelbar, nachdem diese im Buchhandel 
versendet worden, die Titel der ausländischen, dafern die eigene Ansicht derselben in kürzester Frist 
unerreichbar sein sollte, sobald ihre Existenz glaubhaft erwiesen ist, mit Angabe der Bogen- oder 
Seitenzahl, des Formats und des Preises aufgenommen, diejenigen Schriften aber, über welche noch besoa- 
ders berichtet werden soll, in der Regel durch ein Zeichen kenntlich gemacht. 

3. Da bei dem dermaligen Standpunkte der Literatur für eine umfassende Kenntniss der neuesten 
Erscheinungen und Leistungen die Bekanntschaft mit den einzeln und selbstständig erschienenen Schriften 
nicht ausreicht, sollen auch die in wissenschaftlichen Zeitschriften des In- und Auslandes -enthaltenen Ab- 
handlungeu und längern Aufsätze berücksichtigt und ihren Ueberschriften nach aufgeführt werden. 

4. Auf gleiche Weise werden ausführliche, auf Inhalt und Werth einzelner Schriften genauer eingehende 
Recensionen aus den grössern Literaturblättern des In- und Auslandes von Zeit zu Zieit nachgewiesen. 

5. “Alle diese bibliographischen Nachweisungen werden unter bestimmte, feststehende Rubriken geordnet, 
damit Derjenige, welcher vorzugsweise in Bekanntschaft mit den literarischen Erscheinungen eines einzelnen 
Faches sich zu erhalten wünscht, leicht sich orientiren könne. 


II. 

6. Das Repertorium soll indess nicht blos die Titel und Ueberschriften der neuesten literarischen 
Erzeugnisse in der angegebenen Maasse zusammenstellen und zur allgemeinen Kenntniss bringen, sondern 
dem Leser auch einen treuen und möglichst vollständigen Bericht über die wichtigern und werthvollern 
Bücher geben, durch welche er in den Stand gesetzt wird, selbst zu beurtheilen, welchen Standpankt die 
neue Schrift einnehme, ob und wiefern dieselbe Berücksichtigung verdiene und für seine eigenen Bedürf- 
nisse brauchbar zu sein verspreche oder nicht. 

7. Dem Repertoriun sind hiernach weitläufige Mittheilungen über Materie und Form einer Schrift, 
sowie umständliche Widerlegungen der in ihr enthaltenen Meinungen fremd. Nur der wesentliche Inhalt eines 
Buches, der Zweck, den der Verfasser oder Herausgeber vor Augen hatte, der Plan, den er befolgte, 
die Hülfsmittel, die er benutzte oder auch unbeachtet liess, die hauptsächlichsten Merkmale, "durch weiche 
es sich von andern ähnlichen unterscheidet — diese Momente sollen hierbei insbesondere berücksichtigt, dem 
Leser soll nicht, was der Recensent. meint, sondern vorzugsweise was der Verfasser sagt, zur Cha- 
rakteristik des Buches in thunlichster Kürze vorgeführt werden. | 

8. Kleinere Schriften, die nicht ein höheres wissenschaftliches oder ein wichtiges Zieitinteresse haben, 
gewöhnliche Erbauungs-, Schul- und Lesebücher, und die Erscheinungen der belletrisktschen Literater 
werden in der Regel nicht besprochen. | “ 

9. Dagegen werden, um einen leichtern Ueberblick über die literarischen Bestrebungen einer einselsen 
Nation sowol, wie über die Fortschritte und Leistungen in besondern Fächern den Lesern des Repertorlam 
zu verschaffen, von Zeit zu Zeit ralsonnirende Uebersichten gegeben, in welchen der dermalige Siand- 
punkt derselben kritisch untersucht und dargestellt wird. 

10. Um aber das gesammte bibliographische und literarhistorische Materlal der neuesten Zeit in einer 
Zeitschrift möglichst zu concentriren, werden zuverlässige Berichte über die Thätigkeit wissenschaftlicher 
Institute und gelehrter Corporationen, geeignete Mitiheilungen zur Literaturgeschichte und Literaturstatisik, 
auch jedem Hefte sorgfältig zusammengestellte P£rsonalnotizen beigefügt werden. . 


Die Verlagshandlung wird mit allen Ihr zu Gebote stehenden Mitteln das Unternehmen möglichst fördert, 
wogegen sie aber auch auf die Unterstützung Derjenigen rechnet, für die ein solches Unternehmen bestiums 
ist. Auf eine zweckmässige typographische Ausstattung und die grösste Correctheit wird besondere 
Sorgfalt gewendet werden. Wöchentlich erscheint ein Heft, das in der Regel 24 — 3 Bogen enthalten 
wird, und der Jahrgang, aus 53 Heften oder 4 Bänden bestehend, kostet 12 Thir. Für litera- 
rische Bekanntmachungen aller Art ist der jedem Hefte beigefügte 


Bibliographische Anzeiger 








bestimmt. Die Insertion beiragen 
berechnet. 
Leipzig, im Januar 1849. 
Die Verlagskandlung: 
F. A. Brockhaus. 


sgebühren 2 Ngr. für die Zelle oder deren Raum. Besondere Bai- 
lagen u. dgl. werden mit dem Repertorium, ausgegeben und dafür die Gebühren mit 1 Thlr. 15 Ngr. 


s 


Die Redaction: 
E. G. 


EEE 


| SchIußheft bes Univerſal⸗Eexikons ber 
Zontunft. | 


Im Verlage von F. G. Böhler in Stuttgart iſt 
erſchienen und. kann durch alle Buch⸗ und Mufithandiungen 
Deutfchlands bezogen werben: 


EneyFlopädie 
er 
gesammten musikalischen Wissenschaften, 
d 
Hniverfol:Regiton der Tonkunfi. 


Supplementband. btes Heft. 
Sr. 3. Broſch. 12% Ngr. (10 gGr.) = 45 Kr. 


Herausgegeben 
von 
Dr. 2 &, GSaßuer, 
großherzogl. babifher Hof: Mufikölrector. 


Dies Schlußheft enthätt ausſchließlich Biographien, welche 
in dem Dauptwerfe bisher ungern vermißt wurden. 

Das ganze jegt vollftändige Werk, welches in keiner Biblio⸗ 
thek von Muftleun, Lefevereinen und gefchloffenen Geſellſchaften 
fehlen follte, umfaßt ſechs Bände eb einem Supplementband, 
im Ganzen gegen Bogen des größten Leritonformate. 
Es verbreitet fi über alle Theile des muſikaliſchen Wiſſens in 

größter Ausführlichkeit, umd fteht im dieſer Hinſicht einzig ba. 
- Der Suppiementband ift vom Hauptwerk ungertrennlid, und 
überhaupt unentbehrlich, ba er eine Menge Berichtigungen und 
Ergaͤnzungen enthält, ohne die das Hauptwerk lüdenhaft bleibt. 


Dee Dreis aller fieben Baͤnde tft jegt vollſtaͤndig 
10'% Xhlr., oder 18 Fl. 54 Kr. 





In Unterzeichnetem iſt foeben erſchienen und an alle Buchs 
Handlungen verfandt worden: 


Amrilkais, 


der Dichter und Koͤnig. 
Sein Leben dargestellt in seinen Kiedern. 


Aus dem Arabifhen Übertragen 

von . 

Friedrich Rückert. 
Gr. 8. Belinp. Broſch. Preis 1 Thlr., oder 1Fl. 36 Kr. 

Inhalt: 

Amrilſtais Ben Hodſchr. — I. Beine end. Die 
aicbesabenteuer. Die Gorgennadt. Die A and Der 
Jagdritt. Die Regenſchau. Mus dem Diwan bes Am⸗ 
iS. Geinnerung an Selma. Beshaſa. Der gefähes 
Liche Beſuch. Ommo Dichondob. Umeima. Gine Iingenannte, 
Die Trennung in Jemama. Suleima. Gsma. Mawija. 
Selma's Reiz. Hind's Freier. Die geliebte Hirr. An bie 
Tochter des Ameri. Trotgedicht gegen Sabi Ben Auf. Segen 
Die Drohungen und Anſprüche feines Wetters Abul Aßwabd. 


-fehlgefchlagene Unternehmung gegen Ben Eßed. 


- 


Der gute Kamerad. Der Bekehrte. Schamus. Die Zeit⸗ 
genofienfchaft. Die vier vorbehaltenen Stüde. Die Beſendete. 
Der Regen. Der Wettgefang. — II. Sein Reben in feinen 
Eiedern. Als ihn bie plögliche Nachricht von der Ermor⸗ 
bung feines Waters traf. An feine Tochter Hind. Über feine 
Siegeslied. 
Loblied auf Oweir. Der Treuloſe und der Treue. 
zu Ehren Oweir's und der Beni Auf. Als er in ſeiner Be⸗ 
draͤngniß ſich an die Beni Schemedſcha Ben Dſcherm wendete 
(oder wenden ſollte). Zu Ehren des Tarif Ben Malek. In 
Ungeduld und Unmuth über ſeine geraubten Kameele. Muthi⸗ 
ger Ritt. Ein Sinnſpruch. Als er bei Abu Hanbal von den 
Beni Thoal einkehrte. Während er am Berg Adſcha in Tei, bei ven 
Beni Thoal, ben berühmten Bogenſchühen, fich ficher fand. 
Dee Bogenſchütze von Thoal. Zu Ehren zweier Zäger von 
Tai. Betrachtung. Erinnerung an bie erfte Niederlage feines 
Geſchlechts. Er gebenkt feiner Schweſter. Hinfälligkeit. Der 
Kranke. Des Dichters Lebensweisheit. Er verfenter fih in 
Grinnerungen. Auf der Reife durch Syrien nach Konftantinopel. 
Krank, auf der Rückreiſe vom Kaiſer. Sein letztes Gebicht. 
Stuttgart und Er im December 1842. 


Cotta'ſcher Verlag. 
Durch alle Buchhandiungen und Poftämter ift zu bezichen: 


Tandwirthschaftliche Dorfzeitung. 
Herausgegeben unter Mitwirkung einer Geſellſchaft prak⸗ 
tifcher Land» und Hauswirthe von &, v. Pfaffenrat 
und William Röbe, Mit einem Beiblatt: Eemein- 
nütziges Mnterhaltungsblatt für Stadt und Land. 

Dritter Jahrgang. 4. 20’ Nar. 

Hiervon erfheint woͤchentiich Bogen. Enkünbdigun⸗ 
gem darin werben mit 2 Ngr. für ben Raum einer gefpaltenen 
Zeile berechnet, Defondere Anzeigen 1c. gegen eine Bere 
gütung von %, Thlr. für das Tauſend beigelegt. 


Inhalt bes Monats December: 

Dorfzeitun .uUnterweiſung in der Obſtbaumpflege. — 
Einfaches und Leichtes Verfahren der Flachs⸗ und Hanfröftung. — 
Die Wiefe ift bes Lundmanns größter Schag. — Correſpondenz 
ber Landwirthſchaftlichen Dorfzeitung. — KBerbandlimgen ber 
beutfchen Lands und Forſtwirthe in Stuttgart, in Betreff ber 
zu ergreifenden Maßregeln gegen die für ben Landwirth durch 
die diesjährige Dürre -eingetretenen Futternoth. — Iſt bie 
Düngung der Wieſe durch Wafler ober eine Bewäfferung in 
Kleinen Wirtbfchaften ausfuͤhrbar? — Wichtigkeit des Seiden⸗ 
baus. — ‚Kennzeihen und Vorboten ber Neigung zu ben erbs 
lichen Krankheiten unter den Schafen. — Welches iſt eine gute 
Melkkuh? — Anzucht und Pflege der Maulbeerbäume — Mis⸗ 
ceRen, Ankundigungen. 

Mnterhaltungsblatt. Der Biſchof Thilo in Merfehur 
und fein Habe. hr Ausmwanberer nad) Rorbamerika. s 
Büdermardt, Wermifdites, Anekdoten, Aukün⸗ 
bhigungen. 

Eeiptig, im Januar 1843, 

S. a. Brockhaus. 


“ 





Abermals 


x \ ® 


Bi J. &. Gehaub in Däffeiborf ift ſoeben erſchie⸗ 
am und in allen Buchhandlungen zu haben: 


Eprenipiegel 


des deutſchen Volkes 
und 
vermischte Gedichte. 


on 
Friebdrich von Uechtritz. 
124 Seiten in Großoctav. Auf ſtarkem Velinpapier. In 
farbigem Umſchlag geheftet. Preis 20 Sgr. 


In dem Hauptgedicht der vorſtehenden Sammlung werden 
dem Leſer die wichtigften Entwickelungsſtufen des deutſchen Volks⸗ 
lebens in lebendigen Bildern vorübergeführt, bie, in ſich abge: 
fchloffen, durch „bie Zeit‘ als Rhapſode und Chorus verbun: 
den und vermittelt werden. Wir fchen das Walten Karl's des 
Großen, ben Sängerkrieg auf der Wartburg, Bürger und 
Landsknecht auf den Straßen Nürnbergs, den großen Kurfürz 
fien, die Iehten Jahre Friedrich’s bes Großen, neben dem aufs 
blähenden Gefftesieben Weimars, das Jahr 1813. Zulett 
fpriht, als Symbol der Gegenwart, Germania vom Stuhle 
Karls des Großen herab, Doc wir dürfen nicht mehr ver- 
zathen, um bem Lefer den Genuß bes hoͤchſt eigenthümlichen 
Bedichtes nicht zu verlümmern, das gewiß jedes deutſche, für 
Deutfchlands befte Srinnerungen und Hoffnungen empfängliche 
Herg anſprechen wirb. | 





In ber Buchhandlung des Waiſenhauſes in Halle 
iſt foeben erfchienen und in allen Buchhandlungen des In⸗ und 
Auslandes zu haben: . 

V. R. Wellftch’s Reiſen in Arabien. 
Deutſche Bearbeitung herausgegeben mit berichti⸗ 
genden und erlaͤuternden Anmerkungen und einem @g-: 
eurs über himjaritiſche Aufchriften von Dr. E. 
Mödiger. Mit Karten und Sinfchriften. Zwei Bände. 


Sauber broſchirt. 3 Thlr. 15 Sgr. (3 The. 12 gGr.) 


Wellſted's Neifeberichte betreffen großentheils ſolche Gegen: 
den Arabiens, bie guvor noch von Feinem Europäer betreten 
find, namentli ben Süd: und Oflrand der Halbinfel. Gibt 
ihnen bier die Neuheit des Gegenftandes ſchon Intereſſe, fo 
feſſeln fie den Leſer auch da, wo’ fie fih auf befannterm er: 
zain bewegen, wie beim Sinaigebirg, durch felbftändige Auf: 


faſſung und durch eine eigenthümliche e der Beobachtung 
und Darſtellung. Gin Slick in das Inhaltsverzeichniß wird 
die bunte Mannichfaltigkeit des Werkes anſchaulich machen. 
Maskat und Aden, Sinai und ber Glockenberg, Myos Hor⸗ 
mus und die Ruinen von Berenice, die Dampffahrt auf dem 
Rothen Meere und andere Punkte vom jüngſten Zeit⸗ 
intereffe kommen zur Sprade, und ber noch fo heue 
Fund ber himjaritiſchen Infchriften verdient jegt auch wol ber 
größern Lefewelt vorgeführt zu werden. Man erwarte übrigens 
nicht eine jener fabritmäßigen Überfegungen, das Buch möchte 
ſich vielmehr an bie befjern Arbeiten diefer Art würdig ans 
fließen. Die Karten und Infchriften find auf zwei großem 
Zafeln mit aͤußerſter Genauigkeit und Sauberkeit ausgeführt. 





In unserm Verlag ist soeben erschienen und in allen 
Buchhandlungen zu haben: 


Nouvelle 


CHRESTOMATHIE FRANGAISE 


Choix de. propositions et de morceauz extraits des 
meilleurs E&crivains frangais 


par 
Ch. Richon, 
Auteur de la grammaire francaise theorique et praligue composde 
d’apres l’idde du systeme de Becker, „ 
8. 18% Ngr. (15 gGr.), oder I Fi. 

Bei Abnahme grösserer Partien dieses, durch besondere 
Vorzüge sich auszeichnenden Schulbuches werden bedeutende 
Vortheile gewährt. Die Anerkennung, welche der Gram- 
maire des Herrn Herausgebers zu Theil wurde, gibt die 
Gewähr auch für die Trefflichkeit dieser Chrestomathie. 


Meyer & Zeller in Zürich, 





Elavierfpielee machen wir auf bie neue in Paris mit 
ausgezeichnetem Beifall aufgenommene 


Fantaisie comp. par Kalkbrenner 
sur des mofifs de l’Opera la Beine de Chypre (Die 
Königin von Cypern) de Halevy, Op. 157, 25 Sgr., 
und auf bie Etude heroique Ajax, 10 Sgr., aufmettſam. 
Berlin. . 
Schlesinger’sce Buch - und Musikhandlung, 





Das Mennig- Magazin 


Beginns mit 1843 feinen elften Jahrgang, während die Mehrzahl ber bemfelben nachgebildeten Blätter laͤngſt aufs 
gehört hat zu erfheinen, und die nah zehnjährigem Beſtehen noch fehr bedeutende Abonnentenzahl gibt wol den 
beften Beweis dafür, daß das Pfennig: Magazin einem wirklihen Bedürfniffe entfpriht. Die Redaction wird ſich 
indeß befiteben, noch forgfältiger den unermeßlihen Stoff des Wiſſenswerthen und Sntereffanten aus alm Theilen 
ber Erde und aus allen Borkommniffen des menfhlichen Verkehrs zu benugehn und namentlich auch neben der 
Belehrung, fo weit es möstih, auf anfprechende Unterhaltung Bedacht nehmen, ſowie von Woche 
zu Woche merkwürdige Erſcheinungen ber Gegenwart in Miscellenform zus Sprade bringen. Die mit 1843 
beginnende Neue Folge wird wie feither mit den beften englifhen, franzöfifchen und deutfchen Holzſchnitten 
gefhmüdt werben, und fo werden Redaction und Verlagshandlung Alles anwenden, um das Pfennig: Magzin 
immer mehr zu einem wahren Volksblatt zu machen, das es jegt ſchon durch feine außerordentliche Verbreitung 
zu fein beanfpruchen darf. 
Der Preis bleibt unverändert für den Vahrgaug von 52 Nummern 2 Ihle. 


Probeblätter sind in allen Buchhandlungen zu erhalten. 


u‘ 


Reipzig, im Sanuar 1843. 


Drud und Werlag von F. 4, Broddaus in Leipzig 


F. A. Brockhaus. 


— 


Siterarifher Anztiger. 


1843. Nr. II. | 


ee — — —— —— —— — — 
Literariſche Anzelger wird den bei F. A. Brodhaus in Leipzig einenden Zeitſchriften „Viaͤtter für literarif 
—e— an KH beigelegt ober beigeheffet, und betragen bie —E— fuͤr die Zeile ober. beren Kaum — 


Im Verlage von 3%. Brockhaus in Eeipzig erſcheinen für 1843 nachſtehende 
Zeitungen und Journale 


und werden Beſtellungen darauf bei allen Buchhandlungen, Poſtaͤmtern und Zeitungsexpeditionen angenommen. 


») Reipziger Hllgemeine Zeitung. 
365 Nummern nebft vielen Beilagen. Hoc 4. Pränumerationspreis vierteljährlich 2 Thlr. 
Wird Abends für den folgenden Tag auögegeben. 0 
Anzeigen aller Art finden in der Beipgiger Augemeinen Zeitung eine weite Verbreitung. Die Infertionsgebühren 
betragen —* den Raum einer dreiſpaltigen Zeile 2 Ngr. | 


2 Weue Jenalsche Allgemeine Literaturzeitung. 


"Im Auftrage der Universität zu Jena redigirt von Geh. Hofrath Prof. Dr. F. Hand, als Geschäfts- 


führer; Geh. Kirchenrath Prof. Dr. L. F. ©. Eaumgarten- Crusius, Ober - Appellations- 


rath Prof. Dr. WW. Francke, Geh. Hofrath Prof. Dr. D. &. Hiieser, Geh. Hofrath Prof. 


Dr. «I. £f. Fries, als Specialredactoren. 
— Be, En nam mean 1 
Die 3ei eint n ſechs ttern ann aber au nats heften bezogen werben. werden 
mit 1%, Rer. ha Kaum einer gefpaltenen Zeile, und befondere Beilagen mit 1 Thlr. 15 43 berechnet. zeigen 


3) - Leipziger Repertoriun der detitschen und ausländischen Literatur. 
Unter Mitwirkung der Universität. Leipzig herausgegeben von Dr. E. 6. Gersdorf, Hofrath und 
Oberbibliothekar. | | 
ahrgaung 1843. Wöchentlich ein Heft von 2',,—3 Bogen. Gr. 8. 12 Thir. 


J 
Dem Repertorium ifl ein 
| Bfbliographischer Anzeiger 
ben unb werden Inferate in bemfelben mit 2 Nor. für die Zeile ober deren Raum berechnet, befondere Anzeigen 
u. Agl. gegen eine Verguͤtung von I Thlr. 15 Nor. beigelegt. | 


2) Blätter für literarische Mnterhaltung. 
. 365 Nummern nebft Beilagen. Gr. 4. 12 Thlr. 
Es erſcheinen wöchentlich fieben Rummern, bie Zeitfchrift kann aber auch in Monatsheften bezogen werben. 


5) | 1818. | 
Encyklopadiſche Zeitſchrift, vorzüglich für Naturgefchichte, vergleichende Anatomie und Phyſiologie von Dken. 
123 Hefte. Mit Kupfern. Gr. 4. 8 Thlr. 


Bu ben Iegtgenannten beiben Beitfchriften erfcheint ein 
Eiterariſcher Wuzeiger, _ 
für literariſche Ankündigungen aller Art beflimmt. Für die gefpaltene Petitzeile oder deren Raum werben 21, Nor. berechnet. 
Gegen Vergütung von 3 Thlrn. werden Anzeigen u. dgl. ben Blättern für literarifäpe Unterhaltung und gegen Vergütung 
von 1 hlr. 15 Nr. ber Zas beigelegt ober beigcheftet. 


6) Handwirthschaftliche Dorfzeitung. 


Derausgegeben unter Mitwirkung einer schaft praftifher Sand», Haus» und Forſtwirthe von €. 
von Dfaffenraty und William Göbe. Mit am Deiblaft Ä Geneinudiiges Uutechaltungsblekt 
ge un and, 

i N . & 2 Rear. 

Bag al rn A a m 
y, PH für das Zaufend —*— Fr einer gefpaltenen Zeile ur Babe Beilagen wi gegen eine Wergätung von 








— 


6 
5 


für Unterhaltun 


Neue Folge. Erſter Jahrgang. 52 Nummern. 


Das Pfennig- Magazin 


g uud Belehru 





es 
it vielen Abbildungen. Schmal gr. 4. 2 Thlr. 


bas Pfennig⸗Magagin werben Anzeigen aller Art aufgenommen und ber Btaum einer gefpaltenen Zeile mit 5 Re. 


In 
berechnet. Beſondere 


ellagen werben gegen BVergoͤtung von /, Thir. für das Tauſend beigelegt. 
a  ) 


Im Verlage von Brockhaus & Yvenarius in Leipzig erfcheint: 
Echo de la litterature francalise. 
Journal des gens du monde. 


Troisitme annee. 
eint in wo 


Erſch 
geſammten franzoͤſiſchen Journaliſtik. 


Gr. 8. 52 Nummern. 
chentlichen Nummern von I—2 Bogen und bietet eine Auswahl bes Beſten und Intereffanteften aus ber 


Preis des Jahrgangs 5 Thir. 10 Ngr. 


m 
Snferate werben mit 154 Nor. für die Beile berechnet, und befondere Anzeigen gegen Vergütung von 1 Thlr. beigelegt. 





In unferm Berlage if ſoeben erſchienen und in allen Buch⸗ 
handlungen zu haben: 


@inleitung 
in db 


ie 
alte römische Humismatfik 


Dr. Sr. Huton Mayer, 
zefignirtem Stadtpfarrer von Eichſtaͤdt, Königreich Baiern. 
Mit drei Tithographixten Tafeln. 
8. Broſch. 7% Thir., oder 1 Fl. 30 Kr. 
Dieſes vortreffliche Handbuͤchlein für Freunde der Numis⸗ 
matik kann mit deſto groͤßerm Rechte beſtens empfohlen werden, 
als der Herr Verfaſſer ſchon durch viele Schriften über Alters 
thumstunde ruͤhmlichſt bekannt iſt. 
Meyer & Zeller in Zuͤrich. 


n zweiter SE | 
tft ſoeben bei —* in — erſchienen: 


Eebens bilder 


aus 
der westlichen Hemiſphäre. 
Dom Verfaſſer des Legitimen, des Virey, des Cajuͤtenbuchs 
und von Süden und Norden. Zweite burchgefehene Auflage. 
5 Theile. 8. Velinp. Geh. 9% Thlr., oder 15 51. 12 Kr. 
Berner iſt von bemfelben Verf. foeben dei uns erfdhienen : 
Su 


en und Norden, 
ifter und 2ter Band. 
8 Sch. 3% Thlr., oder 6 Fl. 12 Kr. 
Dieſes neueſte Werk führt uns in. bie Süblande von 
„ Merico. Die charakterifche, kraͤftige, treue Skizzirung, bass 
Lebendige, Maleriſche der feelenvollen Schilberungen- werden ben 
Leſer Hier ebenfo unwiderſtehlich hinreißen, bezaubern, wie bie 
hern Schriften diefes „ausgezeiänetfen aller Reifes 
Novelliſten“. Die 3 oder 3 noch folgenden Wände 
nen raſch im Laufe des nächften Jahres. 
Borraͤthig in allen Buchhandlungen. 


Preishorabsetzung von & 5 auf & 2 Thlr. 
der vollständigen Clavierauszüge mit deutschem und franzö- 
sischem Text der Opern 


Iphigenie in Tauris yo pheüs und Armide 


t von ©. „ Bohmidt und 
das beste bekannt; Schönheit des Druckes, 





Das Arran 
Mellwig st 


Format und Correctheit zeichnen diese Ausgaben aus; der 
überaus billige Preis der vorräthigen Exemplare ist durch 
Concurrenz herbeigeführt. Armide ist in kl. Foliofermat. 


Darch alle Buch- und Musikhandlungen zu beziehen. 


Berlin. 
- Schlesinger'she Buch- und, Musikhandlusg, 
— — — — — — 
En vente ches Brockhaus & Avenarlus à Leipzig: 


de la litterature francalse. 
Journal de gens du monde. 
Deuxieme annde. 1842. 


Sommaire du No: 23. LaFinlande, La soqete 
Russe, Par Une passion sur les toits, 
Par Camille Berru. — Le tabouret de la Princesse 
de Furstemberg. Par ML. je oomte de V****, _ 
Le bonheur impossible. Par Louis Lurine. — Un 
oignon sale, — Esquisse de Tribunaux: 
Sommaire du No. 24. De la Teutomanie. Par 
— Les cayes d’Elephanta. Par "Th. Pavie. 
— Mieux vaut jamais que tard. Par Camäle 
Berru. — Fables. Par Vienmet. 





In der Karl Bersid’fhen Buchhandlung in Bien tk 
erfchienen : 


Jahrbuͤcher 
Der RKiteratur, 


NReunundneunzigfler Band. 
1842. 
Auli. August. September. 
Anhalt bes neunundueunzigfien Saudes. 
Art. I. 


n 
1) Gemmentar zu Horaz Oden, Buch 1 - III. Bon Pr. 


gäbken. Cqlerwi⸗ 1841. 2) Fasti Horatiani. SBeripsit | VIII. Dee Pilger, von Bicomte d'Arlincourt. Aus vn 
Carolus Franke. Accedit epistola Caroli Lachmanni. Bero- | Rranzöftichen von Paul ® anger. Karlösuhe 1842 
lini 1839, 3) Quaestiones Horatianae. Scripsit ©. Kirchner. | Die Mebicerr. Drama in fünf Acten vom Fürſten zu 54. 
Lipsiae 1834. — IV. Über die Theogonie des Heſiod, Ihe Ber⸗ Leipzig 1842. — X. Die Epiſteln des Quintus Horatius 
derbniß und ihre urfprimgliche Geftalt. Bon Dr. D. F. Gruppe. | Blaccus, Überfegt von Merkel. Afchaffenburg 1841. 


in 1841. — V.X ine Ratu icht lle Staͤnde, 
ae Dr Be et teen) | ZRbalt Des Mnzeige-Winttes Me, XCIK 
VI. iflenfchaftlich = Iiterarifche gucpelo die der —55 Ein „K. Maximilian's TI. Bibliothek“ in der k.k. Ambraſer 
Sammlung in Bin, vom E. k. Major Sof. u pagr im 


I sEritifches Woͤrterb tifchen Kunſtſprache. 
en eeit ae 180 1842. ” VII. Gedichte von geftiftet. Bon Joſ. Bergmann. — Die Ef. Ir⸗ 
Wilpelm Emets. Gtuttgart und Tübingen 1842. — — in Prag. 


Ergänzung der ältern Ausgaben 


Goethe's fämmtlichen Werken 


in 55 Bänden, fowol in Octav als in Taſchenformat. 











In Unterzeichnetem And in Bolge hohen Bundesbeſchluſſes ſoeben erfäjlenen und an alle Buchhandlungen verfandt 


Goethes 


wachgelassene Werke, 


.  _16ter bis 20fter Band oder 
Der Tammtlichen Werke, volftandige Ausgabe letzter Band, 
56fter bis 60ſter Band. 


Mit Goethe s Portrait von Schwerdgeburth nach Chodowiecki in Stahl gestochen, 
Ausgabe in Taſchenformat. Belinpapier. Des r Thlr., oder 3 Fl. 15 Kr. 


Aubgabe in Dctav. - 3 Xhle, : 5$t. 
Inhalt: 


e Baub. 

Bermifchte Gedichte. An Perfonen. Invectiven. Zahme Zenien. Rachtraͤge vum um Divan. Marimen und Reflerionen. Ver⸗ 

ſchiedenes Einzelne. Reiſe ber Söhne Megaprazons. SBrief des Paftors an feinen Amtsbruder. Zwo wichtige biblifche Fragen. 
STfter Band. 

Das Luflfpiel: Die Wette. Iphigenia in Profe. * und Elmire, und Claudine von Villa Bella in der fruͤheſten Ge⸗ 
ftalt. Die ungleichen Hausgenoſſen. Gingfpiel. Zwei aͤltere Scenen aus dem Jahrmarktsfeſt zu Plundersweilern. Hanswurſts 
— ae zu Fauſt. Fragmente einer Zragdbie: Die natürliche Tochter (Schema der Fortſetzung). Pandora (debe 

auſikaa 
SSfler Band. j 


Die Metamorphofe der Pflanzen. Beiträge zur Optik. 
SOfer Band, 
Der polemifche Theil der Farbenlehre. 


sofRer Band. . 
& a — —— Jdarbenlehre, zum Mineralogie und Geologie. Biographiſche Einzelnheiten. Chronologie der Entſtehung 
Bei Ertheilung des Prloilegiums an die von Bretbe’fchen Erben für die legte Ausgabe ber Werke Goethe's ift von 
der durchlauchtigften Bunbesverfammlung angeorbnet worben, baf im Intereſſe dee Weflger der Altern Ausgaben denſeiben burdy 
nr. Alles zum Ankauf bereit gehalten werben folle, was biefe neuefte Kusonde mehr enthält als die fruͤhern. 
te haben baber, im Ginverflänpnis mit den von Goethe'ſchen Erben, Anftalt getroffen, diefem Hohen Auftrage nachzu⸗ 
tommen und Gern Dr. 3. 9. Ecermann, ben vieljährigen Breund und Hausgenoffen Byethe’s, den gruͤndlichſten Kenner 
feiner Schriften, fir die befonbere Zuſam enftellung alles Deflen gewonnen, womit bie lehterfchienene Ausgabe in 40 Bänden 


Das —— fließt fi genau ben älteen Editionen an, Papier und Drud aber find ben Anfoberungen des jegigen Zeit 
entſprechend gewählt worben. 
Gtuitgart un Tübingen, im Januar 1843. I. &. Cotta’scher Verlag. 


= 














Neuigkeiten amd Sortsetzungen, 
verfendet von 


U. Brockhaus in Leipzig - 
im Jahre 1842, 

JA IV. Odober, November und December. 
Mr. 1 dieſes Werichtd, die Verfendungen vom Januar, Bebruar 
und März enthaltend, findet fi in Mr. XI und XII des Eiterarb 
fen Anzeigerös Nr. II, die Werfendungen vom April, Mail und 
Zunt, in Rr. XXI und XXI; Rr. Il, die Werfendungen vom 

Suli, Auguf und September, in Nr. XXX beffelben.) 
76,_Wueiennetäts : Rite Des Bfficier - Corps ber 
Ge End Ben Munslien und Bel ie — 
twe m en Rang uni ltairs jenblättern 

SE —æã—ſ Pr D. Mansteldt, Gr.8. Sch. 

Ir. 
Eiementine. Gr. 19. Geh. 1 Ile. 
= Vlgemeine —æe— der Wiffenfpaften 
—8 in alphabetiſcher Jolge von genannten “ 


Fine bear! und herausgegeben von J · 
und &. @. Gruber, Mit Kupfen und * er 
für m Zu auf 


Gart. Pränumgrastondnerit 
le. 


5 Thir. 


=D. — G. Gruber. 
—S ©. x Hoff: 


9 8 un 





. — —e 


I. Heinfins (98.), Cügemeines *. ers Regi- 
Bom, ober alphabstifches Berzei—gnis aller von 1700 bis gu 
Gnde 1841 erfchienenen Bücher, melde in Deutſchland und 
in den duch Gprade und Literatur bamit verwandten Laͤn⸗ 
den gedrudt worden find. Rebſt Angabe ber Deudorte, 
der Werleger, des Erfdeinungsjahrs, des Zormats, der Bos 
je ahl, bee Preife ıc. NReunter Band, meldet bie von 
is il —— und bie Berich⸗ 

ui jexer Grfheinungen enthält. Herausgegeben vom 
Er Erfie Eimung. (A — Beschreibung‘) 
u RA Ror., ‚reibpap. 1 Zpie. 


Kae 2 Re 9 Toten 
— EEE 2. 
FE aa 
&0. 'Werbarte * 3 .) kleinere Uhllesophlsche 

'hriften und Abhandlungen, nebst dessen 
wissenschaftlichem Nachlasse. Herausgegeben von et. 
Zweiter Band. Gr, Br 3 Tılr., 158, er; 


Hartenstein. 
Dee ve Band, mehr nalen CE: nettung g 
an: weni lege Sammlung yeläie 
8. geist mist ae 9.), Reneftes und von⸗ 
Hänbig; A rterbuch, zur Erklärung aller 
aus fremden 8 entlehnten Wörter und Ausbräde, 
Fr ;e in den Künften und Wiſſenſchaften, im Handel und 
jehr vorfommen, nebft einem Anhange von Gigennamen, 
a Bezeichnung der Ausfpradhe brarbeitet. In aim ‚Heften. 
a ‚Heft. (Brachypnoisch—critisch.) @r. 8. Jedes 
ef 


—— 
Bi —5 — 


d. =: 


Leben in de R 3 
nn © 


— 


8. ha. (0.2, Besim. Gine Hergensgeftäte. — 
* 





45 


8_Röbe (Mbilliam), FL 1 
Erd asian mm ae 
U 
ee * 
a Mir 
I. nr — —— el DR tion 


Auch u. d. L: —— — 
Beiträge wur Gere te 3 vom Staaterecht von Gadfen. 
Erſter Band. Er. 8, Geh. 3 Thir. 
85. Xugemeine beutfpe Beni: Guchklopäbie 
jebilbeten Stände, (Gony le 
Ton.) Reunte yerbeflerte und fehe vermehrte Originalaufs 
lage. Bolftändig in jeha Wänden oder einhunberiund 
ar; ig Heften. Erſtes und zweites Heft. (A— Albrecht) 
A Jedes Heft 5 Ror. ö 


RP a 


* Ele 
Meperterium de, — ‚hen 
Literatur. (Neunter Jahrgang, für das Jahr 1842) 


Koh ce im Verein mit mehreren 


er Ted Band in —X Hallen 3 The. - 

. s (EL.), Inscriptiones Graecae ine 
Füsc. u. —5 —* insularum Andri, Si, 
» Byri, Amorgi, Mycon! Astyralacae, Nisyr, 
Telt, Gel, Calymnge, Lan Patztı Baml] Lecbt There‘ 








Anaphae et Peparethl. Ama). Geh. 2 Thlr. 
PT L *2* Be a an he Ta Re 
88 Zu 


von @b. —e— — 8 Fr Pe 


Im Verlage von Kugtfi Ecw ft Cou⸗ in Hamburg if 
erſchlenen und wird PR der Übrige Verlag deffelben von 
F. 9 —— in Reipgig bebitiet: 
Srenbt(h. 


Kleine Bedenfule, ober 
A eh —* die enge Bierte Auflage. 





Stockſbolrer v. Birſ⸗ 
den en und in jeße folhen 
su haben 


Die Peſt in Wien. 


Hiſtoriſche Novelle von Em. Straube, mit des Berfaf 
fer6 Portrait in Stahl geflohen. Auch unter dem Ziel: 
Em. Straube's Schriften. Erſter Band. 8. Leipzig 
und Wien. 1842. Delinpapier, Elegant geheftet. 
1 Ihe. 5 Mor. 
Emanuel Gtraube hat fich feit einem Zahrzehnd her durch 
fein Zatent in novelliftifdher Hinſicht ſowie auch als kritifäer 
‚Bauptmitarbeiter eineß ber gebiegenfen u und befannteften Jour⸗ 
nale, bie volle Hodhachtung des gebildeten 18 erworben. 
Die obige Berlagshandlung, bie Beliebtheit des — » 
igend, hat denfelben bewogen, feine ſaͤmmtüchen bei 
nn % gefammelt —e— — wovon wir * 
— Band — veröffentlichen. Wis jegt iſt bie Bänke 
zahl auf 20 feftgefegt, und da ber Gr. Werfafles in der Folge 
noch manches —ä leiten —ã fo darfie bie vefp. 
weit eine Reihe ſchriften erhalten, melde, 
Charakter bes Hrn. ee gemäß, I Jungfrau wie 
zur Hand nehmen kann, ohne bie Sittuchteit 
tegen, Inden, eine reine, gebildete Sprache und Darfellung — 


6 A Wien iſt fe 
lung Deutfdlaude 


—* 


Drud und Derlag von ©. &. Brodhans in Beiysig 


- [nn 


Literarifger Anzeiger. 


9.0 1848, Nr. IE 


Diefer ee ——— wird den bei F. 
Unterhaltung” and 


beigelegt oder beigeheftet, und betragen bie In —2*& 


L Bro@paus in Lel piie — Zeitſchriftenlaͤtter für —* 


hren ſuͤr die Zeile oder deren Kaum M. Nor. 





Verlags· und Commissionsartikel 


Brockhaus&  venartus: " 


für deutsche und ausländische. 


ur in Leipzig. 
1642, er IV. Gctober- bis Derember. 


(Nr. 1 dieses Berichts, dis Vorsendungen vom Januar bie März 

enthaltend, befindet sich in Nr. XI des ischen ‚Auselgsra} 

Hr. 11 Versendupgen: vom; ;April bie Juni, in Nr. XxXIV; 

Br. 1l, die Versendangen vom Juli bis Boptomber, is 
Nr. XXXVII.) 


Alan (F. ), Nouvelle methode pratiqe et Saeild pour 
8. Leipsig und: Paris. 


Buckhan 





"T re la languo allemande, 
bir. 
Aul aben über die Regeln der Tranzösischen‘ Sprache für’ 


Anfänger, (r (von Alex. Frege). 8. Leipzig und 
Paris. 


Dergleichen * r} eäb tere. 8. Leipzig und Paris, y, Thlr, j 


che de la litsärkture frangaise. Journal des gens du mode. 
Deuxitme annee. 1842. Ns, 19-—24. la- 8. Preis des 


Jahrgangs 5% Thir. 


‚Erscheint von 2843 an w 
Auswahl des Besten und interessantesten aus der gesammien Ir ransö- 
sischen Journalistik. 


L’Album,. ’ owrnal Aitin⸗ a Veinseignement da dessin «t 
de la peinture; r&dig6 par une soci6te d’artisies et d’hem- 
mes'’de lettres, suus la irevtion de U. Balme. Ivo ut 
Ze anndes. 2 vol. In-4. Paris 6 Thir. . 

Biuet (A. P:), Nouvelle ‚opinion sur les pheno 
la marche, la cause et le si6ge de la goutto et neurelie 
methode curative pour gedrir radicalement cette maladie; 
In-8, Paris. 9%, 

Chassaignae (W.), Le coeur, les arlöres ot les veines, 
texture et developpement, In-8. Pers. 1%, Thin 

— Bes pisies de ia 'töte, -In-8, Paris. -1%-Thlr; 


——, Be —e des appareils orthöpädiques, 
a-B. Paris, -I 


Gliake (Dimttliy ak); La oneghie de droit 
55* —— de), La ege Peris.- 3%, —* 
range TC penis , par eux - mömes, T. V, 1-10, 
an Br Jede Lieferung schwarz Thig., 


„Thir 
—— a 3. de), Yiudes sur P’histoire, les Tois et 
—8* de 3 ' msrovingienne, F. I. Ia-8. 
Paris et Leipzig. Ir... 
Rigauit- Kebkun, "Moialair! "Bafte!; e-18. Paris. 
{} Thir. - , u. 


Anäryseowice (3. —— starok 'P ki * 
powszechnemu Kae wydana. In - 12, gun : * Thlr, 


Chronioon sen Aunales Wigandi Harburgenaie, | & 
ee es nn Dry an Prinum ediderunt, 
es Vo & . Bacnyuakl, 
Pomasnieo 3. Thir, 
polnisches Uchersetzung. 











üchentlich, und biete eine, 


= (I); Kike al o Polsce i dia Polski, 
Poitiers.. 1% T 
—* ludu wielko —8 zebrat 1 wydat a: 2. I Li» 
— 


l-42 Posnab.. nur, 





— Br), Cheortannai; asyli San Dode- 
, gogiki narodowej. 4 tomy.. In- 8. Poznaü, 6 Thir. 





‚Als eine_der anziebesdsten neuern Kemädien empfehlen: 


Los‘ Mömoires du diablo d’apräs Sowie 10 Nor. 
Repertoire du thöätre frangaigd Berlin. IL BB Be: 


L’umbitieax, oomédie en 5 actes p, 


Yatdl, ee p· Seribe. Indiana: et sr. Oanzlenngne u“ 


Dan , ie " Seribe 5 Ser. 


gone & emme 5 Sgr 


L’ange di dans le monde et le able & ia meison 7) Sg ’ 


Der Subscriptionspreis für 6 Nen. (8 vollständige Btäck 
ist 1 Thir., das vollständige 3. des — 
in „Ben Buch hirandiungen gratis. 


Behlosinger'sce Bach. ‚und. Mosikbandiang,.. 
— r G 


Das aweite FT 
aranten Auflage Ä = 


Comversations - Cerikon 


ie nd durch alle Baghandlawgen “ 


Diet neunte ——— Andene Mn 1 Bias — 


120 Heften zu dem Preiſe vo 
5 Rgr.— 490 —18.8t. = 15% SM. 








yaptenı ie ver X feinem Gceribpapien Sofker. 
—F 3 —— auf —— ——— 





an gehe auf. Minen Betinpuptee 3 Sub." "ech 5 Su: 
— ⸗ * 


5* ee — us ver 


‚Meipglg, im Zanuar 1643 


EM Mendes. 











a Be Bi n.. ’ " 


” 
dh 





"3 Unten 1 fr offen u . Sacam werben : 





Goethe's 





Portrait 


(in feinem 27ften Jahre) 


von Schwerdgeburth nach Chodowiechi in Stahl gestochen, 
Preis 10 Rgi. (8 3Gr.), oder 36 N 


Aeuttgnet u und Tübingen, im Januar 1843. 


3. .. Cotie'scher Verlag. 





Pränumeratien auf den Jahrgang 1843 der 
_ Östreichischen militairischen Zeitschrift: 


Bi.Brmiten & Geibel in Wien iR ſchientu⸗ 
Das Aue Geft ver 
. Geötreichischen militatrischen Zeitschrift 1842. 


Inhalt diefes FEN 
I. Der Feldzug 1747 in Stalin. “ ee Abſq̊nitt. 
Bit dem Plane bes Gel letter — * Über die 

tthung tes Gonfertptionsgefedes. — I. 
v un, einer Stelle in Oberſt Kaudters Belöpögen 
von Bank Mit seiner Lithogsaphie. — V. 
ige Bemerkungen über bie Gabdettenfhulen. — Vi. Des 
ya Eugen vo von Savoyen Wirken in den Jahren 170 — 
Krirgeerfahrung; Kriegeftubium; —— 


führung. l Kartenanfündigung. - — IX. Ru 
—— S— 
Preis des Jahrgangs 1842 in 19 Heften 8 Thle. 


Auf d & 19843 wis I allen 
—— e 8 Zhls. ——— 





Bot N GC to J 
ie 1932 von Deren Hofrath 


Neichen dach Flora germanka e 
—— Fir te. a * ma ı auf bie 
Sostfehung Defet Biete, herausg Breutel, 


aufmerkſam. Die 
nen und bush mid zu beziehen. Dem frühern 
* biich bei (ine vielſachen Geſchaͤften um Zeit 
übrig, die Herausgabe der Phanerogamen gu beſorgen, ‚von 
denen gegenwärtig 23. Genturien getrockneter beutfcher —* 
* en unb noch 3 Genturken zu exwarten fin 


—ã,s Fr 
Sungen u. ſ. w., er eine unerwartete nach den Ans 
tilen, fehten den Termin bes Erſcheinens weites hinaus, als «8 
im’ one lag. Dafür iſt Per —ã dieſe zweite Centurie fo 


* Aon. 
Hedw. — uch. —— casspltosum V. 
Splachnum Eroelichianum Hedw. elesia serrulata -Mınk. 
Grimmia plagiopus Schwäg. Dieranum graciiemens Wi. SM. 
Fortnla. algita Bruch. Orthöfrichum corvifolium Wahl. 
Cyaclidium stygium Schwars. Mnium spinosum Schwädg. 
Duvalii Voit. Wahlenbergia commutata W. Eu. Anomeodon 


zweite —* — u leiden Preife) [1 1 foeben 
Herm | 


Zafsberungen 6 übertrifft 
—— den * 


—— | Bu) Hypnum megapolitanum Bland. Preissia 


comsiutata 
Benn 4 fr anführe, daß eiufge Gollertionummern vor⸗ 
ben beigelegt ünd, daß Kies 


%o N] » ein b 
"sidiiäee Anpıhl und in infmetioen Ermmpieren 


1 ur et 
o wird meine E { dem Werke die verbiente X 
Tomtsit pefttlch ande. ee 


‚ Beipsig, im Januar 1843, 
Friedrich Hofmeister. 





Bei und find erſqienen eb in allen Butchhaud⸗ 
ee ehe 


"cn Bine ober: Die Kinder , 
. don mein. ng rer a Dritte Auflage. 


N ehe Ruobe. Gine Erzaͤhlung für Kinder und Kin: 

derfreunde. Dritte Auflage 

— Die Auswanderer. Eine 
berfreunde. Dritte Auflage. 

— Betty und Romt, F Doct 


Lehreiche Erza 
et ir 
— Die ——i— hun frau. @ine belehrende 
bie em. Dritte Zuflage 
Ansgaten), 
und bither anbef 


—— — — 
riebene Geſchichten und Rein der 
büzges in Misnopotamien, hinter Utopia 






ammen und —E 
De Ken von F. 3. Gubit und unter beffen Leitung, 


ungen von Golbein. Y, Zhlr. 
en 6. Altonaer Bilder. er und Ofen. 
—— 


Vereins - Buchhandlung. 


rn meinem Berlage iſt erſchienen: 
Der letzte Ronig. 
Volitiſcheo Drama in fuͤnf Aufzuͤgen 


D. S. Seemann. 
Gr. 13, Geh. 24 Ngr. 
; Baipeis, im Seruar 1843, 
| 3 A. Btodhens. 








- Mit einem Kupfer. 


An unfgrm Mertage AR fühen eifftenen und in olln Bud 
yankungen zu haben: 


Guellens sammlung 


Ceſchichte pe nenriamentichen Gänons 
Sierongmus. 





Herausgegeben 
und mit Anmerkungen erläutert, vorzüglich me Studirende, 
von 


E. Kirchhofer, 
Profeſſer und Diakoa am oberer in Schaffhauſen. 
8, Brofch. Preis 1 Khle., oder 2 Fl. 43 Kr. 
» keit und Rothwendigkeit eines folchen Hands” 
Dir —— der —*ð& wird auch ohne Empfeh⸗ 


—* ſelbſt einleuchten. 
Meyer & Zeller in 3uͤrlch. 


— 





Durch alle Dudh handlungen und Poſtaͤmter iſt zu begiehen: 


HSES. Enakiepädifhe Beitfeprift vorguglich für | 


Naturgeſchichte, Anatomie und PYhyſiologie. 


Bon Oken, . Jahrgang 1842 Ciftes Heft. 
Gr. 4. . Preis des Jahr: 


gangs von 12 Heften mit Kupfern 8 Thlr. 
Dee RO und den * füs uterariſch⸗ un. 
serhaltung gemeinſchaftlich iR ei 
Riterarifcher Sinzeiger, 


unb wirh darin der Raum einer gefpaltenen Zeile mis 2:4 Nor. 
onbere Anzeigen ıc. werben ber für 


2 Fr 15 Nor. beigelegt 
Reiypgig, im J 1843, 
u ET 5% Brockhaus. 





Shpatfpenre’s Sihaufpiele 
neu überfeht .und erläuteet 


Adelbert Kieller-und Moritz Rapp. 


dieſer laͤngſt vorbereiteten, neuen Überfehung fämmts | 


Haar Dchauſpiele Shakſpeare's wurden ſoeben die exften fünf 


Othello; ; Timon von An; Eymbelin; Titus 
Anbdronicus; Kön 
autgigehn und fm vr 
SBanuar und Febru 
weiten 


— Dechan. Im Sa 
ſchenformat d {ders Werken Georg ausgeftattet, Tofket 
jedes Schauſpiei, mit Binleitung und Eriäufezen- 
gen, in Fr geheftet: 

Ngr.. (5 gSr.), oder 21 Kr.Rhein. 
ai ——* sur Abnahme bes ganzen Werkes wird 
u Deciang 

je Prüfung und Vergleichung ber. audgegebenen net 
wird, Dee wir daB bieſe m 


in hen VBuchhandlungen. Im 


von Männern, die bei der an Berebrung fü für uf Diät 


fein genaues, Verſtaäͤndniß und das Stadium fsiner 
nen Hauptaufgabe ihres Lebens geraht haben, nit in 
ie Gloffe der überelit gefertigten, melſt von fruͤhern — 
en, einzig durch fehe billigen Preis na empfchlenden I 


843 folgen en abermals 4 Gtüde und bie 





- 


—— gebfre, and The die Genf aid u 0.8 
ber Be —5 — mn 


ea ein ab ehr — t 
Kad-ig fi u — In —— 


S. B. Metz ler ſche Buchhandlung in Seuftgast, | 





Be 
Te ander Dunder, 
. abler in Berlin, 
erſcheint ſoeben: 


G. GARLER 


Professor an der meins Halversitdt u Berlis, 


Miegel’sche e Philosophie. 


zu Ihrer richtigern —— und Würdigung. 
' € ' 
. Gr.8. Geheftet. 1Y, Thlr. 


Davis Hansemann 
Über 
bie Kusfüprung 


Preußiſchen ifenbahn- ‚Duftems. 


8. Weheftet Y, 


Bde Gräfe Hal — | 


Kuder auf dem Feedbers 
8. Tlegant geheſtet. / Thir. 

Unlängf erſchien von derſelben Verfaffertia: 
Astralion. — Erinnerungen an und aus 
Srankreich. — Gräfin Saustine. Zweite Auflage. 
— Der Rechte. — Beisebriete. — Sigismund 
Ä Forster. — Mirich. 


Im Sanuar wird ausgegeben: 


| F. Baucher | 
Metbode der Reittunf 


nach neuem Grundsätzen. u 
Nach der zweiten Auflage des franzoͤſiſchen Originals von 
einem liberzeugten. 
Mit 12 Kupfern. Gr. B. Eiegant geheftet. Circa I Thix. 


Im debruar: 
02 u. RORBERK 
= ' LEHRBUCH 


Nervenkrankheiten des Menschen. - 

I. Band. 2. Abtheilung. Er. 8, 
Da der Druck dieser lang erwarteten Abthäilung Jetzt 
schnell fortschreitet, so kaun zu dem angegebenen Termin 
Erscheinen mit Bestimmthelt versprochen werden. 








— — — — — 





- zu Strasburg,; 


Derch alle Buchhandiengen wad Postämier jet zu: beuiahen : 


Neue Jenaische 
Allgemeine Literatur - Zeitung. 


Im Anoftrage der Universität zu Jena redigirt ven 
Geh. Hofrath Prof Dr. X Hand, 


| wis rschäfts-: 
führer s Geh, Kirchenrath Prof. Dr. L. M O. Baum- 


arten- UOrwsius, Ober- Appellstionsrath Prof. 
r. W. Francke, Gch. Hofrath Prof. Dr. D. ©. 
MKieser, Geh. Hofreih Prof. Dr. «I. V. Fries, 
- als Sperialredactoren. 
Jahrgang 1842. Deoember. 
Inhalt: 


=: Üllstoriae Buthenieae seriptores extarl, 


oollegit et ad veterum edikienum fidem edidit A. de Star- 
esewski. (Nr. 29.) — v. 


ten und Excerpten hergestellt von WW. Giesebrecht. (Nr. 288.) — 
Akbeken 


: Über die tyrrhenischen Pelasger in Etrurien und, 


über die Verbreitung des italischen Münzsystems von Etru- 
rien aus. Von R, . (Nr. 29 u.200.) — Schwenoi: 
F. M. Klinger’s ausgewählte Werke. (Nr. 200, 201, 398 u, 
29.) — Liebe: 1) Entwurf einer Wechselordnung für das 
Königreich Sachsen, In ellerhöchstem Auftrage gefertigt 
von K. Einert. 3) Dr. K. Einert’s Entwurf einer Wechsel- 
orduung für das Königreich Sachsen vom J. 1841. Bau 
theilt und mit-der ungarischen Wechselordaung vom J. 1840 
verglichen von Iga. W’ildner Edler v. Maithsiein. (Nr. 208, 
206, 297 u. WE.) — : 1) Die preussische Hege- 


Ackermann 
monie in Deutschland, hervorgerufen durch die Schriften’ 


von v. Bülow- Cuserow und Heilvung, aus deutschem Ge- 
sichtspunkte besprochen von einem Nichtpreussen Stralenau- 
Ückhowd. 2) Über das Verhältniss Preussens zu Deutsch- 
land mit Rücksicht auf die Schrift des Hra. v. Rülsw- 
Cumerow: Preussen, seine Verfassung u. 8. w. Von K. 
Steinacker, (Nr. M n. 28,) — Lähker: Charakteristik 
des Horaz. Ein Beitrag zur Literaturgeschichte. Von W. 
S. Teufel. (Nr. 0) — . 3 Geschichte der Pfanzung 


und Leitupg der christlichen Kirche dureh die Apostel, als . 


selbständiger ‚Nachtrag zu der allgemeinen Geschichte der 
obristlichen Religion wnü Kirche, Von 4A. Noander, (ir. Hl, 
22, 303 =. 3.) — Schwarz: 1) Predigten, gebalten von 


Fr. 4. Wolf. 23) Dr. Er. A. Welf als Prediger Vrag- 


ment einer Vorlesung von Fritsche. (Nr. a2) — vw. We 
senberg: Schelling und die Oflenbarung. Kritik des 
neuesten Reactionsversuchs gegen die freis Philosophie. 
(Nr. 9) — Martin: 1) Zur Lehre von der künstlichen 
Frähgeburt. Von EZ. K. J. v. Bieheld.. 7) Die künstliche 
Prübgeburt, bewirkt darch den Tampon. Mittheilung eines 
neuen höchst: dnfachen Verfahren. Von J: V. Sehöller. 
(Mr. 307.) — Schooman: Das Handgelenk in mechanischer, 
anatomischer und chirurgischer Beziehung. Dargestellt von 
G. B. Günther. (Nr. 1 oe. 38.) — Droklsch: Neue Mes- 
thode zur Auffindung des reellen Wurzeln höherer nume- 
rischen Gleichengen und zur Ausziehung der dritten und 
der höhern Wurzeln aus bestimmten Zahlen. Zunächst nach 
englischen Quellen bearbeitet ven D. L, C. Schulis v. 
Strasenickt. ( Nr. 3.) — Buckow: 1) Lehrbuch. der St3- 
chiometrie. Ein Leitfaden zur Kenntaiss und Anwendung 
der Lehre von den bestimmten chemischen Proportionen. 
Von H. Buff. 2) Lehrbuch der Stöchiometrie und der all- 
gemeinen theoretischen Chemie. Von C. F. 
(Br. 38 2,20.) — Louckart: Beiträge zur Na 
der wirbellosen Thiere, von C. Th. ». Sieboldt. (Nr. 810 =. 
31.) — Miosen: Moni. Ein Roman von A, von Stern- 
berg. (Nr.212.)—— Der zehnte französische Gelchrtencongress 
: Gelshrts Gesellschaften; Beförderungen und 


: Annales Altabeases, eine 
Quellenschrift zur Geschichte das 11. Jahrh,, aus Fragmen- _ 








Von dieser Zeitschrift erscheinen w ieh obchs 
Nommerz und As wird wöchentlich usd mensslich. au«re- 
geben. Der Jahrgang kostet 12 Thlr. Ank en 
werden mit 1% Ngr. für den Raum einer gespaltenen Zeile 







» suchnet ’ mepägyn ‚tu 
Vergütung von 1 Thlr. 15 . beigelegt. crew "cm 
: Weipmig, im Janugs 159. 5 





- 


In Unterzeichnetem ist soeben erschienen. und an alle 


| Buchhandlungen versandt worden : 


JAHRBUCH- 
1843. | 


Herausgegehen 
von. 
| mit Beiträgen von , 
Bessel, Hansieen, Lehmann, Mädler und Olber:. 
B. Cart. Preis 2 Thir., oder 3 Fi, 24 Kr, 
Inhalt:- 

Astronomische Ephameride für 184% Tafeln, um aus 
der Ephemeride den Aufgang der Sonne für Orte-zwische 
44% und 53° nördlicher Breite zu berpchass: Tafeln zur 
Bestimmang der Höhen vermittels des Berometers von Causs, 
Bessehs Tafelo, en —— aus Barometerbeo- 

ungen zu: aà. '' Tafeln’ zur Verweillung 
Barometerscalen. Tafeln zur. Verwandlung der Thonmerien 
acalen. Tafela zur. Bestimmung der löhen vermittels des 
Barometers, von’ I. Oltmans. Dänische und preussische 
Wusse. Toisen. Pariser Russe. Meter. Englische Pusse. 
Specifische Gewichte. Ausdelmung der Körper durch die 
Wärme. Über den Magnetismus der Erde, von-E. W, Bessel, - 
Über den Erfinder der Fernröhre, von Olbers. "Über Berich- 
Ggung der Thermomdter, yon Hansteen. Über‘ den Gang 
der "Temperatur im Laufe des Jahres, von Mädier. \Über 
Störungen, von Mädler. Über den Menschen und die Ge- 
setze seiner Kntwickelung, ven Dr: Jak. Wilh. Heigr. ‚Leh- 
mann. Beobachtung der totalen Sonnen iss ia 8, Juli 
1842 in Wien, von H. C. Schumacher. . 

ie Erscheinung des Jahrbuches für 1843 ward durch 
‚wnvorhergesehone Umstände verhindert. Be wird künftig 
frühzeitiger als sonst und immer vor dem Anfange des 
Jahres, für das es bestimmt ist, ausgegeben werden. 
Stuttgart und Tübingen, im Januar 1843. 
I. 6. Cotta’scher Verlag. 


Bon B. 8. — 
——— u haus im Leipzig ik bush alle 


Das Biurggrafthum Meikien: 
- Ein histerisch-publicistischer Beitrag 
Le: he 
faͤchſiſchen —** zeige * 
Dr. Crangott Märker. 


MEHR seinem Urtunbendude. 
Sr. 8. Geh— 3 zur. 








Drud und Berlog von J. U. Brodhaus in Seipzig. 


Siterarifher Anzeiger. 





-1843. Nr. IV. 


Oueſer Eiterarifäge Rupie wird ben bei ®. 
Unterhaltung” und 


Brodhaus in Leipzig erfe 
beigelegt oder ebene, und betragen bie Infertionsgel 





den Zeitſe „Blätter für literarifi 
m fir die Aa er deren Raum 2), Po 


Bericht 
über die im Saufe bes Sahres 1842 
SA. Brockhaus in Teipzig 


erfchienenen neuen Werke und Fortſetzungen. 





1. Analckten für Frauenkrankheiten, oder 
Bammlung der vorzöglichsten Abhandlungen, Mono; raphien, 
Preisschriften, Dissertatipnen und Notizen des In- und 
Auslanden über die ’Krankheiten des Weibes und über 

die Zustände der Schwangerschaft und des Wochenbettes. 

. Herausgegebm von einem Vereine praktischer Ärzte. 

dritter Baud (12 Hefte). Gr.8. 1837— 

Fa Heft 20 Ngr. © v 
eienn Kifte bi er Dffisiee: 9:96 ber 
Königl. a Hrmee ehr 1848. 

* @ntworfen nach den Rangliftien und —E r⸗Bochen biaͤt⸗ 
3 von 2a Sberiieutenant a. D. Mansfelbt. @e.S. 

ie. r 

3. ulı runs Gelbfifiudium der Medanid. 

Zus dem en von S · hd wit 
86 Apbilbwngen. Zweite Auflage. @. 


END, nm 


), dor en deutſcen 
Bunbesfinaten. Ci if 
un Le 7 En Ergebniß ae Reifen. Zwei 
re 1848 an bie Mitglicher 


eriht vom ZJapı 
°, 5 * 
ee Seren 
& Karben von dem 


1. Bershsis Er eeamin Rote. Her⸗ 


A—— 


8 Allgemeine Bibliegraphie für Beutsch- | 


land. Eine Übersicht der nenen Literatur Deutschlands, 
mebst Angabe künftig erscheinender Werke und anders 


BE. von am mu 


auf den literarischen Verkehr bezüglichen Mittheil 
und Notizen. Mit Register. Biebenter Jahrgang. 1849. 
0. Musgewätte en Ristiocpe Elafpt: 

egew bee Elaffiter bes 
538 Wie Bograppifg sierarigen Cintetungen. 


a die nur webrbaft 


— — ta tot — unter befondern 


Rn —— een ett e vr 


Zeig Bapcifa),, 
wi # — PIE 


—— e dem Wallenl⸗ 
* —— Dritte Cr 10 U 
I. yigmer (ömbatte), Sein, weite Auflage, Bwei 
ER me —— 
tale —A 3 Mt —— 


AR — 5 
— Peters Eur 


sermehrte und ae Auflage. Bwel 


88 Kr aupte Gimer, Zub dem 


tabhıfaen briigtäiten berfeilenben Kerr. 


3* Nasen. Seästungen, 10 0 
Sieuen in N) ee an 16 — 
10. Blatter für literariſche Unterhaltung. gabepeng 
1842. Nummern nebft Beilagen. @r. 4. 12 chir. 
3 a ten vr, Iienasitae Unterhaltung und der 
1a: 43 
— Karl Een aller EEE —A— die et 


ae a hung —5* — 
i een Mianans —R Gmb a 
1. 8r .n v io (&5.%.), meisheitungen über Sri 
land. Drei Theile. I. Neifeffiggen. II. Bur Bis 
ichte des Befrelunge ringe ‚ mad griechtcher Quelten, 
u. pie auf Me —* — Buftände des Konigreicht. 
ren (er Teen 
zedow kuria van 
Brauuſchweig. Drama in —A $ 8 Kor. 





— — 


v1 


13. Bremer ( zeberide), Sizzen aus vom 
Khtagdlehen. Aus dem Schwediſchen. eURandin Yutı 
gabe in 10 Theilen. Gr. 12, Geh, Jeder J Nur. 
Die einzelnen Theile unter befonbern Titeln: 

I. IE. DBie Nachbarn. Mit einer Vorrede ber Ber: 
fee. Dritte verbefferte Auflage. Zwei Theile. 

II Die Töchter bes Präfidenten. Erzählung einer 
Gouvernante. Dritte verbeflerte Auflage. 

IV. V. Nina. 3weite verbeſſerte Kufloge. Zwei Theile. 

VI. VII. Das Baus, aber Familienſorgen und Fami⸗ 
yuien — Dritte derbeſſerte Auflage. Zwei Theile. 

ie milie 

ix. Kleinere Era lungen. 

Streit und ehe, „ber einige Geenen in 
Trarsegen. weite verbefierte Auflage, 
14, eruns 38); Pe und Manta. Zwei Theile. 
Thir Nor. 
* Lin? dentſchen Edelmanns. Gr. 12. 


Geh 
16. 12. Geh 


The. 
11. Dante ligbierts — Wedichte. Aus 


dem Italieniſchen — und gu gutlär vn 8. Æ. Bau: 
negtießer und K. te, Zweite, vermehrte 
zu er Auflage. mis helle. Er. 12. Geh. 
ie F —5 reits bei mi 


te ertiggteri eben, Aus d talieni & 
rt und erläutert von Das zen — . a PR Set. ; vo Kar. 


is sn emeine EncyBlopäbie der Kuiffenfeaften 
unfte, in alphabetiſcher Folge von genannten Schrift 
Ken bearbeitet, und herausgegeben von J. G. 
und J. G. Bruder. Mit Kupfern und arten. Gr. 
Cart. Pränumerationspreis für ben Theil auf 
Drudpap. 3 Thlr. 25 Nor, auf Belinpap. 5 Thlr., auf 
estrafeinem Velinpap. im größten Quartformat mit breitern 
Kit Ar —— 15 Thlr. 
oR “a Gera egeben von 


a ot PR — 

— — ai ((Penoda--Perse-Rasch.) " 

BP a — fowie a eh 

e zur angung uuvollftänd Ggemplare, 
gewähre ich die Hilligften Wediugn 
19, Srignami (engeis), © kein Wahnfſtun im 
Kerker. Memoiren. _ 12. Geh. 1 Shir. 15 Ngr. 

x. Gervaiso (Ed.), EAſtolf. in dramatifches Ges 
ii in fünf Acten. 8. Sch. OR YY 

al, — —, Politiſche Geſchichte Denia: 
Sands unter der Rı egferung der Kaiſer Heinrich V. 
Lothar III. Zwei Zelle Gr. 8. 184143. 4 Ahle 15 Sur 

N. @ugtow (8), zeetefe aus Yaris. Zwei 
Stelle. Or. 12. nt 

3. Ganbsus für eifende in Briedeniand von 
S. Sb. Meigebauer und SB. Aldenhoven. 
Imei —— Gr. 12. Gart. 4 hie. 


amneng [br Reifen von 25 bei u, 220. BR OR 
eifente 1 ?. gr. 
2 nen it , arbeitete, 
sei und oerbefierte Ka rei Diele, ‘ ta” — 


24. HBeiufins (W.), Augemeines Bäder; — 
Eon, oder alphabetifches Wergeichniß aller von 1708 bis 
Ende 1841 erfchienenen Bücher, welche in Deutfchland un 
tu den burch Sprache und Riteratur damit verwandten ein 
dern gebrudt. worben find, Rebſt Angabe ber Drudorte, der 
Verleger, des Erſcheinungtjahrs, des Jormate, ber Bogen⸗ 
sohl, der Preiſe ıc. Reunter Banb, weicher bie von I 
dia Ende 1841 esfhienenen Bücher und bie Berichtigung 
—— Gefelnungen entpd Fa ‚Derausge eden * 3 * 
Anis rfte Li 


* Gi he 35 el nr . 





rs. elta gr sup ernde 
Re — Druckpapier 10 
Merbarts a: FR. — philosophische 

Schriften Abhand andlungen, nebst dessen 

wissenschaftlichem en Non Herausgegeben von . 

gr Erster und zweiter Band. Gr. 8, 

er. 

Der ee Bei Band, welcher zuglei eine ausführliche Cinleitu 

ver Os Seben und, Säriften miolle. aes Ir, 
* made — Si, 18 Sur; Falk er delt RL womit biefe hr 
Mäübeser (B. A. E. ‚„Bie Lehre von der 
Ansteckung, mit besonderer Beziehung auf die sani- 
tätspoliceiliche Beite derselben. Gr. 8. $ Thlr. 

27. DRS. Ercyklopaͤdiſche Zeitſchrift, vorzüglich für Nature 
geſchichte, vergleichende Anatomie und Phyſ totogie von Dan 
Jahrgang 1842, 12 Hefte, Mit Kupfern. Gr 

dee * 





lichen Eebens in ber proteſtautiſchen Kirde, 


a se und. praktiſche Grörterung. Gr. 8, 

e r 

29, —— i "(Jar ), Meuelies un 
vouftäudigftes Wremdiwöärte Pe sur Grklärung 
aller aus fremden Sprachen entiehnten Wörter und Ausbrüde, 
weiche in ben Künften und Wiffenfchaften, im Sanbel und 
Berkehr vorkommen, nebfi einem Anhange von Eigennamen, 
mit Bezeichnung ber Ausſprache bearbeitet. In zehn Peften. 
RC und zweites Heft. (A—critisch) Gr. 8, 


H 
30. Raune ( Hrn), Reben unb aus dem 
Reben et — JR erweckter Ehriften 
aus ber proteſtantiſchen —— Ausgabe. 
Ari —* r. 8* a 1 Zhlr. 
— — ET ET art 
. Ranuegießer (8. 2.) I), Deutſches ‚Decias 
—8* an ber! en Bweite, mit einem Aus 
ange von deutfcdhen, fran en, engl talienifdjen 
Gedichten vermehrte Ten, es u} Shhr. ien 


Die einzelnen Theile unter befondern Auütein: 
23), — — — — Decla⸗ 


Dent ſches 
matorium für Das erſte Aug — insbeſondere 
füe Elementarſchulen und bie untern Glaffen der B& ——— 
und Gymnafien. Zweite, mit einem Anhange von beuts 
ſchen, — iſchen, engliſchen und italleniſchen Gedichten 
vermehrte Auflage. 8. Geh. 10 
es ODSeela⸗ 


matorium für das mittlere 7 Beustans insbes 
fondere für die höhern Glaffen der Baͤrgerſchulen und bie 
mittlern Glafien der Gpmnaften. Zweite, mit einem Ans 
hange von deutſchen, frangöfifchen, engliidien und italien 
le Gedichten vermehrte Auflage. 8. ch. 15 Re 


—m m, es 
matorium für Das reifere Qugenbalter, iatbeſon⸗ 
here für Br obern Staffen * Gymnafin. 3welte, wi 
einem Anhange von beu , , 

— —XR . Kuna rg 






Nor 
ee Gele tun Det 1. 2 Mer 
er Roenis (8.), ** Eine He — 


a .d. TJ.: 
Bien 0 ar — veien. (riet 


ee ee 


* . "Gin Roman. Bwe Zfeik. 8. 1822. 

Die MBußfaprt. Trauerſpiel in fünf Xufzägen. 8. 1626, 

ur + Gin Roman. Zwei Theile. 5. 1836. 
(Der Beſchleß folgt.) 








— 


% “ 


Im Werlage bee Untergeichnetin iſt forben erfäflennm: - 
Die organifche Chemie 


in ihrer Anwendung auf f 
Vhyfioiogie und Pathologie 
von 


Dr. Justus Liebig. 
Zweite, unperänberte Stuflage. 
Gr. 8. Fein Velinpapier. Geh. Preis 2 Thlr. 


Die organifhe Shemie 
- in. ihrer Anwen uf 
Agrienltur uud rn Ingie - 
von 
Dr. Justus Liebig. 
WBierte Kuflage. Gr. 8, Sein Velinpapier. Geh. 
Preis 2 The. 
- Die vierte, eben die Preffe verlaffende Auflage bes letgtern 
‚ Towie die zweite Auflage des erftern, weile unmit:' 
telbar nad dem Exrfcheinen deffeiben nöthigmwurbe, 
mögen das volle Intereffe bethätigen, welches‘ die Wiſfenſchaft 
an ben für den Ehemiler, Arzt und Agronomen fo unendlich 
wichtigen Gorfchungen bes berühmten Berfaffers nimmt. 


Anleitung 


qualitativen chemischen Analyse. 


ür Anfänger bearbeitet von 
Dr. €. Bemigins Freſenins, 
Assistent am chemischen Laboratorium der Ludwigs - Universität 
zu Giessen, 
Mit einem Vorworte von Dr, Justus Liebig. 
Zweite vermehste und verbesserte Auflage, 
Gr. 8. Mit in den Text gedruckten Holz- 
schnitten. Geb. Preis 1'% Thir. 
As vollgäftige Empfehlung diefes Werkes dürfen wir bie 
bes Deren Profeffor Liebig anführen, in welcher er 
- bie Methode des Herrn Berfaflers, der im gteßener Univerfitäts: 
Eaboratorium ben Unterricht ber Anfänger in der Wineral:Analyfe 
Allen empfiehlt, weiche fidh in den Anfangsgrünben bers 
felden unterrichten wollen, und bas Bud) als befonders geeignet 
den Gebraudy in Lehranſtalten und namentlidh für 
Apotheker bezeichnet. 
Diefe zweite fehr bermebrte und verbefierte Auflage tft 
nach Iabresfrift nöthig geworben. 
Beaunfiweig, im December 1842. 


Friedr. Vieweg & Cohn, 


In age iſt foeben erſchienen und in allen Buchs 
I at oꝰs , 
Mnterredungen über die Gesetze 
fi . vos . 

3. ©. Schulthess. 


Bweite Auflage, neu bearbeitet von 


fogung obigen Platoniſchen Werkes if. Der Herr Herausgeber 
diefer neuen Ausgabe empfiehlt daſſelbe mit Recht auch alle 
gemeinern RLefekreifen mit folgenden Worten: „ Vielleicht 
bat es gerade in unferer Zeit, bie fid) im Schaffen und Erwaͤgen 
unſerer Berfaſſungen bewegt, ein allgemeineres Intereſſe, 
den Verſuch einer ſolchen Berfaffung aus ber Hand bes geifts 
reihen Philofopben bes Alterthums zu betrachten, 
zumal er bier, wie nirgend fonft, bas Praktiſche zu feinem 
Augenmerk gemacht bat.“ 
Richt nur Geſetzgeber, Kaͤthe und Richter, ſondern auch 
febet Gebildete überhaupt wird in diefem Serte eines ber erften 
Philofophen und Republilaner bes Alterthums einen 
Schatz von Weisheit finden. 
Meyer & Zeller in Zuͤrich. 


Soeben ift erfchlenen und durch alle Buchhandlungen von 
uns zu bezichen: 


Ä Discours Ä 
prononcksdanslesChambreslögislatives 


par 
ML le Baron Pasquier, 
Chancellier de France. 
1814 — 1836. 
4 vols. In-8. Paris, 1842. Preis 30 Fr. 
Paris, im Januar 1843. 
Brockhaus & Avenarins, 
Buchhandlung für deutsche und ausländische Literatur, 


Gesänge für eine Singstimme mit Piano, 


weiche in den Ießten Goncerten mit allgemeinem Beifall aufges 

nommen worden find: 

Donizetti, Sopran-Arien No, 11, und Gebet aus La Fa- 
vorita, ä 10 Ser. n (D 7 

Burghersh, Romanze aus Il torneo as Turnier) ' 71%, Ser. 
Irsc ; Der Neapolitaner. Holdhilde. or 5. 

15 Ser. 


Eckert, O sanctissima (Perle zu Lindahaide) 12%, Sgr. 
Halövy A: Ban - Cavatino No. 9, aus der Königin von Cy- 
pen, Br. 
Kullak, Os sguardo di nera pupilla 5 Ser. 
Frühlingswanderschaft, Vöglein mein Bote, Herein, 
Wiegenlied, Flieg Vöglein, Tscherkessenlied, à 10-20 Ser. 
, Suleika, Rachel, Le ricordanze, à 5-10 Ser. 
Loewe, Mein Herz, ich will dich fragen, ®te Auflage, 
10 Sgr., mit Guitarre 5 Sgr. Mohammed % Ber: 
„ Du sichst mich en und kennst mich nicht Ser. . 
Truhn, Der Hidalgo, Der Zigeunerknabe, Der Korb, a 10 Ser. 
B 


Schlesinger'sche Buch- und Masikhändlung. 















Bi J. E. Schaub in Düffeldorf if foeben 
nen unb 2 Fe tet ha zu haben : erſchie⸗ 


Deuntſches Sefebuch 
fuͤr die obere Claſſe der Volksſchulen 


J und die 
untern Glaſſender hoͤhern Lehranſtalten, 


A herausgegeben 
Profeſſer am Opmmellum tn Bärkg, | un 
Bwei Ihelle 3.7. Weus, 5. Sobick und 6. M. Print; 

Ledrer in Kheidt. 


8. Breſch. Preis 1 Zhfe, 29% Mar. (1 Ep. 18 48), 
ober 3 Fl. 


Bir erlauben uns B 
—— 


20 Bogen in 8. Auf weißem Papier. Preis nur 10 Ser. 
Die Berfafier ebuchs es fich. zur X 
a ee a ea Sohn 3 Ah a af 


vom. --.. | | - 


* 


unfern beſten Rationelfigeiftefieen den bödern —— in .. ſchonſten Erzählungen, Ric, ‚yazabein, & ratter 
gi fördern. Es wird dem Sachkenner beim erſten Sic Ben und 
auf den fo reichen Inhalt in der Marften und ſtrengſt logiſchen —2 ichte, fowie and) bie been, 34 und Gemüth 
Anorbnmg einteuchten, wie vortrefflich diefe Aufgabe geiöft IR. nb anfprechenden Eräftigenden Poefien unferer 
Bir machen babe ak —* der —— — 2 * —— | ne Sana * Bo Mi Drud auf fehr 

Glaffen der hoͤhern nflalten au ebuch a am, e nichts zu wär 

dae jr intereffanteſten WRomente aus Menſchenleben und Ratur — ' “ = 





ertionem aller Art werben in nachſtehende im Verlage von A. B 6 in Leipai 
—æ— —*8 und Anzeigeblaͤtter aufgenommen : ® rockhaus in Leipris fi 


» Eeipziger Allgemeine Zeitung. 

Bon derſelben erſcheint taͤglich, mit Einſchluß der Sonn: und Feſttage, 1 Bogen nebſt Beilage. 

Die Infertionsgebühren betragen fhr bie bdreifpaltige Zeile oder deren Raum 2 Mer. Beſondere Beilagen, 
Anjeigen u. dgl. werden der Leipziger Allgemeinen Zeitung nicht beigelegt. , 


2) . Biterarifher Wngsiger. 

Derfelb nt in der R I wöchentli einmal und wird mit den Lieferungen ‚ber Blaͤtter 

al Unterhaltung forte auch mit den Monatsheften ber 6 von Dfen ausgegeben. für lue 

Für die gefpaltene Petitzeile ober deren Raum werden an Infertionsgebühren 2% gr. berechnet, und befonbere 
Anzeigen gegen eine Vergütung von 3 Thalern den Blaͤttern für literarifche Unterhaltung der Ss 
aber gegen eine Gebühr von 1 Thlr. 15 Ngr. beigelegt ober beigeheftet. 


3) Bibliographischer Anzeiger. 


Wird, mit dem Meipziger Repertorium fürs beutfche und auslänbifche Literatur von 
Dorf ausgegeben und Inſerate in bemfelben werben für bie Petitzeite oder deren Raum mit 3 Mer, 
befondere Anzeigen u. dal. mit 1 Thlr. 15 Ngr. berechnet. - 


4) Neue Jenaische Allgemeine Literaturzeitung. 








Die Zeitung erfcheine woͤchentlich und werden Anzeigen für ben Reum einer geſpaltenen Zeile mit 1 7 Agr., 


beſondere Beilagen, Antikritiken u. dgl. mit 1. Thlr. 15 Ngr. berechnet. 


>) Pfennig - Magazin. 
Bom Drennig Magazin erfcheint Fa eine Nummer von 1 Wogen. 
Antiindigungen werben gegen 5 Ngr. Sufertionsgebühren für bie gefpaltene Belle oder beren Raum in ben 

Spalten des Blattes abgebrudt, befondere Anzeigen gegen eine Vergütung von Y% Thlr. für das Taufend beigelegt. 


6 Kandwirthschaftlich he Borfzeitung. 
Diefelbe erſcheint wöchentlich einmal nebft, einem damit verbundenen Unterhaltungsblatt für Stadt 


Antlndigungen werden bie gefpaltene Zeile ober deren Raum mit 2 Ngr. beredynet, befondere Beilagen dere 
felben gegen eine Gebühr von ı Thlr. für das Tauſend beigelegt. 


u) Conversations- Lexikon. Neunte Auflage. 


Auf den Umſchlaͤgen der einzelnen Hefte werden Anzeigen u. dgl. abgedrudt, und fie: jedes Tauſend Eremplare 
A Nor. für ben Raum einer Zeile berechnet. Sollte indeß bie Auflage ſtaͤrker als 20,000 fein, fo werben im 
feinem Kalle“ die Safertiondgeblihren mebr als AO Mär. fuͤr die Zeile betragen. 


Vou dem im Verlag von Brockhaus & Anenarins in Leipzig efeinmden 
| Echo de la littörakure frangaise 


wird woͤchentlich eine Nummer ausgegeben. Ankundigungen in demſelben werden für die Zelle oder deren Raum mit 
1 Ngr. berechnet, befondere Anzeigen u. dgl. gegen eine Verglitung von J Thfe. beigelegt. 
 Dru@ und Berlog von F. %. Brodbans in Leipzig. 


— 








i 





z 





I, [4 
‘ 


Zweites Büchergesuch. 





— — 


Nachstehende Bücher der Literatur der Reisen, Geographie, Geschichte und Naturgeschichte, grösstentheils über ausser- 
epropäische Länder handelnd, bin ich beauftragt zu kaufen. loch bemerke hier noch besonders, dags ich. alle Ausgaben der verzeichneten 
Bücher, sowie alle bis 1600 aus jenen Fächern der Lit-ratur erschienenen Bücher kaufe, sollten dieselben auch nicht in diesem Büchergesuche 


verzeichnet sein. Viele dieser Schriften fassen aur wenige Blätter und bitte ich hierauf besonders Rücksicht zu nehmen. 


chern suche ich im Allgemeinen :' 


Ausser diesen Bü- 


1) Griechische and lateinische Kirchenväter, dech die griechischen nicht, wenn nur in lateinischer‘Uebersetzung. Alle Schriften 
der Jesuiten, Reformatoren etc. in lateinischer Sprache. J 
2) Manuscripte mit Malereien, Codices der griechischen und römisohen Autoren etc. 
. 3) Altdeutsche Gedichte, Volksbücher, Volkslieder, Curiositäfen, z. B. von Fischart, Murner, Brandt etc. 
4) Altitalienische, französische, spanische und altenglische Gedichte, Schauspiele, Chroniken eto. z.B. Dante, Roman de la rase, 


Romancexo, Chaucer etc, .' \ 
5) Bücher mit Holzschnitten von Holbein, Dürer etc. 


6 
7 
8 


‘ Hulsius etc. 


Alle bis 1470 gedruckte Bücher, doch auch spätere, bis 1500, 
Alle bis 1700 in Palen und Russland oder über diese Länder erschienenen Bücher. 
Alle Reisen, welche bis 1580 erschienen oder Sammlungen solcher Reisen z. B. Columbus, Vespucius, Marco Polo, De Bry, 


besonders in Italien gedruckte Ausgaben der Classiker. 


9) "Sammlangen'von Kupferstichen, Zeichnungen, Holzschnitten, Radirungen etc. 


10) Handschriften berühmter Männer. ° 


. 


. C=Z> Auch kaufe ich ganze Bibliotheken zu den höchsten Preisen und bin gerne hereit, den Besitzern der von ınir gesuchten 
Bücher, wenn sie es vorziehen sollten, nach eigner Wall neue und die neuesten Bücher dagegen ‚zu liefern, 





Abbeville histoire de la mission des Peres Capucins en Tisle de Ma- 
ragnan. Par. 614. 8, | 

Acosta Iistoria rer. a Soc. Jesa in oriente gestarum. Par. 674. 8. 

. historia natural de las Indias. Sevilla 500. 4. Alle Ausgaben 
latein. engl. Ä 

Acuna nuevo descubrimiento del gran rio de las Amazonas. Madr. 


Adamannie de sita terrae sanctae libb. tres. Ingolst. 819, 4. 

Alcedo Diecianario geograph. hist. 5 Voll. et Atlas. Madr. 786. 4. 
. Alfonce Saintongeois, les voyages avantırenx. Alle Ausgaben. 
Alvarez verdadera informaco da Preste Joam das Indias, Alle Aus- 


gaben. 


- _ „historiale description de l’Ethiopie. Alle Ausgaben, 
Amati historia del regno di Voxu del Giapone. Roma 815. 4. Alle 
Ausgaben. 
America, Of the newe landes and of the people founde by the mes- 
sengera of tie kynge of Portyngale named Kmannel: Alle Ausga- 
en. D ı \ 
Anglerli martyr. mediol. Opera. Hispal. 511. Madr. 516. Alle Aus- 
gaben. 
de orbe nov. decades Ill. ‘Alle Ausgaben latein. engl. eto. 
. decades octo. Alle Ausgaben. 
opus epistolarum. Complat. 530. Alle Ausgaben. 
p de nuper sub Carol. repert. insulis. Basil.’ 521. 
gaben. Ze 
Annales Indigues. Anvers 500. 8. 2 
Argote de Molina historia del Grand Tamorkın e itinerarie, Sevilla 
582. Fol, Alle Ausgaben. ' 


— 
nm — HU CE 
w.. 


Alle‘ Aus- 


T. O. Weigel, 
Buchhändler in Leipzig. 


Arthas hist. Indiae orient. Colon. Agr. 608. 12. 
Balbi viaggio dell’ Indie orientali. Venet. 590. 8. Alle Ausgaben. 
Barlaeus Novus orbis descriptio. Amstel. 628. Fol. 
Barros y Couto Decadas da Asia. 12 Voll. -Lisbos, Madrid, P 
552 736. Fol. ‚Alle Ausgaben und einzelne Bände, 
Bartema Itinerario nello Egypto. Rom. 510. 4. Alle Ausgaben i 
latein, span. deutsch etc. | 
j Baumgarten peregrinatio in Aegyptum. Norimb. 594, 4. Alle A 
gaben. ' , ‘ 
Benzoni la historja @el mondo nuovo, Alle Ausgaben. . 
Bergeron voyages faits princip. en Asie dans les XIl.—XV. sie 
"2 Voll, & la Haye 138. 4. 
Berlinghieri Geographia. Alle Ausgaben. 
- Beroa litterae annuae provinc. Paraquariae Soc. 
Alle Ausgaben. 
Blefkenius islandia. Lugd. Bat. 607. 16. ‚ 
(Breydenbach) Die Fahrt oder Reyaz über Mere. Mainz 486. 
Alte Ausgaben. u | | 
Breydenbach peregrinatio. Mogunt. 486. Fol. Alle Ausgaben la 
deutsch, französ. etc. 
Breuning orientalische Reyss. Strassb. 802. Fol Alle Ausgaben. 
Broniovii Tartariae descriptio. Colon. 595. 8. 
Brussius de Tartaris diarium. Francof. 598. Fol. Alle Ausga 
“ Burgo viaggio de cinque anni in Asia etc. 3 Voll. Milan. 12. 
Ausgaben. \ 
Caoursin, G. obsidionis Rhodii urbis descriptio. Alle Ausgaben. . 
Caoursini Opera ad hist, Rhodior. spectantia. Ulm. 496 Fol. 
Ausgaben latein. deutsch, etc. 
Capodilista Itinerario de la Terra Santa. Alle Ausgaben. 












Jesu. Insul, 642. 


vr T . — — 


Caraonnei complementum Fortunatarum insularum. Lond. 662. 8. 
Cartier brief recit de la navigation faite &s isles de Canada. Par. 
545. 


8. 

Carvajal oratio super praest. solenni obedientia Alexandro Papae VI. 
ex parte’Fernandi et Helisabe Hispan. Reg. Rom. 483 habita. S. 
let a 

Carve Itinerarium Pars I. Mogunt 639. Pars II. ibid. 641. Pars III. 

38 


Spirae 646. 38. 
— —  Editio tert. Pars I. et II. Mogunt. 640 41. Pars III. 
Spirhe 646. 18. | ’ 
—  Reysbächlein. Mainz 640. 2r Theil Mainz 642. 18. 
» Auch einzelne Theile der latein. u. deutschen Ausgabe. 
Casas Warbafftiger und gründlicher Bericht der Hispanier grewlichen 
und abschewlichen Tyrannen etc. Alle Ausgaben. 4. 


— relacion de la destruycion de las Indias. Sevilla 552. Alle 
Ausgaben. : 
— narratio region. Indic. per Hispan. quosd. devastarım. Fran- 
cof. 598. 4. Alle Ausgaben latein. französ. englisch etc, 

Castaneda historia del conquista de la India. Anvers 554. 8. Alle 
Ausgaben span. französ. etc. \ , 

Cauazzi da Montecucolo istor. descriz. de tre regni Congo, Matamba 
et Angola. Bologna 687. Fol. Alle Ausgaben franz. deutsch etc. 

Centeno historia de cosas del oriente. Cordova 585. 4. ’ 

Cevallos viage del mundo. Madrid 614. 4. Auch andere Ausgaben. 

— tratado de los reynos de la China etc. Iaen 628; 4. Alle 

Ausgaben, ' 

Challeux discnurs de l'histoire de la Floride. Dieppe 566. 12. 

Chirino relacion de las jalas Fili inas. Roma „0 te 

Churchyarde a prayse of Forboishers voyage. Lon A 

Cieca de/Leon pfimera parte de la chronica del Peru. Serilla 553. 
Fol. Anvers 554. 16. - u 
— Chronica del Peru, historia delle nuove Indie, historia di F. 
Cortez. 3 Voll. Venet. 570, he 1.4 

Cignano quattro navigationi. Bologn. .4. 

Civitates Tebis terrarunn G. Bruin, S. Novellani etc. Colon, 372. 
Fol. - 
Columbus. Hpistola Christofori Colom. de insnlis Indie. Rom 493. 

4. 3 Blätter mit 40 Zeilen auf der Seite. 
8.1, e. a. 4. 4 Blätter mit 84 Zeilen auf der Seite, 
S. l. e. a. 4. 4 Blätter mit $S3 Zeilen aaf der Seite. 
Basileae, B. de Olpe, 494. 4. 
S. I. e. a. 8. " 8 Blätter, " 
Ein schön hübsch lesen vonetlichen insslen etc. Stras 
hurg 497. 4. 8 Blätter. . 
spanisch. Dieses Original muss 1498 in' Spanien er- 
schienen sein und fasst sicher auch nur wenige Blätter. 
6æ Auch suche ich den andern Brief des Columbus, datirt Ja- 
maica 1503, in allen Sprachen. 
Constantinus insulae Materiae historia. Rom. 599. 4. 
Contarini viazo al Uxuncasam Re di Persia. Venez. 467. 4, 
Firenze 516. 4. 6Blät- 


itinerario. Yinezia 524, 
Corsali lettera allo Duca Juliano de Medici. 

/ 

— allo Principe Laurentio de Medici. 8. e. a. B. 
Dotovici itinerarium Hierosol, et Syriacum. Antverp. 619. 4, 


ter. 


Dortes carta de relacion. Sevilla 522. Fol. Caragoca 523. Fol. 
— carta tercera de relation. Sevilla 523. Fol. 
— 1a guarta relacion. Toledo. 525. Fol. x 
— _nove de le isole et terra firma. Mediol. 522. 4 


la preclara narratione della nuova Hispegna. Venet! N. da 
bio. iss, Venet. B. de Viano, 524. 4. 
de nova maris oceani Hyspania narratio. Norimb. 524. Fol. 
tertia narratio. Norimb. 924. Fol. 
.narratio de insulis nuper inventis. Cclon. 532. Fol. _. 
zweiter Brief deutsch, O. O. u. J. Fol, 
‘ Von dem Newen Hilpanien. Augsburg 550. Fol. 
voyages. Par. 588. 8. 3* 
the pleasant historie of the conquest of the West India. Lond. 
Lond. 585. 4. 


Narratio Regionum Indicarım. per Hispanos quosdam deva- 


WERT: 








3 


statarum. Francof. 698. 

CZ Auch.alle anderen Ausgaben in allen Sprachen. 

Bry Collectiones peregrinatienum in Indiam occidentulem. 13 Par- 
tes. Francof. 590-634. Fol. Uınfasst: 

Pars I. Admiranda narratio — de commodis Virginiae. Fran- 
cof. 500. 600 und 620. . , . 
Pars 2. Brevis narratio eoram quae in Florida—Gallis accide- 

runt etc, Francof. 501. 


Epistolae Indicae, 


Pan sau. Americae pars tertia — America pars XI. Francof- 
Pars 12. Novi orbis pars duodecima. Francof. 624. 
Pars 13. Decima tertia pars historiae Americanae. Franoof. 


De Bry Dieselbe Sammlung deutsch uuter den Titeln: 
Theil 1. . Wunderbarliche, doch Warhafftige Erklärung, von der 
Gelegenheit der Sitten der Wilden in Virginia. Frankfort 590. 
Theil 3, Der ander Theyl, der newlich erfundenen Landtschafft 


Americae, Frankfort 501. 
Theil 553 Das dritte — fünffte Buch Americae. Frankfurt 
Theil 6-11. Das sechste — Eylifter Theil Americas. Frank- 
furt 619-—-20. 


- Theil 12. Zwölfter Theil der Newen Welt. Frankfurt 623. 
„ Theil 13-14. Dreyzehender und Vierzehender Theil Americani- 
: schen. Historien. Frankfurt 827 und 630. 
De Bry Collectiones peregrinationum in Indiam orientalem. 12 Par- 
tes. Francof. 598 —628, Fol. - 
Pars 1. Regnum Congo, hoc est vera descriptio regni Africasi 
vetc. Francof. 598, 
Pars 2—11. Secunda — undecima pars Indiae orientalis. Fran- 
cof. et Oppenh. 590-628, 
Francof. 628. 


Tomus 12 historiarum orientalis Indiae. 
Peregrinationes in Indiam orientalem: 
Pars 1. Vera descriptio regni Africani. Francof. 624. 
Pars 2. c. Paludani annotationibus. Francof. 628. 
Pars 3. fid. stud. et op. de german. in latin. translata B. Sto- 
baes. Francof, 628, 
Dieselbe Sammlung dentsch unter dem Titel; 
Theil 1. Warhafftige und Eigentliche Beschreibung desz König- 
reichs Congo in Africa etc. Frankfurt 597. 
Theil 2—13. Ander Theil — der dreyzehende Theil der Orien- 
talischen Indien. Frankfurt 597—628. 
6» "Ich suche von diesen Sammlungen nicht allein complete 
Exemplare sondern auch einzelne Theile und Separatausgaben der 
occident. und orient. Reisen, welche in Oppenheim, Frankfurt; Am- 


‚sterdam etc. gedruckt wurden; überhaupt Alles, wasBezug auf diese 
Sammlungen hat, nd 
Lond. 


Deibe de life and strange adventures of Robinson Crusoe. 
Den rechten Weg aus zu fahren von Lisbona gen Kallakuth. Alle 
Ausgaben. 
De trium Regum Japoniorum legatis. Lovan. 585. 4. Alle Ausga- 
n. . 
Diarium Nauticum. itiner. Batav. in Indiam orient. Par. 588. 4. 
Drake Expositio in Inrlias occidentales. Leydae 585. 4. 
a suminarie and true discourse of Sır F. Drakes West Indian 
Voyage., Lond. 589. 4. 
Relation, oder Beschreibung der Reiss und Schiffahrt aus 
Engeilandt, O. O. 588. Fol. 
Ephemeris exped. Noreysii et Drake in Lusit. Lond. 568. 4. 
Narrationes duae etc. Norimb. 590. 
brevis et iida narratio etc, Francof. 590. 4. 
voyage aux Indes occid. Leyde 588. 4. “ 
Dudleo dell’ Arcano del Mare. 6 Ptes. Firenze 646--47. Fol. 

Du Nort description du penible voyage fait entour du l’Univers. Am- 
sterd. 610. Fol. j 
Eden history of Trauayle in the West and Kast Indies. Lond. 577. 4. 
Emanuel, Obedientia potent. Emanuelis Lusit. Kegis etc. p. Dieg. 

Pacettun. orat. ad lulium Il. S, I. 505. 4 


— (esta proxime per Portugalenses in India etc. Rom. 506. 
Nurenberg. 507. 4 ° 


episola ad Iulium Pap. II. de viotoria contra infideles. 5. 1. 
4 Blätter. S. L e. a, 3 Blätter. 
epistola de prouinciis etc. orientalis partis. 508. 4. 
epistola de Ie uitorie haute in india et Malacha etc. Senza 
nota. 2 Blätter. 4, 

— — lateinisch. Rom. 6 Blätter. Viennae, Argentorati, Er- 
phordiae etc. _“ 

Ich suche alle Ausgaben in verschiedenen Sprachen dieser 
stets wenige Blätter nur fassender Briefe, 
Enciso Suma de geographia. Sevilla 519. ibid, 530, ib. 546. Fol. 
Ens Indiae occid. historia. Colon. 612. 8. 

— Magnae Britanniae deliciae. Colon. 613. 8. 

Epistolae Japanicae. 2 Partes. Lovan. 5868, 12. ib. 570. 8. Alle Aus- 
ben latein. französ. ital. etc. 

Dilingae 563. 8. 

Lovan. 566. 8. 


nun 


Kpistolae Inditae et Japanicae. Lovan. 570. 8. 
Rpist, Rhodior ad Frederic. de Rhodiae obsidione. Alle Ausgaben. 
Kequemeling Piratas de las America. Colon. Agr. 681. 4. 

Brondelle Nova F'rancia or ‚the description of New France. Lond. 


—* discurso de la navigncien, Sevilla. 577. 8. 

Fabri · Beschreibung der hin vnnd wider farth zu dem Heyligen Landt. 
0, 0.57. 4. 

Fareweil An Kast-India Colation. Lond. 633. 16. 

Federici. Viaggio nel India Orientale. Venez. 587. 8. 

the voyage and trauaile. Lond. 588. 4 

Federman Rais so er in Indins gethan. Hagenau 557. 4, 

Fernandez. prim. y sec. parte de la historia de Peru. Sevilla 571. 
Fol, 

Feyerabend Reyssbuch des heyligen Lands. Franckfort 584. Fol, 

Fiorid.. 603. Fol, " 

?orbisser (Frobisher) discourse of the late voyages of discouerie. 
Lond. 578. 4. 

la navigation &s region de West et Nordwest, 578. 8. 

de navigatione in regione oocid. Norimb. 580. 8 Hamb. 


‚675. 4 
rancesco da Bologna lettera dal India. Bologn. ®. a. 4. 

ridrich. Ein warhaftige Historie von dem Kayser Fridrich mit ei- 
nem langen rothen Bart. Alle Ausgaben. 

hrer itinerariom Aegypti, ahrabiae etc. Norimb. 620, 4 4.. 

aby relation de la Nigritie. Par. 889, 12. 

arcilasso la Florida del Ynca. Lisbon. 604-5, 4. 

Fol. 
sorgieuich Opera nor. que comprende quattro libretti. Rom. 555. 
8. 

waldini itinerarium. Rom. 631. 8. 


sta proxim. p. Portugall in India etc, Alle Aus 


usgabe | 
intele Tvoyage in: den landen van Slauonien etc. " Ghendt 557. 
Sa 


663. 4. Ghendt 572. 4. 
Ibert discourse of a discouerie for a new Passage to Cataia. Lond. 


6. 4 
bus mundi. Argent. J. Graninger (1509) 4. 


detroy de Bouillon les passages de. oultremer. Par. we 8. Alle 


kusgaben. 
dinho Relacao de novo Caminho, Lisboa 865. 4. 
tfrid. Hertzog Gotfrid Wie er wider die Turgen gestritten. Augsb. 


ylforde Pylgrymage towardes Iherusalem. - Lond. 511. 4. 
kluyt notable historie containing foure voyages etc. Lond. 587. 
7 Jivers voyages touching the discouerie of America. Lond. 
— the 
80. 3 Vol 
the discoveries of the World. Lond. 601. 4. 
iod briefe and true report of the newfoundland of Virginie. Lon- 
en 588, 4. 
— zmeryveilleux et estrange rapport tontesfois fidele, des commo- 
itez qui se trouve en Virginia. Francof. Wechel, 990. Fol, 
briefe and true report of the Newfoundland ‚of Virginia, Fran- 
f. Wechel, 590. Fol. 
— admiranta narratio, de commodis et incolarum ritibus Virgi- 
ae. Franchf. . Fol. - | 
wanderbarliche, doch warhafftige Erklärung, von der Gelegen- 
it, und Sitten der Wilden in’ Virginia. Frunkfort 590. Fol. 
tznez. ltinerarium Germaniae etc. Norinb. 612. Bresi. 617. No- 
a 
| Jtänerarium ad Ihrim. S. I. e. a. 4. Daventr. 504. 4. Alle Aus- 
n. 

Itinerarius ad Hierusalem. S. 1. e. a. 
m discovery on the Coast of Florida. Lond. 664. 
stoire de la Terre-Neuve du P£rou. Par. 545. 12. 
sire du Pays nomme Spitsberghe. Amsterd, 613. 4. 
sire gener. des Indes occid. Par. 969. 8. 
>rie von der Kreuzfahrt. Augsb. 482. Alle Ausgaben. 
sria Anfipodum,. Newe Welt und Americanische Historien. Frank- 
re 631. Fo 
von descriptio geogr. detectionis Freti. Amstel. 612. ib. 613. 4. 
tus 26 Schifffahrten nach Ost und Westindien sowie nach den 
wdiändern vom Jahre 1598 —1650. Nürnberg, Frankfurt, Oppen- 
mm und Hanau, 598-6883. 
=> Ich suclie nicht allein complete Exemplare sondern auch ein- 
ne Schifffahrten. / 


“ 
1 


Lond. 598—600 


- Origen de las Yncas. 2 Voll. Lisbon. e. Cordov. 600 - 17. 


‚ ltinerarii in Tartaria. 


N 


prindipal navigstions etc. of the Englisch Nation. Lond.“ 
. Fol 


The last Kast Indian voyage. Lond. 606. 4. 

West-Indische Spieghel. Amstelred. 624. 4. 

ineg. 537. 8. 

Jaınes gie nge and dangerous voyage, Lond. 633. 4. | 
Iarric Histoire des chöses plans memorables advenues tant ez Indes 
Orientaltes etc. 3 Voll. Bourdeaus. 610--14. 4. Arras 6ll. 8. 
— ‚Thesaerus rerum Indicarum. 3 Voll. Col. Agr. 615. 8. 
Toannis Presbiteri epistola de ritu et moribus Indorum. Alle Aus- 

gaben. 

Korb Diärium itineris in Mosteviam. Vienn. Austr. 700, Fol, 

Laudonniere histoire de la Bloride. Par. 586. 8. 

Lederer discoveries. Lond. 872. 4. 

Leuppold. _Hie hebt sich an ein schön und curtzweilige Histori ze- 
lesen von Herozog Leuppold und seinem Sun Wilhalm von Oester- 
reich. Augsb. 481. Fol. Alle Ausgaben. 

Linschoten discourse of VYoyages. Lond. 598. 

navigatio. Hag. Com. 599. Fol. Alle Ausgaben lat. fran- 


Indien. 
Inga. 


zös. etc. 
Lopez relatione di Congo. Rom. 580. 4. Alle Ausgaben span. engl. 
eto. 
Magalhanes historia da Provincia sancta Cruz. Lisbon. 576. 4. 
Magni viaggi in Turchia. Parına 679. 12, 
Mandeville. Ce liure est appele mandeville. 480. Fol. Alle Ausga- 


ben. 
— Itinerarius. Alle Ausgaben, 
— Itinerario. Alle Ausgaben. 
_ Das bucfi des Ritters von Montevilla. Augsburg 400. 
Fol. Alle Ausgaben. 
= Ich suche alle Ausgaben in verschiedenen Sprachen. 
Maunderille tbe boke of wayes to lerusalem. Alle Ausgaben. 
Manutius Transsilvaniae descriptio. Rom. 596. 4. 


Marcho Polo. Hie hebt sich an das Puch des edeln Ritters vn landt- 
farers Marcho polo. Nürnberg 477. 
— de consnetudinibus et condit, —8 regionum. Ss. Le... 4 
— de le maravegliose cose del Mondo. Venet. 406. 8. 
220. de la las oosas maravillosas en las partes orientales. Logrono 
ol. 
EZ» Alle Ausgaben deutsch, lat. ital. span. französ, engl. etc, 
Marmol deseripcion de Africa, 3 Parte. Granada et Malaga 573—79. 
l 


Maximilient Transylv. epistola de Hispan. in Orient. navigatione, 
Rom. 
epistola de Moluceis insulis. Colon. 523. 8. 
Alle franz. engl. ital, span. deutsche, latein. etc. Ausgaben, . 
Matelief Reyse der Holländer etc. in OstIndien. Frankf. 608. 4. 
(Hulsius Reisen 10r Theil) Auch all® anderen Ausgaben. 
Meyerberg Iter in Moscoviam. 'S. l.e. a. Fol. 
Miechow tractatus de duobus Sarmatiis. Cracor. 517. 4 August, 
Vind. 518 und andere Ausgaben, 
I Mondo Nouvq. Vicent. 507. 
Morgeners, des edeln Ritters, Walfart ; in 8, Thomas Land. 


Müller commentatio de Sinarum rebus. 4. 
— nomendator geogr. imper. Sinensis. 4 | 
— Abdallae Bidavaei hist. Sinensis. 4. ' 
— Basilicon Sinense, 4. 
— disquis, geogr. et hist, de Chataia. Berol. 671. 4. ' 
Munster treatyse of the newe India. Lond, 553. 8. 
Narrationes rer. Indicarum. Lovan. 589. 8. 
Nayareto tratados de la monarchia de China. 2 Voll. Madr. 676-670. 


Fol 

Newe (die) Welt der Landschaften und Insulen etc. Srassb. 534. Fol. 
Nicdlai navigationi nella Turchia. Anversa 676. 4. 

navigations. Lond. 
la navigation. Par. 588, 
Nodal relacion de Viage 
Novus orbis, i. e. navigationes 
Nm orbis regionnm ac insul, 


Nürab, 


rim. in Americam. Rotter. 616. 8. 
Basil. 541. Par. 632. Basil, 534.- 
Fol. 


Nunez la relacion de.lo acaesgido a las Indias. Väalladol. 555. 4. 
Obsidionis urbis Rhodii descriptio. Alle Ausgaben latein. ital. etc. 
Olavii enarrationes hist. de Islandiae natura. Hafn. 749. 12. 
Olivier da Nord description du pe enible voyagı. Amstel. 602, : Fol. 
Ona primera parte de Arauco. Reyes 596. 4. a 
‚Orientalische Indien. 12 Theile. Frankft. 628. Fol. 
Oviedo de la natural hystoria de las Indias. Toledo 526. Sevilla 
535. Franz. Par. 536. Fol. 
Oriedo hist. gener. de las Indias. Salam. 547. Fol. 


Oviedo libro xx de la segund. part. de la gener. hist. de las Indis$ 


Valud. 557. Fol. 
Palafox y Mendoza Virtudes del Indio. S. L. e. a. 4. 


Passaeus eſſi igies Regum ac Princip. eo seil. quo. vis. ac potentia - 


in re nautica s. Marina praecet, spectab, est. 
Passages (les) de otltre mer du neble Godefroy de baitlon. a. d. 4. 
Peckham a trae reporte of the late diseoneries. Lond. 589. 4- 
ei opera, Legatio Babyl. Ocsani decys etc, Hispali 511. 


536 * ſoboe ocennicis et d6 novo orbe deoades. Basil. 538. Par. 

. Fo 
— de nuper sub D. Carol. repert ‚insulis. Basil. 521. 4. 

— — französisch. Paris 592. 

Petri Martyris de orbe novo 4 Aloala 516. Compit 530. Fol. 

Philoponus Nova typis transacta navigatio. S. I. 621. Fol. 

Pietro Martyr. libro prim, della hist. delle Indie occid. Lib. segundo 
8Summärio de la naturale hist. del Indie. Libro ult. del. Summar, 
del Indie oceid. Vineg. 53. 

Pignfetta viaggio fatto da gli Spagnuoli atorno alMondo. S.1. e. a. 4. 

— le voyage par les Espaigno:z es Isles de Mollucques, Par.s.d. 
c= Alle Ausgaben in verschiedenen Sprachen. 

Pizarro Conquista del Peru. Sevilla 534. Salam. 57. Fol. 

Portolano Questa e una opera necessaria a totti li naviganti etc. 
Venet. 490. 4. 

delli lochi maritimi. Venet. 528. B. 

Potocki voyage dans la Basse Saxe. Hamb. 785. 4. 

Presbyteri Joannis legatio. Alle Ausgaben. 

Pieben Johan Botschafft des Konigs David etc, S. 1. e. a. Alle Aus- 


. * his Pilgrimes. 5 Voll. Lond. 625. Fol. Auch frühere Aus- 
aben. 
Radaivili Hierosolymitana peregrinatio. Brunavig. 601. Antv. 614. Fol. 
Ralegh descriptio Regni Guianae. Norimb. 59. 4. Alle Ausgaben 
in verschiedenen Sprachen sowie Raleigh’s andere Schriften. 
— _ Kurtze wunberbare Beschreibung des geldreichen Königreichs 
Guianae. Nürnberg. 560, 4. (Hulsius Reisen ör Theil). Auch alle 
übrigen Ausgaben. 
Ramusio navigatione. 3 Voll, Venet. Fol. 
—  :narration of the two navigations. Lond. 580. 4. 
Rauwolff Beschreibung der Reyss etc. 4 Theile. Lauging. 583. 4, 
Recentes novi orbis historiae. Colon. Allobr. 612, 


Resendius epitome rer. gestar. in India. Lovan. 531. 4 
Reyszbuch desz heyligen Lands. Frankf. 584. Fol. / 
Robertus Monnch. Historia Hierosolymitana. S. l. v. e. 4. Alle Ans- 
ben. 

— Bellam Christianorum Prineipum. Basil 583.- Fol. 
Roeslin Mitternachtige Schiffarth. Oppenh. 611. 4. 
Sa Itinerario da India. Lisboa GII. 
‘ Bagard le grande voyage du pays des Hurons. Par. 682. 8. 


Sande de missione legat. Japonens. ad Rom. curiam. Maeoens. 500. 4. 
Santa Brasca, viaggio a Gierusalemme. ‚Milan. 481. 4. Alle Aus- 
ben. 
iffahrten siehe Hulsius. 
Schildberger. Hie vachet and’ schildberger der vil wandern. erfaren 
hatt etc. Ohne Ort und Jahr. Framekfurt 349. 4. 
Schmidel von Straubingen. Neuwe welt. Ir Theil. Warlafftige und 
liebliche Beschriebung. 2r Theil, Frankf. 567. Fol, 


⁊ 


⸗ 


Schmidel vera hist, admir. navigationis. Noriherg. 500. 4. 

Schmidel von Straubing. a arbafflige Ristorien einer wunderbar 
Schiffart. Nürnb, 509. 4. (Hulsius Reisen Ar Theil). Auch and 
Ausgaben. 


-Schouten relation: of a wonderfull voiage. Lond. 619, 4, 


Sechster Theil, Kurtze, Warhafftige Relation vand Beschreiben 
der Wunderbarsten vier Schiffahrten, so jemals verricht werde, 
Als nemlich: Ferdinandi Magellani etc. 1618. 4. 
Settle last voyage in the West aud Northwest regions. Lond. sm. 
Souto relacam dos trabalhos. Evora. 557. 12, 
Spilbergen Specalum orient. oceidentalisq. Indiae narigat. Lapı Ba 
619. Fol. Ale Ausgaben. 
Staden von Homberg. Warhafftige Historia einer Landtscaft der Fi. 
den. Frankfurt. Marpurg, 597. 
Suchen Von dem gelobten land vnd weg gegen Iherusalen. 0, 0. ı 
I. O. ©. 1477 und alle anderen Ausgaben. 
— de terra sancta. Alle Ausgaben. 
Tellez historia de Ethiopia. Coimbra 660. Fol. 
Thevenot relations de div. voyages. 4 Partes. Par. 663-1. Fol. 
Thenaud voyage. Par. 8. Alle Ausgaben. / 
Tucher Wallfahrt und Reise in das gelobte Land. Augsb. #2. Fa 
Alle Ausgeben. 
Vartomani nov. Itinerarium Aethiopiee etc. Mediol. 506. Fol. 
Ausgaben, auch Varthema, Bartlıema, Vartoman etc. 
Verardus. In laudem Ser. Ferdinandi Hip. Reg. obridio, vieoa 
triumphus. S. 1. 494. Basil. 494. 4. 
Vesputius de ora Antarctica: per reg. Portugall.inventa, Artgent. Mi 
— Von den nuwen insulen und landen. Strassb. 508. 4 
— __Incominza il libro de la prima navigatione, Milano Hl 
— . Lettera di Amerigo vespucoi, delle isole nonamente im 


ati etc. S. I. e. a. Alte Ausgaben. 
— paesi nouamente retrouati. Vicent. 507. ‚Milano — * 
. 1. 507. Deutsch 508. 4. 


lan. 519, Venet. 521. Alle Ausgaben. 
— quatuor navigationes. S 
EL itinerarium Portugall. e Lusitania in Indian. 8. L# 
ol. 
— eosmographiae introductis. Argent. 507. 500. 4. 
— Newe vnbekanthe landte. Noreinb. 508. Fol, 
— Sensuyt ie nouveau monde. Par. 4. Alle Ausgaben. 


Laurentio P. F. de Medicis salutem plar. dicit. Alle Au: 


Mundus novus. ' August. 504. Argent 9%. 
Ausgaben. Fasst nur 4—6 Blätter. Deutsch 505. 7 Büter 
Der Name Vesputius steht nicht auf dem Titel, 
— Von der nengefunden Region. 3%. 4. Me A 

Leypsick 506. 
c=> Von diesen Schriften suche ich alle Ausgaben mr 
nen Spraehen. 

Viaggi fatti da Vinetia, alfa Tana. Yenig. SR .8 Alle A 

Viazo.da Venesia al sancto iherusalem. Bologn. Mn. 4: Alle 
gaben. 

Virginia. Oppenh. 620. Fol. 

Zeitung, eine schöne nede, so Kais. Majest. ausz Indie yelz m 
zukommen seind etc. Acht Blätter in 4. 

Zigler America. Frankfurt 617 Fol. 


gaben. 


Publication periodique pour l’annee 1843. 


DE LA 


LITTERATURE FRANGAISE. 


Troisieme aunee. 1842. 


— — — — — 


Prospectus. 


Pour se conformer au desir d’un grand nombre de nos 
lecteurs, Echo de la litterature francaise va subir une 
modification dans la periodieite. Paraissant seulement tous 
les quinze jours, notre reeueil n’etait pas en rapport avec 
l’empressement et les exigeances bienveillantes des amateurs 
des lettres francaises. En consequence, & partir du mois de 
janvier 1843, l’Echo sera publie par livraisons hebdoma- 
daires, composees d’une feuille ou de deux feuilles. Ja- 
loux de meriter de plus en plus l’approbation du public, 
nous introduirons aussi un changement dans le plan general 
et le choix des matieres. A l’avenir, nous publierons moins 
de travaux d’une certaine etendue; nous ajouterons des ar- 
ticles extraits de ces petits journaux satyriques qui font le 
charme des lecteurs parisiens. Ces jeux d’esprit, ces fines 
moqueries, ces tableaux de genre dont le dessin est si net, la 
touche si delicate, toutes ces publications mordantes, legeres, 
frivoles et spirituelles, seront dorenavant du domaine de l’Echo, 
qui cherchera toujours avec le m&me zele & justifier son titre. 


Conditions de la souscription: 


L’Eeho paraitra en numeros de 1 a 2 feuilles le ven- 
dredi de chaque semaine et formera par an un beau volume in-8. 
Prix de Pabonnement: 5% Thir. par an. 
‚ Les nouveaux abonnes pour cette troisieme- annde de 
PEcho ont la preference de se pouvoir: procurer les deux 
ann6es au prix d’une seule. 
On s’abonne chez tous les libraires et à tous les 
hureaux de poste. 


KLeipaig, Janvier 1843. 
Brockhaus & Avenarius, 


Librairie Frangaise - Allemande et etrangere. 


2 
m. 
. 


uam ag. ai 


2 


„UN. we. 


— — . 
. 


Martın's EAsTean, Inn 
„hate kätl, willen vüchty gilt 
x. This ia,thg mogt 00m 
modern India ever pablie 
to Wilkinson’s Egypt. ; 
— Baırtısa CoLonızs, cp 
OBELT, PREXTEB ‘VOLUME, 4 
MIDBFORP#S wis 
Loio en ‚the C 
ed with Clintpn’s Fasti F 
'and'much’the best edition: 
Lonp Braon says of N 
DERN Hıstonr or Ga: 
ie 'PERHAPS 'THE- WEIT 
WHATBOEYER. His virtu 
and earnestnegs." ' 
nraeu’s (LApvy Mar W 
by Lord Warncliffe, 3 vo) 
MUDIE'S BRITISE 
Feathered Tribes of the 
tifully coloured, 2 veols. 8: 
Murpux’s ARABIAN Auriqi 
Kopf platae by Le Kı 


e8 . [ 2 0. 
Nicholsor’s Principles. and I 
8vo. Ath edit. 218 giateg | 
Namngn. — Srantıng, zDI: 
tions by Thos. Hood, J. 1 
38 beautiful line engeeming, 
&c. cloth, giu edgen er 
Nuttall’s Classiged and Arch:- 
ners, Customs, Laws, In 
brated Nations of Antaquäl 
cloth lettered, (a Compapin 
Pucın’s ExAmrLEs or Gem 

‚4to, 225 altes, cloih  . 
RoBERTSON s PaRA@uAr,. ı 
8 voje. Bo. ce delt 
Seıar's Baıtısn Onsımapı 
2 vols. elephant folio „ 3% 


‚ımoypcco, Fell buche. 
— plain altes, af DR 
— ILLUSTRATI@ENs oF B 
second edition, boande. , 
SHAKSPEARES 1 
VALPYS CABINI 
TION, with a Life,-Gi 
an Historical Digest and 4 
ghe. Text garefally revised 
y A. J. Valpy, M. A., 
22 Prater 
. destgns iy 1 est E 
of all tie knoun a 


'Agugcheek,. beides apnropri 
-. % This ds ut onoe the ı 
in which Shakspeam has, 


‘ 


Oviedo libro xx de ia segund. part, de la gure 
Valad. 557. Fol. 

Palafox y Mendoza Virtades del Indio. S 2_ 

Passaeus effigies Regum ao Princip. eo — 
in re nautica s. Marina praecet. sp - 

Passages (les) de oultre mer du neble Gang 

Peckham a trae reporte of tlıe late dscoueur am 


Pewri Martyris opera, Legatio Babyl. Ocea mi 
l. 


— de rebus oceanieis et de nove orbe de 
536, Fol. 
— de nuper sub D. Carol. repert. inswuB2m 
— — französisch. Paris 532, 
Petri Martyris de orbe novo decadet. Alcaam 
Philoponus Nova typis transacta navigatio. " 
Pietro Martyr. libro prim, della hist. die Ey 
Summärio de la naturale hist. del Indie. 
del Indie occid. Vineg. 534. 
Pigafetta viaggio fatto da gli Spagnuoli atom 
— le voyage par les Espaignoiz es IsR« 
6 Alle Ausgaben in verschiedenen Sy»: 
Pizarro Conquista del Peru. Sevilla 534. 3 
Portolano Questa e una opera necessarizm. 
Venet. 4%. 4. 
delli lochi maritimi. Venet. 528. 
Potocki voyage dans la Basse Saxe. Hamk>. 
Presbyteri Joannis legatio. Alle Ausgaber _ ' 
Peer Johan Botschafit des Konigs Davidi 
en. 
. ‚Purchas his Pilgrimes. 5 Voll. Lond, >. . 
gaben. 
Radzivili Hierosolymitana peregrinatio. Bron 
Ralegh descriptio Regni Guianae. Norimb. 
in versehiedenen Sprachen sowie Raleigkh" 
— _Kurtze wunberbare Beschreibung di« 
Guianae. Nürnberg. 560, 4. (Hulsius FR« 
übrigen Ausgaben. | 
Ramusio navigatione. 3 Voll Venet: Fol 
—  .narration of the two navigations. 
Ranwolff Beschreibung der Reyss etc. 4 "F 
Recentes novi orbis historiae. Colon. Altol 
Resendius epitome rer. gestar. in India. Lu 
Reyszbuch desz heyligen Lands. Frankf. 9 
Robertus Monach. Historia Hierosolymitans 
gaben. 

— Bellam Christianorum Prineipura 
Roeslin Mitternachtige Schiffarth. Oppenh; 
Sa Itinerario da India. Lisboa All. "4. 

‘ Bagard le grande voyage du pays des Huro 
Sande de missione legat. Japonena. adRom 
Banta Brasca, viaggio a Gierusalemme. N 
- gaben. 
Schiffahrten siehe Hulsius. 
Schildberger. Hie vachet and’ schildberge 
hatt etc. Ohne Ort und Jahr. Framekfutf 
Schmidel von Straubingen. Neuwe welt. ] 
liebliche Beschriebung. 2r Theil. Frankl 


. 


5 





0% ı 7 ‘ A 
oo. Zu ze ' Bun | 
v ü .. . . _ 3 J j 
’ " vo . 8 ⸗ 
91 . . .. ’ De . o ® 0 
v X UV * * Fe 5 


N 


.NEW, VALUABEE, AND MOST 


3 


ARCHITECTURE, NATURAL: BIS 


r. 





‚The Books are all quite naw, in extra. elokl boards, unless. desorihes as bound ; warranted clea 


they were sold at the fall prices. - 


1 


sERS ITALY, a Poem, Tux IELVOSTRATED EDITION, 

ining 54 exquisiie engravings by Finden, Le Keux, 

, Goodall, &c. after the desings of Turner and rd, 

iginal and fine impressions, Cadell and Moxon, 1836, one 

ı post Svo. some of * Venves —— apotted, boards . 

e same, quile clean, Ihe spols having been remoued, while 
———— 


he same, picked eopies, wi the spots removed; rüchly 


und in morotco, extra, wilh ornameni am sides, gilt edges 
« This is such a: velume, that we fear newer to Iook 





BOOKS, 
TEE. FINE ARTS, 

TORFY, PHILOLOSY, 

AT VERY BEDUCEDR E 


©. .WEI® 


3 


Published atReduced to 


, Pad 
’ 


TBENge: Thl.Ngr.| 
71% 


on its like again — it: beats all the annuals together. ' 


wiry, wealil, taste, are here blended beautifully, and tbe 

solt is the most aplendid ‚piece of illnstzateil typagraphıy 

has ever been our ‚gortune vo look an. Lat all tbat bare 

te, or pretend to it, atrive for an .eauiy: nopy, and trea- 
tha jewel ot their lihrariea.” ” Akmesm. 


it Br 
—* (CAPT. BASIL) NARRATIVE OF. A VOYAGE 


D JAVA, CHINA, An» rux carır LOO CHOO 1S- 
AND; with Accoupts of Sir Murray Maxwell’s Attack on 


» Chinese Batteries; also, his Journals in Chili, Peru, 
1840 


ul Sro, cloih- 






d Mexico, 3 parts in vol. I: zo 
ve We do not knuw w w 





mat with n more. 


3.9 





.UIEIPSIC. 


— — 





XENOPEBONTIS Of - 


accedit Index, 10x 
iype; boarded in 5 
— the same, LARGE 
cloth bvards . . 
This is the only 
- which has the Lat 
TUUGYDIDES, Gi 
ces, etc. ex odit 
printed in a large 
lettered . - «x 
— the same, LAREI 
cloth lettered ⸗4 
“This is an ek 
To each volume, 
notations from U 
Notitia Literayia 
bliotheca Graeca., 
fol Index.’ — D 
HERODOTUS, G 
tatinnas _aalanten 


Turm u 


- Monrtacu’s 


Mantın’'s EASTERN. Inprn 
„‚bertl kühl, willen wichtig gilt 
Anis ia,the most com 
modern India ever pablis 
to Wilkinson’s Egypt. ; 
— Buirisa CoLoNIEs, con 
"BEL, PRHITEB VOLUME, I 
MIDBF® 5 mise 
‘Lokv REDESDALE, "the C_ 
ed with Clintpn’s Fasti € 
and much’the Vest edition: 
LonD Braon says of I 
DERN Histonr of Gaßi 
"is 'PERHAPS | THE’ WEST 
WHATSOEVER. His virtu 
and earnestnegs.” 
Lıpy Marı W 
by Lord Warncliffe, 3 vol 
MUDIES BRITISE 
Feathered Tribes of. the 
tifully coloured, 2 vels. 8: 
Murpur’s ARABIAN AuTıgt 


100. fine plntee by. Le Kı 


edges . 98 29% 
Nicholson’s Principleg-and } 
8vo. Ath edit. 218 yintag | 
Nımngn. — SPARTINg, EDI 
Bons by m Hood, J., } 
beautiful line engeawi 
&c. cloth, gilt edgen * 


we. 4% 


Duttall’s Classigei and Arch.- 


ners, Custonis, Laws, Im 
brated Nations of Antaguäl 
cloth lettered, (d Compapin 

Pucın’s Exıupuus or Gom 
‚4to, 225 ten, clolk . . 

Ronertson 3 ParıAauAr,. 1 
8 . So. cloih Teti 

SeLsr s Brıtısa Oaxınapı 
2 vola. elephant folio „ 


ımoypcco, fell yilt buckangi 
— plain plates, half | "€ 
-n ILFUSTBATIENS —5 — 


second edition, bonnds. , 
SHAKSPEABEBS. I 
VALPY’S CABINI 
TION, with a Life, M 
an Historical Digest and x 
ghe: Text .garefaliy revised 
y A. J. Valpy, M. A. 
AND SEVENTY BEAUTIFUR, ( 
'sfter designs by the best E 
of all the known awlagra 
printed in a large. clear.y 
. fcap. Bva.:undform with Uhr 


. Dormje design in geld. on il 
rick in Richard IIE, Pisiel 
'Aguecheek, bepides apnropri 
- % Thie is »t onpe the ı 
in which Shakspease has, 


Re amblemationl. taling . » « 


Oviedo lüfprehensive ‚work on ancient and 
— ed, ip m deaieabla ampanion 
a ' — 
rageca, Aus us . TuTeR AKD- ron 
PassagestO TA» Bro. .ctoih.betnnd: » © 5 
Peckbam mr or URFROR, 






ronol 
; by King, ( den last 
8 vol; Bro. gilt ci . 
“ Hrs 1% TER ur Mo- 


Irfoca, 
— dekız In ar LANGUAGE, AND HE 


538. 


—— 4 OF’ ALL MODERN  HISTORIANS 
Petri Ma® ars learning, laboor, roseasch, 
Philopo 
Pietro 


Summijs- Svo. fine portraits gitt cloth 
del I BIBDS, ur a History ofthe 
Pigafettg British Islands, 57 Ayures, beau- 
..— ta. cotä, elyaniiy gi ‚1841 

= sırıB8 0x. SPAN, ale folio, with. 
Pizarro and. othera, hf. dd. manecan, 
Portola ‚ 


Venetpractiee nf Architechene, 3 vola, 
Lay, cloth bes. oo... 

Potocki gen zr Nımrop, with contribu- 

afler Kaswin. —2* Cooper 


Ty 

- Parchas ologlcn —*R* of the Mas. 

Istikationa, Arte 
„and. af the Middle Agen, Bro. 

Ralegh im to Lempriere) ' 

in vemie Aunıracrvan, 3 vols, —* 


—ã Franda’s "Reiga of Teer, 
übri@fened . 


Ramusig.aer: (Kand and Water Birds) 


3 -plates, eolauned,. richly Rh 


Rauwo edges Be Ta Nur var Dar Par er 
Rocen f a... Fe er er 
Resendjsu ORNITHOLOGT ‚2 vol. Bva. 
Reysz a 
Robert LAYS AN 2» FORNS,. 
ga T PICGTORBIAL EBH- 


and ledex,. and 
ament prefixed An each "Play, 


——-jossagial Notes, 
Roesli 
Sa Iti 
Bagar UVSMERAATED. BY ONE HUNDREN 
Sande Puruuns anenarnis UN STEEL, 
Santa —— ‚ala sw — 
nkspenre: benukfully 
schieahlpe on fine weve naper, 15- vola. 
Schilde Waverley Nopels, Byren, #c. 

hatt 4 gilt clotm, eontenis Ieilered, aian 
Sohmĩchacka, nd, ſaur unriows and sla- 
liebliße sides, viz, the Mitches, Gar- 
 egling the lech, nad Bir Andrew 

te deuices in blind tanling . 


‚nos delightänt and awsibie for 


‚wer appensed.”, 


eorrected' and —* va 


— Lertens AD Wonxs, 


Published at Reduced to 
3. ntaut, wols. Geo. plaien, eth, Thläigr. Tihdier. 


‚de. of the eule-. 


3 


on the, best Autborities: edited , 


25 10 


“ The public Drben in ‚unanimous in commendatidu 'ofi 
.Uble: most usefdl and elegent edition, MWotbiag evinoes 
. ınore poimtediy the higls Fefinement to wich civilization 
‚has attained amongst ns, thas Ihe preduotiva of a work 
’ e tbis ’ 
: |SuanP’s CoNvENTRY. —— and exher ——— 
4to. 10 tes, ‚iettered 


“ .» u ® * 


10 


bd. olive morocco, umend, 4 
SrTOBRXMR'S CATHEDRAI. ANTIQUITIRS or Enarann ann Wa- 
LES, cumplete. 4 vols. Bro, with 256: beuukifully finishesl 
engravings, extremely acemmate ie ‚Architectural Betail, kadf 
morocco, top edges geölt so co... 


10 “ [ Zu 7 “ | 0. 
folio 147 plates, illuminntad es kinderl., Tanlf-mbrosen , uncnt 

Srnurr's DrEssEs AND nass 08 TOR EnesteH, BBATER, 
sy J. R. Prancag, By E 
plates, cloth letiered . 1.2 0 1 1.2 8 8 Le 

— RESAL AND ERCLEMABT IA AMFIQUITIBE ar —5328 
EDITED Br ]J. Prancnk, Ksq. F.S A. seyal: dte.. 28 
 plates, cloth —* Per Tuer Br Ze vr ur 

QFVOBRS ANATOMY OF THE Men, impseil —R 
plates, bds. leather bach 

The original edition af this fine old work, which ‚i is_in- 

“ dispensable to artists. it has long hoen. considered rare. 

Tımrerıer's (C. H.) Ewosemsranpıa or Larzsanı AS 
TrrosrarHicaL AÄNKCDaTE, wnantaining iha Histcy of 
Books asd Booksellerz ; second edition, 1 ta which: is added 
a Practical Manual of Prietisg, amD A OONTINUATIeN To 
1842, royal 8vo. gi clath 08 0... 46 

Tucker's LienT or. Narung PURsURD, complete in 2 vol. 
Sra.: new editian, clolk 2843 

“Tag *Lient or.NATuae'.ıs A won » WASCH AFTER 

MUCH CONSIDERATION , | THANK MATSELF AUTMORIED TO 

2 CAEL THE MOST ‚ORIGINAL AND FRAPOUND THAT Has 
EVER APPEARED ON M(BAB RULORORRY.” — Sir James 

 Mackintosh. 

Wuukzsr’s {AL®X.) Wowan, piyeioo ically ‚considered as 40 
Mind, Morals, Marrlage, M Siavery, Yalldelity, 
and Divorce, Bro. second. edition, ezten.chäh . . 


35 


] 


WERSTER’S ENLARGED EnGLisH Dicrionany, eo nteihing 
12,000 more Words than any otlier, 2 vols. 4to clork . 
———— (MWUKE OF) DISPAT. 


EDITED BY ÜSLoNKL, GERWOOD, with general 
Index, 13 vols, Sv&, Zus. 





. 0 0.0 8 6 u 0.6 


ii Liege, by Sie JamısE, AnExANDER, embraoimg iris- Ciil, 
Military, and Politieal: Carver, to the present time, 2vols. 
|, 8vo. with 16 poriraits und pintes, chah Itered . . .» - 
Weıstep’s Cırr 6F TAX Carıens, and Voyage to the 

1 Coast of Arabia, 2 vols. Bro. maps We. choth Fell. . 
Woop’s ConcHoLogr, accending 10 ‚the Linngaean Systen, 
15 2O| evith 60 onloured plates, hal[ morocco extra, gilt edyes „ . 
Warisar’s (Tnos.) Quszan Ra@anErH AaD. RER Touzs, 

ı! 2 thick vols. 8vo. perirait, elath leiterei, . 
23 W . - 


® “ “ ©“. . “: 0 


STOTBHAnD'S MoNUMBNTAL Brrıes on Gurır Batraiu, 


‚sh 2 vol. royal 4to, 158 
12648 


1— —— ORDERS, EDITED nr CoLoNEr, Guawoon, Bro. 


Published at Rodeujı 


BALNgn Thiky 


138 


18° 


10 15 
10 15 


& 
8 2 


e= 

» 

ab 
-1L» 


7) 
5 


63 
1 5 
55 





Literariſcher Anzeiger. 





1843. Nr. V. 


Dieſer Literarifche Anzeiger wird ben bei 9. A 


. Brodhaus in Leipzig erſcheinenden Zeitſchriften „Widtter für — 


Unterhaltiing” und „Ifiß” beigelegt ober beigeheftet, und betragen bie Inſertionsgebuͤhren für die Zeile oder deren Raum 2, N 


Beri 
über die im Laufe des gthres 1842 
bei 


F. A. Brockhaus in Leipzig 


erfehienenen neuen Werte und Fortfeßungen. 





(Beſchluß 


2 


0 t I hr en. — 
B m . Frauerfii ei ini 
8 
















Dreaucesea. Trauerſpiel 


—* as Kriegerthum. Von einem Invaliden, Erster 
Theil: Wehl ynd Bildung höherer 'Truppenführer, Gr. 8. 
- Geh. 1 Til. 5 N 
38, a nbwirtbieefitige Dorfzeitung. Herausgegeben 
unter Mitwirkung einer Geſellſchaft praktiſcher Land» und 
. Hauswirthe von &. von Pfaffenrath und Bil: 
kam Es be. Mit einem Beiblatte: Gemeinnütziges 
. Unterbaltu angeblast für Gtabt unb Rand. Dritter 
zgang. 52 Nrn. 4. Preis bes Jahrgan 8 20 Nor. 
. Keletetigeisen den —* einer — E te IN zer 
ombere Knzeioen, 8. 5 werben gegen eine Ber g von 3 
, Neue. e Allgemeine Literatursei- 
Im Aufteage der Universität zu Jena redigirt von 
Geh. Hoefr. Prof. Dr. F. Mand, als Geschäftsführer ; 
Geb. Kirchenrath Prof. Dr. U. V. @. Baungar- 
ten- „ Ober-Appellavionsrath Prof. Dr. 9. 
Francke, Geh. Hofrath Prof. Dr. D. &. Hieser, 
Geh. Hofrath Prof. Dr. J. F. Fries, als Specialre- 
dactoren. Jahrgang 1842. 313 Nummern. °Gr. 4. 12 Thir, 
Die ng, liefert w Schentfich ſechs Blätter, von denen daß fehäte 
Wen oce befizumt IR. Moyciun werben mit 17% Dar, Hr 
einer Belle un befondere Beilagen u. bgl. mit 1Thlr Raa oe Kaum 
40. Q S be (Silliam), — —— ir Eanb⸗ 
wirthe, Gärtner und Seit ) lithogras 
phirten und illuminirten —** Gr. 8. 
Kann auch in 5 Heften a 12 Nor. gap —— 
4. Eynar ¶ Fürſt zu), Der, itter von Ahobus. 
Zrauerfpiel in vier Acten. Gr. 8. Geh. 2U Nor. 
42. — — , die Mebiceer. Drama in 
fünf Acten. Gr. 8. Geh. 24 Rgr 
4, märder (Zrg.), Bas Burggrafihum Meif: 
fen. Sin Hifortfch s publiciftifcher — zur ſaͤchſiſchen 
afgefchichte: Ans archivaliſchen Quelen. Nebft einem 
urkundenbuche. — Auch wm d. T.: -Diplomatifch s Eritifche 
— zur Geſchichte und dem Staatsreiht von Baden. 
&. 8 Geh. 3 Thir. 
44. ost (6. F.), Denkwürdigkeiten aus der 
inischen und chirurgischen Praxis. 
Erster Band. Gr, 8 8 ech I Uhr. 21 Ner. 


j —— — —— der a ie schen und obirur 
— hei sr Zweite Aufl, ZwetBände. Gr. 8 1836 Irurginche ir. 
Kaasis 27 zur ersten Auflage, Gr. 8. 1837. 2 Thir. ö Ner, 





a u s 


Srauer ie 





Pr a 


Au Pe Quppie Staatsarsneikunde. 
ware! ei Binde ya A ein u Bl er 8. Bes] 38. 11 Zbir. “er. 


vers hie des Rrarm . ne ei ung der 1 

Über 7 te un Ehe tı in Re “ nate r 5* 
Hcher und tetischer Hinsicht. Dr tte Auflage. 
Gr. 8. 1837. 1 Thlr. 10 che 

Ü alte und Er „medicinische, Lehrsysteme imma 
liches Run Medicein Insbesondere “or & 


45, —— * br.), Befamimeite Novse Uen. 
Erſter Eu Theil. BA 12. Beh. 4 Thlr. 15 Nor. 
PH alt: Leben nmasie. _ ER; I So orten ee a 5P gwei 

46. Noback (K.), Rebrbuc ber Waarenkunde. 
In 8— 10 Heften zu 8 Bogen. Erſtes und zweites Heft. 
Gr. 8. Jedes Heft 15 Nor. 

—— (&. W.), Kicher eines Einfichiers, 


Geh. 16 Ngr 
Iren rino. m), Andeutungen über den 
lichen Beligionsunterschied der 


römischen Patricler und Plebejer. Gr. 8. 
83 20 Ngr. 
Metde | (R5.), Bas UAnmoralifche ber Tobes⸗ 
arte. achtrag zu deſſen „Anſicht ber Welt”. Gr. 8, 
Br. ER F 
ficht der Welt. 


der Bu) Beten — zu — 28* erſchien 1838 und ko die böcfte «aufgabe 
50, Das Pfennig⸗Magagin für Berbreitung gemein. 
nüßiger Kenataife, Zehnter Jahrgang. 1842. 52 Nums 
un G (Ar: * 57-509.) Mit vielen Abbildungen. Schmal 
⸗ t 

is , piran Se F Fir — aus 8. in einer Eenen 
— fünft i gang kolen yufommengenommen Rat 
che ge it a —28* * — 08 neun e ee 


Ebenfalld im greifen beradgeregt find folgenbe Säriften mit 
vielen Abbildungen 
Pfennig-Magazin für Kinder. Zünf Bände. Fräher 
Shir._ Iegt 2 Thir. 15 Nor. Einzelne Jahr⸗ 
gänge 0 Nor. 


Sonntage. magazin. Drei Bände. Fruͤher 6 hir, 

ent 2 Thlr 

Rational. Magazin. Bin Band. Früher 2 The 
Jetzt 20 Nor. 


Unterhaltungen eines Waters mit feinen Kinbern. 
Zwei Bändchen. Mit 51 Abbildungen. Früher 1 hir. 
15 Ngr. Jetzt 15 Nor. 


51, Der neue Vitaval. Die interefien: Srim inal⸗ 
gefgidhten älterer und neuerer Beit aus —e— —8 
RT 


». 
a erg am 
s — ehe 
unge Bea 

N 
in 


m ae Here. - jun 


ne, ee (Entsinet zancsie), 

” a a a are n Gh em von 
©. von Bülsw. Nor. 

8». et ee Mefe. Gin epifärs Ber 


54. Stanmer (B. von), Seſgichte bee Hohen. 
faufen und ee Sehe ⏑ 
ehrte Auflage. In 6 Wänden oder 24 Bieferungen. Gr. 8. 

2 0— 42. Belinpapier 12 Thir., ertrafeines Velinpapier 


4 and bantweife uud in Bieferuugen bezogen werden.) 
si —æãT ee Karten zur erfien Auflage dieſes Werts werden 


» @ngland. Zweite vers 
und mit einem Bande verme! * Lollese. Drei 
&. 12. Gr. 6 Kpe. 15 

Der dritte Keil einzeln auch unter dem au. 


Bere Pe 


3 — 


—2 








Vabre 
ſerova äbie 
— tions» ei 


ft 
— 
den monatlich drei 


— NER 
„af den ehe der, —A —A 


N an de mit mit m We 1 
a0 107000 Ereyı el ul Aber 10 — —* net werden. 
58. Bepertorlum der gesammten deutschen 
Literatur. (Neunter Jahrgäng, für das Jahr 1842.) 
Herausgegeben im Verein mit mehrern Gelehrten von 
m. €. wird: Allgemeine 
Bibliographie für )_Einunddreissigster bis 
vierunddreissigster Band. Gr..8. Jeder Band in Idtägigen 


Heften 3 Thlr. , 
erſchelat von 1848 an im neuer Geſtalt unter dem 


el; 

Lei; Be rium für deutsche und 
—— — teratur. Unter Mitwirkung der 

Universität — ben von Dr. E. €. 

GersdarT, — und Sberbi berbibliothekar. 52 Hefte. 

Gr. 17 Thir. 

. Dem Leipziger Repertorium 


— 





—28 
el 


Biotiegrapdifher enzeiger 
ld ——— 


—** 
'C. P.W.), Beiträge zur wissen- 
Meilk: Gr.8. Geh. 1 Thir.9 Ngr. 
raecaeineditae. 
i, di, Teni, Syri, 











coni, Parl, Astyralaene, Nisyri, Teli, Col, 
Calymaae, gen Patni, Bami, Lesbi Thorae, Anaphae, 
et Peparethi, dm), Geh. 2 Thl 


Fuel (Inseriptiones Arcadioaı 


rgis Corinthiae, 
Megariene Phnkene) eefälen Ta unbtonet 1 ade I fer 


er, — ———— &, 


a, in be 
pante im Beraßgefetten 


Er Er * —* 

a — —* 
—E 2 Kenntnif = 
auch und —— purer Ge Be 


Fr * —5 Bel erfien — — — Baia 
erfu: ner nleitui Sonitiren 
Gletuncieen seo mann, An; 
63. Geott (Malter), Die v 
63 — in 54 "lin uns en Se 
% — Sriebensiahre. Gr. 8. Bu. 
Ps eeimann 2. @.), ® te Kön 
tiſches Drama a An er. u 
66. Sternberg (. » fomär. 
Roman. Zwei Se in 2: u a 
Bräher erſdien von dem SBesfaffer Sei mir: 
re Sin Peenmärden. Zwei Theile. 8. 198, 
67. Stra "a. 2 8.5 Sediqhte. Sr. 3. 64. 
oa ift unter dem en Ktte von Beppen — 
iſches Aaſchenbuch. Herausgegeben von 
—* Raumer. Reue ar Bierter Jahrgang. Gr. 
8 Hiftorifhen BANN ‚ans 
Bas — en Eh — 
8 
n — Bet. ve 
6. Vollständiges Taschenbuch der Men, 
Maass- und Geywichta- Vorhältuisse, der 
Staatapapli: 


(Aachen— Lissabon.) Gr. 12. Preis 8 Heftes 15 Ner. 
WV_Zeffoni (Kieffanben), er sesube 
@imer, Aus dem Jialieniſchen berfegt AR yR 
Keig. Mit einer bie in dem Gedichte vorkommenden 
3 Seriäreiien darftellenden Karte. ®r. 12. 


71. Heania. — auf das Jahr 1843. Reut Balge: 
Fünfter gehrgan- Mit dem Bitenim Siatomo An 
bunt, Ele; ante WAR 1 Zhle._20 Nor. 

—* in 
1240 fon 


et Sl BP, ga 

79. Barnbagen von uns (8. —— 
digkeiten umb vermiſote Schriften. dicie un 
none oder wu Be “ * zweiter Band. Gr. 8. 


— 
Aa ——— * I 


m, Reiyalnee —— 
—— weg 3 Fr 
Ye I ran vn er sun Be 


* 
— 


A —X 





3 —*8 

—— 5 In für reifre 
En —— 
714. Bouſtaͤ es habetiſchee Miamen- * 


Gaöregifier der ae Algemeinen Zeitung für 130. 
209 4. 10 Nee. , 


75. 2 ers binfemmdh 
* — von Bulowo. 8. di Ihn 6 Kar 


Im Werlage von Auguft Eampe in. Hamburg if | 
erfchisnen und wird ſowie ber übrige Verlag deſſelben von 


3. A. Br in Leipzig debitirt: 

renbt (B. G. W.), Kleine Rechenſchule, ober 

res ” bad für bie erſten Anfänger. Bierte Auf: 

age. 8. . 

anzöftfge und deutſche Seſpräche Gin Erleich⸗ 

—— für At 9. ** —— 

und vermehrt von 3. Pebonale. Bierte Auflage. 8. 

1842. 20 Nur. 


Gratis iſt von allen Buchhandlungen zu erhalten: 

I) Katalog schönwissenschaftlicher , histeri- 
scher etc. und anderer werthvoller Schriften 
aus dem Verlagevon F. A. Brockhaus 
in Leipzig, welche zu bedeutend ermäs- 
sigten Preisen erlassen werden. (2 Bogen.) 
63” Die vortheilkaften Bedingungen, unter denen diese 

ausserordentliche Preisermässigung stattfindet, sind aus dem 

Verzeichniss zu erschen und gelten nur noch kurse 

est, indem später die frühern Ladenpreise wieder eintreten. 

2) Verlags-Katalog von F. A. Brockhaus in 
Leipzig. Bis zum Jahre 1842 fortgeführt und mit 

“ ‚einer wissenschaftlichen Übersicht, und vollständigem 


Auterenregister versehen. 








Bei ME. Bonnier in Stodholm tft erſchienen und 
Yurch alle Buchhandlungen zu haben: 


Der Selddienst. 


Zeitfaden fuͤr die Offiziere bes vierten Militairdiſtricts der 
koͤnigl. ſchwediſchen Armee. Entworfen von dem hoben 
commandiremben Generale des Diſtricts 

- Aronprin; Oskar. 

Aus dem Schwebifchen überfeht von 
Udo Waldemar Dieterich, 
Mit 3 Plänen. 8. Broſch. 1 Thlr. 

Der geiftvolle Prinz Dslar von Schweden, ale Ber⸗ 
faflee mehrer anderer Werke von ſtaatswiſſenſchaftlichem In⸗ 
tereſſe rühmlichft befannt, hat in oben angezeigtem Werkchen 
berviefen , das ihm auch in militairwiſſenſchaftlicher Hinſicht 
Einſicht und Kenntniffe in umfafiender Weiſe eigen find. 





Das neue preußifhe Ehegefet; 


‚Audlatur et altera pars! 
| Eine 
Freie Stimme 
über den preufifchen 
Ehe ſcheiduugs 8 Geſetzentwurf W 
8. Broſch. 10 Mer. 


Dies Schriftchen, aus der Feder eines rühmlichſt anerkann⸗ 
tem Autors, beleuchtet den bekannten Entwurf auf eben fo geiß 
reiche als praktiſche Welfe umb weißt mehre entfchledene Mängel 


v 








a, ann ga Ian Inte dern mn 
Reipgig, im Sanuar 1843, 
Ä — A. F. Köhler. 


In unserm Verlage it soeben erschienen und in allen 
Buchhandlungen zu haben: 


- YMNO2 EIS IZIN. 





HYENUS IN ISIM 
ab L. Bossio repertum 
mum _ 


distinxit emendavit annotavit 
Bermannus Sauppius. . 
20. Ngr. (16 gGr.), oder I Fi. 12 Kr. | 


ANTISTHENIS 


FRAGMENTA 


nunc primum 


collegit et edidit 

Aug. Guttelmus Winkelmonn. 
8. Brosch. 15 Ngr. (12 gGr.), oder 54 Kr. 
Meyer & Zeller in Zürich, 


4. Bepasch. 





unt tem iſt ſoebe lenen 
—*—* ee —*— ſoeben erſchienen und durch 


Leichtfaßliche Belehrung 


über die Schafraude 


fuͤr 
Schäfer und Gutsbesitzer. 
.. Auf Veranlaſſung des Vereins ' - 
zur Beförderung der Schafzucht in Würtemberg 
entworfen von 
rofeſſor Hering 
an der ©. Tdierarzneiſchule zu Stuttgart. 
Zweite vermehrte Anflage. 
Preis I’ Naur. (3 gGr.), oder 12 Kr. 
Stuttgart und Zübengen, im Januar 1843. . 
3. ©. Cotta ſqher Verlag. 








Soeben ift erfchienen und durch alle Buchhandlungen zu 
beziehen: 


Die Patrimonialgerichtsreform im 
prenßifchen Stante. 7; Sgr. (6 gGr.) 
Nicolaiſche Buchhandlung in Stettin. 
©. 3. SButseriet 


+ 








Elementine. 


weakzeus, how beautifal in Ne guilt. 
. Bulwer, Polka. 


Gr. 12. Geh. 1 Thlir. 
Leipzig, bei 8. 4. Brodhaus, 


Wierteljahrs : Schrift 1843. Aftes Bett. 
In Unterzeicinetem Hat forben die Preſſe veelofien und if an ale Budkhandlungen verſandt werben : 


Das Iste Heft der deutschen 


 Bierteljahrs- Shhri 


für 1843. 


Januar— Mär 
Preis des Sahrgangs von 4 Heften 12 $1., ober 7 Thlr. 10 Ngr. (7 Thlr. 8 gGr.) 


Inhalte: | 
Die Preffe und das Jahrhundert. (Zerſtreute Gedanken.) — Der gegenwärtige Stand der wiſſenſchaftlichen 

Bearbeitung des deutſchen Staatsrechts. (Zweiter Artikel.) — Über die Möglichkeit eines zwiſchen dem deutſchen 
Zoliverein und ben Vereinigten Staaten von Amerika abzufchließenden Dandels: und Schiffahrtsvertrage. — Die 
Nahahmungsfucht der Deutfchen. — Die Bedeutung bes Nationalen im religiöfen Leben, mit befonderer Beziehung 
auf die Gegenwart. — Gemeinnüsiger Vorfchlag, die freiwilligen Sammlungen für Abgebrannte betreffend. — Aut 
wanderung im Allgemeinen und nad Nordamerika insbefondere. — Der jegige Stand der Volkswirthſchaftslehre 
In Deutſchland. — Die Entwickelung ber chriſttichen Kunſt in- Deutfchland und Frankreich. — Welche Ruͤckſichten 
kommen bei bee Wahl der Richtung von Eifenbahnen in Betracht? — Über den ſtrategiſchen Beth einiger Punkte 
im ſuͤdlichen Deutfchland, — Kurze Notizen. 


Stuttgart und Tübingen, im Januar 1843. 3. ©. Cotta’ scher Verlag. 














(Reneb pbhyfikaliſches Werk.) In 1. und 2. Lieferung iſt in alten Buchhandlungen vorrätbig: 


Die Exrperimentalpbunit. 


Zum Selbflunterrichte für Gebildete und zum Gebrauche in Real: und polntechnifchen Säulen, 
Nah der 3, Auflage bes Sranzöfifchen des 
F. Marcet, / 
Drofeflor an der Akademie zu Omf, 
überfegt von G. Rissling, 
Drofeffor, Schrer der mathematiſchen un phyfikaliſchen Wiffenfhaften und der nenern Sprachen. 
Ungefähr 25 Bogen Zert und 6 Tafeln Figuren. In 6 Lieferungen & Yı Thlr., ober 24 Kr. 
Klarheit und Faßüichkett der Darflellung, außerordentlih gwedmäßige Wahl der Beifpiele und bi 
geſchehene Benugung der Bereiherungen, weldge bie Phyſik durch Erfahrungen und Verſuche dee neueften Zeit, 
befonders in Bezug auf Dampf (Dampfmafhinen), Balvanismus (Galvanoplaſtik), Eiektzicitar ( irkteomagas 
tismus), Licht ——— und Meteorologie (Phyſik des Luftkreiſes) zc. gewonnen hat, dies — und baf es arij 


für Solche berechnet iſt, welche keine mathematiſches Kenntniffe beſigen — find die Borzüge, welqhe diefed Berk 
vortheilhaft auszeichnen. 








Für das Jahr 1843 erscheint bei Brockhaus & Avenarius | zösischen Journalistik, um so besser zu erreichen, haben 
in Leipzig und ist durch alle Buchhandlungen und Post- | wir uns entschlossen, dasselbe von nun an wöchentlich er- 
ämter zu beziehen : scheinen zu lassen. Jeden Freitag wird eine Nummer von 
2 1—2 Bogen ausgegeben werden. Bei der Auswahl des 
Stofis wird besondere Aufinerksamkeit darauf gerichtet sein, 
für anziehende und anregende Unterhaltung zu sorgen. 


Der Preis und die übrige Einrichtung bleiben unver- 
ändert; wir sind jedoch merci. neu eintretenden Abenze- 
auf beiden ersten Jahrgänge 





den Jahr 
Preis des Jahrgangs für 52 Nrn. 5/5 Thlr. fir den Preis eines einen abzugeben. - 


Um den Zweck dieses Journals, schnelle Mitthellung Probenummern sind in allen Buch- 
des Besten, @ediegensten und interessantesten der fr handlungen einzusehen. 


Drud und Verlag von F. 4. Brodbaus in Leipzig. 





Literariſcher Anzeiger. 


1843. Nr. VI. 


eu Va — —— —— — — —— —— —— —————— — ———— — —— n rn — ——— 
Dieſer Literariſche Argeger wird den bei F. A. Brockhaus in Leipzig erſcheinenden Zeitſchriften „Blaͤtter für literariſche 
fis’’ beigelegt oder beigeheftet, und betragen bie Inſertionsgebuͤhren für die Zeile oder deren Raum 2%, Rgr. 


Unterhaltung‘ und „ 


. Berlagsperiht 
vr Karl Berold’fhen Buchhandlung in Wien 
ISAI und 1842, 


Ables, W., Die Arzneten und ihre Heiltugenden, nebft 
einem Anbange, enthaltnb: a) den phyſiographiſchen und 
chemiſchen Shell ber Arzneikoͤrper und bie Beſchreibung der 
officinellen Präparate; b) die fpecielle Receptirkunde; c) die 
neueften Entdeckungen im Gebiete ber Pharmakologie; d) eine 
Receptenfammlung berühmter Arzte. Begleitet von einem 
Borworte bes Heren E. k. Rathes v. Töltenyi. Zwei Bände. 

Gr. 8. 1942. Broſch. 23 Ihe. - 

Album ber Mohlthätigkeit durch Beiträge der vorzögliähften 
Dichter und Künfller. Gr. 8. 1841. Gart. 2 Thir. 20 Nor. 

. Yenetb, Fr. Hektor, Die menſchliche Stimme und ber 
Einfluß des Gefanges auf bie Athmungsorgane nebfl einigen 
Berhaltregein für Sänger. Gr. 12. 1842. Mit 5 lith. 
Zafeln. Cart. ige: 

Baumgartner, NAubreas, Die Naturlepre nach ihrem 


gegenwärtigen Zuftande mit Rüdficgt auf mathematifche Ber 


rundung. Giebente Auflage. Vom Genannten und von 

Acndreas 9. Ettingshanfen gemeinſchaftiich umgear- 

beitet. Mit 8 Kupfertafeln. Gr. 8. 1842. 4 Thlr. 

Berres, Jos., Anthropotomie, oder Lehre von dem Baye 
des menschlichen Körpers. Zweiter Band. Zweite ver- 
besserte und vermehrte Auflage. Gr. 8. 1841. Brosch, 
3 Thir. 15 Ngr. 

Betzhold, Fr., Anfihten und Erfahrungen über ben Anbau 
der Zuckerrunkelruͤbe, aus Veranlaſſung ber Berfammlung 

h tfcher Landwirthe ꝓ Karlsruhe. Mit 1 lith. Abbildung. 
Gr. 8. 1841. Broſch. 25 Near. 

.Wuhmüher, nt. E., Anfangsgründe der Naturiehre, mit 
logiſchen, arithmetifhen und geometrifhhen Borbereitungsiehren 
für angehende Ihierärzte und Ökonomen. Mit 6 Kupfer 
tafeln. Zweite verbefferte Auflage. Sr. 8. 1842. 2 Thir. 

aranza, D. J., Theoretifch = praktifche englifche Sprach: 

Be oder —SE Lehrgebaͤude der engliſchen Sprache 
fuͤr Deutſche. Mit ſteter Hinweiſung auf die Regeln der 
deutſchen und das Verwandte anderer Sprachen. Fuͤr den 
Selbſtunterricht und die Lehrſtunde nach wiſſenſchaftlichen 
Grundfägen und auf eigene Erfahrung gegründet. Gr. 8. 
1842. Brofh. 1 Ahle. 5 Nor. 

Chmel, J., Die Handschriften der k. k. Hofbibliothek 
in Wien, im Interesse der Geschichte, besonders der öst- 
xeichischen. Zweiter Band. Gr..8. 1840. 3 Thir. 15 Negr. 


— —, De Öfleeiifhe Geſchichtsforſcher. Zweiter Band. 
Grfies, zweites und drittes Heft. Ge. 8. 1841. Broſch. 
Das erfle Heft koſtet 1 Abir. 20 Nor; das zweite unb 
dritte jedes I Thir. 10 Nor. 

fon, Rob., Über die Granular: Entartung ber Nies 
ren und ihre Verbindung mit Waflerfucht, Entzündungen und 
andern Krankheiten. Aus dem Engliſchen überfegt von Jo⸗ 
bann Mayer. Mit Anmerkungen verfehben von Karl Bo: 
titansfy Gr. 8. 1841. Brofh. 1 Thir 

Elairmont, Karl Baulis, Reine Brunhlehre der engli⸗ 
fhen Sprache, mit einem erſten Leſebuche, die vorzäglichften 
fontattifhen Gigenthümtichkeiten mit gehoͤriger Betonung ber 


Wörter enthaltend, und nach der Interlinear⸗ Methode bear 
beitet, wodurch bad Wörterbuch dem Anfänger ganz entbehrs 
ich wird. Dritte verbefferte und ſehr vermehrte Auflage. 
Gr. 8. 184. Broſch. 1 Thlr. 


Clairmont, Karl Baulis, Zweites Lefebuch zur Erler⸗ | 


nung ber englifchen Sprache, beſonders zum Selbflunterrichte 
geeignet; mit einer genauen, analytifchen,, deutfchen über: 
fetung, woburd bad Wörterbuch dem Anfänger ganz ents 
behrlich wird, und mit Betonung ber Wörter. Zweite Aufs 
lage. Gr. 8. 1841. Seh. 23 Thtr. | 

Czelechowaky, 3. B., Chemisches Wörterbuch zum 
Gebrauche für Arzte, Pharmaceuten, Techniker und Ge- 
bildete jeden Standes, In Einem Bande. Vier Lieferun- 
gen. Gr. 8. 1841. Brosch. 2 Thir. 20 Ngr. 


Bolliner, &., Enumeratio plantarum phanerogamicarum 


in Austria inferiori crescentium. Gr. 8. 1842. Brosch. 


26), Ngr. 
ZEndlicher, 
reichischen Pharmakopöe. Ein Handbuch für Ärzte und 
Apotheker, Gr. 8. 143. Brosch. 3 Thir. 10 Ngr. 
— —, Catalogus hordi academici Vindobonensis. Tom. I, 
I. Gr. 12. 1843—43. Brosch, 2 Thlr. 20 Ner. 


Ent, M., Die Epiftel bed Quintus Horatius Flaccus über 
die Dichtkunft. Kür Dichter und Dichterlinge gebolmetfcht. 
Gr. 8. 1841. Broſch. 12%, Nor. 

8 Über Bildung und Selbſtbildung. 12. 1842. Broſch. 


gr. 
Feuchtersleben, ©. Freih. v., Zur Didtetil der Seele. 
Dritte verbefierte und bebeutend vermehrte Auflage. 12. 
1842. Gart. 20 Nor. 
Gaal, Gustav v., Das Nöthigste über Auscultation 
und Percussion und ihre Anwendung in der Medicin, Chi- 


rurgie und Geburtshülfe, mit besonderer Berücksichtigung . 


der pöye'kalischen Behelfe zur Erkenntniss der Brust- 
und Herzkrankheiten, nach den neuesten und besten Quel- 
len zusammengestellt. Gr. 8. 1842. Brosch. 20 Ngr. 


Blpan, Peter Erasmus, Abhandlung über bie Fidei⸗ 


commiffe. Nach dem oͤſtreichiſchen Geſeze. Grfter Band. 
Von dem Fideicommiffe überhaupt. .Sweiter Band. Ron 
den aus dem FibeicommißsInftitute bervorgebenden Rechter 
verhältniffen. Zwei Bände. ‚Sr. 8. 1842. 2 Thlr. 10 Rgr. 
Hager, M.., Die Geſchwuͤlſte, befchrieben und durch Bei⸗ 
fpiele erläutert: Zwei Bände. Gr. 8. 1842. 4 Täler. 
Halm, Friebr., Grifeids. Dramatifches Gedicht in fünf 
Acten. Dritte Auflage. 8. 1842, Broſch. 1 Thlr. 


ur —, Imelda Lambertazzi. Trauerfpiel in fünf Aufzuͤgen. 


1842. Broſch. 1 She. 
— —, König und Bauer. Luſtſpiel in drei Aufzuͤgen. Rach 
dem Spaniſchen des Lope be Vega GCarpio. 8. 1 42. 
Broſch. 1 Tholr. 
Aancjéri, Alessandre, Dictionnaire frangais - arabe- 
persan et turc, enrichi d'exemples en langue turque avec 


an, Die Medicinalpflanzen der öst- 





des variantes, et de beauooup de mots d’arts et de sciences, 

Gehenkrsit, Drei a — *—* ber 15 Her. 
Ken Dr or enſchaftlich⸗literariſche Ency⸗ 
klopaͤdie der — Ein etymologiſch⸗ Eritifches Wörterbuch 
der © Aftpetifgen Runfifpea e. In Einem Bande. Lieferung 

Jede Lieferung 19 Nor. 

Henschel, Dictionnaire des langues francaise et alle- 
mande. Zwrei Theile. Zweite Ausgabe. (Pariser Original- 
auflage) Gr. 8, 1841. 7 Thir, 15 Neger. 

Hiubek, Franz Xav., Der Verkehr zwischen Triest 
und der "Monarchie ‚ und die Wien-Triester Eisenbahn. 
Mit einer Zeichnung, welche die Bichtung der psojec- 
tirten Bahn darstellt. 4. 1841. 2214 Ngr. 
“Hofmann, Gtier von Bofmanns dal, Xen., Die 
Caruba di Giudea an ungendampf und andere Brufl- 
krankheiten. Gr. 8. 2. Beofh. Mit einem Kupfer. 
Schwarz 10 Nor. JIlluminirt 15 Ber. 

*Hrbine, op. Mep., Geſchichte der Wieliczkaer Baline. 
Rad beffen Tode herausgegeben und mit einer geognoftifchen 
Beſchreibung der Gatzformationen, techniſcher Erklaͤrung der 
Grubenmanipulation, und Anleitung fuͤr Fremde bei der 
unterirdiſchen Befahrung der Gaſttour vermehrt durch Ludw. 
Eman. Hrdina. Wit 3 Karten. Gr. 8. 1842. 1 Kr. 


N Ror. 

+ ati Pittoreske Anfichten einiger ber vorge: 
tcften Partien ib. Steinſalzwerkes in Wieliczka. 
An Umſchlag geheftet. 2 Ihr. 

HOuete .Mx., Grundriß ber Kuffatlehir. Sin theoretiſch⸗ 

prabtiſcheẽ — sum öffentiidgen und zum Pridatunter⸗ 
—— Zweite verbeſſerte Auflage. Gr. 8. 1841. 1&hir. 

Jahrbäder der Literatur: 9er bis 1008er Band. Gr. 8. 

1841 —42. Jedar Jahrgang zu vier Bänden 8 Thlr. Gier 

zein jeder Band 2 Thlr. 

Leben und Thaten des Anton Wallner (vulgo Xichberger), Wirth 
in Bindiſch⸗ Matrey und Landesvertgeidiger ber Salzburger 


ande im Jahre 18009. Der Wahrheit getreu Sefie 
von, .. und herausgegeben *. —8* Man⸗ 


—** 1843. Broſch. Mit Fitelkupfer. 1 
en der den eng 


„Theorie ber Gärtnerei. 
en n Deiginalen Bed. 3 Shi Abbildungen. Bier Hefte. 









est von &. &. Mit vielen, getreu na 


Gr. 8, I Thir 

Linnael, Carell, Epistolae ad Nicolaum Josephum 
Jacquin, ex auto bis edidit Car. Nic. Jos. Eques a 
SchreibersC., 


raefatus est notaaque adjecit — 

nus Endlicher. Gr.8, 1841. Brosch, 1 hir, 77 
Rittrow, ©. E. v., Srläuterungen zu 3. 3. p. eiekrow's 
__Borlefungen über Aftronemie. Mit 51 lith. Tafeln. &r. 8. 1842. 
‚, Kalender re alle Stände. 1841. 18493. 1848. 8. 

rofl. A127, Mae. Gart. und burdfceffen & 15 Nor. 

- R@öwe, Dr. Aruold, Geiſt der erften piwſiſchen Gryiehung 

7 ‚asien, Weiter Beitgemäße Darftelung. Gr. 

. Bro 


1 Tolr. 
Mandi s J. Frane » Handbuch der 


harmaceutischen 






feuerungserfparenber, rauch: und geruchloſer, luftrei Nude 

-und eitövertreibender Stuben » Deigungsapparat. Sr. 8 

1841. Broſch. 12% 

hetti, Theoretisch - -praktische Abhandlung über 
die Wasserscheu, enthaltend die vom Verfasser im Jahre 
1820 mitgetheilte Präservativcur u. s. w. Gr. 8. 1843. 
Brosch, 1 Thir. 

“Mlelicher, L. 8 2 Tractatas de Apoplexia. Gr. 8, 


1841. — 
NN 77 Sin Trauer⸗ 
ſp j. bier a ©. 5 . fü. 1 Züır. 










Aus we Engli⸗ | 


73 Pr zan. Über die Theorie bes Nach einem 
Beh. uqufti —— 
a ran ann. Br. 


Meumann, Prof. J. =. Danbbady ber Phyſik für unter⸗ 
richt und Getbfibeleprung, mit immerwaͤhrender 
auf Anwendung. Band I, Dritte, Ite ji einem durchaus neuen 
Werke umgeftaltete Auflage. Kupfertafein. Gr. 8, 
1842. 3 Thlr, 15 Nor. 

Deth, E. v., Über die mechanifche Bradfpinnenei in Deutſqh⸗ 
land, mit befonderer Rauͤckſicht auf die k. k. oͤſtreichiſchen 
Etonten. 43. 3. 1841. Pant 15 
ecun, B, eflung ber erfolgreich Art 
und Meife bes Anbaues, ber Pflege und an, ber 
Runkelruͤbe und ber Zuderbereitung aus bderfelben auf dem 
Wege ber verbeſſerten fiebend beißen Maceration Ein gan; 
pop Handbud) r Landwirthe, welche biefen Inbuftrie 
geei nicht in Ta! zu — beabſichtigen. Gr. 8. 

ro Ir. 


uch für das Denten. Ein 
Fe hr Eee get = Bei. 1 pie. 10 Nor. 
v. — er Regierung L. 
— 
2., e na em Orient 
Erhebung mercantiler Rotizen für Sſtreichs —** 
®r. 8, 1840. Broſch. 1 pr. 10 Star. | 
Nollett, Hermann, Liederkraͤnze. 8. 1842. Broſch. 1 hir. 
BRubichon et Houniler, Des travaux d’utilite publigue; 
des produits du r&gne nrineral; des bois de sonstruction 
dans la Grande-Bretagno et en Irlande. Extrasts des 
enquetes et des pieces officielles publides en Angleterre 
par le parlement, depuis ’annde 1833 jusqm’a ce jeur; 
——— de quelques remarques. Troisieme volume. 
Gr. 8. 1849, I" T in 20 Ner. 
— —/, De la peche; de la navigation; du commerce de 








!’Inde dans la Grande- Bretagne et en Irlande. Extraits 
etc. 


Quatriöme volume. Gr. 8. 138432. Brosch, I Tulr. 

Balgmann, A. Gottfr. ber Zonfunfl. Gr. 8. 
—* Brofh. 1 1 Zu. a * 

Echauga, Br. ©., — Gedichte. 8. 184. 
Zwei Bände. zo4 

*G ı Se ottileb. Beiträge zut Rumitnetik, 

befonberd zur Erkenntniß ber Echtheit der aiten Münzen aut 
anderer Begenftände von Metall, neo einigen numlämattiäyen 
Epigrammen. Gr. 4. 1841. 10 Nor. 

Schmidt, U. ., Eine Woche in Wien. Zuverläffiger und 
zeitfparender Führer durch bie Kaiſerſtadt und ihre ne 
Umgebungen. 13. 1842. Gart. Mit einem Plan. 20 Kor. 

Schnabel, G. M., Die Willenfchaft des Rechte (Ras 

turrecht.) Auch u. d. T.: Du „natücikiie Privatreqht. &r. 8. 
@aufete, ©. 1 age 10 be Gin Sefäiee u I 
wielre . a uther e aus 
wiener Boltsiehen. 12. 1841, ne Broſch. 












— —, Bufliges und Lebrreiches für Kinder ale — 1. 


1842, Gart. 25 Nor. 

"Btupper 9 © L. f) Medicinisch - pharsanceutische Beta- 
nik, oder Beschreibung und Abbildung sänamtlicher in der 
neuesten k. k. östreichischen Landes- Pharmakopse vom 
Jahre 1836 aufgeführten Arsnelpflanzen ; in naturklsteri- 
scher, phyto her, pharmakognestischer und pher- 
makodynamischer Beziehung, mit besonderer Rücksicht auf 
die botanisch - pharmaceutischen Synon und Vorßi- 
schung oder Verwechselung der abgehandelten Arzneistafle. 
Mit — getr eu gezeichneten und fein colorirten Abbä- 

m Gebrauche für angehende und ansübende 
rate ) und Pharmaceuten. Erster und zweiter Band. 
Gr. 4. —— 27 à 10 Thir. 


Kheaterjeitung, AU, ben 
ee bie "Se —e— —— 
blidern. Gr. 4. Seven: Jahrgang 13 Tür. 





Anger, M., Softematifike Darſtellung ber Gefege über bie 

höpern Studien in ben geſammten ber italieniſchen Pro⸗ 
vinzen ber oͤſtreichiſchen Monerdie. ei Theile. Rebſt 
einem Repertorium. Gr. 

Weith AHAoß. Emanuel, —8 8 Beterinärkunde, 
in befonberer Beziehung auf bie Seuchen ber arſten Haus⸗ 
Saͤugethiere; fuͤr Phyſiker, Kreiswundaͤrzte, ieraͤrzte und 

konomen. Vierte Auflage. Mit vielfaͤltigen Zufägen vers 
ſehen und zeitgemaͤß vervollſtaͤndigt von Joh. Sins Beith. 
Zwei Bände. Mit Kupfertafeln. Gr. 8. 1840. 4 Thlr. 15 Nor. 

Berhanbiun en des niederöftreichifchen Gewerbuereing. Br. 8 
SBroſch. 1842. Erftes bis viertes Heft. Jedes Heft 1 Ehlr. 

Viſtui, EAndreas, Beiträge zur Criminalrechtswiſſen⸗ 
ſchaft, mit beſonderer Ruͤckſichtnahme auf au öftreichiiche 
Griminalrecht. Dritter Band. Gr. 8. 1841. Geh. 20 Rear. 

"Wagner, P. P. V., Anleitung zur —æe Arz- 
neikunde für Gerichtsärzte und Rechtsgelehrte des Mili- 
teir- und Civilstandes, und zum Leitfaden bei akademi- 

. schen Vorlesungen. Erster Band. Formeller Theil. Gr. 8. 
1833. 2 Thir. 10 Ngr. Zweiter Band. Materieller Theil. 
1840. 4 Thir. Beide Bände 6 Thir. 10 Ngr 

Mehtrele, EA., Behrbuch ber Probir - uns woi tienkande ar 
. Seülfaben für atabernifepe Bor erlefungen. 3 Binde. Br. 8 
ax I 20 in %olio. 0. 6 Ehir. Auf Belinp. 

Tote. 20 x. 


eidmanı Tr nad und um Iſchl. 12. 
An —** es 1841. “* ‘ 


— —, Wegweifer auf © Ye durch Hſtreich und Steier⸗ 
—X Zweite durchaus 


In Taſchenformat gebunden. 1 Thlr. 


Zeitſchrift, Wiener, für Kunſt, Literatur, Theater und Mode. 


Herausg. von FJ. Witthauer. 25ſter bis Aſter Jahrgang. 
GSr. 8. Mit t Kupfeen 16 Thlir. Ohne Kupfer 10 Sol. Tm Nor. 





“ Durch alle Huchhandiengen und Postämter ist zu beziehen : 
 Neme Jenaische 


Allgemeine Literatur - Zeitung, 


Im Auftrage der Universität zu Jena redigirt von 
Geh. Hofrath Prof. Dr. F. Hand, als Seschäfts- 
führer, Geh. Kirchenrath Prof.Dr. %,. M. O. Baum- 
garten. Orusius, Ober-Appellationsrath Prof. 
Francke, Geh. Hofrsth Prof. Dr. DD. &. 
, Geh. Hofrath Prof. Dr. «I, Fi. Fries, 

als Specialredactoren. 


Jahrgang 1843. Januar. 
Inhalt: 


P. v. Möller: W. v. Humbeidl’s gesammelte Werke, 
Erster und zweiter Band, (Nr. 1 u. 2) — GE Heim- 
Bach: Corpus iuris civilis recognoseci brevibusque adnota- 
tionibus eis instrul coeptum a Dr. Amerto et Dr. Mau- 
ritio fratribus is continuatum .—. studiegee Dr. A. 
Herrmanni. (Nr. 8, 4 u5.) — 
and Rom ete. Nach den besten vorhandenen Übersetzungen 
herausgegeben und mit fortiaufenden biographischen und 
literargeschiehtlichen Erläuterungen vorsehen von X. Fr. 
Borberg. Mit einem Vorworte von J. K. v. Orelli. (Nr. 5.) 
— A. : Ktwdes sur les (ragigees ou examen 
wi ze d’ Kachyle, de Sophoclo et d’Euripide, procodo d’une 
generale de la ec grecque, Dar M. Patin, 
—— Ku) — Weisse: Kritik der evange- 
lischen Geschichte der Synoptiker. Von B, Bauer. (Nr. 1, 
8,9,18,10 15) — &: In I Niimeises da la Bocists 
ethnelogique. (Nr. 9, 38 a. 1) — a : Logische 
Untersuchungen, Von A. 3— Zweiter Artikel. 
{Nr. 15, 16, 1 u.38) — F. B. Volgt: Bericht über die 
wissenschaftlichen Leistungen im Gebiete der Entomalagie 





tigte unb vermehrte Auflage. | 


KR. G. Jacob: Hellas | 





” ) 
während des Jahres 1840. Von W. E. Erichson. (Nr. 18. 
— F. 8. Volgt: I) ‚Symbolne ad historiam Helicearum. 
Auctore L. Pfeiffer. 2) Horse anatomicne, Ven H. Loew, 
3) Observationes zoolagicae de Zoophytis Coralliis, speciatim 


de — Fungia etc. Edidit F. S. Leuckerdt. (Nr. 18.) — 
K. 


. Stark: 1) Handbuch der gerichtlichen Medion, 
nach dem gegenwärtigen Standpunkte dieser Wissenschaft 
für Ärzte und Criminalisten. Von G. H. Nicolai. 2) Anlei- 
tung zur gerichtsärztlichen Untersuchung der Körperver- 
letzungen. Von J. R. Friedreich. (Nr. %, 21, 2,23 u.%.) — 
F. Gottschalck: Streifzüge durch die Felder des königl. 
preuss, Wappens. Von Ya I Ledebwr. (Nr. 5) — Aus 


burg un den Frefser Kusag Kasagartn Zu F u al ad; dena 
rarische —E — —— — 


Von dieser Zeitschrift erscheii erscheinen wöchentlich sechs 
Nummern und sie wird wöchentlich und monatlich auge" 
geben. Der Jahrgang kostet 13 Thlr. Anklim 
werden mit 14 Ngr. für den Raam einer gespaltenen sile 
berechnet, besondere etc, gegen elite 
Vergütung von 1 Thir "15 Ner. beigelegt. 

Leipzig, im Februar 1843, 
F A. Brockhaus. 





Bei SE. Bonnier in „etodpotm ift erſchienen und in 
allen Buchhandlungen zu haben 


Biunlands 
Gegenwart und Zukunft. 


Sammlung —* Streitſchriften 


J. qwasser, Pekka Anoharinen, €. G. Geijer 
und Olli Kekälainen. 
Hus dem SGchwebiſchen von R. 
8. Broſch. 2 Thlr. 

Sum erften Male bringt ein Wer Kunde über Fin nlande 
politifcge und gefchichtliche Beflaltung. Das vorflchend ange: 
zeigte gibt In praktiſcher und gutgewählter Zufammenfellung 
den Beeumben der Kate und — ia —E Dar⸗ 
ftellung € N 
Bilde und: Anndfäer Oproßie efäenn I 0 





Heute wurde ausgegeben: 


Lonmversations- £ exikon. 
Reunte Auflage. Fuͤuftos Heft. 


Diefe neunte —* sent ne 15 Bänden ober 120 


ef — von nor. für be Men eft ig der 2* 
a an: Mm 
re ER p:3 In Hreibpap. 


ar 8 Thlo, auf Belinpap 
e Buchhand en lie * Bat 
vielen peeifen * —ãA dur is r. 1 —* 











lar. 
den Um db —— 
es Gonderfations Senken on fie den Sem 7* Belle mit 
a Nee. für jedes Tauſend — ber Auflage been 


», 
enis· SR. Besraue IE TER arocihan⸗ 





— — 
— 


LEN 
Be 2 EEE) 


3. 





— . wor — 55 . | J Fr ge" ur vr * * 
J ” rn S X one j 

—— a. Fe Be ie. OR 

“, . - ‘ “ wett n,n, Jar; 7% Fi Hi 

. N 

.er 
. - 
‚ . 


Sandwirthschaftliche Dortzeitung. 
Herausgegeben unter Mitwirkung einer Geſellſchaft prak⸗ 
tifcher Sands, Haus⸗ und Forſtwirthe von &, 9 

—*5— amd | illien Böpe. Di —* 
iblatt: Gemein iges MN ungs ur 
Stat und Land. g⸗ 


Vierter Jahrgang. 4. 20 Nr. 
Leipzig, bei F. A. Brockhaus. 


Hiervon erfeheint nei 1 Bogen. Annkündigun⸗ 

ew darin werden mit 2 Kor. den Raum einer gefpaltenen 

berechnet, Defondere Anzeigen sc. gegen eine Vers 
gütung von . Thir. für das Taufend beigelegt. 


Inhalt des Monats Sanuar. 


zeitung: Borwort. — Bemerkungen über die in ber 
fürtber Gegend allgemein übliche Grünfütterung des Klees. — 
Sruppen englifhen Rindviehes. Mit einer Abbildung — 
Nachrichten über den Ausfall der Ernte im Eiſenachſchen. — 
Der Aberglaube ift eine Wurzel alles Übel. — Ginige Bes 





merkungen über die Fruchtbarkeit und Unfruchtbarkeit bes vers | 


fioffenen Sommers. — Verbeffertee Kochtopf für Kartoffeln. — 
Srfaprungen über die Mund⸗ und Klauenfeuche des Kindviehes. 
— Das Yutierabfchneiden in den Waldungen in Zeiten bes 
Futtermangels. — Eanbwirthſchaftliche Meuigbeiten, 
Miseelien u. f. w. — Mnterhaltungsblatt: eob ber 
Landwirthſchaft. — Goldenthal. — Dex Goventgarbenmartt 
in London. — Der Arbeiter in ben englifchen Steinkohlengru⸗ 
ber. — Den Eefern ber Landwirthſchaftlichen Dorfzeitung. 
ee N: 2 " 
Da die Direetoren der Geukenberg'ſchen 
uaturforfchenden Geſellſchaft — in Folge der 
neuen Statuten — peziodifh wechſeln müffen, fo werden 
alle Diejmigen, welche Briefe oder andere Gegenſtaͤnde 
an bie Sefelffchaft überfenden wollen, gebeten, bazu folgende 
Abreſſe zu wählen: 
_ An die Senkenberg’sche naturforschende &e- 
sellschaft in Srankfurt 3 M. 





r. Aug. de Bary, 


zweiter Eecretair. 





In unfesm Verlage iſt ſoeben erſchienen und in allen 
Buchhandlungen gu haben: 


Zeitgemäße cuswahl 


Huldreich Bwingli’s 


praktischen Schriften, 
aus dem 


be . 
Alt: Schweizerbeutfhen und Kateinifchen ins Schriftdeutſche 
überfegt und mit den nothwenbigflen geſchichtlichen Er⸗ 
. Härungen verfehen. 


maget Eheiftefiel, 
V. D. M 


Dieſes Werk wird in Heinen Lieferungen erſcheinen, von 
benen jede nus Mine Schrift Bwingli's umfaßt, ſodaß Ries 
mand gezwungen fein wird, ſich das Ganze anzufcheffen, 
fondern au nur das für ihn Iutereifante aus: 
wählen kann. Als nortseffliche Beigaben zu den Schriften 
Iwingies felbft dürfen noch befonbers bie gehaltreichen Bor: 


Drud und Verlag von 8. X. Brodhaus in Leipzig. 


zeden odet, eigentlich zeſprochen, Einleitungen zu ben ein, 
zelnen Bändchen zum Befen empfohlen werben. 
- Das Ganze wirb den Preis von 5 Fl. nicht überfleigen. 
Bis jetzt find erſchienen: 
Won ber Klarheit unb Bewißheit bes göttli—⸗ 
den Wortes. 7, Nor. (6 4Gr.), oder 27 Kr. 
Spriftlie Einleitung. 5% Nor. (4% gGr.), oder 


Kr, 
Der Hiet. 11%, Nor. (9 gGr.), oder 36 Kr. 
Das igtamt. 7%, Nor. (6 gBr.), ober 37 Mr. 
Die Peilige Laufe. 15 Nor. (12 g@r.), oder 54 Kr. 
38 Beilige Abendahl. 11, Nor. (9 gEr.), oder 


Den Schluß des Ganzen wird eine Miumenlefe aus der 
übrigen nicht vollſtaͤndig aufgenommenen Schriften Zwinglis bilden, 
Meyer G Zeller in Zürich. 


Sorben ift bei uns erſchienen und durch alle Buchhandlun⸗ 

gen zu beziehen: 

Aufgaben uͤber die Regeln der franzoͤſiſchen 

prache fuͤr Aufänger (von Alex. Frege). 

8. Leipzig und Paris. /, Thlr. 

Dergleichen für GSeübtere. 8. Leipzig 
und Paris. ", Thl | 
Reipgig, im Februar 184 


\ Brodbous S Wuenarins, 
Buchhandlung für deutfche und auslänbifche Literatur. 














Nachdem die hohen Minifterien das Verbot bes 


fönigsberger Siteraturblattes 


xedigiet von Alex, Jung 

aufgehoben unb bie Herausgabe deſſelben obne jede Be 
[orantum wieber "freigegeben haben, wird baffelbe vom 
. April d. 3. ab wieder ins Leben treten und im Berlage 6 
Untergeichneten erfcheinen. | 

Vorlaͤufig werden (weitere Ausbehnung vorbehalten) wödhents 
Lich zwei Nummern erfcheinen. Der Abonnementspreid beträgt 
ß; Anno 4 Thlr., alſo für dieſes Jahr (vom 1. April bis 
1. Dec.) 3 Thlr., und nehmen ſowol ſaͤmmtuche Buchhanbiuns 
gen als bie koͤnigl. Poftämter Beſtellungen an. 

Das ftete Ziel und Streben bes Königsberger Literatur⸗ 
blattes if: echter Riberalismus, unb fo werben alle 
Breunde deffeiben das Wiedererſcheinen dieſes Blattes freubig: 


egrüßen. - 
Ausführliche Profpecte find 3 allen Buchhandlungen zu haben. 


Danzig, 1. Februar 1843. 
Fr. Sam. Gerhard. 


Durch alle Buchhandlungen iſt von mir zu beziehen: 
Rede 
sur Gedaͤchtnißfeier 
König Friedrichs 





gehalten am 26. Januar 1843 in ber koͤnigl. preuf. 


Alademie der Wiffenfchaften 


. von . 

Stiedrich von Raumer. 
Gr. 19. Geh. .6 Nor. 
Keipzig, im Februar 1848. 
3. A. Brockhaus. 








Proſpeetus. 





Etymologiſch-ſymboliſch mythologifches 
Realwörterbuch 


zum Handgebrauche 
für 
Bibelforſcher, Archäologen und bildende 
| Künftler, 


mit Rückſichtnahme auf die mythifche Bedeutung einiger Länder-, Städte: und 

Vöolkernamen, auf die fonıbotifche Bildnerei und Architectur des gefammten alten 

Drientd und Occidents, auf die Feſte, gottesvienfllichen Gebräuche und andere 

Geremonialgefeße der clafliichen und anderer heidniſchen Völker des Alterthums, wie 

auch mit befonverer Rückſicht auf die Ritualien der jüdiſchen und chriftliden Kirche, 
auf die Kunſtſymbolik und Iconographie des Mittelalterd u. a. m. 


Bon 
8. Work. 


ar. Lericonformat circa 115 Bogen, feinftes Belinpapier. 
on 
zwölf Sieferungen oder vier Bänden. 
Preis fl. 18 rhein. oder Athir. 11. 


Verlag der J. F. Caſt'ſchen Zuchhandiung in Stuttgart. 


Die encyrlopäbdifche Literatur behandelt noch immer die mythologifchen Artikel auf 
eine, die vwoiffenfchaftlichen Refultate ver neueften Zeit im Bereiche der Alterthumskunde, 
gänzlich ignorirende Weiſe. Sie urtheilt über die Denkmäler der Urzeit nur aus ihrer 
- fpätern Berbildung,, denn ungebuldig geworben über den Träumen unmiffender Ueberlie⸗ 
feree nimmt man fi nicht die Zeit, den Sinn Deſſen zu belaufchen, was die von und 
eitirten Kinder ihren Bätern nachlallen. Daher befchränfen fich jene Hülfswerke auf Die 
trockene Aufzählung der tieffinnigen Räthſel der Urzeit des Menfchengeichlechts, welche 
ohne ernftere Prüfung ihres Gehalts, als phantaflifche Träumereien, als fehmwülftige oft 
unfittliche, aber alles tiefen Sinnes entbehrende Bilverfprache belächelt werben, ungeachtet 
Schon Ottfried Müller (Proleg. S.266.) auf die Wichtigkeit des Symbolftubiums mit fol 
genden Worten aufmertfam machte: „Sehr oft iſt der Mythus nur ein entwideltes in 
Thätigkeit gebrachtes Symbol, an dem Symbol und durd das Symbol entſtanden. Biele 
Sagen find nur Erflärungen und Ableitungen von Symbolen, zwiſchen deren Schöpfung 
“und der Bildung der erftern oft Jahrhunderte Tagen. Die Symbole find älter und ur⸗ 
ſprünglicher als vie Mythen, eine unbeftimmte Ahnung des Göttlichen 20.” Und gleich 


‘ für Literarifche 
daum 2'/, Nor. 


r w'ſchen füllen 


! Kräften ſtand, 
aren Drud und 
In. Dee 
un Ms 
FT: zu erleich⸗ 
Buf zu machen, 
Iftändig erſchie⸗ 
rpflidtung 

8 bis Oſtern 
des ganzen 
Hcheintich aber 
tr Vollendung 
tiben; daß bis 
tand geſett iſt, 
elinpapier, 

zu liefern, 
Kt und Pruͤ⸗ 


h vem Wohl⸗ 
wer und bitten 
% werth iſt. 


R Sohn. 


TI 


ümer. 
yeu erſchienen 


Ip hie. 


ine”. 


hf: 

einem Piaue 
d von Sichem 
tigen Grabes. 


‚sad Ra⸗ 
aͤſtina“. Mit 
ie. Zweite 
B35, 1. Thlr. 


Inte. Vorſchule 
Br. 8. 1838, 


> 


u 
Iandwi 
Herausgegebei 
tifcher Land ! 


Die 


Lei 

Hiervon ( 

em darin wei 
Seite berechnet, 
gütung von . 
In 


WDorfzeitu 
fürther Gegen: 
Gruppen engl 
Nachrichten üb 
Der Aberglaul 
merkungen übe 
fioffenen Somi 
Erfahrungen v 
— Das Futt 
Futtermangels 
Miteenen; 
Landwirthſchaß 
in London. — 
ber. — Den \ 





Da die 
uatnrfort 


neuen Statu 
ale Diejenig 
an bie Gefeiff 
Adreffe zu m 

An bie 
sellschaft f 


XR 
In unſei 
Buchhandlung 


Ze 
8u17 
04 


Alt: Schweiz 
uͤberſetzt und 


Oieſes U 
denen jede mu 
mand gezw 
fondern au 


wählen ka: 


Zwingli’s feld 


nachher: „Zum fihern Berffänpniffe der mythiſchen Redeweiſe zu ge- 
langen, muß der mytpifche Ausprud als eine eigenthümliche Art einer kindlich 
einfahen Sprache betrachtet werben, deren Wörterbuch nachzuweiſen if, 
eine Unterfuchung,, die auch blos vom gegebenen Stoffe ausgehen kann, da eine Tradition 
über die Deutung diefer Ausprudsweife, eine authentifche Interpretation aus dem Alter 
thume felbft nicht anzuerkennen iſt; denn die Zeit ver Mythenſchöpfung konnte unmöglich 
dem Mythus die Deutung hinzufügen, ba es das Dauptgefeh dieſer eigenthümliches 
Geiftesthätigkeit if, DaB fie das Gedachte gleich ale wirklich nimmt, und über ſich felfh 
durchaus nicht reflectirt ; die fpätere Zeit aber, die ſich wohl mit dem Deuten befchäftigte, 
hatte mit ber fchöpferifchen Phantaſie auch den innern Sinn verloren, und Die VO@pıLopevon. 
welche Diythologeme von Facten zu unterfcheiden, die für ihre Zeit große Kühnheit halten 
(Plat. Phaedr.), tlügelten nur daran; zu einer biftorifchen Betrachtung und Entwidlung 

der Sache hatte jedoch das Altertfpum nicht Selbftentäußerung genug, und ermangeli 

ber Faähigkeit, fih einem fremdgewordenen Dichten und Denten anzufchmiegen; font 

würden die Gelehrten, die Aleranvders Zug begleiteten, die Namen ver Bölter, vie 

fie tennen lernten, nicht aus griechiſcher Mythologie gedeutet haben. *) In biefer Hin 

ift alfo dem Altertum keine gefeßgebende Autorität augugeftehen und die Erforſchung dei 

mythiſchen Ausdrucks Tann in unferer Zeit noch mit großer Sicherheit ausgeführt werben, 

ſchon deshalb, weil wir ung einigermaßen in die Denkweiſe jener alten Zeit hinein: 

feßen vermögen.“ 

Nichtsveſtoweniger ift diefe vor mehr als anderthalb Decennien ergangene Mahnung 
eines der erſten Eoryphäen der Alterthumswiſſenſchaft bis jetzt unbeachtet geblieben. Auch 
die neueſten archäologiſchen Handbücher übergehen entweder ganz die Deutung biefer Alle 
gorien und Mythen, oder fie begnügen ich mit ven vagen Erflärungsverfuchen der Hellenen, 
welche die urfprünglich theils aſiatiſche theils egyptiſche Heimath ihrer Cultusſprache nicht 


mehr kannten, und daher wie Blato: Heog(ffr. dewas Lichtweſen v. dju leuchten) von Yo 


) Aehnliches paſſirt noch jetzt alltäglich ſelbſt gefeierten Philologen, am hinfigfien aber, 
wenn die Etymologie um ihren Beifanb angerufen wird. Gin eihmologiſches Schwaͤnk⸗ 
hen dieſer Art ift jedoch zu poſſterlich, um es nicht hier zur Mittheilung zu dringen: 
und wenn wir ben Berfafler nicht namhaft machen , fo wird er und minbeftend tiesmal 
für unfere Verfchwiegenheit Dank wiſſen. Diefer, nachdem er Welder’s Etymologie 
des Namens „Gerberus“ von Egeßog mit worgefeßtem x und eingeihaltetem _ (fo dap 
ed uriprünglich xepeßoog gebeißen haben müßte), ſo mie Voͤlker's Ableitung jened 
Wortes aus Zoregog (! wo alſo das o in E übergegangen feyn ſoll) mit Het 
verworfen, gibt zu bedenfen, ob nicht Gerberus von ven Röchelfröfhen, — welde 
zwar AuAaysc, aber and) xöpßepoL hießen — feinen Namen erhalten habe!! Selbtt 
Kannc’e etymologifcher Witz ſcheiterte an dieſer Aufgabe, denn er vermuthete xtoßtooc 
aus zwei Worten, xp und B0000 zuſammengewachſen, und überfepte: Herze oder 
Leberfreſſer. Movers zug das Hebräifcye zu Raihe, und las an 35> (canis igness) 
was für den Hunbafterrn — denn biefer ift Gerberus — am meiften paſſen marke. 
und ben meiften Beifall verdiente, wenn nicht die Sanſkritſprache und ter mike 
Mythus uns noch eine weit zuverläßigere Herleitungsquelle zeigtem. Der Tottengolt 
Dama hat nämlich in feiner finflern Höhle zwei Hunde, von Denen einer Karburs 
i. e. Gekerbter, Gefledter heißt, weil er wie der hundertäugige Mrous das ganze 
geftirnte Firmament repräfentirt, nämlih der Sirius als glaͤnzen dſter Stern alle ans 
dern Sterne, pars pro foto. Dieſer Hund ift es, welcher alle Abende die Sterne 
wieder ausſpeit, welche er in ber Frühe verfchlucte, und fein Arrfenthalt if die Ur 
terwelt, weil die Sterne des Tages über unſichtbar find. Jener Argus, welder die 
Mondkuh hütete, nämlich der Sirius als sidus colleciivum, war Hermes als Be 
gleiter ver Ins, obgleih er von Hermes Kuvoxtgakog ( Hunds kopf) getoͤdtet war; 
denn die Tages» und Jahresgrenzen werben von zwei Hunden (Hermen) bewacht, de 
fi mwechfelfeitig ablöfen, in der mythiſchen Spradye: todt ſchlagen. Ginen biefer beides 
Hoͤllenhunde hatte auch Hercules (ver Lichtheros) erfchlagen, den antern an die Lit 
welt geführt, aljv nur eine andere Geſtaltung des erftern Mythus. 

Arım. d. Herankg. 





faufen (sc. Umlauf der Geſtirne) oder wie Ovid die ancilia von ihrer gebogenen Form 
— anderer kindiſchen Etymologien eines Cicero, Feſtus, Barro u. A. nicht zu ge 
denken — ableiteten, und zu ebenfo trüglichen Behauptungen verleitet wurden, wie der 
alexandriniſche Philo, welcher die Griechen nur mit ihrer eigenen Münze bezahlte, wenn 
er Plato's den Orphikern oder vielmehr dem Orient entlehnte Philofopheme wie 3. 8. 
ben boppelgefchlechtigen Urmenfchen, den Fall der Geifter, den Welt fihaffenden Lo⸗ 
908 u. f. w. ebenfo fälfchlih dem Moſaismus vindicirte. Dies Tam daher, weil jedes 
Soft das Urvolk zu feyn vorgab, obgleich alle diefe Nationen aus Einer Offenbarunge- 
quelle getrunken hatten, und nur verfchievene Dialecte einer und derfelben Sprache des 
Geiſtes reveten, deren tiefen Sinn nur noch die mittelft einer vererbten Geheimlehre 
deutungstimbigen Priefter kannten. Bieljähriges Forfhen und Sammeln auf dem Ge— 
biete ver Archäologie hat dem Herausgeber diefes Wörterbuches täglich neue Belege für 
die vorhin gerügte vertehrte Behandlungsweife der hieratifchen Literatur ) der Bormelt 
auffinden laffen, und gu der Behauptung getrieben, daß die Mehrzahl unferer Dichter 
und Kunflrichter Horazens Vorſchrift: 


— — — Exsemplaria graeca 
Nocturna versate manu versate diurna 


nicht fobald vergeflen hätte, wenn ihnen der eigentlihe Werth der Alten nicht von bem 
bezopften Magifter Dunflus verläugnet worden wäre, welcher wegen feiner vielleicht an⸗ 
gebornen Geifterfcheu fih Hinter Buchftaben zu retiriren pflegt. Große Schlachten hatten 
die Partheien lenis und asper feit drei Jahrhunderten fih gegenfeitig geliefert, unterbeß 
war ber Spiritus ihnen entflogen; und wer an biefem fpirituöfen Kampfe feinen An- 
theil nahm, ließ fih unter den Romantitern anmwerben, weldhe die Reaction gegen bie 
fich überfchäßende Philologie aus dem Nichts hervorgerufen; welche Schule in das andere 
Ertrem verfiel, fogar das verworrenfte Zeug anzupreifen, wenn unter den vielen 
Schlacken auch nur Eine Geiftesader entdeckt wurde. Die feit einigen Jahren immer 
fanter werdenden Forderungen der Mtilitätgmenfchen nach gänzlicher Befeitigung der Hu- 
manttätsfiubien Kündigen das Borbandenfepn einer zweiten Oppofltionsmacdht an, welche 
den Philologen um fo gefährlicher werden dürfte, da fie nicht gleich den Romantifern nur 
von der flüchtigen Modeſtimmung getrieben wird. Gleiche Urfachen erzeugen gleiche Wir⸗ 
kungen, und ver Buchftabendienft trägt allein die Schuld, daß, wie jeßt nur noch die Ilias 
von Philhellenen ex professo gelefen wird, ebenfo die biblifhen Schriftfteller nur von denen, 
welche mehr ein geiftliches als geiftiges Intereſſe befeelt. Und felbf unter dieſen Hagt 
die Mehrzahl more rationalistarum , welche in jenen ehrwürbigen Urkunden einer längft 
untergegangenen Culturperiode den modern trodenen Zeitungsfiyl vermißt, über Aus— 
wiüchfe einer ſchwülſtigen Phantaſie wunderfüchtiger Orientalen, über Dunkelheiten und 
Widerſprüche, Anachronismen und phyſikaliſche Irrthümer! Und dennoch bergen auch 
biefe Schachte fo manchen Geiſtesſchatz, weicher noch feinen Beſchwoͤrer erwartet. Doc 
nur biejenigen werben ihn heben, welche der hier niebergelegten Zauberformeln kundig 
find, denn nicht der nüchternen Kanzleifprache entlehnte Phrafen, fondern magifche Sprüche 
fprengen die Pforten des Geifterreiche. 
Au bildende Künftler dürften mit Ruben in diefe Vlätter bliden, fie werben dann 
niemals um paflende Attribute für die von ihnen darzuſtellenden Böttergeftalten, Heiligen- 
bilder u. dgl. verlegen feyn. Und weil ed für die nähere Kenntniß und Beftimmung 





*) Zu bdiefer find nicht nur die aus den alten Feſtdramen hervorgegangenen Tragödien 
(mit Ausnahme der rein politifchem Zwecke Huldigenden „Perfer” des Aefchylus), fowie 
die Heftodifche Theogonie, Homer’s Epopeen und Virgils Aeneis , fondern aud die „Der: 
wandlutgen“ des Ovid, Claubians „Raub Proſerpinens“, die „Thebaide“ des 
Statius u. a. m. zu zählen, wenn auch dieſe ſpaͤten Umarbeiter jener urſprüuglich dem 
Cultus gehoͤrenden Dichtungen die eigentliche Bedeutung derſelben nicht mehr verſtan⸗ 
den; ſonſt wärben die roͤmiſchen Satyriker nicht das geheiligte Versmaaß der Pythia 
ihren profanen Zwecken gleichfalls dienſtbar gemacht haben. 


» 
v+ 


für Uterariſche 
kaum 2”, Nor. 


— 


o w'ſchen fuͤllen 


ı Kräften ſtand, 
dren Drud und 
m. Sie haben 


Er zu * 


u machen, 
— 


des ganzen 
ticheiniich aber 
ur Vollendung 
Aben; daß bis 
tand geſedt if, 
bu Ar 
zulie erR, 
Echt und Pruͤ⸗ 


a tem Wohle 
ex und bitten 


Gr werth iſt. 
Biz Sohn. 


wsWWWWre 


kumer. 


‚eu erfähienen 


x phie. 


pP’) 
7 
Ana“. 


Bſt: 

einem Plage 
d von Sichem 
Tigen Grabes. 


wu nad ir 
Aftige”. Mit 


ke. Zweite 
535, I: Xhle. 


ine Borfgule 
Br. 85. 1838. 
9 


A 


Candwi 
—— 


—* 


—— 
gütung von 9 


SF 

it 
fuͤrther Weg 
Sruppen eng 
Nachrichten Ü 


Futtermangel 
Miseehien 
Landwirthſche 
in London. - 
ben. — Den 





Da di 
saturfor 
neuen Staf 
alle —2 
an die Geſe 
Abreſſe zu ı 


sellschaft 


s 
II 


In unf 
Buchhandlun 


Hull! 


Alt: Schwe 
uͤberſetzt un 


Oieſes 
denen jede m 
mand gezr 
f{ondern a 
wählen k« 
Swingli’s fei ſel 


der Kunſtwerke des kirchlichen Mittelalters nicht unweſenilich iſt, die Perſonen der auf 
denſelben dargeſtellten Heiligen unterſcheiden zu können, und bie Zeichen gu willen, an 
welchen fie ertennbar werben, fo ift bei jevem Heiligen — doc find nur bielenigen in 
diefes Realwörterbup aufgenommen worben, welde auf Bildern, Bildwerken, Münyn x. 
vortommen — angegeben, in welder Tracht er gewöhnlich bargeflellt, welche befonder 
Embleme zu feiner Characteriftit angewendet worden, und welche Beranlaffungen etw 
für leßtere nachzuweifen find. Bei weitem die Mehrzahl viefer conventionellen Attribak 
bezeichnen die Werkzeuge des Mariyrertoves, einige beziehen fi) auf verrichtete Vunder 
die geringfte Zahl ift rein fymbolifch, und deutet entweder Umſtände aus dem Leben bei 
Heiligen oder gewiſſe Eigenfohaften an, die ihm beigemeflen werben. Bei den Coftünes 
ift in den meiften Fällen nur darauf bingeriefen, daß der Heilige in der bezeichnen 
Kleivung als Papſt, Biſchof, Einſiedler ꝛc. vargeftellt worben, da die betreffenden Ari: 
bute, fowie bie Kleidung ver verſchiedenen geiftlichen Orden man als bekannt vorausiufehen 
darf. So fleht denn zu hoffen, daß diefe Frucht mehrjährigen Sammelns den Bedürfriſen 
der verfchiedenften Partheien in Kunft und Wiffenfchaft entfprechen, und bei fleißiger 3. 
ratheziehung diefes Hilfsbuches, welches nach den reichlichſt fließenden und zuverläfigfe 
Quellen ausgearbeitet ift, fchwerlich billige Wünfche unbefriedigt bleiben werden. 


— — — — — —— ——· — 
‘ 


Subferiptionsbedinguugen. 


Unter Bezugnahme auf vorſtehenden Profpecet gibt die unterzeichnete Verlagehand 
fung fih die Ehre, die Geb:lveten aller Stände, insbefondere aber Bibelforfher, Arie 
logen und bildende Künftfer, zu reger Theilnahme für dieſes, unbefreitbar höchſt wichtige 
und bisher einzige Werk ergebenft einzuladen. Daſſelbe wirb unter unferer Garantie 
in einer, der Wichtigkeit und Würdigkeit des Ganzen angemeflenen Weiſe ausgefattet, 
vom Jahre 1812 ab, in zwölf Lieferungen, jede 8 — 10 Bogen (groß Eericonformat) 
umfaſſend, erſcheinen und beträgt 


der Subferiptionspreis für die Lieferung 
fl. 1. 30 kr. oder 32 gar. 
Das Bert kann indeffen auch bandweife bezogen werben ; jeder Band umfaßt beri 
?ieferungen und toftet fl. 4. 50 Te. ober Thlr. 2. 58 gar. 
Indem dadurch die Anfchaffung des Werkes auch Minderbemittelten ermöglicht iR, 
wird zugleich die fefte Verfiherung gegeben, daß | 
alle zwei Monate regelmäßig eine Lieferung, 

alle ſechs Monate regelmäßig ein Banb 
ausgegeben wird. Die erfte Lieferung erfcheint im Januar, ver erfte Band im 
Monat uni, und wird fomit das ganze Werk binnen zwei Jahren in ven Bünten 
feiner verebrlichen Abnehmer ſich befinden. 


Alle Buchhandlungen des In- uud Anslandes nehmen 
| Veftchungen en. 


Atuttgart, im December 1842. 


| I F. € aſt'ſche Buchhandlung 


a 
N 
\ 
) 
j 


» Ti 2 ED —— urn 





Probe⸗ Columnen. 
Acht. 9 


Acht, in ver Zahlenſymbolik als die doppelte Vier, welche die Signatur der 
Offenbarung Gottes in der fichtbaren Welt iſt (f. Vier), druͤckt jene Idee in verflärf: 
tem Grade aus, wie die Decas jene der putbageräifchen Pentas; daher, wenn zur 
Amtstracht des gewöhnlichen Priefterd vier Kleidungsſtücke gehörten, ver Hohepriefter 
veren acht haben mußte (Baͤhr's Symb. des mof. Cults U. 116), und fo find at: 
mal fleben Säulen des Vorhofs der Stiftshütte, denn die Acht kommt nirgends im 
Mofaiemus als ſelbſtſtaͤndige fymbolifche Zahl vor; daß unterſcheidende Maaß ber 
das Innere ver Stiftähütte bildenden Dede, find nur die Vier und Sieben (Ebendaſ. 
1. 230.). So bilaete die Grundlage des Belustempeld ein Viereck, meil ber Tempel 
als Wohnung der Gottheit die fichtbare Offenbarung Gotted, die Welt, welche man 
ſich viereckig Dachte, vorftellen follte; erhob fich aber in acht Abſätzen übereinander. 
Wie nun binfichtli de Raums die Acht als Doppelte Vier fich geltend. macht, fo 
andy Hinfichtlich ver Zeit. Das ewige Jahr des Apollodor (aidıog dvinurög Apol- 
lod. III. 4, 2.) war nur eine voppelte Olympiade, und aus diefem Gefichtäpunfte 
erklärt ſichss warum zu Delphi in jedem achten Jahre ein den Apollo repräfentiren: 
der Knabe den Kampf mit dem Python darftellte, in welchen ver Frühlingagott als 
Ueberwinder der Winterfchlange verfinnlicht ward (Dtifr. Müller’3 Proleg. ©. 302) ; 
warum Der Sonnengott Odyſſeus erft im achten Jahre von der Mondgoͤttin Calypſo 
gemahnt wird, an jeine Heimkehr (von ven Wanderungen durch den Thierfreis) zu 
denken (Odyss. 7, 251 sq.) und der Sonnengott Menelaod erſt im achten Jahre 
mit der Mondgöttin Helena in Sparta wieder anlangt (Odyss. 8, 81.); Gabmus 
dem Mars wegen der Ermordung ded Drachen acht Jahre vienftbar jeyn muß 
(Suidas s. v. Kadnog), obgleich Apollo dem Admet wegen Toͤdtung des Drachen 
Python nur Ein Jahr; venn folche acht Jahre waren das große Jahr ber Thracier 
(Müller Dor. U. 100 ct. II, 126); nach einer Wanderung von acht Jahren Aencas 
in Latium landet (Virg. Aeneid. 1, 755. 5, 46.); Numa im achten Fahre feiner 
Regierung das Ancile erhält (Ov. Fast. 3, 371). Als Signatur der Offenbarung 
in Raum und Zeit im doppelten Sinne (im Verhaͤltniß zur Bier) heißt die Acht 
mit Recht die Augenzahl, denn oxr@, octo ſtammt von öxog, oculus (Sfr. 
aksbi Auge, aotau adıt ac feben, fcharfiiähtig feyn), und von dem Dialer une 
(für 6x0) leitet man bie Form Once, önropas fchauen, fehen, jehnen (für docouee) 
ber. Auch bildet die Figur ver Acht (B) zwei Augen (oo). Als deppelte Dffen- 
barungszahl an vie hervorbringende, ſegenſpendende, befruchtenpe, Gedeihen foͤrdernde 
Kraft mahnend, gehörte fie dem Waflergott Neptun, dem in Athen ver achte Tag 
eined jeven Monats gebeiligt war (Alex. ab Alex. UI. c. 18.), und iſt dem Gebräer 
die Fett oder Delzahl (IC von 72% pinguem esse), und das Geſetz beſtimmt 
den alten Tag nach ver Geburt eined Knaben zur Beſchneidung des Zeugegliedes, 


wofür dem Abraham eine zahlreiche Nachkommenſchaft verheißen wird Cogl. 1 M. 


17, 14. 16.). Darum ift auch der Geervenmehrer Ban im egyptiſchen Götterſyſtem 
ber achte, die andern fieben in feiner Perfon vereinigenn; beißt als achter Kabir 
auf Samothrace Ismuni, d. i. der Kette (HEY Toumvıog) und dem Heilgott Aeſcu⸗ 
lap gehörte der achte Tag der Eleufinien; und well die Obttin von Gleufis ats 
Fruchtſpenderin, vie Schöpferin alles Lebens, Aphrodite oder Aſtaroth die Hrerden⸗ 
mehrerin felber ift, daher wurde auch auf Münzen. von Paphos (wo die Liebrsgättin 
ihren Euftus Hatte), und auf gefchnittenen Steinen, vie den Tempel daſelbſt vor: 
ftellten (f. Münters Rel. ver Babyl. ©. 107) der Stern Aftartend.mit acht Strah⸗ 


lea abgebilbet, ebenfo auf ben Münzen des Babylon benachbarten Edeſſa. Zuweilen 


bejigt die Acht ven verflärkten Heiligkeitscharakter der Sieben, wie Cotelier zum 
Briefe des Barnabas e. 15. mit Beziehung auf Jeſ. 1, 13. anmerft: Senarium sae- 


pissime applicant praesentis vilae, octonarium fulurae, septenarium autem made 


uni, mode alteri und bezeichnet auch wie dieſe den xoouog vanrog (vgl. Clem. Alex. 
Strom. IV, 25. V, 6.). Diefe Bedeutung hatte die Acht beſonders in den Syſtemen 


tätfer für lterarifche 
— Raum 2 * 


— 
.Paſſow'ſchen füllen 


pn ihren Kraͤften ſtand, 
ben, klaren Drud unb 

ftatten. Sie haben 
i reis und Freierem⸗ 


Pmögiichft zu erleich⸗ 


fan darauf zu machen, 
its volftändig erſchie⸗ 
Die Verpflichtung 
ser Bandes bi Dftern 
Ichiuß des ganzen 
gu, wahrfcheiniih aber 
bis zur Vollendung 
eben bleiben; daß bis 
ben Stand gefegt ifl, 
ten Belinpapier, 
emplar zu liefern, 


zur Anfiht und Prüs 


ternehmen dem Wohl⸗ 
qhulmaͤnner unb bitten 


⸗ ſicherlich werth iſt. 
kweg & Sohn. 
| BE EEE 


vn Raumer. 


prig iſt neu erſchienen 
ken: 


ar 
grephie, 
yechnitte. 


Baläftina“. 
Nor. 


ebenbafelöft: | 

r Mit einem. Plane 
Amgegendb von Sichem 
- des, heitigen Grabes. 
gr. | 


Na Ra⸗ 
26 „Palifiga”. Mit 
Pr 

3 Nor. ° 
ssgraphie. Zweite 
Ir.8. 3835, 1Thlr. 


Se. - Eine Vorſchule 
Flage. Gr. 8. 1838. 


’ 


Candwi 
Herausgegebe. 
tiſcher Land 

affenurs 
iblatt: G 


Lei 


Hiervon 

en darin wi 
berechnet 
guͤtung von 9 


Erfahrungen 
— Das Aut 
Zuttermangelt 
Miscehen 
Landwirthſche 
in London. - 
ben. — Den, 





Da di 
uaturfor 
neuen Stat 
alle Diejnt 
an bie Sefe 
Adreffe zu ı 

An dic 
sellschaft 





In unf 
Buchhandlun 


Hut 


Alt: Schwe 
Aderfegt um 


Diefes I 
denen jede m 
mand gezr 
fondern a 
wählen % 
Zwinglie ſel 


10 Acidalia — Acker. 


der Gnoſtiker. Ihnen zufolge bilden die 7 Urkraäfte (duvcueic) mit dem Urweſen, 
deſſen Emanationen ſie find, die erfie Acht (nporn dydoag), die von allem andern 
Dajeyn der Grund ift. Dafilives fand Aehnliches in der perilfchen Lehre von Zerrane 
akerene (die anfangds und endlofe Zeit) und den 7 Amfchafpande. Die Acht war 
den Theofophen Überhaupt eine fehr wichtige Zahl. Die 7 Sterne, find xoouoxpa- 
ropeg; was ihrem Ginfluffe angehört, If der Nothwendigkeit unterworfen, hingegen 
was darüber erhaben, die Ruhe des Unwandelbaren, das Reich der Freiheit (opaıpa 
ankavng). Der Pſeudohermes nennt als höchftes Ziel des vovc, daß er ſich befreie 
von den Ginflüffen der fiverifchen Welt und fich erhebe zur gvoıs dydoarınn. 
(Neander Entw. gnoft. Syſt. ©. 34, 76). Die Sphäre des Saturn machte nur 
ven Uebergang zu ver nicht mehr ver Planetenwelt angebdrenden Sphäre; daher 
über den 7 auf die Planeten fich beziehenden Pforten (im Fragment aus der Schrift 
des Gelfus) noch eine a te fleht, Die ald nepiodog dnAavng den Gegenſatz bildet zu 
der neplodog &ig rovg nAdvnrac Yeyernubvn. 

Heidalia (A-xidadın, Zwiebel), Beiname der Venus, angeblich von einem 
Brunnen Acivaltus zu Orchomenos In Böotien. Die Bedeutung dieſes Prädicats 
ſ. u. Zwiebel. 

Acts (Axicç, reißend, ſchnell), Nebenbuhler Polyphems in der Liebe zur 
Balathbea, und von dieſem durch einen Steinmurf getodtet. Sein bervorgnillenve 
Blut verwantelte Galathen in einem Strom feined Namens Ov. Met. 13, 750. 

Acer (apovoa, bei Arfhyl.: „Sieben vor Theben.“ V. 738), Garten 
(xnnog) und Zurche (sulcus bei Lucrez) nannte abwechſelnd die Hieratifche Sprache 
das Weis, To wie den Mann, die den Boden aufreißenne Pflugſchaar (vomer bei 
Ructez); daher hat der Genuß von ber verbotenen Frucht zur Felge, daß Adam bie 
Erde bauen muß, und Eva Geburtöfchmerzen bekommen fol, melche gleichzeitig 
bietirte Strafen fonft alles Zuſammenhangs entbehren. Selbft der die Schlange tief: 
fende Fluch Erde zu frefien, wovon die Naturforfcher nichts wiffen, erhält bann feine 
Berftänplichkeit; denn die Schlange iſt in den Myſterienſtyl immer der Phallus, 
daher auch Cadmus mit Draddenzähnen den Boden von Lacedaͤmon furdiend, die 
erften Spartaner fürte. Nur in diefem Einne ift es zu verfiehen, warum Kain ein 
Ackersmann wird, denn fein Name ſchon bedeutet eine hasta (T’p ? Sam. 21, 16.) 
sc. virilis, wie xovrög, und Die „Lbchter des Menfchen” nach denen die Kinder 
Gottes fhauend, zu gefallenen Engeln (Nephilim) wurden, (1 M. 6, 2.) follen ber 
tabb. Tradition ' zufolge „Töchter Kain“ geweſen ſeyn, melcher nicht ein Sohn 
Adams, fonvern des Sammaels, des Oberſten der Teufel war, was daraus zu 
fließen, daß bei der Geburt Seths Gemerkt wird, diefen habe Adam nad feinem- 
Ebenbilde gezeugt (1 M. 5, 3.). Sammael aber ward Urheber der Zeugungdfuf und 
des Tobes. Verſteht man nun unter Aderbau vie Kinderzeugung, fo bevarf rd 
feiner Erklärung mehr, warum auch Pſyche (die Seele), nachdem fie verjährt durh 
Aphrodite, die Göttin der Sinnlichkeit, dem himmliſchen Eros (durch das Streben 
nad Individualität) untren geworden, zur Strafe — ven Pflug ziehen muf. So 
erblidt man fie auf einem geſchnittenen Steine tn ven Zeichnungen des befunnten 
Gheppi in der Batican’fchen Bibliothek. Die Ehe wurde auch yon der Sprade viel⸗ 
fach durch den Aderbau ſymboliſtrt. Das Querholz, woran die Bflugftiere geipannt 
wurben (Zuyog, jugum) hieß nun oonjugfum. Das Bild diente zum Außorude ver 
zärtlichften Gefinnung ‚ wenn fich zwei Liebende ro Zuys (Theocrit. 12, 15.) lieb⸗ 
ten, oder wenn man in einem Gochzeitgebichte zurief: Tamque pari semper sit Venus 
aequa jugo (Martial. 4, 14.). So galt auch das Hochzeitopfer (sacrificium nuptiale) 
der Ceres, dadurch auf den innigen Zufammenhang zwifchen ver Agricuftur und der 
Ehe Hinweifend. Ceres, die Stifterin der agrarifchen Cultur Hat auch den ehelichen 
Verein geftiftet (Baur's Symb. 11., 2 ©. 331), daher dad Kinderzeugen mit Ant 
vrüden Bezeichnet wird, die vom Pflügen und Shen entlehnt find (onöpog zaı 


Adamantus — Adler. 13 


Adamantind, (A-danavrag, Unüberwindlicher), Beiname des Pluto. 
Adamas (A-Sauag, Unbezwinglicher), ein Trojaner, Iliad. 2, 560. 
Adar (perf. Atar, Feuer), Ized des Feuers. 

Adargatis, ſ. Atargatis. 

Addephagus (Adön-payog, Bielfraß), Präpicat ded Hercules, meil er einen 
ganzen Ochſen aufgegefien haben folL als er in das Land ber Degopen fam (Apollod. 
1, c. 6. $. 7.). Die Bed. d. Mythe f. u. Stiertödter. 

Adeona (Ad-eona v. 00, ire) eine Goͤttin, welcher diejenigen ſich befahlen, die 
den Hinzugang zu einer Sach⸗ ſich gluͤcklich wänfchten, Augustin. C.D. IV. c. 21: 

Ader, Symbol der Bluts-Verwandtſchaft, Air = piebs. 

Adiferen, ſ. Schlange. 

Aditi, eine der beiven Frauen des indifchen Mondgotts Kaſyapa, entfpricht der 
Ada (ſ. d.), Lamechs Gattin, wie Diti ver Zille. Mit der Apiti zeugte Kafyapa die 
12 Adityas als Nepräfentanten der Monate, allegoriſch vie 12 Standpunkte ver 
Sonne in ihrem fcheinbaren Lauf durch den Thierkreis. 


Adler (ver), ift unter den Vögeln, was der Löwe unter den Vierfüßlern, König 
der Lufibewohner, nicht aber wegen feiner Größe, ſondern wegen feines hohen Fluges 
und fcharfen Geſichts. Der ven beflenerten Gefchöpfen eigenthünliche Vorzug ſich 
über Die Grove zum Himmel frei zu erheben und im unermeßlichen Raume ſich bewegen 
zu Eönnen, vermoͤge ihrer Flügel, gab ihnen in der Symbolik eine ſehr wichtige Stelle. 
Man betrachtete fie ald die Boten und Zungen (Kleufer Anh. z. Zend-Av. IL Thl. 1. 
p. 104. Philostr; vit. Apollon. I. 25.) der Götter, melche deren Willen und Beichlüffe 
vom Hinmel auf die Erbe bringen, alfo auch mit den göttlichen Befchlüflen vertraut 
find (Job. 28, 21), daher die Perſer, wie die Römer aus piefen Vögeln omina zu 
nehmen pflegten, und folche in Käfigen verwahrt, im Kriege mit ſich führten 
(Dorville ad Charit. p. 560). Was das Eigenthuͤmliche der Vögel überhaupt if, 
das kommt im hoͤchſten Grade den Adler zu; fein Vogel hat eine ſolche Flugkraſt 
wie er (Sprw. 30, 19. Ser. 4, 13. 49, 22. Kl. 4, 19.), feiner, fliegt jo Doch und 
fo weit, daher fein Praͤdicat Uyınseng. Im Sanffrit, im Hebräifchen, im Griechi⸗ 
fchen und ſelbſt noch im Deutfchen führt er darum einen Namen, welcher auf feinen 
hoben Flug anfpielt (Ati, O2, alerög, Adler vo, fir. at: fich erheben). Er Heißt 
auch Aar als Beberrfcher der Luft (arjo, aer), feiner Hat fo große Flügel wie 
er, woher fein Beiname ravunrepog (lliad. 12. 219. 13. 822. 22. Odyss. 20, 
243. 24. 538. Pind. Pyth. 5). Auch im Zend-Aveſta wird gefagt: „Der Adler 
schwingt feine beiden Flügel nach den Enden ver Welt" 1, S. 92). Auf gleiche 
Weiſe zeichnet fich Der Adler durch feine Sehkraft nicht nur vor andern Voͤgeln, fon: 
dern vor allen Thieren überhaupt aud (Job 39, 29,). Er ſieht feine Beute von der 
böchften Höhe herab, wo er dem wenjchlichen Auge kaum mehr jichtbar ifl. Die 
Alten glaubten, er könne unverrädt in die Sonne fihauen (Aelian. H. N. 1, 32: 
alsröc de sevidav ö&untepog, vgl. die Stellen bei Bochart Hieroz. II. p. 174), 
daher er frühzeitig Symbol der Sonne wurde, ſchon fein Erfcheinen deshalb von 
günftiger Vorbeveutung war (Iliad. 13, 821. 24, 314.). Der Perſer nannte ihn 
Eorosh (gleichbebeutend mit Horus, AR Licht) den Vogel Ormuzdos (ber felbf 
Bore mezdao: „großes Kicht* Heißt), ver Grieche ebenfalls, wie dad Tageögeftirn: 
"Adowv (feurig, glänzend), . Hygin. f. 31, nach dem Sonnengott Zeus (Munker ad 
Hygin. f. 82.), welcher als Behexrſcher der Luftregion (eidg) feinem Lieblingövggel, 
den flolzen Aar den Namen aigAuog verichaffte, welcher in den Mythen als deſſen 
Sohn aufgeführt wird. Aus gleicher Urſache hieß der Adler privn (der Leuchtenve 
v. galvo) und pAsyvag, d. I. der Brennenve (Hesiod..scut. Herc.). Als Vogel der 
Luft wurde ver Adler auch Bligträger (xegauvopsgog), vielleicht, weil nach Plinius 
CX, 34.) der Adler nie vom Blige getroffen wird. Daher brachte er im Sitanenftreit 


et. 


laͤtter für 55 
aut Raum 2%, Nor. 


— — 
Paſſow'ſchen füllen 


m ihren Kräften ſtand, 
fen, toren Drud unb 
Wyuftatten. Sie * 
reis und Freiere 
a See zu riet 


am baranf zu machen, 
eits volftändig erfchies 
bie Verpflichtung 
en Bandes bid Oſtern 
kchiuß bes ganzen 
gr, wahrſcheinlich aber 
5 bis zur Vollendung 
Beten bleiben; daß bis 
8 ben Stand gefegt iſt, 
eten Belinpapier, 
emplar zu liefern 
zur Anfiht und Prüs 


ternehmen dem Wohle 
&ulmänner und bitten 
«8 ſicherlich werth iſt. 
aweg & Sohn. 
——— — 


yn Raumer. 


zig iſt neu erſchienen 
en: 


sr 
graphie, 
yochnite, 
5 


— 
e. Mit einem Plane 


Amgrgend von Sichem 
des, heitigen Grabes. 


gr. 
sad ir 


Palaſtia Mit 


— 
IN 


‚9 eaubie. Zweite 
Ir, 8. 1835, 1 Thlr. 


Hei Eine Vorſchule 
iæs⸗ &. 8. 1838. 


Br | 


s 


Candwi 





Herausgegebe 
tiſcher Land 


a 
Eiun. 6 


Lei 


Bierdon ı 
nun 
ne 

gütung von Y 


Ir 






fioffenen Son 
Erfahrungen 
— Dos Fut 
Futtermangel 
Mibee Ten 
Landwirthſcha 
in London. — 
ben. — Den, 





neuen Stat 
alle an 
an bie 
Abreſſe zu ı 
An du 
sellschaft 





In unf 
Buchhandlun 


Hut! 


Alt: Schw 
Aberfege um 


Diefes 5 
denen jede m 
mand gezr 
fondern a 
wählen 4 
Zmwingl’s fel 


Mn “" 


14 Adler. 


den Zeus die Donnerkeule (f. Eratosth. Calasier. c. 80.) und wurde irberbaupt 
„Jovis armiger“ (Virg. Aen. V. 255), in Tempel des Jupiter Ammon im theibaifchen 
Nomos fogar göttlich verehrt (Sırab. Geogr. 17.). Weil der Siriusſtern feines hellen 
Lichtes wegen Zelotoç, alfo wie die Sonne (osıpög, fr. surya v. Stw. swar, 7Ö 
oeıpıda leuchten) genannt wurde, die Egypier und Griechen in ver Sommerfonnen: 
wende bei den beliafifchen Aufgange des Sirius (am 27. des Krebsmonats nach 
Guborius und Euftemon) das Jahr eröffneten, fo wurde ver Adler in ver Hieroglyphe 
Vogel des Sirius und Jahresgrenze, durch das Solftitium das Jahr in zwei Hälften 
fonvdernd. In dieſer Sigenfchaft kannte ihn nicht nur die griechiſche Mythe, welche 
ven Mep-oıb — der Dann mit dem „getbeilten Beficht,” weil er wie Janus in 
die alte und neue Zeit ſieht; Meropen hießen nach Ihm vie Menfchen, inſofern Zeit: 
ſchoͤpfung Menjchenichöpfung, vie beſtimmte Zeit aber mit dem Aufgang des GSirins 
anfing — von der Mondgöttin (Juno), die dem Krebömonat JZunius von ben 
Aftrologen als Regentin vorgefegt ift, in einen Adler verwanveln fäßt (Hygin. Astr. II. 
c. 16.) ; fondern auch der Hebräer, denn er nennt in feiner Sprache viefen Bogel ben 
Abtheiler (az vo. 18} = "772 serrare abfondern, wovon YT5= serra Säge). 
Jahrtödter ift er in griechiſchen Mythen, und als Aufldfer der alten Zeit frißt er 
die Leber (ſ. d.) des Prometheus, vie aber wieder wächft, weil Die Zeit nur ſcheinbar 
flirbt. Und felbft die Verwechslung des Sirtusvogeld mit dem Symbol des großen 
Sirtudjahrs, dent wie die Zeit ſich verjüngenden Phönir, mar dem biblifchen Dichter 
nicht fremd geblieben, denn "792 Tann Pf. 103, 6. Jeſ. 40, 31. nur auf den fi 
verjängenden, daher feine Kraft wechſelnden Phönir bezogen werden (ſ. 
Phönix) ; daher ver Adler dad Reittbier des Heilgottd Wiſnu und Symbol Ra- 
phaeld Auch die Kirche bemächtigte fich dieſer Idee, denn ein Adler fehügt ven 
Leichnam der Märtyrerin Sta. Prisca bewachend, vor der Verweſung. Als Jahr: 
ſchopfer wurde der Adler in der Perſon des AI Arog ein Sohn der „Erfigebornen" 
Hocdcroytveic, ſ. Hyg. fab. 155.); und als Im führte er mit dem Roß ber „Mor: 
genröthe” (Serv. ad Virg. Aen. XI, 89.) wie ald DAsydag mit dem Sonnenpferbe DAs- 
yo» (Ov.Met. 11. 154,) einen gemeinſchaftlichen Namen. So ift auch begreiflich, warum 
TO 032 (Flũgel der Morgenrdthe Pf. 139,9.) in der fyr., arab. und Athiop. Weber: 
fegung einflimmig: „Flügel des Adlers“ lauten; ferner, warum Athene, welche vie 
Morgenröthe des Aequinoctialjahrs durch den Wi dderkopf aufihrem Helme (Sreugerd 
Symb. II. 672.) andeutet, von Homer mit dem Aar verglichen wird (gr eidouden, 
Odyss. 3, 372.), eben weil fie Lichtbringerin beißt. Euſtathius vergleicht zur angef. 
Stelle Odyss. 1, 320. und fährt dann fort: pnvn yap napa Tb Yainsıy Eorxe 
nepfiydar. Boopdpog 88 7 AInva; Minerva word für bad ätheriſche 
Feuer gehalten, Eustath. ad Iliad. I. p. 123. Daher gaben ihr die Alten bald ein 
rothes, bald ein gelbes Gewand (Winkelmann in der Alleg. p. 515, neuefle Dredde. 
Audg.). Auch In ver hrifklichen Kirche Eonnte darum der Adler (abwechfelnd mit der 
Taube) ven Heil. Geiſt bebeuten. Einen Anhaltépunkt batte den Allegorifera 
fhon der Adler des Propheten Eliſa 2 Kön. 2, 9. gegeben. Der zwiefältige Geift, 
den der Prophet dort erfleht, wird in der kirchlichen Sconegraphie durch Dem zwei: 
kopfigen Adler ausgedrückt, und man fieht, daß die Firchliche Trapition unter dieſem 
Beifte ven Heiligen Geift verflanden wiſſen will. Die Legende vom h. Bertulpk, 
welcher auf dem Felde in einem Buche leſend, umgeben von einem großen Glanz, 
und über ihm ein die Schwingen ausbreitender Adler, angetroffen worden, iſt aus 
dem Gefichtöpunfte, daß dieſer Vogel ven h. Geift verbildliche, zu erflären. In 
der fpätern Zeit mußte der Adler den Heiligen auch andere Dienfle verrichten, 3. B. 
den h. Servatius vor den Eonnenftrahlen, den h. Medardus vor dem Regen fchüßen. 
Dies kam daher, weil er einmal zum Begleiter frommer Männer erwählt, die Urſache 
dafür aber nicht mehr befannt war. Weil bei ven heliaktiſchen Aufgang des Sirius 
am längfien Tage vie Sonne auf ihrer jährlichen Wanderung durch den Thierfreis den 


Die im Verlag der Unterzeichneten erscheinende: 


Paedagogische Revue. 


Centralorgan 
für 
Pädagogik, Didaktik und Culturpolitik. 


Herausgegeben 


von 


D.Mager 


‘ ist seit Ihrer Begründung im Jahr 1840 als eines der bedeutend- 


sten Organe der Pädagogik, Didaktik und Culturpolitik 
anerkannt, dessen permanenter Werth in der Gediegenbeit der 


durch daselbe veröffentlichten Original- Abhandlungen und Re- 


censionen die sicherste Bürgschaft hat. Kein wissenschaftlich 
gebildeter Schulmann, kein im Unterrichtswesen beschäfligter 
Staatsmann, kann fortan dieses Organ unbeächtet lassen, in 
welchem fast alle literarische Notabilitäten der betreffenden Fächer 
ihre Ansichten und Erfahrungen niederlegen, und in welchem 
bei gleichmässiger Berücksichtigung der Theorie und der Praxis, 
der Literatur, Geschichte und Statistik, des gelehrfen, wie des 
Real- umd Volksschulwesens, alle pädagogischen Schulen vertreten 
sind. Indem wir hiedürch den Fortbestand dieser Zeitschrift auch 
für das nächste Jahr ankündigen, und zu lebhafler Theilnahme 
einladen, erachten wir für nöthig, nachstehend eine Inhaltsüber- 
sicht, der seither erschienenen fünf Bände, für diejenigen hier 
anzufügen, ‘denen die Revue weniger bekannt seyn sollte. 


EInhalts- Uebersicht. 


1. Band. Bie moderne Philologie und die deutschen Schulen. — 
Darstellung eines bildenden geographischen Unterrichts. (1. und 2, Art) — 
Schulpforte in den Jahren 1812-1818. — Princıp der Erziehung und des 


Unterrichts. — Die philosophische Propädeutik auf Gymnasien. — Erinne- 
rungen. — Fröbels Verdienste um die Erziehung der Kindheit. — Die Gym- 
nasion im Kampfo mit dem Zeitgeist. —. Das Manuscript des Breslauer 


Pbilologen. — Pädagogische Aphorismen. 

El. Band. Das Häbräische and unsere Schulen. — Kritische Be- 
leuchtung der in der neuesten Zeit anempfohlenen Methoden bei dem natur- 
historischen Unterricht. (1. und 2, Art.) — Erfahrungen über die Wirkungen 
des höheren Gymnasial-Unterrichte. — Ueber den Werth des Lateinschrei- 
bons, — Ueber den successiven Unterricht in den auf den Gymnasien zu 
lehrenden Sprachen. — Nachwort. — Das Sendschreiben über einige Mängel 
der preussischen Schulverwaltung. (1. Art.) — Darstellung eines bildenden 
geographischen Unterrichts. (3. Art.) — Was können Jie Gymnasien zur 
Wiederherstellung der öffentlichen Beredtsamkeit tbun? — Zur Frage über 
die Principien. — Die deutsche Bürgerschule. — Die neuesten Schriften 


n 


Den ricchlichen Gpradie beraelalt, daß bie"a0O Magen more | 5 MET. 


m» 


| 
iger. 


EIE „Blätter für literarifche 
Seile oder deren Raum 2, Nor. 
Bogen des Paſſow'ſchen füllen 


‚ was in ihren Kräften fland, 
beit, ſcharfen, klaren Drud und 
uͤrdig auszuflatten. Sie haben 
L feilen Preis und Freiexem⸗ 
HYmnaften mögtichft zu erieich⸗ 


E aufmerkſam darauf zu machen, 
Band bereits volftändig erſchie⸗ 
— die Verpflichtung 
mes zweiten Bandes bis Oſtern 
den Schluß bes ganzen 
December, wahrſcheiniich aber 
efern;s daß bie zur Vollendung 
veife beſtehen bleiben; daß bis 
ndlüung in ben Stand oefeat ift, 
eglätteten Belinpapier, 

| Breieremplar zu liefern, 


RS Werkes zur Anfiht und Prüs 


Vorliegen. 

Ardige Unternehmen dem Wohle 

en und Schulmänner und bitten 
eren es ficherfi . 

* 1548 ſich ich werth iſt 


ich Mieweg & Bohn. 
WED 
Karl von Raumer. 


3 in Leipzig ift neu erfchienen 
p zu erhalten: 


ge zur 
Beographie. 
chechnitte. 


hi „Weliktina”. 


15 Nor. 


en fruͤher ebendaſelbſt: 


m. Auflage. Mit einem Plane 
bete dee Umgegend von, Sichew 
re Kirche des, heitigen Graben. 
fe. 20 Nor. 

2. 


uw 8 Nor, 
wen Beograpbie. Zweite 


afein. Gr. 8. 1835, 1 Thir. 


| Miche. Eine Vorſchule 
Auflage. Gr. 8. 1838. 


— — — —— — — 








I 


4 
Candwi 


Herausgegebe 
tiſcher Land 


— 


Lei 


en 
ran 

* ne 
gütung von 9 


8 
Nachrichten ü 
Der Aberglaı 
merlungen üf 
fioffenen Son 
Grfaprungen 
— Das Fu 
Suttermangel 
Misceelien 
Landwirthſche 
in London. - 
ben. — Den, 





Da di 
naturfor 
neuen Stat 
ale Diejent 
3 die Geſel 
Abreſſe zu ı 

An bi 
sellschaft 





In unf 
Buchhandlun 
8 
Hui 


Alt: Schwe 
uͤberſet ur 


U 
« 


Diefes 1 
denen jede u 
mand gezr 
fonbern «a: 
wählen t⸗ 
3wingtes fel 


Münch, Ernst von, Sämmtliche Dichtungen. Ausgabe letzter Hand mit 
Auswahl, Mit dem Bildniss dos Verfassers. 8, geh. 2 A. 30 kr. oder 
t Bthir. 12 ger. 

— — dasselbe in ongl.. Leinwand geb. 36 kr. oder 8 ggr. netto mehr. 

Mork, Dr. Fr., Die Götter Syrioms, Mit Rücksichtnahme der 
neuesten Forschungen im Gebiete der biblischen Archäologie. brösch. B. 

18.36 kr. oder 1 Rthir. 

— — Biblische Mythologie des alten und neuen Testaments. Versuch 
einer neuen Theorie zur Aufhelluag der Dunkelheiten und scheinbaren 
Widersprüche in den canonischen Büchern der Juden und Christen. 
Erster Band. gr. 8. brusch. 2 Rthir. 15 ggr. oder A A. 30 kr. 

(Der zweite Band ezscheint zur nächsten Ostermesse.) ” 

— — Daumer, ein kursweiliger Molochsfänger. gratis. 

Osiander, Mi. P., Ueber den Handelsveorkehr der Völker, Zwei 
Bände. Zweite Auflage. brosch. 8.5 4. 24 kr. oder 3 Rthir. 8 ger. 

Palxhans, IH. 3. (Französischer General,) Militärische Stärke und Schwäche 
von Frankreich. Ein Versuch über die Frage der Vertheidigung der 
Staaten und aber den Defensiv-Hrieg. Frei ins Deutsche übertragen 
von F. v. Kausler, Oberst im K. würt. Generalstab. 8, geh. if. 45 kr. 
oder 1 Rthir. | 

Pipitz, F. E. Memoiren eines Apostaten. Aus dessen Papieren heraus- 
gegeben. gr. 8. geh. & 4 12 kr. oder 1 Riblr. 12 ger. 

Possart, Prof. Dr. P. A. F. K. Kleine lappländische Grammatik, mit 
kurzer Vorgleichung der Aunischen Mundarten. 8. geh. 36 kr. oder 9 ggr. 

Pusehkin, Alexander. Geschichte des Pugatschew’schen Aufruhrs. Aus 
dem Russischen übertragen von H. Brandeis. 8. geh. 2 8. oder 
1 Rtbir. & ger. 

Quednow, A. Aus der Schule des Lebens. Roman in drei Büchern. 
gr. 8. geh. 2 . A2 kr. oder 1 Rthlr. 15 ger. 

Eau, Heribert. Girandolen. 2 Bde. 8. 3 8. 30 kr. oder 2 Riklr. 

— — Dis Pietisten. Roman aus dem Leben der neuesten Zeit. gr. 8. 
8 Bde. eleg. brosch. 8 Rthir. 18 gr. oder 6 Ai. 

‚Bebau, IH. (Verfasser der Naturgeschichte “für die deutsche Jngend und vieler 
anderer Schul- u. Jugenäschriften). Die merkwürdigsten Säugeihiere nach 

“ihren Stämmen , ihrem. Naturell, ihrer Lebensweise, ihrem Nutzen und 
Schaden, nobst ausgewählten Erzählungen zur Erläuterung ihres Cha- 
rakters und ihrer geistigen Fähigkeiten. Belehrendes und unterbel- 
tendes Lesebuch für die Jugend beiderlei Geschlechts. Mit schwarzen 
Kupfern. 8. cartonirt. 1 A. 45 kr. oder 1 Rthir. 

— — ditto ditto. Mit illum. Kupfern. 2 fl. 30 kr. oder-1 Bthir. 12 ggr. 

Shinse einer Geschichte der Zigeuner vide Kogalnitchan. 

Tendlau, A. M., Das Buch der Sagen und Legendeh jüdischer Vor 
seit. Aus den Quellen bearbeitet, nebst Anmerkungen und Erläute 
rungen. brosch, 8. 1 fl. 48 kr. oder 1 Rithir. 3 ggr. 

Warusm sollen wir und auf weiche Weise können wir Frieden halse. 
Betrachtungen eines deutschen Staatsmannes. 8, geh. 45 kr. oder 12 gpr. 


2 


3 


— - Me m _ U A Te = _1s PU we Lu — — —— 


 Literarifhber Anzeiger. 
0 1843. Nr. VII. | 


——— — — — — ——— — — — nn, 
Dieſer Literariſche — wird den bei F. A. Brockhaus in Le — erſcheinenden Zeitſchriften „Blaͤtter fuͤr literariſche 
/ 


Unterhaltung‘ und 


Heute wurde ausgegeben: 


Comversations - Lexikon. 
Neunte Auflage. Qechtes Heft. 


Diefe neunte Auflage erſcheint in 15 Bänden ober 120 Hefs 
ten zu dem Preife von 5 Nor. für bas in der Ausgabe 
auf Mafhinenpap.; in ber Ausgabe auf Schzeibpap. 
foflet der Baub 2 Ihle., auf Belinpap. 3 Thlr. 

Alle Buchhandlungen Liefern dos Werk zu 
biefen reifen und bewilligen auf 32 Er. 1 Frei: 
ere ar, 

* nkünbigungen auf ben Umſchlaͤgen der einzelnen Hefte 
des Converſationẽ⸗ Leriton werben für den Raum einer Zeile mit 
Yy Nor. für jedes Tauſend Exemplare ber Auflage berechnet. 

Eeiptig, 28. Februar 1843. 

S. A. Brockhaus. 





Im Verlage ber Unterzeichneten iſt ſoeben erſchienen: 


Ha ndwoͤrterbuch 
griechiſchen Sprache 


Dr. W. Pape, 
Profeffor am Berliniſchen Gymnafium zum grauen Kloſter. 
keriken⸗Oetav. Zwei Bände, jeder von 80—90 Bogen; 


nebft einem dritten Bande von 27 Bogen, bie griechi⸗ 
[hen Eigennamen enthaltend. 


bferiptionspreife 
Ge en ee TUT 


Fuͤr das gange en Ä able. 
Für das griechiſch⸗ deutſche Wörterbuch von zwei Bänden 6 Thlr. 
Kür das Woͤrterbuch ber 


griechiſchen Bigennamen 1Y Zhir. 


Dirfes Woͤrterbuch, weiches Iamgjährigen Forſchungen feine 
Erſcheinung verbantt, ift befkimmt, ben griechiſchen Sprach 

in umfoffenberes WBeife dem Gelehrten wie dem Schuler u Angs 
Up zu machen, und ben Sprachgebrauch ber claſſiſchen drift 
ſteller in viel reicherer und Eritifcherer Weife durch Autoritäten 
zu belegen ats dies bisher in irgend einem griechiichen Wörter: 
budhe g eichen Umfangs geſchehen ft. 


; Dien-und- enden; wir 
‚heres aus dem ſpectu⸗ ben .Borreden zu erſehen bitten, 
erfcheint in beet Bänden f Ken weldgen bie beiden erften das 
griechifch : deutfche Wörterbuch mit Ausfchluß der Eigennamen, 
der britte das orterbuh der grichtfihen Eigennas 
men, welches zugleid als Supplement für jebes andere gries 
chiſche Voͤrterbuch dient, umfaffen. 

“7 Diefe beei Bände enthalten prpr. 20O Wogen in großem 
Lexikon⸗Octav, In englaufender, aber fehr klarer und beutlicher 
Petitſchriſt. Die typographiſcha Raumiiihleit des Wäztes verhätt 
ſich zu jener der vierten Auflage von Paffom’s Woͤrterbuche 
der griechtfchen Sprache bergeflalt, daß die 200 Bogen bes 


beigelegt ober beigegeftet, und betragen bie 3 





tionsgebühren für bie Zeile ober deren Raum 2%, Ror. 


P & eftien Woͤrterbucht 275 Bogen des Paſſo w'ſchen füllen 
würden. 

- Die Verleger Haben gethan, was in ihren Kräften flanb, 
um das Werk durch Gorrectheit, ſcharfen, Maren Drud und 
ſchoͤnes Papier typographifch wuͤrdig auszuflatten. Sie haben 
zugteich durch einen Tehr wohtfeilen Preis und Freiexem 
plare bie Sinfügrung tn die Gymnaſten möglichft zu erieich⸗ 


teen . 

Sie erlauben ſich beſonders aufmerkſam barauf zu machen, 
baß jest ber erſte und der britte Band bereits volftändig erfchies 
nen iſt; daß bie Verleger ausbrüdtic bie Verpflichtung 
übernehmen, bie erfte te des zweiten Bandes bis Oſtern 
1843 und bie zweite Hälfte, den Schluß bes ganzen 
Werkes, jedenfalls bit Ende December, wahricheintidh aber 
ſchon bis Michaelis 1843 zu lieſern; daß bis zur Vollendung 
des Ganzen die GSubfcriptionspreife beflehen bleiben; daß biß 
dahin jede folide Sortimentshandlumg in den Stand gefept if, 
die Exemplare auf feinem geglätteten Belinpapier, 
und, aufderen ſecht, ein Freferemplar zu liefern, 
und daß endlich Eremplare bes Werkes zur Anfiht und Pruͤ⸗ 
fung in allen Buchhandlungen vorliegen. 

Sie empfebten dieſes würbige Unternehmen ben Wohle 
wollen der deutſchen Phflologen und Schulmaͤnner und bitten 
ihm die Beachtung zu ſchenken, deren es ſicherlich werth iſt. 

BSraunfäweig, im Mär; 1843. 
Feiebrich Wieweg & Sohn, 


Schriften von Karl von Raumer. 


Bei F. X. Brockhaus in Leipzig ift neu erſchienen 
und durch alle Buchhandlungen zu erhalten: 


Beiträge zur 
bibliſchen Geographie. 
nebst einem Höhendurchschnitte. 


Beilage ya des Verfaſſers „Pala ftiua⸗“. 
Gr. 8. Seh, 15 Nor. 


Von dem Berfaffer erfchien früher ebendaſelbſt: 
Palaſtina. Zweite verm. Auflage. Mit einem Plane 
000 Jeruſalem, einer Karte der Umgegend von Sichem 
und bem Geundtifſſe dee Kirche des. Heiligen Grabes. 
Sr. 8. 1838, 1 Thlr. 20 Nor. 
Bes Qevasliton aue Napten nad Ra⸗ 
naar. Beilage zur des Verfaſſers Palaͤſtina“. Mit 
I Karte. Gr. 8. 1837. 15 Nor. 
Die Kants von Pelaͤſtina ˖ eingein 8 Nor. 
Eehrouch ber altgemeinen Geographie. Zweite 
— it 6 Kupfertafeln. Gr. 8. 1835, 1Thlr. 
15 or. ur 
Befepreibung ber Erbobaer Meche. Eine Vorſchule 
der Edlande Dritte verb. Auflage Gr. 8. 1838. 











5 Ngr. 


N 





Einlademg zur Pränumeration 
auf den Jahrgang 1843 


Medicinis chen 


JAHRBÜCHER 


des kaiserl. königl, Staates 


und der damit verbundenen 


Östreichischen medicinischen Wochenschrift. 


Herausgegeben von 


Dr. Joh. Wep. Ritter v. Haimann, 
Prof. Dr. > 





- 


A. Edien v. BHosas 
Primar- Wundarzt Dr. Karl Sigmund. 


Preis des Jahrgangs von 12 Monatsheften und 52 Nummern der Wochenschrift 10 Thlr. 


Dieses Journal fand im Jahre 1841 eine wesentliche Umgestaltung durch Hinzufügung der medicinischen Wochenschrift, 
und wird nun auch im Jahre 1843 nicht nur in gleicher Weise fortgesetzt, sondern bezüglich der Auszüge als auch der 
Literatur namhaft erweitert. J 

Für Diejenigen, welche bereits das Blatt besitzen, dürfen wir nur versichern, dass alle Änderungen nur im Interesse 
der Wissenschaft und der Leser vor sich gehen, sowol was den innern Gehalt der Originalaufsätze, der Aus- 
züge fremder Journale Deutschlands, Englands, Frankreichs, Italiens , Ungarns und Russlands, als auch was die schöne 
Ausstattung und die regelmässige pünktliche Ausgabe betrifft. 

Für Diejenigen aber, welche sich noch nicht von den wesentlichen Vorzügen, weiche dieses Journal vor allen andern 
medicinischen auszeichnet, überzeugten, wird es nicht überflüssig erscheinen, die Tendenz desselben zu entwickeln. 

Die 12 monatlichen Hefte erscheinen am Ende des Monats und bringen: 





1) Beobachtungen und Abhandlungen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde. . 
2) Geschichte und Ergebnisse der meodicinischen Lehraustalten, wie auch der Krankenhäuser und Wohlthätigkeits- 
Institute, dann medicinischs Topographie. 
3) Kritik der in- und ausländischen medicinischen Literatur und Ergebnisse der Journalistik. 
4) Misoellen, 

Die 52 Nummern der Wochenschrift enthalten; . 

1) Originalsittheilungen aus der Praxis. Fälle, die schnell der Lesewelt mitzutheilen sind, werden hier auf- 
enommen, 

3) Auszüge aus in- und ausländischen Zeitschriften und fremden Werken. 

3) Notizen, Beförderungen, ‚Ehrenbezeigungen. | 

4) Literarische Anzeigen. Angabe der medicinischen Bücher, welche in jeder Woche in Deutschland, Kagland, 
Frankreich und Italien erscheinen, mit genauer Angabe des Origimalpreises und der Bogenzahl; an 
werden sich Beurtheil selcher Schriften anschliessen, bei denen eine raschere Bekanntmachung und eiste 
summarische Anführung. des Inhalts erwünscht sein dürfte, . 

5) Verzeichnisses der in verschiedenen deutschen und fremden Zeitschriften enthaltenen Originalaufsätze. 

Der ganze Jahrgang, auf das schönste Maschinenvelin gedruckt, besteht aus 172 Bogen, zu dem noch im Laufe des 
Jahres eine grosse Anzahl Extrabeilagen kommen, sodass der Pränumerant für 15 Fl. mehr als 208 Bogen erhält. 
Sämmtliche Herren Pränumeranten werden im Decemberheft jeden Jahres namentlich aufgeführt. Die Abseh- 

mer des Jahrgangs 1843 ü 800; eine solche Theilnahme därften sich wol nur wenige wissenschaft- 
Hehe Journale erfreuen, und liefert den besten Beleg der zweckmässigen Anordnung und der Gediegeaheit des. Inhalts. 


Braumüller & Beidel in Wien. 


Bei Gerßard in Danzig eeſchien ſoeben und iſt in Im Verlage von Friebrich Mieweg & Gehen in 
allen Buchhandlungen zu haben: Braunfcyweig ift erſchienen: 
Bebichte von Güfar von Mengerke Die nenekte Zeit 

(in Königsberg), Gefammtausgabe. Cr. 8, ‚ine , 

372 Seiten. Broſch. Preis 1 Thir. 20 Ngr. | enangelifhen Kirche des preußiſchen Staates. 
0 ge) die in dieſem Bande enthalt | Bari Berabern Köni 
| — — [erde ie etyattenen | Gr. 9. Velinpapier. as. Preis 10 A fe gr.) 











Kandwirthschaftliche Dorfzeitung. 
Herausgegeben von 
©. v. Pfaffenrath unv William Röbe, 
Bierter Jahrgang. 4. 20 Ngr. 


Leipzig, bei F. A. Brockhaus. 


Hiervon erſcheint woͤchentlich 1 Bogen. Ankündigun⸗ 

en darin werben mit 2 Rgr. für den Raum einer gefpaltenen 

Belle berechnet, befsnbere Anzeigen zc. gegen eine Ber: 
güfung von %, Thir. für das Tauſend beigelegt. 


Inhalt des Monats Februar. 

Worfzeitung: Mittheilungen des Herrn Pfarrer Weife. — 
Wie kann der Ländwirth bem durch bie vor⸗ und biesjährige 
Futternoth hervorgerufenen Düngermangel ſoviel ale möglich 
vorbeugen? — Sendſchreiben des Drteihulgen K. unweit Hal⸗ 
berftabt an ben Deren dv. Pfaffenrath. — Statuten des Mäßig: 
keitsvereins zu Dillenburg. — Über bie Nachtheile bes Auf: 
blafens der gefchtachteten Kätber mit den Bunde. — Über die 
Anpflanzung ber Strauchweiden zur Gewinnung von Korbruthen. 
— Ranbwirtbigeftiide sigfeiten, Miscellen 
u. ſ. w· — Mnterhaltungsblatt:, Sitten und Gebräuche 
ber Griechen. — Die Wilhelmslinde zu Dillenburg. — Der 
gebefierte Trunkenbold am Neujahrsmorgen. — Generalverſamm⸗ 
tung ber Deputicten aller Enthaltfamkeits: und Maͤßigkeits⸗ 
vereine bes deutſchen Vaterlandes. — Der Biſchof Thilo in 
Merfeburg und fein Rabe. 








In der Bari Bersid’iden Buchhandlung in Wien tft | 


 Kabrbüder 
Der Riteratur, 
Dundertfler Band. 
1842. 
October. Tliovember. December. 
Juhalt des bunderiften Mendes, 


Art. L Geſchichte des Giftercienferktofters Wilhering, don 
Zodot Stülz Gin Beitrag zur Landes: und Kirchengeſchichte 


Dberöftreiche. Linz 1849, — I, Allgemeine Raiurgeſchichte 


für alle Stände, von Prof. Den. Gtuttgart 1833 —41. 
ortfegung.) — III. Überfigt von neunzig Werken orientali: 
De Literatur. (Fortſetung) — IV. Synopsis numorum an- 
tiquorum, qui in Museo Caesareo Vindobonenai adservantur. 
Digessit Josephus Arnet. Pars I et II. Vindobonae 
— — V. Gedichte von Ferdinand Freiligrath. 
Bierte Auflage. Stuttgart und Tuͤbingen 1042. — VI. 1. Lie⸗ 
dertafel von Joh. Gabr. Seidl. Wien 1840. 2. Bifolien, 
von Ebendemſelben. Zweite Auflage. Wien 1841. — VII. 
Acschyli Cho&phori. Ad optimorum librorum fidem recensuit 
Ferdinandus Bamberger. Gottingae 1840. — VIII. Wiffen: 
ſchaftliche Encyklopadie der Äfthetil. Bon Dr. Wilhelm Be: 
* Gmatift Digt | fie Altre of Deinperbfsim, ooafat 
a g af Deinparbfiein, at a 
bienfdgläger. Edbenhavn. Dans Sache. Dramatifches 
Gedicht in vier Acten, von Deinbarbfiein. Wien. Zweite 
Aufiage: — X. Geimfahrt von Jeruſalem Hans Gtodar's 
von Mgaufen, — zum beiligen Grabe im Jahre bes 
Heiis 1519, und Tagebuch von 1520 bis 1529, nebft achn 
Beisfen des Hauptmanne Ulrich Harber von 15234 und 1535 
u — aus dem beiligen Leben von 1475. Gchaffhaufen 
89. — Al. 


Das Wappenweſen ber Griechen unb. Bömer ; 


> anderer altıe Voͤller. Aus den Gchriften und Kunftbent: 


mälern bes Aitertgums und Mittelalters bargeftellt von Dr. 


Bernd. Bonn 18 


AU. Gedichte von Nikolaus 


Beder. Koͤin 1841. — XII Die italieniſche Dichtkunſt. 


Meiſterwerke. überſetzt von Karl Strecfu ß. Arioſto. Dante. 


Taſſo. Ausgabe in Einem Bande. Halle 1841. — XIV. Ab- 
origines et incunabula Magiarorum ac gentium cognatarum, 
populi Pontici, Pontus. Disquisivit Georgius Fejer. Budae 
840. — XV. Gesta Romanorum. Das ältefte Märchen- unb 
Legenbenbuch des chriftlichen Mittelalters, zum erften Male voll: 


fländig aus dem Rateinifchen 


ins Deutſche übertragen, aus ges 


drucken und ungebrudten Quellen vermehrt, mit Anmerkungen 
und einer Abhandlung über den wahren Werfaffer und bie bie- 
berigen Ausgaben und Überfegungen beffelben verfeben von Dr. 
Gräße. Erſte Bälfte. Dresden und Leipzig 1842, 


Juhalt des Auzeige⸗Blattes Mr. C. 
Zuſchrift. An Seine Excellenz ben ‚Seren Grafen Morig 


Dietrichftein. Bon Dr. Fluͤ 


gel. Die neu erworbenen orientas 


liſchen Bandfchriften der E. k. Bibliothek zu Wien. (Schluß) — 


Über die neue Karte von M 
eigenen Meflungen unb den 


ontenegro. Zufammengeftellt nach 


neueften gefammelten Waterialien 


durch den k. f. Obrift Grafen Karacsah — Intelligenznach⸗ 


richten. — Regiſter. 





Im Verlage des Unterzeichneten beginnt 


Röhr's 
kritiſche Predigerbibliothet 


mit 1843 ihren SSſten Jahrgang, ein Beweis, in welcher 


hoben Achtung dieſes gebie 
fi) bei der —* ——x8 
jeben —* 


ene Journal ſeit ſeinem Anfan 
erhalten hat. Es iſt aber auch fuͤr 


ſchen Eeſeverein unentbehrlich, was aus 


ber ſich immer noch feigernden Theilnahme beuttich hervorgeht 


Das Afte Heft für 


1943 ifi bereits erfgienen, 


und bittet man, Beſtellungen auf ben laufenden Zahtgang 
möglihft vald abzugeben. Der Preis ift unverändert für 
ben Band (oder Jahrgang) von & Heften -5 Thir. 7Y, Nor. 
Zu beziehen durch jebe folide Buchhanbfung. 
Meuftabt a. D., im Februar 1843. 


3 3. G. Wegner. 





Reu erſchien bei mir und ift in allen Buchhandlungen zu 


erhalten: 





Gedichte 


von | 


Karl Färfſter. 


Herausgegeben von 


Ludw 


ig Tieck. 





wei Theile, 
Mit dem Bildniffe des Pichters. 


&r. 12, 


Sch. 3 Thlr. 





In meinem Verlage erfchienen früber: 


r. 5 Mer. 


Nor. 
Buante Hligpieri, Bas neue Beben. Aus dem 
überſ. und — * von 8. Börfter. Gr. 12. 1841. 2ONgE. 


Reipsig, im Min 1 


Stal. 
843. 


\ 


F. A. Arocuhaus. | u 


* und if ſoeben erſchienen und bdurch ale Buchhandiungen 
u begichen: 


"ETUDES 


| SUR 
L’HISTOIRE LES LOIS ET LES INSTITUTIONS 
DE L’EPOQUE ‚MÄROVINGIENNE 


J. DE PE TIGNYN, 
ancien diöve de Pécolo des chartes. 
Tome Ier. In- 8. 2% Thlr. 
Eeiprig, im März . 
ee Brockhaus S Avenarius, 
Buchhandlung für deutſche und auslaͤndiſche Literatur. 





Bei Ebd. ENuton in Halte iſt ſoeben erſchienen und in 
allen Buchhandlungen zu haben: 

Kaspenres, EX. Th. (Prof), Syſtem des preu⸗ 
333 . Zum Gebrauche bei Vor: 
lefungen im Grundriffe entworfen. Gr. 8. Geh. 
1 Zhle. 10 Ser. . | 

Tholuck, A. (Prof.), Uberfegung und Staus: 
Tegung der Pſalien für Geiſtliche und Laien ber 
chriſtlichen Kirche. Gr. 8. 3 Zhle. 








Durch alle Buchhandlungen und Poſtaͤmter ift zu beziehen: 

Leipziger Reperterium für deutsche und aus- 
ländische Literatur. Unter Mitwirkung der Uni- 
versität Leipzig herausgegeben von W. GRf. 
Gersdorf. Erster Jahrgang. Erstes 
bis achtes Heft. Gr. 8. Preis des Jahrgangs 
vou 52 Heften 12 Thir. 

"Dem Leipziger Roportorfum iſt ein 

Bibliographischer Anzeiger, 
für literarifche Anzeigen aller Art beflimmt, beigegeben. Anu⸗ 
Sündigungen in demfelben werben fie bie Zelle ober deren 


Raum mit 
gegen Vergütung von 1 Thir. 15 Nor. beigelegt. 


Eeipzig, im März 1843, | 
* S. A. Srochhaus. 


eunde der hiſtoriſchen Literatur benachrichtigen wir, daß 


seroni GSeotti in Mailand eine neue, im 


bei 
unperänberte, mit erlänternden Moten unb Mn: 


merkungen verſehene Ausgabe von 
Carlo Botta’s 
Storia d’Italia, continuata da quella del 
Gruicciardini smo al 1814 


unter ber Preffe ifl. In jedem Monate erfiheinen 2 Hefte, deren 


6 einen Band von circa 800 Seiten bilden. Das Wert wirb 7 
Bände umfaffen und in 20 Monaten vollendet fein. Auf Cor⸗ 
rectheit und fchöne typographiſche Ausftattung wirb befondere 
Sorgfalt verwendet. Die Herren Subſeribenten verbinden fish 
ur Abnahme bes Ganzen. Das erfte Heft mit dem Bildniſſe des 
faſſers iſt bereits erſchienen. Preis pr. Heft 12%, Nor. Den 
Debit Für ganz Sentſchlaud beforgt 


Friedr. Volke's Buchhandlung in Wien. 






Nor. berechnet, und Beſonbere Anzeigen 10. 





Drud und Berlag von ®. %. Brodbaus in geipzig. 
11er} 


[4 


en ift eefälenen und derch alle Mucke 
Cechnologische Encyklopädie 
alphabetiſches Saubbuch 


Technologie, der techniſchen Chemie und 
des Maſchinenweſens. 


Zum 
Gebrauche für Kameraliſten, Ökonomen, Kimſtler, Fa⸗ 
brikanten und Gewerbtreibende jeder Art. 


Peraußgegeben 
Joh. Ios. Prechtl, 


k. k. nicheröfte, wirtt. Segierungsrathe und Director bed k. k. poly 
techniſchen Inſtitutes in Wien ıc. 


Zwoͤlfter Band. 
Böpren — Echlo fſer. 
Mit ben Kupfertafeln 288 — Wa. 
Preis 6 Fl., oder 3 Thlr. 15 Ngr. (3 Thlr. 12 gGr.) 

Der vorliegende Band biefes bisher mit ungetheiltem Bei⸗ 
fa aufgenommenen und in technologifchen Schriften aller Art, 
ſelbſt im Auslande, vielfach benukten Bestes enthält bie Artikel: 
peter, Galpeterfäuse, Gartierachelten, Geeiöume 

e erfäuee, Sattlera 

(auf naffem Wege), Schere, Schießpulver, Sälöfter. 
Diefe Artilel bilden ebenfo viele Originalabhandlungen, in denen 
jeber Gegenſtand nach feinem weſentlichen und neuefhen Zuſtande 
ſachkundig und erſchoͤpfend dargeſtellt iſt, ſodaß ein Jeder Hier 
auf wenigen Bogen zuſammengedraͤngt finden Tann, was er 
felbft mit Benugung einer bedeutenden Wüdrerfommiung n 
aufzufinden im Stande wäre, ba bie oinzetuen Artiä oft 
tige, ben Verfaſſern eigenthämliche, noch nicht durch den Druck 
befanntgemachte Erfahrungen und Be en enthalten. 

Die erften 11 Bände, mit 257 Kupfertafein, koſten jeher 
6 Fl., oder 3 Thlr. 15 Nor. (3 The. 123 98er.) 

Stuttgart uns Tübingen, im Zcbwmax 18%. 


J. G. Totta ſqcher Verlag. 










Geſchichte der Regierung 


| Serdinand’s und Isabella’s 


der Katholifhen von Spanien. 
Bon 
Wiliam 9. Prescott. 
And dem Snglifiden Aberfekt. 


.. . Zwei Vpeite. 
Gr. 8. Geh. 6 Thlr. 


Leipzig, bei F. A. Brockhaus 


Der ungetheilte Beifall, welchen biefes ausgezeichnete Se— 
ſchichtswerk bei feinem Erſcheinen in England und. ben WBer- 
einigten Staaten gefunden, berechtigt zu dee Erwartung, ba 
demſelben auch in Deutſchland eine feiner Wichtigkeit unb ber 
geblegenen Überfegung entfprechende Aufnahme zu heil ver⸗ 

n wird. 












Literarifher Anzeigen 


1843. Nr. VIII. u 


Diefer Literarifche Anzeiger wirb ben bei 9. A. Brockhaus in Leipzig erfcheinenden Zeitfchriften „Blaͤtter für literariſche 
Unterhaltung” Ka ae beigelegt ober beigebeftet, und betragen bie Infertionsgebühren für die Zeile oder deren Raum 2%, Nor. 


Verlags- und Commissionsartikel 


von 


Brockhaus& Avenarius, 


Buchhandlung für deutsche und ausländische Literatur 
in Leipsig. 
1842. Januar bis December. 


Ahn (F.), Nouvelle methode pratique et facile pour 
a rende 1a langue allemande. ©. Leipzig und Paris. 
7 blx 





Koho de la littörature francaise. Journal des gens du 
tmonde. Deuxieme annee 1842. 24 Nrn. In-8. Leip- 
zig. Preis des Jahrgangs 5% Thir. 

rift enthält die A hi des Besten aus der gesamm- 
ne a sen Joarsalistik wad ist daher far jeden Liebhaber die- 

.ter Literatar von grossem Intercese. henitichen N a 

j | cheint dieselbe in wöchentlichen Nummern von 1— 

Bogen. Die dadarch erzielte schnellere Mitthellumg und der 

Plan, mehr kurze und lsanige Artikel aufzunehmen, wird sicherlich 

di Ten gen Abonnanian Anschafung der 

er rgan 16 

Beiden ersten zo erieichtern, geben wir dieselben für den Preis 

eines 


E'rege, Alex.) Aufgaben über die Regeln der franzö- 

‘ sischen "oprache für Anfänger 8, Leipzig und Paris, 
Y, Thlr. " 

* — Dergleichen für Geübtere. 8. Leipzig und 
Paris. ‘, Thir. . 

Gobbi (Dr. F.), Über die Abhängigkeit der physischen 
Populationskräfte von den einfachsten Grundstoffen der 
Natur, mit specieller Anwendung auf die Bevölkerungs- 
statistik von Belgien. Imp.- 4 mit 32 Tabellen und 
4 Karten. Leipzig und Paris, 12 "Wir. . 

“ Goethe, Maximes et röflezions, uites pour la pre- 
miere ieh r 8, Sklower. In-8. Paris und Leip- 
zig. 1 Thir. 

Kant, Philosophie critigue, exposee en vingt- six lecums. 
Ouvrage traduit de l’allemand par Wenri Jouflrey. 
In-8. Leipzig und Paris. 1°, Thlr. 

Lethierry Barrois 
leurs derives dans les principales langues de l’Euro 

r6c&ddes de l’explication des symboles formes par 
verses combinaisons des lettres hebraiques et de r 
prochements entre le chinois, I’hebreu, le copte et le 
sanscrit. Ire partie. In-4. Paris. 3 Thlr. 

Manuel de littörature ancienne, ou Court apergu des auteurs 
elassiques, de l’archtologie, de la mythologie, et des 
antiquitds des Grecs et des Romains., Ouvrage traduit 
de Fallemand par Menri Jouffrey. In-8. Leip- 
zig. r. 

©bermüller (Gi.), Atlas ethno „aöographique. Seconde 
division. Les pays et les peuples de l’Europe, de Y’Asie 
antsrieure et de la Berberie, dans leur état actuel. Ire 

lanche — 2e edition. In-fol, Paris und 
ipzig. 27/, Thir. i 

Pantheon des grands dcrivains des temps modernes, depuis 
le XIIIe siecle jusqu’& nos jours, par J. Pescantini 
et L. Delätre. 2e €dition. In-fol, Paris 2 Thir. 


(A.), Racines hebraiques avec 


Petigny (3. de), Etudes sur I’histoire, les lois et 
les institutions de epoque merovingienne. T. I. In-8, 
Paris und Leipzig. 2, Thir. 

$PIAOZTPATOZ. Philostrati epistolae ad fidem codicum 
manuscriptorum recensuit, scholia graeca adnotationesque 
suas addidit J. Fr. Boissonade. Gr. 5. Parisüs 
et Lipsiae. 1, Thir. 

De la Regence. Opinion de Pabbe Miaury, prononcde & 
‚V’Assemblede nationale le 22 Mars 1791, annotee et publise 
avec les documents qui s’y rattachent, par de Moff- 
manns. In-8. Paris und Leipsig. ?/, Thlr. 





L’Album, journal destine A l’enseignement du dessin et de 
la peinture; redig6 par une soci6t6 d’artistes et d’hommes 
de lettres, sous la direction de L. Salme. Ire et Zme 
anndes,. 2 vols. In-4. Paris 6 Thir. 

Bizet (A. E.), Nouvelle opinion sur les phenomänes, 
la marche, la cause et le siege de la goutte et nouvelle 
methode curative pour guerir radicalement cette maladie. 
In-8, Paris. 3% Thir. 

Mystrzonowski (%.), Notice %ur le reseau strate- 
gique de la Pologne, pour servir d’ane guerre de par- 
tisans. Iu-8. Paris, °/, Thir. 


Chassaignae (W.), Le coeur, les artères et les veines, 
texture et developpement. In-8. Paris. 1%, Thir. 
——, Des laies de la tete. In —— 1Y, Thir, 
—— —— , De Tapprecistion des a s orthop6digues, 
In-8. Paris. 1 Thlr. PR 
Chopin (3. M.), Revolution des peuples du Nord. 
T. 3, 4. In-8. Paris. 5°, Thlr. 
T. 1, 2 kosten 6!, Tr. 
Couder (A.), L’architecture et l’industrie comme moyen 
de perfection sociale. In-4. Paris und Leipzig. 5'/, Thir. 
Dumont B’Urvilie (3.), Voyage au pole Bad et 
dans l’Oc6anie sur les corvettes l’Astrolabe et la Zéloe, 
ex&cut& par ordre du roi pendent les anndes 1837, 1838, 
1839, 1840. T. I. In-8. Avec carte et atlas, Paris. 
Preis der gewöhnlichen Ausgabe 1}, Thir. - 
Preis des Atlas 47/, Thir. 
Preis der feinen Ausgabe mit Atlas 67/, Thir. 
Diese feine Ausgabe wird nicht ohne des Atlas verkauft. 
Les Francais, peints par eux-mömes, T. IV, V. Gr. in-, 
—— Jede Lieferung schwarz % Thlr., colorist 
bir. 
PER Band enthält 16 Lieferungen, 
Glinka (Dimitry de), La philosophie du droit, ou 
Explication des rapports seciaux. In-8. Paris. 1Y/, Thir. 
Hao - Khieou- Tchouan, ou la Femme accomplie. Roman 


chinois, traduit sur le texte original par Guillard | 


d’Arey. In-8. Paris. 2%, Thlr. 
Laboulaye (Ed.), Essai sur la vie et le doctrines de 
Frederic Charles de Savigny. In-8. Paris. °, Thir. 
de Lundblad (J.-F.), Recuell des exposes de l’ad- 
ministration du royaume de Sudde, presentes aux +tats 
generaux, depuis 1809 jusqu’a 1840. Traduit du Sue- 
dois, In-8. Paris. 2%, Thlr. 

de Marincourt (F. A. Serpette), Histoire de 
France, depuis Clovis jusqu’A la mort de Louis IX. Avec 
le tableau des institutions et des moeurs des temps bar- 
bares et du moyen-Age. 3 vols. In-4. Paris, 1841. 4 Thir. 





Mereier (B.), De la perfectibilit6 humaine, ou R£+- 

flexions sur la vraie nature du pouveir, ouvrage ou l’on 

rouve l'impossibilit6 d’une forme arrôtée et definitive de 
soci6t6. In-8. Paris. 2 Thhr. 

Michiels (A.) „ Histoire des idees littöraires en F'rance 
au 10iöme siäcle, et de leurs origines dans les sidcles an- 
terieurs. 2 vols. In-8. Paris. 5 Thlr. 

Le Nouvesu testament, traduit fiddiemeat du texte original 
grec, et comment& sur tous les points qui ont besoin d’ex- 

lication. Ia - 8. Paris. 1%, hir, 

Politique d’un philosophe chretien, ou Considerations adres- 
sees aux hommes de foi.. In-8. Paris. 2% Thir. 

Baczynuski (A. comte), Diotionnaire d’artistes pour 
servir & l’histoire de l’art moderne en Allemagne. In-8. 
Berlin. % Tbir. 

Villemarque (Th. de la), Contes populaires des 
anciens Bretons, précédés d’un Essai sur l’origine des 
&pop€es chevaleresques de la tableronde. 2 vols. In-8, 
Paris. 5 Thlr. 

Vitraux peints de Saint-Ktienne de "Bourges, recherches 

“ detachees d’une monographie de cette cathedrale, par 
A. Martin et C. Cahler, pröwres, Verrieres du 
Xllle siecle. Ire Hvr. In-plano. Paris. 4 Thlr. 


(Der Beschluss folgt.) 





Pränumeration auf ‘den Jahrgang 1843 der 
Östreichischen militairischen Zeitschrift. 


Bei Branmüller & Geibel in Wien iſt erfchienen: 

| 1B8te Geft der 

Oestreichischen militairischen Beitschrift 1842. 
Inhalt diefes Heftes: 

I. Biographie des k. E. Generals der Gavalerie, Kudolf 
von Dtto. — II. Der Feldzug 1709 in Spanien und Portugal. 
Dritter Abſchnitt. — III. Multairiſche SBefchichte des Rheines. 
(Zortfegung) — IV. Die Regiments s Srziehungshäufer. — 
V. Literatur. — VI. Reueſte Militairveräuderungen. 

Preis des Jahrgange 1842 in 12 Heften 8 Thlr. 


Auf den Jaßrgaug 1848 wird in allen Buchhandlun⸗ 
gen bes Ins und Kuslandes Pränumeration angenommen. 





Durch alle Buchhandlungen und Postämter ist zu beziehen : 


Neue Jenaische 
Allgemeine Literatur - Zeitung, 


Im Auftrage der Universität zu Jena redigirt von 

Geh. Hofrath Prof. Dr. M. Hand, als S:schäfts- 

führer, Geh, Kirchenrath Prof. Dr. L. M o ®. Baum- 

arten- Orustus, Ober - Appellationsrath Prof. 

r. W.Francke, Geh. Hofrath Prof. Dr. D. &. 

MMieser, Geh. Hofrath Prof. Dr. I. V. Fries, 
als Sperialrevactoren. 


Jahrgang 1843. Februar. 


Inhalt: 

V. A. Huber: The genuine remains of Ossian literally 
translated, with a preliminary dissertation by P. Macgregor. 
(Nr.27,2u.20.) — -Crusius: 1) Die christ- 
liche Mystik in ihrer Entwickelung und in ihren Donkmalen, 
Von A. Helfferich. 2. Meister Eckart. Eine theologische 
Studie von H. Martensen. (Nr.3u3%) — Ackermanzm: 
Reden über die. christliche Offenbarusg in Beziehung auf 
die neuere Astronomie. "Von Th. Chalmers. Nach der 
zwölften Ausgabe aus dem Engl. übers. von 4. F. A. Rei- 


necke. Mit einem Vorworte von A, Tholugk. (Nr.2) — 
W.v. Lädemann: Die ungättliche Komödie. Aus dem 
Polnischen von K. Batornicki. (Nr. #u.31) — A, Well. 
mann: Tristan und Isolde. Ein Gedicht in Romanzen von 
K. Immermann. (Nr. 4, @ u.) — EB E. Hudemann: 
Der zweite punische Krieg und der Kriegsplan der er. 
Eine historisch - politische Vorarbeit zu einer Fehr 
des zweiten punischen Krieges, Von L. v. Vincke. (Nr. 3.) — 
Julius Olsar: Sophokles. Sein Leben und Wirken. Nach 
den @oellen dargestellt von A. Schöll. (Nr. 33,34, 3: u.86) — 
Otto Jahn: 1) Il laberinto di Porsenna comparato coi s- 
poleri di —88 - Galella ultimamente dissotterati nell’ agro 
lusino pubblicati e dichiarati dall’ instituto di corrispon- 
denza archeologica. 2) Oreste stretto al parricidio dal fate. 
Specchio etrusco di G. Ba io illustr. da E Braun. 3) 
Il aacrifizio d’Ifigenia, bassorllievo d’una urna Etrusca spie- 
ato da E. Braun. (Nr. 83.) — A. L. J. MU : 
ber Rechtlosigkeit, Ehrlosigkeit und Echtlosigkeit. Eise 
Abbandlung aus dem deutschen Rechte von J. F. Budde. 
(Nr. 8.) — EB, 8. Mlirbt: Immanuel Kant’s sämmtliche 
Werke. Herausg. von K. Rosenkranz und F. W. Schubert. 
Eifter Theil. (Nr. u. #) — IM. Peter: Andeutungen 
über den verschiedenen Religionsunterschied der römischen 
Patricier und Plebejer. Ven D. Pellegrino. (Nr. @u 4) — 
Choulant: Denkwürdigkeiten aus der medicinischen und 
chirurgischen Praxis. Von @. F, Most. (Nr. 4L) — Trex- 
ler: Beobachtungen über den Nutzen und Gebrauch des 
Keil’schen magnet - elektrischen Rotationsapparats in Krank- 
heiten, besonders in chronisch - nervösen, rheumatischen und 
gichtischen, gesammelt zu München, Augsburg, Würzburg 
und Kissingen von Wetsler. (Nr.0.) — Luadwr. Ettmäller: 
Über zwei entdeckte Gedichte aus der Zeit des deutschen 
Heidenthums, Von J. Griam. (Nr. @e.%8) — LF. 
Fries: Über Gewinn und Verlust bei Rentenanstal 
Klee J. N Becker. (Bir. 2 Pen A. — Die 
0 e Frage in el’s System. Eine Auffoderung zu 
ihrer wissenschaftlichen Erledi , Zweiter Artikel. (Nr. 6, 
“# u 4.) — Gelöhrte Ges ; Beförderungen und 
Ehrenbezeigungen; Chronik der Universitäten; Literarische 
Nachrichten; Preissufgaben; Miscellen; Nakralag. 

Von dieser Zeitschrift erscheinen wöchentlich sechs 
Nummern und sie wird wöchentlich und monatlich ausge- 
geben. Der Jahr kostet 12 Thlr. Ank 
werden mit 114 Ngr. für den Raum einer gespaltenen Zeile 
berechnet, besondere Anzeigen etc. gegen eine 
Vergütung von I Thir. 15 Ngr. beigelegt. 

Leipzig, im März 1843. 
F. A. Brockhaus. 


Im Verlage ber Unterzeichneten iſt foeben erſchienen: 
Aus dem Tagebuche 
des Generals u. Wachho 


Zur Geſchichte der fruͤhern Zuſtaͤnde der 
preussischen Armee 
unb befonders des 
Felbzugs des Herzogs Friedrich Wilgelm 
von Braunfchweig:Dels, im Jahre 1809, 
Bearbeitet unb herausgegeben von €. St. von Vecheltr. 
8. Sein Velind. Geh. 2 Thlr. 


Memoiren 
des Ritters Karl Heinrich v. Rang. 
2 Theile. 8. Fein Velinp. Geh. 4 The. 


Braunfweig, im Mär; 1343. 
WGeiedeih Wieweg & Cohn. 












% 


Bei Reanmüller und @eidel, 


Buchhändler in Wien, erſchienen: 


Darftellung | 


Aquilibrial⸗Methode 


zur ſichern Heilung der 





Oberschenkelbrüche ohne Berkürzung, 


Georg Moififonies, 


meb. und dirurg. Doctor, Dperateur, k. ©. Primars Ghirurgen im allgemeinen Krankenhauſe ıc. 
Mit 4 Steindrudtafeln. Preis 1 Thlr. 5 Ngr. (1 Thlr. 4 gGr.) 
Die Berlagsbuchhanbtung Tchmeichelt ſich, durch dieſes Merk einem tiefgefühlten Bebürfniffe der AÄrzte und ber Leibenben 


Menſchheit entfprochen zu haben. 


Den praktiſchen Ärzten iſt es befannt, daß die meiften Oberfchenkelbräche nur mit einer Ver⸗ 
#ärzung heiten, welche ein lebenslaͤngliches Hinken in ihrem Gefolge hat. Die Aqu 


ilibrial⸗ Methode, geftlüst auf unerichütters 


liche mathematifche Grundfäge, Tann in allen Fällen mit Eicherheit und in einer kurzen Beit biefes unangenehme Ereigniß vers 
hüten, wofür zahlreiche Erfahrungen ſowol im Kranfenhaufe als auch außer bemfeiben, vom Werfafler felbft und andern Arzten 


gemacht, unzweifelhafte Zeugniffe liefen. Daß bie Da 


Uung der Aquilibrials Methode in jeder Beziehung originell und gebiegen 


für bürgt fchon ber Huf bes Verfaſſers, und die Verlagshandlung hat Nichts unterlaffen, für eine des großen Gegenſtandes 


ift, da 
würbige Ausftattung zu forgen. 





In meinem Verlage erschien und ist durch alle Buch- 


handlungen zu beziehen : 
J. F. Herbarts 
kleinere philosophische Schriften und Abhand- 
langen, nebst dessen wissenschaftlichem Nachlasse. 
Herausgegeben von Gustav Hartenstein. 
Erster und zweiter Band. 
Gr. 8_ 6 Thir. 15 Ngr. 

Der erste Band, zugleich eine ausführliche Einleitung 
des Herausgebers über Herbart’s Leben und Schriften ent- 
haltend, kostet 3 Thir., der zweite 3 Thir.°15 Ner. Ein 
dritter Band wird diese Sammlung beschliessen, und im Laufe 
d. J. erscheinen. 

KLeipnig, im März 1843. 
| MB. A. Brockhaus. 


Bei uns find erfihienen und zu erbulten:: 

Chroniken, Stralſundiſche. Zweiter Theil, enthaltend 
die flralfunder Memorialbuͤcher Joachim Lindemann’s 
und Gerhard Hannemann’s (1531 — 1611). Zum 
erfien Male aus der Handſchrift herausgegeben unb 
mit Einleitung, Inhaltsverzeichniß, Bemerkungen und 
Woͤrtererklaͤrungen begleitet von Dr. E. HG. Zober. 
Gr. 8. Preis 1 Thir. 

Eramer, Prof. Dr. F., Geſchichte der Erziehung und 
bes Unterrichts in den Niederlanden während bes Mit: 
telalters,, mit Zuchdführung auf die allgemeinen lites 
rartfchen und paͤdagogiſchen Verhaͤltniſſe jener. Zeit. 
Sr. 8. Preis 1 Thir. 30 Ser. 

Yeabricius, ©. G., Urkunden zur Geſchichte des 
Fuͤrſtenthums Rügen unter den einheimifchen Zürften. 





Herausgegeben und mit erläuternden Abhandlungen 
über die Entwidelung dee ruͤgenſchen Zuflände in den 
einzelnen Zeitabfchnitten begleitet. Zweiter Band. (Er: 
ſtes Heft der Urkunden von 1193 — 1260.) Mit zwei 
Tafeln lithographirter Abbildungen von Siegen und 
Münzen. Gr. 4. Preis 2 Türe. 
(Der erfte Band, Einleitung, erſchien 1841. Preis 1XHlr. 20 &gr.) 
Hohmann, Der allgemeine Bettag. Aus, dem Däni- 
[hen überfegt. Broſch. Preis 3” Ser. 
C. Röffleriäe Buchhandlung (€. Hingst) 
in Stralfund. 








Heute wurbe ausgegeben: . 


Conversations - Lexikon. 
Reunte Auflage. Siebentes Heft. 


Diefe neunte Auflage erſcheint in 15 Bänden ober 120 Hef⸗ 
ten zu bem Preife von 5 Nor. für das Geft in der Kusgabe 
auf Maſchinenpap.; in ber Ausgabe auf Schreibpap. 
koſtet der Baub 2 Thlr., auf Velinpap. 3 Thlr. 

Alle Buchhandlungen liefern das Werk zu 
dieſen Freißen und bewiliigen auf 12 Er. 1 Frei- 
ert ar. 

nFünbigungen auf ben Umfchlägen ber einzelnen ‚Hefte 
des Sonverfationg » Lexikon werben für ben Raum einer Zeile mit 
Yz Nur. für jebes Tauſend Exemplare ber Auflage berechnet, 

Reipsig, 10. Maͤrz 1843. 

S. A. Brockhaus. 


Durch alle Buchhandlungen und Poflämter iſt gu beziehen: 


Das Pfennig-Magazin|® 


für Belehrung und Unterhaltung, 
1843. Jebenar. N. 5—8. 


Neue Folge. Erster Jahrgang. 
—A Elſenbahnarbeit (Be: 
* Danzig. — Der Etſenbahn er. ⸗ 
ſchluß.) — Die Kartoffel. — Hebung eines alten Schages. — 
Die Pfändung. — Die Rofenftöde. Erzählung aus dem Leben. 
— *+Die Sntbedung Madeiras. — Die ne "8 der fibiris 
Ichen Berbannten. — Parifer Gerichtsfceene — *Benebir und 
n. Gin . — ilber Liepmann's Ölgemätbebrud. 
— —— einer Klippe bei Dover. — *Gine brabanter 
Landſchaft. — Die Ebbe und Flut. — Befteigung der Mala⸗ 
detta. — Leben eines Prinzen. — * Die Orgel von Expailly. — 
Aus ber Chronik bes Monats Januar. — 
Die mit * bezeichneten Aufſaͤtze enthalten eine oder mehre Abbildungen. 


+ Bellebda. 





eis des Jahrgangs von 52 Nummern 3 Ihlr. Mu⸗ 
ew werden mit 5 Nor. für den Saum einer 
* eile berechnet, —A— eigen 2e. gegen 
— * von %, Thlr. für das Tauſend beigelegt. 
an) 


Preit der erſten fünf Iahrgänge bes Pfennigs 
Ma De Be — I ß —8 Thle. % 3* 
5 ermäßigt. ulm te Eoftet jeber biefer. Jahr: 
gänge 1 he 10 Rare die —42 jeher 3 Thir. 
Ebenfalls im Preife 2 find fü folgende Schriften 
mit vielen Abbildungen: 






* ‚Meg im, Dre Bände, 2 Et. 
ational: n 
—33 ur Kinder. Fuͤnf Rande 






2 Thlr. 2 gr. 


Eeipzig, im März 1843, 
FJ. 4. Brockhaus. 





In Karl Geroldꝰs Buchhandlung in Wien 
iſt Fi erfchienen und daſelbſt, fowie in allen Buchhands 
lungen Druin * zu haden: 


Dilfen ſchaf des Rechts. 
(Raturreht,) 


Georg Norbert Schnabel, 
Dr. ver Nechte, k. k. oberäfte. Profeffor ded Natur⸗ und öfter. Gris 
minalrechts an ber Karls Berbinande s Univerfität zu Prag. Mitglieb 
und Hißoriographen ber juridiſchen Facultaͤt daſelbſt, Mitglied ber 
Dandelscommiffion für dad Königrei Böhmen x. 


Auch unter dem Titel: 


Dad natürliche r Privatrecht. 
®r. 8. In Umſchlag al Preis 1 Thlr. 10 Nor. 
(1 Thir. 8 gGr.) 


„Borliegende Bearbeitung ber Rechtswiffenfhaft geht von 
ber Anſicht aus, daß das Naturrecht, wiewol an fidh eine phis 
loſophiſche Wiſſenſchaft, doch zugieich eine Theorie für das wirk⸗ 


Ude praftiiche Leben feiz daß, wenn es auch no 


As legte —— alles Deſſen, wat —— —— iſt, in 


doch auch ats Lehrgebaͤude eine fi 

* muͤſſe, daß es nicht nur gur Erklrung der 

Bofitiven Rechte, ſondern ſelbſt zur Entſcheidung 
— vorkommender —— leicht ge⸗ 
braucht werben kann.“ So äußert ſich ber Herr Verfaſſer über 
Geiſt und Zweck feine in der Vorrede, indem er ſie 
zugleich als ben „Verſuch einer conſequenten Durchſthrun, bes 
den gegenwärtigen Btand ber Wiſſenſchaft bezeichnenden, der 
relativ moraliſchen Rechtsdedaction gegränbeten, bie 
entf ebene pflicht der Gerechtigkeit und ein allem 
Rechte zum Träger eat Gigenthbum voraus 
fetenben Rechtsprincipes dharalteri 

Die Verlagshandlung bat ide beizufügen, ale baß „fe 
fi bemüht hat, dem Werke eine feinem innern Gehalte ent 
fprechende Außere Ausflattung zu geben. 








Bei E. Kummer in Leipzig ift foeben erſchienen: 
Auderfen, G. E., Eines Dichters Bazar. Aus dem 
Bien von W. €. Christiani. 2 Bände. 8. 


Babenkorfi, E., Populair- praktifche Botanik, oder 
Anleitung die in Deutfchland häufig wildwachienden 
und gezogenen Gewaͤchſe kennen zu lernen, nebſt einer 
Überficht des Gewaͤchsreichs nach feiner organogenetifchen 
Entwidelung. Mit einer Tabelle. 8. 1 Thlr. 277.4 Nor. 

Stürmer, gs. Zur Vermittelung der Ertreme in 
der Heilkunde. Iter Band. Gr. 8. 1 Thle. 2774 Nor. 





Na de, in meinem Verl Verke fin 
durch ——— — — 7 erhalten : erſchienene ſ 


Der Fuͤhrer in das 


Reich der Wissenschaften und AAünste. 
Nach dem Book a science 
von I, Gpor ſchil und R 
Drei Bände in 14 Gieferungen. 
wie 375 Ep piIduuges. 
Ki. 8. Geh. 6 Thir. 
(BGaãmmttliche Bieferungen tad unter befunden Titeln and 
 dingelm an Paben.) 


Vollständiges Taschenbuch 
der Münz-, Maass- und Gewichtsverhältnisse, de 
Staatspapiere, des Wechsel- und Bankwesens und der 
Usanzen aller Länder und Handelsplätze. Nach dea 
Bedürfnissen der enwart bearbeitet ven 
Christian und. Friedrich Noback. 
his viertes 


Heft. (Aachen 
Gr. 12. Preis eines Heftes 15 Ngr. 


Lehrbuch 


der RB aarentunde. 
Herausgegeben von Noback. 


Erſtes und zweites Heft. Gt. 8. Jedes Heft 15 Nor. 
Heften, Diefes foftematifch geordnete Lehrbuch erfcheint in 8 10 


e ‚im Waͤrz 1843. 
er. “ . F. A. Brockhaus. 


Druck und Werlag von F. U. Brodhaus in Leipzig. 
ee U + | 1 


. 
t 





LEiterariſcher Anzeiger. 





1843. Nr. IX. 


Diefer Literariſche Anzeiger wirb ben bei F. A. Brockhaus In Leipzig erfcheinenden Zeitſchriften „Biätter für literariſche 
Unterhaltung” und „fie beigelegt ober beigeheftet, und betragen bie Infertionsgebühren für die Zeile ober deren Raum 2, Rgr. 





* 


Verlags- und CGommissiensartikel 


:- von 


Brockhaus & Avenarius, 


Buchhandlung für deutsche und ausländische Literatur 
in Leipsig. 


1842. Januar bis Wecember. 


(Beschluss aus Nr. VIII.) 


Annali di corrispondenza archeologica. Vol. XIII. (1841). 
In-8. Bullettino dell’ Instituto di corrispondenza archeo- 


logica pel’ anno 1841. In-8. — Monumenti inediti dell’ | 


Instituto di corrispondenza archeologica pel’ anno 1841. 


In-foglio. Roma. Prän, -Preis jedes Jahrgangs 14 Thlr. 
Für die frähern Jahrgänge tritt der Ladenpreis von 18 'Thirn. ein. 


M, JuSt LS” Book of religious and philosophical 


sects, by Muhammad Al-Sharastäni. Part I. 
Containing the account of religious sects. Now first edi- 
ted by Rev. W. Cureton. 8vo. London, 2% Thlr. 


Bieterich (Udor Waldemar), Auswahl einiger 
schwedischen Gedichte, nebst einer getreuen Übersetzung, 
zur leichtern Erlernung der schwedischen Sprache. 8. 
Stockboim. % Thlr. 

Gerhard (E.), Griechische und etruskische Trink- 
schalen des königlichen Museums zu: Berlin. Fol. Ber- 
lin, 1840, 15 Tbilr. 

‚ Archemoros und die Hesperiden. Eine.aus den 

Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaf- 

ten besonders abgedruckte Vasenerklärung. Mit 4 Kupfer- 

tafeln. 4. Berlin, 1838. 2 Thlr. 

» Über die Metallspiegel der Etrusker. Eine in 
der königlicheh Akademie der Wissenschaften zu Berlin 
vorgelesene Abhandlung. Mit 3 Kupfertafeln, 4, Ber- 
lin, 1838. 1 'Thir. 

Graf (C. M.), De librorum Samuelis et regam compo- 
sitione, scriptoribus. fide historica, imprimis de rerum a 
Samuele gestarum auctoritate dissertatio critiea. In-4. 
Argentorati. °, Thir. 

Guanciali (@&.), Hahnemannus, 200 de homosopathia 
libri octo. In-8. Neapoli, 1840. 2 Thlr. 

Pitture di vasi fittili esibite dal Cav. Franceseo Inghl- 
rami per servire di studio alla mitologia ed alla storia 
degli antichi popoli. 4 vol. In-4. 1835—37. 80 Thir. 

BMaczynsul (A. Graf), Künstler - Wörterbuch zur Ge- 

schichte der neueren deutschen Kunst. Gr. 8. Berlin, 

.%, Thir. 


Garnysz (J.), Kilka mysli o Polsce i dia Polski. In-8, 
Poitiers. 1% 'Ihlr. 

Polska chrystusows, pismo poswiecone zasadom spölecznym, 
wydawane staraniem L. Birdlikowskiego. Zeszyt I. 
In-8. Paryi. 2 Thir. 

Stawlenin, Poszyt pierwsuz. 1841. In-16, Paryi. %, Thir. 

— — — drogi. 1842, In-16. Paryi, % Thlr. 

ne 





— —⸗ 











NOVA SCRIPTORUM LATINORUM BIBLIOTHECA, 


edidt ©. L. F. Panckoucke., 
In-8, Jeder Band 1”, Thlr. 
Neu erschien hiervon: 
Virgilius (M.), Opera. Vol. 1, 2. — Plinlus Se 
cundus (C.), Historia naturalis. Vol. 7—9. — Vale 


| rius Flaccus (C.), Argonauticon libri octo, edidit 


Muguet e. I vol. — Cicero (MM. T.), Orationes. 
ol. 3—1. 

Wir haben von dieser Bibliotheca den Debit für Deutschland über- 
sommen und stets Alles, was» hiervon erschlenen, auf unserm Lager. 





BIBLIOTHEQUE CHARPENTIER. 
In-12. Jeder Band 1'% Thlr. 
Neu erschien hiervon: 

de Bemussat, Essai sur l’&ducation des femmes. 1 vol. — 
Schiller, Histoire de la guerre de trente ans, traduit 
par Mad. de Carlowiiz. 1vel.— de Vigny, Thöätre 
complet. I vol. — Poesies completes. I vol. — Servitude 
et grandeur militaires. I vol.— Mialebranche, Oecuvres 
2 vols. — Mrs. Inchbald, Simple histoire. 1 vol. — 
Marmier, Chants populaires du Nord. 1 vol. — Hugo, 
Le dernier jour d’un condamne. Bug-Jargal. 1 vol. — 
Han d’Islande. I vol. — Odes et ballades, 1 vol. — 
Feuilles d’automne. Chants du crépuscule. 1 vol. — Voix 
interieures. Les rayons et les ombres. 1 vol, — Alme 
Martin, Lettres à Sophie sur la physique, etc. 1 vol. — 
Miase, Poesies completes. 1 vol. — de Girardin, 
Po6sies complötes. 1 vol. — Miachlavel, Histoire de 
Florence, tradiction de Perids. 1 vol. — Malher- 
ben, Po&sies, avec un commentaire inedit par Chenier. 
I vol, — de Staäl, De la littrature. 1 vol. — Sterne, 
Vie et opinions de Tristram Shandy, gentilhomme. 1 vol. — 
Balzac, Louis Lambert, suivi de Seraphita, 1 vol. — 
Capefigue, Histoire de la restauration. 4 vols. — 
Bescarten, Oeuvres. 1 vol. — Leibnitz, Oeuvres. 
2 vols. — Malebranche, Oeuvres. 2 vos. — Me 
rimee, Clara Gazul. La Jacquerie. La famille Carva- 
jel. 1 vol. — Merimede, Colomba. Mosaique. 1 vol. — 
BDesbordes- Valmeore, Po6sies. I vol. 





Verlagswerke de Nenen Buchhand- 
lung in Posen, deren Debit für Deatsch- 
lan wir übernommen haben. 


Anärysowicz (3.), Jeografia starozytnej Polski ku 
powszechnemn u3ytkowi wydana, In-12. Poznas. 4, Thir. 


Chronicon sea Annales Wigandi Marburgensis, 
equitis et fratris ordinis Teutonici. Primum ediderunt, 
Yoannes Voigt et Ed. Comes Baczynski. 
In-4. Posnaniae 2 Thlr, 

Mit gegenäberstehender polnischer Uebersetzsung. 


Czaykowski (ML.), Anna, powiese. 2 Bände, 8. 
3 Thir. 


Historya panowania Jana Kazimiersa przez hieznajomego 
autora. Wydana z rgkopiamu pre EB. Maczıyn. 
skiego. 2 Bände. 8. 4 Thir, 


Lukaszewiez (J3.), Obraz historyczne- —— 
miasta Poznania w dawniejszyeh ezasach. 2 Bände. Mit 
Kupfern, 8, 4 Thlr. . 
— ——, Diieje kosciotöw wyznania heiwsckiego w Lit- 
wie. T. I. 8. Subscriptionspreis 2 Thir. 
Marchocki (M.), Historya wojay moskiewskiej, wy- 
dana przez Redakcyg Oredownika. 8, 1 Thir. 
Obraz Polaköw i Polski w XVII, wieku, czyli Zbiör pa- 
mietniköw, dyaryuszöw, etc.. atuigcych do wyjasnienia 
stanu Polski, wydany przez EB. Bacsynskiegeo. T. 
1—15. 12. Jeder Band ’/, Thir. 
Diese Sammlung euihält: 

T.1—3. Pamietniki do panowania Stanistawa Augusta 
i Augusta IU. 

T. 4—6. Pamietniki Wybickiego. 

T. 7-10, Kitowicza Opis obyczajöw i zwyozajow za 


Augusta Ill. 
T. 11-19, Koltgtaja Stan oswiecenia w Polsce (1750-64). 
T. 13. Materyaty do panowania St. Leszezyfskiego. 
T. 14. Konfederacya Tarnogrodzka, 
T. 15. Bunt Zeleiniaka i Gonty (1768). 
Jede dieser wichtigen historischen Memoiren ist auch einzeln m 


Oredownik naukowy. Dritter Jahrgang. 1843. 4. 3 Thlr. 
Diese belletristische Zeitschrift erscheint in 52 wöchentlichen 
Nammers unter der Bedaction von A. Pop und J. Lu- 
kaszewios. 
Pionski ludu wielkopolskie o, zebrai i wydat 3. J. Li- 
pinski. Gi . Ja-12. Pozoas. 1, Thlr. 
Poplinski (A.), Elementarbuch der polnischen Sprache, 
zum Selbstunterricht und Schulgebrauch, 8. °%, Thlr. 
Trentowski (B. F.), Chowanna, czyli System peda- 
gogiki narodowej. 4 tomy. In-8. Poznas. 6 Thlr. 
Nowy Zbisr klassyköw polskich drukiem dotad nieupow- 
szechnionych., V. I. 12, Thlr. Enthält: (Op 
‚linski K., Satyıy.) 
Zywot, J. O. Ksiecia Bogustawa Radziwilta, z rekopis- 
‚now Hr. T. Buiniynskiego. 12. 24 Thlr. 
Zywoty siawnych Polakow XVIII. wieku, wydane przez 
E. Baczynskiege. 8. 1 Thlir. 
Dieser Band enthält: | 
Zywot Nowodworskiego, Albrechta i Bogusawa Radsi- 
witiow. 





Bei Breaumälfer & Seibel in Wien iſt erſchienen: 
Dos Ifte Heft der 
©estreichischen militairischen Zeitschrift 1843. 
Inhalt diefes Heftes: 

I. Des Prinzen Eugen von Savoyen Wirken 1720 — 36. 
— 1. Die Belagerung und ber Entfag von Olmis 1758. 
(Mit dem Plane der Belagerung.) — 111. Militairiſcher Ges 
brauch der Eifenbahnen durch eine neue Zugkraft. — IV. Die 
Schlacht bei Aspern am 21. und 22. Mai 1809. (Der Plan 
diefer Schacht wird dem Schluffe dieſes Auffages beigegeben 
werden.) — V. Kriegsfcenen. 1) Erzherzog Joſeph Dragoner 
in dem Gefecht bei Semlin am 9. September 1788. 2) Gr» 
oberung von Drchies am 15. Zuli 1792. 3) Die Vertheibigung 
der Stellung von Trier im December 1792. 4) Reiterangriff 
in ber Schlacht am Mincio, am 8. Febr. 1814. — VI. Neueſte Dis 
fitairveränderungen. — VII. Miscellen und Rotizen; Nr. I—16. 

Preis des Jahrgangs 1843 in 12 Heften 8 Thlr. 

Die älteren Jahrgänge haben folgende Preife: Die 
dritte Auflage ber BR En. 1813 on 1813 in vier 
Bänden 6%, Thlr. Jeber einzelne Jahrgang von 1818 — 
39 Eoftet 6%, Thlr.z3 von ben Jahrgaͤngen 1840, 1841 und 1842 
jeber 8 Thir. Bet Abnahme einer ganzen Sammlung der Altern 
Jahrgaͤnge werben bie dritte Auflage ber Jahrgänge 1811, 1812 
und 1813 zufammen zu eh Thule , die übrigen Jahrgänge aber 
don 1818-30 jeder zu 5%, Ahir. berechnet 


Allgemeine Enchklopädie 
ber Wiſſenſchaften und Künfte, 
in alphabetifcher Kolge von genannten Schriftftellern 


bearbeitet, und heraeseg en von 
J. G. Erſch und J. G. 


Mit Auptern und Karten. 

Der Pränumerationspreis beträgt für jeden Theil 
in ber Ausgabe auf Druckp. 3 Thlr. 23 Ngr., auf Velinp. 
> Thlr., auf ertrafeinem Velinpapier im größten Quartformat 
mit. breiteen Stegen (Prachtexemplare) 15 Thlr. 


rfte Seetion (AG). Herausgegeben von 3. G. Sre: 
ber. 3Öfter und 37ſter Theil. 

Zweite Seetion (HN). Herausgegeben von A. &. Hoff: 
mann. Aſter und 2ifter Theil. 
vitte Geetion (O-—Z). Herausgegeben von M. H. E. Meier. 

16ter und 1Tter Theil. 


Diefe im Sabre 1842 neu erfchienenen ſechs Theile 
enthalten unter Anderm nachſtehende wichtige Artikel: 


Erfte Section: Epos und Erigena von Gruber; Equites 
von Bacher; Equus von Streubel; Erasmus von Rotterdam von 
Erhard; Erde (ald Weltförper, mit 3 Tafeln Abbildungen) von 
Kämts; Erinacens von Burmeister; Erkenntniss und Erklärung 
von Scheidler; Erlöser und Erlösung von Franke; Ermland 
von Sirambery; Ernstfeuer und Kroberung von Hoyer; 
Eros von Richter; Erskine von Stramberg; Krz- und Erb- 
ämter von Wachter; Erziehung von Rosenbaum. 

3mweite Section: Inverness von Fischer; Investitur 
von Danz; Jo von Schincke; Jodocus von Wachter ; Jodsauer- 
stoff von Duflos; Jogi von Benfey; Joachim (Rrgenten dieſes 
Ramens); Johann (Regenten, Grafen und Prinzen); Johann 
von Leyden von Röse; Johanna (Pürflinnen); Johanna die 
Päpstin von Külb. 

Dritte Section: Pennsylvanien von Keler; Pentame- 
ter von Göppert; Perceval und Percy von Stramberg; Per- 
coides und Perdix von Streubel; Perdikkas von Meier; Per- 
gamenisches Reich von Meier; Perikles und Persephome von 
Eckermam; Periodicität von Piper; Perm von Petri; Perotti 
von Hoffmann; Perrault von Krause; Persepolis von Lassen; 
Perser von Flathe, Lassen, Fischer unb Flägel. 


ò— —— U 


N des ganzen ! , 
Bei dem Wulaufe si Rei ei Nöertes, aber 





eiuer_bebeutenden Anzahl 


Er nuvo ſtãndꝰ Egxemp ge⸗ 
währe ae — — —— — ‚nee, ge 


2 ‚im März 1843, 
eins ' 5. %. Brockhaus. 


In Unterzeichnetem ift foeben erſchienen und an alle Buy 
handlungen verfandt worden: 


tiber Vermögen 


und 
Sicherheit des Besitzes. 
Gefpräde 
zwifchen 
dem Beamten, dem Freiherrn und dem A 
Gr. 8. Velinp. Broſch. Preis 3 Fl. 30 Kr., ober 
2 The. 724 Nr. (2 ‚air. 6 8) 
Gtuttgart un Tübtngen " 
LU. Sotletan Bu. 





WBonkändig if jetzt durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Raturgefhichte 
Sandwirthe, Gärtner und Techniker. 


Herausgegeben 


William Löbe. 
Kit 230 lithographirten und illuminirten Gafeln. 
Thlr. 
(Ku in 5 8 — Ä 1 Mer. zu begiehen.) 


Diefes Werl, bas in gebrängter Überfiht und populafrer 
Darftellung die wichtigften Gegenflände ber Naturreiche behan⸗ 
deit, Tann allen denkenden Landwirten, Gärtnern und Jech⸗ 
nikern empfohlen werden. Die bem Xerte beigefügten Abb 
dungen find ebenfo geſchmackvoll als naturgetreu ausgeführt. 

Eeipzig, im März; 1843. 
$. A. Grockhans. 


Höchst interessante Anzeige. 


Bei Sen. ckowig in Leipzig ift foeben erſchienen 
unb in allen a und onen ru habe ben: 


Paris wie e6 wirklich ift, 


das heißt: 
wie es lebt, liebt, ißt, trinkt, ſchwelgt, darbt, handelt, 
fptelt, intriguirt, cabaliſirt, wacht, ſchlaͤft, träumt, phan⸗ 
taſirt, philoſophirt, lieſt, ſchreibt, dichtet, muſicirt, lacht, 
weint, promenirt, reitet, faͤhrt, klatſcht, ſchwatzt, Schul⸗ 
den macht, betrügt, ſtiehlt, raubt, politiſirt, kannegießert, 
emeutirt, — rebellirt ꝛc. ꝛc. 


tes Heft: 
„Vaes bus Simple oder Der deutfcdhe 
Rolontair zu Paris.‘ 
Mit einem colorirten Titelkupfer. 
8. In Umfchlag geh. 4 The. = 36 Kr. Rhein. 
— 30 Kr. &.:M. 
„TFT Das zweite Set rfheint binnen Kurzem 
und wird entpatten: 





Eine et le — Goirde im Yanbourg 
St..Geemain. & agewer? einer beliebten Sa men 
aris. Komil de WBoulevarbs, Gcenen. ed 


w Bun's Gcbentener zu Paris unb Telegen- 
Phiſche Nachricht. 


En vente chez Brockhaus & Avenarflus à Leipzig: 


de Isa littereture francalise. 
Troisieme annde. 1843. 

DB paralt semaine un numero de 1 —2 feulllos. — 

par an 5'/, Thir. == On s’abonne chez tous les 1i- 

brairss et & tous les bureauz de poste 


** ur Fannéo 1843 peuvont se procurer 
remidres anndes de Tfäche an pa au prix d’une 





Sommaire des Nos. 1—8. 
Episodes et souvenirs de P’Algerie francais. Par F. 
Mernand. — Le de beiser. Pır B, Galle. — 
Une. vengennce de femme. Par Bi, — Seuraniss 





⸗ 


intimes d’un cabinet: particulier. — Ohantage. Par A, 
Karr. — La Grece, les Cyclades et les 1les Ioniennes, Par 
Buchoz. — Les &conomies de d6cembre. Par E. 
— Nourvelles a la main. — Comptes et mécomptes du jour 
de l’an. Par F. — Acadömie francaise. Par 
— Eitude de moeurs, — La vengeance 
d’un tribun. Par Ch. de Miazade. — Chronique de Poli- 
chinelle. — Une sylphide d&meublee. — Une salle d’asile 
litt6rsaire. — La croix de Saint-Jean. Par ©. de Planoy. 
— Le signalement du pirate. Par EB, Oorbiöre. — 
— chapitres des méemoires de Jerome Paturot. Par 
— Une matinde litt6raire. — Une fin d’annee, 
— - Revue ‘de tribunaux. — Une indiscretion, Par Mime. 
M.... — Gluckistes et Piccinistes. — La femme. Par 
E. Briffaäult. — Ivan. Par L. Bolvin. — Le ratier. 





Sn Karl Gerold's Buchhandlung in Wien 
iſt foeben erſchienen und bafelbft, fowie in allen Buchhandlungen 
De a haben: 


Diätetit der Seele, 


Ernst Freih Seuchtersleben, 
Dritte, verbefferte und been vermehrte Auflage. 


Wien 1 
Zafhenformat. In Umſchlag cartonntrt. 


Preis 20 Nor. (16 gGr.) 


Die in einem fo kurzen Zeitraume nöthig gewordenen, wies 
berholten Auflagen biefes für jeden Gebilbeten wichtigen und in⸗ 
tereffanten Buches machen jede weitere Empfehlung überfläffig. 
Wir bemerken nur, baß bie vorliegende dritte Auflage vom 
Herrn Verfaffer mit befonberer Sorgfalt Überarbeitet, mit vielen 
und wichtigen Zufägen vermehrt,. und von uns, ohne Preiser: 
böhung, elegant ausgeftattet worben ifl. 


Das Gieschlechisieben des Weibes 


in physiologischer,, pathologischer und therapeutischer 
Hinsicht 
dargestellt von 


Dr. Dietr. Wih. Heinr. Busch. 
Erster bis vierter Band. Gr. 8. 15 Thir. 25 Ngr. 


Erster Band: Physiologie und allgemeine Pathologie des weib- 
lichen Geschlechtsiebens. 188. 3 Tihir. 35 Ngr. 
Band: Aotiologie, Disgeostik, Therapie, Diätetik 
und Kosmetik, sowie auch speclelle Pathologie und Therapie 
der weiblichen Geschlechtskrankkeiten, getrennt von der Schwaa- 
gerschaft, der Geburt und dem Wochenbette. 196. 8 Thir. 
Dritter Band: Voa den Geschlechiskräukheiten das Weibes 
nad deren Behandlung. Specielle Pathologie und Therapie der 
Kraakheiten der weiblichen Geburtsorgaue. 191. 2 Thir. 
Vierter Band: Von den Geschlechtskrankheiten des Weibes 
und deren Behandlung. Specielle Pathologie und Therapie der 
Krankheiten der weiblichen Geburtsorgane. Von den Krankheiten 
der Geschlechtsverrichtungen des Weiber. 188. 5 Tilr. 


Das Werk wird aus fünf Bänden bestehen 
fünfte Band im 





en 
6 Tr BOWW R zur 
sorn Verständniss des Yorgetragenen folgen. oe. 


Lei r ae 1838. 
wei, ia F. A. Brockhaus. 


In Unterzeichneten iR ſoeben erſchlenen und an alle Buchhandlungen verfanbt worden: 


Der Hibelungen Noth 


illuftrirt 
mit Holzſchnitten 


nach Zeihnungen von 
Mlius Schnorr von Carolsfeld und Eugen Heureuther. 
Die Bearbeitung des Terxtes 


von 
Dr. Suftev Pfizer. 
Achte und letzte Lieferung. Preis 1 EL, oder 17°. Ngr. (14 gGr.) 
Dreis des volftändigen Werkes 8 Fl., oder A Thle. 20 Nor. (4 Thlr. 16 gGSr.) 

Wir übergeben das achte Heft des Ribelungen » Liebes, womit dieſe ilufirirte Ausgabe nunmehr vollendet iſt, mit bee zuver 
fiptlihen Erwartung, daß das edle Gedicht in der Form und Geſtalt, worin es bier vorliegt, ſich den Beifall j 
gewinnen werbe, welche, echter Poefie und würbiger Kunſt zugetban, eine harmoniſche Verbindung beibes zum erhöhten , befriedi⸗ 
gendflen Genuß gern anerkennen und willtommen beißen, mit der Hoffnung, es werben bie Brunbfäge, welche bie künſtleriſchen 
und ſprachlichen Bearbeiter geleitet haben und weldye dahin gingen, bem großen, reinen und einfachen Charakter des altem, 
ehrwürbigen Ratlonalepos in Eeiner Weife Gewalt anzuthun, fi ihm mit forgfältigfler, treuefter Auffaflung feiner Cigenthümlich 
Zeit anzuſchließen und feine Driginalität in Ton, Haltung und Geftalten ebenfo fehr einerfeits ſchonend zu bewahren, eis 
anbererfeitö zur lebendigen Anfchauung zu bringen, in der Billigung ber zum Urtheile Befähigten, der für Ehre unb Reinerbaltung 
biefes herrlichen, alten Denkmals von deutſcher Sprache, Poefie, Sitte und Kraft Antheilnehmenden, ihre Rechtfertigung und 


Bewährung finden; es werbe das in biefer neuen Geſtalt unentftellte Alte die bleibende Liebe zu echter, volkethümlicher Kunft 
und Poeſie in vielen Gemüthern zu erweden und zu befefigen beitragen. 


Gtuttgart und Tübingen, im Mär; 1843. 


3. ©. Cotta'scher Beriag. 





Durch alle Buchhandlungen und Poflämter ift zu beziehen: 
ISIBS. Enchyklopaͤdiſche Zeitfchrift vorzüglich für 
NRaturgefhichte, Anatomie und Phyſiologie. 
Bon Oben. Jahrgang 1843. Erſtes und 
zweites Heft. Gr. 4. Preis des Jahrgangs 
von 12 Heften mit Kupfern 8 Thlr. 


Der und den Blättern für literariſche Un⸗ 
—— emeinſchaftlich iſt ein 
Riterarifcer Aungzeiger, 
und wird darin der Raum einer gefpaltenen Zeile mit 2'4 Nar. 
berechnet. Beſondere Anzeigen ıc. werden ber ARE für 
1 Thlr. 15 Nor. beigelegt. 


ig, im Mär, 1843, 
wenig, in BR F. %. Brockhaus. 





In unferm Verlage erſchien: 
Rosenkranz, K., Über Schefliiug und Hegel, Ein 


Sendſchreiben an Pierre Lerous. 8. Geb. 17’ Mer. 


(2 Thle. 6 gGr.) 
Bessel, F. iD. Aſtronuomiſche Unterfuchungen. 
ter Band. Gr. 4. 5 Thlr. LO Ngr. (5 Thlr. 8 gr.) 
Voigt, Ioh., Handbuch der Gefchichte Prenfens 
. bis zur Beit der Reformation. In 3 Bänden. 2ter 
Band. Gr. 8.. 2 Thlr. 10 Nor. (2 Thlr. 8 gGr.) 
Königsberg, im Mär; 1843, ı 
| Gebr. Bornträger. 


Bi J. U. Brsdfans in Leipzig iſt erſchienen 
und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


J. F. Herbart’s 
kleinere philosophische Schriften und Ab 
nebst dessen wissenschaftlichem Nachlasse. 
Herausgegeben von Gustav Hartenstein. 
Erster und Zweiter Band. 
Gr. 8, 6 Thir. 15 Negr. 


Der erste Band, welcher zugleich eine ausführliche Ris- 
leitung des Herausgebers über H.’s Leben und Schriften ent- 
hält, kostet 3 Thir., der zweite 3 Thir. 15 Negr. Eia 
dritter Band, welcher diese Sammlung beschliessen wird, 
erscheint in diesem Jahre. 


Meber die Hebung des kirchlichen Lebens 
in der proteſfſtautiſchen Kirche. 
Eine kirchenrechtliche und praktiſche Erörterung 


von &. Julius. 
Gr. 8. Sch. 1 The. 15 Mer. 


Andeutungen über den ursprünglichen Religionsunter- 
schied der römischen Patricier und Plebejer. Ven. 
D. Pellegrino. Gr. 8. 20 Ngr. 


Das Unmoraliſche Der Todesſtrafe. 
Bon Dr. Michael Petöcz. 
Nachtrag zu deſſen „Anſicht der Welt”. 
©. 8. Geh. 18 Wer. 


Des Verfaſſers „Auficht der belt”, an weiche biefe ins 
tereffante Schrift ſich anſchließt, erſchien 1839 und Eoftet 3 Zgtr- 


Drud und Berlag von 8. U. Brochaus in Leipzig. 


4 


Literarifcher. Anzeiger. 


1843. 


Diefex eiteracifäie 4 
Imtechaitung” und 


Nr. % Ä 


ngeiger wird den‘ bet 9: X. Brodhaus in Lei nden Zeitädkei ’ 
‘316 beigelegt ober —— —— und — F a ae Beitigeiften Viaͤtter für Iiterarifdie 


en fuͤr die Beite ober deren Reum 2, Nor. 


Beriht 


Berlogsunteruchmungen für 1843 
| F. M. Brodhaus in Leipzig. 





Die mit Kuppgeihmeten Artilei merben befkimmt im Saufe des Jabres fertig; von ben übrigen IR bie Exfdelnung ungewifler. 





L An Zeitſchriften erſcheint für 1848: 


J ——— Zeitun Saprgang I 100. Br mit 
1E is Schon: dm a en 

® ehrt * — nn 
——— tm folgenden Tag — € ler Art 


finden In | in — — ex ee 3e eltung eine meit te Berhee 


a yes —— ——a — Im 
—* ven 10 


tt lit Imterha (Herauögeber: H. Brock⸗ 
” * Sa — den —* fr eine 


- Gries act * a Saat % ICH ee. erben. 
vergleichende ie Herausge⸗ 
"iii ZA Di ten. Jahrgang 1843. ee ri Kupfern. 


Gr. 4. 8 Tl. 
Ge) Sie. 2 und ———— Zeitfqhriften erſcheint ein 
Literariſcher Amgeigen, 


I 

En man nen 
site — Tieren e interde dal en gegen Bergütung 
*4. Landwirthſchaft liche —— — Herausgegeben unter Mit⸗ 
wirkung einer Geſellſchaft praktifcher Land⸗ Haus⸗ und Forſt⸗ 


wirthe von ©. von Dfoffenrath und William Ebbe, 
Mit einem Beiblatte: Gemeinmügiges unterhattungeblatt für 
Stabt und Land. Fe 1843. 52 Nummern: 4, Preis 


bes Sahrganne 

org: > fie Den Ram ei eine paltenen Belle Fr 453 
e 

neue J a N Literaten Im Auf- 


trage der Universität zu Jena redigirt von Geh. Hofrath 
Prof. Dr. F. Hand, als Geschäftsführer; Gel. Kirchen- 
rath Prof. Dr. L 

th Prof. Dr. W. Francke, Geh. Hofrath 


Appellationera 
piot Dr. D. G. Kieser, Geh. Hofrath Prof. Dr. J. ER 


Fries, als Da Jahrgang 1843, 312 Num- 


—— Or, 12 Thir 
a6 außgeachen N um aber and in Dtenatöbeften 
— u. dal "te au ae er Den Lam um elntt X imd — 
—— Untecheltung. 
"nm a $ı ang. 1043 52 Nummern, Mit 
bung mal gr. 4. 2 Ihk. 





—— u miete 


. Leipzig von Hofrath und Oberbiblioth 


L. FO. Baumgarten-Crusius, Oben | 


| I’. Bremer 
zufenimengenemmen Ratt 9 hr. 


. im b t i Ir., In 
ar Im AAN Teams db wanie Aa r. ar sa en 


im Dreife herabgeſeht mb folgende Gäriften mit vielen 
 Pfenäige Bogayi F r Kinder. Fuͤnf Bände. Fruͤher 5 Thlr. 


Ein eine Sa rgaͤnge 20 Ser. 
Comatoge. again. Dre Bi ade 4 Früher 6 Eile. 2* 


—* Magazin. Ein Band. Fruͤher 3 Thlr. Sege 


Unterhaltungen eines Vaters mit feinen Kindern. Zwei Bänts 
Fr j 51 Abbildungen. Früher 1 Thir. 15 Non 
gr. 


Perſiſche Fabeln. Mit 18 Abbilbungen. 5 Nor. 
"ra En der Botanik zum Gebrauche für Schulen und 
elbftunterrichte. Awe it Auflage, gaͤnzlich umgear 
Mit 140 Abbil- 


beit und 5 von Sb, Winkler. 
( 
——— 


* 
jeder — 


— ey 
— lee ne Der u, dgl, gegen Wergütung von %, Ahlr. für dab 


55* 
rium für deutsche und ausländische Li- 
—— —— — unter Mitvirkang der Universität 
Dr. E GA, 
Gersdorf. Jahrgang 1843. 52 Hefte. Gr, 8. 12 Thlr. 
Des Leipaiger Espvırorium erſcheint in woͤchentlichen Heften 
vn_ 2a —3 
in ustährkiäer Preſpect vorlber N in allen Budkaubiungen.gretis 
er il it ein 
ion er x bemar. Angeiger 
I an N 3 e X rer 
oder deren Haum alt 2 Nor, bereut, 
— —— — —E von 1 Dr. 15 Kar. Geigelegt. 


I An Fortſetzungen erfcheint : 


erhalten. 
"> Dem Leoipai 


*8, Analekten für Frauenkrankheiten, „Bemmkung der 
vorzäglichsten. Abbandlun en, Monsgre ‚ Preisschri$- 
ten, und Notiz da h- u und Auslandes 


über die er * Weibes . über die Zustände 
der. Schwangerschaft und des Woohenbettes. Herausge- 
ben von einem Vereine praktischer Ärzte. Vierten 
Sn erzien Heft und fe e. Gr. 8. Jedes Heft 20 
beitte Band, eften (1897 — 42), Toften 8 Ehir. 
“, —— * hierhe der Slaffker des Auslandes. Mit bios 
raphiſch⸗ literarifchen Cinleitungen. Siebzehnter Band unb 
Igende. Gr. 12, Geh. 
Die bis ——ã— dieſer Gammiung find unter beſondern 


e 
⸗ —— Aus 
der Beriede Der —ã Dritte Auflage. Ve Te. on 


= *9 
V. ante Geben Krlit dr * * 

und erläutert von K. % 
V. Bremer Beben), Di ——* — nl in ‚einer 
"2 Bremer (Beeberite), Mine. cite Auflage. Amel Theile. 


Drem er eos * Er ober Yo nüenforgen und as 


euben. Dritt Iue 
Bremen ——6 5 
.Prevoſt to * Bach, eſchlchte der Ranon Feb: 
7 an cs zwalier r D Ausb dem Franzofiſchen überfept 
. Dante All er 8 Geblichte. Aus ven yıllml 
ee en überfept und rt von K annegieher und K. Witte. 
— vermebrte und verbefferte Auflage. Zwei Xhellc. 2 Ahle. 
xIv. D b im 8 
Kalten! Ge), (k ER rn be Pimer 2 er. Zus 22 —26 
va seogtenh! Zen —E z33 en 1 * . I Nor 


derife), Ki Ieineve Grzäplu y naen. NR 
n riede, 


XVI. Bremer (Brederite) oder —* Genen in 


ve 
(Prans {8 Merie Ru, de), Die Genriade. Aus dem 
drfden im —* des Driginals überfept von J. Schröder. 


XVII. u a» IH. 2. (König von © — Vppleie. Aus dem GSchwe⸗ 
ZIx. sjsdere (ar. Vita 77 SGe Aus des Schwediſchen überfept 


Kannegieher. DO Rer. 
10, "Busch (Dt. W. H. Das Geschlechtsieben des 
"pathologischer und therspeu- 


Weibes in physiologischer , 

Escher Hinsicht dargestellt. Vierter und fünfter Band. 
Banb u ud weibi Su 

(aan Beate, ne und a Se ve Pathologie —* ns 

—* idtetit un, 3 —*— euch * e — 

= u ‚Beil er 





eiten ’ 


—8 ein Atlas ber di Abbildu 
ML Ann Mergetragenen nn für A un Vai 


+1. Eupier (Baron von), Das —— georbnet nach 
feiner Organtfation. Als Grundlage ber Naturgeſchichte ber 


Thiere, unb Ginleitung in bie Anatomie. Nach 
der zweiten vermehrten Ausgabe überfeat und Durch Zufäge 
erweitert . Bänden Sehe 


von $. Son. —X anf 
u en Taasten Ende veunieh be 
— 
N t Ban ⸗ * u 
— De a 


8 der fünfte Wens ts 
ee || 


Yaltend (1843), 3 he. 10 


»13, emeine —* ber Diſſenſchaften und Kuͤnſte, 
in al tiſcher Folge vo N genannten ellern bearbeitet, 
und herausgegeben von I. Sm. ya ms. &f. Sruber. 
Mit In po Karten en. least ’ art, an 
Spreife auf gu an Billa r. 
5 * — ne —— ba ge auf grreefetn ter tm 
section, AG, herr von: Cr Ar Atts 

unbbrelbigfter hell hell und fe 
AR Gection, uögegehen von And, Gli. Hoffs 


m any! I und ende. 
— —— — 5 — von Re. on @d. Meler. 


— — ‚ werden — 

3. Heinfiuß —*8* ), % 8 Wücher : Eerilon, oder 
* abetifi Anis ar den 1700 bie zu Gude 1841 
enen 2 er in Deutfland ind in den durch 

Ste und Literatur damit verwandten Ländern gebrudt 
worden find. Rebſt Angabe ber —— der Verleger, des 
Erſcheinungsejahrs, des Formats, der Bogenzahl, ber Preiſe 
zc. Reunter Band, welcher bie von 1835 bis Ende 1841 
erfchienenen Bücher und die Berichtigung früherer Erſcheinun⸗ 
gen enthält. Serausgegeben von D. X. Schulz. In Eiefe 


— 5553 


sungen zu 10 Bogen. Zweite Sieferung und folgende. Gr. 4. 


Bitte SEE | 8175 Ko 


ef Dome 3 Br, Elta 


von Yeinfus Bücher s Lexiton 
—— NET: ee DENT: AR — 2555*— 


7 e nm 
IR be er 
ge a * il, to —X er 10 8* 15 Rer., auf Barcibe 


RER (J. F.) kleinere philosophische Schriften 
und Abhandlungen, nebst dessen wissengehaftlichen Nack- 
lasse. Bande &r.6, von Gst. Hartenstein. Dritter 
etzter) Ba Band. 

liche Gin 


Ban — — wre und Gain erhält topet 3 se. “bee Meier 


3 Ford 
e Encyklopädie, oder bildliche Darstel- 
ung aller *5* Medicin, und Ge- 

ter Mitwirkung der Herren: Hefrath und 
—— Prof, Dr. v. Ammon in Dresden; Prof. Dr, Dieffen- 
bach in Berlin; Leiberzt Dr. Gressheim in Berlin; Geh. 
Bath Prof. Dr. Jüngken in Berlin; Geh. Rath Pref. 
Dr. Kluge in Berlin; Geh. Rath Prof. Dr. Trüstedt in 
Berlin, besorgt und herausgegeben von Dr. F. Jak. 
Behrend. Zweite Abtheilung: 'Beinbrüäche und Verren- 
ku en. Grossfolio. 


Die —J — der Teſela dieſer zweiten Abtheil i 
—* ——5— —— vet a 
* € are ni Ar —X nnen. Die erſte Abthellung, — 1833 


u che Darstellang der Bicht-srphilitiscken 


ikonog 
Herm —5* Prot. BD 


r. Trüstedt beso 
Dr. r Jah Behr end. 38 Tafein Ab 


16. Sadifche Gebicht in beutfchen a 
e 
oefer. Zweite Leſe. Gr. u eh. ver ai. 
ie erſte Lefe (1041) tötet 1 Ahlr. 
+17. Kaltigmibe (3% H.), — und veuttindigtee 
Fremdwoͤrterbuch, zur Erklaͤrung aller aus fremden Sprachen 
entiehnten Wörter und Ausbrüde, weiche in ben Künften und 
Biſſenſchaften, im Handel und Berlehr vorklommen, weht 
einem Anhange von Gigennamen, mit Bejeichnung ber Aus 
— —— In een. Drittes Heft und fol 
| 9 Kor 
erfte bis vierte De er re A a ak allen ** 
a EN Idea SRG a yo —— 
richtung und Billigkeit ſich gleich —— 
"en 8 Kriegertkum. Von einem | Invakden. Zweiter "Theil, 


ar “ [: „Wahl und Biläung höherer Truppenfährer‘‘ (1882), 


9. —— Denkwürdigkeiten aus der mediciai- 
schen u 58 chirurgischen Praxis. Zweiter Band und fol- 


Ban (1012) Iofet 1 Zblr. 21 War, — he 
*20. Robad (R.), Lehrbuch der Wa * 


Dänben. Drittes Heft und folgende: Gr. 8. Jebes 38 


ieſes ps dab etnem 
fen 8— 55* gas si 


Der neue Bein Die —— 

erer und neuerer Zeit aus allen Laͤndern. Herauigegeben 

m 3. 8b. Hitzig und W. Häring (W. Xleris). Drits 

Ber cheza (ed we * an: 
—* — art re Cart. 


En — als R fie ft. Donna tt — en 


harlamıe nteratd Ziquet. Der felfde Martin Guerre Die ven 


Hautkrankheiten 
Unter Mitwirkung ded® 
t und ker 

Open Text. 


ma cuce Sci je 
dd 


12, 2Xflr. &l 
—— cl ung. Die —25. int Erg Ian Qemoder. Die Mars 
bi; Geſche Mar 3 ——W8 
ar ördeeinmen einex ‚Here. 


=. "Tigemeine Prebigtfammlung aus ben Werken d —— 


lichſten Kanzelredner zum —* in * auch 
zur haͤuslichen Erbauung. In drei Bänden ausgegeben 
von Eduin Bauer. —* und dritfer Band. Gr. 8. 


Der erfte Band, unter bem Titel: „Goangtlienprebigten auf alle 


* I a 
Yrligcn ea "ach \ " dDigten über frele Texte enthalten, 


Reumer ( ons Gebliäe Tarıpas fit dem Ente de 
ar ee Giebenter Band und folgende. Gr. 8. 


Auf dpapier und 
n Du ee © Fi ey Fee auf Drudpapier 7 Ablr. 


ende bedeutendere 
PA — re iR en 


m, GM — 

ge —F erh um a are te en 8 —* 
ie — a naar ten 

umb 

= "die EEE, be ee Tuflage. a ar 8 189. 


8 Rer. 
—8 gr num & Sefbißte and, dem en Rufam u u nD Weiber: 
dem Tori I der aaa ot 39336. TAbir. 15 


— 


t (110060). 2 a rs Rge. — 
—— —— 
Sin. irn Or de — kandes. * * 12 


Ge 8 Rn gu „Uhrer —ãA Bweite, wer verbe te u ind 
5 en ae — 2, 7 


em Sraicinenselims 
dererkenXuflagebefonders ?AhE. 
eu ———— 


nb x. 
Br dritte — en cn ein untee dem Kon 
asian im Sabre 1 e. 12. 2 hir. 15 Rer 


forentiner. Dritter, ober 


U. Roͤmiſche Briefe, von einem 


erfter Band. Gr. 12. Ge 
Zu Be ne Band (1840) Toften 4 "pr, Ner. 


35, Hiftorifches Taſchenbuch. Herausgegeben von Di, vos von Rau: 
nn Ya Ba Bitwrläe Kalle ze Bach ant yein Seheringen 
en Sapenpreife 19 hir. 20 Mgr- aim cher 


1890-89) , 
—34) alö ben ſecht x 
hol den ern a ondenommen für IIYE: Ahaeler, —* 


wi u ne 


t 
2 — HH. König 


ee Due Siktgeng 283 — 
zweite 2 Ahle. 15 Rer., der dri Irte mad Bierte e jeder 


ſchenbuch bramatifcher Deiginalien. 
Dr, Srand. Reue Folge. Zweiter Sahrgang. 


Az Tage 
u vom 
einem 


I87 —41 ende di 
Pre Xen {m imsstapactes \ Kinbrelieeatte, (sad, 


Bilbniß. 8 


Die erfie aus fünf 
buches koſtet "lammen ngen 
einielae abreänge 

8 (1882) ? oftet 2 Kir. 
27. Vollständiges Taschoabuch der Mönz-, Maass- und 

Gewichts Verhältnisse, der Staatspapiere, 'des Wechsel - 

und Bankwesens und der Usanzen a er Länder und Han- 

e. Nach den Bedürfnissen der Gegenwart bear- 

beitet von Ch. Noback und F. Noback. Fünftes Heft 
und folgende. r. 12. Freis ‚eines Heftes 15 Ngr. 

Pr Des ee Su fans $ Set enthalten : en—Mannhokn ; bie übelgen 


98. Ulfilas. Veteris et Novi Testamenti versionis gothicae 
fragmenta quae supersunt, ad fidem codd, castigata, lati- 
— donata, adnotatione critica instructa cum giossario 

et grammatica gothicae conjunctis curis ediderunt 
H. C, de Gabelents ot J. Loebe. Zweiter Band, den 
Schluss des Textes, ein vollständiges Glossar und eine 
Grammatik der gothischen —* enthaltend. Gr. 4, 

Geh. Auf Druck - Und Ne velinpe ' 
3 * der Shnuphafe’ ſchen 


tig a at dem in —— Ber * über d Eoftet 
Nr ⸗ 
— 2 Enle. 18 Rot, auf Melinpaplee egeee Bi nt 

au me‘ 18 een Ba Bandes, den —— De [here und da Soffer ent⸗ 


W. Urania. Jahe 1844. Neue Fo 

Secheter Iahegang. Mit einem Bühnifie. 8. Sart. er 
Bon rähern ihn, Se Im der Urania find nur nod einzelne remplare von 
—57— beradssfepten Dreife zu 15 Rer. ber 


* —— 1 Ahle is Mror.. ber ii De eg nr 
(Die Bortfegung folgt. ) 





In Untergeidgnetem iſt focben erfchienen und an alle Buchhandlungen verfanbt worden: 


Reisen und Zanderbeschreib ungen, 


24fte Lieferung. 


Auch unter dem befonbern Zitel: 





Beihreibung 
Kordofen 





und einige angrenzenden Ländern, 


nebit einem Überblick über deu bafigen ‚Handel, bie Sitten und Gebraͤuche der Einwohner und. die 


unter der Regierung Mohammed 3 aus flattgefundenen Sklavenjagden. 


| Iauas Yıllme 
während deſſen Anmwefenheit in den Jahren 1838— 39 verfaßt. 
Gr. 8. — Preis 2 Fl. 15 Kr., ober 1 Thir. 10 Ngr. (2 Thlr. 8 gGr.) 


Inhalt: 1) Lage, © Gewaͤſſer, 


5) Charakter der Einwohner. u Die Botlare. Kabobiſch. 


Schetuk, Nuba, Takele u. ſ. w. 
von ·Korbofan. 15) Hanbel. 
I820. 18) Rachxrichten über den Lauf ber 
das Reih Darfur. 

Giusttgnrt un Tyiuigen, im Wär, 1843. 


10) Seligion. 





oben und Klima. 2) Gefchihte. 
8) Dar⸗ Hammer. . 2) 
1) Krantpeiten. 12) Das Milltair. 
16) tionenjagden Mohammeb Ali's im Allgemeinen. 
Bacherabbiad (weißir Mil) 


3) Btrgierung. 4) Gitten und Gebraͤuche. 
9) Bolkeſtaͤnme die an —— angtengen 
13) Producte. 14) Seuptfet: 
IT) Skiavenjagd in ben Yan Kan und 
Banbonianiamı. 19) Über 


2. 6. Cotie ſcher Verlag. 


* 


iterthuͤmer in Korbofan. 














sehr verbesserte und vermehrte Original- Auflage. 


Yerpis, Dei 3. U. Weräyent. 


De eefe Baud (Het 1 —8, A— Balbucme) 
diefer neumten Auflage iſt fertig, Sie orſcheint in 15 
Bänden oder 320 Heften zu dem Preiſe von 3 Nor. für 
das Heft in der Ausgabe auf Maſchinenp.; in der Aus: 
gabe auf Schreibp. koflet der Baud 2 Thlr., auf Velinp. 
3 


Wie bisher, fo werden auch in Zukunft monatlich In 
der Regel drei Hefte erfcheinen, die Auslagen für bie Ans 
ſchaffung des Werks vertheilen ſich ſomit auf drei Jahre. 

ie volftändige 2 in 1220 ‚wird 


D 
ih gevantiet, fobaß die Subſeribenten et- 
waige weitere Hefte gratis erhalten würden. 

Die fehr große Theilnahme, welche biefe neue Auflage 
sefunden bat und welche jetzt bereits eine Auflage von 
fünfundswanzig Tausend Ezempların 
nöthig macht, ift die fprechendfte Anerkennung bee in⸗ 
nern und Außen Vorzüge, wodurch dieſelbe vor frühern 

Auflagen und allem aͤhnlichen Werken fig auszeichnet. 
Auf den Umfdhlägen der einzelnen Hefte 

werden Aukündigungen 

Raum einer Zeile wird mie 10 Ngr. berechnen. 


.. Ale Buchbandlungen. liefern das Conversations- 
Lexikon, zu obigen reisen. a kann nicht in 

Anspru ommen werden; Subscribenten- 

Sammler erhalten auf 75 - Freiex 





Soeben ift im Berlage von Bundien u Sumb 
Berlin erſchienen und in allen Buchhandlungen zu erhalten: 


Ontwidelungsgefdjichte 
neuesten deutschen Philomophie, 


mit —— Eoı Br den 
en Ka elling's mit ber 
a Can ee 


Dargeftellt in Vorleſungen an der Friedrich: Wilhelms» 
Univerfität zu Berlin im Sommerhalbjahr. 1849, 
vo 


Dr. C. £. Michele. - 
Br. 8. 25% Bogen. Preis 2 Thir. 


lungen 


abgedrudt, und der 


Ist in- 


Soeben iſt kei ums, und 
6 Segen: erſchienen darch alle Neqhtau 


L’Angleterre, TIrlande et Piesese 


Souvenirs d’un voyagenr solitaire, 


uneditattans | 
sur le oaractöre national: des: Angieis. 
leurs moeurs, leurs institutions, leurs ©tablisse- 
ments publies, l’asseciation britannigue ainsi que 
d’autres socletds savantes et les inventions non- 
a ro velles en ı dait de sciences et d’arts. 
vol. Ia-8, Leipzig und Paris,. 
—— ri, ’ eris,.1843. 5°, Thk. 


6 5 Wrenesins, 
Buchhandlung für deutſche und ausländifche Kiterater, 
En 


Im Berlage von Sonard Weyer in Sottbugi 
ſoeben erſchienen unb in allen Bufjbandlingen ya Pre f 


Airchliche 


Der Berfaſſer entwickelt in bie benſ 
gruͤndliche als parteiloſe und unbefangee a u af 
i Kirche. 


nen, bie hoffenttich dem Ausſpruche des großen Apofkeld: „Drüs 
fet aber Allen, und das Gute et ne 


N 

Bon %. 1 

Sei >» — in keipſtig iñ sur alle 
Über das Verhältniß bed Staats 


Otheinifchen @ifenbahı- Gefekjäeft. 


'- Zur tung ein ’ i 
Delench — — Denkiärift 


Gr. 8.. Geh. 4 Mer. 





Neu erſchienen 5 of N 

- Siegfried Schm 
Drenwatit 

Zuhalt: Burus, — —E Sompin, hier. 


Friedrich Fleiſcher. 


id 





Deutſche Allgemeine Zeitung. 

Auf dieſe vom 1. April 1843 an in meinem Derlag unter ber Redaction des Profe , Büles 
täglich Abends erſcheinende Zeitung werben bei allen Goftämtern und —— — N; In: un 
Auslandes Wetellungen angenommen. Der Preis beträgt in Sachſen vierteljährlih 2 Thlr., in ben übriem 
Staaten aber-wirb derfelbe nach Maßgabe der Entfernung von Leipzig erhöht. Die Infertionsgebühren 


werden für ben Raum einer Zeile mit 2 Ngr. berechnet. 
Leipsig, im Wiägg 1843, P. A. Brachbens. 





Drud und Berlsg von ©. U. Bro@daus in Beipzig. 
RE 


‚Dr. Dilba. 


Theologie bed ve A., 
Se 


Ziterarifcher Anzeiger. 





1843. Nr. XI. 


Brockhauns in Leipzig er 
‚und Beten die-Bnfertionäge 


Dieſer Literarifche Anzeiger wirb den b 
—— — und „Iſis beigelegt eder 


Vorlefungen, 


welche im Sommerſemeſter 1843 auf der Kieler 
Univerſitaͤt gehalten werden ſollen. 


I. AAgemeine Aige nige Seorlefungen · 

Philoſophie. Hodegetik, 1 ©t., Dr. Harms. 
Geld. der aum Phit. 2 St., Dr. Thaulow. Geſch. ber 
83 Dr. —88 Geſch. der praktiſchen Pal, 


— Rome, 4 St., Derf. Ginleit. in die Anatufis, 
t 

3) EEE Beotogie, > St., Prof. 
Behn. Zootomiſche Übungen, Derf. Botanit, 56t., 
Drof. Rote. Botan. Exc 
demonftrationen, 2 St. Der 
fen. Mineralog. Terminologie, sen. Dei. 
petitorien, Dr. Zielle und Dr. 
ꝓbyſik, 4 ©t., de Tielle. Phyſfikal. Bepetit., Derf. Theo⸗ 
zet. Chemie, 4 St., Derſ. Analyt. Ghemie, 3 St., Prof. 
Pfaffz 6 &t., Dr. Tielle, 
ver, 3 ©t., Prof. Pfaff. Ghem 
Nepetit., Dr. Zielle und Dr. Süerfen. 

4) Literatur und Spraden. 

a. orientalifche. Arabifh, Prof. Olshaufen. 9 

tete Srammatit, 3 St. Derf. Pfalme, 5 St., Der 

Dr. Baumgarten. —8 und Ghalbäifch, Srivatif F 
Bart, Ols hauſe 


Mineralog. * 


Privatiſſ. Oerſ. Ehem. 


b. claffif * Mythologie der Grie und Römer, | 
4 St, Prof. Ritzſch. Archaͤologie be griech. Kunst 4 
Drof. Forchhammer. Pindar, 4 St., Derf. PT 


@umeniden und Quripfdes Spbigenia in eure, 4 St, Prof. 
Risch. Ariſtoteles Met it edle ©t., Prof. Borhhammer. 
e Rorbifche Mythologie, 1 ©&t,, 


Prof. Fier. Daͤriſch2 Ah Derf. Bänifchfchreiben, 2 St. 
Be Den, emeeii und Serdnbifl, privatiſſ. Derf. 
8, Lector v. Buchwa ald. une tterar. 


eh Derſ. Shakſpeareis Heinrich IV., 3 St., Lector 
ubbren. Engliſch, privatifl., Derſ. über Ghakfpeare’s 
Macbeth, 1 St. Dr. Element. 

9) Geſchichte. Geſch. Iſraels, 26, Dr. Baumgars 
ten. Alte Geographie, J St., Prof. Dropfen. Sacls 
sus Germania, 23 St., vrei Wait und Dr. Element. 

vaterlänbifäje Gefch., ak. Prof. Wait und Dr. 


Renefe - t., D 
Portfärpotiifge Übungen, Dest. ‚Prof. Dropien. Hi 
9 —— —— — Rationaldkonomit, 4 St. 


werbepolicei, 2. —— Santınirtpfcheft, 2 ©t., Dr. Wilde. | 


AU. Faenttaͤtai ſſenſchaften. J. 


1) Theotogie. Encykiopaͤdie, 4 Bt., . Pelt. 
) Theologie. so cy Bee en — Pelt. 
braͤrr· 4 Eiĩ., —5 — Bir Rinarkb- , ‚erfer 


| — 4 —— dercmann. 


tsphil., 1 6t, Dr. Thaulom. —8 —2 
c5 Mathematik. Reine Mathem., 4GSt., Prof. Scherk. 


nen, 4 Derf. Pflanzen⸗ 
Mineralogie, 4 St., Dr. — 


Suͤerſen. Grperimental 


eh der anorganilden Körs 


| logie, 6 —— — Behn. 


fen. Pharmalogneftifche Demonfirati 


:| ‚meifter 1 
‚5 St., Prof. Ravit. Ber |]. 








enben Zeit „Blaͤtter für literariſche 
ren für bie Pre deren Raum 2%, FE 


— rof. Thomſen; zweiter Theil, 4 St., post. Pelt 

— 19) Fahräunderts , ge. ., Ders. Yatriftil, 
; ei. Prof. Ehomfen. Dogmengefch., zweiter Shell, 4 &t., 
Derf. Moral, 6 &t., Prof. Mau. X opti, 76&t., Prof. 
Dorner. Paftoraltheologie, 2 St, Prof. Lüdemann. Kater 
chetik, 2 @t., Derf. Katerhet. Übungen, 2 St., Derſ. Bi 
biiſch⸗theol. Übungen, 2 St., Prof. Delt. 

2) Rehtswiflfenfhaft. Encyklopaͤbie, 3 St., Prof. 

Juriſt. kLitera A 3 St., Prof. Ratjen. meqti⸗ 
NRom. Nechtsalterthuͤ⸗ 
mer, 2 ucharbi. Gellius, 3 St., Dr. Ofen» 
sen * " Rehtägefch. u. Suftitutionen, 10 St., Prof. Burs 
Bar Yanbekten, 12 St. Prof. 3. Chriſtianſen; Fa 
r. Ofenbrüggen. Gnegrtiie | hingen, Prof. 3. Chris 
ftianfen. Erbrecht, 4 ©t,. Dr. €. Ghriftianfen. Deut 
ſches Privatrecht, Prof. Fa "Rorbifie Rechtsgeſch., 1 ©&t., 
Prof. Paulfen. Gchlesw.cholft.»lauenb. Privatrecht, 5 St., 
Derf. Deutſches Staaterecht, 4 St., Der. Ausgew 
Gapitel des Griminalrchts, 2 St., Prof. Bald. Griminals 
Sodification, 2 St., Prof. Seremann. Bem. Civilproceß, 
4 St., Def; ‚Sönfen. Gem. unb vater!. Ginitprees, 0 B ‚Br 

. ; 6 &., Dr. Shmib. Schlesw. ‚helft, GB 

zuat, ; er, Prof, Zönfen. Summar. Proch, 2 ©t., 

Deri. Gem. u. fehlesw.sholfl. Geiminalproceh, 4 Bt., Prof. 
Herrmann. Proceß⸗Prakticum, Prof. Bald. Zurift. Pri⸗ 
vatiſſima, Prof. Burchardi und Dr. Schmid. 

3) Arzneiwiſſenſchaft. Encyklopaͤdie, Prof. Ritter. 
Allgem. Anatomie, 3 ar ., Prof. Behn. Dfteoiogie und Syn⸗ 
besmologie, 3 ©t., Dr. Weber. Nerven und Ginnedorgane, 
2 6t., Prof. Behn. Patbologifche Anatomie, 3.&t., Dr. We: 
ber. Ghirur. Pathologie, 2 &t., Prof. Lan enbed. Phyſio⸗ 
Patholog. Semiotik, 4 St., Prof. 
Ritter 3Gt., 356 eg Def: Hfaff. 
Kg. Aherapie, 6 "Sb, Dr Kichner.  Nofo nd Thera⸗ 
ie ber Kagherien, 5 Prof. Meyn. ke & Kranl- 

iten, 4 &t., Dr. Kirchner. Torikologie, — Dr. Süer 
ionen, 2 Dr. Kirch⸗ 
ner. Gefundbrunnen, 1 &t., Derſ. een 1 6&t., 
Prof. Meyn. Chirurgie, erfter Theil, 5 St., Prof. Lan: 
genbed, Prakt. Chirurgie, 4 St. Derf. Weliberkrankhei⸗ 
ten, 3 ©t., Prof. Michaelis. Mäeutifche Operationen, 
3 &t., Derf. Medic. Klinik, täglich, Prof. Meyn. Ghirars 
un Klinik, 12 ©t., Prof. Langenbed. gräeutifihe Kinit, 
©t., Prof. Michaelis. Gerichtliche Medicin, 5 St., Prof. 
Meyn; 2 St., Dr. Valentiner. Privatiſſima, Prof. Der, 
gewifd, Dr. Kirchner und Dr. Weber. 


IE. Rünfe. 
- Medjanifde, univ.⸗ —— ECramer. Veterinair⸗ 
kunſt, Stallm v. Balle. Weiten, Zeichnen und Mas» 


len, penlebeer Rehbenigt. Ben a Gymnaſtik, Fecht⸗ 
Tanzen, Tanzmeiſter v. Wobeſer⸗Roſen⸗ 


EV. Anſtalten. 
Die Biblio t li Rat Das 
‚Gemina —* — —— va — le 
ad an 


bain. 


emann. 


und —S 
beauffihtigt Prof. wen Den botan. Ga — Pr 


Beridht 
Berlagsunternchmungen für 1843 
®. A. Brochans in Leipjig. 


Die wit * dezeiäneten Krtilel werden befktuumt im Baufe bed Jadre6 fertig; won den übrigen IR Die Erfeinung ungewiffer. 
(Bortfegung aus Rr. X) 


IL An neuen Auflagen und Neuigkeiten erſcheint: 
*30. Moneldi. Cine Gryäplung. Aus bem Englifhen des ame: 
ritaniſchen Malers Washington —— — von 
SE &. ns. 
. Antike Marmorwerke zum ersten Male bekannt gemacht 
en Emil Braun. Folio. 
eu he ua ymet erhe Fat, im Era beraiet und werten mit 
Kai des Aristophanes, übersetzt und 
der. Möller. Drei Bände. ug 8.6 Geh. 


Der met Kan ‚biefer FH 
wird, auber sine eügemein 
Kt ERS 
—— (BF), Di, Demand —— u 
a ae 16 och 
«rd. Banfey (Far, U mt Gas Verhältaiss der - 
Pi chstamm. Gr.8. 
KERTERT an die Detgtleber ber Deutfien Ger 
— 


en Gerade und Kteripd, 
‚Herausgegeben von K. ſpe. @&. 8. 


Een 
Edidt 6. Julius. Gr, 8. Geh. 


theca romana. 
6 über di s 
1a: PER IE HROHOER HN hellen Wi 


—* es — publis par H. de Hoff- 
mans. Gr. 
ice Bir ic u — en et folgenden Xbs 


unter Zt mug engein 
3 — dipiomatigue, 2 Bänke; 
waiversel, 2 Bände; Droit des gens ; Histolre et it 
15 —⏑— 
Binde; Histolte des diats tables. 
Sons 'sourerainen, 3 Wine; Pol —— des » 2 Binde; 


Drei Theile. 
* —A FACH, © 47 Wortefung — die an 
der deutfihen of Erlen. &i 


bie erwachfene Ju; nn ” - 
et He der Bande 
—— von Hm. Brockhaun, Gr. 8, 
4. —&S8 ha Chandrodaya. System der Vedänta-Phi- 
dramatischer Form entwickelt von Kriskns 
Miro. Air ms Düne herausgegeben und 
— me Di dee Get han ai 
— 1886, mi * 
— 
tel für dab Ganze beigefügt 
*42. Sammlung orient —— — Märchen, Erzählungen und 
Fabeln, beransgegebes von Hm, Brockhaus. Erstes 
und zweites ichen. — A. u. d. Titel: Kathä sarit 
des Somadeva Bhatta aus 
Sanskrit übersetzt. 
Er. I‘ 


Geh. 
te Bud Mefer Miräenfommüune erfälen 1899 bei mit 
Roc BR En 


züher erfälen von dem Herausgeber bei mic: 
Grändang, Ger Bad, Fataliera, uud Göosiahie ar Lyaien. 
* doutsch. —X 18%. 8 A hun) 


überfegt von Sb. male, We &. 12, 8. 
— — Die göttliche Tomddie. Überfept um 
gRrt von 
Auflage. Drei Tpeile. Wit mehren Tafeln. &. 11. 94. 


und erläutert, von SeRer. Ge. 10. 1361 
Dante ET Geblägte. _Überfept und erfldet ma 2. 


in Qua 

Ra 

Bene 

“ Dietrich (Fr. —X CA.), Ältzordisches Lesebuch aus 
der skandinavischen P. 


girt von A. Moser. Gr. 14. 
van a lenken Gau ae reg 
ae Medi, ehoble und Theraoie, Bemketik and Diniasnkı Pr 
"Anatomie; Materia medica ; ; Chir: 
BEE IN ENTE. Ai 


Sea, 
5l. Gnnemofee of), —— Veyeia · 


Zeit. Systematisch bearbeitet und mit dem möthigen Be- 
gistern versehen, Dritte Ausgabe, besorgt von Ch. Ant. 


v 


ilelogie mh em 
— dh ehe rer egten Felle at af Dreh hai af 
auf 


I a ER ebenfalls 3 (sten "De Anyrlacn 


Philosophie und Prdensgik. 1922. 0 Ngr. — T 
— —— 1823. 20 Neger. -- Medicin, 1 
u erbakunde, 182. 1 Thir. 0 


egeben 
"Dit ef —— —S eines ara 2 3.12. 00. 
ie 


{n efem Sabre vo i“ e. Zire. 
® Ö 8. Ss A audgeg von e 
u. rfier (8), en. Gr. 10, We 


Theile. Mit bem air bes DI 


zerfhtenfrn OR 
waren Huch 2 dan Ganzonen, Gonettr, Balleten und 
Kcumphe, ept mb mit en uternden Anmerkum nen en von 
a: u weite berbefierts Auflage. Gr. 8 
— Zegt 1 Xhlr. 5 Star. 


Fürftenbund.> Präliminarien. Berichte. Acten⸗ 

_ "nie ; 55* Eingeleitet und herausgegeben von 
8. eke 

56. Seife (2.), Allgemeine Päbagogit in drei Büchern. 


* Bub: Der Menſch, feine a oidelung und Bildungs zweites Ond: 
Grylehung ; Duch: 
57. Grässe (J. ©. Thar), Wörterbuch der gesammten 


Mythologie aller bekannten Völker der Erde, nach den 
Originalquellen bearbeitet, mit den wichtigsten Beoweis- 
stellen und mit Übersichten der wichtigsten Religions- 
Be temo versehen. Ia Heften. Gr. 8. 

+58. Guftav II. (König von Schweben), Schaufpiele. Aus bem 
Schweriſchen überfegt von 8. Eichel. Zwei Theile. Gr. 12. 


12% 
+59. an E Handbuch de der Kinderkrankheiten, nach den 
neuesten Mittheilungen ausgezeichneter Ärste aller Län- 
der systematisch bearbeitet von A. Schnitzer und B. 
Werft. In a et er und koſtet 2 Ahle. 12 Nor. 
vo 
—— Darstellung der Beiobrüche und Verren- 


*60. Ikonographische 

kungen —— a anatomisch ologischen und thera 
tischen Verhältnisse unter wirk des Geh. el- 
Rath Prof. Dr. Kluge bearbeitet und herausgegeben von 


Dr. F.Jak. Behrend. Gegen 30 Tafeln Abbildungen mit 
Text. In „Lieferungen. Grossfolio. 


1 Rattihmidt „E22 2gptanies 55* 
* er en ire’de lAcadenie ran 


— A. u. d. T.: Petit Dictäonnaire —— — 


de Packdmie — 


*55 000 @örter ,_ mit⸗ 
metal! este | 
BE uf t übertrifft, 


F ae @inridtrung oo 


ey einen —— 28 
52. Kannegießer ( , Sphigenta in Delphi. Schau⸗ 
fotel in bie Acten, mie iR Vorſpiele, Iphigeniaꝰs Heim⸗ 
fahrt, und einem Nachſpiele, Iphigenia's Tod. Gr.13. Seh. 
83. Das Märchen vom geftiefeiten ter, in den Bearbeitungen 
von Straparola, file, Perrault und 8. Zied. 


Mit 3 Rabfenngen von D. Spedter. Gr. 8. Auf fein 


em Be 
nbalt; 
8. liufo, Bon Siovambettifte Baft 
—— Kater. 


in ek ee Sa 


ranceäce Brzeparoie. 
urner, 
gr geRiele Its Kas 
ter. dee Atn, 


2 8 ! * alien. ch an Pens 
— — * — wird in lie ri 


—3 — year —— uf Ne — — — * I Dh Sp 


“54. Kütsing (F, Tr A ehr ‚ 
un6 g- 5* bene {er Tan oder 
—— Abbil dungen 1 von mehr als 
40 Bogen Text 
gravirte und gedruckte Tafeln 
5* 4. Auf feinem Velinpapior. Cartennirt. Bubscrip- 
der Zafeln ift dereits vollendet umb ber Druk des. Zexres 
Tal diefes Zotiee und intereſſante Merk lem im Laufe 


me mE e In fäntigungen find In allen Bugbandlum 


55. Eöbe (William), Die altenburgiſche Landwirthſchaft in 
ihrem gegenwärtigen Zuftande, mit befonderer Beruͤckſichtigung 
zer weige unb ber agrarifchen Befehgebung bargeftellt. 


© ri Kane ———— are V 
ehren rge ehe pi t ae a niet, litho⸗ 


2 
A een ell (3. 8) ), —— in Umriſſen und Ausfuͤhrrun⸗ 
er Band und folgende. Gr. B. 
me de Ren Biefen 2 ntaeigen um und intereffanten Werts wich hoffentlich 


eiem Sabre erfi 
u eynar et zu), Seriäte. Gr. 8. Seh. 1 Thlr. 


abre 1842 hub. Aerurpliin a Kam. GE 0 0 
er Ritter von Rhob — — in 4 Xcten. Ox 8. 20 Xaqr 
"2 Mediceer. Drama in fü 
68, Martens (Charles u) Biographie des‘ diplomaten 


les plus c&l&bres des trois derniers siöcles, d’aprös l’ordre 
gphebeiiaus des nations auxquelles ils appartiennent. 


9. — — —, , Nourelles causes osläbres 
du droit des ee Deux volume. Gr. 8. Gate 


Sa ao eng ber in A de T 2. u 4 ae 
ikherertäten on dem im Sernußgsbse tn imemBerlege: 


SF 
und aus Han en bera v 
—* Dr. G —“ Sieben Bine Gr. 13. 


Geb. * Thlr. 
nahe a Werke Mendelsfehn’s, welche außer 
den AH Y * elnen zum I anonym In e 
Beifärine en ie Zufläpe As mebre no A ungedrudte 
i denmachſt Die 
den. Der An and — — eine 
nd ſes 
ee 


x 


Mesdeld 33 38 en vom 
“71. Most (6. F.), Ency pädie de — Volksmedicin, 
oder Lexikon der ‚vorsüglichsten und wirksamsten Haus- 


und Volksarzneimittel aller Länder. Nach den besten 
Quellen und nach dreissigj ‚im In- und Auslande 
selbst gemachten zahlreichen 
rungen aus dem Volksleben 
In „often. Erstes Heft 





® Thir. 

——— nlement Fur — —— — die Ver- 

— und Zusätze der zweiten Auflage. Gr. 1837. 2 Thir. 
der 


Absführliche Encyklopädie gesammten Staatsarzneikande. 
Vereine mit mebreron Doctoren der tagelahrtkeit, der Philosophie, 
der Medictn und Chirosglo, mit praktischen Civil-, —— und Gerichts- 
Arsten und Chemikern bearbeitet und herausgegeben. 

ehrte, Policeibeamte, Milltairärste Gerichtliche ‚Ärzte, Wand‘ 
Arstt, eker und Veteriaärärste. 2 wei Bände de und ein Supplemeat- 


de. Gr.8, hir. 
Kai a ar Anl ige, wat Haan —*8 m gehen br 
Dritte, vöRig umgearbeitete, ac vermehrte — et 


1 Ablı 
rer alte und neue medicinische Lehrsysteme im inen und über 
.J. L, Schöslein's neuestes natürliches has Eyetemn de der Medicin insbeson- 
dere, -kritischer Versu L. 1 Tbir. 3 Ngr. 


(De —*ãð folgt.) 





In untergeiäurtem find 100 ſeeten erſchiew⸗ und an ae Bud 
—— verſandt warben 


ee . Be ne an te | 


| ee fein. 
Gottfried Ainkel. Die ve@te i Buian, 





8. Denpepla. Broſchirt. Paris 2 51 15 9, om. offene 
1 The, 10 ts v0 Maße 8 2 * ur D * | 
Zum PR — Bilber ans re —* * — Pıof. 8. R d, A * aueh. 
sand — - u Diäten eeben und En lung, I | 


deutichen W 6 Erwachen. — 
Otto der —8 Eine einifie Sefchichte in — Xognteuern. | 

GStuttgart und Kübingen, im Mär; 1843 
3. G. Cotta’scher Beriag. 





Heute wurde ausgegeben: 
Usmversations - Lexikon, 
Reunte Auflage. Zehetted Heft. 


67° Der erste Band ist mit dam achten Hefte geschlogsen, 
Disfe neunte A erfeheint in 15 Wänden oder 139 94 

ya dem Preiſe von 5 Mor. für das Keft in der Ausg 
auf mei inenpap.; in der Ausgabe auf Schereibpap. | 
et 3 Shlr., auf Belinpap. 3 hir. | 


e Buchhandiun —ãA liefern eo. Bei zu 





Bei W. Ginthorn in Leipzig Hk ſoeben erfchienen und 
durch alle Buchhandlungen des Ins und Auslandes zu beziehen: 


Anus Dem Böhmerwalde,, 
Bon Ioset Rank. 
agent gob. 1 Talr. — Fl. 80 Kr. 0... — 1 Fl. 48 Kr. Rhein. 
— Anbefannt, dicfee ausepirioerforechenben Kufdapen befannt 
ANT, v a 
gereg, Bedarf e mıde vor — * Bet m mei biefen u Poefen un bew 12 @r, 1 8x 
u en gan, neuen n 
Boltsiieber, Wolksländier, Wolksiehen in eigens! ner Sieh —8 —— he ag an —— ef 
und Friſche ef tieht. 6 find in Bahrpeit ———— 22— Zeile mit 10 Per. boccch 
Dörfer”, we hier dem Publicum fi aufthbuns aber es i er. derech 
urete nur ein, m fich gefeffelt und heimiſch zu fühlen. Eeiptig, 20. Aprit —— d.& 
® ® ochbeus, 


Erklärung. 





















Bei K. F. Köhler in Leipzig iſt erfchienen und in 
allen Buchhandlungen zu haben: _ 
Bun und „& el toreneourt hat ſich da 
igot omuer ae u 23 von | ei — — bat bat ſich — si 


Protestantismus in Frankreich. | 5* 
Aus dem Brangöftfigen überfegt 





| 


‘| ‚nem meiner entſchiedenften Gegrer gefihrichene Fiagle 
„Deutſchlands politi 3 " | 
nie u Bersinft (de ac ——* * wir * 


6 & 
8. Broſch. Fi + (9 g8r.) 
rüßrenben leitenden Artikel nicht ſchoaͤrfer gr. on Fu 


Die beiden Schriften von Buizot und Coquarel yafammen 
‚onen in gebwängter Kuͤrze das lebhafte Bild des Proteflantis:- 
mus in Fran ‚ feiner Zukunft und feiner Hoffuungen. Vor⸗ 
‚Rebenbe deutſche Iberfegung dürfte allen Denen willlommen fein, 
die fi von bem innern Leben des und in habem Maße intereſ⸗ 
senken Nachbarnolkes eine mehr als oberflächliche Aenntniß zu 
ve wünfchen. 


Florencourt verſichert, biefe — wären „einer "hoblen Ruf 
one oem Rum u berglcihen; er behauptet, daß and ven 
vielen Tauſend leitenden Artikeln, bie ich — 5 

zige Überzeugung “ peranszulefen fei. ‚Ex fü 
tung noch einige perfönliche Astigtsiten 5 ei ni 

| ee ira, weil y für das Publicuna n 1 don * 


Einführuug ber Beformatipon | % 


ng 
fallend, daß um tanber Nafſe willen ein fo gewaltiges 


beine ein⸗ 


gi 










und die Bearfaffung erhoben werben follte, wie von ben Weortführern ber 
des ralen Partei in allen ben Blaͤttern, die ihnen noch zu Sk | 
Calvinismus in Bıuf ftehen, fortwährend gegen meine Wirkfamkeit *7 vid. 
cm das —1 — ae eeanefrt or rühren, Kb 
n N; 
Su ne ‚die (ektfelkrifäe eaufkate Kann ve 


Piguet. 
Aus bem N Steh. überfegt 


Sr. 8. Broſch. 22% N (18 
säpmte iker, in lem a Intenfunten A 
riker, 
ſchnitt der allgemeinen Reformatlonegeſchichte, den der Gruͤn⸗ 


Druck und Berlag von J. A. Broddans in Leipzig. 


Ä ben Beifall, ben biefeite bei ber 
De gebildeter und du vi Männer —— 


gnet —— den Herren das Spiel zu verderben 
biendung bezeits für guvonnen ? 


" &bln, — Apri 1843. 
—— 


— — — — — — 








— — ——— 


„vw 


\ - HARVARD COLLEGE LIBRARY j 
DEXTER FUND 


ve 


244 a 


Siterarifher Anzeiger. 





1843. 


‚Nr. XI. 


Dieſer eiterarifche Anzeiger wirb ben bei 9%. Brodhaus in Leipzig erfi 
. Unterhaltung” und „Iſis beigelegt ober beigeheftet, und betragen bie Infertiousgebühren für die Zeile oder deren Raum 2%, Nor. 
u 


Bericht 
übet die 
Berlagsunternehmungen für 1843 
von 
F. A. Brodbaus in Leipzig. 


Die mit * bezeiääneten Artikel werben bekimmt im Laufe des Jahres fertig; von den übrigen iM die Erſcheinung ungemiffer- 


(Beſchluis aus Re. KL) 


DI. An neuen Auflagen und Neuigkeiten erfcheint ferner: 


172. Roback Eti .), Vollſtaͤndiges Handbuch ber Muͤnz⸗, 
Bank⸗, und Wechſelverhaͤltniſſe aller Länder und Handelsplaͤte 
der Erde. Zweite, umgearbeitete, vermehrte und verbeſſerte 
Auflage. Drei Theile. Gr. 8. 

73. Rovellenſchat der Italiener. In einer Auswahl überfest von 
A. Keller. Drei Theile. Gr. 13. Geh. 

74. Ott (Kr), Geſchichte ber. « en Kämpfe Napoleon's. 
Revolution und Reſtauration. Schelle. Sr. 8. Geh. 
“75. Paſſow's (Fr.) — Schriften. Herausgegeben 
von W. A. Paſſow. Mit zwei lithographirten Tafeln. 

Gr. 8. Geh. 2 Thlr. 
"10 an Seeſcenen und Charakterſkizzen. Zwei Theile. 
12. Ge 

“771. Prescott (William Henry), Gefchichte Ferdinand's 

und fabella’s der Katholifhen von Spanien. Aus bem 

- Gnglifchen überfest. Zwei Baͤnde. Gr. 8. Beh. 6 Thir. 

*78. Puchelt (F. A. Bj.), Das Venensystem in seinen 
krankhaften Verhältnissen. Zweite, ganz umgearbeitete 
Auflage. Drei Theile. Gr. 8. 

BondemBerfaffer erfälen früberin meinem Berlage: 


Ueber die individuelle Gonftitution und ihren geinftus aufs bie @ntftehu 
und den Charakter der Krankheiten. e. 1823. 3 Rar. a 


+79. Roumer (F. von), Rebe zur Gebächtnißfeier König Frie⸗ 
drich's IL, gehalten am 26. Ian. 1843 in der koͤnigl. preuß. 
Aabemie De der Wiffenfchaften. Sr. 12. Geh. 6 Fr. 


0. Raumer (K. von), Beiträge zur biblifchen Geographie. 
Mit einem Hoͤhendurchſchnitt. Beilage zu des Seleſſere „Pa⸗ 
Idftinav. Gr. 8, Geh. 15 Nor. 


" n Grab rx. 
"Dr Zug der Braeliten sus F ten nad Fr Brilage zu des Wer 
Ar 1 Sakte. Gr. 8. 1837. 15 * (Die Karte 


ech engen, ‚Geographie, € An eite dermehete Kuflege. Mit 


Be —5 — der Grboberlädke, Eine Bari ber Erdtunde. Dritte | 
— Auflage. 1838. 5 Rar. 


sg]. Allgemeine —* Real : Eachti⸗ aͤdie für die gebildeten 
©tände. Sonverfations-Mexiton. Neuute, verbefferte und 
ſehr vermehrte DriginalsAuflage. Vollſtaͤndig in 15 Bänben 
ober 1m 2 Deften. Erſtes Heft und folgende. Gr. 8. Sees 


int in 15 Wänden oder 120 ‚Heften zu dem 


beft u 
Diefe 35 in dee Ausgabe auf Mefninenpapier; 


Preife von 5 Rar. für 


vapler Salıe auf Shreibpapter koftet ber Band 2Thlr. auf Belin: 
au ——— das Bert zudiefen Preis 


fen ans dem! TERN uf „ir er grem laxe eurer 
eiupe werden 
Bignn 1 A vr Fr nnd ch 28 Aue Seile mit 10 a: 


*82, Rellftab (2.), Gefammetse — Erſter bis zwoͤlfter 
Band. Gr. 19. 13 Thlr. 

Diefe vorläufig * 5 Bänden be chende Gammlın — in vier 
dieferup en * u drei Bänden, ausgegeden, die jebody nicht getrennt wer— 
nung enthält die ns en drei Shelle * in dritter Auf⸗ 

— einen iR tyen —E 832 werben dem Schluß 
1812”, eine Auswahl von Novellen, Se dichte, — 

—26 un vermiläte und Peitifhe &&hriften enthalten. 
Sinn eus usführli Anzeigeſiſt in allen Buchhandiungen 


183, Rouffeau (Jean Jacquee), Be Betenntmiffe Aus dem 
Franzoͤſiſchen. Drei Theile 2. 
SR ut th 5) .), Geſchichte der italieniſchen Fo e. Zwei Theile. 


85. Schmid —0 ), Die G der Angelſachſen In 
der Urſprache mit Überfegung , ——— und einem an⸗ 
ti art ſven Stofiar: awei i £ e „Herbefierte Auflag Bi Gr. 8. 

f e 4 ‘ 63 
halten "a find nod) einzel ne Oremplare zu Gen Preife a ats 


+86, Samidt (k. E. W.), Dat —F iſche Familien⸗ Recht 
nach dem Allgemeinen Landrecht ckſicht auf das ge⸗ 
A and beuffche Recht, at kritiſch a &:.8, 


37. Gebichte von Erik Siöberg (Vitalis). Aus dem" 


edroetifhen € Öberfegt von K. L. Kannegießer. Gr. 12. 


*88. Snell (8), Sintetung in bie Differential und Integral 
rechnun Tr. 
us Dee Verfaſſer erjaten feüher bei mir 
echebuh ber Feemeirle. 6 lithographirten Safeln, Gr. 8 11. 


Ih! 
89. Die "fymbotifihen Bücher der reformirten Kirche, überfegt und 
mit einer Einleitung = ee herausgegeben von €. 


Sf. aaf Bödel. 

ef fe Gommlung mi nie, Im Een aa a anz mit ber az fm meinem ierie er: 

(den K 11672 gut — — —— Bine von J. X. Kert tder ar 
einftimmen. 

0, Korquato Taſſo's Inrifche Gedichte. uzgett von K. 
Börker. weite „e, berbeflerte Auflage. Gr. 12. Beh. 
Pi Ak N Ar Befreites Jeruſalem. Überſeßt 8 Gtred: 

uß. 3meite verbefierte Auflage. Zwei Bänbe. 1%. 183. 
nk Ehen 3 N. Fir egenfiderichendem Driginal⸗ 
rt find nod einige &. vorrätbig, bie Ich für 22 Nor. erlaffe.) 


enden Zeitſchriften „Blaͤtter für literariſche 


UM in =... — 


Bl, Trendelendbur —4 Die logische Frage in 
rendelen , ie log en 


10 eher System. wei . Gr. 8 
E K. A.), Denkwuͤrdigkeiten 
—— 3 elle Auflage. Se Bine 
Gr. 12. Geh. 


Die erfien drei Wände 
nr abet, 
Band werden „Bermi 


4 dieſes intereffenten Werd 
ten Den eignen Kevenan der vierte 


di heine 6 enthalten, und 
** nungen Zeit af *35 = Bon be 6 
er Bã 


ur ren fen — 
und fedöte an in 334 —A —— 

93. Veinticinco Comedias de Lope Fellæ de Vega 
Carpio, con su vida y notas criticas, escogidas y or- 
denatas por D. Eligo Baron de Münckh-Bellinghau- 
sen y D. Fernando Jose Wolf. Gr. 12. Geh. 


94, Boltaire (Brangois Marie Arouet de), Die 
Henriade. Aus dem Franzoſiſchen im Veremaße des Drigi- 
nals überfegt von J. Schröder. Gr. 12. Geh. 1.XHlr. 

9. Waagent). E) 3 Kunstwerke und Künstler in Deutsch- 
land. Gr. 

a beſon Aitel 
Der z erfe het D Theil —* Glenn Be Bas nich ud de den befondern 

"6. Wicke (R rn), Versuch einer Monogra hie des 
grossen Veitstanzes und der unwilikürlichen Muskelbe- 
wegung, nebst Bemerkungen über den Taranteltanz und 
die Beriberi, Zwei Theile. Gr. 8. 

97, Die Wieberkehr. ine Novelle. Serausgroeben von dem 
Einfiebier bei St. Johannes. Drei Theile. . 123. Geh. 
6 Thir. 15 Rer. 


”98, Traditiones Corbeienses. Derausgegeben von P. Wigand. 
6.8 G 


Bon dem Kraus eder eriäien bereits bei mir: 
Die een en Gele ihtsquelen 38 Radtras zur kriti Prufung 
Die Provinz Bes 


arte —— nn SEE 


I 
a * ben 4 Quelien bargefie 


15 N r. 
Die Kool Inchte des a Minden, der De Haven 
berg und g in 


Bentel, len, KR „rer —— et Eriälung u. en 


09, ef “a. = ), Rieberbentiche Sagen. Mit einer 
Abbildung. Gr. 8. Geh. 

*2100. Woeniger (X. Ihdr.), 2 m aeraifoften unb ba8 Pro⸗ 
vorationsverfahren der Römer. Settzige zur Kunde bes 


sömifchen Staats» und Beten. &r.8, 1 Ihe. HRer. 
te i ‚ 8, 
und 62 ermähnten Ben *.. „auber Jon Dei Sir. 7. 56, 68 


1) Katalog schönwissenschaftlicher, historischer etc, und 
anderer werthvoller Sehriften aus dem Verlage von F. 
A. Brockkaus in Leipzig, welche zu bedeutend er- 
nn Preisen race v werden. (2 Bogen.) 

vortkeiläaften gungen, unter denen 
ordentliche Preisermässi stattfindet, 

erschen und gelten nur noch kurse Zeit, iniem indem später die 

——— wieder eintreten, 3 

3) Verlags- Kintaleg von F. A. Brookhaus in Leip- 
zig. — zum Jahre 1842 fortgeführt und mit einer wis- 
senschaftlichen Übessicht und vollstänäigem Autorenregi- 
ster versehen. 





Im Verlage vn Brockhaus & Avenarius in Leipzig (4 Peris: möme maison, 
Rue Richelieu No. 69) werden im Laufe des Jahres 1843 folgende Werke erscheinen: 


+], Echo de la litt£rature frangaise. Troisidme annde. 1843. 
532 Nrn. — I-2 Bogen). Gr. 8. Preis des Jahrgangs 


8 Thlr. en \ 
biktet en — 


eine f nee Mernat 0er beiten 
reänet, —— — — gegen Bergütung von 1 urn beige 


*2. Annali_ dell’ Instituto di cerrispondenza archeologica. 
Vol. XIV, (1842) In-8. — Bulletino dell’ Instituto di 
corrispondenza archeologica pel’ anno 1842 In-8, — Mo- 
numenti inediti deli’ Instituto di corrispondenza archeo- 
logica er ‚anno 18m. re. Roma. Pränumerations-Preis 


dieses 
Bir ng: I 6 werthvollen en des Sundtuts fü 


togt 
Pr nn aufeben JI t & 18 Xbhir. per Sabegeng Li tie m Da "hr 
”3, Le Canconiero de Juan Alfonso de Busno, ou 

Collection d’anciens troubadours espagnols inddite. Gr. 12. 


Geh. 

*4, Epiphanũu Monachi et presbyteri tam edita quam inedita. 
Cura Alb. Dressel. Gr. 8. Geh. 

+5, Jouffroy (H.), Constitution de l’Angleterre. Gr. 8. Geh. 

© Malcseweki (Antoni), Marja, powieié ukraikske, 

eue 

“7. Manuel du droit canon et de son application aux &glises 
protestantes. Ouvrage traduit de l’allemand par H. Jouf- 
froy. @r.8, 

” Midiewic 
tesatur und Zuftd Borgetragen im Collöge de 
in den Jahren er Deutidje, mit einer Vorrebe bes 
—— A Kutgabe. Zwei Theile in vier Abtheilun⸗ 





Geh. 
‚xba ), Borleſungen &b wifche Bis 
m), oriefi 2 Co ec Nlaw ſche 


Za gefälliger Beachtung! 

Ein bedeutendes Lager von Werken der ausländischen 
Literatur, namentlich der französischen und engli- 
schen, sowie die vielscitigsten Verbindungen mit 
Auslande setzen uns in den Stand, alle uns ertheilten 
Aufträge zn den billigsten Preisen mit "möglichster Schnellig- 
keit auszufähren; wir empfehlen uns daher Allen, die Be- 
darf davon haben, und sind stets bereit, nähere "Auskunft 


tber unsere an u 8, w. zu erthellen.! 


Eine regelmässige Übersicht der wichtigsten Erschei- 
nungen der französischen Li Literatur —— unser 

Bullelin bibliographigue de la littdrature eirangere, 
welches mit 1843 seinen siebenten Jahrgang begiant; alle 2 
Monat erscheint eine Nummer und ist —— durch jede 
gute Buchhandlung grotis vom uns zu erhalten. 





Ferner sind von uns folgende Kataloge gratis zu beniehen: 


1) Verseichniss einer Sammlung älterer und neuerer Werke 
in französischer, englischer, italienischer ete. Sprache, 

welche zu bedeutend berabgesetzten Preisen von Brosk- 
haus 4 Avcnerius in Leipzig zu beziehen sind, Nr. 2, 

2) Catalogue de Livres au Rabais qui se trouvent chez 
Brockhaus $ Anenarius. 1842. 

3) Die Werke der drei orientalischen gelehrten Gesellschaf- 
ten in England, 

4) Verlagıwerke der Neuen Buchhandlung (J. Luke- 
ssewics) in Posen, weiche. für Dentschland durch 
Brockhaus 4 Asenariae In Leinaig zu beaichen sind 








Bierteljahrs - Schrift 1543, 2tes Heft. 


In unterzeichnetem hat Tocben die Preffe verlafien und iſt an alle Buchhandlungen verfandt werben: 


Das 2te Heft 





der deutschen 


Biertchjahrs-Shri 





für 1843, 
April —JZuni. 
Preis des Jahrgangs von 4 Heſten 12 Fl., ober 7 Thlr. 10 Ngr. (7 Thlr. 8 gGr.) 


Dee Streit bes Dieffeit und des Senfeit in 


Inhalt: 
der deutſchen Philoſophie oder vom abſoluten Wiſſen. — über 


den Entwurf eines Eheſcheidungsgeſetzes fuͤr Preußen. — Das deutſche Theater. — Das Decimal-Muͤnzweſen in 
Deutſchland. — Geſchichte des Nibelungen: Liedes. — Der Flurzwang in feinen Folgen und bie Mittel zu deſſen 


Befeitigung. 


Mit 2 Karten. — Populaire uno fatirifche Zeichnung in Deutfhland. — China und Deutfch- 


land, — Über das gegenfeitige Verhaͤltniß ber deutfchen Staaten hinfichtlich der BVerbindungsmitte. — Kurze Notizen. 


Stuttgart und Tübingen, im April 1843, 


3. ©. Cotta’scher. Verlag. 





Bei Wreaumäliee A Geidel in Wien if erſchienen: 


Das Ste Heft der 
Oestreichischen militairischen Zeitschrift 1843. 


Inhalt diefes Heftes: 


I. über Feldmanoeuvres. — II. Die Belagerung und ber 
Entſat von Olmuͤt 1758. Fguuß) — III. Das Gefecht bei 
Regotin am 6. Januar 1790. — TV. Die Schlacht bei 


a1 u 22. Dai 1809. Mit dem Plane ber 

lacht. (Schluß) — V. Bemerkungen über das Schul⸗ 
weſen bei den Begimentern. — VI. Neueſte Militatrveränderun: 
gen. — VII. MMiscellen und Notizen; Nr. 17— 3%. 


"Preis des Jahrgangs 1843 in 12 Heften 8 Thlr. 


Kerner iſt zu haben: 
Über 


| zur u 
nenern Kriegführung. 
AMu einer Karte von Europa und 14 Plänen. 

Bien 1843. In Umfchlag brofchirt. Preis 2 Fl. C⸗M. 


unfexe Beit duͤrfte dieſes Werk veihtfertigen, da die Be⸗ 
feftigungstunft wirklich problematiſch wurde und ber 
neuern Kriegführung immer weniger zu entſprechen fchien. 
dieſe bat es nun der Merfaffer verfucht, nicht nur bie 
tanbpunlte für Feſtungen und Beibihangen anzu⸗ 
geben, ſondern auch Ihre Formen zu ;umftalten, erſtern 
inebeſondere zu ihrer : gebbexe Widerftandsfähigkeit bie Ei⸗ 
fenbahnen In bee Art ein Mittel angewendet, wie folches 
dem Angreifer nicht A Gebote ſteht. 
Die Schwierigkeit eines folgen Unternehmens nicht verken⸗ 
nend, hat fi der Berfafler biergu der Ausfpräcde ber größten 
Feldherren neucver Beit, wie Sricbrich bes Großen, Erz: 
— Kari und Napoleome, gieidhfam ats 
ebient. Dennod aber wird bie gegenwärtige Bearbeitung nur 


Befeltigungen | 


als Verſuch erkiärt, Sachverſtaͤndige aufzuſodern, für einen fo 
wichtigen Zweig der Kriegskunſt Beſſeres zu teiften. 
Bon bemfelben Herrn Berfaffer erfchien früper : 
Die plaftifche 


Terrainzeichnung 
für alle Stände, 
insbesondere für Mlilitairs. 


Mit einem Plane. 
Wien 1841. Gr. 8. In Umſchlag broſch. Preis 40 Kr. C.⸗M. 


Zimm, Dr. 8, Liederbuch für Turner. 
Partiepreis bei 15 Erpl. Ys Thlr., einzeln '/s Thle. 
Diefe mit dem Takte getroffene Auswahl unſerer 
volksthuͤmlichſten und fchönften patriotifchen Lieder und der beften 
eigentiichen Zurnlieber wird gewiß zur Grreihung bes Turn⸗ 
ziels allenthalben mächtig mitwirken; denn keineswegs gleidh- 
gültig Ift ed, was ber Zurner bei feinem fröhlichen Thun fingt. 
Das Xußere des Fleinen Buchs iſt ſchoͤn, ſeine Form zweck⸗ 
gemäß, der Preis moͤglichſt billig. 
Parchim und Rubwigsiuft, im Mai 1843. 


Siuftorff’fhhe Hofbuchhandlung. 


Soeben erfcheint bei V. ME. Wesdhaus in Eripzig: 


u General Straf 
Bülow von Dennewis 
in den Feldzuͤgen von 1813 und 1814. 
u. —— aan 18 Nor. 








Soeben iſt erfchienen und durch alle Buchhandlungen von 
uns zu beziehen: 


Eclaircissemens 


sar V’histeire de l’invention de l’imprimerie, 
A. de Pries, 


Doeteur es leitres, Membre de l’Institut Roysi des Paeya-bas. 
 Traduit du hollandais 


par 
3. J. F. Noordziek, 
Bonus - bibliotheösnire de la biblieihöque Royale a La Haye. 
t vol. In-8. La Haye 2% Thlr. 
Leipzig, im Mai 1843. 
Brockhaus & Avenarius, 
Buchhandlung für deutsche und ausländische Literatur, 





Bei PElegander Bunder, koͤnigl. Hofbuchhaͤndler in 
Berlin, erfiheint foeben: 


Ida Gräfin Hehe: Hahn. 


,Reiseversuch im Norden. 
8. Geh. 1'% Thle. 
Bon derfetben Berfafferin erfchien früher: 
Astralion. Erinnerungen an und aus 
Srankreich. — Gräfin Saustine. Zweite Aufl. — 
Die Kinder auf dem Abendberge. — Wer Kechte. 
— Reisebriefe. — Sigismund Forster. — Mlrich. 


In vierzehn Tagen wird ausgegeben: 


Das Portrait 
Gräfin Da Bahn- Wahn. 


Gezeichnet von Fraͤulein v. Meyern, in Kupfer 
geftochen von SE. ef. 

Auf weißem Papier 2, Ihir. Auf chineſ. Papier (exfte Abbrüde) 1 Ihle. 

Died Portrait, das foeben nad ber Natur gezeichnet 

worden, gibt in geiſtreicher Auffaflung die Züge ber geehrten 

Gchriftftellerin auf das frappantefte wieder. Der Stich tft mit 


befonderer Eorafeit ausgeführt. Den Subferibenten werben 
die erften Abdruͤcke überfandt werben. 





In Unterzeichnetem ift ſoeben erfhienen und an alle Buch 
bandlungen verfandt worden: 


Leitfaden 
. der mathematifchen und allgemeinen A 


Geographie 
rd). 9. "Mile, 


kaiſ. ruſſ. Dofrath, — Profeſſor der Aſtronomie und Director 
der Sternwarte zu Dorpat. 
8. Vellnpap. Fr Preis 1 The. 20 Mor. (1 Thle. 
6 gGr.), oder 2 Fl. 42 Kr. 
Der durch PA Borträge in Berlin und Dorpat berühmte 
Here Werfaffer beabfichtigte in gegenwärtigem Leitfaden die Leh⸗ 


ren ber mathematifchen und allgemeinen phuftfchen Geegrappie 
fo barzuftellen, wie fie fi nach ben neuen Forſchungen geftals 
tet haben, ohne jedoch babei mehr vorauszufegen als bie Ele⸗ 
mente der Beometrie, Trigonometri und Algebra, fobaß es für 
bie mittleren Claſſen der Gymnaſien unb höheren Buͤrgerſchulen 
als Lehrbuch brauchbar und zugleich dem Selbſtudium dienlich 
fein Eönne. Für bie in ber Geographie vorlommenden Berech 
nungen ift das Detail mögtäft ausführt gegeben; ebenſo 
wurde ben SBeränderungen, Erdkoͤrper erlitten bat, 
ein eigener Abſchnitt —æã Fb phyſiſchen Schelle iſt das 
die Meteorologie Betreffende ausführlider als gewöhnlich ge 
Fa und man wird auch bier bie neueflen Unterf gen ni 
iffen. Am Schluſſe ift eine Ortstabelle h gt, weilche 
bie gesgrapbifiien » bupfometrifhhen und thermiſchen Conſtanten 
o viel als möglich voitändig angibt. Diefer eritfaben, welcher 
on wirklichen Beduͤrfniß — enthaͤlt uͤberhaupt Man⸗ 
ches, was in aͤhnlichen Werten theils gar nicht, theils zu kun 
ober in einer jett veralteten Geſtalt vorzulommen pflegt. 
Stuttgart und Tübingen, im Mai 1843, 


3. ©. Cotta ſcher Verlag. 





Bei Trautwein & Gomp. in Berlin tif forben 
erfhienen und an alle Buchhandlungen verfanbt: 
Beweisführung, 
daß die Lehre der neuernePhnfi fer vom Drude bes 
Waſſers und der Luft falſch iſt; nebſt einem Ber; 
ſuche, die Erfcheinungen an Auf igen Körpern obne 
atmofphärifchen euftorud zu erfiären. 


Heicdrich Son Dricherg. 


Mit einer Tafel Abbildungen. Bte Wufiage. Brofd. Y, Iptr 


zaufen: 2 BSukaten Bem, ber es vermag, bet 
Wertaffers Beweiſe zu wiberlegen. 





Allgemeines 
Bücher⸗ Lexikon «- 


Von 
Bilhelm Heinfius. 

Neunter Band, welcher die von 1835 bis Ende 1841 
erſchienenen Bücher und die Berichtigung früherer Er— 
ſcheinungen enthält. Herausgegeben von 

er tto August Schul;. 
e und zweite Micferung, Bogen 1. 
5 8 (A—Christ.) g 
r. 4. 


auf Schreibpap. I Thlr. 6 Net. 


Reipgig, im Mai 13. 
$ ‘ a. Srockheus. 


Drud und Verlag von 8. U. Brodpaus in Leipzig. 





Geh. Jede —* auf Druckpap. 25 Nor., Ä 


20 Zhlr. zu erhalten; | 
Fig _ 





Literarifher Anzeiger. 





.1843. Nr. XIII. 


Diefer Ei 


Neuigkeiten und Sortsetzungen, 


verfendet von 


F. A: Brockhaus in Leipzig 
im Jahre 1843, 
RL Januar, Februn Februar. und März. 


ittee literarifcge Unterhaltung. ¶ Geraus⸗ 
. [+ ET Sen, 115 ae den 
Uubgegeen, — — "a im 1 Beten bezo⸗ 
—— Zeiſchrift. für Katar 
Ar 9 
A uhren, Sa 2 1 dere are 


‚Beitfägciften erfäjeint ein 


Biunoer Wen Maar 3% Sr. vegan Bible 6 
3118 Belgelegt oder beige en 


— 8 
— ee — 
3. —— ge neben 


* — * Me tie Em, ra ad 
Gemein 


—— von Fo 
wi am möbe en zus 
Anfang 1 1843. 52 —e— Pu Preis des 2 Yaprgangı 


Nor. 
Wird Freitags ‚und eB erfcheint wöchentlich 1 Bogen, 
PR SE N 


4. Neue Jenaische , Allgemeine Literater- 
seitung. Im Au Iniversität zu Jena redigirt 


von Geh. Hofrath Prof. Dr. P. Hand, als Geschäfts- 

führer; Geh. Kirchenrath Prof. Dr. Z. F. 0. Baum- 

's Ober-Appellationsrath Prof. Dr. 

. Mramoke, Geh. Hofrath Prof. Dr. D. &. Hie- 

ser, Geh. Hofrath Prof. Dr. J. F. Bries, als Spe- 

ae ren. Jahrgang 1843, 312 Nummern, Gr. 12, 
Ir. 

Sahd Britage aubgegeben, kann aber aut) in Mmatäheften beze⸗ 


* ‚den mit ——— a Bee nd Der 
— 5555 — für er Betehrung u und Unterhals 
Jahrgang. 52 Rums 

— nt gr. 4. 2 Ba 


"ae 


rn — 
eh Dreife —** find folgende mn 


Ye an Kinder. inf Binde. Sri 


— edt 2 tr. 15 Kar. Einzelne Jahr⸗ 
gänge 


—— —22 Drei Bände. Frauͤher 6 Thir. 
13 


| ger re 


terariſche %ı wird ben bei ®. &. Brodhaus in Leipzig erfheinenden Zeitſchriften „Viaͤtter für literaril 
Unterhaltung” und SR, ‚oder beigeheftet, unb betragen bie Safehihneochlgren für die — — 2%, ati 
Te SS SOSSE — 





aan © Gin Band. Prüher 2 Thir. Iegt 
*8* aters mit Kin 
ken. Bänbejen. ee Si 51 en Bin 
4. — Ie 15 Nor. 
ge In, Mit 18 Abbildungen. 5 Nor. 
— —X al At 
dgl. gegen ang von Y%ı Pa: 





6. Leipziger, rtorium für deutsche und 
he Literatur. Heramgsgeben unter unter 

Mibrickung —— Leipzig von frach, und 
berbibliothekar Dr. * dorf. Jahrgang 
1843. 52 Hefte. Gr. 8. Thir. 


Die ſe Zeitſchrift erſcheiat im —— Heften von Yr-3 Bogen. 
Sin ausführlicher —— ‚diefed neuen Unternedmens ift in allen 





——— 7 — 

—— el ale RT A 

Tee De æ Wuzeigen om Bergktung von 1 

7. Oeutſche PR jemeine Jahrgang 1843. 
was mie ann ber Sonn und u vn Kummer 

Id bi Beilagen. 
Hong il ei 3 a 58 er 
er Faden In — en Yan EEE 
— —— A ne EEE le den Hay * 

Vree von 10 Kar. en 

8. Analekten für Frauenkr „ oder 
Sammlung der vorzüglichsten Abhandlungen, Moso 
phien, Preisschriften, Dissertationen und tizen des In- 


über die Zustände der Schwangerschaft und des Wochen- 
beites, Herausgegeben von einem Vereine praktischer 
A Vierten Bandes erstes Heft. Gr. 8. Jedes Hoft 
se "ehe bis dritte Band, jeder in 4 Heften um, koſten 


9. Ba (SR) Die en der Rö 
in iprem sefsictli en menhen, e 
mie dem Derzeit, 
&. 8. 1 Zpie. 15 Nor. 
10. usa wä 


bite MfblintheR ber Satire ns 
uslandes, Mit biographifc literariſchen Einleitungen. 
Sigi bis neungehnter Band. Gr. 12. Geh. 2 &Htr. 


ide biefer Sammlung find unter befons 


ine Karige. Aid Aheii. 
ra 
—9 
Be as em gan au 
rfier. 2@. 
witte Gatlope 


a 


—— 
— 
Woflahe. Bıvel Shell. 
u — 
Ken. Yon 2 
* Aus dem 


8 dem Sawediſchen 


1. Karen (Dt. W. M.), Das Geschlech 


leben des Weines in physiel. 


thel. und rapeu! Icht 
daı “ Vierter Band: Von den Geschlechter 
krankheiten des Weibes und deren Behandlı 8 





Schi kerpla der jeburt —88 
ar der Se Band: — Par 
Ei Therapie der Krankheiten der weibliehet 

ert wird aus fünf Wänden beflchenf und beu fünfte Bund 
EM — Eger SCH — — * 


ie befleen 
12 Serien [Baron v 
En) 








wer MEIguup TOR.) 





Bei E. Welter in Köln erſcheint: 
- Collection: 
des meilleurs auiourı frangals da XIX siecle. 


Tome I. 
Les mysteres de Paris, 
par Kugene Bue. 
Quatre volumes, ouvrage complet. 
Die beiden erften Bände find bereits in allen foliben Buche 
hanblungen en je haben. 
Die mmlung ber Werke franzöfifcher Schriftfteller 
unfers Saprpunberts hat zunaͤchſt zum äImede, in einer Aus⸗ 
wahl mögtiät nur das eigene und Trefflichſte der ſchoͤn⸗ 
geiftigen Literatur unferer Rachdarn, der Franzoſen, zu geben, 
und im fo, daß in biefer Sammlung dem ®reunde der 
feanzöffcgen Sprache und Literatur nicht allein eine unterhals 


‚lien, weil 





ae Eee auf eis unfoa gelfigen Knfpderungen entfpre: 
= ME m en Ve u m. 

Die Bersinbticjfrit 2 erhondt fi) übrigens 
aut Bene ti aa tt h auf 

er Sanıml junehmen! fernen 

und beleben Bj den 

Sorrecter Dru⸗ a 
Sea dazu betragen, — —E — 





en a find forken erſchienen und buch all 
Gedichte 


Mlbeet Rnapp. 
Neuefte Folge. 
40 ns in — Belinpapier. Beoſqhirt. 
2 Thir., oder 3 Fl. 30 Mr. 
Die me ihte, jaltige Band 
tentheits fü MT Berfaflers, ante geäfe 
öffentlich erfhienen find, und kein ein iges ber in 
ben fräpern Sammlungen feiner Poelien befinds 
er ein burdaus neues unb felbfkäns 
diges Wer Gier, das eine gefidgtete Auswapl der 
neueften Erzeugniffe ww * enthält, und ſich babe 
E | u —— heres —8 von ihnen ve 
ben if. Die EA Bifer neueren Gedichte find mit den 


al⸗ — 


—8ð und Tübingen, im Mai 1843... 
3 ©. Cotta ſqer Pr 





En vente chez Breekhaus & Avenariusi Leipeig: 


Troisieme annde. 1843. 


a chague semaine un numöro de 1—2 feniiiee. — 
vu a dl Mi vuraaum Fabonne Chez, teas be IF 
—X 


—— — — 
abounds ivent 30 deux 
P ron anndes de Fi ar Zune 


seule, 


‚Sommaine des Nos. 14— 17. 


L’Oberland. . Par 38* Pur, — Les. dchamee 
de Namur. Par gg, Yolim 





1843, — 

Per Anals un Er Par Baissey. 
— Jouraal Tann woyagear. — Le colanel Santa -Orsen 
Par — Lettres derites dltalie Par 


— La cavorne. de. Cagahuamilpa la 


Tierra Caliente (Mexique), Par Jaoques — — 
Tribunaus. . 


> BRAUMÜLLER. & EDEL IN WIEN 


" ist soeben erschi 


Praktische Abhandlung 


über die 





J 


Verengerung der Harnröhre 
und ihre ‚Heilung ohne Aetzmittel; 


nebst einem 


Anhang über die Unzulässigkeit und Gefahr der Anwendung des Aetzmittels. 


Johann Kualer, 
Opersteur und Augenarzt des k. k. allg. Krankenhauses, Mitglied mehrer geiehrten Gesellschaften ete. ats. 


Mit 2 lithographirten Tafeln. Wien 1843. Gr. 8. Geh. u 
Preis: 20 Kr. C.-M. 





Perle alle Buchhandlungen bes In. ⸗ und Autlanbes iſt zu 
u Sefaumelte Schriften 


von 


Ludwig Rellſtab. 

"  3wölf Bünbe. 

In vier Lieferungen zu drei Bänden, _ 
Gr. 12... 19 vn 


Keipzig, 


bei F. AR. Brockhaus 











iften‘‘ Eubiwig Rell⸗ 


be ber „ elt 
Birfe Ausga Gefamm en | ofen our 


bir wirb in einer Auswahl feiner. vo 
Mopelien, ram amatifchen 2 en, 
Beitifchen Mrbeiten uud besmifchten bes 
ſtehen, vortäufig zwölf Wände umfaflen.und in vier Liefe⸗ 
zungeh zu brei Bänden, die ſich in kurzen Suifceneiumen 
ſoigen werben, jebe Lieferung 3 Thaler koſtend, ausgegeb 
Der größere heit dieſer Schriften if feit — — oder 
kuͤrzerer Zeit nicht mehr im Buchhandel zu haben gewefen. —* 
dem Roman „A 1sa “4 was feit Jahr und Ta 
Auflage nöthig; ver kleine Roman „Der Wildf Re fepit 
feit mehren Jahren, ebenfo finb die Altern Sammlungen von 
Movellen, Skizzen und Gebichten zum Theil nur nod in. eins 
geinen Sremplaren vorräthig, und es konnte mithin der, das 
andauernde Verlangen bed Iefenden Publicums nach biefen 
Schriften befundenden Nachfrage gar nicht .oder body nur fehr 
unvollftändig genügt werden. Überdies find gerade bie gelun: 
n und beliebteften Arbeiten bes Verfaſſers im Gebiet ber 
velle, ber Kritik, Lebensdarftellung u. f. w. fo in einzelnen 
agaben, ober auch in Iournalen und ———— zer⸗ 
Faro daß pie offene auch derjenigen, vie fich noch im 
Buchhandel be Ham und jedenfate viel theurer iſt als 
* eine ee 
So erſcheint denn die Beranftaltung einer Sammlung der 
Schriften des Berfafleed, der zu den gelefenften Schriftftellern 
anferer Zeit gebört und fi auf fo verſchiedenen Bebieten bes 
oegt hat, ein durchaus zeitgemäßes Unternehmen, welches ſich 
großer Theilnahme im Publicum gewiß erfreuen wird. Zur 


Erhodhung derſelben if ſowol von Seite des Berlegers durch 


angemeflene rihtung und Ausflattung, wie von ber des 
Autors durch forgfältige Durchficht, Zufammenftellung und Aa⸗ 
ordnung, nach Kraͤften beigetragen worden. 
Die erſte eieferung, die bereits erſchienen ift, ‚euthätt 
brei erſten Theile bes hiſtoriſchen Romans „MOLB"; die — 
gen Lieferungen werden in noch näher zu beſtimmender Anorh⸗ 
nung bie Rovellen, Gedichte, dramatifgen Arbei⸗ 
ten, kritiſchen und vermiſchten Schriften enthalten. 
Bon den Gedichten iſt nur im Jahr 1825 eine Sammlung er⸗ 
f&ienen, feitbem aber nur einzelne Gedichte, in verfdgiebenfter 
Weife eut. Bon den bramatifchen Werken ift Bisher, 
Trauerſpiel „Karl der Kühne” ausgenommen, we 
erfte Arbeit war, womit ber jugentlidge Autor vor dem Yublis 
cum auftrat, noch nichts gebrudt worben, obwol mehre ber: 
felben, namentlich „Sugen Aram’, auf vielen Bühnen Deutfi 
lands bargeftellt worden find. Die kritiſchen Arbeiten end 
duch welche der Autor vielleicht, am gefannteften ift, find nuc 
in den betreffenden Zournalen erfchienen, aber, bis auf wendge 
Ausnahmen, nirgenb wieder abgebrudt, geſchwei — — 
worden. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß aus bi 
Mrd zu der ungemeinen Zahl, nur eine fehr — dus 
etroffen werben Eonnte, vorzüglich von foldyen Auflägen, 
ie x Rn „arterarifäe ober SKunfterfcheinungen von dauern⸗ 


en. 
a ne denn bie legten Bände ber Ausgabe dem 

Iefenden Publicum faſt nur Neues obes fo gut als Neues 
bringen, und da8 Ganze bee Sammlung von bemnfelben ee 
lich mit eberi der Theilnahme aufgenommen merben, welche 

fen Arbeiten des Autors bei ihrem einzelnen Srfcheinen ud 
wo fie ſich in ber That eines Antheils zu erfreuen hatten, wie 
ihn nur wenige ber lee unferer Tage gefunden. 


‚im Mai 1 
meinte, (m Ra 8. A. Besdbans. 





Soeben ift neu a 

"unter tuffilger Bberrſchaft. 
| Reifen 
J und Sittenschilderungen 


aus der neueften Zeit 
von & Gsh being. 
Drei Theile. Eleg. geheftet 27/ Thlr. 
Leipzig, bei Friedrich Fleiſcher. 


meaflilihen Kop 


Heute wurbe ausgegeben : 


Conversationg -Lexikon. 


Reunte Auflage. Zwolftes Heft. 


Oieſe neunte Xuflage erſcheint in 15 Bänden ober 120 Hef⸗ 
ten zu dem Preife von 9 Nor. für_das gr in der Ausgabe 
auf N in ber Ausgabe auf egreibyap. 
Toftet der le., auf Bein ap. 3 Ib 

Alle Buöpanblungen liefern daß "Bat zu 






biefen —— und bewilligen auf 29 Er. 1 Frei⸗ 
e ar. 
ber eingelnen Hefte 
des Sonverfations s ——* [2 Erempiate) werben 
der Raum einer I mit _ 

— A. Brockhaus. 





In Unterzeichnetem ift ſoeben erfihlenen und an alle Buch⸗ 
haniiet verſandt worden: 


Ber weiche Hinterkopf. 
zur Ph logie und Pathologie der 
0 
7 ersten Kindheit. 


NMit Untersuchungen über die Entwickelung des Säug- 


lingaschädels überhaupt, über die Rhachitis dieses Alters 
wnd über den Tetanus apoicns periodieus, inſfantum. 


Dr. €. L. Elsässer. 
Mit Abbildungen. 


Gr. 8. Velinpapier. Broſch. Preis 1 Thlr. 20 Ngr. 


C(A Thir. 16 gGr.), oder 2 Fl. 42 Kr. 

Der Herx Verfaſſer, belannt durch feine Seobachtungen 
über die aſtatiſche Cholera, gibt uns aus dem Schatze einer ver 
den Gefahrung und, umfaflender Gtubien Auftlärungen über 
eine Bieibe Hr und pathotogifcher Zuftände bes Saͤug⸗ 
Iingealters. Den eigenthämlichen Bau und Eebensguftand des 
Kopfs in der erften Kindheit bringt er im genetiſchen 
Sufammenhang aa einer gar nicht feltenen, aber bis jetzt nicht 
befehriebenen Krankheit dieſes Alters, welche in zahtreichen 
Krankheitsfaͤllen und Bectionen verfolgt und durch werthvolle 
Abblidungen. verfinnticht wird. Der a age ber 
Rhachitis und namenttich ihre bisjegt nicht gewürbigte 
im Gäuglingsalter werben befchrieben unb a phy de 
Balls erläutert. Über eine noch vielfady unr aufgefaßte 
Krankheit, ben Tetanns apnoicus Deriodicus. fantum (da6 
fogenannte Asthma thymicam), feine Ratue und Urſachen, (bar 
den wichtige Kuffchläffe ertbeitt. Die Siſſenſchaft exhält mit 
biefer amnonographie einen Zuwachſs, durch welchen eine weſent⸗ 
lie und zum heit ungeahnte Luͤcke ausgefüllt wirb. 

tuttgart uns Tubingen, im Mai 1843. 


, &. Cotta’scher Berlag. 


Bel Beaumülier & este Bett Bien ift erfchienen : 
Das Bte 

Otstreichischen militairischen Zeitschrift 1843. 
Ianant nfetee Heftes: 





in. Geflee Abſchnitt. — 
11. Bimetunge u ID das Gchuimefen bei ben Regimentern. 
(Schluß) — III. Biographie bes Grafen Johaun Rep. v. Noſtitz⸗ 


Khieneck, k. k. en Lieutenantse. — IV. Kriegsfcenen. 
Az Gefecht bei Taufers und Münfter am 4. April 
Vinnahme von Lannoy und Houba am 9. Sept. 


1103. 9 3* Commines an 


nahme von 






bei MWanbeim am 18, Fr 7 14 efan (= Sein 
Dt Se — Dffiziere im Breisgau am 5. — 1 ee 15) äsße 
— tm Gefechte bei Savigliano am 18. Sept. 

8 Sc: Ehevaurlegers im Sefeäte an ber Stura 


veränberungen 
reis —8 Jahrgange 1843 in 12 Heften 8 The. 


An sämmtliche deutsche Schriftstell d 
er m 


9 
Du piefige bat in confequenter al 
des ihm vorgeſteckten Ziels: „Wahrung —— — 
— jr de — Bu um naliete vB beflo 
ee und an er verfolgen zu koͤnnen, en, bie 
aus ben literariſchen Beitraͤgen fei ! Son 
Bibliothek beſonders bapin i 
möglich alles Dacjenige in ſich vereinige, was zu den Zwecken 
des Bereind Gberhaupe in näherer Bestehung flieht. Dahin ges 
hören insbeſondere diejenigen — Welche die Gtellung 
des Cchri das literariſche Gigenthurmöredit, bad 
Berlagsweſen unb ben buchhaͤndleriſchen Vertrieb betreffen, 
ner die gefeglichen ee ee und legislativen Berhanbluns 
en va —— aan de Staate, Rachrichten 
er n a ee anblungen unb abmi⸗ 
nike Where u L * Zeit ſ en 
Der in er n eines 
mannichfache ln en nuͤglicher und erfolgreicher Thaͤtigkeit . 
gelegt unb dadurch eine Aufmerkfamkeit und fortwährend ſich 
ſteigernde Theilnahme erregt, die zu den erfeentiäfien Soffnun: 
gen berechtigt; bie Unterzeichneten fürchten daher keine Febibitte 
u thun, wenn fie in Folge des fa aeworbenen Yuftrags an 
Hmmttäche deutf ebenfo 
Krug als ergebene Geſuch eihten: ANe —* 
durch g Site Überfenbung eines Gisemplard aller in bie bezeich⸗ 
neten Faͤcher einfchlagenden — ſeien es einen. 
ere Werte und Abhandlungen, ei eine 





größere oder Fieinese 
Se uffäte in Sonenalen u. [. w., 7 
wie fig die gti Geber ein erſeite beö 


Beilreben „deſſen Erfolge, — auch 

theils noch im Hr der Zukunft verborgen liegend, nichts⸗ 

beftoweniger lohnend 8* werben verſprechen; — die aber 
handler wie den ————— d überhaupt 

alle —— * , en —* "her Biteratuer 

n 

Der mitun 3 er Marie wurbe vorläufig zum 

Bibliothekar des & beſtellt, und werden gefällige Eins 

fendungen auf Buchhänblerwege an denſelben zu richten wie 

Sämmtliche Kedartisnen von Zeitschriften w 
freundlichst ersucht, vorstehenden Zeilen vermittets Wr 
rer Wlätter weitere Verbreitung zu geben. 
Eeipzig, am I. Mai l 

Die für die Bihliotger des Literatenvereind 
ernannte Conmifſion. 

Br. R. N. spe, Rebacttur des Gonverfations:Leritons. 


g 8 inte, Ned. d. Boͤrſenblattes f. d. deutſchen Bud 
Br. u. der Fügen Bibliographie f. Deutfchlaut. 








t der tow 
er akad. Fa der —* iſſenſcheſ. 





Drudck und Berlag von F. A. nn in Leipzig. 
ee en 


Literariſcher Anzeiger. 





1843. Nr. XIV. 


Diefer Literarifche Anzeiger wird den bei F. A. Brodhaus in Leipzig 
Unterhaltung’ und „Iſis⸗ beigelegt oder beigebeftet, und betragen die Infertionsgeb 


Erklärung. 


Eine Kritik des „Hiſtoriſchen Taſchenbuchs“ von 1843 in 
der „Augsburger Allgemeinen Zeitung” erwähnte bie Anzeige 
eines fluttgarter Localblattes, wonach zu meinen beiden Aufs 
fügen dafeibft der Rachlaß des verftorbenen geheimen Pofrathe 
Muͤnch ohne Angabe der Quelle benugt worden fei. Rachdem 
ih vor meiner XAbreife von Gtuttgart im November vorigen 
Jahres den Pflegern und ber competenten Behörde über bie mir 
gerichtlich und nad dem Wunſch meines verflorbenen Freundes 
feibft übertragene Verwaltung feines Rachiaffes die übliche Re: 
&enfchaft abgelegt und in diefem venwidelten und ſchwierigen 
Gefhäft mit der Sinnesweife eines Freundes gearbeitet, mir 
fetbft die Hlhe des Bewußtfeins und von Außen die laute Ans 
exkennung Derjenigen, die von dem Sachverhaͤltniß willen, 
erworben habe, ftand meine Ehre wahrlid zu bach, um von 
fo niedriger Berleumdung erreicht zu werden. Ich genügte meis 
ner Pflicht, ale ich die fpeciellen Werzeichniffe über den Rach⸗ 
laß vorlegte, prüfen ließ und über meine gefammte Thaͤtigkeit 
den umffaͤndlichſten Bericht erflattete. Wie hätte ich cher bie 
Stabt verlaffen können, bis hier nicht Alles georbnet, richtig 
befunden und alfo befcheinigt? Ich halte ed unter meiner 
Würbe, hier die Freundſchaftsperke anzuführen, bie ich für 
die Kinder meines Freundes getban, fie find meinem Herzen 
ein Beduͤrfniß geweſen. Das große Publicum ift dabei nicht 
intereffirt, und in dem engen Bezirk meiner Heimat leben fpre: 
chende Zeugen bafür. 

Muͤnch's Nachlaß beftanb allerdings aus einem großen Mas» 
terial von Manufceript, was bei einem Manne, der mehr als 
breißig Bände in kurzer Lebenszeit gefchrieben, nicht Wunder 
nehmen darf. Der biftorifche Theil beffelben umfaßte theils 
die Soncepte zu bereitö erſchienenen Werken, weldye er nad 
der Sorreetur fi aufhob, theil® einige zerftreute Materialien 
zu der Gefchichte des Haufes Fuͤrſtenberg und Raflau: Dranien, 
die beide feit Jahren unvollfiändig noch auf ihren Schluß wars 
teten. Grftere wurde dem Kürften gegen Verzichtleiſtung einer 
beträchtlichen Koderung zurüdgegeben, lestere bot ich dem berzogl. 
naffauifhen Archiv zum Kauf an, weil der etwas precaire Vers 
mögengszuftand jeden Zuſchuß wuͤnſchentwerth machte. Doch er⸗ 
hielt ich dieſelben als unbrauchbar zuruͤck. Daß Muͤnch fertige 
Manuſcripte in feinem Pulte unbenutt babe liegen laffen und 
fidy dergleichen im Nachlaſſe vorgefunden,, ift, abgefeben don 
dem Mangel jedes dußern Beweiſes, zugleich von innerer 
Wahrſcheinlichkeit verlaflen, da ein Schriftſteller wie er niemals 
ohne vorgängiges Engagement mit einem Buchhändler eine Ar 
beit unternahm und am wenigfien der Mann war, größere 
Arbeiten auf einmal und im ganzen Stuͤck zu vollenden und 
zum Drud fertig zu halten. Dies werben alle Buchhaͤndter bes 
ftaͤtigen, bie mit ihm zu thun hatten. Unter den Gläubigen 
liquidirten mehre Buchhändler Vorſchuͤſſe, die fie auf Bücher 
gegeben, welche nod unter ber Feder waren, und bie ber 
Zob unt . &o habe ich ſelbſt die legten Bogen ber 
Sftreichifchen Geſchichte corrigirt, die Aur immer einzeln zum 
Satz kommen konnten, weil. da6 Manufeript nie vollftänbig 
beifammen war. Xußer den genannten hiftorifchen Werken las 

gen Schneller's Nachlaß und die Reiſebilder unvollendet ba und 
hatten den Verſaſſer bis zu feinem Lebensende noch unterwegs 
befchäftigt- 

. Man wich fi) erinnern, daB Muͤnch gegen Ende des Jah⸗ 
zes 1840 die Ankündigung eines Werkes: „Deutſchlands na⸗ 
türliche Brenzen”, erließ, das unter Bereinigung deutfcher His 


eskeheinenben Zeitſchriften „Rlaͤtter für literariſche 
hren für die Zeile oder deren Raum 2Y, Ngr. 


ſtoriker ein Nationalwerk werben follte. Die Idee ergriff mich, 


und meine literarifche Schätigkeit, damals noch im Entſtehen, 
warf ſich begierig auf bie politifhe Bahn. Münch, deffen 
reichliches Wohlmollen ich genoß, beförderte das Streben, und 
theifte mir bei dem gedachten Volksbuch die zwei Epiſoden über 
die Bisthämer Verdun und Gtradburg zu, an beren erfle 
Arbeit ich unverzüglich und mit allem Eifer ging. Die Mo⸗ 
nograpbie war bis Oftern 1841, alfo in einer Zeit, wo Muͤnch 
noch Tebte, vo!lendet. Unterdeß hatte fi aus verfchiebenen 
Gruͤnden der Plan mit ben „natürlichen Grenzen’ zerichlagen, 
und id} fandte auf Muͤnch's eigenen Antrag meine Arbeit in die 
Verlagshanblung des „Hiſtoriſchen Taſchenbuchs“ *),. der ich zus 
gleich ſchrieb, daß ich für den übernädften Jahrgang in aͤhn⸗ 
licher Weiſe den Ferratg von Strasburg behandeln wolle. Und 
ſo geſchah es auch. ie Quellen, die ich in beiden Mono⸗ 
graphien benutzte, ſind jedenfalls gewiſſenhaft angezeigt, und 
wer nur etwas von Geſchichtéſchreibung verſteht, weiß, daß 
— alten Materials nicht nur erlaubt, ſondern ſogar 
geboten iſt. 
Alſo verhaͤlt ſich der Thatbeſtand, klar, offen und in allen 
eilen zu erweiſen. Jene Anklage kann daher nur die blinde 
Leidenſchaft eines ſehr unedlen Feindes zur Quelle haben, eines 
Feindes, der unter dem Schut der Anonymität ſich den Augen⸗ 
bit zum Angriff wählt, wo ich in fremden Rändern weile und 
von allen aͤhnlichen Umtrieben nichts erfahre. Nun, ich würde 
mich auch ſchaͤmen, Leine ſolche Zeinde zu haben. Im Begriff, 
ben Gontinent auf längere Zeit zu verlaffen, kann ich dem ver- 
ſchiedenen Kabalen und Intriguen unferer Literatur unmöglid 
folgen, id muß es dem Publicum überlaflen, nad biefer Er⸗ 
Härung zwifhen Trug und Wahrheit, zwifchen Verleumdung 
und Unbeicholtenheit zu unterfcheiten. In meinem Gtreben 
nad) dem Edeln und Großen fol, fo Bott will, mich alles dies 
nicht irre leiten; die Preundfchaft mancher Ehrenmaͤnner uns 
ferer Nation hält aus, und wenn mich daher, wie Goethe fagt, 
auch mitunter Menſchen inbigniren, bie Sachen werbeg mid 
immer entſchloſſen finden. **) 
Brüffer, 22. Aprit 1843. 
5. Scherer. 


%) Der Wahrheit gemäß beflätige ich, daß Herr Dr. Scherer am 
36. April 1841 den Auffag: „Raub ber drei Bisſthuͤmer Met Tull, 
Berdun⸗ für dad „Hiſtoriſche Taſchenbuch⸗ anbot und das Manu⸗ 
ſeript bereitd am 8. Mat in meinen Dänden war, alſo vor Mündy’s 
Tode, der bekanntlich am 9. Juni 1841 erſt erfolgte. 

3. A. Brockhaus. 


»e) Ich vernehme, daß ein großer Theil der Journaliſtik in wah⸗ 
rer Berſerkerwuth mit einem „Steiniget ihn, ſteiniget ihn!” 
über mich derfaͤllt, indem fie einestheils bie voranſtehende Anklage, 
welche, ih wieberhole ed, einen anonymen Berleumber zum Urheber 
hat, ald Thatſache annimmt und anderntheild einen Aufſatz ber 
wiener Beitfhrift, welcher Nachdruck eined vor 39 Jahren erfchienes 
nen Artitel6 In ber „„Eleganten Welt” fein fol, su Grunde legt. 
Ich werbe wid durch biefen Sturm aus ber fihern Pofltion meis 
ned rubigen Bemußtfein nicht bringen laſſen, felbit dann nicht, 
wenn jenen Biättera des animofen Angriffe das Rechtsgefuͤhl abe 
singe, meine Vertheldigung, wie fie über ben einen Fall vors 
anfteht, aufzunebmen und bie Erklaͤrung abzuwarten, welche ich 
nah eingegangenen Grlunbigungen in dem betieffenden wiener 
Blatt für den andern Fa bereit halte, 


‚Neuigkeiten und Sortsetzungen, 


verfendet von 


8 9: Brodbaus in Leipzig 
.im Jahre 4843. 
„X I. Januar, Februar und März. 


(Welbiuß aus Rr. xiu.) 


—2 (8), Sedichte. Herausgegeben von E. 
Zwei Theile. Mit dem Bibaife des Dichters. 
&. —8 Sb. 3 The. 
Sräder erſchlen bei mir: 
RAT Bee eu ne un 
gun vet a $ ih er, —e — —— uflage- 
15. @nfta» HEN. (König von Schweden) —— 
Aus en überfegt von 8 @idel, Gr. 12. 
Seh. 1 Zpir. 6 Nor. 
16. Praktisches Handbuch der Kinderkrank- 
heiten, nach Mitteilungen bewährter Ärzte heraus- 
‚geben von Dr. A. Schmäfser und Dr. B. Wolff. 
— Bänden, Eirster Band. Gr. 8. 2 Thlr. 19 Ner. 
17. Heinfins (IB.), Hägemeines Büder- Lei: 
zn, ‚ober alphadetiſches gerri aller von 1700 bis zu 
1841 erfchienenen Bücher, welche in Deutfdylaud und 
den Ye ur Sprache und Eiteratur damit verwandten Ländern 
worden find. Rebft Angabe der Drudorte, der 
, des Grfcheinungsjahrs, des Formats, ber Bone: 
der e Deeife u. Reunter Band, melder bie von 18} 
Ende 1841 erfäienenen Bücher und bie A — 
Grfeinungen enthält. Herausgegeben von D. 
Zweite Lieferung. (Beschreibung — Christ.) A 9er 
Drudpapier 25 ar. 1“, Schreibpapier 1 Thix 6 
Der biö fiebente Band von Di 


18. rasen *5 PREHEN, 9.), Reuefies und 
v 
aller aus nr — entlehnten Wörter und Ausbrüde, 
melde in ben Känften und Wiflenfaften, im Handel und 
Verkehr vorfommen, nebſt einem Anhange von Gigennamen, 
zit Begeichnung der Ausfprache Bearbeitet, In zehn Beften. 
Drittes und Bi ‚Heft. (Critisiren — Insusceptibel.) 
Sr. 8. Jedes Heft 8 Ror. 

‚ Boäftändiges 


19. 

aſchen ⸗ Worterbduch ber Franzöftfiden und Deut: beuts 
fen Sprade, nad den neueften und beſten Serten 

dem Dietionnaire de l’Acad6mie frangaise etc., beaxbeitet. 
— A. u. d. T.: ——— — complet frangais -alle- 
mand et allemand - is, co —— les meil- 
leura ouvrages, PaAcademie francalse 
* „16 ch. Yu Nor 

——— enthält im Sanyen made, 


an 7. 
—ãe— 
Be en * en nd EA” 


en Preis 


—— — Gr. A Sep. 1 Thir. 


Sen Satre 10 Mdien von dem Berfefer de mie: 
Dez geitter von Mhedns, Trauerſpiel in vier Acten. Br. 8. Geh. 
Drama in fänf Acten. Gr. 8. Geb. 


wi 
2. —— — Be ein 
phieten Tafeln. 


2. et 5 
—EE nd ApfebenerS Der —ãA Sen | 3a 





granien. u 5. Aus um vn überfeht. Zwei Blake, 


3. Kaum ( Fion e ebd: 
ur ae BIS DE SUSE 
nuar in der Boni dei fr 
ten. Sr. Geb. GR — et 


har (ai ae pin me Suiten 

je. Dit einem ei 

ve nefafns yaldfiner Gr BB IR Ne 
Bon X. von Raumer erſchien bereitö in meinem Berlage: 


ER — 
der EN ; 
ER aaa 26 
rg N FEN oh 

2 Borfänie der Erbkue 

ritte den 

»B. jemei: ucpPiopäbie für 
bie gebildet: ationus· Eerikon) 


NReunte, verbeſſerte und ſeht vermehrte Originals. 
Boliſtandig in 15 Wänden oder 120 Heften. Gifte 2 
ads Si erſter Band. (A— Balbuena) Gr. 8, 

jede: J 

If neunte Hufe fäcit I 15 Bänten, are 19 Sofa vn 
waplers in der Audgabe ——e—— a 
FRECHEN Bere van meet genen 
Bu und bemilligen auf IE Grempfare Igkeituenn 





pla 
es uglähstiger Drofsch pi Mefes untermeämens ib 
nie —8 u EEE angenommen wird. 
** 





NICH * X Seine. 
er Relines (R.), Gefammeite Schriften. Cr 


\ 
\ 
\ 
i 


si aeg Sa ®@. —ã— 


an‘ — dee gence 
—— 5 Cr) ie 
EI} ROTE, ra —8 
becſeti von E. 2. W 4 % 






Hoback 
Fünftes Heft. (Liverpeoi—Maita) Eds, Preis 
— Hofıca 15 * 

—— — logische 


I. 
a0: [} 5* ⸗ 
—2 (8. %.) 


Ben — —* + Drei 
Bat a ten 
RE Re FE 


32. Boltaire (Branceis Marie romet be), Di 


Genriahe. %us dem Aranzöfiden im Beromaße bes Dris 
ginals überfeat von F. Schröber. Gr. 12. Geh. 1 Shlr. 

3. Die Mied >»  Gine Novelle. Derausgegeben von 
dem Einſiedier bei St.» Iotranned. Drei Theile. Gr. 12. 
Sch. 6 Thir. 15 Nor. 


«MI. Ktinaer’s ansgewählte Werke nunmebr 
® s vollttaudig. 


In Untergeichnetem find erfchienen unb durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


F. M. Slinger’s 


ausgewählte Werke. 
j Zafhen- Ausgabe in zwölf Bänden, 


mit einer Charakteristik und Lebensskigge Klinger's und dessen Bildnisse in Stahlstich. 
Drud und Papier ganz glei ben beliebten Ausgaben von Schiller, Goethe, Wieland, Leffing rc. 
Subferiptionspreis für alle 12 Bände 4 Thlr. 20 Nor. (4 Thlr. 16 gGr.), oder 8 Fl. 


Inhalt: 

J. Bd.: Die Zwillinge. — Die falſchen Spieler. — Elfride. — Konrabin. — Der Schwur gegen die She. — II. Bb.: Dee 
Günftling. — Ariſtodemos. — Medea in Korintt. — Mebea auf dem Kaufafoe. — Damolles. — III. Bd.: Fauſt's Leben, 
Thaten und Höllenfahrt.. — IV. Bb.: Geſchichte Nafacl’s de Aquillas. — V. Bd.: Geſchichte Giafar's des Barmeciden. — 
VI Bb.: Reifen vor der Suͤndflut. — VII. Bb.: Der Kauft der Morgenländer. — VII Bd.: Gefchichte eines Deutſchen der 
neueften Zeit. — IX. Bd.: Der Weltmann und der Dichter. — X. Bb.: Sahir, Eva's Erſtgeborener im Parabiefe. — Das zu 
frühe Erwachen bes Genius der Menſchheit. — XI. Bd.: Betrachtungen und Gedanken über verfchiedene Gegenflände der Welt 
und ber Literatur. 1. Shell. — XI, Bb.: Betrachtungen und Gedanken über verfchiedene Gegenſtaͤnde der Weit und ber Riteratur. 
2. heil. — Lebensſtizze 5. M. Klinger's. 

Klinger ift der vornehmfte Vertreter ber in der beutfchen Literaturgeſchichte fo wichtigen, von Goethe trefflich gefchilberten 
„Sturm: und Drangperiobe”, welche ihren Namen felbft von einem Drama Klinger's: Sturm und Drang, erhielt — 
der Landsmann, Zeitgenoffe und „Freund“ Goethe's) —, wurde nur wenige Jahre nad) diefem zu Frankfurt geboren und ſtarb 
ein Jahr vor ihm als penfionixter Generallieutenant in Petersburg. — Klinger war ein Dann von „ſtolzer Unabhängigkeit‘, 
von ungemeiner Charakter⸗ und Willenskraft, vom tiefften Gefühl und impofanter Perföntichkeit ; ein Schrifiſteler, der, was er 
als Menſch empfand, dachte und wollte, mit der feurigften Energie in feinen dichterifhen Gebiliden ausfprach und dadurch refore 
matorifd zu wirken firebte; der bie Gefühte, Gedanken, Zweifel eines gährenden, ſtuͤrmenden Gemüthes, eines raſtlos grübelnden 
und titanenhaft ringenden Geiftes mit ben Grfahrungen und Anfchauungen eines mübfamen, bewegten, wunderbaren Rebens tn 
niedern und in den hoͤchſten Regionen verband, und beide in feinen Fictionen und Betrachtungen niederlegte; ber die Blut bee 
empörteften Leidenſchaften und die Kälte des Elarften, nüchternften, unbeftedjlichften Verſtandes mit gleicher Meifterfchaft darſtellte; 
der auf den Rauſch ber füßen Illuſionen des Herzens fich fo gut verfland wie auf bie Refignation des nächtsbewundernden Stoi⸗ 
kers und des enttäufchten Mijanthropen, und der das lettere nur barum war ober ſchien, weil das moralifche Gefühl fo 
mächtig in ihm lebte; ein philoſophiſcher Dichter, der mit den großen Problemen der Beit, welche Goethe und Schiller befchäftige 
ten: Recht, Freiheit, moraliſche Weltosbuung, ebenfo raſtlos rang, und von ber bramatifchen Darftellung der Gollifionen des 
bürgerlichen und gefellfchaftlichen Lebens zu der exrfchütternden, wenn audy nicht befriedigenden Darftellung ber NRäthfel des Welt⸗ 
laufs, der Einzel⸗ und Voͤlkerſchickſale in feinen Erzählungen und Romanen fortſchritt; ein Profaiter, deſſen Styl faft durch⸗ 
aus durch Friſche, Klarheit, Schoͤnheit und Gedrungenheit dem beſten ſich an die Seite ſtellt ‚und bie edelſte Männlichkeit athmet; 
er iſt ein deutſcher Autor, der nidyt minder feiner bleibenden Vorzuͤge als feiner literarbiftorifchen Bebeutung wegen in noch 
weiterm Umfang als bisher gekannt zu werben verdient. Den Selbſtaͤndigen und Geiſteskraͤftigen wird er, mit all feinen aͤſtheti⸗ 
ſchen, philofophifchen und moralifchen Schroffpeiten und Härten, in feinen Schriften eine anziehende Geiftesnahrung bieten, wenn 
auch ein allzu zarter Gefchmad und ein fehr weiches Gemuͤth ſich nicht mit ihm befreunden ober vertragen ſolite. Wer Manni 
faltigkeit und Heichtbum bes Lebens liebt, und zur Grweiterung feiner Begriffe, Anfchauungen und Weltkenntniß fi nicht 
ſcheut, auch in fremdartige und ſchroffe Anfichten ein en, wird biefe Exiegerifche, trotzige Geſtalt neben den vielen frieblichern, 
mitbern Bertretern der beutfchen Literatur gern erbliden, und in Dem, mas Klinger von andern Gchriftftelleen unterfceidet, eine 
—55— hast Anregung, ja Roͤthigung zum eruſten Nachdenken über fih und die Melt, zum gewiflenhaften Suchen der 

a . 
Stuttgart und Zübingen, im Mai 1843. 


3. Woeniger (NA. Spbr), Bas Garealfytem 
und das Provocationsverfahren bet mer. 
Zwei Beiträge zur Kunde des römifchen Staate⸗ und Rechtes 
lebend. Gr. 8. 1 Thlr. 24 Nor. 








3. G. Cotta'ſcher Verlag. 





*) Berg. über Klinger: Goethe's Werke, Aubgabe in 55 Bänbchen, Bd. XXVI, ©, zu. 





ran nn — 
nem .- 


Nexue medicinische Schriften. 


Nachstehende Im Jahre 1842 bei mic erschienene Werke 
sind dureh alle Bachhandlungen zu beziehen : 


Analekten für Frauenkrankheiten, 


oder Sammlung der vorzüglichsten Abhandlungen, Mo- 

* rapbien u. s. w. über die Krankbeiten des Weibes 

über die Zustände der Schwangerschaft und des 

Wochenbettes. ‚Erster bis dritter Band in 12 Heften. 
8, Jedes Heft Heft 20 Ngr. 


Das fieschlechtsieben des Weibes 


in pbysiologischer, pathologischer und therapentischer 
Hinsicht dargestellt von 
Dr. Dietr. Wilh. Heinr. Busch. 


Erster. bis vierter Band. 
Gr.8. Auffeinem Druck-Velinpap. 1839-43. 15 Thir. 25 Ner. 


Die Lehre von der Ansteckung. 
Mit besonderer Beziehung auf die sanitätspoliceiliche 
Seite derselben von Dr. W. A. L. Hübener. 
Gr. 8. 3 Thlr. 


Beiträge zur wissenschaftlichen Heilkunde 
von Dr. ©. F. W. Richter. 


Gr. 8 Ge. 1 Thlr. 9 Ngr. 


Denkwürdigkeiten 


aus der medicinischen und chirurgischen Praxis. 
Von Dr. Georg Friedrich Most. 


Gr. 8, Ch 1 Tbir. 21 Ngr. 
Früher erschien von dem Verfasser bei mir: 
Encyklopädie der medicinischen und chirurgischen Praxis. 
Zweite Auflage. Zwei Bände. Gr. 10 Tblr. 
Supplement zur ersten Auflage. Gr. 5. 2 Talr. 15 Ngr. 








0 Eucykiepädie der Staatsarzneikunde. Zwei 
Bände und ein Supplementhand, Gr. 8. 11 Thir. 30 N 
Versuch einer kritischen Bearbeitung der Geschichte I 
— —— — 
r Liebe un 8 md 
In aniseher Einsicht. Dritte Auflage. Gr.8. I Thlr. 


Über alte und neue medicinische Lehrsysteme im Allge 
meinen und über Schöalein’s ne natürliches System 
der Medicin insbesondere. Gr. I Thir. 25 Ner. 
Leipzig, im Juni 1843, 


F. A. Brockhaus. 





Bei Friebrich Fleiſcher in Leipzig ift new erfchienen: 
Die Sagen von den Abentenern 
Rarl’Ss des Großen 
und feiner Paladine 
des Ritter von der Tafelrunde. 

Aus den aͤlteſten fpanifhen Romanzen 
überfegt von 
Ehnard Briukmeier. 

Seh. Preis I The. 





Soeben ift bei uns erfchienen und durch alle Buchhandlun⸗ 
gen zu beziehen: 


Le droit canon 
son application & 3 Teglise protestante. 


Manuel traduit de de l’Allemand 


HENRI JOUFFROY. 
I vol. In-8. Leipzig et Paris. 1% Thkr. 
Reipzig, im Mai 1843. 
Brockhaus S Avenarins. 
Buchhandlung für deutſche und auslaͤndiſche Literatur 


In unterzeichnetem iſt ſoeben erſchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Reisen und cünderbeschreibungen, 
25ſte Lieferung. 


Auch unter dem beſondern Titel: 


 Beifen anf den griechiſchen Zuſeln 


Br des ägäischen Meeres, 


Dr. Eudwig NMoß, 
ehemal. Ober⸗Conſervator der Alterthuͤmer, ordentlichem Profeſſor ber Archäologie an ber k. Dkto’d = Univerfität x- 
Smweiter Band. 
Mit einem Kupfer, einer Karte und mehren Holzfhnitten. 
Gr. 8. Belinpapier. VBrofh. Preis 1 The. 15 Ngr. (1 Thlr. 12 gGr.), oder 2 Ft. 30 Kr. 


Anhalt: Andros. — Gyros. — Mykonos. — Amorgos. — Aſtypalaͤa. — Nifyros. — Knidos. — Kos. — Kalymnos. 
— Telendos. — Lerod. — Patmos. — Samos. — Ikaros. — Delod. — Rhenaͤa. — Gyaros. — Belbina. 


Stuttgart und Tübingen, im Mai 1843. 


3 G. Cotta ſcher Verlag. 


Druck und Verlag von F. A. Brockhaus in Leipzig. 





This book should be returned to 
the Library on or before the last date 
stamped below. 

A. fine of five cents a day is incurred 
by reteining it beyond the specifled 
time. 

Please return promptly.